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T U Brehms Tierleben Dreizehnter Band Brehms Tierleben Allgemeine Kunde des Tierreichs Mit 3231 ſchwarzen Abbildungen im Text und auf 364 Tafeln, 279 Tafeln in Farbendruck und 13 Karten Zweiter Neudruck der vierten, vollſtändig neubearbeiteten Auflage herausgegeben von Profeſſor Dr. Otto zur Straſſen Säugetiere Vierter Band Bibliographiſches Inſtitut Leipzig und Wien 1920 Die Säugetiere Von Alfred Brehm Neubearbeitet von Max Hilzheimer und Ludwig Heck Vierter Band Paarhufer — Halbaffen — Affen Mit 204 Abbildungen nach Photographien auf 26 Doppel- tafeln, 86 Abbildungen im Text, 23 farbigen und 4 ſchwar— zen Tafeln von L. Beckmann, R. Frieſe, FJ. Gehrts, R. Koch, W. Kuhnert, G. Mützel, P. Neumann, C. Rungius, F. Specht, Frhr. v. Stenglin, A. Swoboda und W. Watagin CS BY PRESERYATION SERVICES DATE. 4 . G Bibliographiſches Inſtitut Leipzig und Wien 1920 Alle Rech te vom Verleger vorbehalten. Copyright 1916 by Bibliographisches Institut, Leipzig. 1 0 a „ N % AAN Vorwort. Der letzte Säugetierband iſt für viele Brehmleſer gewiß der wichtigſte, ſo— wohl für ihre tatſächlichen Einzelkenntniſſe als für ihre allgemeinen Grund— anſchauungen, weil er einerſeits unter den Paarhufern die wichtigſten Haustiere und das wichtigſte Wild, anderſeits in den Affen die nächſten Verwandten des Menſchen enthält. Da war es bei der Bearbeitung beſonders nötig, ab- und zuzutun, ſtellenweiſe ſo viel, daß von der letzten Auflage kaum noch etwas ſtehen— blieb, ſollte unſer „Tierleben“ ſeinem hohen Doppelziel wieder einigermaßen nahekommen: vor allem der breiteren Maſſe der Gebildeten und Bildungſuchen— den in gemeinverſtändlicher Form die Ergebniſſe der wiſſenſchaftlichen Forſchung zu vermitteln, die gerade auf dieſen Gebieten in den letzten Jahrzehnten ſo erſtaunlich und erfreulich weit und tief gegangen ſind, dann aber auch den wiſſenſchaftlichen Forſchern ſelber in allem, was das Tierleben und das lebende Tier anlangt, ein möglichſt zuverläſſiges und befriedigendes Nachſchlagebuch zu ſein, ſoweit dies innerhalb des verfügbaren Raumes möglich iſt. Die Aufgabe, in dem Rahmen der früheren Auflagen die Paarhufer zu be— handeln, war keine leichte. Infolge der vielen Neuentdeckungen der letzten Jahr⸗ zehnte — es ſei nur an das Okapi, das Waldſchwein, die vielen zentralaſiatiſchen Hirſche erinnert —, auch zufolge der fortſchreitenden ſyſtematiſchen und morpho— logiſchen Erkenntnis, die zahlreiche bis dahin als einheitlich angeſehene Arten in Unterarten auflöſen ließ, z. B. bei den Antilopen und Verwandten, iſt ſchon der rein ſyſtematiſche Stoff gewaltig angeſchwollen. Dazu kommen ferner eine Anzahl neuer biologiſcher Beobachtungen, z. B. über die Geweihbildung der Hirſche, zahlreiche Akklimatiſationsverſuche und neue Beobachtungen bei der Hal— tung in Gefangenſchaft. Alles dies machte eine gründliche Umgeſtaltung des VI a Vorwort. alten Textes nötig, die häufig einer Erſetzung gleichkam. Was hierbei an alten beliebten Tiergeſchichten verlorengehen mußte, hofft der Bearbeiter durch wiſſen— ſchaftliche Vertiefung erſetzt zu haben. Es wurde verſucht, wenigſtens die wichtigſten Untergattungen und ihre Merkmale anzugeben, durch Heranziehung paläontologiſchen Materials die angewandte Syſtematik zu begründen, den Zu— ſammenhang zwiſchen Körperform und Lebensweiſe zu zeigen, Angaben über Trächtigkeit, Entwickelung und Alterserſcheinungen zu bringen. Bei den Haus— tieren wurde der geſchichtlichen Herausbildung der Raſſengruppen und Raſſen nachgegangen und ihr wirtſchaftlicher Nutzen darzulegen verſucht. Wie ſchon im vorhergehenden Bande wurden mit Rückſicht auf den Raum vorwiegend die deut— ſchen Haustierraſſen berückſichtigt, außerdeutſche nur angeführt, ſoweit ihnen irgendeine beſondere Bedeutung zukommt. Unter den Herren- oder Hochtieren mußten die in vieler Beziehung ſo alter— tümlichen und urſprünglichen Halbaffen, die durch ihr überwiegendes Vorkommen auf Madagaskar dieſer Inſel den Stempel eines alten, ſelbſtändigen Feſtlandes aufdrücken, dem allgemeinen Verſtändnis nähergebracht und zugleich dazu benutzt werden, für dieſes Verſtändnis eine Brücke zu ſchlagen zwiſchen den niederen Säugetierformen und den mehr oder weniger menſchenähnlichen Affen. Dann aber und hauptſächlich mußte bei den Affen ſelber alles darangeſetzt werden, dem Leſer durch ſorgfältige Auswahl nur unbeſtreitbarer Forſchungsergebniſſe eine ſachlich feſtſtehende Auffaſſung und wirklich gerechte Würdigung dieſer an Körper und Geiſt dem Menſchen nächſtverwandten Säugetiere zu ermöglichen. Gemäß der ganzen kritiſchen und beſonnenen Haltung, die namentlich in tierpſychologiſchen Dingen bei der Neubearbeitung unſeres „Tierlebens“ maßgebend war, konnte dies jedoch nur darauf hinauskommen, die „Verwandtſchaft“ zwiſchen Affen und Menſchen in das richtige, von jedem unmittelbaren Abſtammungsverhältnis ſo grundverſchiedene Licht zu rücken. Wie tief die Bearbeitung ging, mögen nicht nur die vergleichenden Zahlen beweiſen, daß in der letzten Auflage 85 Arten Halbaffen und Affen, in dieſer aber deren 201 geſchildert ſind. Noch mehr wird es daraus hervorleuchten, daß hier die Zuverſicht ausgeſprochen werden kann, auch der wiſſenſchaftliche Benutzer unſeres „Tierlebens“, der Phyſiolog, Pſycho— log, Patholog, Gynäkolog, werde darin jetzt mancherlei zum Vergleich mit dem Menſchen mehr oder weniger wichtige Einzeltatſachen und Beobachtungsergeb— niſſe finden, wie ſie ihm in dieſer zielbewußten Zuſammenſtellung noch nicht geboten worden find. 4 Vorwort. VII AT 5 * 8 77 5 * Die Illuſtration dieſes Bandes wurde von berufenen Beurteilern, die ſie Ä entſtehen ſahen, als einzigartig bezeichnet. Erklärlich, wenn man bedenkt, daß wiederum Tiermaler erſten Ranges, neben Kuhnert: Frieſe, Rungius, Watagin, 5 v. Stenglin, Johs. Gehrts, herangezogen und gerade mit ſolchen Aufgaben betraut wurden, bei denen ſie ihr Beſtes leiſten konnten, weil ſie nur in den Schatz ihres eigenen künſtleriſchen Erlebens hineinzugreifen brauchten. So entſtanden 23 Farbentafeln von außerordentlichem Wert. Der „Wilde Yak“ von Watagin hat dabei noch die beſondere Bedeutung, daß hier wohl zum erſtenmal das nur in Petersburg vorhandene Muſeumsmaterial dieſes lebend ganz unbekannten Tieres von einem berufenen Künſtler für die breite Offentlichkeit zum Leben erweckt wurde. Die Tafeln nach Photographien ſind in dieſem Bande nicht nur auf 26 vermehrt, ſondern durch Vermehrung der Einzelbilder auch noch ungleich inhalt— reicher gemacht worden als in den früheren Bänden: ſie enthalten nicht weniger als 145 Einzelaufnahmen von Paarhufern und nicht weniger als 63 von Halb— affen und Affen. Eine lange Reihe von Seltenheiten, die ſich darunter befinden, werden wohl dem weiteren Kreiſe der Belehrung ſuchenden Freunde der Tier— welt zum erſtenmal im photographiſchen Abbild gezeigt, dürften aber durch ihre Urkundennatur nicht minder auch bei wiſſenſchaftlichen Arbeiten wertvoll und willkommen ſein, zumal ſie für ſolche Zwecke anderwärts in nur annähernd ſo hoher Zahl und Zuſammenſtellung nicht vorhanden ſind. Wir nennen in dieſem Sinne: Papuaſchwein, Indiſches Zwergwildſchwein, Hirſcheber mit Jungen; Zwergflußpferd. Afrikaniſches Zwergmoſchustier; Kau— kaſiſches Rieſenreh, Peruaniſcher Gabelhirſch, Prinz-Alfredshirſch, Kaſchmirhirſch, Zwergedelhirſch, Atlashirſch; Netzgiraffe, Kapgiraffe; Litſchi-Waſſerbock, Süd— afrikaniſche Beiſa, Tiang, Halbmondantilope, Loders Gazelle, Langſchwanz-Goral, Schneeziege; Rundhornſchaf, Argaliſchaf, Weſtkaukaſiſcher, Sibiriſcher, Nubiſcher Steinbock, Bezoarziege, Jerdons Schraubenziege, Markhur; Moſchusochſe, Gaur, Gayal, Banteng. Halbmaki, Coquerels Katzenmaki, Mausmaki, Fingertier, Potto, Zwerggalago; Rotgeſichtaffe, Weißkopfaffe, Wollaffe; Schopfmangabe, Rauhohr— Rheſus, Formoſa⸗Makak, Mells Bärenmakak, Hecks Makak, Dſchelada, Weißbart— ſtummelaffe, Drill mit Jungem, Schopfhulman mit Jungem, Roter Schlankaffe, Budeng, Naſenaffe. Natururkunden im Sinne von Tieraufnahmen aus der Frei— heit werden geboten in: Bache mit Friſchlingen, Giraffen in der Steppe, Gabel— bockherde am Felſengebirge, Kongoni in der oſtafrikaniſchen Steppe, Palaantilopen in der Steppe; Hulmans. Die wichtigſten Haustiere, Schwein, Schaf, Ziege, Rind, wurden wieder hauptſächlich in ihren deutſchen Raſſen einwandfrei durch — ... VIII Vorwort. Sieger auf deutſchen Landwirtſchaftsausſtellungen abgebildet. In der Annahme, damit gerade auch den wiſſenſchaftlichen Benutzern unſeres Werkes zu dienen, wurde großer Wert darauf gelegt, als Abbildungen zu den Menſchenaffen die photographiſchen Porträte der bekannteſten hierhergehörigen Affenperſonen zu— ſammenzubringen, die während der letzten Jahrzehnte in unſeren zoologiſchen Gärten gelebt haben. An neuen Text bildern brachte eine Studienreiſe Kuhnerts, die er mit dem Herausgeber im Auftrage des Verlages unternahm, aus den niederländiſchen und engliſchen Tiergärten wertvolle Ausbeute, und auch im Texte konnten zwei Natururkunden (Verſtiegene Gemſe und Moſchusochſen am Franz-Joſephs-Fjord) eingefügt werden. Die Verbreitungskarten ſind wiederum von Herrn Prof. Dr. Arldt bearbeitet. Danken möchten wir an dieſer Stelle außer denen, die, wie das Königliche Muſeum für Naturkunde in Berlin, uns durch Überlaſſung von Bildervorlagen freundlichſt unterſtützt haben, wiederum dem Verlag für die prächtige Ausſtattung auch des letzten Säugerbandes, der Redaktion für ihre Mithilfe ſowie den Herren Dr. Schwarz vom Senckenbergiſchen Muſeum und P. Cahn in Frankfurt a. M. für ihr höchſt nutzbringendes kritiſches Mitleſen der Korrekturen und mancherlei wertvolle Angaben und Vorſchläge. Ludwigsburg und Berlin, im Sommer 1916. Dr. Max Hilzheimer. Prof. Dr. Ludwig Heck. Juhalts⸗überſicht. 16. Ordnung: Paarhufer (Artiodactyla). 1. Abteilung und 1. Unterordnung: Nicht⸗ wiederkäner (Nonruminantia). Familie: Borſtentiere oder Schweine (Suidae). | Suinae. Seite | Sus (Echte Schweine). 5 Eusus (Puſtelſchweine ))): 5 Javaniſches Puſtelſchwein, S. verrucosus Müll. Schl. 5 Bartſchwein, S. barbatus 8. Mull. 6 Krausbartſchwein, S. b. oi Mill. 6 Celebesſchwein, S. celebensis Müll. Schl. 6 r Rand, Wildſchwein, 8. n 7 S. s. baöticus Tos. 8 S. s. attila Tl ios. 8 S. s. meridionalis Fors. Mai; 8 Striatosus (Bindenſchweine) . 12 Bindenſchwein, S. vittatus Müll. Schl. 12 Vorderindiſches W S. eristatus Wagn. . 8 en er Marke 12 S. leucomystax Temm. 12 S. I. continentalis Nehrg. 12 S. taivanus Sin-. 12 Mittelchineſiſches Schwein, 8.1 moupinensis A. M.-E. 12 S. papuensis Tess. Garn. 12 S. niger Finsch. 12 S. timoriensis S. Müll. ; 12 Sennarſchwein, S. sennariensis Fitz. . 13 S. sardoa Strobel 13 Hausfhwein . 14 Poreula . 23 Eeeawildfeitoenn, P. 5 Has. 23 Potamochoerus (Flußſchweine) 24 Pinſelſchwein, P. poreus L. 8 24 Flußſchwein, P. 5 re 25 Larvenſchwein, P. larvatus F. Cas. 25 Seite Hylochoerus 2 Waldſchwein, H. e Thos. „ H. rimator Thos. 26 Phacochoerus nn 26 Warzenſchwein, Ph. africanus Gm. 27 Hartläufer, Ph. aethiopieus L. 28 Babirussinae. Babirussa . 30 Buru⸗ n B. 8 u 30 Celebes⸗Hirſcheber, B. alfurus Be 30 Tayassuinae. Pecari . 33 Nabelſchwein, 125 een 5 e Tayassu . 32 Biſamſchwein, m. pecari Fisch. 32 Familie: Flußpferde (Hippopotamidae). Choeropsis . f 34 Zwergflußpferd, ch. 5 Mork. 34 Hippopotamus © re 35 Flußpferd, H. 1 = 35 Zweite Abteilung: Wiederküuer (Ru- minantia). 2. Unterordnung: Schwielenſohler (Tylo- poda) Familie: Kamele (Camelidae). Camelus 2 47 Dromedar, C. one L. 49 Zweihöckeriges Kamel, C. J 25 57 Lama. ale 60 Guanaco, L. A Mol. 61 Zama, L. glama L. 64 Paco, L. pacos L. 66 Vicufta, L. vicugna Mol. 67 3. Untero rdnung: Traguloidea. Seite Familie: Zwergmoſchustiere (Tragulidae). Hyemoschus . Afrikaniſches Zwer dust H. aqua- tieus Ogib. . Tragulus . 5 2 Meminna, T. meminna W T. napu F. Cuv. . Kantſchil, T. javanicus Osb. 4. Unterordnung: Pecora. Familie: Hirſche (Cervidae). Moſchustiere (Moschinae). Moschus Moſchustier, Mu. on 15 Echte Hirſche (Cervinae). Hydropotes (Waſſerrehe) . Chineſiſches Waſſerreh, H. inermis Si inch, Capreolus (Rehe) Reh der me C. 1 nneten. Noack . C. pygargus Pall. Kaukaſiſches Rieſenreh Tian⸗ſchan⸗Reh, C. N Sat. 2 Reh, C. capreolus L. Odocoileus ; 5 Blastoceros Ee H Pampashirſch, O. bezoarticus L.. Dorcelaphus Sumpfhirſch, O. 5 m. Odocoileus (Virginiahirſche) . O. nemoralis H. Sm. O. mexicanus Gm. O. peruvianus Gray . 3 Virginiahirſch, O. americanus Dil. . Langſchwanzhirſch, O. a. macrourus Raf. Nacktohrhirſch, O. gymnotis Nm. Otelaphus (Ohrenhirſche) . Großohrhirſch, O. hemionus Raf. Schwarzſchwanzhirſch, O. columbianus Rich. Hip es (Anden⸗ Een Gabelhirſche) Huemul, H. bisuleus Mol. . Peruaniſcher l H. antisiensis Orb. Mazama (© Spießhirie). Grauer Spießhirſch, M. 1 F. Cuv. Roter Spießhirſch, M. Kulte . 0 Anden-Spießhirſch, M. tema Ray. Doryceros . lets D. inornatus Bra) 71 71 71 71 71 71 Inhalts⸗Überſicht. Pudu Chileniſcher Puduhirſch, P. udn Mol. Alces (Elche). Amerikaniſcher Elch, A. americanus gan Rieſenelch, A. gigas Mill. Oſtſibiriſcher Elch, A. 1 Zu. kowsky Europäiſcher Elch, FM Al Rangifer (Renntiere) Finniſches Renn, R. ae Tonnb, Sibiriſches Renn, R. sibirieus Murray . Karibu, R. caribou Gm... 5 Bergrenn, R. montanus Set. Thomps. Renn von Neufundland, R. terrae-novae Bangs Rangifer areticus Er, Rangifer groenlandicus Gm. . Spitzbergenrenntier, R. D Vrolik A Renntier, R. tarandus =. Muntiacus. Elaphodus . Chineſiſcher Shoe M. 11 Swinh. Muntiacus . M. crinifrons Scl. M. feae Tos. Doria . Indiſcher Muntjak, M. ie Zah M. lacrymans M.-E.. M. reevesi Ogilb. . Rusa Axis. Axishirſch, R. axis 12 R. a. major Hdgs. R. a. minor Hdgs. R. a. ceylonensis H. Sm. 8 Prinz Alfreds . R. alfredi Scl. Hyelaphus. > Schweinshirſch, R. poreinus ann } R. p. minor Scl. R. p. anamiticus Heude Rusa b Ariſtoteleshirſch, R. ler Behst. 2 Pferdehirſch, R. u. equinus Cum. . R. u. mariannus Des w. 8 Mähnenhirſch, R. hippelaphus En, Molukkenhirſch, R. h. moluccensis G. 6. Rucervus (Zackenhirſche) . Schomburgks Hirſch, R. schomburgi Biyth . 5 . Baraſinga, R. 9 G Leierhirſch, R. eldi Guthrie. R. e. platyceros Gray . — — — — — DD — 1 de le e ie ie de E — — — — — — — 11e die e 1 2 — ww — — — — — de io e S S N A [I ei Pseudaxis (Sikahirſche) Eh Sikahirſch, P. sika Temm. Schl. Dybowſkihirſch, P. hortulorum Swinh. . ma Meſopotamiſcher 9 D. 1 tamica Brooke . - 8 Echter Damhirſch, D. dama 7 Cervus (Edelhirſche) Wapiti, C. canadensis Aral. Weſtamerikaniſcher Wapiti, C. C. oceiden- talis H. Sm. . C. e. merriami Nels. . : Altai⸗Wapiti, C. o. sibiricus Misch, : Iſubrahirſch, C. e. lühdorfi Bolau Thorolds Hirſch, C. albirostris Przw. Gelbſteißhirſch, C. xanthopygos A. M.-E. Echter Tibethirſch, C. wallichi Cu. Kaſchmirhirſch, C. cashmirianus Fitz. Maral, C. maral Ogild. . Edelhirſch, C. elaphus L. C. e. corsicanus Ell. Spaniſcher Hirſch, C. e. hispanicus Hüzl. Atlashirſch, C. e. barbarus Benn. Elaphurus. 5 Milu, E. 1 A N. E. Familie: Giraffidae. Okapia. 5 E Okapi, O. 1 Scl. Giraffa. 5 Giraffe, G. 1 1755 Südafrikaniſche Giraffe, G. c. capensis f f E. Geoffr. Netzgiraffe, G. 1 Winton Familie: Horntiere (Bovidae). B C Antilocapra N Gabelbock, A. americana 07 Waldböcke i Tragelaphus (Buſchböcke). Schirrantilope, T. scriptus Pall. Abeſſiniſcher Buſchbock, T. decula FE. T. roualeyni Cumming . . - Südafrikaniſcher a 155 9 Sparrm. Nr: Boocercus. : Bongo, B. euryceros O hub. | Nyala . Nyala, N. angasi gas Limnotragus (Sumpfböde) . Weſtafrikaniſche Sumpfantilope, L. gratus Scl. N an, e Seite 129 130 130 130 131 131 134 136 137 137 137 137 138 138 138 138 139 139 141 141 141 146 146 148 148 151 153 153 153 159 159 165 165 166 166 166 166 166 166 166 168 168 169 Inhalts⸗Überſicht. ah, Sumpfantilope, L. spekei Scl. F Strepsiceros . Großer Kudu, S. N Pall. Kleiner Kudu, S. imberbis un 5 Taurotragus . 4 5 Elenantilope, T. oryx "Pal... T. o. livingstonei Scl. T. o. pattersonianus Zyd. . Rieſen⸗Elenantilope, T. derbianus Er 70 T. d. gigas Hl. RE Boselaphus Nilgau, B. 1 Pull. Riedböcke (Reduneinae). Pelea (Rehböde) . 8 Rehbok, P. capreolus Behst. Redunca (Riedböcke) f Großer Riedbock, R. 9 Boda. Riedbock, R. redunca Pall. Kobus (Waſſerböcke) Adenota B Moorantilope, K. = Eral. ; Weißohr⸗ . K. leucotis Leit. Pirs. : N Onotragus . : Litſchi⸗Waſſerbock, K. 8211 rn Frau Grays Waſſerbock, K. maria Gray Kobus Ellipſen⸗ Waſſerbock, K. nee Ogilb. . Hirſchantilope, K. 18 7 Senegal⸗ ae Kend: unetuosus Laurill. . ; Pferdeböcke 18 Hippotragus (Roßantilopen). Pferdeantilope, H. equinus Desm. H. e. rufo-pallidus Neumn. H. e. gambianus Scl. Thos. H. e. bakeri Hl. 5 Rappenantilope, H. niger Harr. . Blaubock, H. leucophaeus Pall. Oryx (Spießböcke) 5 Paſſan, O. gazella L. Beiſa, O. beisa Rupp. 8 Büſchelohr⸗Beiſa, O. b. callotis Thos. Arabiſche Beiſa, O. leucoryx Pall. Säbelantilope, O. algazel Pall. Addax . x Mendesantilope, 1 Blainv. Kuhantilopen ee Damaliscus (Zeierantilopen) . Buntbock, D. pygargus Pall. he XI Seite 169 169 169 171 171 171 172 172 172 172 174 174 — —— —— —— m SIT SI SI SI SI SI IIAO a ao —1 XII Inhalts- Überſicht. Bleßbock, D. albifrons Burch. 3 Halbmondantilope, D. lunatus H. Sm. . Korrigum, D. korrigum Ogilb. Jimela, D. k. jimela Misch. Topi, D. k. topi Heller . Tiang, D. k. tiang Hgl. Bubalis dee Santos, B. N phus Pall. 0 . Tora, B. tora Gray . ; Hartebeeſt, B. caama G. Cum. . Kongoni, B. cokei Gthr. Lichtenſteins Hartebeeſt, B. 1 Pirs. 4 8 Lelwel, B. lelwel Hol. . Weſtafrikaniſche e B. major Biyth . Connochaetes Weißſchwanzgnu, C. gnu un Streifengnu, C. taurinus Burch. Weißbartgnu, C. t. albojubatus Tos. Hecks Gnu, C. t. hecki O. Neumn. Johnſtons Gnu, C. t. johnstoni Scl. Schopfantilopen (Cephalophinae). Cephalophus . Cephalophus (Waldöuder) Gelbrückenducker, C. silvieultrix a Schabrackenducker, C. jentinki Thos. . Buſchducker, C. natalensis A. Sm. Schwarzſtirnducker, C. n. nigrifrons Gray Schwarzrückenducker, C. dorsalis Gray . Blaurückenducker, C. rufilatus 1 x Cephalophula . Streifenducker, C. doria Ogilb.. Guevei (Zwergantilopen) . Maxwells Zwergantilope, C. mazwelli H. Sm. Blauböckchen, C. 3 H. Im. C. c. melanorrheus Gray C. c. schultzei Schwarz . Sylvicapra (Steppenduder) Echter Ducker, C. grimmius L. Kronenducker, C. coronatus Gray Windſpielantilopen (Madoquinae). Madoqua . : Rhynehotragus . Damara⸗Dik⸗Dik, M. 1 Ohh. M. kirki Gthr. Madoqua Windſpielantilope, M. n Bea Dorcatragus . Behra, D. 1 1 . Seite 187 187 187 188 188 188 188 188 188 188 189 189 189 189 191 191 192 193 193 193 194 195 195 195 195 195 196 196 196 196 196 196 196 196 196 196 197 197 197 198 198 198 198 198 200 Böckchen (Neotraginae). Seite Neotragus (Zwergbödhen) . . . . 200 INerotrarus . 2. 7 ae 008 Moſchusböckchen, N. moschatus von Düben Hylarnus e ee ee N. batesi Wirken, „ 1 2 Neotraguns . N) Zwergböckchen, N. pygmaeus SE zii Raphicerus . . . A N Grysbok, R. 1 Thumb. © 201 Steenbok, R. campestris TRun bd. 201 R. Sharpe Tos. Ourebia l Bleichböckchen, 0. 8 RES, 2 0 Klippſpringer G Oreotragus . . 202 Klippſpringer, 0. N e 202 Vierhornantilopen (Tetracerinae). Tetracerus l T. quadricornis Blaine. e T. d. subquadricornutus ERM ot. . 205 Echte Antilopen (Antilopinae). Antilo [pe 206 . r 206 Aepyceros (Schwarzferſenantilopen . . . 209 Pala, A. melampus Leht. . . . . 209 A. m. petersi BO .... reg A. im Suard Hen. Gazela . . 210 Nordchineſiſche Gazelle, G. e 211 G. pieticaudata Hd ges. 211 G. przewalskii Büchn. . . . 211 Perſiſche Gazelle, G. aa G. 211 Marica⸗Gazelle, G. marica Ts. 211 Sömmerring-Gazelle, G. soemmerringi Crtzschm. . . „ 213 Damagazelle, G. 255 Pall „ Mhorrgazelle, G. d. mhorr Benn. . 213 Nanger, G. d. permista Mumm. . 213 Rothalsgazelle, G. d. ruficollis H. Sm. . 213 Grants Gazelle, G. granti Brooke . . 214 Peters⸗Gazelle, G. g. petersi Gthr. . . 214 Indiſche Gazelle, G. bennetti Syk. . . 214 Arabiſche Gazelle, G. arabica Let... 214 Edmi⸗Gazelle, G. cuvieri Ou. 214 Spekes Gazelle, G. spekei Blyth . . . 214 Pelzelns Gazelle, G. pelzelni Kol . . 214 Thomſons Gazelle, G. thomsoni Gthr. . 214 Notjtirngazelle, G. rufifrons Gray . . 215 Dünengazelle, G. leptoceros loderi Thos. 215 Dorkasgazelle, G. dorcas J.. . . 215 G. d. isabella Gray . % ee ee * 1 Inhalts-Überſicht. 5 f Seite Antidorcas (Springantilopen) 219 III. Gruppe der Muſimon-Hausſchafe Springbock, A, marsupialis mm. 219 IV. Gruppe der Argali-Hausſchafe . Ammodorcas . 223 Stummelſchwanzſchaf 0 Lamagazelle, A. ae Thos. 5 223 | Pseudois (Halbſchafe) . Lithocranius . c 224 Nahur, P. nayaur Hdgs. x Giraffengazelle, L. 1 Br 2285 224 Ammotragus (Mähnenſchafe) Pantholops ; 8 5 224 Mähnenſchaf, A. lervia Pall. Tſchiru, P. 1 bel. 224 Capra (Ziegen) Saiga 0 226 Turus ! Saiga, 8. 9 55 226 Tur, C. caucasica "Gina. Gemſenartige . C. c. eylindricornis Biyth . ir Capricornis ; 229 Spaniſcher Steinbock, C. 1 Serow, C. tennis Beis. 229 Aegoceros (Steinböcke) ; C. s. thar Hdgs. 229 Sibiriſcher Steinbock, C. sibirica ee Weißmähniger Serow, C. 0c Nubiſcher 5 C..nubiana F. Cuv. Heude ; 229 Abeſſiniſcher Steinbock, C. walie Rüpp. . Capricornulus 230 Weſtkaukaſiſcher Steinbock, C. severtzowi ö Wollhaargemſe, C. 1 Ten 230 Menzb. 3 a er Nemorhaedus (Waldziegenantilopen) 230 Alpenſteinbock, C. we L. Langſchwänzige . N. cau- Capra, n \ 2230 Bezoarziege, C. 8 125 N. raddeanus Heude. 230 Hausziege ; Goral, N. goral Hardw. 930 I. Gruppe der 1 5 Rupicapra 231 II. Gruppe der Prisca-Hausziegen . Gemſe, R. r 2285 232 Schraubenziege, C. falconeri Wagn. Budorcas (Rindergemſen). 240 Gr jerdoni — 5 Takin, B. taxicolor Hdgs. . 240 . B. tibetana M.-E. 241 Hemitragus . £ E heifordi 720 241 Nilgiri-Tahr, H. e Ogilb. nos 242 Arabiſcher Tahr, H. jayakari Thos. . Schneeziege, 0. americanus 29 242 Tahr, H. jemlahicus H. Sm. . Ovis (Schafe). 244 Moſchusochſen (Ovibovinae). f Mufflon, O. musimon . : ES Aſiatiſcher Mufflon, O. orientalis Bydt. Mackenzie „Moſchusochſ e, 0. en m _ Rizb. . . : Zn 249 nus Kowarzik . : Steppenfeaf, 0. vignei B 1 in. 249 Oſtlicher Moſchusochſe, 0. elle: | Arkal, O. v. arkar Brat. 249 i 98 Kreishornſchaf, O. v. cycloceros Hutt. 250 Oſtgrönländiſcher wofäusnit, 0 2m: Argali, O. ammon L. ee 250 wardi Lad. Pamirſchaf, O. a. poli Biyth 250 Schwarzer Moſchusochſe, 9 Bine Dickhornſchaf, O. canadensis Shaw 253 cus Elliot R } KR Schneeſchaf, O. e. nivicola Zschh. 253 m mel illensis Koser i O. e. dalli Nelson. 5 254 0. c. cowani Rothsch. 254 Rinder (Bovinae). O. c. gaillardi Mearns . 254 | Bos 5 Hausſchaf Ku : 255 Bubalus a I. Gruppe der er Hausſchafe : 257 Anda, B. e E. Sm. 8 1. Untergruppe: Langbeinſchafe. 257 Mindorobüffel, B. mindorensis Heude . 2. Untergruppe: „ B. pallasi Baer N > Wollſchafe. 260 Aſiatiſcher Büffel, B. Fuel 25 a) Schmalſchwanzſchafe 260 B. b. fulvus Blanf. * b) Breit- oder Fettſchwanzſchafe. 263 B. b. hosei Zyd. . II. Gruppe der Orientalis-Hausſchafe . 265 B. b. macroceros Hdgs. 3 gi I XIV Inhalts-Überſicht. Seite Hausbüffel 313 Hausrind Kafferbüffel, B. caffer Sparrm. 318 I. Urraſſen⸗ Gruppe 2 Rotbüffel, B. e. nanus Bodd. 319 1. Untergruppe der Steppenraſſen Kurzhornbüffel, B. e. brachyceros de 320 2. Untergruppe der Niederungsraſſen B. c. simpsoni Zyd. . 772 320 3. Untergruppe der Großſtirnraſſen B. c. cottoni Lyd. 321 II. Gruppe der Langſtirnraſſen . B. c. aequinoctialis Blyth . 321 1. Graubraunes Alpenvieh B. c. ruahensis Misch. . 321 2. Untergruppe der FURCHT B. c. schillingsi Misch... . e 321 Poephagus B. c. azrakensis Misch. 321 Jak, B. grunniens 225 Bibos 327 Bison Gaur, B. 1 gaurus H. 55 327 Wiſent, B. 8 82005 L. B. f. hubbacki LV. 330 B. b. caucasius Greve Gayal, B. f. frontalis Lamb. 330 Biſon, B. bison L. Banteng, B. banteng Raffl. 333 Waldbiſon, B. b. 5 . Herren- oder Hochtiere (Primates). 17. Ordnung: Halbaffen (Prosimiae). Familie: Makiartige (Lemuridae). Coquerels Katzenmaki, M. coquereli ; Grandid. . 8 EN re E Gabelſtreifiger Judt, M. füreifer Lemur (Matis) . : 385 Pia 3 BEE Vari, L. variegatus Kerr 5 388 . Fr Roter Vari, L. v. ruber Z. Geoffr. 388 Indriartige Undrisinae). Mohrenmaki, L. macaco L. 389 | Lichanotus (Wollmakis) Katta, L. catta L. 391 L. laniger Gm. Mongoz, L. mongoz L.. : 392 Propithecus (Gifafas) . Kronenmali, L. coronatus Gray . 392 Diadem⸗Sifala, P. diadema Benn. E Schwarzſtirnmaki, L. nigrifrons E. Geoſfr. 392 Verreaux-Sifaka, P. verreauxi Grandid. Schwarzkopfmati, L. fulvus E. Geoffr. . 392 Iudris Rotſtirnmaki, L. rufifrons Benn. 392 Indri, I. indris Gm.. Weißkopfmaki, L. albifrons E. Geoffr. 392 Daubentoniinae. Rotbauchmali, L. rubriventer Is.Geofir. 392 , Paubentonia . : Myoxicebus (Oalbniakis) 393 Fingertier, D. e 655 Breitſchnauziger Halbmaki, M. 5 393 Familie: Loriartige (Nyeticebidae). Olivenbrauner 1 M. olivaceus Loris wel Is. Geoffr. g 393 Loris 5 Grauer 1 M. griseus E. Geoffr. 393 Schlanklori, L. net 75 Mixocebus . 394 L. Iydekkerianus Cabr. Hattock, M. caniceps Pin: Ehe 394 | Nycticebus Be ee), Lepilemur (Wieſelmakis) . - 394 Plumplori, N. coucang Bodd. Fitiliki, L. mustelinus Is. Geoffr. 394 Geſchwänzter Plumplori. Altililemur (Fettſchwanzmalis) . 394 Perodicticus. A A. medius E. Geoffr. 394 Potto, P. potto E. Geoffr. 0 Cheirogaleus . 394 P. edwardsi Bouv. Büſchelohriger 9 Ch. trichotis P. ibeanus TOS. Gthr. 394 | Arctocebus Milius’ Kaßenmaki, Ch. ern Geoffr. 395 Bärenmaki, A. calabarensis Smith Microcebus (Zwergmakis). 395 Oprenmatis ie Mausmaki, M. murinus Miller 395 | Galago. 0 M. myoxinus Pirs. 395 Senegal-Galago, 155 1 9225 M. pusillus ZE. Geoffr. 395 Geoffr. Snhalts-Überfigt. Seite G. sennariensis Less. 9 5 412 Allens Galago, G. alleni Wirh. . 413 Zwerg⸗Galago, G. zanzibarieus Mtsch.. 413 Otolemur . 416 Rieſen-Galago, G. ae E. Geoffr. g © 416 Kirks Galago, G. Birk: Era £ 417 18. Ordnung: 1. Unterordnung: reitnaſen(Platyrrhini). Callithrix (Pinſeläffchen) . 5 Weiß⸗Pinſeläffchen, C. jacchus 22 450 Schwarz⸗Pinſeläffchen, C. 8 E. Geoffr. 451 A chen, 0. pygmaea 55 455 Silberäffchen, C. argentata L. 455 Leontocebus (Tamarin) . 456 Mohrenäffchen, L. ursulus 2 456 Devilles Affchen, L. devillei Is. Geoffr. 457 Weddells Affchen, L. weddelli Deville . 457 Schnurrbartäffchen, L. mystax Spix . 457 Pinche, L. oedipus L. 457 Löwenäffchen, L. leoninus . 458 Röteläffchen, L. rosalia L. 459 Callimico . e 461 Spring⸗Tamarin, C. goeldii Thos. 461 5 Familie: Cebidae. Nachtaffenartige (Aotinae). Callicebus (Springaffen) . 461 Sahuaſſu, C. personatus E. Geoffr... 462 y Witwenaffe, C. torquatus Ho. 462 Aotes (Nachtaffen) . 463 Gewöhnlicher Nachtaffe, A 5 1 Humboldt 464 N Schlaffſchwänze (Pitheciinae). Pithecia (Schweifaffen) ee 466 Satansaffe, P. satanas Hoffm. 467 Weißkopfaffe, P. pithecia L. 3 467 2 Weißnaſenaffe, P. albinasa Is. 7 468 i Zottelaffe, P. monachus Z. Geoff. 468 Cacajao (Kurzſchwanzaffen) ; 469 Cacajao, C. melanocephalus Humboldt. 469 Scharlachgeſicht, C. calvus Is. Geoffr. 469 Roter Uakari, C. rubicundus Is. Geoffr. 471 Alouattinae. ee (Brüllaffen) . 471 Schwarzer Brüllaffe, A. caraya ut 479 Roter Brüllaffe, A. seniculus L. 479 1 * 2 5 ar * > = * Familie: Krallenaffen (Callitrichidae). 450 Hemigalago B Demidoffs Galago, H. demidoffi Fisch. Thomas' Galago, H. thomasi Eliot. Familie: Koboldmukis rer Din Ed Koboldmali, m. tarsius Er al. Zur Vorgeſchichte der Halbaffen . Affen (Simiac). Cebinae. Saimiri Totenköpfchen, 8. sciureus 125 s S. oerstedi Reinhardt Cebus (Kapuziner) . - Weißſchulteraffe, C. 505 Humboldt SU EN 1 C. capueinus | Eral. : 15 Apella, C. 18 9 5 Er. a Gehaubter Kapuziner, C. Talnellos L. Gehörnter Kapuziner, C. eirrifer E. Gefu. Azaras Kapuziner, C. azarae Rengg. Dickkopfkapuziner, C.macrocephalus Spi Einfarbiger . C. unicolor Spi Lagotlrix (Wollaffen) . 8 Grauer Wollaffe, L.lagotricha Aae Brachyteles Spinnenaffe, B. de E. Ge eoffr. Ateles (Klammeraffen). BEN. Schwarzer Klammeraffe, A. paniscus 75 Schwarzgeſicht-Klammeraffe, A. ater F. Cum. 1 55 Goldſtirnaffe, 8 e w n. Marimonda, A. belzebuth Z. Geoffr. Geoffroys e A. 1 Kuhl . rhini). Cercopitheeinae. Cercopithecus (Eigentliche Meerkatzen) Miopithecus Zwerg⸗Meerkatze, C. 9 Schr 2. Cercopithecus. : Gelbgrüne Meerkatze, 0. eallitrichns Is. Geoffr. a Tantalus⸗ Weerkaße, 0. 3 22 0 Weißgrüne Meerkatze, O. aethiops L. Malbruk, C. eynosurus Scop. . : Lalandes Meerkatze, C. pygerythrus F. Cuv. N XV Seite 417 417 417 417 419 421 500 2. Unterordnung: ee (Catar- Familie: Meerkatzenartige (Cercopithecidae). 506 514 514 515 515 516 516 516 517 XVI Cercocebus (Mangaben) . Rotgrüne Meerkatze, C. p. rufoviridis Is. Geoffr. „ Lasiopyga . = Blaumaul, C. a 25 5 Rotnaſen⸗Meerkatze, C. 1 Wirh, Schwarzbäckige Weißnaſe, C. ascanius Audeb. : Schmidts Weißnaſe, 0. a. schmidti Misch. Helle Weißnaſe, C. petaurista Schreb. C. p. fantiensis Misch. . C. p. büttikoferi Jent. . 8 Dunkle Weißnaſe, C. nictitans L. Diadem⸗Meerkatze, C. leucampyx Fisch. Pluto⸗Meerkatze, C. 1. pluto Gray Stuhlmanns Meerkatze, C. I. stuhlmanni Misch. 8 0 Samango-Meerkatze, 0. samango m Geoffr. Brazza⸗Meerkatze, 0. 1 Schl. Weißkehl⸗Meerkatze, C. albigularis Sykes Preuß’ Meerkatze, C. a. preußi Misch. Stairs' Meerkatze, C. stairsi Scl. Moloneys Meerkatze, C. moloneyi Scl. Kandts Meerkatze, C. kandti Mtsch. Vollbart⸗Meerkatze, C. l’hoesti Scl. Diana⸗Meerkatze, C. diana L. 8 Langbart⸗Diana, C. d. 2 Schreb. Mona⸗Meerkatze, C. mona Schreb. Campbells Meerkatze, C. campbelli Wtrh. Erxlebens Meerkatze, C. grayi Fras. Petronella-Meerkatze, C. petronellae Butt. Wolfs Meerkatze, C. wolfi Meyer . Erythrocebus (Huſarenaffen) Patas, E. patas Schreb. . Nisnas, E. pyrrhonotus H. E. Rhinostigma . Rh. hamlyni a Mohrenmangabe, C. fuliginosus E. Geoffr. > Weißſcheitelmangabe, 0. i Tem Hutmangabe, C. agilis A. M. -E. Haubenmangabe, C. galeritus Pirs. . Rotkopfmangabe, C. torquatus Kerr Grauwangenmangabe, C. albigena Gray Schwarze Schopfmangabe, C. aterrimus Oud. Pithecus (Makaken). Makak, P. fascieularis Rafi. Hutaffe, P. sinicus L. Ceylon⸗Hutaffe, P. pileatus Be Simia Rheſus, 8. 7 44445 re Yan Eeite 518 518 518 522 522 522 522 523 523 523 523 523 523 523 523 524 524 524 524 525 525 525 525 525 525 525 526 526 526 526 526 528 528 527 528 528 529 529 529 530 530 532 533 536 538 538 538 Snhalts-Überjigt. Aſſam⸗Rheſus, S. assamensis MedClell. . Rauhohr⸗Rheſus, S. lasiotis Gray Formoſa⸗Makak, S. eyelopis Sinh. Japaniſcher Makak, S. speciosa F. Cuv. Bärenmakak, S. arctoides IS. Geoffr. Blaßgeſichtiger Bärenmakak, S. a. esau Mtsch. 2 e Magot, S. inuus L. Nemestrinus (Schweinsaffen) Löwenmakak, N. leoninus Blytn. Schweinsaffe, N. nemestrinus L. Cynopithecus (Schwarzmakaken) Mohrenmakak, C. maurus F. Cuv. C. inornatus Gray 5 Grauarm⸗Makak, C. 1 Ogilb. Hecks Makak, C. hecki Misch. Schopfpavian, C. niger Da Vetulus Bartaffe, V. nen Di Theropithecus Brauner Dſchelada, Th. sah Rupp. Schwarzer Dſchelada, Th. obscurus Heugl. Papio (Hundsköpfe). Mantelpavian, P. 1 ne Tſchakma, P. porcarius Bodd. . Roter Pavian, P. papio Desm. . . Anubis⸗Pavian, P. anubis F. Cuv. . Atbara-Pavian, P. a. doguera Puch. Schimp. 5 Manjara⸗Pavian, P. 4 a. Dan Thos. Kagera⸗Pavian, P. a. tesselatus Eliot. Babuin, P. eynocephalus L. 2 Zwergpavian, P. c. neumanni Misch. . Langhelds Pavian, P. c. langheldi Misch. 2 Gelber Babuin, P. c. zer Pirs. Grauer Babuin, P. e. toth Ogilb. Mandrillus (Badenfurdenpaviane) . Mandrill, M. sphinx L. Drill, M. leucophaeus F. Cuv. Stummelaffenartige (Colobinae). Colobus (Stummelaffen) . Satansaffe, C. satanas Wirh.. Mantelaffe, C. palliatus Pirs. . 5 Weſtlicher Guereza, C. oceidentalis Rochebr. Abeſſiniſcher Guerra, 0. . Oken . Weißſchwanz⸗ Ghrereza, C. cent Thos. Weißſchenkelaffe, C. vellerosus 78. Geoffr. Bärenſtummelaffe, C. polycomus Schreb. Kirks Stummelaffe, C. kirki Gray Otapi Inhalts-Überſicht. — Verzeichnis der Abbildungen. XVII Seite Seite Presbytis (Schlanfaffen) . 601 | Symphalangus . 2 ; 614 Hulman, P. entellus Dufr. 602 Siamang, S . Ben 614 Berg⸗Hulman, P. schistaceus ER 602 Schopf⸗Hulman, P. pileatus Blyth . 603 Familie: Menſchenaffen (Pongidae). Madras⸗Hulman, P. priamus Biyth 603 | Pongo (Orang-Utans). e 629 Budeng, P. auratus E. Geoffr. 605 Borneo-Orang, P. pygmaeus pygmaeus Weißbart⸗Schlankaffe, P. . Hoppius . 632 Zimm. 607 Sumatra-Orang, P. p. 1 Clar 10 632 Maha, P. ursinus Biyih 608 | Pan (Schimpanfen) . ER 7571648 Nilgiri⸗Langur, P. johni Fisch. 608 Gambia⸗Schimpanſe, P. chimpanse Blätteraffe, P. obseurus Reid . 608 Meyer PS 650 Schwarzſchopf⸗ Sieh 150 e Tſchego, P. satyrus 150 651 Rafl.. . . - 608 Kulukamba, P. koolookamba Du Chaillu 652 Pygathrix 608 Guineg⸗Schimpanſe, P. leucoprymnus Duk, P. nemaeus 5 608 Less. 653 Rhinopithecus 608 Schweinfurth⸗ Schimpanse, b. 1 Stumpfnaſenaffe, Rh. . M. . 608 furthi Gigl. 5 653 Simias . 608 Marungu⸗Schimpanſe, P. marungensis Pageh⸗ 1 8. en Mil. 608 Noack. N 653 Nasalis . . 609 Soko, P. castonomale Misch. 653 Naſenaffe, N. larvatus Wurmb 609 P. adolfi-friderici Mtsch. 658 Familie: Gibbons (Hylobatidae). Gorilla (Gorillas) 5 ; 677 Hylobates. > 613 Gabun⸗Gorilla, G. gorilla Wyman - 680 Hulock, H. 1 Harl. 613 Jaunde⸗Gorilla, G. matschiei Rothsch. 680 Zar, H. lar L. . 614 Rotkopf⸗Gorilla, G. castaneiceps Slack . 680 Unka, H. agilis Desm. 614 Berg⸗Gorilla, G. beringei Misch. 680 Wauwau, H. leuciscus E. Geoffr. 614 Zur Vorgeſchichte der Affen 697 * * * Verzeichnis der Abbildungen. 1 Seite = Saybige, Tafel Seite Bunte Meerkatzen 522 Wildſchwein Grauer Babuin . 579 Pinfeliäwein . 24 | Mandrill . 586 . Nilpferd + 35 Mobega . a A tle, e on Kartenbeilagen: „Verbreitung der Säuge⸗ Be. 84 tiere“ I-IV am Schluſſe des Bandes. Virginiſcher Si 92 Bd... 102 Wildes Renntier . 111 Schwarze e Rot⸗ oder Edelhirſch. 139 Paarhufer I. 2 12 148 1. Wildſau mit Iriſchlingen. Bongo. 166 2. Papuaſchwein. Großer Kudu . 169 5 e 1 2 Lan ein. a 5 135 5. Weißes deutfches elan 1 Grants Gazelle 214 6. a veredeltes Landſchwein (Weſtfäli⸗ Kaukaſiſcher Tur. 272 Paarhufer 1 22 Kafferbüffel 318 1. Überzüchtetes englisches Setiſcwein. Wilder Jak 359 2. Maskenſchwein. Grüne Meerkatze. 518 3. Mangalicaſchwein. Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. II XVIIL 4. Zwergwildſchwein. 5. Celebes⸗Hirſcheber. 6. Biſamſchwein. Paarhufer III 8 1. Zwergflußpferd. 2. Flußpferd. 3. Bepackte Trampeltiere. 4. Kamelreiter in Deutſch⸗Südweſtafrika. 5. Trampeltier. 6. Dromedar. Pr on ee REED. Zahmes Lama. 2. Guanaco. 3. Lamakarawane in Peru. 4. Alpacaſchur. 5 6 7 — . Alpaca. „ Afrikaniſches Zwergmoſchustier. . Kaukaſiſches Rieſenreh. . Pampashirſch. Paarhufer V. 1. Sumpfhirſch. 2. Großohrhirſch. 3. Peruaniſcher Gabelhirſch. 4. Axishirſch. 5. Prinz Alfreds Hirſch. 6. Schweinshirſch. Rrocbufer M , rede 1. Pferdehirſch. Mähnenhirſch. . Barafinga. . Leierhirih. . Dubowſtihirſch. 6. Milu. Paarhufer VII Damwild. | Wachstum des Geweihes beim Wapiti. Paarhufer VIII 5 1. Oſtamerikaniſcher Wapiti. 2. Altai⸗Wapiti. 3. Kaſchmirhirſch. 4. Zwerg⸗Edelhirſch und Kaukaſus-Maral. 5. Atlashirſch. 6. Tier mit Kalb vom Edelhirſch. Paarhufer IX 5 1. Giraffen in der Steppe. 2. Nubiſche Giraffe mit zum Freſſen vom Erd⸗ boden geſpreizten Vorderbeinen. 3. Am Uelle erlegtes Okapi. 4. Netzgiraffe. 5. Südafrikaniſche Giraffe. Paarhufer X. : . Gabelbodherde am Felſengebirge. „ Buſchbock. . Schirrantilope. . Sitatunga. . Weſtafrikaniſche Sumpfantilope. . Nilgau. . Riedbod, zwei Männchen. . Litſchi⸗Waſſerbock, zwei Männchen. 0 = JE So} o wmN Hr Seite 48 60 96 126 130 136 158 Verzeichnis der Abbildungen. Paarhufer XI . 1. Ellipſen ⸗Waſſerbod. 2. Senegal⸗Waſſerbock, Weibchen. 3. Pferde-Antilope. 4. Rappenantilope. 5. Südafrikaniſche Beiſa. 6. Arabiſche Beiſa. 7. Mendesantilope im Winterkleide. 8. Mendesantilope im Sommerkleide. Paarhufer XII 1. Buntbock. 2. Tiang. 3. Halbmondantilope. 4. Kongoni in der oſtafrikaniſchen Steppe. 5. Lichtenſteins Hartebeeſt. 6. Hartebeeſt, Weibchen. 7. Hartebeeſt, Männchen. 8. Nordafrikaniſche Kuhantilope. Paarhufer XIII. 1. Pala⸗Antilopen in de oftafeltanifchen Steppe. 2. Pala. 3. Sömmerrings Gazelle. 4. Kronenducker. 5. Perſiſche Gazelle. 6. Spekes Gazelle. 7. Rotſtirngazelle. 8. Dünengazelle. D Paarhufer XIV. . 1. Saiga, Weibchen. . Saiga, Männchen. Langſchwänzige Ziegenantilope. Goral. „ Schneeziege im Winterkleid. . Schneeziege im Sommerkleid. Mufflon. . Kreishornſchaf. . Argali. 10. Syriſches Fettſchwanzſchaf. 11. Fettſteißſchaf aus Simferopol, Krim. Paarhufer XV . 1. Dinkaſchaf, Schlag der Hauſalünder. 2. Zackelſchaf. 3. Frankenſchaf. 4. Oſtfrieſiſches Milchſchaf. 5. Heidſchnucke. 6. Karakulſchaf. 7 u. 8. Merinoſchaf. 9. Nahur. 10. Mähnenſchaf. 11. Weſtkaukaſiſcher Steinbock. 12. Sibiriſcher Steinbock. 9 A N om Paarhufer VIII! oe 1. Alpenſteinbock, Bock. 2. Alpenſteinbock, Ziege mit Kitz. 3. Nubiſcher Steinbock. 4. Bezoarziege. 5. Chineſiſche Fellziege. 6. Kameruner Zwergziege. 7. Agyptiſche Ziege. Seite 180 188 1 1 E 10 EA o . Verzeichnis der Abbildungen. 8. Saanenziege. 5 Seite 9. Jerdons Schraubenziege. Affen IT . 10. Markhur. 1. Schwarze Sn abe 11. Anoa 2. Erxlebens Meerkatze. 1152. Tahr 3. Halsband⸗Mangabe. Paarhufer VII. 2302 4. Gewöhnlicher Huſarenaffe. 1̃0Ä.. Oſtgrönländiſcher Moſchusochſe. 5. Perzinas Rheſusgruppe. 2. Aſiatiſcher Büffel. 6. Rauhohr-Rheſus. 3. Agyptiſcher Büffel. 7. Formoſa⸗Makak. 4. Gapal. 8. Bärenmakak. 5. Gaur, Stier. 9. Blaßgeſicht⸗Bärenmalak. 6. Gaur, Kuh mit Kalb. Makak. AN: T. Banteng. Affen IV i Faochufe IR e EN EEE BE? 1. Magot. 1. Damara-Nind. 2. Schweinsaffe. 2. Watuffi-Rind, 3. Mantelpavian. 3. Steppenrinder vor dem Pfluge. 4. Mohrenmalak. 4. Schottiſches Hochlandsvieh. 5. Brauner Dſchelada. 5. Angler Kuh. 6. Hecks Makak. 6. Schwarzweiße Oſtfrieſin. 7. Weißbartſtummelaffe. 1 Sbvrthorn⸗Ochſe 5 8. Drill. Parkrind 2318 9. Hulman. r 352 Affen NE 1. Simmentaler Bulle. 1. Schopfhulman. 2. Algäuer Bulle. 2. Schwarzſchopf⸗Schlankaffe. 3. Gelbes Frankenvieh Gapriſche Zugocheen 3. Weißbart⸗Schlankaffe. 4. Biſon. 4. Budeng. 3 5. Halbblut⸗Wiſentkuh. 5. Naſenaffe, junges Männchen. 6. Wiſent, Bulle und Kuh. 6. Naſenaffe, altes Weibchen. * 7. Kaſtrierter Halbblut⸗Biſon mit 1 58 7. Hulock. / 232 8. Siamang. 70 1. Ratte. 75 9. Wauwau. 2. Grauer Halbmati. 10. Zar. 3. Mohrenmati. N ; 11. Borneo-Orang. 4. Mongoz. f g Stellungen le Pen 5. Coquerels 3 Affen VI 5 6. Fingertier. 155 e . 7. Mausmali. 2. Kahlkopf⸗Schimpanſin. been A e ee ee 3. Kamerun⸗Schimpanſin. . 1. Schlanklori. 4. Tanganjika⸗Schimpanſe. 2. Plumplori. 5. Gorillaweibchen. 3. Potto. 6. Kongo⸗Schimpanſin. 1 4. Zwerg⸗Galago. 7. Hans Meyers Gorilla. 5. Rieſen⸗Galago. b } 8. Berg⸗Gorilla. en T. 05 1. Roter Uatari. N im Tert. 2 Gewöhnlicher Nachtaffe. F Pekari⸗ Magen 3. Totenköpfchen. . Krausbartſchwein . Beihtopfafe d Schädel und letzter unterer Back ahn 50 Fluß- g ge 555 cee 1 494 ſchwein, Waldſchwein und . 8 122 n Warzenſchwein . ffen RN? B a eg 4825 IN getenee: Hirſcheber . 1. Apella. ; f Magen des Rindes 2. Gehaubter Kapuziner. Magen 9 15 Ds 3. Gehörnter Kapuziner. 4. Dickopf⸗Kapuziner. Vorderfuß vom Kamel . 5. Schwarzer Brüllaffe. Vicuma . 6. Schwarzer Klammeraffe. Kantſchil x 7. Grauer Wollaffe. 5 Geweih des Sumpfhirſches XIX Seite 530 602 Y Ie OD XX Verzeichnis der Abbildungen. Seite ö Seite Roter Spießhirſch nd Bart... N ER ZEIRR Mit Renntieren beſpannter Samopdenfötite Indi 398 auf der Halbinſel Kann . . . 116 Hand des Plumploris it er SsnouerDemtjat. 0, . Aue 119 Zeigefinger 403 Ariſtoteleshirſch. . .. 124 Fuß des Plumploris mit ber bekrallten weten Geweih des Schomburglshirſches 27 Behr 2 0 Geweih des Millu 147 Schlafſtellung des Schlankloris e Giraffenſchädel mit Anſatz des dritten Sams Schlafſtellung des Pottos.. 409 zwiſchen den Augen J 152 Bärenma n ea Ar Gabelbor ttt... 1690 Lobeda! 419 Noll. 167 Necht Half nder Mittellinie N Söbelantiſoeee ?:: 1484 tenen Schädel eines Affen (Kapuziner) und N Weißſchwanznnu. 1392 eines Raubtieres (Puma) 423 Gelbrückendu cke. 195 Hand des Satansaffen (Pithecia 1 R Maxwells Zwergantilonde . . 196 mit dem nicht entgegenſtellbaren Daumen. 445 Kopf von Kirks Dik⸗Dik . 198 Saguin, en a 450 Klippſp engen: 1 203 Pings 457 Vierhornantilo fe 205] Röteläffche asd Hirſchziegenantilopee. 207 Weißſchulter affe 485 Rothalsgazelllte 213 Kapuzineraffe 486 Spring boek 220 Zum Greifen i Schaan. a ns Straffenanzelle 2. 1: Fan 23 Klammeraffen. . - 493 hiru. >» 2 2 nenn 225 Daumenloſe Hand eines meta e „ 494 Sero W- . 2330 Gebrauch des N beim Klammer⸗ Gemſe 2 affe 0 Gehörn der Rindergemſe „„ Bwerg-Deerlape . e Junger Takin . 241 | Mohrenmangadde . 529 Gehörn des ene Diedorf 253 Hutaffe 8 Altägyptiſches Schaf 258 Schopfpov ian ee Gehörn vom 1 S „ leaf... Mr aa A LE] Angoraziege . 29 [ SIHamra. =... an ES REN Moſchusochſen am Heiser 8 Sofas Gelber Babu nm. ENDE ADB Fjord, Grönland. 5 . 304 Stumpfnaſenaffe 609 Europäiſcher es (chin . . . 314 Skelett des Menſchen und des Gorillas, un⸗ Rotbüffell 1 natürlich geſtreck kk... 88 Kurzhornbüffell . . . 320 | Schädel von Menfhenaffen . .». . . . 626 Schädel einer 1 59 Schädel Junger Orang⸗Uta s 630 einer Langſtirnku . . 335 Junger Gambia⸗Schimpanſee . 649 Schädel einer Großſtirnkuh 270 Säit einer Flachkopf⸗Tſchego von Südkameruun . . 652 Rurzlopfud . . . . . . 336 | Schimpanfe Mafuka, Dresden 670 Schädel eines hornloſen Rindes 8 337 Schimpanſe Mafuka, Dresden 671 Augsburger Abbildung des Urs (echten Auer⸗ Jaunde⸗ Gorilla. 678 Dei . . 341 | Mesopithecus pentelicus, ein pliozäner Heiliger Zcküſtier in Benares, Offinbien 346 Schlankaffe von Pikermi in Griechenland . 697 Jak⸗Karawann k „2363 Schädeldach von Pithecanthropus erectus . 698 Sechzehnte Ordnung: Paarhufer (Artiodaetyla). Bearbeitet von Dr. Max Hilzheimer. ene In der Ordnung der Paarhufer vereinigt man, nach Owens Vorgang, alle huftragenden Säugetiere, bei denen an jedem Fuße entweder nur noch zwei Zehen entwickelt ſind, oder doch dieſe zwei die drei übrigen merklich an Ausbildung übertreffen. Es ſind die dritte und vierte Zehe, alſo die, welche dem Mittel- und Goldfinger des Menſchen entſprechen, die bei den Paar⸗ hufern beſonders kräftig, unter ſich aber gleich ſtark entwickelt find, während die anderen mehr oder weniger verkümmern. Die erſte, dem menſchlichen Daumen entſprechende Zehe iſt bei allen Paarhufern vollſtändig geſchwunden. Im Grunde zwiſchen den Zehen befinden ſich häufig Drüfen, die ein ſchmierendes, die Reibung aufhebendes Sekret abſondern, die ſoge— nannten Zwiſchenklauendrüſen. i Bekleidet ſind die Zehenendglieder mit Hufen, den ſogenannten Klauen. Wie bei den Pferden umfaßt bei ihnen die obere Nagelplatte mit nach vorn gerichteter Wölbung das Nagel— endglied auch ſeitlich, biegt ſich aber hinten kaum ein. Hierdurch grenzt der Zehenballen an das Sohlenhorn, das ſich in verſchiedener, ſyſtematiſch bedeutungsvoller Ausdehnung zwiſchen Hornplatte und Zehenballen erſtreckt. Das Gerippe der Paarhufer iſt außerdem durch die große Beſtändigkeit in der Zahl der Rücken- und Lendenwirbel, die zuſammen, einige Haus⸗ tierraſſen ausgenommen, immer 19 beträgt, und durch das Fehlen des Schlüſſelbeines aus⸗ gezeichnet. Das Sprungbein (der Talus), d. h. der Knochen, der mit dem Schienbein das Sprunggelenk bildet, hat eine doppelte Gelenkrolle. Wenn wir noch hinzufügen, daß die Bad- jähne runde oder in Halbmonde ausgezogene Höcker tragen, und daß der Magen zu Teilungen neigt, ſo haben wir, abgeſehen von übereinſtimmenden Eigentümlichkeiten der Keimlingshäute, alle gemeinſamen Züge im Baue der Paarhufer hervorgehoben. In der Lebensweiſe gleichen ſich die Paarhufer darin, daß ſie, in den meiſten Fällen ausſchließlich, in den übrigen wenigſtens vorwiegend, Pflanzenfreſſer find. Bemerkenswert iſt der ſehr ausgebildete Zuſtand, in dem die Jungen zur Welt kommen. Oft vermögen ſie ſchon wenige Stunden nach der Geburt ihrer Futter zu folgen. Hierin liegt ein wichtiger Gegenſatz zu den Raubtieren und vielen Nagern. In allen ſonſtigen Beziehungen weiſt die Ordnung, gemäß ihrem Artenreichtum, ſehr verſchiedene Geſtalten auf; jo wenig find manche Paarhufer ihren Ordnungsgenoſſen ähnlich, daß es erſt längerer Zeit bedurfte, um die Einheit der Ordnung allen Tierkundigen einleuchtend zu machen. Die Paarhufer fehlen auf Neuſeeland und dem Feſtlande Auſtraliens, find aber ſonſt über alle Länder verbreitet. Vorweltliche Formen kennen wir erſt aus dem Eozän. Die große Artenzahl und Verſchiedenheit der Paarhufer macht es erwünſcht, die Ordnung “ zunächſt weiter einzuteilen. Man unterſcheidet zwei Abteilungen: die Nichtwiederkäuer (Non- ruminantia) oder Schweineartige (Suoidea), auch, nach ihren Höcker tragenden e f Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 2 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Schweine. Höckerzähner (Bunodontia) genannt, bei denen außer den beiden Hauptzehen auch noch die zweite und fünfte Zehe entwickelt ſind, und die Zweihufer oder Wiederkäuer (Ruminantia), bei denen fie völlig oder zum größten Teile geſchwunden find. Bei jenen find außerdem Mittel- hand- und Mittelfußknochen noch getrennt, bei dieſen bereits verwachſen. Außerdem find die Wiederkäuer vor den übrigen Huftieren und allen anderen Säugetieren durch die Eigentüm⸗ lichkeit des Wiederläuens ausgezeichnet. Während die erſtere Abteilung die gleichnamige, eng zuſammengehörige Unterordnung der Nonruminantia bildet, find die Verwandtſchaftsgrade innerhalb der zweiten nur locker und entfernt. Es gibt zwar eine Anzahl gemeinſamer Punkte, wie das Wiederkäuen, gewiſſe Merkmale des Schädels, Verſchmelzung der Mittelhand- und Mittelfußknochen zum Kanonenbein, Neigung zur Ausbildung halbmondförmiger Höcker auf den Zähnen (ſelenodonte Zähne, daher auch Selenodontia), aber dieſen Merkmalen von Bluts⸗ verwandtſchaft ſtehen ſo viele Unterſchiede gegenüber, die auf lange Trennung deuten, daß der Begriff Ruminantia nicht den gleichen ſyſtematiſchen Wert hat wie der der Nonruminantia und ihn Lydekker z. B. in ſeinem neuen „Catalogue of the Ungulate Mammals“, London 1913, ganz fortläßt. Auf dieſen Katalog, ſoweit er erſchienen iſt, werden wir uns neben dem ſchon in der Einleitung erwähnten Werke von Max Weber bei der Syſtematik der Paarhufer vor⸗ wiegend ſtützen. Danach teilen wir weiter die Abteilung der Ruminantia ein in die Unterord⸗ nungen der Tylopoda, Traguloidea und Pecora, jo daß die ganze Ordnung einſchließlich der Nonruminantia vier lebende Unterordnungen umfaßt, wozu noch 2—3 ausgeſtorbene kommen. 1. Abteilung und 1. Unterordnung: Nichtwiederkäuer (Nonruminantia). Die erſte Abteilung der Paarhufer bilden die nicht wiederkäuenden Schweine und Fluß: pferde, die ſich auf zwei Familien verteilen. Bei den Borſtentieren oder Schweinen (Suidae) iſt der Rumpf ſeitlich zuſammen⸗ gedrückt, der Kopf faſt kegelförmig mit vorn abgeſtumpfter Spitze, der Schwanz in der Regel dünn und von mäßiger Länge, die langgeſtreckte Schnauze vorn in eine Rüſſelſcheibe ver— breitert, in der die Naſenlöcher liegen; die Ohren ſind mäßig groß, gewöhnlich aufrechtſtehend, die Augen ſchief geſchlitzt und verhältnismäßig klein; die Beine ſchlank und dünn, ihre Zehen paarig geſtellt, die mittleren, die den Körper tragen, weſentlich größer als die äußeren. Ein mehr oder minder dichtes Borſtenkleid umhüllt den Leib. Beim Weibchen liegen in zwei Reihen D meiſt zahlreiche Zitzen am Bauche. Bei ſämtlichen Schweinen ſind alle drei Zahnarten in der oberen und unteren Reihe vorhanden. Die Anzahl der Schneidezähne ſchwankt zwiſchen 1 und 3 in jeder oberen, 2 und 3 in jeder unteren Kieferhälfte; doch fallen im Alter nicht ſelten dieſe Zähne aus. Immer ſind Eckzähne vorhanden, und zwar von ſehr bezeichnender Geftalt: drei- kantig, ſtark gekrümmt und, außer bei einer Unterfamilie, nach oben gebogen. Von den Bad- zähnen, deren Anzahl wechſelt, ſind die vorderſten ſchneidend, die hinteren haben breite, mit vielen Höckern beſetzte mahlende Kronen — ein echtes Allesfreſſergebiß! Unter den Muskeln fallen die auf, welche die Lippen bewegen; namentlich die der Oberlippe ſind ſehr ſtark und verleihen dem Rüſſel, der vorn durch eine beſondere Verknöcherung geſtützt iſt, Kraft zum Wühlen. Außerdem haben die Schweine bedeutend entwickelte Speicheldrüſen, einen rundlichen Magen mit großem Blindſacke und einen Darmſchlauch, der etwa zehnmal länger iſt als der Leib des Tieres. Unter der Haut bildet ſich bei reichlicher Nahrung eine Specklage, deren Dicke bis zu mehreren Zentimetern anſteigen kann. Mit Ausnahme von Auſtralien und dem größten Teile Nordamerikas bewohnen die Borſtentiere faſt alle Länder der übrigen Erdteile. Große feuchte, ſumpfige Wälder in bergigen Allgemeines. 3 oder ebenen Gegenden, Dickichte, Geſtrüppe, mit hohem Graſe bedeckte, feuchte Flächen und Felder bilden ihren Aufenthalt. Alle lieben die Nähe des Waſſers oder mit anderen Worten Sümpfe, Lachen und die Ufer der Flüſſe und Seen, wühlen ſich hier im Schlamme oder Moraſte ein Lager aus und liegen in dieſem, oft halb im Waſſer, während der Zeit ihrer Ruhe; ein— zelne Arten ſuchen auch in großen Löchern unter Baumwurzeln Schutz. Die meiſten ſind geſellige Tiere; doch erreichen die Rudel, die ſie bilden, ſelten eine bedeutende Stärke. Ihre Lebensweiſe iſt eine nächtliche; denn auch an Orten, wo ſie keine Gefahr zu befürchten brauchen, beginnen ſie erſt mit Anbruch der Dämmerung ihr Treiben. Sie ſind keineswegs ſo plump und unbeholfen, wie ſie erſcheinen, ihre Bewegungen vielmehr verhältnismäßig leicht. Ihr Gang iſt ziemlich raſch, ihr Lauf ſchnell, ihr Galopp eine Reihe eigentümlicher Sätze, von denen jeder mit einem ausdrucksvollen Grunzen begleitet wird. Alle ſchwimmen vortrefflich, ſetzen ſogar über Meeresarme, um von einer Inſel zu der anderen zu gelangen. Auch die Sinne der Schweine, namentlich Geruch und Gehör, ſind gut ausgebildet: die Schweine wittern und vernehmen ausgezeichnet; das kleine und blöde Auge dagegen ſcheint nicht beſonders ſcharf zu ſehen. Vorſichtig und ſcheu, fliehen wilde Schweine zwar in der Regel vor jeder Gefahr, ſtellen ſich aber, ſobald ſie bedrängt werden, tapfer zur Wehr, greifen ſogar ohne alle Umſtände ihre Gegner an. Dabei ſuchen fie dieſe umzurennen und mit ihren ſcharfen Hauern zu ver⸗ letzen, und ſie verſtehen dieſe furchtbaren Waffen mit ſo großem Geſchick und ſo bedeutender Kraft zu gebrauchen, daß ſie ſehr gefährlich werden können. Alle Keiler verteidigen ihre Bachen und dieſe ihre Friſchlinge mit vieler Aufopferung. Die höheren Eigenſchaften ſind nicht zu unterſchätzen. Faſt alle Schweine werden, wenn ſie jung in die Gefangenſchaft kommen, leicht zahm und zeigen dann große Anhänglichkeit an ihren Pfleger. Daher und wegen ihrer großen Anpaſſungsfähigkeit eignen ſie ſich auch ſo gut für den Hausſtand, in den mehrere übergeführt ſind. Gelungene Verſuche, die hier und da mit der Dreſſur von Hausſchweinen gemacht wurden, zeigen, daß dieſe Tiere ſehr gelehrig ſind. Die Stimme iſt ein ſonderbares Grunzen, das viel Behäbigkeit und Selbſtzufriedenheit oder Gemütlichkeit ausdrückt, bei Schmerz und Angſt aber iſt ſie ein gellendes Quieken. Die Schweine ſind Allesfreſſer in des Wortes vollſter Bedeutung. Wenige von ihnen ernähren ſich ausſchließlich von Pflanzenſtoffen: Wurzeln, Kräutern, Feld- und Baumfrüchten, Zwiebeln, Pilzen uſw., die übrigen verzehren nebenbei auch Kerbtiere und deren Larven, Schnecken, Würmer, Lurche, Mäuſe, ja ſelbſt Fiſche und mit Vorliebe Aas. Ihre Gefräßig⸗ keit iſt ſo bekannt, daß darüber nichts geſagt zu werden braucht. d Nur bei den wenigſten Arten wirft die Bache ein einziges oder eine kleine Schar von Ferkeln; die übrigen bringen viele Junge zur Welt, zuweilen mehr als irgendein anderes Säuge- tier, bis 24. Die Friſchlinge find allerliebſte, luſtige, bewegliche Geſchöpfe, die jedermann ent— zücken müſſen. Sie wachſen überraſchend ſchnell und find bereits nach Jahresfriſt fortpflan⸗ zungsfähig, weshalb auch alle ihnen beſonders zuſagenden Länder von ihnen wimmeln und ſie ſelbſt da, wo ſie in keiner Weiſe geſchont werden, nur ſchwierig auszurotten ſind. Alle Wildſchweine fügen dem ackerbautreibenden Menſchen ſo großen Schaden zu, daß ſie ſich nicht mit dem Anbau des Bodens vertragen. Sie werden deshalb überall aufs eif⸗ rigſte verfolgt, wo der Menſch zur Herrſchaft gelangt. Ihre Jagd gilt als eines der edelſten Vergnügen und hat auch außerordentlich viel Anziehendes, weil es ſich hier um Geſchöpfe handelt, die ihr Leben unter Umſtänden recht teuer zu verkaufen wiſſen. Der Menſch iſt übrigens nur in den nördlichen Gegenden der ſchlimmſte Feind der wild llebenden Schweine. In den Ländern innerhalb der Wendekreiſe ſtellen die großen Katzen- und 1* 4 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Schweine. Hundearten den dort wohnenden Arten eifrig nach und richten oft arge Verwüſtungen unter ihren Herden an. Füchſe, kleinere Katzen und Raubvögel wagen ſich bloß an Friſchlinge und immer nur mit großer Vorſicht, weil die Mutter ihre Kinderſchar kräftig verteidigt. Die Kenntnis des erdgeſchichtlichen Entwickelungsganges der Schweine weiſt noch viele Lücken auf. Selbſt die ausgezeichneten Arbeiten Stehlins („Abholg. Schweiz. Paläont. Geſellſch.“, Bd. 26 u. 27) haben nur ſoweit Klarheit bringen können, wie es der ſehr unvollſtändige Stoff erlaubt. Die älteſten Schweine finden ſich im Eozän des mittleren Weſteuropas. Doch ſind dieſe kaum als Vorfahren der lebenden anzuſehen, da ihr Gebiß nach einer anderen Rich⸗ tung hin entwickelt war. Die Gattung Sus begegnet uns zum erſtenmal ziemlich unver⸗ mittelt im oberen Miozän; wenig ſpäter, ebenfalls in Europa tritt uns Potamochoerus ent⸗ gegen. Amerika hat ſeine Schweine wahrſcheinlich im Oligozän von Europa erhalten. Die übrigen Gattungen ſind wohl weſentlich jünger, über ihren Werdegang iſt ſo gut wie nichts be⸗ kannt. Nur waren die Puſtelſchweine (S. 5), wie foſſile Funde erweiſen, im Pliozän bis zu den Siwaliks am Himalaja verbreitet, woraus man vielleicht ſchließen kann, daß ſie ſich nicht in ihrem heutigen Wohn⸗ gebiet entwickelt haben. Die Syſtematik der wilden Schweine erfordert ſeit der Entdeckung des Waldſchweines eine kleine Anderung. Da dieſes Tier die Warzenſchweine eng mit den echten Schweinen verbindet, dürfen die erſteren nunmehr nicht mehr von der Unterfamilie der Echten Schweine oder Suinae getrennt werden. Dieſe iſt gekennzeichnet durch b vierzehige Füße, ſtarke Behaarung und 6 Paar Schneide⸗ Haempel, „Handbuch der Biologie der Wirbel- zähne. Die Zahl der Backzähne ſchwankt zwiſchen 7 und ere bent orten beer. 6 im Ober⸗ und 7 und 5 im Unterkiefer. Der letzte untere Backzahn trägt ſtets mehr als 4 Höcker. Die Gattung Babirussa iſtſo ſelbſtändig, daß ſie zu einer eigenen Unterfamilie, Babirussinae, erhoben werden muß. Ihre Merkmale liegen in dem eigentümlich hochgeſtellten, kurzen Körper mit dem gekrümmten Rücken, dem für ein Schwein kleinen Kopf, der Zahnformel 31 und der merkwürdigen Entwickelung der oberen Eckzähne; dieſe ſtehen in gerade nach oben gerichteten Alveolen, werden von den unteren nicht abgeſchliffen und wachſen kreisförmig bis zur Stirn. Die dritte Unterfamilie, die der neuweltlichen Nabelſchweine (Tayassuinae), ift in mancher Beziehung ſehr fortgeſchritten, wie z. B. im Bau der Füße, wodurch ſie zu den Wiederkäuern überführt. Bei der Gattung Pecari Rehb. kommt es allerdings nur zu einer Verſchmelzung des oberen Teiles der Hauptmittelfußknochen des Hinterfußes. Erheblich weiter geht die Gat— . fi den Aut te ie pl = Du End a aE Zul = UL ere tung Tayassu Fisch. nach Strauchs Unterſuchungen find an den Vorderfüßen die Haupt | mittelfußknochen an ihrem oberen Teil miteinander verwachſen; an den Hinterfüßen find fie dies in der Jugend auch, verwachſen aber im Alter völlig zu einem Kanonenbein wie bei den Wiederkäuern. Die Nebenmittelfußknochen der Unterfamilie ſind weit ſtärker entwickelt als bei den Suinae, und die fünfte Zehe des Hinterfußes iſt bis auf ein kleines Rudiment ges ſchwunden. In anderer Beziehung iſt die Unterfamilie ſehr urſprünglich geblieben, indem ſich im Gebiß die oberen Eckzähne der Eber wie bei den Raubtieren nach unten richten und die Backzähne noch den urſprünglichen vierhöckerigen Bau bewahrt haben. Die Gebißformel iſt 24, Der eigentümlich kompliziert gebaute Magen (ſ. Abb.), der durch den Beſitz von Waſſerzellen an den der Kamele, mit ſeiner Dreiteilung auch an den der übrigen Wiederkäuer Allgemeines. Javaniſches Puſtelſchwein. . 5 > erinnert, hat ſich weit von der urſprünglichen Retortenform entfernt, jo daß ſich bei den Tayassuinae urſprüngliche und fortgeſchrittene Merkmale in eigenartiger Weiſe miſchen. Die wichtigſte Gattung der Suinae iſt die der Echten Schweine (Sus L.), gehört doch zu ihr unſer Hausſchwein. Die Zahnformel iſt 88. Die äußere Geſtalt iſt durch Wild— ſchwein und Hausſchwein ſo bekannt, daß ſich eine Allgemeinbeſchreibung erübrigt. Das Weibchen hat ſtets mindeſtens acht Paar Zitzen. Der Bedeutung der Gattung entſprechend haben ſich zahlreiche hervorragende Forſcher, wie H. v. Nathuſius, Rütimeyer, Forſyth Major, Nehring und andere, mit ihrer Syſtematik beſchäftigt. Nach ihnen unterſcheiden wir jetzt drei Typen, die wir hier vielleicht beſſer als Untergattungen einführen. Daß es ſich hierbei nur um Unter— gattungen handeln kann, nicht um Gattungen, wird dadurch erwieſen, daß fie ſich alle unter— einander fruchtbar kreuzen. Für die abweichendſten von ihnen, die Puſtelſchweine, iſt das durch Kühns Kreuzungsverſuche im Hallenſer Haustiergarten erwieſen. Die Untergattungen Runterſcheiden ſich vorwiegend durch den Bau des Schädels, beſonders des Tränenbeines, die Form des unteren Eckzahnes und auch die Zeichnung der Jungen. Der Schädel iſt bei den echten Wildſchweinen (Untergattung Sus) länger, bei den Binden— ſchweinen (Untergattung Striatosus Hilal.) kürzer und höher. Auch iſt die Form des unteren Eckzahnes ſowie die des Tränenbeines bei beiden etwas verſchieden. Die Jungen tragen eine deutliche Zeichnung (Livree), die aus ſechs hellen Längsſtreifen von gelblicher und weißgrauer Farbe beſteht und bis zum vierten, fünften Monat bemerkbar iſt. Im Geſicht find bei den erwach⸗ ſenen Wildſchweinen wohl zahlreiche weißgraue Borſten als letzter Reſt der Friſchlingszeichnung vorhanden, aber eine deutlich ausgeſprochene Binde fehlt. Dieſe iſt jedoch auch bei den Binden— ſchweinen im Einzelfalle verſchieden deutlich ausgeprägt und kann ſogar ganz fehlen. Die Wilo- ſchweine verbreiten ſich von Nordafrika über Europa, Mittel- und Nordaſien, die Bindenſchweine über Indien und das übrige Südoſtaſien einſchließlich der indiſch-auſtraliſchen Inſelwelt. Die dritte Untergattung, die Puſtelſchweine (Eusus Gray), zeichnet ſich durch außer: ordentlich langgeſtreckten, im Profil etwas konvexen Schädel aus, der bis /s der Geſamtlänge einnehmen kann. Die Jungen tragen zwar eine Livree, doch iſt dieſe äußerſt undeutlich, die Streifen ſind wenig ſcharf begrenzt, oft in Punktreihen aufgelöſt und gehen früh verloren. Eine Geſichtsbinde wie bei den Bindenſchweinen iſt bei den Erwachſenen meiſt vorhanden. Außerlich iſt der wichtigſte Unterſchied gegen die beiden anderen Untergattungen das Vor— handenſein von mindeſtens einem Paar Geſichtswarzen zwiſchen Augen und Naſenlöchern, die mit Büſcheln ſteifer Borſten bewachſen ſind. Dieſe Warzen zeigen, daß die Puſtelſchweine als Stammvater der Hausſchweine nicht in Betracht kommen, wenn ſie ſich auch mit ihnen frucht— bar miſchen. Die Färbung iſt ſehr ſchwankend, ſchwarzbraun mit gelbbrauner und grauer bis ſchmutzig weißer Abtönung, die Behaarung ſpärlich. Es find große, ſchmale, hochgeſtellte Tiere, die ein Gewicht bis zu 110 kg erreichen. Das Wohngebiet der Puſtelſchweine umfaßt Hinterindien, Java, Borneo, Sumatra, Celebes, die Molukken und Philippinen, wo ſie zahlreiche, ſyſtematiſch oft ſchwer teilbare Arten und Formen bilden. WE 8 ie De DE Tl re Wa l ER Das Javaniſche Puſtelſchwein, Sus (Eusus) verrucosus Müll. Schl., hat drei Paar Geſichtswarzen, wovon eine am Schnauzenteil oberhalb der oberen Eckzahnalveole, eine zweite unter dem Auge und eine dritte auf der Wange ſitzt. Alle drei ſind mit ſtraffen gelblichen Borſten, namentlich die der Wange mit einem ſtarken Büſchel beſetzt. — Beim 5 N 6 - 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Schweine. Bartſchwein, Sus (Eusus) barbatus S. Müll., das Borneo bewohnt, iſt der Büſchel befon- ders ſtark entwickelt, die Warze dagegen gering. Es bildet alſo dieſe Art gewiſſermaßen einen Übergang zu den Bindenſchweinen. Das Tier wird etwa 1¼ m lang und % m hoch. Die Bartſchweine führen regelmäßig Wanderungen aus, die anſcheinend vom Reifen gewiſſer Früchte und von der zeitweiligen Überſchwemmung gewiſſer Gebiete während der Regenzeit abhängen. Nach Volz ziehen ſie vom Strande nach dem Inneren des Landes in den Monaten November bis Januar, in der umgekehrten Richtung im Februar bis April. Einzelne leben allerdings, wie Schneider ausführt, das ganze Jahr in den Sagopflanzungen am Meere. Bei Krausbartſchwein, Sus barbatus oi Mitt. Yız natürlicher Größe. den Wanderungen ſammeln ſie ſich zu ungeheuren Scharen, die von einem alten Eber geführt werden. Dieſer überſchreitet bei einem Flußübergang ſtets zuerſt den Fluß, die Herde folgt erſt nach, wenn der Anführer durch einen lauten Schrei das Zeichen dazu gibt. — Lokalformen des Bartſchweines leben auf Sumatra, Banka, dem Rio-Archipel, Palawan und Balabak. Unſere Abbildung ſtellt das Krausbartſchwein, Sus barbatus oi Mill., von Sumatra dar. Ein anderer wichtiger Vertreter der Untergattung Eusus iſt das Celebesſchwein, Sus (Eusus) celebensis Müll. Schl. Es hat nur je eine Warze am Schnauzenteil, oberhalb des Mundwinkels, die Warze unter dem Auge fehlt. Außerdem iſt ein gelblicher Warzenbüſchel am Unterkieferwinkel vorhanden. Das ſparſame Borſtenkleid iſt von ſchwarzer oder ſchwärz⸗ licher Farbe mit einer deutlichen gelblichen Querbinde am Schnauzenteil. Eine eingehendere Behandlung verlangen die beiden erſten Untergattungen, da aus ihnen die Hausſchweine gewonnen wurden und die eine von ihnen bei uns einen Vertreter im wilden Zuſtande beſitzt. ö * 7 AA Fi 3 u 600 Bartſchwein. Krausbartſchwein. Celebesſchwein. Wildſchwein. 7 Unſer Wildſchwein, Sus serofa L. ein ſtarkes, kräftiges und wehrhaftes Tier, erreicht bei reichlich 1 m Geſamt⸗ oder 1¼ m Leibes- und 25 em Schwanzlänge 85 — 95 em Schulterhöhe und 150 — 200 kg an Gewicht, ändert jedoch nach Aufenthalt, Jahreszeit und Nahrung in Größe und Gewicht bedeutend ab. So konnte, um einige Grenzen anzugeben, Hoeſch bei einem Keiler 102 em Schulterhöhe herausmeſſen, und Eversmann fand am Murgab eine Bache mit 7 Friſchlingen, die nur 48 Pfund wog, dagegen erwähnt Radde einen Keiler vom Kaukaſus mit einem Gewicht von 700 Pfund. Die in ſumpfigen Gegenden wohnenden Wildſchweine ſind regelmäßig größer als die in trockenen Wäldern lebenden; die auf den In— ſeln des Mittelmeeres hauſenden kommen nie den feſtländiſchen gleich. In ſeiner Geſtalt ähnelt das Wildſchwein ſeinem gezähmten Abkömmlinge; nur iſt der Leib kürzer, gedrungener; die Läufe ſind ſtärker, der Kopf iſt etwas länger und ſchmächtiger; das Gehör ſteht mehr auf— gerichtet und iſt etwas länger und ſpitziger; auch die Gewehre oder Hauer werden größer und ſchärfer als bei dem zahmen Schweine. Die Färbung iſt verſchieden, wird jedoch im all— gemeinen durch den Jägernamen „Schwarzwild“ bezeichnet; denn graue, roſtfarbene, weiße und gefleckte Wildſchweine find ſelten und als Hausſchweinmiſchlinge verdächtig. Das Haar- kleid beſteht aus ſteifen, langen und ſpitzigen, an der Spitze häufig geſpaltenen Borſten; da— zwiſchen mengt ſich je nach der Jahreszeit mehr oder weniger kurzes, feines Wollhaar ein. Am Unterhalſe und Hinterbauche ſind die Borſten nach vorwärts, an den übrigen Teilen des Körpers nach rückwärts gerichtet; auf dem Rücken bilden ſie eine Art von Kamm oder Mähne. Schwarz oder rußbraun iſt ihre gewöhnliche Färbung, die Spitzen aber ſind gelblich, grau und rötlich, und hierdurch wird der allgemeine Ton etwas lichter. Die Ohren ſind ſchwarzbraun, der Schwanz, der Rüſſel und die untere Hälfte der Beine und Klauen ſchwarz; am Vorderteil des Geſichtes iſt das Borſtenhaar meiſt geſprenkelt, manchmal überwiegend weiß. Der Weidmann nennt unſer Tier Sau, das männliche Wildſchwein, wenn es erwachſen iſt, Schwein oder Eber, das weibliche Bache. Junge Tiere bis zum zweiten Jahre heißen Friſch— linge, im zweiten Jahre Überläufer; ſpäter bezeichnet man die Weibchen als zweijährige, ſtarke und grobe Bachen (Sauen), das Schwein aber als zweijährigen Keiler, dann als dreijährigen Keiler, vom vierten Jahre an als angehendes, vom fünften Jahre als hauendes oder gutes, vom ſiebenten Jahre an als Haupt- und grobes Schwein. Den Rüſſel nennt man Gebrech, die Hauzähne Gewerf oder Gewehre, die der Bache Haken, die Eckzähne im Oberkiefer, an denen die Gewehre gewetzt werden, Haderer, das Fell Schwarte, das gewöhnliche Haar Borſte, das längere auf dem Rücken Feder, die dicke Haut auf den Schulterblättern Schild, den Schwanz Pürzel. Das Schwein ſteckt in einem Reviere, bricht ſich das Lager oder den Keſſel und ſchiebt ſich ein, ſtellt ſich dem Hunde, wird von dieſem gedeckt oder feſtgemacht, ſchlägt die Hunde, ſchlägt ſich los (geht durch). Die Bache friſcht oder ſetzt Junge. Der durchwühlte Erdboden heißt Gebreche, das Schwein zieht ins Gebreche, nicht auf Aſung uſw. Das Schwein iſt ein arger Verwüſter von Wald- und Feldkulturen; dadurch erklärt es ſich, daß heute feine Verbreitung gegen früher ſtark eingeſchränkt iſt. Auch die ſchützende Hand, die große Herren über dem „ritterlichen“ Wild oft ſehr zum Schaden ihrer Untertanen hielten, konnte die Verminderung nicht hindern. Ohne weiteres leuchtet es auch ein, daß eine Zahl von 2600 Schweinen, die im Jahre 1782 bei einer einzigen Jagd durch Herzog Karl von Württemberg erlegt worden ſein ſollen, einen Schaden anrichteten, der zu ihrem Wert in gar keinem Verhältnis ſtand. Trotz ſtarker Verminderung lebt das Wildſchwein aber in Deutſch⸗ land noch einigermaßen häufig, in vollſtändiger Wildheit im Elſaß und den Rheinlanden, in Heſſen, Naſſau, Hannover, Pommern, Oft: und Weſtpreußen, auch hier und da in Brandenburg 8 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Schweine. und Oberſchleſien, Anhalt, Sachſen und Thüringen, iſt alſo eigentlich nur in den waldarmen Ebenen und auf einigen unſerer kleinen Mittelgebirge gänzlich vertilgt worden. Häufiger noch als in Deutſchland lebt es in einzelnen Gebirgswäldern Frankreichs und Belgiens und ebenſo in Polen, Galizien, Ungarn, den Donautiefländern, Südrußland, auf der Balkan⸗ und Iberiſchen Halbinſel. Heute iſt in Europa die Oſtſee die Nordgrenze des Verbreitungs: gebietes. Aber noch zur Steinzeit ging es durch Dänemark bis Mittelſchweden nach Norden. In England und Irland iſt das Wildſchwein erſt in hiſtoriſcher Zeit ausgerottet worden. In Aſien verbreitet es ſich vom Kaukaſus an bis zum Amur und vom 55. Breitengrade an bis zum Nordabhange des Himalaja, tritt aber nur auf ihm zuſagenden Ortlichkeiten auf, fehlt z. B. den Hochſteppen gänzlich, ſteigt jedoch im Tien-ſchan-Gebirge bis über die Waldgrenze oder bis zu 3300 m Höhe empor; in Afrika bewohnt es alle geeigneten Ortlichkeiten des ganzen Nordrandes dieſes Erdteiles. f i Die Grenzen des Verbreitungsgebietes ſind nicht leicht feſtzuſtellen, da gerade das Wild⸗ ſchwein in ſeinen Körperformen leicht von der Umwelt beeinflußt wird. So haben ſich inner⸗ halb ſeines Gebietes eine große Anzahl Lokalformen gebildet, wie z. B. Sus scrofa baeticus Thos. in Spanien und Nordafrika. Es iſt ferner gar nicht ausgeſchloſſen, daß die Unter⸗ gattungen Sus und Striatosus überhaupt nicht ſo ſcharf getrennt ſind. Schon Nehring glaubte, in Südoſtſibirien eine Übergangsform zwiſchen beiden nachweiſen zu können. Neuerdings hat Ulmanſky („Arbeiten des landwirtſch. Laborat. d. Verſuchswirtſchaft der k. k. Hochſch. f. Boden⸗ kultur“) gezeigt, daß das Schwein Bosniens Merkmale beider Untergattungen im Schädelbau zeigt. Er glaubt, es mit dem von Rütimeyer in den Schweizer Pfahlbauten entdeckten Wild⸗ ſchweine vergleichen zu können, das der Schweizer Forſcher als vom gewöhnlichen Wildſchwein verſchieden anſah und als Sus scrofa ferus antiquus beſchrieb; möglicherweiſe iſt es auch mit S. s. Attila Zhos. aus Ungarn gleichartig. Für uns iſt es auf jeden Fall wichtig, daß in Südoſt⸗ europa ein vom gewöhnlichen Wildſchwein etwas abweichendes, größeres wildes Schwein lebt, zumal dieſes, wie wir noch ſehen werden, wohl Stammvater eines Teiles der Hausſchweine geworden iſt. Sehr intereſſant ſind die Schweine Sardiniens. Hier kommt ein kleines, in mancher Beziehung vom Wildſchwein abweichendes Schwein vor, wohl eine aus ihm hervor⸗ gegangene Inſelform, die als Sus scrofa meridionalis Fors. Maj. zu bezeichnen iſt. Neben dieſem lebt dort aber noch ein zweites, zur Striatosus-Untergattung gehöriges Wildſchwein, über das ſpäter noch zu ſprechen iſt. Feuchte und ſumpfige Gegenden bilden vielfach den Aufenthaltsort des Wildſchweines, gleichviel ob hier ſich ausgedehnte Waldungen finden oder die Gegend bloß mit Sumpfwuchs beſtanden iſt; eine große Vorliebe hat es aber auch für ausgedehnte junge und dichte Nadel- holzbeſtände. An vielen Orten Agyptens hauſen die Wildſchweine jahraus, jahrein in Zucker⸗ rohrfeldern, ohne dieſe jemals zu verlaſſen, freſſen die Rohrſtengel, ſuhlen ſich in dem Waſſer, das über die Felder geleitet wird, und befinden ſich hier jo wohl, daß fie durch keine An- ſtrengungen zu vertreiben ſind. Auch in Aſien verlaſſen ſie hier und da die Waldungen, um im Hochgraſe an fließenden und ſtehenden Gewäſſern wenigſtens zeitweilig Stand zu nehmen. Um zu ruhen, bricht ſich das Schwein eine Vertiefung, gerade groß genug, um ſeinen Leib aufzunehmen; wenn es ſein kann, füttert es dieſes Lager mit Moos, trockenem Graſe und Gelaube aus und ruht hier ſo bequem wie möglich. Das Rudel bereitet ſich an ähnlichen Orten den Keſſel, pflegt ſich aber ſo in ihm einzuſchieben, daß aller Köpfe nach der Mitte hin gerichtet find, Der Wärme wegen benutzen die wilden Sauen im Winter gern zuſammen⸗ gerechte Streu- oder Schilfhaufen anſtatt der Lager und Keſſel, um ſich darunter einzuſchieben. Wildſchwein: Verbreitung. Aufenthalt. Lebensweiſe. 9 R Als ſehr geſellige Tiere pflegen ſich die Wildſchweine zu rudeln, und zwar die Bachen mit Friſchlingen, Überläufern und geringen Keilern; ſtärkere Keiler bilden nicht ſelten ein 3 Rudel grober Schweine für ſich; Hauptſchweine leben als Einſiedler und ſchlagen ſich erſt zur Paarungszeit, zur Rauſchzeit, zu den Rudeln. Bei Tage liegen alle ſtill und faul im Keſſel; gegen Abend erheben ſie ſich, um nach Fraß auszugehen. Zuerſt gehen ſie, wie der Weidmann E ſagt, im Holze und auf den Wieſen ins Gebreche, d. h. ſtoßen wühlend den Boden auf, oder ſie laufen einer Suhle zu, in der ſie ſich ein halbes Stündchen wälzen. Solche Abkühlung ſcheint ihnen unentbehrlich zu fein, denn fie laufen oft meilenweit zur Suhle. Nach dem Bade reiben fie ſich auch gern an harzreichen Bäumen. Das hervorquellende Harz und die noch in den Haaren haftende Erde bilden mit dem Schulterblatte einen förmlichen Panzer, der für Schrote oder die Waffe eines kämpfenden Rivalen undurchdringlich iſt. Erſt wenn alles ruhig wird, nehmen ſie die Felder an, und wo ſie ſich nunmehr feſtgeſetzt haben, laſſen ſie ſich ſo leicht nicht vertreiben. Wenn das Getreide Körner bekommt, hält es ſehr ſchwer, ſie aus dem Felde zu ſcheuchen und ſich vor Schaden zu hüten. Die Wildſchweine freſſen weit weniger, als ſie verwüſten, und werden gerade deshalb außerordentlich ſchädlich. Im Walde und auf den Wieſen ſucht das Schwarzwild Erdmaſt: Trüffeln, Kerbtierlarven, Gewürm, Schnecken, Mäuſe, Vogeleier oder im Herbſte und im Winter abgefallene Eicheln, Bucheln, Haſelnüſſe, Kaſtanien, im Felde Kartoffeln, Rüben, Getreide und alle Hülſenfrüchte. Es frißt überhaupt alle denkbaren Pflanzen und viele tieriſche Stoffe, ſogar Giftſchlangen, verendetes Vieh, gefallenes Wild und Leichen, auch ſolche von ſeinesgleichen, wird unter Umſtänden förmlich zum Raubtiere: denn es fällt über Wildkälber her, verfolgt angeſchoſſenes oder infolge ſchlechter Nahrung kümmern— des Edel⸗, Dam⸗ und Rehwild, um ihm den Garaus zu machen, und frißt in der Not ſelbſt die eigenen Jungen. Je nachdem die Maſt gediehen oder der Winter hart iſt, wechſelt es 5 zeitweilig auch ſeinen Standort und unternimmt ſelbſt ziemlich bedeutende Wanderungen. 4 Alle Bewegungen des Wildſchweines ſind, wenn auch etwas plump und ungeſchickt, ſo doch raſch und ungeſtüm. Der Lauf iſt ziemlich ſchnell und richtet ſich am liebſten geradeaus; namentlich der Keiler liebt es nicht, ſcharfe Wendungen auszuführen. In Erſtaunen erregender F Weiſe durchbrechen Wildſchweine Dickichte, die anderen Geſchöpfen geradezu undurchdringlich ſind. Sie ſchwimmen ausgezeichnet, ſelbſt über ſehr breite Waſſerflächen, ſetzen unter Umſtänden ſogar von einer Inſel im Meere zur anderen über; man hat beobachtet, daß Schweine eine Strecke von 6—7 km mit Leichtigkeit . Nach Schäff („Jagdtierkunde“) unter⸗ nimmt das Schwarzwild oft ungemein weite Wanderungen. Meilenweit wechſeln ſowohl ein— zelne Stücke als ganze Rotten. Die Urſachen ſind Beunruhigung, Nahrungsmangel, Brunſt. Alle Wildſchweine ſind vorſichtig und aufmerkſam, obwohl nicht gerade ſcheu, weil ſie auf ihre eigene Kraft und ihre Waffen vertrauen können. Sie äugen zwar im allgemeinen herzlich ſchlecht, aber fie vernehmen und wittern ſehr ſcharf; ihr Geruchsſinn ſteht hinter dem des Edelwildes nicht zurück, denn fie können den Menſchen auf 500 —600 Schritt wittern, und ſtutzen auch, wie Oberförſter Gantzer beobachtet hat, wenn fie auf eine friſche Menſchen— ſpur ſtoßen. Der Geſchmack kann nicht ſchlecht genannt werden, denn wenn das Schwein viel Fraß hat, gibt es immer dem beſten den Vorzug. Sein Weſen iſt ein abſonderliches Ge— miſch von behäbiger Ruhe, harmloſer Gutmütigkeit, Unbändigkeit und ungewöhlicher Reizbar⸗ keit. Unerzürnt tut ſelbſt das ſtärkſte Schwein dem Menſchen nichts zuleide; nur dem Hunde widerſetzt es ſich ſtets und verſucht, ihm gefährlich zu werden. Aber alte Sauen und nament⸗ lich die groben Schweine vertragen keine Beleidigung, nicht einmal eine Neckerei. Wenn der Menſch feinen Gang ruhig fortſetzt, bekümmert ſich das Wildſchwein nicht um ihn oder entfernt 10 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Schweine. * ſich flüchtig; reizt man das Tier aber, ſo kann es den bewaffneten Mann wohl ohne weiteres annehmen und, in Wut geraten, gleichſam blind auf ſeinen Gegner losgehen. „Unglaublich ſchnell“, ſagt Dietrich aus dem Winckell, „kommt das Schwein gefahren, wenn es einen Men⸗ ſchen oder ein Tier annimmt. Mit ſeinen Gewehren verſetzt es kräftige, gefährliche Schläge; aber ſelten hält es ſich auf, und noch weniger kehrt es wieder um. Verliert man in ſolchen Fällen die Beſinnung nicht, läßt man das Schwein ganz nahe heran und ſpringt dann ſchnell hinter einen Baum oder, wenn dies nicht möglich iſt, nur auf die Seite, ſo fährt es, weil es nicht gewandt iſt, vorbei. Wer aber zu dieſen Rettungsmitteln weder Zeit noch Gelegenheit hat, dem bleibt noch das auf die Erde Werfen übrig; denn der kämpfende Keiler kann immer nur nach oben, nie aber nach unten ſchlagen.“ Die Bache wird nicht ſo leicht zornig wie das Schwein, gibt dieſem aber an Mut wenig nach. Zwar kann ſie mit ihren Haken durch Schläge keine argen Verwundungen beibringen, wird aber deshalb noch gefährlicher als der Keiler, weil ſie bei dem Gegenſtande ihrer Wut ſtehenbleibt, mit den Läufen auf ihm herumtritt und beißend ganze Stücke Fleiſch losreißt. Selbſt ſchwächere Sauen, ja ſogar Friſchlinge, nehmen den Menſchen an; junge werden mit unerſchütterlichem Mute von den älteren verteidigt. Bachen, die noch kleine Friſchlinge führen, geben die Verfolgung eines Kindesräubers nicht ſo leicht auf. Wenn man die Gewehre eines ſtarken Schweines betrachtet, begreift man, daß dieſe Waffen furchtbar wirken können. Bei allen Schweinen zeichnen ſich die Keiler durch ihre Ges wehre vor den Bachen aus. Schon im zweiten Jahre erheben ſich die Hauer aus dem Ober⸗ und Unterkiefer, immer nach oben ſtrebend. Beim dreijährigen Keiler verlängert ſich das Unter: gewehr um vieles mehr als das obere, wächſt ſchräg aufwärts und krümmt ſich nach oben. Das obere krümmt ſich gleich von dem Kiefer ab nach aufwärts, iſt aber kaum halb ſo lang als jenes. Beide Hauzähne ſind weiß und glänzend, auch äußerſt ſcharf und ſpitzig und werden mit zunehmendem Alter durch beſtändiges Gegeneinanderreiben immer ſchärfer und ſpitziger. Je älter das Schwein wird, deſto ſtärker krümmen ſich, bei immer zunehmender Länge und Stärke, beide Gewehre; die Schläge, die das Tier mit dieſen ausführt, ſind im höchſten Grade gefährlich und können tödlich verletzen. Das anrennende Schwein ſetzt mit viel Geſchick ſein Gewehr unten in die Beine oder den Leib ſeines Feindes ein und reißt unter raſchem Auf- und Zurückwerfen des Kopfes lange Wunden, die tief genug ſind, um an den Schenkeln eines Mannes durch alle Muskellagen bis auf den Knochen zu reichen oder alle Bauchdecken zu durch— ſchneiden und die Eingeweide zu zerreißen. Letzteres geſchieht gewöhnlich den angreifenden Hunden. Starke Keiler ſpringen ſogar an größeren Tieren in die Höhe und verſetzen dieſen furchtbare Schläge, reißen beiſpielsweiſe Pferden Bruſt und Bauch auf. Sehr alte Haupt⸗ ſchweine find wegen ihrer ſtark nach innen gekrümmten unteren Gewehre weniger gefährlich als ſechs- und ſiebenjährige. Übrigens pflegt das Schwein den Jäger nicht etwa ſofort auf den Schuß anzunehmen, ſondern, wie wohl ausnahmslos alle wehrhaften Tiere, erſt dann, wenn es ſich verwundet geſteckt oder eingeſchoben hat und ihm bei der Nachſuche der Jäger nahekommt. Dann reibt oder wetzt der Keiler in höchſter Wut klappernd die Gewehre, ſchnauft oder ſchnarcht grimmig und fährt plötzlich mit erſtaunlicher Schnelligkeit auf den Gegner los. Verfehlt er dieſen, ſo geht der Keiler weiter, während die Bache wohl auch umkehrt und wiederholt zu beißen verſucht. Immerhin iſt das Verhalten der Schweine recht verſchiedenartig, je nach den Um— ſtänden und der Eigenart des beſonderen Stückes: man kann die kleinſten tollkühn annehmen und die ſtärkſten angeſchweißten vor ein paar kläffenden Bauernkötern davonlaufen ſehen.— Die Stimme des Wildſchweines ähnelt der unſeres zahmen Schweines in jeder Hinſicht. Bei ruhigem Gange vernimmt man das bekannte Grunzen, das einen gewiſſen Grad von * Wildſchwein: Wehrhaftigkeit. Stimme. Fortpflanzung. 11 Gemütlichkeit ausdrückt; im Schmerz hört man von Friſchlingen, jährigen Keilern und Bachen ein lautes Kreiſchen oder „Klagen“, wie der Jäger ſagt. Das ſtarke Schwein dagegen gibt ſelbſt bei den ſchmerzlichſten Verwundungen nicht einen Laut von ſich. Seine Stimme iſt tiefer als die der Bachen und artet zuweilen in grollendes Brummen aus. b Die Rauſchzeit fällt in den Herbſt, hauptſächlich gegen Schluß des Novembers, kann aber ſchon Ende Oktober eintreten und ſich bis Februar ausdehnen. Dann nähern ſich die bisher cinſiedleriſch lebenden Hauptſchweine dem Rudel, vertreiben die ſchwächeren Keiler und laufen 8 mit den Bachen umher, bis ſie ihr Ziel erreicht haben. Unter Gleichſtarken kommt es zu hef— 5 tigen und langdauernden Kämpfen. Die Schläge, die ſich die wackeren Streiter beibringen, ſind * aber ſelten tödlich, weil ſie faſt alle auf die Gewehre und die undurchdringlichen Schilder . fallen. Bei Kämpen von gleicher Stärke bleibt natürlich der Erfolg des Streites unentſchieden, und ſie dulden ſich dann zuletzt nebeneinander, obgleich mit dem größten Widerſtreben. Son⸗ derbar ſind die Liebkoſungen, welche die Keiler der Bache zukommen laſſen: ſie ſtoßen dieſe nämlich unaufhörlich an alle Teile des Leibes mit ihrem Gebreche und oft in recht unzarter Weiſe. Allein die keineswegs ſpröden Bachen nehmen dieſe Liebkoſungen günſtig auf. Selbſt wuährend des Beſchlages, welcher höchſt ſchwerfällig vor ſich geht, erhalten fie noch ganz ab— ſonderliche Beweiſe der Zärtlichkeit; denn der Keiler beißt ſie nicht ſelten recht kräftig in den Hals. 16—20 Wochen nach der Paarung, jüngere Sauen tragen länger als ältere, ſetzt oder friſcht die ſchwächere Bache 4— 6, die ſtärkere 11—12 Friſchlinge. Sie hat ſich vorher im einſamen Dickicht ein mit Moos, Nadeln oder Laub ausgefüttertes Lager bereitet und hält die Kleinen während der erſten 14 Tage ſorgſam verſteckt in dieſem Lager, verläßt ſie auch nur ſelten und bloß auf kurze Zeit, um ſich Fraß zu ſuchen. Dann führt ſie die Familie aus, bricht ihr vor, und die netten, munteren Tierchen wiſſen ſchon recht hübſch ihr Gebreche an— zuwenden. Oft finden ſich mehrere Bachen mit ihren Friſchlingen zuſammen und führen die junge Geſellſchaft gemeinſam; dann kommt es auch vor, daß, wenn eine Bache zufällig ihr Leben verliert, die anderen die Führung der Verwaiſten übernehmen. Ein Rudel dieſer jungen, ſchön gezeichneten Tiere bietet einen höchſt erfreulichen Anblick; denn die noch kleinen Friſchlinge ſind allerliebſte, überaus poſſierliche Geſchöpfe (Taf. „Paar⸗ hufer I“, 1, bei S. 12). Ihr Kleid ſteht ihnen vortrefflich, und die Munterkeit und Mut⸗ willigkeit der Jugend bilden einen vollendeten Gegenſatz zu der Trägheit und Unbändigkeit des Alters. Ernſthaft gehen die Bachen ihren Friſchlingen voran, und dieſe laufen quiekend und grunzend durcheinander, ohne Unterlaß ſich zerſtreuend und wieder ſammelnd, hier ein wenig verweilend und brechend, einen plumpen Scherz verſuchend, und dann wieder ſich nach der Alten hindrängend, ſie umlagernd und zum Stillſtehen zwingend, das Geſäuge fordernd und hierauf wieder luſtig weiter trollend: ſo geht es während der ganzen Nacht fort; ja, ſelbſt bei Tage kann es die unruhige Geſellſchaft im Keſſel kaum aushalten und dreht und bewegt ſich dort ohne Ende. Mit 18—19 Monaten ift das Wildſchwein fortpflanzungsfähig, mit 5—6 Jahren voll- ſtändig ausgewachſen; das Lebensalter, das es erreichen kann, ſchätzt man auf 20 — 30 Jahre. Die Wildſchweine ſind wohl nur wenigen Krankheiten ausgeſetzt. Bloß außerordentlich ſtrenge Kälte mit tiefem Schnee, der ihnen das Brechen und das Auffinden der Nahrung unmöglich macht, oder, wenn er eine Rinde hat, auch die Haut an den Läufen verletzt, werden Urſache, daß in nahrungsarmen Gegenden manchmal viele von ihnen fallen. Wolf und Luchs, auch wohl der Fuchs, der wenigſtens einen kleinen Friſchling wegzufangen wagt, find die Haupt⸗ feinde des Wildſchweines; in den ſüdlicheren Gegenden ſtellen die größeren Katzen, zumal der Tiger, mit Eifer dem fetten Wildbret nach. Der größte Feind des Tieres iſt aber wiederum enn . . e ! a A Dr 12 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Schweine. der Menſch. Denn die Wildſchweinjagd hat ſeit alten Zeiten als ein ritterliches, hoch geachtetes Weidwerk gegolten. Gegen die Hunde verteidigt ſich das Wildſchwein mit nachhaltiger Wut. Das Fleiſch des Wildſchweines wird mit Recht ſehr geſchätzt, weil es neben dem Geſchmacke des Schweinefleiſches den des echten Wildbrets hat. Auch die Schwarte wird verwendet, und N die Borſten ſind ſehr geſucht. Aber ſo groß auch der Nutzen ſein mag, den Schaden, den das Tier anrichtet, kann er niemals aufwiegen. Weit zahlreicher als die Arten der echten Schweine ſind die der Bindenſchweine. Das hängt wohl mit der Zerriſſenheit des von ihnen bewohnten Gebietes, das ganz Oſtaſien, beide Indien und den Malaiiſchen Archipel, die Andamanen, Nikobaren, Formoſa und Japan um⸗ faßt, in Verbindung mit der Empfänglichkeit für äußere Einflüſſe zuſammen: bilden doch auch die Puſtelſchweine auf verhältnismäßig kleinem Verbreitungsgebiet eine außerordentlich große Zahl von Arten. Die verſchiedenen Arten unterſcheiden ſich weniger nach äußeren Merk⸗ malen als nach ſolchen des Schädels und Gebiſſes. Der typiſche Vertreter iſt das Binden— ſchwein, 8. (Striatosus) vittatus Müll. Schl. (Taf. „Paarhufer I“, 3), jo genannt wegen einer deutlich ausgeprägten weißen Binde, die von der Schnauze zur Wange zieht. Es bewohnt, nach Jentink, nur Sumatra. Nahe verwandt iſt das Vorderindiſche Wildſchwein, 8. eri- status Wagn., das auch auf Ceylon vorkommt, von jenem vorwiegend unterſchieden durch Geſtalt und Größe der letzten Backzähne, vielleicht auch durch beſonders ſtarke Entwickelung des Borſtenkammes auf dem Nacken und Vorderrücken. Nach Norden gehen die Bindenſchweine, dehring zufolge, bis ins Uſſuri-Gebiet. Wahrſcheinlich bilden die Gebirge im Weſten und korden des chineſiſchen Reiches die Grenze zwiſchen dem gemeinen Wildſchwein und dem Bin⸗ denſchwein. Der in China lebenden Form des Bindenſchweines, Sus leucomystax continen- talis Nehrg., kommt eine beſondere Bedeutung zu, da fie, nach Nehrings Anſicht, „die wilde Stammform des für die moderne Schweinezucht jo wichtig gewordenen chineſiſchen Haus: ſchweines iſt“. Kleinere Inſelformen des Bindenſchweines bewohnen Japan (Sus leucomystax Temm.) und Formoſa (Sus taivanus Swinh.). Alle dieſe Arten find, ebenſo wie das Mit⸗ telchineſiſche Schwein, Sus moupinensis A. M.-E., als Stammväter des chineſiſchen Haus⸗ ſchweines angeſprochen worden. Im Gegenſatz zu anderen wilden Schweinen meiden die Bindenſchweine durchaus nicht die menſchlichen Anſiedelungen. Sie finden ſich vielmehr auf Sumatra, wie Volz und Schnei⸗ der berichten, in deren unmittelbarer Nähe. Sie werden ſogar durch Zerwühlen der Piſang⸗ und beſonders der Reisfelder recht läſtig. „Im Indragiri-⸗Gebiet“, ſchreibt Schneider, „aber lebt es (das Bindenſchwein) dicht bei den Dörfern der Eingeborenen in verzweigten röhrenartigen Gängen, die es im abgefallenen Laube oft mehrere Fuß hoch ausgehöhlt hat. Dieſe wie kleine Hügel ſich erhebenden Laubhöhlen ſind durch lebende Pflanzen derart verfilzt, daß ſie feſte Baue bilden, denen man ſogar mit dem Schlagmeſſer kaum beikommen kann. Hier trifft man mit Sicherheit immer Bindenſchweine. In der Nacht kommen ſie oft in die Piſangpflanzungen und zur Erntezeit des Reiſes in dieſe Felder, wo ſie alles unterwühlen und zugrunde richten.“ Noch nicht recht klar ſehen wir über die Schweineformen, die Neuguinea (Sus papuen- sis Less. Garn. und Sus niger Finsch) und die Inſel Timor (Sus timoriensis S. Müll.) bewohnen. Der geographiſchen Lage nach müßte man in Neuguinea, wenn dort Wild— ſchweine einheimiſch wären, Puſtelſchweine erwarten. Die beiden erwähnten Arten ſind aber Bindenſchweine. Über das Papuaſchwein (Taf. „Paarhufer 1“ 2) ſchreibt Nehring: e Paarhufer 1. 1. Wildſau, Sus scrofa Z., mit Srifchlingen. S. 11. — Dr. Schrammen- Hildesheim phot. e en ea — — — — ER 1 N g: 8 14 f 1 N 1 4 | 8 1 : 5. f $ 1 5 1 2 * 4 1 € 1 | } 4 2. Papuafchwein, Sus papuensis Less. Garn. !/ız nat. Gr., S. S. 12. — L. Bab-Berlin phot. c. ονν We ex 3. Bindenſchwein, Sus vittatus Mäll. Schl. 18 nat. Gr., s. S. 12. — L. Bab- Berlin phot. 4. Deutiches Candichwein (Hannover - Braunichweigiiches). S. 18. — Deutsche Landwirtschaftsausstellung Hannover 1914, Nr. 219. — Wilh. Greve-Berlin phot. 5. Weißes deutiches E€deli S. 21. — Deutsche Landwirtschaftsausstellung Leipzig 1909, Nr. 8. — Wilh. Greve-Berlin phot. edeltes Landſchwein (Weitfälifches). + Deutsche Landwirtschaftsausstellung Hamburg 1910, Nr. 658. — Wilh. Greve-Berlin phot. Bindenſchweine. Papuaſchwein. Sennarſchwein. 13 „Nach mündlichen Mitteilungen, welche ich von Finſch ſowie auch Grabowſky und Rohde er— halten habe, ſpielt das Papuaſchwein im Leben der Eingeborenen von Kaiſer-Wilhelms-Land (neben dem Hunde) eine wichtige Rolle; es kommt ſowohl wild vor als auch im domeſtizierten Zuſtande. Die domeſtizierten Individuen werden teils durch eine primitive Art von Züchtung, teils durch Aufzucht der (anfangs geſtreiften) Friſchlinge der wilden Form gewonnen. Jene primitive Art von Züchtung beſteht darin, daß man nur Zuchtſauen hält, aber keine Zucht— eber; in der Brunſtzeit gehen die Sauen in den Wald, werden hier von den wilden Ebern beſprungen und kehren demnächſt zu den Hütten ihrer Eigentümer zurück.“ Nach Fitzinger können wir dem noch hinzufügen, daß das Papuaſchwein in großen Herden in den Wäldern von Neuguinea vorkommt, ſich dort von Wurzeln und Früchten nährt und in langen Zügen von einer Inſel zur anderen ſchwimmt, wobei immer das hinten ſchwimmende Tier ſeinen RMüſſel auf dem Rücken des vorderen ruhen läßt. Eingeborene und Europäer fangen die Friſchlinge und zähmen fie ohne Mühe. Bei ſolcher Haltung, wie der geſchilderten, iſt es leicht möglich, daß Hausſchweine vollkommen verwildern. So hat man denn angenommen, um ihre iſolierte geographiſche Stellung zu erklären, daß die Bindenſchweine Neuguineas von den erſten Einwanderern mitgebrachte und dann verwilderte Hausſchweine ſeien. Für Sus niger iſt das um ſo wahrſcheinlicher, als die Jungen ungeſtreift ſein ſollen. Und gerade die Hausſchweine haben meiſt, von Ausnahmen abgeſehen, ungeſtreifte Ferkel. Daß tatſächlich von den Eingeborenen bei der Beſiedelung der Inſeln Schweine mitgebracht wurden, zeigt das von Bauſchke feſtgeſtellte Vorkommen von Hausſchweinen der Bindenſchweingruppe auf den Karolinen und Marianen. Eine ähnliche Unſicherheit wie hinſichtlich der öſtlichen Ausläufer beſteht hinſichtlich der in wildem Zuſtande lebenden weſtlichſten Vertreter der Untergattung der Bindenſchweine. In Naordoſtafrika, in Sennar, Kordofan und den angrenzenden Gebieten, finden wir ein wild leben— des Schwein, das Sennarſchwein, Sus sennariensis Fifz., das nach den anatomiſchen Merkmalen des Schädels ein Bindenſchwein zu fein ſcheint, wiewohl die Frage der ſyſtema⸗ iſchen Zugehörigkeit noch nicht völlig geklärt iſt. Ahnlich wie das Papuaſchwein kommt es in zahmem wie in wildem Zuſtand vor. Nach Nehring ähnelt es unſerem Wildſchwein, von dem es ſich durch geringere Größe, einen minder hohen Kopf und abweichende Färbung unter- ſcheidet. Der ganze Körper ift von langen, dichtgeſtellten Borſten beſetzt, die auf dem Rücken eine ſchwache Mähne bilden und fahlgelb geſprenkelt ſind derart, daß die meiſtens ſchwarz— braunen Borſten in eine fahlgelbe Spitze enden. Es wäre ſehr wohl denkbar, daß zur feuchten Pluvialzeit, als der aſiatiſch⸗afrikaniſche Wüſtengürtel Wälder trug, mit anderen heute aſia— iſchen Waldtieren auch Bindenſchweine nach Afrika kamen und als eine vereinzelte Kolonie an eeigneter Stelle zurückblieben, aber in den dazwiſchen liegenden Ländern bei dem nachfolgen— en Austrocknen ausſtarben. Müſſen doch die Steinbockkolonien Nordafrikas, die ſich zum Teil gerade in der Nachbarſchaft des Bindenſchweines finden, in dieſer Weiſe erklärt werden. Wichtig für eine Entſcheidung der Frage nach dem Sennarſchwein wäre die Kenntnis der, ſyriſch⸗paläſtiniſch⸗arabiſchen Wildſchweine, an der es leider noch ſehr fehlt. e 8 Wichtig wäre ſie auch für Beantwortung der Frage nach der Bedeutung des Vorkommens eines Wildſchweines von unzweifelhafter Zugehörigkeit zum Bindenſchwein auf Sardinien (Sus sardoa Strobel) neben einem ſolchen, das zum europäiſchen Wildſchwein gehört. Auch Saus sardoa hat man wieder wegen der weiten räumlichen Trennung als verwildertes Haus⸗ ſchwein erklären wollen. Aber gerade hier verſagen die tiergeographiſchen Gründe völlig: 14 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Schweine. auf Sardinien lebt faſt ebenſo iſoliert der Mufflon, der ſeine nächſten Verwandten in Aſien hat. Auch das Vorkommen zweier ſo nahe verwandten Arten, wie es ein Wildſchwein und ein Bindenſchwein ſind, kann nicht wunderbar erſcheinen: finden wir doch auch ſonſt gerade in Sardinien häufiger zwei ganz nahe verwandte Arten, die eine afrikaniſcher, die andere europäiſcher Zugehörigkeit, nebeneinander! An Beiſpielen dafür, daß Hausſchweine unſchwer wieder zum wilden Zuſtande zurück- kehren, fehlt es nicht. Hahn führt in ſeinem Buche „Die Haustiere und ihre Beziehung zur Wirtſchaft des Menſchen“, eine große Anzahl von ſolchen Beiſpielen an. Beſonders auf Inſeln, wie den Kanaren, Triſtan da Cunha, Jamaika, Santo Domingo, und auch auf dem Feſtland Amerikas gibt oder gab es verwilderte Hausſchweine. Auf den Inſeln ſtellen verwilderte Haus⸗ ſchweine vielfach den einheimiſchen Landtieren nach. Auf Reunion haben ſie z. B. mit zur Ausrottung der Dronte beigetragen, deren Brut und Eier ſie vernichteten. Vielfach kehren die verwilderten Hausſchweine wieder zur Körperform und Farbe der Wildſchweine zurück. Das braucht aber nicht immer der Fall zu ſein. So ſollen die verwilderten Schweine Perus, nach Knauer („Zool. Beob.“, 1914), die Hängeohren ihrer chineſiſchen Vorfahren behalten haben, und die von Cook ausgeſetzten verwilderten Schweine Neuſeelands haben den geſtreckten Schädel der wilden Schweine nicht erhalten. Sie ſind ſchmalleibig, langbeinig und hellfarbig. Sie haben derartig überhandgenommen, daß ſie bereits zur Landplage werden. Für die Hausſchweine müſſen wir allem Anſchein nach mindeſtens drei Domeſtika⸗ tionszentren annehmen, zwei europäiſche und ein oſtaſiatiſch-chineſiſches. Wahrſcheinlich kommt dazu noch ein viertes, ein kleinaſiatiſch-meſopotamiſches. Zwar hat die ſemitiſch-mohamme⸗ daniſche Welt von Anfang an das Schwein abgelehnt, ſo daß das Bild des letzten Zentrums verwiſcht erſcheint. Aber in Paläſtina hat es ſelbſt zur Zeit der höchſten Blüte Iſraels ſtets Schweine gegeben. Aus Chriſti Zeit iſt ia das Wunder der Austreibung der Teufel, die in die Säue fuhren, der beſte Beweis dafür. Auch in Agypten ſcheint urſprünglich das Schwein nicht als unreines Tier gegolten zu haben. Hier hat ſich noch bis in die römiſche Zeit der Gebrauch erhalten, an gewiſſen Feſttagen Schweinefleiſch zu eſſen. Im übrigen wurden dort die Schweine zum Eintreten der Saat benutzt. Das Schwein iſt heutzutage eines der wichtigſten Nahrungstiere für uns, wozu die ſtarke Vermehrungsfähigkeit, oft über 20 Junge in einem Wurf, weſentlich beiträgt. Liefert doch, nach Hoeſch, die Schweinezucht 60 Prozent des in Deutſchland verbrauchten Fleiſches, bei einem Beſtand von etwa 26 Millionen Tieren. Aber auch ſchon in Vorzeiten hatte das Schwein als Fleiſchlieferant eine große Bedeutung. So können wir kaum die Haustierreſte irgendeiner größeren Anſiedelung unterſuchen, ohne Schweinereſte in großer Anzahl zu finden. Anderſeits iſt das Schwein ziemlich leicht in ſeiner Körperform durch züchteriſche Ein⸗ griffe zu beeinfluſſen. Es bietet in dieſer Hinſicht ein bemerkenswertes Seitenſtück zum Hund. Beide Tiere haben im wilden Zuſtand verhältnismäßig lange Geſichtsſchädel. Bei den zahmen iſt der Geſichtsſchädel dagegen verkürzt, oft ſogar ſehr ſtark, und hat an Höhe zugenommen; dadurch erhält der Schädel ein konkaves Profil, der Geſichtsſchädel erſcheint durch einen Knick vom Hirnſchädel abgeſetzt und zum Teil unter dieſen geſchoben. In Wirklichkeit liegen, wie Hilzheimer („Geſchichte unſerer Haustiere“ und „Archiv für Raſſen und Geſellſchaftsbio— logie“, 1913) ausführte, die Verhältniſſe anders. Wir müſſen von den Verhältniſſen beim jugendlichen Schädel ausgehen. Beim jungen Schädel aller Tiere iſt der Hirnſchädel verhält⸗ nismäßig viel größer als der Geſichtsſchädel im Vergleich zum alten Tier. Die phyſiologiſche Hausſchweine: Abſtammung. 15 N Erklärung iſt wohl darin zu ſuchen, daß das Hirn immer die nämliche Anzahl von Nerven zu verſorgen hat, mögen die Tiere groß oder klein, jung oder alt ſein, alſo nicht unter eine ge— wiſſe Größe ſinken darf. Dementſprechend muß natürlich auch der Hirnſchädel, die Umhüllung des Hirns, eine gewiſſe Größe beibehalten. Bei vielen Schweinen bleiben, wie bei vielen Hun— } den, die Ausmaße der Geſichtsknochen auf einem jugendlichen Entwickelungszuſtand ftehen, während der Hirnſchädel zu ſeiner normalen Größe ſich auswächſt. Hierdurch entſtehen die ge— en, konkaven Profile, die „Schweinsbildungen“, wie fie Hilzheimer zu nennen vorſchlug, ja zum Mopsſchädel, bei dem ſtets noch ein Waſſerkopf hinzukommt. Dieſes Zu- der Kiefer hinter den regelrechten Ausmaßen hat aber keine mechaniſche Urſache, wie man früher annahm, und die man beim Hund im Fehlen des Zerreißens von lebender Beute, beim Schwein im Mangel des Wühlens ſehen wollte, ſondern es hat ſeine Urſache in inneren, durch die Ernährung bedingten Verhältniſſen. Den Beweis dafür hat S. v. Nathuſius geliefert, der Schweine desſelben Wurfes in gepflaſterten Ställen aufzog und nur durch ver— ſchiedene Fütterung neben anderen Veränderungen auch verſchiedene Schädel erhielt. Die ſchlecht ernährten Schweine hatten die lange, geſtreckte Kopfform des Wildſchweines, die gut ernährten den geknickten, kurzen, breiten Schädel vieler Hausſchweine. Es ſind alſo bei Entſtehung der Schweinsbildung offenbar dieſelben Urſachen wirkſam, die zur Verkürzung der Gliedmaßen führen, während die Wirbelſäule ihre urſprüngliche Länge beibehält. Das iſt die Form des langen, niedrig geſtellten veredelten „frühreifen“ Schweines, wovon noch ſpäter die Rede ſein wird. Andere Eigentümlichkeiten, die die Schweine mit den Hunden teilen, ſind die Heraus— bildung von gewaltigen Schlappohren bei einigen Raſſen und die Entſtehung von Zwerg— formen, bei denen die Schädel jugendliche Merkmale aufweiſen. Zwerghausſchweine ſind be— ſonders in Oſtaſien erzüchtet worden. Trotzdem iſt der Formenreichtum bei den Schweine⸗ raſſen nicht ſo groß wie bei den Hunderaſſen. Das liegt natürlich daran, daß das Schwein Nutztier iſt und die Züchter möglichſt ertragreiche Nutzformen zu erlangen ſtrebten. Als Vorfahren der Hausſchweine kommen nur die echten Wildſchweine und die Binden— ſchweine in Betracht, nur für gewiſſe afrikaniſche Raſſen vielleicht auch die Gattung Potamochoerus. Ahnlich wie bei der Geſchichte der Hunde finden ſich unter den älteſten europäiſchen Haus— tierreſten die Knochen eines Schweines, das ſich erheblich vom Wildſchwein ſowohl wie vom gewöhnlichen Hausſchwein unterſcheidet, und das heutigestages ſo gut wie ausgeſtorben iſt oder nur noch in einigen ſpärlichen Reſten in abgelegenen Orten ein kümmerliches Daſein friſtet, früher aber über einen großen Teil Euraſiens verbreitet war. Rütimeyer, der als erſter die Knochen dieſes Schweines zahlreich unter den Reſten der Schweizer Pfahlbauten fand, gab ihm den Namen Torfſchwein, Sus palustris. Die hervorſtechende Eigentümlichkeit dieſes vorwiegend dem Schädelbau nach bekannten Schweines beſteht in einer merklichen Kürze des Schädels, verbunden mit einer verhältnismäßig bedeutenden Höhe. Allgemein geſprochen, ver— hält ſich, nach Rütimeyer, der Schädel des Torfſchweines zu dem des Wildſchweines wie der eines Ferkels zum erwachſenen Hausſchwein. Im Verhältnis zur Kürze der Kiefer iſt die Zahn— entwickelung bedeutend. Rütimeyer zog aus ſeinen Befunden den Schluß, daß wegen der großen Schädelunterſchiede das Torfſchwein nicht vom europäiſchen Wildſchwein abſtammen könne. Nach mancherlei Schwankungen kam er ſchließlich dazu, es vom Bindenſchwein ab— zuleiten, mit dem es am meiſten übereinſtimmen ſollte. Tatſächlich beruht aber die von Rüti— meyer gefundene Ahnlichkeit zwiſchen Torf- und Bindenſchwein nicht auf Verwandtſchaft, ſon⸗ dern läßt ſich in vielen Punkten aus dem einen Merkmal erklären, daß beide gleiche Größe haben. Anderſeits ſind die Unterſchiede des Schädels des Torfſchweines gegen den des 16 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Schweine. 7 Wildſchweines vielfach unter dem einen Geſichtspunkt der geringen Größe zu verſtehen. Auf der geringen Größe beruht die engere Stellung der Lückzähne. Dieſe ſind ſtets bei kleineren Tieren, auch wilden, verhältnismäßig größer als bei größeren, ſie nehmen an der geringeren Kieferentwickelung nicht in gleicher Weiſe teil. Der einfachere Bau der Backzähne beim Torf: ſchwein erklärt ſich ebenſo rein mechaniſch aus ihrer geringeren Größe. 7 So erhob denn auch Nehring Widerſpruch gegen Rütimeyers Ableitung des Torfſchweines vom Bindenſchwein. Die von ihm unterſuchten zahlreichen Schweinereſte aus norddeutſchen 8 und däniſchen Fundorten „zeigen alle weſentlichen Charaktere des gemeinen Wildſchweines, aber in zwerghafter Größe; ich habe fie als Sus scrofa nanus („Verholg. Berl. Anthrop. Geſellſch.“, 1888 u. 1889) bezeichnet und betrachte fie trotz ihrer kleinen Geſtalt als gezähmte enge des gemeinen Wildſchweines“. Beſonders wies Nehring darauf hin, daß zwiſchen den von ihm unterſuchten Schädeln kleiner Schweine — wir wollen fie im Gegenſatz zum Torf⸗ ſchwein als Zwergſchweine bezeichnen — und ſolchen verkümmerter europäiſcher Wildſchweine, namentlich aus Sauparken, kaum ein Unterſchied beſtehe. Nehring ließ aber in ſeiner vor⸗ ſichtigen Weiſe mit Recht die Möglichkeit zu, daß die Torfſchweine anderer Abſtammung ſeien. Nehrings Anſicht hat neuerlich eine glänzende Beſtätigung erfahren durch die außer⸗ ordentlich gewiſſenhaften Unterſuchungen Piras in feinen „Studien zur Geſchichte der Schweine⸗ raſſen, insbeſondere derjenigen Schwedens“. Durch ſie wurde vor allem auf Grund der Formen des Tränenbeines und unteren Eckzahnes bewieſen, daß die ſchwediſchen Hausſchweine der Vorzeit „nicht importiert, ſondern als einheimiſcher Stamm in Schweden entſtanden find“, Den Beginn der Domeſtikation ſetzt Pira nach den die entſprechenden Funde begleitenden Arte⸗ fakten in den als Ganggräber-Zeit bezeichneten Abſchnitt, der, nach Montelius, etwa der letzten Hälfte des 3. Jahrtauſends v. Chr. entſpricht. So iſt alſo wohl Süd- und Mittelſchweden, dem ja wohl auch, wie wir früher (Bd. XII, S. 258) ſahen, die Doggengruppe entſtammt, das Heimatgebiet des Zwergſchweines. Von hier breitete dieſes ſich fächerförmig nach Süden aus. Schon in Dänemark war es, wie Winge feſtſtellte, nicht urſprünglich einheimiſch, ſon⸗ dern eingeführt. Wie weit es nach Oſten ging, iſt wohl noch nicht ſicher feſtgeſtellt. Die ſchon von Nehring offen gelaſſene Möglichkeit, daß das Torfſchwein der Alpen einer anderen Raſſe angehöre als das nordiſche, wurde neuerdings zur Gewißheit durch Ul⸗ manſkys („Mittlg. d. landw. Lehrkanzeln d. k. k. Hochſchule f. Bodenkultur“, 1913) vergleichende Unterſuchungen, namentlich des raſſengeſchichtlich jo wichtigen Tränenbeines. Ulmanſky lagen Schweinereſte aus einem Pfahlbau des Laibacher Moores vor. Er fand, daß das Hausſchwein und das Wildſchwein dieſes Fundplatzes derart miteinander übereinſtimmen, daß das erſtere vom letzteren abgeleitet werden muß. Dieſes Wildſchwein iſt aber gleichartig mit Sus ferus antiquus Aöütm., dem Wildſchweine der Schweizer Pfahlbauten, das ſomit der See des Torfſchweines wird. f Damit erhalten wir für Europa ſeit der jüngeren Steinzeit zwei eme Hanel ee raſſen, beide europäiſchen Urſprungs, von denen die eine nördlich, die andere ſüdlich der großen Kettengebirge und zum Teil auch darin lebte. Beide find heute bis auf wenige Reſte aus: geſtorben, ſcheinen aber, nach den ſpärlichen Überbleibſeln zu urteilen, äußerlich ſehr ver— ſchieden geweſen zu ſein. Der bekannteſte Nachkomme des Torfſchweines, das Bündner-Oberländer Schwein, ſcheint heute verſchwunden zu ſein, wenigſtens konnte Hoeſch keine reinblütigen Nachkommen mehr finden. Dagegen hat Ulmanſky im Gurktaler Schwein noch einen ziemlich reinen Nachkommen, allerdings wohl eine Üppigkeitsform, gefunden. Das Ausſehen des Gurktaler 3 Vorgeſchichtliche Hausſchweine. Die große, großohrige Raſſengruppe. 17 Schweines iſt nicht nur im Vergleich mit dem Zwergſchwein intereſſant, ſondern auch des— wegen, weil ſein Vorfahr, das Torfſchwein, mit zur Herausbildung einer großen Schweine— gruppe, der ſpäter zu beſprechenden „krauſen Schweine“, beigetragen hat. Ulmanſky ſchildert es wie folgt: „Kopf mittellang mit langen, breiten, halbhängenden Ohren, relativ breiter Stirne und geradem, halblangem Rüſſel; Hals kräftig, etwas kurz; Rumpf geſtreckt und rund; Rücken breit und gerade; Hinterhand höher als Vorderhand und mäßig abgedacht; Füße mittellang, Schwanz lang und geringelt. Das meiſt ſchlichte und dichte Borſtenkleid iſt geſcheckt.“ Dagegen zeigt ſich das ſchwediſche Waldſchwein, das, nach Pira, ein reiner Nach— komme des Zwergſchweines iſt, wie wir einem Bilde Nehrings entnehmen, als ein kleines, hochläufiges, karpfenrückiges Tier mit beſonders kleinem Kopf, der kleine, nach vorn gerichtete Stehohren trug, eine feine, ſpitze Schnauze beſaß und etwas konkaves Profil hatte, jedoch ohne den ſtarken Knick unſerer heutigen hochentwickelten Raſſen. Intereſſant iſt, daß außerdem Pira eine Schweineform in Schweden feſtſtellen konnte, die in der Verkümmerung noch über das Zwergſchwein hinausging, alſo noch kleiner war. Dieſe Kümmerform iſt ſchon in der jüngeren Steinzeit nachweisbar, wird aber im Mittelalter und Anfang der Neuzeit beſonders zahlreich. Heute iſt ſie völlig verſchwunden. Außer dem Torfſchwein erſcheint ſchon in der jüngeren Steinzeit, in den Pfahlbauten allerdings etwas ſpäter, ein dem europäiſchen Wildſchwein ſehr ähnliches Hausſchwein, das ſogenannte „wildſchweinähnliche Hausſchwein“, über deſſen Abſtammung vom euro— päiſchen Wildſchwein niemals der geringſte Zweifel beſtand. Die Abkömmlinge des Wild— ſchweines waren bis vor wenigen Jahrzehnten im mittleren und nördlichen Zentraleuropa die herrſchenden. Sie werden unter dem Namen der „unveredelten Landſchweine“ zuſammen— gefaßt. Wir können wohl in ihnen, mit Hoeſch, eine germaniſch-ſlawiſche Haustiererwerbung ſehen. In die Maſſe der zahlreichen Raſſen brachte H. v. Nathuſius einige Ordnung, indem er ſie nach ihrem hervorſtechendſten Unterſcheidungsmerkmal in die beiden Gruppen des „groß— ohrigen“ und des „kleinohrigen“ Landſchweines trennte. Nach Nehring iſt die Gruppe der großen, großohrigen Raſſen noch heute in reiner Form vorhanden in Ruſſiſch-Polen, dem nördlichen europäiſchen Rußland und in Skandina— vien. Hier dürfte ſie allerdings ſeit Nehrings Zeiten ſtark an Gebiet verloren haben. Früher, vor Einführung der modernen Kulturraſſen, war ſie auch über Deutſchland verbreitet. Hoeſch glaubt in den ſogenannten „Marſchſchweinen“ Nordweſtdeutſchlands, den „Schwäbiſch— Haller“ Schweinen Badens und Württembergs, den Märchler und Turgauer Schwei— nen der Schweiz die weſtlichſten reinblütigen Ausläufer gefunden zu haben. Der bekannteſte, heute noch am weiteſten verbreitete Vertreter der Gruppe der großen, großohrigen Raſſen iſt das „Polniſche Schwein“. Nehring beſchreibt es folgendermaßen: Es „hat einen großen, ſchmalen und langen Kopf mit flacher Stirn und ſehr großen, breiten, über die Augen oder nach vorn herabhängenden Ohren. An den unteren Kiefern hat es mit— unter zwei herabhängende Fleiſchwarzen, die in der Regel Glocken genannt werden. Der Hals iſt ziemlich lang, der Rücken meiſtens nach oben gekrümmt und der Leib ſchmal und ſchneidig geformt. Die Füße ſind hoch und kräftig, der Körper im Verhältnis zu ſeiner Höhe kurz und mit langen, groben Borſten, die auf dem Rücken einen mähnenartigen Kamm bilden, dicht beſetzt. Die Farbe der Tiere iſt verſchieden, größtenteils weiß, aber auch graugefleckt, bräun— lich bis ins Schwarze übergehend.“ Die Vorzüge der Raſſe beſtehen in großer Fruchtbarkeit. Die Sau wirft ſelten unter zehn, in der Regel zwölf Ferkel, die ſie gut nährt und pflegt. Ferner iſt die Raſſe gegen Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 2 18 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Schweine. Witterungseinflüſſe ſehr widerſtandsfähig und in der Ernährung ſehr genügſam. Dieſe Eigenſchaften, verbunden mit den hohen, ſtarken Beinen, machen ſie zu einem ausgezeichneten Weideſchwein, das ein vorzüglicher Gänger, ja ſogar Läufer iſt. Bojanowſki nennt ihre Be⸗ weglichkeit ſo groß, daß die Tiere ſelbſt auf flottem Pferde kaum einzuholen ſeien. Allein dieſen guten Eigenſchaften ſteht entgegen, daß die Körperentwickelung eine der Genügſamkeit entſprechend langſame iſt und die Maſtfähigkeit den heutigen Anforderungen nicht entſpricht. „Im Alter von 2— Jahren erſt ausgewachſen, iſt das Durchſchnittsgewicht des ausge— mäſteten Schweines auf 350 kg zu normieren, aber es gibt auch Exemplare, die ein Gewicht von 400 — 500 kg erreichen.“ Zu der Gruppe der großen, großohrigen Schweine gehören auch die ſogenannten „Ein— huferſchweine“ Beßarabiens. Bei ihnen ſind die beiden mittleren Zehen an ihren Enden von einem gemeinſamen Huf umſchloſſen. Nur ein dunkler Streifen in der Mitte des Huf— horns iſt noch als Reſt der ehemaligen Spaltung übriggeblieben. Beide Mittelfußknochen ſind aber wohlentwickelt vorhanden; nur ſtoßen ſie an ihrem unteren Ende zuſammen, die erſten Zehenglieder liegen dicht nebeneinander, die zweiten ſind faſt gänzlich und die dritten voll— kommen verwachſen. Dieſer Raſſe kommt lediglich für ihre Heimat Bedeutung zu, wo man ihr beſondere Marſchfähigkeit und Feſtigkeit gegen Maul- und Klauenſeuche nachſagt. Während das großohrige Schwein in reiner Raſſe in Deutſchland verſchwunden iſt, leben hier heute noch zwei Vertreter der anderen Raſſengruppe, die urſprünglich anſcheinend neben ihm das mittlere und nördliche Europa bewohnte. Dies iſt die Gruppe des kleinen, klein— ohrigen Schweines, nach Nehring gekennzeichnet durch „einen ſchmalen Kopf mit ſpitzen, aufrecht ſtehenden Ohren, einen nur wenig gekrümmten Rücken, den indeſſen auch eine Borſten— mähne ziert, ziemlich langen, abgerundeten Leib und kurze, feine Füße, die es aber darum nicht weniger geeignet machen, ſich in Feld und Wald ſeine Nahrung zu ſuchen.“ Die Farbe der krauſen Borſtenhaare iſt rötlichbraun oder auch hellgelblich. Es iſt etwas früher reif und beſitzt beſſere Maſtfähigkeit als das großohrige Schwein. „Abgehärtet wie jenes, eignet es ſich ebenfalls vortrefflich für den Weidegang in Feld und Wald.“ Am reinſten iſt dieſe Raſſengruppe bei uns vertreten im „Unveredelten hannöverſch— braunſchweigiſchen Landſchwein“ (Taf. „Paarhufer I”, 4, bei S. 13), das die Vorzüge des harten, für Weidebetrieb geeigneten, ebenſo wie die Nachteile des ſpätreifen Schweines hat. „Die Geſamterſcheinung“, ſagt Hoeſch, „zeigt ein Tier von großer Lebenskraft, energiſchen Be— wegungen, lebhafter Aufmerkſamkeit, wodurch der Eindruck einer nahen Verwandtſchaft mit dem europäiſchen Wildſchwein noch erhöht wird. Der Rumpf erſcheint namentlich in der Jugend ziemlich hochgeſtellt und ſchmal. Die Tiefe der älteren Tiere ergibt ſich jedoch bei den Meſ— ſungen als beträchtlicher, wie man annehmen ſollte. Ein nicht beſonders langer, in der Jugend wohl ſchmal, ſpäter kräftig bemuskelt erſcheinender Hals führt zu einem ſehr langen, wild— ſchweinähnlichen Kopf von ſtarker Entwickelung der Geſichtspartie über. Die Ohren ſind mittel— lang und ſtehen nach vorn ſchräg aufwärts gerichtet. Der Rücken iſt nach hinten mehr als bei anderen Zuchten anſteigend, während die Linie vom Kreuz bis zum Schwanzanſatz wieder ſtark abfällt. Die Beine machen in der Jugend einen ſchlanken Eindruck, werden aber mit zuneh— mendem Alter bei dieſen ſpätreifen Tieren weſentlich ſtärker, ohne den Umfang der Beinknochen eines veredelten Landſchweines und der beſonders großwüchſigen Individuen unter den Edel— ſchweinen zu erreichen. Die Haut iſt derb, das Haar ſtark borſtig und einen Kamm vom Kopf bis zum Schwanze aus langen, ſchräg nach rückwärts gerichteten Borſten bildend. Die Farbe iſt weiß und ſchwarz, und zwar ſoll die typiſche Zeichnung folgende ſein: Kopf und Hals ſind . es 2 — . Kleine, kleinohrige Raſſengruppe, deutſche Landſchweine. 19 ſchwarz in Haut und Haaren. Kurz hinter dem Hinterhaupt hört die Pigmentierung auf dem Kamm auf und geht in einem nach rückwärts konvexen Bogen zum Schultergelenk. Schwarz iſt ferner auch die Partie der Oberſchenkel um das Sitzbein bis zur Hälfte der Kreuzgegend oder noch etwas weiter anſteigend, die Schwarzfärbung läuft dann in einem nach vorwärts konvexen Bogen höchſtens bis in die Nähe des Sprunggelenkes, meiſt weniger tief, auch nur die hintere Hälfte der Schinken umfaſſend. Gern ſehen heute die Züchter auch einen dem Schwarz vorgelagerten Rand dunklerer Hautfärbung, der aber weiße Haare trägt. Das Schwarz des Körpers hat oftmals eine gelbliche Tönung.“ Die zweite noch in Deutſchland gezüchtete, zu der gleichen Gruppe gehörige Raſſe iſt das Halbrote bayriſche Schwein. Die weſentlichſten Unterſcheidungsmerkmale beſtehen in der Färbung und der Ohrform. Es iſt nämlich die hintere Körperhälfte rot, die vordere weiß, allerdings mit ſtreifenartiger roter Färbung des Stirnkammes. Die Ohren ſind größer und ſchwerer als bei der vorigen Raſſe, von halber Kopflänge, ſie wurden urſprünglich nach vorn abſtehend verlangt, neuerdings bevorzugt man allerdings im Handel ein umfallendes Schlappohr. Nach Hoeſch maßen zwei Eber der beiden unveredelten Landſchweine am Widerriſt 90, am Kreuz 99,5 und hatten eine Körperlänge von 136,5 em. Bei Sauen betrugen die gleichen Maße 84,6, 91,47 und 134,23 em. Der Geſchlechtsunterſchied iſt größer als bei den veredelten Schwei— nen. Bei guter Mäſtung erreichen die Schweine dieſer Gruppe ein Gewicht von 200 —250 ke. Als mit Zunahme der Bevölkerung eine ſtärkere Ausnutzung der Bodenflächen einſetzte und immer mehr Wald und Wieſen in Acker umgewandelt, alſo dem Weidebetrieb entzogen wurden, verlor die für die frühere Wirtſchaft gute Eigenſchaft der Landſchweine, daß ſie infolge hoher Marſchleiſtungen gute Weideſchweine waren, immer mehr an Bedeutung, gleichzeitig machte ſich ihr langſames Wachstum, ihre „Spätreife“, als wenig vorteilhaft bemerkbar. In Oſtaſien, beſonders China, hatte man nun ſeit Jahrhunderten infolge der ungeheuren Bevölkerungsdichte Schweine gezüchtet, die vermöge ihrer ſchnellen Vermehrung und aus— gezeichneten Maſtfähigkeit als Nahrung beſonders für die ärmere Bevölkerung faſt die einzige wohlfeile Fleiſchſpeiſe abgaben. Hier in China haben wir offenbar ein uraltes weiteres Domeſti— kationszentrum für Hausſchweine, die aus einheimiſchem Wildmaterial, alſo Bindenſchweinen, gewonnen wurden, wie ſchon S. 12 erwähnt. Wie in Europa gibt es auch unter den oſt— aſiatiſchen Schweinen eine großohrige und eine kleinohrige Raſſengruppe. Der bekannteſte Vertreter der großohrigen oſtaſiatiſchen Schweinegruppe iſt das Maskenſchwein (Taf. „Paarhufer II“, 2, bei S. 22), das beſonders in China, in Japan höchſtens im Süden gehalten wird. Es bildet eine intereſſante Parallelform zum Sankt-Bern⸗ hards⸗Hund, Maſtiff und zu ähnlichen Hunderaſſen. Die Haut ſitzt am Körper ſehr loſe und neigt zur Faltenbildung. Beſonders im Geſicht und auf dem Kopfe haben ſich, wohl infolge ſtarker Verkürzung der Knochen, mächtige Hautfalten entwickelt. Die Ohren ſind rieſige Schlappohren. Es iſt ein niedrig geſtelltes, langrückiges, aber flachrippiges Schwein von ſchwarzer Farbe. In der Jugend und bei nördlichen Raſſen wohl ſtets mit ſtarkem ſchwarzen Borſtenhaar bekleidet, trägt die dicke Schwarte beſonders bei den mehr ſüdlichen Raſſen im Alter nur wenig Haare. Die Borſten bilden einen wichtigen Handelsartikel. Für 100 kg zahlt der Ausfuhrhändler je nach der Länge 60—200 Mark. Die Fruchtbarkeit des Masken— ſchweines iſt groß: 15— 20 Ferkel find die Regel bei einem Wurf, doch wird auch von 23 berichtet. Dieſe Fruchtbarkeit war wohl der Grund, wiederholt in Europa Zucht- und Kreu— zungsverſuche mit dem Maskenſchwein anzuſtellen, aber, wie es ſcheint, ohne den geringſten Erfolg, da man nie etwas Weiteres darüber gehört hat. 2* 2 20 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Schweine. Ungleich wichtiger für unſere Schweinezucht iſt die kleinohrige Raſſengruppe des aſiatiſchen Hausſchweines geworden. Nehring ſchildert uns das Kleinohrige chine— ſiſche Schwein als ein kleines Tier von 45—60 em Höhe, 90110 em Länge und 100 bis 125 kg Gewicht. Der kurze, breite Schädel hat eine konkave Profillinie, kurzen, breiten Rüſſel, ſtarke Backen, kleine, ſpitze, ſehr bewegliche Ohren. Der Hals iſt kurz und dick, der Nacken fleiſchig und ſo voller Fett, daß er im gemäſteten Zuſtand den Kopf überragt. Der Leib iſt lang, faſt zylinderförmig rund, der Rücken gerade, die Schenkel ſind breit geſtellt, voll und kräftig. Die Bruſt iſt breit und tief, der Bauch hängt bei gemäſteten Tieren bis an den Boden. Der Schwanz iſt wenig, bei gemäſteten Tieren gar nicht geringelt. Die dünne Haut iſt nur ſpärlich mit Borſten beſetzt. Die Farbe iſt ſchwarz, ſchwarzgrau, zuweilen auch ſchwarz und weiß ge— ſtreift oder ſcheckig, ſeltener gelb oder weißlich. Zu den zur Mäſtung ſchon an und für ſich ſehr geeigneten Körperformen kommt noch ein phlegmatiſches Temperament, das die Maſt erleichtert. Die Tiere entwickeln ſich jo ſchnell, daß fie bereits mit 6—8 Monaten ſchlachtreif find. Die vorzüglichen Eigenſchaften dieſer Schweine lenkten frühzeitig die Aufmerkſamkeit der europäiſchen Züchter auf ſich. Die nachweislich erſte Einfuhr erfolgte 1745 nach Schweden. Hier ſah Linns ſolche Tiere und lieferte in der Schilderung ſeiner Reiſe nach Weſtgotland 1746 eine vorzügliche Beſchreibung von ihnen. Wichtiger aber als dieſe Einfuhr wurden für uns ſpätere, die wahrſcheinlich in der erſten Hälfte des 19. Jahrhunderts nach England erfolgten, über die jedoch leider genaue Angaben fehlen. Hier in England traf das chineſiſche Schwein auf einen durch frühere Einfuhren des ſpäter zu beſprechenden Romaniſchen Schweines und wohl auch noch im Lande verſtreute urſprünglich einheimiſche Reſte dieſes Schweines vorzüglich vor— bereiteten Boden. Es lieferte dort in Kreuzung mit vorhandenen Schweinen jene Reihe berühmter Raſſen und Züchtungen, die das Vollkommenſte deſſen darſtellen, was heute von einem Schwein verlangt wird, und die der Züchtungskunſt der Engländer das beſte Zeugnis ausſtellen. In Reinzucht erwies ſich nämlich das chineſiſche Schwein als für europäiſche Verhältniſſe ungeeignet. Durch die faſt kahle Haut iſt es gegen Witterungseinflüſſe zu empfindlich, das Fleiſch iſt weich und wenig haltbar, ſoll auch einen etwas tranigen Geſchmack haben, der Speck iſt nicht kernig, die Fruchtbarkeit iſt ſehr gering, und die Muttertiere ſind ſchlechte Pfleger. Durch Kreuzung mit den europäiſchen Schweinen verbanden ſich aber in vorzüglicher Weiſe die guten Eigenſchaften beider, die ſchlechten verſchwanden, ein Vorgang, der freilich nicht als all— gemeine Regel gelten kann. Die Kreuzungsergebniſſe zeigen bei erheblicher Körpergröße gute Maſtformen, hohe Frühreife, hohe Fruchtbarkeit, guten Geſchmack und Haltbarkeit von Speck und Fleiſch und beſſere Widerſtandsfähigkeit gegen ungünſtige äußere Einflüſſe. Die auf dieſem Wege neuerzüchteten engliſchen Schweineraſſen werden nach ihrer Größe in kleine, mittlere und große, nach ihrer Farbe in weiße und ſchwarze eingeteilt. Danach unterſcheidet man eine kleine weiße, eine mittlere weiße und eine große weiße, eine kleine ſchwarze und eine große ſchwarze Raſſengruppe. Die kleinen Gruppen, wie die Eſſex-, Suſſer⸗ und verwandten Schweineraſſen erhielten aber derartig überbildete Formen (Taf. „Paar— hufer II/ 1, bei S. 22), die z. B. vor lauter Fettwülſten nicht aus den Augen ſehen konnten, daß der praktiſche Wert dieſer überzüchteten Fettſchweine verlorenging, obwohl ſie eine Zeitlang als das Ideal des Züchters galten. Heute ſind ſie denn auch ſo gut wie verſchwunden. Eine be— ſondere Bedeutung dagegen erlangten die beiden großen Gruppen. Als bekannteſter und wich— tigſter, auch bei uns häufig gezüchteter Vertreter der großen weißen Zucht ſei hier das Norkſhire-Schwein näher beſchrieben. Die Tiere zeigen einen ziemlich kurzen, im Profil ſtark geknickten Kopf, der aber keinesfalls die überbildete Mopsſchnauze der kleinen und 3 mittleren Weißen beſitzt, mit ziemlich großen Stehohren und ziemlicher Stirn- und Ganaſchen— breite. Der Rumpf iſt lang bei hervorragender Schulterentwickelung und beträchtlicher Länge der tief herunterreichenden Schinken. Die Gliedmaßen ſind ſtark. Das Wachstum dauert ver— hältnismäßig lange. Die Farbe iſt weiß; es kommen auch blaufleckige Tiere vor, doch tragen die blauen Flecke ſtets weiße Borſten. Dieſe ſind lang und fein und ſtehen ziemlich dicht, verlieren ſich aber bei gemäſteten Tieren. Das Gewicht ſoll bei erwachſenen ausgemäſteten Tieren bis auf 600, ja ſogar 630 kg ſteigen. 4 Von den großen Schwarzen ähneln die Berkſhires einigermaßen den Porkſhires, eignen ſich aber wegen ihres lebhaften Temperaments beſſer für den Austrieb. Die Farbe iſt ſchwarz mit Weiß an Füßen, Naſenrücken oder Stirn und Schwanzſpitze. Der Rumpf iſt breit, niedrig— geſtellt und tonnenförmig. Er iſt mit feinen, ziemlich langen Borſten dicht beſetzt, die am Halſe häufig etwas kraus und rauh werden. Noch mehr für den Weidebetrieb geeignet, da noch härter und widerſtandsfähiger gegen Witterungseinflüſſe, iſt das Tamworth-Schwein, in dem offenbar noch viel Blut von dem urſprünglichen, in dem Zuchtgebiet einheimiſchen großohrigen Landſchwein ſteckt. „Die äußeren Formen“, ſagt Hoeſch, „ſtehen den bekannten des deutſchen veredelten Landſchweines ſehr nahe, der Kopf iſt mittellang, wenig eingeſattelt, der Rumpf geſtreckt, . . die Ohren ſind ausgeſprochene Schlappohren . .. Hervorzuheben iſt die ſtumpfſchwarze Färbung der Haut, die nicht den Glanz zeigt, der den Berkſhires zu eigen iſt. Die weiche, feine, ſchlichte Behaarung zeigt eine rötlichbraune Farbe.“ Mit Hilfe dieſer hochgezüchteten engliſchen Raſſen ging man in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts daran, auch die deutſche Landesſchweinezucht zu verbeſſern. Wir unter— ſcheiden hier gegenwärtig drei anerkannte Zuchten, nachdem man noch vor wenigen Jahr— zehnten eine große Anzahl Raſſen unterſchied. Den hochgezüchteten engliſchen Schweinen, wie Porkſhires und Berkſhires, am nächſten ſteht das „Deutſche Edelſchwein“ (Taf. „Paarhufer IX, 5, bei S. 13). Die Tyybeſchrei— bung des Vorſitzenden der Vereinigung deutſcher Schweinezüchter, des Geheimen Okonomie⸗ rats A. Steiger, lautet: „Die Haut- und Haarfarbe des Edelſchweines iſt weiß, es kommen aber auch blaue Flecke auf der Haut vor, obgleich das Haar auch auf dieſen Stellen weiß bleibt; dieſe Flecke gelten nicht etwa als Zeichen von Kreuzungstieren, ſondern ſie werden als ein charakteriſtiſches Merkmal der Raſſe angeſehen. Die Haut iſt weich, elaſtiſch ſich anfühlend, roſig ausſehend, nicht bleichſüchtig und hart. Das Haar iſt glatt und fein, reichlich im An— ſatz. Der Kopf ſoll proportioniert zur Geſamtgröße, jedoch nicht klein ſein, die Stirn zum Rüſſel in wenig ſtumpfem Winkel bei Vermeidung des ſogenannten Mopskopfes übergehen. Ebenſo unzuläſſig iſt ein langer, ſpitzer Rüſſel; ein mittellanger, glatter Rüſſel ohne Falten auf dem Oberkiefer iſt das Wünſchenswerteſte. Die Stirn ſoll breit und die Augen groß und zutraulich ſein. Die Ohren ſind ziemlich groß, teils nach vorn neigend, teils aufrecht ſtehend. Der Hals iſt voll, ohne hervorzutreten, und eine gute Verbindung von Kinnbacken und der Bruſt darſtellend. Die Backen ſind voll, jedoch mit deutlichem Abſchluß vom Hals. Die Bruſt muß breit und tief und zwiſchen den Vorderbeinen ſichtbar ſein. Die Schultern ſind ſchräg, in guter Verbindung mit den Rippen. Der Rücken ſoll breit und gerade bis zum Schwanz— anſatz ſein, nicht gedrückt hinter den Schultern. Die Seiten ſind lang und gut gewölbt. Der Bauch ſoll nicht herabhängend und ſchlaff ſein, ausreichend mit gut entwickelten Saugwarzen beſetzt. Die Schinken ſind voll, breit und tief heruntergehend. Der Schwanz iſt kräftig im Anſatz, dann fein auslaufend. Die Beine ſind kurz geſtellt, ſeien aber im richtigen Verhältnis Aſiatiſche, engliſche Schweineraſſen. Deutſches Edelſchwein. 21 22 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Schweine. zum Körpergewicht. X-Beine vorn und kuhheſſige Hinterbeine ſind zu vermeiden. Das Tem— perament iſt gutmütig.“ Die Widerriſthöhe beträgt bei beiden Geſchlechtern im ausgewach— jenen Zuſtand etwa 90—-95 em, die Rumpflänge 125—130 em. Das Gewicht völlig aus⸗ gemäſteter Tiere kann auf 400 und 500 kg fteigen. Das Deutſche Edelſchwein iſt eine früh— reife, fleiſch-fett-wüchſige, für frühe Jugendmaſt beſonders geeignete Form, bei der 10 Monate alte Tiere ſchon zu einem Gewicht von 200 kg herangemäſtet werden können. Bei dem Deutſchen Edelſchwein müſſen wir der einzigen etwas abweichenden Zucht ge— denken, des Baldinger Tigerſchweines. Dieſem Schwein kommt zoologiſch deswegen ein größeres Intereſſe zu, weil es, hervorgegangen aus einer Kreuzung des weißen Edelſchweines mit dem ſchwarzen Berkſhire, eine ſchwarz-weiße Scheckfärbung zeigt; eine derartige Verbindung der elterlichen Farben bei den Nachkommen iſt aber etwas höchſt Seltenes. Im übrigen hat dieſe auf die Grafſchaft Baar um Donaueſchingen beſchränkte Raſſe wenig Bedeutung. Das Edelſchwein iſt außerordentlich empfindlich und teils deshalb, teils wegen ſeiner Körperformen für den Weidebetrieb nicht geeignet. So erzüchtete man in Deutſchland eine zwiſchen ihm und dem wenig ertragreichen Landſchwein ſtehende Zwiſchenform, das „Deutſche veredelte Landſchwein“ (Taf. „Paarhufer I“, 6, bei S. 13), das unter allen deutſchen Schweineraſſen die größte Verbreitung hat. Der Rumpf ſoll groß ſein, ſchwer und geſtreckt, von bedeutender Bruſttiefe, mit langen, breiten Schultern und langen, tief herunterreichenden Schinken. Die Kruppe ſoll zu dem tief angeſetzten Schwanz etwas abfallen. Der mäßig ſchwere Kopf trägt einen mittellangen, zwiſchen dem des Edelſchweines und des Landſchweines ſtehenden Rüſſel und lange, breite Schlappohren, die auf den mittleren bis vorderen Teil der Schnauze fallen ſollen. Das Profil iſt nur leicht eingeſattelt. Die ſehr kräftigen Gliedmaßen dürfen nicht zu kurz ſein. Die auf einer derben Haut ſtehende Behaarung ſoll dicht und harſch ein. Die Farbe iſt meiſt weiß, wenn auch dunkle Farbe nicht geradezu als fehlerhaft zu bezeichnen iſt. Verlangt wird großer Wuchs und „Frohwüchſigkeit“. Dieſe äußert ſich in einer ſtarken Muskel— fleiſchbildung und einem der Größe entſprechenden Knochenwachstum. Gegen Krankheiten, Witterungseinflüſſe und Ernährungsſchwankungen ſoll das Deutſche veredelte Landſchwein große Widerſtandsfähigkeit beſitzen. Ferner ſoll es hinreichend beweglich ſein, um zum Weide— gang geeignet zu ſein. Die Widerriſthöhe beträgt 95—100 em, die Länge des Rumpfes 135 bis 140 cm. Als Durchſchnittsgewicht erwachſener Sauen ermittelte der um die Hebung des Deutſchen veredelten Landſchweines jo verdiente Okonomierat Felix Hoeſch-Neukirchen 323 kg. Schon bei Beſprechung der engliſchen Schweine wurde der romaniſchen Schweine— gruppe gedacht. Wenn dieſer Gruppe auch für Deutſchland keine größere wirtſchaftliche Be— deutung zukommt, ſo hat ſie doch mit zur Herausbildung der ſo wichtigen engliſchen Schweine— raſſen beigetragen. Da ſie außerdem faſt ausſchließlich ganz Südeuropa bewohnt, ſo darf ſie nicht ganz übergangen werden. Sie zerfällt in eine glatthaarige Gruppe, das eigentliche „romaniſche Schwein“, und eine kraushaarige. Für die letztere hat Ulmanſky wahrſcheinlich gemacht, daß ſie aus einer Kreuzung des Torfſchweines mit dem wildſchweinähnlichen Haus— ſchwein hervorgegangen und wohl in Südoſteuropa heimiſch ſei. Über die Entſtehung des eigentlichen romaniſchen Schweines wiſſen wir ſo gut wie nichts. Vielleicht liegt hier eine Kreuzung des Torfſchweines mit Bindenſchweinen vor, die aus Klein— aſien und Meſopotamien kamen. Wenigſtens glaubt Hahn in Meſopotamien auf Grund kul— turhiſtoriſcher Erwägungen ein ferneres ſelbſtändiges Domeſtikationszentrum für Schweine ſuchen zu ſollen. Eine frühzeitige und ſtarke Einkreuzung mit Bindenſchweinblut machen uns gewiſſe altgriechiſche und römiſche Darſtellungen wahrſcheinlich. Sie zeigen uns nämlich einen \ $ . ö 1. Überzüchtetes engliſches Fettſchwein. S. 20. — Nach einer englischen Zeichnung. 2. Maskenichwein. S. 19. — P. Kothe-Berlin phot. 3. Mangalicaſchwein. S. 23. — Dr. Ulmansky-Wien phot. chwein, Porcula salvania Hdgs. !/io nat. Gr., S. S. 23. — P. Kothe-Berlin phot. . Celebes-Hiricheber, Babirussa alfurus Zess., Sau mit Jungen. 1/ıs nat. Gr., S. S. 30, 31. — L. Bab-Berlin phot. — 2 — 6. Biſamſchwein, Tayassu pecari Fisch. ½10 nat. Gr., s. S. 32. L. Bab- Berlin phot. Deutſches veredeltes Landſchwein. Romaniſches Schwein. Zwergwildſchwein. 23 Naſtſchweintyp, der ſich in nichts von den modernen engliſchen Schweinen mit vorwiegen— dem Bindenſchweinblut unterſcheidet. Das Romaniſche Schwein, deſſen wichtigſte Vertreter die Caſertaner und die Por— tugieſiſchen Schweine ſind, bewohnt die Pyrenäen- und die Apenninenhalbinſel, auch Südweſtfrankreich und ſcheint ſogar frühzeitig in einzelnen Ausläufern bis nach England ge— drungen zu ſein. Im 18. Jahrhundert wurden dorthin häufig portugieſiſche und Caſertaner Schweine eingeführt zur Verbeſſerung der heimiſchen Zucht. Nathuſius ſchildert uns das Romaniſche Schwein als ein langes, tiefgeſtelltes Schwein mit gut gewölbten Rippen, geradem Rücken mit abfallender Kruppe, nach vorn geneigten, mittelgroßen ſtehenden Ohren, konkavem Geſichtsprofil, Hautfalten an der Stirn und um die Augen, ſchlankem Rüſſel, ſchwacher, meiſt dunkler Behaarung, jedoch zuweilen kupferroter Farbe. „Eigentümlich iſt das zarte Muskel— fleiſch, welches bei reichlicher Ernährung mit Fett durchwächſt und nicht ſcharf geſonderte Speck— lagen gibt.“ Zu dieſer Gruppe gehören auch die ſüdweſtfranzöſiſchen Schweine, die zum Trüffelſuchen benutzt werden. Das Krauſe Schwein bewohnt das ſüdöſtliche Europa und die daran grenzenden Teile des weſtlichen Mittelaſiens. Seinen Namen verdankt es den langen, dichten, lockigen Borſten, mit denen der ganze Körper dicht beſetzt iſt, mit Ausnahme von Kopf und Beinen, die ſchlicht behaart ſind. Im Herbſt bildet ſich unter den langen Borſten ein filzartiger, wolliger Flaum. Bei einzelnen Raſſen verlängern ſich die Borſten auf Hals und Rücken zu einem mähnenartigen Kamm. Die Färbung iſt wohl ſtets einfarbig. Es gibt ſchmutziggelbe bis rötlichbraune, doch auch ganz dunkel gefärbte Tiere. Bei allmählicher Mäſtung mit Mais bilden ſie ein vor— zügliches Speckſchwein, das auch als „Bakonyer“ auf die Fleiſchmärkte Deutſchlands kommt. In Ungarn, woher dieſe Schweine namentlich eingeführt werden, ſpielt heute allerdings weniger das Bakonyer als das Mangalica-Schwein (Taf. „Paarhufer II“, 3) die Hauptrolle unter den dortigen Raſſen. Amerika hat keine einheimiſchen Schweineraſſen. Frühzeitig wurden dorthin Schweine aus Europa eingeführt: ſchon Kolumbus brachte 1493 welche nach Santo Domingo. Mit Hilfe chineſiſchen Blutes züchteten die Nordamerikaner eine den beſten engliſchen Raſſen nicht nachſtehende Raſſe, das ſogenannte Poland-China-Schwein, die deshalb hier erwähnt ſei, weil man fie auch in den 70er und SOer Jahren des 19. Jahrhunderts wiederholt nach Deutſchland einführte zur Verbeſſerung der deutſchen Zucht. Von der afrikaniſchen Wildſchweingattung Potamochoerus ſtammt möglicherweiſe das Guineiſche Hausſchwein ab. Es ſoll in Form und Farbe mit dem dort einheimiſchen Pinſel— ſchwein übereinſtimmen, nur fehle ihm die Hautwarze an der Schnauze oder ſei wenigſtens kleiner. Eng an die Gattung Sus ſchließt Max Weber die Zwergform der Schweine an, das Zwergwildſchwein, Poreula salvania Hdgs. (Taf. „Paarhufer II“, 4), den einzigen Ver—⸗ treter der Gattung Porcula Hugs. Es wird nur 58 em lang, wovon 3,2 em auf den Schwanz kommen. Der Körper it, nach Garſon (Proc. Zool. Soc.“, London 1883), ſpärlich mit braun⸗ ſchwarzen Haaren bedeckt, die Hinterſeite des Ohres und der Schwanz ſind haarlos. Außerdem iſt der innere Afterhuf der Hinterfüße ſchwach entwickelt. Die Heimat iſt der Südabhang des Himalajagebirges in Nepal, Sikkim und Burma. Hier lebt das Tier in den Grasdſchungeln in Herden von 5—20 Stück und iſt vorwiegend bei Nacht munter. Die angegebenen Merk male ſcheinen aber, abgeſehen von der geringen Größe, ſchwankend zu ſein. Hilzheimer fand bei dem hier abgebildeten Zwergwildſchwein des Berliner Zoologiſchen Gartens am Hinterfuß 24 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Schweine. einen gut entwickelten inneren Afterhuf. Außerdem hat gerade dieſes Tier eine beſonders deutlich ausgebildete Geſichtsbinde. Hierin wie in der Körperform ähnelt es den Binden— ſchweinen, von denen es eine verkleinerte Ausgabe zu ſein ſcheint. An die bis jetzt erwähnten Schweine, beſonders an Eusus, wovon ſie, nach Forſyth Major, dem Schädelbau nach kaum zu trennen ſind, ſchließen ſich die Flußſchweine (Po— tamochoerus Gray), in Afrika nach ihrem Aufenthalt Buſchſchweine genannt, an, unzwei— felhaft die ſchönſten Mitglieder der Geſamtheit, deren Merkmale in einem zwiſchen Auge und Naſe gelegenen knochigen Höcker, der nur dem Eber zukommt, und dem eine Rauhigkeit des Naſenbeins entſpricht, dem verlängerten Geſichtsteile, dem mäßig langen und fein gebauten Rüſſel, den großen, ſchmalen, ſcharf zugeſpitzten und mit einem Haarbüſchel gezierten Ohren, dem mittellangen, bebuſchten Schwanze und den vier Zitzen des Weibchens zu ſuchen ſind. Das Gebiß weicht durch geringfügige Eigentümlichkeiten, namentlich dadurch von dem der bis— her beſprochenen Schweine ab, daß eine ausgeſprochene Neigung zum Verluſt des erſten Lück— zahnes oben und der beiden vorderſten unten beſteht. Die Flußſchweine bewohnen Afrika ſüdlich der Sahara und Madagaskar; ſie leben vorwiegend in dichten Wäldern in der Nähe des Waſſers und treten faſt nie auf die Steppe hinaus. Lönnberg unterſcheidet in ſeiner neueſten Bearbeitung („Arkiv för Zoologi“, 1910) 13 verſchiedene Formen, die fünf Arten angehören. Nach dieſem Forſcher iſt die früher von Forſyth Major verſuchte Einteilung in zwei Gruppen, eine weſtliche und eine ſüdliche und öſtliche, nicht aufrechtzuerhalten, da das Abeſ— ſiniſche Flußſchwein, Potamochoerus hassama Zgl., noch mehr aber Potamochoerus inter- medius Zönnb. von Uganda eine Zwiſchenſtellung einnehmen. In Weſtafrika, von Liberia bis Kamerun, lebt das Pinſelſchwein, Potamochoerus porcus L. (penicillatus). Das Tier ſteht dem Wildſchweine an Größe merklich nach, erreicht jedoch, vollkommen ausgewachſen, einſchließlich des 25 em langen Schwanzes, bei 55 —60 em Schulterhöhe immerhin noch 1,5 —1,6 m an Länge. Die Haut iſt mit kurzen und weichen, ziemlich dicht ſtehenden und ſtraff anliegenden Borſtenhaaren bekleidet, die an den Kopfſeiten, am Unterkiefer und Unterhalſe ſich etwas verlängern, auf dem Rückgrate eine kurze und ſchwache Mähne bilden und unter dem Auge zu einem Buſche, auf der Wange zu einem ſtarken Backenbarte, an der Spitze des übrigens faſt kahlen Schwanzes zu einer buſchigen Quaſte und am Ohr zu einem langen Pinſel ſich entwickeln. Ein ſchönes und lebhaftes, ins Gelb— liche ſpielendes Braunxot oder ein dunkles Rotgelb, die vorherrſchende Färbung, erſtreckt ſich über Nacken, Hinterhals, Rücken und Seiten; Stirn und Scheitel der Alten, die Ohren ſowie die Beine ſind ſchwarz, die Rückenmähne, ein Saum des Ohrrandes, der Ohrpinſel, die Brauen— gegend, ein Strich unter dem Auge und Backenbarte weiß oder gelblichweiß, Schnauze und Unterteile graulich, letztere faſt weißgrau. Die Jungen, die ein geſtreiftes Kleid tragen, ſind überaus lebhafte und zierlich gezeichnete Tierchen. Über das Freileben des Pinſelſchweines haben wir noch recht dürftige Kunde, obgleich das Tier ſchon zu Maregraves Zeiten (Mitte des 17. Jahrhunderts) den Europäern bekannt war, auch gefangen und lebend ausgeführt wurde, da es Maregrave nicht in Weſtafrika, ſondern in Braſilien zu ſehen bekam. Die Güßfeldtſche Loango-Expedition erhielt mehrmals junge Pinſelſchweine; eins, das im Affenhauſe untergebracht wurde, vertrug ſich mit deſſen Inſaſſen recht gut und erfreute durch ſeine poſſierliche Munterkeit. Von den wild lebenden ſagt Pechuel-Loeſche: „Es ſind lebhafte und ſehr flüchtige Tiere; nach den Fährten zu urteilen, Pinſelſchwein. u Bez 7 u N Pinſelſchwein. Flußſchwein. Larvenſchwein. Waldfhwein. 25 ziehen ſie ſtets in großen Rudeln, namentlich in den feuchten Wäldern, an den Flüſſen um— her, doch ſind ſie auch im Gebirge nicht ſelten. Man hört ſie manchmal dicht neben ſich im Dickicht grunzen, noch häufiger aber in ganz eigentümlich behaglicher Weiſe brummen. Auf— geſcheucht, werden ſie ſelten laut, ziehen ſich vielmehr, auf die Deckung vertrauend, geräuſchlos zurück. Sie ſind zählebig und gehen mit einer gut ſizenden Kugel manchmal noch recht weit. Das Wildbret iſt wohlſchmeckend.“ Im Jahre 1852 erhielt der Tiergarten zu London das erſte lebende Pinſelſchwein, und ſeitdem ſind mehrere in Europa eingeführt worden; ſie zählen jedoch in allen Tiergärten noch zu den Seltenheiten und gehören hier, wie Heck ſchreibt, zu den allerſchwierigſten Pfleg— lingen. Trotzdem iſt es in Berlin und London gelungen, die ſchönen Tiere zur Fortpflan— zung zu bringen, wobei 1—2 Junge auf einen Wurf fielen. Eine zweite Art der Gattung, das Flußſchwein, Potamochoerus choeropotamus Desmoul. (africanus), bewohnt in mindeſtens vier Unterarten Süd- und Oſtafrika, iſt etwas größer, bis auf eine liegende Nackenmähne und einen ziemlich ſtarken Backenbart gleichmäßig behaart und ſein Bart wie die Mähne weißlichgrau, das Geſicht fahlgrau, der übrige Leib rötlich graubraun gefärbt. Das Friſchlingskleid iſt, nach Fiſcher, bräunlich mit vier gelbbraunen Streifen. Über dieſe Art hat Böhm in Oſtafrika folgendes aufgezeichnet: „Das Flußſchwein hält ſich meiſt rottenweiſe hauptſächlich in feuchteren Dickichten und Sümpfen auf, liebt überhaupt das Waſſer und tritt nachts in die bebauten Felder, ſich frühmorgens in die Baumſteppe zurückziehend, die es zuweilen ſchon am ſpäten Nachmittage wieder verläßt. Den Ackern wird es dermaßen 1b, daß ſich die Eingeborenen zuweilen gezwungen jehen, ihre Wohnplätze zu verlaſſen. Die Lebensweiſe gleicht ſehr derjenigen unſeres Wildſchweins; Friſchlinge im Dezember, ne und Mai. Am Likulve war die Färbung nur zum Teil rötlich, in Karema lebhaft gelbbraun. Am Walafluſſe wurde einer unſerer Träger ohne jede Veranlaſſung von einem Keiler angegriffen, kam indeſſen mit einer leichten Wunde am Schienbeine davon.“ In Südafrika ſoll das Weibchen, nach Sclater, im Dezember oder Januar 6—5 Junge werfen. Als Tragzeit hat Heinroth-Berlin 130 Tage feſtgeſtellt. — Nahe verwandt iſt das Larven— ſchwein, Potamochoerus larvatus F. Cuv., das in zwei Formen Madagaskar bewohnt. Wenige Jahre nach der Entdeckung des Okapis, im Jahre 1904, wurde ebenfalls aus dem Urwald des Kongobeckens ein zweites großes Säugetier bekannt, das mit dem Okapi die Eigentümlichkeit teilt, eine Brücke zu einer bis dahin geſondert ſtehenden Tiergruppe zu bilden. Es iſt das Waldſchwein, Hylochoerus meinertzhageni Jos., das ſeinen lateiniſchen Art— namen zu Ehren ſeines Entdeckers, des engliſchen Schutztruppenoffiziers Meinertzhagen, erhielt. Im Schädelbau verbindet Hylochoerus 7%os. in eigenartiger Weiſe die Warzenſchweine mit den echten Schweinen. Da es neben altertümlichen Merkmalen, die andere lebende Schweine nicht mehr beſitzen, auch einige nur ihm eigene Beſonderheiten aufweiſt, ſteht es nicht in der direkten Vorfahrenlinie der Warzenſchweine, ſondern zeigt nur den Weg, auf dem ſie ſich ent— wickelt haben, es ſteht dem Ausgang nahe. Die Altertümlichkeit des Tieres zeigt ſich auch darin, daß ſein Erſtbeſchreiber, der engliſche Zoolog Oldfield Thomas, nicht nur Ahnlichkeiten mit Sus und Potamochoerus, ſondern auch mit Eusus und Babirussa, ja noch mit einigen ausgeſtorbenen Schweinen hervorhebt. Derartige Beziehungen zu zahlreichen, heute mehr oder weniger weit getrennten Tieren weiſen ſtets auf ein hohes erdgeſchichtliches Alter. Es zeigt ſich alſo hier, wie auch beim Okapi und bei Hyemoschus, der weſtafrikaniſche Urwald als Erhalter und Rückzugsgebiet alter, primitiver Formen, die den hohen Anforderungen des Kampfes um 26 16. Ordnung: Paarhufer Familie: Schweine. das Daſein, die ein mehr offenes Gelände ſtellt, nicht mehr gewachſen ſind. Das Waldſchwein iſt mit gleichmäßigem, dichtem ſchwarzen Borſtenhaar bekleidet, das auf Bruſt und Flanken mit weißem untermiſcht iſt. Der Schädel hat die allgemeinen Formen der echten Schweine, aber die Form der Stirn und Naſengegend gleicht der der Warzenſchweine. Eine eigenartige Entwickelungsrichtung deutet der eigentümliche, faſt quadratiſche Hirnſchädel an. Im Gebiß iſt die Zahl der Schneidezähne, , gleich der der Warzenſchweine. Die oberen Eckzähne find koniſch, ſehr dick und kräftig wie beim Warzenſchwein, halten aber in Stellung wie Krümmung die Mitte zwiſchen den Eckzähnen der Warzenſchweine und der gewöhnlichen Wildſchweine. Die 1 chädel und letzter unterer Backzahn von a) Flußſchwein aus dem Süden von Deutſch-Oſtafrika; d) Waldſchwein eutſch-Oſtafrika. Nach Präparaten des Zoologiſchen aus dem öſtlichen Kongo-Urwalde; e) Warzenſchwein aus Ruand Muſeums in Berlin. unteren Eckzähne ſtehen weit wie beim Warzenſchwein. Eine beſondere Eigentümlichkeit des Gebiſſes iſt, daß der letzte obere echte Lückzahn fehlt und an ſeiner Stelle ſein Milchvorgänger dauernd ſtehenbleibt. Darin iſt alſo das Waldſchwein über die Warzenſchweine hinausent— wickelt. Der letzte untere Backzahn iſt zwar ſchon vergrößert, wie der des Warzenſchweines, hat aber die hohe Ausbildung noch nicht erreicht. Das Waldſchwein ſcheint den ganzen weſtafrikaniſchen Urwald zu bewohnen. Nach Oſten geht es bis nach Britiſch-Oſtafrika, ſo weit der Wald reicht; wenigſtens brachten es Meinertz— hagen und Lönnberg von dort mit. Nach Norden kommt es möglicherweiſe bis Liberia vor (Proc. Zool. Soc., London 1905). Eine zweite Art wurde als H. rimator 7hos. vom Ja— Fluß in Kamerun („Proc. Zool. Soc.“, London 1906) bekannt. Afrika beherbergt außer den hübſchen Flußſchweinen noch wahre Ungeheuer derſelben Familie: die Warzenſchweine (Phacochoerus F. Cie.). Sie find die plumpſten und Warzenſchwein. 27 häßlichſten aller bekannten Borſtentiere, gedrungen gebaut und niedrig geſtellt, ausgezeichnet vor allem durch den unſchönen Kopf und das eigentümliche Gebiß. Ihr Leib iſt walzig, alſo nicht ſeitlich verſchmächtigt, ſondern allſeitig gerundet, in der Rückenmitte eingeſenkt, der Hals kurz, der Kopf maſſig, auf der breiten Stirne niedrig, im Rüſſelteile überall merklich, vorn an der Oberlippe unverhältnismäßig verbreitert, an den Seiten verunziert durch drei warzige Auswüchſe, von denen je ein mehrere Zentimeter hoher, zugeſpitzter, beweglicher, bald nach oben gerichteter, bald hängender unter dem Auge, ein anderer, kleinerer, aufgerichteter ſeitlich vorn auf dem Vorderkiefer ſteht, und der dritte, ſehr lange, vom Unterkiefer an beginnend, längs desſelben bis gegen die Mundſpalte hin ſich erſtreckt. Die kleinen Augen treten wie beim Nilpferde vor und werden unten von einer großen halbmondförmigen Falte umgeben, die ſich mit Tränengruben vergleichen läßt, vielleicht auch eine Drüſe bezeichnet; die Ohren ſind ſpitzig; die Rüſſelſcheibe iſt ein von oben nach unten zuſammengedrücktes Eirund. Die niederen, ver— hältnismäßig zierlichen Beine haben je vier Hufe, die vorderen auf dem Feſſelgelenke eine breite Schwiele; der lange, peitſchenförmige Schwanz trägt einen ſtarken Quaſt. Die Haut iſt mit Ausnahme eines Backenbartes und einer Rückenmähne nur mit ſehr kurzen, meiſt ganz einzeln ſtehenden Borſten bekleidet. Das Gebiß beſteht urſprünglich aus 2 Schneidezähnen im oberen und 6 im unteren Kiefer, rieſigen, ſehr ſtarken, mehr oder weniger ausgeſchweiften, am Ende abgeſtumpften, vorn und hinten der Länge nach gefurchten Hauern, die ſich wie bei den Wildſchweinen nur nach oben kehren, und 6 Backzähnen in jeder Reihe, oben wie unten. Es finden ſich demgemäß 40 Zähne, von denen jedoch nicht allein die vorderen Lückzähne, ſondern auch die Schneidezähne größtenteils auszufallen pflegen. Der letzte Backzahn erhält eine ganz gewaltige Entwickelung durch Ausbildung zahlreicher Höcker. Er verdrängt allmählich die beiden vorderen, die zuerſt in der Reihenfolge ihrer Stellung abgenutzt werden, ſtößt ſchließlich an den letzten Lückzahn, bis auch der ausfällt, und bleibt dann allein übrig. Die Warzen— ſchweine haben 3 Paar Zitzen. Die Schwielen auf den Handgelenken ſtehen in Verbindung mit der Gewohnheit, freſſend und grabend darauf herumzurutſchen, ſind aber, wie Leche gezeigt hat, dem Friſchling angeboren. Neben Pflanzen bilden, nach Voſſeler, die Rieſentauſendfüße (Spiro- streptus) einen weſentlichen Beſtandteil der Nahrung aller oſtafrikaniſchen Schweine, trotz ihrer übelriechenden, ſcharf und brennend ſchmeckenden Säfte; ihre Ringe werden maſſenhaft in dem mit Vorliebe ſtets an den gleichen Plätzen abgeſetzten Kot gefunden. Die Warzenſchweine bewohnen die offene Steppe und die Buſchſteppe in der Nähe von Waſſer. Sie ziehen ſich bei Gefahr in Erdhöhlen zurück und bevorzugen als Wohnhöhlen alte Termitenbaue und, wie Schillings ſchreibt, die Bauten der Erdferkel. Obwohl Lönnberg neuerdings auf Grund von Schädelunterſuchungen mindeſtens fünf Formen unterſcheidet („Kgl. Svenska Vetenskaps- Akad. Handl.“, Bd. 48, Nr. 5), können hier nur die zwei beſſer bekannten erwähnt werden. Das Warzenſchwein, Phacochoerus africanus , erreicht einſchließlich des 45 cm langen Schwanzes 1,9 m Geſamtlänge bei 70 em Schulterhöhe und kennzeichnet ſich auch äußerlich durch den ſehr geſtreckten, breiten, in der Mitte gebuchteten Rüſſel, deſſen obere Längslinie einen flachen, nach unten gekehrten Bogen bildet, alſo eingeſenkt iſt, die aufrecht— ſtehenden Warzen und die ſeitlich nicht ſehr ſtark ausgebogenen Hauer. Die Behaarung der Seiten und der Unterteile des Leibes iſt ſelbſt in der kühleren Jahreszeit kurz und dünn, in den warmen Monaten, und zumal nach der Härung, ſo ſpärlich, daß dann eigentlich nur die graulich-jchieferfarbene Haut zur Geltung kommt und die weichen, dünnen Borſtenhaare, die ſie bedecken, ihr höchſtens einen lichteren Schimmer verleihen. Dagegen erreicht eine auf 28 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Schweine. der Stirn beginnende, bis zum Kreuze fortlaufende, auf dem Rücken ſich verbreiternde, aus dicken, wenig biegſamen, ſchwarzen, braunſpitzigen Haaren gebildete Mähne eine ſo bedeutende Länge, daß ſie ſeitlich bis zum Bauche herabfällt. Starke Borſten umgeben auch das dicht bewimperte Auge, und ähnliche am Unterkiefer bilden einen ſehr bemerklichen Backenbart. Der Schwanzquaſt endlich beſteht aus einem ziemlich langen Buſche. Der Verbreitungskreis des Warzenſchweines erſtreckt ſich vornehmlich über die öſtlichen Teile Mittelafrikas. In Südafrika wird das Tier durch den oft mit ihm verwechſelten Hartläufer der An— ſiedler, zu deutſch „Schnelläufer“, Phacochoerus aethiopieus L., vertreten. In Geſtalt, Größe und Färbung dem Verwandten ſehr naheſtehend, unterſcheidet ſich dieſe Art doch be— ſtimmt durch den bedeutend kürzeren, längs der Geſichtslinie nach oben gewölbten, alſo ſchwach rammsnaſigen Kopf, die ſehr verlängerten und hängenden Augenwarzen, die viel ſtärker ſeit— lich ausgebogenen Hauer. Auch die Behaarung iſt eine andere, die Mähne etwas breiter und kürzer, ihr vorderer Teil zu einem zwiſchen den Ohren ſich erhebenden Haarwirbel umgewandelt, von dem aus die Haare nach allen Seiten herabfallen, der Backenbart etwas ſchwächer, die Bekleidung der Seiten dagegen ſtärker und dichter als bei dem Verwandten. Bis jetzt ſind uns nur ziemlich dürftige Nachrichten über Betragen und Lebensweiſe der Warzenſchweine zugekommen. Der nördlichen Art begegnet man in Abeſſinien bis zu 3000 m Höhe, am Weißen Nil in allen buſchreichen Gegenden, in Feldern, im Röhricht oder e T Hartläufer. Lebensweiſe der Warzenſchweine. 29 in faſt undurchdringlichen Bambushorſten, welch letztere beſonders aus dem Grunde aufgeſucht werden, weil die weichen, ſpargelartigen Sproſſen des Bambus eine erwünſchte Aſung bieten. Nach Th. v. Heuglin ſchlägt ſich das Warzenſchwein wie die meiſten übrigen Arten ſeiner Familie in Rudel von wechſelnder Stärke zuſammen, die vom Abend bis zum Morgen nach Nah— rung umherziehen; den Tag verbringt es im Lager, am liebſten da, wo es ſich in den Sumpf oder ſelbſt in das Waſſer einbetten kann. In den dornigen Akazien- und Mimoſenwäldern der Samhara ziehen die Rudel, wie Menges berichtet, mit Sonnenaufgang von den Bergen ſtill der Tiefe zu, wo ein Waſſerloch mit ſpärlichem Waſſer ihnen ein wohlbekannter Tränk— platz iſt. Wenn der Trupp ſich zum Freſſen lagert, entwickelt ſich ein geräuſchvolles Leben, und das Grunzen und Scharren der äſenden Tiere verrät ihre Gegenwart. Während der ſtärkſten Mittagshitze ruhen ſie im Schatten undurchdringlicher Dickichte, beginnen nachmittags das Streifen aufs neue und ziehen gegen Abend wiederum zur Tränke. Nach Böhms Er— fahrungen bevorzugt das Warzenſchwein in Oſtafrika die trockene Baum- und Grasſteppe und iſt faſt als Standwild zu betrachten, da man es innerhalb eines gewiſſen Umkreiſes immer wieder findet. Es lebt ſelten in kleinen Rudeln, meiſtens paarweiſe, und die Bache verläßt ſelbſt den angeſchoſſenen Keiler nur ungern; alte Keiler gehen wohl auch allein. Die Aſung be— ſteht, nach Rüppell, aus Wurzeln, und die Bedeutung der rieſenmäßigen Gewehre wird hier— durch klar. Um Aſung zu nehmen, fällt das Tier auf ſeine Handbeugen, rutſcht, mit den Hinterläufen nachſtemmend, auf den dicken Schwielen, die jene bedecken, vorwärts und wühlt nun, mehr die Gewehre als die Rüſſelſcheibe benutzend, tiefe Furchen aus, um zu ſeiner Lieb— lingsnahrung, Pflanzenwurzeln und Knollen, zu gelangen. Nebenbei verzehrt es auch tieriſche Stoffe aller Art, wie Larven, Puppen, Käfer, Würmer, auch Kriechtiere und Aas. Zur Fortpflanzung bemerkt Böhm: „Im Juni hochbeſchlagen, im Juli mit Überläufern, die ſich, nachdem die Bache erlegt war, einzeln ſchießen ließen; Ende September Bache, Keiler und zehn Friſchlinge, im Dezember Bache mit fünf ſtarken Friſchlingen, welche nicht hielten, als die Bache mit Blattſchuß weiterging.“ Über den Geſchmack des Fleiſches lauten die An— ſichten verſchieden; Menges und Böhm nennen es ausgezeichnet. Sein Lager ſchlägt das Warzenſchwein immer in Höhlen, unter Baumwurzeln oder unter Felsblöcken auf; in ihm wagen es bloß die geübteſten Jäger, das Tier anzugreifen, weil es plötzlich hervorſtürzt, mit größter Schnelligkeit rechts und links Wunden austeilt und bis zu ſeinem Tode den Kampf grimmig fortſetzt. Doch iſt die Gefährlichkeit der Warzenſchweinjagd von älteren Schriftſtellern wohl ſtark übertrieben worden, wenigſtens halten Heuglin und Böhm die Tiere für ziemlich gefahrlos. „Beim Anſchuß“, ſagt letzterer, „ſtoßen ſelbſt Keiler ein lautes quiekendes Geſchrei aus, tödlich getroffen ſtöhnen ſie röchelnd; den Schützen nehmen ſie nur ſelten an.“ Löwe und Leopard ſind, nach Menges, faſt die einzigen Feinde der Warzen— ſchweine; dem Leoparden fallen am häufigſten junge Tiere zum Opfer, ſeltener alte. In der Neuzeit ſind beide Arten in verſchiedene Tiergärten gelangt; ich habe die eine oder die andere in London, in Antwerpen, Amſterdam und Berlin geſehen, einzelne auch längere Zeit beobachten können, beide ſtimmen hinſichtlich ihres Betragens vollſtändig über— ein. Sie unterſcheiden ſich in ihrem Gebaren, nicht aber in ihrem Weſen von anderen Schweinen. Entſprechend ihrem Höhlenleben ſuchen ſie ſich auch in der Gefangenſchaft zu verbergen, ziehen ſich gern in den dunkelſten Winkel ihrer Koben zurück und vergraben ſich ſo tief in ihrem Strohlager, daß fie manchmal gänzlich bedeckt werden. Beim Freſſen und Wühlen fallen ſie regelmäßig auf die Handgelenke und rutſchen in der von Rüppell beſchriebenen Weiſe ſo leicht und ſo ausdauernd auf dem Boden fort, daß man dieſe abſonderliche Bewegung als eine 30 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Schweine. ihnen durchaus natürliche erkennen muß. Ich will nicht in Abrede ſtellen, daß ſie ſich zähmen laſſen; ein wirkliches Freundſchaftsverhältnis aber gehen ſie mit ihren Pflegern nicht ein. * Auf Celebes und den öſtlich benachbarten Inſeln, namentlich Sulla, Mangola und Buru, wohnt die Unterfamilie der Hirſcheber oder Babiruſas (Babirussinae), deren Merkmale ſchon S. 4 angegeben wurden. Mitten im Verbreitungsgebiet der Puſtelſchweine lebend, ſcheint die heute ganz für ſich ſtehende einzige Gattung Babirussa Frisch (Porcus) durch den miozänen Merycopotamus Fale. et Caut. der Wurzel der Puſtelſchweine genähert. Zuerſt Celebes-Hirſcheber, Babirussa alfarus Less. ½1 natürlicher Größe. wurde die ſtark behaarte, mit glatter, nicht runzliger Haut bekleidete Art von Buru, B. ba- byrussa L., bekannt, die Piſo ſchon 1658 kenntlich beſchrieb. Deninger fand die Hautfarbe eines friſch getöteten alten Ebers oben graubraun, unten blaßbraun. Der ganze Körper war mit kurzen, borſtenartigen hellgrauen Haaren bedeckt, die beſonders am Kopf auch ſchwach gelbliche Tönung zeigten; auch einzelne ſchwarze waren darunter. Sie ſtanden an der Ober— ſeite des Kopfes, auf Nacken und Rücken am dichteſten. Junge und weibliche Tiere ſind, ab— geſehen von einem hellen Rückenſtreifen und hellgrauer Farbe des Bauches und der Innen— ſeite der Beine, ſchwarz behaart. Weit ſpäter, erſt im 19. Jahrhundert, iſt der Celebes-Hirſcheber, Babirussa alfurus Less., bekanntgeworden. Durchſchnittlich mag die Körperlänge des erwachſenen Tieres 1,1 m, die Schwanzlänge 20 em, die Höhe am Widerriſte und Kreuze 80 em betragen. Der Leib iſt geſtreckt, rund und voll, ſeitlich nur wenig zuſammengedrückt, der Rücken ſchwach gewölbt, der Hals kurz und dick, der Kopf verhältnismäßig klein, langgeſtreckt, auf der Stirn ſchwach gewölbt, mit einem ſtark zugeſpitzten, die Unterlippe überragenden kräftigen, beweglichen Rüſſel, der an ſeiner Spitze ebenſo wie bei anderen Schweinen abgeſtutzt iſt und auch die Hirſcheber. 31 nackte, knorpelige Wühlſcheibe mit ihren ſchwieligen Rändern und den ſie durchbohrenden Naſenlöchern zeigt; die Beine ſind kräftig, aber geſtreckt; der Schwanz iſt dünn und wird hän— gend getragen. Die Eckzähne des Oberkiefers, die beim Männchen äußerſt lang, dünn und ſpitzig, auf der Vorderſeite gerundet, ſeitlich zuſammengedrückt, hinten ſtumpfſchneidig nach aufwärts und zugleich nach rückwärts gerichtet ſind, ſo daß ſie mit höherem Alter zuweilen in die Haut der Stirn eindringen, durchbohren die Rüſſeldecke und krümmen ſich halbkreis— förmig oder noch mehr nach hinten; die kürzeren und dickeren Gewehre des Unterkiefers richten ſich mehr gerade nach aufwärts. Beim Weibchen ſind die Eckzähne ſehr kurz, und die oberen, die ebenſo wie bei dem Männchen die Schnauze durchbohren, ragen kaum einen Finger breit über ſie empor. Beim Weibchen finden ſich nur zwei Zitzen, die in der Weichengegend liegen. Die Haut iſt dick, hart, rauh, vielfach gerunzelt, im Geſicht, um die Ohren und am Halſe tief gefaltet und trägt nur ſpärliche Borſten. Ein ſchmutziges Aſchgrau iſt die allgemeine Färbung. Sumpfige Wälder, Rohrbeſtände, Brüche und Seen, auf denen viele Waſſerpflanzen wachſen, ſind die Lieblingsorte dieſer merkwürdigen Schweine. Nach Deninger („Ber. Naturf. Geſellſch.“, Freiburg 1909) ſcheint der Hirſcheber auf Buru vorzugsweiſe einzeln zu leben, ſich aber auch zu kleinen Trupps zuſammenzurudeln. Abweichend von anderen Schweinen ſoll er nicht im Boden nach Wurzeln wühlen, vielmehr nur Baumfrüchte und Käferlarven freſſen, die er in faulendem Holze findet. Seiner Nahrung geht er nachts nach. Der Gang iſt ein raſcher Trab, der Lauf leichter als bei dem Wildſchweine. Der Babiruſa beſucht als vortrefflicher Schwimmer nicht bloß in den ſüßen Gewäſſern alle Nahrungsplätze, ſondern ſetzt auch dreiſt über Meeresarme, um von einer Inſel zur anderen zu gelangen. Unter den Sinnen des Tieres ſind Geruch und Gehör am beſten entwickelt. Die Stimme iſt ein gedehntes, ſchwaches Grunzen. Der Hirſcheber weicht dem Menſchen aus, ſolange es geht, ſetzt ſich aber bei unvermeidbaren Angriffen mit der Tapferkeit aller Eber zur Wehr, und ſeine unteren Eckzähne ſind tüchtige Waffen. Die Eingeborenen ſollen ihn mit Lanzen er— legen und manchmal Treibjagden veranſtalten, bei denen die Babiruſas ihr Heil in der Flucht zu ſuchen pflegen. Die Sau ſoll, etwa im Monat Februar, ein oder zwei Friſchlinge (Taf. „Paarhufer II, 5, bei S. 23) werfen, kleine, nette Tierchen von 15 — 20 em Länge, die von der Mutter ſorg— ſam behütet und tapfer verteidigt werden. Fängt man ſolche Junge frühzeitig ein, ſo nehmen ſie nach und nach einen gewiſſen Grad von Zahmheit an, gewöhnen ſich an den Menſchen, folgen ihm unter Umſtänden und bezeigen ihm ihre Dankbarkeit durch Schütteln der Ohren und des Schwanzes. Bei den Häuptlingen findet man zuweilen einen lebenden Babiruſa, weil auch die Eingeborenen ihn als ein ganz abſonderliches Geſchöpf betrachten und ſeiner Sehens— würdigkeit wegen in der Gefangenſchaft halten. Doch geſchieht dies noch immer ſelten, und man verlangt hohe Preiſe für gezähmte Schweine dieſer Art. In unſeren Tiergärten ſind ſie heute keine ſeltenen Bewohner, wenn ſie auch nicht zu den alltäglichen Geſtalten gehören. Bei dem üblichen Schweinefutter laſſen ſie ſich recht gut erhalten und ſchreiten auch zur Fortpflanzung. An den Pfleglingen des Berliner Gartens beobachtete Heinroth, daß die Tragzeit 5 Monate und etliche Tage dauert. Wie Heck mit— teilt, beſtanden die Würfe aus einem oder zwei Jungen, und die Zwillinge waren immer gleichgeſchlechtig, Weibchen. Die Friſchlinge ſind einfarbig, ohne eine Spur von Zeichnung, mit nur ſchwacher, kurzer, dunkel rotbrauner Borſtenbehaarung, die ſich ſehr bald verliert. * 32 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Schweine. Die Kennzeichen der amerikaniſchen Nabelſchweine (Unterfamilie Tayassuinae) liegen außer in den S. 4 genannten anatomiſchen Merkmalen in der gedrungenen Geſtalt, dem kurzen Kopf und dem kurzen, ſchmächtigen Rüſſel, den ziemlich kleinen und ſchmalen, ſtumpf zu= geſpitzten Ohren, dem Fehlen der Außenzehe des Hinterfußes, der demgemäß nur in drei Hufe geteilt iſt, dem verkümmerten Schwanz, einer auf dem Hinterteile des Rückens ausmündenden Drüſe und den zwei Zitzen des Weibchens. Die S. 4 erwähnten Unterſchiede des Fußbaues haben zur Aufſtellung der beiden Gattungen Pecari Rehb. und Tayassu Fisch. geführt. Vertreter der erſten Gattung iſt das Nabelſchwein, der Pekari, Halsbandpekari, Pecari tajacu L. (Dicotyles torquatus). Seine Verbreitung erſtreckt ſich über einen großen Teil Amerikas, von Arkanſas bis Patagonien; die nördliche Form wurde als P. angulatus Coe unterſchieden. Das Nabelſchwein iſt ein kleines Schwein von höchſtens 95 em Länge, bei 2 em Schwanzlänge und 35—40 em Schulterhöhe, es hat einen kurzen Kopf und eine ſtumpfe Schnauze, iſt ſonſt aber verhältnismäßig ſchlank gebaut. Die langen und dicht ſtehen— den Borſten erſcheinen am Grunde dunkelbraun, find hierauf gelblich und ſchwarz geringelt und an der Spitze wieder ſchwarzbraun gefärbt. Zwiſchen den Ohren und auf der Mittel— linie des Rückens verlängern fie ſich, ohne jedoch einen ſtarken Kamm zu bilden. Die all- gemeine Färbung des Tieres iſt ein ſchwärzliches Braun, das auf den Seiten ins Gelblich— braune übergeht und ſich mit Weiß vermiſcht. Der Bauch iſt braun, die Vorderbruſt weiß, eine von der Schultergegend nach vorn und unten verlaufende, ziemlich breite Binde gelblich— weiß. Aus der Rückendrüſe ſondert ſich zu allen Zeiten eine durchdringend riechende Flüſſigkeit ab, die den Tieren aber ſehr zu behagen ſcheint, weil ſie ſich gegenſeitig mit ihren Schnauzen an dieſen Drüſen reiben. Die einzige Art der Gattung Tayassu Tisch. (Olidosus), das Biſamſchwein oder Weißbartpekari, Tayassu pecari Fisch. (Dicotyles albirostris, labiatus; Taf. „Paar⸗ hufer II“, 6, bei S. 23), iſt merklich größer, einſchließlich des 5 em meſſenden Schwanz- ſtummels 1,1 m lang und an der Schulter 40 — 45 em hoch, von dem Verwandten durch einen großen weißen Fleck am Unterkiefer auch in der Färbung auffallend unterſchieden. Die übrigen Borſten, die dick, eckig und hart ſind, dünn ſtehen und nur ein lockeres, am Hinter— kopfe und längs des Rückens mehr oder weniger verlängertes Kleid bilden, haben graulich— ſchwarze Färbung und in ihrer Mitte eine rötlichgelbe Binde, die jedoch kaum zur Wirkung gelangt; die Geſamtfärbung iſt daher ein am ganzen Leibe ziemlich gleichmäßiges Grau— ſchwarz, von dem der lichte Wangenfleck lebhaft abſticht. Das Verbreitungsgebiet iſt auf das tropiſche Mittel- und Südamerika beſchränkt. In allen waldreichen Gegenden Südamerikas, bis gegen 1000 m über dem Meere, find die Nabel- wie die Biſamſchweine gewöhnliche Erſcheinungen. In zahlreichen, zuweilen Hun— derte zählenden Trupps, unter Leitung der ſtärkſten Eber ihrer Art, durchziehen die Biſam— ſchweine, in ſchwächeren, aus 10— 15 Stück beſtehenden Nudeln ihre Verwandten, die Pekaris, die Wälder, täglich den Aufenthaltsort ändernd und eigentlich immer auf der Wanderſchaft begriffen. Nach Renggers Verſicherung kann man ihnen tagelang folgen, ohne ſie zu ſehen. „Bei ihren Zügen“, ſagt dieſer Forſcher, „hält ſie weder das offene Feld, welches ſie ſonſt nur ſelten beſuchen, noch das Waſſer auf. Kommen ſie zu einem Felde, ſo durchſchneiden ſie dasſelbe im vollen Laufe; ſtoßen ſie auf einen Fluß oder Strom, ſo ſtehen ſie keinen Augenblick an, ihn zu überſchwimmen. Ich ſah ſie über den Paraguayfluß ſetzen an einer Stelle, wo er 1 7 > Nabelſchwein. Biſamſchwein. 33 mehr als eine halbe Stunde breit war. Das Rudel ſelbſt zieht in dichtem Gedränge, die männlichen Tiere voran, jedes Mutterſchwein mit ſeinen Jungen hinter ſich. Man erkennt es ſchon von weitem durch das Gehör, und zwar nicht bloß wegen der dumpfen, rauhen Laute, welche die Tiere von ſich geben, ſondern noch mehr, weil ſie ungeſtüm das Gebüſch auf ihrem Wege zerknicken.“ Bonpland wäre einmal von einem Rudel dieſer Schweine bei— nahe zu Boden geworfen worden. Die Nabelſchweine gehen bei Tage und bei Nacht ihrem Fraße nach, und der Mangel an geeigneter Nahrung iſt es wohl auch, der ſie zu größeren Wanderungen zwingt. Baum— früchte aller Art und Wurzeln ſind ihre Nahrung. Ihr Gebiß iſt ſo kräftig, daß ſie, laut Schomburgk, mit der größten Leichtigkeit ſelbſt die härteſten Palmenſamen zu öffnen vermögen. In bewohnten Gegenden brechen ſie häufig in die Pflanzungen ein und zerſtören die Felder. Neben pflanzlicher Nahrung ſollen ſie auch Schlangen, Eidechſen, Würmer und Larven freſſen. In ihren Bewegungen und ihrem Weſen ähneln ſie unſeren Wildſchweinen, ſuchen aber bloß während der größten Hitze Waſſer, und auch dann nur Pfützen, auf, um ſich darin zu ſuhlen. Bei Tage verbergen ſie ſich gern in hohlen Stämmen oder zwiſchen loſen Wurzeln großer Bäume; wenn ſie gejagt werden, flüchten ſie ſich ſtets nach ſolchen Schlupfwinkeln. Ihre Sinne ſind ſchwach, ihre geiſtigen Fähigkeiten gering. Gehör und Geruch ſcheinen am beſten ausgebildet zu ſein; das Geſicht iſt ſchlecht. Manche Reiſende haben Wunderdinge von der Kühnheit dieſer Schweine berichtet; ruhige Beobachter urteilen maßvoller. Doch erzählt Schomburgk, daß es meiſt mit der größten Ge— fahr verbunden ſei, in die Mitte einer Herde zu ſchießen, indem ſich die Tiere dann nach allen Richtungen hin zerſtreuten und auf einer ſolchen Flucht jedes ihnen in den Weg kommende lebende Weſen niederriſſen und mit ihren Hauern vernichteten. Werde dagegen unter die Nachzügler geſchoſſen, ſo ſetze die Hauptmaſſe ihren Lauf unbekümmert fort. Das Herannahen ſchildert Schomburgk als „ein eigentümliches Getöſe, ganz dem Gelärme galoppierender Pferde zu vergleichen. Unter ſchrecklichem Zähneklappern und Knirſchen ſtürzte das Heer an uns vorüber. Merkwürdigerweiſe verhielten ſich unſere Hunde bei dieſem Vorübermarſche ebenſo ruhig wie wir und hatten ſich auf die Erde niedergelegt.“ Die Bache wirft gewöhnlich ein einziges, in ſeltenen Fällen zwei einfarbige Junge, die vielleicht ſchon am erſten Tage, ſicherlich aber ſehr kurz nach ihrer Geburt, der Mutter überallhin folgen und, anſtatt zu grunzen, faſt wie Ziegen ſchreien. Sie laſſen ſich ohne Mühe zähmen und werden, wenn man ſie gut behandelt, zu eigentlichen Haustieren. Ihr Hang zur Freiheit verſchwindet, wie Rengger verſichert, gänzlich, und an deſſen Stelle tritt die größte Anhänglich— keit an den neuen Wohnort und an die dortigen Haustiere und Menſchen. „Der Pekari weilt gern in ihrer Nähe, ſucht ſie auf, wenn er ſie einige Zeitlang nicht geſehen hat, drückt beim Wiederſehen durch Entgegenſpringen und Schreien ſeine Freude aus, achtet auf ihre Stimme, wenn er ſie rufen hört, und begleitet ſie tagelang in Wald und Feld. Fremde, welche ſich der Wohnung ſeines Herrn nähern, kündigt er durch Grunzen und Sträuben ſeiner Haare an. Auf fremde Hunde, falls dieſe nicht zu groß ſind, geht er ſogleich los, greift ſie an und verſetzt ihnen zuweilen mit den Eckzähnen tüchtige Wunden, die er nicht nach Art des Wildſchweines durch Stoßen, ſondern durch eigentliches Beißen beibringt.“ Nach Europa kommen lebende Pekaris in erheblicher, lebende Biſamſchweine in geringerer Anzahl. Beide ertragen unſer Klima verhältnismäßig gut, haben ſich auch wiederholt bei uns fortgepflanzt. Man erhält fie bei gewöhnlichem Schweinefutter jahrelang. Von ihrer Freund— ſchaft zu dem Menſchen habe ich allerdings nichts bemerken können. Bei ihnen gewährter Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 3 34 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Flußpferde. Freiheit mögen ſie ſich liebenswürdig zeigen, im engeren Gewahrſam e ſie ſich im Ge⸗ e als aufbrauſende, boshafte und tückiſche Geſchöpfe. Das Fell der Nabelſchweine wird in der Heimat der Tiere hauptſächlich zu Säcken und Riemen benutzt, das Fleiſch hingegen von dem ärmeren Volke gegeſſen. Es hat einen an— genehmen Geſchmack, der aber mit dem des Schweinefleiſches keine Ahnlichkeit aufweiſt. Auch findet ſich anſtatt des Speckes nur eine dünne Lage von Fett. * Wie jo viele Huftiere war auch die Familie der Flußpferde (Hippopotamidae) in früheren Perioden weiter verbreitet, als das heute der Fall iſt. In der Gegenwart ganz auf Afrika beſchränkt, bevölkerte ſie noch zu Beginn des Pleiſtozäns das ſüdliche und mittlere Europa und das ſüdliche Aſien bis nach Indien. Die Bibel kannte fie noch in Paläſtina. Im Pliozän lebte eine dem Zwergflußpferd ähnliche Art auf Madagaskar, wo es heute keine Flußpferde mehr gibt. Die Familie iſt kenntlich an dem nackten, fleiſchigen Körper mit dem ſchweren, faſt quadratiſchen Kopf und den vierzehigen Füßen. Es ſind mittlere bis große, plumpe Tiere. Die beiden lebenden Arten vertreten zwei Gattungen. Von ihnen iſt das Zwergflußpferd, Choeropsis liberiensis Mort. (Taf. „Paarhufer III“, 1, bei S. 48), erſt ſeit 1849 bekannt. Als ein nicht ſo ausgeſprochener Waſſerbewohner wie ſein ſpäter zu beſprechender Verwandter beſitzt es auch viele von deſſen durch Anpaſſung an, das Waſſer erworbene Eigentümlichkeiten nicht. Die Gattung Choeropsis Zeidy erſcheint daher primitiver, weniger einſeitig angepaßt. Der Körper iſt tapirähnlich, der Rücken wird etwas gebogen getragen, ſo daß die Rückenmitte der höchſte Punkt iſt. Der Leib ruht auf hohen, kräftigen Läufen, die vier Zehen tragen, deren äußere ſo weit rückgebildet ſind, daß ſie kaum den Boden berühren. Der ſehr kräftige Hals geht faſt ohne Abſatz in den plumpen Kopf über. Die Ohren ſind klein, an der Innenſeite, beſonders am Rande, mit weichen Haaren beſetzt, die Augen haben noch die gewöhnliche Stellung an der Seite des Kopfes, die Naſenlöcher liegen vorn ſeitlich an der Schnauze und zeigen kaum Anfänge einer hügelartigen Erhebung, der vordere ſeitliche Teil der Oberlippe hängt als mächtiges Polſter über die Unterlippe herab. Die Körperfarbe wird als ein Gemiſch von Braun, dunklem Schiefergrau und gelblichem Olivengrün geſchildert mit genau gleichgefärbtem Bauch. Einzelne Teile an Wangen, Kehle, Bauch ſind bei manchen Tieren roſig gefärbt. Der Schwanz endet in einer ſtarken Quaſte. Die Länge beträgt etwa 1,80 — 1,85 m, wovon 17 em auf den Schwanz kommen, und die Schulterhöhe 75 — 76 cm. Das Wohngebiet des Zwergflußpferdes iſt nicht auf den liberianiſchen Küſtenſtrich be— ſchränkt, ſondern umfaßt alle Walddiſtrikte bis zum franzöſiſchen Sudan. Über die Lebens⸗ weiſe des Tieres berichtet Büttikofer: „Sein bevorzugter Aufenthaltsort iſt Wald und Sumpf; in Flüſſen ſcheint man es nicht zu finden. Es iſt, und gerade dieſes macht die Jagd ſo ſchwierig und unſicher, nicht auf kleine Bezirke beſchränkt und geht auch nicht ſtets dieſelben Pfade, ſondern dehnt, gerade wie das Wildſchwein, mit deſſen Lebensweiſe die ſeinige viel Ahn— lichkeit hat, ſeine Wanderungen auf ſehr große, wenn auch nicht gerade unbegrenzte Gebiete aus, ſucht ſich ſein Futter, das aus allerlei Kräutern und Waldfrüchten beſteht, im Hoch- und Buſchwalde und zieht ſich nachher in die zahlreichen, für den Jäger oft unzugänglichen Sümpfe zurück. Auch iſt ſicher, daß dieſe Art nicht wie Hippopotamus amphibius in Trupps beiſammen lebt.“ Nach H. Schomburgks Beobachtungen, der 1912 fünf lebende Zwergflußpferde für Hagenbeck nach Europa brachte, lebt es nicht in Flüſſen, ſondern mitten im dichteſten Pflanzen— gewirr des unwirtlichſten Urwaldes und ſchläft hier den ganzen Tag über in den vom Waſſer 1 mm paoidiu Zwergflußpferd. Flußpferd. 35 unter den Ufern ausgewaſchenen Löchern, die es ſelbſt noch röhrenartig erweitert. Dieſe Röhren haben zwei Ausgänge, einen nach dem Waſſer und einen nach dem Flußufer. In der Regenzeit geht das Tier überhaupt nur gezwungen ins Waſſer. Es durchſtreift den Wald meiſtens ein— zeln, nur manchmal zu zweien, und ſcheint ein Nachttier zu ſein. Bei Gefahr flüchtet es nicht ins Waſſer, ſondern verläßt es vielmehr, wenn es darin überraſcht wird, und ſucht als ge— ſchickter Läufer ſein Heil in der Flucht. Die Nahrung beſteht in Wurzeln und Knollen, die das Tier ausgräbt. In den Plantagen iſt die Kaſſawa ſeine Lieblingsnahrung, wenn es auch die zarten Schößlinge des jungen Reiſes nicht verſchmäht. Die Jungen werden zu Anfang der Trockenzeit im November oder Dezember geboren und bleiben bis zum dritten Jahr bei der Mutter. Wie bei Elefant, Rhinozeros und großem Flußpferd gehen ſie ſtets vor der Mutter her. Oscar de Beaux beobachtete an den Gefangenen in Hagenbecks Tierpark („Zool. Anz.“, 40. Bd.) eine große Lebhaftigkeit und Gewandtheit. So ſtellten ſich die Tiere unter ge— * rn ſchickter Benutzung ihrer Vorderfüße oft faſt ſenkrecht gegen das Gitter. An Tönen vernahm Beaux von ihnen ein lautes, wieherndes Brüllen und ein Grunzen, das dem Knarren einer verroſteten Tür glich. Im Zorn fauchten und pruſteten ſie laut, wetzten auch die Zähne an— einander, was einen pfeifenden Ton erzeugte. An dem Zwergflußpferd des Berliner Zoologi— ſchen Gartens beobachtete Hilzheimer, daß es wie ſein großer Verwandter ſtundenlang in dem Waſſerbecken ſeines Behälters vollſtändig untergetaucht ruhig blieb, nur von Zeit zu Zeit die obere Hälfte des Kopfes über die Waſſeroberfläche erhebend, um zu atmen und durch Schütteln das Waſſer aus den Ohren zu ſchleudern. Auch ſetzt es, wie jener, ſeine Loſung im Waſſer ab. Das erſte lebend zu uns gebrachte Zwergflußpferd dürfte wohl das Stück geweſen ſein, das Noack ſchon 1885 bei Hagenbeck ſah. Viel größer als das Zwergflußpferd iſt das Fluß- oder Nilpferd, Hippopotamus amphibius L., Vertreter der Gattung Hippopotamus L. Die äußere Körperform iſt ver— ſtändlich aus der Anpaſſung an das Waſſerleben. Dem fetten, runden, haarloſen Körper fehlen alle größeren Vorſprünge, die eine Reibung im Waſſer verurſachen könnten. Sind doch ſelbſt die Ohren ſehr klein. Der Kopf geht faſt ohne Abſatz in den dicken, fleiſchigen, muskelkräftigen Hals, dieſer ebenſo in den Körper über. Den langgeſtreckten, walzenförmigen Leib tragen, wie bei allen Waſſertieren, verhältnismäßig niedrige, plumpe Beine. An den vierzehigen Füßen ſind auch die Afterzehen weit ſtärker als bei anderen Paarhufern, wohl in Anpaſſung an das Waſſerleben, um ein breites Ruder zu bilden; außerdem ſind alle Zehen durch Schwimm— häute verbunden. Wie bei anderen Waſſertieren, Krokodilen und Fröſchen, die im Waſſer Schutz ſuchen und bei Gefahr nur Auge und Naſe über die Waſſeroberfläche erheben, ſind Augen und Naſe nicht nur ganz auf die Oberfläche des Kopfes gerückt, ſondern noch hügelartig über dieſe erhoben. Die Naſenlöcher ſind durch beſondere Muskeln verſchließbar. Außer dieſen Eigentümlichkeiten kennzeichnen den Kopf die viereckige Geſtalt ebenſo wie die unförmliche Schnauze, deren glatter und dicker, hinten auch ziemlich ſchmaler Oberteil vorn ſich verbreitert und erhebt, hierauf aber in Geſtalt der dicken Oberlippe ſeitlich tief herabfällt, das ſcheußliche Maul allſeitig deckend und ſchließend. Der Rücken iſt am Kreuze höher als am Widerriſte, in der Mitte eingebogen, der Bauch voll und rund, in ſeiner Mitte ſo tief herabgeſenkt, daß er beim Gehen auf ſchlammigem Grunde den Boden berührt, der Schwanz kurz und dünn, gegen die Spitze hin ſeitlich zuſammengedrückt; daran ſtehen kurze, drahtähnliche Borſten. 3 Im übrigen bemerkt man auf der über 2 em dicken Haut, die zumal am Halſe und vorn an der Bruſt einige tiefe Falten bildet, höchſt ſpärlich kurze, borſtenartige Haare. Durch ſich 3 * 36 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Flußpferde. kreuzende Furchen wird die Haut in ſchuppenartige Felder geteilt, die bald größer, bald kleiner find. Ihre Färbung iſt ein eigentümliches Kupferbraun, das auf der Oberſeite mehr in das Schmutzigdunkelrote, auf der Unterſeite mehr in das Hellpurpurbräunliche übergeht. Ziemlich regelmäßig geſtellte bräunliche und bläuliche Flecke geben der ſonſt einförmigen Maſſe eine gewiſſe Abwechſelung. Übrigens verändert ſich die Färbung, je nachdem das Nilpferd trocken oder naß iſt. Wenn es eben dem Waſſer entſteigt, erſcheint ſein Oberteil bräunlich— blau und der Unterteil faſt fleiſchfarben, wogegen es, wenn die Haut trocknet, dunkler, faſt ſchwarzbraun oder ſchieferfarben, oder, wenn ihm die Sonne auf den Rücken ſcheint, gleich— förmig bläulichgrau ausſieht. Sir John Kirk traf in Oſtafrika mehrmals faſt weiße und gefleckte Stücke ſowie auch ſolche an, bei denen nur die Füße weiß waren; Böhm dagegen ſah hellrotviolette. In Niederguinea ſchwankte die Färbung der von der Güßfeldtſchen Loango— Expedition beobachteten zwiſchen zart roſa, ſchmutzigrot und gelblich, bräunlich- oder graublau und dunkel ſchiefergrau. Die Haargefäße der Haut ſchwitzen, wenn das Tier ſich längere Zeit außerhalb des Waſſers aufhält oder erregt wird, eine dünnflüſſige, braunrote Abſonderung aus. Die Geſamtlänge eines vollkommen erwachſenen männlichen Nilpferdes beträgt, ein⸗ ſchließlich des 45 em langen Schwanzes, 4,2—4,5 m, bei 1,5 m Schulterhöhe. Das Gewicht der Tiere mag ſich durchſchnittlich auf 2000 —2500 kg belaufen, und bei einem alten Bullen wohl manchmal bis 3000 kg ſteigen; der Kopf eines ſolchen Rieſen wiegt allein volle 200 ke. Übrigens ſcheinen die Größenverhältniſſe nach dem Aufenthaltsort zu ſchwanken. In kleinen Flüſſen ſollen die Flußpferde, wie Rooſevelt betont, nie die Größe derjenigen erreichen, welche die großen Seen bewohnen. Das Gebiß (Taf. „Paarhufer III“, 2, bei S. 48) beſteht nach der Formel > aus 40 Zähnen. Die beiden mittleren, durch eine Lücke voneinander getrennten Schneidezähne im Unterkiefer ſind bedeutend größer als die ſeitlichen, in gewiſſem Sinne Eckzähnen zu ver: gleichen, jedoch wagerecht geſtellt, die des Oberkiefers, deren mittleres Paar durch eine noch größere Lücke getrennt wird, kleiner, gekrümmt und ſenkrecht geſtellt, die Eckzähne des Unter— kiefers, rieſige Hauer, die bis 70 em Länge und 4 kg an Gewicht erreichen können, dreiſeitig, halbkreisförmig gebogen, an der Spitze ſchief abgeſchnitten und mit tiefen Längsfurchen gezeich- net, die oberen, nach unten gerichteten merklich kürzer und ſchwächer, aber ebenfalls gekrümmt und ſchief abgeſtutzt; die Backzähne, von denen der erſte im Alter auszufallen pflegt, und die von vorn nach hinten an Größe zunehmen, ſind kegelförmig oder gefurcht, der 4. bis 6. von ihnen mit vier Höckern verſehen, deren Kauflächen bei Abnutzung kleeblattartige Zeichnungen erkennen laſſen. Das Gerippe iſt außerordentlich maſſig in allen ſeinen Teilen, der Schädel faſt vierſeitig, flach und niedergedrückt, der Hirnteil klein, die Augenhöhle vom Stirnbein und Jochbogen hoch umrandet, das übrige Knochengerüſte dick, plump und ſchwer. Unter den Weichteilen fällt beſonders der ungeheure, dreiteilige Magen auf. Ein Blinddarm fehlt. Das Nilpferd war den Alten wohlbekannt. Die Denkmäler der alten Agypter laſſen er⸗ kennen, daß zu ihrer Zeit das Tier den ganzen Nil häufig bewohnte und ſeine Jagd eine Lieblingsbeſchäftigung der Großen war. Die Bibel erwähnt es als Bewohner des Jordans unter dem Namen Behemot. Griechiſche und römiſche Schriftſteller, von Herodot an bis zu Plinius, gedenken ſeiner oft, beſchreiben es, ſo gut ſie können, und ſchildern, richtiger noch, ſeine Sitten und Gewohnheiten. Die Römer fingen es ſogar lebend, brachten es zu ihren Zirkusſpielen nach Rom, wo es ſeit dem Jahre 58 v. Chr. nicht ſelten verwendet wurde. Gegenwärtig muß man von Norden her ſchon ziemlich tief in das Innere Afrikas ein⸗ dringen, ehe man den Tieren begegnet. Namentlich am Nile ſind die altberühmten Tiere Flußpferd: Verbreitung. Aufenthalt. Lebensweiſe. 37 weit nach dem Herzen des Erdteiles und nach den Jugendländern des Stromes, „welcher ſeine Quellen verbirgt“, gezogen. Noch im Sommer des Jahres 1600 konnte der neapolitaniſche Arzt Zerenghi in der Nähe von Damiette, alſo am Ausfluſſe des einen Nilarmes, zwei Fluß— pferde in Fallgruben fangen und ſo ihre Haut erbeuten, die dann nach Rom gebracht wurde, wie früher die lebenden Vorfahren des Untieres. Heutzutage iſt das Nilpferd in ganz Agypten und auch in Nubien, wo es Rüppell noch Anfang des vorigen Jahrhunderts in ziemlich großer Anzahl traf, ausgerottet, ebenſo wie im Kaplande, wo es vor der Beſiedelung durch die Europäer häufig war. Der Stadt Chartum gegenüber liegt eine kleine, baumreiche Inſel im Weißen Strome. Auf ihr ſah ich noch im Jahre 1851 das wohlbekannte Paar „Waſſerbüffel“, das alljährlich mit der ſteigenden Flut vom oberen Gebiete herabkam, und ich habe manche Büchſenkugel vergeblich nach ſeinen Köpfen entſandt. Gegenwärtig iſt das Fluß— pferd in den meiſten größeren Gewäſſern Afrikas vom 17. Grade nördlicher bis etwa zum 25. Grade ſüdlicher Breite zu finden, geht ſogar im Südoſten über dieſe Grenze hinaus. Wohl mit Recht nimmt Schillings an, daß es länger als Elefant und Nashorn in Afrika erhalten bleiben wird, nicht etwa weil es weniger verfolgt wird, ſondern weil ein großer Teil ſeiner Aufenthalts⸗ orte — die rieſigen Sumpfgebiete im Weſten Afrikas — außerordentlich ſchwer zugänglich iſt. In anderen Gebieten freilich fügt es, nach Rooſevelt, unter Umſtänden den Pflanzungen der Eingeborenen ſo großen Schaden zu, daß es dort ausgerottet werden müßte. In Oſt⸗, Süd⸗ und Weſtafrika gehen die Flußpferde in den Gewäſſern viel weiter nach der Küſte herab als in der nördlicheren Hälfte des Erdteiles, ſchwimmen ſogar nicht ſelten ins Meer hinaus: v. d. Decken verſicherte mir, daß mehrmals Nilpferde auf Sanſibar geſehen worden ſeien, die ſelbſtverſtändlich nur von der gegenüberliegenden Küſte herübergekommen ſein konnten. Daß Flußpferde auch neuerdings noch von der Kinganimündung ſich ins Salzwaſſer begeben, berichtet Böhm, und aus dem Jahre 1904 Voſſeler von Daresſalam; in Weſt⸗ afrika beobachtete ſie v. Koppenfels mehrmals vor dem Mündungsgebiete des Ogowefluſſes, F. Hertwig erlegte eins in der Brandung an der Loangoküſte, und O. Lindner erwähnt das Auftauchen der Tiere vor der Kongomündung. Ebenſo wandern fie flußaufwärts, ſoweit es die Strömung ihnen geſtattet, find daher in dem 1940 m hoch gelegenen Tanaſee in Abeſſinien noch heimiſch. In allen Strömen, deren Waſſerſtand wechſelt, führen fie ein förmliches Wander— leben, indem ſie bei Abnahme des Waſſers aus dem oberen Flußgebiete geſellſchaftlich in das untere ziehen und umgekehrt wieder aufwärts ſteigen, wenn Regengüſſe jenen Teil des Fluß— laufes von neuem gefüllt haben. Auch kann es vorkommen, daß ſie ſich gelegentlich ſolcher Streifzüge an einem Orte, der ihnen behagt, bleibend anſiedeln, wie dies, nach Kerſten, auf der ſüdlich von Sanſibar gelegenen kleinen Inſel Mafia geſchehen iſt. Das Flußpferd iſt mehr als die meiſten anderen Huftiere an das Waſſer gebunden; denn es geht eigentlich nur ausnahmsweiſe auf das Land. Dies tut es da, wo der Strom nicht ſelbſt reich an Pflanzen iſt, regelmäßig des Nachts, der Aſung halber, ausnahmsweiſe aber auch bei Tage, um ſich auf den Sandbänken zu ſonnen. Wenige Meilen oberhalb der „Haupt⸗ ſtadt der Hölle“, wie die im Sudan Reiſenden Chartum zu nennen pflegen, ſieht man in den Schlammbänken der Stromufer häufig Spuren unſeres Tieres, tief eingeſtampfte Löcher zu beiden Seiten einer muldenartig eingedrückten Furche. Die Löcher rühren von den Beinen her, die Furche von dem auf dem Schlamme dahingeſchleppten Bauche, bis zu dem das Un— tier auf dem weichen, nachgiebigen Boden verſinkt. Die Ausſtiege an hohen, trockenen Ufern ſtehen zu der Plumpheit des Tieres in keinem Verhältniſſe; denn ſie ſind oft ſo ſteil, daß ein Menſch nur, wenn er ſich rechts und links an den Zweigen feſthält, auf ihnen emporklettern 38 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Flußpferde. kann: man begreift alſo nicht, wie es dem ſchweren Dickhäuter möglich iſt, ſolche Wege zu begehen. Von den Stiegen aus führt noch ein kurzer Gang in das Innere des Waldes; oft aber erſtrecken ſich, wie auch Böhm mitteilt, dieſe manchmal Hohlwegen gleichenden Wechſel weithin durch Wald und Savanne, ſchneiden auch große Flußbogen ab und find an den Djuv- Fällen des Lufire ſelbſt in den roten Sandſtein gehöhlt. Selous bemerkte im Maſchona⸗ lande am Umniati einen ſolchen deutlich doppelſpurigen Wechſel, der eine Stromſchnelle um⸗ ging und etwa 10 em tief in ſehr hartes kriſtalliniſches Geſtein eingeſchliffen war. Daß die Nilpferde trotz ihrer ſcheinbaren Unbehilflichkeit auch recht gut klettern können, erfuhr Berger („In Afrikas Wildkammern“) auf einer Felſeninſel des Baringoſees. Dort führte ein Wechſel auf den höchſten Felſen hinauf. Allenthalben fand ſich reichliche Loſung. Hier oben ſonnen ſich wahrſcheinlich die dicken Herren, und es muß einen merkwürdigen Eindruck machen, wenn ſo ein ſchweres Tier einer Gemſe gleich hier von ſchwindelnder Höhe ſein Reich überblickt. An günſtigen Stellen eines Gewäſſers kann der Kundige das Vorhandenſein der rieſigen Tiere bald genug entdecken. In Zwiſchenräumen von etwa 3, höchſtens 4 Minuten gewahrt man bei ruhigem Wetter irgendwo Waſſerdunſt ſtrahlartig ungefähr einen halben Meter hoch aufpuffen und vernimmt zugleich ein brauſendes Schnauben oder Schnarchen: dort iſt ſoeben ein Flußpferd aufgetaucht, um Luft zu ſchöpfen. Wenn man nahe genug iſt, kann man auch von deſſen Kopf etwas wahrnehmen: eine formloſe, rote oder bräunlichrote Maſſe, auf der man zwei Spitzen, die Ohren, und vier Hügel, die Augen und die Naſenlöcher, unterſcheidet. Mehr als den Oberteil des Kopfes wird man von einem ſich im Waſſer halten⸗ den Flußpferde ſelten zu Geſicht bekommen, und dieſen Kopf kann man, wenn man ihn zum erſten Male ſieht, leicht verkennen. Hält man ſich unter dem Winde und bleibt ruhig, ſo kann man das auf- und niederſchwimmende, im Waſſer gleichſam ſpielende Tier mühelos beobachten. Höchſt ſelten bleibt einer der Rieſen etwas länger als angegeben unter Waſſer, ohne zu atmen: die Angaben der Reiſenden, die von 10 oder 15 Minuten währendem Unter⸗ tauchen des Tieres ſprechen, entſpringen wohl unrichtigen Beobachtungen. Wenn nämlich ein Flußpferd beunruhigt iſt, kommt es ſehr behutſam zur Oberfläche, ſchiebt nur die Naſen⸗ löcher hervor und atmet ganz leiſe, ſo daß es ſehr leicht überſehen werden kann; oder es macht ſich in der Tiefe ſtill davon und ſteigt an einer anderen Stelle empor, während darauf ſtatt ſeiner vielleicht ein zweites an den erſten Ort gelangtes Stück beobachtet wird. 5 Das Flußpferd lebt geſellig; nur alte Bullen findet man einzeln. Einer Geſellſchaft genügt oft ſchon ein großer Tümpel zu längerem Aufenthalte. Bewohnen ſie engere, weniger tiefe Gewäſſer, in denen die dürre Jahreszeit viele Stellen trockenlegt, ſo bemerkt man, daß ſie den ganzen Tag über gewiſſe Plätze nicht verlaſſen. Dort haben ſie ſich auch wohl, wie v. Heuglin zuerſt beobachtete, inmitten des Flußbettes Gruben angelegt: lange, tiefe Mulden in der Richtung des Stromſtriches, in denen ſie bequem tauchen und bei Verfolgung ſich ver— bergen können. Mehrere ſolcher Mulden ſtehen zuweilen durch grabenartig eingetiefte Gang— ſtraßen untereinander in Verbindung und bilden unter Waſſer liegende Wechſel der Tiere. Iſt an einer Stelle die Weide knapp geworden, ſo zieht ſich das Nilpferd langſam nach einer anderen Stelle. Bei Tage verläßt die Geſellſchaft nur an ganz menſchenleeren Orten das Waſſer, um in der Nähe des Ufers teils auf ſeichten Stellen, teils auf dem Lande ſich zu ſonnen und einem träumeriſchen Halbſchlummer hinzugeben. Dabei zeigen die bequem dahingeſtreckten Tiere ganz die Behaglichkeit der Schweine, die ſich ſuhlen, oder der Büffel, die im Strome baden. Von Zeit zu Zeit grunzen die männlichen Tiere nach Art der Schweine, und eins um das andere erhebt den Kopf ein wenig, um zu ſichern. Sonſt bekümmern ſie ſich nicht viel r a R 3 5 Flußpferd: Lebensweiſe. Stimme. Nahrung. 39 darum, was um ſie her vorgeht, und bloß wo ſie den Menſchen und ſein furchtbares Feuer— gewehr kennen lernten, nehmen fie ſich vor ihrem Haupt-, ja alleinigen Feinde mehr in acht. Gegen Abend kommt Leben in die Geſellſchaft. Das Grunzen der Männchen wird ſtärker, und die ganze Herde taucht ſpielend auf und nieder im Strome; dann und wann beginnt ſogar ein luſtiges Jagen. Namentlich in der Nähe von Schiffen ſcheinen ſie ſich gern zu zeigen und auch Boote bei abendlichen Fahrten auf größere Strecken hin zu begleiten. Zuweilen verurſachen ſie einen Höllenlärm durch ihr Schnauben und Grunzen, Brüllen und Waſſergurgeln. Sie ſchwimmen mit erſtaunlicher Leichtigkeit in jeder Waſſertiefe, tauchen auf und nieder, bewegen ſich ruck⸗ oder ſatzweiſe, wenden ſich mit überraſchender Gewandtheit nach allen Seiten und durchſchneiden die Wellen mit dem beſten Ruderboote um die Wette. Ich habe bei ruhigem Schwimmen des Tieres niemals eine heftige Ruderbewegung bemerken können: das Waſſer bleibt glatt und unbeweglich; aber das Gegenteil findet ſtatt, wenn das Tier ſich wütend auf einen Feind ſtürzt oder nach einer Verwundung im Fluſſe umhertobt. Dann ſchnellt es die Hinter— beine überaus heftig zurück, ſchießt in förmlichen Sätzen vorwärts und bringt einen ganzen See in Aufruhr, ſo daß er hohe Wellen wirft; ja, die Gewalt ſeiner Bewegungen iſt ſo groß, daß es, wie erwieſen, mittelgroße Fahrzeuge emporheben und zertrümmern kann. Auch wenn Flußpferde, ruhig am Flußufer ſich ſonnend und ſchlafend, plötzlich aufgeſtört und erſchreckt werden, beweiſen ſie, daß ſie ſo plump nicht ſind, wie ſie ſcheinen; denn ſie ſpringen unter Um— ſtänden mit einem mächtigen Satze ſelbſt von einem erhöhten Platze aus in das Waſſer, wie Sir Samuel Baker behauptet, ſogar dann, wenn dieſes 6 m tief unter ihnen liegt, und werfen dabei Wellen auf, als ob ein kleiner Raddampfer in raſcher Fahrt die Wellen durchſchnitten habe. „Die Stimme dieſer Rieſen einigermaßen annähernd zu beſchreiben“, ſagt v. Heuglin mit vollſtem Rechte, „liegt wohl nicht in der Macht des Wortes. Sie beſteht in einem Brül— len, welches entfernt mit dem des Büffelſtieres verglichen werden kann, wird entweder in einem einzelnen gezogenen Tone oder mehrmals hintereinander ausgeſtoßen und iſt ein tiefer, weithin hallender Baß, der aus einer großen hohlen Tonne zu kommen ſcheint. Man iſt verſucht, zu glauben, daß das Brüllen der höchſten Wut und Gereiztheit Ausdruck geben ſolle, während das Tier doch ganz friedlich ſpielt. Das Gebrüll von mehreren wetteifernden Bullen, das plötzlich durch die ſtille Nacht der Einſamkeit ſchallt, verbunden mit dem Rauſchen, Blaſen und Plumpen der tauchenden Flußpferde, macht einen unendlich großartigen Eindruck, den auch die Tiere der Wildnis zu empfinden ſcheinen: denn der Schakal, die Hyäne und ſelbſt der Löwe ſchweigen und lauſchen, wenn, dem Rollen des Erdbebens vergleichbar, Behe— mots Donnerſtimme ſich über die Waſſerflächen wälzt und, vom fernen Urwalde gedämpft, auf weithin widerhallt.“ Jedenfalls übertrifft die Stimme des Flußpferdes die aller anderen Tiere an gewaltiger Kraft, wird aber in ihrer vollen Wucht verhältnismäßig ſelten gehört. In den ſeeartigen, pflanzenreichen Stellen der Gewäſſer des oberen Nils verläßt das Flußpferd auch zur Nachtzeit das Strombett nicht oder nur höchſt ſelten. Es frißt dort bei Tage und bei Nacht von den im Waſſer ſelbſt wachſenden Pflanzen. Die Hauptnahrung der Nilpferde iſt neben anderen Waſſerpflanzen der Lotos. Schilf und ſelbſt Rohr dienen unter Umſtänden ebenfalls zur willkommenen Speiſe. Ein freſſendes Nilpferd iſt eine wahrhaft ekelhafte Erſcheinung. Der ungeſchlachte Kopf verſchwindet in der Tiefe, wühlt unter den Pflanzen herum, und auf weithin trübt ſich das Waſſer vom aufgerührten Schlamme; dann erſcheint Behemot wieder mit einem großen, dicken Bündel abgeriſſener Pflanzen, das für ihn eben ein Maul voll iſt, legt das Bündel auf die Oberfläche des Waſſers und zerkaut und zermalmt es hier langſam und behaglich. Zu beiden Seiten des Maules hängen die Ranken 40 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Flußpferde. und Stengel der Gewächſe weit heraus; grünlicher Pflanzenſaft, mit Speichel untermiſcht, läuft beſtändig über die wulſtigen Lippen herab; einige halbzerkaute Grasballen werden aus⸗ geſtoßen und von neuem verſchlungen; die blöden Augen glotzen bewegungslos ins Weite, und die ungeheuren Schneide- und Eckzähne zeigen ſich in ihrer vollen Größe. Anders iſt es in den Gegenden, wo das Flußpferd ans Land gehen muß, um zu wei⸗ den. Etwa eine Stunde nach Sonnenuntergang entſteigt es, mit größter Vorſicht lauſchend und ſpähend, dem Strome; in der Nähe bewohnter Ortſchaften zieht es nach den Pflanzun⸗ gen. Hier fällt es verheerend ein und vernichtet in einer einzigen Nacht oft ein ganzes Feld. Die Gefräßigkeit des Nilpferdes iſt ungeheuerlich, und trotz der Fruchtbarkeit ſeiner Heimat kann es, wenn es nur einigermaßen zahlreich wird, zur wahren Landplage werden; denn weit mehr noch, als es wirklich zur Nahrung bedarf, zerſtampft es mit den plumpen Füßen oder knickt es um, wenn es ſich, nachdem es ſatt geworden, nach Schweineart behaglich in einer ſeichten Vertiefung hin und her wälzt. Es verzehrt alle Getreidearten und ebenſo ſämtliche Gemüſe, die im Lande gebaut werden, ſo, laut Baker, auch Waſſermelonen, von denen jede, trotzdem ſie Kürbisgröße hat, eben nur einen einzigen Biſſen ausmacht. Nach Voſſeler („Zool. Beobachter“, 1907) benutzen die Nilpferde in Deutſch-Oſtafrika auf dem Lande am liebſten. gebahnte Wege, die ſie bis zur Unbrauchbarkeit zertrampeln. Sie achten bei ihren Streifzügen beſonders darauf, Dornen und Stacheln zu vermeiden. „Auf einer langen, durch eine Sijal- agaven-Pflanzung verfolgten Spur konnte man die Vorſicht bewundern, mit der ein in der Frühe zwiſchen den Reihen wanderndes Tier den ſcharfen Blattſtacheln ausgewichen war.“ Seine Loſung, in der man niemals Aſt- und Wurzelreſte, Rinde oder andere holzige Teile findet, entleert das Tier gewöhnlich beim Ausſteigen aus dem Waſſer unter ſchüttelnder oder ſchleudernder Bewegung des Schwanzes, ſo daß die Spuren ringsum am Buſchwerke und ziemlich hoch an Baumſtämmen zu finden ſind. Auf ſeinen Weidegängen ſchadet das Flußpferd übrigens nicht bloß durch ſeine Ver— heerungen unter den Pflanzen, ſondern wird auch gelegentlich zu einem das Leben des Men— ſchen und der Tiere bedrohenden Ungetüme. Die vier gewaltigen Eckzähne der Kiefer ſind, anderen Tieren gegenüber, furchtbare Waffen: Rüppell berichtet, daß ein Nilpferd vier Zug⸗ ochſen zermalmte, die ruhig an einem Schöpfrade ſtanden. „Am Kingani“, erzählt Böhm, „wurden zwei Frauen, welche abends laut miteinander ſprechend nahe bei einigen äſenden Flußpferden vorübergingen, von einem ſich plötzlich auf ſie ſtürzenden Tiere mit einigen Biſſen ſo zugerichtet, daß der Tod beider erfolgte.“ Nicht überall werden indeſſen die Flußpferde als Tiere angeſehen, die ungewöhnlich gefährlich, weil immer zu Übeltaten aufgelegt ſind; in manchen Gebieten fürchtet man ſie nicht zu Lande, wohl aber zu Waſſer. Größere Fahrzeuge greifen fie allerdings ſelten an, leichten Kähnen aber ſpielen fie manchmal, zufällig oder ab- ſichtlich, übel mit. „Das Weſen der Flußpferde“, ſchreibt Böhm aus Oſtafrika, „iſt keineswegs immer friedfertig, wie wir es z. B. im Kingani fanden. Auf dem Ugallafluſſe verſperrten ſie uns häufig geradezu den Weg, griffen auch untertauchend und wieder emporkommend unſer Boot unmittelbar an, ſo daß wir uns ſo ſchnell wie möglich unter die Uferbüſche zurück— ziehen mußten. Einmal erhielt dabei der Kahn von dem Zahne eines daneben auftauchen- den Tieres einen gewaltigen Stoß, ſo daß er faſt gekentert wäre.“ Jeder ruhige Beobachter, der Flußpferden oft begegnet iſt und ſie auch regelrecht gejagt hat, gewinnt die Überzeugung, daß die Furcht vor ihnen zwar nicht ganz unberechtigt, aber doch allzuſehr übertrieben iſt, daß eben darum ungeſchlachte Außerungen des Übermutes, der harmloſen Spielluſt gar zu leicht als böswillige und abſichtliche Angriffe gedeutet werden. 4 | j Flußpferd: Nahrung. Schaden. Fortpflanzung. Gefährlichkeit. 41 Gewiß iſt auch das Gebaren der Tiere recht verſchieden, je nach äußeren Umſtänden, je nach ihrer beſonderen Veranlagung und Erfahrung; auch darf man annehmen, daß ihr Weſen in verſchiedenen Gebieten abweichend geartet iſt. Am gefährlichſten iſt das Flußpferd, wenn es ein Junges zu ſchirmen hat. Über die Zeugung, die Geburt der Jungen und die Dauer der Tragzeit hat man erſt in der neueren Zeit an Gefangenen Beobachtungen gemacht, da ſolche ſich ſchon häufig fortgepflanzt haben. Von der Fortpflanzung der frei lebenden Tiere weiß man nur ſo viel, daß ein Junges etwa im erſten Drittel der Regenzeit, welche die meiſte und ſaftigſte Nahrung bringt, demnach in den verſchiedenen Ländern Afrikas zu ſehr verſchiedener Zeit, geboren wird, je nachdem der Frühling der Wendekreisländer dort eintritt. Die für ihr Kind zärtlich beſorgte Mutter ſieht auch in den unſchuldigſten Dingen Gefahr; vielleicht wacht auch der Vater ſchützend über ſeinem Sprößling. Die Mutter iſt leicht zu erkennen; ſie läßt ihr Kind keinen Augenblick aus den Augen und bewacht jede ſeiner Bewegungen. Zuweilen ſpielt das ungefüge Tier luſtig mit ſeinem Lieblinge: beide tauchen ſcherzend auf und nieder und unterhalten ſich mit Brummen. Wie E. Schwarz im Amſterdamer Garten beobachtete, legt ſich die ſäugende Alte auf die Seite wie ein Schwein und ſtreckt alle viere von ſich; das Junge ſaugt ebenfalls liegend, nach Art der Ferkel. Im Waſſer tragen die Mütter ihre Kinder gewöhnlich auf dem Nacken reitend und heben ſie, damit ſie atmen können, häufiger über das Waſſer empor, als ſie ſelbſt auf— tauchen. Ob die Mütter ihre Jungen regelmäßig auch zu Lande auf dem Nacken mit ſich neh— men, iſt noch nicht feſtgeſtellt; daß es vorkommt, hat D. Hopkins wenigſtens einmal geſehen. Die blinde Wut eines gereizten Flußpferdes zeigt klar genug, daß die Jagd des Tieres ohne Feuerwaffen, die ſehr ſtarke Ladungen ſchießen, eben kein Vergnügen für Sonntags: ſchützen iſt. Leichte Büchſenkugeln haben, ſelbſt wenn ſie aus geringer Entfernung abgeſchoſſen werden, ſo gut wie keinen Erfolg. Aber nicht bloß ſehr große, ſondern auch kleinere und weibliche Tiere können dem unvorſichtigen Jäger zu ſchaffen machen, falls er nicht mit ſehr ſchwerer Büchſe ausgerüſtet iſt. „An der Mündung des Nanga in den Kuilu“, ſchreibt Pechuel-Loeſche, „ſahen wir zwei alte Bullen um die Gunſt von fünf zuſchauenden Weibchen kämpfen. Wir landeten, kochten unſer Eſſen und verzehrten es, während wir dieſe vorſintflutliche Liebeswerbung beobachteten, die nicht 200 Schritt von uns ihren ungeſtörten Fortgang nahm. Auf einer Untiefe mitten im Fluſſe tummelten ſich die beiden gewaltigen Recken, ein roſafarbener und ein ſchiefer— grauer mit nur einem Ohre, der uns von früheren Jagden her ſchon wohlbekannt war. Das Waſſer ging ihnen bis an die Schulter. Mit weit aufgeſperrtem Rachen fuhren ſie wie zwei Lokomotiven gegeneinander, biſſen und ſtießen ſich, ſchlugen ſich mit den Hinterbeinen und vollführten einen wüſten Lärm. Dann ruhten ſie aus, gingen, ſich ſtets im Auge behaltend, langſam rückwärts und nahmen wutſchnaubend einen neuen Anlauf. So folgte Gang auf Gang; keiner der Kämpfer wollte vom Platze weichen. Hin und wieder machte auch eine Kuh in übermäßiger Freude mit gekrümmtem Rücken einen wunderlichen Satz, richtete ſich kerzen⸗ gerade in die Höhe oder ſchnellte die Hinterbeine in die Luft, ganz in der drolligen Weiſe wie unſere Rinder auf dem Anger ihre Frühlingsluſt kundgeben; dann fuhr wohl auch einmal die ganze Geſellſchaft in ungeſchlachtem Spiele durcheinander. Nachdem wir wohl 2 Stunden lang bewundernde Zuſchauer geweſen waren, ſprangen wir in die Kähne, um uns an dem Kampfe zu beteiligen; denn diesmal erwarteten wir ſicher, von den wild erregten Rieſen angegriffen zu werden. Sobald aber dieſe uns kommen ſahen, zogen ſie ſich zurück; wir konnten nur einmal feuern und verloren die erhoffte Beute bald aus den Augen. Ahnlich erging es uns bei allen 42 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Flußpferde. Jagden, ſobald wir es nicht mit Tieren zu tun hatten, denen wir noch unbekannt waren. Die übrigen waren ſo ſchlau geworden, daß ſie ſich nicht ſelten dicht am Ufer unter überhängendes Buſchwerk drückten und den Jäger in unmittelbarer Nähe ganz ruhig vorüberfahren ließen. Ein alter Bulle und ſeit Jahren bekannter Einſiedler im Banya, den ich an drei Tagen jagte, ohne einen Schuß anbringen zu können, äußerte ſeinen rieſenhaften Unmut über dieſe hart⸗ näckige Verfolgung mehrmals dadurch, daß er in dem aufgewühlten Waſſer vollſtändige Purzel⸗ bäume ſchlug, die allerdings komiſch genug ausſahen. Da wir in der Niederung allenthalben zu Waſſer herumſchweiften, fühlten ſich die Flußpferde bald nicht mehr ſicher genug und zogen größtenteils in entlegene Tümpel oder in die Waſſerläufe des Gebirges. Dort fanden wir ſie nachmals in Menge zuſammengedrängt wieder, und die Eingeborenen erzählten uns, es habe eine förmliche Einwanderung ſtattgefunden. „Durchaus unwürdig eines Weidmannes und bloße Tierquälerei iſt es, vom ſicheren Standorte aus weithin nach den auftauchenden Köpfen zu ſchießen. Die unter ſpitzen Winkeln einſchlagenden Kugeln bereiten den Rieſen nur Schmerzen, ohne fie zu töten; derartig miß— handelte Tiere können nachher recht wohl einmal Unſchuldige büßen laſſen. Wer ein Fluß⸗ pferd erlegen will, der nehme eine ſchwere Büchſe und fahre auf 30 Schritt und noch näher hinan, um ſeines Schuſſes ſicher zu ſein, und ſende die Kugel dem ihn anglotzenden Ungetüme in den Augenwinkel. In der Regel iſt jedes Stück, das nicht unter Feuer verendet, deſſen Gehirn alſo vom Geſchoſſe nicht zerriſſen wird, dem Jäger verloren. Schüttelt es mit dem Kopfe, grunzt oder ſchnaubt es und taucht es ſchnell unter, ſo hat die Kugel ihren Zweck verfehlt; fährt es aber hoch aus dem Waſſer empor, manchmal nach hinten überfallend, und ſinkt es darauf langſam und bewegungslos unter, jo iſt es ſicher getötet. Ein weiteres un- trügliches Zeichen iſt das Aufſteigen großer Luftblaſen an der Stelle, wo das Tier verſank. Jeder im Waſſer getötete Hippopotamus verſinkt zunächſt, ſteigt aber gewöhnlich nach 30 bis 60 Minuten, ſpäteſtens innerhalb weniger Stunden zur Oberfläche empor.“ Außer dem Menſchen hat das Nilpferd keinen nennenswerten Feind. Der Menſch jagte es vor Einführung der Feuergewehre noch im weſentlichen nach Art der alten Agypter, mit deren Flußpferdjagden uns die Darſtellungen auf den Denkmälern wie einzelne alte Schrift⸗ ſteller, namentlich Diodor von Sizilien, vertraut gemacht haben. Die Lanze und ein entſprechend hergerichteter Wurfſpieß mit Leine und Schwimmklotz ſind heutigestags noch die einzigen Waffen, welche die Bewohner der oberen Nilländer bei der Flußpferdjagd gebrauchen. Im Maſchonalande iſt eine Jagdweiſe im Gebrauch, die an das Einhegen der Elefanten erinnert. Im Hanyanefluſſe, der bis auf verſchiedene tiefe Löcher ausgetrocknet war, fand Se: lous einen größeren, ringsum eingefriedigten Tümpel, in dem noch einige mit kleinen Bühnen verſehene Gerüſte ſtanden. Hier hatten die Eingeborenen eine Flußpferdfamilie entdeckt, ihren Tummelplatz raſch mit einem Zaune umgeben und ſie mittels dieſer unvollkommenen Vorrich⸗ tung und aufgeſtellter Wachen vom Verlaſſen des Tümpels abgehalten. Von den Gerüſten aus hatten Männer ſchwere Speere auf die Gefangenen geſchleudert, ſooft ſie in Wurfweite kamen, und durch wiederholte Verwundungen das Ende der zu Tode gehungerten Rieſen be— ſchleunigt, die trotz aller Not nicht wagten, das elende Machwerk ihrer Bedränger zu durch⸗ brechen. An einigen Stellen, wie am Weißen Nil, fängt man das Tier auch in Fallgruben. Der Gewinn der Jagd iſt nicht unbedeutend. Das Fleiſch des Ungeheuers wird geſchätzt und ebenſo wie das Feiſt überall gegeſſen. In Oſtafrika gilt das Fett als die beſte Haar⸗ und Körperſalbe. Aus der dicken Haut verfertigt man vortreffliche Reitpeitſchen, Stöcke und Schilde; die Zähne werden, laut Weſtendarp, zu vielen feinen Drechſlerarbeiten ſehr geſucht, da r Flußpferd: Jagd. Nutzen. Gefangenleben. 43 ihre Maſſe an Feinheit, Härte und Weiße das eigentliche Elfenbein noch übertrifft. Zur Ver— arbeitung ſind jedoch beſonders geſchickte Arbeiter erforderlich. Die krummen Unterkieferzähne ſind mit einem glasharten Schmelz überzogen, der ſich nicht verarbeiten läßt, ſo daß ſie abgebeizt werden müſſen, wodurch etwa ein Drittel des Gewichts verlorengeht. Den geraden Ober— kieferzähnen fehlt dieſer harte Schmelz, und ſie können daher unabgebeizt verarbeitet werden. Die Flußpferde, die wir jetzt in Europa lebend ſehen, ſind faſt ausnahmslos jung ge— fangen worden oder in Gefangenſchaft geboren. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß erſt die Mutter des jungen Tieres erlegt werden muß, bevor man daran denken kann, auf dieſes Jagd zu machen. Die blinde Anhänglichkeit des kleinen, plumpen Geſchöpfes an die Alte erleichtert aber den Fang. Der harpunierten Mutter folgt das Junge überall nach und verläßt ſelbſt deren Leichnam nicht. Man wirft ihm dann eine Harpune auf eine weniger empfindliche Stelle des Leibes oder ſucht es in einem Netze zu verwickeln und zieht es ſo an das Land. Anfangs ſucht es ſich loszureißen, ſtößt, wie ein Schwein, das geſchlachtet werden ſoll, ein gellendes, durchdringendes Geſchrei aus und macht den Leuten viel zu ſchaffen, gewöhnt ſich aber bald an den Menſchen und folgt ihm nach. Die Hottentotten ſtrichen, wie uns Sparrmann berichtet, friſch gefangenen Nilpferden mehrmals mit der Hand über die Schnauze, um ſie auf dieſe Weiſe an ihre Ausdünſtung zu gewöhnen. Das Euter der Kuh nimmt ein junges Nilpferd gern an; mit einer einzigen Saugamme iſt es freilich bald nicht mehr getan, denn der junge Rieſe verlangt ſchon nach kurzer Zeit die Milch von 2, 3 und 4 Kühen oder 8—12 Ziegen. Nach allen bisherigen Beobachtungen hält das Nilpferd die Gefangenſchaft leicht und dauernd auch in Europa aus. Wird das Tier paarweiſe an einem Orte untergebracht, wo es ſich ſeinem natürlichen Weſen gemäß bewegen, alſo bald ins Waſſer, bald aufs Trockene gehen kann, ſo darf man auch auf Nachkommenſchaft rechnen. Es nimmt mit jeder Koſt vorlieb, namentlich mit allem, was man dem Hausſchweine zu reichen pflegt. Ich ſah das erſte ge— fangene Flußpferd, das in der Neuzeit wieder nach Europa kam, in Kairo. Es hatte ſich dort ſo an ſeinen Pfleger gewöhnt, daß es ihm wie ein Hund überallhin nachlief und ſich mit Leich— tigkeit behandeln ließ. Ein Gemengſel von Milch, Reis und Kleie bildete ſeine Nahrung; ſpäter nahm es mit friſchen Pflanzenſtoffen vorlieb. Man baute zur Überfahrt einen eigenen Kaſten für das Tier und führte mehrere große Fäſſer Nilwaſſer mit, um dem Flußbewohner täglich einige Bäder geben zu können, brachte ihn auch glücklich nach London. Später gelangten zwei Nilpferde nach Paris und im Jahre 1859 die erſten beiden nach Deutſchland, wo ſie überall umhergeführt und zur Schau geſtellt wurden. Im April 1860 kamen beide Tiere nach Amſterdam, wo ſie viel von ihrer früheren Gutmütigkeit verloren. Im Herbſt 1861 zeigten fie ſich paarungsluſtig; die Begattung wurde im Waſſer vollzogen, oft nacheinander, und währte, wie bei den Pferden, nur ſehr kurze Zeit. Die Geburt erfolgte am 16. Juli 1862. Im Laufe der Zeit brachte das Paar 14 Junge, von denen aber 12 tot ge— MN 2 = > boren wurden oder bald ftarben und nur 2 aufkamen. Die Alten lebten 36 Jahre in Amſter— dam; ſie wogen bei ihrem Tode 1775 und 1755 kg. Später ſind noch öfter Nilpferde in Tiergärten geboren worden, ſo in Antwerpen, Petersburg, Berlin und Hamburg. Die Träch⸗ tigkeitsdauer wurde auf etwa 8 Monate (Heinroth, „Zool. Beob.“, 1908) feſtgeſtellt. Leider iſt die Aufzucht der Jungen ſehr ſchwierig und gelingt nicht immer, 50 man das Kind faſt nie bei der Mutter laſſen kann und es künſtlich ernähren muß; auf dieſe Weiſe iſt es mehrfach ge⸗ lungen, Junge großzuziehen. Vom zweiten Monat an beginnen dieſe ſelbſtändig zu freſſen. Wahrſcheinlich ift das Flußpferd bereits im zweiten, ſicherlich im dritten Lebensjahre fortpflanzungsfähig; es wächſt aber, wie Beobachtungen an Gefangenen unzweifelhaft dartun, 44 16. Ordnung: Paarhufer. auch nachdem es Junge erzeugt hat, noch mehrere Jahre ſtetig fort, und wenn es endlich voll— kommen erwachſen iſt, nehmen mindeſtens noch die Zähne an Länge und Umfang zu. In welcher Zeit ſeines Lebens das Greiſenalter beginnt, zu wie vielen Jahren es ſein Leben über— haupt bringen kann, weiß man nicht. Zweite Abteilung: Wiederkäuer (Ruminantia). Die Wiederkäuer, Ruminantia, die zweite Abteilung der Paarhufer, ſind gehörnte oder ungehörnte, ſchön geſtaltete oder plump gebaute, anmutige oder häßliche Säuger von außer— ordentlich ſchwankender Größe. Im allgemeinen kann man folgende Merkmale angeben: der Hals iſt lang und ſehr beweglich, der Kopf an der Stirn anſehnlich verbreitert und oft durch Hörner oder Geweihe, durch große, lebhafte Augen und durch wohlgeſtaltete, aufgerichtete Ohren geziert; die Lippen ſind beweglich, oft nackt und faſt immer ſchnurren- oder borſtenlos; der Schwanz erreicht nur ſelten die Ferſe. Ein in der Regel kurzes, dichtes, eng anliegendes und weiches Haarkleid, das ſich an Hals und Kinn, auf dem Rücken und an der Schwanz⸗ ſpitze zuweilen mähnen- und quaſtenartig verlängert, deckt den Körper. Niemals iſt es borſtig, oft aber überaus fein, wollig und kraus. Die Färbung iſt äußerſt mannigfaltig. Sehr übereinſtimmend iſt der Bau der Zähne und des Gerippes. Die Zahl der oberen Schneidezähne iſt vermindert, meiſt fehlen ſie ganz, ebenſo wie die oberen Eckzähne häufig fehlen. An Stelle der oberen Schneidezähne trägt der Zwiſchenkiefer eine knorpelige Kauplatte, die als Widerlager der unteren Schneidezähne dient. Dieſe, im ganzen 6, ſind ſpatelförmig gebaut und liegen nieder. Die Backzähne, gewöhnlich jederſeits 6 oben und unten, bilden eine geſchloſſene Reihe, und zwar find die 3 Prämolaren jeder Kieferhälfte den 3 Molaren ähnlich, wenn auch häufig einfacher als dieſe. Ihre Krone beſteht aus 4 halbmondförmigen Höckern; der letzte untere Backzahn beſitzt aber, ſowohl im Milch- als im Dauergebiß, deren 6. Die Backzähne zeigen von ſolchen mit wohlentwickelter Wurzel bis zu ſolchen, die faſt nur aus der Krone beſtehen, alle Übergänge. Am Schädel fällt das niedrige, oft ſenkrechte Hinterhaupt auf. Die Hinterhauptsbeine und das Scheitelbein ſind infolge der mächtigen Ausbildung der Stirnbeine wenig entwickelt; ſie können ganz von der Stirnfläche des Schädels auf das Hinterhaupt verdrängt werden. Dieſe Verhältniſſe, mit denen eine Knickung der Schädelachſe, welche die Schädelbaſis hinter dem Pflugſcharbein abwärts biegt, Hand in Hand geht, ſind ſyſtematiſch wichtig. Außerdem iſt das Stirnbein häufig Träger von Auswüchſen: den Hörnern oder den Geweihen. Augen und Schläfengruben ſind durch eine Knochenbrücke geſchieden, die vom Stirnbein und Joch— bein gebildet wird. Oberkiefer und Naſenbein ſind häufig durch eine Lücke, die Geſichtslücke, getrennt. In der Wirbelſäule fallen die ungewöhnlich langen, ſchmalen, beweglichen Hals— wirbel auf. Die Rippen ſind ſehr breit; das Schulterblatt iſt wenigſtens doppelt ſo hoch als breit, der Oberarm kurz und dick, die Handwurzel ſchmal und hoch. Mittelhand und Mittel- fuß beſtehen aus je einem ſtark verlängerten Knochen, der ſich urſprünglich aus zweien zu— ſammenſetzte, dem Kanonenbein. Bei allen Wiederkäuern ſind nur zwei Zehen, die dritte und vierte, vollkommen entwickelt. Der Mund zeichnet ſich durch ſtarke Lippenmuskeln und innen durch zahlreiche Warzen aus. Sehr zahlreich find Geſichtsdrüſen, beſonders in der Augen⸗ gegend, von denen eine vor dem Auge gelegene häufig vorkommt und fälſchlich als Tränen— drüſe bezeichnet wird; ſie ſoll hier Voraugendrüſe genannt werden. Die Speicheldrüſen ſind anſehnlich groß. Der Magen beſteht aus mindeſtens drei, meiſt vier verſchiedenen Teilen: Wiederkäuer: Allgemeines. 45 dem Panſen oder Wanſt, dem Netzmagen oder der Haube, Mütze, dem Blättermagen, Mittel— 4 magen, auch Buch, Kalender, Pſalter oder Löſer genannt, und dem Lab, Fett- oder Käje- magen. Erſterer ſteht mit der Speiſeröhre, letzterer mit dem Darmſchlauch in Verbindung. Der Panſen, der durch ein Muskelband in zwei Abteilungen getrennt wird, nimmt das grob zerkaute Futter auf und ſtößt es in kleinen Mengen in den Netzmagen hinüber, deſſen gitter— artige Falten es vorverdauen und in Kügelchen formen, die ſodann durch Aufſtoßen wieder in den Mund hinauf gebracht, hier mittels der Mahlzähne verarbeitet, gründlich eingeſpeichelt Rund zwiſchen zwei eine Rinne bildenden Falten der Sſpeiſeröhre in den Blättermagen hinabgeſandt und von dieſem endlich dem Labmagen zugeführt werden. Der Blinddarm iſt ſehr kurz, eine Gallenblaſe fehlt den Kamelen, Hirſchen, Schopfantilopen und bis— weilen den Giraffen. Bei den Unterordnungen der Kamelartigen (Tylopoda) und der Zwergmoſchustiere (Traguloi- dea), die in der Gegenwart nur je eine Familie ent» halten, iſt der Magen noch nicht in der eben beſchriebe— nen Weiſe ausgebildet; er beſteht nur aus drei Teilen, da ein ſelbſtändiger Blättermagen kaum entwickelt iſt. Die vollen 4 Abteilungen des Magens zeigt erſt die Unteroronnng der Pecora; fie hat auch unter allen lebenden Wiederkäuern die größte Verbreitung und iſt bei weitem am reichſten an Arten und Familien. Wild lebende Wiederkäuer fehlen nur in Auftra= lien, auf Madagaskar und den Antillen. Faſt alle ſind ſcheue, flüchtige, friedliche, leiblich ſehr wohl— aausgerüſtete, geiſtig beſchränkte Tiere. Viele leben in Herden, alle in Geſellſchaften. Die einen bewoh— nen das Gebirge, die anderen die Ebenen; keine ein⸗ zige Art hauſt eigentlich im Waſſer, wohl aber ziehen Magen des Rindes: P von außen und 2) geöffnet. ini 1 16 > I S Speiſeröhre, P Panſen, N Netzmagen, R Rinne, in einige die Sumpfniederungen den trockenen Ebenen der die wievergefäute Nahrung zum Blättermagen B WW¹ĩwC1 . V zen. Sie lieben Gras, Kräuter, Blätter, junge Triebe getauten, die punktierte den der wiedergekäuten Nah⸗ und Wurzeln, einzelne auch Körner, andere Flechten. duns an. Ba Aae 2 810 et Das Weibchen wirft gewöhnlich nur ein Junges, jeltener deren zwei und bloß ausnahmsweiſe drei bis ſechs (beim Chineſiſchen Waſſerreh, Hy- dropotes inermis Swinh.). Mit dieſer geringen Zahl hängt wohl die Größe zuſammen, in der die Jungen zur Welt kommen. Hierin liegt ein beachtenswerter Unterſchied zu den mehr— gebärenden Schweinen. Die meiſten Wiederkäuer nützen, gezähmt wie im wilden Zuſtande, mehr, als ſie ſchaden, wenn auch einzelne Arten da, wo die Bewirtſchaftung des Bodens eine gewiſſe Hohe erreicht hat, nicht mehr geduldet werden können. Von den wild lebenden wie von den zahmen werden Fleiſch und Fell, Horn und Haar aufs vielſeitigſte verwendet; die Wiederkäuer liefern, wie bekannt, den größten Teil unſerer Kleidung. Als Haustiere zeigen ſie ſich zwar nicht klug, aber folgſam, geduldig und genügſam und werden deshalb dem Menſchen geradezu unentbehrlich. Die meiſten wild lebenden bilden einen Hauptgegenſtand der Jagd. 46 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Kamele. Reſte von Wiederkäuern fand man bisher zuerſt in den Ablagerungen der Tertiärzeit, und zwar vielfach Arten, die gegenwärtig noch lebenden Formen naheſtehen. 2. Unterordnung: Schwielenſohler (Tylopoda). Die in der Vorwelt weitverzweigte und weitverbreitete Unterordnung der Tylopoda (Cameloidea) oder Schwielenſohler enthält in der Gegenwart nur eine Familie, nämlich die der Kamele (Camelidae). Es ſind große bis ſehr große Säugetiere, äußerlich gekenn- zeichnet durch den langen, ſchlanken Hals, den hornloſen Kopf mit der ſehr beweglichen, ge— ſpaltenen Oberlippe, freie Schenkel, zweizehige Füße ohne Afterklauen, deren Endglieder Nägel tragen, und das mindeſtens im Winter lange, zottige Fell. In eigenartiger Weiſe vereinigen die Schwielenſohler primitive und vorgeſchrittene Eigenſchaften. Der langgeſtreckte, hornloſe Schädel erinnert mit ſeiner geraden, nicht geknickten Achſe, ſeinem kurzen, hohen Zwiſchenkiefer und ſeinen ſtark vorſpringenden Augenhöhlen an den der Pferde. Im Gebiß iſt noch ſtets im Oberkiefer 1 Eckzahn und, abweichend von allen übrigen Wiederkäuern, 1 eckzahnähnlicher Schneidezahn vorhanden. Der untere Eckzahn hat kegelförmige Geſtalt und iſt von den Schneidezähnen getrennt. Das Milchgebiß ent- hält ſogar noch 3 Schneidezahnpaare im Zwiſchen⸗ kiefer. Der Magen beſteht eigentlich nur aus drei Abteilungen, indem der Mittelmagen röhrenförmig und äußerlich nicht vom Labmagen abgeſetzt iſt. SEEN : — Innerlich finden ſich an deſſen Stelle nur einige Blät- an aus. enden un Ser eg ele, ker. Der Panſen (Rumen) enthält an der Innen- e Negmagen; h feine Verbindung mit den Panfen; fläche eine Reihe von Bläschen, von denen man an- i Schlundrinne; k k röhrenförmiger Mittelmagen; 1 Sabmagen; m Pförtner; n Darn. Aus Hilz- nimmt, daß ſie zum Aufbewahren des Waſſers die- heimer und Haempel, „Handbuch der Biologie 5 er 5 der Wirbeltiere“, Stuttgart 1913. nen und es ſo den Kamelen ermöglichen, lange zu durſten. Merkwürdigerweiſe beſitzt aber der Magen der Pekaris, der mit dem der Kamele überhaupt auffallend übereinſtimmt, ähnliche Bläschen. Dieſen primitiven Merkmalen ſteht als ſehr vorgeſchritten der Fußbau gegenüber. Nicht nur äußerlich ſind alle Seitenzehen geſchwunden, ſondern es fehlt auch jede Spur eines Reſtes von Knochen, wie ſolche beiſpielsweiſe das Pferd noch in den Griffelbeinen beſitzt. Abweichend aber von allen anderen Paarhufern wird nicht das Nagelendglied allein, ſondern dieſes und das vorhergehende Glied vollſtändig aufgeſetzt. So iſt denn das Endglied von keinem eigent— lichen Huf umſcheidet, ſondern nur von einem kleinen Nagel mit gekrümmter Hornwand be- kleidet. Um nun das gewaltige Körpergewicht tragen zu können, war eine breite Sohlen- fläche nötig. So erhielt der Sohlenballen jene Ausbildung, deren Federung und Fähigkeit der Verbreiterung die Tiere beſonders zum Gehen auf Wüſtenſand geeignet macht, und die ihnen den deutſchen Namen Schwielenſohler eingetragen hat. Sonſt iſt vom Bau der Schwielenſohler noch zu bemerken, daß ihnen die Gallenblaſe fehlt, und daß ſie einzig und allein von allen Säugetieren Blutkörperchen von ovaler Form beſitzen. Im Pleiſtozän waren die Schwielenſohler weitverbreitet. Sie bewohnten ganz Amerika, Aſien, Südoſteuropa und Nordafrika. Als urſprüngliche Heimat der Kamele muß Nordamerika gelten. Hier können wir ihre Stammesgeſchichte in einer bemerkenswerten Vollſtändigkeit Allgemeines. 47 verfolgen, von jenem haſengroßen, noch mit vollſtändigem Gebiß verſehenen, vierfingerigen Pro— : tylopus Wortm. des Obereozäns bis zur heutigen Gattung Camelus, die zuerſt im Pleiſtozän 3 Nordamerikas erſcheint, hier aber bald ausſtirbt, jedoch zuvor nach Aſien Vertreter geſchickt hatte. Die Vorfahren der Gattung Lama waren ſchon früher, wohl im Pliozän, nach Süd— amerika gelangt. Heute bilden Afrika, Mittel- und Südweſtaſien und Südweſtamerika das Verbreitungsgebiet der Camelidae. Die wenigen Arten ſind in der Alten Welt faſt gänzlich, in der Neuen teilweiſe zu Haustieren geworden. Hier bewohnen ſie das Hochgebirge bis zu 4000 m über dem Meeresſpiegel, dort befinden fie ſich in den heißen, trockenen Ebenen wohl. Gräſer und Kräuter, Baumblätter, Zweige, Diſteln und Dornen dienen ihnen zur Nahrung. Sie ſind genügſam in hohem Grade und können lange hungern und durſten. Ihr Gang iſt ein Paß und ihr Lauf, obwohl er trefflich fördert, ſchwankend und ſcheinbar unbeholfen. Die wilden Arten leben in Herden; alle lieben Geſelligkeit. Ihr geiſtiges Weſen ſteht auf ziemlich tiefer Stufe. Man kann ſie nicht ſanfte, gutmütige, kluge und geduldige Tiere nennen, obwohl ſie ſich mit einer ge— wiſſen Entſagung leicht unter das Joch des Menſchen beugen laſſen und ſeine Herrſchaft anerkennen. Das Weibchen wirft nur ein einziges Junges; dieſes wird von der Mutter nicht trocken geleckt, eine Beſonderheit, die, nach Wunderlich, alt— und neuweltlichen Cameliden eigen iſt. — en zen 7 Bei den zwei lebenden Gattungen miſchen ſich primitive und fortgeſchrittene Merkmale in verſchiedener Weiſe. Mit der Gebißformel 5, erſcheint die Gattung der Kamele Be” = a (Camelus I.) gegenüber den Lamas, die den erſten oberen Vorderfuß vom Kamel. M Mittel: Backzahn verloren haben und zum Ausfall des vorderſten Kalten O Horrselle is gilgpeimee unteren neigen, z. B. in dieſer Hinſicht primitiver, hinſichtlich e Se , Stan 161 des Fußbaues fortgeſchrittener, mit den breiten Füßen, deren beide Finger faſt vollſtändig zu einem gemeinſchaftlichen, breiten, federnden Kiſſen verbunden ſind. Auch der Körpergeſtalt nach find die Kamele fortgeſchrittener mit ihrer bedeutenderen E Größe und ihren ein oder zwei Rückenhöckern. Ihre Geſtalt ift unſchön und namentlich der Kopf mit den kleinen Ohren auffallend häßlich, das Haarkleid ſehr ungleich, an einigen Stellen verlängert, im ganzen aber wollig; an der Bruſt, am Ellenbogen, an den Knien und Knöcheln finden ſich ſchwielige Stellen. Man kennt zwei Formen, von denen die eine, das Dromedar, vorzugsweiſe Afrika, die andere, das Trampeltier, hauptſächlich Aſien bewohnt. Ob man beide als verſchiedene Arten oder das Dromedar als Zuchtform des Trampeltieres anſehen will, x hängt von der verſchiedenen Auffaſſung ab. Beſonders ſeit Lombardini durch Unterſuchung des Keimlings eines Dromedars gezeigt hatte, daß die erſte Anlage des einen Höckers eine dop— pelte ſei, war die zweite Anſicht die allgemein herrſchende geworden. Unterſtützt wurde fie durch das Fehlen jeder älteren Nachricht aus Agypten. Dazu kam die Entdeckung wilder Trampel⸗ tiere in Zentralaſien. Aber es ſind neuerdings Tatſachen bekanntgeworden, welche verſchie— dene Autoren, wie O. Keller und Hilzheimer („Zool. Annalen“, 1912), die ältere Anſicht von der artlichen Trennung beider Kamele wieder aufnehmen ließen; namentlich der letztere tritt ſehr dafür ein. Folgende Erwägungen ſind dabei maßgebend. Eine Verſchmelzung der beiden Höcker konnte auch von einem wilden Dromedar erworben werden. Es gab, wie Foſſilfunde erweiſen, in Nordafrika unzweifelhaft wilde Kamele, von denen eins aus Algier als Camelus n neee 48 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Kamele. dromedarius fossilis Ihomds beſchrieben worden iſt, das dem lebenden Dromedar ſehr nahe ſtand. Um 120 v. Chr. erwähnte Agatharchides, ein ſehr gewiſſenhafter Schriftſteller, wilde Kamele in Arabien. Freilich können das verwilderte geweſen ſein, doch kann man dasſelbe von den heute noch wild lebenden Trampeltieren Inneraſiens annehmen. Nach ſehr eingehen— den vergleichenden anatomiſchen Unterſuchungen ſpricht ſich Lesbre gegen eine unmittelbare Verwandtſchaft von Dromedar und Trampeltier aus. Beide zeigen Beziehungen zu dem plio— zänen indiſchen Camelus sivalensis Falc. Caut., dem aber das Dromedar etwas näher ſteht. Dazu kommen noch Nachweiſe hiſtoriſcher Art, die zeigen, daß das Dromedar in der Südoſtecke des Mittelmeeres ſehr alt iſt. Cesnola erwähnt Kamelreſte unter den ältejten Kulturen Cyperns, und eine Tonſtatuette aus der Steinzeit zeigt, daß es ſich um Dromedare handelte. Wahrſcheinlich gehört auch das in dem prähiſtoriſchen Pfahlbau Nipad bei Bihas gefundene Schienbein eines Kamels derſelben Zeit an oder dürfte nur wenig jünger ſein. Aus Agypten ſind neuerdings zwei Kameldarſtellungen bekanntgeworden, ein Kopf aus Abydos und die Kalkſteinſtatuette eines liegenden, anſcheinend beladenen Dromedars aus Abuſir-el-Meleg. Beide gehören der Zeit der erſten Dynaſtien, alſo etwa 3000 v. Chr., an. Dann verſchwindet das Kamel vollſtändig aus Agypten. Erſt zur Zeit der Ptolemäer kamen wieder Kamele nach Agypten. Seitdem haben ſie ſich allerdings nicht nur dort ſelbſt eingebürgert, ſondern auch ganz Nordafrika erobert. Um 1000 herum waren Kamele in Syrien, wo ſie die Bibel als längſt einheimiſch erwähnt, gut bekannt; unbekannt dagegen waren fie im Norden davon, in 9 ; Kleinaſien, damals noch mindeſtens 300 Jahre lang, bis zur Schlacht am Halys 546 v. Chr., wo Cyrus den Kröſus mit Hilfe der den Lydiern bis dahin unbekannten Kamele beſiegte. Das Zweiſtromland, auf deſſen Denkmälern, nach einer gütigen Mitteilung Prof. Meißners, etwa jeit Tiglat Pileſar I. (um 1100 v. Chr.) Kamele erſcheinen, erhielt zuerſt Trampeltiere. Wenn es auch nicht feſtſteht, woher dieſe ſtammen, ſo kamen doch die ſpäter eingeführten faſt ſtets aus Medien oder wenigſtens dem Norden. Dromedare, die eine andere aſſyriſche Bezeichnung führen als die Trampeltiere, ſcheinen, nach Meißner, nicht vor 854 im Zweiſtromland nach— weisbar zu ſein. Sie treten immer nur in Verbindung mit Arabern auf. In Arabien können wir wohl die Heimat des Dromedars vermuten. Die Wiege des zahmen Trampeltieres liegt da— gegen höchſtwahrſcheinlich in Zentralaſien, aber wo dort, iſt ſchwer zu ſagen. Jedenfalls dürfen wir ſie nicht zu weit nördlich anſetzen. Nach Anau in Turkeſtan iſt das Kamel, zufolge Duerſts Unterſuchungen, erſt zur Kupferzeit, und zwar als Haustier, gekommen. Auch als wildes Tier hat es vorher dort nicht gelebt. Und die aus Zentralaſien gekommenen Hunnen, Avaren, Ungarn, Kumanen und Bulgaren hatten, nach E. Hahn, merkwürdigerweiſe ebenfalls keine Kamele. So iſt alſo mehr als wahrſcheinlich, daß Trampeltier und Dromedar getrennt in den Haus— ſtand des Menſchen übergeführt wurden, und ſie kamen, wohl erſt nach längerer Trennung, zuerſt zuſammen im Zweiſtromland, infolge der Völkerbewegungen, die von Nordoſten und Südweſten in das fruchtbare Gelände von Euphrat und Tigris führten. Im großen ganzen hat aber jede Art ihr urſprüngliches Gebiet bewahrt. Wo die Wohngebiete übereinander— greifen, werden beide Formen auch gekreuzt. Die Verbreitung der Kamele iſt, nach Lehmann, vorwiegend abhängig von der Verbrei— tung ihrer Futterpflanzen, von Feuchtigkeit und Temperatur. Namentlich die der Wüſte und Steppe angepaßten Salzpflanzen ſind es, die ſie zur Nahrung unbedingt brauchen. An erſter Stelle iſt der Agol (Alhagi) zu nennen, der in verſchiedenen Arten auf den wüſten Flächen Inneraſiens und der Sahara wächſt, ein niedriges Geſträuch mit zu Dornen verkümmerten Blättern. Ebenſo beliebt iſt der Saxaul (Haloxylon), ein Baum, deſſen Blätter kleine Paarhufer II. 1. Zwergflußpferd, Choeropsis liberiensis Mort. 1/20 nat. Gr., s. S. 34. — P. Kothe-Berlin phot. 2. Slußpferd, Hippopotamus amphibius Z., mit aufgeiperrtem Rachen. 1/30 nat. Gr., S. S.36. — W. P. Dando-London phot. 3. Bepackte Trampeltiere. S. 57-59. — Nach Photographie. S. 49 fl. — Nach Photographie aus den Beständen der „Deutschen Kolonialzeitung“. 6. Dromedar, Camelus dromedarius L. 1/40 nat. Gr., s. S. 49. Berliner Illustr.-Ges. m. b. H. phot. Allgemeines. Dromedar. 49 Schüppchen ſind, ſo daß er eigentlich nur aus Holz beſteht. Dieſes iſt hart und ſchwer und wegen des eingelagerten Salzes ſehr ſpröde. Dazu kommen der auch von den Giraffen ge— noſſene Kameldorn (Acacia giraffae), Tamarisken, Artemiſien und ähnliche Pflanzen. Aber die Kamele freſſen dieſe harten, dornigen Geſtrüppe nicht etwa nur, weil die Wüſte keine an— deren bietet, ſondern weil ſie ihnen zuſagen; mehr als einmal erzählt Prſchewalſky, daß er an den ſchönſten und üppigſten Alpenmatten vorübergezogen wäre, auf denen die Kamele doch nicht genügendes Futter gefunden hätten. Ebenſo iſt es im Süden, wo das Kamel die ſchönſten Wieſen verſchmäht. Trotzdem iſt das Gebiet des Kamels nicht ſo weit ausgedehnt wie das ſeiner Futterpflanzen. Als Hinderniſſe treten einer größeren Verbreitung Temperatur und Feuchtigkeit entgegen. Hinſichtlich der Temperatur verträgt das Kamel zwar ganz ge— waltige Kälte wie Hitze, offenbar nicht aber eine gleichmäßig warme Temperatur, es ſcheint vielmehr eine ziemlich große jahres- und tageszeitliche Veränderlichkeit zu verlangen. Empfind⸗ licher zeigt es ſich gegen die Feuchtigkeit. Nach Lehmann iſt „dem Vorkommen des Kamels überall dort eine Grenze geſetzt, wo der in der Luft enthaltene Waſſerdampf im Monatsmittel eine Spannkraft von mehr als 11—12 mm erreicht“. Das Dromedar oder Einhöckerige Kamel, Camelus dromedarius L. (Taf. „Paar— hufer III/ 4 u. 6), ein gewaltiger Wiederkäuer, erreicht im Durchſchnitt 2—2,3 m Höhe und von der Schnauzenſpitze bis zum Schwanzende 3— 3,3 m Länge. Obgleich nicht jo reich an Raſſen wie das Pferd, zeigt doch auch das Kamel ſehr erhebliche Abänderungen. Im allgemeinen kann man ſagen, daß die Kamele der Wüſten und Steppen ſchlanke, hochgewachſene, langbeinige Geſchöpfe, die der fruchtbaren Länder dagegen, namentlich die in Nordafrika einheimiſchen, plumpe, ſchwere Tiere find. Zwiſchen einem „Biſcharin“, einer Raſſe, die von den Biſcharin— komaden gezüchtet wird, und dem ägyptiſchen Laſtkamele macht ſich ein ebenſo großer Unter— ſchied bemerklich wie zwiſchen einem arabiſchen Roſſe und einem Karrengaul. Das erſtgenannte Kamel iſt das vorzüglichſte Reittier, das letztere das kräftigſte Laſttier unter allen. Der Araber unterſcheidet mehr als 20 verſchiedene Raſſen der Wüſtenſchiffe; er ſpricht auch beim Dromedar von edlen und unedlen Tieren. Der Kopf iſt ziemlich kurz, die Schnauze aber geſtreckt und aufgetrieben, der ſtark erhabene Scheitel gerundet und gewölbt; die Augen, deren länglichrunder Stern wagerecht liegt, ſind groß und von blödem Ausdruck, die Ohren ſehr klein, aber beweglich und ſtehen weit hinten am Schädel. Die Oberlippe überhängt die Unter: lippe, die ihrerſeits aber auch nach unten fällt, gleichſam, als ob die Maſſe den Muskeln zu ſchwer wäre. Bei ſchneller Bewegung des Tieres ſchwingen die häßlichen Lefzen beſtändig auf und nieder. Wenn man ein Kamel von vorn anſieht, zeigen ſich die Lippen faſt immer ge— öffnet und die Naſenlöcher ſeitlich zuſammengezogen. Dieſer Verſchluß der Naſenlöcher iſt natürlich eine Schutzeinrichtung gegen das Eindringen von Sand in die Atmungsorgane wäh— rend der Sandſtürme in der Heimat der Tiere. Am Hinterhaupte befinden ſich eigentümliche Abſonderungsdrüſen, die mittels zweier Ausführungsgänge unmittelbar auf der Hautober— fläche münden und beſtändig, vornehmlich aber während der Paarungszeit, eine widerwärtig riechende, ſchwarze Flüſſigkeit abſondern. Der Hals iſt lang, ſeitlich zuſammengedrückt, in der Mitte am dickſten, der Leib bauchig und eigentlich nach allen Seiten hin zugerundet. Die Rückenlinie ſteigt von dem Halſe an im Bogen nach oben, bis gegen den Widerriſt hin, und erhebt ſich dort ſehr ſteil zu der Spitze des Höckers, von wo aus ſie nach hinten wieder jäh abfällt. Der Höcker ſteht aufrecht, wechſelt aber im Laufe des Jahres bedeutend in ſeiner Größe. Je reichlichere Nahrung das Kamel hat, um ſo mehr erhebt ſich ſein Höcker, der aus Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 4 50 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Kamele. einer ſehnig-talgigen Maſſe beſteht und ſozuſagen eine Fettſammelſtelle iſt; je dürftiger dem Tiere die Koſt zugemeſſen wird, um ſo mehr fällt er zuſammen; am Skelett iſt nichts von ihm zu ſehen. Bei vollen, gut genährten Tieren hat er die Geſtalt einer Pyramide und nimmt mindeſtens den vierten Teil des Rückens ein, bei recht mageren verſchwindet er faſt gänzlich. Zur Regenzeit, die reichlicheres Futter bringt, wächſt der während der dürren Hungermonate kaum ſichtbare Höcker erſtaunlich raſch an, und ſein Gewicht kann dann bis auf 15 kg ſteigen, während es im Gegenteil auch auf 2 oder 3 kg herabſinken kann. Die Beine ſind ſchlecht geſtellt, und namentlich die Hinterſchenkel treten faſt ganz aus dem Leibe heraus, vermehren dadurch alſo das unſchöne Ausſehen des Tieres. Die ziemlich langen und breiten Zehen werden von der Körperhaut bis gegen die Spitze hin umhüllt und ſcheinen gleichſam an ihr angeheftet zu ſein; ihre Trennung iſt auf der oberen Seite des breiten, ſchwieligen Fußes durch eine tiefe Furche angedeutet; unten buchtet ſich der Fuß wie ein Kiſſen ein und rundet ſich nur vorn und hinten. Die Fährte, die das Tier hinterläßt, iſt ein länglichrunder Abdruck mit zwei Ein= ſchnürungen und zwei von den Zehen herrührenden, ſpitzigen Ausbuchtungen nach vorn. Der dünn bequaſtete Schwanz reicht bis zum Ferſengelenke hinab. Das Haar iſt weich, wollig und auf dem Scheitel, im Nacken, unter der Kehle, an den Schultern und auf dem Höcker auf— fallend verlängert, am Schwanzende aber verdickt. Eigentümlich ſind noch die Schwielen, die ſich auf der Bruſt, dem Ellbogen und dem Handgelenk, an Knien und Ferſengelenken finden und mit dem Alter an Größe und Härte zunehmen. Die Bruſtſchwiele tritt als eigentümlicher Höcker weit über die andere Haut hervor und bildet eine förmliche Unterlage, auf welcher der Körper ruht, wenn das Tier ſich niederlegt. Die Färbung des Tieres iſt eine ſehr unbeſtändige. Am häufigſten findet man aller: dings licht jandfarbene; doch gibt es auch graue, braune und ganz ſchwarze Kamele oder ſolche mit blaſſen oder lichteren Füßen, niemals aber geſcheckte. Die Araber halten alle ſchwarzen Kamele für ſchlechtere, wertloſere Tiere als die lichteren und pflegen ſie deshalb ſchon in früher Jugend zu ſchlachten. Jüngere Tiere unterſcheiden ſich von den älteren durch das weiche Woll— haar, das ſie am ganzen Körper deckt, ſowie auch die anmutigere, runde Geſtalt; denn das Kantig-Eckige tritt erſt mit zunehmendem Alter deutlich hervor. Gegenwärtig kennt man das Dromedar bloß als Haustier, und zwar in allen Ländern Afrikas vom Mittelländiſchen Meere bis etwa zum 12. Grade, im Somalilande bis zum 5. Grade nördl. Breite ſowie im ſüdweſtlichen Aſien. Vom äußerſten Oſten aus, von Buchara und Turkmenien, wo das Zweihöckerige Kamel aufzutreten beginnt und, nach A. Walter, hoch— geſchätzte Blendlinge beider Arten vorkommen, iſt es durch Perſien, Kleinaſien, Syrien, Ara— bien und den Norden Afrikas bis zum Atlantiſchen Ozean verbreitet. Es findet ſich aber auch auf den Kanariſchen Inſeln und iſt nach Auſtralien, Nordamerika, Italien und Südſpanien eingeführt worden. In den trockenen Landſtrichen Nordindiens fühlt es ſich ganz wohl. Auf der Inſel Sanſibar ſind, laut Hans Meyer, Dromedare in den Olmühlen des Sultans beſchäftigt, leiden aber ſehr unter dem Klima. In Europa kommt das Dromedar außerdem in den pontiſchen Steppen Südrußlands, der Dobrudſcha und an einigen Punkten der Bal— kanhalbinſel, wie Saloniki, Lamia, Amphiſſa, vor. Hier findet es ſich neben dem Trampel— tier, das dort wohl das häufigere von beiden iſt. Das Dromedar iſt eigentlich ein Wüſtentier und befindet ſich bloß in den trockenſten und heißeſten Landſtrichen wohl, während es im angebauten und feuchten Lande ſein urſprüng— liches Weſen verliert. In Agypten hat man, wahrſcheinlich durch das reichlichere Futter, nach und nach ſehr große und ſchwere Kamele gezüchtet; aber dieſe haben mehrere der ſchätzbarſten Dromedar: Verbreitung. Nahrung. 51 Eigenschaften, Leichtigkeit ihres Ganges, Ausdauer und Enthaltſamkeit, verloren und werden deshalb von den Arabern der Wüſte gering geachtet. In den Aquatorländern Afrikas aber, wo die Pflanzenwelt reicher wird, kommt das Kamel nicht mehr fort. Vielfache Verſuche, mit ihm nach dem eigentlichen Herzen von Afrika vorzudringen, ſind geſcheitert. Innerhalb ſeines Verbreitungskreiſes gedeiht das Tier vortrefflich; weiter ſüdwärts gebracht, wird es ſchwächlich und erliegt ſchließlich bei dem reichlichſten Futter: es kann die feucht-heißen Landſtriche nicht ertragen. Wir wiſſen überdies durch Nachtigal, daß ſich ſelbſt in Afrika die Dromedare kaum akklimatiſieren, wenn fie aus den gewohnten Gegenden in anders geartete verſetzt werden. So verkommt das viel ſtattlichere Kamel der ſüdlichen Teile der Wüſte in den nördlichen Teilen Afrikas, und das von hier nach dem Süden geführte geht im Gebiete des Tſchad uſw. wäh— rend der nächſten Regenzeit ziemlich ſicher zugrunde oder wird doch bald unbrauchbar. Trotzdem iſt es gelungen, Kamele auch außerhalb ihres eigentlichen Wohngebietes anzu— ſiedeln, wenn ſie dort nur geeignete Bedingungen fanden, während ſie an ungeeigneten Plätzen, wie Java, wohin man ſie in der Mitte des vorigen Jahrhunderts einzuführen verſuchte, an dem feucht⸗heißen Tropenklima zugrunde gehen mußten. Einer der am beſten geglückten An— ſiedelungsverſuche war der durch Ferdinand II. von Medici 1622 in der ſandigen Ebene von San Roſſore in Toskana, wo heute noch Dromedare gezüchtet werden. Von den verſchiedenen Verſuchen, Kamele in Amerika einzubürgern, iſt der 1856 von den Vereinigten Staaten in Texas, Arizona, Neumexiko unternommene inſofern bemerkenswert, als die Tiere dort nicht Haustiere blieben, ſondern völlig verwilderten und ſich in wildem Zuſtande vermehrten und bis auf den heutigen Tag erhalten haben. Vortrefflich haben ſich, nach Robert Müller, die Kamele an das Klima Auſtraliens angepaßt. Das Dromedar wird hier beſonders in Weſt— auſtralien benutzt, wo es den Verkehr zwiſchen den Hafenplätzen und den waſſerarmen Steppen vermittelt, in denen nach Gold geſucht wird. Eine Zukunft hat das Dromedar wohl auch in Südweſtafrika. Nach anfänglichen Mißerfolgen ſcheinen jetzt die dort ſeiner Zucht entgegen— ſtehenden Schwierigkeiten überwunden zu ſein. Im ganzen Norden und Oſten Afrikas wird das Dromedar in großer Menge gezüchtet. Unzählige ſind auf den großen Wüſtenſtraßen zwiſchen den Nigerländern und dem Norden Afrikas in Bewegung. Die Anzahl der Kamele, die jährlich an den Wüſtenſtraßen zugrunde gehen, läßt ſich nicht berechnen; wie groß ſie aber iſt, kann man am beſten erſehen, wenn man ſelbſt durch die Wüſte reiſt. In der Nubiſchen Wüſte ſowohl als in der Bajuda fand ich am Ein⸗ und Ausgange der vorhin genannten Straßen auf viele Meilen hin ein Kamelgerippe ſo dicht neben dem anderen, daß die Straße durch die weiß gebleichten Knochen vollkommen bezeichnet wurde. Die Wüſte iſt nicht bloß die Heimat und der Geburtsort, ſondern auch die Sterbeſtätte und das Grab des Kamels; die wenigen, die geſchlachtet werden, kommen gegen die, welche auf ihren Berufswegen verenden, kaum in Betracht. Das Kamel nimmt ſeine Nahrung einzig und allein aus dem Pflanzenreiche und iſt dabei durchaus nicht wähleriſch. Man darf wohl behaupten, daß gerade ſeine Genügſamkeit ſeine größte Tugend iſt: das ſchlechteſte Futter genügt ihm. Wenn es die dürrſten und trockenſten Wüſtenpflanzen hat, kann es wochenlang aushalten. Unter Umſtänden iſt ihm ein alter Korb oder eine Matte, aus den zerſchliſſenen Blattriefen der Dattelpalmen geflochten, ein willkom⸗ menes Gericht. Im Oſtſudan muß man die Hütten der Eingeborenen, die aus einem Gerippe von ſchwachen Stangen beſtehen und dann mit Steppengras bekleidet werden, vor den Kamelen durch eine dichte Umzäunung von Dornen ſchützen: die Tiere würden ſonſt das ganze Haus bis auf ſeine Grundfeſten auffreſſen. Wahrhaft wunderbar iſt es, daß ſelbſt die ärgſten 4 * 52 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Kamele. Dornen und Stacheln das harte Maul des Kamels nicht verwunden. Mehr als hundertmal habe ich geſehen, daß Kamele Akazienzweige, an denen Dornen an Dornen ſaßen, ohne weiteres hinunterwürgten. Nun muß man wiſſen, daß dieſe Dornen zum Teil außerordentlich ſcharf und lang ſind und ſelbſt die Sohlen des Schuhwerkes durchdringen können, dann verſteht man erſt, was dies ſagen will. Wenn die Karawane abends raſtet und die Kamele frei gelaſſen wer— den, damit ſie ſich ihre Nahrung ſuchen, laufen ſie von Baum zu Baum und freſſen hier alle Aſte ab, die ſie erreichen können. Sie haben ein merkwürdiges Geſchick, mit ihren Lippen die Zweige abzubrechen; dann aber würgen ſie dieſe hinunter, ganz unbekümmert, in welcher Rich— tung die Dornen vom Zweige abſtehen. Hartert iſt freilich etwas anderer Anſicht, wie er an Heck ſchreibt. Er will in der Weſtſahara beobachtet haben, daß die Kamele von den Dorn— ſträuchern nur die äußerſten, wenig Dornen enthaltenden Spitzen freſſen. Können ſie einmal ſaftige Nahrung haben, ſo iſt das ihnen ſehr genehm: in den Feldern hauſen ſie oft in abſcheu— licher Weiſe und verwüſten dort ganze Strecken; auch kleine Bohnen, Erbſen, Wicken verzehren ſie ſehr gern, und Körner aller Art erſcheinen ihnen als wahre Leckerbiſſen. Auf den Wüſten— reiſen, wo es notwendig iſt, daß die Laſt ſoviel wie möglich verringert wird, nimmt jeder Araber bloß etwas Durra oder auch Gerſte für ſein Kamel mit ſich und füttert dem Tiere davon allabend— lich ein paar Handvoll, gewöhnlich gleich aus ſeinem Umſchlagetuche, bezüglich aus ſeinem Schoße. In den Städten gibt man den Kamelen Puffbohnen; in den Dörfern erhalten ſie oft nichts anderes als verdorrtes, hartes Gras oder Durraſtroh. Es ſcheint aber, als ob das Laub - verſchiedener Bäume und anderer Geſträuche ihre liebſte Nahrung wäre; wenigſtens bemerkt man, daß die Kamele wie die Giraffen immer nach den Bäumen hin ihre Schritte lenken. Bei ſaftiger Pflanzennahrung kann das Dromedar wochenlang das Waſſer entbehren, falls es nicht beladen und beſonders angeſtrengt wird und ſich ſeine Pflanzen nach Belieben auszuwählen vermag. „Seine Fähigkeit, Durſt zu ertragen“, ſagt Robert Müller, „iſt ver— ſchieden je nach der Raſſe, der Gegend, in der es lebt, und vor allem je nach der Jahreszeit. Bei großer Lufttrockenheit müſſen ſie öfter getränkt werden als bei feuchtem Wetter. In Afrika können ſie längere Zeit ohne Waſſer bleiben als in Aſien. Freilich tut auch die Übung das ihrige. Die Fähigkeit des Kamels, ohne Trank auszukommen, erreicht ihren Höhepunkt in den heiß-feuchten Gegenden des Sudans und Somalilandes, nimmt aber dann gegen Oſten bedeutend ab und iſt auf den furchtbar trockenen Hochebenen Inneraſiens am geringſten. Hier ſoll es im März und April nicht gut drei Tage ohne Waſſer ſein können; nur im Winter, wo es ſich mit Schnee begnügt, und auf ebenem Boden kann es dort 6—7 Tage und noch länger aushalten. Von den arabiſchen Rennkamelen berichtet Nolde, daß ſie ſelbſt bei ſchwerer Arbeit im Winter 25 und im Sommer 5 Tage lang, ohne zu trinken, ausharren können. Weniger lange kann das zweihöckerige Trampeltier ohne Waſſer auskommen: bei heißer Witterung mit Sicherheit nur etwas über 48 Stunden. Es gerät aber ſchon gegen Ende des dritten Tages in Lebensgefahr. In der weſtlichen Sahara tränkt man die Kamele nur, wenn man an eine Quelle kommt, und dies dauert oft bis zu zwölf Tagen. Doch iſt auch hier ein Unterſchied zu machen zwiſchen Winter und Sommer. Im Winter, wenn das Tier weidet und ruht, kann es bis zu 20 Tagen ohne Tränke bleiben. Arbeitet es, ſo wird man guttun, es alle 7—8 Tage zu tränken, damit es nicht zu ſtark abmagere. Im Sommer, zur Zeit der größten Hitze, wenn das Thermometer häufig mehr als 50 im Schatten zeigt, kann man das Mehari (ein edles Reitdromedar) nicht länger als 3 —4 Tage ohne Trank laſſen, ſelbſt wenn es nicht arbeitet. Wenn es in dieſer Jahreszeit auf ſchnellem Marſch begriffen iſt, wird man dafür ſorgen, daß es wenigſtens jeden zweiten Tag getränkt wird.“ N Dromedar: Nahrung. Trinken. Verwendung. 53 53 Auch Hartert ſchreibt in dem erwähnten Briefe, daß das größere oder geringere Bedürf— nis nach Waſſer mehr oder weniger ein Ergebnis der Erziehung ſei. „Die Kamele der nörd— lichen Sahara und der Hochplateaus Algeriens, die faſt täglich trinken können, ſind für weite Wüſtenreiſen nicht zu gebrauchen.“ Hartert mietete in Biskra die für ſeine Wüſtenreiſe nötigen Dromedare. Dieſe konnten, wenn fie nicht übermäßig beladen waren, 6—8 Tage ohne Waſſer auskommen. Mit einer Laſt von 200 kg legen ſie durchſchnittlich in der Weſtſahara 25 bis 35 km zurück, ohne Schaden zu nehmen, können aber ausnahmsweiſe auch einmal 45 bis 60 km in 24 Stunden gehen. In früheren Zeiten glaubte man, dieſen geringen Waſſerbedarf des Kamels aus der eigen— tümlichen Bildung des Magens erklären zu können. Man ſah die großen Zellen in den beiden erſten Magenabteilungen als Waſſerbehälter an, und in manchen Reiſebeſchreibungen iſt zu leſen, daß die Reiſenden in der Wüſte im allerletzten Notfalle in dem Magen ihres Kamels noch Waſſervorräte finden könnten. Ich habe in der Wüſte ergraute Kamelführer danach gefragt: kein einziger wußte von dieſer Sache etwas oder hatte davon nur erzählen hören. Auch Hartert hält „die Geſchichte mit dem im Magen aufgeſtapelten Trinkwaſſer für eine Fabel“. Trotzdem ſcheint ſie wenigſtens für Aſien begründet zu ſein. Emil Ludwig gibt im „Berliner Tageblatt“ im Mai 1915 eine Schilderung der Wüſtenfahrt der Emden-Mannſchaft nach Berichten der ſie führenden Offiziere. Die Soldaten wurden von Beduinen angegriffen und drei Tage in waſſer— loſem Gebiet belagert, wobei ſie furchtbaren Durſt litten. „Die arabiſchen Gendarmen“, heißt es da, „ſchnitten einfach den angeſchoſſenen Kamelen den Hals durch und tranken dann das gelbe Waſſer, das in den Mägen enthalten war. Die Kerls vertragen ja alles.“ Und Meißner bringt („Orientaliſtiſche Literaturztg.“, 1916) eine Zuſammenſtellung von verſchiedenen von— einander unabhängigen ſehr glaubwürdigen Berichten aus Weſtaſien, die ſich über 2500 Jahre erſtrecken. Es iſt alſo möglich, daß die Verwendung des Waſſers des Kamelmagens als letztes Rettungsmittel Verdurſtender auf Weſtaſien beſchränkt geblieben iſt. Wahrhaft luſtig ſieht es aus, wenn durſtige Kamele in die Nähe von Waſſer kommen. Sie heben die Köpfe hoch empor, ſchnüffeln mit halb zugekniffenen Augen in die Luft, legen die Ohren zurück und beginnen nun plötzlich aus Leibeskräften zu laufen. Kommen ſie dann zum Brunnen, ſo drängen ſie ſich an das Waſſer und beginnen, ſich dem Genuſſe des Trinkens hinzugeben. Ihr Leib ſchwillt dabei augenſcheinlich an, und beim Weiterſchreiten verurſacht das im Magen aufgehäufte Waſſer ein gluckſendes Geräuſch. Wenn viel Waſſer vorhanden iſt, löſen die Araber des Oſtſudans Salz in kleinen Tränkteichen auf und treiben ihre Tiere dahin. Das Salz vermehrt die Freßluſt der edlen Wüſtenſchiffe ſehr, und dieſe mäſten ſich nun bald einen recht hübſchen Höcker an. Die in der Wüſte und Steppe geborenen Kamele ſind vielfach vortreffliche Läufer und imſtande, ohne Unterbrechung Entfernungen zurückzulegen wie kein anderes Haustier. Alle Kamele gehen einen ſcheinbar ſehr ſchwerfälligen Paß, ſie mögen nun langſam oder ſchnell laufen; allein dieſer Paßgang iſt bei abgerichteten Reitkamelen wahrhaft leicht und zierlich. Der gewöhnliche Gang iſt ein ſonderbares Dahinſtelzen, und das Kamel bewegt dazu bei jedem Schritte noch in auffallender Weiſe den Kopf vor- und rückwärts. Bringt man einen Läufer wirklich in Trab, und gehört er zu den guten Raſſen, die ohne Unterbrechung in der an— gefangenen Schrittweiſe dahinziehen, ſo erſcheint das ſchwere Geſchöpf leicht und ſchön. Man bezeichnet in Afrika die leichten und abgerichteten Reitkamele mit dem Namen „Hedjin“ oder Pilgerkamel und nennt den auf ihnen Reitenden Hedjan, verſteht aber zunächſt bloß die eigent— lichen Botenreiter unter dieſem Worte. Solche Botenreiter nun legen in kurzer Zeit faſt 54 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Kamele. unglaublich große Strecken zurück. Berühmt find die Dromedare, die in der Nähe von Esneh in Oberägypten gezüchtet werden, und noch berühmter die wirklich unübertrefflichen der Biſcharin im Oſtſudan. Auf einem ſolchen Hedjin durchritt Mohammed Ali flüchtend in einem Zuge von Kairo nach Alexandria 175 km und brauchte hierzu nur 12 Stunden. In Agypten und Nubien nennt man Dromedare, die zehn Mahhadas oder Halteſtellen auf dem Karawanen— wege in einem Tage durchlaufen, geradezu „Zehner“ (Aaſchari) und ſchätzt ſie mit Recht ſehr hoch; denn eine Mahhada liegt in der Regel zwiſchen 10 und 14, auch bis 18 km von der anderen entfernt. Einen ſolchen Ritt hält kein Pferd aus, es mag ſo gut ſein, wie es will. Anfänglich übertrifft wohl die Schnelligkeit eines trabenden Pferdes die des Kamels, wenn es in gleichem Schritte geht; ſehr bald aber bleibt das erſtere weit zurück, und das Kamel trabt nach wie vor ſeinen Gang weiter. Läßt man ein Reitkamel in der Mittagszeit ruhen, reitet es ſonſt aber vom frühen Morgen an bis zur ſpäten Nacht, jo kann man das Tier 16 Stun— den lang Trab laufen laſſen und dann bequem eine Entfernung von 140 km durchreiten. Ein gutes Kamel, das ordentlich gefüttert und getränkt wird, hält ſolche Anſtrengungen, ohne Raſttag dazwiſchen, 3 und ſelbſt 4 Tage aus und mag dann über 500 km zurücklegen. Anders ſind die Leiſtungen der Durchſchnitts- und Laſtkamele. Jene durchlaufen im günſtigſten Falle einmal eine halb ſo große Strecke wie die Rennkamele, in der Regel aber bloß bis 50 km in einem Tage; dieſe durchmeſſen mit einer bis 150 kg ſchweren Laſt, laut J. Williams, durchſchnittlich 4 km in der Stunde, können aber 12 Stunden und ausnahms⸗ weiſe noch länger ununterbrochen marſchieren. Das ägyptiſche Dromedarkorps, gewiſſermaßen berittene Infanterie, bei der die Mannſchaft zum Gefecht abſitzt, benutzt beſonders ausgewählte Tiere leichten, kräftigen Schlages, die im Trab 1 km in 4—47½/ Minuten zurücklegen müſſen. Ihre durchſchnittliche Marſchleiſtung beträgt täglich 8, ausnahmsweiſe 10 Stunden. Die Tiere bewältigen mithin 112—120 km den Tag, einzelne Reiter ſogar 160 km. Dieſer Marſchleiſtung iſt das Dromedar 4— 5 Tage hintereinander fähig und trägt dabei außer ſeinem Reiter und deſſen ganzer Ausrüſtung noch Waſſer und Verpflegung für 4 Tage. Um den Gang des Dromedars zu beſchleunigen, ſchnalzt der Reiter mit der Zunge oder fuchtelt mit der Reitpeitſche. Einem guten Kamele genügt dieſe Aufmunterung. Bei einzelnen Kara— wanen tragen die Tiere Schellen oder Glöckchen und ſollen ſich an deren Klange zu erfreuen. Auch Geſang ermuntert ſie angeblich. Obwohl bei Wüſtenreiſen im Oſten die Ladung durch— ſchnittlich nicht mehr als 150 kg beträgt, jo wird fie doch vielfach höher bemeſſen. Bei den Zügen durch die mittlere Sahara iſt, laut Nachtigal, 200 kg noch nicht das Höchſtgewicht, und die Dſchellaba beladen, nach demſelben Gewährsmanne, ihre Tiere auf dem Wege von Dongola nach Dar Fur ſogar mit Laſten von 400 kg. Die ägyptiſche Regierung hat, um der Überbürdung der Kamele zu ſteuern, das Höchſtgewicht der Laſt auf rund 250 kg feſtgeſetzt. Dreierlei verlangt der Araber von einem guten Dromedar: es muß einen weichen Rücken haben, darf die Peitſche nicht verlangen und ſoll beim Auf- und Niederlegen nicht ſchreien. Bloß derjenige, welcher viel mit Kamelen umgegangen iſt, weiß, was dies zu bedeuten hat. Ein gewöhnliches Laſtkamel iſt das fürchterlichſte aller Reittiere. Bei der Paßbewegung wird der Reiter in abſonderlichen Bogen, einer in Bewegung geſetzten chineſiſchen Pagodenfigur vergleichbar, auf und nieder, hin und her geſchleudert. Sobald das Kamel in Trab fällt, iſt es anders. Bei der beſtehenden Wechſelbewegung wird das ſeitliche Hin- und Herſchaukeln aufgehoben, und wenn ſich der Reiter geſchickt im Sattel zurücklegt, ſpürt er die immer noch heftigen Stöße eben auch nicht mehr, als wenn er zu Pferde ſitzt. Bei großer Wut fällt das Kamel regelmäßig in Galopp. Es iſt nicht imſtande, dieſe Gangart lange auszuhalten, aber Dromedar: Leiſtungsfähigkeit. Stimme. Sinne. Fortpflanzung. 55 es braucht das auch nicht; denn gewöhnlich liegt der nicht gänzlich ſattelfeſte Reiter ſchon in den erſten Minuten auf der Erde. Aus dieſen Gründen hat der Araber feine Reitkamele gewöhnt, bloß Trab zu gehen. In Gebirgsgegenden läßt ſich das im Flachlande aufgewachſene Dromedar nur in be— ſchränktem Maße gebrauchen, weil ihm das Klettern höchſt beſchwerlich fällt. Namentlich bergab kann es, weil es ziemlich ſtark überbaut iſt, nur mit äußerſter Vorſicht gehen. Doch ſieht man auf der Weide die Kamele immerhin einigermaßen klettern, freilich ſo tölpelhaft wie möglich. Noch ungeſchickter benimmt ſich das Tier im Waſſer. Schon wenn es hinein— getrieben wird, um zu trinken, gebärdet es ſich wie unſinnig; viel ſchlimmer aber wird die Sache, wenn es über einen großen Strom ſetzen ſoll; denn es kann nicht ſchwimmen und muß gleichwohl ſchwimmend von einem Ufer zum anderen geſchafft werden, weil die Fähr— barken meiſt zu klein ſind, um das ungeſchickte Geſchöpf aufzunehmen. Daher zwingt man es, in das Waſſer zu gehen, hält es langſeits des Fahrzeuges an Kopf und Schwanz über Waſſer und ſchleppt es derartig hinüber zur Landungsſtelle. Die Stimme des Dromedars läßt ſich nicht beſchreiben. Gurgeln und Stöhnen, Knur— ren, Brummen und Brüllen wechſeln in der ſonderbarſten Weiſe miteinander ab. Unter den Sinnen dürfte das Gehör am beſten ausgebildet ſein; das Geſicht ſcheint dieſem Sinne viel— ſach nachzuſtehen, und der Geruch iſt ſicherlich ſchlecht. Das Gefühl dagegen ſcheint fein zu ſein, und Geſchmack zeigt es wenigſtens manchmal. Im ganzen muß man das Kamel als ein ſehr ſtumpfſinniges Geſchöpf betrachten, deſſen Störrigkeit den Verkehr mit ihm für den un— geübten Europäer zu einer ſchweren Geduldsprobe macht. Dies begreift man, nachdem man ſelbſt vom Kamele abgeworfen, mit Füßen getreten, gebiſſen, in der Steppe verlaſſen worden iſt, nachdem einen das Tier tage- und wochenlang ſtündlich mit bewunderungswerter Beharr- lichkeit und Ausdauer geärgert, nachdem man Beſſerungs- und Zuchtmittel erſchöpft hat. Dazu kommt, daß das Kamel in einer Weiſe ausdünſtet, die den Bocksgeſtank als Wohlgeruch er— ſcheinen läßt, daß es das Ohr durch ſein Gebrüll ebenſo martert wie die Naſe durch ſeinen Geſtank oder das Auge durch den gezwungenen Anblick ſeines unſäglich dumm ausſehenden Kopfes auf dem langen Straußenhalſe. Doch ſcheinen die Tiere, wenn ſie vom Menſchen von vornherein entſprechend behandelt werden, auch beſſere Eigenſchaften zu haben. Von den Dro— medaren im Süden Marokkos berichtet Jannaſch: „Die Tiere ſind ſchön und ſchreiten ſchnell, ſo daß, ſelbſt wenn ſie beladen ſind, ein kräftiger Mann Mühe hat, ihnen zu folgen. Sie ſind klug und haben feine Witterung. Auffälliges gewahren ſie noch über die erſtaunliche Fernſicht der Araber hinaus, und wie oft haben wir Gelegenheit gehabt, die letztere zu bewundern! Die Tiere folgten ihren Herren aufs Wort, hielten ſtill, ſetzten ſich in Schritt und Trab, legten ſich nieder und ſtanden auf, wendeten ſich nach rechts und links, ohne daß ſie einer Hilfe bedurft hätten. Die älteren Tiere gingen ohne Zaum oder Strick, den jüngeren war ein ſolcher aus Halfa ſtraff um das Maul gewickelt. Nur wenn ſie bepackt wurden, ſchrieen ſie laut und zeigten ſich unwillig. Auf dem Marſche waren ſie vorſichtig, durchſpähten unausgeſetzt das Gelände; ſobald ſich Auffälliges zeigte, ſtanden ſie ſtill. Genügſam, geduldig und tätig, das iſt das Weſen dieſer Steppen⸗ und Wüſtentiere, von welchen unſere Steppenaraber prächtige, ſorgfältig gepflegte Stücke beſaßen. Keines derſelben zeigte Wunden oder Druckſtellen, wie ſolche die zahlreichen Kamele aufwieſen, denen wir ſpäter zu vielen Tauſenden im Anti-Atlas und Atlas begegneten.“ Geradezu abſchreckend wird das Dromedar zur Paarungszeit. Dieſe fällt im Norden in die Monate Januar bis März und währt 8—10 Wochen. Um dieſe Zeit lärmt, brüllt, beißt, ſtößt und ſchlägt der Kamelhengſt nach ſeinen Gefährten und ſeinem Herrn, wird unruhig 56 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Kamele. und oft ſo wütend, daß man ihm einen Maulkorb anlegen muß, um Unglücksfälle zu ver— hüten. Einer meiner Kameltreiber war von einem liebestollen Kamele verſtümmelt worden. Das wütende Tier hatte ihn, während er das Aufladen beſorgte, am rechten Arme gepackt und das Ellbogengelenk mit einem einzigen Biſſe zerſplittert. Der Mann blieb ſein Leben lang ein Krüppel. Es ſind Beiſpiele bekannt, daß Kamele Leute durch Biſſe getötet haben. Die Unruhe des Tieres ſteigert ſich im Verlaufe der Paarungszeit. Es verliert die Freß— luft, knirſcht mit den Zähnen und treibt, ſobald es ein anderes Kamel ſieht, eine große, ekel— hafte Hautblaſe, den Brüllſack, aus dem Halſe heraus und kollert, gurgelt, knurrt, brüllt und ſtöhnt dabei in der widerwärtigſten Weiſe. Der Brüllſack iſt bei dem jungen Hengſte noch nicht ſo weit entwickelt, daß er aus dem Maule hervortritt; bei dem alten erreicht er eine Länge von 30— 35 em und kann, wenn er aufgeblaſen wird, die Größe eines Menſchenkopfes erlangen. Oft bemerkt man auf beiden Seiten des Maules Blaſen; gewöhnlich aber tritt bloß eine auf einer Seite hervor. Beim Austreiben wirft das Tier den Kopf vorwärts und bläſt Luft in die eigentümliche Hülle, auf der dann die mannigfach verzweigten Gefäße, die ſie durchflechten, grell hervortreten. Beim Einatmen entleert ſich die Blaſe wieder und erſcheint nunmehr als ein rundlicher Hautſack, der ſogleich in das Maul zurückgeſchlürft, bald darauf aber von neuem wieder hervorgeſtoßen wird. Ein Männchen genügt für 6—8 Weibchen. Nach 11—13 Monaten wirft die Kamelſtute ein einziges Junges. Dieſes iſt allerdings von dem erſten Tage ſeines Lebens an eine kleine Mißgeſtalt, hat aber, wie alle jungen Tiere, etwas Drolliges und Luſtiges. Es wird mit offenen Augen geboren und iſt mit ziemlich lan— gem, dichtem, weichem, wolligem Haare bedeckt. Der Höcker iſt ſehr klein, und die Schwielen ſind kaum noch angedeutet. An Größe übertrifft es ein friſch geworfenes Füllen bedeutend: es iſt etwa 1 m hoch, nach Verlauf einer Woche aber ſchon beträchtlich größer. Bei weiterem Wachstume nimmt die Wolle ſehr an Dichtigkeit und Länge zu. Sobald es trocken geworden iſt, folgt es ſeiner Mutter, die ſich mit Hingebung ſeiner annimmt. Wenn zwei Stuten mit ihren Füllen zuſammenkommen, ſpielen die jungen Geſchöpfe in liebenswürdiger Weiſe, und die Alten brummen Beifall. Über ein Jahr lang ſäugt das Kamel ſein Junges, und wäh— rend dieſer Zeit zeigt es einen mehr als gewöhnlichen Mut, indem es unter Umſtänden ſeinen Sprößling nach Kräften verteidigt. Die Mutter bekümmert ſich nur um ihr eigenes Kind, niemals dagegen um ein fremdes Füllen. Mit Beginn des zweiten Jahres entwöhnen die Araber die Kamelfüllen. Hier und da erreicht man dies, indem man dem jungen Kamele einen an beiden Seiten zugeſpitzten Pflock durch die Naſenſcheidewand ſticht. Der Pflock kitzelt oder verletzt die Kamelſtute am Euter, und ſie ſchlägt deshalb ſelbſt ihr Junges ab. In der Kamelſtuterei zu San Roſſore bei Piſa wird, laut Lombardini, ein anderer ſeltſamer Kunſtgriff angewendet, um die Kälber zu ent— wöhnen: die Stuten werden einfach geſchoren, und nun vermögen die Jungen ihre Mütter nicht mehr zu erkennen. Wenige Tage nachdem eine Stute geworfen hat, wird ſie wieder zum Arbeiten benutzt; das Junge trabt ledig hinterdrein. Auch die entwöhnten jungen Kamele werden mit auf die Reiſe genommen, damit ſie frühzeitig Märſche ertragen lernen. Je nach ihrer größeren oder geringeren Schönheit richtet man ſie vom dritten Jahre an zum Reiten oder zum Laſttragen ab. Da, wo es viele gibt, belädt man ſie erſt mit Beginn des fünften Lebensjahres, während man ſie in kamelärmeren Gegenden bereits mit Ablauf des dritten Jahres zur Arbeit zwingt. Die Reittiere werden von Knaben abgerichtet. Dem jungen Kamele wird ein leichter Sattel aufgelegt und eine Schlinge um die Schnauze geſchnürt. Der junge Reiter ſetzt ſich in den Sattel und treibt es zum Traben an; ſobald es in Galopp verfällt, Dromedar. Trampeltier. 57 5 bändigt er es, legt es nieder und prügelt es; ſobald es Schritt gehen will, ermuntert er es durch Zurufen und durch Fuchteln mit der Peitſche, bis es ſich gewöhnt, im Trabe zu laufen, wenn es den Reiter auf ſich hat. Mit Ende des vierten Jahres wird es zu größeren Reiſen benutzt. Der Preis für ein gutes Kamel ſchwankt je nach den verſchiedenen Gegenden. Faſt in allen Gegenden iſt der Preis eines Kamels dem eines Eſels ungefähr gleich; im Sudan da— gegen koſtet ein guter Eſel bedeutend mehr als das beſte Kamel. Das Kamel iſt mancherlei Krankheiten unterworfen; aber nur unter niederen Breiten treten dieſe Krankheiten ſeuchenartig auf. Nachtigal erzählt, daß unter den Kamelen einer Karawane „eine Art Grippe epidemiſch auftrat“, und fügt hinzu, daß die Tiere überhaupt „vielfach leichteren oder ſchwereren Lungenkrankheiten unterworfen ſind, ohne daß dieſe jedoch ſo gefürchtet werden, wie man bei Tieren erwarten ſollte, welche bei der geringſten Störung ihres Wohlbefindens mit unglaublicher Geſchwindigkeit herunterkommen und durch die ſcheinbar leichteſten Krankheiten dem Tode nahe gebracht werden“. Im Sudan ſoll eine Fliege große Ver— heerungen anrichten; nach W. Junker findet ſich dieſe „Surreta“ genannte Fliege, die übrigens nicht mit der Tſetſe zu verwechſeln iſt, ſchon am Mareb und iſt allen Haustieren, am meiſten aber den Dromedaren gefährlich. Weit mehr Kamele, als durch alle Krankheiten zugrunde gehen, ſterben auf ihren Berufswegen, und nur die wenigſten werden geſchlachtet. Das Fleiſch alter Kamele wird von manchen als hart und zäh bezeichnet; laut Nachtigal hat es einen etwas eigentümlichen Geſchmack, an den er ſich wenigſtens ſchnell gewöhnte, und iſt leicht verdaulich, in Bornu auch ſehr beliebt. Das Fleiſch junger Kamele nennt J. Williams einen der größten Leckerbiſſen. Aus den Häuten verfertigt man Zeltdecken und allerlei Geräte, obwohl das Leder nicht beſonders haltbar iſt; das Haar wird zu dauerhaften Geweben verarbeitet. Die Milch des lebenden Tieres iſt ſo dick und ſo fettreich, daß ihr Genuß widerſteht, findet daher wenig Verwendung. Dagegen wird die Loſung vielfach gebraucht. Bei Wüſtenreiſen, wo das Brennholz mangelt, ſammelt man am Morgen die kleinen, rundlichen, walnußgroßen Brocken der harten, feſten und trockenen Loſung, die für den nächſten Abend als Brennſtoff dienen ſoll, und auch in dem holzarmen Agypten wird der Dünger des Kamels, wie der der Rinder, Pferde und Eſel, ſorgfältig aufgeleſen, zu einem Teige geknetet, in rundliche Kuchen geformt, in der Sonne getrocknet und dann als Brennſtoff aufgeſpeichert. Faſt dieſelbe Rolle, die das Dromedar in den oben angegebenen Gegenden ſpielt, iſt in Oſt— und Mittelaſien dem Zweihöckerigen Kamel oder Trampeltier, Camelus bactrianus L. h (Taf. „Paarhufer III“, 3 u. 5, bei S. 49), beſchieden. Zwei Rückenhöcker, von denen der eine auf dem Widerriſt, der andere vor der Kreuzgegend ſich erhebt, unterſcheiden es vom Dro— medar. Seine Geſtalt iſt ſchwerfällig und plump, die Körpermaſſe größer, die Behaarung weit reichlicher als beim Dromedar, die Färbung in der Regel dunkler, gewöhnlich tiefbraun, im Sommer rötlich; doch gibt es auch weiße Stücke. Das Trampeltier wird in allen Steppenländern Mittelaſiens gezüchtet und dient ins— beſondere dem Warenhandel zwiſchen China und Südſibirien oder Turkeſtan. In Buchara und Turkmenien tritt allmählich das Dromedar an ſeine Stelle und verdrängt es da, wo die Steppe Wüſtengepräge annimmt, gänzlich. Doch geht das Trampeltier im Weſten bis Klein— aſien und Südoſteuropa. Im Oſten reicht es durch die ganze Mongolei und Mandſchurei bis nach Nordchina. Hier bildet etwa der 40. Grad die Südgrenze der Verbreitung. Im Hochland von Tibet fehlt es völlig. Die Nordgrenze der Verbreitung des Trampeltieres bildet im allgemeinen der 50. Grad; doch geht es in den transbaikaliſchen Steppen darüber 58 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Kamele. 1 hinaus bis zum 55. Grad, wo es ſich mit dem Nenntier trifft. Die Kirgiſen achten es hoch, betreiben aber ſeine Zucht läſſiger als die aller übrigen Haustiere der Steppe und benutzen es ungleich weniger als das Pferd; den Mongolen Oſtaſiens dagegen iſt es ebenſo wichtig wie den Arabern das Dromedar. Man kennt nicht viele, aber merklich verſchiedene Raſſen, deren Eigentümlichkeiten ſich ſtreng erhalten. Die beſten Trampeltiere der Mongolei werden in der Provinz Chalcha gezüchtet. Im innerſten Teile Aſiens kommt das wilde Kamel vor. Sein Gebiet erſtreckt ſich von Tarim, Lob-nor und von Chami bis in die ſüdliche Dſungarei, von Manar und Gutſchen bis nach dem Nordweſten von Indien. Prſchewalſky, der dieſe wilden Kamele entdeckte, hielt ſie für urſprünglich wilde Tiere. Er gibt als Unterſchied vom zahmen Kamel an: den wilden Kamelen fehlen die Schwielen unter den Knien der Vorderfüße, ihre Höcker ſeien nur halb ſo groß und die verlängerten Haare auf deren Spitzen kürzer als bei den zahmen. Die Farbe der Wolle ſei bei allen wilden Kamelen ganz gleich, rötlich ſandfarben, während dieſe Farbe bei den zahmen ſelten ſei; die Schnauze des wilden ſei grauer und ebenſo wie die Ohren kürzer als beim zahmen. Aber Prſchewalſkys Beweiſe können nicht als genügend angeſehen werden. Die Größe der Fetthöcker iſt ſehr von der Raſſe und deren Ernährungszuſtand abhängig, die Farbe iſt bei den Trampeltieren nach der Raſſe ſehr verſchieden. Das Fehlen der Knieſchwielen kann darauf beruhen, daß ſich die Tiere nicht hinknien müſſen wie die zahmen Kamele. Zus dem erwähnt Nolde auch Dromedarraſſen, denen die Knieſchwielen fehlen. So werden wir denn Sven Hedin und Littledale beiſtimmen, die in dieſen Tieren nur verwilderte Kamele ſehen. Die genannten Autoren weiſen darauf hin, daß, nach den zahlreichen Ruinen zu ur— teilen, die heutigen Wüſten Zentralaſiens ehemals blühende Länder enthalten haben müſſen. Die dortigen wilden Kamele können alſo die Nachkommen von Kamelen ſein, die herrenlos wurden, weil ihre Herren vor der drohenden Verſandung ihrer Länder flohen. Obgleich man jagen darf, daß das zahme Trampeltier in ſeinem Weſen und feinen Eigen— ſchaften mit dem Dromedar übereinſtimmt, kann man doch nicht verkennen, daß es gutartiger iſt als dieſes. Leicht läßt es ſich einfangen, willig gehorcht es dem Befehle ſeines Herrn, ohne ſonderliche Umſtände und unter leiſem Murren oder auch lautem Brüllen legt es ſich nieder, und aus freiem Antriebe hält es an, wenn die Laſt auf ſeinem Rücken ſich verrückt hat. Ein Kamel in des Wortes umfaſſendſter Bedeutung bleibt es aber doch. Abgeſehen von ſeiner Genüg— ſamkeit, Stärke, Ausdauer und Beharrlichkeit, läßt ſich wenig zu ſeinem Ruhme ſagen. Seine geiſtigen Begabungen ſtehen auf ebenſo tiefer Stufe wie die des Dromedars: es iſt ebenſo dumm, gleichgültig und feig wie dieſes. Manchmal verſetzt es, laut Prſchewalſky, ein vor ſeinen Füßen aufſpringender Haſe in Todesangſt. Entſetzt ſchnellt es zur Seite und ſtürmt wie ſinnlos davon, und alle übrigen folgen, ohne erkannt zu haben, weshalb. Ein großer ſchwarzer Stein am Wege, ein Haufe Knochen, ein herabgefallener Sattel erſchrecken es dermaßen, daß es alle Beſinnung verliert und eine ganze Karawane in Verwirrung ſetzt. Wenn es von einem Wolfe angefallen wird, denkt es nicht an Gegenwehr. Es vermöchte ſolchen Feind mit einem einzigen Schlage zu fällen: aber es ſpuckt ihn nur an und ſchreit aus voller Kehle. Selbſt der Kolkrabe ſchädigt das geiſtloſe Geſchöpf, fliegt ihm auf den Rücken und reißt mit dem Schnabel halb vernarbte, vom Satteldruck herrührende Wunden auf oder zerfleiſcht ihm den Höcker, ohne daß das Trampeltier etwas anderes zu tun wüßte als zu ſpucken und zu ſchreien. Eine Ausnahme von der Regel bilden nur die paarungsluſtigen Männchen, die ſo wütend wer— den können, daß man ſie, um ſich vor ihnen zu ſchützen, mit Ketten feſſeln muß. Sobald die Paarungszeit vorüber iſt, wird auch der Hengſt wieder fromm oder gleichgültig und ſtumpf. Trampeltier: Verbreitung. Weſen. Nahrung. Fortpflanzung. Verwendung. 59 Auf üppiger Weide gedeiht auch das Trampeltier nicht, verlangt im Gegenteil Steppen— pflanzen, die anderen Tieren kaum genügen, beiſpielsweiſe Wermut, Lauch, Schößlinge von allerlei Geſtrüpp und dergleichen, beſonders aber Salzpflanzen, wenn es zu Kräften kommen oder ſich bei Kräften erhalten ſoll. Salz gehört zu ſeinen unabweislichen Bedürfniſſen: es trinkt das ſalzhaltige Waſſer der Steppengegenden mit Wohlbehagen und nimmt das an den Rändern der Lachen ausgeblühte Salz gierig und in Menge auf. Muß es an Salz Mangel leiden, ſo magert es auch auf der ihm ſonſt am beſten zuſagenden Weide ab. Vom Hunger gepeinigt, frißt es, was es erlangen kann, laut Prſchewalſky ſogar Lederriemen, Filzdecken, Knochen, Tierbälge, Fleiſch, Fiſche und andere Gegenſtände. Die Paarungszeit fällt in die Monate Februar bis April. Die Stute bringt 13 Mo- nate ſpäter ein Junges zur Welt. Dieſes iſt ſo unbehilflich, daß es in den erſten Tagen ſeines Lebens ſorgſam unterſtützt und an das Euter ſeiner Mutter gelegt werden muß, folgt letzterer aber bald auf allen Wegen nach und wird von ihr treu behütet. Einige Wochen nach ſeiner Geburt beginnt es zu freſſen und wird nunmehr zeitweilig von ſeiner Mutter getrennt, weil man dieſe ebenſogut melkt wie jedes andere Herdentier der Steppe. Im zweiten Jahre wird dem Füllen die Naſe durchſtochen und der Zaumpflock in die ſo gebildete Offnung geſteckt; denn von jetzt an beginnt ſeine Abrichtung. Im dritten Jahre ſeines Alters wird es zu kurzen Ritten, im vierten zum Tragen leichter Laſten benutzt; im fünften Jahre gilt es als erwachſen und arbeitsfähig. Bei guter Behandlung kann es bis zum 25. Jahre Dienſte leiſten. Um Satteldruck zu vermeiden, legt man auf beide Höcker mehrere Filzdecken und erſt auf dieſe den meiſt gepolſterten Laſtſattel, an dem die Frachtſtücke feſtgeſchnürt werden. Ein kräftiges Trampeltier legt mit 220, ein ſehr ſtarkes mit noch 50 kg mehr täglich 30 —40 km, mit der Hälfte der Laſt aber im Trabe faſt das Doppelte zurück, vermag im Sommer 2 oder 3, im Winter 5— 8 Tage zu durſten, halb ſolange ohne Beſchwerde zu hungern und bean— ſprucht bei längeren Reiſen nur alle 6—8 Tage eine Raſt von 24 Stunden Dauer. In der Mongolei belaſtet man es im Sommer bloß ausnahmsweiſe, in den von Kirgiſen durch— zogenen Steppen höchſtens, um eine Jurte von einem Lagerplatze zum anderen zu ſchleppen; hier wie dort aber mutet man ihm im Winter ſchwere Dienſtleiſtungen zu. Auf der Straße von Peking nach Kiachta gönnt man ihm erſt nach Ablauf der Reiſe, die einen vollen Monat währte, 10 —14 Tage Raſt und läßt es mit ſolchen Unterbrechungen während des ganzen Winters, alſo 6— 7 Monate, arbeiten; in den weſtlichen Steppen ſtrengt man es niemals in gleicher Weiſe an. Mit Beginn der Härung, vom März an, ſchont man es hier wie dort ſoviel wie möglich; nachdem der größte Teil des Haares ausgefallen oder ausgekämmt wor— den iſt, bekleidet man es mit Filzdecken, läßt es auch ſtets auf ſolchen ruhen, damit es ſich nicht erkälte. Während dieſer Zeit, in der öſtlichen Mongolei ſogar während des ganzen Som— mers, gewährt man ihm die größtmögliche Freiheit, geſtattet ihm, faſt nach Belieben in der Steppe zu weiden, und treibt nur die Stuten, die täglich fünfmal gemolken werden, allabend— lich in der Nähe der Jurten zuſammen. Dieſes ungebundene Leben behagt dem Tiere un— gemein. Raſch erſetzt es auf der nach eigenem Ermeſſen gewählten Weide die verbrauchten Kräfte wieder, und förmlich ſtolz ſchreitet es einher, wenn das neugewachſene Haar ſeine im Frühjahre faſt nackte Haut wieder deckt. In der Kirgiſenſteppe wird es übrigens nicht aus— ſchließlich als Laſttier, ſondern einzeln wie paarweiſe auch als Zugtier verwendet und tritt auf Flugſandſtrecken ſogar an Stelle der Poſtpferde. H. Moſer klagt ſehr über die Langſamkeit einer ſolchen Poſtfahrt und ſchreibt: „Das Kamel (Trampeltier) geht nur im Schritt; da— bei ſtößt es ein ſchreckliches Geſchrei aus, welches mit der Zeit ſo nervös macht, daß nur 60 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Kamele. diejenigen ſich einen Begriff davon machen können, welche das ſeltene Glück genoſſen, von dieſem Tiere gefuhrwerkt worden zu ſein.“ Erſprießliche Behandlung des Trampeltieres erfordert genaue Kenntnis ſeines Weſens, reiche Erfahrung und unverwüſtliche Geduld. Kirgiſen und Mongolen betrachten es als das hinfälligſte ihrer Haustiere und ſchweben beſtändig in Sorge um ſein Wohlbefinden. So wenig es die eiſigen Schneeſtürme des Winters ſcheut, ſo kräftig es allen Beſchwerden längerer Reiſen während dieſer Jahreszeit widerſteht, ſo leicht erliegt es ungünſtigen Einflüſſen im Sommer. Die Hitze des Tages wie die Kühle der Nacht kann ihm dann verderblich werden. Während des Winters entſattelt man es auch bei längeren Reiſen niemals, ſondern läßt es, ſobald man am Lagerplatze angelangt iſt und ihm die Laſt abgenommen hat, mit Sattel und Zeug zur Weide gehen; im Sommer dagegen muß es auch bei leichterem Dienſte ſtets ent- ſattelt werden, um Druckwunden zu vermeiden; das Entſatteln darf jedoch nicht geſchehen, bevor es nicht vollſtändig abgekühlt iſt, weil es ſich ſonſt unfehlbar erkälten und zugrunde gehen würde. Überlaſtung erträgt es nicht. Aus Liebe zur Geſelligkeit geht es im Reiſezuge, ſolange ſeine Kraft ausdauert; legt es ſich jedoch aus Ermattung nieder, jo vermag keine Ge— walt, es wieder zum Aufſtehen zu bringen. Man pflegt es in ſolchen Fällen dem Beſitzer der nächſten Jurte anzuvertrauen und von ihm ſpäter, nachdem es durch längere Ruhe zu Kräften gekommen, wieder abzuholen. Aller Mängel ungeachtet muß auch das Trampeltier als eines der nützlichſten Geſchöpfe angeſehen werden, die der Menſch ſeinem Dienſte unterwarf. Es leiſtet viel nach jeder Rich— tung hin und kann durch kein anderes Haustier erſetzt werden. Man nutzt Haar und Milch, Fell und Fleiſch, ſpannt es an den Wagen und verwendet es als Laſttier. Mit ihm durch— zieht man die waſſerloſen, wüſtenhaften Steppen, in denen Pferde ihre Dienſte verſagen wür⸗ den; mit ihm erklimmt man Gebirge bis über 4000 m Höhe, in denen nur der Jak noch aushält. Das Pferd iſt der Genoſſe, das Trampeltier der Diener des Steppenbewohners. Auch die neuweltlichen Kamele gehören zu den zahlreichen amerikaniſchen Tieren, die, mit ihren altweltlichen Gattungs- oder Familienverwandten verglichen, gegen dieſe nur wie Zwerge erſcheinen. Die Lamas (Lama Frisch, Auchenia) ſind Kamele; aber fie ſtehen hinter den altweltlichen Arten in ihrer Größe weit zurück. Freilich kommt hierzu, daß die amerikaniſchen Kamele Bewohner der Gebirge ſind und ſchon deshalb nicht dieſelbe Größe erreichen können wie ihre altweltlichen Verwandten, die der Ebene angehören. Die Lamas unterſcheiden ſich von den eigentlichen Kamelen aber nicht bloß durch ihre geringere Größe, ſondern auch durch den verhältnismäßig großen, ſtark zurückgedrückten Kopf mit ſpitzer Schnauze, ihre großen Ohren und Augen, den dünnen, ſchmächtigen Hals, die hohen und ſchlanken Beine mit ſtärker ge— ſpaltenen Zehen und nur geringen Schwielen und durch das lange, wollige Haarkleid. Dem Rumpfe fehlt der Höcker. Die lange, ſchmale Zunge iſt mit harten, hornigen Wärzchen bedeckt. Die Lamas zerfallen in vier verſchiedene Formen, die ſchon ſeit alten Zeiten die Namen Huanaco oder Guanaco, Lama, Paco oder Alpaca und Vicuna führen. Von dieſen ſind aber nur Huanaco und Vicuna wild lebende Tiere, die mit Sicherheit als eigene Arten anzuſprechen ſind. Vom Lama wiſſen wir ſchon ſeit Wagner, daß es ein gezähmter Nachkomme des Guanacos ſei, eine Anſicht, die Nehring auf Grund oſteologiſcher Unterſuchungen (Reiß u. Stübel, „Das Totenfeld von Ancon in Peru“, 1887, und „C. R. du Congres intern. des Americanistes“, Berlin 1888) beſtätigen konnte. Ob aber das Paco, das gleichfalls nur als Haustier bekannt iſt, eine gezähmte Vicufa oder ein Kreuzungsprodukt des Lamas mit der J. Zahmes Lama, Lama glama L. The Scholastic Photographic Co.-London phot. 1/30 nat. Gr., s. S 64. . Guanaco, Lama huanachus Mol. M. A. Hans Bungartz- München phot. 4. Alpacaichur. S.66. — Nach Photographie. 5. Alpaca, Lama pacos L. 1/25 nat. Gr., s. S.66. — L. Bab-Berlin phot. 28 nat. Gr., S. S. 61. 6. Afrikanifches Zwergmofchustier, Hyemoschus aquaticus Ogilb. 1 nat. Gr., s. S. 71. — W. S. Berridge-London phot. 7. Kaukalifches Rieſenreh. 1/20 nat. Gr., s. S. 83. — P. Kothe-Berlin phot. h, Odocoileus bezoarticus JI. 1/20 nat. Gr. S. 89. L. Bab-Berlin phot. Trampeltier. Guanaco. 61 Ricuna ſei, läßt er unentſchieden. Da aber nach einer Mitteilung H. Thiels Miſchlinge von Alpaca und Vicuſſa unfruchtbar ſein ſollen, jo beſteht wohl zwiſchen beiden nur eine ent— ferntere Verwandtſchaft und iſt das Paco wohl ebenfalls als eine Zuchtform des Guanacos anzuſehen. Auf jeden Fall ſind beide, Paco und Lama, als Haustiere ſehr alt. Die Über— lieferung der Peruaner verlegt die Zähmung der Tiere in das früheſte Zeitalter menſchlichen Daſeins und bringt ſie mit der irdiſchen Erſcheinung ihrer Halbgötter in Verbindung. Die zuerſt landenden Spanier fanden überall bedeutende Lamaherden im Beſitze der Gebirgs— bewohner und beſchrieben die Tiere, wenn auch etwas unklar, doch ſo ausführlich, daß man ſelbſt die einzelnen Formen ohne Mühe erkennen kann. Pedro de Cieza unterſcheidet alle vier ſchon im Jahre 1541 ſehr genau. Aus ſeinen Angaben geht unzweifelhaft ſo viel hervor, daß ſich ſeit dieſer Zeit die vier verſchiedenen Formen der Lamas nicht verändert haben. Alle Lamas ſind Bewohner der Hochebenen des gewaltigen Gebirges der Kordilleren. Wie die Kamele haben ſie die Eigenſchaft, ſehr wenig Waſſer zu benötigen. Nach Thiel tränken ſich die Vicußas, die meilenweit zu den Lagunen der Siedelungen ziehen, nur alle 3—5 Tage, die Guanacos überhaupt nicht. Sie befinden ſich nur in den kalten Gegenden wohl und ſteigen deshalb bloß im äußerſten Süden bis in die Pampas oder großen Ebenen Patago— niens herab. In der Nähe des Aquators liegt ihr gewöhnlicher Aufenthaltsort in einer Höhe zwiſchen 4000 und 5000 m ü. M., und tiefer als 2000 m ü. M. gedeihen fie hier nicht, während ihnen dagegen das kalte Patagonien auch in geringeren Meereshöhen zuſagende Aufenthaltsorte bietet. Die wild lebenden ziehen ſich während der naſſen Jahreszeit auf die höchſten Kämme und Rücken der Gebirge zurück und ſteigen während der trockenen Zeit in die fruchtbaren Täler herab. Sie leben in größeren oder kleineren Geſellſchaften, nicht ſelten in Rudeln von mehreren hundert Stück, und werden eifrig gejagt. Der Guanaco oder Huanaco, Lama huanachus Mol. (Auchenia huanaco; Taf. „Paarhufer IV“ 2), iſt mit dem Lama das größte und, obgleich nur im freien Zuſtande vor— kommend, eines der wichtigſten aller ſüdamerikaniſchen Landſäugetiere. In der Größe gleicht er etwa unſerem Edelhirſch. Bei vollkommen erwachſenen Tieren beträgt die Geſamtlänge des Leibes 2,25 m, die Länge des Schwanzes 24 em, die Höhe am Widerriſt 1,15 m, die Höhe vom Boden bis zum Scheitel 1,6 m, das Gewicht 60 —75 kg. Das Weibchen iſt kleiner, dem Männchen aber vollkommen gleich geſtaltet und gleich gefärbt. Der Leib des Guanacos iſt verhältnismäßig kurz, in der Bruſt und Schultergegend hoch und breit, hinten aber ſchmal, in den Weichen ſehr ſtark eingezogen; der Hals lang, dünn, ſchlank und nach vorn gekrümmt; der Kopf lang und ſeitlich zuſammengedrückt, die Schnauze ſtumpf zugeſpitzt, die Oberlippe vorſpringend, tief geſpalten, ſchwach behaart und ſehr beweglich, die Naſenkuppe behaart; die länglichen, ſchmalen Naſenlöcher ſind verſchließbar. Die Ohren haben ungefähr die halbe Kopflänge, länglich-eiförmige Geſtalt und ſind ſchmal, beiderſeitig behaart und ſehr be— weglich; das Auge iſt groß und lebhaft, ſein Stern iſt quer geſtellt; an den Lidern, zumal an den unteren, ſitzen lange Wimpern. Die Beine ſind ſchlank und hoch, die Füße länglich, die Zehen bis zur Mitte geſpalten und an ihren Spitzen von unvollkommenen, kleinen, ſchmalen und zugeſpitzten, etwas nach abwärts gekrümmten Hufen umſchloſſen, die Sohlen groß und ſchwielig. Der Schwanz, der etwas abſtehend getragen wird, iſt ſehr kurz, auf der oberen Seite ſtark behaart und auf der unteren Seite faſt ganz kahl. Das Euter des Weibchens hat vier Zitzen. Ein ziemlich langer, reichlicher, aber lockerer Pelz bedeckt den Körper. Er be— ſteht aus kürzerem, feinerem Wollhaare und dünnerem, längerem Grannenhaare, iſt im Geſicht 62 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Kamele. und auf der Stirn kurz, auf dem Scheitel ſchon etwas länger, vom Hinterkopfe an aber auf den Körperteilen, mit Ausnahme der Beine, verlängert zu einem wolligen Vlieſe, das jedoch nie— mals die Weichheit des Lamavlieſes erreicht. Am Bauche und an der Innenſeite der Schenkel iſt das Haar ſehr kurz, an den Beinen kurz und ſtraff. Die allgemeine Färbung iſt ein ſchmutziges Rotbraun; die Mitte der Bruſt, der Unterleib und der After ſowie die Innenſeite der Glied⸗ maßen ſind weißlich, die Stirn, Naſenrücken und Augengegend ſchwärzlich, die Backen- und Ohrengegend dunkelgrau, die Innenſeite der Ohren ſchwarzbraun, die Außenſeite ſchwarz⸗ grau. An den Hinterbeinen zeigt ſich ein länglichrunder nackter Fleck von ſchwarzer Färbung. Die Iris iſt dunkelbraun, die Wimpern ſind ſchwarz, die Hufe gräulichſchwarz. Der Guanaco verbreitet ſich über die Kordilleren, von den bewaldeten Inſeln des Feuer— landes an bis nach dem nördlichen Peru und Ekuador. Doch ſcheint er auf dieſem Gebiete nicht jo gleichförmig zu ſein, wie man bisher dachte. Kürzlich machte Lönnberg („Arkiv für Zoologi“, 1913) darauf aufmerkſam, daß in Peru neben der gewöhnlichen, großen noch eine kleine, von ihm L. h. carsilensis benannte Form vorkommt. Namentlich im ſüdlichen Teile des Gebirges iſt der Guanaco häufig; in den bewohnteren Gegenden haben ihn die vielfachen Nachſtellungen ſehr vermindert; doch traf Göring noch einzelne in der Nähe der Stadt Mendoza an. Der Guanaco bevorzugt Gebirgshöhen, ohne jedoch auf Tiefebenen zu fehlen: Darwin be— gegnete ihm auf den Ebenen des ſüdlichen Patagoniens in größerer Anzahl als an irgendeiner anderen Ortlichkeit. Im Gebirge ſteigt er während des Frühlings oder der Zeit, in der es friſche Pflanzen in der Höhe gibt, bis zu der Schneegrenze empor, wogegen er bei Beginn der Trocken— heit ſich in die fruchtbaren Täler der Tiefe zurückzieht. Die Schneefelder ſelbſt meidet er ſorgfältig; in der Tiefe ſucht er die ſaftigſten Weideplätze auf. Zuweilen unternehmen die Guanacos weite Wanderungen, förmliche Entdeckungsreiſen. Vor dem Meere ſcheuen ſie ſich übrigens nicht, gehen vielmehr ohne viel Beſinnen ins Waſſer und ſchwimmen von einer Inſel zur anderen. Sie leben geſellig in Rudeln. Meyen ſah ſolche von 7—100 Stück an Bächen weiden; Darwin bemerkt, daß man in der Regel Trupps von einem Dutzend bis zu 30 Stück zuſammen finde, er habe jedoch an den Ufern des Santa Cruz einmal eine Herde von mindeſtens 500 Köpfen geſehen. Das Rudel beſteht gewöhnlich aus vielen Weibchen und nur einem alten Männchen; denn bloß die jungen, fortpflanzungsunfähigen männlichen Tiere werden von den ſtarken Hengſten geduldet. Wenn die Jungen ein gewiſſes Alter erreicht haben, entſtehen Kämpfe; die Schwachen werden gezwungen, den Stärkeren zu weichen, und ſchlagen ſich dann mit an— deren ihresgleichen und jungen Weibchen zuſammen. Während des Tages ziehen die Tiere von einem Tale zum anderen, faſt beſtändig äſend; in der Nacht freſſen ſie niemals. Zur Tränke gehen ſie am Morgen und Abend, und zwar trinken ſie ſalziges Waſſer ebenſogern, vielleicht lieber noch, als ſüßes; Darwins Begleiter ſahen eine Herde bei Kap Blanco ſtark ſalzhaltiges Waſſer mit Begierde ſchlürfen. Saftige Gräſer und im Notfalle Moos bilden die Nahrung. Eigentümlich iſt die Gewohnheit der Guanacos und aller Lamas überhaupt, nach Art einzelner Antilopen ihre Loſung immer auf einem beſtimmten Haufen abzuſetzen und nur, wenn dieſer eine größere Ausdehnung erreicht hat, dicht daneben einen neuen zu bilden. Den Indianern kommt dieſe Anhäufung der Loſung ſehr zuſtatten, da ſie letztere als Brennſtoff verwenden. In der Nähe der Loſungshaufen findet man meiſt noch ſeichte Mulden, die den Guanacos zu Sandbädern dienen. Solche nehmen ſie in der Regel in den RL Während des Winters wälzen fie fih im Schnee. Alle Bewegungen des Guanacos ſind raſch und lebhaft, wenn auch nicht jo ſchnell, wie man vermuten ſollte. In der Ebene holt ein gutes Pferd das flüchtende Rudel bald ein; er Guanaco: Verbreitung. Lebensweiſe. Weſen. Fortpflanzung. 63 gewöhnliche Hunde aber haben Mühe, ihm nachzukommen. Der Lauf beſteht aus einem kur— zen, ſchleppenden Paßgang; der lange Hals wird bei beſchleunigter Flucht ausgeſtreckt. Das Klettern verſteht der Guanaco ausgezeichnet; er läuft gemſenartig an den ſteilſten Gehängen und Abſtürzen dahin, ſelbſt da, wo der geübteſte Bergſteiger nicht Fuß faſſen kann. In der Ruhe liegt das Tier wie das Kamel auf der Bruſt und den Beinen, und wie dieſes läßt es ſich nieder und ſteht auf. Während der Ruhe kaut es träumeriſch wieder. Gewöhnlich ſind die Guanacos wild und ſehr ſcheu. Sie achten auf alles, was um ſie her vorgeht, beherrſchen einen weiten Geſichtskreis und entfliehen, ſobald ſich etwas Verdäch— tiges zeigt. In Furcht geſetzt, flüchten fie oft meilenweit, halten jedoch ihre Wechſel, meijt tief ausgetretene Pfade, nach Möglichkeit ein. Der leitende Hengſt ſteht faſt immer einige Schritte von dem Rudel entfernt und hält mit größter Vorſicht Wache, während ſeine Herde unbekümmert weidet. Bei der geringſten Gefahr ſtößt er ein lautes, wieherndes Blöken aus; alle Tiere des Rudels erheben im Augenblicke ihre Köpfe, äugen ſcharf nach allen Seiten hin und wenden ſich dann raſch zur Flucht. Dabei gehen, laut Meyen, die Weibchen und Jungen voraus und werden von den folgenden Männchen oft mit dem Kopfe vorwärts geſtoßen. Nur ſelten kommt es vor, daß ein Rudel weiblicher Guanacos den Menſchen ſich nähern läßt. Meyen begegnete ſolchen zuweilen, ohne daß ſie Miene gemacht hätten, zu flüchten; ſie gingen dicht vor den Pferden vorbei, ſtanden ſtill und ſahen ſie an; dann erſt trabten ſie weiter. Darwin ſchreibt dieſes auffallende, auch von ihm wiederholt beobachtete Betragen mit Recht ihrer ſehr ausgeprägten Neugierde zu. „Trifft man“, ſagt er, „zufällig plötzlich auf ein einzelnes Tier oder auf einige, ſo bleiben ſie gewöhnlich bewegungslos ſtehen und ſehen einen ſtarr an, bewegen ſich ſodann einige Schritte fort, drehen ſich herum und äugen wieder. Auf den Bergen des Feuerlandes und an anderen Plätzen habe ich mehr als einmal Guanacos geſehen, die, wenn man ſich ihnen näherte, nicht nur wieherten und ſchrieen, ſondern auch auf die lächerlichſte Weiſe, gleichſam als Herausforderung, ſich bäumten und in die Höhe ſprangen. Daß ſie neugierig ſind, iſt gewiß; denn wenn ſich jemand auf den Boden legt und allerlei fremdartige Bewegungen macht, kommen ſie faſt immer zur Erforſchung des Gegen— ſtandes allmählich näher und näher heran.“ Auch Göring beobachtete Ähnliches. Wenn er ruhig durch die Täler der Kordilleren ritt, hörte er über ſich ein eigentümliches Wiehern und ſah dann gewöhnlich den Leitbock hoch oben auf einer Klippe ſtehen und ſtarr und regungslos auf ihn herabſchauen. Um dieſen Bock verſammelte ſich nach und nach das ganze Rudel, und alle ſtanden und ſchauten zur Tiefe hernieder. Die Paarungszeit fällt in die Monate Auguſt und September. Häufige Kämpfe zwi— ſchen den um die Herrſchaft ſtreitenden Männchen gehen ihr voraus. Mit unglaublicher Er— bitterung und heftigem Geſchrei ſtürzen die Nebenbuhler aufeinander los, beißen, ſchlagen ſich, jagen ſich gegenſeitig umher und verſuchen einander niederzuwerfen oder in die Tiefe zu ſtür— zen. Nach 10—11½ Monaten Tragzeit wirft das Weibchen ein vollkommen ausgebildetes, behaartes und ſehendes Junges, ſäugt es vier Monate lang, bewacht es ſorgſam, behandelt es mit großer Zärtlichkeit und behält es bei ſich, bis es vollkommen erwachſen iſt und nun ſeinerſeits das Kämpfen und Ringen in Sachen der Liebe beginnt. Der Guanaco verteidigt ſich gegen ſeinesgleichen mit Schlagen und Beißen, wogegen er vor allen einigermaßen wehrhaften Feinden furchtſam entflieht, ohne an Abwehr zu denken. Selbſt ein großer Hund kann eines von dieſen ſtattlichen Tieren feſthalten, bis der Jäger herankommt. Wenn die Guanacos ſich an Menſchen und Haustiere gewöhnt haben, werden ſie dreiſter, greifen zuweilen kühn einen Widerſacher an, verſuchen ihn zu beißen oͤder zu 64 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Kamele. ſchlagen, bedienen ſich mindeſtens eines allen Lamas eigentümlichen Verteidigungsmittels: ſie laſſen den Gegner dicht an ſich herankommen, legen die Ohren zurück, nehmen einen ſehr ärgerlichen Ausdruck an und ſpeien ihm plötzlich mit Heftigkeit ihren Speichel und die gerade im Maule befindlichen oder heraufgewürgten Kräuter ins Geſicht. Der Menſch iſt und bleibt der furchtbarſte Feind unſerer Tiere; gegen andere Angreifer ſchützt ſie ihre Schnelligkeit. Ob der Kondor ihnen wirklich ſo viel Schaden tut, wie man angibt, ſtehe dahin. Die Südamerikaner betreiben die Jagd auf Guanacos mit Leidenſchaft, weil ſie, des ſchätzbaren Fleiſches und Felles wegen, einen hübſchen Gewinn abwirft. Man ſucht die weidenden Tiere mit Hilfe guter Hunde in eine Schlucht zu treiben, jagt ihnen dort nach und wirft ihnen den Laſſo um den Hals oder fängt ſie mit den Bolas. Erfahrene Jäger machen ſich erfolgreich die Neugierde der Guanacos zunutze, indem ſie ſich angeſichts einer ſchwachen Herde auf den Boden werfen und durch die obenerwähnten abſonderlichen Be— wegungen das ſonſt ſcheue Wild heranlocken. Nach Darwins Verſicherung können ſie dann in den meiſten Fällen mehrere Schüſſe abgeben, weil ſich die Tiere dadurch nicht behelligen laſſen, die Schüſſe vielmehr als zu dem ſie feſſelnden Spiele gehörig anzuſehen ſcheinen. In den Ebenen werden ſie oft in Menge erlegt, weil ſie ſich, wie dumme Schafe, durch gleichzei— tiges Heranreiten mehrerer, von verſchiedenen Seiten herbeikommender Jäger leicht verwirren laſſen, längere Zeit unſchlüſſig bleiben, nach welcher Richtung fie laufen ſollen, und endlich geſtatten, daß man ſie einer geeigneten Einſchließungsſtelle zutreibt, aus der es für ſie keinen Ausweg mehr gibt. An den Berggehängen dagegen entgehen ſie leicht ihrem Verfolger; hier iſt es ſchwer, ſich ihnen auch nur auf Schußweite zu nähern. In den Hochebenen, wo es keine andere Speiſe gibt, wird die Jagd der Guanacos und Vicufas oft zu einer Notwendig— keit, um dem Mangel zu begegnen. Verwundete Guanacos laufen, wie Darwin beobachtete, unabänderlich den Flüſſen zu, um an deren Ufern zu verenden. Aber auch unverletzte ſcheinen, wenn ſie ſich krank und dem Tode nahe fühlen, beſondere Plätze aufzuſuchen, um dort zu ſterben. „An den Ufern des Santa Cruz“, bemerkt der eben erwähnte Forſcher noch, „war der Boden ganz weiß von Knochen, die auf gewiſſen, begrenzten, gewöhnlich bebuſchten Plätzen in der Nähe des Fluſſes lagen. Ich unterſuchte die Knochen genau: ſie waren nicht, wie einige andere zerſtreute, die ich geſehen hatte, angenagt oder zerbrochen, als wenn ſie von Raubtieren zuſammengeſchleppt worden wären. Die Tiere müſſen vor ihrem Sterben unter und zwiſchen die Gebüſche gekrochen ſein.“ Im Gebirge wie in der Ebene fängt man nicht ſelten Guanacos ein, um ſie zu zähmen. Solange ſie jung ſind, benehmen ſie ſich allerliebſt. Sie zeigen ſich zutraulich und anhäng— lich, folgen ihrem Herrn wie ein Hund auf dem Fuße nach und laſſen ſich wie Lämmchen be— handeln; je älter ſie aber werden, um ſo geringer wird ihre Anhänglichkeit an den Menſchen. Die Gefangenen find leicht mit Heu, Gras, Brot und Getreide zu erhalten, auch bei uns in. Europa, wo ſie bei geeigneter Pflege ſich fortpflanzen. Die weichen und ſeidigen Felle der jungen Guanacos, die „Guanacitos“, bilden, nach Braß („Aus dem Reiche der Pelze“), einen wichtigen Handelsgegenſtand. Bei einem Wert von 3—4 Mark das Stück kommen jährlich etwa 30—40 000 dieſer etwa 1 m langen Fellchen zur Ausfuhr. Das zahme Lama, eigentlich Llama, Lama glama L. (peruana; Taf. „Baar: hufer IV I u. 3, bei S. 60), wird in Peru und Bolivia gefunden und gedeiht dort am beſten auf den Hochebenen. Es wird etwas größer als der Guanaco und zeichnet ſich durch die W Guanaco. Lama. 65 Schwielen an der Bruſt und an der Vorderſeite des Handwurzelgelenkes aus. Der Kopf iſt ſchmal und kurz, die Lippen ſind behaart, die Ohren kurz und die Sohlen groß. Die Färbung ändert vielfach ab: es gibt weiße, ſchwarze, geſcheckte, rotbraune und weiß gefleckte, dunkel— braune, ockerfarbene, fuchsrote und andere. Das ausgewachſene Tier erreicht von der Sohle bis zum Scheitel eine Höhe von 1,6— 1,8 m; am Widerriſt wird es etwa 1,2 m hoch. Acoſta erzählt uns, daß die Indianer ganze Herden „dieſer Schafe“, wie Saumtiere be— laden, über das Gebirge führten, oft Banden von 300—500, ja manchmal von 1000 Stück. Nur die Männchen werden zum Laſttragen benutzt, die Weibchen dienen ausſchließlich zur Zucht und Wollgewinnung. Die Hengſte werden nicht geſchoren, damit das Vlies den Rücken beim Beladen ſchützt, da Packſättel nicht angewandt werden. „Nichts ſieht ſchöner aus“, ſagt Stevenſon, „als ein Zug dieſer Tiere, wenn ſie mit ihrer etwa einen Zentner ſchweren La— dung auf dem Rücken, eines hinter dem anderen in der größten Ordnung einherſchreiten, angeführt von dem Leittiere, das mit einem geſchmackvoll verzierten Halfter, einem Glöckchen und einer Fahne auf dem Kopfe geſchmückt iſt. So ziehen ſie die ſchneebedeckten Gipfel der Kordilleren oder den Seiten der Gebirge entlang, auf Wegen, wo ſelbſt Pferde oder Maul— tiere wohl ſchwerlich fortkommen möchten; dabei find fie jo folgſam, daß ihre Treiber weder Stachel noch Peitſche bedürfen, um ſie zu lenken und vorwärts zu treiben. Ruhig und ohne an— zuhalten, ſchreiten ſie ihrem Ziele zu.“ Tſchudi fügt dem hinzu, daß ſie beſtändig neugierig nach allen Seiten umherblicken. „Wenn ſich ihnen plötzlich ein fremdartiger Gegenſtand nähert, welcher ihnen Furcht einflößt, zerſtreuen ſie ſich im Nu nach allen Seiten, und die armen Führer haben die größte Mühe, ſie wieder zuſammenzutreiben. Die Indianer bekunden eine große Liebe für dieſe Tiere: ſie ſchmücken ſie und liebkoſen ſie immer, ehe ſie ihnen die Bürde auflegen. Aller Pflege und Vorſicht ungeachtet gehen aber auf jeder Reiſe nach der Küſte eine Menge Lamas zugrunde, weil ſie das heiße Klima nicht ertragen können. Zum Ziehen und Reiten werden ſie nicht gebraucht; zuweilen nur ſetzt ſich ein Indianer auf eines ſeiner Tiere, wenn er einen Fluß zu überſchreiten hat und ſich nicht gern naß machen will: er verläßt es aber, ſobald er an das entgegengeſetzte Ufer kommt. . . Ein Lama kann höchſtens mit 50 kg be laſtet werden. Die Ladung wird gewöhnlich ohne irgendeinen Packſattel oder eine andere Unter— lage als höchſtens ein Stück Zeug auf das dichte Vlies des Tieres gelegt und mit Wollſtricken feſtgeſchnürt. Auf dieſe Weiſe beladen, legen die Lamas täglich 10 bis höchſtens 20 km zurück und gehen ſo frei, ſorglos und ſtill daher, als ſchleppten ſie nur aus großer Gefälligkeit ihre Bürde mit; dabei weiden ſie neben dem Wege, zerſtreuen ſich über die Ebene, klettern die Berge hinan, folgen aber dem Zurufe oder Pfiffe der Führer willig. Sie erfordern eine außerordent— lich ſanfte Behandlung und ſind dann ſehr leicht zu lenken; geht man aber roh und unfreund— lich mit ihnen um, ſo ſind ſie ſtörriſch, boshaft und geradezu unbrauchbar. Das Lama iſt ſo recht eigentlich für den Indianer geſchaffen, und ſeine unglaubliche Geduld und Teilnahm— loſigkeit hat ihm die einzig richtige Behandlungsweiſe dieſes ſo eigenſinnigen Tieres eingegeben.“ Meyen ſchlägt die Wichtigkeit des Lamas für die Peruaner ebenſo hoch an wie die des Renntieres für die Lappländer. Man hält die Tiere in ungeheuren Herden auf den Hoch— ebenen, aber bis zum dritten Jahr jeden Jahrgang geſondert, nachdem fie nach 6—8 Monaten abgeſetzt ſind. Nachts ſperrt man ſie in eine Einfriedung von Steinen, morgens läßt man ſie heraus; dann eilen ſie im Trabe zur Weide, und zwar ohne Hirten; abends kehren ſie wieder zurück. Oft begleiten fie dabei Guanacos oder Vicunas. Reitet jemand vorbei, ſo ſpitzen ſie ſchon von ferne die Ohren; die ganze Herde läuft im Galopp auf ihn zu, bleibt auf 30—50 Schritt vor ihm ſtehen, ſieht ihn neugierig an und kehrt dann wieder auf die Weide zurück. Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 5 66 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Kamele. Über die Fortpflanzung der Lamas berichtet Tſchudi etwa folgendes: „Die Begattung geht erſt nach dem Ausbruche der raſendſten Brunft vor ſich, indem ſich die Tiere ſchlagen, ſtoßen, beißen, niederwerfen und bis zur größten Ermattung umherjagen. Alle Lama-Arten werfen nur ein Junges, welches etwa 4 Monate ſaugt, bei den eigentlichen Lamas gewöhn⸗ lich etwas länger; ſehr häufig ſaugen bei dieſer Art ſogar die Jungen vom zweiten Jahre mit denen vom erſten zugleich.“ Die Tragzeit dauert, nach Heinroth, 11Ys—13 Monate. Von Tſchudi erfahren wir noch, daß die Bedeutung und auch der Preis der Lamas ſeit Einführung der Einhufer bedeutend geſunken iſt, und ferner, daß die Lamaherden durch eine Seuche, von den Indianern Caracho genannt, manchmal in entſetzlicher Weiſe heimgeſucht und in erſchreckender Anzahl hinweggerafft werden. Garcilaſo de la Vega erzählt, daß die Krankheit in den Jahren 1544 und 1545 zum erſtenmal auftrat. Über die Urſache der noch heute gefürchteten Seuche iſt nichts bekannt, auch weiß man noch kein Heilmittel dagegen. Auch die anderen Cameliden leiden unter dieſer Peſt, die Pacos vielleicht noch mehr als die Lamas. — Lamafleiſch wird überall gern gegeſſen, das der ſogenannten Chuchos oder ein⸗ jährigen Tiere gilt ſogar als Leckerbiſſen. Gegenwärtig ſieht man das zahme Lama faſt in allen Tiergärten. Wenn es mit an⸗ deren ſeiner Art zuſammengehalten wird, ſcheint es viel freundlicher zu ſein, als wenn es allein iſt und ſich langweilt. Es verträgt ſich mit ſeinen Artgenoſſen und Artverwandten vor⸗ trefflich, und namentlich die Paare hängen mit großer Zärtlichkeit aneinander. Sie lernen ihre Wärter kennen und behandeln ſie erträglich; gegen fremde Menſchen aber zeigen ſie ſich als echte Kamele, d. h. beſtändig mehr oder weniger übel gelaunt und außerordentlich reizbar. Sie machen ſich wie auch die übrigen Lamaformen dadurch unangenehm bemerkbar, daß ſie harmloſe Beſucher oft ſcheinbar ohne Grund mit zurückgelegten Ohren anſpeien. Das Lama gedeiht in Europa in den Tiergärten ebenſogut wie der Guanaco, verlangt keinen warmen Stall, höchſtens einen gegen rauhe Winde geſchützten Pferch, begnügt ſich mit gewöhnlichem Futter und ſchreitet leicht zur Fortpflanzung. Die dritte Form der Gruppe, der Paco oder die Alpaca, Lama pacos L. (Taf. „Paar⸗ hufer IV”, 4 und 5, bei S. 60), iſt viel kleiner als das Lama; ſein Vlies iſt ſehr lang und ausnehmend weich, an einigen Stellen, z. B. an den Seiten des Rumpfes, erreicht das Haar eine Länge von 10—12 em. Die Färbung iſt meiſtens ganz weiß oder ſchwarz; es gibt aber ebenfalls buntſcheckige. Auch der Paco kommt nur gezähmt vor. „Die Pacos“, ſagt Tſchudi, „werden in großen Herden gehalten, welche das ganze Jahr auf den Hochebenen weiden; nur zur Schur treibt man ſie nach den Hütten. Es gibt vielleicht kein widerſpenſtigeres Tier als dieſes. Wenn eines von der Herde getrennt wird, wirft es ſich auf die Erde und iſt weder durch Schmeicheln noch durch Schläge zu bewegen, wieder aufzuſtehen. Es erleidet lieber die heftigſten Züchtigungen und ſelbſt den qualvollſten Tod, als daß es folge. Einzelne können bloß fortgeſchafft werden, indem man ſie den Herden von Lamas und Schafen beigeſellt. Die Indianer verfertigen aus der Wolle des Pacos und Lamas ſchon ſeit uralten Zeiten wollene Decken und Mäntel.“ Die Verbreitung der Alpaca umfaßt etwa das Gebiet zwiſchen dem 10. und 20. Grad ſüdl. Breite in Höhe von 2400 m bis zur Grenze des Pflanzenwuchſes in Südamerika. Das Hauptgebiet ihrer wirtſchaftlichen Nutzung iſt die Puna von Südperu. Alle Verſuche, die gemacht worden ſind, die Tiere, die wegen ihrer koſtbaren Wolle ſehr begehrenswert erſcheinen, außerhalb ihrer eigentlichen Heimat in Europa, Auſtralien, Nordumerika anzuſiedeln, find Paco. Vicufa. 67 bisher geſcheitert. Jetzt haben außerdem die Regierungen Bolivias und Perus für beide Lama⸗Arten Ausfuhrverbote erlaſſen, um einer Minderung ihres eigenen Beſtandes vorzubeugen. Die Alpacas ſind dauerhaft, ziemlich anſpruchslos, pflanzen ſich in raſcher Folge fort, da das Weibchen nur 11 Monate trächtig geht, und liefern außer der vortrefflichen Wolle höchſt ſchmackhaftes Fleiſch. Zum Laſttragen verwendet man ſie in ihrer Heimat nicht, ſon— dern züchtet ſie ausſchließlich der Wolle und des Fleiſches wegen. Um erſtere zu gewinnen, werden die Herden jährlich zuſammengetrieben und dann geſchoren, was bei ihrem ſtörriſchen Weſen keine leichte Aufgabe iſt; hierauf läßt man ſie wieder frei und geſtattet ihnen, ein halbwildes Leben zu führen, ſo wie ihnen dies am beſten zuſagt. Wie Acoſta angibt, nennen die Indianer die gröbere Wolle Hanaska, die feinere Kumbi. Aus dieſer verfertigen ſie mit großer Kunſt Tiſchdecken und andere ſchätzbare Dinge, die ſich durch ihre lange Dauer und ihren ſchönen Glanz beſonders auszeichnen. Die Inkas von Peru hatten große Meiſter im Weben. Die geſchickteſten wohnten am Titicacaſee. Sie färbten die grobe und feine Wolle in ſehr friſchen und zarten Farben mit vielerlei Kräutern. Gegen— wärtig verſteht man bloß noch warme Decken und Mäntel zu weben; aber die Wolle wird jetzt vielfach nach Europa übergeführt, und ſeit Titus Salt in Bradford eine eigene Art der Spinnerei und Weberei dieſer Wolle erfunden hat, betreibt man beides im großen. In den Anden von Südecuador, Peru und Bolivia lebt eine zweite wilde Lama-Art. „Zierlicher als das Lama“, jo ſchildert fie Tſchudi, „iſt die Vicuna, Lama vicugna Mol. (Abb., S. 68). An Größe ſteht ſie zwiſchen dem Lama und Paco, unterſcheidet ſich aber von beiden durch viel kürzere und gekräuſeltere Wolle von ausnehmender Feinheit. Der Scheitel, die obere Seite des Halſes, der Rumpf und die Schenkel ſind von eigentümlicher, rötlichgelber Färbung (Vicunafarbe); die untere Seite des Halſes und die innere der Glied— maßen hell ockerfarben, die 12 em langen Bruſthaare und der Unterleib weiß. „Während der naſſen Jahreszeit halten ſich die Vicufas auf den Kämmen der Kordilleren auf, wo die Pflanzenwelt ſich nur höchſt ſpärlich zeigt. Sie bleiben, weil ihre Hufe weich und empfindlich ſind, immer auf den Raſenplätzen und ziehen ſich, auch verfolgt, niemals auf die ſteinichten, nackten Gipfel und noch viel weniger, wie unſere Gemſen, auf Gletſcher und Schnee— felder zurück. In der heißen Jahreszeit ſteigen fie in die Täler hinab. Der ſcheinbare Wider— ſpruch, daß die Tiere im Winter die kalten, im Sommer die heißen Gegenden aufſuchen, erklärt ſich dadurch, daß während der trockenen Jahreszeit die Kordillerenrücken ganz ausgedörrt ſind und die überhaupt ſpärliche Pflanzenwelt ihnen nur in den Tälern, wo es Quellen und Sümpfe gibt, hinreichende Nahrung darbietet. Sie graſen faſt den ganzen Tag, und es iſt eine Seltenheit, einmal ein liegendes Rudel dieſer Tiere zu überraſchen. Während der Brunſt— zeit kämpfen die Männchen mit der größten Erbitterung um die Stelle des Anführers der Rudel von Weibchen; denn jedes duldet nur ein Männchen. Die einzelnen Scharen beſtehen aus 6—15 Weibchen. Das Männchen hält ſich immer 2—3 Schritt von ſeiner Weiberſchar zurück und bewacht ſie ſorgfältigſt, während ſie ſorglos weidet. Bei Annäherung der geringſten Gefahr gibt es ein Zeichen durch helles Pfeifen und ſchnelles Vortreten; ſogleich vereinigt ſich das Rudel, ſteckt die Köpfe neugierig nach der gefahrdrohenden Stelle hin, nähert ſich ein paar Schritte und dreht ſich dann plötzlich zur Flucht. Das Männchen deckt den Rückzug, bleibt öfters ſtehen und beobachtet den Feind. Die Bewegungen bei ſchnellem Laufen beſtehen in einem ſchleppenden, wiegenden Galopp, welcher nicht ſo raſch iſt, daß in einer Pampa dieſe Tiere von einem wohlberittenen Reiter nicht eingeholt werden könnten. Unmöglich aber iſt 5 * 68 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Kamele. ſolches auch auf dem ſchnellſten Pferde, wenn ſich die Vicunas an die Bergabhänge halten und beſonders, wenn ſie bergauf laufen; denn dann ſind ſie den Pferden gegenüber im größten Vorteile. Mit ſeltener Treue und Anhänglichkeit lohnen die Weibchen die Wachſamkeit ihres Anführers; denn wenn dieſer verwundet oder getötet wird, ſo laufen ſie laut pfeifend im Kreiſe um ihn herum und laſſen ſich alle totſchießen, ohne die Flucht zu ergreifen. Trifft aber das 0 = W Vicuſta, Lama viengna Mol. Yıs natürlicher tötende Blei zuerſt ein Weibchen, ſo flieht die ganze Schar. Die Huanacoweibchen dagegen fliehen, wenn das ſie führende Männchen getötet wird. „Im Monat Februar wirft jedes Weibchen ein Junges, welches gleich nach der Geburt eine außergewöhnliche Ausdauer und Schnelligkeit entwickelt. Die jungen männlichen Btcunas bleiben ſo lange mit ihrer Mutter zuſammen, bis ſie ausgewachſen ſind; dann aber vereinigt ſich das ganze Rudel Weibchen und treibt die nun ſchon zeugungsfähigen Männchen durch Beißen und Schläge fort. Dieſe vereinigen ſich nun zu eigenen Rudeln, welche ſich anderen Vicuna. 69 anſchließen, die von den beſiegten Männchen gebildet werden und jo zu Scharen von 20—30 Stück anwachſen können. Hier geht es freilich nicht immer friedlich her. Da kein Anführer die Truppe leitet, ſind alle ſehr mißtrauiſch und wachſam, ſo daß der Jäger nur mit vieler Vorſicht und Schwierigkeit ſich einem ſolchen Rudel nähern und ſelten mehr als ein Stück erlegen kann. Zur Brunſtzeit iſt die Unordnung unter ſolchen Haufen grenzenlos, weil im bunten Wirrwarr ſich alle ſchlagen und ſtoßen und dabei ein helles, abgebrochenes, ſehr widrig tönendes Geſchrei, ähnlich dem Angſtgeſchrei der Pferde, ausſtoßen. Das Geſchrei läßt ſich ſchwer beſchreiben, iſt aber ſo bezeichnend, daß man es, einmal gehört, nicht wieder vergißt. Die reine, dünne Luft trägt dieſe durchdringenden Töne bis in die weite Ferne, von wo aus auch ein ſehr ſcharfes Auge die Tiere noch nicht entdecken kann. „Man trifft zuweilen auch einzelne Vicuſtas an, denen man ſich mit Leichtigkeit nähern, und welche man, wenn ſie die Flucht ergreifen, nach einem kurzen Galopp einholen und mit der Wurfſchlinge oder Wurfkugel einfangen kann. Die Indianer behaupten, dieſe Tiere ſeien deshalb ſo zahm, weil ſie an Würmern litten. Wir haben uns von der Richtigkeit dieſer Tatſache vollkommen überzeugt, weil wir bei der Unterſuchung eines derartigen Tieres fanden, daß die Bauchſpeicheldrüſe und die Leber eigentlich nur ein Gewimmel von Eingeweidewürmern waren. Wir ſind geneigt, wie die Indianer, die Urſache dieſer Krankheit den feuchten Weiden, welche die Vicuſias beſuchen, zuzuſchreiben; denn die Beobachtung weiſt nach, daß die wurm— kranken Tiere faſt ausſchließlich während der naſſen Jahreszeit gefunden werden.“ „Die Indianer“, berichtet Tſchudi weiter, „bedienen ſich nur ſelten der Feuergewehre, um die Vicunas zu erlegen. Sie ſtellen Jagden an, zu welchen jede Familie der Hochebene wenigſtens einen Mann ſtellen muß; die Witwen gehen als Köchinnen mit. Es werden Stöcke und ungeheure Knäuel von Bindfaden mitgenommen. In einer paſſenden Ebene werden die Stöcke, je 12—15 Schritt voneinander, in die Erde geſteckt und durch Bindfaden in der Höhe von 80 em miteinander verbunden. Auf dieſe Weiſe wird ein kreisförmiger Raum von einer halben Stunde Umfang abgeſteckt, indem auf einer Seite ein Eingang von ein paar hundert Schritt Breite offen gelaſſen wird. Die Weiber hängen an die Schnur des Umkreiſes bunte Lappen, welche vom Winde hin und her geweht werden. Sobald alles fertig iſt, zerſtreuen ſich die Männer, von denen ein Teil beritten iſt, und treiben von vielen Meilen in der Runde alle Rudel von Vicufias durch den Eingang in den Kreis. Wenn eine gehörige Anzahl verſammelt iſt, wird dieſer geſchloſen. Die ſcheuen Tiere wagen nicht, über den Faden mit den flatternden Fetzen zu ſpringen, und werden leicht mit den Bolas erlegt. Dieſe, aus drei an langen Schnüren befeſtigten Kugeln beſtehend, werden vom Werfer um den Kopf gewirbelt, mit großer Sicherheit nach dem erwählten Wilde geſchleudert und ſchlingen ſich um die Beine, ſo daß jede Bewegung gehemmt iſt und das Opfer ſtürzt. Die jo gefangenen Vicufas werden abgeſchlachtet und das Fleiſch unter die Anweſenden gleichmäßig verteilt. Die Felle hingegen gehören der Kirche. „ .. Zur Zeit der Inkas wurden die Jagden in viel großartigerem Maßſtabe ausgeführt: ſie verſammelten jährlich bis 30000 Indianer, welche aus einem Umkreiſe von 20 Meilen alles Wild in einen ungeheuern, auf vorbenannte Weiſe umzäunten Platz treiben mußten. Bei dem ſich immer enger ſchließenden Kreiſe wurden die Reihen der Indianer zuletzt verdoppelt und vervielfacht, ſo daß kein Tier entfliehen konnte. Die ſchädlichen, wie die Bären, Kuguare und Füchſe, wurden alle getötet, von den Hirſchen, Rehen, Vicufias und Huanacos aber nur eine beſtimmte Anzahl. Es ſollen oft bis gegen 40000 Tiere zuſammengetrieben worden ſein. Wenn Huanacos in die jetzigen Umlappungen kommen, ſo durchbrechen ſie die Schnur oder ſetzen darüber weg; dann folgen ihnen auch die Vicufſas. Es wird daher beim Treiben wohl 70 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Zwergmoſchustiere. acht darauf gegeben, keine der erſteren mitzujagen. Sobald alle Vicunas in der Umzäunung getötet ſind, wird die Jagd anderswo fortgeſetzt; ſie dauert eine Woche. Die Anzahl der in dieſer Zeit getöteten Tiere beträgt oft nur 50, oft aber auch mehrere Hundert. Ich nahm während 5 Tagen an einer ſolchen Jagd teil; es wurden 122 Vicufas gefangen und aus dem Erlöſe der Felle ein neuer Altar in der Kirche gebaut. „Jung eingefangene Vicunas laſſen ſich leicht zähmen und benehmen ſich ſehr zutraulich, indem ſie ſich an ihre Pfleger mit Liebe anſchließen und ihnen, wie wohlgezogene Haustiere, auf Schritt und Tritt nachlaufen; mit zunehmendem Alter aber werden ſie, wie alle ihre Ver⸗ wandten, tückiſch und durch das ewige Speien unerträglich.“ Schon zu Acoſtas Zeiten ſchoren die Indianer auch die Vicufnas und verfertigten aus der Wolle Decken von hohem Werte, welche das Ausſehen weißſeidenen Stoffes hatten und, weil ſie nicht gefärbt zu werden brauchten, ſehr dauerhaft waren. Die Kleider von dieſen Stoffen waren beſonders für heiße Witterung geeignet. Noch gegenwärtig webt man die feinſten und dauerhafteſten Stoffe aus dieſer Wolle und filzt haltbare, weiche Hüte aus ihr. 3. Unterordnung: Traguloidea. Wenn die Schwielenſohler in der unvollſtändigen Vierteilung des Magens einen ur— ſprünglicheren Zuſtand verrieten, dem allerdings ein in eigenartiger Richtung ſehr weit fort— geſchrittener Fußbau gegenüberſtand, ſo ſind doch im allgemeinen die tiefſtſtehenden lebenden Wiederkäuer ohne Zweifel die Zwergmoſchustiere (Tragulidae), die allein die Unterord- nung der Traguloidea bilden. Wir reihen fie an dieſer Stelle ein, weil wir fie nicht von den Hirſchen trennen möchten, mit denen ſie mancherlei im Leibesbau gemein haben. Bei ihnen miſchen ſich Merkmale, die mit ihrer geringen Größe zuſammenhängen, mit ſolchen, die einen Stillſtand der Stammesentwickelung anzeigen. Die Kleinheit des Schädels z. B. im Verein mit den gewaltigen Augenhöhlen verurſacht, daß letztere nur durch eine ſchmale Knochenwand getrennt ſind. Eine weitere Folge davon iſt, daß der Sehnerv durch ein unpaares Loch die Schädel— höhle verläßt anſtatt durch zwei. Das iſt ein bleibender Jugendzuſtand des Schädels, den in ähnlicher Weiſe auch kleine Hirſch- und Antilopenarten aufweiſen. In ſtammesgeſchichtlicher Hinſicht dagegen zeigen der geradegeſtreckte Schädel, die mächtige Entwickelung der Scheitel— beine, die kurzen Stirnbeine und die ſonſt nur bei Raubtieren oder den allerälteſten, längſt - ausgeſtorbenen Huftieren vorhandene Scheitelleiſte einen niedrigen Entwickelungszuſtand an. Primitiv iſt auch das Gebiß, obwohl die oberen Schneidezähne ſchon fehlen, mit den kurzkronigen Backzähnen und dem noch vorhandenen oberen Eckzahn, der als mächtiger Hauer entwickelt iſt; die Formel it Sg. Der Magen iſt dreiteilig, da ein Blättermagen kaum entwickelt iſt. Auch der Fußbau iſt primitiv. Von den vier Zehen ſind die beiden ſeit⸗ lichen vollkommen ausgebildet, die Mittelfußknochen der mittleren verſchmelzen erſt ſpät zu einem einheitlichen Knochen und bei einer Gattung an den Vorderfüßen gar nicht. Sonſt iſt noch zu bemerken, daß die Zwergmoſchustiere eine Gallenblaſe und die Weibchen vier Zitzen haben. Außerlich ſind es außerordentlich zierliche, rehartige Tierchen mit ziemlich dickem Rumpf, ſchlankem, wohlgeformtem Kopf, ſchönen, hellen Augen und verhältnismäßig langen Hinter- und kurzen Vorderläufen, die kaum mehr als Bleiſtiftdicke haben, mit äußerſt nied⸗ lichen Hufen, einem kleinen netten, langbehaarten Stumpfſchwänzchen und weichem, anliegen— dem Haarkleid. Der Name „Zwergmoſchustiere“ rührt daher, daß man die Traguliden früher mit den echten Moſchustieren zuſammenſtellte; einen Moſchusbeutel wie dieſe haben ſie nicht. Die Zwergmoſchustiere ſcheinen ſich früh vom allgemeinen Wiederkäuerſtamme abgezweigt Afrikaniſches Zwergmoſchustier. Kantſchil. 71 zu haben. Sie kommen nur in der Alten Welt vor. Die tertiäre Gattung Dorcatherium Kaup, von der man Vertreter in Südeuropa und Indien gefunden hat, wird als unmittel— bare Vorgängerin der lebenden Gattung Hyemoschus Gray aufgefaßt, da fie ſich von dieſer nur durch den Beſitz eines vierten Prämolars im Unterkiefer unterſcheidet. Das Afrikaniſche Zwergmoſchustier, Waſſermoſchustier oder Hirſchferkel, H. aquaticus Ogilb. (Taf. „Paarhufer IV“, 6, bei S. 61), iſt auf dunkelbraunem Grunde auf dem Rücken weiß gefleckt und an den Seiten längsgeſtreift; am Unterhals hat es eine weiße Bindenzeichnung, ähnlich wie ſeine indiſchen und malaiiſchen Verwandten, die es jedoch in der Größe merklich übertrifft. Bei ihm vereinigen ſich die Mittelfußknochen der Vorder— gliedmaßen noch nicht zum Kanonenbein, und die ſeitlichen Zehen ſind beſſer ausgebildet als bei der folgenden Gattung. Das Waſſermoſchustier findet ſich in der afrikaniſchen Urwald— region und ſoll ſich gern an den Ufern von Flüſſen und Seen aufhalten. Die Kantſchils (Tragulus Briss.) bewohnen in mehreren Arten Süd- und Südoſt— aſien von Ceylon über Indien bis Kotſchinchina, Tenaſſerim, die Großen Sundainſeln und die Philippinen. Bei ihnen verſchmelzen auch die vorderen Mittelfußknochen zum Kanonenbein. Von den verſchiedenen Arten hat nur die Meminna, Tragulus meminna Frl., die Ceylon und Vorderindien bewohnt, die urſprüngliche Fleckenzeichnung beibehalten. Alle an— deren Arten ſind ungefleckt und haben am Kinn eine nackte drüſige Stelle. Eine Art, Pra— gulus napu V. Cuv., iſt neuerdings durch eine Studie Gerrit Millers („Proc. U. S. Nat. Mus.“, Waſhington 1910) inſofern mehr in den Vordergrund des Intereſſes getreten, als der ge— nannte Forſcher daran zeigte, daß ſich von dieſer Art auf jeder Inſel des Rio-Linga-Archipels (Oſtküſte Sumatras) eine beſonders gefärbte Raſſe gebildet habe, ohne daß eine äußere Ur— ſache dafür gefunden werden konnte. Dieſe trotz gleicher äußerer Bedingungen verſchieden gefärbten Raſſen zeigen, daß bei der Farbbildung der Säugetiere nicht das Schutzbedürfnis die Urſache geweſen ſein muß. Alle dieſe Zwergmoſchustiere führen ſo ziemlich die gleiche Lebensweiſe; ſie leben meiſt einzeln in dichten Dſchangeln und in Mangroveſümpfen, nur während der Fortpflanzungszeit halten ſie ſich paarweiſe zuſammen. Gewiſſermaßen als Beiſpiel ſei die am längſten bekannte Art, der Kantſchil, Tragulus javanicus Osb. (Abb., S. 72), näher beſprochen. Er iſt nächſt den afrikaniſchen Zwerg— antilopen der kleinſte Wiederkäuer und wird nur 45 em lang, wovon 4 em auf den Schwanz kommen; die Höhe am Widerriſt beträgt 20 em, die am Kreuz 2 em mehr. Das ziemlich feine Haar iſt am Kopfe rötlichbraun, an den Seiten heller, auf dem Scheitel dunkel und faſt ſchwarz, auf der Oberſeite des Körpers rötlichgelbbraun, längs des Rückens ſtark mit Schwarz gemengt, gegen die Seiten zu lichter, an der oberen Seite des Halſes weiß geſprenkelt und auf der Unterſeite weiß. Vom Unterkiefer aus verläuft jederſeits ein weißer Streifen längs der Halsſeiten bis zur Schulter hin, hierauf folgt nach unten zu jederſeits ein dunkler Streifen, der in der Mitte, alſo unten in der Mitte des Halſes, einen dritten weißen Streifen in ſich ſchließt. Bisweilen zieht ſich auch ein gelblicher Streifen längs des Bauches hin. Die Glieder ſind fahlgelb, die Oberarme und Unterſchenkel lebhaft roſtrot, die Füße blaß gelblich— braun. Die Verſchiedenheit der Färbung wird durch die eigentümliche Zeichnung der Haare hervorgebracht. Auf dem Rücken ſind dieſe in der unteren Hälfte weiß, weiter nach der Spitze zu dunkler, hierauf ſcharf abgeſchnitten hochgelb oder pomeranzenfarbig und an der 72 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Zwergmoſchustiere. Spitze endlich ſchwarz. Je nachdem nun dieſe ſchwarze Spitze wegfällt oder ſich zeigt, je en der lichte Ring vor derſelben mehr oder weniger hervortritt, ändert ſich die Zeichnung des Felles; an den weißen Stellen aber ſind die Haare reinweiß. Die älteren Männchen en ſtark gekrümmte, von innen nach außen und von vorn nach abwärts gekehrte, ſeitlich zuſammengedrückte, auf der Seite ausgehöhlte und an dem Hinterrande ſchneidende Eckzähne, die gegen 3 em über das Zahnfleiſch hervorſtehen. Die kleinen, feinen Hufe find lichtbräunlich hornfarben. Die Tiere treten in eigenartiger Weiſe nur mit den Spitzen der Hufe auf, was den Beinen ein ſteifes Ausſehen gibt. Junge Tiere unterſcheiden ſich nicht von den alten. Java, Sumatra und die Malaiiſche Halbinſel bis Kambodſcha und Kotſchinchina ſind die Heimat dieſes reizenden Geſchöpfes. Es lebt auf Java mehr im Gebirge als in der Ebene, f No o 87£ N ö ee . U e Ss IA N. Kantſchil, Tragulus javanleus Osb. 1½ natürlicher Größe. am unteren Rande der alle Gebirge bedeckenden Urwälder, und zwar in deren Vorgebüſchen, von wo aus es die grasbewachſenen Abhänge binnen wenigen Minuten zu erreichen vermag. Niemals trifft man es in Rudeln an; denn es hält ſich einzeln und höchſtens während der Paarungszeit zu zweien. Am Tage liegt es zurückgezogen im dichteſten Gebüſche, ruhend und wiederkäuend; mit Einbruch der Dämmerung geht es auf Aſung aus und ſucht allerlei Blätter, Kräuter und Beeren zur Nahrung. Waſſer iſt ihm unentbehrlich. Alle Bewegungen des Tierchens ſind äußerſt zierlich und leicht, dabei aber ſehr lebhaft. Es verſteht verhältnismäßig weite Sätze auszuführen und mit Geſchick allerlei Schwierigkeiten im Wege zu überwinden. Aber die zarten Glieder verſagen ihm bald den Dienſt, und es würde leicht in die Gewalt ſeiner Feinde fallen, wenn es nicht noch ein Verteidigungsmittel beſäße, das in einer eigentümlichen Lift beſteht. Gewöhnlich ſucht es ſich bei Verfolgungen im Gebüſch zu verſtecken; ſobald es aber ſieht, daß es nicht weiter kann, legt es ſich ruhig auf den Boden und gibt ſich, wie das Opoſſum unter ähnlichen Umſtänden, den Anſchein, als ob es tot wäre. Der Feind kommt heran und denkt mit einem Griffe ſeine Beute auf⸗ zunehmen: aber ſiehe da, ehe er noch dieſe erreicht hat, macht unſer Tierchen einen oder zwei Kantſchil. 73 Sprünge und eilt mit Blitzesſchnelle davon. „Liſtig wie ein Kantſchil“ iſt ein Sprichwort der Malaien. Nach Jerdon und Sterndale fällt die Fortpflanzungszeit der Meminna in In— dien in den Juni und Juli, und die Weibchen ſetzen gewöhnlich zwei Junge. Zwergmoſchustiere kommen in der Neuzeit nicht ſelten in europäiſche Tiergärten. Die netten Tierchen werden hier von den Beſuchern ſtets gern geſehen wegen ihres zierlichen Außeren, haben ſich auch gelegentlich bei uns fortgepflanzt. Nach Heinroth beträgt die Trächtigkeits— dauer 5 Monate. Doch läßt die Haltbarkeit namentlich der Meminnas zu wünſchen übrig, und gegen die lebhaften, zutraulichen Zwergantilopen fallen ſie ſehr ab, wie Heck richtig be— merkt. Ich pflegte den Kantſchil wiederholt und ſah das Tierchen oft. Sein Ausſehen iſt ſchmuck und nett; es hält ſich außerordentlich reinlich und putzt und leckt ſich beſtändig. Die großen, ſchönen Augen laſſen ein geiſtig hochbegabtes Tier in ihm vermuten; dies iſt es jedoch nicht, denn es bekundet in keiner Weiſe beſonderen Verſtand, iſt vielmehr ruhig, ſtill und langweilig. Der Tag teilt ſich bei ihm in Freſſen, Wiederkäuen und Schlafen. Selten vernimmt man ſeine zarte, leiſe Stimme, einen Ton, vergleichbar einem ſchwachen Blaſelaut. Die Javaner ſollen dem Kantſchil eifrig nachſtellen und ſein weiches und ſüßliches Fleiſch gern eſſen. Auch faßt man die zarten Füßchen hier und da in Gold und Silber ein und benutzt ſie dann zum Stopfen der Tabakspfeifen. 4. Unterordnung: Pecora. Dieſe Unterordnung umfaßt die typiſchen Wiederkäuer mit voll ausgebildetem, viertei— ligem Wiederkäuermagen. Zähne im Zwiſchenkiefer fehlen ſtets. Der untere Eckzahn berührt die Schneidezähne und ähnelt ihnen in Form und Stellung. Die Mittelfußknochen der Seiten— zehen ſind, wenn ſolche überhaupt vorhanden ſind, ruͤckgebildet. Mit verſchwindenden Aus— nahmen tragen die Stirnbeine Auswüchſe, oft freilich nur bei den Männchen. Dieſer Stirn— ſchmuck iſt ſyſtematiſch wichtig. Wir unterſcheiden Hörner und Geweihe. Hörner find von einem Knochenzapfen geſtützte Gebilde aus Hornmaſſe von dauerndem Wachstum. Geweihe da— gegen ſind Gebilde aus Knochen, die keinen Hornüberzug haben und einem jährlichen Wechſel unterliegen. Die Beſitzer der Hörner werden als Horntiere, Hohlhörner oder Cavicornia bezeichnet, fie bilden die Familie der Bovidae; die Träger der Geweihe ſind die Cervicor- nia, Familie der Cervidae oder Hirſche. Außer dieſen beiden enthalten die Pecora noch die Familie der Giraffidae (Vellericornia), deren knöcherne Hornzapfen von behaartem Fell überzogen find; jedoch durchbohrt beim Okapi die äußerſte Spitze des Zapfens die Haut, ragt frei in die Luft und ſoll ſogar gewechſelt werden, womit eine Art Übergang zwiſchen Hörnern und Geweihen hergeſtellt wäre. Die Hörner der Wiederkäuer ſtehen am Schädel, ſelbſt am Stirnbein keineswegs immer an der gleichen Stelle, wie Ray Lankeſter gezeigt hat. Bei ſo nahe verwandten Tieren wie Okapi und Giraffe entſtehen die Haupthörner ſogar über ver— ſchiedenen Knochen. Das ließ Hilzheimer annehmen, daß die Hörner der Wiederkäuer ſelbſt innerhalb des Stammes der Hohlhörner nicht einheitlicher Entſtehung ſeien, ſondern im Ver— laufe der Stammesgeſchichte mehrfach unabhängig erworben wurden; nur die Urwiederkäuer hätten die Fähigkeit, Hörner zu bilden, beſeſſen und gemeinſam auf alle ihre Nachkommen vererbt. Hat doch Duerſt gezeigt, daß noch heute bei Horntieren an verſchiedenen Kopfſtellen unter Umſtänden Hörner, ſogenannte „Hauthörner“, gelegentlich auftreten, die ſogar aus einem Knochenzapfen und Hornüberzug beſtehen können. Auch die Hufe ändern in Geſtalt und Größe vielfach ab. 74 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche. Zu der Familie der Hirſche (Cervidae) gehören alle geweihtragenden Wiederkäuer. Allerdings zählt man dahin auch zwei Gattungen, denen jeglicher Stirnſchmuck fehlt: Moſchus⸗ tier und Waſſerreh. Beide ſtimmen aber in wichtigen anatomiſchen Verhältniſſen mit den übrigen Hirſchen überein. Die meiſten Hirſche haben obere Eckzähne, und bei den Männchen einiger Gattungen, darunter den beiden geweihloſen, ſind dieſe zu ſäbelförmig gekrümmten, aus dem Maule hervorragenden Hauern entwickelt. Das erſte und zweite Glied der Geiten- zehen find meiſt vorhanden. Von den ſeitlichen Mittelhandknochen ift bei einem Teil der Hirſche nur das obere Ende erhalten; bei anderen, darunter wiederum Moſchustier und Waſſerreh, nur das untere. Allen Hirſchen, mit Ausnahme des Moſchustieres, fehlt die Gallenblaſe. Die Voraugendrüſen ſind in der Regel ſtark entwickelt; ſie fehlen beim Moſchustier. Die Muffel iſt nackt, nur bei dem nordiſchen Renntier behaart und bei dem gleichfalls weit nach Norden gehenden Elch bis auf einen kahlen Fleck rückgebildet. Im allgemeinen ſind die Hirſche ſchlanke, zierliche Tiere mit kräftigem Hals, nach vorn zugeſpitztem Kopf, großen, ſanft blicken⸗ den Augen. Die Oberlippe iſt ungefurcht. Die hohen, feinen Beine tragen ſchmale, ſpitzige Hufe und wohlentwickelte Afterhufe. Der Schwanz reicht nie bis zu den Hacken. Wenn Geweihe vorhanden ſind, kommen ſie mit einer Ausnahme (dem Renntier) nur den Männchen zu. Geweihe ſind Auswüchſe des Stirnbeins und beſtehen demgemäß wie dieſes aus Knochenmaſſe. Nur während der Zeit ihres Wachstums ſind ſie von meiſt fein behaarter Haut, dem „Baſt“, überzogen. Iſt das Geweih ausgereift, ſo wird der Baſt durch Reiben an Bäumen entfernt, es wird „gefegt“, ſo daß der Knochen frei zutage tritt. Nur der unterſte Teil des Geweihes bleibt ſtets von Haut umhüllt, die „Roſenſtöcke“. Er ſtellt den dauernden Beſtandteil des Geweihes dar, der über dem Roſenſtock liegende Teil, die „Stange“, unter— liegt einem zeitweiligen Wechſel. An der Wurzel, unmittelbar über dem Roſenſtock trägt die Stange einen Kranz von kleinen, kugeligen Auswüchſen, ſogenannten Perlen, welcher „Roſe“ heißt. Wollen wir das Geweih der Hirſche mit den Hörnern der Horntiere vergleichen, ſo können wir etwa den Baſt dem Hornüberzug, die Roſenſtöcke und die Stangen den knöchernen Zapfen gleichſetzen. Außer den durch den zeitweiligen Wechſel und durch das Abſcheuern des Baſtes gegebenen grundlegenden Verſchiedenheiten zeichnen ſich die Geweihe vor den Ge— hörnen noch dadurch aus, daß ſie meiſt verzweigt ſind. Das Erſtlingsgeweih ſtellt zwar überall nur ein Paar Spieße, Knöpfe oder ähnliche Gebilde dar und iſt ſtets am Fehlen der Roſe kenntlich. Aber nur in ſeltenen Fällen bleiben die Spieße auch noch ſpäter erhalten. Meiſt verzweigt ſich die Stange, und zwar nimmt die Anzahl der Zweige, der „Sproſſen“ oder „Enden“, nach jedesmaligem Wechſel zu. Zwar gibt es auch einige wenige, tiefſtehende Hirſche, die es nicht über ein einfach gegabeltes Geweih bringen, nicht über die Stufe des „Gablers“ hinauskommen, die meiſten aber erreichen eine höhere Endenzahl. Indem man die Enden beider Geweihſtangen zählt und die Spitzen der Stangen mit dazurechnet, erhält man dann zunächſt die Geweihſtufe des „Sechsenders“ oder „Sechſers“, die für gewiſſe Hirſcharten die Höchſtzahl darſtellt. Andere Arten gehen weiter, doch kommen ſie nicht über die Stufe des „Achters“ hinaus, und nur die höchſtſtehenden Hirſche zeigen noch höhere Endenzahlen. Bei manchen Hirſchen, wie Elch und Damhirſch, verbreitern ſich auch von einer gewiſſen Stufe ab die Geweihe ſchaufelförmig. Dieſe Schaufelbildung nimmt dann mit fortſchreitender Entwickelung an Größe zu. Man hat nun angenommen, die Zahl der Enden nähme regelmäßig nach jedem Geweih wechſel zu, und man könne z. B. bei unſerem Edelhirſch an der Zahl der Enden auch ſein Alter erkennen. Dies iſt aber nicht der Fall. Zwar iſt das erſte Geweih ſtets un verzweigt, aber die im « * 2 = ” Allgemeines. 75 Laufe der Jahre hinzukommenden Sproſſen folgen ohne beſtimmte Jahresſtufen, vielmehr der Zahl nach in Abhängigkeit vom Körperzuſtand und den äußeren Lebensbedingungen der Tiere. Ebenſo gibt es in der Geweihentwickelung keinen ganz genauen Parallelismus zwiſchen der Stammesgeſchichte und der Entwickelungsgeſchichte des einzelnen Tieres. Die älteſten Hirſche, die wir kennen, hatten keine Geweihe. Dann folgen im Obermiozän ſolche mit Spieß- und Gabel— geweih nebeneinander und vom Pliozän an vielſproſſige Geweihe. Die Entwickelungsgeſchichte und Stammesgeſchichte der Geweihbildung gleichen ſich jedoch inſofern, als beide eine Zunahme der Endenzahl erkennen laſſen. In der Stammesgeſchichte hat dieſe ſogar zu einer Überent— wickelung geführt, wie bei Anoglochis sedgwicki Fale. In der Geweihentwickelung des Ein- zeltieres wird auch ein Höhepunkt erreicht. Iſt dieſer überſchritten, ſo erhält der Hirſch wieder ſchwächere Geweihe mit einer geringeren Endenzahl, man ſagt dann: „der Hirſch ſetzt zurück“. Dies Zurückſetzen iſt eine Alterserſcheinung. Es beginnt zuerſt mit den zuletzt gebildeten Teilen, bei unſerem Edelhirſch alſo mit der Krone. Ein zurückgeſetztes Geweih des Edelhirſches trägt oft keine Krone mehr, nachdem es früher ſchon eine ſolche beſeſſen hatte. An der Stärke der Roſe und der Stange iſt dieſe Altersrückbildung ſtets zu erkennen. Die drei unterſten, bei zahlreichen Hirſchen vorkommenden Enden haben beſtimmte Namen erhalten. Die tiefſte, unmittelbar über der Roſe anſetzende Sproſſe iſt die Augenſproſſe, dar— über folgt die Eisſproſſe, und die dritte iſt die Mittelſproſſe. Es kann aber auch die eine oder andere fehlen, wie z. B. die Eisſproſſe in der Regel beim Damhirſch, die Augenſproſſe beim Reh, oder gar alle drei, wie bei gewiſſen amerikaniſchen Hirſchen. Abgeſehen von einer Gruppe indiſcher Hirſche (dem Sambar und feinen Verwandten), werden die Geweihe regelmäßig jedes Jahr einmal zu einer beſtimmten Jahreszeit gewechſelt. Die neuen werden unmittelbar vor der Brunftzeit fertig. Das Abwerfen geſchieht dadurch, daß ſich dicht unter der Roſe infolge beſtimmter innerer Entwickelungsvorgänge im Inneren der Stange Hohlräume bilden und dieſe ſich allmählich ſo vergrößern, daß die Stange dort ab— bricht. Hierbei geht auch die oberſte Schicht des Roſenſtockes verloren, ſo daß dieſer mit jedes— maligem Wechſel kürzer wird. Unmittelbar nach dem Abwerfen wird das freie Stück von der umgebenden Haut überwuchert, die von allen Seiten her nach der Mitte zuſammenwächſt. Dieſe Haut iſt ſehr gefäßreich. Die Gefäße lagern die Nährſtoffe für das neue Geweih ſehr ſchnell ab, ſo daß dieſes mit großer Geſchwindigkeit in die Höhe wächſt. Zugleich wächſt die es umhüllende Haut, der Baſt. Über die Schnelligkeit und die Art dieſes Wachstums hat W. Soemmerring an einem Edelhirſch im Frankfurter Zoologiſchen Garten eingehende Be— obachtungen gemacht. „Schon am 2. Tage nach dem Abwerfen iſt die Mitte der Wundfläche mit ſchwärzlich rotbraunem Schorfe bedeckt, welcher ſich immer mehr nach der Mitte zuſammenzieht, während der Ringwulſt breiter und höher wird. Am 4. Tage iſt die eigentliche Wundfläche ſchon ſehr verkleinert, im Durchmeſſer 28 mm, der Ringwulſt dagegen 12 mm breit, letzterer erhabener gewölbt und gefurcht, ſeine dünne Oberhaut ſo empfindlich, daß ſie leicht blutet. Dasſelbe beobachtet man auch noch am 8. Tage; nur iſt inzwiſchen der Ringwulſt wieder merklich breiter und höher geworden, jedoch noch völlig rund geblieben, ohne den behaarten Hautrand ſeitlich zu überragen. Am 14. Tage hat die mittlere Wundſtelle ſich wiederum bedeutend verkleinert. Der Wulſt iſt im Umfange allenthalben, am meiſten aber nach vorn, über den Rand des behaarten Roſenſtockes ausgedehnt, ſo daß man ſehr deutlich den Anfang zu dem zuerſt ſich bildenden unterſten Ende des Geweihes, der Augenſproſſe, wahrnimmt. Von deſſen Spitze aus gemeſſen hat der Wulſt oder Kolben nun einen Durchmeſſer von 72 mm, während jener 76 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche. der mittleren Vertiefung nur noch 16 mm beträgt. Am 20. Tage beginnt der nun nach allen Seiten ſtark hervortretende grauſchwarze Kolben ſich mit weißlichen Haaren zu bedecken; ſeine Oberhaut ift feſter geworden und nicht allein der Anſatz zu den Augenſproſſen ſtärker hervor⸗ getreten, ſondern namentlich der hintere Teil des Kolbens, aus welchem die Stange ſich er heben ſoll, breiter, höher, maſſenhafter ausgebildet. Von nun an verſchwindet die kleine ver— tiefte Mittelfläche bald gänzlich, und der Kolben wächſt raſcher in die Breite und Höhe. Außer der am 23. Tage bereits 60 mm langen Augenſproſſe teilt er ſich in eine kleinere, vordere und eine ſtärkere, hintere Halbkugel, aus welcher das zweite Ende, die Eisſproſſe, und die Stange ſelbſt ſich bilden. Er iſt nun dicht mit weißlichen Haaren bedeckt und hat daher eine graue Färbung bekommen. Im Verlaufe der nächſten 10 Tage hat ſich das Anſehen der Kolben bedeutend verändert. Das ganze Geweih iſt gleichſam in der Anlage ſchon vorhanden; alle Enden find durch mehr oder minder hervorragende Abteilungen und Einſchnitte des Kol- bens angedeutet. Nun erſt ſieht man deutlich einen über den Rand des behaarten Roſenſtockes hervorragenden bläulichen, gefäßreichen Ring, den Anfang der ſich bildenden Roſe und ihrer Perlen, am Grunde des Geweihes. Darüber ragt die Augenſproſſe hervor. Die Spitze iſt ſehr breit geworden und beginnt durch Furchung ſich zu gabeln. Zwölf Tage ſpäter, am 45. des Wachstumes, iſt die letzte Gabelung oder Teilung der Kolben noch nicht vollſtändig; am 59. Tage ſind alle vorhandenen Enden bereits ziemlich lang geworden, und die Augenſproſſe hat ſich bereits zugeſpitzt. Der obere Teil des Geweihes teilt ſich jedoch erſt am 62. Tage und iſt am 79. Tage fertig, aber noch mit ſtark behaartem und gefäßreichem Baſte überzogen, welcher ſehr empfindlich ſein muß, weil der Hirſch noch immer das Geweih ſchont. Noch am 120. Tage, um welche Zeit das Geweih vollſtändig ausgewachſen iſt und ſeine Enden bis zu den Spitzen knochenhart find, blutet die Augenſproſſe bei der geringſten Verletzung. Erſt 20 Tage ſpäter fegte der in Rede ſtehende Hirſch.“ Der hier beſchriebene Hergang der Neubildung des Geweihes gilt im allgemeinen für alle Hirſche, nur mit der Maßgabe, daß das Wachstum bei dem einen längere, bei dem an- deren kürzere Zeit beanſprucht. Nachdem der Baſt oder häutige Überzug des Geweihes ſeine Dienſte getan hat, trocknet er ein, und der Hirſch reibt nunmehr die ſich loslöſenden Fetzen an Bäumen und Geſträuchen ab, wodurch gleichzeitig die Geweihe, hauptſächlich wohl von dem Safte der dabei beſchädigten Pflanzen, dunkler gefärbt werden. Solange das Geweih noch im Wachstum begriffen iſt, iſt es offenbar ſehr empfindlich, und der Hirſch ſucht es ſorgſam in acht zu nehmen. Verletzungen in dieſer Zeit führen leicht zu Mißbildungen. Es iſt bekannt, daß an Stellen, wo das Geweih verletzt wird, leicht neue abnorme Sproſſen auftreten, eine Tatſache, die manchmal zur künſtlichen Erzeugung abnormer und dadurch beſonders wertvoller Geweihe benutzt wird. Tiefgreifende Verletzungen eines Körperteils führen ebenfalls häufig zu Geweihmißbildungen meiſt der entgegengeſetzten Kör⸗ perſeite. So hat z. B. der Pampashirſch unſerer Abbildung (Taf. „Paarhufer IV“, 8, bei S. 61) eine abnorme Stange, wohl infolge Bruches des Hinterfußes. Man weiß, daß Ver⸗ letzungen der Geſchlechtsteile, beſonders Kaſtration, dazu führen, daß das Geweih nicht mehr abgeworfen wird. War es, als die Verletzung eintrat, noch nicht fertig, ſo wird es nicht mehr gefegt, verkalkt nur unvollkommen und entwickelt ſich immer weiter, ganz regelmäßig knollig⸗ knotige Formen annehmend: es entſteht ein Perückengeweih. Solch Perückengeweih kann einen derartigen Umfang erreichen, daß es zum Tode ſeines Trägers führt. Eine andere Unregelmäßigkeit iſt die, daß einzelne Vertreter ſonſt mehrendiger Hirſch— arten nur Spieße aufſetzen. Es kommt aber auch vor, daß männliche Hirſche überhaupt kein Pre Allgemeines. 77 Geweih bekommen, ſogenannte „Plattköpfe“ oder „Mönche“. Umgekehrt können ausnahms— weiſe auch Hirſchkühe Geweihe erhalten; nur braucht dies, wie es ſcheint, durchaus nicht immer bei alten oder ſonſt ihrer regelmäßigen Geſchlechtstätigkeit beraubten Tieren der Fall zu fen, Solche Geweihe bleiben jedoch immer klein, und es ſcheint, daß ſie mindeſtens oft nicht ge— fegt werden. Beachtenswert iſt, daß die beiden letzten Regelwidrigkeiten bei je einer Art unſerer einheimiſchen Cerviden häufiger auftreten, worauf Hilzheimer aufmerkſam macht: geweihtragende Weibchen ſcheinen ſich vorzugsweiſe bei den Rehen zu finden, bei denen ja überhaupt ſchon normalerweiſe am Schädel ſtets die Anſatzſtellen, wo die Böcke das Geweih haben, beſonders ausgeprägt ſind. Umgekehrt ſcheinen Böcke ohne Geweih vorwiegend auf die Edelhirſche beſchränkt zu ſein. : In ſeiner bedeutungsvollen Arbeit „Zur Morphologie der Geweihe der rezenten Hirſche“ (Köthen 1901) hat E. Hoffmann die Zweckmäßigkeit des Aufbaues der Hirſchgeweihe nach— gewieſen. Sproſſe und Stange treffen nämlich nicht in gerader Linie aufeinander. Vielmehr macht die Stange jedesmal, wo ſich eine Sproſſe abzweigt, eine „kompenſatoriſche Krümmung“ und richtet ſich dann wieder auf, ſo daß ſie in einer Wellenlinie emporſteigt. Anderſeits iſt auch die Sproſſe etwas ausgeſchweift, ſie bildet mit der Stange eine „ſpitzbogenartige“ Bucht, die durch eine abgeflachte Verbindungslamelle ausgerundet wird. Dieſer Bau bewirkt, daß die Kraft eines Stoßes, der in dieſe Bucht fällt, nach deren tiefſtem Punkt abgeleitet wird und ſtets in der Richtung der Stange auftreffen muß. Dadurch wird die Bruchgefahr weit mehr verringert, als wenn Stange und Sproſſe gerade verliefen. Eine eingehendere allgemeine Betrachtung erfordert noch das Haarkleid. Abgeſehen vom Renntier tragen die Hirſche nur wenig oder keine eigentliche Unterwolle. Die Haare werden zweimal gewechſelt, im Frühjahr und im Herbſt. Das Sommerkleid iſt nicht nur der Bildung, ſondern auch der Farbe nach vom Winterkleid verſchieden. Gewöhnlich iſt dieſes weniger lebhaft gefärbt als jenes. Bei vielen Hirſchen iſt das Sommerkleid gefleckt, das Winterkleid einfarbig. Fleckung, die faſt ſtets mit einem lebhafter roten Tone verbunden iſt, findet ſich häufig auch bei den Jungen einfarbiger Hirſche. Auch bei manchen Horntieren werden wir ſehen, daß die Jungen von im Alter einfarbigen Arten eine ſpäter zurücktretende weiße Zeich— nung aufweiſen und röter ſind als die Alten. Nach dem „biogenetiſchen Grundgeſetz“ Haeckels, wonach die Jugendform oft die Form der Ahnen der heutigen Tiere wiederholt, kann daraus der Schluß gezogen werden, daß dieſe Tiere urſprünglich ein geflecktes, rotes Kleid getragen haben. Im Laufe der Stammesgeſchichte wurden die Tiere einfarbig, und ihr Kleid dunkelte zu Braun oder Schwarz. Von den Hirſchen hat der faſt ſchwarze indiſche Sambar, deſſen Junge auch einfarbig zur Welt kommen, eine der höchſten Stufen der Farbleiter erreicht. In der Geweihbildung dagegen iſt er auf der ziemlich tiefen Sechsenderſtufe ſtehengeblieben. Unter ſeinen Verwandten gibt es alle Übergänge von dauernd gefleckten zu einfarbigen Formen. Hier iſt auch der hellen Färbung zu gedenken, die viele Hirſche, wie Edelhirſche, Sikas, Damhirſche und Rehe, auf den Hinterſchenkeln zeigen, des „Spiegels“. Er findet ſich ähnlich auch bei vielen Horntieren. Es handelt ſich dabei wohl um eine Erkennungsmarke, die es im Dunkel des Waldes oder in der weiten Steppe dem Einzeltier ermöglichen ſoll, dem Leittier zu folgen. In manchen Fällen, ſo beim Reh, iſt zwar nur im Winter der Spiegel ſehr ausgebildet, dagegen im Sommer kaum. Doch iſt das aus der Lebensweiſe zu erklären. Die Rehgeiß ſetzt ihre Kälber im Mai und lebt, bis dieſe genügend herangewachſen ſind, allein. Die Kitzen bleiben lange in ihrem Verſteck, wo ſie immer wieder von der Mutter aufgeſucht werden, folgen ihr aber vorerſt nicht. — E ‚ En u a 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche. -ı 22 Andere Erkennungsmarken haben die Hirſche in ihrer Stimme und in gewiſſen Drüſen. Bekannt iſt ja der tiefe Brunftſchrei unſeres Edelhirſches, das „Röhren“ oder „Orgeln“, womit er ſeine Nebenbuhler zum Kampf auffordert. Jede Hirſchart hat einen ihr eigentümlichen Brunftſchrei. Außerdem haben die Hirſche noch einen Warnungsruf, der in einem kurzen Schnaufen, Schnarchen oder Bellen beſteht, das „Schrecken“ der Rehe. Von Drüſen ſind außer den erwähnten Augendrüſen wichtig die zwiſchen den Haupt— hufen ſitzenden Zwiſchenklauendrüſen. Außerdem finden ſich noch eine oder zwei Drüſen auf der Hinterſeite des Hinterfußes, beſonders am Mittelfuß; ihre Lage iſt oft durch einen Streifen bürſtenartig angeordneter längerer Haare angedeutet. f Die älteſten Hirſche, die wir kennen, ſtammen aus dem europäiſchen Eozän. Hier finden wir im Oligozän und Miozän Verwandte der heutigen aſiatiſchen Muntdſchaks, im Pliozän Axis⸗ und wahrſcheinlich auch Sikahirſchähnliche. Im Pliozän erſcheinen auch ſchon Vertreter der echten Hirſche und in den Schichten von Pikermi auch ſolche der Rehe. Gegen Ende des Tertiärs beginnen dann Hirſche aufzutreten mit überentwickelten Geweihen, die, wie bei Ano- glochis sedgwicki Fale., infolge dichotomer (gabeliger) Verzweigung eine ſehr große Enden— zahl erhielten, oder, wie bei dem Rieſenhirſch, Megaceros giganteus Blbeh., der Eiszeit, jenem gewaltigen Verwandten unſeres Damhirſches, derart mächtige Schaufeln entwickelten, daß vielleicht dieſe Geweihmaſſen die Urſache des Ausſterbens ihrer Träger wurden. Bei der heutigen Verbreitung der Hirſche iſt es beachtenswert, daß die primitivſten Formen Süd- und Oſtaſien bewohnen. Sie müſſen dorthin zurückgedrängt worden ſein, da ja ihre foſſilen Vorgänger in Europa lebten, ſo daß ſich Südoſtaſien als Rückzugsgebiet alter— tümlicher Typen erweiſt. Hier findet eine derartige Anhäufung von Hirſcharten ſtatt, daß man die orientaliſche Region auch als Region der Hirſche bezeichnet hat. Die modernen Hirſchtypen dagegen fehlen in dieſem Gebiete ganz, ſie leben in der Alten Welt im Weſten und Norden und in der ganzen Neuen Welt. In Afrika ſüdlich des Atlas gibt es gar keine Hirſche, ebenſowenig natürlich in Auſtralien. Sonſt bewohnen die Hirſche ſo ziemlich alle Klimate, die Ebenen wie die Gebirge, die Blößen wie die Wälder. Manche leben gemſenartig, andere ſo verſteckt wie möglich in dichten Waldungen; dieſe in trockenen Steppen, jene in Sümpfen und Moräſten. Nach der Jahres: zeit wechſeln viele ihren Aufenthalt, indem ſie, der Nahrung nachgehend, von der Höhe zur Tiefe herab- und wieder zurückziehen; einige wandern auch und legen dabei unter Umſtän— den ſehr bedeutende Strecken zurück. Alle find geſellige Tiere; manche, wie Elch, Muntjak und Moſchustier, leben entweder zur Brunftzeit oder dauernd in Paaren oder ſelbſt einzeln, andere rudeln ſich oft in bedeutende Herden zuſammen. Die alten Männchen trennen ſich gewöhnlich während des Sommers von den Nudeln und bleiben einſam für ſich oder ver— einigen ſich mit ihren Geſchlechtsgenoſſen; zur Brunftzeit aber geſellen ſie ſich zu den Rudeln der Weibchen, rufen andere Männchen zum Zweikampfe heraus, ſtreiten wacker miteinander und zeigen ſich dann überhaupt außerordentlich erregt und in ihrem ganzen Weſen wie um⸗ geſtaltet. Die meiſten ſind Nachttiere, obwohl viele, namentlich die, welche die hohen Ge— birge und die unbewohnten Orte bevölkern, auch während des Tages auf Aſung ausziehen. Alle Hirſche ſind lebhafte, furchtſame und flüchtige Geſchöpfe, raſch und behende in ihren Be— wegungen, mit ſcharfen Sinnen ausgerüſtet, geiſtig jedoch ziemlich gering begabt. Nur Pflanzenſtoffe bilden die Nahrung der Hirſche; bloß von den Renntieren wird be— hauptet, ſie fräßen auch Lemminge. Gräſer, Kräuter, Blüten, Blätter und Nadeln, Knoſpen, junge Triebe und Zweige, Getreide, Obſt, Beeren, Rinde, Mooſe, Flechten und Pilze bilden Allgemeines. 79 die hauptſächlichſten Beſtandteile ihrer Aſung. Salz erſcheint ihnen als Leckerei, und Waſſer iſt ihnen Bedürfnis. Alle Hirſche werfen nur einmal im Jahre, und zwar 1, ſeltener 2 Junge. Letztere Zahl ſcheint allerdings bei dem Virginiſchen Hirſch und den meiſten ſeiner näheren Verwandten die Regel zu ſein, der Elch und das Reh ſollen ſogar manchmal 3 werfen, und das Chineſiſche Waſſerreh bringt 4—6 Junge auf einmal. Die Jungen kommen, wie bei den meiſten Huf— tieren, ſehr entwickelt zur Welt, folgen aber erſt nach einiger Zeit ihren Müttern. Bis dahin werden ſie von dieſen in Dickichten verſteckt und, wie auch ſpäter, tapfer verteidigt. In Gegenden, wo Ackerbau und Forſtwirtſchaft den Anforderungen der Neuzeit gemäß betrieben werden, ſind die Hirſche nicht mehr zu dulden. Der Schaden, den die ſchönen Tiere anrichten, übertrifft den geringen Nutzen, den ſie bringen. Sie vertragen ſich leider nicht mit der Land- und Forſtwirtſchaft. Wäre die Jagd nicht, die mit Recht als eine der edelſten, männlichſten Vergnügungen gilt und heute für die ländlichen Gemeinden und Gutsbezirke auch ihre nicht zu unterſchätzende wirtſchaftliche Bedeutung hat, man würde ſämtliche Hirſche bei uns längſt vollſtändig ausgerottet haben. Die Zähmung der Hirſche iſt nicht ſo leicht, wie man gewöhnlich annimmt. In der Jugend betragen ſich freilich alle, die frühzeitig in die Gewalt des Menſchen kamen und an dieſen gewöhnt wurden, ſehr liebenswürdig, zutraulich und anhänglich; mit dem Alter aber ſchwinden dieſe Eigenſchaften mehr und mehr, und faſt alle alten Hirſche werden zornige, boshafte und raufluſtige Geſchöpfe. Hiervon macht auch die eine ſchon ſeit längerer Zeit in Gefangenſchaft lebende Art, das Renn, keine Ausnahme. Seine Zähmung iſt keineswegs eine vollſtändige, wie wir ſie bei anderen Wiederkäuern bemerken, ſondern nur eine halbgelungene. Die Hirſche zerfallen in zwei gut getrennte Unterfamilien: die geweihloſen Moschinae, denen Voraugendrüſen fehlen, und die Cervinae, die ſolche beſitzen. Mit einer Ausnahme tragen die letzteren auch ſtets Geweihe. Während die erſte Unterfamilie nur eine Gattung, nämlich die der Moſchustiere, enthält, beſteht die andere aus zahlreichen Gattungen. Man teilt dieſe gern nach dem Bau der Vorderfüße in die Gruppen der Telemetacarpalia und Plesiometacarpalia; an den Hinterfüßen find die ſeitlichen Mittelfußknochen völlig ver— ſchwunden. Bei der erſteren Gruppe ſind von den ſeitlichen Mittelhandknochen nur die unteren Enden erhalten, auch erſtreckt ſich die weiche Sohle bis zur Sohlenſpitze, die Klauen ſind „lang— ballig“. Dieſe Gruppe umfaßt alle neuweltlichen Hirſche, die beiden zirkumpolaren Gattungen Elch und Renntier, von den ausſchließlich altweltlichen Formen nur Reh und Waſſerreh. Bei den Pleſiometakarpalen ſind ſtatt der unteren die oberen Enden der ſeitlichen Mittelhandknochen erhalten, und die weiche Sohle ſcheint ſich bei ihnen wie bei unſerem Edelhirſch höchſtens bis zum zweiten Drittel der Klauenſohle zu erſtrecken, ſie ſind „kurzballig“. Hierzu gehören mit Ausnahme der eben genannten alle altweltlichen Hirſche und der nordamerikaniſche Wapiti. Die Plesiometacarpalia haben ferner ein niedriges, kurzes Pflugſcharbein, die Tele- metacarpalia ein hohes, langes, das die innere Naſenöffnung teilt. Doch gibt es hiervon einige Ausnahmen, indem die telemetakarpalen Rehe, Elche und Waſſerrehe ein niedriges, kurzes Pflugſcharbein beſitzen. Ferner iſt bemerkenswert, daß die Mehrzahl der telemeta— karpalen Hirſche, ſoweit es nicht Spießhirſche ſind, ein gabelig (dichotom) verzweigtes Geweih ohne Augenſproſſe trägt. Dies gilt auch für den Elch, bei deſſen Jugendſtadien ſich die Gabelung noch klar erkennen läßt. Es dürften daher alle telemetakarpalen Hirſche eine näher miteinander verwandte Reihe bilden. Anderſeits haben die meiſten pleſiometakarpalen 80 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche. Hirſche eine Augenſproſſe und keine regelmäßige Gabelung, ſo daß ſie eine zweite Reihe der Hirſche darſtellen. Aber auch hier wird wieder die ſonſt ſo klare Anordnung geſtört, indem die ſich im Fußbau den telemetakarpalen Hirſchen anſchließenden Renntiere ein Geweih nach dem Typus der pleſiometakarpalen beſitzen, und umgekehrt der pleſiometakarpale Milu ein regel— mäßig gegabeltes Geweih ohne Augenſproſſe hat. Letzterer iſt wohl mit dem Edelhirſch nahe verwandt, da er mit ihm erfolgreich gekreuzt werden kann. Bemerkenswert iſt, daß zwei Hirſchformen, die nach dem hier befolgten Syſtem einander ziemlich fern ſtehen, nämlich Renn und Milu, ein eigenartiges Kniſtern beim Gehen hören laſſen. Da man über Urſache und Bedeutung dieſes Geräuſches noch völlig im unklaren iſt, läßt ſich auch nicht ſagen, ob es auf eine nähere Verwandtſchaft ſchließen läßt oder nur eine Folge vom Wohnen auf ähnlichem Gelände, alſo eine Konvergenzerſcheinung darſtellt. So iſt alſo die Syſtematik und Anordnung der Hirſche auch heute noch nicht völlig klar. Die tiefſtſtehenden Hirſche find ohne Zweifel die Moſchustiere (Unterfamilie Moschi- nae). Die geringe Körpergröße, die Geweihloſigkeit und die langen, raubtierartigen Eckzähne deuten dies äußerlich an. Das Fehlen der Voraugendrüſen und der Drüſen an den Füßen, der Beſitz einer Gallenblaſe, das kleine, mit fünf Windungen verſehene Gehirn und Einzel— heiten in den Geſchlechtswegen des Weibchens zeigen die ſcharfe Trennung von den übrigen Hirſchen an. Die einzige Gattung (Moschus L.) hat einen kräftig gebauten Körper, lange und kräftige Beine, deren hintere erheblich länger ſind als die vorderen. Die Haare ſind harſch, dick, brüchig. Der kurze, faſt dreieckige Schwanz trägt beim Männchen eine Endquaſte. Die Männchen beſitzen ferner in der Nabelgegend einen Beutel, der beſonders zur Paarungs— zeit Moſchus abſondert. Von den ſeitlichen Mittelhandknochen iſt das untere Ende erhalten. Die Seitenzehen tragen große, breite, gute Dienſte leiſtende Endhufe, die der Hauptzehen ſind ſpitz und klein. Mit Hilfe beſonderer Muskeln können die Seitenzehen der Vorderfüße bewegt und weit geſpreizt werden. Sie hindern jo das Tier am Ausgleiten, wenn es über glatte Ab- hänge herabrutſcht oder auf Moorgrund, Schneefeldern und Gletſchern geht. Starke Bänder ſchützen die Seitenzehen vor Verſtauchung. Die Hauptzehen find durch eine Spannhaut verbun— den und ebenfalls weit ſpreizbar. Die Moſchustiere bewohnen das öſtliche Aſien von Kaſchmir bis China und vom Himalaja bis Sibirien. Dort leben ſie in den felſigſten Gegenden, ſelten in den Tälern, in die ſie eigentlich bloß dann herabſtreichen, wenn ſie der ſtrenge Winter von ihren Höhen vertreibt und der Nahrungsmangel ſie zwingt, ſich nach günſtigeren Gebieten zu wenden. Vertreten wird die Gattung durch zwei Arten, von denen das Moſchustier, Moschus moschiferus L., die bekanntere iſt. Es iſt ein zierlicher Wiederkäuer von 90 —100 em Leibes⸗ länge und 50 — 55 em Schulterhöhe, gedrungen gebaut, am Hinterteile höher geſtellt als vorn, ſchlankläufig, kurzhalſig, mit länglichem, an der Schnauze ſtumpf zugerundetem Kopfe, der mittelgroße, langgewimperte Augen mit ſehr beweglichem Stern und eigeſtaltige Ohren von halber Kopfeslänge trägt. Der Schwanz iſt kurz und dick, faſt dreieckig geſtaltet, bei dem Bocke mit Ausnahme der Spitze nackt, hier mit einem Haarbüſchel beſetzt. Ein dicht anliegendes Haarkleid, das zu beiden Seiten der Bruſt, zwiſchen den Hinterſchenkeln und am Halſe ſich verlängert, bedeckt den Leib; die Einzelhaare ſind ſtarr, ziemlich lang, dick, kraus gedreht und zeigen den vollkommenſten Zellenbau unter allen Haargebilden. Die Färbung iſt recht mannig— faltig und hat Anlaß zur Aufſtellung verſchiedener Unterarten gegeben: einzelne Stücke ſind oben ſehr dunkel braun, unten ſchmutzigweiß, andere rotbraun, andere oben gelblichbraun, unten weiß, andere zeigen eine Längsreihe lichter Flecke auf dem Rücken. Die Eckzähne im Moſchustier. 81 Oberkiefer ragen bei dem Männchen 5—7 em aus dem Maule hervor und ſind zuerſt ſanft auswärts, dann ſichelförmig nach unten und hinten zu gebogen. Ihre Außenſeite iſt flach gewölbt, der Hinterrand zuſammengedrückt und ſchneidend, die Spitze ſehr ſcharf. Das Weib— chen hat ebenfalls Eckzähne, doch treten dieſe nicht über die Lippen heraus. Der Moſchusbeutel liegt am Hinterbauche zwiſchen Nabel und Geſchlechtsteilen und er— ſcheint als ein ſackförmiger, etwas hervorragender, rundlicher Beutel von etwa 6 em Länge, 3 em Breite und 4—5 em Höhe. Straff anliegende, gegeneinander geneigte Haare beſetzen ihn von beiden Seiten, laſſen aber auf der Mitte eine kreisförmige Stelle kahl. Hier liegen zwei kleine Offnungen hintereinander, die durch kurze Röhren mit dem Beutel ſelbſt verbun— den ſind. Die vordere, halbmondförmige Offnung iſt außen mit gröberen, innen mit feinen, langen und verworrenen Haaren beſetzt; die hintere, die mit den Geſchlechtsteilen in Verbin— dung ſteht, wird von einem Büſchel langer Grannen umgeben. Kleine Drüſen im Inneren des Beutels ſondern den Moſchus ab, und durch die erſterwähnte Röhre wird der Beutel entleert, wenn er zu voll iſt. Erſt bei dem erwachſenen Moſchustier hat letzterer ſeine volle Größe und ſeinen vollen Gehalt an Moſchus erlangt. Man darf als Durchſchnittsmenge im gefüllten Beutel 30 g des koſtbaren Stoffes annehmen; doch hat man in einzelnen Beu— teln auch ſchon mehr als das Doppelte gefunden. Junge Böcke liefern etwa den achten Teil. Bei Lebzeiten des Tieres iſt der Moſchus ſelbſt ſalbenartig; getrocknet wird er zu einer kör— nigen oder pulverigen Maſſe, die anfänglich eine rotbraune Färbung zeigt, mit der Zeit aber bis zu Kohlſchwarz dunkelt. Das Moſchustier bewohnt die Gebirgswälder Mittelaſiens, von Gilgit im Himalaja im Weſten an bis zur chineſiſchen Provinz Kanſu im Oſten, und geht nach Norden bis in das ſüdliche Sibirien und die mongoliſchen Gebirge. Im Himalaja ſoll es im Sommer ſelten unter 2500 m Höhe herabſteigen und iſt in vielbejagten Gebieten recht ſcheu geworden. Die ſchroffen Gehänge und Waldungen ſind die eigentlichen Wohnſitze des berühmten Tieres, wo es einzeln oder höchſtens zu zweien vorkommt. Kinloch vergleicht ſeine Lebensweiſe mit der des Haſen, weil es gleich dieſem ſich Lager herſtelle und darin während des Tages ſehr feſt liege. Beim Aſen bevorzugt es Gehänge, auf denen graſige Weideplätze mit kleinen Buſch— waldungen abwechſeln; erſt in der Dämmerung oder in den Morgenftunden betritt es die buſchloſen Weideplätze. Sein Gang beſteht aus einer Reihe hüpfender Sprünge, auf die es einen kurzen Stillſtand folgen läßt, jedenfalls um zu ſichern; ſodann beginnt es wieder mit langſamen Schritten und fällt von neuem in ſeinen abſonderlichen Galopp. Beunruhigt gibt es einen ziſchenden Laut von ſich, und wenn man es gefangen hat, ſtößt es ein lautes und gellendes Kreiſchen aus. Seine Fährte unterſcheidet es ſogleich von allen anderen gebirgs— bewohnenden Wiederkäuern, weil die beiden Afterzehen einen deutlichen Eindruck hinterlaſſen. Findet man ſeine Spuren, ſo kann man mit Sicherheit darauf rechnen, es auf demſelben Wechſel wiederzuſehen; denn es hält dieſen auf das genaueſte ein. Seine Bewegungen ſind ebenſo raſch wie ſicher. Es läuft mit der Schnelligkeit einer Antilope, ſpringt mit der Sicher— heit des Steinbockes und klettert mit der Kühnheit der Gemſe. Auf Schneeflächen, wo jeder Hund einſinkt und ein Menſch ſich kaum fortbewegen kann, trollt das Moſchustier noch ge— mächlich dahin, faſt ohne eine ſichtbare Spur zurückzulaſſen. Verfolgte ſpringen, wie die Gemſen, aus bedeutenden Höhen ohne Schaden hinab oder laufen an Wänden hin, an denen ſich ihnen kaum die Möglichkeit zum Fußen bietet; im Falle der Not ſchwimmen ſie ohne Be— ſinnen über breite Ströme. Kälte ſcheint ſie nicht im geringſten anzufechten. Die Sinne ſind vortrefflich, die Geiſtesfähigkeiten aber gering. Wird das Moſchustier von einem Mißgeſchick Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 6 82 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche. überraſcht, ſo weiß es ſich oft gar nicht zu benehmen und rennt wie ſinnlos umher. So benimmt ſich auch das friſchgefangene. Im Winter tritt die Paarungszeit ein. Die Männchen beſtehen heftige Kämpfe und gebrauchen ihre ſcharfen Eckzähne in gefährlicher Weiſe. Sie gehen aufeinander los, ſuchen ſich mit den Hälſen zu umſchlingen, um die Zähne einzuſetzen, und reißen dann tiefe Wunden in Fell und Fleiſch. Man findet, daß faſt alle erwachſenen Männchen die Narben ſolcher Kämpfe an ſich tragen. Während dieſer Zeit verbreiten die Böcke einen wahrhaft unausſteh— lichen Moſchusgeruch: die Jäger ſagen, daß man ihn auf eine Viertelmeile wahrnehmen könne. 5¼ Monate nach der Begattung jest das Weibchen 1 oder 2 buntgefleckte Junge, die es bis zur nächſten Paarung bei ſich behält, dann aber abſchlägt. Mit Ende des dritten Jahres ſind die Jungen erwachſen, aber ſchon vor Ende des erſten Jahres fortpflanzungsfähig. Je nach dem Aufenthaltsorte iſt die Nahrung des Moſchustieres eine verſchiedene. Im Winter beſteht ſie hauptſächlich in Baumflechten, im Sommer in Alpenkräutern der höher gelegenen Matten des Gebirges. Die Jagd auf das ſo wichtige und gewinnbringende Geſchöpf iſt, wenigſtens in Sibi— rien, ſehr ſchwierig. Seine außerordentliche Scheu läßt den Jäger ſelten zum Schuſſe kommen. Gewöhnlich legt man, um der geſuchten Beute habhaft zu werden, Schlingen auf den Wechſel und bekommt ſie ſo bald lebendig, bald erwürgt. Das Wildbret wird auch von Europäern in Indien ſehr geſchätzt; der Moſchusbeutel hat einen Wert von 10 —30 Mark. Der meiſte Moſchus wird aus China nach England eingeführt; allein nur ſelten bekommt man ihn rein, denn die Chineſen haben ſchon ſeit alten Zeiten die Verfälſchung des köſtlichen Stoffes eifrig betrieben. Das Fell des Tieres wird hier und dort zu Kappen und Winterkleidern benutzt oder zu ſämiſchgarem Leder verarbeitet, das feiner iſt als das des Rehes. Kinloch kannte ein Moſchustier, das 1867 jung eingefangen, vollkommen zahm wurde und bei Milch und Brot, Laub und Blüten vortrefflich gedieh, auch nachdem man es in das indiſche Tiefland verſetzt hatte. Es erwies ſich als mutig und pflegte mit den Kindern des Hauſes und einem Hündchen munter zu ſpielen und zu ſcherzen. In engliſche Parke, ſo zu Woburn Abbey und Leonards Lee (Suſſex), ſind Moſchustiere neuerdings mehrfach ge— kommen und haben ſich hier gut gehalten. Auch in den zoologiſchen Gärten ſieht man fie jetzt bisweilen, wenngleich immer als Seltenheit. Heck fiel bei dem erſten Moſchustier, das der Berliner Garten erhielt, etwas Känguruhartiges auf, beſonders wenn das Tier eine ſeiner Lieblingsſtellungen annahm: „bei ſtark gekrümmtem Leib die kurzen Vorderläufe faſt zwiſchen die langen, tief eingeknickten hinteren geſetzt, wobei das Übergewicht des Hinterkörpers recht auffallend hervortritt. Wenn dann dieſe eigentümlich zuſammengekauerte Geſtalt plötzlich Leben gewinnt, um unter ganz unglaublichen Hebungen, Drehungen und Wendungen des Vorderkörpers einige verblüffend flinke und gewandte Kreuz- und Querſprünge zu machen und im nächſten Augenblick wieder, ſich lang dehnend und reckend, ganz ruhig und langſam, faſt nach Art eines ſchleichenden Raubtieres, dahinzuſchreiten, ſo muß dieſe für ein Huftier ganz außerordentliche Dehnbarkeit und Beweglichkeit der einzelnen Körperteile gegeneinander un— bedingt als eine der auffallendſten Eigenſchaften des Moſchustieres erſcheinen. .. Ich bin der feſten Überzeugung, auch die flüchtigſte Hirſch- oder Antilopenart dürfte nicht entfernt ähnliche verzwickte rück- und ſeitwärts ſchnellende Bewegungen des Vorderteils riskieren, ohne daß man jeden Augenblick einen Bruch des Kreuzes befürchten müßte.“ * Moſchustier. Chineſiſches Waſſerreh. Rehe. 83 Alle noch übrigen Hirſche bilden die Unterfamilie der Echten Hirſche (Cervinae), deren Merkmale oben ſchon eingehend erörtert worden ſind. Mit ihrem Fußbau ſchließen ſich von den beiden S. 79 genannten Unterabteilungen die Telemetacarpalia den Moſchustieren am nächſten an. Mit dieſen ſtimmt durch den Beſitz langer Eckzähne und Fehlen eines Geweihes und der Drüſen am Hinterfuß die tiefſtehende Gattung der Waſſerrehe (Hydropotes Swinh., Hydrelaphus) überein. Es find kleine einfarbige Tiere, deren Junge gefleckt ſind. Die Gattung ſcheint auf die Flußtäler Chinas und vielleicht auch Koreas beſchränkt zu ſein. Die einzige Art, das Chineſiſche Waſſerreh, Hydropotes inermis Swinh., iſt ein nur 50 em hohes Tier, das mit ziemlich gleichmäßigen, nur am Rücken und Nacken etwas verlängerten, dicken, weichen Haaren bekleidet iſt. Die Oberſeite iſt im Sommer hell rot— braun, im Winter dunkelbraun gefärbt, mit Schwarz geſtichelt, Kopf und Rückſeite der Ohren zeigen rötere, der Nacken und Hals bläſſere Töne. Die Unterſeite, Kinn, Bruſt, ein ſchmales Band um die Schnauze, ein Fleck über den Augen und die Innenſeite der Ohren ſind weiß. Das Kalb iſt ſpärlich und undeutlich in Längsreihen weiß gefleckt. Die Tiere leben einzeln oder paarweiſe verſteckt in dem hohen Graſe der Flußniederungen und erinnern in ihren Bewegun— gen an Hafen. Sie werfen, wie es ſcheint, 4— 6 Junge, ein unter allen Wiederkäuern einzig daſtehender Fall, wohl auch ein Zeichen ihrer tiefen Stellung. In unſeren zoologiſchen Gärten ſind ſie große Seltenheiten; doch hat im Hamburger Tiergarten ein Paar jahrelang gelebt. Von den telemetakarpalen Hirſchen mit kurzem Pflugſcharbein möge nun die Gattung der Rehe (Capreolus Gray) folgen. Die Zwiſchenklauendrüſen find ähnlich wie beim Waſſerreh vorn rudimentär, und der Unterkieferkörper hat die gleichen Umriſſe wie bei jenem. Auch ſonſt beſtehen Ähnlichkeiten, jo daß eine Verwandtſchaft nicht ausgeſchloſſen erſcheint. Die Gattung iſt gekennzeichnet durch die verhältnismäßig kleinen, gabelig verzweigten Geweihe, denen eine Augenſproſſe fehlt. Der hintere Mittelfuß trägt Drüſen und eine Haarbürſte im oberen Teil. Obere Eckzähne fehlen. Die nackte ſchwarze Muffel iſt groß und dehnt ſich bis zu den Naſenlöchern aus. Der Schwanz iſt ganz kurz. Die Jungen ſind gefleckt. Bei den in Mitteleuropa einheimiſchen Rehen geht die Geweihbildung nicht über die Sechſerſtufe hinaus. Aber ſchon in Oſteuropa finden wir Rehkronen mit mehr Enden; auch in Syrmien und Kroatien, beſonders aber in Aſien kommen nicht ſelten normal gebaute mehr— endige Geweihe vor, wie überhaupt die dortigen Rehe die unſeren erheblich an Größe über— treffen. Merkwürdigerweiſe treffen wir dann im äußerſten Oſten des von Rehen bewohnten Gebietes wieder kleine und den europäiſchen Rehen ähnliche Formen. Das Reh der Man— dſchurei, Capreolus mantschurieus Node, ſoll vom europäiſchen kaum zu unterſcheiden ſein. Die zwiſchen den beiden Endpunkten der Verbreitung auftretenden großen Formen be— ginnen ſchon in Südrußland mit C. pygargus Pall., das eine Widerriſthöhe bis zu 85 em und eine Länge bis 1,4 m erreicht. Ihm ſteht an Größe des Körpers ſowie Entwickelung des Geweihes das Rieſenreh vom Kaukaſus, das hier bis 2000 m hoch ſteigt, kaum nach (Taf. „Paarhufer IV“, 7, bei S. 61). Durch beſonders ſtark geperlte, weit ausgelegte und viel— verzweigte Geweihe zeichnet ſich das Tian-ſchan-Reh, Capreolus tianschanicus Sat., aus, das bis in einer Höhe von 3000 m lebt. Geht die Geweihentwickelung über die Sechſerſtufe hinaus, ſo teilen ſich für gewöhnlich die Endgabeln. Durch Teilung der vorderen Gabel— enden bildet ſich der Achter, durch Teilung beider der Zehner. Durch eine neu auftretende End— gabel entſteht der Zwölfer. Darüber hinaus ſcheinen regelrechte Geweihe nicht vorzukommen. 2 6* 84 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche. Häufig zeigen Rehgeweihe die Neigung, unterhalb der Vorderſproſſe und gleichmäßig auf jeder Seite eine bis 25 mm lange Perle zu bilden, die jagdmäßig als Ende gezählt wird. Sie kann mit einer ungefähr an derſelben Stelle ſitzenden Sproſſe bei den Virginiahirſchen verglichen werden, ſo daß die verwandtſchaftlichen Beziehungen beider noch enger werden. Unſer Reh, Capreolus capreolus L. (vulgaris, capraea), wird 1,3 m lang und am Kreuze bis 75 em hoch; das Stumpfſchwänzchen erreicht kaum eine Länge von 2 em. Das Gewicht beträgt 20 — 285, in ſeltenen Fällen ſogar bis 30 Kg; die Ricke iſt ſchwächer. Der Kopf iſt kurz und abgeſtumpft, der Hals ſchlank, der Leib verhältnismäßig wenig ſchlank, vorn etwas ſtärker als hinten, auf dem Rücken faſt gerade, am Widerriſte niedriger als am Kreuze; die Läufe ſind hoch und ſchlank, die Hufe klein, ſchmal und ſpitzig, die Lichter ſind groß und lebhaft, das obere Lid lang gewimpert, die Voraugendrüſen ſehr klein, eigentlich nur ſchwach angedeutet, da ſie bloß bis 6 mm lange, ſeichte, kahle Vertiefungen von abgerun— deter, dreieckiger Geſtalt bilden; das Gehör iſt mittellang und ſteht weit auseinander. Das Gehörn, wie die Jäger das Rehgeweih nennen, zeichnet ſich durch breite Roſen und durch verhältnismäßig ſtarke, mit weit hervortretenden Perlen beſetzte Stangen aus. Über die Ge- hörnbildung haben erſt die letzten Jahrzehnte Klarheit geſchaffen. Nach Schäff ſetzt der Kitzbock im Herbſt ſeines erſten Lebensjahres ein geringes knopfartiges Geweih ohne Roſe auf („Knopfſpießer“). Dieſes wird gegen Anfang des folgenden Frühjahrs abgeworfen. Dann bekommt der Kitzbock meiſt ein aus einfachen Spießen beſtehendes Geweih; doch kann das auch in ſeltenen Fällen ſchon ein Gabler- oder gar ein Sechſergeweih ſein. Dieſes zweite Geweih wird nun im Herbſt gewechſelt, wie regelmäßig alle folgenden. Jüngere Böcke pflegen bei uns im November bis Dezember, ältere etwas früher, oft ſchon Ende Oktober, das Geweih ab— zuwerfen. Dafür iſt es bei dieſen auch eher, etwa im März, fertig und wird dann gefegt; bei jüngeren zieht ſich die Vollendung gewöhnlich bis zum April, ſelbſt Mai hin. Mehr als ſechs regelrechte Enden pflegen unſere Rehe nicht zu bekommen. Mißbildungen aller Art ſind bei dem Rehgehörne außerordentlich häufig. In Samm—⸗ lungen ſieht man Stangen von der ſonderbarſten Geſtaltung: manche mit einer ganzen Reihe von jagdgerechten Enden, andere ſchaufelartig verbreitert und mit Randſproſſen beſetzt. Es kommen Rehböcke mit drei Stangen und drei Roſenſtöcken vor oder ſolche mit einer einzigen Roſe und einem einfachen Stocke, ferner ſogenannte Perückengehörne uſw. Auch Ricken er— 3 bisweilen Gehörne. (Vgl. S. 77.) Die Behaarung des Rehes ändert ſich je nach der Jahreszeit: die Sommerdecke iſt viel 9 5 und dünner als die dichte Winterdecke. Ober- und Außenſeite des Körpers ſind im Sommer roſtrot, im Winter braungrau, Unter- und Innenſeite der Gliedmaßen immer heller gefärbt. Kinn, Unterkiefer und ein kleiner Fleck jederſeits der Oberlippe ſind weiß; hinter der Mitte der Unterlippe tritt ein kleiner brauner Fleck hervor. Das Gehör iſt auf der Außenſeite etwas dunkler als der übrige Leib, innen mit gelblichweißen Haaren beſetzt. Steiß und Hinter: teil der Keulen ſind im Sommer gelblich, im Winter ſcharf abgegrenzt weiß. Dieſer „Spiegel“ kann ausgebreitet werden und iſt dann weithin ſichtbar. Bei den Kälbern treten auf der rötlichen Grundfarbe kleine, rundliche, weiße oder gelbliche Flecke in Reihen hervor, die ſich mit dem erſten Haarwechſel verlieren. In manchen Gegenden treten Abweichungen in der Färbung auf, die ſich durch mehrere Geſchlechter vererben: es kommen ſchwarze, weiße, geſcheckte und ſilberfarbene Rehe vor. In der Weidmannsſprache heißt das männliche Reh nach 0055 Geburt Kitzbock, nach Reh: Verbreitung. Aufenthalt. 85 zurückgelegtem erſten Jahre Spießbock, nach vollendetem zweiten Jahre Gabelbock, vom dritten Jahre ab endlich Bock, guter und braver Bock; das weibliche Reh dagegen in denſelben Alters— ſtufen Reh- oder Kitzkalb und Kitzchen, ſodann Schmalreh, endlich Ricke, Hille, Rehgeiß und zuletzt alte, beziehentlich gelte Ricke. Der lange Haarbüſchel, der am vorderen Ende der Brunftrute des Bockes herabhängt, heißt Pinſel, der Haarbüſchel, der aus dem Feigenblatte der Ricke hervortritt, Schürze, die lichte Stelle am Steiß der Spiegel. Das Reh bildet einen Sprung oder ein Rudel, wenn es ſich geſellſchaftsweiſe vereinigt; es ſchreckt, ſchmält oder meldet ſich, wenn es ſeinen kurzen Schrei von ſich gibt, oder klagt, wenn es von Hunden oder Raubtieren ergriffen wird und laut aufſchreit. Im übrigen gebraucht man von ihm dieſelben Ausdrücke wie vom Hochwilde. Unſer Reh bewohnt, nach Gerrit Miller, Europa von Großbritannien an bis Aſien, ohne daß die öſtlichen Grenzen ſeines Verbreitungsgebietes genau bekannt wären, und von den Küften des Mittelmeeres — tes findet ſich auf Sizilien, fehlt aber auf Sardinien — bis Schottland und Mittelſchweden. Aber es ſieht nicht überall ganz gleich aus, ſo daß Matſchie für Preußen allein bisher mindeſtens drei Lokalformen unterſcheiden zu müſſen glaubt. Im allgemeinen kann man ſagen, daß das Reh ſich innerhalb ſeines Verbreitungs— gebietes ſowohl in jungen Baumſchlägen, in Vor- und Feldhölzern als auch in allen größe— ren Waldungen findet, wenn ſie nur reich an Unterholz ſind, gleichviel ob die Beſtände in Gebirgen oder ebenen Gegenden liegen, ob ſie aus Schwarz- oder Laubholz beſtehen. Ge— rade das letztere, namentlich auch in bruchigen Landſtrichen, ſcheint dem Rehe ganz beſonders zu behagen. Im Winter zieht dieſes ſich von den Höhen zur Tiefe hinab, im Sommer ſteigt es höher empor. In Sibirien wandert es mit einer gewiſſen Regelmäßigkeit überall, wo es ihm beſchwerlich oder unmöglich wird, auf ſeinen Sommerſtänden zu überwintern. Schon in unſeren Hoch- und Mittelgebirgen findet etwas Ahnliches ſtatt, nur daß hier die Wande— rungen ſich nicht über ſo weite Strecken ausdehnen; in Sibirien aber verläßt es mit Eintritt der kalten Jahreszeit beſtimmt ſeine ſommerlichen Aufenthaltsorte, ſchart ſich in zahlreiche Rudel und meidet nun das Gebirge gänzlich, um in den Wäldern der Ebene den Winter zu verbringen. Die Wanderungen beginnen unmittelbar nach der Brunft und dauern wäh— rend des ganzen Winters fort, wogegen mit Beginn der Schneeſchmelze ein allmähliches Auf— rücken in den Gebirgen ſtattfindet. Sowohl im Sommer als im Winter meidet das Reh in Sibirien die reinen Schwarzwälder, bevorzugt dagegen die Talmündungen, die flachen Vor— länder, die ſanfthügeligen, nicht ſehr dicht bewaldeten Vorberge oder hält ſich in den dichten Unterhölzern des alpinen Gürtels auf, hier mit Vorliebe die Dickichte der Eiche, Kiefer und ſibiriſchen Tanne zu ſeinem Standorte wählend. Bei uns zulande lebt es gern in Vorhölzern, auch in ſolchen, die mit geſchloſſenen. Waldungen nur loſe zuſammenhängen, nicht ſelten in— mitten größerer Feldfluren, zieht ſich auch im Vorſommer gänzlich in die Felder und tut ſich am Tage im hohen Getreide nieder. Standwild im ſtrengſten Sinne des Wortes iſt es nur da, wo es ſich vollkommen ſicher fühlt; aber auch hier unternimmt es gern weitere Streifzüge, ſei es, um eine gewiſſe Aſung, ſei es, um andere ſeiner Art aufzuſuchen. Mehr als der Rothirſch, ungleich mehr als der Damhirſch, liebt es Freiheit in jeder Beziehung, insbeſondere Ver änderung des Standes, der Aſung, ſelbſt der Geſellſchaft. Es iſt nicht allein wähleriſch, ſon— dern förmlich launenhaft, gefällt ſich heute hier, morgen dort, läßt ſich unter Umſtänden allerlei Störungen gefallen und nimmt ſie wiederum ſo übel, daß es gelegentlich ganz auswechſelt. Die Bewegungen des Rehes ſind behende und anmutig. Das Reh kann erſtaunlich weite, bogenförmige Sätze ausführen und über breite Gräben, hohe Hecken und Sträucher 86 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche. ohne bemerkbare Anſtrengungen ſpringen, ſchwimmt und klettert auch gut. Es vernimmt, wittert und äugt vortrefflich, iſt vorſichtig, aber auch wieder recht vertraut. Solange es jung iſt, zeigt es ſich höchſt liebenswürdig, im Alter aber ſehr eigenwillig, trotzig und bösartig. Schon die alte Ricke hat ihre Mucken, jedoch zu wenig Kraft, um ihren Abſichten den erwünſchten Ausdruck und Nachdruck zu geben; der Bock aber iſt ein unverträglicher, boshafter, ſelbſt- und herrſchſüchtiger Geſell, behandelt ſchwächere ſeiner Art ſtets, die Ricke nicht ſelten ganz abſcheu— lich, mißhandelt ohne Erbarmen ſeine Sprößlinge, zeigt allen Geſchöpfen, die er nicht fürchten muß oder aus Gewohnheit nicht mehr fürchtet, das Gehörn und gebraucht es in höchſt gefähr— licher Weiſe. Zu trauen iſt ihm nie; denn ſein Sinn iſt im höchſten Grade unbeſtändig und wetterwendiſch, ſeine Reizbarkeit unglaublich groß und ſeine ſtörriſche Beharrlichkeit nicht zu unterſchätzen. Wirkliche Anhänglichkeit kennt er nicht; bei Gefahr iſt er der erſte, der ſich davon zu machen ſucht; Verteidigung der Ricke und ſeines Sprößlings kommt ihm nicht in den Sinn. Er hält ſich nicht immer, aber oft zu beiden, jedoch kaum aus warmer Zuneigung, ſondern wohl hauptſächlich aus Liebe zur Geſelligkeit. Selbſt während der Brunſtzeit bekundet er der Ricke gegenüber eigentlich kaum Zärtlichkeit, ſondern nur Begierde. Niemals bildet das Reh ſo ſtarke Trupps wie das Edelwild. Während des größten Teiles des Jahres lebt es familienweiſe in „Sprüngen“ zuſammen, die aus jüngeren Böcken, Ricken und Kitzen in kleiner Anzahl beſtehen, nur im Winter ſchlagen ſich die Rehe manchmal zu größeren Rudeln von 50—60 Stück zuſammen. Die Führung des Sprunges hat gewöhnlich eine Ricke, die auch meiſt an erſter Stelle zieht. Zur Setzzeit, d. h. im Mai, wendet ſich die tragende Ricke ab und ſucht ſich ein ruhiges Fleckchen im Unterholz, wo das Junge geſetzt wird. Starke Böcke leben oft das ganze Jahr allein und treten nur während der Brunſtzeit zu den Ricken. Der Warnruf iſt ein fat bellend klingendes „Bö, bö, bö. . “. Die Kälber halten ſich bis zur nächſten Brunſtzeit zu den Ricken, werden dann von dieſen abgeſchlagen und bilden oft eigene Trupps für ſich. Während des Tages hält ſich das Reh in einem ruhigen, Deckung bietenden Teile des zeitweiligen Wohngebietes auf, gegen Abend, in ruhigen Gegenden bereits in den ſpäteren Nachmittagsſtunden, tritt es auf junge Schläge, Wald- und Flurwieſen oder Felder heraus, um zu äſen; gegen Morgen begibt es ſich wieder nach dem Dickicht oder ins hohe Getreide zurück, ſchlägt mit den Vorderläufen die Moos- oder Raſendecke weg und bereitet ſich ſo ſein Bett oder Lager, um hier zu ruhen. Einen beſtimmten Wechſel hält es gern, obſchon nicht ganz regelmäßig ein. Die Aſung iſt faſt dieſelbe, die das Edelwild genießt; nur wählt das leckere Reh mehr die zarteren Pflanzen aus. Blätter und junge Schößlinge der verſchiedenſten Laubbäume, Nadel— holzknoſpen, grünes Getreide, Kräuter bilden wohl die Hauptbeſtandteile der Aſung. Bei uns zulande ernährt ſich das Reh von den Blättern und jungen Trieben der Eiche, Ulme, Birke, Eſpe, des Hornbaumes, Spitzahornes ſowie der Nadelhölzer, beſonders der Fichte, von jung aufſchießendem Raps, Weizen, Roggen, Gerſte, Hafer, Erbſen, Kraut und Klee, allerlei Gräſern, auch Eicheln und anderen Baumfrüchten, in Sibirien außer dieſen und ähnlichen Pflanzen— arten auch von den Trieben der Wermutarten, Potentillen uſw. Salz leckt es ſehr gern, und reines Waſſer iſt ihm Bedürfnis; es begnügt ſich aber bei Regen oder ſtarkem Taufalle mit den Tropfen, die auf den Blättern liegen. Hier und da kommt es zuweilen auch wohl in die Gärten herein, deren leckere Gemüſe ihm behagen, und ſetzt dabei kühn und geſchickt über ziemlich hohe Zäune weg. Vom Hirſch unterſcheidet es ſich dadurch, daß es die Kartoffeln nicht ausſcharrt und in den Feldern nicht ſoviel Getreide durch Niedertun umlegt; dagegen verbeißt es in Forſten und Gärten die jungen Bäume oft in ſchlimmer Weiſe und wird dann Reh: Weſen. Nahrung. Fortpflanzung. 87 ſehr ſchädlich. Es richtet keinen Schälſchaden an, wohl aber ſetzt der Bock beim Fegen den dazu ausgewählten Gewächſen oft arg zu. Lange war man über die Fortpflanzungsgeſchichte des Rehes im unklaren. Sie iſt kurz folgende. Von Mitte Juli bis Mitte Auguſt dauert etwa die Brunſtzeit. Unruhe, Rauf- und Kampfluſt machen ſich beim Bock geltend; er trennt ſich unter allen Umſtänden von den bis— herigen Genoſſen, ſchweift weit umher, tritt anderen Böcken herausfordernd entgegen, läßt öfters ſeine Stimme, ein dumpfes, kurz ausgeſtoßenes „Bäöß, bäö“ oder „Bö, bö, bö“, ver- nehmen und beginnt die Ricken zu treiben, d. h. hitzig hin und her zu jagen. Seine Erregung ſteigert ſich von Tag zu Tage; er bekämpft mit oft ſinnloſer Wut ſeine Nebenbuhler, bindet ſelbſt mit anderen Geſchöpfen, in ſeltenen Fällen ſogar mit dem Menſchen an, mißhandelt, ja tötet die Kälber und behandelt auch die Ricken, die ſich ſeinen Wünſchen nicht ſofort fügen wollen, mit ebenſoviel Ungeſtüm wie Rückſichtsloſigkeit. Seine Eiferſucht und Raufluſt gehen ſo weit, daß er die begehrte Schöne meiſt ob des Nebenbuhlers hintanſetzt, indem er auf Böcke, die gleich ihm eine Ricke treiben, wütend und kampfeifrig losſtürzt, ohne ſich um die Geiß weiter zu bekümmern. Dieſe iſt faſt ebenſo erregt wie er, gibt ihren Gefühlen auch entſprechenden Ausdruck, indem ſie den Bock durch einen „fipenden“ Laut, welcher wie „i, i, ie, ie, i, ie“ klingt, auf ſich aufmerkſam macht und zu ſich einladet. Auf dieſes Zeichen hin eilt der junge Bock hitzig und unbedacht, der ältere vorſichtiger, der alte erfahrene ſchleichend wie ein Fuchs herbei. Die alte Ricke gewährt meiſt ohne Umſtände, das Schmalreh dagegen widerſtrebt dem un— geſtümen Bewerber, läßt ſich längere Zeit treiben, gerät auch meiſt in große Angſt und gibt dieſe durch die Laute „i, Ta, iaia“ zu erkennen, fügt ſich jedoch endlich ebenfalls dem Willen des Bockes. Da dieſer, wenn er ein gewiſſes Alter erreicht hat, regelmäßig Schmalrehe treibt und die alten Ricken mehr oder weniger vernachläſſigt, finden gemeiniglich die jungen Böcke bei letzteren williges Entgegenkommen. Überwiegt in einem Reviere das eine Geſchlecht, ſo wandert der nicht zur Paarung gelangende Teil aus, um anderswo ſein Glück zu ſuchen. Im November macht ſich oft wieder eine gewiſſe Unruhe unter dem Rehwild bemerkbar, man ſieht auch gelegentlich einen Bock eine Geiß treiben, ſelbſt den Beſchlag ausüben. Dieſes im Verein mit der ſpäten Setzzeit, nämlich erſt im Mai des folgenden Jahres, hat zur Annahme einer Novemberbrunſt geführt. Erſt durch die eingehenden wiſſenſchaftlichen Unterſuchungen Pockels, Zieglers und beſonders Biſchoffs wurden die höchſt eigenartigen Fortpflanzungs— verhältniſſe des Rehes aufgeklärt. Zunächſt wurde nachgewieſen, daß die Eierſtöcke der Geißen nur im Sommer reife Eier, die Hoden der Böcke nur im Hochſommer Samenfäden enthalten, nicht aber im Winter. Das Ei wird im Sommer im Eileiter befruchtet, macht hier die aller— früheſten Entwickelungsſtufen durch, gelangt wenige Tage darauf in die Gebärmutter und bleibt hier unverändert 41/2 Monate bis nach Mitte Dezember liegen, fängt dann aber plötz— lich mit großer Schnelligkeit an, ſich weiter zu bilden, ſo daß nach 21— 25 Tagen alle Organe des Keimlings vorhanden ſind und bis zu der im Mai erfolgenden Geburt nur noch eine Vergrößerung erfahren. Die normale Zahl der Jungen dürfte 2 ſein, 3 ſind ſelten, und 4 finden ſich nur ganz ausnahmsweiſe, doch wird auch oft nur eins geſetzt. ö Die Mutter verbirgt ihre Sprößlinge vor jedem ſich nahenden Feinde mit Sorgfalt und gibt ihnen bei der leiſeſten Ahnung einer Gefahr warnende Zeichen durch Aufſtampfen mit dem einen Laufe oder durch einen kurzen, zirpenden Laut. In der zarteſten Jugend drücken ſich die Kälber, ſobald ſie dieſen vernehmen, auf der Stelle nieder; ſpäterhin entfliehen ſie mit der Mutter. Während der erſten Tage des Lebens, wenn die Kälber noch zu unbehilf— lich ſind, nimmt die Ricke zur Verſtellungskunſt ihre Zuflucht und ſucht den Feind auf ſich ss 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche. abzulenken. Wird ihr ein Junges geraubt, ohne daß fie es hindern kann, jo folgt fie dem Räu⸗ ber, auch dem Menſchen, lange nach und gibt ihre Sorgen durch beſtändiges ängſtliches Hin— und Herlaufen und durch Rufen zu erkennen. „Mich hat dieſe Mutterzärtlichkeit“, jagt Dietrich aus dem Winckell, „mehr als einmal dahin vermocht, das Kalb, welches ich ſchon mitgenom— men hatte, wieder in Freiheit zu ſetzen, und die Mutter belohnte mich reichlich dafür durch die ſorgſamen Unterſuchungen, ob dem Kinde ein Unfall zugeſtoßen ſei oder nicht. Freudig ſprang ſie um das unbeſchädigt gefundene Kleine herum und ſchien es mit Liebkoſungen zu über— häufen, indem fie ihm zugleich das Geſäuge zur Nahrung darbot.“ Etwa 8 Tage nach der Geburt nimmt die Ricke ihre Kälber mit zur Aſung, und nach 10 —12 Tagen ſind ſie voll— kommen ſtark genug, ihr nachzueilen. Nun kehrt ſie mit ihnen auf den alten Stand zurück. Die Sprößlinge beſaugen ihre Mutter bis zum Winter, vielleicht ſogar dieſen hindurch, nehmen aber ſchon im zweiten Monate ihres Lebens feineres grünes Geäſe mit an. Bei der Geburt bringen ſie 3 Paar Schneidezähne, 1 Paar Eckzähne und nur 12 Backzähne mit. Von dieſen Milchzähnen werden das mittlere Paar Schneidezähne etwa im November, das nach außen folgende im Januar oder Februar, das äußerſte im März oder April, die Eckzähne im April oder Mai gewechſelt. Sämtliche Vorderzähne find alſo etwa mit 13 Monaten durch die bei benden Zähne erſetzt. Im Alter von 5 Monaten zeigt ſich hinter den Milchbackzähnen der erſte bleibende Backzahn, alſo der vierte der ganzen Reihe. Im Oktober oder November er— ſcheint dann der fünfte Backzahn, der für den Jäger beſondere Bedeutung hat, da er zur Unterſcheidung von Kitzböcken und 1¼ jährigen oder älteren Böcken dient. Etwa im 14. Lebens⸗ monat werden die Milchbackzähne gewechſelt, gleichzeitig erſcheint der letzte Backzahn, ſo daß das Gebiß mit 15 Monaten fertig iſt. Mit dem Alter von 14 Monaten ſind die Rehe fortpflanzungsfähig geworden. Schon zu Ende des vierten Monats wölbt ſich das Stirnbein des jungen Bockes, in den folgenden 4 Wochen bilden ſich kleine, immer höher werdende Kolben, und in den Wintermonaten brechen dann die „Knöpfe“ hervor. Man jagt das Reh faſt in derſelben Weiſe wie Hochwild, obwohl man gegenwärtig in nicht weidmänniſch behandelten Revieren mehr das Schrotgewehr als die Büchſe zu ſeiner Erlegung anwendet. Von geübten Jägern wird der Bock in der Brunſtzeit durch Nachahmung des zirpenden Liebeslautes ſeines Weibchens, das ſogenannte „Blatten“, herbeigelockt und dann erlegt. In Sibirien errichtet man auf den Wechſeln der Rehe Fallgruben, hetzt die Tiere, wenn der Schnee beim Schmelzen ſich mit einer dünnen Eisdecke überzieht, mit Hunden und Pferden, fährt ſie mit dem Schlitten an und erlegt ſie, nachdem ſie ſich an das Gefährt ge— wöhnt haben, oder ſticht fie nieder, wenn fie bei ihren Wanderungen die Flüſſe überſetzen. Außer dem Menſchen ſtellen dort Luchs, Wolf, Wildkatze und Fuchs den Rehen nach, erſtere großen und kleinen ohne Unterſchied, letztere namentlich den Rehkälbern, die zuweilen auch dem zwerghaften blutgierigen Wieſel zum Opfer fallen ſollen. Bei uns kommen dieſe Feinde wohl weniger in Betracht, dagegen plagen das Reh die Larven der Daſſelfliege, die in ſeiner Haut ſchmarotzen (die ſogenannten „Engerlinge“), und Rachenbremſen, die in den Schleim— häuten der Naſe und Rachenhöhle heftige Entzündungen hervorrufen. Auch zahlreiche Ein— geweidewürmer, wie Bandwürmer, Leberegel, Saugwürmer, peinigen unſer Tier. Der Nutzen, den das Reh dem Menſchen gewährt, iſt nicht unbedeutend, der Schaden, den es anrichtet, verhältnismäßig gering, jedoch immer noch größer als der Nutzen. Nament— lich in jungen Schlägen hauſt es oft ſchlimm und vereitelt in wenigen Tagen jahrelange ſorgſame Arbeiten des Forſtmannes. Bei uns zulande nützt man das köſtliche Wildbret, das Gehörn und das Fell, in Sibirien verarbeitet man die Decke zu Pelzen. N BER Reh. Pampashirſch. 89 Im Wildgarten wie im Tierzwinger oder im engeren Gewahrſam überhaupt hält ſich das Reh minder leicht als andere Hirſche, weil ſeinem ungebundenen Weſen aller Zwang zuwider iſt. Iſt der Wildgarten zu klein, ſo kümmert es, geht immer mehr zurück und ſchließ— lich ein, auch wenn es reichlich mit ihm zuſagender Aſung verſorgt wird. In den Tiergärten rechnet man das Reh unter diejenigen Tiere, deren Erhaltung ſchwierig iſt. Das Reh erweiſt ſich als ein ſehr wähleriſches, heikles und ſchwer zu befriedigendes Geſchöpf, iſt weichlich und hinfällig, pflanzt ſich daher auch keineswegs regelmäßig im Zwinger fort und geht oft infolge einer unbedeutenden Veranlaſſung ein. Jung aufgezogen wird es leicht und in hohem Grade zahm. Doch erlebt man auf die Dauer nur an der Ricke, nicht aber an dem Bock Freude; denn letzterer bekundet mit der Zeit ſein eigentliches Weſen, wird dreiſt, zudringlich und un— verſchämt; er tyranniſiert, wenn man ihn frei laufen läßt, alle ſchwächeren Geſchöpfe und geht ohne Bedenken ſelbſt auf ſeinen Herrn los. Mit dem ſpitzen Gehörn können die Böcke dabei nicht unbedeutende Verletzungen beibringen. Ricken dagegen ſollen gelegentlich ſo zahm und anhänglich werden, daß ſie frei ſelbſt in den Wald gelaſſen werden können und immer wieder zurückkommen. Dietrich aus dem Winckell berichtet von einer Ricke, die ſtets zur Brunſtzeit auf einige Tage aus dem Hauſe verſchwand und beſchlagen wieder zurückkehrte. Den Rehen ſtehen die zahlreichen amerikaniſchen Hirſche nahe, die unter dem Gattungs— namen Odocoileus N,. zuſammengefaßt werden. Nicht nur im Fuß- und Schädelbau gleichen ſie den Rehen, ſondern viele von ihnen haben auch dieſelbe Zeichnung am Maul und einen ähnlichen Geweihbau. Wie den Rehen fehlen ihnen die Augenſproſſen, und die Stange ver— zweigt ſich gabelartig. Das Kleid der Alten iſt einfarbig, das der Jungen meiſt gefleckt. Die nackte Muffel iſt groß. Das Verbreitungsgebiet umfaßt Amerika vom 60. Grad nördl. Breite bis nach Patagonien. Von den Untergattungen iſt die der Sproſſenhirſche (Blastoceros Wagn.) dem Reh am ähnlichſten. Die Hauptſtangen ſind aufrechtſtehend gerade und gehen nach der Spitze zu auseinander; ſie ſind vollſtändig regelmäßig gegabelt. Drüſen am mittleren Hinterfuß fehlen, obere Eckzähne ſind bei den Männchen meiſt vorhanden. Der Schwanz iſt kurz. Einer der bekannteſten ſüdamerikaniſchen Hirſche iſt der Pampashirſch oder Guazuy, von den Braſilianern nach feiner hellen Farbe Veado branco (Weißes Reh) genannt, Odo- coileus (Blastoceros) bezoarticus L. (campestris; Taf. „Paarhufer IV, 8, bei S. 61), ein für unſere Familie mittelgroßes Tier von 1,1—1,3 m Leibeslänge und 10 em Schwanz— länge, am Widerriſte 70 em, am Kreuze 75 em hoch. Das Haar iſt dick, rauh, brüchig und glänzend, auf der Ober- und Außenſeite licht rötlichbraun oder fahl gelbbraun, an den Seiten, am Vorderhalſe und auf der Innenſeite der Gliedmaßen am lichteſten, im Geſicht dunkler, oft mit einem ſchwarzen Fleck auf dem Scheitel. In der Mitte des Rückens und am Anfang des Nackens bildet es je einen Wirbel. Die Unterteile, alſo Kinn, Kehle, Bruſt, und die Längsſtreifen an der Innenſeite der Schenkel find ſchmutzigweiß, der Bauch, die Hinterſeite der Schenkel, die Unterſeite des Schwanzes und die Schwanzſpitze rein weiß, die Ohren außen licht rötlichbraun, innen weißlich. Ein weißer Ring umgibt das Auge und die Roſenſtöcke, und weiße Flecke ſtehen an der Spitze der Oberlippe. Die Jungen ſind lichter gefärbt und haben eine Reihe weißer Tüpfel auf jeder Seite des Rückens und eine zweite zwiſchen Schulter und Schenkel. Das Ge— weih dieſes Hirſches erinnert an das unſeres Rehes, hat wie dieſes ſechs Enden, iſt aber ſchlanker, feiner und durch die längeren Sproſſen unterſchieden; auch iſt die untere Sproſſe tiefer angeſetzt. 90 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche. Dieſe teilt ſich niemals. Zuweilen finden ſich Geweihe, von deren Stange an der Vorder: ſeite noch eine zweite Sproſſe ſich abzweigt. Die Länge des Geweihes beträgt ſelten mehr als 25 em; Stangen von 32 em Länge gehören zu den Ausnahmen. Die offenen Campos von Braſilien, Paraguay, Uruguay und Nord-Argentinien ſind die Heimat dieſes Hirſches. Der Pampashirſch meidet die Nähe von Sümpfen und die Wälder und hält ſich mit Vorliebe auf den höchſten Erhebungen der Campos auf, von wo er am beſten ſichern kann. Er lebt paarweiſe und in kleinen Rudeln; der alte Bock ſondert ſich ab. Bei Tage, außer der Mittagsſtunde, ruht der Hirſch im hohen Graſe verborgen. Seine Sinne ſind ſchärfer und ſeine Bewegungen ſchneller und gewandter als bei vielen anderen Hirſchen. Nur ſehr gute Pferde können ihn einholen; wenn er aber einigen Vorſprung hat, vermag ihn auch der beſte Renner nicht zu erreichen. Kurz vor Sonnenuntergang zieht er auf Aſung aus und ſtreift dann während der ganzen Nacht umher. Das Tier ſetzt nur ein Kalb, entweder im Frühling oder im Herbſt, und führt es nach wenigen Tagen dem Hirſche zu; beide Eltern bekunden große Sorgfalt für das Kleine. Sobald Gefahr droht, verſtecken ſie es im hohen Graſe, zeigen ſich ſelbſt dem Jäger, führen dieſen von der Spur des Kalbes ab und kehren dann auf Umwegen wieder zu dem Kleinen zurück. Wird das Junge gefangen, ſo entfernen ſich die Eltern, falls ſie nicht von den Hunden verfolgt werden, niemals weit von dem Jäger, ſondern gehen unruhig in großen Kreiſen um ihn herum und nähern ſich, wenn ſie die meckernde Stimme des Kalbes vernehmen, ſogar auf Schußweite. Ein Paar dieſer Hirſche verfolgte Rengger, der ein Junges mit ſich wegführte, einmal eine halbe Stunde lang. In Südbraſilien wirft der Pam⸗ pashirſch, nach A. Bornmüller, im Mai ab und hat bis zum Oktober neu aufgeſetzt und gefegt. Jung eingefangen wird er außerordentlich zahm, lernt alle Mitglieder des Hauſes kennen, folgt ihnen überall hin, gehorcht ihrem Rufe, ſpielt mit ihnen und beleckt ihnen Hände und Geſicht. Der erwachſene Hirſch gibt, namentlich in der Brunftzeit, einen ſehr unangenehmen, ausgeſprochen knoblauchartigen Geruch von ſich, der ſo ſtark iſt, daß man ihn ſogar an Stellen wahrnimmt, wo eine Viertelſtunde vorher ein Männchen vorbeigekommen iſt. Dieſer Geruch bleibt noch lauge an Gegenſtänden, die mit dem Tier in Berührung kamen, an den Ge— weihen ſogar jahrelang haften. Um den Guazuy zu erlegen, muß man Treibjagden anſtellen. Einige Jäger zu Pferde bilden auf dem Felde einen Halbkreis und erwarten das Wild, das ihnen andere mit Hilfe der Hunde zutreiben. Sowie ſich einer dem Hirſche genügend genähert hat, ſprengt er plötzlich auf ihn zu und wirft ihm die Bolas in die Geweihe oder zwiſchen die Läufe. Wird der Hirſch lange gejagt, ſo macht er, wie unſer Reh, häufig Seitenſprünge, um die Hunde von der Spur abzubringen, und drückt ſich endlich an einer Stelle, wo er hohes Gras findet. Im Falle der Not zeigt er Mut und verteidigt ſich gegen Hunde und Menſchen entweder mit dem Geweih oder durch Schlagen mit den Vorderläufen. Auch gelingt es, wenn man mit Vorſicht die Campos durchreitet, vom Pferde herab einen Guazuy im Aufſpringen zu ſchießen oder, wie Bornmüller berichtet, den Hirſch auf dem Boden kriechend anzupirſchen, wobei man ſich die Neugier des Hirſches zunutze machen kann, der oft im „Stechſchritt“ auf den ſich ſo nähern: den Jäger zuſchreitet. Bornmüller hat auf dieſe Weiſe viele Hirſche erlegt. In Argentinien ſoll, nach einer Mitteilung P. Neumanns, infolge der fortſchreitenden Bodenkultivierung der Beſtand an Pampashirſchen ſeinem Ende entgegengehen. Außer dem Menſchen hat dieſes Wild bloß den Puma zu fürchten. Das Wildbret der jungen Tiere iſt angenehm, das der alten Ricken etwas zäh, das der Hirſche, wegen der Ausdünſtung, ganz ungenießbar. Die Haut benutzt man gegerbt zu Reitdecken und Bettunterlagen. In den zoologiſchen Gärten ift Pampashirſch. Sumpfhirſch— 91 der Pampashirſch ſelten, zumal auch in ſeiner Heimat die Beſtände durch die unabläſſige Verfolgung ſchon ſehr gelichtet und zurückgedrängt ſind. Im Gegenſatz zum vorigen iſt der Sumpfhirſch, Odocoileus dichotomus I. (palu- dosus, Untergattung Dorcelaphus Glog.; Taf. „Paarhufer V“, 1, bei S. 96), wie ſein Name jagt, ein Bewohner der Sumpfwälder und Dſchangeln, welche die Flüſſe Braſiliens einſäumen. Hier lebt er in kleinen Trupps von 5—6 Tieren. Er iſt der größte ſüdamerika— niſche Hirſch, unſerem Rothirſch an Größe kaum nachſtehend, aber leichter gebaut. Die Ge— weihe ſind groß, beide Enden der Hauptgabel, alſo auch die untere Vorderſproſſe, gabeln ſich wieder. Die gewöhnliche Endenzahl iſt 10, doch kommen auch abwei— chende Geweihe mit mehr Enden vor. Schon der Spießer trägt eigen— artig abgeflachte Spieße, die auf die ſpätere gabelige Verzweigung der Geweihe hindeuten. Die langen, ſtarren Haare bilden am Rücken und Nacken kleine Wirbel wie beim vori gen. Die Färbung iſt rotkaſtanien- braun im Sommer, mehr braunrot im Winter, nach der Seite zu heller. Die unteren Teile der Gliedmaßen ſind ſchwarz. Bauch, Innenſeite der Schenkel, Bruſt, Kinn, Innenſeite der Ohren und Baſis ihrer Außen— ſeite, eine Linie über oder ein Ring um die Augen ſind weiß, ein Band um die Muffel und Unterlippe ſchwarz. Die Jungen ſind nicht gefleckt. Ahn— liche Lebensweiſe auf gleichartigem, ſumpfigem Gelände haben, wie Heck hervorhebt, auch äußerliche Ahnlich— keiten des Sumpfhirſches mit der afrikaniſchen Sumpfantilope bewirkt: der Hirſch hat „dieſelben dünnen, übermäßig hohen Beine, auf denen der Körper ganz eigentümlich wackelig daherſtelzt, dieſelben langen, ſpitzen, beim Gehen weit auseinandergeſpreizten ‚Schalen‘ (Hufe), dasſelbe grobe, etwas wirre Haar— kleid“. Auch der ſchöne Sumpfhirſch kommt leider nur ſehr ſelten in unſere Tiergärten, und, was noch bedauerlicher iſt, er hat ſich da nur wenig ausdauernd gezeigt. — = - l I ji Geweih des Sumpfhirſches. Aus der Sammlung Rörtg. In Nordamerika und im nördlichen Südamerika wohnen die Virginiahirſche (Unter— gattung Odocoileus Raf.), zierliche, anmutige Hirſche, die ſich ebenſo durch ihren Bau wie durch die Geweihe der Männchen auszeichnen. Ihre Geſtalt iſt ſchlank, Hals und Kopf ſind lang, die Läufe mittelhoch, aber ſchwach, der Wedel iſt ziemlich lang und auch unten behaart. Der hintere Mittelfuß trägt meiſt Drüſen und eine Haarbürſte. Obere Eckzähne fehlen. Die Geweihe ſind gabelig geteilt, krümmen ſich bogenförmig von rückwärts nach außen und vorwärts 92 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche. und tragen an ihrer oberen Kante mehr oder weniger zahlreiche Sproſſen; die Augenſproſſe, Eis- und Mittelſproſſe fehlen, doch iſt ſtets am unteren Teil der Stange eine Sproſſe ent— wickelt, die keiner der genannten entſpricht. Sie wächſt bei dem eigentlichen Virginier als vierte Sproſſe, nicht als zweite, wie bei den altweltlichen Hirſchen die Augenſproſſe; bei einigen ges wöhnlich hierhergerechneten Hirſchen des nördlichen Südamerikas dagegen, wie Odocoileus nemoralis H. Sm. aus Honduras und Panama, ſoll ſie tatſächlich als zweite Sproſſe zur Ent— wickelung kommen. Da dieſe Arten auch nie mehr als acht Enden aufweiſen, hat man vor— geſchlagen, fie als Cariacus Less. von den eigentlichen Virginiahirſchen, die LO—14 und mehr Enden erhalten, abzutrennen. Bemerkt ſei noch, daß dieſe Virginiahirſche nach Süden immer kleiner werden. Eine Zwergform mit nur 6 Enden, Odocoileus mexicanus Gm., lebt in Südmexiko. Bei vielen der kleinen, ſüdlichen Arten hat das Geweih auch die Biegung nach vorn faſt verloren. Als ſüdlichſter Vertreter ſei O. peruvianus Gray von Peru genannt. Die Lichter der Virginiahirſche ſind groß und ausdrucksvoll, das Gehör iſt ziemlich groß, lanzettförmig geſtaltet, auf der Außenſeite mit ſehr kurzen Haaren bekleidet, ſo daß es faſt nackt erſcheint, innen dagegen, namentlich an den Seiten, reichlicher bedeckt. Dichte, weiche Haare von lebhafter Färbung bilden das Fell. Die Jungen ſind meiſt gefleckt. Dieſen Hirſchen kommt deswegen noch ein beſonderes Intereſſe zu, weil offenbar eine Art von der Urbevölke⸗ rung, beſonders Pucatans, als Haustier gehalten wird. Die bekannteſte hierhergehörige Art iſt der Virginiahirſch, Odocoileus americanus Erzl. (virginianus), der Weißſchwanzhirſch der Amerikaner. Die Färbung ändert ſich den Jahreszeiten entſprechend. Im Sommerkleide iſt ein ſchönes, gleichmäßiges Gelbrot, das auf dem Rücken dunkelt und nach den Seiten heller wird, die vorherrſchende Färbung; die Winter— decke iſt mehr graubraun, ähnlich der Winterfärbung unſeres Rehes. Ein Fleck außen am unteren Ohrwinkel, die Unterſeite des Unterkiefers und die Kehle, die Hinterſeite des Vorder— ſchenkels, der Bauch, die innere und die Vorderſeite des Hinterſchenkels ſind rein weiß; der Wedel iſt oben dunkelbraun, mit Schwarz verbrämt, unten und auf den Seiten blendend weiß. Bezeichnend erſcheint die Färbung des Kopfes, der immer dunkler als der übrige Körper, und zwar bräunlichgrau iſt. Der Naſenrücken pflegt gewöhnlich ſehr dunkel zu ſein, die Muffel ſchwarz umrandet. Das Kinn ziert ein queres ſchwarzes Band. Zu beiden Seiten der Unterlippe und an der Spitze des Oberkiefers ziehen ſich weiße Flecke herab, die ſich faſt zu einem Ringe vereinigen; das Gehör iſt an der Außenſeite dunkel graubraun, an Rand und Spitze ſchwärzlich, inwendig weiß. Nach den vom Prinzen von Wied gegebenen Maßen beträgt die Länge eines Hirſches von mittlerer Stärke 1,8 m, die Länge des Wedels 30 em, die Länge des Kopfes ungefähr ebenſoviel, die Höhe des Ohres 15 em, die Höhe des Geweihes 30 em und die Länge jeder Stange, der Krümmung nach gemeſſen, etwa 50 em. Am Wider: riſte iſt ein ſolcher Hirſch 1 m hoch. Das beträchtlich kleinere Tier wird nur 1,3 m lang und nicht über 80 em hoch. Das Kalb iſt auf dunkelbraunem Grunde ſehr zierlich weiß oder gelblichweiß gefleckt, im übrigen ſeinen Eltern ähnlich. Die Hauptſtange des Geweihes iſt plötzlich in einer gewiſſen Höhe vorwärts gebogen und trägt an der Stelle der größten Krüm— mung eine lange Sproſſe. Von der Hauptgabel iſt der hintere Zacken aufgerichtet und der vordere weiter gegabelt. Von der Knickungsſtelle an gleicht das Geweih einem wagerechten Stamm mit drei ſenkrechten Zweigen, die auf ſeiner oberen Seite entſpringen. Nach den Angaben der amerikaniſchen Forſcher verbreitet ſich dieſer ſchöne Hirſch mit Ausnahme der nördlichſt gelegenen über alle Waldungen des öſtlichen Nordamerikas, von Virginiahirſch. 9: 0 Neuyork bis Florida und von den Küſten des Atlantiſchen Ozeans bis zum Miſſouri. Früher ſoll er allerorten zahlreich geweſen ſein; gegenwärtig iſt er aus den ſtark bevölkerten Teilen ſchon ganz verdrängt und hat ſich in die größeren Gebirgswaldungen zurückziehen müſſen. Im mittleren Weſten der Vereinigten Staaten vertritt ihn der Langſchwanzhirſch, O. a. macrourus Raf., ein nicht ſeltener Gaſt unſerer Tiergärten. Er unterſcheidet ſich von der typiſchen Form durch etwas geringere Größe, blaſſere Farbe und Fehlen des Schwarz im Geſicht und am Schwanz. „Das Wild“, ſo ſchildert aus früheren Zeiten Audubon, „hängt feſt an dem einmal gewählten Platze und kehrt nach Verfolgung immer wieder dorthin zurück. Allerdings tut es ſich während der verſchiedenen Tage gewöhnlich nicht in demſelben Bette nieder, wird aber doch in derſelben Gegend gefunden, oft keine 50 Schritt von der Stelle, wo es früher aufgeſtört worden war. Seine Lieblingsplätze find alte Felder, die teilweiſe von Buſchwald wieder in Beſitz genommen worden ſind und deswegen ihm Schutz gewähren. In den ſüd— lichen Staaten ſucht es, und zwar namentlich im Sommer, wenn es weniger verfolgt wird, oft die äußeren Hage der Pflanzungen auf und ſteht hier während des Tages in einem düſteren Dickicht zwiſchen Rohr, wildem Wein und Dornengeſtrüpp, jedenfalls in möglichſter Nähe ſeines Weidegrundes. Doch findet man auch zahlreiche Spuren des Wildes in Feldern, die nur von fern her beſucht werden. In der kalten Jahreszeit bevorzugt es die geſchützten und trockenen Plätze, ſteht dann gern unter dem Winde und läßt ſich von den Sonnenſtrahlen wärmen; im Sommer zieht es ſich während des Tages in die ſchattigen Teile des Waldes zurück und hält ſich in der Nähe kleiner Flüſſe oder kühler Ströme auf. Um der Verfolgung der Mücken und Stechfliegen zu entgehen, flüchtet es ſich oft in einen Fluß oder Teich und liegt hier bis zur Naſe im Waſſer. „Die Aſung des Wildes iſt nach der Jahreszeit verſchieden. Im Winter geht es die Zweige und Blätter des Gebüſches an, im Frühling und Sommer wählt es ſich, und zwar mit größter Leckerhaftigkeit, das zarteſte Gras aus und kommt oft, dem jungen Maiſe und anderem Getreide nachgehend, in die Felder herein. Beeren verſchiedener Art, Nüſſe und ähn— liche Früchte liebt es ungemein. Bei ſo reichlicher Auswahl an Aſung ſollte man meinen, daß es beſtändig gut von Wildbret ſei; dies iſt jedoch nicht der Fall, denn mit Ausnahme gewiſſer Jahreszeiten iſt dieſer Hirſch ſehr ſchlecht vom Leibe. Die Hirſche ſind vom Auguſt bis zum November feiſt. Wir ſelbſt haben ſolche erlegt, die an SO kg wogen, und erfuhren, daß einzelne ein Gewicht von mehr als 90 kg erreichen. Die Brunft beginnt, in Carolina wenigſtens, im November, manchmal auch etwas eher. Der Hirſch iſt jetzt fortwährend auf den Beinen, faſt beſtändig im Rennen, um ſeine Gegner aufzuſuchen. Wenn er mit anderen Hirſchen zuſammentrifft, beginnt ein heftiger Zweikampf, in dem manchmal einer getötet wird; nicht ſelten verfangen ſich zwei gleich ſtarke Hirſche ſo vollſtändig mit den Geweihen, daß ſie nicht wieder voneinander loskommen können und in kläglicher Weiſe zugrunde gehen. Wir haben uns bemüht, derartig verſchlungene Geweihe zu trennen, aber gefunden, daß weder unſere Geſchicklichkeit noch unſere Kraft dies auszuführen vermochte. Verſchiedene Male haben wir zwei und einmal drei Paare von Geweihen ſo verfangen geſehen. Die Brunft währt ungefähr zwei Monate und beginnt bei älteren Hirſchen eher als bei jüngeren. Gegen den Monat Januar werfen die Hirſche ab, und von nun an leben fie friedlich miteinander vereinigt. „Die Tiere ſind am feiſteſten vom November bis zum Januar, fallen hierauf ab, um ſo mehr, je näher die Sabzeit heranrückt, und nehmen wieder zu, während ihre Kälber fie be— ſaugen. Dieſe werden in Carolina im April geboren; Schmaltiere hingegen ſetzen gewöhnlich 94 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche. erſt im Mai oder Juni. In den nördlichen Staaten tritt die Satzzeit etwas ſpäter ein als in Florida und Texas. Das Tier verbirgt ſein friſch geſetztes Kalb unter einem dichten Buſche oder im hohen Graſe und beſucht es mehrmals des Tages, namentlich morgens, abends und während der Nacht. Erſt ſpäter nimmt es das Junge mit ſich fort. Wenn die Kälber erſt einige Tage alt ſind, laſſen ſie ſich ſehr ſchnell zähmen und ſchließen ſich ihren Fängern ſchon nach wenigen Stunden innig an. Ein Freund von uns beſaß ein Tierkalb, das nach ſeiner Gefangennahme zu einer Ziege gebracht und von dieſer angenommen wurde, und wir haben andere geſehen, die von Kühen groß geſäugt worden waren. Sie halten ſich gut in der Ge— fangenſchaft; aber wir haben gefunden, daß ſie läſtige Lieblinge ſind. Ein Paar, das wir verſchiedene Jahre hielten, hatte ſich gewöhnt, unſer Studierzimmer durch das offene Fenſter zu beſuchen, und führte dies auch, unbekümmert um die Glasſcheiben, aus, wenn die Fenſter geſchloſſen waren. Die Tiere ſchienen überhaupt einen zerſtörungsluſtigen Sinn zu haben, leckten und nagten an unſeren Buchdeckeln und verurſachten oft große Verwirrung unter unſeren Papieren. Kein Buſch in dem Garten war ihnen heilig; ſie benagten ſelbſt unſer Kutſchgeſchirr und machten ſich ſchließlich über unſere jungen Enten und Hühner her, biſſen ihnen den Kopf und die Füße ab und ließen dann den verſtümmelten Leib liegen. „Das Tier ſetzt erſt, wenn es wenigſtens zwei Jahre alt iſt, und dann regelmäßig ein Kalb, während es ſpäter deren zwei zur Welt bringt. Ein ſtarkes und geſundes Tier gebiert oft drei Kälber, und in dem Leibe eines von uns erlegten Tieres fanden wir ſogar vier wohl— ausgebildete Junge. Die regelmäßige Zahl der Kälber iſt zwei. Das Tier liebt ſein Kalb ungemein und kommt auf deſſen Ruf augenblicklich herbei. Die Indianer brauchen die Liſt, auf einem Rohrſtücke das Mahnen des Kalbes nachzuahmen, um die Mutter herbeizulocken, die dann regelmäßig ihrem Pfeile zum Opfer fällt. Dem Menſchen gegenüber wagt die Mutter ihr Kind nicht zu verteidigen, ſondern denkt nur an die Flucht. Unſer Wild iſt ſehr geſellig und wird in den weſtlichen Prärien oft in ungemein zahlreichen Rudeln von vielen hundert Stücken zuſammen geſehen. Nach der Brunft ſchlagen ſich, wie ſchon erwähnt, auch die Hirſche in Rudel zuſammen, oder die jüngeren vereinigen ſich mit den Tieren, die den größten Teil des Jahres hindurch zuſammenleben. „Dieſes Wild läßt ſelten einen Laut vernehmen. Das Kalb ſtößt ein leiſes Blöken aus, das von dem feinen Gehöre ſeiner Mutter vielleicht auf eine Entfernung von 100 Schritt wahrgenommen wird; dieſe ruft ihr Kalb durch ein leiſes Murmeln herbei. Ein lautes Schreien haben wir nur gehört, wenn das Wild verwundet wurde. Der Hirſch ſtößt, wenn er aufgeſtöbert wird, ein kurzes Schnauben aus; wir haben aber auch nachts ein ſchrillendes Pfeifen, ähnlich dem der Gemſe, von ihm vernommen, und zwar bis auf eine Entfernung von ungefähr einer halben Meile. Die Witterung iſt ſo ausgezeichnet, daß ein Stück dem anderen durch Spüren zu folgen imſtande iſt. An einem Herbſtmorgen ſahen wir ein Tier an uns vorüberlaufen; 10 Minuten ſpäter beobachteten wir einen Hirſch, der es mit der Naſe auf dem Boden verfolgte, und zwar auf allen Widergängen ſeines Laufes; eine halbe Stunde ſpäter erſchien ein zweiter Hirſch und geraume Zeit nachher ein Spießer als dritter, und alle folgten derſelben Fährte. Das Geſicht ſcheint wenig entwickelt zu ſein; wenigſtens haben wir be— obachtet, daß das Wild, wenn wir ſtillſtanden, oft wenige Schritte vor uns vorbeiging, ohne uns zu bemerken, während es augenblicklich flüchtig wurde, wenn wir uns bewegten oder wenn wir ihm in den Wind kamen. Das Gehör iſt ebenſo fein wie der Geruch. „Unſer Wild kann ohne Waſſer nicht beſtehen und ift gezwungen, die Flüſſe oder Quel— len allnächtlich aufzuſuchen. Im Jahre 1850 herrſchte eine allgemeine Dürre in unſeren Virginiahirſch: Audubons Bericht. 95 ſüdlichen Ländern, und die Folge davon war, daß das Wild maſſenweiſe ſeine Stände verließ und ſich waſſerreicheren Gegenden zuzog. Sehr begierig ſind die Hirſche auf Salz: Jäger, die dies wiſſen und Salzlecken kennen, machen in deren Nähe regelmäßig gute Jagd. Wenn man das Wild ein nächtliches Tier nennt, muß man hinzufügen, daß es in Prärien oder in Ortlichkeiten, wo es ſelten geſtört wird, auch in den Morgen- und Nachmittagsſtunden ſeiner Aſung nachgeht. Unter ſolchen Umſtänden ruht es gewöhnlich nur in den Mittagsſtunden. In den atlantiſchen Staaten freilich, wo es von den Jägern fortwährend beläſtigt wird, erhebt es ſich ſelten vor Sonnenuntergang von ſeinem Bette. Übrigens ſieht man es im Frühling und Sommer öfter als im Winter am Tage äſen. „In Gegenden, wo das Wild fortwährend beunruhigt wird, läßt es den Jäger viel näher an ſein Bett herankommen als in Gauen, wo es ſelten geſtört wird. Es bleibt ruhig liegen, aber keineswegs weil es ſchläft oder nicht wachſam ift... Wir haben es liegen ſehen, die Hinterläufe ſprungfertig, das Gehör platt auf die Seiten des Nackens gepreßt, die Lichter ſcharf jede Bewegung des Störenfriedes bewachend. Unter ſolchen Umſtänden darf der Jäger nur dann auf Erfolg hoffen, wenn er langſam rund um das Tier reitet und tut, als ob er es nicht bemerkt habe, dann aber plötzlich feuert, bevor es ſich von ſeinem Bette erhebt. Ehe es Nachſtellungen erfahren hat, verſucht es, ſich bei der Ankunft des Jägers in geduckter Stellung davonzuſchleichen. „Der Gang des Wildes iſt verſchieden. Im Laufe trägt es ſein Haupt niedrig und ver— folgt ſeinen Weg vorſichtig und ſtill, gelegentlich das Gehör und den Wedel bewegend. Das größte Tier iſt regelmäßig der Führer des Trupps, der in der ſogenannten indianiſchen Reihe fortzieht; ſelten gehen ihrer zwei nebeneinander. Ein ruhiger Schritt iſt die Bewegung des nicht in Furcht geſetzten Wildes. Wenn es aufgeſtört wird, ohne jedoch erſchreckt zu ſein, ſpringt es zwei- oder dreimal in die Höhe und fällt mit ſcheinbarem Ungeſchick auf drei Läufe nieder, kehrt ſich einen Augenblick ſpäter der entgegengeſetzten Seite zu, erhebt ſeinen weißen Wedel und dreht ihn von einer Seite zur anderen. Darauf folgen dann einige hohe Sprünge, worauf das Haupt nach jeder Richtung hin gedreht wird, um womöglich die Urſache der Störung zu erſpähen. Die Sprünge und Sätze ſind ſo anmutig, daß man ſie nur mit Er— ſtaunen und Bewunderung betrachten kann. Sieht dagegen das Wild den Gegenſtand ſeines Schreckens, bevor es ſich von ſeinem Bette erhebt, dann ſchießt es raſch niedrig auf dem Boden dahin, Haupt und Wedel in einer Linie mit dem Körper gehalten, und ſo läuft es mehrere hundert Schritt weit fort, als wolle es mit einem edlen Roſſe wetteifern. Dieſe Art der Be— wegung kann es jedoch nicht lange fortſetzen; wir haben mehrmals geſehen, daß es durch einen gewandten Reiter überholt und zurückgetrieben wurde, und wiſſen, daß eine Meute guter Hunde das Wild ungefähr nach einſtündiger Jagd einholt, falls es ihm nicht gelingt, einen Sumpf oder einen Strom zu erreichen, in den es ſich unter ſolchen Umſtänden augen— blicklich wirft. Es geht übrigens auch unbedrängt ins Waſſer und ſchwimmt mit großer Schnelligkeit, den Leib tief eingeſenkt und nur das Haupt über der Oberfläche erhoben. Nach unſeren Erfahrungen kreuzt es zuweilen ſehr breite Ströme und durchſchwimmt Entfernungen von 2 lengliſchen) Meilen fo raſch, daß ein Boot es kaum überholen kann. An den ſüdlichen Küſten wirft ſich das von Hunden verfolgte Wild in die Brandung, ſchwimmt auf 1 oder 2 Meilen in das Meer hinaus und kehrt gewöhnlich zu demſelben Platze zurück, von dem es ausgegangen war. Wenn wir nachts durch den Wald ritten und an Wild vorüberkamen, hörten wir oft, daß es mit dem Fuße aufſtampfte, oder vernahmen von den Hirſchen ein lautes Schnaufen. Hierauf ſtürmte das Rudel eine kurze Strecke dahin und ſtampfte und 96 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche. ſchnaufte wieder. Dieſes Betragen ſcheint übrigens nur bei Nacht ftattzufinden. Das Wildbret iſt das wohlſchmeckendſte von allen. Es iſt feiner als das Wildbret des Wapitis oder der europäiſchen Hirſcharten; den höchſten Wohlgeſchmack hat es jedoch nur während der Feilt- zeit.“ Nach Lydekker heben die Virginiſchen Hirſche, wenn ſie beunruhigt ſind, den Schwanz ſenkrecht empor, ſo daß deſſen weiße Unterſeite zuſammen mit der weißen Innenſeite der Keulen ein weit ſichtbares Erkennungszeichen auf der Flucht für die Genoſſen iſt. Schon die Indianer jagten den Virginier unter Anwendung von allerhand Liſten, wie Blatten, Verkleidung. Aber erſt die manchmal wahrhaft barbariſchen Jagdarten der Weißen und deren moderne Feuergewehre in Verbindung mit der fortſchreitenden Kultur und Be— völkerungszunahme bedrohen auch dieſes einſt ſo zahlreiche Wild mit Vernichtung. Betrug doch nach einer durch Hornaday veröffentlichten Statiſtik von T. S. Palmer der Abſchuß in den Jahren 1908 —10 jährlich rund 5760000 Stück. „Mit lebhaftem Bedauern“, ſchrieb ſchon Audubon, „müſſen wir die Befürchtung der Jäger beſtätigen, daß unſer Wild im ſchnellen Abnehmen begriffen iſt und möglicherweiſe bald ausgerottet ſein wird. Schon gegenwärtig gibt es in Carolina kaum den 50. Teil des Wildes mehr, das vor 20 Jahren dort lebte. In den nördlichen und mittleren Staaten iſt es bereits ausgerottet, und nur in den ſüdlichen Ländern, wo die ausgedehnten Wälder, Brüche und Sümpfe den Anbau des Bodens verwehren, treibt es ſich noch umher, obgleich auch hier ſchon viele Pflanzer ihre Hunde verſchenkt haben, weil ſich für ſie keine Arbeit mehr findet.“ In einzelnen Staaten iſt, wohl infolge geeigneter Wildſchongeſetze, die Zahl der Vir⸗ giniahirſche wieder im Zunehmen begriffen, wie dies Hornaday von Maſſachuſetts, Connecticut und Süd⸗Neuyork berichtet. Im allgemeinen iſt aber dem rückſichtsloſen Vernichtungskrieg noch wenig geſteuert worden. Im zoologiſchen Garten hat man mit dem eigentlichen Virginiſchen Hirſch im allgemeinen nicht beſonders gute Erfahrungen gemacht, wenigſtens neuerdings nicht; doch hat er ſich da mehrfach fortgepflanzt, und die weißgefleckten Kälber ſind das Zierlichſte und Lieblichſte, was man ſehen kann; als Tragzeit wurden 205 — 212 Tage feſtgeſtellt. Dagegen liegen ältere Einbürgerungen in Waldparken vor, z. B. vom Grafen Breuner auf der niederöſterreichiſchen Herrſchaft Grafenegg. Von anderen Arten dieſer Untergattung ſei der Nacktohrhirſch, Odocoileus gymnotis Vg, genannt, der leicht an ſeinen langen, faſt nackten Ohren kenntlich iſt. Es iſt ein an der Schulter 70 em hohes Tier von gelbbrauner, grau geſprenkelter Färbung. Längs des Nackens zieht ſich ein dunkler Streifen, ein gräulicher Ring umgibt das Auge. Gelblichweiße und braune Flecke zieren den Vorderkopf, ſchwarze Zeichnung Naſe, Ober- und Unterlippe; im übrigen ſind die Lippen, Kinn, Kehle und Bauch rein weiß. Die Heimat iſt Kolumbien. Während bei den bisher erwähnten Arten das Geweih ſtets nach dem beim Virginiahirſch näher beſchriebenen Typus gebaut war, weiſt es bei den folgenden eine andere Geſtaltung auf. An Stelle der langen Sproſſe, die das Geweih des Virginiahirſches an der Umbiegungsſtelle trägt, ſteht bei den Ohrenhirſchen (Untergattung Otelaphus Fitz.) nur eine ganz kurze. Von dieſer Stelle biegt ſich das Geweih auf einer kurzen Strecke unmittelbar nach außen und dann aufwärts und gabelt ſich regelmäßig weiter, indem jeder Zacken der nun folgenden Gabel wieder eine Gabel tragen kann, bis fünf Enden an jeder Stange erreicht find. Dazu kommen noch einige Eigentümlichkeiten des Schädelbaues ſowie die vom Virginier abweichende Ge— wohnheit, den Schwanz bei der Flucht angedrückt zu tragen. Paarhufer V. docoileus dichotomus III. "/2 nat. Gr., s. S. 91. — L. Bab-Berlin phot. 2. Großohrhirſch, Odocoileus 3. Peruanifcher Gabelhirſch, Hippocamelus antisiensis Orb. nat. Gr., s. S. 98. — Aufn. a. d. Zool. Garten in Lima von Koske-Greifswald. 4, Axishirich, Rusa axis Erxl. ½ nat. Gr. s. S. 120.— The Scholastic Photographic Co.-London phot. 8888 5 5 | 4 Ri 7 Nacktohrhirſch. Großohrhirſch. Schwarzſchwanzhirſch. Huemul. 97 Die wichtigſte Art iſt der Großohr- oder Maultierhirſch, Odocoileus (Otelaphus) hemionus Raf. (macrotis; Taf. „Paarhufer V“, 2). Seine Ohren find außerordentlich lang, ſehr dicht behaart. Der mäßig lange Schwanz iſt an der Wurzel der Unterſeite unbehaart und mit Ausnahme der ſchwarzen Endquaſte weiß. Weiß ſind auch der Bauch, die Innenſeite der Gliedmaßen und die Ohren. Bruſt und Unterſeite des Halſes ſind braunſchwarz, der vordere Ohrrand ſchwarz. Die allgemeine Farbe der Oberſeite iſt rötlich oder hell gelblichrotbraun im Sommer, dunkelbräunlich oder rotgrau im Winter, mehr oder weniger weiß gejprenkelt. Die Stirn trägt zwiſchen den Augen einen dunkelbraunen Fleck. Der Großohrhirſch bewohnt in einer Anzahl Unterarten den größten Teil Nordamerikas weſtlich des Miſſouris, vom 30. Grad an bis zum Norden von Britiſch-Columbia. Nach Lydekker lebt er im Sommer in kleinen Trupps: eine Hirſchkuh mit ihren Jungen von verſchiedenen Jahren zuſammen, zwei oder drei alte Böcke mit einem jungen, der als Schildwache dient, während halberwachſene Böcke oft allein ſtehen. Während der Paarungszeit, die etwa von Ende Oktober bis Mitte Dezember dauert, ſammelt der alte Bock einen Harem von 11—12, ſelten mehr Weibchen um ſich, jedoch ohne zwei- bis dreijährige Böcke abzutreiben, obwohl er heftig mit älteren Nebenbuhlern kämpft. Die gefleckten Jungen werden im Mai geboren; meiſt ſind es zwei, doch wurden auch Drillinge beobachtet. Nach Hornaday („Our vanishing Wild Life“) iſt dieſer Hirſch außerhalb der Schutzparke dem Ausſterben nahe, ſchon zu vier Fünf— teln ausgerottet. — Während der Großohrhirſch die offenen Gegenden bevorzugt, bewohnt, ein naher Verwandter von ihm, der Schwarzſchwanzhirſch, Odocoileus (Otelaphus) co- lumbianus Rich., gerade die dichteſten Nadelholzwaldungen an der pazifiſchen Küſte Nord— amerikas, etwa von Alaska bis Kalifornien. Vom Großohrhirſch unterſcheidet er ſich vor— wiegend dadurch, daß faſt der ganze Schwanz, abgeſehen vom erſten Drittel der Unterſeite, ſchwarz iſt, durch kürzere Ohren, eine kleinere Drüſe und Haarbürſte am Hinterfuß und durch geringere Größe. In den europäiſchen Tiergärten ſieht man Großohrhirſche nur äußerſt ſelten, und wenn einmal einer eingeführt wird, pflegt er ſich nicht lange zu halten. Eigenartige Gebirgstiere find die. Anden- oder Gabelhirſche (Hippocamelus Zeuck., Fureifer) Südamerikas. Kennzeichnend für fie iſt das einfache Geweih, das nur eine einzige Gabel bildet. Die Abweſenheit der Drüſe am hinteren Mittelfuß, das auch bei den Jungen einfarbige Kleid ſind Merkmale derartigen Fortgeſchrittenſeins, daß wohl die Geweihbildung nicht als Zeichen primitiver Stufe, ſondern als Zeichen von Rückbildung anzuſehen iſt. Das Haar iſt hart und brüchig, der Schwanz kurz; obere Eckzähne ſind bei beiden Geſchlechtern vorhanden. Die Gabelhirſche bewohnen die Kordilleren Südamerikas in zwei Arten, die ſich vorwiegend durch die Geweihbildung unterſcheiden. Die ſüdliche, in den Anden Südchiles und ganz Patagonien verbreitete Art, der Huemul, H. bisulcus Mol. (chilensis), trägt die Gabel auf einem langen Stiel und hat keine ſchwarze Geſichtszeichnung. Das Fell iſt ſehr dicht, rehbraun mit ſchwarzen Spitzen. Das Geweih bleibt im allgemeinen ein Gabelgeweih. Es kommen vereinzelt Sechſer vor, einmal wurde auch ein Achter beobachtet, und Sallaé nennt gar einen Zehnender. Nach Graf von der Schulenburg-Wolfsburg, der in „Wild und Hund“ 13911 einige Angaben auch über die Lebensweiſe dieſes jo wenig bekannten Tieres macht, be— trug die Länge eines Hirſches 180 em, die Kopflänge 38, die Länge der Ohren 24 cm. Dieſe langen Ohren geben dem Weibchen ein eſelartiges Ausſehen. Die Huemuls leben in kleinen Rudeln, ein Hirſch mit zwei, ſelten drei oder gar vier Tieren. Zum Aſen und Trinken be— vorzugen ſie keine beſtimmte Tageszeit. „Von der Zeit lange vor Tagesanbruch bis nach Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 7 98 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche. Sonnenuntergang habe ich ſie zu jeder Stunde und ganz ohne Rückſicht auf das Wetter am Waſſer oder äſend getroffen.“ Auch halten ſie keine beſtimmten Wechſel inne. Doch ſcheinen ſie regelmäßig zu wandern, indem ſie „im Winter längs der Flüſſe herabziehen, während ſie in den trockenen Monaten mehr die Berge aufſuchen“. — Die nördliche Art, der Peruaniſche Gabelhirſch, H. antisiensis Orb. (Taf. „Paarhufer V“, 3, bei S. 96), hat eine faſt un— geſtielte Gabel und eine ſchwarze Linie im Geſicht, die von der Stirn zur Naſenſpitze zieht. Die Farbe der Oberſeite des Tieres und der Außenſeite der Gliedmaßen iſt gelblich graubraun geſtichelt; den Seiten, dem Kopf und der Stirn fehlen die graulichen Töne. Ein Ring um die Muffel, Unterſeite der Unterlippe, Kehle und innere Seite der Gliedmaßen ſind weiß wie auch der-größte Teil des Schwanzes, der nur oben an der Wurzel braun iſt. Halsunterſeite und Bruſt ſind einfarbig braun, dunkler als der Rücken. Die langen, ſchmalen, ſehr ſpitzen Ohren ſind dicht behaart, außen graubraun von Farbe, mit einem weißen Fleck am Grunde. Dieſer Gabelhirſch iſt ein kräftig gebautes Tier von 70 —75 em Schulterhöhe. Er hauſt in den Anden von Peru, Ecuador, Bolivia und Nordchile über der Baumgrenze, von etwa 3500 m an bis zur Schneegrenze, wo er in den Abend- und Morgenſtunden vor Sonnenaufgang die ſpärlichen Kräuter äſt. Er lebt in Rudeln, die von einem alten Hirſch geführt werden, und miſcht ſich gelegentlich auch, wie Hans Meyer beobachtete, unter die Rinder. Über den bisher einzigen Andenhirſch, der 1889 in den Berliner Zoologiſchen Garten gelangte, ſchreibt Heck: „Was mir dieſes Tier ſo beſonders reizvoll machte, das war die eigen— tümliche, aber jo feſſelnde Vereinigung der Hirſch- mit der Steinbocksnatur . . . Wie unſer Andenhirſch den ins Gehege tretenden Wärter in neckiſchem Angriffsſpiel umtanzte, auf die Hinterläufe ſich erhebend und kampfluſtig mit dem Kopfe ſchüttelnd, das habe ich von keinem anderen Hirſch jemals ſo geſehen. Und ſelbſt wenn er ruhig daſtand, . . . hätte man ihn für einen Steinbock halten können, wenn nur der unverkennbare Hirſchkopf nicht geweſen wäre.“ — Unſere Photographie eines lebenden Peruaniſchen Gabelhirſches iſt die erſte, die veröffentlicht wird. Sie wurde von Koske-Greifswald im Tiergarten in Lima aufgenommen. Von den beſprochenen amerikaniſchen Hirſchen unterſcheidet ſich die Gattung der Spieß— hirſche (Mazama Raf., Coassus, Subulo) durch ihr unverzweigtes Geweih, das nur aus einem Paar kurzer Spieße beſteht. Dieſe tiefe Stufe der Geweihbildung iſt allerdings wohl keine urſprüngliche. Die ſüdamerikaniſchen Hirſche ſind offenbar Einwanderer aus Nordamerika, und die älteſten foſſilen Hirſche Südamerikas, die wir kennen, haben ein verzweigtes Geweih, jo daß das Auftreten von Spießen bei jetzt lebenden ſüdamerikaniſchen Hirſchen als Rückbil⸗ dungserſcheinung betrachtet werden darf. Weitere Merkmale der Spießhirſche ſind das Fehlen der Drüſe und der Haarbürſte am hinteren Mittelfuß, der kurze Schwanz, der mit einem Haar— buſch geſchmückte Scheitel und der Beſitz von zwei Wirbeln am Kopfe. Davon liegt der eine auf dem Scheitel, der andere etwas unterhalb der Augen auf dem Nafenrücden, jo daß hier die Haare abweichend von anderen Hirſchen abwärts gerichtet ſind; die Körperbehaarung iſt fein und weich. Obere Eckzähne fehlen meiſt. Die Tiere find klein, aber kräftig gebaut, mit ge krümmtem Rücken und konvexem Profil. Die Oberlippe hat jederſeits der Naſe einen weißen Fleck, die Unterlippe iſt in der Mitte mit einem großen weißen Fleck geziert. Die Jungen ſind weiß gefleckt. Die Heimat umfaßt die heißeſten Teile Süd- und Mittelamerikas. Der Graue Spießhirſch, Mazama nemorivaga F. Cuv., iſt ein etwa 47 em hohes Tier, das die Campos von Guayana, Colombia, Bolivia, Braſilien und Trinidad bewohnt und die dichten Küſtenwaldungen nicht betritt. Die Farbe iſt je nach der Unterart hell Peruaniſcher Gabelhirſch. Spießhirſche. 99 graubraun, grau bis weißlich, mit einem dunkleren Streifen zwiſchen den Augen. Rote Farb— töne fehlen ganz. Das Weibchen ſetzt ein Paar Junge jährlich. Im Gegenſatz zum vorigen lebt der Rote Spießhirſch, Mazama rufa F. Ciw., in den dichteſten Waldungen Südamerikas von Guayana bis Paraguay. Er wird 67 em hoch und trägt ein glänzend rotbraunes Haarkleid, das an dem Nacken und den Seiten mehr rötlich— grau wird. Bruſt, Unterſeite des Halſes und Innenſeite der Schenkel ſind weißlichgrau, der Schwanz iſt bräunlichrot auf der Oberſeite, weiß unten und an der Spitze. — Ein etwas kleinerer, nur 63 em hoher Verwandter, der Anden-Spießhirſch, Mazama tema Raf. (rufinus), mit dunkler Schattierung an Kopf und Beinen und ſchwärzlichroter Kehle, lebt in Ecuador bis zur Höhe von 4000 m. > 2 * ee, 15 DE 4 Roter Spließhirſch, Mazama rufa F. Cuv. 1½10 natürlicher Größe. Der Rote Spießhirſch bevorzugt die ſchattigen, dichten Urwaldungen, das Feld meidet er. Bei Tage liegt er ruhend im dichten Gebüſche; mit Sonnenuntergang begibt er ſich an den Saum der Wälder, um dort zu äſen. Pflanzungen in der Nähe werden beſucht und gebrandſchatzt; auf den angebauten Stellen geht er hauptſächlich die jungen Schößlinge der Melonen, den aufkeimenden Mais, den jungen Kohl und vor allem die Bohnen an. So zieht er hin und her bis zur Morgendämmerung, mit der er wieder in den Wald zurückkehrt. Man trifft ihn immer einzeln und paarweiſe, nie aber in Rudeln an. Beide Geſchlechter halten treu zuſammen und leiten und führen dann auch die Jungen gemeinſchaftlich. Die Ricke wirft gewöhnlich nur ein Junges, meiſtens im Dezember oder Januar. Das Kalb folgt der Mutter ſchon in den erſten drei bis fünf Tagen ſeines Lebens auf allen ihren Wegen nach, anfangs neben ihr hertrollend, ſpäter aber ihr vorausgehend. Droht Gefahr, ſo verſteckt es ſich im Gebüſche, und die Mutter entflieht. Die Bewegungen der Spießhirſche ſind ſchnell, aber nicht ausdauernd; man kann dieſe daher mit guten Pferden ermüden, einholen und vermittels der Wurfkugeln in ſeine Gewalt bekommen. Gute Hunde kommen auch dem kräftigſten Hirſche 7 * 100 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche— in nicht zu dichtem Walde binnen einer halben Stunde nach. Die Landleute fangen nicht ſelten die Kälber, um fie zu zähmen. Man muß die Tiere aber angebunden oder im Hofe eingeſchloſſen halten, weil ſie ſonſt häufig Schaden in den Pflanzungen anrichten. Solange ſie jung ſind, betragen ſie ſich zutraulich und zahm, älter geworden werden ſie bösartig; denn nicht bloß die Hirſche, ſondern auch die Tiere gehen auf den Mann. Die Jagd auf Spießhirſche iſt ſehr einfach. Man hetzt ſie mit Hunden oder ſchießt ſie auf dem Anſtande, der dem Jäger den meiſten Erfolg verſpricht. Außer dem Menſchen ſtellt ihnen Raubgetier aller Art nach. Das! Fell wird höchſtens zu Satteldecken benutzt, das Wildbret gern gegeſſen. Ein Tier, das ich geraume Zeit pflegte, war ein überaus anmutiges, liebenswürdiges Geſchöpf. Gegen das rauhe Klima Norddeutſchlands zeigte es ſich minder empfindlich, als ich erwartet hatte. Regen fürchtete es nicht, ließ ſich vielmehr öfters tüchtig einnäſſen. Dagegen ſuhlte es ſich nie. Scharfe Winde mied es ängſtlich und ſuchte ſtets vor ihnen im Inneren ſeines Stalles Schutz. Von den in ſeinem Gehege wachſenden Gräſern nahm es nur ſelten ein Hälmchen an: es bevorzugte trockene Aſung und, wohl infolge der Angewöhnung, vor allem Brot und Zwieback. Im Berliner Zoologiſchen Garten haben ſich Rote Spießhirſche auch fortgepflanzt; als Tragzeit wurden 7 Monate ermittelt. Noch weiter in der Rückbildung des Geweihes ſcheint ein wenig bekannter kleiner Hirſch Braſiliens zu gehen, indem er das Geweih überhaupt nicht mehr abwirft. Nachdem ihn Natterer vor etwa 90 Jahren erwähnt, hat Salla, der ihn Doryceros inornatus Gray nennt, bei Gelegenheit der 1. Wiener Jagdausſtellung 1910 einmal wieder einen Schädel dieſes ſo ſeltenen Tieres geſehen. Die kleinſten amerikaniſchen Hirſche find die Puduhirſche (Pudu Gray). Von den Spießhirſchen unterſcheiden ſie ſich dadurch, daß ihnen die Haarwirbel im Geſicht fehlen und die Haare des Naſenrückens aufwärts gerichtet ſind, ſowie durch die Verwachſung des äußeren Keilbeines mit dem bei den Wiederkäuern einheitlichen Kahnwürfelbein am Hinterfuß. Aus dieſem fortgeſchrittenen Fußbau wie aus den S. 98 angegebenen paläontologiſchen Gründen kann der Schluß gezogen werden, daß das einfache, kurze Spießgeweih eine Rückbildung ſei. Eckzähne ſind bei beiden Geſchlechtern in der Jugend vorhanden und ſchwinden im Alter völlig. Die Gattung bewohnt das weſtliche Südamerika. Ihr bekannteſter Vertreter iſt der Chile⸗ niſche Puduhirſch, Pudu pudu Mol. (humilis), ein kleines Tier von nur 34 em Schulter⸗ höhe. Die Geſamtfärbung iſt ein Rotbraun mit gelblicher Sprenkelung, das am Kopf und an den Beinen nach unten zu ſtark, faſt bis Schwarz, dunkelt, am Hals hellere Töne zeigt und an der Unterſeite und der Innenſeite der Gliedmaßen kaſtanienrotbraun erſcheint. Puduhirſchchen ſind neuerer Zeit dem Berliner Zoologiſchen Garten von einem Gönner (Herbſt) überwieſen worden und haben ſich da ganz gut gehalten, auch mit anderen Tieren (Geflügel, kleinen Känguruhs) verträglich gezeigt. An die amerikaniſchen Hirſche ſchließen wir am beſten die Rieſen der Familie, die Gattung der Elche (Alces Gray), an. Es find plumpe, kurz- und dickhalſige, hochbeinige Geſchöpfe mit ſchaufelartig verbreitertem Geweih, langer, breiter, überhängender Muffel, die einen kleinen nackten, dreieckigen Fleck zwiſchen dem unteren Ende der Naſenlöcher trägt, ſehr kurzem Schwanz, breiten Nebenhufen, kleinem Haarbüſchel und Drüſen am hinteren Mittelfuß. Das Fell iſt ſtets ungefleckt. Ein beim Männchen ſtärkerer, beim Weibchen ſchwächerer Haarbüſchel, der Doryceros inornatus. Puduhirſche. Elche. 101 auf einer Art Wamme ſitzt, ziert den Hals. Die oberen Eckzähne fehlen. Am Schädel ſind die Naſenbeine rückgebildet, dadurch iſt die Naſenöffnung ſehr groß. Wie bei den bisher be— handelten Hirſchen iſt der Fußbau telemetakarpal (ſ. S. 79) und das Geweih, wie ſich noch in den Jugendſtadien erkennen läßt, regelmäßig gegabelt. Es beſteht in der Form des Ge— weihes ſogar eine ganz beſondere Ahnlichkeit mit dem des Großohrhirſches, wenn auch im Anſatz und in der Richtung erhebliche Unterſchiede vorhanden ſind. Die Stangen ſitzen niedrig am Schädel, gehen zunächſt im rechten Winkel zu deſſen Längslinie auswärts und biegen ſich dann mit ihren ſchaufelartig verbreiterten Enden, die mit zahlreichen Sproſſen am Vorderrand verſehen ſind, aufwärts. Dieſe Schaufelbildung wird erſt in höherem Alter erreicht, iſt alſo ſtammesgeſchichtlich wohl als verhältnismäßig jung anzuſehen. Anderſeits haben beim Elch ſchon die Roſenſtöcke dieſe wagerechte Lage, wodurch ſich die Gattung von allen anderen Hir— ſchen erheblich unterſcheidet. Auch der Bau der Drüſen des Mittelfußes gleicht dem der bisher beſprochenen Amerikaner, nicht dem der Gattung Cervus. Scheinen ſo die Elche näher mit den nordamerikaniſchen telemetakarpalen Hirſchen ver— wandt zu ſein, ſo zeigen ſie im Gebiß inſofern eine merkwürdige Übereinſtimmung mit den Giraffen, als ihre breiten, niedrigen oberen Backzähne in ihrer Knoſpenform denen jener ähneln. An die Giraffen erinnert auch der kurze, hochgeſtellte Körperbau mit der erhöhten Vor— derhand, vielleicht allerdings auch etwas an den Nilgau, mit dem die Elche den eigenartigen Haarbüſchel an der Unterſeite des Vorderhalſes teilen. Ob dieſe Ähnlichkeiten mehr eine ober— flächliche Bedeutung haben, wie etwa die gleiche Zahnform von Giraffe und Elch als beide— mal unabhängig erworbene Anpaſſung an das Freſſen von Zweigen, oder eine tiefere ſtammes— geſchichtliche, mag dahingeſtellt bleiben. Dies iſt um fo ſchwerer zu entſcheiden, als die Gattung ſehr jung iſt. Sie iſt erdgeſchichtlich erſt im Pliozän nachweisbar und kann durch geologiſche Funde mit keiner anderen Familie verknüpft werden. Auch die eigenartige Rückbildung der Naſenbeine iſt ein junger Erwerb, da ſie bei den Jungen noch weniger ausgeprägt und der Schädel ſomit dem der anderen Hirſche ähnlicher iſt. Die Gattung iſt durchaus zirkumpolar. Ihr Verbreitungsgebiet rückt je weiter nach Oſten um ſo weiter nach Süden. Im Felſengebirge Nordamerikas dürfte es mit dem 33. Grade nördl. Breite den ſüdlichſten Punkt erreichen. Die Elche find aber erſt in hiſtoriſcher Zeit jo weit nach Norden vorgedrungen, wie wir ſie heute finden. Dieſe Wanderung nordwärts ſcheint auch jetzt noch nicht ihr Ende erreicht zu haben. Wenigſtens berichtet Schäff („Jagdtierkunde“), daß man auf der Skandinaviſchen Halbinſel ein Vordringen nach Norden bemerke. Und Pfizen— mayer („Wild und Hund“, Jahrg. 16) ſtellt dasſelbe in Sibirien feſt. Ihm wurde mitgeteilt, daß ſich bei Bulun (73° nördl. Breite) feit etwa zehn Jahren Elche zeigten. Auch vom Elch mit ſeiner weiten Verbreitung hat man neuerdings zahlreiche Formen unterſchieden. Der Amerikaniſche Elch, Alces americanus Jard., Moose, Moosedeer oder Orignal der Nordamerikaner, ſoll ſich vom Europäiſchen Elch durch tiefer eingeſchnittene Schaufeln unterſcheiden, deren beide Hälften ſcharf getrennt ſind, durch ſchwach behaarte Kehl— wamme und dunklere Färbung. Die Heimat iſt das öſtliche Nordamerika. Eine gewaltige Form, der Rieſenelch, Alces gigas Mill., bewohnt Alaska und die Kenaihalbinſel. Er erreicht eine Schulterhöhe von 2,20 — 2,35 m bei einer Länge von 3,20 m. Geweihe mit einer Auslage von 1,60 1,70 m gehören hier noch nicht zu den größten. Niedieck ſchoß einen ſolchen Elch, deſſen Geweih eine Auslage von 1,97 m hatte, während das ſtärkſie bisher bekannte Geweih des Rieſenelches, das ſich im Muſeum von Chicago befindet, eine 102 16 Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche. Auslage von 1,98 m hat. Von Alaska ſtammt auch das endenreichſte bisher bekannte Elch— geweih, nämlich ein ungerader Vierundvierzigender im Beſitze des Herzogs von Weſtminſter. Der Rieſenelch iſt, nach Gerrit Miller, ſchwarzgrau und braun gefärbt und hat zum Unter— ſchied vom Europäiſchen Elch eine rein ſchwarze Bruſt und dunkel graubraune Beine. Dieſen Elchen gleichen, nach Pfizenmayer, in der Farbe die Oſtſibiriſchen Elche, A. pfizenmayeri Zukowsky, die demnach, wohl ebenſo wie die oſtſibiriſchen Hirſche, ihren amerikaniſchen Gat— tungsgenoſſen näher ſtehen als den europäiſchen. Elche, die mit den europäiſchen übereinſtim— men, finden ſich, nach demſelben Gewährsmann, erſt in Weſtſibirien, etwa vom Baikalſee an. Der Europäiſche Elch, Alces alces L. (palmatus, machlis), war, wie foſſile Funde erweiſen, im Diluvium bis nach Norditalien verbreitet, fehlte aber ſüdlich der Pyrenäen, des Balkans und in Mittel- und Süditalien. Cäſar kannte ihn noch aus dem Herzyniſchen Walde. Nach ihm erwähnen zahlreiche Schriftſteller des klaſſiſchen Altertums den Elch. Freilich war die Kunde über das Tier durch Sagen und Übertreibungen aller Art getrübt. So erzählen Plinius und andere, der Elch könne wegen ſeiner großen Oberlippe nur rückwärts weiden. Auch der Name Elen oder Elend gab namentlich im Mittelalter zu zahlreichen Entſtellungen Anlaß. Aus dem Mittelalter bezeichnet das Nibelungenlied den Elch als einen Bewohner des Wasgenwaldes. Urkunden aus der Zeit Ottos des Großen, Heinrichs II. und Konrads II. nennen ihn bei Aufzählung der Jagdgerechtſame in den Forſten von Drenthe am Niederrhein. Im 14. Jahrhundert kommt er noch in Böhmen vor. Kantzow führt ihn in ſeiner „Pome- rania“ 1540 als ein in Pommern heimiſches Tier an. In den letzten Jahrhunderten hat der Elchwildſtand in Europa überall ſehr ſchnell und bedeutend abgenommen. In Sachſen wurde der letzte Elen im Jahre 1746, in Schleſien, laut Haugwitz, der letzte im Jahre 1776 erlegt und in Galizien 1760. Es iſt allerdings, nach Szalay, wahrſcheinlich, daß es ſich um ausgebrochene Parktiere handelte, und daß z. B. in Schleſien ſchon ſeit 1600 keine wilden Elche mehr lebten. In Pommern ſcheint ſich der Elch bis in die zweite Hälfte des 18. Jahrhunderts erhalten zu haben, in Weſtpreußen bis 1830; in Oſtpreußen war er im 18. Jahrhundert noch ziemlich verbreitet; doch mußte auch hier ſchon nach dem Siebenjährigen Kriege ein Gebot zur Schonung des Elchwildſtandes erlaſſen werden. Zu Anfang des 19. Jahrhunderts gab es in den Forſten Schorellen, Tzulkinnen und Skalliſchen noch viel Elenwild. Im Forſte Ibenhorſt bei Tilſit, Regierungsbezirk Gumbinnen, hat es ſich, geſchützt durch königliche Beſtimmung, bis auf unſere Tage erhalten. Zwar waren die Tiere im Jahre der Jagdfreiheit 1848 auch hier bis auf 16 Stück vermindert worden und im darauffolgenden Jahre ſogar bis auf 11 Stück zurückgegangen; ſtrengſte Schonung aber und Einführung ſchwediſcher Elche im Anfange der ſechziger Jahre hoben nach und nach den Wildſtand wieder, ſo daß er 1874, laut Angabe des königlichen Oberförſters Axt, in den Ibenhorſter Forſten 76 Stück betrug. Eine 1882 verſuchte Blufauffriſchung mit ſchwediſchen Elchen ſchlug fehl, da der Nachſchub einging, ohne zum Beſchlag gekommen zu ſein. Nach den von Dach („Wild und Hund“, 1900 und 1901) mitgeteilten amtlichen Zahlen betrug der Elchbeſtand in Ibenhorſt am 1. April 1899: 100 Stück und im zweiten Elch— ſtand des Regierungsbezirkes Gumbinnen, Tawellningken am Kuriſchen Haff, 65 Stück. Im Regierungsbezirk Königsberg haben 15 ſtaatliche Oberförſtereien den Elch als Standwild, zwei als Wechſelwild. In den angrenzenden Privatforſten ſtehen ebenfalls Elche. Die Geſamt— zahl in dieſem Regierungsbezirk betrug damals 180 Stück. Nach Fritz Bley war durch ein gutes Schongeſetz bis 1904 der geſamte Elchbeſtand Oſtpreußens auf 800 Köpfe angewachſen. + 1 ii Elch: Verbreitung. Körperbau. 103 Da aber der Elch einer hochentwickelten Forſtkultur ſehr ſchädlich iſt, glaubte man einen der— artig ſtarken Elchbeſtand nicht halten zu können. Man griff deshalb zu einem Abſchuß in größerem Maßſtabe und beſchloß, einen Elchbeſtand von 400 — 450 Stück in den Staats— forſten zu halten, davon etwa 300 in Ibenhorſt, Tawellningken und Nemonien. Abgeſehen von dieſen unter ſtrengſter Aufſicht ſtehenden Gehegen findet man in der Alten Welt den Elch in den höheren Breiten aller waldreichen Länder Europas und Aſiens, von Oſtpreußen durch das europäiſche Rußland, einem großen Teil Skandinaviens zwiſchen dem 59. und 67. Grad nördl. Breite und durch ganz Sibirien. In Rußland geht der Elch heute noch bis zum Kuban nach Süden. Hier iſt im allgemeinen der 52. Grad die Süd- und der 63. Grad die Nordgrenze. In Aſien kann etwa der 43. Grad nördl. Breite als Südgrenze, der 70. Grad als Nordgrenze ſeines Wohngebietes angeſehen werden, d. h. der Elch kommt ſo weit nach Norden vor, wie es der Baumwuchs, und nach Süden, wie es die Gebirge erlauben. Der Elen iſt ein gewaltiges Tier. Die Leibeslänge eines erwachſenen Elchhirſches beträgt etwa 2,8 m, die Länge des Schwanzes ungefähr 10 em, die Höhe am Widerriſt 1,9 m. Sehr alte Tiere können ein Gewicht von 500 kg erreichen; als Durchſchnittsgewicht müſſen jedoch 300—400 kg betrachtet werden. Der Leib des Elches iſt verhältnismäßig kurz und dick, breit an der Bruſt, hoch, faſt höckerig am Widerriſt, gerade am Rücken, niedrig am Kreuze. Er ruht, auf ſehr hohen und ſtarken Beinen von gleicher Länge, die mit ſchmalen, geraden, tiefgeſpal— tenen und durch eine ausdehnbare Spannhaut verbundenen Hufen beſchuht ſind; die After— klauen berühren leicht den Boden. Auf dem kurzen, ſtarken und kräftigen Halſe ſitzt der große, langgeſtreckte Kopf, der vor den Augen verſchmälert iſt und in eine lange, dicke, aufgetriebene, ſehr breit nach vorn abgeſtutzte Schnauze endet. Dieſe iſt durch die knorpelige Naſe und die den Unterkiefer weit überragende, dicke, ſehr ſtark verlängerte, höchſt bewegliche, gefurchte und behaarte Oberlippe faſt verunſtaltet. Die kleinen und matten Augen liegen tief in den ſtark vortretenden Augenhöhlen; die Voraugendrüſen ſind unbedeutend. Große, lange, breite, aber zugeſpitzte Ohren ſtehen nach ſeitwärts gerichtet am Hinterkopfe, neigen ſich aber oft ſchlotternd gegeneinander. Die Behaarung des Elens iſt lang, dicht und ſtraff. Sie beſteht aus gekerbten, dünnen und brüchigen Grannen, unter denen kurze, feine Wollhaare ſitzen; über den Firſt des Nackens zieht eine ſtarke, ſehr dichte, der Länge nach geteilte Mähne, die ſich gewiſſermaßen am Halſe und an der Vorderbruſt fortſetzt und bis 20 em lang wird. Sonderbarerweiſe ſind die Bauchhaare von hinten nach vorn gerichtet. Die Färbung iſt ein ziemlich gleichmäßiges Dunkelbraun, das an der Mähne und den Kopfſeiten in glänzendes Dunkelſchwarzbraun, an der Stirn ins Rötlichbraune und am Schnauzenende ins Graue zieht; die Beine ſind weißlich aſchgrau, ebenſo die Unterſeite des Körpers einſchließlich der Bruſt, die Augenringe grau. Vom Oktober bis zum März iſt die Färbung etwas heller, mehr mit Grau gemiſcht. Die Elchkuh iſt kaum kleiner, trägt aber kein Geweih und hat längere und ſchmälere Hufe ſowie kürzere und weniger nach auswärts gerichtete Afterklauen. Ihr Kopf erinnert an den eines Eſels oder Maultieres. Das Kalb iſt einfarbig rotbraun. Das Geweih des erwachſenen Männchens beſteht aus einem Paar großer, einſacher, ſehr ausgebreiteter, dreieckiger, platter Schaufeln, die an ihrem äußeren Rande mit zahlreichen Zacken beſetzt ſind. Sie werden von kurzen, dicken, gerundeten, mit wenigen Perlen beſetzten Stangen getragen, die auf kurzen Roſenſtöcken ſitzen und ſich ſogleich ſeitlich biegen. Die Geweihbildung des Elches iſt ein wichtiges Kapitel. Infolge einer Regelloſigkeit, wie fie kein anderer Hirſch beſitzt, und der Seltenheit namentlich jüngerer Tiere für die Beobachtung waren viele Punkte lange dunkel. Erſt die letzten Jahre haben beſonders durch die von Fritz Bley 104 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche. mitgeteilten Feſtſtellungen des Oberſörſters Ernſt Meyer an einem gefangenen Elchkalb über die erſten Entwickelungsſtufen Klarheit gebracht. Danach und nach Collett („Norges Patte- Ayr“) ſchiebt das Elchkalb im September des erſten Kalenderjahres Roſenſtöcke, an denen aber keine Knöpfe erſcheinen. Im Mai des zweiten Kalenderjahres beginnt das Erſtlingsgeweih zu ſproſſen, das im September gefegt wird. Eine eigentliche Roſe fehlt ihm, an deren Stelle finden ſich einige perlenartige Wucherungen. Im dritten Kalenderjahr trägt der Hirſch zumeiſt Gabeln, doch kommen in dieſem Alter auch Spießer oder Sechsender vor. Auch iſt die Form der Gabeln ſehr ungleichartig, indem die vordere Sproſſe bald der Roſe, bald der Spitze näher ſteht. Nach dieſer Stufe kann ſich das Geweih zum Schaufelgeweih weiterentwickeln, indem ſich jedes Jahr der vordere und der hintere Gabelaſt ſchaufelartig verbreitern und an ihrem Vor— derrand Zacken bekommen. Schließlich können beide Gabeläſte zu einer einheitlichen Schaufel mit zahlreichen Zacken zuſammenfließen. Die Form der Schaufeln iſt großen Veränderungen unterworfen. Es gibt ſolche, die auf ſehr kurzen, andere, die auf ſehr langen Tragſtangen ſitzen. Bei einigen find die Schaufeln faſt ganz brettförmig eben, bei anderen tief muldenförmig aus: gehöhlt. Am beſten hat der Elch in ſeinem 9.—12. Lebensjahr aufgeſetzt, nachher ſetzt er wieder zurück. Die ſtärkſten Geweihe der Alten Welt finden ſich im europäiſchen Rußland und in Polen. Bley hat im Muſeum zu St. Petersburg ſolche geſehen, die eine Auslage von 150—160 em zeigen, bei einer Schaufelweite von 36 em und einem Gewicht von 20 kg. Aber auch für Norwegen führt Collett Elchgeweihe mit einer Auslage bis zu 145 em und einer Endenzahl bis zu 28 an. Das find natürlich Seltenheiten; immerhin ſcheint in Aus— nahmefällen die Endenzahl noch höher ſteigen zu können. Blaſius erwähnt einen ſolchen von 32 Enden, und Nitſche erklärt für das endenreichſte überhaupt bekannte europäiſche Elchgeweih einen ungeraden Zweiundvierzigender in der berühmten Gräflich Erbachſchen Sammlung. Es war im vorhergehenden ſchon von den Unregelmäßigkeiten bei den Elchgeweihen die Rede. Eine zoologiſch ſehr bemerkenswerte, aber vom jagdlichen Standpunkt nicht gern geſehene Erſcheinung iſt die, daß manche Elche überhaupt keine Schaufeln bekommen. Bei dieſen „Stangenelchen“ hat das Geweih ſtets einen runden Querſchnitt. Es kann bei ihnen dauernd auf der Gablerſtufe ſtehenbleiben oder ſich weiter gabeln. Mehr als zwölf Enden ſcheinen aller— dings beim Stangenelch nicht vorzukommen. Bei höheren Stufen als dem Gabler teilt ſich gern die Augenſproſſe. Dieſe Teilung nähert das Elchgeweih noch mehr dem des Großohrhirſches; jagdlich iſt ſie dadurch wichtig, daß man bei jüngeren Tieren, bei denen dieſe Teilung eintritt, ſofort erkennt, daß ſie nie Schaufeln bilden werden. Dementſprechend können ſolche Elche als unerwünſcht frühzeitig ausgemerzt werden, ehe ſie dieſe ihre Eigenſchaft vererben. Wenn der Achtender noch keine Schaufeln hat, beſteht der Verdacht, daß er nie ſolche bekommen wird. Jäger und Zoologen haben dieſen „Stangenelchen“ ein großes Intereſſe entgegengebracht. Über ihre Bedeutung hat man die mannigfachſten Meinungen geäußert. Für eine ſelbſtändige Art wird den Stangenelch heute niemand mehr halten. Iſt er doch, wenigſtens in Europa, überall in Oſtpreußen, Skandinavien, den Oſtſeeprovinzen neben den Schaufelelchen beobachtet worden und findet ſich ebenſo in Sibirien. Auch ſollen, nach Schäff, alte Elche manchmal Stangen bekommen, nachdem ſie jahrelang Schaufeln getragen haben. Die Anſicht, daß der Stangenelch eine durch mangelhaftes Futter in überholzten Gebieten hervorgerufene Kümmer— form des Schaufelelches ſei, möchte Hilzheimer nicht teilen. Finden ſich doch Stangenelche nicht nur in den überkultivierten Ständen Oſtpreußens; auch ſind dieſe Elche oft derartig kräftig und regelmäßig entwickelt, daß ſie durchaus keinen verkümmerten Eindruck machen. Anderſeits kennt Hilzheimer ſubfoſſile Elchgabler von einer Stärke, die darauf ſchließen läßt, daß ihre Träger . . ee Elch: Geweihbildung. Zahnwechſel. Aufenthalt. 105 völlig erwachſene Tiere waren; danach iſt alſo die Stangenbildung bei Elchen keine neuzeit— liche Erſcheinung. Bedenken wir nun, daß der Elch eine erdgeſchichtlich ſehr junge Form iſt, ſo werden wir annehmen dürfen, daß die Gattung im Laufe ihrer Entwickelung auf der Stufe des Gablers gewiſſermaßen ſchwankte, ob ſie ſich Schaufeln zulegen ſollte oder nicht. Die Mehrzahl entſchied ſich für Schaufeln, aber einige Stämme hatten ſich ſchon nach der Richtung der runden Geweihe gewandt. Dieſe konnten nun nicht mehr zurück. Anderſeits konnte nach den Mendelſchen Vererbungsregeln ihre Eigentümlichkeit nicht verſchwinden, ſobald ſie ſich mit Schaufelelchen miſchten. So haben ſie ſich in einzelnen Stücken bis auf den heutigen Tag erhalten, gewiſſermaßen als Erinnerung, daß auch die Elche einmal in der Entwickelungs— richtung ſchwankten, die ihre Geweihe einſchlagen ſollten. Bei dem weiten Gebiet, das der Elch bewohnt, ſind die Zeiten der Geweihbildung in den einzelnen Gegenden verſchieden. Alte Hirſche werfen früher ab als jüngere: in Oſtpreußen, nach Forſtmeiſter Ulrich, erſtere ſchon Ende Oktober oder Anfang November, letztere erſt gegen Neujahr, in Livland, nach O. v. Loewis, Anfang Dezember bzw. im Januar, in Norwegen, nach Collett, die älteren ſelten im Dezember, meiſt Januar oder Februar, die jüngeren im Februar, März oder gar erſt im April. Als Fegezeit gibt Schäff für die Oſtſeeprovinzen Auguſt, für Ibenhorſt Ende Juni und Anfang Juli an. Nach Collett haben in Norwegen die meiſten Elche im Auguſt gefegt, manche erſt im September, gelegentlich ſollen im Oktober noch Baſt— geweihe gefunden werden. In den erſten Monaten kann das Alter des Elches genau nach dem Zahnwechſel be— ſtimmt werden. Der Wechſel der Schneidezähne beginnt im ſiebenten Lebensmonat, von der Mitte nach den Seiten fortſchreitend, und iſt etwa mit elf Monaten vollendet. Dann beginnt der Wechſel der Backzähne, der etwa 4—5 Monate dauert, jo daß das Elchwild ſein volles Dauergebiß hat, wenn es 15—16 Monate alt ift. Die jagdlichen Bezeichnungen ſind dieſelben wie für unſer anderes Wild. Das Schmaltier wird vom dritten Jahr an als Alttier angeſprochen. Der Elchhirſch heißt im erſten Jahre Kalb, im zweiten und dritten Spießer oder Gabler, im vierten geringer Elchhirſch, im fünften ge— ringer Schaufler, im ſechſten guter Schaufler und ſpäter Haupt- oder Kapitalſchaufler. Der Elch bevorzugt zu ſeinem Aufenthalte Waldungen, die mit Seen, Torfmooren und Brüchen durchſetzt ſind, tritt aber im Norden auch auf die Tundren hinaus, wenn dieſe nur Laubholz, beſonders Birken, und ſei es auch von Zwergwuchs, enthalten. Dieſe ſind für ihn wichtig, da er ſich vorwiegend von ihnen ernährt. Mit der muskelſtarken, mächtigen Oberlippe reißt er die Zweige ab; höhere Stangen biegt er nieder, um zu den Wipfeln zu kommen. Altere Bäume ſchält er, indem er ſeine Schneidezähne wie einen Winkel einſetzt, ein Stückchen Rinde mit Zähnen und Lippen packt und nach oben in langen Streifen abreißt. Von Laub— bäumen bevorzugt der Elch die ſaftige Weide, Birke, Erle, Eſche, Pappel, wie überhaupt alle ſaftrindigen Holzgewächſe; von Nadelhölzern Kiefer, Wacholder und Lärche, geht dagegen die Fichte weniger an. Außerdem äſt er alle niedrigen Moorſträucher und Heidekräuter, beſonders den Porſt, eine Erikazee. Auch Waſſerpflanzen, wie die Sumpfdotterblume, verſchmäht er nicht. Ja, er hat für manche, wie für Seeroſen, die er nur mühſam durch Untertauchen des Kopfes erreichen kann, eine große Vorliebe. In Skandinavien ſoll er auch Seetang nicht verſchmähen. Eigentlich graſen kann der Elch wegen ſeiner lang herabhängenden Oberlippe nicht. Doch nimmt er einzelne hochſtehende Gräſer und Kräuter, wie Heidekraut, Schachtelhalme, Woll— Rund Riedgräſer, beſonders gern aber die Ampferarten. So hat er ſich auch an einigen Orten angewöhnt, das Getreide, beſonders wenn es milchreif iſt, anzunehmen. 106 - 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche. Nach der Jahreszeit verändert das Elchwild ſeinen Standort. Im Winter ſteigt es in die Ebene, im Sommer flüchtet es vor der Mücken- und Fliegenplage in die Gebirge. In Skan— dinavien hat man Elche, nach Collett, dann bis zur Höhe von 1100 m beobachtet. Im Ibenhorſter Forſt begeben ſich die Elche im Winter, um die Überſchwemmungen zu meiden, vom Erlenbruch in die hochgelegenen Kiefernwaldungen. Noch größere Wanderungen unternehmen die Elche Sibiriens. Im Taimyrlande wandern fie im Frühjahr aus dem Wald— gebiete bis 700 Werſt weit nordwärts auf die Moosſteppe und kehren im Herbſt zu ihren ſüd— lichen Winterſtandorten zurück. Nach Kapherr ſtehen die Elche des Narymgebietes (hoher Nor— den!) im Frühling ſüdlich am Turtaß, die Elche des weſtlichen Urals aber wandern zum Irtyſch und ſüdlich und öftlich über ihn hinaus. Die Bewegungen ſind trotz der ſcheinbaren Plumpheit des Tieres durchaus nicht ſchwer— fällig, wenn der Elch wohl auch wegen ſeiner Schwere nicht beſonders gut ſpringen kann. Sein weit ausgreifender Trab iſt ſehr anhaltend und fördernd. Auf Moorboden tragen ihn ſeine weit ſpreizbaren, durch eine breite Haut verbundenen Hufe auch da noch, wo jedes andere Tier von annähernd gleichem Gewicht verſinken würde. Beſonders gefährliche Stellen ſoll der Elch auf den Keulen rutſchend überwinden. Trotzdem kommt es vor, daß Elche in Torfmooren rettungslos verſinken. Die Bewegungen auf dem Eiſe ſind ſehr unſicher, da die Tiere dort leicht ausgleiten. Dagegen ſchwimmen ſie leicht und ausdauernd, gehen auch gern freiwillig in das Waſſer. £ Geradezu wunderbar wird der Geruchſinn der Elche genannt. Auf 500—1000 m foll der Elch den Jäger wahrnehmen. Nächſt dem Geruchſinn ſcheint das Gehör gut entwickelt zu ſein, wohingegen das Auge ſchwach iſt. Über Gefühl- und Geſchmackſinn iſt es ſchwer, ein Urteil zu gewinnen. Über die geiſtigen Eigenſchaften laſſen wir am beſten einen erfahrenen Elchjäger wie Fritz Bley zu Worte kommen: „Wer nur ein einziges Mal in das liſtige, in der Erregung tückiſch-wilde Licht eines Elches geblickt hat; wer nur ein einziges Mal ihm durch das hohe Röhricht oder Kunigundenkraut Oſtpreußens oder die Birkenbüſche des niederkanadiſchen Moores nachgepirſcht iſt und die ungewöhnliche Vorſicht eines geräuſchlos wie ein Fuchs ſich davon— ſtehlenden alten Hirſches beobachtet oder mit erlebt hat, wie er ſich durch die Treiberkette zu drücken verſteht; wer ſah, wie er ſich zur Wahrung ſeines Wohlbefindens den richtigen Platz wählt; wer die Widergänge feſtſtellte, die er zur Verheimlichung ſeines Bettes, abſtehend von ſeiner Fährte, zu machen liebt; wer ihn auf der Flucht im Waſſer zur Täuſchung ſeiner Ver— folger kurze Bogen ſchlagen ſah oder feſtſtellte, wie das Rudel nach Art der Wölfe in der Fährte des Leittieres ſchnürte, der wird nicht der Meinung ſein, daß die geiſtigen Fähigkeiten unſeres Tieres gering anzuſchlagen ſeien.“ Zum mindeſten muß anerkannt werden, daß hier ſehr feine Inſtinkte ausgebildet ſind. In ſeinem Verhalten weicht der Elch vielfach von ſeinen Familiengenoſſen ab. Wenn er fi niedertut, legt er ſich, wo und wie es ihm gerade paßt, ohne eine Vertiefung auszuſchlagen wie die Hirſche. Auch ſuhlt er ſich nie wie dieſe. Er hält ſich nie in ſtarken Nudeln, ſondern lebt namentlich den Sommer über einzeln, höchſtens mit einer Kuh und ein oder zwei Spröß— lingen zuſammen. Die ſtarken Schaufler ſtehen gern für ſich allein. Nur im Winter ſammeln fie ſich zu ſtärkeren Nudeln, die aber die Zahl 50 kaum überſteigen dürften. Über die Lebens— geſchichte des Elches des Ibenhorſter Forſtes erhielt ich durch die Herren Forſtmeiſter Wieſe, Oberförſter Art und Förſter Ramonath eingehende Mitteilungen. In den Ibenhorſter Forſten vereinigt ſich der Elch im Spätherbſte, wenn die Elch: Bewegungen. Sinne. Weſen. Brunft. 107 Überſchwemmung der Bruchwaldungen ihn zwingt, auf den Mooren und im Hochwalde Stand zu nehmen, zu Nudeln von 25— 40 Stück. Dieſe Geſellſchaften beſtehen regelmäßig aus Hirſchen und noch jugendlichen Tieren, weil das Mutterwild, aus Sorge um ſeine Kälber, nicht allein die Hirſche höchſt unfreundlich behandelt, ſondern ebenſo andere Tiere und deren Kälber meiſt abſchlägt. Von einem friedlichen Zuſammenleben der Elche bemerkt man überhaupt wenig. Jedes einzelne Stück hat oft mit dem anderen etwas auszumachen, eines verjagt das andere von der warmgelegenen Stelle, und dem Mutterwilde muß alles übrige weichen: dieſes be— kundet nicht einmal gegen verwaiſte Kälber freundliche Geſinnung, ſondern vertreibt ſie ebenſo rückſichtslos wie jedes ſonſtige Stück des Rudels aus ſeiner Nähe. Solange die Brunft ſie nicht beeinflußt, zeigen ſich die Hirſche weit geſelliger als die Tiere, nehmen beiſpielsweiſe mutterloſe Kälber ohne weiteres in ihre Rudel auf; während der Brunft dagegen betätigen auch ſie die Unfriedſamkeit ihres Geſchlechtes, ſuchen, jeder für ſich, ſo viele Tiere wie möglich zuſammenzutreiben und zuſammenzuhalten und ſchlagen alle anderen Hirſche ab. Im Früh— jahre zerſtreuen ſich die Rudel vollſtändig und leben, abgeſehen von den Tieren mit ihren Kälbern, einzeln oder zu zweien oder dreien vereinigt. Mehr noch als den übrigen Hirſchen ſind dem Elche Störungen aller Art aufs tiefſte ver— haßt. Er verlangt unbedingte Ruhe und verläßt eine Gegend, in der er wiederholt behelligt wurde. In den Ibenhorſter Forſten, wo er ſich an den Menſchen und ſein Treiben nach und nach gewöhnt hat, gibt ſich dieſes Bedürfnis als überraſchende oder ergötzende Trägheit kund. Hier iſt unſer Wild ſo ſorglos und faul geworden, daß es ſich kaum rührt, wenn es etwas durch das Gehör vernimmt, und nur dann von ſeiner Lagerſtätte ſich erhebt, wenn man ihm bis auf 40 und ſelbſt 30 Schritt nahegekommen iſt. Aber auch dann noch trollt es nicht immer weg, betätigt vielmehr oft eigenwillige Widerſpenſtigkeit oder Störrigkeit, gepaart mit plumper Neugierde. Wo es ſich ungeſtört weiß, bettet es, abgeſehen vielleicht von kurzer Ruhe, nur in den Vor- und Nachmittagsſtunden und ſtreift ſchon von 4 Uhr des Nachmittags an in den Abend-, den erſten Nacht-, den Früh- und Morgenſtunden umher; im entgegengeſetzten Falle wählt es die Nachtzeit, um nach Aſung auszuziehen. Die Brunft tritt in den Oſtſeeländern Ende Auguſt, in Skandinavien und im aſiatiſchen Rußland im September oder Oktober ein. Um dieſe Zeit ſind die Hirſche auf das höchſte er— regt, wandern jedoch nicht ſo weit umher wie die Rothirſche. Die Brunft dauert etwa vier Wochen. Während man ſonſt nur in ſeltenen Fällen einen dem Schrecken des Rotwildes ähnelnden, jedoch bedeutend ſtärkeren und tieferen, hell nachklingenden Laut und auch dieſen vielleicht bloß vom alten Tiere vernimmt, orgeln die Elchhirſche jetzt nach Art des Edelhirſches, jedoch in kurzen Abſätzen und mehr plärrend als ſchreiend, faſt wie der Damhirſch, nur in viel tieferem Tone, der etwa wie „nah“ klingt, fordern damit alle gleichſtrebenden Hirſche zum Zweikampfe heraus und fechten dieſen mit Wut und Ingrimm durch, nehmen leicht auch den Menſchen an, laufen, die Naſe zum Boden herabgeſenkt, der Fährte eines Weibchens folgend, unſtet bei Tage und Nacht umher, tagtäglich viele Meilen durchmeſſend, treiben die Tiere tagelang ununterbrochen, verfolgen ſie weit und ſchwimmen ihnen ſelbſt durch die breiteſten Ströme nach. Junge Hirſche werden von den älteren abgeſchlagen und finden ſelten Gelegen— heit, ihren Trieb zu befriedigen; dann trollen ſie wie unſinnig in gerader Richtung fort, be— ſuchen ſelbſt bebaute Gegenden, die ſie ſonſt ängſtlich meiden, und kommen endlich ebenſoſehr vom Leibe wie die Alten durch das wirkliche Brunften. Der Beſchlag ſelbſt dauert kurze Zeit, wird aber oft wiederholt. Nach deſſen Vollendung ſteigt der Hirſch niemals ab, ſondern das Tier rückt unter ihm weg. Das Elchtier geht 35—38 Wochen trächtig; Ende April oder Anfang 108 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche. Mai ſetzt es, zum erſtenmal nur 1 Kalb, bei jedem folgenden Satze aber deren 2, meiſt ein Pärchen, ſeltener zwei desſelben Geſchlechtes; 3 Kälber bei einem Satze find ein ſeltenes Vor— kommnis, gehen auch als Schwächlinge meiſt zugrunde. Gleich nach dem Ablecken ſpringen die ungefleckten Kälber auf, taumeln aber noch wie berauſcht mit dem Kopfe hin und her und müſſen anfangs von der Mutter fortgeſchoben werden, wenn ſie ſich bewegen ſollen; doch ſchon am dritten oder vierten Tage folgen ſie ihr und beſaugen ſie faſt bis zur nächſten Brunſtzeit, ſelbſt dann noch, wenn fie bereits jo groß geworden find, daß fie ſich unter die Mutter hin- legen müſſen. In den erſten Tagen ihres Lebens ſind ſie ſo ungeſtaltet, daß ſie in mehr als einer Hinſicht an einen Eſel erinnern, und mit dieſem Ausſehen ſteht ihre Unbeholfenheit voll— ſtändig im Einklange. O. v. Loewis ſchreibt mir, daß ſie ſich während der erſten Jugendzeit, wenn ſie überraſcht wurden, ſofort niederlegen und widerſtandslos aufnehmen und forttragen laſſen. Sehr groß iſt die Anhänglichkeit der Mutter an ihre Kälber. Sie verteidigt ſelbſt die getöteten Jungen, und irrt, wenn dieſe ihr geraubt wurden, oft noch tagelang ſuchend auf der Unglücksſtelle umher. Bei ihrer Geburt meſſen die Jungen etwa 70 em am Wider⸗ riſt und find 80 em lang. Ihre volle Höhe erreichen ſie erſt mit 6 Jahren. Mit 2¼ Jahren ſind ſie fortpflanzungsfähig. Außer dem Menſchen werden dem Elche, trotz ſeiner Stärke, mehrere andere Feinde ge— fährlich, vor allen Wolf, Luchs, Bär und Vielfraß. Der Wolf reißt die Elche gewöhnlich im Winter bei hohem Schnee nieder; der Bär pflegt meiſtens nur einzelne Tiere zu beſchleichen und ſteht vom Angriffe eines Rudels ab; der Luchs und unter Umſtänden der Vielfraß ſpringen auf einen unter ihnen weggehenden Elen, krallen ſich am Halſe feſt und beißen ihm die Schlag— adern durch. Sie ſind als die gefährlichſten Feinde des wehrhaften Wildes anzuſehen; Wölſe und Bären dagegen haben ſich vorzuſehen: denn das Elchwild verſteht, auch wenn es das kräftige Geweih nicht beſitzt, ſich erfolgreich zu verteidigen, indem es die harten und ſcharfen Schalen ſeiner Vorderläufe mit ebenſoviel Geſchick als Nachdruck gebraucht. Ein einziger, richtig angebrachter Schlag mit dieſen durchaus nicht zu unterſchätzenden Waffen genügt, um einen Wolf für immer niederzuſtrecken oder ihn doch lendenlahm zu machen. Alte Tiere mit Kälbern ſind regelmäßig angriffsluſtiger als die Hirſche; aber auch dieſe nehmen, namentlich in der Brunſtzeit, mitunter ſogar ungereizt den Menſchen an. Bei uns leidet der Elch wohl kaum unter den Nachſtellungen von Raubtieren, dagegen wie unſer anderes Wild unter Rachen— bremſen, Daſſelfliegen und Eingeweidewürmern. Beſonders richten aber Milzbrand und Lungendarre, die oft ſeuchenartig auftreten, große Verheerungen an. Im allgemeinen bekümmert ſich der Elch um andere Tiere ſehr wenig. Gleichwohl ge— ſchieht es zuweilen, daß er ſich bei Rinderherden einfindet. So kamen, wie Radde mitteilt, im Spätherbſte 1851 ſechs Elentiere an den Tarai-nor und geſellten fi zu Rinderherden, mit denen ſie einige Tage friedlich äſten. Beunruhigt durch die Bewohner der Steppen, die ſolche Tiere niemals geſehen hatten, kehrten fie auf demſelben Wege, den fie beim Kommen ein- geſchlagen, wieder zurück, hielten ſich noch einige Zeit bei der Grenzwacht Duruluginſk auf, und wanderten ſodann von hier aus in die Wälder. Die Haltung gefangener Elche in Tiergärten ſcheint auf große Schwierigkeiten zu ſtoßen. Doch hat ſich im Amſterdamer Zoologiſchen Garten einmal ein Elchpaar jahrelang gehalten und auch fortgepflanzt. Dagegen ſcheint es nicht ſchwer zu ſein, junge Elche aufzuziehen, wenn man ihnen eine gewiſſe Freiheit gewähren, namentlich fie frei in Haus und Hof herum⸗ laufen laſſen kann. Solche Elche ſollen nach verſchiedenen Berichten zahm werden wie Haus- tiere, ihren Herrn auf Schritt und Tritt begleiten, ja ihn ſelbſt im Wald und im Angeſichte a Elch: Fortpflanzung. Feinde. Gefangenleben. Jagd. Nutzen und Schaden. 109 anderer Artgenoſſen nicht verlaſſen. In Schweden hat man früher derartig gezähmte Elche zum Ziehen von Schlitten abgerichtet; ein Geſetz verbot aber dieſe Zugtiere, „weil deren Schnelligkeit und Ausdauer die Verfolgung von Verbrechern unmöglich gemacht haben könnte“ Ebenſo berichtet Pfizenmayer, daß nach Mitteilungen alter Jakuten am Aldan noch im Anfang des vorigen Jahrhunderts bisweilen bei ihren Stammesgenoſſen Elche als Reittiere im Ge— brauch waren; doch wurde dieſe Verwendung von den ruſſiſchen Gouverneuren ſtreng ver— boten, „weil jakutiſche Räuber und Diebe, von Koſaken verfolgt, auf dieſen Reittieren in unwegſame Sümpfe ſich zurückgezogen, wo ihnen ihre Verfolger zu Pferde nicht beikommen konnten“. Die diesbezüglichen Verfügungen ſollen ſich im Archiv zu Jakutſk befinden. Zwei andere Beweiſe für Zähmung und Benutzung von Elchen ſeien Fritz Bleys ſchon mehrfach erwähnter Abhandlung (in Meerwarths „Lebensbildern aus der Tierwelt“) entnommen. Da— nach hat Karl XI. von Schweden zur Beförderung von Kurieren gezähmte Elche benutzt, die im Winter täglich 36 Meilen zurückgelegt haben ſollen. Auch in Dorpat muß einmal der Elch als Zugtier benutzt worden ſein; denn eine Verordnung des Rates aus dem 17. Jahr— hundert verbot das Fahren mit Elchen, da dieſe die Pferde ſcheu machten. Man erlegt den Elch entweder auf dem Anſtande oder auf großen Treibjagden und in Lappen und Netzen. Im hohen Norden verſuchen die Jäger im Winter ihr Wild auf Schnee— ſchuhen zu jagen, und bemühen ſich, es auf das Eis zu treiben, wo ſie ihm dann bald den Garaus machen. Der Gewinn, den der Menſch von dem erlegten Tiere zieht, iſt beträchtlich. Wildbret, Fell und Geweihe werden ebenſo wie beim Hirſche verwendet. Das Fleisch iſt zäher, das Fell aber feſter und beſſer als das des Rotwildes. Elenhaut wurde namentlich im Mittel— alter hochgeachtet und teuer bezahlt. Knüpft ſich doch an fie allerhand Aberglaube. Ein Koller aus Elendshaut ſollte feſt machen gegen Hieb und Stich und auch ſonſt manche wunder— bare Eigenſchaften beſitzen. Und manchmal mögen ſich derartige Kleidungsſtücke noch lange nach Ausſterben der Tiere im Beſitze der Familie fortgeerbt haben, wie die „Hoſen des Herrn von Bredow“. Klauen des Elches waren ein Univerſalheilmittel gegen die verſchiedenſten Krankheiten. Bei mehreren nördlichen Völkern gelten die knorpeligen Stangen, die Ohren und die Zunge als Leckerbiſſen. Lappländer und Sibirier ſpalten die Sehnen und verwenden ſie wie die der Renntiere. Beſonders die harten und blendend weißen Knochen werden geruhmt. Aller Nutzen, den das Elentier bringen kann, wiegt bei weitem den Schaden nicht auf, den es verurſacht. Das Tier iſt ein wahrer Holzverwüſter, der in einem geregelten Forſt— betrieb nicht geduldet werden kann, und in kultivierten Ländern vermögen, wie in Ibenhorſt, nur der Staat oder einige Großgrundbeſitzer ſich den Luxus eines Elchſtandes zu leiſten. Mit den bisher behandelten Hirſchen ſtimmen die Renntiere (Rangifer H. Sm.) hin: ſichtlich des Fußbaues überein, ſchließen ſich dagegen in der Form des Geweihes den folgen— den an. Anderſeits zeigen ſie ſo viele nur ihnen eigene Merkmale, daß ihre ſyſtematiſche Stel— lung ſchwer zu ergründen iſt. Auch die Erdgeſchichte gibt darüber keinen Aufſchluß. Renn— tiere ſind ſeit dem Pleiſtozän bekannt. Damals gingen ſie, wie ſo viele nördliche und öſtliche Tiere, viel weiter nach Süden und Weſten. In weſtlicher Richtung hatten ſie England, in ſüdlicher Südfrankreich erreicht, ja ſogar über die Pyrenäen bis nach Nordſpanien waren ſie vorgedrungen. Offenbar ſind ſie aber aus Mitteleuropa mit der Eiszeit wieder verſchwunden. Niemals ſind in den ſo vielfach unterſuchten Kulturſtätten Mitteleuropas ſeit der jüngeren Stein— zeit irgendwelche Reſte des Renns gefunden worden. Und wenn Cäſar durch ſeine Berichterſtatter wirklich Kunde vom Renn erhielt, jo war es ein Irrtum von ihm, in dem Tier einen Bewohner 110 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche— des Herzyniſchen Waldes ſehen zu wollen. Die foſſilen Renntiere unterſcheiden ſich nicht von den lebenden, ſo daß ſie uns über die Verwandtſchaftsverhältniſſe keinen Aufſchluß geben. Abweichend von allen anderen Hirſchen tragen bei den Renntieren beide Geſchlechter Ge— weihe; allerdings iſt das der Weibchen einfacher und kleiner als das der Männchen, und im Gouvernement Kaſan ſollen die Weibchen ſogar gewöhnlich geweihlos ſein. Das Geweih iſt durch die ſchwache Roſe und die Abplattung der Stangen gekennzeichnet. Es trägt eine ſehr tief angeſetzte, beim erwachſenen Männchen ſchaufelartig verbreiterte Augenſproſſe, die ſeit— lich zuſammengedrückt iſt und nach der Mittellinie des Schädels zu gerichtet verläuft. Meiſtens geht ſie in mehrere Enden aus. Sie iſt häufig nur auf einer Seite entwickelt, wie überhaupt Aſymmetrie ein Kennzeichen des Renngeweihes iſt. Eine ebenfalls oft ſchaufelförmig verbreiterte Eisſproſſe iſt vorhanden, dagegen fehlt die Mittelſproſſe. Die Stange biegt ſich etwas oberhalb der Eisſproſſe im Bogen nach vorn und trägt an der Biegungsſtelle oft eine kurze Sproſſe auf der Rückſeite. Am Ende trägt die Stange eine Anzahl weiterer Sproſſen, die nach hinten ge— richtet ſind, und iſt auch häufig ſchaufelartig verbreitert. Der ganze Aufbau des Geweihes ähnelt ſomit dem des Leierhirſches, unterſcheidet ſich aber von ihm durch die auffallend ſchwach ent— wickelte Roſe ſowie die Glätte des flachen Stammes. Die Füße ſind darauf eingerichtet, das Tier auf dem Schnee zu tragen: die Zehen ſind weit ſpreizbar, die Hufe ſehr breit, und die Neben— hufe berühren den Erdboden, ſo daß ſie das Tier mit tragen helfen. Der Schwanz iſt ſehr kurz. Eckzähne ſind bei beiden Geſchlechtern vorhanden. Das Pflugſcharbein iſt hoch und teilt die innere Naſenöffnung. Die Naſenkuppe iſt behaart. Die Jungen ſind ungefleckt. Beim Gehen auf hartem Untergrund laſſen die Renntiere ein eigentümliches Kniſtern in den Gelenken hören, das jedoch auf weichem Boden nicht wahrnehmbar iſt. Dieſes Geräuſch wird nicht etwa, wie man früher wohl annahm, durch Aneinanderſchlagen der Hufe beim Aufheben des Fußes her— vorgerufen. Seine Entſtehungsweiſe iſt unbekannt. Bei jungen Renntieren ſoll das Kniſtern nicht gehört werden. Dagegen vernimmt man es auch bei dem noch zu beſprechenden Milu. Die Renntiere ſind über die nördlichen Wälder und Tundren der Alten wie der Neuen Welt verbreitet. Der ſüdlichſte Punkt ihres Vorkommens liegt im Ural, wo ſie bis zum 52. Grad nördl. Breite leben und ſich mit der Saiga-Antilope begegnen. Aber ſchon im Gouver— nement Kaſan iſt der 54. Grad ihre Südgrenze. In Grönland gehen ſie etwa bis zum 75. Grad, in Spitzbergen gar bis zum 81. Grad nach Norden. Die Renntiere haben für den Menſchen eine ganz beſondere Bedeutung, da das Leben zahlreicher Völker auf ihr Vorhandenſein gegründet iſt. Nicht nur, daß das Renn als Haus— tier unentbehrlich iſt und Lappen und Finnen ohne es nicht leben könnten, auch die wilden Renntiere haben faſt dieſelbe Bedeutung: unterbleiben einmal ihre Wanderungen, jo fehlt den ganz auf ihr Erſcheinen eingeſtellten nordamerikaniſchen Indianern oder Sibiriern das Fleiſch, und entſetzliche Hungersnöte brechen aus. Dieſe Völkerſchaften machen ſich die Eigen— heit des Renns zunutze, bei ſeinen Wanderungen ſtets genau dieſelben Straßen innezuhalten. An geeigneten Stellen werden, beſonders auf der Herbſtwanderung, wenn die Tiere eine oft bis zu 7—12 em dicke Fettſchicht haben, die Herden erwartet, in großen Maſſen getötet und ihr Fleiſch getrocknet als Vorrat aufbewahrt. Geweihe und Knochen werden zu allerhand Geräten, die Felle zu Kleidern verarbeitet, wie überhaupt kein Teil des Tieres unbenutzt bleibt. Selbſt der Speiſebrei im Magen, das Blut und das Mark der Knochen werden ver— zehrt. In ähnlicher Weiſe müſſen vor Jahrtauſenden die Magdalenienmenſchen in der Dor— dogne die Renntiere in großen Maſſen getötet und ihre Knochen verarbeitet haben, wie dies noch heute die Funde an deren Wohnplätzen beweiſen. Renntiere. 111 Die etwa 14 Formen, die man bei den Renntieren heute unterſcheidet, kann man in zwei Gruppen einteilen: Waldrenntiere und Tundrarenntiere. Erſtere ſind größer, haben ein längeres Geſicht und ein etwas konvexes Profil. Die Geweihe ſind kürzer, maſſiger und mehr abgeflacht. Von den drei europäiſchen Formen gehört dazu das erſt kürzlich durch Lönnberg beſchriebene Finniſche Renn, Rangifer fennicus Lönnb., das allerdings heute fait aus— gerottet iſt. Auch das einzige bisher beſchriebene Sibiriſche Renn, Rangifer sibiricus Murray, ſcheint in dieſe Gruppe zu gehören. Von amerikaniſchen Formen zählen wir dazu das Karibu, Rangifer caribou ., das die mehr oder weniger offenen arktiſchen Wälder von Labrador und Kanada, ſüdlich bis Maine, Neuſchottland und Neubraunſchweig, weſtlich bis Montana bewohnt. Auch das Bergrenn, Rangifer montanus Set. Thomps., aus dem Felſengebirge von Britiſch-Columbia, ſowie das Renn von Neufundland, Rangifer terrae-novae Bangs, ſind hier zu erwähnen. Die Waldrenntiere ſind es hauptſächlich, welche die bekannten großen Wanderungen ausführen; ſie ſuchen im Winter Schutz im Walde und wandern im Sommer nach Norden zur reichen Weide. Die Tundrarenntiere wandern weniger oder gar nicht. Dieſe letzteren zeichnen ſich durch langes, ſchlankes Geweih, flache Naſenbeine und kurzes Geſicht aus. Zu ihnen gehören die am weiteſten nördlich wohnenden Renntiere, deren Vor— dringen nach Norden noch nicht abgeſchloſſen zu ſein ſcheint. Die „Barren Grounds“ des arktiſchen Nordamerikas nördlich der Waldgrenze bewohnt Rangifer areticus Rich., das nach Süden bis Kanada geht. Eine andere, Rangifer groenlandicus Gm. genannte Form, die durch beſonders ſcharf ausgeprägten weißen Augenring und großes Maul ausgezeichnet iſt, bewohnt Grönland. Die beiden noch übrigbleibenden europäiſchen Formen ſind ebenfalls Tundrarenntiere. Am weiteſten nach Norden vorgedrungen iſt das Spitzbergenrenntier, Rangifer platyrhynchus Vrolik, das gleichzeitig mit 68 em Widerriſthöhe das kleinſte aller Renntiere iſt. Das eigentliche europäische Renntier iſt aber Rangifer tarandus I., das ehe⸗ mals das ganze Skandinavien bewohnte, ſoweit es gebirgig iſt, heute aber auf zwei weit getrennte Gebiete beſchränkt iſt: das nördliche liegt in Weſtfinnmarken und das ſüdliche umfaßt die höchſte Bergregion in der Mitte Norwegens, etwa von 589 40° bis zum 63. Grad nördl. Breite. Das Renntier, Rangifer tarandus L., iſt ein ſtattliches Geſchöpf. Seine Länge be trägt 1,7—2 m, die Schwanzlänge 13 em, die Höhe am Widerriſt 1,05 m. Das Gewicht ausgewachſener Böcke kann bis 120, ja bis 150 kg fteigen. Der Leib des Renns unter ſcheidet ſich von dem des Hirſches durch größere Breite des Hinterteiles; Hals und Kopf ſind viel plumper und weniger ſchön und die Läufe bedeutend niedriger, die Hufe viel breiter als bei dem Edelwilde. Der Hals hat etwa Kopflänge, iſt ſtark und zuſammengedrückt und kaum aufwärts gebogen, ſo daß die ſtolze Haltung des Hirſches fehlt, der Kopf vorn nur wenig verſchmälert, plumpſchnauzig, längs des Naſenrückens gerade; die Ohren ſind kürzer als beim Edelhirſch, die Augen groß und weit vorſtehend, die Voraugendrüſen klein und von Haar— büſcheln überdeckt; die Naſenkuppe iſt vollſtändig behaart, die Naſenlöcher ſtehen ſchräg gegen— einander; die Oberlippe hängt über, der Mund iſt tief geſpalten. Die Schenkel ſind dick, die Beine ſtark und dabei niedrig, die Hufe ſehr groß, breit, flach gedrückt und tief geſpalten; die ſehr großen Afterklauen reichen bis auf den Boden herab. Die Decke iſt ſo dicht wie bei keiner anderen Hirſchart. Das Haar iſt ſehr lang, dick, gewunden, gewellt, zellig, ſehr luft— haltig, ſpröde und brüchig, nur am Kopfe und Vorderhalſe ſowie an den Beinen, wo es ſich noch mehr verlängert, biegſamer und haltbarer. An der Vorderſeite des Halſes befindet ſich 112 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche. eine Mähne, die zuweilen bis zur Bruſt herabreicht, und auch an den Backen verlängern ſich die Haare. Im Winter werden fie überall bis 6 em lang, und weil fie ſehr dicht übereinander liegen, bildet ſich dann eine Decke von mindeſtens 4 em Dicke, die es ſehr erklärlich macht, daß das Renn mit Leichtigkeit eine bedeutende Kälte ertragen kann. Dazu kommt, daß die Haare nach ihrem Ende zu ſo verdickt ſind, „daß ſelbſt der ſtärkſte, widerhaarig wirkende Luft— ſtrom nicht mehr als eine enge, kegelförmige Lücke im Pelz auseinanderzuteilen und auf deren Grund die Haut in keiner größeren Ausdehnung als einen Nadelſtich zu treffen vermag“. Nach der Jahreszeit iſt die allgemeine Färbung verſchieden. Die wilden Renntiere ändern ziemlich regelmäßig zweimal im Jahre ihr Haarkleid und deſſen Färbung. Das Sommerkleid iſt dunkel graubraun, an den Beinen noch dunkler; ein dunkles Band zieht ſich längs der Seite des weißen Bauches, weißlich iſt die Unterſeite des Halſes, aber die Bruſt iſt in der Mitte graubraun. Gegen den Winter zu wachſen mehr und mehr andere Haare dazwiſchen hervor, deren weiße Spitzen das graue Haar immer vollſtändiger verdrängen, bis endlich das ganze Tier weißgrau, der Färbung ſchmelzenden, ſchmutzigen Schnees täuſchend ähnlich er— ſcheint. Das dunkle Band an den Seiten des Bauches iſt ſchwächer entwickelt, und das Auge umgibt ein weißer Ring. Dieſe Umfärbung beginnt immer zuerſt am Kopfe, zunächſt in der Augengegend, und verbreitet ſich dann weiter und weiter. Die Innenſeite der Ohren iſt ſtets mit weißen Haaren beſetzt; dieſelbe Färbung hat auch ein Haarbüſchel an der Innenſeite der Ferſe und ein Ring über den Klauen; die Wimpern find ſchwarz. Das Geweih ſkandinaviſcher wilder Renntiere erreicht, nach Collett, eine Länge bis zu 1½ m längs der Krümmung ge— meſſen; das längſte bekannte hat, nach Collett, eine ſolche von 1511 mm. Die Auslage kann bis 85 em betragen und die Zahl der Enden bis auf 14 an einer Stange ſteigen. In Norwegen findet ſich das Renntier nur auf den baumloſen, mit Moos und wenigen Alpenpflanzen beſtandenen, breiten Rücken der nordiſchen Gebirge, welche die Eingeborenen ſo bezeichnend „Fjelds“ nennen. Gewöhnlich hält es ſich in dem Gürtel zwiſchen 1000 und 2000 m Höhe auf. Niemals ſteigt es hier bis in den Wald herab. Nur dann, wenn es von einem Höhenzuge nach dem anderen ftreift, trollt es über eine der ſumpfigen, moraſt— ähnlichen, niederen Flächen hinweg; aber auch bei ſolchen Ortsveränderungen vermeidet es noch ängſtlich den Wald. Größere Wanderungen unternehmen hier die Renntiere nicht. Höch— ſtens ſteigen ſie im Sommer, um der Mückenplage zu entgehen, etwas höher hinauf nach den Gletſchern. Dagegen erfahren wir, daß in Sibirien und Nordamerika die Waldrenntiere große jährliche Wanderungen ausführen, die auf den Taimyrhalbinſeln über 5, 6, 7 Breitengrade mehr als 100 geographiſche Meilen weit, in Amerika vielleicht über noch größere Strecken führen. Den Sommer hindurch weiden, nach Osgood, in Alaska die Herden getrennt in kleinen Trupps von 2— 20 Stück, die alten Böcke gern allein. Dieſe Rudel ſammeln ſich Ende September und Oktober zur Hauptherde, die nun, aus einer gewaltigen Zahl beſtehend, nach Süden zieht. Dieſe Beobachtungen ſeien durch einige ältere von Pallas und Wrangel aus Sibirien ergänzt. Sowohl bei der Reiſe zu Berge wie bei der Wanderung zu Tale vereinigt ſich das Renntier zu zahlreichen Herden, die, nach ihren Geweihen einem wandelnden Walde vergleichbar, dahinziehen, auf weithin zu verfolgende Pfade austreten und breite Ströme mehr oder weniger an denſelben Stellen kreuzen. Die Kühe mit den Kälbern eröffnen, die Hirſche beſchließen dieſe Züge. „Gegen Ende Mai“, erzählt v. Wrangel, „verläßt das wilde Renn in großen Herden die Wälder, wo es den Winter über einigen Schutz gegen die grim⸗ mige Kälte ſucht, und zieht nach den nördlichen Flächen, teils, weil, es dort beſſere Nahrung auf der Moosfläche findet, teils aber auch, um den Fliegen und Mücken zu entgehen, welche P Wildes Nenntier: Aufenthalt. Wanderungen. Bewegung. Sinne. Nahrung. 113 mit Eintritt des Frühlings in ungeheuren Schwärmen die Luft verfinſtern. Der Frühlingszug iſt für die dortigen Völkerſchaften nicht vorteilhaft; denn in dieſer Jahreszeit ſind die Tiere mager und durch die Stiche der Kerbtiere ganz mit Beulen und Wunden bedeckt; im Auguſt und September aber, wenn die Renntiere wieder aus der Ebene in die Wälder zurückkehren, ſind ſie geſund und wohlgenährt und geben eine ſchmackhafte, kräftige Speiſe. In guten Jahren beſteht der Renntierzug aus mehreren tauſenden, die, obgleich fie in Herden von 200-300 Stück gehen, ſich doch immer ziemlich nahe bleiben, ſo daß das Ganze eine ungeheure Maſſe ausmacht. Ihr Weg iſt ſtets unabänderlich derſelbe. Zum Übergange über den Fluß wählen ſie eine Stelle, wo ein trockener Talweg zum Ufer hinabführt und an dem gegenüberſtehenden eine flache Sandbank ihnen das Hinaufkommen erleichtert. Hier drängt ſich jede einzelne Herde dicht zuſammen, und die ganze Oberfläche bedeckt ſich mit ſchwimmenden Tieren.“ Den wandernden Renntierherden folgen Bären, Luchſe, Vielfraße und Meuten von Wölfen, denen viele zum Opfer fallen, Indianerhorden lauern ihnen an allen bekannten, von den Tieren mit größter Regelmäßigkeit eingehaltenen Päſſen auf. Die Renntiere eignen ſich ganz vortrefflich, jene nördlichen Länder zu bewohnen, die im Sommer eigentlich nur ein Moraſt und im Winter nur ein einziges Schneefeld ſind. Ihre breiten Hufe erlauben ihnen, ebenſogut über die ſumpfigen Stellen und die Schneedecke hin— wegzugehen wie an den Halden umherzuklettern. Der Gang des Renntieres iſt ein ziemlich ſchneller Schritt oder ein raſcher Trott. Bei langſamem Gange über moraſtige Flächen breitet das Renntier ſeine Hufe ſo weit aus, daß eine Fährte entſteht, die weit mehr an die einer Kuh als an die eines Hirſches erinnert, und in gleicher Weiſe ſchreitet es auch über den Schnee, auf dem es, ſo bald ſich dieſer nur einigermaßen geſetzt hat, nicht mehr einſinkt. Das Schwimmen wird dem Renn ſehr leicht. Alle höheren Sinne des Renntieres ſind vortrefflich. Es wittert ganz ausgezeichnet: wie ich mich wirklich überzeugt habe, bis auf 500 oder 600 Schritt hin; es vernimmt mindeſtens ebenſo ſcharf wie der Hirſch und äugt ſo gut, daß der Jäger alle Urſache hat, auch wenn er gegen den Wind herankommt, ſich aufs ſorgfältigſte zu verbergen. Dabei iſt das Tier lecker; denn es ſucht ſich nur die beſten Alpenpflanzen heraus, und ſein Gefühl beweiſt es ſehr deut— lich, wenn es die Mücken plagen: das zahme Renntier zuckt bei der leiſeſten Berührung zu— ſammen. Alle Jäger, die wilde Renntiere beobachteten, ſchreiben ihnen Klugheit, ja ſelbſt eine gewiſſe Liſt zu: ſcheu und vorſichtig im höchſten Grade ſind ſie unzweifelhaft. Daß die Tiere aus Erfahrung Schlüſſe ziehen, den Menſchen z. B. als Feind kennenlernen können, geht aus den Beobachtungen Kükenthals und A. Walters hervor. Auf Weſtſpitzbergen, wo ſie viel gejagt werden, fand ſie Kükenthal ſehr ſcheu, während ſie A. Walter in Oſtſpitzbergen, wo ſie den Menſchen noch nicht kannten, leicht erlegen konnte. Gegen andere Tiere beweiſen ſie keine Scheu. Sie kommen vertrauensvoll an die Kühe und Pferde heran, die in ihren Höhen weiden, und vereinigen ſich da, wo es zahme ihrer Art gibt, ſehr gern mit dieſen. Das wilde Renn nährt ſich im Sommer von den ſaftigen Alpenkräutern, namentlich den Blättern und Blüten der Schneeranunkel, des Renntierampfers, des Hahnenfußes uſw., wäh— rend des Winters von Flechten. Sehr gern frißt es die Knoſpen und jungen Schößlinge der Zwergbirke, nicht aber die anderer Birkenarten. Die ſorgfältige Auswahl unter der Nahrung beſchränkt ſich immer auf ſehr wenige Pflanzen. Niemals gräbt das Renn mit dem Geweih, wie oft behauptet worden iſt, ſondern immer mit ſeinen Vorderläufen. Am eifrigſten geht es in den Morgen- und Abendſtunden der Nahrung nach; während der Mittagszeit ruht es wiederkäuend, am liebſten auf Schneefeldern und Gletſchern oder ganz in deren Nähe. Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band.“ 8 114 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche. In Norwegen tritt der Hirſch Ende September und im Oktober auf die Brunft. Sein Ge— weih, das Ende Dezember oder im Januar abgeworfen worden war, iſt jetzt wieder vollſtändig geworden, und er weiß es zu gebrauchen. Mit lautem Schrei ruft er Mitbewerber heran, orgelt wiederholt in der ausdrucksvollſten Weiſe, angeſichts der jetzt ſehr verſtärkten Rudel häufige Kämpfe mit den betreffenden Mitbewerbern beſtehend. Die wackeren Streiter ver— ſchlingen ſich oft mit ihren Geweihen und bleiben manchmal ſtundenlang aneinander gefeſſelt; dabei kommt es dann auch vor, wie bei den Hirſchen, daß die ſchwächeren Männchen, die von den älteren während der Fortpflanzungszeit übermütig behandelt werden, ſich die Gelegenheit zunutze machen und unterdeſſen die Tiere beſchlagen. Gegen das Tier benimmt ſich der Hirſch ſehr ungeſtüm, treibt auch das brunftige Tier oft lange umher; hat er nach längerem Laufe endlich haltgemacht, jo beleckt er das getriebene Stück, hebt den Kopf in die Höhe und ſtößt hierbei raſch hintereinander dumpfe, grunzende Laute aus, bläht ſeine Lippen auf, ſchlägt ſie wieder zuſammen, beugt den hinteren Teil ſeines Leibes nieder und gebärdet ſich über— haupt höchſt ſonderbar. Der Beſchlag ſelbſt geht ſehr raſch vor ſich; dabei faucht der Hirſch wie nieſend mit der Naſe. Von Anfang April bis zum Juni dauert die Satzzeit; das Tier geht etwa 8 Monate trächtig. Selten ſollen wilde Renntiere mehr als ein Kalb ſetzen. Dieſes iſt ein kleines, ſchmuckes Geſchöpf, das von ſeiner Mutter ſorglich behütet und lange geſäugt wird. Es iſt ungefleckt, mehr rotbraun als die Alten und erſt im zweiten oder dritten Jahre ihnen gleich gefärbt. Schon gegen das Frühjahr hin trennt ſich das hochbeſchlagene Tier mit einem Bode von ſeinem Rudel und ſchweift nun mit dieſem bis zur Satzzeit und auch ſpäter noch umher. Solche Familien trifft man häufig; die Schmaltiere und die jungen Böcke bilden ihrerſeits ſtärkere Rudel, bei denen ein geltes Alttier die Leitung übernimmt. Erſt wenn die Kälber groß geworden ſind, vereinigen ſich die Familien wieder zu Rudeln. Die Renntiere ſind ſo beſorgt um ihre Sicherheit, daß das Leittier, auch wenn alle übrigen Mit— glieder des Rudels wiederkäuend ruhen, immer ſtehend das Amt des Wächters ausübt; will es ſich ſelbſt niederlaſſen, ſo ſteht augenblicklich ein anderes Alttier auf und übernimmt die Wache. Niemals wird ein Rudel Renntiere an Halden weiden, wo es gegen den Wind be— ſchlichen werden kann; es ſucht ſich ſtets Stellen aus, auf denen es die Ankunft eines Feindes ſchon aus weiter Entfernung wahrnehmen kann, und dann trollt es eilig davon, oft meilen- weit. Es kehrt aber nach guten Plätzen zurück, wenn auch nicht in den nächſten Tagen. Die Jagd auf das wilde Renn erfordert einen leidenſchaftlichen Jäger oder einen echten Naturforſcher, dem es auf Beſchwerden und Entbehrungen nicht ankommt. In Norwegen iſt die Pirſch für den Geübten die beſte Jagdweiſe. Jung eingefangene Renntiere werden ſehr bald zahm; man würde ſich aber einen falſchen Begriff machen, wenn man die Renntiere, was die Zähmung anlangt, den in den Hausſtand übergegangenen Tieren gleichſtellen wollte. Nicht einmal die Nachkommen derjenigen, die ſchon ſeit undenklichen Zeiten in der Gefangenſchaft leben, ſind ſo zahm wie unſere Haustiere, ſondern befinden ſich immer noch in einem Zuſtande von Halbwildheit. Das zahme Renn Norwegens ſtammt, nach Lönnberg („Arkiv för Zoologi“, 1909), vorwiegend von Rangifer tarandus L. ab. Aber in Nordſchweden gibt es eine kleine Anzahl, in deren Adern wohl Blut des waldbewohnenden Rangifer fennicus Zönnb. fließen muß; fie unterſcheiden ſich von den anderen durch die Körperformen — ſie ſind größer — und durch ihre Gewohnheiten: ſie leben immer in Wald und Moor und ſteigen niemals in das Gebirge. Wann und wo das Renn zuerſt gezähmt worden iſt, wiſſen wir, nicht. Hahn meint, dies ſei in bewußter Anlehnung an das Rind geſchehen von einem nordoſtaſiatiſchen Stamm, der, nach Wildes Renntier: Fortpflanzung. Jagd. — Zahmes Renntier. 115 Norden in unwirtliches Gebiet gedrängt, ſein Milch- und Transportvieh verloren habe. Wenn man nicht eine Nachricht von Alian, wonach die Skythen auf Hirſchen wie auf Pferden ritten, auf das Renn beziehen will, ſtammt die erſte ſichere Nachricht vom zahmen Renn aus dem 9. Jahrhundert. Damals berichtete nämlich der Norweger Other an König Alfred von Eng— land, daß er 600 zahme Renntiere und 6 Locktiere beſitze. Nach einigen ſpärlichen Nachrichten durch Lehrberg (1499) und Marco Polo von Sibirien gab Olaus Magnus (1555) die erſte ausführliche Kunde über zahme Renntiere. Das zahme Renn unterſcheidet ſich vom wilden nur durch ſeine ſchwächere Geſtalt und durch das Auftreten weißer und geſcheckter Tiere. Ein Varanger Renn wiegt, nach Collett, durchſchnittlich 60 kg, ein Enare-Renn 85—90 kg. Meiſt mögen auch die Geweihe ſchwächer ſein als bei den wilden; immerhin wird eins erwähnt, das 62 Enden hatte; außerdem ſollen ſie noch unregelmäßiger gebaut ſein als bei jenen. Das zahme Renntier iſt die Stütze und der Stolz, die Luſt und der Reichtum, die Qual und die Laſt des Lappen; nach deſſen Begriffen ſteht derjenige, welcher ſeine Renntiere nach Hunderten zählt, auf dem Gipfel menſchlicher Glückſeligkeit. Einzelne Lappen beſitzen 2—3000 Stück, die meiſten aber höchſtens deren 500; die Geſamtzahl der zahmen Renntiere in Nor— wegen gibt Collett mit 150000 Stück an. Das Leben der zahmen Renntiere unterſcheidet ſich faſt in jeder Hinſicht von dem des wilden Renns. Jene werfen ſpäter ab, pflanzen ſich auch zu einer anderen Zeit im Jahre fort als die wilden und wandern beſtändig. In den Monaten Juli und Auguſt leben ſie auf den Gebirgen und am Meeresſtrande, vom September an findet die Rückwanderung ſtatt. Um dieſe Zeit läßt der Lappe ſeine Renntiere ihre Freiheit genießen, falls keine Wölfe in der Nähe umherſtreifen. Da in dieſelbe Zeit die Brunft fällt, geſchieht es dabei, daß die zahmen ſich mit den wilden vermiſchen, zur lebhaften Freude der Herdenbeſitzer, die hierdurch eine beſſere Zucht erzielen. Mit dem erſten Schneefalle werden die Renntiere wieder eingefangen und gehütet; denn jetzt gilt es, ſie mehr als je vor den Wölfen zu bewahren. Kommt dann der Frühling heran, ſo beginnt mit ihm eine neue Zeit der Freiheit; dann werden die Tiere noch— mals zur Herde geſammelt: denn jetzt ſetzen die Kühe ihre Kälber und liefern die köſtliche Milch, die nicht verloren gehen darf; ſie werden alſo wieder nach den Orten getrieben, wo es wenig Mücken gibt. So geht es fort, von einem Jahre zum anderen. Eine Renntierherde gewährt ein höchſt eigentümliches Schauſpiel. Sie gleicht, wie ſchon geſagt, einem wandelnden Walde. Die Renntiere gehen geſchloſſen wie die Schafe, zuſammen— gehalten von den ſtändig ſie umkreiſenden Hunden, aber mit behenden, federnden Schritten und ſo raſch wie keines unſerer Haustiere. Unter den zahmen Renntierkühen ſcheint Gemein— ſchaftlichkeit der Güter zu herrſchen. So ſtörriſch ſich dieſe Tiere beim Melken zeigen, ſo liebenswürdig benehmen ſie ſich gegen die Kälber: ſie erlauben auch fremden, ſie zu beſaugen. Wenn der Beſitzer die Tiere melken will, muß er ſie mit der Wurfſchlinge aus der Herde herausfangen und feſſeln. Gibt es gute Weide in der Nähe, ſo bauen ſich die Lappen zur Erleichterung des Mel— kens eine Hürde, in die ſie allabendlich ihre Tiere treiben. Die Renntiere erinnern durch ihr Hin⸗ und Herlaufen und durch ihr ewiges Blöken an die Schafe, obgleich ihr Lautgeben mehr ein ſchweineähnliches Grunzen genannt werden muß. Wenn man ſich der Hürde nähert, ver nimmt man zuerſt das beſtändige Blöken und dann, bei der ununterbrochenen Bewegung, ein Kniſtern, als ob Hunderte von elektriſchen Batterien in Tätigkeit geſetzt würden. Mancherlei Seuchen richten oft arge Verheerungen unter den Renntieren an, und 8 * 116 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche. außerdem trägt das rauhe Klima dazu bei, daß ſich die Herden nicht ſo vermehren, wie es, der Fruchtbarkeit des Renns angemeſſen, ſein könnte. Junge und zarte Kälber erliegen der Kälte oder leiden von den heftigen Schneeſtürmen, ſo daß ſie, vollkommen ermattet, der Herde nicht weiter folgen können; ältere Tiere können bei beſonders tiefem Schnee nicht mehr hinreichende Nahrung finden, und wenn der Lappe unter ſolchen Umſtänden ſich auch bemüht, ihnen in den Wäldern einige Aſung zu verſchaffen, indem er die mit Flechten reich behangenen Bäume niederſchlägt: er kann der Herde doch nicht das erforderliche Futter bieten. a Der geſamte Nutzen, den die zahmen Renntiere ihrem Beſitzer bringen, würde, auf unſere Verhältniſſe übertragen, gar nicht zu berechnen ſein. Und zwar iſt das Renntier, nach Hahn, Mit Renntieren beſpannter Samojedenſchlitten auf der Halbinſel Kanin. Nach Photographie von R. Pohle. weniger wichtig durch ſein Fleiſch, ſeine Milch, ſein Fell, kurz, durch ſeinen Körper, von dem man alle Teile verwendet, als durch ſeine Arbeitsleiſtung als Transporttier. In Lappland benutzt man das Renn hauptſächlich zum Fahren, weniger zum Laſttragen, weil ihm letzteres, des ſchwachen Kreuzes wegen, ſehr beſchwerlich fällt. Die Tunguſen und Koräken aber reiten auch auf den ſtärkſten Rennhirſchen, indem fie einen kleinen Sattel gerade über die Schulter— blätter legen und ſich mit abſtehenden Beinen auf das ſonderbare Reittier ſetzen. In Lapp⸗ land reitet niemand auf Renntieren, und bloß die ſtärkſten Böcke oder „Rennochſen“, wie die Norweger ſagen, werden zum Fahren benutzt. Kein Renn wird vorher zum Zuge abgerichtet; man nimmt ohne viel Umſtände ein beliebiges, ſtarkes Tier aus der Herde und ſpannt es vor den höchſt paſſenden, der Natur des Landes und des Renntieres durchaus entſprechenden Schlitten. Man lenkt ein Zugtier, indem man den Zügel, der ums Maul gelegt und mit einem Band am Geweih befeſtigt wird, mit einiger Kraft bald auf die linke, bald auf die rechte Seite ſeines Rückens wirft. Ein gutes Renntier legt mit dem Schlitten in 1 Stunde etwa 10 km . Zahmes Renntier. Muntjakhirſche. 117 zurück und zieht 120—140 kg, wird aber gewöhnlich viel geringer belaſtet. Im Sommer ver— wendet man es in Norwegen nicht zum Ziehen. Wenn man ſtarke, gut ausgefütterte Renntiere ſchont, d. h. ſie nur morgens und abends einige Stunden ziehen, mittags und nachts aber wei— den läßt, kann man erſtaunlich große Strecken mit ihnen durchreiſen, ohne ſie zu überanſtrengen. Enge Gefangenſchaft behagt dem Renn ſehr wenig; gleichwohl hält es ſich in unſeren Tiergärten, falls es entſprechend behandelt wird, recht gut, pflanzt ſich auch regelmäßig fort. Man kann es übrigens auch erhalten ohne ſeine natürliche Nahrung, das ſogenannte Renn— tiermoos, eine Flechte, die auf Sandboden, z. B. in der Mark Brandenburg, reichlich wächſt; es verſchmäht Heu und alle übrigen Pflanzenſtoffe, beſonders aber Brot, durchaus nicht. Das wohlſchmeckende Wildbret des Renns iſt auch bei uns beliebt geworden, ſo daß es in der günſtigen Jahreszeit von Rußland und Skandinavien auf unſeren Markt gelangt. Die Felle der jungen Renntiere haben für den Pelzhandel eine gewiſſe Bedeutung, da man ſie gern zu Automobilpelzen verarbeitet. Der Wert dieſer ſogenannten „Pijecki“ beträgt etwa 3— 10 Mark das Stück. Die zweite Reihe der Hirſche, die Plesiometacarpalia, deren Eigentümlichkeiten ſchon S. 79 geſchildert worden ſind, umfaßt ſolche Vertreter der Familie, deren Geweih, falls es mehrendig iſt, eine Augenſproſſe beſitzt und nicht regelmäßig gabelig verzweigt iſt. Eine Aus— nahme hierin macht nur der Milu; da er aber mit dem Edelhirſch fruchtbar gekreuzt werden kann, muß er doch in dieſe Reihe gerechnet werden. Auch dieſe Reihe beginnt mit kleinen, primitiven, in Oſt- und Südoſtaſien heimiſchen Tieren, deren oberer Eckzahn bei den Männchen hauerartig aus dem Maule herausragt, die aber doch ſchon ein Geweih, wenn auch noch ein ſehr einfaches und kurzes, beſitzen. Dieſes beſteht aus einem Stamm, der unverzweigt bleibt oder eine Augenſproſſe trägt, und ſitzt auf ſehr langen Roſenſtöcken; die Weibchen haben an ſeiner Stelle Haarbüſchel. Es handelt ſich um die Muntjakhirſche (Muntiacus N, Cervulus, Prox), die aber gleichwohl im Fuß— bau dadurch ſehr fortgeſchritten erſcheinen, daß bei ihnen mit dem, wie bei allen Wiederkäuern, aus Kahn- und Würfelbein verſchmolzenen einheitlichen Knochen auch noch das mittlere und äußere Keilbein verwachſen ſind. In dieſer Hinſicht liegt alſo ein Anklang an die Pudu— hirſche Südamerikas vor. Auch ſonſt iſt der Fußbau in bezug auf Rückbildung der Seitenzehen fortgeſchrittener als bei den übrigen Hirſchen. Dagegen iſt die Geweihform mit ihren langen Roſenſtöcken, worin die Muntjaks längſt ausgeſtorbenen Hirſchen gleichen, wohl ein ſehr alter— tümliches Merkmal. Die Jungen ſind gefleckt. Drüſen und Haarbürſte am Hinterfuß fehlen. Von den zwei Untergattungen haben die über Tibet und Oſtchina verbreiteten Schopf— hirſche (Elaphodus M.-Z., Lophotragus) ſehr kurze, unverzweigte Spießgeweihe auf langen Roſenſtöcken, welch letztere ſich nicht als Leiſten auf dem Schädel fortſetzen. Die Geweihe ſind in einem Haarbuſch verſteckt und kaum ſichtbar. Drüſen an der Stirn fehlen. Die langen Eckzähne verlaufen bis zur Spitze parallel. Die ſeitlichen Mittelhandknochen ſind weiter rück— gebildet als bei den übrigen Plesiometacarpalia oder fehlen gelegentlich ganz. Fernere Merk— male find das rauhe, drahtige Haar, die breiten, runden Ohren und der mäßig lange Schwanz. Der bekannteſte Vertreter iſt der etwa 55—57 em hohe Chineſiſche Schopfhirſch, Mun- tiacus (Elaphodus) michianus 87, ein ziemlich gleichmäßig eiſengraubraun gefärbtes Tier mit Weiß an Lippen, Kinn, Innenſeite und Außenrand der Ohren ſowie an der Schwanz— unterſeite. Stirn und beſonders der Haarbüſchel dunkeln faſt zu Schwarz. 118 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche. Bei der Untergattung der Echten Muntjaks (Muntiacus) ſetzen ſich die ſehr langen Roſenſtöcke in Geſtalt von Leiſten, welche die dazwiſchen vertiefte Stirn einrahmen, auf dem Schädel bis über die Augenhöhlen fort. Dazwiſchen ſitzt gewöhnlich auf jeder Seite eine kleine Hautdrüſe. Das Geweih ſelbſt iſt ſtärker und länger als das der Schopfhirſche und trägt eine Augenſproſſe. Die langen Eckzähne weiſen mit der Spitze nach außen. Die Glieder der Seitenzehen fehlen ganz. Dieſe Untergattung wird mit der erſten verbunden durch Formen, die, wie M. erini- frons Scl. aus Oſtchina, je einen Haarbüſchel an den Roſenſtöcken beſitzen oder, wie M. feae Thos. Doria aus Tenaſſerim, zwar keine Haarbüſchel haben, denen aber auch die Hautdrüſen an der Stirn fehlen. Beide Arten, die wohl nahe miteinander verwandt ſind, unterſcheiden ſich auch von den anderen durch ihre ſepiabraune Färbung und den oberſeits ſchwarzen Schwanz. M. crinifrons wird etwa 60 em hoch. Die bekannteſte Art iſt wohl der Indiſche Muntjak, Muntiacus muntjae imm. Seine Länge beträgt 115 —124 em, wovon 15—18 em auf den Schwanz kommen, ſeine Schulterhöhe 50 — 55 cm. Stücke aus Südindien ſind, laut Sir Victor Brooke, ſchwächer als die aus Nordindien, aber die größten ſcheinen den Sundainſeln eigentümlich zu ſein; Kinloch gibt nach ſeinen Meſſungen den im Himalaja heimiſchen bloß eine Schulterhöhe von 45 em. Der Muntiak iſt ein ziemlich ſchlank gebauter, aber kräftiger Hirſch mit mittel- langem Halſe, kurzem Kopfe, niedrigen, ſchlanken Läufen und einem mittellangen, flockig be: haarten Wedel. Die Behaarung iſt kurz, glatt und dicht, das Haar dünn, glänzend und ſpröde, die Färbung auf der Oberſeite geſättigt gelbbraun, nach der Mitte des Rückens dunkler, bis ins Kaſtanienbraune, am Hinterhalſe mehr zimtbraun, an der Schnauze gelbbraun, längs der Vorderſeite der Roſenſtöcke dunkelbraun geſtreift, auf der Außenſeite der Ohren dunkel gelb: braun; auf deren Innenſeite wie am Kinn, der Kehle, am Hinterbauche und an den Innen— ſeiten der Beine, den Hinterbacken und dem unteren Teile des Schwanzes weiß; Vorderbauch und Bruſt ſind gelblicher, zu beiden Seiten weiß gefleckt, die Vorderläufe dunkelbraun, am Rande der Schienbeine weiß, hinten ſchwarz geſtreift; über den ſchwarzen Hufen ſteht ein kleiner weißer Fleck. Das Geweih iſt weißlich, etwas ins Gelbliche ziehend. Abänderungen kommen häufig vor. Die Stangen ſitzen auf ſehr langen Roſenſtöcken, ſind ſchräg nach rück— wärts gerichtet, biegen ſich anfangs etwas nach außen und vorwärts und krümmen ſich dann plötzlich gegen die Spitze hakenförmig nach rück- und einwärts. Zuerſt ſind ſie nur einfach, ſpäter erhalten ſie eine kurze, ſtarke, ſpitzige, nach vorn und aufwärts gerichtete Augenſproſſe. Sehr eigentümlich find die Roſenſtöcke, die 8— 10 em hoch aufſteigen, bis zur Roſe von einer dicht behaarten Haut, die längs der Roſenkante einen büſchelförmigen Haarwuchs trägt, über— deckt werden und mit einer ſehr niederen, aus einer einfachen Reihe großer Perlen gebildeten Roſe endigen. Mit zunehmendem Alter wird der Roſenſtock ſtärker, wie ſich auch die Anzahl der Perlen an ihm vermehrt. An den Stangen ſelbſt ſieht man wohl tiefe Längsfurchen, aber keine Perlen; ſie erreichen ohne die hohen Roſenſtöcke eine Länge von ſelten mehr als 12 em. Ein ausnahmsweiſe langes Geweih, wohl das größte bekannte, mißt 19 em. Das Weibchen trägt ſtatt des Geweihes bloß Haarſchöpfe. Sumatra, Java, Borneo, Banka und Hainan ſowie die Malaiiſche Halbinſel, Burma und Britiſch-Indien bilden die Heimat des Muntjaks. Die in Tibet und China lebenden Arten, wie M. lacrymans M.-E. und M. reevesi Ogilb., weichen nur durch geringe Größen: und Färbungsunterſchiede von der geſchilderten ab. Nach Jerdon ſteigt der Muntjak im Imm Indiſcher Muntjak. 119 Himalaja faſt bis zu 3000 m Höhe empor und iſt ein Waldbewohner, der hügelige und bergige Gegenden bevorzugt. Laut Horsfield erwählt er ſich zu ſeinem Aufenthalte gewiſſe Gegenden, an die er dann ſo große Anhänglichkeit zeigt, daß er ſie freiwillig niemals verläßt. Mancher Ort iſt als bevorzugter Stand unſeres Hirſches ſeit Menſchengedenken bekannt. Nicht allzu hoch gelegene Gegenden, in denen Hügel und Täler abwechſeln, und noch mehr ſolche, die ſich an den Fuß der höheren Gebirge anlehnen oder größeren Wäldern nähern, ſcheinen alle dieſem Wilde zuſagende Bedingungen in ſich zu vereinigen. Auf Java ſind ſo beſchaffene Standorte ſehr gewöhnlich; dort decken ſie ein langes Gras und Sträucher und Bäume von mittlerer Höhe, die in Gruppen zuſammentreten oder kleine Dickichte bilden und nur durch — 7 Indiſcher Muntjak, Muntiaeus muntjae Zimm. Yo natürlicher Größe ſchmale Streifen angebauten Bodens unterbrochen werden oder in die tieferen Wälder übergehen. Hier trifft man den Muntjak einzeln oder zu zweien an; mehr als ein Pärchen werden ſo ſelten beieinander gefunden, daß Baldwin und MeMaſter beſonders hervorheben, ſie hätten je einmal vier und einmal drei beiſammen geſehen. An Stellen, die außerdem waſſerreich und men— ſchenleer find, befindet ſich der Muntjak am wohlſten; er ſchleicht oder ſchlüpft, wie Hodgſon ſchildert, mit niedrig gehaltenem Kopfe wie ein Wieſel durch verfilzte Dickichte und zwiſchen zu— ſammengebrochenen Bäumen umher und weiß ſich behende auch durch die kleinſten Lücken hin— durchzuwinden. Sein Ruf, ein rauhes, ſcharfes, hallendes Schrecken oder Bellen, nach welchem er auch „Bellhirſch“ benannt wird, iſt ſowohl Brunft- wie Alarmſchrei. Er läßt ihn vorwiegend in den Morgenſtunden und nachmittags hören. Für ein ſo kleines Tier iſt der Schrei auffallend laut. Die Brunftzeit ſoll in Nordindien hauptſächlich im Januar und Februar liegen, die Tragzeit etwa ein halbes Jahr dauern, jo daß die 1—2 Kälbchen in der Regel im Juni oder Juli geſetzt werden. Doch werden einzelne Junge auch außerhalb dieſer Zeit das ganze Jahr hindurch gefunden. Die Geweihe werden im Mai abgeworfen, die neuen ſind im Auguſt fertig. 120 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche. Jerdon führt noch an, daß die Zunge des Muntjaks außerordentlich lang ſei und ihm ermögliche, den ganzen Vorderkopf zu belecken. Schon Markham berichtet, daß das Tier öfters ein merkwürdiges Raſſeln oder Klappern hören laſſe, als ob zwei lockere Knochen feſt gegen— einander geſchlagen würden. Womit das Geräuſch hervorgerufen wird, iſt noch nicht ganz klar. Adams meint, mit den Füßen, Hamilton und MeMaſter glauben, mit den Eckzähnen, aber Kinloch hat es auch von einem Weibchen gehört; ſeine Anſicht, daß es durch Aneinander— ſchlagen der Kiefer entſteht, dürfte die richtige ſein. Wenn der Muntjak ſich verfolgt ſieht, geht er nicht, wie der Hirſch, in die Weite, ſon— dern läuft anfangs möglichſt ſchnell, bald aber langſamer und vorſichtiger in einem großen Bogen fort, ſobald wie möglich wieder nach ſeinem urſprünglichen Standorte ſich wendend. Die Jagd auf den Muntjak wird wohl mehr des Vergnügens halber als zur Erlangung des Wildbrets ausgeübt, obwohl dieſes ausgezeichnet ſein ſoll. Die Großen Javas halten ſich eigene Meuten zur Jagd auf dieſe Hirſche, die dann mehr ſportmäßig betrieben wird. Gegen die Hunde ſcheint ſich der Muntjak ausſchließlich mit ſeinen Eckzähnen zu verteidigen, die er mit Mut und Geſchicklichkeit zu benutzen verſteht, und mit denen er manchem ſeiner Ver— folger gefährliche Wunden beibringt. Außer dem Menſchen ſtellen unſerem Hirſche Tiger und Panther eifrig nach. Doch das milde Klima mit ſeinem Reichtum an Nahrung ſagt ihm ſo außerordentlich zu, daß alle Ver— luſte, die Menſch und Raubtier ſeinem Beſtande beibringen, ſchnell gedeckt werden. Die Gefangenſchaft hält der Muntjak in ſeinem Vaterlande ſehr gut und auch in Europa recht leidlich aus; man findet ihn oft im Beſitze von Europäern und Eingeborenen. Sterndale hat in Indien beobachtet, daß'ſeine Gefangenen Fleiſch aller Art gierig verſchlangen. Man hält und züchtet Muntjaks nicht nur in den zoologiſchen Gärten, ſondern auch in Wild— parken, z. B. beim Herzog von Bedford in England, aber auch in Frankreich, Holland, Belgien. An die Hirſche mit nur einer Sproſſe am Geweih ſchließen ſich die mit zwei Sproſſen an, die Ruſahirſche (Rusa II. Sm.), deren Geweih auf der Sechſerſtufe ſtehenbleibt. Eine Augenſproſſe iſt da, aber Eis- und Mittelſproſſe fehlen, die Stange iſt am Ende gegabelt, wodurch drei Spitzen auf jeder Seite erreicht werden. Das Kleid iſt entweder — und zwar bei den wohl primitivſten Arten — immer gefleckt (Untergattung Axis II. Sm.) oder nur in der Jugend gefleckt und ſpäter höchſtens im Sommerkleid (Untergattung Hyelaphus 8d.) oder ſchließlich — und das ſind die fortgeſchrittenſten Arten — immer einfarbig (Untergattung Rusa). Ein Spiegel fehlt ganz. Bruſt und Hals tragen oft eine kräftige Mähne, die Ohren ſind gewöhnlich groß, der Schwanz ziemlich lang. Die oberen Eckzähne ſind, wenn vorhanden, klein. Die Gattung bewohnt die orientaliſche Region. Die Geweihe der Untergattung Axis ſind nicht beſonders ſtark, mehr oder weniger ge— ſchweift, die Augenſproſſe iſt ſichelförmig aufwärts gekrümmt und bildet mit der Hauptſproſſe etwa einen Winkel von 45 Grad. Der hintere Aſt der Endgabel iſt ſtets kleiner als der vordere, aufrecht und nach innen gerichtet. Der Axishirſch, in Indien Tſchital genannt, Rusa (Axis) axis yal. (Taf. „Baar: hufer V“ 4, bei S. 97), erreicht bei 135 —150 em Leibeslänge nur 90 — 95 em Schulter— höhe und dürfte, ſoweit die Färbung in Betracht kommt, einer der ſchönſten, wenn nicht der ſchönſte aller Hirſche ſein. Der Leib iſt geſtreckt, aber niedrig geſtellt und erſcheint deshalb ge— drungen, der Hals verhältnismäßig dick, der Kopf kurz, regelmäßig gebaut, nach dem Maule zu fein verjüngt, das Gehör mittellang, lanzettförmig, ſchmal, der Wedel ziemlich lang und — Axishirſch. 121 gerundet. Ein angenehmes Rötlichbraun it die Grundfärbung; der Rückenſtreifen erſcheint ſehr dunkel, auf dem Widerriſte faſt ſchwarz; Kehle, Gurgel, Bauch und Innenſeite der Läufe ſind gelblichweiß, die Außenſeite der Läufe gelblichbraun. Etwa ſieben Reihen weißer, ziemlich unregelmäßig geſtellter Flecke auf jeder Seite bilden die Zeichnung. In der unterſten Reihe ſtehen die Flecke jo dicht zuſammen) daß ſie ſich längs der Weichen und auf den Hinterſchenkeln zu einem faſt ununterbrochenen Bande vereinigen. Der Kopf und die Seiten des Unterhalſes ſind ungefleckt. Über den Stirnteil des Geſichtes von einem Auge zum anderen verläuft, huf— eiſenförmig nach vorn ſich biegend, eine dunkle Binde; auch die Mitte des ſonſt lichten Scheitels pflegt dunkler zu ſein. Die braune Binde hinter der Muffel iſt ſchmal und wird von dieſer durch einen dreieckigen Fleck von gelblicher Farbe getrennt. Das Gehör iſt außen graubraun, an der Wurzel unbedeutend lichter als in der Mitte. Der Wedel iſt auf der Außenſeite licht— braun, auf der unteren weiß, welche Färbung zum Vorſchein kommt, ſobald er erhoben wird. Die Innenſeite der Keule iſt ziemlich rein weiß. Das ſchön leierförmige Geweih biegt ſich von der Wurzel an nach hinten, außen und oben. Die Augenſproſſe entſpringt unmittelbar an der Roſe und wendet ſich nach vorn, außen und oben, die Gabelſproſſe zweigt ſich oberhalb der Mitte der Stange ab und iſt nach oben ſowie etwas nach hinten gerichtet. Das ſtärkſte Ge— weih, von dem Forſyth berichtet, hatte, der Krümmung nach gemeſſen, eine Stangenlänge von 96 em. Das Geweih ändert ſowohl in der Stärke als auch in der Rauhigkeit und Geſtalt viel— fach ab, und zwar, wie es ſcheint, je nach der Gegend, in der die Hirſche heimiſch ſind; ſo iſt von dieſen eine ſtarke Unterart in Nordweſtindien und den Zentralprovinzen (Rusa a. major Mdgs.), eine ſchwache von Südindien (Rusa a. minor Has.) und eine noch ſchwächere von Ceylon (Rusa a. ceylonensis H. Sm.) unterſchieden worden. Der Verbreitungskreis des Axis umfaßt Vorderindien nebſt Ceylon, mit Ausnahme des Pandſchabs, Sinds und Aſſams, und oſtwärts die Länder bis Kotſchinching. Das Tier belebt ſowohl flaches als auch hügeliges Land, findet ſich in den Vorbergen des Himalajas und in den Sanderbans, im vollwüchſigen Walde ſowie im Dſchangel, gewöhnlich aber nahe am Waſſer. Wo die Umgebung ihm zuſagt, kommt es ſehr zahlreich vor und bildet große Rudel, bei denen ſich ſtets mindeſtens ein Bock mit ſtattlichem Geweih befindet. Eine Herde dieſer ſchön gezeichneten, zierlichen Tiere muß beim Weiden einen herrlichen Anblick bieten. Der Axis iſt ein ausgeſprochenes Tagtier im Gegenſatz zum Sambar; beide bewohnen, ohne ſich zu be— einträchtigen, dieſelben Ortlichkeiten: „Während der Sambar ein ausgeprägtes Nachttier iſt, das man in der Regel nur während der Dämmerung des Morgens oder Abends außerhalb des dichten, womöglich immergrünen Dſchangels trifft, kann man im Gegenſatz hierzu den Axis faſt während des ganzen Tages in der Nähe menſchlicher Anſiedlungen und Waſſerläufe be— obachten“, ſagt Kauffmann. Nach demſelben Autor iſt der Geweihwechſel des Axis an keine beſtimmte Jahreszeit gebunden, man findet vielmehr zu jeder Zeit Geweihe in allen Stufen der Entwickelung. Dementſprechend iſt auch die Satzzeit wechſelnd. Die Trächtigkeitsdauer beträgt 8¼ Monate. Der Axis iſt ein Gegenſtand eifriger Jagd der Eingeborenen und der Engländer; dieſe vielfachen Nachſtellungen mögen die Urſache ſein, daß er da, wo er ſich ver— folgt weiß, mindeſtens ebenſo ſcheu iſt wie unſer Hochwild. Demungeachtet wird der gefangene Axis bald und vollſtändig zahm. Man hat ihn ſchon vor vielen Jahren nach England ein— geführt und in Erfahrung gebracht, daß er in dem milden Klima vortrefflich gedeiht; von dort aus iſt er ſpäter auch nach Deutſchland gekommen. Hier hält er ſich in unſeren Tier— gärten ebenfalls ausgezeichnet und pflanzt ſich leicht fort. Einer Einbürgerung in freie Wild— bahn dürfte aber die unbeſtimmte Zeit ſeiner Fortpflanzung Schwierigkeiten bereiten; man 123 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche. —— darf ſagen leider, da die ſchmucken Tiere jedem Wildpark zur Zierde gereichen müßten. In einem königlichen Wildpark bei Stuttgart hat man lange Jahre ein Rudel gehalten. Durch beſtändige Fleckung in allen Alters- und Jahreszeitſtufen ſchließt ſich Prinz Alfreds Hirſch, Rusa (Axis) alfredi Scl. (Taf. „Paarhufer V“, 5, bei S. 97), dem vor⸗ hergehenden an. Es iſt ein 70 em hohes, langgeſtrecktes und niedriggeſtelltes Tier von im Alter tief dunkelbrauner Grundfarbe, häufig mit einem ſchwarzen Streifen der Rückenmitte entlang. Die Flecke bilden je eine Reihe längs des Rückens und ſind ſonſt unregelmäßig über den Körper zerſtreut. Unterſeite, Kinn, Unterlippe und Innenſeite der Beine ſind weiß. Das kurze Geweih mit der langen Augenſproſſe erinnert an das des malaiiihen Sambars. Die nahe Verwandtſchaft von R. alkredi mit dem Sambar wird auch dadurch erwieſen, daß ein Bock des Prinz-Alfreds-Hirſches mit einem Weibchen der Unterart des Sambars, welche die ſüdlich von den Philippinen gelegene Inſel Baſilan bewohnt, im Londoner Zoologiſchen Garten erfolgreich gekreuzt wurde. So verbindet dieſe Art zwei Untergattungen der Ruſa— hirſche. Sie bewohnt die Philippineninſeln Samar und Leyte. Die Untergattung der Schweinshirſche (Hyelaphus) hat kurze, der Form nach ſehr veränderliche Geweihe mit ziemlich hoch angeſetzter Augenſproſſe, die mit dem Stamm etwa einen Winkel von 30 Grad bildet. Der Schweinshirſch, Rusa (Hyelaphus) poreinus Zimm. (Taf. „Paarhufer V“, 6, bei S. 97), eine der gemeinſten indiſchen Arten, erreicht bei 1,2—1,3 m Geſamtlänge, wovon etwa 20 em auf den Schwanz entfallen, eine Schulterhöhe von 65 — 70 em und gehört zu den plumpſten Geſtalten der ganzen Familie, iſt faſt ſchwerfällig gebaut, dickleibig, kurzläufig, kurzhalſig und kurzköpfig. Die Färbung ſcheint mannigfach abzuändern. Gewöhnlich iſt ſie ein ſchönes Kaffeebraun, das beim Hirſche bis zum Schwarzbraun dunkeln, beim Tiere bis zum Lederbraun ſich lichten kann. Dunkler gefärbt, faſt ſchwarz, ſind ein Rückenſtreifen, eine Binde hinter der Muffel, die ſich ringsum zieht, eine zweite, nach der Muffel zu hufeiſen— förmig eingebogene Binde zwiſchen den Augen und ein Längsſtreifen auf der Stirnmitte; gräulicher, dunkelaſchfarben etwa, die Unterſeite des Leibes und die Läufe; lichter, nämlich hell fahlgrau, der Kopf und die Halsſeiten, die Kehle und das Gehör; weiß endlich die Spitzen des Unterkiefers, der Wedel unterſeits und an der Spitze ſowie der ſchmale, vom Wedel bedeckte Spiegel. Im Sommer iſt die Oberſeite blaſſer, oft mehr oder weniger gefleckt. Die blaßbraunen oder weißen Flecke ſind öfters nur in ein oder zwei Reihen längs des dunklen Rückenſtreifens angeordnet. Die Stangen ſind ſchwach, ſtehen auf ziemlich hohen Roſenſtöcken und erreichen eine Länge von 35— 45 em, die längſten bekannten eine ſolche von 57 em. In der Form ſind ſie je nach der Gegend leierförmig, verlaufen faſt parallel oder find weit ausgelegt. Die Heimat des Schweinshirſches iſt Indien und erſtreckt ſich durch die Ebene zwiſchen Indus und Ganges von Sind und Pandſchab bis Aſſam, Burma, Tenaſſerim und Siam. In Ceylon iſt er eingeführt. Gewöhnlich leben dieſe Hirſche einzeln, manchmal werden aber auch zwei oder drei beiſammen gefunden. Sie hauſen lieber in Grasfluren mit eingeſtreu— tem Gebüſch als im Dſchangel oder vollwüchſigen Walde, obwohl ſie auch hier gelegentlich auf größeren Lichtungen vorkommen. Am Tage liegen ſie in Verſtecken verborgen und äſen des Nachts; aufgeſcheucht verhoffen ſie mit lang vorgeſtrecktem Halſe, vorgelegten Ohren, ſenk— recht hochgeſtelltem, dann wieder niedergeklapptem Schwanz. Hals und Kopf werden dabei fortgeſetzt nickend auf und nieder bewegt; dann gehen ſie flüchtig ab mit niedrig gehaltenem Kopfe in eigentümlicher und ziemlich unbeholfener Weiſe, die ihnen eben ihren Namen en Prinz Alfreds Hirſch. Schweins hirſch. Ariſtoteleshirſch— 123 verſchafft hat. Der Hirſch wirft ſein Geweih in der Regel im April ab und brunftet Ende September oder im Oktober. Unſer Klima vertragen die Schweinshirſche recht gut, verlangen aber bei ſtrenger und rauher Witterung einen geſchützten Ort zum Rückzuge; ſie pflanzen ſich leicht fort und vermehren ſich auch im engen Raume ſtark. Nach Heinroth dauert die Tragzeit etwa 7¼ Monate. Laut Sterndale haben ſich Schweinshirſche mit dem Axis erfolgreich gekreuzt und fruchtbare Nach— kommenſchaft erzielt. Nach gefangenen zu urteilen, gehören ſie nicht zu den begabten unter ihren Verwandten. Das Tier iſt furchtſam, ſcheu und unklug, der Hirſch mutig, auch dem Menſchen gegenüber raufluſtig, herrſchſüchtig und zu Gewalttätigkeiten geneigt. Vor der Brunft übt er ſeine Kraft an allen denkbaren Dingen, rennt gegen die Bäume und Gitter, wühlt mit ſeinem kurzen Geweih den Raſen auf und wirft die losgeriſſenen Stücke hin und her, bedroht jeden, der ſich nähert, indem er den Kopf zur Seite biegt und mit boshafter Miene in ſchiefer Richtung heranſchreitet, geht auch ohne Bedenken auf den Mann und macht dann von ſeinen Waffen in empfindlicher Weiſe Gebrauch. Ebenſo zeigt er ſich in Wildparken als unangeneh— mer Raufbold ſelbſt gegen viel größere Hirſcharten. Auf der Jagd in ſeiner Heimat wird er gewöhnlich vom Rücken des Elefanten herab geſchoſſen. Das Wildbret gilt als wohlſchmeckend. Der Schweinshirſch führt allmählich zu den ungefleckten Ruſahirſchen über inſofern, als die kleinſte, vorderindiſche Unterart, R. p. minor Sel., am ſtärkſten gefleckt iſt, in Burma eine größere, weniger gefleckte und in Siam und Kotſchinchina die größte, im Alter ungefleckte Unterart, R. p. anamiticus Heude, lebt. Die letzte Untergattung (Rusa) enthält die Pferdehirſche oder Sambars, zu denen die größten, meiſt auch in der Jugend nicht gefleckten Arten gehören. Der Ariſtoteles— hirſch oder Sambar, Rusa unicolor Behst. (aristotelis; Abb., S. 124), der wahrſcheinlich ſchon Ariſtoteles bekannt war, iſt der ſtattlichſte Vertreter der ganzen Gattung. Seine Geſamt— länge beträgt 2,1 2,4 m, wovon 30 em auf den Schwanz kommen, die Schulterhöhe 1,25 bis 1,35 m. Das Geweih iſt ſehr groß, kräftig und ſehr rauh. Die Augenſproſſe iſt lang und bildet mit der Stange einen ſpitzen Winkel. Von der Endgabel ſind entweder beide Sproſſen an— nähernd gleich oder die vordere und äußere iſt kürzer; ſie erſcheint als Fortſetzung der Stange, von der die hintere Sproſſe abzweigt. Die Ohren ſind verhältnismäßig groß, der Schwanz lang und mehr oder weniger buſchig. Das Haar iſt drahtig und ſtruppig, an Hals und Bruſt zu einer dichten Mähne verlängert. Das Haar des Rückens iſt nicht deutlich geringelt. Die Färbung iſt auf der Oberſeite tief dunkel- oder ſchwärzlichbraun; am Vorderhalſe geht ſie in Braungrau, auf der Bruſt und dem Bauche in Schwärzlich, zwiſchen den Hinterſchenkeln in Weißlich über. Das Kinn iſt rötlichweiß mit braunem Fleck, die Oberlippe ſchmutzig weiß, ein Büſchel am inneren Ohrrande weißlich. Das Tier gleicht in der Färbung ganz dem Hirſche, und auch das Kalb unterſcheidet ſich nur wenig von den Alten. Wie unſere Edelhirſche, ſo find auch die Sambars mancher Gebiete durch beſondere Leibesgröße ſowie Stärke und Geſtalt der Geweihe vor denen anderer Landſtriche ausgezeichnet. Nach Kauffmann, der in ſeinem ſchönen Werk „Aus Indiens Dſchungeln“ eine Anzahl Geweihe der Sambars abgebildet und manches zur Kenntnis der verſchiedenen Lokalformen beigetragen hat, iſt der Ariſtoteleshirſch der Zentralprovinzen der ſtärkſte; er erreicht aufgebrochen ein Gewicht von 500 Pfund. Die Stangen werden 115 em lang oder noch länger bei einem Umfang über den Roſenſtöcken von 24 cm. Das längſte bekannte Geweih iſt 128 em lang. Am ſchwächſten find die Ariſtoteles— hirſche von Kanara, die ein ſehr zierliches Geweih von höchſtens 84 em Länge tragen. 124 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche. Von der typiſchen Form von Indien und Ceylon unterſcheidet ſich die malaiiſche, der Pferdehirſch, R. u. equinus C/. (Taf. „Paarhufer VI“, 1, bei S. 126), durch dunklere, fait Schwarze Farbe und kürzeres, im Verhältnis dickeres, auch ſteiler ſtehendes Geweih. An der Endgabel iſt die hintere Sproſſe ſtets erheblich kürzer als die vordere, erſcheint oft an ihr nur als ein kurzer Auswuchs. Die Augenſproſſe iſt meiſt ſehr lang. Von den Pferdehirſchen Hinterindiens iſt, nach Kauffmann, der Vertreter von Oberburma dem Umfang der Stangen . re EL Axiſtoteleshirſch, Rusa unicolor Behst. ao natürlicher Größe. nach der ſtärkſte aller indiſchen Sechsender; deſſen Stangenlänge beträgt etwa 1 m. Die ganz jungen Kälber ſind fuchsrot, nicht ſelten ſchwach gefleckt. Dieſer Form ſchließen ſich namentlich im Geweihaufbau die chineſiſchen und formoſaniſchen Unterarten an und weichen von ihr nur durch ganz geringe Unterſchiede ab. Die Unterart von Luzon, die auch auf den Marianen vorkommt, von wo ſie zuerſt bekannt wurde, R. u. maxiannus Desm. (philippinus), it mehr lebhaft rötlichbraun; ein ſchwarzer Streifen verläuft, jederſeits über den Augen beginnend, über das Geſicht und endigt vorn über der Muffel in einem ſchnurrbartähnlichen Bande. Dieſer Philippinenhirſch iſt nur 70 em hoch. Faßt man alle Lokalformen des Sambars zuſammen, ſo erſtreckt ſich der Verbreitungs— kreis dieſes Hirſches über Britiſch-Indien mit Ceylon, Burma, Siam, Teile der Malaiiſchen Pferdehirſch. Mähnenhirſch. 125 Halbinſel, Borneo, Weſtchina, Hainan, Formoſa und die Philippinen; im Himalaja ſteigt der Sambar bis zu 3000 m Höhe empor. Nach Blanford iſt der Ariſtoteleshirſch der „Wald— hirſch“ Südoſtaſiens, der bloß zum Aſen den Wald und die dichten Dſchangel verläßt. Er äſt beſonders bei Nacht und gelegentlich auch in den Morgen- und Abendſtunden. Bei Tage bleibt er im dichten Walde verſteckt. Er iſt nicht beſonders ſcheu und meidet weder die Nachbar— ſchaft des Menſchen noch des Gaurs. Hirſch und Tier leben oft einzeln, gewöhnlich in kleinen Trupps von vier oder fünf Stück bis zu einem Dutzend; nur zur Paarungszeit ſammeln ſie ſich in großen Herden. Dann laſſen die Hirſche ihren eigenartigen Brunftruf, beſonders nachts, ertönen. Dieſer wird von MeMaſter ein breites, etwas metalliſch klingendes Bellen genannt. Das Tier dagegen ſtößt einen eigenartigen Warnungsſchrei aus; Kauffmann nennt ihn ein Tuten und gibt ihn als ein breites „Ut-Ut“ wieder. Der Schrei wird begleitet durch ein Auf— rechtſtellen des Wedels und häufig durch ein Aufſtampfen mit den Vorderläufen. Die Paa— rungszeit fällt nach den Gegenden verſchieden, auf der Halbinſel Vorderindien in die Monate Oktober und November. Nach einer Tragzeit von 8—9 Monaten wird das einzige Junge geſetzt. Die Geweihe ſcheinen das ganze Jahr hindurch gewechſelt zu werden, doch ſcheint überall eine Hauptabwerfzeit zu beſtehen; dieſe iſt auf der Halbinſel der März, in den Vor— ländern des Himalajas der April. Bei den indiſchen Weidmännern ſpielt der Sambar dieſelbe Rolle wie für die unſeren der Edelhirſch: mit Vorliebe wird er auf der Pirſch erlegt, zu— weilen auch beim Anſtande an dem Platze, wo er zu trinken pflegt, und, wo er in größerer Anzahl beſtätigt worden iſt, auch auf regelrecht angeſtellten Treibjagden. Seine Bewegungen ſollen nicht beſonders ſchön, aber doch ziemlich ſchnell ſein, auch auf ſehr unebenem Boden; hart bedrängt nimmt er häufig das Waſſer an. In unſeren Tiergärten gehört der Sambar nicht mehr zu den Seltenheiten und hat ſich hier auch wiederholt fortgepflanzt. Der Mähnenhirſch, Rusa hippelaphus Crew. (Taf. „Paarhufer VI“, 2, bei S. 126), ähnelt in Körperbau, Behaarung und Farbe dem Sambar, unterſcheidet ſich von ihm aber durch geringere Größe, kürzere Ohren, dünneren Schwanz, farbig geringelte Rückenhaare und weißliche Farbe an Unterſeite, Kinn und Innenſeite der Gliedmaßen. Das Geweih iſt zier— licher, weniger rauh, von lyraförmiger Geſtalt, die Augenſproſſe von mittlerer Länge, oft ſogar kurz und bildet mit der Stange einen offenen Winkel wie beim Sambar. Umgekehrt wie bei dieſem erſcheint die hintere Sproſſe der Endgabel als Fortſetzung der Stange; ſie iſt viel länger als die vordere. Die Kälber ſind einfarbig. Soviel bis jetzt bekannt, umfaßt die Heimat des Mähnenhirſches Java, Timor, Celebes und die Molukken. Er iſt eingeführt auf Mauritius und wohl auch in Borneo, wie überhaupt die urſprüngliche Verbreitung der Sambars im Malaiiſchen Archipel ſchwer feſtzuſtellen iſt, da ſie in großer Ausdehnung von den Malaien nach allerhand Inſeln gebracht worden ſind. Sind doch ſogar auf der Inſel Horsburgh, einer der Kokos-Keeling-Inſeln, Sambarhirſche eingeführt worden. Selbſtverſtändlich haben ſich auf den verſchiedenen Inſeln verſchiedene Unterarten ent— wickelt: jo unterſcheidet ſich der Molukkenhirſch, R. h. moluccensis Q. G., durch geringere Größe und Fehlen der Mähne von der typiſchen javaniſchen Form; er bewohnt Celebes und die Molukkeninſeln Buru, Batſchan und Amboina und iſt der einzige Wiederkäuer dieſer Inſeln. Die Reiſenden erwähnen, daß ſich dieſes Wild in ſehr ſtarke Trupps zuſammenſchlägt, die mehr als Waldungen die offenen, ſteppenartigen Ebenen bevorzugen. Auf Java bewohnt der Mähnenhirſch, hier Mendjangan oder Minjangan genannt, vornehmlich die faſt 126 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche. mannshohen Alangalang-Beſtände, die meilenweite ebene Flächen oder ſanft geneigte Berg— gehänge überziehen, ſteigt jedoch immerhin bis zu 2000 m im Gebirge empor und wählt dann die Vorwälder zu ſeinem Aufenthalte. Die alten Hirſche trennen ſich nach der Brunft von den Trupps der Tiere und ſchweifen bis zur nächſten Paarungszeit einſiedleriſch umher, halten jedoch gewiſſe Beziehungen zu den Trupps feſt, wandern mit dieſen bei Beginn der trockenen Jahreszeit den ſtehenden Gewäſſern zu und ziehen, wenn die Regenzeit oder der Frühling eintritt, mit ihnen wieder in höher gelegene Gegenden. Während der größten Hitze des Tages liegen Hirſche und Tiere zwiſchen dem Graſe und Schilfe oder im Gebüſche ver— borgen, vor Sonnenuntergang ziehen fie zur Suhle und mit Einbruch des Abends auf Aſung aus. Das Waſſer lieben ſie ganz ungemein: das kann man auch an den Gefangenen be— obachten, die nach einem Schlammbade wahrhaft begierig ſind. Im zoologiſchen Garten zeigt ſich der Mähnenhirſch meiſt ſcheu und der Zähmung wenig zugänglich; doch machen ſolche Stücke eine Ausnahme, die jung gefangen und liebevoll auf— gezogen ſind. Alte Hirſche werden leicht böſe und üben dann, hoch aufgerichtet, mit zornigem Augenrollen, wie zur Parade, den rund ausgreifenden Stechſchritt, wenn fie den Wärter angriffsluſtig umkreiſen. Falls wir von den gefangenen auf die frei lebenden Mähnenhirſche ſchließen dürfen, fällt die Brunftzeit in unſere Wintermonate. Die Mähnenhirſche in den Tiergärten werfen im Mai ihr Geweih ab und fegen im September. Am 20. November ließ einer meiner Gefangenen zum erſtenmal ſeine Stimme vernehmen: ein ſehr kurzes, dumpfes und leiſes Blöken. Von dieſer Zeit an zeigte er ſich ſehr erregt, kampf- und zerſtörungsluſtig wie die übrigen brunftigen Hirſche, namentlich aber erzürnt gegen den Wärter, mit dem er ſonſt auf beſtem Fuße ſtand. Während der ganzen Zeit verbreitete er einen unausſtehlichen bockartigen Geruch, der zuweilen jo heftig wurde, daß er den Stall förmlich verpeſtete. Aus— gang Dezember bekundete auch das Tier durch ein leiſes Mahnen Sehnſucht nach dem Hirſche, und am 7. Januar erfolgte der Beſchlag. Dasſelbe Tier hatte am 18. Oktober ein Kalb ge boren, und ſomit darf die Zeit, die es beſchlagen geht, zu rund neun Monaten angenommen werden. Das Kalb war vom erſten Tage an ſehr munter und gedieh zu meiner beſonderen Freude zuſehends. Seine Mutter bewachte und beſchützte es mit ebenſoviel Sorgfalt wie Mut, bedrohte ſelbſt den ihr wohlbekannten Wärter, dem ſie ſonſt ſcheu aus dem Wege ging. Mit geſenktem Kopfe, erhobenem Wedel und weit auseinanderklaffenden Geſichtsdrüſengruben ging ſie jedem Eindringlinge kühn zu Leibe und verſuchte, ihn durch kräftige Schläge mit den Vorder— läufen abzutreiben, wobei ſie ſich bemühte, das Kalb durch ihren eigenen Leib zu decken. Dieſes hatte nach etwa vier Monaten ungefähr die Hälfte der Größe ſeiner Mutter erreicht, beſaugte ſie aber bis in den ſechſten Monat ſeines Lebens. An das Futter, das dem Jungen gereicht wurde, ging es bereits in der dritten Woche. ? Auf den großartigen Treibjaden der malaiiſchen Fürſten erlegt man oft viele Hunderte von Mähnenhirſchen, obgleich man nicht das Feuergewehr, ſondern bloß Schwert und Speer anwendet, um ſie zu töten, oder die Schlinge gebraucht, um ſie lebendig zu erbeuten. „Die Hirſchjagden“, ſo ſchreibt mir Haßkarl, „werden auf Java zu Pferde betrieben. Reitertrupps ſtehen auf verſchiedenen Stellen des Alangalang-Feldes bereit, die im Waldesdunkel aufgejagten und durch eine geſchloſſene Reihe von oft mehr als hundert Büffeln nebſt dazugehöriger in— ländiſcher Mannſchaft ins Freie getriebenen Hirſche und ſonſtiges Gewild zu empfangen, d. h. ihnen den Weg zu verlegen, ſie nachjagend einzuholen und ihnen dann mittels des Seiten— gewehres das Rückgrat zu durchſchlagen. In neuerer Zeit hat man anſtatt dieſer Metzelei das Fangen mit Hilfe einer an der Spitze der Lanze befindlichen Schlinge eingeführt. Rührend Paarhufer fer VI. 1 a 5 Mm — mau 25. I M 1 1 ö an LEN N zw: . EMI 4. Leierhirfch, Rucervus eldi Guthrie. '/3 nat. Gr. s. S. 129. — P. Kothe-Berlin phot. 5. Dybowfkihirfch, Pseudaxis hortulorum Swinh. 25 nat. Gr., s. S. 130. — p. Kothe-Berlin phot. 6. Milu, Elaphurus davidianus A. M.-E. '/% nat. Gr., s. S. 146. — L. Bab-Berlin phot. Mähnenhirſch. Schomburgks Hirſch. Baraſinga. 197 iſt es anzuſehen, wenn ein Alttier mit feinem Kalbe verfolgt wird. Fort und fort ſucht es dieſes zu decken und zu ſchützen und führt deshalb die wunderlichſten Kreuz- und Querſprünge aus, bis es endlich von ihm durch die Reiter abgeſchnitten worden iſt und nunmehr, aller— dings oft zu ſpät, ſein Heil in der Flucht ſuchen muß. Das Junge wird dann leichter ge— fangen.“ Laut Junghuhn jagt man dieſen Hirſch ausſchließlich ſeines Wildbrets halber, das in dünne Scheiben geſchnitten, mit Salz eingerieben, an der Sonne getrocknet, dann „Djendeng“ genannt und als die am meiſten beliebte Zuſpeiſe zu den auf der Tafel java— niſcher Häuptlinge niemals fehlenden Reisgerichten angeſehen wird, aber auch auf der Tafel der Europäer als eine vorzügliche Speiſe gilt. Decke und Haut werden nicht benutzt. Von den Ruſahirſchen haben ſich wohl als jüngerer Seitenzweig, der erſt gegen Ende des Tertiärs foſſil, und zwar in Indien, nachweisbar iſt, die Zackenhirſche (Gattung Ru- cervus Hadgs.) entwickelt. Sie haben wie jene eine Augenſproſſe; Eis- und i Mittelſproſſe fehlen. Die Stange verzweigt ſich g- belig. Von den Gabeläſten iſt entweder jeder oder nur einer weiter gegabelt, ſo daß die Zahl der Enden an jeder Stange mindeſtens vier be— trägt. Das Kleid iſt einfar⸗ big, ohne Spiegel; die Jun— gen ſind gewöhnlich gefleckt. Eine Mähne iſt vorhanden, der Schwanz kurz. Die oberen Eckzähne ſind klein. — TR r FETT 28 KEN . „ Zwei Hirſche dieſer Gattung find daran kennt— lich, daß die Augenſproſſe mit der Stange einen rech— ten Winkel bildet. Bei Schomburgks Hirſch, Rucervus schomburgki Blyth, der Nordſiam und Pünnan bewohnt, kann die ſehr lange Augenſproſſe gegabelt ſein. Die Stange ſelbſt iſt ſehr kurz, abgeflacht und gabelt ſich bald derart, daß beide Gabeläſte gleich ſind. Dieſe gabeln ſich beide dann gleichmäßig weiter. Die Farbe dieſes 104 em hohen Hirſches iſt einfarbig braun, an der Naſe und Schwanzoberſeite am dunkelſten, an den Wangen und Halsſeiten am hellſten. Die Unterſeite iſt weißlich. An der Vorderſeite der Vorderbeine bildet das Haar eine Franſe. Nr.. . ⁵— NAEH = Geweih des Schomburgkshirſches. Aus der Sammlung von Rörkg. Bei dem bekannteren Baraſinga, Rucervus duyauceli Oxwv. (Taf. „Paarhufer VI“ 3), iſt die Stange zwiſchen Augenſproſſe und der erſten Gabelung ſehr lang. Jeder Gabelaſt iſt weiter veräſtelt. Das Geweih wird etwa 90 em hoch (das längſte bekannte mißt 102 cm) und zählt, wie der einheimiſche Name des Tieres, Baraſinga, ſagt, meiſt zwölf Enden; doch werden auch höhere Zahlen, über 20, erreicht. Der Baraſinga wird etwa 2 m lang, wovon 128 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche. 20 em auf den Wedel kommen, und an der Schulter 1,15 m hoch, iſt ſchlank gebaut und hoch geſtellt, der Kopf verhältnismäßig kurz, nach der Muffel zu pyramidenförmig zugeſpitzt, das Gehör groß, namentlich auffallend breit, das Auge ſehr groß und ſchön; die Läufe ſind hoch, aber kräftig; der Wedel iſt kurz, wenn auch beträchtlich länger als bei unſerem Edel— wilde, nur etwa halb ſo lang wie bei dem Damwilde. Die Behaarung iſt reich und dicht, das einzelne Haar lang und ziemlich fein; die Decke erſcheint aber ſtruppig, weil die Haare nicht gleich lang ſind. Das Gehör iſt außen kurz und gleichmäßig, innen ſehr lang und ungleichmäßig, faſt zottig behaart. Die Färbung iſt im Winter gelblichbraun, ungefleckt, unten heller. Im Sommer erſcheint ſie goldig rotbraun, geht aber nach unten hin durch Grau in Lichtgelb über. Längs des Rückens verläuft ein breiter Streifen von dunkelbrauner Färbung, der auch den größten Teil des an der Spitze lichtgelben Wedels einnimmt und jederſeits durch eine Reihe von kleinen goldgelben Flecken beſonders gehoben wird. Der Kopf iſt auf Stirn und Schnauzenrücken rotbraun, goldig geſprenkelt; Kopf und Schnauzenſeiten ſind grau, die Unterſeite der Schnauze, Kehle und Kinn grauweiß. Hinter der nackten Muffel verläuft ein ziemlich breites dunkelbraunes Band, das auf der faſt weißen Unterlippe noch angedeutet iſt. Ein zweites, wenig bemerkbares Band, gewiſſermaßen die Fortſetzung der dunkeln Braue, verläuft, nach der Muffel zu ausgeſchweift, von einem Auge zum anderen. Eigentümlich ſind lange borſtenartige Haare, die, einzeln ſtehend, die Muffel und das Auge umgeben. Das Gehör iſt bräunlich, auf der Außenſeite dunkel gerandet, an der Wurzel und innen gelblichweiß. Bauch und Innenſchenkel ſind gelblich, die Schienbeine der Vorderläufe braungrau, die Fußwurzeln licht fahlgrau. Die großen Schalen können ſehr breit geſtellt werden. Die Jungen ſind ſtark weiß gefleckt. . Das Verbreitungsgebiet dieſes Hirſches umfaßt Indien weſtlich des Meerbuſens von Bengalen, längs des Fußes des Himalajas von Aſſam bis nach den Sanderbans und den Zentralprovinzen; er iſt aber ſüdlich des Narbada ſelten und fehlt gänzlich auf Ceylon. Der Baraſinga bevorzugt namentlich parkähnlich bewachſene Landſchaften oder waldige Gegenden mit freien Blößen und Tälern, die zugleich recht waſſerreich oder auch ſumpfig ſind. Im Winter ſammelt er ſich in großen Herden, die 40 — 50, bisweilen ſogar mehrere hundert Köpfe umfaſſen. Im Frühjahr gehen dieſe Herden auseinander, und in Aſſam findet man Ende März die Hirſche einzeln mit Baſtgeweih. Der Abwurf mag Anfang Februar ſtatt— finden. Die Paarungszeit ſcheint in den Oktober zu fallen. Die Tragzeit dauert, nach Hein— roths Beobachtungen im Berliner Zoologiſchen Garten, acht Monate. Der Baraſinga äſt bis in die ſpäten Vormittagsſtunden, beginnt wieder früheſtens nachmittags und ruht nur wäh— rend der allerheißeſten Tageszeit. Seine Nahrung ſoll hauptſächlich aus Gras, Borke und den Schößlingen der Holzgewächſe beſtehen. Der Earl of Derby, der einen der am reichſten be— ſetzten Tiergärten hielt, ſcheint zuerſt lebende Baraſingas beſeſſen zu haben; gegenwärtig ſieht man ſie in mehreren zoologiſchen Gärten, wo ſie ſich auch fortgepflanzt haben. Des Baraſingas Haltung iſt ſtolz und etwas herausfordernd, ſein Gang zierlich, jedoch gemeſſen, ſein Betragen anſcheinend lebendiger, ich möchte ſagen mutwilliger als das anderer Hirſche. Mein Gefange— ner war ein übermütiger Geſell, der ſich mit allem möglichen verſuchte. Er ſtand mit ſeinem Wärter auf dem beſten Fuße, hörte auf ſeinen Namen und kam gern herbei, wenn er gerufen wurde, nahm aber jede Gelegenheit wahr, dem Manne, mehr aus Spielluſt als im Ernſte, einen Stoß beizubringen. Den neben ihm ſtehenden Hirſchen trat er oft herausfordernd ent— gegen und begann dann ſelbſt mit den ſtärkſten durch das Gitter hindurch einen Zweikampf. Die Stimme iſt ein ziemlich hoher, kurzer, blökender Ton, der dem Schrei einer geängſtigten — * Baraſinga. Leierhirſch. 129 jungen Ziege ſehr ähnelt, jedoch viel kürzer hervorgeſtoßen wird. Abweichend von anderen Hirſchen ſoll der Baraſinga zu jeder Jahreszeit ſchreien, gewiſſermaßen zu ſeiner Unterhaltung; er pflegt auch einen Anruf mit Regelmäßigkeit zu beantworten. Weſentlich anders iſt das Geweih des Leierhirſches, Rucervus (Panolia) eldi Guthrie (Taf. „Paarhufer VI“, 4, bei S. 127), gebaut, den man deswegen zu einer beſonderen Unter— gattung (Panolia Gray) erhoben hat. Die auf eine lange Strecke ungegabelte Stange biegt ſich rückwärts, auswärts und aufwärts und iſt erſt hoch oben gegabelt. Aber die hinteren Gabel— äſte ſind klein und unbedeutend und ſind nur Anhängſel der vorderen, die als Fortſetzung der Stange erſcheinen. Die lange, kräftige Augenſproſſe bildet eine Fortſetzung der Krümmung der Stange nach unten und vorn. In der Jugend hat die Augenſproſſe allerdings eine regel— rechte Lage, indem ſie in einem nicht ſehr ſtumpfen Winkel von der Stange abzweigt. Im Laufe der Entwickelung wird der Winkel immer ſtumpfer, bis ſchließlich die Augenſproſſe die geſchilderte Lage einnimmt. An der Verbindung von Stange und Augenſproſſe ſind ge— wöhnlich eine oder mehrere Sproſſen entwickelt. Die Zahl der Enden kann ſehr groß werden, obwohl die Zahl 10 an einer Stange ſelten überſchritten wird. Das längſte bekannte Ge— weih mißt längs der Krümmung 105 em. Der Hirſch wird 114 em hoch und iſt mit drah— tigem, im Winter ſehr ſtruppigem Haar bekleidet, das am Hals der Böcke eine Art Mähne bildet. Die Farbe iſt im Sommer auf der Oberſeite rotbraun, auf der Unterſeite weiß, im Winter dunkelbraun, unten hellbraun. In ſehr jugendlichem Alter ſind weiße Flecke vor— handen. Unter den zahlreichen Farbenabarten gibt es auch eine mehr rötliche, die auch im Alter vollſtändig gefleckt iſt. Dieſe iſt ferner dadurch ausgezeichnet, daß das Hauptende des Geweihes abgeflacht iſt. Sie iſt als beſondere Unterart (Rucervus e. platyceros Gray) be ſchrieben worden und in Siam heimiſch. Der Leierhirſch bewohnt die Flußtäler öſtlich des Buſens von Bengalen, von Manipur ſüdwärts bis zur Malaiiſchen Halbinſel, oſtwärts bis Süd⸗Siam, Kambodſcha und die Inſel Hainan. Dieſer ſehr ſcheue Hirſch lebt in großen Herden in den offenen Parklandſchaften der Ebenen und betritt nie den dichten Dſchangel. Doch will Kauffmann inſofern örtliche Unterſchiede feſt— geſtellt haben, als nach ihm „die Leierhirſche Oberburmas im Gegenſatz zu denen Unterburmas in lichtem Laubwald leben“. Sie äſen am Tage ſowohl wie bei Nacht und richten in an— gebauten Ländereien großen Schaden an, indem ſie weit mehr zuſammentreten, als ſie freſſen. Die Brunftzeit dauert in Burma von Mitte März bis Mitte Mai. Die Hirſche haben im allgemeinen Mitte Januar gefegt und werfen im September ihre Geweihe ab. Der Brunft- ruf iſt ein langgezogenes bellendes Grunzen. Das eine Junge wird im Oktober oder No— vember geboren und bleibt oft bis zum zweiten Jahre bei den Alten. Im Berliner Zoologiſchen Garten ſtellte Heinroth eine Trächtigkeitsdauer von 8 ¼ Monaten feſt. An die indiſchen Sechsender knüpfen in anderer Richtung als die Zackenhirſche die oſt— aſiatiſchen Sikahirſche (Pseudaxis Gray) an, die gewöhnlich als Achtender, ausnahms— weiſe auch als Zehnender auftreten. Das eine Ende mehr an jeder Stange wird durch Ent— wickelung der Mittelſproſſe erreicht, die nach vorn und außen gerichtet iſt. Das hintere Ende der Endgabel zeigt nach oben und innen. Die Eisſproſſe fehlt gewöhnlich. Erſcheint alſo das Geweih fortgeſchrittener als das der Ruſahirſche, ſo bleibt das Fell auf der tieferen Stufe des dauernden Beſitzes von Flecken ſtehen, mindeſtens im Sommerkleid. Ein kleiner weißer, mit Schwarz umrandeter Spiegel iſt vorhanden, deſſen Haare bei Beunruhigung geſpreizt werden. Obere Eckzähne ſind vorhanden. Eine Bürſte am hinteren Mittelfuß iſt meiſt weiß. Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 9 130 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche. Der Hals trägt eine Mähne. Das wachſende Geweih iſt von ſehr ſpärlich behaartem Baſt überzogen, von tief roter Farbe, die an den Spitzen in Schwarz übergeht. Der bekannteſte Vertreter iſt der Sikahirſch, Pseudaxis sika Tem. Schl., der in zahlreichen, der Größe, Farbe und Geweihform nach verſchiedenen Unterarten Nordchina, die Mandſchurei und Japan bewohnt. Die typiſche Unterart von Japan und Nordchina iſt ein etwa 81—86 em hohes Tier mit verhältnismäßig großem Spiegel, der oben und an den Seiten vollſtändig ſchwarz umrahmt iſt. Die Farbe iſt im Sommer ein lebhaftes Kaſtanien— braun, das mit unſcharf begrenzten, in Längsreihen angeordneten weißen Flecken geſchmückt iſt, im Winter ein einfarbiges Schwarzbraun ohne weiße Flecke; doch zeigen ſich gelegentlich noch Spuren davon, beſonders bei den Kühen. Kopf und Hals ſind wie bei allen Sikas zu jeder Jahreszeit einfarbig und ſtimmen etwa mit der Grundfarbe des Körpers überein. Oberlippe, Kinn, Unterlippe und der größte Teil des Schwanzes, bis auf einen ſchmalen ſchwarzen Streifen auf der Oberſeite, find weiß. Der Sikahirſch der ſüdlichen Mandſchurei, Pseudaxis sika mantchuricus Swinh., iſt größer, der Spiegel kleiner, und die Weibchen be— halten auch im Winter an den Keulen die Flecke und einen roten Schein bei. Die Unterart von Formoſa, Pseudaxis sika taövanus Blyth, iſt wieder kleiner und auch im Winterkleid gefleckt, wenn auch ſpärlicher als im Sommer. Ihr Geweih iſt ausgezeichnet durch beſonders kurze, nur wenige Zentimeter lange Sproſſen; auch wird es höchſtens 32 em lang, während das längſte bekannte Geweih der typiſchen Form etwa 70 em Länge erreicht. Stärker unterſchieden iſt ein Sikahirſch aus der nördlichen Mandſchurei, der Dybowſki— hirſch, Pseudaxis hortulorum Swwirh. (dybowskü; Taf. „Paarhufer VI“, 5, bei S. 127), durch ſeine Größe, den ſehr kleinen, bei erwachſenen Tieren faſt unſichtbaren Spiegel und durch die geringe Ausdehnung des Weiß an der Oberlippe, deren Mitte kaſtanienbraun iſt. Im Sommer trägt er große weiße Flecke, von denen im Winter nur Spuren an den Schenkeln erhalten bleiben. Das Winterkleid iſt ſehr lang und ſtruppig. Das Geweih iſt ſehr groß und rauh, weniger abgeplattet als beim Sika und kann zehn Enden erreichen. Die Gewohnheiten der Sikas ſcheinen die anderer Hirſche zu ſein. In der Gefangen— ſchaft ſind ſie meiſt unſchwer zu erhalten und ſchreiten hier auch leicht zur Fortpflanzung. Heinroth ſtellte eine Trächtigkeitsdauer von 7 —7 / Monaten feſt. In einem engliſchen Park belegten Sikaböcke mit Erfolg Kühe von Rothirſchen. Das Geweih der Nachkommen aus dieſer Paarung wies eine Eisſproſſe auf. Im Wildpark zeigt ſich der Sikahirſch jeder Witterung gewachſen, ſteht z. B. in einem oberſchleſiſchen Gatter des Fürſten von Pleß ohne Schaden bis an den Bauch im Schnee. Durch Fleckung im Sommerkleid, wenigſtens bei der gewöhnlichſten Farbenſpielart, die aber gleichwohl im Winter ungefleckt iſt, den Beſitz eines ſchwarz geränderten weißen Spiegels, langen Schwanz und das Fehlen der Eisſproſſe, die in ſeltenen Fällen allerdings entwickelt ſein kann, ſchließen ſich die Damhirſche (Dama H. Sm.) den Sikahirſchen enger an, füh- ren aber gleichzeitig zu den Edelhirſchen über. Eigentümlich iſt ihnen die Verbreiterung der Stange zu einer Schaufel, die im Gegenſatz zum Elchgeweih am Hinterrande Zacken trägt, das Fehlen der Eisſproſſe, der im Gegenſatz zum Rothirſch lang herabhängende Pinſel und das Fehlen einer Mähne am Hals. 0 Trotz der weiten räumlichen Trennung müſſen die Damhirſche als nächſte Verwandte der plug ond uayounw-JayDspuaH 129904 — "IEL'S Paarhufer VII. 53 8 20. März 14. Mai 9. Juli Wachstum des Geweihes beim Wapiti. 17. April 12. Juni 4. September S. 137. — Henry Irving-Horley, Surrey phot. Sikahirſch. Dybowſkihirſch. Damhirſch. 131 Sikahirſche angeſehen werden. Dieſe lebten ja während der Pliozänzeit in Europa und wan— derten dann nach Oſtaſien aus. Ein Zweig ſcheint aber in Europa oder Weſtaſien zurück— geblieben zu ſein und hier das Schaufelgeweih erworben zu haben. Als Übergang dazu lebt noch heute in den Bergen von Luriſtan (nicht in Meſopotamien!) ein Damhirſch mit une vollſtändig entwickelter Schaufel. Dieſes fälſchlich Meſopotamiſcher Damhirſch, Dama mesopotamica Brooke, genannte Tier iſt größer als der gewöhnliche Damhirſch, lebhafter gefärbt und die verlängerten weißen Flecke fließen am Rücken jederſeits zu einem ununter— brochenen Bande zuſammen. Das Geweih iſt in der Gegend der Wurzel der Mittelſproſſe etwas verbreitert, aber dann nach oben wieder verſchmälert und nur etwas abgeflacht; es trägt oberhalb der Mittelſproſſe am hinteren Rand vier, fünf oder mehr Enden. Noch einfacher ſcheint das Geweih der Damhirſche geweſen zu ſein, die ſich noch in ges ſchichtlicher Zeit über Paläſtina bis nach Agypten ausdehnten. Aus Altägypten waren ſchon längſt Damhirſch-Abbildungen bekannt. Man hatte allgemein angenommen, daß es ſich um Tiere handelte, die zu Jagdzwecken eingeführt waren; Hilzheimer („Das Grabdenkmal des Kö— nigs Sahure“) konnte aber den Nachweis führen, daß dieſe Bilder bis in uralte vordynaſtiſche Zeiten zurückreichen, wo jegliche Einführung als ausgeſchloſſen gelten muß. Zudem unterſcheidet ſich der auf den altägyptiſchen Bildern dargeſtellte Damhirſch von den beiden lebenden Arten dadurch, daß das Geweih keine Verbreiterung zeigt. Es iſt alſo eine beachtenswerte Tatſache, daß im Laufe der Erdgeſchichte mit anderen aſiatiſchen Tieren auch einmal ein Hirſch von Oſten her afrikaniſchen Boden betrat und ſich dort eine Zeitlang neben dem Menſchen hielt. Im eigentlichen Zweiſtromland ſcheint dagegen ſeit langem der Echte Damhirſch, Dama dama L. (vulgaris; Taf. „Paarhufer VII“, 1), heimiſch geweſen zu ſein; wenigſtens ſtellen die älteſten von dort bekannten Bilder einen gefleckten Damhirſch mit gut ausgebildetem Schaufelgeweih dar. Dasſelbe gilt von den kleinaſiatiſch-griechiſchen Bildern. Im prähiſto— riſchen Pfahlbau Ripac bei Bihas fand Woldkich feine Reſte. Dieſe Tatſachen beweiſen, daß der Damhirſch ſeit ſehr alten Zeiten in Südoſteuropa und den angrenzenden Teilen Klein— aſiens zu Hauſe war. Dagegen fehlen aus dem Altertum jegliche Nachrichten von ihm aus Mitteleuropa. Auch wurden hier ſeine Reſte nie in prähiſtoriſchen oder frühhiſtoriſchen Kul— turſtätten gefunden. Foſſile Funde, wie z. B. die eines vollſtändigen Skelettes aus dem Süß— waſſerkalk bei Belzig, beweiſen aber, daß Damhirſche hier mindeſtens zu Beginn der Eiszeit oder während den wärmeren Zwiſcheneiszeiten gelebt haben. Sie ſcheinen dann wohl durch die Eiszeit aus Mitteleuropa vertrieben worden zu ſein. Über die Wiedereinbürgerung des Damhirſches in Mitteleuropa ſind vielfach falſche An— ſichten verbreitet. Sie ſoll, wenigſtens was Deutſchland anbelangt, erſt im 16. Jahrhundert, und zwar von Dänemark her erfolgt ſein. Demgegenüber macht J. Müller-Liebenwalde darauf aufmerkſam, daß das Vorkommen von Damwild für die Schweiz und das Elſaß durch mittel— alterliche Urkunden belegt ſei, und daß der Damhirſch im Althochdeutſchen dämo oder tämo, von der lateiniſchen Bezeichnung dama, genannt wurde. Von Norwegen wurden, nach Collett, Damhirſchfelle in den Jahren 1305—07 nach England gebracht. Hier iſt der Damhirſch nach engliſcher, von Lydekker mitgeteilter Anſicht aber bereits durch die Römer eingeführt worden. Die Meinung, daß die Wiedereinbürgerung des Damwildes in Europa überhaupt durch die Römer erfolgte, teilt auch Szalay, der die Liebenswürdigkeit hatte, Hilzheimer einige Daten aus ſeiner großen, demnächſt erſcheinenden Arbeit: „Geſchichte des Damwildes“, zur Ver— fügung zu ſtellen. Danach fehlte das Damwild in Europa von der Eiszeit bis etwa zum 3. oder 4. nachchriſtlichen Jahrhundert. In dieſer Zeit wurde es von den Römern in römiſche 9 * 132 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche. Provinzen Nordafrikas und Europas (Iberien, Gallien, Germanien) gebracht. In Frank reich läßt es ſich um das Jahr 480, ferner 826 urkundlich nachweiſen, in Deutſchland zur Merowingerzeit, unter Karl dem Großen (795), am Rhein 829, unter den Sachſenkaiſern uſw. bis heute. Vom Rhein kam es im 11. Jahrhundert nach Dänemark, wo es ſeit 1231 hiſtoriſch belegt iſt, von hier 1020 nach England, wo es Urkunden aus den Jahren 1095, 1174 uſw. erwähnen. Die älteſte Schweizer Urkunde, die das Damwild nennt, ſtammt aus dem Jahre 1000, die älteſte ungariſche aus dem Jahre 1261. Das heutige Verbreitungsgebiet des Damhirſches erſtreckt ſich nach Süden Er bis an den Nordrand der Sahara, nach Norden bis ins ſüdliche Schweden und Norwegen. Der Damhrirſch erreicht ausſchließlich des 16—19 em meſſenden Wedels eine Länge von 130 —140 cm, eine Schulterhöhe von 85—90 em und eine Kreuzhöhe von 90-96 em, jo daß das Tier hinten etwas überbaut iſt. Sein Gewicht wird 100 —120 kg nicht über⸗ ſteigen. Das Weibchen iſt ſchwächer. In der Geſtalt unterſcheidet ſich das Damwild vom Rot⸗ wild durch die ſchwächeren und kürzeren Läufe bei verhältnismäßig ſtärkerem Leibe, kürzeren Hals, kürzere Ohren, längeren Schwanz und Pinſel. Keine unſerer heimiſchen Wildarten zeigt jo viele Abänderungen in der Färbung wie der Damhirſch. Winans unterſcheidet zehn Farben— ſpielarten, drei davon ſind gefleckt, nämlich die rotbraune, eine ſchwarze und die porzellan— farbene, d. h. hell rötlichbraune. Ungefleckt ift das braune, walnußbraune, graue, weiße, ereme⸗ farbene, das ſchwarze Damwild mit weißen Läufen und das einfarbig ſchwarze. Bemerkens— wert iſt, daß an dieſen Färbungsverſchiedenheiten auch die Farbe des Baſtes der Geweihe teilnimmt. So iſt dieſer bei dem ſchwarzen und walnußbraunen Damwild ebenfalls ſchwarz, bei dem ſchwarzen mit weißen Läufen jedoch dunkelgrau, bei dem weißen blaß roſagrau. Das weiße Damwild kann rote Augen haben; doch gibt es auch ſolches, bei dem die Iris die ge— wöhnliche Farbe hat. Wahrſcheinlich hängt dieſe Mannigfaltigkeit der Färbung damit zu— ſammen, daß die Damhirſche ſeit Jahrhunderten in einem halbzahmen Zuſtand als Parkwild gehalten wurden. Als gewöhnliche Färbung kann wohl die zuerſt erwähnte angeſehen werden. Dabei iſt das Sommerkleid etwa roſtrötlich mit runden weißen Flecken, die Stirngegend dunkelbräunlich, der übrige Kopf bräunlichgrau. Die ganze Unterſeite, die Innenſeite der Läufe, ein ſehr kleiner Spiegel, der nur die Hinterſeite der Keulen einnimmt und die Ober⸗ ſeite des Rückens frei läßt und jederſeits von einem ſchwarzen Streifen begrenzt wird, ſowie faſt der ganze Schwanz ſind weiß; die Mitte von deſſen Oberſeite iſt ſchwarz, ebenſo zieht ſich über das Rückgrat ein ſchwarzer Streifen. Im Winter wird die Färbung oben dunkler, unten heller graubraun und verliert die Flecke. In ſeiner Lebensweiſe und Bewegung ähnelt das Damwild dem Notwilde in vieler Be— ziehung, zieht aber entſchieden die Tiefenlagen vor und ſteigt im Gebirge nie ſo hoch wie der Edelhirſch. Die Sinne beider Tiere ſtehen auf ziemlich gleicher Stufe, und auch die geiſtigen Eigenſchaften find ungefähr dieſelben. Wenn auch das Damwild in Parken und Gehegen ſehr vertraut werden kann, ſo iſt es doch in freier Wildbahn nicht minder vorſichtig als der Edel— hirſch, „jo daß ein alter gewitzter Schaufler vielleicht dieſelbe Mühe macht wie ein Rothirſch“. An Schnelligkeit, Sprungkraft und Gewandtheit ſteht das Damwild dem Rotwilde nach; es hebt im Trollen die Läufe höher, ſpringt in nicht ganz voller Flucht ſatzweiſe mit allen vier Läufen zugleich und trägt den Wedel dabei erhoben. Es kann etwa 2 m hohe Hinderniſſe noch „überfliegen“; unter Umſtänden ſchwimmt es auch gut, ſuhlt ſich aber niemals wie das Rotwild. Immer tut es ſich auf feine vier Läufe nieder, niemals auf die Seite. Beim Niederknien fällt es zuerſt auf die Vorderläufe, beim Aufſtehen hebt es ſich zuerſt mit den — N Dam hirſch: Verbreitung. Lebensweiſe. Fortpflanzung. 133 Hinterläufen. Die Aſung beider Hirſcharten iſt ganz dieſelbe. Das Damwild ſchält auch; doch hat es dieſe Untugend mehr örtlich erworben, ſo daß man ſie in anderen Gegenden nicht kennt und ganz leugnet. Auch reißt es beim Schälen nicht, wie das Rotwild, die Rinde in langen Fetzen ab, ſondern beknabbert die Bäume mit ſchiefgehaltenem Kopf. Sehr auffallend iſt es, daß unſer Wild zuweilen giftige Pflanzen angeht, deren Genuß ihm den Tod bringt. Das Damwild, obwohl unſteter und unruhiger als das Rotwild (etwa in demſelben Verhältnis wie Kaninchen und Haſe), hält an ſeinem Standorte und ſeinem Wechſel im allgemeinen feſter als dieſes und pflegt auch ſtärkere Rudel zu bilden. Im Sommer ſtehen die ſtarken Schaufler einzeln oder in kleinen Trupps, während die geringen Hirſche und Spießer mit den Tieren und Kälbern vereinigt gehen. Mitte Oktober ſuchen die Damhirſche ihre Rudel auf und treiben die Spießer und geringen Hirſche vom Rudel ab, ſie hierdurch zwingend, kleinere Trupps unter ſich zu bilden; ſobald aber die ſtärkeren Hirſche abgebrunftet haben, erſcheinen die ſchwächeren wieder beim Rudel. Die Damhrirſche find um die Brunftzeit, die erſt beginnt, wenn die des Rotwildes vorüber iſt, ſehr erregt. Der Brunftruf, den man häufig ſchon während des Nachmittags vernehmen kann, iſt am beſten als ein kurz abgeſetztes, rauhes „Rülpſen“ zu bezeichnen und hat gar nichts Großartiges an ſich. In Tiergärten duldet man bloß drei- oder vierjährige Schaufler, weil die älteren ſo kampfluſtig ſind, daß dadurch die Vermehrung des Standes weſentlich beeinträchtigt wird. Ein Hirſch genügt ungefähr acht Tieren; aber auch ſchon Spießer ſind imſtande, fruchtbar zu beſchlagen. Nach ungefähr 14 Tagen iſt die Brunft vorüber. Das Damtier geht 7 —8 Monate beſchlagen. Dann ſondert ſich die Alte ab, ſucht ein ruhiges Plätzchen und ſetzt gewöhnlich im Juni oder Anfang Juli 1 oder 2 Kälber, ſeltener 3. Dieſe ſcheinen bei allen Farbenabarten gefleckt zu ſein, wenn auch bei den dunkleren bisweilen ſehr undeutlich, bei den weißen deutlicher, da bei ihnen die Grundfärbung bis zum Herbſt eine matt rötlichgelbe iſt. Das Junge wird in den erſten Tagen ſorglich von der Mutter behütet. Kleinere Raubtiere, die ein Gelüſt nach dem bunten Kälbchen zeigen, treibt die Mutter durch Schlagen mit den Vorderläufen ab; vor größeren Raubtieren geht ſie langſam dahin, um ſie von dem Platze abzulocken, wo ihr Kind verborgen ruht, entflieht eiligſt und kehrt unter un— zähligen Haken und Widergängen nach dem alten Platze zurück. Wenn das Damhirſchkalb 7— 8 Monate alt iſt, alſo im Januar oder Februar des zweiten Kalenderjahres, erheben ſich beim männlichen die Roſenſtöcke. Die erſten Spieße, die ſehr verſchiedene Form haben, ſind im Hochſommer fertig und ſtets durch Fehlen einer Roſe gekennzeichnet. Sie werden im Mai des folgenden Jahres abgeworfen. Das zweite Geweih, mit dem ſich gleichzeitig der letzte Backzahn entwickelt, iſt meiſt wieder ein Spießgeweih, kann aber gelegentlich ſchon ſechs Enden haben. Gabelgeweihe ſcheinen beim Damhirſch nie vorzukommen. Der Sechsender hat Augen- und Mittelſproſſen. Man bezeichnet ihn als geringen Hirſch. Meiſt trägt erſt das dritte Geweih ſechs Enden. Die weiteren Geweihe unterſcheiden ſich davon durch beginnende Schaufel— bildung. Erſt im fünften Jahre find die Schaufeln gut ausgebildet, die mit der Zeit ebenjo- wohl an Größe zunehmen wie auch mehr und mehr Sproſſen erhalten, jedoch, im Gegenſatz zum Elch, am Hinterrand. Solche Hirſche heißen geringe Schaufler oder Löffler, gute und Hauptſchaufler, je nach der Größe ihres Geweihes; jüngere nennt man auch Hirſche vom zweiten und dritten Kopfe. Geweihe recht alter Damhirſche find oft ſehr ſchön und 5 —7 kg ſchwer. Aus dem Kalbe weiblichen Geſchlechtes wird, wenn es ein Jahr alt iſt, ein Schmal⸗ tier und, wenn es zum erſtenmal gebrunftet hat, ein Alttier. Die alten Hirſche werfen im Mai ab, gewöhnlich jedoch nicht beide Stangen zu gleicher Zeit, ſondern im Verlaufe von 134 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche. 2—3 Tagen. Vis zum Auguſt und September ift der neue Kopfſchmuck ausgebildet. Die Ausbildung und Entwickelung der Geweihe weiſt große Unregelmäßigkeiten, weit mehr als beim Rothirſch, auf. Auch kommen zahlreiche Mißbildungen vor. Eine der häufigſten iſt die, daß das alte Geweih nicht abgeworfen wird, und daß das neue, verkümmernde ſich unter— halb der Roſe des alten entwickelt. So entſteht die ſogenannte „Doppelköpfigkeit“. Perücken⸗ bildung und Geweihloſigkeit ſowie Stehenbleiben auf der Spießerſtufe ſcheinen beim Dam— wild nicht vorzukommen, dagegen iſt Mehrſtangigkeit nicht ſelten. Die Spur des Damwildes iſt vorn mehr zugeſpitzt und verhältnismäßig länger als die des Rotwildes; fie ähnelt der Fährte einer Ziege, iſt aber ſelbſtverſtändlich viel ſtärker. Man jagt das Damwild entweder in großen Treiben oder auf Pirſchgängen; auch it, weil es ſehr genau Wechſel hält, der Anſtand lohnend. An ein einzeln äſendes Stück kann man ſich ziemlich leicht heranſchleichen, falls man den Wind gut wahrnimmt; vor Pferden und Fuhrwerken hält es faſt immer aus. Das Damwild liebt es, auch beim Treiben ſich im niederen dichten Pflanzenwuchſe zu drücken und wird in der Feiſtzeit ſo läſſig und be— quem, daß man vereinzelt ruhende Stücke faſt wie Haſen aufſtoßen kann. Die Haut des Damwildes wird ihrer Dehnbarkeit und Weichheit halber mehr geſchätzt als die des Edelwildes. Das Wildbret iſt ſehr lecker, am beſten vom Juli bis zur Mitte des Septembers, wo der Hirſch viel Feiſt auflegt. Nur wenn die Paarungszeit herannaht, nimmt das Wildbret des Hirſches einen Bocksgeruch an. Zum Beſetzen von Tierparken eignet ſich das Damwild beſſer als irgendeine andere Hirſch— art, wird leicht vertraut, ſteht auch am Tage auf Blößen, iſt munter, ſogar mutwillig und viel zum Scherzen aufgelegt. Seine Munterkeit bewahrt das Damwild auch in engerer Ge— fangenſchaft, an die es ſich leicht gewöhnt. Jung eingefangene, mit Kuh- oder Ziegenmilch aufgezogene Kälber werden ungemein zahm und können dahin gebracht werden, daß ſie ihrem Herrn wie ein Hund nachlaufen, ihn ſelbſt auf der Hühnerjagd begleiten. Männliche Dam— hirſche werden in der Gefangenſchaft, wenn die Paarungszeit herannaht, böſe und kampf— luſtig, wie alle im engen Gewahrſame gehaltenen Hirſche, gehen dreiſt auf den Menſchen und auf Tiere los und können empfindlich verletzen. Überhaupt iſt das Damwild noch kampf— luſtiger als das Rotwild, ſelbſt Tiere kämpfen manchmal miteinander, indem ſie ſich auf die Hinterläufe ſtellen und mit den Vorderläufen aufeinander losprügeln. Gleichfalls auf die ausgeſtorbenen Sikahirſche des europäiſchen Tertiärs geht wohl die Hirſchgattung zurück, in deren einheimiſchem Vertreter der deutſche Weidmann die Krone allen deutſchen Wildes erblickt, die Gattung der Edelhirſche (Cervus L.). Alle Arten haben ein Geweih, das runde Stangen und bei Erwachſenen der Regel nach wenigſtens zehn Enden beſitzt (die Eisſproſſe kann gelegentlich Arten, lokalen Raſſen und einzelnen Stücken fehlen), niemals bei der erſten Teilung gabelig verzweigt iſt und gewöhnlich ſehr groß wird. Das Kleid iſt allermeiſt einfarbig, nur bei den Jungen und bei gewiſſen Formen auch ſpäter noch wenigſtens im Sommer gefleckt. Ein heller als der übrige Körper gefärbter Fleck (Spiegel) findet ſich an den Hinterkeulen und in der Umgebung des Schwanzes; unterhalb des Schwanzes geht die Farbe des Spiegels meiſtens in Weiß über. Der Hals iſt mit einer Mähne geſchmückt. Verkümmerte Eckzähne ſind bei den Männchen vorhanden, ſeltener bei den Weibchen. Die Verbreitung umfaßt Nordafrika nördlich der Sahara, Europa, Klein-, Nord- und Mittelaſien und Nordamerika. Die Nordgrenze fällt etwa mit der Baumgrenze zuſammen. Die Edelhirſche ſind alle ſo nahe miteinander verwandt, daß ſie untereinander, wie es — > Damhirſch. Edelhirſche. 135 ſcheint, vollkommen fruchtbare Baſtarde erzeugen. Auch ihre körperlichen Unterſchiede ſind nicht groß. Es handelt ſich meiſt nur um geringe Verſchiedenheiten der Größe und der Farbe. Zur Einteilung hat man daher vorwiegend das Geweih benutzt. Aber dieſes, als ein ſekun— däres Gebilde, das noch dazu jährlich erneuert wird, iſt in feinen Wachstum vielen Zufällig- keiten ausgeſetzt; auch wird es offenbar, ebenſo wie die Hörner unſerer Rinder, leicht von der Umwelt, in der die Tiere leben, beeinflußt; zudem fehlt es ja den Hirſchkühen. Je nach den Geſichtspunkten, unter denen man an die Edelhirſche herantritt, kann man eine Menge ört— lich begrenzter Formen, Arten und Unterarten unterſcheiden, deren ſyſtematiſchen Wert nicht alle Forſcher gleich beurteilen. So ſtellen ſich die Edelhirſche als eine jener modernen — ſie ſind erſt ſeit dem Ausgang des Pliozäns bekannt —, vielgeſtaltigen, „polymorphen“ Gat— tungen dar, die als ſtammesgeſchichtlich junge Tiere noch in ihrer Entwickelung ſtehen. Es ift ein Formenkreis, bei dem vielfach die einzelnen Arten ſich noch nicht ſcharf herausgebildet haben, während andere wieder ſchärfer umriſſen daſtehen. Im allgemeinen kann man der Geweihbildung nach drei Reihen unterſcheiden. Bei der einen, und dies ſcheint die urſprünglichere zu ſein, wächſt die Stange unbegrenzt weiter, alle Sproſſen liegen annähernd in einer Ebene, handförmig hintereinander in der Richtung der Längsachſe des Körpers, und das Ende der Stange hat die Geſtalt einer Schere. Das ijt die Reihe der Hirſche, die wir nach dem bekannteſten Vertreter die Wapitireihe nennen wollen. Sie bewohnen Nordamerika und den größten Teil des aſiatiſchen Verbreitungsgebietes der Edelhirſche. Merkwürdig iſt, daß dieſe und die folgende Reihe in Aſien ihre größten Formen im Weſten haben. Von dort nehmen die Vertreter nach Oſten zu allmählich an Größe ab, ſo daß die öſtlichſten am kleinſten ſind. Freilich hat die erſte Reihe dann in Amerika noch einmal ein gewaltiges Mitglied. Bei den Hirſchen der Wapitireihe iſt die vierte Sproſſe, die „Ober— ſproſſe“, gewöhnlich auch noch die fünfte, erheblich länger als die darunterliegenden, über— haupt der obere Teil des Geweihes kräftiger entwickelt als der untere. Das Geweih iſt von der vierten Sproſſe an ſtets merklich nach rückwärts gebogen und im oberen Ende abgeflacht. Die zweite Gruppe, die wir als Tibethirſche bezeichnen wollen, umfaßt ſolche Edelhirſch— arten, die es gewöhnlich nicht über den Zehnender bringen. Das Geweih zeigt nie die ſtarke Entwickelung der vierten Sproſſe und des oberen Endes noch deſſen Rückwärtsbiegung wie beim Wapiti. Die Endgabeln ſtehen bei ihnen nicht parallel mit der Körperachſe des Tieres. Durch dieſe Drehung des Endes wird gewiſſermaßen dem unbegrenzten Längenwachstum des Wapiti— geweihes ein Ende geſetzt. Soll das Geweih ein weiteres Ende bekommen, ſo muß das auf eine andere Weiſe erfolgen, wie wir fie jetzt bei der dritten Reihe, den „Kronenhirſchen“, kennen— lernen werden. Dieſe iſt wohl die erdgeſchichtlich jüngſte. Die vierte oder fünfte Sproſſe tritt bei ihren Mitgliedern, ebenſo wie bei den Tibethirſchen, aus der Ebene der übrigen Sproſſen ſeitlich heraus, aber bei höherer Endenzahl ſetzen an dem Gabelungspunkt der Endgabel noch mehr Sproſſen an; ſo entſteht die „Krone“ der Edelhirſche, die aus mindeſtens drei in einem Punkte entſpringenden Enden gebildet wird. Derartige Hirſche bewohnen Europa und die angrenzenden Teile Aſiens. Es läßt ſich inſofern noch bei der Edelhirſchreihe ein Fortſchritt von Oſt nach Weſt verfolgen, als es im Oſten mehr ſolche Hirſche gibt, bei denen die vierte Sproſſe noch nicht in die Krone mit einbezogen iſt, das Längenwachstum der Stange gewiſſer— maßen ſpäter unterdrückt iſt als bei den weſtlichen, wo die vierte Sproſſe mit in die Krone einbezogen iſt. Die erſteren Hirſche werden gewöhnlich als Marale, die zweiten, die ſich nur in Weſteuropa finden, als Edelhirſche (im engeren Sinne) bezeichnet. Übrigens iſt mit den zuletzt genannten zwei Geweihtypen noch nicht entfernt die Formenfülle 136 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche. der Geweihe der europäiſchen Hirſche erſchöpft. In einer intereſſanten Arbeit hat Sallas („Vereinsſchrift für Forſt-, Jagd- und Naturkunde“, 1912) gezeigt, daß das gewiſſermaßen nur die beiden Grundtypen find. Indem deren Träger ſich kreuzen und ihre Geweiheigentüm— lichkeiten ſich nach den Mendelſchen Regeln vererben, werden etwa 100 verſchiedene Geweih⸗ kombinationen möglich ſein. Aber ſelbſt damit iſt die Formenmannigfaltigkeit noch nicht er⸗ ſchöpft. Sallas hat vielmehr gefunden, daß die tatſächlich vorhandenen Geweihformen die An— nahme nötig machen, daß auch in Europa eine dritte, wapitiähnliche Hirſchart gelebt haben muß. Dieſer theoretiſchen Forderung gibt die Tatſache recht, daß wirklich ſubfoſſile Geweihe vom Wapititypus gefunden worden ſind. Auch Spuren dieſer Hirſche laſſen ſich in den Ge— weihen unſerer deutſchen Edelhirſche (natürlich ſolcher, die vor Einführung von Wapitis erbeutet wurden) nachweiſen. Ferner ſollen ſich, nach Schäff, noch heute auf dem Balkan Hirſche mit Geweihen vom Wapititypus neben ſolchen vom Maral- und Edelhirſchtypus finden. So geſtatten die Edelhirſche einen intereſſanten Einblick in die Werkſtätte der Natur. Wapitiformen waren offenbar die älteſten. Aus ihnen gingen vielleicht durch eine ſprung— weiſe Veränderung die Geweihtypen mit Kronen hervor. Dieſe mögen, wie Sallac in feiner geiſtreichen Abhandlung ausführt, den älteren Wapitigeweihen überlegen geweſen ſein: „Viel— leicht haben ſeine (des Wapitis Stangen) dem kürzeren, ſtämmigeren, dabei in ſeinem oberen Teile mit queren Verzweigungen verſehenen Geweihe der Kronenhirſche in der Brunftzeit nicht ſtandzuhalten vermocht. Die kurzen, ſtämmigen Geweihe dürften ſich als beſſere Hebel zum Abkämpfen erwieſen haben als die langen, mit hintereinander ſtehenden, nach aufwärts gerich— teten, daher beim erſten Angriff als hinderliche Widerhaken wirkenden Sproſſen verſehenen Ge: weihe des europäiſchen Wapitis.“ Da aber zunächſt die Kronengeweihe noch neben den anderen vorkamen und beide Kronentypen, wie noch heute auf einem großen Gebiet, ebenfalls neben— einander auftraten, ſo mögen häufige Kreuzungen nach allen Richtungen vorgekommen ſein. So entſtand jene Fülle von Geweihformen, die heute auf uns faſt verwirrend wirkt. Indem nun jedesmal in gewiſſen Gegenden, infolge irgendwelcher Einflüſſe, beſtimmte von dieſen Formen allein oder vorwiegend zur Herrſchaft kamen, indem ferner dieſe Geweihe jedesmal durch äußere Einflüſſe, wie etwa Kalkarmut des Bodens, mangelhafte Aſung zu gewiſſen Jahreszeiten, Feuchtigkeit und anderes mehr, in gleichem Sinne abgeändert wurden, entſtand jene Anzahl örtlich beſchränkter Lokalformen, wie ſie uns kürzlich Matſchie kennen lehrte, der einen Cervus elaphus rhenanus, C. e. albieus uſw. unterſcheidet, und die in ihrer Geſamt— heit die Hauptarten, wie C. elaphus, C. maral uſw., zuſammenſetzen. Anderſeits konnten nach den Mendelſchen Vererbungsregeln durch Kreuzungen einzelne Merkmale nicht vollkom— men verloren gehen, ſondern fie wurden nur durch andere unterdrückt, gewiſſermaßen über⸗ lagert, erbten ſich aber verborgen fort, um dann gelegentlich wieder aufzutreten. So erklären ſich jene in einer Gegend vereinzelt auftauchenden Geweihe, die nicht in das „Lokalkolorit“ der Geweihe, wenn man ſo ſagen darf, paſſen. Warum gerade in Europa der Anſtoß zur Weiterbildung erfolgte und die altertümlichen Wapitis nach Oſten abgedrängt wurden, iſt natürlich ſchwer zu jagen. Doch ſteht das im Einklang mit dem, was wir ſchon in der Ein— leitung zur Familie der Hirſche ſagten. Übrigens läßt ſich auch bei den Edelhirſchen wie beim Reh und bei manchen anderen Tieren feſtſtellen, daß die europäiſchen Vertreter kleiner ſind als die aſiatiſchen und amerikaniſchen Verwandten. Wir beginnen unſeren Überblick über die Edelhirſche mit der Wapitireihe, deren wichtigſter Vertreter der Wapiti, Ceryus canadensis Zrxl., iſt. Es find ſehr große, an der Schulter hrag Paarhufer VIII. a 5 \ NE ie N n 3. Raſchmirhirſch, Cervus cashmirianus Fitz. 5 nat. Gr. s. h, Cervus elaphus corsicanus Erxl. ½0 nat. Gr., s. S. 141. — Bab-Berlin phot. (Im Hintergrunde: Kaukasus-Ma ral, Cervus maral Oyil S. 139.) nat. Gr., s. S. 141. — L. Bab-Berlin phot. Wapitis. 137 bis 1,65 m hohe Tiere mit mächtigem Geweih, das, längs der Krümmung gemeſſen, bis 1,62 m lang wird. Der Spiegel iſt ausgedehnter als bei irgendeiner anderen Art und greift namentlich auf der Kruppe weit nach vorn. Die Mähne iſt gut entwickelt, Hals und Unter— ſeite ſind dunkel gefärbt, von dunkelbraun bis ſchwarz abändernd. Im allgemeinen iſt die Färbung des Sommerkleides gelblichbraun, bisweilen mit einem rötlichen Ton; die Beine ſind kaſtanienbraun. Jegliches Weiß am Maule fehlt. Dieſe Art bildet entſprechend ihrer weiten Verbreitung (ſ. S. 135) eine große Anzahl Unterarten. Am längſten bekannt it der Oſtamerikaniſche Wapiti, C. e. canadensis Eral., der „Elk“ der Amerikaner (Taf. „Paarhufer VIII“, I, u. VII, Rückſeite, bei S. 136 u. 131). Im Sommer tragen beide Geſchlechter ein ſchmutzig gelbliches Kleid, das an Beinen, Hals und Kopf kaſtanienbraun iſt. Beim Männchen werden Hals, Beine und Unterſeite im Winter ſchwarzbraun, beim Weibchen kaſtanienbraun. Der Spiegel ift ſtrohfarben. Durch geringe Farbenunterſchiede, hochgeſtellten, leichten Körper und ein Geweih, deſſen obere Sproſſen ver— zweigt ſind, unterſcheidet ſich der Weſtamerikaniſche Wapiti, C. c. occidentalis H. Sm. Einſt ähnlich wie der Biſon in ungeheuren Maſſen das Feſtland von Nordamerika bevölkernd, ſind die Wapitis heute aus weiten Gebieten verſchwunden, wenngleich ihr Beſtand noch zahl— reich genug iſt, ſo daß zumal dank der amerikaniſchen Schutzparke ein Ausſterben nicht zu be— fürchten iſt. Immerhin iſt eine der Unterarten, C. c. merriami Nels., vollſtändig ausgerottet. Die aſiatiſchen Formen der Wapitis ſchließen ſich eng den amerikaniſchen an. Der Altai-Wapiti, Cervus canadensis sibiricus Misch. (Taf. „Paarhufer VIII“, 2), fälſch⸗ lich meiſt Altai-Maral genannt, unterſcheidet ſich vom amerikaniſchen durch geringere Körper— größe (etwa 158 em hoch), aber bedeutend längeres Geweih, deſſen Stangen an der oberen Hälfte deutlich einwärts gebogen ſind. Er hat von allen Wapitihirſchen das ſtattlichſte Ge— weih. Die Haarfarbe iſt gelblich lohfarben ohne roten Schein. C. c. sibiricus lebt in ver— ſchiedenen Formen in den dichteſten Wäldern des Altai, Tian-ſchan und der weſtlichen Mon— golei. Die Eingeborenen und die ruſſiſchen Koloniſten halten große Herden dieſer Tiere in Gefangenſchaft, der Geweihe wegen, die einen wichtigen Ausfuhrgegenſtand nach China bilden, wo fie, zu Pulver zerrieben, als Aphrodiſiakum genommen werden. — An das Gebiet des Altai-Wapitis ſchließt ſich im Oſten das Wohngebiet des ſehr ähnlichen, aber ſchwächeren Iſubrahirſches, C. c. lühdorfi Bolau, der etwas höher geſtellt iſt als jener, im Sommer - ein lebhaft rotes Kleid trägt, im Winter mehr gelblich braunrot ausſieht. Er iſt durch eine deutliche Rammsnaſe gekennzeichnet. Seine Heimat ſind die Wälder der öſtlichen Mongolei, die Mandſchurei und Amurland. Die nordamerikaniſchen Wapitis leben in großen Herden, die in früheren Zeiten, beſon— ders wenn ſie zur Zeit des Winters ſich an einigen geſchützten Stellen ſammelten, oft mehrere hundert Stück betrugen. Sie pflegen ſich nämlich, wie Preble nach Beobachtungen in Wyoming ſchreibt, im Sommer weithin zu zerſtreuen und hoch in die Berge zu ſteigen, im Winter aber in die tiefſten Stellen geſchützter Flußtäler zurückzuziehen. Während der Bergwanderung im Frühſommer ſondern ſich die älteren Böcke von der Herde ab, ſteigen im Gebirge höher hinauf bis über die Baumgrenze. Ende Auguſt kommen ſie dann wieder zu den tiefen Lagen und beginnen die Kühe zu treiben. Die Brunftzeit dauert bis Anfang Oktober. Der Brunft— ſchrei ift ein lautes, hohes, langgezogenes Schrillen, das in einem tieferen, röchelnden Kehlton endigt. Die Kälber werden im Mai oder Juni geſetzt. Nach der Satzzeit fallen die Herden auseinander; Hirſche und Tiere vereinigen ſich geſondert zu kleinen Trupps. 138 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche. Im zoologiſchen Garten und Wildpark erweiſt ſich der Wapiti ebenſo ausdauernd wie der gewöhnliche Rothirſch; er gehört daher zum eiſernen Beſtande jedes zoologiſchen Gartens und pflanzt ſich hier auch regelmäßig fort, ebenſowohl rein wie in Miſchzucht. Von letzterer erwartete man eine Zeitlang viel für „Aufbeſſerung“ und „Blutauffriſchung“ unſerer Rotwild— ſtände, und die Miſchlingshirſche werden tatſächlich überraſchend ſchnell zu „kapitalen Stücken“; die elende Wapitiſtimme vererbt ſich aber, und auch an Temperament und Adel der Erſcheinung läßt das Miſchwild zu wünſchen übrig. Von den aſiatiſchen Formen hat im vergangenen Jahrzehnt der Altai-Wapiti viel von ſich reden gemacht, weil ihn Hagenbeck fortgeſetzt für Kreuzungszwecke einführte und zu hohen Preiſen an reiche Jagdherren verkaufte; jetzt iſt es aber auch davon wieder ganz ſtill geworden. Als ein Hirſch, der ſeiner Geweihbildung nach, durch Länge der vierten (bei ihm dritten) Sproſſe, Rückwärtsbiegung des oberen Endes der Stange, ſich den Wapitis anſchließt, aber durch Fehlen der Eisſproſſe, kleinen gelblichen Spiegel, dunkel braungraue Grundfarbe, weiße Einfaſſung der Muffel, weiße Lippen und Kinn von ihnen unterſcheidet und den Tibethirſchen ähnelt, mag Thorolds Hirſch, Cervus albirostris Prew. (thoroldi), von Oſttibet eine be⸗ ſondere ſelbſtändige Art darſtellen. Ihm laſſen wir als Übergang zu den ſich im Süden und Weſten an die Wapitis an— ſchließenden Tibethirſchen den Gelbſteißhirſch, Cervus xanthopygus A. M.-E., aus der nördlichen Mongolei folgen, deſſen zierliches Geweih mit den kurzen Enden an das der Sika— hirſche erinnert. Sein Sommerkleid iſt ziemlich einfarbig fuchsrot ohne Spiegel. Im Winter⸗ kleid iſt der Hirſch mehr braungrau mit ſchwärzlicher Mähne und großem, orangefarbenem Spiegel. Er hat an der Muffel kein Weiß. Bezeichnend für ihn ſind die fahlgelbe Kopfdecke und das eigenartig wollige, dichte Haarkleid, wohl eine Anpaſſung an die Gegenſätze der heißen Tage und kalten Nächte ſeiner Heimat. Von den Tibethirſchen geht am weiteſten nach Süden in Aſien der bis in die Täler Nord— bhutans verbreitete Shou, der echte Tibethirſch, Cervus wallichi Civ. (affinis). Ab⸗ geſehen von dem am oberen Ende nach vorn gebogenen Geweih, gleicht er ſehr dem bekannteren Hangul oder Kaſchmirhirſch, Cervus cashmirianus Fitz. (Taf. „Paarhufer VIII“, 3, bei S. 136). Die Stangen liegen bei dieſem in einer Ebene, ſind aber mit dem oberen Ende ſtark einwärts gebogen. Die Augenſproſſe ſetzt ſehr hoch an und iſt gewöhnlich kürzer als die Eisſproſſe. Das Geweih iſt wie das aller Tibethirſche ſehr weit ausgelegt. Bei der Fär— bung iſt beſonders auffällig die geringe Ausdehnung des Spiegels, der damhirſchartig die Oberſeite der Kruppe frei läßt, ſo daß ſich hier die Farbe des Rückens ununterbrochen auf den Schwanz fortſetzt. Im Winter iſt die Farbe bräunlich aſchgrau, Körperſeiten und Glie⸗ der ſind blaſſer, Lippen, Kinn und Ohren innen weiß, die Innenſeite der Keulen ſchmutzig weiß, die Einfaſſung des Spiegels und Oberſeite des Schwanzes ſchwarz. Das Sommerkleid iſt heller und mehr rötlich. Die Fleckung der Jungen bleibt bis in das dritte oder vierte Jahr erhalten. Dies in Verbindung mit dem nur fünfendigen Geweih macht es wahrſcheinlich, daß dieſe Hirſche die primitivſten der Edelhirſche ſind. Im allgemeinen iſt nur die Lebens— weiſe des Hanguls beſſer bekannt. Er lebt ähnlich wie unſer Edelhirſch im Sommer in kleinen Trupps, die Männchen einzeln. Im Winter ſammeln ſich die Tiere in größeren Herden. Die Geweihe werden im März abgeworfen und ſind erſt im Oktober fertig entwickelt. Dann beginnt die Paarungszeit. Der Brunftruf ſoll dem des Wapitis ähnlich fein. Im zoologiſchen Thorolds Hirſch. Gelbſteißhirſch. Shou. Hangul. Maral. Edelhirſch. 139 Garten iſt der Kaſchmirhirſch eine große Seltenheit, hat ſich aber im Wildpark des Herzogs von Bedford als leicht haltbar gezeigt. In der nun folgenden Reihe der Kronenhirſche unterſcheiden wir, wie ſchon geſagt, zwei Typen: den Maral, Cervus maral Ogilb. (Taf. „Paarhufer VIII“, 4, bei S. 137), und den Edelhirſch, Cervus elaphus L. Für die Krone des erſteren iſt es, nach Sallas, bezeichnend, daß „die vierte Sproſſe einfach, ungeteilt bleibt und die fünfte ſich erſt weiter oben teilt, nach— dem ſie eine Zeitlang gleichſam als Stiel einfach geblieben iſt“. Die Krone des Edelhirſches dagegen ſetzt ſich aus zwei Hälften zuſammen, deren vordere aus der Teilung der vierten Sproſſe, deren hintere ſich durch Teilung der fünften Sproſſe bildet, „wozu jedoch das weſent— liche Merkmal hinzukommt, daß beide dieſer Hälften auf gleicher Höhe eingefügt ſtehen; es kann bei kapitalen Stücken zur Bildung von Becherkronen kommen“. Das iſt beim Maral nie der Fall; höchſtens verbreitert ſich die hintere Hälfte der Krone ſchaufelartig. Bei dem, was ſchon über Kreuzungen geſagt wurde, und dem wahrſcheinlichen Vorkommen des Marals noch weiter nach Welten wird es nicht wundernehmen, daß beide Typen geographiſch nicht ſcharf geſondert ſind. Im allgemeinen herrſcht wohl im Oſten, dem Kaukaſus, Kleinaſien, Balkan, der Maraltypus allein vor, weiter nach Weſten, in Ungarn und den Karpathen, iſt er noch häufig neben dem Edelhirſchtypus, verſchwindet dann, je weiter man weſtlich kommt, taucht aber gelegentlich in einzelnen Stücken einmal wieder auf. Sallas konnte ihn im Tau— nus, ſelbſt in der Eifel noch nachweiſen. Anderſeits iſt ſelbſt aus dem weſtlichen Kaukaſus, nach Salla, der Edelhirſchtypus bekannt. Der echte Maral, wie er an den Ufern des Kaſpi— ſchen Meeres und im Kaukaſus ſich findet, hat außerdem eine Eisſproſſe, die erheblich kürzer iſt als die lange, aufwärts gebogene Augenſproſſe. Nach Lydekker iſt er kräftiger als der Edel— hirſch, im Sommer rot, im Winter dunkel ſchiefergrau, der Spiegel lebhafter gelb als beim Rothirſch, Schultern, Schenkel und Unterſeite ſind faſt ſchwarz. Die Jungen behalten ihre Fleckung länger als beim Rothirſch, einige Jahre lang, beſonders im Sommerkleid. Eine der ſtattlichſten und edelſten Hirſchgeſtalten, für uns die wichtigſte aller Arten, iſt der Edel- oder Rothirſch, Cervus elaphus L. Ungeachtet ſeiner Schlankheit iſt er doch kräftig und ſchön gebaut und ſeine Haltung eine ſo edle und ſtolze, daß er ſeinen Namen mit vollſtem Rechte führt. Seine Größe ſchwankt bedeutend, je nach der „Raſſe“, je nach der Gegend, in der er heimiſch iſt. Er erreicht eine Geſamtlänge von 1,85 — 2,15 m, wovon etwa 15 em auf den Wedel entfallen, eine Schulterhöhe von 152 — 1,55 m und ein Geſamtgewicht von etwa 160 — 270 kg; doch kommen auch ungewöhnlich ſtarke Hirſche vor, die 300 kg und darüber wiegen. Das Tier iſt bedeutend kleiner. Der Hirſch hat geſtreckten, in den Weichen eingezogenen Leib mit breiter Bruſt und ſtark hervortretenden Schultern, geraden und flachen Rücken, der am Widerriſt etwas erhaben und am Kreuze vorſtehend gerundet iſt, langen, ſchlanken, ſeitlich zuſammengedrückten Hals und langen, am Hinterhaupte hohen und breiten, nach vorn zu ſtark verſchmälerten Kopf, mit flacher, zwiſchen den Augen ausgehöhlter Stirn und geradem Naſenrücken. Die Augen ſind mittelgroß und lebhaft, ihre Sterne länglich— rund. Die Voraugendrüſen ſtehen ſchräg abwärts gegen den Mundwinkel zu, ſind ziemlich groß und bilden eine ſchmale, längliche Einbuchtung, an deren inneren Wänden eine fettige, breiartige Maſſe abgeſondert wird, die das Tier ſpäter durch Reiben an den Bäumen aus— preßt. Mittelhohe, ſchlanke, aber doch kräftige Beine tragen den Rumpf und gerade, ſpitzige, ſchmale und ſchlanke Hufe umſchließen die Zehen; die Afterklauen ſind länglichrund, an der Spitze flach abgeſtutzt und gerade herabhängend, berühren aber den Boden nicht. Der Schwanz 140 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche. iſt kegelförmig nach der Spitze zu verſchmälert. Auch das Rotwild wechſelt alljährlich zweimal ſeine Behaarung. Die Sommerdecke iſt kurz, dünn, von rotbrauner Farbe; das dichtere und faſt doppelt ſo lange Winterkleid ſpielt mehr ins Graue und iſt dunkler, beſonders an der Halsmähne und am Bauch der Hirſche. Der Spiegel iſt ſtets hell, im Winter weißlich. Nur die Kälber zeigen in den erſten Monaten weiße Flecke auf der rotbraunen Grundfarbe (Taf. „Paarhufer VIII“ 6, bei ©. 137). Mancherlei Farbenänderungen kommen vor, ob— wohl lange nicht ſo häufig wie beim Damhirſch. Schäff nennt in ſeiner „Jagdtierkunde“ be— ſonders weißes, ſcheckiges, ſilbergraues, iſabellfarbenes und ſchwarzes Edelwild. Die nicht ſehr ſeltenen weißen Hirſche brauchen nicht immer Albinos mit roten Augen zu ſein. Auch gibt es „Bleßhirſche“ mit weißem Stirnfleck. Das Geweih des Hirſches ſitzt auf einem kurzen Roſenſtocke auf und iſt einfach veräſtelt, vielſproſſig und aufrecht ſtehend. Die Stangen ſind rund, aber rauh, mehr oder minder ge— perlt, vornehmlich an den unteren Teilen, und mit zahlreichen teils geraden, teils geſchlängelten Längsfurchen durchzogen. Die Spitzen der Enden werden mehr oder weniger glatt geſchliffen, ſchmutzig weiß oder gelblich, während das Geweih im übrigen je nach den Pflanzenſäften, die es gebeizt haben, eine hell lohbraune bis ſchwarzbraune Färbung annimmt. Ein ſtarkes Geweih wiegt 5— 8 kg, kann aber ausnahmsweiſe auch heutzutage noch ein Gewicht von 10—12 kg und ſogar darüber erreichen; die Stangen können, der Krümmung nach gemeſſen, 80 —120 em lang, in ſehr ſeltenen Fällen noch länger werden und 80 —1 10 em, aber auch bis 130 em klaftern. Das ſchwerſte aus früheren Jahrhunderten aufbewahrte Geweih (in Moritzburg) wiegt 18,8 kg, das ſchwerſte aus neuerer Zeit, das eines 1844 im Taunus erlegten Sechzehnenders, nach E. v. Dombrowſki, 15,5 Kg. Nach demſelben Gewährsmanne ſind die längſten über: haupt bekannten Stangen, die der Krümmung nach 133 und 132 em meſſen, von einem ungeraden Sechsundzwanzigender in Baden 1762 abgeworfen worden. Im allgemeinen finden ſich, nach v. Dombrowjfi, die ſtärkſten Hirſche in den oberungariſchen Karpathen. In der Weidmannsſprache gebraucht man folgende Ausdrücke. Der männliche Hirſch heißt Hirſch, Edelhirſch oder Rothirſch, der weibliche Tier, Rottier und Stück Wild, das Junge Kalb, je nach dem Geſchlecht aber Hirſch- oder Wildkalb. Das Hirſchkalb wird, nachdem es das erſte Jahr vollendet hat, Spießer genannt; im zweiten Jahre erhält es den Namen Gabel: hirſch oder Gabler; im dritten Jahre heißt es Sechsender uff., je nach der Anzahl der Enden oder Sproſſen des Geweihes. Wenn dieſes ganz regelmäßig gebildet erſcheint, iſt der Hirſch ein gerader Ender. Haben die Stangen ungleiche Endenzahl, ſo ſpricht man von ungeraden Endern und zählt dabei nach der Stange mit den meiſten Enden, die man doppelt nimmt. Hat z. B. eine Stange vier, die andere drei Enden, ſo iſt der Hirſch ein ungerader Acht⸗ ender. Je nach der Gegend und dem Jägergebrauche wird ſchon der Achtender oder erſt der Zehnender als jagdbarer Hirſch angeſprochen; der Zwölfer iſt ein guter Hirſch, der Vierzehn— ender uw, ein Kapitalhirſch; er trägt ein gutes, braves, prächtiges Geweih. Ein wohl genährter Hirſch iſt gut oder ſtark, ein magerer ſchlecht von Leib; einen irgendwie unvoll— kommenen Hirſch nennt man Kümmerer, die beim Rudel ſtehenden geringen Hirſche auch Schneider, die ſtets geweihlos bleibenden Hirſche Mönche oder Plattköpfe und diejenigen, die bloß ſpießartige Stangen aufſetzen, mit denen ſie beim Kämpfen und „Forkeln“ ſelbſt ſtärkere Gegner ſchwer verletzen oder ſofort töten können, Schadhirſche oder Mörder. Schmaltiere heißen die Hirſchkühe, die noch nicht geſetzt haben; dann werden ſie zu Alttieren. Der Hirſch hat kein Fleiſch, ſondern Wildbret, kein Blut, ſondern Schweiß, kein Fett, ſondern Feiſt; ſeine Beine heißen Läufe, die Schultern Blätter, die Schenkel Keulen, der Unterrücken Ziemer, die Edelhirſch und Unterarten. 141 Dünnungen Flanken, die Luftröhre Droſſel, der Kehlkopf Droſſelknopf, der Schwanz Wedel, die Augen Lichter, die Ohren Gehör, der Kopfſchmuck Geweih, das Fell Haut, die Gedärme Geſcheide, die inneren Teile Lunge, Geräuſch oder Gelünge, der After Weidloch, die Hufe Schalen, die Afterklauen Aftern, das Euter Geſäuge. Eine Geſellſchaft Edelwild wird ein Rudel oder ein Trupp genannt, und auch hierbei unterſcheidet man einen Trupp Hirſche von einem Trupp Wild oder Kahlwild. Das Edelwild ſteht in einem Reviere, ſteckt in einem Teile der Wildbahn, wechſelt auf einem beſtimmten Wege hin und her, zieht auf Aſung oder zu Holze, tritt aus dem Holze auf die Felder oder Gehaue; es geht vertraut, wenn es im Schritte läuft, trollt oder trabt, iſt flüchtig, wenn es rennt, fällt über Jagdzeuge oder ins Garn; es tut ſich nieder, wenn es ruht, und löſt ſich, wenn es ein natürliches Bedürfnis befriedigt. Der Hirſch orgelt oder ſchreit, das Tier mahnt (beide klagen, wenn ſie bei Verwundungen aufſchreien); es verendet, wenn der Tod infolge von Verwundung entſteht, oder fällt und geht ein, wenn es einer Krankheit unterliegt; es brunftet; das Tier geht beſchlagen und ſetzt ein Kalb. Bei guter Hung wird das Hochwild feiſt, bei magerer ſchlecht; der Hirſch ſetzt ſein Geweih auf und vereckt es oder bildet es vollkommen aus; den Baſt, der daran ſitzt, fegt er ab; die abfallenden Stücke find das Gefege. Das Urteil eines Weidmannes über den Hirſch heißt der Anſpruch uſw. Das Verbreitungsgebiet reicht von Spanien und Irland oſtwärts und von Sardinien und dem Mittelländiſchen Meer nordwärts bis Schottland und Skandinavien etwa bis zum 65. Grad nach Norden. Der Hirſch bildet hier eine ganze Anzahl der Geweihform, Farbe und Größe nach verſchiedene Lokalformen, von denen Matſchie für Deutſchland mindeſtens vier unterſcheiden will. Eine Zwergform lebt, nach Schäff, auf den Hebriden. Ob der kleine, nur etwa 80 em Schulterhöhe meſſende Zwerg-Edelhirſch von Korſika und Sardinien (C. e. corsi- canus Er«l.; Taf. „Paarhufer VIII“, 4, bei S. 137) urſprünglich dort einheimiſch ift oder nur eingeführt, iſt noch nicht ſicher. Hilzheimer möchte das letztere annehmen; denn ein von ihm unterſuchter Zwölfender aus Korſika („Arch. f. Raſſen- u. Geſellſch.-Biol.“, 1909) zeigte in bezug auf Kronenbildung deutlichen Maraltypus. Der kleine, mehr graue Spaniſche Hirſch (C. e. hispanicus Hilzh.) mag zu dem in Algier und Tunis lebenden Atlas- oder Berber— hirſch, C. e. barbarus Denn. (Taf. „Paarhufer VIII“, 5, bei S. 137), überführen. Dieſer iſt zeitlebens wenigſtens im Sommer gefleckt, hat keine Eisſproſſe und ſoll auch keine Krone bilden. In allen bevölkerten Ländern hat das Edelwild ſehr abgenommen oder iſt gänzlich aus— gerottet worden, ſo in der Schweiz und in vielen Teilen Deutſchlands. Es liebt ſowohl ge— birgige als ebene Gegenden, vor allem große, zuſammenhängende Waldſtrecken, namentlich Laubhölzer. Hier ſchlägt es ſich zu größeren oder kleineren Rudeln zuſammen, die nach dem Alter und Geſchlechte geſondert ſind: alte Tiere, Kälber, Spießer, Gabler und Schmaltiere bleiben gewöhnlich vereinigt; die ſtärkeren Hirſche bilden kleine Trupps für ſich, und die Ka— pitalhirſche leben bis zur Brunft meiſtens einzeln. Die ſtärkſten Rudel werden demgemäß von den Tieren und den jungen Hirſchen, die ſchwachen von Hirſchen mittleren Alters ge— bildet. An der Spitze des Rudels ſteht ſtets ein weibliches Tier, das Kopftier, nach dem fi) alle übrigen richten. Dies geſchieht ſelbſt während der Brunftzeit, ſolange der Hirſch die Tiere nicht treibt. Im Winter zieht ſich das Rotwild von den Bergen zur Tiefe zurück, im Sommer ſteigt es bis zu den höchſten Spitzen der Mittelgebirge empor; im allgemeinen aber hält es, ſolange es ungeſtört leben kann, an ſeinem Stande treulich feſt, und nur in der Brunftzeit oder beim Aufſetzen der neuen Geweihe und endlich bei Mangel an Aſung verändert es frei— willig ſeinen alten Wohnort. Das weiche Geweih nötigt den ſtarken Hirſch, in ſehr niede— rem Gebüſche oder im lichten Holze, wo er an den Zweigen nicht anſtreicht, ſich aufzuhalten; 142 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche. wird der Wald ſehr unruhig, fo tut er ſich zuweilen in Getreidefeldern oder im Geſtrüpp auf Feldrainen nieder. Den Tag über liegt das Rotwild in ſeinem Bette verborgen, gegen Abend zieht es auf Aſung aus, im Sommer früher als im Winter. Nur in Gegenden, wo es ſich völlig ficher weiß, äſt es zuweilen auch bei Tage. Beim Ausgehen nach Aſung pflegt es ſich in raſchem Trabe zu bewegen oder zu trollen; der Rückzug am Morgen dagegen er— folgt langſam, weshalb ihn die Jäger den Kirchgang nennen. Auch wenn die Sonne bereits aufgegangen iſt, verweilt es noch in den Vorhölzern. Alle Bewegungen des Edelwildes ſind leicht und ſtolz; namentlich der Hirſch zeichnet ſich durch ſeine edle Haltung aus. Der gewöhnliche Gang fördert hinlänglich; im Trollen bewegt ſich das Wild ſehr ſchnell und im Laufe mit faſt unglaublicher Geſchwindigkeit. Beim Trollen ſtreckt es den Hals weit nach vorn, im Galopp legt es ihn mehr nach rückwärts. Ungeheure Sätze werden mit ſpielender Leichtigkeit ausgeführt, Hinderniſſe aller Art ohne Aufenthalt überwunden, im Notfalle breite Ströme, ja ſelbſt (in Norwegen oft genug) Meeresarme ohne Beſinnen überſchwommen. Den Jager feſſelt jede Bewegung des Tieres, jedes Zeichen, das es bei der Spur zurückläßt. Unſere Vorfahren kannten 72 ſolcher Zeichen, nach denen ſie den geſuchten Hirſch „anſprachen“. Unter den Sinnen des Edelwildes ſind Gehör, Geruch und Geſicht vorzüglich ausgebildet. Es wittert einen Menſchen bis auf 600 Schritt. Auch das Gehör iſt außerordentlich ſcharf; ihm entgeht nicht das geringſte Geräuſch, das im Walde laut wird. Unſer Hirſch iſt ſehr ängſtlich und ſcheu. Seine Faſſungsgabe ſcheint nicht gering zu ſein. Nach und nach ſammelt er Erfahrungen und verwertet ſie nicht ungeſchickt; lernt unterſcheiden, welche Gegenſtände und Perſonen harmlos oder zu fürchten ſind, und verliert z. B. dort ſeine Scheu, wo er nicht gejagt wird, und wird bei den Futterplätzen oft überraſchend zahm. Wenn ſeine Leidenſchaften erregt ſind, vergißt er häufig ſeine Sicherheit. Anhänglichkeit bekundet nur das Tier ſeinem Kälbchen gegenüber, der Hirſch kennt dieſes Gefühl nicht. Solange er anderer Hilfe bedarf, iſt er ſchmiegſam und für Freundlichkeit empfänglich, ſobald er ſeiner Kraft ſich bewußt geworden, unverträglich. In Gefangenſchaft wird er namentlich zur Brunftzeit geradezu lebensgefährlich. Andere Tiere fürchtet er, oder ſie ſind ihm gleichgültig, wenn nicht geradezu unangenehm; ſchwächere mißhandelt er. Sobald er ſich beleidigt wähnt oder gereizt wird, verzerrt er rümpfend die Oberlippe, knirſcht mit den Zähnen, verdreht ingrimmig die Lichter, beugt den Kopf nach unten und macht ſich zum Stoßen bereit: er begehrt. Während der Brunftzeit iſt er förmlich von Sinnen, vergißt alles, vernachläſſigt ſelbſt eine regelmäßige Aſung und ſcheint einzig und allein an das von ihm ſonſt ſehr wenig beachtete Mutterwild und andere gleichſtrebende Hirſche zu denken. Dann führt er manchmal meilenweite Wanderungen nach fern gelegenen Brunft- plätzen aus. Ein Brunfthirſch im freien Walde iſt eine herrliche Erſcheinung. Das Tier er— ſcheint ſanfter, hingebender, anhänglicher, iſt aber im weſentlichen ebenſo geartet wie der Hirſch. Im Freien tritt es, weil ihm die Waffen fehlen, noch furchtſamer auf als dieſer, übernimmt deshalb auch regelmäßig die Leitung eines Rudels; wirklich verſtändig aber zeigt es ſich eben— ſowenig wie jener. Die außerordentlich feinen Sinne, die jede Gefahr gewöhnlich rechtzeitig zum Bewußtſein bringen, laſſen Hirſch und Tier klüger erſcheinen, als ſie wahrſcheinlich ſind. Das Tier gebraucht ſeine Schalen mit ebenſoviel Kraft wie Geſchick, ſobald es ſich darum handelt, ſeine Abneigung oder ſchlechte Laune kundzugeben. Gleichwohl laſſen ſich Hirſch und Tier bis zu einem gewiſſen Grade zähmen. Auguſt III. von Polen fuhr im Jahre 1739 mit acht Hirſchen; die Herzöge von Zweibrücken und Meiningen hatten Geſpanne, die aus weißen Hirſchen beſtanden. Heutzutage ſieht man höchſtens im Zirkus noch eine derartige Edelhirſch: Bewegungen. Sinne. Zähmung. Gefangenleben. Aſung. Fortpflanzung. 143 Verwendung der edlen Tiere. An Futter und Pflege ſtellen gefangene Edelhirſche wenig An— ſprüche, halten ſich deshalb auch im engen Gewahrſame ſehr gut, pflanzen ſich ohne Umſtände fort und erzeugen mit ihren nächſten Verwandten fruchtbare Blendlinge. Freilich haben die auf Grund dieſer Beobachtungen zwecks Geweihverbeſſerung mit Wapitis in unſeren Jagd— revieren gemachten Verſuche nicht immer den erwünſchten Erfolg gehabt. Je nach der Jahreszeit iſt die Aſung des Edelwildes verſchieden. Im Winter beſteht ſie in grüner Saat und vielen Pflanzen, die in der Nähe von Quellen hervorſprießen, in Knoſpen, Holzrinde, Heidekraut, Brombeerblättern, Miſteln und dergleichen, im Frühling in Knoſpen und friſchen Trieben mit oder ohne Laub, allerlei Grasarten und Kräutern, ſpäter aus Getreidekörnern, Rüben, Kraut, allerlei Früchten, Kartoffeln, Bucheln und Eicheln. Nach Blaſius ſoll das Edelwild in Norddeutſchland erſt ſeit Anfang des vorigen Jahrhunderts den Kartoffeln nachgehen, auch Fichtenrinde früher nicht abgeſchält, überhaupt ſeine Neigungen im Verlaufe verſchiedener Geſchlechter mehrfach geändert haben. Während der Brunftzeit neh— men die alten Hirſche nur das Notdürftigſte zu ſich und freſſen dann vielfach Pilze, ſelbſt für den Menſchen giftige. Salz liebt das Rotwild ebenſoſehr wie die meiſten übrigen Wiederkäuer. Starke Hirſche werfen ihre Geweihe bereits im Februar ab (daher deſſen Name Hornung), ſpäteſtens im März, und erſetzen ſie bis zu Ende Juli vollſtändig wieder; junge Hirſche, zumal Spießer, tragen die Stangen oft noch im Mai, haben jedoch ebenfalls im Auguſt bereits ge— fegt und vereckt. Mit dem Geweihwechſel ſteht die Härung in gewiſſer Beziehung, mit beiden die Geſchlechtstätigkeit im Einklange. Nachdem das Geweih abgeworfen worden iſt, bildet ſich mit ihm das Sommerhaar aus, und ſobald letzteres vollendet iſt, ſetzt das Tier ſein Kalb. „Die Brunftzeit des Edelwildes“, ſagt Dietrich aus dem Winckell, „fängt mit Eintritt des Monats September an und dauert bis Mitte Oktober. Schon gegen Ende Auguſt, wenn die Hirſche am feiſteſten ſind, erwachen in den ſtärkſten die Triebe zur Brunft. Sie äußern dies durch ihr Schreien (einen Laut, welcher dem Jäger angenehm, dem muſikaliſchen Ohre aber nichts weniger als ſchmeichelnd ift), infolgedeſſen ihnen gleich anfangs der Hals anſchwillt. Denſelben Ort, wo der Hirſch einmal gebrunftet hat, wählt er, ſolange das Holz nicht ab— getrieben wird, und falls er Ruhe hat, in den folgenden Jahren immer wieder. Solche Stellen nennt man Brunftplätze. In der Nachbarſchaft derſelben zieht ſich dann auch das Wild in kleine Trupps zu 6, 8, 10—12 Stück zuſammen, verbirgt ſich aber vor dem Brunfthirſche. Dieſer trollt unaufhörlich mit zu Boden geſenkter Naſe umher, um zu wittern, wo es gezogen iſt und ſteht. Findet er noch ſchwache Hirſche oder Spießer dabei, ſo vertreibt er ſie und bringt ſich in den Beſitz der Alleinherrſchaft, welche er von nun an mit der größten Strenge ausübt. Keines der erwählten Tiere darf ſich nur auf 30 Schritt weit entfernen; er treibt ſie ſämtlich auf den gewählten Brunftplatz. Hier vermehrt ſich der Begattungstrieb ſtündlich; aber noch immer weigern ſich wenigſtens die jüngeren Schmaltiere, welche er unausgeſetzt umherjagt, ſo daß der Platz ganz kahl getreten wird. „Abends und morgens ertönt der Wald vom Geſchrei der Brunfthirſche, welche ſich jetzt kaum den Genuß des nötigen Geäſes und nur zuweilen Abkühlung in einer benachbarten Suhle oder Quelle, wohin die Tiere ſie begleiten müſſen, geſtatten. Andere, weniger glück— liche Nebenbuhler beantworten neidiſch das Geſchrei. Kaum erblickt der beim Wilde ſtehende Hirſch einen anderen, ſo ſtellt er ſich, glühend vor Eiferſucht, ihm entgegen. Jetzt beginnt ein Kampf, welcher oft einem der Streitenden, nicht ſelten beiden, das Leben koſtet. Wütend gehen ſie mit geſenktem Geweih aufeinander los und ſuchen ſich mit bewundernswürdiger Gewandtheit wechſelweiſe anzugreifen oder zu verteidigen. Weit erſchallt im Walde das 144 16. Ordnung: Raarhufer Familie: Hirſche. Zuſammenſchlagen der Geweihe, und wehe dem Teile, der ſich aus Altersſchwäche oder ſonſt zufällig eine Blöße gibt! Sicher benutzt dieſe der Gegner, um ihm mit den ſcharfen Ecken der Augenſproſſen eine Wunde beizubringen. Man kennt Beiipiele, daß die Geweihe beim Kampfe ſich jo feſt ineinander verſchlungen hatten, daß der Tod beider Hirſche die Folge dieſes Zufalles war, und auch dann vermochte keine menſchliche Kraft, ſie ohne Verletzung der Enden zu trennen. Oft bleibt der Streit ſtundenlang unentſchieden. Nur bei völliger Ermattung zieht ſich der Beſiegte zurück. Während des Kampfes gelingt es zuweilen ganz jungen Hirſchen, ſich auf kurze Zeit den Beſitz der Rechte zu verſchaffen, um welche jene ſich mit ſo großer Hart— näckigkeit ſtreiten, indem ſie ſich an das Wild heranſchleichen und das genießen, was ihnen ſonſt erſt drei Wochen ſpäter, wenn die ſtarken ganz entkräftet die Brunftplätze verlaſſen, zu— teil wird. Zum Beſchlage ſelbſt braucht der Hirſch nur einen ſehr kurzen Zeitraum.“ Die Hirſche werden mit 1 Jahr fortpflanzungsfähig. Die Tragzeit dauert 38 — 34 Wochen. „Das Tier ſetzt, je nachdem es während der Brunft zeitig oder ſpät beſchlagen wurde, zu Ende Mai oder im Juni ein Kalb, ſelten zwei. Wenn die Satzzeit herannaht, ſucht es Ein⸗ ſamkeit und Ruhe im dichteſten Holze. Die Kälber ſind in den erſten drei Tagen ihres Lebens ſo unbeholfen, daß ſie ſich nicht von der Stelle bewegen. Man kann ſie ſogar mit der Hand aufnehmen. Nur ſelten und auf kurze Zeit verläßt ſie in dieſer Zeit die Mutter, und ſelbſt wenn ſie verſcheucht wird, entfernt ſie ſich bloß ſo weit, wie nötig iſt, um durch vorgegebene Flucht die wirkliche oder eingebildete Gefahr abzuwenden. Nachdem das Kalb nur eine Woche überlebt hat, würde die Mühe vergeblich ſein, es ohne Netze fangen zu wollen. Überall folgt es nun der Mutter und drückt ſich ſogleich im hohen Graſe, wenn dieſe ſich meldet, d. h. einen Laut des Schreckens von ſich gibt, oder mit dem Vorderlaufe ſchnell und ſtark auf den Boden ſtampft. Es beſaugt das Tier bis zur nächſten Brunftzeit und wird von dieſem über die Wahl der ihm dienlichen Aſung von Jugend auf belehrt.“ Von nun an beginnt das wechſelreiche Leben des Edelwildes. Das Wildkalb iſt bereits im dritten Jahre erwachſen, das Hirſchkalb braucht eine Reihe von Jahren, ehe es ſich alle Rechte der Alleinherrſchaft in ſeinem Gebiete erworben hat. Im ſiebenten Monat ſeines Alters ſetzt es zum erſten Male auf, und von nun an wechſelt es ſeinen Hauptſchmuck in jedem Jahre. Das Alter des Rothirſches kann, bis das Dauergebiß gebildet iſt, mit ziemlicher Be— ſtimmtheit nach den Zähnen beurteilt werden. Bei der Geburt bekommt das Rotwildkalb nur die Milchſchneidezähne mit. Milchbackzähne und Milcheckzähne erhält es in den erſten vier Wochen. Im ſechſten Monat, alſo im November, erſcheint der er,te bleibende Backzahn, d. h. der vierte der ganzen Reihe, im Mai des folgenden Kalenderjahres der fünfte. Im Auguſt des zweiten Kalenderjahres, wenn das Kalb 15 Monate alt iſt, werden das innere Schneidezahn⸗ paar und die oberen Eckzähne gewechſelt, dann folgen im September oder Oktober das mitt— lere und das äußere Schneidezahnpaar. Im März des dritten Kalenderjahres wird das untere Eckzahnpaar gewechſelt, im Mai erſcheint der letzte oder ſechſte bleibende Backzahn, und im Herbſt desſelben Jahres werden ziemlich gleichzeitig die Milchbackzähne gewechſelt, ſo daß das Gebiß mit 2¼ Jahren vollendet iſt. Von nun an iſt nur noch eine ungefähre Schätzung des Alters für den Kenner möglich. Der Zeitpunkt des Sichtbarwerdens der Roſenſtöcke ſowie das Auftreten des erſten Ge— weihes ſind nach äußeren Umſtänden erheblichen Anderungen unterworfen. Nach Schäff, dem wir bei der Schilderung der Geweihentwickelung folgen wollen, dürfte beides zwiſchen den 7. und 14. Lebensmonat fallen. Als Erſtlingsgeweih erhält der junge Hirſch zwei 20—25 cm lange Spieße, die, wie alle Erſtlingsgeweihe, am Fehlen der Roſe kenntlich ſind. Dieſes wird Edelhirſch: Fortpflanzung. Altersbeſtimmung. Geweihentwickelung. Abnormitäten. 145 im Frühjahr, durchſchnittlich im Mai des dritten Kalenderjahres, wenn der Hirſch alſo zwei Jahre alt iſt, gewechſelt. Theoretiſch ſollte das nun folgende Geweih ein Gablergeweih ſein. Ein ſolches findet ſich aber ſelten. Gewöhnlich ift es ein Sechſer- oder Achtergeweih, unter un— günſtigen Umſtänden auch wieder ein Spießer. Dieſe beſitzen aber im Gegenſatz zum Erſt— lingsgeweih ſtets Roſen. Auch iſt für die Altersbeſtimmung die Zahnbildung maßgebend. Die nächſte Stufe iſt in der Regel ein Sechsender, kann aber gelegentlich wieder ein Spießer, ein Gabler, ein Achtender oder in ſeltenen Ausnahmen gar ein Zehnender ſein. Dieſe jugendlichen Sechſergeweihe ſind dadurch ausgezeichnet, daß die Augenſproſſe ſehr hoch über der Roſe ſitzt und mit der Stange einen ſehr ſpitzen Winkel bildet. Sie rückt nun von Jahr zu Jahr tiefer und ihr mit der Stange gebildeter Winkel wird gleichzeitig offener. Die auf den Sechſer folgende nächſte Endenzahl iſt der Achtender. Dieſer geht aus dem Sechsender ent— weder durch Gabelung des Stangenendes hervor oder durch Bildung der Eisſproſſe. Die Zehnenderſtufe entſteht entweder dadurch, daß zu der zuletzt genannten Form des Achters eine Gabelung des Stangenendes hinzutritt, der ſogenannte „Eisſproſſenzehner“, oder dadurch, daß zur zuerſt genannten Form des Achters oben an der Wurzel der Endgabel eine neue Sproſſe kommt. Dann entſteht am oberen Ende des Geweihes eine Art Quirl, die „Krone“, weshalb man dann vom „Kronenzehner“ ſpricht. Vielleicht läßt die erſte Form ſtets noch auf Rück- . wirkung einer genealogiſch weit zurückliegenden Wapitikreuzung (vgl. S. 136) ſchließen. Der Zwölfender zeigt dann Augen-, Eis- und Mittelſproſſe und eine dreizackige Krone. Von nun an iſt es ſchwer, eine weitere Geſetzmäßigkeit in der Bildung der Enden nachzu— weiſen. Meiſt ſitzen bei mehrendigen Edelhirſchgeweihen die Enden über der Mittelſproſſe. Es können ſich die Kronenenden wieder gabeln, ſie können ſich am Grunde verbreitern und, zuſammenfließend, einen Becher bilden, die ſogenannte „Becherkrone“, die am Rande zahlreiche Enden tragen kann. Verzweigungen der Mittelſproſſe kommen vor, wenn auch ſelten, noch ſeltener ſolche der Eis- oder Augenſproſſe. Neben den beiden Kronentypen kann man noch eine ſchaufelförmige und eine handförmige Krone unterſcheiden. Wie hoch die Zahl der Enden beim Rothirſch ſteigen kann, zeigt der berühmte Moritzburger Sechsundſechzigender, der 1696 von Kurfürſt Friedrich III. bei Fürſtenwalde erlegt wurde und allerdings wohl der einzige ſeiner Art iſt, während es gar nicht ſo wenig Geweihe gibt, die einige 40 Enden zeigen. Sehr zahlreich ſind die Abnormitäten, die bei Edelhirſchgeweihen auftreten; ſie können die Stange betreffen oder die verſchiedenen Sproſſen, auch Mehrſtangigkeit kommt vor. Der „Plattköpfe“ oder „Mönche“, ebenſo wie der „Mörder“ wurde ſchon gedacht. Perückengeweihe ſind weit ſeltener als beim Rehwild und erreichen verhältnismäßig nie deren Größe. In gewiſſer Hinſicht auffallend iſt es, daß jeder geſunde Hirſch ſein Geweih in eben der Form und Stellung wieder aufſetzt, wie er es im vorigen Jahre hatte. Wenn es weit oder eng, vorwärts oder rückwärts ſtand, bekommt es auch in der Folge wieder dieſelbe Geſtalt, und wenn die Augen- oder Eisſproſſe oder andere Enden eine beſondere Biegung machten, erſcheint dieſe in gleicher Weiſe beim nächſten Aufſetzen. Jäger, die Gelegenheit zu vielen Beobachtungen hatten, behaupten ſogar und zweifellos mit Recht, daß gewiſſe Eigentümlich— keiten der Geweihe ſich der Nachkommenſchaft durch viele Geſchlechter hindurch vererben; ſie verſichern, daß ſie gewiſſe Familien ſofort am Geweihe zu erkennen vermöchten. Daß auch Klima, Nahrung, Ausdehnung und Beſchaffenheit des Standortes ſowie der Betrieb des Ab— ſchuſſes von ſehr weſentlicher Bedeutung für die Bildung mächtiger Geweihe ſind, iſt ſicher. Die Feinde des Edelwildes ſind der Wolf, der Luchs und der Vielfraß, ſeltener der Bär. Wolf und Luchs dürften wohl die ſchlimmſten genannt werden. Der erſtere verfolgt bei tiefem Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 10 146 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hirſche. Schnee das Wild in Meuten und hetzt und mattet es ab; der letztere ſpringt ihm von oben herab auf den Hals, wenn es, nichts ahnend, vorüberzieht. Der ſchlimmſte Feind aber iſt und bleibt unter allen Umſtänden der Menſch, obgleich er das Edelwild gegenwärtig nicht mehr in der greulichen Weiſe verfolgt und tötet wie früher. Ich glaube hier von der Jagd abſehen zu dürfen, weil deren genaue Beſchreibung uns zu weit führen dürfte. Auch das Edelwild wird von einigen Bremſenarten arg geplagt. Dieſe legen ihre Zuchten auf dem Wilde an, und die Schmeißbrut durchlöchert den armen Geſchöpfen faſt das ganze Fell. Auch eine Laus, die ſich in den Haaren einniſtet, Fliegen und Mücken quälen das Wild in hohem Grade. Um dieſen ihm äußerſt verhaßten Plagegeiſtern zu entgehen, ſuhlt es ſich oft ſtun— denlang im Waſſer. Außerdem iſt das Wild manchen Krankheiten unterworfen. Der Milzbrand tritt oft ſeuchenartig auf, die Leberfäule, die Ruhr, der Zahnkrebs und die Auszehrung richten zuweilen große Verheerungen an, und auch in ſchlechten Jahren gehen viele Hirſche ein. Leider it der Schaden, den das Rotwild anrichtet, viel größer als der Nutzen, den es, bringt. Nur aus dieſem Grunde iſt es in den meiſten Gegenden unſeres Vaterlandes aus— gerottet worden. Obſchon Wildbret, Decke und Geweih hoch bezahlt werden und man die Jagdfreude ſehr hoch anſchlagen darf, auch die wirtſchaftliche Bedeutung der Jagdpachtung und der Wildbretnutzung nicht zu unterſchätzen iſt: der vom Wilde verurſachte Schaden wird hierdurch nicht aufgewogen. Ein ſtarker Hochwildſtand verträgt ſich mit unſeren forſtwirt— ſchaftlichen Grundſätzen durchaus nicht mehr. Eine eigenartige Stellung nimmt ein in Nordchina heimiſcher Hirſch ein, der in mehr— facher Hinſicht von allen Familiengenoſſen abweicht. Seine nahe Verwandtſchaft mit dem Edelhirſch beweiſt er dadurch, daß er ſich fruchtbar mit ihm kreuzen läßt. Mit ihm ſtimmt er auch im Fußbau überein, unterſcheidet ſich jedoch durch den langen Schwanz und das dichotom (gabelig) verzweigte Geweih. In letzterem Punkte kommt er mit den Zackenhirſchen und den meiſten telemetakarpalen Hirſchen überein. Sein Pflugſcharbein iſt kurz und teilt nicht die innere Naſenöffnung. Wir werden ihn am beſten als beſondere Gattung (Elaphurus A. M.-E.) anſehen, deren einzige Art der Milu oder Davids Hirſch, Elaphurus davidianus A.M.-E. (Taf. „Paarhufer VI“, 6, bei S. 127), iſt. Dies ſonderbare Tier wurde 1865 von dem um die Kenntnis der chineſiſchen Tierwelt ſo hoch verdienten Jeſuitenpater David durch einen kühnen verſtohlenen Blick über die Mauer des kaiſerlichen Parkes von Peking entdeckt. Das iſt bisher der einzige Ort, von wo das Tier bekanntgeworden iſt. Seit dem Boreraufitand (1900) iſt es auch dort ausgerottet. Nach Angabe der Chineſen ſoll es aus der Gegend von Kaſchgar ſtammen. Nach Deutſchland kamen die erſten Milus in den ſiebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts durch den Konſul v. Möllendorff und den Geſandten v. Brandt, die ſie dem Berliner Zoologiſchen Garten zuwandten. Auch in Paris wurden fie gezüchtet und jo bis in dieſes Jahrhundert forterhalten. Jetzt find die letzten Reſte in England, auf Woburn Abbey, der Beſitzung des Herzogs von Bedford, vereinigt. Der Milu iſt ein ſehr kräftiger, faſt plump gebauter Hirſch mit beſonders ſtarken Glied— maßen, von etwa 114 em Schulterhöhe. Das weiche Haar iſt beim Männchen an Nacken, Halsunterſeite und Bruſt zu einer Art Mähne und am Schwanz zu einer langen eſelartigen Quaſte verlängert. Die Farbe der Oberſeite iſt ein rotbräunliches Iſabell, das nach den Seiten mehr graue Töne hat, an Hals, Bruſt, Backen und Naſenrücken dunkelgrau wird. Längs der Halsunterſeite wie über den Nacken und die vordere Hälfte des Rückens verläuft je ein ſchwarzer Streifen. Bauch und Innenſeite der Schenkel ſind gelblichweiß, der obere Teil der ee EEE Edelhirſch. Milu— 147 Gliedmaßen iſt wie der Rücken gefärbt, der untere gelblichgrau. Der ſehr lange Schwanz hat die Farbe des Rückens, die Endquaſte iſt ſchwarzbraun. Die Stirn iſt braun, die Augen umgibt ein weißer Fleck, der auf der inneren Seite durch einen dunkelbraunen Streifen be— grenzt wird. Kinn, Innenſeite der Ohren und Einfaſſung des Flotzmauls ſind weiß. Weibchen und Junge ſind heller gefärbt, letztere in früher Jugend ſehr undeutlich gefleckt. Eigentümlich iſt das Geweih. Die erſte Gabel hat einen ſehr langen Hinteraſt, der für gewöhnlich unverzweigt bleibt, der vordere gabelt ſich regelmäßig weiter, jo daß Sechzehn—, ja ſogar Zwanzigender vorkom— men. Haupt wie Nebenhufe ſind ſehr groß, die erſteren weit ſpreiz— bar, woraus man wohl ſchlie— ßen darf, daß die Tiere urſprüng⸗ lich in ſumpfigen Gebieten lebten. Darauf deuten auch die Beobach— tungen, die in Woburn Abbey ge— macht wurden, wo dieſe Hirſche im Sommer beſonders gern in den Seen waten und ſchwimmen und die dort wachſenden Waſſerpflan⸗ zen äſen. Sie laſſen auch beim Gehen ein eigentümliches Kniſtern in den Gelenken, wie die Renn— N RES 3 8 tiere, hören. Die Eckzähne ſindklein. Geweih des Milu. Original im Muſeum für Naturkunde zu Verlin. Die Milus ſchreien in Wo⸗ burn Abbey im Juni und Juli. Ihr Brunftruf wird mit dem Eſelsgeſchrei verglichen. Im November oder Dezember hat man das Abwerfen der Geweihe beobachtet. Im Berliner Zoologiſchen Garten lebt ein ſehr intereſſanter Miſchling, der, obwohl er nur ½ Milu- und 5 Edelhirſchblut haben ſoll, in Körperform und Farbe dem Milu mehr gleicht als dem Edelhirſch. Von letzterem hat er eigentlich nur den kurzen Wedel; auch das Geweih ſteht dem Milugeweih ſehr nahe, zeigt aber auch Merkmale, wie die Kürze der Stange zwiſchen Roſe und erſter Gabelung, vom Edelhirſch. * Dem Fußbau nach unter allen Pecora durch Verluſt der Seitenzehen am weiteſten fort— geſchritten, nimmt die Familie der Giraffidae dem Schädelbau nach eine ſehr urſprüng— liche Stellung ein, indem die Scheitelbeine noch, wie bei den Hirſchen, vollkommen auf der Oberſeite des Schädels liegen. Überhaupt hat ſie manches mit den Hirſchen gemeinſam, wäh— rend ſie in anderer Beziehung, z. B. in der Körperform, der Art der glatten, kurzen Be— haarung, den hohlen Hornzapfen, an die Bovidae erinnert. Wie die Hirſche haben die Giraffen Zähne mit niedriger Krone, und die treffend mit Knoſpen verglichene Form der Vackzähne erinnert auffallend an die des Elches. Das mag aber ſchließlich nicht auf Verwandtſchaft, ſon— dern auf Anpaſſung an gleiche Nahrung, Zweige bei beiden, beruhen. Eine Beſonderheit des Gebiſſes, dem ſtets die oberen Eckzähne fehlen, iſt die zweilappige Krone des unteren Eck— zahnes. Die Hörner beſtehen aus hohlen, mit Haut überdeckten Knochenzapfen; doch treten wenigſtens bei Okapia die äußerſten Spitzen als ſolide Knochenreſte aus der Haut heraus und 10* 148 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Giraffidae. werden vielleicht ſogar gewechſelt, und bei ausgeſtorbenen Verwandten der Giraffen, den Sivatheriinae aus den Siwalikſchichten Indiens, veräſtelte ſich dieſer Teil ſogar geweihartig. Freilich waren dieſe geweihartigen Stirnzapfen hohl. Bei einzelnen Tieren fehlt die Gallen⸗ blaſe, wie ſtets bei der Mehrzahl der Cerviden, allerdings auch bei den Schopfantilopen. Die Giraffidae bewohnen heute ausſchließlich Afrika ſüdlich der Sahara; die ausgeſtor— benen Verwandten finden ſich in den öſtlichen Mittelmeerländern bis nach Indien und China. Lebende Gattungen kennt man nur zwei: Okapia und Giraffa. Die urſprünglichere von beiden iſt die erſt ſeit 1 Jahrzehnt bekannte Okapia Lank. Großes Aufſehen erregte es, als im Jahre 1901 die Kunde von der Entdeckung eines großen neuen Säugetieres im Kongoſtaat die Welt durcheilte, nicht etwa einer jener neuen Arten, wie ſie der moderne Säugetierſyſtematiker jetzt aufzuſtellen gewohnt iſt, und deren Unterſchied von bekannten Formen nur ein eingehendes vergleichendes Studium erkennen läßt, ſondern eines auch für den Laien von allen bekannten Säugetieren auf den erſten Blick unter— ſchiedenen Säugetiers, einer neuen Säugetiergattung. Sir Harry Johnſton, der Gouverneur von Uganda, hatte geſprächsweiſe von Stanley erfahren, daß nach Berichten Eingeborener im Urwald des Semliki- und Iturigebietes ein großes eſelähnliches Tier lebe. Johnſton ſtellte Nachforſchungen danach an, und es gelang ihm, von Soldaten des dem Kongoſtaate gehörigen Forts M' Beni geſtreifte und als einfache Leibgürtel hergerichtete Fellſtreifen zu erwerben, die dem ſagenhaften Tiere entſtammten. Es wurde ihm auch von den belgiſchen Offizieren des Forts beſtätigt, daß dort das Tier allgemein bekannt ſei, daß es von den Eingeborenen gejagt und von ihnen Okapi genannt werde. Johnſton ſandte die Fellſtreifen, die nach ſeiner Mei— nung einem Zebra angehörten, nach London, wo ſie Sclater als Equus johnstoni beſchrieb. Aber noch im gleichen Jahr erhielt Johnſton ein vollſtändiges Fell mit Schädel dieſes merk— würdigen Tieres, das er ebenfalls nach London ſandte. Nun ſtellte Ray Lankeſter auf dem Internationalen Zoologenkongreß in Berlin 1901 und in der erſten ausführlichen Arbeit über das Tier feſt, daß es ſich um eine neue Gattung aus der Familie der Giraffenartigen han— delte, der er den einheimiſchen Namen Okapia als Gattungsnamen gab, und von der bisher als einzige Art nur das Okapi, Okapia johnstoni Scl. (ſ. auch Taf. „Paarhufer IX, 3, bei S. 152), bekannt iſt. Die Verwandtſchaft der neuen Gattung geht aus der allgemeinen Schädel— und Gebißform hervor; beſonders bezeichnend iſt die zweilappige Krone des unteren Eckzahnes. Dieſe Merkmale haben auch eine Anzahl ausgeſtorbener miozäner Mitglieder der Giraffidae, die jedoch noch nicht die hohe Entwickelung der heutigen Gattung Giraffa zeigten. Zwiſchen ihnen, namentlich dem obermiozänen Samotherium F. Major und dem nahe verwandten Palaeo- tragus Gaudry aus Südeuropa bis Perſien, und der Giraffe vermittelt das Okapi. Seit den erſten Stücken ſind zahlreiche weitere Felle und Skelette nach Europa gekom— men, ſo daß wir über das Ausſehen des Tieres genau unterrichtet ſind. Danach ſtellt ſich das Okapi als ein im männlichen Geſchlecht etwa 1 m hoher, im weiblichen etwas kleinerer, ziemlich ſchwerer, plumper und muskelkräftiger Wiederkäuer dar, deſſen Vorderhand gegen die Hinterhand kaum erhöht iſt. Der Hals iſt mittellang, eher kurz. Der kegelförmig zugeſpitzte Kopf trägt, wenigſtens im männlichen Geſchlecht, Hörner und „mächtige, mit dicken Röhren entſpringende und merkwürdig tief angeſetzte Ohren“, die am Rande zottig find und wie beim Kudu abſtehen. Der etwas über den Hacken endigende Schwanz hat eine kurze Endquaſte. Die Bildung der Hufe gleicht denen der Giraffen, da auch dem Okapi die allen anderen Wieder— käuern mit Ausnahme der Kamele zukommenden Nebenhufe fehlen. Der Oberſchenkel iſt, wie Okapi. Okapi. 149 das zuerſt zur Straſſen auf Grund ſorgfältiger Haarſtudien feſtſtellte, wie bei Giraffe und Kamel — beides Paßgänger — frei, nicht, wie bei den meiſten anderen Säugetieren, durch eine Spannhaut mit dem Körper verbunden. Daß auch das Okapi ein Paßgänger iſt, erfuhr Schubotz von Andersſon, dem Vorſteher des belgiſchen Poſtens Angu, der im Jahre 1908 dieſe Beobachtung an einem gefangenen und einige Tage lebend gehaltenen Okapikälbchen machte. Die Färbung der Stuttgarter Stücke beſchreibt Lampert, wie folgt: „Die Farbe des Leibes iſt ein ſchönes Braunrot, ziemlich dunkel, aber im Ton verſchieden; für Weibchen und junge Exemplare wird die Färbung als faſt ſchwarz angegeben; das ſtimmt für unſer auf— geſtelltes Stück; das zweite, von Herrn Leutnant Boyton erhaltene Fell, welches einem jungen Exemplar angehört, beträchtlich kleiner iſt und höchſtwahrſcheinlich von einem jungen Männ— chen ſtammt, iſt nicht dunkler, ſondern beträchtlich heller als das erwachſene Weibchen; die Farbe kann als rotbraun bezeichnet werden. Hinter der Schnauze beginnt eine helle, weiß— liche Färbung des Kopfes, die ſich bis hinter die Gurgel erſtreckt, von welcher jedoch die von der Naſe zum Oberhaupt ſich ziehende Partie ausgenommen iſt. Entlang dem Rücken zieht eine Mähne, die bei unſerem Exemplar ſehr niedrig, kaum 5 mm, iſt; bei jungen Tieren iſt ſie weſentlich höher. Charakteriſtiſch iſt der feine Glanz des Felles, welcher an den Glanz eines edelſten Raſſepferdes erinnert. „Das Bezeichnendſte und Auffallendſte in der Färbung des Okapi iſt die weiße Strei— fung der Vorderbeine, der Schenkel und Hinterbeine, wobei dieſe Streifung noch viel ſchöner iſt als beim Zebra. Der Wechſel zwiſchen tiefſchwarzen und leuchtend weißen, manchmal etwas gelblichen Streifen bietet einen außerordentlich gefälligen Anblick; es iſt begreiflich, daß dieſe Partie des Felles mit Vorliebe von den Eingeborenen als Schmuckgürtel verwendet wird, wie es ebenſo ſelbſtverſtändlich iſt, daß dieſe zebraähnliche Streifung die Veranlaſſung war, das rätſelhafte Tier zunächſt zu dieſer Gattung der Equiden zu ſtellen. „Die Streifen ſind vielfach doppelt, auf dem Schenkel ſind ſie am hinterſten Ende am breiteſten, nach vorn auskeilend. Die ſchwarzen Zwiſchenſtreifen, die Grundfarbe, ziehen nicht ganz um die Beine herum, ſondern die Innenſeite iſt zum großen Teil weiß, wie auch die unteren Teile der Läufe. Die Zahl der weißen Streifen iſt nicht konſtant, nicht einmal bei ein und demſelben Individuum auf der rechten und linken Seite.“ Ob die erwähnten Hörner nur im männlichen oder auch gelegentlich im weiblichen Ge— ſchlecht erſcheinen, iſt eine noch offene Frage. Die beiden einzigen ſicher als weiblich beſtimm— ten Stücke in Frankfurt a. M. und Stuttgart zeigen keine Spur von Hörnern; allerdings iſt davon nur das Frankfurter Stück völlig erwachſen. Die Hörnerzapfen der Männchen ſtehen nur auf den Stirnbeinen und greifen nicht, wie bei den Giraffen, mit ihrer Baſis auf die Scheitelbeine über. Die Hörner des Okapis ſind kurz und rückwärts gekrümmt und bei jüngeren Tieren, wie bei den Giraffen, völlig mit Haut bekleidet. Bei älteren tritt jedoch der oberſte Teil etwa 1 em weit frei aus der Haut heraus und iſt durch eine Ringfurche von dem unteren, mit Haut bedeckten Knochenſtück abgeſetzt. So zeigt ſich hierin eine weitgehende Ahn— lichkeit mit dem Hirſchgeweih, die noch größer würde, wenn, wie man vermutet, dieſes freie Knochenende bei Okapia wirklich einem regelmäßigen Wechſel unterläge. Verhältnismäßig wenig wiſſen wir über die Lebensweiſe. Zwar hat Schubotz von Ein— geborenen mancherlei erkundet und uns namentlich über die geographiſche Verbreitung des Okapis genauer unterrichtet, aber ſelbſt geſehen und beobachtet hat auch er es nicht. Nach ihm wird das Verbreitungsgebiet des Okapis begrenzt nördlich vom Uelle, weſtlich vom Likati, ſüdlich vom Rubi und öſtlich vom Bima und Bomokandi; ſüdöſtlich geht es bis zum Nepoko 150 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Giraffidae, und dem Quellgebiet des Ituri-Aruwimi. Dort iſt der dichteſte, ſumpfigſte Urwald ihre Heimat, ſo daß es bei der unſteten Lebensweiſe des Tieres bisher nur zwei Europäern, dem Schweizer Dr. J. J. David und dem in belgiſchen Dienſten ſtehenden Engländer Dr. Chriſtie, gelang, Okapis zu erlegen und zu beobachten. Nach David iſt der Körper walzenförmig, run— der, voller als bei Antilopen, die Farbe der Augen braunſchwarz, trübe, ohne genau abgeſetzten Irisrand. Am auffallendſten ſind, nach David, die zwei Giraffenhörnchen, die geſenkte Kopf— haltung beim Gehen, die ſpitze und vorſtreckbare Muffelſchnauze, die immer in Bewegung iſt, und ſelbſtverſtändlich die augenfällige horizontale und ſchiefe Zebraſtreifung der Glied— maßen. Die ganze Erſcheinung, das Schnüffeln und Schlürfen im Moraſt, der gedrungene Vorderkörper, die Kopfhaltung erinnern an einen Tapir, keinesfalls an eine Antilope. Einige anatomiſche Beobachtungen gaben David Anlaß, Vermutungen über die Nahrung zu äußern: „Lippen, innere Backentaſchenſeite und Rachen ſind mit ſehr ſtarken und derben Papillen (warzenähnlichen Bildungen) ausgerüſtet; ſie weiſen nicht nur auf grobe, ſondern direkt auf im Schlamme zuſammengeſuchte Nahrung hin.“ Ferner ſchreibt David: „Will man die merk— würdige, aber in bezug auf die Farben ‚inverje‘ (umgekehrte) Zebraſtreifung als Anpaſſungs— erſcheinung erklären, ſo wäre nicht etwa an eine natürliche Nachahmung desjenigen Lichtes und Schattens zu denken, die zwiſchen dünnen Baumſtämmen oder Dſchungelpalmen einfallen (Tiger, Zebra). Das Okapi lebt nicht in einem ſolchen Milieu (wie z. B. die Pferdeantilope und der Waſſerbock), ſondern im dickſten Urwalde, wo derbblätteriges, naſſes Unterholz von Arum, Donax, Phynium, Anthokleiſten uſw. einen dichten Wirrwarr bilden mit Orchideen— blättern und Schlingpflanzen. Dieſe Blätter ſind ſchwarzgrün, ganz horizontal geſtellt, vor Näſſe glänzend, ſo daß als Lichteffekte, längs der Medianrippe, unzählige kurze weiße Licht— ſtreifen entſtehen, die ſehr energiſch gegen das Dunkel und gegen das Zwielicht des Waldes abſtechen. Die dicke Laublage des Waldbodens ſowie die Rinden der Stämme ſind ſchwarz— braun und rötlich, gerade wie im modrigen europäiſchen Laubwald bei anhaltendem Regen und gerade wie — die Nuancen und Farbenzeichnung der Okapia. Das wäre ein Verſuch, die Erſcheinung des Okapi vom Geſichtspunkte der Anpaſſung an die äußere Umgebung zu er— klären. Außerdem befähigt die Beweglichkeit der Schnauze das Tier vortrefflich in ſeiner Nahrungsſuche im niedrigſten Unterholz und in der Moraſtvegetation. „So ſchlüpft denn die Okapia ohne hinderndes Gehörn (auch der Urwaldbüffel und die ſo wenig zahlreich im Kongourwald vertretenen Antilopen, Blauböckchen, haben auffallend kurzen Aufſatz) mit geſenktem Kopfe und eher kurz zu nennendem Halſe, wie der kleine Urwaldbüffel und die Warzen- und Pinſelſchweine, raſch, gewandt und geräuſchlos durch den ſtillen Urwald, während nur das langſame, aber immerwährende ſtarke Aufſchlagen der Feuchtigkeitstropfen und hie und da der häßliche Schrei eines Nashornvogels hörbar iſt. Ein echtes Urwaldbild. „Die arabiſierten, freigelaſſenen Sklavenvölker der Region nennen das Tier ‚Keuge. Der Pygmäenname iſt ‚O-a-pii. Das ‚Fabelwild' iſt inſofern ziemlich bekannt, als jedem Schwarzen des betreffenden Gebietes die aus dem hübſchen Fell geſchnittenen Gürtel und der Name vertraut ſind. Die Fährten waren meiner Erfahrung nach nur den Jagdvölkern der Waleſſe und Pygmäen bekannt, in deren Geſellſchaft ich auch — und mit Erfolg — die ſeltene Spur aufnahm. Vom November 1903 bis März 1904 kamen mir in dem öſtlichen Teil des Verbreitungsgebietes vier Okapifährten zu Geſicht. Drei Decken, alle von verhältnismäßig jungen Tieren, ſammelte ich während dieſer Zeit. Man kann alſo in Anbetracht der unglaub— lich ſchwierigen Zugänglichkeit der Reviere und der ſchweren Auffindbarkeit von Fährten und Wild nicht gerade ſagen, daß die überlebenden Okapis ſehr ſelten ſind. Das ſagen auch die Okapi. Giraffe. 151 Schwarzen. Einer unſerer Schwarzen hielt ſich mehrere Jahre im Ituri-Semliki-Urwalde in einem Dorf auf und behauptet glaubwürdigerweiſe, oft von dem Fleiſch der Okapia gegeſſen zu haben. Das geſtreifte Fell der Keulen und Läufe iſt bei Pygmäen und anderen Waldſtämmen äußerſt beliebt als Leibgürtel. Ich beſitze einige ſolche, mit Schnallen verſehen, deren primi— tive Herſtellung einem paläolithiſchen Menſchen alle Ehre machen würde. „Als Wild hält ſich die Okapia nicht nur etwa an Sumpfſtellen, Bachbetten und Unterholz, ſondern ſie verzieht auch über ſteile, laubbedeckte und von Unterholz teilweiſe entblößte Halden und waldige Felslehnen hinauf. Ich fand, daß ihr Geſicht entſchieden ſchlechter war als dasjenige der Graslandantilopen. Entſprechend der faſt ſtets herrſchenden Windſtille ſpielt auch die Naſe gewiß keine ſehr große Rolle, außer beim Vermeiden friſcher und eventuell Nachteil bringender Fährten und bei der Nahrungsſuche. Dagegen iſt das Gehör bei weitem der vorherrſchende Sinn, und wenn auch ſchon auf kürzeſte Diſtanz alle Gerüche der Fährte und der Gegenwart des Menſchen durch die ſcharfen Bodenausdünſtungen des Moderwaldes verwittert ſein mögen, ſo verrät doch das allerleiſeſte Geräuſch jede Annäherung von etwas Lebendigem im Urwald, und dann bricht auch die volle Flucht los durch krachendes Gezweig und auf Nimmerwiederſehen!“ Die zweite Gattung der Familie iſt die ſchon ſeit langem bekannte Giraffe (Giraffa Briss.). Mit ihrem langen Hals, ihrer ſtark überbauten Vorhand und dem kurzen, abfallenden Rücken erſcheint ſie auch dem Laienauge erheblich weiter vom Bauplane eines normalen Säuge— tieres entfernt oder, wie der Zoologe ſagt, fortgeſchrittener als das Okapi. So bietet auch die Familie der Giraffen wieder ein Beiſpiel für den zuerſt von Hilzheimer aufgeſtellten Satz, daß, wenn von zwei nahe verwandten Tieren eines ein Wald-, das andere ein Steppentier iſt, ſtets das Steppentier das fortgeſchrittenere iſt. Die Giraffe bewohnt nämlich vorwiegend offenes Gelände. Hierbei iſt der Ton auf „vorwiegend“ zu legen, denn es ſcheint, daß die meiſten afrikaniſchen Steppenbewohner gelegentlich auch einmal den Wald aufſuchen, wenn ſie auch den ausgeſprochenen Urwald ſtets meiden. So ſchreibt Schillings über die Giraffen, daß ſie „durchaus nicht ausſchließlich in der Steppe leben, ſondern ſie ſuchen, zu gewiſſen Jahreszeiten wenigſtens, auch die Gebirgswälder bis zur Höhe von 2000 m auf. Es geſchieht dies namentlich mit Ein— tritt der Trockenzeit; der eigentliche Urwald, der kahle Gürtelwald, wird jedoch ſtets gemieden.“ Wenn alſo auch gelegentlich eine Giraffe einmal ſelbſt im Urwald getroffen werden mag, iſt dennoch die Steppe ihre eigentliche Heimat. So iſt auch die Körperform eine ins Großartige übertriebene Steppenform des Säugetierkörpers. Auf langen Beinen ruht ein kurzer, leib— armer Körper mit, wie bei vielen Steppentieren, ſtark überhöhtem Widerriſt. Der Länge der Beine entſprechend mußte auch der Hals verlängert werden, wollte das Tier überhaupt auch nur mit den Lippen die Erde erreichen können. Trotzdem iſt der Giraffe dies nur möglich, indem fie in eigenartiger Weiſe die Vorderbeine breit auseinanderſtellt und in dieſer gegrätſchten Stellung den Kopf herunterbeugt (Taf. „Paarhufer IX“, 2, bei S. 152). Im allgemeinen hat ſie es aber nicht nötig, dieſe unbequeme Stellung einzunehmen, da ihre Nahrung haupt— ſächlich in Baumblättern und Zweigen beſteht, die ſie mit ihrer ſehr langen, biegſamen Zunge wie mit einem Finger umfaßt, feſt anzieht und dann mit den unteren Schneidezähnen abſchneidet. Die hohen Läufe und der lange Hals machen die Giraffe zu dem höchſten und verhältnis— mäßig kürzeſten aller Säugetiere. Ihre Leibeslänge beträgt nämlich bloß 2,25 m, die Schulter: höhe dagegen bereits 3 m und die Scheitelhöhe 5—6 m. Der Schwanz wird mit der Haar⸗ quaſte 1,1 m, ohne dieſe nur 80 em lang. Die Entfernung von der Schnauzenſpitze bis zur Schwanzwurzel beträgt 4 m, das Gewicht etwa 500 kg. 152 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Giraffidae. Der langgeſtreckte Kopf der Giraffe erſcheint der ziemlich dünnen Schnauze wegen noch länger, als er iſt, trägt ſehr große, lebhaft glänzende und doch ungemein ſanfte Augen, große, zierlich gebaute, äußerſt bewegliche Ohren von etwa 15 em Länge und eine wechſelnde Zahl vollſtändig mit behaarter Haut überzogener Hörner und Auswüchſe. Der Hals iſt etwa ebenſo lang wie die Vorderbeine, dünn, ſeitlich zuſammengedrückt und hinten mit einem hübſchen Haarkamme geziert. Der Leib iſt breit an der Bruſt und längs der Mittellinie etwas eingeſenkt, von vorn durch die faſt rechtwinklig vorſpringenden Schulterblätter ſehr ausgezeichnet, hinten auffallend verſchmälert. Vorder- und Hinterbeine ſind faſt gleich lang. An den Beugegelenken der Läufe zeigt ſich eine nackte Schwiele, wie das Kamel ſie beſitzt. Die Haut iſt ſehr dick und, mit Ausnahme des Halskammes und der Schwanz— quafte, überall gleichmäßig be— haart. Der Bulle iſt durch den außerordentlich kräftigen Hals und Nacken von der Kuh zu un: terſcheiden. Die Haupt⸗ hörnerſtehen nicht wie bei anderen horntragenden Säugetieren über den Stirnbeinen, ſondern über der Naht zwiſchen Stirn- und Schei⸗ telbeinen, eigent— lich noch mehr über letzteren. Nach Ray Lankeſter ſollen ſie über den Scheitelbeinen entſtehen, wodurch ſie in einen Gegenſatz treten nicht nur zu den Hörnern aller Hohlhörner überhaupt, ſondern auch zu denen der nächſtverwandten Okapia. Dies würde alſo eine ſelbſtändige Er- werbung von Hörnern bei zwei einander ſo naheſtehenden Tieren wahrſcheinlich machen. Erſt im Laufe ihrer Entwickelung greifen die Hörner der Giraffen nach vorn über die Naht auf die Stirnbeine über. Vor dieſen Hörnern zeigen die Naſenbeine entweder eine mittlere unpaare ſtumpfe Erhöhung (zweihörnige Giraffe) oder ein daraus hervorgegangens Horn (drei— hörnige Giraffe). Schließlich können noch ein Paar Hörner an der Grenze der Scheitel— beine gegen das Hinterhaupt auftreten (fünfhörnige Giraffe). Der Schädel alter Bullen kann ſogar ganz überdeckt ſein mit warzen- oder hornartigen Knochenbildungen. Sehr merk— würdig iſt, daß bei gewiſſen Formen der Giraffen der Schädel immer aſymmetriſch iſt, indem das unpaare Horn ſtets etwas nach rechts verſchoben iſt und die überzähligen Hornwarzen auf der rechten Seite des Schädels ſtärker entwickelt ſind, wie überhaupt der ganze Schädel auf dieſer Seite kräftiger iſt, jo daß Lönnberg von „rechtsköpfigen“ Giraffenraſſen ſpricht. Giraffenſchädel mit Anſatz des dritten Hornes zwiſchen den Xugen. Original im Muſeum für Naturkunde zu Berlin. 2. nubiſche Giraffe mit 2 Paarhufer IX. 1. Giraffen in der Steppe. S. 154. — A. Berger-Berlin phot. um Freſſen vom Erdboden geipreizten Vorderbeinen. 8. 151. * IBM) 5 5 Hi — 1 Hr 2 5. Südafrikaniſche Giraffe, Giraffa camelopardalis capensis E. Geoffr. 4. Netzgiraffe, Giraffa reticulata Winton, 50 nat. Gr., s. S. 153. — Aufgenommen im Senckenbergischen Naturhist. Museum-Frankfurt a. M. 1/50 nat. Gr., s. S. 153. — L. Ruhe- Alfeld phot. Giraffe: Verſchiedene Formen. Verbreitung. 153 Nach der Zahl der Hörner und dem Muſter der Zeichnung hat man verſchiedene Arten unterſchieden. Für dreihörnige Giraffen wurde außer dem Beſitz von drei Hörnern angegeben, daß die Ränder der Flecke gerade und ſcharf begrenzt ſeien und unterhalb der Knie und Hacken aufhören, im Geſicht aber bis weit vor die Augen reichen; auch ſoll die Oberſeite der Stirn und des Naſenrückens hell ſein. Dieſer nördlichen oder nubiſchen Giraffe (Taf. „Paarhufer IX“, 2) wurde die ſüdliche, kapiſche oder zweihörnige gegenübergeſtellt. Außer dem Beſitz von nur zwei Hörnern ſollen dieſe der tief dunkelbraune Naſenrücken und die unregelmäßig zerriſſenen, nach der Mitte zu dunkleren Flecke auszeichnen, die an den Beinen bis zu den Füßen reichen, dafür aber im Geſicht unter den Augen aufhören. Heute wiſſen wir, daß es zwiſchen dieſen beiden Formen allerhand Übergänge gibt, ſo daß man nur eine Art, Giraffa camelopardalis L., anerkennen will, die in eine große Anzahl Unter— arten zerfällt (Lydekker, „Proc. Zool. Soc.“, 1904). Danach ſtellt alſo auch die erwähnte zwei— hörnige Giraffe nur eine Unterart dar, die wiſſenſchaftlich als G. c. capensis E. Geoffr. (Taf. „Paarhufer IX“ 5) zu bezeichnen it. Alle zu Giraffa camelopardalis gehörigen Formen haben das gemeinſam, daß ſie auf hellem Grunde dunkel gefleckt erſcheinen. Dabei ſind ſie nach Alter, Geſchlecht und Einzeltier innerhalb einer Herde außerordentlich verſchieden. Die alten Bullen ſcheinen im allgemeinen am dunkelſten zu ſein. „Die Färbung variiert übrigens auch innerhalb ein und desſelben Rudels erheblich. Ich habe Rudel von bis zu 45 und mehr Stück angetroffen und auf nächſte Diſtanz die Wahrnehmung gemacht, daß ganz dunkel und ebenſo ſehr hell gefleckte Tiere ſich hier vorfanden“, ſagt Schillings, und ganz ähnlich drücken ſich auch Rooſevelt und andere Beobachter aus. Von dieſen eben beſchriebenen Formen weicht die Giraffe des nördlichen Somalilandes inſofern ab, als die dunklen Flecke bei ihr ſehr groß ſind und die hellere Farbe dazwiſchen als ſehr feine Streifenzeichnung erſcheint. Sie macht alſo eher den Eindruck eines Tieres, das auf dunklem Grunde ein feines helles Netzwerk trägt; deshalb iſt ſie auch als Netz— giraffe, Giraffa reticulata Winton (Taf. „Paarhufer IX“, 4), bezeichnet worden. Ob zwiſchen ihr und den anderen Formen Übergänge beſtehen, d. h. ob ſie eine ſelbſtändige Art iſt oder nicht, erſcheint zur Zeit noch ungewiß. Lönnberg glaubt beſtimmt, derartige Über— gänge in Afrika beobachtet zu haben. Die Giraffe iſt oder war wenigſtens verbreitet über Afrika ſüdlich der Sahara an allen ihren Lebensbedingungen einigermaßen entſprechenden Orten, von Nubien bis zum Kap. Südlich vom Oranjefluß ſcheint ſie heute allerdings ausgerottet zu ſein. Natürlich fehlt ſie dem großen Urwaldgebiete Weſtafrikas, doch iſt fie auch im Weſten aus Nigeria und Angola bekanntgeworden. Über die Lebensweiſe der Giraffen ſind wir genau unterrichtet. Meiſt leben ſie in kleinen Rudeln, die aus einem erwachſenen Bullen, mehreren Weibchen und jüngeren Männchen be— ſtehen. Größere Herden gibt es heute in Südafrika wohl nicht mehr. Dagegen ſcheinen ſich ſolche gelegentlich noch in Oſtafrika zu finden. Am Guaſo Njiro hat ſie Berger noch zu hun— derten beieinander geſehen: „Eine ungeheure Talmulde lag vor uns, und hier wimmelte es von Giraffen.“ Die alten Bullen zeichnen ſich durch einen beſonders durchdringenden Geruch aus und werden deshalb auch von den Buren „Stinkbulls“ genannt. Wie alles afrikaniſche Wild lieben die Giraffen die Geſellſchaft anderer Tiere, wie Zebras, Antilopen, Strauße. Die Nahrung der Giraffe beſteht hauptſächlich in dem Laube und den Zweigen ver— ſchiedener Akazienarten, doch werden auch andere Laubhölzer genommen. Gras frißt die Giraffe in der Freiheit niemals. Ihr Waſſerbedürfnis ſcheint gering zu ſein. „ 5 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Giraffidae. 5 Im Gegenſatz zum Okapi ſcheint von den Sinnen der Giraffe der Geruchsſinn weniger gut entwickelt zu ſein als das Auge. Daß die Giraffen aber keineswegs bloß Augentiere ſind, ſondern auch gut wittern, mußte Schillings des öfteren erfahren, wenn er verſuchte, ſie bei ſchlechtem Wetter anzupirſchen. „Ein typiſches, niemals unterbleibendes Wedeln des lang— bebuſchten Schwanzes, ein Hervortreten des Leitbullen oder der Leitkuh um einige Schritte aus dem Bereiche des ſchattenſpendenden Baumes, unter dem das Rudel in der Mittagsſtunde etwa ſich eingeſtellt, iſt das Zeichen baldiger Flucht. Dieſe geſchieht in dem bekannten eigen— tümlichen Paßgange, der anſcheinend außerordentlich plump und wenig fördernd, dennoch das Rudel für den nichtberittenen Jäger bald außer Sehweite bringt.“ Dieſes „Wedeln“ vor der Flucht, in dem Schillings eine Art Zeichengebung erblicken will, erwähnt faſt bei jedem Zuſammentreffen mit Giraffen auch Rooſevelt, der ihr Benehmen dabei überhaupt gut beobachtet hat. „Ihre außerordentliche Höhe“, jagt er „befähigt fie, die un— gewöhnliche Schärfe ihrer Lichter auf das vorteilhafteſte zu verwerten, und an kein Tier kann man ſich ſchwerer heranpirſchen, ohne eräugt zu werden. Immer und immer wieder habe ich ſie in einer Entfernung von einer halben Meile entdeckt, oder vielmehr ich habe ſie in ſolcher Ferne erblickt, wenn ſie mir gezeigt wurde, und wenn ich dann das Fernglas zu Hilfe nahm, ſo bemerkte ich jedesmal, daß ſie beſtändig zu uns herüberäugte. Wenn ſie beunruhigt wird, trollt ſie in langen, ſchaukelnden Fluchten davon, aber wenn ſie wirklich erſchreckt iſt, ſo geht ſie zu einem eigentümlichen Galopp über. Der Wedel richtet ſich empor und ringelt ſich, und die gewaltigen Hinterläufe werden vorwärts geworfen, daß ſie außen neben die Vorderläufe kom— men. Die Bewegungen machen den Eindruck der Bedächtigkeit, und die Giraffe ſcheint nicht ſchnell zu ziehen, aber wenn ſie auch nur einen kleinen Vorſprung hat, ſo muß ein Pferd tüchtig galoppieren, um ſie einzuholen. Wenn ſie davontrollt, ſo ſinkt der Hals wohl nach vorn herab im ſpitzen Winkel zu der geraden Linie der tiefen Bruſt, und der ſtarke Kopf wird vorgeſtreckt. Sie ſind harmloſe Tiere, und obwohl ſie vielleicht mit den Schalen nach einem Menſchen ſchlagen, der unvorſichtig in ihr Bereich kommt, ſo ſind ſie doch in keiner Hinſicht gefährlich.“ Dieſes Schlagen ſcheint ihre hauptſächlichſte Verteidigung zu ſein. Merkwürdig iſt es, wie verſchieden ſich die Beobachter über die Sichtbarkeit der Giraffe in der freien Natur ausſprechen. Man begegnet ihr vielfach da, wo überſtändige verwitterte Stämme vorkommen, welche dank den Flechten, die auf ihnen ſich ausbreiten, manchmal dem langen Halſe einer Giraffe täuſchend ähneln. „Oft bin ich“, ſchreibt Baker, „über die Anweſenheit eines ganzen Trupps von Giraffen in Zweifel geweſen, bis ich zu meinem Fern— glaſe Zuflucht nahm; ſogar meine halbwilden Begleiter mußten bekennen, daß ihre ſcharfen, geübten Augen zuweilen getäuſcht wurden: denn ſie ſahen bald jene verwitterten Stämme für Giraffen an und verwechſelten wiederum wirkliche Giraffen mit den hochbejahrten Bäumen.“ Ahnlich äußert ſich auch Schillings. Um ſo deutlicher treten die Giraffen hervor, wenn ſie ſich in der baumloſen oder baumarmen Steppe am Rande des beſchränkten Geſichtskreiſes bewegen (Taf. „Paarhufer IX“, 1, bei S. 152). In ſolchen Gegenden haben wohl Rooſe— velt und Lönnberg die Giraffen beobachtet. Der letztere ſagt über die Netzgiraffe: „Giraffen ſind ſehr leicht ſichtbar, auch wenn fie regungslos ſtehen, und auf große Entfernung, wenn ſie nicht durch Bäume oder Büſche verdeckt ſind, und ich muß geſtehen, daß ich niemals irgend etwas Schützendes in ihrer Färbung entdecken konnte. Die Jungen und die Alten ſind ſo verſchieden in der Färbung, daß, wenn die eine durch ihre Färbung geſchützt iſt, die andere es kaum ſein kann. Die Zeichnung der Giraffe kann nicht als Schutz und als Reſultat einer natürlichen Ausleſe dafür bezeichnet werden.“ Giraffe: Sinne. „Wedeln.“ Sichtbarkeit. Bewegungen. Stellungen. Fortpflanzung. 155 Alle Bewegungen der Giraffe ſind ſonderbar. Am vorteilhafteſten nimmt ſie ſich bei ruhigem Gange aus: ſie erſcheint dann würdig und anmutig. Ihr Gang ſelbſt iſt ein lang— ſamer und gemeſſener Paß, da ſie beide Läufe einer Seite gleichzeitig bewegt. Ihr Galopp da— gegen iſt, nach Lichtenſtein, „ſo ſchwerfällig, lahm und plump, daß man faſt ſchließen ſollte, ein Menſch könnte das Tier zu Fuße einholen. Dieſe Langſamkeit wird aber erſetzt durch die Weite des Schrittes, indem nach einer ungefähren Meſſung ein jeder Sprung 4—5 m beträgt. Wegen der Größe und Schwere des Vorderteiles iſt die Giraffe nicht imſtande, ſich durch die Kraft der Muskeln allein vorn zu heben, ſondern dazu muß eine Zurückbiegung des Halſes, wodurch der Schwerpunkt mehr nach hinten gerückt wird, zu Hilfe kommen; dann erſt iſt es ihr möglich, die Vorderbeine von der Erde zu bringen. Dies geſchieht, ohne ſie zu biegen, und ebenſo ſteil ſetzt ſie dieſelben mit einer gleichmäßigen Bewegung des Halſes nach vorn und, durch die Kraft der Hinterſchenkel vorwärts getrieben, wieder nieder. Mit der neuen Bewegung des Halſes erfolgt das Nachſpringen der Hinterfüße. So bewegt ſich der Hals in ſtetem Hin- und Herſchwunge faſt wie der Maſt eines auf den Wellen tanzenden oder nach der Seemannsſprache ‚ſtampfenden' Schiffes.“ Höchſt eigentümlich iſt eine Stellung, die das Tier annimmt, wenn es etwas von dem Boden aufnehmen, oder wenn es trinken will. Die Giraffe bewirkt die Erniedrigung ihres Vorderteiles gewöhnlich, wie ſchon geſagt, indem ſie beide Vorderläufe ſo weit auseinander ſtellt, daß ſie bequem mit dem langen Halſe auf den Boden herabreichen kann. Selous hat die Giraffe übrigens beim Trinken die Vorderläufe nicht bloß ſeitwärts, ſondern ruckweiſe auch vor- und rückwärts auseinander ſtellen ſehen, bis ſie ſich genugſam erniedrigt hatten, und Böhm führt ausdrücklich an, daß er ſie zuweilen auf den Knien äſend, alſo nicht grätſchend, beobachtet habe. Um ſich niederzutun, ſenkt ſie ſich zuerſt auf die Beugegelenke der Vorderbeine, knickt hierauf die Hinterbeine zuſammen und legt ſich endlich auf die Bruſt, wie das Kamel. Während des Schlafes liegt ſie zum Teil auf der Seite und ſchlägt dabei beide oder nur eines ihrer Vorder— beine ein; den Hals wendet ſie rückwärts, den Kopf läßt ſie gern auf den Hinterſchenkeln ruhen. Ihr Schlaf iſt ſehr leiſe und dauert nur kurze Zeit. Sie ſcheint ſich auch ſtehend auszuruhen. Im Notfalle weiß ſie ſich recht gut zu verteidigen, weniger mit ihren Hörnern als mit kräf— tigen Schlägen ihrer langen, ſehnigen Beine. In dieſer Weiſe kämpfen die verliebten Männ— chen unter ſich um die Weibchen; durch Ausſchlagen beſchützt die Giraffenmutter ihr Junges vor der tückiſch herbeiſchleichenden Großkatze, und die Kraft des Schlages iſt ſo gewaltig, daß dieſer ſelbſt einen Löwen fällen kann. Wärter in den Tiergärten müſſen ſich manchmal ſehr in acht nehmen vor den Hufen ihrer Pfleglinge, obgleich ſie ſonſt gut mit ihnen auskommen. Gewöhnlich ſetzen die Giraffen nur 1 Kalb. In Südafrika fällt die Wurfzeit, nach Sclater, zwiſchen November und Februar. Aus den in verſchiedenen Tiergärten geſammelten Beobachtungen geht hervor, daß die Dauer der Tragzeit 431—446 Tage oder 14—14½/ Monate beträgt. Während der Paarungszeit vernahm man von beiden Geſchlechtern ein ſanftes Blöken. Die Männchen ſprangen ohne beſondere Heftigkeit aufeinander los und rieben ſich gegenſeitig mit ihren Stirnzapfen den Rücken und die Seiten. Ernſte Kämpfe wurden nicht ausgefochten. Die Geburt ging ſchnell und leicht vonſtatten. Das junge Tier kam zuerſt mit den Vorderfüßen und dem Kopfe zur Welt. Nach ſeiner Geburt lag es etwa 1 Minute be— wegungslos, dann begann die Atmung; nach einer halben Stunde verſuchte es aufzuſtehen, 20 Minuten ſpäter wankte es nach der Mutter hin. Zehn Stunden nach der Geburt lief das Junge umher, am dritten Lebenstage übte es ſich bereits im Springen. Etwa 9 Monate nach der Geburt des erſten Jungen nahm die Mutter das Männchen von neuem an und 156 16. Ordnung: Paarhufer. Familien: Giraffidae und Horntiere. warf nach 431 Tagen wiederum ein Junges, welches 12 Stunden nach ſeiner Geburt kräftig an dem Euter der Alten ſaugte. Nach 3 Wochen genoß es Pflanzen, und mit dem Alter von 4 Monaten begann es wiederzukäuen. Am zweiten Lebenstage gemeſſene Giraffen hatten 1,54— 1,65 m Scheitelhöhe und etwa 55 em Rumpflänge. Nach 8 Wochen betrug bei einem Weibchen, nach Bolau, die Scheitelhöhe 2 m und im Alter von einem Jahr 2,68 m. Die Giraffenjagd wird von den Eingeborenen Afrikas wie von den Europäern mit Leidenſchaft betrieben. Im Sudan jagen erſtere mit Hilfe des Kamels oder Pferdes und ſchlagen dem müde gehetzten Tiere, wenn ſie es erreicht haben, mit ihrem Schwerte die Achilles— ſehne durch, lähmen es auf dieſe Weiſe und ſchlachten es dann ab, um das überall ſehr ge— ſchätzte Fleiſch und andere Teile des Giraffenleibes zu benutzen. Die Europäer erlegen aber auch mit weittragenden Waffen das vorſichtige Tier in der Regel erſt nach längerer Hetzjagd. Sonſt hat die Giraffe wohl kaum Feinde, höchſtens daß ein Löwe ſich hier und da einmal ein Kalb holt oder auch wohl, vom äußerſten Hunger gepeinigt, ſich an ein erwachſenes Tier wagt, wie das, nach Schillings' Beobachtungen, ſchon bei der Schilderung des Löwen (ſ. Bd. XII, S. 61) als möglich bezeichnet wird. Die außerordentliche Höhe der Giraffe verleiht ihr in— ſofern einen großen Vorteil, als ſie ihr geſtattet, einen weiten Geſichtskreis zu beherrſchen und jeden ſich nähernden Feind rechtzeitig wahrzunehmen. Wenige afrikaniſche Wildarten ermüden die Pferde der nachſetzenden Jäger mehr als ſie. Zwar begnügt ſie ſich, eine gewiſſe Ent— fernung zwiſchen ſich und ihrem Verfolger innezuhalten, dauert aber im Laufe länger aus als das beſte Pferd, vorausgeſetzt, daß der Boden nicht ungünſtig für ſie iſt; denn gegen eine An— höhe hinaufzulaufen, wird ihr begreiflicherweiſe im höchſten Grade beſchwerlich. Nach Selous’ Erfahrungen kann man aber fliehenden Giraffen, weil ſie nur in höchſter Not ihre volle Ge— ſchwindigkeit entwickeln, mit einem nicht ganz ſchlechten Pferde wenigſtens ſo nahe kommen, daß man, ſchnell aus dem Sattel ſpringend, ihnen eine wohlgezielte Kugel nachſenden kann. Vielfach iſt die Verwendung der erlegten Giraffe. Man benutzt die Haut zu allerlei Leder— werk, die Schwanzquaſte zu Fliegenwedeln, die Hufe zu Horngegenſtänden und genießt, wie ſchon geſagt, das vortreffliche Fleiſch. Noch lieber aber hat man es, wenn man eine Giraffe lebend bekommen kann. In den innerafrikaniſchen Städten ſieht man oft ein paar Giraffen⸗ häupter über die hohen Umfaſſungsmauern eines Gartens hervorragen, und nicht ſelten be— gegnet man in der Nähe von Ortſchaften gezähmten Tieren, die nach Belieben umhergehen. So kam in Karkodj, einer Ortſchaft am Blauen Fluſſe, täglich eine Giraffe an unſere Barke, ſolange wir uns in der Nähe dieſer Ortſchaft aufhielten, um ſich füttern und liebkoſen zu laſſen. In Europa erregten die Giraffen, die man 1827 ſeit faſt drei Jahrhunderten zum erſten— mal wieder lebend zu ſehen bekam, ungeheures Aufſehen. Seit der Zeit gehören ſie zu den beliebteſten, wenn auch koſtbarſten Schauſtücken unſerer Tiergärten. In trockenen, warmen, zugfreien Stallungen halten ſie gut aus, trotz des ungewohnten Futters, das vorwiegend aus Gras und Heu beſteht, an das ſie ſich aber gut zu gewöhnen ſcheinen, zumal wenn man ab und zu noch einige friſche Zweige hinzugibt. Knauer erwähnt Fälle, daß Giraffen 25 Jahre in der Gefangenſchaft lebten. Ja, ſie pflanzen ſich hier ſogar fort. Die Tiergärten zu Berlin, Köln, Dresden, Hamburg, Schönbrunn und andere haben wiederholt Junge gezüchtet. Sehr große Schwierigkeiten macht jedoch die Aufzucht der letzteren; aber auch dieſe gelingt bisweilen. So erhielt der Londoner Zoologiſche Garten, nach Knauer, von vier im Jahre 1835 aus Kor— dofan bezogenen Giraffen 17 Junge, von denen 1892 das letzte Stück der Sippe ſtarb. * * e Giraffe: Jagd. Verwendung. Gefangenleben. Horntiere: Allgemeines. 157 Die dritte Familie der Pecora umfaßt die Horntiere (Bovidae), auch Hohlhörner (Cavicornia) genannt. Ihr hervorſtechendes gemeinſames Merkmal iſt der Beſitz von Hörnern, d. h. knöchernen Auswüchſen der Stirnbeine, die von einer Hornſcheide umgeben ſind. Die Hörner ſind mit einer Ausnahme nie verzweigt und unterliegen keinem Wechſel. Die Knochen— zapfen können maſſiv ſein, meiſt aber find fie ausgehöhlt, indem ſich die Lufthöhlen der Stirn— beine in ſie, oft bis an ihre Spitze, hineinerſtrecken, wodurch die Hörner bedeutend leichter werden. Die Zapfen entſprechen etwa den Roſenſtöcken und dem Geweih der Hirſche. Die Horn— ſcheide entſteht durch Verhornung der den Knochenzapfen überziehenden Haut. Sie entſpricht im allgemeinen dem Baſt der Hirſche. Da die Hornerzeugung vom Grunde des Hornes aus— geht, ſo iſt die Hornſcheide eines dauernden Wachstumes fähig; doch iſt die Stärke der Horn— produktion nicht gleichmäßig, ſondern einem zeitweiligen Wechſel unterworfen, wodurch eine Ringbildung entſteht. Dieſe Periodizität erinnert etwas an den regelmäßigen Geweihwechſel der Hirſche. Ob aber die durch die abwechſelnd ſtärkere und ſchwächere Hornbildung entſtehen— den Ringe wirklich ſicher das Alter des Tieres erkennen laſſen, d. h. „Jahresringe“ ſind, iſt keineswegs über allen Zweifel erhaben. Die zuerſt angelegte Hornſcheide, das „Jugendhorn“, iſt von dem ſpäteren „Dauerhorn“ dem Bau und der Form nach etwas verſchieden. Zur Zeit des Eintritts der Geſchlechtsreife ſchilfert das Jugendhorn allmählich von dem ſich darunter entwickelnden Dauerhorn ab, ſo daß man von einem einmaligen Hornwechſel auch der Hohl— hörner hat reden wollen. Das alljährliche Abwerfen der Hornſcheide bei der Gabelantilope iſt im Grunde das gleiche und hat nichts mit dem Geweihwechſel der Hirſche zu tun. Die Hörner verlaufen ſelten gerade, faſt immer gewunden oder gedreht, und zwar bildet das rechte Horn entweder eine rechts gewundene Spirale, es iſt homonym, oder eine links— gewundene, iſt heteronym. In einzelnen Fällen tritt bei homonymen Hörnern nach der Horn— ſpitze zu eine Umkehr (Perverſion) der Horndrehung ein, das Horn iſt pervertiert. Mit dem Beſitz von Hörnern hängt noch eine andere Eigentümlichkeit des Hohlhörner— ſchädels zuſammen, die allerdings bei den einzelnen Unterfamilien in verſchiedenem Grade ent— wickelt iſt, die ſogenannte „Knickung der Schädelachſe“. Bei den meiſten Säugetieren liegen die Knochen der Schädelachſe und die der Schädelbaſis in einer Ebene. Bei den Horntieren iſt der Schädel zwiſchen Stirn- und Scheitelbein einerſeits und Pflugſchar- und vorderem Keil— bein anderſeits abgeknickt: die vor der angegebenen Grenze gelegenen Teile werden nach unten abgebogen. Damit geht Hand in Hand eine Vergrößerung der die Hörner tragenden Stirnbeine. Dieſe dehnen ſich nach hinten aus, verdrängen die immer kleiner werdenden Scheitelbeine von der Oberſeite des Schädels auf die Hinterhauptsfläche. Am ſtärkſten iſt dies bei einigen Rindern und Kuhantilopen ausgebildet, wo die Hirnhöhle von oben nur noch durch die Stirnbeine bedeckt iſt und die Scheitelbeine ganz auf die Hinterhauptsfläche beſchränkt ſind. Damit hat auch die Knickung der Schädelachſe, die ihren Ausdruck im Winkel zwiſchen Pflugſcharbein und vorderem Keilbein findet, ihren höchſten Grad erreicht. Der Wert dieſer Bildung liegt wohl in einer Verſteifung des die Hörner tragenden Teiles. Der Schädel wird dadurch etwa dachförmig und trägt auf dem Firſt des Daches die Hörner. Dadurch iſt die noch dazu verkürzte Unter— lage dieſer den härteſten Angriffen ausgeſetzten Teile entſchieden widerſtandsfähiger, als ſie es wäre, wenn ſie eine längere Fläche bildete, aus deren Mitte die Hörner hervorragten. Be— merkenswert iſt, daß ſich dieſe Veränderung des Schädels nicht nur ſtammesgeſchichtlich, ſondern noch heute an jedem einzelnen Horntiere im Laufe ſeiner Entwickelung verfolgen läßt. Hier zeigt ſich alſo deutlich wieder eine wichtige Regel, nämlich: daß die Entwickelungsgeſchichte häufig die Stammesgeſchichte wiederholt (das „biogenetiſche Grundgeſetz“ von Haeckel). 158 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Ferner iſt den Hohlhörnern gemeinſam, daß im Gebiß ſtets die oberen Schneide- und Ed- zähne fehlen, daß die unteren Eckzähne wie die Schneidezähne meißelförmig ſind und beide in einer Reihe ſtehen, daß die Zahl der echten Backzähne in jeder Kieferhälfte drei, die der falſchen Backzähne meiſt ebenſoviel beträgt, doch kann letztere auch auf zwei ſinken. Die Backzähne haben mit wenigen Ausnahmen eine ſehr hohe Krone und faſt keine Wurzel, ſie ſind alſo von oben bis unten gleichmäßig gebaute „Säulenzähne“, deren Kaufläche vier Halbmonde erkennen läßt. Haarbürſten an den Hinterläufen fehlen oder ſind doch nur ausnahmsweiſe vorhanden. Abgeſehen von Gebiß und Gehörn läßt ſich übrigens etwas Allgemeingültiges von den Horntieren kaum ſagen. Ihr Leibesbau iſt außerordentlich verſchieden, da die Familie ebenſo⸗ wohl plumpe und maſſige wie überaus leichte und zierliche Geſtalten aufweiſt. Die Geſtalt der Hörner und der Hufe, die Länge des Schwanzes, Haarkleid und Färbung ſchwanken in weiten Grenzen; Voraugendrüſen ſind vorhanden oder fehlen; die Naſenſpitze iſt behaart oder nackt: kurz, es ergeben ſich bei genauer Betrachtung der hierher zu zählenden Tiere zahlreiche Unterſchiede. Wie die äußere Geſtalt iſt auch die Lebensweiſe der Horntiere ſehr mannigfaltig. Faſt über die ganze Erde, mit Ausnahme Südamerikas und Auſtraliens, ſich verbreitend, bewohnen ſie in vielen Arten alle Gürtel der Breite und Höhe und alle Gebiete oder Gefilde, von der öden Wüſte an bis zu dem in tropiſcher Fülle prangenden Walde, von der ſumpfigen Ebene an bis zu den gletſcherbedeckten Gebirgen hinauf. Weitaus die meiſten leben geſellig, nicht wenige in ſtarken Herden, manche paarweiſe, einige wenigſtens zeitweilig in Scharen, die unter den Säugetieren höchſtens noch von den durch Nager gebildeten übertroffen werden können. Entſprechend ihrer verſchiedenen Geſtalt bewegen ſich die einen plump und ſchwerfällig, die an— deren im höchſten Grade behende und gewandt, und im Einklange mit ihren Aufenthaltsorten ſchwimmen einzelne ebenſogut, wie andere klettern. Faſt ausnahmslos ſind auch die höheren Begabungen wohlentwickelt: die Horntiere zeichnen ſich durch ſcharfe Sinne, nicht wenige durch gute Auffaſſungsgabe aus, obwohl gerade unter dieſen Tieren auch geiſtig ſehr wenig befähigte Mitglieder gefunden werden. Ihre Vermehrung iſt erheblich, obſchon fie meiſtens nur ein ein— ziges, ſeltener 2, in Ausnahmefällen 3 und höchſtens 4 Junge gleichzeitig zur Welt bringen. Bei vielen Arten währt das Wachstum mehrere Jahre, bei den meiſten ſind die Jungen bereits nach Ablauf des erſten Lebensjahres wieder fortpflanzungsfähig, und gerade hierdurch erklärt ſich das verhältnismäßig außerordentlich raſche Anwachſen eines Trupps oder einer Herde dieſer Tiere. Für den Menſchen haben die Horntiere eine viel höhere und wichtigere Bedeutung als alle übrigen Wiederkäuer, mit alleiniger Ausnahme der Kamele. Ihnen entnahm die Menſch⸗ heit ihre wichtigſten Nähr- und Nutztiere; ihnen danken wir einen weſentlichen Teil unſerer regel— mäßigen Nahrung wie unſerer Kleiderſtoffe; ohne ſie würden wir gegenwärtig nicht mehr im— ſtande ſein zu leben. Auch die wild lebenden Arten der Familie ſind durchgehends mehr nützlich als ſchädlich, da ihre Eingriffe in das, was wir unſer Beſitztum nennen, uns nicht ſo empfindlich treffen wie das Gebaren anderer großer Tiere und ſie durch ihr faſt ausnahmslos ſchmackhaftes Wildbret, durch Fell, Haare und Horn den von ihnen dann und wann angerichteten Schaden wenigſtens ſo ziemlich wieder aufwiegen, im großen ganzen ſogar überbieten. Faſt ſämtliche wild lebende Horntiere zählen zum Wilde, nicht wenige von ihnen zu Jagdtieren, die der Weid— mann den Hirſchen als vollkommen ebenbürtig an die Seite ſtellt. Außer dem Menſchen haben die Horntiere noch viele andere Feinde; mehr aber als alle Gegner zuſammengenommen be— ſchränken Mangel, Hunger und infolgedeſſen ſich einſtellende Seuchen ihre Vermehrung. Zu den Horntieren gehören nicht nur die Rinder, Schafe und Ziegen, ſondern auch alle die großen und kleinen, zierlich oder auch kräftig gebauten, meiſt ſchönen, manchmal aber auch Paarhufer X. 1. Gabelbockherde am Seifengebirge. 8. 159. — Doubleday Page & Co.-Neuyork phot. 2. Buſchbock, Tragelaphus roualeyni Cumming. 3. Schirrantilope, Tragelaphus scriptus Pall. 1/20 nat. Gr., S. S. 166. — Lüpke-Berlin phot. 1/20 nat. Gr., s. S. 165. — W. P. Dando-London phot. 4. Sitatunga, Limnotragus selousi Rothsch. ½0 nat. Gr., s. S. 169 — W. P. Dando-London phot. 1/20 nat. Gr., s. S. 168. — Lüpke- Berlin phot. x 6. Nilgau, Boselaphus tragocamelus Pall. 25 nat. Gr. s. S. 174. — Lüpke-Berlin phot. * 7. Riedbock, Redunca redunca Pall. zwei Männchen. ½o nat. Gr. s. S. 176. — Dr. Priemel-Frankfurt a. M. phot. 8. Litichi-Wafferbock, Kobus leche Gray, zwei Männchen. 1/25 nat. Gr., s. S. 178. C. Reiche-Alfeld phot. 3 Gabelbock. 159 abſonderlich erſcheinenden Tiergeſtalten, die man früher als Unterfamilie der „Antilopen“ zu— ſammenfaßte und auch heute gewöhnlich noch ſo nennt. Die heutige Wiſſenſchaft verteilt die Antilopen jedoch auf eine Anzahl von Unterfamilien. Winge teilt die Horntiere, einſchließlich der ausgeſtorbenen, in ſechs Gruppen; da dieſe trefflich die ſtammesgeſchichtliche Entwickelung zum Ausdruck bringen, ſo wollen wir ſeine Anordnung kurz wiedergeben. 1) Die Protragoceros-Gruppe iſt heute ausgeſtorben. Sie enthält die älteſten bekannten Boviden und findet ſich im europäiſchen Miozän. Sie kann als Stammgruppe aller folgenden angeſehen werden und hat eine Menge urſprünglicher Eigenſchaften, wie Zähne mit niedriger Krone, wohlentwickelte Naſenbeine und Zwiſchenkiefer, hinten nicht geſchloſſene Augenhöhlen, kleine Tränengruben, kleine Gehörblaſen, kleine, einfach kegelförmige Hörner, gerade Schädelachſe. 2) Die Dicranoceros-Gruppe hat die meiſten der urſprünglichen Eigenſchaften behalten; doch zeigen die Zähne höhere Kronen und die Hörner eigenartige Entwickelung. Die Tränengruben ſind verſchwunden. Die Gruppe umfaßt die lebende Unterfamilie der Antilocaprinae. 3) Die Tragoceros-Gruppe iſt ein miozäner Seitenzweig, der ohne Nachkommen ausſtarb. 4) Die Tragelaphus-⸗Gruppe umfaßt die S. 164— 194 geſchilderten Unterfamilien. Sie behält die niederen Zahnkronen bei, ebenſo die urſprüngliche Form der wohlentwickelten Naſenbeine und Zwiſchenkiefer, aber die Tränengruben ſind verſchwunden, die Gehörblaſen mehr aufgetrieben und das Gehirn ſtärker entwickelt. 5) In der Gazella⸗Gruppe werden die Echten Antilopen mit den Duckern und ähnlichen zuſammengeſtellt. Sie behält meiſt die Tränengruben, hat ſehr hohe Zahnkronen, aufgetriebene Gehörblaſen und oft rück— gebildete Naſenbeine und Zwiſchenkiefer. 6) Zur Nemorhaedus- Gruppe zählt Winge außer den Gemſenartigen auch die Ziegen, Schafe, Moſchus— ochſen und Rinder. Sie behält die kleine Gehörblaſe, erreicht aber in anderer Hinſicht, wie Höhe der Zahnkronen, Knickung der Schädelachſe, Umfang der Hörner, die höchſte Entwickelung. Natürlich bilden die drei letzten Gruppen keine gerade fortlaufende Reihe, da die höchſt— ſtehenden Glieder jeder Gruppe höher entwickelt ſind als die tiefſtſtehenden der folgenden. Sie haben ſich wohl alle unabhängig voneinander entwickelt, möglicherweiſe aus gemeinſamem Grundſtock, der wohl in der Protragoceros-Gruppe zu ſuchen iſt. Ein Wiederkäuer, die Gabelantilope (Antilocapra Ord, Dieranoceros), unter— ſcheidet ſich von allen Verwandten dadurch, daß er ein hohles, aber gegabeltes Gehörn trägt, das nicht, wie bei den übrigen Horntieren, ſtetig weiterwächſt, ſondern regelmäßig wie das Geweih der Hirſche, jedoch in durchaus verſchiedener Weiſe, abgeworfen und neugebildet wird. Anderweitige Eigenheiten ſind das Vorhandenſein beſonderer Drüſen unterhalb des Ohres, auf dem Kreuze, jederſeits unter dem Schwanze und über der Fußbeuge, das Fehlen der Voraugendrüſen, der Leiſtendrüſen und der Afterhufe. An die echten Antilopen erinnert das auf dem Schädeldach liegende, gut entwickelte Scheitelbein. So ſtellen alſo die Gabelböcke einen früh vom allgemeinen Wiederkäuerſtamme, beſonders den Gazellen, mit denen ſie viele Eigenſchaften teilen, abgezweigten Stamm der Boviden dar, der heute vollſtändig vereinzelt und unbedingt von jedem anderen getrennt iſt, als Vertreter einer beſonderen Unterfamilie (Antilocaprinae), die wir Gabelhorntiere nennen wollen. Der Gabelbock oder die Gabelantilope, das Pronghorn der Amerikaner, Antilo- capra americana Ord (furcifer; ſ. Abb., ©. 160, u. Taf. „Paarhufer X“, 1), hat im all— gemeinen die Geſtalt einer kräftigen Antilope von etwa 15 m Geſamtlänge, wovon 17—20 em auf den Schwanz kommen, bei 80 em Schulter- und ungefähr 90 em Kreuzhöhe. Der Kopf iſt unſchön, ſchafartig, langgeſtreckt, von hinten nach vorn gleichmäßig verſchmälert, vorn allſeitig zugerundet, auf der Stirn eingeſenkt, um das Auge merklich aufgetrieben, das ringsum von den ſtark hervortretenden Augenhöhlenrandknochen umgebene und geſchützte Auge groß, 160 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. dunkel und ausdrucksvoll, ſein vorderer Winkel höher geſtellt als der hintere, das obere wie das untere Lid mit ſteifen Borſten beſetzt, das Ohr mittellang und zugeſpitzt, ſein Außen— rand gleichmäßig gewölbt, ſein Innenrand im oberen Drittel eingebuchtet. Der Hals hat mittlere Länge, der Leib erſcheint, weil er auf ſehr ſchlanken und mehr als mittelhohen Beinen ruht, minder kräftig, als er tatſächlich iſt; der kurze, gegen die Spitze wenig verſchmälerte Gabelbock, Antiloeapra americana Ord. Vz natürlicher Größe. Schwanz erinnert mehr an den ſtummelhaften Wedel einzelner Hirſche als an den der meiſten Antilopen; den kleinhufigen Füßen fehlen die Afterhufe. Das ſehr dichte Haarkleid, das den ganzen Leib bis auf eine ſchmale, nackte Einfaſſung der Naſenlöcher und einen ebenfalls wenig behaarten Streifen zwiſchen dieſen bedeckt, beſteht aus langen, wellig gebogenen, großzelligen, ſpröden Grannenhaaren, die ſich durch Druck ab— platten laſſen, ohne die frühere Geſtalt wieder anzunehmen, auch ſehr leicht abbrechen; ſie ver— längern ſich auf dem Kamme des Nackens und auf dem Kreuze, dort zu einer 7—10 em hohen Mähne, bilden auch um die Hörner einen kranzartigen Buſch, wogegen ſie ſich auf den Ohren und Läufen weſentlich verkürzen und zugleich dünner werden. Ein ſchönes, zartes Gabelbock: Verbreitung. Lebensweiſe. 161 Roſtiſabell erſtreckt ſich über den größten Teil des Halſes, den ganzen Rücken ſowie die Ober— ſchenkel und geht an der Außenſeite der Läufe und Ohren in ſanftes Roſtfahlgelb über; weiß dagegen ſind die Leibesſeiten faſt von der Körpermitte an, die Unter- und Innenſeite des Leibes und der Oberteil der Glieder, der Scheitel, die Innenſeite der Ohren und ein Fleck unter ihnen, die Kopfſeiten nebſt Lippen, Kinn und Kehle, zwei übereinander ſtehende, deutlich umgrenzte Schilder am Unterhalſe, von denen das eine durch einen Mittelſtreifen ſich mit dem Weiß der Unterſeite verbindet, ein halbmondartig ſich verſchmälernder Streifen, gleichſam ein drittes unterbrochenes Schild, das ſich vor der Schulter heraufzieht, ein bis zum erſten hinteren Drittel der Keulen vorreichender, nur oben über dem Schwanze durch dunklere Färbung unterbrochener, ſcharf abgegrenzter Spiegel nebſt dem Wedel; dunkel- bis ſchwarzbraune Färbung endlich haben die Oberſeite des Geſichtsteiles, vom Scheitel an bis zur Naſe herab, ein ſchmaler Ring um das Auge, ein länglicher, ſchlitzartiger, ſenkrecht ſtehender, die Ausführungsgänge einer großen Drüſe umgebender, von beiden Seiten her von übergekrempten Halshaaren faſt verdeckter Fleck am hinteren Ende der Wange, die Mitte des Hinterkopfes und die Spitzen der Nackenmähne. Ein über den oberen Geſichtsteil verlaufender Mittelſtreifen ſieht roſtbräunlich, ein Feld um das Auge roſtfahl aus. Das beiden Geſchlechtern zukommende, aber nur beim alten Bock gegabelte, über und zwiſchen den Augen ſtehende, ſteil aufſteigende und an der Spitze ſcharf einwärts und rückwärts gebogene Gehörn iſt beim alten Bock faſt doppelt ſo breit als dick, weil unten von beiden Seiten zuſammengedrückt, an ſeiner Oberfläche weder gefurcht noch geringelt, aber eigentümlich rauh und höckerig und ſtellenweiſe mit kurzen, ſpitzigen Auswüchſen unregelmäßig beſetzt. Die Hörner werden beim Männchen 25—30 em, beim Weibchen, wenn es nicht ganz ungehörnt bleibt, 8—12 em hoch. Die Knochenzapfen find maſſiv. Der Gabelbock bewohnt die Prärien Nordamerikas etwa vom 53. Grad nördl. Breite bis nach Mexiko im Süden (ungefähr 23. Grad nördl. Breite) und vom Miſſouri im Oſten bis zum Felſengebirge im Weſten. Leider ſteht, nach Hornaday, dieſes ſchöne Tier vor dem Ausſterben. Hornaday meint, daß es nach 20 Jahren verſchwunden ſein wird. Hieran iſt ſowohl ein rück— ſichtsloſer Abſchuß als vor allen Dingen eine als Aktinomykoſis bezeichnete Seuche ſchuld, der auch die amerikaniſchen Wildſchafe unterliegen. Außerlich zeigt ſich dieſe Krankheit in einer Schwellung der Kiefer. Ein Heilmittel dagegen gibt es nicht. Wie reißend ſchnell die Zahl der Gabelgemſen abnimmt, mag ein Beiſpiel zeigen. In Colorado wurde 1898 ihre Zahl auf 25000 geſchätzt, 1908 betrug ſie nur noch 200. Die Geſamtzahl in den Vereinigten Staaten mag ſich heute auf 17000 belaufen. Nach Hornaday kann der Gabelbock auch in den Wild— reſervaten nicht vor dem Ausſterben geſchützt werden, da er ſich dort wie auch in der Ge— fangenſchaft nicht fortpflanzt. Es kann eben den Tieren kein jo großes Wohngebiet zur Ver— fügung geſtellt werden, wie ſie zu ihrem Gedeihen brauchen. Innerhalb des ausgedehnten Gebietes, das jedes Rudel bewohnt und nicht verläßt, führen die Gabelböcke regelmäßige Wanderungen aus: ſie ziehen im Winter oder auch während großer Trockenheit in die Berge, im Sommer nach der Ebene. Vorzugsweiſe nimmt der Gabelbock ſeinen Stand in den mit kurzem Graſe beſtandenen Prärien. Auch in Mexiko hat die Zahl der Tiere ſehr erheblich abgenommen; in vielen dichter bewohnten Landſtrichen ſind ſie hier bereits ganz ausgerottet. Über das tägliche Leben der Gabelböcke wie über die Veränderungen, die es im Laufe des Jahres erleidet, berichtet am eingehendſten und wohl auch am genaueſten Canfield, der, wie er verſichert, mit ihnen ſo vertraut geworden iſt wie andere Leute mit Hausziegen oder Schafen. „Vom 1. September an bis zum 1. März“, ſo erzählt er, „bemerkt man ſie ſtets in zahlreicheren Geſellſchaften, und zwar in ſolchen, die von den Böcken, Tieren und Kälbern Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 11 162 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. 2 gemeinſchaftlich gebildet werden. Gegen das Ende der angegebenen Zeit ſondern ſich, eine nach der andern, die Geißen, um zu ſetzen; geraume Zeit ſpäter vereinigen ſie ſich wieder mit an— deren Muttertieren und deren Kälbchen, möglicherweiſe zu gemeinſchaftlicher Abwehr des Heul— wolfes. Die alten Böcke treiben ſich mittlerweile einſam oder höchſtens zu zweien umher und überlaſſen die jüngeren ihres und des weiblichen Geſchlechtes, die zuſammen eigene Rudel bilden, ihrem Schickſale. Jene wandern nun einen oder zwei Monate lang und beſuchen dabei Gegenden, wo man ſie im Laufe des übrigen Jahres nicht zu ſehen bekommt. Nach zwei oder drei Monaten vereinigen ſich die jüngeren Böcke wiederum mit den alten Tieren und deren Kälbern, und endlich finden ſich auch die alten Böcke bei jenen ein, jo daß man vom 1. Sep: tember an ebenſogut Herden von Hunderten wie ſolche von Tauſenden beobachten kann. Kein Rudel aber verläßt die Stätte ſeiner Geburt, und niemals wechſelt es weiter als auf einige Meilen. Im Sommer zieht es dem Waſſer nach und kommt dann regelmäßig einmal im Laufe des Tages oder zweimal innerhalb dreier Tage zur Tränke; wenn es aber friſches Grünfutter gibt, trinken die Gabelböcke gar nicht, und dies iſt der Fall im weitaus größeren Teile des Jahres.“ Die Aſung des Gabelbockes beſteht hauptſächlich aus dem kurzen, ſaftigen Graſe der Prärie, aus Kräutern, Moos und vielleicht Gezweige. Salziges Waſſer oder reines Salz lieben die Gabelböcke, wie die meiſten übrigen Wiederkäuer, ganz außerordentlich, und man ſieht ſie daher in der Nähe ſalzhaltiger Stellen mit beſonderer Vorliebe ihren Stand nehmen. Erſt der Hunger, ſo ſcheint es, treibt ſie wieder von dannen. Bei guter Weide werden ſie im Herbſte ſehr feiſt, leiden dagegen im Winter oft große Not, wenn der Schnee fußhoch ihren Weidegrund deckt und ſie ſich mit der ſpärlichſten Nahrung begnügen müſſen. Unter ſolchen Umſtänden kommen ſie raſch vom Leibe, weil ſie das Laufen im Schnee ermattet, und oft genug gehen ſie erbärmlich zugrunde. Alle Beobachter ſtimmen überein in der Bewunderung der Schnelligkeit und Behendig— keit der Gabelböcke. Leicht und gewandt, mit den hohen Läufen weit ausgreifend und dabei an Ausdauer jedes andere amerikaniſche Säugetier beſchämend, „jagen ſie wie der Sturm— wind über die Ebene dahin“. Zwar hat ihr Schritt, laut Finſch, etwas Schleppendes, und ihre gewöhnliche Gangart, ein kurzer Paß, macht wegen der dabei erfolgenden Senkung des Kopfes ihre Erſcheinung zu einer wenig anmutigen: um ſo ſchöner aber nehmen ſie ſich aus, wenn ſie flüchtig dahinſtürmen. Die Tiere bewegen ſich längs der Hügel dahineilend, bergauf oder bergab mit derſelben Gewandtheit und Sicherheit wie auf der Ebene und ſchnellen, nach Audubons Ausdruck, ihre vorderen Läufe ſo raſch nacheinander auf den Boden, daß man die einzelnen Glieder, wie die Speichen eines ſich drehenden Rades, nicht mehr unterſcheiden kann. Wenn fie flüchtig werden, laufen fie, nach Angabe Canfields, niemals geradeswegs fort, viel⸗ mehr im Zickzack vor dem Gegenſtande ihrer Furcht hin und her und bleiben dann auf etwa 100 Schritt Entfernung ſtehen; auch pflegen fie zunächſt etwa 30 —40 Schritt weit zu trollen, und zwar nach Art des Damwildes, indem fie mit allen vier Läufen zugleich aufſpringen. Nach dieſer Einleitung aber ſtrecken ſie ihren Leib und durchmeſſen in voller Flucht große Strecken. Auch ſchwimmen ſie, wie Audubon und andere verſichern, mit Leichtigkeit über breite Ströme. Die Gabelböcke ſind ſcharfſinnige Tiere. Sie äugen in weite Ferne, vernehmen aus— gezeichnet und wittern einen unter dem Winde heranſchleichenden Feind auf mehrere hundert Schritt. Wachſam und ſcheu, wählen ſie ihren Stand und beſonders die Plätze, wo ſie um die Tagesmitte wiederkäuend zu ruhen pflegen, immer ſo, daß ſie freie Ausſicht haben, wiſſen auch die herrſchende Windrichtung trefflich zu benutzen und ſtellen außerdem beſondere Wachen aus. Menſchliche Niederlaſſungen meiden ſie ſorgſam, bekümmern ſich dagegen Gabelbock: Nahrung. Bewegungen. Sinne. Fortpflanzung. Hornbildung. 163 wenig um Herdentiere, nicht einmal um Pferde und Rinder, weiden vielmehr oft ohne Scheu in deren Nähe. „Der Gabelbock“, ſagt Freiherr v. Thielmann, „ſteht nur in offenem Ge— lände und meidet jedes Gehölz; zu Fuß iſt er daher nicht leicht zu jagen, doch läßt er ſich ohne Mühe anreiten und noch leichter anfahren.“ Die Paarungszeit beginnt im September. Ungefähr ſechs Wochen lang zeigen ſich die Böcke ſehr erregt und kämpfen unter ſich mit einer gewiſſen Wildheit. Das Tier ſetzt früheſtens im Mai, ſpäteſtens Mitte Juni, gewöhnlich 2 den Eltern gleichgefärbte, ungefleckte Kälber; Schmaltiere bringen ſelten mehr als ein einziges. Wenn das Kalb einmal 14 Tage alt iſt, hat es hinlängliche Kraft und Schnelligkeit erlangt, um mit der ſchnelläufigen Alten einer Verfolgung des Wolfes oder eines anderen vierfüßigen Feindes zu entgehen. Prinz von Wied fand Ende April ein eben geſetztes Kälbchen in der Prärie. Es duckte ſich beim Erſcheinen der Reiter auf den Boden nieder. Die Mutter dieſes Tierchens, die nicht in der Nähe, ſondern wahrſcheinlich gerade nach Aſung ausgegangen war, hatte an dem beſtimmten Platze das Junge zurückgelaſſen, wie dies unſere Hirſcharten ebenfalls zu tun pflegen. Wie alle Wiederkäuer wachſen auch die jungen Gabelböcke verhältnismäßig ſehr raſch heran. Schon gegen Ende Juli brechen beim Bock wie beim Tiere die Hörner durch, und zwar zunächſt kurze, ſtumpf kegelförmige Spitzen, die im Dezember 2— 5 em Länge erreicht haben, von nun an aber nicht weiterwachſen, vielmehr abgeworfen und durch neue erſetzt werden. Dieſer Hergang weicht jedoch ſo vollſtändig von dem Geweihwechſel der Hirſche ab und iſt an und für ſich ſo merkwürdig, daß ich ausführlich auf ihn eingehen muß. Das Horn der Gabelböcke ſteht gewiſſermaßen zwiſchen dem der anderen Hohlhörner und dem Geweih der Hirſche. Wie das letzere wird es jährlich nach der Brunft abgeworfen. Der erſte, der uns dieſe, damals unglaublich erſcheinende Tatſache mitteilte, war Bartlett 1865, da Canfields weiter zurückliegende Beobachtungen erſt ſpäter veröffentlicht wurden. Es bildet ſich jährlich nach der Brunft unter der alten eine neue Hornſcheide, welche die alte abwirft. Die neue Hornſcheide entwickelt ſich jedesmal aus Haaren, die den ganzen Stirnzapfen bedecken, und die durch Ausbildung von Hornmaſſe zwiſchen den Haaren eben zu der Hornſcheide verſchmolzen werden. Es liegt hier ein primitiverer Bildungsvorgang der Hornſcheide vor als bei den übrigen Hohlhörnern, der noch deutlich den Zuſammenhang zwiſchen Haaren und Hornſcheide erkennen läßt. Dieſer macht auch den bei den weiter fortgeſchrittenen übrigen Horntieren verlorengegangenen jährlichen Wechſel verſtändlich. Zudem wird ja auch bei den Rindern das Jugendhorn gewechſelt. Die erſten Hörner ſehen bei dem Gabelbock etwas anders aus als die folgenden. Mützel machte darüber wie über den Hornwechſel folgende Beobachtungen. Der junge Gabelbock trug bei ſeiner Ankunft im Berliner Garten Spießchen von nur etwa 3 em Länge und gedrungen kegelförmiger Geſtalt, die ihre Spitzen nach innen kehrten und das verlängerte Haar des Oberkopfes anfangs wenig überragten, zuletzt aber wohl 9 em an Länge erreicht hatten. Eines Morgens fand der Wärter ein abgeworfenes Horn. Dieſes hatte eine der äußeren Kegelgeſtalt entſprechende, trichterförmige Höhlung, war nur an der Spitze maſſiv, an den Rändern des Trichters dagegen ſehr dünn, dort außen glatt, gegen die Wurzel zu rindenartig gefurcht und ab und zu bekleidet mit einzeln ſtehenden Haaren, die in der Hornmaſſe feſtſaßen. Der Knochenkern, der das abgeworfene Horn getragen hatte, war mit einer ſchwärzlichen, dünnen, weichen, kautſchukartigen Haut bedeckt, die ſich den Formen des Knochens mit allen ſeinen Furchen genau anſchloß. Letztere, in deren Tiefen an einzelnen Stellen Spuren einer geringen Blutung erkennbar waren, liefen in engen Schrauben— linien der Spitze zu. Dieſe dünne Haut bildete die Unterlage zu der Spitze des werdenden 11* 164 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Hornes, das ſich vom Beginne an lebhaft, der ganzen Länge des mitwachſenden knöchernen Stirnzapfens nach und von jedem Punkte der Oberfläche des letzteren aus, entwickelt und über- raſchend ſchnell an Größe zunimmt. Schon im Auguſt war es bis auf 17 em Länge gediehen, und Sein größter Durchmeſſer betrug bereits 4—5 em. Tiefe Furchen zeichneten und perlen— artige Hornwucherungen ſchmückten es hier; außerdem war es mit vielen aus der Hornmaſſe hervorragenden Haaren beſetzt. Die lappenartigen Gabelſproſſen begannen im Auguſt hervor— zutreten, erhielten jedoch zunächſt nur das Anſehen einer großen, ſcheibenförmigen Geweihperle. Schon am 19. Oktober warf derſelbe Gabelbock zum zweitenmal ab, und zwar zunächſt das zuletzt gewechſelte, ſchief nach außen gewachſene andere Horn, das eine Länge von 13 em er— halten hatte. Nur ein kleiner Teil der Spitze des Abwurfs war maſſiv, und die Stärke der Hornwand nahm gleichmäßig gegen den Wurzelrand ab, ſo daß man eine bis gegen die Spitze verlaufende Höhlung bemerken konnte. Der Außenrand war ſpärlich, der Innenrand dicht mit weißen Haaren beſtanden, der ſehr kurze, d. h. höchſtens 3 em lange, Stirnzapfen dick über- deckt mit jungem Horngebilde, das eine ſcharfe Endſpitze bildete, ſehr gefäßreich, aber emp— findungslos zu ſein ſchien und ohne Anwendung erheblicher Kraft noch gebogen werden konnte. 14 Tage ſpäter fiel auch das zweite Horn ab. Die dritten Hörner ändern, nach Canfields Beobachtungen, ihre Form inſofern, als ſie nicht mehr einen runden, ſondern einen eiförmigen Querſchnitt zeigen und die Gabelplatte anſetzen. Dieſe entſteht vorn auf dem Knochenzapfen aus einer ſelbſtändigen Anlage und ver— einigt ſich erſt im Laufe der Entwickelung mit der übrigen Hornſcheide, deren Bildung von der Spitze des Hornes ausgeht. Ein Knochenzapfen liegt dem Gabelzacken nicht zugrunde. Von nun an behält das Horn nach jedesmaligem Wechſel die zuletzt erreichte Form bei. Ge— legentlich kommen Hörner vor, die noch einen zweiten vorderen oder hinteren Zacken tragen. Alt eingefangene Gabelböcke ſcheinen ſich nicht an den Verluſt ihrer Freiheit zu gewöhnen. Jung gefangene können ſehr zahm werden: der, an dem Canfield ſeine Beobachtungen machte, durfte frei herumlaufen, begleitete ſeinen Beſitzer auf die Jagd, geſellte ſich ſogar manchmal zu ſeinen wilden Verwandten, kehrte aber immer wieder nach Hauſe zurück. Gejagt dürfte heutigestags der Gabelbock kaum werden. Früher ſtellten ihm die In— dianer eifrig nach, die ſein Fell zur Herſtellung von Kleidern brauchten. Sie machten ſich dabei die Neugier des Tieres zunutze, indem ſie ſich unter allerlei Verkleidungen und ſonder— baren Bewegungen dem ſonſt ſchwer anzuſchleichenden Wilde näherten. Die Weißen ſchoſſen den Gabelbock gewöhnlich auf dem Pirſchgang. * Wir kommen jetzt zu den Vertretern von Winges Pragelaphus-Gruppe und damit zur Unterfamilie der Waldböcke (Tragelaphinae). Dieſe iſt im Gegenſatz zu den meiſten übrigen Antilopen in ihrem Vorkommen an den Wald gebunden, hauſt ſogar oft im dichteſten Urwald und Dſchangel; ſelbſt in Sümpfen iſt eine Gattung heimiſch. Die Waldböcke bewohnen die bewaldeten Teile Afrikas ſüdlich der Sahara und Indien. Es ſind mittlere bis große Tiere, deren Körper meiſtens ſehr charakteriſtiſch mit weißen Querſtreifen gezeichnet iſt. Oft finden ſich ferner ein Paar weißer Flecke an den Wangen, ein weißes Vförmiges Querband über der Naſe vor den vorderen Augenwinkeln, zwei weiße Querbänder über der Bruſt und ein paar weiße Flecke an den Seiten der Feſſeln. Der Bauch iſt nie weiß, oft ſogar dunkler als die Körperfärbung. Im allgemeinen läßt ſich von der Färbung noch ſagen, daß ſie bei den Weib— chen und Jungen mehr oder weniger braun bis rotbraun iſt, bei den alten Männchen oft aber Gabelbock. Schirrantilope. 165 bis tief Schwarzbraun dunkelt. Dieſes Farbenverhältnis der Geſchlechter und Altersſtufen, das wir auch bei anderen großen Antilopen und bei manchen Rindern finden, hat vielleicht die tiefere Bedeutung, daß die urſprüngliche Farbe der Boviden rotbraun iſt und in einzelnen Unterfamilien die ſtammesgeſchichtliche Entwickelungsneigung hat, ſchwarz zu werden. Die meiſt nur beim männlichen Geſchlecht vorkommenden Hörner haben an der Vorderſeite einen Kiel. Die Muffel iſt groß und nackt. Das Weibchen hat vier Zitzen. Von den Gattungen ſind die afrikaniſchen ebenmäßig gebaut und haben gedrehte Hörner, die einzige indiſche, der Nilgau, hat verlängerte Vorderbeine und daher einen nach hinten abfallenden Rücken, auch nicht gedrehte Hörner. Die Mitglieder dieſer Unterfamilie lieben die Einſamkeit und geſellen ſich nicht den buntgemiſchten rieſigen Anſammlungen der Steppentiere Afrikas bei. Die typiſche Gattung iſt die der Buſchböcke (Tragelaphus Blainv.). Es find etwa rehgroße Tiere. Der Kopf iſt ſchlank, nach vorn zu gleichmäßig verſchmälert, die Schnauze fein und zierlich, die nackte Muffel birnförmig, oben gerundet, nach den Naſenlöchern zu ausgebaucht, an der Lippe ſpitzig zulaufend, das Auge groß, ſein Stern quergeſtellt, das Ohr groß, breit und an der Spitze gerundet, außen mit ſehr kurzen, am unteren Ohrrande innen mit breiten, wimperartigen Haaren beſetzt, der Hals ſchlank, der Leib hoch, ſeitlich zuſammengedrückt, auf dem Rückenfirſte gewölbt, von vorn nach hinten verſtärkt, der Oberarm wie der Schenkel breit und kräftig, der Lauf nach unten ſtark verſchmächtigt, der Huf un— gemein zierlich, der Wedel ſehr breit und ziemlich lang. Geſichtsdrüſen ſind nicht vorhanden. Das kurze oder mittellange Gehörn, das nur der Bock trägt, hat länglich-eiförmigen Quer— ſchnitt mit einem vorn und einem hinten beginnenden Kiel, die ſich mit dem Horne ſelbſt bis zur Spitze ſchwach ſchraubig drehen, iſt über den Augen eingeſetzt, der Geſichtslinie faſt gleich gerichtet, bald ein wenig nach vorn, bald etwas nach hinten geneigt, ſeitlich ausgebogen, gegen die Spitze hin gleichlaufend. Ein dichtes, längs des ganzen Rückens zu einem Kamme ver— längertes, bunt gezeichnetes Haarkleid trägt fernerhin zur Kennzeichnung der Gattung bei. Sie bewohnt Afrika ſüdlich der Sahara. Wohl der bekannteſte Buſchbock iſt die Schirrantilope, Tragelaphus seriptus Pall. Taf. „Paarhufer X“, 3, bei S. 158). Die Geſamtlänge des erwachſenen Bockes beträgt 1,6 m, wovon etwa 15 em auf den Schwanz kommen, die Schulterhöhe etwa 85, die Kreuz— höhe 90, die Höhe der Hörner 20—30 em. Das dichte und lange Haarkleid entwickelt ſich längs des ganzen Rückens zu einer kammartigen Mähne und verlängert ſich ebenſo an dem hinteren Teile der Schenkel wie an dem Wedel, von dem es fächerförmig nach allen Seiten hin ausſtrahlt. Seine Färbung iſt ſehr bunt. Da die am Kopfe und Halſe vorherrſchend roſtrot, an der Wurzel grau gefärbten Haare ſchwärzliche und gräuliche Spitzen haben, er— ſcheinen dieſe Teile anders als der übrige Leib, der Kopf fahlgrau, Hals, Vorderleib und Rücken dunkel rehgrau, wogegen die Leibesſeiten und Hinterſchenkel rein roſtrote Färbung zeigen. Schwarzbraun ſind Naſenrücken, Bruſt, Bauch, Vorderarm und die Feſſelgegend, braunſchwarz die Kammhaare des Vorderrückens, braunſchwarz mit weißen Spitzen die des Hinterrückens, weiß ein Fleck unter dem Auge, ein anderer dicht daneben am Unterkiefer, ein dritter hinten am Grunde des Ohres, Oberlippe und Kinn, ein quergeſtellter Kehlfleck und ein breites, halbmondförmiges Band zwiſchen Hals und Bruſt, Achſel- und Weichengegend, Vorder- und Hinterläufe vorn und innen vom Hand- oder Fuß- bis zum Feſſelgelenke, ein Fleck auf den Feſſeln ſelbſt, die nicht allein je nach den Stücken, ſondern auch auf jeder Seite DEE KH? 166 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntkere— eines Tieres etwas verſchiedene Geſchirrzeichnung, beſtehend aus zwei an den Körperſeiten ver— laufenden Längsſtreifen, von denen der obere etwa in der Mitte der Körperſeite, der untere etwa in der Höhe des unteren Endes des Schulterblattes verläuft, mehreren ſchmalen, ſenkrecht und in ziemlich gleichweiten Abſtänden ſich herabziehenden, manchmal auch ſich kreuzenden Quer— ſtreifen, die von jenem aufgenommen werden oder in ihm endigen, und runden oder eiförmigen Flecken, die auf dem Oberarme einzeln und ſpärlich, auf dem Oberſchenkel teils gehäuft, teils in einer gebogenen Linie ſtehen, weiß auch die Seitenhaare des im übrigen roſtbraunen Schwanzes. Den Jungen und Weibchen fehlen die dunklen Farbtöne. Der Verbreitungskreis der Schirrantilope umfaßt die Waldgebiete Weſtafrikas vom Senegal bis Angola. — Eine Anzahl weniger reich gezeichneter Verwandter bewohnt Süd- und Oſtafrika. Der Abeſſiniſche Buſchbock, T. decula Rüpp., hat nur den oberen Seitenſtreifen, der untere iſt höchſtens durch weiße Punkte angedeutet. Vom Limpopo bis zum Somaliland iſt T. roualeyni Cum- ming (Taf. „Paarhufer X“, 2, bei S. 158), beheimatet, der gewöhnlich keine Seitenſtreifen hat; einige wenige Querſtreifen ſind bei den Jungen, gelegentlich auch bei den Alten vorhanden. Es zeigt ſich hier ſchon eine Neigung zur Unterdrückung der Zeichnung. Faſt ganz ver— ſchwunden iſt die Schirrzeichnung bei dem ſüdlich an den vorigen ſich anſchließenden Süd— afrikaniſchen Buſchbock, P. silvatieus Sparrn., der nur noch einige weiße Tüpfel auf den Schenkeln und Schultern hat; über den Rücken zieht ſich bei ihm ein deutlicher weißer Streifen. Der Bongo, Boocercus euryceros Ogelh,, erhielt ſeinen lateiniſchen Gattungsnamen (Boocereus T’hos.) wegen des rinderähnlichen Schwanzes. Er iſt beträchtlich größer als die vorerwähnten und erreicht die Stärke des Rothirſches, iſt überhaupt eine der ſchönſten und ſtolzeſten aller Antilopen. In der Zeichnung unterſcheidet ſich der Bongo von der Schirranti— lope namentlich durch das Fehlen der Seitenſtreifen und den Beſitz weit zahlreicherer, 14—15, Querſtreifen. Beide Geſchlechter tragen ein ſtarkes, lyraförmig geſchwungenes und kantiges Gehörn, das durchſchnittlich 60 —65 em, in ſeltenen Fällen auch 70 und ſelbſt 80 em Höhe und eine bedeutende Dicke erreichen kann. Als Heimat des Tieres iſt der afrikaniſche Urwald von Liberia bis zum Kongo und bis Britiſch-Oſtafrika bekannt. Durch einfarbig rehbraune Beine, ohne weiße Flecke, und Mangel des oberen weißen Bruſtbandes zeichnet ſich die Nyala, Nyala angasi Angas (Gattung Nyala Heller), aus, eben- falls ein Tier von nahezu Hirſchgröße. Sie hat etwa 14 weiße Querſtreifen und einige Flecke an den Oberſchenkeln. Das Männchen trägt bis 70 em lange Hörner, iſt rauchgrau gefärbt und hat eine ſtarke Mähne längs der Bruſt, den Seiten des Bauches und den Hinterſeiten der Oberſchenkel und einen weißen Streifen längs des Rückens. Dem hornloſen, lebhaft kaſta⸗ nienbraun gefärbten Weibchen fehlt die Mähne, der Rückenſtreifen iſt ſchwarz, das Naſenband grau. Die Nyala bewohnt Südoſtafrika (Sululand bis zum ſüdlichen Nyaſſaland). Über das Freileben dieſer verſchiedenartigen Buſchböcke wiſſen wir, daß fie einzeln, höchſtens paarweiſe zum Teil in den parkähnlich mit Baum- und Strauchgruppen und Buſchwäldern durchſetzten und von Gewäſſern durchſchnittenen Savannen, zum Teil in feuchten Niederungen und ſogar ſumpfigen, mit dichten Rohr- und Schilfhorſten beſtandenen Gegenden leben. Von dem oſtafrikaniſchen ſchreibt R. Böhm: „Der Schirrantilope gebührt eigentlich der Name „Waſſerbock. Man findet fie faſt ſtets in der unmittelbaren Nähe vom Waſſer, ſehr häufig in ſeichteren Gewäſſern ſelbſt, auf Sandbänken im Strome liegend, an Flüſſen beſonders da, Bongo. Buſchböcke. Bongo. Nyala. 167 wo kleine Wieſenſtrecken mit ausgedehnten Schilfbeſtänden abwechſeln. Durch das dichteſte Ufer: und Schilfgebüſch treten fie tunnelartige Wechſel, in deren Schatten fie während des Tages oft bis an den Leib im Waſſer ſtehen. Ihr Gang iſt ſehr ſonderbar, indem ſie bei jedem Schritte mit Kopf und Hals nicken; flüchtend machen ſie ſich ganz niedrig und ſchlüpfen gleichſam kriechend durch die Büſche. Die eigentliche Flucht iſt rehartig, mit hohen und weiten Sätzen, nur ſchwerer, der Wedel wird dabei ſenkrecht in die Höhe gehalten. Der Schreckton \ Nyala, Nyala angasi Angas. Yıs natürlicher Größe. der Böcke, den man öfter des Nachts an den Flüſſen hört, ift ſehr laut und tief bellend, dem eines außergewöhnlich ſtarken Rehbockes ähnlich. Angeſchoſſene klagen durchdringend blökend. Sinnesſchärfe und Vorſicht ſind nicht bedeutend.“ Die weſtafrikaniſche Schirrantilope zeigt, nach Pechuel-Loeſche, nicht die von Böhm im Oſten beobachtete Neigung für das Waſſer; ſie ſteckt vielmehr während der heißen Tageszeit einzeln oder paarweiſe in Buſchwäldchen, ſelbſt zwiſchen Geſtrüpp oder Grasbüſcheln des ganz trockenen Geländes. Ein brunftiges Pärchen, deſſen Treiben an das unſerer Rehe erinnerte, wurde im Juli an der Loangobai beobachtet; der Brunftruf des Bockes glich genau dem unſerer Damhirſche. Ein ähnliches Verhalten zeigt der Mvuli, wie man den Bongo an der Loangoküſte nennt, liebt aber mehr in Niederungen gelegene feuchtere Buſchwälder und ſelbſt ſumpfige Strecken. Wie die Schirrantilope wittert 168 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. und äugt er ſehr ſcharf, zeigt ſich aber ebenſo vertraut wie dieſe, bummelt allenthalben umher und ruht während der heißeſten Tageszeit ſelbſt in unmittelbarer Nähe von Ortſchaften. Daher begegnet man ihm und der kleineren Verwandten, der Schirrantilope, oftmals an Stellen, wo man ſie am wenigſten vermutete, und erlegt auch die meiſten zufällig, ohne ihnen regelrecht nachgeſtellt zu haben. So vertraut auch ſonſt der ſtattliche Mvuli ſein mag, jo zeigt er doch, einmal beunruhigt, dem Verfolger deutlich genug, daß er unſerem Rotwilde weder an Sinnes— ſchärfe noch an Flüchtigkeit und federnder Sprungfähigkeit nachſteht: Bäche, Waſſerriſſe und verfilztes Buſchwerk überfällt er in mächtigen Fluchten, die kein Kudu oder Paſſan ihm nachtun könnte. Die Bongos ſcheinen um die Mitte des Tages zu ruhen und in den Morgen- und Abendſtunden zu äſen. Sie bilden in Britiſch-Oſtafrika, nach Lönnberg, Rudel bis zu 20 und 30 Stück und führen regelmäßige Wanderungen aus, indem ſie während der Regenzeit berg— aufwärts, während der Trockenzeit abwärts wandern. Die Stimme des ſüdafrikaniſchen Buſchbockes erinnert, nach Harris, in ſo hohem Grade an das Bellen eines Hündchens, daß man ſich leicht täuſchen kann. Hunden und Raubtieren gegenüber verteidigt ſich der Buſchbock tapfer, ſtellt ſich ſelſt dem Menſchen mutig zur Wehr. Wenige Antilopen gleicher Größe halten ſich leichter in Gefangenſchaft als Schirranti— lopen. Ihre Aſung im Freien beſteht zwar vorzugsweiſe in zarten Blättern, Knoſpen und Trieben, die fie mit ihrer ungemein langen und höchſt beweglichen Zunge abbeißen; ſie ge— wöhnen ſich jedoch ſehr raſch an das Futter unſerer Haustiere, zeigen ſich überhaupt anſpruchslos und pflanzen ſich auch ziemlich häufig im Käfige fort. Bei Roualeyns Buſchbock ſtellte Heinroth eine Trächtigkeitsdauer von 7 Monaten feſt. In ihrem Betragen unterſcheiden ſich die Buſchböcke wenig von anderen Antilopen. In der Jugend zahm, werden ſie im Alter leicht bösartig und gehen ſelbſt auf den vertrauten Pfleger los. Im buchſtäblichen Sinne des Wortes ſich in den Nacken werfend, nehmen ſie eine ganz ſonderbare Stellung an, wölben ihren Rücken zu einem Katzenbuckel, ſträuben den Haarkamm, ſpreizen das Haar des erhobenen Wedels und biegen ſich dann plötzlich nach vorn und unten, um zu ſtoßen. Als nahe Verwandte der Buſchböcke haben wir die Sumpfböcke (Limnotragus Zhos. Scl.) anzuſehen. Aber ihr eigentümlicher Fußbau unterſcheidet fie: die Hufe find außerordent— lich verlängert, oft dreimal ſo lang als breit. Die Zehenglieder ſind ſehr beweglich. Die mitt— leren Zehen ſpreizen weit auseinander, ihr unterer Teil liegt beim Gehen dem Boden auf; er iſt haarlos und mit hornartiger Haut bedeckt. Die Nebenhufe berühren den Boden. Dieſe eigentümliche Fußbildung ſtellt natürlich eine Anpaſſung an den weichen Sumpfboden dar, auf dem die Tiere leben, und ermöglicht ihnen, darüber hinzuſchreiten, ohne einzuſinken. In der Hörnerform führen die Sumpfböcke zur nächſten Gattung inſofern über, als ſie die Neigung zeigen, eine dritte Windung zu bilden. Ihrem Ausſehen nach halten ſie etwa die Mitte zwiſchen den vorhergehenden Gattungen und der folgenden; ſie ſtehen den Buſchböcken am nächſten, ſind aber ſtärker, über damhirſchgroß. Die Gliedmaßen ſind länger als bei dieſen, das Fell iſt langhaariger und rauher. Die Sumpfantilopen bewohnen das Kongobecken und die Seen— gegend Süd- und Oſtafrikas. Von den drei Arten, die Thomas und Sclater aufführen, ſind zwei ganz oder wenigſtens annähernd einfarbig am Körper; doch zeigen die Jungen ſtets eine mehr oder weniger deutliche Zeichnung, die aus weißen Streifen und Flecken beſteht. In unſeren Tiergärten bekommt man am häufigſten die dritte Art, die Weſtafrikaniſche Sumpfantilope, Limnotragus gra- tus Scl. (Taf. „Paarhufer X“ 5, bei S. 158), zu ſehen. Das Männchen iſt tief dunkelbraun Sumpfböde Großer Kudu. 169 gefärbt mit der charakteriſtiſchen weißen Zeichnung der Waldböcke an Kopf und Bruſt. Weiß ſind auch die Einfaſſung der Muffel, Unterlippe und Kinn, eine Linie längs des Rückens, einzelne Flecke und Streifen an den Körperſeiten und Oberſchenkeln, an den Vorderbeinen die innere Seite oben, an den Hinterbeinen die Knie und die Innenſeite der Füße, ferner die Vorderſeite der hinteren und vorderen Feſſeln. Die Weibchen ſind viel kleiner als die Männchen, lebhaft kaſtanienbraunrot gefärbt mit ſtärker ausgeprägter weißer Zeichnung am Körper und ſchwarzem Rückenſtreif. Die gleiche Farbe zeigen die Jungen; doch früh ſchon beginnt das Fell der Böckchen dunkel zu werden. L. gratus lebt in Weſtafrika von Kamerun bis zum Kongo. Alle Sumpfantilopen ſind in ihrer Lebensweiſe auf die Gebiete der Seen und Sümpfe des afrikaniſchen Urwaldes angewieſen. Hier ſtehen ſie oft knietief im Waſſer, in das ſie ſich bei Gefahr zurückziehen und wo ſie, bis zum Halſe eingetaucht, ihr zu entgehen ſuchen. Sie halten ſich gut in Gefangenſchaft und haben ſich auch bei uns in zoologiſchen Gärten wieder— holt fortgepflanzt. Nach Beobachtungen im Amſterdamer Zoologiſchen Garten ſchwankte die Trächtigkeitsdauer zwischen 240 und 257 Tagen. Heinroth beobachtete im Berliner Zoologiſchen Garten 225 Tage. Es wurde dort jedesmal nur ein Junges geworfen. Im Hamburger Zoologiſchen Garten wurden ſogar zweimal Miſchlinge zwiſchen der genannten Art und der ſüdoſtafrikaniſchen Sitatunga, Limnotragus selousi Rothsch. (Taf. „Paarhufer X“, 4, bei S. 158), erzielt. Die Trächtigkeitsdauer hatte beidemal über 7 Monate gedauert, und die Geburt fiel in den Februar. Die Tiere ſcheinen mehr Zweig- als Grasfreſſer zu ſein. Wenigſtens fand Rooſevelt in dem Panſen der Oſtafrikaniſchen Sumpfantilope, L. spekei Sel., nur Blätter und Zweige eines in den Sümpfen wachſenden Strauches. Kudus oder Schraubenantilopen (Strepsiceros H. Sm.) nennt man einige große Antilopen mit ſchraubenförmig gewundenen, zuſammengedrückten Hörnern, die nur vom Bock getragen werden, bloß vorn ſtark gekielt find und 2 — 3 Windungen bilden; das Fell hat Streifenzeichnung. Als Vertreter dieſer Gruppe gilt der ſtattliche Große Kudu, Strepsiceros strepsiceros Hall. (capensis, kudu), eine Antilope, die unſeren Edelhirſch an Größe übertrifft. Alte Böcke meſſen von der Naſe bis zur Spitze des etwa 60 em langen Schwanzes 3 m, bei 1,7 m Höhe am Widerriſt, und erlangen ein Gewicht von 300 kg und darüber. Das Weibchen iſt be— deutend kleiner; doch maß ein von mir unterſuchtes Alttier immer noch 2,5 m in der Länge bei 1,5 m Höhe am Widerriſt. Hinſichtlich des Leibesbaues erinnert der Kudu in vieler Hinſicht an den Hirſch. Der Leib iſt unterſetzt, der Hals mittellang, der Kopf ziemlich kurz, an der Stirn breit, vorn zugeſpitzt, die Oberlippe behaart bis auf die Furche; die Augen ſind groß, die Ohren länger als der halbe Kopf. Die kurze, glatt anliegende, etwas rauhe Be— haarung verlängert ſich auf dem Firſte des Halſes und Rückens, beim Bocke auch vom Kinn bis unter die Bruſt herab zur Mähne. Ein ſchwer zu beſchreibendes rötliches Braungrau, das auf den hinteren Teilen des Bauches und den inneren Seiten der Läufe in Weißlichgrau übergeht, bildet die Grundfärbung; die Nackenmähne iſt dunkelbraun oder ſchwarz, bei ſehr alten Tieren aber wenigſtens längs des ganzen Vorderhalſes weißgrau, der Schwanz oben dunkelbraun, unten weiß und an der Quaſte ſchwarz. Rötliche Kreiſe umgeben die Augen. Von jener Grundfärbung heben ſich 4—9 weiße Streifen ſcharf ab; fie verlaufen in gleichen Abſtänden längs der Seite von dem Rücken nach unten. Zwiſchen beiden Augen liegt ein nach der Schnauzenſpitze zugekehrter, ähnlich gefärbter Halbmond. Bei dem Weibchen ſind alle 170 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Streifen ſchwächer und bläſſer, die Grundfärbung hat einen rötlichen Hauch; junge Tiere ſollen eine größere Anzahl Streifen zeigen als alte. Das Gehörn bildet einen herrlichen Schmuck des Bockes und gehört zu den ſtattlichſten, die irgendeine Antilope trägt. Es erreicht, in ge— rader Linie gemeſſen, 90-115, den Windungen entlang bis 150 em Länge und einen Spitzen— abſtand von 70 — 90 cm. Man begreift kaum, wie das Tier imſtande iſt, die Laſt dieſes Gehörnes ſo leicht und ſtolz zu tragen. Von der Wurzel aus richtet ſich das Gehörn ſchief nach hinten und mehr oder minder weit nach auswärts. Die Schraubenwindungen der Stan— gen, bei vollſtändig entwickelten Gehörnen drei, finden ſich immer an derſelben Stelle, die erſte etwa im erſten, die zweite ungefähr im zweiten Drittel der Länge. An der Wurzel der im unteren Drittel ſchwach und unregelmäßig geringelten Stangen, und zwar an der Vorderſeite, beginnt ein ſcharfkantiger Kiel, der in ſeinem Verlaufe dem Schraubengange folgt und erſt gegen die vollkommen runde und glatte Spitze hin ſich verliert. Der Kudu iſt weit über Afrika verbreitet, da er in verſchiedenen Unterarten vom Kap— lande an durch die Oſthälfte des Weltteiles bis in die Nilländer vorkommt. Dem Waldgebiet fehlt er gänzlich. Im Kaplande hat er ſich, wie der Buntbock, wohl nur noch auf den Län— dereien von Großgrundbeſitzern erhalten, die ihn vor Ausrottung bewahren. Weiter nord— wärts findet er ſich in namhafter Anzahl, ſcheint jedoch bergige Gegenden zu bevorzugen und iſt daher ſtellenweiſe, z. B. im Maſſaigebiet, ſelten. Auch in Südafrika bewohnt er vielleicht vorzugsweiſe felſige und bergige Gegenden, tritt aber auch im flachen Gelände auf; er liebt die Strauch- und Baumſteppen und iſt auch in den dſchangelähnlich verdichteten Dornbuſchbeſtän— den heimiſch, kann jedoch nicht als ein Bewohner des Waldes in unſerem Sinne betrachtet werden. Wir fanden ihn in den Bogosländern erſt in einer Höhe von 600 m über dem Meere und bis zu 2000 m hinauf, immer an den Bergwänden, wo er zwiſchen den grünen Mimoſen majeſtätiſch dahin ſchritt. Die ſtarken Böcke leben einzeln; die Tiere dagegen vereinigen ſich gern in ſchwache Trupps von 4—6 Stück. Südafrikaniſche Jäger wollen beobachtet haben, daß jüngere Böcke, die durch die alten von dem Trupp abgeſchlagen wurden, ſich zuſammen— rudeln und miteinander ein mürriſches Junggeſellenleben führen. Der Kudu ähnelt in ſeiner Lebensweiſe und ſeinem Weſen unſerem Hochwilde. Er durch— ſtreift ein ziemlich großes Gebiet und wechſelt regelmäßig hin und her. Haltung und Gang erinnern an den Hirſch. Jene iſt ebenſo ſtolz, dieſer ebenſo zierlich und dabei doch gemeſſen wie bei dem Edelwilde unſerer Wälder. Solange der Kudu ungeſtört iſt, ſchreitet er ziemlich langſam an den Bergwänden dahin, dem dornigen Geſtrüppe vorſichtig ausweichend und an günſtigen Stellen äſend. Knoſpen und Blätter verſchiedener Sträuche bilden einen guten Teil ſeiner Aſung, doch verſchmäht er auch Gräſer nicht. Aufgeſcheucht trollt er ziemlich ſchwerfällig dahin, und nur auf ebenen Stellen wird er flüchtig. Aber auch dann noch iſt ſein Lauf ver— hältnismäßig langſam. In den Buſchbeſtänden muß er, um nicht aufgehalten zu werden, ſein Gehörn ſo weit nach hinten legen, daß deſſen Spitzen faſt ſeinen Rücken berühren. Ehe er flüchtig wird, ſtößt er ein weithin hörbares Schnauben und zuweilen ein dumpfes Blöken aus. Doch rührt letzteres bloß vom Tiere her; der Bock ſchreit nur zur Paarungszeit, dann aber in derſelben ausdrucksvollen Weiſe wie unſer Edelhirſch. In Abeſſinien ſoll der Bock Ende Januar auf die Brunft treten. Von der Höhe herab vernimmt man um dieſe Zeit gegen Abend ſein Georgel, mit dem er andere Nebenbuhler zum Kampfe einladet. Daß heftige Sträuße zwiſchen den Böcken ausgefochten werden, unterliegt wohl kaum einem Zweifel; denn der Kudu zeigt ſich auch ſonſt als ein mutiges und wehrhaftes Tier. Der Satz fällt mit dem Anfang der großen Regenzeit zuſammen, gewöhnlich Ende Auguft: das Tier würde alſo 7—8 Elen- und Rieſen-Elenantilope. 173 Am häufigſten bemerkt man das Tier in Trupps von 8—10 Stück, von denen eines, höch— ſtens zwei männlichen Geſchlechts ſind. Doch bilden auch die jungen Männchen Rudel für ſich allein, da ſie von den ſtärkeren unter heftigen Kämpfen von der Herde abgetrieben werden. Zu gewiſſen Zeiten des Jahres aber rudeln ſich ſolche Trupps zuweilen zu Herden von bedeu— tender Anzahl: Harris ſpricht 1840 von einer, die gegen 300 Stück zählen mochte, und Selous ſah im Jahre 1879 im Tſchobegebiete Herden, die über 100 Stück ſtark waren. Eine der— artige Herde ähnelt, von fern geſehen, zum Verwechſeln einer Rinderſchar. Einige der Tiere gehen, langſam graſend, auf und nieder, andere ſonnen ſich, andere ruhen wiederkäuend im dürftigen Schatten der Mimoſen; kurz, der Trupp gleicht friedlich weidenden Kühen auf das täuſchendſte. Beim Verändern des Weidegebietes trollen die Elenantilopen unter Leitung eines alten Bullen in geſchloſſenen Maſſen ihres Weges fort, einem Reiterregiment vergleichbar, das unter ſicherer Führung langſam ſeines Weges zieht. Verfolgt fallen die Tiere in einen zwar nicht raſchen, aber doch ungemein fördernden Trab, hart bedrängt in einen ſtetigen und langen Galopp. Junge Bullen und Kühe laufen weit ſchneller und ausdauernder als die alten und ſchlagen häufig das beſte Pferd, wogegen alte feiſte Böcke in der Regel nur kurze Zeit aus— dauern und jedem gut berittenen und geübten Reiter ſicher zur Beute werden. Die Hung der Elenantilope beſteht, nach Lichtenſtein, in denſelben Kräutern, die in den bewohnteren Gegenden das treffliche Futter für die Schafe und Rinder abgeben; Schillings ſah ſie auf grasbedeckten Abhängen weiden, betont aber, daß ſie ſich auch von Stauden und Baumſchößlingen nährt, und Rooſevelt jagt von der Rieſen-Elenantilope (P. d. gigas) aus- drücklich, daß die Tiere nicht graſten, ſondern Blätter und Samenkapſeln beſtimmter Bäume äſten. Sie brachen dabei Zweige bis zu 3 Zoll Durchmeſſer mit ihrem Gehörne ab, die ſich 7—8 Fuß über dem Boden befanden. „Das Knacken der Zweige war ein Laut, dem wir be— ſtändig lauſchten, wenn wir der Fährte eines Rudels folgten.“ Wie manche Rinder- und viele Antilopenarten verbreiten die alten Bullen einen ſo ſtarken Moſchusgeruch, daß man durch dieſen nicht allein das Tier auf weithin wahrzunehmen, ſondern auch die Plätze, wo es der Ruhe pflegte, noch geraume Zeit, nachdem es ſie verlaſſen, deutlich zu erkennen vermag. Bei Annäherung von Gefahr ſammeln ſich, nach Schillings, die zerſtreut äſenden Elen— antilopen, flüchten zuerſt im Trabe, dann in einem fördernden Galopp. Bevor ſie in dieſen verfallen, führen ſie erſt einige, ſie hoch in die Luft erhebende Fluchten aus, die man ſo ſchwerfälligen Tieren gar nicht zutraut. Eine beſtimmte Paarungszeit ſcheint nicht einzutreten; Harris verſichert wenigſtens, daß man zu allen Jahreszeiten trächtige Kühe und neugeborene Kälber finde. Die Dauer der Trächtigkeit beträgt, wie man an Gefangenen beobachtet hat, 8 ¼ bis über 9 Monate. Jung eingefangene Elenantilopen laſſen ſich leicht zähmen und mit dem Vieh auf die Weide treiben und erweiſen ſich ſelbſt noch in höherem Alter als verhältnismäßig ſanftmütig und lenkſam. Bei Falz⸗Fein konnten die Wärter ruhig den Stall betreten, ſelbſt wenn Junge vorhanden waren. Seit ihrer erſtmaligen Einführung, 1783 nach Holland in die Menagerie des Prinzen von Oranien, haben Elenantilopen in unſeren Tiergärten nicht mehr gefehlt. Sie halten ſich hier vorzüglich und pflanzen ſich auch gut fort. In den großen Tierparken, wie z. B. der Herzog von Bedford und der ruſſiſche Großgrundbeſitzer Falz-Fein ſie unterhalten, tummeln ſich ganze Herden dieſer ſtattlichen Antilopen. Der Nutzen, den eine erfolgreiche Jagd auf Elenantilopen bringt, iſt ſehr bedeutend. Das Fleiſch wird, allerdings nicht unbeftritten, als vorzüglich gerühmt; das Fett wird zu guten Kerzen verwendet, die ungemein dicke, zähe Haut zu vortrefflichen Riemen verarbeitet. 174 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Unter den Raubtieren hat die Elenantilope höchſtens den Löwen zu fürchten. Schmarotzer verſchiedener Art quälen ſie ebenſo wie das Rindvieh. Dagegen hat ſie, nach Schillings, weniger unter der Rinderpeſt gelitten als die Büffel. Als indiſcher Vertreter der Waldböcke gilt der Nilgau oder Blaubull, Boselaphus tragocamelus Pall. (Portax pietus; Taf. „Paarhufer X“, 6, bei S. 159), die einzige Art der Gattung Boselaphus Blainv., eine der auffallendſten Antilopengeſtalten. Der Leib iſt ſchwach geſtreckt, ziemlich dick, am Widerriſt höher, an der Bruſt ſtärker und breiter als am Hinterteile, auf den Schultern mit einem ſchwachen Höcker, der Kopf ſchmal, ſchlank, mit lang geſchlitzten Naſenlöchern, behaarter Oberlippe, mittelgroßen, lebhaften Augen, kleinen, aber tiefen Voraugendrüſen, großen, langen Ohren und aufrecht ſtehenden, kegelförmigen, ſanft halbmondförmig gebogenen, an der Wurzel dicken, nach vorn ſchwach gekielten, 20 —25 em langen Hörnern, die nur dem Bocke zukommen. Die Läufe ſind hoch und verhältnismäßig ſtark; die Füße haben große, breite Hufe und abgeplattete und abgeſtumpfte Afterklauen. Der Wedel reicht bis zum Feſſelgelenk herab und iſt zu beiden Seiten und an ſeiner Spitze mit langen, oben aber mit kurzen Haaren bekleidet, ſo daß er einer gleichfahnigen Feder ähnelt. Eine kurze, glatt anliegende, etwas ſteife Behaarung bedeckt den Körper, verlängert ſich aber im Nacken zu einer aufrecht ſtehenden Mähne und am Vorderhalſe, unterhalb der Kehle, zu einem Büſchel, der lang und tief herabhängt. Ein dunkles Aſchgrau mit einem ſchwachen An— fluge ins Bläuliche oder Bräunliche iſt die allgemeine Färbung. Der Vorderteil des Bauches, die Vorderbeine, die Außenſeite der Hinterſchenkel ſind ſchwärzlichgrau, die Hinterbeine ſchwarz, der mittlere und hintere Teil des Bauches und die Innenſeite der Schenkel weiß. Zwei Quer⸗ binden von derſelben Färbung verlaufen über die Fußwurzel, die Feſſeln ringartig umgebend; ein großer, halbmondförmiger weißer Fleck ſteht an der Kehle. Scheitel, Stirn, Nackenmähne und Halsbüſchel ſind ſchwärzlich. Die Weibchen haben mehr hirſchartig graubraune Färbung und keinen Halsbüſchel. Erwachſene Böcke erreichen eine Geſamtlänge von 2,4—2,6 m, wo⸗ von 45—50 em auf den Schwanz kommen, und eine Schulterhöhe von 1,3—1,4m. Die Heimat des Tieres iſt Vorderindien, vom Fuße des Himalaja bis Maiſur; am häufigſten tritt es, laut Jerdon, wohl in Mittelindien auf, wird ſelten ſowohl im Norden des Ganges als auch im fernſten Süden und fehlt in Aſſam, in allen Ländern öſtlich von der Bai von Bengalen ſowie auf Ceylon. Nach Adams kommt es auch im Pandſchab recht ſelten vor. Der Nilgau liebt lichte Waldungen und lockeres Dſchangel; gelegentlich tritt er auch in offene, etwas bebuſchte Landſchaften, denen es nicht gänzlich am Waſſer mangelt, denn er trinkt, wie Sterndale verſichert, jeden Tag. Blanford widerſpricht dem, da er angibt, das Tier trinke nur in Zwiſchenräumen von 2—3 Tagen. Die Loſung ſoll meiſt an ein und derſelben Stelle abgeſetzt werden. Alte Böcke leben allein oder in Rudeln bis zu einem Dutzend. Weibchen und Junge finden ſich in Herden von 10—20 Stück, die oft von einem oder mehreren alten Bullen begleitet ſind. Sie äſen gewöhnlich während der Morgen- und Abendſtunden und ruhen während der heißeſten Tageszeit. Zur Paarungszeit beſtehen die Böcke heftige Kämpfe miteinander und ſollen auch ſonſt manchmal dem Verfolger mutig gegenübertreten. Die Bewegungen des Nilgaus haben viel Eigentümliches wegen der ſonderbaren Stellun— gen, die das Tier annimmt. Gewöhnlich iſt der Schritt allerdings ganz ſo wie bei anderen Antilopen auch; ſobald der Nilgau aber erregt wird, krümmt er den Rücken, zieht den Hals ein und ſchleicht dann langſam dahin, finſtere Blicke um ſich perfend und ſchielend. Der Wedel wird dabei zwiſchen den Schenkeln eingekniffen. Indeſſen teilt Haacke mit, daß er Nilgau. Rehbok. 175 dieſe Stellung nur an männlichen Nilgaus wahrgenommen habe und für eine Außerung des Paarungstriebes halte. In voller Flucht trägt ſich der Nilgau ſtolz, würdevoll und ge— währt namentlich dann, wenn er den Wedel ſenkrecht emporhebt, einen wundervollen Anblick. Das Tier geht acht Monate trächtig und ſetzt das erſtemal ein Kalb, dann aber meiſtens deren zwei. In Indien ſoll der Dezember die Satzzeit ſein und die Paarungszeit mit Ende März beginnen. In den Tiergärten Europas werden die Kälber gewöhnlich in den Sommer— monaten geboren; das erſte Junge eines von mir gepflegten Paares kam am 8. Auguſt zur Welt. In ihrer Färbung ähneln ſowohl Bock- wie Tierkälber der Mutter; denn erſt gegen das Ende des zweiten Lebensjahres färbt ſich der Bock. Das Kälbchen erlangt erſt einige Tage nach ſeiner Geburt die Behendigkeit, welche Junge ſeiner Familie ſonſt kennzeichnet, verläßt den Platz, auf dem es geſetzt wurde, nur ſelten, verbringt vielmehr die meiſte Zeit auf ſeinem Lager; die Mutter beleckt es, während es ſaugt, auf das zärtlichſte, pflegt dabei auch den Wedel einzuziehen. Die Jungen wachſen raſch heran, gefallen ſich anfänglich in Spielen, nehmen aber bald den Ernſt und das ruhige Weſen ihrer Eltern an. Die Jagd auf den Nilgau wird von europäiſchen Weidmännern nicht mit Leidenſchaft betrieben: man pirſcht ſich an und ſchießt den ſtattlichſten Bock oder hetzt ihn zu Pferde, denn es iſt nicht ſehr ſchwierig, ihn niederzureiten, wenn man ihn gleich anfangs in ſchärfſter Gang— art verfolgt und dadurch raſch außer Atem bringt. In dem Tiergarten des Königs von Italien brachte man im Jahre 1860 vier und im Jahre 1862 noch weitere zwölf Nilgaus ein, die ſich ſo raſch vermehrten, daß ſie mit ihren Nachkommen bereits nach drei Jahren eine Herde von 14 Böcken und 35 Tieren bildeten. Im Jahre 1866 begann man mit dem Verſuche, ſie im freien Walde auszuſetzen. Sie zerſtreuten ſich in den ihnen angewieſenen Jagdgehegen des Königs, überſtanden den Winter trotz der manchmal recht niedrigen Temperatur und ſuchten dann höchſtens unter freiſtehenden Heuſchuppen Schutz. Mehr als die Blätter der Eiche und der Haſelnußſtaude äſten dieſe freigelaſſenen Nilgaus die von Robinien; mit Vorliebe fraßen ſie auch Kohl und Salat. Das Fleiſch wird in Indien nicht beſonders geſchätzt, obwohl es zur guten Zeit und von manchen Stücken recht wohlſchmeckend und ſaftig ſein ſoll. * Die Unterfamilie der Riedböcke (Reduneinae) enthält mittelgroße bis ſehr große Anti— lopen mit nackter Muffel, mäßig langem Schwanz und wohlausgebildeten Nebenhufen. Vor— augendrüſen fehlen. Hörner finden ſich nur beim Männchen. Die hierher gehörigen Tiere bewohnen Afrika ſüdlich der Sahara. Die Gattung der Rehböcke (Pelea Gray) iſt auf Südafrika beſchränkt und gekennzeichnet durch ihr wolliges Haar. Sie enthält nur eine Art, den Rehbok der Buren, Pelea capreolus Behst. An dem etwa rehgroßen, zarten Tier fallen die ſehr langen, zugeſpitzten Ohren be— ſonders auf. Die Farbe iſt grau in verſchiedenen Abſtufungen, am Rücken dunkler als am Bauche, an Kopf und Beinen mit bräunlichem Schimmer. Am Kinn befindet ſich ein ſchwarzer Fleck. Der ziemlich lange, buſchige Schwanz iſt auf der Oberſeite wie der Rücken gefärbt, auf der Unterſeite wie an der Spitze weiß. Die faſt geraden, 15 — 20 em langen Hörner und das Fehlen des nackten Fleckes unter den Ohren unterſcheidet den Rehbock von den eigent— lichen Riedböcken, denen er ſonſt ſehr ähnelt. Er belebt in Trupps von 6—12 Stück vor⸗ wiegend die Höhen bergiger Landſchaften und ſteigt höchſtens bei Nacht in die Täler herab, 176 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. um zu trinken. Die Tiere ſind vorzügliche Springer, dabei äußerſt vorſichtig und ſtellen beim Weiden ſtets ein altes Männchen als Wachtpoſten aus. Auf deſſen Alarmruf, der mit einem ſcharfen Schnarchen verglichen wird, geht die Herde flüchtig. Sie nimmt dabei, geführt von einem alten Weibchen, meiſt beſtimmte Wechſel an. In den zoologiſchen Gärten ſind die zier— lichen Tiere, die die Gefangenſchaft ſchlecht zu ertragen ſcheinen, äußerſt ſeltene Gäſte. Hauptſächlich durch den Beſitz eines nackten oder kurzhaarigen Drüſenfleckes unterhalb der Ohren in der Schläfengegend, durch an der Spitze meiſt nach vorn gebogene Hörner und erheb— lichere Größe unterſcheiden ſich die eigentlichen Riedböcke (Redunca H. Sm., Cervicapra) von den Rehböcken. Sie haben einen kurzen, buſchigen Schwanz. Die Gattung bewohnt die offenen Gegenden Afrikas ſüdlich der Sahara. Die einzelnen Arten ſind einander ſehr ähnlich, nur zu erkennen durch Größe, geringe Unterſchiede in der Tönung der Farbe und durch die Krümmung der Hörner. Das Weibchen hat 2 oder 4 Zitzen. Unter den zu dieſer Gattung gehörenden Antilopen iſt der Große Riedbock, Redunca (Eleotragus) arundinum Bodd., die ſtattlichſte. Vorwiegend wegen des Beſitzes von nur einem Paar Weichendrüſen und wegen etwas größerer Muffel wird dieſe Art von den anderen Riedböcken als Untergattung Bleotragus Gray getrennt. Das ſchöne Tier hat ungefähr 1,4 bis 1,5 m Körper- und 30 em Schwanzlänge und wird am Widerriſt etwa 95 em hoch. Im allgemeinen ähnelt der Riedbock unſerem Reh, iſt jedoch etwas ſchlanker gebaut. Der Leib iſt ſchwach geſtreckt, am Hinterteil ein wenig ſtärker als vorn, der Hals lang und dünn, ſeitlich zuſammengedrückt und hirſchähnlich gebogen, der Kopf verhältnismäßig groß, nach vorn ver— ſchmälert, mit breiter Stirn, geradem Naſenrücken und ſtumpf zugeſpitzter Schnauze; die auf beiden Seiten dicht behaarten Ohren ſind groß, lang, ſchmal und zugeſpitzt, die Augen groß und lebhaft, die Hufe mittelgroß, etwas gewölbt, die Afterklauen abgeplattet und ſchräggeſtellt. Der halblange Schwanz iſt auffällig ſtark behaart. Die ziemlich kurze und dichte Behaarung verlängert ſich etwas am Unterleibe und den Hinterſeiten der Oberarme ſowie am Vorderhalſe bis zur Bruſt und bildet auf der Mitte des Rückens, am unteren Ende des Vorderhalſes und auf dem Scheitel Haarwirbel. Die Ober- und die Außenſeite des Leibes iſt gewöhnlich rotgrau— braun, Hals und Nacken ſind lebhafter rotbraun, die Unter- und die Innenſeite der Vorder— beine weiß. An der Außenſeite der Beine zieht die Färbung mehr ins Gelbliche. Die Augen werden von einem weißlichen Kreiſe umgeben. Auf der Vorderſeite der Vorderbeine verläuft ein deutlicher ſchwarzer Streifen. Auch auf den unteren Teilen der Vorderſeite der Hinter beine findet ſich gewöhnlich ein ſolcher. Der Schwanz iſt oben fahlbraun, unten weiß. Hufe und Afterklauen ſind ſchwarz. Zuweilen kommen Abweichungen vor, indem das Haar bald mehr ins Gelblichgraue, bald mehr ins Rötliche zieht. Das Weibchen unterſcheidet ſich durch geringere Größe vom Männchen ſowie durch das Fehlen des Gehörnes. Die einfach nach vorn gebogenen, auseinander ſtrebenden und bis nahe zur Spitze nicht ſtark geringelten Hörner des Bockes erreichen eine Länge von etwa 30 em, in ſeltenen Fällen auch bis 40 em. Der Ried— bock bewohnt Südafrika bis Angola im Weſten und verbreitet ſich im Oſten in einer nahe verwandten Form bis zum Bahr-el-Ghaſal nach Norden. Vertreter der Untergattung Redunea, mit zwei Paar Weichendrüſen und normaler Muffel, iſt der Riedbock oder die Iſabellantilope, R. redunca Pall. (Taf. „Paarhufer X“ 7, bei S. 159), der in zahlreichen Lokalformen das äthiopiſche Afrika nördlich des Sambeſi bewohnt und auch in Deutſch-Oſtafrika vorkommt. Er iſt kleiner als die vorige Art, ziemlich einfarbig * Riedbock. Moorantilope. Weißohr-Waſſerbock. 177 lebhaft rehbraun gefärbt ohne dunkle Zeichnung an den Gliedern und hat kürzere, verhältnis— mäßig kräftige, ſtark gekrümmte Hörner und ziemlich kurzen Schwanz. Die typiſche Form lebt in Senegambien. In Oſtafrika wird dieſer Riedbock etwas größer. Er tritt, nach Schweinfurths Beobachtungen, erſt jenſeits der großen Sümpfe des oberen Nilgebietes auf und belebt paar— weiſe die Buſchwaldungen in der Nähe von Gewäſſern oder Sümpfen ſowie auch Binſicht und Röhricht und das höhere Seggengras zeitweilig fließender Ströme. Berger beobachtete in Britiſch⸗Oſtafrika, daß Riedböcke familienweiſe leben, gewöhnlich ein Bock mit 2— 3 Tieren und Jungen, und ſich nie zu anderen Antilopen geſellen. Infolge ſeiner zurückgezogenen Lebensweiſe ſieht man den Riedbock viel ſeltener, als ſein häufiges Vorkommen erwarten läßt. Über die Lebensweiſe der Riedböcke in Südafrika berichtet Drayſon: „Gewöhnlich liegt der Riedbock verſteckt im Riedgraſe, bis man faſt an ihn herangekommen iſt, und wenn er aufgeſchreckt wird, flieht er nur auf kurze Strecken hin, bleibt dann ſtehen und ſchaut nach ſeinen Verfolgern zurück. Dabei hört man ihn ein eigentümliches Pruſten ausſtoßen, das augen— ſcheinlich der Warnungsruf iſt. Das dadurch bewirkte Geräuſch wird ihm aber öfters zum Ver— derben, denn es macht den Jäger erſt aufmerkſam auf ihn. Er iſt ein großer Freund von jungem Getreide und deshalb den Kaffern ſehr verhaßt.“ Obwohl die Riedböcke niemals fern vom Waſſer erblickt werden, bevorzugen ſie dennoch trockenen Boden, ſuchen auch keineswegs Zuflucht in Sumpf oder Moraſt und ſcheuen ſich ſogar, flache Gewäſſer zu kreuzen, auch wenn ſie flüchten und hart bedrängt werden. Wenn ſie beunruhigt oder erſchreckt ſind, pflegen ſie, ähnlich wie die Gemſen, ſchrill zu pfeifen. In den zoologiſchen Gärten ſieht man Riedböcke nicht gerade häufig; ſie halten ſich hier gut, freilich ohne ihre natürliche Scheu ganz zu verlieren. Bei der regelmäßigen Fort— pflanzung des Riedbocks im Frankfurter Garten wurden als Tragzeit 7¾ Monate feſtgeſtellt. Die größten Arten der Reduneinae umfaßt die Gattung der Waſſerböcke (Kobus A.Sm.). Ihnen fehlt der nackte Drüſenfleck, den die Riedböcke unter den Ohren haben. Ihr Schwanz iſt lang mit ſchwacher Endquaſte. Die langen Hörner ſind annähernd bogenförmig gekrümmt. Sehr bezeichnend für die Mehrzahl der Arten iſt das lange, ſtarre, oft fettig erſcheinende Haar. In Ausſehen und Betragen erinnern die Waſſerböcke etwas an Hirſche, die ſie gewiſſer— maßen in Afrika erſetzen. Sie bewohnen die ganze afrikaniſche Steppenzone vom Senegal bis zum Kapland. Die zahlreichen Arten kann man in drei Untergattungen teilen. Zwei von dieſen haben Weichendrüſen und einen höchſtens ſchwach gemähnten Hals. Sie ſind meiſt einfarbig rotbraun und ſtehen in der Größe zwiſchen den Ried- und den typiſchen Waſſerböcken. Die geringſte Größe — kaum einen Riedbock übertreffend — hat die Untergattung Adenota Gray, die ſich durch kurzes, weiches Haarkleid und weniger ſtark gekrümmte Hörner auszeichnet. Ihr bekannteſter Vertreter, die Moorantilope, Kobus (Adenota) kob Eral., bewohnt in zahlreichen Unterarten Aquatorial-Afrika von Guinea bis Uganda. Die typiſche Form von Oberguinea iſt lebhaft rotbraun gefärbt mit heller Unterſeite, ſchwarzem Streif auf der Vorderſeite der Gliedmaßen und weißem Ring über den Hufen. Von den Erforſchern des oberen Nils, Heuglin, Schweinfurth, Junker und anderen, wird häufig der Weißohr-Waſſerbock, Kobus (Adenota) kob leucotis Leht. Pirs., erwähnt, ein dunkelbraunes Tier mit weißen Ohren und bis vor die Augen weißen Wangen. Weiß ſind auch Maul, Kinn, Kehle, Bruſt, Bauch, Innenſeite der Gliedmaßen und die Füße über den Hufen. Die Vorderſeite der Beine iſt ſchwarz. Man hat dieſe Unterart wegen der Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 12 178 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. abweichenden Färbung meiſt als ſelbſtändige Art aufgefaßt, bis ſich zeigte, daß fie durch Über- gänge mit der typiſchen Form verbunden iſt; die Weibchen ſind ähnlich wie bei dieſer gefärbt. Vornehmlich durch ſtärker (doppelt) gekrümmte Hörner und längere, rauhere Behaarung unterſcheidet ſich die Untergattung Onotragus Gray, die auch etwas beträchtlichere Größe hat. Sie bewohnt Süd- und Zentral-Oſtafrika. Ahnlich wie Kobus kob, aber düſterer in der Geſamtfärbung, von mehr ſchmutzig braun— gelblicher Färbung iſt der Litſchi-Waſſerbock, Kobus (Onotragus) leche Gray (Taf. „Paarhufer X, 8, bei S. 159), aus Sambeſia. Schon fein Entdecker, Livingſtone, macht darauf aufmerkſam, daß die Tiere nur in waſſerreichen Teilen Zentralafrikas vorkommen, ſich nie weit vom Waſſer entfernen und bei Gefahr in dieſes flüchten. Selous nennt ſie nach der Sitatunga die am meiſten waſſerliebenden Antilopen, die gewöhnlich knietief im Waſſer ſtehen. Bei beiden fehlen an den Füßen die Haare zwiſchen Hufen und Nebenhufen, was bei anderen Antilopen nicht der Fall iſt. Auf der Flucht ſtrecken die Litſchi-Waſſer⸗ böcke ihre Naſe vor und legen das Gehör flach an die Seiten. Sie ſchwimmen erſt, wenn das Waſſer ſo tief iſt, daß ſie den Boden nicht mehr mit den Füßen erreichen können. In den überſchwemmten Grasſteppen in der Gegend von Linjanti am Tſchobe fand Selous dieſe reizende Antilope in zahlloſer Menge. Einmal zählte er 52 Böcke verſchiedenen Alters, unter denen auch nicht ein Weibchen war. Wie der Weißohrbock zur Moorantilope, ſo verhält ſich zum Litſchi Frau Grays Waſſerbock, der Abok der Eingeborenen, Kobus (O.) maria Gray, vom Sumpfgebiet des Weißen Nils. Das ſchöne Tier hat die Größe eines ſtarken Damhirſches, gedrungene Glieder, ziemlich langen, an der Spitze flockigen Schweif und ein bis 60 em langes, in der Mitte ſtark nach hinten und auswärts gebogenes Gehörn. Die lange, ſtraffe Behaarung iſt dunkel umberbraun, Augen- und Schläfengegend, Ohren, Naſenſpitze, ein Streifen längs des Nackens und ein ſattelartiger Fleck am Widerriſt ſind gelblichweiß, die Unterteile gelblichbraun. „Der Abok“, jagt v. Heuglin, „ſcheint nicht gerade ſtändig die Uferländer und die Steppen um den eigentlichen Abiad oder Weißen Fluß und den in ihn mündenden Sobat zu bewohnen, ſondern in der naſſen Jahreszeit ſich in das Innere zurückzuziehen. Am Tage hält er ſich im Winter und im Frühjahre viel in der baumloſen Steppe auf, und gegen Abend ſieht man dort, ſoweit der Geſichtskreis reicht, dichte, ſchwere Staubwolken ſich erheben, welche mit dumpfem Geräuſche näher rücken, und aus denen ſich nach und nach nicht etwa einzelne Hun— derte, ſondern geſchloſſene Herden und wieder Herden des Aboks zur Tränke ſtürzen. Aber wie das Feſtland iſt auch Sumpf und Waſſer ihr Element; fie treiben ſich im tiefſten Schlamme und Moore mit Leichtigkeit umher und ſchwimmen gern über den Strom. Scheu kann man ſie nicht nennen, denn namentlich auf dem Anſtande ſind ſie leicht und ebenſo vom Boote aus zu erlegen, wenn ſie herdenweiſe einen Fluß durchſchwimmen.“ Die Echten Waſſerböcke (Untergattung Kobus) ſind die ſtattlichſten Arten, ohne Weichendrüſen, mit ſtark gemähntem Hals und geſtichelter Farbe. Der Ellipſen-Waſſerbock, Kobus ellipsiprymnus Ogilb. (Taf. „Paarhufer XI“ 1, bei S. 180), eine faſt hirſchgroße Antilope von 2 m Geſamt- und 50 em Schwanzlänge, bei 1,3 m Kreuzhöhe, trägt ein reiches, auffallend fettiges und grobes, nur auf dem Oberkopfe, den Lippen, der Außenfläche der Ohren und den Läufen kurzes und dichtes, ſonſt langes und zottiges, vorherrſchend grau gefärbtes Kleid, da nur die Spitzen der Haare braun ſind. Am Litfhi-Wafferbod. Frau Grays Waſſerbock. Ellipſen-Waſſerbock. 179 Kopfe, Rumpfe, Schwanze und den Schenkeln zieht dieſe Färbung in das Gelbrote oder Rot— braune; die Augenbrauen, ein ſchmaler Streifen unter dem Lide, Oberlippe, Muffel, die Hals— ſeiten und eine ſchmale Binde an der Kehle ſowie eine andere, die über den hinteren Teil der Schenkel vom Kreuze an nach vorn und unten verläuft und eiförmig gebogen iſt, ſind weiß. Das Weibchen iſt blaſſer und zarter gebaut. Schillings beobachtete einen ganz weißen Waſſer— bock. Auch Lönnberg erwähnt ſolche, bemerkt aber ausdrücklich, daß die Augen normale Farbe hatten. Die Hörner, die nur der Bock trägt, ſind kräftig, am Wurzelteile ein wenig nach hinten, dann verſchieden ſtark nach vorn und außen gebogen, nähern ſich aber wieder mit den Spitzen. Sie erreichen, der Krümmung nach gemeſſen, eine Länge von 80 em und ſind bis nahe zur Spitze meiſtens ſtark und ſcharfkantig geringelt. Dieſer Waſſerbock bewohnt vom Limpopo nördlich Süd- und Oſtafrika bis in das Somali— land. Unter jedem Rudel ſieht man zwei oder drei Böcke, jedoch nur einen einzigen ſtarken, da dieſer die Nebenbuhler abzutreiben ſcheint. Ungeachtet ſeiner faſt plumpen Geſtalt macht der Waſſerbock einen guten Eindruck auf den Beſchauer. Seine Augen ſind lebhaft, ausdrucks— voll, Selbſtändigkeit des Weſens, ja faſt Wildheit widerſpiegelnd, feine Bewegungen verhältnis- mäßig zierlich. Solange er weidet, ſieht er etwas unbehilflich aus; erregt aber nimmt er etwas Stattliches und Würdevolles an, und beſonders wenn er den Kopf hebt, gewinnt er ein leb— haftes, gewecktes Anſehen. Nach den Beobachtungen v. Heuglins iſt er kein eigentlicher Sumpf— bewohner, ſondern liebt Stellen, die mit mehr als mannshohem Schilfe bewachſen ſind. Wie die Pferdeantilopen hat er die Gewohnheit, Termitenbaue zu beſteigen und von ihnen aus in majeſtätiſcher Haltung ſein naſſes Gebiet zu überſchauen. Aus dieſem Grunde wird man ſeiner leicht anſichtig; aber auch wenn er durch das Gebüſch geht, leuchten die weißen Spiegelſtreifen weithin durch das Dunkel des Gelaubes. Beſonders ſcheu iſt er nicht, läßt vielmehr den Schützen gewöhnlich ziemlich nahe herankommen. Wittert das Leittier Gefahr, ſo eilt es in ſauſendem Galopp dahin und das ganze Rudel hinter ihm drein. Die Flucht geht regelmäßig dem Waſſer zu, und die geängſtigte Herde ſtürzt ſich mit einem Male plumpend in die Wellen. Auch in Südafrika gehen, wie Selous berichtet, die flüchtig gewordenen Waſſerböcke ſtets in das Waſſer. Berger beobachtete, wie ein Waſſerbock auf der Flucht das Waſſer annahm und hier von einem Krokodil verfolgt wurde, das ihn allerdings nicht erreichte. Nach dem letzteren Reiſenden ſind die Waſſerböcke aber nicht ſtreng an das Waſſer gebunden, ſondern leben oft meilenweit davon entfernt, in trockener Steppe oder ödem Gebirge. Am häufigſten werden fie zu 3—8, manchmal zu 15— 20, ſehr ſelten zu 30 und mehr Stück beifammen geſehen. Die Rudel werden ſtets von Alttieren, niemals von Böcken geleitet, zudem befinden ſich auch in jedem größeren Rudel viel mehr Weibchen als Männchen, und zwar von letzteren ſtets nur ein ſtarkes neben zwei oder drei ſchwachen. Übrigens iſt die Färbung der Tiere nicht ſelten recht mannigfaltig und ſchwankt zwiſchen Fahl- und Rotbraun und Silber- bis Dunkelgrau; einzelne ſehr alte Böcke, die auch allein zu gehen pflegen, ſehen faſt ſchwarz aus. Der Waſſer— bock bedarf, um zu Falle gebracht zu werden, eines gut angebrachten Schuſſes, und wenn er nicht im Feuer zuſammenſtürzt, iſt er für den Jäger meiſtens verloren, weil er ſehr weit fort— geht, und weil es ſehr ſchwierig iſt, ihm durch Grasdickichte, Geſtrüpp, Röhricht, Sumpf und Waſſer zu folgen. Das Wildbret ſoll ſo gut wie ungenießbar, weil zähe, faſerig und mit einem unangenehmen, ſtarken Geruche behaftet ſein. Dieſer teerartige Geruch macht ſich, nach Schil— lings, an den Standorten der Waſſerböcke weithin bemerkbar; man hat ihn auch, laut Heck, an den Fingern, ſobald man zahme Senegal-Waſſerböcke ſtreichelt, und kann ſich dabei ge— radezu Fettflecke machen, ſo reichlich wird das Haar von den Hautdrüſen fortwährend eingeölt. 12* 180 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Dem zweiten Echten Waſſerbock fehlt das weiße Band über den hinteren Teil der Schenkel. Es iſt die weitverbreitete, in zahlreiche Unterarten geſpaltene Hirſchantilope, Kobus defassa Rüpp. In Senegambien lebt der Senegal-Waſſerbock oder Singſing, K. defassa unctuosus Laurill. (Taf. „Paarhufer XI“, 2), deſſen Körperfarbe ſandbraun iſt. In Oſtafrika iſt der Defaſſa, die typiſche Form K. d. defassa Rüpp., zu Hauſe, durch helle Backen und helle Kehle unterſchieden und an den ſehr ſpitzen Ohren kenntlich. Rüppell fand den Defaſſa-Waſſerbock in der Nähe des Dembeaſees (Abeſſinien) in kleinen Trupps bis zu ſechs Stück, bei denen nur ein völlig erwachſenes Tier war. Dieſer Waſſerbock bewohnt vor⸗ wiegend Höhen mit buſchbeſtandenen Wieſen; in Deutſch-Oſtafrika lebt er, nach Böhm, häufig in ſtarken Rudeln. Er iſt hier ein großer Freund des Waſſers und, nach Berger, weit ſtrenger daran gebunden als ſein oben beſchriebener Verwandter; oft hat man ihn in Flüſſen ſtehend beobachtet. Nach übereinſtimmender Mitteilung ſind Waſſerböcke nicht beſonders ſcheu. In Gefangenſchaft dauern ſie gut aus und haben ſich auch in den zoologiſchen Gärten wiederholt fortgepflanzt. Nach Heinroth („Zool. Beob.“, 1908) währt die Trächtigkeit etwa 9 Monate. * Die Unterfamilie der Pferdeböcke (Hippotraginae) enthält große Antilopen mit be haarter Muffel, langem, mehr oder weniger bequaſtetem Schwanz und vier Zitzen. Voraugen— drüſen fehlen. Die hohen, breiten Backzähne ähneln ſehr denen der Rinder. Die Unter⸗ familie, die Arabien und Afrika ſüdlich des Atlas bewohnt, umfaßt drei Gattungen. Bei den tendesantilopen find die Hörner ſpiralig gedreht, die Hufe ſehr breit und gerundet, bei den beiden anderen Gattungen ſind die Hufe normal und die Hörner nicht ſpiralig gedreht. Zu den ſtattlichſten Erſcheinungen der ganzen Familie zählen die Roßantilopen (Hippo- tragus Sund.), jo genannt wegen der ſtarken Nacken- und Halsmähne. Die Hörner, die von beiden Geſchlechtern getragen werden, entſpringen auf der Stirnleiſte, biegen ſich in einem ein— fachen, ſcharfen Bogen nach hinten und tragen faſt bis zu der glatten Spitze ſcharf hervortretende Ringe. Der Kopf erinnert in Form und Ausſehen an den unſerer Gemſe, die Ohren aber ähneln denen des Eſels; der Hals iſt kurz und dick, der auf verhältnismäßig ſchlanken Läufen ruhende, vorn höher als hinten geſtellte Leib gedrungen, der Schwanz lang und dick bequaſtet. Die am weiteſten verbreitete Art iſt die Pferdeantilope, Hippotragus equinus Desm. Taf. „Paarhufer XI“, 3), ein ebenſo mächtiges wie ſchönes Tier von 2,2 m Leibes- und 75 em Schwanzlänge, 1,6 m Schulterhöhe. Die Ohren, deren Länge 35 em beträgt, find ſcharf zugeſpitzt und mit den Spitzen, die verlängerte Haare tragen, nach rückwärts und unten gebogen; der Schwanz iſt gegen die Spitze hin mit kurzen Haaren bekleidet, an der Spitze aber ziemlich ſtark bequaſtet; die Nackenmähne beſteht aus hohen und ſteifen Haaren, ähnelt alſo der eines Eſels oder noch beſſer eines Zebras mehr als der eines Pferdes; die Haare des Vorderhalſes verlängern ſich ebenfalls zu einer Mähne. Vor jedem Auge ſteht ein weißer Längsfleck aus verlängerten Haaren, hinter dem Auge ein kleinerer, ebenſo gefärbter Fleck. Der Vorderkopf der Alten iſt ſchwärzlich, die ganze Umgebung des Maules und der Muffel und der Bauch weiß, der übrige Körper graulich-, mehr rötlichbraun bei den nördlichen Unter— arten, das Mähnenhaar an der Spitze braun; die Läufe ſpielen mehr in das Rehbraune. Die ſchwarze Geſichtszeichnung fehlt den jungen Tieren; bei ihnen iſt das Geſicht faſt wie der Körper gefärbt. Der Bock trägt ein ziemlich ſtarkes Gehörn, das dev Krümmung nach gemeſſen bis zu 75 em lang wird. Die Stangen ſind einfach rückwärts gebogen, ſtreben nach oben ce * E ER 2. Senegal-Waſſerbock, Kobus defassa unctuosus Laurill., | Weibchen. 25 nat. Gr., s. S. 180. — O. Heinroth-Berlin phot. 5. Pferde-Antilope, Hippotragus equinus Desm. s nat. Gr. s. S. 180. — P. Kothe-Berlin phot. 4. Rappenantilope, Hippotragus niger Harr. ½s nat. Gr., s. S. 181. — O. Heinroth Berlin phot. 7. Winterkleide. 1/25 nat. Gr., s. S. 185. — W. S. Berridge, F 6. Arabiiche Beifa, Oryx leucoryx Pall. Mendesantilope, Addax nasomaculatus Blainv. London phot. - ; 8. Mendesantilope im Sommerkleide. Lüpke-Berlin phot. * Hirſchantilopen. Pferdeantilope. Rappenantilope. 181 auseinander, ſind faſt bis zur Spitze geringelt und haben bis zu drei Vierteln ihrer Länge einen nahezu eiförmigen Querſchnitt. Die Biegung und Stellung der Stangen zueinander ändert vielfach ab. Das Gehörn des Weibchens iſt ſchwächer, wird nur 65 em lang und iſt in der Regel weniger gekrümmt als das des Männchens. Die Art bewohnt Afrika ſüdlich der Sahara bis zum Oranjefluß nach Süden, mit Ausnahme der Waldregion des Kongobeckens. Außerordentlich veränderlich, wie ſie iſt, bildet fie auf dieſen Gebieten eine Anzahl Unter— arten, von denen hier genannt ſeien: H. e. rufo-pallidus Neunm. aus Deutſch-Oſtafrika, H. e. gambianus Scl. Thos. aus Weſtafrika, beſonders Gambia, und H. e. bakeri Hol. von den Steppen um den Bahr-el-Ghaſal, Atbara und Blauen Nil. Eine prachtvolle Tiergeſtalt iſt die Schwarze Pferdeantilope oder Rappenantilope, Hippotragus niger Harr. (Taf. „Paarhufer XI“, J). An Größe ſteht fie hinter der Ver— wandten kaum zurück, da auch fie faſt 3 m an Geſamtlänge und 1,5 m an Schulterhöhe erreicht, hat merklich kürzere und ſchmälere, nur 25 em lange, gerade, zugeſpitzte Ohren, eine aus lockeren Haaren beſtehende Nacken- und Rückenmähne, eine deutliche Halsmähne, einen lang zugeſpitzten Kopf und einen ſtark bequaſteten Schwanz. Die vorherrſchende Färbung iſt ein tiefes, glänzendes Schwarz, beſonders beim erwachſenen Bock; ein breiter Streifen, der über jedem Auge beginnt und zur Seite der Schnauze gegen die Muffel verläuft, der Vorderteil und die Unterſeite der Schnauze ſowie die Bruſt, der Bauch und die obere Hälfte der Innenſeite der Hinterſchenkel, endlich noch die Innenſeite der Ohren ſind weiß, die Ohren an ihrer Wurzel und ein Fleck am Hinterkopfe, die Unterſchenkel außen und innen aber hell nußbraun. Das Weibchen iſt merklich kleiner als das Männchen und hat tief nußbraune, hier und da ins Schwärzliche ſpielende Färbung. Das Junge iſt lebhaft rotbraun mit ſchwarzer Nackenmitte und Schwanzquaſte; die Geſichtszeichnung der Alten fehlt ihm faſt ganz. Beide Geſchlechter tragen Gehörne, die denen der eigentlichen Pferdeantilope ähnlich, aber weit ſchöner, nämlich viel länger, ſtärker und gewöhnlich auch ſchärfer gekrümmt ſind. Die des Männchens werden bis zu 110 em, die des Weibchens bis zu 85 em lang. Die Heimat des Tieres erſtreckt ſich vom nördlichen Transvaal bis Deutſch-Oſtafrika. Beide Arten der Roßantilopen bewohnen annähernd dasſelbe Gelände, doch ſcheint die Pferdeantilope mehr mit niederem Buſchwerk beſtandene Ebenen, die Rappenantilope mehr hügeliges Gelände vorzuziehen. Letztere ſoll auch das Waſſer länger entbehren können. Beide leben gewöhnlich in kleinen Nudeln von 6—12 Stück; doch hat Selous im Süden die Pferde— antilope einige Male bis zu 20 Stück und die Rappenantilope nicht ſelten zu 50 und mehr Stück gerudelt beobachtet. Starke, alte Böcke halten ſich auch gern allein. Sie ſind verſchieden ſcheu, je nachdem ſie beunruhigt worden ſind, bewegen ſich kräftig, ſcheinen aber vielfach keine große Ausdauer im Laufen zu beſitzen. Selbſtverſtändlich ſind es auch ſehr wehrhafte Tiere. „Die Rappenantilope“, ſchreibt Selous, „iſt, wenn verwundet, oft ſehr bösartig und kann, wie die Pferdeantilope und der Gemsbock, einer Meute Hunde ſehr übel mitſpielen: ich weiß von einer zu erzählen, die mit drei aufeinander folgenden Schwüngen ihres langen Gehörnes drei Hunde tötete.“ Die Wurfzeit dürfte nicht feſt an eine beſtimmte Jahreszeit gebunden ſein, wenn auch die meiſten Kälber im Frühjahr, d. h. im November und Dezember, geſetzt werden. Wie die meiſten großen Antilopen ſind auch Roßantilopen nicht ſchwer in der Gefan— genſchaft zu halten. In den zoologiſchen Gärten zu Hamburg und Köln hat ſich die Rappen— antilope ſogar fortgepflanzt. Die Trächtigkeitsdauer beträgt etwa 9 Monate. 182 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Eine Art gehört zu den in neuerer Zeit vom Menſchen ausgerotteten großen Säugetieren des Kaplandes: der Blaubock, H. leucophaeus Pall., ein etwas kleineres Tier von grau— blauer Farbe, mit kurzer, undeutlicher Rückenmähne und faſt ohne Bruſtmähne und ohne die ſchwarze Geſichtszeichnung der eigentlichen Pferdeantilope. Schon Le Vaillant, der den Blau— bock ſehr gut beſchrieb, nennt ihn 1781 eine der ſeltenſten Antilopen Afrikas. Und nur zwei Jahrzehnte ſpäter gibt Lichtenſtein an, daß er ausgerottet ſei. Dann geriet der Blaubock lange Zeit in Vergeſſenheit oder wurde gar mit der eigentlichen Pferdeantilope verwechſelt, bis erſt die neueſte Zeit ſeine Artſelbſtändigkeit wiedererkannte. Schon ſeit alter Zeit bekannte und berühmte Antilopen ſind die Spießböcke (Oryx Blainv.), von denen zwei Arten häufig auf den Denkmälern Agyptens und Nubiens abgebildet wurden. Man ſieht hier den Oryx in den mannigfaltigſten Stellungen, gewöhnlich mit einem Strick um den Hals. Auch Begattungs- und Wurfakt ſind dargeſtellt. Zweifellos haben die alten Agypter Spießböcke nicht nur in Gefangenſchaft gehalten, ſondern, nach Gaillard, auch gezüchtet, wie ſo manche andere Antilopen. Ja, ſie haben ihnen ſogar, wie ihren langhörnigen Rindern, künſtlich die Hörner verbogen. Die Spießböcke machen trotz ihres etwas plumpen Baues einen majeſtätiſchen Eindruck auf den Beſchauer. Der Kopf iſt geſtreckt, aber wohlgeſtaltet, die Geſichtslinie faſt gerade oder nur wenig gebogen, der Hals mittellang, der auf mäßig hohen, ſtarken Läufen ruhende Leib ſehr kräftig, der Schwanz ziemlich lang, am Ende ſtark bequaſtet; die Augen ſind groß und ausdrucksvoll, die Ohren verhältnismäßig kurz, breit und abgerundet, die Hörner, die von beiden Geſchlechtern getragen werden, ſehr lang und dünn, von der Wurzel an geringelt und entweder gerade oder in flachem Bogen nach rückwärts gekrümmt und etwas aus— einander ſtrebend. Geſichtsdrüſen fehlen, Leiſtengruben find ebenſowenig vorhanden. Die Spieß- böcke bewohnen alle offenen Landſtriche Afrikas ſüdlich der Sahara und das ſüdliche Arabien. Als das Urbild der Gattung betrachtet man gewöhnlich den Paſſan, den Gemsbock der Buren, die Südafrikaniſche Beiſa, Oryx gazella L. (Taf. „Paarhufer XI“, 5, bei S. 181), ein ſtolzes Tier von 2,1 m Leibes- und 40 em Schwanzlänge und 12 m Schulter⸗ höhe. Die Decke liegt dicht und glatt an und beſteht aus kurzen, ſtraffen Haaren, die mit Ausnahme des aufrechtſtehenden, mähnenartigen Haarkammes auf Oberhals und Vorderrücken ſowie eines Büſchels langer, borſtiger Haare am Unterhalſe überall ziemlich gleich lang ſind. Hals, Rücken und Seiten haben blaß rötlichgraue, der Kopf, die Ohren, der obere Teil der Hinterſchenkel, die Bruſt, der Bauch und die Läufe vom Feſſelgelenke an blendend weiße Fär⸗ bung; ein Streifen auf der Stirn, ein breiter Fleck auf der Vordernaſe, eine von dem Gehörn an durch das Auge nach der Unterkinnlade verlaufende und eine zweite längs der letzteren ſich herabziehende, das Weiß des Kopfes von dem Rötlichgrau des Halſes trennende Binde und der äußere Rand der Ohren ſind ſchwarz, weshalb der Kopf halfterartig gezeichnet erſcheint; ebenſo gefärbt ſind ein auf dem Rücken beginnender, auf dem Kreuze ſich ausbreitender und rauten⸗ förmige Geſtalt annehmender Längsſtreifen, die vorderen und hinteren Unterſchenkel in ihren oberen zwei Dritteln, ein Streifen auf der Vorderſeite der Füße, ein bandartig von der Mittel- bruſt nach vorn und oben in die Weichengegend verlaufender Streifen ſowie die ſtarke Quaſte, wogegen Nackenmähne und Halsbuſch mehr ins Schwarzbraune ſpielen. Das ſtattliche ſchwarze Gehörn, das beide Geſchlechter tragen, iſt nur ganz wenig gebogen, vielfach auch ſchnurgerade, in der unteren Hälfte verſchieden ſtark geringelt, in der oberen jedoch glatt und endet in ſcharfen Spitzen. Die Stangen des Männchens ſind zwar kräftiger, aber, wie bei der Elenantilope, kürzer als die des Weibchens; bei dieſem erreichen ſie bis 120 em, bei jenem bis 105 em Länge. Blaubock. Beiſas. Säbelantilope. 183 Der Paſſan bewohnt die trockenen Wüſten Südweſtafrikas vom Betſchuanaland bis Moſſa— medes. Auch er iſt heute ſeiner Ausbreitung und Stückzahl nach ſtark zurückgegangen. Nahe verwandte Arten finden ſich in ganz Oſtafrika bis nach Agypten hinauf. Die be— kannteſte und ſchon von den alten Ägyptern dargeſtellte Art iſt die eigentliche Beiſa, Oryx beisa Rüpp., wahrſcheinlich der Oryx der Alten. Sie ſteht dem Paſſan an Größe nicht nach — Rooſevelt wog einen Bullen von 400 Pfund —, hat ebenfalls mehr oder weniger gerade, beiden Geſchlechtern zukommende, meterlange Hörner und iſt jenem ſehr ähnlich gefärbt und gezeichnet. Die Grundfärbung ihres Felles erſcheint lichter als beim Paſſan, iſabell-fahlgrau; reinweiß ſind Mund und Naſenſpitze, der vordere und hintere Augenwinkel, Wurzel der Ohren, Bauchmitte und Vorderläufe, ſchwarz dagegen ein dreieckiger Fleck gerade auf der Stirn, der an der Wurzel der Hörner beginnt und ſich durch einen ſchmalen Streifen mit einem länglichen, glockenförmigen Fleck auf dem Vordergeſichte verbindet, ein ſchräg nach unten durch das Auge über die Wange verlaufender, nach der Gegend des Mundwinkels ziehender Streifen, ein von der Wurzel des Ohres nach der Kehle ſich wendendes, oben ſich ausſpitzendes, unten längs der Mitte des Unterkiefers einen doppelten Streifen bildendes Halsband, ein Streifen längs der Mitte des Vorderhalſes bis zur Bruſt herab, der hier ſich ſpaltet, hinter dem Buge hinzieht und als ſchmales Band längs der Seiten der Bruſt und des Bauches bis zu den Weichen hin verläuft, ein breites, ſchräg geſtelltes Armband um die Schiene der Vorder— läufe ſowie endlich ein Fleck vorn am Laufe, die Schwanzquaſte und die Hörner; die Mähne längs des Nackens ſowie der Haarkamm auf dem Vorderrücken haben roſtrote Färbung; die Schwanzrute iſt fahlgrau, die äußere Seite der Ohren ebenſo, nach der Spitze zu mit ſchwärz— lichem Saume. Die Beiſa bewohnt das nordöſtliche Afrika bis etwa zum 20. Grade nördl. Breite nach Norden, auch das Somaliland und Britiſch-Oſtafrika. Vorwiegend durch dunklere, mehr rötliche Farbe, längere, zugeſpitzte Ohren, die an der Spitze einen oft nur ſchwach entwickelten ſchwarzen Haarbüſchel tragen, und Fehlen des ſchwarzen Streifens auf der Vorderſeite der Vorderfüße zeichnet fi die Büſchelohr-Beiſa, O. b. callotis Thos., Deutſch-Oſtafrikas aus. Sie geht bis zum Tanafluß in Britiſch-Oſtafrika nach Norden. Anders iſt die Arabiſche Beiſa, Oryx leucoryx Pall. (beatrix; Taf. „Paar⸗ hufer XI 6, bei S. 181), gezeichnet. Das etwas kleinere Tier iſt der Hauptſache nach weiß, nur die Schwanzquafte, die Vorderbeine und die Hinterbeine von der Mitte der Unterſchenkel an bis zu den weißen Feſſeln, ein Fleck zwiſchen und vor der Wurzel der Hörner, ein ſolcher auf der Naſenwurzel, ein beide verbindender ſchmaler Streifen und ein Fleck unterhalb der Augen ſind tief braunſchwarz. Die Hörner ſind gerade. Die Säbelantilope, Oryx algazel Pall. (leucoryx; Abb., S. 184), iſt etwas plumper als die Verwandten und trägt ebenſo lange und geringelte, aber ſanft gebogene, nach außen und hinten gerichtete, mit der Spitze nach unten geneigte Hörner. Das kurze, grobe, nur längs des Rückgrates und des Nackenfirſtes verlängerte, im übrigen glatt anliegende Haarkleid iſt ziemlich gleichmäßig gefärbt. Ein mehr oder weniger reines Gelblichweiß, das auf der Unter: und Innenſeite der Läufe heller iſt, am Halſe dagegen durch Roſtfarben erſetzt wird, bildet die Grundfärbung; ſechs Flecke von mattbrauner Farbe am Kopfe, und zwar einer zwiſchen den Hörnern, zwei zwiſchen den Ohren, zwei andere zwiſchen den Hörnern und Augen und der ſechſte endlich als Streifen auf dem Naſenrücken, ein mattbrauner Streifen längs der Körperſeiten und ebenſolche Färbung am oberen Teile der Unterſchenkel laſſen noch das 184 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Färbungsprinzip der übrigen Arten erkennen. Alte Böcke erreichen eine Länge von reichlich 2 m, bei einer Schulterhöhe von über 1m. Neugeborene Kälbchen find einfarbig rötlichweiß. Die Säbelantilope bewohnt das Innere Nordafrikas von Dongola bis zum Senegal. Ebenſo wie die Beiſa war fie den alten Agyptern wohlbekannt, von denen fie oft dargeſtellt wurde. Hinſichtlich ihrer Lebensweiſe dürften die Oryxantilopen im weſentlichen miteinander über: einſtimmen. Sie bevölkern die ödeſten Steppen, wo „kaum eine Heuſchrecke“ Nahrung finden Säbelanttlope, Oryx algazel Pall. Yıs natürlicher Größe. kann, und ſcheinen faſt unabhängig vom Waſſer zu ſein, obwohl ſie durchaus nicht alle Waſſerverächter ſind, wie dies vom Paſſan behauptet worden iſt. Allerdings trifft man die ſtattlichen Tiere, die ſchon von weitem durch ihre Größe auffallen, in den heißen, waſſerloſen Steppen Südnubiens und Kordofans an, ohne daß man begreift, wo ſie ihren Durſt löſchen könnten; allein an denſelben Orten leben auch noch eine Menge anderer Tiere, die Waſſer trinken. Zur Zeit der Dürre geben ihnen höchſtens die einzelnen Mimoſenbüſche friſche Nah⸗ rung, an denen ſie ſich beim Weiden auch wohl mit Hilfe ihrer Vorderfüße aufrichten. Man ſieht die Oryrantilopen gewöhnlich paarweiſe oder in ſehr kleinen Trupps, häufig auch nur eine Mutter mit ihrem Jungen. Höchſt ſelten rudeln ſich zahlreiche Geſellſchaften bis zu 30 und 40 Köpfen zuſammen. In den unbevölkerten Gegenden ſind die herrlichen ee „ Lebensweiſe der Oryxantilopen. Mendesantilope. 185 Tiere nirgends ſelten, aber auch nirgends häufig und dabei immer ſo ſcheu und furchtſam, daß man die wenigſten von denen, die in einer beſtimmten Gegend leben, überhaupt zu ſehen bekommt. Sie fliehen, ehe der Reiter ſich ihnen nähert. Die Büſchelohr-Beiſas ſind, nach Schillings, ausſchließlich Tiere der Ebene, die oft wochenlang weitab vom Waſſer leben, von dem ſie nur wenig bedürfen. Die Oryxböcke ſind ſchnell. Ihr Schritt iſt leicht, ihr Trab hart, ihr Galopp ſehr ſchwer, aber ausdauernd und gleichmäßig fördernd; dennoch kann ein berittener Jäger, wie Selous mitteilt, wenigſtens den Paſſan unter Umſtänden, ohne einen Schuß zu tun, vollſtändig nieder— reiten, ſo daß das verfolgte Tier ſchließlich vor Erſchöpfung ſtehenbleibt. Die Büſchelohr— Beiſa zeigt, nach Schillings, eine beſondere Vorliebe für die Geſellſchaft von Zebras, und der Paſſan wurde oft mit der Elandantilope in vollſter Eintracht weidend geſehen. Der Säbelbock kann, wie ich ſelbſt beobachtet habe, ein im höchſten Grade unverträgliches Geſchöpf ſein, das andere Tiere im Anfalle ſchlechter Laune oft arg mißhandelt. Man muß den Spießböcken überhaupt nachrühmen, daß ſie, ſo ſcheu ſie auch ſein mögen, doch keineswegs die Furchtſamkeit anderer Antilopen zeigen, ſondern eher etwas vom Weſen des Stieres haben. Gereizt ſollen ſie in heller Wut auf den Angreifer losgehen und ihn in boshafter Weiſe zu verletzen ſuchen. Gegen den anlaufenden Hund wiſſen ſie ſich erfolgreich zu verteidigen, indem fie den Kopf vor: biegen und in ſchnellen Wendungen nach rechts und links mit ſolcher Kraft ausſchlagen, daß ſie einem Hunde ihre Hörner durch den ganzen Leib rennen, wenn jener nicht geſchickt aus— weicht. Es iſt wahrſcheinlich, daß ſie ſich des Leoparden, vielleicht ſogar des Löwen mit ähn— lichem Erfolg zu erwehren wiſſen. Selbſt den Menſchen nehmen ſie an. Gefangene, ſo zahm fie auch in der Jugend ſein mögen, werden im Alter meiſt recht bösartig und gefährlich. Über die Fortpflanzung im Freileben fehlen noch ausführliche Berichte. An gefangenen Säbelantilopen hat man, nach Heinroth, eine Tragzeit von 88 /, an Beiſas eine ſolche von 8¼ —10 Monaten beobachtet. Als Satzzeit der Beiſa im nördlichen Britiſch-Oſtafrika (am Guaſo Niro) gibt Rooſevelt den Monat September an. Schillings fand in der Maſſaiſteppe im Dezember friſch geſetzte Kälber der Büſchelohr-Beiſa. Die Mütter wehrten recht geſchickt die übrigen Mitglieder des Rudels vor allzu großer Annäherung an ſich und die Jungen ab. Schillings beobachtete auch Kampfſpiele, wobei die Hornſtöße der Gegner gewandt pariert wurden. Die Jagd auf Oryxantilopen wird mit Vorliebe zu Pferde betrieben. Gordon Cumming beſchreibt eine ſolche in lebhafter Weiſe und erzählt dabei, daß er den ganzen Tag einem bereits verwundeten Paſſan nachgeritten ſei, bis endlich das Tier nicht mehr weiter konnte. Keine andere Antilope ſoll einen prachtvolleren Anblick gewähren als der fliehende Oryrbock. Man benutzt Fleiſch und Fell der Oryxantilopen in der gewöhnlichen Weiſe. Die geraden Hörner des Paſſans und der Beiſa werden als Lanzenſpitzen verwendet. Die Europäer laſſen die Hörner auch wohl polieren, mit filbernen Knöpfen verſehen und gebrauchen fie als Spazierſtöcke. Die Mendesantilopen (Addax Raf.) ſchließen ſich den Oryxböcken am nächſten an, da ihre ſchrauben- oder leierförmig gewundenen, der Länge nach geringelten, ſchlanken und langen Hörner, die ſich ebenfalls bei beiden Geſchlechtern entwickeln, das einzige gewichtige Unterſcheidungsmerkmal bilden. Dazu kommen eine kurze, Hals und Nacken umhüllende Mähne ſowie renntierartig verbreiterte Hufe. Auf den ägyptiſchen Denkmälern findet ſich die Mendes— antilope mehrfach dargeſtellt. — Die einzige Art, Addax nasomaculatus Blainv. (Taf. „Paarhufer XI / 7 und 8, bei S. 181), iſt ziemlich plump gebaut, der Leib unterſetzt, am Wider— riſt merklich erhaben, am Kreuz ſehr gerundet, der Kopf geſtreckt, aber breit am Hinterhaupt; 186 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. die Läufe find ſtark und verhältnismäßig kräftig. Die Behaarung iſt dicht und mit Aus⸗ nahme einiger Körperſtellen kurz und grob. Vor der Wurzel der Hörner ſteht ein Schopf, der über die Stirn herabhängt; vom Ohre nach dem Hinterhaupt zieht ſich ein Streifen verlängerter Haare hinab; den Vorderhals ſchmückt eine lange Mähne. Von der gelblichweißen Grundfärbung ſticht das Braun des Kopfes, des Halſes und der Mähne ziemlich lebhaft ab. Unterhalb der Augen verläuft eine breite weiße Binde, hinter den Augen ſowie auf der Oberlippe ſtehen weiße Flecke; die Quaſte des ziemlich langen Schwanzes ſetzt ſich aus weißen und braunen Haaren zu— ſammen. Während der kühlen Jahreszeit geht die gelblichweiße Färbung allmählich in Grau über. Beim Männchen iſt das Haar dunkler und die Mähne größer als beim Weibchen. Junge Tiere ſind rein weiß gefärbt. Die Körperlänge beträgt 2 m, die Schulterhöhe reichlich 1 m. Die auf- und rückwärts gerichteten, in doppelter Windung gebogenen, gegen die Spitze zu allmählich voneinander abweichenden Hörner werden von der Wurzel an von 30—45 ſchiefen, nicht regelmäßigen Ringen umgeben, ſind aber im letzten Drittel gerade und vollkommen glatt. Das Verbreitungsgebiet der Mendesantilope umfaßt das ſüdlich vom 18. Grade nördl. Breite liegende Innere des nördlichen Afrikas von den Nilländern bis zum Tſadſee-Gebiete. Dieſe Antilope bewohnt auch die dürrſten Stellen, wo, nach der Verſicherung der Nomaden, weit und breit kein Tropfen Waſſer ſich findet, und lebt paarweiſe oder in ſehr kleinen Ru— deln. Sie iſt ſcheu und furchtſam wie die übrigen Antilopen, behende und ausdauernd im Laufe, dennoch aber vieler Verfolgung ausgeſetzt. Die Machthaber der Nomaden und Beduinen ſehen in ihr eines der edelſten Jagdtiere und hetzen ſie, teils um ihr Fleiſch zu nützen, teils um die Schnelligkeit ihrer Pferde und Windhunde zu erproben, teils auch um Junge zu erbeuten, die ſie dann aufziehen. Das eine Junge wird im Winter oder zeitigen Frühjahr geboren. Lebende Mendesantilopen ſind wiederholt nach Europa gelangt und hier in verſchiedenen Tiergärten erhalten und beobachtet worden. Eine, die der Großherzog von Toskana aus Agypten bekam, ſcheute ſich nicht im geringſten vor Menſchen, ließ ſich ſtreicheln und lieb— koſen und leckte ihrem Wärter die Hand. Zuweilen wollte ſie ſpielen und wurde dabei un— angenehm; denn oft zeigte ſie unverſehens die Hörner und verſuchte den zu ſtoßen und zu ſchlagen, den ſie eben geliebkoſt hatte. Beim geringſten Verdachte ſpitzte ſie die Ohren und ſetzte ſich in Verteidigungszuſtand. Auf Hunde und andere Feinde lief ſie mit zurückgelegten Hörnern los, ſtemmte ſich mit den Vorderfüßen auf den Boden, wendete das Horn nach vorn und ſtieß raſch von unten nach oben; auch mit den Füßen ſchlug ſie ſowohl vor- als rückwärts. Ihre Stimme war bald ein Grunzen, bald ein ſchwaches Plärren. Mit letzterem drückt ſie Verlangen nach Nahrung aus. Bei einfachem Futter halten ſich dieſe Antilopen oft gut und lange in Gefangenſchaft, pflanzen ſich hier auch manchmal fort. * Zur Unterfamilie der Kuhantilopen (Bubalinae) gehören die ſeltſamſten Antilopen⸗ geſtalten. Es ſind große Tiere mit nackter Muffel, kleinen Voraugendrüſen, großen, wulſtigen Nüſtern, langem, mit Endquaſte verſehenem Schwanz; die Weibchen haben vier Zitzen. Die unteren Augenlider tragen kurze, ſteife Haare. Beide Geſchlechter ſind mit Hörnern B Die Verbreitung erſtreckt ſich über ganz Afrika einſchließlich Arabien. Von den drei Gattungen ſind die Leierantilopen (Damaliscus Scl. Zhos., Damalis) die am wenigſten von den anderen Antilopen ihrem Körperbau nach abweichenden Tiere. Die Rückenlinie fällt von dem erhöhten Widerriſt ſtark nach hinten ab. Die Hörner verjüngen ſich Mendesantilope. Buntbock und andre Leierantilopen. 187 gleichmäßig nach der Spitze, ſind bis etwa drei Viertel ihrer Länge geringelt und haben mit einer Ausnahme eine einfache oder ſchwach lyraartige Krümmung. Die ſüdafrikaniſchen Ver: treter der Gattung bevölkerten früher in ungeheuren Scharen die Steppen des Kaplandes. Hunderte und aber Hunderte dieſer Antilopen kamen, laut Harris, zu mehr oder weniger zahl— reichen Herden geſchart, in die Nachbarſchaft der ſtehenden Gewäſſer, um das ausblühende Salz zu lecken. Zu ihnen geſellten ſich Gnus, Springböcke, Strauße. Heute ſind von dieſer bunten Tiergeſellſchaft nur noch ſpärliche Reſte übrig, die Nachkommen der Überlebenden aus einer Zeit blinder Jagd- und Vernichtungswut des Menſchen. Nur auf den Ländereien einiger Großgrundbeſitzer ſorgſam gehegt, leben im Kapland noch einige wenige Weißſchwanzgnus, Bleß⸗ und Buntböcke. Der Buntbock, Damaliscus pygargus Pall. (Taf. „Paarhufer XII“, 1, bei S. 188), erreicht bei 1,2 m Schulterhöhe eine Geſamtlänge von 2 m, wovon auf den Schwanz 45 cm zu rechnen ſind. Die Färbung iſt ein tiefes Purpurbraun mit rötlichem Schimmer, mit Aus— nahme einer zwiſchen den Hörnern beginnenden, die ganze Vorder- und Oberſeite des Kopfes einnehmenden Bleſſe, der Ohren, eines dreieckigen Spiegels auf den Hinterſchenkeln, der Unter— ſeite des Leibes, der Innenſeite und des unteren Teiles der Läufe ſowie der Wurzelhälfte des Schwanzes, die weiß ſind; beide Oberſchenkel, verbunden durch einen oben und unten blaß zimtbraun geſäumten Längsſtreifen über die Weichen, ſowie zwei gürtelartige Flecke an den vorderen Unterſchenkeln und die Schwanzſpitze ſind ſchwarz. Das Weibchen unterſcheidet ſich nur durch geringere Größe und das dünnere und ſchlankere Gehörn. Der Bock trägt Hörner von 40 em Länge, die zuerſt auf- und auswärts, in der Mitte rück- und ſeitwärts, am Ende wiederum aufwärts gebogen, bis zu zwei Drittel ihrer Länge mit 10 —15 ſtarkwulſtigen Querringen beſetzt, an der Spitze aber glatt und ſchwarz von Farbe ſind. Ehemals über die ganze Kapkolonie ſüdlich des Vaalfluſſes verbreitet, iſt der Buntbock heute faſt ganz aus— gerottet und findet ſich, nach Sclater, nur noch in zwei Farmen im äußerſten Süden Afrikas in der Nähe von Kap Agulhas. Hier leben die Tiere in Herden von 8—15 Stück und werfen nach einer Trächtigkeit von 8—9 Monaten Ende Auguſt oder Anfang September. Bei Gefangenen im Berliner Zoologiſchen Garten beobachtete Heinroth eine Tragzeit von 8¼ Monaten. Der Bleßbock, Damaliscus albifrons Burch., iſt etwas kleiner und kurzhörniger als der Buntbock und unterſcheidet ſich von ihm vor allem durch das Fehlen des weißen Spiegels und die völlige Trennung der kleinen Stirnbleſſe von der großen Bleſſe des unteren Geſichts. Bleßböcke waren über die Ebene im Norden der Kapkolonie, im Oranje-Freiſtaat, in Trans- vaal und Betſchuanaland verbreitet. Auf einem Teil ihres ehemaligen Wohngebietes aus— gerottet, ſind ſie doch noch zahlreicher als die Buntböcke, denen ſie in ihrer Lebensweiſe gleichen. Durch Fehlen der Bleſſe und der weißen Abzeichen an den Beinen und durch bedeuten— dere Größe ſind die folgenden leicht von den genannten Arten zu unterſcheiden. Von ihnen zeichnet ſich die ſüdlichere, die Halbmondantilope oder das Saſſaby, Damaliscus lunatus H. Sm. (Taf. „Paarhufer XII“, 3, bei S. 188), durch die halbmondförmig gebogenen Hörner aus. Die Farbe iſt dunkel kaſtanienbraun mit ſchwarzen Abzeichen an Stirn, Schultern und Schenkeln. Das Saſſaby bewohnt Afrika vom Oranjefluß bis zum Nyaſſaland. — In Deutſch⸗ und Britiſch⸗Oſtafrika, von da bis nach Abeſſinien und durch den ganzen Sudan bis zum Senegal, aber nicht im Somaliland, iſt das Korrigum oder die Leierantilope, Dama- liscus korrigum Ogilb., verbreitet. Dieſe Art iſt größer und meiſt lebhafter rotbraun als das 188 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Saſſaby und hat enger ſtehende Hörner, die bei den verſchiedenen Lokalformen in Länge und Stärke beträchtlich abändern. Neben der typiſchen, großhörnigen weſtafrikaniſchen Form ſieht man in Tiergärten und Muſeen gelegentlich ihre kleinhörnigen, oſtafrikaniſchen Verwandten, wie die Jimela, D. k. jimela Misch., aus Deutſch-Oſtafrika, das Topi, D. k. topi Heller, aus Britiſch-Oſtafrika, und den ſchönen, wieder großhörnigen Tiang, D. k. tiang gl. (Taf. „Paarhufer XII“, 2), aus dem Sudan. — Auch bei dieſen nördlichen Leierantilopen kommen bisweilen Stücke mit weißer Stirn vor. Umgekehrt haben die Bunt- und Bleßböcke in der Jugend ſchwärzliche ſtatt der weißen Abzeichen im Geſicht. Die zweite Gattung bilden die Eigentlichen Kuhantilopen (Bubalis Zeht., Alce- laphus). Es find große Tiere mit ſtark abfallendem Rücken. Ihr hervorragendſtes Merkmal iſt der überaus lange, ſchmale Kopf, deſſen obere Kante ein Paar doppelt gekrümmte, bis faſt zur Spitze geringelte Hörner trägt. Die Mitglieder dieſer Gattung ſind einfarbig braun oder rotbraun mit oder ohne ſchwarze Flecke an Kopf, Schultern und Füßen. Sie bewohnen Afrika und Arabien. Von den verſchiedenen Arten am längſten bekannt iſt die ſchon auf den ägyptiſchen Denk— mälern vielfach dargeſtellte Nordafrikaniſche Kuhantilope, Bubalis buselaphus Pall. Taf. „Paarhufer XII“, 8). Sie erreicht eine Länge von 2,8 m, wovon der Schwanz beinahe / m wegnimmt, und reichlich 1,5 m Höhe am Widerriſt. Die rundlichen Geſichts— drüſen werden von Haarwülſten umgeben, die Ohren ſind groß, lang und ſpitzig, das glatte Haar iſt gleichmäßig licht rotbraun ohne irgendwelche dunklere Abzeichen, die dicke Schwanz: quaſte ſchwarzbraun gefärbt. Zur Seite des Naſenrückens ſteht je ein unſcharf begrenzter graulicher Fleck. Die ſtarken, hoch oben am Scheitel aufgeſetzten, in den unteren zwei Dritt- teilen mit ſchraubenförmigen Wülſten verſehenen Hörner entſpringen dicht beieinander, biegen ſich anfangs in einem ſanften, aufrechten Bogen etwas aufwärts, ſodann mit einer ſtärkeren Schwingung nach hinten, um endlich mit aufwärts gerichteten, ſtumpfen Spitzen zu enden; ſie ſehen von vorn etwa Uförmig aus. Dieſe altbekannte Kuhantilope bewohnt Nordafrika und Arabien, iſt aber an vielen Stellen heute ausgerottet. — Mit ihr iſt häufig die Tora, Bubalis tora Gray, verwechſelt worden, die in Abeſſinien lebt. Man erkennt die eben⸗ falls einfarbig hellbraune Art durch die Form ihres Gehörns, das von vorn geſehen einer liegenden Klammer (— — ähnelt. Von der Nordafrikaniſchen Kuhantilope unterſcheidet ſich das ſüdafrikaniſche Hartebeeſt der Buren, die Kama der Betſchuanen, Bubalis caama G. Cuv. (Taf. „Paarhufer XII“, 6 u. 7), durch den noch mehr verlängerten und ſchmäleren Kopf und die ſtärkeren, in ſchär⸗ feren Winkeln gebogenen Hörner, die verhältnismäßig kleineren Ohren und die Färbung. Das an der Wurzel ſehr ſtarke, kurze Gehörn, das ungefähr 16 Knoten zeigt, ſteigt anfangs nebeneinander gehend aufwärts, zieht ſich ſodann in gleichlaufender Richtung etwas nach vorn und biegt ſich im letzten Drittel mit der ſcharfen Spitze wieder auswärts und faſt rechtwinklig nach rückwärts. Von vorn hat es etwa das Ausſehen eines . Auch bei dieſer Antilope ift die vorherrſchende Färbung ein ſchönes, lichtes Zimtbraun; die Stirn und die Vorderſeite des Kopfes ſind ſchwarzbraun, welche Farbe zwiſchen den Augen durch eine brillenartige weißliche oder bräunliche Zeichnung unterbrochen wird; zwei Längsſtreifen, die auf den Unterſchenkeln der Vorder- und Hinterläufe beginnen und ſich verſchmälert auf der Vorderſeite der Fuße wurzel herabziehen, ein Streifen längs des Nackens ſowie die Schwanzquafte find ſchwarz, 7 7 2 3 ee, 2. Tiang, Damaliscus korrigum tiang gl. % nat. Gr., s. S. 188. — Biallowons phot. e 2 3. Halbmondantilope, Damaliscus lunatus H. 4. Kongoni, Bubalis cokei G£hr., in der oitafrikanifchen Steppe. S.189. — J. Roth phot. E 2 ——————— — SER 5. Lichteniteins Hartebeeit, Bubalis lichtensteini Pfrs. so nat. Gr. s. S. 189. — Lüpke-Berlin phot. 6. Hartebeeit, Bubalis caama G. Cuv., Weibchen. 7. Hartebeeit, Bubalis caama G. Cuv., Männchen. % nat. Gr. s. S. 188. — L Ruhe-Alield phot. ½%0 nat. Gr. S. S. 188. — L. Ruhe-Alfeld phot. 8. Nordafrikanifche Kuhantilope, Bubalis buselaphus Hall. so nat. Gt. s. S. 188. Nach Photographie. Kuhantilopen (Hartebeeſt uſw.). 189 Unterbruſt, Bauch, Innenſeite der Hinterſchenkel und ein breiter, halbmondförmig in den Schenkel eingreifender Spiegel weiß. Den Jungen fehlt die dunkle Zeichnung. Das Harte— beeſt bewohnte früher in zahlreichen Herden Südafrika ſüdlich des Limpopo, iſt aber heute im Kapland faſt ganz ausgerottet und findet ſich nur noch in Transvaal. — In Oſtafrika, be⸗ ſonders in der Maſſaiſteppe, lebt die unter dem Namen Kongoni, Bubalis cokei Gthr. (Taf. „Paarhufer XII“ 4), bekannte Kuhantilope, einer der kleinſten Vertreter ihrer Gattung. Sie iſt lebhaft ſandfarben mit etwas dunkler brauner Unterlippe, die Schwanzquaſte und die langen Haare der Schwanzoberſeite ſind ſchwarz. Sonſt hat das Tier keine dunklen Abzeichen; die Hornform ähnelt der der Tora. Nach Jackſon wechſelt die Farbe in ein und derſelben Herde von Hellbraun zu Dunkelbraun. Die alten Bullen ſind am dunkelſten. Das Ge— wicht zweier alter Bullen gibt Rooſevelt mit 299 und 340 Pfund, das einer alten Kuh mit 315 Pfund an. — Südlich ſchließt ſich dann in Deutſch-Oſtafrika bis nach Portugieſiſch— Oſtafrika Lichtenſteins Hartebeeſt, das Konzi, Bubalis lichtensteini Pfrs. (Taf. „Baar: hufer XII“, 5), an, ein ſehr großes Tier, braun mit einem lebhafter rötlichbraunen Sattel längs des Rückens. Das Kinn, die langen Haare des Schwanzes und die Vorderſeite des unteren Teiles aller vier Beine ſind ſchwarz, die Unterſeite weißlichgelb, die Keulen merklich heller als der übrige Körper. Die ſehr ſtark gekrümmten Hörner ſind kurz und außerordentlich kräftig an der Baſis. — Vom nördlichen Britiſch-Oſtafrika durch den Sudan bis zum Tſadſee iſt der Lelwel, B. lelwel Hgl., verbreitet; er hat gelbrote Färbung und trägt ſtark geknickte Hörner, die von vorn „förmig ausſehen. — Ihm nahe verwandt iſt die Weſt— afrikaniſche Kuhantilope, B. major Blyth, die weſtlich vom Tſad bis zum Senegal vor— kommt; fie iſt wie der Lelwel eine große Art; ihre Färbung it ſchön braun, und ihre Hörner find in der Vorderanſicht förmig. Dank den Beobachtungen Heuglins, Schweinfurths, Böhms, Bergers und anderer kennen wir gegenwärtig die Lebensweiſe der Leier- und Kuhantilopen genau, ſo daß wir ein gutes Geſamtbild zu entwerfen vermögen. Die Tiere ſind wie überhaupt alles afrikaniſche Steppenwild äußerſt geſellig. Gern vereinigen ſie ſich in großen Herden mit Zebras, Grant— und Thomſon-Gazellen. Selbſt Strauße ſind dieſen Herden beigemiſcht. Offenbar iſt es das Sicherungsbedürfnis, das dieſe Tiere zuſammen weiden läßt. Nach Rooſevelt bevorzugen ſie zwar die offene Steppe, finden ſich aber doch häufiger im offenen Buſchlande als die Zebras. Schweinfurth lernte den Lelwel als einen der gemeinſten Bewohner der Bongo- und Njam⸗Njam⸗Länder kennen. „Am häufigſten“, jagt er, „ſtößt man auf Rudel von 5—10 Stück in den unbewohnten Grenzwildniſſen; in den bebauten Gegenden bevorzugt das Tier den lichten Buſchwald in der Nachbarſchaft der Flußniederungen, ohne dieſe ſelbſt zu betreten. Es hat die Gewohnheit, um die Mittagszeit an Baumſtämmen oder an hell von der Sonne be— ſchienenen Termitenhügeln ſtehenden Fußes zu raſten und entzieht ſich alsdann durch ſeine beharrliche Ruhe und die bevorzugte Wahl eines völlig gleichfarbenen Hintergrundes oft lange den Blicken des Spähenden.“ Dieſe Termitenhügel werden beſonders gern von den Schild— wachen aufgeſucht, die eine weidende Kongoniherde aufzuſtellen pflegt. Die Rudel können, wie Schillings mitteilt, ſowohl von einem Bock wie auch einer Kuh geführt werden. Nach Erlegung dieſes Leittieres iſt die ſonſt ſchwer zu berückende Herde ziemlich kopflos, ſo daß dann leicht mehrere Tiere dem Jäger zur Beute fallen. Trotz der unſchönen Geſtalt und des häß— lichen und ungeſchlachten Kopfes, welcher der Kama, wenn ſie ausſchreitet, ein ebenſo auf fallendes wie plumpes Ausſehen verleiht, macht ſie doch einen majeſtätiſchen Eindruck auf 190 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. den Beſchauer, und zwar den beſten, wenn ſie ſich in Galopp ſetzt. Im Anfange des Laufes ſieht es freilich aus, als wäre ſie auf den Hinterbeinen gelähmt; ſobald ſie jedoch einmal ordentlich in Bewegung gekommen iſt, verſchwindet dieſer Eindruck vollſtändig. Sie fördert ſich dann mittels eines wiegenden und gleichmäßigen Trottes, trägt den Kopf mit dem Gehörn erhoben wie ein edles Roß, hebt die Füße wie ein Schulpferd, peitſcht den weißen Spiegel mit dem glänzend ſchwarzen Schwanze und ſtürmt ziemlich eilfertig dahin. Bewegungsluſtig wie die meiſten anderen Antilopen, gefällt ſie ſich oft in wunderſamen Sprüngen und Wendungen, gar nicht ſelten auch in eigentümlichen Spielen. „In einem Abſtande von kaum 500 Schritt vom Wege“, erzählt Schweinfurth vom Lelwel, „feſſelte ein Trupp tändelnder Hartebeeſte unſere Aufmerkſamkeit. Sie ſpielten miteinander in einer Weiſe, daß man glauben konnte, ſie machten ihre Schwenkungen gelenkt von unſichtbaren Reitern. Und dies alles geſchah angeſichts einer Karawane von einer halben Wegſtunde Länge. Paarweiſe umjagten fie ein großes Baumes wäldchen, wie in einer Arena im Kreiſe um dasſelbe laufend; dabei ſtanden andere Trupps von 3—4 Hartebeeſten als aufmerkſame Beſchauer ſtill beiſeite und löſten nach einer Weile die kreiſenden ab. So ging es fort, bis endlich meine Hunde auf ſie losſtürzten und ſie nach allen Richtungen zerſtreuten . . . Ich glaube, die Tiere befanden ſich in der Brunftzeit und waren in dieſem Zuſtande blind gegen äußere Gefahr.“ Inwiefern die Auffaſſung Schweinfurths berechtigt iſt, geht am beiten daraus hervor, daß ſolche Spiele beim Hartebeeſt und allen ſeinen Verwandten in ernſte Zweikämpfe ausarten, ſobald ein zweiter ſtarker Bock ſich bei dem Rudel einfindet. Wie ſchon die Alten von ihrem Bubalus erzählten, knien ſie ſich bei ſolchen Kämpfen auf den Boden, den Kopf zwiſchen die Vorderläufe gebeugt, nähern ſich Stirn an Stirn und ſchlagen nun mit größter Wut die Gehörne gegeneinander, ſo daß ein weithin hörbares, geräuſchvolles Klappern entſteht. Nicht ſelten verfangen auch ſie ſich wie kämpfende Hirſche und vermögen dann entweder gar nicht oder nur unter Verluſt eines Hornes ſich zu trennen. Die Wunden, die kämpfende Böcke einander beibringen, ſind tief und gefähr— lich. In der geſchilderten Weiſe ſollen ſich die Tiere auch gegen ihre Feinde verteidigen. Die Satzzeit des einzigen Kalbes ſoll, laut Harris, in Südafrika in die Monate April und September fallen, woraus alſo hervorgehen würde, daß ſich dieſe Antilopen zweimal im Laufe des Jahres paaren. Nach Rooſevelt hat das Kongoni keine beſtimmte Satzzeit; wie bei anderem Wild Aquatorialafrikas findet man das ganze Jahr über Kälber. Gefangene haben ſich auch in unſeren deutſchen Tiergärten wiederholt fortgepflanzt und Junge erzielt, die man ohne Schwierig— keiten aufziehen konnte. Hierbei wurde eine Tragzeit von etwa 8 Monaten feſtgeſtellt. Ein im Tiergarten zu Frankfurt geborenes Kuhantilopenkalb war größer als ein Hirſchkalb, glich noch viel mehr einem Kuhkalbe als die Alten den Rindern, hatte ſehr hohe Beine, zeigte ſchon einiger— maßen den langen Kopf, aber eine ſehr gewölbte Stirn und war rötlichgelb gefärbt wie die Alten. Sofort nach ſeiner Geburt lief es mit der Mutter durch ſein Gehege, obwohl ſeine Be— wegungen noch überaus ungelenk waren und ſein Galopp an den der Giraffen erinnerte. Nach anderweitigen Beobachtungen brechen ungefähr im dritten Monate des Lebens die Hörner durch; es bedarf jedoch mehrerer Jahre, bevor ſie ihre eigentümliche Krümmung erhalten, und ſie ſind demgemäß in verſchiedenen Zeitabſchnitten von denen der alten Tiere gänzlich verſchieden, ändern auch ihre Geſtalt und Biegung bis zum vollendeten Wachstume faſt ununterbrochen. Sehr eigentümlich iſt die von Berger und Rooſevelt beobachtete Gewohnheit der Kuh— antilopen, den Miſt an beſtimmten Plätzen abzuſetzen. „Es waren dieſes kreisrunde, glatt— getretene Plätze, in deren Zentrum ſich ein kleiner, mit Düngerveſten bedeckter Ameiſenhügel befand“, ſchreibt Berger. Dieſe ebenen Plätze entſtehen, nach Rooſevelt, dadurch, daß ſich ein Lebensweiſe der Kuhantilopen. Weißſchwanzgnu— 191 ganzes Rudel auf und neben einem Ameiſenhügel verſammelt und ihn zum Tummelplatz macht, indem es ihn mit den ſcharfen Schalen zu Staub zertrampelt. Junge Kuhantilopen werden un— gemein zutraulich. Im ſpäteren Alter zeigen ſie ſich aber oft bösartig wie ſo viele Huftiere. Löwe und Leopard ſollen den Kuhantilopen eifrig nachſtellen; auch von Schmarotzern werden dieſe überaus ſtark gequält, leiden namentlich unter den Larven gewiſſer Biesfliegen. Gejagt werden Kuhantilopen überall, wo ſie vorkommen, und zwar von den Eingebore— nen wie von den Weißen. Sie haben die Gewohnheit, wenn ſie ſich verfolgt ſehen, immer einen beſtimmten Abſtand zwiſchen ſich und dem Jäger einzuhalten, dieſen ſomit gewiſſer— maßen zu foppen und zu verſpotten, da ſie nur für die weittragendſten Büchſen ſchußgerecht aushalten. Das Wildbret wird überall hochgeſchätzt. Das Fell benutzt man zu Decken, aus der gegerbten Haut bereitet man Riemen und Geſchirre, die Hörner werden ihrer Härte und ihres Glanzes halber zu allerlei Gerätſchaften und Schmuckgegenſtänden verarbeitet. Da Baſtarde zwiſchen Säugetieren in freier Wildbahn im allgemeinen ſelten ſind, mag hier ein Tier erwähnt werden, deſſen Schädel Selous 1893 der Londoner Zoologiſchen Geſellſchaft vorlegte, und das er für eine Kreuzung von Damaliscus lunatus und Bubalis caama hielt. Wohl die auffälligſten aller Antilopen find die Gnus (Connochaetes Zeht., Catoblepas), höchſt abſonderliche Wiederkäuer, dem Anſcheine nach Mittelglieder, falls man jo jagen darf, zwiſchen Antilope, Rind und Pferd, wahre Zerrbilder der edlen und zierlichen Geſtalten ihrer Familie. Das Gnu erſcheint faſt wie ein Pferd mit geſpaltenen Hufen und einem Stierkopfe. Der auf mäßig hohen, ſchlanken Läufen ruhende Leib iſt gedrungen, vorn merklich höher geſtellt als hinten, der Kopf faſt viereckig, die Muffel breit wie bei den Rindern, das Naſenloch wie ge— deckelt, das wie von einem Sternenkranze weißer Borſten kreisartig umgebene Auge von wildem und bösartigem Ausdrucke, das Ohr klein und zugeſpitzt, das Gehörn, das beide Geſchlechter tragen, auf der Stirnleiſte aufgeſetzt, platt gedrückt, ſehr breit, narbig, ſeitlich abwärts und mit den Spitzen aufwärts gebogen, der Schwanz lang bequaſtet wie ein Roßſchweif, die Geſichts— firſte, der Vorderhals, Nacken, die Kehle und Wange ſtark bemähnt, das übrige Haarkleid glatt anliegend. Die Geſtalt der Hörner wird erſt allmählich im Laufe der Entwickelung erreicht; bei den Jungen ſind ſie gerade und aufrecht. Im Inneren der Naſenlöcher befindet ſich eine beweg— liche Klappe; auf der Wange ſtehen drüſige Warzen. Das Weibchen hat 2 Zitzen. Die Gnus bewohnen in zahlreichen Formen Süd- und Oſtafrika. Alle die vielen Raſſen oder Unterarten, die der heutige Syſtematiker unterſcheidet, gruppieren ſich in zwei Formenkreiſen oder Arten. Das echte oder Weißſchwanzgnu, das Wildebeeſt der Buren, Connochaetes gun Zimm. (Abb., S. 192), erreicht eine Geſamtlänge von 2,8 m, einſchließlich des Schwanzes, der ohne Haar 50 cm, mit den Haaren aber 80 — 90 em mißt, bei 1,35 m Schulterhöhe. Die vor— herrſchende Färbung iſt ein dunkles Graubraun, das an manchen Stellen heller, an anderen dunkler erſcheint und bald mehr ins Gelbe oder Rötliche, bald mehr ins Schwärzliche zieht; die bürſtenartige, aufrechtſtehende Nackenmähne ſieht weißlich aus, weil deren Haare an der Wurzel grauweiß, in der Mitte ſchwarz und an der Spitze rötlich ſind; der ſehr lange, faſt bis auf die Erde reichende Schweif iſt, abgeſehen von der dunklen Wurzel, weiß. Die langen Haare des Geſichts ſind mit der Spitze aufwärts gerichtet. Die Hörner wenden ſich erſt nach unten und außen, dann rückwärts und aufwärts; der breite Anſatzteil entwickelt ſich mit dem Alter jo ſtark, daß die Hörner am Grunde faſt ſich berühren und den Schädel ganz bedecken. Das Weibchen iſt kleiner und ſein Gehörn ſchwächer, ſeine Färbung der des Männchens vollkommen gleich. 192 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. In ſeinen erſten Lebenstagen iſt das Kälbchen, laut Blaauw, iſabellfarben mit weißen Beinen und kurzer ſchwarzer Nackenbürſte; der kurze Schwanz iſt ziemlich dick weiß behaart; an dem kaſtanienbraunen Vorderkopf deuten einige etwas verlängerte Haare die Stelle an, wo die Hörner bald hervorkommen. Das Weißſchwanzgnu bewohnt Südafrika ſüdlich des Limpopo; im Kaplande iſt es aus⸗ gerottet. Von den ungeheuren Herden, von denen die Reiſenden des erſten Drittels des 19. Jahrhunderts erzählen, und die Gegenſtand eifriger Jagd der Trekburen waren, iſt faſt Weißſchwanzgnu, Connochaetes gnu Zimm. ½ natürlicher Größe. nichts mehr übriggeblieben. Nur auf einer oder zwei Farmen im Norden der Kapkolonie leben heute noch ſpärliche Reſte. Das Streifengnu, das Blaue Wildebeeſt der Buren und Engländer, Connochaetes taurinus Burch, it merklich größer als das Gnu, da ſeine Geſamtlänge reichlich 3 m, die Höhe am Widerriſt 1,6 m beträgt. Es unterſcheidet ſich von jenem auch durch die ſtark gebogene Rammsnaſe, bedeutend höheren Widerriſt ſowie längere Nacken- und Halsmähne. Die vor⸗ herrſchende Färbung iſt ein dunkles Blaugrau oder Aſchgrau, wovon dunklere Querſtreifen aus abweichend gerichteten Haaren ſich deutlich abheben; das Geſicht ſieht ſchwarzbraun aus, der Scheitel, die Halsmähne und die Kinnlade haben ſchwarze, die Kopfſeiten blaßbräunliche Färbung, die Seiten ſind roſtfarbig überlaufen, die Außenſeite der Vorderbeine iſt in der oberen Hälfte roſtfarben gelblichbraun, die Innenſeite licht graubraun, die Unterhälfte licht Weikbartanu. Streifengnu. Weißbartgnu. 193 rötlichbraun, der Schwanz oben wie der Körper gefärbt, im übrigen tief ſchwarz. Die langen Haare des Geſichts ſind mit der Spitze abwärts gerichtet. Die Hörner verlaufen erſt ziemlich wagerecht nach außen, dann aufwärts. Das Streifengnu bewohnt Oſtafrika nördlich vom Vaalfluß bis zum Kilimandſcharo, alſo auch Deutſch-Oſtafrika. Nördlich ſchließen ſich an das Streifengnu einige Unterarten an; von dieſen iſt am be— kannteſten das Weißbartgnu, C. t. albojubatus 7%os., vornehmlich unterſchieden durch hellere Grundfarbe, weißlichgelbe Bruftmähne und weiße Haarbüſchel an den Kiefern. Das Weiß— bartgnu bewohnt Britiſch-Oſtafrika nördlich des Kilimandſcharo und weſtlich des Viktoriaſees. Dem Weißbartgnu ſteht Hecks Gnu, C. t. hecki O. Neumm., von Deutſch-Oſtafrika nahe, deſſen weiße Bruſtmähne mit ſchwarzen Haaren gemiſcht iſt. Im Njaſſagebiet lebt Johnſtons Gnu, C. t. johnstoni Sci., das gekennzeichnet iſt durch eine weiße Binde, die etwa in der Mitte quer über das ſonſt ſchwarze Geſicht verläuft. Die Gnus ſind geſellig lebende Tiere, die in großen Herden und vergeſellſchaftet mit anderen Antilopen weiden. Erſchreckt galoppieren ſie ein kurzes Stück, in eigentümlicher Weiſe den Schweif bewegend, bleiben dann plötzlich ſtehen, betrachten den Gegenſtand ihres Schreckens und ſtoßen dabei einige kurze Tone aus. Ein ſchönes Lebensbild des Weißbartgnus gibt Rooſevelt. „Es ſind Tiere der offenen Ebene, immer auf der Hut und vorſichtig; die Kühe mit ihren Käl— bern und ein oder mehrere Bullen bilden Rudel von einigen Dutzend; die alten Bullen ſchlagen ſich einzeln oder zu zweien und dreien ab oder geſellen ſich zu Rudeln von Zebras, Kuhanti— lopen oder Gazellen.“ Angeſchoſſen nehmen ſie gelegentlich auch den Menſchen an. „Die Gnus ſind“, ſagt Rooſevelt an einer anderen Stelle, „in vieler Hinſicht die intereſſanteſten von allen Antilopen. In ihrem Weſen ſteckt etwas Komiſches, Feuriges, Überſpanntes, und ihre Be— wegungen ſind kurz und heftig. Ein einzelner Bulle kann mit erhobenem Kopfe regungslos verhoffen und einen Eindringling anäugen, bis dieſer nur noch eine Viertelmeile entfernt iſt; dann ſinkt ſein Kopf herab, der Wedel ſchlägt nach oben und im Kreiſe herum, und der Bulle galoppiert davon, ſich bäumend, ausſchlagend und den Kopf ſchüttelnd. Vielleicht flieht er in gerader Linie, vielleicht im Kreiſe, oder er zieht auch wohl nahe an den Eindringling heran; dann verhofft er abermals, um regungslos zu äugen und vielleicht ein Grunzen auszuſtoßen, das Zeichen der Furcht und Herausforderung. Wenn man ſich einem Rudel nähert, ſo pflegt es nach ſcharfem Augen wegzutrollen, möglicherweiſe im Galopp. Bald machen die Leitbullen eine halbe Wendung und führen ihre Gefährten im Halbkreis; plötzlich ſchlagen ſich ein paar alte Bullen von den übrigen ab und beſchreiben in toller Fahrt einen Halbkreis in genau entgegengeſetzter Richtung, indem ſie an ihren Gefährten vorbeiſtürzen, die andersherum rennen. Nun macht der ganze Trupp auf einmal halt und äugt wieder nach dem verdächtigen Gegenſtand hin; darauf jagen ſie alle Hals über Kopf davon, bockend und ausſchlagend, und flüchten in raſender Eile in gerader Richtung, worauf fie unvermutet in jo kurze Halbkreiſe übergehen, daß faſt ein Zickzack entſteht, während der Staub in Wolken emporwirbelt; mög— licherweiſe ſinken auch zwei Bullen plötzlich in die Knie und fechten ein paar Augenblicke in der ihnen eigentümlichen Weiſe.“ Die Bullen kämpfen oft erbittert um die Kühe. Rooſe— velt fand zwar im April junge Kälber, glaubt aber, daß die Satzzeit in Zentralafrika für Gnus wie für viele andere Antilopen an keine beſtimmte Jahreszeit gebunden ſei. Ganz dieſer Schilderung gleichen die, welche Harris, Gordon Cumming und andere von den Gnus des Kaplandes geben. Beſonders die Geſelligkeit, die ſie ſich gern unter Herden anderer Antilopen miſchen läßt, wird ſtets hervorgehoben. Geſellig, lebhaft und ungemein raſtlos, Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 13 c 00 194 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. weder an Waſſer, noch an Gras, noch an Schatten gebunden, wandert, nach den genannten Schriftſtellern, das Weißſchwanzgnu je nach der Jahreszeit von einem Platze zum anderen, und der Reiſende begegnete ihm deshalb faſt allerorten in größeren Herden, häufig in Ge— ſellſchaft des Quaggas und des Springbockes, die mit ihm gemeinſame Verbände bildeten. Eine ſolche Herde iſt in ununterbrochener Bewegung, weil die Gnus kaum der Ruhe bedürfen und ſich beſtändig in den tollſten Poſſen gefallen. In Südafrika ſcheint auch die Sabzeit an eine beſtimmte Jahreszeit gebunden zu fein. Nach Sclater wirft das echte Gnu ſein ein= ziges Kalb im Dezember, das Streifengnu zwiſchen November und Januar. Die Kuh ſoll das Junge mit großer Aufopferung ſchützen und verteidigen. Die Bewegungen ſind eigen— tümlich. Beim Weiden läßt ſich das Gnu, wie beim Kämpfen, gern auf die Knie nieder. Es iſt ein entſchiedener Paßgänger und greift ſelbſt im Galopp noch häufig mit beiden Füßen nach einer und derſelben Seite aus. Alle ſeine Bewegungen ſind raſch, mutwillig, wild und feurig. Dabei zeigt es eine Neck- und Spielluſt wie kein anderer Wiederkäuer. Wenn es ernſte Kämpfe gilt, beweiſen die Männchen denſelben Mut wie die Weibchen. Der laute Schrei des Weißſchwanzgnus wird von M. Schmidt mit einem gellenden Bellen verglichen und von Heck mit „Kui“ wiedergegeben; beſonders die Bullen laſſen ihn oft hören. Das Streifengnu iſt ſchweigſamer, ſeine Stimme nicht ſo ſchrill. In der Gefangenſchaft zeigt ſich das Gnu oft unbändig und wild, unempfindlich gegen Schmeicheleien und ſchwer zähmbar, aber auch ziemlich gleichgültig gegen den Verluſt der Frei— heit. Seine Haltung im ruhigen Zuſtande iſt ganz die der Rinder; der Paßgang unterſcheidet es aber ſofort von dieſen. Dabei bewegt es den Hinterfuß immer etwas eher als den vorderen. Die Jagd auf erwachſene Gnus hat ihre Schwierigkeiten wegen der unglaublichen Schnelligkeit und Ausdauer der Tiere. Ihr Benehmen, wenn ſie aufgeſtört werden, die Art und Weiſe, wie ſie den Kopf aufwerfen, wie ſie ſich niederducken, wie ſie ausſchlagen, bevor ſie fliehen, alles erinnert lebhaft an wilde Rinder. Wie dieſe haben auch ſie die eigentüm— liche Gewohnheit, vor dem Rückzuge die Gegenſtände ihrer Furcht zu betrachten. Es ſoll nicht ſelten geſchehen, daß eine Herde Gnus einen Zug von Jägern herankommen läßt, ohne die Flucht zu ergreifen. Nur zufällig fängt man ein Gnu in Fallgruben oder in Schlingen. Alt eingefangene gebärden ſich wie toll und unſinnig, junge dagegen werden, wenn man ſie mit Kuhmilch aufzieht und ſich viel mit ihnen abgibt, bald ſo zahm, daß man ſie mit den Herden auf die Weide ſchicken und ihnen alle Freiheiten eines Haustieres gewähren kann. In den zoologiſchen Gärten ſieht man das echte Gnu ſeltener als früher, obwohl die Tiere nicht gerade ſchwer zu halten ſind und ſich gelegentlich auch in der Gefangenſchaft fortgepflanzt haben. Einem erfolgreichen Liebhaberzüchter, Blaauw in 's Graveland (Holland), verdanken wir die Kenntnis, daß die Trächtigkeit 8 —81/ Monate dauert, und daß das einzige Junge 7—8 Monate lang geſäugt wird. Blaauw erhielt von einem einzigen Paar 16 Junge. Bei Falz⸗ Fein zeigten ſich Weißbartgnus unempfindlich gegen Kälte und badeten ſogar noch bei 5° R. Fr * Weit mehr gegliedert iſt die nun folgende Gazella-Gruppe Winges. Mit dem Namen Schopfantilopen oder Ducker (Cephalophinae) bezeichnet man kleine Antilopen mit einem Haarſchopf auf dem Scheitel, kurzen, geraden oder leicht rückwärts gekrümmten Hörnern, großer, unbehaarter Muffel, großen Voraugendrüſen, einem haarloſen Ring um die Augen, mittellangem Schwanz und im weiblichen Geſchlecht vier Zitzen. Die Unterfamilie umfaßt nur eine Gattung, Cephalophus I. Sm., die ganz Afrika ſüdlich der Dr Waldducker. 195 Sahara angehört. Die zahlreichen Arten, die meiſt den weſtafrikaniſchen Urwald bewohnen, werden in vier Untergattungen eingeteilt. Durch Hörner, die in der Richtung des Geſichtsprofils liegen und meiſtens auch beim Weibchen vorhanden ſind, und durch den Beſitz von Weichentaſchen zeichnen ſich die Wald— ducker (Untergattung Cephalophus) aus, deren Gebiet ſich, mit einer Ausnahme, auf die afrikaniſche Urwaldzone beſchränkt. Die größte und eine der auffallendſten Arten iſt der Gelbrücken- oder Rieſenducker, ©. silvieultrix Afz., etwa von der Größe eines Rehes, aber weſentlich plumper gebaut, der Gelbrückenducker, Cephalophus siivienltrix Afz. Yız natürlicher Größe. die ganze afrikaniſche Urwaldregion von Sierra Leone bis Angola und Nordrhodeſien bes wohnt. Am Körper iſt er ſchwarzbraun gefärbt, die Wangen ſind hellgrau, der Scheitelſchopf iſt roſtbraun; ein langer, keilförmiger ſtrohgelber Sattelfleck zieht ſich, etwa in der Rücken— mitte beginnend und nach hinten immer breiter werdend, über den Unterrücken. — Nahe ver— wandt und faſt ebenſo groß iſt der Schabrackenducker, C. jentinki 1½08., von Liberia, mit grauem Rumpf und ſcharf abgeſetzt ſchwarzbraunem Kopf und Hals. — Zu den mittel— großen Arten gehört der einfarbig braunrote Buſchducker, C. natalensis A. Sm., die ein— zige Art der Untergattung, die über die Urwaldgrenze im Süden bis zum Kaplande hinaus— geht; im Urwaldgebiet kommt ſie weſtlich bis nach Kamerun vor und bildet dort eine Lokal— form, den Schwarzſtirnducker, C. u. nigrifrons Gray, ausgezeichnet durch ſchwarze Stirn 13* 196 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. und verlängerte Hufe. — Im ganzen afrikaniſchen Urwald lebt der Schwarzrückenducker, C. dorsalis Gray; er hat rotbraune Grundfarbe, ein nach hinten verbreitertes ſchwarzes Rückenlängsband und dünne, runde, weit geſtellte Hörner. — Die kleinſte Art iſt der Blau— rückenducker, C. rufilatus Gray, der hauptſächlich an der afrikaniſchen Weſtküſte vorkommt; er iſt hell rotbraun gefärbt mit eigenartig blaugrauem Rücken. — Als beſondere Untergat— tung (Cephalophula Knottnerus-Meyer) wird neuerdings der Streifenducker, C. doria Ogilb., angeſehen, ein Bewohner des hügeligen und bergigen Waldgebiets von Liberia und Sierra Leone. Das ſchöne Tier hat etwa die Größe des Schwarzrückenduckers und trägt bei leuchtend gelbbrauner Grundfarbe eine Anzahl breiter ſchwarzbrauner Querbinden auf dem Rücken, die an die Zeichnung des Beutelwolfs erinnern. Noch etwas kleiner als der Blaurückenducker ſind zum Teil die Zwergantilopen (Unter⸗ gattung Guevei V. Cww.), durchſchnittlich nur etwa 60 em lang, ſomit kleiner als unſer Haſe, bei 30 em Schulterhöhe. Sie unterſcheiden ſich von den Waldduckern durch Fehlen der Weichenta— ſchen, wenig entwickelten Schopf und auch verhält— nismäßig kürzeren, bis zur Spitze gleichbreiten Schwanz; ihre Färbung iſt dunkel blaugrau oder erdbraun. Es gibt zwei Arten: Maxwells Duk— ker, C. (G.) maxwelli II. Sm., von Oberguinea, bei dem die Färbung des Rückens allmählich in die Maxwells Zwergantilope, Cephalophns maxwellt 77. Sn. Yıo natſllichek Größe. der Schenkel übergeht, iſt etwas größer und lang— ſchwänziger als das Blauböckchen, C. (G.) caerulus H. Sm. (monticola), deſſen dunkle Rückendecke hinten ſcharf abgegrenzt iſt. Das Blauböckchen bewohnt in zahlreichen Lokalformen den afrikaniſchen Urwald von Kamerun im Weſten bis Sanſibar im Oſten und geht im Süden über die Urwaldgrenze hinaus bis zum Kapland. Die weſtlichen Formen, wie C. &. melanor- rheus Gray von Fernando Po und C. c. schultzei Schwarz von Kamerun, find mehr blau— grau mit grauen Beinen, während die öſtlichen und die typiſche ſüdafrikaniſche Form mehr bräunliche Färbung und rotbraune Beine haben. Beide Arten halten ſich gut in Gefangen— ſchaft; in den zoologiſchen Gärten gehören die niedlichen, lebhaften und zutraulichen Zwerg— ducker zu den Lieblingen der Beſucher und haben ſich auch wiederholt hier fortgepflanzt. Auf— fallend iſt bei ihnen, daß ſie fortwährend, wohl rein reflektoriſch, den Schwanz auf und nieder klappen. Nach einer Tragzeit von 6°/s Monaten wirft das Weibchen 1 oder 2 Junge, die verhältnismäßig ſtark zur Welt kommen. Von den bisher genannten unterſcheiden ſich die Echten oder Steppenducker (Un— tergattung Sylvicapra Ogilb.) dadurch, daß ihre Hörner in ſcharfem Winkel zum Profil Zwergantilopen. Steppenducker. Windſpielantilopen. 197 ziemlich ſteil nach oben ſtehen. Die Weibchen ſind gewöhnlich ungehörnt. Die Steppenducker haben etwa die Größe der mittelgroßen Waldducker, aber ſchlankeren, zierlicheren Körperbau und längere, ſpitzere Ohren. — Der Echte Duder, C. (S.) grimmius Z. (mergens), erreicht eine Länge von 1,1m, wovon etwa 20 em auf den Schwanz kommen, bei 55 em Schulterhöhe. Seine geraden, pfriemenförmigen, vier- bis ſechsmal flach geringelten Hörner von 7—10 em, ausnahmsweiſe bis 12,5 em Länge, die in der Regel dem Weibchen fehlen, verſchwinden fait zwiſchen den Haaren des Schopfes. Die Läufe ſind ſehr ſchlank, die Hufe und Afterklauen klein, der bequaſtete Schwanz iſt kurz. Die vielfach abändernde Färbung iſt auf der Ober— ſeite meiſtens graulich olivenfarbig, beim Männchen auch wohl dunkel gelbbraun, mit dunklem Längsfleck in der Naſengegend, längs des Rückens und der Keulen ſchwarz geſprenkelt und geht an den Knöcheln und der Vorderſeite der Läufe ins Schwarzbraune, an der Unterſeite ins Weiße über. Der Verbreitungskreis des Tieres erſtreckt ſich über alle afrikaniſchen Steppen— gebiete, vom Gambia durch den Sudan und Oſtafrika bis zum Kap. Die ſüdlichen Formen, zu denen die typiſche gehört, ſind größer und grauer, die nördlichen und weſtlichen, wie der ſenegambiſche Kronenducker, C. (S.) g. coronatus Gray (Taf. „Paarhufer XIII“, 4, bei S. 208), kleiner und meiſt gelber. Der Ducker iſt eine der erſten Antilopen, mit denen der Neuling im Kaplande zuſammen— trifft, da jener die Buſchdickichte der Seeküſte in faſt noch größerer Anzahl bewohnt als die Waldungen des inneren Landes. Wie allen kleineren und zwerghaften Antilopen begegnet man ihm entweder einzeln oder in Paaren. Niemals läßt er ſich außerhalb der ihn deckenden Gebüſche ſehen. Innerhalb des ärgſten Dickichts bewegt er ſich mit einer Gewandtheit und Vorſicht, daß der ihm von den Holländern zuerteilte Name vollſtändig gerechtfertigt erſcheint. Aufgeſcheucht macht er erſt einige hohe Sprünge, bevor er flieht, dann eilt oder ſchleicht er zwiſchen den niederen Zweigen und dem Graſe ſo behende dahin, daß er in vielen Fällen dem ihn verfolgenden Jäger glücklich entgeht. Ihren Miſt ſetzen die Ducker ſtets an demſelben Platze ab, wenigſtens berichtet dies Yönnberg von Harveys Buſchducker, C. natalensis harveyi Thos. Wie alle kleinen Antilopen äſen die Ducker am frühen Morgen oder bei Nacht. Die Jungen, meiſt eins, ſelten 2, werden im Frühjahr, September oder Oktober, geboren. > Die Unterfamilie der Windſpielantilopen (Madoquinae) umfaßt kleine Antilopen, deren Muffel bis vor die vorderen Winkel der Naſenlöcher behaart, davor aber nackt iſt. Große Voraugendrüſen ſind vorhanden, Weichendrüſen fehlen. Der Schwanz iſt kurz oder von mitt— lerer Länge. Nur die Böcke tragen Hörner; dieſe ſind kurz, annähernd gerade, ſtehen ſenk— recht oder ſind rückwärts geneigt, an der Baſis geringelt, an der Spitze glatt. Das Weibchen hat nur ein Paar Zitzen. Die Unterfamilie bewohnt das äthiopiſche Afrika mit Ausnahme des ſüdlichſten und ſüdöſtlichen Teiles. Die Windſpielantilopen oder Dik-Diks (Madoqua Ogilb.) haben eine verlängerte, rüſſelartige Naſe, deren Spitze völlig behaart iſt mit Ausnahme des unteren Teiles der Naſen— ſcheidewand. Der Scheitel trägt einen Schopf. Ein Schwanz iſt kaum vorhanden, auch die Nebenhufe ſind ſehr klein. Die Weibchen ſind größer als die Männchen. Die Windſpielantilopen bewohnen die afrikaniſchen Steppengebiete von Abeſſinien durch Oſtafrika bis zum Kaplande und nach Angola, fehlen aber im Sudan und in Weſtafrika. Die verſchiedenen Arten zerfallen in zwei Gruppen. Bei der einen Untergattung, die man 198 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Rüſſelzwergantilopen nennen kann (Rhynchotragus O. Neumn.), iſt der Rüſſel gut ent— wickelt, und der letzte untere Backzahn beſteht wie bei allen Wiederkäuern aus drei Teilen. Amgröß—⸗ ten iſt noch der Damara-Dik-Dik, Madoqua (Rh.) damarensis G., der in den gebirgigen Teilen von Damaraland und Süd-Angola, alſo auch in Deutſch-Südweſtafrika lebt. Scheitel und Rückenmitte ſind graulich, Hinterſeite der Ohren, Körperſeiten und Glieder rötlich gefärbt, der Schopf mit Schwarz gemiſcht. Eine kleinere, oſtafrikaniſche Art iſt M. (Rh.) kirki Gthr. Bei der anderen Gruppe (Untergattung Madoqua) iſt der Rüſſel weniger entwickelt, und ihr unterer Backzahn beſteht, abweichend von dem aller anderen Wiederkäuer, nur aus zwei Teilen. Hierzu gehört die Windſpielantilope, Madoqua saltiana Dlainv. (hemprichi), der Beni Israel der Bewohner Maſſauas, einer der zierlichſten Wiederkäuer, die es gibt, nur etwa 60 em lang und 35—40 em hoch. Der Bock trägt ein kleines Hörnerpaar mit 10—12 Halbringen an der unteren Hälfte der ö Außenſeite und mit nach vorn gebogenen Spitzen, die von dem ſtark entwickelten Haarſchopfe faſt verdeckt und durch die ſehr langen Ohren gänzlich in den Schatten ge— ſtellt werden. Der Leib iſt gedrungen, der Schwanz ein kurzbehaarter Stummel; die Laufe ſind mittellang, aber außerordentlich ſchwach, die Hufe lang, ſchmal und zuge— ſpitzt, die Afterklauen kaum bemerklich. Sehr feine und ziemlich lange Haare decken den Leib. Das Kleid erſcheint fuchſig und grau— 5; bläulich, weil die einzelnen, an der Wurzel Kopf von Kirts Dik-Dik, Madoqua kirki Gtr. Aus 2 2 or „Proc. Zool. Soe., 1880. graubräunlich ausſehenden Haare vor der dunkeln, aber kaum bemerklichen Spitze licht oder rötlich umrandet ſind. Auf dem Rücken geht die Färbung in das Rotbraune, auf dem Naſenrücken und der Stirn in das Fuchsrote über; die unteren Teile und die Innenſeite der Läufe ſind weiß. Ein breiter Streifen über und unter den Augen iſt weiß; die Ohren ſind ſchwärzlich geſäumt— In Abeſſinien wird man vom Meeresſtrande an bis zu 2000 m Höhe den Beni Israel an geeigneten Orten ſelten vermiſſen. Wie die Schopfantilopen, denen er in der Lebensweiſe gleicht, lebt er ſtreng paarweiſe, höchſtens mit einem unausgewachſenen Jungen, im dich— teſten Buſchwalde. Im Anfange wird es dem Jäger ſchwer, das Tierchen zu entdecken. Wenn man recht ſorgfältig das Gebüſch abſucht und ſeine Aufmerkſamkeit hauptſächlich auf dunkle, freie Stellen im Gelaube richtet, ſieht man die zierlichen Waldeskinder ſicherlich. Gerade auf dieſe Blößen ſtellen fie ſich, wenn fie aufgeſcheucht werden. Ihre ungemein feinen Sinne und namentlich das mit den großen Ohren in Einklang ſtehende ſcharfe Gehör verraten ihnen die Ankunft des Menſchen lange vorher, ehe dieſer eine Ahnung von dem Vorhandenſein hat. Beim geringſten verdächtigen Geräuſch ſpringt der Bock auf und lauſcht ſcharf nach der be— züglichen Seite hin; allein dieſe Unterſuchung genügt ihm nicht: er muß auch ſehen, und des— halb geht er langſam nach einem jener offenen Plätze, ſtellt ſich dort wie eine Bildſäule auf und ſchaut dem herankommenden Feinde entgegen. Das Tier folgt in kurzer Entfernung dem Männchen, überläßt aber dieſem ſo lange wie möglich die Sorge um die Sicherheit. Windipielantilope _ 199 Aufrecht ſteht der Bock da, den Kopf hoch erhoben: kein Glied außer dem Gehöre bewegt ſich. Nur der Haarkamm auf dem Kopfe wird ſo geſträubt, daß er die zarten und kurzen Hörner vollkommen überdeckt. So lauſcht und äugt der Bock ſcharf nach dem gefahrdrohenden Gegen— ſtande hin. Eine neue Bewegung des Gefürchteten macht ihn erſtarren: der Fuß, der erhoben iſt, bleibt ſo, das Gehör rührt ſich nicht, aber die Lichter richten ſich auf den einen Punkt. Sowie es ihn dünkt, daß Gefahr im Verzuge ſei, duckt er ſich nieder und ſchleicht, jeden Lauf ſo leiſe und gleichmäßig hebend, als ginge er nach Menſchenart auf den Zehen, unhörbar in das Dickicht zurück, verläßt es auf der entgegengeſetzten Seite, eilt in den dünner beſtandenen Buſchwald hinaus und kehrt, einen großen Bogen um den Feind beſchreibend, wieder nach ſeinem grünen Verſtecke zurück. Am liebſten wendet er ſich, wenn er einmal Nachſtellungen erfahren hat, rückwärts; getrieben aber geht er in Bogen nach vorwärts, immer wieder den grünen Waldſaum berührend und von neuem ſich darin verbergend. Das Tier folgt ihm in geringer Entfernung auf Schritt und Tritt getreulich nach. Solange nicht ein Schuß fiel oder ein Hund ſich zeigte, trollt auch das aufgeſcheuchte Pärchen bald wieder gemächlich dahin. Un⸗ mittelbar vor dem Flüchtigwerden ſtößt der Bock einen ſcharfen Schneuzer aus, der ſechs-, ja achtmal wiederholt wird, wenn man auf ihn ſchoß, ohne ihn zu treffen oder ſogleich zu töten. Selten flüchtet das Pärchen weit weg. Bereits nach wenigen Sätzen trollt es wieder; der Bock hält an, ſichert, geht weiter, ſichert von neuem und unterbricht ſeinen Lauf ſchließlich alle 10 bis 20 Schritt weit. Wurde aber auf den Beni Israel geſchoſſen, gleichviel ob mit oder ohne Erfolg, jo flüchtet er während der erſten 400—600 Schritt überaus eilfertig. Dann erſt zeigt ſich ſeine ganze Beweglichkeit. In weiten Bogenſätzen jagt er dahin, die Vorderläufe im Sprunge dicht an den Leib gelegt, die hinteren wie den Kopf lang vorgeſtreckt. Eine ſo in voller Flucht dahineilende Zwergantilope iſt ſehr ſchwer wahrzunehmen. Die Bewegung er— folgt ſo raſch, und die gewohnte Geſtalt des Tieres hat ſich ſo gänzlich verändert, daß das Auge ein durchaus fremdartiges Geſchöpf zu erblicken vermeint. Nicht ſelten iſt man geneigt, den zierlichen Wiederkäuer für einen Haſen zu halten, und erſt nach einiger Übung lernt man ihn auch während ſeines vollſten Laufes richtig erkennen. An dem einmal gewählten Standorte ſcheint jedes Paar der Windſpielantilope treulich feſtzuhalten, ſolange es von dort nicht vertrieben oder ihm in der Nähe ein noch beſſerer Verſteckplatz geboten wird. Schon von weitem kann der Jäger den Buſch oder den Teil des Dickichts beſtimmen, in dem er Windſpielantilopen finden wird: der dickſte, verſchlungenſte Buſch, und wenn er nicht mehr Raum bedeckt als 25 Quadratmeter, iſt ſicherlich ihr eigent— liches Heim. Sie äſen vorzugsweiſe das Laub der Sträucher, in denen ſie hauſen. Dem Beni Israel gibt wahrſcheinlich die Mimoſe den größten Teil ſeiner Nahrung. Außer den zart ge— fiederten Blättern, denen man es gleich anzumerken meint, daß fie ſolchen kleinen Leckermäulern wohl genügen müſſen, werden aber grüne Triebe und Knoſpen auch nicht verſchmäht. Der Beni Israel ſchlägt ſich, wie die Gazelle, ſeichte Keſſel aus, in denen er ſeine Loſung abſetzt. Dieſe, in Geſtalt, Größe und Färbung Haſenſchroten gleich, gibt dein Jäger jederzeit den ſicherſten Anhaltspunkt zu der nicht unwichtigen Beſtimmung, ob das Pärchen, von dem der Keſſel herrührt, noch zu finden ſein wird oder bereits getötet oder wenigſtens vertrieben wor— den iſt. Gewöhnlich findet ſich ein ſolcher Abort der reinlichen Tiere zwiſchen zwei dichteren Büſchen, unweit der Laube, die den Lieblingsaufenthalt bildet. Ehrenberg gibt den Monat Mai als Satzzeit des Beni Israel an; ich habe aber bereits im März und häufiger im April Junge bei den Pärchen geſehen. In der zweiten Hälfte des März waren faſt alle von mir erlegten Ricken, wie ich zu meinem größten Bedauern fand, 200 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. hochbeſchlagen; im April ſah ich die Pärchen mit ihren Sprößlingen und erhielt ein vor wenig Tagen geſetztes Kälbchen. Das Wildbret unſeres Tieres iſt ziemlich hart und zäh, obwohl noch immer eine leidliche Speiſe. Es eignet ſich faſt mehr zur Bereitung von Suppe als zum Braten. Die Leber iſt jedoch ein wahrer Leckerbiſſen. Über das Gefangenleben dieſer wie aller der zahlreichen zwerghaften Antilopenformen läßt ſich ſagen, daß jung eingefangene bald warme Anhänglichkeit an ihren Pfleger zeigen, ſeinem Rufe folgen, ſich gern berühren, krauen, auf 1905 Arme tragen laſſen; deshalb wird ihre Sanftmut und Liebenswürdigkeit gerühmt. Brot, Möhren, Kartoffeln und Grünzeug genügen zur Ernährung der Gefangenen, Früchte und Blüten verſchmähen ſie auch nicht, Salz belecken ſie, wie die meiſten anderen Wiederkäuer, mit Vergnügen, Waſſer iſt ihnen ein Bedürfnis. Sie halten ſich ſo rein, daß man ſie ohne Sorge zum Genoſſen der Wohnſtube wählen könnte; nur ihr Harn riecht unangenehm. Wenn ſie ſich nach ihrem Pfleger ſehnen, ſtoßen ſie ein leiſes Blöken aus; Furcht geben ſie durch Schneuzen zu erkennen. Dies kann man namentlich bei Gewitter bemerken: fie ſchnaufen bei jedem heftigen Donnerſchlage. Oft preſſen ſie eine klebrige, ölige Schmiere aus ihren Geſichtsdrüſen. Dieſe Maſſe riecht wie Moſchus, und die Tiere ſcheinen entſchiedenes Wohlgefallen an dem Geruche zu haben. Im übrigen behalten ſie auch in der Gefangenſchaft ihre Sitten bei. So legen ſie niemals ihre Schreckhaftigkeit ab, fliehen eiligſt, wenn jemand, zumal ein Fremder, eine raſche Bewegung macht, verſuchen ſogar ſich zu ducken und zu verbergen; allein ſchon nach augen Zeit zeigen jie gegen Bekannte wieder dieſelbe Zutraulichkeit wie vorher. Zu den Madoquinae ſtellt neuerdings Pocock auch die Gattung Doreatragus Noack. Die einzige Art, die Behra oder Baira, D. megalotis Menges, bewohnt die Berge des nördlichen Somalilandes. Es iſt eine zierliche Antilope von rötlichgrauer Farbe und ungefähr 50 em Schulterhöhe, mit verhältnismäßig großen Ohren. Die nur etwa 7 em langen Hörn— chen ſind dünn, weit geſtellt und leicht nach vorn gekrümmt; dem Weibchen fehlen ſie. * Durch größere Ausdehnung des nackten Feldes auf der Muffel, nämlich bis zu dem hinteren Naſenwinkel, unterſcheidet ſich die über den größten Teil des äthiopiſchen Afrikas verbreitete Unterfamilie der Böckchen (Neotraginae) vornehmlich von der der Windſpielantilopen. Sie beſitzt Weichendrüſen, kurze Hörner im männlichen und zwei oder vier Zitzen im weiblichen Ge— ſchlecht. Die Unterfamilie wird in drei Gattungen eingeteilt. Durch nackten Fleck unter dem Ohr, Fehlen der Nebenhufe und rückwärts gerichtete Hörner zeichnet ſich die Gattung der Zwergböckchen (Neotragus H. Sm.) aus. Es find ſehr kleine und zierliche Antilopen, die Welt, Zentral- und Oſtafrika bewohnen. Die drei Untergattungen unterſcheiden ſich durch die Richtung der Hörner und Vorhandenſein oder Fehlen einer Lücke zwiſchen Ober- und Zwiſchenkiefer. Sie iſt vorhanden bei Nesotragus und Hylarnus und fehlt bei Neotragus. Bei dem erſten ſind die Hörner deutlich aufwärts gerichtet, bei den beiden letzten verlaufen ſie rückwärts in der Richtung der Stirn. Oſtafrika und die davorgelagerten Inſeln bewohnt die Untergattung Nesotragus von Dü- ben. Ihr bekannteſter Vertreter iſt das Moſchusböckchen, Neotragus (Nesotragus) mo- schatus von Düben, ein etwa 68 em Länge erreichendes dunkelbraunes, ſehr fein rehgrau geſticheltes Tier, mit einem Hauch von Rötlich, der beſonders lebhaft im Geſicht und an den Seiten des Halſes iſt. Die Naſenſpitze hat einen braunen Fleck, die Kehle iſt blaßrötlich. Kinn, Behra. Zwergböckchen. Grysbok. Steenbok. Bleichböckchen. 201 Bauch und innere Seite der Beine ſind weiß, die oberen Teile der äußeren Seite ſind wie die Flanken gefärbt, die unteren blaßrötlich. Das Moſchusböckchen bewohnt Sanſibar und das gegenüberliegende Oſtafrika. Die ungemein zierlichen Tierchen halten ſich gut in der Ge— fangenſchaft, wo ſie auch zur Fortpflanzung ſchreiten. Die einzigen Laute, die man von ihnen vernimmt, ſind ein Schneuzen und ein leiſes lammartiges Blöken. Erſt ſeit etwa 10 Jahren kennt man die Untergattung Hylarnus 7%os., die die äqua— torialen Waldregionen Afrikas bewohnt. Neotragus (H.) batesi Winton iſt der kleinſte be— kannte Wiederkäuer, nur ungefähr halb ſo groß wie das folgende Zwergböckchen. Der einzige Vertreter der Untergattung Neotragus H. Sm., das Zwergböckchen, Neo- tragus pygmaeus L., iſt in den Wäldern Weſtafrikas daheim, von Liberia bis Aſchanti. Es iſt ein Tierchen von 25 em Schulterhöhe, lebhaft rotbraun mit ſcharf abgeſetzter weißer Unterſeite. Durch faſt ſenkrecht ſtehende Hörner und bedeutendere Größe (Schulterhöhe etwa 55, Länge 85 em) unterſchieden iſt die Gattung Raphicerus H. Sm. aus Süd- und Oſtafrika. Von dieſer Gattung find der Grysbok, Raphicerus melanotis Zhumb., und der Steen— bok der Buren, Raphicerus campestris 7humb., lange bekannt. Erſterem fehlen die Neben— hufe, letzterer, der allein die Untergattung Nototragus Thos. et Schwann bildet, beſitzt fie. Das Greisböckchen (wie Matſchie den Burennamen überſetzt) hat zwiſchen den lebhaft rot— braunen Haaren ſeines Körpers zerſtreut weiße Haare ſtehen, die dem Steinböckchen fehlen. Außerdem gibt es von beiden mehr oder weniger albinotiſche Stücke. Über die Lebensweiſe von Raphicerus sharpei 7hos. aus Transvaal und Moſambik berichtet Stevenſon-Hamilton. Dieſe Art lebt einzeln in dichten Büſchen am Fuße niedriger Hügel ſtets in der Nähe von Waſſer. Ein oder mehrere Tiere ſetzen mit Vorliebe, wenn auch nicht regelmäßig, ihren Miſt am gleichen Platze ab. Sie äſen während des Nachts oder am frühen Morgen Gräſer und Kräuter. Die Gattung der Bleichböcke (Ourebia Lauvill.) hat einen nackten Drüſenfleck unter jedem Auge, Haarbüſchel an den Knien und einen kurzen Schwanz mit meiſt ſchwarzer End— quaſte. Die kurzen Hörner ſind an der Baſis geringelt, an der Spitze glatt; ſie kommen nur den Männchen zu. Die verſchiedenen Arten, Bewohner der afrikaniſchen Steppengebiete, ähneln einander in Lebensweiſe und Ausſehen ſehr. In Südafrika vertritt die Gattung das Bleichböckchen oder der Oribi, Ourebia ourebi Zimm. (scoparia). Das Tier iſt kaum ſchwächer als unſer Reh, 1,1 m lang, am Widerriſt 60 em, am Kreuze noch etwas darüber hoch, und durch ſeine zierlichen und regel— mäßigen Formen beſonders ausgezeichnet. Die Färbung iſt ein lichtes Fuchsrot oder Gelb— braun auf der Oberſeite und ein faſt ſchneeiges Weiß am Unterleibe, der Innen- und Hinter— ſeite der Beine. Auch ein Fleck über den Augen, die Lippen, das Kinn und die Innenſeite der Ohren ſind weißlich, während die Ränder der letzteren ſchwarzbraun erſcheinen. Das kleine, faſt gerade aufſteigende, nur leicht nach vorn gekrümmte, dünne Gehörn, das nur der Bock trägt, iſt am Grunde deutlich geringelt und wird bis 12 em hoch. Wie viele andere kleine Antilopen lebt das Bleichböckchen paarweiſe. Es ſetzt nur ein Kalb bei jedem Wurf. An geeigneten Plätzen finden ſich immer wieder Bleichböckchen ein, wenn ſie auch noch ſo oft weggeſchoſſen werden. Überhaupt ſind ſie nichts weniger als ſcheu 202 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. und kommen gerade in der Nähe von Ortſchaften beſonders häufig vor. Die Grasſteppe ziehen ſie dem Buſchwald entſchieden vor. i „Wirklich reizend“, jagt Drayſon, „iſt die Art und Weiſe ihrer Flucht, wenn ſie auf: geſchreckt oder geſtört werden. Sie fliehen mit der größten Schnelligkeit dahin, ſpringen dann plötzlich meterhoch in die Luft, werden von neuem flüchtig und machen nochmals einen Luft— ſprung, wahrſcheinlich in der Abſicht, ihre nächſte Umgebung beſſer zu überſchauen; denn ſie ſind zu klein, als daß ſie über das Gras wegäugen könnten. Manchmal, beſonders wenn er irgendeinen verdächtigen Gegenſtand bei dem erſten Sprunge entdeckt hat, ſchnellt der Bleich— bock mehrere Male nacheinander auf, und dann will es auch dem unbefangenen Auge er— ſcheinen, als ob er ein mit Schwingen begabtes Geſchöpf wäre und die Kraft habe, ſich in der Luft ſchwebend zu erhalten. Wenn z. B. ein Hund auf ſeiner Fährte iſt und ihm eifrig durch das lange Gras folgt, ſpringt er wiederholt nacheinander hoch auf, beobachtet während des Schwebens genau die Gegend, aus der ſein Verfolger herbeikommt, ſchlägt plötzlich einen Haken und kommt dem böſen Feinde oft genug aus dem Geſicht. Beim Herabſpringen fällt das Tier immer zuerſt mit den Hinterläufen auf den Boden. Der aufgeſchreckte Bleichbock eilt in den erſten Minuten ſeines Laufes in ähnlicher Weiſe auf dem Boden dahin, wie eine aufſtehende Schnepfe durch die Luft fliegt. Im Zickzack wendet er ſich von einer Seite zur anderen, durchkriecht oder überſpringt mit Blitzesſchnelle die Gräſer, und gewöhnlich iſt er bereits 100 Schritt weit hinweg, ehe der Jäger nur ſein Gewehr zurechtlegen kann. Gute Schützen erlegen dieſe Antilopen mit grobem Schrote. In den erſten Tagen verfuhr ich ebenſo, zuletzt aber fand ich, daß es beſſer und jagdgerechter iſt, die Kugel anſtatt des Schrotes zu verwenden. Dort, wo das Gras 2 m hoch war, mußte ich jedoch, um das Tierchen nur zu ſehen, zu Pferde jagen; allein dieſer Jagd gerade verdanke ich, daß ich mein Wild genau beobachten konnte.“ Selbſt tödlich angeſchoſſen geht der Bleichbock oft noch dem Jäger ver— loren. Er verſucht es gewöhnlich, wenn er ſich ſchwer verwundet fühlt, ſich in dem langen Graſe ſo gut wie möglich zu verſtecken; kriecht hier leiſe weiter bis zu einem Buſche, einem großen Steine, einem Ameiſenhügel, duckt ſich dort und ſieht dem Verenden entgegen. 3 Wie alle Bergantilopen zeichnet auch die Unterfamilie der Klippſpringer (Oreotra- ginae), gebildet von der Gattung Oreotragus A. Sm., der kurze, gedrungene Körperbau mit außerordentlich kräftigen Gliedmaßen und das dichte, drahtig harte, brüchige Haar aus. Ihr hervorragendſtes Merkmal iſt aber die eigentümlich ſteile Hufſtellung. Die Tiere ſtehen förmlich auf der Spitze ihrer Hufe. Hinſichtlich ſeiner Geſtalt hält der Klippſpringer der Buren, die Saſſa der Abeſſinier, Oreotragus oreotragus mm. (saltatrix), zwiſchen der Gemſe und manchen kleinen Ziegenarten ungefähr die Mitte. Der Leib iſt gedrungen, der Hals kurz, der Kopf ſtumpf und rundlich, der Schwanz zu einem kurzen Stummel verküm— mert, die Läufe ſind niedrig und etwas plump. Sehr lange und breite Ohren, große Augen, die von einem kahlen Saume umrandet ſind, deutliche Geſichtsdrüſen, hohe, an den Spitzen plattgedrückte, unten rund abgeſchliffene, klaffende Hufe ſowie ein grobes, brüchiges und ſehr dickes Haar ſind anderweitige Kennzeichen des Tieres. Der Bock trägt kurze, gerade, ſchwarze, bis 10 em lange Hörner, die ſenkrecht auf dem Kopfe ſtehen und am Grunde geringelt ſind. Auch die Weibchen ſind öfters gehörnt. In der Geſamtfärbung ähnelt die Saſſa unſerem Reh. Sie iſt oben und außen olivengelb und ſchwarz geſprenkelt, unten bläſſer, aber immer noch geſprenkelt; nur die Kehle und die Innenſeiten der Beine find einförmig weiß. Die Lippen Bleichböckchen. Klippſpringer. 203 ſind noch lichter als die Kehle, die Ohren außen auf ſchwarzem Grunde mit kurzen, innen mit langen weißen, an den Rändern mit dunkelbraunen Haaren beſetzt. Die Länge dieſer Antilope beträgt gegen 1m, die Höhe etwa 60 em. Die Saſſa findet ſich auf nicht allzu niedrigen Gebirgen der afrikaniſchen Oſtſeite von Abeſſinien im Norden an bis nach Süd- und Südweſtafrika, in den Bogosländern etwa auf Klippſpringer, Oreotragus oreotragus Zimm. Yıo natürlicher Größe. ſolchen zwiſchen 600 und 2500 m Höhe. Sie lebt paarweiſe wie die Schopfantilopen; dennoch ſieht man von ihr häufig kleine Trupps aus drei und ſelbſt aus vier Stücken beſtehend, ent weder eine Familie mit einem Jungen oder zwei Pärchen, die ſich zuſammengefunden haben. und eine Zeitlang miteinander dahinziehen. Bei gutem Wetter ſucht jeder Trupp ſoviel wie möglich die Höhe auf, bei anhaltendem Regen ſteigt er tiefer in das Tal hinab. In den Morgen- und Abendſtunden erklettern die Paare große Felsblöcke, am liebſten ſolche oben auf der Höhe des Gebirges, und ſtehen hier mit ziemlich eng zuſammengeſtellten Hufen wie 204 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Schildwachen, manchmal ſtundenlang ohne Bewegung verharrend. Solange das Gras taunaß iſt, treiben ſie ſich ſtets auf den Blöcken und Steinen umher; in der Mittagsglut aber ſuchen ſie unter den Bäumen oder auch unter großen Felsplatten Schutz, am liebſten gelagert auf einem beſchatteten Blocke, der nach unten hin freie Ausſicht gewährt. Von Zeit zu Zeit erſcheint wenigſtens einer der Gatten auf der nächſten Höhe, um von dort aus Umſchau zu halten. Jedes Paar bleibt dem einmal gewählten Gebiete mit großer Zähigkeit treu. Die Aſung des Klippſpringers beſteht aus Mimoſen und anderen Baumblättern, Grä— ſern und ſaftigen Alpenpflanzen und wird in den Vormittags: und ſpäteren Nachmittags: ſtunden eingenommen. Um dieſe Zeit verſteckt ſich die Saſſa förmlich zwiſchen den Euphor— bienſträuchern oder dem hohen Graſe um die Felsblöcke herum, und der Jäger bemüht ſich vergeblich, eines der ohnehin ſchwer wahrnehmbaren Tiere zu entdecken, wogegen er ſie in den Früh- oder Abendſtunden wegen der Eigentümlichkeit der Stellung, die fie auf den höchſten Steinen einnehmen, und dank der reinen Luft jener Höhen, ſchon von ferne unterſcheiden kann. Man darf nicht behaupten, daß die Saſſa beſonders ſcheu ſei; jedoch iſt dies wahrſchein— lich bloß deshalb der Fall, weil die Abeſſinier ſie wenig jagen. Einmal aufgeſcheucht zeigt ſie aber ihre vollen Fähigkeiten. Mit Vogelſchnelle ſpringt das behende Geſchöpf von einem Abſatze zum anderen, an den ſteilſten Felswänden und neben grauſigen Abgründen dahin, mit derſelben Leichtigkeit, wenn es aufwärts, wie wenn es abwärts klettert. Die geringſte Unebenheit iſt ihm genug, feſten Fuß zu faſſen; ſeine Bewegungen ſind unter allen Umſtänden ebenſo ſicher wie ſchnell. Am meiſten bewundert man die Kraft der Läufe, wenn die Saſſa bergaufwärts flüchtet. Jeder ihrer Muskeln arbeitet. Der Leib erſcheint noch einmal ſo kräftig als ſonſt, die ſtarken Läufe wie aus federndem Stahle geſchmiedet. Jeder Sprung ſchnellt das Tier hoch in die Luft; bald zeigt es ſich den Blicken ganz frei, bald iſt es wieder zwiſchen den Steinen oder in den meterhohen Pflanzen verſchwunden, welche die Gehänge bedecken. Mit unglaublicher Eile jagt es dahin; wenige Augenblicke genügen, um es außer den Bereich der Büchſe zu bringen. Zuweilen kommt es aber doch vor, daß man die Verfolgung noch ein— mal aufnehmen und ein zweites Mal zum Schuſſe gelangen kann. In Gegenden, wo das Feuergewehr nicht üblich iſt, achten alle Tiere anfangs ſehr wenig auf den Knall, und die Klippſpringer zumal ſcheinen an das Krachen und Lärmen der herabrollenden Steine im Ge— birge ſo gewöhnt zu ſein, daß ſie ein Schuß kaum behelligt. Wenn man ſich gleich von Anfang an vorbereitet hat, zweimal zu ſchießen, kann man beide Gatten des Pärchens erlegen; denn die eine Saſſa bleibt regelmäßig noch einige Augenblicke neben ihrem getöteten Gefährten ſtehen, betrachtet ihn und läßt dabei den ſo vielen Antilopen eigentümlichen ſcharfen Schneuzer des Schreckens oder der Warnung vernehmen. Wie es ſcheint, fällt in Abeſſinien die Satzzeit der Saſſa zu Anfang der großen Regenzeit. Der einzige Klippſpringer, den ich in einem Tiergarten geſehen habe, lebte 1875 in Berlin. Man merkte es dem Tierchen an, daß es als neugeborenes Kälbchen unter die Pflege des Menſchen gekommen ſein mußte; denn es wetteiferte an Zutraulichkeit mit dem zahmſten Haustiere. Furchtlos näherte es ſich jedem, der es beſuchte, beſchnupperte die ihm dargebotene Hand wie jeden anderen Gegenſtand, der ſeine Neugierde erregte, und nahm einen ihm ge— reichten Leckerbiſſen gern an, ohne jedoch um ſolchen zu betteln. Unter dem Futter ſuchte es ſich wähleriſch ſtets das beſte aus. Wie es ſchien, bevorzugte es Grasblätter und Riſpen den Baumzweigen und deren Blättern, vielleicht aber nur infolge längerer Gewohnheit. Später wurde auch im Hamburger Zoologiſchen Garten ein recht zahmer Klippſpringer gehalten. ** Klippſpringer. Vierhornantilope. 205 Als beſondere Unterfamilie betrachtet man neuerdings die indiſchen Vierhornantilopen (Tetracerinae), die nur durch die eine Gattung Tetracerus Leach mit der Art Tetracerus quadricornis Blaine, vertreten werden. Die Vierhornantilope verdankt ihren deutſchen wie wiſſenſchaftlichen Namen einem zweiten, vorderen, oberhalb des Augenwinkels ſtehenden klei— neren Hornpaar, das aber nur 3 —3,7 em lang wird. Dieſe von allen wildlebenden Huftieren abweichende Eigentümlichkeit iſt wohl eine ſtammesgeſchichtlich ſehr junge Erwerbung. Das Vierhornantilope, Tetracerus quadricornis Blainr. 1½ natürlicher Größe. Aus ber „Leipziger Illuſtrirten Zeitung“, 1890, nach Zeichnung von R. Frieſe. geht daraus hervor, daß dieſes Hornpaar, wie Duerſt gezeigt hat, erſt ſehr ſpät auftritt und außerdem auch noch nicht bei allen Individuen entwickelt iſt. Ob ſolche Vierhornantilopen mit verkümmertem vorderen Hornpaar eine getrennte Unterart (T. q. subquadricornutus Elliot) bilden oder nur als individuelle Abweichungen anzuſehen ſind, ſcheint noch nicht ſicher entſchieden zu ſein. Das hintere Hornpaar ſteht über dem hinteren Augenwinkel, krümmt ſich ſchwach nach vorn, iſt unten geringelt und wird 10— 12,5 em lang. Die Vierhornantilope iſt ein zierliches Tier. Ihre Körperlänge beträgt etwa 1 m, die Schwanzlänge 12 em, die Höhe am Widerriſt 60 —65 em. Große, abgerundete Ohren, lang ausgezogene Voraugendrüſen, eine breite, nackte Naſenkuppe, ſchlanke Läufe und ein langes und ſtraffes Haarkleid, das auf der oberen Seite braunfahl, unten weiß und bei dem 206 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. ſtets ungehörnten Weibchen lichter als beim Männchen iſt, kennzeichnen das Tier. Es findet ſich, wie es ſcheint, überall in Vorderindien und ſtellenweiſe recht häufig, wo wald- und buſch⸗ reiche Hügel ihm einen behaglichen Aufenthalt bieten, lebt aber bloß einzeln oder paarweiſe; auf Ceylon fehlt es, ſoll auch öſtlich von der Bai von Bengalen nicht vorkommen. Die Jungen werden im Januar oder Februar geboren. Ihre große Scheu macht die Beobachtung der frei lebenden ſchwierig, und von den wenigen, die man in der Gefangenſchaft hielt, weiß man auch bloß, daß ſie ſelbſt jung eingefangen mit zunehmendem Alter immer bösartiger wurden. Böcke zeigten ſich zur Brunftzeit ſo aufgeregt, daß ſie dreiſt auf jedes andere Haustier losgingen und mit Entſchloſſenheit ſelbſt den bekannten Wärter angriffen, der ſie täglich fütterte. Die Gefangenen, die Hardwicke hielt, pflanzten ſich fort. Das Weibchen ſetzte 2 Kälber auf einmal. Auch im Berliner Zoologiſchen Garten erhielt man Junge; die Tragzeit dauerte, nach Heinroth, 7 Monate. Das Wildbret der Vierhorn— antilope iſt trocken und wird nicht geſchätzt. IE Eine weitverbreitete und aus ſehr zahlreichen Mitgliedern beſtehende Unterfamilie der Horntiere iſt die der Echten Antilopen (Antilopinae). Sie enthält vorwiegend die Gazellen des gewöhnlichen Sprachgebrauchs. Das ſind mittelgroße bis kleine, leichte, zierliche Tiere mit ſchlanken, dünnen Beinen, großen Augen, behaarter Muffel, gewöhnlich kurzem Schwanz und zwei Zitzen, nur die Saiga hat vier. In ſtammesgeſchichtlicher Hinſicht ſind die Echten Antilopen ziemlich tief ſtehende Boviden, deren Schädelachſe noch nicht geknickt iſt. Sie bewohnen in acht Gattungen ganz Afrika, Weſt- und Mittelaſien bis Nordchina und Indien und Südoſteuropa. Der alte Pallas'ſche Gattungsname Antilope, der urſprünglich alle Horntiere umfaßte, die man nicht gut bei den Rindern, Schafen oder Ziegen unterbringen konnte, wird heute nur einer wohlbekannten indiſchen Antilope belaſſen, der Hirſchziege. Sie iſt vor allem kenntlich an den langen, ſchraubenzieherartig gedrehten und geringelten Hörnern, die nur den Böcken zukommen, und beſitzt große Voraugendrüſen, Nebenhufe und Drüſen zwiſchen den Zehen an allen vier Füßen und in den Weichen. . Die Hirſchziegenantilope, Antilope cervicapra I., ſpielt in der indiſchen Götter— lehre eine wichtige Rolle als dem Monde heiliges Tier. Sie iſt etwas kleiner, ſchlanker und weit zierlicher als unſer Damhirſch; ihre Leibeslänge beträgt 1,2—1,3 m, die Länge des Schwanzes 15 cm, die Höhe am Widerriſt SO em. Der Rücken iſt hinten etwas höher als am Widerriſt, der Hals ſchmächtig und ſeitlich zuſammengedrückt, der Kopf ziemlich rund, hinten hoch, nach vorn zu verſchmälert. Die Beine ſind hoch, ſchlank und dünn, die hinteren etwas länger als die vorderen. Unter den verhältnismäßig großen und außerordentlich leb— haften Augen befinden ſich große Drüſen, eine Art von Taſche bildend, die willkürlich geöffnet und geſchloſſen werden können. Die Behaarung iſt kurz, dicht und glatt, das einzelne Haar ziemlich ſteif und etwas gedreht. Auf der Bruſt, an der Schulter und zwiſchen den Schenkeln bildet die Behaarung deutliche Nähte, in der Horn- und Nabelgegend Wirbel, auf der Innen— ſeite der Ohren verteilt fie ſich in drei Längsreihen. am Handgelenk und an der Spitze des Schwanzes verlängert ſie ſich zu kleinen Haarbüſcheln, auf der Unterſeite des letzteren fehlt ſie ganz. Beim alten Bock ſind Geſicht, Hals, Rücken und ein bis auf die Feſſelgelenke herab— reichender, nach unten ſich verſchmälernder Streifen auf den Beinen dunkel braungrau bis tief ſchwarz, je nach der Jahreszeit, der Nacken gelblichbraun, der Vorderteil der Schnauze, ein Ring Hirſchziegenantilope. 207 ums Auge, das Kinn, der ſchmal roſtrotbraun eingefaßte Spiegel und die ganze Unterſeite von der Bruſt an ſowie die Innenſeite der Beine weiß, die bis auf eine ſchmale Stelle zwiſchen den Naſenlöchern behaarte Muffel, die Hörner, die zierlichen, mittelgroßen, zuſammengedrückten und ſpitzigen Hufe und die mittelgroßen, abgeplatteten und abgeſtumpften Afterklauen ſchwarz, die Iris bräunlichgelb, der quergeſtellte Stern dunkelſchwarz. Weibchen und junge Böcke ſind viel lichter, rötlich gelbbraun, ein verwaſchener Streifen längs der Seiten heller, die Stirn ſchwarzbraun, Unterkörper, ein Ring um das Auge und die Ohrwurzel weiß. Das Gehörn IN N — me Hirſchziegenantilope, Antilope cervicapra L. ½3 natürliher Größe. des Bockes wird durchſchnittlich 40—50 em, in ſeltenen Fällen auch 60—75 em lang und iſt gewöhnlich drei- bis viermal, bisweilen auch fünfmal ſchwach ſchraubenförmig gedreht. An der Wurzel ſtehen beide Stangen nahe zuſammen, an der Spitze 30—40 em voneinander entfernt; je nach dem Alter des Tieres ſind ſie ſtärker oder ſchwächer und bis in die Nähe der Spitze, die glatt verläuft, geringelt. Bei recht alten Böcken finden ſich oft mehr als 30 ſolcher Ringel, doch ſteht ihre Anzahl nicht in einem geraden Verhältniſſe zu Alter und Wachstum. Ganz ſelten kommen gehörnte Weibchen vor. Die Hirſchziegenantilope bewohnt die offenen, flachen Gelände Vorderindiens mit Aus— nahme der Malabarküſte, vom Himalaja bis Kap Comorin und von Pandſchab bis Nieder-Aſſam. Sie lebt gewöhnlich in Nudeln von 20—30, häufig auch von 40—60 Stück, die ein einziger alter Bock begleitet; Jerdon hat aber auch Herden geſehen, die er auf mehrere Tauſend ſchätzte, und Scott berichtet ſogar von 8—10 000 Stück. Wahrſcheinlich ſchlagen ſich die Tiere 208 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. manchmal, wie auch afrikaniſche Antilopen, in Zeiten der Not zu jo zahlreichen Gejell- ſchaften zuſammen, während fie nach Waſſer und Weide ziehen. Unter allen Umſtänden lieben ſie offene Landſchaften und meiden die dicht bewächſenen; denn ſie ſind ſtets im hohen Grade für ihre Sicherheit beſorgt. Eine weidende Herde ſtellt ſtets Wachen aus. Ihre Schnelligkeit bei der Flucht ſoll ſo groß ſein, daß ſie von Windhunden nicht eingeholt werden können. Deshalb beizen ſie die indiſchen Fürſten mit Falken oder laſſen ſie vom Jagdleoparden fangen. Die Aſung der zierlichen Tiere beſteht in Gräſern und ſaftigen Kräutern. Waſſer können ſie auf lange Zeit entbehren. Es ſcheint, daß die Paarung nicht an eine beſtimmte Zeit gebunden iſt, ſondern je nach der Gegend während des ganzen Jahres ſtattfindet. Die Weibchen ſind bereits im zweiten Jahre, die Männchen wenigſtens im dritten fortpflanzungsfähig. Sie ſind außerordentlich fruchtbar. In Frankfurt warf, wie Haacke mitteilt, ein Weibchen zum erſten Male im Oktober 1888; im Juli 1890 war ſchon ſein drittes Junges beinahe ausgewachſen und ſchon vor Geburt des letzteren das erſte Enkelkind geworfen. Im Berliner Garten ſetzen die Hirſchziegenanti— lopen mitten im Winter, und auch dort geborene Weibchen halten dieſe Satzzeit feſt. Nach Heinroth („Zool. Beob.“, 1908) dauert die Tragzeit gegen 6 Monate. Mit der Begattung ſcheint ein eigentümliches Erregtſein der Geſichtsdrüſen in Verbindung zu ſtehen. An Ge— fangenen hat man beobachtet, daß der ganze Hautbeutel unter dem Auge, der ſonſt nur als ein ſchmaler Schlitz erſcheint, wenn das Tier aufgeregt iſt, weit hervortritt und ſich förmlich nach außen umſtülpt. Die glatten Innenwände des Sackes ſondern einen ſtark riechenden Stoff ab, der durch Reiben an den Bäumen oder Steinen entleert wird und wahrſcheinlich dazu dient, das andere Geſchlecht auf die Spur zu leiten. Während der Paarungszeit ver— nimmt man auch am meiſten die Stimme des Männchens, eine Art meckerndes Grunzen; das Weibchen gibt leiſere Grunztöne von ſich. 8 In Indien ſind Tiger, Panther, Gepard und Wolf ſchlimme Feinde der Hirſchziegen— antilope. Die Inder ſtellen ihr ebenfalls eifrig nach; ein nationaler Sport der indiſchen Großen iſt ja die Jagd mit dem gezähmten Gepard. Die Europäer betreiben die Jagd mit der Büchſe und trachten vor allem, den ſtattlich gehörnten Leitbock des Rudels zu beſchleichen. Dieſer pflegt, wenn die Tiere beunruhigt ſind und ſich zurückziehen, erſt zuletzt zu folgen. Über— raſcht ſuchen beide Geſchlechter nicht immer ihr Heil in der Flucht, ſondern wiſſen ſich auch ſchnell und vortrefflich im Geſtrüpp derart zu verſtecken, daß der Jäger, wie Sir Walter Elliot berichtet, die vollſtändig ſtill und mit flach ausgeſtrecktem Kopfe liegende Antilope nicht leicht auffindet. Sterndale erzählt, daß ein von ihm verfolgter Bock ſogar das Waſſer annahm und ſich durch Eintauchen zwiſchen Schilficht zu verbergen trachtete. Derſelbe Gewährsmann teilt auch mit, daß die Tiere jo lange wie möglich ihre Standorte feſthalten und beharrlich zu dieſen zurückkehren, ſelbſt wenn ſie meilenweit vertrieben worden ſind. Hirſchziegenantilopen fehlen heute wohl in keinem zoologiſchen Garten und ſind auch im Wildgatter bereits mit Glück eingebürgert worden, weil ſich ſogar die Jungen als wetterhart erweiſen. Sie dauern gut in Gefangenſchaft aus, pflanzen ſich leicht fort und erfreuen durch ihre Zutulichkeit und Anhänglichkeit. Doch muß man ſich hüten, die Böcke zu necken oder zu foppen. Sind ſie z. B. gewöhnt, Brot aus der Hand zu freſſen, ſo richten ſie ſich, wenn man ihnen dieſe Lieblingsſpeiſe hoch hält, wie zahme Hirſche auf die Hinterbeine auf, um ſie zu er— langen; täuſcht man ſie auch dann noch, ſo werden ſie böſe, beginnen zu zittern und ſuchen ihren Unmut durch Stoßen mit den Hörnern an den Tag zu legen., In größeren Parken ge— währen ſie wegen ihrer außerordentlichen Anmut und Zierlichkeit ein prächtiges Schauſpiel, 2 5 ä — cs am 3. Sömmerrings Gazelle, Gazellasoemmerringi Crtzschm. 0 nat. Gr., s. S. 213. — L. Medland, F. Z. S.-Finchley N. phot Paarhufer XIII. 4. Kronenducker, Cephalophus grimmius coronatus Gray. 1/15 nat. Gr., s. S. 197. — Lüpke-Berlin phot. — 2 5. perſiſche Gazelle, Gazella subgutturosa Gäld. 6. Spekes Gazelle, Gazella spekei Blyth. is nat. Gr., s. S. 214. — L. Medland, F. Z. S.-Finchley N. phot. 7. Rotitirngazelle, Gazella rufifrons Gray. 8. Dünengazelle, Gazella leptoceros loderi Thos. nat. Gr. s. S. 215. — W. P. Dando, F. Z. S.-London phot. S. S. . Medland, F. Z. S.-Finchley N. phot. Hirſchziegenantilope. Pala. 209 ſo auch beſonders, wenn ſie aus dem Stall ins Freie gelaſſen, wie Heck ſchildert, „die wunder— bare Schnellkraft ihrer ſchlanken, ſehnigen Läufe erproben und aus dem Stand auf allen vieren heraus zwei-, dreimal hintereinander über mannshoch in die Luft ſpringen“. In Indien wird dieſe Antilope als ein heiliges Tier oft zahm gehalten. Die Kennzeichen der Gattung der Schwarzferſenantilopen (Aepyceros Shed.) liegen in dem bis 50 em hohen, ſchlanken, winklig leierförmigen, von der Wurzel an ſchief nach außen und oben, über der Mitte durch einen Winkel wieder nach innen und hinten gebogenen, grobgeringelten, rauhen, an der Spitze glatten Gehörn, das nur der Bock trägt, einem ſchwarzen Haarbüſchel am Sprunggelenk der Hinterfüße und den langen, ſpitzigen Ohren; auch ſind weder Afterklauen noch Voraugendrüſen vorhanden. Die Gattung enthält nur eine Art, eine der anmutigſten Erſcheinungen unter den Antilopen. Die Pala, Impala oder Schwarzferſenantilope, Aepyceros melampus Leht. (Taf. „Paarhufer XIII“, I u. 2), übertrifft unſeren Damhirſch etwas an Größe, iſt jedoch viel zierlicher gebaut. Ihre Länge beträgt gegen 2 m, wovon auf den Schwanz 30 em zu rechnen ſind, die Höhe am Widerriſt etwa 95 em. Die Färbung des Kopfes, Halſes und der Oberſeite iſt ein zartes, hellgelbliches, nach unten ſich lichtendes Roſtbraun, die der Unterſeite und des kleinen Spiegels ein reines Weiß; den Spiegel begrenzend zieht ſich eine braunſchwarze Bogenlinie von oben nach unten über die Keulen herab; vor den Augen ſteht ein länglicher weißer, zwiſchen den Hörnern ein ſchwarzer Fleck; über den Rücken verläuft ein ſchwarzer Streifen. Das hornloſe Weibchen iſt ganz ähnlich gefärbt. Seinen deutſchen Namen verdankt das Tier dem ſchwarzen Fleck an der Feſſel. Schillings berichtet auch von weißen Impalas unter einem Rudel gewöhnlich gefärbter. Von den ſüdafrikaniſchen Steppen, wo Lichtenſtein die Pala zuerſt fand, erſtreckt ſich ihr Verbreitungsgebiet im Weſten bis Angola (A. m. petersi Boc.) und öſtlich durch Deutſch— Oſtafrika (A. m. suara Misch.) bis nach Britiſch-Oſtafrika. In früheren Zeiten wurde die Pala in den Betſchuanenländern zu Tauſenden gefunden; das mörderiſche Blei hat jedoch, laut Fritſch, ſo unter ihren Herden aufgeräumt, daß ſie gegenwärtig im ſüdlichen Afrika recht ſelten geworden iſt. Abweichend von den nächſten Verwandten bevölkert das anmutige Tier die Waldſtreifen an Waſſerläufen und tritt ſelten auf freie Flächen heraus. Gewöhnlich findet man es in kleinen Trupps von 6—8, ausnahmsweiſe wohl auch in Geſellſchaften von 12—20 Stück, und zwar befinden ſich dann etwa 3—4 Böcke unter dem Rudel. Selous hat indeſſen, verſchiedentlich auch Rudel von 10—15 Stück beobachtet, die bloß aus Böcken beſtanden, und teilt außerdem mit, daß dieſe Antilope in Südafrika nirgends mehr jo häufig wie am Tſchobe gefunden werde, wo man noch bis zu 100 Köpfe ſtarke Herden erblicken könne. In Oſtafrika, beſonders aber weiter im Inneren, am Lualaba, beobachteten R. Böhm und Reichard Herden, die ſogar bis zu 200 Stück zählen mochten. Nach Berger beſtehen die Rudel aus weiblichen Tieren und enthalten ſtets nur einen alten Bock, die übrigen Böcke bilden Jung— geſellenrudel. Die Schwarzferſenantilopen miſchen ſich ſelten unter die anderen Antilopen, halten ſich vielmehr meiſt für ſich allein. Die Männchen führen heftige Kämpfe untereinander, und Rooſevelt erlegte einen geſunden Bock, dem eine etwa 10 Zoll lange Stange eines an— deren Bockes in der Bruſt ſteckte. Die Palas lieben beſonders friſches, junges Gras und ſammeln ſich deshalb zur trockenen Jahreszeit in der Nähe von Quellen und Bächen. Sie ſind mehr zutrauliche als ſchüchterne Geſchöpfe, die aber, ſobald ſie öfter Nachſtel— lungen erfahren, ſehr ſcheu werden. Ihr Auftreten iſt in hohem Grade gefällig, und ein Trupp der zierlichen Tiere, der mit tanzenden Sprüngen durch den Buſchwald zieht, gewährt Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 14 210 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. ein überaus maleriſches Bild. Den ſcharfen Augen entgeht ſo leicht kein ſich nähernder Gegner, die ſcharfen Ohren vernehmen jedes, auch das leiſeſte Geräuſch: die ſchlanken Hälſe heben ſich, das Leittier ſtampft auf den Boden, und dahin jagt die ganze Geſellſchaft. Un⸗ behelligt gefällt ſich der Trupp in den verſchiedenſten Stellungen oder in den mannigfaltigſten Spielen, wobei oft ein Tier, ſich mit allen vier Läufen zugleich erhebend, über den Rücken des anderen wegſpringt. Während einige äſen und dabei die Wache halten, liegen andere wieder— käuend im Schatten der Bäume; die Böcke unterhalten ſich durch einen kaum ernſthaft gemeinten Kampf. Nach Böhms von Noack veröffentlichten Aufzeichnungen fand der Forſcher in Oſtafrika im November ſäugende und im Dezember noch hochbeſchlagene Ricken. Nach ihm „ſchrecken“ die Männchen pruſtend, geben aber auch oft, wie die Weibchen, einen pfeifenden Laut von ſich, um ſich gegenſeitig zu antworten. Schillings verdolmetſcht den Warnungsruf mit einem ſchar⸗ fen, durch Mund und Naſe hervorgeſtoßenen Ton. Rooſevelt fand im Mai Kitzen jeden Alters. Von den ſüdafrikaniſchen Jägern wird auch die Pala mit Leidenſchaft gejagt. Ihr Wild⸗ bret iſt, wie das der meiſten Antilopen, zwar etwas trocken, aber doch zart und ſchmackhaft, und die Haut wird zur Anfertigung ſchönfarbiger Felldecken ſehr geſchätzt. In den zoologiſchen Gärten ift die Pala noch immer ſelten, wenn auch in den letzten Jahren einige nach Europa gebracht wurden; es ſind empfindliche Tiere, die ſich nur ſchwer eingewöhnen und ihr ſcheues Weſen kaum ablegen. Im Frankfurter Garten erhielt man von einem trächtig angekommenen Weibchen ein Junges, das in der Färbung den Eltern glich. Die Gazellen (Gazella Lekt.) ſind die bekannteſte, am weiteſten verbreitete und arten— reichſte Gattung der Antilopinae. Es find leichte, zierliche Tiere mit leierförmigem, geringel— tem Gehörn und ſchönen, großen, ſanften Augen. Die ganze Gruppe bildet eine wunderbar geſchloſſene Einheit, deren einzelne Glieder einander außerordentlich ähnlich ſehen. Selbſt die abweichendſten Zeichnungen ſind mit den gewöhnlichen, wie wir erfahren werden, durch Über— gänge verbunden. Es fehlt den Gazellen jede Beſonderheit, wie der Rüſſel der Saiga oder die Rückenfalte des Springbocks. Auch in ihrer Lebensweiſe ſind ſie einander ſehr ähnlich. Es ſind in Herden lebende Tiere, die ſich durch ihre mehr oder weniger dem Boden angepaßte Farbe, den ſchlanken Leib, die zierlichen, aber ſtahlharten, federnden, trockenen Läufe als echte Kinder der Steppen und Wüſten zeigen. Sie bevölkern alle entſprechenden Gebiete Nord- und Oſt— afrikas, Weſt⸗ und Zentralaſiens und Vorderindiens. Wie ſo oft, können wir auch bei den Gazellen die Wahrnehmung machen, daß bei weit⸗ verbreiteten Gattungen die am weiteſten vom Verbreitungsmittelpunkt entfernten Arten auch die abweichendſten ſind. Dies erklärt ſich ſo, daß der Verbreitungsmittelpunkt häufig auch das Entſtehungszentrum einer Gattung iſt. Hier wohnen alſo die älteſten, urſprünglichſten Arten, die Peripherie enthält die jungen, alſo am meiſten umgebildeten. Das Entſtehungszentrum der Gazellen dürfte wohl Nordoſtafrika ſein. Alle hier lebenden Gazellenarten haben eine be— ſtimmte Geſichtszeichnung. Dieſe beſteht aus einem dunklen, unpaaren mittleren Band, das ſich über Stirn und Naſenmitte hinzieht, rechts und links von paarigen, hinter und innerhalb der Augen beginnenden, bis zur Naſe herablaufenden weißen oder gelblichen Streifen eingefaßt iſt. Dieſe hellen Streifen ſind ihrerſeits wiederum von je einem dunklen Streifen begleitet, der, am inneren Augenwinkel beginnend, etwa zur Mitte der Oberlippe zieht. Wenn wir nun bedenken, daß dieſe Geſichtszeichnung der Mehrzahl der Gazellen zukommt, ſich ſogar faſt genau ſo bei Ziegen und ähnlich bei Gemſen findet, ſo werden wir in ihrem Vorhandenſein ein altes Merkmal, in ihrem Fehlen eine jüngere Erwerbung ſehen. Und gerade den Gazellen, Gazellen: Aſiatiſche Arten. 211 — deren Heimat am weiteſten nach Norden und Oſten vorgeſchoben iſt, die Nordchina (Gazella gutturosa Pall.), Tibet (Gazella picticaudata Hdgs.) und die Mongolei (G. przewalskii Büchn.) bewohnen, fehlt dieſe eigentümliche Geſichtszeichnung ganz, während die Perſiſche oder Kropfgazelle, Gazella subgutturosa Güld. (Taf. „Paarhufer XIII“, 5, bei S. 209), die Weſtaſien etwa von der Mongolei bis Kaukaſien und Kleinaſien angehört, alſo geographiſch jene drei genannten Formen mit den anderen Gazellen verknüpft, ſie auch mit ihnen inſofern verbindet, als ſie von der Geſichtszeichnung zwar die dunklen Seitenſtreifen hat, nicht aber das mittlere Längsband, da bei ihr der Naſenrücken weiß iſt. Dieſe Perſiſche Gazelle (wie die ihr ſehr ähnliche und wohl nahe verwandte arabiſche Marica-Gazelle, Gazella marica Is.) zeigt ebenfalls, daß das Fehlen der typiſchen Geſichtszeichnung eine ziemlich junge Erwerbung iſt, da bei ihr in der Jugend der unpaare mittlere Längsſtreifen noch mehr oder weniger deutlich vorhanden iſt. Erwähnt ſei, daß bei Falz-Fein eine Perſiſche Gazelle von einem Bock der Hirſchziegenantilope trächtig wurde; leider ſtarb die Mutter vor der Geburt des Jungen. Die eben genannten zentralaſiatiſchen Gazellen zeichnen ſich vor den anderen auch noch dadurch aus, daß ihre Weibchen in der Regel kein Gehörn tragen. Die drei zuerſt erwähnten haben, wohl im Zuſammenhang mit der Kälte ihres heimatlichen Klimas, einen ſtark ver— kürzten Stummelſchwanz und verkürzte Ohren erworben, die bei der mongoliſchen und der nordchineſiſchen Gazelle beſonders klein ſind. Wegen aller dieſer und noch anderer Eigentüm— lichkeiten, wie fehlender oder undeutlicher Kniebüſchel und Voraugendrüſen, hat man ſie in einer beſonderen Gattung oder Untergattung, Procapra Gray, zuſammenfaſſen wollen, ein Gedanke, den man aber wieder aufgab, eben wegen der Zwiſchenſtellung der Perſiſchen Gazelle. Die Lebensweiſe dieſer zentralaſiatiſchen Gazellen, über die uns Prſchewalſky gute Be— obachtungen mitgeteilt hat, iſt bei den einzelnen Arten inſofern etwas verſchieden, als die Tibetaniſche Gazelle in kleinen Familien von 5—7 Stück (ſelten mehr als 20) lebt, viele Männchen findet man ſogar häufig einzeln, während die Mongoliſche Gazelle oft in großen Herden von mehreren Hunderten bis zu Tauſenden geſehen wird, obwohl auch ſie meiſtens in kleinen Rudeln von 15—50 Stück vorkommt. Übrigens graben ſich die tibetaniſchen Ga— zellen ähnlich wie der Tſchiru einen Fuß tiefe Höhlungen aus, in denen ſie bei Tage liegen. Am beſten und längſten kennt man aus dieſer Gruppe die Nordchineſiſche Gazelle, den Dſeren oder die Kropfantilope, Gazella gutturosa Pall., über die uns ſchon Pallas, dann aber beſonders Radde in ſeinen „Reiſen im Süden von Oſtſibirien“ genau unterrichtet hat. Das Tier verdankt ſeinen Namen „Kropfantilope“ dem im männlichen Geſchlecht ſtark ausgebildeten Kehlkopf, der in der Halsmitte wie ein Höcker hervortritt. Die gleiche Eigen— tümlichkeit hat der Perſiſchen Gazelle den Namen „Kropfgazelle“ verſchafft. Die Kropfantilope iſt merklich kleiner als der Damhirſch: der Bock 154 m lang, wovon der Schwanz 17 em wegnimmt, an der Schulter 80 und am Kreuze 83 em hoch, das Weibchen dagegen nur 12 m lang und an der Schulter 74 em hoch. Der Leib iſt ſchlank, der Kopf kurz und dick; die Läufe ſind ſchlank und ſehr zierlich, die hinteren etwas höher als die vor— deren, die Hufe dreieckig gewölbt, die Vorderknie glatt. Große, Sartig gebogene Naſenlöcher, die in der Mitte gefurchte Lippe, zerſtreute Haare an dieſer und an dem Kinn, nacktrandige Augenlider und mäßig große, ſpitzige Ohren kennzeichnen das Tier noch anderweitig. Die Färbung iſt je nach der Jahreszeit verſchieden. Im Sommer ſind Unterlippe, Kehle und Vorderteil der Oberlippe ſowie die Gegend um den After, hier einen Spiegel bildend, rein weiß, die Kopfſeiten helliſabell, Naſen- und Stirngegend blaß bräunlichgrau, Oberkopf, Nacken und 14* 212 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. obere Halsſeiten ins Rotgelbe ziehend, der ganze Oberkörper und die Seiten lebhaft iſabell— gelb, die unteren Halsteile bis zur Bruſt gelblichweiß, die Unterſeite, gegen die gelben Seiten ſcharf abgeſetzt, wie die inneren Schenkel bis zum Laufe weiß, die Füße vorn hellgelblich, hinten mehr weiß. Das Haar iſt auch im Sommer lang, meiſtens einfarbig, hier und da mit weißer Spitze. Der Winterpelz zeichnet ſich, laut Radde, durch vorwaltende Helligkeit aus; das matte Braungrau des Naſenrückens erſtreckt ſich auch auf die vordere obere Wangengegend und unter den inneren Augenwinkel. Das Haar des Rückens nimmt von vorn nach hinten an Länge zu, ſo daß es zwiſchen 3 und 5 em mißt, und ſteht ſo außerordentlich dicht, daß man keine Spur des Wollhaares bemerken kann. Die Hörner, die nur der Bock trägt, ſtehen auf dem Scheitel dicht beiſammen, laufen allmählich auseinander und ſind nach hinten und innen gebogen; bis auf die glatte Spitze ſind ſie etwa 20mal ſehr ſtark geringelt. Die Kropfantilope bewohnt die mongoliſche Tatarei, die Steppen zwiſchen China und Tibet ſowie Oſtſibirien, hier vorzugsweiſe die Hohe Gobi, hält ſich alſo immer in offenen Gegenden auf. Laut Radde läßt ſich auch bei ihr, wie bei dem Dſchiggetai und dem Argali, ein allmähliches Zurückweichen nach Süden und Oſten bemerken. Pallas beobachtete Kropf— antilopen noch am oberen Ononlaufe, wo ſie gegenwärtig nicht mehr leben. Sie ſind über— aus behende und im Springen ſo geſchickt wie irgendeine andere Antilope, ſcheuen aber das Waſſer und ſchwimmen nur im äußerſten Notfalle. Die Brunſtzeit tritt Anfang Dezember ein, und die Männchen kämpfen dann hitzig um die Weibchen. Die Jungen, in der Regel zwei, werden um die Mitte des Juni geboren, ſollen nach Angabe der Mongolen drei Tage nach der Geburt noch ruhen, dann aber bereits jo ſtark und kräftig fein, daß fie bei der Ver⸗ folgung nicht mehr hinter der Mutter zurückbleiben. Gegen den Spätherbſt hin tritt die Kropf— antilope weite Wanderungen an, die ihren Grund wahrſcheinlich darin haben, daß an einzelnen Orten ihres Verbreitungsgebietes, beiſpielsweiſe in der ſüdlichen Gobi, faſt gar kein Schnee mehr fällt, die wenigen Waſſerbecken ſich mit einer für die ſchwachen Hufe viel zu ſtarken Eis— decke überziehen, und die Tiere nun, vom Durſte gepeinigt, ſich aufmachen müſſen, um Waſſer oder wenigſtens Schnee zu ſuchen. Somit drängen ſie ſich in nördlicher Richtung nach den tieferen Ebenen hinab, wachſen zu immer größeren Herden an und erinnern ſchließlich durch ihre Menge an die wandernden ſüdafrikaniſchen Springböcke und andere dortige Verwandte. „In wie großer Menge ſie bisweilen erſcheinen“, ſagt Radde, „davon konnte ich mich im Oktober 1856 jenſeits des Argunj auf mongoliſcher Seite überzeugen; denn hier waren ihre Spuren und ihr Miſt ſo zahlreich, als ob Tauſende von Schafen gegangen ſeien. Wir konnten dieſe Antilopen damals nicht mehr einholen; ſie waren, wie ſich die Grenzkoſaken auszudrücken pflegen, windig, d. h. unbeſtändig oder ſchnell, und wanderten, getrieben vom Durſte, raſtlos ihres Weges fort.“ Im Sommer jagt man, nach Angabe desſelben Forſchers, die Kropfanti— lopen nur ſelten, weil ihrer dann immer nur wenige anzutreffen ſind; deſto eifriger aber ver— folgt man ſie auf ihren Wanderungen. Die gewöhnliche Jagdweiſe erfordert zwei Menſchen, von denen der eine ſie dem anderen zutreibt. Die Steppentunguſen ſind im Auffinden und Erlegen der Kropfantilopen beſonders geſchickt, und bei ihnen treiben ſelbſt junge Mädchen die Tiere zum Schuſſe. Einzelne Jäger können in günſtigen Wintern wohl 200 dieſer Anti— lopen erlegen, da die Tiere zuweilen in ſo dichten Scharen gehen, daß der Schütze nur auf die Beine zu zielen braucht, um mit einer Kugel ihrer 3—4 zum Sturze zu bringen. Die noch übrigbleibende Mehrzahl der Gazellen hat die geſchilderte charakteriſtiſche Gazellenzeichnung des Geſichtes. Einige von dieſen haben keine weitere Bandzeichnung am Sömmerring- und Damagazellen. 913 Körper, das Weiß der Unterſeite und des Spiegels ift durch kein Band vom Braun der Ober: ſeite geſchieden. Dann können beide Farben ſcharf voneinander getrennt ſein. Der Spiegel iſt groß, umgreift die ganze Schwanzwurzel und ſpringt mit einer Schneppe gegen das Hüftgelenk vor. Dieſe Zeichnung zeigt die über damhirſchgroße Sömmerring-Gazelle, Gazella soem- merringi Ortzschm. (Taf. „Paarhufer XIII“, 3, bei S. 208), die an der Küſte des Roten Meeres von Suakin bis Tadſchura und im nördlichen Somaliland wohnt. Sie iſt durch Nothalsgazelle, Gazella dama ruficollis H. Sm. ½4 natürlicher Größe. ſchwarzen Naſenrücken und ſchwarze Schwanzſpitze unterſchieden von den ſonſt ähnlich gezeich— neten, aber ſchlankeren, höher geſtellten Damagazellen, G. dama Pall. Von deren Lokal— formen iſt die Mhorrgazelle, G. d. mhorr Benn., von Südmarokko am dunkelſten rot— braun, und dieſe Farbe iſt ſcharf gegen die weißen Teile abgegrenzt. Bei dem Nanger, G. d. permista Neumn., von Senegambien und der eigentlichen Damagazelle, G. d. dama Pall., vom Tſadſeegebiet wird die rotbraune Körperfarbe heller und ihre Abgrenzung gegen das Weiß verwaſchener, auch die Geſichtszeichnung undeutlicher. Am weiteſten geht dieſe Entwickelung bei der Rothalsgazelle, G. d. ruficollis H. Sm., aus dem Sudan; bei ihr find nur noch der Hals und eine verwaſchene Zone auf dem Rücken hell roſtfarben. Die Hörner ſind kurz, gedrungen, ſtark leierförmig mit nach vorn gebogenen Spitzen. 214 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Ahnliche Verteilung von Weiß und Braun wie die Sömmerring-Gazelle zeigen oft- afrikaniſche Gazellen, von denen Grants Gazelle, Gazella granti Brooke, die etwa vom Rudolfſee bis Ugogo lebt, die bekannteſte iſt. Mit 95 em Schulterhöhe dürfte ſie nächſt den eben genannten die ſtattlichſte Gazelle ſein. Auch hat ſie von allen Gazellen, ſowohl abſolut als auch relativ, das ſtattlichſte Gehörn, das bis zu 75 em lang werden kann. Schillings fand, daß die Hörner, in ein und derſelben Ortlichkeit etwas voneinander abweichend, bald ſehr eng, bald weit geſtellt find. In der Färbung unterſcheidet fie von der Sömmerring-Gazelle ein ſchwarzes Band, das den Spiegel unterhalb der Schneppe gegen das Braun abgrenzt, das „Steißband“ der Gazellenzeichnung. Dazu können noch zwei Seitenbänder kommen, ein un— teres, dunkles und ein oberes, helles an den Seiten zwiſchen dem Weiß der Unterſeite und dem Braun der Oberſeite. Die Entwickelung dieſer Bänder iſt aber ſehr veränderlich; gewöhnlich ſehr undeutlich, oft kaum wahrnehmbar, können ſie in anderen Fällen, beſonders bei jungen Tieren, ſehr gut entwickelt ſein. Auch die Tönung des Braun der Oberſeite iſt ſehr veränderlich. Über der Naſe iſt ſtets ein ſchwarzer Fleck vorhanden. Der eben beſchriebenen gleicht die etwas kleinere Peters-Gazelle, G. granti petersi Gthr., aus den Küſtengebieten Britiſch-Oſtafrikas. Bei ihr iſt der Spiegel kleiner geworden; er umgibt nicht mehr den ganzen Schwanz, deſſen Wurzel durch einen ſchmalen braunen Streifen, der ſich auf der Schwanzoberſeite fortſetzt, mit dem Braun des Rückens verbunden iſt. Sie bildet ſomit den Übergang zu den übrigen Gazellen, bei denen das Weiß weit we— niger ausgedehnt iſt. Beſonders iſt der Spiegel ſchmaler, hat eine weiße Schneppe und ijt auf dem Rücken durch Braun geteilt, umgibt alſo nicht mehr vollſtändig die Schwanzwurzel. Wir laſſen nun zunächſt ſolche Formen folgen, bei denen das obenerwähnte dunkle Seiten— band ſich nur undeutlich abhebt und niemals ſchwarz iſt. Hierzu gehört eine große Anzahl kleiner, einander ſehr ähnlicher und vorwiegend durch die Hornkrümmung unterſchiedener Ga— zellen, die in und am Rande der großen Wüſten etwa von Algier durch Agypten, Arabien, Paläſtina, 1 bis nach Vorderindien gehen. Die öſtlichſte Art dieſer Gruppe, die In— diſche Gazelle, Gazella bennetti Syk., iſt jedenfalls wie Löwe, Gepard und Hyäne ein afrikaniſcher Einwanderer. Sie unterſcheidet ſich von der weiter unten geſchilderten Dorkas— Gazelle durch die nicht ſo ausgeſprochen lyraförmigen Hörner, dunklere Farbe und ſchwarzen Fleck über der Naſe, den ſie übrigens mit der nahe verwandten Arabiſchen Gazelle, Gazella arabica Leht., und der nordafrikaniſchen Edmi-Gazelle, Gazella cuvieri Ogilb., teilt. Hier mag auch die naheſtehende Speke-Gazelle, Gazella spekei Blyth (Taf. „Baar: hufer e 6, bei S. 209), erwähnt werden. Nicht nur, weil ſie zuſammen mit Pelzelns Gazelle, G. pelzelni Kohl, als Bewohnerin des Somalilandes am weiteſten ſüdlich von allen Gazellen mit geteiltem Spiegel vorkommt, ſondern weil Spekes Gazelle eine eigentüm— liche faltige Schwellung und Auftreibung des Naſenrückens beſitzt, in welcher der Anfang zur Bildung des Rüſſels von Tſchiru und Saiga erblickt werden kann. Den Schluß unſerer Aufzählung der Gazellen mögen die Formen bilden, bei denen das Seitenband ſchwarz und deutlich ausgeprägt iſt. Den Übergang dazu bildet gewiſſermaßen die oben ſchon genannte Grant-Gazelle, da, nach Rooſevelt, bei den alten Böcken, die, nebenbei bemerkt, ein Gewicht bis zu 171 Pfund erreichen, der dunkle Seitenſtreif völlig ſchwindet. Die bekannteſte dieſer Formen iſt Thomſons Gazelle, Gazella thomsoni Gthr., aus der Maſſaiſteppe. Sie bewohnt das Innere Deutſch- und Britiſch-Oſtafrikas vom Nudolf- fee bis Süd-Irangi und zeichnet ſich durch lange Hörner, rotbraune Stirn und ſchwarzen Grantsgazelle. Gazellen: Weitere Arten. 215 Naſenfleck aus. Übrigens ſind auch das Steißband und der Schwanz in ſeinen letzten zwei Dritteln ſchwarz. Sonſt kann die Farbe der Oberſeite als dunkel rötlich-ſandbraun bezeichnet werden. Die Weibchen dieſer Gazelle tragen häufig verkümmerte oder ſonſtwie mißgeſtaltete Hörner. Nahe mit ihr verwandt iſt die Rotſtirngazelle, G. rufifrons Gray (Taf. „Paar⸗ hufer XIII“, 7, bei S. 209), die den Sudan und Weſtafrika bewohnt und kürzere Hörner mit ſtärker gekrümmten Spitzen hat. Von dieſen zahlreichen Gazellen leben oft in denſelben Ländern mehrere Arten neben— einander. Dann bevorzugt aber jede Art ein beſtimmtes Gelände, das ſie faſt ausſchließlich bewohnt, wie Loder („Proc. Zool. Soc.“, London 1894) in bezug auf die drei algeriſchen Gazellen ausführt. Die eine von ihnen, die Edmi-Gazelle, G. cuvieri Ogilb., lebt nur im Gebirge, wo ſie gewandt wie eine Gemſe die ſteilſten Felſen erklettert, und kommt nie in die eigentliche Wüſte herab. Die Dorkas-Gazelle findet ſich in der eigentlichen harten, ſtei— nigen Wüſte und gelegentlich auch in den Vorbergen. Die Sanddünen aber ſind das eigent— liche Wohngebiet der ſehr hell ſandfarbigen, faſt weißen Dünengazelle, G. leptoceros lo- deri 7hos. (Taf. „Paarhufer XIII“, 8, bei S. 209). Die Lebensweiſe der verſchiedenen Gazellen iſt ziemlich gleichartig. Ein Unterſchied be— ſteht höchſtens darin, daß die eine etwas geſelliger iſt als die andere und vielleicht in etwas zahlreicheren Herden angetroffen wird. So ſind von Thomſons Gazelle gelegentlich Scharen bis zu 60 Köpfen beobachtet worden. Meiſt aber umfaſſen die Gazellenrudel nur wenige Stücke. Zur ausführlichen Beſprechung ſei die bekannteſte Art, die ihrer anmutigen Schönheit halber ſeit dem Altertum hochberühmte eigentliche oder Dorkasgazelle, erwählt, die in der morgen— ländiſchen Dichtung von jeher eine wichtige Rolle ſpielt. Die Dorkasgazelle, Gazella dorcas L., erreicht nicht ganz die Größe unſeres Rehes, iſt aber viel zarter und ſchlanker gebaut, auch ſchöner gezeichnet als dieſes. Alte Böcke meſſen 1,1 m, mit dem Schwanze 1,3 m in der Länge und find am Widerriſte 60 em hoch. Der Körper iſt gedrungen, obwohl er der hohen Läufe wegen ſchmächtig erſcheint, der Rücken ſchwach gewölbt, am Kreuze höher geſtellt als am Widerriſt, der Schwanz ziemlich lang, an der Spitze ſtark behaart. Die Beine ſind außerordentlich zart, ſchlank und höchſt zierlich behuft. Auf dem geſtreckten Halſe ſitzt der mittellange Kopf, der hinten breit und hoch, nach vorn verſchmälert und an der Schnauze ſchwach gerundet iſt; die Ohren haben etwa drei Viertel der Kopflänge; die großen, feurigen und lebhaften Augen zeigen einen faſt runden Stern; die Voraugendrüſen ſind von mittlerer Größe. Die vorherrſchende Färbung iſt ein helles, ſandfarbiges Rötlichbraun. Ein dunklerer, undeutlicher Streifen verläuft längs der Leibesſeiten als Grenze gegen den blen— dend weißen Unterkörper. Der Kopf iſt lichter als der Rücken und trägt die typiſche Gazellen— zeichnung, die Ohren ſind gelblichgrau, ſchwarz geſäumt und mit drei Längsreihen ziemlich dicht aneinanderſtehender Haare beſetzt. Der Schwanz iſt an ſeiner Wurzel braun, wie der Rücken, in ſeiner letzten Hälfte aber ſchwarz. Der Bock trägt immer ſtärkere Hörner als die Ricke, und die Ringe ſind dort ſtets mehr ausgeprägt als hier. Bei beiden richten ſich die Hörner nach auf⸗ und rückwärts, wenden ſich aber mit den Spitzen wieder nach vorn und etwas gegen— einander, ſo daß ſie, von vorn betrachtet, an die Leier der Alten erinnern. Der Verbreitungskreis der Dorkasgazelle erſtreckt ſich von Marokko und Algier an bis zum Roten Meer und nach Syrien. Der ganze Wüſtenzug und das ihn begrenzende Steppen⸗ gebiet kann als ihre Heimat betrachtet werden; in den Gebirgen von Abeſſinien ſteigt die dortige Lokalform, G. d. isabella Gray, laut Th. v. Heuglin, höchſtens bis zu 1500 m 916 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. empor. Je pflanzenreicher die Einöde, um jo häufiger findet man das Tier; ein ſtändiger Bes wohner fruchtbarer Talniederungen oder von Flußtälern iſt es jedoch nicht, ſolche Strecken berührt die Gazelle nur flüchtig, ungezwungen wohl kaum. Sie zieht zwar Niederungen den durchglühten Hochebenen vor, aber nur Niederungen der Wüſte. Mimoſenhaine und noch mehr jene ſandigen Gegenden, in denen Hügelreihen mit Tälern abwechſeln und die Mimoſen ſich überall finden, ohne eigentlich einen Hain oder Buſchwald zu bilden, ſind ihre Lieblings— plätze, weil die Mimoſe als ihre eigentliche Nährpflanze angeſehen werden muß. In den Steppen kommt ſie ebenfalls, und zwar an manchen Orten ſehr häufig vor; allein auch hier bevorzugt ſie dünnbeſtandene Buſchgegenden dem wogenden Halmenwalde. Nahe der Mittel— meerküſte iſt ſie ſelten. Je weiter man nach Nubien hin vordringt, um ſo häufiger wird ſie; am gemeinſten dürfte ſie in den zwiſchen dem Roten Meere und dem Nile gelegenen Wüſten und Steppen zu finden ſein. Die ſchwachen Rudel ſind gewöhnlich Familien, beſtehend aus einem Bock mit ſeinem Tiere und dem jungen Nachkommen, der bis zum nächſten Beſchlage bei den Eltern verweilen darf. Ebenſo häufig aber findet man auch Trupps bis zu 50 Stück, die nur aus Böcken, und zwar wohl aus ſolchen beſtehen, die von den ſtärkeren abgetrieben wurden. Dieſe Junggeſellen halten bis gegen die Paarungszeit hin treu zuſammen. Jeder Reiſende, der auch nur auf einige Meilen hin die Wüſte durchzieht, kann eine Gazelle zu ſehen bekommen, und wer erſt ihre Lebensweiſe kennt, findet ſie mit Sicherheit in allen Teilen ihres Heimatskreiſes auf. Denn ſie iſt oder aber war überall, wo ſie auftritt, häufig. Als Tagtier zeigt ſie ſich gerade zur günſtigſten Zeit dem Auge. Nur während der größten Hitze des Tages, in den Mittagsſtunden bis etwa 4 Uhr nachmittags, ruht ſie wiederkäuend gern im Schatten einer Mimoſe; ſonſt iſt ſie faſt immer in Bewegung. Aber man ſieht ſie nicht ſo leicht, wie man glauben möchte: die Gleichförmigkeit ihres Kleides mit der herrſchenden Bodenfärbung erſchwert ihr Auffinden. Schon auf eine Achtelmeile hin entſchwindet ſie unſerem ungeübten Geſicht, während die Falkenaugen der Afrikaner ſie oft in mehr als meilenweiter Entfernung noch wahrnehmen. Gewöhnlich ſteht der Trupp unmittelbar neben oder unter den niederen Mimoſenbüſchen, deren Kronen ſich von unten aus ſchirmförmig nach oben aus— breiten und ſomit den Tieren unter ihnen ein ſchützendes Dach gewähren. Die wachhaltende Gazelle äſt, die anderen liegen wiederkäuend oder ſonſt ſich ausruhend unweit von ihr. Nur die ſtehende fällt ins Auge, die liegende gleicht einem Steine der Wüſte ſo außerordentlich, daß ſelbſt der Jäger ſich täuſchen kann. Solange nicht etwas Ungewöhnliches geſchieht, bleibt das Rudel auf der einmal gewählten Stelle und wechſelt höchſtens von einem Orte zum anderen, hin und her ziehend; ſowie es aber Verfolgungen erfährt, vertauſcht es augenblicklich ſeinen Stand. Auch der Wind ſchon iſt hinreichend, um die Gazelle zu ſolchem Wechſel zu bewegen. Sie ſteht immer unter dem Winde, am liebſten ſo, daß ſie von dem Berghange aus die vor ihr liegende Ebene überſchauen und durch den Luftzug von einer Gefahr im Rücken Kunde erhalten kann. Aufgeſtört flüchtet ſie zunächſt auf die Höhe des Hügels oder Berges, ſtellt ſich auf dem Kamme auf und prüft nun ſorgfältig die Gegend, um den ge— eignetſten Ort zur Sicherung zu erſpähen. Es läßt ſich nicht verkennen, daß man in der Gazelle ein hochbegabtes Tier vor ſich hat. Sie iſt jo bewegungsfähig wie irgendeine andere Antilope, dabei lebhaft, behende und über- aus anmutig. Ihr Lauf iſt außerordentlich leicht; ſie ſcheint kaum den Boden zu berühren. Ein flüchtiges Rudel gewährt einen wahrhaft prachtvollen Anblick; ſelbſt wenn die Gefahr ihm nahe kommt, ſcheint es noch mit ſeiner Befähigung zu ſpielen., Oft ſpringt mit zierlichen Sätzen von 1—2 m Höhe eine Gazelle, gleichſam aus reinem Übermute, über die andere Gazellen: Wejen. Lebensweiſe. Fortpflanzung. 217 hinweg, und ebenſooft ſieht man ſie über Steine und Büſche ſetzen, die ihr gerade im Wege liegen, aber ſehr leicht umgangen werden könnten. Alle Sinne ſind vortrefflich ausgebildet. Sie wittert ausgezeichnet, äugt ſcharf und vernimmt weit. Dabei beſitzt ſie ein vortreffliches Gedächtnis und wird, wenn ſie Erfahrung geſammelt hat, immer verſtändiger. Ihr Betragen hat viel Anſprechendes. Sie iſt ein harmloſes und etwas furchtſames Geſchöpf, keineswegs aber ſo mutlos, wie man gewöhnlich glaubt. Unter dem Rudel gibt es oft Streit und Kampf, wenn auch bloß unter gleichgeſchlechtigen Mitgliedern, zumal unter den Böcken, die gern zu Ehren der Schönheit einen Strauß ausfechten, während ſie die Ricken bis gegen die Paarungs— zeit hin mit Liebenswürdigkeit, ja mit Zärtlichkeit behandeln und gleiches von dieſen emp— fangen. Mit allen übrigen Tieren lebt die Gazelle in Frieden; deshalb ſieht man ſie auch gar nicht ſelten in Geſellſchaft anderer, ihr naheſtehender Antilopen. Natürlich unterſcheiden ſich die einzelnen Arten etwas in ihren Lebensgewohnheiten. So ſchreibt z. B. Rooſevelt, daß die Thomſon-Gazelle weniger geſellig ſei als die Grant-Gazelle. „Hier ein Bock und mehrere Geißen, dort zwei Geißen mit ihren Kitzen, dann wieder drei bis vier Böcke zuſammen oder auch etwa zwanzig Stück find überall über die Ebene zerſtreut ... Ihre Wedel ſchwingen beſtändig nervös hin und her und befinden ſich immer höchſtens nur einige Sekunden in Ruhe, während die ſtärkere Gazelle (Grants Gazelle. D. Bearb.) in dieſen Gegenden überhaupt ihren Wedel nur ſelten bewegt.“ Dieſes Auf- und Abklappen des Wedels, das man auch bei anderen Antilopen, beſonders den kleinen Duckern, bemerkt, iſt als eine Art Zeichenſprache gedeutet worden. Weil es aber, wie Berger beim Abfangen krankgeſchoſſener Stücke beobachtete, ſelbſt nach dem Tode nicht ſogleich aufhört, ſo iſt es wohl als eine rein reflektoriſche Bewegung anzuſehen. Da die Unterſeite des Schwanzes blendend weiß iſt, möchte Berger darin eine Art „Orientierungsmarke“ für die nachfolgenden Stücke erblicken. Thomſons Gazelle erſcheint, nach Schillings, viel weniger intelligent als ihre größere Verwandte, Grants Gazelle. Sie hat etwas ausgeſprochen Schafartiges in ihrem Weſen, miſcht ſich auch im Gegenſatz zu anderen Antilopen unter die weidenden Viehherden der Maſſai. Über die Grant-Gazellen erfahren wir durch Lönnberg („Wiſſenſch. Ergebn. d. ſchwed. zool. Exped. nach d. Kilimandſcharo“), nach Sjöſtedts Aufzeichnungen, daß ſie ſich oft in großen Herden bis zu 100 Stück anſammeln. Ein alter Bock diene als Wache. Bei Gefahr fliehe dieſer zuletzt, nach den Weibchen und Jungen, die mit ſenkrecht emporgeſtrecktem Wedel flüch— ten. Erſt wenn die Herde ein Stück entfernt ſei, folge der Bock hinterher. Verwundete Böcke werden nicht leicht von der Herde verlaſſen. Auf der Flucht ſehen ſich die Tiere oft ſtehen— bleibend nach ihren Verfolgern um. Die Verſchiedenheit der klimatiſchen Verhältniſſe Afrikas bedingt auch eine ſehr verſchie— dene Paarungszeit der Gazellen. Im Norden fällt dieſe etwa in die Monate Auguſt bis Ok— tober, in den Aquatorländern beginnt ſie erſt Ende Oktober und währt dann bis Ende Dezember. Die Böcke fordern einander mit laut blökendem Schreie zum Kampfe auf und ſtreiten ſich ſo heftig, daß ſie ſich gegenſeitig die Hörner abſtoßen: ich habe viele von ihnen erlegt, bei denen die eine Stange an der Wurzel abgebrochen worden war. Mit geſenkten Köpfen treten ſie einander gegenüber und forkeln aufeinander los. Hierbei vergeſſen ſie oft ihre Umgebung derart, daß man ſie faſt greifen kann. Von dem Tiere vernimmt man nur ein ſanftes, helles Mahnen. Der ſtärkſte Bock wird natürlich von ihm bevorzugt, duldet auch keinen Neben— buhler. Traulich zieht das Tier mit ihm hin und her, und gern nimmt es Liebkoſungen von ſeiten des Herrn Gemahls entgegen. Dieſer folgt ſeiner Schönen auf Schritt und Tritt nach, beriecht ſie von allen Seiten, reibt den Kopf zart an ihrem Halſe, beleckt ihr das Geſicht und VDE DENT 918 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. ſucht ihr überhaupt ſeine Zuneigung auf alle Weiſe zu erkennen zu geben. Im Norden ſetzt die Ricke Ende Februar oder Anfang März, im Süden zwiſchen den Monaten März und Mai, alſo nach einer Tragzeit von 5—6 Monaten, ein einziges Kalb. Zu Ende März und An⸗ fang April waren die meiſten weiblichen Gazellen, die ich erlegte, hochbeſchlagen, und manche trugen bereits ein ſehr ausgebildetes Junges. Das zur Welt gekommene Kälbchen iſt in den erſten Tagen ſeines Lebens ein ſo unbehilfliches Geſchöpf, daß es mit den Händen gefangen werden kann. Deshalb ſondern ſich auch die Weibchen vor dem Werfen vom Rudel ab und geſellen ſich ihm erſt wieder bei, wenn das Junge genügend herangewachſen iſt. Von der Mutter wird das Junge kühn gegen alle Gefahren verteidigt. Trotzdem fallen viele Kitzen ihren zahlloſen Feinden zum Opfer. Freilich würden ſich die Gazellen ohne dieſe das Gleich— gewicht herſtellenden Verluſte auch außerordentlich vermehren. Jung ins Haus gebrachte Gazellen werden nach wenigen Tagen zahm, ertragen auch, zumal in ihrer Heimat, leicht und dauernd die Gefangenſchaft. Die Schönheit der Augen dieſer Tiere iſt unter allen morgenländiſchen Völkern ſo vollſtändig anerkannt, daß hoffende Frauen Gazellen nur aus dem Grunde zu halten pflegen, um ihrem Kinde dieſe Schönheit zu verleihen. In den europäiſchen Häuſern der größeren Städte Nord- und Oſtafrikas ſieht man regelmäßig gezähmte Gazellen, und unter ihnen findet man viele, die ſich ſo an den Menſchen gewöhnt haben, daß ſie als echte Haustiere angeſehen werden können. Sie folgen ihrem Herrn wie Hunde nach, kommen in die Zimmer herein, betteln bei Tiſche um Nahrung, unternehmen Ausflüge in die benachbarten Felder oder in die Wüſte und kehren, wenn der Abend kommt, oder wenn ſie die Stimme ihres Pflegers vernehmen, gern und freudig wieder nach Hauſe zurück. Auch bei uns zulande kann man Gazellen jahrelang am Leben erhalten; ſie beanſpruchen aber ſorgfältigſte Pflege und einen warmen, im Winter gut geheizten Stall und bleiben ſtets empfindlicher als manche ihrer Verwandten. Zahme Gazellen zeigen fi) auch gegen fremde Leute ſanft und zutraulich; nur die Böcke gebrauchen bisweilen ihr Gehörn, doch immer mehr um zu ſpielen, als in der Abſicht zu verletzen. Heu, Brot und Gerſte, im Sommer Klee und anderes Grünzeug genügen zur Ernährung; ſehr gut bekommt ihnen auch ein Kleientrank, wie ihn Ziegen erhalten. Waſſer bedürfen ſie nur ſehr wenig: täglich ein mittelgroßes Glas voll befriedigt ihren Durſt vollſtändig. Dagegen verlangen ſie Salz, das ſie begierig auflecken. Nicht ſo leicht wie viele andere Antilopen ſchreiten ſie bei uns zur Fort— pflanzung. Max Jope in Reutlingen berichtet von ſeiner geglückten Gazellenzucht, daß das Junge im Alter von etwa ſechs Wochen die erſten Heuhälmchen nahm; die Hörnchen ſproßten nach ungefähr drei Monaten hervor. Die Tragzeit hatte 164 Tage gedauert. Die Gazelle bildet in ihrer Heimat einen Gegenſtand der eifrigſten, ja der leidenſchaft⸗ lichſten Jagd; man fängt ſie in Fallen, ſchießt ſie, beizt ſie mit Falken oder hetzt ſie mit Wind⸗ hunden zu Tode. Die Gazellenbeize erfordert eine große Anzahl von Menſchen, Pferden, Hunden und Falken, iſt alſo ſehr koſtſpielig und wird daher nur von den Großen des Reiches betrieben. Die Jagd mit der Büchſe iſt ſehr lohnend. Wenn wir, mein Begleiter van Arkel und ich, einen Trupp Gazellen ſtehen ſahen, ritten wir, höchſtens mit einer geringen Ab— weichung, ruhig unſeres Weges weiter und ſo nahe, als es uns paſſend erſchien, an die Gazellen heran. Dann ſprang einer von uns hinter einem Buſche vom Maultiere, übergab dieſes dem begleitenden Diener und ſchlich nun, oft kriechend, mit ſorgfältigſter Beobachtung des Windes an das Wild hinan; der andere zog ſeines Weges fort. Gewöhnlich ſchaute das Leittier des betreffenden Rudels neugierig den Dahinziehenden nach und vergaß dabei, die übrige Um— gebung prüfend zu beobachten. Der Jagende benutzte ſeine Zeit jo gut wie moglich und Gazellen: Gefangenleben. Jagd. Springbod. 219 konnte auch in den meiſten Fällen von einem der dichteren Büſche aus einen glücklichen Schuß tun, in der Regel nicht weiter als auf 90 —150 Schritt. Die überlebenden Gazellen eilten nach dem Schuſſe ſo ſchnell wie möglich davon, am liebſten dem nächſten Hügel zu, an dem ſie eilig bis zum Gipfel hinaufklommen. Dort aber blieben ſie ſtehen, gerade als wollten ſie ſich genau von dem Vorgegangenen überzeugen, und mehr als einmal iſt es uns gelungen, uns ſelbſt bis an dieſe, dort wie Schildwachen aufgeſtellten Tiere mit Erfolg heranzuſchleichen. Das Herabrollen eines Steines oder ein anderes Geräuſch, das ich verurſachte, ſchreckte dann die Ga— zellen auf, und ſie enteilten nun in raſender Flucht. Niemals aber ſah ich von Menſchen verfolgte Gazellen in ihrer wahren Schnelligkeit; denn dieſe nehmen ſie bloß an, wenn ihnen ein Hund auf den Ferſen iſt. Ich vermag es nicht, das Schauſpiel zu beſchreiben, das die beiden Tiere gewähren; ich könnte höchſtens ſagen, daß eine ſo dahineilende Gazelle nicht mehr zu laufen, ſondern zu fliegen ſcheint: aber damit hätte ich ihre Flüchtigkeit noch immer nicht geſchildert. Mit den Gazellen haben die Springantilopen (Antidorcas 8% d.) große Ahnlichkeit, unterſcheiden ſich jedoch durch ein weſentliches, einzig und allein ihnen zukommendes Merk— mal von den genannten und allen übrigen Verwandten. Längs des Rückens nämlich, etwa von deſſen Mitte beginnend, verläuft eine durch Verdoppelung der Oberhaut gebildete, mit ſehr langen Haaren ausgekleidete Falte, die bei ruhigem Gange der Tiere geſchloſſen iſt, bei heftiger Bewegung aber, insbeſondere beim Springen, entfaltet wird. Die Hörner, die von beiden Geſchlechtern getragen werden, erheben ſich ſteil an der Stirn, biegen ſich ſodann gleich— zeitig nach außen und hinten, hierauf wieder etwas nach vorn und wenden ſich mit den Spitzen nach einwärts, ſind alſo verdreht leierförmig. Der Leib iſt ebenſo kräftig wie zierlich gebaut, der Kopf mäßig groß, der Hals ſchlank, der Schwanz mittellang, die Beine ſind ziemlich hoch, die Ohren lang und zugeſpitzt, die Augen ſehr groß, glänzend und lang bewimpert, die Ge— ſichtsdrüſen klein und undeutlich. Das Gebiß enthält nur 5 Backzähne jederſeits im Unter: kiefer, und der erſte im Oberkiefer iſt ſehr klein. Der einzige Vertreter dieſer Gattung iſt der Springbock, Antidorcas marsupialis Zimm. (euchore; Abb., S. 220), eine wundervolle Antilope von 1,5 m Länge, wovon 20 em auf den Schwanz gerechnet werden müſſen, und 85 em Schulterhöhe. Die Färbung iſt ein helles Zimt— braun; ein Streifen, der von der Wurzel der Hörner durch die Augen und gegen die Naſe ver— läuft, und ein breiter anderer, der ſich längs der Seite zwiſchen dem Oberarm und Oberſchenkel erſtreckt, ſind nußbraun, Geſicht, Ohren, Vorderhals, Unterkörper, die Innenſeite der Beine und ein „Spiegel“ um den Schwanz weiß. Die ſchneeweißen Haare, welche die Rückenfalte auskleiden, haben eine Länge von 20 —25 em. Das Weibchen gleicht in der Färbung dem Männchen vollſtändig; ſein Euter hat zwei Zitzen. Die ſchwarzen Hörner werden beim Bock in gerader Linie manchmal bis zu 28 und 30 em hoch und, der Krümmung nach gemeſſen, 30—40 cm lang und zeigen ungefähr 20 vollſtändige Ringe, find jedoch an der Spitze glatt. Die Hörner des Weibchens ſind kleiner, viel dünner, ſchwächer geringelt und gebogen. Das Verbreitungsgebiet des Springbocks iſt auf Südafrika ſüdlich des Sambeſi beſchränkt und geht bis in den Weſten von Moſſamedes nach Norden. Dieſe Antilope kommt noch heutiges— tags im Kaplande vor, namentlich in deſſen nordweſtlichen Teilen, belebt aber hauptſächlich die zwiſchen dem Oranje⸗Fluſſe und dem Ngami-Gebiete ſich endlos dehnenden öden Steppen und wüſtenartigen Flächen. Die Hauptmaſſe der Springböcke bevölkert wohl die Kalahari und manche Striche im deutſchen Südweſtafrika. Hier finden fie ſich zu 2—5, zu 30—50, manch⸗ mal aber auch zu 100 — 200 Stück gerudelt; fie wechſeln ihren Aufenthaltsort, zerſtreuen ſich 220 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. — über das weite Gebiet oder ſchlagen ſich in große Herden zuſammen, je nach der Beunruhigung, die fie erfahren, je nach dem Verlaufe der Niederſchläge, der Überfluß oder Mangel an Aſung bedingt und Waſſerplätze füllt oder verſiegen läßt. Wenn, wie es in verſchieden langen Zeit— räumen geſchieht, große Dürren die ſüdafrikaniſchen Landſtriche heimſuchen, dann müſſen die notleidenden Antilopen ihre Standorte verlaſſen, weite Gebiete räumen und in andere ein— wandern. An die abziehenden ſchließt ſich Rudel um Rudel, Herde um Herde: zu Tauſenden und abermals Tauſenden anwachſend, bilden ſie Heere, die, gefolgt von dem Raubgetier, das Springbod, Antidorcas marsupialis Zimm. 1/14 natürlicher Größe. an den ermattenden und verendeten ſich gütlich tut, bald im lockeren, bald im dichteſten Verbande in der nämlichen Richtung vorwärts ſtreben, allenthalben die ſpärlichen Reſte des Pflanzen— wuchſes vertilgend und endlich wie Heuſchreckenſchwärme in begünſtigtere Gegenden einfallend. In neuerer Zeit haben dieſe Wanderzüge, die „Trekboken“, wie die Buren ſie nennen, an Be⸗ deutung eingebüßt und treten auch ſeltener auf, nicht etwa, weil Zeiten der Not nicht mehr vorkommen, ſondern offenbar, weil die Zahl der Springböcke weſentlich verringert worden iſt. Aber noch vor einigen Jahrzehnten konnten ſie für beſiedelte Gebiete im Süden zu einer wirk— lichen Landplage werden. Nach verſchiedenen Angaben ſoll ein großes Springbockheer, das auf mehr als 10000 Stück geſchätzt wurde, aus der Kalahari Ende der ſiebziger oder Anfang der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts am Oranje-Fluſſe erſchienen ſein, und zwar etwa unter dem 21. Grad öſtl. Länge. Auch im Jahre 1896 wurde jm nördlichen Kapland noch ein ungeheurer Springbockzug beobachtet. Springbod: Wanderungen. 991 Gordon Cumming, von einer Zeit redend, die um ſechs Jahrzehnte zurückliegt, ſchreibt: „Jeder Reiſende, der die ungeheuern Maſſen, in denen der Springbock bei ſeinen Wanderungen erſcheint, geſehen hat, wie ich, und von dem, was er geſehen, eine wahrhafte und getreue Be— ſchreibung gibt, muß fürchten, Unglauben zu ernten: ſo wunderbar iſt der Anblick der wandernden Heere. Treffend und richtig hat man ſie mit den verheerenden Heuſchreckenſchwärmen verglichen, die dem Wanderer in dieſem Lande der Wunder ſo gut bekannt ſind: ebenſo wie dieſe ver— zehren ſie in wenigen Stunden alles Grün auf ihrem Wege und vernichten in einer einzigen Nacht die Frucht langjährigen Fleißes eines Landwirtes.“ Auch Le Vaillant ſpricht von Herden von 10—50 000 Stück, die von Löwen, Leoparden, Luchſen und Hyänen verfolgt werden, und Eduard Kretſchmar erzählte (vor ſechs Jahrzehnten) von Maſſen, die er nach Millionen ſchätzte. Kretſchmar ritt während einer Dürre, die ſchon über Jahresfriſt angehalten und zahlreiches Vieh getötet hatte, mit den Buren vor Tages— anbruch nach einem Paſſe, durch den mutmaßlich Scharen von Springböcken ins Land herein— brechen wollten. Bald kamen die Vorpoſten der Böcke, zu 2 und 3, zu 10 und 20, zu 200 und 400; endlich drängte ſich der ganze Paß dicht voll, und über ihnen wirbelten Staub— wolken und ſchwärmten Geier. Die Hunde wurden losgelaſſen und verſchwanden unter der Rajje; die Schüſſe krachten. In kurzer Zeit waren mehr als 200 Böcke erlegt. Schnell wurden Anſtalten gemacht, ſie wegzuſchaffen. Da drängte ſich eine neue Herde von etwa 20000 heran. Einer von den Leuten wurde über den Haufen geriſſen und ſo zuſammen— getreten, daß man ihn nachher bewußtlos und ganz mit Erde bedeckt fand; er erholte ſich jedoch allmählich, da er glücklicherweiſe mit dem Geſicht auf der Erde gelegen hatte. Bei dieſem zweiten Durchzuge wurden wiederum 100 Stück geſchoſſen. Währenddem waren auch durch andere Päſſe Maſſen von Springböcken durchgedrungen, und man ſah auf der 6 deutſche Meilen ſich hinſtreckenden Fläche Millionen (?) von dieſen Tieren weiden. Das Fleiſch, das vortrefflich ſchmeckt, wird im getrockneten Zuſtande vielfach benutzt. Die getrockneten Häute werden als Belag für den Fußboden verwendet. Die Richtung, welche die wandernden Antilopen einſchlagen, iſt nicht immer dieſelbe. Gewöhnlich kehren ſie auch auf einem anderen Wege zurück als auf dem, den ſie gezogen waren. Ihre Weglinie bildet deshalb gewöhnlich ein ungeheures, langgezogenes Eirund oder ein großes Viereck, deſſen Durchmeſſer vielleicht einige hundert Meilen beträgt. Dieſe Bahn wird von den Tieren in einer Zeit von ſechs Monaten bis zu einem Jahre durchzogen. Wunderbar iſt der manchmal ſehr enge Zuſammenſchluß einer ſo ſich bewegenden Herde. Schafherden, ja ſelbſt Löwen ſollen manchmal eingeſchloſſen und gezwungen werden, mit der Herde zu wandern. Die Nachzügler des Heeres freilich können den zahlloſen hungrigen Fein— den, die dieſen Zügen folgen, nicht widerſtehen. Noch wird erwähnt, daß beſtändig der Vor- und Nachtrab wechſelt. Die den Haufen anführen, finden ſelbſtverſtändlich mehr Nahrung als die, welche da weiden wollen, wo ſchon Tauſende vor ihnen ſich geſättigt haben; jene erwerben ſich alſo ihr tägliches Brot mit leichter Mühe und werden feiſt und faul. Damit aber iſt ihre gute Zeit auch vorbei; denn jetzt drängen ſich die hungrigen mit Macht hervor, und mehr und mehr bleiben die gemäſteten zurück, bis ſie an das Ende des Zuges gelangen. Einige Tage der Reiſe und des Mangels ſpornen ſie dann wieder an, ſich ihre Stelle im Vortrab von neuem zu erobern, und ſo findet ein ſtetes Hin- und Herwogen in der geſamten Herde ſtatt. Der Springbock hat von den Anſiedlern ſeinen Namen mit Recht erhalten. „Der Anblick einer ſolchen fliehenden Herde von einigen hundert Springböcken“, ſagt Lichtenſtein, „iſt auch 222 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. für jemand, welcher nicht Jäger iſt, äußerſt unterhaltend. Sie laufen eine Strecke ſehr raſch; ſowie ihnen aber ein Buſch oder ein Felſen im Wege ſteht, ſchnellen ſie ſich behende über ihn weg, ſtehen dann wieder ſtill, ſehen ſich um, und plötzlich ſetzt ſich dann wieder die ganze Herde in die eiligſte Bewegung mit abwechſelndem Laufen und Springen.“ Sie ſpringen zuweilen über 2m hoch und mit jedem Sprunge 4—5 m weit, ohne daß es ihnen die geringſte Anz ſtrengung zu koſten ſcheint. Vor dem Sprunge beugen ſie den Kopf nieder und gegen die Vorderläufe, ſchnellen ſodann mit allen vier Läufen zugleich auf, erheben ſich mit ſtark ge⸗ bogenem Rücken und breiten, während ſie emporſteigen, fächerförmig ihre Hautfalte aus. Einen Augenblick lang ſcheinen ſie gleichſam in der Luft zu ſchweben, kommen dann mit allen vier Füßen zugleich herunter, fallen auf den Boden und ſteigen wieder in die Höhe, als ob ſie davonfliegen wollten. So bewegen ſie ſich nur einige hundert Schritte weit und nehmen dann einen leichten, federnden Trab an. Wenn ſie einen Feind erblicken, machen ſie plötzlich halt, drehen ſich herum und faſſen den Gegenſtand ihres Schreckens ins Auge. Obwohl der Springbock oft eigene Herden bildet, trifft man ihn auch in Geſellſchaft von anderen Tieren an, wozu einſt außer Straußen auch Gnus, Bleßböcke und die längſt aus⸗ gerotteten Quaggas gehörten. Flüchtig wie der Wind und auf ſeine Schnelligkeit vertrauend, ſchlendert er, laut Harris, in jenen bunten Herden anſcheinend äußerſt ſorglos umher, nähert ſich gelegentlich mit emporgehobenem Halſe einer gefallſüchtigen Ricke ſeiner Art und öffnet dann und wann ſeine Rückenfalte, ſo daß das hervortretende weiße Haar mit einem Male eine vollſtändige Umwandlung ſeines Außeren hervorbringt, da hierbei die braune Färbung faſt gänzlich verſchwindet. Niemals aber verliert er bei derartigen Spielen ſeine Sicherheit aus dem Auge. Wachſamer als irgendeine andere Antilope, gibt er ſtets zuerſt das Zeichen zur Flucht und leitet dann die ſich zurückziehende Herde. Beim Erſcheinen eines fremden Gegenſtandes ſpitzt er das Gehör, erhebt ſein Haupt, trottet ungeduldig ein wenig vor, um ſich zu über— zeugen, ob das Geſehene wohl feindlich ſein möge, biegt im bejahenden Falle den Kopf zum Boden und beginnt nun, wie die Anſiedler jagen, zu „prunken“, d. h. in der eben beſchrie⸗ benen Weiſe emporzuſpringen und dabei ſeine volle Schönheit zu entfalten. Die Eingeborenen, denen dieſe wandernden Herden Nahrung in Hülle und Fülle bringen und eine Reihe von Feſttagen gewähren, zünden der Springböcke wegen vor der Regenzeit weite Strecken der Steppe an, damit hier um fo leichter ein friſchgrüner Teppich von ſaf— tigem Graſe ſich bilden möge. Die Böcke ſind entſchiedene Liebhaber der zarteſten Pflanzen und kommen zu ſolchen friſchgrünen Orten von weit her herbeigezogen. Jung aufgezogene Springböcke werden bald zahm. Diejenigen, welche ich ſah und pflegte, waren ſcheu und vorſichtig Fremden gegenüber, zeigten ſich aber mutwillig, wenn ſie es mit Bekannten zu tun hatten. Mehrere zuſammen in einem Raume vertragen ſich nicht immer; zumal die Böcke zeigen ſich als zänkiſche Geſellen, die ſelbſt die Ricken plagen. Ab: geſehen hiervon ſind die gefangenen Springböcke reizende Erſcheinungen. Ihr weiches, farben⸗ prächtiges Kleid, ihre anmutige Geſtalt und die Zierlichkeit ihrer Bewegungen feſſeln auch dann noch jedermann, wenn die Tiere im engen Raume des Geheges eigentlich wenig zur Geltung kommen. Leider bleiben ſie meiſt recht ſcheu. Ohne erklärliche Urſache ſtürmen ſie manchmal gegen die Gitter an und brechen ſich die Läufe oder verletzen ſich anderweitig, ſo daß ſie verenden, eine Erfahrung, die man auch bei anderen, eben an unbegrenzte Flächen gewöhnten Steppentieren machen kann. Im Kölner Zoologiſchen Garten gelang es Wunderlich 1896, ein Paar zur Fortpflanzung zu bringen. Das Weibchen warf am 24. Mai nach 171tägiger Trächtigkeit ein weibliches Springbod. Lamagazelle. 223 Junges von gelblichgrauer Grundfarbe, die an der Stelle des ſpäteren Seitenſtreifens dunkler war. Die Streifen zwiſchen Augen und Mundwinkel waren ebenfalls vorhanden. Die noch übrigbleibenden vier Gattungen der Antilopinae umfaſſen nur je eine Art. Sie ſind alle mehr oder weniger nahe mit den Gazellen verwandt. Gazellenzeichnung im Geſicht, Giraffengazelle, Lithocranius walleri Brooke. 1½ natürlicher Größe. aber keinen dunklen Streifen am Körper, langen, bis zu den Ferſen reichenden Schwanz, kleine Nebenhufe, mäßig verlängerten Hals und nach vorn konkave, mäßig lange Hörner, die nur dem Bock zukommen, hat die Gattung Ammodorcas Thos. Das Verbreitungsgebiet der einzigen Art, der Lamagazelle, des Dibatag der Eingeborenen, A. clarkei 7hos., ift ſehr beſchränkt auf einige unzuſammenhängende Teile des Oſtens des mittleren Somalilandes. Dort bewohnen dieſe Antilopen die mit niederem Dorngeſtrüpp beſtandenen Sandſteppen. Gleich der folgenden Art, mit der ſie die größte Ahnlichkeit in der Lebensweiſe haben, leben 224 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. ſie paarweiſe oder in kleinen Familien. Wie die Giraffe ernähren ſich die Tiere vorwiegend von Mimoſengeſtrüpp, deſſen Zweige ſie mit ihrer langen Oberlippe infolge des verlängerten Halſes zu erreichen und abzurupfen imſtande ſind. Sie ſtellen ſich oft dazu auf die Hinterfüße, indem ſie die Vorderfüße gegen den Baum ſtemmen. Die Farbe des Tieres iſt ein ziemlich gleich— mäßiges Purpurbraun, das ſcharf gegen das Weiß der Unterſeite und des Spiegels abgeſetzt iſt. Sehr eigentümliche Geſtalt infolge des ſtark verlängerten, dünnen Halſes zeigt die Gi— raffengazelle, der Gerenuk, Lithocranius walleri Brooke (Abb., S. 223), die einzige Art der Gattung Lithocranius Kohl. Die Gliedmaßen find ſehr lang und fein, die Nebenhufe jehr klein. Die Gazellenzeichnung des Geſichtes iſt weniger deutlich als bei der vorigen Art, aber ein lichter Seitenſtreifen iſt vorhanden. Die nur dem Bock zukommenden Hörner ſind mehr oder weniger deutlich leierförmig geſtaltet mit vorwärts zeigender Spitze. Der Schwanz reicht bis zur Mitte der Oberſchenkel. Die Farbe der Oberſeite iſt ein lebhaftes Kaſtanienbraun, das auf dem oberen Teil jeder Flanke ſcharf begrenzt wird durch eine hellere ſeitliche Binde, die all— mählich in das Sandbraun des unteren Teiles der Seiten übergeht. Es entſteht dadurch eine ſattelartige Zeichnung auf dem Rücken. Der Bauch hat weiße Färbung. Der Schädel der Tiere iſt namentlich in ſeinem hinter den Hörnern gelegenen Teil ſehr lang. Hier ſind die Knochen auch beſonders feſt und hart, worauf ihr lateiniſcher Name „Steinſchädel“ anſpielt. Die Giraffengazelle bewohnt das Somaliland bis zum Tana und die um den Kilima— ndjcharo liegenden Gebiete Britiſch-Oſtafrikas. In der Lebensweiſe gleicht fie ſehr der Lama— gazelle, unterſcheidet ſich aber von ihr darin, daß ſie bei der Flucht Kopf und Schwanz tief trägt, während jene ſie hoch hält. Auch zieht ſie noch ſtärker mit Mimoſenbüſchen beſtandene Orte, die dichten „Khanſa“-Dſchangeln, vor, d. h. Plätze, die aus Mangel an Gras und Waſſer von anderen Antilopen gemieden werden. Hier ſteht ſie bewegungslos zwiſchen den Büſchen, mit hocherhobenem Halſe ſcharfſichtig nach Feinden ausſpähend, ſelbſt kaum ſichtbar. Auch fie nährt ſich wie die Giraffe, der ſie ähnelt, vorwiegend von Zweigen und ſtellt ſich, um ſolche beſſer erlangen zu können, ſenkrecht auf die Hinterbeine, ſich mit den Vorderbeinen auf einen Stamm ſtützend. Menges fand fie im Somaliland in kleinen Rudeln von 10—15, höchſtens 30 Stück beiſammen, darunter nur einige ſtarke Böcke. Im übrigen wird die Ahnlichkeit zwiſchen den beiden zuletzt beſprochenen Arten in der Wildnis als außerordentlich groß bezeichnet. Mit der folgenden Gattung hat man den Tſchiru oder Orongo, Pantholops hodg- soni Abel, zur Gattung der „Rüſſelantilopen“ vereinigen wollen. Denn beide haben eine ver— größerte äußere Naſe. Beim Orongo iſt ſie allerdings nicht wie bei der Saiga abwärts gebogen, ſondern mehr ſeitlich auf jeder Seite taubeneiartig aufgetrieben. Es handelt ſich wohl beide— mal nur um eine Anpaſſung an gleiche Lebensbedingungen, ohne nähere Verwandtſchaft. Unterſcheidet ſich doch der Tſchiru durch den Beſitz von zwei Zitzen im weiblichen Geſchlecht ſcharf genug von der Saiga. Außerdem hat er ſechs untere Backzähne. Man ſieht ihn alſo als Vertreter einer beſonderen Gattung (Pantholops Hugs.) an, die in nur einer Art das Hochland von Tibet bewohnt. Wie die Saiga hat auch der Tſchiru ein ſehr dichtes, dickes, wolliges Haar: kleid von ſandgrauer Farbe mit bräunlicher Tönung, die beſonders an den Seiten ausgeſprochen iſt; der Bauch iſt weiß. Die kurzen, ſpitzen Ohren, die wir ſonſt bei Antilopen ſelten finden, teilt der Tſchiru mit der Saiga und den Gazellen ſeiner Heimat. Dieſe Kürze ſtellt wohl eine Anpaſſung an das kalte Klima ſeiner Wohnplätze dar. Beim alten Bock, der 80 em Schulter: höhe hat, ſind das Geſicht und die Vorderſeite der Beine ſchwarz; den Weibchen und Jungen fehlen dieſe ſchwarzen Abzeichen. Die langen, geringelten, nur dem Bock zukommenden Giraffengazelle. Tſchiru. 225 ſchwarzen Hörner ſteigen gerade auf, verlaufen faſt parallel und zeigen beim Anblick von der Seite nur eine ſchwache Sförmige Krümmung. Ausführlich hat uns MeKinloch in feinem hervorragenden Werk, Large Game of Tibet and Northern India“ (1885) über die Lebensweiſe des Tſchiru unterrichtet. Einige weitere | Tſchiru, Pantholops hodgsoni Abel. Yıı natürlicher Größe. Angaben verdanken wir Blanford in ſeiner Bearbeitung der Säugetiere von Stoliczkas zweiter Reiſe nach Yarkand. Danach leben die Tſchirus meiſt in kleinen Trupps von 20—25 Stück und vereinigen ſich ſelten zu großen Herden. Die Brunftzeit fällt in den November und De— zember. Dann ſammelt jeder Bock einen Harem von 20 — 25 Weibchen um ſich, den er eiferſüchtig bewacht und gegen Nebenbuhler verteidigt in Kämpfen, die oft tödlich ausgehen. Brehm. Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 15 226 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Wenn die Brunftzeit vorüber iſt, leben ſie friedlich zuſammen, Weibchen und Männchen in verſchiedenen Herden. Die Jungen werden im Juli geworfen. Die Tiere ſind ſehr ſcheu, ſie kommen morgens und nachmittags zum Aſen an die Ufer der Gletſcherflüſſe. Hier werfen ſie ſich Gräben aus, „die tief genug ſind, ihren Körper zu verbergen“. So können ſie, ſelbſt ungeſehen, jede nahende Gefahr rechtzeitig erkennen. Von allen Antilopen iſt die auch im Oſten unſeres Erdteiles lebende Saiga oder Steppen— antilope, Saiga tatarica L. (Taf. „Paarhufer XIV“, I u. 2), Vertreterin einer beſonderen Gattung (Saiga Gray), wohl die häßlichſte. Sie erinnert in Geſtalt und Weſen an das Schaf, in gewiſſer Beziehung aber auch wieder an das Renntier. Ihre Geſtalt iſt ſehr plump, der Leib dick und gedrungen, auch verhältnismäßig niedrig geſtellt, da die Läufe wohl ſchlank, aber nicht hoch ſind, das Fell außerordentlich langhaarig und ſo dicht, daß es eine glattwollig erſcheinende Decke bildet. Mehr als durch jedes andere Merkmal aber zeichnet ſich die Saiga durch die Geſtaltung ihrer Naſe aus. Dieſe ragt über die Kinnlade vor, iſt durch eine Längsfurche geteilt, knorpelhäutig, in Runzeln zuſammenziehbar und deshalb ſehr beweglich, an der abgeſtutzten Spitze von runden, am Rande behaarten, in der Mitte nackten Naſenlöchern durchbohrt, ſo daß das Ganze einen förmlichen Rüſſel bildet. Im Gegenſatz zu dieſer Entwickelung der äußeren Naſe iſt deren knöchernes Skelett, die Naſenbeine, ſtark rückgebildet, jo daß die Najen- öffnung am Schädel ſehr groß iſt. Das Ganze ſtellt wohl eine Anpaſſung an das Leben in Gegenden dar, deren Luft infolge gewaltiger Stürme oft von Sand ſtark verunreinigt iſt. Zeigt doch etwas Ähnliches auch der unter ähnlichen Verhältniſſen lebende Tſchiru, obſchon in geringerer Ausbildung. Selbſt bei einigen in Wüſten lebenden Gazellen laſſen ſich die Anfänge dazu erkennen in einer ſchwachen Auftreibung der Naſe, verbunden mit geringer Rückbildung der Naſenbeine. Die Hörner der Saiga, die in der Regel nur der Bock trägt, ſtehen etwas entfernt voneinander über der Augenhöhle, ſind leierförmig, ziemlich ſtark ge— ringelt, an der Spitze verdünnt und glatt, blaß von Farbe und durchſcheinend. Die Ohren ſind kurz, ſtumpf, innen mit lockeren Zotten bekleidet; die mittelgroßen, weit hinten in ſehr vorſtehenden Augenhöhlen gelegenen Augen haben faſt nackte Lider, oben volle, unten nur in der Mitte dicht ſtehende Wimpern, länglichen Stern und braungelbe Iris. Die Geſichtsdrüſen, die ſich unten in einiger Entfernung von den Augenwinkeln befinden, ſind weit, ihre Offnungen aber ſehr eng, werden von einem Hofe umgeben und ſtrotzen von einer bockig riechenden Salbe. Die außen weißgrau behaarten, oben am platten Rande ſchwarzfleckigen Lippen ſind durch eine Furche geſpalten. Am Halſe ſteht der Kehlkopf etwas vor, ohne jedoch einen eigentlichen Kropf zu bilden. Die ſchlanken Gliedmaßen ſind etwas einwärts gedreht, die Vorderhufe kurz, hinten von ſchwieliger, gewölbter Ferſenhaut umgeben und vorn dreieckig, die hinteren ähnlich geſtaltet, aber ſpitziger; die kleinen und ſtumpfen, an den hinteren Füßen dickeren Afterklauen ſtehen entfernt von dem Hufe. Der Schwanz iſt kurz, an der Wurzel ziemlich breit, unten nackt, außen mit aufrechten, nach der Spitze hin längeren Haaren beſetzt. Tief ausgehöhlte Leiſtengruben, die hinten durch eine Falte nach der Hüfte zu begrenzt werden, ſondern ebenfalls eine ſtark riechende Salbe ab. Im Sommer erreicht das Haar höchſtens 2 em an Länge, wogegen es im Laufe des Spätherbſtes bis zu 7 em und darüber nachwächſt. Rücken und Seiten ſehen im Sommer graugelblich, die Gliedmaßen unter dem Knie dunkler, die Unterteile ſowie die innere Seite der Läufe weiß, Stirn und Scheitel gelbgrau oder aſch— graulich aus; ein lanzettförmiges Rückenmal in der Kreuzgegend, das mit gröberen und längeren Haaren beſetzt iſt, hat ſchwärzlichbraune Färbung. Gegen den Winter hin lichtet ſich die Decke, I. Saiga, Saiga tatarica L., Weibchen. 2. Saiga, Salga tatarica I., Männchen, 0 nat. Gr., s. S. 226. — F. Falz-Fein phot. 30 nat. Gr., s. S. 226. — F. Falz-Fein phot. — u — — en 3. Cangichwänzige Ziegenantilope,"Nemorhaedus caudatus a. Goral, Nemorhaedus goral Hard. A. M.-E. in nat. Or. s.S.23).— Henry Irvinz-Horie , Surrey phot. 17 nat. Gr., s. S. 230. — Nach Photographie. 5. Schneeziege, Oreamnos americanus Ord, im Winter- 6. Schneeziege, Oreamnos americanus Ord, im Sommer- kleid. 1/25 nat. Gr, s. S. 242.— W. P. Dando, F. Z. S.-London phot. kleid. 1/25 nat. Gr. s. S. 242. — O. Heinroth-Berlin phot. 7. Mufflon, Ovis musimon Schreb. 7 nat. Gr., s. S. 246. — Aufn. a. d. Zool. Garten -Breslau. 9. Argali, Ovis ammon Z. % nat. Gr., s. S. 250. — L. Bab- Berlin phot. 10. Syrifches Fettſchwanzſchaf. o nat. Gr., 11. Fettſteißſchaf aus Simferopol, Krim. S. 264. — L. Medland, F. Z. S.-Finchley N. phot. 1/20 nat. Gr., s. S. 267. — Aufn. a. d. Zool. Garten-Breslau. Saiga. 227 und das Tier erhält dann ein blaſſes, graugelbliches, nach außen hin weißliches Haarkleid. Bei den Jungen iſt das Haar ſehr weich, über dem Scheitel und bis zum Mittelrücken hin bei neugeborenen Lämmern krauswollig, ſeine Färbung graulicher als bei den Alten, auf Scheitel und Rücken fat ſchwarzbraun. Die Länge des erwachſenen Bockes beträgt 153 m, wovon 11 em auf den Schwanz zu rechnen ſind, die Höhe am Widerriſte kaum 80 em, die Länge der Hörner eines ausgewachſenen Bockes der Krümmung nach gemeſſen 25 — 35 em. Das Weibchen trägt ein vierzitziges Euter. Das Gebiß enthält im Unterkiefer nur 5 Backzähne jederſeits. Das Wohngebiet der Saiga-Antilope iſt gegen früher ſtark eingeſchränkt. Im Diluvium reichte es durch ganz Mitteleuropa bis nach England. Zu Pallas' Zeit, etwa in der Mitte des 18. Jahrhunderts, war in Polen und den Karpathen ſeine Weſtgrenze. Doch wurde es durch Zunahme des bebauten Bodens und der Bevölkerung weiter eingeſchränkt. Nach Glitſch, dem wir eine ausgezeichnete Monographie der Saiga verdanken („Bull. Soc. Imp. Nat.“, Moskau 1865), umfaßte das Wohngebiet der Saiga in Europa nur noch den zwiſchen Wolga und Don gelegenen Teil der Kalmückenſteppe. Nach Hecks Erkundungen bei Falz-Fein leben Saigas heute in Europa nur noch in der Kalmückenſteppe zwiſchen Manitſch und Wolga, ſind dagegen jetzt zwiſchen Wolga und Ural ausgerottet. In Aſien bewohnen ſie alle ſüdlich des 55. Grades nördl. Breite liegenden Steppen Sibiriens und Ruſſiſch-Turkeſtans bis zur Dſungarei und Mongolei, nicht aber Transkaſpiens. Nach Glitſch iſt die Saiga im Sommer über ihr ganzes Wohngebiet verbreitet, zieht ſich aber im Winter auf den ſüdlichen Teil zurück und verbringt dieſe Jahreszeit in der Kal mückenſteppe in den grasreichen Tälern der Flüſſe Sal und Manitſch. Mit Beginn der Schnee ſchmelze ziehen die Saigas wieder nach Norden, die Böcke zuerſt, dann die Weibchen, bis ſie Ende Mai die nördlichſten Teile ihres Gebietes erreicht haben. In beſonders harten Wintern erliegen ſie zu Hunderten den Unbilden der Witterung oder den ſie verfolgenden Menſchen, jo daß eine weitere Abnahme der europäiſchen Saigas zu befürchten iſt. Die Saiga lebt ſtets in großen Herden, denn auch während des Sommers halten ſich die alten Böcke zur Herde. Pallas beobachtete, daß niemals alle Tiere zugleich ruhten, ſon— dern einzelne ſtets weideten und ſicherten, während die anderen wiederkäuend am Boden lagen, ſich auch keines von ihnen zur Ruhe begab, ohne vorher ein anderes Stück durch ein eigen— tümliches Zunicken und ein nicht minder abſonderliches Entgegenſchreiten zum Aufſtehen ein— geladen oder zur Ablöſung beſtimmt zu haben. Erſt wenn ſich dieſes erhob und die Wache übernahm, legte ſich jenes nieder. Unter den Sinnen der Saigas ſteht der Geruch obenan; denn man bemerkt, daß ſie vor— züglich winden. Das Geſicht ſcheint ſehr ſchwach zu ſein; denn die Tiere laufen bisweilen, von der Sonne geblendet, auf Wagen zu oder ſehen ſich angeſichts eines Feindes unentſchloſſen und blöde um, als ob ſie den Gegenſtand nicht zu erkennen vermöchten. Sie ſind ſcheu wie alle Steppentiere. Auch unterſcheiden ſie kaum zwiſchen ihren gefährlichen Feinden oder anderen, harmloſen Tieren, begeben ſich vielmehr, ſobald ſie ein fremdes Weſen gewahren, ſofort auf die Flucht, laufen zuerſt zuſammen, ſehen ſich zagend um und fliehen dann lautlos in einer langen Reihe, ſelbſt auf der Flucht noch beſtändig hinter ſich blickend. Der Bock geht in der Regel voran, doch übernimmt auch ein Alttier zuweilen die Leitung. Ihr Gang iſt ungelenk und ſieht auch deshalb nicht anmutig aus, weil die Tiere den Hals weit vorſtrecken und den Kopf niederhängen laſſen; die Sprünge greifen zwar ziemlich weit aus, erinnern aber kaum noch an die zierlichen Sätze anderer Antilopen, ſind vielmehr plump und ungeſchickt. Auch einen ſchönen Eindruck ihrer Hochſprünge durch Emporſchnellen auf allen vieren beeinträchtigen die 15 * 228 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Saigas dadurch, daß ſie dabei den Kopf zwiſchen die Vorderläufe geſenkt halten. Eine Stimme vernimmt man nur von den Jungen, die wie Schafe blöken; die Alten ſind immer ſtill. Die Aſung der Saiga beſteht vorzugsweiſe aus Salzkräutern, welche die ſonnigen, dürren, von Salzquellen öfters unterbrochenen tatariſchen Steppen hier und da in ungeheuren Maſſen bedecken. Wohl infolge der eigentümlichen Nahrung erhält das Wildbret der Saiga einen ſcharfen Geruch, der wenigſtens den Neuling derartig anwidert, daß er nicht imſtande iſt, es zu genießen. Die Paarungszeit beginnt Mitte Dezember; die Böcke pflegen um dieſe Zeit heftig miteinander zu kämpfen, und die Jungen werden von der Herde vertrieben. Die Ricken gehen trächtig bis zum Mai und ſetzen, gewöhnlich ſchon vor der Mitte dieſes Monats, in der Regel 2, ſelten ein Junges, die ſie etwa fünf Monate ſäugen, aber bis zur nächſten Paarungs— zeit bei ſich behalten. Die Weibchen ſollen, nach Hecks Erkundigungen, ſchon im erſten, die Böcke erſt im zweiten Jahre fortpflanzungsfähig ſein. Ungeachtet des ſchlechten Wildbrets jagen die Steppenbewohner Saigas mit Leidenſchaft. Man verfolgt ſie zu Pferde und mit Hunden. Wie einigen anderen Antilopen werden ihnen manchmal unbedeutende Wunden gefährlich. Die Kirgiſen hauen Pfade in das Steppengras und Schilf, ſchneiden hier die Halme bis zu einer gewiſſen Höhe ab und treiben ſodann zu Pferde Herden von Saigas hinein; dieſe ſollen ſich an den ſcharfen Spitzen des Rohres ver— letzen und den Verwundungen erliegen. Häufiger erbeutet man ſie mit dem Feuergewehr, und hier und da fängt man ſie mit Beizvögeln. Als ſolche nimmt man nicht Edelfalken, ſondern Steinadler, die von Haus aus zu den gefährlichſten Feinden der Antilopen gehören und gern der ihnen angeborenen Jagdluſt folgen. Wölfe und andere Raubtiere ſollen den Saigas nicht gefährlich werden können, da ſie höchſtens die Jungen einzuholen vermögen. Dagegen leiden die Saigas ſehr unter einer Daſſelfliege (Oestrus); dieſe legt ihnen Eier in die Haut, oft in ſolcher Menge, daß die auskriechenden Maden brandige Geſchwüre verurſachen und das Tier umbringen. Jung aufgezogene Steppenantilopen werden ſehr zahm, folgen ihren Herren wie Hunde, ſelbſt ſchwimmend durch die Flüſſe, fliehen vor wilden ihrer Art und kehren des Abends aus freien Stücken wieder in ihren Stall zurück. Wiederholt ſind lebende Saigas nach Deutſchland gebracht worden, gehören aber in unſeren Tiergärten noch immer zu den Seltenheiten. Nach Staders mündlichen Mitteilungen fängt man ſie wenige Stunden nach der Geburt ein und läßt ſie ſo lange von Ziegen und Schafen bemuttern, bis ſie ſelbſtändig freſſen und die weite, beſchwerliche Reiſe aushalten können. Nachdem ſie etwa ein Jahr alt geworden ſind, verſendet man ſie weiter. Dieſe jungen Tiere haben ein durchaus eigentümliches Ausſehen und erinnern, wie bemerkt, ebenſo an Renntiere wie an Schafe. Ihre Bewegungen ſind aber entſchieden antilopenartig. Gewöhnlich gehen ſie einen ruhigen, regelmäßigen Paß, der jedoch oft durch einige raſche Sprünge unterbrochen wird, wobei ſie ſich ziemlich hoch in die Luft ſchnellen. Gegen Witterungseinflüſſe zeigen fie ſich vollkommen unempfindlich, bleiben auch in den kälte— ſten Nächten gern in ihrem Gehege, ohne ihren Stall zu betreten, und liegen am Morgen, dick mit Reif belegt oder ſelbſt mit Schnee bedeckt, anſcheinend höchſt behaglich auf derſelben Stelle, auf der ſie ſich niederließen. Das Niedertun ſelbſt geſchieht niemals ohne einige Umſtände: ſie ſuchen vorher erſt lange nach einem paſſenden Platze, drehen ſich über demſelben einige Male herum und laſſen ſich dann erſt auf die Vorderkniee und ſchließlich auf den Leib nieder. Die von mir gepflegten Saigas fraßen von allem geeigneten Futter, das ich ihnen reichen ließ, waren, wie die meiſten übrigen Antilopen, ungemein begierig auf Salz und nahmen außerdem täglich eine ziemlich bedeutende Menge von Erde zu ſich. Ihre Loſung ähnelt der unſerer Ziegen und Schafe. Obwohl die von mir gepflegten und ſonſtwie beobachteten Saigas binnen kurzer Zeit * 228 Saiga. Serow. 229 ſich mit ihrem Wärter befreundet hatten und ſehr zahm geworden waren, gelang es doch bloß bei ſehr wenigen, ſie jahrelang am Leben zu erhalten. Hieran war nur in einzelnen Fällen die ihnen vielleicht nicht ganz zuſagende Nahrung ſchuld, häufiger die vielen an die un— begrenzte Steppe gewöhnten Steppentieren innewohnende Schreckhaftigkeit, indem ſie, durch irgendein ungewöhnliches Vorkommnis erregt, plötzlich wie unſinnig gegen die ihnen doch wohl— bekannten Gitter ſtürmten und dabei das Genick brachen oder ſich zwiſchen den Gitterſtäben erhängten. Der erſte Eindruck, den die Saiga auf den Beſchauer macht, iſt kein günſtiger; denn ſie erſcheint dem Beobachter ſofort als ein in hohem Grade dummes Weſen, und ihr Benehmen ſtraft dieſen Eindruck nicht Lügen. * Den Schluß der Familie bilden die Mitglieder von Winges Nemorhaedus-Gruppe. Als man noch alle die auf den vorhergehenden Seiten geſchilderten Horntiere kurz— weg als Antilopen zuſammenfaßte, pflegte man dieſen auch gern die heutige Unterfamilie der Gemſenartigen (Rupicaprinae) zuzugeſellen. Und in der Tat haben einzelne Gattungen, wie die Gorale, im Schädelbau und in der Hornform große Ahnlichkeit mit verſchiedenen primitiven Antilopenformen, wie z. B. mit den Waldduckern. Anderſeits nähern ſich die echten Gemſen mit ihrem zwiſchen den Augen ſtärker gebogenen Schädeldach und den röhrenförmig vorſpringenden Augenhöhlen den Schafen und Ziegen. Eine Gattung, Budorcas, vereinigt in eigenartiger Weiſe Merkmale der Gnus, Moſchusochſen und Rinder. So iſt alſo die Unter— familie der Gemſen ſehr geeignet, von den tiefer ſtehenden Antilopen zu den höher ſtehenden Schafen und Rindern überzuführen. Das Ausſehen iſt in gewiſſem Grade ziegenähnlich, ebenſo die Form der Backzähne. Ein mehr oder weniger großer Teil der Schnauze iſt nicht mit Haaren bekleidet. Beide Geſchlechter tragen Hörner. Gewöhnlich ſind vier Zitzen vorhanden und iſt der Schwanz kurz. Die Tiere find durchgehends Gebirgsbewohner. Sie find hauptſäch⸗ lich in Oſtaſien daheim, wo drei Gattungen leben, je eine bewohnt Europa und Nordamerika. Zwei ſehr nahe miteinander verwandte Gattungen, die Oſtaſien angehören, unterſcheiden ſich nur durch das Fehlen oder den Beſitz von Voraugen- und Klauendrüſen. Sehr gemſen⸗ ähnlich dem Körperbau nach, haben ſie eine ganz andere Hornform. Die Hörner ſind an— nähernd gerade, nur ſchwach rückwärts gebogen, beinahe parallel, an der Wurzel ſehr kräftig und ſtark geringelt. Die Wölbung des Schädels zwiſchen den Augen iſt nur ſchwach. Voraugen— drüſen und meiſt auch Zwiſchenklauendrüſen find vorhanden bei der Gattung Capricornis Ogilb., die vom Himalaja an die Gebirge oſtwärts bis Setſchuan, Kanſu, Japan, Formoſa, Tong⸗ king, die Malaiiſche Halbinſel und Sumatra bewohnt. Am längſten kennt man den Serow, Capricornis sumatrensis Behst. (Abb., S. 230). Nach Schneider („Zool. Jahrb., Abt. f. Syſtem.“, 23. Bd.) hat er auf Sumatra ſeine Schlafplätze in 600 —800 m Höhe unter über— hängenden Felſen. Er lebt in kleinen Trupps von 3—6 Stück, iſt ſehr ſcheu und bewohnt als trefflicher Kletterer nur die dichteſt bewachſenen Felſen. Es iſt ein Vertreter der durch eine Mähne ausgezeichneten typiſchen Untergattung. Die Farbe der ſehr weit, bis nach Indien und China, verbreiteten Art, von deren zahlreichen Lokalformen C. s. thar Hdgs. (bubalinus) von Nepal als die bekannteſte erwähnt ſei, ſchwankt von ganz ſchwarz bis rotbraun, oft mit weißlichen oder rötlichen Schenkeln. Die Mähne iſt ſchmutziggrau, manchmal mit rötlichen Farbtönen, aber nie rein weiß; von einem ſchönen ſilberigen Weiß und länger iſt ſie bei Capricornis argyrochaetes Heude, dem mittelchineſiſchen Weißmähnigen Serow, der mit 112 em Schulterhöhe der größte Vertreter der Gattung iſt. 230 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. — Die zweite Untergattung (Capricornulus Heude) umfaßt kleinere, ungemähnte Tiere; ſie iſt auf Formoſa und in Japan, von wo Temminck die Wollhaar- oder Japaniſche Gemſe, Caprieornis (Capricornulus) crispus Temm., beſchrieb, beheimatet. Die Lebensweiſe aller dieſer Tiere dürfte kaum verſchieden ſein von der der Wald— 11955 antilopen (Nemorhaedus H. Sm., Kemas), denen Voraugen- und Zwiſchenklauen⸗ drüſen fehlen. Einige ihrer Vertreter zeichnen ſich durch beſonders langen Schwanz mit langer Endquaſte aus, eine Eigentümlichkeit, der die Langſchwänzige Ziegenantilope, N. cau- datus A. M.-E. (Taf. „Paarhufer XIV“, 3, bei S. 226), aus Weſtchina ihren Namen Serow, Capricornis sumatrensis Behst. Yıs natürlicher Größe. verdankt. Der gleichfalls langſchwänzige N. raddeanus Heude lebt von Korea bis zum Amur⸗ land, geht alſo von allen altweltlichen Gemſen am weiteſten nach Norden. Bekannter als dieſe Arten iſt der Goral, N. goral Hardw. (Taf. „Paarhufer XIV“, 4, bei S. 226). Er hat die Größe einer Ziege. Seine Länge beträgt etwas über 1,2 m, die des Schwanzes 10, mit dem Haarpinſel 20 em, die Höhe am Widerriſt 75 em. Das Gehörn des Bockes iſt 15—22 em lang, kurz, dünn, gerundet; an der Wurzel ſtehen beide Stangen ſehr nahe zu— ſammen, gegen das Ende hin biegen ſie ſich voneinander ab. Die Anzahl der Wachstumsringe ſchwankt zwiſchen 20 und 40. Der Goral hat gedrungenen Leib mit geradem Rücken, ſchmäch⸗ tige Beine, mittellangen Hals und kurzen, nach vorn zu verſchmälerten Kopf mit eiförmigen, großen Augen und langen, ſchmalen Ohren, kurzes, dichtes, etwas abſtehendes, zumal an Leib und Hals lockeres Haarkleid von grauer oder rötlichbrauner Färbung, das oben an den Seiten Wollhaargemſe. Waldziegenantilopen. Gemſe. 231 und auch unten, mit Ausnahme eines ſchmalen gelben Längsſtreifens am Unterleibe, ſchwarz und rötlich geſprenkelt, an Kinn und Kehle ſowie einem von hier aus hinter den Wangen nach dem Ohre zu verlaufenden Streifen weiß, auf dem längs des Rückens verlaufenden Haarkamme aber ſchwarz iſt. Die Hörner der Ricke ſind kürzer und ſchwächer als die des Bockes, beide Geſchlechter aber ſonſt gleich geſtaltet und gefärbt. Das Verbreitungsgebiet des Gorals beſchränkt ſich, laut Adams, Jerdon und Kinloch, auf den Himalaja, und zwar auf einen zwiſchen 1000 und 2600 m Höhe liegenden Gürtel. Nach Kinloch lebt er geſellig, manchmal in großen Rudeln, gewöhnlich aber weithin verſtreut in kleinen Trupps oder auch einzeln und paarweiſe. Er hauſt ebenſowohl in den Waldungen wie auch auf unbewachſenem Gefelſe und an ſteinigen Hängen, am liebſten aber auf ſteilen Klippen, die mit lockerem Gebüſch und lichten Baumgruppen beſtanden ſind. Vor der heißen Sonne ſuchen die Gorale ſich im Schatten zu bergen, bei bedecktem Himmel äſen ſie nicht ſelten während des ganzen Tages. Da ſie viel in der Nähe von Wohnſitzen vorkommen, an den Anblick von Hirten und Holzfällern gewöhnt ſind, werden ſie nicht ſo leicht durch das Auftauchen eines Jägers beunruhigt und ſind, da der Boden meiſt ſehr uneben iſt, nicht ſchwierig zu beſchleichen. Aufgeſcheucht ſtößt der Goral wie die Gemſe einen ſcharfen Schneuzer aus und eilt ſodann mit überraſchender Schnelligkeit ſeines Weges dahin, gleichviel ob dieſer gut und gangbar oder halsbrechend iſt. An den ſchroffſten Felswänden klettert er mit der— ſelben Leichtigkeit wie die Gemſe. 8 Laut Jerdon währt die Tragzeit 6 Monate, und die Kälbchen werden im Mai und Juni geſetzt. Jung eingefangene Tiere, die man durch Ziegen großziehen läßt, ſollen leicht zahm werden, während ältere Gefangene auch bei der ſorgfältigſten Behandlung immer ſcheu und wild bleiben. Dabei ſind ſie ſchwer zu halten, weil ſie wie die Steinböcke an den Wänden emporklettern und regelmäßig zu entfliehen wiſſen, wenn man nicht beſondere Vorkehrungen trifft. Ein Goral, der ſich im Beſitze eines engliſchen Statthalters befand und auf einem vier— eckigen Platze gehalten wurde, verſuchte mehrmals, die etwa 3 m hohe Umzäunung zu über— ſpringen, und erreichte auch bei jedem Satze faſt die erwünſchte Höhe. In unſeren zoologiſchen Gärten iſt der Goral ein ſeltener Gaſt. Doch lebte einer viele Jahre lang im Hamburger Garten, und im Berliner waren ſowohl Goral wie Serow und Wollhaargemſe ſchon vertreten. An dieſe fremden Gebirgsantilopen können wir unſere Gemſe (Rupicapra Blainv., Capella) anſchließen, das anmutige, viel verfolgte Kind unſerer Gebirge. Ihre Kennzeichen ſind folgende: der Leib iſt gedrungen und kräftig, der Hals ziemlich ſchlank, der Kopf kurz, nach der Schnauze zu ſtark verſchmächtigt, die Oberlippe gefurcht, die Naſe behaart, das Naſen⸗ feld zwiſchen den Naſenlöchern klein; die Füße ſind lang und ſtark, die Hufe ziemlich plump, inwendig viel niedriger als außen, hinten niedriger als vorn, die Afterhufe außen flach; die Ohren ſind ſpitzig, faſt halb ſo lang wie der Kopf, ungefähr ebenſo lang wie der kurze, mäßig behaarte Schwanz; die drehrunden, an der Wurzel geringelten und mit Längsriefen durch— zogenen, an der Spitze glatten Hörner, die beide Geſchlechter tragen, ſteigen von der Wurzel an ſenkrecht vom Scheitel auf und krümmen ſich mit der Spitze hakenförmig nach hinten und abwärts; die Vorderzähne ſind mäßig dick und rundlich, an der Schneide faſt gleich breit. Hinter den Krickeln findet ſich bei beiden Geſchlechtern eine muſchelartige Vertiefung, in die zwei Drüſen eingebettet ſind, die ſogenannten „Brunftfeigen“ oder „Brunftdrüſen“. Die Brunftfeigen ſchwellen zur Fortpflanzungszeit beim Bock ſtark an, bei der Geiß kaum, und verbreiten dann einen weithin wahrnehmbaren, widerlichen Geruch. Voraugendrüſen fehlen. en e 232 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Die Gemſe oder Gams, Rupicapra rupicapra L. (tragus), die einzige Art der Gat⸗ tung, erreicht eine Länge von 1, m, wovon auf den Schwanz 8 em kommen, bei einer Höhe am Widerriſt von 75, am Kreuze von 80 em, ſowie ein Gewicht von 40—45 kg. Die Hörner (Krickel) ſind, der Krümmung nach gemeſſen, ungefähr 25 em lang, ſtehen bei dem Bode wei⸗ ter auseinander und ſind auch ſtärker und gekrümmter als bei der Geiß. Im übrigen glei⸗ chen ſich beide Ge- ſchlechter faſt voll- ſtändig, obwohl die Böcke in der Regel etwas ſtärker ſind. Das Haar iſt ziem⸗ lich derb, im Som⸗ mer kurz, d. h. höch⸗ ſtens 3 em lang, an der Wurzel braun: grau, an der Spitze hell roſtfarben, im Winter dagegen 10 bis 12 em, das des Rückenfirſtes, das den ſogenannten Bart bildet, ſogar 18 20 em lang und am Ende ſchwarz. Hierdurch entſteht je nach der Jahreszeit ein verſchiedenfarbiges 8 5 5 Kleid. Im Som⸗ Gemſe. Momentaufnahme nach der Natur von Hofphotograph Fr. Grainer, Bad Reichenhall. mer geht die all⸗ gemeine Färbung, ein ſchmutziges Rotbraun oder Roſtrot, auf der Unterſeite ins Hellrotgelbe über; längs der Mittellinie des Rückens verläuft ein ſchwarzbrauner Streifen; Geſicht und Kehle find fahl- gelb; auf den Schultern, den Schenkeln, der Bruſt und in den Weichen wird das Braun dunkler; ein Spiegelſtreif auf den Hinterſchenkeln zeigt eine Schattierung der gelben Farbe faſt bis zum Weiß. Der Schwanz iſt auf der Oberſeite an der Wurzel rotgrau, auf der Unterſeite und an der Spitze ſchwarz. Von den Ohren an über die Augen hin läuft jederſeits Gemſe: Verbreitung. Aufenthalt. 233 eine ſchwärzliche Längsbinde, die ſcharf von der fahlen Färbung abſticht. Über den vorderen Augenwinkeln, zwiſchen den Naſenlöchern und der Oberlippe, ſtehen rotgelbe Flecke. Während des Winters iſt die Gemſe oben dunkelbraun oder glänzend braunſchwarz, am Bauche weiß; die Beine ſehen unten heller aus als oben und gehen mehr ins Rote über; die Füße ſind gelb— lichweiß wie der Kopf, der auf dem Scheitel und an der Schnauze etwas dunkelt. Die Längs⸗ binde von der Schnauzenſpitze zu den Ohren iſt dunkel ſchwarzbraun. Beide Kleider wechſeln ſo allmählich, daß das reine Sommer- und Winterkleid immer nur ſehr kurze Zeit getragen wird. Junge Tiere ſind rotbraun und um die Augen heller gefärbt. Lichtfarbige Spielarten oder Weißlinge werden ſelten beobachtet; auch Mißbildungen des Gehörnes ſind ſelten. Hier und da zeigt man zwar Schädel mit vier Hörnern; ſie aber ſind nichts anderes als in be— trügeriſcher Abſicht mit Krickeln beſetzte vierhörnige Ziegenſchädel. Wenn Mißbildungen vor— kommen, war ſtets eine Verletzung des Gehörnes deren Urſache. Alle Jäger unterſcheiden Grat- und Waldtiere, oder aber Kees- (d. h. Gletſcher-) und Laubgemſen. Erſtere ſind ſtets ſchwächer von Wildbret als letztere, jedenfalls nur infolge der minder reichlichen Nahrung, über die ſie verfügen, und in der Regel auch weniger dunkel gefärbt; beide aber dürfen nicht einmal als Spielarten aufgefaßt werden. Hingegen werden die in den Apenninen, Abruzzen, Pyrenäen, in Aſturien, den Karpathen, Kleinaſien und dem Kaukaſus vorkommenden Gemſen als beſondere Unterarten unterſchieden. Ob auch noch in anderen, dazwiſchen liegenden Gebirgen Gemſen leben, ſteht nicht ganz feſt; als Brennpunkt ihres Gebietes dürfen wir jedenfalls unſere Alpen anſehen. Vergeblich hat man ſie in Norwegen einzubürgern verſucht, hat die Angelegenheit freilich auch nicht mit Nach— druck betrieben. In den Alpen findet ſich die Gemſe gegenwärtig in der Schweiz ſelten, in ungleich geringerer Anzahl als in den öſtlichen Alpen, wo ſie namentlich in Oberbayern, Salz— burg und dem Salzkammergute, Steiermark und Kärnten, gehegt und geſchont durch wohl— habende und jagdverſtändige Großgrundbeſitzer oder Jagdpächter, in ſehr bedeutender Menge lebt. Auch die ſteilen, unzugänglichen Höhen der Mittelkarpathen beherbergen ſie, obgleich ſie dort keine Hegung genießt, in erfreulicher Anzahl. Die Gemſe iſt eigentlich eine Waldantilope, die ſich im oberen Waldgürtel mit Vorliebe in den Latſchen (Pinus montana) aufhält. Nur im Sommer ſteigt fie gelegentlich in höhere Berge empor bis zur Grenze der Gletſcher. Bei ſtarken Stürmen oder im Winter ziehen ſich ſelbſt die ſogenannten Grattiere in den Wald zurück. Der zeitweilige Stand wird im Sommer auf den weſtlichen und nördlichen Bergſeiten, in den übrigen Jahreszeiten dagegen auf den öſtlichen und ſüdlichen gewählt, und dies erklärt ſich auch einfach dadurch, daß die Gemſe, wie alles feinſinnige Wild, ihren Aufenthaltsort der jeweiligen Witterung anpaßt. Manche Gemſen ſcheinen, wie ſchon angedeutet, dauernd die höheren Lagen („Keesgemſen“), manche den Wald („Waldgemſen“) zu bevorzugen. Ungeſtört hält das Rudel ſo ziemlich an demſelben, freilich ſtets weit begrenzten Stande feſt; doch wechſelt es ebenſo ohne äußere Urſache, und zwar je nach der Gegend verſchieden weit, mir gewordenen glaubwürdigen Mitteilungen erfahrener Gemsjäger zufolge ſogar bis zu 10 oder 12 Gehſtunden weit, gelangt dabei zuweilen, obſchon in ſeltenen Fällen, auch wohl in Gebiete, in denen ſeit Menſchengedenken Gemswild nicht mehr vorgekommen iſt. Alte Böcke ſind zu derartigen Streifzügen ſtets mehr geneigt als Geißen und junge Böcke oder überhaupt Gemſen, die ſich rudeln. Der Tageslauf des Gemſenlebens zeigt wenig Abwechſelung. Mit der Morgendämme⸗ rung erhebt ſich die Gemſe von ihrem Nachtlager, um äſend abwärts zu ziehen, ruht in den Vormittagſtunden, zieht dann zur Mittagszeit äſend aufwärts, ruht nachmittags wiederkäuend . 934 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. nochmals einige Stunden, tritt gegen Abend erneut auf Aſung und zieht ſich nach Eintritt der Dämmerung wieder zurück. Von dieſem Tageslaufe ſoll ſie während des Sommers in hellen Mondſcheinnächten dann und wann eine Ausnahme machen. Im Spätherbſt und Winter weidet ſie während des ganzen Tages, und nachdem Schnee gefallen iſt, ſteigt ſie in den tiefen Lagen des Gebirges, die ſie jetzt bezogen hat, beſonders gern auf die Sonnenſeite der Berge, weil hier der Schnee nicht ſo leicht haftet wie auf der im Schatten gelegenen Seite. Das nächtliche Lager wird ſehr verſchieden gewählt, immer aber auf ſolchen Stellen, die eine weite Umſchau und namentlich einen müheloſen Überblick der Tiefe gewähren. Beſondere Vor⸗ bereitungen trifft unſere Antilope nicht, lagert ſich vielmehr an jeder ihr paſſend erſcheinenden Stelle ohne weiteres auf den Boden. Als höchſt geſelliges Tier vereinigt ſich die Gemſe zu Rudeln von oft ſehr beträchtlicher Anzahl. Dieſe Geſellſchaften werden gebildet durch die Geißen, deren Kitzchen und die jüngeren Böcke bis zum zweiten, höchſtens bis zum dritten Jahre. Alte Böcke leben außer der Paarungs— zeit für ſich. Im Rudel übernimmt eine alte, erfahrene Geiß die Leitung. Dieſes Leittier regelt meiſt, aber durchaus nicht immer, die Bewegungen des Rudels, ebenſowenig wie dieſes ſich einzig und allein auf ſeine Wachſamkeit verläßt. Man bemerkt bei jedem gelagerten Rudel regelmäßig eine oder mehrere aufrechtſtehende Gemſen als Wachtpoſten; ſie aber üben nicht ein ihnen übertragenes Amt aus, ſondern folgen einfach einem Triebe, der alle gleich— mäßig beherrſcht und bei allen in gleicher Weiſe ſich äußert. Jede Gemſe, die etwas Ver— dächtiges gewahrt, läßt ein weithin vernehmbares, mit Aufſtampfen des einen Vorderfußes verbundenes Pfeifen ertönen, und das Rudel ergreift, ſobald es ſich von der Tatſächlichkeit der Gefahr überzeugt hat, unter Führung des Leittieres nunmehr ſofort die Flucht. Ihr folgt, laut Grill, das zuletzt geſetzte Kitzchen, dieſem der ſogenannte Jährling und hierauf das übrige Rudel in mehr oder minder bunter Reihe. Hinſichtlich ihrer Bewegungen wetteifert die Gemſe mit den uns bereits bekannten Berg— ſteigern ihrer Familie. Sie iſt ein ſicherer Springer und ein überaus geſchickter Kletterer, der auch auf den gefährlichſten Stellen, wo keine Alpenziege hinaufzuklettern wagt, ſich raſch und behende bewegt. Von ſelbſt verſteigt ſich wohl nie eine Gemſe, wie es bei Ziegen vor- kommt, die dann nicht mehr rückwärts oder vorwärts wiſſen. Stets weiß die Gemſe ſich zu helfen. Kommt ſie gejagt an eine ſenkrechte Felswand, ſo „läßt ſie ſich hinunter“, ſagt Tſchudi, „und zwar mit zurückgedrängtem Kopfe und Halſe, die Laſt des Körpers auf die Hinterfüße ſtemmend, welche dann ſcharf am Felſen hinunterſchurren und ſo die Schnellig⸗ keit des Sturzes möglichſt aufhalten“. Ja ſelbſt Sprünge von 12 —16 m Tiefe ſcheut fie nicht. Wenn ſie langſam zieht, hat ihr Gang etwas Schwerfälliges, Plumpes und die ganze Haltung etwas Unſchönes. Flüchtig erſcheint ſie friſcher, kühner, edler und kräftiger und eilt mit raſchen Sätzen dahin. Über die außerordentliche Sprungfähigkeit ſind einige beſtimmte Beobachtungen gemacht worden: ſo maß v. Wolten, wie Schinz berichtet, den Sprung einer Gemſe und fand ihn 7 m weit. Der genannte Beobachter ſah eine zahme Gemſe auf eine 4 m hohe Mauer hinaufs, auf der anderen Seite hinabſpringen. Wo ſich nur immer ein kleiner Vorſprung zeigt, kann die Gemſe fußen, und ſie erreicht in wenigen Sätzen die Höhe wie im Fluge, indem ſie dabei einen Anlauf nimmt und ſchief aufwärts zu kommen ſucht. Sie ſpringt leichter bergauf als bergab und ſetzt mit außerordentlicher Behutſamkeit die Vorder⸗ füße, in denen ſie eine große Gelenkigkeit beſitzt, auf, damit ſie keine Steine lostrete. Selbſt ſchwer verwundet ſtürmt ſie noch flüchtig auf den gefährlichſten Pfaden dahin; ja ſogar dann, wenn ihr ein Bein weggeſchoſſen wurde, zeigt ſie kaum geringere Behendigkeit. Gemſe: Geſelligkeit. Bewegungen. Sinne. Vorſicht. 235 Höchſt vorſichtig bewegt ſich die Gemſe beim Überſchreiten ſchneebedeckter Gletſcher und weicht hier verſchneiten Spalten ſtets ſorgfältig aus, obgleich ſie dieſe durch das Geſicht nicht wahrnehmen kann. Ebenſo geht ſie auf Felſengehängen äußerſt ſorglich und langſam dahin. Einige Glieder des Trupps richten ihre Aufmerkſamkeit auf die Pfade; die übrigen ſpähen unabläſſig nach anderer Gefahr. „Wir haben geſehen“, erzählt Tſchudi, „wie ein Gemjen- rudel ein gefährliches, ſehr ſteiles, mit Geröll bedecktes Felſenkamin überſchreiten wollte, und uns über die Geduld und Klugheit der Tiere gefreut. Eines ging voran und ſtieg ſacht hinauf, die übrigen warteten der Reihe nach, bis es die Höhe ganz erreicht hatte, und erſt als kein Stein mehr rollte, folgte das zweite, dann das dritte und ſo fort. Die oben An— gekommenen zerſtreuten ſich keineswegs auf der Weide, ſondern blieben am Felſenrande auf der Spähe, bis die letzten ſich glücklich zu ihnen geſellt hatten.“ Dieſelbe Vorſicht und das— ſelbe Geſchick beweiſt die Gemſe, wie mir ein erfahrener Gemſenjäger mitteilte, beim Überſetzen der rauſchenden Wildbäche des Gebirges. Nötigenfalls ſpringt ſie allerdings mitten ins Waſſer und ſchnellt ſich dann weiter; wenn ſie jedoch nicht bedrängt iſt, überlegt ſie erſt lange, an welcher Stelle fie den Übergang bewerkſtelligen fol, läuft zu dieſem Ende am Wildwaſſer ent- lang, beſichtigt die verſchiedenen Stellen, die ihr Vorhaben ausführbar erſcheinen laſſen, und wählt die geeignetſte. Hart verfolgt, geängſtigt oder verwundet wirft ſie ſich ſelbſt in die Wellen eines Alpenſees, um ſchwimmend Rettung zu finden. Eine ungewöhnliche Ortskenntnis kommt der Gemſe bei ihren kühnen Wanderungen ſehr zuſtatten. Die Sinne der Gemſe ſind verſchieden ſcharf, aber keineswegs ſchwächer als bei anderen Tieren ihrer Verwandtſchaft entwickelt. Geruch und Gehör ſcheinen am beſten, das Geſicht minder gut ausgebildet zu ſein. Die Schärfe des erſteren Sinnes offenbart ſich nicht allein durch ihre feine Witterung, ſondern auch durch ein überraſchendes Spürvermögen, das ſie befähigt, eine Fährte aufzunehmen und ihr mit Sicherheit zu folgen. So ſieht man bei Treib— jagden in Hochgebirgswäldern zuweilen verſprengte Kitzchen denſelben Weg, den mehrere Minuten vorher die Muttergeiß notgedrungen wählen mußte, mit ſolcher Sicherheit aufnehmen, daß man ſich dieſes genaue Folgen nur durch Annahme eines außerordentlichen Spürvermögens erklären kann. Ebenſo gewahrt man, daß Gemſen jederzeit ſtutzen, nicht ſelten ſogar um— kehren, wenn ſie die Spur eines Menſchen kreuzen. Auf das Gehör verlaſſen ſie ſich anſcheinend weniger. Durch ihre Heimat an Geräuſche aller Art, wie das Poltern fallender Steine, ge— wöhnt, achten ſie auf den Knall eines Schuſſes nur, wo ſie die Bedeutung kennengelernt haben. Sie ergreifen dann zwar ſofort die Flucht, freilich oft in falſcher Richtung, da die Beurteilung, woher der Knall kam, im Gebirge oft ſchwer iſt und zu Täuſchungen Anlaß gibt. Das Geſicht unſerer Tiere beherrſcht unzweifelhaft weite Fernen, leitet ſie jedoch nicht beim Erkennen ſtill oder gedeckt ſtehender Feinde. Wie die meiſten Tiere, ſcheinen ſie den ſich ruhig verhaltenden Menſchen nicht als Feind zu erkennen und erſt dann einen Gegenſtand der Furcht in ihm zu erblicken, wenn er ſich bewegt. Die Gemſe iſt eigentlich nicht ſcheu, wohl aber in hohem Grade vorſichtig. Wie alles Wild, beträgt ſie ſich da, wo ſie verfolgt wird, ganz anders als in Gehegen, in denen ſie Schonung erfährt. Dem Menſchen mißtraut ſie zwar immer, meidet hier und da aber doch ſeine Nähe und ſein Treiben nicht ſo ängſtlich, wie man von vornherein annehmen möchte. So wenig ſie ſonſt in die Nachbarſchaft der Gebäude kommt, ſo geſchieht es doch zuweilen, daß ſie ſich an einzeln gelegene Alm- oder Jägerhütten ſehr nahe heranwagt und auf den Matten vor dem Hauſe äſt. So beobachtete der Gemſenjäger Klampferer von dem oberen Jägerhauſe des Elendtales aus, daß zwei Gemſen mehrere Tage nacheinander in unmittelbarer ET EIGEN FE 236 16, Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Nähe ſeiner Wohnung erſchienen und Aſung nahmen. Wenn die Gemſe einen Menſchen wahrnimmt, verhält ſie ſich oft ganz ruhig auf einer und derſelben Stelle, eilt aber, ſo— bald ſie glaubt, daß man ſie nicht mehr ſehen könne, ſo ſchleunig wie möglich davon. Neu— gierig iſt fie freilich ebenfalls und läßt ſich daher in derſelben Weiſe täuſchen wie Gazellen und Wildziegen, inſofern man nämlich ihre Aufmerkſamkeit beſchäftigen und damit von ſich ſelbſt ablenken kann. Hierin erinnert die Gemſe lebhaft an die Ziege, mit der ſie außerdem den Hang zu Neckereien und allerlei Spielen teilt. Junge Böckchen führen oft die luſtigſten Schein— kämpfe aus und üben ſich gleichſam für den Streit, den das Alter ihnen ſicher bringt. „Auf den ſchmalſten Felſenkanten“, ſchildert Tschudi, „treiben fie ſich umher, ſuchen ſich mit den Hörn⸗ chen herunterzuſtoßen, ſpiegeln an einem Orte den Angriff vor, um ſich an einem anderen bloß- zuſtellen, und necken ſich auf die mutwilligſte Art. Oft ſieht man ganze Rudel ſich ſtundenlang an mutwilligen Sprüngen ergötzen, zuweilen ſich förmlich in allerlei Turnkünſten überbieten.“ Von einer abſonderlichen Art ihrer Spiele berichtet mir Klampferer, und ſeine Angaben wurden mir ſpäter durch Förſter Wippel ſo vollſtändig beſtätigt, daß ich nicht wohl einen Zweifel an ihnen hegen darf. Wenn nämlich Gemſen im Sommer bis zu dem Firnſchnee empor⸗ geſtiegen ſind und ſich vollkommen ungeſtört wiſſen, vergnügen ſie ſich oft damit, daß ſie ſich an dem oberen Ende ſtark geneigter Firnflächen plötzlich in kauernder Stellung auf den Schnee werfen, mit allen Läufen zu rudern beginnen, ſich dadurch in Bewegung ſetzen, nunmehr auf der Schneefläche nach unten gleiten und oft 100—150 m in diefer Weiſe, gleichſam ſchlitten— fahrend, durchmeſſen, wobei der Schnee hoch aufſtiebt und ſie wie mit Puderſtaub überdeckt. Unten angekommen ſpringen ſie wieder auf die Läufe und klimmen langſam denſelben Weg hinauf, den ſie herabrutſchend zurückgelegt hatten. Die übrigen Mitglieder des Rudels ſchauen den gleitenden Kameraden vergnüglich zu, und eines und das andere Stück beginnt dann das— ſelbe Spiel. Oft fährt eine und dieſelbe Gemſe zwei, drei- und mehrmal über den Firnſchnee ab; oft gleiten mehrere unmittelbar nacheinander in die Tiefe. So ſehr fie übrigens ein der⸗ artiges Spiel auch beſchäftigen mag, ihre Sicherung laſſen fie deshalb niemals aus dem Auge, und der bloße Anblick eines Menſchen, befände ſich dieſer auch noch in weiteſter Ferne, beendigt ſofort das Spiel und ändert mit einem Schlage das Benehmen der mißtrauiſchen Geſchöpfe. Mit anderen harmloſen Säugetieren befaſſen ſich die Gemſen wenig. Gegen Schafe ſcheinen ſie einen Widerwillen zu haben und verlaſſen ſofort die Stellen, wo jene weiden. Um Ziegen, Rinder, Hirſche und Rehe kümmern ſie ſich kaum. Gegen die Paarungszeit hin, die um Mitte November beginnt und bis Anfang Dezember währt, finden ſich die ſtarken Böcke bei den Rudeln ein, ſtreifen von einem zum anderen, laufen ununterbrochen hin und her und verlieren dabei ihr Feiſt in 6—8 Tagen. Sie ſtrömen dann einen Bocksgeruch aus, den ſelbſt eine menſchliche Naſe auf 50 m Entfernung wahr: nimmt. So ſchweigſam ſie während der übrigen Zeit des Jahres zu ſein pflegen, ſo oft laſſen ſie jetzt ihre Stimme, ein ſchwer zu beſchreibendes dumpfes und hohles Grunzen, vernehmen. Bei ihrem Erſcheinen ſtieben die jungen Böcke erſchreckt auseinander; alte Recken dagegen, die ſich bei einem Rudel treffen, halten regelmäßig ſtand und kämpfen miteinander, da der ſtarke Bock einen zweiten nicht bei dem Rudel duldet, und ob dasſelbe auch aus 30—40 Stück beſtehe. Ihre Eiferſucht wird nur von ihrem Ungeſtüm überboten: mißtrauiſch ſpähen ſie in die Runde, in ihrer Erregung zuweilen ſogar den Jäger überſehend und vergeſſend; kampf— luſtig gehen ſie jedem von fern ſich zeigenden ſtarken Bocke entgegen und nehmen, ſowie er ſtandhält, mit ihm den Kampf auf. Gegen die Geißen zeigen ſich die verliebten Böcke un⸗ geduldig und rückſichtslos, treiben ſie heftig und mißhandeln diejenigen, die nicht gutwillig Gemſe: Spiele. Fortpflanzung. 237 ſich fügen wollen. Wie bei den Hirſchen geſchieht es, daß ſie oft um der Minne Sold geprellt werden, da ſie vor lauter Eifer nicht zum Beſchlage kommen und junge Böcke ſich jede Ge⸗ legenheit zunutze machen, um den auch bei ihnen ſich regenden Geſchlechtstrieb zu befriedigen. Letzterer ſcheint bei den Geißen nicht minder lebhaft zu ſein als bei den Böcken. So ſpröde ſich jene anfänglich zeigen, ſo willig geben ſie ſich ſpäter den Liebkoſungen des Bockes hin, fordern dieſen, wie Beobachtungen dargetan haben, ſogar förmlich zum Beſchlage auf und begnügen ſich keineswegs mit einer ein- oder zweimaligen Paarung. Die Trächtigkeitsdauer ſcheint großen Schwankungen zu unterliegen. Bei zwei von Heinroth mitgeteilten, in der Gefangenſchaft beobachteten Fällen betrug ſie einmal 174, das zweitemal 190 Tage. Je nach der Lage, Höhe und Beſchaffenheit des Gebirges verſchieben ſich Brunſt- und Satzzeit um einige Tage, möglicherweiſe um Wochen. Alte Geißen ſetzen manchmal 2, in Ausnahme⸗ fällen ſogar 3, jüngere ſtets nur 1 Kitzchen. An einem abgeſonderten Platze, fern vom Rudel, verſteckt im Latſchendickicht, wird das Junge geſetzt. Erſt wenn es alt genug iſt, duldet die Mutter auch wieder das Kitz vom vorigen Jahre, den Jährling, und zieht nun mit beiden ge⸗ meinſam zur Aſung. Häufig geſellt ſich ſogar noch das Junge vom vorvorigen Jahre dazu. Die Jungen, allerliebſte, mit dichten, wolligen, blaß fahlroten Haaren bekleidete Geſchöpfe, folgen ihrer Mutter, ſobald ſie trocken geworden ſind, auf Schritt und Tritt und zeigen ſich ſchon nach ein paar Tagen ebenſo gewandt wie dieſe. Mit einem entfernt an das Meckern der Ziege erinnernden Laute leitet die Alte ihre Sprößlinge, lehrt ſie klettern und ſpringen und macht ihnen unter Umſtänden manche Sprünge ſo lange vor, bis ſie geſchickt genug ſind, das Wageſtück auszuführen. Die Jungen verlaſſen ihre Mutter nicht einmal im Tode; ja, es ſind Beiſpiele bekannt, daß ſolche Tiere, obgleich ſie ihre Scheu vor dem Menſchen durch einen dumpfen, blökenden Laut deutlich zu erkennen gaben, von der Leiche ihrer Mutter ſich weg— nehmen ließen. Verwaiſte Kitzchen ſollen von Pflegemüttern angenommen und vollends er— zogen werden. Der Bock bekümmert ſich nicht im geringſten um ſeine Nachkommenſchaft, be handelt jedoch junge Gemſen, ſolange bei ihm die Erregung während der Brunft nicht ins Spiel kommt, wenigſtens nicht unwirſch. Die Kitzchen wachſen ungemein raſch heran, erhalten ſchon im dritten Monate ihres Lebens Hörner und haben im dritten Jahre faſt die volle Größe der Alten erlangt, ſind mindeſtens zur Fortpflanzung geeignet. Im zweiten Lebens⸗ jahr beginnt der Zahnwechſel, der mit dem fünften vollendet iſt. Das Alter, das ſie erreichen, ſchätzt man auf 20 — 25 Jahre; ob mit Recht oder mit Unrecht, läßt ſich kaum beſtimmen. Zuweilen geſchieht es, daß ein Gemsbock ſich unter die auf den Alpen weidenden Ziegen miſcht, die Zuneigung der einen oder der anderen Geiß gewinnt und ſich mit ihr paart, jedoch, trotz entgegenſtehenden Angaben, wohl ſtets erfolglos. Ungeachtet mancherlei Gefahren vermehren ſich die Gemſen da, wo ſie gehegt und nur in vernünftiger Weiſe beſchoſſen werden, außerordentlich raſch; denn ſie ſind, wie der erfahrene v. Kobell ſagt, das einzige Wild, das von harten Wintern verhältnismäßig wenig leidet. Auf den ſteilen Gehängen, von denen der Schnee meiſt weggeweht wird, oder unter den Felſen und Schirmbäumen, die ihn etwas abhalten, finden ſie noch immer Aſung, während Hirſche und Rehe zu Tal getrieben werden und ohne künſtliche Fütterung häufig erliegen. Dieſe Vermehrung hat jedoch, wie Kobell hervorhebt, ihre Grenze, inſofern ſie von der Ortlichkeit bedingt iſt. Denn eine gewiſſe Anzahl Gemſen verlangt, wie jedes Wild, einen Standort von einer beſtimmten Größe, und wenn ihrer zu viele werden, ſo verläßt der Überſchuß den Platz und wechſelt nach anderen Bergen. Während des Sommers äſt die Gemſe von den beſten, ſaftigſten und leckerſten Alpen⸗ 238 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. pflanzen, insbeſondere von denen, die nahe der Schneegrenze wachſen, außerdem von jungen Trieben und Schößlingen der Sträucher jener Höhen, vom Alpenröschen an bis zu den Sproſſen der Nadelbäume. Wohlgenährt, mit einer Feiſtſchicht als Wärmeſchutz und Vorrat für die Tage der Not, tritt die Gemſe in den Winter ein; im Spätherbſt und Winter müſſen ihr das lange Gras, das aus dem Schnee hervorragt, ſowie allerlei Mooſe und Flechten genügen. Dann verbeißt ſie auch die Knoſpen der Nadelhölzer, insbeſondere von Weißtannen und Latſchen. Salz ſcheint ihr, wie den meiſten anderen Wiederkäuern, unentbehrlich zu ſein; Waſſer zum Trinken dagegen bedarf ſie nicht und ſtillt wahrſcheinlich ihren Durſt durch Belecken der tau— naſſen Blätter zur Genüge. Der Winter bringt auch den Gemſen zahlreiche Gefahren, vor allen Dingen haben ſie mit Nahrungsſorgen zu kämpfen. Wo Heuſchober im Freien aufgeſtapelt ſind, ſammeln ſich manchmal Rudel von Gemſen und freſſen nach und nach ſo tiefe Löcher in die Schober, daß ſie ſich im Heu gleich gegen die Stürme decken können. Wo man ſolche Heuſchober oder künſtliche Fütterung nicht kennt, mag manche Gemſe dem Hunger zum Opfer fallen. Auch Lawinen und Steinſchläge bedrohen die Tiere, wenn ſie ſich auch möglichſt ge— ſchützte Standplätze ausſuchen. Krankheiten und Seuchen, beſonders der gefürchteten Räude, die ganze Gemsreviere entvölkern, mögen ſie in der durch Hunger geſchwächten Körperver— faſſung im Winter beſonders leicht erliegen. Luchs, Wolf und Bär, Adler und Bart- oder Lämmergeier ſind ihnen beſtändig auf der Ferſe. Zu dieſen in den gehegten Gebieten aller— dings faſt ausgerotteten Verfolgern geſellt ſich als ſchlimmſter Feind der Menſch überall da, wo nicht beſtimmte Jagdgeſetze oder Jagdgebräuche eine geregelte Schonung dieſes edlen Wildes erſtreben und gewährleiſten, und ſelbſt dieſe ſchützen natürlich nicht vor Wilddiebereien. Von jeher galt die Gemsjagd als ein Vergnügen, würdig des beſten Mannes. Kaiſer Maximilian ſtieg mit Luſt zu den gewandten Alpenkindern empor, kletterte ihnen ſelbſt nach in Höhen, wo es, wie die Sage berichtet, eines Wunders bedurfte, um ihn wieder herab in die menſchenfreundliche Tiefe zu führen. Die gemſenreichſten Gebiete befinden ſich im Be— ſitze des Kaiſers von Oſterreich, des Königs von Bayern, verſchiedener Erzherzöge des kaiſer— lichen Hauſes und reicher Edlen des öſterreichiſch-ungariſchen Kaiſerſtaates, werden durch tüchtige, meiſt inmitten der Reviere lebende Jäger überwacht und gewähren deshalb alljähr⸗ lich ebenſo anziehende wie lohnende Jagden. „Einen guten Bock auf der Birſche zu ſchießen“, ſagt Franz v. Kobell, „hat immerhin ſeine Schwierigkeiten; aber wie der Zufall manche Birſche verdirbt, ſo begünſtigt er auch wieder manche andere. Beſonders die Jäger kommen bei den vielen Gängen, welche ſie machen, oft da zum Schuſſe, wo fie gar nicht daran denken ... Die Art, wie die Gemſen beim Treiben kommen, iſt ſehr verſchieden und bietet tauſenderlei Bilder dar; denn die Gehänge, Gräben und Schluchten wechſeln auf das vielartigſte. Je nachdem ſie nur den entfernten Lärm der Treiber hören und ihr Standort nicht zu tief im Bogen iſt, ſteigen ſie oft ganz vertraut auf eine hohe Kuppe und bleiben da, nach dem Treiben ſich öfters hinwendend, wohl eine halbe Stunde oder länger, ehe ſie weiter vorwärts gehen; kommt ihnen aber ein Treiber plötzlich zu Geſicht, ſo ſpringen ſie oft mit unglaublicher Geſchwindigkeit einen Hang hinunter und verſchwinden in dem Graben, um dann an einer Scharte des Grates wieder zu erſcheinen. An ſcharfen Wänden nimmt das Rudel, wenn es nicht beſchoſſen wird, faſt immer denſelben Weg; über eine Kluft ſpringt eines wie das andere, und manchmal geht es im Zickzack hinunter ohne Aufhalten. In den Latſchen verſtecken ſie ſich gern, und es iſt kaum zu begreifen, wie ſchnell ſie durch deren widerſtrebende und wirr ſich deckende Stämme und Aſte fortkommen können. Wenn der Wind gut iſt, ſind ſie in der Regel leicht vorwärts zu treiben; Hauptſache Gemſe: Nahrung. Feinde. Jagd. Verwendung. Gefangenleben. 239 aber bleibt es, daß ſie den Treiber ſehen, denn abgelaſſene Steine ſprengen fie wohl auf. wenn ſie nahe niederraſſeln, bekümmern ſie aber nicht viel. Sie wiſſen recht wohl, ob ihnen die Steine etwas anhaben können oder nicht; deckt ſie alſo ein Felſenvorſprung, ſo bleiben ſie trotz alles Steinregens, welcher darüber heruntergeht, ganz ruhig ſtehen. Wenn Nebel liegt, iſt mit der Gemsjagd nur dann etwas auszurichten, wenn der Treiber ſehr viele ſind und dieſe geſchloſſen vorkommen können. Die Felſengrate bieten mancherlei enge Schluchten und Kamine, welche die Gemſen gern annehmen. Wenn ſie in ſolchen anſteigen und der Schütze oben iſt, ſind ſie leicht zu ſchießen. Es gibt Wechſel, wo die Rudel kommen, und andere, wo nur ein guter Bock kommt; man kann je nach den Umſtänden darüber ebenſo ſicher ſein wie über einen guten Fuchsriegel. Die alten Böcke ſind übrigens ſehr ſchlau, und ich habe manchen in einen Graben hinaufſteigen ſehen, während ein Treiber in einem ganz nahe daran gelegenen mit lautem Rufen und Pfeifen herniederſtieg. Nicht ſelten verſtecken ſich die Gemſen ſo, daß ſie erſt unmittelbar vor den Treibern zum Vorſchein kommen. Iſt der Wind ſchlecht, ſo bringt ſie nichts vorwärts. Wenn ein Rudel naht, kann man nicht ſelten mit Vergnügen beobachten, daß die Gemſen ein leichtſinniges Volk find. Denn der Haupt⸗ trupp überläßt die Sorgen der anführenden Kitzgeiß, und wenn dieſe anhält, um zu horchen und zu ſichern, was zu tun iſt, ſo ſtoßen und raufen ſich oft die anderen, es wäre denn, daß ihnen das Treiben gar zu nahe gekommen.“ Das Wildbret der Gemſe darf ſich an Wohlgeſchmack mit jedem anderen meſſen, über— trifft meiner Anſicht nach ſogar das unſeres Rehes, das bekanntlich als das zarteſte und ſchmackhafteſte der einheimiſchen Wildarten gilt, noch bei weitem, da es ſich durch einen wür— zigen, mit nichts zu vergleichenden Beigeſchmack auszeichnet. Faſt ebenſo wertvoll wie das Wildbret iſt die Decke, die man zu vorzüglichem Wildleder verarbeitet. Auch die Hörner finden mancherlei Verwendung; die Haare längs des Rückenfirſtes (der „Gemsbart“) dienen als Hut— ſchmuck ſowohl der zünftigen Jäger wie der jagdluſtigen Sonntagsſchützen. Die Gemſe ſpielt in der Volksdichtung unſerer Alpenbewohner faſt dieſelbe Rolle, die der Gazelle durch die Morgenländer zugeſprochen wurde. Hunderte von Liedern ſchildern ſie und ihre Jagd in ebenſo treffender wie anmutender Weiſe; mancherlei Sagen umranken ihre Naturgeſchichte, ſoweit dieſe dem Volke zum Bewußtſein gekommen iſt. Ein allgemein ver- breiteter Aberglaube beſtimmt den Jäger, das Herz des aufgebrochenen Wildes zu öffnen und das hier noch vorhandene Blut zu trinken, in der Zuverſicht, dadurch Muskeln und Sinne zu ſtählen und den gefürchteten Schwindel zu vertreiben; ein anderer Volksglaube ſchützt eine weiße Gemſe vor dem tödlichen Blei, weil derjenige, der eine ſolche erlegte, ſein Leben ſtets durch einen Sturz in die Tiefe enden ſoll. Beſonders die in den Magen der Gemſen, wie ähnlich bei vielen Wiederkäuern, ſich findenden kugelartigen Gebilde, die ſogenannten „Gems— kugeln“ oder „Gemsbezoare“, werden in der Volksmedizin als Univerſalmittel gegen allerlei Krankheiten verwendet. Sie ſtecken im Labmagen und beſtehen aus Harz der verbiſſenen Nadelhölzer, vermiſcht mit unverdaulichen Holzteilen und Haaren. Jung eingefangene Gemſen laſſen ſich wohl aufziehen, werden aber ſelten eigentlich zahm. Man ernährt ſie mit Ziegenmilch, mit ſaftigem Graſe und Kräutern, mit Kohl, Rüben und Brot. Wenn man gutartige Ziegen hat, kann man dieſen das Pflegeelterngeſchäft anvertrauen. Dabei gedeihen die kleinen, heiteren Gebirgskinder nur um ſo beſſer. Luſtig ſpielen ſie mit dem Zick— lein, keck und munter mit dem Hunde; traulich folgen ſie dem Pfleger, freundlich kommen ſie herbei, um ſich Nahrung zu erbitten. Ihr Sinn ſtrebt immer nach dem Höchſten. Steinblöcke in ihrem Hofe, Mauerabſätze und andere Erhöhungen werden ein Lieblingsort für ſie. Dort ſtehen 240 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. ſie oft ſtundenlang. Sie werden zwar nie ſo kräftig wie die freilebenden Gemſen, ſcheinen ſich aber ganz wohl in der Gefangenſchaft zu befinden. Bei manchen bricht im Alter auch eine ge wiſſe Wildheit durch; dann gebrauchen fie ihre Hörnchen oft recht nachdrücklich. Ihre Genüg- ſamkeit erleichtert ihnen die Gefangenſchaft. Abgehärtet ſind ſie vom Mutterleibe an. Im Winter genügt ihnen ein wenig Streu unter einem offenen Dache. Sperrt man ſie in einen Stall, jo behagt es ihnen hier nicht; einen Raum zur Bewegung und friſches Waſſer müſſen ſie unbedingt haben. Alt eingefangene bleiben immer furchtſam und ſcheu. Selten entſchließen ſich die Gemſen in der Gefangenſchaft zur Fortpflanzung. Am 30. Juni 1863 kam im Dresdener Zoologiſchen Garten ein geſunder Bock zur Welt. Das Tierchen erhielt eine Ziege zur Pflege, gedieh und wuchs jo raſch heran, daß es bereits nach 1¼ Jahren faſt ebenſo groß wie die Mutter war. Die alte Gemſe ging 1 Jahr lang gelt, ſetzte aber im folgenden Jahre wiederum ein Junges. In Schönbrunn und Leipzig hat man ebenfalls Gemſen gezüchtet. Die auffallendſte Gattung unter den Gemſen iſt die der Rindergemſen oder Gnuziegen (Budorcas Hdgs.), wie wir die Tiere nach ihrem Ausſehen nennen können. Es iſt ein Sammeltypus mit Anklängen an zahlreiche andere Horntiere. Der Schädel erinnert mit ſeinen röhrenartig vorjprin- genden Augenhöhlen an den des Moſchusochſen, die nur wenig nackte Muffel an die von Gemſe und Ziege, doch erhält der Kopf durch die großen Naſen— löcher und das breite Maul etwas Rinderartiges. Die ſehr kräftigen, an der Wurzelhälfte leicht gerunzel- = den, an der Spitze glatten Hörner, die an der Baſis e 1. E. ag Pötesn. en b. Kt he- Bere. dicht zuſammenſtoßen, ſich zuerft nach außen, dann t M. E. Nach Photogr. von P. Kothe-Berli ſchwach abwärts und ſchließlich aufwärts wenden, erinnern an das Gehörn mancher Antilopen, beſonders der Gnus. Wie bei dieſen ſind auch die Hörner der Jungen einfache, aufrechte Spieße. Den Bart teilt die Rindergemſe mit den Ziegen, die abfallende Rückenlinie und die ſehr kräftigen Beine mit der Schneeziege. Der Schwanz iſt kurz. Voraugen- und Zwiſchenklauendrüſen fehlen. Das Weibchen hat 4 Zitzen. Das ſtruppige Fell beſteht aus ziemlich harſchen Haaren. Die Rindergemſen bewohnen das gebirgige Südoſtaſien von Bhutan und den Miſchmi-Bergen bis nach Kanſu und Schenſi in China. Sie ſollen gewöhnlich paarweiſe oder in kleinen Trupps, im Hochſommer auch in großen Scharen leben, im Winter aber aus den Hochgebirgszügen zu den mittleren Lagen hinabſteigen. Man hat ein tiefes, grunzendes Blöken von ihnen gehört und von erregten Tieren ein lautes Schnaufen. Von den drei Arten iſt der oder das Takin, Budorcas taxicolor Hdgs., ein an der Schulter reichlich 1 m hohes Tier, am längſten bekannt. Die Farbe der Oberſeite ändert von fahl ſtrohgelb oder gelblich braungrau durch braunrot bis ſchwarz ab. Schwarz iſt ſtets ein am Hinterkopf beginnender Streifen, der bis zum Schwanz über den ganzen Rücken zieht, ferner der Kopf, der Nacken, der Schwanz, die Beine und der größte Teil der Unterſeite. Die Art be⸗ wohnt die Miſchmi-Berge, nördlich von Aſſam, bis Bhutan. Die weſtchineſiſche Art, Budorcas I Takin. 241 tibetana M.- E., unterſcheidet ſich vornehmlich durch etwas geringere Ausdehnung der ſchwarzen Abzeichen, indem der Rückenſtreifen ſich nur bis wenig vor die Schultern erſtreckt und das Schwarz des Kopfes auf einen Fleck hinter dem Ohr, um das Auge und über Naſe und Kinn beſchränkt iſt. Die Grundfarbe der Oberſeite iſt beim Bock lebhaft goldgelb, bei der Ziege mehr grau. So bildet die weſtchineſiſche Rindergemſe den Übergang zu der noch weiter nördlich, in Schenſi und Oſtkanſu, lebenden Budorcas bedfordi 7hos., die in der Grundfarbe der vorigen gleicht und bei der das Schwarz ganz verſchwunden iſt bis auf wenige Stellen an Knie und Hacken und einige dunkle Schwanzhaare. -= 2 > — — => Junger Tatin, Budoreas taxicolor Hugs. Yıs natürlicher Größe. Über die Lebensweiſe dieſer ſeltenen Tiere, beſonders der weſtchineſiſchen Rindergemſe, haben wir erſt ganz neuerdings einige Nachrichten durch H. F. Wallace („The Big Game of Central and Western China“) und A. Lanick („Kosmos“, 1913) erhalten. Nach den Mitteilungen des letzteren leben die Rindergemſen in wildromantiſchen, zerklüfteten Granit⸗ gebirgen, die in den Tiefen ihrer ſtets mit Nebel verhüllten feuchten Täler dichte Rhododendron— gebüſche, auf dem Rücken ihrer Berge aber Wälder von Lärchenbäumen tragen. Dazwiſchen wachſen Birken, Tannen, Johannisbeeren und andere Kleinhölzer und Sträucher. „In dieſem Paradies lebt das Takin . .. Wir brauchten nicht lange zu ſpähen. Da drüben brach es aus dem Dickicht hervor, erſt eins, dann mehrere, dann von allen Seiten ſcharenweiſe. Goldgelb leuchteten die Tiere im Sonnenſchein zu uns herüber, ein packender, unerwarteter Anblick! An dem Unterſchied in der Größe konnten wir gut die Bullen von den Kühen unterſcheiden; denn Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. | 16 242 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. dieſe find etwas kleiner und auch ihre Farbe iſt heller, ſilberiger. Durch das Dickicht und den Wind gedeckt, pirſchten wir uns vorſichtig an die Herde heran und konnten die Tiere bald aus nächſter Nähe betrachten. Den Kopf tief geſenkt, trotteln ſie langſam einher, hier Gras, dort den jungen Trieb eines Buſches abraufend. Wenn ſie uns ihre Rückſeite zuwendeten, ſahen ſie aus wie leibhaftige Bären, ſo plump iſt das Hinterteil, ſo zottig das Haar, in dem ſich der kurze, breite Schwanz verſteckt. Bei den Bullen bemerkten wir in der Nackengegend eine mehr nach dem Rötlichen hinübergehende Färbung, vergleichbar dem Fell des Löwen, und über den Rücken läuft ein dunklerer Streifen. Bei den jungen Tieren hob ſich dieſer Rückenſtreifen noch ſchärfer ab als bei den ausgewachſenen, er iſt bei ihnen dunkelgrau im Nacken und am Schwanz ſchokoladenbraun. Die drolligen Kleinen haben außerdem dunklere Haare am Rande der Ohren und eine dunklere Schnauze. Auch die Beine und das Hinterteil find bei ihnen dunkler. . . Plötzlich ſtutzte ein Bulle, drehte den klobigen Schädel nach der Richtung, in der wir uns befanden, und ſtieß dann ein heiſeres Huſten aus. Im Nu war die ganze Herde in Auf— regung, und mit einer Schnelligkeit und Gewandtheit, die wir den plumpen Geſellen nie zu— getraut hätten, waren die Takins auf und davon . . . Sie ſind nicht beſonders ſcheu und daher leicht zu beſchleichen. Eine Ausnahme machen nur die alten Bullen, die meiſt allein umherſtreifen. Sie haben nämlich die Angewohnheit, ſich bei nahender Gefahr mit ausgeſtreck— tem Hals flach auf den Boden niederzulegen und ſich nicht zu rühren, ſelbſt wenn der Jäger dicht neben ihnen ſteht. . . So verraten fie ſich nie und entgehen dadurch oft der Gefahr.“ Die Rindergemſe iſt Standwild, das ſeine Weideplätze nur bei dauernder Beunruhigung verläßt. Die Leitung übernimmt ſtets ein alter Bulle, dem die Herde blindlings folgt. Ein Jäger erzählte Lanick, daß einſt eine ganze Herde von 100 Tieren dem tödlich verwundeten Leitbullen in einen tiefen Abgrund nachſprang. Die Brunſtzeit liegt Ende Juli bis Anfang Auguſt, die Setzzeit des meiſt nur einzigen Jungen Ende März oder Anfang April. Dann ſondern ſich die Kühe mit ihren Kälbern, die den Müttern ſchon nach drei Tagen folgen können, etwa einen Monat ab. Nach Ablauf dieſer Zeit ſind die Kälber vollſtändig entwöhnt, und nun ſchließen ſich die Herden wieder zuſammen. Die ziegenähnlichſte Gattung der Gemſenartigen iſt die der Schneeziegen (Oreamnos Raf., Aplocerus, Haploceros), die nur eine Art enthält; früher hat man dieſe bald als Antilope, bald als Ziege angeſehen. Die Schneeziege, Oreamnos americanus Ord (mon- tanus, laniger; Taf. „Paarhufer XIV“ 5 und 6, bei S. 226), hat die Geſtalt der Hausziege, ſieht jedoch infolge ihrer ſehr reichen Behaarung gedrungener und kurzhalſiger aus. Der ge— ſtreckte Kopf mit den großen Augen, den mittellangen, ſcharf zugeſpitzten Ohren und dem Bart iſt vollkommen ziegenähnlich; der kurze Schwanz iſt oben und ſeitlich buſchig behaart; die Beine ſind ſtämmig und erſcheinen wegen der reichen Behaarung noch ſtärker, als ſie ſind; Afterklauen und Hufe, welch letztere in ihrer oberen Hälfte von ſtarren Haaren bedeckt werden, entſprechen dem kräftigen Bau des Beines, unterſcheiden ſich jedoch nicht weſentlich von denen der Wildziegen. Die Rückenlinie fällt hinter dem erhöhten Widerriſt ſtark ab. Voraugen- und Zwiſchenklauendrüſen fehlen. Das am ganzen Körper gleichfarbige, weiße Haarkleid beſteht aus langem, hartem Grannenhaar und feiner, langer, ſchlichter Unterwolle. Im Geſicht und auf der Stirn bemerkt man faſt nur dichte, feine, krausgelockte Wolle ohne Grannen; am Halſe, an den Seiten, dem Bauche und den Schenkeln bilden beide Haararten gemeinſchaft— lich die Bekleidung; im Nacken, auf dem Oberhalſe, dem Rücken, Schwanze und dem mähnen— artigen Behange des Unterhalſes, der Bruſt, Schulter und Vorderſeite der Hinterſchenkel r Schneeziege. 243 fehlt die Wolle gänzlich. Auf dem Hinterkopfe ſteht ein dicker, langer Haarbuſch, der nach allen Seiten herabfällt und in die Mähne des Oberhalſes und Rückens übergeht; am Kinn und Unterkiefer hängt der üppige Bart in dichten, förmlich abgeteilten Locken herab; den Hals bedeckt ein über das Schulterblatt herabfallender Kragen langer Haare, der ſich auf der Vorderſeite der Schultern und der Oberarme in einem mähnenartigen Behang fortſetzt und die Vorderbeine faſt verhüllt, d. h. nur das untere Drittel frei läßt; eine ähnliche Mähne um— kleidet die Vorderſeite der Hinterbeine, entwickelt ſich jedoch erſt oberhalb der Ferſe; der Schwanz iſt mit einer langen und dicken Grannenquaſte geziert. Im Geſicht bekleidet die Wolle alle Teile, die Augen bis an den Spalt der Lider, die Naſe bis an den Rand der Naſenlöcher; die Ohren ſind außen wie innen mit ſteifen, dichten Grannen bedeckt. Das Fell fühlt ſich fettig an wie Schafwolle und hat einen ziemlich feſten Zuſammenhang, indem die einzelnen Haare merklich aneinanderhaften. Die Schulterhöhe des Tieres beträgt etwa 1m. Die Hörner, die beiden Geſchlechtern zukommen, beim Bock aber etwas ſtärker ſind, erreichen eine Länge von 20—27 em und richten ſich in einfachem, ſchwachem Bogen nach oben, hinten und außen. An der Wurzel ſind ſie faſt rund und an der unteren Hälfte leicht geringelt, im zweiten Drittel ſeitlich ein wenig zuſammengedrückt und an der Spitze wieder gerundet; ſie zeigen weder Kanten noch Grate, häufig aber eine doppelte Schwellung, eine unter der halben Höhe, die andere nahe der Spitze. Die Schneeziege bewohnt in mehreren Unterarten den Weſten Nordamerikas vom Felſengebirge bis zum Stillen Ozean und Alaska, nach Norden bis etwa zum 65. Grad nördl. Breite. Sie hält ſich in einem ſo bedeutenden Höhengürtel auf, daß ſie zu ihrer Aſung nichts anderes findet als Flechten, Mooſe und Alpenpflanzen der ausdauerndſten Art, im günſtigſten Falle einige wenige verkümmerte Gebüſche einer Kiefer (Pinus contorta) und ähn— liche dürftige Sträucher. Gleichwohl führt ſie im Sommer ein recht behagliches Leben, und die Sorge tritt erſt an ſie heran, wenn ſie im Winter genötigt iſt, ihre Hochalpenweiden zu verlaſſen. Während des Sommers klimmt ſie im Gebirge bis über 4000 m Höhe empor und wählt ihren Stand dann mit Vorliebe am unteren Rande der ſchmelzenden Schneefelder, im Winter pflegt ſie etwas tiefer herabzuſteigen, ohne jedoch das eigentliche Hochgebirge zu ver— laſſen. Nach Purpus ſieht man ſie gewöhnlich zu zweien oder in kleinen Rudeln von vier oder fünf Stück, ſeltener und nur im Winter in Herden von 15—20 Tieren. Aufgeſcheucht oder durch einen Schuß erſchreckt, eilen die Trupps in vollem Galopp an den Rändern der fürchter— lichſten Abgründe dahin oder kreuzen eine Schlucht, eine nach der anderen dieſelbe Stelle be— tretend, eher mit der Leichtigkeit und Anmut eines beſchwingten Geſchöpfes als nach Art auch des behendeſten und gewandteſten Vierfüßers. Die Führung ſollen dabei Böcke übernehmen, denen Ziegen und Kitzchen in einfacher Reihe folgen. Außerordentlich vorſichtig und begabt mit ungemein ſcharfem Gehör und Geruch, vereitelt die Schneeziege in den meiſten Fällen jede Annäherung ſeitens des Menſchen und läßt ſich deshalb ebenſo ſchwer beobachten wie erlegen. Die Satzzeit fällt in den Mai oder Anfang Juni; von dieſer Zeit an ſieht man kleine Kitzchen, und zwar gewöhnlich je eins hinter jeder Mutterziege, in ſelteneren Fällen Zwillinge. Als Trächtigkeitsdauer beobachtete Hornaday im Neuyorker Zoologiſchen Garten 177 Tage. Gejagt wird die Schneeziege hauptſächlich ihres Felles halber. Im Anfange der 1860er Jahre ſtanden die Vlieſe ziemlich hoch im Werte, weil man damals Muffe und Kragen aus dem Felle eines afrikaniſchen Affen mit Vorliebe trug und die gefärbte Decke der Schneeziege zu gleichen Zwecken verwendete. Mit dem Wechſel der Mode verlor das Vlies ſeinen Wert. * 16* r 244 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Als Unterfamilie der Böcke (Caprinae) werden die Schafe und Ziegen zuſammengefaßt; fie bekunden eine jo innige Verwandtſchaft unter ſich, daß es kaum möglich erſcheint, durchgrei⸗ fende Unterſcheidungsmerkmale aufzuſtellen. Alle hierhergehörigen Arten erreichen nur eine mittlere Wiederkäuergröße, ſind kräftig, zum Teil ſogar plump gebaut, haben kurzen Hals und meiſt auch gedrungenen Kopf, niedere und ſtämmige Beine mit verhältnismäßig ſtumpfen Hufen und kurzen, abgerundeten Afterklauen, runden oder breiten und dann mehr oder weniger dreikantigen, unten nackten Schwanz, kurze oder doch nur mittellange Ohren, ziemlich große Augen mit quergeſtelltem, länglich viereckigem Stern, mehr oder weniger zuſammengedrückte und eckige, nach hinten und zur Seite gerichtete, nicht ſelten ſchraubenartig gedrehte, regel- mäßig runzelige und oft ſtark wulſtige Hörner, die beiden Geſchlechtern zukommen können, bei den Weibchen jedoch, wenn vorhanden, beträchtlich kleiner ſind als bei den Männchen, bald Gruben für die Voraugendrüſen und Klauendrüſen, bald nur die einen oder die anderen, bald weder dieſe noch jene, bis auf einen zuweilen vorkommenden nackten Fleck zwiſchen den Naſenlöchern behaarte Muffel und ein ſehr dichtes, aus langem Grannen- und reichlich wucherndem Wollhaar beſtehendes düſterfarbiges Kleid. Das Euter der Weibchen hat ge— wöhnlich zwei Zitzen. Den ſechs nach hinten zu ziemlich gleichmäßig an Größe zunehmenden, hochkronigen Backzähnen fehlt das anhängende Schmelzſäulchen und demgemäß auch die von ihm veranlaßte Falte auf der Kaufläche, die außerdem durch die geringe Deutlichkeit der bei den Wiederkäuern allgemein vorkommenden ſichelförmigen Gruben auffällt. Am Schädel tritt ſchon der Beginn der Knickung der Schädelachſe äußerlich dadurch hervor, daß der Schädel zwiſchen den Hörnern eine ſtarke Wölbung aufweiſt, freilich noch nicht die ſcharfe Kante beſitzt, wie ſie die Rinder dort haben. Die Mehrzahl der Böcke hat homonyme Hörner, bei einigen aber iſt die Spitze abwärts und einwärts ſtatt auswärts und aufwärts gerichtet, ſo daß ſich die Hörner hinter dem Nacken nach rückwärts krümmen. Dieſe homonymen „pervertierten“ Hörner finden ſich beim Mähnenſchaf, beim Nahur, dem Tur und dem kleinaſiatiſchen Muff— lon regelmäßig, beim europäiſchen Mufflon gelegentlich. Bei den echten Steinböcken und den Wildziegen ſind die Hörner heteronym. Bemerkenswert iſt die verhältnismäßig beträcht⸗ liche Kürze und Breite der vorn ſchlank auslaufenden, mit dem Zwiſchenkiefer gar nicht, mit dem Oberkiefer nur auf einer kurzen Strecke verbundenen Naſenbeine. Die Böcke ſind vorzugsweiſe über den Norden der Alten Welt verbreitet, aber auch im nordamerikaniſchen und orientaliſchen Reiche vertreten. In Afrika gibt es zwar bei vielen Völkerſchaften Hausſchafe und Hausziegen; wild lebende Arten jedoch kommen nur im Norden und Nordoſten dieſes Erdteiles vor. Die Schafe (Gattung Ovis I.) unterſcheiden ſich von den Ziegen durch die regelmäßig vorhandenen Voraugen- und Zwiſchenklauendrüſen, die flache Stirn, die querrunzeligen, bei den Böcken ſchneckenförmig gedrehten Hörner, den Mangel eines Bartes und die Geruch⸗ loſigkeit der Böcke. Im allgemeinen ſind ſie ſchlank gebaute Tiere mit ſchmächtigem Leibe, dünnen, hohen Beinen und kurzem, zylindriſchem, ringsum behaartem und hängend ge— tragenem Schwanze, vorn ſtark verſchmälertem Kopfe, mäßig großen Augen und Ohren und doppelter, zottiger oder wolliger Behaarung. Alle wild lebenden Schafe bewohnen Gebirge der nördlichen Erdhälfte. Ihr Verbreitungs- gebiet erſtreckt ſich von Aſien bis Südeuropa und über den nördlichen Teil von Amerika. Jede Gebirgsgruppe Aſiens beſitzt eine oder mehrere ihr eigentümliche Arten, wogegen Europa und Amerika ſehr arm erſcheinen und, ſoviel bis jetzt bekannt, je nur eine einzige Art aufzuweiſen Schafe: Allgemeines. 245 haben. Mehrere Arten ſtehen einander ſehr nahe und ſind hauptſächlich auf die Verſchiedenheit ihrer Hörner begründet worden, deren Geſtalt, Größe und Windung als maßgebend betrachtet wird. Die Hörner ſind homonym, zuweilen mit Perverſion der Spitze. Sie zeigen mehr oder weniger ſtarke Querrunzeln, von denen ſich jedoch die Zuwachslinien deutlich unterſcheiden. Letztere ſind Stellen, die einen mit dem Haarwechſel verbundenen Wechſel in dem Wachstum der Hörner andeuten und ſo eine gewiſſe, allerdings unſichere Altersbeſtimmung erlauben. Sämtliche Schafe ſind echte Gebirgskinder, die bis über die Schneegrenze emporſteigen, einzelne bis zu 6000 und 7000 m Höhe, wo außer ihnen nur noch Ziegen, ein Rind (der Jak), das Moſchustier und einige Vögel leben können, und nur eine Art kommt bis zu der aſiatiſchen Steppe und dem Meeresſpiegel herunter. Grasreiche Triften oder lichte Wälder, ſchroffe Felſen und wüſte Halden, zwiſchen denen nur hier und da ein Pflänzchen ſprießt, bilden die Aufenthaltsorte der Wildſchafe. Je nach der Jahreszeit wandern ſie von der Höhe zur Tiefe oder umgekehrt: der Sommer lockt ſie nach oben, der eiſige Winter treibt ſie in wohnlichere Gelände, weil er ihnen in der Höhe den Tiſch verdeckt. Die Nahrung beſteht im Sommer aus friſchen und ſaftigen Alpenkräutern, im Winter aus Mooſen, Flechten und dürren Gräſern. Die Schafe ſind lecker, wenn ſie reiche Auswahl haben, und genügſam in hohem Grade, wenn ſich ihnen nur weniges bietet: dürre Gräſer, Schößlinge, Baumrinden und dergleichen bilden im Winter oft ihre einzige Aſung, ohne daß man ihnen deshalb Mangel anmerkt. Mehr als bei anderen Haustieren, vielleicht mit alleiniger Ausnahme des Renntieres, ſieht man an den Schafen, wie die Sklaverei entartet. Das zahme Schaf iſt nur noch ein Schatten von dem wilden, es hat namentlich deſſen geiſtige Eigenſchaften verloren. An Lebhaf— tigkeit, Wachſamkeit, Mut und Gewandtheit ſtehen die wilden Schafe kaum irgendeinem anderen Tiere nach. Dagegen iſt das zahme Schaf das blödeſte, ſtumpfſinnigſte Geſchöpf, das man ſich denken kann. Selbſt der ſchwächſte Widerſacher macht es fürchten. Erſchreckt flieht es aus geringfügiger Urſache kopfüber und gerät dadurch oft erſt in die Gefahr hinein. So iſt denn auch das Schaf das Sinnbild der Dummheit geworden. Die Vermehrung der Schafe iſt ziemlich bedeutend. Das Weibchen bringt nach einer Tragzeit von 20 — 25 Wochen 1 oder 2, ſeltener 3 oder 4 Junge zur Welt, die bald nach ihrer Geburt imſtande ſind, den Alten nachzufolgen. Die wilden Mütter verteidigen ihre Jungen mit Gefahr ihres Lebens, die zahmen laſſen ſie ſich ſtumpf und ohne Gegenwehr fort— nehmen. Nach verhältnismäßig kurzer Zeit werden die Jungen ſelbſtändig und bereits vor vollendetem erſten Lebensjahre ſelbſt wieder fortpflanzungsfähig. In unſeren Tiergärten haben ſich bis jetzt nur diejenigen wilden Schafarten längere Zeit gehalten, die in niedrigeren Gebirgen zu Hauſe ſind. Dieſe pflanzen ſich auch regelmäßig in der Gefangenſchaft unter ſich und mit Hausſchafen fort. An Leute, die ſich viel mit ihnen abgeben, ſchließen ſie ſich innig an, folgen ihrem Rufe, nehmen gern Liebkoſungen entgegen und können einen ſo hohen Grad von Zähmung erlangen, daß ſie mit anderen Haustieren auf die Weide geſandt werden dürfen, ohne günſtige Gelegenheiten zur Wiedererlangung ihrer Freiheit zu benutzen. Die zahmen Schafe hat der Menſch, der fie ſeit Jahrtauſenden pflegte, ihres hohen Nutzens wegen über die ganze Erde verbreitet. Große Schwierigkeiten bietet die Syſtematik der Wildſchafarten. Wir haben es offen- bar mit einer ſtammesgeſchichtlich ſehr jungen Gattung zu tun, bei der die Artenbildung noch im Fluß, die Entwickelungsrichtung deutlich erkennbar, der Höhepunkt aber noch nicht bei allen Arten erreicht iſt. Die Entwickelung läßt ſich heute noch bei den einzelnen Arten von Weſten nach Oſten verfolgen. . 346 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Im frühen Diluvium Mitteleuropas bis nach England hin lebte ein Schaf, das in jpär- lichen Knochenfunden auf uns gekommen iſt; ſchon im mittleren Diluvium verſchwindet es hier. Offenbar hat es ſich erhalten in den Reſten, die auf den Mittelmeerinſeln und an den Küſten des Mittelmeeres noch heute leben und dort wohl noch in hiſtoriſcher Zeit zahlreicher waren, wenn die etwas dunklen Nachrichten aus Spanien, von den Balearen, den Seealpen und Griechenland ſich wirklich auf Wildſchafe beziehen. Das einzige europäiſche Wildſchaf, zugleich nächſt dem zypriſchen das kleinſte von allen, der auf Korſika und Sardinien lebende Mufflon, hat im männlichen Geſchlecht meiſt homonyme Hörner, doch kommt auch Perverſion vor. Der Querſchnitt der Hörner iſt deutlich dreieckig mit breiter Vorderſeite. Die Weibchen können gehörnt oder ungehörnt ſein. Das nahe verwandte kleinaſiatiſch-zypriſche Wildſchaf hat ſtets pervertierte Hörner im männlichen Geſchlecht. Die äußere vordere Kante iſt aber entweder ſo gerundet, daß ſie nur ſchwach entwickelt iſt, oder fehlt vollſtändig, ſo daß das Horn zweiſchneidig erſcheint, wie bei der Unterart von Zypern. Die Weibchen ſind ſtets ungehörnt. Die öſtlichen Formen dieſer Art ſchließen ſich in Horn- und Mähnenbildung ſchon den Steppenſchafen an. Alle weiter nach Oſten folgenden Arten haben homonyme Hörner. Die vordere Breitſeite des Hornes iſt außen und innen durch eine ſcharfe Kante abgeſetzt, und die Weibchen ſind gehörnt. Die Weiterentwickelung in weſtöſtlicher Richtung beſteht zunächſt nur in Größenzunahme des ganzen Körpers und der Hörner, die dicker und länger werden, d. h. mehr Windungen erhalten. Das öſtlichſte Wildſchaf aber, deſſen Wohngebiet von Oſtſibirien nach Amerika hinüberreicht, iſt über dieſe Entwickelung ſchon hinausgegangen. Es iſt wieder kleiner geworden, die Hörner haben ſich verkürzt, aber dafür gewaltig an Dicke zugenommen, die äußere vordere Kante der Hörner iſt noch gut entwickelt, aber die hintere beginnt durch Abrundung zu verſchwinden. Somit ſind die beiden weſtlichſten Wildſchafarten unzweifelhaft die tiefſtſtehenden, wenn es auch unſicher erſcheint, welche von beiden Arten tiefer ſteht. Der europäiſche Mufflon iſt gewiſſermaßen noch in der Hornrichtung zweifelhaft, ob er die Spitze nach außen oder nach innen wenden ſoll, beides kommt bei ihm vor. Aber ſein Horn hat ſchon eine vordere Außen— kante, und er hat ſchon, wenn auch nicht regelmäßig, gehörnte Weibchen. Der aſiatiſche Muff⸗ lon hat noch ungehörnte Weibchen, ſein Horn iſt noch zweiſchneidig, offenbar die ältere Form, da die Hörner jüngerer Schafböcke überhaupt wie die der Weibchen zweiſchneidig ſind, aber er hat ſich ſchon entſchieden, die Hornſpitzen nach innen, gegeneinander zu kehren. Das iſt offen— bar eine unzweckmäßige Hornform: ſehen wir doch, daß in unſeren Tiergärten Mufflons mit pervertierten Hörnern immer wieder die Hornſpitzen abgeſägt werden müſſen, damit ſie nicht in den Hals des Tieres wachſen. So haben denn die übrigen, höher entwickelten Wildſchaf— arten dieſe Entwickelungsrichtung nicht verfolgt, ſondern ſie haben ſich für die nach außen gewandten homonymen Hörner des europäiſchen Mufflons entſchieden. Die Hornform des aſiatiſchen Mufflons ſtellt gewiſſermaßen einen Irrtum der Natur dar, wie wir ſolche nicht weiter verfolgbare und verfolgte Wege im Laufe der Geſchichte der Säugetiere immer wieder finden. Bemerkenswert iſt, daß die Hörner junger Schafböcke überhaupt, wie weiter unten beim Mufflon beſchrieben, zunächſt eine Neigung zur Perverſion haben, die erſt im ſpäten Alter ausgeglichen wird. = Wir beginnen die Betrachtung der Wildſchafe mit dem eigentlichen, europäiſchen Mufflon, Ovis musimon Schreb. (Taf. „Paarhufer XIV“, 7, bei S. 227), der heute nur noch, aller: dings in ſtark verminderter Anzahl, die Gebirge Sardiniens und Korſikas bewohnt. Wenn uns alte Berichte melden, daß früher auf einer einzigen Jagd 400 —500 Stück Europäiſcher Mufflon. 247 erlegt wurden, ſo war ihre Zahl ſchon zu Ende des 18. Jahrhunderts zurückgegangen, ſo daß der Abt Cetti, dem wir die erſte ausführliche Lebensſchilderung des Mufflons verdanken, ein Jagdergebnis von 100 Köpfen für beſonders glücklich hielt. Heute iſt die Zahl noch weiter verringert, und das Tier iſt mindeſtens auf Korſika dem Ausſterben nahe, wenn nicht ganz ſtrenge Geſetze zu ſeinem Schutze eingreifen. Tesdorpf, wohl der genaueſte Kenner des Muffel— wildes, hält die ihm auf Korſika angegebene Zahl mit 2000 Paaren noch für zu hoch („Ein— bürgerung des Muffelwildes“, 1910). Außerdem ſcheint die Zahl weiter beſtändig abzunehmen, da alle Verbote gegen die rückſichtsloſe Raubjägerei und Wilddieberei der Korſen bisher nutzlos geweſen ſind. Ahnlich liegen die Verhältniſſe auf Sardinien, wenngleich dort die Mufflons viel— leicht noch zahlreicher ſind. Aber trotz aller Schutzmaßregeln iſt auch hier das edle Wild durch rückſichtslos wildernde Ziegenhirten und „engliſche Hornſchießer“ der größten Gefahr ausgeſetzt. Von Tesdorpf erfahren wir über das Muffelwild folgendes. Es wird 65 —70 em hoch, 1,20 m lang und hat einen etwa 10 em langen Schwanz. Das Horn des Bockes be— ginnt im vierten Monat zu wachſen, wird bis zu 80 em lang, längs der Krümmung gemeſſen, und erreicht ein Gewicht bis 5 kg. Es iſt zunächſt zweiſchneidig, jpäter wird es am Schädel dreikantig, mit der Breitſeite nach vorn, und nur die Spitze behält die zweiſchneidige Jugend— form bei. Die Spitzen ſtehen in den erſten Jahren gegeneinander, als wollten ſie in den Hals einwachſen, biegen ſich im fünften bis ſechſten Jahr auseinander, verlaufen nun zunächſt parallel mit dem Hals, dann biegen ſie ſich in die Höhe oder nach außen, mitunter auch nach innen gegen den Hals. Das Horn iſt nur einmal gebogen, nicht ſpiralig, und erreicht mit 12—13 Jahren ſeine Vollendung, nimmt aber auch dann noch an Stärke zu. Es hat 30—40 unregelmäßige Querrunzeln, doch können weder dieſe, noch die Abſätze auf dem Horn, die da— durch entſtehen, daß das Horn bei jeder Härung im Frühjahr und Herbſt ſchiebt, einen ſicheren Rückſchluß auf das Alter geſtatten. Die Weibchen können kurze Hörner beſitzen; dies ſcheint in Korſika meiſt, in Sardinien ſelten oder nie der Fall zu ſein. Das Gewicht des Mufflons wird nach einer anderen Quelle zu 40 — 50 kg angegeben. Im Sommer iſt die Färbung der Böcke, die eine kurze, hirſchartige Mähne an der Unter: ſeite des Halſes tragen, nach Tesdorpf, fuchſigrot mit dunkelbraunem Anflug auf dem Rücken. Die ganze Unterſeite, die Innenſeite der Beine, ein kleiner Spiegel und die vorderen Teile der Schnauze ſind weiß. Auf dem hinteren oberen Teil der Seiten befindet ſich ein mehr oder minder deutlicher, im Winter ſtärker ausgeprägter grauer oder weißer Sattel. Im Winter wird die Decke dunkler, rötlichbraun bis kaſtanienbraun. Teile an Kopf, Nacken, Kehle und Bruſt, ein Band an den Flanken, ein Teil vom Widerriſt, ein Fleck oberhalb der Keulen hinter dem Sattel, die Seiten der Vorderbeine ſowie die Vorder- und Innenſeite der Hinter— läufe ſind ſchwarz. Das Ohr iſt grau umrandet, innen weiß. Der Schwanz iſt oberſeits ſchwarz oder ſehr dunkel braun. Die Farben der Weibchen ſind weniger lebhaft, mehr ins Fahle ſpielend. Die Jungen ſind mehr einfarbig hellbraun im Sommer, dunkelbraun im Winter. Die Verfärbung erfolgt dadurch, daß im Herbſt eine dichte, kurze, ſeidenweiche Unterwolle unter den Grannen hervorwächſt. Sie löſt ſich im Frühjahr in großen Fetzen ab. Die Grannen ſind ſo ſtark mit Fett durchtränkt, daß die Niederſchläge abrieſeln, ohne die Unterwolle zu erreichen. Das Schaf läßt beim Graſen einen leiſe meckernden Ton hören, beſonders wenn es ein Lamm führt. Der Widder iſt ganz ſtumm. Erſchreckt ſtoßen die Tiere einen ſchrillen Pfiff aus. Die Brunſt dauert gewöhnlich zwei Monate, in Sardinien Ende Auguſt bis Oktober, in Korſika Ende September bis Dezember. Während der Brunſt kämpfen die Widder heftig miteinander. In einem Anlauf von 20 m ſtürzen fie aufeinander los, weithin iſt der Anprall 248 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. der Hörner hörbar. Dieſer Kampf wird fortgeſetzt, bis einer von beiden Nebenbuhlern flüchtet oder getötet wird. Der Bock tritt mit 1 Jahr in Brunft, wird aber erſt mit 2 Jahren beſchlagfähig. Das Schaf iſt mit 1 Jahr fortpflanzungsfähig. Es ſetzt nach einer Trag- zeit von 5 Monaten im März, April oder Anfang Mai ein Lamm. Geht das etwas älter gewordene Lamm ein, jo nimmt, wie Girtanner berichtet, die Mutter ihren vorjährigen Spröß⸗ ling wieder zu ſich. Stirbt das Junge jedoch bald nach der Geburt, ſo ſucht das Schaf nach zwei Wochen oder ſpäter den Widder wieder auf und wirft dann oft erſt im Auguſt oder Sep- tember nochmals, „die zweite Geburt“ der Sarden. Das Lamm ſteht ſofort auf den Läufen und iſt ſchon nach einer Stunde befähigt, der Mutter überallhin zu folgen. Von ihr wird es ängſtlich behütet und gegen alle Feinde mutig verteidigt. Zwei Lämmer ſcheinen nicht ge— worfen zu werden; wird ein Schaf mit zweien beobachtet, ſo iſt das vorjährige noch bei ihm. Die Jungen find ſehr lebhafte Tiere, die, wie alle Gattungsverwandten, ſich in mun⸗ teren Spielen, gegenſeitigem Stoßen und übermütigen Sprüngen gefallen. Wie bei allen Herdentieren ſondern ſich die tragenden Weibchen kurz vor dem Werfen vom Rudel ab, das ſich im Frühjahr ganz auflöſt. Im Herbſt bilden ſich die Rudel allmählich wieder und find zur Brunftzeit am ſtärkſten; fie beſtehen dann aus 12—15, ja ſogar 20—30 Stück. Dann beginnt der Kampf der Böcke um die Rudel, bei denen der Sieger nur ganz junge andere Böcke, etwa bis zu 1V/2 Jahr, duldet. Die Führung hat aber ſtets ein Schaf. Als Wache, während das Rudel äſt oder ruht, ſoll jedoch, nach Girtanner, ein alter Widder dienen, der es durch einen wie „fix“ tönenden Warnungslaut bei Gefahr zu eiliger Flucht veranlaßt. Wohl wählen die Rudel in ihrer Heimat die höchſten Berggipfel zu ihrem Aufenthalt, aber eigentliche Grattiere ſind die Mufflons nicht. Ohne Wald können ſie nicht beſtehen. In dichtem Laubholz oder Fichtenbeſtänden ruhen ſie bei Tage. Abends wird das Rudel rege und zieht nach den oft weit abliegenden Aſungsplätzen, um noch vor Sonnenaufgang zu ſeinem Lager zurückzukehren. An beſtimmte Wechſel iſt es dabei nicht gebunden. Es nimmt harte Gräſer, Heidelbeerkraut, Heidekraut, Ginſter, Laub und Fichtenſpitzen und frißt im Herbſt begierig Eicheln und Bucheln. Dagegen tritt es nie auf Felder aus und ſchält auch nicht. So iſt es, zumal es vollkommen winterhart iſt, ſehr geeignet zur Einbürgerung und Ver— mehrung unſeres leider jo arg zuſammengeſchmolzenen Wildbeſtandes. Die älteſten wohl⸗ gelungenen Einbürgerungsverſuche ſind in Oſterreich gemacht worden, wo im Tiergarten zu Lainz bei Wien ſchon 1840: 19 Mufflons ausgeſetzt und bereits 1857: 59 Böcke erlegt wurden. Heute wird der dortige Beſtand auf etwa 100 Tiere zu veranſchlagen fein. Andere öfter reichiſch-ungariſche erfolgreiche Einbürgerungsverſuche wurden gemacht in den Weißen Kar⸗ pathen (Herrſchaft Ghymes), in der Herrſchaft Betler, Komitat Gömör, wo ganz außergewöhn⸗ lich ſtarke Gehörne vorkommen, ſtärker als ſie aus der Heimat bekannt ſind, Nagy Appony, wo allerdings die Tiere nicht reinblütig zu ſein ſcheinen, und an anderen Plätzen mehr. Auch in Deutſchland wurde das Muffelwild erfolgreich eingebürgert. Zunächſt dank der Bemühungen Tesdorpfs im königlich preußiſchen Hofjagdrevier Göhrde, Provinz Hannover, wo der derzeitige Beſtand über 60 Stück betragen dürfte. Ermutigt durch dieſen Erfolg ſetzte Tesdorpf auch im Revier Harzgerode Muffelwild aus, das heute 80 —90 Köpfe zählen dürfte. Der jüngſte, im Taunus gemachte Verſuch berechtigt gleicherweiſe zu guten Hoffnungen. Der Korſe ſchießt, wie uns E. Waldo („St. Hubertus“, 1906) mitteilt, den Mufflon vorwiegend auf dem Pirſchgange. Nach Waldo liegen die Stände der Tiere etwa 2000 m hoch, und zwar größtenteils auf dem Südoſtteil der Inſel. Der Wald von Aracali beher- bergt dies Wild noch in Rudeln von 10—15 Stück. Die Jagd iſt nicht leicht, da die Tiere Mufflons. Steppenſchafe. 249 ſehr ſcharf äugen und den Jäger ſchon in einer Entfernung von 1500 — 2000 m wahr: nehmen. Dazu kommt, daß ſie ſich vorwiegend in der Macchia aufhalten, jenem dichten, buſch— artigen Pflanzengewirr, das aus Lorbeer, Rosmarin und Ziſten beſteht und kaum ein Hinein— dringen erlaubt. So iſt auch das Anpirſchen ſehr ſchwer. Das erfuhr auch Buxton, der uns ſeine Jagderlebniſſe mit dem ſardiniſchen Mufflon ſehr anſchaulich ſchildert („Short Stalks“, 1893). Dieſer rühmt namentlich die Schlauheit, faſt könnte man ſagen Geriſſen— heit, mit der die Tiere ſich zu verbergen und zu drücken verſtehen. Man jagt den Mufflon vor— wiegend ſeines wohlſchmeckenden Fleiſches halber, auch Fell und Gehörn werden verwendet. Jung gefangene Mufflons werden zwar ſehr zahm, machen ſich aber durch ihren Mut— willen läſtig. Sie durchſtöbern alle Winkel im Hauſe, werfen dabei die Geräte um, zerbrechen Töpfe, greifen, ſobald ſie ihre Kraft kennengelernt haben, aus reinem Übermut Menſchen an, ſo daß ſie als Hausgenoſſen nicht zu empfehlen ſind. In der Gefangenſchaft halten ſie ſich ſehr gut, ſchreiten auch leicht zur Fortpflanzung und miſchen ſich, wie ſchon die Alten wußten, fruchtbar mit Hausſchafen. Kühn („Feſtſchr. z. 25jähr. Bet. Landw. Inſt. Halle“, 1888) er— hielt von ihnen und den verſchiedenſten Schafraſſen Baſtarde, die wieder vollkommen fruchtbar waren. Falz-Fein kreuzte ſolche Baſtarde dann weiter erfolgreich mit dem Kreishornſchaf. Vom europäiſchen iſt der Aſiatiſche Mufflon, Ovis orientalis Pydt. Rtzb., in allen ſeinen Formen, abgeſehen von den S. 246 angegebenen Hornmerkmalen, ſtets dadurch unter— ſchieden, daß der Schwanz nur eine ſchwarze Spitze hat. Die Unterarten des aſiatiſchen Feſt— landes ſind größer als der europäiſche Mufflon, während die Zypern bewohnende Form kleiner iſt. Die Farbe iſt im allgemeinen röter als beim europäiſchen Mufflon. Der Aſiatiſche Mufflon bewohnt Kleinaſien und Transkaukaſien bis nach Perſien hin. Wichtiger als dieſe Art find die Steppenſchafe, Ovis vignei Dlyth, die ſich im Oſten an den Aſiatiſchen Mufflon anſchließen. Bilden ſie doch, wie ſchon erwähnt, in bezug auf Körpergröße (Schulterhöhe 80 —90 em) und Hornform den Übergang zu den großen Schafen Zentralaſiens; dann werden ſie auch gelegentlich in unſeren Tiergärten gezeigt, ſchließlich ſind ſie die Stammeltern eines großen Teiles unſerer Hausſchafe. Die Steppenſchafe haben in der Regel normale Hörner mit ſtarken Querwülſten, auch die Weibchen tragen Hörner, obgleich viel kürzere. Gelegentlich kommen pervertierte Hornſpitzen vor. Der Bock zeichnet ſich durch eine kräftige Vorderhalsmähne aus, die hinter dem Kinn zweiteilig beginnt; beide Hälften vereinigen ſich bald und ziehen ſo über die Bruſt. Die oberen Teile des Körpers ſind im Sommer rötlich rehfarben, im Winter mehr grau gefärbt. Unterſeite, Beine und Schwanz ſind weiß, ebenſo die Schnauze im Alter. Die Mähne kann ganz ſchwarz ſein, ge— wöhnlich iſt ſie jedoch mit Weiß gemiſcht und namentlich bei alten Böcken vorn weiß. Hinter der Schulter befindet ſich ein dunkler Fleck. Ein ſchwarzes Flankenband und ebenſolche Zeich— nung längs der Vorderſeite der Beine können vorhanden ſein. Die Weibchen und Jungen ſind einfarbig graubraun auf der Oberſeite und blaſſer auf der Unterſeite. Daheim iſt dieſe Art etwa in folgenden Ländern: Sind, Pandſchab, Afghaniſtan, Balutſchiſtan, Ladak, Tibet, Ruſſiſch⸗Turkeſtan, Transkaſpien und Perſien. Sie bewohnt alſo nicht die höchſten Gebirge der Welt und ſteigt im Norden und Süden ſogar bis in die Ebenen hinab. Das in den transkaſpiſchen Steppen lebende, bis zum Spiegel des Kaſpiſees hinab— kommende Steppenſchaf, der Arkal, Ovis vignei arkar Brat., iſt ein großes Tier mit abgeflachter Vorderfläche der Hörner und vorn weißer Mähne. Es lebt, nach Radde, in 250 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. größeren Herden als die anderen Wildſchafe, meiſt ſtehen 60—100 Stück zuſammen, doch ſind auch ſchon 200 beieinander beobachtet worden. Durch ſtark auseinanderſtrebende, große Hörner, die ſchon eine weite, offene Spirale bilden und die Spitzen auswärts kehren, zeichnet ſich die Kreishornſchaf, Ovis vignei ey- cloceros Hut. (Taf. „Paarhufer XIV’, 8, bei S. 227), benannte Unterart aus, deren Horn⸗ form durch den Anfang einer zweiten Spirale ſchon deutlich zu den großen zentralaſiatiſchen Wildſchafen überführt. Das Kreishornſchaf bewohnt, nach Blanford, das Salt Range des Pandſchab, Sind und Balutſchiſtan und wird auch an anderen geeigneten Stellen weſtlich des Indus gefunden. Es ſteigt ſogar bis zum Meeresſpiegel herab. Seine bevorzugten Stand⸗ plätze ſind Graslandſchaften, die es in Herden von 3—30 Stück bevölkert. Im Sommer halten ſich die Böcke häufig allein, ſonſt ſind ſie meiſtens bei der Herde. Die Brunſtzeit iſt nach den Ortlichkeiten verſchieden, im Pandſchab fällt ſie in den September. Es werden 1 oder 2 Läm⸗ mer geſetzt. In der Gefangenſchaft halten ſich Kreishornſchafe gut, pflanzen ſich hier fort und erzeugen mit Hausſchafen wie auch dem europäiſchen Mufflon Baſtarde. Zurzeit ſteht ein ſolcher Kreishornſchaf-Mufflon-Baſtard in der Schönbrunner Menagerie. Das größte aller Wildſchafe iſt der Argali, Ovis ammon J. (Taf. „Paarhufer XIV“, 9, bei S. 227), der in zahlreichen Unterarten die Hochgebirge von Zentralaſien etwa von Nepal, Buchara und dem Altai durch Tibet, die Mongolei bis Kamtſchatka bewohnt. Es ſind zum Teil ſehr große Tiere, die bis zu 1,20 m Schulterhöhe erreichen, mit gewaltigen Hörnern. Dieſe find ſtets normal, zeigen mit der Spitze nach auswärts, bilden oft mehr als einen Umgang und ſtoßen an der Grundfläche zuſammen. Beſonders mächtig werden ſie bei dem Pamirſchaf, bei dem fie eine Länge von 1,„72— 1,87 m bei einem Umfang an der Grundfläche von 36— 40 cm erreichen. Auch die Weibchen der Argalis tragen ziemlich kräftige Hörner. Der Schwanz iſt ſehr kurz, weiß von Farbe, ebenſo ein großer, die halben Oberſchenkel be= deckender Spiegel. Meiſt iſt eine breite weiße Unterhalsmähne aus nicht ſehr langen Haaren vorhanden, oft ein Kamm aus aufrechtſtehenden Haaren längs des Nackens und meiſt auch des Rückens. Die Oberſeite iſt graubraun, die Unterſeite weiß. Ein dunkles Flankenband iſt in der Regel nicht gut ausgebildet. Das Sommerkleid iſt ſehr kurzhaarig, hell mit einer ſtarken weiß— lichen Beimiſchung auf den Keulen und Oberſchenkeln. Die Schnauze iſt mehr oder weniger weiß. Die zahlreichen, etwa zehn Unterarten unterſcheiden ſich vorwiegend der Hornform nach. Die größte Unterart, wohl das mächtigſte Schaf überhaupt, iſt das ſchon von dem be— rühmten Reiſenden Marco Polo entdeckte und ihm zu Ehren wiſſenſchaftlich benannte Pa— mirſchaf oder der Katſchgar, Ovis ammon poli Blyth, das zu Polos Zeiten jo zahlreich geweſen ſein muß, daß nach ſeinen Angaben die Hirten die Knochen und Hörner zu Haufen auftürmten als Wegweiſer für die Reiſenden, wenn der Schnee die Erde bedeckte. Severzow gibt die Länge des Tieres zu 2,04 m, ſeine Schulterhöhe zu 1,20 m, das Gewicht zu 230 kg an. Die Schwanzlänge beträgt 11 em, die Kopflänge 35 em. Die Argalis meiden feuchte, waldbedeckte Gebirge. Sie leben über der Waldgrenze und ſteigen in den Hochgebirgen Zentralaſiens bis in bedeutende Höhen. Das Pamirſchaf it bis 18000 Fuß (etwa 6000 m) hoch beobachtet worden, während die typiſche, den Altai bewohnende Form in Höhen von 600 —1000 ın lebt und die Unterarten von Kamtſchatka wohl noch tiefer herabſteigen. Die Unterarten, welche die höchſten Höhen bewohnen, kommen erſt im Winter tiefer herab; denn ſie meiden den Schnee, obwohl ſie ſich auf ihm noch ſehr Kreishornſchaf. Argalis. 251 geſchickt zu benehmen wiſſen. Die meiſten Argalis leben im Winter wie im Sommer auf an— nähernd demſelben Gebiete, da ſie höchſtens von einem Bergzuge zum anderen wechſeln. In Gegenden, wo der Argali keine Verfolgungen zu erleiden hat, dient nicht ſelten ein einzelner Bergſtock ein und derſelben Herde viele Jahre nacheinander zum Aufenthalte. Bis gegen die Paarungszeit gehen Böcke und Schafe getrennt ihres Weges dahin, erſtere meiſt einzeln, letztere in Trupps zu 3—5 bis zu 30 oder 40; kurz vor der Paarungszeit vereinigen fie ſich zu kleinen Herden von durchſchnittlich 10, höchſtens 15 Stück. Ihr Tageslauf iſt in bemerkenswerter Weiſe geregelt. Sie ſind Tagtiere. Am frühen Morgen verlaſſen ſie die geſichertſten Stellen ihres Wohngebietes, ſchwer zu erſteigende und freie Umſchau gewährende Felsplatten nahe den Gipfeln der Berge, ſteigen gemächlich an den Gehängen herab und weiden hier, am Fuße der Berge und in den Einſattelungen zwiſchen ihnen, auch in den breiteren Tälern oder auf den Ebenen um die Berge. Währenddem erklimmt das eine oder das andere Tier den nächſten Felſen, um zu ſichern, und verweilt, je nach Bedürfnis oder Laune, längere oder kürzere Zeit auf ſeiner Warte. Gegen Mittag erklettert die Herde eine ſteil abfallende Hochfläche, tut ſich nieder und pflegt, behaglich wieder— käuend, längerer oder kürzerer Ruhe. Iſt die Gegend unſicher, ſo übernimmt auch jetzt noch ein oder das andere Stück die Wacht; wurde die Herde ſeit langer Zeit nicht geſtört, ſo ruhen alle ohne Beſorgnis. Gegen Abend treten ſie nochmals auf Aſung, trinken, nachdem ſie vor— her etwas Salz geleckt haben, und ſteigen endlich langſam wieder bergaufwärts, um noch vor dem Verglühen des Abendrotes ihre Schlafplätze zu erreichen. Während des Sommers äſt der Argali von allen Pflanzen, die auch dem Hausſchafe behagen; während des Winters begnügt er ſich mit Moos, Flechten und vertrocknetem Graſe. Dann ſteigt er auf die Felsſpitzen und Grate, wo der Wind den Schnee weggefegt und die Flechten bloßgelegt hat. Wähleriſcher als in der Aſung zeigt er ſich beim Trinken, da er ſtets zu beſtimmten Quellen kommt und dieſe vor anderen entſchieden bevorzugt. Salz bietende Stellen werden des allbeliebten Leckerbiſſens wegen oft beſucht. Solange der Schnee nicht allzu dicht liegt, bekümmert den Argali der Winter wenig; denn ſein dichtes Vlies ſchützt ihn gegen die Unbilden des Wetters. Es wird geſagt, daß er ſich bei dichtem Schneefalle einſchneien laſſe und es ſo dem Jäger ermögliche, ihn im Liegen mit der Lanze zu erlegen: wahrſcheinlich gilt dies höchſtens für ſolche Winter, die ihn bereits aufs äußerſte heruntergebracht haben. Die Zeit der Paarung fällt in den Winter und iſt je nach der Heimat etwas verſchieden. Nach den Mitteilungen, die Prſchewalſky durch die Mongolen wurden, iſt der Argalibock im Südoſten der Hohen Gobi bereits im Auguſt paarungsluſtig, im Pamir im Spätherbſt, nach den Angaben, die ich von den Kirgiſen erhielt, im ſüdweſtlichen Sibirien nicht vor Mitte Oktober. Schon vorher nehmen die alten Böcke beſtimmte Stände ein und laſſen hier jüngere oder ſchwächere überhaupt nicht zu. Mit gleichſtarken kämpfen ſie um den Stand und um die Schafe. Ihre Streitigkeiten werden nach Art der Widderkämpfe ausgefochten. Das Argaliſchaf bringt 7 Monate nach der Paarung, im Pamir im Juni, 1 oder 2 Lämmer zur Welt, eine jüngere Mutter regelmäßig wahrſcheinlich nur eines, eine ältere dagegen deren zwei. Die Lämmer ſind merklich größer als die des Hausſchafes: ihre Länge beträgt 65, die Schulterhöhe 54 em. Die vorherrſchende, gleichmäßig graufahle Färbung geht auf dem Vorderkopfe und Schnauzenrücken in Dunkelgrau, auf dem Spiegel in Graulich-Iſabell, auf der Unterſeite, zumal in der Achſel- und Weichengegend, in Blaßgelb über; ein kurzer Streifen auf dem Kreuze ſieht ebenfalls dunkelgrau aus. Die Lämmer folgen den Müttern wenige Stunden nach ihrer Geburt auf allen Wegen, auch den ſchwierigſten Pfaden, nach 252 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. und eignen ſich bald deren Lauf- und Kletterfertigkeit an. Droht ihnen in den erſten Tagen ihres Lebens eine Gefahr, der fie noch nicht zu entrinnen vermögen, jo ducken fie ſich, wahr— ſcheinlich auf ein Zeichen ihrer Alten, in dem Gefelſe zwiſchen Steinen nieder, legen Hals und Kopf platt auf den Boden, werden gewiſſermaßen zu einem lebendigen Stein und entziehen ſich dadurch dem Auge vieler Feinde, zumal dieſe durch die vor ihnen weiterflüchtende Alte gefeſſelt und abgelenkt werden. So liegen ſie ſehr feſt und entfliehen erſt, wenn ein Feind ſie aufſtößt. Wird ihre Mutter unverſehens getötet, ſo drücken ſie ſich ebenfalls. Sie ſind aller⸗ liebſt, anmutig, behende und gewandt in jeder Bewegung, ſaugen nach Art aller Zicklein, unter derben Stößen gegen das Euter, umſpringen ſpielluſtig die Alte und blöken, wenn ſie hungrig werden, faſt wie Hauslämmer, jedoch merklich gröber. Bis zur nächſten Paarungszeit bleiben ſie in Geſellſchaft ihrer Mütter, beſaugen dieſe aber ſo lange, wie es die Alte duldet. Die Bewegungen des Argalis entſprechen ſeinem kräftigen, gedrungenen und dennoch nicht unzierlichen Baue. Sein gewöhnlicher Lauf, ein raſcher Trab, fördert bedeutend; die ſchnellſte Gangart, die ich ſah, iſt ein ungemein leichter Galopp, bei dem Vorder- und Hinter⸗ teil des Tieres abwechſelnd hoch aufgeworfen werden. Während der Flucht ziehen geſellte Argaliſchafe faſt unwandelbar in einer Reihe hintereinander, ganz ebenſo, wie Stein- und Gemswild zu tun pflegen. Auf dem Gefelſe bewegen ſie ſich mit ebenſoviel Kraft und Ge— ſchick als Behendigkeit und Sicherheit, erklimmen, anſcheinend ohne Anſtrengung, ſteil ab— fallende Felſenwände, überſpringen ohne Beſinnen weite Klüfte oder ſetzen ohne Bedenken in große Tiefen hinab. Ebenſo wie vom Steinbock geht auch vom Argali die grundloſe Sage, daß der Bock bei Gefahr in tiefe Abgründe ſpringe und ſich dabei auf die Hörner fallen laſſe. Die Sinne der Argalis ſcheinen vortrefflich entwickelt zu ſein. Die Tiere ſehen, hören und wittern ausgezeichnet, ſind auch lecker, wenn ſie es ſein können. In ihrem Weſen ſpricht ſich Bedachtſamkeit und Selbſtbewußtſein aus; auch Urteils- und Erkennungsvermögen darf man ihnen zugeſtehen. Getrieben eilen ſie nicht ſchneller oder weiter, als es die Flucht vor ihren Verfolgern unbedingt erfordert. Da, wo wiederholte Verfolgung ſie gewitzigt hat, zeigen fie ſich ſtets vorſichtig, wenn auch nicht gerade ſcheu, unter entgegengeſetzten Umſtänden über⸗ raſchend vertrauensſelig, ſo daß ſie dann, wie Prſchewalſky berichtet, neben den zahmen Vieh⸗ herden weiden. Bemerkenswert und für das Weſen der Argali- und anderer Wildſchafe be zeichnend iſt alberne, unter Umſtänden höchſt gefährliche Neugier. Schon der alte Steller er- zählt, daß die Jäger Kamtſchatkas das auf den dortigen Gebirgen lebende Schneeſchaf durch eine aus ihren Kleidern gefertigte Puppe beſchäftigen und währenddem auf Umwegen bis in Schußnähe anſchleichen; Prſchewalſky erfuhr vom Argali dasſelbe und erprobte die Wahrheit der mongoliſchen Ausſage. Ungeachtet ſolcher Liſten erfordert die Jagd auf Argaliſchafe einen geübten Jäger und noch mehr einen ſicheren Schützen. Das Wildbret wird von den Kirgiſen ſehr geſchätzt, iſt auch in der Tat vortrefflich, obſchon etwas ſtreng von Geſchmack. Außer dem Menſchen ſtellen dem erwachſenen Argali Tiger, Wolf und Rotwolf nach, jedoch in ſeltenen Fällen mit Erfolg. Eher gelingt es dieſen Raubtieren, ein Argalilamm zu erbeuten; der ſchlimmſte Feind des letzteren aber dürfte der Steinadler ſein. Sein ſcharfes Auge läßt ſich nicht immer täuſchen, wenn ein Argalilamm ſich in Stein verwandelt, und das junge, hilfloſe Säugetier iſt rettungslos verloren, wenn feine Mutter nicht rechtzeitig wieder⸗ kehrt. Während unſerer Jagden in den Arkatbergen brachten uns die Kirgiſen ein von dem gewaltigen Raubvogel zerriſſenes Lamm. Wir hatten deſſen Mutter vor den Treibern flüchten und bald darauf zurückkehren ſehen; die kurze Friſt ihrer Abweſenheit war aber doch hinreichend geweſen, in Geſtalt des Adlers ſein Verderben herbeizuführen. Argalis. Dickhornſchafe. 253 Unſere Jagdgenoſſen fingen zwei muntere Argalilämmer ein und brachten ſie lebend zu den Jurten. Ohne Umſtände nahmen die Kleinen das Euter einer zu Ammendienſten ge— zwungenen Ziege und würden unzweifelhaft gediehen ſein, hätten die Kirgiſen ſie aufmerk— ſam verſorgt. Es ſcheint aber überhaupt ſchwer zu ſein, lebende Argalis zu erlangen. Sie kommen äußerſt ſelten in den Tierhandel und pflegen ſich auch, wie viele Hochgebirgstiere, in der Gefangenſchaft ſchlecht zu halten. Der öſtlichſte Formenkreis der Wildſchafe umfaßt die Dickhornſchafe, Ovis canadensis Shaw. Sie beginnen in Nordoſtſibirien und Oſtkamtſchatka mit Formen, die noch ſchlankere und mehr auseinanderſtrebende Hörner haben, wie das Schneeſchaf, O. c. nivicola Eschh., und ſo den Argaliſchafen noch ähnlicher ſind, ſetzen ſich dann über die Unterarten von Yukon und Alaska in allmählichen Übergängen fort zu jenen Schafen mit dem zwar kurzen, aber äußerſt maſſigen, dicken, enggewundenen Ge— hörn, die die Gebirge des weſtlichen Nordamerikas bis nach Mexiko bewohnen und der Gruppe den Namen gegeben haben. Auch hier machen wir wieder die Beobachtung, daß die nördlicheren Formen in Anpaſſung an das Klima kürzere Ohren haben, namentlich die aſiatiſchen ſind be— ſonders kleinohrig. Erwachſene Böcke der typiſchen Unterart haben eine Länge von 1,9 m, wovon nur 12 em auf den Schwanz kommen, bei 1,05 m Schulterhöhe; das Schaf iſt 141,5 m lang und 90—95 em hoch. Jene erreichen ein Gewicht von 175 kg, da das Gehörn allein bis 25 kg wiegen i 1 f kann; dieſes wird 130—140 kg ſchwer. Die Gr ng Phoccgraptie von N. Ko the, Mal ſtalt iſt gedrungen, muskelkräftig, der Kopf dem des Steinbockes ähnlich, groß, auf dem Naſenrücken völlig gerade, das Auge ziemlich groß, das Ohr klein und kurz, der Hals dick, der Rücken wie die Bruſt breit und ſtark, der Schwanz ſchmal, der Schenkel ſehr kräftig, der Lauf ſtark und gedrungen, der Huf kurz, vorn faſt ſenkrecht ab— geſchnitten, der Afterhuf breit und ſtumpf. Die Länge des gewaltigen Gehörnes, längs der Krümmung gemeſſen, beträgt bis 70 em, der Umfang an der Wurzel 35 em, der Umfang in ſeiner Mitte 31 em, die Entfernung der Spitzen beider Hörner voneinander 56 em. Die platt gedrückten, oder richtiger: außen geradſeitigen, hinten von der ſtark vorſpringenden Ober- und Außenkante an in einem faſt regelmäßigen Bogen gewölbten, daher einen von denen der Argalis durchaus verſchiedenen Querſchnitt zeigenden, mit vielen Querrunzeln bedeckten Hörner ſtehen an ihrem Grunde dicht beiſammen, biegen ſich nach hinten und in einem faſt kreisförmigen Bogen nach unten und vorn und kehren ſich mit der verwendeten, faſt abgerundeten Spitze wieder nach außen und oben. Die bedeutend ſchwächeren, denen der Ziegen ähnlichen, ſcharf zugeſpitzten Hörner des weiblichen Dickhornſchafes biegen ſich in einem einfachen Bogen nach oben, hinten und außen. Das Haar hat keine Ahnlichkeit mit Wolle, iſt hart, obwohl ſanft an— zufühlen, leicht gewellt und höchſtens 5 em lang, ſeine vorherrſchende Färbung ein ſchmutziges, längs des Rückens dunkelndes Graubraun; der Bauch, die innere und hintere Seite der Beine, ein die Hinterſchenkel und die Seiten des Hinterrückens einnehmender ſpiegelartiger Fleck, das Kinn und ein Fleck auf graubraunem Grunde in der Gegend des Kehlkopfes ſind 954 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. weiß; der Kopf iſt hell aſchgrau, das Ohr außen dem Kopfe gleich, innen dagegen weißlich, die Vorderſeite der Läufe dunkler als der Rücken, ſchwärzlich graubraun nämlich, der Schwanz— rücken lichter als der Rückenſtreifen. Alte Böcke ſehen oft ſehr hellgrau, manchmal faſt weiß: lich aus. Im Herbſt und Winter miſcht ſich viel Braun in das Grau ein; der Hinterrücken und die Einfaſſung der Schenkel aber bleiben immer rein weiß. Im übrigen iſt die Farbe der einzelnen Unterarten ſehr verſchieden. Von ganz weißen Formen, wie O. e. dalli Nelson aus Alaska und Yukon, bis zu — mit Ausnahme des Spiegels — oberſeits ganz ſchwarzen, wie O. c. cowani Rothsch. von Britiſch-Kolumbien, finden ſich alle Abſtufungen. Bei einigen wird die dunklere Farbe der Rückenmitte zu einem deutlichen ſchwarzen Längsſtreifen, wie bei O. c. gaillardi Mearns aus Arizona. Das Dickhornſchaf iſt heute an vielen Stellen ſeines urſprünglichen Verbreitungsgebietes faſt oder ganz ausgerottet. Der Prinz von Wied ſah am Mellopſtonefluſſe Rudel von 50, 80 und mehr Stück, Audubon in derſelben Gegend eine Herde von 22; Sir John Richardſon gibt an, daß die Tiere gewöhnlich in Trupps von 3—30 auftreten. Dieſe Befunde beziehen ſich aber auf Zeiten, die 7— 9 Jahrzehnte zurückliegen; ſchon Mitte der 1870er Jahre klagt Freiherr Max von Thielmann, daß er bei ſeinen Jagdzügen ſelbſt in den Bergen kein Dickhorn— ſchaf geſehen und nicht einmal eine Fährte gefunden habe. Nach Hornaday („Our Vanishing Wild Life“) gibt es, abgeſehen von den Naturſchutzparken, in den Vereinigten Staaten nur noch in Wyoming und Montana wilde Dickhornſchafe. In jedem der beiden Staaten mögen etwa 100 leben. Die Zahl in den Naturſchutzparken mag noch 1500 —2000 Stück betragen. Auch in Mexiko, wo die Tiere nicht geſchützt werden, beſteht die Gefahr der Ausrottung. Schafe und Lämmer pflegen beſondere Herden zu bilden, wogegen die alten Widder ſich, mit Aus— nahme der Paarungszeit, in beſonderen Geſellſchaften zuſammenhalten oder auch wohl allein leben. Im letzten Viertel des Jahres, je nach der Ortlichkeit etwas verſchieden, finden ſie ſich bei den Schafen ein, und dann kommt es zwiſchen den gleichſtrebenden Böcken auch zu ernſt— lichen Kämpfen. Darauf leben beide Geſchlechter friedlich zuſammen, bis etwa 7 Monate ſpäter die Lämmer geworfen werden; nun trennen ſich die Böcke wieder von den Schafen. Dieſe lammen im Mai, Juni oder Juli 1, ſehr ſelten 2 Junge, die von ihren Müttern ſehr bald in die unzugänglichſten Höhen geführt werden. In ihrer Lebensweiſe unterſcheiden ſich die Dickhornſchafe nicht von ihren Verwandten, nicht einmal weſentlich von den Steinböcken. Wie dieſe ſind ſie unübertreffliche Meiſter im Bergſteigen. Sobald ſie etwas Fremdartiges gewahren, flüchten ſie zu ſteilen Höhen empor und ſtellen ſich hier an den vorſpringenden Kanten auf, um ihr Gebiet zu überſchauen. Ein ſchnaufender Naſenton gibt bei Gefahr das Zeichen zur Flucht, und auf dieſes hin ſtürmt die Herde in raſender Eile davon. Wenn die Gegend ruhig iſt, ſteigen ſie auch gern in die Tiefe herab und kommen dann oft auf die Wieſenſtellen und Grasplätze in den Schluchten oder an die Ufer der Flüſſe, um zu äſen. Den Höhlungen des Gebirges, an deren Wänden Salpeter und andere Salze ausblühen, ſtatten ſie tägliche Beſuche ab, und ſolche Plätze ſind es denn auch, wo ſie dem Menſchen noch am leichteſten zur Beute werden. Das Wildbret wird gegeſſen, hat aber einen ſchafartigen Geruch, der namentlich bei dem Bocke und zumal während der Paarungszeit ſehr merkbar wird. Die dauerhafte und ſtarke, jedoch weiche und ſchmiegſame Haut wird von den Indianern zu ihren ſchmucken Lederhemden ſehr geſucht. Es galt immer für ſehr ſchwierig, junge Dickhornſchafe, die ſich mit ihren Müttern leicht in die unzugänglichſten Ortlichkeiten flüchteten, zu fangen. Trotzdem iſt dies gelungen, und man hat im fernen Weſten nicht bloß junge Böcke ſo weit gezähmt, daß man ſie mit den Dickhornſchafe. Hausſchaf. 255 Herden frei laufen laſſen konnte, ſondern hat ſie auch erfolgreich mit Hausſchafen gekreuzt. Das Fleiſch der Blendlinge wird als vortrefflich gerühmt. Nach Betrachtung der wichtigſten Wildſchafe wenden wir uns nun zu dem Haustier, das der Menſch aus einigen von ihnen erzüchtet hat. Das Hausſchaf iſt ein ruhiges, geduldiges, ſanftmütiges, einfältiges, knechtiſches, willen⸗ loſes, furchtſames und feiges, kurzum ein langweiliges Geſchöpf. Nur während der Bockzeit zeigt es wenigſtens einige Züge des Weſens, die ihm die Teilnahme des Menſchen erwerben können. Im übrigen bekundet das Schaf eine geiſtige Beſchränktheit, wie ſie bei keinem Haus— tiere weiter vorkommt. Es begreift und lernt nichts, weiß ſich deshalb auch allein nicht zu helfen. Nähme es der eigennützige Menſch nicht unter ſeinen ganz beſonderen Schutz, es würde in kürzeſter Zeit aufhören zu ſein. Seine Furchtſamkeit iſt lächerlich, ſeine Feigheit erbärmlich. Jedes unbekannte Geräuſch macht die ganze Herde ſtutzig, Blitz und Donner und Sturm und Unwetter überhaupt bringen ſie gänzlich außer Faſſung und vereiteln nicht ſelten die größten Anſtrengungen des Menſchen. So iſt denn auch das Schaf wohl das einzige Haustier, das, wie Ed. Hahn („Die Haustiere“) angibt, nie verwildert iſt. Aber man darf nicht vergeſſen, daß die genannten geiſtigen Eigenſchaften dem Haus— ſchaf durch den Menſchen aus Nützlichkeitsgründen angezüchtet ſind. Ein eigenwilliges, ſelb— ſtändiges Tier dauernd in ſo großen Herden zu halten, wie Schafe gehalten werden, wäre wohl ganz unmöglich. So hat denn der Menſch alle bei den wilden Schafen ſeinen Wünſchen entgegenſtehenden geiſtigen Eigenſchaften in langſamer Auswahl herausgezüchtet, bis nur die ihm erwünſchten übrigblieben. Gleichwohl iſt das ſelbſt beim Schafe noch nicht bei allen Raſſen gelungen. Nach R. Müller („Die geogr. Verbreitung d. Wirtſchaftstiere“, 1903) müſſen am Kaſpiſchen Meer die Widder gewiſſer Schafraſſen „wie biſſige Hunde an die Kette gelegt werden, da ſie in ihrer Wildheit ſelbſt den Menſchen angreifen“. Es iſt deshalb auch erklär— lich, daß man in China Widder zu der ſo beliebten Volksbeluſtigung der „Widderkämpfe“ hält. Das Schaf liebt trockene und hoch gelegene Gegenden mehr als niedere und feuchte. Es konnte z. B. in Japan noch nicht eingebürgert werden. Nach Linnés Angaben frißt es von den gewöhnlichen mitteleuropäiſchen Pflanzen 327 Arten, während es 141 verſchmäht. Hahnenfuß, Wolfsmilch, Zeitloſe, Schachtelhalme, Fettkraut und Binſen ſind ihm Gift. Salz liebt es ſehr, und friſches Trinkwaſſer iſt ihm ein unentbehrliches Bedürfnis. Der Fortpflanzungstrieb regt ſich zuerſt im März und währt von dieſer Zeit an den ganzen Sommer hindurch fort. Die Trächtigkeitsdauer beträgt 144— 150 Tage, nach Hodgſon bei einigen tibetaniſchen Raſſen gar 160 Tage. Gewöhnlich bringt das Mutterſchaf nur ein einziges Lamm zur Welt; zwei Junge ſind ſchon ziemlich, drei ſehr ſelten. Im erſten Monate ihres Lebens brechen die Milchzähne durch, im ſechſten Monate ſtellt ſich der erſte bleibende Backzahn ein, im zweiten Lebensjahre fallen die beiden Milchſchneidezähne aus und werden durch bleibende erſetzt; gegen Ende dieſes Jahres erſcheint der dritte bleibende Backzahn, und zugleich fallen ſämtliche Milchbackzähne nach und nach aus, an deren Stelle nun die Er— ſatzzähne treten; erſt im fünften Jahre aber werden die vorderen Milchbackzähne gewechſelt und damit die Zahnungen beendet. Mit dem 9. oder 10. Jahre tritt mit dem Verluſt der Zähne das Greiſenalter ein. Das Durchſchnittsalter dürfte 14— 15 Jahre ſein. Das Schaf iſt ſchon mit einem Jahre, der Widder mit dem achtzehnten Monate paarungs- und zeugungsfähig. Alle Raſſen unter ſich pflanzen ſich ohne Schwierigkeit fort, und eben deshalb kann man das Schaf mit Leichtigkeit veredeln. Auch ſind vollſtändig fruchtbare Baſtarde mit Mufflons 256 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. und Steppenſchafen erzielt worden, dagegen nie mit Mähnenſchafen oder gar Ziegen. Das letztere iſt zwar öfters behauptet, aber nie erwieſen worden. Wohl beſpringt der Ziegenbock in ſeinem Drang leicht ein Schaf, wie er ſich auch mit anderen Haustieren begattet. Erfolgreich iſt eine ſolche Paarung bisher aber nie geweſen. Und wenn immer wieder von einer gewiſſen Schafraſſe Perus und Chiles, dem Linasſchaf, behauptet wird, daß ſie aus einer Kreuzung mit Ziegen hervorgegangen ſei, ſo iſt das ins Reich der Fabel zu verweiſen. Die Schafe werden von mancherlei Krankheiten heimgeſucht. Die häufigſte iſt das Drehen, das ſich hauptſächlich bei jungen Schafen zeigt; es rührt von Bandwurmblaſen (Taenia coenurus) im Gehirn her. Andere Eingeweidewürmer, die ſogenannten Leberegel (Fasciola hepatica), verurſachen die Leberfäule, einige Fadenwürmer die Lungenfäule. Dazu kommen noch der Blutſchlag oder die Blutſeuche, die Klauenſeuche, die Traberkrankheit, die Pocken, die Trommelſucht und andere oft ſehr verderblich werdende Krankheiten. Noch vor einigen Jahrzehnten war der Nutzen des Schafes ungleich größer als gegen⸗ wärtig. In einem vollſtändig angebauten Lande wird zur Zeit kein großer Gewinn mehr mit dem Halten der Schafe erzielt, zumal ſeitdem Auſtralien, Neuſeeland, das Kapland uſw. die Schafzucht im großen betreiben; man darf ſagen: das Schaf weicht der Kultur. In Preußen ging nach den amtlichen Viehzählungen die Zahl der Schafe von 14 Millionen im Jahre 1883 auf 4 Millionen im Jahre 1911 zurück. Trotzdem iſt das genügſame Tier auch bei uns immer noch geeignet, ärmeren Boden einigermaßen auszunutzen, ſo daß heute noch bei uns die Schafzucht keine unbedeutende Rolle ſpielt. Machen doch die Schafe mit 5803445 Stück nach der letzten amtlichen Tierzählung vom 2. Dezember 1912 etwa ein Achtel des geſamten deutſchen Haustierbeſtandes aus und ſtellen einen Verkaufswert von 189 160 000 Mark dar. g Nach Auſtralien kamen die erſten Schafe im Jahre 1788. Indem ſich hier die Herden allmählich nach dem Inneren zu ausbreiteten, wurden ſie die Urſache der Vernichtung der Eingeborenen durch die Weißen. Nach Amerika brachte ſchon Kolumbus Schafe mit. Eine befriedigende Syſtematik der Schafraſſen hat man bis heute noch nicht gefunden, da die Hausſchafe, wie alle Haustiere, durch die züchteriſche Hand des Menſchen oft ſehr durchgreifende Umgeſtaltungen erlitten haben. Auf das Vorhandenſein oder Fehlen von Hörnern kann keinerlei Wert gelegt werden. Wenn es auch hornloſe und gehörnte Raſſen gibt, ſo gibt es doch auch Zuchten, bei denen gehörnte und ungehörnte Stücke nebeneinander vorkommen, anderſeits kann eine Spaltung der Hornzapfen eintreten, ſo daß vier und mehr Hörner vorhanden ſind; umgekehrt können die Hörner zu einem einzigen verſchmelzen, was beim tibetaniſchen Einhornſchaf der Fall iſt. Immerhin iſt zu bemerken, daß es Schafraſſen gibt, bei denen die Hörner mehr als einen Spiralumgang bilden, und bei denen die Weibchen Hörner tragen. Das iſt für die Nb- leitung der Hausſchafe von wilden Schafen wichtig, da für die entſprechenden Hausſchafe als Quelle wohl nur ſolche Wildſchafe in Betracht kommen, die ſich ähnlich verhalten. Auch die Haardecke iſt zur Aufſtellung einer Syſtematik benutzt worden, indem man zu— nächſt die Schafe in Haarſchafe und Wollſchafe trennte und die letzteren nach der Beſchaffen— heit der Wolle einteilte. Da aber kein Wildſchaf Wolle beſitzt, ſo iſt dieſe ein Zuchtergebnis, das ſich wahrſcheinlich bei den Abkömmlingen der verſchiedenſten Wildſchafe erzielen läßt. Dieſe Einteilung mag den Wünſchen der Praktiker entſprechen, aber ein tieferes zoologiſches Bedürfnis befriedigt ſie nicht. Dasſelbe gilt in noch höherem Maße von der Einteilung in Woll⸗, Fleiih: und Milchſchafe. Hausſchafe: Syſtematik. 257 Auch die Einteilung nach der Schwanzlänge, in ſchwanzloſe Schafe mit 3—6 verküm— merten Schwanzwirbeln, kurzſchwänzige mit 12—16 Wirbeln und langſchwänzige mit 22 und mehr Wirbeln iſt vom zoologiſchen Standpunkt anfechtbar. Da kein einziges Wildſchaf wirklich langſchwänzig iſt, wenn die Länge des Schwanzes bei den einzelnen Arten auch etwas ſchwankt, ſo iſt ein langer Schwanz bei Hausſchafen immer ein Zuchtergebnis. Als weitere Zuchtprodukte find anzuſehen lange, hängende Schlappohren und ein konvexes Profil, ſo— genannte Rammsköpfigkeit. Überhaupt iſt das Schaf der züchteriſchen Einwirkung ſehr zu— gänglich und auch leicht geneigt, plötzlich, durch ſogenannte Mutationen, neue Raſſen zu bilden. Zwei ſolcher in der Neuzeit entſtandenen Fälle haben ja eine gewiſſe Berühmtheit erlangt. Der eine iſt das durch Darwin auch weiteren Kreiſen bekanntgewordene Ancon- oder Otterſchaf, das kurze, krumme Beine und eine Geſtalt wie ein Dachshund hatte. Die Raſſe entſtand durch einen 1791 in Maſſachuſetts geborenen Widder, der ſeine Eigenſchaften ſtreng auf ſeine Nach— kommen vererbte. Die zweite Raſſe war das ſogenannte Mauchampſchaf, das ſich durch lange, glatte, ſchlichte, ſeidenartige Wolle auszeichnete. Auch dieſe Raſſe wurde durch einen 1828 in einer ſüdfranzöſiſchen Merinoherde gehaltenen Widder mit den genannten Merk— malen begründet. Freilich trat dieſe eigenartige Wollbildung nicht jo vereinzelt auf, wie dies bei den abweichenden Körperformen des Anconſchafes der Fall war. Vielmehr gebührt Bohm das Verdienſt, nachgewieſen zu haben, daß damals unter den franzöſiſchen Merinos die Neigung beſtand, derartige ſchlichtwollige Lämmer hervorzubringen. Nur wurden die anderen bis auf jenen Bock nicht zur Zucht benutzt. Heute ſind allerdings beide Raſſen, nachdem ſie eine Zeit— lang rein weiter gezüchtet worden waren, wieder vollſtändig ausgeſtorben, da ihr wirtſchaft— licher Nutzwert den praktiſchen Anforderungen nicht entſprach. Sie zeigen aber auf jeden Fall, wie leicht neue, gänzlich abweichende Raſſen entſtehen können, und wie ſchwer es iſt, eine Syſtematik der Schafraſſen auf rein äußerliche Merkmale zu gründen. Wir werden deshalb, nachdem wir durch die vorhergehenden Zeilen einen kurzen Überblick über die Veränderungsbreite des Schafkörpers erhalten haben, im folgenden verſuchen, ähn— lich wie wir es bei den Hunden getan haben, die Schafe nach ihrem Verwandtſchaftsverhältnis zu ordnen, nur ſollen hier die Gruppen nach den Wildſchafen benannt werden, von denen man ſie herleitet. Zu einer ſolchen Ableitung müſſen wir die geſchichtliche Herausbildung der einzelnen Raſſen kurz betrachten. Es ſei aber nicht verhehlt, daß wir bei den Schafen viel— fach auf noch weit unſichererem Grunde ſtehen als bei den Hunden. Zunächſt fehlen bei ihnen überhaupt ausgedehnte Verſuche dieſer Art, dann mangelt aber auch vielfach noch das oſteologiſche Material namentlich aus älteren, beſonders kleinaſiatiſch-griechiſchen Niederlaſ— jungen. Daß Hausſchafe nur von den zur Gattung Opis gehörigen Wildſchafen abgeleitet werden können, dürfte heute als erwieſen gelten, obgleich es auch an anderen Ableitungs— verſuchen nicht gefehlt hat, wie wir gleich bei der erſten Gruppe ſehen werden. I. Gruppe der Vignei-Hausſchafe (ſämtlich langſchwänzig). 1. Untergruppe: Langbeinſchafe (ſämtlich ohne Wolle). Ahnlich wie in Europa findet ſich in Agypten in den allerälteſten Zeiten ein von den ſpäteren Hausſchafen vollſtändig abweichendes Schaf. Nach Abbildungen war es ſchon lange bekannt, wurde aber ſeines ſonderbaren Ausſehens halber verkannt, als Antilope, Mähnen— ſchaf, meiſt aber als Ziege gedeutet. Es war im Alten Reich ein dem Chnum oder Ammon heiliges Kulttier, an deſſen Stelle ſpäter nach ſeinem Verſchwinden ein Ziegenbock, der allen Brehm Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 17 958 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Agyptologen bekannte Bock von Mendes, trat. Aus der Übergangszeit ſtammen jene eigen— artigen vierhörnigen Schafbilder, wie fie unſere Abbildung zeigt, auf denen das typiſche alt— ögyptiſche Hausſchaf neben den wagerechten Hörnern die abwärts gekrümmten Ziegenhörner und den Ziegenbart zeigt. Auf den ägyptiſchen Bildern erſcheint das Schaf als ein hochbeiniges, kurzhaariges Tier mit langem, dürrem Schwanz, wagerecht abſtehenden, korkzieherartig ge— drehten Hörnern und, im männlichen Geſchlecht, mit einer Mähne an Bruſt und Bug, die auch den ganzen Hals bedecken kann und am Bug in einem langen Schopf endet. Wegen dieſer Merkmale haben Duerſt und Gaillard, die ſich eingehend mit dem Alt— ägyptiſchen Hausſchaf beſchäftigt haben, ihm als Ovis longipes palaeoaegyptius einen beſonderen wiſſenſchaftlichen Namen gegeben. Der ältejte bis jetzt bekannte Beleg ſeines Auftretens ſind Bruchſtücke eines einzigen bisher gefundenen Schädels, der in tiefſten Schich— ten jungſteinzeitlicher Ablagerungen bei Toukh, ſüdlich von Abydos, ausgegraben wurde, alſo wohl den früheſten Zeiten gleich nach Eroberung des Landes durch die Agypter angehört. Etwa gleichalterig iſt auch die älteſte bekannte Abbildung auf einer Steinplatte aus Negadah, wo noch andere Tiere, Eſel und ein langhorniges Rind, dargeſtellt ſind. Von da an läßt ſich das altägyptiſche Hausſchaf zufolge bildlicher Darſtellung bis zum Beginn des Neuen Reiches nachweiſen, wo es allmählich aus Agypten verſchwindet. Mit der 12. Dynaſtie erſcheinen Fett- Altägyptiſches Schaf (Darſtellung mit Ziegenhörnern neben den ſchwanzſchafe, und ſeit der 18. iſt keine e d eee, München l,, e e Abbildung des altägypiiſchen Surpes mehr bekannt. Im Laufe dieſer Zeit machen ſich zunehmende Domeſtikationsmerkmale geltend, indem außer ſtehohrigen auch hänge— ohrige und ſpäter ſogar hornloſe Formen dieſes Schafes auf den altägyptiſchen Darſtellungen erſcheinen (Hilzheimer, „Das Grabdenkmal des Königs Sahure“). Wegen einiger an das Mähnenſchaf erinnernder Merkmale des altägyptiſchen Schafes in der Schädelform, des Beſitzes einer Mähne und eines langen Schwanzes hatten C. Keller und Thilenius an dieſes als wilde Stammquelle gedacht, wie ſchon früher Cuvier einen ähn— lichen Gedanken geäußert hatte. C. Keller hatte dann durch Vermittelung des altägyptiſchen Schafes das Blut des Mähnenſchafes auch in europäiſche Schafraſſen gelangen laſſen wollen. Aber Duerſt und Gaillard haben den erwähnten Schädel von Toukh unterſucht und gezeigt, daß das altägyptiſche Schaf dem jo wichtigen Bau der Scheitelbeine nach ein richtiges Schaf iſt, das Mähnenſchaf ſich dagegen darin den Ziegen anſchließt. Hilzheimer hat dann darauf auf— merkſam gemacht, daß die Mähne, wie ſie das altägyptiſche Schaf (und ſeine heutigen Nach— kommen) trägt, ſich erheblich von der des Mähnenſchafes unterſcheidet, dagegen in Form und Ausdehnung der Mähne gleicht, wie ſie die Böcke mancher Wildſchafe, beſonders die der Steppenſchafe, beſitzen. Das Mähnenſchaf hat ferner eher einen Ziegenſchwanz; ihm fehlen auch die Voraugen- und Klauendrüſen der echten Schafe, und der Verlauf der Hornkrümmung der Böcke iſt ein ganz anderer. Aus dieſen Gründen muß das Mähnenſchaf ganz von der Stamm— vaterſchaft ausgeſchloſſen werden; weder iſt irgendeine Schafraſſe ein reiner Abkömmling vom Altägyptiſches Hausſchaf. Langbeinſchafe. Dinkaſchaf. Feſſanſchafe. 259 ihm, noch iſt ſein Blut durch Kreuzung in irgendwelche Hausſchafe gekommen. Gegen dieſe letztere Möglichkeit ſpricht vor allen Dingen, daß alle bisherigen neuzeitlichen Verſuche, Mähnen— ſchafe und Hausſchafe zu kreuzen, fehlgeſchlagen ſind. Zudem iſt kein Merkmal bei irgend— einer Schafraſſe bisher bekanntgeworden, das zur Annahme näherer Verwandtſchaft mit dem Mähnenſchaf zwänge. Da es in Afrika keine echten Wildſchaſe gibt, muß alſo das älteſte afrikaniſche Hausſchaf von auswärts gekommen ſein. Duerſt und Gaillard haben an aſiatiſche Arten, namentlich an das Kreishornſchaf gedacht, eine Annahme, die viel Wahrſcheinlichkeit für ſich hat, zurzeit aber noch nicht unanfechtbar bewieſen werden kann. Iſt auch das altägyptiſche Schaf in Agypten ſelbſt frühzeitig ausgeſtorben, ſo leben doch heute noch Nachkommen von ihm, und zwar in dem Gebiet, das auch ſonſt ein Rückzugsgebiet altägyptiſcher Haustierreſte iſt, nämlich in Afrika von Oberägypten bis zum Somaliland, vor allen Dingen aber in dem Gürtel zwiſchen der Sahara und dem afrikaniſchen Urwalde. Hier ſind ſie infolge der ſtarken Völkerverſchiebungen ſogar bis Weſtafrika vorgedrungen. Die Ver— wandtſchaft dieſer Raſſe mit dem altägyptiſchen Schafe hat auf oſteologiſchem Wege erſt Gaillard erwieſen, nachdem fie ſchon vorher Thilenius wahrſcheinlich gemacht hatte. Die reinraſſigen Nachkommen des altägyptiſchen Schafes, die wir mit Fitzinger als Lang— beinſchafe (Ovis longipes Fitz.) bezeichnen können, geben ſich ſchon äußerlich als Tiere der Steppen und Wüſten zu erkennen. Sie haben alle, nach Duerſt, gemeinſam: Rammskopf, lange, hängende Ohren, ſchlanken Leib, langen, zylindriſchen, mageren Schwanz und hohe Beine. Die hauptſächlichſten Abänderungen der einzelnen Raſſen liegen in der Länge der Hörner, die den weiblichen Tieren meiſt fehlen — bei einigen Raſſen ſind auch die Böcke hornlos — in der Größe und in der Behaarung. Dieſe beſteht entweder aus gleichartigen kurzen oder mehr oder weniger gleichartigen langen Haaren mit Bildung einer mehr oder weniger ſtarken Mähne, die meiſt im männlichen Geſchlecht allein oder mindeſtens bei ihm ſtärker entwickelt iſt, oder endlich aus einer Miſchung von ſchlichten, ſtraffen Haaren mit welliger Wolle. Am meiſten ſcheint dem altägyptiſchen Schaf das Dinkaſchaf zu gleichen. Es hat noch, wie ſein Vorfahr, horizontal abſtehende, ſchraubenartig gedrehte Hörner, Hängeohren, aber gerades Kopfprofil. Die vordere Körperhälfte iſt ſchwarz. Das Dinkaſchaf wohnt in ver— ſchiedenen Schlägen in der Nubiſchen Wüſte, am Weißen Nil, durch Weſt-Zentralafrika bis zu den Senegalländern und Guines einſchließlich. Unſere Abbildung (Taf. „Paarhufer XV“, 1, bei ©. 260) zeigt den Schlag der Hauſſaländer. Andere hierhergehörige Schläge, die man nach ihrem bekannteſten Vertreter als Feſſan— ſchafe bezeichnen könnte, unterſcheiden ſich von den vorigen durch ſtark gerammſtes Profil und kurze, ſchneckenartig gewundene, parallel zum Kopf verlaufende Hörner. Vielleicht deutet dieſer Hornverlauf auf Einkreuzung der in den gleichen Gebieten wohnenden Fettſchwanzſchafe. Die Weibchen der Feſſanſchafe ſind meiſt hornlos. Das Verbreitungsgebiet dieſer Schafſchläge erſtreckt ſich über das weſtliche Afrika von Feſſan durch Senegambien und Guinea bis zum Kongo und Portugieſiſch-Weſtafrika einer- und nach Marokko anderſeits. Ein dieſer Gruppe angehöriges Schaf aus Bornu, das im Berliner Zoologiſchen Garten lebte, war ganz weiß, abgeſehen von einem ſchwarzen Fleck unter jedem Auge. Die in Kamerun lebenden Vertreter der Feſſanſchafe ſind klein, ſchwarz oder geſcheckt und ſehr kurz gehörnt. Die Hörner der Ma— rokkaner Raſſe ſtehen mehr horizontal, nehmen alſo eine Zwiſchenſtellung zwiſchen denen der altägyptiſchen und der Bornuſchafe ein. Gewiſſe Abkömmlinge des altägyptiſchen Hausſchafes, die in Abeſſinien vorkommen, ſcheinen dorthin zu einer Zeit eingewandert zu ſein, als jenes Schaf noch kurzohrig war, da ſie als kurzohrig geſchildert werden. Überhaupt ſcheint die Verbreitung 17* 260 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. unſeres Schafes über Afrika ſehr frühzeitig erfolgt zu fein, weiſt doch Cl. Gaillard auf jung⸗ ſteinzeitliche Abbildungen aus Südoran hin, die deutlich das heutige Feſſanſchaf darſtellen. Möglicherweiſe gehören zur Gruppe der Langbeinſchafe auch die Haarſchafe mit dünnem, langem Schwanz, die, nach R. Müller, in Aſien von Nordarabien an über Afghaniſtan und die weſtlichen Teile Oſtindiens verbreitet ſind. Auch in Europa glauben Duerſt und Cl. Gaillard Verwandte des altägyptiſchen Schafes zu finden in den ſogenannten Zackelſchafen (Taf. „Paarhufer NV’, 2), die in Südojt- europa wohnen, von Kreta an durch die Balkanhalbinſel bis Ungarn, und in dem heute aus— geſtorbenen Zaupelſchaf Bayerns wohl die Nordgrenze ihrer Verbreitung erreichten. Die Zackelſchafe haben ſchraubenzieherartig gedrehte Hörner mit ganz gerader Achſe und kleine Stehohren; Geſicht und Beine ſind kurz behaart. Der übrige Körper einſchließlich des langen Schwanzes trägt Wolle. Außer dem nicht unbedeutenden Wollertrag liefern die Mutterſchafe eine fettreiche Milch, die zu Käſe verarbeitet wird. Die Wolle gilt als Zeichen für Einkreuzung von Schafen anderer Raſſen, wahrſcheinlich aus der jetzt folgenden Untergruppe. 2. Untergruppe: Langſchw änzige Wollſchafe. Wichtiger als die bisher behandelten Raſſen ſind für uns die wollhaarigen Schafe mit langem, bis zu den Sprunggelenken reichendem und mit Wolle bedecktem Schwanz. Zu ihnen gehören die beſten Wollſchafe. Die hier zu nennenden Raſſen können gehörnt oder ungehörnt ſein, gerammſtes oder gerades Profil haben. Die Hörner bilden bei den Böcken oft mehr als eine Spirale. Die langſchwänzigen Wollſchafe zerfallen in zwei Abteilungen: ſolche, deren Schwanz durch eingelagerte Fettmaſſen gewaltige Ausdehnung erlangen kann, die ſogenannten Breitſchwanz- oder Fettſchwanzſchafe, und ſolche, bei denen das nicht der Fall iſt, die ſchmal— ſchwänzigen Schafe. Die Geſchichte dieſer Untergruppe iſt zunächſt noch in Dunkel gehüllt, da oſteologiſches Material aus älteren Zeiten fehlt. Wir ſind daher bei der Erforſchung ganz auf kultur— geſchichtliche Beweiſe angewieſen. Zweifellos iſt die Untergruppe in Europa und Afrika jünger als die vorhergehende. Die Einführung nach Europa iſt wohl in der zweiten Hälfte des zweiten vorchriſtlichen Jahrtauſends erfolgt. Wenigſtens kann man die Sage vom goldenen Vlies in dieſem Sinne deuten. Tatſache iſt auf jeden Fall, daß uns frühzeitig auf klein⸗ aſiatiſchen Denkmälern und Münzen Wollſchaftypen begegnen, und daß die Phönizier ſchon früh eine hochentwickelte Wollinduſtrie hatten. a) Schmalſchwanzſchafe. Nach Europa iſt vorwiegend die Abteilung des ſchmalſchwänzigen Wollſchafes gedrungen. Sie hat hier ihre größte Verbreitung erreicht und die Vertreter der anderen Gruppen faft ganz aus Süd- und Mitteleuropa verdrängt, wo dieſe vor ihrer Einführung allein herrſchten, wie wir ſehen werden. Man kann dieſe Abteilung weiter einteilen in Schafe mit ſchlichter Wolle und Schafe mit gekräuſelter Wolle. Zu den ſchlichtwolligen gehören unſere deutſchen Land— ſchafe, die, allerdings nur noch in wenigen Raſſen, in Mitteldeutſchland, am Rhein, in Mecklenburg uſw., leben. Nach den „Arbeiten der Deutſchen Landwirtſchafts-Geſellſchaft“, Heft 235, unterſcheidet man heute drei deutſche Landſchafraſſen, von denen eine jedoch mit Merinos ſtark verkreuzt iſt und deshalb erſt hinter den reinblütigeren, ausländiſchen Landſchafen erwähnt werden ſoll. Wegen ſeiner ehemaligen Bedeutung mag das auch wohl noch heute am weiteſten verbreitete Paarhufer XV. * n 5 ee * . \ ER 8. 1. Dinkafchaf, Schlag der Hauſſaländer. 2. Zackelfchaf. 1/20 nat. Gr., s. S. 259. — W. S. Berridge, F. Z. S.-London phot. 20 nat. Gr., s. S. 250. — A. Karl Schuster- Wien phot. — € — ee - — — 3. Srankenichaf. Deutſche Candwirfichaftsausitellung 4. Oſtfrieſiſches Milchichaf. Stuttgart 1908, Nr. 234. 1/25 nat. Gr. s. S. 267. — Aus Klett u. Holthof, „Unsre Haustiere“, 1/20 nat. Gr., s. S. 261. — W. Greve-Berlin phot. Stuttgart, o. J. Lad. _ — 5. Heidſchnucke. Deutiche Candwirfichaftsausitellung 6. Karakulichaf. Deutſche Candwirtichaftsausitellung Hannover 1914, Nr. 607. Stuttgart 1908, Nr. 270. 1/20 nat. Gr., s. S. 266. — W. Greve-Berlin phot. - 1/20 nat. Gr., S. S. 263. — W. Greve-Berlin phot. — — x 2 — — in 2 — 7 u. 8. Merinoſchaf. Deutiche Candwirtſchaftsausſtellung Hannover 1914 (Schafe Nr. 79, Bock Nr. 105). 1/20 nat. Gr., S. S. 261. — W. Greve-Berlin phot. 9. Nahur, Pseudois nayaur Hdgs. 10. Mähnenſchaf, Ammotragus lervia Pall. 20 nat. Gr., s. S. 268. P. Kothe-Berlin phot. 25 nat. Gr., S. S.269. — W. P. Dando, F. Z. S.-London phot. 11. Weftkaukafifcher Steinbock, Capra severtzowi Menzb. 12. Sibirifcher Steinbock, Capra sibirica Meyer. 1/0 nat. Gr., s. S. 278. — L. Bab-Berlin phot. 25 nat. Gr., s. S. 278. — L. Bab-Berlin phot. Zackelſchafe. Frankenſchaf. Cheviotſchaf. Dorſetſhireſchaf uſw. 261 Rhönſchaf zuerſt genannt werden. Es iſt ein in beiden Geſchlechtern hornloſes, ſpätreifes Tier von mittlerer Größe, mit ſehr kleinem, ſchmalem, ſpitzem Kopf, der bis hinter die Ohren mit ſchwarzem Stichelhaar bekleidet iſt. Dasſelbe Haar, aber weiß, findet ſich noch hoch hinauf an den Beinen. Die lange, wenig ſchweißhaltige, dünn ſtehende Wolle des übrigen Körpers iſt weiß. Neben der Wolle liefert das Rhönſchaf einen beſcheidenen Fleiſchertrag. Es iſt ein anſpruchsloſes, zur Ausnutzung dürftiger Weiden geeignetes Tier. Die mittlere Wider— riſthöhe beträgt etwa 57 em, das Gewicht der Böcke 60 — 75, der Schafe 45—50 kg, der Verkaufswert der Jährlingsböcke 50— 70, der Jährlingsmütter 35—50 Mark. Das Schur— gewicht wird mit 1,5—2,25 kg angegeben. Gleichfalls ungehörnt iſt das Frankenſchaf (Taf. „Paarhufer XV“, 3), das im männ— lichen Geſchlecht etwa 65, im weiblichen 60 em hoch wird und ein Gewicht von 85—110 bzw. 50—56 kg erreicht. Der Wert beträgt 80 —100, bzw. 45—50 Mark bei Jährlings— tieren. Der mittelgroße Kopf iſt bis zum Scheitel, oft bis zum Nacken, ebenſo wie die Beine vom Ellbogen bzw. Sprunggelenk abwärts, mit weißem Stichelhaar beſetzt. Der Rumpf trägt eine kaum gekräuſelte Wolle, die einen Schurertrag von etwa 1,75—2 kg liefert. Die Frucht— barkeit iſt ſehr groß, da bei mehr als einem Viertel der Würfe Zwillinge fallen. Als bekannteſtes ausländiſches Landſchaf mag das engliſche Cheviotſchaf genannt wer— den, aus deſſen Wolle der bekannte gleichnamige Kleiderſtoff gewonnen wird. Es trägt feine, i kurze, dichtſtehende Wolle am Körper, während die Beine und der hornloſe, ſtark gerammſte Kopf mit feinen, kurzen, weißen Haaren bedeckt ſind. Als Vertreter der gehörnten ſchlicht— wolligen Schafe ſei das Dorſetſhireſchaf erwähnt. Die engliſchen Landſchafe haben neuer— dings auch für Deutſchland eine gewiſſe Bedeutung gewonnen. Merkwürdigerweiſe eignen ſich aber nicht die weißgeſichtigen, ſondern nur die ſchwarzgeſichtigen für unſere Verhältniſſe. Die wichtigſten dieſer Schwarzgeſichter oder Downs ſind für uns die Hampſhiredowns, Shrop— ſhiredowns und Oxfordſhiredowns. Es ſind beſonders geſchätzte Fleiſchſchafe. Von den franzöſiſchen Landſchafen ſei das Larzacſchaf, das in Aveyron heimiſch iſt, hier genannt, aus deſſen Milch der Roquefortkäſe gewonnen wird. Lang- und hängeohrig, ungehörnt, mit ſtark gerammſtem Profil find die Bergamas— ker oder Paduaner Schafe der Lombardei. In manchen Gegenden, beſonders Süddeutſchland, genügte der Wollertrag der einhei— miſchen Landſchafe den geſteigerten Anſprüchen nicht mehr, anderſeits erlaubten die äußeren Verhältniſſe nicht, das koſtſpielige Merinoſchaf zu halten. Deshalb begann man in Württem— berg ſchon im 18. Jahrhundert, die Landſchafe mit Merinos zu durchkreuzen und erhielt ſo im Württembergiſchen Baſtardſchaf ein hartes, anſpruchsloſes, widerſtandsfähiges Schaf, das durch verbeſſerte Wolle einen erheblich höheren Ertrag lieferte. Je nach dem Grade der Verede— lung unterſcheidet man „Rauhbaſtarde“, die in Körperform und Behaarung, abgeſehen davon, daß die Wolle gekräuſelt iſt, noch ſehr dem Frankenſchaf ähneln, während der „Feinbaſtard“, bei dem das Stichelhaar am Kopf nur bis zur Stirn, an den Beinen bis zur Fußwurzel reicht und der übrige Körper ſehr feine Wolle, allerdings meiſt noch nicht ganz von der Feinheit der Merinowolle, trägt. Dieſer auch ſonſt den Merinos ähnliche „Feinbaſtard“ iſt auch ganz wie dieſe gehörnt, während es beim Rauhbaſtard neben gehörnten auch ungehörnte Böcke gibt. Gewicht, Größe und Wert entſprechen ungefähr denen des Frankenſchafes. Das Schur— gewicht ſteigt aber bis auf 2—3 kg. Die württembergiſchen Baſtardſchafe mögen uns zu dem berühmteſten und auch in Laienkreiſen bekannteſten Schaf, dem Merinoſchaf (Taf. „Paarhufer XV“, 7 u. 8, bei 962 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. S. 261), überführen, dem einzigen heute lebenden Vertreter der langſchwänzigen Schafe mit gekräuſelter Wolle. Bei der Bedeutung und dem Rufe dieſer Raſſe muß auf ſie näher eingegangen werden. Der Typus des feinen Wollſchafes ſcheint ſich im 8. und 7. Jahrhundert v. Chr. in Karien und Phrygien entwickelt zu haben. Hier war Milet der durch ſeine Wollinduſtrie bekannte Haupthandelsplatz für feine Wolle. Durch die Griechen gelangte das dortige Schaf wohl zuerſt nach Europa, wurde dann durch die Römer weiter verbreitet und durch ſie auch nach Spanien gebracht, wo es zur Grundlage der ſpaniſchen Merinozucht wurde. Dieſes urſprüng— lich kleine, magere ſpaniſche Merinoſchaf mit kurzer und ſehr feiner Wolle trat nun mit der ſpaniſchen Weltherrſchaft ſeinen Siegeszug durch die Welt an. Nach Deutſchland wurden die erſten Merinos 1765 unter Kurfürſt Friedrich Auguſt von Sachſen eingeführt. Die aus ihnen gezüchteten feinwolligen, dem Kurfürſten (eleetor) zu Ehren „Elektoralſchafe“ genannten Meri— nos erfreuten ſich eine Zeitlang großen Anſehens. Nach Preußen kamen die erſten ſpaniſchen Merinos 1785 durch Friedrich den Großen und nach Ofterreich 1775 durch Maria Thereſia. Wich— tiger wurde die 1802 unter Kaiſer Franz II. gemachte Einführung von Merinos, die aus den ſpaniſchen Herden von Infantado, Guadeloupe und Negretti angekauft waren. Die letztere gaben dem neu entſtehenden Schlag den Namen Negrettis, unter dem ſie bekannt und weiter verbreitet worden ſind. Sie hatten eine längere, aber minder feine Wolle als die Elektoralſchafe. Noch vor wenigen Jahrzehnten unterſchied man nach der Wolle in Deutſchland Elekto— ral- und Negretti-Merinos. Schon die urſprünglichen Negrettis ſollen eine ſehr faltige Haut gehabt haben. Auf dieſer vergrößerten Hautoberfläche hatte natürlich mehr Wolle Platz als auf einer glatten Haut. Dieſe Anlage wurde dann weiter durch einſeitige Züchtung auf Wolle ſtark übertrieben. Man züchtete den Tieren eine übergroße Hautfülle an, die ſich zum Teil am ganzen Körper, beſonders am Vorderteil und Schwanz, in dichte Falten legte. Man be— mühte ſich weiter, die Wolle ſo dicht und in ſo weiter Ausdehnung auf dem Körper wie irgend möglich zu erhalten. „Am Kopf ſehen nur die hellgefärbte Schnauze und die Ohrenſpitzen, unten nur die Beine vom Feſſelgelenk an aus dem dichten, dunklen Wollpelz hervor“, ſchildert S. v. Nathuſius die ſo entſtandenen Tiere. Der kleine, unter dem mächtigen Wollpelz ſteckende ſchwerfutterige Körper war dieſer Überentwickelung an Wolle nicht mehr gewachſen. Die Haltung der hinfälligen Tiere wurde äußerſt ſchwierig und koſtſpielig, und mit dem Zeitpunkt, wo die außergewöhnlich hohen Wollpreiſe ſanken, warf eine ſo koſtſpielige Zucht wie die der Negrettis nicht genügend Gewinn mehr ab und ging zurück. Ein neuer Aufſchwung der Merinozucht ging von Frankreich aus. Hier wurde 1777 die Stammſchäferei von Rambouillet mit ſpaniſchen Merinos gegründet. Aber in geänderter Zuchtrichtung wurde hier das kleine, hagere ſpaniſche Merinoſchaf zu jenem großen, langen, wohlbeleibten Tier umgeſchaffen mit minder feiner, nur mäßig dichter, leichtſchweißiger, aber ſehr kräftiger, langer Wolle, das unter dem Namen Rambouillet eine bedeutende Rolle ſpielte. In der Mitte des vorigen Jahrhunderts kamen dieſe Rambouillets nach Deutſchland und lieferten die Grundlage zu den neuzeitlichen Merinoſchafen Deutſchlands, die, je nachdem ob mehr Wert auf Fleiſch- oder auf Wollgewinnung gelegt wird, als Merinofleiſchſchafe oder Merinokammwollſchafe unterſchieden werden. Gewicht und Schurertrag ſind bei den Merinos je nach der Zuchtrichtung großen Schwan— kungen unterworfen. Nach Heft 235 der „Arbeiten der Deutſchen Landwirtſchafts-Geſellſchaft“ beträgt bei Kammwollſchafen das Gewicht alter Schafe 50—65, alter Böcke 65—80 kg, der durchſchnittliche Schurertrag 5— 7,5 bzw. 6,5—8,5 kg Wolle, der Durchſchnittswert 60—80 Merinos. Fettſchwanzſchafe. 263 bzw. 150—300 Mark, bei Merinofleiſchſchafen das Gewicht der Schafe 55—68, der Böcke 70—85 kg, der durchſchnittliche Schurertrag 3,5 — 6,0 bzw. 5,0—7,0 kg. Der Wert iſt dem der anderen Zuchtrichtung etwa gleich. b) Breit- oder Fettſchwanzſchafe. Zwar iſt die Bedeutung der Fettſchwanzſchafe für Europa nicht groß, aber in Aſien und Afrika ſpielen dieſe eine ſo wichtige Rolle, daß ſie hier nicht übergangen werden dürfen; namentlich haben ſich einzelne ihrer Raſſen als Lieferanten wertvoller Pelze einen Ruf er— worben. Das Verbreitungsgebiet der Fettſchwanzſchafe umfaßt, nach Robert Müller, ganz Afrika, ſoweit überhaupt Schafe gehalten werden (ſchon vor Ankunft der Europäer waren die Hottentotten im Beſitz von Fettſchwanzſchafen), das weſtliche Aſien bis nach Buchara, Chiwa und Turkeſtan. Von hier gehen ſie über die kaſpiſchen Steppen in das Europäiſche Rußland, wo ſie beſonders im Gebiet der Donſchen Koſaken und in Taurien gezüchtet werden. Sonſt kommen Fettſchwanzſchafe in Europa in ſpärlicher Anzahl auf dem Balkan, dem Süden der Apenninhalbinſel und neuerdings auch in Südfrankreich vor. Gerade die Lämmer der Breitſchwanzſchafe aus dem Norden des Verbreitungsgebietes ſind es, die ein begehrtes Pelz— werk liefern. Zu ſeiner Gewinnung werden aber nicht etwa die ungeborenen Lämmer be— nutzt und deren Mütter getötet, ſondern die Lämmer werden kurz nach der Geburt am 3. bis 8. Tage ihres Lebens geſchlachtet. Sind fie erſt wenige Wochen alt, jo verlieren die Lammfelle die eigentümlich krauſe Behaarung, die gerade ihren Wert ausmacht. Die Lockung des Lamm— vlieſes kommt übrigens auch bei anderen Schafraſſen vor, z. B. bei unſeren Heidſchnucken. Aber bei ihnen iſt die Lockung nie ſo vollkommen entwickelt und verſchwindet auch ſchneller. Sie wird ja allein vom Grannenhaar gebildet und iſt um ſo ſchwächer entwickelt, je mehr Wollhaar bei der betreffenden Schafraſſe vorhanden iſt. Nach Braß („Aus dem Reiche der Pelze“) iſt von den verſchiedenen Breitſchwanzraſſen am wertvollſten die Karakul- oder Perſianerraſſe, die jedoch nicht in Perſien, ſondern vor— wiegend in der Bucharei gezüchtet wird. Das Karakulſchaf (Taf. „Paarhufer XV“ 6, bei S. 260) iſt ein kleines, etwa 60—80 kg ſchweres Tier von dunkelgrauer Farbe. Die Böcke ſind meiſt gehörnt, das Geſichtsprofil iſt gerammſt, die Ohren ſind groß und hängen. Die Wolle der Erwachſenen iſt lang, grob und mit ſtraffen Haaren untermiſcht. Sie wird zur Teppichweberei verwendet. An Kopf, Beinen und unterem Teil des Schwanzes ſteht Stichel— haar. Die „geſchloſſene“ Locke der Lämmer öffnet ſich mit dem 10. Tage nach der Geburt, erreicht nach 3 Monaten die Form der Erwachſenen, iſt aber noch vollkommen ſchwarz. Erſt mit 6 Monaten iſt die Umfärbung in grau vollendet. Der Hauptzüchter iſt der Emir von Buchara. Die Lammfelle kommen teils direkt, teils über Niſhnij Nowgorod nach Leipzig. Nur dort verſteht man es, ihnen den prachtvollen Glanz zu geben, die ſie zu dem allſeits beliebten Pelzwerk gemacht hat. Die etwa 50 —60 em langen rohen Felle haben einen Wert von 20—30 Mark, fertig bearbeitet einen ſolchen bis 50 Mark. Es kommen jährlich etwa 1% Million Felle in den Handel. Bei den ungeborenen oder totgeborenen Lämmern derſelben Schafraſſe iſt das Haar nicht gelockt, ſondern kurz und glatt, hat aber eine ſchöne moiréartige Zeichnung. Ihre Felle, jährlich etwa 100 000 Stück, kommen als „Breitſchwanz“ in den Handel. Sie haben einen Wert von 30-60 Mark das Stück. Eine beſondere Raſſe, „die grauen kleinlockigen Perſianer“, deren Fell die Verbrämung der Huſarendolmans lieferte, ſcheint heute ausgeſtorben zu ſein. 964 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Das weſtlich der Bucharei bis nach Südrußland lebende kleine Aſtrachaner Schaf liefert weniger gute, nicht gelockte, ſondern mehr gewäſſerte und geflammte Felle von weißer, ſchwar⸗ zer, gefleckter, vorwiegend aber brauner Farbe. Auch ſie werden in Leipzig zubereitet und kommen dann als „Aſtrachan“ in den Handel, haben jedoch nur einen Wert von 110 Mark. Einbürgerungsverſuche des Karakulſchafes in Deutſchland haben bis jetzt noch keine nennenswerten Erfolge gehabt. Beſſer ſcheinen ſich hier ſeine Kreuzungen mit einheimiſchen Schafen zu bewähren. Doch iſt aus den bisherigen Verſuchen noch kein abſchließendes Urteil zu gewinnen. Außer der Wolle wird in der Heimat der Tiere auch das Fleiſch verwendet und die Milch zur Käſebereitung benutzt. Beſonders wichtig iſt aber das Fett des Schwanzes. Dieſer Fettſchwanz kann nämlich bei manchen Raſſen der Fettſchwanzſchafe ganz bedeutende Stärke erreichen, nach Pohlig bis zu ein Viertel des Geſamtgewichts des ganzen Tieres, bei einem Umfange von 90 em. Dies iſt beſonders bei gewiſſen anatoliſch-ſyriſchen Raſſen der Fall, wo er eine verlängerte, Sförmige Geſtalt annimmt, indem er fi) mit der Spitze wieder aufwärts wendet (Taf. „Paarhufer XIV“, 10, bei S. 227). Er mag dann ein Gewicht bis zu 10 kg erreichen und die Tiere nicht unerheblich beläſtigen. Die Fettmaſſe wird außer als Nahrungsmittel auch zur Anfertigung von Lichten benutzt. Dieſe gewaltige Fettablagerung im Schwanz, deren Urſache wir nicht kennen und in der wir höchſtens eine Nahrungsniederlage bei Steppentieren für Zeiten der Dürre vermuten dürfen, hat ſich wohl erſt allmählich entwickelt, wie ja noch heute die Länge und der Umfang des Schwanzes bei den einzelnen Raſſen erheblichen Unterſchieden unterliegen. Auf aſſyriſchen Bildern ſehen wir ſtets Fettſchwanzſchafe dargeſtellt mit verhältnismäßig kurzem Schwanz, der höchſtens bis zu den Hacken reicht. Bedenken wir nun, daß bei den Semiten, die ja ſtets die Schweine verabſcheuten, das Schaf der einzige Fettlieferant war, ſo werden wir annehmen können, daß dieſe Völker gerade dem Fettſchwanz ihrer Schafe beſondere Aufmerkſamkeit ſchenkten und immer die Schafe mit dem am ſtärkſten entwickelten Fettſchwanz bevorzugten. So iſt es wahrſcheinlich, daß die Schafe mit langem Fettſchwanz im zweiten vorchriſtlichen Jahrtauſend in Syrien und Paläſtina entwickelt wurden. Von hier kamen ſie jedenfalls ſchon voll ausgebildet in den dunklen Zeiten des Mittleren Reiches nach Agypten wohl über Arabien, von wo ſie ſchon Herodot und Diodor erwähnen. An ſie knüpfte ſich bereits im Altertum die Sage von den Schafen, die ſo ſchwere Schwänze hätten, daß ſie ſie in einem Wägelchen nachziehen mußten. Auch das von Leo Africanus erwähnte Schaf, deſſen Schwanz 40 kg wog, und das der genannte Gewährsmann zu Aſkot in Agypten geſehen haben will, ſei hier erwähnt. Fragen wir nun nach der Herkunft der langſchwänzigen Wollſchafe, ſo tappen wir man— gels oſteologiſchen Materials ziemlich im Dunkeln. Schon Nehring hat darauf hingewieſen, daß Aſien im Steppenſchaf oder Arkal ein Schaf beſitzt, das, eben weil es kein Hochgebirgs— ſchaf iſt, der Domeſtikation leichter als andere Schafe zugänglich war. Auch iſt es lang— ſchwänziger als andere Wildſchafe. Schließlich brachte es ja ſchon von Natur die Eigenſchaft, in großen Herden zu leben, mit und kam ſo dem Wunſche der Nomaden nach dem Beſitz großer Herden entgegen. Das aſſyriſche Schaf glich, nach den Bildern zu urteilen, abgeſehen von der Wolle und dem Fettſchwanz, ganz den Steppenſchafen. Es hatte ſpitze, ſtehende Ohren, eine etwas gewölbte Stirn, von der der lange Naſenrücken durch eine Einſattelung abgeſetzt war, und ſchön gewundene Hörner, die, wie beim Steppenſchaf, keine volle Spirale bildeten. Leider fehlt noch oſteologiſches Material, wodurch die Vermutung der Ableitung der Fettſchwanzſchafe von den Wildſchafen der Vigneigruppe zur Gewißheit erhoben würde. Fettſchwanzſchafe. Torfſchaf. Nalpſer Schaf. 265 Immerhin hat Duerſt (in Pumpelly, „Exploration in Turkestan“) für Anau nachgewieſen, daß dort der Arkal zum Hausſchaf gemacht wurde. Für die Schafe mit langem, dünnem Schwanz werden wir der Hauptſache nach auf dieſelbe Wildſchafgruppe zurückgreifen, jedoch Einkreuzung eines anderen Schafes, wohl der Argaligruppe, annehmen dürfen, da bei ihnen die Hörner mehr als eine Spirale bilden. II. Gruppe der Orientalis-Hausſchafe. Auch in Europa finden ſich Schafe unter den älteſten Reſten. In den tiefſten Lagen der däniſchen „Affaldsdynger“, den mächtigen Abfallhaufen der älteſten Bewohner Däne— marks, die etwa vom Ausgang der älteren Steinzeit bis weit in die jüngere Steinzeit hinein— reichen, fand Winge die Reſte eines Schafes neben ſolchen des Langſtirnrindes, des Torf— ſchweines und des Haushundes. Die Ziege fehlt dabei zunächſt noch. Nach Winge haben wir es hier mit den Reſten des Torfſchafes zu tun. Dieſes wurde zuerſt und am beſten aus den weit ſpäteren Pfahlbauten der Schweiz bekannt. Von hier beſchrieb es Rütimeyer eingehend unter dem Namen Ovis aries palustris. Zwiſchen Ziege und Schaf herrſcht hier in den Pfahlbauten inſofern ein umgekehrtes Verhältnis, als im Vergleich zu den Affalds— dyngern in den älteren Pfahlbauten die Ziege zahlreicher gehalten wurde als das Schaf. Später ändert ſich das Verhältnis allerdings zugunſten des letzteren. Rütimeyer ſchildert uns das Torfſchaf nach ſeinen Unterſuchungen als ein Tier von geringer Größe mit dünnen, ſchlan— ken, hohen Gliedmaßen, das ſehr merkwürdig geſtaltete, kurze, aufrechtſtehende, ſeitlich zu— ſammengedrückte, ziegenähnliche Hörner beſaß. Nach dieſer letzten Eigenſchaft wird das Torf— ſchaf auch als „ziegenhörniges“ Schaf bezeichnet. Als hirſchähnlich bezeichnet Glur („Beitr. z. Fauna d. Pfahlbauten“, 1894), dem wir weitere Kenntnis des Torfſchafes verdanken, den im Verhältnis zum Hirnteil langen Geſichtsteil des Schädels. Die Stirn iſt vollſtändig flach, die Knickung des Stirnbeines hinter den Hörnern ſehr ſtark, einen Winkel von etwa 98° bil— dend. Nach C. Keller iſt das Torfſchaf langſchwänzig geweſen. Die Herkunft dieſes Schafes iſt ebenſo wie die der meiſten Schafe in Dunkel gehüllt. C. Kellers Ableitung vom Mähnenſchaf kann aus den ſchon S. 258 erörterten Gründen als unannehmbar übergangen werden. Duerſt will es vom Arkal ableiten und glaubt in Anau die allmähliche Herausbildung verfolgen zu können. Rütimeyer denkt einmal an foſſile Wild— ſchafe Südeuropas, ein anderes Mal an den zypriſchen Mufflon. Die letztere Anſicht iſt Hilz— heimer die wahrſcheinlichſte, nur möchte dieſer den aſiatiſchen Mufflon, von dem der zypriſche nur eine Unterart iſt, an deſſen Stelle ſetzen. Dies iſt ja das Wildſchaf, deſſen vordere Horn— kante ſo ſchwach entwickelt iſt, daß das Horn bisweilen geradezu zweikantig erſcheint. Hier in der Oſtecke des Mittelmeeres haben wir uns wohl das Ausgangsgebiet des Torfſchafes zu denken. Es iſt ein Verdienſt C. Kellers, auf eine Elfenbeinſchnitzerei aus Menidi in Attika hingewieſen zu haben, die aus mykeniſcher Zeit ſtammt und langſchwänzige Schafe darſtellt mit langen, anſcheinend zweiſchneidigen Hörnern, die im Bogen hinter dem Genick verlaufen und ihre Spitzen gegeneinander zu kehren ſcheinen. Das iſt aber die Hornform des aſiati— ſchen Mufflons. Die langen Schwänze ſprechen dafür, daß wir ein Hausſchaf vor uns haben. Die gewölbte Stirn und das zwiſchen Auge und Naſe eingeſattelte Profil unterſcheiden es vom Torfſchaf. Darin gleicht das Schaf von Menidi aber vollſtändig dem Nalpſer Schaf, einer heute noch in Graubünden, beſonders im Nalpſer Tal, lebenden Schafraſſe. Schon Rütimeyer hatte auf deren Verwandtſchaft mit dem Torfſchaf hingewieſen. Glur hat ſie dann auf oſteolo— giſchem Wege beſtätigt; er hält ſogar das Nalpſer Schaf für einen wenn auch nicht ganz reinen “ emen 266 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere— Nachkommen des Torfſchafes, von dem es ſich allerdings durch gewölbte Stirnbeine und etwas eingebogenes Profil ſowie noch einige andere Eigentümlichkeiten unterſcheidet. Da es auf jeden Fall der nächſte noch lebende Verwandte des Torfſchafes iſt, alſo einen Rückſchluß auf das Ausſehen jenes erlaubt, ſei es hier kurz, vorwiegend nach Anderegg, beſchrieben. Das Nalpſer Schaf it ein kleines Tier, das 28 kg Lebendgewicht erreicht. Es iſt ſilber— weiß, eiſengrau bis ganz ſchwarz. Viele dunkle Stücke haben weiße, viele helle dunkle Ab— zeichen an Kopf, Beinen und Schwanz. Die im Querſchnitt linſenförmigen Hörner wenden ſich nach hinten, abwärts und außen. Auch die Weibchen ſind gehörnt (wohl Zeichen der Kreuzung!). Die Ohren ſind ſpitz, klein, ſtehend. Der Schwanz reicht bis zu den Hacken. Die Wolle iſt wenig dicht, daher der Wollertrag gering. Deshalb iſt auch die Zucht des Nalpſer Schafes zurückgegangen, um anderen, ertragreicheren Raſſen Platz zu machen. Auch ſonſt noch ſcheinen ſich an einigen abgelegenen Orten Nachkommen des Torfſchafes bis auf unſere Tage erhalten zu haben. Duerſt nennt beſonders die Schafe der Schottland nördlich vorgelagerten Inſeln, der Hebriden, Färöer-, Shetland» und Orkney-Inſeln. Dieſe kleinen, ſehr dunkel rötlich oder ſchwarz gefärbten Tiere ſeien noch ganz torfſchafähnlich. Die Hörner ſind oft geteilt, ſo daß vier und mehr Hörner entſtehen; wenn ſie dies nicht ſind, ſind ſie ziegenartig hoch über der Stirn nach hinten und ſeitwärts gebogen. III. Gruppe der Muſimon-Hausſchafe. Wie auch bei anderen Haustieren gegen Ende der jüngeren Steinzeit, wohl im Zu— ſammenhang mit dem durch Einführung zunächſt von Kupfer gekennzeichneten Vordringen einer neuen Kultur, auch neue Raſſen erſcheinen, ſo tritt auch in Europa zu dieſer Zeit ein neues Schaf auf. Es iſt größer als das kleine Torfſchaf, hat weit ſtärkere, große, nach aus— wärts und hinten, mit der Spitze nach unten und etwas auswärts gekrümmte Hornzapfen. Der Querſchnitt des Zapfens läßt auf ein dreikantiges Horn mit breiter Vorderfläche ſchließen. Studer, der zuerſt dieſe neue Raſſe entdeckte, wies auf deren Verwandtſchaft mit dem europäiſchen Mufflon hin. Glur, Schoetenſack und Duerſt, die vieles Material zur Kenntnis der Raſſe beibrachten, ſchließen ſich ihm an. Duerſt, der die Raſſe ihrem Entdecker zu Ehren Opis aries studeri benannte, denkt beſonders an eine Kreuzung des Mufflons mit dem Torfſchaf, woraus das „Kupferſchaf“ entſtanden ſei. Die Nachkommen des Kupferſchafes leben heute noch fort in den kurzſchwänzigen Schafen Nordeuropas. Das wichtigſte Merkmal dieſer Gruppe beſteht, nach Bohm, darin, daß der kurze Schwanz nicht mit Wolle, ſondern mit ſtraffem Haar bekleidet iſt, was bei keinem lang— ſchwänzigen Schaf vorkommt. Die Angehörigen dieſer Gruppe ſind meiſt kleine Tiere mit kurzem, ſpitzem Kopf, geradem Naſenrücken, der in leichter Ausbuchtung in die ſchwach ge— wölbte Stirn übergeht. Die Hörner ſtehen ziemlich weit auseinander und verlaufen, wie beim europäiſchen Mufflon näher beſchrieben. Kopf, Schwanz und Beine tragen kurzes Stichelhaar, der übrige Körper bis 20 em langes, ſchlichtes, markhaltiges Grannenhaar, das mit kurzem, markfreiem Flaumhaar untermiſcht iſt. Die Haarfarbe iſt braun, ſchwarz, blaugrau, ſelten weiß. Meiſt ſind beide Geſchlechter gehörnt. Kurzſchwanzſchafe leben in Nordrußland, Finnland, Skandinavien, Schottland und den nordweſtdeutſchen Heiden. Dieſe letzteren, die Heidſchnucken (Taf. „Paarhufer XV“ 5, bei S. 260), haben für uns als deutſche Schafraſſe ein beſonderes Intereſſe. Es ſind kleine, meiſt blaugraue Schafe mit ſchwarzem Geſicht, doch kommen andere, ähnlich düſtere Farben vor, nur find die Tiere nie ganz weiß. Die Heidſchnucke wird etwa 55—60 em hoch und hat ein Heidſchnucken. Marſchſchafe. Fettſteißſchafe. 267 Durchſchnittsgewicht von 10 —15 kg, das im gemäſteten Zuſtande ausnahmsweiſe bis auf 30 kg ſteigen kann. Ihr wirtſchaftlicher Wert liegt darin, daß fie unter ärmlichen Verhältniſſen, auf Weiden, die unſere Kulturraſſen überhaupt nicht zu nutzen imſtande ſein würden, einen wenn auch ſpärlichen Ertrag liefert. „Man muß“, ſchreibt S. v. Nathuſius, „die armſeligen Zuſtände der Lüneburger Heide kennengelernt haben, um den Wert richtig zu ſchätzen, den die Heidſchnucken dort beſitzen.“ Gerade wegen dieſer guten Eigenſchaften ſind ſie ſeit alters her weit bekannt. Ein franzöſiſcher Reiſebeſchreiber um die Wende des 18. Jahrhunderts tut ihnen ſogar die Ehre an, fie zu einem wilden Volke zu erheben (nation feroce nommée les Heidschnuckes), das die Ziviliſierung der Lüneburger Heide verhindere. Als fernere Nachkommen des Kupferſchafes wird eine Gruppe kurzſchwänziger, hornloſer, langwolliger Schafe angeſehen, die die fruchtbaren Niederungen (Marſchen) an der See, etwa von Schleswig-Holſtein bis zur Vendée, bewohnen und daher gewöhnlich als Marſchſchafe bezeichnet werden. Auf ſeinen üppigen Weiden iſt das Marſchſchaf ein großes, kräftiges Tier geworden, das zudem ſehr fruchtbar iſt. Es iſt eins der wenigen Schafe, die ohne Schaden auf feuchten Niederungsweiden leben können, ja es hat ſich an die dort herrſchenden, ſonſt den Schafen nicht zuſagenden Verhältniſſe derart gewöhnt, daß es unter anderen Bedingungen nicht gedeiht. Als bekannteſte deutſche Raſſe ſei das Oſtfrieſiſche Milchſchaf (Taf. „Paarhufer XV“, 4, bei S. 260) erwähnt, ein großes, 78—90 em hohes Tier, das ein Gewicht von 60—80 Kg im weiblichen und 80 —100 kg im männlichen Geſchlecht erreicht. Als Schurgewicht rechnet man einen jährlichen Wollertrag von 3— 5, bei alten Böcken bis 6¼ kg. Wie der Name jagt, wird es auch zur Milchgewinnung benutzt. Es liefert durchſchnittlich 500 kg Milch jähr— lich, die 5— 6 Prozent Fett enthält, alſo vorzüglich iſt. Hornloſe Schafe, die wohl als Vor— fahren der Marſchſchafe angeſehen werden können, finden ſich in Europa zuerſt zur Bronzezeit. IV. Gruppe der Argali-Hausſchafe. Die Vermutung, daß auch Wildſchafe der Argaligruppe gezähmt worden find, hat zuerſt Pallas ausgeſprochen, der die Fettſteißſchafe von ihnen ableitete. Keller hat dieſe An— nahme zwar ohne Angabe von Gründen zurückgewieſen, aber Hilzheimer fand ſo viel Über— einſtimmendes im Schädelbau, daß er ſie aufrechterhalten zu müſſen glaubt. Namentlich die bezeichnende Form des Hornes, das bei den Fettſteißſchafen ſtets mehr als eine Spirale bildet, muß wohl auf Wildſchafe zurückgeführt werden, die ähnlich geformte Hörner mit ebenfalls mehr als einem Spiralumgang beſitzen. Im Gegenſatz zum Fettſchwanzſchaf hat ſich beim Fettſteißſchaf das Fett zu beiden Seiten des kurzen Schwanzes in den Hinterkeulen abgelagert, wo es jederſeits ein oft ſehr umfangreiches Polſter bildet (Taf. „Paarhufer XIV“ II, bei S. 227). Die Fettſteißſchafe beginnen an der Südoſtgrenze Europas und gehen von hier durch das mittlere Aſien bis China. Auf dieſem Gebiet finden wir ein Zentrum der Schaf— zucht bei den Kirgiſen, die oft Herden von 15— 20000 Stück beſitzen. Heute noch bildet das einjährige Lamm die Tauſcheinheit in den Steppen Mittelaſiens. Von dort dehnt ſich das Gebiet der Fettſteißſchafe auch nach Weſten, bis nach Afrika aus, wo ſie C. Keller noch bei den Somalis fand. Hat ſich beim Fettſteißſchaf der Umfang der Hörner verringert, ſo iſt umgekehrt bei dem ſogenannten Barwalſchaf des nepaleſiſchen Himalaja die Länge verkürzt, dagegen der Um— fang derſelbe geblieben wie bei dem wilden Stammvater. Hörner von einem derartigen Umfang, die an der Wurzel faſt zuſammenſtoßen, können auch nur von wilden Vorfahren ererbt ſein, bei denen dasſelbe der Fall iſt, das ſind eben gewiſſe Argaliformen. 268 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Wegen ihrer eigenartigen Verwendung ſeien die Huniaſchafe Tibets erwähnt, die als Laſttiere gebraucht werden; ein Hammel trägt 15 — 20 kg. Der Vollſtändigkeit halber mag zum Schluß noch der Stummelſchwanzſchafe gedacht werden, kurzhaariger Schafe, deren Schwanz am Anſatzteil durch ein Fettpolſter verbreitert iſt, aus dem das kurze, dünne Schwanzende hervorragt. Sie bewohnen Perſien, Arabien, Ober: ägypten. Über ihre Herkunft und Geſchichte iſt es zurzeit unmöglich, eine Meinung zu äußern. Die den Schafen ſehr naheſtehende Gattung der Halbſchafe (Pseudois Hugs.) zeigt doch auch in vieler Hinſicht Beziehungen zu den Ziegen. Das Ausſehen iſt ganz ſchafartig. Es fehlt auch den Böcken der Bart und der ſcharfe Geruch. An die Ziegen dagegen erinnert das Fehlen von Voraugendrüſen, deren ehemaliges Vorhandenſein aber noch durch einen nackten Fleck angedeutet iſt, und die Rückbildung der Zwiſchenklauendrüſen. Die homonymen pervertierten Hörner ähneln ſehr denen des noch zu beſprechenden Turs. Von rundem und rundlich dreieckigem Querſchnitt, biegen ſie ſich rückwärts über den Nacken und zeigen mit den Spitzen einwärts und ein wenig aufwärts. Sie ſind, abgeſehen von feinen Streifen und den Wachstumslinien, glatt. Beim Weibchen ſind ſie klein. Der Schwanz iſt kurz, aber länger als bei den echten Schafen. Das Weibchen hat zwei Zitzen. Die einzige Art der Gattung, der Nahur oder Bharal, Pseudois nayaur Hdgs. nahoor, burrhel; Taf. „Paarhufer XV“ 9, bei S. 261), lebt in Tibet und den angrenzen— den Hochländern Zentralaſiens, von der Hauptkette des Himalajas bis zum Kuenlün und Altyntag, von Schigar in Baltiſtan bis Maiſur. Die Farbe der Oberſeite iſt ein eigentüm— liches Blaugrau, das dem Nahur bei den engliſchen Sportsleuten den Namen „Blauſchaf“ eingetragen hat. Im Winter iſt das Fell mehr grau, im Sommer mehr braun. Die Unter: ſeite, die Hinter- und Innenſeite der Beine und die Schwanzwurzel ſind weiß. Ein Streifen längs der Vorderſeite der Beine, mit Ausnahme der Klauen, die weiß ſind, und das Schwanz— ende ſind ſchwarz. Beim erwachſenen Bock, der 90 em Schulterhöhe erreicht, ſind außerdem das Geſicht, die Hals- und Bruſtmitte und ein Flankenband ſchwarz. Wie in ſeinen körperlichen Eigenſchaften, ſo zeigt ſich der Nahur auch in ſeinen Gewohn— heiten als Mittelglied zwiſchen Schaf und Ziege. Wie jenes liebt er offenen, welligen Boden und ruht mittags auf jeinen Weideplätzen. In der Fähigkeit, die ſchwierigſten Felſen mit Leichtig⸗ keit zu erſteigen, und in ſeiner Beweglichkeit gleicht er den Ziegen. An Gefangenen hat man beobachtet, daß ſich die Böcke bei ihren Kämpfen, wie die Ziegen, auf ihre Hinterbeine erheben. Eine vorzügliche Schilderung der Lebensweiſe des Tieres, das er mit dem einheimiſchen Namen Kuku-jeman nennt, verdanken wir Prſchewalſky, der es im Alaſchan fand, wo es die wildeſten und felſigſten Teile einzeln oder paarweiſe, ſeltener in kleinen Herden von 5 bis 15 Stück bewohnt. Ausnahmsweiſe ſammeln ſich die Tiere auch zu Herden bis zu 100 Stück. Jede Herde ſteht unter Leitung eines alten Bockes. Bei Gefahr warnen ſie mit einem ab— geriſſenen Pfiff, der dem eines Menſchen jo gleicht, daß ihn Prſchewalſky das erſtemal für das Zeichen eines Jägers hielt. Dann ſtürzt die Herde jählings davon, oft über ſenkrechte Felſen, ſo daß man, wenn man dies ſieht, in Erſtaunen gerät, daß ein verhältnismäßig ſo großes Tier mit ſolcher Leichtigkeit unzugängliche Stellen erklettert. Die Tiere ſind ſehr vorſichtig, nichts entgeht ihrer Aufmerkſamkeit. Geruch, Gehör und Geſicht ſind ungemein entwickelt. Vor Abend geht der Kuku-jeman auf die Weide, zu der er am liebſten Alpenwieſen wählt. Morgens aber, wenn ſich die Sonne ſchon ziemlich hoch er— hoben hat, kehrt er wieder in ſeine heimatlichen Felſen zurück. Hier ſteht er oft ſtundenlang Nahur. Mähnenſchaf. 269 unbeweglich, und nur hin und wieder wendet er den Kopf bald nach dieſer, bald nach jener Richtung. Während der Mittagszeit legen ſich die Tiere auf einem Felſenvorſprung nieder, um auszuruhen, und wählen hierzu im Sommer gewöhnlich die kühlere Nordſeite. Manchmal legen ſie ſich auf die Seite und ſtrecken dann alle vier Füße von ſich. Wenn die Frühjahrs— hitze alles Gras im Gebirge verbrannt hat, nährt ſich der Kuku-jeman von den Blättern der Bäume, die er wohl manchmal, vom Hunger getrieben, beſteigt. So hat Prſchewalſky ſelbſt einmal zu ſeinem Erſtaunen zwei Nahurs auf einer Rüſter 4 m über dem Boden geſehen. Die Brunft beginnt, nach Angabe der Mongolen, im November und dauert einen ganzen Monat. Dann hört man Tag und Nacht die Stimme der Böcke, die dem Meckern einer Ziege ſehr ähnelt. Doch ſtoßen ſich die raufluſtigen Tiere auch zu anderen Jahreszeiten. Das Weibchen wirft im Mai 1, ſeltener 2 Junge, die es bis zur nächſten Brunft bei ſich behält. Die Jagd ſchildert der ruſſiſche Reiſende als äußerſt ſchwierig. Wenn der Kuku-jeman einen Jäger bemerkt, pfeift er zwei- oder dreimal, macht einige Sprünge und bleibt dann ſtehen, um zu ſichern. In dieſem Augenblick bietet er ein gutes Ziel. Wird dies verfehlt, ſo iſt er nicht mehr zu treffen; denn nach einigen Sekunden pfeift er wieder und geht dann flüchtig ab. In unſeren Tiergärten wird der Nahur gelegentlich gezeigt, bietet aber zu beſonderen Bemerkungen keinen Anlaß, da er ſich hier nicht anders wie ſeine Verwandten benimmt. Durch Mangel des Bartes und Geruchloſigkeit der Böcke nähern ſich die Mähnenſchafe (Ammotragus Blyth) den echten Schafen. Das lange, ziegenartige Geſicht und das Fehlen der Voraugendrüſen erinnern an die Ziegen. Ziegenartig iſt ferner der abgeplattete, unter— ſeits nackte Schwanz; er wird auch wie bei den Ziegen aufgerichtet getragen. Die homonymen pervertierten Hörner finden ſich zwar ähnlich bei manchen echten Schafen, erinnern aber doch ihrem Querſchnitt und ihrer Form nach mehr an gewiſſe Ziegen. Die langen Hörner der Weibchen, das vollſtändige Fehlen der Zwiſchenklauendrüſen, die Länge des bequaſteten Schwanzes und die eigenartige Mähne zeigen eine eigene Entwickelungsrichtung an. Wir werden annehmen müſſen, daß das Mähnenſchaf ſich ſtammesgeſchichtlich früher vom ge— meinſamen Stamme abzweigte, als ſich Schaf und Ziege trennten. Daher hat es mit beiden gemeinſame, aber auch für ſich eigentümliche Kennzeichen. Die Gattung umfaßt nur eine Art, das Mähnenſchaf, Ammotragus lervia Pall. (tragelaphus; Taf. „Paarhufer XV“, 10, bei S. 261), das in mehreren Unterarten Nord— afrika vom Atlas bis zum ägyptiſchen Sudan bewohnt. Die Berge der Umgegend von Char— tum und die Wüſte ſüdlich Biskra ſtellen die Südgrenze ſeines Gebietes dar. Der Leib des Tieres iſt ſehr kräftig, der Hals kurz, der Kopf geſtreckt, aber zierlich, an der Stirn breit, nach der Muffel zu gleichmäßig verſchmächtigt, der Naſenrücken gerade, das Auge groß und wegen der erzfarbenen Iris, aus welcher der quergeſtellte Stern deutlich hervortritt, ungewöhnlich leb— haft, das Ohr klein, ſchmal und von beiden Seiten her gleichmäßig zugeſpitzt, die Muffel ſehr klein und ſchmal, auf die Umrandung der Naſenlöcher beſchränkt. Das auf der Stirn aufgeſetzte Gehörn biegt ſich anfangs ein wenig nach vorn, ſodann gleichmäßig nach hinten und außen, mit den Spitzen etwas nach unten und innen, hat dreieckigen Querſchnitt, bildet auf der Vorder— ſeite eine breite, ſanft gewölbte, in der Mitte kantig vorgezogene Fläche, wogegen die innere und untere Seite eben und ſcharfkantig erſcheinen, und iſt von der Wurzel bis zur Spitze auf allen Seiten mit dicht aneinanderſtehenden, wenig erhabenen, welligen Wülſten bedeckt, die nur an der abgeplatteten Spitze fehlen. Der mittellange, breite, am Ende gequaſtete Schwanz reicht mit ſeinem Haarbüſchel bis über die Hackengelenke herab; die Läufe ſind kurz und kräftig, die 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. 27 9 Hufe hoch, die Afterhufe klein und im Haar verſteckt. Das Vlies beſteht aus ſtarken, harten, rauhen, nicht beſonders dicht ſtehenden Grannen und feinen, gekräuſelten, den Leib vollſtändig bekleidenden Wollhaaren. Jene verlängern ſich auf dem Oberhalſe, im Nacken und auf dem Widerriſt zu einem aufrechtſtehenden kurzen, mähnigen Haarkamme und entwickeln ſich vor— der- und unterſeits zu einer reichen und vollen, faſt bis auf den Boden herabfallenden Mähne, die am Winkel des Unterkiefers beginnt, einen längs des Halſes verlaufenden, am Unter— halſe ſich teilenden und beiderſeits in der Schlüſſelbeingegend weiter ziehenden Streifen ein— nimmt, aber auch noch auf die Vorderläufe ſich fortſetzt, indem dieſe unterhalb des Ellbogen— gelenkes durch einen vorn, außen und hinten angeſetzten mähnigen Buſch geziert ſind (daher Moufflon à manchettes der Franzoſen), ebenſo wie oberſeits die ebenfalls verlängerten Haare der Halsſeiten, die hier wie dicke Polſter aufliegen, ſie verſtärken. Endlich bemerkt man noch zu beiden Seiten des Unterleibes kammartig aufgekräuſelte Haare, wogegen das Vlies im übrigen ſehr gleichmäßig entwickelt iſt. Das einzelne Haar hat an der Wurzel hellgraue, hierauf dunkel braunſchwarze, gegen die Spitze hin rehbraune Färbung und endet entweder mit einer fahlgelben oder mit einer ſchwarzen Spitze; nur ein längs des Nackens verlaufender, jedoch nicht die ganze Breite des Kammes einnehmender Mittelſtreif und der obere Teil der Kehlmähne werden durch mehr oder weniger braunſchwarze Haare gebildet. Es iſt ſomit ein ſehr gleichmäßiges Fahlrotbraun die vorherrſchende Färbung dieſes Tieres, wogegen der er— wähnte Streifen ſchwarz erſcheint; der Mittelbauch iſt dunkelbraun, ein verlängerter Haar— franz über den Hufen, der dieſe teilweiſe bedeckt, dunkel kaſtanienbraun; der Augenbrauen— bogen, das Maul, ein Fleck hinter dem Ohre in der Kieferfuge, die Hinterſchenkel, die Vorder— läufe hinten, die untere Hälfte der Hinterläufe und die Innenſeite des Schwanzes haben iſabellgelbe, Achſelgegend und Innenſeite der Oberarme und Schenkel weißlich iſabellgelbe, die langen Mähnenhaare, mit Ausnahme einiger ſchwarz geſpitzten, einen Fleck bildenden, iſabell— fahlbraune Färbung. Das Weibchen unterſcheidet ſich hauptſächlich durch die ſchwächere Mähne vom Männchen; denn ſein Gehörn iſt ebenfalls groß und kräftig. Vollkommen erwachſene Böcke erreichen, einſchließlich des etwa 25 em langen Schwanzes, eine Geſamtlänge von 1,8 —1,9 m bei einer Schulterhöhe von 95—100 em, erwachſene Schafe eine Geſamtlänge von 1,55 m bei 90 em Schulterhöhe; das Gehörn kann, der Krümmung nach gemeſſen, bei jenen 70 em, bei dieſen 40 em lang werden. Über die Lebensweiſe ſchreibt Buvry: „Der Arui“, wie das Mähnenſchaf im ſüdlichen Algerien von den Einheimiſchen im allgemeinen genannt wird, „liebt die höchſten Felſengrate der Gebirge, zu denen man bloß durch ein Wirrſal zerklüfteter Stein- und Geröllmaſſen ge— langen kann, und deshalb iſt ſeine Jagd eine höchſt mühſelige, ja oft gefährliche. Dazu kommt, daß ſie nicht viel Gewinn verſpricht; denn das Mähnenſchaf lebt einzeln, und nur zur Bock— zeit, welche in den November fällt, ſammeln ſich mehrere Schafe und dann auch die Widder, halten einige Zeit zuſammen und gehen hierauf wieder zerſtreut ihres Weges. Gelegentlich der Paarung kommt es zwiſchen den Widdern oft zu überaus hartnäckigen Kämpfen. Die Araber verſichern, daß man bei ſolchen Gelegenheiten in Zweifel ſein müſſe, was man mehr bewundern ſolle, die Ausdauer, mit der ſich die verliebten Böcke geſenkten Kopfes halbe Stunden und länger einander gegenüberſtehen, oder die Furchtbarkeit des gegenſeitigen Anpralles, wenn ſie gegen— einander anrennen, oder endlich die Feſtigkeit der Hörner, welche Stöße aushalten, die, wie man glauben möchte, einem Elefanten die Hirnſchale zerſchmettern müßten. Die Nahrung des Arui bilden ſaftige Alpenpflanzen im Sommer, dürre Flechten und trockene Gräſer im Winter; viel— leicht mögen ihm auch einzelne von den niederen geſtrüppartigen Gebüſchen willkommen ſein.“ Mähnenſchaf: Lebensweiſe. Gefangenleben. Fortpflanzung. 271 Das Mähnenſchaf ſcheint ſtets dieſelben Wechſel einzuhalten und ſich an gleichem Ort zu tränken. Wenigſtens wurde Buvry von feinem arabiſchen Begleiter veranlaßt, ſich bei einer Quelle, neben der er eine friſche Spur gefunden hatte, auf den Anſtand zu legen. Und ſeine Hoffnung wurde nicht getäuſcht. „In erwartungsvoller Stille mochten wir etwa anderthalb Stunden gelegen haben: da ſchritt langſamen Ganges ein gewaltiger Feſchtal (d. i. ein Arui— Widder) zu uns heran. Jede Bewegung war edel und ſtolz, jeder Schritt ſicher, feſt und ruhig. Vorſichtig ſuchte er den ſanfteſten Strand; jetzt bückte er den Kopf zum Trinken: da blitzte das Feuer aus unſeren beiden Gewehren. Mit einem Schrei ſank der Widder zuſam— men; aber plötzlich raffte er ſich wieder auf, und dahin ging es in raſender Eile, mit Sätzen, wie ich ſie vorher noch nie geſchaut. Gemſengleich, ſicher und kühn, jagte er dahin, und wir ſtanden verblüfft und ſchauten ihm nach. Doch getroffen war er, weit konnte er unſeres Er— achtens nicht gekommen ſein: alſo auf zur Verfolgung! Aber Stunde um Stunde verlief, und immer noch eilten wir hinter dem Tiere drein; da führte die Fährte nach einem Felſengrate hin, welcher ſchroff und ſteil 60 m tief nach einem Keſſel abfiel. Hier verlor ſich jedes Zeichen. Schließlich kletterte der Araber zur Tiefe nieder und hatte den Boden des Keſſels kaum er— reicht, als mich ein Freudenſchrei benachrichtigte, daß der Widder verendet unten lag.“ Schon lange iſt das Mähnenſchaf in Tiergärten keine Seltenheit mehr. Über ſein Ge— fangenleben läßt ſich wenig jagen, weil das Tier, abgeſehen von feiner Kletterfertigkeit, her— vorragende Eigenſchaften nicht bekundet, obwohl einzelne recht zahm werden können. Ein gewiſſer Ernſt, den man faſt Murrſinn nennen könnte, zeichnet es aus; das neckiſche Weſen der Ziegen fehlt ihm vollſtändig. Es kann wegen einer Kleinigkeit in Zorn geraten und pflegt dann zu beweiſen, daß es ſich ſeiner Stärke wohl bewußt iſt. Mit Verwandten darf wenig— ſtens der Bock nicht zuſammengehalten werden, da zur Brunſtzeit die Böcke, wie die aller Ziegen und Schafe, mit jedem etwaigen Nebenbuhler auf Leben und Tod kämpfen. In dieſer Zeit wird der Bock ſogar zuweilen weiblichen Tieren der eigenen Art gefährlich. 5 / — 61/2 Monate nach der Paarung bringt das Mähnenſchaf 1 oder 2 Lämmer zur Welt, kleine, niedliche und bereits nach wenigen Stunden höchſt bewegliche, auch ſehr muntere Tierchen, die wegen ihrer Kletterluſt mehr an Zicklein als an Hauslämmer erinnern. Erſt 24 Stunden alt, beſteigen ſie bereits alle Höhen, die ſich in ihrem Gehege finden, mit er— ſichtlichem Vergnügen, und wenn fie ihr Leben auf zwei oder drei Tage gebracht haben, be— kunden ſie eine Behendigkeit und Gewandtheit, daß man wohl einſieht, wie ſchwer es halten mag, fie im Freien zu fangen. Die Mutter folgt allen Bewegungen ihrer Sprößlinge mit etwas weniger Gleichmut, als wir bei den Schafen zu ſehen gewohnt ſind, ſteigt auch wohl dann und wann den übermütigen Kleinen nach oder lockt ſie durch ein blökendes Mahnen zu ſich heran, worauf beide faſt gleichzeitig das Euter zu verlangen pflegen und, nach Art der Hauslämmer und Zicklein ſaugend, durch heftige Stöße gegen das Euter möglichſt viel Milch zu gewinnen ſtreben. Bei günſtiger Witterung wachſen ſie raſch heran, beginnen etwa vom achten Tage ab einzelne Hälmchen aufzunehmen, freſſen, einen Monat alt geworden, be— reits von allem Futter, das der Alten gereicht wird, ſaugen jedoch noch immer und werden erſt gegen die Paarungszeit hin von der Alten nicht mehr zugelaſſen. Paarungen mit Haus— ſchafen, die öfter verſucht wurden, z. B. von Falz⸗Fein, verliefen ſtets ergebnislos. Dagegen will Milne⸗Edwards mit der Ziege eine fruchtbare Kreuzung erzielt haben. Allerdings kam es im dritten Monat der Trächtigkeit zu einer Fehlgeburt („C. R. Acad. Sc.“, Paris, T. 123, Nr. 5). Mehrmals unternommene Einbürgerungsverſuche, wie z. B. im Teutoburger Walde („Der Weidmann“, 1888), ſchlugen fehl oder wurden wenigſtens wieder aufgegeben. 272 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Der ſtämmige und kräftige Leib der Ziegen (Gattung Capra J.) ruht auf ſtarken, nicht ſehr hohen Beinen; der Hals iſt gedrungen, der Kopf verhältnismäßig kurz und breit an der Stirn; der Schwanz, der aufrecht getragen zu werden pflegt, iſt dreikantig und unten nackt. Die Augen ſind groß und lebhaft, Tränengruben nicht vorhanden, die Ohren aufgerichtet, ſchmal zugeſpitzt und ſehr beweglich. Zwiſchenklauendrüſen fehlen mindeſtens den Hinter— füßen; ſie ſollen bei einigen indiſchen Hausziegenraſſen an den Vorderfüßen vorhanden ſein. Die deutlich nach Jahreszuwüchſen gegliederten, bei der Mehrzahl der wilden Arten hetero— nymen Hörner kommen beiden Geſchlechtern zu, wenn ſie auch beim Bock ſtärker entwickelt ſind. Die Weibchen haben zwei Zitzen, bei Hausziegen kommen gelegentlich bei einzelnen Stücken mehr vor. Das Haarkleid iſt ein doppeltes, da die feinere Wolle von groben Grannen über— deckt wird. Bei manchen Arten liegen die Grannen ziemlich dicht an, bei anderen verlängern ſie ſich mähnenartig an gewiſſen Stellen, bei den meiſten auch am Kinn zu einem ſteifen Barte. Immer iſt die Färbung des Pelzes düſter, erd- oder felſenfarbig, vorzugsweiſe braun oder grau. Erwähnenswert, weil zur Kennzeichnung der Tiere gehörend, iſt ſchließlich noch der durchdringende Geruch, bezeichnend Bocksgeſtank genannt, womit alle Ziegen jederzeit, während der Brunſtzeit aber in beſonderer Stärke, unſere Naſen beleidigen. Die wild lebenden Ziegen bewohnen Mittel- und Weſtaſien, Europa und Nordoſtafrika; heutzutage hat der Menſch die gezähmten über die ganze Erde verbreitet. Sie ſind durch— gehends Bewohner der Gebirge, zumal der Hochgebirge, wo ſie einſame, menſchenleere Stellen aufſuchen. Die meiſten Arten gehen bis über die Grenze des ewigen Schnees hinauf. Sonnige Stellen mit trockener Weide, dünn beſtandene Wälder, Halden und Geröllabſtürze ſowie auch kahle Klippen und Felſen, die ſtarr aus dem ewigen Schnee und Eiſe emporragen, ſind ihre Standorte. Alle Arten lieben die Geſelligkeit. Die Ziegen ſind bewegliche, lebendige, unruhige, kluge und neckiſche Tiere. Ohne Unterlaß laufen und ſpringen ſie umher; nur während des Wiederkäuens liegen ſie ruhig an ein und derſelben Stelle. Bloß alte Männchen leben oft— mals einſiedleriſch; die übrigen Stücke halten ſtets mit anderen ihrer Art treu zuſammen. Obwohl tätig bei Tag und Nacht, geben ſie doch dem Tage den Vorzug. Ihre Eigenſchaften offenbaren ſich bei jeder Gelegenheit. Sie ſind überaus geſchickt im Klettern. Sicheren Trittes überſchreiten fie die gefährlichſten Stellen im Gebirge, ſchwindelfrei ſtehen fie auf den ſchmäl— ſten Kanten, gleichgültig ſchauen fie in die furchtbarſten Abgründe hinab, unbeſorgt, ja förm⸗ lich tollkühn äſen ſie an faſt ſenkrecht abfallenden Wänden. Sie beſitzen eine verhältnismäßig bedeutende Kraft und eine wunderbare Ausdauer und ſind ſomit ganz geeignet, ein armes Gebiet zu bewohnen, in dem jedes Blättchen, jedes Hälmchen mühſam erworben werden muß. Neckiſch und ſpielluſtig unter ſich, zeigen ſie ſich vorſichtig und ſcheu anderen Geſchöpfen gegen— über und fliehen gewöhnlich bei dem geringſten Lärm; in der Notwehr aber kämpfen ſie mutig und tapfer und mit einer gewiſſen Raufluſt, die ihnen ſehr gut anſteht. Saftige Gebirgspflanzen aller Art bilden die Nahrung der Ziegen. Lecker in hohem Grade, ſuchen ſie ſich ſtets die beſten Biſſen heraus, verſtehen es auch vortrefflich, Orte aus— zuwählen, die ihnen gute Weide bieten, und wandern deshalb oft von einer Gegend in die andere. Alle Arten lieben das Salz und beſuchen daher Stellen, wo dieſe Leckerei ſich findet, ſehr regelmäßig. Waſſer iſt für ſie Bedürfnis; daher meiden ſie Gegenden, in denen es weder Quellen noch Bäche gibt. Die Sinne ſcheinen ziemlich gleich entwickelt zu ſein. Alle Ziegen äugen, vernehmen und wittern ſehr ſcharf, manche Arten wirklich auf unglaubliche Entfernungen hin. Ihre geiſtigen Fähigkeiten ſtehen, wie ſchon angedeutet, auf ziemlich hoher Stufe; Erfahrung witzigt ſie bald Kaukaliicher Tur. ** Ziegen: Allgemeines. Tur. 273 in hohem Grade, ſo daß ſie drohenden Gefahren wohl zu begegnen wiſſen. Die Anzahl ihrer Jungen ſchwankt zwiſchen 1 und 4; alle wild lebenden Arten gebären höchſtens deren 2, die gezähmten nur in ſehr ſeltenen Fällen 4. Die Zicklein kommen ausgebildet und mit offenen Augen zur Welt und ſind ſchon nach wenigen Minuten imſtande, der Alten zu folgen. Wild lebende Arten laufen am erſten Tage ihres Lebens ebenſo kühn und ſicher auf den Ge— birgen umher wie ihre Eltern. Man darf wohl ſagen, daß alle Ziegen vorwiegend nützliche Tiere ſind. Der Schaden, den ſie anrichten, kommt nur in wenigen Ländern in Betracht, ihr Nutzen iſt dagegen ſehr bedeutend, namentlich in ſolchen Gegenden, wo man die Tiere gebraucht, um Ortlichkeiten auszunutzen, deren Gaben ſonſt ganz verlorengehen würden. Die öden Gebirge des Südens unſeres Erdteils ſind förmlich bedeckt mit Ziegenherden, die auch an ſolchen Wänden das Gras abweiden, wo keines Menſchen Fuß Halt gewinnen könnte. Von den wilden Arten kann man faſt alles benutzen, Fleiſch und Fell, Horn und Haar, und die zahmen Ziegen ſind nicht bloß der Armen liebſter Freund, ſondern im Süden auch die beinahe ausſchließlichen Milcherzeuger. Die Unterſcheidung der Wildziegen iſt außerordentlich ſchwer, weil die Arten ſich ſehr ähneln und der Beobachtung ihres Lebens viele Hinderniſſe entgegentreten. Soviel ſcheint feſtzuſtehen, daß der Verbreitungskreis der einzelnen ein verhältnismäßig beſchränkter iſt, und daß ſomit faſt jedes größere Gebirge, das Mitglieder der Gattung beherbergt, auch ſeine eigenen Arten, mindeſtens Unterarten beſitzt. Anderſeits ſtehen ſich die Arten noch ſo nahe, daß ſie untereinander wie auch mit der Hausziege unbegrenzt fruchtbare Blendlinge erzeugen, wie die zahlreichen und langjährigen Verſuche im Berliner Zoologiſchen Garten er— gaben. Wir können aber nach der Hornform drei Untergattungen unterſcheiden. Die einen, die Ture, für welche Hilzheimer den wiſſenſchaftlichen Namen Turus vorſchlägt, zeichnen ſich durch pervertiert homonyme Hörner von abgerundet dreieckigem oder birnförmigem Quer— ſchnitt aus, die den Hörnern der Halbſchafe ähneln. Die zweite Untergattung, die Steinböcke (Aegoceros Pall.), hat im Querſchnitt dreieckige Hörner mit der Breitſeite vorn. Die dritte Untergattung, die eigentlichen Ziegen (Capra J.), hat ebenfalls im Querſchnitt dreieckige Hörner, aber mit der Spitze nach vorn, ſo daß die Hörner vorn eine Schneide haben. Die Ture (Untergattung Turus Hils.) haben eine ſehr merkwürdige Verbreitung, indem die eine Art im äußerſten Weſten Europas, in Spanien, die andere im äußerſten Oſten, im Kaukaſus, lebt. Der eigentliche Tur, Capra (Turus) caucasica Güld., iſt den Halbſchafen noch be— ſonders ähnlich. Bei ihm iſt ein Bart kaum entwickelt: er iſt in Form einer kurzen, gelockten Haarfranſe auf das Kinn beſchränkt. Dann gleichen die pervertiert homonymen Hörner außer: , ordentlich denen der Halbſchafe; ſie biegen ſich wie beim Nahur erſt aufwärts und auswärts, dann nach hinten und außen und zeigen mit der Spitze nach innen und oben. Bei der einen Unterart, Capra (T.) caucasica cylindricornis Blyth (ſ. Farbentafel), vom Oſtkaukaſus, ſind die Hörner mit ihrem rundlich-zylindriſchen Querſchnitt denen des Nahurs noch ähnlicher als bei der typiſchen Form vom Zentralkaukaſus, wo ſie ſchon Andeutung von einer Ab— flachung der Vorderfläche und Knoten erkennen laſſen, wodurch ſie zu den Steinböcken über— führen. Daher ſind mittelkaukaſiſche Ture ſogar irrtümlicherweiſe von einigen Forſchern für Baſtarde von Capra c. eylindrieornis mit dem den Weſtkaukaſus bewohnenden Steinbock, Capra (Aegoceros) severtzowi Menzb., gehalten worden. Die Farbe des Turs iſt ein je nach der Unterart etwas verſchiedenes Rotbraun mit einem dunklen Streifen längs des Rückens und B Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 18 274 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. der Vorderſeite der Beine. Der Bauch und die Innenſeite der Beine ſind ſchmutzig weiß. Im Sommer iſt die Farbe der Oberſeite mehr graulich rotbraun. Sehr nahe ſteht dem Tur der Spaniſche oder Bergſteinbock, Capra (Turus) pyre- naica Schinz, der aber durch feinen namentlich im Winter recht wohlentwickelten, ſtattlichen Bart den echten Steinböcken ähnlicher iſt. Ich gebe in nachfolgendem die Beobachtungen meines Bruders Reinhold wieder und damit die erſte eingehende Leibes- und Lebensbeſchrei⸗ bung des ſchönen Wildes. Der Spaniſche Steinbock erreicht vollkommen die Größe des Alpenſteinbockes, unter: ſcheidet ſich jedoch von ihm weſentlich durch die Geſtalt und Bildung der Hörner. Der aus⸗ gewachſene Bock iſt 1,45 —1,60 m lang, wovon auf den Schwanz ohne Büſchel 12 em zu rechnen ſind, und am Widerriſte 75 em, am Kreuze dagegen 78 em hoch; die Ziege erreicht höchſtens drei Viertel der angegebenen Länge und bleibt in der Höhe um durchſchnittlich 10 em hinter dem Bocke zurück. Die Gehörne des letzteren ſtehen an der Wurzel ſo dicht zuſammen, daß vorn ein Zwiſchenraum von höch— ſtens 4, hinten von nur 1 em bleibt, ſteigen an— fangs ſteil aufwärts, nur wenig nach außen ſich wendend, biegen ſich vom erſten Drittel ihrer Länge an Scharf nach außen, wenden ſich, leierförmig aus: einander tretend, fortan zugleich nach hinten, er— reichen mit Beginn des letzten Drittels ihren wei— teſten Abſtand voneinander, kehren nunmehr die Spitzen wieder gegeneinander und richten ſie etwas aufwärts. Ihr Querſchnitt iſt im allgemeinen bir— nenförmig geſtaltet, da ſie, ſchief von vorn geſehen, abgerundet und an der gegenüberſtehenden Seite n en 81 un e beinahe ſcharfkantig zuſammengedrückt ſind; außer Schäff, „Steinböce und Wildziegen“, Leipzig 1890. der hinteren, vorder- und hinterſeits aus ſanft ab⸗ geflachten Bogen hervorgehenden, wulſtig erſcheinen— den Kante zeigen ſie jedoch noch eine zweite, die vorn, gerade über der Stirne, entſpringt, mit jener, gegen die Spitze hin zuſammenlaufend, in gleichmäßig abnehmendem Abſtande längs des ganzen Hornes verläuft und mit dieſem derartig ſich dreht, daß ſie im erſten Drittel der Gehörnlänge nach vorn, im letzten nach außen gewendet iſt, während die ſtärkere und ſchärfere Hinterkante ebenſo mehr und mehr nach vorn und oben ſich kehrt. Nach der Spitze zu ver— lieren ſich die Kanten allmählich, und das Horn erſcheint mehr rundlich. Die Wachstums⸗ oder Jahresringe ſind als Querwülſte deutlich erkennbar, ohne jedoch eine ſo beſtimmte Gliederung wie beim Alpenſteinbocke zu bilden. Länge und Dicke der Hörner nehmen beim Bocke mit den Jahren merklich zu, wogegen das bei weitem ſchwächere, an Stärke dem unſerer Hausziege etwa gleichkommende, ungefähr 15 em lange, einfach nach hinten gekrümmte, bis zu zwei Dritteln ſeiner Länge mit vielen und dicht ſtehenden, ſchmalen Wülſten bedeckte Ge— hörn der Ziege, falls dieſelbe erſt ein gewiſſes Alter erreicht hat; ſich kaum noch verändert. „Ich beſitze“, ſchreibt mir mein Bruder, „das Gehörn eines alten Bergſteinbockes, deſſen } Spaniſcher Steinbock. 275 Stangen bei 76 em Länge an der Wurzel 22 em Umfang und doch nur elf Jahresringe zeigen, zweifle jedoch nicht, daß die Hörner, der Krümmung nach gemeſſen, bis zu 1m an Länge erreichen können.“ Beſchaffenheit und Färbung des im Winter ungemein dichten, im Sommer dünnen Haarkleides ändern nicht allein nach Jahreszeit, Alter und Geſchlecht, ſondern, wie bei allen Felſentieren, auch nach der Ortlichkeit nicht unweſentlich ab. Nachdem im Mai der Haar— wechſel eingetreten und das wollige Kleid in dichten Flocken und Büſcheln ausgefallen iſt, wachſen, wie gewöhnlich, zunächſt die von der Wurzel bis zur Spitze gleichgefärbten Grannen hervor und erreichen bis Ende Auguſt eine Länge von 2 em. Ein mähnenartiger, hinter den Hörnern beginnender und bis zu den erſten Rückenwirbeln ſich fortſetzender Haarſtreifen hebt ſich dann beſonders ab, während der Bart zu dieſer Jahreszeit unbedeutend iſt. Im Winter dagegen erreicht er eine außerordentliche Länge. Ein ſchönes, nur auf Naſenrücken, Stirn und Hinterkopf dunkelndes, hier oft mit Schwarz gemiſchtes Hellbraun iſt jetzt die vorherr— ſchende Färbung des Tieres. Ein Streifen längs des Rückens, Mähne und Bart, ein die Ober- und Unterſeite trennender Flankenſtreifen und die Vorderſeite der Läufe find ſchwarz, Oberlippe, Backen, Halsſeiten, Innenfläche der Schenkel hellgrau, die übrigen Unterteile weiß. Im Spätherbſte beginnt die Wucherung des kurzen, dichten, weichen, weißgrauen Wollhaares und neuer Grannen, die im Winter zwiſchen 3—4 em an Länge erreichen, dann ſehr dicht ſtehen und an der Wurzel hellgrau, in den übrigen zwei Dritteln ihrer Länge dunkel gefärbt ſind. Im vollendeten Winterkleide herrſchen ein in das Braune ſpielendes Schwarz und Grau vor, erſtere Färbung auf Naſenrücken, Stirn und Vorderhals, letztere zwiſchen Auge und Ohr an den Kiefergelenken, den Halsſeiten bis zu den Schulterblättern und auf den Seiten bis zur Mitte des Hinterſchenkels; doch miſcht ſich an allen genannten Teilen Schwarz oder Schwarz— braun ein, weil viele Grannen in ſchwarze Spitzen endigen. Die Begrenzung der Farben— felder iſt folgende: Naſenrücken bis zur Oberlippe, Stirn, Unterkiefer, Bart, ganze Vorder— ſeite des Halſes, Bruſt, Seiten des Bauches, Hinterkopf, Hinterhals und Rücken ſind ſchwarz, Vorderſeite der Läufe bis zu den Hufen herab und ein am Hinterkopfe beginnender, die im Sommer wie im Winter gleichgefärbte Mähne in ſich faſſender, in gerader Linie längs des Rückgrates bis zur Schwanzſpitze verlaufender, 3—4 em breiter Streifen, ein auf den Schulterblättern von ihm ſich abzweigender, bis zu den Vorderläufen ſich erſtreckender, mit jenem ein Kreuz bildender Querſtreifen kohlſchwarz, Oberlippe, Backen vom oberen Augenlide bis zum Kieferwinkel, Seiten, vom Schulterblatte an beginnend, hellgrau, ein die Seiten unten und hinten einfaſſender Streifen und die Hinterſchenkel ſchwarzbraun, letztere durch einzelne graue Haare geſprenkelt, ein auf dem Bruſtbeine beginnender, 3 em breiter Streifen endlich, der ſich auf dem Bauche ausbreitet und zuletzt dieſen wie die innere Fläche der Hinter— ſchenkel bedeckt, ſowie ſeine Fortſetzung nach oben hin, wo er den ſchwarzen Schwanz beider— ſeitig ſaumartig einfaßt und deſſen langem Büſchel einzelne, mit ihm gleichgefärbte Haare einmiſcht, rein weiß von Farbe. Die Färbung der Ziege iſt wenig veränderlich, jedoch ebenfalls im Sommer heller, im Winter dunkler. Rehfarben oder Hellbraun herrſcht vor; ſchwarz find die Vorderſeiten der Läufe, von den Hand- und Ferſengelenken an bis zu den Hufen herab, ſchwarz mit Grau ges miſcht ihre Hinterſeiten. Auch ein Streifen längs des Bruſtbeines von 3 em Breite und doppelter Länge hat ſchwarze Färbung. Die Zicklein gleichen der Mutter, ihre Hauptfärbung iſt jedoch nicht hell, ſondern dunkel kaſtanienbraun, die der Läufe ſchwarzbraun. Neuerdings hat Cabrera dem ſpaniſchen Steinwild eine ſchöne Abhandlung gewidmet 18 ** 976 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. („Proc. Zool. Soc.“, London 1911, II). Darin unterſcheidet er nach der Ausdehnung des Schwarz und nach der Geſtalt der Hörner drei bis vier Formen. Der eigentliche Pyrenäenſteinbock (Capra pyrenaica pyrenaica Schinz) iſt faſt ausgeſtorben, da 1907 nur noch etwa zehn bis zwölf Stück in ſämtlichen Pyrenäenketten lebten. Eine Herde von etwa 150 Stück, die unter beſonderem königlichen Schutze ſteht, hauſt auf den höchſten Spitzen der Sierra de Gredos; ſie bildet eine beſondere, als Capra pyrenaica victoriae von Cabrera beſchriebene Form. Das it die von R. Brehm geſchilderte Unterart. Sie ſtellt ebenſo wie geographiſch, jo auch anato- miſch den Übergang dar zu der bei weitem zahlreichſten Unterart Capra pyrenaica hispanica Schimp., die in mindeſtens ſechs Kolonien die das Guadalquivirbecken umſchließenden Gebirge bewohnt. Sie geht nach Norden und Oſten durch die Bergketten Valencias bis zu den Ebro— quellen. Ein drittes Wohngebiet umfaßte einſt die Berge Galiciens und Nordportugals. Doch iſt die hier lebende Unterart (C. p. lusitanica Franga) heute, nach Miller („Mammals of Western Europe“), auf die Serra do Gerez beſchränkt. Es ſcheint allerdings, als ſeien dieſe Wohngebiete urſprünglich nicht getrennt geweſen. Ganz erſchreckend hat aber die ſchonungs— loſe Jagd der Spanier, die keine Schonzeit kennen, ſeit den letzten 25 Jahren aufgeräumt. „Die Sierra de Gredos“, ſo ſchildert mein Bruder, „wird durch die höchſte Erhebung der Cordillera Carpeto gebildet; der höchſte Berg dieſes langen Gebirgszuges, der Almanzor, welcher zu 2650 m aufjteigt, nebſt Umgebung ift der Lieblingsaufenthalt unſeres Steinwildes. Im Winter mag es, zumal auf der Südſeite des Gebirges, nach Eſtremadura hin, etwas tiefer herabſteigen; im Sommer aber wird man es in der nächſten Umgebung des Almanzor niemals vermiſſen und in der Regel in ſtarken Rudeln, namentlich ſolchen, welche aus alten Böcken beſtehen, mit Sicherheit beobachten können. „Das Bergſteinwild lebt während des größten Teiles vom Jahre nach dem Geſchlechte getrennt; nur gegen die Paarungszeit hin vereinigen ſich Böcke und Ziegen. Beide bilden Rudel, nicht ſelten aber auch förmliche Herden, welche aus 100 —150 Stück beſtehen können; ich ſelbſt zählte einmal genau 135 Böcke. Es mag ſein, daß ſolche Herden faſt alle auf der Gredos lebenden Böcke in ſich vereinigen; doch habe ich gelegentlich eines Treibens auch ein— mal 74 Ziegen, welche gewöhnlich in kleinen Trupps über das ganze Gebirge zerſtreut zu ſein pflegen, zufammen geſehen. Unbekümmert um Schnee und Kälte in dem von ihnen erwählten Gebiete bewohnen die Böcke in der Regel ausſchließlich den oberen und höchſten Teil des Ge— birges, wogegen die Ziegen ſchon im Spätherbſte die nach Süden gelegenen Wände aufſuchen und in ſtrengen Wintern bis in die Nähe der Dörfer hinabſteigen. Das Rudel wie die Herde wird ſtets von dem ſtärkſten und, was wohl gleichbedeutend, von dem älteſten und erfahrenſten Stücke geleitet. Langſamen Schrittes ſieht man das Bergſteinwild an den ſteilen Wänden und auf den Graten eines Gebirgszuges dahinziehen, unter allen Umſtänden vorſichtig nach jeder Seite hin äugend und ſpähend und ebenſo fort und fort windend. Das Leittier ſchreitet dem Rudel voran und ſichert, bleibt darauf, nachdem es eine Entfernung von 10—12 Schritt zurückgelegt hat, ſeinerſeits ſtehen, das Rudel, welches ſich nunmehr in Bewegung ſetzt, er— wartend, worauf es wie vorher weiter zieht. Wenn ein Trupp von Bergſteinziegen weidet, ſtellen ſich ſtets mehrere Stücke ſo auf, daß ſie als Wachen dienen können, und ſichern und winden beſtändig. Bemerkt eine Wachtgeiß etwas Verdächtiges, oder führt ihr der Wind die Witterung eines Feindes zu, ſo ſtößt ſie ein pfeifendes Schnauben aus, ſtürzt ſich von ihrem Auslugpunkte herab und wird, wie der ihr folgende Trupp, ſofort flüchtig, entweder trabend oder in Galopp fallend, je nachdem die Gefahr ferner oder näher iſt. Nach kurzer Zeit unter⸗ bricht das Rudel ſeine Flucht, um die Urſache der Störung genauer zu erkunden. Führte dieſe Spaniſcher Steinbock: Verbreitung. Aufenthalt. Lebensweife. Fortpflanzung. 277 das Erſcheinen eines Menſchen herbei, ſo geht der Trupp oder die Herde raſcheren Schrittes weiter und wechſelt dann meiſt bis auf eine halbe, oft bis auf eine volle Gehſtunde; war es ein Wolf oder Hund, welcher nahte, ſo erklettert das Bergſteinwild einfach eine ſteile Wand und nimmt hier Stellung auf Ortlichfeiten, welche den genannten Verfolgern vollkommen unzugänglich ſind. Unglaublich ſcheint es, daß das Bergſteinwild beinahe ſenkrechte Wände, an denen man auch nicht den geringſten Anhaltepunkt wahrzunehmen vermag, nicht allein mit der größten Sicherheit, ſondern auch mit überraſchender Leichtigkeit und Schnelle zu erſteigen imſtande iſt, und daß ſchon die kleinſten Zicklein, ebenſogut wie die alten Ziegen, mit ihren ſcharfkantigen Hufen an ſolchen Felſen förmlich ſich anheften können. „Wähnt ſich die Herde vollkommen ſicher, ſo legt ſich ein Teil derſelben mit ausgeſtreckten Läufen behaglich nieder, um auszuruhen und wiederzukäuen, während ein anderer Teil die Spitzen der Gräſer und die ſaftigſten Mitteltriebe anderer Alpenpflanzen, insbeſondere aber die Blüten der niederen Ginſterbüſche (Spartium scoparium und S. horridum), abäft und zwei oder drei Stück als Wachttiere dienen. Brennt die Sonne gar zu ſtark, ſo lagert ſich das Rudel im Schatten vorſpringender Felſen oder tritt in Höhlen ein, niemals jedoch ohne durch ausgeſtellte Wachtgeißen für Sicherung genügend geſorgt zu haben. Die Böcke ſind immer weniger achtſam und vorſichtig als die Geißen. Sehr alte zumal bleiben öfters hinter dem Rudel oder der Herde zurück und laſſen zuweilen einen gegen den Wind ſich anſchleichenden Menſchen ſehr nahe herankommen. Anſtatt ſogleich die Flucht zu ergreifen, wie die Ziegen faſt ſtets tun, ſpringen ſie auf einen Felſen oder höheren Steinblock, äugen den Feind einige Minuten an und bieten ſo dem Jäger oft ein ſicheres Ziel. Ich ſelbſt habe unter ſolchen Umſtänden einmal einen ſehr ſtarken Bock erlegt. Auch auf ſeinen Wanderungen iſt ein von der Herde getrennter Bock weit weniger ſcheu, als wenn er letztere begleitet. Ein durch die Treiber in weiter Entfernung von uns angeſtellten Schützen aufgeregter Bergſteinbock ging langſam auf meinen Nebenmann zu, wurde von dieſem zweimal gefehlt, hierauf für kurze Zeit flüchtig, fiel, nachdem er einige 100 Schritte raſch zurückgelegt hatte, wieder in ſeinen ruhigen Gang, gelangte hinter meinen nach vornhin gut verbauten, auf der Rückſeite aber offenen Stand, ſtaunte mich, der ich nichts ahnte, wenigſtens 15 Minuten lang an und zog dann ruhig weiter. So erzählten mir meine Jagdgenoſſen nach beendigtem Treiben zu meinem großen Verdruſſe. Harmloſen Tieren gegenüber bekundet das Bergſteinwild weder Furcht noch Zuneigung. Doch ſieht man in der Sierra de Gredos im Hochſommer, wenn die Ziegenherden der Dörfler am Fuße des Gebirges bis in das Gebiet der Steinböcke emporſteigen, zuweilen beide Tierarten friedlich nebeneinander weiden. „Anfang November tritt die Paarungszeit ein. Nunmehr geſellen ſich die Böcke zu den Ziegen, und es beginnen gleichzeitig die heftigſten Kämpfe zwiſchen erſteren, zumal zwiſchen ſehr alten Herren, jedenfalls als feſſelndes Schauſpiel für die jungen Tiere, welche ruhige Zuſchauer bleiben. Schon im Dezember trennen ſich beide Geſchlechter wieder; jedoch halten ſich auch dann noch meiſt einige junge, d. h. ein- bis dreijährige, Böcke zu der Geißenherde. Ende April oder Anfang Mai, alſo 20 — 24 Wochen nach der Paarung, ſetzt die Geiß ein Junges, welches wenige Stunden nach ſeiner Geburt der Mutter auf ihren Pfaden leicht und ſicher folgt und von ihr ſorgſam gepflegt und gehütet wird. Nur auf der Südſeite und an den ſonnigſten Wänden des Gebirges nehmen jetzt die Muttertiere ihren Stand, und anſtatt kahle Abhänge aufzuſuchen, wählen ſie die mit Ginſtergebüſch bewachſenen Lehnen und Schluchten und verbringen auf und in ihnen den größten Teil des Spätfrühlinges und Frühſommers. Werden ſie aufgeſchreckt, jo laufen die Zickelchen neben der Mutter her; können dieſe bei hitziger 278 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Verfolgung der alten Geißen nicht nachkommen, ſo ducken ſie ſich unter einem dichten Strauche, hinter einem ſchützenden Felsblocke, in einer Felſenſpalte uſw. und verharren hier bis zur Rück⸗ kehr der Alten. Schneefelder überſteigen die Bergſteinziegen überhaupt ſehr ungern, vermeiden fie aber, wenn fie Zicklein führen, faſt ängſtlich ... „Bartgeier, Stein- und Kaiſeradler nehmen wohl öfters ein Zicklein weg, getrauen ſich aber, nach Ausſage der von mir befragten Hirten, niemals an alte Böcke oder Geißen. Dieſen wird außer dem Menſchen höchſtens der Wolf gefährlich; aber auch er ſchadet, weil er kaum jemals in bedeutendere Höhen emporſteigt, eigentlich nur im Winter, wenn ein Rudel Berg- ſteinwild in die Tiefe herabgezogen iſt, bei hohem Schnee von Iſegrim in einiger Entfernung von den rettenden Felſenwänden überraſcht und durch den Schnee an erfolgreicher Flucht ver⸗ hindert wird; denn unter ſolchen Umſtänden bleiben die Steinböcke nicht ſelten ermattet liegen oder ſtecken und fallen dann dem gierigen Räuber leicht zur Beute. „Der ſpaniſche Jäger erlegt das Bergſteinwild entweder auf der Pirſch oder auf dem Anſtande. Ich habe auf der Sierra de Gredos die Treibjagd eingeführt und dadurch aus— gezeichnete Erfolge erzielt. .. Für den eingeborenen Schützen iſt der Gewinn der Jagd nicht unbedeutend. Jener weidet das erlegte Bergſteinwild ſofort nach dem Schuſſe aus, füllt die Leibeshöhlen mit wohlriechenden Kräutern an und ſchleppt dann die ſchwere Laſt, auf oft hals⸗ brechenden Wegen, in die Tiefe, zunächſt bis zu einer paſſend gelegenen Meierei, von wo aus die Beute auf Maultieren weitergeführt wird. Das Wildbret iſt ſehr beliebt und ſteht deshalb überall hoch im Preiſe; aber auch Haut und Gehörn bezahlt man recht gut. „Der Fang unſeres Wildes iſt Sache des Zufalles. Beſonders geübte Jäger machen ſich tiefen Schnee zunutze, um Bergſteinwild, nachdem ſie die Päſſe beſetzt haben, mit Hunden zu hetzen. Da kommt es denn vor, daß Bergſteinböcke lebend gefangen werden. Im vergangenen Winter erbeutete man bei einer derartigen Jagd ſieben Stück . . . Alt eingefangene Berg- ſteinböcke in Gefangenſchaft zu erhalten, ſcheint übrigens unmöglich zu ſein. Jenen ſieben Stück band man nach dem Fange die Läufe zuſammen, um fie jo nach dem Dorfe hinab— ſchaffen zu können. Fünf von ihnen ſtarben nach etwa zweiſtündigem Marſche bereits unter⸗ wegs, hauptſächlich wohl infolge der ſie quälenden Angſt; die beiden übrigen langten zwar lebend im Dorfe an, raſten ſich aber in einem Stalle binnen wenigen Stunden zu Tode.“ Die Steinböcke (Untergattung Aegoceros Pall., Ibex) bewohnen die Gebirge in Höhen, wo nur wenige große Säugetiere leben können. Höchſtens während des eiſigen Winters ſteigen ſie in etwas tiefer gelegene Gelände hinab. Mit dieſer Lebensweiſe geht Hand in Hand, daß jede Steinbockart nur eine geringe Verbreitung hat und geneigt iſt, noch Unterarten zu bilden. Am weiteſten dürfte der Sibiriſche Steinbock, Capra (Aegoceros) sibirica Meyer (Taf. „Paarhufer XV”, 12, bei S. 261), verbreitet ſein, der vom Baikalſee bis Lhaſſa, vom Altai bis zum Himalaja, von Herat bis nach Kumaon und den Gangesquellen in zahlreichen Formen die höheren zentralaſiatiſchen Gebirge bewohnt. Auf dem Sinai, in Südoſtarabien, Nubien und den Bergen am ägyptiſchen Ufer des Roten Meeres findet ſich der Nubiſche Steinbock oder Beden, Capra (Aegoceros) nubiana F. Cuv. (beden; Taf. „Paarhufer XVI“, 3); die Berge Abeſſiniens bewohnt Capra walie Rüpp. Im Kaukaſus treffen Steinböcke und Ture zuſammen. Der Weſtkaukaſiſche Steinbock, Capra (Aegoceros) severtzowi Menzb. Taf. „Paarhufer XV“, 11, bei S. 261), iſt ein echter Vertreter der Untergattung der Stein⸗ böcke mit allen Merkmalen eines ſolchen. An zweiter Stelle der Verbreitung nach ſtand ehemals unſer Alpenſteinbock, Capra (Aegoceros) ibex I., deſſen Heimat aber jetzt jo eingeſchränkt Paarhufer XVI. 5 ie ie - — 1. Alpeniteinbock, Capra ibex IL, Bock. 2. Alpeniteinbock, Capra ibex I, Ziege mit Kit. 1/25 nat. Gr., s. S. 279. — Nach Photographie. 1/25 nat. Gr., S. S. 279. — L. Bab-Berlin phot. 3. Nubifcher Steinbock, Capra nubiana F. Cuv. 4. Bezoarziege, Capra hircus I, Bock. 1/25 nat. Gr., S. S. 278. — Aug. Scherl, G. m. b. H.-Berlin phot. 1/25 nat. Gr., s. S. 285. — P. Kothe-Berlin phot. 5. Chinefifche Fellziege. 6. Kameruner Zwergziege. 1/25 nat. Gr., s. S. 292. — P. Kothe-Berlin phot 1/15 nat. Gr., s. S. 289. — P. Kothe-Berlin phot. 7 Aayp fifche 5 8. Saanenziege. Deutſche Landwirtſchaftsausſtellung 25 nat. Or., s. S. 291. — A. Karl Schuster- Wien pnot. Hannover 1914, Nr. 191. 1/25 nat. Gr., s. S. 290. — W. Greve-Berlin phos. "MM HN UI 9 Jerdons 8 nziege, Capra falconeri jerdoni Hume. 10. Markhur, ah falconeri Wagn. 1/25 nat. Gr., s. S. 298. — L. Bab-Berlin phot. 25 nat. Gr., s. S. 297. — Aug. Scherl, G. m. b. H.-Berlin phot. 11. Anoa, Bos depressicornis H. Sm. 12. Tahr, Hemitragus jemlahicus H. Sm. 1/25 nat. Gr., s. S. 309. — L. Bab - Berlin phot. 30 nat. Gr., s. S. 299. — W. P. Dando, F. Z. S.-London phot. Spaniſcher Steinbock. Alpenſteinbock. 279 iſt, daß ſie wohl das kleinſte aller Steinbocksgebiete iſt. Alle dieſe Tiere ſind einander ſehr ähnlich in Geſtalt und Färbung und unterſcheiden ſich hauptſächlich durch das Gehörn und den ſtärker oder ſchwächer entwickelten Kinnbart. Die eigentümlich zerſtreute Verbreitung der Stein— böcke auf den Hochgebirgen bei großer körperlicher Ahnlichkeit läßt, wie in zahlreichen ähnlichen Fällen, die Annahme zu, daß die Steinböcke vor nicht allzuweit zurückliegender Zeit die Ebenen zwiſchen jenen Bergen bewohnten, wohl zu einer Zeit, die kälter war als die jetzige, ſo daß dieſe die Wärme meidenden Tiere ſogar nach Afrika bis nach Abeſſinien gelangen konnten. Als das Klima wärmer wurde und vor allen Dingen der Wald kam, zogen ſich die Steinböcke auf die Gebirge zurück. Nun entſtanden hier infolge der geographiſchen Trennung die zahl— reichen Formen, die wir je nach der größeren oder geringeren anatomiſchen Verſchiedenheit in unſerem Syſtem als Arten oder Unterarten bezeichnen. Die ehemalige weitere Verbreitung der Steinböcke über tiefer gelegene Gegenden ſcheint auch aus der Nachricht hervorzugehen, daß der Alpenſteinbock noch im 18. Jahrhundert in den Vogeſen lebte. Und Nehring berichtet uns von verſchiedenen foſſilen Funden aus Mittel- und Weſteuropa. Der Alpenſteinbock, Capra (Aegoceros) ibex L. (Taf. „Paarhufer XVI“, I u. 2), iſt ein ſtolzes Geſchöpf von 1,5—1,56 m Leibeslänge mit 13,5 em langem, aufrecht getra— genem Schwanz, 80 —100 em Schulterhöhe und 75—100 kg Gewicht. Das Tier macht den Eindruck der Kraft und Ausdauer. Der Leib iſt gedrungen, der Hals mittellang, der Kopf verhältnismäßig klein, aber ſtark an der Stirn gewölbt; die Beine ſind kräftig und mittelhoch; das Gehörn, das beide Geſchlechter tragen, erlangt bei dem alten Bocke ſehr be— deutende Größe und Stärke und krümmt ſich einfach bogen- oder halbmondförmig ſchief nach rückwärts. An der Wurzel, wo die Hörner am dickſten ſind, ſtehen ſie einander ſehr nahe; von hier entfernen ſie ſich, allmählich bis zur Spitze hin ſich verdünnend, weiter voneinander. Ihr Durchſchnitt kann ungefähr als ein Dreieck mit der Breitſeite nach vorn bezeichnet werden. Die Wachstumsringe treten beſonders auf der Vorderfläche in ſtarken, erhabenen, wulſtartigen Knoten oder Höckern hervor, verlaufen auch über die Seitenflächen des Hornes, erheben ſich hier jedoch nicht ſo weit wie vorn. In der Mitte des Hornes ſind ſie am ſtärkſten, und hier ſtehen ſie auch am engſten zuſammen; gegen die Wurzel und die Spitze zu nehmen fie allmählich an Höhe ab. Die Hörner können eine Länge von 80 —100 em und ein Ge— wicht von 10 —15 kg erreichen. Das Gehörn des Weibchens ähnelt mehr dem einer weib— lichen Hausziege als dem des männlichen Steinbockes. Die Hörner der Ziege find verhältnis⸗ mäßig klein, faſt drehrund, der Quere nach gerunzelt und einfach nach rückwärts gekrümmt. Ihre Länge beträgt ſelbſt bei erwachſenen Tieren nicht mehr als höchſtens 30 em. Schon im erſten Monate des Lebens ſproßt bei dem jungen Steinbocke das Gehörn hervor; bei einem etwa einjährigen Bocke ſind es noch kurze Stummel, die hart über der Wurzel die erſte quer— laufende, knorrige Leiſte zeigen; an den Hörnern der zweijährigen Böcke zeigen ſich bereits 2—3 wulftige Erhöhungen; dreijährige Böcke haben ſchon Hörner von 45 em Länge und eine erhebliche Anzahl von Knoten, die nun mehr und mehr ſteigt und bei alten Tieren bis auf 24 kommen kann. Einen ſicheren Schluß auf das Alter des Tieres laſſen dieſe Knoten ebenſowenig zu wie die wenig bemerklichen Wachstumsringe zwiſchen ihnen. Die Behaarung iſt rauh und dicht, verſchieden nach der Jahreszeit, im Winter länger, gröber, krauſer und matter, im Sommer kürzer, feiner, glänzender, während der rauhen Jahreszeit durchmengt mit einer dichten Grundwolle, die mit zunehmender Wärme ausfällt, und auf der Oberſeite des Leibes pelziger, d. h. kürzer und dichter als unten. Außer am 280 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Hinterhalſe und Nacken, wo die Haare ſich mähnenartig erheben, verlängern ſie ſich bei dem alten Männchen auch am Hinterkopfe, indem ſie hier zugleich ſich kräuſeln und einen Wirbel bilden, und ebenſo am Unterkiefer; doch entſteht hier höchſtens ein kurzes Stutzbärtchen von nicht mehr als 5 em Länge, das jüngeren Böcken wie den Steinziegen gänzlich fehlt. Die Färbung iſt nach Alter und Jahreszeit etwas verſchieden, im Sommer rötlichgrau, im Winter mehr gelblichgrau. Der Rücken iſt wenig dunkler als die Unterſeite; ein ſchwach abgeſetzter brauner Streifen verläuft längs ſeiner Mitte. Stirn, Scheitel, Naſe, Rücken und Kehle ſind dunkelbraun; am Kinn, vor den Augen, unter den Ohren und hinter den Naſenlöchern zeigt ſich mehr roſtfahle Färbung; das Ohr iſt außen fahlbraun, inwendig weißlich. Ein dunkel— bis ſchwarzbrauner Längsſtreifen ſcheidet Ober- und Unterſeite; außerdem find Bruſt, Vorder: hals und die Weichen dunkler als die übrigen Stellen, und an den Beinen geht die all— gemeine Färbung in Schwarzbraun über. Die Mitte des Unterkörpers und die Umgebung des Afters ſind weiß; der Schwanz iſt oben braun, an der Spitze ſchwarzbraun. Auf der Rückſeite der Hinterläufe verläuft ein heller, weißlichfahler Längsſtreifen. Mit zunehmendem Alter wird die Färbung gleichmäßiger. Das Haarkleid der Steingeiß entſpricht im weſentlichen durchaus dem des Bockes, zeigt jedoch keinen Rückenſtreifen und iſt mehr fahl gelblichbraun gefärbt, die Mähne kürzer und undeutlicher; von einem Barte iſt keine Spur zu ſehen. Die Zicklein ähneln bis zur erſten Härung der Mutter, haben aber, wenn ſie männlichen Ge— ſchlechtes ſind, ſchon von Geburt an den dunkleren Rückenſtreifen. Bereits vor Hunderten von Jahren waren die Steinböcke ſehr zuſammengeſchmolzen, und wenn im 18. Jahrhundert nicht beſondere Anſtalten getroffen worden wären, ſie zu hegen, gäbe es vielleicht keinen einzigen mehr. Nach alten Berichten bewohnten ſie in früheren Zeiten alle Hochalpen der Schweiz, in vorgeſchichtlicher Zeit ſcheinen ſie ſich ſogar auf den Voralpen aufgehalten zu haben. Ja, Doderlein („Das Reichsland Elſaß-Lothringen“) hält es nicht für ausgeſchloſſen, daß 1798 in den Vogeſen, im Münſtertal, der letzte Steinbock erlegt wurde. Während der Herrſchaft der Römer müſſen die Tiere häufig geweſen fein; denn dieſes prunk— liebende Volk führte nicht ſelten 100 —200 lebendig gefangene Steinböcke zu den Kampfſpielen nach Rom. Schon im 15. Jahrhundert waren ſie in der Schweiz ſelten geworden. Im Kanton Glarus wurde 1550 das letzte Stück geſchoſſen, in Graubünden konnte der Vogt von Kaſtel dem Erzherzoge von Oſterreich im Jahre 1574 nur mit Mühe noch Böcke ſchaffen. In den Bergen des Bergell und Oberengadin zählten ſie im 16. Jahrhundert noch nicht zu den un— gewöhnlichen Tieren. Im Jahre 1612 verbot man ihre Jagd bei 50 Kronen Geldbuße, ſchon 21 Jahre ſpäter bei körperlicher Strafe. Ende des 18. Jahrhunderts traf man ſie noch in den Gebirgen, die das Bagnetal umgeben, zu Anfang des 19. Jahrhunderts noch in Wallis; ſeitdem hat man ſie auf Schweizer Gebiet ausgerottet. Im Jahre 1911 wurde jedoch im Ge⸗ biet der Grauen Hörner im St. Galler Oberland mit zwei Böcken und drei Geißen ein Wieder⸗ einbürgerungsverſuch unternommen, über deſſen Gedeihen günſtige Berichte vorliegen, neuer dings (1914) auch im Gebiet des Piz d'Aela in Graubünden mit zwei Paaren. In Oberbſter⸗ reich wurde, nach Knauer, der letzte Steinbock 1706 in den Alpen der Röll am Almſee geſchoſſen. In Salzburg und Tirol ſind Steinböcke wahrſcheinlich erſt um die Mitte des 16. Jahr⸗ hunderts und vermutlich durch die reichen Herren v. Keutſchbach eingebürgert worden, haben ſich auch nur kurze Zeit dort gehalten. Wilddiebe gefährlichſter Art ſtellten ihnen, weil man Gehörn und Blut, „Herzknochen“, „Bockſteine“ uſw. für kräftige Heilmittel hielt, mit ſolchem Eifer nach, daß ſich der Jagdbeſitzer des von ihnen bewohnten, Gebietes im Jahre 1561 ſchutzbittend an ſeinen Fürſten, den Erzbiſchof von Salzburg, wendete, der endlich 1584 die Alpenſteinbock: Verbreitung. Wiedereinbürgerungsverſuche. 281 Jagdgerechtigkeit ſelbſt übernahm. Er und ſeine Nachfolger wandten verſchiedene Mittel an, um die Ausrottung der edlen Tiere zu verhindern. Sie vervierfachten die Anzahl ihrer Jäger, ſetzten Wildhüter in kleine Hütten auf die höchſten Alpen und ließen junges Steinwild ein— fangen, um es in Tiergärten aufzuziehen. So hatten ſich die Tiere bis 1694 auf 72 Böcke, 83 Geißen und 24 Junge vermehrt. Infolge des Wertes der einzelnen Teile — man zahlte damals für jeden „Herzknochen“ des Steinbockes einen Dukaten, für ein gefundenes Horn 2 Reichstaler, für eine Gemskugel 2 Gulden — nahmen aber die Wilddiebereien kein Ende; ja, es kam ſogar zu förmlichen Schlachten zwiſchen Wilddieben und Wildhütern. So befahl denn Fürſtbiſchof Johann Ernſt ſelbſt, das Steinwild auszurotten, nachdem es unter ſeinem Vorgänger im Jahre 1699 mit etwa 250 Stück im Floitental ſeinen Höchſtbeſtand erreicht hatte. Fortan hielt man Steinböcke im Salzburgiſchen nur noch im Hellbrunner Park, griff aber hier ſchließlich zu einer Baſtardierung mit Ziegen. Aber auch dieſe Beſtände fielen zu Anfang des vorigen Jahrhunderts in den Tiroler Kämpfen franzöſiſchen Soldaten zum Opfer. Jetzt lebt der Alpenſteinbock, abgeſehen von ausgeſetzten Stücken, wild nur noch in Pie— mont, und zwar, nach Knauer, in der Alpenkette des Montblanc und des Monte Roſa zwiſchen der Südſeite des erſteren und den Grenzgebieten des Wallis. Auch hier wäre er längſt den Wildſchützen erlegen, wenn ihn nicht ſtrengſte Jagdgeſetze ſchützten. Die Erhaltung des Stein— bockes iſt Viktor Emanuel II. zu verdanken, der, wie Leſſona und Salvadori bemerken, vom Antritte ſeiner Regierung an die größte Sorgfalt an den Tag gelegt hatte, um der Aus— rottung des edlen Wildes entgegenzutreten und ſeine Vermehrung zu fördern. Nach einer Mitteilung der „Jagdzeitung“ haben im Jahre 1858 die Gemeinden Cogne, Val Savaranche, Champorcher und Bomboſet ihr Jagdrecht als ausſchließliches Eigentum dem Könige über— laſſen, der, nachdem er im Jahre 1863 auch die Gems- und Steinbockjagd von der Gemeinde Courmajeur im Val d'Aoſta an der Gebirgskette des Montblanc vom Col de Ferrex bis zum Col de la Seigne erworben hatte, einen Standort des Steinwildes ſchaffen und dieſen allen Raub— ſchützen wenigſtens ziemlich unzugänglich machen konnte. Aber auch hier dürften die Tage des edlen Wildes bald gezählt ſein. Gingen doch 1901 infolge ungünſtiger Witterung allein 350 Stück ein. Immerhin mag der Beſtand noch auf 2000 Tiere geſchätzt werden, wovon jähr— lich etwa 40 zum Abſchuß gelangen. Wieviel aber Wilderern jährlich zum Opfer fallen, iſt ſchwer zu ſchätzen. Kommen doch immer noch Steinbockgehörne, und zwar gar nicht ſo ſelten, in den Handel, von denen mit ziemlicher Sicherheit geſagt werden kann, daß ſie gewildert ſind. Wie weit die neueren Tierſchutzbeſtrebungen und Wiedereinbürgerungsverſuche (j. auch S. 280) den Untergang des Steinwildes aufzuhalten vermögen, bleibt abzuwarten. Der Ver— ſuch des Kaiſers Franz Joſeph, Steinwild im Höllengebirge (Oberöſterreich) anzuſiedeln, iſt ungünſtig verlaufen. Mehr Erfolg hatte eine Zeitlang der Fürſt von Pleß. Er ſetzte 1876 zwanzig aus Savoyen bezogene Kreuzungsgeißen und drei reine Steinböcke im Tännengebirge (Salzburg) aus, die ſich 1893 auf 30 Geißen und S—10 Böcke vermehrt hatten. Trotz— dem blieben im Jahre 1901 nur noch Kreuzungserzeugniſſe übrig, die dem Fürſten Hohen: lohe⸗Ohringen für ſeinen Beſitz Javorina in der Hohen Tatra überlaſſen wurden. Welche Schwierigkeiten der Haltung entgegenſtanden, ſchildert Grashey, der gerade dieſe Kolonie ſtudiert hat. Die Brunſtzeit fiel im Tännengebirge in den Auguſt, die Setzzeit in den Februar, alſo in eine ſo ungünſtige Jahreszeit, daß alljährlich Kitze zugrunde gingen und der jährliche Zu— wachs nur 2—3 Stück betrug. Dies waren vorwiegend Geißen. Außerdem braucht eine Stein- geiß drei Jahre, bis ſie fortpflanzungsfähig iſt, kann alſo das erſte Kitz erſt ſetzen, wenn ſie volle vier Jahre alt iſt. Ferner ſäugt ſie das Kitz ein volles Jahr lang, daher bringt ſie 282 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. nur jedes zweite Jahr ein Junges. Schließlich bekämpfen ſich auch noch die Geißen ſehr heftig, und als Folge dieſer Kämpfe werden häufig tote Junge geboren. Dazu kommen Unglücks fälle, Vernichtung durch Lawinen, Steinſchlag, in Piemont auch durch Wilderer. Das Ausſetzen von Blendlingen zwiſchen Steinbock und Ziege hat manchmal ſeine Schwierigkeiten. Häufig richten die gewöhnlich in der Gefangenſchaft aufgezogenen und ſich ihrer Kraft bewußten Tiere allerlei Unheil an, beläſtigen Menſchen und Tiere, drängen ſich zu den Hausgeißen, die ſie beſpringen, und können ſchließlich zu einer wahren Landplage werden, wie dies mit einem Baſtardbock der Fall war, mit dem die Stadt Bern im zweiten Jahrzehnt des 19. Jahrhunderts einen Einbürgerungsverſuch machte. Dieſer ſcheiterte an der Bösartig— keit des Tieres, das ſchließlich getötet werden mußte. Das Steinwild bildet Rudel von verſchiedener Stärke, zu denen ſich die alten Böcke jedoch nur während der Paarungszeit geſellen, wogegen ſie in den übrigen Monaten des Jahres ein einſiedleriſches Leben führen. „Im Sommer“, ſo ſchreibt mir Graf Wilczek, „halten ſie ſich regelmäßig in den großartigſten und erhabenſten, an furchtbaren Klüften und Abſtürzen reichen, den Menſchen alſo unzugänglichen Felſenwildniſſen auf, und zwar meiſt die Schattenſeite der Berge erwählend, wogegen ſie im Winter tiefer herabzuſteigen pflegen.“ Die Ziegen und Jungen leben zu allen Jahreszeiten in einem niedrigeren Gürtel als die Böcke, bei denen der Trieb nach der Höhe ſo ausgeprägt iſt, daß ſie nur Mangel an Nahrung und die größte Kälte zwingen kann, tiefer herabzuſteigen. Stechende Hitze iſt dem Alpenſteinwilde weit mehr zuwider als eine bedeutende Kälte, gegen die es in hohem Grade unempfindlich zu ſein ſcheint. Nach Berthoud v. Berghem, deſſen Angaben in die meiſten Lebensbeſchreibungen des Tieres übergegangen ſind und noch heute Gültigkeit beanſpruchen, nehmen alle über ſechs Jahre alten Böcke die höchſten Plätze des Gebirges ein, ſondern ſich immer mehr ab und werden zuletzt gegen die ſtrengſte Kälte ſo unempfindlich, daß ſie oft ganz oben, gegen den Sturm gewendet, ſich wie Bildſäulen aufſtellen und dabei nicht ſelten die Spitzen der Ohren erfrieren. Wie die Gemſen weilen auch die Steinböcke des Nachts in den höchſten Wäldern, im Sommer jedoch niemals weiter als eine Viertelſtunde unter der Spitze einer freien Höhe. Mit Sonnenaufgang beginnen ſie weidend aufwärts zu klettern und lagern ſich endlich an den wärmſten und höchſten, nach Oſten oder Süden gelegenen Plätzen; nachmittags ſteigen fie wieder weidend in die Tiefe herab, um wo⸗ möglich in den Waldungen die Nacht zuzubringen. Wie Tuckott von einem Jagdaufſeher erfuhr, ſieht man Steinböcke am häufigſten vor 6 Uhr morgens und nach 4 Uhr nachmittags; in der Zwiſchenzeit ruhen ſie. Bei ihren Weidegängen halten ſie nicht allein ihre Wechſel ein, ſondern lagern ſich auch regelmäßig auf beſtimmten Stellen, am liebſten auf Felſenvorſprüngen, die ihnen den Rücken decken und freie Umſchau gewähren. Erfahrene Jäger verſichern, Stein⸗ böcke tagelang nacheinander auf derſelben Stelle wahrgenommen zu haben, und dieſe An— gaben werden durch das Betragen gefangener nur beſtätigt. „Gelegentlich meiner Beobachtungen des Steinwildes“, ſo bemerkt Mützel, der, um die Schönbrunner Gefangenen zu zeichnen, ſich zehn Tage nacheinander jedesmal mehrere Stunden in dem von ihnen bewohnten Gehege aufhielt, „iſt mir die Ordnungsliebe der kleinen Herde aufgefallen. Die Tiere ſcheinen ſich gewiſſen ſelbſtgegebenen Geſetzen unterzuordnen und dieſe ſtreng zu befolgen. Bei den Schönbrunner Gefangenen äußerte ſich der Ordnungstrieb darin, daß faſt jedes einzelne der älteren Stücke ſeinen beſtimmten Ruheplatz ſowie ſeine Stelle an der Heuraufe behauptete. An der hohen Umfaſſungsmauer, welche vormittags von der brennen⸗ den Sonne getroffen wird, ruhen dieſelben Böcke und eine leicht kenntliche Geiß immer auf demſelben Platze. Sie ſtanden öfters auf, um ein Maul voll Heu zu nehmen oder mit den Alpenſteinbock: Lebensweiſe. Bewegungen. Stimme. Sinne. 283 Beſuchern zu verkehren, und es kam dann vor, daß eines der jüngeren Tiere auf dem ſchon eingedrückten muldenförmigen Lager ſich wohl ſein ließ: ſobald jedoch der alte Herr wieder nahte, erhob ſich der Eindringling, um jenem ſein Recht einzuräumen. Dies geſchah beſtimmt nicht aus augenblicklicher Furcht vor dem älteren; denn dicht neben oder vor ihm tat ſich der jüngere Bock wieder nieder, ohne den Nachbar weiter zu beachten oder von dieſem beläſtigt zu werden. So hatten auch zwei Geißen mit ihren Kitzchen ihre feſten Ruheplätze auf einem vor dem Schaugitter errichteten Steinhaufen; beide lagen immer auf denſelben Steinen. An der Raufe behaupteten die beiden älteren Böcke den rechten und linken Flügel, wogegen die jüngeren und die Weibchen den Zwiſchenraum einnahmen. In der Körperhaltung beim Liegen ſpricht ſich eine rege Wachſamkeit aus; denn faſt immer werden die Hinterläufe, zum ſchnellen Er— heben geſchickt, dicht unter den Leib gezogen, und nur ein einziges Mal ſah ich einen Bock mit geſtreckten Hinterläufen ruhen. Von den Vorderläufen wird faſt ſtets der eine nach vorn hin ausgeſtreckt, während der andere umgeſchlagen iſt; ausnahmsweiſe kommt es vor, daß auch beide Vorderläufe ausgeſtreckt werden. Im höchſten Grade auffallend war mir die Stellung der alten, ſchlummernden Böcke. Wenn ſie es ſich bequem machten, ſetzten ſie die Naſenſpitze dicht vor die Bruſt auf den Boden und ließen nun den Kopf mit den ſchweren Hörnern nach vorn ſinken, ſo daß dann Naſenrücken, Stirn und unterer Teil der Hörner faſt auf dem Erd— boden lagen. Bei einem ungewohnten Geräuſche erhoben ſie den Kopf für einen Augenblick, ließen ihn jedoch bald wieder in die frühere Lage zurückſinken. Es erſchien mir dieſe Stellung ſo eigentümlich, daß ich täglich mehrmals das Gehege beſuchte, um mich von der ſtetigen Wiederkehr derſelben von neuem zu überzeugen.“ Kein anderer Wiederkäuer ſcheint in ſo hohem Grade befähigt zu ſein, die ſchroffſten Ge— birge zu beſteigen wie die Wildziegen insgemein und der Steinbock insbeſondere. Der Stein— bock läuft ſchnell und anhaltend, klettert mit bewunderungswürdiger Leichtigkeit und zieht mit unglaublicher, weil geradezu unverſtändlicher Sicherheit und Schnelligkeit an Felswänden hin, wo nur er Fuß fallen kann. Eine Unebenheit der Wand, die das menſchliche Auge ſelbſt in der Nähe kaum wahrnimmt, genügt ihm, ſicher auf ihr zu fußen; eine Felsſpalte, ein kleines Loch uſw. werden ihm zu Stufen einer gangbaren Treppe. Seine Hufe ſetzt er ſo feſt und ſicher auf, daß er ſich auf dem kleinſten Raume erhalten kann. Graf Wilczek beſtätigt dieſe Angaben. „Der ſtarke Steinbock“, ſagt er, „iſt das ſchönſte Jagdtier, welches ich je geſehen. Er hat die würdevolle Hauptbewegung des Hirſches; das faſt unverhältnismäßig große Ge— hörn beſchreibt bei der kleinſten Kopfbewegung einen weiten Bogen. Seine Sprungkraft iſt fabelhaft. Ich ſah eine Gemſe und einen Steinbock denſelben Wechſel annehmen. Die Gemſe mußte im Zickzack ſpringen, wie ein Vogel, welcher hin und her flattert: der Steinbock kam in gerader Linie herab wie ein Stein, welcher fällt, alle Hinderniſſe ſpielend überwindend. An faſt ſenkrechten Felſenwänden muß die Gemſe flüchtig durchſpringen; der Steinbock dagegen hat ſo gelenkige Hufe, daß er, langſam weiter ziehend, viele Klaftern weit an ſolchen Stellen hinſchreiten kann: ich ſah ihn beim Haften an Felswänden ſeine Schalen ſo weit ſpreizen, daß der Fuß eine um das Dreifache verbreiterte Fläche bildete.“ Die Stimme des Steinbockes ähnelt dem Pfeifen der Gemſe, iſt aber gedehnter. Er— ſchreckt läßt er ein kurzes Nieſen, erzürnt ein geräuſchvolles Blaſen durch die Naſenlöcher ver— nehmen; in der Jugend meckert er. Unter den Sinnen ſteht das Geſicht obenan. Das Auge des Steinwildes iſt, nach Wilczeks Erfahrungen, viel ſchärfer, die Witterung dagegen weit geringer als bei dem Gemswilde, das Gehör vortrefflich. Die geiſtigen Begabungen dürften mit denen der Ziegen insgeſamt auf derſelben Stufe ſtehen, wie auch das Weſen im allgemeinen 284 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. mit dem Auftreten und Gebaren der Hausziegen übereinſtimmt. Nach Art der Ziegen gefällt er ſich in der Jugend in neckiſchen, noch im Alter ſelbſt in mutwilligen Streichen, tritt aber immer ſelbſtbewußt auf und bekundet erforderlichenfalls hohen Mut, Rauf- und Kampfluſt. Gefährlichen Tieren weicht er aus, ſchwächere behandelt er übermütig oder beachtet ſie kaum. Mit den Gemſen will er, wie behauptet wird, nichts zu tun haben. Leckere Alpenkräuter, Gräſer, Baumknoſpen, Blätter und Zweigſpitzen, insbeſondere Fenchel- und Wermutarten, Thymian, die Knoſpen und Zweige der Zwergweiden, Birken, Alpenroſen, des Ginſters und im Winter nebenbei auch dürre Gräſer und Flechten bilden die Aſung des Steinwildes. Salz liebt es außerordentlich, erſcheint daher regelmäßig auf ſalz— haltigen Stellen und beleckt dieſe mit ſolcher Gier, daß es zuweilen die ihm ſonſt eigene Vor— ſicht vergißt. Ein auf weithin vernehmbares, eigentümliches Grunzen drückt das hohe Wohl- behagen aus, das dieſer Genuß ihm bereitet. Die Paarungszeit fällt Ende Dezember und Anfang Januar. Starke Böcke kämpfen mit ihren gewaltigen Hörnern mutvoll und ausdauernd, rennen wie Ziegenböcke aufeinander los, ſpringen auf die Hinterbeine, verſuchen den Stoß ſeitwärts zu richten und prallen endlich mit den Gehörnen heftig und geräuſchvoll zuſammen. An ſteilen Gehängen mögen dieſe Kämpfe zuweilen gefährlich werden. Fünf Monate nach der Paarung, meiſt Ende Juni oder Anfang Juli, wirft die Ziege 1 (ſelten 2) Junges, an Größe etwa einem neugeborenen Zicklein gleich, leckt es trocken und läuft bald darauf mit ihm davon. Das Steinzicklein, ein äußerſt niedliches, munteres, wie Schinz ſagt, „ſchmeichelhaftes“ Geſchöpf, kommt mit feinem, wolligem Haare bedeckt zur Welt und kleidet ſich erſt vom Herbſte an in ein aus ſteiferen, längeren Grannen beſtehendes Gewand. Bereits wenige Stunden nach der Geburt erweiſt es ſich faſt als ebenſo kühner Bergſteiger wie feine Mutter. Dieſe leitet es, meckert ihm freund- lich zu, ruft es zu ſich, hält ſich, ſolange ſie es ſäugt, mit ihm in den Felſenhöhlen verborgen und verläßt es nie, außer wenn ſie das eigene Leben retten muß. Bei drohender Gefahr eilt ſie an fürchterlichen Gehängen hin und ſucht in dem wüſten Geklüfte ihre Rettung. Das Zicklein aber verbirgt ſich äußerſt geſchickt hinter Steinen und in Felſenlöchern, liegt dort mäuschenſtill, ohne ſich zu rühren, und äugt und lauſcht und wittert ſcharf nach allen Seiten hin. Sein graues Haarkleid ähnelt den Felswänden und Steinen derart, daß auch das ſchärfſte Falkenauge nicht imſtande iſt, es wahrzunehmen oder vom Felſen zu unterſcheiden. Sobald die Gefahr vorüber iſt, findet die gerettete Steinziege ſicher den Weg zu ihrem Kinde wieder; bleibt ſie aber zu lange aus, ſo kommt das Steinzicklein aus ſeinem Schlupfwinkel hervor, ruft nach der Alten und verbirgt ſich dann ſchnell wieder. Wird die Mutter getötet, ſo flieht es anfangs, kehrt aber bald und immer wieder um und hält lange an der Gegend feſt, wo es ſeine treue Beſchützerin verlor. Mit ihren nahen Verwandten, unſeren Hausziegen, paaren ſich die Steinböcke ohne ſonderliche Umſtände und erzeugen Blendlinge, die wiederum fruchtbar ſind. Jung eingefangene Steinböcke gedeihen, wenn man ihnen eine Ziege als Amme gibt, in der Regel gut, werden auch bald zahm, verlieren dieſe Eigenſchaft jedoch mit zunehmendem Alter. Sie haben viel von dem Weſen unſerer Hausziege, bekunden aber von Anfang an größere Selbſtändigkeit als dieſe und gefallen ſich ſchon in den erſten Wochen ihres Lebens in den kühnſten und verwegenſten Kletterverſuchen. Neugierig, neckiſch und mutwillig wie junge Zicklein ſind auch ſie und anfänglich ſo ſpielluſtig und drollig, daß man ſeine wahre Freude an ihnen haben muß. Mit ihrer Amme befreunden ſie ſicheſchon nach wenigen Tagen, mit ihrem Pfleger nach geraumer Zeit, unterſcheiden dieſen beſtimmt von anderen Leuten und Alpenſteinbock. Bezoarziege. 285 legen Freude an den Tag, wenn ſie ihn nach längerer Abweſenheit wieder zu ſehen bekommen. Ihre Anhänglichkeit an die Pflegemutter beweiſen ſie durch kindlichen Gehorſam; denn ſie kehren ſtets zurück, wenn die Ziege meckernd ſie herbeiruft, ſo gern ſie auch ſich möglichſt un— gebunden umhertreiben und dabei Höhen erklimmen, die der Pflegemutter bedenklich zu ſein ſcheinen. Gegen Liebkoſungen höchſt empfänglich, laſſen ſie ſich doch nicht das geringſte ge— fallen und ſtellen ſich bald auch ihrem Wärter trotzig zur Wehre, den Kopf mit dem kurzen Gehörne in unendlich komiſcher Weiſe herausfordernd bewegend. Lammfromm halten ſie ſtill, wenn man ſie zwiſchen den Hörnern kraut, mutwillig aber vergelten ſie ſolche Wohltaten nicht ſelten durch einen ſcherzhaft gemeinten, jedoch nicht unempfindlichen Stoß. Je älter ſie werden, um ſo ſelbſtbewußter und übermütiger zeigen ſie ſich. Schon mit halberwachſenen Steinböcken iſt nicht gut zu ſcherzen, erwachſene aber rennen, ſobald ſie erzürnt werden, den ſtärkſten Mann über den Haufen und ſind imſtande, geradezu lebensgefährliche Verletzungen beizubringen. Die Ziegen im engſten Sinne (Untergattung Capra I.) find durchſchnittlich etwas kleiner als die Steinböcke, ihre Hörner mehr oder weniger zuſammengedrückt, ſcharfkantig und mit Querwülſten oder Runzeln verſehen, ſäbelförmig gebogen oder ſchraubenartig gewunden. Die Bezoarziege, in Perſien Boz-Paſang, das Männchen Paſang, das Weibchen Boz genannt, Capra hircus L. (aegagrus; Taf. „Paarhufer XVI“, 4, bei S. 278), iſt zwar etwas kleiner als der europäiſche Steinbock, aber doch merklich größer als unſere Hausziege. Die Länge des ausgewachſenen Bockes beträgt etwa 1,5 m, die Länge des Schwanzes 20 em, die Höhe am Widerriſte 95 em und die am Kreuze 2 em mehr. Die Ziege iſt merklich kleiner. Der Leib iſt ziemlich geſtreckt, der Rücken ſchmal, der Hals von mäßiger Länge, der Kopf kurz, die Schnauze ſtumpf, die Stirn breit, längs des Naſenrückens faſt gerade, die Augen und Ohren ſind ziemlich groß; die Beine ſind verhältnismäßig hoch und ſtark, die Hufe ſtumpf zugeſpitzt; der Schwanz iſt ſehr kurz und gleichmäßig mit langen, zottigen Haaren beſetzt. Die ſehr großen und ſtarken, von beiden Seiten zuſammengedrückten und hinten und vorn ſcharfkantigen, auf der äußeren Seite aber gerundeten oder gewölbten Hörner, die ſchon bei mittelgroßen Tieren über 40 em, bei alten oft mehr als das Doppelte meſſen, bilden, von der Wurzel angefangen, einen ſtarken, einfachen und gleichförmig nach rückwärts gekrümmten Bogen, der bei alten Männchen ungefähr einen Halbkreis beſchreibt, ſtehen an der Wurzel eng zuſammen, biegen ſich ſodann bis über ihre Mitte hin allmählich nach abwärts, wenden ſich aber mit der Spitze wieder ſtark nach vor- und einwärts, ſo daß ſie an ihrem äußerſten Ende um 12—15 em näher zuſammenſtehen als in der Mitte, wo die Entfernung zwiſchen beiden 30—40 em beträgt. Das rechte Horn iſt ſchwach mit der Spitze nach rechts, das linke nach links gewunden. Die Knoten oder Querwülſte des Gehörns, zwiſchen denen zahlreiche Querrunzeln liegen, ſteigen bei alten Tieren bis auf 10 und 12 an. Beide Geſchlechter tragen einen ſtarken Bart; die übrige Behaarung beſteht aus ziemlich langen, ſtraffen, glatt an— liegenden Grannen und kurzen, mittelmäßig feinen Wollhaaren. Die Färbung iſt ein helles Rötlichgrau oder Roſtbräunlichgelb, das an den Halsſeiten und gegen den Bauch hin wegen des hier reichlicher auftretenden weißſpitzigen Haares lichter wird; Bruſt und Unterhals ſind ſchwarzbraun, Bauch, Innen- und Hinterſeite der Schenkel weiß. Ein ſcharf abgegrenzter, von vorn nach hinten ſich verſchmälernder ſchwarzbrauner Längsſtreifen verläuft über die Mittel— linie des Rückens bis zu dem einfarbig ſchwarzen Schwanze. Hinter den Vorderbeinen be— ginnt ein gleichfarbiger Streifen, der die Ober- und Unterſeite ſcharf voneinander ſcheidet. Den Hals umgibt kurz vor ſeinem hinteren Ende ein ſchwarzes Band. Die Vorderläufe ſind vorn 286 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. und ſeitlich ſchwarzbraun, über der Handwurzel, wie die hinteren, weiß. Der Kopf iſt an den Seiten rötlichgrau, auf der Stirn braunſchwarz, vor dem Auge und an der Wurzel des Najen= rückens wie Kinn- und Kehlbart ſchwarzbraun, an den Lippen weiß. Den Weibchen und Jungen fehlen die meiſten der ſchwarzen Abzeichen. Die Böcke find erſt in 3—4 Jahren ganz ausgefärbt. Im übrigen ſind Farbe, Zeichnung und Hornform ſehr veränderlich. Bei der weiten Verbreitung und der bei Gebirgsbewohnern leicht eintretenden Trennung iſt ja die Bildung zahlreicher Lokalformen nichts Unerwartetes. Aber bei der großen Ahnlichkeit, die verwilderte Hausziegen oft mit Wildziegen haben, und bei der Leichtigkeit, mit der Hausziegen verwildern, iſt es oft ſchwer, in einzelnen Fällen kaum möglich, mit Sicherheit zu entſcheiden, ob es ſich um wirklich wilde Ziegen oder um verwilderte Hausziegen handelt. Daher iſt es auch nicht leicht, genau das Verbreitungsgebiet der wilden Bezoarziege anzugeben, denn in ihrer Nachbar⸗ ſchaft, zumal auf den griechiſchen Inſeln, wimmelt es von zahmen, halbzahmen, verwilderten und wilden Ziegen. Die dadurch hervorgerufenen Streitfragen hat Lorenz („Wiſſenſch. Mittlgn. aus Bosnien u. d. Herzegowina“, 1899) an reichem Material kritiſch und grundlegend be— handelt. Er ſieht nur die auf Kreta und Erimomilos lebenden als Wildziegen, und zwar als Unterarten der Bezoarziege, an, während er es ſehr wahrſcheinlich macht, daß die Ziege der Sporadeninſel Jura keine Wildziege, ſondern nur eine verwilderte Hausziege iſt. In Aſien reicht das Verbreitungsgebiet der Bezoarziege bis zum Kaukaſus im Norden und bis Sind und Balutſchiſtan im Oſten. Auf Kreta ſind heute, nach C. Keller, die Bezoarziegen in den ſphakiotiſchen Bergen ziemlich häufig, auch im a leben noch einzelne Trupps, dagegen ſind ſie in Oſt-Kreta ſelten. Über das Freileben der Bezoarziege auf den vorher genannten Inſeln gibt Erhard eine ſpäter durch Sandwith vollkommen beſtätigte Mitteilung. Gewöhnlich ſieht man Herden von 40—50 Stück beiſammen, die ſich jedoch zur Paarungszeit, in der Mitte des Herbſtes, in kleinere Rudel von 6—8 Stück auflöſen. Die Ziege wirft meiſt noch vor Beginn des Früh: lings 2, ſeltener 3 Junge, die vom Tage ihrer Geburt an der neu ſich bildenden Herde zugeſellt werden. Zuweilen erzeugen die Bezoarziegen auch mit ihren gezähmten Abtömme lingen Blendlinge. Saftige und dürre Kräuter faſt ohne Wahl werden als Aſung angegeben; doch ſollen die Bezoarziegen den Kapernſtrauch mit Vorliebe aufſuchen. Im weſtlichen Aſien, wo die Bezoarziege in allen höheren Gebirgen lebt und meiſt ſehr zahlreich auftritt, bewohnt fie, laut Kotſchy, regelmäßig einen Höhengürtel von 1500 m an aufwärts, am liebſten diejenigen Stellen des Gebirges, wo um die kahlen Felsſpitzen hohe, gelblich blühende Doldengewächſe, ihre hauptſächlichſte Aſung, in reichlicher Fülle wachſen. Nach Angabe türkiſcher Jäger ſteigen die Tiere frühzeitig am Morgen von dem Walde, in dem ſie die Nacht verbrachten, zu den Höhen empor, weiden auf dem Gipfel und auf den höchſtgelegenen Gehängen der Gebirge oft in unmittelbarer Nähe der Gletſcher und kehren des Abends nach den Wäldern zurück. In ihrem Auftreten, Weſen und Gebaren erinnert die Bezoarziege lebhaft an den Stein⸗ bock. Im Sommer ſucht der Bock die höheren Teile des Gebirges oft bis zur Schneegrenze auf, während die Geißen tiefer leben. Im Winter vereinigen ſich beide Geſchlechter und kom— men in mancher Gegend bis zum Meer herab. Raſch und ſorglos läuft die Bezoarziege auf ſchwierigen Wegen dahin, ſteht oft ſtundenlang, ſchwindelfrei in die ungeheuren Abgründe ſchauend, auf vorſpringenden Felszacken, klettert vortrefflich und wagt gefährliche Sätze mit ebenſoviel Mut wie Geſchick. Sie iſt außerordentlich ſcheu und weiß den meiſten Gefahren zu entgehen. Ihre Sinne ſind vortrefflich entwickelt: ſie wittert auf große Entfernungen Bezoarziege: Verbreitung. Lebensweiſe. Weſen. Fang. Feinde. Nutzen. 287 hin und vernimmt das leiſeſte Geräuſch. Auch ihre geiſtigen Fähigkeiten ſtehen ungefähr auf derſelben Stufe wie die des Steinwildes. Während der Paarungszeit, die in den November fällt, kämpfen die Böcke hartnäckig und gewaltig miteinander, wie die Scharten und halb ab— geſtoßenen Splitter an der Vorderkante der Hörner zur Genüge beweiſen. Im April oder Mai werden oder 2, nicht allzuſelten aber auch 3 Zicklein geſetzt. Dieſe folgen der Mutter ſofort nach der Geburt, vom dritten Tage ihres Lebens an ſelbſt auf den ſchwierigſten Pfaden, wachſen raſch heran und ſind, wie alle Ziegen, jederzeit zu Scherz und Spiel geneigt. Um ſolche Jungen zu fangen, begeben ſich, laut Kotſchy, mehrere gute Bergſteiger des kilikiſchen Taurus, bevor noch die Gerſtenernte in den Gebirgsdörfern beginnt, nach den Höhen und ſpähen nach trächtigen Bezoarziegen aus, die vor dem Wurfe einen ſchwer zugänglichen Lagerplatz zu erwählen und regelmäßig zu ihm zurückzukehren pflegen. Iſt eine ſolche Ziege aufgefunden und der Zugang zu ihrem Lager als möglich erachtet worden, ſo bleiben die Bergſteiger in ihrem Verſtecke, das Tier beobachtend, bis es geworfen. Am dritten Tage nach der Geburt verſuchen ſie das Zicklein zu fangen, indem ſie die Ziege in die Flucht ſcheuchen. Nach gelungenem Fange eilt man mit der gewonnenen Beute ſofort in das Dorf hinab, um das junge Wildzicklein einer Hausziege, die kurz vorher zum erſtenmal geworfen hat, in Pflege zu geben. Unſere Tiergärten erhalten lebende Bezoarziegen recht ſelten, obgleich der Verſand der von früheſter Jugend an eingewöhnten Tiere wenig Schwierigkeiten bereitet. In Weſtaſien treten den Bezoarziegen mehrere Raubtiere feindlich entgegen. Luchs und Panther werden im Taurus, Tiger und Löwe in den perſiſchen Gebirgen den alten, mehrere Adler und vielleicht auch der Bartgeier allüberall den jungen gefährlich. Gelegentlich der Beſteigung des hohen Demawend in Nordperſien wurde Kotſchy Augenzeuge einer vom Tiger ausgehenden Verfolgung der Bezoarziegen, die aus Furcht vor dem ſchlimmen Feinde die ihnen ſonſt eigene Scheu verloren und ſich unter die weidenden Maultiere unſeres Bericht— erſtatters mengten, um hier Schutz zu ſuchen. Erſt als einer der Treiber erſchreckt auf einen Tiger zeigte, der auf einer Anhöhe, den Ziegen gegenüber, in einer Entfernung von kaum 500 Schritt ſichtbar wurde, erklärte ſich das bis dahin unbegreifliche Gebaren der Wildziegen. Nach einem weitverbreiteten Aberglauben ſollen ſich im Magen der Bezoarziegen jene jo wundertätigen Bezoarkugeln häufiger finden als bei anderen Wiederkäuern, was die Ur⸗ ſache zu eifriger Verfolgung ſeitens des Menſchen geworden iſt. Die Jagd iſt ſehr ſchwierig, da die vorſichtigen Tiere beim Weiden Wachen auszuſtellen pflegen. Auch ſind ſie wie das Steinwild ſehr zählebig. Und manches getroffene Tier entkommt ſeinen Verfolgern. Alte Böcke, in die Enge getrieben, ſtellen ſich wohl auch mutig zur Wehr. Im Taurus beginnen die Jagden, laut Kotſchy, wenn die zahlreichen Herden bereits ſeit 4 Wochen das Alpenland verlaſſen haben, die Vorräte für den Winter im Haushalte geordnet und die letzten Feld— arbeiten beendet ſind. Die Jäger ſteigen zu dem Alpengürtel des Gebirges hinauf, erforſchen die Wildfährten und legen ſich dann auf den Anſtand; wo gute Wechſel verlocken, veranſtaltet man auch wohl Treibjagden. Nicht ſelten durchſtreift man das Gebirge mehrere Tage nach— einander, ohne auch nur ein Stück des geſchätzten Wildes zu ſehen, wogegen man zu anderer Zeit mehrmals an einem Tage Trupps von 4—12 Böcken oder Geißen zu Geſicht bekommt. Ein gewöhnlicher Schütze iſt zufrieden, wenn er im Laufe des Winters 4—5 Bezoarziegen erbeutet. Der durch die Jagd erzielte Nutzen iſt ſelbſt im Taurus nicht unbedeutend. Das aus— gezeichnet ſchmackhafte Wildbret, das an das unſeres Rehes erinnert und ebenſo zart und mürbe wie letzteres iſt, wird entweder friſch genoſſen, oder in lange, ſchmale Streifen geſchnitten und an der Luft getrocknet, um ſpäter verwendet zu werden, die im Winter 288 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. erbeutete, langhaarige Decke von den Muſelmännern als Gebetsteppich benutzt und, weil man ihren ſcharfen Geruch angenehm findet, hoch geſchätzt, die kurzhaarige Sommerdecke zu Schläu— chen, das Gehörn zu Säbelgriffen, Pulverhörnern und anderen Kleinigkeiten verarbeitet, ſo daß ſich ein erlegter Bezoarbock immerhin recht gut verwerten läßt. Die Frage nach der Abſtammung der Hausziege kann heute als völlig geklärt an— geſehen werden. Die Hausziege kann nur von wilden Ziegen der Gattung Capra abſtammen; die Mitwirkung von anderen ziegenähnlichen Tieren, wie etwa dem Tahr, iſt dabei ohne wei— teres auszuſchließen. Alle Wildziegen, einſchließlich der Steinböcke, ſtehen aber untereinander und auch der Hausziege ſo nahe, daß ſie vollſtändig fruchtbare Baſtarde mit ihr liefern. Aus anatomiſchen Gründen hatte man ſchon frühzeitig die Steinböcke mit ihrem im Querſchnitt dreieckigen Gehörn von der Stammvaterſchaft ausgeſchloſſen. Dagegen hatte man noch bis vor wenigen Jahren allgemein angenommen, daß die beiden echten Wildziegen, die Bezoar— und die Schraubenziege, die Grundlage der Hausziegen ſeien. Namentlich die Ziegenraſſen mit gewundenen, nicht in einer Ebene liegenden Hörnern ſollten von der Schraubenziege abſtammen. Aber durch die etwa gleichzeitig erſchienenen Arbeiten von Binder (Inaug.-Diſſ., Bern 1910) und Augſt („Ziegenzüchter“, 1911) wurde nachgewieſen, daß bei allen Hausziegen, ſoweit die Hörner gedreht ſind, die Drehung im Sinne des Uhrzeigers verläuft, d. h. das rechte Horn nach rechts gedreht iſt, das linke nach links, während ſich bei allen Schraubenziegen die Hörner im umgekehrten Sinne drehen. Dieſe ihre Eigentümlichkeit überträgt die Schraubenziege auch auf alle ihre Kreuzungsprodukte mit der Hausziege. Damit iſt ein ſicherer Nachweis geliefert, daß der Markhur im allgemeinen als Stammvater der Hausziegen nicht in Betracht kommt. Eine Ausnahme in bezug auf die Drehung der Hörner ſollen, nach Lydekker, nur einige tſcher— keſſiſche Hausziegenraſſen machen. Da dieſe aber keine große Bedeutung erlangt haben, können wir fie hier außer acht laſſen. Somit würde die Bezoarziege als einzige Stammutter der Hausziegen übrigbleiben. Sicher gilt dies für die ſäbelhörnigen Hausziegen. Woher ſtammen aber nun die Hausziegen mit gewundenem Gehörn? Könnten die über— haupt, und dann auf welchem Wege, von der Bezoarziege abgeleitet werden? Dieſe unlösbar ſcheinende Frage ſollte durch eine glückliche Entdeckung beantwortet werden. 1913 wurden bei Zloczoͤw in Oſtgalizien bei Anlage einer Waſſerleitung drei Ziegenſchädel zutage gefördert aus einer Schicht, die den Übergang des Diluviums zum Alluvium darſtellt. Die Schädel wurden L. Adametz zur Unterſuchung vorgelegt; dieſer beſtimmte ſie als die Schädel zweier Böcke und einer Geiß einer bis dahin unbekannten, im wilden Zuſtande ausgeſtorbenen Wild— ziege, die er Capra prisca nannte („Mittlg. d. landwirtſch. Lehrkanzeln d. k. k. Hochſch. f. Boden: kultur in Wien“, 1914). Bei ihr zeigen die Hornzapfen eine deutliche Drehung nach außen, außerdem eine ſpiralige Drehung um ſich ſelbſt, die im Sinne des Uhrzeigers am linken Horn— zapfen verläuft, ganz wie bei den ſchraubenhörnigen Hausziegen. Außerdem gleichen, wie Adametz ausführt, noch in anderen Einzelheiten die Schädel ſolchen der Juraziege und an— derer Vertreter von ſchraubenhörnigen Hausziegen vom Balkan. Wir werden alſo in Capra prisca die Stammform der Hausziege mit Schraubengehörn zu ſehen und deren Heimat in Südoſteuropa zu ſuchen haben. L Gruppe der Hirecus-Hausziegen. Die Angehörigen dieſer Gruppe ſind meiſt kurzhaarig, klein bis mittelgroß; es gibt auch Zwergformen. Die Färbung gleicht noch meiſt der Wildform, obwohl ſich auch ſchwarze, weiße Torfziege. Zwergziegen. 289 und ſelbſt geſcheckte Raſſen finden. Von der Urform erheblich abweichende Raſſen fehlen. Hornloſigkeit kommt vor. . Zu dieſer Gruppe gehören die Ziegen Nord- und Mitteleuropas, doch fehlen ihre An— gehörigen auch in Südeuropa nicht. Ob und wie weit die Gruppe außerhalb Europas ver⸗ breitet iſt, läßt ſich nicht leicht feſtſtellen. In Süd- und Mittelaſien ſcheint fie nicht vorzu— kommen und nach Afrika nur in Form der Zwergziege vorgedrungen zu ſein. In Europa erſcheint dieſe Ziege zwar ſchon in neolithiſcher Zeit, iſt aber, nach Ausweis der Affaldsdynger (S. 265), anſcheinend jünger als das Schaf. In den älteſten Pfahlbauten iſt ſie häufiger als dieſes. Man hat hierin im Verhältnis zur heutigen Ziegenhaltung, wo ja die Ziege, „die Kuh des kleinen Mannes“, vorwiegend von der ärmeren Bevölkerung gehalten wird, eine Begleiterſcheinung der primitiven Kultur ſehen wollen. Und es mag ſein, daß es eine recht armſelige Bevölkerung war, die vor mächtigeren und reicheren Feinden in den See floh. Hier fand ſich wohl eher Platz für die ſtets nur in geringerer Stückzahl gehaltene Ziege. Erſt als die Pfahlbaubewohner ſo weit erſtarkt waren, daß ſie auch ausgedehnte Land— anſiedelungen beſaßen, konnten ſie große und zahlreiche Schafherden halten. Daher finden ſich in den Pfahlbauten der ſpäteren Zeit, beſonders der Bronzezeit, die Reſte des Schafes häufiger als die der Ziege. Die urſprüngliche Ziege der Pfahlbauten, die Torfziege, iſt ein kleines, kümmerliches Tier geweſen, das kleiner war als unſere heutigen Ziegenraſſen, etwa von der Größe des ziegenhörnigen Schafes. In Europa dürfte die Torfziege nicht mehr vorkommen, dagegen ſcheint ſie noch nahe Verwandte in den Zwergziegen Afrikas zu haben. Dieſe ſind, nach den Unterſuchungen Lortets und Gaillards, ſchon früh nach Agypten vor— gedrungen, wo ſie die genannten beiden Forſcher in den jungſteinzeitlichen Ablagerungen von Toukh fanden. Die Zwergziege hat ſich von hier über ganz Afrika, bis nach Weſt- und Südafrika, verbreitet und iſt oft das einzige Nutztier der Negervölker. Sie wird höchſtens 70 em lang, 50 em hoch am Widerriſt und erreicht ein Gewicht nicht über 25 Kg. Der kurze, breite Kopf trägt bei beiden Geſchlechtern etwa fingerlange Hörner, die ſich ſäbelartig nach hinten, an der Spitze etwas auswärts biegen, häufig auch knopfartig verkümmert ſind. Die Farbe der kurzen, glatten Haare iſt gewöhnlich dunkel, ſchwarz oder graubraun, doch kommen auch geſcheckte Tiere vor. Die Ka— meruner Zwergziegen (Taf. „Paarhufer XVI“ 6, bei S. 278) im Berliner Zoologiſchen Garten ſind ſchwarz. Bemerkenswert erſcheint die Geſchicklichkeit der Zwergziegen, Bäume zu beſteigen. „Wir waren nicht wenig erſtaunt“, ſchreibt R. Jannaſch, „während unſerer Reiſe über den Anti- atlas und durch das Sus ſehr häufig in 10 m Höhe auf den Gipfeln der Bäume, unter denen wir hinwegritten, 20 und mehr Ziegen in allen möglichen Stellungen zu erblicken. Einige ſtanden kerzengerade auf den Hinterbeinen und verſuchten, die Blätter hoher, überhängender te zu benagen; andere wiederum ſchliefen in träger Ruhe auf den höchſten Aſten, die kräftig vom Winde geſchaukelt wurden.“ Bei Beunruhigung ſtießen die Tiere eigentümliche Laute aus, die Jannaſch mit „kululu purz, purz, purz, kululu purz, purz, purz“ wiedergibt, und die er nie von anderen Ziegen vernommen hat. Auch Hilzheimer hörte von den Zwergziegen des Berliner Zoologiſchen Gartens bei deren Kampfſpielen eigenartige tiefe Töne, die nur ganz entfernt an das Meckern der gewöhnlichen Ziegen erinnern, eher dem Schreien kleiner Kinder gleichen. In Marokko nützen die Tiere ihren Herren dadurch, daß ſie die Frucht des Arganbaumes (Argania sideroxylon) verzehren, deren harte Kerne ſie beim Wiederkäuen von ſich geben. Dieſe, aus denen Speiſeöl bereitet wird, werden dann von den Marokkanern geſammelt. Trotz ihrer geringen Größe iſt der Mut der Zwergziegen, wie Pechuel-Loeſche ſchreibt, ungeheuer. Sie treten eine für die andere ein und ſchlagen ſelbſt den beſten Schäferhund in die Flucht. Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 19 290 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Nach Duerſt finden ſich auch in Arabien, Indien und Sibirien Zwergziegen. In Europa tritt mit der Kupferzeit an Stelle der Torfziege eine größere, mit ſchwererem Gehörn. Ver⸗ einzelte Stücke davon ſind, wie Schoetenſack zeigt, ſchon am Ausgang der Steinzeit nachweis— bar. Sie iſt wohl die Stammutter unſerer heutigen mittel- und nordeuropäiſchen Land— ziegen, zu denen auch unſere deutſchen Landſchläge gehören. Alle deutſchen Landſchläge werden oder wurden wenigſtens noch vor einigen Jahren leider ungehörnt gezüchtet. Als eine Raſſe, die in der Farbe der Bezoarziege ziemlich nahe ſteht, ſei zunächſt die Schwarzwaldziege genannt, die in den Schwarzwaldtälern, im Neckar- und Donaugebiet zu Hauſe iſt. Die Farbe des kurzen, glänzenden Felles iſt rehbraun, nach den Seiten heller, am Bauche weiß werdend. Längs des Rückens zieht ſich ein ſchwarzer Aalſtrich, ebenſo längs der Vorderſeite der Vorderbeine. Auf jeder Seite der Stirn verläuft über den Augen ein weißer Streifen. Hautglöckchen am Halſe kommen vor. Der jährliche Milchertrag wird mit 600 — 700 Liter angegeben. Dieſe Ziegen gelten als ſehr harte Tiere, die noch mit 14—16 Jahren gute Milcherinnen ſein ſollen. Der Farbe nach ähnelt der beſchriebenen die Harzziege, die jedoch ſelten kurzes, meiſt mittellanges Haar hat. Als Krone der deutſchen Zucht muß die Langen— ſalzaer Ziege bezeichnet werden. Sie iſt rein weiß, kurzhaarig und hornlos, allerdings kommen auch langhaarige und farbige Stücke vor. Die Haare ſind fein, weich, die Haut ſchimmert roſa hindurch. Der Kopf iſt ziemlich lang, die Stirn quadratiſch; die Augen ſind groß, hell und freundlich im Ausdruck. Die langen, kräftigen Ohren ſind aufwärts nach vorn gerichtet, der Hals lang und dünn, die Bruſt ſchmal, aber tief. Die Beine zierlich, aber gut geſtellt. Das ganze Tier hat ein gefälliges Außeres. Die Milchzeichen ſind vortrefflich aus— gebildet: das Euter iſt breit und tief entwickelt, die Zitzen ſind lang. Mitunter iſt auch ein Paar milchgebender Afterzitzen entwickelt. Der jährliche Milchertrag beträgt durchſchnittlich 500—900 Liter, doch kommen auch doppelte Beträge vor. Die Fruchtbarkeit iſt gut. Es werden meiſtens 2—4 Lämmer geworfen. Das Gewicht des Bockes beträgt 75, das der Ziege 50 ke. Als weiteres Beiſpiel einer deutſchen Landziege ſei noch die Erzgebirgsziege genannt. Die Langenſalzaer Ziege gleicht ſehr der Schweizer Saanenziege (Taf. „Paarhufer XVI“, 8, bei S. 279), weshalb man jene lange, allerdings mit Unrecht, für einen Abkömm⸗ ling der letzteren gehalten hat. Iſt doch die Schweizer Saanenziege eine der berühmteſten Ziegenraſſen, die häufig nach Deutſchland zur Veredlung der einheimiſchen Ziegen eingeführt worden iſt. Sie iſt eine ſehr große Raſſe, deren Widerriſthöhe 78 —93 cm und deren Gewicht 70— 90 kg beträgt. Wie die Langenſalzaer Ziege iſt fie ſchneeweiß. Das Euter iſt auffällig groß, die beiden Hälften ſo ſtark entwickelt, daß die Hinterbeine beſonders gut geſtellt ſein müſſen, damit es dazwiſchen Platz hat. Den langen, nicht ſehr ſtarken Hals zieren zwei Glöckchen. Der Kopf iſt lang und breit, namentlich Naſe und Schnauze ſind auffallend breit. Die verhältnismäßig langen Ohren hängen öfter herab, was jedoch nicht gern geſehen wird. Die Länge der Haare iſt nach Schlägen verſchieden. Als ausgezeichnete Milcherinnen, die 5—6 Liter Milch und mehr den Tag geben, ver— ſuchte man namentlich in den 1890er Jahren, Saanenziegen bei uns einzuführen. Aber der Erfolg entſprach nicht den Erwartungen, weil ſie bei uns nur an wenigen Orten gediehen. II. Gruppe der Prisca-Hausziegen. Dies ſind mittelgroße bis ſehr große Ziegen mit ſchraubenartig um die eigene Achſe oder korkzieherartig gewundenen, meiſt mit der Spitze ſtark nach außen gewandten, ſehr langen Hörnern; doch kommen auch hornloſe Raſſen ebenſo wie Vielhörnigkeit vor. Bei einzelnen Deutſche Landziegen. Athiopiſche Ziegen. 291 Raſſen begegnet man der Neigung zur Bildung eines konvexen Profils, die bis zur Mops— köpfigkeit ſteigen kann, und zur Ausbildung gewaltiger Schlappohren. Die Behaarung iſt ſtets lang und zottig, gelegentlich ſehr fein, ſeidenartig. Wildfarbe kommt wohl kaum vor, da= gegen iſt Weiß oder Blond vorherrſchend, häufig die eine Körperhälfte dunkel, die andere hell. Das hohe Alter dieſer Gruppe beweiſen Bilder auf uralten Siegelzylindern aus Meſo— potamien, wo eine langhaarige Ziege mit geraden, ſchraubenartig, alſo um die eigene Achſe gewundenen Hörnern, Hängeohren und ſtark entwickeltem Bart, aber noch konkavem Profil dargeſtellt iſt. Gelegentlich zeigen die Bilder auch noch Stehohren. Auf jüngeren Bildern ſind ſtets Hängeohren dargeſtellt, und das Profil erſcheint gerammſt mit auffallend weit zurückliegender Naſe. Dieſe Form iſt heute noch ziemlich rein erhalten in einer als Athiopiſche Ziegen zu— ſammengefaßten Gruppe von Raſſen, die Arabien, Syrien und Nordafrika bewohnen und in kleinen Ausläufern bis Nepal reichen. Es iſt die Wüſtenform der Ziegen, die ſich durch lange, ſchlanke, hohe Beine auszeichnet. Man unterſcheidet, mit Hartmann, einen Schlag mit weniger ſtark gewölbtem Naſenrücken als Agyptiſche Ziege (Taf. „Paarhufer XVI“, 7, bei S. 279) und einen mit beſonders ſtark gewölbter Rammsnaſe als Mamberziege. Die erſtere hat gar fein oder nur verkümmertes Gehörn. Auch ſollen ihr Bart und Bocksgeruch fehlen. Die Mam— berziege hat in beiden Geſchlechtern Hörner, die bei den Böcken ſtärker entwickelt ſind und einen Halbkreis mit nach vorn gerichteter Spitze beſchreiben. Sie hat ſehr lange Ohren, wohl die längſten Ohren, die überhaupt bei einer Ziegenraſſe vorkommen; dieſe ſind oft länger als der Kopf und müſſen bisweilen geſtutzt werden, um das Tier nicht am Weiden zu hindern. Der Hals iſt oft durch Glöckchen geziert. Die höchſte Ausbildung erreicht die Mamberziege in der Thebaiſchen Ziege. Bei dieſer iſt volle Mopsform des Schädels erreicht, indem der Ober— kiefer ſtark verkürzt iſt, oft ſo ſehr, daß die unteren Schneidezähne ſichtbar ſind. Das Profil iſt ſehr ſtark gerammſt. Beide Geſchlechter ſind hornlos. Dieſe Ziege ſoll eine vorzügliche Milchziege ſein und bis 4,55 Liter ausgezeichnete Milch täglich geben. Die ſchraubenhörnigen Ziegen erſcheinen im alten Agypten ſpäter als die ſäbelhörnigen. Die älteren Darſtellungen zeigen eine von der Mamberziege abweichende Form mit geradem, ſchraubenzieherartigem Gehörn und konkavem Profil, die der altaſſyriſchen Ziege gleicht. Mamberziegen, die im Kult den Schafbock von Mendes (S. 258) erſetzten, erſcheinen erſt zur Zeit der 12. Dynaſtie. Es waren heilige Tiere, die auch einbalſamiert wurden. In den älteren Zeiten, bevor man verſtand, Papier aus Papyrus herzuſtellen, wurde Ziegenhaut gegerbt und als Schreibmaterial benutzt, wie dies noch bis in die jüngſte Zeit in Abeſſinien gemacht worden fein ſoll. Übrigens haben die Ziegen dieſer oder der anderen Gruppe, die in Marokko vor- kommen, ein Leder, das ſeiner Feinheit wegen berühmt iſt und als Maroquin in den Handel kommt. Ein anderes feines Leder, der Saffian, wird in Kleinaſien aus Ziegenhäuten hergeſtellt. In Europa finden wir Ziegen mit Schraubengehörn als Haustiere zuerſt in der Nähe ihrer Heimat, aber erſt gegen Ende der jüngeren Steinzeit, wie Augſt zeigte, der ihre Reſte mit Sicherheit aus dem Pfahlbau von Ripaè bei Bihac nachwies. In Europa iſt merkwürdiger weiſe dieſe Gruppe ſtets auf den Süden beſchränkt geblieben und hat nie die hohen Kettengebirge überſchritten. Die beiden Ziegengruppen zeigen in Europa eine ähnliche Verbreitung wie viele Haustiergruppen. Die ſäbelhörnige iſt heute vorwiegend nördlich der großen Kettengebirge verbreitet, ganz zu Anfang kam ſie wohl auch ſüdlich vor. Im Süden wurde ſie dann durch die neu eingeführte ſchraubenhörnige Ziege faſt völlig verdrängt, ließ aber an verſchiedenen Plätzen Überbleibſel zurück. Die neue Ziege überſtieg jedoch die großen Kettengebirge nicht. 19 * 292 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Ihre ſchönſte und ſtattlichſte Form erreicht in Europa die ſchraubenhörnige Ziegengruppe in der Walliſer Sattelziege, deren langhaariges Vlies auf der vorderen Körperhälfte ſchwarz, auf der hinteren weiß iſt. Der Bock zeichnet ſich durch mächtige Hörner aus, die zunächſt gleichgerichtet, dann in ſchönem Schwung nach außen verlaufen. Eine bedeutende Rolle ſpielt die langhaarige ſchraubenhörnige Ziege in Aſien, wo ſie durch den ganzen Erdteil bis nach China geht. Hier lebt eine langhaarige, hellgraue Ziege, Angoraziege. ½2 natürlicher Größe. die wir Chineſiſche Fellziege (Taf. „Paarhufer XVI“, 5, bei S. 278) nennen wollen, mit beinahe ſchafartig abwärts und auswärts gebogenem Gehörn, deren Felle einen wichtigen Ausfuhrgegenſtand bilden. Nach Braß werden jährlich etwa 4 —6 Millionen Ziegenfelle aus China ausgeführt. Zur Gruppe der Prisca-Hausziegen gehören ferner die wertvollſten und edelſten Ziegen— raſſen, die es überhaupt gibt: die Angora- und die Kaſchmirziege. Wie alt die Angoraziege iſt, wiſſen wir nicht. Ariſtoteles berichtet zwar ſchon, daß man in Syrien Ziegen wie Schafe ſchere, doch brauchen das keine Angoraziegen geweſen zu Schraubenhörnige Ziegen. Angoraziege. Kaſchmirziege. 293 ſein. Nach Ed. Hahn ſtammt die erſte Nachricht von dem Venezianer Joſafa Barbaro (1471), der dieſe Ziege bei Sert, öſtlich von Diarbekr, traf. Bellonius (1580) weiß, daß ſie gerupft, nicht geſchoren wird. Die Angoraziege verdankt, wie ſo manche ſeidenhaarige Haustiere, ihren Namen der Provinz Angora. Sie iſt jedoch nicht auf dieſe beſchränkt, bewohnt viel— mehr den größten Teil Kleinaſiens, der ungefähr deſſen trockenſtem Gebiet entſpricht. Von hier verbreitet fie fi) über ganz Mittelaſien bis zur chineſiſchen Tatarei. Die Augoraziegen ſind ſchöne, große Tiere, deren Böcke mächtige, ſpiralförmig gedrehte, ſchräg auswärts gerichtete Hörner tragen. Die weit kleineren Hörner der Geiß richten ſich halbkreisförmig nach außen. Wie die meiſten ihrer Verwandten hat die Angoraziege Hänge— ohren. Das Hauptmerkmal iſt das eigenartig lange Vlies, das nur Kopf, Ohren und den unteren Teil der Beine freiläßt. Im Gegenſatz zu anderen langhaarigen Ziegen, bei denen ſich meiſt das Grannenhaar verlängert, iſt bei der Angoraziege gerade das Wollhaar zu einem langen, lockigen Vlies geworden, unter dem das kurze, grobe Grannenhaar verſteckt iſt. Das Wollhaar wird am Halſe, wo es am längſten iſt, etwa 20 em lang, am Körper etwa 16 em. Meiſt iſt es weiß, wie auch die Hörner hell hornfarbig ſind, zuweilen iſt es gelblich, ſeltener grau oder ſchwarz. Die feine Wolle der Angoraziege liefert die Kämelwolle, woraus das Kämelgarn gewonnen wird. Mißverſtändlich wurde das Wort bei uns in Kamelhaar umge— ändert. In den Handel kommt das Kämelhaar als Mohär. Hieraus wird ein Garn gewonnen, aus dem Plüſch verfertigt wird. Anderſeits wird daraus der Kamelot gewebt und die Alpaka— ſtoffe, ſoweit letztere nicht von der Wolle der Alpaka ſtammen. Ein Tier ſoll bei zweimaliger Schur 1½ kg Wolle liefern. Die feinſte kommt von Beibazär, weſtlich von Angora. Die Feinheit des Vlieſes iſt in den erſten beiden Lebensjahren am höchſten, bis zum vierten Jahre noch halbwegs gut zu nennen. Dann wird ſie immer geringer, ſo daß die Tiere im ſiebenten Lebensjahre, als zur Wollerzeugung untauglich, geſchlachtet werden. Zu ihrem Gedeihen be— darf die Angoraziege vor allem eine reine, trockene Luft und reichliche Nahrung, wenn die Vlieserzeugung befriedigen ſoll, ſo daß man ihr ein großes Weidegebiet einräumen muß. Da dieſen Bedürfniſſen weite Landſtrecken in Südafrika entgegenkommen, hat man ſie 1864 in die Kapkolonie eingeführt und gute Erfolge mit ihrer Zucht erreicht. Das läßt erwarten, daß ſie auch in Deutſch-Südweſtafrika ein wertvolles Nutztier werden wird, wenngleich man dort über vielverſprechende Anfänge noch nicht hinausgekommen iſt. In anderen Erdteilen hat ihre Zucht keine große Bedeutung erlangt, auch in Europa nicht, wohin ſie wiederholt eingeführt wurde. Nur in Frankreich wurden mit ihrer Zucht einige Erfolge erzielt. Hier hat ſich bezeichnenderweiſe die Bockzeit geändert, indem ſich die Tiere, ſtatt im Oktober und No— vember, im September paaren. 5 Wie viele hochgezüchtete Tiere iſt die Angoraziege gegen äußere Einwirkungen, beſon— ders gegen Kälte und Feuchtigkeit, ungleich empfindlicher als die gewöhnliche Landziege. Auch teilt ſie mit anderen ſtark veredelten Haustieren die Eigenſchaft, daß ſie eine ſchlechte Mutter ſein ſoll. Kaum minder wertvoll als die eben beſchriebene iſt die Kaſchmirziege, ein ziemlich kleines, aber gefällig gebautes Tier von beinahe 1,5 m Geſamtlänge und 60 em Schulter- höhe. Der auf ſtämmigen Läufen ruhende Leib iſt geſtreckt, der Rücken gerundet, das Kreuz kaum höher als der Widerriſt, der Hals kurz, der Kopf ziemlich dick, die Augen ſind klein, die Hängeohren etwas länger als der halbe Kopf, die langen, zuſammengedrückten, ſchrauben— förmig gedrehten, auf der Vorderſeite ſcharf gekanteten Hörner biegen ſich von der Wurzel ſeitlich auseinander und ſteigen ſchief nach auf- und rückwärts, kehren aber ihre Spitze wieder 294 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. einwärts. Ein langes, ſtraffes, feines und ſchlichtes Grannenhaar überdeckt die kurze, außer⸗ ordentlich feine, weiche, flaumartige Wolle; nur Geſicht und Ohren ſind kurz behaart. Die Färbung wechſelt. Gewöhnlich ſind die Seiten des Kopfes, der Schwanz und die übrigen Teile des Leibes ſilberweiß oder ſchwach gelblich, jedoch kommen auch einfarbige Kaſchmir⸗ ziegen vor, und zwar rein weiße, ſanft gelbe oder hellbraune ſowie dunkelbraune und ſchwarze. Das Wollhaar iſt bei licht gefärbten Tieren weiß oder weißlichgrau, bei dunkleren aſchgrau. Von Tibet an reicht der Verbreitungskreis dieſer ſchönen Ziege über Buchara bis zum Lande der Kirgiſen. In Bengalen wurde ſie eingeführt; in den Gebirgen Tibets, die auch im Winter und bei der heftigſten Kälte von ihr beſucht werden, iſt ſie häufig. Lange Zeit war man im Zweifel, von welchem Tiere das Haar gewonnen werde, das man zur Anfertigung der feinſten aller Wollgewebe benutzt, bis Bernier, ein franzöſiſcher Arzt, der im Jahre 1664 in Begleitung des Großmoguls Tibet beſuchte, erfuhr, daß zwei Ziegen, eine wild lebende und eine gezähmte, ſolche Wolle lieferten. Später reiſte ein armeniſcher Kaufmann im Auftrage eines türkiſchen Handelshauſes nach Kaſchmir und berichtete, daß man nur in Tibet Ziegen beſitze, die ſo feine Wolle liefern, wie die Weber in Kaſchmir ſie bedürfen. Die Böcke liefern mehr, aber minder feine Wolle als die Ziegen. Im Mai und Juni findet die Schur ſtatt. Das gewonnene Gemenge wird gereinigt und das Grannenhaar zur Ferti— gung gewöhnlicher Stoffe verwendet, wogegen das Wollhaar noch einmal der ſorgfältigſten Prüfung und Ausſcheidung unterliegt. Am geſuchteſten iſt das reine Weiß, das in der Tat den Glanz und die Schönheit der Seide beſitzt. Ein einzelnes Tier liefert etwa 0,3 — 0, kg brauchbaren Wollflaums. Zur Verfertigung eines Quadratmeters ſind etwa 800 g erforder— lich. Der Wert eines echten Kaſchmirſchals beträgt aber auch 2400 — 3000 Mark. Unter der Herrſchaft des Großmoguls ſollen 40000 Schalwebereien in Kaſchmir be— ſtanden haben; allmählich aber ſank dieſer gewichtige Erwerbszweig ſo ſehr herab, daß von den 60000 Menſchen, denen die Weberei ihren Lebensunterhalt verſchaffte, tauſende aus Mangel an Arbeit zum Auswandern gezwungen wurden. Noch jetzt hat ſich die Weberei nicht wieder erholen können. Auch dieſe Ziege hat man in Europa einzubürgern verſucht. Von Frankreich ging das Unternehmen aus. Doch konnten nachhaltige Erfolge nicht erzielt werden. Ihrem geiſtigen Weſen nach iſt die Ziege gerade das Gegenteil vom Schaf. Sie hat ſich auch im Hausſtande des Menſchen ihre Selbſtändigkeit bis zu einem gewiſſen Grade ge— wahrt. Nach der Katze iſt ſie wohl das ſelbſtändigſte Haustier. Das ſchließt nicht aus, daß ſie dreſſurfähig iſt. Ziegen können wohl zu leichten Arbeiten, zum Ziehen leichter Wagen ab— gerichtet werden; ſie behalten jedoch auch dabei noch einen großen Teil ihres Eigenwillens. Fühlen ſie ſich überanſtrengt, gequält oder ſonſt zur Arbeit unluſtig, ſo ſind ſie durch keine Strafe zur weiteren Fortſetzung zu bringen, im Gegenteil, Schläge machen die Tiere nur noch ſtörriſcher, nun werden ſie erſt recht „bockig“ und verweigern den Gehorſam. In den Gebirgen läßt man Ziegen häufig den Sommer über ganz frei ohne Auſſicht weiden. Nur ab und zu kommt einmal ein Knecht, der ihnen Salz bringt und dabei nach dem Rechten ſieht. Abgeſehen davon, daß ſie keine Scheu vor den ihnen bekannten Pflegern kennen, leben ſie hier vollkommen wie wilde Tiere, ganz ſich ſelbſt überlaſſen, bilden kleine Trupps, halten beſtimmte Wechſel inne, lernen die ihnen drohenden Gefahren kennen und vermeiden und geſellen ſich wohl auch gar den wilden Steinböcken und Gemſen bei, die vor ihnen nicht die Abneigung haben wie vor Schafen. 5 Kaſchmirziege. Hausziege: Allgemeines. 295 Dieſe Selbſtändigkeit macht ſie auch geeignet, Schafherden als Leitböcke zu dienen. In Spanien, beſonders aber in Südamerika, in Chile und Peru, iſt das der Fall. Hier wird faſt jede Schafherde von einem oder mehreren Ziegenböcken geführt. Mit dem bekannten ſtarken Geſchlechtstrieb, der allen Ziegenböcken innewohnt und ſie zu den ſeltſamſten Paarungen, ſelbſt mit Hunden, veranlaßt, beſpringen hier die Ziegenböcke wohl auch häufig die ihnen beigeſellten Schafe, natürlich ohne allen Erfolg. Immerhin iſt der Aberglaube, daß die in Chile und Peru heimiſchen eigenartigen Linasſchafe Abkömmlinge aus ſolchen Paarungen ſeien, noch nicht ganz ausgerottet. Wie ſchon bei der Bezoarziege hervorgehoben wurde, verwildern Hausziegen ſehr leicht. Hahn führt, außer von den griechiſchen Inſeln, zahlreiche Beiſpiele dafür aus allen Weltteilen an. So gab oder gibt es wilde Ziegen auf St. Helena, Mauritius, auf der Inſel Tavolara bei Sardinien. Die berühmteſten find ohne Zweifel die vielberufenen Ziegen der Robinſoninſel im Stillen Ozean (auf der ſich fünf- oder ſechsmal Robinſonaden abgeſpielt haben, darunter die berühmteſte, die Defoes Buch behandelt). Sie ſtammen von einigen Stücken ab, die der Entdecker der Inſel, Juan Fernandez, im Jahre 1563 dort ausſetzte. Dieſe Ziegen ver— mehrten ſich in ihrer neuen, ihnen ſehr zuſagenden gebirgigen Heimat ganz außerordentlich; da ſie aber den gelegentlich landenden Feinden der Spanier willkommene Beute zur Verſor— gung der Schiffsmannſchaften waren, ſetzten die Spanier, um die Ziegen zu vertilgen, Hunde auf der Inſel aus. Dieſe hatten auch bedeutend unter ihnen aufgeräumt, denn Lord Anſon, der im Jahre 1741 mit der fürchterlich vom Skorbut befallenen Bemannung ſeines Ge— ſchwaders vom Juni bis September auf Juan Fernandez zubrachte, ſchätzte die Anzahl der in Herden von 20—30 Stück lebenden Ziegen der Inſel im ganzen bloß auf 200 Stück. Wie die noch vorhandenen, ebenfalls verwilderten Hunde den Ziegen beizukommen ſuchten und von ihnen abgewieſen wurden, ſchildert Lord Anſon als Augenzeuge. Er ſah mehrere Hunde einen Berghang hinaufſtürmen und erblickte auf der Höhe ein Rudel Ziegen. Als dieſe die Hunde wahrnahmen, zogen ſie ſich nach einer Stelle zurück, zu der nur ein ſchmaler Grat führte. Hier ſtellte ſich der Hauptbock auf und erwartete die Verfolger, bereit, jeden Heran⸗ kommenden in die Abgründe zu ſtoßen. Die Hunde näherten ſich bis auf 20 oder 30 Schritt, wagten aber nicht, den gefährlichen und gut verteidigten Pfad zu betreten, ſondern legten ſich nieder und gaben ſchließlich den Angriff auf. Auch den Menſchen gegenüber zeigten ſich die Ziegen ſo ſcheu, daß Anſons Leute durchſchnittlich kaum eine im Tage erbeuten konnten. Als Pechuel⸗Loeſche vor etwa 50 Jahren die Inſel beſuchte, gab es dort keine verwilderten Hunde mehr, und die Ziegen waren, obwohl eifrig gejagt, wieder zahlreicher geworden als zu Lord Anſons Zeit. Sie erwieſen ſich als ſehr ſcheu und wurden bloß an den unzugänglichſten Ortlichkeiten gefunden; ihre Färbung war faſt durchweg ein fahles Rotbraun, bloß ein oder das andere Stück war ſchmutzig weiß gefleckt oder getüpfelt wie Damwild. A. Ermel, der auf Juan Fernandez 1885 landete, teilt mit, daß die gegenwärtigen Beſiedler die nicht ganz un— gefährliche Jagd auf die Ziegen mit Schußwaffen und abgerichteten Hunden eifrig betreiben. Nach ihm iſt auch das benachbarte und unbewohnte, weil faſt unzugängliche Eiland Santa Clara von Ziegen bevölkert. Auch dieſe wurden früher gelegentlich gejagt, wenn beſonders widerſpenſtige Sträflinge von Juan Fernandez, ſolange dieſes Chile als Strafkolonie diente, nach Santa Clara verbannt worden waren. Die Ziege iſt für das Gebirge geſchaffen. Je ſteiler, je wilder, je zerriſſener ein ſolches iſt, um ſo wohler ſcheint ſie ſich zu fühlen. Im Süden Europas und in den übrigen 296 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. gemäßigten Teilen der anderen Erdteile wird man wohl ſchwerlich ein Gebirge betreten, ohne auf ihm weidenden Ziegenherden zu begegnen. Sie verſtehen es, das ödeſte Gefelſe zu be— leben und der traurigſten Gegend Reiz zu verleihen. Amerika und Auſtralien haben die Ziege erſt durch die Europäer erhalten. Nach Beobachtungen, die man angeſtellt haben will, frißt die Ziege bei uns zulande von 576 Pflanzenarten 449. Ihre Raſtloſigkeit und Launenhaftigkeit zeigt ſich deutlich beim Aſen. Sie haſcht beſtändig nach neuem Genuſſe, pflückt allerwärts nur wenig, unterſucht und naſcht von dieſem und jenem und hält ſich nicht einmal beim Beſten auf. Beſonders erpicht iſt ſie auf das Laub der Bäume, richtet deshalb in Schonungen auch ſehr bedeutenden Schaden an. Sie iſt daher als Waldverwüſterin gefürchtet. Beſonders ihrem zahlreichen Auftreten iſt ſchuld zu geben, daß in Südeuropa der einmal vernichtete Wald nicht wieder hochkommt, da ſie gerade die Spitzen der jungen, keimenden Bäumchen verbeißt. Merkwürdigerweiſe frißt ſie einzelne Pflanzen, die anderen Tieren ſehr ſchädlich ſind, ohne Nachteil: ſo Wolfsmilch, Schellkraut, Seidelbaſt und Eberwurz, den ſcharfen Mauerpfeffer, Huflattich, Meliſſe, Salbei, Schierling, Hundspeterſilie und ähnliches Kraut, mit Vergnügen auch Rauchtabak, Zigarrenſtummel und dergleichen. Vom Genuſſe der Wolfsmilch bekommt ſie gewöhnlich den Durchfall; Eibe und Fingerhut ſind Gift für ſie. Am liebſten nimmt ſie junge Blätter und Blüten von Hülſen— pflanzen, Blätter der Kohl- und Rübenarten und die der meiſten Bäume; am gedeihlichſten ſind ihr alle Pflanzen, die auf trockenen, ſonnigen, fruchtbaren Höhen wachſen. Wieſen, die mit Miſt oder ſonſtwie ſtinkender Maſſe beſudelt ſind, können nicht als Weideplätze für Ziegen benutzt werden: dieſe ekeln ſich auch da noch, wo ſchon lange vorher gedüngt wurde. Frei weidende Ziegen bekommen nur Waſſer zu trinken, Stallziegen eine lauwarme Miſchung aus Roggenkleie, etwas Salz und Waſſer. Die Ziege iſt ſchon im Alter von einem halben Jahre zur Fortpflanzung geeignet. Ihre Paarungsluſt, die gewöhnlich in die Monate September bis November fällt und zuweilen noch ein zweites Mal im Mai ſich einſtellt, zeigt ſich durch vieles Meckern und Wedeln mit dem Schwanze an. Läßt man ihr den Willen nicht, jo wird fie leicht krank. Der Bock iſt zu allen Zeiten des Jahres bereit und reicht, wenn er im beſten Alter, d. h. in ſeinem 2.— 8. Jahre ſteht, für 100 Ziegen hin. Die Mutterziege wirft 21— 22 Wochen nach der Paarung 1 oder 2, ſeltener 3 und nur ausnahmsweiſe 4 oder 5 Junge. Wenige Minuten nach ihrer Geburt richten ſich die Zicklein auf und ſuchen das Euter der Alten; am nächſten Tage ſchon laufen ſie herum, und nach 4— 5 Tagen folgen ſie der Mutter überallhin. Sie wachſen raſch: im zweiten Monate ſproſſen die Hörnchen hervor; nach Verlauf eines Jahres haben ſie faſt ihre volle Größe erreicht. Der Nutzen der Ziege iſt ſehr bedeutend. Ihre Unterhaltung koſtet wenig, im Sommer ſozuſagen gar nichts: ſie aber verſorgt das Haus mit Milch und liefert dem Unbemittelten auch noch den Dünger für ſein Feldſtück. Nachdem die Ziegenzucht bei uns lange vernachläſſigt worden war, hat man ihr in neuerer Zeit wieder mehr Beachtung geſchenkt. Namentlich als, Milch- und ſonſtiges Nutztier des kleinen Mannes kommt der Ziege große wirtſchaftliche Be— deutung zu. Nach einer Zählung vom 1. Dezember 1904 betrug die Zahl der Ziegen im Deutſchen Reich etwa 3¼ Millionen, die einen Wert von etwa 60 — 70 Millionen Mark hatten. Die amtliche Viehzählung von 1912 ergab ſogar einen Wert von 88 782000 Mark. Rechnet man Milch, Fleiſch, Felle mit, ſo ſtellen, nach Dettweiler, die Erzeugniſſe der Ziegen— haltung in Deutſchland einen Geſamtwert von 164 Millionen Mark dar. Hier und da, ſo in Süditalien, Agypten, treibt man die Ziegen mit ſtrotzendem Euter Hausziege: Allgemeines. Schraubenziege. 297 vor die Häuſer der Milchkäufer und melkt die gewünſchte Menge gleich vor der Tür. Der Käufer hat dadurch den Vorteil, lauwarme Milch zu erhalten, und der Verkäufer braucht nicht erſt zu Künſteleien, namentlich zu der ihm oft als notwendig erſcheinenden Verbeſſerung durch Waſſer, ſeine Zuflucht zu nehmen. Man begegnet ſelbſt in den Straßen großer Städte, wie z. B. Neapels, ſolchen Ziegenherden. Die Milch wird vielfach zu Käſe verarbeitet. Auch ſonſt findet faſt jeder Teil des Ziegenkörpers Verwendung. Das Fleiſch beſonders junger Zicklein wird gegeſſen, die Haut zu feinem Leder gegerbt, die Felle werden zu Decken be— nutzt, die Haare zu Geweben verwandt. So wäre alſo bei der Leichtigkeit der Haltung die Ziege ſo recht das Nutztier kleiner Haushaltungen, die „Kuh des kleinen Mannes“, wie man ſie wohl genannt hat. Aber leider hindert die Ausbreitung der ſo nützlichen Tiere bei uns noch immer der durchdringende Geruch, den der Bock zur Bockszeit ausſtrömt und der weithin die Luft verpeſtet. Ein zweites Hindernis der Ziegenzucht iſt die Neigung zur Unfruchtbar— keit. Es iſt aber möglich, daß dieſe in der Zuchtrichtung lag, die darauf ausging, alle Unbe— quemlichkeiten der Zucht, alſo den Bocksgeſtank und die Hörner, deren ſich die Hausziegen oft in ſehr unangenehmer Weiſe bedienen, fortzuzüchten und hornloſe Raſſen zu erzielen. Dabei mögen unbeabſichtigt gerade Tiere mit nicht ganz kräftiger Natur ausgewählt worden ſein, was allmählich zu einer Schwächung der Fortpflanzungsorgane der Art und zu ſteigender Un— fruchtbarkeit führte. Neuerdings ſcheint man dies eingeſehen zu haben, denn jetzt ſind auch gehörnte Ziegen wieder ausſtellungsfähig. Die zweite echte Wildziege iſt die Schraubenziege, in Kaſchmir und angrenzenden Ländern Markhur oder Schlangenfreſſer, Capra falconeri Wagn. (Taf. „Paarhufer XVI“, 10, bei S. 279), genannt, deren Verbreitung ſich etwa von Buchara durch Afghaniſtan bis zum weſtlichen Himalaja erſtreckt. Die Schraubenziege ſteht dem Alpenſteinbock an Größe nicht nach: ihre Geſamtlänge beträgt 1,55 m, wovon 18 em auf den Schwanz zu rechnen ſind, ihre Höhe am Widerriſt 80 em. Kinloch ſowohl als auch Sterndale geben jedoch die Schulterhöhe viel größer an, jener bis zu 110 em, dieſer ſogar auf durchſchnittlich 115 em; danach wäre der Markhur weit ſtattlicher als der Alpenſteinbock und überhaupt die größte Ziegenart. Der auf mittelhohen Beinen ruhende Leib iſt eher ſchlank als gedrungen zu nennen, der Hals ziemlich lang, aber kräftig, der Kopf verhältnismäßig groß, das Ohr klein und ſpitzig, der Schwanz mittellang, das Haarkleid reich und beim Männchen durch einen ſehr ſtarken Bart nebſt mähnen- artigem Nacken- und Bruſtbehang aus gewellten oder gelockten Haaren beſonders ausgezeichnet; beim Weibchen iſt der Bart ſchwächer, und der Bruſtbehang fehlt ganz. Mehr als alle bisher erwähnten Merkmale treten jedoch die gewichtigen und eigentümlichen Hörner hervor, obgleich gerade ſie in weit höherem Grade als bei anderen Wildziegen abändern. Die Hörner der Geißen find bis 25 em lang, flach gedrückt und ſtumpf, die der Böcke aber können, der Krünt- mung nach gemeſſen, weit über 1m an Länge erreichen, haben einen halb eiförmigen Quer— ſchnitt, an deſſen beiden Enden ſich je eine leiſtenartige Wulſt anſetzt, ſtehen mit den Wurzeln ſehr eng nebeneinander, richten ſich mehr oder weniger gerade nach oben und hinten und drehen ſich bald in engerem, bald in weiterem Raume ſchraubenförmig von innen nach außen, 1/2—83 Windungen beſchreibend; ihre hintere Seite iſt ſtärker gekielt als die vordere; die rund umlaufenden Querwülſte ſind deutlich, die Jahresringe ziemlich tief eingeſchnitten. Bei den Böcken gewiſſer Lokalformen ähneln die Hörner Schrauben, bei anderen Korkziehern, bei noch anderen weiten ſich die Windungen ſtärker aus, ohne jedoch ihre ſchraubige Geſtalt zu verlieren; in erſterem Falle erheben ſie ſich faſt ſenkrecht vom Kopfe und ſind vollkommen 298 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. gerade, im letzten Falle biegen ſie ſich nach hinten und außen, verflachen ſich auch wohl. Man hat vorwiegend nach der Form der Hörner Unterarten geſchieden, da ſie geographiſch unver— änderlich zu ſein pflegt, obwohl es nicht an Übergängen mangelt. Als Jerdons Schrau— benziege, C. f. jerdoni H, (Taf. „Paarhufer XVI“, 9, bei S. 279), wird die Schrau— benziege des Suleimangebirges bezeichnet, deren Hörner einen geraden Kegel bilden mit ſcharf ſchraubenförmig gewundenen Vorder- und Hinterkanten. Je nach der Jahreszeit iſt die Färbung etwas verſchieden. Im Sommerkleide herrſcht ein helles, auf dem Oberkopfe und nach den Beinen zu dunkler werdendes Fahl- oder Licht: graubraun vor, wogegen der Bart vorn und der zweizeilig behaarte Schwanz dunkelbraune Färbung haben; an den langhaarigen Teilen des Felles machen ſich wellige Streifungen be— merklich, weil hier viele Haare in braune Spitzen endigen, die, ſich deckend, jene Streifung hervorrufen. Die dunklere Färbung der Beine wird am kräftigſten auf der Vorderſeite, wo ſie, die graulich iſabellfarbenen Handwurzeln und die weiße, durch einen braunen Strich getrennte Ellbogenecke freilaſſend, ſich über das ganze Bein ausdehnt; unterhalb der Fuß— wurzeln drängt ſich dieſe dunklere Färbung zu einem keilförmigen Streifen zuſammen, deſſen Spitze nach der Teilungsſtelle der Zehen gerichtet iſt, und der von der allgemeinen, auch auf der Feſſel herrſchenden Färbung begrenzt wird. Die Innenſeite der Beine und die Unter— ſeite des Leibes ſind heller, faſt weißgrau. Gegen den Winter hin verbleichen die Spitzen, und die jetzt reichlich wuchernde Unterwolle tritt ſtärker hervor, weshalb dann das Kleid viel lichter erſcheint als im Sommer. Die Hörner, Hufe und Afterhufe haben ſchwarze Färbung; die Iris it erzfarben. Die merklich kleinere Geiß unterſcheidet fi) durch die Färbung nicht vom Bode. In der Lebensweiſe gleichen die Schraubenziegen ihren Verwandten. Die Böcke leben einzeln, im Sommer getrennt von den Geißen. Dieſe bilden kleine Herden, zu denen ſich die Böcke im Winter geſellen. Die 1—2 Jungen werden im Mai oder Juni geſetzt. Hinſichtlich des bevorzugten Bodens, den ſie bewohnen, ſcheinen ſich die einzelnen Unterarten etwas zu unterſcheiden. Die typiſche Form von Aſtor und Baltiſtan meidet den Wald und lebt min— deſtens im Sommer über der Waldgrenze. Hier trifft ſie gelegentlich mit dem jene Gebirge bewohnenden Steinbock zuſammen, wobei es zwiſchen beiden Vettern oft heftige Kämpfe ab— ſetzt. Die in Pir-Panjal und Kaj-nag wohnende Unterart (Capra falconeri cashmiriensis Lid.) lebt dagegen in dicht bewaldeten Bergländern. Die Schraubenziege kommt nicht allzuſelten in unſere Tiergärten, wo ſie ſich ohne weiteres fortpflanzt. Mit der Hausziege erzeugt ſie unbegrenzt fruchtbare Baſtarde. Als Vertreter der Halbziegen (Hemitragus Hags.) gilt der Tahr, wie ſein Entdecker, Hamilton Smith, ihn nannte. Mit den Ziegen teilen die Halbziegen das Fehlen der Voraugen— drüſen und in der Regel auch der Zwiſchenklauendrüſen; gelegentlich finden ſich von letzteren Spuren an den Hinterfüßen. Auch ſtrömen die Böcke im Winter einen ſtarken Geruch aus, der allerdings von dem der Ziegenböcke verſchieden fein ſoll (Pocock, „Proc. Zool. Soc.“, 1910). Der Schwanz gleicht dem der Ziegen. Das Fehlen des Bartes erinnert an die Schafe. Weitere Merkmale der Gattung liegen in den kurzen, heteronymen, ſeitlich zuſammen— gedrückten, vorn gekanteten Hörnern, die ſich nach hinten biegen, bei dem Männchen drei- oder vierſeitig und mit ringelartigen Querwülſten bedeckt, beim Weibchen aber mehr gerundet und gerunzelt ſind, in der kleinen nackten Naſenkuppe und den vier Zitzen des Weibchens. Aller— dings hat eine Art gelegentlich nur zwei Zitzen. Die Gattung hat eine ſehr merkwürdige Ver— breitung. Der eigentliche Tahr bewohnt die Bergwälder des Himalajas; eine zweite Art, Schraubenziege. Tahrs. 299 der Nilgiriꝙ-Tahr, H. hylocrius Ogilb., lebt in Höhen von 1200 —1800 m auf den Nilgiris, Anamallibergen und Weſtghats (im ſüdlichen Vorderindien); die dritte, kleinſte Art, der Arabiſche Tahr, H. jayakari Jos., iſt erſt ſeit 1894 aus den Gebirgen von Oman in Südoſtarabien bekanntgeworden. Nach einigen ſpärlichen foſſilen Funden zu ſchließen, haben die Halbziegen in einer früheren, feuchten, kälteren Erdepoche mehr die Ebenen belebt und ſich dann beim Wärmer- und Trockenerwerden des Klimas auf die Höhen zurückgezogen. So erklärt ſich die ſonderbare Verbreitung, in der ſie ebenfalls den Ziegen ähneln. Die Arten unterſcheiden ſich vornehmlich nach der Größe, der Hornform und der Be— ſchaffenheit ihrer Behaarung. Nur beim Tahr, der am längſten und beſten bekannten Art, iſt dieſe ſo eigenartig ſtruppig und zu einer ſo vollen Mähne entwickelt. Der Tahr, Hemitragus jemlahicus H. Sm. (Taf. „Paarhufer XVI“, 12, bei S. 279), iſt ein ſchönes, großes Tier von 1,8 m Leibes-, 9 em Schwanzlänge und 90—100 em Höhe am Widerriſt und einem Gewicht bis 100 kg. Hinſichtlich ſeines Leibesbaues iſt er eine echte Ziege. Die Hörner ſtehen ziemlich hoch über den Augen und ſtoßen am Grunde beinahe zuſammen, erheben ſich in ſchiefer Richtung, faſt an den Scheitel angepreßt, nach rückwärts, weichen nach außen voneinander ab und drehen ſich im letzten Drittel ihrer Länge wieder nach ein- und abwärts, mit der Spitze aber nochmals nach außen; ſie haben einen drei— eckigen Querſchnitt, find vorn mit einer ſcharfen Kante verſehen und werden etwa 38 cm lang; die des Weibchens bleiben viel kleiner. Die aus längeren, groben Grannen und ſehr zartem, feinem Wollhaare beſtehende Bekleidung iſt am ganzen Leibe reichlich, an manchen Teilen aber auffallend verlängert, beſonders im Winter. Das Geſicht, die Unterſeite des Kopfes und die Füße ſind kurz behaart, der Hals und der Vorderkörper bekleidet mit einer etwa 30 em langen Mähne, die jedoch bei dem Weibchen nur angedeutet iſt. Der Schwanz iſt wie bei den Ziegen abgeflacht und auf der Unterſeite nackt. Mit dem Alter nimmt die Länge der Mähne auffallend zu, und ebenſo ändert ſich die Färbung. Alte Männchen ſind weißlich fahlbraun, an einzelnen Stellen dunkelbraun; ein breiter ſchwarzer Längsſtreifen zieht ſich über die Stirn bis an das Schnauzenende hin und läuft mehr oder weniger deutlich über den Rücken bis zur Schwanzſpitze fort. Jüngere Männchen und Weibchen ſind dunkel— braun und ihre Beine, mit Ausnahme eines lichteren Streifens auf der Hinterſeite, faſt ſchwarz. Nicht ſelten iſt die vorherrſchende Färbung aber auch ein fahles Schiefergrau, in das ſich an den Seiten Roſtrot einmiſcht. Die Stirn, die Oberſeite des Halſes und Rückens ſind rot- oder dunkelbraun, die Kehle, die Unterſeite des Halſes, der mittlere Teil des Bauches und die Innenſeite der Gliedmaßen ſchmutzig gelb, ſchiefergrau überflogen. Ein rot- oder dunkel⸗ brauner Streifen zieht ſich erſt ringartig um das Auge und läuft dann ſeitlich bis zum Maule herab, wo er, ſich verbreiternd, verblaßt; ein ähnlicher Fleck ſteht an der unteren Kinn— lade. Hörner und Hufe ſind graulichſchwarz. Das Weibchen hat vier Zitzen. Der Tahr bewohnt die mittleren Höhen des Himalajas von Pir-Panjal bis Sikkim und bis Kaſchmir nach Norden. Nach Kinloch und Adams, die ihn in den Gebirgen Kaſchmirs häufig antrafen, hält er ſich in Herden zuſammen, verbringt den Tag in Waldungen und auf ſchattigen Plätzen, tritt gegen Abend auf Aſung und weidet nicht ſelten in Geſellſchaft der Schraubenziege. Macintyre fand weidende Tahrs oft mit den prachtvollen Glanzfaſanen vergeſellſchaftet, die bei Gefahr als Warner dienen ſollen. Kinlochs Schilderungen ſeiner Jagden laſſen erkennen, daß die Tahrs mit der Sicherheit von Gemſen die ſchwierigſten Stellen des Gefelſes begehen. Weibchen ſieht man oft im Freien, alte Böcke aber halten 300 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. ſich vorzugsweiſe im Walde und im Bergdſchangel auf. Im Herbſte werden die Tiere ſehr fett, und die Böcke verbreiten einen Geruch, der auf 100 Schritt kaum erträglich iſt. Das Fleiſch der geruchfreien Weibchen in der Feiſtzeit erklärt Kinloch für vorzüglich. Wie bei allen Ziegen leben die alten Böcke im Sommer in getrennten Herden bis zum Oktober. Die Paa— rungszeit liegt im Winter. Das eine Zicklein wird im Juni oder Juli geſetzt. Jung eingefangene Tahrs gewöhnen ſich leicht an den Hausſtand, werden bald zahm, ſind kletterluſtig, heiter und neckiſch wie die übrigen Ziegen und könnten allem Anſcheine nach ohne ſonderliche Mühe zu vollſtändigen Haustieren gemacht werden. In Indien hat man mehrere auch in den wärmeren Gegenden gehalten und beobachtet, daß ſie das ihnen eigentlich nicht zuſagende Klima ohne Beſchwerde ertragen. Werden ſie in Ziegen- oder Schafherden gehalten, ſo verſuchen ſie es, mit dem den Ziegen eigenen Begattungstrieb ihre Genoſſen zu beſpringen, ja ſie tun dies ſogar mit fernſtehenden Tieren, wie es z. B. mit einem Moſchustier beobachtet worden iſt. Junge hat man aus ſolchen Paarungen nie erhalten. Aus allen Angaben geht hervor, daß unſer Tier in ſeinem ganzen Weſen eine echte Ziege ift: eigenſinnig und mutwillig, aufmerkſam und ſelbſtändig, beweglich, ausdauernd und vorſichtig, dem anderen Geſchlechte ſehr zugetan und deshalb Gleichgeſinnten gegenüber händelſüchtig und raufluſtig. In den zoologiſchen Gärten ſieht man den Tahr in neuerer Zeit nicht gerade ſelten; er zeigt ſich hier ausdauernd und nicht empfindlich, und ſeine Zucht iſt mehrfach gelungen. * Als Vertreter einer eigenen Unterfamilie betrachten wir die Moſchus- oder Biſam— ochſen (Ovibovinae) mit der einzigen Gattung Ovibos Blainv. Während ältere Autoren darüber ſtritten, ob dieſe Wiederkäuer zu den Schafen (daher auch der Name Schafochſen) oder zu den Rindern zu ſtellen ſeien, werden ſie von einigen neueren Zoologen als nahe Verwandte der Gnus und des Takins angeſehen und mit dieſen zu einer Unterfamilie vereinigt. Wir werden, wie ſtets in derartigen „Sammeltypen“, ein uraltes Geſchlecht zu vermuten haben, das ſich früh vom gemeinſamen Stamme der Horntiere trennte und ſeine eigenen entwicke— lungsgeſchichtlichen Wege ging. Wie bei ſo zahlreichen Huftieren, liegt auch bei den Moſchusochſen die Blüte der Entwicke⸗ lung in der Vergangenheit. Während der Eiszeit war das Verbreitungsgebiet zirkumpolar. Es erſtreckte ſich durch Aſien und Mitteleuropa bis nach England, hielt ſich aber durchaus nördlich der großen Kettengebirge der beiden Erdteile. Die Dordogne iſt der ſüdlichſte be— kanntgewordene Fundplatz. In der Gegenwart iſt die Familie ausſchließlich auf das polare Nordamerika beſchränkt. Die heutige Grenze gibt Kowarzik („Fauna arctica“), der neueſte Be⸗ arbeiter, dem wir noch öfter hier folgen werden, wie folgt an: „Als Weſtgrenze kann der Mackenzie angenommen werden, im Süden bezeichnet der 60. Grad nördl. Breite ſein ſüd— lichſtes vorkommen. Der Große Sklavenſee gehört nur noch mit ſeinem nordöſtlichſten Teile zum Verbreitungsgebiet des Moſchusochſen, doch ſoll er daſelbſt nur noch ſehr ſelten anzutreffen ſein, wenn er nicht etwa gar ſchon gänzlich verſchwunden iſt. Im Oſten iſt es die Hudſon— bai, die ſeiner Weiterverbreitung in dieſer Richtung ein energiſches Halt gebietet. Nach Norden zu aber ſteht dem Moſchusochſen die ‚Melt offen‘, und man findet ihn auf allen Inſeln im Norden des Feſtlandes. Von Grantland aus geht ſein Vorkommen weiter nach Grönland über die ganze nördliche Küſte — ſoweit wir ſie kennen — und auf der Oſtſeite bis zum Scoresby⸗Sund. Die genaue Grenze ſeiner Verbreitung bleibt natürlich jo lange unbekannt, als ſich das Land der genauen Erforſchung entzieht.“ 9 Moſchusochſen. 301 Die Körperform der Moſchusochſen hält etwa die Mitte zwiſchen der der Rinder und Schafe. Mit den letzteren ſind ſie zweifellos näher verwandt; ſie erinnern auch in der ganzen Erſcheinung und namentlich durch die gebogene Geſichtslinie an einen ſehr großen, langhaarigen Widder. Bei gegen 2 m Länge beträgt die Schulterhöhe etwa 1,1 m. Der auf kurzen und kräftigen Beinen ruhende Leib iſt maſſig, vorn und hinten gleich hoch, der Hals kurz und dick, ohne Wamme, der Schwanz, wie bei faſt allen Polartieren, in Anpaſſung an die Kälte — da dieſes dünne, von wenig Blut verſorgte Organ bei größerer Länge leicht dem Erfrieren aus— geſetzt wäre — nur ein im Pelze verborgener, höchſtens 7 em langer Stummel, der Kopf ſehr plump, verhältnismäßig ſchmal und hoch, die Augenbrauengegend wulſtig aufgetrieben, das länglich⸗eiförmige und nicht gerade kleine Ohr ebenfalls im Pelze verſteckt, das Auge klein, das Naſenloch groß, eiförmig, ſchief geſtellt und von einem nackten Rande umgeben, der nebſt einem über die Oberlippe zum anderen Naſenloche laufenden unbehaarten Streifen die bei den eigentlichen Rindern ſo große Muffel darſtellt, das Maul groß und plump, durch ſeine dicken Lippen ausgezeichnet. Das Gehörn bedeckt faſt die ganze Stirn, da ſich die an der Wurzel ſtark verbreiterten und abgeflachten Hörner in der Mitte ſo weit nähern, daß nur eine ſchmale, tiefe Furche zwiſchen ihnen übrigbleibt; die Hörner ſelbſt ſind bis gegen ihre Mitte der Länge nach gewulſtet und dieſe Erhöhungen als feine Streifen auf der Spitze noch zu erkennen; ſie biegen ſich zuerſt, dicht an den Kopf ſich anlegend, ein wenig nach hinten, ſodann, ungefähr bis zum unteren Rande des Auges, gerade nach unten, wenden ſich hierauf nach vorn und außen und kehren ſich endlich mit ihren ſcharfen Spitzen wieder nach oben: eine Form, die jedoch erſt im Laufe der Entwickelung erreicht wird. Bei jugendlichen Tieren ſind die Hörner gerade empor— ſtehende Spieße. Die unter ſich nicht gleich gebildeten Hufe ſind groß, breit und rund, die After— hufe klein und hoch angeſetzt. Ein außerordentlich dicker Pelz bekleidet den Leib, in auffallen- der Dichtigkeit auch das Geſicht und die Beine. Die verhältnismäßig ſtarken Grannen ſind überall lang und mehr oder minder wellig, verlängern ſich aber vom Kinn an bis zur Bruſt zu einer faft den Boden ſtreifenden Mähne, bilden zu beiden Seiten, namentlich an dem Hinter: teile, einen bis zu den Hufen herabreichenden, 60 —70 cm langen Behang und decken ebenſo in reichlicher Menge den Widerriſt, hier einen kiſſenartigen Sattel darſtellend, der hinter den Hörnern beginnt und den Hals von beiden Seiten überdeckt, ſelbſt noch die Ohren einhüllt. Nur die vom Kinn an nach hinten zu mehr und mehr ſich verlängernde Mähne beſteht aus ſchlichten, das übrige Vlies durchgehends aus welligen, die Umrandung des Rückenſattels aus lockigen, büſchelartig zuſammengefilzten, die Bekleidung des Geſichtes, die ſich nur an den Lippen verkürzt und ſpärlich zeigt, noch immer aus dicht ſtehenden, bis 9 em langen Haaren. Mit Ausnahme des Geſichtes und der mit glatten, nur etwa 5 em langen Haaren bekleideten Beine ſproßt überall zwiſchen den Grannen ein reiches Wollhaar hervor, das die ganze Decke flockig durchzieht und auf dem Hinterrücken jene überwuchert, jo daß hier ein lichterer, ſcha— brackenartiger Fleck zum Vorſchein kommt. Während man bisher nur eine Art des Moſchusochſen annahm, geht aus den Unter⸗ ſuchungen Kowarziks hervor, daß man es wahrſcheinlich mit zwei Arten, einer öſtlichen und einer weſtlichen, zu tun hat, von denen die erſtere wieder in vier Unterarten zerfällt. Die Grenze zwiſchen beiden bildet die Waſſerſcheide zwiſchen dem atlantiſchen und dem pazifiſchen Teil von Nordamerika. Die weſtliche Art, der Mackenzie-Moſchusochſe, Ovibos macken- zianus Kowarzik, hat im Tränenbein eine Grube für die Voraugendrüſen und im weib- lichen Geſchlecht nur zwei Zitzen. Die dunkel gefärbten Hörner haben lange, niedrige Baſis, ſind ſtark gekrümmt und feſt an die Seiten des Schädels angepreßt. Die allgemeine Färbung 302 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. des Tieres ift dunkelbraun, die Unterfeite ſchwarz. Die Rückenmitte nimmt ein flachsgelber Sattel ein, von dem nach vorn und hinten ein allmählich dunkler werdender Streifen abgeht. Ober- und Unterlippe find gelblich gefärbt. Die Augen find von lichtbraunen Haaren umgeben. Die Beine ſind über den Hufen gelblich, nach oben zu werden ſie allmählich dunkler und gehen ſchließlich in Dunkelbraun über. Bei dem Oſtlichen Moſchusochſen, Ovibos moschatus Zimm., fehlt dem Tränen— bein die Grube. Das Weibchen hat vier Zitzen. Die licht gefärbten Hörner haben kurze und hohe Baſis und ſtehen vom Schädel weit mehr ab als bei der vorigen Art. Hornform und Farbe des Pelzes ändern nach den Unterarten etwas ab. Der Farbe nach unterſcheidet ſich die typiſche Form von der weſtlichen Art beſonders dadurch, daß der mittlere Teil der Ober: lippe, der größte Teil der Unterlippe und das Kinn weiß ſind und der ſchmutzig bräunlichweiße Sattel nicht ſehr von der übrigen Farbe abſticht. Durch einen weißen Stirnfleck zeichnet ſich der Oſtgrönländiſche Moſchusochſe, O. m. wardi L /d. (Taf. „Paarhufer XVII“, 1), aus. Der helle Rückenſattel der übrigen Moſchusochſen fehlt vollſtändig dem Schwarzen Moſchusochſen, O. m. niphoecus Elliot, und dem Moſchusochſen der Melville— Inſel, O. m. melvillensis Kowarzik. Die Lebensweiſe aller Moſchusochſenarten dürfte ziemlich die gleiche fein. Sie kommen zwar an allen Ortlichkeiten ihres Wohngebietes vor, ſcheinen aber Täler und Niederungen als Standplätze zu bevorzugen. Hier bilden fie kleine Herden von 20 — 30 Stück. Im Verhältniſſe zu den Kühen gibt es immer nur wenige Stiere bei der Herde, ſelten mehr als zwei oder drei vollkommen erwachſene, weil ſie um die Paarungszeit heftige Kämpfe miteinander beſtehen und ſich gegenſeitig vertreiben, wobei wohl auch, wie die oft gefundenen Leichname von Stieren zu beweiſen ſcheinen, einer den anderen ums Leben bringt. Wie das Renn ſuchen die Moſchusochſen im Winter die mehr ſüdlichen Plätze ihres Wohngebietes auf, ſich bei dieſen Wanderungen zu größeren Scharen ſammelnd, wandern auch von Inſel zu Inſel, wenn der Zuſtand des Eiſes dies erlaubt. Ihre außerordentliche Genügſamkeit im Verein mit ihren der unwirtlichen Heimat trefflich angepaßten körperlichen Eigentümlichkeiten ermöglicht es ihnen, den furchtbaren Winter zu überſtehen. Langſam und bedächtig durch— wandern ſie die endloſe Schneewüſte, um nach den ihnen Unterhalt verſprechenden Stellen zu gelangen. Gegenüber einem ſolchen Winter, der ihnen bloß tief unterm Schnee vergrabene kümmerliche Aſung darbietet, ernähren ſie ſich im Sommer mühelos von dem für kurze Zeit wenigſtens ſtellenweiſe üppig gedeihenden niederen Pflanzenwuchſe, haben aber nunmehr ſehr viel von den manchmal in wahrhaft ungeheuren Schwärmen auftretenden Mücken zu leiden und gleichzeitig die Härung zu überſtehen. Dieſe ſcheint wegen des dicken Wollblieſes nicht leicht vor ſich zu gehen: die Tiere wälzen ſich, wohl auch um eine Schutzkruſte gegen ihre Peiniger anzulegen, häufig in Tümpeln und Moräſten und ſcheinen während dieſer Zeit enger um— grenzte Standorte einzuhalten; erſt nachdem ſie ſich vollſtändig gehärt haben, durchziehen ſie wieder geduldig und beharrlich die weiten Gebiete ihrer traurigen Heimat. Ende Auguſt paaren ſich die Tiere, und Ende Mai, alſo nach 9 Monaten, bringt die Kuh ihr Kalb zur Welt: ein kleines, ungemein niedliches Geſchöpf, das von der Alten auf das zärtlichſte betreut und nötigenfalls mit größtem Mute verteidigt wird. Bei einer ihrer Schlittenreiſen trafen Mitglieder der zweiten deutſchen Nordpolarfahrt in einem breiten Tale mit verhältnismäßig üppiger Pflanzenwelt elf ausgewachſene Schafrinder und drei Kälber, die dort friedlich weideten. Einige von den Tieren ließen die Fremdlinge anfänglich ſcheinbar furchtlos und unbekümmert nahe herankommen, nahmen dann aber doch Reißaus; drei andere Paarhufer XVII. 1. Oſtgrönländiſcher Mofchusochie, Ovibos moschatus wardi Lyd. 1/25 nat. Gr., s. S. 202. — Nach einer Aufnahme im Zool. Garten Kopenhagen. u 5 —— 7 N 2. ſiatiſcher Büffel, Bos bubalis Z. !/s nat. Gr. s. S. 312. — L. Bab- Berlin phot. 3. Agyptiſcher Büffel. 1/25 nat. Gr., s. S. 315. — L. Bab- Berlin phot. 4. Gayal, Bos frontalis frontalis Lamb. ½ nat. Gr., s. S. 330. — L. Bab-Berlin phot. 5. Gaur, Bos frontalis gaurus H. Sm., Stier. 6. Gaur, Bos frontalis gaurus H. Sm., Kuh mit Kalb. 1/40 nat. Gr., s. S. 327. — L. Bab-Berlin phot. 4 r 7. Banteng, Bos banteng Raffl. 1/40 nat. Gr. s. S. 327. — O. Heinroth-Berlin phot. 1/30 nat. Gr., s. S. 333. — A. H. Schlüter-Padang (Sumatra) phot. Moſchusochſen. s 303 dagegen, denen zwei Kälber folgten, ſetzten ſich in Verteidigungsſtellung, drängten ſich dicht an— einander, ſenkten die Köpfe und ſchnaubten ängſtlich und wild, ohne jedoch wirklich zum An— griffe zu ſchreiten. Die Kälber ſtanden hinter den ausgewachſenen Tieren und wurden ſtets wieder zurückgeſchickt, wenn ſie neugierig hervorkommen wollten. Ein paar Schüſſe jagten die mutigen Tiere in die Flucht, und nunmehr legten die Alten, Stiere wie Kühe, eine be— merkenswerte Sorgfalt an den Tag, daß auch bei dem ſchnellſten Laufen keines von den Kälbern zurückbleibe. Letztere eilten, obgleich ſie höchſtens 14 Tage alt ſein konnten, auf ihren wie bei ſo vielen jugendlichen Vierfüßlern unverhältnismäßig langen und dünnen Beinen mit über— raſchender Geſchwindigkeit davon und kamen ihren Feinden bald aus dem Geſichte. Die Schafochſen bewegen ſich, ungeachtet ihrer plumpen Geſtalt, mit bewunderungswür— diger Leichtigkeit, laut Roß mit der Gewandtheit und Behendigkeit der Antilopen. Den Ziegen gleich klettern ſie auf den Felſen umher, ohne irgendwelche Anſtrengungen erklimmen ſie ſteile Wände, und ſchwindelfrei blicken ſie von der Höhe in die Tiefe hinab. „Es war wirklich ein ſchöner Anblick“, jo ſchildert Copeland, „ſie an einem ſteilen, mit loſen Steinen bedeckten Ab⸗ hange mit wahrhaft überraſchender Behendigkeit da hinaufſpringen zu ſehen, wo ein Menſch die größte Mühe gehabt haben würde, überhaupt nur feſten Fuß zu faſſen. Wie Tiere, die in Herden leben, zu tun pflegen, blieben ſie beim Steigen immer dicht beieinander; denn hätten ſie anders gehandelt, ſo würde der, welcher am weiteſten unten war, einem regelrechten Stein— hagel ausgeſetzt geweſen ſein, welcher durch die vorderſten in ihrem Eifer, uns zu entkommen, herabgeſchleudert werden mußte.“ Wurde Copeland beim erſten Zuſammentreffen mit Schaf— ochſen durch ihre große Behendigkeit und Schnelligkeit in Erſtaunen geſetzt, ſo wuchs ſeine Verwunderung, als er ſpäter erfuhr, wie die Tiere an dem Abhange eines Baſaltkegels hinauf— jagten, der ſo ſteil war, wie Baſalttrümmer nur irgend ſein können. In höchſtens drei oder vier Minuten hatten fie eine Höhe von 150 m eritiegen, die ihre Verfolger derartig anſtrengte, daß dieſe eine volle halbe Stunde brauchten, um dasſelbe zu erreichen. Das kleine blöde Auge der Moſchusochſen ſpricht nicht für eine beſondere Entwickelung des Geſichtsſinnes, das im Pelze faſt verſteckte Ohr ebenſowenig für eine bemerkenswerte Schärfe des Gehöres; der Geruch dagegen ſcheint ungeachtet der verkümmerten Muffel fein, mindeſtens ebenſo ausgebildet zu ſein wie bei den Schafen; über Geſchmack und Gefühl läßt ſich ſchwer ein Urteil fällen. Angeſichts des Menſchen benehmen ſich diejenigen Schafochſen, die bis dahin kaum, vielleicht niemals mit dem Erzfeinde der Tiere zuſammengekommen, oft ungeſchickt und ratlos, bekunden aber bald, daß ſie von der Furchtbarkeit des Gegners, der plötzlich in ihren höchſtens vom Wolfe oder Eisbären heimgeſuchten Gefilden auftritt, binnen kurzem eine richtige Vorſtellung gewinnen; ſie geben demgemäß ihre frühere Zutraulichkeit auf und flüchten in Erkenntnis der ſie bedrohenden Gefahr rechtzeitig. Anfänglich bleiben ſie wohl „wie feſtgebannt ſtehen, ſtarren den gänzlich unbekannten Feind an und kommen erſt lang— ſam und bedächtig zu einem Entſchluſſe“. Arglos nähern ſie ſich auch wohl dem ihnen noch fremden Weſen und geben durch mancherlei Bewegungen und plumpe Späße ihre Verwun— derung zu erkennen: ſo beliebten vier Moſchusochſen mit Payer zu ſcherzen, indem ſie einen Angriff auf deſſen Meßtiſch ausführten. Schleichen ſich mehrere Jäger gleichzeitig von verſchiedenen Seiten her auf eine ruhig weidende Herde von Schafochſen an, ſo drängen ſich dieſe zuweilen, anſtatt flüchtig zu werden und ſich zu zerſtreuen, dichter zuſammen und geſtatten den Jägern, mehrere Schüſſe auf ſie abzugeben. Doch darf man daraus nicht auf Dummheit ſchließen. Vielmehr entſpricht dies der Verteidigung der Tiere gegen Wölfe. Wenn Moſchusochſen nämlich von Wölfen 304 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. angegriffen werden, drängen ſie ſich ebenfalls zuſammen, nehmen die Kälber in die Mitte und richten die mit dem mächtigen Gehörn bewehrten Köpfe ihren Bedrängern entgegen, deren Angriffe abwartend, die ſie dann meiſt mutig abſchlagen. Überhaupt iſt der Moſchusochſe kein zu verachtender Gegner. Verwundete Tiere geraten in Wut und ſtürzen grimmig auf den Jäger zu, der von Glück zu ſagen hat, wenn er nicht überrannt oder von den ſpitzigen Hörnern durchbohrt wird. Erſteres erfuhr Tramnitz an ſich ſelbſt, als er einmal allein auf die Jagd nach Schafochſen ausging, aber nicht nur ohne Beute, ſondern auch mit verdorbenem Gewehr und zerriſſener Kleidung zurückkehrte, weil ihn ein Stier umgeworfen und getreten Moſchusochſen am Kalſer-Franz⸗Joſephs-⸗Fjord, Grönland. Nach Photographie. hatte. Auch verſichern die Indianer, daß die Tiere ihre Waffen recht gut zu gebrauchen wiſſen und ſelbſt Bären und Wölfe töten. Daß ſie freilich, wenn ſie den Menſchen und vor allen Dingen das Gewehr noch nicht kennengelernt haben, ſich in ihrer zuſammengedrängten Ver— teidigungsſtellung faſt widerſtandslos zuſammenſchießen laſſen, mag wahr ſein, beruht dann aber nur auf Unkenntnis der ihnen drohenden Gefahr. Ganz anders benehmen ſie ſich, wenn ſie wiſſen, was ihnen droht. Altere, beſonders vereinzelte Stiere ſetzen, nach Payer und Cope⸗ land, dem Feuer ſelbſt nach leichter Verwundung die größte Kaltblütigkeit entgegen und „begnügen ſich, ihren Körper durch das Senken des unverwundbaren Kopfes und durch Ver— meidung einer ihre Seiten gefährdenden Stellung zu decken. Es geſchah, daß eines dieſer Tiere einen Schuß auf die durch die rieſigen Hörner gepanzerte Stirn aus einem Wänzl- Gewehre, mit welchem Eisbären der Länge nach durchſchoſſen wurden, ertrug, ohne das ge— ringſte Zeichen einer empfundenen Störung zu bekunden; denn die Kugel fiel zu einer Scheibe platt gedrückt auf den Boden herab.“ Moſchusochſen. Rinder. 305 Dem Fleiſche haftet ſtets ein merklicher Moſchusgeruch an; dieſer iſt jedoch bei Kühen keineswegs ſo ſtark, daß er das Fleiſch ungenießbar machen kann, wie das bei Stieren, die während der Paarungszeit getötet wurden, der Fall ſein ſoll. Unſere Nordfahrer fanden den Geſchmack der Moſchuskühe vortrefflich, und andere Europäer urteilen genau ebenſo. In der Gegend des Forts Wales treiben die Indianer einen einträglichen Tauſchhandel mit dem Fleiſche des von ihnen erlegten Wildes. Sie hängen es, nachdem ſie es in größere Stücke zerſchnitten haben, in der Luft auf, laſſen es vollſtändig austrocknen und liefern es dann in die Niederlaſſungen der Pelzjäger ab, wo es gern gekauft wird. Wolle und Haar werden von Indianern und Eskimos hoch geſchätzt. Erſtere iſt ſo fein, daß man daraus ſicherlich vortreffliche Gewebe erzeugen könnte, wenn man genug davon hätte. Aus den Schwänzen bereiten ſich die Eskimos Fliegenwedel und aus der Haut gute Fußbekleidungen. Obwohl der Moſchusochſe ſeit dem Jahre 1720 bekannt iſt, kam doch erſt 1899 der erſte lebende nach Europa. Seither ſind im ganzen etwa 30 Moſchusochſen in Tiergärten gekommen, davon zwei nach Amerika. Im allgemeinen ſcheinen ſie ſich in Gefangenſchaft nicht ſehr gut zu halten. Eine 1904 vom Berliner Zoologiſchen Garten erworbene Kuh lebte jedoch dort über zwölf Jahre. Sie zeigte ſich hier als ein ziemlich ſtumpfſinniges, ruhiges, man könnte ſagen ſchlafmütziges Geſchöpf, das ſelbſt ſeinem Wärter gegenüber keinerlei Anhäng— lichkeit bekundete. Allerdings hatte es die Peitſche und deren Bedeutung kennengelernt und konnte durch drohende Gebärden damit von Angriffen gegen den Wärter abgehalten werden. Die Rinder (Bovinae), die letzte Unterfamilie der Horntiere, find große, ſtarke und ſchwerleibige Wiederkäuer, deren Merkmale hauptſächlich in den mehr oder weniger runden und glatten, in beiden Geſchlechtern vorhandenen homonymen Hörnern, der breiten Schnauze mit der großen, nackten, ungeteilten, ſtets feuchten Muffel oder Flotzmaul, dem langen, bis ans Hackengelenk reichenden, gequaſteten Schwanz, dem Mangel an Voraugen- und Klauendrüſen und dem vierzitzigen Euter der Kühe liegen. Die meiſten zeichnen ſich auch durch eine hän— gende Wamme am Halſe aus. Ihr Gerippe zeigt ſehr plumpe und kräftige Formen. Der Schädel iſt breit an der Stirn und an der Schnauze wenig verſchmälert; die runden Augen— höhlen ſtehen weit ſeitlich hervor, die Hornzapfen erheben ſich auf der hinteren Kante des Schä— dels. Die Hörner richten ſich meiſt nach auswärts und dann nach aufwärts. Die Halswirbel find ſehr kurz, haben aber lange Dornfortſätze; 13—14 Wirbel tragen Rippen; am 12. oder 14. iſt das Zwerchfell befeſtigt; 5—7 Wirbel bilden den Lendenteil, 4 oder 5 innig mitein— ander verſchmolzene das Kreuzbein; die Anzahl der Schwanzwirbel wächſt bis auf 19 an. Der Zahnbau iſt nicht beſonders auffallend. Gewöhnlich ſind die inneren Schneidezähne jeder Seite die größten und die äußerſten die kleinſten; unter den vier ſäulenartigen Backzähnen in jedem Kiefer pflegen die vorderſten klein, die hinterſten aber ſehr entwickelt zu fein. Die Kau⸗ flächen der oberen Backzähne ſind ſehr breit. Das Haarkleid iſt gewöhnlich kurz und glatt anliegend, kann ſich aber auch mähnenartig an gewiſſen Stellen des Leibes verlängern. Ganz Europa und Afrika, Mittel- und Südaſien ſowie der Norden Amerikas dürfen als die Heimat der Rinder betrachtet werden; gegenwärtig find die in die Knechtſchaft des Men⸗ ſchen übergegangenen Arten über alle Teile des Erdballes verbreitet. Die wild lebenden be— wohnen die verſchiedenſten Ortlichkeiten, dieſe dichtere Waldungen, jene freies Grasland, die einen die Ebene, die anderen das Gebirge, wo fie ſogar zu Höhen von 5— 6000 m empor⸗ ſteigen. Einige ziehen ſumpfige Gegenden und Moräſte, andere mehr trockene Ortlichkeiten Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 20 306 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. vor. Die wenigſten ſind Standtiere; faſt alle führen vielmehr ein umherſchweifendes Leben. Die, welche das Gebirge bewohnen, kommen im Winter in die Täler herab, die im Norden lebenden ziehen ſich ſüdlicher, andere wandern aus Mangel an Nahrung von ihren jeweiligen Aufenthaltsorten in nahrungsreichere Gegenden. Alle Arten leben ausnahmslos geſellig und ſchlagen ſich in große oder kleine Herden zuſammen, die von ſtarken und erfahrenen Tieren geführt werden; einzelne Arten können Scharen von Tauſenden bilden. Alte Männchen pflegen ſich gelegentlich abzuſondern und als Einſiedler zu leben. Alle Rinder erſcheinen zwar plump und langſam, ſind aber doch imſtande, ſich raſch zu bewegen, und bekunden viel mehr Fertigkeiten, als man ihnen zutrauen möchte. Ihre ge— wöhnliche Bewegung iſt ein langſamer Schritt; allein ſie traben auch ſchnell dahin und fallen zuweilen in einen höchſt unbeholfenen Galopp, der ſie ſehr raſch fördert. Die Arten, welche Gebirge bewohnen, klettern meiſterhaft, alle ſchwimmen leicht und gut, und einzelne ſetzen ohne Bedenken über die breiteſten Ströme. Ihre Kraft iſt außerordentlich, ihre Ausdauer bewunderungswert. Unter den Sinnen ſteht der Geruch obenan; das Gehör iſt ebenfalls gut, das Geſicht nicht beſonders entwickelt. Die geiſtigen Fähigkeiten ſind gering; doch bekunden die wilden Rinder weit mehr Verſtand als die zahmen, die ihre Geiſteskräfte nicht anzuſtrengen brauchen. Ihr Weſen iſt verſchiedenartig. Im allgemeinen ſanft und zutraulich gegen Geſchöpfe, die ihnen nicht gefährlich oder beſchwerlich werden, zeigen ſie ſich auch überaus wild, trotzig und in hohem Grade mutig; gereizt greifen fie unter Todesverachtung alle Raubtiere, ſelbſt die ſtärkſten, an und wiſſen ihre furchtbaren Waffen mit ſo viel Geſchick zu gebrauchen, daß ſie oftmals Sieger bleiben. Unter ſich im ganzen verträglich, kämpfen ſie doch zu gewiſſen Zeiten, namentlich während der Paarungszeit, mit entſchiedener Raufluſt. Die Stimme be- ſteht in hellerem oder dumpferem Gebrüll oder in einem Grunzen und Brummen, das haupt⸗ ſächlich gehört wird, wenn die Tiere erregt ſind. Sehr verſchiedene Pflanzenſtoffe bilden die Nahrung der Rinder. Dieſe verzehren Laub und zarte Knoſpen, Triebe und Zweige der allerverſchiedenſten Bäume, Gräſer und Kräuter, Baumrinde, Moos und Flechten, Sumpf- und Waſſerpflanzen, ſelbſt ſcharfſchneidiges Ried— gras und rohrähnliche Gewächſe. In der Gefangenſchaft nähren ſie ſich von allen möglichen Pflanzenſtoffen. Salz iſt für alle ein Leckerbiſſen, Waſſer ihnen Bedürfnis; manche wälzen ſich mit Luſt in ſchlammigen Lachen oder legen ſich ſtundenlang in Flüſſe und Teiche. Der Begattung gehen gewaltige Kämpfe unter den Stieren voraus; 9—12 Monate ſpäter wirft die Kuh ein einziges Junges, ſehr ſelten deren zwei. Das Kalb iſt immer vollkommen ausgebildet und nach kürzeſter Zeit imſtande, der Mutter zu folgen. Dieſe behandelt es mit großer Zärtlichkeit, ſäugt und reinigt, beleckt und liebkoſt es und verteidigt es bei Gefahr mit tollkühnem Mute gegen jeden Angriff; ſpäter treten bei manchen Rinderarten die Stiere als Beſchützer der Jungen auf. Sämtliche Rinderarten laſſen ſich zähmen und geben ſich ſodann mehr oder weniger willig dem Menſchen hin, lernen ihre Pfleger kennen, folgen deren Rufe und gehorchen ſelbſt einem ſchwachen Kinde, ziehen jedoch ihren Herrn eigentlich anderen Menſchen nicht vor, ſon— dern behandeln, wenn ſie einmal gezähmt worden ſind, alle Leute mit der gleichen Freundlichkeit. Die Jagd auf Wildrinder gehört zu den gefährlichen; namentlich ein gereizter Stier, deſſen blinde Wut keine Grenzen mehr kennt, iſt ein ſehr bedrohlicher Gegner. Gerade des— halb aber betreibt man ſolche Jagd mit größter Leidenſchaft. Gegen den Nutzen, den die zahmen Rinder leiſten, verſchwindet der geringe Schaden, den die wild lebenden anrichten, faſt gänzlich. Dieſe werden höchſtens durch das Befreſſen der Rinder: Allgemeines. 307 Bäume und Sträucher in den Wäldern, durch das Zerſtören des Graswuchſes und durch Ver— heerungen, die ſie in Pflanzungen anrichten, dem Menſchen läſtig; die gezähmten dagegen nützen ihm mit ihren ſämtlichen Kräften, durch ihr Fleiſch und ihre Knochen, ihre Haut und ihr Ge— hörn, ihre Milch, ſelbſt durch ihr Haar und ihren Miſt. Auch die wild lebenden Rinder liefern einen nicht unerheblichen Ertrag, da nicht allein die Haut benutzt wird, ſondern auch das Fleiſch, ungeachtet des ihm vielfach anhaftenden Moſchusgeruches, eine vorzügliche Speiſe gibt. Die Färbung der Wildrinder iſt, abgeſehen von den weißen Abzeichen bei einer Unter— gattung, ſtets einfarbig, ein mehr oder minder düſteres Braun oder Grau, das bei alten Bullen zu Schwarz nachdunkeln kann. Die Weibchen und Jungen ſind, wenigſtens bei den glatt— haarigen Rindern, ſtets heller, meiſt rotbraun gefärbt. Die Rinder find die Gruppe der Wiederkäuer, bei denen die S. 44 und 157 näher be— ſchriebene „Knickung der Schädelachſe“ ihren höchſten Grad erreicht hat. Aber auch bei ihnen laſſen ſich noch Stufen in dieſer Entwickelung erkennen, inſofern als bei den primitiveren, den Antilopen näherſtehenden Formen noch hinter den Hörnern Knochen auf der Oberfläche des Schädels erſcheinen, die bei den hochſtehenden Formen völlig von dort verſchwunden ſind, ſo daß die Hörner auf der hinteren Kante des Schädels ſtehen; oft iſt dieſe ſogar über das Hinterhaupt nach hinten hinausgezogen. Übrigens können wir unter den lebenden Rindern keine geradlinige Entwickelungsrich— tung feſtſtellen, müſſen vielmehr, wenn wir auch den übrigen Körper in Betracht ziehen, mehrere enger zuſammengehörige Gruppen unterſcheiden, die bald in der einen, bald in der anderen Beziehung höher ſtehen als die anderen. Nach der beſprochenen Bildung des Hinterhauptes hat Rütimeyer ſein Syſtem der Rinder aufgeſtellt. Es iſt neuerdings durch die Forſchungen Duerſts weiter ausgebaut worden. Die— ſem Rütimeyer-Duerſtſchen Syſtem wollen wir hier folgen. Die verſchiedenen Gruppen können als Untergattungen der einzigen Gattung Bos L. aufgefaßt werden, da ſie ſich alle unter— einander kreuzen laſſen. Mit den Antilopen, aus denen ſie zweifellos hervorgegangen ſind, werden die Rinder verbunden durch die pliozäne und pleiſtozäne, jetzt ausgeſtorbene Untergattung Leptobos Rütim., deren Reſte aus Italien, Frankreich und Indien bekanntgeworden ſind. Die primitive Stellung von Leptobos zeigt einmal das Fehlen der Hörner bei den Weibchen, dann die große Aus— dehnung der hinter den Hörnern, alſo auch hinter dem Stirnbeine, gelegenen Knochen auf der Oberſeite des Schädels. Im übrigen ſollen die Schädel die nächſten . zur Unter⸗ gattung Bibos, namentlich dem Banteng, zeigen. N Der Entwickelung des Hinterhauptes nach nehmen unter den lebenden Rindern die Büffel (Untergattung Bubalus H. Sm.) die tiefſte Stellung ein. Bei ihnen liegen die Scheitelbeine noch in breiter Zone hinter den Hörnern auf der Oberſeite des Schädels, ſtoßen in der Mitte vor dem Zwiſchenſcheitelbein zuſammen, dieſes von der Berührung mit den Stirnbeinen aus— ſchließend. Das Zwiſchenſcheitelbein iſt wenigſtens an der Baſis ſo breit wie die ganze Hinter— hauptsfläche. Der tiefen Stellung entſprechend gehören zu den Büffeln auch die kleinſten Rinderformen, nach dem Geſetz, daß die kleineren Tiere einer Gattung gewöhnlich auf einer tieferen Entwickelungsſtufe ſtehen als die größeren. Aber die größeren Formen, beſonders die afrikaniſchen, ſind in der Bildung der Hörner und der Rückbildung des Haarkleides fort— geſchrittener als die anderen Rindergruppen. Die Büffel ſind ſchwere Rinder mit annähernd gerader Rückenlinie, ſtark abfallender Kruppe, großen Ohren, breiter Muffel, langem, bis zu den Hacken reichendem bequaſteten Schwanz und, wenigſtens bei den Erwachſenen, dünnem 20* 308 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Haarkleid. Die Hörner ſind im Querſchnitt mehr oder weniger deutlich dreieckig und an ihrer Baſis geringelt. Die Wamme iſt gewöhnlich nur am hinteren Teil des Halſes und an der Vorderbruſt gut ausgebildet. Eine Anzahl indiſcher Wildrinder wird als Untergattung Bibos Hags. zuſammengefaßt. In der Verhornung der Stirnhaut zwiſchen den Hornwurzeln bei alten Bullen eines ihrer Vertreter kann man Beziehungen zu ähnlicher Bildung bei den Kafferbüffeln finden. Außer⸗ lich zeichnen ſich die Bibos-Arten durch die Bildung eines ſchmalen, gratartigen Buckels auf der vorderen Hälfte des Rückens aus, der durch eine Verlängerung der Dornfortſätze des dritten bis elften Rückenwirbels veranlaßt wird. Ferner iſt bei allen Mitgliedern dieſer Untergattung der untere Teil der Beine weiß. Die Wamme iſt deutlich in zwei Teile geteilt, indem ſie die Kehle frei läßt. Die Hörner ſind im Querſchnitt annähernd elliptiſch. Dem Schädelbau nach iſt Bibos fortgeſchrittener als Bubalus, aber die Scheitelbeine find noch immer breit und um⸗ geben das Zwiſchenſcheitelbein ſeitlich auch an der Baſis. Bibos am nächſten verwandt iſt wohl die Untergattung Bos L. (im engeren Sinn), 5 wie Bubalus und Bibos, 13 Rückenwirbel hat. Da das Hausrind, Bos taurus L, einſchließ— lich des Zebus der einzige lebende Vertreter dieſer Untergattung iſt, werden die hierhergehörigen Rinder auch als taurine Rinder bezeichnet. Dem Schädelbau nach erweiſt ſich Bos fortgeſchrit— tener als Bibos, ja es gehören dazu die fortgeſchrittenſten Rinder, bei denen überhaupt keine Knochen mehr hinter den Hörnern auf der Schädeloberfläche erſcheinen. Im Gegenteil greifen mindeſtens ſeitlich die Stirnbeine auf das Hinterhaupt über. Scheitelbein und Zwiſchen⸗ ſcheitelbein ſind äußerſt ſchmal geworden, ſo daß bei ihnen der Schädelbau gewiſſermaßen die Weiterentwickelung der durch Bubalus und Bibos begonnenen Reihe bezeichnet. Die Hörner ſind rund im Querſchnitt. Der gerade Rücken aber iſt primitiver als bei Bibos. Das Haar⸗ kleid iſt zwar kurz, wie bei Bibos, neigt aber an einzelnen Körperſtellen, beſonders auf der Stirn alter Bullen, zur Verlängerung. So mag die Untergattung zu den folgenden überleiten. Durch Verlängerung ihres Haares, durch einen Buckel und durch den Beſitz von 14 Paar Rückenwirbeln zeigen die beiden Untergattungen Poöphagus Gray und Bison H. Sm. eine nähere Verwandtſchaft untereinander. Ihr Buckel unterſcheidet ſich von dem von Bibos da⸗ durch, daß an ſeiner Bildung nicht nur die Dornfortſätze aller Bruſtwirbel, ſondern auch die des ſiebenten Halswirbels teilnehmen. Die Hornform iſt bei beiden ähnlich, doch ſind die im Querſchnitt runden Hörner bei Bison kürzer als bei Poöphagus. Sonſt unterſcheidet ſich äußerlich Poöphagus von Bison dadurch, daß bei ihm das Haar des ganzen Körpers ver— längert iſt, bei Bison nur das des Vorderkörpers. Der Schädel hat hier eine andere Ent— wickelungsrichtung eingeſchlagen als bei den vorigen Untergattungen, indem das Zwiſchenſcheitel— bein die Scheitelbeine vollſtändig trennt und vorn an die Stirnbeine ſtößt. Beim Jak iſt es verhältnismäßig ſchmal, beim Biſon ſehr breit, faſt die ganze Hinterhauptsfläche einnehmend. Sehr intereſſant find die Fortpflanzungsverhältniſſe der Baſtarde der verſchiedenen Rinder⸗ gruppen, weil dieſe in ihrer mehr oder minder beſchränkten Fruchtbarkeit eine Reihe bilden, die dem vorwiegend auf anatomiſcher Grundlage aufgebauten Syſtem ungefähr entſpricht. Solche Kreuzungsverſuche ſind, abgeſehen von einigen zoologiſchen Gärten und amerikaniſchen Tierzuchtanſtalten, in den letzten Jahren vornehmlich von dem ruſſiſchen Großgrundbeſitzer Falz⸗Fein und dem langjährigen Leiter des Hallenſer Haustiergartens, Julius Kühn, unter⸗ nommen worden. Sie ergaben folgendes. Bei Kreuzungen von Hausrindern mit den hinterindiſchen Wildrindern ſcheinen die weib— lichen Kreuzungstiere unbedingt fruchtbar zu ſein, die männlichen in der erſten Generation in Rinder: Allgemeines. Anoa. 309 der Regel nicht, doch ſcheint mit weiterer Kreuzung eine Zunahme der Fruchtbarkeit der aus den Kreuzungen hervorgehenden Bullen zu erfolgen. So wurden von Kühn ſechs Halbblut— gayalbullen vergebens zum Decken verwandt, und zwar teilweiſe ſehr oft, ein ſiebenter hatte dagegen unter 21mal 11 mal Erfolg. Von neun Bullen von ¼ Gayalblut waren drei Frucht bar. Von der dritten Kreuzungsgeneration an waren dann auch die Bullen regelmäßig frucht— bar. Ahnlich ſcheinen ſich auch Gaur und Banteng zu verhalten. Ein Halbblutgaurbulle, der mit Hausrindkühen unfruchtbar war, befruchtete dagegen ſeine beiden Halbſchweſtern, die allerdings die Föten nicht austrugen. Eine Kreuzungskuh von Banteng und Zebubullen wurde von einem Hausrindbullen befruchtet, verwarf aber ebenfalls. Dagegen erwies ſich ein Banteng-Zebubulle bei zwölfmaligen Deckverſuchen als unfruchtbar. Bei Kreuzungen des Jaks mit Hausrindern ſind die weiblichen Kreuzungstiere fruchtbar, vollſtändig unfruchtbar dagegen die männlichen. Selbſt ein Bulle, der nur „/ Jakblut führte, alſo die fünfte Generation, war noch unfruchtbar. Anders ſcheinen ſich die Kreuzungen von Biſon oder Wiſent mit unſeren Hausrindern zu verhalten. Nach Hornadays auf amerikaniſche Verſuche geſtützten Mitteilungen laſſen ſich wohl Hausrindkühe und Biſonſtiere kreuzen, aber die umgekehrte Kreuzung gelingt nicht. Auch Falz— Fein erhielt nur Miſchlinge von Hausrindkühen. Übrigens bietet dieſe Zucht Schwierigkeiten. Die Jungen haben, wie S. v. Nathuſius nach ſeinen Erfahrungen im Hallenſer Haustiergarten mitteilt, den ſtarken Kopf und die ungewöhnlich tiefe Bruſt des Vaters, ſo daß die Geſchlechts— wege der Hauskühe zu eng ſind und die meiſten Jungen bei der Geburt eingehen. Kommen jedoch die Miſchlinge lebensfähig zur Welt, ſo ſcheinen ſie in beiden Geſchlechtern unbegrenzt fruchtbar zu ſein. Schwierigkeiten der Geburt ſcheinen bei den Kreuzungen zwiſchen Wiſent und Hausrind nicht zu beſtehen. Verſuche, die ein abſchließendes Urteil erlauben, liegen bei ihnen jedoch noch nicht vor. Falz-Fein erhielt Kreuzungskühe aus einer Paarung eines Wiſentſtieres mit einer Hausrindkuh (Taf. „Paarhufer XIX, 5, bei S. 353), die ſich als fruchtbar erwieſen. Volle Fruchtbarkeit in jeder Weiſe ergaben dagegen die Kreuzungen unſerer Hausrinder mit Zebus, ſo daß die Ergebniſſe der Kreuzungsverſuche der Rinder in vollem Einklang ſtehen mit der durch Duerſt auf anatomiſcher Grundlage gewonnenen Syſtematik. Auch ſie zeigen, daß Zebu und Hausrind nahe Verwandte ſind, die hinterindiſchen Wildrinder einſchließlich des Bantengs dem Hausrind dagegen ſo fern ſtehen, daß von einem Abſtammungsverhältnis nicht die Rede ſein kann. In der Untergattung der Büffel (Bubalus) nicht nur, ſondern unter allen Rindern überhaupt nimmt zweifellos die niedrigſte Stufe der Büffel von Celebes ein, der oder die Anda, der Gemsbüffel, Bos (Bubalus) depressicornis H. Sm. (Anoa; Taf. „Paar- hufer XVI“, 11, bei S. 279). Er verbindet gewiſſermaßen die Rinder mit den Antilopen. Die geraden, ſpießartigen Hörner, die fein zugeſpitzte Schnauze, die weißen Flecke erinnern an Antilopen, während er in anderer Hinſicht ein echter Büffel iſt aus der Verwandtſchaft der aſiatiſchen, da, wie bei allen Aſiaten, die Rückenhaare nach vorn gerichtet ſind. Der Anoa iſt, abgeſehen von einigen Zuchtraſſen des Hausrindes, der Zwerg des Rindergeſchlechtes, da er bei einer Schulterhöhe von etwa 1 m eine Geſamtlänge von 2 m erreicht, wovon 30 em auf den Schwanz zu rechnen ſind. Wie bei allen Zwergtieren muß man ſich fragen, ob die pri— mitiven Merkmale urſprünglich ſind oder Folgen des Zwergwuchſes. Zwergwuchs kann näm— lich oft morphologiſch erklärt werden als Einſtellung des Wachstums auf einer jugendlichen Entwickelungsſtufe. Junge Tiere ſind aber nach einem wichtigen biologiſchen Geſetz vielfach 310 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. primitiver, ſtehen der Stammform näher als die alten. Auf jeden Fall kann der Anda nicht einfach als Zwergbüffel betrachtet werden, da er ſich in mancher Hinſicht ſehr fortgeſchritten erweiſt, z. B. in der Rückbildung der unteren Prämolaren, von denen meiſt nur noch 2 Paar vorhanden ſind. Immerhin finden ſich bei ihm manche Antilopenähnlichkeiten in der Bildung des Hinterhauptes, der Form der Hörner und den hellen Abzeichen an Backen und Beinen. Der Leib des Anoas iſt gedrungen, nach der Mitte an Stärke zu-, nach hinten wieder abnehmend, am Widerriſte höher als am Kreuze, der Hals kurz und ſchwach gerundet, der Kopf auf der Stirn ſehr breit, gegen die Muffel hin zugeſpitzt, dieſe zu einem kurzen, breiten und nackten Felde ausgedehnt, das die ganze Oberlippe einnimmt, auf dem Naſenrücken er⸗ haben, das oben ſtark bewimperte Auge groß und dunkelbraun von Farbe, ſein Stern rund— lich, das Ohr kurz, ziemlich ſchmal, ſein Außenrand etwas ausgeſchweift, ſein Innenrand gebogen, nur an der Wurzel behaart, an der Spitze dagegen nackt und innen am Winkel mit einem Buſche von weißlichen Haaren bekleidet; das mittellange Gehörn, deſſen Stangen an der Wurzel weit voneinanderſtehen, am Rande der Stirnleiſte aufgeſetzt, wenig nach hinten gerichtet und faſt gerade oder ſchwach nach außen gebogen, das einzelne Horn von oben nach unten faſt dreiſeitig zuſammengedrückt, unten geringelt, oben platt kegelförmig und pfriemen— ſpitzig, der Schwanz mittellang, von oben nach unten verſchmächtigt und mit einer ſchwachen Haarquaſte verſehen; die niedrigen, plumpen, breitgeſtellten Beine zeigen abgerundete, durchaus rindartig geſtaltete Hufe mit ziemlich langen und abſtehenden Afterklauen. Die kurze und verhältnismäßig dünn ſtehende Behaarung, die im Geſichte, namentlich über der Muffel und vor dem Auge, ſehr ſpärlich auftritt, läßt überall die ſchwarze Haut durchſchimmern. Sie zeigt im allgemeinen dunkelbraune Färbung, lichtet ſich an den dünnbeſtandenen Stellen des Geſichtes und geht auf der Außenſeite der Ohren und auf der Unterſeite in Lichtbraun über; ein Fleck in der Mitte des Unterkiefers iſt weiß, ein halbmondförmiger am Unterhalſe ebenſo gefärbt, die Achſelgegend wie die Weichen innen gelblichweiß. Letztere Färbung zeichnet auch die Feſſel— gelenke, über die ſich jedoch vorn ein dunkler Streifen zieht, ſo daß die lichtere Färbung in Geſtalt von zwei ſeitlich ſtehenden Flecken erſcheint. Bei einzelnen Stücken bemerkt man vor jedem Auge einen kleinen und auf den Wangen jederſeits einen oder zwei weiße Flecke. Die Kühe ſind meiſt heller als die Bullen gefärbt. Bei den Kälbern iſt das Haarkleid ſehr dicht, viel dichter als das der Alten, und wollig, ſchön goldbraun, manchmal aber auch dunkel, der Kopf kurz mit auffallend hochgewölbter Stirn, alſo echt rinderartig. Über das Freileben des Gemsbüffels iſt auch gegenwärtig noch ſo gut wie nichts bekannt. Die Reiſenden, die das Verbreitungsgebiet beſuchten, gedenken des Tieres nur nebenbei, und ſelbſt v. Roſenberg, der mehrere geſchoſſen hat, bemerkt bloß, daß es von ſcheuem Weſen und deshalb ſchwierig zu jagen ſei. A. B. Meyer teilte Heller („Abhdlg. i. Ber. Muſ. Dresden“, 1889) mit, daß die Tiere paarweiſe leben und ſich das Männchen während der Wurfzeit vom Weibchen entfernt, in dieſer Zeit beſonders gefährlich ſei und Tiere und Menſchen anfalle. Der Anoa kommt ausſchließlich auf Celebes, und zwar in den gebirgigen Teilen der Inſel, vor. Ge: fangene ſind früher ſelten, neuerdings häufiger nach Europa gelangt, die erſten wohl nach Rotter— dam, andere Stücke ſpäter nach Antwerpen, Amſterdam, London und in deutſche zoologiſche Gärten. Der Gemsbüffel macht vollſtändig den Eindruck eines kleinen Rindes, iſt träge und bewegungsunluſtig nach Art ſeiner Verwandtſchaft, ſteht oft lange auf ein und derſelben Stelle, entweder mit Freſſen oder mit Wiederkäuen beſchäftigt, und ſcheint ſich um die Außen- welt wenig oder nicht zu kümmern. Sein gewöhnlicher Gang iſt ein langſamer Schritt; doch entſchließt er ſich dann und wann auch zu einigen plumpen Sprüngen, ganz nach Rinderart. Anda. Mindorobüffel. 311 Wie die Büffel zeichnet er ſich durch Schweigſamkeit aus; denn nur ſelten vernimmt man einen Laut von ihm, und dann auch bloß ein kurzes Blöken, das man eher ein Geſtöhn nennen möchte. Seine Verwandtſchaft mit den Büffeln beweiſt er durch ſeine Vorliebe für das Waſſer und Feuch— tigkeit überhaupt, ferner, wie Haacke mitteilt, durch ſeinen ſtarken moſchusartigen Duft. Er trinkt viel und in langen Zügen, nur beim Einatmen für Augenblicke innehaltend, wirft im engeren Raume gern ſein Waſſergefäß um, wälzt ſich dann auf dem feuchten Boden mit Be— hagen umher und geht, wenn er es haben kann, mit Wolluſt in das Waſſer, um ſich zu baden und zu kühlen. Hinſichtlich der Nahrung bekundet er dieſelbe Genügſamkeit wie die Büffel und ſcheint gleich dieſen Sumpf- oder Waſſerpflanzen mit Vorliebe zu genießen. Die Loſung ſetzt er in breiten Fladen ab und beſtätigt auch dadurch unverkennbar ſeine Zuſammengehörig— keit mit den Rindern. Von dem Wärter läßt er ſich zwar ſtreicheln und reinigen, ſetzt ſich aber gelegentlich zur Wehre und kann ſogar, wie jedes gefangene Huftier, bösartig werden. Dann greift der Anoa ihm ſonſt bekannte und vertraute Perſonen ſcheinbar ohne Grund an und kann ihnen mit ſeinen ſpitzen Hörnern ſchwere Wunden beibringen; anderen Tieren, beiſpielsweiſe Antilopen, gegenüber zeigt er ſich keineswegs freundſchaftlich, und während der Paarungszeit wird er ſehr bösartig. In der Gefangenſchaft hält ſich der Gemsbüffel in der Regel vortrefflich. Ein im Frankfurter Zoologiſchen Garten geborener Anvabulle hat dort ein Alter von 21 ¼ Jahren erreicht. Im Tiergarten von Amſterdam, wo man mehrmals Gemsbüffel gezüchtet hat, verlor man das erſte Weibchen durch das erregte Männchen, das der noch widerwilligen Kuh einen tödlichen Hornſtoß beibrachte. Im Berliner Zoologiſchen Garten, wo man mit der Zucht von Gemsbüffeln ebenfalls gute Erfolge hatte, ſtellte Heinroth eine Trächtigkeitsdauer von 9½—10 Monaten feſt. Über einen Gemsbüffel des Frankfurter Gartens ſchreibt Haacke: „Im Sommer 1888 erhielten wir einen männlichen Urbüffel, welcher etwa die Größe eines halbwüchſigen Schafes erreicht, den Kindern ſeines früheren Beſitzers als Spielkamerad gedient hatte und ſo zahm war, daß er auf den Ruf herbeieilte und ſeinem Wärter überall durch den Garten hin folgte. Er war ſpielluſtiger, als ich es bei irgendeinem anderen Wiederkäuer beobachtet habe, und ſah es gern, wenn ich ihn in ſeinem Gehege beſuchte. Beſondere Freude bereitete es ihm, wenn ich bei ſolchen Beſuchen unſere Bernhardinerhündin Caro mitbrachte, die ihrerſeits gern mit dem munteren Burſchen Kurzweil trieb und ſich viertelſtundenlang im Gehege mit der Anda herumtummelte, bis fie durch die ununterbrochenen Neckereien der letzteren, deren ſpitze Hörner ihr nicht ſelten unangenehm fühlbar wurden, ermüdet war. Im Frühjahre 1889 war unſer Gemsbüffel ziemlich herangewachſen.“ Dann wurde auch er böſe und griff ſeinen Herrn an, als dieſer unvorſichtig den Käfig betrat. Den Übergang zu den großen aſiatiſchen Büffeln bildet der Mindorobüffel, Bos (Bu— balus) mindorensis Heude, von den Philippinen. Er ſteht derartig in der Mitte zwiſchen Anoa und Arni, daß man ihn als einen Baſtard zwiſchen beiden erklären wollte, eine Anſicht, die jedoch nicht annehmbar ift, da der Anoa nicht auf den Philippinen lebt. Der Mindorobüffel iſt größer als der Anoa und hat kurze, kräftige, aufrechtſtehende, an der Spitze einwärts gebogene Hörner, mit unregelmäßigen Querringeln auf der Vorderſeite, ſo daß ſie ſchon denen des Arnis ſich nähern. Die Farbe der ſpärlichen Haare iſt ſchwarz, gelegentlich mit braunem Ton. Die Rückenhaare ſind nach vorn gerichtet. Ein dreieckiger Fleck an der inneren Seite der Augen, ein oder zwei am Unterkiefer, die Unterlippe, ein oder zwei Bänder über der Bruſt, die Innenſeite der Ohren und ein Fleck über den Hufen find grauweiß, 312 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Hornitere. Von den noch übrigbleibenden Büffeln iſt offenbar die aſiatiſche Form mindeſtens ihrer Hornbildung nach primitiver als die afrikaniſche. Für uns hat ſie inſofern eine größere Be— deutung, als von ihr die Hausbüffel abſtammen und ſie im frühen Diluvium ihr Gebiet bis Europa ausdehnte. Wenigſtens will Lydekker auf fie die aus Mittel- und Südeuropa be— kanntgewordenen, als Bos (Bubalus) pallasi Baer beſchriebenen Reſte beziehen. Dieſe Art iſt auf zwei bei Danzig gefundene Schädel begründet. Heute iſt der Aſiatiſche oder Indiſche Büffel, der Arni, Bos (Bubalus) bubalis L. (buffelus; Taf. „Paarhuſer XVII“, 2, bei S. 302), auf die orientaliſche Region beſchränkt, ging aber offenbar zu Anfang unſerer Erdperiode weiter nach Weſten. Abgeſehen von den wenigen europäiſchen Reſten finden ſich Bilder, die den Arni, und zwar höchſtwahrſcheinlich den wilden, darſtellen, unter den Hinterlaſſenſchaften der älteſten meſopotamiſchen Kulturen. Ja ſogar aus der älteſten prädynaſtiſchen Zeit Agyptens ſind Arnibilder bekanntgeworden, wie Duerſt („Die Rinder von Babylonien, Aſſyrien und Agypten“) erwähnt. Und Lortet glaubt Knochenreſte von ihm in prähiſtoriſchen Ablagerungen bei Toukh gefunden zu haben. Daß der Arni ſein Gebiet ſogar höchſtwahrſcheinlich durch ganz Nordafrika ausdehnte, wird beim afrikaniſchen Büffel ausführlich dargelegt werden. Der Arnibüffel iſt ein großes Tier, das bis 158 m Schulterhöhe erreicht. Die Farbe der typiſchen Unterart iſt dunkel aſchgrau, faſt ſchwarz, doch gibt es auch eine dunkelbraune Unterart (Bos b. fulvus Blanf.) aus Ober-Aſſam und eine mit weißer unterer Hälfte der Beine, weißer Unterlippe und ſchmalem weißen Bruſtband, die in Borneo zu Hauſe iſt (Bos b. hosei Lud. ). Die letztere bildet gewiſſermaßen mit ihrem Weiß einen Übergang zum Mindorobüffel. Die flache, borſtenartige Behaarung iſt namentlich bei alten Büffelbullen ſehr ſpärlich. Im Gegenſatz zu den afrikaniſchen Büffeln richtet fie ſich bei allen aſiatiſchen auf dem Rücken und Nacken nach vorn, und die Ohren tragen nur ſpärliche oder keine Franſen aus verlängerten Haaren. Die Hörner verjüngen ſich gleichmäßig von der Baſis zur Spitze. Die Baſis iſt nicht beſonders verbreitert und bedeckt nie die ganze Stirn. Die Hörner tragen auf der flachen Vorder— ſeite Querrunzeln, die Hinterſeite iſt glatt. Sie ſind halbmondförmig gebogen und liegen ihrer ganzen Länge nach annähernd in einer Ebene, nur die aufwärts gebogenen Spitzen krümmen ſich etwas nach vorn heraus. Sie find gewöhnlich ſehr lang, erreichen aber bei der B. b. ma- croceros Hdgs. genannten Form von Aſſam ganz beſondere Länge. Es wird eines allerdings außergewöhnlichen Stückes gedacht, bei dem ſie 194 em lang waren. Aber auch ſonſt kommen Stücke vor, bei denen beide Hörner zuſammen einen Bogen von faſt 4 m bilden. Der Körperform nach iſt der Arni ein niedrig geſtelltes Tier mit langem, vollgerundetem Leib, ge— radem Rücken, erhöhtem Widerriſt und ſteil abfallender Kruppe. Der Kopf iſt kürzer und breiter als beim Rind, der gedrungene Hals trägt nur eine kleine Wamme; die langen und breiten Hufe ſind einer beträchtlichen Ausdehnung fähig. Wie alle Arten ſeines Geſchlechtes ein großer Waſſerfreund, findet ſich der Indiſche Büffel nur in ſumpfigen Gegenden ſeines Wohngebietes, entweder in Flußniederungen, oder in un— mittelbarer Nähe kleiner, wenn auch bloß zeitweilig waſſerhaltiger Seen, oder endlich in der Umgebung ſeichter Lagunen am Meeresgeſtade. Seine Bewegungen ſind zwar plump, aber kräftig und ausdauernd; namentlich im Schwimmen erweiſt er ſich als Meiſter. Unter den Sinnen ſcheinen Geruch und Gehör obenan zu ſtehen, Geſicht und Gefühl dagegen wenig ent— wickelt und der Geſchmack eben auch nicht beſonders ausgebildet zu ſein, da der Büffel ſich mit dem ſchlechteſten Futter, das andere Rinder verſchmähen, begnügt. Die Büffel weiden haupt⸗ ſächlich während der Nacht und am frühen Morgen, brechen gern in die Pflanzungen ein und Aſiatiſcher Büffel und Unterarten. Hausbüffel. 313 richten hier bedeutende Verwüſtungen an. Den Eingeborenen gegenüber werden ſie nicht ſelten ſo frech, daß ſie ſich förmlich wie die Herren der ihnen zuſagenden Felder gebärden, ſich da— ſelbſt gewiſſermaßen heimiſch machen und jedem Verſuche, ſie zu vertreiben, mit ſofortigem Angriffe begegnen. Forſyth erzählt, wie er gerade noch in letzter Stunde anlangte, um einem unglücklichen Ackerbauer, der durch einen kleinen Trupp Büffel ſeit Wochen vom Betreten ſeiner Felder abgehalten worden war, wenigſtens noch einen geringen Reſt ſeiner Ernte zu retten, indem er den unverſchämten Hauptſtier ſowie eine Kuh erlegte und die übrigen vertrieb. Das Weſen des Indiſchen Büffels wird als mürriſch und unſicher geſchildert; ſeine Kraft und ſein Mut ſollen ſo groß ſein, daß ihn der indiſche Dichter dem Tiger als ebenbürtig zur Seite ſtellt. „Der Stier“, berichtet Hodgſon, „iſt jo ſtark und angriffsluſtig, daß er einen ausgewachſenen Elefanten nicht bloß anzunehmen wagt, ſondern ihn gelegentlich ſogar zu Falle bringt.“ Forſyth wurde bei der Jagd, zu Pferde ſitzend, von einer Kuh aus der Herde mehrmals und nachhaltig verfolgt, obwohl er gerade ſie gar nicht beläſtigt hatte. Kauffmann machte die Erfahrung, daß eine vom Menſchen angegriffene Büffelherde erſt in eine Deckung flüchtet, dann aber ſich zuſammenſchließt und gegen den Feind Front macht. „Die ganze Herde ſchien, Kopf an Kopf, in einer Front nebeneinander aufmarſchiert, den Eindringling annehmen zu wollen“, ſchildert der kühne Reiſende ein Zuſammentreffen mit Arnis. Nach fünf Minuten gegenſeitigen Anſtarrens „machte die Herde ſchnaubend langſam kehrt und zog, noch öfters ſtehenbleibend, in das Labyrinth zurück“. Die Stimme des Büffels iſt ein tief dröhnendes Gebrüll. Die Paarungszeit fällt, laut Hodgſon, in den Herbſt; dann löſen ſich die ſonſt zahlreichen Herden meiſtens in kleinere Trupps auf, die je ein Stier um ſich verſammelt. Kauffmann hat allerdings Büffelkälber in allen Größen bei den Herden geſehen, jo daß er eine beſtimmte Setz- und Paarungszeit für un— wahrſcheinlich hält. Er berichtet auch, allerdings nach Erzählungen, daß Büffelkälber, die ſich nur eine kurze Strecke von der Mutter entfernten, von den anderen Kühen getötet würden. Die Kälber, gewöhnlich je 1, manchmal 2, werden nach einer Tragzeit von 10 Monaten geboren. Wie Stolz berichtet, werden die Büffel in Indien vielfach alt gefangen. Man um— zäunt zu dieſem Zwecke einen Platz und ſetzt vor dem Eingange in zwei nach außen ausein— ander laufenden Linien Leute auf die Bäume, welche Bündel dürren Reiſigs in den Händen halten und fürchterlich zu lärmen beginnen, wenn eine Büffelherde zwiſchen ſie getrieben wird. So gelangen die Tiere in den Pferch, in dem ſie ſpäter mit Schlingen umſtrickt werden. Nach— dem man ihnen die Augen verbunden und die Ohren verſtopft hat, führt man ſie weg und gewöhnt ſie allmählich an Hausdienſt und Feldarbeit. Der Arni iſt der Stammvater des Hausbüffels. Noch heute wird, wie erwähnt, der Arni nicht ſelten gefangen und zum Haustier gemacht. Auch läßt man gelegentlich zahme Kühe durch wilde Büffelſtiere decken. Der Gehörnform und Körpergeſtalt dem Arni nach vollſtändig gleich iſt der Hausbüffel des Indiſchen Archipels, der Kerabau, der auch nach den Philippinen eingeführt wurde, ge— legentlich auch wieder verwildert iſt. Das mächtige Gehörn ſcheint aber ſchwächer zu ſein als das des wilden Arnis und mehr nach hinten gerichtet, die Farbe des Körpers iſt heller, dunkel ſchieferfarbig bis hell aſchgrau, ja ſogar ganz weiß. Solche weiße oder vielleicht beſſer blonde Büffel, bei denen meiſt die Haut roſig durchſchimmert, gibt es beſonders zahlreich in Hinter— indien und dem Malaiiſchen Archipel; ſie kommen jedoch auch in Vorderindien, ſelbſt in Europa vor. Die aſiatiſchen ſcheinen zum Teil Vollalbinos zu ſein. Dagegen haben, nach 314 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Szalay, die europäiſchen Büffelweißlinge pigmentierte Augen. Geſcheckte Büffel gibt es nie, ſelbſt die Jungen aus Kreuzungen von weißen und ſchwarzen ſind entweder weiß oder ſchwarz. Häufig finden ſich, nach Ofner, dem wir eine ſehr gute Monographie über die Hausbüffel in Ungarn verdanken, weiße Abzeichen an der Stirn und Schwanzaquaſte. Die weſtlichen Formen, als deren Vertreter wir einen weißen Ungarbüffel abbilden, unterſcheiden ſich ſtärker vom wil— den Arni als die öſtlichen. Die Körperform iſt zwar wenig verſchieden, aber das Gehörn iſt erheblich kürzer geworden, wendet ſich bei vielen Raſſen ſtark nach hinten und halbkreisförmig aufwärts, ſogar hornloſe Tiere kommen vor. Bei den nördlichen Raſſen iſt auch die Behaarung Europäiſcher Hausbüffel (Weißling). 125 natürlicher Größe. länger und dichter geworden, namentlich das Winterkleid iſt ziemlich lang, wie Hilzheimer an kaukaſiſchen Büffeln des Berliner Zoologiſchen Gartens beobachtete. Er ſtellte auch bei dieſen ziemlich gleichmäßig hell graubraun gefärbten Tieren feſt, daß die Jungen bräunlich überflogen ſind. Die Größen- und Körperverhältniſſe ſind ſelbſt in einem Lande ſehr verſchieden, ohne daß es möglich iſt, danach verſchiedene Schläge, geſchweige denn Raſſen zu unterſcheiden. Ofner ſtellte bei den ausgewählten Tieren der Staatsdomäne Fogaras, die in Ungarn für die Büffel— zucht vorbildlich iſt, ein Durchſchnittsgewicht von 625 kg feſt, während er das der kleinen, ſchlechter gehaltenen Büffel der gewöhnlichen Bauern auf nur 400 kg veranſchlagt. Der Unterſchied zwiſchen den Geſchlechtern iſt gering, eher iſt der Stier kleiner als die Kuh. Die Widerriſthöhe ſchwankt bei den von Ofner gemeſſenen Tieren zwiſchen 135 und 154 em. Der Hausbüffel bewohnt heute das ganze ſüdliche Aſien, Südjapan, Südchina und den Malaiiſchen Archipel und geht auch in das ſüdöſtliche Europa hinüber. Hier beherbergen ihn N Aſiatiſche, europäiſche und afrikaniſche Hausbüffel— 315 das ſüdliche Rußland, die Balkanländer, Ungarn und Süditalien. In Afrika findet er ſich nur in Agypten (Taf. „Paarhufer XVII“, 3, bei S. 302). Beſonders im Nildelta erlangte er hohe Bedeutung, nachdem die Rinderpeſt den dortigen Rinderbeſtand faſt vollſtändig vernichtet hatte. Nach Europa kam der Büffel, zufolge Szalay („Zool. Annalen“, 1912), etwa in der Mitte des erſten chriſtlichen Jahrtauſends. In Italien iſt er, entgegen anderen Anſichten, mindeſtens ſeit dem Jahre 595 n. Chr. eingebürgert, wie durch Paulus Diaconus bezeugt wird. Heiße, ſumpfige oder waſſerreiche Gegenden ſagen ihm wie allen ſeinen Verwandten am meiſten zu. Das Nildelta iſt für ihn ein Paradies. In den unteren Donauländern befindet er ſich ſehr wohl; in den italieniſchen Sümpfen iſt er der einzige ſeiner Familie, weil alle übrigen der ungeſunden Gegend erliegen, in Unterägypten überall gemein, nächſt der Ziege eigentlich das einzige Haustier, von dem man Milch und Butter gewinnt. Jedes Dorf im Delta und auch die meiſten Ortſchaften Oberägyptens haben mitten zwiſchen den Hütten eine große Lache, die einzig und allein dazu dient, den Büffeln einen bequemen Badeplatz zu ge— währen. Weit öfter als auf der Weide ſieht man die Tiere im Waſſer, wenn ſie es haben können, ſo tief verſenkt, daß nur der Kopf und ein kleiner Teil des Rückens über den Waſſer— ſpiegel hervorragen. Zur Zeit der Nilüberſchwemmung beginnt für ſie eine Zeit des Ge— nuſſes. Schwimmend treiben ſie ſich auf den überfluteten Feldern umher, freſſen das Gras an den Rainen und das harte Riedgras der noch unbebauten Flächen ab, vereinigen ſich zu großen Herden, ſpielen im Waſſer miteinander und kommen nur dann nach Hauſe, wenn die Kühe von der Milch gedrückt werden und gemolken ſein wollen. Sehr hübſch ſieht es aus, wenn eine Büffelherde über den faſt durchſchnittlich 1 km breiten Strom ſetzt. Mehrere der Hirten, meiſtens Kinder von S—12 Jahren, ſitzen auf dem Rücken und laſſen ſich ſorglos von den Tieren über die furchtbare Tiefe und durch die hochgehenden Wogen ſchleppen. Man kann die Meiſterſchaft im Schwimmen, welche die Büffel zeigen, nicht genug be— wundern. Sie gebaren ſich, als ob das Waſſer ihr eigentliches Element wäre, tauchen unter, legen ſich auf die Seite, halb auf den Rücken, laſſen ſich von der Strömung, ohne ein Glied zu rühren, gemächlich treiben und ſchwimmen auch wieder in ſchnurgerader Richtung, bloß durch die Strömung abwärts geführt, quer über den Strom. Sicherlich 6—8 Stunden bringen ſie täglich im Waſſer zu, beſorgen hier, behaglich ausgeſtreckt, das Wiederkäuen und erſcheinen mindeſtens ebenſo ſelbſtzufrieden wie ihre im gleichen Geſchäfte dahingeſtreckten Herren Vettern auf dem Lande. Jeder Büffel wird unruhig und ſogar bösartig, wenn er geraume Zeit das Waſſer entbehren muß. Mit Schlamm erfüllte Lachen behagen ihm weit weniger als die tiefen Fluten eines gut angelegten Büffelteiches oder die kühlen Wellen des Stromes; deshalb ſieht man während der trockenen Zeit in Agypten die ſatten Büffel oft im plumpen Galopp, zu dem fie ſich ſonſt nur in der höchſten Wut verſteigen, herbeigeeilt kommen und ſich kopfüber in die Fluten des Stromes ſtürzen. In Indien und auch in Italien ſind durch dieſe Waſſerſehnſucht ſchon mehrmals Menſchen um das Leben gekommen, weil die an Wagen geſchirrten Büffel wie beſeſſen dem Strome zurannten, ſich und ihr Fahrzeug in den Wellen begrabend. Auf dem feſten Lande erſcheint der Büffel entſchieden unbeholfener als im Waſſer. Sein Gang iſt ſchwerfällig und der Lauf, obgleich ziemlich fördernd, doch nur ein mühſeliges Sich— fortbewegen. Bei großer Wut oder, wie bemerkt, bei lebhafter Waſſerſehnſucht, fällt das ſchwer— fällige Tier zuweilen auch in Galopp, falls man die Reihenfolge plumper und ungeſchickter Sätze mit dieſem Ausdrucke bezeichnen darf. Weitere Strecken als 100 oder 200 Schritt legt er in dieſer Gangart nicht zurück, beginnt vielmehr bald wieder zu traben und läuft kurze Zeit darauf in ſeiner gewöhnlichen ruhigen Weiſe fort. 316 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Wenn man zahmen Büffeln zum erſtenmal begegnet, erſchrickt man förmlich vor ihnen. Der Ausdruck ihres Geſichtes deutet auf unbändigen Trotz und auf verſteckte Wildheit; in den Augen ſcheint man Tücke und Niederträchtigkeit leſen zu dürfen. Bald jedoch überzeugt man ſich, daß es ganz unrichtig wäre, wenn man den Büffel nach dem Ausſehen beurteilen wollte. Er iſt ein überaus gutmütiges Tier, das man gefahrlos der Leitung des ſchwächſten Kindes anvertraut. Unerſchütterliche Gleichgültigkeit gegen alles, was nicht Waſſer oder Freſſen ans langt, vielleicht mit noch alleiniger Ausnahme des von einer Büffelkuh vor kurzem geborenen Kalbes, kennzeichnet das geiſtige Weſen des Tieres. Es ergibt ſich mit einem geradezu ſtumpfen Gleichmute in das Unvermeidliche, zieht den Pflug oder den Wagen gleichgültig fort, läßt ſich nach Hauſe treiben und wieder auf das Feld geleiten und verlangt nichts anderes als ſein gehöriges Waſſerbad mehrere Stunden nacheinander. Außer zum Laſttragen und zum Reiten beim Überſetzen des Nils verwendet man in Agypten übrigens den Büffel wenig zum Feld— bau, gewöhnlich bloß dann, wenn es einem Fellah einfällt, mit dem Kamele pflügen zu wollen. Dieſes Tier übernimmt ſelbſtverſtändlich mit allen Zeichen des höchſten Mißmutes das ihm un— endlich verdrießliche Werk. Da iſt nun der Büffel der beſte Kamerad. Er geht mit denſelben ruhigen Schritten ſeinen Weg fort wie ſonſt, und ihm iſt es vollkommen gleichgültig, ob das Kamel an ſeiner Seite raſt, ob es davoneilen will oder nicht: bedeutſam und gewichtig ſtemmt er ſich dem ärgerlichen Zugkumpan entgegen, jo daß dieſer wohl oder übel mit ihm die Tages- arbeit verrichten muß. Lenkſam zeigt ſich der Büffel nur ihm bekannten Perſonen gegenüber. Solche, die ſich willig vom kleinſten Kinde leiten laſſen, geraten in Wut und förmliche Raſerei bei Anblick eines Fremden, auf den ſie oft ohne Urſache losſtürzen, um ihn anzugreifen. Eine große Tugend des Büffels iſt ſeine wirklich beiſpielloſe Genügſamkeit. Sumpfgräſer und Sumpfpflanzen aller Art, junges Röhricht, Schilf und dergleichen, kurz, Stoffe, die jedes andere Geſchöpf verſchmäht, frißt er mit demſelben Behagen, als ob er die leckerſte Speiſe ge— nöſſe. Und er weiß dieſe Nahrung zu verwerten, denn er liefert dafür wohlſchmeckende, ſehr fette Milch, aus der man vortreffliche Butter in reichlicher Menge bereitet. Der Agypter er⸗ klärt feinen „Diamus“ geradezu für fein nützlichſtes Haustier und hat wirklich nicht unrecht. Dabei iſt der Büffel äußerſt widerſtandsfähig gegen Seuchen, wird z. B. von Tuberkuloſe weit weniger befallen als das Rind. So ſteht der Büffel in Kleinaſien mit 126—144 Mark in doppeltem Preiſe wie das dortige Rind, zumal er noch mehr Milch liefert als dieſes. Unangenehm wird der Büffel durch ſeine Unreinlichkeit. Manchmal ſieht er aus wie ein Schwein, das ſich eben in einer Kotlache geſuhlt hat; denn genau jo, wie dieſer Freund der Pfützen ſich zu erquicken pflegt, hat er ſeines Herzens Gelüſten Genüge getan. Der Büffel iſt ein ſchweigſames Geſchöpf. Wenn er in ſeinem kühlen Waſſerbade ruht, tut er das Maul nicht auf, und auch während er weidet oder arbeitet, geht er ſtill und ruhig ſeines Weges. Nur Kühe, die ſäugende Kälber haben, oder Stiere, die in Wut verſetzt worden ſind, laſſen ihre Stimme zuweilen ertönen. Dieſe iſt ein höchſt unangenehmes und widriges, lautes Gebrüll, ungefähr ein Mittelding zwiſchen dem bekannten Geſchrei unſeres Rindes und dem Grunzen des Schweines. In den nördlicheren Gegenden paart ſich der Büffel, wenn er ſich ſelbſt überlaſſen wird, im April und Mai; Ofner ſtellte eine Durchſchnittstragzeit von 321 Tagen für Stierkälber und 327 Tagen für Kuhkälber feſt. Die Grenzzahlen waren 305 und 380 Tage. Das Junge iſt ein ungeſtaltetes Geſchöpf, wird aber von der Mutter zärtlich betreut und bei Ge— fahr mit dem bekannten Heldenmute der Rinder verteidigt. Im vierten oder fünften Jahre iſt der Büffel erwachſen, in Ausnahmefällen ſogar ſchon mit 2¼ Jahren fortpflanzungsfähig. Hausbüffel: Weſen. Stimme. Fortpflanzung. Nutzen. Wehrhaftigkeit. 317 Er ſoll bis zu 30 Jahre alt werden. Ob es möglich iſt, den Büffel mit Hausrindern zu kreuzen, iſt zur Zeit mindeſtens zweifelhaft. Nach Ofner entbehren die bisherigen Behauptungen von ſolchen Kreuzungen des zwingenden Beweiſes. Der Nutzen des Büffels iſt verhältnismäßig noch größer als der unſeres Rindes, weil der Büffel ſo gut wie gar keine Pflege beanſprucht und ſich mit Pflanzen ſättigt, die von allen übrigen Haustieren verſchmäht werden. Für Sumpfgegenden erweiſt er ſich als ein aus— gezeichnet nützliches Geſchöpf auch zum Beſtellen der Felder; denn was ihm an Verſtand ab— geht, erſetzt er durch ſeine gewaltige Kraft. Man benutzt ihn zum Ziehen, Pflügen, ja ſogar auf dem Indiſchen Archipel zum Reiten. Dem Chineſen iſt er ein wichtiger Gehilfe beim Beſtellen ſeiner Reisfelder. Ofner ſetzt nach genauer Prüfung die Zugkraft von zwei Büffeln denen von drei Ochſen gleich, freilich ſei der Büffelſchritt langſamer. Als Durchſchnitts— milchmenge fand Ofner bei 48 Kühen nach zweijähriger Prüfung ein Jahresergebnis von 775,5 Liter. Doch zeigen ſich ſehr große Schwankungen. Kühe, die über 1400 Liter liefern, ſollen nicht zu den Seltenheiten gehören, ja es ſollen ſogar ſolche vorkommen, die jährlich bis 2000 Liter Milch bringen. Büffelmilch ſoll ausgezeichnet ſein, ohne irgendwelchen unan— genehmen Beigeſchmack, wenn nur die nötige Reinlichkeit beobachtet wird. Sie enthält am wenigſten Waſſer von der Milch aller unſerer Haustiere und iſt durch beſonders hohen Ge— halt von Fett und Protein ausgezeichnet; ſie ſteht daher in Ungarn mit Recht bedeutend höher im Preiſe als Kuhmilch, freilich iſt ſie auch ſchwerer verdaulich. An Maſtfähigkeit ſtehen die Büffel bedeutend den Hausrindern nach. Aber die Tiere ſind in Ungarn, im Gegenſatz zu Kleinaſien (ſ. S. 316), auch erheblich billiger als Ochſen. Das Fleiſch des Büffels wird ſeiner Zähigkeit und des ihm anhaftenden Moſchusgeruches halber wenigſtens von Europäern nicht gegeſſen, das der Büffelkälber dagegen ſoll gut ſein, und das Fett an Wohlgeſchmack und Zartheit dem Schweinefett faſt gleichſtehen. Die dicke, ſtarke Haut liefert treffliches Leder; aus den Hörnern endlich fertigt man dauerhafte Gerät— ſchaften verſchiedener Art. In Indien tritt dem zahmen Büffel derſelbe Feind entgegen, der dem wilden Schaden zufügt, nämlich der Tiger. Es iſt wohl richtig, daß ſich dieſes Raubtier gelegentlich ein Opfer unter den Büffeln wählt; aber ebenſo ſicher ſcheint es zu ſein, daß eine Büffelherde jeden Tiger in die Flucht ſchlägt. Wird ein Büffel vom Tiger überfallen, ſo eilen ihm ſofort die anderen zu Hilfe. Ja ſogar unangegriffen ſollen ſie den Tiger verfolgen, ſobald ſie nur deſſen Spur merken. Auch den Hirten verteidigen ſie gegen dieſen Feind. Der Tiger ſelbſt ſcheint auch nur junge oder kranke Stücke anzugreifen, niemals in ihrer Vollkraft ſtehende. Hirten, die zahme Büffel hüten, können, auf einem Tiere reitend, ruhig im Dſchangel verweilen. Kauffmann („Aus Indiens Dſchungeln“) berichtet nach Erzählung eines Augenzeugen, wie ſich einſt ein indiſcher Büffelhirt bereit erklärte, durch ſeine Büffel einen verwundeten Tiger aus einem dichten und faſt unzugänglichen Buſch heraustreiben zu laſſen: „Die Anweſenden brachten ſich auf Bäumen zunächſt in Sicherheit, zumal der Hirt erklärte, ſelbſt nicht mehr Herr der Herde zu ſein, wenn die Büffel den Tigerſchweiß wittern würden. Dann warf er ein Stück Tuch, mit Tigerſchweiß benetzt, unter die Herde und kletterte ſelbſt ſchnell auf. So— fort wurden die Büffel unruhig. Als der Leitbulle nun die friſche Schweißſpur gefunden, blieb er wütend ſtehen, die Flanken mit dem Schweife ſchlagend. Darauf ſchloſſen ſich die 100 Büffel Kopf an Kopf in einem Halbkreis zuſammen und ſtürzten in raſender Fahrt auf das Dickicht, worin der Tiger ſteckte. Brüllend kam er bald heraus. Die Büffel ſchloſſen einen Kreis um ihn und griffen ihn an. Auf 100 Schritt konnte der Zeuge beobachten, wie 318 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. ſie die rieſige Katze hin und her warfen, was ein wunderbares Schauſpiel geweſen ſei. Der Tiger war bald nur noch eine unkenntliche Fleiſchmaſſe. Nach dem Kampfe ließ die Wut der Büffel noch nicht nach, die nun untereinander zu kämpfen begannen und ſelbſt gegen Bäume rannten. Erſt nach Stunden beruhigten ſie ſich.“ Ahnliches wird in genau gleicher Weiſe auch von anderen Beobachtern berichtet. Die afrikaniſchen Wildbüffel unterſcheiden ſich, abgeſehen von der Hornform, durch kür— zeres Pflugſcharbein und kurze innere Fortſätze der Naſenbeine ſowie einige andere anato— miſche Einzelheiten von den aſiatiſchen. Die Zahl der Arten von Büffeln, die Afrika bewohnen, iſt oft ein Gegenſtand wiſſen— ſchaftlicher Erörterungen geweſen, und die Anſichten darüber ſind wiederholt geändert worden. In der Tat erſcheint unſeren Augen der ſchwere, rieſige ſchwarze Kafferbüffel mit den ge— waltigen Hörnern als etwas ganz anderes als der verhältnismäßig kleine Rotbüffel mit den kleinen, einfachen Hörnern. Die fortſchreitende Erkenntnis hat aber gezeigt, daß beide durch eine ganze Reihe von Übergängen verbunden ſind; daher unterſcheidet Lydekker („Wild Oxen etc.“, 1898, und „Catalogue of the Ungulate Mammals“, 1913) wohl mit Recht nur eine Art, die in zahlreichen Unterarten Afrika ſüdlich der Sahara bewohnt, wo immer die Vorbedingungen für das Gedeihen dieſes Tieres erfüllt ſind. Sehen wir uns zunächſt die beiden obenerwähnten Endglieder der Reihe näher an. Wir ſtellen den Kafferbüffel oder Schwarzbüffel, Bos (Bubalus) caffer Sparrm., das ſtärkſte und wildeſte, durch ſein eigentümliches Gehörn beſonders ausgezeichnete Mitglied der Untergattung voran. Er iſt gedrungener gebaut als andere Büffel, der Kopf verhältnis⸗ mäßig klein und keineswegs plump, vielmehr wohlgeformt, nur in der Stirngegend ſchmal, längs des Naſenrückens ſanft gebogen, am Maule etwas verbreitert, das Auge, das dunkel— braune Iris und quergeſtellten Stern hat, mittelgroß, die erhabene, richtiger wulſtig vor— gebuchtete Augenbrauengegend der Länge nach mehrfach gefaltet, die Gegend vor dem vor— deren Augenwinkel wegen einer grubenartigen Vertiefung auffallend, das Ohr ſehr groß, ſein oberer Rand aufgeſtülpt, in eine nach unten hängende Spitze ausgezogen, der untere Rand mit zwei, den inneren, ſtark hervortretenden Leiſten entſprechenden Biegungen ausgeſchweift, an beiden Rändern rundum und ebenſo auf den Leiſten mit dichtſtehenden, langen Haaren bekleidet, die Muffel ſehr groß, den ganzen Raum zwiſchen den Naſenlöchern und die Mitte der Oberlippe einnehmend, der Hals ziemlich dick, lang, aber ſtark, der Leib am Widerriſt wenig erhöht, auf dem Rücken gerade oder etwas eingeſenkt, in der Kreuzgegend ein wenig erhaben und nach der Schwanzwurzel zu ſteil abfallend, der Bauch voll und geſenkt, der Schwanz lang und dünn, mit einer die Hälfte der Länge einnehmenden ſtarken und reichen Quaſte geziert. Das von der Wurzel an ſeit- und hinterwärts, ſodann auf- und rückwärts, mit der Spitze merklich nach innen gebogene, bei alten Stieren an der Wurzel außerordentlich verbreiterte, abgeflachte und mit dicken Runzeln bedeckte Gehörn überlagert die ganze Stirn, ſo daß nur in der Mitte ein ſchmaler Streifen frei bleibt, es behält auch im weiteren Ver— laufe ſeine abgeplattete Form bei, indem es vorder- und hinterſeits leiſtenartig vorſpringt, und rundet ſich erſt gegen die Spitze hin. Die Verbreiterung der Baſen der Hörner wird lediglich durch die Hornſcheide bewirkt, die Hornzapfen nehmen daran nicht teil. Übrigens ändern, nach Lönnberg („Vetenskapsakad. Hanälingar“, Bd. 48), die Hörner in denſelben Herden nach Krümmung und Auslage erheblich ab, und zwar ſollen dieſe Unterſchiede unab— hängig von Alter und Geſchlecht ſein. Mit Ausnahme des Ohres und der Schwanzſpitze iſt Kafferbüffel, Kafferbüffel. Notbüffel. 319 die Behaarung ungemein dünn, ſo daß einzelne Stellen faſt nackt erſcheinen und man eigent— lich nur an Kopf und Beinen von einem Haarkleide ſprechen kann. Die Färbung des Tieres wird daher weniger durch das ſchwarze, an der Spitze etwas lichtere Haar als vielmehr durch die ſchwarze Haut hervorgebracht. Die Kälber und jüngeren Tiere ſind ſtärker behaart und zeigen häufig eine ſchmutzigbraune und düſter rötliche Färbung. Die Schulterhöhe des Kaffer— büffels ſchwankt je nach Geſchlecht und Stärke zwiſchen 1,5 und 158 m. Das Gehörn, das beim — — — Rotbüffel, Bos caffer nanus Bodd. 120 natürlicher Größe. Weibchen nur etwa halb ſo breit und maſſig wie beim Männchen die Stirn deckt, kann bei beiden Geſchlechtern eine äußerſte Spannweite von 150 —1,12 m erreichen. Die eigentliche Heimat des echten Kafferbüffels iſt das Kapland, wo er im 18. Jahr⸗ hundert noch bis Kapſtadt ſich überall fand. Heute iſt er verſchwunden bis auf eine unter ſtaat— lichem Schutz ſtehende Herde im Waldgebiete im Oſten der Kapkolonie und in dem undurch— dringlichen Knysna-Walde zwiſchen Moſſel- und Delagoa-Bai. Das andere Endglied der Reihe, der Rotbüffel, Bos (Bubalus) caffer nanus Bodd. (pumilus), vom Kongo iſt nur 1,2—1,5 m hoch. Die auf heller Haut ſitzende Behaarung ift ziemlich dick und am Rande der Ohren zur Bildung langer Franſen, längs des Nackens und Rückens zu einer kurzen Mähne verlängert. Die Färbung iſt in beiden Geſchlechtern ein ziemlich gleichmäßiges Rotbraun. Die langen Haare des Nackens und Rückens und des 320 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. unteren Ohrrandes ſind ſchwarz, ebenſo gefärbt ſind die Schwanzquaſte und die Beine von den Knien und Hacken abwärts. Die langen Haare des oberen Ohrrandes ſind orangefarben. Die Hörner ragen ſeitwärts und ſteil nach oben und haben rechtwinklig einwärts gebogene Spitzen. Sie ſind ſo einfacher und primitiver als die des Kafferbüffels, denen ſie aber darin gleichen, daß ſie mit ſtark abgeflachter, verbreiterter Baſis faſt die ganze Stirn bedecken. Von der breiten Baſis ſind die feinen runden Spitzen ziemlich gut abgeſetzt. Die größte Spann⸗ weite der Hörner beträgt 35 — 40 em und ihr Spitzenabſtand 20 — 25 cm. Der Hornbildung nach noch primitiver, ſich der Hornform der übrigen Rinder nähernd iſt der Kurzhornbüffel, Bos (Bubalus) caffer brachyceros Gray, vom Tſadſee. Die Hörner ſind faſt halbmondförmig gebogen und verjüngen ſich ziemlich gleichmäßig von der kaum merklich verbreiterten Baſis zur Spitze. Ihre Baſen laſſen zwiſchen ſich einen großen Raum frei und bedecken mithin nicht die ganze Stirn. Der Kurzhornbüffel nähert ſich aber inſofern dem Kafferbüffel, als die Stiere ſchwarz ſind, Kühe und Junge ſind jedoch rotbraun. Die Größe des Kurzhornbüffels iſt etwa die gleiche wie die des Rotbüffels. Mehr ähnelt Bos (Bubalus) caffer simpsoni L/d. aus Belgiſch-Kongo dem Kafferbüffel. Wie jener iſt er in Kurzhornbüffel und andere Unterarten des Kafferbüffels. 391 beiden Geſchlechtern ſchwarz. Die geringe Größe nähert ihn dem Rotbüffel, und die Hornform der Kühe gleicht den Hörnern des Rotbüffels. Die Hornform der Stiere nähert ſich dagegen ſchon etwas der des Kafferbüffels, obwohl ſie der des Rotbüffels noch ähnlicher und faſt halbmond— förmig gebogen iſt. Doch gehen die Hörner an der Wurzel mehr auseinander als beim Rotbüffel. Noch mehr gleichen den Hörnern des Kafferbüffels die des Bos (Bubalus) caffer cottoni Lyd., einer großen Raſſe aus dem Semliki-Walde. Die Farbe der alten Bullen iſt dunkler, die der Jungen und der Kühe heller rot. Sie haben dieſelben ſchwarzen Abzeichen wie die Rot— büffel. Die Hörner verlaufen annähernd horizontal von der Baſis aus und biegen ſich erſt mit der runden Spitze ziemlich plötzlich aufwärts. Die Hörner all dieſer Formen unterſcheiden ſich aber von denen des Kafferbüffels, abgeſehen von der geringen Größe, dadurch, daß ſie annähernd in einer Ebene verlaufen, während die des Kafferbüffels gleich von der Baſis aus ſich ſcharf nach hinten wenden. Hierzu bilden die Hörner von Bos (Bubalus) caffer aequinoctialis Blyth vom Weißen Nil, einem großen, in beiden Geſchlechtern dunkelbraunen Tier mit ſchwarzer Shwanzquajte, inſofern einen Über⸗ gang, als ſie größer ſind als bei den zwei vorhergehenden und eine ſchwache Rückwärtsbiegung in ihrem mittleren Teil zeigen. Während die kleinen, kurzhörnigen Unterarten, die ſich um den Rotbüffel ſcharen, vor⸗ wiegend die dichten Urwälder des weſtlichen Afrikas bewohnen, ſind die nächſten Verwandten des Kafferbüffels mehr in den offenen Landſtrichen Süd- und Oſtafrikas zu Hauſe. Sie ſind es auch, die in Deutſch-Oſtafrika in verſchiedener, der Hornbiegung nach unterſchiedener Form vor⸗ kommen, wie dies namentlich Matſchie („Sitzber. Geſellſch. nat. Freunde“, 1906) zuerſt ſcharf betonte. Aus Deutſch-Oſtafrika machte uns dieſer Forſcher allein mit zwei Unterarten, Bos caffer ruahensis und B. C. schillingsi, bekannt. Nach Norden gehen die Verwandten des Kafferbüffels bis zum ägyptiſchen Sudan, wo Bos caffer azrakensis Misch. zu Hauſe iſt. Die Betrachtung der Körperform und Verbreitung des Kafferbüffels läßt eine ganze An— zahl biologiſch intereſſanter Tatſachen erkennen. Zunächſt finden wir, daß ſcheinbar ſo verſchiedene Formen wie Rotbüffel und Kaffer⸗ büffel durch eine Anzahl verſchiedenartiger Zwiſchenſtufen verbunden ſein können. Die Zwi⸗ ſchenſtufen bilden keine gerade Linie. Durch dieſe Zwiſchenſtufen wird, namentlich wenn wir den Kurzhornbüffel noch dazunehmen, gleichzeitig das ſcheinbar jo abweichende und getrennt ſtehende Kafferbüffelhorn mit dem normalen Rinderhorn verknüpft, aus dem es hervorgegangen iſt. Schon bei dunkelfarbigen Antilopen ſahen wir, und wir werden es auch bei anderen Rindern ſehen, daß die Kälber rotbraun gefärbt ſind. Wir können daraus den Schluß ziehen, daß Rot die urſprüngliche Farbe iſt, die im Laufe der Stammesgeſchichte bis zu Schwarz dunkelte. Dabei gingen die männlichen Tiere, wie gewöhnlich, voran auf dem Wege entwicke— lungsgeſchichtlichen Geſchehens, ſie erreichten ſchon längſt das Ende, während Weibchen und Junge auf der entwickelungsgeſchichtlich tieferen Stufe blieben, in dieſem Fall das jugend— liche Rot der Behaarung beibehielten. Schließlich wurden auch die Kühe ſchwarz, und das Rot erhielt ſich nur noch bei den Jungen, wenn auch bloß in Geſtalt eines roten Hauches, wie bei den Kälbern des Kafferbüffels und mancher Hausbüffel. So ſtellen die afrikaniſchen Büffel eine entwickelungsgeſchichtliche Stufenfolge dar, die aber keineswegs geradlinig bis zum Kafferbüffel verläuft; denn der Rotbüffel iſt in der Färbung, der Kurzhornbüffel im Gehörn primitiver. Aber die Reihe der noch heute lebenden afrifani- ſchen Büffel zeigt uns den Weg und die einzelnen Stufen, wie ſich entwickelungsgeſchichtlich Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 21 322 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. eine derartig abweichende Form wie der Kafferbüffel bilden konnte. Wir ſehen ferner, wie mit entwickelungsgeſchichtlichem Fortſchritt auch eine Größenzunahme Hand in Hand geht. Ferner führen uns die Büffel den zuerſt von Hilzheimer („Handbuch der Biologie der Säugetiere“) ausgeſprochenen Satz vor, daß, wenn von zwei nahe verwandten Tieren eines den Wald, das andere offene Gegenden bewohnt, der Waldbewohner ſtets der primitivere iſt. Es zeigt ſich auch in dieſem Falle der weſtafrikaniſche Urwald als Rückzugsgebiet urſprüng— licher Tierformen. Hat er uns doch auch Tiere wie Hyemoschus und Okapia bewahrt. Aber noch mehr lehren uns die afrikaniſchen Büffel, wenn wir auch die foſſilen Formen heranziehen. Im Pleiſtozän, ja noch mit den Menſchen zuſammen lebte in Südafrika ein rieſiger Büffel mit ganz gewaltigen Hörnern, Bos (Bubalus) baini Seele. Die Hornzapfen erreichten eine Länge bis zu 2 m. Damit gingen ſie offenbar weit über das Maß des Nützlichen hinaus. So war die Lebensmöglichkeit der Art überſchritten, ſie mußte ausſterben wie ſo viele andere Tiere mit ähnlichen monſtröſen Hörnern, z. B. zahlreiche foſſile Wiſente und Hirſche. Gleichzeitig mit Bos baini lebte in Nordafrika eine andere Art, ebenfalls mit gewal⸗ tigen Hörnern, Bos (Bubalus) antiquus Duv., von dem uns ſeine menſchlichen Zeitgenoſſen rohe, aber charakteriſtiſche, in Felſen geritzte Bilder hinterlaſſen haben. Danach wie nach ſeiner Schädelbildung muß dieſer „Altbüffel“ dem indiſchen Arni nahegeſtanden haben, obwohl er auch allerdings entferntere Beziehungen zum Kafferbüffel aufweiſt. Daraus wie aus der ehemaligen Einwanderung anderer aſiatiſcher Waldtiere nach Afrika, wie Steinbock, Damhirſch, daraus ferner, daß andere afrikaniſche Waldtiere ihre foſſilen Vorfahren oder auch ihre nächſten lebenden Verwandten in Indien haben, iſt der Schluß zu ziehen, daß die trennenden Wüſten— ſtriche einmal feuchte Wälder getragen haben müſſen. Eine ſolche feuchte Periode, eine der Gegenwart vorangehende ſogenannte Pluvialzeit, die etwa unſerer Eiszeit entſpricht, wird denn auch für jene Länder aus geologiſchen Gründen vermutet. Da nun aber der Altbüffel weder mit dem Arni noch mit dem Kafferbüffel genau übereinſtimmt, ſo iſt anzunehmen, daß es ſich um eine dem gemeinſamen Stammvater beider noch näher als die heutigen Büffel ſtehende Form handelt. Seiner Natur nach ein geſelliges Weſen, bildet der Kafferbüffel mit ſeinesgleichen regel— mäßig Genoſſenſchaften, wo er verfolgt wird, gewöhnlich Herden von 30—60 Stück, wo er aber wenig oder gar nicht beunruhigt wird, Herden von Hunderten und ſogar Tauſenden. Wie v. Höhnel uns ſchreibt, beobachtete er mit Graf S. Teleki Ende der 1880er Jahre weſtlich vom Kilimandſcharo, am Meruberge, Herden von 400 —600 Stück, und unter dem Aquator, ſüdlich vom Baringoſee, Herden, die bis zu 5000 Stück zählen mochten. Gerade in dieſem Ge— biete, wo die Reiſenden gegen zwei Monate verweilten und jagten, konnten ſie täglich wohl 10—20 000 Kafferbüffel erblicken. Die Kühe leben immer, die Stiere bis gegen die Paarungs— zeit untereinander in Frieden, kämpfen dann wütend um die Oberherrſchaft und vertreiben hierdurch, laut Drayſon, nicht allzuſelten einen alten, griesgrämigen Bullen, der fortan ſeine Tage als Einſiedler verbringt. Selous hat jedoch in Südafrika beobachtet, daß dieſe Aus— geſtoßenen ſich recht gern in Trupps von 8—15 Stück zuſammenſchlagen. Die Geburt der Kälber fällt, ebenſo wie die Paarungszeit, in verſchiedene Monate des Jahres, je nach dem Verlaufe der Jahreszeiten in den weit getrennten Teilen des Verbreitungsgebietes. In Sid: afrika werden, laut Selous, die Kälber im Januar bis März geboren. Die Ebene liebt der Kafferbüffel mehr als das Gebirge, wenn er auch am Kilimandſcharo in bis 3000 m Höhe beobachtet worden iſt. Mit Vorliebe weidet er wenigſtens in Oſtafrika in offener Buſchlandſchaft oder auf Wieſen in der Nähe kleiner Waldungen. Freilich findet er Foſſile Büffel. Kafferbüffel: Weſen. Lebensweiſe. Gefährlichkeit. 323 ſich auch auf baumloſer Steppe, im Urwald und in großen Rohrwaldungen. Die Hauptſache für ihn iſt, daß Waſſer in der Nähe feines Wohngebietes vorhanden iſt, wenngleich ihm Lönn—⸗ berg auch in ſehr trockenem Gelände begegnete. Während der heißen Stunden des Tages liegt der Kafferbüffel ſtill und regungslos, ſchlafend und dazwiſchen wiederkäuend, auf ein und derſelben Stelle, nicht ſelten in einer Waſſerlache oder in einem Schlammloche, weshalb er auch oft mit einer tüchtigen Schmutz— kruſte bedeckt erſcheint. In Ermangelung einer derartigen, ſeinen Wünſchen am beſten ent— ſprechenden Lagerſtätte wählt er die ſchattigſte Stelle eines Waldes, ein Dickicht oder ſelbſt eine Schlucht, um ſich hier ungeſtörter Ruhe zu erfreuen, iſt aber auf öden Flächen auch mit dem Schatten eines kümmerlichen Buſches oder Baumes zufrieden. In den ſpäteren Nach- mittagsſtunden oder gegen Abend erhebt er ſich und äſt von jetzt ab in Unterbrechungen bis zum frühen Morgen, nicht aber in behaglicher Gemächlichkeit wie andere Rinder, ſondern in Abſätzen, in unruhiger Haſt, wehrt die läſtigen Fliegen, läßt oft ſein dumpfes Grunzen hören, windet mit der ſtets feuchten, dicken Muffel, richtet die breiten, mit ſtattlichem Haarkranze ge⸗ zierten Ohren auf und peitſcht mit dem gequaſteten Schweife unmutig die Weichen. Ohne eigentlich ſcheu zu ſein, ergreifen die Büffel doch vor dem ſich nähernden Menſchen regelmäßig die Flucht und meiden, namentlich wenn öfter auf ſie gejagt wurde, deſſen Nähe, ſtellen ſich aber, in die Enge getrieben und gereizt, ihrem Feinde ohne Bedenken entgegen und achten dann in blinder Wut weder die Lanze, noch die fie ſchwer verletzende Kugel. Die Ge— wohnheit verwundeter Büffel, nicht weit zu fliehen und ſich in hohem Graſe zu bergen, bei Störung im Wundbett durch den folgenden Jäger aber dieſen ſofort anzunehmen, hat wohl die Anſicht entſtehen laſſen, daß der Büffel argliſtig im Verſteck auf ſeinen Feind lauere. Selous, der in Südafrika mehrere hundert Büffel geſchoſſen hat, jagt, daß der verwun— dete und verfolgte Büffel in der Regel quer zu ſeiner Fährte ſtehend gefunden wird. „Ob— wohl“, fährt er fort, „der angeſchoſſene Büffel den Verfolger gewöhnlich angreift, wenn er ihn dicht vor ſich ſieht, ſo wird er es doch nur ganz ausnahmsweiſe tun, wenn er weiter als 60 oder 80 Schritt entfernt iſt.“ Unſer Gewährsmann glaubt auch, daß die Leute, die ver— ſchiedentlich von Büffeln überfallen wurden, die ſie weder gejagt noch gereizt, ja zuvor nicht einmal geſehen hatten, für andere Jäger haben büßen müſſen, die nicht lange vorher die Tiere verwundet hatten. Er gibt dafür auch einige ihm genau bekannte Belege. Ferner ſchreibt Selous noch ausdrücklich: „Ich habe alte Bullen nicht gefährlicher als Herdentiere gefunden: ſolange ſie nicht verwundet ſind, flüchten ſie meiſtens vor dem Menſchen, und wenn an— geſchoſſen, erweiſen ſie ſich nicht bösartiger als irgendein Stück aus einer Herde unter ähn— lichen Umſtänden.“ Er erzählt ferner, um die rieſige Kraft eines alten Stieres zu kennzeichnen, daß er einſt, im Sattel ſitzend, von einem angeſchoſſenen angenommen worden ſei, der das Pferd in die Luft warf, „als wäre es ein Hund“. R. Böhm, der ſeine Erfahrungen in Oſt— afrika ſammelte, ſchreibt über den Büffel: „Selbſt angeſchoſſene verſuchten keinen Angriff, obgleich ſie brüllend und in drohender Haltung Front zu machen pflegten und ihre Wildheit und Bosheit ja bekannt iſt.“ Berger meint, daß Herden nie angreifen, alte, mürriſche Einzel- gänger dagegen eher zum Angriff neigen, zumal wenn ſie angeſchoſſen ſind. Rooſevelt führt einzelne Fälle an, bei denen ſelbſt ungereizte Büffel harmloſe Menſchen angefallen hätten. In dem Wildreſervat, das die Ugandabahn durchquert, mußten fie von der Liſte der ge— ſchützten Tiere abgeſetzt werden, da „ſie nicht nur für die Anpflanzungen, ſondern auch für das Leben der Eingeborenen eine Quelle ernſter Gefahr wurden“. Auch im Reiſewerk des Her: zogs von Mecklenburg finden wir mehrfach Fälle erwähnt, daß ungereizte Büffel angriffen. 21* 324 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Die Jagd auf den Kafferbüffel iſt alſo nicht ungefährlich. Jedenfalls hat v. Wißmann recht, wenn er den Büffel für „das gefährlichſte Wild in Afrika“ erklärt. Ein verwundeter Büffel nimmt häufig den Jäger an. Dabei ſind viele Unglücksfälle vorgekommen, und mancher Pionier europäiſcher Kultur hat ſein Leben laſſen müſſen unter den Hornſtößen des wütend heranſtürmenden gereizten Tieres, das ihn dann noch zu einer formloſen Maſſe zertrampelte. Wenn man nun aber bedenkt, welche bedeutende Menge von Büffeln alljährlich angeſchoſſen oder zur Strecke gebracht werden, ſo erſcheint die Zahl der nachweisbaren Unglücksfälle doch verſchwindend klein. „Es ereignen ſich“, ſchreibt der erfahrene Selous, „zwar vielerlei Unfälle bei der Büffeljagd, doch ſcheint mir ihre Gefährlichkeit erſtaunlich übertrieben zu werden.“ Dem fügt unſer Gewährsmann an anderer Stelle noch folgendes hinzu: „Alle Abbildungen von ſüdafrikaniſchen Büffeln, die ſie mit tief geſenktem Kopfe angreifend darſtellen, ſind ein⸗ fach erfunden; denn ſo kommen die Tiere nicht heran. Sie ſtrecken vielmehr ſtets ihre Naſe geradeaus und legen ihr Gehörn über die Schultern zurück. Erſt im Augenblicke des Zu— ſammenſtoßes werfen ſie den Kopf nieder.“ Der verendende Büffel pflegt, falls er nicht von einer unmittelbar tödlich wirkenden Kugel niedergeworfen wird, ſich langſam niederzutun, den Kopf zu ſtrecken und ein kurzes, eigenartiges Gebrüll von ſich zu geben. Nur ein ſehr unerfahrener Jäger wird ſich ihm ſorglos nahen, ſolange er nicht dieſen unbeſchreiblichen und wohlbekannten Todesſchrei vernommen hat. Bisweilen begegnet man dem Büffel, wie überhaupt vielen Bewohnern der Wildnis, ganz zufällig. So wurde Schweinfurth auf einem ſeiner Märſche durch eine alte Sklavin auf einen Gegenſtand aufmerkſam gemacht, der zwiſchen dem großen Laube der Anonen wie ein ſchwarzer Baumſtamm erſchien. „Während ich“, ſagt unſer Reiſender, „noch nicht wußte, worauf ich anlegen ſollte, begann die dunkle Maſſe plötzlich ſich zu bewegen, und zwei breite Hörner wurden ſichtbar. In ſolchen Augenblicken iſt der erſte Gedanke des Wanderers: los⸗ drücken und ſchießen; zielen und die Folgen bedenken, das kommt erſt hernach. So ſchoß ich denn inſtinktmäßig. Aber wie ein ſchweres Wetter ſauſte es auch in demſelben Augenblicke an mir vorüber, in dicht gedrängter Maſſe ein Trupp von 20 grunzenden Büffeln, die Schwänze hoch in die Luft emporgeſtreckt, rauſchend, krachend, wie ein Felsſturz von Bergeshöhen. Es flimmerte mir vor den Augen; blindlings entlud ich mein Doppelgewehr, die Kugel mußte einſchlagen, gleichviel wo, in Fleiſch und Knochen der Tiere. Noch einen Augenblick, und ich erblickte nichts anderes wieder vor mir als große und hellgrüne Blätter; verſchwunden waren die Büffel, aber fernhin rollte der Donner ihrer Hufſchläge.“ Das Wildbret des Kafferbüffels wetteifert, laut Schweinfurth, mit dem Fleiſche gemäſteter Rinder an Güte des Geſchmackes; es iſt zwar derber und grobfaſeriger, ungeachtet des Fett mangels aber ſehr ſaftig und wohlſchmeckend. Der Menſch iſt nicht der einzige Feind des Büffels; auch der Löwe wird nicht nur den Kälbern gefährlich, ſondern wagt ſich gelegentlich auch an erwachſene Büffel und mag ſie im glücklichen Falle durch Ausrenken des Genickes töten. Jedenfalls kann man Büffeln begegnen, die das Raubtier zwar noch abgeſchüttelt, vielleicht auch umgebracht, aber im Kampfe doch tiefe Wunden an Hals und Schultern davongetragen haben. „Büffel“, ſchreibt Selous, „die von Löwen in dieſer Weiſe übel zugerichtet wurden, ſind, wie zu erwarten, gewöhnlich recht reizbar und bösartig.“ Dagegen leben die Kafferbüffel in Freundſchaft mit Reihern und Madenhackern, die oft, auf dem Rücken ihrer vierbeinigen Freunde ſitzend, ſie von läſtigen Inſekten befreien. Auch warnen die Vögel die Büffel, natürlich nicht abſichtlich, durch Auffliegen bei ſich nahender Gefahr. Kafferbüffel: Jagd. Wildbret. Feinde. Rinderpeſt. Gefangenleben. Lebensweiſe des Rotbüffels. 325 Die Rinderpeſt hat im letzten Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts unter den Büffeln Oſt⸗ und Südafrikas, wie auch unter den großen Antilopen, furchtbar gewütet. Um 1889 trat dieſe Peſt an der Nordgrenze des Büffelgebietes auf, verbreitete ſich ſchnell bis zum Sambeſi und rottete die Büffel faſt vollſtändig aus. Dank ihrer ſchnellen Vermehrung haben dieſe ſich allerdings wieder etwas von dieſem Schlage erholt und ſind in den letzten zehn Jahren wieder etwas zahlreicher geworden. Ich ſah mehrere von Caſanova und Reiche eingeführte Kafferbüffel in den Tiergärten von Amſterdam und Berlin. Sie ſchienen ſich mit ihrem Geſchicke nach und nach vollſtändig aus- geſöhnt, oder doch bis zu einem gewiſſen Grade an die Gefangenſchaft gewöhnt zu haben, be— wegten ſich für gewöhnlich gelaſſen innerhalb ihres Geheges, hatten ſich mit dem Wärter einigermaßen befreundet und beachteten die Beſucher der Gärten nur dann, wenn ihnen von dem einen oder anderen irgendein Leckerbiſſen gereicht wurde, kamen in ſolchen Fällen ruhigen und gemeſſenen Schrittes bis an das Gitter heran und nahmen das ihnen Gebotene gleich— mütig entgegen. Mit ihrem Wärter ſtanden fie auf verhältnismäßig recht gutem Fuße, nament- lich die Kühe geſtatteten den ihnen wohlbekannten Leuten freundlichen Verkehr, achteten auf den Ruf, ließen ſich berühren und ſtreicheln und bekundeten überhaupt wenig von der Wildheit ihres Geſchlechtes, die auch bei den zahmen Stieren dann und wann durchbricht und dem Wärter jedenfalls eine ebenſo freundſchaftliche Annäherung verwehrt. Den Bullen iſt nie recht zu trauen. Im Alter werden ſie immer wieder böſe, und mancher Wärter hat ſchon ſeinen allzu leichtſinnigen Verkehr mit ihnen mit dem Leben bezahlen müſſen. In verſchiedenen Tiergärten haben die Kafferbüffel ſich fortgepflanzt; die in Gefangenſchaft geborenen Jungen unterſcheiden ſich hinſichtlich ihres Weſens wenig oder nicht von den unmittelbar aus Afrika eingeführten Stücken. Dieſe wie jene wachſen ebenſo raſch heran wie andere Rinder; das gewaltige Ge— hörn der Bullen aber entwickelt ſich ſehr langſam und läßt glauben, daß viele Jahre dazu gehören, bevor es die bezeichnende Geſtalt erhält. Der Rotbüffel unterſcheidet ſich etwas in ſeinen Gewohnheiten vom Kafferbüffel. Er zieht dicht bewaldete Landſchaften, beſonders enge Täler, den offenen Landſtrichen vor. Sein Lieblingsaufenthalt ſind Hügel von über 1000 Fuß Höhe. Von dieſen ſteigt er beim erſten Morgengrauen zur Tränke herab, um langſam äſend zurückzukehren. Er lebt mehr in kleinen Trupps und Herden von 3—12 Stück, ja, er ſoll gewöhnlich paarweiſe, oft ſogar allein ans getroffen werden. Als ein ſehr ſcheues Tier iſt er nicht leicht zu Schuß zu bekommen. „Einen Menſchen“, jagt Pechuel-Loeſche, „wittert er auf mindeſtens 300 Schritt und erkennt den ſich bewegenden wohl ebenſo weit. Eräugt er etwas Verdächtiges von ferne, ſo pflegt er den Kopf vorzuſtrecken, in kurzen Abſätzen zu ſchnauben und einige Schritte vorwärts zu tun, wobei er den Gegenſtand, der ihn beunruhigt, unverwandt anſchaut; häufig ſchüttelt er auch drohend den Kopf, rückt wieder vor, wirft endlich den Schweif auf und geht flüchtig fort. Außer dem häufigen und ziemlich lauten Schnauben, das ihn auch in der Dunkelheit verrät, habe ich ihn etlichemal ein kurzes Grunzen ausſtoßen, niemals aber brüllen hören. „So ſcheu er im Freien iſt, ſo feſt liegt er, wenn er ſich im Dickicht wohl geborgen glaubt. Unter ſolchen Umſtänden läßt er ſich auch durch ſtarken Lärm nicht beirren und wieder— holt ſelbſt Treiber und Hunde dicht am Verſtecke vorübergehen; er erhebt ſich erſt, wenn ſie unmittelbar auf ihn ſtoßen. Aber auch dann ſetzt er ſich nicht zur Wehr. Anders, wenn er angeſchoſſen worden iſt; denn in dieſem Falle kann er ebenſo gefährlich, wenn nicht infolge feiner Gewandtheit noch gefährlicher als der Kafferbüffel werden. Der ſchwerverwundete ſucht 326 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. gewöhnlich Zuflucht im nächſten Dickicht und ſteht hier nicht bloß quer oder rückwärts zu ſeiner Fährte, ſondern lauert ſogar ſeitwärts von ihr unter dem Winde, um den hitzig folgenden Schützen unverſehens zu überfallen, nimmt wohl auch einen ſpäter zufällig des Weges kom— menden Menſchen an. Aber nicht jeder Rotbüffel flüchtet, nachdem er die erſte Kugel erhalten, namentlich dann nicht, wenn er den Jäger oder den Pulverrauch nahe vor ſich ſieht. Am Kongo wurde O. Lindner während der Morgenpirſche von einer ſchlecht getroffenen Kuh ſofort nach dem Schuſſe angenommen, ließ ſie jedoch dicht heran und tötete ſie mit der zweiten Kugel unter Feuer. Nicht ſo glücklich war H. v. Koppenfels, der im Ogowegebiet ſchon man— ches Stück ohne Unfall erlegt hatte. Ihm blieb nicht die Zeit, eine zweite Kugel anzu— bringen: er wurde auf die Hörner genommen, geworfen und am Boden liegend jo fürchter- lich mittels des ſpitzen Gehörnes zugerichtet, daß er ſein Leben eingebüßt hätte, wenn es ihm nicht gelungen wäre, durch einige glücklich geführte Stöße mit dem Weidmeſſer das wütende Tier zu fällen.“ Büttikofer, der Rotbüffel in Liberia fand, ſagt über ſeine Erfahrungen: „Dieſer Büffel hält ſich gern in der Nähe bewohnter Plätze im dichteſten Gebüſche auf und fällt nachts in die Reis⸗ und Maniokpflanzungen ein, wo er nicht nur in einer Nacht eine ganze Strecke kahl frißt, ſondern durch Ausraufen der Pflanzen viel verwüſtet und den Reſt in den Boden hineinſtampft. Bei Buluma wurde ganz in der Nähe meiner Station eine Maniokfarm auf dieſe Weiſe zu⸗ grunde gerichtet; doch trotz wiederholten nächtlichen Auflauerns wollte es mir nicht gelingen, eines der Tiere zu ſchießen. Bei Mondſchein läßt die ‚Buſchkuh' ſich nicht ſehen.“ Noch immer ſind wir über die Zahl der wild lebenden Arten der Untergattung Bibos nicht ſicher unterrichtet. Gewöhnlich unterſcheidet man drei Formen, die als Banteng, Gaur und Gayal bekannt ſind. Vom Banteng wiſſen wir, daß er in zahlreichen, nach Färbung und Hornform etwas verſchiedenen Unterarten wild lebt, aber auch als „Balirind“ gezähmt iſt. Unſicher iſt es aber, ob der Gayal ebenfalls in einer wilden und einer domeſtizierten Form vorkommt, oder ob er nur die gezähmte Form des Gaur iſt. Auch die zahmen Gayals werden in einem Zuſtande großer Freiheit gehalten, bei dem ſie ſehr leicht verwildern können, und dies wohl auch tun, ſo daß ein Reiſender leicht einmal einem wilden Gayal begegnen kann, ohne daß es ſich um ein urſprünglich wildes Tier zu handeln braucht. Ferner ſind beide, Gayal und Gaur, von den Reiſenden, mögen fie nun wiſſenſchaftliche oder einheimiſche Namen für die Tiere nennen, fortwährend verwechſelt und durcheinandergeworfen worden, ſo daß man häufig nicht mit Sicherheit erkennen kann, welche Art der Reiſende gemeint hat. Gänzlich von der Hand zu weiſen iſt wohl die neuerdings von Kauffmann vertretene An⸗ ſicht, daß die Gayals aus Kreuzungen des Gaurs mit Hausrindern entſtanden ſeien. Die ſchon erwähnten Kühnſchen Verſuche mit der beſchränkten Fruchtbarkeit der Baſtarde und deren Ausſehen ſprechen dagegen. Die indiſchen Forſcher, beſonders Baker („Journ. Bomb. Nat. Hist. Soc.“ Vol. XV, 1903), treten neuerdings ſehr für die Arteinheit beider ein. Immerhin ſind auch die neueſten Aus- führungen noch nicht ganz klar und nicht frei von Widerſprüchen. Nach Baker unterſcheiden ſich die von den „Sportsleuten“ Gaur und Gayal genannten Wildrinder in folgenden Punkten. Der Gaur iſt 21 hands (2,13 m) hoch, beſitzt einen großen zylindriſchen Knochenkamm zwi— ſchen den Hörnern, tief konkave Stirn, abwärts gebogene Naſenbeine, an der Spitze einwärts gebogene Hörner, keine Wamme und iſt immer gleich gefärbt. Der Gayal iſt nur 17 hands (1,72 m) hoch, hat keinen zylindriſchen Knochenkamm zwiſchen den Hörnern, ebene oder nur . 9 Rotbüffel: Jagd. Schaden. Gaur. 327 ſchwach konkave Stirn, etwas vorſpringende Naſenbeine, gerade, an der Spitze nicht einwärts gebogene Hörner, Wamme und veränderliche Farbe. Baker fand aber, daß mit Ausnahme der Hornform keiner der angegebenen Unterſchiede konſtant ſei. So traf er Gaurs mit faſt ebener, Gayals mit konkaver Stirn. Fehlen oder Vor— handenſein der Wamme iſt nach ihm individuell ſehr veränderlich, was auch Kauffmann be— ſtätigt, wenn die Wamme beim Gaur auch meiſtens ſchwach iſt. Es gibt ferner, nach Baker, Gayals, die zwiſchen den Hörnern einen ſtärkeren Knochen— kamm haben als ſelbſt Gaurs. Von den oben angegebenen Unterſchieden bleibt alſo als un— veränderlich nur die Form der Hörner. Aber auch deren Farbe iſt, nach Baker, veränderlich. Nach früheren Mitteilungen ſollten ſie beim Gayal ganz ſchwarz ſein, beim Gaur nur ſchwarze Spitzen haben, ſonſt rötlich- oder grünlich-hornfarben ſein. Baker fand aber ſelten Gayals mit ganz ſchwarzen Hörnern, gewöhnlich ſind ſie an der Baſis hell; beim Gaur ſei die Aus— dehnung des Schwarz ſehr veränderlich. So dürften ſich Gaur und Gayal ähnlich verhalten wie Rotbüffel und Kafferbüffel, d. h. ſie dürften die Endglieder einer Reihe ſein, von der wir allerdings noch nicht alle Zwiſchenglieder kennen; immerhin hat uns Lydekker im malaiiſchen Gaur ſchon eine Zwiſchenform kennen gelehrt. Nur in Hinterindien iſt eine Form gezähmt worden, die wohl ſchon im wilden Zuſtand vom vorderindiſchen Gaur abwich und vielleicht durch die Zähmung noch weiter verändert wurde. So werden wir beide nur unterartlich trennen können, zumal auch die Stimmen beider von denen anderer Rinder abweichen, unter ſich aber ſehr ähnlich find. Als Artname ift der ſchon 1804 von Lambert dem Gayal ge gebene, nämlich Bos frontalis zu wählen, da der Gaur erſt 1827 wiſſenſchaftlich beſchrieben wurde. Die typiſche Farbe beider iſt bei den Bullen und alten Kühen ein ſehr dunkles Pur— purbraun, das wie Schwarz wirkt. Die rötliche Jugendfarbe behalten die Kühe länger bei als die Stiere, nämlich bis ins dritte Jahr. Dann werden ſie allmählich dunkler. Der Gaur oder das Dſchangelrind, Bos (Bibos) frontalis gaurus H. Sm. (Taf. „Paarhufer XVII“ 5 u. 6, bei S. 303), iſt ein außerordentlich kräftig gebautes, tiefgeſtelltes Wildrind mit ſtark bemuskelten Beinen, deren vorderes Paar merklich kürzer iſt als das hintere. Der Rückenhöcker, der bis zur Rückenmitte reicht, iſt wohlentwickelt. Die Ohren ſind groß, der kurze Schwanz reicht bis zu den Hacken. Der Schädel mit dem konkaven Profil iſt bereits oben beſchrieben worden. Die Hörner ſind an der Baſis abgeflacht, an der Spitze gerundet, ihre Farbe iſt grünlichgelb mit ſchwarzer Spitze. Beim Stier verlaufen ſie abwärts und rückwärts, dann aufwärts und vorwärts, um ſich mit der Spitze einwärts, rückwärts und ſchwach aufwärts zu wenden, erinnern alſo ſehr an Biſonhörner. Das auf dem Oberhalſe und den Schultern ſowie an den Schenkeln ungewöhnlich verdickte Fell iſt mit kurzen, dicht— ſtehenden, etwas fettigen Haaren bekleidet, die ſich am Unterhalſe und der Bruſt um etwas, zwiſchen den Hörnern zu einem krauſen Büſchel verlängern. Die vorherrſchende braun— ſchwarze Färbung geht auf der Unterſeite in ein tiefes Ockergelb, an den Beinen in Weiß oder Schmutzigweiß, auf der Stirn in Lichtgraubraun und in der Augengegend in Grau— ſchwarz über, wobei noch zu bemerken iſt, daß die Vorderbeine ſeitlich und hinten ins Rötliche ſpielen. Die Iris hat lichtblaue Färbung. Nach Elliots Meſſungen beträgt die Geſamt— länge eines vollkommen erwachſenen Stieres dieſer Art 3,8 m, die Schwanzlänge 85 em, die Schulterhöhe 1,86 m, die Kreuzhöhe, vom Hufe bis zur Anſatzſtelle des Schwanzes gemeſſen, 17 m. Nach Baker werden die Stiere bis 2,13 m, die Kühe 1,72 1,95 m hoch. Die mäch⸗ tigſten Gehörne, von Spitze zu Spitze der Krümmung nach und über die Stirn gemeſſen, hatten 328 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. . eine Länge von 188 cm, während die Spitzen bloß 48 cm voneinander entfernt waren und der Abſtand zwiſchen Wurzel und Spitze eines Hornes in gerader Linie 83 em betrug. Bei alten Bullen verkürzen ſich die Hörner bedeutend, weil die Spitzen ſtark abgenutzt und öfters auch abgebrochen werden. Die Kuh unterſcheidet ſich vom Stiere durch den kleinen und zier⸗ lichen Kopf, den ſchwächeren Hals, den Mangel eines Höckers und das ſchwächere, an der Wurzel näher zuſammengeſtellte, mit den Spitzen nicht gegeneinander, ſondern leicht nach hinten gekehrte Gehörn ſowie die weniger dunkle, mehr rötliche Färbung. Das Dſchangelrind iſt verbreitet über die großen Bergwälder Indiens, Burmas und der Malaiiſchen Halbinſel. Bemerkenswert iſt, daß Kauffmann zwei Typen unterſcheidet: einen „Berggaur“ und einen „Sumpfgaur“. „Letzterer iſt größer, maſſiger, ſicherlich um mehrere Zentner ſchwerer und ſchreitet auf breiteren Schalen im Gegenſatz zum Berggaur, der kleiner, leichter, aber muskulöſer gebaut iſt. Dieſer iſt ein Kletterer auf hartem Felsgeſtein, worauf ſchon die ungemein zierlichen und ſchmalen Schalen hinweiſen. Die Stirn des Berggaurs iſt etwa um 7 em breiter als die dieſes Sumpfgaurs und das Gehörn an und für ſich weiter ausgelegt. So findet man bei den letzteren die beſten Trophäen, deren Stärke die Gaurs in den ‚Swamps' (Sümpfen) nie erreichen. Im allgemeinen bleiben während des ganzen Jahres die beiden verſchiedenen Gaurfamilien in ihren eigentlichen Gebieten getrennt, die Berggaurs auf den Höhen in der Nähe des immergrünen Waldes (etwa bis 1700 m hinauf, nach Sanderſon, d. Bearb.) und die Sumpfgaurs in den Niederungen nahe den Sümpfen. Gelegentlich der Brunftzeit erklettern die Sumpfgaurs auch die Höhen, während es ſelten zu ſein ſcheint, wie mir Mr. Browning beſtätigte, daß die Berggaurs die Swamps aufſuchen.“ Die Fähigkeit des Gaurs, ſich im ſchwierigſten Gelände zu bewegen, wird ſehr gerühmt. Nach Sanderſon ſtürmen die ſchweren Tiere faſt ſo leicht wie Hirſche einen un— ebenen Steilhang hinauf oder praſſeln in flottem Trabe und ſcharfem Galopp talwärts in eine Schlucht hinab. In nördlichen Gebieten findet ſich der Gaur, laut Kinloch, zumeiſt in Herden von 4 oder 5 bis 30 Stück, in ſüdlichen, laut Sanderſon, gewöhnlich in Herden von etwa 12 und ſelten von 30 oder 40 Köpfen. Wenn jedoch, und hier ſtimmt Fiſher ihm bei, das Gras der Hügel durch die Hitze gedörrt oder durch Feuer vernichtet worden iſt, vereinigen ſich die einzelnen Trupps zu zahlreicheren Herden, die nun in geſchloſſenem Verbande die noch grünen Wal- dungen durchſtreifen, ſich aber, wenn die erſten Regenſchauer gefallen ſind und neues Wachs— tum ins Leben gerufen haben, wieder trennen, um in gewohnter Weiſe zu leben. Bei un— günſtigem, namentlich ſtürmiſchem Wetter bergen ſich die Tiere in den Tälern, um den Un— annehmlichkeiten der Witterung zu entgehen, und ebenſo flüchten ſie vor Mücken und Bremſen, die ſie arg quälen. Nicht ſelten ſcheinen ſie auch gewiſſe Gegenden zu dem Zwecke aufzuſuchen, um die von Natron oder Soda geſchwängerte Erde zu belecken und ſich dadurch einen Erſatz für das ihnen fehlende Salz zu verſchaffen. Der Gaur weidet am liebſten da, wo junges Gras aufſchießt, das er nebſt den zarten Bambusſchößlingen allem übrigen vorzieht. Sanderſon berichtet, daß, wenigſtens im ſüdlichen Indien, der Gaur, im Gegenſatze zu anderen Waldbewohnern, Pflanzungen und Felder nie— mals heimſuche. „Die indiſchen Biſons“, fährt er fort, „äſen bis etwa um die neunte Stunde des Vormittags und länger bei bedecktem Himmel oder regneriſchem Wetter; dann ruhen ſie in Bambusbeſtänden oder Buſchwald bis zum Nachmittage, und erheben ſich endlich, um wieder zu weiden ſowie zur Tränke zu ziehen. Ebenſo pflegen ſie ſich regelmäßig während der Nacht einige Stunden niederzulegen.“ Sie wechſeln aber, wie Kauffmann („Aus Indiens Baur: Verbreitung. Lebensweiſe. Stimme. Seuchen. Einzelgänger. 329 Dſchungeln“) berichtet, während der Nacht aus den dichten Dſchangeln in die Suhlen, um kurz nach Tagesanbruch in die Dſchangeln zurückzukehren. Der Gaur gibt, wie Sanderſon mitteilt, drei deutlich unterſcheidbare Laute von ſich. „Der erſte gleicht durchaus keinem von Rindern bekannten, um ſo mehr aber einem von Elefanten recht häufig hervorgebrachten Laute. Die Dſchangelrinder wenden ihn an, um einander zu rufen, und zwar auf ziemliche Entfernungen; denn er kann unter nicht ungün— ſtigen Verhältniſſen eine engliſche Meile weit vernommen werden. Dieſer Ruf läßt ſich etwa als ein tiefdröhnendes Bellen beſchreiben. Der zweite Laut iſt ein nicht zu ſtarkes ‚Mu‘, das Beunruhigung oder Neugierde ausdrückt. Ich hörte ihn einſt von einigen Kühen, die mich und meine Jagdleute im meterhohen Graſe auf Händen und Knieen anſchleichend bemerkten, aber uns vielleicht für Tiger hielten; denn ſie blieben auf 50 Schritt wohl eine halbe Stunde lang auf ihrem Standorte, bis ich, einen günſtigen Augenblick wahrnehmend, dem zu ihnen gehörigen Stiere meine Kugel ſenden konnte. Der dritte Laut iſt ein ſtarkes, pfeifendes Schnauben, das ſie von ſich geben, wenn ſie erſchreckt davonlaufen. Übrigens habe ich einen Gaur, welcher von Bullenbeißern gefaßt wurde, genau ſo wie einen wütenden Hausſtier brüllen hören.“ Ferner haben die Gaurs einen Brunftruf, den uns erſt Kauffmann näher ſchildert: „Dieſer Brunftruf beſteht in einem regelrechten Orgeln und fängt für das Ohr unſchön klin— gend mit einem tremulierenden und gezogenen i —i—i an, das allmählich auf a—oo un übergeht und zu einem mächtig verhallenden Akkord anſchwillt.“ Das Orgeln dauert etwa 8 bis 10 Sekunden. Durch Sanderſon erfahren wir, daß die Gaurs ſehr durch mancherlei unter den indiſchen Hausrindern verbreitete Seuchen zu leiden haben; ſie werden leicht an— geſteckt, wenn ſie Striche des Dſchangels beſuchen, in denen erkrankte Haustiere geweidet haben. Im öſtlichen Maiſur wurden im Jahre 1867 auch die Gaurs in ſolchem Maße von der Vieh— ſeuche befallen, daß zwei Drittel des ganzen Beſtandes verendet ſein ſollen. Noch 1869 fand Sanderſon die Reſte der Opfer allenthalben in der Wildnis herumliegend. Im April 1877 begann in demſelben Gebiete die Seuche abermals aufzutreten. Wie bei allen wehrhaften, Herden bildenden Huftieren leben auch die alten Gaur— bullen als Einzelgänger. „Zur Brunſtzeit, die Mitte November beginnt und ſich bis Mitte Januar ausdehnt, ſuchen die meiſten Einzelbullen“, wie Kauffmann berichtet, „die Herde auf, von ganz alten Individuen abgeſehen . . . Aber ſelbſt während der Brunſtzeit ziehen dieſe alten Einſiedler nicht direkt mit der Herde, ſondern einige hundert Meter davon, bleiben jedoch mit ihr in Berührung. Der eigentliche Herdbulle — meiſt ſind bei einer Herde von 810 Gaurs zwei Bullen — verläßt die Herde nie. Uneingeſchränkter Gebieter der Herde während der Brunſt iſt der Einzelgänger, ſobald er dem Herdbullen ſeine Überlegenheit be— wieſen, der trotzdem bei der Herde bleibt. Dem Einſiedler wird aber bald wieder das Familien⸗ leben läſtig. Er liebt die Ruhe und verläßt ſich in ſtolzem Selbſtbewußtſein auf ſeine eigene Kraft.“ Anderſeits traf Kauffmann ſogar in der Brunſtzeit Herden ohne Bullen, die dann von einer Leitkuh geführt wurden. Dieſe Einzelgänger weichen, nach demſelben Gewährsmann, im allgemeinen dem Menſchen aus und greifen ihn ungereizt nicht an. Nur die Gaurs von Travancore und Kotſchinchina machen eine Ausnahme. Hier kommen jährlich zahlreiche Unglücksfälle dadurch vor, daß Gaurs auch ungereizt Menſchen anfallen. Häufig mag der Gaur ſich angegriffen glauben und zur Selbſtverteidigung ſchreiten, was Kauffmann ſelbſt erlebte, als er unbewußt bei Nacht mit Fackeln eine Strecke von 400 m hinter einem ſolchen Einzelgänger herzog. Auch Angriffe von Gaurkühen, die ſcheinbar nicht von Menſchen beläſtigt waren, meldet Kauffmann. In einem 330 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Falle wurde der Angegriffene, der ſich auf einen Baum geflüchtet hatte, von einem wütenden Stier regelrecht belagert. Auf jeden Fall meidet der Gaur im allgemeinen wie andere Wild— rinder die Nähe des Menſchen und ſeine Anſiedelungen. Dagegen lebt er, nach Sanderſon, häufig friedlich mit vielen Elefanten zuſammen, deren Gewohnheiten und Bedürfniſſe er teilt. Während der Paarungszeit beſtehen die alten Stiere erklärlicherweiſe heftige Kämpfe mit gleich— ſtrebenden, vertreiben auch in der Regel alle jüngeren von der Herde, bis endlich an ſie die Reihe kommt, vor dem gemeinſamen Angriffe der letzteren weichen zu müſſen. Nach Angabe Fiſhers iſt die Trächtigkeitsdauer des Gaurs dieſelbe wie die des Hausrindes. Die Wurfzeit ſcheint an keine beſtimmte Jahreszeit gebunden zu ſein, wenn auch die meiſten Kälber im Auguſt oder September geſetzt werden. Das junge Kalb gleicht täuſchend dem eines Hausrindes, iſt im allgemeinen rötlichbraun mit ſchwarzem Aalſtreifen und an Stirn und Beinen, die ſpäter weiß werden, undeutlich bleigrau gefärbt. Die Kuh, die kalben will, pflegt ſich von der Herde zu trennen und mit ihrem Jungen etwa vier Tage abgeſondert zu halten, bis dieſes kräftig genug erſcheint, um mit der Herde ziehen zu können. Der eigentliche indiſche Gaur ſcheint nie domeſtiziert worden zu ſein, und auch alle neueren Verſuche, ihn zum Haustier zu machen, ſind, nach Blanford, fehlgeſchlagen. „Jedem Kenner des wehrhaften Gaurs wird die Zähmung desſelben abſurd erſcheinen“, ſagt neuer— dings Kauffmann. Auch Baker bezeichnet die Zähmung als Fabel. Trotzdem hält ſich der Gaur wie auch die anderen Wildrinder in unſeren Tiergärten bei geeigneter Pflege gut und ſchreitet auch zur Fortpflanzung. Aber bösartig bleiben die Tiere immer trotz aller Pflege. Um den Gaur zu erlegen, bedient man ſich ſehr ſchwerer Büchſen, wie ſie überhaupt für alles Großwild üblich ſind. Man jagt ihn, indem man der Fährte folgt und ſich anpirſcht, oder indem man ſich manchmal ein Stück zutreiben läßt. Die tüchtigen Weidmänner jagen überhaupt nicht auf Trupps oder Herden, ſondern bloß auf alte, einſiedleriſch lebende Stiere, die, nächſt dem Elefanten, für das gewaltigſte Wild gelten, das man erlegen kann. Die Ge— fährlichkeit der Jagd iſt, und darin ſtimmen alle neueren Berichterſtatter überein, vielfach ſehr übertrieben worden, obwohl alle auch zugeben, daß ein verwundeter und verfolgter Stier gelegentlich ein nicht zu unterſchätzender Gegner ſein kann. Nach Kauffmanns Jagdſchilde— rungen ſcheint die Hauptgefahr darin zu beſtehen, daß ſich die angeſchoſſenen Gaurs in den dichteſten Dſchangel zurückziehen, wo ſie ſelbſt unſichtbar ſind, den verfolgenden Jäger aber leicht durch ihren ſcharfen Geruch wahrnehmen. Sie ſtürzen unvermutet zum plötzlichen Angriff vor, oft kaum dem Verfolger Zeit laſſend, das Gewehr an die Wange zu reißen. Das Fleiſch iſt, nach Kauffmann, ausgezeichnet; es ſei von einer Güte, wie ſie kaum das Fleiſch zahmer Maſtochſen aufweiſe. Die malaiiſche Unterart des Gaurs, Bos (B.) f. hubbacki Lyd., hat eine weniger her⸗ vorſpringende Zwiſchenhornlinie und ſieht dem gleichfalls hinterindiſchen Gayal, abgeſehen von der Hornform, ſehr ähnlich. Vielleicht iſt ſie oder eine verwandte Form unter den von Col. Pollock erwähnten wilden Gayals zu verſtehen. An fie oder eine dem Gayal noch ähn- lichere Form mag man denken bei der S. 332 folgenden Schilderung der Zähmung wilder Gayals. Der Gayal oder das Stirnrind, Bos (Bibos) frontalis frontalis Lamb. (Taf. „Paar⸗ hufer XVII“, 4, bei S. 303), iſt noch ſchwerer als der indiſche Gaur, tiefer geſtellt und länger im Rücken, hat eine vollſtändig ebene Stirn und von dieſer horizontal in einer Ebene gerade abſtehende Hörner. Bei 3,6 m Länge, wovon 80 em auf den Schwanz zu rechnen find, er— reicht der Stier eine Schulterhöhe von 1,5—1,6 m. Die Kuh wird 1,—1,5 m hoch. Gaur. Gapyal. 331 „Kaum jemals“, jo ſchreibt mir Mützel, „iſt mir ein Tier vor Augen gekommen, deſſen Name ein ſo berechtigter wäre wie der des Stirnrindes; denn dieſes darf gar nicht anders heißen, weil die gewaltige, durch ihre unvergleichliche Breite jedermann auffallende Stirn es vor allen Verwandten auszeichnet und auf den erſten Blick als das bedeutſamſte Merkmal ſich darſtellt. Das ſchönſte Ebenmaß iſt in ſeinen Körperverhältniſſen ausgedrückt, alles an ihm gedrungen und kräftig, ohne daß irgendein Teil plump erſchiene; der Stier macht daher den Eindruck höchſter Kraftfülle und vollendeter einhelliger Schönheit und muß als eine durchaus edle Erſcheinung bezeichnet werden. An dem kurzen Kopfe bildet das dicke Maul den ver- ſchmächtigten Teil einer abgeſtumpften Pyramide, deren Grundfläche zwiſchen den Hornwurzeln und den Unterkieferwinkeln liegt; doch iſt dieſe Grundfläche keine gleichſeitig viereckige, die Seite zwiſchen den Hornwurzeln vielmehr länger als die anderen. Naſe und Maul unter: ſcheiden ſich wenig von denen des Banteng. Der Naſenrücken iſt ſehr kurz und breit; die Augen— wülſte entſpringen ſehr tief, treten ſogleich entſchieden nach außen vor und gehen flach in die Stirn über, welche ſich nach den Hornwurzeln zu immer mehr verbreitert und oben mit einer faſt geraden Linie abſchließt. Die Breite der beinahe ebenen Stirn zwiſchen den Hornwurzeln gleicht ihrer Höhe von der Naſenwurzel bis zu den Scheitelbeinen und beträgt zwei Fünftel der Geſamtlänge des Kopfes. Die ſehr dicken Hörner haben kegelförmige Geſtalt und treten mit ſchwacher Biegung nach außen und hinten. Die kleinen Augen ſitzen ziemlich tief unter den Wülſten; die aufrechtſtehenden Ohren ſind groß und ſpitzig. Hinter dem Kinn entſpringt eine kleine, dreieckige, doppelte Wamme, welche an den beiden Unterkiefern endet. Drei bis vier tiefe Hautfalten trennen den Kopf von einer langgeſtreckten, dicken, buckelartigen Auf— treibung, welche den ganzen Hals, den Widerriſt ſowie die Hälfte des Rückens bedeckt und als ausgebildeter, Stierhals' den Eindruck ungeheurer Kraft hervorruft. Der übrige Teil des Leibes iſt ſehr fleiſchig, eine Wamme am Halſe kaum vorhanden, wenigſtens durch das an ihrer Stelle lagernde Fett verwiſcht; die Beine ſind ſtark, aber wohlgeformt, die Hufe in der Größe ihnen entſprechend, jedoch kurz und vorn ſteil abfallend; der dünne Schwanz reicht mit ſeinem Quaſte, welcher über den Ferſen beginnt, bis zu den Afterklauen herab. Ein kurzes, dichtes, glattes und glänzendes Haarkleid deckt gleichmäßig den ganzen Körper, verlängert ſich nur wenig an der Unterſeite des Halſes, entwickelt ſich aber am unteren Viertel des Schwanzes zu einem reichen Quaſte und bildet ebenſo an den Handwurzeln der Vorderbeine hängende Locken— büſchel. Die vorherrſchende Färbung iſt ein tiefes Schwarz; die Stirnhaare ſind grau- oder fahlbraun, die Haarbüſchel an den Vorderbeinen kräftig ſepiabraun, das Kinn, die Mundwinkel und ein ſchmaler Rand der Oberlippe endlich weiß. Das Innere des hier kahlen Ohres ſpielt ins Fleiſchrötliche; die Iris iſt dunkelbraun; die Hörner haben gräulichweiße, ihre Spitzen ſchwarze Färbung.“ Dieſer Beſchreibung iſt noch hinzuzufügen, daß auch die Beine des Gayals wie beim Gaur zur unteren Hälfte weiß gefärbt ſind. Gelegentlich kommen, nach Lydekker, auch geſcheckte, ſogar ganz weiße Stücke vor. Als Heimat des Gayals gelten die bergigen Gegenden öſtlich vom Brahmaputra bis nach Burma hinein. Durch ſeine Lebhaftigkeit und Gewandtheit beweiſt der Gayal, daß er ein Berg⸗ tier iſt, beſitzt auch in der Tat faſt dieſelbe Sicherheit im Klettern wie der Jak. Sein Weſen wird als ſanft und zutraulich geſchildert. Tatſächlich ſind auch die Gayals unſerer Tiergärten zahmer und friedlicher als der Gaur. Niemals wagt der Gayal einen Angriff auf Menſchen, weicht ihnen vielmehr ſchon von weitem aus; gegen Raubtiere dagegen verteidigt er ſich mutig und joll ſelbſt Tiger und Panther in die Flucht ſchlagen. Seine ſcharfen Sinne ſichern und feine Gewandtheit und Schnelligkeit im Laufe retten ihn, wenn er ſich überhaupt zur Flucht anſchickt. 332 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Die Eingeborenen haben den Gayal ſeit undenklichen Zeiten zum Haustiere gemacht, aller dings wohl nicht im Sinne unſerer Haustiere gezähmt. „Die Daphlas“, ſchreibt Kauffmann, „Miſhmis, Kukis, Nagas, Luſhais und noch verſchiedene andere Völker in Burma haben dagegen Herden von halbwilden Gayals (Bos frontalis) in ihrem Beſitz, die fie mit Salz anlocken. Nach und nach werden die Gayals zahm, daß ſie das Salz aus der Hand nehmen und den Dorfbewohnern bis zu ihren Hütten folgen. Aber nur bis zu einem beſtimmten Grade werden ſie dann gezähmt. Sie folgen fortziehenden Eingeborenen nicht, ſondern verbleiben in der Nähe der Ortſchaften, wo ſie angekirrt ſind.“ Auch Sanderſon berichtet, daß in Tſchittagong die zu Haustieren gewordenen Gayals halb wild im Dſchangel lebten und nur abends zu den Ortſchaften kamen, um dort einen beſonderen Leckerbiſſen, nämlich Salz, von ihren Herren zu erhalten. Bei Tagesanbruch zog die ganze Herde wieder ſelbſtändig in den Wald. Merkwürdig und ſonſt den hinterindiſchen Gewohnheiten ganz widerſprechend, iſt Sanderſons Behauptung, daß einige Kühe gemolken wurden. Nach Baker werden die zahmen Herden öfters von wilden Bullen beſucht und die Kühe von ihnen gedeckt, da die Herden häufig keine erwachſenen Stiere enthalten. Dieſe werden nämlich, bevor ſie drei Jahre alt ſind, zu Opfer⸗ zwecken getötet. Zu Haustieren gewordene Gayals findet man, laut Jerdon, in allen Land— ſtrichen von Tſchittagong an nordwärts bis in das Hochgebirge, wo man ſie mit Jaks ſogar nahe der Schneegrenze weiden ſehen kann. Das Einfangen wilder Stücke, wie es Garrod beſchreibt und neuere Reiſende beſtätigen, hat inſofern ein größeres Intereſſe, als es uns zeigt, daß das Zähmen von wilden Rindern keineswegs ſolche Schwierigkeit bietet, wie man leicht denken könnte. Die in dem Hügellande von Tſchittagong wohnenden Kukis ballen aus Salz, Erde und Baumwolle Kugeln von der Größe eines Mannskopfes zuſammen, um ſolche als Lockmittel zu verwenden, und ziehen mit zahmen Gayals den wilden entgegen. Nachdem die gezähmten, wie bald geſchieht, mit ihren freien Brüdern ſich vereinigt haben, werfen die Kukis jene Salzkugeln aus; die wilden Rinder, die durch die zahmen an beſtimmte Orte geführt werden, bemerken, daß in den Ballen eine Leckerei für ſie enthalten iſt, beſchäftigen ſich bald angelegentlich mit dem Belecken dieſer Kugeln und fahren darin um ſo eifriger fort, je mehr die durch die Baumwolle gut verbun— dene Maſſe Widerſtand leiſtet. Liſtig ſorgen die Kukis für immer neue Zufuhr und halten ſo die wilden und zahmen Herden monatelang zuſammen, bis beide innig vertraut geworden ſind. Nunmehr nahen ſich die Leute, die ſich anfangs in einem gewiſſen Abſtande hielten, um ihr Wild nicht in Unruhe zu verſetzen, mit zahmen Gayals mehr und mehr der großen Herde, gewöhnen dieſe nach und nach an den Anblick des Menſchen, begeben ſich dann mitten unter ſie und ſtreicheln ruhig und gelaſſen ihren zahmen Tieren Hals und Rücken, werfen dabei den wilden neuen Köder zu, ſtrecken wohl auch ihre Hand nach einem und dem anderen aus und ſchmeicheln ihnen, wie vorher den zahmen, kurz, gewöhnen die Wildrinder nun auch an ſich ſelbſt und lehren ſie, ohne irgendwelchen Zwang anzuwenden, ihnen zu folgen, bis eines ſchönen Tages die ganze Geſellſchaft inmitten eines Dorfes angelangt iſt. Gutmütig und gleichgültig laſſen ſich die Gayals fortan auch die engere Gefangenſchaft gefallen, gewöhnen ſich ſogar nach und nach ſo an ihr Dorf, daß die Kukis, wenn ſie ihren Wohnſitz mit einem anderen vertauſchen wollen, genötigt ſein ſollen, ihre Hütten zu verbrennen, weil die Herden ſonſt immer wieder in die früheren Ställe zurückkehren würden. Die Milch des Gayals wird als ſehr fettreich, das Fleiſch als vortrefflich geruͤhmt. Darum hat man verſucht, das wertvolle Tier auch in weſtlich von ſeiner Heimat liegenden Landſtrichen Indiens einzubürgern; es ſcheint aber, daß dem Gayal nur hoch gelegene waldige Gebiete, Gayal. Banteng. 333 nicht aber heiße Flachländer zuſagen. Die Kuh ſetzt nach einer Tragzeit von 8—9 Monaten 1 Kalb und ſäugt es ebenfalls 8—9 Monate, ſoll aber im nächſten Jahre gelt gehen. Im zoologiſchen Garten vernimmt man vom Gayal öfters einen wie „ü“ oder „i“ klingenden, erſtaunlich lang hingezogenen Laut, der wohl dem Brunftruf des Gaurs zu vergleichen iſt. Als das ſchönſte aller bekannten wild lebenden Rinder muß ich den Banteng der Ma— laien, Bos (Bibos) banteng Raffl. (sondaicus; Taf. „Paarhufer XVII“, 7, bei S. 303), erklären, ein Tier von ebenmäßigem Bau mit anſprechender Färbung. Der Kopf iſt klein, aber breit, an der Stirnleiſte erhaben, die Stirn eingebuchtet, der Geſichtsteil bis zur Schnauze verſchmälert, vor derſelben wegen der verdickten Lippen etwas aufgetrieben, die Muffel ſehr groß, gewölbt, der Raum zwiſchen den Naſenlöchern, der die ganze vordere Lippe einnimmt, in der Mitte durch eine Furche geteilt, das tief dunkelbraune Auge groß und feurig, das Ohr groß, länglichrund, an ſeinem Innenrande ſanft gewölbt, am Außenrande ausgeſchweift, der Hals kurz, unmittelbar hinter dem Kopfe auffallend verſchmächtigt und hierauf ſehr verdickt, der Leib kräftig, aber nicht maſſig, der Widerriſt wenig erhaben, einen ſehr in die Länge ge— zogenen Buckel darſtellend, der Rücken gerade, der Hinterteil ſanft abgerundet, das Kinn mit einer kleinen, der Unterhals mit einer großen hängenden Wamme geziert, der Schwanz mittel- lang, ſchwach, nach der Spitze zu gleichmäßig verjüngt, das Bein länger als beim Gaur, ſehr zierlich, der Huf rund und fein. Die an der Wurzel verdickten, unregelmäßig gewulſteten, vom erſten Drittel ihrer Länge an aber glatten, unten ein wenig abgeflachten, übrigens ge— rundeten und ziemlich ſcharf zugeſpitzten Hörner biegen ſich zuerſt in einem einfachen Bogen nach außen und rückwärts, hierauf nach oben und vorn, mit der Spitze aber nach oben und innen, und erreichen eine Länge von 40—50 em. Bei älteren Bullen verhornt, ähnlich wie bei den Büffeln, die Kopfhaut zwiſchen den Hörnern. Das überall gleichmäßige, dicht an— liegende Haarkleid hat dunkel graubraune, nach hinten etwas ins Rötliche ſpielende Färbung; ein Fleck an der oberen Ecke des Naſenloches und ein Streifen über der Oberlippe ſind fahl— braun, die Oberlippe, ſoweit ſie behaart iſt, die Unterlippe, ein ſehr kleiner Fleck auf der Unterſeite des Unterkiefers, ein breiter Spiegel, der als das augenfälligſte Merkmal betrachtet werden kann, die untere Hälfte der Beine, die wimperartige Behaarung des inneren und oberen Ohrrandes ſowie endlich der äußere Ohrwinkel ſind weiß, die mit kurzen Haaren be— kleideten Spitzen der Ohren fleiſchfarben, ihre Wurzeln, etwa das untere Drittel umfaſſend, ſchwarz. Bei der merklich ſchlanker und zierlicher gebauten Kuh herrſcht anſtatt der grau— braunen eine hell rötlichbraune Färbung vor, von der außer den weißen Abzeichen ein dunkler, auf dem Widerriſte beginnender, bis zur Schwanzwurzel fortlaufender Rückenſtreifen deutlich ſich abhebt; das Kalb ähnelt der Mutter. Die Geſamtlänge wird, einſchließlich des 85 em langen Schwanzes, auf 2,9 m, die Höhe am Widerriſt auf 1,5 m angegeben. Das Verbreitungsgebiet des Bantengs erſtreckt ſich über Java, Borneo, den öſtlichen Teil Sumatras, Bali, die Malaiiſche Halbinſel bis zur Nordgrenze von Pegu und Arakan und durch die Berge von Tſchittagong bis Manipur, Siam und Kotſchinchina. Auf dieſem großen Gebiet bildet der Banteng eine Anzahl nach Färbung und Hornform verſchiedener Unterarten. Bei denjenigen des Feſtlandes neigt der breite Spiegel zur Rückbildung, ja bei einer, Bos (Bibos) banteng butleri Lyd., iſt er faft völlig geſchwunden. Der Banteng ſcheint nicht an beſtimmte Wohnplätze gebunden zu ſein, vielmehr alle ihm zuſagenden Gebiete von der Küſte bis etwa 2000 m Höhe zu bewohnen. Während ihm Müller in ſeichten, moorigen Waldesteilen begegnete, lebt das Tier in Burma auch in ſehr trockenen Gegenden, meilenweit 334 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. von jedem Waſſer. Hier ſoll er bisweilen auch tagelang nicht trinken. Nur die Nähe der Men⸗ ſchen meidet er auf jeden Fall. Auf Java findet er ſich überall, wo die Wildniſſe noch nicht der zunehmenden Bebauung gewichen ſind, bevorzugt aber ganz entſchieden die Hochwaldungen der Preanger Regentſchaft, beſonders der Gegenden, die ſich in Höhen von 1200 —2000 m ſüdwärts der Hochebene Bandon ausbreiten. Die Weidezeit ſind die frühen Tagesſtunden bis 9 oder 10 Uhr. Danach ruhen die Tiere wiederkäuend im Schatten. Auch dieſes ſchöne Wildrind lebt in kleinen Geſellſchaften, die aus 2— 8 jüngeren Stieren und 8—10, ja ſogar bis 30 Kühen beſtehen. Alte, unverträgliche Stiere werden von dem jungen Nachwuchſe gemeinſchaftlich vertrieben und pflegen dann grollende und mürriſche Ein— ſiedler zu werden. Die weichſten und ſaftigſten Gräſer, die den Waldboden decken, Blüten, Blätter und Triebe verſchiedener Bäume und Sträucher bilden die Nahrung des Bantengs; insbeſondere äſt er junge Sproſſen und Blätter der Bambuſſe und des Alangalang-Graſes. Sowohl beim Graſen wie beim Ruhen ſoll gewöhnlich eine Kuh Wache halten, die durch Auf— ſtampfen mit dem Fuße bei Gefahr die Herde warnt. Die Wildheit und Scheu dieſes Wildrindes macht ſeine Jagd zu einer ebenſo gefährlichen wie beſchwerlichen. Zwar flüchtet es in der Regel auch, wenn es die Annäherung eines Men— ſchen wahrnimmt, achtet jedoch, in die Enge getrieben oder verwundet, den Jäger wenig, nimmt ihn nicht ſelten an und gebraucht dann ſeine ſpitzen Hörner mit ebenſoviel Geſchick wie Nach— druck. Nächſt den einſiedleriſch lebenden Stieren ſind die Kühe, die ſaugende Kälber führen, am meiſten zu fürchten. Man erlegt den Banteng mit der Büchſe. Günſtig iſt auch der Anſitz an Stellen, wo ſich ſalziges Waſſer findet. Nach dieſen Salzlecken kommt der Banteng wie auch der Gaur, der Elefant, Schweine und Hirſche regelmäßig. Erwachſene Bantengs laſſen ſich nicht zähmen, Kälber hingegen vollſtändig zu Haustieren gewinnen, da das Weſen des Tieres ſanfter und milder zu ſein ſcheint als das aller übrigen bekannten Wildrinder. Die in unſeren Tiergärten häufiger gezeigten Bantengs ſcheinen meiſt nicht der wilden Form, ſondern der gezähmten, dem Balirind, anzugehören. Ihr Benehmen iſt von dem anderer Rinder nicht verſchieden. Das Hausrind iſt wohl das wichtigſte Nutztier, das der Menſch hat. Es ift die Grund— lage unſerer heutigen Kultur, der Kultur des Ackerbauers, die es ja eigentlich erſt ermög— lichte. Somit war ſeine Gewinnung für den menſchlichen Hausſtand von größter Bedeutung: „Als dieſe Erwerbung vollzogen war“, ſagt Hahn, „als man Milch trank und den Ochſen vor den Pflug ſpannte, waren weſentlich alle Erwerbungen für unſere aſiatiſch-europäiſche Kultur vorhanden; alle Neuerwerbungen ſind ſchätzbare Erweiterungen geweſen, ſie konnten aber nichts Weſentliches an den Grundzügen ändern.“ Heute iſt das Rind für uns nächſt dem Schwein der wichtigſte Fleiſchlieferant. In Preußen ſteht es mit 31,54 Prozent des geſamten Fleiſchverbrauches an zweiter Stelle der Haustiere. Freilich iſt hier auch ſehr viel für die Verbeſſerung getan worden; ſtieg doch in 25 Jahren, von 1880 bis 1905, nach Profeſſor Eßlin („Jahrb. f. Nationalökonomie“, Bd. 43), das Schlacht⸗ gewicht um 27 Prozent. In etwa der gleichen Zeit, d. h. genau von 1883 bis 1911, ſtieg in Preußen der Rinderbeſtand von 83/4 Millionen Stück auf 11 Millionen. Schon ſeit vorgeſchichtlicher Zeit iſt das Rind über die ganze Alte Welt verbreitet und fehlt nur dort, wo, wie im hohen Norden, wirtſchaftliche Verhältniſſe ſeine Haltung unmöglich machen. Dieſer weiten Verbreitung entſprechend hat es auch eine große Vielgeſtaltigkeit des Körpers erworben. Neben Zwergen, die kaum 1 m Schulterhöhe erreichen, gibt es Rieſen Hausrind: Gliederung der Raſſen. 335 von fiber 1/2 m Höhe; neben Formen mit Rieſenhörnern, deren Länge bis 2 m geht, gibt es hornloſe Rinder. Bei einigen haben die Ohren bedeutende Vergrößerung erfahren, bei anderen hat ſich der Kopf ſtark verkürzt; es kann ſogar zu richtiger Schweinsbildung kommen, wobei der Unterkiefer den Oberkiefer weit überragt und die unteren Schneidezähne frei liegen, wie beim Niata⸗Rind. Selbſt mehr als vier Zitzen kommen bei einzelnen Kühen milchreicher Raſſen vor. Hahn hat acht Zitzen und noch kleine Warzen daneben bei einem Tiere geſehen. Nur der Rumpf und die Gliedmaßen haben, abgeſehen von ihrer Größe, keine Veränderungen er— fahren, weil der Menſch eben die Fleiſch- und Arbeitsleiſtung des Rindes brauchte und des— halb auf alles ſpieleriſche Beiwerk verzichten mußte, wie es beim Hunde ſo reichlich heran— gezüchtet worden iſt. Trotzdem macht die Gliederung der Rinderraſſen die größten Schwierigkeiten, falls man von der durch die Praxis gegebenen Einteilung nach der Arbeitsleiſtung oder nach der Herkunft in Höhen- und Tiefen-Rinder ab- ſehen will und eine wiſſenſchaft⸗ liche Syſtematik verlangt. Die äl⸗ teſte Einteilung rührt wohl von Rütimeyer her, der den Schädelbau zugrunde legte. Die ihrer Schädel— geſtalt nach dem Ur am nächſten ſtehende Rinder— ö — a) Schädel einer Primigenius kuh, b) Schädel einer Langſtirnkuh. Aus Werner, Rappe nannte er „Die Rinderzucht“, 3. Auflage, Berlin 1912. danach Primige- nius⸗Gruppe oder Urraſſen-Gruppe. Der Schädel iſt gekennzeichnet durch gerade Umriſſe, aus denen die ſchief nach vorn gerichteten Augenhöhlen kaum hervortreten, ebene Stirn, faſt gerade Zwiſchenhornlinie, ſchräg aufſteigenden Aſt des Unterkiefers und geſtielte Hornzapfen. Ihr gegenüber ſteht die weit zierlichere Brachyceros-Gruppe: die Stirn iſt nach rück— wärts über die geſtielten Hornzapfen ausgezogen und dadurch ſehr lang geworden, ſo daß Owen dieſe Gruppe als Bos longifrons (Langſtirnrind) bezeichnete. Zwiſchen den Augen— höhlen iſt die Stirn ſtark eingeſenkt und nach den Augenhöhlen zu ſehr verbreitert. Vor ihnen jest ſich der kleine, zierliche, verkürzte Geſichtsteil ſcharf ab. Der Gelenkaſt des Unter: kiefers ſteigt ſenkrecht an. Rütimeyer wählte den Namen Bos brachyceros, der auf deutſch Kurzhornrind bedeutet, nach der ihm zunächſt bekannten, tatſächlich kurzhörnig gewordenen Kaffe der Schweizer Pfahlbauten. Der Name ift aber inſofern unglücklich gewählt, als es auch Rinder mit ſehr langen Hörnern gibt, die dieſelben Schädelmerkmale haben. Wir werden hier die ältere, von Owen gegebene Bezeichnung Langſtirnrind vorziehen, zumal ſie das be— zeichnende Verhältnis des kurzen Geſichtes zu der langen Stirn trefflich wiedergibt. Dieſen beiden Gruppen geſellte der Schwede Nilsſon eine dritte hinzu. Deren Schädel iſt gekennzeichnet durch eine Stirn, die länger iſt als breit, einen mächtigen Wulſt zwiſchen 336 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. den Hörnern beſitzt und zwiſchen den Augen ſtark verbreitert iſt. Naſenbeine und Geſichts⸗ knochen find kurz, die Hornzapfen geſtielt. Nach ihrem hervorragendſten Merkmal, der um⸗ fangreichen Stirn, nennt Nilsſon den von ihm in ſchwediſchen Torfmooren entdeckten Ver— treter dieſer Gruppe Bos frontosus (Großſtirnrind), weshalb auch die ganze Gruppe als Frontosus-Gruppe bezeichnet wird. Eine abermalige Erweiterung erfuhr dies Raſſenſchema durch Wilckens, der den bisherigen Gruppen auf Grund von Befunden bei gewiſſen Rindern der öſterreichiſchen Alpen ſeine Brachycephalus- oder Kurzkopfgruppe hinzufügte. Sie weiſt eine noch ſtärkere Verkürzung des Geſichtes auf als die Langſtirngruppe, die Stirn iſt zwiſchen den Augen noch mehr ver- breitert, ihre Oberfläche unregelmäßig gewölbt. Dieſen Gruppen fügte Arenander noch eine fünfte hinzu, in der er die hornloſen Rinder als Akeratos-Öruppe vereinigen wollte. Und in allerneueſter Zeit glaubte Stegmann, dieſe N a) Schädel einer Großſtirnkuh, d) Schädel einer Kurzkopfkuh. Aus Werner, „Die Rinderzucht“, 3. Aufl., Berlin 1912. fünf Rindergruppen um eine ſechſte, die der aufrechthörnigen Rinder (Bos orthoceros), ver= mehren zu ſollen, deren wichtigſtes Raſſenmerkmal die nach oben gerichtete Stellung der Hörner ſein ſoll. Dieſe Gruppe umfaßt die roten Steppenrinder Südoſteuropas. Bemerkt ſei, daß es natürlich außer den genannten Merkmalen noch viele anatomiſche Unterſchiede im Gebiß und den einzelnen Knochen gibt, und daß wir nur die wichtigſten und am leichteſten erkennbaren aufführen. f Dieſem Raſſenſchema iſt nicht mit Unrecht der Vorwurf gemacht worden, daß es nur für Mitteleuropa aufgeſtellt iſt und ſelbſt hier nicht ohne Zwang auf die Eingruppierung der ver- ſchiedenen Rinderraſſen angewandt werden kann. Schon H. v. Nathuſius hatte 1875 darauf aufmerkſam gemacht, daß Tiere derſelben Raſſe, ja ſogar recht nahe Verwandte, einen ganz ab— weichenden Schädelbau haben können. Und Middendorff, dem wir eine genauere Kenntnis der ruſſiſchen, beſonders der nordruſſiſchen Rinder verdanken, konnte dieſe nicht in befriedigender Weiſe in das Rütimeyer-Wilckensſche Raſſenſchema einfügen. Noch ſchwieriger wird die An— wendung, wenn man auch den außereuropäiſchen Beſtand an Rindern und beſonders die Zebus mit heranzieht. So hat denn auch Duerſt nur zwei Gruppen anerkennen wollen, die er nach der Hornlänge als Langhorn- (Bos taurus macroceros) und Kurzhornrinder (Bos taurus Hausrind: Gliederung der Raſſen. 337 brachyceros) benennt. Doch ſcheint dieſe Einteilung nicht glücklich zu fein, da offenbar die mehr oder minder große Länge der Hörner von der Umgebung ſehr abhängig iſt. Wilckens hat für Brachyceros-Rinder und Hilzheimer für Frontosus-Rinder, die aus den Alpen nach Ungarn eingeführt wurden, gezeigt, daß ſie in der neuen Heimat in wenigen Generationen lange Hörner bekommen wie das einheimiſche Steppenvieh, dem ſie überhaupt bald in jeder Weiſe ähnlich wurden. Hierbei mag der ſüdamerikaniſchen Franqueiro-Rinder gedacht werden, deren gewaltig vergrößerte, 1— 2 m lange Hörner die ihrer europäiſchen Stammeltern bei weitem an Länge übertreffen. Das iſt ſicher eine Erwerbung, welche die Tiere in Südamerika infolge des Klimas gemacht haben. Eigentümlicherweiſe zeigen ſie dabei in der Form wieder eine auffallende Annäherung an die des Urs. Das Franqueiro-Rind iſt urſprünglich auf den Hochebenen der braſiliſchen Provinz San Paulo heimiſch geweſen. Nun hat zwar Duerſt durch eine Reihe geiſtreicher Verſuche feſtgeſtellt, daß die Geſtalt des Schädels von der Größe, Form und Richtung der Hörner beeinflußt wird; aber nach Hilzheimers Meinung trifft dieſer Einfluß nur die von den Hörnern belaſteten Teile des Schädels, wie z. B. die Zwi— ſchenhornlinie; das Grundgepräge wird nicht geändert. Bei einem hornloſen Rind bildet z. B. die hintere Begrenzungslinie der Stirn einen Halbkreis, es fehlen die beiden Ecken, die dadurch gebildet wer— den, daß die Hörner gewiſſermaßen bei ihrem Herauswachſen die Stirnknochen nach den Seiten und hinten mit herausziehen. Daß dies tatſächlich der Fall iſt, läßt ſich, wie Hilzheimer dargetan hat, ſo— wohl an der Entwickelung des Schädels lebender Rinder zeigen, als auch daran, daß in früher Jugend künſtlich enthornte Rinder einen ähnlichen „Nackenwulſt“ bekommen wie hornlos geborene. Wahr: ſcheinlich läßt ſich ſchon die konvexe hintere Begrenzungslinie der Stirn bei kurzhörnigen Rindern daraus erklären, daß die kleinen Hör⸗ d > 8 2 Schädel eines hornloſen ner nicht imſtande find, die Seiten der Stirn nach hinten und aus- Kindes. Aus M. Hilz⸗ wärts auszuziehen, ſo daß eben keine gerade Begrenzungslinie ent— e 1012. ſteht; ſo iſt die Stirn in der Mitte über die Hörner hinaus nach rückwärts ausgedehnt. Trotz dieſer und einiger anderer dadurch hervorgerufener Anderungen bleibt aber das eigentliche Gepräge des Schädels ſtets erhalten. Sowohl bei Schädeln künſtlich enthornter wie von Natur hornloſer Rinder wird man z. B. immer entſcheiden können, ob es ſich um ſolche von primigenem oder ſolche von brachycerem Bau handelt. So ſcheint doch dieſen Schädelformen ein tieferer Sinn innezuwohnen, und es dürfte vorläufig das beſte ſein, das Syſtem beizubehalten, das auf die Schädelform aufgebaut iſt, und den Zebus eine Sonderſtellung einzuräumen, jedoch ſo, daß ſie bei den Steppenraſſen mitbehandelt werden. Ihre Kopfform und Farbe nähert ſie dieſen am meiſten. Zudem iſt wenigſtens der afrika— niſche Zebu mit dem höckerloſen Rind durch allerlei Übergänge verbunden. Es iſt alſo nicht un— wahrſcheinlich, daß der Zebu aus dem gewöhnlichen Rind als Steppenform hervorgegangen iſt und der Fetthöcker zwiſchen den Schultern, der ja nicht durch Knochen geſtützt wird, nur eine Nahrungsſammelſtelle iſt. Die Entwickelung dieſes Höckers hängt nicht nur vom Ernährungs— zuſtand des Tieres ab, ſondern er ſchwankt auch ſonſt bei den einzelnen Raſſen erheblich an Größe, und es gibt manche Raſſen, bei denen höckerloſe Einzeltiere neben höckertragenden vor— kommen. Zudem hat Gmelin in Gilan (Perſien) ſogar Rinder mit doppeltem Fettbuckel geſehen. Die nächſte Frage iſt nun die, ob wir die ſechs erwähnten Schädelformen, von denen Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 22 338 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. uns, nach Schoetenſack, die fünf erſten fertig ausgebildet ſchon zur Steinzeit entgegentreten, auf ebenſo viele Wildrinder zurückzuführen haben, wie das geſchehen iſt. Für die hornloſen Rinder iſt das zunächſt ohne weiteres von der Hand zu weiſen. Schon die Erwägung, daß wilde hornloſe Vorfahren unſerer heutigen Rinder nur in weit entlegenen geologiſchen Zeiträumen gelebt haben und zu der Zeit, wo der Menſch erſcheint, längſt von der Erde verſchwunden waren, ferner die Tatſache, daß es auch von Ziegen, Schafen, Büffeln, Jaks hornloſe Formen im Hausſtand gibt, führen uns zu dem Schluß, daß hornloſe Rinder nur Erzeugniſſe der menſchlichen Züchtungskunſt ſind. Als beweiskräftig dafür iſt anzuſehen, daß es Übergänge zwiſchen hornloſen und gehörnten Rindern gibt, indem manchmal die Hörner immer mehr verkümmern, dann aber auch ſchlapphörnige Formen auftreten, bei denen die Hornzapfen nicht mehr feſt am Schädel ſitzen. Aber auch von den noch übrigbleibenden vier Formen laſſen ſich zwei ohne weiteres auf zwei andere zurückführen. Die Großſtirnrinder werden allgemein als die Üppigkeitsform der Urrinder aufgefaßt. Ihre allmähliche Entwickelung aus letzteren läßt ſich in den Schweizer Pfahl— bauten verfolgen, wo Rütimeyer in einer von ihm Bos trochoceros genannten Rinderform den Übergang gefunden zu haben glaubt. So kommt es auch, daß der Begriff Frontosus-Rind ſehr ſchwankend iſt und kaum zwei gleiche Schädel dieſer Gruppe gefunden werden. Die Kurzkopfrinder haben ſich wohl durch Verkürzung des Geſichts, gewiſſermaßen als Schweinsbildung, gelegentlich aus allen Hauptgruppen entwickelt. Es bleiben ſomit noch die Brachyceros- und die Primigenius-Gruppe übrig. Bei dieſen beiden begegnet uns wieder die eigentümliche Tatſache, daß gerade die den wilden Rindern unähnlichſte Form, in Europa wenigſtens, zuerſt auftritt. Schon die allertiefſten Schichten der Affaldsdynger, die faſt noch an der Grenze zur älteren Steinzeit ſtehen, enthalten, nach Winge, Reſte brachycerer Rinder. Später ſind dieſe über ganz Europa verbreitet und beſonders auch in den Pfahlbauten zahlreich, woher ſie Rütimeyer zuerſt als Torfrind, Bos brachyceros, beſchrieb. Die Herkunft dieſer eigentümlichen, von allen bekannten Wildformen abweichenden Form hat zu mannigfachen Erörterungen Anlaß gegeben. Sogar an den Wiſent iſt einmal als Stamm⸗ vater gedacht worden. Rütimeyer lehnte den Ur als Stammvater ab und glaubte, die Stamm— quelle außerhalb Europas ſuchen zu müſſen. C. Keller leitet das Torfrind über die Zebus vom Banteng ab und Adametz gar von einem wilden Brachyceros-Nind aus Oſteuropa. Neuerdings hat v. d. Malsburg eine beachtenswerte Vermutung aufgeſtellt. Danach habe der große Ur des Pleiſtozäns im Diluvium einen kleinen Nachkommen gehabt, der ſich wieder in vier Formen geſpalten habe. Dieſe ſeien dann die Stammformen für die verſchiedenen Gruppen des Hausrindes geworden. Eine ſolche Annahme ſteht aber inſofern nicht auf dem Boden der Tatſachen, als wohl eine Zwergform des Urs durch geologiſche Funde nachgewieſen wird, aber nicht ein Bos urus minutus brachyceros, ein brachycerer Zwergur, oder ein Bos urus minu- tus akeratos, ein hornloſer Zwergur. Aus dieſem Grunde muß auch Adametz' Theorie ab— gelehnt werden, die das Kurzhornrind von einem wilden Bos brachyceros europaeus ab- leiten will. Wohl gehört der von Adametz gefundene Schädel, auf den dieſe Anſicht gegründet iſt, einem Brachyceros-Rinde an; aber den Beweis, daß jemals irgendwo ein wildes Bra- chyceros-Rind lebte, vermag dieſer eine einzige Schädel nicht zu erbringen. Von einem wilden Stammvater eines Haustieres muß doch zum mindeſten erwartet werden, daß er irgendwo in großer Individuenzahl gelebt hat. Auch die Kellerſche Ableitung der Brachyceros-Gruppe vom Banteng iſt abzulehnen. In der Ausbildung des Hinterhauptes ſchließt ſich der Zebu vollſtändig den taurinen Rindern Hausrind: Gliederung der Raſſen. Stanumvaterichaft. 339 an und entfernt ſich ganz vom Banteng. Hierauf hat Duerſt zuerſt aufmerkſam gemacht, und Laurer („Ber. d. Landwirtſch. Inſt. d. Univ. Königsberg“, 1913) hat das in eingehender Betrachtung näher begründet. Der letztere findet auch den Schädel des afrikaniſchen Zebus ſo eigentümlich, daß er ihn für einen ſelbſtändigen Typ hält, der niemals ein Übergangsglied zwiſchen indiſchem Zebu und Brachyceros-Rind darſtellen kann. Dann hat Hilzheimer darauf hingewieſen, daß ſich auch anthropologiſch die Annahme durch nichts begründen läßt, daß in ſo alten Zeiten, wo uns das Brachyceros-Rind zuerſt begegnet, im Verbreitungsgebiet des Bantengs ein derärtig hoher Kulturzuſtand vorhanden war, der uns den Erwerb und den Ausgangspunkt einer Haustierzucht auch nur wahrſcheinlich machen könnte. Übrigens ſetzt ſich ja auch der Buckel des Zebus aus Fett zuſammen und iſt auf die Gegend hinter den Schultern beſchränkt; es fehlt dem Zebu aber vollſtändig jene für die hinterindiſchen Wildrinder, alſo auch den Banteng, ſo bezeichnende, durch Verlängerung der Dornfortſätze gebildete Rückengräte. Auch hat der Zebu wie alle Rinder eine volle Wamme und nicht wie der Banteng eine an der Kehle unterbrochene. Schließlich muß die beſchränkte Fruchtbarkeit der Baſtarde des Balirindes (der domeſtizierten Form des Bantengs) mit Zebu und Hausrind in Betracht gezogen werden, während Zebu- und Hausrind-Miſchlinge unbeſchränkt fruchtbar find. Nach Ablehnung aller dieſer Anſichten bleibt nur der Ur als Stammvater der Haus— rinder übrig. Wir müſſen dann annehmen, daß infolge äußerer Verhältniſſe unter der Hand des Menſchen die verſchiedenen Rindergruppen aus ihm hervorgegangen ſind. Zwar wendet ſich Laurer auch gegen dieſe Annahme, da er feſtgeſtellt haben will, daß durch Ernährungs— verhältniſſe die Kopfform des Rindes nicht verändert wird. Da wir aber kein anderes tau— rines Wildrind kennen, das irgendwo in größerer Individuenanzahl gelebt hat, ſo müſſen wir vorläufig daran feſthalten, daß der Ur allein der Stammvater ſämtlicher Hausrinder iſt. Ihm ſtehen die Primigenius-Rinder am nächſten. Aus ihm find aber auch die Frontosus- und die Brachyceros-Form mit ihrem verkleinerten Geſicht und in noch ſtärkerer Umbildung die Brachycephalus-Form hervorgegangen. Die hornloſen Rinder können ſich unter ungünftigen Verhältniſſen, wie es ſcheint, bei großer Hitze oder großer Kälte, überall aus gehörnten ent— wickeln. Der Bos orthoceros Stegmanns iſt nach ſeiner eigenen Anſicht nichts anderes als ein Kreuzungsprodukt irgendeiner Rindviehraſſe mit dem Zebu, „das ſich durch Anpaſſung an ein kontinentales Steppenklima zu einer gut charakteriſierten Raſſengruppe entwickelt hat“. Eine Schwierigkeit bei dieſer Ableitung von einer einzigen Art beſteht nur darin, daß die Langſtirnrinder, alſo gerade eine abgeleitete Form, mindeſtens in Europa früher als die anderen erſcheinen. Nach Winge ſind die Rinder der tiefſten Schichten der Affaldsdynger Langſtirn— rinder. Das läßt aber höchſtens den Schluß zu, daß der Ausgangspunkt der Rinderzucht nicht in Europa lag. Es iſt auch eine häufig beobachtete Tatſache, daß gerade die erſten Geſchlechter friſch gefangener Tiere beſonders ſtark abändern und ſich von der Wildform beſonders weit entfernen. Erſt wenn man deren Lebensgewohnheiten beſſer erkannt hat, den Tieren natur— gemäßere Bedingungen bieten kann, wird die Wildform meiſt beſſer bewahrt. Bei der Bedeutung, die wir dem Ur, Bos primigenius, zuerteilen, iſt es nötig, näher auf ihn einzugehen, obwohl er heute überall ausgeſtorben iſt. Die Kenntnis, daß es in Europa zwei Wildrinder gab, Wiſent und Ur, war nach dem Ausſterben des Urs allmählich verlorengegangen. Die Erinnerung an dieſen war ſogar ſo vollſtändig verſchwunden, daß der Name des Urs als Auerochs von den Schriftſtellern etwa ſeit dem 15. Jahrhundert auf den Wiſent übertragen wurde, obwohl ſich der Ur mit ſeinem geraden Rücken und ſeinem am ganzen Körper ziemlich gleichlangen Haar von den am Vorderkörper bemähnten Wiſent mit dem ſtark erhöhten Widerriſt 22 * 340 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. ſcharf genug unterſchied. Erſt Cuvier hat auf Grund von Knochenfunden auf das ehemalige Vorhandenſein der zwei Wildrinder in Europa hingewieſen. Namentlich Nehring gebührt dann das Hauptverdienſt, überzeugend dargetan zu haben, daß auch der Ur nicht nur überhaupt mit dem Menſchen zuſammen, ſondern ſogar noch in hiſtoriſcher Zeit in Europa gelebt hat. Ja er hat ſich ſogar bis in die Neuzeit an einzelnen Stellen erhalten, allerdings wohl nicht in urſprünglicher Wildheit, ſondern gehegt in Parken, ähnlich wie der Wiſent in Bialowies. Ob hierzu auch die vom Abt Rumpler von Vorbach gegen Ende des 15. Jahrhunderts er— wähnten Ure des Neuenburger Waldes in Niederbayern gehören, mag zweifelhaft erſcheinen. Sicher trifft dies jedoch zu für die meiſten Ure, die im 16. Jahrhundert verzeichnet werden. In Maſovien wurden in den letzten Jahrzehnten vor dem Ausſterben des Urs genaue Liſten über dieſe Tiere geführt. Laut den von Jarocki veröffentlichten Luſtrationsprotokollen ſtarb hier der letzte Ur, eine Kuh, im Jahre 1627. Das iſt die letzte ſichere Jahreszahl. Wenn Swiecicki in ſeiner 1634 erſchienenen Beſchreibung des Herzogtums Maſovien noch Ure er— wähnt, ſo ſpricht er wohl von vergangenen Zeiten. Außer dieſen ſchriftlichen Aufzeichnungen ſind aber auch Bilder des Urs auf uns ge— kommen. Zu den beſten Darſtellungen zählen die auf altaſſyriſch-babyloniſchen Reliefs meiſt bei Jagdſzenen dargeſtellten Ure. Dieſen kommt inſofern noch eine beſondere Bedeutung zu, als ſie, wie Schrader („Sitzber. d. Preuß. Akad.“, 1892) ausführt, Anlaß wurden zur Sage von dem Einhorn. Stets wurden nämlich im alten Meſopotamien die Ure von der Seite dar— geſtellt derart, daß das eine Horn das andere deckt, alſo nur ein Horn abgebildet iſt. Dieſe Dar— ſtellungen wurden von den Perſern in Babylon geſehen und verſtändnislos im Königspalaft von Perſepolis wie andere babyloniſche Darſtellungen kopiert. Denn damals war der Ur in Meſopotamien ſchon ausgeſtorben. In Perſepolis aber ſah ſie der griechiſche Arzt Kteſias, der das Einhorn zuerſt erwähnt in Mißdeutung jener Bilder. Ein zweites Mal wurden die vorder— aſiatiſchen Ure zu Einhörnern in Luthers Bibelüberſetzung, wo Luther das hebräiſche Wort rem mit Einhorn verdeutſcht. Rem iſt aber das aſſyriſche rimu, die Bezeichnung für den Ur. Auch aus Europa ſind zahlreiche Urbilder bekanntgeworden, ſowohl aus dem Altertum wie aus neuerer Zeit. Das beſte von allen iſt das „Augsburger Urbild“. Es wurde von dem engliſchen Zoologen H. Smith bei einem Augsburger Altertumshändler entdeckt. Der Ent— decker ließ eine Nachbildung davon anfertigen, die er 1827 veröffentlichte. In einer Ecke des Bildes ſtand das Wort „Thur“, die polniſche Bezeichnung für den Auerochſen. Das Original iſt leider wieder verſchwunden. Nach dieſen Darſtellungen nun, den Beſchreibungen und den zahlreichen Knochenfunden entwirft Hilzheimer, der alle Nachrichten über den Ur geſammelt hat („Jahrb. f. wiſſenſch. u. prakt. Tierzucht“, 1910), etwa folgende Beſchreibung des wichtigen Tieres: Der Ur oder Auerochſe, Bos primigenius Bajan., war ein großes, jedoch leichtgebautes Rind, mit gerader Kruppe und nach dem Widerriſt zu etwas anſteigendem Rücken. Der kurze Schwanz reichte wenig über die Hacken hinab. Der Kopf hatte eine gerade Profillinie. Die ſehr langen Hörner waren bei vollſtändig erwachſenen Stieren ſeitwärts, dann ſtark vorwärts und etwas aufwärts gebogen. Ihre Farbe war wahrſcheinlich weißlich hornfarben mit ſchwarzer Spitze, doch iſt dies nicht ſicher zu ſagen. Bekleidet waren die Tiere mit langem, im Vergleich zum Hausrind ſtrup— pigem Haar, deſſen Farbe wohl kein reines Lackſchwarz, ſondern eher ein tiefdunkles Schwarz— braun war, etwa wie beim Gayal. Kühe und Kälber waren heller, wohl rotbraun. Längs des Rückens verlief ein ſchmaler hellerer, nicht rein weißer Streifen; ebenſo ſcheinen, nach dem Augsburger Urbilde zu urteilen, auch das Kinn und die Einfaſſung des Flotzmaules gefärbt Ur: Alte Nachrichten. Bilder. Körperbeſchreibung. Abänderungen. Verbreitung. 341 geweſen zu ſein, wahrſcheinlich auch der Bauch und die Innenſeite der Gliedmaßen. Das ergibt alſo ein Bild, das mit dem unſerer Hausrinder große Ahnlichkeit zeigt. Die Art war offenbar großen Einzelabänderungen unterworfen. Es iſt aber bisher nicht gelungen, mit Sicherheit beſtimmte örtlich oder zeitlich begrenzte Unterraſſen zu erkennen. Nur eine Form, der Zwergur, Bos primigenius minutus v. d. Malsburg, hebt ſich ſchärfer ab. Dieſes Tier, das uns v. d. Malsburg („Bullet. Acad. Cracovie“, 1911) nach Schädelfunden kennen lehrte, gleicht, abgeſehen von der Kleinheit, in allen Stücken ſeinem großen Verwandten. Während bei dieſem die vordere Schädellänge kaum unter 640 mm fiel, ſtieg ſie bei jenem nicht über 500 mm. Dieſer Zwergur ſcheint auf Mitteleuropa beſchränkt geweſen und in den Nie— derungen der Rhein-Maasmündung beſonders häufig geweſen zu ſein. Über ſein zeitliches — — — — n ——khb 1 1 Augsburger Abbildung des Urs lechten Auerochſen). Erſcheinen ſowie darüber, ob er hier neben dem großen Ur gelebt hat, läßt ſich nach den bis— herigen Funden nichts Genaueres ſagen. Das Verbreitungsgebiet des Urs war ſehr groß. Es umfaßte ganz Europa, Zentral- und Vorderaſien. Nach Norden in Sibirien ging er wohl nicht ſo weit wie der Wiſent, dagegen nach Süden weiter. Er iſt in die Ebenen Meſopotamiens und Paläſtinas hinabgeſtiegen, wäh— rend der Wiſent höchſtens bis auf die dieſe Ebenen im Norden begrenzenden Berge nach Süden reichte. Daß der Ur in Vorderaſien mit dem Menſchen zuſammenlebte, iſt ſchon aus den vor— hergehenden Ausführungen zu erſehen. Auch nach Nordafrika iſt er gelangt. Nachdem foſſile Reſte von ihm aus Algier ſchon längere Zeit bekanntgeworden waren, hat neuerdings Hilz— heimer auf einen unzweifelhaften Urſchädel aus Agypten hingewieſen, der ſich im Stuttgarter Naturalienkabinett befindet. Da ſo das Vorkommen des Urs in Agypten unzweifelhaft feſt— geſtellt iſt, glaubt Hilzheimer auch bildliche Darſtellungen des Urs in Agypten nachweiſen zu können. Schon längſt waren den Forſchern zahlreiche ägyptiſche Bilder von Jagden auf wilde Rinder aufgefallen. Man hatte die Tiere meiſt für verwilderte Rinder erklärt, eine Anſicht, die ſehr richtig ift, ſoweit es ſich um gefleckte oder Buckelrinder handelt. Auf den Bildern 342 16. Ordnung: Jaarhufer. Familie: Horntiere. des Alten Reiches dagegen finden wir oft ein wildes Rind, das einfarbig rot iſt mit weißem Sattel. Später verſchwindet dieſes Rind ganz. Hierin glaubt Hilzheimer („Das Grabdenkmal des Königs Sahure“) die letzten Spuren des wilden Urs in Agypten zu erkennen, der ſchon gegen Ende des Alten Reiches ausſtarb. Wo iſt nun der wilde Ur zuerſt in den Hausſtand des Menſchen übergeführt worden? Ausſchließen müſſen wir nach dem früher Geſagten Europa, aber auch ganz Oſtaſien. Die Verpönung des Milchgenuſſes läßt erkennen, daß hier nicht die urſprüngliche Heimat des Hausrindes ſein kann. Hahn kommt aus kulturhiſtoriſchen Erwägungen zu der Anſicht, daß die Gewinnung des Hausrindes im Zuſammenhang ſtehe mit gewiſſen religiöſen Kulten, deren Ausgangspunkt Meſopotamien geweſen ſei. Tatſächlich laſſen ſich dort noch faſt überall Spuren einer ehemaligen Heilighaltung des Rindes nachweiſen. Aber nicht nur in Meſopo— tamien, faſt noch mehr ausgebildet war der Rinderkultus im alten Agypten mit ſeinen heiligen Stieren, den Apis, Mnevis. Nach indiſchen Sagen iſt die heilige Kuh Nandu das erſtgeſchaffene aller Weſen. In der deutſchen Götterſage leckt eine Kuh Audhumla das erſte Menſchenpaar aus ſalzigen Eisblöcken. Die Dinka haben noch heute einen Rinderkultus, der an den der alten Agypter gemahnt. Das ſind wenige Beiſpiele, die ſich aus den Sagen und Gebräuchen faſt aller Völker leicht um Dutzende vermehren ließen. Die erwähnten aſſyriſchen und ägyp— tiſchen Jagdſzenen können freilich für den Ausgangspunkt der Rinderzucht ebenſowenig aus— ſagen wie auf griechiſchem Boden gefundene ähnliche Darſtellungen, von denen die auf den Goldbechern von Vaphio am berühmteſten geworden ſind, da zur Zeit ihrer Herſtellung längſt Hausrinder überall verbreitet waren. Hilzheimer hat dann darauf hingewieſen, wie ſonderbar es ſei, daß von den beiden auf ſo großen Gebieten nebeneinander lebenden Wildrindern nur der Ur gezähmt worden ſei, nicht auch der Wiſent. Daß letzterer nicht etwa ſchwer zu zähmen iſt, haben die Verſuche Falz-Feins erwieſen. So meint denn Hilzheimer, die Gewinnung der Hausrinder könne nur dort erfolgt ſein, wo der Ur allein gelebt hat. Das ſind aber, wie wir ſahen, die Länder im Südoſten des Mittelmeeres. So weiſen alſo zoologiſche und kulturhiſtoriſche Erwägungen auf annähernd dieſelben Gegenden. 8 Ein Bedenken gegen die alleinige Stammvaterſchaft des Urs könnte noch aus der ſo mannigfaltigen und von der des Urs ſo auffallend abweichenden Farbe vieler Hausrinder ab— geleitet werden. Hilzheimer („Geſchichte unſerer Haustiere“) hat aber gezeigt, wie man die verſchiedenen Farben des Hausrindes von der Farbe des wilden Urs ableiten kann. Das grau— braune Gebirgsvieh zeigt uns, wie durch ein allmähliches Ausblaſſen von oben her die dunkle Farbe immer heller grau wird. Bei dem Schwyzer Vieh iſt faſt noch die Farbe des Urs er— halten. Der Montavoner Schlag ändert von ſchwarzbraun bis dunkel graubraun ab. Die Algäuer Rinder haben meiſt einen dunkel ſchiefergrauen Ton, der aber im Sommer heller ift. Sie blaſſen bis zu hellgrauen und ſelbſt ſilberfarbenen Tönen aus. Stets ſind bei den ſehr hellen Tieren die unteren Teile der Körperſeiten dunkler gefärbt. Die ſilbergrauen Steppen— rinder führen uns noch einen Schritt weiter. Bei ihnen hat ſich häufig der weiße Rückenſtreifen des Urs über den ganzen Rücken und die oberen Teile der Körperſeiten ausgedehnt, nur die unteren Teile, der Hals und die Seitenteile des Kopfes behalten oft noch die dunklen, grauen Farbentöne bei. Die nächſte Stufe führt zu ganz weißen Tieren. Eigentümlich iſt, daß ſich oft die dunkle Farbe des Urs noch an den Ohren oder in Geſtalt dunkler Flecke, als „Brille“, an den Augen erhält. Rote oder rotbraune Farben beim Rinde können wohl als Beibehal— tung des Jugendkleides gedeutet werden. Daß die Jungen des Urs, wie die vieler im Alter Ur: Überführung in den menſchlichen Hausſtand. Steppenraſſen— 343 ſchwarzen Horntiere, rotbraun waren, ſahen wir. Auch die Jungen der ſilbergrauen Rinder, mancher grauen Zebus, ſelbſt der Büffel zeigen rote oder rotbraune Farbentöne. Schecken entſtehen wohl dadurch, daß die Ränder der weißen Zeichnung des Bauches und Rückenſtreifens zackig werden. Als Beiſpiel dafür dienen die ſogenannten „Rückenbleſſen“; treten die Zacken von oben und unten zuſammen, ſo zerreißt die einheitliche Farbe der Rörperfeiten in Flecke. Da, wie Verſuche beim Meerſchweinchen lehren, bei Schecken nicht die Zeichnung, ſondern nur die Anlage zur Scheckung vererbt wird, mögen ſich die Flecke ſpäter auch über den Rücken aus— gedehnt haben. Schwarze Rinder können wir uns vielleicht entweder unmittelbar als Schwärz— linge entſtanden denken oder dadurch, daß die ſchwarze Farbe allmählich das Weiß überwucherte. anche Farben entſtehen auch durch Kreuzung. Gelbes oder ſemmelblondes Vieh mag einmal durch Ausblaſſen der dunkelbraunen Farbentöne des Urs entſtanden ſein. Es kann aber auch aus Kreuzungen entſtehen. Hilzheimer beobachtete, daß aus Kreuzungen des ſchwarz— rückenbleſſigen Vogeſenviehes mit rotſcheckigen Simmentalern Gelbſchecken hervorgehen. Werner („Geſchichte des europ. Hausrindes“) bringt einige Beiſpiele dafür, daß auch aus Kreuzungen von Braunvieh und rotem Vieh gelbes Vieh zuſtande kommen kann. Anderſeits ergibt eine Kreuzung des ſchwarzſcheckigen, aber nicht rückenbleſſigen Holſteiner Rindes mit einfarbig rotem Angler Vieh einfarbig ſchwarze Nachkommen. Und ſchließlich verdankt Hilzheimer Duerſt die Nachricht, daß bei Lyon faſt aus jeder Kreuzung von Schweizer Braunvieh mit dem dortigen Fleckvieh tigerſtreifige Rinder hervorgehen. Auch Franges führt das Auftreten von Streifen bei dem Busad, einem Rind Kroatiens, auf eine ehemalige Kreuzung von dunklerem Vieh mit gelbbraunem zurück. So können wir alle nur vorkommenden Farben des Hausrindes aus der des Urs ableiten. Nur für eine bisher noch nicht erwähnte Zeichnung, die aus kleinen runden Flecken beſteht, die ſogenannten „leopardenfleckigen“ Rinder, iſt eine Herleitung noch nicht gefunden. Daß dieſe Zeichnung ſehr alt iſt, lehren uns zahlreiche altägyptiſche Bilder. Nachdem wir im vorhergehenden die verſchiedenen Formen und Farben des Rindes kennen— gelernt haben, wollen wir verſuchen, einen Überblick über die wichtigſten Raſſen zu gewinnen. Dieſe Überſicht kann aber bei der Formenmannigfaltigkeit ſelbſt für die deutſchen Raſſen, die vorwiegend berückſichtigt werden ſollen, nur unvollſtändig ſein. I. Urraſſen-Gruppe. Sie ſteht dem Ur am nächſten, ſo daß wir unſere Betrachtungen mit ihr beginnen wollen. Als gemeinſame Kennzeichen der zu dieſer Gruppe gehörigen Rinder gibt Wilckens („Die Rinderraſſen Mitteleuropas“) an: „Langer, ſchmaler Kopf mit ebener Stirnfläche, ge— rader Zwiſchenhornlinie, ſtarken, walzenförmigen, meiſt langen Hörnern, welche ſeitwärts, auf— wärts und in der Regel etwas vorwärts gerichtet ſind. Die Augen ſtehen ſchief nach vorn; das Flotzmaul iſt meiſt ſchwarz gefärbt; der Rücken iſt ſelten gerade; der Anſatz des Kreuzes an die Lende erſcheint auffallend erhöht, dann aber fällt das Kreuz nach hinten und ſeitwärts raſch ab, der Schwanz iſt tief angeſetzt. Der langgeſtreckte Körper ruht auf hohem Geſtell.“ Dieſe Raſſengruppe zerfällt in drei Untergruppen, deren Verbreitung inſofern intereſſant iſt, als ſich ihre Verteilung in Europa vollkommen mit der anderer Haustiergruppen deckt, indem die eine durchaus ſüdlich, die anderen beiden nördlich der großen Kettengebirge leben. 1. Untergruppe der Steppenraſſen. Es ſind meiſt ſilbergraue Tiere, die jedoch auch hellgrau bis faſt weiß ſein und ebenſo dunkler grau werden können. Die Stiere ſind dunkler als Kühe und Kälber. Letztere zeigen 344 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. oft einen rötlichen Farbenton. Die Zeichnung des Urs iſt noch inſofern zu erkennen, als die Rückenmitte ſtets heller iſt und die unteren Teile der Körperſeiten am dunkelſten ſind. Es handelt ſich aber meiſt nur um Schattierungen, nicht um ſcharfe Farbenabgrenzungen. Faſt ſtets iſt das Flotzmaul von einer mehr oder weniger deutlichen weißen Binde eingefaßt. Flotz— maul, Klauen und Schwanzquaſte find ſchwarz oder ſchiefergrau; die Hörner ſind lichtgelb mit ſchwarzer Spitze und werden namentlich bei den Kühen und Ochſen ſehr lang, bis zu 1½ m. Makovicky gibt in ſeiner Monographie der ungariſchen Rindviehraſſen folgende Zahlen: Kühe 54—82, Stiere 54— 72, Ochſen 96—101 em Hornlänge. Der Abſtand der Hornſpitzen ſchwankt zwiſchen 130 und 199 em. Ihre Geſtalt iſt außerordentlichen Schwan— kungen unterworfen. In Ungarn legt man großen Wert auf Feinheit, Farbe und Form der Hörner. Am beliebteſten und verbreitetſten ſind ſeitwärts, vorwärts und aufwärts, mit den Spitzen häufig rückwärts gebogene; ſie ſind bis zu zwei Drittel ihrer Länge weiß, dann bis zur Spitze ſchwarz. Der Kopf iſt keilförmig, ſchmal, verhältnismäßig klein, das Profil faſt gerade. Die kleinen Ohren tragen immer nur kurze Haare, der Hals eine kleine Wamme. Der langgeſtreckte Rumpf iſt hochgeſtellt, die Haut derb, das Haar grob, ſtruppig, häufig gekräuſelt. Es ſind eben Steppentiere, von denen gute Marſchleiſtung zu erwarten iſt. Dem— entſprechend iſt auch die Zugleiſtung gut, Maſtfähigkeit und Milcherzeugung dagegen ſind gering. Auf letzteres deutet ſchon äußerlich das kleine, ſchwach entwickelte Euter, ebenſo wie die wenig entwickelten, nicht tief herabreichenden Schenkel, ſogenannte „leere Hoſen“, geringe Maſt— fähigkeit anzeigen. Das Lebendgewicht dürfte 500 kg kaum überfteigen, der jährliche Milch- ertrag auf 600 — 800 Liter zu veranſchlagen fein. Die Milch iſt außerordentlich fettreich. Das Hauptverbreitungsgebiet ſind die Steppen Südoſteuropas, von wo beſonders die Ungariſchen Steppenrinder bekannt find. Von hier dehnen ſich einerſeits die Steppen— raſſen durch Südrußland (Taf. „Paarhufer XVIII“, 3) nach Zentralaſien aus, gehen durch Sibirien und finden ſich, wie R. Müller mitteilt, ſogar in Japan. Auf der 18 Seite ſind ſie nach Weſten bis Italien, Spanien und Portugal vorgedrungen. Sie ſind aber wohl, durch Phönizier eingeführt, nach Spanien eher gekommen als nach Italien. In erſterem Lande ſind ſie, nach Ausweis ſehr ſchön gearbeiteter bronzener Rinderköpfe, ſchon ſeit vor— geſchichtlicher Zeit bekannt. Die Zeit ihrer Einführung in Italien iſt nicht ſicher feſtzuſtellen, dürfte aber nicht vor der Völkerwanderung anzuſetzen ſein. Auf der Pyrenäenhalbinſel iſt ihr Schädel vielfach brachyzephal geworden. Doch teilte Adametz Hilzheimer brieflich mit, daß es auch in Spanien noch Vertreter der Urraſſe gebe. Dieſer Rindergruppe gehören auch die zu den Stierkämpfen in Spanien 3 meiſt brachyzephalen Rinder an. Nicht beſonders groß, aber ſchön und ungemein kräftig, zeichnen ſie ſich aus durch ziemlich lange, auswärts gebogene und ſehr ſpitzige Hörner; die Färbung iſt in der Regel, aber nicht immer, dunkel kaſtanien- bis ſchwarzbraun. „Das Leben eines Stieres, der ſich durch ſeine unliebenswürdigen Anlagen oder durch ſein Außeres für das Stiergefecht zu eignen ſcheint“, ſo ſchildert W. Joeſt, „verläuft etwa folgendermaßen: Geboren auf einem der oft bis 10000 Hektar großen Weidegüter Kaſtiliens oder Andaluſiens, wird er, ſobald er das Alter von einem Jahre erreicht hat, mit ſeinen Genoſſen zuſammengetrieben, um gebrannt, d. h. mit dem Eigentumszeichen ſeines Herrn verſehen zu werden. Die Hirten, die mit dem mit einem Stachel verſehenen langen Stocke die Tiere zuſammentreiben, merken bald, welcher Stier ſtreitluſtig iſt und welcher nicht. Solche Bullen, die trotz der empfindlichen Stiche mit dem Stachelſtocke den Treiber wiederholt angreifen, werden zu weiterer Beobachtung aufs neue zur Weide getrieben; die zahmeren Tiere dagegen verwandelt man in Ochſen. Die bösartigen Paarhufer XVII. — 1. Damara-Rind. S. 346. — L Bab- Berlin phot. 4. Schottiſches Hochlandsvieh. Re — 2. Watufli-Rind. S.346. — Hauptm. Kraut phot. S. 344. — Friedr. Falz-Fein phot. S. 345. — Charles Reid-Wishaw b. London phot. 5. Angler Kuh. Deutſche Landwirtichaftsausitellung Hamburg 1910, Nr. 1142. S. 348. — W. Greve-Berlin phot. 8 5 — N 2 6. Schwarzweiße Oitfrielin. Deutiche Tandwirtſchaftsausſtellung Hamburg 1910, Nr. 449. S. 348. — W. Greve-Berlin phot. 7. Shorthorn-Ochfe. Maſtviehausſtellung Hamburg Okt. 1905. S. 348. — Th. Harder-Lunden phot. Ungariſche und ſpaniſche Steppenrinder. Schottiſches Hodhlandspich. 345 Stiere werden nun zunächſt mit aufgepolſterten oder durch aufgeſetzte Kugeln ungefährlich ge— machten Hörnern in Dörfern oder kleineren Städten, die ſich keine ‚Stiere bis zum Tode‘ leiſten können, auf dem Hauptplatze gegen die Straßenjugend oder andere Liebhaber, die hier— bei ihre Studien machen, losgelaſſen. Hunderte von großen und kleinen Kindern ärgern und quälen dann den Bullen mit allen möglichen Mitteln, ohne ihn im übrigen zu verletzen, und das ſeiner Waffen beraubte Tier, das noch nie zehn Menſchen auf einmal beiſammen geſehen hat, benimmt ſich hierbei natürlich äußerſt tölpelhaft und unbeholfen. Haben die Stiere dann ein Alter von 4— 5 Jahren erreicht, ſo ſucht ſich ein Unternehmer von Stiergefechten die ihm paſſenden Tiere zu oft außerordentlich hohen Preiſen auf der Weide aus und ſchafft ſie in der Nacht vor dem Gefechte in die bei jedem Amphitheater ſich befindenden Ställe. Als Führer der wilden, menſchenſcheuen Tiere dienen zahme Ochſen, die für ihre Dienſtleiſtungen ebenſo abgerichtet ſind wie die beim Elefantenfange in Indien zur Verwendung kommenden zahmen Elefanten.“ Von den Rindern Spaniens ſtammt wohl auch der größte Teil des Rinderbeſtandes von Südamerika. Nach Amerika, dem ja eigene taurine Rinder fehlten, brachte ſie Kolumbus auf ſeiner zweiten Reiſe, und zwar nach San Domingo. Hier vermehrten ſie ſich ungeheuer ſchnell, jo daß bereits 1587 von der Inſel 35000 Rinderhäute ausgeführt werden konnten. Um 1540 Berpflanzte man ſie aus Spanien nach den Ländern Südamerikas. Dort wurden ſie die Stamm— eltern der ungeheuren Rinderherden, die noch heute die Pampas Südamerikas bevölkern und hier auch teilweiſe verwildert waren. Dieſe gewaltigen Rinderſcharen, die uns den Liebigſchen Fleiſchextrakt und die Fleiſchkonſerven liefern, ſtammen von 7 Kühen und einem Stier, den 1546 der Kapitän Juan de Salaza von Andaluſien zunächſt nach Braſilien und von hier nach Paraguay hatte bringen laſſen. Auch nach Britannien iſt die Steppenraſſe vorgedrungen, und zwar ebenfalls ſchon in vorgeſchichtlicher Zeit. Sie hat heute noch im Schottiſchen Hochlandsvieh (Taf. „Baar: hufer XVIII 4) einen berühmten lebenden Vertreter. Im Einklang mit dem rauhen Klima haben dieſe Tiere langes Haar erworben, das etwas gekräuſelt iſt. Die Farbe iſt gleichmäßig ſchwarz, rötlich oder grau. Die langen Hörner haben die Tiere behalten. Der kurze, breite Schädel weiſt ſchon leichte Anklänge an die Trontosus-Form auf. Dieſe iſt dann in der Lang— hornraſſe mit ihren mächtigen, abwärts gebogenen Hörnern erreicht, die ſeit undenklichen Zeiten Irland und die weſtlichen Teile Englands bewohnt. Die Steppenraſſe iſt offenbar ſehr alt. Nach Duerſt („Die Rinder von Babylonien, Aſſyrien und Agypten“) begegnen wir ihr ſchon auf altbabyloniſchen Siegelzylindern. Ge— wiſſe prachtvolle, lebenswahre Bronzeköpfe von Rindern, die den älteſten Zeiten angehören, zeigen einen derart kurzen, breiten Schädel, daß es nicht ausgeſchloſſen iſt, daß damals ſchon in Meſopotamien die Kulturform des Kurzkopfrindes herausgezüchtet war. Das läßt natür— lich auf eine lange Domeſtikation des Urs ſchließen. Auch in Agypten iſt die Steppenraſſe ſeit vorgeſchichtlichen Zeiten nachweisbar. Aus ihr wurde der heilige Apis entnommen. Heute iſt in Agypten die alte Langhornraſſe durch Seuchen gänzlich ausgerottet. Aber im übrigen Afrika, ſüdlich von Kordofan, ſoweit die Steppen von rinderzüchtenden Stämmen bewohnt werden, lebt ſie oder ihre Nachkommen noch fort. Sie haben hier bald einen Höcker, bald ſind ſie höckerlos, auch ſcheint das Auftreten eines Höckers nicht immer innerhalb der— ſelben Raſſe ſtändig zu ſein; ſo iſt es fraglich, ob für das afrikaniſche Höckerrind (den afrikani— ſchen Zebu) ein beſonderer Raſſenname nötig iſt. Man bezeichnet nämlich häufig den afri— kaniſchen Zebu als Sangarind. Bei den Rindern der Dinka- und Schillukſtämme ſoll der 346 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Höcker der Größe nach bei den einzelnen Tieren ſtark abändern. Den Rindern der Aruſſi— Galla ſoll er oft ganz fehlen. Ihre Hörner erreichen ganz gewaltige Ausmaße: 118 em Länge bei einem Umfang von 38 em werden angegeben. Ein ſehr einheitliches, höckerloſes Rind ſcheint die Maſſaiſteppen und die Uferländer des Viktoria- und Tanganjikaſees zu bewohnen, das ſogenannte Wahuma- oder Watuſſirind (Taf. „Paarhufer XVIII“, 2, bei S. 344), das uns durch die Studien von Adametz und Neu— mann („Mittlg. a. d. Dtſch. Schutzgeb.“, 1913, Ergh. 6) gut bekanntgeworden iſt. Das längſte von Neumann gemeſſene Horn war 133 em lang bei einem Wurzelumfang von 48,1 cm, das folgende 125 bzw. 54 em. Als größte Auslage maß Neumann 162,4 und demnächſt 153 em. Dieſe langhörnigen Nachkommen der alten ägyptiſchen Langhornrinder find bis Heillger Zebuftier in Benares, Oſtindien. Nach Photographie. Madagaskar und bis zum Kaplande vorgedrungen. Auch die Rinder Südafrikas können einen Höcker haben, oder er kann ihnen fehlen. Felszeichnungen aus den älteſten Zeiten be— weiſen, daß dieſe langhörnigen Rinder ſchon längſt vor Ankunft der Europäer nach Südafrika gekommen waren. Hier gehen uns beſonders die Raſſen Deutſch-Südweſtafrikas an. In dieſer für die Rinderzucht geeignetſten deutſchen Kolonie finden ſich urſprünglich zwei noch heute wichtige Raſſen. Durch Fleiſch- und Milchnutzung zeichnet ſich davon das Namarind aus, ein Tier, das im Durchſchnitt etwa 800 kg Lebendgewicht hat. Wichtiger ſind aber die Damararinder (Taf. „Paarhufer XVIII 1, bei S. 344), ſchlanke, hochgebaute Steppen= tiere mit langen Beinen. Sie ſind beſonders als Arbeitstiere geſchätzt, wozu ſie ſich in jenen wüſten Gegenden vor allem wegen ihrer Bedürfnisloſigkeit eignen; ſollen ſie doch drei Tage ohne Futter und Waſſer aushalten können. Dabei macht ſie ihr ſchneller Schritt nicht nur als Zugtiere geeignet, ſondern ſie werden auch als Reittiere verwendet. Und es iſt erſtaun— lich, was ein Damarareitochſe im Traben und Galoppieren leiſtet. Daß ſchließlich die altägyptiſchen Rinder ſich auch von Agypten nach Weſten auf dem Gürtel zwiſchen Sahara und Urwald bis nach Senegambien und Kamerun verbreitet haben, Wahumarind. Namarind. Damararind. Zebus. 347 ſteht nur im Einklang mit dem, was wir auch ſonſt über die Verbreitung altägyptiſcher Haus— tierraſſen wiſſen. Auch am Tſadſee finden wir wieder Rinder mit beſonders langen Hörnern, die bald einen Höcker haben, bald höckerlos ſind. Als Anhang zu den Steppenraſſen ſei auch der aſiatiſchen Zebus gedacht. Gewöhnlich unterſcheidet man den afrikaniſchen Zebu als Sangarind vom aſiatiſchen. Erſterer ſoll ebene Stirn und kurzen Geſichtsteil, letzterer gebogene Stirn und langen Geſichtsteil haben. Schon Rütimeyer unterſchied dieſe beiden Schädelformen, hatte ſie aber beide aus Aſien erhalten, die gewölbten Schädel aus Bengalen, die flachen aus Java. Und Neumann fand beide Formen beim afrikaniſchen Watuſſirind, alſo innerhalb derſelben Raſſe. Eine grundſätzliche Gegenüber— ſtellung von afrikaniſchem und aſiatiſchem Zebu können wir daher kaum anerkennen. Dagegen iſt es nicht ausgeſchloſſen, daß ſich Zebus unabhängig an verſchiedenen Stellen aus dem ge— wöhnlichen Hausrind entwickelt haben. In Meſopotamien iſt der Zebu, nach Duerſt, ſeit etwa 3000 v. Chr. nachweisbar, alſo ſeit den älteſten Zeiten. Der Körperform nach iſt er ebenſo ver— änderlich wie das Sangarind, wenn nicht noch ſtärker in Raſſen geſpalten. Nach Müller hat die klein- Raſſe nur 90 em Nackenmaß, die größte reichlich das Doppelte. Dieſe großen Raſſen ſind oft ſehr ſchwere Tiere mit loſer, beſonders am Hals faltiger Haut, außerordentlich langer Wamme und langen Hängeohren. In Perſien ſoll es, nach Müller, Übergänge zwiſchen Buckel— rindern und gewöhnlichen Rindern geben. Häufig zeigen indiſche Buckelrinder große Beweg— lichkeit, ſie werden daher viel zum Fahren und Reiten, ſogar bei der engliſch-indiſchen Armee benutzt. Den höchſten Grad der Marſchleiſtung ſoll die Amrut-Mahal-Raſſe aus Maiſur erreichen. Sie zogen Haidar Alis Kanonen in 2¼ Tagen 100 engliſche Meilen weit und ermöglichten es dem General Pritzler, einen Marſch von 346 Meilen in 25 Tagen zurück— zulegen. Aber in allen anderen Leiſtungen, die von europäiſchen Rindern verlangt werden, ſtehen dieſen die Zebus bei weitem nach. Selbſt die ſchwerſten Raſſen, wie die des Gudſcherat oder Pandſchab, erreichen nicht entfernt die Maſtleiſtung unſerer Rinder, und an Milchergiebig— keit ſtehen ſie, wie alle primitiven Rinder, weit hinter den unſeren zurück. Deshalb kann auch von einer Kreuzung der Zebus mit europäiſchen Rindern niemals eine Verbeſſerung der letzteren erwartet werden. Als heiliges Tier in Indien auch in Tempeln gehalten, wird der Zebu dort unter anderem zu Krankenheilungen verwendet. In Aſien erſtreckt ſich die Verbreitung der Zebus über den ganzen Süden bis nach den Inſeln des Indiſchen Archipels, nach Südchina, ſelbſt Japan. Seine nördlichſte Grenze erreicht dieſes Rind im Talyſch unter 38% 40° nördl. Breite. Vielfach wird es auf dieſem Gebiet auch mit dem gewöhnlichen Rind oder dem Jak gekreuzt. 2. Untergruppe der Niederungsraſſen. Dieſe Untergruppe hat für uns mehr Bedeutung als die vorhergehende, da ihr wichtige deutſche Rinderraſſen angehören. Möglicherweiſe iſt ſie auch in Mitteleuropa entſtanden und geht auf den erwähnten kleinen Ur zurück, während die andere Untergruppe wohl auf den großen Ur der Länder um die Südoſtecke des Mittelmeeres zurückzuführen ſein dürfte. Auch die Niederungsraſſe iſt ſehr alt. Ihre Reſte finden ſich in faſt allen jüngeren neolithiſchen An— ſiedelungen Mitteleuropas. Schädel aus den niederländiſchen Terpen ſtimmen ſo genau mit den Schädeln der heutigen Holländer Rinder überein, daß ſie das hohe Alter dieſer Raſſe an den Küften der Nordſee beweiſen. Wir haben es mit einer uralt einheimiſchen Rindergruppe zu tun, die keineswegs erſt in den letzten Jahrhunderten entſtanden iſt, wie einige Forſcher meinten. Die meiſten zu dieſer Untergruppe gehörigen Tiere ſind ſcheckig, Schwarzſchecken herrſchen 348 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. vor, doch finden ſich auch Rotſchecken; Blauſchecken und graubunte Iſabellſchecken ſind ſelten. Einige Geeſtſchläge ſind einfarbig rot, die ganz ſchwarze Farbe iſt ſelten. Bei Schecken trägt die Stirn wohl ſtets ein weißes Abzeichen. Das Haar iſt faſt immer wie die Haut fein, meiſt glatt und glänzend, nie gekräuſelt. Das Flotzmaul iſt bei Rotſchecken hellrot, ſonſt ſchiefergrau bis ſchwarz. In der Körperform der Niederungsraſſen macht ſich ein größerer Unterſchied bei den Geſchlechtern bemerkbar als bei den Steppenraſſen. Der Kopf entſpricht der allgemeinen für die Primigenius-Gruppe geſchilderten Form, doch iſt er ſtets kleiner und feiner als bei den Steppenraſſen, beſonders im Geſichtsteil. Die walzenförmigen Hörner ſind mittellang. Bei den Stieren ſind ſie ſeitwärts, vorwärts und mit der Spitze abwärts, bei den Kühen ſeit— wärts und vorwärts, mit der Spitze einwärts gebogen. Die Augen ſind erheblich größer als bei den Steppenraſſen. Der Rumpf iſt geſtreckt, bei den Stieren infolge des mächtig ent— wickelten Nackens die Vorderhand ſtärker als die Hinterhand. Dieſe iſt umgekehrt bei den Kühen mächtiger. Dieſes umfangreiche Hinterteil der Kühe deutet im Verein mit dem ge— waltig entwickelten Euter, das an Größe das aller anderen Raſſen übertrifft, auf eine ſtarke Milcherzeugung. Der durchſchnittliche Jahresertrag iſt zwar bei den einzelnen Raſſen erheb— lichen Schwankungen unterworfen, fällt aber nicht unter 3000 Liter, kann dagegen bis zu 8000 Liter und höher ſteigen. Die Milch iſt ſehr reich an Käſeſtoff, an Fettgehalt jedoch wird fie von der anderer Raſſengruppen übertroffen. Die Maſtfähigkeit iſt gut. Ausgemäſtet er reichen die Marſchſchläge ein Gewicht bis 1000 kg, ungemäſtet etwa 500—600 kg, die Geeſt— ſchläge, die ſtets etwas leichter ſind, auch im Körperbau etwas abweichen, z. B. höhergeſtellt ſind, 300 — 400 kg. Für Zugleiſtung kommen die Niederungsraſſen kaum in Frage. Die Untergruppe iſt vorwiegend verbreitet in den Niederungen der Oſt- und beſonders der Nordſee, im Rheinland und Weſtfalen und iſt von hier auch nach Britannien gelangt. In den deutſchen Niederungen unterſcheidet man, wie ſchon erwähnt, die etwas ſchwereren Marſchſchläge von den leichteren Geeſtſchlägen. Zu den bekannteſten Marſchſchlägen zählt die Oſtfrieſiſch-Oldenburger Raſſe (Taf. „Paarhufer XVIII“, 6, bei S. 345), ſchweres, meiſt ſchwarzbuntes Vieh, wogegen die ſchleswig-holſteiniſchen meiſt rotbunt gefärbt und etwas kleiner als die vorigen ſind. Als Beiſpiel eines Geeſtſchlages ſei die ziemlich kleine, leichte und zierliche Angler Raſſe (Taf. „Paarhufer XVIII 5, bei S. 345) angeführt, die einfarbig rot iſt. Der ſogenannte Danziger Schlag mag als Beiſpiel eines Marſchſchlages von der Oſtſeeküſte dienen. Aus dieſen Niederungsrindern ſind auch ungehörnte Raſſen gezüchtet worden, ſo in Holland, beſonders aber in England, woher die Galloway und Angus er— wähnt werden mögen. Von engliſchen Raſſen kommt für uns in Deutſchland vorwiegend das Shorthorn (Taf. „Paarhufer XVIII“, 7, bei S. 345) in Betracht, auch Durham— Vieh genannt, das vielfach zur Verbeſſerung deutſcher Schläge gebraucht worden iſt. Von Intereſſe iſt noch das ſogenannte Engliſche Parkrind, das anſcheinend, nach Rütimeyers Unterſuchungen, auch dieſer Gruppe zugerechnet werden muß. Die Rütimeyer— ſche Anſicht, daß die Parkrinder unmittelbare Nachkommen des Urs ſeien, hat man jedoch wohl heute allgemein aufgegeben. Es dürfte ſich um Nachkommen von Herden heiliger Rinder handeln, die in heiligen Hainen gehalten wurden. Dieſe Anſicht ſtützt ſchon die eigen— artige Färbung, die übrigens nur durch ſtrengſte Zuchtwahl erhalten werden kann, indem anders gefärbte Tiere jedesmal getötet werden. Für ſie ſpricht ferner die Ahnlichkeit, welche die Parkrinder mit dem in der Gegend heute noch oder früher gehaltenen Landvieh beſitzen, ſo daß ſie wohl als deſſen Nachkommen anzuſehen ſind. Schließlich iſt auch bei den meiſten Parken die Zeit der Entſtehung bekannt. Seit dem 10. Jahrhundert finden ſich, wie Youatt Parkrind. Niederungsraſſen. Engliſches Parkrind. 349 bemerkt, in engliſchen Urkunden dieſe Rinder erwähnt, z. B. unter König Johann 400 weiße Rinder mit roten Ohren. Ramm zählt 1901 die Parke auf, in denen gegenwärtig noch Parkrinder gehalten werden. Die vier hauptſächlichſten ſollen hier folgen: 1) Die Herde im Chartley Park (Grafſchaft Stafford) beſteht ſeit dem Jahre 1248. Die Rinder gleichen dem früher in der Gegend gehaltenen Longhorn. Das Gehörn iſt ſehr lang, horizontal oder nach abwärts, bei Kühen vielfach nach vorn und aufwärts gerichtet. Die Haupt— farbe iſt weiß. Schwarz ſind die Klauen, Hornſpitzen, Flotzmaul, Augenring, die langen Wimpern, der obere Ohrrand und die Zitzen. Schwarze Tüpfelung findet ſich am Vorderknie. Nicht ſelten fallen ſchwarze oder ſchwarz gefleckte Kälber, die getötet werden. Das Gewicht der Kühe beträgt 350 — 500, das der Stiere 500 — 600 kg. Nach neueren Nachrichten ſoll die Chartley— Herde jetzt ausgeſtorben ſein. 2) Die Herde im Chillingham Park (bei Belford, Northumberland) iſt 60 — 70 Köpfe ſtark und beſteht ſeit 1220. Abgeſehen von der Behaarung gleichen die Tiere den ſchottiſchen Hochlandsrindern. Wie bei dieſen iſt das lange Gehörn nach außen und oben gebogen. Die Farbe iſt weiß, bisweilen, namentlich bei Stieren, cremefarben, die Ohrmuſchel iſt innen und am Rande braunrot, das Flotzmaul dunkel pigmentiert. Um das Maul zieht ſich eine zarte rötlich gefärbte Linie. An Hals und Kopf finden ſich häufig dunkle Flecke. Die Kühe haben ein Gewicht von 375, die Stiere ein ſolches von 500 ke. 3) Die Herde des Cadzow- oder Hamilton Parks (Grafſchaft Lanark, ſüdlich von Glasgow) war 1866 durch die Rinderpeſt faſt ganz, bis auf 13 Köpfe, vernichtet worden. Dann wurde ein Bulle der Chillinghamherde zur Blutauffriſchung erworben. Seit der Zeit haben die Tiere, die früher hornlos waren und den Gallowayrindern ihrer Nachbarſchaft glichen, ein kurzes, leichtes Gehörn. Auch ſie ſind weiß; Ohrmuſchel, Ohrrand, ein mehrere Finger breiter Saum am Flotzmaul, Flecke an den unteren Gliedmaßen, die die Tiere bisweilen geſtiefelt erſcheinen laſſen, ſind ſchwarz. Auch ſonſt kommen große ſchwarze Flecke vor. 4) Die Herde im Vaynol Park wurde erſt 1872 mit ſchottiſchem Hochlandsvieh gegründet. Die vornehmen Beſitzer aller in Schottland noch beſtehenden Parke zeigen einen gewiſſen Stolz darin, dieſen aus alter Zeit übriggebliebenen Tieren ihren beſonderen Schutz angedeihen zu laſſen, und verwenden nicht unerhebliche Summen auf deren Erhaltung. Die lebhafteſte Teilnahme für das Parkwild hat von jeher die Familie Tankerville an den Tag gelegt, und einem der letzten Beſitzer verdanken wir eingehende Berichte über die Herde in Chartley: „Das Vieh hat alle bezeichnenden Eigenſchaften echt wilder Tiere. Es verbirgt ſeine Jungen, weidet des Nachts und ſchläft und ſonnt ſich des Tages. Grimmig iſt es nur, wenn es in die Enge getrieben wird; ſonſt zeigt es ſich ſehr ſcheu und flüchtet vor jedermann ſchon aus großer Entfernung. Je nach der Jahreszeit und der Art, wie man ſich ihm naht, beträgt es ſich verſchieden. Im Sommer habe ich mich wochenlang vergeblich be— müht, ein Stück zu Geſicht zu bekommen; denn um dieſe Zeit ziehen ſich die Tiere, ſobald ſie irgend jemand ſpüren, in ihren heiligen Wald zurück, der von niemand betreten wird; im Winter dagegen kommen ſie an die Futterplätze, und weil ſie ſich dort an den Menſchen ge— wöhnen, kann man, zumal beritten, faſt mitten unter die Herde gelangen. Man bemerkt an ihnen viel Eigentümliches. Mitunter ergreift ſie, wenn ſie ruhig graſen und man über dem Winde in ihrer Nähe erſcheint, ein lächerlicher Schrecken, und ſie galoppieren bis in ihr Aller— heiligſtes. Wenn ſie in den unteren Teil des Parkes kommen, was zu beſtimmten Stunden geſchieht, gehen ſie wie ein Reiterregiment in einfachen Reihen; dabei bilden die Bullen den 350 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Vortrab, wogegen ſie beim Rückmarſche als Nachtrab dienen. Ihre Stimme gleicht eher der eines reißenden Tieres als der eines zahmen Rindes. „Die Bullen kämpfen um die Oberherrſchaft, bis einige der ſtärkſten die übrigen unter— jocht haben. Die Kühe kalben erſt mit drei Jahren und bleiben nur wenige Jahre fruchtbar. Sie verbergen ihr Kalb die erſten 4—10 Tage lang und kommen während dieſer Zeit täg— lich 2—8mal zu ihm, um es zu ſäugen. Nähert ſich jemand dem Orte, wo ſich ein ſolches Kalb befindet, ſo legt dieſes den Kopf feſt auf den Boden und drückt ſich wie ein Haſe im Lager; neun Monate lang beſaugen die Kälber ihre Mütter, dann ſchlagen dieſe ſie ab. Die Parkrinder vertragen den Winter ſehr gut, werden jedoch bei ſtrenger Kälte mit Heu gefüttert. Man läßt fie ſelten über 8 — 9 Jahre alt werden, weil fie ſpäter im Gewichte zurückgehen. Die Stiere tötet man gewöhnlich im ſechſten Jahre ihres Alters; dann wiegen ſie etwa 750 Kg. Das Fleiſch iſt ſchön mit Fett durchwachſen, im Geſchmacke aber von dem des zahmen Rindes wenig verſchieden. Einer der Parkwärter war ſo glücklich, ein jung eingefangenes Paar aufzu— ziehen und durch ſanfte Behandlung zu zähmen. Beide Tiere zeigten ſich ſo gutmütig wie echte Haustiere. Der Bulle wurde 18 Jahre alt, die Kuh lebte nicht länger als 5 oder 6 Jahre. Man paarte ſie mit einem Landbullen; allein die Kälber blieben ihr außerordentlich ähnlich. Sie gab wenig, aber fette Milch. Im Zuſtande der Wildheit ſterben nur ſehr wenige an Krankheiten.“ „Ich fand“, ſchreibt gelegentlich einer Schilderung ſeines Beſuches des Parkes von Hamilton Ludwig Beckmann, „die Herde etwa 200 Schritt vom Wege entfernt behaglich im Graſe lie— gend und wiederkäuend. Zwiſchen den Rindern ſtand, hoch aufgerichtet wie eine Schildwache, ein alter Fuchswallach. Bei meiner Annäherung erhoben ſich die Rinder und ſtaunten mich unverwandt an. Die Köpfe wurden dabei nicht über die Rückenhöhe erhobenz ja die mir zu— nächſtſtehenden jüngeren Rinder ſenkten denſelben tief bis zu den Knien herab, um mich ſchärfer ins Auge faſſen zu können, was ihnen ein ungemein pfiffiges Anſehen gab. Als ich bis auf etwa 80 Schritt herangekommen war, ſetzte ſich der Zug langſam in Bewegung. Ich war geſpannt auf das Benehmen des ſtärkſten Stieres, den ich nach langem Suchen hinter mehreren Kühen verſteckt fand. Derſelbe hatte indes keine Luſt, ſich unnötigerweiſe einer Ge— fahr auszuſetzen: es fiel ihm gar nicht ein, die Führung zu übernehmen, und ſein einziges Beſtreben ſchien darauf gerichtet zu ſein, ſeine eigene werte Perſon fortwährend durch einige Kühe oder jüngere Stiere zu decken, ſo daß mein beim Fuhrwerke zurückgebliebener Begleiter endlich entrüſtet ausrief: ‚Der alte Feigling; er ſollte vorausgehen und verſteckt ſich hinter ſeinen Weibern.“ Die aus etwa 30 Stück beſtehende Herde fiel nun allmählich in Trab; hier und da galoppierte bereits ein Kalb, um nicht zurückzubleiben; dann wurden plötzlich alle flüchtig, und im raſenden Galopp, die hoch gehobenen Schweife flatternd, eilte die lange weiße Reihe mit Donnergepolter über eine Anhöhe, zwiſchen den mächtigen, altersgrauen Stämmen hindurch: ein majeſtätiſcher Anblick! Leider wurde er etwas abgeſchwächt durch die Gegenwart des alten Fuchswallachs, der, ſeinen ſtumpfen Hahnenſchwanz ebenfalls lüftend, dicht hinter dem Trupp einhergaloppierte und allen Schwenkungen auf das genaueſte folgte. Der flüchtige Trupp entfernte ſich in weitem Bogen und machte dann auf einer Blöße plötz— lich Halt, wobei die Köpfe ſämtlicher Rinder ſich wiederum unbeweglich nach mir richteten. Ich verſuchte nun zum zweiten Male mich anzupirſchen; jetzt aber wurde die Herde bereits auf 120 Schritt flüchtig und machte erſt in weiter Ferne wieder Halt. Die Tiere waren nun— mehr bereits ſo ſcheu geworden, daß ich ſie bei einem dritten Annäherungsverſuche ſicher ganz aus den Augen verloren haben würde; ich hielt es daher für das beſte, vorläufig zu unſerem Fuhrwerke zurückzukehren und ſie von dort aus mit Hilfe eines guten Fernglaſes Engliſches Parkrind. Großſtirnraſſen. 351 zi beobachten. Nach wenigen Minuten beruhigten fie ſich, und ein Stück nach dem anderen legte ſich an der Stelle, wo es ſtand, nieder, um wiederzukäuen.“ Die Art und Weiſe, wie man noch bis kurz vor Ende des 18. Jahrhunderts einen Park— ſtier tötete, erinnert lebhaft an die in alter Zeit üblich geweſenen Jagden. An dem beſtimmten Tage verſammelten ſich die Einwohner der ganzen Nachbarſchaft, teils zu Pferde, teils zu Fuße und ſämtlich mit Flinten bewaffnet. Nicht ſelten erſchienen zu einer ſolchen Jagd 500 bis 600 Jäger, von denen oft mehr als 100 beritten waren. Die unberittenen nahmen ihre Plätze auf den Mauern ein, die den großen Park umzäunen, oder kletterten mit ihren Ge— wehren auf die Bäume in der Umgegend des freien Platzes, auf dem der beſtimmte Stier erlegt werden ſollte, während die Reiter den Wald durchſtreiften und die Herde nach jenem freien Orte hintrieben. War dies gelungen, und hatte man den rings von Pferden ein— geſchloſſenen Stier einmal ziemlich in ſeine Gewalt gebracht, ſo ſtieg einer von den Reitern, dem die Ehre zugedacht war, die erſte Kugel abzufeuern, von ſeinem Pferde und ſchoß auf das ungeſtüme und durch die Angſt in die höchſte Wildheit verſetzte Tier. Hierauf feuerten alle übrigen, die zum Schuſſe kommen konnten, und oft geſchah es, daß mehr als 30mal nach dem Stiere geſchoſſen wurde, ehe man ihn tötete. Durch den heftigen Schmerz der Wunden und das lärmende Geſchrei der Jäger in raſende Wut verſetzt, achtete das blutende Tier nicht mehr auf die zahlreichen Menſchen, ſondern ſtürzte mit den letzten Kräften auf Roß und Reiter. Nicht ſelten brachte der Stier den Angreifern gefährliche Verwundungen bei, oder richtete unter ihnen derartige Verwirrung an, daß er ſich ferneren Verfolgungen entziehen konnte. Die Unglücksfälle, welche dieſe Jagden herbeiführten, wurden Urſache, daß ſolche Feſte nach und nach gänzlich abkamen. Beckmann macht darauf aufmerkſam, daß nach Angabe Colquhouns heutigestags auch noch weiße Rinder des ſchottiſchen Landſchlages vorkommen. „Ich pflegte anzunehmen“, ſagte der letztgenannte Berichterſtatter, „daß die letzten Überreſte unſeres eingeborenen wilden Rindes als gefährliche Gegenſtände der Neugierde und ernſteren Teilnahme in hoch ummauerten Parks eingeſchloſſen ſeien; vor einigen Jahren traf ich jedoch an einem über das Moor füh— renden Wege in Argyleſhire auf eine gezähmte Herde dieſer weißen Rinder, die das Gras am Wege abrupften. Weit entfernt, unruhig oder böſe zu werden, ließen ſie mich, ohne mich zu beachten, mitten zwiſchen ſich hindurch gehen und fraßen ruhig weiter. Ihre hübſchen, gut angeſetzten Hörner, die ſchwarzen Schnauzen, ſchneeweißen Vlieſe und die reinen Knochen verbürgten das Alter und die Reinheit ihrer Abkunft.“ Auch ſonſt finden ſich in Wales und England noch weiße Zuchten der alten Landſchläge. Ramm erwähnt z. B. das weiße horn— loſe Vieh im Somerford Park in Cheſter. 3. Untergruppe der Großſtirnraſſen. Wie ſchon erwähnt, iſt wohl die Untergruppe der Großſtirnrinder aus der Gruppe der Urraſſen, und zwar wohl aus der zuletzt erwähnten Untergruppe, hervorgegangen. Sie ſcheint ſich durch die von Rütimeyer Bos trochoceros benannte Zwiſchenform gegen Ende der jün— geren Steinzeit aus jener entwickelt zu haben und findet ſich heute hauptſächlich in der Weſt— ſchweiz, in Süddeutſchland und in gewiſſen Gegenden Frankreichs und Englands. In Schwe— den, von wo Nilsſon den Schädel erhielt, auf den er die Raſſe gründete, iſt ſie heute ſeltener. Die hierhergehörigen Schweizer Raſſen ſind geſcheckt, und zwar die für uns weniger bedeutenden ſchwarz, die bei uns ſehr verbreitete rot. Die letztere, das Simmentaler Rind (Taf. „Paar⸗ hufer XIX, 1, bei S. 352), hat weißgelbe Hörner mit dunkelbrauner Spitze. Flotzmaul und 352 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Augenränder ſind ſtets hellrot. Es find große, ſchwere Rinder von 140—152 em Widerriſthöhe bei Stieren und 130—142 em bei Kühen; das Durchſchnittslebendgewicht beträgt 600 —750 kg, doch können die Stiere bis auf 1800, die Kühe bis auf 1200 kg herangemäſtet werden. Dieſe Zahlen erreicht nur der große Schlag, neben dem noch ein mittlerer und ein kleiner unterſchieden werden. Der ausgezeichneten Maſtleiſtung entſprechend iſt die Milcherzeugung mittelmäßig, da ſich höchſte Maſtleiſtung und höchſte Milchleiſtung ausſchließen. Der durchſchnittliche Ertrag an ſehr guter Milch kann auf 2500 Liter im Jahre veranſchlagt werden. Ausgezeichnet iſt die Zugleiſtung, wozu dieſe Rinder vermöge ihres Gewichtes, ihres kräftigen Knochenbaues und ihres lebhaften Temperamentes wegen beſonders befähigt ſind. Dieſe Simmentaler Rinder ſind bei uns vorwiegend in Oberdeutſchland verbreitet. Haupt⸗ ſächlich mit ihrer Hilfe ſind dann die Raſſen der deutſchen Mittelgebirge gezüchtet worden. Hier war wahrſcheinlich urſprünglich überall ein kurzhörniges Vieh mit Rückenbleſſe verbreitet, als deſſen Reſte wir ja noch im Weſten das Vogeſen- und Hinterwäldlervieh (ſ. S. 353), im Oſten das Pinzgauer und Kuhländer Rind finden. Dieſes urſprüngliche Landvieh wurde mit Sim mentalern und primigenem Niederungsvieh gekreuzt, doch ſo, daß der Großſtirncharakter meiſt, aber nicht immer vorherrſchend wurde. So zeigt z. B. das kaſtanienbraune Harzer Vieh den kurzen Kopf des zu ſeiner Verbeſſerung benutzten Zillertaler Rindes. Die hierhergehörigen Raſſen ſind meiſt im 18. Jahrhundert entſtanden und führen ihre Namen nach ihrer Heimat, ſo die dunkelrot geſcheckten Ansbach-Triesdorfer, die iſabell— farbenen, höchſtens mit weißen Rückenſtreifen und weißen Köpfen gezeichneten Glan-Don— nersberger, eine Raſſe von höchſtens mittlerer Größe mit durchſchnittlich 125 em Widerriſt⸗ höhe, das gelbe Frankenvieh (Taf. „Paarhufer XIX“, 3), ferner das Mitteldeutſche Rotvieh, das in zahlreichen verſchiedenen Schlägen als Vogelsberger, Waldecker, Sieger und Sauerländer, Harzer, Bayeriſches und Sächſiſches, Odenwälder und Schleſiſches Rotvieh die Gebirge Mitteldeutſchlands bewohnt. Je nach dem Schlage iſt das Außere verſchieden. Die Haarfarbe iſt rot bis rotbraun mit einem hellen Ring um Auge und Flotzmaul und hellerer Tönung der Unterſeite ſowie Innenſeite der Glieder, die Schwanzquafte iſt weiß, mit braunen Haaren vermiſcht. Schleimhäute und Naſenſpiegel ſind fleiſchfarben. Als Mindeſtmaße gibt Heft 235 der „Arbeiten der deutſchen Landwirtſchaftsgeſellſchaft“ für Bullen 132 em und für Kühe 120 em Widerriſthöhe, für das Lebendgewicht 600—900 bzw. 400 — 700 kg an. Die Milchleiſtung beträgt etwa 1600— 2700 Liter im Jahr. Als Arbeitstiere find beſonders die bayeriſchen Ochſen ſehr geſucht. Hier mag das rotgelbbraune Kuhländer Rind erwähnt werden mit ſeinem weißen Kopf, bei dem die Rückenbleſſe noch erhalten iſt. Dieſe findet ſich auch noch, allerdings ſehr eigenartig ausgebildet, bei den gelb-, rot- bis dunkel kaſtanienbraunen Pinzgauernz; fie beginnt bei ihnen am Widerriſt, wird nach dem Kreuze breiter und dehnt ſich über die Hinterfläche der Schenkel und die Bauchmitte aus. Der Schwanz iſt ebenfalls weiß. II. Gruppe der Langſtirnraſſen. Auch bei dieſer Gruppe ſind offenbar verſchiedene Untergruppen zu unterſcheiden. Die bekannteſte iſt das . 1. Graubraune Alpenvieh. Die Farbe iſt, wie ſchon der Name ſagt, grau. Auf die Abänderungen des Farbtones ſowie die Zeichnung wurde ſchon S. 342 hingewieſen. Die Hörner unterliegen inſofern einem Farbenwechſel, als ſie bei jungen Tieren ganz ſchwarz ſind; ſpäter wird die der Stirn zu— nächſt liegende Hälfte hellgelb, und nur die Spitze bleibt ſchwarz oder wird ſchiefergrau. Die Paarhufer XIX. _ B * ah * . ® } — — J. Simmentaler Bulle. Deutſche Landwirtichaftsausitellung München 1995, Nr. 342 S. 351. — F. Albert Schwartz-Berlin NW. 87 phot. 2. Algäuer Bulle. Deutſche Landwirfichaftsausitellung Frankfurt a. M. 1890, Nr. 380. S. 353. F. Albert Schwartz- Berlin NW. S7 phot. 3. Gelbes Frankenvieh (Bayriſche Zugachien). S. 352. — Nach e. Aufn. i. d. Aufzuchtstatlon Reutberghof b. Gunzenhausen von Tierzuchtinspektor Assel. 4. Biſon, Bos bison L. 5. Halbblut-Wiſentkuh. 1/50 nat. Gr., s. S. 309. — F. Falz- Fein phot. 1/50 nat. Gr., s. S. 372. — Lüpke- Berlin phot. 6. Wifent, Bos bonasus I., Bulle u. Kuh. 1/50 nat. Gr. s. S. 366. — Neue Photogr. Gesellsch.- Berlin-Steglitz phot. 7. Kaftrierfer Halbblut-Bifon (vorn) mit Arbeitsochien. ½0 nat. Gr., s. S. 379. — F. Falz-Fein phot. Großſtirnraſſen. Graubraunes Alpenvieh. 353 Kopfform entſpricht natürlich der ebenfalls ſchon geſchilderten Schädelform. Der Stirnwulſt trägt einen ſtarken, auf die Stirnfläche fallenden Haarſchopf. Die kurzen Hörner wenden ſich ſeit— wärts, kaum nach hinten, an den Spitzen aufwärts, bei den Stieren häufig vorwärts, ſelbſt ab— wärts. Die Ohren ſind mittellang und tragen innen lange Haare. Von dem mittellangen Hals hängt eine lange Wamme herab. Der Rumpf iſt kurz und zeigt den die Gebirgstiere aus— zeichnenden breiten Bruſtraum. Das Euter iſt von mittlerer Größe. Der Widerriſt iſt hoch, aber breiter als bei den Urraſſen, der Rücken häufig etwas geſenkt. Der Schwanz iſt dünn und lang und reicht mit ſeiner langen Quaſte weit über das Sprunggelenk. Die Haut iſt derb, leicht verſchiebbar, das Haar kurz, kräftig, die Größe gering. Die Widerriſthöhe mag durchſchnittlich 135 em bei Kühen und 144 em bei Bullen, das Lebendgewicht 600 bzw. 850 kg betragen. Der mittlere jährliche Milchertrag kann auf 3100 Liter angenommen werden. Wenn das auch nicht gerade übermäßig viel iſt, ſo iſt doch die Milch ausgezeichnet und namentlich der Fettgehalt ſehr groß. Die Maſtfähigkeit iſt gering, die Zugleiſtung mittel. Wie der Name ſagt, iſt dieſe Raſſengruppe vorwiegend im Gebirge, in der mittleren und öſtlichen Schweiz, in Vorarlberg, Tirol und den angrenzenden Gebieten Bayerns und Württembergs daheim. Der für Deutſchland wichtigſte Vertreter dieſer Gruppe iſt die Al— gäuer Raſſe (Taf. „Paarhufer XIX“, 2), die ſich durch einen für ein kurzhörniges Rind verhältnismäßig langen, ſchmalen und ſpitzen Kopf auszeichnet. Man unterſcheidet einen hellfarbigen, ſogenannten dachsfarbigen, leichten und einen dunkelfarbigen, ſchweren Schlag. Von den obengenannten Verbreitungszentren aus geht die graubraune Raſſengruppe nach Oberitalien, durch Frankreich bis zu den Pyrenäen und der Kanalinſel Jerſey nach Weſten. Die kleinen, als Milchvieh in England ſehr geſchätzten und weitverbreiteten Kanalrinder ähneln ſehr dem eigentlichen Torfrind, Bos brachyceros Rütm., das zuerſt aus den Schweizer Pfahlbauten bekanntgeworden iſt, doch weit über Europa verbreitet geweſen zu ſein ſcheint. Es lebt heute noch in einer von der Raſſe der Pfahlbauten kaum verſchiedenen Form auf dem Balkan fort. Adametz hat das Verdienſt, auf dieſe etwa 1 m hohen „Illyriſchen Rinder“ als reine Nachkommen des Torfrindes hingewieſen zu haben („Journal f. Land— wirtſch.“, 1895 u. 1896). Auch das polniſche Braunvieh gehört nach Adametz' Anſicht hierher. Daß es ſich mehreremal gerade unter entſchieden kümmerlichen Verhältniſſen erhalten hat, ließ Hilzheimer („Arch. f. Raſſen⸗ u. Geſellſch. Biologie“, 1913) annehmen, daß wir das Torfrind und ſeine nächſten Verwandten nicht als Typus des Langſtirnrindes anſehen dürfen, wie das geſchehen iſt, ſondern als verkümmerte Zwergform. Wahrſcheinlich gehörten hierzu auch die rückenbleſſigen Rinder, die bis etwa ins 17. Jahrhundert Mitteldeutſchland bevölkerten. Das noch vor einigen Jahrzehnten im Dachauer Moos bei München gehaltene „Moosrind“ war, nach Kitts Unterſuchungen, ein reiner Nachkomme des Torfrindes. Auf die genannten Rückenbleſſen geht wohl das Hinterwäldler Vieh zurück, das heute allerdings wie das Höhenfleckvieh gefärbt iſt, bei dem früher aber die Rückenbleſſe allgemein war. Mit einer durchſchnittlichen Rückenhöhe von 116,5 em und einem Gewicht von 280—400 kg bei den Kühen dürfte es Deutſchlands kleinſtes Rind ſein. Es bewohnt die ſüdlich des Feldbergs ge— legenen Teile des Schwarzwaldes. Anderſeits iſt auf das alte rückenbleſſige mitteldeutſche Landvieh wohl auch das rücken— bleſſige Vogeſenvieh zurückzuführen. Dieſe noch etwa vor 40 Jahren höchſt kümmerliche Raſſe iſt heute durch geeignete Zuchtwahl, ohne Kreuzung, ſo verbeſſert worden, daß ſie an Größe und Gewicht den großen Algäuern kaum nachſteht. Die Rückenhöhe der Kühe iſt etwa 126 em, ihr Gewicht 400480 kg. Heimat des Vogeſenviehes find die Südvogeſen, etwa Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 23 354 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. von Zabern bis Gebweiler. Die Kopfbildung zeigt übrigens keinen reinen Kurzhorntypus, ſondern ſtarke Anklänge an den Kurzkopftypus, der ebenſo wie aus der Urraſſen-Gruppe ſich auch aus der Langſtirngruppe als Kulturform entwickelt hat. 2. Untergruppe der Kurzkopfraſſen. Den erſten Kurzkopfrindern begegnen wir ſchon in der ſpäten jüngeren Steinzeit. Die älteſten aus dieſer Zeit bekanntgewordenen Reſte fand Schoetenſack in der jungſteinzeitlichen Niederlaſſung Neuenheim-Heidelberg. Eigenartig iſt die inſelartige Verbreitung dieſer Kurz kopfraſſen innerhalb des Gebietes der Langſtirngruppe. Die bekannteſten davon ſind die Eringer Rinder im Walliſer Eringertale, die Zillertal-Duxer und die Puſtertaler Rinder. In Deutſchland zählen dazu die Vogtländer Rinder, die hervorgegangen ſind aus Kreuzungen des urſprünglich einheimiſchen Viehes mit Zillertaler Vieh, das im 18. und 19. Jahrhundert hierher eingeführt wurde. Das engliſche Devon-Vieh gehört, nach Wil⸗ ckens, ebenfalls hierher. Dieſe beiden letzten Raſſen find einfarbig kaſtanienbraun, die anderen ſind wie das graubraune Gebirgsvieh gefärbt. Die Kurzkopfrinder ſind kurze, gedrungene, niedrig ſtehende Tiere mit kurzem, breitem Kopf, der eine an der Spitze etwas erhöhte Mopsnaſe hat. Der kurze Hals trägt eine kleine Wamme. Der Rumpf iſt gleichmäßig entwickelt, ohne daß Hinterteil und Vorderteil beſonders hervor⸗ träten. Der Rücken iſt gerade, der Widerriſt kaum, dagegen der Schwanzanſatz etwas erhöht. Der Schwanz iſt ziemlich dick, die Haut dick, weich und elaſtiſch, das Haar ſtraff und hart. In Größe und Gewicht gleicht dieſe Raſſe der Alpenraſſe. Das Euter iſt, entſprechend der mittel⸗ mäßigen Milchleiſtung, die etwa 1600 — 1800 Liter das Jahr beträgt, wenig entwickelt. Die Maſtfähigkeit iſt als ganz beſonders gut hervorzuheben, das Fleiſch außerordentlich zart und fein. Die Zugleiſtung kann raſſenweiſe, z. B. bei den Vogtländer Ochſen, ganz vorzüglich ſein. Übrigens können auch aus den Langſtirnrindern hornloſe Raſſen hervorgehen. Schon in den Anſiedelungen der jüngeren Steinzeit finden ſich Schädel hornloſer Rinder, die durch alle Übergänge mit dem des Torfrindes verbunden ſind. Heute gibt es in Europa hornloſe Rinder vom Kurzhorntypus in zahlreichen Raſſen, vorwiegend in Nordſchweden, mit denen uns O. E. Arenander in einer Anzahl hervorragender Arbeiten bekanntgemacht hat. Die aſiatiſchen Kurzhornrinder weiſen, nach Duerſt, vorwiegend den Typus der europäiſchen graubraunen Alpenraſſe auf, doch finden ſich ſowohl in Siam und Indien wie auch im Norden Sibiriens gefleckte Kurzhornrinder. Das ſyriſche Rind hat Neigung zur Rückbildung der Hör⸗ ner, die ſich in häufig auftretender Schlapphörnigkeit äußert. Und in Arabien leben hornloſe Rinder neben gehörnten in derſelben Raſſe. Auch in Aſien ſcheint die Gruppe der Langſtirn⸗ rinder ſehr alt zu ſein. Nach Duerſt findet ſie ſich auf den älteſten Darſtellungen Altbabyloniens. Auch in Agypten iſt das Langſtirnrind früh eingeführt. Ein von Duerſt abgebildeter Schädel eines Opferſtieres aus dem Grabe Entefs (2100 v. Chr.) läßt die Schädelform ſehr gut er⸗ kennen. Gleichzeitig beweiſen aber die langen Hörner dieſer Tiere, daß unter geeigneten Be⸗ dingungen ſich auch bei der Langſtirngruppe lange Hörner bilden können. Immerhin iſt das Langſtirnrind im alten Agypten ſeltener als die Urrinder. Auch im heutigen Afrika über⸗ wiegen die letzteren im allgemeinen. Trotzdem glaubt Duerſt zwei Hauptverbreitungsgebiete des Langſtirnrindes in Afrika feſtſtellen zu können; das eine umfaßt Nordafrika vom Inneren Marokkos bis nach Agypten. Das hier vorkommende Rind ähnelt dem vorderaſiatiſchen Lang⸗ ſtirnrind und damit auch unſeren europäiſchen Braunviehraſſen, Auch hier haben ſich ſchlapp— hörnige und hornloſe Raſſen entwickelt. Letzteren begegnen wir ſchon im alten Agypten. 4 * Kurzkopfraſſen. Hausrind: Lebensweiſe. 355 Das zweite Hauptverbreitungsgebiet liegt im afrikaniſchen Oſthorn und ſüdlich und weſtlich davon. Schlapphörnige Vertreter dieſer Gruppe finden ſich beſonders im Somaliland, in der Gegend von Kuka, Schoa, die letzteren haben meiſt einen Buckel. Den Somalirindern können auch die Hörner ganz fehlen. Stets hornlos ſollen, nach Stanley, die Rinder in Uſongora, Unjoro und auf den ausgedehnten Hochflächen öſtlich des Albertſees fein. Das alte hornloſe ägyptiſche Rind ſcheint noch in Obernubien weiterzuleben. Es hat eine eigentümliche leopardenfleckige Zeichnung, die in einer großen Anzahl ſchwarzer Flecke auf weißem Grunde beſteht. Ein Blick auf das Leben der Hausrinder in den verſchiedenen Ländern iſt ebenſo lehr— reich wie feſſelnd. Wenden wir, um gewiſſermaßen geſchichtlich zu beginnen, unſere Auf— merkſamkeit zunächſt jenen Herden zu, die noch in denſelben Verhältniſſen leben wie unter der Herrſchaft der alten Erzväter. In den Nomaden des Oſtſudans ſehen wir Herdenzüchter, die ihre Geſchäfte noch heute genau ebenſo betreiben, wie ihre Urväter vor Jahrtauſenden ſie betrieben. Die Viehherden, die ſie beſitzen, ſind ihr einziger Reichtum. Man ſchätzt ſie nach der Anzahl der Schafe und der Rinder, wie man den Lappen nach der Menge ſeiner Renn— tiere ſchätzt. Ihr ganzes Leben hängt mit der Viehzucht aufs innigſte zuſammen. Nur durch Räubertaten erwerben ſie ſich noch außerdem manches, das ſie zu ihrem Leben bedürfen; im allgemeinen aber muß ihr zahmes Vieh ſie ausſchließlich erhalten. Viele Stämme der Araber, welche die nahrungsreicheren Steppen ſüdlich des 18. Grades nördl. Breite durchwandern, liegen ihrer Herden wegen in beſtändigem Kriege miteinander und ſind aus dem gleichen Grunde ohne Unterlaß auf der Wanderung. Es verſteht ſich von ſelbſt, daß es in jenen Gegen— den nur freie Zucht gibt, daß niemand daran denkt, für ſeine Haustiere einen Stall zu erbauen. Bloß da, wo der Löwe häufiger auftritt, verſucht man nachts Rinder, Schafe und Ziegen durch einen dicken Hag aus Mimoſendornen, der einen Lagerplatz kreisförmig umgibt, zu ſchützen. Wo man dem Könige der Wildnis keinen Zoll entrichten muß, läßt man die Herde dort über— nachten, wo ſie weideſatt ſich lagert. Auch die größten unſerer Rittergutsbeſitzer und Viehzüchter, die Holländer und Schweizer inbegriffen, haben wohl ſchwerlich eine Vorſtellung von der Anzahl der Herden jener Nomaden. Nahe dem Dorfe Melbeß (Kordofan) tieft ſich die Steppe zu einem weiten Keſſel ein, in deſſen Grunde man Brunnen an Brunnen angelegt hat, einzig und allein zu dem Zwecke, die täglich hier während der Mittagsſtunden zuſammenſtrömenden Herden zu tränken. In dieſem Keſſel kann man vom frühen Morgen an bis zum ſpäten Abend und während der ganzen Nacht ein kaum zu beſchreibendes Gewühl von Menſchen und Herdentieren bemerken. Neben jedem Brunnen hat man 6—8 flache Tränkteiche aufgebaut, große natürliche Tröge, die mit toniger Erde eingedämmt ſind. Dieſe Tröge werden alltäglich gefüllt und von den zur Tränke kommenden Herden vollſtändig wieder geleert. Vom Nachmittage an, die ganze Nacht hindurch bis gegen Mittag hin, ſind faſt 100 Menſchen eifrig beſchäftigt, aus der Tiefe der Brunnen Waſſer heraufzuheben und in dieſe Teiche zu ſchütten, wo man der Tränke noch etwas ſalzhaltige Erde zuzuſetzen pflegt. Gewöhnlich ſind die Teiche noch nicht völlig gefüllt, wenn die Herden ankommen. Von allen Seiten ziehen unzählbare Scharen von Schafen, Ziegen und Rindern herbei, zuerſt das Kleinvieh, ſpäter die Rinder. In wenigen Minuten hat ſich der ganze große Keſſel vollſtändig gefüllt. Man ſieht nichts als eine ununterbrochene Herde von eifrig ſich hin und her drängenden Tieren, zwiſchen denen hier und da eine dunkle Mannesgeſtalt hervor— ragt. Tauſende von Schafen und Ziegen ſtrömen ohne Unterbrechung zu, und ebenſo viele ziehen getränkt von dannen. Sobald der Keſſel ſich einigermaßen geleert hat, ſtürmen die Rinder, die bis jetzt kaum zurückgehalten werden konnten, heran, und nun gewahrt man nur eine braune, 23* 356 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. wogende Maſſe, über die ein Wald von Spitzen ſich erhebt. Das Braun wird zur einzigen hervortretenden Farbe; von den dazwiſchen hin und her gehenden Männern iſt keine Spur mehr zu entdecken. Der ganze Tränkplatz gleicht einem Stalle, in dem ſeit Monaten kein Reinigungs⸗ werkzeug in Bewegung geſetzt wurde. Ungeachtet der dörrenden Sonne liegt der Kot überall mehr als knietief auf dem Boden; nur die Tränkteiche werden ſorgfältig rein gehalten. Gegen Abend verlieren ſich endlich die letzten durſtigen Seelen, und nun beginnt augenblicklich das Schöpfen von neuem, um die für den folgenden Tag nötige Waſſermenge rechtzeitig zu be⸗ ſchaffen. An manchen Tagen kommen auch langbeinige Kamele daher geſtelzt, ebenfalls 500 bis 1000 Stück auf einmal, trinken ſich ſatt und ziehen wieder von dannen. Ich halte es für unmöglich, die Menge der Rinder zu berechnen; denn in dem dichten Gewirre hört das Zählen gar bald auf; dennoch glaube ich nicht viel zu ſagen, wenn ich die Anzahl der täglich hierher kommenden Herdentiere auf mindeſtens 60000 Stück Groß- und Kleinvieh ſchätze. In Südrußland, in der Tatarei und wahrſcheinlich auch in einem großen Teile des in- neren Aſiens hält man ebenfalls bedeutende Rinderherden. Die ganze ſüdruſſiſche Steppe iſt überall mit Pferde-, Schaf- und Rinderherden bedeckt. Im Sommer leben alle dieſe Haustiere Tag für Tag im Freien; im harten, langen Winter finden ſie hinter einem Erdwalle einigen Schutz gegen die Stürme. Wenn beſagter Wall an der einen Seite ein elendes Stück Dach hat, gilt er als vorzüglicher Stall. Unter den genannten Tieren ſtehen die Rinder der Zahl nach obenan; auch verunglücken ſie nicht ſo leicht während der Schafen und Pferden ſo gefährlichen Schneeſtürme, weil ſie die Beſinnung nicht verlieren, ſondern, falls die Stürme nicht allzu heftig ſind, geradeswegs nach Hauſe eilen. In den meiſten Gegenden bleiben die Herden im allgemeinen ſich ſelbſt überlaſſen; die Hirten bemühen ſich nur, ſie einigermaßen zuſammen— zuhalten und die herangewachſenen Stierkälber von den Müttern zu trennen. Die Rinder ſelbſt ſind unglaublich genügſam, faſt unempfindlich gegen die Witterung und auch bei ſchlechter Nahrung noch ſehr ausdauernd. Bei den Kirgiſen und Kalmücken, von denen ſie auch zum Laſttragen verwendet werden, führen ſie ein echtes Wanderleben. Im Sommer gibt die Steppe überall reiche Weide, im Winter wählt man ſich Gegenden aus, die reich an Schilf ſind, mit deſſen dürr gewordenen Blättern die Rinder ſich begnügen müſſen. In den ſüdruſſiſchen Steppen treibt man das Rindvieh, nachdem es am Morgen getränkt wurde, in die Einöde hinaus; gegen Abend kommt die Herde von ſelbſt zurück, und die Mütter vereinigen ſich jetzt mit den Kälbern, welche am Morgen von ihnen getrennt wurden. Die Milchkühe und Kälber werden im Winter zu Hauſe gefüttert, die Ochſen jedoch nur dann, wenn viel Schnee liegt. Eine ganz andere Pflege genießt das geſchätzte Haustier in den Gebirgsländern Mittel⸗ europas, namentlich in den Alpen, obgleich auch hier noch manches zu wünſchen übrigbleibt. „Meiſtens“, ſagt Tſchudi, „fehlt eine zweckmäßige, mitunter ſogar jede Stallung. Die Kühe treiben ſich auf ihren Alpen umher und weiden das kurze, würzige Gras ab, welches weder hoch noch breit wächſt. Fällt im Früh- oder Spätjahre plötzlich Schnee, ſo ſammeln ſich die brüllenden Herden vor den Hütten, wo ſie kaum Obdach finden, wo ihnen der Senn oft nicht einmal eine Handvoll Heu zu bieten hat. Bei andauerndem kalten Regen ſuchen ſie Schutz unter Felſen oder in Wäldern. Hochträchtige Kühe müſſen oft weit entfernt vom menſchlichen Beiſtande kalben und bringen am Abende dem überraſchten Sennen ein volles Euter und ein munteres Kalb vor die Hütte. Nicht ſelten aber geht es auch ſchlimmer ab. Und doch iſt jelbjt dem ſchlecht geſchützten Viehe die ſchöne, ruhige Zeit des Alpenaufenthaltes eine überaus liebe. Man bringe nur jene große Vorſchelle, welche bei der Fahrt auf die Alp und bei der Rückkehr . ihre weithin tönende Stimme erſchallen läßt, im Frühlinge unter die Viehherde im Tale, ſo Hausrind: Lebensweiſe in Steppen und Gebirgen. 357 erregt dies gleich die allgemeine Aufmerkſamkeit. Die Kühe ſammeln ſich brüllend in freudigen Sprüngen und meinen, das Zeichen zur Alpfahrt zu vernehmen, und wenn dieſe wirklich be— gonnen, wenn die ſchönſte Kuh mit der größten Glocke am bunten Bande behangen und wohl mit einem Strauße zwiſchen den Hörnern geſchmückt wird, wenn das Saumroß mit Käſekeſſeln und Vorrat bepackt iſt, die Melkſtühle den Rindern zwiſchen den Hörnern ſitzen, die ſauberen Sennen ihre Alpenlieder anſtimmen und der jauchzende Jodler weit durchs Tal ſchallt, dann ſoll man den trefflichen Humor beobachten, in dem die gut- und oft übermütigen Tiere ſich in den Zug reihen und brüllend den Bergen zumarſchieren. Im Tale zurückgehaltene Kühe folgen oft unverſehens auf eigene Fauſt den Gefährten auf entfernte Alpen. „Freilich iſt es bei ſchönem Wetter für eine Kuh auch gar herrlich hoch in den Gebirgen. Frauenmäntelchen, Mutterkraut und Alpenwegerich bieten dem ſchnuppernden Tiere die treff— lichſte und würzigſte Nahrung. Die Sonne brennt nicht ſo heiß wie im Tale, die läſtigen Bremſen quälen das Rind während des Mittagsſchläfchens nicht, und leidet es vielleicht noch von einem Ungeziefer, ſo ſind die zwiſchen den Tieren ruhig herumlaufenden Stare und gelben Bachſtelzen ſtets bereit, ihnen Liebesdienſte zu erweiſen: das Vieh iſt munterer, friſcher und geſünder als das im Tale und pflanzt ſich regelmäßiger und naturgetreuer fort; das natur— gemäße Leben bildet den natürlichen Verſtand beſſer aus. Das Rind, welches ganz für ſich lebte, iſt aufmerkſamer, ſorgfältiger, hat mehr Gedächtnis als das ſtets verpflegte. Die Alpkuh weiß jede Staude, jede Pfütze, kennt genau die beſſeren Grasplätze, weiß die Zeit des Melkens, kennt von ferne die Lockſtimme des Hüters und naht ihm zutraulich, weiß, wann fie Salz be- kommt, wann fie zur Hütte oder zur Tränke muß, ſpürt das Nahen des Unwetters, unter ſcheidet genau die Pflanzen, welche ihr nicht zuſagen, bewacht und beſchützt ihr Junges und meidet achtſam gefährliche Stellen. Letzteres aber geht bei aller Vorſicht doch nicht immer gut ab. Der Hunger drängt oft zu den noch unberührten, aber fetten Raſenſtellen, und indem ſich die Kuh über die Geröllhalde bewegt, weicht der lockere Grund, und ſie beginnt bergab zu gleiten. Sowie ſie bemerkt, daß ſie ſelber ſich nicht mehr helfen kann, läßt ſie ſich auf den Bauch nieder, ſchließt die Augen und ergibt ſich ruhig in ihr Schickſal, indem ſie langſam fortgleitet, bis ſie in den Abgrund ſtürzt oder von einer Baumwurzel aufgehalten wird, an der ſie gelaſſen die hilfreiche Dazwiſchenkunft des Sennen abwartet.“ In Deutſchland genießt das Rind bloß in den Gebirgen und in den nördlichen Marſch— gegenden während des Sommers eine mehr oder weniger beſchränkte Freiheit. Die Herden im Thüringer Walde erinnern noch lebhaft an jene, welche auf den Alpen weiden. In keiner größeren Waldung dieſes lieblichen Gebirges wird man die Rinder vermiſſen. Jede Herde beſitzt ihr eigenes vollſtimmiges Geläute, und gerade in ihm ſuchen die Hirten ihren größten Stolz. Es gibt gewiſſe Tonkünſtler, die Schellenrichter, welche im Frühjahre von Dorf zu Dorf ziehen, um das Geläute zu ſtimmen. Jede Herde muß wenigſtens acht verſchiedene Glocken haben, welche großer, mittler und kleiner Baß, Halbſtampf, Auchſchell, Beiſchlag, Lammſchlag und Gitzer genannt werden. Man hat beobachtet, daß die Rinder das Geläute ihrer Herde genau kennen, und daß ſich verirrte Kühe mit ſeiner Hilfe zurückfinden. Die Tiere weiden während des ganzen Sommers im Walde; erſt im Spätherbſte ſtallt man ſie ein. In Norwegen lebt das Rindvieh in ähnlichen Verhältniſſen wie in der Schweiz. Das norwegiſche Rind iſt abgehärtet, wie alle Haustiere es dort find, und treibt ſich ſehr viel im Freien umher; immer aber kehrt es abends in feinen warmen Stall zurück. In den Wald— gegenden kommt es freilich oft genug vor, daß ein Stück tagelang verirrt in den Wäldern um— herſtreift, mühſelig durch Sumpf und Moor ſich arbeitet und nur im günſtigſten Falle wieder * 358 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. zu den Menſchen kommt, abgemattet, mager, halb verhungert. Auch die Mücken ſchaffen dem Vieh während der Hochſommermonate arge Plage und zwingen den Beſitzer zu ähnlichen Maßregeln, wie die Dinkas ſie ergreifen: er zündet allnächtlich Torffeuer an, um den zur Vertreibung der Mücken dienenden Rauch zu erzeugen und den an dieſe Art von Räucherung gewöhnten Rin⸗ dern zu der nötigen Ruhe zu verhelfen. Durch qualmende Feuer ſchützt auch mancher nord— amerikaniſche Farmer des Nachts ſein in Niederungen weidendes Vieh. Im höchſten Norden iſt namentlich der Winter eine ſchlimme Zeit für das Rindvieh. Der kurze Sommer Norrlands und Lapplands kann nicht genug Winterfutter erzeugen; deshalb füttert man im Winter nicht bloß Heu und Stroh, Laub und Birkenzweige, Renntiermoos und Pferdemiſt, Meerespflanzen, Algen und dergleichen, ſondern auch Fiſche und namentlich die Köpfe der Dorſche, die man gerade zur Zeit des Futtermangels in großen Mengen fängt. Dieſe Fiſchköpfe, nebſt Tangen aller Art und Mooſen, werden in einem Keſſel ſo lange gekocht, bis die Knochen weich oder zu Gallert werden; dann ſchüttet man die breiige Maſſe den Kühen vor, und dieſe freſſen die ihnen ſo unnatürliche Nahrung mit Begierde. Die Bewohner der Lofoten haben mir verſichert, daß man die Gerüſte, auf denen die Dorſche getrocknet werden, vor den Kühen bewahren müſſe, weil dieſe ohne Umſtände an den halbtrockenen Fiſchen ſich ſatt zu freſſen pflegen. Nach dem Vorhergegangenen brauche ich über das geiſtige Weſen des Hausrindes nicht viel zu ſagen. Das Tier ſteht unzweifelhaft auf niederer Stufe, denn es iſt neben dem Schafe das dümmſte unſerer Haustiere. Seinen Pfleger lernt es kennen, gehorcht dem Rufe und folgt der Lockung, beweiſt auch eine gewiſſe Teilnahme gegen den, der ſich viel mit ihm beſchäftigt; Gewohnheit ſcheint aber mehr zu wirken als eigentliche Erkenntnis. „Alles Geiſtige“, ſagt Scheitlin, „tritt in den Rindern, welche mehr im Freien als im Stalle leben, ſchöner auf. Die Alpenkühe lernen ihren Fütterer ſchneller kennen, ſind munter, freuen ſich lebendiger, werden friſcher vom Schellenklange, erſchrecken weniger, kämpfen miteinander ritterlicher im Ernſte und Scherze. Ihr Ehrgefühl iſt aber ſchwach. Hat die eine die andere zurückgedrängt, ſo macht dies der überwundenen gar nichts: ſie ſchämt und ärgert ſich nicht, ſondern trollt ſich auf die Seite, ſenkt den Kopf und frißt wieder. Die Siegerin zeigt nicht den mindeſten Stolz, nicht die Spur von Freude; auch ſie fängt ſogleich wieder zu graſen an. Die Heerkuh fühlt ſich freilich größer als jede andere. Man erkennt dies aus ihrem feierlichen Schritte; auch geſtattet ſie nicht, daß irgendeine andere Kuh ihr vorausgehe. Der Stier iſt viel vorzüglicher als die geiſtigſte Kuh, hat weit mehr Körperkräfte, ſchärfere Sinne, mehr Kraftgefühl, Mut, Gewandtheit, Raſchheit, ſchaut viel friſcher in die Welt und ſieht mit Verſtand um ſich, fühlt ſich als gewaltiger Be⸗ ſchützer ſeiner Herde, geht auf den Feind los und kämpft wacker mit ihm. Einen fremden Bullen duldet er nicht bei ſeiner Herde, ſondern ſtreitet mit ihm auf Leben und Tod.“ Das Rind iſt im zweiten Jahre ſeines Lebens fortpflanzungsfähig. Die Tragzeit währt in der Regel 285 Tage, kann jedoch erheblich länger oder kürzer fein. Das Kalb erhebt ſich bald und ſaugt ſchon am erſten Tage ſeines Lebens. Bei der Geburt bringt das junge Rind 8 Schneidezähne mit auf die Welt, nach Vollendung des erſten Jahres wechſelt es die beiden mittelſten, ein Jahr ſpäter die beiden dieſen zunächſt ſtehenden, nach Verlauf des 2. Jahres das dritte Paar und ein Jahr ſpäter endlich die beiden letzten. Mit dem 5. Lebensjahre gilben ſich die anfänglich milchweißen Zähne, zwiſchen dem 16. und 18. beginnen ſie auszufallen oder abzubrechen. Von dieſer Zeit an gibt die Kuh keine Milch mehr, und der Stier iſt zur Zucht kaum noch geeignet. Die Lebensdauer ſcheint 25 Jahre nicht zu überſteigen. i Verſchiedene Pflanzen im friſchen und getrockneten Zuſtande, Wicken, Erbſen, junges Getreide und ſaftiges Gras ſind die Lieblingsnahrung des Rindes. Schädlich werden ihm Abfi pH Hausrind: Geiſtiges Weſen. Fortpflanzung. Nahrung. Wohlriechender Rindermiſt. Wilder Jak. 359 Flachs, Eibe, Waſſerſchierling, Läuſekraut, Binſen, Froſchlauch, Zeitloſe, Wolfsmilch, Eiſen⸗ hut, junges Eichenlaub und Walnußblätter, naſſer Klee und dergleichen. Peterſilie, Sellerie, Lauch und Zwiebeln wirken der Milcherzeugung entgegen. Thymian, Hahnenfuß, Wegerich werden im Notfalle, Früchte aller Art, Kartoffeln, Obſt und Möhren leidenſchaftlich gern gefreſſen; Salz iſt Bedürfnis. Obgleich es wunderlich klingen mag, wenn man von wohlriechendem Rindermiſte redet, ſo iſt doch deſſen Vorkommen nach den Beobachtungen, die O. Kuntze ſowohl in Mittelamerika als auch auf dem aſiatiſchen Feſtlande und auf Java wiederholt gemacht hat, nicht zu bezweifeln. „Es gibt in den Tropen Rindermiſt“, ſchreibt O. Kuntze, „der in einem gewiſſen Zuſtande, wahrſcheinlich nachdem er ziemlich ausgetrocknet war und dann durch Tau wieder angefeuchtet wurde, außerordentlich wohl riecht, etwa das Mittel haltend zwiſchen Roſen- und Vanillen⸗ duft. Als ich in Coſtarica die Orchidee Cattleya darwini ſuchte, ließ ich mich wenigſtens 20mal durch einen herrlichen Geruch verleiten, ſie in den umſtehenden Bäumen zu ſuchen; ich fand ſie nicht, wohl aber, dem Geruche nachgehend, ſtets Kuhmiſt. Auf Java, bei Herrn Bräutigam, der eine beſondere Grasart als Futter anbaut und mit Büffelmiſt düngt, ſah ich auch halbtrockenen Miſt liegen; ich bemerkte denſelben lieblichen Geruch und konnte über den Urſprung gar keinen Zweifel hegen.“ Der Jak oder Pak, Bos (Poöphagus) grunniens L., iſt der einzige Vertreter der Untergattung der Grunzochſen (Poöphagus Gray). Sein Leib iſt durchgehends ſtark und kräftig gebaut, der Kopf mäßig groß, ſehr breit, von der langen und hohen, aber flachen Stirn nach der plumpen, kolbenartigen Schnauze zu gleichmäßig verſchmächtigt, die Naſe vorgezogen, das ſchmale Naſenloch ſchief nach vorn geſtellt, die ſeitlich von ihm begrenzte breite Muffel unten auf der Oberlippe zu einem ſchmalen Streifen verſchmälert, das Auge klein und von blödem Ausdrucke, ſein ſchmaler Stern quergeſtellt, das Ohr klein und gerundet, überall ſtark behaart, das Gehörn hinten zu beiden Seiten der Stirnleiſte aufgeſetzt, von oben nach unten zuſammengedrückt, vorn rund, hinten zu einer Kante ausgezogen, an der Wurzel deut— lich, aber flach gewulſtet, zuerſt ſeitwärts und nach hinten, ſodann nach vorn und oben, mit der Spitze nach außen und hinten gewendet, der Hals kurz und ſtiernackig, der Hinterhals und vordere Teil des Widerriſtes höckerartig erhöht, der Rücken, in reich bewegter Linie ab— fallend, bis zur Schwanzwurzel ſanft geſenkt, der Leib in der Schultergegend ſchmal, in der Mitte ſtark ausgebaucht und hängend, der Schwanz lang und mit einer buſchigen, bis auf den Boden herabreichenden Quaſte geziert, das Bein kurz, kräftig, der Huf groß, breit ge⸗ ſpalten und mit wohlentwickelten Afterhufen verſehen. Das Kleid beſteht durchgehends aus feinen und langen Haaren, die auf der Stirn bis zum Hinterkopfe krauslockig und wellig ſind, oft bis über das ganze Geſicht herabfallen, auf dem Widerriſte und längs beider Seiten zu einer ſchwer herabhängenden, vorhangartigen, ſanft welligen Mähne ſich verlängern, die, wie die überaus reiche, roßſchweifähnliche Schwanzquaſte, auf dem Boden ſchleift, wogegen Bauch und Innenſeite der Oberſchenkel und Arme ſowie die Beine vom Ellbogen oder Kniegelenke an abwärts nur mit glatten, kurzen, ſchlichten Haaren bekleidet ſind. Zuerſt, ſchon im Alter— tum, wurde der zahme Jak in Europa bekannt. Ihn allein kannte auch Linne, als er ſeinen Bos grunniens beſchrieb. Erſt die neuere Zeit lehrte uns den wilden Jak kennen. Beſonders Prſchewalſky verdanken wir eine ausführliche Schilderung dieſer Tiere. Nach ihm ſoll nur der zahme Jak den eigentümlichen, grunzenden Ton haben, dem die Untergattung ihren deutſchen = 360 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Namen verdankt. Deshalb bezeichnet der berühmte ruſſiſche Reiſende den wilden Jak als den „ſtummen“ (Bos [Posphagus] grunniens mutus). Während der zahme Jak verſchiedene Farben haben kann, iſt der wilde faſt einfarbig. Ein ſchönes, tiefes, auf dem Rücken und den Seiten bräunlich überflogenes Schwarz iſt die Färbung der alten Tiere; die Haare um das Maul ſind graulich, und längs des Rückens verläuft ein ſilbergrauer Streifen. Das Haar des Kalbes iſt grau überflogen, das des Jungſtieres rein ſchwarz. Die Geſamtlänge alter Stiere beträgt 4,25, die des Schwanzes ohne Haar 0,75, die Höhe bis zum Buckel 1,9 m, die Länge der Hörner 80 — 90 em, das Gewicht 650 — 720 kg, die Länge einer alten Kuh dagegen kaum über 2,8, die Höhe 1,6 m, das Gewicht 325 — 360 Kg. Die Hochländer Tibets und alle mit ihnen zuſammenhängenden Hochgebirgszüge beher- bergen den Jak; Hochebenen zwiſchen 4000 und 6000 m Höhe bilden ſeine Aufenthaltsorte. Sein Verbreitungsgebiet dehnt oder dehnte ſich von dem öſtlichen Teile Ladaks in der Um— gegend von Chang-Chenmo, wo er jetzt ausgerottet zu ſein ſcheint, nach Oſten bis Kanſu und nach Norden bis zum Kuenlün. Der nackte Boden der unwirtlichen Gefilde ſeiner Heimat iſt nur hin und wieder mit ärmlichem Graſe beſtanden, das raſende Stürme im Winter mit Schnee bedecken, wie ſie im Sommer ſeine gedeihliche Entwickelung hindern. Inmitten ſolcher Wüſten findet der Jak Befriedigung ſeiner Bedürfniſſe und Schutz vor dem Menſchen, beſteht deshalb leichter, als man annehmen möchte, den Kampf um das Daſein. Prſchewalſky fand in den von ihm durchzogenen Teilen Nordtibets vereinzelte alte Stiere und kleine Geſellſchaften des Jaks allerorten, zahlreichere Herden dagegen nur auf Stellen, die reichere Weiden bieten. Solche Herden durchwandern auch wohl mehr oder minder regel— mäßig weite Strecken, erſcheinen, nach Ausſage der Mongolen, im Sommer auf grasreichen Weiden, wo man ſie im Winter nicht bemerkt, und bevorzugen ebenſo die Nähe von Gewäſſern, in deren Nachbarſchaft das Gras beſſer wächſt als auf den kahlen Hochebenen, wogegen die alten Stiere, ſei es aus Trägheit oder ſonſtigen Urſachen, jahraus, jahrein in demſelben Ge— biete verweilen und einſiedleriſch ihre Tage verbringen oder höchſtens zu 3—5 ſich geſellen. Jüngere, obſchon bereits erwachſene Stiere ſchließen ſich oft einer Herde älterer an, bilden jedoch häufiger eine eigene, die dann aus 10—12 Stück zu beſtehen pflegt und zuweilen einen alten Stier in ſich aufnimmt. Kühe, Jungſtiere und Kälber dagegen vereinigen ſich zu Herden, die Hunderte, nach Verſicherung der Mongolen ſelbſt Tauſende zählen können. Solchen Maſſen wird es erklärlicherweiſe ſchwer, auf den ärmlichen Weiden genügende Nahrung zu finden, und ſie zerſtreuen ſich daher, während ſie äſen, über weite Flächen, ſammeln ſich aber, um zu ruhen, ebenſo während heftiger Stürme, die ſie zu lagern zwingen, wiederum zu geſchloſſenen Herden. Wittern die Tiere Gefahr, ſo ſchließen ſie ſich ſofort zur Herde zuſammen und nehmen die Kälber in die Mitte; einige erwachſene Stiere und Kühe aber ſuchen ſich über die Bedeu— tung der Störung zu vergewiſſern und ſchweifen nach verſchiedenen Seiten von der Herde ab. Naht ſich oder feuert ein Jäger, ſo ergreift der ganze gedrängte Haufe plötzlich im Trabe, häufig auch im Galopp die Flucht, im letzteren Falle den Kopf zu Boden neigend und den Schwanz erhebend. So ſprengen ſie, ohne ſich umzuſchauen, über die Ebene dahin; eine Wolke von Staub umhüllt fie, und die Erde dröhnt, auf weithin vernehmlich, unter dem Stampfen ihrer Hufe. Solch wilde Flucht währt jedoch nicht lange; ſelten durcheilen die jqäh— lings erſchreckten Tiere mehr als 1 km, häufig weniger. Langſamer beginnt die Herde zu laufen, und bald iſt die frühere Ordnung hergeſtellt, die Kälber ſind wieder in die Mitte ge— nommen worden, und die alten Tiere haben von neuem eine lebendige Schutzwehr um ſie her gebildet. Erſt wenn der Jäger zum zweiten Male herannaht und feuert, flüchtet die Herde Wilder Jak: Verbreitung. Lebensweiſe. Begabung. Fortpflanzung. Jagd. 361 anhaltender und weiter als früher. Alte Stiere fliehen, wenn ſie aufgeſcheucht werden, nur anfangs im Galopp, ſodann mit weit ausgreifenden Schritten. Der mächtige Quaſtenſchwanz wird, nach Spen Hedins Beobachtungen, bei Beunruhigung wie ein Banner aufgerichtet. Zum Lager wählt die Herde womöglich den Nordabhang eines Berges oder eine tiefe Schlucht, um den Sonnenſtrahlen auszuweichen. Der Jak ſcheut die Wärme mehr als die Kälte, legt ſich daher, ſelbſt wenn er im Schatten lagert, am liebſten auf den Schnee; falls ſolcher nicht vorhanden iſt, ſcharrt er die Erdkruſte auf und ſchafft ſich ſo eine Lagerſtätte. Doch ſieht man ihn hier und da, wenigſtens im Winter, auch auf der Stelle liegen, wo er geweidet hat. Waſſer iſt ihm notwendige Lebensbedingung. Unzählbare Fährten und Kot- haufen in der Nähe nicht zugefrorener Quellen bewieſen Prſchewalſky, daß letztere regelmäßig aufgeſucht werden. Nur wo Waſſer auf weithin mangelt, begnügt ſich das Tier mit Schnee. Ungeachtet ſeiner Kraft ſteht der Jak hinſichtlich ſeiner Begabungen anderen Tieren des Hochgebirges nach. Im Bergſteigen wetteifert er allerdings mit Wildſchafen und Steinböden; denn er klettert im höchſten und wildeſten Gefelſe, auf Graten und ſchroffen Abſtürzen mit derſelben Sicherheit wie dieſe; im Laufen auf ebener Fläche aber wird er von jedem Pferde eingeholt. Unter ſeinen Sinnen übertrifft der Geruch bei weitem alle übrigen. Einen Men— ſchen wittert der Jak ſchon auf 500 Schritt, unterſcheidet ihn jedoch bei hellem Tage kaum auf 1000 Schritt, bei bewölktem Himmel höchſtens auf die Hälfte dieſer Entfernung von einem anderen Gegenſtande, und er hört ſo ſchwach, daß der Hall von Schritten oder ſonſtiges Geräuſch erſt dann Unruhe in ihm wachruft, wenn es aus nächſter Nähe ſein Ohr trifft. Daß der Verſtand auf tiefer Stufe ſteht, beweiſt ſchon das unverhältnismäßig kleine Gehirn, mehr aber noch das Gebaren des Tieres im Falle der Gefahr und Not. „Die bemerkens— werteſte Eigenſchaft des Jaks“, ſagt Prſchewalſky, „iſt ſeine Trägheit. Früh und abends geht er auf die Weide; den Reſt des Tages widmet er der Ruhe, welcher er ſich ſtehend oder liegend hingibt. Währenddem bekundet nur das Wiederkäuen, daß er lebt; denn im übrigen ähnelt er einem aus Stein gemeißelten Standbilde.“ Doch dieſes Weſen ändert ſich zur Paarungszeit. Nach Ausſage der Mongolen beginnt dieſe im September und währt einen vollen Monat. Bei Tag und Nacht ſind jetzt die Stiere in Unruhe und Aufregung. Die Einſiedler geſellen ſich zu den Herden, laufen, Kühe ſuchend und dabei beſtändig grunzend, wie ſinnlos umher, treffen aufeinander und treten ſich ſtreit— luſtig gegenüber, um im ernſteſten Zweikampfe des Sieges Preis zu erringen. Unter furcht⸗ baren Stößen, die zuweilen ein Horn an der Wurzel brechen, ſtürzen ſich die gewaltigen Tiere aufeinander; keiner der dicken Schädel aber bricht, und auch bedeutende Wunden, die einer dem anderen zufügt, heilen ſchnell. Befriedigt oder überſättigt und ermattet ziehen ſie ſich nach der Rinderzeit wieder zurück, ſchweigen fortan und führen wiederum dieſelbe Lebensweiſe wie früher. 9 Monate nach der Paarung bringt die Kuh ihr Kalb zur Welt und pflegt es über ein Jahr lang, da ſie, nach Angabe der Mongolen, nur alle zwei Jahre trächtig gehen ſoll. Im 6.—8. Jahre ſoll der Jak erwachſen ſein, im 25. altersſchwach verenden, falls nicht Krankheit oder die Kugel eines Jägers ſein Leben kürzt. Andere Feinde, die ihm verderblich werden könnten, erklimmen ſeine heimatlichen Höhen nicht. Die Jagd auf den Jak iſt für einen mutvollen und wohlbewaffneten Schützen ebenſo verlockend wie gefährlich. Ohne Bedenken, wenn auch nicht unter allen Umſtänden, ſtürzt ſich das gewaltige Tier, falls es nicht tödlich getroffen wurde, auf den Jäger, und dieſer kann, auch wenn er Mut, Geſchick, kaltes Blut und die beſten Waffen beſitzt, niemals mit Sicher— heit darauf rechnen, den wütend anſtürmenden, übermächtigen Gegner durch einen ferneren 362 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Schuß zu fällen. Die Kugel der ſchärfſten Büchſe dringt nur dann zerſtörend in den Kopf ein, wenn ſie ſenkrecht auf die kleine Stelle trifft, die das wenig umfangreiche Hirn deckt, und ein Blattſchuß tötet nur in dem Falle, daß er das Herz durchbohrt. Aus dieſen Gründen fürchten die Mongolen den Jak gleich einem Ungeheuer, gehen ihm gern aus dem Wege und feuern, wenn ſie ſich wirklich zur Jagd entſchließen, immer nur aus ſicherem Verſtecke und gemeinſchaftlich, ihrer 8 — 12, auf den Rieſen des Gebirges, hoffend, daß er fie nicht wahr⸗ nehme, deshalb flüchte, nach 2—3 Tagen an feinen Wunden verende und dann glücklich von ihnen aufgefunden werde. Der Europäer verläßt ji) auf ſeinen Hinterlader und die Un— entſchloſſenheit des Jaks. Trotz aller Wildheit vermag dieſer ſeine Furcht vor einem kühn auf ihn andringenden Menſchen nicht zu bemeiſtern, bleibt im Anlaufe zögernd ſtehen, wendet ſich wohl auch, empfangener Wunden ungeachtet, nachdem er zaudernd überlegt, zur Flucht. Seine Widerſtandskraft und Lebenszähigkeit ſind faſt unglaublich groß. Einer, auf den Prſchewalſky und zwei ſeiner Gefährten feuerten, bis die hereinbrechende Nacht es verwehrte, wurde erſt am anderen Morgen mit 3 Kugeln im Kopfe und 15 in der Bruſt verendet auf: gefunden; ſehr wenige fielen gleich nach dem erſten Blattſchuſſe tot zu Boden. Das Fleiſch des Jaks rühmt Kinloch als ausgezeichnet, obwohl er es ſtets ſehr mager gefunden hat; Zunge und Markknochen nennt er Leckerbiſſen. Mehr aber als das Wildbret ſchätzt man in ſeiner öden Heimat den Miſt des Jaks; denn dieſer liefert auf den kahlen Höhen Tibets den einzigen Brennſtoff, den man verwenden kann. In allen Ländern, deren Hochgebirge den wilden Jak beherbergen, findet man ihn auch gezähmt als nützliches und wichtiges Haustier. Ja er iſt ſogar im zahmen Zuſtand über das Wohngebiet des wilden hinausgegangen und kommt als Haustier weſtlich bis zur Bucharei, öſtlich bis an die nördlichen Nebenflüſſe des Jangtſe und bis zur Mongolei vor. Nach Nordoſt geht er bis in das Sajaniſche Gebirge, wo er ſich mit Kamel und Renn begegnet. Der zahme Jak unterſcheidet ſich hinſichtlich ſeiner Geſtalt und ſeines Haarwuchſes wenig von dem wilden, wohl aber hinſichtlich der Färbung. Rein ſchwarze oder weiße Jaks find ſehr ſelten; gewöhn— lich zeigen ſelbſt diejenigen, die den wilden am meiſten ähneln, weiße Stellen, außerdem trifft man blonde, braune, rote und geſcheckte an; hornloſe kommen ebenfalls vor. Auch die zahmen Herden gedeihen nur in kalten, hochgelegenen Gebirgsgegenden und gehen bei großer Wärme zugrunde, ertragen dagegen Kälte mit Gleichgültigkeit. Am wohlſten fühlt ſich der zahme Jak in Höhen von 2000 m und darüber, und Sommer wie Winter lebt er hier ohne Pflege im Freien. Als der Engländer Moorcroft den Nitipaß erſtieg und ſeine beladenen Jaks bei der drückenden Hitze viel gelitten hatten, rannten ſie, weil ſie ein Gebirgswaſſer in der Tiefe rauſchen hörten, unaufhaltſam und mit ſolchem Ungeſtüme dem Fluſſe zu, daß zwei von ihnen auf den ſchroffen Abhängen ſtürzten und in der Tiefe zerſchellten. Der Tibetaner benutzt den Jak als Laſt- und Reittier. Eine eigenartige Verwendung findet er, nach Sven Hedin, bei den Kirgiſen. Gleich Schneepflügen ſtoßen die Tiere mit dem Kopfe und den Hufen förmliche Tunnels durch die ungeheuren Schneemaſſen der Steppen und ermöglichen ſo den Verkehr zwiſchen den einzelnen Aulen. Gegen ſeine Bekannten benimmt ſich der Jak ziemlich freundſchaftlich, läßt ſich berühren, reinigen und vermittels eines durch ſeine Naſe gezogenen Ringes an einem Stricke lenken; Fremden gegenüber zeigt er ſich in der Regel anders, bekundet Unruhe, ſenkt den Kopf gegen den Boden und gebärdet ſich, als wolle er einen Gegner zum Kampfe fordern. Manchmal überkommt ihn plötzlich raſender Zorn: er ſchüttelt den ganzen Körper, hebt den Schwanz hoch empor, peitſcht mit ihm die Luft und Zahmer Jak. 363 ſchaut mit drohenden, grimmigen Augen auf ſeinen Zwingherrn. Einen gewiſſen Grad von Wildheit behält er ſtets. Gegen Hausrinder benimmt er ſich artiger, und es hat deshalb keine Schwierigkeit, ihn zur Paarung mit ihnen zu bringen. Dieſe Miſchlinge ſind aber ebenſo wie die mit den Zebus erzeugten unfruchtbar. Doch wird der Jak-Zebubaſtard, „Chagnik“ ge⸗ nannt, ſehr geſchätzt als Arbeitstier, da er weniger wild iſt als der reinblütige Jak. Eigentüm⸗ lich iſt der Haß der wilden Jaks gegen die gezähmten. Wo ſie ſolche erblicken, gehen ſie ſofort auf ſie los und ſuchen ihnen ihre Hörner in die Seite zu ſtoßen, ſcheuen ſelbſt den darauf— ſitzenden Reiter nicht, wie Tafel, deſſen Karawanenjaks wiederholt von wilden angegriffen wurden, Hilzheimer erzählte. Die Kühe bekunden innige Zuneigung zu ihren Jungen, ver— laſſen dieſe, wenn fie zur Weide gehen, ſpäter als die Hauskühe die ihrigen und kehren abends Jak⸗Karawane. Aus Albert Tafel, „Meine Tibetreiſe“, Stuttgart 1914. mehrere Stunden vor Sonnenuntergang zu den Kälbern zurück, lecken ſie zärtlich und grunzen ſanft und freundlich. Der Jak trägt 100 —150 kg ohne Beſchwerden, und zwar auf den allerſchwierigſten Felſenpfaden und Schneefeldern. Man iſt imſtande, durch ihn Laſten über ſehr hohe Gebirgspäſſe zu ſchaffen; denn er bewegt ſich auch dort oben trotz der verdünnten Luft, die andere Geſchöpfe ermattet und beängſtigt, mit größter Sicherheit. Sven Hedin ſah Jaks mit Gewandtheit meterhohe abſchüſſige Eiswände hinaufſpringen, auf denen er und ſeine Leute ſich Stufen einhauen mußten, um feſten Fuß zu faſſen. Milch und Fleiſch des zahmen Jaks ſind gleich gut. Aus der Haut gerbt man Leder, aus den Haaren dreht man Stricke. Das Koſtbarſte iſt der Schwanz, der die vielgenannten Roß— ſchweife, jene altberühmten Kriegszeichen, liefert. Große Nachfrage herrſcht in China nach den Haaren weißer Jaks, die dort, rot gefärbt, zum Aufputz der Strohhüte gewiſſer chine— ſiſcher Beamten dienen. In unſeren Tiergärten hält ſich der zahme Jak gut und pflanzt ſich hier auch regelmäßig fort. Einbürgerungsverſuche in großem Maßſtabe dürften ſich kaum lohnen. Die ihm zuſagen— den Plätze werden durch unſere Gebirgsrinder beſſer ausgenutzt. Auch die Jakzucht des Herrn Stemberger in Bruneck (Tirol) iſt wohl lediglich als eine intereſſante Merkwürdigkeit anzuſehen. . 364 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Die Untergattung Bison H. Sm. iſt, abgeſehen von den S. 308 ſchon genannten Schädelmerkmalen, äußerlich gekennzeichnet durch den kurzen, breiten, dreieckigen Kopf mit der gewölbten Stirn und durch das am Vorderkörper lange, wollige Haarkleid. Sie ſpielte im Norden der Erde im Diluvium wohl dieſelbe Rolle wie heute der Büffel in Afrika. Über die ganze nördliche Halbkugel verbreitet, nach Norden wohl ſo weit, wie das Feſtland reicht, nach Süden bis an die Nordufer des Mittelländiſchen Meeres, den Libanon und Indien in der Alten, bis Texas und Georgia in der Neuen Welt, war der Biſon in eine Anzahl nach Horn— form und Größe getrennter örtlicher Formen geſpalten, die aber gleichwohl, ähnlich wie der afrikaniſche Büffel, wahrſcheinlich nur eine Art, Bos (Bison) priscus Bojan., gebildet haben. In Europa hat dieſe Art noch mit dem Menſchen der älteren Steinzeit zuſammengelebt und iſt von ihm unzähligemal in ſehr lebendiger Weiſe dargeſtellt worden. Nach dieſen Darſtellungen ſowohl wie nach den Knochenfunden ſteht der B. priscus dem heutigen amerikaniſchen Biſon viel näher als dem Wiſent, ja Hilzheimer möchte beide für die⸗ ſelbe Art halten und nur unterartliche Unterſchiede annehmen. Die enge Verwandtſchaft beider hat auch nichts Wunderbares, da beides Steppenformen waren. Der lebende Wiſent mit ſeinen kurzen Hörnern, niedrigem Unterkieferkörper und niedrigen Zähnen iſt dagegen als Waldtier entſchieden primitiver; er kann unmöglich von B. priscus abſtammen. Ihm gleicht dagegen die älteſte bekannte Art der Untergattung, Bos (Bison) sivalensis Fale., die zur Pleiſtozänzeit Nordindien und Java bewohnte. Da damals die Ketten des Himalajas noch niedriger waren, konnte das Tier von dort leicht nach Norden gelangen. Hier bildete es ſich auf den weiten Steppen, die im Diluvium den Norden Euraſiens erfüllten, zur Steppenform, in den wenigen größeren Waldinſeln zur Waldform um. Es findet ſich nämlich in den diluvialen Ablagerungen Europas, wenn auch ſehr ſelten, eine dem lebenden Wiſent ähnlichere Form. Mit dem Rückgang der Steppen und der Entwickelung der Wälder ſchwand die Steppenform aus Europa und Südſibirien, während ſie in Zentralaſien durch Erhebungen, die dieſes Land für ſie unbewohnbar machten, vertrieben wurde. Nur in den nordamerikaniſchen Prärien konnte ſie ſich noch halten. Dagegen erlaubten die in Europa ſich nach dem Ende des Diluviums bildenden Wälder der Waldform, dem Wiſent, ſich in ganz Europa zu entfalten, bis auch er, nun allerdings wohl durch den Menſchen, bis auf wenige Reſte vernichtet wurde. Seine früher weitere Verbreitung läßt ſich durch geſchicht— liche Quellen nachweiſen. Zur Zeit der Blüte Griechenlands war er in dem heutigen Bulgarien häufig; in Mitteleuropa fand er ſich faſt überall. Ariſtoteles nennt ihn „Bonasos“ und beſchreibt ihn deutlich; Plinius gibt Deutſchland als ſeine Heimat an; Calpurnius beſpricht ihn um das Jahr 282 n. Chr.; die „Leges Alamannorum“ erwähnen ſeiner um 600 herum, das Nibe— lungenlied als im Wasgau lebend, Ekkehard um das Jahr 1000 als ein bei St. Gallen vor⸗ kommendes Wild. Um das Jahr 1373 lebte er in Pommern, im 15. Jahrhundert in Preußen, im 16. in Litauen, im 18. zwiſchen Tilſit und Labiau in Oſtpreußen, wo der letzte ſeiner Art ſogar erſt im Jahre 1755 von einem Wilddiebe erlegt wurde. Die Könige und Großen des Reiches Polen und Litauen ließen ſich die Erhaltung des Wiſents mit Eifer angelegen ſein. Man hielt ihn in beſonderen Gärten und Parken, ſo z. B. bei Oſtrolenka, bei Warſchau, bei Zamoſk uſw. Die mehr und mehr ſich ausbreitende Be— völkerung, die Urbarmachung der Ländereien machte ſolchen Schutz mit der Zeit unmöglich. Noch hielt ſich der Wiſent eine Zeitlang in Preußiſch-Litauen und namentlich in der Gegend zwiſchen Labiau und Tilſit, wo die Forſtbeamten ihn ſchützten und zur Winterszeit in einer offenen Futterſcheuer mit Nahrung verſorgten. Nur höchſt ſelten fing man einige Stücke ein, * Verbreitungsgeſchichte von Biſon, Wiſent und Ur. 365 die dann gewöhnlich zu Geſchenken für fremde Höfe benutzt wurden. So gelangten im Jahre 1717 ihrer zwei an den Landgrafen von Heſſen-Kaſſel, ebenſo viele an den König Georg von England und 1738 einige an die Kaiſerin Anna von Rußland. Eine allgemeine Seuche ver— nichtete im Anfange des 18. Jahrhunderts den größten Teil jener Herden, bis endlich der erwähnte Wilddieb dem letzten das Lebenslicht ausblies. Jedenfalls würde es den im Forſte von Bialowies lebenden Wiſenten nicht anders ergangen ſein, hätten die Könige von Polen und ſpäter die Kaiſer von Rußland das ſeltene Tier nicht der Gegenwart erhalten. Länger als in Preußen lebte, nach mir gewordenen Mitteilungen des verſtorbenen Grafen Lazar, der Wiſent in Ungarn und namentlich in dem waldreichen Siebenbürgen, worauf auch der Umſtand hindeutet, daß das Volk, vielleicht zun Erinnerung an glückliche Jagden, manchen Berg, manche Quelle und ſelbſt Ortſchaften nach ihm benannt hat. In der Thuroeiſchen Chronik, die zur Zeit des Königs Matthias I. gedruckt wurde, finden ſich reichverzierte An— fangsbuchſtaben, die damals übliche ungarische Gebräuche darſtellen, und in deren einem die Ab— bildung des ungariſchen Königs zu Pferde mit der Krone auf dem Haupte, die hoch erhobene Lanze nach einem dahinraſenden Wiſent ſchwingend. Zur Zeit der Fürſten Siebenbürgens kam dieſer häufig vor, und es ſteht ziemlich feſt, daß ſein Fell noch im 17. Jahrhundert vielfältig verwandt wurde. Erwieſenermaßen hauſte er noch im Jahre 1729 in den Gebirgswaldungen Ungarns und noch gegen Ende des 18. Jahrhunderts in den Szekler Bergwaldungen unweit der Ortſchaft Füle. Selbſt in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts gab es noch Wiſente im Rodnaer und Keleman-Gebirge, in Siebenbürgen, nach Szalay, bis 1790. Neben dem Wiſent lebte in Europa der ſchon S. 339 ff. beſprochene Ur. Beide Wildrinder wurden, als der letztere ſeltener wurde und allmählich ausſtarb, nicht mehr genügend auseinander gehalten. Alle älteren Schriftſteller unterſcheiden die beiden Tiere beſtimmt; die „Alemanniſchen Geſetze“ beſchreiben die beiden mit hinlänglicher Genauigkeit. Plinius unterſcheidet den be— mähnten Bonassus oder Wiſent, den er bei den römiſchen Zirkusſpielen aus eigener Anſchauung kennengelernt hatte, ſcharf von dem Urus oder Auer, den fein großes Gehörn kennzeichne. Cäſar erwähnt ein in Deutſchland vorkommendes Wildrind, das dem zahmen nicht unähnlich ſei, aber viel größere Hörner als dieſes beſitze und an Größe dem Elefanten wenig nachſtehe. Er meint den Auer, nicht den Wiſent. Mit noch größerer Beſtimmtheit ſprechen ſich die ſpäteren Schriftſteller aus. Lukas David erwähnt bei der Abreiſe des Herzogs Otto von Braunſchweig im Jahre 1240 aus Preußen unter anderen wilden Tieren auch „Aueroxen“ und „Viſonten“, Cramer, daß Fürſt Wratiſlaw um das Jahr 1364 in Hinterpommern einen Wyſant erlegte, „welcher größer geachtet worden als ein Uhrochs“, Matthias v. Miechow, daß es in den Wäldern Litauens Urochſen und Wildochſen gebe, welche die Einwohner Thuri und Jumbrones nennen, Erasmus Stella, daß der Wiſent (zu Anfang des 15. Jahrhunderts) ſeltener ſei als der Urus. Der öſterreichiſche Geſandte Freiherr v. Herberſtein ſpricht in ſeinem Werke über Rußland und Polen von beiden Wildrindern und fügt einer ſpäteren Ausgabe des Buches zwei Abbildungen bei, unter denen zur Erklärung die Namen der betreffenden Tiere ſtehen. Das Bild, das ein unſerem Hausrinde ähnliches Tier darſtellt, enthält die Worte: „Ich bin der Urus, welchen die Polen Thur nennen, die Deutſchen Auerox, die Nichtkenner Bison“, die zweite Abbildung, die unſeren Wiſent nicht verkennen läßt, dagegen den Satz: „Ich bin der Bison, welchen die Polen Subr nennen, die Deutſchen Wysent, die Nichtkenner Urochs.“ — „In Litauen“, ſagt Herberſtein, „gibt es außer den Tieren, welche in Deutſchland vorkommen, noch Biſonten, Urochſen, Elentiere und wilde Pferde. Die Biſonten heißen im Litauiſchen Subr, im Deutſchen uneigentlich Aurox oder Urox, welcher Name dem Urus zukommt, der 366 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. völlig die Geſtalt des Ochſen hat, wogegen die Biſonten ganz anders ausſehen. Dieſe haben eine Mähne, lange Haare um Hals und Schultern, eine Art Bart am Kinne, nach Biſam riechende Haare, einen kurzen Kopf, große, trotzige und feurige Augen, eine breite Stirn und ſo weit auseinander gerichtete Hörner, daß zwiſchen denſelben drei ziemlich beleibte Menſchen ſitzen könnten, was der König von Polen, Siegmund, wirklich getan haben ſoll. Der Rücken iſt in eine Art Buckel erhöht; hinten und vorn dagegen der Leib niedriger. Ihre Jagd fordert viel Kraft und Schnelligkeit. Man ſtellt ſich hinter Bäume, treibt ſie durch die Hunde und erſticht ſie ſodann mit einem Spieße. Urochſen gibt es nur in Maſovien; ſie heißen daſelbſt Thur, bei den Deutſchen eigentlich Urox: denn es find wilde Ochſen, von den zahmen in nichts verſchieden, als daß alle ſchwarz ſind und auf dem Rückgrate einen weißlichen Streifen haben. Es gibt nicht viele, und an gewiſſen Orten werden ſie faſt wie in einem Tiergarten gehalten und gepflegt. Man paart ſie mit den zahmen Kühen; aber die Jungen werden dann nicht von den Urochſen in der Herde geduldet, und die Kälber von ſolchen Baſtarden kommen tot auf die Welt. Gürtel aus dem Leder des Urochſen werden hoch geſchätzt und von den Frauen getragen. Die Königin von Polen ſchenkte mir zween dergleichen, und die römiſche Königin hat einen davon ſehr gnädig angenommen.“ Auf ihn und Schneeberger ſich ſtützend, gibt Gesner Abbildungen und Beſchreibungen der betreffenden Tiere. Das eine Bild ſtellt unzweifelhaft unſeren Wiſent dar, das zweite den Ur. Andere Schriftſteller aus dem 16. Jahrhundert halten den gegebenen Unterſchied ebenfalls feſt. Mucante, der am polniſchen Hofe oft Gelegenheit hatte, beide Arten lebend zu ſehen, ſagt ausdrücklich, daß es in einem königlichen Parke Biſonten und Thure gegeben habe, und Oſtrorog erteilt denen, die Wildparke anlegen wollen, den Rat, Biſonten und Ure nicht an demſelben Orte zu halten, weil ſie miteinander heftige Kämpfe aufführen. Gratiani verſichert (1563), bei einem Beſuche des Tiergartens zu Königsberg Auer und Wiſente, beides Wildochſen, verſchiedenartige Tiere eines Geſchlechtes, geſehen, in Preußen auch das Fleiſch von Auerkälbern gekoſtet und dabei gefunden zu haben, daß es ſich von dem des zahmen Rindes nicht unterſcheide. Auer und Hausochſen ſollten ſich, wie man erzähle, zuweilen mit⸗ einander vermiſchen, ihre gemeinſchaftlich erzeugten Kälber jedoch nicht fortleben. Der Wiſent, Bos (Bison) bonasus L. (Bison europaeus; Taf. „Paarhufer XIX“, 6, bei S. 353), erreicht eine Widerriſthöhe von 1,8, eine Kreuzhöhe von etwa 1,5 m und eine Länge von 3,5 m bei einem Gewichte von 500 — 700 kg. Er erſcheint uns als ein Bild urwüchſiger Kraft und Stärke. Sein Kopf iſt mäßig groß und durchaus nicht plump gebaut, vielmehr wohlgeſtaltet, die Stirn hoch und ſehr breit, der Naſenrücken ſanft gewölbt, der Geſichtsteil gleichmäßig nach der Spitze zu verſchmächtigt, die Schnauze plump, die Muffel breit, den ganzen Raum zwiſchen den großen, runden, ſchief geſtellten Naſenlöchern ein⸗ nehmend, das Ohr kurz und gerundet, das Auge eher klein als groß, ſeine Umrandung über die Geſichtsfläche erhöht, der Hals ſehr kräftig, kurz und hoch, unten bis zur Bruſt gewammt, der Leib, der auf kräftigen, aber nicht niedrigen, mit großen, länglichrunden Hufen und ziem⸗ lich kleinen Afterhufen beſchuhten Beinen ruht, maſſig, vom Nacken bis zur Rückenmitte ſtark gewölbt, von hier an bis zum Kreuze ſanft abfallend, der Schwanz kurz und dick. Die weit ſeitlich angeſetzten, verhältnismäßig zierlichen, runden und ſpitzigen Hörner biegen ſich zuerſt nach außen, ſodann nach oben und zugleich etwas nach vorn, hierauf nach innen und hinten, ſo daß die Spitzen faſt ſenkrecht über den Wurzeln zu ſtehen kommen. Ein überall dichter und reicher, aus langen, meiſt gekräuſelten Grannen und filzigen Wollhaaren beſtehender Wiſent: Verbreitung. Aufenthalt. 367 Pelz deckt den Leib, verlängert ſich aber auf dem Hinterkopfe zu einem aus ſchlichten Haaren gebildeten, breiten, nach vorn über die Stirn und ſeitlich über die Schläfe herabfallenden Schopfe, längs des Rückens zu einem mäßig hohen Kamme, am Kinne zu einem zopfig herab— hängenden Barte und am Unterhalſe zu einer die ganze Wamme einnehmenden, breit herab— wallenden Mähne, bekleidet auch das Geſicht ſehr reichlich, beide Ohrränder faſt zottig und bildet an der Spitze der Rute einen dichten Buſch, am Ende des Schwanzes eine ſtarke und lange, bis über die Feſſelgelenke herabreichende Quaſte. Im Frühjahr löſt ſich das Winter- haar in großen Fetzen ab. Ein mehr oder weniger ins Fahle ſpielendes Kaſtanienbraun iſt die allgemeine Färbung des Pelzes, geht aber auf den Kopfſeiten und am Barte in Schwarz— braun, auf den Läufen in Dunkelbraun, an der Schwanzquafte in Schwarz und auf dem über den Scheitel herabhängenden Haarbuſche in licht Fahlbraun über. Die Wiſentkuh iſt merklich kleiner und zierlicher gebaut als der Stier, ihr Gehörn ſchwächer, die Mähne weit weniger entwickelt. Das neugeborene Kalb hat lichtere Färbung. Außer dem Walde von Bialowies gibt es noch ein zweites Rückzugsgebiet des Wiſents in Europa, nämlich den Kaukaſus. Der hier lebende „Kaukaſiſche Wiſent“ unterſcheidet ſich von dem oben beſchriebenen durch geringe Unterſchiede des Schädelbaues und der Hornform, worin er ſich dem Biſon nähert. Er iſt deshalb als beſondere Unterart, Bos (Bison) bo- nasus caucasius Greve, beſchrieben worden. Erſt ſeit Güldenſtädt wiſſen wir Genaueres von ihm. Dann wurde unſere Kenntnis erweitert durch Männer wie Eichwald, K. E. v. Baer, Nordmann, Radde, in neuerer Zeit durch Dinnik, beſonders aber durch Filatow, der ſeit 1909 bis 1911 eigens drei Reiſen in den Kaukaſus zur Erforſchung des kaukaſiſchen Wiſents unter— nahm (dtſch. Überſ. im „Zool. Beob.“, 1914). Auch das Wohngebiet des kaukaſiſchen Wi— ſents iſt ſehr eingeengt worden. So kam er einſt in der Nähe des Elbrus und weiter nach Oſten vor. In den 1860er und 70er Jahren beginnt ſeine Verdrängung aus den Tälern der Selentſchukflüſſe und der Großen Laba, wo er ſeit 1900 faſt vollſtändig verſchwindet. Die Abholzungen, denen Filatow die Hauptſchuld an dem Zurückdrängen des Wiſents zu— ſchreibt, beginnen ſchon in dem weſtlich der Laba gelegenen Landſtrich, und zwar vom Tale aus, jo daß auch hier der Wiſent immer mehr in der Richtung des Hauptgebirgszuges zurückgetrieben wird. Das Ausholzen ſchadet vorwiegend dadurch, daß es, von den tiefſten Teilen des Tales anfangend, den Wiſent ſeiner gewohnten Winterſtände beraubt. Auch im Weſten iſt der Wiſent ſtark zurückgedrängt. Weſtlich der Bjelaja kommt er kaum mehr vor. Die Nordgrenze führt ſüdlich der Städte Atſchcha und Atſcheſchbok längs des Knies des Fluſſes Uruſchten, den Fluß Schiſcha, die Mündung des Fluſſes Beſymjanka entlang und tritt ein wenig nach Süden von der Mündung der Maltſchepa zurück. Auch am Südabhang des Kau— kaſus kommen Wiſente vor, ohne daß ſich Beſonderes darüber ſagen läßt. Die Ausdehnung des ganzen vom Wiſent im Kaukaſus bewohnten Gebietes beträgt 50 Werſt in weſtöſtlicher und 20 Werſt in nordſüdlicher Richtung. Die Zahl der kaukaſiſchen Wiſente vermag Filatow nicht zu ſchätzen: „Schwerlich wird ihre Zahl weniger als 100 betragen, anderſeits wird ſie wohl kaum an 1000 heranreichen.“ Der Standort des kaukaſiſchen Wiſents iſt gegenwärtig die Tannenwaldzone, doch ſcheint er früher auch in die Laubwaldungen der Vorberge herabgeſtiegen zu ſein. Die mittlere Höhe ſeines Standortes beträgt 5000 Fuß über dem Meere. Im Winter ſteigen die Wiſente tiefer herab. Früher wechſelten ſie wohl bis auf die Weiden der Vorberge herunter. Jetzt tun ſie das nicht mehr, anſcheinend ſind ihnen dieſe Weideplätze durch Begegnen mit Hausrindern verleidet. Im Walde von Bialowies betrug der Beſtand der Wiſente im Jahre 1829 nach einer 368 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. vorgenommenen Zählung oder Schätzung 711 Stück, worunter ſich 633 ältere befanden, ver⸗ mehrte ſich im folgenden Jahre bis auf 772 Stück, verminderte ſich aber im nächſten Jahre, infolge der inzwiſchen ſtattgefundenen ſtaatlichen Umwälzungen, wieder bis auf 657 Stück. Höher iſt wohl die Zahl auch durch die verſchärften neuen Schutzgeſetze nicht geſtiegen. 1884,85 belief ſie ſich auf höchſtens 500, 1891 auf 479 Köpfe. Nach einer brieflichen Mit⸗ teilung des Forſtrats Eſcherich vom 12. Januar 1916 betrug die Zahl der Wiſente nach einer amtlichen Aufnahme vom 10. Januar 1914 im ganzen 727 Stück (231 Stiere, 347 Kühe, 149 Kälber). Der Krieg hat leider noch weiter aufgeräumt. Die augenblickliche Zahl der Wiſente wird auf ungefähr 200 Köpfe geſchätzt, darunter höchſtens 40 Stiere, und noch manche werden aus Mangel an der gewohnten Winterfütterung eingehen. Obwohl die Wiſente, nach Eſcherich, durch unzweckmäßige Fütterung ſehr ſtark entartet ſind, hofft Conwentz, daß durch geeignete Maßnahmen, Schutz und Fütterung, der Beſtand zu erhalten ſein wird. Im Jahre 1865 unternahm der Fürſt von Pleß den Verſuch, Wiſente in einem über 600 Hektar großen Tiergarten der Herrſchaft Pleß in Schleſien auszuſetzen. Es wurden von Bialowies mittels der Eiſenbahn 1 Stier und 3 Kühe übergeführt, die ſich in ihrem neuen Heim gut einbürgerten und auch fortpflanzten. Später (1871) wurden die Tiere nach dem Walde von Mezerzitz gebracht. Aus dieſer Herde von 15— 30 Stück ſtammen die meiſten der heute in unſeren zoologiſchen Gärten gezeigten Wiſente. Im Sommer und Herbſt lebt der Wiſent an feuchten Orten des Waldes, gewöhnlich in Dickungen verſteckt; im Winter zieht er höher gelegenes und trockenes Gehölz vor. Sehr alte Stiere leben einſam, jüngere während des Sommers in Rudeln von 15 — 20, im Kau⸗ kaſus von 4—7, während des Winters in kleinen Herden von 30 —50 Stück. In Bialowies enthalten, nach Eſcherich, die Herden 10—20 Köpfe, darunter 2—3 Stiere. Nach den Beob⸗ achtungen Filatows iſt ſtets eine alte Kuh die Anführerin. Die Stiere ſondern ſich im Kau— kaſus, wenn ſie erwachſen ſind, alſo mit dem vierten Jahre, von der Herde ab. Einzelgänger ſind meiſt alte Stiere, ſelten alte Kühe. Jede Herde hat ihren feſten Stand und kehrt immer wieder dahin zurück. Bis zum Eintritte der Paarungszeit herrſcht Einigkeit unter einem ſolchen Trupp; zwei verſchiedene Herden aber vertragen ſich anfangs nicht gut miteinander, und die kleinere weicht ſoviel wie möglich der größeren aus. Die Wiſente ſind ebenſowohl bei Tage wie bei Nacht tätig, weiden aber am liebſten in den Abend- und Morgenſtunden, zuweilen jedoch auch während der Nacht. Verſchiedene Gräſer, Blätter, Knoſpen und Baumrinde bilden ihre Nahrung; ſie ſchälen die Bäume ab, ſoweit ſie reichen können, und reiten jüngere, biegſame Stämme nieder, um zu der Krone zu gelangen, die ſie dann meiſt gänzlich vernichten. Ihr Lieblingsbaum ſcheint die Eſche zu ſein, deren ſaftige Rinde ſie jeder anderen vorziehen; Nadelbäume dagegen laſſen ſie un— behelligt. Im Winter äſen ſie faſt ausſchließlich Rinde, Zweige und Knoſpen der ihnen zu= gänglichen Laubbäume, außerdem auch wohl Flechten und trockene Gräſer. Das im Bialo- wieſer Walde auf den Wieſen geerntete Heu wird für ſie aufgeſchobert, anderes nehmen ſie, nachdem ſie die Umhegungen niedergebrochen haben, gewaltſam in Beſitz. Friſches Waſſer iſt ihnen Bedürfnis. Sie ſchälen, nach Filatows Schilderung, indem ſie die Rinde unten am Baum mit den Zähnen faſſen und ſie, den Kopf zurückwerfend, in großen Fetzen abreißen. Im Sommer freſſen ſie im Kaukaſus allerhand Waldſträucher, wie Himbeeren, Brombeeren, und verſchmähen ſelbſt die Stechpalme (Ilex) nicht. Ihre bevorzugte Nahrung iſt hier Peta- sites, wovon ſie jedoch nur die Stengel verzehren. Obwohl die Bewegungen der Wiſente ſchwerfällig und abe erſcheinen, ſind fie doch, Wiſent: Zahl der noch vorhandenen. Lebensweiſe. Weſen. Fortpflanzung. 369 bei Lichte betrachtet, lebhaft genug. Der Gang iſt ein raſcher Schritt, der Lauf ein ſchwerer, aber ſchnell fördernder Galopp, wobei der Kopf zu Boden geſenkt, der Schwanz emporgehoben und ausgeſtreckt wird. Durch Sumpf und Waſſer waten und ſchwimmen die Wiſente mit Leich— tigkeit. Unter ihren Sinnen ſteht der Geruch obenan. Nach Filatows Beobachtungen iſt der Wiſent ein ausgeſprochenes Naſentier, das ſich, wenn Gefahr droht, ſtets auf ſeine Witterung verläßt. Abgeſprengte Kälber ſollen, wie ein Hund mit tiefer Naſe der Fährte folgend, ihren Trupp wieder ſuchen. Geſicht und Gehör ſind beim Wiſent minder gut entwickelt. Das Weſen ändert ſich mit den Jahren. Jüngere Tiere erweiſen ſich als muntere, lebhafte und ſpielluſtige, auch verhältnismäßig gutmütige, zwar nicht ſanfte und friedfertige, aber doch auch nicht bösartige Geſchöpfe; ältere dagegen, zumal alte Stiere, erſcheinen als ernſte, faſt mürriſche, leicht reizbare und jähzornige, jeder Tändelei abholde Weſen. Im allgemeinen laſſen zwar auch ſie Menſchen, die ſie nicht behelligen wollen, ruhig an ſich vorübergehen; allein die geringſte Veranlaſſung kann ihren Zorn erregen und ſie bisweilen gefährlich machen. Im Sommer pflegen ſie dem Menſchen ſtets auszuweichen; im Winter gehen ſie gewöhnlich niemand aus dem Wege, und es iſt ſchon vorgekommen, daß Bauern lange warten mußten, ehe es einem Wiſent gefiel, den von ihm geſperrten Fußpfad zu verlaſſen, auf dem es kein Ausweichen gab. Ein alter Hauptſtier beherrſchte eine Zeitlang die durch den Bialowieſer Wald führende Straße, wich nicht einmal Fuhrwerken aus und richtete viel Unglück an. Pferde bekunden von vornherein Furcht und Abſcheu vor dem Wiſent und pflegen durchzugehen, wenn ſie ihn wittern. Der kaukaſiſche Wiſent flieht dagegen ſtets den Menſchen. Nur verwundet oder in die Enge getrieben, ſetzt er ſich zur Wehr. Selbſt die Kuh verteidigt im Kaukaſus ihr Junges nicht gegen den Menſchen, flieht vielmehr ſtets vor ihm, ihr Kind im Stiche laſſend. Die Rinderzeit, die gewöhnlich in den Auguſt, manchmal auch erſt in den September fällt, währt zwei oder drei Wochen. Um dieſe Zeit ſind die Wiſente im beſten Stande, feiſt und kräftig. Eigentümliche Spiele und ernſte Kämpfe unter den Stieren gehen dem Sprunge voraus. Dem liebestollen Tiere ſcheint es ein beſonderes Vergnügen zu bereiten, mittelſtarke Bäume aus der Erde zu wühlen und auf dieſe Weiſe zu fällen. Dann beginnen die Stiere zu kämpfen, erſt vielleicht nur ſcherzhaft, ſpäter aber in ſehr ernſthafter Weiſe, ſtürzen zuletzt raſend aufeinander los und prallen derart mit den Hörnern zuſammen, daß man glaubt, beide müßten unter der Wucht des Stoßes zuſammenbrechen. Nach und nach geſellen ſich die alten Einſiedler der Herde zu, und nunmehr werden die Zweikämpfe noch viel bedeutſamer; denn jenen muß ein jüngerer, ſchwächerer Stier entweder weichen oder erliegen. Und nicht bloß umgebrachte Stiere findet man nach der Rinderzeit, ſondern auch getötete Kühe. Sofort nach Beendigung der Rinderzeit trennen ſich die alten Einſiedler wieder von der Herde und kehren zu ihrem ſtillen, beſchaulichen Leben zurück. Die Kühe kalben 9 Monate nach der Paarung, gewöhnlich im Mai oder Anfang Juni. Vorher haben ſie ſich von der Herde abgeſondert und im Dickicht des Waldes in einer einſamen, friedlichen Gegend einen geeigneten Platz aufgeſucht. Hier verbergen ſie ſich und ihr Kalb während der erſten Tage, treten aber bei etwaiger Gefahr mit außerordentlichem Mute für deſſen Sicherheit ein. In der erſten Jugend drückt ſich das Kalb im Notfalle platt auf den Boden nieder, hebt und dreht das Gehör, öffnet Nüſtern und Augen und ſchaut ängſtlich nach dem Feinde, während die Alte ſich anſchickt, dieſem entgegenzutreten. Jetzt iſt es für Menſchen und Tiere ges fährlich, ſich einer Wiſentkuh zu nahen: ſie nimmt ohne weiteres den Gegner an. Einige Tage nach ſeiner Geburt folgt das Kalb ſeiner Mutter, die es mit außerordentlicher Zärtlichkeit Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 24 370 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. behandelt. Solange es noch nicht ordentlich gehen kann, ſchiebt ſie es ſanft mit dem Kopfe vorwärts; gegen Kälte und Gefahr ſucht ſie es zu ſchützen, indem ſie es zwiſchen ihre Vorder— läufe ſtellt; wenn es unreinlich iſt, leckt ſie es glatt; beim Säugen ſoll ſie ſich auf drei Beine ſtellen, um ihrem Sprößlinge das Euter leichter zu bieten, und wacht für ſeine Sicherheit, während er ſchläft. Die Kälber ſind niedliche, anmutige Tiere, obgleich ſie ſchon in der Jugend erkennen laſſen, was im Alter aus ihnen werden ſoll. Sie wachſen ſehr langſam und haben wahrſcheinlich erſt im achten oder neunten Jahre ihre volle Größe erlangt. Das Alter, das die Wiſente überhaupt erreichen können, wird auf etwa 30—50 Jahre angegeben. Kühe ſterben ungefähr zehn Jahre früher als Stiere; aber auch dieſe werden im Alter gewöhnlich blind oder verlieren die Zähne und ſind dann nicht mehr fähig, ſich gehörig zu ernähren, können namentlich nicht mehr die jungen Zweige abbeißen und gehen ſchließlich zugrunde. Im Vergleiche zu anderen Rindern vermehren ſich die Wiſente langſam. Im Walde von Bialowies hat man in Erfahrung gebracht, daß die Kühe kaum alle drei Jahre einmal trächtig werden und bei nur einigermaßen gereifterem Alter oft eine Reihe von Jahren hinter: einander unfruchtbar bleiben. Im Jahre 1829 warfen von 258 Kühen nur 93; von den übrigen 165 war der größte Teil unfruchtbar, der kleinere Teil zu jung. Auch für den kau⸗ kaſiſchen Wiſent glaubt Filatow, daß die Kühe nicht jedes Jahr tragend werden. Gegen ihre Feinde wiſſen ſich die gewaltigen Tiere vortrefflich zu verteidigen. Bären und Wölfe können den Kälbern gefährlich werden, aber nur dann, wenn die Mutter durch irgendwelchen Zufall ihr Leben verloren hat und das Junge unbeſchützt iſt. Bei ſehr tiefem Schnee ſoll es vorkommen, daß hungrige Wölfe auch einen erwachſenen Wiſent durch Umher— treiben ermatten und ihm ſchließlich den Garaus machen. Julius Cäſar berichtet, daß derjenige ſich hohen Ruhm erwarb, der einen Ur oder einen Wiſent erlegte, und alle alten Lieder preiſen mit vollſtem Rechte ſolche Helden. Noch im Mittelalter kämpften Ritter und Freie mannhaft mit Auer und Wiſent. Jene pflegten zu Roſſe, dieſe zu Fuße zu jagen; beide wählten die Lanze als Angriffswaffe. Immer gingen die Jäger ſelbander aus: der eine näherte ſich dem wütenden Tiere und ſuchte ihm einen töd— lichen Stoß beizubringen; der andere bemühte ſich, durch Schreien und Schwenken roter Tücher deſſen Aufmerkſamkeit von dem Angreifer ab und auf ſich zu lenken, bis jener, vielleicht noch durch die Hunde unterſtützt, ihm feine Lanze in den Leib ſtoßen konnte. Nach Überlieferungen, an denen insbeſondere die Jagdgeſchichte Ungarns und Siebenbürgens reich iſt, bildete die Wiſentjagd das mannhafteſte und aufregendſte Vergnügen der ritterlichen Magyaren und Edlen der benachbarten Länder, wogegen das Volk, um des gewaltigen Tieres Herr zu wer: den, auf ſeinem Wechſel Fallgruben anlegte und den in die tückiſch verborgene Tiefe ges ſtürzten Wiſent einfach erſchlug. Zur Zeit der früheren ungariſchen Könige nahm die Wiſent⸗ jagd unter dem damals üblichen Weidwerke die hervorragendſte Stelle ein und blieb in manchen Gebieten ausdrücklich dem König vorbehalten. „In demſelbigen Jahre (1534)“, heißt es in einer deutſchen Handſchrift, „haben die wilden Ochſen, ſo in den Gebirgen von Girgaw (Gyergyo im Szeklerlande) ſcharenweis haufen und von die Zeckeln (Schedlern) ‚Begyin‘ oder „Beögin' genannt, viel Schaden getan, auch Menſchen und Weiber, jo in Wald gangen, ge mordet mit den Füßen. Darumb hat der Majlath Iſtvan nach alter Gewohnheit und Gebrauch der alten Woywoden auf Fabianistag groſſe Jagd halten laſſen, allwo viel Herren und Edel⸗ leut zuſammenkumben ſeynd und auch viel und wacker gezechet worden.“ Hundert Jahre ſpäter jagte man noch mit ebenſo vielem Gepränge, wie ein Brief von Georg Rakoczy I., Fürſten von Siebenbürgen, an Paul Bornemisca im Jahre 1643 erkennen läßt. Wiſent: Wehrhaftigkeit. Jagd. Gefangenleben. Biſon. 371 Im Walde von Bialowies erſchienen die Herrſcher früherer Jahrhunderte mit zahl⸗ reichem Gefolge, boten alle Beamten des Waldes auf, zwangen die umwohnenden Bauern zu Treiberdienſten und bewegten ſomit eine Mannſchaft von 2000 — 3000 Köpfen, die ihnen die Wiſente nach den Orten treiben mußte, wo ſie auf ſicheren Kanzeln ſich angeſtellt hatten. Von einer der glänzendſten Jagden, die König Auguſt III. im Jahre 1752 abhielt, berichtet heute noch eine 6 m hohe Spitzſäule aus weißem Sandſtein in deutſcher und polniſcher Sprache. An einem Tage wurden 42 Wiſente, 13 Elentiere und 2 Rehe erlegt. Die Königin allein ſchoß 20 Wiſente nieder, ohne auch nur ein einziges Mal zu fehlen. Am 18. und 19. Oktober 1860 ſtellte der Kaiſer von Rußland eine Jagd an. Der Kaiſer ſelbſt ſchoß 6 Wiſentſtiere und 1 Kalb, 2 Elen⸗, 6 Damhirſche, 3 Rehe, 4 Wölfe, 1 Dachs, 1 Fuchs und 1 Haſen. Der Großherzog von Weimar und die Prinzen Karl und Albrecht von Preußen erlegten 8 andere Wiſente. In unſeren Tiergärten halten die Wiſente bei einigermaßen geeigneter Pflege vortreff— lich aus, ſchreiten auch ohne Umſtände zur Fortpflanzung, vermehren ſich ſogar ſtärker als im Freien. Nach den Beobachtungen von Schöpf beträgt ihre Trächtigkeitsdauer 270—274 Tage. Die Mutter behandelt das neugeborene Junge mit größter Zärtlichkeit, falls es nicht von menſchlicher Hand berührt wird, wogegen ſie in die größte Wut gerät und dieſe an dem harmloſen Kälbchen ausläßt, wenn ſich ein Wärter wider ihren Willen mit letzterem zu ſchaffen macht. Der Stier muß ſtets von der trächtigen Kuh getrennt werden, weil ein Familienleben in engem Raume bei dieſen Tieren nicht durchzuführen iſt. Dasſelbe Schickſal, das ſich am Wiſent im Laufe der Jahrhunderte erfüllte, hat ſeinen einzigen Verwandten, den Biſon, in unglaublich kurzer Zeit, man könnte ſagen während eines einzigen Jahrzehntes, betroffen. Noch vor einem halben Jahrhundert durchzogen Millionen der mächtigen Tiere ungeheure Landſtriche Nordamerikas — heutigestags irren daſelbſt bloß noch Hunderte umher. Die Geſchichte kennt kein zweites Beiſpiel, daß harmloſe, nützliche Tiere, ohne auch nur den geringſten geſetzlichen Schutz zu erhalten, um geringen Gewinnes willen gewerbsmäßig niedergeſchoſſen und erbarmungslos maſſenweiſe vertilgt worden ſind. Von den einſt unzählbaren Herden der „Büffel“ Nordamerikas zeugen gegenwärtig bloß noch blei— chende Knochen, die in den weiten Einöden verſtreut liegen; die Zahl der Überlebenden betrug, nach den genauen Ermittelungen von William T. Hornaday, am 1. Januar 1889 im ganzen noch 835 Stück, einſchließlich der 200, die im Nellowſtone Park unter dem Schutze der Re— gierung ihr Daſein friſten. Wild lebten davon etwa 85 in den Vereinigten Staaten und 550 im britiſchen Nordamerika. Und dieſe Vertilgung der Biſons hat ſich in der Hauptſache ſeit Anfang der 1870er Jahre mit Benutzung der den fernen Weſten durchſchneidenden Eiſenbahnen vollzogen. Über ein halbes Hunderttauſend Indianer, denen, wie ihren Alt— vorderen, gänzlich oder teilweiſe ihre Lebensführung durch das Vorhandenſein der „Büffel“ ermöglicht wurde, find Entbehrungen und Hungersnöten ausgeſetzt, wenn nicht die Regierung der Vereinigten Staaten ſie immer rechtzeitig mit Unterhalt verſorgt. Dank den Bemühungen Hornadays und der von ihm im Jahre 1905 begründeten „Amerikaniſchen Biſongeſellſchaft“ hat ſich erfreulicherweiſe in den letzten Jahren der Beſtand an Biſons wieder etwas gehoben. Einige geeignete große Flächen wurden als Schutzparke eingerichtet, z. B. in Montana, Dakota und Oklahoma. Bei ſorgfältiger Hegung und Winterfütterung gedeihen und vermehren ſich die Tiere jehr gut. In Kanada, wo ſich inzwiſchen das Vorhandenſein eines größeren Be— ſtandes (der ſogenannten „Waldbiſons“) herausgeſtellt hatte, wurden ebenfalls Schutzmaß— regeln ergriffen; die Herde im Park von Alberta ſoll über 1000 Köpfe ſtark ſein. 24 * 372 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Als die erſten Europäer Nordamerika beſiedelten, erſtreckte ſich, nach Allens Unter— ſuchungen, der Verbreitungskreis des Biſons faſt von der atlantiſchen Küſte weſtwärts bis an die Grenzen von Nevada und Oregon, ſüdwärts bis zum 25. Grade und im Nordweſten etwa bis zum 65. Grade nördlicher Breite und umfaßte ſowohl Waldland als auch Grasland. Mit der fortſchreitenden Beſiedelung wurde das Verbreitungsgebiet eingeſchränkt, von Oſten ſchneller und bedeutender als von Weſten, ſo daß es in den ſechziger Jahren des verfloſſenen Jahrhunderts nur noch die mittleren Teile Nordamerikas, das eigentliche Präriengebiet, um⸗ faßte oder Landſtriche, die ungefähr zwiſchen dem 95. Grade weſtl. Länge und dem Feljen- gebirge liegen. Durch die im Jahre 1869 vollendete Union Pacific-Eiſenbahn, die ſchon viele Jäger herbeizog, weil ſie eine raſche Verwertung der friſchen Häute ermöglichte, wurden die Maſſen der noch immer nach vielen Millionen zählenden Biſons dauernd in eine nördliche und ſüdliche Herde geteilt, und von dieſer Zeit an, gefördert durch den Ausbau weiterer Bahnen, nahm die Vernichtung der Tiere unaufhaltſam ihren Fortgang. Die Jagd, oder rich- tiger das Hinmorden, wurde als ein Gewerbe im großen betrieben, und zwar derartig, daß die ganze ſüdliche Herde, deren Stückzahl noch 1871 von Kennern höher als 3 Millionen veranſchlagt wurde, bereits im Jahre 1875 bis auf unbedeutende verſprengte Reſte ausgerottet war. In der gleichen Weiſe nahm im Jahre 1880 die Vertilgung der nördlichen Herde ihren Anfang und war ſchon 1883 beendet. In den ungeheuren Gebieten, die kurz zuvor eine Heimat für viele Millionen Biſons geweſen waren, irrten nur noch Tauſende in Trupps und kleinen Rudeln umher, um ſich ihren unbarmherzigen Verfolgern zu entziehen; aber auch von dieſen verſprengten Flüchtlingen verfielen in den nächſten Jahren noch die meiſten der töd⸗ lichen Kugel, bis es ſich endlich für niemand mehr lohnte, die Jagd zu betreiben. Bei einigermaßen verſtändiger und rechtzeitiger geſetznäßiger Regelung des Jagdbetriebes hätte man, wie Hornaday ſchreibt, von dem ungeheuern Beſtande an Biſons alljährlich wohl eine halbe Million junger Stiere abſchießen und vollſtändig, etwa für 10 Millionen Mark, ver⸗ werten können, ohne den Herden merkbaren Abbruch zu tun; jetzt bedarf es ernſtlicher An— ſtrengungen, wenn die wenigen Überlebenden erhalten werden ſollen. Man bemüht ſich aber wenigſtens, anſcheinend mit Erfolg, in letzter Stunde zu retten, was noch zu retten iſt. Der Biſon oder Buffalo der Amerikaner, Bos (Bison) bison L. (americanus; Taf. „Paarhufer XIX“, 4, bei S. 353), iſt unter den nordamerikaniſchen Tieren dasſelbe, was der Wiſent in Europa iſt: der Rieſe aller dortigen Landſäugetiere. Die Länge des Bullen beträgt 2,7—3,0 m, ungerechnet des 50, mit den Haaren aber 65 em langen Schwanzes, die Höhe am Widerriſt 1,7— 1,9 m, die Kreuzhöhe 1,4—1,6m; das Gewicht ſchwankt zwiſchen 600 und 1000 kg. Die Kühe find ſtets weſentlich ſchwächer als die Stiere. Von dem eigentlichen Präriebiſon wird der Waldbiſon, Bos (B.) b. athabascae Rhoads, unterſchieden, der etwas größer, dunkler gefärbt ſein und längere, ſchlankere Hörner beſitzen ſoll. Das Gebiet dieſer Form erſtreckte ſich früher etwa vom Oſtabhang des Felſengebirges bis zum 95. Grad weſtl. Länge und vom 63. bis zum 55. Grad nördl. Breite, wahrſcheinlich ehemals nach Süden längs des Felſengebirges bis zu den Vereinigten Staaten. Die Unterſchiede zwiſchen Präriebiſon und Wiſent ſind größer als bei anderen gleich nahe verwandten Rindern. Es hands“ ſich eben einmal um ein Steppen, das anderemal um ein Waldtier. Der Kopf des Biſons iſt ſehr groß, verhältnismäßig viel größer und breitſtirniger, auch plumper und ſchwerer, der Naſenrücken ſtärker gewölbt, das Ohr länger als beim Wiſent, das blöde, tief dunkelbraune Auge, deſſen Weiß getrübt erſcheint, mäßig groß; der kurze, hohe und ſchmale Hals ſteigt ſteil an zu dem unförmlich erhöhten Widerriſte, von dem ab die Rückenlinie bis zur . TEE TE > Biſon: Herdenleben. Wanderungen. 373 Wurzel des kurzen, dicken Schwanzes ſtark abfällt, ebenſo wie ſich der in der Bruſtgegend verbreiterte Leib nach hinten zu außerordentlich verſchmächtigt; die Beine find verhältnis⸗ mäßig kurz und ſehr ſchlank, die Hufe und Afterhufe klein und rund. Somit müſſen die Größe des Kopfes, die ungewöhnliche Entwickelung des Bruſtteiles bei auffallender Verſchmäch— tigung des Hinterteiles und die Kürze des dicken Schwanzes wie der ſchlanken Beine als bezeich- nende Merkmale des Tieres gelten. Die Hörner, die bedeutend ſtärker, an der Wurzel dicker, an der Spitze ſtumpfer, in ihrer Biegung einfacher als die des Wiſents ſind, biegen ſich nach hinten, außen und oben, ohne daß die Spitzen ſich wieder erheblich nähern. Das Haarkleid ähnelt dem des Wiſents. Kopf, Hals, Schultern, Vorderleib und Vorderſchenkel, Vorderteil der Hinterſchenkel und Schwanzſpitze ſind lang, die Schulterteile mähnig, Kinn und Unterhals bartähnlich, Stirn und Hinterkopf kraus, filzig behaart; alle übrigen Leibesteile tragen ein kurzes Haarkleid. Im Winter verlängert ſich das Haar bedeutend; mit Beginn des Frühlings wird der Winterpelz in großen Flocken abgeſtoßen. Die Färbung iſt ein rötliches Dunkel— braun, das an der Mähne, d. h. alſo an Vorderkopf, Stirn, Hals und Wamme in Schwarz— braun übergeht; den Sommer über iſt jedoch der hintere Teil des Körpers nur ganz kurz und ſpärlich behaart, an manchen Stellen faſt nackt. Hörner und Hufe ſowie die nackte Muffel ſind glänzend ſchwarz. Graue, weiße und weiß gefleckte Tiere kommen vor. Der Biſon muß, wenigſtens ſeitdem ſein Verbreitungsgebiet eingeſchränkt wurde, als ein Charaktertier jener ungeheuren Steppengebiete angeſehen werden, welche die Amerikaner Prärien nennen. Hier lebte er geſellig, aber immerhin locker verteilt. „Die Geſamtheit einer Büffel— herde“, ſo ſchildert Freiherr Max v. Thielmann 1875, „zerfällt in zahlreiche kleinere Gruppen. Wenn auch von weitem geſehen eine ſaftiges Gras bietende Niederung buchſtäblich mit Büffeln bedeckt erſcheint, ſo erkennt das Auge in größerer Nähe doch bald, wie ſich die Menge in ein— zelne Herden von wechſelnder Stärke auflöſt; und eine jede von dieſen, obſchon nur wenige hundert Schritte von der nächſten entfernt, beſitzt ihren eigenen Leiter und ihre eigene Be— wegung. Das Eigentümliche bei dieſer Verteilung iſt, daß die Kuhherden, von jüngeren Bullen geführt, immer in der Mitte der Geſamtheit ſtehen, während die älteren Bullen ſich in kleinere Herden zuſammentun und ſtets am Umkreiſe des Ganzen bleiben. Wir ſelbſt bewegten uns während voller vier Marſchtage nur zwiſchen Bullenherden; erſt dann ſtießen wir auf Kühe. Die Stärke der einzelnen Herden iſt ſehr verſchieden; die Kühe ſtehen zu 30 und mehr zu— ſammen, die Bullen ſah ich meiſtens zwiſchen 6 und 16. Doch bleiben die verſchiedenen Herden oft ſo nahe beieinander, daß das Auge zu gleicher Zeit Hunderte und Tauſende erblicken kann. Ob im Norden, wo der Büffel noch zahlreicher iſt, er ſich als Standwild dichter zu— ſammenhalten mag, iſt mir unbekannt. Die Erzählungen von den Hunderttauſenden, die mancher Jäger mit einem Blicke überſehen haben will, ſcheinen mir aber deshalb etwas gefärbt, weil der Büffel nicht allein auf dem Zuge, ſondern auch während des Aſens die reihenweiſe Ordnung, den Gänſemarſch, mit gleichen Abſtänden ſtets innehält, was ſelbſtverſtändlich die Anſammlung ſo ungeheuerer Mengen innerhalb eines Geſichtskreiſes ausſchließt.“ Alljährlich unternahmen die Biſons mit größerer oder geringerer Regelmäßigkeit eine Wanderung. Vom Juli an zogen ſie ſüdwärts, mit Beginn des Frühjahrs kehrten ſie wieder nordwärts zurück, und zwar in kleinere Trupps oder Herden aufgelöſt. Dieſe Wanderungen jollten fie von Kanada bis zu den Küſtenländern des Mexikaniſchen Golfs und vom Miſſouri bis zu den Felſengebirgen ausdehnen. Doch ſind dieſe Angaben keineswegs im vollen Umfange erwieſen; wir dürfen ſogar ſehr bezweifeln, ob überhaupt ſo ausgedehnte Wanderungen jemals vorgekommen ſind. Viele Biſons blieben auch während des Winters im großen und ganzen 374 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. in ihren Standgebieten. „Wie mir ein erfahrener Jäger mitteilte“, ſchreibt Freiherr v. Thiel⸗ mann 1875, „iſt auch in früheren Zeiten der Büffel in eine nördliche und ſüdliche Gruppe geſchieden geweſen, deren Grenzſcheide der Republican River bildete, der nördliche Quellfluß des Kanſas (alſo etwa der 40. Grad nördlicher Breite). Die nördlichen Herden überſchritten dieſen im Winter nicht auf ihrem Zuge nach Süden, während die ſüdlichen im Sommer nicht weiter nach Norden vordrangen.“ Auch Hornaday vertritt die Anſicht, daß es ſich weniger um ſehr ausgedehnte Wanderungen als vielmehr um eine bloße Verſchiebung des Aufent— haltes der Geſamtheit handelte. So konnte es geſchehen, daß man mitten im Winter, wie W. F. Butler, in nördlichen Gegenden Herden antraf, die aus ihren fernſten Sommerftand- gebieten um einige hundert Kilometer ſüdwärts gerückt waren. Butler fand im November und Dezember 1872 bei tiefem Schnee und großer Kälte (bis 34 Grad Celſius unter Null) die Biſons in ſehr zahlreichen Herden am Saskatchewan, etwa zwiſchen dem 52. und 53. Grade nördl. Breite. Außer Raubvögeln und Raben in den Lüften folgten den wan— dernden Herden Meuten magerer Wölfe, die einen wie die anderen ſicherer Beute gewiß. Da, wo die Biſons ſich feſt angeſiedelt hatten, wechſelten ſie regelmäßig hin und her, nament— lich von den ſaftigen Weideplätzen zu den Flüſſen, die fie beſuchten, um ſich zu tränken oder badend zu kühlen, und auf ihren Wanderungen traten ſie ſich jene Wege aus, die unter dem Namen „Büffelpfade“ allen bekanntgeworden ſind, welche die Prärien durchreiſten. Die Büffelpfade führten meiſt in gerader Richtung fort, Hunderte nebeneinander, und kreuzten Gewäſſer an zum Ein- und Ausſteigen bequemen Stellen. Sie glichen genau den Pfaden, die auch unſere Hausrinder austreten und regelmäßig begehen, wo ſie zahlreich und unge— bunden in Wäldern und auf Hutungen weiden. Möllhauſen ſah im Jahre 1851 auf den Prärien weſtlich vom Miſſouri Hunderttauſende von Biſons; Fröbel zog im Jahre 1858 mit einer Wagenkarawane von Miſſouri nach Mexiko und reiſte acht Tage lang unaufhörlich zwiſchen Büffelherden dahin. „In Rotten, in Haufen, in Maſſen, in Heeren“, ſchildert Hepworth Dixon, „donnern die ſchwarzen, zottigen Tiere vor uns her, manchmal von Norden nach Süden, manchmal von Süden nach Norden; 40 Stunden nacheinander haben wir ſie ſtets im Geſichte gehabt, Tauſende auf Tauſende, Zehntauſende auf Zehntauſende, eine unzählbare Maſſe ungezähmter Tiere, deren Fleiſch, wie wir glauben ſollten, hinreicht, die Wigwams der Indianer bis in die Ewigkeit zu verſorgen.“ „Während wir“, bemerkt Finſch, „Anfang Oktober (1872) auf der Hinreiſe nach Denver kaum mehr als einen Biſon zu ſehen bekamen, obgleich ſie in der Nähe mancher Halteſtellen, z. B. Buffalo, ziemlich häufig waren, trafen wir ſie auf der Rückreiſe einen Monat ſpäter ſchon bei Kit Carſon in Colorado, obwohl die Hauptzüge laut Zeitungsberichten bereits am Arkanſas und Canadianfluſſe eingetroffen waren. Auf unſeren Jagden ſind wir ihnen aller— dings niemals in ſolchen Maſſen begegnet, wie ſie Dixon geſehen; aber nach glaubwürdigen Zeugniſſen iſt ſeine Schilderung noch heute (1872) zutreffend. Den von den Leitſtieren ein- geſchlagenen Wegen folgt die ganze Herde unter allen Umſtänden nach, und ſei es über Flüſſe oder ſteile Abhänge hinab. Der Schienenweg macht ſie gewöhnlich ſtutzen, die erſten Ankömm— linge bleiben ſtehen und beriechen das Geleiſe, gehen dann aber ohne Zögern hinüber und geben damit ein Zeichen für die nachfolgenden, ein Gleiches zu tun. Auch die längs der Bahn— ſtrecke zahlreich errichteten hölzernen Schneeſchutzwehren beunruhigen die Biſons nicht; fie be— nutzen dieſe wie die Telegraphenſtangen, um ſich daran zu ſcheuern. Obwohl ſie menſchliche Niederlaſſungen vermeiden, ſcheuen fie ſich vor den einzelnen abgelegenen Präriehäuſern keines— wegs und kommen ſehr häufig in die Nähe derſelben. Unſer Wirt in Monotony, Vorſteher Biſon: Wanderungen. Fortpflanzung. Bewegungen. 375 einer einſamen Waſſerſtelle an der Kanſasbahn, ſchoß nur ſolche Tiere, welche ſich ganz in der Nähe zeigten, um die Fortſchaffung der toten Rieſen zu erleichtern, und verſorgte dennoch ſein Haus für das ganze Jahr mit Büffelfleiſch. An einem Morgen hatte er, noch ehe wir mit dem Frühſtücke fertig waren, ſchon drei gewaltige Bullen, keine 150 Schritt von ſeinem Hauſe entfernt, erlegt.“ Freiherr Max v. Thielmann, der 1875 ſeine Jagdzüge im fernen Weſten unternahm, hat jedoch bereits recht abweichende Erfahrungen zu verzeichnen. Dieſe faßt unſer Gewährsmann folgendermaßen zuſammen: „Das meiſte zur Ausrottung taten die drei Eiſen— bahnen, welche die Prärie vom Miſſouri nach den Felſengebirgen hin durchſchneiden. Während noch zu Anfang dieſes Jahrzehntes (der ſiebziger Jahre) zwiſchen der Union Pacific- und der Kanſas Pacific-Bahn Jagden mit ſicherer Ausſicht auf Erfolg veranſtaltet werden konnten, und während die Atchiſon-, Topeka- und Santa Fé-Bahn im erſten Jahre ihres Beſtehens an 200 000 Häute nach dem Oſten verſandten, ſo iſt jetzt zwiſchen dieſen drei Bahnen und inner— halb eines mehrere Tagemärſche breiten Streifens nördlich und ſüdlich der äußerſten beiden der Büffel als Standwild verſchwunden. Nur einzelne Herden mögen auf ihren Zügen nach Norden im Frühjahre und nach Süden im Herbſte die Schienen noch überſchreiten.“ In den Monaten Juli bis September, in welche die Paarungszeit fällt, gerieten die Herden in Aufregung, zogen ſich eng zuſammen und bildeten eine durcheinander wimmelnde Maſſe. Die Stiere treiben die Kühe, treffen aufeinander und bekämpfen ſich gegenſeitig, bis ſie durch andere Tiere abgedrängt werden. Dieſe Kämpfe werden von manchen, z. B. von Catlin, als furchtbar, von anderen Beobachtern aber, wie von Audubon, Dodge und anderen, als recht ungefährlich geſchildert. Der dicke Schädel, der außerdem durch den Wollfilz wohl— geſchützt iſt, hält einen gewaltigen Stoß ohne Schaden aus, und die kurzen Hörner bilden keine geeigneten Waffen, einen gleich ſtarken Gegner tödlich zu verletzen. Hornaday, auf eigene Beobachtungen und gute Gewährsmänner geſtützt, wendet ſich beſtimmt gegen die Anſchauung, daß eine Abſonderung der paarungsluſtigen Tiere in Pärchen oder Familien ſtattfände: die ganze Maſſe der Herde bleibt vielmehr zuſammengedrängt, bis die Rinderzeit vorüber iſt; darauf tritt wieder die ſchon beſchriebene gewöhnliche Verteilung ein. Die Kühe tragen 9 Monate lang. Die Kälber, in der Regel je eins, doch nicht ſelten auch zwei, werden nach unſerem Gewährsmanne in der Zeit vom März bis Juli, manche auch erſt im Auguſt geboren. Wo es angeht, ziehen ſich die trächtigen Kühe vorher an einen geſchützten Ort zurück und weilen dort mit ihren Sprößlingen, bis dieſe kräftig genug ſind, um ſich der Herde anzuſchließen. Von dieſer Zeit an treten die Stiere als Schützer der Kälber auf, obwohl dieſe unweigerlich ihren Müttern zu folgen pflegen, bis ſie durch neuen Nachwuchs verdrängt werden. Die Jungen haben anfangs einen gelblich rotbraunen Wollpelz und ſind, wie Heck ſagt, ſehr putzige, muntere und ſpielluſtige Dinger; ſie ſaugen 9 Monate hindurch und manchmal noch länger. Der Biſon, obwohl ein plump erſcheinendes Tier, bewegt ſich doch mit ziemlicher Leich— tigkeit; ungeachtet ſeiner kurzen Läufe durchmißt er raſch bedeutende Strecken. Er geht niemals in der faulen Weiſe wie ein zahmes Rind langſam dahin, ſondern ſtets eiligen Schrittes, trabt raſch und ausdauernd und bewegt ſich im Galopp mit ſo großer Schnelligkeit, daß ein Pferd ſich anſtrengen muß, um ihn einzuholen. Seine Bewegungen ſind eigentümlich kurz abgebrochen und beſchreiben, wenn ſie beſchleunigt werden, ſonderbare Wellenlinien, die dadurch entſtehen, daß er die Maſſe des Leibes bald vorn, bald hinten aufwirft. Das Schwimmen übt er mit derſelben Kraft und Ausdauer, die ſeine Bewegungen überhaupt kennzeichnen, nimmt auch nicht den geringſten Anſtand, in das Waſſer zu gehen und breite Ströme zu kreuzen. Die Stimme iſt ein dumpfes Brummen, mehr ein Grollen in tiefer Bruſt als ein Brüllen. Wenn 376 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. Tauſende zugleich ſich vernehmen laſſen, einen ſich die Stimmen zu einem Dröhnen, das mit dem Rollen fernen Donners verglichen wird. 5 Unter den Sinnen ſtehen Geruch und Gehör obenan. Der Biſon wittert vorzüglich und vernimmt auf weite Strecken hin. Das Geſicht wird von allen Beobachtern als ſchwach be— zeichnet, obgleich das Auge wohlgebildet iſt und ſich wohl kaum von dem anderer Wiederkäuer unterſcheidet; wahrſcheinlich hindert der dichte Haarfilz, der den Kopf umgibt, den Biſon am guten Sehen. Hinſichtlich der geiſtigen Fähigkeiten unterſcheidet ſich dieſer nicht von anderen Verwandten. Er iſt wenig begabt, gutmütig und furchtſam, kann aber gereizt einem Feinde mutig entgegentreten. Gefangene Biſons ſind der Zähmung durchaus nicht unzugänglich, treten vielmehr mit dem Menſchen, der ſie recht zu behandeln weiß, in ein faſt freundſchaftliches Verhältnis, lernen wenigſtens ihren Wärter kennen; freilich währt es lange, ehe fie ihre an- geborene Scheu ablegen. Der Stier zeigt ſich unter allen Umſtänden ſelbſtbewußter, anſpruchs⸗ voller, herrſchſüchtiger und deshalb mutiger und kampfluſtiger als die Kuh. Während des Sommers bot das unſcheinbare, aber ſaftige Gras der Prärien den Biſons ein gedeihliches Futter; im Winter mußten die Tiere mit Zweigſpitzen und verdorrten Blättern, dürrem Gras, Flechten und Moos vorliebnehmen. „Wenn die drückende Sonnenhitze die grüne Grasflur verbrannt hat“, bemerkt Finſch ferner, „genügen die trockenen Büſchel dem Biſon noch, und ſelbſt die großen Präriebrände im Herbſte laſſen ſo viele vom Feuer überſprungene Oaſen inmitten der ſchwarzen Fläche übrig, daß die Herden auf ihrer Wanderung hinreichende Nahrung finden. Im Winter freilich ſieht es ſchwieriger um ihre Erhaltung aus, und die kümmerlich unter dem Schnee hervorgekratzten Reſte reichen kaum aus. Weniger als reichliches und friſches Futter können die Tiere Waſſer entbehren. In langen Reihen ſieht man ſie früh und abends eines hinter dem anderen, die luſtig ſpielenden Kälber zur Seite, auf den von ihnen getretenen, kaum mehr als fußbreiten Wegen, welche ganz das Ausſehen von Fußpfaden haben, langſam dahinziehen, ihrem ganz beſtimmten Ziele, der Tränke, zuſtrebend. Hier ent⸗ wickelt ſich dann ein reges Leben. In der Reihenfolge, in welcher die ſchwarzen Koloſſe an den Tümpel gelangen, beginnen ſie ihren Durſt in tiefen Zügen zu löſchen; ſäumige werden mit ſanften Hörnerſtößen zur Eile getrieben, und nur hier und da kommt es zwiſchen recht alten Bullen zu einer ernſteren Rempelei, jo daß der in gewiſſer Entfernung verborgene Be— obachter das Aneinanderprallen der Hörner deutlich vernehmen kann.“ Viele und ernſte Gefahren bedrohten von jeher das Leben des Biſons. Der auf der Prärie meiſt ſchwere Winter vernichtete oft Hunderte ſeines Geſchlechtes, nachdem er ſie erſt entkräftet und ermattet hatte. Zwar iſt der Biſon wohl gerüſtet, ihm zu widerſtehen: ſein dichter Wollfilz ſchützt ihn unter günſtigen Umſtänden genügend gegen die Witterung, und der Haarwechſel ſeines Kleides ſteht, wie zu erwarten, in ſo genauem Einklange mit der Jahreszeit, daß ihn ſozuſagen der Winter unvermutet nicht überraſcht. Aber bei hoch liegendem Schnee gingen infolge von Futtermangel viele Biſons zugrunde, ebenſo durch Ertrinken beim Überſchreiten von Flüſſen mit zu ſchwacher Eisdecke. Es wird geſagt, daß der Grizzlybär ſelbſt den Kampf mit dem wehrhaften Stiere nicht ſcheue, und ebenſo, daß auch der Wolf wenigſtens jüngere Büffel gefährde. Bei weitem der ſchlimmſte Feind aber war doch der Menſch, wurde zumal der Europäer, deſſen Jagden, wie Hornaday ausführt, ſchon in den zwanziger und dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts einen bedenklichen Umfang annahmen. „In früheren Zeiten“, ſo ſchildert Möllhauſen vor mehr als einem halben Jahrhundert, „als der Büffel gewiſſermaßen als Haustier der Indianer betrachtet werden konnte, war keine Verminderung der unabſehbaren Herden bemerkbar; im Biſon: Sinne. Nahrung. Feinde. Jagd. 377 Gegenteil, ſie gediehen und vermehrten ſich auf den üppigen Weiden. Nun kamen die Weißen in dieſe Gegenden. Die reichhaarigen großen Pelze gefielen ihnen, das fette Büffelfleiſch fanden ſie nach ihrem Geſchmacke, und von beidem verſprachen ſie ſich reichen Gewinn. Es wurden zuerſt bei den Steppenbewohnern Begierden nach glänzenden oder betäubenden Erzeugniſſen der Weißen erweckt und dann ſolche im kleinſten Maße für ihre Jagdbeute geboten, worauf die Verheerung begann. Tauſende von Büffeln wurden der Zungen wegen, häufiger noch der zottigen Pelze halber erlegt, und in wenigen Jahren war eine auffällige Verminderung be— merkbar .. . Die Büffeljagd der Prärie-Indianer iſt eine Beſchäftigung, durch welche fie ſich nicht nur ihren Unterhalt verſchaffen, ſondern welche ihnen zugleich als höchſtes Vergnügen gilt. Beritten auf ausdauernden Pferden, welche ſie größtenteils wild in der Steppe eingefangen haben, ſind ſie imſtande, jedes Wild in der Ebene einzuholen, und ſuchen einen beſonderen Ruhm darin, mit der größten Schnelligkeit und möglichſtem Erfolge vom Pferde herab ihre tödlichen Geſchoſſe unter eine fliehende Herde zu verſenden . .. Der Jäger führt in der linken Hand den Bogen und ſo viele Pfeile, als er bequem halten kann, in der rechten aber eine ſchwere Peitſche, mittels welcher er ſein flüchtiges Roß durch unbarmherzige Schläge unter die fliehende Herde und an die Seite einer fetten Kuh oder eines jungen Stieres treibt. Das gelehrige Pferd verſteht leicht die Abſicht ſeines Reiters und eilt, keiner weiteren Führung be— dürfend, dicht an die ausgewählte Beute heran, um dem Jäger Gelegenheit zu geben, im gün— ſtigſten Augenblicke den Pfeil bis an die Federn in die Weichen des Büffels zu ſenden. Kaum ſchwirrt die ſtraffe Sehne des Bogens, kaum gräbt ſich das ſcharfe Eiſen durch die krauſe Wolle in das fette Fleiſch, ſo entfernt ſich das Pferd von dem verwundeten Tiere durch einen mächtigen Sprung, um den Hörnern des wütend gewordenen Feindes zu entgehen, und ein anderer Stier wird zum Opfer ausgeſucht. So geht die Hetzjagd mit Sturmeseile über die Ebene dahin, bis die Ermüdung ſeines Tieres den wilden Jäger mahnt, der unerſättlichen Jagdluſt Einhalt zu tun. Alle verwundeten Büffel haben ſich indeſſen von der Herde getrennt und liegen erſchöpft oder verendend auf der Straße, auf welcher vor wenigen Minuten die wilde Jagd donnernd dahinbrauſte. Die Weiber des Jägers find ſeinen Spuren gefolgt und beſchäf— tigen ſich emſig damit, die Beute zu zerlegen und die beſten Stücke nebſt den Häuten nach den Wigwams zu ſchaffen, wo das Fleiſch in dünne Streifen zerſchnitten und getrocknet, das Fell aber auf einfache Art gegerbt wird. Natürlich bleibt der bei weitem größte Teil den Wölfen. „Da die lange Kopfmähne des Büffels demſelben die Augen verdeckt und ihn am klaren Sehen und Unterſcheiden hindert, wird es dem Gegner um ſo leichter, ſelbſt ohne Pferd auf Beute auszugehen. Er befeſtigt eine Wolfshaut an ſeinem Kopfe und Körper, und indem er ſeine Waffen vor ſich hinſchiebt, geht er auf Händen und Füßen im Zickzack auf ſein Ziel los. Wenn der Wind nicht plötzlich den Indianer in der Kleidung verrät, ſo gelingt es dieſem ſicher, aus nächſter Nähe einen Büffel zu erlegen, ohne daß dadurch die übrige Herde aus ihrer Ruhe geſtört würde. Selbſt den Knall der Büchſe ſcheuen dieſe Tiere nicht, ſolange ſie mit ihren feinen Geruchswerkzeugen die Anweſenheit eines Menſchen nicht wahrnehmen. Ein wohlver— borgener Schütze vermag manchen Büffel einer ruhig graſenden Herde ohne große Störung mit der Kugel zu fällen: das Todesröcheln des verwundeten veranlaßt höchſtens den einen oder den anderen, ſeinen mähnigen Kopf auf einige Augenblicke forſchend zu erheben; dann geht er wieder an ſeine Lieblingsbeſchäftigung, an das Graſen. Zu allen Jahreszeiten wird dem armen Büffel nachgeſtellt, jelbft dann, wenn der Schneeſturm die Niederung mit einer tiefen Decke überzogen hat und die beliebte Jagd mit den Pferden unmöglich geworden iſt. Langſam nur kann ſich dann die Herde durch den mehrere Fuß hohen Schnee wühlen; der ſinnreiche 16. Ordnung: Paarhufer. Familie: Horntiere. 0 37 Indianer aber hat ſich breite, geflochtene Schneeſchuhe an die Füße befeſtigt, und ohne auf dem unſicheren Boden einzubrechen, eilt er ſchnell an den mühſam watenden Rieſen heran und ſtößt das wehrloſe Tier mit der Lanze nieder.“ Gelegentlich wurden auch Trupps und kleinere Herden in ſtarke, zu dieſem Zwecke her— geſtellte Pferche getrieben und dann erſt niedergeſchoſſen. Audubon teilt mit, daß man vom Fort Union aus ſogar mit Kanonen unter die Herden feuerte. Fröbel erzählt, daß immer, wenn ſeine Reiſegeſellſchaft Fleiſch bedurfte, ein tüchtiger Reiter ausgeſandt wurde, ſolches herbeizuſchaffen. Der Mann ritt mitten unter die Herden, die ihn wenig beachteten, wählte ſich ein Tier aus und ſprengte auf dieſes zu, bis er ihm den Revolver an die linke Schulter ſetzen und ſchießen konnte. Von Widerſetzlichkeiten eines Biſons wurde nichts beobachtet; die benachbarten Herden wichen während der Jagd nur ein wenig zur Seite. Ein Mexikaner, der bei der Karawane war, zeigte ſich jo geſchickt in Handhabung der Wurfſchlinge, daß er nicht bloß Biſonkälber, ſondern auch erwachſene Kühe damit fing. Gleichwohl liefen nicht immer alle Biſonjagden jo gut ab, wie es nach dem bisher Mit- geteilten ſcheinen möchte. Wyath ſah, daß ein Indianer, der einem verwundeten Biſon noch zuſetzte, hart büßen mußte. Das Tier wendete ſich plötzlich gegen ihn, ſein ſcheuendes Pferd warf ihn ab, und ehe er noch aufſpringen konnte, hatte der Büffel ihm die Bruſt durchbohrt. Solange die beſchriebenen Jagdweiſen in Übung blieben, war eine wirkliche Ausrottung der Biſons kaum anzunehmen, obwohl alljährlich Hunderttauſende ihr Leben laſſen mußten, obwohl die Verfolger in förmlichen wohlgeordneten Armeen mit Ober- und Unterbefehls— habern, mit Vorratswagen und Lagergeräten nach den Jagdgründen zogen. Solange man noch zu Pferde jagte, bedurfte es immerhin der vereinten Anſtrengungen von 15—25 Jägern, um während eines Jagdzuges etwa 1000 Biſons zu erbeuten. Anders ſtellten ſich die Erfolge, als man anfing, das Beſchleichen, die „ſtille Jagd“, wie die Amerikaner dieſe Vertilgungsweiſe nennen, faſt ausſchließlich zu betreiben. Ein guter „Schießer“, denn eine andere Bezeichnung iſt hier nicht wohl anzuwenden, vermochte nun ganz allein 1000 — 3000 Tiere während eines ein— zigen Jagdzuges niederzuknallen: ſo tötete z. B. Jack Brydges allein 1142 Biſons in 6 Wochen. Ein derartig erfolgreicher Betrieb des Abſchuſſes wurde ermöglicht durch den Gebrauch weittragender, ſchwerer Rückladebüchſen und durch die faſt beiſpielloſe Dummheit der Biſons, denen ſelbſt die ſchlimmſten Erfahrungen kein Verſtändnis für die ſie bedrohende Gefahr brachten. Nach der eingehenden Schilderung Hornadays wurde die ſtille Jagd folgendermaßen ausgeübt: Gewöhnlich taten ſich vier Leute zuſammen, rüſteten ſich ſelbſt zu dem Jagdzuge aus oder wurden von einem anderen, in deſſen Dienſte ſie traten, ausgerüſtet. Sie fuhren mit der Eiſenbahn nach einer der erwählten Gegend nächſtgelegenen Station, luden hier ihre Ausrüſtung auf Wagen und zogen nach dem Jagdgrunde. Einer der Leute beſorgte das Kochen, die drei anderen gingen, jeder für ſich, mit Büchſe, Schießbedarf und Abhäutemeſſern zum Schießen aus. Die ganze Kunſt beſtand darin, einen Trupp oder eine Herde Biſons an einer Ortlichkeit auszukundſchaften, wo ſich der Schießer ungeſehen und unter dem Winde möglichſt nahe an eine größere Anzahl Stücke heranſchleichen konnte. Hatte er dies bewerkſtelligt, jo legte der Mann ſeine Patronen neben ſich, ſuchte eine ſichere Raſt für ſeine Büchſe und ſchoß das Leittier aufs Blatt. Der Knall machte zwar die Herde aufmerkſam, verſcheuchte ſie jedoch nicht; die nächſten Stücke gingen höchſtens zum Leittiere, das, durch die Lungen geſchoſſen, bald zuſammenbrach. Ein zweites Stück, das etwa die Leitung der Herde übernehmen wollte, ſiel unter der nächſten Kugel, ſo auch ein drittes, ein viertes und ſo weiter. Die Aufmerkſamkeit des Schießers richtete ſich vornehmlich darauf, nicht ſelbſt in Bewegung geſehen zu werden Biſon: Jagd. Nutzen. Gefangenleben. 379 und immer dasjenige Tier niederzuſchießen, das etwa davongehen wollte, weil dieſem dann alle übrigen gefolgt wären. Seine Waffe unter den günſtigſten Bedingungen richtend und ungefähr alle Minuten einen Schuß abgebend, konnte ein einigermaßen geübter Schießer von der einmal gewonnenen Stelle aus mit Leichtigkeit Dutzende der dummen Geſchöpfe innerhalb einer Entfernung von 200 —250 m töten. Hornaday führt als Belege an, daß ein A. Andrews in weniger als einer Stunde von einer Stelle aus 63 Biſons erſchoß, und hörte von MeNancy, daß ein anderer Schießer ſogar 91 Stück niederſtrecken konnte; Dodge berichtet aber von einem dritten Manne, der in kaum 45 Minuten innerhalb eines Halbkreiſes von höchſtens 200 m Radius nicht weniger als 112 Biſons tötete. War das Schießen beendet, dann be— gann das Abziehen, Strecken, Trocknen, Sammeln und Verpacken der Häute. Darauf beeilte ſich der Schießer, ſein Glück an einer anderen Stelle zu verſuchen. Da nun allenthalben, wo Biſons ſich aufhielten, zahlloſe kleine Geſellſchaften dieſe Art des Abſchuſſes betrieben, iſt es nicht zu verwundern, daß, wie zu Anfang bereits geſchildert, die argloſen Geſchöpfe erſchreckend ſchnell von der Erde vertilgt wurden. Als letztes Mittel, ſich der ſpärlichen Reſte zu bemächtigen, verfiel man auf den Anſtand an den Trinkpläßen, Aber unerwartet raſch, auch für die am Hinmorden ſelbſt Beteiligten, kam der Tag, an dem das gewerbsmäßige Büffelſchießen für immer zu Ende war. Das getrocknete Fleiſch, namentlich zerkleinert und mit Fett innig gemiſcht als „Pem— mican“ bekannt, für Polarexpeditionen auch wohl noch mit Roſinen verſetzt, wird als wohl— ſchmeckend und ſehr nahrhaft gerühmt; die Zunge gilt als Leckerbiſſen. Aus dem Felle verfertigten ſich die Indianer warme Kleidungsſtücke, Zeltwandungen und Betten, Sättel, Gurte uſw., beſchlugen auch wohl das Gerippe ihrer Kähne damit. Die Knochen mußten ihnen Sattel— geſtelle und Meſſer liefern, mit denen ſie dann die Häute abhaarten; aus den Sehnen zwirnten ſie ſich Saiten für ihre Bogen und Faden zum Nähen; aus den Füßen und Hufen bereiteten ſie durch Kochen einen haltbaren Leim; die ſtarken Haare des Kopfes und des Halſes wurden zu Stricken gedreht; aus den Schwänzen machte man Fliegenwedel; der Miſt diente als Brenn— ſtoff. Auch die Europäer ſind Liebhaber der Biſonfelle. Das Leder iſt vorzüglich, obgleich etwas ſchwammig; das Fell mit den Haaren iſt zu Decken aller Art zu gebrauchen. Die Wolle, von der ein einziges Vlies bis 4 kg liefern kann, läßt ſich ebenſogut wie Schafwolle verarbeiten. Wie alle Wildrinder gewöhnt ſich auch der Biſon leicht an die Gefangenſchaft und pflanzt ſich hier unſchwer fort. Szalay zufolge kamen ſchon im 16. Jahrhundert lebende Biſons nach Europa, und zwar an den Hof zu Madrid. Seit der Zeit wurde immer wieder gelegentlich eines dieſer Tiere gezeigt. Heute fehlen ſie kaum einem Tiergarten, und es iſt ſcherzweiſe behauptet worden, in Europa gebe es jetzt mehr Biſons als in Amerika. Die Kühe ſind vor— zügliche Mütter, die ihre Jungen ſtets gegen Zudringlichkeiten jeder Art nachdrücklichſt ver— teidigen. Über Kreuzungsverſuche mit Hausrindern wurde ſchon S. 309 berichtet. Bei ge— eigneter Behandlung ſind die Biſons der Zähmung und Dreſſur fähig. Falz-Fein verſuchte mit Erfolg, Halbblutbiſons (Taf. „Paarhufer XIX“, 7, bei S. 353) zum Arbeiten, Ziehen von Wagen oder Pflügen abzurichten. Sie ſind kaum ſchwerer zu behandeln als Hausrinder. Trotzdem haben die ſeit etwa zwei Jahrhunderten von den verſchiedenſten Seiten unternom⸗ menen Domeſtizierungsverſuche bisher noch keinerlei Erfolge im großen gehabt. Herren- oder Hochtiere (Primates). Bearbeitet von Prof. L. Heck. Dieſe Säugetiergruppe führt die Syſtematik ſeit ihrem klaſſiſchen Schöpfer Linné, der darin Menſchen und Affen, Halbaffen und Fledermäuſe zuſammenfaßte. Sie war aber ſchwer befriedigend zu kennzeichnen, und je weiter die Kenntnis fortſchritt, deſto deutlicher erkannte man, daß vor allem die Fledermäuſe, dann aber auch die Halbaffen mit den Affen und dem Menſchen nicht gerade ſehr nahe verwandt ſind. Man beſchränkte daher den Inhalt neuer— dings auf Affen und Menſchen oder gar nur auf Menſchenaffen und Menſchen, für die ja auch der Name Herren- oder Hochtiere allein paßt, wenigſtens in gewiſſem Sinne. Heute freilich, nachdem wir eingeſehen haben, daß Affe und Menſch neben hochgetriebener Gehirn— entwickelung durch vollzähliges Gebiß und fünfzehige Gliedmaßen gerade auch wieder ſehr urſprüngliche Züge zur Schau tragen, fällt es auch bei ihnen nicht mehr ſo leicht, von „Hoch— tieren“ zu ſprechen. — Weber, dem wir folgen wollen, vereinigt in der Gruppe der Primaten die Halbaffen und Affen, wobei er der Gruppe etwa den gleichen ſyſtematiſchen Rang bei— legt wie der der „Huftiere“. Siebzehnte Ordnung: Halbaffen (Prosimiae). Die Halbaffen heißen ſo, weil ſie zwar affenähnliche Hände und Füße, aber keinen Affenkopf haben. Tatſächlich haben ſie mit den Affen verhältnismäßig wenig zu tun, ſind vielmehr eine ganz eigenartige und altertümliche Säugetierordnung. Das beweiſt ſchon ihre geographiſche Verbreitung, deren Schwerpunkt auf Madagaskar liegt: nicht zum wenigſten durch ſeine reichliche Bevölkerung mit Halbaffen im Verein mit ſchwacher Vertretung oder gänz— lichem Fehlen der meiſten übrigen Säugetierordnungen wird eben Madagaskar, das Halbaffen⸗ land, als ein altes ſelbſtändiges Feſtland gekennzeichnet, als ein Gegenſtück zu dem Beutel⸗ tierland Auſtralien. Auf Madagaskar gibt es mehr Halbaffenarten als andere Säugetierarten. Die äußere Beſchaffenheit des kleinen oder mittelgroßen Körpers erweiſt die Halbaffen als ausgeprägte Baumbewohner, meiſt mit längeren Hinterbeinen, die zu mächtigen Sprüngen befähigen; manche abweichenden Formen üben aber auch wieder das langſame Greifklettern in vollendeter Weiſe kraft ganz eigenartig ausgebildeter Klammerhände und -füße. Hände und Füße der Halbaffen unterſcheiden ſich überhaupt bei näherem Zuſehen doch recht Allgemeines. 381 erheblich von denen der Affen, und zwar dadurch, daß nicht nur die Daumenzehen, ſondern auch die Daumen der Vorderhand immer ſehr groß und ſtark ſind und beim Greifen den übrigen Zehen und Fingern ſehr kräftig entgegenwirken, während ſie bei den Affen eine ganz unverkennbare Neigung zum Verkümmern und Verſchwinden verraten. Die Weichteile der vorderſten Finger- und Zehenglieder, die ſogenannten Fingerbeeren, fallen bei den Halbaffen durch beſondere Breite und Weichheit auf, jo daß man ihnen beim Andrücken an die Unter: lage beinahe eine Klebwirkung zuſchreiben möchte. Dementſprechend ſind auch die Nägel aller— meiſt noch breitere, ausgeſprochenere Plattnägel als bei den Affen; nur die zweite Hinter— zehe trägt merkwürdigerweiſe eine ſpitze Kralle. Dieſe Zehe iſt klein, ebenſo wie der ihr vorn entſprechende Zeigefinger, der ſogar ganz verſchwinden kann (vgl. Abb., S. 403). Dadurch wird offenſichtlich die Spannweite von Hand und Fuß vergrößert und werden beide z. B. zu feſtem Umfaſſen dicker Aſte geeigneter gemacht. Der vierte Finger und die vierte Zehe ſind die längſten. Das Haarkleid der Halbaffen iſt durchweg ſehr dicht und wollig: bei Tropentieren zu— nächſt eine verwunderliche Tatſache. Sie erklärt ſich aber ohne weiteres aus dem nächtlichen Leben, bei dem der Körper vor dem ſtarken Tau geſchützt werden muß. Die Haut mit ihren Drüſen hat ebenfalls ihre Eigentümlichkeiten. Die Zahl der Milchdrüſen kann bis zu ſechs gehen, und dementſprechend ſind auch Drillingsgeburten feſtgeſtellt (beim Vari im Berliner Zoologiſchen Garten), obwohl Einzahl der Jungen die Regel iſt. Lange Taſthaare an der Innenſeite des Unterarmes etwas oberhalb des Handgelenkes haben die Halbaffen, nament- lich die Makis, mit den Nagetieren gemein, und in dieſer Körpergegend kommen auch noch unbehaarte Drüſenfelder und Hornſchwielen vor. Ja, in unbehaarten Hautfalten am Bauche weiblicher Halbaffen glaubt man ſogar einen Reſt von Beutelbildung erkennen zu können. Alles Hinweiſe, daß die Halbaffen von den Affen zu entfernen und tiefer zu ſtellen ſind! Nicht minder finden ſich ſolche Hinweiſe am Schädel, vor allem in einem abweichenden, urſprünglicheren Verhalten des Paukenbeins, durch das ſich wenigſtens die madagaſſiſchen Halbaffen wieder eng den Inſektenfreſſern, inſonderheit den Spitzhörnchen, anſchließen; das— ſelbe tun ſie durch die Geſtaltung des knöchernen Gaumens ſowie des Siebbeins und der Knochenblätter, die dieſes für die eigentliche Riechnaſe liefert. Sonſt zeichnet ſich der Schädel aus durch die großen, vorn einander ſehr genäherten, hochumrandeten, aber nicht vollſtändig von einer Knochenwand eingeſchloſſenen, ſondern mit den Schläfengruben verbundenen Augen— höhlen. Darin ſitzen große Nachtaugen, und durchgehends wohlentwickelte Gehörorgane mit bald häutiger, bald behaarter Ohrmuſchel treten hinzu, um die Halbaffen als Dämmerungs— und Nachttiere zu kennzeichnen. Im Leben hat der Kopf bei verlängertem Schnauzenteil ein „fuchſiges, ausdrucksloſes Geſicht“, wie Lydekker ſehr richtig jagt, oder bei kugeligem Hirn— teil und kurzer, zarter Schnauze etwas eigentümlich Nächtiges, Bilch- oder Flatterhörnchenz, Nachtaffen⸗ oder Eulenartiges. Das Gebiß iſt vollſtändig, enthält mit geringfügigen Schwankungen alle Zahnarten, Schneide-, Eck-, Lück⸗ und Backzähne, und ſchließt ſich insbeſondere durch die Zweizahl der Schneidezähne in jeder Kieferhälfte dem Affen- und Menſchengebiß an. Und doch weiſt es wieder einen bezeichnenden Unterſchied darin auf, daß die mittleren Schneidezähne des Oberkiefers durch eine Lücke getrennt ſind: ein Merkmal, das den Halbaffenſchädel ſofort kenntlich macht, und abermals ein Verwandtſchaftszug mit Inſektenfreſſern und Fledermäuſen. Bei der Hauptmaſſe der Halbaffen, den eigentlichen Makis, haben auch die unteren Schneidezähne ihre Beſonderheit: ſie ſind ſamt dem Eckzahn wagerecht nach vorn umgelegt und ſtimmen darin merkwürdiger— weiſe überein mit den entſprechenden Zähnen der ſüdamerikaniſchen Schlaffſchwanzaffen. 382 17. Ordnung: Halbaffen. Die Hirnverhältniſſe find ebenfalls ſehr bezeichnend für die Mittelftellung der Halbaffen zwiſchen Affen und niederen Säugern; indes ſpielt da, wie immer, die Körpergröße eine Rolle. So haben kleine Halbaffen ein faſt glattes, ungefurchtes Großhirn, die größten dagegen ſehr furchenreiche Halbkugeln, ja ſogar die charakteriſtiſche Affenſpalte. Bei der Mehrheit der mittel- großen Arten iſt aber die verhältnismäßig geringe Entwickelung des Großhirns unverkenn⸗ bar, das das Kleinhirn allermeiſt unbedeckt läßt, und anderſeits fällt gegenüber den Affen der große Riechlappen auf; er iſt indeſſen gerade nur ſo groß, um wiederum die Mittelſtellung der Halbaffen zu erweiſen zwiſchen Affen und Menſchen und der Hauptmaſſe der übrigen Landſäugetiere, die allermeiſt Naſentiere ſind. In der gleichen Richtung muß am Skelett auch die ſchwankende Zahl der Bruſt- und Lendenwirbel gedeutet werden, die von 24 bis auf 18 ſinken kann und ſozuſagen ein Kopfwärts⸗ ſchieben des Beckens mit ſich bringt. Es iſt das der Anfang von Verkürzungserſcheinungen am Rumpfe, wie ſie bei Affen und Menſchen durchgeführt ſind zugleich mit der Entlaſtung der Vordergliedmaßen vom Körpergewicht, die wiederum einer Formveränderung des Bruſt⸗ korbes folgt. Auch dieſe iſt zufolge der kletternden Lebensweiſe bei den Halbaffen ſchon vor⸗ handen: der Bruſtkorb wird weniger ſchiffskiel-, mehr tonnenförmig. Auf einem ganz abweichenden und unter den Säugetieren einzig daſtehenden Wege gelangen die Galagos, namentlich aber der Koboldmaki, zu einer Verlängerung des Fußes, die wieder mit der ſpringenden und hüpfenden Bewegungsweiſe in Zuſammenhang ſteht. Es iſt nämlich nicht, wie ſonſt, der Mittelfuß beinartig verlängert, ſondern zwei Fußwurzelknochen (Calcaneus, Scaphoideum), und das geht beim Koboldmaki jo weit, daß beide wie Röhrenknochen ausſehen. Auf vielerlei Eigentümlichkeiten der Eingeweide können wir hier nicht eingehen. Es ſei deshalb nur noch geſagt, daß bei den weiblichen Halbaffen die Harnröhre die Klitoris durchbohrt, und daß — mit Ausnahme von Tarsius — die Geſtalt der ſyſtematiſch wichtigen Plazenta ſich, nach Weber, ſowohl von der der Affen als der Inſektenfreſſer ſcharf unterſcheidet. Von ihrer Hauptheimat Madagaskar, wo ſie die Hälfte aller Säugetiere ausmachen, und einigen kleinen Nachbarinſeln dehnen ſich die Halbaffen — aber nur in abweichenden, ſpär⸗ lichen Vertretern und nur zwiſchen den beiden Wendekreiſen — einerſeits über Afrika ſüdlich der Sahara, anderſeits über Indien und die hinterindiſche Inſelwelt bis nach Celebes und den Philippinen aus. Den Halbaffen zuliebe hat man daher, um ihre merkwürdige geographiſche Verbreitung zu verſtehen, ein beſonderes, heute zum größten Teil im Indiſchen Ozean ver— ſunkenes Feſtland Lemurien angenommen. Alle Arten ſind Baumtiere, mehrere von ihnen auf dem Boden ſo gut wie fremd. Außerordentliche Behendigkeit und Gewandtheit im Gezweige zeichnen die einen, langſame, ſichere, bedächtige, geiſterhaft leiſe und unmerkliche Bewegungen die anderen aus. Einzelne ſind auch bei Tage zuweilen in Tätigkeit; die meiſten aber beginnen ihr Leben erſt nach Einbruch der Nacht und liegen vor Beginn des Tages bereits wieder in feſtem Schlafe. Früchte verſchiedenſter Art, Knoſpen und junge Blätter bilden die Nahrung der einen, Kerb- und kleine Wirbeltiere neben einigen Pflanzenſtoffen die Speiſe der anderen. Auch Winter⸗, beſſer geſagt Sommer- oder Trockenzeitſchlaf kommt vor, bei den ſogenannten Katzen⸗ und Mausmakis. In der Gefangenſchaft gewöhnen ſich die Halbaffen an allerlei Koſt. Merk⸗ lichen Schaden bringen ſie nicht, erheblichen Nutzen ebenſowenig. Demungeachtet betrachtet ſie der Eingeborene nirgends mit Gleichgültigkeit, ſieht vielmehr in den einen heilige und un— verletzliche, in den anderen unheildrohende, gefährliche Geſchöpfe und warnt oder verhindert daher nicht ſelten den wißbegierigen Forſcher, Halbaffen zu jagen, ſucht ihn ſogar von deren Beobachtung zurückzuhalten. Ihr Fang verurſacht keineswegs beſondere Schwierigkeiten, und N Allgemeines. 383 ihre Pflege iſt leicht und einfach; die meisten Arten halten auch die Gefangenschaft gut aus und pflanzen ſich ſogar mitunter im Käfig fort. Entſprechend ihren geiſtigen Fähigkeiten gewöhnen ſich diejenigen Arten, welche überhaupt durch muntere Regſamkeit ſich auszeichnen, leicht an ihre Pfleger, während die vollkommenſten Nachttiere unter ihnen ebenſo grämlich wie ſchläfrig ſind und in den ſeltenſten Fällen Erkenntlichkeit auch für die ſorgſamſte Pflege bekunden. Der Schlaf der Halbaffen iſt ſehr leiſe. Schon das Summen einer vorüberſchwärmenden Fliege oder das Krabbeln eines Käfers weckt viele von ihnen auf: die Ohren ſpitzen ſich, und die großen Augen ſpähen wie träumeriſch umher, aber nur einen Augenblick lang. Denn ihre Lichtſcheu iſt außerordentlich groß, und ihre Augen ſcheinen gegen das Licht empfindlicher zu ſein als die aller übrigen Säugetiere. Die in der Freiheit lebenden Halbaffen erwachen erſt bei Einbruch der Dunkelheit, was indeſſen für die gefangenen nur zum Teil gilt. Die erſteren ermuntern ſich, wenn die Dämmerung hereinbricht, putzen und glätten ihr Fell, laſſen ihre gewöhnlich ziemlich laute und unangenehme Stimme vernehmen und begeben ſich dann auf die Wanderung durch ihr luftiges Wohngebiet. Nunmehr beginnt ein je nach Weſen und Eigenheit ſehr verſchiedenes Treiben. Die Mehrzahl der Arten beeifert ſich zu— nächſt, ihrem Namen „Lemuren“ Ehre zu machen, indem ſie gemeinſchaftlich ein Geſchrei ausſtößt, das den Neuling mit Grauſen erfüllen kann, weil es einen unbeſchreiblichen Höllen— lärm verurſacht. Von jetzt an durchſtreifen ſie ihr Wohngebiet mit einer Bewegungsfreudig— keit, Gewandtheit und Behendigkeit, die man ihnen in Erinnerung an ihre Schlafſucht wäh— rend des Tages niemals zugetraut haben würde. Alle Kletter- und Springkünſte, alle Gaukeleien, die Affen auszuführen vermögen, werden von ihnen vielleicht noch überboten. Es ſcheinen ihnen Flügel gewachſen zu ſein: ſo gewaltige Sätze von einem Zweige zum anderen führen ſie aus, ſo raſch laufen ſie an den Stämmen empor oder über ſtärkere Aſte dahin, ſo ununterbrochen bewegen ſie ſich in der verſchiedenſten Weiſe. Endlich erreicht die gewöhnlich aus einer bedeutenden Anzahl beſtehende Bande einen Fruchtbaum und bekundet jetzt bei deſſen Plünderung eine ebenſo große Tatkraft wie früher beim Laufen, Klettern und Springen. Sie freſſen viel und verwüſten noch weit mehr, würden alſo, fielen ſie nach Affenart in die Pflanzungen ein, dem Menſchen erheblichen Schaden zufügen. Doch ihre heimiſchen Wal— dungen ſind ſo reich an Früchten verſchiedenſter Art, daß ſie zu unberechtigten Eingriffen in das Eigentum des Menſchen keine Veranlaſſung haben. Ganz als das Gegenteil der eben geſchilderten Gattungen und Arten zeigen ſich andere Halbaffen in ihrem Auftreten, ihrem Weſen und ihren Bewegungen. Verſtohlen und mit unhörbaren Schritten ſchleichen ſie langſam von Aſt zu Aſt. Ihre großen, runden Augen leuchten im Dämmerlichte wie feurige Kugeln, und ſie allein ſind es, die von ihrem Daſein Kunde geben; denn die düſtere Färbung ihres Felles verſchwindet auch einem ſcharfen Blicke gar bald im Dunkel der Nacht. Alle ihre Bewegungen geſchehen ſo bedachtſam und leiſe, daß auch nicht ein einziger Laut dem lauſchenden Ohre das Vorhandenſein eines lebenden Tieres vernehmbar macht. Wehe nun dem ſorglos ſchlafenden Vogel, auf den ein Blick dieſer feu— rigen Augen fällt! Ohne jedes Geräuſch, faſt ohne ſichtbare Bewegung ſetzt der Lori einen Fuß vor den anderen und nähert ſich mehr und mehr, bis er ſein Opfer erreicht hat. Dann erhebt er die eine Hand mit gleicher Lautloſigkeit und Bedachtſamkeit und ſtreckt ſie leiſe vor, bis ſie den Schläfer beinahe berührt. Jetzt geſchieht eine Bewegung, ſchneller, als das Auge ihr folgen kann, und ehe der ſchlummernde Vogel noch eine Ahnung von ſeinem furchtbaren Feinde erlangt hat, iſt er erwürgt, erdroſſelt. Und nichts gleicht der Gier, mit welcher der ſo harmlos erſcheinende Räuber nach vollbrachtem Morde ſeine Beute verzehrt. Wie der 384 17. Ordnung: Halbaffen. Familie: Makiartige. ſchlafende Vogel iſt auch ſeine Brut, das Ei in ſeinem Neſte verloren, ſobald der Lori dies entdeckt. Das eigentliche Weſen des Tieres zeigt ſich in ſeiner Raubgier; es ſcheint, daß es Fleiſchnahrung ganz entſchieden der Pflanzenkoſt vorzieht, obſchon es auch dieſe nicht ver- ſchmäht. Alle hierher zählenden Arten ſind bedächtig und berechnend vorſichtig. Sie bewegen ſich auf den Bäumen langſam, aber ſicher; ehe fie einen Zweig loslaſſen, vergewiſſern fie ſich ſtets, daß ihnen ein anderer verläßlichen Halt gibt. Ihr Gang auf dem Boden itt ſchlecht und eher ein krötenartiges Kriechen als ein Laufen zu nennen. Über die Fortpflanzung der Halbaffen in der Freiheit wiſſen wir immer noch ſehr wenig, doch haben mehrere Arten ſich in der Gefangenſchaft fortgepflanzt. Dieſe werfen in der Regel ein Junges, das (mit einer Ausnahme, beim Vari) ſich unmittelbar nach feiner Geburt an der Mutter feſtklammert und von ihr ſo lange umhergetragen wird, bis es gelernt hat, ſelbſtändig ſich zu bewegen. Während aber die Affenmutter ihr Junges gewöhnlich mit dem Kopfe nach oben an der Bruſt trägt, bindet die Makimutter es ſich wenigſtens in der erſten Zeit wie einen Gürtel quer vor. Eine gleichmäßige und ziemlich hohe Wärme iſt vielen Halbaffen Be⸗ dürfnis; die Kälte macht fie mißmutig und krank. Fühlen fie ſich aber behaglich, dann ſchnur— ren ſie, wenigſtens viele, faſt nach Art der Katze. Ihre geiſtigen Fähigkeiten ſind gering; nur wenige machen eine rühmliche Ausnahme. Alle zeigen ſich ſcheu und furchtſam, obgleich ſie ſich mutig wehren, wenn man ſie fängt. Nachdem ſie ſich an den Menſchen gewöhnt haben, werden ſie in gewiſſem Grade zutraulich und benehmen ſich ſanft, friedlich und gutmütig, verlieren aber ihre Furchtſamkeit nur ſelten. Die meiſten Arten der Familie fügen ſich indeſſen recht gut in den Verluſt ihrer Freiheit und in ein untergeordnetes Verhältnis zu den Menſchen, werden in ihrem Heimatlande tierfreund⸗ lichen Weißen ſogar zu lieben Hausgenoſſen; die kleineren, rein nächtlichen Arten dagegen behalten meiſt auch in der Gefangenſchaft ihr ſtilles, ſchwermütiges Weſen bei, ſuchen jede Störung ärgerlich von ſich abzuwehren und lernen wohl kaum ihre Pfleger von anderen Leuten unterſcheiden, behandeln vielmehr alle Menſchen mehr oder weniger in derſelben Weiſe. Die Einteilung der Halbaffen gründet ſich darauf, daß bei der madagaſſiſchen Mehr: heit das Paukenbein halbringförmig frei in der Gehörblaſe des Felſenbeines liegt, während es ſich bei der übrigen Minderheit, wie bei den meiſten Säugetieren, an der Umwandung der Trommelhöhle beteiligt. Dieſer Einteilung fügen ſich auch die Gattungen Fingertier und Koboldmaki, die ſonſt ſehr abweichen, der Koboldmaki ſo ſehr, daß Weber ihm ſogar den Rang einer beſonderen Unterordnung zuſchreiben möchte. Wir beginnen mit der Familie der Makiartigen (Lemuridae), den Halbaffen Mada⸗ gaskars, die die Hauptmaſſe der ganzen Ordnung ausmachen. Sie haben ihren wiſſenſchaft⸗ lichen Namen von den abgeſchiedenen Seelen, die die alten Römer Lemuren nannten und gleich unſeren Geſpenſtern nach dem Tode noch umgehen ließen, und das haben ſie gewiß ihrer nächtlichen Lebensweiſe und ihrem hölliſchen Geſchrei zu verdanken. Den Makis Mada— gaskars (Unterfamilien Lemurinae und Indrisinae), denen wir auch das Fingertier als Unterfamilie Daubentoniinae anfügen, laſſen wir dann die afrikaniſch-aſiatiſchen Halbaffen folgen, die man jetzt als Familie der Nyeticebidae zuſammenfaßt, und ſchließen endlich mit dem Koboldmaki (Familie Tarsiidae), der in vieler Beziehung eine ſelbſtändige Stellung verdient, zumal er in gewiſſen Einzelheiten den Affen ſich annähert. Alle Makiartigen bewohnen Waldungen, die undurchdringlichen frucht- und kerbtier— reichen Urwaldungen den übrigen vorziehend und die Nähe des Menſchen, wenn auch nicht Makis: Allgemeines. 385 gerade meidend, ſo doch nicht aufſuchend. In größerem oder geringerem Grade Nachttiere, ziehen ſie ſich in die dunkelſten Stellen des Waldes oder in Baumhöhlen zurück, kauern oder rollen ſich zuſammen und ſchlafen. Ihre Stellungen dabei ſind höchſt eigentümlich. Ent— weder ſitzen ſie auf dem Hinterteile, klammern ſich mit den Händen feſt, ſenken den Kopf tief herab zwiſchen die angezogenen Vorderglieder und umwickeln ihn und die Schultern noch beſonders mit dem Schwanze, oder ſie rollen ſich dicht nebeneinander, ja ſogar zu zwei und zwei ineinander zu je einer Kugel zuſammen und umwickeln ſich gegenſeitig mit ihren Schwän— zen. Stört man ſolch einen Haarball, ſo kommen plötzlich zwei Köpfe daraus hervor und ſchauen großen Auges auf den unangenehmen Wecker. Den Kern der Unterfamilie der Lemurinae bilden die Makis (Gattung Lemur L.), ausgezeichnet durch geſtreckten Fuchskopf mit mäßig großen Augen und mittellangen, oft buſchig behaarten Ohren, durch wohlgebildete, unter ſich nicht ſehr verſchieden lange Gliedmaßen, deren Hände und Füße auf der Oberſeite eine ſchwache, nicht pelzige Behaarung zeigen, mehr als körperlangen Schwanz und ſehr weichen, feinen, ausnahmsweiſe wohl auch wolligen Pelz. Die oberen, ſtumpfkronigen Schneidezähne ſind in der Regel klein, die unteren, ſchmalen und zugeſpitzten dagegen lang und faſt wagerecht geſtellt, ebenſo die unteren Eckzähne; die oberen ſind ſcharfſpitzig, kantig, ſeitlich zuſammengedrückt, die Kronen der drei oberen Lück— zähne dreiſeitig, die drei unteren Mahlzähne undeutlich vierhöckerig und von vorn nach hinten an Größe abnehmend. Das Merkwürdigſte am Gebiß iſt, daß als Erſatz für den mit den Schneidezähnen nach vorn umgelegten und ſchneidezahnähnlich geformten unteren Eckzahn der vorderſte untere Lückzahn Eckzahnform annimmt und dem oberen entgegenwirkt. Dabei be— hält er aber ſeine beiden Wurzeln und erweiſt dadurch ſeine eigentliche Natur. In dem ge— ſtreckten, hinten gewölbten Schädel fällt der Schnauzenteil durch ſeine Länge auf. Karl Vogt erwähnt in ſeinem Säugetierwerk noch „eine merkwürdige Muskel- und Sehneneinrichtung der Gelenke, wodurch beim Beugen des Gliedes die Hand ſo zuſammengebogen wird, daß ſie den Aſt umkrallt, auf dem der Maki ſitzt. Das Tier ſitzt ſo ohne Muskelanſtrengung im Schlafe feſt. Die Einrichtung ſpielt ſelbſt noch mehrere Tage nach dem Tode. Ein Schwarzer Maki, den ich ſezierte, umkrallte meinen Daumen feſt mit der Hand im Augenblicke, wo ich das Bein bog!“ Unter den Weichteilen verdient Erwähnung, daß der Magen einen großen Blindſack hat und der Blinddarm eine anſehnliche Größe erlangt. Man hat viele Arten der Gruppe unterſchieden; die neuzeitliche Forſchung lehrte aber, daß mehrere von dieſen nur Verſchiedenheiten der Geſchlechter oder Unterarten anderer darſtellen. Erſt durch Pollens treffliche Beobachtungen haben wir ein einigermaßen ausführliches Bild der freilebenden Makis erhalten. Die Tiere leben in anſehnlichen Banden von 6—12 Stück in den Urwaldungen, wo ſie ſich hauptſächlich von den Früchten wilder Dattelbäume nähren und dieſen zuliebe von einem Teile des Waldes zum anderen wandern. Man beobachtet ſie ebenſowohl bei Tage als während der Nacht, in der Regel auf Bäumen, von denen ſie jedoch von Zeit zu Zeit herabſteigen, um zu Boden gefallene Früchte aufzuleſen. Kaum iſt die Sonne niedergegangen, jo vernimmt man ihr unheimliches, kollerndes und lachendes Ge⸗ ſchrei, das gewöhnlich von der ganzen Bande gleichzeitig ausgeſtoßen wird. Ihre Bewegungen ſind wie die der Verwandten außerordentlich leicht, behende und gewandt: einmal munter geworden, durchfliegen ſie förmlich die Baumkronen und führen dabei von einem Zweige zum anderen Sätze von überraſchender Weite aus. Von Hunden verfolgt, flüchten ſie ſich in die höchſten Wipfel der Bäume, heften ihre Augen auf den Feind, wiegen ihren Schwanz Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 25 386 17. Ordnung: Halbaffen. Familie: Makiartige. hin und her und knurren und grunzen dabei; ſobald ſie aber des Jägers anſichtig werden, flüchten ſie eiligſt und machen es jetzt außerordentlich ſchwer, ihnen zu folgen oder ſie zu erlegen. Verwundete verteidigen ſich wütend gegen die Hunde, ſpringen ihnen, wie Pollen ſelbſt beobachtete, auf den Rücken und beißen ſich in den Ohren oder am Halſe feſt. Die Jagd ſelbſt gewährt Vergnügen, iſt aber in hohem Grade anſtrengend, wahrſcheinlich der Be⸗ ſchaffenheit der Waldungen wegen. Das Fleiſch, das im Geſchmack an das der Kaninchen erinnert, gilt als ſehr wohlſchmeckend und iſt auf Mayotte Anlaß zu lebhafter Verfolgung der harmloſen Tiere, deren Verwandte auf anderen Inſeln als unverletzbar angeſehen werden. Hinſichtlich der geiſtigen Fähigkeiten erheben ſich die Makis nicht ſehr hoch; dennoch iſt ihr Weſen angenehm. Gewöhnlich zeigen ſie ſich ſanft und friedlich; einzelne ſind aber auch ſtörriſch, wild und biſſig. Manche laſſen ſich ſehr gern ſchmeicheln und geben auch eine be— ſondere Zuneigung gegen ihren Wärter kund. Gewiſſe Arten kommen öfters nach Europa, dauern auch lange in Gefangenſchaft aus. Dies bewies z. B. ein Vari, der 19 Jahre in Paris lebte. In den meiſten Fällen werden die Makis bald zahm und gemütlich und gewöhnen ſich raſch an allerlei Speiſen. Ihre Nahrung nehmen ſie in der Regel mit den Vorderhänden auf und führen ſie dann zum Maule. Wenn ſie ſich wohl befinden, knurren ſie behaglich; gewöhnlich ſingen ſie ſich ſelbſt in dieſer Weiſe in den Schlaf. Buffon beſaß einen männlichen Maki, der durch ſeine raſchen, gewandten und zierlichen Bewegungen erfreute, durch ſeine Unreinlichkeit und ſeinen Mutwillen aber oft ebenſo läſtig wurde. Er lief nicht ſelten in die Nachbarhäuſer, ſtahl dort Obſt, Zucker und der⸗ gleichen, öffnete auch, als echter Spitzbube, unter Umſtänden Türen von Schränken und Deckel von Kiſten. Man mußte ihn anbinden, und wenn er entwiſcht war, hatte man ſeine große Not, ihn wieder zu fangen; denn er biß dann ſelbſt Leute, die er genau kannte und ſonſt zu lieben ſchien. Sehr gern leckte er die Hand ſeines Pflegers; wenn aber ſeine Zunge, rauh wie die einer Katze, die Oberhaut der Hand gerötet hatte, biß er plötzlich, anſtatt weiter zu lecken. Er murmelte beſtändig; ließ man ihn jedoch allein, dann ſchien er Langeweile zu haben und drückte dies durch froſchartiges Quaken aus. Vor Kälte und Näſſe fürchtete er fi un: gemein und blieb deshalb während des Winters immer in der Nähe des Feuers, ſtellte ſich auch öfters aufrecht, um ſich beſſer zu erwärmen. £ Ahnlich pflegen in den zoologiſchen Gärten die Makis ſich auch zu ſonnen: mit frei er- hobenem Oberkörper und ausgebreiteten Armen ſitzen fie lange Zeit regungslos da und laſſen die wärmenden Sonnenſtrahlen ſo recht behaglich auf ſich wirken. Sonſt krümmen ſie ſich in der Ruhe- und Schlafſtellung ſitzend zuſammen, Kopf und Vorderbeine zwiſchen den Hin— terbeinen, und ſchlagen den langen Schwanz von vorn über den Bauch und über die Schulter auf den Rücken. Der Vari, der ſo lange in Paris lebte, war im Gegenſatze zu dem eben erwähnten Maki reinlich, glänzte am ganzen Leibe und hütete ſich ſorgfältig, ſeinen Pelz zu beſchmutzen. Außer⸗ dem war er ebenſo lebendig und beweglich wie neugierig. Er unterſuchte alles und jedes, warf es aber dabei entweder um oder zerriß und zerſtreute es. Seine Freundlichkeit erzeigte er allen Perſonen, die ihm ſchmeichelten, und auch ganz Fremden ſprang er ohne alle Um— ſtände in den Schoß. Gegend Abend hüpfte er wohl Ye Stunde lang ziemlich taktmäßig auf und nieder; dann legte er ſich auf ein Brett über der Türe und ſpann ſich in Schlaf. Die eigentümliche Gewohnheit, auf derſelben Stelle viele Male, wahrhaft unermüdlich, leicht federnd wie ein Gummiball, in die Höhe zu ſpringen, kann man häufig bei gefangenen Varis wie auch bei Kattas beobachten. Makis: Allgemeines. 387 Von den Weißkopfmakis beſaß man zu Paris ein Paar, das ſich innig zuſammenſchloß und ſchließlich begattete. Nach viermonatiger Trächtigkeit warf das Weibchen ein Junges von Rattengröße, das mit offenen Augen zur Welt kam. Das Tierchen klammerte ſich ſogleich an die Mutter, und zwar quer über den Unterleib. Die Mutter zog die Schenkel ſo in die Höhe, daß ſie es faſt ganz bedeckte und vor den Blicken verbarg. Sie war außerordentlich zahm geweſen; nachdem ſie aber das Junge erhalten hatte, drohte ſie jedermann, der ſich ihr nähern wollte, mit den Zähnen. Sechs Wochen nach ſeiner Geburt hatte das Tierchen ſchon ganz den Pelz und die Färbung der Mutter. Um dieſe Zeit fing es auch an, die ihm hin— geſtellte Nahrung zu verſuchen; aber erſt im ſechſten Monate ſeines Alters entwöhnte es ſich. Nach neueren Beobachtungen im Berliner und im Frankfurter Zoologiſchen Garten dauerte die Trächtigkeit bei Katta und Mohrenmaki 143 —144 Tage. Von den Makis, die zu ſeiner Zeit im Frankfurter Tiergarten lebten, berichtet Haacke fol⸗ gendes: „Unſer Rotſtirn maki hat mich belehrt, daß auch Halbaffen ihre Wünſche ſehr gut kund— zugeben verſtehen. Nichts ſcheint ihm größeres Vergnügen zu machen, als das Gefühl, welches ihm ein ſanftes Krauen am Kopfe bereitet. Da ich ihm nun gern und häufig dieſes Vergnügen gönne, ſo ſpringt er, wenn ich vor ſeinem Käfig erſcheine, alsbald von ſeiner Sitzſtange herab auf den Boden des Käfigs und begibt ſich vorn ans Gitter, um ſeinen Nacken mir zum Kratzen darzubieten. Erfülle ich ſeinen Wunſch nicht ſofort, ſo legt er eine ſeiner Hände verkehrt auf den Rücken und macht mit den Fingern ſo lange Kratzbewegungen in die Luft, bis ich ſeine Bitte erfülle. Ein Mongoz, welcher mit ihm denſelben Käfig bewohnt, kommt gleichfalls heran, um gekratzt zu werden, weiß indeſſen ſeinem Wunſche nicht ſo deutlich Ausdruck zu geben. Dagegen verſteht es der Weißſtirnmaki im Käfig nebenan ſehr gut, ſich bemerklich zu machen. Er ſpringt, um ſich Futter zu erbetteln oder ſich die Gunſt des Krauens bezeugen zu laſſen, einfach ſo lange hinter dem Käfiggitter auf und ab, bis ſein Zweck erreicht iſt. Der Mitbewohner ſeines Käfigs, ein Schwarzkopfmaki, iſt dagegen höchſt ſtumpfſinnig, vielleicht, weil er kränkelt, und auch die Varis und Mohrenmakis, welche wir hielten, verſtanden es nicht ſehr, die Aufmerkſamkeit auf ſich zu lenken. Bei ſämtlichen Makis, welche ich pflegte, mit Ausnahme der Varis, habe ich eine ganz eigentümliche Bewegung des Kopfes beobachtet. Die Makis lieben es, dicht an den Wänden ihrer Behauſung, den Kopf nach oben gerichtet, herumzulaufen, ſich mit den Händen teils auf dem Boden, teils an den Wänden ſtützend. Kommen ſie nun in eine Käfigecke, ſo wird der in den Nacken gebeugte Kopf blitzſchnell nach der Richtung, in welcher das Tier laufen will, gedreht und greift dadurch der Bewegung des Körpers vor. Alle unſere Makis, mit Ausnahme der Varis, ſind ſehr erpicht auf lebende Vögel, denen ſie ohne weiteres den Kopf abreißen, um ſie dann mit großem Genuſſe zu verzehren.“ Einige Makis enthält jeder zoologiſche Garten, oft zu einer Rotte vereinigt in einem mehr oder weniger großen Sprung- und Kletterkäfig. Dort befreunden ſie ſich ſehr mit den Beſuchern und wiſſen durch grunzendes Betteln die Aufmerkſamkeit auf ſich zu lenken. Noch mehr aber durch ihr wahrhaft hölliſches Geſchrei, das ſie zeitweiſe im Chor anſtimmen! Dann läuft im Berliner Garten ſtets das ganze Publikum zuſammen, in der Überzeugung, daß etwas paſſiert ſei, und iſt, vor dem Käfig angekommen, höchlichſt erſtaunt, die Urheber der vermeintlichen Wut⸗ und Schreckenstöne ganz ruhig und friedlich auf ihren Kletterſtangen ſitzen zu ſehen, die langen Schwänze entweder herabhängend oder fragezeichenförmig hoch— geſtellt. In Berlin bewohnen die Makis ihren großen Außenkäfig, der dann nur mit Glas⸗ fenſtern zugeſetzt wird, auch im Winter; doch können ſie durch ein Schlupfloch ins Innere des geheizten Hauſes gelangen. Verſchiedene Arten bilden, einmal zuſammengewöhnt, eine x 25 * 388 17. Ordnung: Halbaffen. Familie: Makiartige. > gemeinſame Horde, die ſich gut verträgt. Zu dieſer kann man aber einen „neuen“ nicht ohne weiteres hinzubringen, muß ihn vielmehr erſt mit den einzelnen „alten“ ſich befreunden laſſen, ehe man darauf rechnen kann, daß er als „Mitglied aufgenommen“ wird. Auch im Berliner Zoologiſchen Garten hat man mit Pflege und Zähmung der Makis ſehr gute Erfahrungen gemacht: ihrer mehrere ſpringen dem Wärter ſtets ſofort auf Arm, Kopf und Schultern, ſobald er ihren großen Geſellſchaftskäfig betritt, und gewähren dann das anziehende Bild völlig gezähmter, vertrauensvoll an ihrem Pfleger hängender Tiere. Zu denjenigen Arten, die einfarbigen Schwanz und im dichten Wollhaar verſteckte und mit dieſem beſetzte Ohren haben, gehört der oſtmadagaſſiſche Vari, Lemur variegatus Kerr Vari, Lemur variegatus Kerr. ½ natürlicher Größe. (varius), die größte Art der Gattung. Seine Länge beträgt über 1 m, wovon etwas mehr als die Hälfte auf den Schwanz kommt. Der reichliche, an den Kopfſeiten backenbartartig verlängerte Pelz iſt ſchwarz und weiß, aber in wechſelndem Verhältnis gezeichnet, ſo daß bei dieſem Stücke das Schwarz, bei jenem das Weiß überwiegt. Einzelne ſind faſt ganz ſchwarz, andere faſt ganz weiß; bei manchen iſt der halbe Rücken oder mehr weiß und der Bauch ſchwarz; bei anderen verhält es ſich umgekehrt. Geſicht, Schwanz und Vorderglieder haben gewöhnlich ſchwarze, die Wangen und Ohrgegend meiſt weiße Färbung. Etwas Genaueres läßt ſich über die Farbenverteilung nicht ſagen, ſie iſt nicht einmal an beiden Körperſeiten ganz gleich. Die Augen ſind lebhaft gelb. In Nordoſt-Madagaskar wird der gewöhnliche, ſchwarzweiße Vari erſetzt durch eine viel- leicht noch ſchöner gefärbte und eigenartiger wirkende Unterart, den im Tierhandel ſelteneren Roten Vari, L. v. ruber Z. Geoffr., bei dem an Stelle des Weiß ein ſattes Braunrot tritt. Auch ihn hat man im Berliner Garten jahrelang gepflegt und ſogar einen Miſchling Vari. Roter Vari. Mohrenmaki. 389 mit dem ſchwarzweißen Verwandten erzielt, der die Färbung ſeiner Eltern in ſich vereinigte und rote „Jacke“, aber weiße „Beinkleider“ trug. Später folgten Zwillinge von nicht ganz gleicher Miſchfarbe, und der letzte Wurf waren ſogar Drillinge! Und als das Weibchen bald nachher ſtarb, zeigte ſich, daß es 6 Zitzen hatte: 2 bruſt-, 2 bauch- und 2 weichenſtändige. Die Mutter übte auch eine abweichende Jungenpflege. Während nämlich ſonſt die Maki⸗ jungen, wie oben geſchildert, von Geburt an ſich am Körper der Alten feſtklammern, jozus ſagen auf der Mutter leben, trug die Varimutter ihre Jungen nicht mit ſich herum, ſondern dieſe ſaßen ſtill im Neſte, und die Alte beſuchte ſie nur, um ſie zu ſäugen, abzulecken und zu wärmen, bis ſie ſo weit herangewachſen waren, daß ſie ſich hinauswagen und ſelbſtändig umhergehen konnten. „Bis jetzt“, bemerkt Pollen, „hat man den Vari nur in den Waldungen des Inneren der Inſel Madagaskar beobachtet, d. h. alſo in den Landſtrecken, welche ſich zwiſchen Tintinge, Tamatave und Antananarivo ausdehnen. Ein wildes, ſcheues Weſen zeichnet ihn aus. Das Grunzen des Tieres, welches ſtets gemeinſchaftlich ausgeführt wird, iſt außerordentlich ſtark, auf weithin hörbar und klingt ſo ſchauerlich, daß man unwillkürlich zittert, wenn man es zum erſten Male vernimmt.“ „In der Gefangenſchaft“, ſchreibt Haacke, „benimmt ſich der Vari geſetzter als andere Gattungsgenoſſen. Er drängt ſich nicht an die Beſucher heran, um Futter zu erbetteln oder geliebkoſt zu werden, und nur jugendliche Tiere ſind zum Spielen aufgelegt, obwohl auch die alten recht zahm werden. Der Vari kann große Kältegrade vertragen.“ Von Verwandten mag zunächſt der Mohrenmaki, Akumba der Sakalaven, Lemur macaco L. (niger, leucomystax; Taf. „Halbaffen 1“ 3, bei S. 392), aus Nordweſt-Madagas— kar, erwähnt ſein, weil gerade er uns belehrt hat, wie außerordentlich verſchieden die beiden Ge— ſchlechter einer Maki-Art ſein können. Das Männchen iſt mehr oder weniger rein ſchwarz, nur bei einzelnen Stücken, und zwar vorzugsweiſe auf den Rumpfſeiten und an den Gliedern, rot— braun überflogen oder aber am Schwanze mit einigen weißlichen Haaren zwiſchen ſchwarzen ge— zeichnet; hier glaubt übrigens Brandes bei günſtiger Beleuchtung deutlich eine Querbänderung wahrnehmen zu können, ähnlich wie beim Katta. Das Weibchen dagegen, das von Bartlett unter dem Namen Weißbartmaki, Lemur leucomystax, als beſondere Art aufgeſtellt wurde, ändert mehr oder weniger ab, obwohl auf der Oberſeite ein bald helleres, bald dunkleres, auf der Rückenmitte zuweilen in Purpurrotbraun übergehendes Roſtfarb vorherrſcht und Wangen, Unterſeite, Füße und Schwanz in der Regel weißlich und nur ausnahmsweiſe roſtfarben aus— ſehen. Brandes macht jedoch darauf aufmerkſam, „daß der Schwanz beim weiblichen Mohren— maki in ſeinem hinteren Drittel anders gefärbt iſt als im Wurzelteil: die Färbung der Schwanz— ſpitze gleicht der Farbe des Rückens, während der übrige Teil wie der Bauch gefärbt iſt“. So ſtimmen Schwanz- und Rumpffarbe überall überein, wenn der Schwanz vom Bauche her über den Rücken geſchlagen wird, wie das in der Ruheſtellung die Gewohnheit der Makis iſt. Auch zeigt der Oberkopf, der bei den meiſten Stücken weiß gefärbt iſt, nicht ſelten einen grauen oder ſchwärzlichen Anflug, der unter Umſtänden ſehr lebhaft werden kann; ein großer ſchwarzer Fleck am Hinterkopfe lichtet ſich manchmal bis zu roſtgelb. Der Augenſtern iſt bei beiden Geſchlechtern bräunlich orangefarben. Die Größe des Tieres iſt die durchſchnittliche Makigröße, d. h. der Rumpf etwa ſo lang wie der einer Katze, der Schwanz erheblich länger. Die franſenartige Ohrbehaarung ſchließt auch beim Weibchen jede Verwechſlung mit gleich— großen Arten von ähnlicher Färbung aus. 390 17. Ordnung: Halbaffen. Familie: Makiartige. Lange bevor Pollen uns über das Freileben des Akumbas Bericht erſtattete, kannten wir das Tier aus der Gefangenſchaft; ich meinesteils hatte auch bereits erkundet, daß Mohren— und Weißbartmaki einer und derſelben Art angehören. Pollens und anderer Beobachtungen ſtellten die Sache außer allen Zweifel, da ſie genau dasſelbe wie ich erfuhren. Der Akumba bewohnt die Waldungen, die ſich zwiſchen der Bai Diego Suarez und der Bai von Bombedok ausdehnen, ebenſo auch den Wald von Lukube auf der Inſel Noſſi-Bé, aber faſt ausſchließlich nur die höchſten Bäume der undurchdringlichſten Dickichte. Nach Art ſeiner Verwandten zu Banden vereinigt, durchſtreift er ſein Gebiet während der Nacht, läßt aber bereits in den Abendſtunden ſein wirklich furchtbares, gemeinſchaftlich hervorgebrachtes Geſchrei vernehmen. Zuweilen, namentlich beim Anblick Bedenken erregender Gegenſtände, wird das Geſchrei durch ein Grunzen unterbrochen. Die Beweglichkeit, welche dieſe Makis beim Springen von einem Stamme zum anderen zeigen, grenzt ans Unglaubliche. Man kann ihnen buchſtäblich kaum mit den Augen folgen, und es iſt viel leichter, einen Vogel im Fluge als ſie im Sprunge zu erlegen. Dabei haben ſie die Gewohnheit, verfolgt ſich plötzlich aus der Höhe der Wipfel herab in das Unterholz fallen zu laſſen; der Jäger aber, der glaubt, daß ſie tot ſind, wird ſehr bald enttäuſcht, wenn er ſie in beträchtlicher Entfernung an anderen Bäumen wieder emporklimmen ſieht. Aus dieſem Grunde wird ihre Jagd in hohem Grade erſchwert. Jung aufgezogen, zeigen ſie ſich ſanft und zutraulich, ſetzen ſich auf die Schulter ihres Gebieters und gewöhnen ſich an alle Nahrung, die man ihnen bietet. Während ihres Freilebens hauptſächlich mit Bananen ſich ernährend, verſchmähen ſie doch das Gehirn eines Vogels nicht und ſaugen es regelmäßig aus dem von ihnen zerbiſſenen Schädel. Im Zoologiſchen Garten der Akklimatiſationsgeſellſchaft auf Reunion ſah Pollen ein Männchen und zwei Weibchen des Mohrenmakis und mehrere kleine männliche Junge, die bereits vollſtändig das Kleid des alten Männchens trugen. Auch kennen die Bewohner Mada— gaskars den Unterſchied der Geſchlechter ſehr gut. Ich vermag vorſtehende Angaben nach eigener Erfahrung zu vervollſtändigen. Unter einer Tierſendung, die der Hamburger Tiergarten erhielt, befanden ſich zwei lebende Mohrenmakis, ein Männchen und ein Weibchen. Es waren die erſten Makis, die ich ſelbſt pflegte und ausführlich beobachten konnte. Ich bot meinen Ge⸗ fangenen rohes und gekochtes Fleiſch, Mäuſe, Sperlinge und Eier. Sie fraßen von allem, ohne jedoch irgendwelche Gier an den Tag zu legen. Auch von dem Inhalte roher Eier leckten ſie eben nur. Über Sperlinge fielen fie mit einer gewiſſen Eilfertigkeit her; eigentlich gierig aber zeigten ſie ſich nicht. Nur Fliegen jagten ſie mit einiger Leidenſchaft und fingen ſolche außer— ordentlich geſchickt. Dagegen waren Früchte aller Art erſichtlich die ihnen am beſten zuſagende Speiſe: ſie fraßen alle Obſtſorten, gekochten Reis, gekochte Kartoffeln, nebenbei auch Milchbrot. Ende März wurde von dem Weibchen, mir unerwartet, ein Junges geboren. Von der Trächtigkeit der Alten war nichts bemerkt worden; daß ſie ſich einige Tage vor der Geburt die Brüſte drückte, hatte ich nicht beachtet. Das Junge kam mit offenen Augen zur Welt und zeigte vom erſten Tage an eine verhältnismäßig große Selbſtändigkeit. Die Mutter legte es, ſobald ſie es reingeleckt hatte, mit großer Zärtlichkeit an die Bruſt, unterſtützte es anfänglich auch beim Saugen; ſchon wenige Tage ſpäter aber behalf es ſich ſelbſt. Doch bekundete die Alte noch immer die größte Fürſorge für das Kleine, deckte es mit dem Schwanze zu, kauerte ſich zuſammen und verbarg es ſo meiſt dem Auge des Beſchauers. Dabei betätigte ſie jedoch fortwährend Sehnſucht nach dem Männchen, das ich aus Vorſorge von ihr getrennt und in einem Nachbarkäfig untergebracht hatte, unterhielt ſich mit ihm durch einen Spalt, knurrte be⸗ haglich, ſobald es ſich regte, und achtete überhaupt auf jede ſeiner Bewegungen. Mohrenmaki. Katta. 391 Im Verlaufe des erſten Monats entwickelte ſich das Junge ſehr ſchnell. Anfänglich klammerte es ſich nicht, wie die meiſten jungen Affen, an der Bruſt und dem Bauche, ſondern mehr an der Seite ſeiner Mutter an; ſpäter kletterte es oft an den Schenkeln auf und nieder, längs der Seite hin oder auf den Rücken, verbarg ſich halb und halb zwiſchen dem Felle und lugte traulich von da ins Weite. Nach etwa Monatsfriſt war es ſo weit gediehen, daß es ſeinen erſten Ausflug unternehmen, d. h. ſeine Mutter verlaſſen und auf dem Gezweige des Käfigs umherklettern konnte. — Nach den Angaben von Sigel war dieſes am 31. März 1865 geborene Junge nach der Geburt ſchwach behaart und einfarbig grauſchwarz, wurde ſpäter dunkler und nach Monatsfriſt ſo ſchwarz wie der Vater: es war ein Männchen, ebenſo das im nächſten Jahre geborene Junge. Das dritte Junge, am 15. März 1867 geworfen, war anfangs ebenfalls mit kurzen ſchwarzen Härchen bedeckt, doch ſchon in der zweiten Woche zeigte ſich ein weißlicher Haarſaum an den Ohren, und allmählich entwickelte ſich die Färbung der Mutter; es war ein Weibchen. Unter den übrigen Arten fällt noch eine, der Katta, leicht mißverſtändlich wohl auch Katzenmaki genannt, Lemur catta L. (Taf. „Halbaffen I, 1, bei S. 392), durch die Zierlich— keit ſeiner Geſtalt, die Schönheit ſeiner Färbung und den ſchwarzweiß geringelten, mehr als leibeslangen Schwanz ſowie die verhältnismäßig großen Ohren beſonders auf. In der Größe ſteht er hinter den Verwandten etwas zurück; ſeine Geſamtlänge beträgt ungefähr 85, höchſtens 90 em, wovon 35 — 40 auf den Leib, das übrige auf den Schwanz kommt. Auf deſſen Unterſeite zeigt übrigens eine „Naht“ deutlich, daß die Behaarung zweiteilig iſt. Der dichte, feine, weiche und etwas wollige Pelz iſt grau, bald mehr ins Aſchfarbene, bald mehr ins Roſtrote ziehend; Geſicht, Ohren und Unterſeite haben weißliche, ein großer runder Augen— fleck und die Schnauze ſchwarze Färbung. Beide Geſchlechter unterſcheiden ſich nicht. Der Katta, der mit keinem anderen Maki verwechſelt werden kann, bewohnt, nach Pollen, die Waldungen im Südweſten Madagaskars und iſt, ſoviel bis jetzt bekannt, in keinem anderen Teile der Inſel beobachtet worden. Wie ſeine Verwandten in beträchtlichen Banden lebend und in ſeinem Auftreten dieſen gleichend, tut er ſich höchſtens durch Zierlichkeit und un— glaubliche Beweglichkeit hervor. Laut Pollen ſpringt er mit ebenſoviel Anmut von Baum zu Baum und läßt in gewiſſen Pauſen einen Schrei vernehmen, der nicht entfernt die Stärke von dem anderer Makis hat und mehr an das Miauen unſerer Hauskatze erinnert. G. A. Shaw will jedoch gerade den Katta in felſigen Gegenden mit wenigen verkrüppelten Bäumen beobachtet haben. Pollen erwähnt einen jungen Katta, der ſich im Beſitze des Quartiermeiſters einer franzöſiſchen Korvette befand und ſeinem Herrn in ſo hohem Grade zugetan war, daß er ihn unter allem Schiffsvolke und den Reiſenden ſofort erkannte. Das Tierchen ſpielte gern mit den Schiffsjungen, mit einem Hunde, der ſich an Bord befand, hätſchelte in einer ganz eigen— tümlichen Weiſe den kleinen Affen eines Matroſen, als ob dieſer ſein Kind wäre, vergnügte ſich zuweilen aber auch, die Hühner, die in die Nähe ſeines Käfigs kamen, am Schwanze zu zerren, bis ſie ſchrieen, und ſaß manchmal mit ausgeſtreckten Armen regungslos auf einer und derſelben Stelle, die Augen auf die aufgehende Sonne gerichtet. In unſeren zoologiſchen Gärten fehlt der Katta heute wohl nirgends und gehört überall dank ſeinem hübſchen Aus— ſehen und ſeinem reizenden, gutartigen und zutraulichen Weſen zu den Lieblingen ſeiner Pfleger und der Beſucher; er wäre auch ein Tier für Privatliebhaber, zumal er oft ſchon für 40 Mark zu haben iſt. Gezüchtet iſt er natürlich ebenfalls. 392 17. Ordnung: Halbaffen. Familie: Makiartige. Mit am längſten bekannt, obwohl in den zoologiſchen Gärten und Muſeen ſelten, iſt der Mongoz, Lemur mongoz L. (Taf. „Halbaffen I“, 4), der in Nordweſt-Madagaskar und auf den Komoren lebt. Seine Länge beträgt etwa 95 em, wovon über die Hälfte auf den Schwanz kommt. Die Färbung des Männchens iſt mattgrau mit roſtbraunem Nacken, Ober⸗ kopf und Backenbart und weißlichen Ohren, Naſe und Kehle; das Weibchen hat mattbraunen Rücken, dunkelgrauen Nacken, Oberkopf und Schwanz, ſchwarze Stirn, weiße Naſe, Backenbart und Kehle. Der Bauch iſt bei beiden Geſchlechtern licht rötlichgelb, das Auge bräunlich. Die übrigen Arten ſind alle mehr oder weniger ſchwer mit Beſtimmtheit zu erkennen. Am leichteſten ift dies wohl noch beim weiblichen Kronenmaki, Lemur coronatus Gray, aus Nordoſt⸗Madagaskar, weil dieſer bei oben gelblich, unten ſilberig grauer oder weißlicher Allgemeinfärbung mit hellem Geſicht, Händen und Füßen und dunklem Schwanz auf der Stirn eine reifenförmige oder ſtumpfwinklig nach vorn vorſpringende Querzeichnung von goldroter Farbe trägt, die man bei einiger Phantaſie am Ende mit einer Krone vergleichen kann. Das Männchen hat ftatt deſſen mitten auf dem Kopfe nur einen ſchwarzen oder ſchwarz⸗ braunen, meiſt kegelförmig begrenzten Fleck, der ſich bis auf einen Streifen zuſammen-, aber auch faſt bis über den ganzen Raum zwiſchen den Ohren auseinanderziehen kann, und iſt ſonſt mehr rötlich gefärbt mit ſchwarzen Ringen um die Augen. — In den zoologiſchen Gärten iſt am häufigſten der dort meiſt fälſchlich als Mongoz bezeichnete Schwarzſtirnmaki, Lemur nigrifrons E. Geoffr., der außer Madagaskar noch die Komoreninſel Mayotte bewohnt. Das Männchen iſt am ganzen Körper graubraun mit ganz ſchwarzem Kopf und ſcharf abgeſetztem weißlichem Backenbart; das Weibchen hat dunkelrotbraune Grundfarbe, dunkelgrauen Kopf und keinen hellen Bart. Beſonders intereſſant war ein weiblicher Weißling, der als Geſchenk unſeres bekannten Afrikaners Stuhlmann im Berliner Zoologiſchen Garten lebte, dadurch, daß er von einem Weißkopfmaki ein Junges brachte, das ganz wie ein gewöhnlicher Schwarz ſtirnmaki ausſah. — Auch den Schwarzkopf- oder Gelbbartmaki, Lemur fulvus E. Geoffr. (melanocephalus, xanthomystax, brunneus), aus Nord-Madagaskar, von dem der vorige vielleicht nur eine Lokalform iſt, ſieht man oft in Gefangenſchaft. Er verrät ſeine Haupt⸗ merkmale ſchon durch ſeine deutſchen und lateiniſchen Namen: er hat ſchwarzen Kopf mit gelben Augenbogen und ebenſolchen Backenbart. Sonſt iſt er oben rötlich und graurötlich gefärbt mit ſchwärzlichem Rückgratſtrich, unten blaßgelb; Schwanz gegen die Spitze zu immer dunkler, Hände und Füße rötlichbraun. — Der Rotſtirnmaki, Lemur rufifrons Benn., von der Weſtküſte Madagaskars, hat als Männchen bei graurötlich verwaſchener Grundfarbe rote Stirn, wie ſein Name beſagt, außerdem unterhalb des Ohres einen tiefroten Fleck, ſchwarzes Geſicht und Naſe, weißliche Flecke über den Augen und auf den Backen; Hände hell-, Füße dunkelbraun; Schwanz ſchwärzlich. Das Weibchen hat grauſprenkeligen Oberkopf und iſt über den Augen weiß, am Körper oben rotbraun, unten blaßrötlich gefärbt. — Der Weißkopf— maki, Lemur albifrons E. Geoffr., von der Oftküfte Madagaskars, hat nicht nur die Stirn weiß, wie ſein lateiniſcher Name vermuten läßt, ſondern faſt den ganzen Kopf ſamt den Ohren, dazu ſchwarzes Geſicht und Naſe; die Oberſeite iſt dunkelbraun, rötlich geſprenkelt, die Unter: ſeite weißlichgrau. Das Weibchen hat dunkelgrauen Kopf und iſt am Körper blaſſer gefärbt als das Männchen. — Der Rotbauchmaki, Lemur rubriventer-Is. Geoffr., von der Oſt⸗ küſte Madagaskars, bietet ein beſonderes Kennzeichen in ſeinen ſehr kurzen, innen nackten Ohren, hat kaſtanienbraunes Stirnband, Naſenſpitze und Lippen, kupferroten Bauch, Hände und Füße und ſchokoladenbraunen Rücken und Schwanz. Das Weibchen hat weißen ** Halbaffen 1. — 2 2. Grauer Halbmaki, Myoxicebus griseus E. Geoffr. s nat. Gr., s. S. 393. — W. S. Berridge, F. Z. S.-London phot. 1. Katta, Lemur catta L. s nat. Gr., s. S. 391. — W. S. Berridge, F. Z. S.-London phot. — — we. = 3. Mohrenmaki, Lemur macaco L., Männchen und Weibchen. 4. Mongoz, Lemur mongoz J. /s nat. Gr., s. S. 389. — W. S. Berridge, F. Z. S.-London phot. 1/7 nat. Gr., s. S. 392. — W. S. Berridge, F. Z. S.- London phot. 5. Coquerels Kafenmaki, Microcebus coquereli Grandid. 1 nat. Gr., s. S. 398. — W. S. Berridge, F. Z. S.-London phot. FR 7. Mausmaki, Microcebus murinus Miller. 6. Singertier, Daubentonia madagascariensis Gm. ½ nat. Or., s. S. 395. — W. S. Berridge, F. Z. S.-London phot. % nat. Gr., s. S. 399. — Schulz- Berlin-Neukölln phot. Mongoz und Verwandte. Halbmakis. 393 Vorderhals und Oberbruſt und fleiſchrötlichen Bauch. — Beim Gelbbartmaki beginnt ſchon die Rückbildung der oberen Schneidezähne und die Verlagerung der äußeren Schneidezähne hinter dem Eckzahn, die wir bei der folgenden Gattung weiter fortgeſchritten finden. Die Halbmakis (Myoxicebus Zess., Hapalemur) unterſcheiden ſich ſchon äußerlich von den bisher genannten durch ziemlich kurze, unter ſich nicht weſentlich verſchiedene Gliedmaßen und nicht ganz leibeslangen Schwanz. Der Kopf iſt rund und kurzſchnäuzig und hat breite, aber ſehr kurze, faſt ganz im Pelze verſteckte, innen und außen dicht behaarte Ohren. Hände und Füße haben ſchlanke Finger und Zehen, kurze Daumen und mäßig lange Daumenzehen. Das Gebiß beſteht wie bei den Makis aus 36 Zähnen, zeichnet ſich aber beſonders dadurch aus, daß die beiden oberen inneren Schneidezähne vor den äußeren ſtehen, die mehr zurück- und an den Eckzahn heranrücken. Die kurze, ſtumpfe Form des letzteren und die ſtumpfhöckerigen Backzähne laſſen ſchon auf die Pflanzennahrung ſchließen, die man tatſächlich im Magen der erlegten Stücke findet. Eine weitere Eigentümlichkeit der Halbmakis iſt ein Schwielenkiſſen an der Innenſeite des Unterarms, unmittelbar oberhalb des Handtellers, dem eine Drüſenmaſſe unter— liegt und beim Männchen dornartige, hornige, beim Weibchen haarartige Auswüchſe aufſitzen. Die angedeutete Gebißveränderung geht bei den verſchiedenen Arten der Gattung ver— ſchieden weit. Bei der größten Art, dem Breitſchnauzigen Halbmaki, M. simus Gray, von der Nordoſtküſte Madagaskars, ſitzt nicht nur der äußere Schneidezahn ganz, ſondern auch der innere ſchon teilweiſe hinter dem oberen Eckzahn. Von den beiden ſchmalſchnauzigen Arten iſt der Olivenbraune Halbmaki, M. olivaceus IS. Geoffr., von der Oſtküſte Madagas— kars, wieder erheblich kleiner (62 cm Geſamtlänge) als der Graue Halbmaki, M. griseus E. Geoffr. (73 em Geſamtlänge; Taf. „Halbaffen I, 2), der mehr aus dem Inneren ſtammt. Der Halbmaki, von den Madagaſſen Bokombul genannt, bewohnt vorzugsweiſe Bam— buswaldungen. In ſolchen fand ihn Pollen einige Tagereiſen von der Küſte an den Ufern des Ambaſſuanafluſſes. „Die Eingeborenen“, ſo berichtet er, „hatten mir ſo oft von dem Tiere erzählt, daß ich es mir nicht verſagen konnte, jene Waldungen zu beſuchen, um es ſelbſt zu beobachten. Nach einem ſehr beſchwerlichen Wege von mehreren Stunden kamen wir zu einem dichten Bambuswalde, in welchem es mir glückte, mehrere dieſer Tiere zu erlegen. Die Jagd iſt aber in der Tat außerordentlich ſchwierig. Man iſt genötigt, der Länge nach auf dem Boden fortzukriechen, und wird von den ſchneidigen Bambusblättern ununterbrochen verwundet. „Während des Tages ſchläft der Bokombul auf den höchſten Bambusſtengeln mit ge— krümmtem Rücken, den Kopf zwiſchen den Schenkeln verborgen und den Schwanz über den Rücken gelegt. Obgleich er eine vollkommen nächtliche Lebensweiſe führt, nimmt er doch bei Tage ſeine Feinde wahr, und es gelingt ihm ſehr oft, dem Jäger zu entkommen. Seine Nah— rung beſteht in Bambusblättern; wenigſtens fand ich ſeinen Magen mit dieſem Stoffe voll— gefüllt. Während des Tages faul und träge, entfaltete er des Nachts eine unglaubliche Tätig— keit und Behendigkeit. Seine Stimme iſt ein ſchwaches, an das des Schweines erinnerndes, aber viel weniger lautes Grunzen. Wie es ſcheint, bringt er ſeine Jungen im Monat De— zember oder Januar zur Welt. Ich habe eines dieſer Tiere mehrere Monate in Gefangen— ſchaft gehalten, mit Bananen, Mangos und gekochtem Reis ernährt, dabei aber gefunden, daß es den letzteren bloß bei dem größten Hunger annahm. Mein Gefangener hatte die üble Angewohnheit, ſich ſeinen Schwanz zu benagen, wie dies gefangene Affen zuweilen zu tun pflegen. Wenn man ihm den Finger zeigte, geriet er in Wut, zeigte ſeine Zähne und ließ ein oft wiederholtes Grunzen vernehmen.“ In den Tierhandel und die zoologiſchen Gärten 394 17. Ordnung: Halbaffen. Familie: Makiartige. kommen Halbmakis ſelten. Zwei im Frankfurter Garten gehaltene waren tagsüber munter, ſehr zahm und liebenswürdig; ſie benahmen ſich ganz wie echte Makis. Der ſeltene Hattock (Mixocebus Pfrs., einzige Art M. caniceps Pers.), aus nicht näher bekannter Gegend Madagaskars, bezeichnet den nächſten Schritt auf dem Wege der Gebiß⸗ rückbildung im Einklang mit ausſchließlicher Pflanzennahrung: er hat im Oberkiefer nur noch ein Paar winzige, verkümmerte Schneidezähne. Ihm reihen ſich dann die bekannteren, oben vollkommen ſchneidezahnloſen Wieſelmakis (Lepilemur Is. Geoffr.) an, von denen neuer- dings ſieben Arten unterſchieden werden, je nachdem ſie größer oder kleiner, mehr grau oder rot ſind, weiße Füße und dunklen Rückgratſtrich haben oder nicht. Beide Gattungen haben ſchon die nackten Ohren und dünn behaarten Schwänze mit den folgenden gemein. Die älteſtbeſchriebene Stammart, der Fitiliki, L. mustelinus IS. Geoffr., der oſtmadagaſſiſchen Küſte, wird durch ſeinen engliſchen Namen „Sportive Lemur“ (d. h. auf deutſch etwa Hans⸗ wurſt-Maki) ſchon genügend gekennzeichnet in ſeiner erſtaunlichen Beweglichkeit und ſeinen mächtigen Sprüngen durch das Baumgezweige. Er hat dazu auch ganz den ſchlanken Leib und die langen Glieder. Die Eingeborenen eſſen gern ſein Fleiſch und ſchlagen ihn deshalb mit dem Stock in ſeinem Blätterneſt tot, wo er tagsüber zuſammengerollt ſchläft. Die kleine Gattung der Fettſchwanzmakis (Altililemur Elliot, Opolemur) wurde früher der folgenden (Cheirogaleus) zugezählt und zu den-Galagoartigen geſtellt: jo ähnlich find fie dieſen. Die Fettanſammlung an der Schwanzwurzel, die ſich nicht jederzeit und nicht bei jedem Stück vorfindet, hat die Bedeutung eines Zehrvorrats für den Schlafzuſtand, in den ſie während der Trockenzeit ihrer Heimat verfallen. Die Hauptart iſt A. medius E. Geoffr. (Opolemur oder Cheirogaleus samati) von der Weſtküſte Madagaskars (Bourbon). Die beiden letzten madagaſſiſchen Makigattungen (Cheirogaleus und Microcebus) hat man früher mit den afrikaniſchen Galagoartigen zuſammengeſtellt, weil ſie dieſen äußerlich mehr oder weniger ähneln und mit ihnen die merkwürdige Fußwurzelverlängerung gemein haben. Durch das oben beſchriebene Verhalten gewiſſer knöcherner Teile des inneren Ohres unterſcheiden ſie ſich aber ebenſo ſcharf von ihnen wie alle Halbaffen Madagaskars. Die merkwürdigſte Lebenserſcheinung, von dem Madagaskarforſcher Grandidier feſt— gejtellt, iſt ein Sommer- oder Trockenzeitſchlaf, den die in trockneren Gegenden Madagaskars lebenden Arten ganz nach dem Muſter unſerer Winterſchläfer halten, wobei ſie auch dieſelbe Kunſtfertigkeit im Bau niedlicher Schlafneſter entfalten. Vorher, während ihnen bis zum Schluß der Regenzeit bei dem üppigen Pflanzenwuchs ihrer Heimat der Tiſch reichlich gedeckt war, haben ſie ſich entſprechend angemäſtet und namentlich an der Schwanzwurzel genügenden Fettvorrat als Schlafzehrung angeſammelt. Dieſe mächtige Schwanzanſchwellung iſt denn auch wieder verſchwunden, wenn ſie nach einigen Monaten erwachen. Die Gattung Cheirogaleus ZE. Geoffr. (Chirogaleus) nennt man deutſch gewöhnlich Katzenmakis, darf ſie aber dann nicht mit dem Katta verwechſeln. Der engliſche Name Maus⸗ makis paßt indes ebenſowenig; denn ſelbſt die kleinſte Art, der Büſchelohrige Katzenmaki, Ch. trichotis G., aus der Gegend der madagaſſiſchen Hauptſtadt Tamatave, hat immer noch beinahe 15 em Körperlänge und noch etwas längeren Schwanz, und alle anderen ſind weit größer, haben 50 —60 em Geſamtlänge, wovon ungefähr die Hälfte auf den Schwanz kommt. Hattock. Wieſelmakis. Fettſchwanzmakis. Katzenmakis. Zwergmakis. 395 Der Körper mag an ſich nicht gerade plump gebaut ſein; er gewinnt aber leicht dieſes Aus— ſehen durch das dichte, wollige, vliesartig ſich ſpaltende Fell und eine gewiſſe Wohlbeleibtheit, die den Körper auf den kurz zuſammengeknickten Beinen nie hochkommen läßt. Der Kopf iſt rundlich, mit etwas zugeſpitzter Schnauze; die auffallend großen Augen ſind rund und dunkel: richtige Nachtaugen; die wenig hervortretenden Ohren nackt. Die Hauptnahrung iſt pflanzlicher Natur; aber auch Inſekten werden eifrig gejagt und ſelbſt kleine Vögel und Eier wohl nicht verſchmäht. Die großen Eulenaugen befähigen zu nächtlicher Jagd im dunkelſten Gezweige, wobei die erſpähte Beute raſch angelaufen und im Sprunge gefaßt wird. Am häufigſten lebend eingeführt und daher in den zoologiſchen Gärten öfter gehalten wird Milius' Katzenmaki, Cheirogaleus major E. Geoffr. (milii), von der Oſtküſte Madagaskars, benannt nach einem franzöſiſchen Gouverneur von Réunion, der die erſten nach Paris ſchickte. Er iſt oben bräunlichgrau, auf Kopf und Schultern rötlich, unten weiß. Die Farbentöne wechſeln aber ſehr, und mit Sicherheit iſt das Tier daher oft erſt nach dem Tode an ſeinen Schädel- und Zahnmerkmalen zu beſtimmen. 8 Die Gattung der Zwergmakis (Mierocebus E. Geoffr.) endlich enthält die kleinſten und am auffälligſten als Nachttiere ausgebildeten Makiartigen Madagaskars. Am Kopf iſt der Hirn- ſchädel noch höher und breiter gewölbt, und das Schnäuzchen ſitzt noch kürzer und feiner davor. Die runden Augen ſind im Verhältnis noch größer und rücken dadurch noch näher zuſammen. Ebenſo treten die Ohren nicht nur äußerlich mit ihrer nackten Muſchel mehr hervor, ſondern zeigen auch in ihrem knöchernen Innenteil eine aufgetriebene Gehörblaſe, was bei den Katzen— makis noch nicht, bei den afrikaniſchen Galagos aber in noch ſtärkerem Maße auftritt. Alles offenbar im Zuſammenhang mit dem nächtlichen Leben, inſonderheit der nächtlichen Inſektenjagd! Der typiſche Vertreter iſt der Mausmaki, M. murinus Miller (pusillus, Chirogaleus smithi; Taf. „Halbaffen I, 7, bei S. 393), deſſen Verbreitung an der Südoſt- und Südweſt— küſte Madagaskars noch nicht genau beſtimmt iſt; vielleicht hängt dies damit zuſammen, daß er in zwei Farben, rötlichbraun und grau, auftritt. Eine zweite Art (M. myoxinus P.ys.), von Weſt⸗Madagaskar, unterſcheidet ſich dadurch, daß ſie zu beiden Seiten der Naſe nicht braun, ſondern ſchwarz gefärbt iſt. Der Mausmaki wird nur 30 em lang, wovon die Hälfte auf den Schwanz kommt. Lydekker hält in ſeiner engliſchen Brehm-Ausgabe auch M. pusillus E. Geoffr. als allerkleinſte Art getrennt und gibt dieſer ſchon von Buffon beſchriebenen „Ratte von Via: dagaskar“ nur 10 em Kopfrumpflänge. Die Mausmakis leben, nach G. A. Shaw, in den Wipfeln der höchſten Bäume und bauen ſich da auf den dünnſten Zweigen aus dürren Blättern ein mit Haar ausgefüttertes Neſt, das von einem Vogelneſt nicht zu unterſcheiden iſt und nicht nur die Schlafſtelle für die Alten, ſondern ebenſo die Wiege für die Jungen iſt. Zur Nahrung dient neben Früchten und Inſekten wahrſcheinlich auch Honig. Shaw ſah ſeine Gefangenen Fliegen haſchen und gab ihnen Schmetterlinge, die ſie gierig fraßen. Sie waren äußerſt ſcheu und wild: von mehr als dreißig und vierzig wurde nicht einer zahm. Sie waren auch ſehr zänkiſch und kämpften wütend miteinander, indem ſie dabei durchdringende, ſchrillem Zwitſchern ähnliche Laute ausſtießen. Die Zähne ſind, ſo winzig ſie ſind, ebenſo ſcharf und faſſen ſo feſt, daß es ſchwer iſt, ihnen etwas wieder zu entreißen. Die Mausmakis können gut ſpringen; für gewöhnlich laufen ſie aber auf allen vieren und ſind ſehr flink im Gezweige. Sie haben viel Kraft in Händen und Füßen: hängen ſich oft kopfunter auf, greifen ſo Nahrung und ziehen ſich dann wieder auf ihren Zweig hinauf. Ordnung: Halbaffen. Familie: Makiartige. 1 396 5 1 Größere Arten von 54 und 60 em Gejamtlänge find Coquerels Katzen-(Zwerg—) Maki, M. coquereli Grandid. (Taf. „Halbaffen 1“, 5, bei S. 393), und der Gabelſtreifige Zwergmaki, M. fureifer Blainv., der Waluwy der Eingeborenen; beide unterſcheiden ſich äußerlich noch dadurch, daß der letztere, wie ſeine Namen ſchon beſagen, einen dunklen Rück— gratſtreifen beſitzt, der ſich auf dem Hinterkopfe gabelig teilt und nach den Augen verläuft. Der Waluwy findet ſich, laut Pollen, ſehr häufig in den Waldungen der Weſtſeite Mada⸗ gaskars, ſcheint aber auch hier und da in den öſtlichen Gebieten vorzukommen. Zu feinen ‚Ver: ſteckplätzen wählt er am liebſten Baumhöhlen mit zwei Offnungen, manchmal auch ſolche, welche gleichzeitig von Bienen bewohnt werden, in welchem Falle er ſein Neſt durch einen Haufen von Stroh und trockenen Blättern gegen die Kerbtiere abſchließt. Die Eingeborenen glauben, daß er deshalb mit Vorliebe die Geſellſchaft der Bienen aufſuche, weil er ein leidenſchaftlicher Freund des Honigs ſei. Ich beobachtete dieſe niedlichen Halbaffen während der Nacht. Sie ſind viel munterer und behender als die Makis und machen außerordentlich weite Sätze. Das Geſchrei, welches ſie während ihres Wachſeins faſt ununterbrochen vernehmen laſſen, klingt ſcharf, wie kakakakaka,, dem trompetenartigen Geſchmetter der Perlhühner einigermaßen ähnlich.“ Über Coquerels Katzen-(Zwerg-) Maki in der Gefangenſchaft berichtet Haacke: „Der Katzenmaki des Frankfurter Tiergartens führt auch in der Gefangenſchaft ein weit nächt⸗ licheres Leben als irgendein anderer von mir beobachteter Maki; denn er verbringt den ganzen Tag ohne jegliche Unterbrechung in ſeinem Schlafkäſtchen oder, falls ihm dieſes entzogen wird, vollkommen in ſeinem Heulager verborgen. Erſt nach Eintritt der Dunkelheit wird er munter und durchſtöbert dann allerdings ſehr lebhaft ſämtliche Ecken ſeines Käfigs, wobei er ſich als geſchickter Kletterer erweiſt. Mit den Seidenäffchen, welche eine Zeitlang mit ihm denſelben Käfig bewohnten, vertrug er ſich gut.“ In der Unterfamilie der Indriartigen (Indrisinae) vereinigt man drei Gattungen madagaſſiſcher Halbaffen, die ſich zwar äußerlich auf den erſten Blick nicht ſehr ähneln, aber doch durch eine ganze Anzahl gemeinſamer Merkmale zuſammengehalten werden. So vor allem durch die ſtarke Verlängerung der Hinterbeine, die es auch mit ſich bringt, daß ſie am Boden auf zwei Beinen laufen. Ferner ſind die Zehen der Hinterbeine mit Ausnahme der ſtarken, den übrigen entgegengeſtellten Daumenzehen bis an das vorderſte Glied durch Haut verbunden. In der kurzen Schnauze beträgt die Geſamtzahl der Zähne nur 30: oben und unten ſind nur je 2 Lückzähne vorhanden, und der untere Eckzahn fehlt ganz. Im Zu— ſammenhang damit, daß die Indriartigen in dem Indri ſelber den größten aller Halbaffen enthalten, ſteht wohl auch die Weiterentwickelung der Großhirnhalbkugeln, die ſich innerhalb der Gruppe bis zur Bedeckung des Kleinhirns vollzieht. Außerdem tritt Übergang von nächt— licher Lebensweiſe zum Tagleben ein. Die Augen haben eine Nickhaut, die ſich vom Innen⸗ winkel über den Augapfel ziehen kann. Die Wollmakis oder Avahis (Gattung Lichanotus Illig., Avahis), mit der ein⸗ zigen Art L. laniger ., die aus Oft und Weſt-Madagaskar bekannt iſt, erſcheinen mit ihren langen Schwänzen äußerlich noch am wenigſten abweichend, auch in der Größe; doch fällt alsbald der runde Kopf auf, der zur Wirbelſäule im rechten Winkel ſteht, mit der ſehr kurzen Schnauze und dem völlig in dem graubraunen Wollpelz verborgenen Ohr. Außerdem ſind gut ausgeprägte Zahnmerkmale vorhanden. Der Wollmaki führt ein nächtliches Leben und ſoll ein recht ſtumpfſinniges Tier ſein. Zwergmakis. Wollmakis. Sifakas. 397 Die Sifakas dagegen (Gattung Propithecus Benn.) find Tagtiere und hübſch bunt gefärbt: trotz ſchwarzer Haut in der Hauptſache weiß mit gelber, roter oder ſchwarzer Zeichnung auf Kopf, Bruſt und Oberſeite der Arme und Beine. Es kommen aber auch ganz weiße und ganz ſchwarze Stücke vor, und es läßt ſich im allgemeinen eine Neigung zum Weißwerden in den feuchten, zum Schwarzwerden in den trockenen Gegenden erkennen. Das nackte, kurz— ſchnauzige Geſicht iſt immer ſchwarz, und man könnte die Gattung danach deutſch Larven— makis nennen. Das Haar iſt mehr ſeidig als wollig, auf der Oberſeite dicht, auf der Unter— ſeite dünn. Vom Oberarm nach dem Rumpf zieht ſich eine Spannhaut. Die Sifakas ſind Fruchtfreſſer und Baumbewohner. Ihre unteren Schneidezähne ſind ſchräg geſtellt und dadurch vorzüglich geeignet, die Schalen der Früchte zu durchlöchern und das Fleiſch ſtückweiſe herauszuholen. Die Schalen werfen die Sifakas immer weg, und un— reife Früchte freſſen ſie lieber als reife. Mit ihren langen, ſtarken Hinterbeinen können ſie 10 m weite Sprünge von Aſt zu Aſt machen, und fie bewegen ſich dabei jo raſch, daß fie, nach Grandidier, ſchon mehr zu fliegen ſcheinen. Auch auf der Erde bewegen ſie ſich, wenn ſie einmal von den Bäumen herunterkommen, in langen Sprüngen, weil ſie bei ihren kurzen Armen nicht gut auf allen vieren laufen können. Wenn man ſie ſo auf den Hinterbeinen ſtehen und bei jedem Sprung die Arme in die Luft werfen ſieht, könnte man glauben, ſagt Grandidier, ſpielende Kinder vor ſich zu haben; jedenfalls iſt ein Trupp, der ſich ſo auf der Erde vorwärts bewegt, ein höchſt ſpaßhafter Anblick. Die Sifakas beſchränken ſich nämlich durchaus nicht auf die Wälder, ſondern kommen auch in den trockenen Landſtrichen und auf den Ebenen mit wenig Baumwuchs vor. Von den Eingeborenen werden ſie verehrt und geſchont; es ſind ja auch harmloſe Tiere, die ſich in Trupps von einem halben Dutzend un— gefähr zuſammenhalten und von Blättern, Früchten und Blüten leben. In der Tageshitze ſchlafen ſie an geſchützten Stellen im Gezweige, frühmorgens und abends ſind ſie in Bewegung. Bei Sonnenaufgang ſieht man ſie oft auf einem wagerechten Aſt nahe am Stamme ſitzen, die langen Beine faſt bis ans Kinn angezogen, die Hände auf den Knien ruhend, oder ſie breiten die Arme aus und laſſen ſich die wärmende Sonne auf Bruſt und Bauch ſcheinen. Im Schlafe beugen ſie den Kopf auf die Bruſt und kreuzen die Arme über dem Geſicht, während ſie den Schwanz entweder um die Beine rollen oder lang herunterhängen laſſen. Die Arten ſind bei den Sifakas vielleicht noch ſchwerer zu beſtimmen als bei anderen Halb— affen, weil eben die Färbung der einzelnen Stücke jo ſehr abändert. Elliot erkennt zwei Arten an mit mehreren Unterarten: den Diadem-Sifaka, P. diadema Benn., mit meiſt farbigem und den Verreaux-Sifaka, P. verreauxi Grandid., mit meiſt weißem Körper, ſchwarzem Geſicht und Ohr. Ein Vertreter des letzteren lebte vor Jahren im Berliner Zoologiſchen Garten und legte durch ſein nacktes, ſchwarzes Maskengeſicht, aus dem die ſchwefelgelben Augen heraus— ſtachen, den Namen Larvenmaki nahe. Er befreundete ſich bald mit ſeinem Wärter, kletterte ihm auf die Schulter oder gar Mütze und ließ ſich, mit den Vorderhänden an der Gitter— ſtange hängend, an den Hinterbeinen langziehen und ſtreicheln. Finger und Zehen ſind ſehr eigentümlich gebildet, namentlich die Daumenzehe: ganz platt und breitgedrückt, mit ſcharfer Kante am Ballen, ſo daß ſie ausſehen und ſich anfühlen wie aus Gummi geſchnitten. Die Indris (Gattung Indris E. Geoffr., Lichanotus) ſind die größten und gelten als die am höchſten entwickelten aller Lemuren. Ihr Kopf iſt im Verhältnis zu dem ſtämmigen Leibe klein oder doch nur mittelgroß und ſpitzſchnäuzig; die Vorderglieder ſind nicht viel kürzer als die hinteren, die einen wie die anderen beſonders ausgezeichnet durch die Länge der Hände und 398 17. Ordnung: Halbaffen. Familie: Makiartige. Füße und ebenſo der kräftigen Daumen und Daumenzehen, welch letztere zumal mit den übrigen, bis zum erſten Glied durch Bindehaut vereinigten Zehen wahre Klammerfüße bilden. Der Schwanz erſcheint nur als verkümmerter Stummel. Verhältnismäßig kleine Augen und ebenſo kleine, faſt ganz im Pelze verſteckte Ohren, deren Muſcheln auf der Innenſeite nackt, auf der äußeren dicht behaart ſind, tragen zur weiteren Kennzeichnung bei. Der ſehr dichte, faſt wollige Pelz überkleidet nicht nur den ganzen Leib, ſondern auch die Hände und Füße, die Finger und Zehen bis zu den Nägeln herab. Das Gebiß beſteht aus vier durch eine weite Lücke getrennten oberen, vier dicht zuſammenliegenden, ſchief geſtellten, langen unteren Indri, Indris indris Gm. Yıo natürlicher Größe. Schneidezähnen und einem Eckzahne, zwei Lückzähnen und drei vierhöckerigen Mahlzähnen in jedem Kiefer, deren untere größer und ſtärker als die oberen ſind. Ein Kehlſack, aber von anderer Art als bei den Affen, dient zur Verſtärkung der Stimme. Das Gehirn erſcheint hochentwickelt, wohl im Zuſammenhang mit der Körpergröße. Man kennt und anerkennt bloß eine einzige Art dieſer Gattung, den Indri (verdorben aus dem madagaſſiſchen Endrina) oder Babakoto, zu deutſch „Vaterſohn“, der Madagaſſen, Indris indris Gm. (Lichanotus brevicaudatus). Der Indri erreicht eine Länge von 85 em, wovon nur 2,5 em auf den Schwanz gerechnet werden dürfen. Das faſt unbehaarte Geſicht iſt dunkel-, im Leben wahrſcheinlich bräunlichſchwarz, die Färbung des Haarkleides iſt vor— wiegend ſchwarz, weiß und grau, wechſelt aber im übrigen ſo ſehr, daß jede weitergehende Beſchreibung ſchließlich doch nur auf ein einzelnes Stück wirklich paſſen würde. Die Heimat ſind die Wälder auf den Hochgebirgen Oſt-Madagaskars. Indri. Fingertier. 399 Sonnerat, der uns mit dem Babakoto bekanntmachte, erzählt, daß dieſer wie ſeine Ver— wandten flink und gewandt ſich bewege, überaus raſch von einem Baume zum anderen ſpringe, beim Freſſen aufrecht wie ein Eichhörnchen ſitze und ſeine hauptſächlich aus Früchten beſtehende Nahrung mit den Händen zum Munde führe, eine dem Weinen eines Kindes gleichende Stimme habe, ſehr ſanftmütig, gutartig und deshalb leicht zähmbar ſei, in den ſüdlichen Gegenden der Inſel von den Eingeborenen aufgezogen und wie unſere Hunde zur Jagd abgerichtet werde. Die Indris ſind Tagtiere. Vinſon wurde beim Durchreiſen des großen Waldes von Alanamaſoatrao zwei Tage lang von ihrem vereinigten Geſchrei faſt betäubt und bemerkt, daß die Tiere in anſcheinend zahlreichen, leider unſichtbaren Banden in den Dickichten des Waldes vereinigt geweſen ſeien. Nach Coquerel verehren die Eingeborenen den Babakoto wie ein übernatürliches Weſen und betrachten ihn als ein heiliges Tier, weil ſie glauben, daß ihre Eltern nach dem Tode ſich in dieſe Lemuren verwandeln. „In gewiſſen Teilen Madagaskars“, erzählt Pollen, doch nur nach Hörenſagen, „richtet man den Babakoto zur Vogeljagd ab. Man ſagt, daß er hierbei ebenſo gute Dienſte leiſte wie der beſte Hund; denn er verſchmäht, obgleich er Fruchtfreſſer iſt, keineswegs kleine Vögel und verſteht dieſelben mit größter Geſchicklichkeit zu fangen, um ſich einen Leckerbiſſen für ihn, Vogelhirn, zu erbeuten.“ Soviel bekannt, iſt der Indri bis jetzt lebend noch nicht nach Europa gebracht worden. * Im 18. Jahrhundert ſchon erhielt der Reiſende Sonnerat aus einem Walde der Weſt— küſte Madagaskars zwei höchſt ſonderbare Tiere, von deren Daſein bis dahin noch niemand Kunde gehabt hatte. Selbſt auf der gegenüberliegenden Küſte waren ſie ganz unbekannt; wenig— ſtens wurde unſerem Naturforſcher von den dort lebenden Madagaſſen verſichert, daß die beiden, die er lebend bei ſich hatte, die erſten wären, die ſie jemals geſehen hätten. Sie ſchrieen bei Anblick derſelben zur Bezeugung ihrer Verwunderung laut auf, und Sonnerat erhob dieſen Ausruf, „Aye, Aye“, zum Namen des von ihm entdeckten Tieres. Es war das Fingertier. Bis in die neuere Zeit blieb ein von Sonnerat nach Europa gebrachter Aye-Aye der ein⸗ zige, den man kannte, und die im Jahre 1782 erſchienene Beſchreibung die einzige Quelle aller Kunde von dem ſeltenen Tiere, das zunächſt zu den Nagern geſtellt wurde. Schreber war der erſte, der ſich, freilich ohne das Tier ſelbſt unterſucht zu haben, dafür entſchied, es zu den Halbaffen zu ſtellen. Brandt gelangte zu dem Ergebniſſe, daß die Sippe der Fingertiere zwar durch eine größere Anzahl von Merkmalen den Halbaffen, aber durch eine nicht geringe Zahl nicht unweſentlicher Merkmale ebenſo den Nagern verwandt ſei, und ſchlug deshalb vor, für das Tier eine beſondere, zwiſchen den Affen, Halbaffen und Nagetieren ſtehende Ordnung zu bilden. Aber erſt durch Owens und Peters' Forſchungen wurde die Streitfrage endgültig entſchieden. Nach dieſen bildet das Fingertier, Daubentonia madagascariensis Gm. (Chiromys; Taf. „Halbaffen I“, 6, bei S. 393), nicht bloß eine beſondere Gattung (Daubentonia E. Geoffr., Chiromys), ſondern entweder eine eigene Familie (Daubentoniidae, Chiromyidae) oder wenigſtens, wenn man dem mit den übrigen Madagaskar-Halbaffen übereinſtimmenden Ver⸗ halten des Paukenrings im inneren Ohre größere vereinigende Bedeutung beilegt, eine beſon— dere Unterfamilie (Daubentoniinae, Chiromyinae) innerhalb der Familie der Lemuriden. Der Aye-Aye oder das Fingertier zeigt äußerlich folgende Merkmale: der Kopf iſt groß, rund, ſtumpfſchnauzig, der Hals kurz, der Leib ſchlank, der Schwanz etwa leibeslang, buſchig. Die Glieder haben unter ſich faſt gleiche Länge. Im Verhältnis zur Kopfgröße erſcheinen die 400 17. Ordnung: Halbaffen. Familie: Makiartige. hellbraunen Augen — richtige, blöde Nachtaugen mit Nickhaut — nicht gerade groß, die häutigen, ſeitwärts abſtehenden Ohren dagegen ſehr groß. An der Hand und dem Fuße fallen die ſehr verlängerten Finger und Zehen beſonders auf. Der unterſeits wulſtige Daumen iſt kräftig und kurz, der Zeigefinger etwas ſchwächer, der Goldfinger beinahe ebenſo dick wie der Daumen, der kleine Finger noch immer ſehr ſtark, der dritte Finger aber verkümmert, indem er wie zu⸗ ſammengedorrt ausſieht. Die Daumenzehe iſt ähnlich gebaut wie der Daumen, während alle übrigen Zehen unter ſich faſt gleiche Länge und auch ähnliche Bildung zeigen. Finger und Zehen haben zugeſpitzte Krallennägel, nur Daumen und Daumenzehe einen Plattnagel. Ein rötliches Fahlgrau, mit Ausnahme eines dunkleren Ringes um die Augen und eines lichten Fleckes über denſelben, iſt die Färbung des Geſichtes. Auf Wangen und Kehle ſieht das Haar⸗ kleid fahlgrau aus; auf den übrigen Teilen erſcheint die Geſamtfärbung bräunlichſchwarz mit durchſchimmerndem Fahlgrau und eingeſprengtem Weiß, weil der Pelz aus zweierlei Haaren, dichten graufahlen Wollhaaren und ſchwarzen, hier und da weißgeſpitzten Grannenhaaren, beſteht. Die borſtigen, dunkeln Schwanzhaare haben graue Wurzel; die ſtarken Schnurren über den Augen und am Mundwinkel ſind ganz ſchwarz. Ausgewachſene Stücke erreichen eine Geſamtlänge von 1 m, wovon 45 em auf die Länge von der Schnauzenſpitze bis zur Schwanz: wurzel und über 50 em auf den Schwanz kommen. Für den wiſſenſchaftlichen Syſtematiker iſt das Intereſſanteſte am Fingertier ſein Gebiß, das auch das Umherwandern des Tieres im Syſtem erklärt; denn es iſt ein vollkommenes Nage⸗ tiergebiß mit nur je einem großen, meißelförmig abgeſchrägten Schneidezahn in jeder Kiefer hälfte, der, genau wie bei den Nagetieren, wurzellos, unten offen und den Kiefer zum größten Teil ausfüllend, die Abnutzung immer wieder durch Nachwachſen erſetzt. Es iſt auch gar kein Eck⸗ und Lückzahn vorhanden, die große Zahnlücke zwiſchen Vorder- und Hinterzähnen alſo ebenfalls ausgebildet wie bei den Nagetieren. Die Zahnformel lautet nach Elliot: ns. Das Milchgebiß dagegen mit ſeinen abweichenden Zahnformen und zahlen: 2 Schneidezähne in jeder Kieferhälfte, ein oberer Eckzahn und 2 Lückzähne, erweiſt ſich ganz halbaffenartig. Wir haben alſo in dem nagetierähnlichen Gebiß des erwachſenen Fingertieres einen Fall der ſo— genannten Konvergenz oder Analogie vor uns, bei der verſchiedene Tierformen durch ähn— liche Lebensweiſe zu überraſchend ähnlichen Einzelzügen im Leibesbau gelangen, ohne ſich nach Abſtammung und allgemeiner Verwandtſchaft näher zu ſtehen. Davon überzeugt ſchon Pollens 1868 veröffentlichte Freilebenſchilderung des Finger— tieres. „Dieſes wiſſenſchaftlich ſo merkwürdige Tier“, ſagt unſer Gewährsmann, „bewohnt mit Vorliebe die Bambuswaldungen im Innern der großen Inſel. Nach Angabe der Ein— geborenen iſt es jo ſelten, daß man es nur durch Zufall einmal zu ſehen bekommt, lebt ein⸗ zeln oder paarweiſe, niemals in Banden, kommt bloß des Nachts zum Vorſcheine und ſchläft übertags in den dichteſten und undurchdringlichſten Bambusdickichten mitten in den Wal— dungen. Um ſeine Nahrung zu erhalten, beſtehe ſie in dem Herz des Bambus- und Zucker⸗ rohres oder in Kerbtieren, nagt es mit ſeinen kräftigen Schneidezähnen eine Offnung in den Stamm der Pflanzen, führt durch dieſen ſeinen ſchmächtigen Mittelfinger ein und holt mit ihm den Pflanzenſtoff oder die Kerbtiere hervor. So ſchläfrig es übertags ſich zeigt, ſo lebhaft bewegt es ſich während der Nacht. Von Sonnenaufgang an ſchläft es, indem es den Kopf zwiſchen den Füßen verbirgt und ihn noch außerdem mit dem langen Schwanze einhüllt; mit Beginn der Nacht erwacht es aus ſeiner Schlaftrunkenheit, klettert an den Bäumen auf und nieder und ſpringt mit der Behendigkeit der Makis von Zweig zu Zweige, dabei ſorgfältig alle Offnungen, Ritzen und Löcher der alten Bäume unterſuchend, um Beute zu machen, zieht Fingertier: Frei- und Gefangenleben. S 401 fih aber ſchon vor Beginn der Morgenröte wieder in das Innere der Waldungen zurück. Seinen Schrei, ein kräftiges Grunzen, vernimmt man oft im Verlaufe der Nacht.“ Der erſte Aye-Aye, der einige Jahre in London lebte, konnte von mir (1863) wenigſtens kurze Zeit beobachtet werden. Das Tier hat buchſtäblich mit keinem anderen Säuger eine be— achtenswerte Ahnlichkeit; allenfalls erinnert es in mancher Hinſicht an die Galagos. Der dicke, breite Kopf mit den großen Ohren, welche den breiten Kopf noch breiter erſcheinen laſſen, die kleinen, gewölbten, ſtarren, regungsloſen, aber glühenden Augen mit viel kleinerem Stern, als das Halbaffenauge ihn beſitzt, die bedeutende Leibesgröße und der lange Schwanz, der, wie der ganze Leib, mit dünn ſtehenden, aber langen, ſteifen, faſt borſtenartigen Grannen— haaren beſetzt iſt, und die ſo merkwürdigen Hände endlich, deren Mittelfinger ausſieht, als ob er zuſammengedorrt wäre: dieſe Merkmale insgeſamt verleihen der ganzen Erſcheinung etwas ſo Eigentümliches, daß man ſich unwillkürlich den Kopf zermartert, in der fruchtloſen Abſicht, ein dieſem Tiere verwandtes Geſchöpf aufzufinden. Der Gang ähnelt dem anderer Halbaffen, nur iſt er ungleich langſamer. Dabei ſteht das Tier hinten viel höher als vorn, wo es ſich auf die ſehr gebreiteten und ſtark gekrümmten Finger ſtützt, und ſtreckt den buſchigen Schwanz wagerecht von ſich, ohne ihn auf dem Boden ſchleppen zu laſſen. Der Aye-Aye, den ich ſah, war nichts weniger als ſanft, im Gegenteil ſehr reizbar und ungemütlich. Wenn man ſich ihm näherte, fauchte er wie eine Katze; wenn man ihm die Hand vorhielt, fuhr er unter Ausſtoßen derſelben Laute wütend und ſehr raſch auf die Hand los und verſuchte, ſie mit ſeinen beiden Vorderpfoten zu packen. Dabei unterſchied er zwiſchen der Hand und einem eiſernen Stäbchen. Mit dieſem ließ er ſich berühren, ohne zu fauchen oder zuzugreifen. Die Wärter, welche große Achtung vor dem Gebiß ihres Schutzbefohlenen an den Tag legten, verſicherten, von dieſem Unterſcheidungsvermögen des Tieres überzeugende Beweiſe erhalten zu haben: ſie waren mehrere Male derb gebiſſen worden. Beachtenswert ſcheint mir folgende Beobachtung zu ſein. Alle Zweige des Käfigs, den der erſte Londoner Aye-Aye bewohnte, ſind von ihm abgeſchält und angebiſſen worden. Er muß alſo ſeine Schneidezähne, die den Naturforſchern ſo viel Kopfzerbrechen verurſacht haben, in ganz eigentümlicher Weiſe verwenden. Ich glaube hieraus ſchließen zu dürfen, daß er in der Freiheit auf dürren Bäumen ſeine Nahrung ſucht und wirklich Kerbtiere frißt, wie Sonnerat angibt. Er ſchält, ſo vermute ich, mit ſeinen dazu vortrefflich geeigneten Zähnen die Baum— rinde ab, legt damit die Schlupfwinkel gewiſſer Kerbtiere oder deren Larven bloß und zieht dieſe dann mit ſeinen langen Fingern aus Ritzen und Spalten vollends hervor, um ſie zu ver— ſpeiſen. Andere gefangen gehaltene Fingertiere haben ſich in dieſer Beziehung verſchieden be— nommen, in ihren Käfigen angebundene Hirſchgeweihſtangen bald benagt, bald nicht. Neuerdings iſt das Fingertier öfters lebend eingeführt worden, und heute können ſich ſchon eine ganze Anzahl unſerer zoologiſchen Gärten rühmen, es beſeſſen zu haben oder zu beſitzen. Die meiſten Stücke haben wohl Hamburger Kapitäne dem rührigen Händler Auguſt Fodel- mann gebracht, und im Berliner Garten iſt während der letzten Jahrzehnte eigentlich immer ein Fingertier zu ſehen geweſen. Das erſte, das jahrelang aushielt, war aber doch das von Perzina im Wiener Vivarium von 1891 bis 1896 gepflegte, das nach ſeinem Tode dem Anatomen Zuckerkandl zu genauer Einzelbeſchreibung diente. Zurzeit lebt im Berliner Garten wieder eins ſeit November 1907 als lebender Beweis, daß man immer mehr Tiere halten lernt, die früher als unhaltbar galten. Das erſte, was das Berliner Fingertier tut, wenn es des Abends, im Hochſommer etwa um /8, aus ſeinem Schlafkaſten hervorkommt, it, daß es ſich an der Drahtdecke ſeines zimmergroßen Käfigs an den Hinterbeinen langgeſtreckt Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 26 402 17. Ordnung: Halbaffen. Familien: Makiartige und Loriartige. aufhängt und ſich mit den Vorderhänden den langſträhnigen Pelz durchkämmt. Zuletzt wird mit der Kralle des Skelettfingers auch die Naſe gereinigt. Dann beginnt das Tier, ſeinen Be— wegungstrieb zu befriedigen und zeigt ſich dabei als ein ſehr flinker und gewandter Kletterer und Springer, ganz in der Art wie die Makis. Sehr oft klettert es hängend an der Drahtdecke im Kreiſe herum, mit ganz beſonderer Vorliebe aber wiederholt es immer wieder einen be— ſtimmten rückläufigen Überkopfſprung an zwei Aſten ſeines großen Kletterbaumes. Im Freſſen iſt es recht wähleriſch und nimmt einmal mehr dieſe, einmal mehr jene Speiſe. Bei der Nah: rungsaufnahme ſpielt zweifellos auch in der Gefangenſchaft der Skelettfinger eine große Rolle, in der Freiheit gewiß alſo erſt recht. Gewöhnliche Nüſſe, Haſel- und Zirbelnüſſe werden, immer an der Naht, mit den Nagezähnen aufgeknackt, die Schale dann weiter ſtückweiſe ab⸗ gebiſſen und der Skelettfinger viel gebraucht, um die feſtſitzenden Kernreſte loszumachen. Apfel werden mit ihm, nachdem ſie erſt mit den Zähnen angefreſſen ſind, ſo fein ſäuberlich aus— gehöhlt, daß nicht viel mehr als die Schale übrigbleibt, und ähnlich werden rohe Mohrrüben ausgekratzt, nachdem ſie mit den Zähnen der Länge nach aufgeſchlitzt worden ſind. Kirſchen, Backbirnen und anderes friſches und getrocknetes Obſt wird ebenfalls gern gefreſſen. Das Fingertier iſt aber auch ein Freund tieriſcher Nahrung, zeigte ſich in Wien erpicht auf Käfer, die es aus ihren Hüllen herausfraß, während es Mehlwürmer quetſchend auskaute. Das Ber: liner Stück liebt beſonders markhaltige Hammelröhrenknochen, aus denen es mit dem Skelett— finger das Mark von beiden Enden her ebenſo gründlich wie elegant herauszuholen verſteht. Schließlich wird der Skelettfinger auch beim Trinken benutzt, indem er mit äußerſter Schnellig⸗ keit in den Milch- oder Waſſernapf eingetaucht und dann durch den Mund gezogen wird: ein Trinken unmittelbar mit dem Munde dürfte bis jetzt beim Fingertier kaum beobachtet ſein, ein Beweis, wie das Tier ſklaviſch an ererbten Inſtinkten hängt, während es denſelben Zweck viel bequemer erreichen könnte! Seinen Harn läßt das Fingertier öfters während ſeiner nächt— lichen Bewegung und auf ſehr eigentümliche Weiſe, indem es ſich an ganz beſtimmten Stellen ſeines Käfigs, an den Holzpfoſten der Drahtwände, auf dem ſchiefen Dach ſeines Schlafkaſtens, mit den Vorderhänden anhängt, den Bauch gegen die Unterlage andrückt und den Harn an dieſer herablaufen läßt. Da in der Freiheit jedenfalls dieſelbe Gewohnheit herrſcht, fo werden dort an den Urwaldbäumen gewiſſe, durch den Geruch auffallende Stellen entſtehen, durch die, wie beim Hunde, die beiden Geſchlechter des einzeln lebenden Fingertieres aufeinander auf— merkſam gemacht werden und ſich finden können. Der Miſt des Fingertieres ſcheint die Nei— gung zu haben, in ähnliche kleine, rundliche Ballen zu zerfallen wie bei Nagern. Eigentliche Stimmlaute vernimmt man vom Fingertier in der Regel nicht, nur das viel— fach beobachtete Fauchen aus der Kehle und von dem Berliner Tier, anſcheinend ebenfalls als Zeichen einer gewiſſen Erregung, einen gewiſſen kurzen Lippenlaut, wie er entſteht, wenn man die Lippen erſt aufeinanderpreßt und dann plötzlich öffnet. Knauer berichtet aus dem Wiener Vivarium aber von lautem Angſtgeſchrei des Fingertieres beim plötzlichen Anblick eines jungen Nilpferdes, und Perzina ergänzt dieſe Mitteilung dahin, daß das Wiener Tier gegen Herbſt immer einige Tage anſcheinend paarungsluſtig geweſen ſei, ſchlecht gefreſſen, mit den Füßen aufgeklopft und dabei ein Geſchrei ausgeſtoßen habe, ähnlich der „Klage“ des Haſen oder Kaninchens, nur ohne den langgezogenen Endton; dabei ſei es ſtets trampelnd an ſeinem ſenkrechten Baum herumgeklettert. 8 In der zweiten Familie der Halbaffen, den Loriartigen (Nycticebidae), vereinigt man die afrikaniſchen und aſiatiſchen Gattungen, deren Paukenbein im inneren Ohre nicht Fingertier. Loris. 403 das abweichende Verhalten zeigt wie bei den madagaſſiſchen. Das Gebiß hat die Formel =, wie bei den meiſten Halbaffen. Die Loriartigen teilen ſich wieder in die beiden Unter: familien der afrikaniſchen, langſchwänzigen, lang- und nacktohrigen Galagos (Galaginae) und der weſtafrikaniſch⸗indiſchen, ſtumpfſchwänzigen und kurzohrigen Loris (Lorisinae). Alle leben nächtlich und ſind Baum⸗ bewohner. Die Loris (Lorisinae) weiſen keinerlei Verlängerung von Fuß: wurzelknochen auf und ſind dem— entſprechend auch keine Springer, ſondern langſame, dafür aber um ſo ſicherere Greifkletterer. Sie haben wahre Zangenhände und -füße, bei den verſchiedenen Gattungen in et⸗ was verſchiedener Ausbildung. Die indiſchen, eigentlichen Lo⸗ Hand des Run Syeticebus coueang Bodd.) mit dem vers ümmerten Zeigefinger. ris ſind gewiſſermaßen die Faul⸗ tiere innerhalb ihrer Ordnung, werden auch geradezu Faulaffen genannt. Man begreift darunter kleine, zierliche Halbaffen mit ſchmächtigem, ſchwanzloſem Leibe, großem, rundlichem Kopfe und dünnen, ſchlanken Gliedmaßen, deren hinteres Paar etwas länger als das vor— dere iſt. Die Schnauze iſt ſpitz, aber kurz; die ſehr großen Augen ſtehen ſich nahe; die Ohren ſind mittelgroß und behaart. An den Händen iſt der Zeigefinger ſehr verkürzt, der vierte Finger aber verlängert, an den Füßen die zweite Zehe ebenfalls verkürzt und mit ſcharfer, langer Kralle verſehen. Das Weibchen beſitzt nur zwei Bruſtdrüſen, aber jede derſelben enthält zwei Zitzen. Im Gebiß fällt der erſte obere Schneidezahn durch ſeine Größe auf, während der zweite gänzlich verkümmert; die Back⸗ zähne ſind vierhöckerig. Sehr eigentümlich iſt die büſchelartige Verzweigung der Schenkel- und Schlüſ⸗ ſelbeinſchlagadern: beide zerteilen ſich in ſo viele Zweige, als Muskeln in den betreffenden Gliedern vorhanden ſind. Dies erſcheint — abgeſehen von ſeiner Abſonderlichkeit — namentlich auch deshalb merkwürdig, weil bei den Faultieren die betreffenden En C Schlagadern eine ganz ähnliche Veräſtelung zeigen: mit der befrallten zwelten Zehe. ohne Zweifel im Zuſammenhang mit dem ähn— lichen langſamen Klettern und der ähnlichen angeklammerten Ruheſtellung auf den Bäumen! Die beiden Hauptformen, Schlank⸗ und Plumplori, wurden früher in eine Gattung (Stenops) vereinigt, neuerdings aber getrennt als Loris E. Geoffr. und Nyeticebus E. Geoffr. Der Schlanklori, Loris tardigradus L. (Stenops gracilis; Taf. „Halbaffen II“, 1, bei S. 404, und Abb., S. 404), iſt ein äußerſt niedliches Tierchen — nur 25 em lang! — mit 26* 1 . , ee 404 17. Ordnung: Halbaffen. Familie: Loriartige. ſchmächtigem Leibe, großäugigem und ſpitzſchnauzigem Kopfe, zarten Gliedern und langem, plüſchähnlichem Pelze, deſſen Färbung oben rötlich fahlgrau und gelblichbraun, auf der Unterſeite gräulich oder blaßgelblich iſt. Rund um die nußbraunen Augen herum dunkelt das Fell und ſticht deshalb um ſo mehr von der lichten Oberſchnauze ab. Das allerliebſte Geſchöpf, von den Eingeborenen Tevangu und Una happolava ge— nannt, lebt in Ceylon. Eine nächſtverwandte Art (L. Iydekkerianus Cabr.), blaß gefärbt, ohne Rot am Kopf, bewohnt die Wälder der Tiefländer in Südindien vom Godawari an. Der Schlanklori verſchläft den Tag in Baumhöhlen und kommt erſt des Abends zum Vorſchein. In ſeinem Freileben wurde er noch von niemand beobachtet, obſchon ſeit langer Zeit Berichte über ihn vorliegen. Thevenot iſt der erſte, der von Schlankloris ſpricht. Er ſah (gegen Ende des 17. Jahrhunderts) einige von ihnen in Aurangabad, im Reiche des ehemaligen Großmoguls. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts berichtet Seba über den Tevangu und gibt zugleich eine vortreff— liche Abbildung von ihm. Er nennt ihn „das Faultier Ceylons“, bemerkt aber, daß jener dieſen Namen ganz unverdient trage, weil er — wie auch ſein ſchlanker Bau ſchon beweiſen müſſe — weder faul noch langſam, ſondern im Gegenteile ſehr flink im Gehen und äußerſt gewandt und hurtig im Klet— tern ſei. Später hat Tennent in ſeinem Werke über Ceylon des Tierchens Erwäh— nung getan. „Ich erhielt einen lebenden VCH Tevangu oder ‚Dünnleib‘ aus Chillav von Sälafftellung des Shlankloris (Loris tardigradus E). der Weſtküſte. Er lebte einige Zeit bei mir in Colombo und fraß Reis, Früchte und an⸗ dere Pflanzenteile, beſonders gern aber auch Ameiſen und überhaupt Kerbtiere. Auf Milch und Geflügelfleiſch war er äußerſt begierig. Seine unhörbaren Bewegungen erleichtern ihm die Jagd auf Geflügel mehr, als man meint. Eingeborene haben mir verſichert, daß er nachts ſogar Pfauen überfällt, abwürgt und ſich dann an dem Gehirne ſeiner Beute erlabt.“ Zu meiner größten Überraſchung und Freude fand ich einen lebenden Schlanklori im Beſitze eines Tierſchauſtellers. Das zarte Weſen war vor vier Jahren nach Europa ge— langt, hatte alſo nicht allein die Reiſe nach Europa, ſondern auch die Gefangenſchaft in dem kälteren Lande vortrefflich ausgehalten. Ich erwarb das Tierchen, um es nach dem Leben zeichnen zu laſſen und beobachten zu können. Bei Tage liegt oder richtiger hängt der Schlanklori in der ſchon von Tennent recht gut wiedergegebenen Stellung an einer Sproſſe ſeines Käfigs und ſchläft, ohne ſich durch die Außenwelt und ihr Treiben im geringſten ſtören zu laſſen; nach Eintritt der Dämmerung entballt er ſich, reckt und ſtreckt, noch etwas ſchlaf— trunken, die langen, ſchlanken Glieder und ſchreitet nun langſam und unhörbar auf der Sitz— ſtange ſeines Käfigs hin und her oder an dem Sproſſenwerke des Gebauers auf und nieder. Auf einer Stange oder einem Zweige bewegt er ſich mit bemerkenswertem Geſchick, gleichviel ob er oben oder unten an dem Aſte hängt, verſichert ſich jedoch bei jedem Schritte, den er tut, eines neuen Haltes, ſpreizt deshalb die Beine oft über alles für möglich gehaltene Maß und Halbaffen II. 1. Schlanklori, Loris tardigradus Z. ½ nat. Or, s. S. 403. — P. Kothe-Berlin phot. 2. Plumplori, Nycticebus coucang Bodd. 3. Potto, Perodicticus potto E. Geoffr. 6 nat. Gr., s. S. 405. — P. Kothe-Berlin phot. \/6 nat. Gr., S. S. 408. P. Kothe-Berlin phot. [Rare — D. K 4. Zwerg-Galago, Galago zanzibaricus Misch. 5. Riefen-Galago, Galago crassicaudatus E. Geoffr. nat. Gr., s. S. 413. — W. S. Berridge, F. Z. S.-London ph. 1 nat. Gr., s. S. 416. P. Kothe-Berlin phot. 1. Roter Uakari, Cacajao rubicundus IS. Geoffr. 2. Gewöhnlicher Nachtaffe, Aotes trivirgatus Humboldt. 8 nat. Gr., s. S. 471. L. Medland, F. Z. S.-Finchley N. phot. 1/7 nat. Gr., s. S. 464. — P. Kothe-Berlin phot. 3. Totenköpfchen, Saimiri sciureus L. 4. Weißkopfaffe, Pithecia pithecia I. !/8 nat. Gr., s. S. 480. W. S. Berridge, F. Z. S.-London phot. s nat. Gr. s. S. 467. — W. S. Berridge, F. Z. S.- London phot. Schlanklori. Plumplori. 405 greift mit ihnen, wie mit den Armen, taſtend weit in die Luft, wenn es ſich darum handelt, von einem Aſte auf den anderen überzugehen. Findet er nicht gleich einen Halt, ſo bewegt er Arm und Hand zitternd, als fühle er ſich in Gefahr oder doch Verlegenheit. Er hat ein ungemein feines Gefühl in den Händen und Füßen. Ehe er irgendwo ſich feſthält, prüft er taſtend den Gegenſtand. Einen Aſt umklammert er mit dem den übrigen Fingern gegenüber— ſtehenden Daumen und ebenſo mit den Zehen und der Daumenzehe und legt die verbreiterten Fingerpolſter jo feſt auf, daß ſie anzukleben ſcheinen und die mittleren Fingerglieder gleichſam nach innen ſich biegen. Auf flachem Boden taſtet er vor jedem Schritte umher, als ſuche er einen zum Anklammern geeigneten Gegenſtand, ſtellt hierauf die bis zum äußerſten geſpreizten Vorder⸗ und Hinterglieder feſt und ſchiebt endlich, mit im Knie hochgekrümmten Beinen un— gemein langſam kriechend, ſich vorwärts, ſo wie eine Kröte dahin humpelt, nur daß dieſe nicht allein verhältnismäßig, ſondern unbedingt ſchneller ihren Weg zurücklegt. Jeder Halt, jede Erhabenheit des Bodens iſt ihm willkommen, und er klammert ſich dann ſofort mit Hän— den und Füßen an. Der beweglichſte Teil ſeines Leibes iſt der Kopf, den er jählings und blitzſchnell zu drehen und zu wenden verſteht, während er mit Hand und Arm nur ſelten eine ähnlich raſche Bewegung ausführt. Seine Augen leuchten im Halbdunkel buchſtäblich wie feurige Kohlen und machen, da ſie ſehr nahe zuſammenſtehen und bloß durch eine weiße Bläſſe getrennt werden, einen höchſt eigentümlichen Eindruck. Die Ohren werden etwas vom Kopfe abſtehend getragen, die Muſcheln voll entfaltet. Gereizt läßt der Schlanklori ein ſcharfes Schnarchen hören, das am meiſten an die Stimmlaute des Hamſters erinnert, jedoch viel ſchwächer iſt. Damit pflegt er ſeinen höchſten Zorn kundzugeben. Seine Erregbarkeit ſcheint übrigens ziemlich gering zu ſein; denn es hält ſchwer, ihn aus ſeiner Ruhe und ſeinem Gleichmut zu bringen. Auch wenn man die Hand in ſeinen Käfig bringt, läßt er ſich kaum in ſeinen Bewegungen ſtören und erſt, wenn man ihn berührt, jenes Schnarchen vernehmen, verſucht dann wohl auch zu beißen. Ein leiſes Strei— cheln ſcheint ihm zu behagen; krabbelt man ihn ſanft am Kopfe, ſo ſchließt er die Augen. Auf den Tiermarkt kommt der Schlanklori ſelten, und in der Gefangenſchaft hält er ſich leider meiſt nicht ſo gut wie der Plumplori, obwohl er gemiſchte Koſt ebenſogut annimmt und verträgt wie dieſer: neben Weißbrot und Milch, Löffelbiskuit, Reis, Obſt auch Mehl⸗ würmer, Maikäfer, Ei. Wer will aber ſagen, wie lange überhaupt das Leben eines ſo klei— nen, zarten Säugetieres währt, auch in der Freiheit? Der Plumplori, der Scharmindi billi („ſchämige Katze“) ſowie Lajjar banar („ſchämiger Affe“) der Inder, der Kukang und Bru-ſamundi der Malaien, der Pukan der Batta, Nycticebus coucang Bodd. (Stenops tardigradus; Taf. „Halbaffen II“, 2, bei S. 404), iſt bekannter geworden, wahrſcheinlich, weil er häufiger und verbreiteter iſt als ſein ſchlanker Vetter. Als ſeine weſtliche Verbreitungsgrenze iſt etwa der untere Brahmaputra und dann der 89. Grad öſtl. Länge zu betrachten, da er unweit Rangpur noch vorkommt. Im Himalaja iſt er nicht gefunden worden, wohl aber in Aſſam und allen ſüd- wie ſüdoſtwärts gelegenen Ländern ſowie auf den Inſeln Sumatra, Java, Borneo und den Philippinen. Er iſt größer und viel gedrungener gebaut als ſein Verwandter, zeigt auch mannigfache Ab— weichungen in Größe und Färbung, die einige Forſcher für weſentlich genug hielten, um da— nach eine ganze Reihe verſchiedener Arten aufzuſtellen. Die Hauptfärbung iſt ein helleres oder dunkleres Aſch- und Silbergrau auf der Oberſeite, oft mit rötlichem Anfluge, das nach unten bleicher wird; über den Rücken zieht ſich der Länge nach ein mehr oder minder lebhaft 406 17. Ordnung: Halbaffen. Familie: Loriartige. kaſtanienbraun gefärbter Streifen, der am Scheitel ausläuft oder auf dem Scheitel mit einem breiten, manchmal bis zu den Ohren reichenden Fleck endigt oder in zwei Bändern bis zu den Augen (aus Tenaſſerim bekannt) oder in vier Bändern bis zu den Ohren und Augen (auf Java beobachtet) ſich fortſetzt. Die Augen ſind ſtets mit braunen Ringen umgeben, auch wo keine Streifen das Geſicht zieren; die nackten Teile der Naſe und Sohlen ſind fleiſchfarbig. Die Länge des Körpers beträgt 32 —37 em, die des Schwanzes 1,5 bis knapp 2 em. Jones gibt an, daß die Gedärme eines von ihm unterſuchten 158 em maßen. Nach Bock befindet ſich unter der Haut eine dicke Lage Fett von unerträglichem Geruch. Der Plumplori, ein ſehr ſchwierig zu beobachtender Bewohner der Wälder, lebt in Familien zuſammen, die den Tag in Baumlöchern verſchlafen, nach Einbruch der Dämme— rung munter werden und nunmehr ihrer Nahrung nachgehen. In der Freiheit iſt das Tier von Europäern kaum geſehen worden. Roſenberg teilt mit, daß es die ganze Nacht hindurch geräuſchlos und langſam die Baumäſte nach Nahrung durchkrieche. Der Pukan ſei ſehr biſſig und habe ein außerordentlich zähes Leben. Die Weibchen bringen nur ein Junges auf einmal zur Welt. Der Plumplori frißt Blätter, Schößlinge und Früchte, aber auch Vögel, deren Eier und Junge. Man hat beobachtet, wie er ſich auf die Hinterbeine erhebt und auf ſeine Beute wirft. Für gewöhnlich iſt er ſtill oder läßt nur ein ſchwaches Knurren hören; wenn er aber böſe wird und beißen will, grunzt er ziemlich laut. Gefangen iſt er anfangs wild und biſſig, wird aber ſehr bald zahm. Der Plumplori wird öfters lebend nach Europa gebracht und iſt daher auch in unſeren Tiergärten nicht ſelten zu ſehen. Auf ebener Erde ſchleicht er ganz langſam dahin. Das Klettern verſteht er beſſer; ſeine Trägheit iſt zwar auch hierbei ſehr auffallend, noch erſtaun⸗ licher aber ſein feſter Griff und ſeine Muskelkraft. Die ſchwachen Eiſenſchienen, in die die Glasſcheiben eines Käfigs gefaßt ſind, genügen ihm vollkommen, um ruhig und ſicher daran ſenkrecht emporzuſteigen! Freilich wirkt dabei auch die bei den Malis erwähnte mechaniſche Einrichtung mit, durch die beim Beugen der Gliedmaßen, wie beim Vogel, Hand und Fuß ganz von ſelbſt ſich zugreifend zuſammenkrümmen. Gegen das Tageslicht ſcheint der Plump⸗ lori äußerſt empfindlich zu ſein; nachts aber ſieht er vortrefflich, und die bei Tage glanzloſen Augen leuchten dann. Sein Gehör iſt ſo ſein, daß er, auch wenn er ſchläft, augenblicklich das Geräuſch eines ſich ihm nähernden Kerbtieres wahrnimmt und davon erweckt wird. Kerfe und kleine Vögel verſteht er meiſterhaft zu beſchleichen und mit einem einzigen, blitzſchnellen Griffe zu erhaſchen. Seine gewöhnliche Stimme beſteht in einem ſanften Pfeifen, das ab— ändert, je nachdem es Vergnügen, Schmerz, Arger oder Ungeduld ausdrücken ſoll; im Zorne läßt er durchdringende Töne vernehmen, eine Art zwitſcherndes Zetern. Ein von Haßkarl gehaltener Plumplori „ruhte tagsüber in kauernder Stellung und ſtützte den Kopf auf ſeine zuſammengelegten Hände. Er war anfangs mit einem Stricke an⸗ gebunden und hob ihn mehrere Male mit trauriger Gebärde auf, als klage er über ſeine Feſſeln: ſie zu brechen, verſuchte er nicht. Er biß in der erſten Zeit nach ſeinem Wärter; einige kleine Züchtigungen reichten jedoch hin, ſolche Ausbrüche ſeines Zornes zu unterdrücken. Wenn man ihn ſtreichelte, nahm er die ihn liebkoſende Hand, drückte ſie an ſeine Bruſt und richtete die halbgeöffneten Augen gegen ſeinen Pfleger. Mit Einbruch der Nacht wurde er munter. Zuerſt rieb er ſich die Augen, wie ein ſchlaftrunkener Menſch; dann ſah er ſich um und begann umherzuſtreifen. Er wanderte dabei auch geſchickt auf Seilen umher, welche man für ihn ausgeſpannt hatte. Beſonders lüſtern war er nach Vögeln und Kerfen. Hielt mau ihm ſolches Wildbret vor, ſo kam er mit vorſichtigen Schritten herangeſchlichen, oft das ganze Plumplori: Frei- und Gefangenleben. 407 Zimmer durchmeſſend, gerade ſo, wie jemand, welcher auf den Zehen geht, um einen anderen zu überraſchen. Wenn er ſich dann ſeinem Raube etwa bis auf 1 Fuß genähert hatte, blieb er ſtehen, richtete ſich in die Höhe, rückte noch näher heran, ſtreckte ſachte die Arme aus, fuhr endlich blitzſchnell auf ſeine Beute los und erdrückte fie in wenigen Augenblicken.“ Ahnlich berichtet Jones über ſeinen Plumplori: „Obgleich nicht gefräßig, konnte er doch gar nicht genug Heuſchrecken oder andere Kerfe bekommen, und ſtellte ihnen, zumal in der heißen Jahreszeit, während der ganzen Nacht nach. Wenn ein Kerbtier in ſeiner Nähe ſich niederließ, heftete er ſeine leuchtenden Augen feſt auf dasſelbe, zog ſich dann etwas zurück, ſprang plötzlich ſchnell vorwärts und fing die Beute mit beiden Händen. Gewöhnlich brachte er ſeine Speiſe nur mit einer Hand zum Munde; ſonſt aber brauchte er ſeine vier Hände ohne Bevorzugung des vorderen Paares. Oft hielt er mit einer Hand ſich oben am Käfig, während die drei anderen ſich unten etwas zu tun machten; am liebſten aber hing er ſich, den Leib verkehrt nach unten gerichtet, mit Händen und Füßen an das obere Gitter ſeines Gefängniſſes und ſchwang ſich einige Minuten lang hin und her. Gegen Tagesanbruch ſchien er am geneigteſten zu ſein, mit ſeinem Wärter zu ſpielen, und wenn ihm dieſer dann ſeinen Finger gab, leckte und ſaugte er recht artig daran.“ Ein Plumplori des Amſterdamer Gartens zog ſich, aus dem Schlaf geweckt, vor der Störung langſam zurück. Dies geſchah in einer ſehr überraſchenden Weiſe. Seine großen Augen ſtarr auf die Beobachter geheftet, ging er äußerſt langſam Schritt um Schritt rückwärts, und zwar nach aufwärts an einem nur wenig von der ſenkrechten Linie abweichenden Pfahle. Er klettert alſo unter Umſtänden von unten nach oben mit niederwärts gerichtetem Geſichte. Dies tut meines Wiſſens kein anderes Tier! An einer Gabel angelangt, machte er Halt und verharrte nunmehr regungslos in ſeiner Stellung. Im allgemeinen iſt der Plumplori ein verhältnismäßig gutmütiges, richtiger wohl ein leidlich zähmbares Geſchöpf und läßt ſich mühelos behandeln. Doch liebt auch er Berührungen unſanfter Art durchaus nicht und wehrt ſich mit einem abſonderlichen Geſchrei, einem nicht gerade lauten, obſchon ſcharfen „Kekekeker“, zuweilen auch mit Beißen dagegen. Am Tage ruht er in einer ganz ähnlichen Stellung wie ſein Verwandter, zum Balle zuſammengerollt, den Kopf tief herniedergebeugt und zwiſchen den Schenkeln verſteckt, mit Händen und Füßen an einem ſenkrechten oder wagerechten Zweige ſich anhaltend. Was um ihn her vorgeht, kümmert ihn nicht; Anrufe laſſen ihn gleichgültig; bei wiederholter Berührung aber wacht er auf, öffnet die Augen und ſtarrt ſchlaftrunken ins Weite. Nach reichlich zwölfſtündigem Schlafe ermuntert er ſich, klettert gemächlich auf eine ſeiner Sitzſtangen, klammert ſich hier mit den dicht behaarten, breiten, zangenartigen Füßen feſt und beginnt mit Händen und Zunge ſein plüſchähnliches Fell zu ſäubern und zu glätten. Dabei dreht und wendet er ſich mit unvermuteter Gelenkigkeit, jo daß er alle Teile ſeines Pelzes erreichen und in Ordnung bringen kann. Im Sitzen nimmt er nicht ſelten eine Stellung an, die kaum von einem Klammeraffen nachgeahmt werden möchte, indem er mit den Schenkeln auf einer Sitzſtange ſich niederläßt, mit den Händen an einer benachbarten ſich feſthält, die Beine über die Arme wegſtreckt und die Füße über dieſen zuſammenſchlägt. Außerdem hockt er nach Affenart auf dem Geſäß, doch nie, ohne ſich mit den Klammerfüßen an einem Zweige zu befeſtigen. Beim Gehen auf wagerechten Aſten ſteht er hinten viel höher als vorn. Sein Gang im Gezweige iſt ſehr leicht und gewandt, fördert auch verhältnismäßig raſch. Daumen und Daumenzehen ſetzt er beim Gehen ebenſooft vor- wie rückwärts, dreht auch wohl gleich— zeitig das eine Glied nach vorn, das andere nach hinten. Gleich ſeinem Verwandten ſpreizt er ſeine Beine zuweilen ungemein weit aus. Auf dem Boden bewegt er ſich ſchwerfällig. 408 17. Ordnung: Halbaffen. Familie: Loriartige. In der Auswahl feiner Nahrung gibt er ſich als Raubtier, nicht als Pflanzenfreſſer zu erkennen. Er nimmt eingeweichtes Milchbrot, wenn er daran gewöhnt worden iſt, zieht jedoch Kerfe und Kleingetier höherer Klaſſen jeder anderen Speiſe vor. Mehlwürmer frißt er dutzend— weiſe; kleine lebende Vögel erregen ſofort ſeine Aufmerkſamkeit und Mordluſt. Achtſam jede Regung des Opfers verfolgend, ſetzt er ſich in Bewegung, ſchreitet, nicht ſchneller als ſonſt, darauf los, nähert ſich mehr und mehr, greift blitzſchnell zu, packt mit ſicherem Griffe die Beute und führt ſie ebenſo ruhig und bedächtig wie einen ſonſtigen Brocken dem Maule zu, um ihr zunächſt mit kräftigem Biſſe die Hirnſchale zu zertrümmern, und frißt hierauf gemächlich, ohne mit Rupfen ſich aufzuhalten, erſt das Hirn, ſodann das Fleiſch, alle Federn mit den Lippen abſtreifend und liegen laſſend. Sein Verſtand iſt, wie aus allen bisher mit ihm an— geſtellten Verſuchen hervorzugehen ſcheint, höchſt gering: tiefer als die Lemuren ſteht er gewiß, und mit den Galagos kann er ſich erſt recht nicht vergleichen. Im Berliner Zoologiſchen Garten hat ſich der Plumplori auch vor Jahren ſchon einmal fortgepflanzt; leider kam das Junge aber nicht auf, weil die Alte es nicht richtig in Pflege nahm. Heck ſchreibt darüber: „Da ſah ich eines Mittags im Vorübergehen an dem linken Oberſchenkel des Männchens etwas hängen, was nichts anderes ſein konnte als ein Junges, nachdem ich vorher am Morgen bemerkt hatte, daß das Weibchen eifrig, wie ich glaubte, ſeinen eignen Bauch leckte; wahrſcheinlich war es aber da ſchon mit der erſten Kinderwäſche beſchäftigt geweſen. Das Junge, das merkwürdigerweiſe auffallend dem Schlanklori ähnlich ſah — in Figur ganz dieſer im kleinen! — kletterte auf dem Vater umher, indem es mit ſeinen win— zigen, langfingerigen Händchen ſtets einen Büſchel Haare feſt umklammerte, und taſtete unter kaum hörbarem, ganz fein meckerndem Geſchrei mit dem Kopfe hier- und dahin. Es ſuchte offenbar eifrig nach der Zitze, und unſer nächſtes Beſtreben war daher, es ſeiner Mutter wieder zuzuführen. Dies gelang denn auch nach einigen vergeblichen Bemühungen, und die Alte leckte es ſogar zeitweiſe. Bald aber ſtreifte ſie es, unruhig umherkletternd, wieder ab, und es hing nun längere Zeit allein am Kletterbaum, wobei wir die Kraft der Heinen Klammer: hände bewundern mußten: der Rumpf ſchien den Gliedern gegenüber gar keine Schwere zu beſitzen, er wurde von dieſen in jeder beliebigen Lage anſcheinend mit Leichtigkeit feſtgehalten.“ Wenn eine Mitteilung Annandales vom Indiſchen Muſeum an die Londoner Zoologiſche Geſellſchaft aus dem Jahre 1908 ſich bewahrheitet, gibt es in den Luſchaibergen Aſſams auch einen Geſchwänzten Plumplori mit dickem, buſchigem Schwanz, ähnlich, wie ihn der vers wandte afrikaniſche Potto hat. Auf der dem Berichte beigefügten Photographie iſt leider vom Schwanze nichts zu ſehen; daß er vorhanden iſt, wird aber von einem Landesgeologen und einem Oberſten bekräftigt, und jedenfalls läßt die Aufnahme („Proc. Zool. Soc. 1908) durch Körper: form und Fellzeichnung des Tieres keinen Zweifel, daß wir es mit einem Plumplori zu tun haben, der alſo durch ſeinen Schwanz eine Art Bindeglied zu den folgenden Verwandten bilden würde. Dies ſind zwei afrikaniſche Halbaffen mit verkümmerten Schwänzen, die äußerlich zwar in hohem Grade ſich ähneln, durch Verſchiedenheit der Handbildung und Schwanzlänge ſowie des Gebiſſes aber ſich unterſcheiden und deshalb als Vertreter zweier Gattungen betrachtet werden. Der Potto (Gattung Perodieticus Benn., Hauptart Perodicticus potto E. Geoffr.; Taf. „Halbaffen II“, 3, bei S. 404, und Abb., S. 409) hat ſchlanken Leib, rundlichen Kopf mit vorſpringender Schnauze, mittelgroßen Augen und kleinen häutigen Ohren, faſt gleich— lange Arme und Beine mit großen Händen und Füßen, verkümmerten, aber noch deutlich Plumploris. Pottos. Bärenmaki. 409 erkennbaren, nagelloſen Zeigefinger und, mit Ausnahme der großen, krummen, flachen, aufrecht geſtellten Kralle der zweiten Zehe, platte Nägel ſowie einen kurzen, ſtumpf endenden Schwanz. Das Gebiß beſteht aus 2 Schneide-, 1 Eck-, 3 Lück- und 3 Backzähnen in jedem Kiefer oben und unten, im ganzen alſo aus 36 Zähnen; die unteren Schneidezähne ſind vorgeneigt, die oberen vorderen Backzähne vierhöckerig, während der letzte nur zwei Spitzen, der letzte Unterbackzahn dagegen fünf Höcker zeigt. Eine ganz merkwürdige Eigentümlichkeit zeigt die Wirbelſäule im Nacken: dort ſind die Dornfortſätze derart verlängert, daß ſie die Haut in die Höhe treiben und als eine Reihe von Höckern hervortreten. Der kurzwollige Pelz iſt oben rötlich graufahl, ſchwarz gemiſcht, auf Kopf, Armen und Beinen rötlicher, in der . fahl mäuſegrau, auf der Unter- und Innenſeite noch lichter, hell fahlgrau, am Schwanze gräulich roſtrot, das Haar mit ſchwarzbrauner Spitze. Die Geſamtlänge beträgt etwa 35 em, wovon der Schwanz 6 em wegnimmt. Die weite geographiſche Verbreitung des Pottos iſt erſt ſeit kurzem bekannt. Von den fünf bis jetzt aufgeſtellten Arten leben vier im Weſten, eine im Oſten Afrikas. Die zuerſt beſchriebene Art (P. potto E. Geoffr.) iſt die nördlichſte (Gold— küſte bis Sierra Leone), drei weitere kom⸗ men in Kamerun (P. edwardsi Bouv.), im Niger- und Kongogebiet vor, eine in Britiſch⸗Oſtafrika (P. ibeanus 7%os.). Der Bärenmaki (Gattung Arcto- cebus Gray, Hauptart Arctocebus cala- barensis Smith; Abb., S. 410) unter: ſcheidet ſich vom Potto äußerlich durch die N b größeren Augen und Ohren, den zu einer sgtaffteltung des pottes (Perodicticus potto E Geoffr.). Warze verkümmerten Zeigefinger, wodurch die Spannweite der Hand zu ſicherem Erfaſſen breiter Angriffsflächen beim Klettern aufs höchſte erhöht wird, und den als kurzen Stummel kaum wahrnehmbaren Schwanz, im Gebiß, das dieſelbe Anzahl von Zähnen enthält, durch die letzten Backzähne, da der obere drei, der untere fünf Spitzen hat. Ein dichtes und langes, wolliges, im Geſicht und auf dem Rücken der Hände und Füße ſpärlich ſtehendes und ſich verkürzendes Haarkleid von roſtbräunlichgrauer, auf der Unter⸗ und Innenſeite leicht gräulicher, im Geſicht und auf Händen und Füßen dunfel- bräunlicher Färbung bedeckt den Leib. Die Länge beträgt 25 — 30 em. Auch der Bären— maki iſt aus Weſtafrika bekannt, und zwar aus dem Gebiete der Niger- und Croßmündungen. Über die Lebensweiſe beider Tiere wiſſen wir noch überaus wenig, obgleich der Potto bereits zu Anfang des 18. Jahrhunderts entdeckt und der Bärenmaki noch früher, nämlich im Jahre 1680, aufgefunden wurde, erſterer auch öfter lebend nach Europa gelangt. Bosman, der erſte Entdecker, ſagt vom Potto, er ſei träge wie ein Faultier und werde von den Holländern in Guinea deshalb der Faulenzer genannt. Ein junger Potto, der in Tſchintſchotſcho an der 410 17. Ordnung: Halbaffen. Familie: Loriartige. Loangoküſte gehalten wurde, verbrachte den Tag gewöhnlich ſchlafend, entweder zuſammen— gerollt liegend oder wie eine Kugel an einem Stocke, einem Drahtgitter aufgehängt; dabei ſchien es ihm gleichgültig zu ſein, ob die Halte ſenkrecht, ſchräg oder wagerecht geſtellt waren. Wurde er des Tages geweckt, ſo verſuchte er bisweilen, ihm dargebotene Inſekten zu erhaſchen. Dabei vollführte er Sprünge, die lebhaft an die eines großen Froſches erinnerten. Er wurde bald ganz zahm, war gutmütig, aber langweilig. Die Eingeborenen erzählen, daß er im Walde nachts bisweilen ein ent— jegliches Geſchrei hören laſſe. Von zwei Pottos des Lon— doner Tiergartens teilte mir Sclater das Nachſtehende mit: „Ihr Futter beſteht aus rei— fen Früchten, Apfeln, Birnen, Feigen, Bananen, Weintrau⸗ ben und dergleichen; auch freſſen ſie gekochten Reis, durch Zucker verſüßtes Milch⸗ brot und ein wenig gekochtes Fleiſch, das ihnen in Elei- nen Stücken vorgeſetzt wird. Kleine Vögel, die in ihren Käfig geſetzt werden, fangen ſie ſehr geſchickt und zerreißen ſie augenblicklich, ſcheinen auch höchſt befriedigt zu ſein, wenn man ihnen eine derartige Ab- wechſelung ihres gewöhnlichen IS 5 Futters bietet.“ Bärenmakt, Arctocebus calabarensis Smith. 1/3 natürlicher Größe { Neuerdings ſind Pottos in unſeren zoologiſchen Gärten keine Seltenheit mehr, werden öfters auch aus Kamerun mitgebracht. Im Amſterdamer Garten wurde ſogar 1887 ſchon ein Junges geboren, das jedoch nur elf Tage alt wurde. Im allgemeinen halten Pottos aber bei uns nicht ſehr gut. . Zu den uns am beſten bekannten Halbaffen überhaupt gehören die afrikaniſchen Ohren— makis oder Galagos (Unterfamilie Galaginae), über deren Leben und Treiben ſchon ältere Reiſende uns Kunde gegeben haben. Die Galagos, deren Name von einer ſenegaleſiſchen Eingeborenenbezeichnung herſtammen ſoll, ſtimmen in mancher Beziehung mit den mada⸗ gaſſiſchen Katzen- und Zwergmakis überein, mit denen man ſie früher noch näher vereinigt hat; namentlich weiſen ſie dieſelbe Verlängerung zweier Fußwurzelknochen auf, die ſie ebenſo zum Springen befähigt. Während aber bei den Zwergmakis der Geſichtsſinn obenan ſteht, überwiegt bei ihnen das Gehör, entſprechend den ſehr großen, nackten, häutigen Ohren, die an die einzelner Fledermäuſe erinnern, auch darin, daß ſie nach Belieben des Tieres durch feine Knorpelleiſten und verbindende Muskelfaſern gegen die hintere Ecke hin wie Papier Galagos: Allgemeines. 411 zuſammengeknittert und aus dem Umriß des Kopfes ganz zum Verſchwinden gebracht werden können. Das kann den Vorteil haben, den Gehörgang zu ungeſtörtem Tagſchlaf möglichſt abzuſchließen oder die feinhäutigen Ohrmuſcheln beim nächtlichen Springen im Baumgezweige vor Verletzungen zu bewahren. Vielleicht dient die Einrichtung nach beiden Seiten? Jeden— falls ſchlafen die Galagos ſtets mit eingekrempelten Ohren. Der Leib darf eher ſchmächtig als gedrungen genannt werden, ſieht aber infolge der reichen Behaarung ſtärker aus, als er iſt; der verhältnismäßig große Kopf zeichnet ſich außer den ungewöhnlich entwickelten, nackten Ohren durch die einander genäherten großen Augen aus; Vorder- und Hinterglieder ſind mittellang, Hände und Füße wohlgebildet, Zeigefinger und zweite Zehe, bei einzelnen auch Mittelfinger und mittlere Zehe mit krallenartigen, alle übrigen mit platten Nägeln verſehen. Vier große, ſchlanke, meißelförmige, getrennt voneinander ſtehende Schneidezähne in den oberen, 6 größere, breite und lange in den unteren Kiefern, ein langer, glatter, außen gefurchter Eck— zahn, 3 Lück- und 6 Backzähne in den oberen und ein etwas kürzerer, aber ſtärker gekrümmter Eckzahn, 2 Lück⸗ und 3 Backzähne in den unteren Kiefern bilden das Gebiß. Alle Galagos ſind Bewohner Afrikas und einiger ſeiner weſtlichen und öſtlichen Inſelu. Um ſie zu ſchildern, will ich hier die Worte wiederholen, die ich in Gemeinſchaft mit Kerſten nach deſſen Angaben und eigenen Beobachtungen in dem von der Deckenſchen Reiſewerke ge— braucht habe. „Sobald die Dämmerung über den Wald hereinbricht, erwacht der Ohrenmaki, vielleicht infolge der ihm fühlbar werdenden abendlichen Kühle, biegt den über dem Kopfe zu— ſammengewickelten Schwanz zurück, öffnet die Augen und entknittert die häutigen Ohren, putzt und leckt ſich, verläßt die Schlupfhöhle und beginnt nunmehr ſein geſpenſtiges Treiben, bei Lichte betrachtet ein Räuberleben im vollſten Sinne des Wortes, in welchem unerſättlicher Blutdurſt mit einer bei ſo hochſtehenden Handtieren ungewöhnlichen Mordluſt ſich paart. Be— gabt wie irgendein anderes Raubtier, fernſichtig wie ein Luchs, feinhörig wie eine Fledermaus, ſcharfſpürig wie ein Fuchs, zwar nicht eben verſtändig, wohl aber liſtig, die Gewandtheit des Affen mit der einer Schlafmaus vereinend, die Unfehlbarkeit des Angriffs durch Dreiſtigkeit noch vermehrend, wird der Galago in Wirklichkeit zu einem furchtbaren Feinde des Klein— getieres und unterſcheidet ſich hierdurch weſentlich von den meiſten feiner Ordnungsverwandten.“ In der Gefangenſchaft nehmen die Galagos übrigens auch Pflanzenkoſt, werden ſogar über— wiegend mit ſolcher ernährt, ebenſo wie Loris und Zwergmakis; ſie werden alſo in der Freiheit wohl ebenfalls Früchte und ähnliches zu ſich nehmen. Daß ſie ſich gern an Palmwein be— rauſchen und auf dieſe Weiſe gefangen werden, beſtätigt neuerdings wieder H. Grote aus Deutſch-Oſtafrika. Alle Reiſenden wiſſen von der lauten Stimme zu berichten, die manche, z. B. Fiſcher, mit Kleinkindergeſchrei vergleichen. Danach werden die Galagos im engliſchen Afrika vielfach „Buſh-Babies“ genannt. In einem Bericht der Afrikadurchquerung des Her— zogs Adolf Friedrich zu Mecklenburg von 1908 wird das nächtliche „Galago-Konzert“ im An— ſchluß an das Abendgeſchrei der Baumſchliefer geſchildert: „Nun aber ſetzt der Chorus der Nachtaffen ein, zwar auch nur vereinzelt, aber ſtundenlang anhaltend. Dieſe Tiere verfügen über Stimmittel, die recht geeignet ſind, empfindſamen Gemütern in dieſer Umgebung und zu ſolcher Stunde Schauer einzuflößen. Sie ſcheinen ihr Geſchrei mit Unterbrechungen die ganze Nacht hindurch fortzuſetzen; denn zuweilen wurde ich noch nach Mitternacht durch ſie im tiefſten Schlafe geſtört. Leider iſt ihre Jagd mit außerordentlichen Schwierigkeiten verknüpft. Auch die Monbuttus erlegen ſie nur gelegentlich, und wir mußten uns daher mit einem von den Eingeborenen gekauften Balg begnügen.“ Böhm ſpricht von den geradezu fabelhaften, rieſigen Sätzen der Galagos, mit denen ſie von Baum zu Baum ſpringen, wobei ihnen die 412 17. Ordnung: Halbaffen. Familie: Loriartige. aufrechte Haltung, die hochgerichteten Ohren und der lange, buſchige Steuerſchwanz ein höchſt abenteuerliches Ausſehen geben. Im Magen fand Böhm Inſektenreſte und einen Schleim, der aus dem Inhalt von Vogeleiern zu beſtehen ſchien. Manche kleinere Arten ſind wohl fixe Heuſchreckenfänger, vertilgen die merkwürdigen Blattheuſchrecken und Gottesanbeterinnen. Genaue Kunde über die Zeit und die Art und Weiſe der Fortpflanzung mangelt uns noch; nur das eine können wir ſagen, daß auch die Ohrenmakis wie faſt alle übrigen Halb— affen ein einziges Junges zur Welt bringen. Auf Sanſibar wird nicht ſelten ein gefangenes Galagoweibchen mit dieſem einen Jungen zum Verkaufe ausgeboten. Letzteres hängt, wie es bei Affen, Halbaffen und Fledermäuſen die Regel iſt, an der Bruſt und an dem Bauche der Mutter, mit ſeinen vier Händchen feſt eingeklammert in das wollige Vlies der Erzeugerin, ſo feſt, daß dieſe mit ihm alle Bewegungen ausführen kann, und daß man es kaum von dem Leibe der Mutter zu trennen vermag. Im einzelnen erkennt Elliot nicht weniger als 34 Arten und Unterarten an, von denen die große Maſſe von 30 der Hauptgattung Galago E. Geoffr. angehört, während vier ab— ſeits in einer zweiten ſelbſtändigen Gattung, Hemigalago Dahlb., ſtehen. Dieſe letzteren ſind kleiner, haben ſehr verlängerte Fußwurzel, kürzere Ohren und dünner behaarte Schwänze und, damit ihnen das Gebißmerkmal nicht fehle, am zweiten oberen Lückzahn noch einen beſonderen Höcker. Aber auch die Hauptgattung wird bei Elliot noch weiter in drei Unter⸗ gattungen zerſplittert, und das könnte eine tiefere Bedeutung haben, wenn ſich bewahrheitet, was Matſchie ſchon in ſeinen „Säugetieren Deutſch-Oſtafrikas“ vermutet: daß nämlich in jeder Gegend ein großer und ein kleiner Ohrenmaki lebt und ſo die außerdem aufgeſtellten Spezies als Alters-, Geſchlechts- und Jahreszeitkleider zu je einer Art für jedes Untergebiet gehören. Die Untergattungen kennzeichnet Elliot durch äußere und innere Merkmale: Otolemur Coquer. groß (d. h. etwa kaninchengroß), mit längerer Schnauze; Otolienus Illig. klein (d. h. etwa ratten⸗ groß), mit kürzerer Schnauze; Otogale@ray ebenfalls mit kurzer Schnauze, aber auch mit kürzerer Fußwurzel als die zweite; alle natürlich auch mit den nötigen Zahn- und Schädelmerkmalen. Zu den kleinen Arten, die Elliot in der Untergattung Otolicnus vereinigt, gehört die am längſten bekannte, der Senegal-Galago, Galago senegalensis E. Geoffr. (moholi, galago). Wir kennen ihn ſeit Adanſons Zeiten; er wurde 1796 beſchrieben und iſt ein zier— liches Geſchöpf von Eichhörnchengröße, nämlich 16—20 em Leibes- und 23—25 em Schwanz: länge. Sein kurzer, aber dichter und ſeidenweicher Pelz iſt auf der Oberſeite fahlgrau, am Kopfe und auf dem Rücken ſchwach rötlich, an der Innenſeite der Gliedmaßen ſowie am Bauche gelblichweiß gefärbt; eine ähnliche Färbung zeigen auch die Wangen und eine zwiſchen den Augen entſpringende und bis an das Naſenende verlaufende Längsbinde. Die Ohren ſind fleiſchfarben, die Augen braun. Abgeſehen von ſeinen Backzahnmerkmalen kennzeichnet ſich der Senegal-Galago durch die Schwanzbehaarung, die an der Wurzel glatt anliegt und erſt gegen die Spitze hin buſchig abſteht, und durch die verhältnismäßig kurzen und dicken Finger und Zehen. Ein großer Teil Weſtafrikas, Senegal, Angola, auch Kamerun, iſt die Heimat dieſes Galagos. Adanſon entdeckte ihn in den Wäldern an den Gewäſſern Senegambiens. Seinen öſtlichen, mehr blaugrauen Vertreter (G. sennariensis Less.), der vom Weißen Nil ſüdlich bis Maſchona- und Nyaſſaland geht, beobachtete ich mehrere Male, namentlich in Kordofan. Den Eingeborenen iſt er unter dem Namen Tendj wohlbekannt; ſie glauben, daß er urſprünglich ein Affe geweſen und nur wegen ſeiner Schlafſucht ſo herabgekommen ſei. Senegal⸗Galago. Tendj. Allens Galago. Zwerg-Galago. 413 Wir trafen den Tendj bloß in Mimoſenwäldern an. Gewöhnlich war ein Pärchen beiſammen. Die Tiere ſchliefen, auf dichten Aſten ganz nahe am Stamme ſitzend, wurden aber augen— blicklich munter, ſobald ſie unſere Fußtritte vernahmen. Wenn wir ſie aufſcheuchten, kletterten ſie — bei Tage — raſch und gewandt in dem Geäſte umher, ergriffen aber niemals die Flucht, ſondern blieben immer bald wieder ruhig und vertrauensvoll ſitzen und lauſchten und ſpähten durch das dichte Laubwerk nach uns hernieder. Durch die vielen ſcharfen Stacheln der Mimoſen wußten ſie ſich ſehr geſchickt zu bewegen und verſtanden es auch, weite Sätze von einem Baume zum anderen zu machen. Nachts ſollen ſie, wie man uns ſagte, ſchnell, aber lautlos ihrer Kerbtierjagd oder wenigſtens ihrer Fruchternte obliegen, und ihre Augen ſollen dann ſchimmern „wie das brennende Feuer“. Man ſagte, daß die Tiere ſehr leicht in Schlingen gefangen, ja bei Tage von guten Kletterern ſogar mit der Hand erhaſcht werden können, denn der Fänger brauche nur den Aſt, auf dem der Tendj fit, tüchtig zu ſchütteln, dann klammere ſich dieſer, aus Furcht herabzufallen, feſt an und laſſe ſich ergreifen. Ich glaube, daß dieſe Fangart ergiebig iſt, weil ich ſelbſt ſie öfters mit Erfolg auf junge Eichhörnchen angewendet habe. Der Kaufmann Bacle, der zu Anfang vorigen Jahrhunderts in Senegambien reiſte, erhielt ein Pärchen von einem Neger, der es in den arabiſches Gummi liefernden Akazien— wäldern gefangen hatte. Man nannte die Galagos „Gummitiere“ und verſicherte, daß ſie imojenharze ſehr gern fräßen. Das gefangene Paar beſtätigte dieſe Angabe durch die Tat, zog aber doch Kerbtiere jeder anderen Nahrung vor. Während der Überfahrt gerieten beide augenblicklich in Bewegung, wenn ein Kerf an ihnen vorüberſummte; ſie lauerten auf Küchen— ſchaben und ſchnappten ſie ſchnell und ſicher weg, ſobald ſie ihnen nahe genug kamen. Man ernährte ſie mit Eiern, gekochten Speiſen und Milch, und ſie befanden ſich ganz wohl dabei. Ihre Lebhaftigkeit und namentlich ihre Kraft im Springen ſetzten alle Reiſende in Erſtaunen. Der gleichfalls in Kamerun vorkommende Allens Galago, G. alleni Nh, ſonſt auf der Inſel Fernando Po und in Gabun heimiſch, iſt etwas größer (nach Elliot 445 mm Geſamtlänge), hat ſehr große Ohren, ſehr lange, dünne Finger und Zehen und ſchwärzlich— braune Farbe mit Grau auf Kopf, Kreuz und Schwanzwurzel, Rot an den Gliedmaßen; Schwanz ſchwarz, Unterſeite weißlich. Außerdem hat er ſeine ganz beſonderen Zahnmerkmale. Der Vertreter der Untergattung im deutſch-oſtafrikaniſchen Küſtengebiet iſt der ſehr kleine Zwerg-Galago, G. zanzibaricus Misch. (Taf. „Halbaffen II“, 4, bei S. 404), auf San ſibar Ndele genannt, der nur 365 mm Geſamtlänge hat, wovon noch 195 auf den Schwanz kommen. Er iſt oberſeits hell zimtfarbig mit grauweißen Händen und Füßen und braunem, nach der Spitze immer dunkler werdendem Schwanz. Ob ein deutſch-oſtafrikaniſcher Zwerg⸗ Galago mit grauem Farbenton als Jahreszeitkleid zu derſelben Art gehört oder zu einer anderen vielleicht auch nur Unterart, wie Voſſeler meint, der beide Formen in Amani auf dem Uſambaragebirge lebend erhalten und beobachtet hat, das ließ Matſchie ſeinerzeit in ſeinen „Säugetieren Deutſch-Oſtafrikas“ noch unentſchieden, und auch Elliot führt keine weitere Art oder Unterart mit der entſprechenden Farbe und dem entſprechenden Vorkommen auf. Sie iſt aber da; Voſſeler ſchildert mit ſeiner ganzen Liebe und Anſchaulichkeit Frei- und Gefangenleben. „Schon in der Dämmerung läßt ſich das graue Kerlchen ausnahmsweiſe im Walde an Lianen kletternd ſehen. Gewöhnlich bekommt man es aber in der Freiheit nicht zu Geſicht, obgleich gar oft das für die Größe des Tierchens außerordentlich laute Geſchrei aus den Kronen der Bäume herab durch des Waldes Stille klingt. Die ſchmetternden, gellenden Töne, von einem eigentümlichen, tiefen Bruſtton begleitet, werden mehr aus Überraſchung als aus 414 17. Ordnung: Halbaffen. Familie: Loriartige. Schreck und Angſt ausgeſtoßen beim Anblick von irgend etwas ungewohnten Lebenden. Ein— mal Laut ſchlagend, fahren die Tiere erregt damit fort, nachdem die Urſache längſt verſchwun— den iſt. Ihre Wohnung ſchlagen ſie in Baumlöchern auf, aus denen ſie beim Fällen der Stämme auftauchen. Halb ſchlaftrunken, halb vom Tageslicht geblendet, geraten ſie dabei oft familienweiſe in Gefangenſchaft, in die fie ſich ſehr leicht ſchicken ... Junge, von Dezember bis März anzutreffen, ſind anfangs ſehr unbehilflich. Ihre Körperteile ſcheinen noch nicht proportioniert; denn die erſt dürftige Behaarung läßt den Kopf mit den vorſtehenden Augen in ſeinem ganzen Mißverhältnis zum Körperchen und die Hinterbeine noch unverhüllt in ihrer ganzen Länge erkennen. Vorder- und Hinterhand erſcheinen viel zu groß, wie wenn ein Kind Stiefel eines Erwachſenen trägt... Bei der Wegnahme des Jungen von der Mutter verteidigt dieſe ihr Kind nicht. Bei einfacher Störung aber ergreift ſie es mit dem Mund und trägt es in Sicherheit. . . Die Naſe iſt jedenfalls fein ausgebildet, und das Männchen verfolgt damit das Weibchen ſelbſt im Zimmer, wo ihm das auch bei Tage keineswegs ſchlechte Auge genügen könnte. Das zuſammenlegbare Ohr iſt beim wachen Tier in ſtändiger Bewegung: ſchon das leiſeſte Summen einer Fliege drückt ſich durch vermehrte Drehungen aus. Die Ohrmuſchel iſt nicht ſehr empfindlich.“ Die Pupille bildet bei Tage „eine kleine, ſenkrechte Ellipſe, iſt bei Nacht aber vollkommen rund. Die Augen leuchten ganz prachtvoll: in der Dämmerung und bei ſchief einfallendem Lampenlicht wie dunkelgelb glühende Kohlen, in beſtimmter Stellung zum Licht, d. h. wenn dieſes ſich zwiſchen dem Auge des Beobachters und des Tieres befindet, rein wie grünblauer Opal, geradezu blendend . .. Ein Exemplar erſcheint mehr rundköpfig, das andere mehr ſpitzſchnauzig. Eines iſt fahler, das andere kräftiger gefärbt und gezeichnet. Die Farbe der Ohren und Hände wechſelt von Blaßroſa bis Braunſchwarz bei gleich alten Tieren. „Junge werden zahmer und zutraulicher als irgendein anderes mir bekanntes Tier. Sie ſuchen geradezu die Geſellſchaft des Menſchen auf und ſind unglücklich, wenn ſie ihnen vorenthalten wird... Ganz jung ſtoßen fie, wenn hungrig oder vereinſamt, einen ſehr ſchar— fen, kurz piependen Ton aus, ähnlich wie Fledermäuſe; ſchon im zweiten und dritten Monat rufen ſie aber laut, ähnlich wie vorhin beſchrieben. Ungeduld und Erwartung drückt ein ab— ſteigend gezogenes, lautes „Mbääh' oder ein anſteigendes, leiferes ‚Mm‘ aus. Dieſer Ton begleitet auch die Liebkoſungen gegen den Menſchen und die Bewerbung um das Weibchen. Im Zorn und zur Abwehr werden ſcharfe, meckernde Laute ausgeſtoßen, die Ohren zurück— gelegt, wie bei der Katze, und der Mund und die Vorderpfoten kampfbereit gehalten, d. h. dieſe ſeitwärts mit geſchloſſenen Händchen gerichtet. So raſch ſie im Arger oder bei Angriffen aufbrauſen, verhältnismäßig kräftig beißen und mit den Vorderhänden ſchlagen und greifen, ſo ſchnell verraucht dieſe Stimmung auch wieder. Wenn behaglich gebettet, pflegen die Jungen nicht ſelten das Daumen- bzw. Fingerlutſchen zu üben... Allmählich lernen fie ihren Pfleger kennen und ſchätzen. Der bloßen Fütterung folgen die erſten Spielverſuche, die das im Rockärmel lauernde Tierchen gegen den vor ihm bewegten Finger unternimmt. Schnell wächſt nun das Vertrauen. Noch nicht halbwüchſig, werden die erſten Sprünge, womöglich in irgendein na— türlich volles Eß- oder Trinkgeſchirr, gewagt und die Umgebung durchmuſtert. Dieſe kurzen Exkurſionen endigen mit einem Rückzug in den Rock oder Armel des Pflegers, um gleich aufs neue behufs weiterer Ausdehnung begonnen zu werden. Bald gewöhnen ſie ſich ſo an den einmal gewährten Unterſchlupf, daß ſie ... fich in der Frühe an einer bequemen Stelle zwiſchen Körper und Kleidung einniſten und ſich ſo den ganzen Tag herumtragen laſſen, höchſtens bei einer fie ftörenden Bewegung unwillig kläffen ... Ihre Anhänglichkeit, ihr liebenswürdiges, immer munteres Weſen und ihr drolliges Spiel bieten dem im Urwald Zwerg⸗Galago: Frei- und Gefangenleben. 415 einſam lebenden Europäer jo viel Unterhaltung und Freude, daß er gern über einige ‚schlechte‘ Gewohnheiten hinwegſieht. Zu dieſen gehört die, daß jede Gunſtbezeugung von Harnabſonde— rungen begleitet iſt. Sobald der Galago, freigelaſſen, ſtürmiſch ſeinen Herrn begrüßt hat, netzt er ſich ſofort die Pfoten der einen, darnach die der anderen Seite mit einigen Tropfen Urins ein und hängt ſich ſeinem Herrn über das Geſicht, um Mund, Naſe und Augen mit der ſchmalen, dünnen, aber langen Zunge zu belecken, die derberen Hautteile aber mit den Schneidezähnen des Unterkiefers abzuſchaben. Dieſe feine, zartſinnige Unterſcheidung wird nie vergeſſen. Iſt gerade Mahlzeit, ſo verſäumt er nicht, ſich einzuſtellen und manierlich vom Teller mitzueſſen. Köſtliche Bilder liefert er an Gläſern und Flaſchen. Was nur Alkohol heißt, muß zum mindeſten verſucht werden, vom ſchärfſten Kognak bis zum ſchwächſten Whisky— Soda. Feinere Tropfen aber weiß er ſehr zu würdigen und iſt auf prickelnden Schaumwein und ſüße Liköre beſonders erpicht, holt ſich in kurzen Pauſen immer wieder ein paar Tropfen, und drängt ſich von der Schulter aus zwiſchen Kelchesrand und Lippen, wenn jemand trinkt. Für ſeine Größe verträgt der Galago viel . . . Verirrte ſich ein Inſekt gegen das Licht, ſo geht eine wilde Jagd los. Bald ſucht er es unter der Lampe zu greifen, bald folgt er ihm mit denkbar gewandteſten Sprüngen im Zimmer herum und ſcheint oft zu fliegen. Kurz darauf tummelt er ſich im Vorraum, im Nebenzimmer oder außerhalb der Veranda; denn man kann ihm ſelbſt dieſe Freiheit erlauben, da er ſich an das Haus hält... Jahrelang bes wegten ſich zwei Männchen vollkommen frei in meiner Wohnung und ſchliefen in Falten von Gardinen oder in leeren Zigarrenkiſten auf dem Schranke, deren Deckel ſie ſelbſt öffneten. Sie waren nie die ganze Nacht hindurch gleich lebhaft, ſondern ruhten durchſchnittlich zwiſchen 11 und 3—4 Uhr, zogen ſich aber erſt bei Tagesanbruch endgültig zurück. Während der Däm- merungsſtunden oder kurz vor- und nachher ſind ſie recht munter. Das zahmere meiner Tiere folgte dem Lockruf auch bei Tage... Die obenerwähnte Untugend des Benetzens der Hände mit Urin .. üben auch ſchon kaum halb erwachſene Tierchen. Sie muß ſomit einem im Frei— leben nützlichen Bedürfnis entſpringen und dient einmal dazu, die weitgreifenden Laubfroſch— finger zum Feſthalten an glatten Flächen geeigneter zu machen, vielleicht auch um der Spur Witterung zu verleihen... Zum Reinigen des Pelzes dient außer der Zunge die einzige Kralle der zweiten Zehe des Hinterfußes . .. Die individuellen Charaktere find ſehr ausgeprägt, auch bei eingefangenen Erwachſenen. Einzelne bleiben immer ſcheu, andere nehmen ſchon nach kurzer Zeit wenigſtens das Futter aus der Hand. Von den zahmen iſt der eine ausgeprägt luſtig, tollt geradezu ausgelaſſen im Zimmer kreuz und quer, fordert ſeinen Genoſſen und die anweſenden Europäer zum Spiel heraus, legt ſich langgeſtreckt auf den Rücken in die Hand, um durch die Luft geworfen zu werden und nach einigen mutwilligen, gummiballähnlichen Sätzen zur Wiederholung des Spiels zurückzukehren. Der andere neigt bei aller Liebens— würdigkeit weder zum Spiel mit Menſchen noch mit ſeinesgleichen, wenigſtens nicht in dem— ſelben Maße. Unter ſich ſind zahme und wilde ſehr verträglich. Wenn auch bisweilen ein kleines Gezeter entſteht, jo ſah ich nie, daß fie ſich verwundet hätten, ſelbſt wenn 5—6 Stück eine Schlafkiſte teilen müſſen. Trotz der Bevorzugung ihrer Pfleger, die ſie auch nach mehr— monatiger Trennung wiedererkennen, überfallen ſie auch Fremde mit ihren Liebkoſungen, allerdings unterſchiedlich, indem ſie gegen einzelne, und zwar ſtets dieſelben Perſonen, eine unüberwindliche Abneigung bekunden, die ſich in Ankläffen, ſelbſt Beißen äußert. Für Schwarze vor allem ſcheinen ſie wenig Sympathie zu empfinden. Schon die mit dem Weißen kaum vertraut gewordenen Jungen ſtellen ſich ſofort in Angriffſtellung, wenn ein Boy naht. Alles in allem muß dieſer kleine Galago als eines der intelligenteſten Nachttiere bezeichnet werden, 416 17. Ordnung: Halbaffen. Familie: Loriartige. deſſen geiſtiges Weſen über das der Meerkatzen und Stummelaffen zu ſtellen iſt. Dies ſowie ſeine Anhänglichkeit beweiſt er durch die Erwartung ſeines Herrn. Er kennt genau die Stunde von deſſen Heimkehr abends, eilt ſofort zur Tür, ſpringt auf die Klinke, reißt den Vorhang der Glasſcheibe zur Seite und blickt ungeduldig nach dem Ankommenden aus, den er ſchon durch das Glas begrüßt... Auf kleine Vögel find fie ſehr gierig. Einige Male wurden ins Zimmer und ans Fenſter geflogene Nektarinien ſelbſt am Tage von meinen Galagos jo ſchnell entdeckt und abgewürgt, daß es nicht gelang, ſie zu retten.“ Aus der Gruppe der großen Galagos (Untergattung Otolemur Coquer.) leben an der oſtafrikaniſchen Küſte überall Vertreter. Doch zieht Elliot wieder in Zweifel, ob der auf San— ſibar heimiſche Ohrenmaki ſich von dem des nahegelegenen Feſtlandes unterſcheidet. Der Rieſen-Galago, Komba der Suaheli, G. (O.) erassicaudatus E. Geoffr. (agisymbanus; Taf. „Halbaffen II“, 5, bei S. 404), hat eine Geſamtlänge von 70, eine Schwanzlänge von 37 cm. Die vorherrſchende Färbung des Felles iſt gelblich- oder bräunlichgrau, da die Haare an der Wurzel aſchgrau, an der Spitze braun ausſehen. Auf der Schnauzen- und der Naſen⸗ gegend ſowie auf den Fingern und Zehen dunkelt die Farbe, auf Kinn und Wangen lichtet ſie ſich zu Grauweiß; auf Bruſt, Bauch und Innenſeite der Glieder geht ſie in ein helleres Grau über. Der dicke, buſchige, an der Wurzel braunrote Schwanz iſt in der hinteren Hälfte ſchwarzbraun. Die großen, beinahe kahlen Ohren ſehen aſchgrau aus. Auf Sanſibar hat man, laut Kerſten, ein ſehr einfaches Mittel, ſich des Komba zu be— mächtigen: „Wenn der Palmenwein abgezapft wird, ſtellt gar nicht ſelten unſer Ohrenmaki als ungebetener Gaſt zu dem ihm in hohem Grade behagenden Schmauſe ſich ein, ſchlürft von dem ſüßen Labetrunke und erprobt auch an ſich die Wahrheit, daß zu viel des Geiſtes den Geiſt umnebelt. Der durſtige Zecher in Lemurgeſtalt verliert die Beſinnung, ſtürzt von der für ihn ſicheren Höhe des Baumes herab auf den Boden und bleibt liegen, vom ſchweren Rauſche bemeiſtert. Hier findet ihn am Morgen der Neger, welcher ausgeſandt wurde, den ausgefloſſenen Palmenwein zu ſammeln, hebt den regungsloſen Träumer vom Boden auf, birgt ihn zunächſt in einem einfachen Käfig oder feſſelt ihn mit einem um die Weichen ge— ſchlungenen Stricke, bringt ihn nach der Stadt und bietet ihn hier einem der auf ſolcherlei Tiere erpichten Europäer zum Kaufe an... Allgemach befreundet ſich der Störriſche mit ſeinem Wohltäter, und im Verlaufe der Zeit vergilt er die ihm gewidmete Sorgfalt durch gute Dienſte. In dem Raume, welcher einen Komba beherbergt, endet alle Gemütlichkeit des Lebens einer Maus, in dem Zimmer oder auf dem Schiffe, welches er bewohnt, ſtellt er den ſo läſtigen großen Schaben mit unermüdlichem Eifer nach. Unhörbar dahinſchreitend, naht er ſich der von ihm erſpähten Schabe, die ſpinnengleichen Finger weit geſpreizt, greift plötzlich zu, zerdrückt in demſelben Augenblicke die erpackte Beute und führt ſie unmittelbar darauf, behaglich ſchmatzend, zum Munde.“ Seit Jahren gelangen Kombas nicht ſelten lebend in unſere Käfige und haben hier auch mir zu Beobachtungen Gelegenheit gegeben, aus denen hervorgeht, daß der Rieſen-Galago im weſentlichen ſich von den Verwandten nicht unterſcheidet. Übertags ruht er in eng zuſammen— gerollter Haltung, halb liegend, halb kauernd in der dunkelſten Ecke ſeines Käfigs. Er legt dabei ſeinen Kopf zwiſchen die Vorderhände, umhüllt ihn dicht mit ſeinem buſchigen Schwanze und packt dieſen mit den beiden Hinterhänden, die er vorſchiebt, ſoweit die langen Beine es geſtatten. Auf dieſe Weiſe verſteckt er den Kopf ſo vollſtändig, daß man außer den Ohren, welche niemals bedeckt werden, nicht das Geringſte ſieht. Eine Schwanzbiegung ſchließt Rieſen⸗Galago. Kirks, Demidoffs, Thomas' Galago. 417 gewöhnlich das eine Ohr ein und verdeckt dabei zugleich die Augen. Ungefähr um 5 Uhr abends erwacht er, dehnt und reckt ſich und ſchaut ſpähend in die Runde, wobei er den Kopf abwechſelnd vorſchiebt und wieder zurückzieht. Dann putzt er ſich, und nun endlich beginnt er zu klettern. Seine Bewegungen ſind ſtets langſam und bedächtig, die Tritte vollkommen unhörbar. Die Finger werden beim Auftreten weit geſpreizt; der Schwanz ſchleift auf dem Boden nach. Der Komba klettert langſam, aber äußerſt geſchickt, kopfoberſt und kopfunterſt, hängt ſich an einem Vorder- oder an einem Hinterbeine feſt und ſchaukelt ſich dann, geht an der Decke ſeines Käfigs hin uſw. Er faßt die ihm vorgehaltene Nahrung mit dem Maule oder mit den Händen; ihm noch Unbekanntes pflegt er leckend zu betaſten. Auf ſeinen Wegen be— ſchnuppert er zunächſt jeden Gegenſtand; dann erſt betaſtet er ihn mit der Zunge. Kurz nach dem Erwachen ſtößt das Tier gewöhnlich ſeinen eigentümlichen Ruf aus, der an das Ruckſen mancher Tauben erinnert. Er beginnt mit dem leiſe hervorgeſtoßenen dumpfen Laute „Du“, ſteigert ſich dann und endet mit dem ſchwächeren, miauenden „Diu“. Der ganze Ruf klingt ungefähr wie „du, tu tu, tu, tu tui, dju dju“, ſehr dumpf und hohl. Von Kirks Galago, G. kirki Gray, einer hellgrauen, im ſüdlichen Deutſch-Oſtafrika vorkommenden Form der großen Galagos, ſchildert Grote-Mikindani die mit dem Alter zuneh— menden räuberiſchen Neigungen: Gefangene holten des Nachts ihrem Herrn die Vögel aus den Käfigen heraus. Kommt ſolchem Komba „ein Tier, das er abwehren zu müſſen meint, etwa ein Hund, nahe, ſo richtet er ſich auf den Hinterbeinen hoch, die Hände reckt er hoch in die Höhe und ſpringt nun ſeinen Gegner an. Dabei läßt er ein heiſeres Fauchen hören.“ Aus der zweiten ſelbſtändigen Gattung (Hemigalago Dahlb.) iſt der kleine, braune Demidoff-Galago, H. demidoffi Fisch., der 32 em Geſamt- und 18 em Schwanzlänge hat und von der Goldküſte bis zum Kongo und ins Innere Afrikas ſich verbreitet, die altbekannte Stammart. Bates fand ihn oft, zu mehreren zuſammengeknäult, in alten Eichhörnchen— neſtern und bezweifelt deshalb, daß dieſer Galago ſich überhaupt ſelbſt ein Neſt macht. Ge— fangene knickten, wenn ſie mit dem Hinterfuße ſich wo feſthielten, die kurze bekrallte Zehe immer gegen die Fußſohle ein, ſo daß ſie unter den gefaßten Gegenſtand zu liegen kam. Eine neu entdeckte, größere Art, Thomas' Galago, H. thomasi Elliot, aus Uganda, von der Grenze gegen den Kongoſtaat, hat abweichenden, grauen Grundton in der Färbung und unterſcheidet ſich, nach dem Bericht der Ruwenſori-Expedition, auch in der Lebensweiſe da— durch, daß ſie ihren Tagſchlaf nicht hoch auf den Bäumen, ſondern unten im Unterholze hält. * Ein großer, runder, dicht auf den Schultern ſitzender Kopf mit geradezu rieſigen Augen, kurze Vorder- und lange Hinterglieder ſowie ein mehr als leibeslanger Schwanz ſind die äußerlichen, ſehr abſonderlich geſtaltete, denen der Inſektenfreſſer ähnelnde Zähne die haupt— ſächlichſten innerlichen Merkmale einer Halbaffengattung (Tarsius Storr), die, wie oben er— wähnt, von Weber mit einem gewiſſen Rechte zum Urbilde einer eigenen Unterordnung erhoben worden iſt. Entſprechend den ungemein verlängerten Fußwurzeln hat man dieſer den Namen „Fußwurzeltiere“ (einzige lebendige Familie Koboldmakis, Tarsiidae) gegeben und kennzeichnet ſie weiter durch eine Übereinſtimmung mit den vorbetrachteten nichtmadagaſ— ſiſchen Halbaffen: Beteiligung des Paukenbeines an der Umwandung der Trommelhöhle, am meiſten aber durch eine Reihe von Schädelmerkmalen, die wohl eine Folge der ungeheuren Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 27 * 418 17. Ordnung: Halbaffen. Familie: Koboldmakis. Vergrößerung der Augen find, zugleich aber eine gewiſſe Ahnlichkeit mit den Affen bedeuten. Wieder eine jener Analogieerſcheinungen, die in der Tierwelt nicht allzu ſelten ſind! Dadurch werden Augenhöhle und Schläfengrube voneinander geſchieden, und die Augen rücken zus ſammen, wodurch wieder die Naſe derart eingeengt wird, daß die Siebbeinplatte nur noch ein Loch hat. Das Geruchsorgan mit dem zugehörigen Hirnteil geht zurück. Zugleich ändern ſich durch die aufrechte Körperhaltung andere Schädelverhältniſſe und der Verlauf zugehöriger Blutgefäße in affenähnlicher Weiſe. Die Plazenta dagegen iſt, wie das Gebiß, durchaus inſektenfreſſerähnlich, und alles das rechtfertigt die Anſicht, daß wir hier eine alte Säuge- tierform vor uns haben, die zugleich den Urformen der Affen nahe ſteht. Der große Kopf würde kugelig ſein, wenn nicht die Schnauze als ein kurzer, ziemlich breiter Kegel aus der Geſichtsfläche hervorträte. Hierdurch und durch die im Verhältnis zur Schnauzenlänge ſehr weite, bis unter die Augen ſich ziehende Mundſpalte und die dicken Lippen erhält das Geſicht den Ausdruck des Froſchartigen. Dieſer Ausdruck wird durch die ungemein großen, eulen⸗ artigen Augen, verhältnismäßig wohl die größten, die ein Säugetier überhaupt beſitzt, noch weſentlich vermehrt. Die Augen nehmen buchſtäblich den größten Teil des ganzen Geſichtes ein, ſtehen ziemlich nahe beieinander und haben einen Durchmeſſer von mindeſtens 1,5 em. Die Ohren gleichen großen, weiten, auf einem kurzen röhrenförmigen Stiele ſitzenden Löffeln und zeigen im Inneren der Muſchel vier übereinanderſtehende Querbogen. Der Hals iſt ſo kurz, daß er ſich kaum als ſelbſtändiger Teil unterſcheiden läßt. Die Vorderglieder fallen wegen des ſehr kurzen Oberarmes ebenſoſehr durch ihre Kürze wie die hinteren durch ihre Länge auf, da letztere ſogar den Rumpf übertreffen. Im Verhältnis zur Länge der Arme müſſen die Hände als ſehr lang bezeichnet werden. Das Verhältnis der einzelnen Finger iſt ein anderes als bei den meiſten Lemuren, da der Mittelfinger der längſte iſt und äußerlich faſt dreimal länger als der Daumen erſcheint, der ſeinerſeits noch ziemlich bedeutend hinter dem Kleinfinger zurüd= ſteht. Wie bei einigen Galagos find in der Handfläche und an den Fingerenden große polſter— artige Ballen ausgebildet. Die Oberſchenkel haben beträchtliche Stärke, und die Unterſchenkel erſcheinen ihnen gegenüber ſchlank, die bis auf die eigentliche, d. h. erſt an der Teilungsſtelle der Zehen beginnende Fußſohle dünn behaarten Fußwurzeln ſogar klapperdürr. Der Fuß entſpricht bis auf die Bildung der Nägel der zweiten und dritten Zehe im allgemeinen der Hand, nur daß die Daumenzehe vollkommener den übrigen Zehen als der Daumen den anderen Fingern entgegengeſtellt werden kann und die Ballen an den Zehenſpitzen beträchtlich größer ſind; auch iſt nicht die dritte, ſondern die vierte Zehe die längſte. Alle Finger tragen dreiſeitige, flache, nur längs der Mitte etwas gewölbte, an den Rändern gebogene, an der Spitze aus: gezogene Nägel, die große und die beiden äußeren Zehen durchaus ähnlich gebildete, die beiden inneren Zehen dagegen anſtatt des Plattnagels aufrechtſtehende, wenig gekrümmte, ſpitze und ſcharfe Krallen. Der Schwanz iſt drehrund und gleichmäßig ſanft verjüngt. Das Gebiß unters ſcheidet ſich von dem aller übrigen Halbaffen dadurch, daß es nicht die ſchmalen, wagerecht vor— gezogenen unteren Schneidezähne, ſondern aufrechtſtehende, faſt ebenſoſehr an die der Inſekten— freſſer wie an die anderer Halbaffen und Affen erinnernde Schneidezähne, verhältnismäßig breite, ſcharfe, ſchneidend zackige Lück- und Mahlzähne beſitzt. Zahnformel: 88. Das etwas wollige, feine Fell bekleidet in gleichmäßiger Dichtigkeit Kopf, Rücken und die Außenſeite der Glieder, verkürzt ſich auf der Bruſt und dem Bauche und wird auf dem Naſenrücken, an den Naſenflügeln und dem oberen Mundrande ſo kurz, fein und ſperrig, daß dieſe Teile nackten Stellen gleichen, ohne es wirklich zu ſein. Die Ohrmuſchel iſt von der Mitte bis zur Spitze vollſtändig nackt. An mehreren Stellen des Kopfes, wie an der Ober- und Unterlippe, der u 0 Koboldmaki. 419 Naſe, neben dem inneren Augenwinkel und an der Backe, ſtehen einzelne Borſtenhaare, und die Augenliderränder ſind mit weichen, verlängerten Wimpern umgeben. Auf den Vorder- und Hintergliedern reicht das dichtere Haar bis zur Hand- und Fußwurzel, hier in ein kurzes, feines und ſperriges übergehend, das den ganzen Handrücken und die Finger bekleidet. Der Schwanz iſt am Grunde lang und dicht, hierauf ſpärlich und borſtig, am hinterſten Drittel lang, faſt buſchig behaart. Bei der altbekannten Hauptart, dem Koboldmaki oder Geſpenſttier, Tarsius tar- sius Erxl. (spectrum), von der neuerdings mehrere andere abgetrennt worden find, iſt die 8 LH 75 e Koboldmakt, Tarsius tarsius Erxl. ½, natürlicher Größe. Färbung des Pelzes gelbbraungrau mit einem leichten Anfluge von Rotbraun. Auf der Stirn, dem Rücken und der oberen Seite der Schenkel, auf Scheitel und Nacken dunkelt die Färbung, auf der Bruſt geht fie ins Weißliche über. Die Behaarung der Schwanzſpitze iſt gelblich. Ausgewachſene Stücke erreichen eine Länge von 40 em, wovon 23 —24 cm auf den Schwanz gerechnet werden müſſen. Über die Lebensweiſe des Geſpenſt- oder Koboldmakis liegen Berichte von Raffles, Cuming und Salomon Müller vor, denen ich noch einige wichtige Angaben von Roſenberg und Jagor hinzufügen kann. Sein Verbreitungsgebiet erſtreckt ſich über die Malaiiſchen Inſeln; doch tritt das Tierchen nirgends häufig auf. Auf dem Feſtlande iſt es nicht bekannt. Zum Aufenthaltsorte wählt ſich der Geſpenſtmaki, nach Angabe von Roſenberg, ebene Wälder, woſelbſt er ſich tagsüber an dunkeln, feuchten Stellen im dichten Laube oder in Baumlöchern verbirgt. 27 * 420 17. Ordnung: Halbaffen. Familie: Koboldmakis. Nach Cuming lebt er im Gewurzel der Bäume, beſonders der großen Bambusſtämme, aus⸗ ſchließlich in den dichteſten Waldungen, überall ſelten. Männchen und Weibchen werden ge— wöhnlich zuſammen geſehen, weshalb die Eingeborenen, nachdem ſie eines der Tierchen erlangt haben, Sorge tragen, auch das andere zu bekommen. In der Art und Weiſe, wie der Kobold— maki ſitzt und ſpringt, erinnert er unwillkürlich an einen Froſch; er macht Sätze von faſt 1 m Weite. Übertags iſt er ſo wenig ſcheu, daß er zuweilen von einem hohen Baume oder Strauche herab den Vorübergehenden auf den Leib ſpringt und ſich mit der Hand greifen läßt. Jagor, der zwei Koboldmakis lebend erhielt, erfuhr durch eigene Verſuche, daß das Tierchen haupt⸗ ſächlich Kerbtiere, letztere jedoch mit großer Auswahl, frißt. Cuming behauptet, daß die Nahrung unſeres Halbaffen aus Eidechſen beſtehe, und daß er dieſe Kriechtiere aller übrigen Koſt vorziehe, bei großem Hunger jedoch auch kleine Krebſe und Küchenſchaben zu ſich nähme; Salomon Müller gibt neben den Kerbtieren noch verſchiedene Früchte als Nahrung an. Cuming iſt der erſte, der über einen gefangenen Geſpenſtmaki Ausführlicheres mitteilt. „Er iſt ſehr reinlich in feinen Gewohnheiten“, jagt er; „niemals berührte er ein Nahrungs— mittel, das ſchon teilweiſe verzehrt war, und niemals trank er zum zweiten Male von demſelben Waſſer. Im Verhältnis zu ſeiner Größe frißt er ſehr viel. Beim Trinken ſchlappt er das Waſſer wie eine Katze, aber ſehr langſam. Die für ein ſo kleines Tierchen auffallend große Loſung gleicht der eines Hundes. Selten macht er Geräuſch, und wenn er einen Ton hören läßt, ſo iſt es ein einfacher, kreiſchender Laut. Bei geeigneter Pflege wird er ſehr bald zahm und ungemein zutraulich, beleckt Hände und Geſicht, kriecht am Leibe ſeines Freundes herum und bemüht ſich, geliebkoſt zu werden.“ Nicht minder günſtig ſpricht ſich Jagor aus. „Mein erſter Majo (Name des Tieres auf Samar) mußte anfänglich etwas hungern, weil er Pflanzenkoſt verſchmähte, verzehrte dann aber lebende Heuſchrecken mit großem Behagen. Es ſah äußerſt drollig aus, wie das Tier, wenn es bei Tage gefüttert wurde, aufrecht ſtehend, auf ſeine beiden dünnen Beine und den kahlen Schwanz geſtützt, den großen, kugelrunden, mit zwei gewaltigen gelben Augen ver— ſehenen Kopf nach allen Richtungen hin bewegte, wie eine Blendlaterne auf einem Dreibein⸗ geſtelle mit Kugelgelenk ſich dreht. Nur allmählich gelang es ihm, die Augen auf den dar— gebotenen Gegenſtand richtig einzuſtellen; hatte es ihn aber endlich wahrgenommen, ſo reckte es plötzlich beide Armchen ſeitwärts und etwas nach hinten aus wie ein Kind, welches ſich freut, griff ſchnell mit Händen und Maul zu und verzehrte dann bedächtig ſeine Beute. „Bei Tage war der Maki ſchläfrig, blödſichtig, wenn man ihn ſtörte, auch mürriſch; mit abnehmendem Tageslichte aber wurde er munter, und ſein Augenſtern erweiterte ſich. Nachts bewegte er ſich lebhaft und behende mit geräuſchloſen Sprüngen, am liebſten ſeitwärts. Er wurde bald zahm, ſtarb aber leider ſchon nach wenigen Tagen; und ebenſo konnte ich das zweite Tierchen nur kurze Zeit am Leben erhalten.“ Über die Fortpflanzung danken wir Cuming einige Angaben. „Ich hatte“, ſagt er, „das Glück, mir unbewußt, ein trächtiges Weibchen zu bekommen, und war daher eines Morgens nicht wenig überraſcht, daß es ein Junges zur Welt gebracht hatte. Dieſes ſchien etwas ſchwach zu ſein, glich aber der Mutter vollkommen. Seine Augen waren offen, ſein Leib bereits mit Haaren bekleidet. Es hielt ſich ſtets ſaugend zwiſchen den Beinen ſeiner Mutter auf und wurde ſo vollſtändig von ihr bedeckt, daß man ſelten mehr als ſeinen Schwanz bemerkte. Seine Kräfte nahmen ſchnell zu, und ſchon am zweiten Tage begann es, außerhalb des Käfigs um— herzukriechen, wenn auch noch mit ſichtbarer Anſtrengung. Doch erreichte es die Spitze der Stäbe, aus denen der Käfig gebildet war. Wenn Umſtehende das Junge zu ſehen wünſchten, eie = ö Koboldmaki: Nahrung. Bewegung. Gefangenleben. 421 während die Mutter es bedeckte, mußte man ſie aufſtören. Dann wurde ſie in der Regel böſe, nahm das Junge ins Maul, ganz wie eine Katze, und ſchleppte es ſo eine Zeitlang umher. Auch ſah ich ſie zu anderen Zeiten, wenn ſie nicht geſtört worden war, mit ihrem Jungen im Maule aus dem Käfig hervorkommen. Letzteres hatte im Verlaufe von drei Wochen ſehr an Größe zugenommen, als unglücklicherweiſe jemand auf den Schwanz der Mutter trat, worauf ſie nach wenigen Tagen ſtarb. Das Junge folgte ihr einige Stunden ſpäter nach.“ Zur Vorgeſchichte der Halbaffen ſind zwei Tatſachen von aufklärendem Belang: einmal, daß ſie foſſile Verwandte und Vorfahren in Europa und Nordamerika haben, zur Erklärung ihrer heutigen Verbreitung alſo die Annahme des ſagenhaften Feſtlandes Lemurien gar nicht nötig iſt, und zum andernmal, daß wir unter dieſen alten, eozänen Verwandten und Vorfahren der Halbaffen aus dem älteſten Tertiär Sammelformen finden, die den Urſprungsformen der Säugetiere überhaupt ſehr nahe ſtehen und daher zum Teil anfangs für Urhuftiere gehalten wurden. Mit anderen Worten: die Halbaffen ſind erdgeſchichtlich ſehr alte und altertümliche Säugetiere; das zeigt ſchon ihr Hauptvorkommen auf der Inſel Madagaskar, die ſie zoologiſch zu einem alten, ſelbſtändigen Feſtland ſtempeln und als ein gewiſſes Gegenſtück zu Auſtralien mit ſeiner Beuteltierwelt ausweiſen. Weiter deuten darauf hin Ahnlichkeiten mit den In⸗ ſektenfreſſern, den nächſt den Beuteltieren älteſten Säugern, ſowohl bei foſſilen wie bei lebenden Halbaffen, namentlich dem abſonderlichen Geſpenſtmaki, der aber anderſeits wieder gewiſſe An— klänge an die Affen nicht verkennen läßt. Das iſt indes durchaus kein Widerſpruch in ſich, ſondern beſtätigt nur die alte, urtümliche Natur der Halbaffen, die ſich eben von der gemein— ſamen Wurzel verſchiedener Säugetierſtämme nicht gerade weit entfernt haben. Und wenn wir damit zuſammenhalten die allermeiſt gute Ausbildung der Hand, insbeſondere die ſtarke Ent— wickelung eines entgegenſtellbaren Daumens, die wir auch ſchon bei den Beuteltieren finden, ſo kann uns das nur in der Überzeugung beſtärken, daß die Hand, auch die Menſchenhand, durchaus nicht das Endergebnis einer hohen Entwickelung, ſondern mit ihren vier Fingern und dem dieſen entgegenwirkenden Daumen vielmehr ein ſehr altes und urſprüngliches Gebilde iſt. Anderſeits kann es uns bei unſeren allgemeinen Anſchauungen über Abſtammung und Ent— wickelung heute nicht mehr wundern, daß wir bei den alten foſſilen Halbaffen von der Gattung Adapis G. Cuv. aus dem Eozän Frankreichs und der Schweiz die Umwandlung des erſten unteren Lückzahnes in einen Eckzahn noch nicht finden, wohl aber durch die Zahl von vier Lückzähnen eine Annäherung an die niederen Säugetierordnungen. Andere foſſile Halbaffen weiſen wieder den Weg zu den Affen. So die bei Troueſſart zu den Geſpenſtmakiartigen ge— ſtellte Gattung Anaptomorphus Cope, aus dem Eozän von Wyoming, die mit ihrem kaum nußgroßen Rundſchädel für den Urahnen der Menſchenaffen gehalten wird, während der an derſelben Stelle untergebrachten Gattung Mixodectes Cope, aus dem Eozän von Neumexiko, ihr Entdecker wieder Beziehungen zum Fingertier zuſchreibt; jedenfalls ſteht Mixodectes in der Abſtammungsgeſchichte nahe der Urſprungsſtelle von Inſektenfreſſern, Nagetieren und Affen. Aus dem mittleren und jüngeren Tertiär ſind bis jetzt keine Halbaffenarten bekannt, und erſt aus den letztvergangenen pleiſtozänen Erdſchichten liegen wieder ſolche von einem mehr als ſchimpanſengroßen Makiartigen (Megaladapis F. Maj.) aus Madagaskar vor, der dort noch mit dem Rieſenſtrauß Aepyornis zuſammen gelebt haben muß. Für die Abſtammungs⸗ geſchichte wichtiger erſcheint der gleichzeitige Nesopithecus F. Maj., der nach Anſicht ſeines Beſchreibers entweder der höchſtentwickelte Makiartige oder der niederſte Affe iſt. Achtzehnte Ordnung: Affen (Simiae). Die Affen ſind nicht nur die nächſten, ſondern, was noch mehr heißen will, wirklich ſehr nahe Verwandte des Menſchen. Das wurde von jeher allgemein anerkannt, und das beweis⸗ kräftigſte, wenn auch unbewußte Anerkenntnis liegt vielleicht darin, daß alle Welt ganz ſelbſt⸗ verſtändlich die Affen immer mit dem Menſchen vergleicht, den Affen ſtets nur als häßliches, lächerliches oder widerwärtiges Zerrbild des Menſchen empfindet, ohne ſich klar zu machen, welche Ungerechtigkeit das iſt. Man muß ſich ſchon recht ernſthaft, zünftig und wiſſenſchaftlich mit den Affen beſchäftigen, um jede Art nach ihrem eigenen Schönheitsideal zu beurteilen, wie man das bei allen anderen Tieren von vornherein und ohne weiteres tut. Es mag ja wohl ſein, daß unter den größeren und höheren Säugetieren gerade die äußere Erſcheinung des Affen dem allgemeinen Schönheitsempfinden des Menſchen am wenigſten entſpricht, ſehr viel weniger als die des geſchmeidigen Raubtieres, des ſtattlichen Hirſches, der zierlichen Gazelle, des edlen Pferdes. Und doch gibt es auch Affen, die im allgemeinen Sinne ſchön zu nennen find, und alle Affen feſſeln den Beobachter ſehr, ſobald man fie in der Freiheit, in ihrer natür- lichen Umgebung und Bewegung ſieht; das geht aus den übereinſtimmenden Schilderungen aller Reiſenden hervor. Auf die Frage, worin eigentlich die Menſchenähnlichkeit der Affen beruht, gibt jeder gleich die Antwort: in der Kopf- und Gliedmaßenbildung. Und beides finden wir bei den Halb— affen ſchon mehr oder weniger vorbereitet. Das Bild der menſchenähnlichen Hand mit dem kräftigen Daumen zeigen die Halbaffen ſogar noch ungetrübter als die Affen, deren Daumen ſchon eine Neigung zur Rückbildung nicht verkennen läßt, und das iſt zugleich der ſtärkſte Gegenbeweis gegen die mißverſtändliche, heute längſt von keinem Kundigen mehr vertretene Meinung, daß die heutigen Menſchen von den heutigen Affen abſtammten. Davon kann gar keine Rede ſein. Im Gegenteil: unſere jetzige Naturanſchauung, die weiß, daß ein ver⸗ kümmernder Körperteil im Laufe der Stammesgeſchichte nicht wieder erſtarkt, kann die Rück— bildung des Daumens bei den Affen, die bis zum völligen Verſchwinden gehen kann, gar nicht anders auffaſſen als ſo, daß die Affen in dieſer Beziehung ſogar über die menſchliche Stufe hinaus vorgeſchritten ſind. Und bei der Kopfbildung, der Geſichtsbildung, iſt dies, genau ge⸗ nommen, auch der Fall. Die Affen der Alten Welt heißen geradezu Schmalnaſen nach ihrer ſchmalen Naſenſcheidewand, und beim Orang-Utan z. B. drängen ſich die Augen ſo nahe zuſammen, daß dazwiſchen kaum mehr Platz für einen erhabenen Naſenrücken iſt. Die Stellung der Augen iſt es aber, die dem Affengeſicht das Menſchenähnliche und dem Affenſchädel ſein Gepräge gibt. Bei den Halbaffen, zumal denen mit mächtig vergrößerten Nachtaugen, ſind die Augen zwar auch ſchon nahe aneinandergerückt und dadurch nach vorn Allgemeines. 423 geſtellt; aber Augenhöhle und Schläfengrube find immer noch verbunden. Erſt bei den Affen tritt vollkommene Trennung beider Schädelgegenden ein, wie beim Menſchen, und die ganz und gar nach vorn gerichtete Stellung der Augen ermöglicht ein ungeſtörtes perſpektiviſches Sehen. Man mache ſich nur einmal klar, was das auch für das Geiſtesleben bedeutet! Das Geiſtesleben des Affen ſtellt ſich damit auf dieſelbe Sinnesgrundlage wie das des Menſchen: der Grundſinn beider iſt das Auge, nicht die Naſe wie bei den meiſten übrigen Säugetieren. Das ſpricht ſich unzweideutig am Gehirn durch Rückbildung des Riechlappens aus. Dagegen ſehen die Affen ausgezeichnet. Durch ihr ſicheres Wiedererkennen bekannter Perſonen ſetzen ſie uns geradezu in Erſtaunen, während andere Säugetiere in dieſer Beziehung allermeiſt ent— täuſchen oder bei genauerer Kritik zu Unrecht gerühmt erſcheinen. Die langjährige Schimpanſen— Primadonna „Miſſie“ des Berliner Gartens kannte Heck ſofort, ſelbſt am billigen Sonntag unter Hunderten von Menſchen heraus, einerlei welche Kleidung er trug. Auf der Netzhaut des Affenauges finden wir aber auch einen ſehr ſchön ausgebildeten „gelben Fleck“, jene Rechte Hälfte der in der Mittellinie durchſchnittenen Schädel ) eines Affen (Rapuziner) und 2) eines Raubtieres (puma). Aus Kraemer, „Weltall und Menſchheit“, II. Band, Berlin o. J. mittlere Vertiefung (fovea centralis), die die Stelle ſehr ſcharfen Sehens bezeichnet. Die Affen können „fixieren“, einen Gegenſtand ganz ſcharf ins Auge faſſen, wie das ſonſt nur der Menſch und die Vögel, d. h. die Sehtiere, vermögen, und zugleich können ſie offenbar ganz ausgezeichnet „akkommodieren“, d. h. mittels vortrefflicher Muskulatur des Augapfels dieſen in ſeiner Wöl— bung und der Wirkung der Linſe der Entfernung des zu fixierenden Gegenſtandes anpaſſen. Man beobachte ſie nur beim „Lauſen“ und in ſolchen Augenblicken, wenn ſie ſich z. B. eine Spiegelſcheibe dicht vor das eine Auge halten! Beim Affen als Augentier war ſchließlich auch ein gut entwickelter Farbenſinn von vornherein zu erwarten. Dahl hat dies durch Verſuche mit einer Meerkatze beſtätigen können und dabei die bedeutſame Erfahrung gemacht, daß der Farbenſinn dieſes Affen auf derſelben Stufe ſtand wie bei kleinen Kindern und Natur— völkern. Bei dieſen tritt angeblich zuletzt und am ſchwerſten die Unterſcheidung von Blau ein, und auch Dahls Meerkatze konnte ein leuchtendes Blau von Schwarz nicht unterſcheiden. Dagegen unterſchied fie Rot und Roſa, Hell- und Dunkelgrün, Weiß und Gelb, auch Dunkel— grün von Schwarz, Violett von Blau. Raum und Bedeutung des Hirnſchädels werden beim Affen in menſchenähnlicher Weiſe vermehrt, weil das Gehirn eine menſchenähnliche Entwickelung erlangt, der Hirnſchädel mit Gehirn und Augen gegen den Geſichtsſchädel mit Gebiß und Naſe nicht ſo ganz und gar zurücktritt wie bei den übrigen Säugetieren. In letzterem Lageverhältnis, im vorſpringenden Gebiß und der zurückfliehenden Stirn, ſpricht ſich eben für unſere Begriffe das Tieriſche aus, 424 18. Ordnung: Affen. im umgekehrten das Menſchliche: beim Menſchen hat der Hirnteil ſich ſo vorgewölbt, über den Gebißteil fo ſehr die Oberhand gewonnen, daß er über, nicht hinter ihm liegt. Der Affen⸗ ſchädel nimmt nun in verſchiedenen Abſtufungen eine Mittelſtellung im Verhältnis von Hirn⸗ und Geſichtsſchädel ein, und es gibt zu denken, daß die Schädel junger und weiblicher Affen in dieſer Beziehung allermeiſt „menſchlicher“ ſind als die alter und männlicher. Und damit ſtimmt die Beobachtung des geiſtigen Weſens der allermeiſten Affen in dem vielerprobten Ergebnis überein, daß die geweckten, in der Jugend ſo bildſamen und lenkſamen Tiere mit zunehmendem Alter immer wüſter und bösartiger werden. Vom menſchlichen Standpunkt aus betrachtet, findet alſo ein Wiederabſinken ins Tieriſche ſtatt: nach unſerer heutigen Anſchauung ein Grund mehr, unſere ſtammesgeſchichtlichen Vorfahren nicht unter den heutigen Affen zu ſuchen, ſon— dern ſich darunter ſolche ſowohl affen- wie menſchenähnliche Säugetiere vergangener Erdperioden vorzuſtellen, von denen man nach den Schädel- und Gliedmaßenverhältniſſen und damit nach geiſtigen und körperlichen Leiſtungen ebenſowohl die Affen als den Menſchen ableiten kann. Die Leibesgröße der Affen ſpielt in weiten Grenzen; der Gorilla übertrifft einen ſtarken Mann, das Seidenäffchen bleibt hinter dem Eichhorn zurück. Auch das allgemeine Ausſehen iſt ſehr verſchieden, wie die im allgemeinen treffenden Bezeichnungen „Menſchenaffe“, „Hunds⸗ affe“, „Eichhornaffe“ beſſer als lange Beſchreibungen dartun. Einige ſind maſſig, andere ſchlank, dieſe plump, jene zierlich gebaut; die einen haben ſtämmige, die anderen ſchmächtige Gliedmaßen, die meiſten lange, einige kurze, einzelne gar keine Schwänze. Ebenſo verhält es ſich mit der Behaarung: bei dieſen deckt ein ſpärliches Haarkleid, bei jenen ein ziemlich dichter Pelz den Leib. Eine Härung nach Art der anderen Säugetiere findet zweifellos auch bei Affen ſtatt. Zu gewiſſen Zeiten ſieht man auch die Affen kahl werden; ſie ſehen dann ſchlecht im Fell aus, um ſpäter wieder glatt und ſchön behaart zu werden. Die Farben des Felles können zuweilen lebhaft und anſprechend ſein; im ganzen halten ſie ſich jedoch in den ſtumpfen Tönen, die für das Säugetierhaar im Gegenſatz zur Vogelfeder bezeichnend ſind. Dagegen finden wir unter den Affen die auffallendſten Beiſpiele für die allgemeine Regel, daß, wo beim Säugetier grelle, leuchtende Farben auftreten, ſie von der Haut ſelbſt an nackten oder ſchwach behaarten Körperſtellen (Geſicht, Geſäß) erzeugt werden. Weißlinge kommen vor; ſie werden in ihrer Heimat ſehr geſchätzt und von den Fürſten, z. B. in Siam und Abeſſinien, zahm gehalten. Die Farbſtoffeinlagerungen in der Lederhaut (vgl. Bd. X, S. 1) des Säugetieres, die Toldt jun. in Wien neuerdings genauer unterſucht hat, verdienen bei den Affen wieder beſondere Erwähnung, weil ſich als ihr letzter Reſt der ſogenannte Mongolenfleck erweiſt, den oſtaſia— tiſche Raſſen, namentlich Chineſen, Japaner, Malaien, aber auch manche Europäer bei der Geburt im Kreuz tragen. Am Schädel findet die Verſchiebung des Schwergewichts vom Hirn- auf den Geſichtsteil noch einen ganz beſonderen Ausdruck in dem Auftreten mehr oder weniger ſtarker, zum Anſatz der Beißmuskeln des Unterkiefers dienender Knochenkämme bei den älteren Männchen altwelt⸗ licher Affen, und zwar ſind dieſe Knochenkämme gerade bei den alten Menſchenaffenmännchen am gewaltigſten ausgebildet, was eben dieſen Schädeln für unſer Empfinden das Tieriſche gibt; bei den neuweltlichen Affen fehlen ſie, deren rundliche Schädel erſcheinen uns daher viel menſchlicher. Im Gebiß aber haben alle Affen ohne Ausnahme etwas Tieriſches durch die verlän— gerten Eckzähne der alten Männchen, durch die bei großen Formen der Schädel geradezu raub— tierähnlich wirkt; tatſächlich kann es in dieſer Beziehung ein alter Pavianmann ungefähr mit einem Leoparden aufnehmen. Sonſt iſt das Affengebiß ebenſo geſchloſſen und lückenlos wie unſer eigenes; ja die altweltlichen Affen haben ſogar genau dieſelbe Zahnformel wie der Menſch: Hand und Fuß verichiedener Affen. 1, 2 Gorilla; 5—8 Schimpanie; 9, 10 Orang-Utan; 11—13 Gibbon (Car); 14, 15 Stummelaffe (Guereza); 16—18 Hutaffe; 19, 20 Pavian (Babuin); 21, 22 Krallenaffe (Seidenäffchen). Vgl. Text S. 425. Stellungen des Gorillas. —— N OR GES Mpungu, altes Aquarium Berlin. | Vgl. Text S. 688 1. Allgemeines. 425 in jeder Kieferhälfte oben und unten 2 Schneidezähne, 1 Eckzahn, 2 Lückzähne und 3 eigent— liche Backzähne, im ganzen 32 Zähne. Die neuweltlichen Affen haben noch einen Backzahn mehr, im ganzen alſo 36 Zähne, die kleinen, abweichenden Krallenäffchen im Hintergebiß die umgekehrten Zahlen: 3 Lück- und 2 Backzähne. Überall geht in der Jugend ein Milchgebiß voraus und erfolgt der Zahnwechſel wie bei uns: er beginnt mit den mittleren oberen Schneide— zähnen und zu allerletzt treten die Weisheitszähne, die hinterſten Backzähne, hinzu. An der Wirbelſäule finden ſich bei den Menſchenaffen, aber auch bei anderen Anfänge der Sförmigen, für den Menſchen bezeichnenden Krümmung, die mit dem aufrechten Gange zuſammenhängt. Kaum jemals aber rückt das Hinterhauptloch für den Eintritt des Rücken— marks ins Gehirn ſo ganz nach unten in die Grundfläche des Schädels, daß dieſer frei oben auf der Wirbelſäule ſitzt; er erſcheint immer viel mehr nach vorn daran aufgehängt, und deshalb ſitzt für unſer Empfinden allen Affen und gerade den Menſchenaffen der Kopf ſo tief zwiſchen den Schultern, was natürlich das menſchenähnliche Anſehen wieder merklich beein— trächtigt. Auch in der Form des Beckens zeigt namentlich der Gorilla gewiſſe menſchenähnliche Züge. Der Londoner Tiergärtner Pocock meint zwar, die jungen Menſchenaffen gingen beſſer aufrecht als die alten, ein ausgewachſener Schimpanſe oder Orang nähme wohl kaum jemals freiwillig dieſe Haltung an, und man müſſe deshalb die Menſchenaffen von einem Vorfahr ab— ſtammend denken, der mindeſtens ein ſo guter Aufrechtgänger geweſen ſei, wie es die Gibbons heute noch ſind. Darin mag er vielleicht recht haben. Anderſeits lehren die Erfahrungen der Aufzucht und Abrichtung unzweideutig, daß man auch größere Menſchenaffen ganz an den auf— rechten Gang gewöhnen kann: die 16jährige, längſt vollkommen ausgewachſene Schimpanſin „Miſſie“ des Berliner Gartens übte ihn zeitlebens leicht und ſicher bei jeder Gelegenheit. Dagegen ſcheint beim aufrechten Gang ein bezeichnender Unterſchied in der Rumpfhaltung zwi— ſchen Schimpanſe und Orang zu beſtehen: während der Schimpanſe den Körper dabei aller— meiſt noch mehr oder weniger nach vorn uͤberneigt, biegt der Orang das Kreuz auf eine uns ganz unnatürlich erſcheinende Art und Weiſe ein, genau wie der gleichfalls aſiatiſche Gibbon. Die Affenhand erweiſt ſich ſchon durch den weit zurückgeſtellten, zum Verkümmern und Verſchwinden neigenden Daumen gegen die Menſchenhand für feinere Tätigkeit viel weniger geeignet und mehr auf die gröberen Leiſtungen beim Erfaſſen der Nahrung und namentlich beim Klettern beſchränkt. Doch kann man nicht beſtreiten, daß z. B. bei dem berühmten „Lauſen“ mit „ſpitzen Fingern“ namentlich Daumen und Zeigefinger auch recht feine Griffe zu üben verſtehen. Als Kletter- und Baumtiere wollen die Affen aber verſtanden ſein, wenn es auch Erdaffen gibt. Das darf uns indes nicht verleiten, ſie als Vierhänder aufzufaſſen, wie das bis in die neueſte Zeit geſchehen iſt, weil ſie als Kletterer Greiffüße haben, deren Daumenzehe ſich weit von den übrigen abſpreizen kann. Der Affenfuß bleibt deswegen doch ein Fuß; denn er hat ſeine Ferſe wie jeder andere und gelenkt mit dem Unterſchenkel auf ſeiner oberen Fläche, nicht, wie die Hand mit dem Unterarm, auf ſeiner hinteren. Beim Baumleben ſpielt auch der Affenſchwanz eine Rolle, der ſehr lang ſein, aber auch bis auf einen Stummel oder ganz und gar verſchwinden kann. Eine beſondere Ausbildung erlangt er bei den ſüdamerikaniſchen Greifſchwänzen durch einen unterſeits nackten, mit ſehr reicher und feiner Nervenausſtattung verſehenen Endteil, vermöge deſſen er, ſtets um einen Aſt geſchlungen, nicht nur zu einem zuverläſſigen Sicherheitsanker für ſeinen Beſitzer wird, ſondern, noch weitergehend, dieſem auch als fünftes Greifwerkzeug dienen kann. Der Tierzeichner Leutemann beobachtete, wie ein ſolcher Affe Futterbiſſen, die ſeinen Gliedmaßen unerreichbar waren, mit ſeinem Greifſchwanz leicht und ſicher durch das Gitter zu ſich hereinzuholen wußte. 426 18. Ordnung: Affen. Sonſtige Beſonderheiten der Affen ſind Backentaſchen, Kehlſäcke und Geſäßſchwielen. Die Backentaſchen find Ausbuchtungen der Mundhöhlenwände, die durch eine hinter dem Mund⸗ winkel gelegene Offnung mit der Mundhöhle in Verbindung ſtehen und zur zeitweiligen Auf— ſpeicherung der Nahrung dienen. Bei den Meerkatzen, Makaken und Pavianen erreichen ſie die höchſte Entwickelung und ziehen ſich tiefer herab als der Unterkiefer; bei den Schlankaffen verringern ſie ſich bis auf ein ſehr kleines Säckchen; den Menſchenaffen und Gibbons wie den Affen der Neuen Welt fehlen ſie ganz. Dagegen finden wir die vom Kehlkopf ausgehenden Kehlſäcke, die man zunächſt als Stimme verſtärker begreifen möchte, bei den Menſchenaffen am ſtärkſten ausgebildet. Beim alten männ⸗ lichen Orang ſetzen ſie ſich bis in die Achſelhöhlen fort, ohne ihm freilich zu einer beſonders ſtarken oder auch nur nennenswerten Stimme zu verhelfen; hier müſſen ſie alſo wohl oder übel zu den ſogenannten ſekundären Geſchlechtsmerkmalen gerechnet werden, in deren inne— ren Zuſammenhang uns ja vielfach die Einſicht noch fehlt. Die Gibbons geben allerdings ſehr laute, weit ſchallende, metalliſche Töne von ſich; aber einen größeren, nackthäutigen, äußerlich hervortretenden Kehlſack hat unter ihnen nur eine Art, der Siamang. Unter den Amerikanern iſt ſchon nach dem Namen eine beſondere Stimmbegabung beim Brüllaffen zu erwarten, und dieſer täuſcht nach den Berichten der Reiſenden unſere Erwartungen nicht; der anatomiſche Befund zeigt, daß bei ihm die Kehlkopfknorpel zu Schallblaſen ausgehöhlt und auf— getrieben ſind. Im allgemeinen beſitzen die Affen aber eine wenig wandlungsfähige und wohl⸗ tönende Stimme, obwohl ſie ihre Gemütsbewegungen recht gut durch verſchiedene Stimmlaute auszudrücken vermögen; nur die Kapuziner geben ziemlich vielfältige Zwitſcher- und Winjel- töne von ſich, und ſie ſind ja auch der einigermaßen berechtigte Ausgangspunkt Garners für ſeine vielberegten, ſpäter ins Uferloſe geratenen Studien über die „Affenſprache“ geweſen. Geſäßſchwielen, d. h. verhornte Verdickungen der Haut auf den verbreiterten Höckern des Sitzbeins am Becken, ſind bei den meiſten altweltlichen Affen vorhanden, fehlen aber den neu— weltlichen und auch den eigentlichen Menſchenaffen; bei den Gibbons ſind ſie nur angedeutet. Umgekehrt kann man übrigens auch von Geſichtsſchwielen reden bei den Backenwülſten der Paviane, die bei Drill und Mandrill ihre auffallendſte Entwickelung erreichen. Schließlich noch ein Wort über die Geſichtsmuskulatur und das äußere Ohr, die beide in den Vergleichen zwiſchen Menſch und Affe ihre Rolle ſpielen, beide zur Hautmuskulatur und inſofern zuſammengehören, als ihre Muskeln vom Geſichtsnerv verſorgt werden. Die Geſichtsmuskulatur der Affen iſt ſehr fein ausgebildet, ungleich feiner als bei den übrigen Säugetieren, namentlich auch bei den Halbaffen, und ſchließt ſich beim Schimpanſen z. B. ganz eng an die menſchlichen Zuſtände an, wie Hans Virchow neuerdings noch näher nach— gewieſen hat. Daher das lebhafte, ausdrucksvolle Mienenſpiel des Affen im Gegenſatz zu dem nichtsſagenden Geſicht des Halbaffen! Und ebenſo zeigt ſich das Fortſchreiten vom tieriſchen Tütenohr mit der ausgezogenen Spitze, wie es noch die meiſten Halbaffen haben, zum menſch— lichen Muſchelohr mit dem eingerollten Rande, das aber nicht als ein Fortſchritt, ſondern eher als eine Verkümmerung gelten muß, unverkennbar bei den verſchiedenen Affengruppen, die teilweiſe wieder, was angedrückte Lage und Unbeweglichkeit des Ohres anlangt, noch weiter gehen als der Menſch, immer aber den Reſt der tieriſchen Ohrſpitze noch erkennen laſſen. Über das Gehirn und die geiſtigen Fähigkeiten der Affen mußte beim Blick auf die Ge⸗ ſamtheit der Säugetiere (vgl. Bd. X, S. 30), wo es galt, auf der einzig ſachlichen Grundlage, nämlich auf Grund anerkannter Ergebniſſe der wiſſenſchaftlichen Hirnforſchung, den geiſtigen Unterſchied zwiſchen Menſch und Tier gemeinverſtändlich zu erläutern, notgedrungen ſchon ſo . Allgemeines. 427 viel geſagt werden, daß hier nicht viel Neues und Weſentliches mehr zuzufügen übrigbleibt. Immerhin würden wir den Affen unrecht tun, wenn wir hier nicht beſonders hervorhöben, daß ſie, namentlich die Menſchenaffen, auch in geiſtiger Hinſicht die nächſten Verwandten des Menſchen find und bleiben. Dafür iſt wohl das wirkſamſte Zeugnis eine Äußerung des als Entlarver des „Klugen Hans“ (vgl. Bd. X, S. 29) allgemein bekanntgewordenen Pſycho— logen Pfungſt, die er nach mehrjährigen Studien am Affenbeſtande des Berliner Gartens auf dem Fünften Pſychologenkongreß tat. Er erklärte da ganz unumwunden und uneingeſchränkt die verſchiedene Perſönlichkeit der jungen Affen, deren Entwickelung er von Geburt an ver— folgen konnte, für „nicht minder ausgeprägt als beim Menſchen“. Dieſes Wort aus dieſem kritiſchen Munde kann gar nicht ſchwer genug gewogen werden! Auf die geiſtige Höhe der Affen deutet ſchon äußerlich am Schädel das oben (S. 424) bereits berührte Verhältnis zwiſchen Hirn- und Geſichtsteil, und am Gehirn ſelber erweiſt ſie ſich durch die ſtarke Entwickelung des eigentlichen Sitzes der höheren geiſtigen Fähigkeiten, der Großhirnhälften, die ſtets ſo weit nach hinten reichen, daß ſie das Kleinhirn überdecken, ſogar bei den kaum eichhorngroßen Krallenäffchen. Ja, die ſüdamerikaniſchen Affenzwerge haben zwar mit den anderen kleinen Säugetieren das Merkmal des glatten, ungefurchten Großhirns gemein, das mit der geringen Körpergröße zuſammenhängt (vgl. Bd. X, S. 26); aber gerade bei ihnen erreichen die Großhirnhälften die weiteſte Ausdehnung, weit über das Kleinhirn hinaus, und das bringt eine ſo ſtarke Wölbung des Schädels nach hinten mit ſich, daß die Hinterhauptſchuppe und das Hinterhauptloch für den Austritt des Rückenmarks nach unten gedrängt werden. Eines der bezeichnendſten Streiflichter auf die allgemeine geiſtige Höhe der ganzen Säugetierordnung der Affen, zumal wenn man die entſprechenden Hirn- und Schädel— verhältniſſe bei anderen Ordnungen kleinerer Säugetiere vergleicht! Anderſeits darf nicht verſchwiegen werden, daß an Faltenbildung des Großhirns, d. h. mit anderen Worten: an Maſſe der großen Hirnrinde, die der körperliche Ausgangspunkt für die höchſten geiſtigen Leiſtungen iſt, die große Mehrzahl der Affen hinter vielen Raubtieren, wie z. B. Hund, Katze, zurückſteht. Mit Ausnahme aber der Menſchenaffen! Daß dieſe in vielen Einzelheiten dem Menſchen beſonders naheſtehen und ſich von den übrigen Affen weit unterſcheiden, zeigt ſich auch in der Blutgefäßverſorgung des Vorderhirns, wie Max Rothmann neuerdings näher nachgewieſen hat. Obwohl die Entwickelung des Stirnhirns bei allen Affen erheblich geringer iſt als beim Menſchen (vgl. Bd. X, S. 30), jo ſind doch die zugehörigen Blutgefäßverhält— niſſe bei Menſch und Menſchenaffe im weſentlichen die gleichen: zwei vordere Hirnſchlagadern mit einer Querverbindung, während die Tieraffen durchgängig nur eine ſolche Schlagader beſitzen. Die Verdoppelung iſt indes auch bei den Menſchenaffen noch nicht ausnahmsloſe Regel, ſie nehmen in dieſer Beziehung eine Mittelſtellung zwiſchen dem Menſchen und den Tieraffen ein. Und dieſem Befund am Gehirn und Zubehör kommt von ſeiten der Beobachtung des lebenden Tieres die ſehr berechtigte Überlegung entgegen, daß der Affe vermöge ſeines menſchenähnlichen Außeren ſehr leicht geiftig überwertet wird, zumal er mit feinen fünffinge- rigen Händen gar mancherlei ausführen kann, was anderen Säugetieren körperlich unmöglich iſt, die vielleicht die nötigen geiſtigen Fähigkeiten dazu beſäßen. Man darf wenigſtens die Frage aufwerfen, ob der Hund z. B. nicht noch ungleich weitergehende augenfällige Beweiſe ſeiner geiſtigen Fähigkeiten liefern würde, als er ſo ſchon liefert, wenn er Affenhände hätte. Damit wird aber natürlich an der Tatſache nichts geändert, daß in erſter Linie die Affen es ſind, die den Gebrauch von Werkzeugen, die man früher ausſchließlich dem Menſchen zuſchrieb, zum mindeſten in ſeinen Anfängen erkennen laſſen; daran iſt nach den neueſten Beobachtungen 428 18. Ordnung: Affen. und Berichten nicht mehr zu zweifeln (vgl. Bd. X, S. 32). Als beweiſendes Beiſpiel können wir hier den mit Sand und Steinen werfenden Makaken und Pavianen, dem mit Laubzweigen fliegenwedelnden Gorilla noch die mit Steinen klopfenden, Nüſſe aufſchlagenden Kapuziner hinzufügen, deren Beobachtung im Berliner Garten neuerdings gezeigt hat, daß ihnen gerade dieſer Gebrauch von Werkzeugen beſonders naheliegt. Im einzelnen iſt für das Affenhirn die ſogenannte Affenſpalte bezeichnend, eine aus⸗ gebildete Grenzfurche zwiſchen dem Scheitel- und Hinterhauptlappen des Großhirns, die beim Menſchen viel weniger deutlich iſt. Der Hauptunterſchied zwiſchen Menſchen- und Tierhirn im allgemeinen, Affenhirn im beſonderen, liegt, wie beim Blick auf die Geſamtheit der Säuge⸗ tiere nach Edinger ſchon ausgeführt (vgl. Bd. X, S. 30), aller Wahrſcheinlichkeit nach in der ſtarken Entwickelung unſeres Stirnlappens. Der Stirnlappen gerade iſt aber der Hauptſitz der höchſten geiſtigen Leiſtungen, wie ſie ſich in der untereinander wieder zuſammenhängenden Begriffsbildung und Wortſprache ausdrücken. Dieſe höchſten geiſtigen Leiſtungen ſind alſo auch den Affen verſagt, und die „Affenſprache“, ſo viel der Amerikaner Garner in der Preſſe zeitweiſe davon reden machte, bleibt immer nur mehr oder weniger vielfältiger Ausdruck von Gemütsbewegungen im Darwinſchen Sinne, wie er allen höheren Tieren gegeben iſt. Doch iſt dieſer Ausdruck bei Affen verſchiedener Gruppen des wiſſenſchaftlichen Syſtems, ja ſogar ſchon bei verſchiedenen Arten derſelben Gattung ganz verſchieden, und wenn ſolche nun im Geſellſchaftskäfig des zoologiſchen Gartens zuſammenkommen, ſo verſtehen ſie ſich zunächſt gar nicht oder vielmehr falſch und feindlich. Jeder neue Affe muß ſich erſt durch— beißen; das iſt eine alte tiergärtneriſche Erfahrung, und das hat den Enderfolg, daß auf dieſe Weiſe eine ganz genaue Rangordnung feſtgeſtellt wird, in der jeder einzelne feinen ganz be— ſtimmten Platz einnimmt. Jede Affenart oder Gruppe ganz nahe verwandter Arten hat ihre eigenen angeborenen Laute, Lippenzeichen, Körperhaltungen und Bewegungen, durch die ſie im Verkehr ihre Geſinnungen und Abſichten zu erkennen gibt; jo iſt z. B. als Zeichen freund— licher Begrüßung ein gewiſſes Schnattern mit mehr oder weniger gefletſchten Zähnen weit ver= breitet, auch über den engeren Kreis der Art- und Gattungsverwandten hinaus. Das alles iſt aber dem Uneingeweihten ſo unverſtändlich, wie der Komment auf der Studentenkneipe dem Philiſter. Im Berliner Zoo ſpricht man deshalb ſeit Jahren ſchon vom „Affen-Komment“, und jahrelange, umfaſſende und eindringende Studien des dadurch wieder beſonders verdienten Pſychologen Pfungſt haben dieſen „Komment“ und viele andere merkwürdige Tatſachen aus dem Körper- und Seelenleben der Affen wiſſenſchaftlich feſtgelegt. Leider iſt es, abgeſehen von einem Vortrag Pfungſts auf dem Fünften Kongreß für experimentelle Pſychologie in Berlin 1912, zu einer größeren Veröffentlichung darüber bis jetzt nicht gekommen, weil die Studien noch nicht abgeſchloſſen ſind. Eins geht aber aus ihnen und aus jeder genaueren Beobach— tung an Affen ſozuſagen mit erſchreckender Deutlichkeit hervor: daß über jeder Affenhorde eine für unſere Begriffe wahrhaft fürchterliche geſchlechtliche Schreckensherrſchaft des ſtärkſten Männ⸗ chens obwaltet. Dieſe geht ſo weit, daß jeder Schwächere, auch wenn er ein Männchen iſt, dem Stärkeren gegenüber die Haltung geſchlechtlicher Willfährigkeit annimmt, um ſeine gefliſſent⸗ liche Unterordnung zu bezeigen. Es iſt das nur leere Form, eben Komment, deshalb aber nicht weniger bezeichnend für den Affen, der mit ſeiner geſchlechtlichen Betätigung ebenſowenig wie der Menſch an eine beſtimmte Jahreszeit gebunden iſt. Anderſeits iſt es zweifellos dieſelbe ſtraff gegliederte Geſelligkeit, die im Affen noch mehr als in anderen geſelligen Säugetieren ſelbſtloſe, im menſchlichen Sinne edle Eigenſchaften geweckt hat, kraft deren er in Not und Gefahr das eigene Ich hinter das Wohl der Genoſſen Allgemeines. . 429 und des Ganzen zurückzuſtellen vermag. Einer für alle und alle für einen, dieſes ſchöne menſchliche Loſungswort gilt auch ſchon bei den Affen: ſie ſuchen ſtets Junge und Schwache zu ſchützen, ihre Verwundeten, ja ſelbſt ihre Toten mit wegzuſchleppen. In der Gefangenſchaft, wo offenbar, ähnlich wie beim Hunde, auch beim Affen der Herr und Pfleger im Seelenleben an die Stelle der eigenen Genoſſen tritt, zeitigt dieſer ſtets leicht und ſicher auszulöſende Helf— trieb die merkwürdigſten Folgeerſcheinungen: Pfungſt konnte ſo die verſchiedenen ihm anver— trauten Inſaſſen desſelben Affenkäfigs in beliebiger Weiſe gegeneinander hetzen, ja ſein bloßes Erſcheinen rief mitunter ſchon derartige Zwiſchenfälle hervor. Und durch dieſelbe in unſerem Sinne gewinnende und achtungswerte Eigenſchaft, ihren ausgeprägten Helf- und Schutztrieb, werden alle Affen zum Unterſchied von anderen Tieren in einem Punkte groß: in dem Mit- leid gegen Schwache und Unmündige nicht allein ihrer Art und Familie, ſondern ſelbſt anderer Ordnungen, ja ſogar anderer Klaſſen des Tierreiches. Der Affe eignet ſich nach kurzer Übung die verſchiedenartigſten Kunſtſtücke an, die einem Hunde z. B. nur mit große Mühe gelingen. Allein man darf nie verkennen, daß er das ihn Gelehrte immer nur mit einem gewiſſen Widerſtreben oder wenigſtens einer gewiſſen Gleich— gültigkeit, niemals aber mit Freude und Hingabe ausführt. Die Aufmerkſamkeit des Affen iſt eben ſehr leicht abzulenken, weil bei ihm die unwillkürliche Aufmerkſamkeit die willkürliche immer weit überwiegt. Das iſt aber anderſeits wieder ein gutes Zeichen für die Höhe ſeiner Intelligenz, die bei ihm „über die unmittelbaren Lebensbedürfniſſe hinaus“ geht. Das hebt auch Pfungſt ganz ausdrücklich hervor. Es hält nicht ſchwer, einen Affen an allerlei Ver— richtungen zu gewöhnen; allein er wird fie nie mit derſelben Sorgfalt, ich möchte jagen: Ge— wiſſenhaftigkeit tun wie ein wohlerzogener Hund. Dafür haben wir den Hund aber auch Jahr— tauſende hindurch gezüchtet, gepflegt, gelehrt, unterrichtet und ein ganz anderes Geſchöpf aus ihm gebildet, als er war, während der Affe keine Gelegenheit hatte, mit dem Menſchen in nähere Verbindung zu kommen. In den Augen der Tiergärtner ein grober Unfug, in den Augen vieler Tiergarten: beſucher ein unſchuldiger Spaß, der zugleich zu den kühnſten Schlüſſen über die geiſtigen Fähigkeiten der Tiere Anlaß gibt, iſt „der Affe mit dem Spiegel“. In Wirklichkeit kann man zu der Frage, ob Affen, wie Vögel, ihr Spiegelbild beachten und erkennen, ſo viel ſagen, daß ſie den Spiegel vor allem zerbrechen und zerbeißen und ſich dabei nicht ſelten Hände und Lippen zerſchneiden; dann aber halten ſie ſich die Scherben ganz dicht vor ein Auge wie ein hochgradig kurzſichtiger Menſch. Ein Kapuziner des Berliner Gartens ſchnattert ſein Spiegelbild aufgeregt an, wie er ſonſt nur bei fremden, ihm mehr oder weniger bedenklichen Erſcheinungen tut. Man hat von alters her viel vom Nachahmungstrieb des Affen geſprochen und dieſen Trieb geradezu für ſeinen hervorſtechendſten Weſenszug gehalten, jo daß der Ausdruck „Nachäffen“ in unſerem Sprachſchatz ſich feſtſetzen konnte. Amerikaniſche Pſychologen haben dieſe Frage auf die Weiſe prüfen wollen, daß ſie Affen nur durch Gebrauch gewiſſer Vorrichtungen, die ſie ihnen zeigten, zu ihrem Futter kommen ließen. Da ſtellte ſich heraus, daß manche Affen aller: dings ſehr ſchnell auf dieſelbe Weiſe zum Ziele zu kommen wußten, andere von derſelben Art aber wieder ſehr langſam oder überhaupt kaum, und ſo muß auch der Volksglaube vom nachäffenden Affen auf ein Vorurteil zurückgeführt werden, das durch die Menſchenähnlichkeit in Erſcheinung und Bewegung geweckt und genährt wurde. Pfungſt beſtreitet, daß überhaupt ein Nachahmen ftattfindet; jedenfalls kann man die Abrichtung von Affen nicht auf ſolchen Trieb gründen, muß ihnen dabei vielmehr die Hand führen, ſie beim Tanzen umdrehen, überhaupt zugleich mit dem Befehl ihren Körper und ihre Gliedmaßen in die gewünſchte Lage und Bewegung bringen. 430 18. Ordnung: Affen. Die Affen haben ein vortreffliches Gedächtnis und wiſſen ihre Erfahrungen verſtändig zu benutzen, mit wirklicher Schlauheit und Liſt ihre Vorteile immer wahrzunehmen, bekunden überraſchendes Geſchick in der Verſtellung, wiſſen ſich Gefahren gewandt zu entziehen und finden trefflich die Mittel auf, gegen ſie ſich zu wahren. In der ſeeliſchen Erregung hat der Affe eine Eigentümlichkeit mit dem Menſchen gemein, die den übrigen Säugetieren abgeht, freilich auch gerade auf dem vielfach hell gefärbten und kaum behaarten Affengeſicht ſehr gut ſichtbar wird: das Erröten und Erblaſſen. Von Scham⸗ rotwerden kann natürlich beim Affen keine Rede ſein, wohl aber laſſen ſich Zornesröte und Schreckensbläſſe deutlich an ihm beobachten. Auch von einem Lachen kann man, bis zu einem gewiſſen Grade wenigſtens, beim Affen ſprechen. Drill und Mandrill z. B. üben als Zeichen freundlicher Geſinnung und Begrüßung ein ſpielendes Zähnefletſchen, zeigen die Eckzähne, und bei jungen Schimpanſen und Orangs kann man ein gewiſſes Grinſen und heiſeres, ton— loſes Kichern durch Kitzeln in den Seiten und Achſelhöhlen hervorrufen. Weinen dagegen konnte bis jetzt nicht beobachtet werden, von Pfungſt wenigſtens nicht. Ebenſo wie dem Menſchen ſind ferner den Affen — und nur den Affen! — Angſt und Abſcheu vor Kriechtieren, zumal Schlangen, angeboren, was um ſo mehr zu denken geben muß, als wir andere kleinere Säugetiere, z. B. Nager, alſo gerade natürliche Beutetiere der Schlangen, ihren gefährlichen Feinden oft völlig arg- und ahnungslos gegenüberſtehen ſehen. Als man im Londoner Garten, eben zum Zwecke dieſer Feſtſtellung, Schlangen ins Affenhaus brachte, drängten ſich die Halbaffen furchtlos und neugierig ans Gitter, während die Affen angſtvoll kreiſchend im Hintergrund emporflüchteten. Die Affen waren in früheren Schöpfungsabſchnitten, in der wärmeren Tertiärzeit, über einen größeren Teil der Erde verbreitet als gegenwärtig. Jetzt beſchränkt ſich ihr Vaterland auf die warmen Teile der Erde. Einige Paviane und Makaken ſteigen allerdings ziemlich hoch im Gebirge empor und ertragen geringere Wärmegrade, als man vermuten möchte, ſelbſt Schneefall. Jeder Erdteil beſitzt ſeine eigenen Gruppen, Aſien mit Afrika wenigſtens eine gemeinſchaftlich. In Europa kommt nur eine Art vor, und zwar in einem einzigen Trupp, der an den Felſenwänden Gibraltars unter dem Schutze der Beſatzung dieſer Feſtung lebt. In Auſtralien fehlen ſie ſelbſtverſtändlich ganz und gar. Gibraltar iſt übrigens nicht der nördlichſte Ort, wo Affen vorkommen; denn der Japaniſche Makak geht noch weiter nach Norden hinauf, etwa bis zum 41. Grade nördl. Breite. Nach Süden zu reichen die Affen in der Alten Welt ungefähr bis zum 35. Grade ſüdl. Breite, während ſich der Verbreitungskreis der Neu— weltsaffen etwa vom 23. Grade nördl. Breite bis zum 30. Grade ſüdl. Breite erſtreckt. Die Mehrzahl der Affen gehört dem Walde an; nur ein kleiner Teil lebt auf felſigen Gebirgen. Ihre Ausrüſtung weiſt fie auf das Klettern hin, Bäume bilden daher ihren Lieb⸗ lingsaufenthalt; Felſenaffen beſteigen dieſe bloß im Notfalle. Die Affen gehören unſtreitig zu den lebendigſten und beweglichſten Säugetieren. Schon die Mannigfaltigkeit ihrer Nahrung bedingt dies. Ihnen iſt alles Genießbare recht. Früchte, Zwiebeln, Knollen, Wurzeln, Sämereien, Nüſſe, Knoſpen, Blätter und ſaftige Pflanzenſtengel bilden den Hauptteil ihrer Mahlzeiten; ein Kerbtier aber wird auch nicht verſchmäht, Eier und junge Vögelchen ſind Leckerbiſſen. Da gibt es nun immer etwas zu begucken, zu erhaſchen oder abzupflücken, zu beriechen und zu koſten, um es entweder zu genießen oder auch weg— zuwerfen. Solche Unterſuchungen um das liebe Futter erfordern piel Bewegung; deshalb iſt die ganze Bande niemals ruhig. Von Eigentum haben die Schelme äußerſt mangelhafte Be— griffe: „Wir ſäen, aber die Affen ernten“, ſagen die Araber des Oſt-Sudans. Felder und Allgemeines. 431 Gärten werden als höchſt erquickliche Orte angeſehen und nach Möglichkeit gebrandſchatzt. Jeder einzelne Affe verwüſtet, wenn er nicht geſtört wird, zehnmal mehr, als er frißt. Man muß eine Affenherde ſelbſt geſehen haben, wenn ſie auf Raub auszieht, um begreifen zu können, daß ein Landwirt ſich halbtot über ſie ärgern kann. Alle Künſte gelten. Es wird gelaufen, geſprungen, geklettert, geſchaukelt, im Notfalle auch geſchwommen. Die Künſteleien auf dem Gezweige überſteigen allen Glauben. Nur die Menſchenaffen und Paviane ſind ſchwerfällig, die übrigen vollendete Gaukler: fie ſcheinen fliegen zu können. Sätze von 6—8 m Sprung⸗ weite find ihnen Spaß; von dem Wipfel eines Baumes ſpringen fie 10 m tief hernieder auf das Ende eines Aſtes, beugen dieſen durch den Stoß tief herab und geben ſich, während der Aſt zurückſchnellt, noch einen mächtigen Schwung, ſtrecken Schwanz oder Hinterbeine als Steuer lang aus und durchfliegen wie ein Pfeil die Luft. Sofort nach glücklicher Ankunft geht es weiter, auch durch die fürchterlichſten Dornen, als wäre es auf getäfeltem Fußboden. Eine Schlingpflanze iſt eine höchſt bequeme Treppe für die Affen, ein Baumſtamm ein gebahnter Weg. Sie klettern vor- und rückwärts, oben auf einem Aſte hin oder unten an ihm weg; wenn man ſie in einen Baumwipfel wirft, erfaſſen ſie mit einer Hand ein Zweiglein und hängen geduldig daran, bis der Aſt zur Ruhe kommt, ſteigen dann an ihm empor und ſo unbefangen weiter, als hätten ſie ſich ſtets auf ebenem Boden befunden. Bricht der Zweig, ſo faſſen ſie im Fallen einen zweiten, hält dieſer auch nicht, ſo tut es doch ein dritter, und im Notfalle bringt ſie auch ein Sturz nicht außer Faſſung. Was ſie mit der Vorderhand nicht ergreifen können, faſſen ſie mit dem Greiffuß, oder gewiſſe Breitnaſen auch mit dem Schwanze. Dieſer wird von allen als Steuer angewendet, wenn weite Sprünge ausgeführt werden ſollen, dient auch ſonſt noch zu den verſchiedenſten Zwecken, ſei es ſelbſt als eine Leiter für den nächſten. Bei den Breitnaſen wird er zur fünften — nein, zur erſten Hand. An ihm hängt ſich der ganze Affe auf und wiegt und ſchaukelt ſich nach Belieben; mit ihm holt er ſich Nahrung aus Spalten und Ritzen; ihn benutzt er als Treppe für ſich ſelbſt. Die Leichtigkeit und Zierlichkeit ihrer Bewegungen zeigt ſich übrigens nur beim Klettern. In dieſer Beziehung leiſten ſelbſt die Menſchenaffen Erkleckliches, obgleich ſie mehr nach Art eines Menſchen als nach Art anderer Ordnungsverwandten klettern. Dieſer Unterſchied in der Art und Weiſe, zu klettern, iſt übrigens recht bedeutungsvoll; das führt Pocock gelegentlich mit ſehr weitgehenden Schlußfolgerungen aus. Die Hauptmaſſe der altweltlichen Schwanz⸗ oder Tieraffen, wie man ſie im Gegenſatz zu den Menſchenaffen nennen kann, bewegt ſich auf den Bäumen im weſentlichen nicht anders als die übrigen kletternden Säugetiere, na— mentlich auch die Halbaffen. Sie alle bleiben immer Vierfüßer, auch beim Klettern, halten ſich, wenn ſie von Aſt zu Aſt ſpringen, immer auf deren Oberſeite und faſſen nach dem Sprunge immer auf demſelben Aſte zuerſt mit den vorderen Gliedmaßen zu und dann mit den hinteren. Die Menſchenaffen dagegen und die neuerdings als ſelbſtändige Familie auf— gefaßten Gibbons, die ſich in dieſer Beziehung nicht nur als echte Menſchenaffen erweiſen, ſondern in dieſer Art zu klettern ſogar die höchſte Vollendung erreichen, bewegen ſich auf den Bäumen hängend und ſchwingend und benutzen dabei mit den Vorder- und Hintergliedmaßen ſehr oft verſchiedene Aſte; im einzelnen klettern ſie weſentlich wie der Menſch, nur vermöge ihrer Greiffüße ungleich beſſer. Pocock meint nun, daß man dieſe beiden gegenſätzlichen Kletter— weiſen ſtammesgeſchichtlich nicht eine auf die andere zurückführen könne, und da die Kletter- weiſe der Tieraffen grundſätzlich mit der der übrigen Säugetiere übereinſtimmt, ſo faßt er die ganze Sachlage als Hinweis auf, daß die Gibbons, die eigentlichen Menſchenaffen und der Menſch von einem Urahn abzuleiten ſind, der im Sinne der übrigen Säugetiere gar kein 432 18. Ordnung: Affen. beſonderer Kletterer mehr war, wohl aber die Fähigkeit zum aufrechten Gang auf der Erde hatte; von dieſem Urahn aus hätten dann die Gibbons und Menſchenaffen ihre grund— ſätzlich mit der des Menſchen übereinſtimmende Kletterweiſe ſelbſtändig erworben und aus— gebildet, während der Menſch, auf der Erde bleibend, den aufrechten Gang zur Vollendung brachte. Der Gang der Affen iſt immer mehr oder weniger plump und ſchwerfällig. Pier: katzen, Makaken, Roll- und Krallenaffen gehen noch am beſten, die erſtgenannten können für kurze Zeit auch ſo ſchnell laufen, daß es gewöhnlichen Hunden kaum gelingt, ſie einzuholen; ſchon die Paviane aber humpeln in ſpaßhafter Weiſe dahin. Der Gang der Menſchenaffen iſt kaum noch Gang zu nennen. Während jene mit der ganzen Sohle auftreten, ſtützen dieſe ſich auf die eingeſchlagenen Knöchel der Finger ihrer Hände und werfen den Leib ſchwerfällig vorwärts, jo daß die Füße zwiſchen die Hände zu ſtehen kommen. Dabei werden letztere jeitlich aufgeſetzt, die Tiere ſtützen ſich alſo auf die eingeſchlagene Fauſt der Hände und auf die Außen: ſeite oder äußere Kante der Füße, deren Mittelzehen oft ebenfalls unter die Sohle gekrümmt werden, wogegen die große, weit abſtehende Zehe als weſentliche Stütze des Leibes dient. Die Gibbons ſcheinen nicht imſtande zu ſein, in ſolcher Weiſe zu laufen, gehen vielmehr auf dem Boden in der Regel aufrecht, ſtrecken dabei alle Zehen aus, ſpreizen die Daumenzehe bis zu einem rechten Winkel vom Fuße ab und halten ſich mittels der ausgebreiteten Arme im Gleichgewicht, recken dieſe auch um ſo weiter aus, je ſchneller ſie forttrippeln. Auch viele Meer⸗ katzenartige, Neuwelt- und ſelbſt Krallenaffen vermögen längere oder kürzere Strecken auf- recht gehend zurückzulegen; alle aber fallen, wenn ſie das Gleichgewicht nicht länger erhalten können, auf die Vorderglieder nieder und gehen bei ernſterem Laufe, beiſpielsweiſe wenn ſie verfolgt werden oder zum Kampfe ſchreiten wollen, ſtets auf allen vieren. Einige Sippen der Ordnung ſchwimmen vortrefflich, andere gehen im Waſſer unter wie Blei. Zu erſteren gehören die Meerkatzen, von denen ich einige mit der größten Schnelligkeit und Sicherheit über den Blauen Nil ſchwimmen ſah, zu den letzteren wahrſcheinlich die Paviane und vielleicht auch die Brüllaffen; von Pavianen ertrank uns einer, als wir ihn baden wollten. Die des Schwimmens Unkundigen ſcheuen das Waſſer in hohem Grade: man hat eine faſt verhungerte Familie von Brüllaffen auf einem Baume gefunden, deſſen Fuß durch Über— ſchwemmung unter Waſſer geſetzt worden war, ohne daß die Affen es gewagt hätten, ſich nach anderen, kaum 60 Schritt entfernten Bäumen zu retten. Vor einer Reihe von Jahren wurde die Frage, ob Affen ſchwimmen, im „Field“ angeſchnitten. Da erſchienen ſofort mehrere Beſtätigungen aus Britiſch-Indien, daß es der gewöhnliche Makak, Schweinsaffe, Hutaffe ohne weiteres tun; auch vom Naſenaffen auf Borneo iſt es beobachtet. Aus Zentral- indien erzählt ein Einſender, wie er gleich eine große Affenherde von 300 — 400 Stück von den Bäumen ins Waſſer ſpringen und über einen Fluß ſchwimmen ſah; er behauptet, ſie hielten den Kopf unter Waſſer, und möchte das ſo erklären, daß ſie ſich vor den Angriffen der häufigen Krokodile vorſehen wollten. Ein zahmer Hutaffe war ſogar zum Tauchen abgerichtet. Affenwege durch den Urwald erdichtet nicht nur Rudyard Kiplings Phantaſie, ſondern es werden allem Anſchein nach tatſächlich beſtimmte „Wechſel“ eingehalten, wenigſtens an ſchwierigen Stellen. So erzählt ein Beobachter im „Kosmos“, wie er, fieberkrank in einem Erholungsort des oſtjavaniſchen Tenggergebirges liegend, monatelang jeden Nachmittag zur beſtimmten Zeit dieſelbe Affenherde den nämlichen großen Baum genau in der gleichen Weiſe zum Übergang von der einen Seite einer Schlucht auf die andere benutzen ſah, obwohl andere Bäume demſelben Zwecke ebenſogut hätten dienen können. Auch für die Paviane im waſſerarmen Gebirge ergeben ſich ganz natürlich mehr oder weniger zwangsläufige Wechſel zur Tränke. Allgemeines. 433 Alle Affen find außerordentlich ſtarkgliederig und heben Laſten, die verhältnismäßig für unſere ſchwachen Arme zu ſchwer jein würden: ein Pavian, den ich beſaß, hing ſich viele Minuten lang an einem Arme auf und hob ſeinen dicken Leib daran in die Höhe, ſo hoch es der Arm zuließ. Das geſellige Leben der Affen iſt für den Beobachter ſehr anziehend. Wenige Arten leben einſiedleriſch, die meiſten ſchlagen ſich in Banden zuſammen. Von dieſen erwählt ſich jede einzelne eine ſtändige Heimat, die größeren oder geringeren Umfang haben kann. Wal⸗ dungen in der Nähe menſchlicher Anſiedelungen ſind ihnen in dürftigen Gebieten Paradieſe. Mais- und Zuckerrohrfelder, Zwiebel-, Obſt-, Melonen- und Bananenanpflanzungen gehen ihnen über alles andere. Dorfſchaften, in denen jeder, der die unverſchämten Spitzbuben züchtigt, den Aberglauben der Bewohner zu fürchten hat, ſind auch nicht übel. Das ſtärkſte oder älteſte, alſo befähigtſte männliche Mitglied einer Herde ſchwingt ſich zum Zugführer oder Leitaffen auf. Dieſe Würde wird ihm aber erſt nach ſehr hartnäckigem Kampfe und Streite mit anderen Bewerbern, d. h. mit ſämtlichen übrigen alten Männchen, zuerteilt. Die längſten Zähne und die ſtärkſten Arme entſcheiden. Wer ſich nicht gutwillig unterordnen will, wird durch Biſſe und Püffe gemaßregelt. Der Leitaffe verlangt und genießt unbedingten Gehorſam, und zwar in jeder Hinſicht. Ritterliche Artigkeit gegen das ſchwächere Geſchlecht kennt er nicht: mit Ge⸗ walt nimmt er der Minne Sold. Seine Augen ſind ſcharf, und ſeine Zucht iſt ſtreng. Auch die Affinnen, die fich oder beſſer ihn vergeſſen ſollten, werden gemaulſchellt und zerzauſt. Wird die Herde zu groß, dann ſondert ſich unter der Führung eines inzwiſchen ſtark genug gewor— denen Mitbruders ein Teil vom Haupttrupp ab und beginnt nun für ſich den Kampf und den Streit um die Oberherrſchaft in der Leitung der Herde und in der Liebe. Bei den Affen vergeht ſicher kein Tag ohne Streit und Zank. Im übrigen übt der Leitaffe ſein Amt mit voll- kommener Sicherheit und Selbſtändigkeit aus, die ſeinen Untergebenen fehlt; auch wird ihm von dieſen in jeder Weiſe geſchmeichelt. Die Affinnen beeifern ſich, ſein Haarkleid ſtets mög⸗ lichſt rein zu halten, und er läßt ſich dieſe Huldigung mit dem Anſtande eines Paſchas gefallen, dem eine Lieblingsſklavin die Füße kraut. Dafür ſorgt er aber treulich für die Sicherheit ſeiner Bande und iſt deshalb in beſtändiger Unruhe. Nach allen Seiten hin ſendet er ſeine Blicke, keinem Weſen traut er, und ſo entdeckt er auch faſt immer rechtzeitig eine etwaige Gefahr. Jeder Affe verfügt über ſehr wechſelnde Laute für verſchiedenartige Erregungen. Auch der Menſch erkennt bald die Bedeutung dieſer Laute. Der Ausruf des Entſetzens, der auf die Genoſſen ſtets als Mahnung zur Flucht wirkt, iſt beſonders bezeichnend und wird durch die Verzerrung des Geſichtes noch beſondeks erläutert. Sobald dieſer Warnungston laut wird, wendet ſich die Herde eiligſt zur Flucht. Die Mütter rufen ihre Kinder zuſammen; dieſe hängen im Nu an ihnen feſt, und mit der ſüßen Bürde beladen, eilen die Alten jo ſchnell als möglich nach dem nächſten Baume oder Felſen. Erſt wenn der Leitaffe ſich wieder ruhig zeigt, ſammelt ſich die Herde und beginnt dann nach kurzer Zeit den Rückweg, um die unterbrochene Plünde— rung wieder aufzunehmen. Auch in der Gefangenſchaft zeigt ſich die Wirkung des Angſtlautes auf die Art- und Gattungsverwandten, beſonders auffällig bei den ſtreitbaren, ſtets tapfer füreinander einſtehenden Pavianen und Rheſusaffen. Sobald ein ſolcher ſein Gekreiſch erhebt, kommt je nachdem im ganzen Affenhaus alles in Aufruhr, was Pavian oder Rheſus heißt, ſelbſt im entfernteſten Käfig. Noch weitergehend lernen bald alle zuſammengeſperrten und zu— ſammenlebenden Affen gegenſeitig ihre Stimmlaute deuten, und ſtößt dann z. B. einer beim Herannahen des Wärters ſeinen Schrei aus, ſo wiſſen alle anderen, was zu erwarten ſteht. Und doch: wie unfrei, dem mehr oder weniger maſchinenmäßig wirkenden Inſtinktantrieb Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 28 434 18. Ordnung: Affen. unterworfen, zeigen ſich die Affen ſelbſt in dieſem Eintreten füreinander, in dem wir ander- ſeits unzweifelhaft die erſten Anfänge ſozialen Empfindens zu erblicken haben und damit alles deſſen, worauf wir Menſchen mit Recht ſtolz ſind. Knottnerus-Meyer erzählt von einem alten Javaneraffen des Hannoverſchen Gartens, der ſich mit ſeinem Wärter ſeeliſch ſo vergeſell— ſchaftet hatte, daß er ſich von ihm auf andere Affen hetzen ließ wie ein Hund. In ſeinem Zuſammengehörigkeitsgefühl war der Wärter vollkommen an die Stelle der Artgenoſſen ge— treten. Als der Affe aber ſolche, Neuangekommene, eines Tages beim Auspacken ſchreien hörte und dadurch ſein Schutz- und Verteidigungstrieb ausgelöſt wurde, biß er denſelben ſonſt freudig begrüßten Wärter, als dieſer gleich darauf im Vertrauen auf die altbewährte Zahm— heit ſeines langjährigen Lieblings den Käfig betrat. i Pechuel-Loeſche, der Affen vornehmlich in weſtafrikaniſchen Wildniſſen beobachtete, weiß folgendes über ſie mitzuteilen: „In manchen Gegenden könnte man jahrelang leben, ohne auch nur einen zu ſehen. Sie bevorzugen die Waſſerwälder der Flußniederungen und die Negen: wälder der Gebirge. Die Nähe des Waſſers iſt ihnen Bedürfnis. Nur ausnahmsweiſe, wenn etwa leckere Beeren in der Savanne reifen, oder wenn die vielbegehrten Grashüpfer recht zahlreich auftreten, unternehmen die Waldaffen weitere Streifzüge aus ihrer Heimat in das Grasland. Paviane bevorzugen dieſe öderen Landſchaften, wenn ſie nur ſteinig und gebirgig ſind. Da die in den üppigen tropiſchen Urwäldern lebenden Affen Überfluß an Nahrung haben, fügen ſie den Pflanzungen der Eingeborenen keinen großen Schaden zu; man hört wenigſtens darüber nicht klagen. So iſt wohl anzunehmen, daß nur die Affen, die in armen Gegenden leben oder ſie gelegentlich auf Streifzügen beſuchen, die angebauten Feldfrüchte als willkommene Beute betrachten. „Wer Affen überliſten will, muß ſehr vorſichtig zu Werke gehen. Es erfordert Übung, bis das Auge geſchickt wird, die beweglichen und gewandten Turner zwiſchen den Laubmaſſen zu erkennen, und nur zu oft verkünden ängſtliche wie zornige Warnungsrufe, daß ſie ihren Feind früher entdeckt haben. Mit hurtigen Sprüngen entfliehen ſie aus dem Schußbereiche oder verbergen ſich ganz ſtill zwiſchen ſchützenden Blättern, um leiſe davonzuſchleichen. Obwohl ſie viel Leichtſinn beſitzen und manchmal den Menſchen mit erſtaunlicher Unbefangenheit be— trachten, ſind ſie doch in der Regel ſehr ſcheu und beim Schmauſen wie bei den tollſten Spielen ſehr achtſam auf alles, was um ſie vorgeht. „Am beſten find fie in den Morgen- und Abendſtunden zu erlegen, wenn man im Kahne längs des Ufers mit dem Strome treibt. Auch iſt es lohnend, ſich an einem günſtigen Orte im Walde anzuſtellen, wo Bäume mit leckeren Früchten wachſen, oder ſich anzupirſchen, und wenn der nicht zu verkennende Lärm von ferne eine wandernde Schar ankündigt, mag der Jäger beim haſtigen Anlaufen ſogar Geräuſch im Buſchwerke verurſachen, ohne befürchten zu müſſen, daß er ſich verrate; ſobald er aber in Bewegung geſehen wird, iſt es mit der Jagd vorbei. Schon ein raſches Wenden des Auges, das Begegnen des Blickes genügt, ſie zu vertreiben. „Gleich den Graupapageien verwüſten die Affen, wenn ſie aus dem vollen wirtſchaften können, ſehr viel mehr, als ſie verzehren. Unter einer Olpalme mit reifen Fruchtſtänden liegen unverſehrte und angebiſſene Früchte wie geſät umher. Es muß ihnen recht ſchwierig ſein, in den feſtgeſchloſſenen ſtacheligen Fruchtſtand die erſte Lücke zu brechen; man ſieht es deutlich, wie ſie von allen Seiten verſuchen, die Stacheln wegbeißen und mit den Fingern bohren. Ahnlich iſt es bei anderen guten Fruchtbäumen. Des Nachts halten dann allerlei nicht klet— ternde Tiere, namentlich Wildſchweine, eine dankbare Nachleſe, und der erfahrene Jäger be— lauert ſie dort. Um die heiße Mittagszeit pflegen die Affen der Ruhe im Waldesdunkel; bis Allgemeines. 435 9 Uhr morgens und nach 4 Uhr nachmittags find fie am regſten und kommen dann beſon— ders gern an die Ufer der Gewäſſer. | „Alle mir bekannten Affenarten find außerordentlich zählebig und bedürfen einer ſehr gut ſitzenden Kugel oder eines ſtarken Schrotſchuſſes — letzterer, Haſenſchrot, iſt für die meiſten vorzuziehen — um unter Feuer zu verenden. Hat man ſie nicht nahe und ſicher, ſo ſchießt man beſſer gar nicht, weil die bloß verwundeten Tiere doch nicht zu erlangen ſind. Das Fleiſch der Jungen und die Leber aller Altersklaſſen iſt zart und auch wohlſchmeckend.“ In Fallen, ſelbſt plumper Art, mögen Affen wohl manchmal leicht hineingehen, jeden— ſalls verführt durch ihre Gier nach dem Köderfutter. Das geſchieht aber jeder Horde wahr— ſcheinlich nur einmal. Im allgemeinen ſind ſie, laut Berichten der Tierfänger, ſehr vorſichtig und ſchwer zu überliſten. Trotzdem findet der Menſch Mittel und Wege dazu; das beweiſen die Maſſeneinführungen, wie fie z. B. vom Rheſus alljährlich ftattfinden. Doch iſt Knapp— heit am Affenmarkt neuerdings die Regel geworden. Mut kann man den Affen nicht abſprechen. Die ſtärkeren ſtellen ſich ſelbſt furchtbaren Raubtieren und dem noch gefährlicheren Menſchen kühn zur Wehre und laſſen ſich auf Kämpfe ein, deren Ausgang für manchen Angreifer mindeſtens zweifelhaft iſt. Selbſt die zierlichen Meerkatzen gehen, gereizt oder in die Enge getrieben, ihren Gegnern zu Leibe. Größere Affen, namentlich Menſchenaffen und Paviane, beſitzen in ihren Zähnen furchtbare Waffen und können es mit einem Feinde wohl aufnehmen. Weibliche Affen laſſen ſich nur, wenn ſie ſich ihrer Haut wehren oder ihr Junges verteidigen müſſen, in Streit ein, betätigen dann aber ebenſo große Tapferkeit wie die Männchen. Schon mit den größeren Pavianarten beginnt ohne Feuergewehr kein Eingeborener einen Kampf; dem Gorilla gegenüber wird er nicht einmal durch das Feuergewehr in allen Fällen zum überlegenen Gegner. Jedenfalls iſt der Jähzorn, die beiſpielloſe Wut der Affen, die ihre Stärke noch bedeutend ſteigert, ſehr zu fürchten, und die Gewandtheit, die ſie alle beſitzen, nimmt ihrem Feinde nur zu häufig die Gelegenheit, ihnen einen entſcheidenden Schlag beizubringen. In der Gefangenſchaft bildet ſich bald ein ähnliches Herrſchafts- und Abhängigkeitsver— hältnis wie unter einer freilebenden Bande. Doch nehmen ſich größere Arten, und zwar die Männchen ebenſowohl wie die Weibchen, der kleineren, hilfloſeren auch wieder liebevoll an; ſtarke Affinnen zeigen ſelbſt Gelüſte nach kleinen Menſchenkindern oder allerlei jungen Tieren, die ſich tragen laſſen. So abſcheulich der Affe ſonſt gegen Tiere iſt, ſo liebenswürdig beträgt er ſich gegen Tierjunge oder Kinder, am liebenswürdigſten natürlich gegen die eigenen, und daher iſt die Affenliebe ſprichwörtlich geworden. Trotz alledem läßt aber die Affenmutter ihrem Jungen kein Futter zukommen, ſobald dieſes, wie in der Gefangenſchaft immer, nur in be— ſchränkter Menge und auf beſchränktem Raume vorhanden iſt. Auf zugeworfene Leckerbiſſen vollends iſt fie im höchſten Maße futterneidiſch, reißt und frißt fie ihrem „Liebling“ unbarm— herzig weg. Das Junge muß alſo freſſen lernen an den Broſamen, die von der Mutter Tiſche fallen. Man beachte den Unterſchied gegen die Raubtiermutter, die ihren Jungen Fraß zuträgt! Der höchſte Ausdruck der Affengemütlichkeit war es in den Augen des Volkes ſtets, daß die Affen ſich „lauſen“, d. h. ſich gegenſeitig mit der größten Sorgfalt und Ausdauer das ganze Fell abſuchen. Und daß zahme Affen dasſelbe ſogar auf dem menſchlichen Kopfe verſuchen, das hat den Berlinern, deren höchſter Stolz es bekanntlich iſt, ſich nicht verblüffen zu laſſen, ſolchen Eindruck gemacht, daß ſie für höchſte Verblüffung die Redensart gebildet haben: „Ick denke, mir lauſt der Affe!“ In Wirklichkeit haben aber die Affen nur ſelten Ungeziefer; die gegenſeitige Hautunterſuchung wird vielmehr zu dem Zweck geübt, die kleinen ſalzig 28 * 436 18. Ordnung: Affen. ſchmeckenden Hautabſchuppungen und Hautabſonderungen aufzulecken. Ein merkwürdiges Licht auf den Erfolg oder vielmehr Mißerfolg des berühmten Lauſens der Affen wirft die Tatſache, daß im Berliner Garten ein Pavian noch nach Monaten mit Hundeläuſen behaftet gefunden wurde, der vorher bei einem Dreſſeur mit Hunden zuſammengelebt hatte. Es gibt allem Anſchein nach auf der Affenhaut weniger zahlreiche und verſchiedene Schmarotzer als auf der menſch— lichen; doch haben natürlich auch die Affen ihre beſonderen Ungezieferarten. Neuerdings werden immer mehr Affenläuſe von dem Spezialforſcher Fahrenholz-Hannover beſchrieben, nicht nur neue Arten, ſondern auch neue Gattungen, die auf dem Rheſus oder anderen Makaken, auf Meerkatzen oder Schlankaffen hauſen. Die Mantelpavianlaus war ſchon länger bekannt; ſie unterſcheidet ſich erheblich von der menſchlichen Kopflaus. Dagegen konnte Hans Frieden— thal keinen Unterſchied von dieſer bei den Läuſen eines jungen Schimpanſen finden, und da er den Wärter frei von Läuſen fand, ſo möchte er die Gleichheit der Haarſchmarotzer bei Menſchen und Menſchenaffen auf die Ahnlichkeit im Bau des Haares zurückführen. In der Fortpflanzung unterſcheiden ſich Affe und Menſch dadurch von den anderen wild lebenden Säugetieren, daß fie in dieſer Beziehung nicht an eine beſtimmte Jahreszeit ge bunden ſind. Man ſieht daher bei jedem Affentrupp zu jeder Jahreszeit Junge verſchiedenen Alters, und die Geſchlechtstätigkeit des weiblichen Affen vollzieht ſich in Formen, die ſich der menſchlichen mehr oder weniger annähern, bei den Menſchenaffen ihr vollkommen gleichen. Auch der zugehörige Leibesbau, vor allem der einhörnige Uterus, iſt derſelbe. Es tritt aber eine Eigentümlichkeit auf, die für altweltliche Affen, namentlich die Paviane, bezeichnend iſt: eine ſtarke Schwellung der äußeren weiblichen Geſchlechtsteile zugleich mit der regelmäßigen, mitunter genau monatlichen, durch Blutung angekündigten Abſtoßung eines reifen Eies aus dem Eierſtock. Bei dem brünſtigen Pavianweibchen iſt dieſe Schwellung jo mächtig und ſieht ſo rot entzündet aus, daß es durchaus begreiflich iſt, wenn viele unkundige Beſucher und Be— ſucherinnen der zoologiſchen Gärten an eine bösartige Krankheit glauben und das arme Tier bedauern. Für Begründung und Bedeutung dieſer Brunſtſchwellung haben wir bis jetzt keinerlei tatſächlichen Anhaltspunkt; nur können wir uns natürlich denken, daß dem Affen, der noch weniger Naſentier iſt als der Menſch, auf dieſe Weiſe die zur Fortpflanzung geeigneten und geneigten Weibchen für das Auge auffallend gekennzeichnet ſind. Die Begattung erfolgt lange nicht ſo oft und heftig, wie man allgemein wohl als ſelbſtverſtändlich annimmt, wiederum aus Unkenntnis und infolge des Rufes beſonderer Sinnlichkeit, in den man den Affen ganz un⸗ berechtigterweiſe gebracht hat. Hat man ihm doch aus dieſem Vorurteil heraus ſogar Überfälle auf menſchliche Weiber, namentlich der Eingeborenen, nachgeſagt! Zweifellos eine ungerechte üble Nachrede inſofern, als das Geſchlecht dabei ganz ſicher gar keine Rolle ſpielt. Auch von irgendwelcher Wirkſamkeit des vielberegten Überkreuzgeſetzes, nach dem männliche Tiere weiblichen Menſchen und umgekehrt mehr zugetan und gefügig ſein ſollen, kann bei den Affen keine Rede ſein. Der Affe iſt keineswegs beſonders ſinnlich, ſteht z. B. an häufiger Ausübung der Begattung weit hinter den Großkatzen zurück; er iſt nur allgemein, in ſeinem ganzen Nervenſyſtem ſehr erregbar, und jede Erregung äußert ſich daher bei ihm leicht auch als geſchlecht— liche Erregung. Die Art, wie die Begattung vollzogen wird, iſt bei den Affen genau dieſelbe wie bei den übrigen Landſäugetieren, auch bei den Menſchenaffen, die in dieſer Beziehung alſo vom Menſchen abweichen und mit den Tieraffen übereinſtimmen. Hier iſt wohl der aufrechte Gang beim Menſchen, vielmehr das Laufen auf allen vieren beim Affen das Entſcheidende. Über Tragzeit und Geburt, Jungenpflege und -entwickelung wußte man bis in unſere Tage kaum etwas Genaues, ſozuſagen Aktenmäßiges. So viele Affen auch in den zoologiſchen Allgemeines. 457 Gärten und ſonſt gehalten werden: Zuchterfolge waren nur wenige zu verzeichnen und wire lich glückliche Aufzuchten noch weniger, weil beides, in den Tiergärten wenigſtens, durch das leidige, aber notgedrungene Zuſammenſperren verſchiedener Arten in den verſchiedenſten Altersſtufen natürlich ſehr beeinträchtigt und ebenſo natürlich auch jede zuverläſſige Beobachtung ſehr erſchwert wurde. Die von Knottnerus-Meyer gelegentlich aufgeſtellte, zunächſt etwas ver— blüffende Forderung, im zoologiſchen Garten müſſe der Direktor ſein eigener Affenwärter ſein, weil nur er ſelber ſo viel feineres Verſtändnis für die körperlichen und ſeeliſchen Bedürfniſſe des einzelnen Affen aufbringen könne, wie zu wirklichem Gedeihen dieſer hochſtehenden Tiere notwendig iſt, muß leider an den mannigfachen Beamtenpflichten der Tiergärtner ſcheitern, die zudem ihr Herz für alle ihre Pfleglinge gleichweit offen halten müſſen; aber was es ausmacht, wenn ein Mann von hoher fachwiſſenſchaftlicher und Allgemeinbildung ſich aus— ſchließlich und eingehend einem Affenbeſtande widmen kann, wie dies Oskar Pfungſt jetzt ſeit einigen Jahren im Berliner Garten getan hat, das beweiſen neben den hochbedeutſamen tierpſychologiſchen Ergebniſſen die Zuchterfolge, die ſeitdem zu verzeichnen ſind. Es wurden in dieſer Zeit 16 Affen geboren und von ihren Müttern glücklich aufgezogen. Darunter befinden ſich intereſſante Miſchlinge, wie z. B. von Drill und Mandrill. Miſchlinge ſind überhaupt bei Affen allem Anſchein nach nicht ſchwer zu erzielen. Die Tragzeit darf man für die Tieraffen wohl im Mittel auf 7 Monate annehmen. Indes ſchwankt ſie naturgemäß je nach der Körpergröße; bei dem kaum eichhorngroßen Krallenäffchen währt ſie viel kürzer, beim Pinſeläffchen, wie ſchon der alte Pallas erfuhr, nur 3 Monate, bei dem Menſchenaffen länger, vermutlich ebenſolange wie beim Menſchen. Erfahrungsmäßige Angaben über die einzelnen Gruppen und Arten fehlen noch ſehr, namentlich über die amerikaniſchen Affen, von denen außer Krallenäffchen höchſtens ein— mal ein Kapuziner in Gefangenſchaft ſich fortgepflanzt hat, wie z. B. 1914 im Berliner Garten. Das Wachstum geht verhältnismäßig langſam vor ſich: junge Affen werden in ihrem Alter gemeinhin unterſchätzt. Die Geſchlechtsreife tritt allerdings bei beiden Geſchlechtern ſchon ein, ehe ſie ausgewachſen ſind; ſo erzeugte ein Paar junger Mantelpaviane im Berliner Garten ein kräftiges Junges, während bei dem Vater der Mantel kaum erſt angedeutet war. Die Männchen wachſen aber ſchneller als die Weibchen; daher brauchen beide trotz ihrer oft ſehr verſchiedenen Größe vielleicht nicht ſehr verſchieden lange Zeit, bis ſie ausgewachſen ſind. Verſchiedene Größe beider Geſchlechter iſt zum mindeſten für die altweltlichen Affen durchgängige Regel. Beim Gorilla, Schimpanſen, den geſchwänzten Pavianen ſteht das Weib— chen auffallend zurück; bei Drill und Mandrill geht das ſo weit, daß es neben dem fürchterlich ausſehenden Männchen faſt zwerghaft erſcheint. Die beiden bruſtſtändigen Milchdrüſen entwickeln ſich beim Affen immer r erſt, nachdem das Junge geboren iſt, zumal ſie nur aus Drüſengewebe ohne Fetteinlagerung beſtehen; die Zitzen werden jedoch beim Weibchen ſehr früh im Leben ſtärker als beim Männchen, ſo daß man mit einiger Übung daran ſchon die Geſchlechter unterſcheiden kann. Der junge Affe hängt und zerrt ſehr viel an den Brüſten der Alten, und zwar an einer mehr als an der anderen, ſo daß beide oft ungleich groß werden. Die Zitzen richten ſich nach innen, nach der Herzgrube zu, und berühren ſich manchmal beinahe; jo beim Dſchelada, wo fie ſich über den nackten Bruſtfleck legen. Die Affen gebären 1 Junges, wenige Arten 2, und verhalten ſich nach der Geburt, die meiſt des Nachts eintritt, ganz verſchieden, wenigſtens im zoologiſchen Garten. Nach den Erfahrungen in Berlin zeigen gewiſſe Weibchen das natürliche Verhalten des Tieres, nach⸗ dem es geboren hat: ſie beißen die Nabelſchnur ab und freſſen den Mutterkuchen auf. Andere 438 13. Ordnung: Affen. tun beides nicht, halten aber wenigſtens den Mutterkuchen mit den Händen feſt, und wieder andere kümmern ſich überhaupt nicht um ihn, laſſen ihn baumeln, bis er von ſelber abreißt. Der neugeborene Affe iſt regelmäßig ein kleines, häßliches Geſchöpf, ausgeſtattet mit doppelt ſo lang erſcheinenden Gliedmaßen, wie ſeine Eltern ſie beſitzen, und einem Geſicht, das ſeiner Falten und Runzeln halber dem eines Greiſes ähnlicher ſieht als dem eines Kindes. Er hängt ſich bald nach ſeiner Geburt mit beiden Vorderhänden an dem Halſe, mit beiden Hinter⸗ händen aber an den Weichen der Mutter feſt, in der geeignetſten Lage, die laufende Mutter nicht zu behelligen und ungeſtört zu ſaugen. Altere Affenkinder ſpringen bei Gefahr auch wohl auf Schulter und Rücken ihrer Eltern. Die Sorge der Eltern, und zwar beider Eltern, für das Junge iſt entſprechend deſſen Hilfloſigkeit und ihrer eigenen Intelligenz gewiß ſehr groß; aber der Ausdruck „Affenliebe“ als Zerrbild ſchädlicher und gefährlicher Übertreibung leitet ſich doch wahrſcheinlicher von dem ausgebildeten Jungenſchutztrieb ab, dem nur einiger— maßen herangewachſene Affen in oft lächerlicher, mitunter aber auch verhängnisvoller Weiſe frönen. Ein Mandrillweibchen des Berliner Gartens, das ſelbſt noch ganz klein war, be mutterte eifrig einen jungen Kapuzineraffen; ein Paar junger Mantelpaviane ſchleppte das Junge einer Javaäffin desſelben Käfigs mehr herum als die eigene Mutter, ſo daß dadurch die Ernährung des Kleinen gefährdet wurde. Ein alter Mantelpavianmann aber, deſſen Jungenſchutztrieb dadurch aufs höchſte erregt war, daß ſein Weibchen ein Junges geboren hatte, entriß einer Rheſusäffin des Nachbarkäfigs in einem geeigneten Augenblick ihr Junges durch das Gitter! Auch hier wieder zeigt ſich das Tier als Sklave ſeiner Triebe. Die Affenjungen ſehen durchaus nicht immer ihren Eltern ähnlich; bei den Stummel— affen tritt ſogar ein ganz abweichendes, weißes Jugendkleid auf. Die Javaaffen werden faſt ſchwarz an Haut und Haar geboren, Rheſus und Verwandte dagegen ſchon mit der roſigen Hautfarbe, die ſie zeitlebens behalten; Paviane ebenfalls mit heller Hautfarbe, doch dunkelt bei ihnen die Haut immer mehr nach, während die bei der Geburt dunkeln Haare mit dem Heranwachſen immer heller werden. Drill und Mandrill mit ihren im Alter ſo auffallend ge— färbten Köpfen haben bei der Geburt ganz ungefärbte Geſichter, zeigen aber ſchon den Unterſchied in den Geſichtswülſten. Der Schimpanſe wird angeblich faſt nackt geboren, der junge Kapuziner dagegen hat gleich ganz die Haut- und Haarfarbe der Alten. Jedenfalls aber iſt das neugeborene Affenjunge trotzaller Hilfloſigkeit doch ungleich beweglicher und handlungsfähiger als der Menſchen— ſäugling. Nicht nur, daß es ſich alsbald nach der Geburt an der Alten feſthält: nach einer Woche kriecht es mitunter ſchon allein herum, und nach einem Monat klettert es bereits recht flott. Dann beginnt der junge Affe ſchon mehr oder weniger ſelbſtändig zu werden, verlangt namentlich ab und zu ein wenig Freiheit. Dieſe wird ihm gewährt, und er darf mit anderen Affenkindern ſcherzen und ſpielen; die Alte aber verwendet keinen Blick von ihm, geht ihm übrigens willig auf allen Schritten nach und erlaubt ihm, was ſie gewähren kann. Bei der geringſten Gefahr ſtürzt ſie auf ihn zu, läßt einen eigentümlichen Ton hören und ladet ihn dadurch ein, ſich an ihre Bruſt zu flüchten. Etwaigen Ungehorſam beſtraft ſie mit Knüffen und Püffen, oft mit förmlichen Ohrfeigen. Doch kommt es ſelten dazu; denn das Affenkind iſt ſo gehorſam, daß es manchem Menſchenkinde zum Vorbilde dienen könnte, und gewöhnlich genügt ihm der erſte Befehl ſeiner Mutter. So weit geht aber die Mutterliebe, ſelbſt die vielgerühmte Affenliebe nicht, daß die Alte ſich nicht gegen ihr Junges, in der Gefangen— ſchaft wenigſtens, ſehr futterneidiſch benähme, wie oben ſchon erwähnt. Und erſt recht unterliegt natürlich der Affe dem Futterneide, wenn es ſich nur um ein „Pflegekind“ handelt. Ein ſolches läßt er überhaupt nicht freſſen, ſondern nimmt das für das Pflegekind beſtimmte Futter Allgemeines. 439 ohne Gewiſſensbiſſe zu ſich, hält jenes auch, während er frißt, ſorgſam vom Napfe weg. Auch das Spielen geht bei den Affen nie von den Alten aus, ſondern immer nur von dem Jungen; die Mutter nimmt daran nicht wirklich teil. Es iſt noch nicht ermittelt, wie viele Jahre Affen durchſchnittlich zu ihrem Wachstume brauchen. Daß dieſe Zeit bei den größeren Arten eine längere als bei den kleineren iſt, verſteht ſich wohl von ſelbſt. Meerkatzen und amerikaniſche Affen find vermutlich in 3—4 Jahren erwachſen oder wenigſtens fortpflanzungsfähig. Paviane aber bedürfen 8—12 Jahre zu ihrem Wachstume, und die größeren Menſchenaffen erreichen wahrſcheinlich noch viel ſpäter ihre Mannbarkeit, da bei ihnen der Zahnwechſel kaum in einem früheren Lebensabſchnitt als beim Menſchen eintritt. Zahlenmäßige Angaben über Wachstum und Entwickelung der Affen laſſen ſich deshalb kaum machen, weil die allergrößte Mehrzahl in Gefangenſchaft nicht gezüchtet wird und ſomit auch bei den lebend eingeführten mangels Erfahrung das Alter kaum auch nur mit einiger Sicherheit zu beſtimmen iſt. Im Freileben ſcheinen alle Affen wenigen Krank— heiten ausgeſetzt zu ſein; mindeſtens weiß man nichts von Seuchen, die dann und wann unter ihnen wüten ſollten. Wie hoch ſie ihr Alter bringen, kann nicht beſtimmt werden; doch darf man wohl annehmen, daß die Menſchenaffen auch ein volles Menſchenalter erreichen, vielleicht noch älter werden als der Menſch. Ich weiß nicht, ob ich dem Tierliebhaber irgendeinen Affen als Hausgenoſſen anraten darf. Die munteren Geſellen bereiten viel Vergnügen, verurſachen aber noch weit mehr Arger. Auf loſe Streiche aller Art darf man gefaßt ſein, und wenn man eben nicht die Geiſteskräfte des Affen ſtudieren will, bekommt man jene doch bald gründlich ſatt. Die größeren Arten werden auch mitunter gefährlich; denn ſie beißen und kratzen fürchterlich. Als frei herum— gehendes Haustier iſt der Affe nicht zu dulden, weil ſein ewig regſamer Geiſt beſtändig Be— ſchäftigung verlangt. Wenn ſein Herr ſolche ihm nicht gewährt, ſchafft er ſie ſich ſelbſt und dann regelmäßig nicht eben zum Vorteile des Menſchen. Sehr viel bequemer und angenehmer iſt Affenhaltung in der Heimat der Tiere. „Wenn unſer Schäferhund Trine“, ſchildert Pechuel-Loeſche von der Loango-Expedition, „uns wieder mit Jungen beſchenkt hatte und dieſe von Flöhen wimmelten, ſo ſetzten wir ſie zu den Meerkatzen ins Affenhaus. Dort wurden ſie freudig aufgenommen, gleich emſig wie zart geſäubert und gehätſchelt, während der alte Hund von außen ganz verſtändig zuſah. Ein großes Gezeter gab es aber, wenn wir die Pfleglinge wieder abholten; man hatte ſie unter ſich verteilt und gedachte offenbar, ſie dauernd zu behalten. „Der übermütige Mohrenaffe hielt treu zuſammen mit dem Gorilla und mit dem Re— genten des Gehöftes: dem ſtattlichen glatthaarigen Hammel Mfuka. Der Pavian Jack hatte Freundſchaft mit einem ſtrammen Ferkel geſchloſſen und verſuchte auf deſſen Rücken öfters die ſeltſamſten Reiterkünſte; ſpäter trat an Stelle des munteren Schweinchens ein heran— gewachſener Hund, mit dem er in drolligſter Weiſe ſpielte. Die unwirſche Iſabella hatte ſich einen Graupapagei erwählt; als ſie ihm aber eines Tages die ſchönen roten Schwanzfedern einzeln auszurupfen begann, löſte ſich der merkwürdige Freundſchaftsbund. „Man ſagt den Affen nach, daß ſie ſehr lüſtern nach gebrannten Getränken ſeien. Die unſeren waren es nicht, bewieſen ſogar einen großen Abſcheu dagegen. Nachdem wir ſie eines Tages mit Orangen, die voll Rum geſogen waren, bewirtet hatten, wovon mehrere einen Rauſch bekamen, nahmen ſie Früchte längere Zeit nur noch mit großem Mißtrauen an und ließen ſich in keinem Falle wieder täuſchen. Eine Meerkatze, die ich jahrelang in Europa voll- ſtändig freilebend gehalten habe, trank Rotwein und gutes Bier — davon beſonders den 440 18. Ordnung: Affen. Schaum — ſehr gern, hat ſich aber, obwohl ſie beliebig zulangen durfte, nicht ein einziges Mal übernommen.“ Die Affenhaltung in den zoologiſchen Gärten hat ſich in neuerer Zeit erheblich geändert und mit ihr die Haltbarkeit und Lebensdauer der Pfleglinge in unſeren Affenhäuſern. Dort iſt heute durchaus nicht mehr die Lungenſchwindſucht ſtändiger Gaſt oder vielmehr Schreck— geſpenſt und Würgengel. Das verdankt man neben möglichſt peinlicher Reinlichkeit und ſolchen baulichen Einrichtungen, die eben dieſe Reinlichkeit ermöglichen, bei den härteren Arten, den Makaken und Pavianen, einer Haltungsweiſe, die zuerſt der Sondergeiſt des eigen⸗ artigen weſtfäliſchen Tierkundigen Landois im Zoologiſchen Garten zu Münſter einführte. Landois ließ ſeinen Affen zwiſchen Innen- und Außenkäfig Falltüren anbringen, durch die ſie das ganze Jahr, Sommer und Winter, nach Belieben aus und ein gehen konnten. Das lernten ſie ſehr ſchnell und wandten es ſo gut zu ihrem Gedeihen an, daß ſie erſichtlich länger lebten und geſund blieben als bei der früheren Einſperrung im Winter, die notgedrungen zwar warme, aber mehr oder weniger ſchlechte Luft mit ſich brachte. Die Affenhäuſer früherer Zeiten waren als Stinkbuden berüchtigt, und es gehörte eigentlich kein großes Genie dazu, um einzuſehen, daß ſolcher Wärme Kälte vorzuziehen ſei. Wohlgemerkt: ſolcher Wärme, nicht der Wärme an ſich, wie das vielleicht manche Unkundige glauben mögen, irregeleitet durch die geſchäftige und geſchäftliche Akklimatiſationsreklame des letzten Jahrzehntes. Warme, aber gute Luft bleibt naturgemäß und ſelbſtverſtändlich das Ideal für tropiſche Tiere, wie Affen es ſind, und wenn man auch mit ihnen in Abhärtung Erkleckliches leiſten kann, namentlich, ſoweit ſie durch dichter werdendes Haarkleid zu folgen und ſich anzupaſſen imſtande ſind, mit anderen Worten: wenn man derbere Affen, in erſter Linie die Makaken und Paviane der Alten, die Kapuziner der Neuen Welt, in nordeuropäiſcher Gefangenſchaft das ganze Jahr hindurch ohne Schaden ins Freie laſſen kann, ſo hat doch auch das ſeine Grenzen, wie alles in der Welt, und auch hier ſchickt ſich eines nicht für alle. Auch hier geht probiert über ſtudiert, und voreilige Verallgemeinerungen muß man büßen. Wir erkennen mit Staunen aus den Erfahrungen einzelner Liebhaber, daß ſelbſt die winzigen Pinſeläffchen aus den feuchtheißen Urwäldern Südamerikas unter Umſtänden ungleich mehr von unſerer Winterkälte aushalten, als wir uns träumen ließen. Wir haben es anderſeits aber auch erlebt, allerdings ohne Staunen, daß Winterſpaziergänge mit Orang-Ütans, die man von gewiſſer Seite zur ſtändigen Einrichtung zu machen gedachte, vor Weihnachten ſchon eingeſtellt werden mußten: mangels Beteiligung der Hauptperſonen, die, akklimatiſationsmüde, dahingeſchieden waren. In Werder, der bekannten Obſtgegend bei Berlin, hatte ein entſprungener Affe, jedenfalls ein Rheſus, zur Herbſtzeit, wo es ihm an Nahrung nicht fehlen konnte, mehrere Monate ganz wild gelebt, bis er einem Jäger zum Opfer fiel. Von wirklicher dauernder Affeneinbürgerung im Sinne vollſtändigen jahrelangen Frei— lebens liegt aber nur ein einziger Fall vor, und der ereignete ſich ſchon im 18. Jahrhundert auf dem Gute Windhauſen des Generals Grafen Schlieffen bei Kaſſel mit den Affen von Gibraltar, den Magots. Der merkwürdige, anſcheinend vollkommen gelungene Verſuch fand nach Jahren ein gewaltſames Ende dadurch, daß einige der Affen von einem tollen Hunde gebiſſen wurden und deshalb alle getötet werden mußten. Da Gefangen- und Haustierſchaft auf den Säugetierkörper begreiflicherweiſe ungefähr denſelben Einfluß übt, wie die Kultur auf den Menſchen-, namentlich den Kindeskörper, ſo zeigen ſich bei uns die Affen, zumal ſie gewöhnlich in jugendlichem Alter gefangen und ein— geführt werden, am meiſten den Entwickelungskrankheiten unterworfen, den Störungen des Knochenwachstums, unter denen auch in ungünſtigen Umſtänden aufwachſende Menſchenkinder Allgemeines. 441 leiden. Bei jungen Pavianen kommt nicht ſelten die richtige Engliſche Krankheit, die echte Ra— chitis, vor; ſonſt iſt es aber meiſt eine andere Knochenkrankheit, die Ostitis fibrosa, die wir in der Tiergärtnerpraxis bei unſeren jungen Affen mit dem geläufigeren Namen Rachitis be— legen. Dieſe zweite, neuerdings von Pick näher erforſchte Knochenkrankheit iſt nicht an das jugendliche Lebensalter gebunden und führt ſchließlich zu jenen „verquollenen“ Dickköpfen unter dem Affenbeſtande, die jeder Tiergärtner nur zu gut kennt. D. v. Hanſemann hat die Krankheit in dieſer Form als „Spätrachitis“ beſchrieben. Beſondere Heilmittel dagegen gibt es nicht; da hilft nur, und zwar am beſten vorbeugend, Darbietung günſtigerer Lebens— bedingungen ganz im allgemeinen. Bei gefangenen Menſchenaffen konnte häufig Blinddarm— entzündung feſtgeſtellt werden, und die Schwanzaffen ärgern ihren Pfleger öfter, als ihm lieb iſt, dadurch, daß ſie ſich den Schwanz abknabbern, an der Spitze beginnend. Ob das Jucken, das ſie jedenfalls dazu antreibt, immer auf Biß, Quetſchung oder ſonſt eine äußere Urſache zurückzuführen iſt oder auch von innen heraus durch mangelhaften Blutumlauf entſtehen kann, mag im Einzelfall oft ſchwer zu entſcheiden ſein; am nächſten liegt aber jedenfalls der Gedanke an das Erfrieren der Schwanzſpitze, und das ſollte, bei den zarteren und beſonders lang— ſchwänzigen Meerkatzen wenigſtens, zu einiger Vorſicht in der „Akklimatiſation“ mahnen. Von weittragender Bedeutung würde es ſein, zumal jetzt, nach Eröffnung des Panama— kanals, wenn der Verdacht ſich beſtätigte, daß Affen (Brüllaffen) an der Verbreitung des Gelben Fiebers beteiligt wären. Unter den Negern Weſtindiens beſteht nämlich der Volks— aberglaube, daß eine Heimſuchung mit dieſer gefürchteten Seuche zu gewärtigen ſei, ſobald man im Walde tote Affen findet, und nach Berichten des engliſchen Arztes Balfour ſcheint es faſt, als ob auch dieſer Volksglaube, wie ſo mancher andere, ein Körnchen Wahrheit enthalte. — Dagegen iſt bei der jetzigen Haltungsweiſe der Affen in den zoologiſchen Gärten (vgl. oben) die Gefahr der Anſteckung mit Lungentuberkuloſe gleich Null zu erachten, obwohl nach den Unterſuchungen der bekannten Pathologin Lydia Rabinowitſch der Bazillus der Affen— tuberkuloſe höchſtens als eine leicht abweichende Abart des menſchlichen zu betrachten iſt. Durch Impfung mit Kochſchem Tuberkulin, das ja heute kaum mehr zu Heilungszwecken, deſto mehr aber zu ſicherer Beſtätigung, ob Tuberkuloſe vorliegt, verwendet wird, konnten Pfungſt und Ziemann bei den Affen des Berliner Gartens keinerlei Reaktion erzielen, obwohl ſie den Impfſtoff in feiner konzentrierteſten Form, ſogenanntes Alttuberkulin, benutzten. Nur manche ſeuankömmlinge, die aber raſch wieder verſchwanden, erwieſen ſich verdächtig. Der merkwürdige Fall, daß Affen im Freileben eine Vergiftung durch Gegengift un— ſchädlich zu machen wußten, wie man das auch anderen Tieren nachſagt, wird aus Java er— zählt. Von dort berichtete der holländiſche Vertreter der „Voſſiſchen Zeitung“ im Jahre 1906, daß Pflanzungen plündernde Affen, deren man ſich durch Strychnin zu entledigen ſuchte, die Wirkung des Giftes zwar deutlich erkennen ließen, aber alle mit dem Leben davonkamen, weil ſie die Blätter eines Unkrautes (Temblikan) als Gegengift fraßen. In ihrer Heimat, ſofern wenig begünſtigte, aber beſiedelte Gegenden in Frage kommen, ſchaden die Affen ungleich mehr, als ſie nützen. Man ißt das Fleiſch einiger Arten und ver— wendet das Fell anderer zu Pelzwerk, Beuteln und dergleichen; allein dieſer geringe Gewinn kommt nicht in Betracht gegen den außerordentlichen Schaden, den die Affen in Wald, Feld und Garten verurſachen, und es iſt wirklich unbegreiflich, daß heute noch die Inder in ihnen heilige Geſchöpfe ſehen und ſie deshalb pflegen und hegen, als wären ſie wirkliche Halbgötter. Seiner Schädlinge ſich zu erwehren, iſt überall ein natürliches Recht des Menſchen. Dafür muß er aber, namentlich der Weiße, der ſich ſo ſtolz Kulturmenſch nennt, das Recht ſeiner 442 18. Ordnung: Affen. Mitgeſchöpfe, zu leben, auch in den Affen ehren. Mitten in der Wildnis, wo fie niemand etwas ſchaden, 30, 40 kleine Meerkatzen herunterzuſchießen, bloß weil es Spaß macht, und die Felle dann auf dem Kehrichthaufen des Lagerplatzes liegen zu laſſen, wie das Gieſeler in Deutſch— Oſtafrika von einem weißen Jäger erlebt hat, das dürfte nicht vorkommen. Sind doch manche Affenarten in manchen Gegenden, z. B. die ebenſo ſchönen wie unſchädlichen Seidenaffen am Kilimandſcharo, ſchon ſo abgeſchoſſen, daß ſie bald für die Naturdenkmalspflege reif werden! Neuerdings haben die Affen aber doch großen Nutzen geſtiftet, ſich ein gewiſſes Verdienſt um die Menſchheit erworben als Verſuchstiere bei der Erforſchung der ſchlimmſten Volksſeuchen, die die Menſchheit auf der ganzen Erde heimſuchen. Der bekannte Forſcher Neißer unterhielt zu ſolchen Zwecken in Batavia auf Java ganze Affenherden und ſtets auch eine Anzahl Orangs und Gibbons. Zur Gewinnung von Heilſerum ſind Affen indes nie benutzt worden; dieſes liefern für alle Seuchen neben den allbekannten Laboratoriumstieren, Kaninchen und Meer— ſchweinchen, unſere größeren Haustiere. Man mußte nur, um die Wirkung der Anſteckung auf die einzelnen Körperteile kennenzulernen, einen Säugetierkörper zur Verfügung haben, der dem Menſchenkörper möglichſt ähnlich iſt, und man mußte über dieſen völlig freie Verfügung haben, ihn im geeigneten Augenblick zergliedern zu können, wollte man die gewünſchten und not— wendigen Aufſchlüſſe wirklich erhalten. In dieſem Sinne haben die Affen als nächſte Verwandte des Menſchen für deſſen Wohl ſehr Wichtiges geleiſtet. In früheren Jahrzehnten hatte ſchon der ſogenannte „Munkaffe“ des Berliner Aquariums, ein großer Pavian, an dem der berühmte Phyſiolog Munk bahnbrechende Gehirnverſuche und -unterſuchungen durchgeführt hatte, eine gewiſſe Berühmtheit erlangt, zumal nachdem ihn der damalige Unterrichtsminiſter v. Goßler im preußiſchen Abgeordnetenhauſe als lebendes Beiſpiel für den hohen Nutzen und die un— umgängliche Notwendigkeit der Viviſektion angeführt hatte. Dieſem großen Nutzen gegenüber unbedeutend, mehr eine Merkwürdigkeit iſt es, daß man mit Glück Affen (Rheſus) auf der Krähenhütte gebraucht hat als Erſatz für den Uhu. Sie lockten nicht nur das Raubzeug der Lüfte ebenſogut an, ſondern vermöge ihres ſcharfen Ge— ſichtes verrieten ſie es auch beizeiten ſchon dem Jäger. Im Zeitalter der Serumforſchung gebührt hier ſchließlich auch der „Verwandtſchafts— reaktion“ ein Wort, weil dieſer chemiſche Nachweis der Blutsverwandtſchaft im wirklichſten Sinne des Wortes gerade bei den Affen einen beſonders bedeutſamen Hintergrund hat. Iſt es doch erwieſen, meiſt durch Hans Friedenthals Verſuche, daß Menſchenaffenblut ſich mit Men— ſchenblut beſſer verträgt als mit dem der übrigen Affen; dann durch Uhlenhuth und andere, daß mit Menſchenblut vorbehandelte Blutflüſſigkeit vom Kaninchen mit Menſchenaffenblut einen faſt ebenſo ſtarken Verwandtſchaftsniederſchlag ergibt wie mit Menſchenblut! tit Pavian- und Meerkatzenblut erhält man meiſt nur eine zwar deutliche, aber erſt nach längerer Zeit auftretende Trübung, mit Blut neuweltlicher und Krallenaffen höchſtens noch eine ſpäte, leichte Trübung und mit Halbaffenblut gar keine Reaktion mehr. Das paſſende Gegenſtück zu dieſen Ergebniſſen neueſter Wiſſenſchaft iſt der uralte Volks— glaube, der überall da herrſcht, wo Menſchen mit Menſchenaffen zuſammenleben. Da werden dieſe letzteren nirgends für Tiere gehalten, ſondern immer für „Waldmenſchen“, die nur aus irgendeinem Grunde nicht ſprechen. Auch bei den alten Kulturvölkern, die mit ihnen zu— ſammenkamen, ſpielen die Affen natürlich eine Rolle, nicht zum wenigſten bei den alten Agyp— tern. Darüber ſchreibt mir mein Freund Dümichen: „Aus der Ordnung der Affen finden wir, und zwar in zahlreichen Beiſpielen, den Mantelpavian und den Babuin abgebildet. Selten, aber doch einige Male kommen beide Meerkatzen des Oſtſudan, Nisnas und Abulandj der Allgemeines. 443 heutigen Araber, vor. In den Wandgemälden der Grabkapellen, welche dem Totenacker des alten Memphis angehören, in den Felſengräbern von Beni-Haſſan, in der thebaniſchen Ne— kropolis und anderen Grabdenkmälern, ebenſo auf Tempelwänden ſehen wir aber faſt immer nur das Männchen des Mantelpavians, deſſen Bedeutung hier ſtets eine mythologiſche iſt, und zwar meiſtens in Beziehung zum Monde ſteht. Ganz allerliebſt, mitunter geradezu meiſterhaft ausgeführt ſind die kleinen, aus verſchiedenen Steinen geſchnittenen Figuren, einen ſitzenden Hamadryas darſtellend, von denen man in allen ägyptiſchen Muſeen Europas mehrfache Stücke findet. Da weder der Hamadryas noch der Babuin in Agypten heimiſch ſind, und ebenſowenig die beiden Meerkatzen der Tierwelt des unteren Nillandes angehören, ſind wir zu dem Schluſſe berechtigt, daß bereits in jenen Urzeiten der Geſchichte, aus denen die gedachten Denkmäler ſtammen, ein Verkehr zwiſchen Agypten und dem Heimatslande unſerer vier Affen— arten beſtanden haben muß. „Was nun insbeſondere den Mantelpavian betrifft, ſo lautet die hieroglyphiſche Schrei— bung desſelben: An, Anin, Anan, Anän, welche Bezeichnung, wenn man ſie wörtlich über— ſetzen wollte, jo viel bedeutet als Nachahmer, Nachäffer, . . . herzuleiten von der Wurzel An mit der Grundbedeutung, einen Gegenſtand durch Nachahmung in irgendeiner Weiſe durch Bild oder Wort darſtellen. „Die meiſterhafte Vollendung in der Ausführung dieſer Wandſkulpturen und die über— raſchend treue Nachbildung der beiden Affen, welche den Worten ‚Anan‘ und ‚Kafu‘ hier nach— geſetzt ſind, ſtellen es außer Zweifel, daß wir in dem Anan den Hamadryas und in dem Kafu den Babuin vor uns haben. Letzterer iſt auch der Kof' der Bibel, der gelegentlich einer Salomoniſchen Ophirfahrt erwähnt wird. „Die Forſchung hat beſtätigt, daß der Hamadryas auch zu den von den alten Agyptern in den Tempeln heilig gehaltenen Tieren gehörte, welche nach ihrem Tode einbalſamiert wurden, und von denen mehrfach Mumien gefunden worden ſind. Wir wiſſen, daß derſelbe insbeſondere dem Gotte Thoth (Hermes) in ſeiner Auffaſſung als Herr der Schrift und aller Wiſſenſchaft wie in ſeiner Auffaſſung als Mondgott geweiht war, und daß er in verſchiedenen Tempeln, namentlich in Hermopolis, gehalten wurde. „Den Babuin und beide Meerkatzen treffen wir nur im altägyptiſchen Hauſe an. Muſik, und Tanz, Zwerge, Hunde und Affen bildeten die ergötzliche Unterhaltung in dem Hauſe des vornehmen Agypters; und jo finden wir denn in Darſtellungen, welche uns derartige Szenen vor— führen, ziemlich häufig eins von letzteren luſtigen Affchen abgebildet, wie es, an dem Lehnſtuhle ſeines Herrn angebunden, dieſen durch ſeine komiſchen Sprünge und Grimaſſen erheitert.“ Im Syſtem der Affen muß vor allem zwiſchen den beiden großen Unterabteilungen der Alt⸗ und der Neuweltaffen, Oſt- und Weſtaffen, unterſchieden werden, zumal dieſe auch durch ihre bis jetzt bekannten foſſilen Verwandten und Vorläufer ſcharf getrennt und ohne jedes Verbindungsglied erſcheinen. Die lebenden trennt außer dem Gebiß noch durchgängiges Fehlen von Backentaſchen und Geſäßſchwielen bei den neuweltlichen, während Wickelſchwänze zum Feſthalten wieder bei keiner Affengruppe der Alten Welt vorkommen. Man war aber geneigt, neben den altweltlichen Schmalnaſen (Catarrhini) und den neuweltlichen Breitnaſen (Pla- tyrrhini) noch die kleinen ſüdamerikaniſchen Krallenaffen als dritte gleichwertige Gruppe anz zuerkennen, weil ſie wieder ihre eigene abweichende Zahnformel haben, und wohl auch deshalb, weil Darwins großer Mitſtreiter und Mitforſcher, der ſeinerzeit maßgebende engliſche Anatom Huxley, von ihnen geſagt hatte, ein ſolches Krallenäffchen ſei in ſeinem ganzen Leibesbau einem 444 18. Ordnung: Affen. Menſchenaffen viel weniger ähnlich als dieſer dem Menſchen. Das hat ja gewiß im allge meinen ſeine Richtigkeit; im einzelnen aber zeigt ſich, daß das Gebiß der Krallenaffen mit ſeiner geringeren Zahnzahl ſozuſagen nur ſcheinbar von dem der übrigen amerikaniſchen Affen abweicht dadurch, daß eben der letzte Backzahn, der Weisheitszahn, nicht mehr erſcheint, was vielleicht mit der Kleinheit der Tierchen und der Kürze ihrer Kiefer zuſammenhängt. Auch in der Bildung ihrer bekrallten Gliedmaßen ſtehen dieſe Affenzwerge unter ihren ſüdamerikaniſchen Ordnungsverwandten nicht ganz allein da, ähnliches findet ſich z. B. bei den Springaffen, und ſo reiht man ſie jetzt ohne Vorbehalt unter die Breitnaſen ein. Allerdings ſtellt man ſie als Familie Callitrichidae (nach der bekannteſten Gattung Callithrix, früher Hapale) allen übrigen amerikaniſchen Affen als Familie Cebidae (nach der bekannteſten Gattung Cebus) gegenüber. Selbſt dieſe Trennung aber iſt eigentlich hinfällig geworden, ſeit man in dem Spring⸗ tamarin, Callimico goeldii 108., ein Bindeglied kennengelernt hat mit Cebidenſchädel und ⸗gebiß, aber mit den langen, ſeitlich zuſammengedrückten Krallen der Eichhornäffchen. 1. Unterordnung: Breitnaſen (Platyrrhini). Der Unterſchied zwiſchen den Erzeugniſſen des heißen Erdgürtels der Alten Welt und denen Südamerikas iſt regelmäßig ein durchgreifender und augenſcheinlicher. Auch die ſüd— amerikaniſchen Affen oder Breitnaſen (Platyrrhini) ſind zwar merkwürdige Geſchöpfe, faſt durchweg aber unbeholfener, träger, trauriger, geiſtloſer als die Altweltaffen; weit harmloſer, gutmütiger, unſchädlicher als letztere, aber ebendeshalb keine echten Affen in demſelben Sinne. Nur die Rollaffen machen davon eine entſchiedene Ausnahme. Die Breitnaſen unterſcheiden ſich regelmäßig durch ihren Körper- und Gliederbau ſowie durch ihre Zahnbildung von ihren Vettern im Oſten. Ihr Leib iſt gewöhnlich ſchmächtig und ſchlankgliederig; der Schwanz fehlt nie und verkümmert auch nie gänzlich, wird vielmehr häufig zur fünften Hand, indem er ſich an ſeiner Spitze durch kräftige Muskeln zuſammenrollen und deshalb als Greifwerkzeug gebrauchen läßt. Der Daumen der Vorderhände kann den übrigen Fingern nicht in demſelben Grade gegenübergeſtellt werden (vgl. Abb., S. 445), wie dies an den Füßen der Fall iſt. Kein einziges Mitglied der ganzen Familie erreicht eine bedeutende Affengröße, und keines hat eine vorſpringende Schnauze. Die Färbung iſt zwar mannigfaltig, aber niemals ſo bunt wie die vieler Affen Aſiens und Afrikas. Der Heimatskreis der Breitnaſen beſchränkt ſich auf das ſüdamerikaniſche Reich, das ſich ja aber bis Mittelamerika und Mexiko ausdehnt: ihre Nordgrenze bildet etwa der 23. Norobreiten- grad, d. h. Südmexiko (San Luis Potoſi). Nach Weſten hin begrenzt die Andenkette, nach Oſten das Atlantiſche Meer, nach Süden die Urwaldgrenze in Argentinien ihr Gebiet. Alle Breitnaſen ſind ausſchließlich Baumtiere; Erdaffen gibt es unter ihnen nicht, und deshalb ſind ſie auch vorzugsweiſe in den Urwäldern zu Hauſe. Waſſerreiche oder ſumpfige Gegenden lieben ſie mehr als trockene. Auf die Erde kommen ſie bloß im äußerſten Notfalle herab; auch zur Tränke gehen ſie nicht ſo wie andere Tiere, ſondern klettern an Schling⸗ pflanzen, überhängenden Aſten und dergleichen bis auf das Waſſer herab und trinken, ohne die Zweige zu verlaſſen. Die Bäume bieten ihnen alles, was ſie bedürfen; denn ihre Nah— rung beſteht nur aus Pflanzenteilen aller Art ſowie aus Kerbtieren, Spinnen, Vogeleiern oder jungen Neſtvögeln und Honig, und nur wenige plündern zuweilen in einer Pflanzung. Die meiſten Arten ſind am Tage rege; doch enthalten die Breitnaſen auch eine Gattung Nachtaffen, die einzige unter allen Affen. Die meiſten ſind zu ihrer Zeit lebhaft und gewandt; doch gibt es mehrere äußerſt träge Arten. Das Klettern verſtehen alle vortrefflich, und viele Breitnaſen. N 445 wiſſen dabei, wie ſchon oben angedeutet wurde, ihren Greifſchwanz vorzüglich zu gebrauchen. Faſt bei jeder Stellung, auch während der tiefſten Ruhe, ſchlingen dieſe Affen ihren Schwanz um irgend etwas und ſei es ſelbſt um eines ihrer eigenen Glieder. Die Muskelſtärke des Schwanzes, welche die aller übrigen Gliedmaßen weit übertrifft, und das feine Gefühl in dem Schwanzende ermöglicht ihnen den umfaſſendſten Gebrauch des merkwürdigen Geſchenkes der Natur für ihr ſtilles Leben und erſetzt vielfach die ihnen fehlende geiſtige wie leibliche Behen— digkeit ihrer überſeeiſchen Vettern. Trotz alledem ſind ihnen die echten Baumaffen der Alten Welt im Springen und Klettern entſchieden überlegen. Der Gang der Neuweltaffen geſchieht faſt immer auf allen vieren und iſt ſtets mehr oder weniger unbeholfen, unſicher und ſchwankend. In ihrer geiſtigen Begabung ſtehen ſie allermeiſt hinter ihren öſtlichen Verwandten zurück, wenn ſie auch im ganzen als ſanfte, gutmütige und zutrauliche Geſchöpfe erſcheinen. Einzelne zeigen ſich neugierig, mutwillig und neckiſch, andere dagegen grämlich und ſtumpfſinnig. Wenn man zwiſchen alt- und neuweltlichen Affen zu wählen hat, wird man wohl nie— mals lange in Zweifel bleiben, welche uns beſſer gefallen. In der Freiheit ſind dieſe regelmäßig ſcheu und furchtſam. Deshalb fliehen ſie bei jeder ungewöhnlichen Er— ſcheinung und ſuchen ſich ſo raſch wie möglich in dichtem Gezweige zu verbergen. Angeſchoſſene beißen tüchtig nach dem, der ſie faſſen will; Geſunde verteidigen ſich wohl bloß gegen ſchwache Raubtiere. In der Gefangenſchaft benehmen ſie ſich bald artig und zutraulich, werden im Alter aber doch auch bäje und biſig wenn- bens eee gleich nicht immer. Ihre geiſtige und leib— liche Trägheit, ihr ſchwermütiges Ausſehen, die kläglichen Töne, die ſie, und oft mit merkwür⸗ diger Ausdauer, ausſtoßen, ihre Unreinlichkeit, Weichlichkeit und Hinfälligkeit: alle dieſe Eigen— ſchaften und Sitten empfehlen ſie nicht als Hausgenoſſen und Zeitvertreiber des Menſchen. Einige wenige Arten machen freilich eine rühmliche Ausnahme und werden deshalb auch häufig zahm gehalten und mit großer Liebe gepflegt. Manche beſitzen einen hohen Grad von Emp— fänglichkeit für äußere Eindrücke, drücken ihre Gefühlsbewegungen durch Schmunzeln oder Klagen aus und werden aus dieſem Grunde namentlich weichherzigen Frauen beſonders teuer. Dem Menſchen werden die Neuweltaffen nicht oder kaum ſchädlich. Der weite, große, reiche Wald iſt ihre Heimat, ihr Ernährer und Verſorger; ſie bedürfen des Herrn der Erde und ſeiner Anſtalten nicht. Nur wenige Arten fallen zuweilen in waldnahe Felder ein und erheben ſich dort einen geringen Zoll, der gar nicht im Verhältnis ſteht zu den Erpreſſungen, welche die Altweltaffen ſich erlauben. Der Menſch jagt ſie ihres Fleiſches und ihres Pelzes wegen. Für die Eingeborenen Amerikas iſt der Affe ein außerordentlich wichtiges Tier; denn ſein Fleiſch bildet einen guten Teil ihrer Nahrung. Sie jagen ihm eifrig nach. Gewöhnlich bedienen ſie ſich dabei des Bogens; nicht ſelten wenden ſie aber auch das Blasrohr und kleine, jedoch mit dem fürchterlichſten Gifte getränkte Pfeile an. Zwar verſuchen es alle Affen, den kleinen Pfeil ſo ſchnell wie möglich aus der Wunde zu ziehen; allein der ſchlaue Menſch hat 446 18. Ordnung: Affen. Familie: Krallenaffen. das Geſchoß halb durchſchnitten, und deshalb bricht faſt regelmäßig die Giftſpitze ab und bleibt in der Wunde ſtecken — furchtbar genug, um auch einem ganz anderen Tiere die Lebens— kraft zu rauben. Mit derſelben, nur ſchwächer vergifteten Waffe erbeuten die Indianer auch diejenigen Affen, die ſie für die Gefangenſchaft wünſchen. In unſere Käfige gelangen verhältnismäßig wenige Neuweltaffen. Am häufigſten ſieht man die Rollaffen auf unſerem Tiermarkte, viel ſeltener einen Klammeraffen oder Nachtaffen, höchſt ſelten einen Spring-, Schweif- und Brüllaffen. Die Krallen: oder Eichhornaffen (Familie Callitrichidae) verdienen ihre Namen durch ihre geringe Größe und dadurch, daß ſie mit Ausnahme der Daumenzehe des Fußes an allen Fingern und Zehen ſchmale Krallennägel, an der Daumenzehe aber einen hohlziegel⸗ förmigen, breiten Nagel tragen. Außerdem kennzeichnen ſie: der rundliche Kopf mit kurzem, plattem Geſicht, flacher, breiter Stirn, kleinen Augen und großen, oft durch Haarbüſchel ge— zierten Ohren, der ſchlanke Leib, die hinten längeren, vorn kürzeren Gliedmaßen, die krallen⸗ artigen Hände, deren Daumen den übrigen Fingern nicht entgegengeſetzt werden kann, während dies bei der Daumenzehe der Fall iſt, der lange und buſchige Schwanz und der ſeidenweiche Pelz. Es ſind alſo bei ihnen die Hände zu eigentlichen Pfoten geworden, und nur die Füße zeigen noch ähnliche Bildung wie bei anderen Affen. Ihr Gebiß beſteht, wie bei den Altweltaffen, aus 32 Zähnen; ſie haben aber 3 Lück- und 2 Mahlzähne in jedem Kiefer. Unter den oberen Schneidezähnen iſt der erſte größer als der zweite und trägt wie dieſer gewöhnlich Zacken an der Wurzel, während die unteren Schneidezähne eine breit meißelförmige oder zylindriſche Geſtalt haben und ſich verlängern. Die Eckzähne zeichnen ſich durch ihre Größe und Stärke, die oberen außerdem durch ihre dreikantige Geſtalt und eine vorn und innen verlaufende Rinne aus. Durch bedeutſame Eigenheiten erſcheinen die Krallenaffen im Lichte der heutigen Forſchung als die niedrigſte Stufe des Affentums. So verteilt ſich ihr Haarkleid, was man als einen ſehr urſprünglichen Zuſtand auffaßt und mit der Gliederung der Wirbelſäule in einen gewiſſen Zuſammenhang bringt, in Querbändern geordnet über den Rumpf; am Schwanz tritt dieſe Anordnung bei einigen Arten ſogar ganz augenfällig durch Querſtreifung in verſchiedenen Farbentönen zutage. Auch die Dreizahl ihrer Lückzähne gehört hierher und die ganze Geſtal— tung der Zähne im einzelnen, die derart iſt, daß Karl Vogt das Krallenaffengebiß geradezu „ein reines Inſektenfreſſergebiß“ nennt. Ebenſo bringt die Krallenform der Finger- und Zehen— nägel im Verein mit der Geſtaltung des Daumens, der den Fingern nicht entgegengeſtellt werden kann, ſondern eng an ihre Reihe angeſchloſſen iſt, die Krallenaffen den niedriger als die Affen gewerteten Säugetierordnungen näher, und ſchließlich iſt auch die Zwei- und Dreizahl der Jungen, die bei den Krallenaffen nicht ſelten vorkommt, ein Hinweis in derſelben Richtung. Das Verbreitungsgebiet der Krallenaffen umfaßt alle nördlichen Länder der Südhälfte Amerikas und dehnt ſich nördlich bis Mexiko aus, während es nach Süden hin kaum über Braſilien hinausreicht. Dieſes, Guayana und Peru beherbergen die meiſten Arten; in Mexiko kommen, ſoviel bis jetzt bekannt iſt, nur wenige vor. Ein und dieſelbe Geſtalt, die gleiche Art der Behaarung, ja ſogar die Verteilung und Hauptmiſchung ihrer Farben wiederholt ſich oft bei mehreren Arten in merkwürdiger Weiſe, ſo daß ſehr oft nur geringfügige Unterſcheidungs— merkmale angegeben werden können, nicht anders als z. B. bei den ſüdamerikaniſchen Ama— zonenpapageien. Ebenſo grenzen auch die Verbreitungsgebiete verſchiedener Krallenaffen dicht aneinander, da der Wohnort einer jeden Art meiſt ſehr beſchränkt zu fein ſcheint und nur auge nahmsweiſe eine von ihnen über größere Landſtrecken ſich verbreitet. „Breitere Flüſſe“, Krallenaffen. 447 ſagt der Prinz von Wied, „bilden oft die Grenzen, und der reiſende Beobachter findet plötzlich eine Art durch eine andere erſetzt, welche nur durch geringe Unterſchiede von ihr getrennt und dennoch beſtimmt artlich verſchieden iſt.“ Wie hoch die Krallenaffen im Gebirge emporſteigen, iſt zur Zeit mit Sicherheit noch nicht feſtgeſtellt; Schomburgk begegnete ihnen bis zu 500 m über dem Meere, in den Anden kommen ſie jedoch unzweifelhaft in noch größerer Höhe vor. Alle Krallenaffen ſind Baumtiere im eigentlichen Sinne des Wortes. Sie bewohnen in größter Mannigfaltigkeit die weiten Waldungen ihrer heimatlichen Länder, und zwar keines— wegs die hochſtämmigen, feuchten Urwaldungen der Küſte oder der Niederungen allein, ſondern auch die dürftiger beſtandenen, buſchartigen Wälder des Inneren. In der Regel halten ſie ſich in unbewohnten oder menſchenleeren Gegenden auf; ausnahmsweiſe aber kommen ſie doch bis in die Pflanzungen, ja ſelbſt bis in die Dörfer und Städte herein, wie dies beiſpielsweiſe in Para der Fall zu ſein pflegt. In ihrem Auftreten und Weſen erinnern fie mindeſtens ebenſoſehr an die Eichhörnchen wie an die Affen. Ihre Haltung iſt nicht die aufgerichtete der übrigen Affen: ſie ſitzen im Gegenteil gewöhnlich mit Händen und Füßen auf oder liegen ſelbſt platt auf dem Bauche, wobei der lange, dick behaarte Schweif gerade herabhängt; ſie lieben es auch nicht, im dünnen Gezweige ſich zu bewegen, ſondern halten ſich mehr auf den dicken Aſten auf und treiben ſich hier ganz nach Art der Eichhörnchen umher, ihre langen Krallen genau in derſelben Weiſe verwendend, wie jene Nager dies zu tun pflegen. Auf große Sprünge von einem Baume zum anderen laſſen ſie ſich nicht ein, weil ſie nicht imſtande ſind, beim Aufſpringen ſofort mit Sicherheit ſich feſtzuhalten und, verfolgt, auch manchmal aus großen Höhen auf den Boden herabſtürzen. Dagegen klettern ſie mit außerordentlicher Gewandtheit ſenkrecht in die Höhe und ebenſo ſchnell rund um den Stamm herum, ganz wie die Eichhörn— chen. Auf zwei Füßen ſieht man ſie niemals gehen, und immer treten ſie mit der ganzen Sohle auf; doch erheben ſie ſich, wenn ſie etwas zum Munde führen, ausnahmsweiſe mit dem Vorderteile ihres Leibes, indem ſie ſich wie Eichhörnchen halten. Neſter nach Art der Eichhornhorſte bauen fie nicht; wahrſcheinlich aber dienen ihnen Höhlungen der Bäume während der Nacht zum Aufenthalte. So ſchließe ich aus dem Be— tragen der Gefangenen, die ihnen gebotene Schlafkäſtchen ſofort zu benutzen und auch bei Tage oft nach ihnen ſich zurückzuziehen pflegen, jedenfalls aber in ihnen Zuflucht ſuchen, ſo— bald ihnen irgend etwas Unangenehmes begegnet. Wahrſcheinlich bilden ſie auch in der Frei— heit wie in der Gefangenſchaft förmliche Klumpen in den erwähnten Höhlen, indem die ganze Geſellſchaft ſich dicht aneinanderſchmiegt und gegenſeitig mit dem Schwanze zudeckt. Einige Zeit nach Sonnenaufgang beginnen ſie ihre Streifzüge und durchwandern bei dieſer Gelegen— heit einen mehr oder minder großen Teil des Waldes, ſind, wie der Prinz von Wied ſagt, bald hier, bald dort, und kündigen ſich in gewiſſer Entfernung durch ihre Stimme, kurze, ein⸗ oder zweiſilbige pfeifende Laute, dem Jäger oder Forſcher an. Hat eine Bande bei der Annäherung eines Feindes nicht Zeit zu entfliehen, ſo verbirgt ſie ſich hinter die dicken Baum— zweige, blickt dann aber von Zeit zu Zeit ängſtlich hervor und verfolgt alle Bewegungen des Gegners. Bates ſchreibt ihnen einen hohen Grad von Neugier zu, da ſie auch in Gegenden, wo ſie allſeitig Schutz genießen und deshalb viel von ihrer Scheu verloren haben, wie bei Para z. B., jeden in Sicht kommenden Menſchen eine Zeitlang mit größter Aufmerkſamkeit beobachten, bevor ſie ihr gewöhnliches Treiben wieder beginnen. Auch hierin ähneln ſie den Eichhörnchen ſehr: fie bekunden dieſelbe Unruhe und Raſtloſigkeit und ebenſo dieſelbe Scheu und Angſtlichkeit wie dieſe. Solche Unſtetigkeit ihres Weſens zeigt ſich auch durch Auße— rungen ihres Wohlbehagens oder Mißfallens, mit denen fie richt kargen. Eben höchſt 448 18. Ordnung: Affen. Familie: Krallenaffen. zufrieden mit ihrem Schickſale, anſcheinend glücklich über die Liebkoſungen, die ihnen von Freun⸗ deshand werden, fletſchen fie im nächſten Augenblicke ſelbſt ihren Gebieter an, tun ängit- lich, als ob es ihnen an Hals und Kragen ginge, oder zeigen die Zähne und verſuchen zu beißen. Trotz aller Reiz- und Erregbarkeit ermangeln ſie jedoch der Eigenartigkeit, die jeder höher ſtehende Affe beweiſt, ähneln ſich vielmehr im allgemeinen geiſtig ebenſo wie leiblich. Der eine handelt meiſt genau wie der andere: nicht einmal Verſchiedenheit der Art bedingt einen merklichen Unterſchied des Weſens und Gebarens. Angſtlich, mißtrauiſch, kleinlich und vergeßlich, zeigt der Krallenaffe alle Eigenſchaften eines Feiglings: die klägliche Stimme, die erſichtliche Unfähigkeit oder Unwilligkeit, in Unvermeidliches ſich zu fügen, die jammerhafte Hinnahme aller Ereigniſſe, die krankhafte Sucht, jede Handlung eines anderen Geſchöpfes auf ſich zu beziehen, das eifrige Beſtreben, bald zu prahlen, bald ſich zurückzuziehen, die Un⸗ ſtetigkeit im Ausdrucke wie in der Stellung, im Wollen wie im Vollbringen. Doch darf nicht verſchwiegen werden, daß ſie in neuerer Zeit, und zwar namentlich die gewöhnlichen Pinſel⸗ äffchen, auch begeiſterte Verehrer und Verehrerinnen gefunden haben, die höchſt Rühmens— wertes von ihren Lieblingen zu berichten wiſſen. Verſchiedene Früchte, Samen, Pflanzenblättchen und Blüten bilden einen Hauptteil der Nahrung unſerer Affchen; nebenbei aber ſtellen fie mit dem größten Eifer allerlei Kleingetier nach, wobei ſie Kerbtiere, Spinnen uſw. kleinen Wirbeltieren unzweifelhaft vorziehen, dieſe aber ebenfalls nicht verſchmähen. Jedenfalls ſind ſie mehr Raubtiere, namentlich Kerfjäger, als alle übrigen Affen; d. h. fie freſſen neben den pflanzlichen mehr tieriſche Stoffe. In ihrer Heimat ſcheint die Fortpflanzung der Krallenaffen nicht an eine beſtimmte Zeit ſich zu binden; denn man ſieht jahraus jahrein Alte mit ihren Jungen. Das Weibchen bringt in der Regel ebenfalls nur ein einziges Kind zur Welt, öfters aber auch deren 2 und ſelbſt 3. Dann befeſtigt ſich das eine von dieſen auf dem Rücken, das andere an der Bruſt, und eins um das andere ſaugt abwechſelnd. Auch unterſtützen ſich, wie wir von Ge— fangenen wiſſen, beide Geſchlechter gegenſeitig in der Erziehung ihrer Jungen. Das Männ— chen wird von dem Weibchen aufgefordert, zeitweilig eines von den Kindern zu ſchleppen und ſcheint dies auch ohne weiteres zu tun. Die Jungen ſind bei ihrer Geburt nicht größer als Hausmäuſe, jedoch bereits ganz behaart und wie alle jungen Affen geiſtig verhältnismäßig ziemlich gut entwickelt. Als die ſchlimmſten Feinde der ſchmucken Geſchöpfe werden die Raubvögel genannt: unzählige fallen dieſen gefährlichen Räubern zur Beute. Der Menſch verfolgt ſie weniger ihres Nutzens als ihrer leichten Zähmbarkeit halber. Ihr Fleiſch wird zwar von den Ein— geborenen gegeſſen, aber dem anderer Affen nachgeſtellt; das Fell findet nur ausnahmsweiſe Verwertung, indem man es zu Mützen verarbeitet oder ſonſtwie zu Verbrämungen benutzt. Um ſo häufiger ſieht man Krallenaffen als Gefangene in den Hütten der Indianer und den Wohnungen der Südamerikaner europäiſcher Abkunft. Man bemächtigt ſich der Jungen wie der Alten, erſterer, indem man ſie den getöteten Müttern abnimmt, letzterer, indem man ſie mit ſchwach vergifteten Pfeilen ſchießt und dann wieder zu heilen ſucht, oder indem man eine Fiſchreuſe mit Bananen oder anderen ihrer Lieblingsfrüchte ködert und auf den Bäumen anbringt, die regelmäßig von ihnen beſucht werden. Im Anfange ihrer Gefangenſchaft ſind alle Krallenaffen geradezu unleidliche Geſchöpfe. Ihr grenzenloſes Mißtrauen bekundet ſich gegen jedermann, und es währt ſehr lange, bevor ſie ſich daran gewöhnen können, den ſie pflegenden Menſchen anders als ihren Feinden gegen— über ſich zu betragen. Als hervorſtechende Züge des Weſens treten zunächſt nur überaus — Allgemeines. 449 große Angſtlichkeit und machtloſer Jähzorn hervor, beide faſt in ununterbrochenem Wechſel. Später mildert ſich der letztere einigermaßen, und ſtille Traurigkeit tritt an ſeine Stelle. Der Eingeborene läßt ſich hierdurch nicht im geringſten beirren; er behandelt auch dieſes wenig verſprechende Geſchöpf von Anfang an mit der ihm eigenen Geſchicklichkeit und beharrlichen Freundlichkeit und gewinnt ihm nach und nach wirklich Vertrauen ab. Junge Krallenaffen tragen die Indianerinnen gewöhnlich im Haare, wahrſcheinlich in der Abſicht, ihnen die fehlende Mutter zu erſetzen; ältere erhalten ihre Stätte im Buſen der ſorgſamen Frauen. Auch gibt man fie größeren Affen, Klammer-, Woll- und Rollſchwanzaffen, in die Pflege. Wie dieſe in den Affenhäuſern unſerer Tiergärten ohne Widerſtreben der Bemutterungsſucht eines liebe— bedürftigen Pavianweibchens ſich fügen, laſſen ſich Krallenaffen gern von größeren Verwandten tragen, überwachen und beherrſchen. Auch unaufgefordert klammern ſie ſich auf dem Rücken der ſtärkeren Familiengenoſſen feſt, und nach geraumer Zeit ſind beide ein Herz und eine Seele. Anfänglich verſucht der größere Affe vielleicht die ungewohnte Laſt von ſich abzu— ſchütteln; ſpäter ruft er den Pflegling ſehnſüchtig herbei, wenn dieſer zeitweilig ſich entfernte. Daß ein Krallenaffe unter ſolcher Leitung ſehr bald einen guten Teil ſeines Mißtrauens ver— liert, läßt ſich begreifen. Dies macht ſchließlich auch dann ſich bemerklich, wenn ein Krallen— affe ausſchließlich in menſchlicher Geſellſchaft lebt und von beſtimmten Leuten gut, noch beſſer, wenn er zärtlich behandelt wird. Kappler ließ die ſeinigen immer frei im Zimmer herum— laufen. Sie hielten mit Totenköpfchen und braunen Rollaffen gute Freundſchaft, und alle drei ſollen auch im Walde einträchtig miteinander leben. Das gewöhnliche Futter, das man den friſch Gefangenen reicht, ſind ſüße Früchte, nament- lich Bananen. Daran, daß alle Krallenaffen mindeſtens ebenſoviel tieriſche wie Pflanzen— ſtoffe freſſen, denken weder die Europäer noch die Indianer. Hierin ſehe ich den hauptſäch— lichſten Grund der ſonſt unbegreiflichen Hinfälligkeit und Sterblichkeit dieſer Tiere auch in ihrer Heimat und noch mehr während der Seereiſe. In Braſilien und auch bei uns zulande hält man alle Krallenaffen für beſonders hinfällig, namentlich in hohem Grade empfindlich gegen die Kälte. Weder das eine noch das andere aber iſt tatſächlich begründet. Bei geeig— neter Pflege, alſo wenn man ihnen Kerbtiere (Maikäfer, Mehlwürmer) nicht vorenthält, ihnen wenigſtens Fleiſch oder Eier als Erſatz reicht, halten ſie ſich ſehr gut, wie ja ſchon daraus her— vorgeht, daß fie bei uns durchaus nicht ſelten 6—8 Jahre ausdauern und ſich fortpflanzen. Sie können auch, wie wir durch beſtimmte Tatſachen nachzuweiſen vermögen, ohne allen Scha— den ſogar empfindliche Kälte ertragen. Reichenbach erzählt, daß ihm während eines ſehr kalten Winters aus einer Tierſchaubude ein Saguin zum Ausſtopfen zugeſendet wurde. Der Affe war ſteif gefroren, lebte aber alsbald in der warmen Stube wieder auf. Neuerdings hat man auch die Familie der Krallenaffen in verſchiedene Gattungen zerfällt: Elliot macht daraus 6 Gattungen mit nicht weniger als 60 Arten und Unterarten. Tat- ſächlich ergibt ſich ſchon aus dem Gebiß eine gewiſſe Zweiteilung dadurch, daß bei den ge— wöhnlichen Pinſeläffchen und ihren nächſten Verwandten die unteren Eckzähne nicht über die Schneidezahnreihe vorragen, während das bei den übrigen Arten der Fall iſt. Aber ſelbſt hierin wird durch das Silberäffchen ein Übergang gebildet, und weitere Gruppen laſſen ſich nur auf äußerliche Merkmale des Haaraufputzes gründen. In dieſem Sinne kann man den büſchelohrigen Pinſeläffchen noch gegenüberſtellen die mit längeren Eckzähnen ausgerüſteten, glattohrigen Tamarins, die dafür aber einen Haarmantel tragen oder wenigſtens einen Schulter⸗ fragen, ferner die halbgemähnten oder Perückenäffchen mit verlängertem Hinterkopf- und Nackenhaar und die gemähnten oder Löwenäffchen. a Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 29 450 18. Ordnung: Affen. Familie: Krallenaffen. Die Pinſel- oder Seidenäffchen, Gattung Callithrix Erxl. (Hapale), find haupt⸗ ſächlich durch einen mehr oder weniger entwickelten Haarbüſchel vor und über den Ohren aus- gezeichnet, deren Muſcheln meiſt am äußeren Rande behaart ſind. E Das häufigste Mitglied dieſer Gruppe ſcheint das Weiß-Pinſeläffchen, der Sa- guin, Uiſtiti oder Marmoſet, C. jacchus L. (Hapale), zu ſein, ein mittelgroßes Krallen⸗ äffchen von 22—27 em Leibes- und 30— 35 em Schwanzlänge, zierlich gebaut und mit N C . 8 . 77 1) Saguin, Callithrix Jacchus L., 2) Silberäffchen, Callithrix argentata L. (Text, S. 455), 3) Schwarz- Pinſeläffchen, Callithrix penicillata E. Geoffr. ½ natürlicher Größe. langem und weichem Pelze bekleidet. Die Färbung des letzteren beſteht im allgemeinen aus Schwarz, Weiß und Roſtgelb und wird durch die eigentümliche Zeichnung der Haare ſelbſt bewirkt, die an der Wurzel ſchwärzlich, dann roſtgelb, hierauf wieder ſchwarz und endlich an der Spitze weißlich find. Auf dem Oberrücken fällt die Färbung mehr in das Roſt— gelbe, auf dem Unterrücken wechſeln ſchmale, ſchwarz und weiße wellenförmige Querbinden miteinander ab. Am Unterleib und an den Gliedmaßen tragen alle Haare weißlichgraue Spitzen, weshalb an dieſen Teilen die genannte Farbe vorherrſchend wird. Der Schwanz iſt ſchwarz mit etwa 20 ſchmalen weißlichen Ringen und weißer Spitze. Ein weißlicher Weiß⸗Pinſeläffchen. Schwarz-Pinſeläffchen. 451 dreieckiger Stirnfleck und ein blendend weißer, nach hinten und oben gerichteter Ohrpinſel ſtechen von dem dunkelbraunen Kopfe lebhaft ab. Das Geſicht iſt dunkel fleiſchfarben und ſpärlich mit weißlichen Härchen beſetzt. Faſt ebenſo häufig wie der Saguin iſt das Schwarz-Pinſeläffchen, C. penicillata E. Geoffr. (Hapale), ein jenem in der Größe annähernd gleichkommendes Tierchen von ähn— licher Färbung. Ein rundlicher Stirnfleck und die mit kurzen Haaren beſetzten Geſichtsteile ſind weiß, der längere und ſpitzer zulaufende, mehr im Bogen nach unten gerichtete Ohr⸗ büſchel, Kopf, Nacken und Ober- und Unterhals, kragenartig abgegrenzt, ſchwarzbraun, der übrige Pelz rötlichgrau, weil die an der Wurzel dunkelgrauen Haare in der Mitte blaßrot, an der Spitze weiß ausſehen, Hände und Füße lichtgrau, 1 dunkelbraun, die Schwanz⸗ ringe abwechſelnd grau und ſchmutzig weiß. Das Weiß ⸗Pinſeläffchen findet ſich, nach dem Prinzen von Wied, in den unmittelbaren Umgebungen der Stadt Bahia und kommt zuweilen in die Pflanzungen, die am Rande der benachbarten, niederen Gebüſche liegen; das Schwarz-⸗Pinſeläffchen bewohnt die Waldungen der Oſtküſte zwiſchen dem 14. und 17. Grade. Beide Arten ziehen in kleinen Geſellſchaften von einer oder ein paar Familien, alſo von 3—8 Stück, umher, beſtändig einen feinen pfei- fenden oder zwitſchernden Ton wie kleine Vögel von ſich gebend. Die Nahrung beſteht in mancherlei Früchten, namentlich in Bananen, nicht minder aber auch in Kerbtieren, Spinnen und dergleichen. Übertags ſind die Tierchen in beſtändiger Bewegung; bei Nacht ſitzen ſie ſtill, beugen ſich zuſammen, wenn ſie ſchlafen, und bedecken ihren Kopf mit dem Schwanze. Das Weibchen wirft mehrere Junge, von denen jedoch meiſt nur eines aufkommt, und trägt dieſes in der gewöhnlichen Weiſe umher. Nach Europa gelangen lebende Pinſeläffchen häufiger als alle anderen Arten ihrer Familie. Man kennt ſie ſchon ſeit der Entdeckung Amerikas und hat ſie ſtets in der Gefangenſchaft gehalten. Sie laſſen ſich mit Obſt, Gemüſe, Kerbtieren, Schnecken und Fleiſch recht gut ernähren, werden auch gewöhnlich ſehr bald zutraulich, doch nur gegen diejenigen, die ſie beſtändig pflegen. Fremden gegenüber zeigen ſie ſich mißtrauiſch und reizbar. Ihren Un— willen geben ſie durch pfeifende Töne zu erkennen. Alt gefangene zeigen ſich anfangs ziem— lich wild, ſchreien ſchon bei der geringſten Annäherung, und es währt recht lange, bis man ſie berühren darf. Wenn ſie aber einmal zahm geworden ſind, befreunden ſie ſich nicht nur mit den Menſchen, ſondern auch mit den Haustieren, vor allen anderen mit den Katzen, mit denen ſie ſpielen, und in deren Nähe ſie wahrſcheinlich der Wärme halber gern ſchlafen. Sie ſuchen ſich immer ſorgfältig gegen Kälte zu ſchützen und tragen die ihnen dargereichte Baumwolle und andere Stoffe, Lumpen, Wollfloden uſw. in einen Winkel ihres Käfigs, bereiten ſich ein Lager daraus und hüllen ſich ein, ſo gut ſie können. In Paris paarten ſich zwei dieſer Affchen, und das Weibchen warf drei ſehende Junge, ein männliches und zwei weibliche. Die jungen Tierchen waren, als ſie zur Welt kamen, mit ſehr kurzen, graulichen Haaren bekleidet. Sie hefteten ſich ſogleich an die Mutter und ver— ſteckten ſich in deren Haaren. Aber ehe ſie zu ſaugen begannen, biß die Alte einem von ihnen den Kopf ab und fraß ihn. Nachdem die beiden anderen ſich angeſaugt hatten, nahm ſie ſich ihrer an, und der Vater tat das gleiche. Wenn der Mutter die Jungen zu ſchwer wurden, ſtreifte ſie dieſe an einer Wand ab, worauf ſie das Männchen ſogleich auf ſeinen Rücken klettern ließ. Auch kam es vor, daß die Mutter ihrem Herrn Gemahl mit kläglichen Tönen ſich näherte, als wolle ſie ihn bitten, ihr die Laſt zu erleichtern, und auch dann zeigte 29 * 452 18. Ordnung: Affen. Familie: Krallenaffen. ſich das Männchen ſtets willfährig. Es trug, wie ſein Weibchen, die Jungen entweder auf dem Rücken oder unter dem Leibe und behielt ſie ſo lange bei ſich, bis die Kleinen ſaugen wollten; dann gab es ſie der Mutter wieder zurück. Dieſe ſchien weniger Sorge für ihre Sprößlinge zu haben als der Vater, und daher mochte es wohl auch kommen, daß beide nach— einander dahinſtarben. Schon nach wenigen Wochen nämlich wurde die Alte häufig müde, ihre Kinder herumzuſchleppen, und auch der geplagte Vater weigerte ſich zuletzt, die Jungen zu tragen. Nun kletterte das kleine Volk zu der Decke ſeines Käfigs hinauf. Hatte es ſich hier verſtiegen, und konnte es nicht wieder herunterkommen, jo ſchrie es um Hilfe. Bisweilen lei⸗ ſteten dieſe ihm die Eltern; oft aber ließen ſie die Kleinen auch ſchreien, ohne ſich um ſie zu kümmern, und die Wärter mußten nun ihr Flehen erhören. Der Saguin geht, wie auch aus dem Nachfolgenden ſich ergibt, höchſtens 3 Monate trächtig. Er hat in Europa ſchon mehrmals Junge gezeugt, einmal ſogar in Petersburg und unter ſehr ungünſtigen Verhält- niſſen. Man hielt die Tiere ſelbſt bei ziemlich rauhen Herbſt- und Frühlingstagen im un⸗ geheizten Zimmer und gab ihnen durchaus keine Freiheit; gleichwohl brachten ſie in zwei Jahren dreimal Junge zur Welt und zogen dieſe auch glücklich auf bei geringer Wartung, die ihnen zuteil wurde. Wir verdanken den Bericht hierüber dem Naturforſcher Pallas, und da dieſer zugleich eine ſehr ausführliche Beſchreibung des Betragens der Tiere ſelbſt in dern Gefangenſchaft beifügt, will ich ſeine Angaben im Auszuge hier folgen laſſen. „Der Saguin iſt ſozuſagen weit weniger Affe als die größeren Arten. Er zeigt zuweilen, zumal wenn er ſatt iſt und der Sonne genießen will, viel Trägheit und ſitzt in Geſellſchaft ſeiner Geſpielen ganze Stunden lang ſtill, am Drahte des Vogelbauers hängend. Er klettert in allen Richtungen, oft mit dem Kopfe abwärts, . . hält ſich, zuweilen mit den Hinterfüßen allein, abwärts gerichtet an oder dehnt den Körper, an den Vorderfüßen befeſtigt, wie ein fauler Menſch. Bei warmem Sonnenſcheine reinigen die Geſpielen ſich gegenſeitig mit den Vorderpfoten und Zähnen nach Affenart, bald nebeneinander am Gitter hängend, bald auf dem Boden ruhend, wobei einer lang ausgeſtreckt auf dem Rücken liegt. Dabei laſſen ſie ein geringes Zwitſchern und einen girrenden Laut hören. Mit demſelben Girren pflegten die Tiere des Abends beinahe auf Schlag ſechs Uhr in eine der bloß mit Stroh gefütterten Seiten— hütten ihres Käfigs zuſammenzukriechen und ließen ſich vor morgens ſechs oder ſieben Uhr nicht wieder ſehen, auch keinen Laut von ſich hören. Selten kam einmal einer während der Schlafzeit hervor, um ſeine Notdurft zu verrichten, wobei ſie nie ihr Neſt verunreinigten. Außer ihrem gewöhnlichen Girren ließen ſie, beſonders wenn ſie auf Nahrung aufmerkſam gemacht wurden, eine ihren franzöſiſchen Namen „Uiſtiti ziemlich genau ausdrückende, ſtärker tönende Stimme hören, oft mehrere Male hintereinander. Wenn ſie geſättigt ruhten oder ſich ſonnten, ſtießen die älteſten zuweilen mit weit aufgeſperrtem Rachen ein langes, eintöniges, außerordentlich durchdringendes und den Ohren wehtuendes Pfeifen aus, waren auch durch Scheuchen und Rufen davon nicht abzubringen. Sahen ſie etwas Ungewöhnliches, z. B. Hunde, Krähen uſw., ſo machten ſie ein wiederholtes, abſetzendes Geſchnatter, faſt wie eine Elſter, und warfen dabei den Oberteil des Leibes mit dem eingezogenen Kopfe jedesmal hin und her wie ein Menſch, der lauernd nach etwas ſieht und den rechten Geſichtspunkt ſucht. Noch ein anderes knarren— des und zuweilen grunzendes Geſchelte ließen die alten Männchen vernehmen, wenn man ſie ärgerte oder ihnen etwas von weitem darbot und nicht geben wollte. Dabei verlängerten ſie das Geſicht wie andere Affen, wenn ſie zornig werden, ſtotterten in ungewöhnlicher Weiſe und ſuchten den Störenfried mit den Vorderpfoten zu greifen und zu kratzen, wurden aber ſehr ängſtlich, wenn man die Pfote erhaſchte und außerhalb des Käfigs feſthielt. Faſt ebenſo Pinſeläffchen: Pallas' Bericht. 453 knarrten die Kleinen, erſt im ſelbigen Sommer Geborenen, welche den Alten weder an Voll— haarigkeit noch an Größe glichen, wenn ſie ſich untereinander oder mit den Alten um einen Leckerbiſſen zankten, und eben dieſe ließen, wenn ſie den kürzeren zogen, einen klagenden Laut hören, welcher dem Miauen einer jungen Katze ähnelte. „Alle Nahrung nehmen dieſe Affen mit dem Maule an, und wenn ſie durch das Gitter nicht dazu kommen können, iſt das Ergreifen derſelben mit den Vorderpfoten ſehr ungeſchickt, weil deren Daumen den anderen Fingern nicht entgegenſteht. Biſſen, welche ſie nicht auf einmal genießen können, halten ſie daher mehr mit den eingeſchlagenen Fingern gegen den Handballen (wie es die Eichhörnchen tun) als mit dem Daumen feſt; an den Hinterfüßen aber iſt der ſtärkere und allein mit einem Nagel verſehene Daumen zum Anhalten ſehr ge— ſchickt. Sie trinken auf allen vieren ſitzend mit ausgeſtrecktem oder zuſammengezogenem Leibe, entweder wie eine Katze leckend oder mit eingetauchten Lippen und ſchlürfend. So fraßen ſie auch das erweichte Brot, welches man in die ihnen vorgeſetzte Milch legte und eben als ge— wöhnliches Futter gab. Nach Zucker waren ſie ungemein begierig und konnten ihn mit ihren ſtumpfen Zähnen recht hurtig nagen, obgleich fie ſonſt nicht ſtark und auch im größten Zorne kaum durch die Haut biſſen. Auf Fliegen, Schmetterlinge und Spinnen waren ſie ſehr er— picht. Von allem anderen Futter fraßen ſie mit Mäßigung; doch war ihr Geſchmack dabei ſehr verſchieden: denn das, was einigen wohlſchmeckte, wollten andere nicht annehmen. „Des Morgens waren ſie alle ſehr unſauber, weil ſie ihren über Nacht aufgeſammelten Harn und Unrat ſoweit ſie konnten und oft einige Fuß weit zu ſpritzen und zu ſchleudern ſuchten, während ſie zu anderen Zeiten denſelben ohne Umſtände in das Heu des Käfigs ab— legten. Ihr Harn verunreinigt alles, was er berührt, mit einem widerlichen, moſchus- oder amberartigen, aber zugleich fauligen Geſtank, und ſo reinlich man ſie auch mit faſt täglichem Wechſel des Heues und Auswaſchen des Käfigbodens zu halten ſucht, verurſachen ſie doch, zumal in kleineren Zimmern, einen durchdringenden Übelgeruch ... Ihre Neſter hielten die Tiere ſtets trocken und reinlich ... In den kalten Herbſttagen, in denen ich fie bei mir hatte, hielten ſie im ungeheizten Zimmer, wo ſie am Fenſter ſtanden, bei Wärmegraden aus, welche beſtändig dem Gefrierpunkte nahe waren. Freilich ſuchten ſie alsdann die Sonne oder die Nachbarſchaft des neben ſie geſtellten Feuerbeckens, bei welchem ſie ſich, am Käfig hängend, ſtundenlang wärmten .. „Das Weibchen trägt ungefähr drei Monate und kann zweimal im Jahre werfen. Die Mutter hat hier nun ſchon ſeit nicht ganz zwei Jahren das drittemal auf jeden Wurf zwei Junge, und zwar größtenteils Männchen, gebracht, und dieſe ſind alle glücklich aufgewachſen und nur zwei nach erreichtem vollkommenen Wachstum geſtorben. Die Jungen, welche die erſten Wochen hindurch ganz kahl ſind, laſſen ſich von der Mutter immer umhertragen und klammern ſich gleich hinter den großen, mit weißen, langen Haaren umpflanzten Ohren ſo dicht und verſteckt an, daß man nur den Kopf mit den munteren Augen zu ſehen glaubt. Wenn die Mutter ihrer überdrüſſig iſt, reißt ſie dieſelben ab und wirft ſie dem Männchen auf den Hals oder ſchlägt und zankt auf dieſes los, bis es die Jungen aufnimmt. Nachdem dieſe Haare bekommen haben, ſucht ſie die Alte, etwa nach einem Monat oder ſechs Wochen, zu entwöhnen und ſchützt ſie auch vor ihren erwachſenen Brüdern nicht mehr. Mit letzteren nämlich und auch unter ſich ſelbſt geraten ſie oft in Streit, wobei der Schwächere zuweilen unterliegt und manchmal von den anderen faſt erwürgt wird.“ Neuerdings ift dem Pinſeläffchen ein wiſſenſchaftlicher Beobachter erſtanden in dem be⸗ kannten Phyſiologen und Anthropologen Hans Friedenthal, der den Erfolg hatte, ein Pärchen 454 18. Ordnung: Affen. Familie: Krallenaffen. in völliger Freihaltung, bei freier Bewegung in Haus und Garten, zwei Junge bringen zu ſehen. Über die Tragzeit konnte leider auch er nichts Genaues feſtſtellen, weil die beiden Pärchen immer beiſammen waren; er ſchätzt ſie auf etwa 75 Tage. Aber über Wachstum, Zahnwechſel hat er zahlen- und aktenmäßige Belege geſammelt. Die Jungen verdoppelten ihr Gewicht in 42 Tagen, d. h. nahmen in dieſer Zeit von 32 g bei der Geburt auf 65 g zu; ihre Zähne hatten ſie aber ſchon am 21. Tage alle, obwohl ſie bei der Geburt vollkommen zahnlos waren. Am 50. Tage fingen ſie an, etwas zu freſſen, vom 80. Tage an wurden ſie von der Alten nicht mehr geſäugt und vom 128. Tage an auch nicht mehr herumgetragen. Von den geiſtigen Fähigkeiten der Tierchen hält Friedenthal ſehr wenig, iſt namentlich über⸗ zeugt, daß ſie ihren menſchlichen Herrn und Pfleger nur als Futterſtelle und Nahrungs⸗ quelle kennen und ſchätzen lernen, für ſeine Perſon als ſolche aber keinerlei Anhänglichkeit oder ſonſtige Empfindung hegen. Beachtenswert find auch manche Gefangenſchaftsbeobachtungen von Hornung-Bielefeld. Dieſer erfuhr z. B., daß eine gefreſſene Kreuzſpinne einem Pinſelaffen Erbrechen verurſachte, und daß dann nie mehr eine ſolche angerührt wurde. Ein hoch in der Luft ſchwebender Papierdrachen jagte dem Tierchen ſolchen Schreck ein, daß Hornung ſeinen Käfig mit einem Tuche verhängen mußte. Verſchiedene Stimmlaute für ganz beſtimmte Erregungen waren wohl zu unterſcheiden. Hornung drückt ſie durch Buchſtaben folgendermaßen aus: Zorn: zick d ä zick ä; Wohlbehagen: leiſes, angenehmes pſivivivi; Langweile, Hunger: lautes, gedehntes pſiih, pfiih; Furcht: kurzes, ſchnell herausgeſtoßenes zi ä zi ä. Nach fünf Jahren hatte ſich das Tier an alle mögliche tieriſche Nahrung gewöhnt, auch an ſolche, bei der man ſich das zunächſt ſchwer denken kann; z. B. Salzhering, Bückling, deſſen abgezogene Fetthaut es mit Behagen und unter wohlgefälligem Piepſen ableckte, ferner gebratene Leber, geräucherte Wurſt, auch Rum und Rumfrüchte. Dieſes Hornungſche Pinſeläffchen erreichte unter der Pflege ſeines Herrn ein Alter von nicht weniger als 20 Jahren, für ein jo kleines Tier gewiß ein erſtaun⸗ liches Alter, war aber in den letzten Jahren allerdings ſchon ſo altersſchwach, daß es nur noch weiche und flüſſige Nahrung zu ſich nehmen konnte und einen Teil ſeines Haarkleides verlor. Schließlich möge noch das Wichtigſte aus dem Beobachtungsſchatze zweier liebevoller, des⸗ halb aber nicht weniger glaubwürdiger Pflegerinnen des Pinſeläffchens in gedrängter Kürze hier Platz finden. Frau v. Plönnies-Meran ſchreibt über ihren „Fips“: Beim Anſpringen an die offene Käfigtür ſchloß ſich dieſe, und er konnte nicht in den Käfig; ſeitdem überklettert er die Tür langſam oder umgeht ſie. Hinter den Ofen ſetzte er ſich nie mehr, ſeit dieſer einmal unverhofft heftig gebrummt hatte. Auf den Fußboden geht er ungern, ſeit er dort einmal einen Hund ſah. Der Schatten eines draußen vorbeifliegenden Vogels ſcheucht ihn ſofort in ſein Schlafkäſtchen, aus dem ihn dann an dieſem Tage die ſchönſte Sonne nicht mehr hervor lockt. Bei den Stimmlauten ſpricht Frau v. Plönnies noch von einem „zornigen Schmatzen“ und demſelben Warnungslaut, beſſer geſagt Schrecklaut, wie Hornung; nur folgt nach ihren Beobachtungen dann im Baß noch ein dumpfes Wff, und dabei wird der Oberkörper von rechts nach links hin und her geworfen. Bei unwilligem Schreck, als ſich jemand auf den Seſſel ſetzte, zwiſchen deſſen Sprungfedern er ſich verkrochen hatte, ſchrie Fips ſehr laut äau, wie eine geärgerte Katze. Wenn er hungrig war, ließ er, ſobald er ſeine Herrin erblickte, entweder einen Aſt ſeines Kletterbaumes gegen das Käfiggitter ſchnellen, oder er machte an dieſem mit den Vorderpfoten ein Geräuſch, und das wiederholte ſich regelmäßig, aber nur bei dieſem Anlaß. Geſchickt fand er Verſtecke, in denen er von allen Seiten gedeckt war und nach unten einen Ausgang hatte; von dort ließ er dann ſein Vogelgezwitſcher ertönen, gegen das Frau Pinſeläffchen. Zwergſeidenäffchen. Silberäffchen. 455 v. Plönnies' Rotkehlchen mit Vorliebe anſang. Freigelaſſen flog dieſes ſofort zu dem Affchen hin, wurde aber, ſobald es unter deſſen Verſteck erſchien, ſofort gepackt und aufgefreſſen. Über- haupt faßte dieſes Pinſeläffchen jeden Vogel blitzſchnell mit den Händen derart über den Flügeln, daß er nicht flattern konnte, und biß ihm zugleich den Schädel ein, ehe das Opfer nur zu einem Klagelaut fähig war. Dann fraß es in einem weg den ganzen Vogel, immer zuerſt den Kopf, mit Haut und Knochen, ſelbſt die Oberarmröhre, bis auf die Schwingen, und es gewöhnte ſich ſo an dieſe lebende Nahrung, daß es ſichtlich ſchwach wurde, wenn es eine Weile keinen Vogel erhielt. In der Sonne ſtellte Fips die Haare auf, ähnlich wie die Vögel die Federn ſträuben. Frau A. Meeter v. Zorn hat im Laufe von 13 Jahren 20 Pinſeläffchen gepflegt, aber nur eines 11 Jahre, wenige 3—7 Jahre am Leben erhalten können, obwohl fie fie ſehr viel frei laufen ließ; die meiſten find ihr binnen S-11 Monaten eingegangen. Auch bei ihr wurden einmal Junge geboren, und zwar, wie bei Friedenthal, in der Zweizahl. Von den geiſtigen Fähigkeiten der Affenzwerge hält ſie ſehr viel und führt dafür allerlei Belege an, die nicht ohne weiteres von der Hand zu weiſen ſind. Sie ſchreibt jedem einen anderen Charakter, ſeine beſonderen Eigenheiten zu. Von den Bäumen des Gartens verirrten ſie ſich nie in die Nachbargärten, und bei Tiſche holten ſie ſich ſtets einige Leckerbiſſen; abends ſuchten ſie ganz von ſelbſt ihr Körbchen mit Watte auf, das im Hauseingang ſtand. Sogar wenn eines ſchon wenige Tage nach ſeiner Ankunft aus dem Hauſe in den Garten entſchlüpfte, kam es freiwillig ins Haus zurück. Eines, das 61/2 Jahre lebte, fuhr auf alle Menſchen los, die ſich ſeiner Herrin näherten, ausgenommen deren Gatten; aber auch dieſem bezeigte es ſeine unfreundliche Auf— merkſamkeit durch trippelndes Tänzeln mit geſträubten Haaren, Hin- und Herwiegen des Körpers, Zuwenden des Rückens. Seit das Tierchen ſeine Herrin zufolge einer Trauernachricht weinen geſehen hatte, wurde es unruhig, ſobald ein Brief hereingebracht wurde, und fuhr ſchließlich dem Stubenmädchen kreiſchend in die Haare. Wenn Frau Meeter behauptet, dieſes Pinſeläffchen habe Menſchen nach 2—3 Jahren wiedererkannt, jo möchte man auch das um jo weniger be— ſtreiten, weil ſie als Beweis hinzufügt, daß es mit dieſen Perſonen beim Wiederſehen genau dasſelbe Gebaren wieder anfing, das es für jeden vor Jahren gehabt hatte. Wenn man mit den Affchen in einer anderen Sprache redete, als ſie gewohnt waren, merkte man ihnen erſt das Erſtaunen über die fremden Laute an; nach einigen Tagen aber war das Verſtändnis da. Zu derſelben Gruppe zählt auch der kleinſte aller Affen, das Zwergſeidenäffchen, Calli— thrix pygmaea Spix (Hapale), ein Tierchen von höchſtens 32 em Länge, wovon ungefähr die Hälfte auf den Schwanz kommt. Der Pelz iſt oben und außen lehmgelb und ſchwarz gemiſcht, auf den Pfoten rotgelb. Dunkle Querbänder verlaufen vom Rücken aus über die Seiten und Schenkel. Der Schwanz hat undeutliche Ringe. Jedes einzelne Haar zeigt an der Wurzel ſchwarze, in der Mitte rotgelbe, gegen die Spitze hin wieder ſchwarz und weiße Färbung. Spir entdeckte dieſes niedliche Geſchöpf bei Tabatinga am Ufer des Amazonas in Braſilien. Gewiſſermaßen als Übergangsglied ſei noch das Silberäffchen, Callithrix argen- tata L. (melanura; Hapale argentata, vgl. Abb., S. 450), erwähnt, weil es ſich durch längere untere Eckzähne mehr der übrigen, größeren Menge der Krallenaffen annähert. Das Tierchen, unbedingt eines der ſchönſten aller Affchen, erreicht, nach Bates, bloß eine Länge von 42—45 cm, wovon ungefähr 25 em auf den Schwanz kommen. Das lange, ſeidige Haar iſt ſilberweiß, der Schwanz matt ſchwarz, das faſt nackte Geſicht fleiſchfarben. „Der kleine Silberaffe“, ſagt Bates, „einer der ſeltenſten aller amerikaniſchen Affen überhaupt, ſcheint nur in der Nähe von Cameta vorzukommen; wenigſtens habe ich nicht 456 18. Ordnung: Affen. Familie: Krallenaffen. gehört, daß man ihn ſonſt noch gefunden hätte. In Cameta bemerkte ich in einer Kakaopflan⸗ zung drei Stücke, die ausſahen wie kleine weiße Kätzchen ... Später beobachtete ich einen Gefangenen und erfuhr, daß man gerade das Silberäffchen wegen ſeiner Schönheit beſonders ſchätzt. Der in Rede ſtehende Gefangene war ein furchtſames, empfindliches kleines Geſchöpf. Seine Gebieterin trug es beſtändig in ihrem Buſen und liebte es in ſo hohem Grade, daß ſie es nicht um alles Geld weggegeben haben würde. Ihr Liebling nahm ſeine Nahrung von ihren Lippen und erlaubte ihr, ihn zu hätſcheln, wie ſie wollte, geſtattete aber keinem Fremden die geringſte Annäherung. Wollte ihn jemand berühren, ſo ſchreckte er zurück; der ganze Leib bebte vor Furcht, und die Zähne klapperten aneinander, während er zitternde Laute der Angſt vernehmen ließ. Dabei hefteten ſich die ſchwarzen Augen voll Neugier und Miß⸗ trauen auf denjenigen, der auch nur verſuchte, ſich ihm zu nähern.“ Auf dem europäiſchen Tiermarkt iſt das Silberäffchen eine kleine oder vielmehr große Seltenheit; im Berliner Garten aber iſt es ſchon gezeigt worden. Die zweite, größere Gruppe der Krallenäffchen, die Tamarins, mit verlängerten unteren Eckzähnen, wird am beſten in der Gattung Leontocebus Wagn. (Midas) zuſammengefaßt. Einige im allgemeinen Außeren ſich noch dem Pinſeläffchen anſchließende Arten erwähnen wir, weil ſie bereits lebend eingeführt, auch im Berliner Garten gehalten worden ſind. So das Mohrenäffchen, Leontocebus ursulus Zumb. (Hapale ursula), das der große Humboldt 1811 vom unteren Amazonenſtrom, aus Parc, beſchrieb, das aber auch Buffon als „Tamarin negre“ ſchon nannte. Es verdient ſeinen Namen durch die größten⸗ teils ſchwarze Farbe; nur der Rücken unterhalb der Schultern und die Außenſeite der Beine ſind ockerfarbig geſprenkelt. Sonſt iſt alles kohlſchwarz an dem Tierchen: außer Hals und Unterſeite auch Hände, Füße, der ganze Kopf, und das gibt ihm im Verein mit den großen, nackten Ohren und dem langen ſchwarzen Hinterhauptshaar trotz aller Kleinheit einen ganz eigenartig wüſten und finſteren Ausdruck. Bates fand das Mohrenäffchen menſchenfreundlicher als irgendeinen anderen Affen, ſah es öfter in den Gehölzen der Vorſtädte von Para, einmal zwei ſogar dicht hinter dem engliſchen Konſulatsgebäude! Das Tierchen wagt ſich aber nicht auf die dünnen Zweige der Bäume, auf denen Kapuziner und andere größere Affen mit ihren Greifhänden und -füßen ſich ſo gut feſtzuhalten und zu ſpringen verſtehen, ſondern bleibt mehr an den Stämmen und auf den dicken Aſten, wo es, nach Eichhornart in die rauhe Rinde ſich einkrallend, flink dahin⸗ rennt und in Schraubenlinien auf und nieder klettert. In Para wurde es auch viel zahm ge— halten, und zwar ganz frei; Bates ſah einmal eins ſpielend, wie ein Kätzchen, ums Haus rennen hinter den Negerkindern her, deren gehätſchelter Liebling es war; gegen Fremde im Hauſe aber war es feindlich und verſuchte ſolche ſogar zu beißen, zumal wenn ſie ſich in die Hänge⸗ matte legen wollten. Mit dem runden, menſchenähnlichen Geſichtchen ſieht es ſehr geweckt und nett aus, und wenn es mit ſchief gehaltenem Köpfchen etwas ſcharf ins Auge faßt, macht es einen ungemein klugen, pfiffigen Eindruck. Müller-München fand das Mohrenäffchen nur in Wäldern mit ausgeſprochen hohen Bäumen und ſah es auch immer nur in recht beträchtlicher Höhe ſich aufhalten: in kleinen Geſellſchaften von 3—10 Stück, anſcheinend von ernſtem Weſen; wenigſtens ſah er in der Freiheit die Tierchen niemals ſpielen und ſich jagen, vielmehr waren ihre Bewegungen ſtets gemeſſen. Einen Trupp beobachtete Müller am frühen Morgen auf einem überragenden, etwa 40 m hohen Fruchtbaume, wohl einer Feigenart, deren Früchte gerade reif waren. Die Mohrenäffchen. Devilles und Weddells Affchen. Schnurrbartäffchen. Binde 457 Tierchen liefen ganz gemächlich, hochbeinig, mit etwas vom Körper weggehaltenem, dann aber lang herabfallendem Schwanz über die Aſte und begannen, in der Mitte der Krone angelangt, ganz ruhig zu freſſen, ohne jeden Laut oder Streit. Ein Affchen, das auf den Schuß unſeres Sammlers fiel, raffte ſich trotz des Sturzes aus mindeſtens 35 m Höhe ſofort wieder auf, kletterte blitzſchnell an einer Liane empor und verſchwand im Laubwerk. Ebenſo war ein zweites, obwohl ſtark blutend, im Nu weg. Das Geſchrei zweier weiterer am Boden liegender aber lockte die übriggebliebenen bis auf etwa 15 m Höhe am Baume herunter, wo ſie mit den Verwundeten um die Wette in allen Tonarten zeterten. Erſt ein weiterer Schuß jagte ſie in die Flucht, und ſie ließen ſich auch nie mehr auf dem Baume ſehen, bei dem Müller ſich noch oft anſtellte. Eines der ſchwerverwundeten wollte nicht ſterben, obwohl es an Kopf, Bruſt und Beinen getroffen war; es war auch nicht durch Erdroſſeln mit einer dünnen Liane zu Pinche, Leontocebus oedipus E. ½ natürlicher Größe. töten. Erſt zu Hauſe konnte Müller ihm durch eine Alkoholeinſpritzung ins Herz ein augenblick— liches Ende machen; während des dreiſtündigen Heimmarſches war es aber trotz Schädels, Lungen- und Beinſchuſſes nicht einmal ſchwächer geworden. Gewiß erſtaunliche Beweiſe von Lebenszähigkeit, die überhaupt den ſüdamerikaniſchen Affen eigen zu ſein ſcheint! Auch Devilles Affchen, Leontocebus devillei IS. Geoffr., vom Ucayali- und Huallagafluß in Oſtperu hat noch ſchwarzen Kopf, Hals, Bruſt, Hände, Füße und Schwanz, ift aber ſonſt hell geſprenkelt, und bei Weddells Affchen, L. weddelli Deville, aus der Provinz Apolobamba in Bolivien, tritt dann ſchon die helle, an den Lippen ganz weiße Ge— ſichtsfärbung auf, die beim Schnurrbartäffchen, L. mystax Spiæ, vom oberen Amazonen— ſtrom (Tabatinga), zu einem wirklich weißen Schnurrbart wird. Das gibt dem Tierchen natürlich ein ſehr komiſches Ausſehen: nach Bates ſieht es aus, als ob es eine Flocke ſchnee— weißer Baumwolle im Maul hielte. Die kleine Gruppe der Pinche⸗Affchen zeigt gänzlich veränderte Färbung mit weißer Unter— ſeite und Gliedmaßen, namentlich aber durch ihre langſträhnige weiße Perücke. Nach dieſer könnte man die bekannteſte Art, die nicht allzuſelten lebend eingeführte eigentliche Pinche, Leontocebus oedipus L. aus dem Gebiete von Cartagena und Turbaco in Oſtkolumbien 458 18. Ordnung: Affen. Familie: Krallenaffen. deutſch ſehr wohl „Liſzt-Affchen“ nennen. Denn ſie beſitzt auffallend lange Kopfhaare, die über die Stirnmitte hervortreten und vom Hinterhaupte herabhängen; die Stirnſeiten dagegen ſind nackt. Ausgewachſene Männchen erreichen eine Länge von 66—70 em, wovon 40—42 cm auf den Schwanz kommen. Der Pelz hat eine erdbraune Färbung, da die graulichen, am Grunde einfarbigen Haare gegen die Spitze hin drei hellbraune Ringe zeigen. Unterſeite, Kopfhaare, Arme, Unterſchenkel und alle unteren Teile ſehen mehr oder weniger rein weiß aus; der Schwanz iſt am Grunde kaſtanienbraun, gegen die Spitze hin ſchwarzbraun gefärbt. Das ſchwarze Geſicht mit den munteren hellbraunen Augen ſticht von dem weißen Kopfhaare lebhaft ab und erhält durch feine, gelblich grauweiße Härchen, die zuſammengefloſſene Brauen und einen als ſchmalen Rand um den Mund verlaufenden Bart bilden, ein abſonderliches Ausſehen. Die Innenſeite der Hände und Füße iſt mit dem Geſicht gleich gefärbt. Über das Freileben fehlen noch ausführliche Beobachtungen. Gefangene unterſcheiden ſich in ihrem Leben und Treiben wenig oder nicht von den übrigen Arten der Familie. Ein Pärchen, das einige Wochen im Berliner Tiergarten lebte, fiel mir beſonders auf durch ſeine Stimme, die täuſchend der eines Vogels gleicht und bald in reinen, langgezogenen Flötentönen, bald in Trillern ſich bewegt oder mit einem hohen „Dididi“ beginnend, nach und nach in tiefere Laute übergeht und mit „dräderädä, gak, gak, gäk“ zu endigen pflegt. Ich kenne kein Säugetier, auch keinen Krallenaffen, deſſen Stimmlaute in einer ſo auffälligen und unter Umſtänden täuſchenden Weiſe mit Vogelgezwitſcher übereinſtimmen wie bei dieſem Affchen. Der Stuttgarter Tierkundige Ph. L. Martin konnte dasſelbe aus dem Freileben beſtätigen, während er in der Heimat des Tierchens an einer Wildlecke auf Anſtand ſaß. Löwenäffchen nennt man ſchließlich diejenigen Arten, die nacktes Geſicht und nackte Ohren, einen körperlangen, dünnen, am Ende oft gequaſteten Schwanz haben und am Kopfe allein oder am Kopfe, Halſe und den Schultern nebſt den Vordergliedern eine mehr oder weniger lange Mähne tragen. Als Urbild dieſer Gruppe gilt das kleine Löwenäffchen, Leontocebus leoninus Hum- boldt (Hapale leonina), das Alexander v. Humboldt entdeckte. Die Leibeslänge des Tier⸗ chens beträgt 20—22 em, die Schwanzlänge ebenſoviel. Ein ſchwer zu beſchreibendes Oliven⸗ bräunlich ift die vorherrſchende Färbung des Pelzes, der auf dem Rücken weißlichgelb gefleckt und geſtrichelt erſcheint. Die lange Mähne iſt ockergelb, der Schwanz oberſeits ſchwarz, unter⸗ ſeits leberbraun. Alle nackten Teile, alſo das Geſicht mit Ausnahme der weißlichen Mund⸗ ränder und Hände und Füße, ſehen ebenfalls ſchwarz aus. Humboldt erhielt das Löwenäffchen in den Waldungen von Mocoa im amazoniſchen Braſilien und erfuhr von den Eingeborenen, daß es die milderen, kühleren Berggegenden meide und nur die heiße Ebene bewohne, die den öſtlichen Abfall der Kordilleren begrenzt und von den Flüſſen Putumayo und Caqueta durchſtrömt wird. „Es iſt“, jagt Humboldt, „eines der ſchönſten, feingebildetſten Tiere, welche ich je geſehen habe, lebhaft, fröhlich, ſpielluſtig, aber, wie faſt alles Kleine in der Tierſchöpfung, hämiſch und jähzornig. Reizt man es, ſo ſchwillt ihm der Hals erſichtlich, die lockeren Haare desſelben ſträuben ſich, und die Ahnlichkeit zwiſchen ihm und einem afrikaniſchen Löwen wird dann auffallend. Leider habe ich nur zwei Stück dieſer Art ſelbſt beobachten können, die erſten, welche man lebendig über den Rücken der Andeskette in die weſtlichen Länder gebracht hatte. Man bewahrte ſie ihrer Wildheit wegen in einem großen Käfig, und hier waren ſie in ſo ununterbrochener Bewegung, daß ich lange Zeit brauchte, bevor ich ihre bezeichnenden Merkmale auffaſſen konnte. Ihre bald zwitſchernde, bald pfeifende Löwenäffchen. Röteläffchen. 459 Stimme gleicht der anderer Affen dieſer Gruppe. Man hat mir verſichert, daß in den Hütten der Indianer von Mocoa der zahme Löwenaffe ſich fortpflanzt. „Am oberen Amazonenſtrome“, ſchildert Bates, vorſtehendes vervollſtändigend, „ſah ich einſt ein zahmes Löwenäffchen, welches jedermann zugetan zu ſein ſchien und ſein größtes Vergnügen darin fand, eintretenden Leuten auf den Leib zu ſpringen und an ihnen empor— zuklettern. Als ich ſeine Bekanntſchaft machte, rannte es durch den ganzen Raum gerade auf den Stuhl zu, auf welchem ich ſaß, kletterte zu meiner Schulter empor, drehte ſich, hier an— gekommen, rund herum, ſah mir in das Geſicht, dabei die kleinen Zähne zeigend und zwit— ſchernd, als wollte es mich nach meinem Befinden fragen. Gegen ſeinen Gebieter bekundete es größere Anhänglichkeit als gegen Fremde; wenigſtens kletterte es im Laufe einer Stunde wohl ein dutzendmal an ihm auf und ab, auf dem Kopfe meiſt noch eine ſorgfältige Umſchau nach gewiſſen Tierchen haltend.“ Geoffroy bemerkt, daß dieſes Affchen gemalte Gegenſtände zu unterſcheiden wiſſe, vor dem Bilde einer Katze ſich fürchte, nach der Abbildung eines Käfers oder einer Heuſchrecke aber greife, in der Abſicht, ſie wegzunehmen. In Europa gehört ein lebendes Affchen dieſer Art übrigens zu den allergrößten Seltenheiten. Unter der Bezeichnung „Löwenäffchen“ verſtehen unſere Händler eine verwandte Art, das Rötel- oder Große Löwenäffchen, Leontocebus rosalia L. (Midas; Abb., S. 460), das dem vorher beſchriebenen allerdings in mancher Hinſicht ähnelt, ſich jedoch ſehr wohl von ihm unterſcheidet. Es gehört zu den größeren Arten der Gruppe, da ſeine Geſamtlänge 65 bis 75 em beträgt, wovon 25—30 cm auf den Leib zu rechnen find und das übrige auf den Schwanz kommt. Das Geſicht iſt nackt und bräunlich fleiſchfarben, das große Ohr längs des Randes mit ſchwarzbraunen Haaren beſetzt, während auf den Backenſeiten und der ſich in einem ſpitzen Winkel gegen die Kopfmitte ziehenden Stirn feine, kurze gelbbräunliche Härchen ſtehen; Hände und Füße ſind außen und innen gelblichbraun, die Haare der letzteren ſtark mit Gelb gemiſcht. Das lange Scheitelhaar, das durch einen längs der Kopfmitte verlaufenden, aus kürzeren, ſchwarzbraunen Haaren gebildeten Streifen getrennt wird, fällt zu beiden Seiten mähnen— artig herab und hat dunkelbraune Färbung, während die Bekleidung des übrigen Kopfes, der Kehle, der Bruſt und der Arme dunkel orangebraun, der übrige Pelz rötlichgelb ausſieht und in lebhaftem Goldglanze ſchimmert. Der Schwanz iſt bei einzelnen Stücken an der Wurzel gefärbt wie der Leib, hierauf ſchwarz gefleckt, gegen die Spitze hin dunkler werdend und an ihr ſelbſt gelb. Doch kann dieſe Fleckenzeichnung auch vollſtändig fehlen. „Dieſes niedliche Tier“, ſagt der Prinz von Wied, „findet ſich in den großen Waldungen der Gegend von Rio de Janeiro, Cabo Frio, San Joao uſw., geht aber nicht weit nördlich; wenigſtens habe ich es am Parahyba ſchon nicht mehr beobachtet. Dem Geſagten zufolge beſchränkt ſich ſein Verbreitungsgebiet auf die Waldungen der Oſtküſte zwiſchen dem 22. und 23. Grade ſüdlicher Breite. Der rote Sahui, wie er von den Braſiliern genannt wird, iſt nirgends zahlreich; wir haben ihn auch nur einzeln oder familienweiſe angetroffen, beſonders in der Sierra de Inua, im Walde von San Joao und in den gebirgigen Waldungen, welche die Gegend von Ponta Negra und Gurapina umgeben. Er ſcheint ebenſowohl die Büſche der jandigen Ebenen wie die hohen gebirgigen Wälder zu bewohnen und gern in belaubten Baumkronen ſich zu verbergen, ſobald er einen fremdartigen Gegenſtand bemerkt. Im ge— zähmten Zuſtande ſollen dieſe Tierchen nicht ſo empfindlich für den Verſand übers Meer ſein wie die anderen Krallenaffen, mit denen ihre Lebensart übrigens vollſtändig überein— ſtimmt. Man liebt ſie ſehr wegen ihrer Schönheit, da ſie einem kleinen Löwen gleichen. 460 18. Ordnung: Affen. Familie: Krallenaffen. Bei jeder Erregung richten ſie den das Geſicht umgebenden Haarkreis auf und nehmen ſich alsdann höchſt niedlich aus.“ Auf unſeren Tiermarkt gelangen allzährlich einige Paare dieſer ungemein zierlichen Affchen und finden ſtets willige Käufer, obgleich ihr Preis verhältnismäßig hoch iſt. Unter ihresgleichen, mindeſtens denjenigen Arten, die man lebend nach Europa bringt, darf man ſie wohl als die anmutigſten bezeichnen; auch halten ſie in der Tat beſſer in der Gefangenſchaft Röteläffchen, Leontocebus rosalia LE. ½ natürlicher Größe. aus als andere Krallenaffen. Schon Buffon, der dieſe Affchen „Marikinas“ nennt, gedenkt eines von ihnen, das in Paris 5—6 Jahre lebte, ohne daß man beſondere Umſtände mit ihm gemacht hätte. Gegen Kälte zeigen ſich unſere Affchen überhaupt viel weniger empfindlich als gegen ſchnellen Witterungswechſel und unmittelbar einwirkende Sonnenhitze. Dies wird man ganz erklärlich finden, wenn man bedenkt, daß alle Krallenaffen während der Hitze des Mittags in ihrer Heimat ſich keineswegs den Strahlen der Sonne auszuſetzen, im Gegenteile ängſtlich vor dieſen in dem dichteſten und ſchattigſten Gelaube zu verbergen pflegen, und daß ſie an verhältnismäßig, nämlich im Vergleiche zur Tageswärme, höchſt empfindlich kalte Nächte von S eu Röteläffchen. Spring-Tamarin. 461 ihrem Freileben her gewöhnt ſind. Reichenbach beobachtete, daß ein unmittelbar der Sonne ausgeſetztes Löwenäffchen plötzlich erkrankte und unter allen Anzeichen des Sonnenſtiches ſtarb. In ſeinem Weſen und Betragen unterſcheidet ſich das Große Löwenäffchen wenig oder nicht von ſeinen Verwandten. Sobald ein ihm nicht wohlbekanntes Tier oder ein Fremder in ſeine Nähe kommt, richtet es die Mähnenhaare empor, fletſcht die Zähne, als wolle es ſich ein furchterregendes Anſehen geben, und zieht ſich nun langſam rückwärts nach einem anderen Schlupfwinkel zurück. Doch habe ich an ſolchen, die öffentlich ausgeſtellt waren, beobachtet, daß ſie ſich nach und nach an die ſie umſtehenden Leute gewöhnen. Bei gemütlicher Stimmung vernimmt man dann und wann ein leiſes Pfeifen von ihnen; im Zorne geben ſie zwitſchernde, das Ohr unangenehm berührende Laute von ſich. Mit ihresgleichen leben ſie in ſehr guter Gemeinſchaft; zwiſchen den Gliedern eines Pärchens wenigſtens bemerkt man keinen Unfrieden. Beide Gatten pflegen ſich ſtets zuſammenzuhalten, freſſen gemeinſchaftlich aus einem Napfe, ohne dabei die den Affen ſonſt eigene Habgier und Selbſtſucht an den Tag zu legen, ſchlafen auch friedlich in einem und demſelben Lagerkäſtchen uſw. Hier und da, beiſpielsweiſe im Tiergarten von Antwerpen, haben ſie ſich fortgepflanzt; doch gehören derartige Vorkommniſſe immerhin zu den Seltenheiten. Die Krallenäffchen wären vollkommen ſcharf getrennt von den übrigen ſüdamerikaniſchen Affen, wenn es nicht doch ein Übergangsglied gäbe. Dies iſt ein amazoniſches Afſchen, das äußerlich ganz ausſieht wie eine der vielen Tamarinarten und daher auch nach einem Balg ohne Schädel von Oldfield Thomas als Midas goeldii beſchrieden wurde zu Ehren des um die ſüdamerikaniſche Tierkunde verdienten Schweizer Naturforſchers Goeldi. Ganz neuerdings beſchrieb es aber Ribeiro nach einem vollftändigen Stücke im Muſeum zu Para nochmals und benannte es nach der dort ſeit Jahren ſchon ſo verdienſtlich wirkenden Zoologin Snethlage. Er mußte dem Tierchen aber auch einen neuen Gattungsnamen geben: Callimico Ribeiro; denn es zeigte ſich, daß dieſes im Schädel, in Zahl und Form der Backzähne von den Krallen- äffchen abweicht und ſich der Hauptmaſſe der übrigen amerikaniſchen Affen anſchließt. Im beſonderen ſtellt es dadurch eine Verbindung her zwiſchen den Tamarins und den Springaffen; man kann es daher vielleicht Spring-Tamarin, Callimico goeldii 7Ros., nennen. Dieſes Übergangsglied wirft ein ganz neues, viel helleres Licht auf Stellung und Her— kunft der Krallenäffchen. Im Hinweis auf den Spring-Tamarin ſtellt dann auch Pocock gleich die Frage, ob die Krallenäffchen nicht am Ende ein verzwergter, abgeſunkener Seitenzweig der übrigen amerikaniſchen Affen und alſo von dieſen abzuleiten ſeien, nicht umgekehrt. Ihre Glied— maßenbildung mit den Krallennägeln würde man aus ihrer Kleinheit erklären können, die ſie zwingt, mehr nach Eichhorn- als nach Affenart auf den Bäumen ſich zu bewegen. Zudem kommen krallenartige Nägel auch bei anderen ſüdamerikaniſchen Affen vor, und als eine urſprüng— liche Bildung können ſie bei Affen ſchon deshalb ſchwer gelten, weil ſie ſonſt auch bei den Halb— affen auftreten müßten, die aber gerade die allerbreiteſten Plattnägel und Fingerbeeren haben. Übergehend zur Hauptmaſſe der heute als Familie Cebidae, d. h. eigentlich Kapuziner— affenartige, zuſammengefaßten amerikaniſchen Affen, müſſen wir ſeit der Entdeckung des Spring⸗Tamarins mit der Unterfamilie der Nachtaffenartigen (Aotinae) und innerhalb dieſer wieder mit den Springaffen (Gattung Callicebus 7%os., früher Callithrix) beginnen. Sie kennzeichnen ein ſchlanker Körper mit ſchlanken Gliedmaßen und ſehr langem, dünnem 462 18. Ordnung: Affen. Familie: Cebidae. und ſchlaffem Schwanze, der runde Kopf mit bartloſem Geſichte und kurzer Schnauze, hellen Augen und großen Ohren, und fünfzehige Hände und Füße. Für die wiſſenſchaftliche Syſtematik wichtiger als die angegebenen äußeren Merkmale ſind die Eigentümlichkeiten des Zahnbaues und Gerippes. Unter den Weichteilen zeichnet ſich beſonders der Kehlkopf durch ſeine Größe aus. Die Springaffen leben in kleinen Geſellſchaften, die aus einer oder einigen Familien beſtehen, in den ſtillen Waldungen Südamerikas und machen ſich hier durch ihre laute Stimme ſehr bemerklich. Im Gezweige bewegen ſie ſich mit kurz zuſammengezogenem Leibe verhältnis— mäßig langſam. Ihre Stimme, nach der der Brüllaffen die ſtärkſte und weitſchallendſte, die man von den dortigen Affen vernimmt, verrät ſie auf fernhin dem Jäger, der ihnen ihres zarten und leckeren Fleiſches halber eifrig nachſtellt. Wohl mit aus dieſem Grunde zählen ſie zu den ſcheueſten Arten ihrer Familie. Tierfreunde, namentlich auch die Indianer, ſuchen ſie übrigens am liebſten lebend und im Jugendzuſtande zu bekommen, um ſie zu erziehen; denn ihr Weſen iſt außerordentlich ſanft, und ſie werden im höchſten Grade zahm. Dank den Forſchungen zweier ausgezeichneter Naturforſcher, des Prinzen von Wied und Humboldts, kennen wir die Lebensweiſe zweier Arten der Gruppe, des Sahuaſſus und des Witwenaffen. Bei dem erſteren, Callicebus personatus E. Geoffr., iſt, nach Wied, der ganze Kopf von der Bruſt an bis auf die Mitte des Scheitels bräunlichſchwarz, der Hinterkopf und Oberhals gelblichweiß, der übrige Leib blaß graubräunlich, das Haar an der Spitze heller blaßgelblich; am Vorderarme werden die Haare dunkler und ihre Spitzen ſtechen mehr hervor; Hände und Füße ſind ſchwarz, die inneren Seiten der Vorderarme und Schienbeine ſchwarzbraun, die Vorderſeiten der Hinterſchenkel hell gelblichgrauweiß; das Bauchhaar hat graubraune Fär— bung und rötliche Spitzen; der Schwanz iſt rötlichgraubraun, auf der Unterſeite und an der Wurzel roſtrot. Bei den Weibchen erſcheint die Färbung bläſſer; auch fehlt ihnen der weiße Hals- oder Hinterhauptfleck; die Vorderteile find mehr weißlich, die Vorderarme und Hinter: beine etwas gelblich, die Hinterbeine innen dunkel graubraun, die Vorderarme bis zu den Ellbogen ſchwarzbraun gefärbt. Die geſamte Länge beträgt etwa 80 em, die Schwanzlänge 45—50 cm. Übrigens ändern auch die Springaffen in der Färbung mehr oder weniger ab und haben deshalb Veranlaſſung gegeben, eine ganze Reihe von Arten (bei Elliot 22) aufzuſtellen. Noch weit ſchöner gefärbt als der Sahuaſſu und eines der ſchönſten Mitglieder der Familie überhaupt iſt der Witwenaffe, Callicebus torquatus Hoffm. (lugens). Seine Länge beträgt 90 em, wovon 50 em auf den Schwanz gerechnet werden müſſen. „Das kleine Tier“, jagt Alexander v. Humboldt, „hat feines, glänzendes, ſchön ſchwarzes Haar, fein Ge⸗ ſicht eine weißliche, ins Blaue ſpielende Larve, in welcher Augen, Naſe und Mund ſtehen, ſein kleines, wohlgebildetes, faſt nacktes Ohr einen umgebogenen Rand. Vorn am Halſe ſteht ein weißer zollbreiter Strich, welcher ein Halsband bildet; die Füße ſind ſchwarz wie der übrige Körper, die Hände aber außen weiß und innen glänzend ſchwarz. Dieſe weißen Ab— zeichen deuten die Miſſionare als Schleier, Halstuch und Handſchuhe einer Witwe in Trauer. „Die Gemütsart dieſes kleinen Affen, welcher ſich nur beim Freſſen auf den Hinterbeinen aufrichtet, verrät ſich durch ſeine Haltung ſehr wenig. Er ſieht ſanft und ſchüchtern aus, berührt auch häufig das Freſſen nicht, welches man ihm bietet, ſelbſt wenn er ſtarken Hunger hat. Die Geſellſchaft anderer Affen ſcheint er zu meiden; wenn er des kleinſten Saimiris anſichtig wird, läuft er davon. Sein Auge aber verrät große Lebhaftigkeit. Wir ſahen ihn ſtundenlang regungslos daſitzen, ohne daß er ſchlief, und auf alles, was um ihn vorging, achten. Seine Schüchternheit und Sanftmut ſind überhaupt nur ſcheinbar vorhanden. Iſt Sahuaſſu. Witwenaffe. Nachtaffe. 463 der Witwenaffe allein ſich ſelbſt überlaſſen, ſo wird er wütend, ſobald er einen Vogel ſieht, klettert und läuft dann mit erſtaunlicher Behendigkeit, macht einen Satz auf ſeine Beute, wie die Katze, und erwürgt, was er erhaſchen kann. „Dieſer ſehr ſeltene und äußerſt zärtliche Affe lebt auf dem rechten Ufer des Orinoko in den Granitbergen hinter der Miſſion Santa Barbara, ferner in Chaviare bei San Fernando de Atapabo. Ein gezähmter hat mit uns die ganze Reiſe auf dem Caſſiquiare und Rio Negro mitgemacht und iſt zweimal mit uns über die Katarakten gegangen.“ Der Prinz von Wied berichtet vom Springaffen: Er „wurde von uns zuerſt in den großen Urwäldern gefunden, welche die Ufer des Itabapuana und des Itapemirim beſchatten; wir fanden ihn ferner am Sritaba und am Eſpirito Santo und nördlich bis über den Rio Doce hinaus. Spix begegnete ihm außerdem in der Nähe von Rio de Janeiro. Hier in den großen ununterbrochenen Waldungen, in denen ſie ſelten beunruhigt werden, leben dieſe angenehmen, harmloſen Geſchöpfe in kleinen Geſellſchaften von einer oder einigen wenigen Familien bei— ſammen, nach verſchiedenen reifenden Früchten umherziehend und ſo einen größeren Teil der Wälder durchwandernd, zu gewiſſen Zeiten aus einer Gegend verſchwindend und plötzlich wieder nach dem gewohnten Standorte zurückkehrend. Ihre durch die ſtille, einſame Wildnis weit- ſchallende Stimme, welche von beiden Geſchlechtern ausgeſtoßen und häufig vernommen wird, klingt wie ein Röcheln und kann einigermaßen nachgeahmt werden, indem man den Atem abwechſelnd ſchnell hintereinander einzieht und wieder ausſtößt. Schleicht man ihnen nach, ſo ſieht man ſie etwas gebückt auf den Zweigen ſitzen, wobei der Schwanz ſchlaff herabhängt; ſobald ſie aber etwas Fremdartiges bemerken, eilen ſie, dicke Hauptäſte bevorzugend, ſchnell durch das Gezweige weg und ſchweigen dabei vollkommen, da ſie ihre laute Stimme über— haupt nur bei vollkommener Ruhe und bei ſchönem, warmem Wetter morgens und abends ver— nehmen laſſen. Sie werfen nur ein Junges, welches die Mutter ſo lange mit ſich umherträgt, bis es ſtark genug iſt, den Alten ſelbſt überall folgen zu können.“ Im Monate Oktober fand der Prinz von Wied ſchon ſtarke Junge; doch erlegte man zu derſelben Zeit auch noch tragende Weibchen. „Schießt man“, erzählt unſer Gewährsmann, „die Mutter von einem Baume herab, ſo erhält man gewöhnlich das Junge, welches ſie auf dem Rücken oder unter dem Arme zu tragen pflegt, lebend und kann es alsdann leicht erziehen und zähmen; denn es lernt bald freſſen und wird äußerſt zahm und ſanft. Alle Affen dieſer Art ſind nicht zornig und biſſig, wenn man ſie verwundet, ſondern zeigen das ſanfteſte Weſen. Bei größter Behaglich— keit ſchnurren fie wie eine Katze.“ — Sowohl die weißen Braſilier wie die Neger und Ins dianer ſtellen dem Sahuaſſu ſeines Fleiſches wegen nach. In unſeren Tiergärten gehören Springaffen zu den größten Seltenheiten, obſchon dann und wann einer oder der andere lebend zu uns gelangt. Ich bin niemals ſo glücklich geweſen, einen einzigen zu ſehen, und weiß daher aus eigener Beobachtung nichts mitzuteilen. Wir laſſen den Nachtaffen (Gattung Aotes Humboldt, Nyctipithecus) folgen, die einzige nächtlich lebende Form unter allen Affen, die ſonſt ausgeſprochene Tagtiere ſind. Azara iſt der erſte Naturforſcher, der uns mit dieſem merkwürdigſten aller Affen bekaunt— gemacht hat. Wenig ſpäter als er berichtet Humboldt über dasſelbe Tier, nach ihm Reng— ger, Schomburgk, Bates und andere. Kopf und Geſichtsausdruck unterſcheiden die Nacht- affen augenblicklich von allen übrigen Affen und kennzeichnen fie ſehr gut: eben als Nacht— tiere. Der kleine rundliche Kopf hat große, eulenähnliche Augen; die Schnauze ragt wenig vor und iſt breit und groß; die Naſenlöcher öffnen ſich ganz nach unten; die Ohren ſind 464 18. Ordnung: Affen. Familie: Cebidae. klein. Der Leib iſt geſtreckt, weich und locker behaart, der etwas buſchige Schwanz länger als der Körper. Die Nägel ſind zuſammengedrückt und gebogen. Die Nachtaffen kommen, mit Ausnahme einer mittelamerikaniſchen Art (A. rufipes Sel.), nur in Südamerika vor. Elliot unterſcheidet 15 Arten. Die bekannteſte Art iſt der Gewöhnliche Nachtaffe oder Mirikina, Aotes trivir- gatus Humboldt (Taf. „Affen I”, 2, bei S. 405), am Amazonas, nach Müller-München, „Macaco de noite“ genannt. Sein ſchmächtiger Leib iſt 35 em, der Schwanz 50 em lang. Die Färbung des Pelzes ſieht oben graubraun, unten mehr oder weniger roſtfarbig aus; der Schwanz hat eine ſchwarze Spitze. Auf dem Scheitel finden ſich drei gleichbreite, ſchwarze, miteinander gleichlaufende Streifen, an die der lateiniſche Artname anknüpft; von dem Nacken bis zur Schwanzwurzel zieht ſich ein breiter, hell gelblichbrauner Streifen herab. Alle Haare ſind fein und ſehr weich anzufühlen. Der Verbreitungskreis des Mirikinas erſtreckt ſich von Guayana über das obere Amazonasgebiet bis nach Peru. Auch die anderen Arten leben mehr im inneren als im öſtlichen Südamerika. Von ihrem Freileben iſt nur wenig bekannt. Nach Rengger bringt der Nachtaffe ſein Leben auf und in Bäumen zu, geht während der Nacht ſeiner Nahrung nach und zieht ſich am Morgen in eine Baumhöhle zurück, um hier den Tag über zu ſchlafen. Beim Sammeln von Brennholz fanden die Leute unſeres Naturforſchers einmal ein Pärchen dieſer Affen, die in einem hohlen Baume ſchliefen. Die aufgeſcheuchten Tiere ſuchten ſogleich zu entfliehen, waren aber von dem Sonnenlichte ſo geblendet, daß ſie weder einen richtigen Sprung machen noch ſicher klettern konnten. Sie wurden deshalb leicht eingefangen, obwohl ſie ſich mit ihren ſcharfen Zähnen zu verteidigen ſuchten. Das Lager beſtand aus Blättern und war mit einer Art von Baummoos ausgelegt, woraus hervorzugehen ſcheint, daß dieſe Tiere an einem be— ſtimmten Orte leben und ſich regelmäßig in dasſelbe Lager zurückziehen. „Dieſe Affen“, ſagt Bates, „ſchlafen zwar übertags, werden jedoch durch das geringſte Geräuſch erweckt, ſo daß derjenige, welcher an einem von ihnen zum Schlafplatze erwählten Baume vorübergeht, oft nicht wenig überraſcht wird durch das plötzliche Erſcheinen einer Gruppe von geſtreiften Ge— ſichtern, welche bis dahin in einer Höhle des Baumes zuſammengedrängt waren.“ Nach Aus⸗ ſage der Jäger Renggers ſoll das Weibchen in unſeren Sommermonaten ein Junges werfen und dieſes erſt an der Bruſt, ſpäter aber auf dem Rücken mit ſich herumtragen. Müller⸗ München hebt den ſtarken Geruch des Nachtaffen hervor, von dem die anderen Beobachter weder aus dem Freileben noch aus der Gefangenſchaft etwas zu berichten wiſſen. Dieſer Eigengeruch zweier erlegter Nachtaffen machte es Müller möglich, im dichteſten Urwald leicht und ſicher die Spur ſeines Begleiters zu halten, der die Tiere trug. Auch von der Lebens— zähigkeit des Nachtaffen erhielt Müller einen erſtaunlichen Beweis. Er tötete einen ſolchen erſt nach drei Tagen, weil das Tier vermeintlich nur einen Kopfſtreifſchuß hatte und bis dahin noch ganz gut fraß. Beim Abbalgen zeigte ſich aber, daß der ganze Schädel zerſprungen war wie ein irdener Topf und die ganze Schädelhöhle um das Gehirn ſich mit Blut gefüllt hatte. Der junge Mirikina läßt ſich leicht zähmen, der alte hingegen bleibt immer wild und biſſig. Während des ganzen Tages zieht er ſich an die dunkelſte Stelle ſeiner Behauſung zurück und ſchläft. Dabei ſitzt er mit eingezogenen Beinen und ſtark nach vorn gebogenem Rücken und verſteckt das Geſicht zwiſchen ſeinen gekreuzten Armen. Weckt man ihn auf und erhält ihn nicht durch Streicheln oder andere Liebkoſungen wach, ſo ſchläft er ſogleich wieder ein. Bei hellen Tagen unterſcheidet er keinen Gegenſtand; auch iſt ſein Augenſtern alsdann kaum noch bemerkbar. Wenn man ihn aus der Dunkelheit plötzlich ans Licht bringt, zeigen K B 2 2 — = . 7 3 7 4 au WIEN) SEE EEE VOTE IBAN NEE ABER Nachtaffe. 465 ſeine Gebärden und kläglichen Laute, daß ihm jenes einen ſchmerzlichen Eindruck verurſacht. Sobald aber der Abend anbricht, erwacht er; ſein Augenſtern dehnt ſich mehr und mehr aus, je mehr das Tageslicht ſchwindet, und wird zuletzt ſo groß, daß man kaum noch die Regen— bogenhaut bemerkt. Das Auge leuchtet wie das der Katzen und der Nachteulen, und der Affe fängt nun mit eintretender Dämmerung an, in ſeinem Käfig umherzugehen und nach Nahrung zu ſpähen. Dabei erſcheinen ſeine Bewegungen leicht, wenn auch auf ebenem Boden nicht be— ſonders gewandt, weil ſeine hinteren Glieder länger als die vorderen ſind. Im Klettern aber zeigt er große Fertigkeit, und im Springen von einem Baume zum anderen iſt er Meiſter. Rengger ließ ſeinen gefangenen Mirikina zuweilen bei hellen Stern- und Mondnächten in einem mit Pomeranzenbäumen beſetzten, aber ringsum eingeſchloſſenen Hofe frei. Da ging es dann luſtig von Baum zu Baum, und es war keine Rede davon, das Tier bei Nacht wieder einzufangen. Erſt am Morgen konnte man ihn ergreifen, wenn er, vom Sonnenlichte ge— blendet, ruhig zwiſchen den dichteſten Zweigen der Bäume ſaß. Bei ſeinen nächtlichen Wande- rungen erhaſchte er faſt jedesmal einen auf den Bäumen ſchlafenden Vogel. Andere, die Rengger beobachtete, zeigten ſich außerordentlich geſchickt im Fangen von Kerbtieren. Des Nachts hörte man vom Mirikina oft einen ſtarken, dumpfen Laut, den er dann immer mehr— mals nacheinander wiederholte. Reiſende haben dieſen Laut mit dem fernen Ruf eines Ja- guars verglichen. Seinen Zorn drückt der Mirikina durch ein wiederholtes „Grr, Grr“ aus. Unter den Sinnen dürfte das Gehör obenan ſtehen. Das geringſte Geräuſch erregt ſogleich die Aufmerkſamkeit des Tieres. Die geiſtigen Fähigkeiten ſcheinen gering zu ſein. Rengger hat bloß eine große Anhänglichkeit zwiſchen Männchen und Weibchen bemerkt. Es ſind aber auch Fälle bekannt, daß der Mirikina ſehr zahm wurde. „Ich mußte“, erzählt Bates, „meinen Nachtaffen angekettet halten, und deswegen wurde er nicht vollkommen vertraut mit mir; aber ich habe einen geſehen, welcher ergötzlich zahm war. Ebenſo lebhaft und gewandt wie ein Rollaffe, freute er ſich aufs äußerſte, wenn er von den in das Haus kommenden Leuten gelieb— koſt wurde. Sein eigener Herr hatte ihn mehrere Wochen lang mit der größten Zärtlichkeit be— handelt, ihm erlaubt, nachts mit ihm in ſeiner Hängematte zu liegen und ſich übertags in ſeinem Buſen zu verbergen. Er war ein Liebling von jedermann wegen der Schmuckheit ſeiner Geſtalt und Bewegungen, ſeiner Reinlichkeit und ſeines anſprechenden Weſens überhaupt.“ Auch Schomburgk lernte den Nachtaffen Guayanas oder Durukuli der Indianer als zahmes Haustier kennen. „Kaum iſt die Nacht hereingebrochen, ſo kommt der feſte Schläfer aus ſeinem Schlupfwinkel hervor, und nun gibt es kein muntereres Tier. Von Hängematte geht's zu Hängematte, dabei werden dem darin Schlafenden Hände und Geſicht beleckt; vom Boden geht's bis zum äußerſten Balken, und was nicht feſt genug ſteht, liegt am Morgen gewöhnlich-auf der Erde umher. Vermöge der Länge der Hinterfüße gegen die der Vorder— füße gehört der Durukuli zu den ausgezeichnetſten Springern. Im Dunkeln leuchten die Augen viel ſtärker als die des Katzengeſchlechtes.“ Nach Europa kommt der Nachtaffe ſelten lebend und immer nur vereinzelt. Man ſieht ihn dann und wann in dieſem oder jenem Tiergarten, in der Regel erſt auf Befragen, weil er ſich übertags ſo gut wie möglich zu verbergen und den Blicken der Beſucher zu entziehen ſucht. Doch hat man im Berliner Garten neuerdings mehrfach die Erfahrung gemacht, daß er auch dem Tagleben ganz leidlich ſich anzupaſſen vermag, wahrſcheinlich weil er durch die Geräuſche des Beſucherbetriebes und des Wartedienſtes doch immer wieder munter gemacht wird. Ich ſelbſt erhielt einen Nachtaffen zum Geſchenk und konnte ihn ſomit länger beobachten. Dieſer Nachtaffe war ſchon vollkommen gezähmt, als er in meinen Beſitz gelangte, ließ ſich, Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. . 30 — Re 2 466 18 Ordnung: Affen. Familie: Cebidae. ohne zu beißen oder ſonſtwie abwehrend zu benehmen, anfaſſen, ſtreicheln, aus dem Käſtchen, das ihm zum Lager diente, herausheben, umhertragen, wieder hinlegen, überhaupt leichter und gefahrloſer als die meiſten Affen behandeln, ohne jemals aus ſeinem Gleichmute zu kommen. Übertags war er ſo ſchlaftrunken, daß man ihn geradezu geiſtesabweſend nennen konnte, nachts überaus munter, gewandt und anmutig in jeder ſeiner Bewegungen. Doch glaubte ich zu bemerken, daß er auch dann noch denjenigen meiner Wärter, der ihn zu pflegen hatte, nicht vor anderen Leuten bevorzugte, ſich vielmehr gegen jedermann gleich freundlich, richtiger vielleicht gleichgültig betrug. War er einmal munter geworden, behelligte ihn auch grelles Gaslicht nicht im geringſten. Dann ſchien ihm lebhafte Bewegung beſonderes Vergnügen zu gewähren; denn er ſprang oft viertelftundenlang und in der ausgelaſſenſten Weiſe, eher nach Art der Marder als nach Art anderer Affen, in ſeinem Käfig umher, nahm dazwiſchen dieſes oder jenes Bröckchen von der ihm vorgeſetzten Nahrung, verzehrte es, das gefaßte Stück nach Art eines Eichhörnchens haltend und dabei einen Augenblick ruhig auf ein und derſelben Stelle verweilend, und begann dann ſeine Springübungen aufs neue. Ein ihm gereichter lebendiger Vogel war im Nu ergriffen und ebenſo ſchnell durch einen knirſchenden Biß in den Kopf getötet. Dann wurde ein Teil des Gefieders abgerupft, ganz mit der Haſtigkeit, mit der Tagaffen zu verfahren pflegen, und hierauf zunächſt das Hirn verzehrt. Nächſt dieſem ſchien mein Pflegling die Eingeweide zu bevorzugen. Von dem übrigen Leibe des Vogels ließ er größere oder kleinere Stücke, namentlich die Gliedmaßen, regelmäßig liegen. Etwas Fleiſch nahm er gern zu ſich, begnügte ſich aber auch tagelang mit dem ihm gewöhnlich vorgeſetzten Futter, Milchreis, in Milch gequelltem Weißbrote und Früchten. Eier kugelte er manchmal längere Zeit ſpielend auf dem Boden hin und her, ließ ſie wohl auch fallen, erſchrak förmlich darüber, nahte ſich langſam, als wolle er den Schaden beſehen, und leckte dann den Inhalt auf. * In der zweiten Unterfamilie der Cebidae vereinigen wir die Schlaffſchwänze (Pithe- ciinae), meiſt kleine oder doch nur mittelgroße Affen mit ſchlaffen, allſeitig behaarten, greif- unfähigen Schwänzen, deren letzte Wirbel ſtetig dünner werden. Die Schweifaffen (Pithecia E. Geoff.) haben einen gedrungen gebauten Leib, der durch die lange und lockere Behaarung noch plumper erſcheint, als er wirklich iſt, verhältnis⸗ mäßig kräftige Glieder und einen dicken, buſchigen, nach der Spitze zu meiſt mit verlängerten Haaren bekleideten Schwanz. Das Haar ihres Oberkopfes iſt haubenartig geſcheitelt, das der Wangen und des Kinnes zu einem mehr oder minder langen, kräftigen Vollbarte verlängert. Von den übrigen Breitnaſen unterſcheiden ſie ſich außerdem durch ihr Gebiß, da die ſehr kräftigen, dreikantigen Eckzähne von den abſonderlich zuſammengedrängten, an den Spitzen ſehr verſchmälerten und gegeneinander geneigten, ſchief nach vorn und außen gerichteten Schneide⸗ zähnen getrennt ſind. Im Hinblick auf die Brüllaffen iſt es bemerkenswert, daß, nach Beddards Unterſuchungen, bei einer Art, dem Weißkopfaffen, zwar nicht das Zungenbein, wohl aber der vordere Schildknorpel des Kehlkopfs ſehr vergrößert iſt; bei dem Mönchsaffen zeigte ſich dies weniger ſtark. Das Verbreitungsgebiet der wenigen Arten dieſer Gattung (bei Elliot acht) beſchränkt ſich auf die nördlichen Teile Südamerikas. Hier bewohnen ſie hohe, trockene, von Unterholz freie Wälder, von anderen Affen ſich fern haltend. Nach Tſchudi Dämmertiere, ſind ſie zwar leicht zähmbar, bleiben jedoch in der Gefangenſchaft oft mürriſch und verdrießlich, und wenn ſie am Tage wachen, zeigen ſie ſich träge oder traurig. Schomburgk beſtreitet, daß ſie ein er e u EEG EOOEWEREON VE 3 Satansaffe. Weißkopfaffe. 467 Nachtleben führen. Nach ſeinen Beobachtungen beſchränken ſich die verſchiedenen Arten auf beſtimmte Ortlichkeiten und halten ſich von den übrigen ſtreng abgeſondert, laſſen auch öfters ihre Stimme vernehmen und verraten ſich dadurch dem Reiſenden. „Überall, wo die Be— laubung des Ufers dicht erſchien“, ſo erzählt er, „fand ich auch Herden von Affen in den Zweigen verſammelt, unter denen die wirklich netten Schweifaffen die größte Anzahl bildeten. Ihr ſchön geſcheiteltes, langes Haar, die üppig ſtolzen Kinn- und Backenbärte, ihre lang— behaarten, fuchsähnlichen Schwänze verleihen den lebhaft- und klugblickenden Tieren ein un— gemein freundliches, zugleich aber auch lächerliches Außere. Es waren die erſten, denen ich auf meiner Reiſe begegnete. Natürlich mußte ich augenblicklich an das Land ſpringen, um mein Jagdglück zu verſuchen. Ich ſchoß ein Männchen und ein Weibchen. Doch bereute ich faſt meinen Schuß, als ich die bittere, das Herz tief ergreifende Wehklage des letzteren hörte, welches ich nur ſtark verwundet hatte. Dieſe Klagetöne ſtimmen genau mit den bitteren Schmerzenslauten eines Kindes überein.“ In den großen Wäldern im mittleren Amazonas: (Rio Negro) und Orinokogebiete lebt die bekannteſte Art der Gattung, der Satansaffe, Kuxio der Indianer, Pithecia satanas Hoffm., ein 55 em langes Tier mit faſt ebenſo langem Schwanze. Der ganz runde Kopf wird durch eine Art von Mütze aus nicht ſehr langen, dicht anliegenden Haaren bedeckt, die ſich von einem gemeinſamen Wirbel auf der Höhe des Hinterhauptes ſtrahlenförmig aus— breiten und auf dem Vorderkopfe geſcheitelt erſcheinen. Die Wangen und das Kinn ſind von einem dicken, ſchwarzen Barte umgeben. Kein Stutzer könnte Bart und Haar beſſer in Ord— nung halten als dieſes ſchöne Tier, ſagt Kappler; es hat weder in ſeinem würdigen, wohl— gepflegten Ausſehen noch in ſeinem ruhigen, freundlichen Weſen irgend etwas Teufliſches an ſich. Der Oberleib iſt dicht, aber nicht lang, die untere Seite dagegen nur dürftig behaart, der Schwanz ſehr buſchig. Alte Männchen und Weibchen unterſcheiden ſich nur durch die Länge des Bartes, haben aber dieſelbe ſchwarze, am Rücken oft rußig fahlgelbe, die Jungen bräunlichgraue Färbung. Nach Kappler wird der Satansaffe in Guayana Xiu (Schiu) ge— nannt; er lebt in kleinen Familien von 4 — 6 Köpfen, iſt nicht häufig und hält ſelten lange in Gefangenſchaft aus. Im Berliner Garten zeigte er ſich verhältnismäßig hart gegen Kälte. Eine zweite Art der Gattung, der Weißkopfaffe, Pithecia pithecia L. (leucocephala; Taf. „Affen I“, 4, bei S. 405), ändert nach Alter und Geſchlecht etwas ab. Alte Männchen ſind am ganzen Körper ſchwarz, nur an den Vorderarmen etwas lichter gefärbt; den Vorder— kopf bis zu den Augenbrauen bekleiden kurze weißliche Haare, die in der Mitte der Stirn die ſchwarze Haut frei laſſen und an den Wangen ſich bartartig verlängern. Zuweilen ſehen ſie auch ockerfarben und da, wo ſie das Geſicht einfaſſen, roſtrot aus. Das ſchwarze Geſicht iſt mit weißen oder roſtfarbigen Haaren beſetzt. Ohren, Sohlen, Finger und Nägel ſind ſchwarz. Bei den Weibchen ſind die Haare an der Ober- und Außenſeite braunſchwarz mit gelber Spitze, an der Unterſeite licht roſtrötlich, die des Backenbartes am Grunde ſchwarz. Die Jungen ähneln den Weibchen. Im allgemeinen iſt der Pelz lang, ſtraff und grob und nur an der Unterſeite und den Händen dünn und ſpärlich. Ein lichter Haarkranz faßt das Geſicht ein und bildet einen Backenbart. Der weißköpfige Schweifaffe oder Saki, Wanaku, Arighi lebt in den Ländern des Amazonenſtromes und in Guayana, mehr in Büſchen als auf hohen Waldbäumen, hält ſich in Geſellſchaften von 6 bis höchſtens 10 Stücken zuſammen und ſcheint ein ziemlich träges 30 * 468 18. Ordnung: Affen. Familie: Cebidae. Geſchöpf zu ſein. Das weißgelbe, ſtark behaarte Geſicht ſieht wie eine Maske aus, unter der die ſchwarze Naſe und die Mundteile ſtark abſtechen. Seine Nahrung ſoll, wie Laborde berichtet, aus Beeren, Früchten und Honigwaben beſtehen. Die Weibchen bringen ein Junges zur Welt und tragen es lange Zeit auf dem Rücken. Dies berichtet auch Kappler und fügt hinzu, daß dieſer Affe leicht zahm werde, aber immer ſchüchtern und traurig bleibe. Erfahrungen im Berliner Zoologiſchen Garten beſtätigen das. Dort wurde einmal auch der Weißnaſenaffe, P. albinasa Is. Geoffr., aus Paraͤ gezeigt, der ebenfalls ganz ſchwarz iſt, aber beſſer vielleicht Rotnaſe hieße, weil er auf ſeiner nackten, fleiſchfarbenen Naſe nur wenige weiße Härchen hat. Der Zottelaffe, Mönchsaffe oder Parauacu, Pithecia monachus ZE. Geoffr. (hirsuta), erreicht eine Geſamtlänge von etwa I m, wovon beinahe die Hälfte auf den ſehr ent- wickelten Schwanz gerechnet werden muß, und iſt mit ziemlich dicken, bis 12 em langen, an der Spitze umgebogenen Haaren bekleidet, die über die wie kurz geſchoren erſcheinende Stirn herabhängen, das Geſicht teilweiſe bedeckend, und den übrigen Leib bärenfellartig bekleiden; ebenſo geben ſie dem Schwanz ein ſtraußenfederartiges Ausſehen. Das ſchwarze, mit Grau 3 geſprenkelte Haar geht am Kopfe in Nußbraun, auf der Bruſt in Rötlichſchwarz, an der Innen⸗ ſeite der Schenkel in Rötlichweiß über; der kurze, borſtige Backenbart ſieht ſchmutziggrau aus, bei manchen Stücken lichter. Die ganze Färbung ähnelt ſehr der eines flechtenbewachſenen Aſtes und kann fo jedenfalls als Schutzfärbung wirken. Die Hand- und Fußſohlen ſind gelbbraun, das Geſicht, ſoweit es nackt iſt, ſchwarz. Das Maul iſt ſehr groß und breit, und die Naſenlöcher ſtehen jo weit auseinander, daß gewiß kein amerikaniſcher Affe jo ſehr den Namen „Breitnaſe“ verdient. : Spir beobachtete den Zottelaffen in den Waldungen Braſiliens, zwiſchen den Flüſſen 2 Amazonas und Negro, und berichtet, daß er morgens und abends aus den Wäldern hervor⸗ komme, zu zahlreichen Trupps ſich verſammle und die Luft dann mit ſeinem durchdringen- den Geſchrei erfülle. Außerſt vorſichtig und flink, flieht ein ſolcher Trupp beim geringſten Geräuſche eiligſt in das Waldinnere, und der Jäger erlangt deshalb nur ſelten einen von ihnen. Einmal gezähmt, zeigt der Zottelaffe ſich ſehr anhänglich gegen ſeinen Gebieter. Bates vervollſtändigt letztere Angaben. „Auch dieſer Affe“, ſagt er, „iſt ein ſehr zartes Tier, das ſelten in der Gefangenſchaft aushält; gelingt es aber, ihn am Leben zu erhalten, ſo gewinnt man in ihm ein überaus anhängliches Geſchöpf. Mein Nachbar in Ega, ein franzöfiicher Schneider, beſaß einen Zottelaffen, der bereits nach wenigen Wochen ſo zahm geworden war, daß er ſeinem Gebieter wie ein Hund nicht allein im Hauſe, ſondern auch auf der Straße folgte. Während mein Bekannter arbeitete, nahm der Affe ſeinen Platz auf jenes Schulter ein; gegen Fremde, ja ſogar gegen andere Hausbewohner verhielt er fich indeſſen abwehrend. Niemals ſah ich einen Affen, der ſo große Anhänglichkeit an ſeinen Gebieter bekundet hätte als dieſes anmutige, ängſtliche, ſchweigſame kleine Geſchöpf. Der Parauacu, obſchon er ein trübſinniges und freudloſes Tier iſt, übertrifft alle in der Hingebung an ein menſchliches / Weſen. Davon gab unſer Liebling eines Tages genügende Beweiſe. Als fein Herr ihn eines Tages zu ſeinem täglichen Beſuche bei mir nicht mitnahm, machte das kleine Geſchöpf ſich auf, durcheilte auf kürzeſtem Wege Gärten, Gebüſche und Dickichte und erſchien in meiner Behau⸗ ſung. Niemals hatte er dieſen Weg, von dem wir durch einen den Affen beobachtenden Nachbar Kunde erhielten, vorher zurückgelegt. Als er, bei mir angelangt, den Gebieter auch nicht fand, ſetzte er ſich mit dem unverkennbarſten Ausdrucke der Enttäuſchung und Entſagung auf meinem Tiſche nieder und wartete geduldig auf ſeinen Herrn. Kurze Zeit darauf trat Zottelaffe. Cacajao. Scharlachgeſicht. 469 dieſer wirklich ein, und einen Augenblick ſpäter ſaß der aufs höchſte erfreute Liebling auf ſeinem gewöhnlichen Platze, der Schulter.“ Als die nächſten Verwandten der eben geſchilderten Tiere hat man die Kurzſchwanz— affen anzuſehen, die man jenen deshalb als zweite Gattung der Unterfamilie, Cacajao Less. (Brachyurus, Ouakaria), anſchließt. Sie unterſcheiden ſich von jenen hauptſächlich durch ihren kurzen, mehr oder weniger ſtummelhaften Schwanz und den minder ſtarken, nur auf den Wangen einigermaßen entwickelten Bart. Sonſt haben ſie in ihrer allgemeinen Körper— geſtalt eine gewiſſe Ahnlichkeit mit den ſchlankeren, dünner behaarten Kapuzinerarten, ohne daß dies aber eine nähere Verwandtſchaft bedeutete. Der Kopf iſt länglich-eiförmig, das Ge— ſicht eirund und ziemlich flach, die länglichen Naſenlöcher liegen ganz ſeitlich. Die Finger und Zehen ſind mit ſchmalen, langen Nägeln bewehrt. Der etwas zottige Pelz wird auf dem Kopfe kürzer, und das ſteife Haar ſieht hier wie abgeſchoren aus; die Kehle iſt nackt, das große Maul wird von einzelnen Borſten umgeben. Im Gebiß ſind die Schneidezähne ſchräg nach vorn gerichtet, die oberen ungleich, da die beiden mittleren die äußeren an Länge und Breite faſt um das Doppelte übertreffen, die unteren ſchlank, länger als die oberen, die äußeren auch etwas länger als die mittleren, die Eckzähne kurz, ſtark, faſt gerade, die unteren innen mit hakiger Spitze verſehen. Der Schwanz hat 14—17 Wirbel; ſeine Kürze entſteht alſo weniger durch die geringe Zahl als vielmehr durch die geringe Größe der Wirbel. Die Kurzſchwanzaffen gehören ebenfalls den nördlicheren Ländern Südamerikas an, ſcheinen nur eine ſehr beſchränkte Verbreitung zu haben und ſind im Freileben noch wenig bekannt— geworden. Erſt in der Neuzeit hat Bates hierüber einige Nachrichten gegeben; von den rei— ſenden Forſchern früherer Zeiten erfuhren wir nur, daß dieſe Affen in kleinen Geſellſchaften an Flußrändern vorkommen und während ihrer Wanderung mißtönende Laute hören laſſen ſoollen. Außerdem waren einige Beobachtungen über Gefangene bekannt. de ER TRETEN TE r Eu 7 10 0 u 1a 9 tn Alexander v. Humboldt beſchrieb von den Ufern des Caſſiquiare im innerſten Venezuela zuerſt den Cacajao, Chucuto, Chucuzo, Caruiri, Mono feo (häßlicher Affe), Mono rabon und wie er ſonſt noch von den Eingeborenen genannt wird, Cacajao melanocephalus Humboldt (ouakari), einen Affen von ungefähr 65 em Geſamtlänge, wovon der Schwanz etwa 15 em wegnimmt. Der etwas zottige Pelz iſt glänzend gelbbraun, auf der Bruſt, dem Bauche und der Innenſeite der Glieder heller, auf der Oberſeite der Hände und Füße ſchwarz— grau, auf dem Kopfe und am Schwanze größtenteils ſchwarz. Bei einzelnen Stücken er ſtreckt ſich das Schwarz auch über die Vorderarme und Hände und geht das Bräunlichgelb des Rückens an den Schenkeln und der Schwanzwurzel in Roſtrot über. Alle nackten Teile ſehen mattſchwarz aus; der Augenring iſt nußbraun. Eine andere Art der Gattung, das Scharlachgeſicht, von den Eingeborenen des Ja— purafluſſes im amazoniſchen Braſilien Uakari genannt, Cacajao calvus Is. Geoffr. (Oua- karia calva), unterſcheidet ſich von dem Cacajao durch noch kürzeren Schwanz, längere Be- haarung des Rückens und lichtere Färbung. Seine Geſamtlänge beträgt 40, die Schwanz⸗ länge nur 9 cm. Die einförmige fahl- oder rotgelbe Färbung des Pelzes geht auf dem Rücken in Fahlweiß, auf der Unterſeite in Goldgelb über. Bei ſehr alten Stücken lichtet ſich die Färbung und erſcheint dann faſt weiß. Hiervon ſticht das lebhaft ſcharlachrote Geſicht, deſſen Farbe ſich in der Erregung noch verſtärkt, mit den buſchigen gelben Brauen und rotgelben Augen merkwürdig ab, und außerdem trägt auch die Kürze des Kopfhaares, das wie geſchoren 470 18. Ordnung: Affen. Familie: Cebidae. ausſieht und mit den ſehr langen Rückenhaaren im grellſten Widerſpruche ſteht, weſentlich 3 dazu bei, das Ausſehen dieſes Affen zu einem abſonderlichen zu machen. „Das Scharlachgeſicht“, ſchildert Bates, „lebt nur in Waldungen, die während des größten Teiles des Jahres überſchwemmt ſind, und ſteigt, ſoviel bekannt, nie auf den Boden herab; die Kürze ſeines Schwanzes iſt demgemäß kein Zeichen für die Lebensweiſe auf dem Boden, wie beiſpielsweiſe bei den Makaken und Pavianen. Wie es ſcheint, kommt unſer Uakari ausſchließlich in der erwähnten Gegend vor, insbeſondere auf einer Bank des Japura ſelbſt, nahe ſeiner hauptſächlichſten Mündung; ja, er ſoll ſogar hier, ſoviel ich erfahren konnte, auf den weſtlichen Teil des Fluſſes beſchränkt ſein. Man ſieht ihn, ſeiner Nahrung, verſchie-⸗ denen Früchten, nachgehend, in kleinen Trupps in den Kronen der höchſten Bäume. Die Jäger ſchildern ſeine Bewegungen als hurtig und gewandt, obwohl er ſich weniger auf Springen einläßt, ſondern vorzieht, auf ſtarken Aſten dahinzurennen, um ſo von einem Baume zum anderen zu gelangen. Die Mutter trägt, wie die übrigen ſüdamerikaniſchen Affen, ihr Junges auf dem Rücken. Alle Gefangenen, die man erhält, find mittels des Blasrohres und ſchwach— vergifteter Pfeile erbeutet worden. Die getroffenen Uakaris laufen meiſt noch ſehr weit durch den Wald, und ihre Verfolgung erfordert deshalb einen wohlerfahrenen Jäger. Unter den Indianern wird derjenige als der gewandteſte angeſehen, der imſtande iſt, einem verwundeten Affen dieſer Art ſo zu folgen, daß er ihn, wenn er die Beſinnung verliert und herabfällt, im rechten Augenblicke mit ſeinen Armen auffängt. Dem Affen wird ſodann eine Priſe Salz als Gegengift eingegeben, und er erholt ſich in der Regel wieder. „Alte in der beſchriebenen Weiſe gefangene Uakaris werden ſehr ſelten zahm, find miß— launig und trübſinnig, wehren alle Verſuche, ihnen zu ſchmeicheln, von ſich ab und beißen jeden, der ſie berührt. Selbſt in ihren Waldungen hört man keinen eigentümlichen Schrei vou ihnen; in der Gefangenſchaft ſind ſie vollkommen ſchweigſam. Nach Verlauf einiger Tage oder Wochen werden ſie gleichgültig gegen alles, nehmen keine Nahrung mehr an und gehen langjam ein. Der eine, den ich hielt, endete, nachdem ich ihn ungefähr drei Wochen in Beſitz gehabt hatte. Das lebhafte Scharlach des Geſichtes wandelte ſich in eine düſtere Färbung um. Während der letzten vierundzwanzig Stunden wurde die Färbung nach und nach bläſſer, ſah jedoch, als er ſeine letzten Seufzer verhauchte, noch in immer rot aus, und dies verlor ſich erſt zwei oder drei Stunden nach dem Tode. „Nach meinen Erfahrungen über das mürriſche Wesen des Uakaris war ich nicht wenig erſtaunt, in dem Hauſe eines Freundes einen außerordentlich lebhaften und umgänglichen Affen dieſer Art zu ſehen. Er kam, kaum daß ich mich geſetzt hatte, aus einem anderen Zimmer auf mich zugelaufen, kletterte an meinen Beinen in die Höhe, niſtete ſich auf meinem Schoße ein, indem er ſich rund um ſich ſelbſt drehte, und ſchaute mich, nachdem er es ſich bequem gemacht hatte, mit dem gewöhnlichen Affengrinſen vertraulich an. Allerdings war dies ein junger Uakari, den man von der Bruſt ſeiner durch den Giftpfeil erlegten Mutter genommen, im Hauſe zwiſchen den Kindern aufgezogen, und dem man erlaubt hatte, nach Belieben umherzulaufen. „Der Uakari gehört zu den vielen Tierarten, die von den Braſiliern als ‚fterblich‘, d. h. als zart und hinfällig, bezeichnet werden. Möglicherweiſe ſteht die Schwierigkeit, fie an ver: änderte Bedingungen zu gewöhnen, in einer gewiſſen Beziehung zu dem ſehr beſchränkten Gebiete, in dem ſie leben, und zu deſſen eigentümlicher Beſchaffenheit. Als ich den Fluß hinab— reiſte, war ein gezähmter, alter Uakari in Rio Negro von dem mit dem Bugſpriet an einem Uferbaume befeſtigten Schoner nach dem Walde geflohen. Schon hatten wir ihn gänzlich auf— gegeben, als er plötzlich wieder am Saume des Waldes erſchien und auf demſelben Wege, 3 g 5 az Scharlachgeſicht. Brüllaffen. 471 den er gegangen, über das Bugſpriet nämlich, zurückkehrte, um feinen gewöhnlichen Platz auf dem Verdecke einzunehmen.“ Humboldt beſaß längere Zeit einen Cacajao und bemerkt von dieſem, daß er ſich ge fräßig, ſtumpfſinnig, furchtſam und gelaſſen gezeigt habe, gereizt das Maul auf die ſonder— barſte Weiſe aufſperrte, ſein Geſicht auf das ärgſte verzog und dann in ein lebhaftes, lachen— des Geſchrei ausbrach, im allgemeinen äußerſt unbeholfen war und, wenn er etwas ergreifen wollte, regelmäßig eine abſonderliche Stellung einnahm, indem er ſich mit gekrümmtem Rücken niederſetzte und beide Arme weit von ſich ſtreckte, durch den Anblick eines Krokodils oder einer Schlange in die größte Furcht verſetzt wurde und dann am ganzen Leibe zitterte. Ein Roter Uakari, Cacajao rubicundus Is. Geoffr. (Taf. „Affen I“ 1, bei S. 405), den Deville ſieben Monate in Gefangenſchaft hielt und beobachtete, war ſehr ſanft gegen ſeinen Gebieter und alle Leute, die er kannte, leckte gern deren Geſicht und Hände, mochte aber Indianer nicht leiden. Erzürnt rieb er mit äußerſter Schnelligkeit beide Hände gegeneinander. Seine Nahrung beſtand vorzugsweiſe aus Früchten, Zuckerwerk und Milch, Bananen liebte er beſonders und ebenſo alles ſüße Ge— bäck. Gab man ihm mehrere Bananen, ſo behielt er nur eine in der Hand und legte die andere zu den Füßen nieder. Er trank regelmäßig täglich zweimal aus einem Becher und hielt dieſen ſehr geſchickt zwiſchen den Händen. Tabaksrauch war ihm unangenehm; wenn man ihm ſolchen zublies, riß er meiſt die Zigarre aus dem Munde und zertrümmerte ſie in kleine Stück— chen. Oft nahm er eine ganz aufrechte Stellung ein, konnte auch auf zwei Beinen eine Strecke weit gehen. Obwohl vollkommen gezähmt, bekundete er doch bei jeder Gelegenheit eine leb— hafte Sehnſucht nach ſeiner Freiheit, machte beiſpielsweiſe die größten Anſtrengungen zu ent— fliehen, ſobald das Boot, das ihn führte, ſich mehr als ſonſt dem Lande näherte. * Von den Greifſchwänzen wollen wir die Gattung der Brüllaffen (Alouatta Lacep., Mycetes; Unterfamilie Alouattinae) hierherſetzen, ſchon um zu zeigen, daß fie mit den Klam— meraffen nicht ſehr nahe verwandt ſind. Ihr Körper iſt gedrungen, ihr Kopf hoch, aber die Stirn zurückfliehend und die Schnauze vorſtehend, beides ſo ſtark, daß am Schädel vom Kinn bis zum Scheitel eine ganz geſtreckte Kopfumrißlinie entſteht. Die Hinterhauptſchuppe hat ſenk— rechte Lage, und dementſprechend ſind die Großhirnhälften kurz, ſo daß ſie das Kleinhirn kaum überdecken, und die Brüllaffen ſind geiſtig nicht ſehr hoch einzuſchätzen, ſicher weſentlich niedriger als die Klammeraffen, die ihnen äußerlich durch den Greifſchwanz ſonſt einigermaßen ähneln. Der Vorderdaumen iſt dünn. Die dichte Behaarung iſt am Kinn bartartig verlängert. Als eigentümliches Merkmal der Brüllaffen muß vor allem das blaſenartig aufgetriebene Zungen— bein angeſehen werden; auch der Schildknorpel des Kehlkopfes iſt mächtig vergrößert. Alexander v. Humboldt war der erſte Naturforſcher, der dieſes Werkzeug zergliederte. „Während die kleinen amerikaniſchen Affen“, ſagt er, „die wie Sperlinge pfeifen, ein einfaches dünnes Zun— genbein haben, liegt die Zunge bei den großen Affen auf einer ausgedehnten Knochentrommel. Ihr oberer Kehlkopf hat ſechs Taſchen, in denen ſich die Stimme fängt, und wovon zwei taubenneſtförmige große Ahnlichkeit mit dem unteren Kehlkopfe der Vögel haben. Der dem Brüllaffen eigene klägliche Ton entſteht, wenn die Luft gewaltſam in die Knochentrommel einſtrömt. Wenn man bedenkt, wie groß die Knochenſchachtel iſt, wundert man ſich nicht mehr über die Stärke und den Umfang der Stimme dieſer Tiere, welche ihren Namen mit vollem Rechte tragen.“ Im Zuſammenhang mit der Ausbildung der Brüllwerkzeuge hat nun nicht nur der hintere Winkelteil des Unterkiefers in ſenkrechter Richtung ſich ganz außerordentlich verbreitert, was dem Brüllaffenſchädel von vorn wie von der Seite ein ganz ſonderbares 472 18. Ordnung: Affen. Familie: Cebidae. Anſehen gibt, ſondern es zeigt ſich auch am Bruſtbein eine Längsſpaltung des ſogenannten Hand⸗ griffs: deſſen beide Hälften wachſen im Embryonalleben nicht zufammen. Über dieſe merk würdige Tatſache hat Albrecht eingehende Unterſuchungen angeſtellt und dabei bedeutſamerweiſe noch gefunden, daß die Spaltung durchaus nicht bei allen ihm zugänglichen Brüllaffenſkeletten vorhanden iſt, vielmehr noch einheitliches Bruſtbein, wie es der Menſch hat, und Zwiſchenſtufen vorkommen. Albrecht möchte daher dieſe ganzen Verhältniſſe des Bruſtbeinhandgriffs bei den Brüllaffen als einen Beweis für Vererbung erworbener Eigenſchaften auffaſſen, und man muß zugeben, daß die Sache in dieſer Hinſicht von großer Bedeutung erſcheint. Am Gebiß der Brüllaffen müſſen die großen Backzähne auffallen und die abgeplattete Form, die der letzte ſowohl im Ober- als Unterkiefer hat, ferner Anzeichen einer Teilung oder wenigſtens verſchiedenen Innenausſtattung am Magen. Alles das deutet auf Blätternahrung der Tiere hin, und damit ſtimmt auch, daß, nach Martin, alte Tiere faſt ſchwarze, jüngere braune bis gelbe Zähne haben, wie die gleichfalls Blätter freſſenden Faultiere. Durch Magenunterſuchungen außer allen Zweifel geſtellt iſt die Blätternahrung von Müller-München, der in den Brüllaffen⸗ magen immer nur einen Blätterbrei fand. Der Schwanz der Brüllaffen iſt ſehr lang, mit an der Unterſeite nacktem Ende, nerven- und gefäßreich und ſehr muskelkräftig, daher zu einem Greifwerkzeuge geſtaltet. Bei dem ohnehin ſchon trägen Weſen der Brüllaffen wird er aber noch mehr zu einem unabläſſig ausgeworfenen Sicherheitsanker, der jede Bewegung und Ent= ſchließung verzögert. „Der Zopf, der hängt ihm hinten“, jagt Guſtav Jäger richtig vom Wickel⸗ ſchwanz des amerikaniſchen Affen. Für den Brüllaffen trifft das gewiß zu, Müller-München ſah ihn geradezu chamäleonartige Stellungen einnehmen: der Länge nach auf dem Aſte ſitzend, aber mit dem Kopfe an der tiefſten Stelle und aufwärts mit dem Wickelſchwanze feſt verankert. Die Weibchen ſind bei den Brüllaffen immer viel kleiner als die Männchen; dieſe aber find mit etwa 1,35 m Geſamtlänge, wovon 70 em auf den Schwanz kommen, keineswegs die größten aller amerikaniſchen Affen, wie in der Naturgeſchichte immer wieder behauptet wird. Das „Brüllen“ will Müller-München durchaus nicht als ein mehr oder weniger un- angenehmes Schreien und ſchauerliches Heulen angeſehen wiſſen; er ſpricht ihm vielmehr einen gewiſſen Rhythmus und Wohllaut zu und findet, daß die Tiere dabei ſogar gewiſſe Regeln ein= halten. Der Braſilier, der den Brüllaffen Guariba nennt, ſpricht bei ihm auch von „Singen“, nicht von Brüllen oder Schreien, und unſer Gewährsmann findet in der Art und Weiſe, wie die Weibchen und Jungen das alte Männchen mit kurzen Tönen begleiten, ſo komiſch es klingen mag, eine gewiſſe Ahnlichkeit mit einem Männerchor, bei dem die Soloſtimme mit ihrem Liede über dem gleichförmigeren Grundgeſang der übrigen Stimmen ſchwebt. Daß ein ſolcher Solo- oder Vorſänger vorhanden iſt, iſt richtig; es iſt immer das alte Männchen, und die Braſilier nennen ihn „Kaplan“. Er beginnt, nach Müller, mit abgeſtoßenen Tönen, wie O—0— a, erhebt aber bald ſeine Stimme zum vollen Orgelton. Die übrigen fallen dann mit kürzeren Strophen ein, halten ſich aber immer als Begleitſtimmen mehr zurück. Das Ganze wirkte auf unſeren Gewährsmann nie unangenehm; ſogar nachts aufgeweckt hörte er mit einem gewiſſen Wohlbehagen zu und ließ ſich ebenſo wieder ſanft davon einſchläfern. Weitverbreitet bewohnen die Brüllaffen faſt alle Länder und Gegenden Südamerikas, ſoweit der Wald reicht. Dichte, hochſtämmige und feuchte Wälder bilden ihren bevorzugten Aufenthalt; in den Steppen finden ſie ſich nur da, wo die einzelnen Baumgruppen zu kleinen Wäldern ſich vergrößert haben und Waſſer in der Nähe iſt. Trockene Gegenden meiden ſie gänzlich, nicht aber auch kühlere Landſtriche. So gibt es in den ſüdlicheren Ländern Amerikas Gegenden, in denen der ſchon merkliche Unterſchied zwiſchen Sommer und Winter noch a, Wr EN v | Brüllaffen: Brüllen. Verbreitung. Lebensſchilderung Schomburgks. 473 geſteigert wird durch die Verſchiedenheit in der Erhebung über den Meeresſpiegel. Hier ftellen ſich, laut Henſel, im Winter heftige Nachtfröſte ein, am Morgen iſt der Wald weiß bereift, die Pfützen frieren feſt zu. „Freilich hält eine ſolche Kälte nicht lange an, und die warme Mittagsſonne zerftört wieder die Wirkungen der Nacht. Empfindliche als dieſe Fröſte find die kalten Winterregen, die nahe am Gefrierpunkte oft mehrere Tage, ausnahmsweiſe auch Wochen, anhalten und von einem durchdringend kalten Südwinde begleitet werden. Während das zahme Vieh, wenn es nicht gut genährt iſt, dieſen Witterungseinflüſſen leicht erliegt, befindet ſich die wilde Tierwelt ganz wohl dabei, und ſobald an heiteren Tagen die Sonne zur Herr— ſchaft gelangt, ertönt auch wieder die Stimme des Brüllaffen als Zeichen feines ungeſtörten Wohl— befindens. Wenn man an ſolchen Tagen des Morgens, ſobald die Wärme der Sonnen— ſtrahlen anfängt, ſich bemerkbar zu machen, einen erhöhten Standpunkt gewinnt, ſo daß man das ganze Blättermeer eines Gebirgstales vor ſich ausgebreitet ſieht, entdeckt man auf dem— ſelben auch mit unbewaffnetem Auge hier und da rotleuchtende Punkte: die alten Männchen der Brüllaffen, welche die trockenen Wipfel der höchſten Bäume erſtiegen haben und hier, be— haglich in einer Gabel oder auf dichtem Zweige ausgeſtreckt, ihren Pelz den wärmenden Strahlen der Sonne darbieten.“ Unſerer weiteren Lebensſchilderung liegen die Beobachtungen zugrunde, die Alexander v. Humboldt, Prinz Max von Wied, Rengger, Schomburgk, Henſel, Kappler und andere über die Brüllaffen geſammelt haben. Nach Anſicht der Erſtgenannten beziehen ſich ihre Be— ſchreibungen auf zwei verſchiedene Arten: den Aluate und den Caraya. „Die Brüllaffen von Rio Grande do Sul“, ſagt Henſel, „haben einen außerordentlich dicken Pelz, namentlich auf der Oberſeite des Kopfes und Körpers, während die Bauchſeite und die Innenſeite der Schenkel nur ſparſam behaart ſind. Das Haarkleid ſchien im Sommer und Winter gleich ſtark zu ſein; wenigſtens iſt mir hier, auch bei anderen Tieren, kein Unterſchied zwiſchen Sommer— und Winterbälgen aufgefallen. Doch muß ich bemerken, daß ich im Nationalmuſeum zu Rio de Janeiro mehrere ausgeſtopfte Brüllaffen von Paraguay, ſchwarze ſowohl wie rote, geſehen habe, welche ſich durch ein kurzes, dünnes und glatt anliegendes Haarkleid auszeichnen, während andere aus der Provinz Santa Catharina denen von Rio Grande do Sul glichen ... Sieht man einen Trupp hoch oben auf dem Wipfel eines Baumes ſitzen, ſo erſcheinen im all— gemeinen die Männchen rot, die Weibchen ſchwarz; die Jungen beiderlei Geſchlechtes haben die Farbe der erwachſenen Weibchen.“ „Vor mir auf einem hohen Baume ſaßen ſie“, ſchildert Schomburgk, „und führten ein ſo ſchauerliches Konzert auf, daß man wähnen konnte, alle wilden Tiere des Waldes ſeien in tödlichem Kampfe gegeneinander entbrannt, obſchon ſich nicht leugnen ließ, daß doch eine Art von Übereinſtimmung in ihm herrſchte. Denn bald ſchwieg die über den ganzen Baum verteilte Geſellſchaft, bald ließ ebenſo unerwartet einer der Sänger ſeine unharmoniſche Stimme wieder erſchallen, und das Geheul begann von neuem. Die Knochentrommel am Zungen— beine konnte man während des Geſchreies auf und nieder ſich bewegen ſehen. Augenblicke lang glichen die Töne dem Grunzen des Schweines, im nächſten Augenblicke aber dem Brüllen des Jaguars, wenn er ſich auf ſeine Beute ſtürzt, um bald wieder in das tiefe und ſchreck— liche Knurren desſelben Raubtieres überzugehen, wenn es, von allen Seiten umzingelt, die ihm drohende Gefahr erkennt. Dieſe ſchauerliche Geſellſchaft hatte jedoch auch ihre lächerlichen Seiten, und ſelbſt auf dem Geſichte des düſterſten Menſchenfeindes würden für Augenblicke Spuren eines Lächelns ſich gezeigt haben, wenn er geſehen, wie dieſe langbärtigen Konzert— geber ſtarr und ernſt einander anblickten.“ 474 18. Ordnung: Affen. Familie: Cebidae. Denſelben Eindruck hatte Ph. L. Martin, der kaum etwas Komiſcheres erlebt zu haben erklärt, als Brüllaffen in ihrem Freileben zu beobachten. „Ihre kupferbraunen Pelze leuchteten im Licht der ſchönen Morgenſonne; zwei der eifrigſten Vorſänger ſaßen mir gegenüber, die ſich wie ein paar alte Kater anſahen und in allen Tonarten jodelten, wobei ſich infolge der leb— haften Bewegung der Stimmkapſeln die langen Bärte höchſt ſonderbar bewegten... Immer und immer wieder begann das Konzert und ward durch die helleren begleitenden Stimmen der andächtigen Weibchen und Jungen verſtärkt. Um acht Uhr morgens iſt das Konzert meiſt verſtummt. Während der Regenzeit hört man die Brüllaffen häufig, wiewohl mit Unter⸗ brechung, noch eine bis zwei Stunden länger muſizieren. Die übrige Tageszeit widmen ſie teils dem Trocknen ihres Pelzes in der wohltuenden Sonne, teils der Befriedigung ihres Hungers, wobei ſie ſich aber immer mit der größten Seelenruhe bewegen. Ihre Nahrung beſteht faſt nur aus Baumblättern, Früchten und Blüten, die ſie häufig in (am Schwanze) hängender Stellung verſpeiſen. Inſektennahrung ſcheint ihnen weniger genehm zu ſein; auch würden ſie ſich Inſekten bei ihren langſamen Bewegungen ſchwer verſchaffen können.“ „Der Brüllaffe“, ſagt Henſel, „lebt in dem Urwalde von Rio Grande do Sul in großer Menge; er iſt dasjenige wilde Tier, welches man am leichteſten finden und jagen kann, ja das man zu vermeiden ſogar Mühe hat. Er lebt in kleinen Trupps von 5—10 Stücken, welche ein beſtimmtes, ziemlich kleines Gebiet haben, das ſie nicht zu verlaſſen pflegen. In jedem Trupp findet ſich wenigſtens ein altes Männchen, welches gewiſſermaßen die Aufſicht zu führen ſcheint; in den meiſten Fällen jedoch enthält der Trupp, wenn er nicht zu ſchwach iſt, mehrere erwachſene Männchen, unter denen wahrſcheinlich eines, das ſtärkſte oder älteſte, den Vorrang behauptet. Dabei geht es ohne Zweifel nicht immer ganz friedfertig zu, wie die Narben beweiſen, welche man oft in den Geſichtern der Männchen, zuweilen auch in denen der Weibchen erblickt. Doch ſind die Tiere im ganzen ſehr harmlos und im Vergleiche zu anderen Affen ruhig und gleichgültig.“ Während des Tages bilden die höchſten Bäume des Waldes den Lieblingsaufenthalt der Brüllaffen; bei anbrechender Dämmerung ziehen ſie ſich in das dichte, von Schlingpflanzen durchflochtene Laub der niedrigen Bäume zurück und überlaſſen ſich hier dem Schlafe. Langſam, faſt kriechend klettern ſie von einem Aſte zum anderen, Blätter und Knoſpen auswählend, lang- d 7 ) ſam mit der Hand abpflückend und langſam fie zum Munde bringend. Sind fie gejättigt, jo ſetzen fie ſich in zuſammengekauerter Stellung auf einem Aſte nieder und verharren hier re— gungslos, wie uralte ſchlafende Wichtelmännlein erſcheinend; oder ſie legen ſich der Länge nach über den Aſt hin, laſſen die vier Glieder zu beiden Seiten ſteif herabhängen und halten ſich eben nur mit dem Wickelſchwanze feſt. Was der eine tut, wird von den anderen langſam und gedankenlos nachgemacht. Verläßt eines der erwachſenen Männchen den Baum, auf dem die Familie ſich gerade aufhält, ſo folgen ihm alle übrigen Glieder der Geſellſchaft rückhaltlos nach. „Wahrhaft erſtaunlich“, ſagt Humboldt, „iſt die Einförmigkeit in den Bewegungen dieſer Affen. Sooft die Zweige benachbarter Bäume nicht zuſammenreichen, hängt ſich das Männ— chen an der Spitze des Trupps mit dem zum Faſſen beſtimmten ſchwieligen Teile des Schwanzes auf, läßt den Körper frei ſchweben und ſchwingt ihn hin und her, bis es den nächſten Aſt packen kann. Der ganze Zug macht an derſelben Stelle genau dieſelbe Bewegung.“ Für die Brüllaffen iſt der Schwanz unzweifelhaft das wichtigſte aller Bewegungswerk— zeuge; ſie brauchen ihn, um ſich zu verſichern — und das tun ſie in jeder Stellung — ſie benutzen ihn, um etwas mit ihm zu erfaſſen und an ſich zu ziehen. Immer und immer dient er hauptſächlich dazu, jeder ihrer langſamen Bewegungen die ihnen unerläßlich dünkende ua eee ee eee ee uul aa l r ei) Brüllaffen: Lebensſchilderung Martins, Henſels, Humboldts, Renggers. 475 Sicherheit zu verleihen. Man kann nicht behaupten, daß ſie ſchlecht klettern: ſie ſind im Gegenteile ſehr geſchickt; aber niemals machen ſie wie andere Affen weite, niemals gewagte Sprünge. Beim Dahinſchreiten halten ſie ſich feſt an dem Aſte, bis der hin und her taſtende Schwanz einen ſicheren Halt gefunden und denſelben mit einer oder zwei Windungen um— ſchlungen hat; beim Herabklettern verſichern ſie ſich ſo lange an dem Aſte, den ſie verlaſſen wollen, bis ſie mit den Händen einen neuen Halt gefunden, beim Aufwärtsſteigen an dem unteren Aſte, bis ſie mit Händen und Füßen den oberen ſicher gepackt haben. Die Kraft des Schwanzes iſt größer als die der Hände; denn die Beugemuskeln an ſeiner Spitze ſind ſo ſtark, daß fie, einer Uhrfeder vergleichbar, das Schwanzende immer zuſammenrollen. Der Brüllaffe kann ſich mit der Spitze ſeines Schwanzes, auch wenn er dieſe nur mit einer halben Windung um den Aſt ſchlingt, wie an einem Haken aufhängen, kann alles einem ſolchen Werkzeuge Mögliche ausführen. Noch im Tode trägt der Schwanz längere Zeit die Laſt des Körpers, und nicht immer ſtrecken ſich unter dieſer Laſt die eingerollten Muskeln: Azara erzählt, daß man zuweilen ſchon halb verfaulte Brüllaffen noch feſt an ihrem Aſte hängen ſieht. Wenig andere Tiere ſind ſo ausſchließlich an das Baumleben gebunden wie die Brüll— affen. Sie kommen höchſt ſelten auf die Erde hernieder, wahrſcheinlich bloß dann, wenn es ihnen unmöglich iſt, von den niederen Aſten und Schlingpflanzen herab zu trinken. Humboldt be— hauptet, daß ſie nicht imſtande wären, Wanderungen oder auch nur Wandelungen auf ebenem Boden zu unternehmen, und Rengger ſagt: „Sie fürchten ſich ſo ſehr vor dem Waſſer, daß, wenn ſie durch das ſchnelle Anſchwellen des Stromes auf einem Baume abgeſchieden werden, ſie eher verhungern, als durch Schwimmen einen anderen Baum zu gewinnen ſuchen. So traf ich einft eine ſolche Affenherde auf einem von Waſſer rings umgebenen Baume an, welche, ganz abgemagert, ſich vor Schwäche kaum mehr bewegen konnte. Sie hatte nicht nur alle Blätter und zarten Zweige, ſondern ſogar einen Teil der Rinde des Baumes verzehrt. Um den nahen Wald zu erreichen, hätte ſie nur eine Strecke von 60 Fuß zu durchſchwimmen ge— habt.“ Derſelbe Naturforſcher verſichert, niemals einen Brüllaffen auf freiem Felde geſehen oder ſeine Fährte irgendwo auf dem Boden angetroffen zu haben. Wenn der Brüllaffe keine Nachſtellung erfährt, hält er ſich in einem beſtimmten Gebiete auf, das höchſtens eine Meile Umfang haben mag. Oft verweilt eine Familie während des ganzen Tages auf einem und demſelben Baume. Höchſt ſelten ſieht man einzelne. Die Fa— milie hält ſehr treu zuſammen. Henſel ſagt: „Da, wo ſie nicht durch Geſchoſſe noch durch das Bellen der Hunde furchtſam gemacht werden, ſcheuen ſie den Menſchen durchaus nicht. Es kommt hier wohl vor, daß man ſich unter einem Baume befindet, auf dem man bei zu: fälligem Hinaufblicken einen ganzen Trupp Brüllaffen erblickt, welche ſchon lange den Ein— dringling ernſt beobachteten und erſt dann die Flucht ergreifen, wenn ſie ſehen, daß ſie die Aufmerkſamkeit desſelben erregt haben. Auch fliehen ſie in einem ſolchen Falle nicht in über— eilter Haſt und ebenſowenig weit, ſuchen ſich vielmehr bald in den Wipfeln benachbarter hoher Bäume zu verbergen. Da, wo ſie oft beunruhigt werden, ſind ſie viel ſcheuer und verſchwinden ſchon bei dem erſten Laute des Hundes. Wenn ſie ſich verbergen, wiſſen ſie alle Vorteile ſo geſchickt zu benutzen, daß man zuweilen lange vergeblich nach ihnen ſucht, obgleich man genau weiß, daß ſie den Baum noch nicht verlaſſen haben können. Namentlich ſchlüpfen ſie gern in die dichten Büſche von Schmarotzerpflanzen und verharren hier regungslos. Mit Hilfe eines Glaſes erkennt man dann zuweilen das ſchwarze Geſicht inmitten eines Orchideenbuſches, wie es unverwandt den Jäger anſtiert, um ſich keine ſeiner Bewegungen entgehen zu laſſen. „Wenn im Sommer die Strahlen der Morgenſonne die Kühle der Nacht und die Nebel 476 18. Ordnung: Affen. Familie: Cebidae. der Täler an den Berglehnen vertrieben haben, dann löſt die kleine Geſellſchaft der Brüll⸗ affen den Klumpen auf, zu welchem geballt ſie auf den Aſten eines ſtark belaubten Baumes die Nacht zugebracht hat. Der Trupp ſucht zunächſt das Nahrungsbedürfnis zu befriedigen, und iſt dies geſchehen, ſo bleibt ihm bis zum Eintritte der drückenden Tageshitze noch immer ſo viel Zeit übrig, um ſich auch dem geſelligen Vergnügen widmen zu können, das bei einem ſo ernſthaften Tiere ſelbſtverſtändlich frei iſt von aller Unziemlichkeit, welche ſeine Ordnungs⸗ genoſſen kennzeichnet. Die Geſellſchaft hat ſich jetzt eine rieſige Wildfeigenart ausgeſucht, deren dichtes Blätterdach gegen die Sonnenſtrahlen ſchützt, während die gewaltigen wage- rechten Aſte vortrefflich zu Spaziergängen geeignet find. Einen dieſer Aſte, in deſſen Nähe ſich die Mitglieder der Geſellſchaft nach Belieben gruppiert haben, wählt ſich das Familien⸗ haupt und ſchreitet darauf ernſt würdig mit erhobenem Schwanze hin und her. Bald beginnt es, anfangs etwas leiſe, einzelne abgebrochene Brülltöne auszuſtoßen, wie es der Löwe zu tun pflegt, wenn er ſich zu einer Kraftleiſtung ſeiner Lunge vorbereitet. Dieſe Laute, welche aus einer Ein- und aus einer Ausatmung ſich gebildet zu haben ſcheinen, werden immer heftiger und in ſchnellerer Reihenfolge ausgeſtoßen; man hört, wie die Erregung des Sängers wächſt. Endlich hat ſie ihren höchſten Grad erreicht; die Zwiſchenpauſen werden verſchwindend klein, und die einzelnen Laute verwandeln ſich in ein fortdauernd heulendes Gebrüll. In dieſem Augenblicke ſcheint eine unendliche Begeiſterung die übrigen, bis dahin ſtummen Mit⸗ glieder der Familie, männliche wie weibliche, zu ergreifen: ſie alle vereinigen ihre Stimme mit der des Vorſängers, und wohl zehn Sekunden lang tönt der ſchauerliche Chorus durch den ſtillen Wald. Den Beſchluß machen wieder einzelne Laute, wie ſie den Hauptgeſang ein⸗ geleitet haben. Doch hören ſie eher auf als dieſe.“ Humboldt erprobte, daß man das Heulen bis auf 1,5 km Entfernung höre und ſtützt dieſe Angabe auf genaue Beobachtung, nicht nur auf Schätzung. Man hat bemerkt, daß die fliehenden Affen, wohl aus Angſt, beſtändig ihren breiigen Kot fallen laſſen: die Sage, die erzählt, daß die verfolgten Tiere ihre Feinde mit Kot bewerfen, iſt ſomit erklärt. Kappler ſagt vom Roten Brüllaffen in Guayana: „Jedesmal, wenn ich die Schreier aus nächſter Nähe zu beobachten Gelegenheit hatte, ſaß ein altes Männchen oben im Baume, hielt ſich mit den Vorderfüßen und hatte den langen Greifſchwanz um einen Aſt geſchlungen, wäh: rend andere Männchen, Weibchen und Junge in verſchiedenen Stellungen etwas niedriger ſaßen. Plötzlich hob der Alte ein entſetzlich röchelndes Rochu, Rochu“ an, das, nachdem es ſich fünf- bis ſechsmal wiederholt hatte, in ein Gebrüll überging, in das alle übrigen ein- N ſtimmten, und zwar jo ſtark, daß man befürchten mußte, das Gehör zu verlieren... Was dem Tiere Anlaß zu dieſem Geſchrei gibt, weiß ich nicht.. . Der Brüllaffe iſt träge und melancho— liſch; er ſpringt bloß, wenn er verfolgt wird, ſonſt klettert er bedächtig, ſich ſtets mit dem Schwanze haltend, auf den Bäumen umher. Jung gefangen wird er ſehr zahm und zutrau- lich, ſpielt auch mit Katzen und Hunden, ift aber meiſt traurig. Entfernt ſich die Perſon, die er liebhat, jo iſt ſein immerwährendes Röcheln und Geſchrei höchſt unangenehm. Sie haben einen eigentümlich widerlichen Geruch, ſo daß man die Nähe von Brüllaffen im Walde leicht riecht. Sie bringen nur ein Junges zur Welt. Ihr Hauptfeind iſt der Haubenadler.“ Alles, was der Brüllaffe bedarf, bietet ihm ſein luftiger Aufenthalt in Fülle. Den Pflan⸗ zungen wird er niemals ſchädlich, wenn er ſich auch tagelang an deren Saume aufhält: er zieht Baumblätter dem Mais und den Melonen vor. Daß die Nahrung vorzugsweiſe in Blättern beſteht, beweiſen, nach Henſel, nicht nur die ſtets ſchwarzen Zähne, ſondern auch der Magen der Erlegten, der immer einen grünlichen Speiſebrei wie von zerkauten Blättern enthält. n N 902 Brüllaffen: Lebensſchilderungen Humboldts, Kapplers, Henſels. 477 In Südamerika wirft das Weibchen im Juni oder Juli, manchmal auch ſchon Ende Mai oder erſt Anfang Auguſt ein einziges Junges. Henſel verſichert, daß die Fortpflanzung der Brüllaffen an keine beſtimmte Jahreszeit gebunden iſt; denn man findet neugeborene Junge das ganze Jahr hindurch und kann alſo auch an ein und demſelben Tage Keim— linge und Junge der verſchiedenſten Entwickelungs- und Altersſtufen ſammeln. Niemals ſcheinen die Brüllaffen mehr als ein Junges zu haben. Dieſes iſt ebenſo langweilig wie die Alten und, zumal wegen des großen Kehlkopfes, womöglich noch häßlicher. 8 „Die Feinde der Brüllaffen“, ſagt Henſel, „ſind außer dem Menſchen natürlich nur ſolche Raubtiere, welche die Bäume beſteigen, namentlich der Puma, der Ozelot und vor allem die Hyrare, nächſt dem Vielfraß der größte unter den Mardern. Ich habe den Schädel eines ſolchen Tieres heimgebracht, welches bei Tage von einem Jäger in dem Augenblicke erlegt wurde, als es mit einem ſtarken, ſchon halb erwürgten männlichen Brüllaffen vom Baume herabfam, Das furchtbare Geſchrei der ganzen Affengeſellſchaft hatte den Jäger herbeigelockt, welcher eben noch zur rechten Zeit kam, um den Räuber zu erlegen. Vielleicht die gefährlichſten Feinde beſitzt der Brüllaffe unter den Vögeln. Ein großer weißer Raubvogel, . . . wahrſcheinlich eine Harpyie, raubt die jungen Affen . . . Er jagt dicht über den Baumwipfeln einher, fährt unter den argloſen Affentrupp und reißt den Müttern die Jungen vom Rücken. Der Schrecken der ſo unvermutet überfallenen Tiere iſt ſo groß, daß ſie die Verteidigung, ſelbſt die Flucht ver— geſſen und nur mit jämmerlichem Geſchrei die Hände zur Abwehr über die Köpfe halten.“ In den von Henſel bereiſten Teilen Südamerikas jagt man den Brüllaffen mit Hunden. Letztere beſitzen eine große Vorliebe für dieſen Affen, der ihnen das angenehmſte Futter unter allem Wilde iſt, während ſie den Kapuzineraffen ſelbſt im größten Hunger nicht anrühren. Dabei iſt der Geruch, den der Brüllaffe verbreitet, ſehr ſtark und den Menſchen unangenehm. Nament- lich gilt das vom Harn und vom Kot. Für die Affenhunde iſt ſchon der erſte Ton des Gebrülles der Affen das Zeichen zur Jagd, und ihr Bellen unter dem bald gefundenen Baume unterbricht ſogleich den Geſang der letzteren, die ſich verbergen oder flüchten. In einſamer Gegend jedoch oder da, wo ſie nicht beunruhigt werden, ſteigt das alte Männchen auf einen der unterſten Aſte und beginnt von hier aus ein Gezänk mit den Hunden, das dieſe zur höchſten Wut entflammt. Bei einem ſolchen Streite mit den Hunden nimmt die Stimme des Brüllaffenmännchens einen etwas veränderten Ton an und gleicht genau der eines bösartigen Schweines, das, wenn ein Unbekannter in den Stall tritt, für die Sicherheit ſeiner Nachkommenſchaft fürchtet. Wenn man auf Brüllaffen ſchießt, rennen fie jo ſchnell wie möglich davon, und einen höchſt erheiternden Anblick gewährt es dann, laut Henſel, wenn im erſten Schrecken eines der faſt halb erwachſenen Jungen einem der alten Männchen auf den Rücken ſpringt, um ſo ſchneller davonzukommen, aber durch eine kräftige Ohrfeige von dem Erzürnten belehrt wird, daß der verlangte Liebesdienſt nicht zu den Pflichten des Familienvaters gehört. „Der Brüllaffe“, fährt Henſel fort, „beſitzt eine große Lebenszähigkeit und flüchtet noch nach Verwundungen, unter denen andere Tiere unfehlbar von den Bäumen herabſtürzen müßten. Aber ſelbſt dann, wenn der Brüllaffe tödlich verwundet wird und ſtirbt, entgeht er nicht ſelten noch dem Jäger, wenn er noch Zeit hat, ſich mit der Spitze ſeines Wickelſchwanzes an irgendeinem dünnen Aſte feſtzuhängen. Dann bleibt er auch nach dem Tode noch tage— lang in dieſer Lage, und man ſieht hieraus, daß das Aufhängen ſelbſt zwar willkürlich geſchieht, das Hängenbleiben aber mechaniſch iſt. Will ſich der Affe feſthängen, ſo erreicht er dies mit zwei Windungen, deren zweite über die erſte weggeht, wobei die Rauhigkeit der Greiffläche das Abgleiten verhindert. Man kann auf dieſe Weiſe ſehr leicht einen toten Affen an einem 478 18. Ordnung: Affen. Familie: Cebidae. Stocke ebenſo feſt aufhängen, wie der lebende hängt, und erſt wenn durch das Hin- und Her⸗ ſchwanken die zweite Windung von der erſten abgleitet, fällt das Tier herab.“ Man ſoll den Brüllaffen deshalb auf das Geſäß ſchießen, um ſo möglichſt das Kreuz und die Schwanzmuskeln zu lähmen. Unſere beſten Gewehre können übrigens mit der furcht— baren und doch ſo einfachen Waffe der Indianer, dem Blasrohre, ſich nicht meſſen. Deshalb fällt es den Rothäuten viel leichter als uns, Brüllaffen zu erlegen. Trotz der unübertreff- lichen Geſchicklichkeit, mit der fie ihre Waffe zu führen wiſſen, beſteigen fie noch gern einen der benachbarten Bäume und ſenden von deſſen Wipfel aus das tödliche Geſchoß nach der harmloſen Herde. Müller-München hatte einen Brüllaffen drei volle Tage bewußtlos in ſeinem Zimmer liegen: der Affe gab nur ganz ſchwache Lebenszeichen, wenn man ihn anfaßte, ſtarb aber nicht und mußte getötet werden, als er präpariert werden ſollte. In einem großen Teile von Paraguay bilden die Brüllaffen einen Gegenſtand eifriger Jagd. Ihr Fell iſt geſucht und das Fleiſch bei den Indianern beliebt. Aus dem Pelze des Schwarzen Brüllaffen ließ Dr. Francia einmal über hundert Grenadiermützen verfertigen. Außerdem verwendet man das Fell zu Beuteln, Satteldecken uſw. Von dem Fleiſche lebten Reiſende, ſo z. B. der Prinz von Wied, oft lange Zeit faſt ausſchließlich. Sie verſichern, daß es wohlſchmeckend ſei und eine ſehr kräftige Brühe gebe. — Man gibt ſich nur ſelten mit der Zähmung der Brüllaffen ab; auch hat deren Erziehung ihre großen Schwierigkeiten. Rengger ſah nur zwei, die beide über ein Jahr alt waren. Sie wurden mit verſchiedenen Baumblättern gefüttert und zogen dieſe jeder anderen Nahrung vor. Nach Ausſage der Wärter erkrankten ſie, wenn man ihnen Mais, Maniok oder Fleiſch gab. Sie tranken weder viel noch oft und nur Waſſer oder Milch. Ihr Benehmen hatte etwas Trauriges und Langweiliges. Sie waren ſehr ſanft und zutraulich; aber niemals ſah man eine Spur von Fröhlichkeit an ihnen. Gewöhnlich kauerten ſie mit ſtark nach vorn gebogenem und auf die Bruſt geſenktem Kopfe in einem Winkel, legten die Vorderhände auf den Schoß oder ſtützten ſie neben die Hinterhände auf den Boden und ſchlangen den Schwanz um die Beine, ſo daß er auf die Hände zu liegen kam. In dieſer Stellung konnten ſie ſtundenlang verweilen, bis der Hunger ſie vermochte, Nahrung zu ſuchen. Alsdann gingen ſie auf den vier Pfoten ſchrittweiſe vorwärts; nur ſelten ſah man ſie traben oder Sprünge machen. In aufrechter Stellung konnten ſie ſich kaum einen Augenblick erhalten. Ihre Sinne ſchienen ſcharf zu ſein; ſie wählten ihre Nahrung mit Sorgfalt aus, hörten und ſahen gut und be— wieſen, daß ihr Taſtſinn ſehr entwickelt war. Von Verſtand war wenig zu bemerken: ſie erzeigten ihrem Wärter kaum mehr Aufmerkſamkeit als fremden Leuten und ließen ſich zu nichts abrichten. — Von anderen gezähmten Brüllaffen erzählt Wied, daß ſie ihrem Herrn außerordentlich zugetan waren und kläglich zu ſchreien begannen, wenn dieſer auch nur einen Augenblick ſich von ihnen entfernte. Die Trägheit, Traurigkeit und Grämlichkeit ſowie die knarrende, röchelnde Stimme, welche die Jungen manchmal hören ließen, machte ſie aber allen, ſelbſt ihrem Herrn, unangenehm und widerlich. Dasſelbe ſagt Kappler, dem es nie glückte, einen Brüllaffen aufzuziehen. Nach Europa gelangen Brüllaffen ſehr ſelten, und in den Affenhäuſern unſerer zoologi- ſchen Gärten, wie überhaupt in der Gefangenſchaft, halten fie fich meiſt ſchlecht. Sie verharren in traurigem Dahinbrüten und ſchließen ſich auch an ihren Pfleger nicht an, entſchließen ſich nach langem Zögern kaum heranzukommen, wenn man ihnen einen Leckerbiſſen bietet. Die verſchiedenen Arten verhalten ſich im Freien und Gefangenleben alle genau gleich. Um ſo weniger berührt es uns hier, daß gerade bei den Brüllaffen die richtige Artunterſcheidung = Brüllaffen: Syſtematik. Totenkopfäffchen. 479 beſonderen Schwierigkeiten begegnet. Viel Verwirrung hat dabei der Umſtand geſtiftet, daß die verſchiedenen Geſchlechter und Lebensalter oft ſehr verſchieden gefärbt find, die alten Männ⸗ chen rot, die Weibchen und Jungen dunkel, und abgeſchloſſen iſt die ſyſtematiſche Kenntnis der Brüllaffenarten auch heute noch nicht. Für den Caraya oder Schwarzen Brüllaffen, Alouatta caraya Humboldt (Mycetes niger; Taf. „Affen II“, 5, bei S. 483), Para⸗ guays gibt ſelbſt Elliot in ſeinem großen Affenwerk zu, daß nur die alten Männchen ſchwarz, die Weibchen und Jungen ſtrohgelb find. Für den Aluate oder Roten Brüllaffen, A. seniculus L. (Mycetes), aus Kolumbien und dem mittleren Amazonien, aber beſtreitet er, daß der Wechſel von Braun- und Kupferrot bis zu dunklem, ſchwärzlichem Purpurrot auf Kopf, Gliedmaßen und Schwanz und die immer hellere Strohfarbe des Rückens mit Alter, Geſchlecht oder engerer Heimat des Tieres etwas zu tun haben. In Mittelamerika, Guatemala und Honduras, lebt der in jedem Alter und Geſchlecht kohlſchwarze Mono, A. villosus Gray, der, nach Salvin, bis 3000, in den kalten, feuchten Wäldern der Chilascoberge gar bis 6000 engl. Fuß in die Höhe geht. * Die letzte Gruppe aus der Familie der Kapuzinerartigen im weiteren Sinne (Cebidae), die Unterfamilie der Kapuzinerartigen im engeren Sinne (Cebinae), haben wir unter den amerikaniſchen Affen am höchſten zu ſtellen, nicht zum wenigſten auch geiſtig. Sie haben alle ein großes Gehirn mit langgeſtreckten Großhirnhälften, die das Kleinhirn vollkommen überdecken, bei den größeren Formen auch gefurcht ſind, dazu einen geräumigen Schädel mit ſenkrechten, vorſtehenden Eckzähnen. Außerlich gehen ſie ſehr auseinander in die beiden Haupt— gruppen der eigentlichen Kapuziner, Gattung Cebus Exal. (kleiner, kurzgliederiger, mit durch— weg behaartem, nur etwas nach unten eingerollt getragenem Rollſchwanz) und der aus mehreren Gattungen beſtehenden Klammeraffen (größer, langgliederig, mit langem, an der Spitze unten nacktem Greifſchwanz). Als kleine, nebenſächliche Gruppe reihen ſich noch die Saimiris oder Totenkopfäffchen N (Gattung Saimiri Voigt, Chrysothrix) hier ein; man kann fie als Übergangsglieder zwiſchen den Neuweltsaffen mit greifendem und denen mit ſchlaffem Schwanze anſehen. „Wenn auch ihr Schwanz nicht ein wahrer Rollſchwanz iſt, ſo kann er doch um mehr als einen halben Umgang um die Zweige gebogen werden und gibt dadurch den Tieren beim Klettern einen größeren Grad von Sicherheit.“ Und nicht nur das. Nach Müller-München hängen ſich die ſcheuen Tierchen, wenn man glücklich noch einen Schnappſchuß angebracht hat, ſtets mit dem Schwanz an einem Aſte feſt, und ein erlegtes Totenköpfchen konnte Müller nur dadurch er— langen, daß er den Aſt abſchoß, an dem die kleine Leiche hing. Am Amazonas nennt man das Tierchen Macaco de cheiro. Die Saimiris ſind kleine, zierlich und ſchlank gebaute Affen von höchſtens 30 em Kopfrumpflänge, mit langen, zarten Gliedmaßen, ſtark länglichem, beſonders nach hinten entwickeltem Kopfe, in dem die Großhirnhälften das Kleinhirn noch mit einem Fünftel ihrer Länge überragen, hoher Stirn, kurzem Geſicht, großen, einander ſo ſehr genäherten Augen, daß dazwiſchen nur noch eine häutige Naſenſcheidewand Platz hat, einfachen, großen Ohrmuſcheln und wenig reichem Pelze, der aus eigentümlich geringelten Haaren beſteht. Die ſehr langen und breiten Eckzähne ſind oben dreikantig, vorn ein-, außen zweifurchig, die Schneidezähne ſtehen ſenkrecht. Das Gehirn entſpricht dem ſehr großen Schädel und iſt verhältnismäßig ſchwerer als bei irgendeinem Tiere, hat jedoch wenig Win- dungen entſprechend der geringen Körpergröße. 480 18. Ordnung: Affen. Familie: Cebidae. Das Totenköpfchen oder der Saimiri, Saimiri sciureus L. (Chrysothrix seiurea; Taf. „Affen 1“, 3, bei S. 405), iſt durch ſeine niedliche Geſtalt und die ſchöne, angenehme Färbung ebenſo ausgezeichnet wie durch die Zierlichkeit der Bewegungen und durch ſein munteres Weſen. Es kann einer der ſchönſten aller neuweltlichen Affen genannt werden. Sein etwas abſchreckender deutſcher Name entſpricht keineswegs dem wahren Ausdrucke ſeines Kopfes; das Tier verdankt jenen vielmehr nur einer höchſt oberflächlichen und bei genauer Vergleichung ſofort verſchwindenden Ahnlichkeit, die hauptſächlich wohl von einer ganz ab⸗ ſonderlichen ſchwarzen Mundzeichnung herrührt: es ſieht aus, als ob das Tierchen „Tinte geſoffen“ hätte. Das ſehr ſchlank gebaute Totenköpfchen hat einen ſehr langen Schwanz; ſein feiner Pelz iſt oben gelblich olivengrün, bei recht alten aber lebhaft pomeranzengelb, an den Gliedmaßen roſtgelb und an der Unterſeite weiß. Die Geſamtlänge beträgt ungefähr 80 em, die Schwanzlänge 50 em. == Nach mehr grauer, blauer, goldgelber oder ſchwärzlicher Farbe des Kopfes und anderen Färbungsmerkmalen unterſcheidet man heute eine ganze Reihe von Arten, die ſich über die verſchiedenen natürlichen Gebiete des nördlichen Südamerikas verbreiten; eine Art, S. oerstedi Reinhardt, lebt in Panama. f Hauptſächlich Guayana iſt die Heimat des eigentlichen Totenköpfchens, und namentlich die Ufer der Flüſſe dieſes reichen Erdſtriches werden von ihm bewohnt. Es lebt dort in großen Geſellſchaften. Nach Schomburgk gehört es zu den am meiſten verbreiteten Arten des Landes. Wie die dort vorkommenden Kapuzineraffen belebt es in zahlreichen Banden, zu hundert und mehr, nicht den Hochwald, ſondern das Strauchwerk am Rande der Waldungen und geht von der Küſte bis zu einer Meereshöhe von 600 m. Nicht ſelten vereinigt es ſich mit einer Herde Kapuzineraffen. Man findet es den Tag über in beſtändiger Bewegung. Die Nacht bringt es in Palmenkronen zu, die ihm das ſicherſte Obdach bieten. Es iſt ſehr ſcheu und furcht⸗ ſam, wagt namentlich bei Nacht nicht, ſich zu bewegen, ergreift aber auch bei Tage angeſichts der leiſeſten Gefahr ſogleich die Flucht. Dabei ſieht man die Herde in langen Reihen über die Baumkronen hinwegziehen. Ein Leitaffe bringt ſeine Herde, dank ihrer Beweglichkeit, ge⸗ wöhnlich ſehr bald in Sicherheit. Die Mütter, die Junge haben, tragen dieſe anfänglich zwi⸗ ſchen den Armen, ſpäter, nachdem die Kleinen etwas abgehärtet ſind, auf dem Rücken. Solche Junge bemerkt man übrigens das ganze Jahr hindurch, woraus alſo hervorgeht, daß auch dieſe Affen mit ihrer Fortpflanzung nicht an eine beſtimmte Jahreszeit gebunden ſind. 7 Alle Bewegungen der Saimiris find voll Anmut und Zierlichkeit. Die Tierchen klettern ganz vorzüglich und ſpringen mit unglaublicher Leichtigkeit über ziemlich große Zwiſchenräume. In der Ruhe nehmen fie gern die Stellung eines ſitzenden Hundes ein; im Schlafen ziehen fie den Kopf zwiſchen die Beine, jo daß er die Erde berührt. Der Schwanz dient ihnen nur aus⸗ nahmsweiſe anders denn als Steuerruder beim Springen. Sie wickeln ihn zwar zuweilen um einen Gegenſtand, ſind aber doch nicht imſtande, ſich damit feſtzuhalten. Ihre Stimme beſteht in einem mehrmals wiederholten Pfeifen. Wenn ihnen etwas Unangenehmes widerfährt, be⸗ ginnen ſie zu klagen und zu winſeln. Auch morgens und abends vernimmt man derartige Laute, oft von einer ganzen Geſellſchaft, und ſelbſt in der Nacht noch gellt der Schrei der durch jedes Geräuſch leicht erregten Tiere durch den Wald, deſſen ſchlummerndes Leben weckend. Der Totenkopf gehört zu den Furchtſamſten der Furchtſamen, ſolange er ſich nicht von ſeiner vollkommenen Sicherheit überzeugt hat, wird aber zu einem echten Affen, wenn es gilt, handelnd aufzutreten. Sein Geſicht iſt der treue Spiegel der äußeren Eindrücke und inneren Empfindungen. „Setzt man“, ſagt Humboldt, „mehrere dieſer kleinen Affen, welche in Totenköpfchen. 481 demſelben Käfig beiſammen ſind, dem Regen aus, und fällt die gewöhnliche Luftwärme raſch um 2—3 Grade, ſo ſchlingen ſie ſich den Schwanz um den Hals und verſchränken Arme und Beine, um ſich gegenſeitig zu erwärmen. Die indianiſchen Jäger erzählten uns, man finde in den Wäldern nicht ſelten Haufen von 10—12 ſolcher Affen, welche erbärmlich ſchreien, weil alle auswärts ſtehenden in den Knäuel hineinmöchten, um Wärme und Schutz zu fin— den.“ Auch in der Gefangenſchaft ſtößt der Saimiri bei der unbedeutendſten Veranlaſſung ſein Klage- und Jammergeſchrei aus; doch iſt er nicht eigenwillig, und ſeine Gutmütigkeit bleibt ſich faſt immer gleich, ſo daß es eigentlich ſchwer iſt, ihn zu erzürnen. Auf ſeinen Herrn achtet er mit großer Sorgfalt. Wenn man in ſeiner Gegenwart ſpricht, wird bald ſeine ganze Aufmerkſamkeit rege. Er blickt dem Redenden ſtarr und unverwandt ins Geſicht, verfolgt und beobachtet mit ſeinen lebhaften Augen jede Bewegung der Lippen und ſucht ſich dann bald zu nähern, klettert auf die Schulter und betaſtet Zahn und Zunge ſorgfältig. Seine Nahrung nimmt er mit den Händen, oft auch mit dem Munde auf. Verſchiedene Früchte und Blattknoſpen bilden wohl den größten Teil ſeiner Mahlzeiten; doch iſt er auch ein eifriger Jäger von kleinen Vögeln und Kerbtieren. Ein von Humboldt gezähmtes Toten— köpfchen unterſchied ſogar abgebildete Kerbtiere von anderen bildlichen Darſtellungen und ſtreckte, ſo oft man ihm die bezügliche Tafel vorhielt, raſch die kleine Hand aus, in der Hoffnung, eine Heuſchrecke oder Weſpe zu erhalten. Sein liebenswürdiges Weſen macht den Saimiri allgemein beliebt. Er wird ſehr geſucht und zum Vergnügen aller gehalten. Auch bei den Wilden iſt er gern geſehen und deshalb oft ein Gaſt ihrer Hütten. Kappler hielt einen 13 Jahre lang in ſeiner Heimat zahm. Die Indianer jagen am liebſten an kühlen, regneriſchen Tagen nach dem Saimiri, we— niger wegen des Fleiſches, welches, laut Schomburgk, weit weniger ſchmackhaft iſt als das anderer Affen und einen bockartigen Beigeſchmack hat, als um ihn für die Gefangenſchaft zu erbeuten. „Schießt man“, erzählt Humboldt, „mit Pfeilen, welche in verdünntes Gift ge— taucht ſind, auf einen jener Knäuel, ſo fängt man viele junge Affen auf einmal lebendig. Der junge Saimiri bleibt im Fallen an ſeiner Mutter hängen, und wird er durch den Sturz nicht verletzt, ſo weicht er nicht von Schulter und Hals des toten Tieres. Die meiſten, welche man in den Hütten der Indianer antrifft, ſind auf dieſe Weiſe von den Leichen ihrer Mütter geriſſen worden.“ Kappler hat in Guayana während 26 Jahren immer drei dieſer Affchen gehalten und, wenn eines ſtarb, ſtets die Zahl wieder ergänzt. Nach ihm werden ſie dort Akalimas und Ka— buanamas genannt. „Die Affchen ſind ſehr lebhaft, immer in Bewegung, obgleich ſie über Tag auch ein Schläfchen machen, und äußerſt empfindlich gegen Kälte. Ich bekam ſie immer ganz jung, und ſie gewöhnten ſich bald an Milch, Brot und reife Bananen. Die erſte Zeit ließ ich ſie frei im Zimmer herumlaufen, wo ſie dann ſtundenlang wie ein kleines Kind an ihrem Daumen ſaugten .. . Ungereizt ſuchen fie nie zu beißen und find bei guter Behandlung die harmloſeſten, fröhlichſten Tierchen, die man ſich denken kann. Liefen ſie manchmal frei um— her, ſo ſetzten ſie ſich auf die Schweine und ließen ſich in den Savannen herumtragen. Jeden Abend 5 Uhr, nachdem die Läden der beſſeren Zimmer geſchloſſen waren, wurden ſie los— gelaſſen. Dann gab es ein tolles Jagen und Treiben auf dem Brotfruchtbaum und den Kokospalmen hinter dem Hauſe, das ſo lange dauerte, bis es dunkelte und ſie von ſelbſt kamen, um in ihr Häuschen eingeſperrt zu werden. Obgleich ſie Inſekten freſſen, ſo ſcheinen ſie die giftigen doch nicht zu kennen; darum ſtarben mir drei davon, weil ſie die Schmetterlinge der Kokosraupe gefreſſen hatten. Gelehrig ſind ſie nicht und ſtehen an Intelligenz weit unter dem Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 31 482 18. Ordnung: Affen. Familie: Cebidae. Kapuzineraffen. Fühlen ſie ſich behaglich, ſo ſchnurren ſie wie die Kätzchen; erſchreckt laſſen ſie einen kurz abgeſtoßenen Gaumenlaut hören, im Zorne ein Geſchrei wie Elſtern. Die meiſten wurden mir vom Seeſtrande gebracht, wo ſie mit Leichtigkeit auf den Awarrapalmen herum⸗ ſpringen, obgleich dieſe über und über mit 3 Zoll langen, nadelſcharfen Stacheln beſetzt ſind.“ Auf dem europäiſchen Tiermarkt ſind Totenköpfchen nicht gerade häufig, aber auch nicht allzu ſelten. Sie werden als nette, kleine Schauſtücke von den zoologiſchen Gärten gern ge— kauft und halten ſich da oft gar nicht übel; doch darf man mit ihnen natürlich keine Akkli⸗ matiſationskunſtſtücke machen, ſondern muß froh ſein, wenn man ſie an einem geſchützten, warmen Plätzchen ein oder einige Jahre am Leben erhält. Die Kapuziner, Rollſchwanzaffen oder Rollaffen (Gattung Cebus Erxl.) unter— ſcheiden ſich dadurch von den Klammer- oder Wickelſchwanzaffen, die nebſt den Totenköpfchen den übrigen Inhalt der letzten und höchſtſtehenden Unterfamilie der Neuweltaffen ausmachen, daß ihr Schwanz nur mäßig lang und auch an der Spitze rings behaart iſt. Dementſprechend wird der Schwanz zwar nach unten eingerollt getragen, aber weniger wirklich als Greifwerk— zeug gebraucht; immerhin pflegen ihn die Tiere mit der Spitze von oben nach unten um Aſte und Gitterſtangen zu krümmen und können ſich ſogar nicht nur einige Augenblicke daran aufhängen, ſondern ſo auch noch einen zweiten Genoſſen tragen. Während die übrigen Gat— tungen der Neuweltaffen mit Ausnahme der Pinſeläffchen zu den ſelteneren Erſcheinungen in den Tiergärten gehören, ſieht man dieſen oder jenen Vertreter der Kapuziner faſt in jeder Tierſchaubude. Die Kapuziner unterſcheiden ſich namentlich von den Klammeraffen ganz im allgemeinen ſchon durch ihren einhellerigen Leibesbau, nicht nur kürzeren Schwanz, ſondern auch kürzere, gleichmäßigere Gliedmaßen; im beſonderen haben ſie fünffingerige Hände mit abgeflachten Kuppennägeln und gut ausgebildeten Daumen an ihren nur mittellangen Armen. Der Schädel iſt rundlich, und der Kopf hat im Leben eine faſt ſenkrechte Geſichtsfläche. Die oberen Eckzähne ſind ſo lang, daß ſie namentlich bei den alten Männchen über die Lippen nach unten hervorragen. Mehr oder minder entwickelter Bart- und eigentümlicher kapuzen⸗— artiger Kopfhaarwuchs, dem die Kapuziner ihren geläufigſten Namen verdanken, iſt viel ver— breitet; auch der übrige Pelz iſt meiſt dicht und üppig, aber glatt, nicht wollig. Geiſtig ſtehen die Kapuziner gewiß höher als die bis jetzt behandelten Neuweltaffen; wahrſcheinlich haben ſie ſogar unter allen Breitnaſen die höchſten geiſtigen Fähigkeiten, und zwiſchen ihnen und den altweltlichen Tieraffen iſt in dieſer Beziehung kaum ein Unterſchied zu finden. Sie ſind echte Affen, d. h. lebhafte, gelehrige, mutwillige, neugierige und launen— hafte Tiere. Gerade deshalb werden ſie von den Menſchen viel öfter gezähmt als alle übrigen, kommen demnach auch häufiger zu uns herüber. Ihrer weinerlichen, ſanften Stimme verdanken ſie den Namen Winſelaffen, den ſie ebenfalls führen. Dieſe Stimme hört man aber nur, ſolange ſie bei guter Laune ſind. Bei der geringſten Erregung ſchreien und krei— ſchen ſie abſcheulich. Immerhin haben die Kapuziner jedenfalls die angenehmſte und bieg— ſamſte Stimme unter den Neuweltaffen; höchſtens die Krallenäffchen leiſten entfernt Ahnliches und haben mit den Kapuzinern auch die helle, zwitſchernde Tongebung gemein, nur daß den Kapuzinern außerdem noch ſehr weiche, wohllautende Flötentöne zu Gebote ſtehen. So iſt es denn kaum mehr als ſelbſtverſtändlich, daß der durch alle Zeitungen bekanntgewordene amerika— niſche „Affenſprachforſcher“ Garner von Kapuzinern ausging oder vielmehr mit ſolchen am weiteſten kam. Aber was er durch ſeine ſpäter, in den Zeitungen wenigſtens, ins Uferloſe geratenen Einfälle und Verſuche glaubwürdig und nachprüfbar feſtſtellte, unter anderem auch J. Apella, Cebus apella Erxl. 2. Gehaubter Kapuziner, Cebus fatuellus L. 1/6 nat. Gr., s. S. 485. — A. Karl Schuster-Wien phot. 1 nat. Gr., s. S. 486. — P. Kothe-Berlin phot. 3. Gehörnter Kapuziner, C. cirrifer E. Geoffr. 4. Dickkopf-Kapuziner, Cebus macrocephalus Spix. / nat. Gr., s. S.486. — P. Kothe-Berlin phot. / nat. Gr., s. S. 486. — A. Karl Schuster- Wien phot. 5. Schwarzer Brüllaffe, Alouatta caraya Humboldt. 1/6 nat. Gr., S. S.479. — P. Kothe-Berlin phot. 7. Grauer Wollaffe, Lagothrix lagotricha Humboldt. 6. Schwarzer Klammeraffe, Ateles paniscus Z. 1/12 nat. Gr., S. S. 499. — A. Karl Schuster- Wien phot. 1/s nat. Gr., s. S.495. — Aufnahme aus dem Zool. Garten in Köln. Kapuziner: Allgemeines. 483 mit Hilfe des Phonographen, war, genau genommen, nur, daß die Kapuziner die allgemeine Fähigkeit und Gewohnheit der Tiere, beſtimmte Erregungen mit beſtimmten Lauten zu be— gleiten, in ganz beſonders hohem und vollkommenem Maße beſitzen, und daß dieſe Laute nicht nur von Tieren gleicher Art verſtanden werden, ſondern auch von ſolchen anderer Art, die am gleichen Orte leben. Garner konnte mittels des Schrecklautes eines Kapuziners, den er in Hörweite eines anderen auf dem Phonographen wiederholte, den zweiten in ſchleunigſte Flucht jagen und ebenſo mit Hilfe des phonographiſch wiedergegebenen Hunger- oder Freß— luſtlautes des einen dem anderen offenſichtlich ſozuſagen das Waſſer im Maule zuſammen— laufen laſſen. Durch Garners ſehr feſſelndes, von Marſhall trefflich überſetztes Buch über die „Affenſprache“ kann nur leicht der Irrtum entſtehen, als ob die betreffenden Affenlaute die betreffenden Gegenſtände ſelber bezeichneten, wie die Worte und Begriffe der menſchlichen Sprache, während es ſich in Wirklichkeit bei den Affen, auch bei den Kapuzinern, trotz alles reichen, vielfältigen Tonſchatzes immer nur um die unwillkürlichen Begleitlaute zu beſtimmten, durch die Gegenſtände und Erſcheinungen hervorgebrachten Erregungen handelt. Grundſätzlich wichtiger als die „Sprache“ der Kapuziner ſcheint faſt ihr „Gebrauch von Werkzeugen“, der bei ihnen in den erſten Anfängen nicht zu verkennen iſt: ſie ſchlagen ſich mit Steinen Nüſſe auf. Matſchie beobachtete das vor Jahren ſchon im Zoologiſchen Garten zu Liſſabon, und von der verſchiedenartigen Kapuzinergeſellſchaft des Berliner Gartens kann man es jetzt jeden Tag ſehen. Sie klopfen auch mit den Nüſſen ſelber und anderen Gegenſtänden, die ſie weiterer „Bearbeitung“ wohl noch für bedürftig halten, an die Käfig— wände und Gitterſtäbe; das Klopfen ſcheint ihnen überhaupt nahezuliegen. Um zu verſtehen, wie ſie dazu kommen, wie ſich dieſe Gewohnheit und Fertigkeit bei ihnen ausgebildet hat, müßte man die Früchte kennen, von denen ſie ſich in ihrer Heimat zumeiſt nähren. Sie leben ausſchließlich auf Bäumen und bewohnen, ſchon in der Vorwelt in Braſilien heimiſch, noch gegenwärtig in bedeutender Anzahl alle größeren Waldungen Mittel- und Südamerikas, von Coſtarica und Nicaragua bis Südbraſilien, Paraguay und Nordargentinien, gehen auch im Gebirge bis 7000 engl. Fuß (etwa 2100 m) hoch. Man findet fie in ziemlich zahlreichen Geſellſchaften und häufig untermiſcht mit anderen ihnen verwandten Arten. Ihre Geſellig— keit iſt ſo groß, daß ſie ſich gern mit allen ihnen naheſtehenden Affen, denen ſie zufällig be— gegnen, verbinden, um dann gemeinſchaftlich umherzuſchweifen. Bei ſo weit geſteckten Grenzen nicht nur der wagerechten, ſondern auch der ſenkrechten Verbreitung iſt von vornherein eine ſehr große Artenzahl zu erwarten, wie ſie uns auch bei weitverbreiteten ſüdamerikaniſchen Vögeln, z. B. den Amazonenpapageien, entgegentritt. Tat— ſächlich führt Elliot in ſeinem großen Affenwerk von 1912 23 Kapuzinerarten auf. Während aber bei den Amazonen die ganz genau beſtimmten, wenn auch noch ſo geringfügigen Farben— abzeichen die Artkenntnis zu einer einfachen Gedächtnisſache machen, gehört die Syſtematik der Kapuziner, nach Elliot, auch heute noch zu den ſchwierigſten Aufgaben der Muſeumszoologie, und von deren Löſung trennt uns noch weit die heilloſe Verwirrung, die dadurch angerichtet wurde, daß ſowohl von verſchiedenen Sammelreiſenden und Bearbeitern dieſelben geläufigen wiſſenſchaftlichen Kapuzinernamen auf ſchon äußerlich verſchiedene Tiere angewendet worden ſind, als anderſeits, wie Elliot ganz beſonders hervorhebt, äußerlich verſchiedene Kapuziner den ausſchlaggebenden Schädel- und Zahnmerkmalen nach als gleichartig ſich erweiſen können. In dieſem auch von dem neueſten Bearbeiter wieder feſtgeſtellten Befunde könnte unſere heutige Grundanſchauung einen Beweis für „noch nicht ganz fertige“ Arten ſehen, zumal auch alte, berühmte Südamerikareiſende, wie Schomburgk, von ſtändigem Zuſammenleben und 31* 454 18. Ordnung: Affen. Familie: Cebidae. Vermiſchung verſchieden ausſehender Kapuziner ſprechen. Jedenfalls aber bleiben die Kapu⸗ ziner vorläufig noch ein Kreuz für die Muſeumszoologen, obwohl ſchon jo ausgezeichnete Syſte— matiker an ihnen ſich verſucht haben wie der alte, vortreffliche Johann Andreas Wagner, der beſten einer, die wir gehabt haben. Er hat ſchon geſehen, was auch dem aufmerkſamen Tier: gärtner von ſelber aufgeht, wenn er ſeinen Kapuzinerbeſtand durchſieht: daß nämlich die ganze Artenfülle der Kapuziner zwiſchen zwei gegenſätzliche Endformen eingeſchloſſen iſt, eine kleinere, dünner behaarte, etwas ſchwächlich ausſehende mit kleinem, ſchmalem Kopfe (bekannteſter Ver⸗ treter der eigentliche Kapuziner, Cebus capucinus L.) und eine derbere, kräftigere, dicht und reich behaarte mit dickem, breitem Kopfe (Dickkopfkapuziner, O. macrocephalus Spiæ). In der Kopfbehaarung prägt ſich noch der Gegenſatz aus zwiſchen beinahe nackter, quergerunzelter Stirn und ganz kurzem, ſteifem, wie geſchorenem Hinterkopfhaar bis zu allerlei dichtem, längerem, hörner- und kapuzenartigem, bis in die Stirn hineinragendem Haaraufputz. In der Gefangenſchaft zeigen die Kapuziner faſt alle Eigenſchaften der Altweltaffen, denen fie geiftig ſicher in keiner Beziehung nachſtehen; fie find aber im Benehmen gegen den Menſchen doch ſanfter und gleichmäßiger, wechſeln nicht ſo urplötzlich von Freundlichkeit zu Feindlichkeit. Als Bettler und Schmeichler ſtehen ſie im zoologiſchen Garten obenan und wiſſen durch ihre helle, gar nicht übel lautende Stimme und ihre ſprechenden Grimaſſen ſtets ihr Publikum an- zulocken und feſtzuhalten. Auch in ihrer Heimat ſind ſie ungeachtet ihrer ſelbſt unter Affen ungewöhnlichen Unreinlichkeit die Lieblinge der Indianer, weshalb man ſie auch am häufigſten gezähmt bei ihnen findet. So laſſen ſie ſich z. B. den Harn in die Hände laufen und waſchen dieſe ſich am Leibe ab. Wie die Paviane lieben fie betäubende und berauſchende Genuüſſe. „Wird ein gezähmter Rollaffe“, ſagt Schomburgk, „mit Tabaksrauch angeblaſen oder ihm etwas Schnupftabak vorgehalten, ſo reibt er ſich den ganzen Körper unter wahrhaft wollüſtigen Verzückungen und ſchließt die Augen. Der Speichel läuft ihm dabei aus dem Munde; er fängt ihn aber mit den Händen auf und reibt ihn dann über den ganzen Leib. Manchmal iſt der Speichelfluß ſo ſtark, daß der Affe zuletzt wie gebadet ausſieht; dann zeigt er ſich ziem— lich erſchöpft. Dasſelbe Entzücken ruft auch eine angerauchte Zigarre hervor, welche man ihm gibt, und es ſcheint mir alſo, daß der Tabaksrauch in ihm ein ziemlich wollüſtiges Ge- fühl erregt. Tee, Kaffee, Branntwein und andere erregende Getränke bringen faſt dieſelben Erſcheinungen hervor.“ Angeſichts der ſtarken, bis zur Gegenſätzlichkeit ausgeprägten Unterſchiede ſchon in der äußeren Erſcheinung der Kapuziner muß es einigermaßen wundernehmen, daß auch die neueſte Syſtematik in Elliots großem Affenwerk nicht zur Aufſtellung von Untergattungen ſchreitet, obwohl dies doch heute an ſo vielen anderen Stellen im Säugetierreiche geſchieht, wo es am lebenden Tiere viel weniger einleuchtet. Schädel- und Zahnmerkmale mögen da maßgebend ſein. Doch gibt uns ſchon der alte Wagner einige treffliche Fingerzeige, wie wir eine beſſere Überſicht über die verwirrend formenreiche Gruppe der Kapuziner gewinnen können, und zwar finden wir bei ihm gleich die beiden oben gekennzeichneten gegenſätzlichen Endgruppen wieder, zu denen er als dritte noch die mit den aufrechtſtehenden Stirnhaaren fügt, mit den mehr oder weniger auffallenden Haarfriſuren, wie ſie z. B. der Gehörnte Kapuziner, Debus cirrifer E. Geoffr., trägt. Aus der erſten Gruppe, den ſchwächlicher gebauten und dünner behaarten, ſchmalköpfi⸗ geren Formen mit dem kahlen Vorderkopf, der quergefurchten Stirn und dem kurzen, wie ge— ſchorenen Scheitel- und Hinterhaupthaar, ſetzen wir den Schwarzweißen Kapuziner oder A Weißſchulteraffe. Eigentlicher Kapuziner. Apella. 485 Weißſchulteraffen, Cebus hypoleucus Humboldt, aus Mittelamerika (Nicaragua, Coſta— rica, Panama) und Kolumbien voran, weil er am leichteſten zu erkennen, ja vielleicht der ein— zige Kapuziner iſt, den auch der Ungeübte auf den erſten Blick mit Sicherheit erkennen kann. Das macht ſeine ganz eindeutige Färbung: nacktes, hell fleiſchfarbenes Geſicht, weiß behaarte Backen, Kehle, Bruſt, Schultern und Oberarme; alles übrige bräunlichſchwarz. Er wird nicht ſelten lebend eingeführt und hebt ſich im Geſellſchaftskäfig unter ſeinen Gattungsverwandten durch ſeine Farbe ſtets auffällig heraus. Schwerer iſt ſchon der Eigentliche Kapuziner, Cebus capueinus Erxl. (Abb., S. 486), aus Guayana zu beſtimmen, obwohl auch ihn die eben erwähnten Gruppenmerkmale, beſon— ders die kahle, quergerunzelte, ausgedehnte, aber doch zurückfliehende Stirn und das kurze, Weißſchulteraffe, Cebus hypoleueus Humboldt. J½% natürlicher Größe. „geſchorene“ Kopfhaar noch gut kennzeichnen. Die allgemeine Farbenverteilung iſt bei ihm in den Grundzügen dieſelbe und bekräftigt dadurch noch weiter die nahe Verwandtſchaft mit dem vorigen; nur ſind die beiden Hauptfarben an ſich weniger verſchieden. Die hellen Teile ſind oben nur weißlich, graugelblich und die dunklen oben mehr roſt-, unten mehr graubraun. Als neues Färbungsmerkmal kommt ein dunkler, ſchwärzlicher Scheitelfleck hinzu, der ſich ſchnippenförmig nach vorn zieht und den vielfältigen Kopfzierat der braſiliſchen Arten aus der zweiten Gruppe gewiſſermaßen ſchon vorbereitet. Unter dieſen ſcheint der Apella, Cebus apella Erxl. (Taf. „Affen II“, 1, bei S. 482), noch am wenigſten auffallend bedacht mit längerem, aber gleichmäßigem Kopfhaar, das in Geſtalt einer ſchwarzen Kopfplatte wenigſtens in der Mitte auch den Vorderkopf bedeckt und von da verſchmälert ſich nach vorn auf die Stirn herunterzieht. Der übrige Körper iſt braun gefärbt, und dieſes Braun ſcheint ſich um ſo mehr aufzuhellen, bis ins Goldgelbliche, je nörd— licher, und um fo mehr ſich zu verdunkeln, bis zu Schwarzbraun, je ſüdlicher der betreffende Kapuziner herſtammt. Das Dunklerwerden beginnt an Gliedmaßen und Schwanz, und zu— gleich ſchreitet die Ausbildung des Bartes, beſonders aber des Kopfſchmuckhaares weiter fort, indem ſich die ſchwarze Haarplatte zu beiden Seiten in Geſtalt von Haarkämmen erhebt; 486 18. Ordnung: Affen. Familie: Cebidae. jo ungefähr ſieht der Gehaubte Kapuziner oder Faunaffe, Cebus fatuellus L. (Taf. „Affen II“, 2, bei S. 482), aus. Und ſchließlich wird die ganze Körperfarbe jo dunkel ſchwarz— braun, daß weder Gliedmaßen und Schwanz noch Kopfplatte ſich mehr abheben; letztere erhält aber dafür vorn an beiden Seiten je einen ſtark verlängerten, hornähnlichen Haarbüſchel: Gehörnter Kapuziner, Cebus eirrifer E. Geoffr. (leucogenys; Taf. „Affen II“, 3, bei S. 482), aus Südbraſilien (Sao Paulo), auch Weißwangenkapuziner genannt nach der hellen Geſichtsbehaarung. Die ſüdlichſte Art, Azaras Kapuziner, Cebus azarae Nengg., aus Paraguay, ändert, nach Elliot, in der Grundfarbe ſehr ab: zehn Stück des Britiſchen Mu— ſeums aus der Serra da Chapada in Mato Groſſo wechſeln von beinahe Weiß bis Sepiabraun. Je jünger das Tier, deſto heller und umgekehrt. Zwei Haarbü— ſchel an der ſchwarzen Kopf— platte jederſeits über dem Ohre, überhaupt die richtige Ausbildung der Kopfhaar— kapuze aus aufrechtſtehen— den Haaren tritt erſt nach dem fünften Lebensjahre ein, gewöhnlich aber nur bei den Männchen, bei den Weibchen oft gar nicht. Unter ſolchen Umſtänden mag man ſich vorſtellen, was es im Ein— zelfalle für ein Kunſtſtück iſt, einen Kapuziner dieſer Art nach dem lebenden Tiere richtig zu beſtimmen. Ahnlich ſteht es mit der dritten Gruppe, den Dick— kopfkapuzinern, auf die aber jedenfalls an dieſer Stelle noch einmal eingegangen werden muß, weil man eine unzweifelhaft zu ihnen gehörende Art jetzt manchmal in den zoologiſchen Gärten ſieht: einen auffallend ſchweren und ſtämmigen, dick- und breitſchädeligen Burſchen mit mächtigen, fortwährend gefletſchten Eckzähnen, kahler Stirn und keinerlei beſonderem, gegen die kahle Stirn abgeſetztem Kopfhaarputz. Wenn das nicht der eigentliche Dick— kopfkapuziner, Cebus macrocephalus Spiz (Taf. „Affen II“, 4, bei S. 482), iſt, der mehr als Abbild des Apella im großen geſchildert wird, ſo iſt es vielleicht der Einfarbige Dickkopfkapuziner, Cebus unicolor Sir, der ſchmutzig gelbbräunlich gefärbt ſein ſoll, Rücken und Schwanz dunkler, mit ſchwarzbrauner Haarplatte auf dem Hinterkopf, von der ſich ein dunkler Streif nach der Stirn vorzieht. Beide Arten find aus dem nordweſtlichen Braſilien von Spix beſchrieben. Die Geſamtlänge des Dickkopfes wird auf 86, die Schwanz— länge auf 42 em angegeben. Beim eigentlichen Kapuziner betragen dieſelben Längen nur Kapuzineraffe, Cebus capueinus Era. ½ natürlicher Größe. ** Gehaubter, Gehörnter, Azaras Kapuziner. Dickkopfkapuziner. 487 80 und 35 em, und die Geſamtſchädellängen, wie Elliot ſie mißt, verhalten ſich bei beiden wie 99,6 zu 79. Infolge der herrſchenden Unklarheit über die Begrenzung der Arten läßt ſich häufig nicht beſtimmen, welche Angaben der Reiſenden wir auf dieſe oder jene Art zu beziehen haben, alſo nur ein allgemeines Bild der Gruppe entwerfen. Der Kapuziner zieht Waldungen vor, deren Boden nicht mit Geſtrüpp bewachſen iſt. Den größten Teil ſeines Lebens verbringt er auf den Bäumen; denn dieſe verläßt er über— haupt nur dann, wenn er trinken oder ein Maisfeld beſuchen will. Sein Aufenthalt iſt nicht beſtimmt. Bei Tage ſtreift er von Baum zu Baum, um ſich Nahrung zu ſuchen, bei Nacht ruht er zwiſchen den verſchlungenen Aſten eines Baumes. Gewöhnlich trifft man ihn in kleinen Familien von 5—10 Stück, von denen die größere Anzahl Weibchen ſind. Selten findet man wohl auch einzelne alte Männchen. Das Tier läßt ſich ſchwer beobachten, weil es ſehr furchtſam und ſcheu iſt: Rengger verſichert, daß er nur zufällig zu Beobachtungen habe gelangen können. Einmal machten ihn angenehm flötende Töne aufmerkſam, und er ſah ein altes Männchen, furchtſam umherblickend, auf die nächſten Baumgipfel näher kommen; ihm folgten 12 oder 13 andere Affen beiderlei Geſchlechts, von denen drei Weibchen teils auf dem Rücken, teils unter einem Arme Junge trugen. Plötzlich erblickte einer von ihnen einen naheſtehenden Pomeranzenbaum mit reifen Früchten, gab einige Laute von ſich und ſprang auf den Baum zu. Nach wenigen Augenblicken war die ganze Geſellſchaft dort verſammelt und beſchäftigte ſich mit Abreißen und Freſſen der ſüßen Früchte. Einige fraßen gleich auf dem Baume; die anderen ſprangen, mit je zwei Früchten beladen, auf einen der nächſten Bäume, deſſen ſtarke Aſte ihnen eine bequeme Tafel abgaben. Sie ſetzten ſich auf einen Aſt, umſchlangen dieſen mit ihrem Schwanze, nahmen dann eine der Pomeranzen zwiſchen die Beine und verſuchten nun bei dieſer die Schale in der Vertiefung des Stielanſatzes mit den Fingern zu löſen. Gelang es ihnen nicht ſogleich, ſo ſchlugen ſie unwillig und knurrend die Früchte zu wiederholten Malen gegen den Aſt, wodurch die Schale einen Riß erhielt. Kein einziger verſuchte, die Schale mit den Zähnen zu löſen, wahrſcheinlich weil ſie deren bitteren Geſchmack kannten; ſobald aber eine kleine Offnung in die Schale gemacht war, zogen ſie mit der Hand raſch einen Teil davon ab, leckten gierig von dem herabträufelnden Safte, nicht nur an der Frucht, ſondern auch den, der an ihrem Arme oder der Hand war, und verzehrten dann das Fleiſch. Der Baum war bald geleert, und jetzt ſuchten die ſtärkeren Affen die ſchwächeren des Ihrigen zu berauben, ſchnitten dabei die ſeltſamſten Geſichter, fletſchten die Zähne, fuhren einander in die Haare und zauſten ſich tüchtig. Andere durch— ſuchten die abgeſtorbene Seite des Baumes, hoben die trockene Rinde vorſichtig auf und fraßen die darunter hauſenden Kerbtierlarven. Als ſie ſich geſättigt hatten, legten fie fich in der bei den Brüllaffen beſchriebenen Stellung der Länge nach über einen wagerechten Aſt weg, um zu ruhen. Die jüngeren begannen miteinander zu ſpielen und zeigten ſich dabei ſehr behend. An ihrem Schwanze ſchaukelten ſie ſich oder ſtiegen an ihm wie an einem Strick in die Höhe. Die Mütter hatten ihre Not mit den Kindern, denen nach den ſüßen Früchten gelüſtete. Anfangs ſchoben ſie ihre Sprößlinge noch langſam mit der Hand weg, ſpäter zeigten ſie ihre Ungeduld durch Grunzen, dann faßten ſie das ungehorſame Kind bei dem Kopfe und ſtießen es mit Gewalt auf den Rücken zurück. Sobald ſie ſich aber geſättigt hatten, zogen ſie das Junge wieder ſachte hervor und legten es an die Bruſt. Die Mutterliebe zeigte ſich durch die große Sorgfalt, womit jede Alte ihr Junges behandelte, durch das Anlegen an die Bruſt, durch 488 18. Ordnung: Affen. Familie: Cebidae. beſtändiges Beobachten, durch das Abſuchen ſeiner Haut und durch die Drohungen gegen die übrigen Affen, die ſich ihm nahten. Als die Jungen der drei Mütter geſogen hatten, kehrten zwei der größeren auf den Rücken ihrer Pflegerinnen zurück, das kleinſte und ſchwächſte aber blieb ſeiner Erzeugerin an der Bruſt hängen. Die Bewegungen der Jungen waren weder leicht noch gefällig, ſondern plump und unbeholfen, und die Tierchen ſchienen ſehr ſchläfrig zu ſein. Ein anderes Mal ſtieß Rengger auf eine Affenfamilie, die ſich eben anſchickte, ein dicht am Walde gelegenes Maisfeld zu plündern. Sie ſtiegen langſam, ſorgfältig ſich umſehend, von einem Baume herab, brachen ſich zwei oder drei Fruchtkolben ab und kehrten, dieſe mit der Hand an die Bruſt drückend, ſo ſchnell wie möglich in den Wald zurück, um dort ihre Beute zu verzehren. Als unſer Forſcher ſich zeigte, floh der ganze Trupp mit krächzendem Geſchrei durch die Wipfel der Bäume; jeder aber nahm wenigſtens einen Kolben mit ſich weg. Rengger ſchoß nun auf die Fliehenden und ſah ein Weibchen mit einem Säuglinge auf dem Rücken von einem Aſte zum anderen ſtürzen. Schon glaubte er, es in ſeine Gewalt bekommen zu haben, als es, ſchon mit dem Tode ringend, ſich noch mit dem Schwanze um einen Aſt ſchlang und an ihm wohl eine Viertelſtunde hängenblieb, bis der Schwanz ſchlaff wurde und ſich durch das Gewicht des Affen aufrollte. Das Junge hatte ſeine Mutter nicht verlaſſen, vielmehr, obgleich einige Unruhe zeigend, ſich feſt an fie angeklammert. Nachdem die Alte er— ſtarrt und das Junge von der Mutter entfernt worden war, ſuchte das arme verwaiſte Tierchen dieſe noch mit kläglichen Tönen zu rufen und kroch nach ihr hin, ſobald es freigelaſſen wurde. Erſt nach einigen Stunden, als die Todeskälte eingetreten war, ſchien es dem Säuglinge vor der Mutter zu grauen, und er blieb willig in der Buſentaſche ſeines nunmehrigen Beſchützers ſitzen. Im Januar wirft das Weibchen ein Junges und trägt es die erſten Wochen an der Bruſt, ſpäter aber auf dem Rücken. Rengger beobachtete, daß ein Weibchen, dem ein Jagd— teilnehmer den einen Schenkel durch einen Schuß zerſchmettert hatte, ſeinen Säugling von der Bruſt riß und auf einen Aſt ſetzte. „Dicht an einen Baum gedrückt“, ſo erzählt Schomburgk, „warteten wir die Affenherde ab. Der Vortrab erſchien jetzt vor uns, das Hauptheer folgte bald und nach etwa einer Viertel- ſtunde auch der letzte Trupp, welchen ich freilich durch mein nicht mehr zu verhaltendes Ge— lächter in wilde Flucht zerſprengte. Wer hätte aber hier das Lachen unterdrücken können, wenn er die behenden Tiere mit ihrer übertriebenen Eile und Lebhaftigkeit ſich auf den Aſten hätte hinbewegen ſehen, wenn er das Klagen, Pfeifen und Singen der Schwächeren gehört, die boshaften Blicke bemerkt, welche ſie den Stärkeren zuwarfen, ſobald ſie dieſen in den Weg kamen und nun von ihnen gebiſſen und geſchlagen wurden; wenn er die altklugen Geſichter der förmlich auf den Rücken der Mütter angeleimten Jungen und zugleich die ernſthaften Mienen wahrgenommen hätte, mit denen auf der Reiſe jedes Blatt, jede Spalte nach Kerb— tieren unterſucht und hier und da ein fliegender Schmetterling, ein fliehender Käfer mit der äußerſten Geſchicklichkeit gefangen wurde. Unter ſolchem Geſichterſchneiden mochten etwa 400 bis 500 Apellas über uns weggeeilt ſein (denn eine andere Bewegung ſcheinen ſie gar nicht zu kennen), als ich jenem Drange nicht mehr widerſtehen konnte. Wie vom Donner gerührt blieben die unmittelbar über uns Befindlichen einen Augenblick bewegungslos ſitzen, ſtießen dann einen eigentümlichen Schrei aus, welcher vor, hinter und neben uns ſein Echo fand; alle ſahen ſich ängſtlich nach allen Seiten um, bis ſie uns bemerkten, ſtarrten uns einen Augen— blick an, wiederholten den Schrei noch greller als das erſtemal, und in doppelt gewaltigen Sprüngen flogen ſie förmlich über uns hin, ohne daß auch nur ein anderer Ton als das vermehrte Geräuſch in den Zweigen gehört worden wäre. r S e Kapuziner: Renggers, Schomburgks, Henſels Berichte. 489 „Bei einem ſolchen Vorfalle war ich Zeuge eines wirklich rührenden Beiſpiels aufopfern— der Mutterliebe. Schon wollte ich nach meinem Boote zurückkehren, als die ängſtliche Stimme eines Affen in einem Baume über mir es laut verkündete, daß er von ſeiner Mutter bei ihrer wilden Flucht vergeſſen worden war. Einer meiner Indianer erkletterte den Baum. Kaum ſah das Tier die fremde Geſtalt, als ihm die Angſt einige laute Töne auspreßte, welche plötz— lich vom nächſten Baume von der zurückgekehrten Mutter beantwortet wurden. Kaum waren dieſe Töne von dem geängſtigten Tiere gehört, als es dieſelben auch wieder mit einer ganz eigenen Stimme beantwortete, welche nun andererſeits ebenfalls ihren Widerklang in dem Locken der Mutter fanden. Ein Schuß verwundete die Arme; ſie ſchickte ſich wohl zur Flucht an, kehrte aber augenblicklich wieder zurück, als ihr Liebling nochmals jene Angſttöne aus— ſtieß, und ſprang, ungeachtet eines zweiten Schuſſes, der fie fehlte, mit Anſtrengung auf den Aſt, welcher das klagende Junge trug. Schnell nahm ſie dieſes auf den Rücken und wollte ſich eben mit ihm entfernen, als ſie, trotz meines ſtrengen Verbotes, ein dritter Schuß tötete. Noch im Todeskampfe drückte ſie ihren Liebling feſt an ſich und verſuchte die Flucht, ſtürzte aber bei dieſem Verſuche auf den Boden herab . . . Die Anzahl der Geſellſchaften betrug oft viele Hunderte. Sie ſind äußerſt lebhaft, gewandt und liſtig, und nur der Schlauheit des Indianers gelingt es, dieſe Tiere zu beſchleichen. Das geräuſchloſe vergiftete Pfeilchen trifft dann ſicher ſein Ziel. Schon nach wenigen Minuten beginnt der verwundete Affe infolge der Wirkung des Giftes zu wanken und ſtürzt hernieder. Mit langen Hälſen und unter Ausſtoßen kurzer, eigentümlicher Töne ſehen die Gefährten ihrem herabſtürzenden Freunde nach, den der Indianer wohlweislich am Boden liegen läßt. Aus dem ſicheren Verſtecke folgt nun der zweite und dritte Pfeil geräuſchlos, und die Verwundeten fallen immer einer nach dem anderen nieder, bis der Jäger ihrer ſo viele erlegt hat, als er braucht.“ Henſel traf Kapuziner häufig in Rio Grande do Sul an. Auch ihm verdanken wir einen trefflichen Bericht. „Der Miko“, ſagt er, „iſt der Gegenſatz des Brüllaffen; denn er iſt das ſchnellſte und klügſte Geſchöpf des ganzen ſüdbraſiliſchen Urwaldes. Kein anderes Tier, ſelbſt nicht die Hyrare, kommt ihm gleich im Klettern und Springen. Er lebt immer in großen Ge— ſellſchaften bis zu 30 und 40 Stücken, wenn nämlich bei dem Gewimmel einer durch die Baum— wipfel fliehenden Affenherde noch ein Abſchätzen der Anzahl möglich iſt. Dieſe Trupps haben keinen jo feſten Aufenthaltsort wie die der Brüllaffen oder bewohnen wahrſcheinlich große Re— viere, in denen ſie nach Belieben umherſchweifen, heute in dieſe Pflanzung, morgen in eine benachbarte einfallend. Der Pfifferaffe der deutſchen Anſiedler iſt ein arger Dieb, welcher die Maisfelder tüchtig plündert; doch kommt er nicht nahe an die Häuſer, ſondern ſucht lieber die tiefer im Walde gelegenen Pflanzungen heim. Naht ſich nun ein Menſch, oder hören ſie Hunde bellen, ſo ſtoßen ſie ihren Warnungsruf, ein weithin hörbares Pfeifen, aus. Iſt der Gegen— ſtand des Schreckens noch weit entfernt, ſo ſuchen ſie noch das Geraubte in Sicherheit zu bringen; mit einem Maiskolben in der Hand oder im Maule klimmen ſie dann mühſam die Schlingpflanzen hinauf. Kommen nun plötzlich die Hunde unter ſie, ſo laſſen ſie eiligſt alles fallen und find im Nu verſchwunden . . . Sind fie zerſtreut worden, jo ſuchen fie einander durch Pfeifen wieder zuſammen zu locken. Verſteht man dieſen Ton leicht nachzuahmen, und ver— birgt man ſich gut, vorausgeſetzt, daß man keine Hunde bei ſich hat, ſo kann man wohl noch einmal zum Schuſſe kommen: allein das Ergebnis bleibt immer unſicher; denn obgleich die Rollaffen keine (eigentlichen) Wickelſchwänze haben, legen ſie ſich doch vor dem Sterben gern auf die Zweige und fallen auf dieſe Weiſe nicht herab. Verbergen ſie ſich hinter einem Aſte, und ſchauen ſie ängſtlich über denſelben herunter, ſo ſieht es aus, als hätten ſie Hörner auf 490 18. Ordnung: Affen. Familie: Cebidae. dem Kopfe. Merkwürdig iſt ein ſehr feiner und angenehmer Biſamgeruch, welcher an den Männchen, namentlich an ihrem Kopfe, haftet, und den man ſelbſt nach dem Abbalgen eines ſolchen Tieres noch mehrere Tage lang ſpürt.“ : Salvin ſah in Nicaragua am Ufer eines Waſſerlaufes Kapuziner in Geſellſchaft von Klammeraffen. Da zeigte ſich aber ein gewaltiger Unterſchied in der Kraft und Lebhaftigkeit der Bewegung zwiſchen dieſen und den ungleich langſameren und ängſtlicheren Kapuzinern. Das in der kalten Jahreszeit ſehr fette Fleiſch wird, nach Verſicherung des Prinzen von Wied, gern gegeſſen und iſt für die Wilden geradezu eine Lieblingsnahrung, weshalb denn dieſe den Kapuzinern auch eifrigſt nachſtellen und ſie mit ihren langen Pfeilen und kräftigen Bogen ſicher auch von den höchſten Baumwipfeln herabzuſchießen wiſſen. Gezähmte Apellas und andere Affen trifft man in allen Niederlaſſungen der Indianer an. Mit höchſtem Erſtaunen bemerkte Schomburgk vierfüßige Milchbrüder und Milchſchweſtern, meiſt Affen, Beutelratten, Agutis und dergleichen unter den menſchlichen Säuglingen, denen die Mutter ebenſo bereitwillig, mit gleicher Zärtlichkeit in Blick und Miene, die andere Bruſt reichte, wenn vielleicht das eigene Kind aus der einen ſchon ſeine Nahrung ſog. „Der Stolz der Frauen beſteht hauptſächlich im Beſitze einer großen Anzahl zahmer Haustiere. Was ſie daher von jungen Säugetieren fangen können, ziehen ſie an der eigenen Bruſt auf, wodurch dieſen Tieren, namentlich den Affen, eine ſolche Anhänglichkeit eingepflanzt wird, daß ſie der Pflegemutter auf Schritt und Tritt folgen.“ Alte Kapuziner wollen ſich nicht an die Gefangenſchaft gewöhnen: ſie werden traurig, verſchmähen, Nahrung zu ſich zu nehmen, laſſen ſich niemals zähmen und ſterben gewöhnlich nach wenigen Wochen; der junge Affe dagegen vergißt leicht ſeine Freiheit, ſchließt ſich den Menſchen an und teilt, wie viele andere Ordnungsgenoſſen, ſehr bald mit dem Menſchen Speiſen und Getränke. Er hat ein ſanftes Ausſehen, das mit ſeiner großen Gewandtheit nicht im Ein— klange zu ſtehen ſcheint. Gewöhnlich ſtellt er ſich auf Hände und Füße und ſtreckt dabei den am Ende etwas eingerollten Schwanz aus. Der Gang auf ebenem Boden geſchieht ſehr ver— ſchieden, bald im Schritt, bald im Trabe, und iſt bald ein Hüpfen oder endlich ein Springen. Auf den Hinterfüßen geht er aus eigenem Antriebe höchſtens drei oder vier Schritte weit. Zum Schlafen rollt er ſich zuſammen und bedeckt das Geſicht mit den Armen und dem Schwanze. Er ſchläft des Nachts und, wenn die Hitze groß iſt, in den Mittagsſtunden; während der übrigen Tageszeit iſt er in beſtändiger Bewegung. Der Kapuziner hört ſchlecht; denn man kann ihn leicht beſchleichen. Noch ſchwächer ſcheint ſein Geruch zu ſein; denn er hält jeden zu beriechenden Gegenſtand an die Naſe und wird noch immer oft genug durch den Geruch getäuſcht und verleitet, Sachen zu koſten, die ihm der Geſchmacksſinn als ungenießbar bezeichnet. Der Taſtſinn zeigt ſich hauptſächlich in den Händen, weniger in den Füßen und gar nicht im Schwanze. Durch Übung und Erziehung wird dieſer Sinn einer großen Vervollkommnung fähig. Renggers Gefangener brachte es ſo weit, daß er ſeinen Herrn in der dunkelſten Nacht erkannte, ſobald er nur einen Augenblick deſſen gewöhnliche Kleidung betaſtet hatte. Die Laute, die der Kapuziner von ſich gibt, wechſeln im Einklange mit ſeinen Gemüts— bewegungen. Man hört am häufigſten einen flötenden Ton von ihm, der, wie es ſcheint, aus Langerweile ausgeſtoßen wird. Verlangt er dagegen etwas, ſo ſtöhnt er. Erſtaunen oder Ver— legenheit drückt er durch einen halb pfeifenden Ton aus; im Zorne ſchreit er mit tiefer und grober Stimme mehrmals „hu, hu!“ Bei Furcht oder Schmerz kreiſcht, bei freudigen Ereig⸗ nifjen dagegen kichert er. Mit dieſen verſchiedenen Tönen teilt der Leitaffe feiner Herde auch Kapuziner: Gefangenleben. 491 in der Freiheit ſeine Empfindungen mit. Dieſe ſprechen ſich übrigens nicht allein durch Laute und Bewegungen, ſondern zuweilen auch durch eine Art von Lachen und Weinen aus. Das erſtere beſteht im Zurückziehen der Mundwinkel; er gibt dabei aber keinen Ton von ſich. Beim Weinen füllen ſich ſeine Augen mit Tränen, die jedoch niemals über die Wangen herabfließen. Er iſt ſehr unreinlich, läßt ſeinen Kot überall fallen und beſchmutzt ſich auch häufig damit, und zwar um jo mehr, je weniger Freiheit man ihm läßt; mit ſeinem Harn beſudelt er ſich unaufhörlich. Es geſchieht ſelten, daß ſich die Kapuziner in der Gefangenſchaft paaren und dort Junge erzeugen. Neuerdings iſt ein ſolcher Fall im Berliner Zoologiſchen Garten vorgekommen. Unſer Affe iſt ſehr empfindlich gegen Feuchtigkeit. In das Waſſer geht er aus freien Stücken niemals. Auch hat man nie beobachtet, daß er ſich durch Schwimmen zu retten ver— ſuchte. Wohl aber weiß man, daß er bald untergeht, wenn man ihn in das Waſſer wirft. In unſerer Gefangenſchaft gewöhnt er ſich ganz gut an die Winterkälte, geht wenigſtens, wenn ihm Pendeltüren zwiſchen Außen- und Innenkäfig nach Belieben offen ſtehen, ohne Zagen auch im Winter ins Freie und hält ſich ſo gar nicht übel. Nach Renggers Schätzung dürfte ſich das Alter, das er erreichen kann, auf etwa 15 Jahre belaufen. Die geiſtigen Eigenſchaften des Kapuziners ſind unſerer vollſten Beachtung wert. Er lernt ſchon in den erſten Tagen ſeiner Gefangenſchaft ſeinen Herrn und Wärter kennen, ſucht bei ihm Nahrung, Wärme, Schutz und Hilfe, vertraut ihm vollſtändig, freut ſich, wenn dieſer mit ihm ſpielt, läßt ſich alle Neckereien gern von ihm gefallen, zeigt nach einer Trennung beim Wiederſehen eine ausgelaſſene Freude und ſchließt ſich an den Gebieter zuletzt ſo an, daß er bald ſeine Freiheit ganz vergißt und zum halben Haustiere wird. Ein altes Männchen, das Rengger beſaß, machte ſich zuweilen von ſeinem Riemen los und entfloh im erſten Gefühle der Freude über die erlangte Freiheit, kehrte aber nach Verlauf von 2—3 Tagen immer wieder in ſeine Gefangenſchaft zurück, ſuchte ſeinen Wärter auf und ließ ſich nun ohne alle Umſtände von dieſem anbinden. Übrigens ſchließt der Kapuziner ſich nicht allein Menſchen an, ſondern auch Haustieren, mit denen er aufgezogen wird. Es geſchieht nicht ſelten in Paraguay, daß man ihn mit einem jungen Hunde aufzieht, der ihm als Reitpferd dienen muß. Wird er von dieſem getrennt, ſo bricht er in ein Geſchrei aus; beim Wiederſehen über— häuft er ihn mit Liebkoſungen. Und dabei iſt ſeine Anhänglichkeit auch der Aufopferung fähig; denn bei Balgereien mit anderen Hunden verteidigt er ſeinen Freund mit großem Mute. Ganz anders zeigt ſich das Tier, wenn es Mißhandlungen erdulden muß. Fühlt es ſich ſtark genug, ſo ſucht es Gewalt mit Gewalt zu vertreiben und beißt den Menſchen derb, ſobald dieſer es quält. Wenn es aber ſeinen Gegner fürchtet, nimmt es ſeine Zuflucht zur Verſtellung und verſucht dann an ihm ſich zu rächen, falls es ihn unvermutet überfallen kann. Renggers Gefangener biß Leute, die ihn vorher geneckt hatten, auf die heimtückiſchſte Weiſe und kletterte hierauf immer ſchnell auf einen hohen Balken, wo man ihm nicht beikommen konnte. Alle Kapuziner, die man früher foppte, ſind gegen jedermann äußerſt mißtrauiſch, und man muß ſich vor ihnen in acht nehmen. Sie ſelbſt aber laſſen auch kein Tier unangefochten vorüber: gehen. Hunde und Katzen zerren fie am Schwanze, Hühnern und Enten reißen fie Federn aus, ſelbſt Pferde, die in ihrer Nähe angebunden ſind, ziehen ſie am Zaume. Auch der Kapuziner iſt höchſt naſchhaft und lernt bald, wenn er dabei ertappt wird, heim⸗ lich ſtehlen, wobei er alle Kniffe und Pfiffe anwendet. Ertappt man ihn bei der Tat, ſo ſchreit er aus Furcht vor der Strafe ſchon im voraus laut auf; wird er aber nicht entdeckt, dann tut er ſo unſchuldig und furchtlos, als ob nichts geſchehen wäre. Kleinere Gegenſtände verſteckt er, 492 18. Ordnung: Affen. Familie: Cebidae. wenn er geſtört wird, im Munde und frißt ſie erſt ſpäter. Seine Habſucht iſt ſehr groß. Was er einmal beſitzt, läßt er ſich ſo leicht nicht wieder nehmen, höchſtens von ſeinem Herrn, wenn er dieſem ſehr zugetan iſt. Außer dieſen Eigenſchaften zeigt er noch Neugierde und Zer— ſtörungsſucht im hohen Grade. Selbſtändig wie er iſt, unterwirft er ſich nicht gern dem Willen des Menſchen. Man kann ihn wohl von etwas abhalten, nicht aber zu etwas zwingen. Dagegen ſucht er andere Geſchöpfe, und ſelbſt den Menſchen, bald durch Liebkoſungen, bald durch Drohungen, ſeinem eigenen Willen zu unterwerfen. Diejenigen Tiere, denen er an Kraft und Gewandtheit über— legen iſt, müſſen ſich in ſeinen Willen fügen. Mit den Jahren nimmt er an Erfahrung zu und weiß dieſe wohl zu benutzen. Gibt man ihm zum erſten Male ein Ei, ſo zerbricht er es mit ſolchem Ungeſchick, daß er den größten Teil des Inhaltes verliert; ſpäter öffnet er es bloß an der Spitze und läßt nichts mehr verlorengehen. Selten läßt er ſich mehr als einmal durch etwas täuſchen. Schon nach kurzer Zeit lernt er den Ausdruck der Geſichtszüge und die ver— ſchiedenen Betonungen der Stimme ſeines Herrn verſtehen und zeigt Furcht oder Freude, je nachdem er rauh oder ſanft angeredet oder angeſehen wird. Auslachen läßt er ſich nicht, wahr— ſcheinlich weil ihn das Gelächter an frühere unangenehme Lagen erinnert. Seine gemachten Erfahrungen wendet er auch bei verſchiedenen Gegenſtänden geſchickt an, d. h. er verſteht das, was er einmal gelernt hat, in der ausgedehnteſten Weiſe zu benutzen. So lernt er den Hammer zum Zertrümmern, den Hebel zum Aufbrechen gebrauchen. Entfernungen ſchätzt er auf das genaueſte und richtet hiernach ſeine Bewegungen ein. Sein treues Gedächtnis und ſeine Ur— teilsfähigkeit machen ſich oft bemerklich. Dieſe beiden Geiſteskräfte ſind wohl bei allen gleich— mäßig ausgebildet, bei älteren aber entſchiedener als bei jüngeren. Im zoologiſchen Garten will es ſcheinen, als ob die derberen, zotthaarigen Arten mit Kopfputz auch geiſtig mehr leiſteten als die zarten, dünnfelligen; vielleicht trauen ſich die erſteren aber auch nur mehr, weil fie weniger ängſtlich find. Staunenswertes jedenfalls kleiſtet ein Gehörnter Kapuziner des Leipziger Gartens, den der Aſſiſtent Knieſche vor Kriegs- ausbruch etwas in die Schule genommen hatte. Dr. Grimpe ſchreibt darüber: „Gibt man ihm eine Schachtel Streichhölzer, ſo nimmt er ſofort ein Zündholz heraus und ſtreicht es, ohne ſich lange zu beſinnen, mit der roten Kuppe auf der Reibfläche an... Um nun aber feſtzu— ſtellen, wie weit ſein Denkvermögen reicht, gab man ihm eine Schachtel mit einem Streich— holz, deren Reibfläche zugeklebt war; dagegen hatte man eine andere Reibfläche ſchräg auf die Oberſeite der Schachtel geklebt. Der Affe ſtrich zunächſt vergeblich an der gewöhnlichen Reibeſtelle; dann drehte er die Schachtel, fie aufmerkſam betrachtend, mehrmals herum, ſchien förmlich erfreut, als er die ſchräg oben aufgeklebte Reibfläche entdeckte, und ſtrich richtig auf dieſer das Hölzchen an. Ferner gab man ihm eines jener platten ſogenannten Jupiter-Streich⸗ holzpäckchen, die eine Reihe aneinanderhängender roter Hölzchen mit gelber Zündkuppe ent— halten. Er öffnete ſofort den Verſchluß, brach ein Hölzchen weg und entzündete es durch An— ſtreichen auf der quer unten angebrachten Reibfläche. Als das erſte Holz faſt zu Ende gebrannt war, warf er es in weitem Bogen weg und entnahm dem Päckchen, das er während des Ab— brennens des erſten Holzes im Rollſchwanz gehalten hatte, ein zweites Zündholz, dann ein drittes. Die übrigen waren entweder ganz entfernt oder wenigſtens die Zündkuppen abge⸗ brochen worden. In dieſem Zuſtande intereſſierten ſie den Affen gar nicht, er ſtrich nur die mit Kuppe verſehenen. Ebenſowenig verſuchte er bereits abgebrannte Streichhölzer, nur dann allenfalls, wenn man ihm ſolche, ſofort wieder ausgelöſcht, in einer Schachtel gab. Dieſe Verſuche wurden öfters wiederholt, immer mit demſelben Erfolg.“ Kapuziner: Gefangenleben. 493 Nur die Indianer benutzen das Fell und Fleiſch des Kapuzineraffen und ſtellen ihm des— halb mit Pfeil und Bogen nach. Die Weißen verfolgen ihn höchſtens dann, wenn er ſich gar zu unverſchämt in der Nähe der Pflanzung zeigt, halten ihn aber gern in Gefangenſchaft. Auf unſeren Tiermarkt gelangt er regelmäßig, man darf wohl ſagen mit jedem Schiffe, das von einem tierfreundlichen Führer befehligt wird, und ſein Preis iſt dementſprechend gering. Im Geſellſchaftskäfig des Affenhauſes erwirbt er ſich zwar bald eine gewiſſe Stellung, zeigt aber doch recht deutlich, wie weit er hinter den gewandten und übermütigen Meerkatzen und Ma— kaken zurückſteht. Erſt wenn man ihn mit dieſen vergleichen kann, merkt man, daß ſeine Munter— keit und Fröhlichkeit denn doch eine ganz andere iſt als die der mutwilligen Altweltaffen. Ihnen gegenüber zeigt ſich der Kapuziner ängſtlich, ja faſt un⸗ beholfen, und ſein beſtändiges Wehklagen trägt nur dazu bei, dieſen Eindruck zu verſchärfen. So ſelbſtherrlich er gegen ſchwä— chere Affen verfährt, ſo kriechend und demütig zeigt er ſich in Geſellſchaft ſeiner altweltlichen Ordnungsgenoſſen. Unter dies ſen iſt er das allgemeine Opfer— lamm, der Prügelknabe, an dem jene ihre Launen nach Herzensluſt auslaſſen. Noch am beſten befindet er ſich in Geſellſchaft von Hundsköpfen, weil ſein Gewinſel früher oder ſpäter die mitleidige Seele einer Pavianmutter rührt und ſie veranlaßt, ſich des anſcheinend Hilfloſen anzunehmen. Einen Zum Greifen ee cn eines Klammeraffen ſolchen Schutz erkennt der Ka— puzineraffe ſtets ſehr dankbar an und läßt ſich, ſelbſt wenn er längſt über die Jahre der Kindheit hinaus iſt, hätſcheln und pflegen, als wäre er ein unmündiger Säugling. Die zweite Hauptgruppe der Unterfamilie der Kapuzinerartigen im engeren Sinne bilden die großen, langgliedrigen Klammeraffen mit dem langen, wie bei den Brüllaffen an der Spitze unterſeits nackten Greifſchwanz, der bei ihnen die vollkommenſte Ausbildung für ſeine eigenartige Tätigkeit erreicht und ſeine Träger in jedem Augenblick ihres Lebens unzwei⸗ deutig kennzeichnet. Dieſer für unſere Begriffe ganz abſonderliche, mit kräftigen Muskeln wie feinen Nerven gleich vortrefflich ausgeftattete Greifſchwanz, den wir bei den eigentlichen Kapuzinern, ja ſchon beim Totenköpfchen ſozuſagen vorbereitet ſahen, beeinflußt jede Stellung und Bewegung, man muß ſagen: das ganze Leben des Tieres entſcheidend. Er iſt augen— fällig und ſelbſtverſtändlich eine Sicherheitsvorrichtung, von der man aber als Nachteil 494 18. Ordnung: Affen. Familie: Cebidae. Daumenloje Hand eines Klammer— affen (Ateles geoffroyi Kuh). zunächſt eine hemmende Wirkung auf die Beweglichkeit des Trägers befürchten muß. Wer darauf eingerichtet iſt, ſich hinten feſtzuhalten, kann nicht raſch vorwärtskommen, jagt aus dieſem Gedanken heraus der geiſtreiche Guſtav Jäger ganz richtig, und bei dem trägen Brüllaffen ſehen wir den Greifſchwanz tatſächlich in dieſem Sinne wirken. Bei den Klammeraffen aber iſt dieſes „Trägheitsmoment“ vollkom— men überwunden; bei ihnen folgt der Greifſchwanz der raſcheſten und vielfältigſten Bewegung ſo willig und flink, man möchte faſt jagen: mit ſolchem ſelbſttätigem Verſtänd⸗ nis, daß man nicht genug ſtaunen kann. Heck ſchildert dies recht anſchaulich nach Beobachtungen an ſeinen Pflegebefohlenen: „Die Zeit der Mittagspauſe iſt vorüber, und langſam erheben ſich unſere Klammeraffen aus dem Schlafkorb in der Ecke des Käfigs, in dem ſie, eng aneinandergeſchmiegt, gelegen oder, beſſer geſagt, geſeſſen haben, den Kopf auf die Bruſt geſenkt, die langen Arme über den heraufgezogenen Knien zuſammengeſchlagen und den Wickelſchwanz um den Körper oder gar um den eigenen Hals geſchlungen. Zutraulich kommen ſie über das Lauf— brett an das Gitter heran, wobei der Schwanz hoch erhoben und gekrümmt wie ein großes Fragezeichen hinter dem Kör— per herſchwebt. Im übrigen erinnert die Haltung ſehr an die Gibbons, d. h. die Klammeraffen laufen oft und gern auf zwei Beinen und tragen dann die langen Arme, in allen Gelenken geknickt, mehr oder weniger dem Körper anliegend oder ſeitlich von ihm abſtehend, je nachdem das Gleichgewicht, es gebietet. Währenddeſſen iſt der Schwanz aber ſtets bereit, jeden Halt für den Körper zu erfaſſen, und er benutzt in der Tat mit unfehlbarer Sicherheit jede Gelegenheit dazu, ohne daß irgendwelche Beaufſichtigung ſeiner Tätigkeit durch das Auge, irgendwelcher Antrieb durch das Bewußtſein des Tieres zu merken iſt. Das überraſchendſte Effektſtück in dieſer Bewegung iſt wohl folgendes. Der Affe ſitzt teilnahmlos in der oben beſchriebenen Ruheſtellung auf dem Brett an der Seite des Käfigs. Da wird ſeine Aufmerkſamkeit durch unſer Erſcheinen erregt: er ſpringt ſcheinbar planlos in die Luft; in demſelben Augenblick hat aber der Schwanz die in einiger Höhe über dem Laufbrett den Käfig durchquerende Kletterſtange erfaßt, ohne daß das Tier vorher auch nur einen flüchtigen Blick nach oben geworfen hätte, der Körper gibt ſich einen Schwung, und im nächſten Augenblick ſitzt der Affe auf einer entfernten, noch höheren Stange unmittel- bar vor uns und ſtreckt uns beide Hände mit jenem unendlich harmloſen Geſichtsausdruck entgegen, der mich gerade für die Klammeraffen: Allgemeines. Grauer Wollaffe. 495 Klammeraffen immer ſo einnimmt. Ich finde den Geſichtsausdruck — bei meinen Pflege— befohlenen wenigſtens — auch gar nicht ſo grämlich und melancholiſch, wie er gewöhnlich bezeichnet wird; im Gegenteil: in Augenblicken wie dem geſchilderten ſcheint mir ſogar ganz deutlich ein liebenswürdiger kleiner Schelm um die großen, dunkeln Augen und den faltigen kund zu ſpielen. „Das eigentümliche Leben und Treiben unſerer Klammeraffengruppe erhält noch einen ganz beſonderen Reiz dadurch, daß ſich eine Mutter mit Kind darunter befindet. Dieſes, ſchon etwas herangewachſen, thront gewöhnlich auf dem Rücken der Alten und hat ſein Wickel— ſchwänzchen bereits ganz kunſtgerecht um deren Schwanzwurzel geſchlungen. Die ſüße Laſt hindert allem Anſchein nach Mutter Klammeräffin nicht im geringſten in den kühnen Leiſtungen an ihrem angewachſenen ‚Schwungjeil. Wenigſtens tut ſie es darin ihren unbelaſteten Ge— noſſen völlig gleich, und anderſeits zeigt ſich ihr wackerer Sprößling durchaus als echter, hoff— nungsvoller Klammeraffenſohn, indem er bei ſeinen ſelbſtändigen Spaziergängen nie verſäumt, nach alter Väterweiſe“ mittels des Wickelſchwanzes ſeine werte Perſönlichkeit am Arm der Mutter, an der Kletterſtange oder ſonſtwo ſicher vor Anker zu legen.“ Sonſt iſt an den Klammeraffen äußerlich noch bemerkenswert, daß der Daumen die Neigung zum Verkümmern zeigt bis zum völligen Verſchwinden, ein auch bei den Altweltaffen wiederkehrender, mit dem Kletterleben zuſammenhängender Vorgang. Die Fingernägel find mehr ſeitlich zuſammen— gedrückt und nach der Spitze zugeſchärft als bei den eigentlichen Kapuzinern, und die Vorder— gliedmaßen ſind länger als die hinteren. Bei den Wollaffen (Gattung Lagothrix E. Geoffr.) find alle dieſe Merkmale weniger ausgebildet: der Daumen iſt noch kräftiger, die Fingernägel platter, die Vordergliedmaßen kürzer; auch der Greifſchwanz iſt weniger vollkommen. Ihr Hauptkennzeichen iſt aber der dichte, wollige Pelz, der beſonders die Oberſeite als feſtgeſchloſſenes Vlies einhüllt. Schon dadurch erſcheinen ſie ſchwerer und kräftiger als die eigentlichen Klammeraffen, ſie ſind es aber auch wirklich. Am Schädel zeigt die Form des Unterkiefers eine gewiſſe Annäherung an die Brüll— affen. Beim heranwachſenden Tier ſcheinen auch hier ähnliche Veränderungen vor ſich zu gehen wie bei vielen Affen: der Schädel wird „tieriſcher“. Denn während junge Wollaffen aus run— dem, freundlichem Kinderköpfchen ſanſt in die Welt ſchauen, ſehen alte mit der vorſpringenden Schnauze und den tiefliegenden Augen unter der fliehenden Stirn, alles kohlſchwarzhäutig oder ebenſo kohlſchwarz und kurz, wie geſchoren, behaart, wirklich aus wie Neger-Verbrecher. Die Wollaffen bewohnen die Waldungen der Amazonenſtrom- und Orinokoländer ſowie Perus, leben geſellig auf Bäumen, ſind gutmütig, ernähren ſich von Früchten und laſſen ein unterdrücktes dumpfes Geheul vernehmen. Der Barrigudo oder Capparo, Caridagueres, Schieferaffe, Graue Woll— affe, Lagothrix lagotricha Humboldt (humboldti; Taf. „Affen II“, 7, bei S. 483), ſteht, ausgewachſen, an Größe unter allen amerikaniſchen Affen vielleicht obenan. Bates gibt die Leibeslänge eines von ihm gemeſſenen Männchens zu 70 em, die Schwanzlänge zu 68 em an. Das weiche, wollige Haar verlängert ſich auf dem Schwanze, den Schenkeln, den Oberarmen und dem Bauche und entwickelt ſich auf der Bruſt zu einer förmlichen Mähne, läßt aber Bauchmitte und Weichengegend faſt unbedeckt, ſieht auf dem Kopfe wie geſchoren aus, obwohl es nicht viel kürzer als das des Rückens iſt, und hat den Strich außen an den Vorderarmen von unten nach oben, innen von oben nach unten, auf den Schenkeln dagegen nur von oben nach unten. Geſicht, Hand- und Fußrücken, Hand- und Fußſohlen, die nackte Stelle am 496 18. Ordnung: Affen. Familie: Cebidae. Schwanze und die Zunge ſind negerfarbig, alſo bräunlichſchwarz, die Augen dunkelbraun, mit ſtark getrübtem Weiß; der Pelz des Oberkopfes iſt mattſchwarz, an der Haarwurzel grauſchwarz, der des Nackens etwas lichter, der Bauchmitte mattſchwarz, der Oberſeite dunkelgrau, jedes Haar hier licht an der Wurzel, hierauf breit dunkel geringelt und an der Spitze weißlich; auf den Vorderarmen und Unterſchenkeln trübt ſich dieſe Färbung, innen bis zum Schwarzgrau dunkelnd; an der Spitzenhälfte des Schwanzes geht ſie in dunkel Bräunlichfahl über. Nach Tſchudi bewohnt der Barrigudo truppweiſe die Waldungen; doch findet man ihn zuweilen auch einzeln. „Wenn ſich eine Schar auf ihrer Wanderung einen Ruheplatz aus— gewählt hat, ertönt plötzlich ihr einförmiges, halb unterdrücktes dumpfes Geheul. Ein jeder ſucht ſich dann auf feine Art die Zeit zu vertreiben; die meiſten ſetzen ſich bequem zwiſchen die Zweige und ſonnen ſich, andere brechen Früchte, wieder andere ſpielen und zanken. Sie klettern langſamer als die Klammer ſogar als die Rollaffen; ihre Bewegungen find ſchwerfällig und abgemeſſen. Beſonders auffallend iſt dies, wenn ſie mit ihrem Wickelſchwanze an einem Baume hängen und ſich lange hin und her ſchaukeln, ehe ſie einen anderen Aſt erreichen, um weiter zu greifen. Angeſchoſſen fallen ſie ſchnell auf die Erde, wahrſcheinlich wegen ihrer bedeutenden Schwere. Der Wollaffe flieht auf der Erde nicht, ſucht vielmehr ſeinen Rücken durch einen Baumſtamm zu ſchützen und verteidigt ſich mit Händen und Zähnen aufs äußerſte. Sehr oft ſtößt ein ſo hart bedrängter Affe einen gellenden Schrei aus, der wahrſcheinlich ein Hilferuf an ſeine Gefährten ſein ſoll; denn dieſe ſchicken ſogleich ſich an niederzuſteigen, um ihrem bedrängten Kameraden beizuſtehen. Aber ein zweiter, vom erſten ſehr verſchiedener Schrei, kurz, kräftig und dumpfer, ein Schrei des Todeskampfes, erfolgt bald, die ganze Hilfe brin- gende Schar ſtäubt auseinander, und jeder ſucht ſein Heil in der ſchleunigſten Flucht.“ Bates bemerkt, daß der Barrigudo von den Indianern lebhaft verfolgt werde, und zwar wegen der ausgezeichneten Güte ſeines Fleiſches. „Nach den Mitteilungen eines durch mich beſchäftigten Sammlers“, ſagt er, „welcher lange Zeit unter den Tukana-Indianern in der Nähe von Tabatinga gelebt hat, darf ich annehmen, daß die etwa 200 Köpfe zählende Horde gedachter Indianer alljährlich mindeſtens 2000 Wollaffen erlegt und verzehrt.“ Das Tier iſt aber auch ſehr häufig in den Waldungen des höheren Landes und nur in der Nähe der Ort: ſchaften ſelten geworden, wie ſich dies durch ſeit langer Zeit fortgeſetzte Verfolgung erklärt. „Sein Betragen in der Gefangenſchaft“, fügt Bates vorſtehendem hinzu, „iſt ernſt, ſein Weſen mild und vertrauensvoll wie das der Klammeraffen. Entſprechend dieſen Eigenſchaften wird der Barrigudo von Tierfreunden ſehr geſucht; es fehlt ihm jedoch die Zählebigkeit der Klammeraffen, und er überſteht die Reiſe flußabwärts bis Parä nur ſelten.“ Noch ſeltener gelangt er einmal lebend nach Europa. Um ſo größer war meine Freude, ihn endlich von Angeſicht zu Angeſicht zu ſehen und einigermaßen beobachten zu können. Ich habe niemals ein liebenswürdigeres Mitglied der ganzen Familie kennengelernt als. ihn. Um ihn zu meſſen, trat ich in ſeinen Käfig und wurde ſofort auf das allerfreundlichſte empfangen. Indem er mich mit treuherzig fragendem Ausdrucke anblickte, als wolle er er— kunden, wes Geiſtes Kind ich ſei, kam er langſam und bedächtig auf mich zugeſchritten, warf noch einen Blick auf mein Geſicht und kletterte ſodann, unter tätiger Mithilfe des Schwanzes, an mir bis zu dem Arme empor, ließ ſich, halb ſitzend, halb liegend, hier nieder, ſchmiegte den Kopf an meine Bruſt und nahm nun mit erſichtlicher Freude und willenloſer Hingebung meine Liebkoſungen entgegen. Ich durfte ihn ſtreicheln, ſein Haar auseinanderlegen, Geſicht, Ohren, die Zunge, Hände und Füße unterſuchen, ihn drehen und wenden: er ließ ſich alles gefallen, ohne auch nur mit einer Wimper zu zucken. Alle liebenswürdigen Eigenſchaften der Grauer Wollaffe: Lebensweiſe. Gefangenleben. Bewegungen. Stimme. 497 Klammeraffen, ihre Anhänglichkeit und Hingebung kamen bei ihm zur Geltung, nur in weit höherem Maße; er bewies durch ſein Gebaren in unverkennbarer Weiſe, wie unendlich wohltuend es für ihn war, einmal wieder anſtatt mit anderen Affen, ſeinen Käfiggenoſſen, mit Menſchen zu verkehren. Gegen ſeine Geſellen, Meerkatzen und Rollaffen, zeigte er ſich zwar ebenfalls wohlwollend, ließ ſich gutmütig allerlei von ihnen antun, ſelbſt auch zum Spielen mit ihnen ſich bewegen, ſchien ſie aber doch als untergeordnete Geſchöpfe zu betrachten, während er in mir, dem Menſchen, unverkennbar ein höheres Weſen erblickte und ſogleich die Rolle eines gehätſchelten Lieblings annahm. Aus dem Hamburger Tiergarten iſt jedoch neuerdings ein merkwürdiger Fall von freundſchaftlichem Zuſammenleben eines jungen Wollaffen mit einem Ameiſenfreſſer bekanntgeworden, wobei der Vorteil allerdings ganz auf ſeiten des Affen war. Beide waren unzertrennlich. Der Affe ritt auf ſeinem Freunde umher, ſeinen Wickelſchwanz um deſſen langhaarigen Fahnenſchweif geſchlungen, und er verkroch ſich mit unter dieſer breiten „Bettdecke“, wenn der Ameiſenfreſſer ſich zuſammengerollt zur Ruhe niederlegte. Der Ernſt und die ruhige Würde, die das ganze Auftreten des Wollaffen bekunden, ſpricht ſich auch in ſeinen Bewegungen aus. Sie ſind überlegt und gemeſſen, niemals haſtig und un— geſtüm, aber auch durchaus nicht langſam, ſchwerfällig und ungeſchickt. Der Wollaffe klettert mit größter Sicherheit, vergewiſſert ſich, wenn er einen Platz verlaſſen will, vorher eines anderen ſicheren Standortes und gebraucht ſeinen Wickelſchwanz in ausgiebigſter Weiſe, iſt aber ſehr wohl imſtande, weite Sprünge zu machen und raſch einen beſtimmten Raum zu durcheilen, zeigt auch eine Anmut, Gewandtheit und Behendigkeit, die man ihm nicht zugetraut hätte. Dabei ſcheint ihm jede erdenkliche Stellung recht und bequem zu ſein: ob er ſich mit dem Schwanze allein, mit ihm und den Füßen oder Händen, mit dieſen oder jenen feſthält, ob er kopfunterſt oder kopfoberſt ſich bewegt — ihm bleibt es vollkommen gleich. Allerliebſt ſieht es aus, wenn er, nachdem er ſich am Schwanze aufgehängt hat, ſich mit Händen und Füßen beſchäftigt, ſei es, daß er mit irgendwelchem Gegenſtande ſpielt, ſei es, daß er mit einem ſeiner Käfiggenoſſen ſich abgibt. Beim Ruhen, vielleicht auch beim Schlafen ſitzt er zuſammengekauert wie andere Wickelſchwanzaffen, legt ſich aber auch gern auf die Seite, ſeinen Schwanz über die Beine weg und ſeinen Kopf auf die zuſammengerollte Schwanz— ſpitze, wie auf ein Kopfkiſſen, verhüllt dann ſein Geſicht mit dem Arme, indem er es zwiſchen Ober⸗ und Unterarm in das Ellbogengelenk einſchmiegt, und ſchließt behaglich die Augen. Im Gegenſatze zu den Klammer- und Rollaffen, die ununterbrochen winſeln und ſonſtige Laute von ſich geben, verhält er ſich ſehr ſchweigſam; der einzige Laut, den ich von ihm ver— nommen, war ein ſcharfes „Tſchä“, das nicht wiederholt wurde. An das Futter ſcheint er beſondere Anſprüche nicht zu ſtellen; ſeine Nahrung iſt die aller Affen. Seine ungemein große Gutmütigkeit und Verträglichkeit zeigt ſich auch am Futternapfe und läßt ihn eher zu kurz kommen, als daß ſie ihn begünſtigt. Deſſenungeachtet ſcheint er ſeinen habſüchtigen Genoſſen durchaus nicht zu zürnen. Unter den eigentlichen, langgliederigen Klammeraffen müſſen wir den großen, kurz, aber wollhaarigen Spinnenaffen (Gattung Brachyteles Spi) voranſtellen, weil er einen gewiſſen Übergang zu dem Wollaffen herſtellt, auch in der Form des Unterkiefers, die beim Wollaffen wieder eine Annäherung an die Brüllaffen zeigt. So ergibt ſich ſchließlich, durch den Greifſchwanz und die Unterkieferform wenigſtens, eine gewiſſe Verbindung zwiſchen allen greifſchwänzigen Affen. Sonſt kennzeichnen den Spinnenaffen der verkümmerte Daumen ohne Nagel und die ſtark ſeitlich zuſammengedrückten, nach der Spitze zugeſchärften Nägel, auch die Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 32 498 18. Ordnung: Affen. Familie: Cebidae. verhältnismäßig ſchmale Naſenſcheidewand. Von den Klammeraffen im allerengſten Sinne unterſcheidet ihn außerdem noch das kurze, rückwärts gerichtete Kopfhaar. Man begnügt ſich im Syſtem auch heute noch nur mit einer Art, dem Spinnen⸗ affen oder Miriki, Brachyteles arachnoides Z. Geoffr. (hypoxanthus; Eriodes, Ateles), dem Elliot eine Geſamtlänge von 128, eine Schwanzlänge von 67 em und etwas wechſelnde, meiſt gelblichgraue oder auch graubraune Färbung zuſchreibt. Kopf, Glieder und Schwanz können auch rötlich oder ſchwärzlich getönt ſein. Das nackte Geſicht iſt an den Rändern dunkel, in der Mitte aber fleiſchrot, nach Elliot oft ſogar hochrot, und dieſe Farbe verſtärkt ſich durch Blutzuſtrom, wenn das Tier erregt wird. Sehr bedeutſam iſt, daß die Verkümmerung und das Verſchwinden des Daumens nicht nur bei verſchiedenen Stücken, ſondern ſogar an den beiden Händen desſelben Stückes verſchieden weit gehen kann: an der einen Hand kann noch ein nagelloſer Daumenſtumpf vorhanden, an der anderen der Daumen völlig verſchwun— den ſein. Es ſind das Ungleichheiten und Unregelmäßigkeiten, wie ſie bei verſchwindenden Körperteilen öfter vorkommen: das Verſchwinden des Daumens vollzieht ſich beim Spinnen⸗ affen ſozuſagen vor unſeren Augen. Der Miriki, den uns namentlich Prinz Max von Wied kennen lehrte, bewohnt das Innere Braſiliens. Seine Heimat iſt enger begrenzt als bei den anderen Klammeraffen und liegt etwas abſeits der großen Heerſtraße der Südamerikaſammler; deshalb iſt der echte Spinnen⸗ affe nicht nur in den zoologiſchen Gärten, ſondern auch in den Muſeen ſelten. Die Klammeraffen im allerengſten Sinne (Gattung Ateles E. Geoff.) haben langes, grobes Haar ohne Unterwolle; auch auf dem Kopfe iſt es lang und in der Regel nach vorn gerichtet. Elliot zählt ein ganzes Dutzend Arten auf, die man nach der Hauptfärbung vielleicht wieder in ſchwarze und andersfarbige einteilen könnte. Allen iſt aber ein ſehr kleiner Kopf und ein äußerſt ſchmächtiger Rumpf mit langen, klapperdürren Gliedern gemein, wozu ein dicker Bauch oder wenigſtens aufgetriebene Magengegend in einem eigentümlichen Gegenſatz ſteht. Der Kehlkopf hat hinten in der Mitte einen Luftſack; doch kann man nicht ſagen, daß dieſer zur Verſtärkung der Stimme merklich beitrüge. Er wiederholt wohl nur die häufige und natürliche Erſcheinung, daß körperliche Einrichtungen, die in der Vollendung bei gewiſſen Tieren ſehr wirkſam ſind, auch bei Verwandten ſich vorfinden, aber in unvollkommener Form und ohne beſondere Wirkung. Wie die Klammeraffen durch die Rückbildung des Daumens ein gewiſſes Gegenſtück zu den altweltlichen Stummelaffen bilden, ſo auch durch eine gewiſſe Eigenart des Magens, an dem ſich, wenigſtens andeutungsweiſe, Ausſackungen erkennen laſſen. An der Wirbelſäule iſt der Lendenteil kurz, der Rückenteil aber verhältnismäßig länger als bei irgendeinem anderen Affen, und das iſt es gewiß, was den Klammeraffen im Verein mit den langen Armen und Händen das abenteuerliche Anſehen gibt, wenn ſie aufrecht auf den Hinterbeinen gehen, wie ſie das nicht ungern tun, ähnlich den Gibbons. Dieſe ſind ihnen aber in raſcher, eleganter und ſchwungvoller Bewegung von Aſt zu Aſt doch noch weit über, und darin merkt man immerhin die verlangſamende Wirkung des Greifſchwanzes. Die Schwanz— wirbel find unten abgeplattet und haben ausnahmsdweiſe ſtarke Dornfortſätze zum Anſatz der kräftigen und vielfältigen Muskeln, die der Greifſchwanz braucht. Die Klammeraffen ſind im ſüdamerikaniſchen Tiergebiet weit verbreitet: nach Lydekker von Mexiko bis Uruguay. Matſchie meint aber, wenn ſie auch die Oſtküſte bis Rio de Janeiro herunter bewohnten, ſo gingen ſie doch über das Amazonasgebiet nach Süden nicht hinaus. Das mag mit ſchuld ſein, daß ſie im Tierhandel viel weniger häufig vorkommen als die Spinnenaffe. Klammeraffen. 499 Kapuziner. Nach Matſchie haben auch die beiden durch die Farbe verſchiedenen Untergruppen ihre verſchiedene geographiſche Begrenzung: die ſchwarzen gehen nur von Panama bis ins Amazonasgebiet, die hellerfarbigen aber von Veracruz in Mexiko bis Rio de Janeiro. Das Leben der Klammeraffen ſcheint außerordentlich einförmig zu verlaufen und bei den verſchiedenen Arten im weſentlichen gleichartig zu ſein. „Sie leben“, jagt Tſchudi, über⸗ einſtimmend mit anderen Forſchern, „in Scharen von 10 oder 12 Stücken; zuweilen trifft man ſie auch paarweiſe, nicht ſelten ſogar einzeln an. Die Geſellſchaften verraten ſich durch 0 Gebrauch des Greifſchwanze beim Klammeraffen. fortwährendes Knittern der Baumzweige, die ſie beim Vorwärtsklettern ſehr behend umbiegen. Angeſchoſſen erheben ſie ein lautes, gellendes Geſchrei und ſuchen zu entfliehen. Die ganz jungen verlaſſen ihre Mutter nicht; auch wenn dieſe getötet worden iſt, umklammern fie die— ſelbe feſt und liebkoſen ſie noch lange, wenn ſie bereits ganz ſtarr an einem Baumaſte hängt; es iſt daher ein leichtes, die Jungen einzufangen. Sie laſſen ſich mühelos zähmen, find gut— mütig, zutraulich und zärtlich, halten aber in der Gefangenſchaft nicht lange aus. Leicht werden ſie von Ausſchlägen und Durchfällen befallen, wobei ſie ſich ganz jämmerlich gebärden.“ Von den mehr oder weniger ſchwarzen Arten iſt die bekannteſte der Schwarze Klam— meraffe oder Koata, Ateles paniscus J. (ſ. obenſtehende Abb. u. Taf. „Affen II“, 6, bei 32* 500 18. Ordnung: Affen. Familie: Cebidae. S. 483), weil er nicht nur über Guayana und Peru, ſondern auch über das Gebiet des ganzen Amazonenſtromes ſich verbreitet und von da ziemlich häufig lebend zu uns kommt. Er iſt am ganzen Körper ſchwarz, nur das nackte Geſicht iſt fleiſchfarbig. Sein nächſter Verwandter, der Schwarzgeſicht-Klammeraffe, A. ater F. Cuv., aus Panama, Franzöſiſch⸗-Guayana und Oſtperu, hat auch ſchwarzes Geſicht; ihn ſieht man viel ſeltener, entſprechend ſeiner be ſchränkteren, mehr abſeits gelegenen Heimat. Der Koata iſt einer der größeren ſeiner Gattung. Seine Geſamtlänge beträgt etwa 1,35 m, wovon auf den Schwanz mehr als die Hälfte kommt, die Schulterhöhe ungefähr 40 em. Der Pelz iſt grob, an den Schultern verlängert, auf dem Rücken überhaupt dichter als unten, auf der Stirn kammartig erhöht, tief ſchwarz von Farbe, die Haut dunkel, nur im Geſicht rötlich, auf den Handſohlen ganz ſchwarz. Dem gutmütigen Geſichte verleihen ein Paar lebhafte braune Augen einen einnehmenden Ausdruck. Der Name Ateles pentadactylus E. Geoffr. bezeichnet keine ſelbſtändige Art, ſondern nur Koatas mit Daumenſtummel. Das hat ſich ganz neuerdings wieder durch zwei aus Britiſch-Guayana eingeführte Stücke des Londoner Gartens erwieſen, von denen einer einen Daumenſtumpf hat, der andere nicht. Zu der Gruppe der ſchwarzen Klammeraffen gehört auch der von dem jüngeren Bartlett im öſtlichen Peru aufgefundene Goldſtirnaffe oder Bunte Klammeraffe, Ateles varie- gatus Wgn. (bartletti), wohl der ſchönſte aller Klammeraffen. Der reiche, lange und weich haarige Pelz hat auf der ganzen Ober- und Außenſeite tiefſchwarze Färbung; ein Stirnband iſt goldgelb, der Backenbart weiß, die Unterſeite des Leibes und Schwanzes, die Innenſeite der Glieder nebſt der Außenſeite der hinteren Unterſchenkel bräunlichgelb, etwas lichter als das Stirnband, hier und da durch einzelne ſchwarze Haare geſprenkelt. Alle nackten Teile des Ge⸗ ſichtes und der Hände ſehen braunſchwarz aus. Bei einem neuerdings aus Venezuela ein⸗ geführten Klammeraffen des Londoner Gartens, den man zu dieſer Art rechnete, wurden blaue Augen feſtgeſtellt, wie ſie ſonſt nur bei Weißlingen vorkommen. Entweder liegt alſo der ſeltene Fall vor, daß der Goldſtirnaffe ganz regelrecht blaue Augen hat, oder die ganze Art iſt nur eine Entartung einer ſchwarzen nach dem Weißling hin. Der Marimonda Humboldts, Ateles belzebuth E. Geoff, vom Orinoko, könnte deutſch Weißbauch-Klammeraffe genannt werden, weil er eine weiße oder grauweiße Unterſeite des Rumpfes und Innenſeite der Glieder hat. Mit der Färbung der Oberſeite führt er an⸗ ſcheinend durch eine gewiſſe Veränderlichkeit von den ſchwarzen zu den andersfarbigen Klammer⸗ affen über; nach Elliot find bei ihm nur noch Kopf, Außenſeite der Gliedmaßen und Ober⸗ ſeite des Schwanzes ſchwarz, der Oberrücken aber ſchwärzlichbraun, der Unterrücken goldbraun; nach Lydekker ändert er ſogar ſehr ab zwiſchen Schwarz und Rötlich. Daher hält man ſich vielleicht beſſer an ein weiteres Kennzeichen, das noch angegeben wird: langes, weiches, wie ein Mantel über die Körperſeiten herabfallendes Haar. Weitere Artunterſcheidungen werden noch ſchwieriger, weil bei den Klammeraffen offenbar ähnliche Verhältniſſe vorliegen wie bei den Kapuzinern: weitgehende äußere Veränderlichkeit bei derſelben Art, zum Teil wohl auch Altersunterſchiede. Elliot geſteht denn auch ein, daß er im Pariſer Muſeum Klammeraffenbälge geſehen habe, die er keiner bekannten Art einreihen könne. Unter dieſen Umſtänden mag hier nur noch eine nicht ganz ſelten lebend eingeführte Art: Geoffroys Klammeraffe, Ateles geoffroyi Kuhl (melanochir, albifrons), Verbreitung von Mittel- bis Südamerika, genannt werden. Sie kann gelblichgrau gefärbt ſein, mit ſchwarzen n Klammeraffen: Freileben. 501 Händen und Füßen, das nackte Geſicht auch ſchwarz, um Augen und Mund fleiſchfarbig aufgehellt (A. melanochir), aber auch graubraun mit Weiß an der Stirn (A. albifrons). Über das Freileben der Klammeraffen haben uns ſchon die älteren Reiſenden, Humboldt, Prinz Max von Wied und Schomburgk, genügend belehrt. In Guayana finden ſie ſich nur in den tieferen Wäldern, höchſtens bis zu einem Höhengürtel von 500 m über dem Meere; den kahlen Wald der Höhe meiden ſie gänzlich. In der Regel bemerkt man ſie in Banden von ungefähr ſechs Stücken, ſeltener einzeln oder paarweiſe und noch ſeltener in größeren Geſellſchaften. Jede dieſer Banden zieht, ihrer Nahrung nachgehend, ſtill und ruhig ihres Weges, ohne ſich um andere ungefährliche Geſchöpfe zu befümntern. Die bedeutende Länge der Glieder fördert das Laufen und Klettern. Mit den langen Armen greifen ſie weit aus und eilen deshalb, auch wenn ſie ſich nur wenig anſtrengen, immerhin ſo ſchnell vorwärts, daß der Jäger durchaus keine Zeit zu verlieren hat, wenn er ihnen folgen will. In ihren Baumwipfeln benehmen ſie ſich geſchickt genug. Sie klettern ſicher und führen zuweilen kleine Sprünge aus; doch werfen oder ſchleudern ſie ihre Glieder bei allen Bewegungen ſonderbar hin und her. Der Schwanz wird gewöhnlich vorausgeſchickt, einen Anhalt zu ſuchen, ehe der Affe ſich entſchließt, den Aſt, auf dem er ſitzt, zu verlaſſen. Zuweilen findet man ganze Geſellſchaften, die ſich an den Schwänzen aufgehängt haben und die auffallendſten Gruppen bilden. Nicht ſelten ſitzt oder liegt auch die Familie in träger Ruhe auf Aſten und Zweigen, behaglich ſich ſonnend, den Kopf oft nach hinten gebogen, die Arme auf dem Rücken ver— ſchränkt, die Augen gen Himmel gehoben. Auf ebenem Boden humpeln fie mühjelig fort. Der Gang iſt ſchwankend und unſicher im allerhöchſten Grade, und der lange Schwanz, welcher in der Abſicht, das Gleichgewicht herzuſtellen, hin und her bewegt wird, erhöht nur noch das ungelenke Ausſehen. Übrigens haben europäiſche Beobachter die Klammeraffen niemals auf dem Boden geſehen, und Prinz Max von Wied behauptet, daß ſie, ſolange ſie geſund ſind, nur dann auf die Erde herabkommen, wenn es ihnen unmöglich wird, von tiefen Zweigen aus zu trinken, wie ſie ſonſt tun. Die Fortpflanzung ſcheint an keine beſtimmte Zeit des Jahres gebunden zu ſein; wenigſtens bemerkt Schomburgk, daß unter jeder Geſellſchaft, der er begegnete, auch faſt immer einige Junge ſich befanden, die von ihren Müttern häufiger unter den Armen als auf dem Rücken getragen wurden. In den reichen Urwäldern können die wenig begehrenden Klammeraffen, die ſich mit Blättern und Früchten begnügen, niemand Schaden tun. Gleichwohl werden ſie eifrig ver— folgt. Die Portugieſen benutzen ihr Fell, die Wilden eſſen ihr Fleiſch; manche Indianer— ſtämme ziehen dieſes allem übrigen Wildbret vor. Die im Vergleiche mit dem Geheule der Brüllaffen unbedeutende, aber doch immer noch laute Stimme verrät unſere Tiere ſchon aus ziemlicher Ferne. Sobald die harmloſen Waldkinder ihren furchtbarſten Feind gewahren, flüchten ſie ſchnell dahin, die langen Glieder, zumal den Schwanz, in ängſtlicher Haſt vor— wärts ſchleudernd, befeſtigen ſich mit letzterem und ziehen raſch den unbeholfenen Leib nach ſich. Zuweilen verſuchen die Vertrauensſeligen wohl auch, den Menſchen durch Fratzenſchneiden und lautes Geſchrei abzuſchrecken; zuweilen ſollen ſie, ſelbſt wenn ſchon mehrere von ihnen dem Geſchoſſe erlagen, wie beſinnungslos das Walten des Schickſals über ſich ergehen laſſen, ohne zu flüchten. Die Angeſchoſſenen harnen und laſſen ihren breiigen Kot fallen. Schwer⸗ verwundete bleiben oft noch lange an Aſten hängen, bis endlich der Tod die Muskeln löſt und der Leib zur Erde herabfällt. Nach Kappler kommt der Koata nicht an der Küſte, ſondern nur im höheren Lande vor. 502 18. Ordnung: Affen. Familie: Cebidae. Er hat das feinſte Gefühl in der Schwanzſpitze, mit der er Sachen an ſich zieht, und deren er ſich oft wie einer Hand bedient. Wo er geht oder klettert, dient ihm die Schwanzſpitze zur Stütze und zum Anklammern. Sind dieſe Affen im Klettern begriffen, ſo weiß man oft nicht, was Schwanz oder Fuß iſt. Sie werden ſehr zahm, ſind aber weniger lebhaft und poſſierlich als der Kapuzineraffe. Sie leben bloß von Pflanzen und freſſen ſehr gern Baumknoſpen, aber nie Inſekten. Von Läuſen wird der Koata ſehr geplagt, auch von Sandflöhen, wenn er in Gefangenſchaft lebt und deshalb auf dem Boden umherläuft. Die Indianer des In⸗ neren ſchießen ihn mit Pfeilen, die mit dem Urarigifte beſtrichen ſind; die Muskeln erſchlaffen davon, und das Tier fällt ſogleich nach ſeiner Verwundung herab. Hat man ein einziges Mal Klammeraffen in Gefangenſchaft gehalten und ſie in ihrer harmloſen Gutmütigkeit kennengelernt, ſo hat man ſie auch trotz des nicht ſehr einnehmenden Außeren und der abſonderlichen Gliederverrenkung liebgewonnen. Leider gehören ſie noch immer in unſeren Tiergärten zu den weniger häufigen Erſcheinungen; man bringt wohl jedes Jahr einige von ihnen mit nach Europa herüber: unſer Klima jedoch tötet ſie in der Regel bald, auch bei ſorgfältigſter Abwartung und Pflege. Aus dieſem Grunde habe ich fie ſtets nur kurze Zeit beobachten können und laſſe deshalb meinen Berufsgenoſſen Schmidt für mich ſprechen. „Im Stande der Ruhe ſitzen die Klammeraffen auf dem Hinterteile mit emporgerichteten Knieen; die Bruſt wird gegen dieſe gelehnt und häufig der Kopf tief herabgeſenkt, ſo daß das Geſicht gegen den Boden geneigt iſt und die Schultern den höchſten Punkt der ganzen Geſtalt bilden. Der Schwanz iſt um die Füße geſchlagen, die Ellbogen reichen faſt auf den Boden, und die Vorderarme liegen nachläſſig gekreuzt vor oder auf den Füßen. Ein ruhiges Gehen auf flachem Boden kommt nur ausnahmsweiſe und auf kurze Entfernungen vor, und man ſieht auf den erſten Blick, daß es dem ganzen Weſen der Tiere nicht zuſagen kann. Gewöhn— lich findet es auf allen vieren ſtatt, wobei der Schwanz über der Rückenhöhe einen feſten Anz halt nimmt. Die Hände berühren dabei nicht mit ihrer inneren Fläche, ſondern mit ihrer äußeren oder oberen Seite den Boden. Bisweilen, beſonders in erregter, munterer Stimmung, gehen die Tiere gar nicht ungeſchickt aufrecht. Sie biegen dabei den Rücken ein, ſtrecken den Bauch heraus und tragen den Schwanz Sförmig gekrümmt hoch emporgehalten, ſeltener irgendwo angefaßt und noch ſeltener mit abwärts eingerollter Spitze auf den Boden geſtützt. In manchen Fällen werden die Arme dabei über dem Kopfe gekreuzt oder mit wagerecht ge— haltenem Oberarme oder rechtwinkelig aufgerichtetem Vorderarme und leicht eingekrümmten Händen hoch getragen. Sehr gern lehnen ſie ſich in dieſer Stellung an eine von der Sonne beſchienene Wand. Wenn wir ſie im Winter bisweilen aus den Käfigen nahmen und in die Nähe des geheizten Ofens brachten, ſtellten ſie ſich aufrecht mit ſenkrecht emporgehobenen und geſtreckten Armen, wobei ſie den Bauch ſo weit herausbogen, daß dieſer, von der Seite ge— ſehen, mit der Bruſt faſt einen Halbkreis bildete. Auch wenn man ſie an der Hand oder am Schwanze führt, gehen ſie gern aufrecht, namentlich wenn ſie der Wärter in ihren Käfig im Freien bringt. An einem ſchräg ſtehenden Stamme in ihrem Sommerbehälter laufen ſie ſehr häufig auf den Hinterfüßen empor, erfaſſen aber das obere Gitter mit der Schwanzſpitze, ſobald fie es erreichen können. „Das Klettern iſt ihrem Naturell vollkommen entſprechend, und ſie entwickeln hierbei im Gegenſatze zu dem unbehilflichen Einherhumpeln auf ebenem Boden eine Lebhaftigkeit, Biegſamkeit und Sicherheit der Bewegungen, welche erſtaunlich iſt. Gewöhnlich ſchreiten ſie eine Zeitlang an dem Gitter, welches das Dach des Käfigs bildet, umher, indem ſie die Hände hakenförmig über die Gitterſtäbe hängen, ohne die Finger zu ſchließen. Sie benutzen hierbei Klammeraffen: Gefangenleben. 5 503 ebenſowohl alle vier als nur die vorderen Glieder; niemals aber verſäumt der Schwanz, hierbei ſehr tätig zu ſein, hilft vielmehr gleich einer fünften Hand den Körper tragen und weiter befördern. Er arbeitet mit der größten Sicherheit und Selbſtändigkeit, ſo daß er von den Tieren nicht mit den Augen überwacht zu werden braucht, iſt immer beſtrebt, einen feſten Anhaltepunkt zu gewinnen, als ob Arme und Beine nicht zuverläſſig oder nicht hinreichend ſeien, dem Körper den nötigen Halt zu geben. Er wird ſtets einmal um den Gegenſtand, an dem er ſich halten ſoll, geſchlungen, und zwar immer nur mit der Spitze und ſo knapp wie möglich. Die Umwickelung geſchieht ſchraubenförmig, ſo daß die Spitze neben und nicht auf oder unter den übrigen Teil des Schwanzes zu liegen kommt. Wenn letzterer, wie das ſehr häufig der Fall iſt, den Leib allein tragen ſoll, faßt er über einen Stab des Gitters hinweg und befeſtigt ſich an dem folgenden mit der Spitze, um auf dieſe Weiſe eine größere Haltbar⸗ keit zu gewinnen. So wird es dem Tiere möglich, ſich jeden Augenblick kopfabwärts am Schwanze aufzuhängen, und es ſcheint dies eine Lieblingsſtellung von ihm zu ſein, da es Leute, welche es kennt, gern in derſelben bewillkommnet. Der Affe wendet dann dem Heran— tretenden das Geſicht zu, läßt die Beine langgeſtreckt herabhängen, ſo daß der Kopf zwiſchen dieſen durchblickt, und ſtreckt dann in der Regel einen der Füße ſo weit wie möglich nach dem Nahenden aus. In dem geräumigen Käfig im Freien hängen ſich unſere Gefangenen bis- weilen am Schwanze auf und ſchleudern ſich weg, indem ſie gedachtes Greifwerkzeug plötzlich loslaſſen, um an einer anderen Stelle des Gitters mit den Händen ſich feſtzuhalten. Im Winter, wenn ſie nicht ins Freie gebracht werden konnten, gaben wir ihnen zuweilen einen fingerdicken und etwa meterlangen Stock zum Spielen, mit welchem fie die komiſchſten Dinge ausführten. Ein ſehr beliebtes Spiel iſt folgendes: der Stock wird von dem Affen auf dem Boden aufrechtſtehend feſtgehalten, indem er an demſelben, ohne ihn an die Wand zu lehnen, emporſteigt. Oben angekommen, ergreift er mit dem Schwanze ſofort die oberſte Sitzſtange des Käfigs und ſchaukelt ſich auf dieſe Weiſe vergnüglich, indem er den Stab ſpielend in den Händen trägt... Ebenſogut wie der Schwanz als Bewegungsglied gebraucht wird, dient er auch als Greifwerkzeug. Die Vorderhände ſind wegen des fehlenden Daumens zum Feſt— halten der Nahrung nicht eben günſtig gebaut, und wenn auch unſer Affe damit vieles zum Munde führt, iſt doch leicht zu erkennen, daß er lieber die Nahrung unmittelbar mit den Lippen vom Boden aufhebt, ſobald dies möglich iſt. Gegenſtände, welche ſich außerhalb des Gitters befinden, ſo daß ſie auf dieſe Weiſe nicht erreicht werden können, nimmt er mit der Hand; reicht die Länge des Armes nicht dazu aus, ſo dreht er ſich um und ſucht ſie mit dem Fuße zu faſſen; geht auch dieſes nicht, ſo greift er mit dem längſten ſeiner Glieder, dem Schwanze, danach. Das ließ ſich deutlich bemerken, als im Laufe des Sommers die Affen beſtrebt waren, alle Baumzweige, welche ſich in der Nähe ihres Käfigs befanden, herbeizuholen, abzubrechen und zu zerbeißen. Sie bedienten ſich dabei zuletzt nur noch des Schwanzes, um ſie herbeizu— ziehen, und bemerkten es ſofort, wenn die Bäume durch einen vorangegangenen Regen etwas ſchwerer geworden waren und dadurch ſich niederbogen, ſo daß nun wieder ein Zweiglein in den Bereich ihres Greifwerkzeuges getreten war. Auch nach den vor dem Käfig ſtehenden Per— ſonen greifen fie ſehr oft mit der Schwanzſpitze. Gegenſtände, mit welchen fie ſpielen, ſah ich ſie häufig mit dem Schwanze tragen, und der eine von ihnen haſchte öfters ein zum Aus— trinken am breiten Ende geöffnetes rohes Ei mit dem Schwanze und trug es mit vollſter Sicher— heit auf ſeinen erhabenen Sitzplatz, um es dort mit der größten Gemütlichkeit auszuſchlürfen.“ Schmidt gelang es, den einen dieſer Affen 31/2 Jahre am Leben zu erhalten. Auf ſeiner Schingufahrt hat K. von den Steinen mehrmals Koatas mit ſich geführt und 504 18. Ordnung: Affen. Familien: Cebidae und Meerkatzenartige. indem ſie Waſſer mit der Hand ſchöpfen. Weiter ſagt er von ſeinem Beſuche in einer auf einer Inſel befindlichen Indianeranſiedelung: „Der Koata, ein großer ſchwarzer Affe, beobachtet mit wachſender Entrüſtung den nahenden Fremdling; raſch wie der Gedanke hat er ſich auf den Giebel des Hauſes geſchwungen, ſteht dort oben aufrecht, den Schwanz wie ein Fragezeichen bis zur Kopfhöhe emporgerichtet, einen mächtigen Knüppel am Halſe, den er mit einer Hand feſthält, und proteſtiert mit der anderen heftig winkend unter Knurren, haſtigem Zähnefletſchen, ... ja unter drohendem Geheule und Geſchnatter gegen den fremdartigen Beſuch.“ Dieſer Koata wird erworben, Nuruna genannt und begleitet nebſt vielen anderen Tieren die Expedition auf der ferneren Flußfahrt. „Meine Puruna“, fährt von den Steinen fort, „iſt durch mäßige Ein- führung der Prügelſtrafe etwas duldſameren Gemütes geworden. Sie ſteht angebunden neben mir auf dem Rande des Bootes, den langen Greifſchwanz um irgendeinen Halt angeklam⸗ mert, weit vornüberliegend und — rudert. Ganze Viertelſtunden wirbelt ſie mit beiden Armen gleichzeitig in größter Geſchäftigkeit durch die Luft, das imaginäre Ruder an die Bruſt anziehend und wieder entfernend; wenn ich fie ſtöre, grinſt fie mich mit dem alten weißen Geſichte ver- wundert an und iſt mit einem Satze auf der anderen Seite, wo ſie ihre Tätigkeit eifrigſt von neuem aufnimmt.“ Puruna verſtand es, den Knoten ihres Strickes zu löſen, und entwiſchte. Ein engliſcher Schiffsführer, der einen Klammeraffen beſaß, ſchildert ihn und ſein Be⸗ tragen in anmutiger Weiſe. Wenn Sally bei ihm ſaß, wickelte ſie ſtets ihren Schwanz um das Knie, die Hand oder gar den Hals ihres Herrn. Nur einmal biß ſie ihren Herrn, und zwar bezeichnenderweiſe, nachdem ſie entlaufen und von fremden Menſchen ſehr in die Enge getrieben worden war. Im allgemeinen war ſie gutartig und auch für Strafen durchaus nicht nachtragend. „An Bord des Schiffes“, erzählt der Beſitzer, „wird ſie nicht durch Ketten oder Stricke gefeſſelt, ſondern läuft frei nach ihrem Behagen umher. Sie tummelt ſich im Tau⸗ werke, und wenn es ihr gerade Spaß macht, tanzt ſie ſo luſtig und ausgelaſſen ſonderbar auf dem Seile, daß die Zuſchauer kaum noch Arme und Beine vom Schwanze unterſcheiden können. Solange dieſes launige Spiel dauert, hält ſie von Zeit zu Zeit inne und blickt mit freundlichem Kopfſchütteln auf ihre Freunde, zieht rümpfend die Naſe und ſtößt kurze, ſanfte Töne aus. Gewöhnlich wird ſie gegen Sonnenuntergang am lebendigſten. Eine beſondere Liebhaberei von ihr beſteht darin, daß ſie im Tauwerke hinaufklettert, bis ſie ein wagerechtes Seil oder eine dünne Stange erreicht. Hier hängt ſie ſich mit dem Schwanzende knapp, aber feſt an, ſchwingt ſich langſam hin und wieder und reibt einen Arm mit dem anderen von dem Handgelenke bis zum Ellbogen, als wollte ſie das Haar gegen den Strich ſtrählen. Sie muß ſchlechterdings ihren Schwanz um irgend etwas winden, und womöglich möchte ſie keinen Schritt gehen, ohne ſich mittels dieſes langen und geſchmeidigen Gliedes zu ſichern ... Ihre Mahlzeit hält ſie an ihres Herrn Tiſche und beträgt ſich dabei höchſt anſtändig, ja ſie ißt nicht einmal, bevor fie die Erlaubnis dazu erhalten, hält ſich dann auch an ihren eigenen Teller, gleich einem wohlerzogenen Geſchöpfe. „In Belize wurde es ihr geſtattet, die Stadt nach Belieben einige Tage lang zu durch— ſtreifen. Eines Morgens, als ihr Herr die Straße entlang ging, hörte er über ſich einen dumpfen Laut, der ihm, wegen der Ahnlichkeit mit der Stimme ſeines Affen, auffiel. Er blickte auf und ſah Sally auf einem Erker ſitzend, von welchem herab ſie erfreut über das Wieder— ſehen ihres Herrn knurrte.“ Als fie einmal betrunken gemacht worden war, hörte fie kaum duf den Ruf ihres Herrn, ſo folgſam ſie ſonſt war. „Sehr krank war Sally dieſe Nacht und ſehr katzenjämmerlich am 1 zunächſt beobachtet, daß fie ebenſo trinken, wie von verſchiedenen Gibbons berichtet worden tft: Ni Klammeraffen: Gefangenleben. Meerkatzenartige. 505 nächſten Tage... So gänzlich war dem guten Tiere der Branntwein zum Ekel geworden, daß es ſpäter nie wieder den Geſchmack oder auch nur den Geruch desſelben vertragen konnte. Selbſt eingemachte Kirſchen, die ſonſt ſein Leckerbiſſen geweſen waren, mochte es jetzt nicht mehr aus der Flüſſigkeit nehmen.“ Kälte ſchien Sally ziemlich wohl zu ertragen; ſie wurde aber an der eiſigen Küſte Neufundlands auch hinreichend mit warmer Kleidung verſehen, be— nutzte außerdem zwei junge Neufundländer nebſt ihrer mit Stroh wohlverſehenen Hütte zum Wärmen. Zu ihnen hinein kroch ſie, legte gemütlich ihre Arme den beiden Hunden um den Hals, und hatte ſie nun noch ihren Schweif um ſich geſchlagen, ſo befand ſie ſich glücklich und wohl. Sie war allen möglichen Tieren zugetan, beſonders kleinen, jungen; aber ihre vorzüglichſten Lieblinge blieben dieſe beiden Hunde. Ihre Zuneigung zu ihnen war ſo groß, daß ſie ſich eiferſüchtig auf ſie zeigte, und wenn irgend jemand näher an ihnen vorüberging, als ſie für paſſend erachtete, ſprang ſie aus der Hütte heraus und ſtreckte die Arme nach dem Eindringlinge mit einer Miene, als ob ſie ihn zurechtweiſen wolle. f In unſeren zoologiſchen Gärten ſpielen die Klammeraffen eine geringe Rolle, da ſie ſich leider meiſt nicht lange halten. Um ſo größeres Aufſehen erregte es, daß 1904 an einem großen Klammeraffen des Breslauer Gartens eine Staroperation glücklich vollzogen wurde und der Patient ſich nachher ſogar mit einer Starbrille in ſeinem Käfig bewegte. 2. Unterordnung: Schmalnaſen (Catarrhini). Die zweite und letzte Unterordnung der Affen, die Schmalnaſen (Catarrhini), Altwelt⸗ affen oder Oſtaffen, gleichen in bezug auf Naſenſcheidewand, Zahlen und Zuſammenſetzung des Gebiſſes dem Menſchen. Das Gebiß beſitzt aber im Gegenſatz zum menſchlichen im Oberkiefer zwiſchen den Eckzähnen und dem benachbarten Schneidezahn eine Lücke zur Aufnahme des unteren Eckzahnes. Bemerkenswert iſt der lange knöcherne Gehörgang am Schädel. Keine Schmalnaſe hat einen Greifſchwanz, der Schwanz kann ſogar verkümmern und fehlt bei den tenichenaffen ganz. Von dieſen haben auch nur die Gibbons Geſäßſchwielen, eine Eigentüm⸗ lichkeit, die ſonſt durch die geſamten Altweltaffen durchgeht. Ebenſo die Backentaſchen, die, ab— geſehen von den Menſchenaffen, nur bei den Stummelaffen ſehr klein ſind und bei den Schlank— affen ganz fehlen. Aus alledem leuchtet ſchon hervor, daß ein tieferer Unterſchied klafft zwiſchen den menſchenähnlichſten, den Menſchenaffen, und den übrigen Oſtaffen, die man jenen deshalb als „Tieraffen“ gegenüberſtellen könnte, obwohl die moderne Syſtematik neuerdings zwiſchen beiden die Gibbons als dritte Familie einſchaltet, die früher mit zu den Menſchenaffen im allerengſten Sinne gerechnet wurden. Wie allermeiſt die altweltlichen Säugetierformen, ſind auch die Altweltaffen im allgemeinen größer und ſtärker als ihre amerikaniſchen Verwandten. Die erſte Familie, die Meerkatzenartigen im allerweiteſten Sinne (Cercopithecidae, Lasiopygidae), vereinigt alle lang- oder ſtummelſchwänzigen „Tieraffen“ in ſich, die auf allen vieren laufen und dabei mit der ganzen Hand- und Fußſohle auftreten. Dement- ſprechend iſt die Wirbelſäule im weſentlichen nur einfach, nicht S förmig doppelt, gekrümmt und der Bruſtkorb ſeitlich zuſammengedrückt, kielförmig, nicht tonnenförmig, das Bruſtbein lang und ſchmal. Die Hand hat nur in beſchränktem Maße die Fähigkeit der Drehung im Gelenk (Pronation und Supination), weil ſie eben mehr zum Laufen und Klettern als zu feineren Verrichtungen dient. Am Becken bilden die Sitzbeinhöcker eine mehr oder weniger ſtark nach außen gebogene breite, rauhe Fläche, auf der die Geſäßſchwielen ſitzen. Von den Weichteilen 506 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. iſt bemerkenswert, daß vom Kehlkopf ein großer Luftſack ausgehen (Paviane) und der Magen geteilt ſein kann (Schlank- und Stummelaffen). In der geographiſchen Verbreitung der Tieraffen zeigt ſich eine ſcharfe Scheidung zwiſchen den afrikaniſchen Meerkatzen, Pavianen und Stummelaffen und den aſiatiſchen Makaken und Schlankaffen; nur ein ſchwanzloſer Makak, der Magot, kommt außer in Nordafrika auch auf Gibraltar vor. Doch bilden die blätterfreſſenden Stummel- und Schlankaffen offenſichtlich ſich vertretende Gegenſtücke in den beiden Weltteilen, und gewiſſe Formen der aſiatiſchen Makaken nähern ſich wenigſtens äußerlich mehr oder weniger manchen afrikaniſchen Pavianen. Dementſprechend teilt man die Tieraffen der Alten Welt wieder in zwei Unterfamilien: die Stummelaffenartigen, die Stummel- und Schlankaffen, und die Meerkatzenartigen im engeren Sinne (Cercopithecinae, Lasiopyginae), die alle übrigen in ſich begreifen. Unter dieſen letzteren ſtellen wir wieder die Eigentlichen Meerkatzen im engſten Sinne (Gattung Cercopithecus Eral., Lasiopyga) voran, weil fie durch ihr Ausſehen und Be nehmen im allgemeinen von allen Altweltaffen am wenigſten den Vergleich mit dem Menſchen herausfordern. Sie erſcheinen vielmehr in erſter Linie als flinke, gewandte und elegante Baumtiere, Kletterer und Springer, die man vielleicht ſogar für die ſchönſten aller Affen er klären möchte, weil man ihnen am eheſten ihr eigenes Schönheitsideal zubilligt. Die Bezeichnung „Meerkatze“, die ſchon im 16. Jahrhundert vorkommt, iſt durch ſo— genannte Volksetymologie aus dem indiſchen Worte markata entſtanden, das dort noch heute für den Rheſus in Gebrauch iſt. Engliſch heißen die Meerkatzen „Guenon“, eigentlich ein franzö— ſiſches Wort: zu deutſch „Fratzenſchneider“. Das Wohngebiet bilden die Wendekreisländer Afrikas. Wo ſich Urwälder finden, zeigen ſich auch die Meerkatzen in großer Anzahl. Feuchte oder wenigſtens von Flüſſen durchſchnittene Waldungen werden von ihnen trockenen Berggegenden ſtets vorgezogen; in der Nähe von Feldern ſiedeln ſie ſich außerordentlich gern an. Man darf r mit Sicherheit darauf rechnen, daß man in Afrika da, wo man Papageien findet, auch Meer⸗ A katzen begegnen wird oder umgekehrt Papageien zu vermuten hat, wo ſich Meerkatzen aufhalten. Die Meerkatzen zeichnen ſich durch rundlichen, kurzſchnauzigen Kopf, leichte und zierliche Körperformen, ſchlanke Gliedmaßen, feine, kurze Hände mit langen Daumen, auch durch einen langen Schwanz ohne Endquaſte aus und haben weite Backentaſchen und mäßig große Gejäß- ſchwielen. Ihre Farben ſind meiſtens ziemlich lebhaft, bei einzelnen Arten recht angenehm bunt. Die Meerkatzen gehören zu den geſelligſten, beweglichſten, luſtigſten und gemütlichſten aller Affen. Man findet ſie faſt ſtets in ziemlichen Banden; Familien kommen kaum vor. Man kann eine Meerkatzenbande im Urwalde nicht überſehen. Wenn man auch den wechſel⸗ vollen Ausruf des Leitaffen nicht vernimmt, hört man wenigſtens bald das Geräuſch, das die laufende und ſpringende Geſellſchaft auf den Bäumen verurſacht, und wenn man dieſes nicht hört, ſieht man die Tiere laufen, ſpielen, ruhig daſitzen, ſich ſonnen, ſich Liebesdienſte erzeigen. Auf dem Boden trifft man ſie bloß da, wo es etwas zu freſſen gibt; ſonſt leben ſie in den Wipfeln der Bäume und nehmen ihren Weg von einem Aſte zum anderen. Und dabei iſt es ihnen völlig gleichgültig, ob ſie die dichteſten Dornengebüſche durchlaufen oder nicht. „Das Rauſchen belaubter Zweige und das Brechen dürrer Aſte“, ſchreibt Pechuel- Loeſche, „auch Töne des Wohlbehagens, oft unterbrochen von Gezänk, verraten dem Ein- geweihten die Annäherung einer Affenſchar und die Richtung, in welcher ſie zieht. Iſt ſie auf der Wanderſchaft begriffen, ſtrebt fie beſtimmten Zielen zu, jo orönet fie ſich in langer Reihe; jedes folgende Tier nimmt den Weg des vorangehenden, ſchwingt ſich mittels der nämlichen I Eigentliche Meerkatzen: Allgemeines. 507 Zweige von Baum zu Baum. Da ſie nun das ſchwanke Geäſt nicht eher belaufen, als bis es nach dem Sprunge des Vorgängers zur Ruhe gekommen iſt, entſtehen in dem Zuge nicht unerhebliche Lücken. Hierdurch wird dem Beobachter das Anſchleichen weſentlich erleichtert. „Jede Bande, die doch wohl nur aus einer weitverzweigten Familie beſteht, hält ſich, mit Ausnahme ſeltener Fälle, geſondert und ſteht unter der Führung eines alten, erfahrenen Männchens — wenigſtens habe ich nie ein Weibchen an der Spitze geſehen. Der Leitaffe iſt ſehr beſorgt um das Wohl der Seinen: er zieht voran, nimmt beim Ruhen in der Regel den höchſten Sitz auf dem Baume ein und hält Umſchau, ſteigt zuerſt zum Waſſer hinab und ruft, warnt und lockt die übrigen durch verſchiedene Töne, die man bald genau unterſcheiden lernt, aber kaum beſchreiben kann. Am auffälligſten iſt ein, wie es ſcheint, nur von ihm hervor— gebrachter weitſchallender Laut — den ich nie von gefangenen Affen hörte der die Mitte hält zwiſchen einem Schmatzen und einem Bellen, manchmal auch an das Springen eines Champagnerpfropfens erinnert. Dieſer Laut iſt wohl ein Ausdruck der vollkommenen Zu— friedenheit; denn er wird faſt ausſchließlich gegen Abend, bisweilen auch noch in der Dunkelheit vernommen, nachdem die geſättigte und ermüdete Geſellſchaft einen Raſtbaum für die Nacht erwählt hat. Dann ſieht man öfters die luſtigen Springer, ehe ſie zum Schlafen zuſammen— rücken, auf den äußerſten, womöglich dürren Zweigen eines Waldrieſen von den Strahlen der Felles beſchäftigen oder von ihrem erhabenen Sitze mit beneidenswerter Beſchaulichkeit auf » die ſchöne Welt unter ſich hinabblicken. Zum Schlafen ſcheinen ſie ſich ſtets auf Gabeläſten hart an den Stamm und aneinander zu drücken, ſo daß ſie einen formloſen Klumpen bilden und ſich gegenſeitig wärmen. An kühlen Morgen können ſie ſich gar nicht voneinander trennen. So habe ich in der Frühe ſolche Schlafgeſellſchaften geſehen, die um der geliebten Wärme willen ſo innig aneinander gehudelt waren, daß nur die herabhängenden Schwänze eine Schätzung der Zahl ermöglichten. Will man ſich, nicht aber den Schläfern, eine Freude bereiten, ſo braucht man ſie nur anzurufen oder zu huſten — dann explodiert der Klumpen förmlich. „Schießt man von einer Bande das Leittier hinweg, ſo bemächtigt ſich der übrigen vollkommene Ratloſigkeit, und ſie zerſtreuen ſich, kopflos flüchtend, zunächſt nach allen Seiten. Nie ſind ſie aber ſo beſtürzt, daß ſie weitere Schüſſe abwarten, ehe ſie ſich in Sicherheit bringen. Im beſten Falle kann man einen Doppelſchuß machen, aber auch dazu gehört ſchon ein raſcher Schütze. Für einen Moment iſt die ganze Verſammlung ſtarr vor Schrecken, dann bricht eint unglaubliches Getümmel los. Zeternd ſpringen die entſetzten Kletterer durcheinander, rennen auf den Aſten zum Stamme oder nach außen; finden ſie nicht genug rettende Zweige, von denen ſie mit einem verzweifelten Sprunge zu benachbarten Bäumen gelangen, auch keine Liane, an welcher ſie in langer Reihe — immer mit dem Schwanze voran — niedergleiten können, ſo werfen ſie ſich in äußerſter Not, platt ausgeſtreckt, auf gut Glück aus größter Höhe hinab in das Buſchwerk, wobei fie mit den langen Schwänzen geſchickt ſteuern. Ein Plumpen, Praſſeln und Rauſchen — und fort, im Nu zerſtoben iſt die ganze Geſellſchaft. „Bei ihrem gewöhnlichen Treiben im Walde bleiben die Banden geſondert und kümmern ſich bei Begegnungen wenig umeinander; treffen ſie jedoch auf einem beliebten Fruchtbaume zuſammen, dann gibt es Mißhelligkeiten und von zornigem Keifen und Gezzwitſcher begleitete Balgereien. Währenddem verſäumen ſie indeſſen nicht, kletternd und ſpringend, zuweilen in den gewagteſten Stellungen an dünnen Zweigen hängend, die begehrten Früchte zu pflücken. Dabei wiſſen ſie dann auch den langen Schwanz trefflich als ſtützendes Glied zu gebrauchen, in— dem ſie ihn ſeitwärts an das Geäſt drücken oder in einem ſteilen Schraubengange darum legen. 508 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. „Vor dem Waſſer fürchten ſich die Meerkatzen nicht. Denn diejenigen, welche bei Ebbe in den Mangrovebeſtänden Krabben fangen und Muſcheln ſuchen, habe ich dreiſt in das Waſſer hineingreifen, auch mehrmals gänzlich durchnäßte, ſo daß ſie die Tropfen abſchütteln mußten, an den Wurzelgerüſten emporſteigen ſehen. Die Anwohner des Kuilu und Banya teilten mir übereinftimmend mit, daß die Meerkatzen treffliche Schwimmer ſeien und bisweilen ganze Banden freiwillig von einem Ufer der breiten Gewäſſer zum anderen überſetzten ... „Ihrem Weſen getreu, ſcheinen ſie auch im Walde allerlei Kurzweil zu treiben. Sie ſchaukeln ſich gern an den wie glatte Taue niederhängenden Luftwurzeln der Mangroven, und ſtraffgeſpannte Lianen ſetzen ſie durch Anſpringen ſowie Zerren oder Anſchlagen mit den Händen gern in vibrierende Bewegung, bringen ſie wie Saiten und Sehnen zum Summen und Dröhnen. „Außer dem Menſchen ſcheinen ſie nur Leoparden und Krokodile als ſchlimme Feinde anzuerkennen. Ganz frei ſitzende einzelne Meerkatzen ſah ich z. B. vor dicht vorüberſtreichenden großen Adlern nicht die geringſte Furcht bekunden. Unſere ſämtlichen zahmen Affen ... gerieten dagegen in höchſte Angſt, wenn wir einen alten, ſchlecht mit Gras und Laub gefüllten Leo— pardenbalg zum Vorſcheine brachten. Schlangen gegenüber zeigten ſie ſich zwar mißtrauiſch, aber nicht entſetzt, und vor Hunden hatten ſie gar keinen Reſpekt. Der Fall lag ſogar um⸗ gekehrt: wenn unſere ſonſt doch recht ſchneidigen Schäferhunde ihr Futter bekamen, und die Affen rückten an, um den Inhalt der Näpfe zu prüfen, dann zogen die Hunde ſich, durch Erfahrung gewitzigt, beizeiten zurück und ſchauten wehmütig aus der Ferne zu, wie das ſpitz— bübiſche Geſindel die beſten Biſſen vorwegnahm.“ Außerſt anziehend für den Beobachter iſt es, wenn er eine auf Raub ausziehende Ge— ſellſchaft belauſchen kann. Unter Führung des alten, erfahrenen Stammvaters zieht die Bande dem Getreidefelde zu; die Affinnen mit kleinen Kindern tragen dieſe am Bauche, die Kleinen haben aber noch zum Überfluſſe auch mit ihrem Schwänzchen ein Häkchen um den Schwanz der Frau Mutter geſchlagen. Anfangs nähert ſich die Rotte mit großer Vorſicht, am liebſten, indem ſie ihren Weg noch von einem Baumwipfel zum anderen verfolgt. Der alte Herr geht ſtets voran; die übrige Herde richtet ſich nach ihm Schritt für Schritt und betritt nicht nur dieſelben Bäume, ſondern ſogar dieſelben Aſte wie er. Nicht ſelten ſteigt der vorſichtige Führer auf einem Baume bis in die höchſte Spitze hinauf und hält von dort aus ſorgfältige Umſchau; wenn das Ergebnis günſtig iſt, wird es durch beruhigende Gurgeltöne ſeinen Untertanen an— gezeigt, wenn nicht, die übliche Warnung gegeben. Von einem dem Felde nahen Baume ſteigt die Bande ab, und nun geht es mit tüchtigen Sprüngen dem Paradieſe zu. Hier beginnt jetzt eine wirklich beiſpielloſe Tätigkeit. Man deckt ſich zunächſt für alle Fälle. Raſch werden einige Maiskolben und Durraähren abgeriſſen, die Körner enthülſt und mit ihnen die weiten Backentaſchen ſo voll gepfropft, wie nur immer möglich; erſt wenn dieſe Vorratskammern ges füllt find, geſtattet ſich die Herde etwas mehr Läſſigkeit, zeigt ſich aber auch zugleich immer wähleriſcher, immer heikler in der Auswahl der Nahrung. Jetzt werden alle Ahren und Kolben, nachdem ſie abgebrochen worden ſind, erſt ſorgſam berochen und wenn ſie, was ſehr häufig geſchieht, dieſe Probe nicht aushalten, ſofort unbenutzt weggeworfen. Man darf darauf rechnen, daß von zehn Kolben erſt einer wirklich gefreſſen wird; in der Regel nehmen die Schlecker bloß ein paar Körner aus jeder Ahre und werfen das übe weg. Dies eben hat ihnen den grenzenloſen Haß der Eingeborenen zugezogen. Wenn ſich die Affenherde im Fruchtfelde völlig ſicher fühlt, erlauben die Mütter ihren Kindern, ſie zu verlaſſen und mit ihresgleichen zu ſpielen. Die ſtrenge Aufſicht, unter der lnb 2 Dei er Baader Eigentliche Meerkatzen: Allgemeines. 509 alle Kleinen von ihren Erzieherinnen gehalten werden, endet deshalb jedoch nicht, und jede Affenmutter beobachtet mit wachſamen Blicken ihren Liebling; keine aber bekümmert ſich um die Sicherheit der Geſamtheit, ſondern verläßt ſich, wie alle übrigen Mitglieder der Bande, ganz auf die Umſicht des Herdenführers. Dieſer erhebt ſich ſelbſt während der ſchmackhafteſten Mahlzeit von Zeit zu Zeit auf die Hinterfüße, ſtellt ſich aufrecht wie ein Menſch und blickt in die Runde. Nach jeder Umſchau hört man beruhigende Gurgeltöne, wenn er nämlich nichts Unſicheres bemerkt hat: im entgegengeſetzten Falle ſtößt er einen unnachahmlichen, zitternden oder meckernden Ton zur Warnung aus. Hierauf ſammelt ſich augenblicklich die Schar ſeiner Untergebenen, jede Mutter ruft ihr Kind zu ſich heran, und im Nu ſind alle zur Flucht bereit; jeder aber ſucht in der Eile noch ſo viel Futter aufzuraffen, als er fortbringen zu können glaubt. Ich habe es mehrmals geſehen, daß Affen fünf große Maiskolben mit ſich nahmen. Duvon umklammerten fie zwei mit dem rechten Vorderarme, die übrigen faßten fie mit der Hand und mit den Füßen, und zwar ſo, daß ſie beim Gehen mit den Kolben den Boden berührten. Bei wirklicher Gefahr wird nach und nach mit ſauren Mienen alle Laſt abgeworfen, der letzte Kolben aber nur, wenn der Verfolger ihnen ſehr nahe auf den Leib rückt und die Tiere wirklich Hände und Füße zum Klettern notwendig haben. Immer wendet ſich die Flucht dem erſten beſten Baume zu. Ich habe beobachtet, daß die Meerkatzen auch auf ganz einzeln ſtehende Bäume kletterten, von denen ſie wieder abſteigen und weiterfliehen mußten, wenn ich ſie dort auſſtörte: ſowie ſie aber einmal den Wald erreicht haben und wirklich flüchten wollen, ſind ſie geborgen. Es ſcheint kein Hindernis für ſie zu geben: die furchtbarſten Dornen, die dichteſten Hecken, weit voneinander ſtehende Bäume — nichts hält ſie auf. Jeder Sprung wird mit einer Sicherheit ausgeführt, die uns in größtes Erſtaunen ſetzen muß, weil kein bei uns heimiſches Klettertier es ihnen auch nur annähernd nachtun kann. Sie ſind auch imſtande, mit Hilfe des ſteuernden Schwanzes noch im Sprunge die von ihnen anfangs beabſichtigte Richtung in eine andere umzuwandeln; ſie faſſen, wenn ſie einen Aſt verfehlten, einen zweiten, werfen ſich vom Wipfel des Baumes auf die Spitze eines tiefſtehenden Aſtes und laſſen ſich weiter ſchnellen, ſetzen mit einem Sprunge von dem Wipfel auf die Erde, fliegen gleichſam über Gräben hinweg einem anderen Baume zu, laufen pfeilſchnell an dem Stamme empor und flüchten weiter. Auch hierbei geht der Leitaffe ſtets voran und führt die Herde durch ſein ſehr ausdrucksvolles Gegurgel bald raſcher, bald langſamer. Man gewahrt bei flüchtenden Affen niemals Angſt oder Mutloſigkeit, muß vielmehr ihre unter allen Umſtänden ſich gleich— bleibende Geiſtesgegenwart bewundern. Ohne zu übertreiben, kann man ſagen, daß es für ſie, wenn ſie wollen, eigentlich keine Gefahr gibt. Nur der tückiſche Menſch mit ſeinen weit— tragenden Waffen kann ſie in ſeine Gewalt bringen; den Raubſäugetieren entgehen ſie leicht, und die Raubvögel wiſſen fie ſchon abzuwehren, falls es ſein muß. Wenn es dem Leitaffen gut dünkt, hält er in ſeinem eiligen Laufe an, ſteigt raſch auf die Höhe eines Baumes hinauf, vergewiſſert ſich der neuerlangten Sicherheit und ruft hierauf mit beruhigenden Tönen ſeine Schar wieder zuſammen. Dieſe hat jetzt zunächſt ein wichtiges Geſchäft zu beſorgen. Während der raſenden Flucht hat keiner darauf achten können, Fell und Glieder von Kletten und Dornen freizuhalten; letztere hängen vielmehr überall im Pelze oder ſtecken oft tief in der Haut. Nun gilt es vor allen Dingen, ſich gegenſeitig von den unangenehmen Anhängſeln zu befreien. Eine höchſt ſorgfältige Reinigung beginnt. Der eine Affe legt ſich der Länge lang auf einen Aſt, der andere ſetzt ſich neben ihn und durchſucht ihm das Fell auf das gewiſſenhafteſte und gründlichſte. Jede Klette wird ausgelöſt, jeder Dorn herausgezogen, ein etwa vorkommender Schmarotzer aber auch nicht ausgelaſſen, vielmehr 510 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. \ mit Leidenschaft gejagt und mit Begierde gefreffen. Übrigens gelingt die Reinigung nicht immer vollſtändig; denn manche Dornen find fo tief eingedrungen, daß fie dieſe bei aller An— ſtrengung nicht herausziehen können: Dies darf ich verbürgen, weil ich ſelbſt eine Meerkatze geſchoſſen habe, in deren Haut noch ein Mimoſendorn ſteckte, der von unten eingedrungen war und die ganze Hand durchbohrt hatte. Erſt nachdem die Reinigung im großen und ganzen beendet iſt, tritt die Affenherde wieder den Rückzug an, d. h. ſie geht ohne weiteres von neuem nach dem Felde zurück, um dort ihre Spitzbübereien fortzuſetzen. So kommt es, daß der Einwohner des Landes ſie eigentlich niemals aus ſeinen Feldern los wird, ſondern ſtets unter einer Plage zu leiden hat, die faſt ſo arg wie die der Heuſchrecken iſt. Wenn die Leute keine Feuergewehre beſitzen, wiſſen ſie ſich nur durch oftmaliges Verjagen der Affen zu ſchützen; denn alle anderen Kunſtmittel zur Vertreibung fruchten bei dieſen loſen Geiſtern gar nichts — nicht einmal die ſonſt unfehlbaren Kraftſprüche ihrer Heiligen oder Zauberer, und ebendeshalb ſehen die braunen Leute Nordafrikas alle Affen als entſchiedene Gottesleugner und Glaubensverächter an. f Im Oſtſudan jagt man die Meerkatzen nicht; wohl aber fängt man fie, und zwar gewöhn— lich in Netzen, unter denen man leckere Speiſen aufſtellt. Die Affen, die den Köder weg⸗ nehmen wollen, werden von den Netzen bedeckt und verwickeln ſich dergeſtalt in dieſe, daß ſie nicht imſtande ſind, ſich frei zu machen, ſo wütend ſie auch ſich gebärden. Wir Europäer erlegten die Tiere mit dem Feuergewehre ohne alle Schwierigkeit, weil ſie dort erſt dann fliehen, wenn einige aus ihrer Mitte ihr Leben gelaſſen haben. Sie fürchten ſich wenig oder nicht vor dem Menſchen. Oft habe ich beobachtet, daß ſie Fußgänger oder Reiter, Maultiere und Kamele unter ſich wegziehen ließen, ohne zu muckſen, während ſie dagegen beim Anblick eines Hundes ſofort ihr Angſtgeſchrei ausſtießen. Bei der Affenjagd ging es mir wie ſo vielen anderen vor mir: ſie wurde mir einmal gründlich verleidet. Ich ſchoß nach einer Meerkatze, die mir gerade das Geſicht zudrehte; ſie war getroffen und ſtürzte von dem Baume herab, blieb ruhig ſitzen und wiſchte ſich, ohne einen Laut von ſich zu geben, das aus den vielen Wunden ihres Antlitzes hervorrieſelnde Blut mit der einen Hand ſo menſchlich ruhig ab, daß ich, aufs äußerſte erregt, hinzueilte und, weil beide Läufe meines Gewehres abgeſchoſſen waren, dem Tiere mein Jagdmeſſer mehrere Male durch die Bruſt ſtieß, um es von ſeinen Leiden zu befreien. Von Raubtieren haben die frei lebenden Meerkatzen nicht viel zu leiden. Den Raub⸗ ſäugetieren gegenüber ſind ſie viel zu behende; höchſtens der Leopard dürfte dann und wann ein noch unvorſichtiges Affchen ſich erliſten. Den Raubvögeln widerſtehen ſie durch vereinigte Kraft. Einer der kühnſten Stößer ihrer Heimat iſt unſtreitig der ſchöne Schopfadler (Lo- Dhoaétus oceipitalis). Er nimmt die biſſigen Erdeichhörnchen ohne weiteres vom Boden weg und kümmert ſich nicht im geringſten um ihre ſcharfen Zähne und um ihr Fauchen; an die Affen aber wagt er ſich nur ſelten und wohl nie ein zweites Mal. Davon habe ich mich ſelbſt überzeugen können. Als ich eines Tages in den Urwäldern jagte, hörte ich plötzlich das Rauſchen eines jener Räuber über mir und einen Augenblick ſpäter ein fürchterliches Affengeſchrei: der Vogel hatte ſich auf einen noch ſehr jungen, aber doch ſchon ſelbſtändigen Affen geworfen, wollte dieſen aufheben und an einen entlegenen Ort tragen, um ihn dort ruhig zu verſpeiſen. Allein der Raub gelang ihm nicht. Der von dem Vogel erfaßte Affe klammerte ſich mit Händen und Füßen ſo feſt an den Zweig, daß ihn jener nicht wegziehen konnte, und ſchrie dabei Zeter. Augenblicklich entſtand ein wahrer Aufruhr unter der Herde, und im Nu war der Adler von vielleicht zehn ſtarken Affen umringt. Dieſe fuhren unter r Eigentliche Meerkatzen: Allgemeines. 511 entſetzlichem Geſichterſchneiden und gellendem Schreien auf ihn los und hatten ihn ſofort auch von allen Seiten gepackt. Jetzt dachte der Gaudieb ſchwerlich noch daran, die Beute zu neh— men, ſondern gewiß bloß an ſein eigenes Fortkommen. Doch dieſes wurde ihm nicht ſo leicht. Die Affen hielten ihn feſt und hätten ihn wahrſcheinlich erwürgt, wenn er ſich nicht mit großer Mühe frei gemacht und ſchleunigſt die Flucht ergriffen hätte. Von ſeinen Schwanz— und Rückenfedern aber flogen verſchiedene in der Luft umher und bewieſen, daß er ſeine Frei— heit nicht ohne Verluſt erkauft hatte. Vor derartigen Raubtieren fürchten ſich die Meerkatzen alſo ebenſowenig wie vor dem Menſchen. Um ſo größeres Entſetzen bereiten ihnen Kriechtiere und Lurche, namentlich Schlan— gen. Ich habe zu erwähnen vergeſſen, daß unſere Affen Vogelneſter jederzeit unbarmherzig ausnehmen und nicht bloß die Eier, ſondern auch die jungen Vögel leidenſchaftlich gern freſſen. Wenn ſie aber das Neſt eines Höhlenbrüters ausplündern wollen, verfahren ſie ſtets mit der größten Sorgfalt. Niemals taucht ein Affe mit einem einzigen kühnen Griffe in die Tiefe, ſondern ſtets in Abſätzen, immer ein Stückchen tiefer, und immer horcht und ſchaut er da— zwiſchen wieder in das Loch hinein, ob ſich darin eines der gefürchteten Kriechtiere verrate. . Neuerdings (1905) fügt Bates einige bemerkenswerte Lebensbeobachtungen aus Süd— kamerun hinzu. Er traf öfters einzelne alte Männchen, die er ganz richtig als frühere, von jüngeren und ſtärkeren Nebenbuhlern abgekämpfte Leitaffen und dadurch vereinſamte Einzel— gänger anſpricht, wie ſie bei allen geſellig lebenden Säugetieren vorkommen. Oft hörte er das laute, rauhe „Bellen“ des Leitaffen, den Schreck- und Warnungston, den man auch bei zahmen Meerkatzen im zoologiſchen Garten leicht hervorrufen kann: man braucht ſich nur mit dem Fangnetz zu zeigen. Auf der Erde ſah Bates niemals eine geſunde Meerkatze; dagegen meint er, daß dieſe gewandten Kletterer und Springer ſelbſt Flüſſe überſchreiten könnten durch geſchickte Benutzung der mächtigen Schwünge, in die ſie die Baumwipfel verſetzen. Bates wirft noch die ſehr berechtigte Frage auf, wieſo die Meerkatzen beim Schlafen nicht von den Bäumen fallen; man muß hinzufügen: zumal ihnen doch ſolche Einrichtungen für mechaniſch wirkenden Zehenſchluß fehlen, wie ſie die Vögel haben. Im zoologiſchen Garten wiſſen ſie ſtets auf einem Sitzbrett in einer Ecke oder an der Wand einen ſicheren Schlafplatz zu finden. Verſchiedene Arten waren öfters in derſelben Horde vereinigt, und die Stimmlaute klingen ſehr ähnlich; man kann ſie aber wohl unterſcheiden lernen. Die Fortpflanzung der frei lebenden Meerkatzen ſcheint an keine beſtimmte Jahreszeit gebunden zu ſein. Man ſieht bei jeder Herde Säuglinge, Kinder und Halberwachſene, der mütterlichen Sorge nicht mehr Bedürftige. In den Tiergärten und Tierſchaubuden Europas pflanzen ſie ſich dagegen jedenfalls ungleich ſeltener fort als Makaken und Paviane. Im Zoologiſchen Garten in Halle wurde 1908 ein Miſchling zwiſchen einer gelb- und einer grau— grünen Meerkatzenart geboren, der ſich durch weißes Geſicht und Ohren und viel dunkleres Haar auf dem Kopfe von ſeinen Eltern unterſchied. Während meines langjährigen Aufenthaltes in Afrika habe ich ſtets viele Affen, dar— unter auch regelmäßig Meerkatzen, in der Gefangenſchaft gehalten und berichte nach eigener Erfahrung über das geiſtige Weſen der Tiere, das man faſt nur an Gefangenen beobachten kann. Ich darf verſichern, daß jedes dieſer merkwürdigen Tiere ſein eigenes Weſen hatte und mir beſtändig Gelegenheit zu ebenſo anziehenden wie unterhaltenden Beobachtungen gab. Der eine Affe war zänkiſch und biſſig, der andere friedfertig und zahm, der dritte mürriſch, der vierte immer heiter, dieſer ruhig und einfach, jener pfiffig, ſchlau und ununterbrochen auf dumme, boshafte Streiche bedacht; alle aber kamen darin überein, daß ſie größeren Tieren gern 512 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. einen Schabernack antaten, kleinere dagegen beſchützten, hegten und pflegten. Sich ſelbſt wußten fie jede Lage erträglich zu machen. Dabei lieferten fie täglich Beweiſe eines ſcharfen Ver- ſtandes, wahrhaft berechnender Schlauheit und wirklicher Überlegung, zugleich aber auch der größten Gemütlichkeit, zärtlichſten Liebe und Aufopferung anderen Tieren gegenüber; ich habe wegen aller dieſer Eigenſchaften einzelne herzlich liebgewonnen. Einer war ein Männchen und erhielt den Namen Koko. Er trug ſein Geſchick mit Würde und Faſſung und fraß ſchon gegen Mittag des folgenden Tages Durrakörner und anderes Futter, das wir ihm vorwarfen. Gegen uns war er heftig und biß jeden, der ſich ihm nahte; doch erwählte er ſich einen Gefährten, und zwar unbedingt den ſonderbarſten Kauz, den er ſich hätte ausſuchen können: einen Nashornvogel nämlich, den wir aus ſeinem heimatlichen Walde mitgebracht hatten. Die Verbindung beider wurde bald eine ſehr innige. Koko behandelte ſeinen Pflegling mit unverſchämter Anmaßung; dieſer aber ließ ſich alles ges fallen. Er war frei und konnte hingehen, wohin er wollte; gleichwohl näherte er ſich oft aus freien Stücken dem Affen und ließ nun über ſich ergehen, was dieſem gerade in den Sinn kam. Daß der Vogel Federn anſtatt der Haare hatte, kümmerte Koko ſehr wenig: ſie wurden ebenſogut nach Läuſen durchſucht wie das Fell der Säugetiere, und der Vogel ſchien wirklich bald ſo daran ſich zu gewöhnen, daß er ſpäter gleich von ſelbſt die Federn ſträubte, wenn der Affe ſein Lieblingswerk begann. Daß ihn dieſer während des Reinigens hin und her zog, ihn beim Schnabel, an einem Beine, an dem Halſe, an den Flügeln und an dem Schwanze herumriß, brachte das gutmütige Geſchöpf ebenſowenig auf. Er hielt ſich zuletzt regelmäßig in der Nähe des Affen auf, fraß das vor dieſem liegende Brot weg, putzte ſich und ſchien ſeinen Freund faſt herausfordern zu wollen, ſich mit ihm zu beſchäftigen. Erſt der Tod des Vogels löſte das ſchöne Verhältnis. Koko war wieder allein und langweilte ſich. Zwar verſuchte er, mit gelegentlich vorüberſchleichenden Katzen ſich abzugeben, bekam aber von dieſen gewöhn— lich Ohrfeigen anſtatt Freundſchaftsbezeigungen und wurde einmal auch mit einem biſſigen Kater in einen ernſthaften Kampf verwickelt, der unter entſetzlichem Fauchen, Miauen, Gur⸗ geln und Schreien ausgefochten wurde, aber unentſchieden blieb, obſchon er mit dem Rück⸗ zuge des jedenfalls unverſehens gepackten Mäuſejägers endete. Ein junger, mutterlojer Affe gewährte Kokos Herzen endlich die nötige Beſchäftigung. Gleich als dieſer das kleine Tierchen erblickte, war er außer ſich vor Freude und ſtreckte ver— langend die Hände nach ihm aus; wir ließen den Kleinen los und ſahen, daß er ſelbſt ſofort zu Koko hinlief. Dieſer erſtickte den angenommenen Pflegeſohn faſt mit Freundſchafts— bezeigungen, drückte ihn an ſich, gurgelte vergnügt und begann ſodann vor allen Dingen die allerſorgfältigſte Reinigung ſeines vernachläſſigten Felles. Jedes Stäubchen, jeder Stachel, jeder Splitter, die in jenen kletten-, diſtel- und dornenreichen Ländern immer im Felle der Säugetiere hängenbleiben, wurde herausgeleſen und weggekratzt. Dann folgten wieder neue Umarmung und andere Beweiſe der größten Zärtlichkeit. Wenn einer von uns Koko das Pflegekind entreißen wollte, wurde er wütend, und wenn wir den Kleinen ihm wirklich ab— genommen hatten, traurig und unruhig. Er benahm ſich ganz, als ob er ein Weibchen, ja als ob er die Mutter des kleinen Waiſenkindes wäre. Dieſes hing mit großer Hingabe an ſeinem Wohltäter und gehorchte ihm auf das Wort. ü Leider ſtarb dieſes Affchen trotz aller ihm erwieſenen Sorgfalt ſchon nach wenigen Wochen. Koko war außer ſich vor Schmerz. Ich habe oft tiefe Trauer bei Tieren beobachtet, niemals aber in dem Grade, wie unſer Affe jetzt ſie zeigte. Zuerſt nahm er ſeinen toten Liebling in die Arme, hätſchelte und liebkoſte ihn, ließ die zärtlichſten Töne hören, ſetzte ihn dann an ſeinem pe a ee Eigentliche Meerkatzen: Allgemeines. 513 bevorzugten Platze auf den Boden, ſah ihn immer wieder zuſammenbrechen, immer unbe: weglich bleiben und brach nun von neuem in wahrhaft herzbrechende Klagen aus. Die Gurgel— töne gewannen einen Ausdruck, den ich vorher nie vernommen hatte; ſie wurden ergreifend weich, ton⸗ und klangreich und dann wieder unendlich ſchmerzlich, ſchneidend und verzweiflungs— voll. Ich ließ endlich das Affchen wegnehmen, weil ſchon wenige Stunden nach deſſen Tode die Fäulnis begann, und die kleine Leiche über eine hohe Mauer werfen. Koko hatte auf— merkſam zugeſehen, gebärdete ſich wie toll, zerriß in wenigen Minuten ſeinen Strick, ſprang über die Mauer hinweg, holte ſich den Leichnam und kehrte mit ihm in den Armen auf ſeinen alten Platz zurück. Wir banden ihn wieder feſt, nahmen ihm den Toten nochmals und warfen ihn weiter weg; Koko befreite ſich zum zweiten Male und tat wie vorher. Endlich vergruben wir das Tier. Eine halbe Stunde ſpäter war Koko verſchwunden. Am anderen Tage erfuhren wir, daß in dem Walde eines nahen Dorfes, der ſonſt nie Affen beherbergte, ein menſchengewöhnter Affe geſehen worden ſei. Ein Freund von mir, der in dem Geſchäftshauſe der Oſtindiſchen Geſellſchaft wohnte, beſaß eines dieſer Affchen, das im höchſten Grade zärtlich an ihm hing, aber doch nicht an Rein— lichkeit zu gewöhnen war. Während es mit ſeinem Herrn ſpielte, beſchmutzte es dieſen oft in der ſchändlichſten Weiſe, und weder Schläge noch andere Zuchtmittel, die man in ſolchen Fällen bei Tieren anwendet, ſchienen das Geringſte zu fruchten. Dieſer Affe war ſehr diebiſch und nahm alle glänzenden Gegenſtände, die er erwiſchen und forttragen konnte, augenblicklich an ſich. Eines Tages bemerkte mein Freund, daß beide Backentaſchen ſeines Lieblings vollgepfropft waren, lockte ihn deshalb an ſich heran, unterſuchte die Vorratskammern und fand in der einen drei und in der anderen zwei Guineen, die ſich der Affe aus der Kaſſe heraufgeholt hatte. Eine Meerkatze brachte ich mit in meine Heimat. Sie gewann ſich ſehr bald die Zu— neigung meiner Eltern und anderer Leute, ließ ſich aber doch viel loſe Streiche zuſchulden kommen. Die Hühner meiner Mutter brachte ſie geradezu in Verzweiflung, weil es ihr den größten Spaß zu machen ſchien, dieſe Tiere zu jagen und zu ängſtigen. Im Hauſe ſelbſt ging ſie durch Küche und Keller, in alle Kammern und auf den Boden, und was ihr recht ſchien, wurde entweder zerbiſſen oder gefreſſen oder mitgenommen. Niemand war ſo geſchickt, ein Hühnerneſt aufzufinden wie ſie; die Hühner mochten es anfangen, wie ſie wollten: Haſſan, ſo hieß der Affe, kam gewiß hinter ihre Schliche, nahm die Eier weg und trank ſie aus. Meine Mutter ſchalt ihn aus und züchtigte ihn, als er wieder mit dottergelbem Maule erſchien. Unter allen irdiſchen Genüſſen ſchien ihn Milch und noch mehr Rahm am meiſten zu entzücken. Es dauerte gar nicht lange, ſo wußte er in der Speiſekammer prächtig Beſcheid und genau, wo dieſe leckeren Dinge aufbewahrt wurden, ermangelte auch nicht, jede Gelegenheit zu benutzen, um ſeine Naſchhaftigkeit zu befriedigen. Auch hierbei wurde er erwiſcht und ausgeſcholten; deshalb verfuhr er in Zukunft liſtiger. Er nahm ſich nämlich das Milchtöpfchen mit auf den Baum und trank es dort in aller Ruhe aus. Anfangs warf er die ausgeleerten Töpfe achtlos weg und zer— brach ſie dabei natürlich faſt immer: dafür wurde er beſtraft, und zu dem innigen Vergnügen meiner Mutter brachte er ihr nun regelmäßig die leeren, aber unzerbrochenen Töpfchen wieder! Sehr ſpaßhaft war es, wenn dieſer Affe auf den Ofen kletterte, oder wenn er ein ziem⸗ lich langes Ofenrohr beſtieg und wahrhaft verzweifelt von einem Beine auf das andere ſprang, weil ihm die Wärme des Rohres zu arg wurde. Er führte dergeſtalt die allerdrolligſten Tänze aus; ſo geſcheit war er aber nicht, daß er den heißen Boden verlaſſen hätte, bevor er wirklich gebrannt worden war. Er blieb ſehr gleichgültig gegen alle unſere Haustiere, hielt aber mit einem weiblichen Pavian, den ich ebenfalls mitgebracht hatte, innige Freundſchaft und ließ Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 33 514 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. ſich von dieſem hätſcheln und pflegen, als ob er ſelbſt ein junger Affe geweſen wäre. Des Nachts ſchlief er ſtets in des Pavians Armen, und beide hielten ſich jo feſt umſchlungen, daß es ausſah, als wären ſie nur ein Weſen. Pavian und Meerkatze unterhielten ſich lange mit verſchiedenen kurzen Gurgeltönen und verſtanden ſich ganz entſchieden vortrefflich. Seiner Pfle⸗ gerin bewies Haſſan trotz ſeines Alters denſelben kindlichen Gehorſam wie jenes obenerwähnte junge Affchen ſeinem Wohltäter. Er folgte ihr überallhin, wohin dieſe von uns geführt wurde, und kam ſogleich in das Zimmer, in welches wir ſeine mütterliche Freundin brachten. Nur in deren Geſellſchaft unternahm er längere Ausflüge; aber wenn er allein ſeinem Belieben nachging, entfernte er ſich niemals weit und blieb mit ihr in beſtändiger Unterhaltung. Selbſt entſchiedene Gewalttätigkeiten ließ er ſich von ihr gefallen, ohne zu grollen. Er teilte jeden guten Biſſen mit feiner Pflegemutter; dieſe aber erkannte ſolche Herzensgüte ſelten und nie⸗ mals dankbar an. Sooft Haſſan auch einmal etwas für ſich behalten wollte, änderte ſich das Verhältnis zwiſchen beiden. Denn wie ein Raubtier fiel dann der große Pavian über den armen Burſchen her, brach ihm das Maul auf, holte mit den Fingern das Futter aus Haſſans Backentaſchen heraus, fraß es auf und puffte den armen Wehrloſen wohl auch noch tüchtig dabei. Gegen uns war Haſſan liebenswürdig, gab aber niemals ſeine Selbſtändigkeit auf. Er kam auf den Ruf — wenn er wollte; ſonſt antwortete er wohl, rührte ſich aber nicht. Wenn wir ihn gefangen hatten und gewaltſam feſthielten, verſtellte er ſich nicht jelten mit größter Meiſterſchaft und gebärdete ſich zuweilen, als müſſe er im nächſten Augenblicke abſcheiden; ſowie er aber frei wurde, rächte er ſich für die erlittene Gefangenſchaft durch Beißen und entfloh hierauf mit vielſagendem Gegurgel. a In den zoologiſchen Gärten vermögen ſich die Meerkatzen weniger die Gunſt ihrer Pfleger und des Publikums zu erwerben; da müſſen fie entſchieden hinter den Makaken, Pavianen und Kapuzinern zurückſtehen. Sie machen ſich zwar nicht ſo bettelig und aufdringlich bemerk⸗ bar, ſind aber deswegen durchaus nicht etwa harmloſer und gutartiger, einigermaßen heran⸗ gewachſen vielmehr ſehr oft ſcheußliche Beißer, auch gegen die Käfiggenoſſen. Jung, in kind⸗ lichem Alter, zeigen ſie ſich wohl als niedliche, zutrauliche und ſpielluſtige Tierchen; im allgemeinen hat man aber den Eindruck, daß ſie ſich in die Gefangenſchaft längſt nicht ſo gut einzuleben wiſſen wie die beliebten Haupthelden unſerer Affenkäfige, dieſen alſo doch wohl geiſtig unter⸗ legen ſind. Ihre Haltbarkeit läßt ebenfalls oft zu wünſchen übrig. Die Syſtematik der Meerkatzen iſt trotz ſchier unüberſehbarer Reihen von Untergattungen, Arten und Unterarten dank dem unabläſſigen Bemühen der erſten Muſeumszoologen unſerer Zeit zu größerer Klarheit gediehen als die der Kapuziner und Klammeraffen, weil wenigſtens die ſelbſtändigen Arten ſich wohl leichter und ſchärfer unterſcheiden, die einzelnen Stücke jeder Art gleichmäßiger ausgeprägt ſind. Da aber Elliot in ſeinem großen Affenwerk über 100 Meer⸗ katzenarten aufführt, ſo ſcheint, wenn irgendwo, dann hier die Aufſtellung von Untergattungen berechtigt, zumal dieſe durch gewiſſe äußere Merkmale ſich recht natürlich kennzeichnen. Wir möchten die gelbgrünlich gefärbte Zwerg-Meerkatze oder den Talapoin, Cer- copithecus (Miopithecus) talapoin Schreb., von Gabun und Südkamerun voranſetzen, zus mal fie zu einer ſelbſtändigen Gattung (Miopithecus Is. Geoffr.) erhoben worden iſt, weil ſie am dritten unteren Backzahn einen Höcker weniger hat. Sie verdient ihren Namen „Zwerg⸗ Meerkatze“; denn Elliot gibt ihre Geſamtlänge nur auf 81, die Schpanzlänge nur auf 36 em an. Und fie zeigt ſich auch in ihren Schädelbauverhältniſſen als ein richtiger Zwerg im wiſſenſchaft⸗ lichen Sinne, da ſie ganz auffallend die jugendlichen Verhältniſſe des Affenſchädels, Überwiegen enen Ne nenn An 2 Zwerg⸗Meerkatze. Gelbgrüne Meerkatze. 515 des Stirnteils über den Geſichtsteil, zeitlebens feſthält. Außerdem hat fie ein unverhältnis⸗ mäßig großes Ohr und eine ſehr kurze Hand mit einer Spannhaut zwiſchen den Fingern. In Südkamerun entfernt ſich unſer Meerkatzenzwerg, der dort özem heißt, nie von den größeren Flüſſen, hält ſich vielmehr gewöhnlich auf den Bäumen, die unmittelbar am Ufer ſtehen, auf und beſtiehlt, wenn ein Dorf in der Nähe liegt, deſſen Pflanzungen. Sein Stimm⸗ laut ift ganz verſchieden von dem der übrigen Meerkatzen: ein knatterndes „Kſſs“, wie das Platſchen eines Stockes ins Waſſer. Die Grünmeerkatzen (Untergattung Cercopithecus Eyal., Chlorocebus) haben auf der Oberſeite des Rumpfes einen grünlichen Fellton, der dadurch entſteht, daß die Haare grau, gwerg⸗Meerkatze, Cereopitheeus talapoln Schreb. 1/4 natürlicher Größe. ſchwarz und gelb oder bräunlich geringelt find; Arme und Beine heller, grau, Unterſeite eben— falls hell bis weiß. Die einzelnen Arten unterſcheiden ſich innerhalb dieſer Allgemeinfärbung durch feinere Einzelmerkmale: Bartform und -farbe, Geſichtsfarbe, Stirn- und Afterzeich— nung, Hodenſackfärbung. Die Grünmeerkatzen haben eine weite Verbreitung durch Afrika: von Senegambien im Weſten bis nach Abeſſinien im Oſten und ſüdwärts bis in die Kapkolonie, und finden ſich überall da, wo es auch Steppen gibt, weniger im eigentlichen Urwald. Die Größe iſt ungefähr die einer großen Katze, die Weibchen ſind immer ſchwächer als die Männ— chen. Man kann unter den grünen Meerkatzen vielleicht ſolche mit ſchmälerem, länglicher zu— geſpitztem und ſolche mit breiterem, rundlichem Kopfe unterſcheiden, und dieſe Unterſcheidung fällt um ſo leichter, wenn mit dem ſchmäleren Kopfe ſich eine ſtärkere Bartentwickelung ver— bindet, was aber nicht immer unzweideutig der Fall iſt. Die Gelbgrüne Meerkatze, die Callitriche des alten Cuvier, Cercopithecus calli- trichus Is. Geoffr. (sabaeus), die Senegambien, Sierra Leone und Nordliberia, eingeführt 33 * 516 18 Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. auch die Kapverdiſchen und ſogar die Weſtindiſchen Inſeln, beſonders Barbados, bewohnt, iſt ſofort durch ihren gelben, aufwärts und rückwärts geſtrichenen Backenbart an dem ſchlanken, länglichen Kopfe zu beſtimmen, der das Ohr frei läßt und auf der Backe eine Art Wirbel bildet. Eine weiße Stirnbinde hat ſie nicht. Der Hodenſack iſt grün gefärbt. Als Körper⸗ maße gibt Elliot an: Geſamtlänge 130 em, davon der Schwanz 76 em. Die Gelbgrüne Meerkatze iſt im Tierhandel eine der allerhäufigſten Arten, und von ihr und der nachfolgen— den leitet ſich wohl zumeiſt das weniger günſtige Urteil der Tiergärtner über das geiſtige Weſen, namentlich älterer Meerkatzenmännchen, ab. Die Tantalus-Meerkatze, Cercopithecus tantalus Ogilb., ſchließt ſich geographiſch an die Callitriche an, und man darf ſie vielleicht kurz als eine ſolche mit breiter weißer Stirn⸗ binde und mehr weißem als gelbem Barte kennzeichnen. Sie bewohnt in mehreren Lokal⸗ formen die zentralen Sudanländer, aber auch das Hinterland unſerer Kolonien Togo und Kamerun und geht nach den Nilländern zu in die nächſte Art über. Als ihr öſtlicher Vertreter und nächſter Verwandter mag die Weißgrüne Meerkatze, Cercopithecus aethiops L. (griseoviridis), gelten, weil fie ebenſo auf den erſten Blick an einem ganz ähnlich friſierten weißen Bart kenntlich iſt wie die vorigen an ihrem gelben. Sie lebt in Nordoſtafrika, im oberen Nilgebiet, Abeſſinien, Sennar, Kordofan — hier geht ſie bis 4000 engl. Fuß (etwa 1200 m) hoch ins Gebirge — und erſcheint ſchon in Cuviers Naturgeſchichte als Grivet. Der lange, aufwärts und rückwärts gekämmte Backenbart unter: ſcheidet ſich von dem der gelbgrünen Art dadurch, daß er auch die Ohren bedeckt, und außer: dem verläuft unmittelbar über den Augen eine weiße Stirnbinde von einer Seite zur anderen, ſo daß das dunkle Geſicht weiß eingerahmt wird. Die ganze Oberſeite des Körpers hat einen abweichenden graugrünen Ton, der auf Gliedmaßen und Schwanz noch mehr ins Graue geht; die Unterſeite iſt weiß, auch am Schwanze, deſſen Wurzel jederſeits einen Büſchel längerer weißer Haare trägt. Der Hodenſack iſt ſchieferblau. Ein vollſtändiger Weißling der Weiß— grünen Meerkatze, ein ganz einzigartiges Prachtſtück, ſchneeweiß vom Scheitel bis zur Schwanz— ſpitze, mit roten Augen und fleiſchfarbenen Ohren, Händen und Nägeln, war im vorigen Jahrzehnt erſt im Dresdener, dann im Frankfurter Zoologiſchen Garten zur Schau geſtellt. Das Tier ſtammte aus Südabeſſinien und hielt ſich da, anſcheinend von ſeiner Horde ver— ſtoßen, in der Nähe einiger Gehöfte auf, bis es auf Befehl des Negus Menelik von Soldaten gefangen und an den kaiſerlichen Hof in Adis-Abeba gebracht wurde. Dort ſchenkte Menelik den Affen ſchließlich der Gattin eines Ingenieurs, der ihn mit nach Deutſchland brachte. Blanford fand die Weißgrünen Meerkatzen zahlreich am Anſebafluß in Nordabeſſinien gegen Nubien hin, wo ſie in Horden von 20— 30 Stück die hohen Bäume am Ufer be⸗ wohnten; die Tiere machten ihm einen ruhigen, wenig übermütigen Eindruck. Mit dem Malbruk, Cercopitheeus cynosurus Scop., der das ſüdliche Kongobecken und Moſſamedes bewohnt und bis ins Kunene- und Okawangogebiet, alſo auch ins nördlichſte Deutſch-Südweſtafrika reicht, kommen wir zu den kurzbärtigeren, dick- und rundköpfigeren Grünmeerkatzenarten, deren weißlicher, zurückgeſtrichener Backenbart ſich nur noch von vorn und unten an das ſchwarze nackte Ohr anlegt. Das Geſicht des Malbruk iſt, ebenſo wie die Geſäßſchwielen, hell, fleiſchfarben, nur ſtellenweiſe, beſonders auf der Naſe, dunkler getönt und kennzeichnet die Art wohl noch ſicherer als der blaue Hodenſack, obwohl fie dieſem den Händlernamen Blaubeutel verdankt. Das Fell hat auf der Oberſeite einen mehr ſchwarzgelben 4 3 Tantalus⸗, Weißgrüne Meerkatze. Malbruk. Lalandes Meerkatze. 517 als grünlichen Miſchton; Unterſeite und Innenſeite der Glieder ſind grauweiß. Der Schwanz hat kaum noch etwas Gelb, allenfalls an der Wurzel, an der aber keine ſeitlichen Haarbüſchel ſitzen; ſonſt iſt er grauſchwarz. Die Lage ſteifer, ſchwarzer Haare unmittelbar über den Augen, noch unter dem weißen Stirnſtreifen, iſt beim Malbruk am ſtärkſten ausgeprägt. Aus Erfahrungen im Londoner Zoologiſchen Garten beſtätigt W. L. C. Martin auch beim Malbruk eine Verbindung von Trägheit mit unbändigem und rachſüchtigem Weſen. Ein aus: gewachſenes Männchen war zwar liebenswürdig und vertraut und hatte es gern, wenn man ſich mit ihm beſchäftigte und es liebkoſte; lebhaft und ſpielluſtig war es aber nicht. Ein an— deres jedoch war geradezu hinterliſtig und, obwohl gar nicht ſcheu, doch ſehr mißtrauiſch; durch die geringſte Urſache wurde ſein Zorn erregt, und dann wendete es ſich gegen den Störenfried mit allen Zeichen des Unmutes in ſeiner Haltung, ſuchte ihm, zähnefletſchend und ihn unver— wandt anſtarrend, auf jede mögliche Weiſe zu Leibe zu gehen. Lalandes Meerkatze, Cercopitheeus pygerythrus F. Cuv. (lalandei), franzöſiſch und engliſch Vervet, iſt dem Malbruk ſehr ähnlich, aber im allgemeinen ſchlanker und fein köpfiger. Sie bewohnt die Steppengebiete Süd- und Oſtafrikas vom Kap durch Natal, Njaſſa⸗ land, Moſambik und Deutſch-Oſtafrika bis zum Viktoriaſee und Uganda im Norden. Sie geht von allen Meerkatzen am weiteſten nach Süden und bildet in ihrem weiten Verbreitungs— gebiet zahlreiche Lokalformen. Die hierhergehörigen Meerkatzen ſind im allgemeinen je ſüd— licher, deſto gleichmäßiger ſchwarz geſprenkelt und dadurch grau im Geſamtton, je nördlicher dagegen, deſto gelblicher und durch Verſchwinden der ſchwarzen Sprenkel an den Körper— ſeiten einfarbig gelb getönt, zuweilen mit einem Stich ins Rote. Die eigentliche ſüdafrika— niſche Lalande-Meerfage haben wir als dunkel graugrün mit ſchwarzer Sprenkelung zu kenn— zeichnen, Backen, Kehle und Unterſeite rötlichweiß; Schwanzwurzel und Umgegend rot; Geſicht, namentlich das Kinn, Hände und Füße, Enddrittel des Schwanzes tief ſchwarz. Das gut aus— geprägte Stirnband iſt gelblichweiß und vereinigt ſich ſo mit der hellen Behaarung der Backen, daß das Geſicht mit einem weißen Ring umgeben erſcheint. Der Backenbart iſt lang und bedeckt mehr oder weniger das Ohr, wird an den Spitzen aber grauſchwarz ſprenkelig, ſo daß er dort von der Kopfbehaarung nicht abſticht; die dunklen Überaugenborſten machen ſich dagegen ſehr bemerklich. Das ganze Haarkleid iſt lang und etwas grob. Längere Haare auf der Hinterſeite der Schenkel find weißlich, die Behaarung unter dem Schwanze um den türkis: blauen Hodenſack weiß, die Vorhaut ſcharlachrot. Über das Leben berichtet W. L. Sclater aus dem Kapland, daß der Vervet ſich gern in den Waldſtreifen an den Flüſſen aufhält und ſehr leicht und gewandt ſchwimmt. Er ſchlägt ſich in Trupps bis zu mehreren Dutzenden zuſammen; eben ausgewachſene Männchen ſieht man aber oft einzeln: offenbar von den älteren aus der Herde vertrieben. Die Hauptnahrung iſt angeblich das Harz und die Samen der Mimoſen, die Frucht und in dürftigen Zeiten auch bas Blattfleiſch der Opuntie. Ein im Londoner Zoologiſchen Garten geborenes Junges nahm beim Saugen wunderbarerweiſe die beiden nach innen gerichteten Zitzen der Mutter zugleich in den Mund, und dasſelbe tat ein ſehr bemerkenswerter Miſchling vom Vervet, den ein Weibchen des Zoologiſchen Gartens von Prätoria mit einem Hutaffen, alſo einer gar nicht zu den Meerkatzen gehörigen Affenart, erzeugte. In Natal muß der Vervet heute noch ſehr häufig ſein; denn im Führer durch den Zoologiſchen Garten in Durban von 1912 wird geſagt, er käme gelegentlich bis in die Gärten der Stadt auf die Obſtbäume. Die im Suaheli Tumbili genannte, auf unſerer Farbentafel abgebildete Rotgrüne 518 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. Meerkatze, Cercopithecus pygerythrus rufoviridis Is. Geoffr., ſchließt ſich nach Norden = an, verbreitet ſich vom Sambeſigebiet über den deutſch-oſtafrikaniſchen Küſtenſtrich bis Tanga im Norden unſerer Kolonie. Ihr gelblichgrünes, ſchwarz geſprenkeltes Fell ſpielt auf dem Rücken mehr ins Ockerfarbene, auf den Seiten iſt es fahl rötlich getönt, der kurze Bart graulich, ſchwarz geſpritzt. Das Kinn iſt weiß und nur das Schwanzende ſchwärzlich; auch Hände und Füße ſind kaum dunkler grau als die Gliedmaßen im übrigen. Die Oberſeite der Schwanz⸗ wurzel und Umgebung ſind grau. Der Hodenſack iſt hellblau, und ebenſo ſchimmert die Haut des Bauches durch die dünne, weiße Behaarung eigentümlich hellblau hindurch. Das bezeich- nendſte Einzelmerkmal ſind aber rotbraune Haare am After. Böhm fand den Tumbili in Deutſch-Oſtafrika hauptſächlich an den Flußufern, an denen ja dort auch der Baumwuchs ſich zuſammenzudrängen pflegt; einzelne alte Männchen oder Weibchen mit Jungen traf er auch nicht ſelten auf einzelnen Bäumen in der Steppe. An⸗ geſichts des Menſchen „nicken und verbergen ſie ſich ärgerlich und hüpfen komiſch herum“: das gewöhnliche Zeichen mißtrauiſcher Aufmerkſamkeit bei den Meerkatzen. „Ihre Stimme iſt ſehr modulationsfähig und beſteht aus einem hellen Piepen, Kreiſchen und Trillern, dann einem eigentümlichen Schnarren und Quarren“; erſteres wohl die Laute der Jungen, letzteres die der Alten, namentlich der alten Männchen. Die große Maſſe der Urwaldmeerkatzen, die im eigentlichen, zuſammenhängenden Urwalde leben, faßt man am beſten in der Untergattung Lasiopyga II. zuſammen. Bei ihnen ſind ſonder⸗ bare Geſichtszeichnungen häufig; daher die Namen Schnurrbart- und Weißnaſen-Meerkatze. Die erſtere ſollte beſſer Blaumaul, Cercopithecus cephus L. (Taf. „Bunte Meer⸗ katzen“, 7, bei S. 522), heißen; denn ihr „Schnurrbart“ beſteht nicht aus Haaren, ſondern aus einer Blauweißfärbung des nackten Geſichtes. Der Rücken, die Oberſeite von Hals, Kopf wie die Außenſeiten der Gliedmaßen find unrein olivengrün, mit einem ſehr hübſchen gol- digen Schimmer, die Unterſeite und die Innenſeiten der Gliedmaßen, die nach den Enden zu dunkler bis ſchwarz werden, ſind bläulichgrau gefärbt. Das ſchön kobaltblau angelaufene Geſicht, mit einem weißen oder hellblauen bogenförmigen, mit den Schenkeln aufwärts ge⸗ krümmten Fleck auf der Oberlippe, iſt von einem leuchtend gelben Backenbart umgeben, den ein ſchwarzer Strich von den olivenfarbigen Kopfhaaren trennt; der Schwanz iſt von der Spitze bis faſt zur Wurzel roſtrot gefärbt. Recht geſunde, vollkräftige Affen dieſer Art, und zwar beiderlei Geſchlechts, zeigen dieſe auffällige Farbenzuſammenſtellung in ſo vollkommene Weiſe, als wären ſie gebeizt oder bemalt. Sie find gemein in Unterguinea und namentlich von Yumba ſüdwärts bis zum Kongo in Banden von 30—40 Stück weit zahlreicher als andere Arten vertreten. In Südkamerun heißt fie nach Bates ösök. Ihren Lieblingsaufenthalt bilden die ſtattlichen Waſſerwälder, welche die Flußufer bis zum Meere begleiten, und binnenwärts die Regenwälder der Gebirge. Auch in den Mangrovenbeſtänden an der Küſte bemerkt man ſie häufig, und es ſcheint faſt, daß ſie dort auf Kruſter und ſonſtiges Getier Jagd machen; denn andere Nahrung können die einförmigen Manglare ihnen nicht bieten. In der offenen Landſchaft, wo die Grasflächen (Kampinen) vorherrſchen, werden ſie äußerſt ſelten angetroffen. Die Schilderungen Pechuel-Loeſches auf S. 434 und 506ff. beziehen ſich vornehmlich auf das Freileben dieſer hübſchen Meerkatze, die in Loango Muido heißt. In Faktoreien, auf Schiffen, die mit Unterguinea verkehren, iſt fie der allgemeine Liebling um ihres zutulichen, liebenswürdigen Weſens, um ihrer Klugheit und ausgelaſſenen Munterkeit willen. Nach Wm ra a Katze. — — — — — — Grün = een, EM, Tr | - | N TRETEN ROTE U Rotgrüne Meerkatze. Blaumaul. 519 Pechuel⸗Loeſches Erfahrungen dürfte kaum eine Meerkatze geeigneter ſein, zahm gehalten zu werden, als dieſe. „Eine, ein Weibchen, mit dem einheimiſchen Namen Muido gerufen, die ich ſehr jung am Kongo erhielt und ſorgfältig aufzog, habe ich vollkommen geſund faſt 5 Jahre als Haustier beſeſſen. An dieſem Affen habe ich recht deutlich erkennen lernen, wie trefflich von frühſter Jugend an geübte Pflege, wohlbedachte, ſorgfältige Behandlung auf das Affen— gemüt einwirken, wie ſehr Neckereien und rohe Späße, unbedachte Quälereien es verderben. Man würde in der Tat weit ſeltener über Bosheit, Reizbarkeit und Tücke zahm gehaltener Affen zu klagen haben, wenn ſie, wie es doch ſonſt erſte Regel bei jeglicher Erziehung zu ſein pflegt, gegen alle ſchlimmen Einflüſſe behütet worden wären, und zwar von Kindheit auf... „Unſer Affe... genoß in Europa unbeſchränkte Freiheit, bewegte ſich ungehindert durch alle Zimmer, über Tiſche und Schränke, aber ſo geſchickt und achtſam, daß er uns niemals irgend etwas zerbrochen hat. Er ſtieg durch die Fenſter, turnte auf dem Balkon, lief auf dem Geſimſe rings um das Haus, rutſchte an den Dachrinnen hinab und tummelte ſich in Hof und Garten. Wie ein folgſames Hündchen unternahm er mit uns ſtundenweite Spaziergänge durch Wald und Flur, fing ſich Spinnen, Schmetterlinge, Grashüpfer (ſein Lieblingsfutter) und tollte nach Herzensluſt umher, wodurch offenbar ſeine Geſundheit weſentlich gekräftigt, ſeine Natur derartig abgehärtet wurde, daß er ſich ſpäter ſogar mehrmals in friſch gefallenem Schnee wälzen konnte, ohne Nachteil davon zu haben. Bei ſolchen Gelegenheiten gab er ſich mit allen Menſchen ab, die uns begegneten, wenn auch mit Auswahl; er liebte es, biedere Landleute durch jähes Hervorhuſchen aus einem Verſtecke und manchmal durch Anſpringen zu erſchrecken, tat aber niemand etwas zuleide. Mit kleinen Hunden ſpielte er gern, großen wich er aus; wenn ſie ihn aber bedrohten, dann ging er ihnen furchtlos zu Leibe, ſprang ihnen auf den Nacken, maulſchellierte fie, zauſte die Ohren, biß und kratzte mit einer Gewandtheit, daß die Überfallenen ſchließlich wie ſinnlos davonliefen. Vor Fröſchen und Eidechſen zeigte er gar keine Furcht, mißhandelte fie aber auch nicht. Hatte er ſich die Hände beſchmutzt, jo ſuchte er ſie eifrigſt irgendwie zu reinigen; gelang es ihm nicht genügend, dann wandte er ſich bittend an uns. „Daheim wurde er bloß durch eine Unart läſtig, die ihm nicht abgewöhnt werden konnte: er war nicht ſtubenrein. Sonſt folgte er dem Geheiße, ging in ſeinen Schlafkorb, in ſeinen Käfig, ſchloß ſelbſt deſſen Tür, ließ ſich auch Unfug durch ein ‚St‘ verweiſen. Als Spielzeug liebte er weiche Puppen, große und kleine Kautſchukbälle, Korke, Hölzchen uſw.; eines davon hatte ſtets für einige Zeit Vorrang und wurde mit in den Schlafkorb genommen, die übrigen wurden ſorgſam hinter wie unter Schränken, in Gardinenfalten uſw. untergebracht, verſteckt und jedenfalls derart als Eigentum betrachtet, daß Berührung oder gar Wegnahme ſtets als unberechtigter Eingriff aufgefaßt wurde. In ſeinen geräumigen Backentaſchen pflegte er alle möglichen Gegenſtände bis zur Größe einer Walnuß, lieber jedoch kleinere unterzubringen, die er allenthalben aufnahm. Für gewiſſe Gegenſtände hatte er eine beſondere Vorliebe; ver— mißte man fie, dann wußte man ſchon, wo fie zu finden waren. Bald pflegte meine Frau regelmäßig jeden Abend ihm die Backentaſchen auszuleeren. Anfänglich ſträubte er ſich, ſpäter kramte er von ſelbſt ſeine Schätze aus, wenn er auf den Schoß genommen wurde. Das Ent— leeren der Backentaſchen beförderte er dadurch, daß er mit den Rücken der Hände von außen ſtreichend oder ſchiebend nachhalf. Da kamen denn Steinchen, Erbſen, Münzen, Bohnen, Nägel, Korke, Fingerhüte, Glasſtöpſel und andere Dinge mehr zum Vorſcheine, davon er die nicht anderweitig gebrauchten behalten durfte; denn er verlor kein einziges Stück. „Ungemein gern betrachtete er Abbildungen, beſonders farbige, in Büchern und folgte aufmerkſam dem Umblättern. Anfangs griff er blitzſchnell nach bildlichen Darſtellungen von 520 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. Heuſchrecken und Spinnen, mochten fie farbig oder ſchwarz ſein; bald aber hatte er aus— gefunden, daß ſie nicht eßbar waren. Vor abgebildeten Schlangen und Echſen bekundete er keine Furcht, erkannte ſie aber, wie aus dem wechſelnden Ausdrucke ſeines Geſichtes, ſeiner Stimme hervorging. = „Seine Nahrung beſtand in allem, was auf den Tiſch kam; bloß Butterbrot und Milch verſchmähte er gänzlich. Leidenſchaftlich liebte er Zwiebeln ſowie dick mit Senf beſtrichene Brotſtückchen; er ſchnitt zwar greuliche Geſichter dabei und machte verzweifelte Sprünge, aber fraß fie doch. Tinte ſchmeckte ihm auch: er hob die Goldfeder aus dem Trichter des Tinten⸗ faſſes, leckte ſie ab, legte ſie ſorgſam beiſeite und tunkte nun ſo lange den Finger ein, bis er genug hatte. Tabaksrauch verabſcheute er. Rotwein und Bier trank er ſehr gern, übernahm ſich jedoch nicht; am liebſten ſchlürfte er den Schaum vom Biere. Früchte aller Art waren ihm ebenfalls willkommen, beſonders Johannis-, Erd- und Stachelbeeren, die er zierlich zu pflücken verſtand, ohne dabei zu vergeuden, wie es bei frei lebenden Affen die Regel iſt. Eier mochte er nicht, nahm auch niemals ein Neſt aus, lebte ſogar mit einem Fliegenfängerpärchen, das alljährlich an unſerem Balkone niſtete, auf ganz vertrautem Fuße, wie auch mit vielen anderen Vögeln, beſonders Meiſen und einem Buntſpechte, die wir am Fenſter zu füttern pflegten, und die teilweiſe auch ganz ſorglos in das Zimmer kamen. Sein Tagewerk begann auf dem Frühſtückstiſche. Sobald er, dem Schlafkorbe mit ſeinen warmen Decken entſtiegen, ſich im Käfig gelöſt hatte, ſtürmte er nach dem Tiſche, um das Anzünden des Spiritus unter der Kaffeemaſchine nicht zu verſäumen und zugleich das benutzte und ihm brennend über- laſſene Schwefelhölzchen durch Klopfen und Rollen mit den Händen auszulöſchen. Dann machte er mit erhobenen Armen Männchen vor dem Kochgeräte, wärmte ſich und blickte auf- merkſam in die geheimnisvolle Spiritusflamme, deren Wallen und Aufleuchten ihn ſtets ebenſo feſſelte wie das Ziſchen und Brodeln des Waſſers. Später wurde er von ſeiner Herrin vom Kopf bis zur Schwanzſpitze hübſch durchgebürſtet, und das behagte ihm ſo außerordentlich, daß er unaufgefordert alle die für ſolche Reinigung nötigen Lagen einnahm; die tägliche Ge— ſichtswäſche liebte er ſchon viel weniger, und das Baden und Abſeifen, das regelmäßig einmal in der Woche ſtattfand, war ihm verhaßt. „Für Beſucher faßte er ſogleich Neigung oder Abneigung und änderte nachträglich nie mals ſein Betragen gegen ſie, kannte auch alle ſtets ſofort wieder. Die er leiden mochte, lud er durch Zupfen am Gewande ſowie allerhand Bewegungen und Laute zum Spielen ein, ſprang ihnen auf den Schoß, ließ ſich krauen, ſtreicheln und war ſo zutulich wie drollig, daß er ſich viele Freunde gewann. Die er nicht leiden mochte, beachtete er überhaupt nicht, und wenn ſie ſich doch mit ihm beſchäftigen wollten, wich er aus oder machte Männchen und winkte ihnen heftig ab; beharrten ſie dennoch im Annäherungsverſuche oder lachten ſie laut, dann ſpielte er Baſilisk, d. h. er ſtreckte ſich auf allen vieren, legte die Ohren zurück, riß das Maul weit auf, züngelte, grunzte und machte bedrohliche Bewegungen. Dann war es Zeit für uns, einzuſchreiten, ſonſt griff er ohne weiteres auch an. Von uns ließ er ſich wie ein Hund auf Menſchen, Federvieh uſw. hetzen. Beobachtungen ergaben, daß er ſich ſein Urteil über Per— ſonen nach einigen Außerlichkeiten bildete: freundliches Geſicht, wohlklingende Stimme, vor⸗ nehme Gelaſſenheit der Bewegungen gewannen ihn ſofort; haſtige Bewegungen, hart oder kalt blickende Augen, barſche, laute Stimme ſtießen ihn ab. Mit Kindern aber vergnügte er ſich ausnahmslos gern, war duldſam gegen allzu wilde Behandlung, tollte, balgte ſich mit ihnen und machte ſich endlich davon, wenn es ihm zu arg wurde. Niemals hat er ein Kind bedroht, gekratzt oder gar gebiſſen; ſie waren alle ſeine guten Freunde. . ˖ͤ 0 eee ce 8 Ee e Blaumau!: Pechuel-Loeſches Schilderungen. 521 „Rührend war ſeine Anhänglichkeit an meine Frau. Er betrachtete ſich als ihren berufe— nen Beſchützer, und wer ſie berühren, ihr auch bloß die Hand ſchütteln wollte, fand ſofort das Tierchen ſprungfertig an ihrer Seite, auf ihrer Schulter, auf ihrem Schoße. Als ſeine Herrin in eine ſchwere Krankheit verfiel, wurde der Affe traurig, unluſtig und ſaß, um Einlaß bettelnd, ſtundenlang an der Tür zum Krankenzimmer. Als er endlich nach Wochen wieder hinein durfte, ſprang er ſogleich zu ſeiner Herrin, ſchmiegte ſich leiſe klagend an ſie, legte die Arme um den Hals und war nicht wieder fortzubringen. „Nun begingen wir einen großen Fehler. Bisher hatte uns Muido auf allen Reiſen begleitet; als wir aber eine Reiſe nach Südafrika antraten, ließen wir ihn in den Händen eines liebenswürdigen Tierfreundes, mit dem er ſich ſehr gut ſtand, zurück. Ein Mißgeſchick aber fügte es, daß der Liebling 2 Monate vor unſerer Heimkehr in andere Hände kam und im Übermaße die üblichen Scherze und Quälereien ertragen mußte, welchen Affen nur zu ſehr ausgeſetzt ſind. Dieſe kurze Zeit hatte genügt, Muido in ein ſcheues, nervöſes, reizbares Tier zu verwandeln; ſein Fell war ſtruppig und glanzlos geworden, einige Finger waren ihm ge— brochen und ſteif geheilt, ſo daß er die eine Hand nicht mehr gebrauchen konnte. Er war nicht mehr munter und übermütig, ſondern einfach wild und rückſichtslos, äußerſt ſchreckhaft und mißtrauiſch, feindlich gegen alle Menſchen und bekam förmliche Wutanfälle infolge von Ein— drücken, die, an ſich harmlos, ihn an mancherlei Erduldetes erinnern mochten; ſchon der Klang mancher fremden Stimme konnte ihn hochgradig aufregen. Mit der ungetrübten Freude an unſerem Lieblinge war es vorbei. Fremde durften wir nicht mehr zu ihm laſſen. Fortgeſetzte ſorgſame Behandlung milderte zwar vieles Schlimme, konnte es aber nicht gänzlich verwiſchen. Noch einmal traten ſeine früheren guten Eigenſchaften hervor, als uns ein Knabe geboren wurde. Das kleine, hilfloſe Menſchenkind nahm all ſeine Aufmerkſamkeit in Anſpruch. Ob— wohl anfänglich beſorgt, konnten wir ihm doch bald ſeinen Willen laſſen; er wurde nun auch wieder zutulich, liebenswürdig und artig. Als der Junge erſt durch die Zimmer kroch, begann die wahre Luft: Kind und Affe wurden die beten Spielgefährten, kobolzten miteinander auf den Teppichen, zogen an Tüchern hin und wieder und vergnügten ſich königlich. Wurde der Knabe ausgefahren, dann durfte der Affe nicht fehlen, und wir konnten die ſeltſame Beglei— tung geſtatten, weil wir frei vor der Stadt wohnten. Bald aber kam eine neue Wendung. In Muido regte ſich die echte Affenliebe, er wurde eiferſüchtig. Das war ſein Kind, und er glaubte es jo ziemlich von jedermann bedroht; niemand ſollte es berühren, hätſcheln . . . Er ver: griff ſich an der Wärterin und biß ſchließlich ſogar die Mutter. Ich blieb zuletzt der einzige Menſch, der das Kind aufnehmen, hätſcheln, forttragen durfte. Wenn der Knabe nicht im Zimmer war, namentlich abends, wenn er ſchlief, zeigte ſich Muido allerdings wie vordem anhänglich und liebenswürdig gegen feine Herrin; war aber das Kind zugegen, dann gab es nichts anderes für ihn als ſeinen Schützling, der gegen jedermann behütet werden mußte. Der Affe litt förmlich an einer fixen Idee und war davon nicht abzubringen. Wir mußten uns endlich entſchließen, ihn fortzuſchaffen ... „Dieſer Affe verfügte über eine ſehr ausgiebige Stimme. Wir vermochten 13 einzelne Laute oder Lautgruppen zu unterſcheiden: vom leiſen, melodiſch zu nennenden, mannigfaltig betonten Zirpen, Zwitſchern und Schnurren des Behagens, der Bitte, der Vergnügtheit bis zum gellenden Quieken und Kreiſchen der Wut; vom kaum hörbaren Tuk tuk' wenn er ſich, was er oft tat, des Abends in einem unbeleuchteten Nebenzimmer gruſeln mochte, bis zum hellen, überlauten ‚Ted‘ des jähen Schreckens und dem hohen Belfern, Zetern, dem tiefen Poltern, Gurgeln, Grunzen verſchiedener Stufen der Erregtheit. Am wunderbarſten war, 522 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. was wir ſeinen Sonnengruß nannten. Wenn morgens die Sonnenſtrahlen ins Zimmer fielen, ſuchte er im Fenſter, auf dem Tiſche oder Boden einen voll beleuchteten Fleck, machte Männ⸗ chen, wandte ſich der Sonne zu, hob die Arme leiſe wiegend, ſpitzte das Maul und ließ nun aus tiefſter Bruſt ſowie überraſchend laut 5 — 6mal hintereinander etwa die größere Hälfte einer chromatiſchen Tonleiter erſchallen und ſchloß mit einem tiefen, langgezogenen „d 6373 waren höchſt ſonderbare Laute, wie ich fie niemals ſonſt von Affen gehört habe.“ Die Rotnaſen- oder Rotohr-Meerkatze, C. erythrotis Wirh., vermittelt den Übergang zu den Weißnaſen. Es iſt eine auffallend gefärbte Art mit rotbraunem Naſenfleck, ebenſolchen Ohrbüſcheln und lebhaft rot gefärbtem Schwanz. Sonſt hat ſie grauen Rumpf, ſchwarze Hände 1 und Füße und gelblichen Bart. Ihre Heimat find die Urwälder von Fernando Po und Süd- Kamerun. In den letzten Jahren iſt dieſer ſchöne Affe gelegentlich lebend nach Europa gekommen. Von den Weißnaſen ſchließt ſich hier wohl am beſten eine Art an, die den ganzen afrika⸗ niſchen Urwald von Kamerun bis zum Seengebiet bewohnt, und von der zwei geographiſche Formen gelegentlich in die zoologiſchen Gärten kommen. Es find die Schwarzbäckige Weiß: naſe, Cercopithecus ascanius Audeb. (melanogenys, histrio), vom unteren Kongo und Angola, und Schmidts Weißnaſe, C. a. schmidti Misch. (Taf. „Bunte Meerkatzen“, 8), vom oberen Kongo, Manjemaland (weſtlich vom Tanganjikaſee), Uganda, zu Ehren Rochus Schmidts benannt, der bei der Einholung Emin Paſchas das erſte Stück lebend nach Berlin u brachte. Beide unterſcheiden ſich kaum in der allgemeinen Farbeneinteilung: dunkle, auf dem Kopf gelblich, auf dem Rumpf ockerfarbig geſprenkelte Oberſeite, grauweiße Unterſeite, ſchwärzliche Glieder, ſchwarze Stirnbinde, blaues Obergeſicht, herzförmige Bleſſe auf der E Naſenſpitze und fleiſchfarbene Lippen. Der Schwanz ift aber bei der Schwarzbade dunkel, bei Schmidts Weißnaſe allermeiſt rot, und jene hat blaßrote, dieſe eine Franſe langer weißer = Haare am Ohr. Der Hauptunterſchied liegt jedoch in der bärtigen Backenbehaarung. Dieje hat der Schwarzbacke ihren Namen gegeben, weil ſie bei ihr, namentlich auf der oberen Backe, a allermeift ſchwarz oder wenigſtens ſchwärzlich iſt; außerdem ſitzt vor dem Ohr ein großer gelblichweißer Haarwirbel. Bei Schmidts Weißnaſe dagegen ift der mächtige weiße, bogen- 2 förmig abſtehende Backenbart von oben und unten zu einer Kante zuſammengekämmt und 85 1 auf dieſer verläuft nur ein ſchmaler ſchwarzer Streifen vom Mundwinkel aus. In der Breite dieſes Streifens und überhaupt in der Backenbehaarung fand übrigens Pocock bei einigen jungen Stücken des Londoner Gartens allerlei Übergänge, und das iſt der Grund, warum ; er Schwarzbacke und Schmidts Weißnaſe nur für unterartlich verſchieden hält. Mit den roten Schwänzen dieſer Affen verzieren die Eingeborenen des Kongo-Urwaldes ihre Bogen. Zwei andere Meerkatzenarten werden in unſeren zoologiſchen Gärten ſeit langem nach der Färbung der Unterſeite als Helle und Dunkle Weißnaſe geführt. Die Helle Weißnaſe, C. petaurista Schreb., iſt auf der Oberſeite nichts weniger als hell, vielmehr ſchwarzbraun, die Rückenhaare mit goldig glänzenden Ringen, und hat eine breite ſchwarze Binde von Ohr zu Ohr über den Scheitel, die ſich mit der Stirnbinde zu einer Art Kranz um den Kopf ver⸗ einigt. Solche Weißnaſen ſind in neuerer Zeit kaum lebend nach Europa gekommen; das engere Vaterland in Weſtafrika ift noch unbekannt. Dagegen erhalten wir von der Goldküſte öfters helle, d. h. unterſeits weiße Weißnaſen, die auch oberſeits hell ſind, grünlichgelbe, mehr oder weniger ins Rötliche ſpielende, ſchwarz betupfte Oberſeite haben, aber keine goldig glän— zenden Rückenhaare und nur eine ſchmale ſchwarze Scheitelbinde von Ohr zu Ohr. Dieſe Bunte Meerkaten. (Cercopithecus.) 1) Cercopithecus brazzae A. M.-Edw.—2) C. mona Schreb.—3) C. büttikoferi Jent. — 4) C. patas Schreb.— 5) C.ham- Iyni Pocock )) C. diana I. — 7) C. cephus Z 8) C. schmidti Misch. — 9) C. kandti M sch 10) C. wolii Meyer. 27 Rotnaſen-Meerkatze. Weißnaſen. Diadem Samango> Brazza-Meerkatze. 523 eigentliche Helle Weißnaſe hat Matſchie als C. p. fantiensis Misch. beſchrieben. Von ihr unterſcheidet ſich Büttikofers Weißnaſe, C. p. büttikoferi Jent. (Taf. „Bunte Meer- katzen“, 3), Vaterland Liberia, Sierra Leone, hauptſächlich dadurch, daß ſie überhaupt keine Scheitelbinde hat. Im Gefangenleben ſind dieſe hellen Weißnaſen, namentlich junge Stücke, ganz allerliebſte, zutrauliche und ſpielluſtige Tiere, immer guter Laune, immer in Bewegung; außerdem jehen- fie höchſt putzig und drollig aus mit dem eigentümlich hochgewölbten oder durch das hochſtehende Stirn- und Scheitelhaar nur ſo ſcheinenden Kopfe, dem länglichen, von kurzem Barte umrahmten Geſichte mit dunkler Augen- und heller Lippengegend, aus dem die kurz weiß behaarte Naſenſpitze „naſeweiß“ im wirklichſten Sinne hervorſticht. Ganz anders iſt die Färbung der Dunklen Weißnaſe, Cercopithecus nictitans L., aus Kamerun, nach Bates dort im Süden Avemba genannt, und dem franzöſiſchen Kongo, die außer ihrem dreieckigen weißen Naſenfleck überhaupt nichts Helles an ſich hat, vielmehr in einen ſehr dichten und reichen, unten faſt ſchwarzen, oben mehr weiß und gelblich geſpren— kelten Pelz gehüllt iſt. Ahnliche Allgemeinfärbung kehrt bei Meerkatzen des afrikaniſchen Urwaldes wieder, die deshalb mit Recht als nähere Verwandte der Dunklen Weißnaſe gelten, obwohl ſie keinen weißen Naſenfleck haben. So die Diadem-Meerkatze, C. leucampyx Fisch., von der Guineaküſte mit ihren Unterarten, der Pluto-Meerkatze, C. 1. pluto Gray, von Angola und der deutſch⸗oſtafrikaniſchen Stuhlmann-Meerkatze, ©. 1. stuhlmanni Misch., benannt nach unſerem verdienten Afrikaner und Begleiter Emin Paſchas. Dieſe dunklen Meerkatzen ſind alſo quer durch Mittelafrika verbreitet, ſo weit der Urwald reicht. Sie haben keinen Kinn— bart, dagegen einen ſehr reichlichen, rund abſtehenden Backenbart, und die Diadem-Meerkatze hat außer der weißen Stirnbinde, an die ihr deutſcher Name anknüpft, noch einen weißen Strich ſchief über den Oberſchenkel. Oben ganz dunkel, und zwar am Kopfe am dunkelſten, nach hinten heller, iſt auch die zweite im Kapland vorkommende Meerkatzenart, die Samango-Meerkatze, Cercopithecus samango Is. Geoffr. (labiatus), gefärbt, wieder mit der gelblichen Sprenkelung, die durch gelbe Farbenringe an den Haaren entſteht, und den in Schwarz verlaufenden Gliedern und Schwanz, nur daß dieſer an ſeinem Wurzelteil unten ſchmutzig weiß iſt, ebenſo wie Kinn, Kehle, Unterſeite des Rumpfes und Innenſeite der Glieder. Der Samango lebt im öſtlichen Kapland (Bezirk King Williamstown), Natal und Sulu— land bis Inhambane im Süden Portugieſiſch-Oſtafrikas, anderſeits aber angeblich (nach Peters) auch in Angola. Nach Turner findet man ihn nur im dichteſten Walde, gewöhnlich in dunklen, feuchten Senkungen, wo nur wenig Sonne hinkommt. Die Felle ſtanden einſt hoch im Preiſe und waren ſehr geſucht in vergangenen, beſſeren Zeiten der Sulus, weil ſie bei ihnen das Abzeichen einer beſtimmten Kriegerſchar bildeten. Denſelben weißen Schenkelſtrich wie die Diadem-Meerkatze hat auch die nach dem be— kannten Kongopionier benannte, von Kamerun und dem Kongo bis zum Weißen Nil und Rudolfſee verbreitete Brazza-Meerkatze, Cercopithecus neglectus Schl. (brazzae; Taf. „Bunte Meerkatzen“, 1), die überhaupt nach demſelben Grundſatz gefärbt iſt, nur viel heller und anſprechender: Rumpf graugrünlich geſprenkelt, Schwanz und Glieder mehr oder weniger ſchwarz. Bart und Kopfzeichnung find aber ganz anders. Der Brazza⸗Affe verdiente eigentlich 524 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartlge. den Namen „Diadem-Meerkatze“ durch ſeine goldrote, in der Mitte wirklich diademartig ſich verbreiternde Stirnbinde, hinter der noch eine ſchmälere ſchwarze Binde quer über den Kopf geht. Außerdem hat er einen ſtarken, weißlichen Kinn- und Kehlbart und iſt ſo auf den erſten Blick ſchon nicht zu verkennen: eine der eigenartigſten und zugleich ſchönſten Meerkatzen. Nach Bates heißt er in Südkamerun Arut oder Fün und findet ſich nur an den Flußufern. Dunkle, graugrünlich geſprenkelte Grundfarbe, auf Schwanz und Gliedern in Schwarz verlaufend, dazu rötliche Tönung auf dem Rücken haben auch einige Meerkatzenarten, die wir vielleicht am beſten an die Weißkehl-Meerkatze, Cercopithecus albogularis Sykes, ans reihen, die neuerdings aus Sanſibar und Deutſch-Oſtafrika ſo häufig lebend zu uns kommt. Sie hat aber mit ihren Unterarten eine viel weitere Verbreitung im ganzen afrikaniſchen Ur⸗ waldgebiet bis zum Buſen von Guinea; die noch dunklere Kameruner Lokalform, die Preuß⸗ Meerkatze, C. a. preussi Misch., iſt nach dem Kolonialbotaniker gleichen Namens benannt. Die echte, oſtafrikaniſche Weißkehl-Meerkatze verdankt ihren Namen heller Kehlfärbung und hat außerdem rötlichen Unterrücken. Nach Lydekker iſt ſie die größte aller eigentlichen Baum⸗ meerkatzen. Elliot gibt als Geſamtlänge 150 em an, davon der Schwanz 83 em. Am Kilimandſcharo iſt, nach Lönnberg (Sjöftedt), die Weißkehl-Meerkatze ſehr gemein in den ſogenannten Regenwäldern. Die Wadſchaggas fangen ſie dort in einer Art Korbfalle, die fie in den Pflanzungen aufſtellen; namentlich alte Weißkehlen bleiben aber wild und böfe, laſſen ſich kaum zähmen. Voſſeler fand den Kima, wie die Weißkehle im Suaheli heißt, mehr 3 A x in den Schluchten als auf den Höhen des Uſambaragebirges und ſah ihn da gewandt an den dünnſten Lianen über Waſſerfälle ſetzen. Gegen Abend hörte er den lauten Ruf von den zur Schlafſtätte erkorenen Wipfeln herab. „Zeitweiſe ſind die Zähne, wie beim Stummelaffen, wie ſchwarz lackiert, was wahrſcheinlich von einer beſonderen Nahrung herrührt, die ſie mit dieſem gemeinſam lieben.“ Auch im ſüdlichen Deutſch-Oſtafrika beſucht der Kima, nach Grote, viel die Buſchſteppen und die Kokospflanzungen und lebt zweifellos nicht zum wenigſten von tie— riſcher Nahrung: kleinen Reptilien und beſonders Heuſchrecken. Grote ſah ihn aber auch einer Blaurake den Kopf abbeißen und den immerhin doch ziemlich großen Vogel mit Behagen verzehren. Einen Gefangenen hatte Grote mit einem kurzen Strick an einer Stange feſtgemacht, über die ein Drahtring lief. Dieſer blieb leicht an einem Aſtſtumpf in der Mitte hängen. „Nachdem der Affe das mehrere Male erfahren hatte, löſt er jetzt regelmäßig den Ring vom Aſte, und zwar bevor er abwärts klettert.“ Derſelbe Affe, ein halbwüchſiges Männchen, hatte auch eine richtige Affenliebe zu einer jungen Zebramanguſte, die er zärtlich umfaßt hielt und jo eifer— ſüchtig bewachte, daß man ſie ihm nur mit Liſt wegnehmen konnte, wenn ſie gefüttert werden ſollte. Später, nachdem die Manguſte größer geworden war, ließ die Liebe erheblich nach. Ungefähr wie eine ins Rote ausgeartete Weißkehle: fuchſigrot vom Wurzelteil des Schwanzes bis an die Schultern herauf, alles Grau und Schwarz des Vorderteils und der Glied— maßen hell abgeblaßt, ſieht die Stairs-Meerkatze, Cercopithecus stairsi Sel., vom unteren Sambeſi, Moſambik und dem ſüdlichen Deutſch-Oſtafrika, aus; ſie iſt aber eine gute Art, noch beſonders ausgezeichnet durch einen feuerroten Haarkamm, der das Ohr von oben umſäumt. Auch Moloneys Meerkatze, Cercopithecus moloneyi Sel., vom Hochlande zwiſchen Njaſſa- und Tanganjikaſee, iſt heller: an den Seiten, auf Kopf und Beinen grau-, auf dem Rücken rotſprenkelig, Kinn und Kehle weißgrau; nur Arme und Schwanz ſind dunkel, dieſer bis faſt zur Wurzel, jene bis zur Schulter ſchwarz, ebenſo Hände und Füße. Weißkehl⸗, Dianas, Mona-Meerkatze und Verwandte. 525 Sehr kräftig und bunt färbt ſich ungefähr in demſelben Sinne Kandts Meerkatze, Cercopithecus kandti Misch. (insignis; Taf. „Bunte Meerkatzen“, 9, bei S. 522), vom Kiwuſee, aus, benannt nach dem verdienten Forſcher gleichen Namens, unſerem erſten Reſi— denten von Ruanda: die bunteſte Art der Gruppe. Die dunkel grauſtrichelige Grundfarbe bleibt aber immer noch erkennbar; nur legt ſich darüber auf dem Rücken ein kräftiges Braun— rot, auf den Gliedern, dem Kopfe und der Schwanzſpitze Schwarz, auf Backenbart und Stirn— binde ein gelblicher Ton. Sehr eigentümlich iſt das ſatte Ziegelrot der Unterſeite des Rumpfes und der Innenſeite der Glieder, das auch die Unterwolle des übrigen Körpers durchdringt. Das nackte Geſicht iſt um die Augen dunkel, um Mund und Naſe heller, mehr bleifarbig. Das erſte lebend eingeführte Stück dieſer ſeltenen, ſchönen Meerkatze lebte längere Zeit im Antwerpener Zoologiſchen Garten, ein zweites als Geſchenk des Hauptmanns v. Langem— Steinkeller im Berliner Zoologiſchen Garten und zeigte ſich da als ein ſehr zahmes und liebens— würdiges, auch wenig kälteempfindliches Tier. Eine der ſchönſten Arten, die Vollbart- oder Kappen-Meerkatze, C. l’'hoesti Sc., iſt nur ſelten lebend nach Europa gekommen. Sie hat ſchwarze Kappe, Schultern, Gliedmaßen, Unterſeite, Schwanzoberſeite und ⸗-ſpitze, langen weißen abſtehenden Vollbart und weiße Kehle, gelblichen Vorder- und rotbraunen Hinterrücken, dazu die Färbung des nackten Geſichts wie bei der Mona: bläuliche Augen- und fleiſchfarbene Schnauzengegend. Die Vollbart-Meerkatze bewohnt die zentralen Teile des Kongo-Urwaldes. An dieſer Stelle mag die Diana-Meerkatze, Cercopithecus diana L., aus Weſt⸗ afrika (Liberia), Platz finden, weil auch ſie die grauſprenkelige Grundfarbe hat mit rotbrauner Zeichnung auf dem Unterrücken, Schwarz auf Kopf, Gliedmaßen und Schwanz. Ihren Götter— namen, den man ihr ihrer Schönheit wegen wohl gönnen kann, verdankt ſie wohl einem halbmondförmigen weißen Diademſtreifen auf der Stirn; auch ein Hüftenſtreif, Hals, Bruſt und Oberarm ſind weiß; die Innenſeite der Schenkel iſt lebhaft roſtrot. Ihr auffallendſtes Merkmal, ein Spitzbart am Kinn, iſt kurz, an der Wurzel ſchwarz mit weißer Spitze. Eine Unterart von der Goldküſte, die Langbart-Diana, C. d. roloway Schreb. (Taf. „Bunte Meerkatzen“, 6, bei S. 522), die früher mit ihr zuſammengeworfen wurde, hat einen langen, weißen Spitzbart und weißliche oder gelbliche Innenſchenkel. Bei der Mona-Meerkatze, Cercopithecus mona Schreb. (Taf. „Bunte Meerkatzen“, 2, bei S. 522), von der Goldküſte, Kamerun und dem Nigergebiete (eingeführt in Weſtindien), iſt die Verteilung des Weiß auf Backen, Kehle, Bruſt und Innenſeite der Glieder ungefähr dieſelbe wie bei der Diana, nur daß ſie ſtatt des Spitzbartes fleiſchfarbige Mundgegend hat. Die rötliche Rückenfärbung, die an den Seiten mehr ins Grünliche ſpielt, zieht ſich aber viel weiter nach vorn, bis gegen den Hinterkopf hin; der Unterrücken iſt dunkel. Ein ſehr bezeich— nendes, wenn auch nicht gerade ſehr auffallendes Einzelmerkmal iſt ein keilförmiger weißer Fleck zur Seite der Schwanzwurzel. Campbells Meerkatze, C. campbelli erh., von Sierra Leone und der Inſel Fernando Po, kennzeichnet ſich zum Unterſchied von der Mona genügend ſchon dadurch, daß dieſe weißen Flecke und jegliches Rot auf dem Rücken fehlen. Beide Arten ſind in unſeren zoologiſchen Gärten nicht ſelten. 5 Nach der allgemeinen Färbungsweiſe gehört hierher auch die wunderhübſche Erxlebens Meerkatze, Cercopithecus grayi Fras. (erxlebeni; Taf. „Affen III“, 2, bei S. 530), mit ihrem rotbraunen Rücken, ſchwarzen Armen und ſchwarzem Schwanz. Sonſt zeichnet ſie ſich 526 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. durch ſtärkere Beimiſchung von Gelb auf den geſprenkelten Körperteilen aus, und ihr haupt⸗ ſächlichſtes Einzelmerkmal find ein ſchmaleres, mittleres und zwei breitere, ſeitliche ſchwarze Längsbänder, die von der Stirn über die gelblich geſprenkelte, zu einem Kamm aufgerichtete Kopfbehaarung nach dem Hinterkopf laufen. Noch heller, weiß, nur leicht ſchwarz geſprenkelt, find der Kopf und die Seiten des Scheitelkammes bei der von Büttikofer⸗Rotterdam abgetrennten Petronella-Meerkatze, Cercopithecus petronellae Bütt., die auch keine ſchwarzen, ſon⸗ dern olivgrüne Unterarme hat. Sie ift bis jetzt nur in wenigen Stücken vom oberen Kongo gekommen, während die gewöhnliche Art vom unteren Kongo und aus Südkamerun bekannt iſt. Sehr nahe verwandt iſt die bunte Wolfs Meerkatze, Cercopithecus wolfi Meyer (Taf. „Bunte Meerkatzen“, 10, bei ©. 522), die mit der Mona-Campbell-Gruppe zwar uns gefähr die Rücken-, Kopf- und Schwanzfärbung gemein hat, auf den erſten Blick aber durch ihre feuerroten Hinterbeine und bei näherem Zuſehen auch durch eine Haarfranſe von der⸗ ſelben Farbe am Ohr mit gar keiner anderen Art zu verwechſeln iſt. Sie iſt bis jetzt nur ſelten aus dem franzöſiſchen Kongo (Brazzaville) eingeführt worden. Es gibt auch Erdmeerkatzen; das ſind die Huſarenaffen, ſo genannt nach ihrer „roten Jacke“. Man ſtellt ſie wegen dieſer abweichenden Lebensweiſe mit Recht in eine be⸗ ſondere Gattung (Erythrocebus 7%%.), und fie erweiſen ſich als Erdläufer ſchon durch ihre langen, aber kurzzehigen Gliedmaßen, die ſie, obwohl tatſächlich viel größer als die übrigen Meerkatzen, noch größer erſcheinen laſſen. Die vorſpringende, ſeitlich zuſammengedrückte Schnauze des auffallend flachen, auch flach behaarten Kopfes enthält ein ſtarkes Gebiß, deſſen lange obere Eckzähne am Schädel über die ganze Breite des Unterkiefers wegragen. Das finſter blickende Geſicht ſieht aus, als wäre es mit ſchwarzem Kohlenruß beſchmiert und beſchmutzt; der bis nahe an die Augen heranxeichende Bart und die Unterſeite, Gliedmaßen und Schwanz find weißlich, Oberkopf und Oberſeite feuerrot. Innerhalb dieſer Grundfärbung treten aber viele Abänderungen auf im Zuſammenhang mit der weiten Verbreitung der Huſarenaffen quer durch Afrika von Se⸗ negambien und dem ägyptiſchen Sudan im Norden bis zum Nigergebiet und Deutſch-Oſtafrika im Süden. Daher hat man heute ſchon eine ganze Reihe von Formen unterſchieden. Am längſten bekannt iſt der Patas oder Gewöhnliche Huſarenaffe, Erythrocebus patas Schreb. (uber; Cercopithecus; Taf. „Bunte Meerkatzen“, 4, bei S. 522, u. Taf. „Affen III“, 4, bei S. 530), vom Senegal, der ſchwarz behaarte Naſe hat; ſpäter kam als öſtliches Gegenſtück der Nisnas oder Weißnaſige Huſarenaffe, E. pyrrhonotus H. E., aus Kordofan, Darfur und Sennar hinzu, der ſich durch weiß behaarte Naſe unterſcheidet. Auf weitere Beſchreibungen können wir uns nicht einlaſſen; es ſei deshalb nur noch geſagt, daß Matſchie mehrere neue Huſarenaffen unſerer Kolonien nach verdienten Kolonialmännern benannt hat. Ich habe den Huſarenaffen, ſoviel ich mich erinnere, nur einige Male in den Waldungen des Blauen Fluſſes oberhalb Sennars geſehen; Heuglin und Hartmann dagegen trafen ihn häufiger, und zwar vorzugsweiſe in den dünn beſtandenen Steppenwaldungen oder im Hoch- graſe, mit denen die Färbung ſeines Pelzes übereinſtimmt. Dort verſtehen ſich dieſe Affen vortrefflich zu verſtecken, und ſcheu und wachſam, wie ſie find, laſſen fie ſich nur mit den weit⸗ ſchießenden Büchſen von heute erreichen. Rainsford findet es nach ſeinen Erfahrungen in Britiſch-Oſtafrika ſchwerer, an einen Huſarenaffen heranzukommen als an irgendein anderes afrikaniſches Tier. Er traf den Huſarenaffen auf der Nſoia-Hochebene, die gar keinen hohen, vielfach überhaupt keinen Baumbeſtand hat. Deshalb wird der Wald aber doch nicht völlig 3 3 = E Wolfs Meerkatze. Huſarenaffen. Mangaben. Hamlyn-Meerkatze. 527 gemieden. Jeder Affe verſteht ſchließlich auch, auf dem Baume ſich zurechtzufinden, und De la Brue erzählt vom Senegal, wie Boote von einer Horde Huſarenaffen erſt von den unteren Aſten der Uferbäume argwöhniſch beobachtet und dann mit trockenem Holze beworfen worden ſeien. Als einige durch Schüſſe fielen, erhoben die Überlebenden ein fürchterliches Geſchrei und verdoppelten erſt noch einmal ihre Anſtrengungen mit Steinen, Aſten und anderen Wurf— geſchoſſen, ehe ſie flüchteten. In die zoologiſchen Gärten kommt der Huſarenaffe, namentlich aus Weſtafrika, nicht ganz ſelten, vermag aber trotz ſeines auffallenden Außeren nur wenig zu feſſeln. Sein Geſichtsausdruck iſt der eines Staatshämorrhoidariers, ewig mürriſch und unfreundlich näm— lich, und ſein Handeln ſtraft dieſen Ausdruck in keiner Weiſe Lügen. Solange er noch jung iſt, zeigt er ſich wenigſtens einigermaßen liebenswürdig; mit ſteigendem Alter aber nimmt ſeine Reizbarkeit immer mehr zu. An ein freundſchaftliches Verhältnis zwiſchen ihm und irgend— einem anderen Geſchöpfe, ſeine Mitaffen nicht ausgeſchloſſen, iſt kaum zu denken. Ein Blick erregt ſeinen Arger, Gelächter bringt ihn in förmliche Wut. Dann ſperrt er, ſo weit er kann, das Maul auf und zeigt die verhältnismäßig überaus großen Zähne, verſucht auch, falls es ihm irgend möglich, dieſe an dem verhaßten Gegner zu erproben. Ich erinnere mich nicht, jemals einen wirklich zahmen älteren Huſarenaffen geſehen zu haben, bin vielmehr nur mit wütenden und tückiſchen bekanntgeworden. Junge Huſarenaffen pflegen, wenn guter Laune, in einem ganz beſtimmten Takt auf allen vieren zu tanzen, und das ſieht gar nicht ungraziös aus, wirkt nur auf die Dauer etwas langweilig. Dieſe Neigung deutet ebenfalls auf ein Leben an der Erde hin. Der Menagerie des Pariſer Pflanzengartens wurde 1905 von einem Kolonialoffizier ein Weißling des Huſarenaffen zum Geſchenk gemacht. Im Frankfurter Zoo— logiſchen Garten hatte ſich einmal eine richtige Tierfreundſchaft zwischen einem jungen Huſaren— affen und einem Kaninchen ausgebildet, die bewies, daß auch dieſer als Grämling verſchrieene Affe der „Affenliebe“ zugänglich iſt. Beide ſaßen eng aneinandergeſchmiegt, der Affe „lauſte“ ſogar das Kaninchen, und dieſes lief hinterher und richtete ſich am Gitter auf, wenn der Freund dort hochkletterte. Nach Lydekker iſt es der Nisnas, der Huſarenaffe des Sudans, der jo oft auf den alt: ägyptiſchen Denkmälern dargeſtellt wird, und er iſt nach der Beſchreibung bei Alian ſicher auch der „Cebus“ des klaſſiſchen Altertums, der an den Küſten des Roten Meeres hauſt. Wenn ſchon bei den Huſarenaffen, ſo iſt die Abtrennung in eine eigene Gattung erſt recht begründet bei den noch größeren, meiſt eintönig dunkel gefärbten Mangaben oder Man- gabeys (Gattung Cercocebus E. Geoffr.), deren Name durch einen Irrtum des alten Buffon merkwürdigerweiſe an einen Bezirk der Inſel Madagaskar anknüpft, auf der es gar keine Affen, ſondern nur Halbaffen gibt. Die Mangaben kommen durch ihren langſchnauzigen Schädel mit den emporſtehenden Augenbrauenwülſten den aſiatiſchen Makaken näher, ganz beſonders aber, worauf wenigſtens die Syſtematiker ſehr viel geben, durch einen fünften am Hinterende vorſtehenden Höcker des letzten unteren Backzahns, und Matſchie ſpricht deshalb, anknüpfend an ihre langen Schwänze, gelegentlich von ihnen geradezu als „Langſchwanz-Makaken“. Und doch haben wir noch ein Zwiſchenglied zu den eigentlichen Meerkatzen einzuſchieben in Geſtalt der Hamlyn-Meerkatze aus dem Ituriwalde im innerſten Kongoſtaate, woher uns auch das Okapi gekommen iſt. Wir kennen bis jetzt bloß zwei Stücke, die in den zoo⸗ logiſchen Gärten von London und Antwerpen gelebt haben; dieſe genügten aber zur Über— zeugung, daß auch hier der fünfhöckerige Backzahn und der längere, zugeſpitzte Geſichtsſchädel 528 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. 2 der Mangaben vorhanden ſind, während ſonſt das Außere ſich noch mehr an die echten Meerkatzen anſchließt, durch die dunkle, oben ſchwarzgelblich geſprenkelte, unten und an den Gliedmaßen in Schwarz übergehende Färbung wohl am nächſten mit der Pluto-Gruppe zuſammenkommen würde. Elliot hatte daher vielleicht nicht unrecht, daß er die Hamlyn-Meerkatze zu einer eigenen Gattung (Rhinostigma Elliot) mit der einzigen Art Rh. hamlyni Poc. (Cercopithecus; Taf. „Bunte Meerkatzen“, 5, bei S. 522) erhob, und er knüpfte mit dem Namen (deutich: Naſenmarke) auch ganz treffend an eine noch ſonderbarere Geſichtszeichnung des Tieres an, als es die weiße Naſe der Weißnaſen iſt: einen breiten weißen Streifen, der ſich, zwiſchen den Augen beginnend, über die ganze Naſe herunter bis zu der Oberlippe zieht. Die eigentlichen Mangaben laſſen ſich wohl wieder in zwei Gruppen teilen: die kurz be⸗ haarten gewöhnlichen Mangaben, bei denen der ſchlanke, langgliederige und langſchwänzige Bau der Gattung beſonders deutlich hervortritt, und die Schopfmangaben, die zum Teil nicht nur auf dem Kopfe, ſondern auch ſonſt am Körper länger behaart ſind. Im einzelnen haben die Mangaben noch die eigenartigen Merkmale weißer Augenlider und verbindender Spann— häute zwiſchen den Fingern und Zehen, die ſich beim zweiten und dritten Finger und den ent— ſprechenden Zehen faſt über die ganze Länge ausdehnen. Einige Arten mit ſehr düſterer Fär⸗ bung haben vollkommen ſchwarze Junge, und dieſes abweichende Jugendkleid hat natürlich zur Aufſtellung „ſchlechter Arten“ geführt. Die Mangaben verbreiten ſich von der Weſt- bis zur Oſtküſte Afrikas, vom Guinea- und Kongogebiet bis nach Britiſch- und Deutſch-Oſtafrika; lebend eingeführt, und zwar mehrere Arten ſehr häufig, werden ſie jedoch in der Regel nur vom Weſten. Der Lebensweiſe nach ſind ſie im weſentlichen geſellige Baum- und Waldaffen, und im zoologiſchen Garten be— nehmen ſie ſich ungleich mehr als die eigentlichen Meerkatzen wie echte Affen im Sinne der zutraulichen und zudringlichen Hanswurſte und Fratzenſchneider für das Publikum. Immer in Bewegung und wechſelnder Laune ſchnattern fie bald Pfleger und Beſucher in Friechend- freundlicher Begrüßung mit gefletſchten Zähnen an und ſtrecken ihm Hände und Füße durch das Gitter entgegen; bald gehen fie mit zornigen, auf- und abſteigenden Grunztönen feindlich drauflos. Glauben ſie aber eine ernſtliche Gefahr im Anzuge, und für eine ſolche halten ſie in ihrem Gefangenleben vor allem das Fangnetz, ſo erheben namentlich alte Männchen ein rauhes, kurz abgebrochenes, wahrhaft dröhnendes Gebell. Der bekannteſte Vertreter, den man in jedem zoologiſchen Garten ſieht, iſt die Mohren- oder Rauchgraue Mangabe, Cercocebus fuliginosus E. Geoffr., von Sierra Leone und Liberia, in der Hauptſache rauchfarbig, wie der Name ſchon ſagt, mit nacktem, gelbbräunlich fleckigem Geſicht, einer richtigen „Tropengeſichtsfarbe“, gegen die die weißen Augenlider ganz eigentümlich abſtechen. Im Freileben ſah Büttikofer die Rauchgraue Mangabe, die er für Liberia als ziemlich jelten erklärt, meiſt auf der Erde, abgefallene Früchte ſuchend. Im Gefangenleben hält fie ſich gut, hat ſich im Berliner Zoologiſchen Garten auch fortgepflanzt; aus dem Zoologiſchen Garten von Cincinnati berichtet Zipperlen ſogar von der kaum glaublichen Geburt eines Miſchlings mit dem Mandrillweibchen, der ganz nach dem Mangabenvater ſchlug, aber leider nur einige Monate alt wurde. Sehr ähnlich, nur heller gefärbt bis zu weißlicher Unterſeite und fleiſchfarbenem Geſicht mit einem weißen Fleck hinten oben auf dem Kopfe iſt die Weißſcheitel-Mangabe, Cer- eocebus junulatus Zemm. (früher aethiops Is. Geoffr.), von der Goldküſte und Togo, die Hamlyns Meerkatze. Mohren-, Weißſcheitel⸗, Hut-, Hauben⸗, Rotkopfmangabe. 529 in unſeren zoologiſchen Gärten auch nicht allzuſelten iſt, und neuerdings kommt immer häufiger noch die mehr olivenbraun geſprenkelte Hutmangabe, Cercocebus agilis A. M.-E., aus Kamerun und dem franzöſiſchen Kongo hinzu, die ihren deutſchen Namen ſtrahlenförmiger An— ordnung des Kopfhaares über den Augen verdankt, ſo daß dieſe Haare zum Teil nach vorn ge— richtet ſind. Dagegen iſt die Haubenmangabe, wie man ſie nach dem ähnlich angeordneten, aber langen, die Ohren bedeckenden Kopfhaar nennen könnte, Cercocebus galeritus Pirs., Mohrenmangabe, Cereocebus fuliginosus E. Gegffr. Ys natürlicher Größe. aus Britiſch⸗(Tanafluß) und dem anſtoßenden Deutſch-Oſtafrika, bis jetzt erſt in einem Stück bekannt. Sie bildet vielleicht einen Übergang zu den Schopfmangaben. Noch häufiger faſt als die gewöhnliche Mohrenmangabe ſieht man in unſeren Affen⸗ häuſern die Rotkopf- oder Halsbandmangabe, Cercocebus torquatus Kerr (collaris; Taf. „Affen III“, 3, bei S. 530), aus Kamerun, Nigerien und dem franzöſiſchen Kongo, deren Hauptkennzeichen ſchon in ihren beiden Namen enthalten find: braunrote Kopfplatte und weiße Halszeichnung, die ſich bis auf den langen, nach hinten und oben gekrümmten Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 34 530 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. Backenbart ausdehnt. Sonſt iſt ſie im allgemeinen rauchfarbig, nur der Endteil des Schwanzes wieder weiß. Die Schopfmangaben waren vor wenigen Jahrzehnten noch ſo ſchlecht bekannt bei uns, daß eine ſchon damals hin und wieder lebend eingeführte Art trotz ihres Daumens hart- näckig als Stummelaffe (Colobus satanas) gehandelt und beſchildert wurde, während es in Wirklichkeit die Grauwangen- oder Mantelmangabe, Cercocebus albigena Gray, war, war Wen BETT die ſich, mit einigen Unterarten natürlich, von Weſt- bis nach Oſtafrika verbreitet, ſowohl zur Tierwelt von Kamerun als zu der von Deutſch-Oſtafrika gehört; in den Handel kommt ſie aber wohl meiſt, und neuerdings immer mehr, vom Kongo, jo daß fie heute keine Seltenheit mehr iſt. Das ſchopfige Kopfhaar iſt in der Mitte ſchwarz, an den Seiten grau, und dieſes Grau läuft über Wangen und Hals herunter bis zu den Schultern, wo es mantelartig noch etwas über die ſonſtige ſchwarze, ſo ſchon lange und reiche Körperbehaarung verlängert iſt. Unvollſtändige Weißlinge mit teilweiſe heller Behaarung oder wenigſtens hellfleckigen, fleiſchroten nackten Teilen kommen bei den Schopfmangaben allem Anſchein nach nicht ſehr ſelten vor, waren in den zoologiſchen Gärten von London, Rotterdam und Antwerpen ſchon zu ſehen und haben zu dem Wirrwarr der Namengebung noch mehr beigetragen. Nach den neueſten Unterſuchungen von Schwarz-Frankfurt a. M. beſteht neben der Grauwangen-Mangabe nur noch die Schwarze Schopfmangabe, Cercocebus aterrimus Oud., vom mittleren Kongo, als ſelbſtändige Art zu Recht: ſofort gekennzeichnet durch den hohen, ſpitzen, ſenkrecht emporſtehenden Haarſchopf mitten auf dem Kopfe und die glänzend ſchwarze Farbe des ganzen Körpers bis auf den langen, mattbraunen Backenbart. Sieht ein Affe mit ſolchem Aufputz in der regelrechten Farbe ſchon abſonderlich genug aus, ſo wirkt er als unvollſtändiger Weiß⸗ ling, hell behaart, mit fleiſchfarbenem Geſicht, Händen und Füßen, nur die mächtige, ſpitze Schopffriſur noch ſchwarz, ganz und gar wie die tollſte Ausgeburt einer Laune der Natur. Auch vollſtändige Weißlinge kommen vor (vgl. Taf. „Affen III“, 1). Die Mantelmangabe ſchildert Pechuel-Loeſche: „Der Mbukumbuku, ſo nennen ihn die Eingeborenen der Loangoküſte, findet ſich in ausgedehnten Wäldern, jedoch nirgends häufig, auch nicht in Banden, ſondern zu zweien und dreien, alte Männchen auch einzeln. Er iſt nicht ſo raſtlos wie die Meerkatzen, aber doch ebenſo behende im Gezweige und macht außerordent⸗ lich weite Sprünge; auch vermag er auf dem Boden recht ſchnell zu laufen und geſchickt zu ſchwimmen. Das Geſicht gewinnt durch den im Zorne aufgerichteten Haarſchopf und das ſtarke Gebiß einen zur Vorſicht mahnenden Ausdruck, zumal er auch, den Gegner fixierend, gern den Rachen aufreißt und mit dem Kopfe drohende Bewegungen macht. Der kräftigſte unſerer pommerſchen Schäferhunde wurde von einem ſolchen Affen einmal recht übel zugerichtet und ging ſpäterhin einem in Tſchintſchotſcho zahm lebenden vorſichtig aus dem Wege. „Den Namen Mbukumbuku hat er nach ſeinem Rufe erhalten, den aber wohl nur das Männchen ſo laut ſchallend hören läßt. Der Ruf iſt ein doppelter: entweder ein ſchnell und beliebig oft nacheinander hervorgeſtoßenes volltönendes Grunzen wie Hu⸗-u hu⸗u huzu‘ oder ein in Pauſen bedächtig wiederholtes tieferes Huch' oder, Huf. Bei dem bald kurz, bald lang betonten ‚Husu‘ wird die erſte Silbe durch Ausſtoßen, die zweite durch Einziehen der Luft er⸗ zeugt; es klingt polternd und grollend und wird unter Grimaſſen, Aufrichten des Schopfes, Krümmung des Rückens und oft ſenkrechter Stellung des langen Schwanzes vorgetragen. Da der ſtattliche ſchwarze Burſche es liebt, ſich manchmal minutenlang in dieſer Weiſe zu äußern, gewinnt man genau den Eindruck, als hielte er eine zornige Rede. In der Wildnis iſt er ... unter — — — K I. Schwarze Schopfmangabe, Cercocebus aterrimus Oud., Weißling. 2. Erxlebens Meerkatje, Cercopithecus grayl Fras. !/ıo nat. Or., s. S. 530. — Aufnahme aus dem Zoologischen Garten im Rotterdam. nat. Or., s. S. 525. — W. S. Berridge, F. Z. S.-London phot. — - * — 3. Halsband-Mangabe, Cercocebus torquatus Kerr. arenaffe, Erythrocebus patas Schreb. ½10 nat. Gr., s. S. 529. — W. P. Dando, F. Z. S.- London phot. o nat. Gr., 8. S. 526. — The Scholastic Photographic Co.-London phot. — 6. Rauhohr-Rhefus, Simla lasiotis Gray. 10 nat. Gr., S. S. 545. — P. Kothe-Berlin phot. — äp̃— 8. Bärenmakak, Simia arctoides Is. Geoffr. !/ıo nat. Or. s. S. 546. W. S. Berridge, F. 7. S.-London phot. 5. Perzinas Rhefusgruppe, rechts ein Drill. S. 538. — Jos. Bscherer-München phot. 7. Formoſa-Makak, Simia cyclopis Swirh. 1/ıo nat. Gr. s. S. 545. — P. Kothe-Berlin phot. en — 9. Blafjgelicht-Bärenmakak, Simla arctoides esau Misch. 1/10 nat. Gr. s. S.547. — P. Kothe-Berlin phot. Grauwangen⸗, Schwarze Schopfmangabe. 531 günſtigen Umſtänden gewiß mehrere Kilometer weit zu hören; dabei ſieht man ihn häufig am Flußufer auf einem mittelhohen Zweige, den er gleichſam als ſeine Kanzel erwählt und wieder verläßt, wenn er geendet hat. Doch habe ich auch beobachtet, daß er im dichten Walde, und während er Früchte verſpeiſt, gern ſeinen Ruf erſchallen läßt. Dies iſt recht vorteilhaft für den Jäger, der ihn verhören und ſich danach anſchleichen kann. Bei freudiger Erregung wandelt er das „Hu⸗ué in ein oft wiederholtes einfaches ‚Ho‘. Ein zahm in unſerem Gehöfte lebender und, Mohr genannter, ein ſchönes, ſtarkes Männchen, verfügte noch über vier Lautgruppen, um feine Wünſche kundzugeben. Zwei davon ließ er jo regelmäßig hören, daß man mit Bejtimmt- heit ſagen konnte, was Mohr wollte: ob Eſſen und Trinken, ob Beſeitigung irgendwelches Ungemaches oder Mißgeſchickes, wie es in einem Affenleben wohl vorkommen mag. Drang der vom Winde gepeitſchte Regen in ſeine auf einer Stange thronende Schlaftonne, und ver— langte er die ſeitliche Drehung der Offnung, ſo rief er ſelbſt des Nachts nach mir; ebenſo, wenn feine Leine ſich feſtgeklemmt hatte und feine Kräfte zum Ablöſen nicht hinreichten .. „Mohr beſaß jedenfalls eine hohe natürliche Begabung, und ſeine Geiſteskräfte ent- wickelten ſich unter unſerer Obhut bedeutend ... Er war anhänglich und dankbar, liebens— würdig mit denen, die ihm Gutes erwieſen, haßte aber unwandelbar von ganzem Herzen die, welche ihn abſichtlich und wiederholt gekränkt hatten. Unbändig und übermütig, kraftvoll und gewandt, war er ein guter Freund und ein ſchlimmer Feind, den man wie einen Hund auf unliebſame Perſonen hetzen konnte. Löſte er ſich, wie dies oft geſchah, einmal unerwartet von ſeiner Leine, ſo floh die Mehrzahl unſeres Geſindes in größter Eile. Denn denen, mit welchen er eine alte Rechnung auszugleichen hatte und die er unter vielen genau kannte, wußte er immer durch ſchnelle Angriffe beizukommen, riß ihnen die Kleider vom Leibe, zauſte ihnen das Haar, kratzte, ohrfeigte ſie und biß manchmal in bedenklicher Weiſe. Da er ſchwer und ſehr kräftig war, vermochte er beim erſten Anſpringen ſogar Erwachſene zu Boden zu werfen. Den Frauen und Mädchen, die des Morgens Wirtſchaftsbedarf anboten, tat er jedoch nichts, unterſuchte aber, dabei ſehr oft vom Gorilla unterſtützt, ihre Körbe und nahm, was ihm gut dünkte. Ab und zu fing er ſich auch ein Huhn oder eine Taube, die wir ihm aber ſchleunigſt wieder ab⸗ nahmen; deswegen entrann er einmal mit ſeiner Beute in den nahen Wald, kehrte aber am nächſten Tage ganz unbefangen zurück. Er war der beſte Spielgefährte unſeres Gorillas, balgte ſich mit ihm in tollſter Weiſe und hielt außerdem treue Freundſchaft mit dem Hammel Mfuka, der über Menſch und Tier im Gehöfte ſich das Recht des Ordnungsſtifters anmaßte. Dieſem, der ihn oft beſuchte, ſaß er bisweilen lange Zeit auf Hals und Kopf und trieb mit ihm allerlei nicht immer ſanfte Kurzweil. Gewöhnlich lag er an einer langen, dünnen Leine, ſo daß er noch das allgemeine Affenhaus, darin namentlich Schimpanſen und Meerkatzen lebten, erreichen und auf das Dach ſteigen konnte, deſſen Traufe etwas höher als mein Scheitel war. So groß war die Kraft und Sicherheit dieſes Affen im Springen, daß er, wenn ich mich bis gemeſſene 7 m weit von der Traufe aufſtellte, die Hände flach aneinander gedrückt ausſtreckte und komm Mohr! rief, mit frohem Grunzen, die Glieder weit geſpreizt, ges wiſſermaßen auf meine Hände flog und dort ſogleich in vollkommenem Gleichgewichte haften— blieb. Ging ich noch weiter ab, ſo verſagte er, dem Rufe zu folgen: er kannte ſeine Leiſtungs⸗ fähigkeit genau. Bevor er ſprang, ſah er ſtets erſt nach ſeiner Leine und warf ſie frei nach vorn, damit ſie ihn nicht hindere. „Mohr verſtand den kunſtvollſten Knoten ſeiner Leine zu löſen, wenn dieſer nicht noch beſonders durch Kupferdraht geſichert war, knüpfte aber niemals den entfernteren am Stan- genringe, ſondern den am Leibesgürtel auf. Hatte ſich ſeine Leine irgendwo verſchlungen, ſo 34* 1 532 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. unterſuchte er bedächtig ihren Verlauf, folgte dieſem rückwärts und entwirrte ſie. Unſere recht klugen Paviane vermochten ihm dieſe und ähnliche Kunſtſtücke nicht nachzutun: fie blieben ſtets auf die Hilfe des Menſchen angewieſen, die ſie geduldig erwarteten, aber nicht anriefen. Mohr erfand zu ſeiner und unſerer Beluſtigung ganz überraſchende Kunſtſtücke. Als einmal eine leere Kiſte in die Nähe ſeiner Stange geſtellt wurde, hüpfte er ſtampfend darauf an und erfreute ſich am Dröhnen des Hohlraumes. Dann überſprang er unermüdlich die Kluft zwiſchen Kiſte und Stange, verfiel aber bald auf eine ſchwierigere Ausführungsweiſe: er ſetzte 2 ſich auf die Kiſtenkante mit dem Rücken nach ſeiner Stange, ſprang, ſich rückwärts halb über⸗ ſchlagend, an dieſe, ſo daß er dort mit dem Kopfe nach unten anlangte, und wieder in um⸗ gekehrter Drehungsrichtung zur Kiſte. Dieſe Sprünge führte er ſchließlich jo ſchnell und ofte mals hintereinander aus, daß er wie ein Kautſchukball hin und her zu fliegen ſchien. Nicht lange, und er hatte es jo weit gebracht, daß er wenigſtens von der Kiſte zur Stange zu ſpringen vermochte, indem er ſich anderthalbmal rückwärts in der Luft überſchlug. Ferner beſaß er eine bei keinem anderen Affen in ſo auffälliger Weiſe hervortretende Vorliebe für das Schaukeln, die er in mannigfacher Weiſe zu befriedigen wußte. An einem ihm erreich⸗ baren Baume, an einem Hüttendache und an ſeiner Schlaftonne auf der Stange hatte er eine Anzahl Stellen ausgefunden, die er zweckvoll benutzte, um ſeine ſehr lange Leine durch Einklemmen oder Umwickeln zu befeſtigen und ſich am Ende, das ſeinen Leibesgürtel hielt, nach Herzensluſt in weitem Bogen hin und her zu ſchwingen. Dabei ging er mit bewunderns⸗ werter Bedachtſamkeit zu Werke und bemaß z. B. die Endlänge ſeines Strickes genau nach den Anforderungen; war ſie zu kurz oder zu lang, ſo ſtieg er nach oben und veränderte die Befeſtigung. Die einmal erprobte Weiſe wandte er ſofort wieder an, auch wenn ihm erſt nach R Monaten dazu abermals Gelegenheit geboten wurde, „. . Einige andere Affen der nämlichen Art, die ich in Faktoreien beobachten konnte, zeigten ſich ebenſo geiſtig regſam wie unſer ‚Mohr‘ und waren die Lieblinge ihrer Beſitzer.“ Ser * WET * Mit dem Namen Makak (aus dem portugieſiſchen macaco, Affe) bezeichnet man im wiſſenſchaftlichen Sinne eine artenreiche Gattung (Macacus, nach der neueſten oder vielmehr älteſten Namengebung Pithecus ZE. Geoffr.), deren Mitglieder bis auf eines im ſüdlichen und öſtlichen Aſien leben. Sie kennzeichnen ſich durch folgende Merkmale. Der Bau iſt unter⸗ ſetzt; die mäßig langen Gliedmaßen ſind kräftig. Die Stirn flieht zurück, überſchattet nur die Augen mit ſtarken Knochenwülſten; die Schnauze tritt ſtärker als bei den Meerkatzen vor, bleibt aber immer gerundet, die Naſenlöcher ſind nicht endſtändig; der Kinnladenteil iſt dick, der kurze Daumen und die beträchtlich längere Daumenzehe tragen platte, die übrigen Finger und Zehen hohlziegelförmige Nägel. An den nackten Hinterbacken machen ſich die großen Schwielen ſehr bemerklich. Der Schwanz ſpielt in verſchiedener Länge und Stärke, erreicht bei einzelnen beinahe Leibeslänge und iſt bei anderen faſt ganz verkümmert; ſeine Verküm⸗ merung iſt aber mehr auf Kleinheit der Wirbel als auf geringere Wirbelzahl zurückzuführen. Das Kopfhaar kann geſcheitelt ſein oder perückenartig von dem ſonſt faſt kahlen Scheitel herabfallen; der Backenbart kann fehlen, aber auch ſehr ſtark wuchern. ö Im Gebiß ſchließen ſich die Makaken an die Mangaben an, haben, wie dieſe, im Unter⸗ kiefer den großen hinterſten Backzahn mit der „Ferſe“ und dem fünften Höcker. Auch in ihren ſtumpfen Farben ſtimmen ſie mit den Mangaben überein; durch ihre derben, groben Körperformen treten ſie allerdings zu ihnen in einen gewiſſen Gegenſatz und noch mehr zu den echten Meerkatzen, zu deren Eleganz in Form und Bewegung und zu ihren ſchönen Farben. f 1 fa . 0 e Makak. ö 533 Anderſeits leiten fie wieder durch die plumpen, kurzſchwänzigen Arten zu den ſchweren, mächtigen, zundeſchnauzigen Geſtalten der Paviane über und ſtellen jo einen gewiſſen Zuſammenhang wiſchen der zierlichſten Meerkatze und dem gröbſten Hundsaffen her. In der Vorzeit waren die Makaken auch über einen großen Teil Europas verbreitet, und ioch in ihrer gegenwärtigen Verbreitung über Süd- und Oſtaſien nebſt Inſeln gehen fie am veiteſten nach Norden und über die Meereshöhe hinauf, bis nach Tibet, China und Japan. Auch in ihrer Lebensweiſe nehmen ſie inſofern eine gewiſſe Mittelſtellung zwiſchen Meerkatzen ind Pavianen ein, als ſie zum Teil auf den Bäumen, zum Teil aber auch viel an der Erde eben. Dieſe letzteren Arten ſind, eben durch das Erdleben mit der geringeren Fluchtgelegen— heit, zu ſehr wehrhaften, nicht nur verteidigungsbereiten, ſondern auch angriffsluſtigen Tieren geworden, und das drückt auch in der Gefangenſchaft ihrem ganzen Weſen das Gepräge auf. Für die zoologiſchen Gärten müſſen die Makaken die Hauptmaſſe des Affenbeſtandes liefern; nit ihnen pflegt man die großen Geſellſchaftskäfige der Affenhäuſer zu füllen, und da müſſen ie dann als Hanswürſte und Raufbolde dem lach- und neckluſtigen Publikum herhalten. Für den verantwortlichen Pfleger und wirklich tierfreundlichen Liebhaber iſt das natürlich nichts veniger als ein erfreulicher Zuſtand; aber das „ſouveräne Volk“ will es ſo, und die Affen entwickeln ſich dieſer „Erziehung“ entſprechend. In der Jugend harmlos und ſpielluſtig, zu— raulich und zum Zahmwerden geneigt, verwandeln ſie ſich nach einigen „Dienſtjahren“ im zroßen Affenkäfig in mehr oder weniger bösartige und gefährliche Radaubrüder und Beißer, bor denen ſich nicht nur die Beſucher, beſonders die Kinder, ſondern auch die Wärter vorſehen nüſſen, und verſchlimmernd wirkt dabei noch der ungünſtige Umſtand, daß man an dieſe geiſtig zanz und gar auf ein Herdenleben unter Artgenoſſen mit ſtrenger Rangordnung nach der Stärke des einzelnen eingeſtellten Tiere, wie unſere Affenhäuſer von früher gebaut ſind, durch wangsweiſe Geſelligkeit mit anderen, durch ihr ganzes Gehabe fremden Arten allerlei wider: natürliche Zumutungen ſtellen muß. Die Folge ſind Beißereien, Zank und Streit, wie wir das ja auch in der allgemeinen Einleitung zu den Affen (S. 428) ſchon dargelegt haben. Wenn die Makaken, wie ſie ſich notgedrungen im zoologiſchen Garten entwickeln, alſo auch ihre Schattenſeiten haben, ſo erfreuen ſie anderſeits doch wieder durch ihre geiſtigen Fähigkeiten, die bei jeder Gelegenheit unverkennbar hervortreten und ſie, im zoologiſchen Garten wenigſtens, den eigentlichen Meerkatzen weit überlegen, den Mangaben gleichwertig erſcheinen laſſen. Körper⸗ lich eignen ſie ſich vortrefflich für die Gefangenſchaft, halten am längſten in ihr aus und pflanzen ſich am leichteſten in ihr fort. Daher weiß man auch, daß ſie 7 Monate trächtig gehen. Während der Brunſtzeit ſchwellen die Geſchlechtsteile der Weibchen ſtark an wie bei den weib- lichen Pavianen. Wir verfolgen die verſchiedenen Arten von den langſchwänzigen durch die mittelſchwänzigen zu den kurz- und ſtummelſchwänzigen, wonach man die Makaken neuerdings natürlich wieder in mehrere Gattungen zerlegt hat, wenn fie auch vielfach noch in der Haupt⸗ gattung Pithecus E. Geoffr. (Macacus, Cynomolgus) vereinigt werden. Die langſchwän— zigen kann man als Pithecus E. Geoffr. zuſammenfaſſen, die mittel- bis ſtumpfſchwänzigen als Simia L. (uus) und die ringelſchwänzigen als Nemestrinus Rehb. Die Art, die der ganzen Gruppe den Namen gegeben hat, iſt der langſchwänzige Makak oder Javaneraffe, Monjet der Javaner, Kra der übrigen Malaien, Pithecus fascicu- laris Raffl.(Macacus, cynomolgus). Er erreicht eine Länge von höchſtens 1,15 m, wovon der Schwanz 50—58 em wegnimmt, und eine Schulterhöhe von etwa 45 em. Der Backenbart iſt ſehr kurz, das Kopfhaar bei alten Männchen flach niedergedrückt, bei Weibchen und Jungen — 44 584 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. mehr oder weniger kammartig in der Mitte aufgekrempelt; der übrige Pelz hat auf der Ober⸗ ſeite olivenbräunlichgrüne, mit Schwarz untermiſchte, auf der dünner behaarten Unterſeite weißlichgraue, die Innenſeite der Gliedmaßen graue, Hände, Füße und Schwanz ſchwärzliche Färbung; das Geſicht ſieht bleigrau, zwiſchen den Augen weißlich aus; die Ohren find ſchwärzlich; die Augenlider find weiß, wie bei den Mangaben; die Iris ift braun. Ein ganz weißer Makak, ein vollſtändiger Weißling, wurde 1913 vom Frankfurter Zoologiſchen Garten erworben. Der Makak iſt überall, wo er vorkommt, häufig. Er verbreitet ſich von Hinterindien her bis an den Meerbuſen von Bengalen, auf die Andamanen- und Nikobaren-Inſeln, anderſeits nach Oſten bis auf die Philippinen und bildet namentlich durch ſein zahlreiches Inſelvorkommen eine ganze Reihe unterſcheidbarer geographiſcher Formen, die, wenn auch äußerlich oft zum Verwechſeln ähnlich, nach Angabe der Beſchreiber mitunter „ganz verſchiedene Schädel“ haben. Er DE Um dieſe Makakenformen hat ſich Elliot neben ſeinem bekannten Landsmann Miller jehr ver⸗ dient gemacht: in ſeinem großen Affenwerk führt er deren 26 auf. Auch im zoologiſchen Garten ſchon verraten ſich dem aufmerkſamen Beobachter Verſchiedenheiten unter den Makaken durch die wechſelnden Farbentöne von dunklem Grünlichgrau durch Gelblich bis zu Rötlich mit bald ſchwärzlich dunkler, bald hellerer Gliedmaßen- und Schwanzfärbung. Auf der Inſel Mauritius iſt der Makak nach alten Schriftſtellerzeugniſſen ſchon in den Zeiten der portugieſiſchen Seefahrer eingeführt worden. Auch im Tierhandel gehört der „Javaner“ zu der gewöhnlichſten Ware, die ſtets billig verkauft wird; neuerdings iſt er jedoch von dem Rheſus zurückgedrängt worden. Die ausführlichſten mir bekannten Bemerkungen über den Monjet, alſo den eigentlichen Javaneraffen von Java, nach der neueften-Namengebung Pithecus fascicularis mordax Thos. Wrought. (Macacus), verdanken wir Junghuhn: „Der Monjet ißt gern Früchte von allerlei Bäumen und kommt daher in den Urwäldern bis zu einer Höhe von 1600 m ebenjo häufig vor wie in den Rhizophorenwaldungen des Seeſtrandes, wo man ihn oft genug umher⸗ ſpazieren ſieht, um die Krabben und Muſcheln aufzuleſen und zu verzehren, welche die Flut auf dem Geſtade zurückließ. Er hält ſich ſtets in Banden von 10—50 Stücken zuſammen. Oft kann man ſich an den Kapriolen dieſes fröhlichen, auch in der Wildnis durchaus nicht ſcheuen Affen beluſtigen, wenn man die Weibchen mit ihren Jungen, welche ſich feſt an die Bruſt der Mutter angeklammert haben, dort in den Bäumen umherſpringen ſieht, oder wenn man andere erblickt, welche, unbekümmert um den zuſchauenden Reiſenden, ſich auf den weit über den Spiegel eines Baches herüberhängenden Zweigen ſchaukeln.“ Durch Martens erfahren wir, daß der Affe, den man am häufigſten bei den Europäern in Java zu ſehen bekommt, unſer Makak iſt. Man hält ihn oft in Pferdeſtällen, wie bei uns Böcke und Kaninchen: die Javaner ſagen, die Pferde langweilen ſich dann nicht ſo ſehr und gedeihen beſſer. Blanford teilt mit, daß der Makak vortrefflich ſchwimme und tauche, und erzählt, auf Tickell ſich ſtützend, daß ein gefangener nicht nur aus dem Boote ſprang, ſon⸗ dern auch tauchte, einmal an 50 m weit, um ſich feinen Verfolgern zu entziehen. In unſeren Tiergärten und Tierſchaubuden bildet der Makak einen weſentlichen Teil der Bewohnerſchaft, und hier wie dort erwirbt er ſich Freunde. Seine Bewegungen ſind ent⸗ ſchieden plumper als die der Meerkatzen, immer aber noch behende genug. Auch er iſt ein ununterbrochen munterer, mehr oder weniger gutmütiger Affe, verträgt ſich meiſt leidlich mit ſeinesgleichen und den ihm verwandten Arten, weiß ebenſo mit größeren Affen auszukommen und ſich ſogar in die Laune der Paviane zu fligen oder ihren Grobheiten zu begegnen, wenn er in die Lage kommt, mit ihnen ſich abgeben zu müſſen. Daß er ſeinerſeits Hilfloſe nach Kräften bemuttert, kleinere aber ebenſo ſchlecht behandelt, wie er von größeren ſich behandeln e,, 97 © 5 ale ee . ec 5 : 4 Makak. Eigentlicher Javaneraffe. 535 läßt, iſt allgemeine Affenart. Er bekundet auch dieſelbe Wetterwendiſchkeit des Weſens. Eben noch äußerſt gemütlich und gutmütig, iſt er im nächſten Augenblicke einer Kleinigkeit halber höchſt entrüſtet, erzürnt und boshaft; eben noch überfließend vor lauter Zärtlichkeit gegen einen Mitaffen oder ſeinen Wärter, maulſchellt er in der nächſten Minute jenen und verſucht, dieſen zu beißen. Doch muß ich zu ſeinem Ruhme ſagen, daß auch er für gute Behandlung in hohem Grade empfänglich iſt. Seine Zähmung verurſacht deshalb kaum nennenswerte Mühe. Wer ihn einige Male fütterte oder ihm einen Leckerbiſſen zuſteckte, erringt bald ſeine vollſte Freund— ſchaft und zuletzt eine wirklich dauernde Anhänglichkeit. Denn wenn auch kleine Zerwürfniſſe zwiſchen ihm und dem Pfleger an der Tagesordnung ſind, ſo ſtellt ſich das alte Verhältnis doch ſofort wieder her, ſobald irgendeine andere Einwirkung von außen ſich geltend macht und unſeren Affen in Verlegenheit ſetzt. Neugierig in vollem Maße, der Langenweile entſchieden abhold und für jede Anderung der Lage äußerſt empfänglich, läßt der Makak leichter noch als die in dieſer Hinſicht gleichgearteten Paviane durch Erregung ſeiner Aufmerkſamkeit nach Be— lieben ſich leiten und lenken und ſelbſt im höchſten Zorne ſofort verſöhnen, jo daß ſeine Be— handlung auch in dieſer Hinſicht ſehr leicht iſt. Seine Stimme iſt in der Erregung ein gewiſſes dumpfes Knurren und Grunzen, in der Angſt aber, zumal bei jungen, natürlich auch ein Zetergeſchrei. Als Ausdruck der Freundlich— keit und Unterwürfigkeit übt er vor allen anderen Affen das bekannte grinſende Schmatzen und Schnattern, mit dem auch jeder Menſch ihn freundlich ſtimmen kann, wenn er es ihm vormacht: es iſt eben ſein „Komment“. Im Freileben wird ſich der Makak wie ſeine Verwandten von Pflanzenſtoffen und Inſekten ernähren; außerdem frißt er Krabben. In der Gefangenſchaft nimmt er mit dem einfachſten Futter vorlieb, wie er ſich beim Freſſen überhaupt als ein höchſt anſpruchsloſer Geſelle zeigt. Ein Stück Brot, im rechten Augenblick ihm dargebracht, erſcheint als ein ausgezeichneter Lecker— biſſen, während es, wenn er ſich geſättigt hat, achtlos fortgeworfen wird; eine Handvoll Körner, vor ihm auf den Boden geſtreut, erregt ihn zum eifrigſten Aufſuchen und zum ſchleunigſten Anfüllen der Backentaſchen, ſelbſt wenn er den Futternapf eben verlaſſen hat; ein Zweig mit grünen Blättern, Knoſpen oder Blüten, vom erſten beſten Baume gebrochen, wird mit Behagen entblättert und Blatt und Blüte, Knoſpe und Zweigſpitze anſcheinend mit demſelben Vergnügen verzehrt. Milch trinkt der Makak leidenſchaftlich gern; Milchbrot genießt er noch im Alter mit Vorliebe. An Fleiſchkoſt läßt er ſich gewöhnen, überhaupt bald dahin bringen, die Ge⸗ richte der menſchlichen Tafel zu teilen. Auch geiſtigen Getränken iſt er keineswegs abhold, und einmal an dieſe gewöhnt, zieht er ſie allen anderen vor. Je reicher man ihm ſeine Tafel beſchickt, um ſo wähleriſcher zeigt er ſich. Trotzdem kann man ihn kaum verwöhnen, weil er im Notfalle ſich wiederum mit dem einfachſten Futter begnügt und dieſes ſcheinbar mit dem— ſelben Behagen verſpeiſt wie die beſte Leckerei. Gefangene Makaken pflanzen ſich ziemlich häufig im Käfig fort, paaren ſich zuweilen auch mit Verwandten und erzeugen dann lebenskräftige Blendlinge. Ein ſolcher wurde z. B. neuer⸗ dings im Zoologiſchen Garten zu Halle mit dem verwandten Rheſus erzeugt und bildete in Kopfform, Schwanzlänge und Behaarung ein ganz eigenartiges Mittelding zwiſchen beiden, iſt im ganzen aber doch mehr nach dem Makaken geſchlagen. Die Tragzeit dauert ungefähr 7 Monate. Wie innig Makaken an ihren Kleinen hängen, mag aus folgender Beobachtung hervorgehen. Unter der Geſellſchaft eines Affenkäfigs befand ſich auch das Junge eines Ma⸗ kakenweibchens, das von der Mutter bereits ſeit Monaten getrennt worden war. Letztere be⸗ wohnte einen anderen Käfig, von dem aus ſie jenen überſehen konnte. Als nun gelegentlich der 536 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. 536 9 8 9 Wintereinrichtungen eine Jagd auf jene Affen begann, folgte die Alte mit ängſtlichen Blicken jeder Bewegung des Wärters und ſchrie laut auf, ſooft dieſer ihrem Kinde ſich näherte. Das fiel auf, und ſie erhielt infolge ihrer Teilnahme das Kind zurück. Augenblicklich ergriff ſie es, nahm es in die Arme und liebkoſte es auf das zärtlichſte. Eine Makakin des Berliner Zoologiſchen Gartens hat ſich ſeinerzeit um die Frauenheil— kunde dadurch verdient gemacht, daß der bekannte Gynäkolog Veit an ihr den Kaiſerſchnitt machte, um gewiſſe Vernähungsarten der Bauchhaut auszuprobieren. Sie überſtand die Ope⸗ ration vortrefflich und lebte noch lange Jahre. Für den Makaken als Hausgenoſſen, aber in Rückſicht auf alles Bewegliche und Zer— brechliche nur an der Kette, bricht Haas-Königswald eine Lanze. Sein Liebling, der übrigens nicht nur ſehr gern Mehlwürmer fraß, ſondern ſich auch eifrig und geſchickt Fliegen fing, ein junges Weibchen, hatte eine ausgeſprochene Abneigung gegen Frauen, auch Frau und Tochter ſeines Herrn, verband ſich aber ſehr bald in inniger Freundſchaft mit einer Katze, die ſich ebenſobald alles von ihm gefallen ließ, nur unangenehm wurde, wenn er ihr an den Krallen herumknabbern wollte. — Eine kleine von Joh. v. Fiſcher gehaltene, ſtets frei umherlaufende Javaäffin, die ſo ſanft und ſchüchtern war, daß ein mit erhöhter Stimme geſagtes Wort genügte, um ſie von irgend etwas abzuhalten, gab auch die unzweideutigſten Beweiſe, daß ſie nicht nur Laune und Stimmung ihres Herrn ihm vom Geſichte abzuleſen verſtand, ſondern ſich auch ſtets aufs eifrigſte, ängſtlichſte bemühte, dies zu tun. Zu dieſem Zwecke beobachtete ſie ihren Herrn beim Nachhauſekommen ganz verſtohlen, zur Begrüßung leiſe murmelnd und ſchnatternd, von einer Zimmerecke aus und verſchwand lautlos in ihrer Schlafkiſte, wenn er wirkliche oder geheuchelte ſchlechte Laune zeigte. Lachte er dagegen oder antwortete er auf ihre Annäherungs— verſuche durch freundliche Mienen und Gebärden, ſo kam ſie in großen Sätzen und mit lautem Freudengeſchrei angeſprungen und ſchmiegte ſich, freundlich ſchnatternd, in ſeinen Schoß. Schnitt er dann plötzlich eine Grimaſſe, während er ſie ſtarr anblickte und die Stirn in Falten legte, jo ſprang fie unter gellendem Angſtgeſchrei wieder vom Schoße herab und ſuchte ihr Heil in eiligſter Flucht. In unſeren Affentheatern ſpielt der Makak eine beſtimmte, nicht allzu eng begrenzte Rolle, gewöhnlich als Aufwärter oder Diener, ſeltener als Reiter. Seine Abrichtung erfordert, nach mündlicher Verſicherung Sachkundiger, größere Mühe als die Abrichtung der Paviane, aber weniger Mühe als die Einſchulung des Magots. Minder häufig als der Makak kommt uns der ebenfalls langſchwänzige Hutaffe, Bandar, Makadu, Manga der Inder, Pithecus sinicus L. (Macacus, radiatus) zu Geſicht. Seine Leibeslänge beträgt höchſtens 50 em, ſein Schwanz iſt etwas länger. Der Leib iſt ziemlich ſchmächtig, die zuſammengedrückte Schnauze weiter vorgezogen als bei jenem, das Kopfhaar vom Scheitelpunkte aus ſtrahlig ausgebreitet, die Stirn faſt, das Geſicht ganz nackt, beide hell fleiſchfarbig, ebenſo Ohren, Hände und Füße, ſoweit unbehaart; der Pelz iſt ziemlich kurz, die Färbung der Oberſeite ein fahles Grünlichgrau, das durch den Geſamteindruck der grauen, ſchwarz und gelb geringelten Haare hervorgerufen wird, die der Unterſeite weißlich. Der Hutaffe bewohnt, nach Blanford, den Süden Vorderindiens, an der Weſtküſte bis in die Nähe von Bombay, an der Oſtſeite kaum bis zum Godawari. Er kommt überall auch in die Dörfer und Städte herein; denn die Eingeborenen betrachten ihn als ein heiliges Weſen und erlauben ihm nicht bloß, in ihren Gärten nach Luſt und Willkür zu ſchalten und ihre Getreide— ſpeicher zu plündern, ſondern errichten ihm noch beſonders Tempel und bauen Fruchtgärten für SS eee i ee S ene — Hutaffe. 537 ihn an, um dem ſauberen Heiligen ihre Ehrfurcht zu beweiſen. Das hindert aber nicht, daß er doch als Spaßmacher zahm gehalten und auch zum Gelderwerb ausgenutzt wird, z. B. durch ſeine Schwimm- und Tauchfähigkeit. Solch ein zahmer Hutaffe tauchte zum größten Vergnügen der Gurkhaſoldaten nach Futter, manchmal 12 — 15 engl. Fuß (etwa 4½ m) tief. Ganze Horden ſieht man, einen hinter dem anderen, über die Flüſſe ſchwimmen, die Jungen oben auf den Müttern in deren Genick ſitzend. An Gefangenen kann man beobachten, daß ſie beim Tauchen die Augen offen halten und fi) überhaupt im Waſſer bewegen wie in ihrem Element. Hutaffe, Pitheeus sinieus L. ½ natürlicher Größe. In ſeinem Weſen iſt der Hutaffe ein echter Makak, d. h. wetterwendiſch wie irgendein anderer ſeiner Ordnung. Seine Launen wechſeln ohne offenſichtliche Urſache in jedem Augen— blick, und daher kommt es, daß man eigentlich niemals recht weiß, wie man mit ihm daran iſt, wenn man nicht ſeinen „Komment“ kennt. Die Munterkeit ſeines Weſens und ſeine Ge— lehrigkeit laſſen jedoch ſeine Unarten und fein gemeines Geſicht vergeſſen, das gerade durch die helle, menſchenähnliche Haut um jo gemeiner wirkt. Ein wahres „Verbrechergeſicht“! Im allgemeinen darf man ſagen, daß ſich der Hutaffe in ſeinen Sitten und Gewohn— heiten, in der Art und Weiſe ſeiner Bewegung, ſeines Gebarens, überhaupt des geſamten Auftretens wenig von dem gewöhnlichen Makaken unterſcheidet. Entſprechend feinem abſonder⸗ lichen Geſichte, dem der auf die Stirn hereinfallende Haarſchopf einen ganz eigentümlichen Ausdruck verleiht, ſchneidet er vielleicht noch mehr als jener Grimaſſen und Fratzen. 538 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. Auch der Hutaffe iſt ſchon öfter gezüchtet, und ebenſo hat man Miſchlinge von ihm erzielt, vor allem natürlich mit den nächſtverwandten und häufigſten Arten, dem Javaner im Zoolo⸗ giſchen Garten Halle und dem Rheſus im Zoologiſchen Garten Leipzig. Auf Ceylon vertritt den Hutaffen ein nur dort heimiſcher Verwandter, der Ceylon-Hut⸗ affe, Rilawa der Singaleſen, Pithecus pileatus Shaw (Macacus), der ſich aber in ſeinem ganzen Außeren ſo erheblich unterſcheidet, daß er gar nicht zu verwechſeln iſt: ſchon durch das rauhe, rotbraune Haar und das rotpockige Geſicht, beſonders aber durch das lange, in einem Schopf wirr emporſtehende und nach außen gekrümmte Kopfhaar, durch das er gegen den ſchön friſierten Hutaffen wie ein wahrer „Struwwelpeter“ erſcheint. Die Haut an der Unterſeite des Rumpfes und der Innenſeite der Glieder iſt eigentümlich blaufleckig. Der Rilawa ſteht in ſeiner Heimat bei jedermann in großer Gunſt und iſt der allgemeine Liebling der Eingeborenen wie der Europäer. Die Schlangenbeſchwörer und andere Herum⸗ ſtreicher lehren ihn den Tanz und ähnliche Künſte, kleiden ihn, wie die Affenführer früherer Jahrzehnte bei uns es zu tun pflegten, in auffallende Tracht, ziehen mit ihm von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt und laſſen durch ihn ſich ernähren, ſo gut und ſchlecht es eben gehen will. Tennent, der die obigen Mitteilungen macht, fügt noch hinzu, daß ſich der Rilawa leicht an Tabaksgeruch gewöhnen läßt, wozu ich zu bemerken habe, daß mir das in keiner Weiſe auffällig erſcheint. Viele Affen lieben den Tabaksrauch mit einer gewiſſen Leidenſchaft. In unſere Tiergärten gelangt der Ceylon-Hutaffe verhältnismäßig ſelten. Eine beſondere, in ſich geſchloſſene Gruppe bilden die mittel- bis ſtummelſchwänzigen, rauhhaarigen Makaken, deren bekannteſte Vertreter der Rheſus und der Magot ſind. Man kann fie als Simia L. (Inuus) zuſammenfaſſen und würde dann als das Verbreitungsgebiet Indien, Südchina, Japan und Teile Nordafrikas zu bezeichnen haben. Der gemeinſte, meiſteingeführte und gehaltene Affe iſt heute unbedingt der Rheſus oder Bunder, Simia rhesus Audeb. (Inuus, erythraeus; Taf. „Affen III“, 5, bei S. 531), mit dem wir zu den kürzer geſchwänzten Makakenarten übergehen. Er erreicht eine Länge von 50—60 em; ſein Schwanz mißt etwa 25 cm. Er iſt von kräftigem, unterſetztem Bau, am Oberleibe reichlich, am Unterleibe ſpärlich behaart. Seine ſehr ſchlaffe Haut bildet am Halſe, der Bruſt und dem Bauche wammenartige Falten. Die Färbung des Pelzes iſt oben grünlich oder fahlgrau, an den Schenkeln und dem Geſäße mit hellgelblichem oder rötlichem Anfluge, an der Unterſeite weiß, die des Schwanzes oben grünlich, unten graulich. Geſicht, Ohren und Hände ſind licht fleiſch- bis kupferfarben, die Geſäßſchwielen lebhaft rot gefärbt. Daher heißt der Rheſus mitunter auch Rotſteiß. In zorniger Aufregung rötet ſich das Geſicht wie beim Menſchen, und auch das rote Hinterteil färbt ſich noch ſtärker. Das Weibchen trägt ſeinen Schwanz gewöhnlich hängend, das Männchen bogig ab- und einwärts gekrümmt. Eine Aus⸗ artung ins Rote mit beſonders heller Haut und ohne jedes Grau im Fell wird im Berliner Zoologiſchen Garten gehalten und vererbt ſich bei Reinzucht gut weiter. Der Rheſus iſt gemein in Vorderindien von Bombay und Gudſcherat im Welten und dem Godawarifluß im Oſten nordwärts bis in den Himalaja. In Kaſchmir findet er ſich, laut Blanford, annähernd bis 2000 m hoch, bei Simla wahrſcheinlich noch höher, in Nepal und Sikkim in niedrigeren Gegenden. „Ich ſah dieſe Affen“, berichtet Hutton, „wiederholt im Februar, obgleich der Schnee nahe bei Simla 10 —15 em hoch ‚lag, zur Nachtzeit auf den Bäumen ſchlafen, augenſcheinlich ohne alle Rückſicht auf die Kälte. Der Winter ſcheint ſie wenig zu behelligen; ja es kam mir ſogar vor, als ob ſie im Winter häufiger in der Gegend Simlas Ceylon⸗Hutaffe. Rheſus. 539 vorkämen als bei heißem Wetter. Zuweilen bemerkte ich ſie ſpringend und ſpielend unter den Nadelbäumen, deren Aſte mit Schneelaſten bedeckt waren; ich ſah fie noch bis zu 3000 m über dem Meere, ſelbſt im Herbſte, als in jeder Nacht harte Fröſte fielen. Doch wird aus ver— ſchiedenen Ortlichkeiten, in welchen der Bunder vorkommt, gemeldet, daß er ſich beim Heran— nahen des Winters in die Ebene zurückziehe. In Bengalen bewohnt er dichte Bambusgebüſche, mit beſonderer Vorliebe diejenigen, welche die Ränder ſchmaler Wäſſerchen umſäumen. Denn auch er liebt das Waſſer in hohem Grade, ſchwimmt vorzüglich und beſinnt ſich, verfolgt, keinen Augenblick, ſich ins Waſſer zu ſtürzen, tauchend eine Strecke unter demſelben wegzuſchwimmen und dann an irgendeiner Stelle zu landen.“ Er findet ſich nicht ſelten in ſehr zahlreichen Banden, beſonders in der Nähe von Waſſer. Seine Nahrung beſteht aus Früchten, Sämereien und Inſekten aller Art; man ſieht ihn häufig auf dem Boden nach Futter ſuchen. Der Rheſus iſt überhaupt mindeſtens ebenſoſehr als Boden, Erd- und Felſenaffe zu betrachten wie als Baumaffe. Darauf deutet ſchon ſein mutiges, wehrhaftes Weſen hin. Gemäß dieſem geht es bei den Banden ſehr lebhaft zu; denn die Tiere ſind unverträglich, balgen und beißen ſich beſtändig unter entſprechendem Gelärme. . Auch der Bunder, Bandar und Markat der Inder ſoll nach manchen Gewährsmännern heilig gehalten werden. Blanford gibt indeſſen neuerdings an, daß dem nicht ſo ſei, daß aber der Bunder tatſächlich in keinerlei Weiſe beläſtigt werde und darum an manchen Orten ſich ebenſo unverſchämt wie der Hulman betrage. Übrigens bleibt es bei vielen von Reiſenden mitgeteilten Geſchichten auch recht zweifelhaft, welche Affenart darin eine Rolle ſpielt. „Als ich durch eine der Straßen in Bindrabun ging“, erzählt Kapitän Johnſon, „folgte ein alter Affe mir von Baum zu Baume, kam plötzlich herunter, nahm mir meinen Turban weg und entfernte ſich damit in kurzer Zeit, ohne wieder geſehen zu werden. Ich wohnte einſt einen Monat in dieſer Stadt, und zwar in einem großen Hauſe an den Ufern des Fluſſes, das einem reichen Eingeborenen gehörte. Das Haus hatte keine Türen; die Affen kamen daher oft in das Innere des Zimmers, in dem ich mich aufhielt, und nahmen Brot und andere Dinge vor unſeren Augen von dem Tiſche weg. Wenn wir in einer Ecke des Raumes ſchliefen, brandſchatzten ſie uns auch in anderer Hinſicht. Ich habe oft mich ſchlafend geſtellt, um ſie in ihrem Treiben zu beobachten, und dabei mich weidlich gefreut über ihre Pfiffigkeit und Ge- ſchwindigkeit. Sätze von 4—5 m von einem Haufe zum anderen, mit einem, ja zwei Jungen unter ihrem Bauche und noch dazu beladen mit Brot, Zucker und anderen Gegenſtänden, ſchienen für ſie nur Spaß zu ſein.“ Derſelbe Gewährsmann erzählt auch, ein von ihm töd⸗ lich verwundeter Rheſus ſei ſofort von den anderen aufgenommen und weggetragen worden. Dem Fremden wird es ſchwer, mit dieſen Affen zuſammenzuleben, ohne mit ihnen in Feindſchaft zu geraten. Einer Lady Barker in Simla richtete eine Affenbande ihre Feſttafel, als ſchon die Gäſte verſammelt waren, im letzten Augenblick noch jo zu, daß Speiſen wie Geſchirr völlig unbrauchbar waren; ihr Schoßhündchen, das in ſtetem Kriege mit den Affen lebte, wurde von dieſen eines Tages mit in die Baumwipfel geſchleppt, dort von der lärmenden Bande weid⸗ lich abgeſchüttelt und ſchließlich in einen Abgrund fallen gelaſſen. Ein engliſcher Zuckerrohr⸗ pflanzer, den die Affen täglich aufs empfindlichſte ſchädigten, ſoll auf den teufliſchen Gedanken gekommen ſein, einige Junge zu fangen und mit einem Gemenge von Honig und Brechwein⸗ ſtein einzuſalben. Wieder freigelaſſen, ſeien die Jungen von den Alten mit Eifer und Genuß abgeleckt worden; dieſe hätten aber nur zu bald die Wirkung des Brechmittels verſpürt und ſeit⸗ dem ſich nie wieder in der Pflanzung blicken laſſen. Umgekehrt wird der Rheſus bei entſprechen⸗ der Behandlung auch im Freileben ſehr zahm. Der engliſche Vogelkundige Bowdler Sharpe 540 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. erzählt aus Simla von einer Horde, die ein in der Nähe hauſender Fakir ſich gezähmt hatte. Wenn der rief, lebten bald die Bäume ringsum von Affen, die ſich dann ihre Erbſen vor ſeinen Füßen wegholten, und der Heilige war natürlich in ſeinen frömmſten Gefühlen gekränkt, wenn die Gärtner der Engländer nach ſeinen Lieblingen ſchoſſen, die ihre größten Schädlinge waren. Auch vom Rheſus wird das Werfen mit allerlei Gegenſtänden, alſo der Anfang des Ges brauchs von Werkzeugen, glaubwürdig berichtet. Ball wurde auf einer Himalajaſtation warnend vorhergeſagt, wenn er unter einem gewiſſen Bergabhang vorbeiginge, würde er von Affen mit Steinen geworfen werden, und ſo war es auch. Kaum ließ er ſich ſehen, ſo erſchienen oben die Affen und ſtießen, ganz offenbar in böſer Abſicht, loſes Geröll auf ihn herunter. Als er ſelber einen Stein hinaufwarf, wurden ſie erſt recht wütend und verdoppelten ihre Geröllſalven. Im zoologiſchen Garten ſehen wir Ähnliches. Manche Rheſusaffen lernen gar bald, in zwar ungeſchickt ausſehender, aber durchaus zweckentſprechender und zweckbewußter Weiſe mit den Händen ihren Käfigſand den Beſuchern in die Augen ſchleudern. Unter den Makaken iſt der Bunder dasſelbe, was der Huſarenaffe unter den Meerkatzen: ein im höchſten Grade erregter, wütender, jähzorniger und mürriſcher Geſelle, ein Affe, der ſich ſelten und eigentlich nur in der Jugend an ſeinen Wärter anſchließt und mit ſeinen Mitaffen in ebenſo entſchiedener Feindſchaft lebt wie mit den Menſchen. In Wut verſetzt, zerbricht und zerreißt er alles, was man in die Nähe ſeines Käfigs bringt, geht auch furchtlos auf den Menſchen los und bedient ſich ſeiner mächtigen Zähne mit großer Fertigkeit und dem ent⸗ ſchiedenſten Nachdrucke. Schlecht gelaunt, wie er immer zu fein ſcheint, ärgert er ſich über alles, was um ihn her vorgeht, und ſchon ein ſcheeler Blick bringt ihn außer ſich. Sofort ſtreckt er dann den Kopf vor, verzieht ſein Geſicht derart, daß die Mundöffnung ein mehr oder weniger kreisrundes Loch bildet, und faßt ſeinen Gegner ſcharf ins Auge. Sehr bald aber verzerrt ſich ſein ſonſt nicht gerade häßliches Geſicht zur abſcheulichſten Fratze, die Augen funkeln, und er nimmt eine lauernde Stellung an wie ein Raubtier, das im Begriffe ſteht, ſich auf ſeine Beute zu ſtürzen. Einzelne Stücke gebärden ſich ganz nach Art der Paviane, indem ſie das Maul weit aufreißen, das Gebiß zuſammenklappen, die Zähne aneinander wetzen, ſodann die Backen voll Luft blaſen und anderweitige Fratzen ſchneiden, von denen jede einzelne verſtändlich genug iſt. Andere Affen, die mit einem alten Rheſus in demſelben Käfig leben, tyranniſiert er in der abſcheulichſten Weiſe; denn er iſt ebenſo neidiſch und ſelbſtſüchtig wie heftig und wird zornig, wenn er einen anderen Affen freſſen ſieht. In ſeiner gemütlichſten Stimmung nimmt er die unter Affen übliche Huldigung mit einer gewiſſen Würde entgegen, geſtattet, daß ihm der Pelz durchſucht und gereinigt wird, läßt ſich vielleicht ſelbſt herab, einem anderen gleiche Liebesdienſte zu erweiſen; doch hält eine ſo ſanfte Stimmung ſelten längere Zeit an, ſchlägt vielmehr meiſt urplötzlich in das Gegenteil um, und der eben noch geduldete oder ſogar bediente Mitaffe hat dann die volle Leidenſchaftlichkeit des Genoſſen zu erfahren. Demungeachtet läßt ſich auch der Bunder zähmen und zu den verſchiedenſten Kunſtfertigkeiten abrichten. Bei Affenführern und im Affentheater iſt er ſehr beliebt, weil ſein mäßig langer, biegſamer Schwanz in der Kleidung mühelos ſich unterbringen läßt; auch lernt der Rheſus leicht und „arbeitet gern“. Ich habe gerade unter dieſen Affen „große Künſtler“ kennengelernt. Neuerdings hatte Ernſt Perzina, einer unſerer hervorragendſten Tierpfleger und =erzieher, eine ganz vortrefflich eingearbeitete und unglaublich komiſch wirkende Affengruppe allermeiſt aus Rheſusaffen zuſammengeſtellt. Schon wenn bei Aufgehen des Vorhangs dieſe Geſellſchaft, teils männlich, teils weiblich ge— kleidet, auf ihren Stühlchen nebeneinander ſaß, erregte ſie mit ihrem launiſchen, ruckweiſen Gehabe allgemeine Heiterkeit. Wenn aber dann das größte Männchen mit jener echten, ganz „ eee . . 3 OL ART SE W % ( Eh ee“ Rheſus: Weſen. Zähmbarkeit. Gefangenleben. 541 bezeichnenden Affenwurſchtigkeit im Geſichtsausdruck und den Bewegungen ſich den Rock aus— zog, ehe es am Reck zu turnen begann, das gab jedesmal einen Lachſturm des Publikums. „Aus dem Seelenleben eines Bunders“ hat Joh. v. Fiſcher („Zool. Garten“, 1883) wohl- durchdachte Aufzeichnungen hinterlaſſen, nachdem er das Glück gehabt hatte, ein zahmes junges Männchen zu erhalten, während Rheſusaffen in der Regel ſonſt alle ſcheu ankommen und auch nicht zahm werden, im Betriebe eines zoologiſchen Gartens wenigſtens nicht. Fiſcher erreichte dies, weil er den Affen in ſeiner ruhigen Wohnung viel frei laufen laſſen und ihn vor allen Störungen und Neckereien bewahren konnte. Dadurch, daß der Affe genau wie ein anderes Lieblingshaustier, ein Hund oder eine Katze, behandelt wurde, war er bald ſo anhänglich, daß er, vollkommen frei, ſeinem Herrn überall in Haus und Hof folgte, trennende Türen zu öffnen ſuchte, indem er ſich an die Klinke anhing, von der höchſten Stange eines Anſtreichergerüſtes am Hauſe ſofort herunter kam, wenn Fiſcher ſich entfernte. Der Affe ſuchte ihn mit lang— gezogenen Klagetönen und begrüßte ihn dann mit freudigem Grunzen. Die Hausfrau dagegen haßte er, nachdem er einmal eine Ohrfeige von ihr bekommen hatte, weil er durchaus auf ihrer Schulter ſitzen wollte. Von da an wandte er ſeine ganze Zuneigung dem Herrn zu, und zwar ſo ausſchließlich, wie man dies von keinem Hunde erleben kann. Alle Fremden kratzte und biß er, auch wenn ſie ihm gerade einen Leckerbiſſen gereicht hatten. Sein Spiegelbild ſchnatterte er mit angelegten Ohren und zurückgezogener Stirnhaut freudig und freundlich an. Auch griff er wiederholt mit einer Hand hinter den Spiegel oder verſuchte, hinter dieſen zu ſehen: er ſuchte offenbar „den anderen Affen“. Gegen dieſen richtete ſich auch ſein Zorn, als ſein Herr wohlbedacht ſolche gute Gelegenheit benutzte, um ihn hinter dem Spiegel tüchtig in die Hand zu kneifen. Sein Geſicht wurde grellrot, er richtete ſeine Ohrmuſcheln nach vorn, daß ſie weit vom Kopfe abſtanden, öffnete das Maul und verfiel unter lautem Zähneknirſchen in krampfhaftes Gähnen, das ſich unzähligemal wiederholte. Ganz die äffiſchen Drohbewegungen einem gleich— ſtarken Gegner gegenüber! Während dieſes krampfhaften „Zorngähnens“, das namentlich bei den Pavianen ausgebildet iſt, vermochte der Rheſus keinen ſonſt noch ſo geſuchten Leckerbiſſen hinunterzuſchlucken; ja ein ſolcher fiel ihm ſogar bei weiterem Gähnen wieder aus den Backen— taſchen heraus. Lautes Lachen Fremder reizte ihn aufs äußerſte. Er ſprang dann im Zorn an das Drahtgeflecht ſeines Käfigs, an das er ſich mit allen vieren hing, und rüttelte es mit der heftigſten Anſtrengung ſeiner Körperkräfte. Dieſes Rütteln an Gitter- und Kletterſtangen, das die Affen auch in der Freiheit an Baumäſten üben, hat aber allem Anſchein nach nur dann einen Reiz für ſie, wenn es Geräuſch erzeugt; denn Fiſchers Rheſus unterließ es, wenn fein Käfig an der Wand ganz unbeweglich feſtgemacht war oder dort Gummiplatten unter⸗ geſchoben wurden, ſo daß er beim Wackeln nicht hart und laut anſtieß. Das Lärmmachen war bei dem Affen auch eine Folge von Langerweile und ein Mittel, die Aufmerkſamkeit auf ſich zu lenken. Dabei verfuhr er geradezu raffiniert. Konnte er nicht mit dem ganzen Käfig rütteln, ſo rüttelte er an der Tür; wurde dieſe durch Keile befeſtigt, mit dem Vorhängeſchloß, und wurde auch dieſes mit Draht feſtgebunden, ſo ſuchte er ſich im Stroh eine alte, trockene Brotrinde, eine Nußſchale, einen Knochen, ein Stück Reiſig, kurz irgendeinen feſten Gegenſtand, mit dem er am Gitter auf⸗ und abſtrich. Fiſcher vergleicht dieſes äffiſche Tun nicht unzutreffend mit unſerem ungeduldigen Fingertrommeln auf der Tiſchplatte oder Fenſterſcheibe. Dasſelbe Lärm— machen wie bei ſeinem Rheſus hat er auch beim Schweinsaffen, bei mehreren Pavianarten, Meer: katzen und Kapuzinern beobachtet. Die größte Furcht flößten dem Rheſus Schlangen ein, und nicht bloß lebendige, ſondern auch tote und ausgeſtopfte, abgeſtreifte Schlangenhäute, Pelzboas, Gummiſchläuche, Abbildungen von Schlangen und Würmern. Nachdem eine Schlange, um 542 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. ihre Häutung zu fördern, einige Male im Tierzimmer gebadet worden war, genügten die Worte: „Bringen Sie die Schlange herein!“, um den Affen im Stroh ſeines Käfigs verſchwinden zu machen. Auch noch geraume Zeit, nachdem das Baden längſt nicht mehr nötig war. Die Laune ſeines Herrn verſtand dieſer Rheſus ebenſogut zu beurteilen, „in ſeinem Antlitz zu leſen“, wie die obenerwähnte Javaäffin. Ließ der Herr das begrüßende Grunzen des Affen unbeachtet, ſo verſtummte dieſer und ſaß, ruhig abwartend, in ſeinem Käfig auf der Stange. Kaum ſah v. Fiſcher ihn jedoch freundlich an, ſo veränderte er blitzſchnell ſein Benehmen, lief mit fieber⸗ hafter Ungeduld auf der Stange auf und ab, unter verſchiedenen Betonungen grunzend und die Mundwinkel zum Lächeln oder Lachen verziehend. Eine der größten Liebkoſungen war es für ihn, am Hinterteil mit einem Stöckchen, einem Strohhalm, einer Feder gekraut zu werden. Das nahm ihn ſo gefangen, daß er oft viertelſtundenlang, mit der Kehrſeite zum Gitter gewendet, ruhig ſtehenblieb und dabei ſogar oft die Augen ſchloß. Anderſeits zeigte ſich bei ihm das „Lauſen“ als jo unwiderſtehlicher Trieb, er hatte einen ſolchen Säuberungsdrang, daß er, frei⸗ gelaſſen, ſofort nicht nur Haut, Haar und Kleider ſeines Herrn in dieſem Sinne vornahm, ſondern auch alle Tierfelle und Fußteppiche im Zimmer. Schlecht gekleidete Perſonen verfolgte er, wie auch andere Affen das tun, unter feindlichem Kreiſchen und griff ſie ſogar an. Ahnlich benahm er ſich Dienſtboten und Kindern gegenüber. Seinen Herrn verteidigte er nach Affen- art: wenn nur jemand v. Fiſcher mit dem Finger berührte, ging er ſchon voller Wut auf den vermeintlichen Angreifer los. Ebenſo ſuchte er ſich ſofort zu beteiligen, ſobald ſein Herr einen Menſchen oder Hund angriff oder bedrohte; wenn es aber ein Affe war, ſchlug er ſich auf deſſen Seite. Sein Gehör war ſehr reizbar. Wurde ein Nagel in ſeinen Käfig eingeſchlagen, ſo fuhr er ſich bei jedem Schlage mit der Hand übers Ohr, als wolle er den Reiz aus der Ohrmuſchel entfernen; ſchließlich verkroch er ſich ins Stroh. Beim Schlafen am Boden des Käfigs auf der Seite zu liegen, hatte er ſich bald gewöhnt, während bekanntlich die Schlaf ſtellung der Affen ſonſt ein zuſammengekauertes Hocken iſt; auch in eine Decke verſtand er ſich einzuwickeln, zog ſich ſogar noch einen Zipfel mit den Zähnen über den Kopf. Er träumte oft und lebhaft, was im Schlafe wechſelnde Mienen und kaum hörbare, aber deutliche Laute bewieſen. Hatte er im Traum Schreckenszeichen gegeben, ſo wachte er regelmäßig auf, flüchtete auf ſeine oberſte Sitzſtange und ſah ſich mit unverkennbaren Zeichen der Furcht nach allen Seiten um. Sein ſonſt ſehr zuverläſſiger Gehorſam verſagte in Futterfragen; durch einmal hingelegte Schlangenhäute konnte er aber für immer vom Naſchen an gewiſſen Stellen geheilt werden; auch der Diebſtahl von Zigarren, die er gern fraß, oft drei, vier hintereinander, wurde ihm ſo glücklich verleidet, beſſer als durch Strafen. Nach glänzenden und grell gefärbten Gegenſtänden war er äußerſt lüſtern, wie alle Affen, und ſteckte ſie in ſeine Backentaſchen. Eine ausgeprägte Neugierde zeigte er bei jeder Gelegenheit. Den Knoten eines Strickes oder den Haken einer Kette, mit der er feſtgelegt wurde, lernte er ſehr bald löſen. Ausgeblaſene und ſorgfältig wieder verklebte Eier wußte er nach einiger Erfahrung ſofort ſchon beim An⸗ faſſen durch das Gewicht von vollen zu unterſcheiden, und biß ſie gar nicht mehr auf; eben⸗ ſogut beſtand er aber auch die Gegenprobe mit eiſen- oder bleigefüllten Eiern und rächte ſich am Dienſtmädchen für Überreichung eines ſolchen Veriereies durch einen Biß. Klammeraffen, Kapuziner, Meerkatzen, ein Magot und junge Hutaffen beſtanden dieſe Eierprobe übrigens nicht. Auch einen gewiſſen Begriff von der Zahl hatte dieſer Rheſus. Er war gewohnt, vier Apfel zu erhalten. Gab man ihm nur drei, ſo wartete er am Gitter, ohne zu freſſen, ganz unverkennbar auf den vierten, und zog ſich erſt, nachdem er dieſen auch noch erhalten hatte, zur Mahlzeit zurück. Genau ſo verhielt er ſich bei anderen zahlenmäßig zu beurteilenden Rheſus: Gefangenleben. 543 Futterſtoffen. Fiſcher hat dieſe Verſuche „wohl Hunderte von Malen mit den verſchiedenſten Gegenſtänden“ gemacht. Muſik empfand der Rheſus gar nicht oder, wenn ſie ſtark und ganz in ſeiner Nähe gemacht wurde, nicht anders als das obenerwähnte Nägeleinſchlagen. Muſik— empfindung als ſolche darf wohl überhaupt keinem Säugetier zugeſchrieben werden; wenn Tiere auf Muſik achten, ſo iſt dieſe für ſie nur ein Geräuſch oder ein Zeichen. Dagegen war der Rheſus unverkennbar mit großer Aufmerkſamkeit begabt. Jeden neuen, noch jo gering⸗ fügigen Gegenſtand auf dem Schreib- oder Rauchtiſch ſeines Herrn entdeckte er ſofort, und durch ſein Benehmen zeigte er mit Sicherheit an, wenn in der Tierſtube irgend etwas nicht in Ordnung war; v. Fiſcher konnte dann nichts Beſſeres tun, als ſeinen Blicken folgen. Die logiſche Folgeerſcheinung war eine „beiſpielloſe“ Wachſamkeit, die, übrigens auch bei anderen Affen, diejenige eines Hundes „bedeutend übertraf“. Mit ihm zu ſpielen, ihn zu ſtreicheln, erlaubte der Rheſus nur ſeinem Herrn, ſonſt nie— mand, nicht einmal der Magd, die ihn jahrelang täglich zweimal tränkte. Beim Spielen wußte der Affe ſehr wohl der verſchiedenen Empfindlichkeit der verſchiedenen Körperteile ſeines Herrn Rechnung zu tragen, faßte die Beine am derbſten, das Geſicht am zarteſten an; Ohr— läppchen oder Naſe berührte er nur mit der Zunge. Der Rheſus rauchte auch wirklich. Mit einer wahren Lüſternheit und beifälligem Grunzen ſog er den heißen Dampf einer brennen— den Zigarre aus einer langen Spitze oder Pfeife ein, und zwar in die Backentaſchen, und ſtieß ihn durch die Naſe wieder aus. Schließlich gibt v. Fiſcher Genaueres über die „Sprache“ ſeines Rheſus, d. h. den Ausdruck ſeiner Gemütsbewegungen. Verlangen drückt der Rheſus durch ein mehr oder minder gedehntes, in der Tonhöhe, Kraft- und Klangfarbe nach der Stärke des Verlangens wechſelndes „Oh“ oder zweiſilbiges „Ooh“ mit ſteigendem Tone aus. Dabei legt er die Ohren dicht an den Kopf, zieht die Brauen zurück und ſpitzt die Lippen zu. Nach dieſem Rufen richtet er dann die Ohrmuſcheln weit vor, ſenkt die Brauen, öffnet die Augen weit und lauſcht. Kommt nun das Futter, ſo ſtößt er aus bohnengroßer, länglichrunder Offnung des geſpitzten Maules den ſchwer zu beſchreibenden grunzenden oder gurgelnden Kehllaut des Wohlbehagens und der Freude oder Zufriedenheit aus, der wie ein abgebrochenes, heißeres „Ah“ klingt. Wenn man heutzutage irgendwo einen Affen in Gefangenſchaft ſieht, ſo darf man zehn gegen eins wetten, daß es ein Rheſus iſt. Dieſer iſt jetzt ſozuſagen der Affe, ſo viel wird er eingeführt und gehalten; es muß alſo unter den frommen Hindus doch auch Ketzer geben, vielleicht die Mohammedaner, die ihn fangen. Man ſieht bei unſeren großen Tierhändlern manchmal hundert und mehr auf einmal: arme, verängſtigte Schelme, die ſich auf einen Haufen in die entfernteſte Ecke ihres Käfigs drücken oder klumpenweiſe ſo hoch oben, wie ſie können, ans Gitter hängen. Von dieſen allermeiſt jungen und mehr oder weniger zarten Tieren geht natürlich gar manches ein; die ſich aber einmal glücklich eingewöhnt haben, halten dann auch jahrelang aus, die Männchen werden mächtige, gefährliche Burſchen, und die Weibchen bringen regelrecht Junge. Der eingewöhnte Rheſus iſt ein winterharter Affe, den man das ganze Jahr hindurch ins Freie gehen laſſen kann, wenn man ihm nur einen geſchützten, warmen Schlupfwinkel bietet, und ſein Schwanz iſt gerade kurz genug, daß er ihn in unſerer Winterkälte nicht erfriert. Im Zoologiſchen Garten zu Hannover hatte man den hübſchen Gedanken, eine mit hohen Bäumen und Buſchwerk beſtandene Inſel im Teiche durch Ausſetzen von Rheſusaffen zur „Affeninſel“ zu machen zur großen Freude des Publi⸗ kums, das vom Feſtland dem Treiben der „Affeninſulaner“ zuſchauen konnte. Dieſe Schwere⸗ nöter rückten aber nur zu bald aus, indem ſie auf Bäume am anderen Ufer überſprangen 544 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. und, als dieſe beſeitigt wurden, einfach durchs Waſſer überſchwammen. In unſerem ordent⸗ lichen Vaterlande konnte es nun nicht geduldet werden, daß ſie ſich in dem anſtoßenden Waldpark der Eilenriede nach Belieben tummelten, und jo mußte der an ſich jo ſchöne Ge— danke der Affeninſel wieder zu Grabe getragen werden. Gezüchtet wird der Rheſus in der Gefangenſchaft ſozuſagen überall. In Nills Tiergarten zu Stuttgart befand ſich ſchon vor langen Jahren eine Rheſusfamilie, deren Mutter wie Tochter alljährlich ein Junges brachten. Die Geburt fiel ſtets in die Monate Mai und Juni. Dieſe Affen blieben bis zum erſten Schneefall im Freien. Die Zucht „roter“ (dem rothaarigen Menſchen oder dem Fuchs beim Pferde entſprechender) Rheſusaffen im Berliner Garten wurde oben ſchon erwähnt. Dort werden aber auch regelfarbige Rheſus gezüchtet, ebenſo wie in 3 den Gärten von Breslau, Hannover, Halle, Düſſeldorf und anderen. Miſchlinge vom Rheſus ſind ebenfalls nicht ſelten, beſonders mit Javaner- und Hutaffen. Im Breslauer Garten warf eine Rheſusäffin einen ſolchen Javanermiſchling, nachdem ſie zwei Jahre vorher durch den Kaiſerſchnitt von einem abgeſtorbenen Jungen befreit worden war. Über das Betragen einer Rheſusmutter und ihres im Käfig geborenen Kindes liegen treffliche Beobachtungen Cuviers vor, denen folgendes entnommen ſei. Unmittelbar nach der Geburt klammerte der junge Bunder ſich an dem Bauche ſeiner Mutter feſt, indem er ſich mit den vier Händen an ihrem Pelze feſthielt und mit dem Munde die Saugwarze erfaßte. 14 Tage lang ließ er die Brüſte ſeiner Mutter nicht frei. Er blieb N während der ganzen Zeit in unveränderter Stellung, immer zum Saugen bereit und ſchlafend, wenn die Alte ſich niederſetzte, aber auch im Schlafe ſich feſthaltend. Die eine Saugwarze verließ er nur, wenn er die andere ergreifen wollte, und ſo gingen ihm die erſten Tage ſeines Lebens vorüber, ohne daß er irgendeine andere Bewegung gemacht hatte als die der Lippen, um zu ſaugen, und die der Augen, um zu ſehen. Er wurde, wie alle Affen, mit offenen Augen geboren, und es ſchien, daß er vom erſten Augenblicke an ſeine Umgebung zu unterſcheiden vermöge; denn er folgte allen um ihn vorgehenden Bewegungen mit ſeinen Augen. Etwa nach 14 Tagen begann der junge Rheſus ſich von feiner Mutter loszumachen und zeigte gleich in ſeinen erſten Schritten eine Gewandtheit und eine Stärke, die alle in Erſtaunen ſetzen mußte. Er klammerte ſich gleich anfangs an die ſenkrechten Eiſenſtangen ſeines Käfigs und kletterte an ihnen nach Laune auf und nieder, machte wohl auch einige Schritte auf dem Stroh, ſprang freiwillig von der Höhe ſeines Käfigs auf ſeine vier Hände herab und dann wieder gegen die Gitter, an denen er ſich mit einer Behendigkeit und Sicher— heit anklammerte, die dem erfahrenſten Affen Ehre gemacht hätte. Die Mutter verfolgte jede Bewegung ihres Kindes mit der größten Aufmerkſamkeit und ſchien immer bereit, einen etwaigen Schaden ihres Lieblings zu verhindern. Später verſuchte ſie, ſich von Zeit zu Zeit der Bürde zu entledigen, blieb aber ſtets gleich beſorgt um ihr Kind, und wenn ſie nur die mindeſte Gefahr zu befürchten glaubte, nahm ſie es ſogleich wieder zu ſich. Auch die leichteſte Berührung mit ihrer Hand war dem folgſamen Zöglinge ein Befehl zur Rückkehr, und er nahm dann augenblicklich die gewohnte Lage an der Bruſt der Mutter wieder ein. Nach ſechs Wochen ungefähr ward dem Affen eine kräftigere Nahrung als die Mutter⸗ milch, und damit zeigte ſich eine neue Erſcheinung. Dieſelbe Mutter, die wir früher mit der zärtlichſten Sorgfalt für ihr Junges beſchäftigt ſahen, und von der man glauben ſollte, ſie würde, von Mutterliebe getrieben, ihm den Biſſen aus dem eigenen Munde zu geben bereit ſein: dieſelbe Mutter geſtattete ihm, als es zu eſſen anfing, nicht, auch nur das Geringſte von der ihm dargebotenen Speiſe zu berühren. Sobald der Wärter Obſt und Brot gereicht hatte, Rheſus. Aſſam-, Rauhohr-Rheſus. Formoſa-Makak. 545 bemächtigte ſie ſich deſſen, ſtieß das Junge, wenn es ſich nähern wollte, von ſich und füllte eilends Backentaſchen und Hände, damit ihr nichts entgehe. Der Hunger machte das Junge nun bald ſehr kühn, unternehmend und behende. Es ließ ſich nicht mehr von den Schlägen der Mutter zurückſchrecken, und was ſie auch tun mochte, um ihr Kind zu entfernen und alles für ſich allein zu behalten: das Junge war pfiffig und gewandt genug, ſich doch immer des einen oder des anderen Biſſens zu bemächtigen und ihn hinter dem Rücken der Mutter, jo fern als möglich von ihr, raſch zu verzehren. Dieſe Vorſicht war keineswegs unnötig; denn die Alte lief mehr— mals in die entfernteſte Ecke des Raumes, um ihrem Kinde die Nahrung wieder abzunehmen. Als „Nutzen“ des Rheſus kann man kaum ernſthaft anführen, daß man ihn hier und da einmal als Erſatz für den immer ſeltener und teurer werdenden Uhu auf der Krähen— hütte gebraucht hat. Eine Rheſuslaus hat Fahrenholz-Hannover als neue Art (Pedicinus rhesi), eine zweite ſogar als neue Gattung (Phthirpedicinus, Art micropilosus) beſchrieben. Nach Oſten folgen auf den eigentlichen bengaliſchen Rheſus in den Himalajaländern, Aſſam, Tibet ſehr nahe verwandte geographiſche Formen, die dann in China, Formoſa und Japan zu ferner ſtehenden, ganz kurz geſchwänzten Arten führen. So wird der Rheſus, der im weſtlichen Himalaja, in Kaſchmir, bei Simla ſelbſt ſchon ſehr hoch geht, in den öſtlichen Himalajaländern Sikkim, Bhutan, Aſſam, in den Sandarbans der Gangesmündung öſtlich von Kalkutta und im Irrawaddigebiet durch den größeren und ſchwereren Aſſam-Rheſus, Simia assamensis MeClell. (Inuus), erſetzt, der ſich außerdem durch dunkles Geſicht, welliges, bei Stücken aus dem Hochgebirge auch wolliges Haar und behaartes Hinterteil unterſcheidet. Ebenfalls bis zu den Geſäßſchwielen behaartes Hinterteil, außerdem aber mit Haaren befranſte Ohren hat der danach jo genannte Rauhohr-Rheſus, S. lasiotis Gray (Taf. „Affen III“, 6, bei S. 531), aus dem Gebirge der Provinzen Setſchuan und Tſchili Weſt- und Nordweſtchinas. Er lebt zurzeit als äußerſt beliebter „Sandſchmeißer“ und Stammvater einer Miſchfamilie mit gewöhnlichen Rheſusäffinnen im Berliner Garten. Von hinten beſehen, überraſcht dieſes Stück, was vielleicht das Intereſſanteſte an ihm iſt, durch völlige Schwanzloſigkeit und bildet ſo den lebendigen Beweis für eine Gewohnheit der Chineſen, die bei der wiſſenſchaftlichen Beſtimmung und Beſchreibung dieſer und verwandter Affenarten viel Verwirrung geſtiftet hat. Die Zopfträger ſchneiden nämlich jedem Affen, der in ihre Hände fällt, den Schwanz ab, weil ſie dieſen in einer höchſt luſtig anmutenden Gedankenverbindung für einen Hohn auf ihr eignes rückwärtiges Anhängſel halten. Ein Paar ſüdchineſiſche, durch rotpockige Geſichter und fuchlige Farbentöne ausgezeichnete Rheſus, die Lehrer Mell aus Kanton ſchickte, entgingen zwar der Verſtümmelung, weil ſie, friſch gefangen, gleich in den Beſitz dieſes eifrigen Samm— lers und Forſchers kamen; die Beſtimmung und Benennung dieſer und ähnlicher Affen iſt aber unter den obwaltenden Umſtänden ein wahres Kreuz, zumal die Chineſen die Anſtoß erregenden Affenſchwänze nicht immer ganz und gar abſchneiden und es anderſeits in Oſtaſien auch von Natur ſchon ganz kurzſtummelig geſchwänzte rheſusartige Makaken gibt, ganz ſicher in Japan, wahrſcheinlich auch noch ſonſtwo. So leben jetzt im Berliner Garten noch ein Paar durch rötliches Geſicht und gleichmäßiges dunkles, braungraues Haarkleid ohne jegliches Rot auf der hinteren Körperhälfte der japaniſchen Art ſchon unzweideutig angenäherte Ma⸗ kaken von der Inſel Formoſa, wohl die erſte Einführung dieſer Art, die man auf Grund ihrer Herkunft als Formoſa-Makak, S. eyclopis Swinh. (Taf. „Affen III“, 7, bei S. 531), bezeichnen müßte; ihr Schwanz iſt von Natur 30 em lang, wie in den Maßen der Beſchreibung Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 35 546 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. angegeben wird, bei dem Berliner Paar aber wiederum nach Chineſenart geſtutzt: nur ein ganz kurzer Stumpf, den namentlich das Männchen allermeiſt ſtramm ſenkrecht aufgerichtet trägt, wie es überhaupt durch ſein ganzes tatkräftiges, ſelbſtbewußtes Gehabe den echten, wehrhaften Erd- und Felſenaffen verrät. Sein Entdecker Swinhoe nennt unſere Art auch geradezu den Felſen-Makaken, der die überhängenden Küſtenklippen liebt, in den Höhlen dort ſeine Zuflucht ſucht und früher, vor Swinhoes Zeiten, gerade in den baumloſen Bergen des Südweſtens beſonders häufig war. Im Norden und Oſten fand ihn auch Swinhoe aber noch zahlreich, ſpielend und ſchnatternd in den ſteilen Felswänden, meilenweit von jedem Baumwuchs. Der Affe bringt dort den größeren Teil des Tages im Schatten der Felshöhlen zu und zieht gegen Abend truppweiſe auf die Nahrungsſuche nach Beeren und zarten Pflanzenſchößlingen, Heu— ſchrecken, Krebſen und Weichtieren. In den Sommernächten tut er dann auch Schaden an den Zuckerrohrpflanzungen und Fruchtbäumen. Im Juni ſieht man die Weibchen oft in ab⸗ gelegenen Teilen der Berge mit ihren Jungen an der Bruſt; ſie ſind dann aber ſehr ſcheu, verſchwinden im Nu in den Felsklüften und laſſen ſich nicht wieder blicken, bis der Ein- ) 8 dringling ſich entfernt hat. Wenn ſchon der Formoſa-Makak vermöge ſeiner völlig abweichenden Farbengebung mehr als nur eine geographiſche Form des Rheſus bedeutet, Jo iſt der Japaniſche oder Rot— geſicht-Makak, Simia speciosa F. Cuv. (Inuus fuscatus), ganz ſicher eine ſehr gute, jelb: ſtändige Art, ſchon weil er von Natur einen ganz kurzen, nur 5 bis höchſtens 8 em langen Stummelſchwanz hat. Außerdem kennzeichnen das geſunde, ausgewachſene Tier immer auf den erſten Blick das nackte, lebhaft rote Geſicht und das dichte, lange, oben mehr bräunlich ſprenkelige, unten mehr rauchfarbige Fell. Junge ſind ungeſprenkelt und blaßgeſichtig. Der Rotgeſicht-Makak geht nicht bis auf die japaniſche Nordinſel Yeſſo, iſt aber im Süden Japans auf den Bergen bei Kioto gemein und verbreitet ſich bis an das Nordende der Inſel Nippon, nach Rein genauer bis zum 41. Grad nördl. Breite. Er iſt alſo die nördlichſte Affenart der Erde, und man kann ihn unbeſchadet auch bei uns das ganze Jahr im Freien oder wenig— ſtens in ungeheiztem Raume halten. Das tat man im Berliner Zoologiſchen Garten vor Jahren ſchon mit einem prächtigen, von der Japan-Importfirma Rex u. Co. geſchenkten Paar, und dieſes fühlte ſich dabei ſo wohl, daß es ſich regelmäßig fortpflanzte. Für die Japaner iſt der Rotgeſicht-Makak neben dem Grünſchnabelkranich das volkstüm⸗ liche Lieblingstier, das die ſcharfſichtigen und geſchmackvollen Künſtler und Kunſthandwerker unermüdlich immer wieder in der lebenswahrſten und reizvollſten Weiſe darſtellen, als Schmuck auf ihren Erzeugniſſen anbringen und dadurch auch uns überall vertraut gemacht haben. Noch kürzer, höchſtens 5 em lang, iſt der Schwanz beim Bärenmakaken, Simia arc- toides Is. Geoffr. (Inuus speciosus; Taf. „Affen III“, 8, bei S. 531), der ſich mit einigen Verwandten von Hinterindien (Burma, Siam) bis nach China, aber auch auf die Inſel Borneo verbreitet. Bei ihm iſt der Schwanzreſt, der kaum noch etwas von Wirbeln enthält, ſozuſagen zur dritten Geſäßſchwiele geworden: er iſt beim alten Tiere nackt und verhornt, wie die eigentlichen Geſäßſchwielen, wird in der Lücke zwiſchen dieſen angedrückt getragen, und das Tier ſitzt wirklich darauf. Sonſt hat der Bären-Makak bei brauner Behaarung auch das rote Geſicht, das bei den Makaken ja öfter wiederkehrt; das Rot beſchränkt ſich aber mehr auf die Ge— gend von Augen und Naſe und ſieht, ganz eigentümlich ſchwarzpockig und dunkel unterlaufen, faſt wie krankhaft aus. Ein Kehlſack mit Halswamme und ein dicker, ſchwach behaarter Bauch, die als weitere „Schönheiten“ hinzukommen, machen namentlich das alte Männchen zu einem N Japaniſcher Makak. Bärenmakaken. Magot. 547 der allerhäßlichſten Affen. Es fehlt eben das charaktervoll Dämoniſche des Drills und Man: drills, zumal auch das geiſtige Weſen des Bärenmakaken, in der Gefangenſchaft wenigſtens, nichts von Temperament und Energie erkennen läßt, vielmehr ein gut Teil Phlegma. Über das Freileben dieſes Makaken wiſſen wir nur, daß er Gebirgsgegenden bevorzugt, und über einige Nachbarn und Verwandte im Syſtem iſt ebenſowenig bekannt. Neuerdings hat ſich jedoch durch eine der verdienſtlichen Sendungen von Mell-Kanton herausgeſtellt, daß wir zum mindeſten auch einen Blaßgeſichtigen Bärenmakaken (Taf. „Affen III/ 9, bei S. 531) zu unterſcheiden haben. Matſchie hat ihn S. aretoides esau Misch. genannt. Dieſer Affe lebt, nach Mell, in dem ſchwer zugänglichen Berglande von Lötſchang, nördlich von Kanton, etwa in 113 Grad öſtl. Länge und 25 Grad nördl. Breite, etwa 2000 m hoch, zuſammen mit dem freien Bergvolke der Yao. Man hat ihn dort nur einzeln geſehen und nur auf felſigen Bergen, nie im Walde. In der Verkümmerung des Schwanzes bedeutet bei den braunen Makaken das Endglied der Magot oder Berberaffe, Schadi der Kabylen, Simia inuus Z. (Inuus ecaudatus, sylvanus; Taf. „Affen“ IV“, I, bei ©. 552), und auch geographiſch entfernt er ſich durch ſeine Verbreitung in den Atlasländern Nordafrikas weit von allen anderen. In dieſer Hin— ſicht erſcheint er ſogar als der wichtigſte aller Makaken und Affen überhaupt, weil er auch nach Europa, auf den Felſen von Gibraltar, übergreift. Ob der Magot dort von jeher und von Natur und Rechts wegen gelebt hat, kann allerdings nicht mit Sicherheit behauptet werden; in der Neuzeit wenigſtens haben unter der engliſchen Herrſchaft ſicher künſtliche Kachſchübe ſtattgefunden, um Europa nicht der Merkwürdigkeit freilebender Affen verluſtig gehen zu laſſen. Aber an ſich iſt europäiſches Vorkommen magotartiger Makaken nichts Un— natürliches: foſſile Reſte von ſolchen aus der Pliozän- und Pleiſtozänzeit ſind auch diesſeits des Mittelmeeres gefunden, in Italien, Frankreich, ferner der Schweiz und Süddeutſchland, ja ſogar in England und anderſeits in Indien, wodurch, in der erdgeſchichtlichen Vergangen— heit wenigſtens, die Verbindung mit der Hauptmaſſe der Makaken hergeſtellt wird. Außerlich kennzeichnet den Magot der ſchmächtige Leibesbau und die Schlankheit ſeiner hohen Glieder, ein ziemlich reicher, auf der Unterſeite des Leibes ſpärlicherer Pelz und der dichte Backenbart. Das runzelige Geſicht, Ohren, Hände und Füße ſehen blaß, kalblederfarbig, dunkel überflogen, wie beſchmutzt, aus, die Schwielen blaßrot; der Pelz iſt rötlich olivenfarbig, da die Haare am Grunde ſchwärzlich, an der Spitze aber rötlich ſind. Bei ſehr alten Stücken zeigen die Haare übrigens auch ſchwarze Spitzen, und der geſamte Pelz erhält dann einen dunkleren Schein. Die Unterſeite und die Innenſeite der Gliedmaßen hat lichtere, mehr grau— gelbliche oder weißliche Färbung. Bei etwa 5 em Leibeslänge erreicht der Magot eine Schulterhöhe von 45—50 cm. Die Heimat des Magots iſt das nis Afrika: Marokko, Al gerien und Tunis. Soviel wir wiſſen, lebt er in ſeinem Vaterlande in großen Geſellſchaften unter Leitung alter, erfahrener Männchen. Er iſt ſehr klug, liſtig und verſchlagen, gewandt, behende und kräftig und weiß ſich im Notfalle mit ſeinem vortrefflichen Gebiß ausgezeichnet zu verteidigen. Bei jeder leidenſchaftlichen Erregung verzerrt er das Geſicht in einem Grade wie kein anderer Affe, bewegt dabei die Lippen ſchnell nach allen Richtungen hin und klappert auch wohl mit den Zähnen. Nur wenn er ſich fürchtet, ſtößt er heftiges, kurzes Geſchrei aus. Verlangen ſowie Freude, Abſcheu, Unwillen und Zorn gibt er durch Fratzenſchneiden und Zähneklappern zu er— kennen. Wenn er zornig iſt, bewegt er ſeine in Falten gelegte Stirn heftig auf und ab, ſtreckt 35* 545 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. die Schnauze vor und zwängt die Lippen ſo zuſammen, daß der Mund eine kleine kreisrunde Offnung bildet. In der Freiheit lebt er in Gebirgsgegenden, auf felſigen Wänden, iſt aber auch auf Bäumen zu Hauſe. Man ſagt, daß er, wie die Paviane, viele Kerbtiere und Würmer freſſe, deshalb beſtändig die Steine umwälze und ſie gelegentlich die Berge herabrolle. An ſteilen Gehängen ſoll er hierdurch nicht ſelten gefährlich werden. Skorpione find, wie be hauptet wird, ſeine Lieblingsnahrung; er weiß ihren giftigen Stachel geſchickt auszurupfen und werſpeiſt fie dann mit großer Gier. Aber auch mit kleinen Kerbtieren und Würmern be⸗ gnügt er ſich, und je kleiner ſeine Beute ſein mag, um ſo eifriger zeigt er ſich in der Jagd, um ſo begieriger verzehrt er den gemachten Fang. Das erhaſchte Kerbtier wird ſorgfältig aufgenommen, vor die Augen gehalten, mit einer beifälligen Fratze begrüßt und gefreſſen. In Algier ſind dieſe Affen geradezu eine Sehenswürdigkeit für die Fremden geworden. In Chiffa bei Blidah, nicht weit von der Stadt Algier, gibt es eine „Affenſchlucht“ und ſogar ein Hotel, das ſich nach ihr nennt; von dort erhält man Poſtkarten mit Bildern der Affen und ihres Paradereviers. Nach A. Seitz muß man aber doch von der Heerſtraße abbiegen, wenn man ihr Leben und Treiben genauer beobachten will. Das hat unſer Gewährsmann bei Kerrata im Gebiete des tief in den Fels eingewühlten Oleanderfluſſes getan, deſſen ge= waltige Berge ſteil ſo hoch emporragen, daß ſie noch im Juli teilweiſe Schneehauben tragen, während in der Ebene 46° C im Schatten find. „Die Bäume und Sträucher, die ihr dichtes und prachtvoll dunkelgrünes Laubwerk aus den Spalten des Geſteins hervorrecken, dienen den Affen als Stütz- und Haltepunkt. Aber ſie ſind oft ziemlich weit voneinander entfernt, und weite Sprünge von Aſt zu Aſt, ſtets über dem ungeheuren, gähnenden Abgrund ſind nötig, um an den jähen Felswänden ſich fortbewegen zu können. Das Geſtein iſt dabei als Stützpunkt ſehr unzuverläſſig, denn es zerbröckelt bei jedem feſten Stoß. Oft iſt es nur das Herabkollern kleiner Steine und der nachrieſelnde Sand, was uns von der Anweſenheit einer Affenherde Kenntnis gibt, die in Sehweite über uns der Felswand entlang turnt.“ Um ihren Durſt im Oleanderfluſſe zu ſtillen, müſſen die Affen die in den Stein geſprengte Berg⸗ ſtraße kreuzen, was ſie mit großer Regelmäßigkeit früh und nachmittags tun. „In einem nachläſſigen und plumpen Galopp bewegen ſie ſich auf dem breiten Weg in einer dichten Wolke des hier oft 10—20 em hoch liegenden Staubes bis zu der Stelle, wo das Gezweig ihnen die Möglichkeit bietet, ſich bis zu dem in Waſſerfällen und Windungen unruhig ein- herpolternden Fluſſe niederzulaſſen. Stört man fie in dieſem Zug zur Tränke, jo ſchneiden ſie äußerſt verdrießliche Grimaſſen und laſſen unwirſch polternde oder brummende Laute ver⸗ nehmen.“ Den Schutz des dichten Pelzes hat der Magot das ganze Jahr nötig; „denn ſelbſt im Sommer wird es des Nachts in den Bergſchluchten des nördlichen Atlas ziemlich kalt, und der unaufhörlich längs der Felswände brauſende Wind macht die niedrige Temperatur noch fühlbarer“. Im Winter ſinkt letztere nachgewieſenermaßen mitunter ſogar bis auf — 12, 5 ſo daß das gefrorene Schneewaſſer in langen Eiszapfen von den Felsvorſprüngen niederhängt. „Dann geht es den Affen ſchlecht. Truppweiſe drücken ſie ſich in die Niſchen und Felsſpalten, ſich feſt umſchlingend und gegenſeitig erwärmend. Zum Froſt geſellt ſich noch der Hunger.“ Sie müſſen ſich dann von halbgefrorenen Schlehen, Vogelbeeren und überreifen Nüſſen nähren, während ſie ſich in den Julitagen täglich den Bauch mit Brombeeren füllen können, nächtliche Raubzüge in die üppigen Saatfelder der Kabylen leichte, wohlſchmeckende Beute liefern, ganz abgeſehen davon, daß das Tal dann von Schwärmen fetter Heuſchrecken, dicken Prachtkäfern und großen Schmetterlingen (gelben Ordensbändern) wimmelt: alles nahrhafte Biſſen, die der Magot mitnimmt, wo er ſie findet. Hinzu kommen die länglichen, faſt rübenartig ausſehenden Magot: Verbreitung. Lebensweiſe. Vorkommen in Europa. 549 Erdbeeren und im Frühling jedenfalls auch die Knoſpen der überall aus den Felsſpalten wuchernden Kapernſträucher. Schon frühmorgens, wenn die Geier majeſtätiſchen Fluges aus den Schluchten herausſchweben, geht auch der Magot auf Nahrung aus. „Erſt ſtillt er ſeinen Durſt in dem klaren Sprudel des Fluſſes, plätſchert an warmen Tagen wohl auch im Waſſer herum und begibt ſich dann in kleinen Trupps von 5—20 Stück auf die Streife. Die Wan⸗ derung geht ziemlich ſchweigſam vor ſich, durchaus nicht mit dem Geräuſch und Gekreiſch wie bei vielen tropiſchen Affen; nur das herabrieſelnde Geröll und das Raſcheln des lederharten Laubes der Kork und Wintereichen verrät den Weg, den der Trupp nimmt. Bei dieſen Streif— zügen kommen die Affen bisweilen den bewohnten Gegenden ſehr nahe; daher wäre Obſtbau dort kaum möglich. Der Magot iſt nämlich ein arger Zerſtörer; auch die unreifen oder halb genießbaren Früchte reißt er ab, um ſie ſofort wegzuwerfen, ſobald er eine beſſere hängen ſieht.“ Die Kabylen tun dem Schadi für gewöhnlich nichts, halten ihn nur von ihren Feldern und Siedelungen durch ſtändiges Verſcheuchen tunlichſt fern. Sie ſcheuen aber mit Recht die Gefahren und Beſchwerden der Verfolgung und des Fanges in den Bergſchluchten. Nur manch— mal wird daher auf den Markt von Kerrata ein Junges zum Verkauf angeſchleppt, eigenartiger— weiſe ganz wie ein kleines Kind ſeſt eingeſchnürt in eine Art Steckkiſſen aus Gras, Schilf und Weidenruten, aus dem das Affengeſichtchen natürlich mit einem unendlich unglücklichen und hilfeſuchenden Ausdruck umherſchaut. Käufer ſind aber nur Fremde, bei Eingeborenen hat Seitz niemals zahme Magots geſehen. Obwohl der Magot alſo durch Verfolgung in Algier nicht leidet, behauptet Seitz aber ſchon 1907, daß der Affe in Algier nur noch gewiſſe inſelartig zer— ſtreute Vorkommen hat, die unter ſich nicht mehr verbunden ſind, keinen Verkehr der Tiere mehr erlauben, und für die Zukunft, wenn erſt Bahnen die Felsſchluchten der Kabylie durchſchneiden, ſagt unſer Gewährsmann das völlige Verſchwinden des Magots aus dem Lande voraus. Dann bleibt dieſem als Hauptverbreitungsherd nur noch Marokko, woher jetzt ſchon die meiſten kommen. Auch der Beſtand auf Gibraltar iſt von dorther wiederholt ergänzt und auf— gefriſcht worden; laut „Field“ mußte aber 1913 ein zu dieſem Zwecke ausgeſetztes Männchen wieder eingefangen und im Londoner Garten unſchädlich gemacht werden, weil es zu böſe und gefährlich wurde, obwohl ihm die langen Eckzähne ausgebrochen waren. Es hatte indes den Weiterbeſtand der Affenkolonie bereits geſichert, als Zuchtvater ſeine Schuldigkeit getan bei den drei alten Weibchen, die allein auf dem Felſen übriggeblieben waren und ein jüngeres Männchen nebſt vier Weibchen, die einige Jahre vorher ausgeſetzt worden waren, als fremde Eindring— linge ganz folgerichtig nach Affenbandenart totgebiſſen hatten. Mehr als zwanzig Jahre waren die Affen in ungeſtörtem Beſitze des Felſengipfels geweſen; man mußte dieſen aber ſchon mit dem Fernrohr abſuchen, um ſich zu überzeugen, daß ſie noch lebten: ſo ſcheu und heimlich waren ſie. Als aber die oberen Batterien gebaut wurden, zogen ſie ſich mehr herab und plünderten dann auch die Obſtgärten der tiefer gelegenen Beſitzungen. Der Eigentümer einer ſolchen wurde die diebiſchen „Guejas“, wie ſie ſpaniſch heißen, erſt los, als er zu einem grauſamen ittel griff. Er fing ein Junges und band es an einem Baum feſt, bis es verhungert war. Die Horde ſchleppte die Leiche weg, ließ ſich aber in Jahren nicht mehr ſehen. Sehr geſichert erſcheint nach alledem die Zukunft der „europäiſchen Affen“ nicht; jedenfalls wären fie längſt ausgeſtorben, wenn fie nicht durch die Liebhaberei der engliſchen Offiziere forterhalten würden. Aus älteren Berichten iſt noch bemerkenswert, daß die Affen beſonders die ſüßen Wur⸗ zeln der Zwergpalme lieben ſollen, die auf Gibraltar ſehr häufig iſt, und mit wechſelndem Winde ihren Aufenthalt auf den Felſen ändern. Sie ſind ſehr lebendig und halten ſich vorzugsweiſe an den ſteilen Abgründen auf, wo ſie viele Höhlen und Löcher in dem lockeren Felſen zur 550 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. Verfügung haben. In früheren Zeiten müſſen ſie auch vor den drohenden Batterien und ihren ſchweren Geſchützen wenig Reſpekt gehabt haben. So erzählt Poſſelt von ſeinem Aufſtieg auf den Gipfel: „Etwa 200 Schritt vor mir lag die erſte Batterie mit ihren nach Spanien hin drohenden Kanonen, als plötzlich bei der letzten Biegung des Weges meine Aufmerkſamkeit durch einen eigentümlichen ſcharfen Laut erregt wurde, den ich zuerſt für das entfernte Kläffen eines Hundes hielt. Auf der genannten Bruſtwehr der Batterie lief, langſam ſich von mir ent⸗ fernend, ein Tier von Pinſchergröße, und von ihm kam der Laut her. Ich blieb ſtehen und ſah nun, daß es einer der Affen war, welcher hier wahrſcheinlich Wache gehalten hatte. Denn am Ende der Mauer gegen das Mittelmeer zu lagen zwei andere behaglich im Sonnenſcheine aus— geſtreckt. Schritt für Schritt näherte ich mich langſam der anziehenden Gruppe, welche ſich jetzt eng zuſammendrückte und mich aufmerkſam beobachtete. Auf etwa 100 Schritt nahegekommen, ſtand ich ſtill und beobachtete die nach und nach wieder unbefangen werdenden Tiere. Auf tauſenderlei Arten bezeigten fie ihr Wohlgefallen am warmen Sonnenſcheine, bald ſich um— armend, bald ſich behaglich auf der Mauer umherwälzend. Manchmal ſprang einer ſpielend auf die Kanonen und kam, durch die Schießöffnungen ſchlüpfend, von der anderen Seite her wieder zu ſeinen wartenden Kameraden zurück; kurz, fie ſchienen ſich da ganz häuslich ein⸗ gerichtet zu haben und entſchloſſen zu ſein, den ſchönen Sonnenſchein aufs beſte zu genießen.“ Nach Kapitän C. S. Shephards Bericht zwingt während der heißen Sommerzeit Nah⸗ rungsmangel die Affen, tiefer herabzuſteigen, und dann richten ſie gleichfalls nicht unbeträcht⸗ lichen Schaden in den Gärten an; während der übrigen Jahreszeit ſieht man ſie nicht ſo häufig. Ungefähr im Juni oder Juli haben ſie Junge. Das ſtärkſte Männchen hält ſich ge— wöhnlich allein in einiger Entfernung von der Bande. Nach der Beſchreibung bei Ariſtoteles unterliegt es keinem Zweifel, daß der Magot als Pithecus bereits dem klaſſiſchen Altertum bekannt und der erſte Affe war, der in Europa vor⸗ geführt wurde. Galenus machte ſeine anatomiſchen Studien an ihm. Linné nennt ihn Simia sylvanus und bezieht ſich bei der Beſchreibung auf Gesner. Der Name Magot iſt franzöſiſch und ſtammt von Buffon. Von den alten Griechen und Römern an genoß der Affe bis in die neuere Zeit dieſelbe Beachtung. Er war der ſtändige Begleiter der Bären- und Kamel⸗ führer, die in unſerem gebildeten Zeitalter die liebe Jugend leider nicht mehr in derſelben Weiſe ergötzen wie früher. Wenn man heute bei fahrendem Volk einen Affen ſieht, ſo iſt es ein Rheſus, Javaner oder Kapuziner. Der Magot gehört gegenwärtig auf dem europäiſchen Tiermarkte zu den Seltenheiten, offenbar weil er auch in ſeiner Heimat ſeltener geworden und ſchwerer zu fangen iſt, weil er nur noch in abgelegeneren und unwegſamen Hochgebirgsgegen— den vorkommt. Die Gefangenen werden uns in der Regel von Mogador in Marokko gebracht. Ich ſelbſt erhielt vor längeren Jahren vier Stück von ihnen und hatte ſomit Gelegenheit, ſie geraume Zeit zu beobachten. Alle vier zeichneten ſich durch ein ernſtes Weſen aus, ohne jedoch mürriſch zu ſein. Der Grundzug ihres Charakters war entſchiedene Gutmütigkeit; doch fand ich die bereits von den Alten erwähnte leichte Erregbarkeit auch bei ihnen beſtätigt, weswegen es ratſam iſt, ſie mit gebührender Vorſicht zu behandeln. Sie ſind gute Fußgänger, aber mangelhafte Kletterer, obwohl fie immerhin mit größerer Leichtigkeit als Paviane Bäume be⸗ ſteigen und mit ziemlichem Geſchick Sätze von einem Baume zum anderen ausführen können. Mit ihrem Wärter hatten ſich die in Rede ſtehenden Stücke binnen kurzem innig befreundet, obgleich ſie die ihnen innewohnende Tücke niemals ganz laſſen konnten. Kleine Hunde, Katzen und andere Säugetiere warteten ſie mit beſonderer Vorliebe, und ſtundenlang konnten ſie ſich beſchäftigen, ihnen das Fell nach ſchmarotzenden Gäſten abzuſuchen, erkannten es auch dankbar Magot. Löwenmakak. 551 an, wenn der Wärter ihnen ſcheinbar dieſelbe Gefälligkeit erwies, d. h. ihnen die Haare des Felles auseinanderlegte und tat, als ob er reiche Jagd mache. Im Berliner Garten ver— ſtehen es die Magots, die dort in der Regel durch ein oder zwei Stück vertreten ſind, ſtets, mit den Stammgäſten unter den Beſuchern ſich anzufreunden; das hindert ſie aber in ihrer echt äffiſchen Wetterwendiſchkeit nicht, ſich zugleich zu wütenden „Sandſchmeißern“ auszu— bilden. Im Londoner Garten hat der Magot ſich ganz neuerdings fortgepflanzt und Gelegen— heit zu der Feſtſtellung gegeben, daß auch er, wie andere Makaken und Paviane, eine ab— weichende Jugendfärbung hat: ſchwarzes Haar und ganz helles, noch nicht dunkelfleckiges Geſicht. Auch im Affentheater ſteht der Magot in hoher Gunſt. „Seine ſchöne, ſchlanke Ge— ſtalt“, ſo verſicherte mir Broekmann, „erleichtert das Bekleiden ſehr, und da er nun außerdem noch leicht lernt und das Gelernte vorzüglich gut behält, verdient er, allen übrigen Affen ſeines Geſchlechtes bei weitem vorangeſtellt zu werden. Bei guter Behandlung und verſtän— diger Abrichtung bleibt er auch im hohen Alter ſanft und gutartig, während er, wenn er ein— mal verſchlagen“ wurde, einer der tückiſchſten aller Affen iſt.“ Schließlich iſt der Magot der einzige Affe, von dem ein Fall wirklicher Einbürgerung im nördlicheren Europa vorliegt, und die einzige Art (außer allenfalls dem japaniſchen Rot— geſicht-Makaken), bei der das Gelingen eines ſolchen Verſuches zu erhoffen war. Der kur— heſſiſche Staatsminiſter Graf Martin Ernſt v. Schlieffen hat dieſen ſchon Ende des 18. Jahr—⸗ hunderts mit Glück durchgeführt. Im Waldpark ſeines Gutes Windhauſen, eine Meile von Kaſſel, lebte zwanzig Jahre lang, von 1763—83, eine Herde Magots, die ſich Graf Schlieffen von einem Stammelternpaar herangezüchtet hatte, völlig frei; nur gefüttert wurden ſie, und einige Felsgrotten und Schutzhütten aus Rindenholz wurden für ſie aufgebaut. Mit rühren— der Liebe hingen die Tiere an ihrem Herrn, den ſie auf ſeinen Spaziergängen und Ritten faſt immer bis an die Grenze des Gutswaldes begleiteten. Wenn der Graf ſeinen gewöhn— lichen Ritt nach Kaſſel machte, erwarteten ſie ihn abends, auf den Wipfeln der Bäume ſitzend, und gebärdeten ſich wie toll vor Freude, wenn fie ihn endlich mit ſeinen beiden langen Die: nern zwiſchen den Getreidefeldern zum Vorſchein kommen ſahen. So gedieh die Affenkolonie vortrefflich, bis nach etwa zwanzig Jahren ein Affe von einem tollen Hunde angefallen wurde, Die anderen eilten dem Bedrängten zu Hilfe, viele wurden noch gebiſſen, und ſchweren Herzens ſah ſich Graf Schlieffen gezwungen, alle abſchießen zu laſſen. Er ſetzte ihnen aber einen Leichen— ſtein in Geſtalt einer gebrochenen Säule mit ſelbſtgedichteter Gedächtnisinſchrift. Sechzig Affen ſollen unter dieſem „Affendenkmal“ begraben ſein, das heute noch ſteht und die Erinnerung an die einſtigen Bewohner des Parkes lebendig hält gleichwie deſſen „Affenteich“ und „Affengrotte“. Die Schweinsaffen, die man als Gattung Nemestrinus Zichb. zuſammenfaſſen kann, ſetzen wir, obwohl ſie geſchwänzt ſind, hier hinterher, weil ſie in die zuſammenhängende Reihe vom Rheſus bis zum Magot, die das Verſchwinden des Schwanzes bei den braunen Makaken aufzeigt, nicht hineingehören, vielmehr ihre eigenen Merkmale haben. Vor allem in dem kurzen, dünnbehaarten Schwanze, der mit dem eines Schweines inſofern Ahnlichkeit hat, als er in einer ganz eigentümlichen Weiſe, nach unten gekrümmt oder über den Rücken geſchlagen, getragen wird. Die Gruppe der Schweinsaffen beſteht aus zwei Arten. Die eine, der Löwenmakak, Nemestrinus leoninus Blyth (andamanensis), iſt nicht auf den Andamaneninſeln zu Hauſe, wie einer ſeiner Artnamen irreführenderweiſe ver— muten laſſen muß; er iſt vielmehr nur dort eingeführt, und ſeine natürliche Verbreitung er— ſtreckt ſich über Arakan, das Irrawaddigebiet, Oberburma, vielleicht bis nach Siam. 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. 1 or 1 Der Löwenmakak ſchließt ſich, abgeſehen von dem Schweineſchwänzchen, im Außeren noch näher an die Rheſusartigen an durch die gedrungene, unterſetzte oder wenigſtens nicht gerade langbeinig erſcheinende Geſtalt und kürzere, ſchwächere Schnauze. Der Schwanz wird meiſt auf den Rücken gelegt. Eine ſchwarze, hufeiſenförmig auf die Stirn vorſpringende Haarfriſur und Kopfzeichnung ſteht leiſtenartig hoch und ſticht gegen die graubraune Körper⸗ farbe und das dunkel fleiſchfarbene Geſicht mit den weißen Augenlidern ab. Das erſte Stück, das 1869 von den Andamanen in den Londoner Garten kam, hatte die richtige Matroſendreſſur: trank aus der Flaſche und rauchte kurze Pfeife. Seitdem ſind immer einmal wieder einzelne Löwenmakaken lebend eingeführt worden. Ein Männchen, das jahrelang im Berliner Garten lebte, erkannte den vorbeigehenden Direktor Heck auf größere Entfernung ſchon und verfehlte nie, ihm nach Schweinsaffenart ſeine Hochachtung zu beweiſen: durch Niederducken des Vorderkörpers und Hochziehen der Stirnhaut, wobei die weißen Augen⸗ lider ſich auffallend bemerkbar machten, man möchte faſt ſagen: leuchteten. Sehr glücklich war er dann, lief freudig erregt und immer wieder ſeine Verbeugung machend, hin und her, wenn der Begrüßte an ſeinen Käfig herantrat und ihm Gleiches mit Gleichem zu vergelten ſuchte durch möglichſt ähnliche Kopf- und Oberkörperhaltung. Und doch wurde dieſer Affe von Heck nie gefüttert, ſeine Liebe beruhte alſo auf rein platoniſcher Grundlage. Der eigentliche Schweinsaffe oder Lapunder, Nemestrinus nemestrinus L. (Taf. „Affen IV“, 2), von den Malaien Sumatras Broh oder Bruh, auf Singapore Berok genannt, hat ganz ſein eigenes Gepräge, vor allem durch die weit vorſpringende Schnauze, die ſchon an die Paviane erinnert, aber im Umriß noch rund bleibt. Junge Stücke fallen auch durch ihre ſchlanke Geſtalt mit einer wahren Weſpentaille und die langen Beine auf; im Laufe der Entwickelung verſchwindet dieſer Eindruck leichten Körperbaues aber voll- kommen, und alte Männchen find im Gegenteil ganz gewaltige, ſchwere Burſchen mit tüch⸗ tigem Bauch, muskulöſen Gliedern, mächtiger Schnauze und Halswamme an dem derben Dickkopf. „Wie ein guter Maſtiff“, jagt Anderſon, und wenn das auch vielleicht etwas über⸗ trieben ſein mag, ſo iſt doch ſo viel ſicher, daß ein alter Schweinsaffenmann zu den achtung⸗ gebietendſten Affengeſtalten gehört, die man ſehen kann. Dabei ſind die Körpermaße, die an⸗ gegeben werden, Höhe 50 em, Körperlänge 60 em, Schwanzlänge 15 — 20 em, gar nicht ſo überwältigend. Die Behaarung auf der Oberſeite des Körpers iſt lang und reichlich, auf der Unterſeite ziemlich ſpärlich, ihre Färbung oben dunkel olivenbraun, jedes einzelne Haar abwechſelnd olivenfarben, grünlich, gelblich und ſchwarz geringelt, auf dem Oberarme mehr fahlgelb und auf der Unterſeite des Leibes gelblich oder bräunlichweiß, auf der Unterſeite des Schwanzes hell roſtbräunlich. Geſicht, Ohren, Hände und Geſäßſchwielen ſind ſchmutzig fleiſch⸗ farben, die oberen Augenlider weißlich, die Augen braun. Auf dem abgeplatteten Scheitel gehen die Haare ſtrahlenförmig auseinander. Der Schweinsaffe lebt in den Wildniſſen von Sumatra, Borneo und dem ſüdlichen Burma, der Malaiiſchen Halbinſel bis nach Tenaſſerim, wo er jedoch ſchon ſelten wird, auch wahrſcheinlich weniger auf Bäumen als auf dem Erdboden oder auf Felſen und im Dſchangel an deren Fuße. Wenigſtens berichtet Phayre, daß er Affen dieſer Art in einer gebirgigen Gegend fand. Auch daß der Schweinsaffe gut ſchwimmt, iſt beobachtet worden. Ausführliche Berichte über ſein Freileben liegen nicht vor, ſind mir zum mindeſten nicht bekannt; jedenfalls aber fteht jo viel feſt, daß der Schweinsaffe in ſeiner Heimat häufig ſein muß, weil er auf unſeren Tiermärkten durchaus nicht zu den Seltenheiten gehört. Man erzählt, daß er von den nach IL 1 Ne 5 Affen IV. J. Magot, Simia inuus I. 2. Schweinsaffe, Nemestrinus nemestrinus L. 10 nat. Gr., s. S.547. — W. S. Berridge, F. Z. S.-London phot. 10 nat. Gr., s. S. 552. — W. S. Berridge, F. Z. S.-London phot. 3. Mantelpavian, Papio hamadryas L., Paar. 4. Mohrenmakak, Cynopithecus maurus F. Cuv., mit 1/12 nat. Gr., s. S. 568. — A. Karl Schuster- Wien phot. Jungem. ½0 nat. Gr., s. S. 553. — P. Kothe-Berlin phot. r 5. Brauner Dichelada, Theropithecus gelada Rupp. 6. Hecks Makak, Cynopithecus hecki Mtsch. 1/ı2 nat. Gr., S. S.565. — Aus Elliot, ‚Primates‘, Neuyork 1912. 1/10 nat. Gr., s. S.554. — P. Kothe-Berlin phot. 4 7. Weißbartitummelaffe, Colobus vellerosus /s. Geoffr. 8. Drill, Mandrillus leucophaeus F. Cuv., Weibchen m. Jungem. s nat. Gr., s. S. 600. — P. Kothe- Berlin phot. ½ nat. Gr., s. S. 588. — Neue Photogr. Gesellschaft A.-G.-Berlin- Steglitz phot. Schweinsaffe. Mohrenmakak. 553 Malaien gezähmt und zu allerlei Dienſtleiſtungen abgerichtet werde. Namentlich ſoll man ihn zum Pflücken der Kokosnüſſe verwenden und er dabei ſich nicht allein geſchickt, ſondern ſogar ſehr verſtändig zeigen, unter anderem die reifen Nüſſe von den unreifen unterſcheiden und jene herabwerfen. Das bezeugt z. B. der Sumatrareiſende Bock aus eigenem Augenſchein. Im Verhältnis zu ſeiner Größe iſt der Schweinsaffe ebenſo kräftig wie beweglich, obgleich er ſelbſtverſtändlich den Schlankaffen, Meerkatzen und kleineren Sippſchaftsverwandten nach— ſteht. Sein Weſen iſt gutmütig, und er behält dieſe Eigenſchaft vielleicht auch im höheren Alter bei, wenigſtens mehr als der Rheſus, weil er ruhiger und träger iſt als dieſer. Aller— dings habe ich mehrere erwachſene Schweinsaffen kennengelernt, mit denen ebenfalls nicht zu ſpaßen war: alte grämliche Männchen, die ſich weder von ihren Pflegern noch von anderen Affen das geringſte gefallen ließen. Im Affentheater gilt der Schweinsaffe für dumm und wird nur für einfache Rollen, Sitzen an der Tafel, Ponyreiten, verwendet. In ſolchen, als alter General von Anno dazumal mit Dreiſpitz und Federbuſch oder als Schulreiter mit Frack und Zylinder ſieht er dann aber auch vermöge ſeines ruhigen Weſens äußerſt würdig aus. Blan— ford nimmt an, daß die gute Meinung, die man, laut Raffles, auf Sumatra vom Schweins— affen habe, nur Weibchen und junge Tiere betreffen könne; denn alte Männchen ſeien ſehr bösartig und wegen ihrer Größe und Stärke gefährliche Gegner. Von Stimmlauten läßt der Schweinsaffe wenig hören, nur als Zornesausdruck und Drohung ſtößt er ein gewiſſes ge— preßtes Meckern aus. Die freundliche Begrüßung, namentlich Weibchen gegenüber, iſt ſehr bezeichnend für die Gattung: Vorſchieben der Lippen bei geſchloſſenem Munde, bei ſtärkerer Erregung verbunden mit Niederducken des Vorderkörpers, oft auch Vorſtrecken einer Hand. Die Trächtigkeitsdauer wurde zu 7 Monaten 20 Tagen beſtimmt. Auch der Schweinsaffe pflanzt ſich leicht in Gefangenſchaft fort und paart ſich zuweilen erfolgreich mit Verwandten. So lebte im Berliner Tiergarten im Jahre 1872 ein weiblicher Schweinsaffe mit ſeinem Kinde, deſſen Vater ein gewöhnlicher Makak war. Im Tier- und Pflanzengarten zu Singapore hat man, nach Ridley, gleichartige Miſchlinge und ſogar ſolche mit dem Schopfpavian erzielt. Außerlich nicht ganz ungeſchwänzt, aber noch weniger als ſtummelſchwänzig, man darf vielleicht ſagen: knopfſchwänzig, iſt ſchließlich eine Gruppe weſentlich ſchwarz gefärbter, auf der Inſel Celebes vereinigter Affen, deren Bezeichnung und wiſſenſchaftliche Bewertung zwiſchen Makaken und Pavianen (Mohrenmakak oder Mohrenpavian, Schopfpavian) hin und her ſchwankt. Offenbar alſo eine gewiſſe Übergangsgruppe. Und dabei ift bezeichnend, daß eine Art, der Schopfpavian, immer nur Pavian genannt und von wiſſenſchaftlichen Bearbeitern zu einer beſonderen Gattung erhoben wird: er kommt gewiſſen rundſchnauzigen Pavianen am nächſten. Matſchie zeigt uns aber in ſeiner Bearbeitung der Säugetierausbeute von Küken— thals Forſchungsreiſe, daß der Schopfpavian durch Verwandte mit kurzem Schopf am Hinter: haupt mit den ſchopfloſen Mohrenmakaken verbunden wird, und wir tun alſo doch wohl beſſer, die geſamten Schwarzmakaken von Celebes als eine Gattung (Cynopithecus Is. Geoffr., Magus) zu betrachten. Wir können hier nur diejenigen Arten erwähnen, die durch die zoolo— giſchen Gärten der Allgemeinheit bekanntgeworden ſind. Das iſt vor allem der ſchopfloſe, in der Jugend dunkel ſchokoladenbraune, im Alter ſchwarze Mohrenmakak oder Mohrenpavian, Cynopithecus maurus F. Cub. Magus, Inuus, Macacus; Taf. „Affen IV”, 4), von dem merkwürdigerweiſe bis jetzt kein genauer Fundort bekannt iſt; nach Matſchie müßte er von der Oſtſeite der Südweſthalbinſel von Celebes kommen. Da übrigens dort kein bedeutenderer Hafen liegt, wohl aber an der Weſtküſte 554 Fe Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. derſelben Halbinſel der Hauptausfuhrplatz Makaſſar, ſo ſollten wir unſere Mohrenmakaken in den zoologiſchen Gärten vielleicht beſſer zu C. inornatus Gray rechnen und entſprechend be⸗ ſchildern; Elliot betrachtet ſowieſo beide genannte Arten als gleichbedeutend. Von Geſtalt ſind ſie unterſetzt und kurzbeinig, den Bärenmakaken am ähnlichſten; auch die nackten Teile an Kopf und Gliedern ſind ſchwarz, nur die Geſäßſchwielen ſind fleiſchfarbig. Auch geiſtig ſind ſie im Alter allem Anſchein nach ähnlich ruhigen Weſens wie Bärenmakak und Schweinsaffe, welch letzteren ſie übrigens an Größe nicht erreichen, und im Affentheater werden ſie deshalb nicht hoch bewertet. Junge ſind dagegen im zoologiſchen Garten äußerſt zutulich, um nicht zu ſagen zudringlich, haben ſich mit Herumſpringen und ſchmatzendem Zähnefletſchen mächtig um jeden Beſucher, der ſie anſpricht und ſich mit ihnen beſchäftigt. Von den weiteren Arten iſt allem Anſchein nach der Grauarm-Makak, C. ochreatus Ogilb., von der Südoſthalbinſel dem gewöhnlichen Mohrenmakaken am ähnlichſten: er unter: ſcheidet ſich weſentlich nur durch hellgraue Farbe der Unterhälfte der Gliedmaßen. Der Braunbein- oder Hecks Makak, C. hecki Misch. (Taf. „Affen IV“, 6, bei S. 552), von der Nordſeite der Nordhalbinſel dagegen nähert ſich durch längere Beine und eine vorn etwas geſcheitelte, anliegende Haubenfriſur ſchon mehr dem Schopfpavian. Dieſe Art gab durch ihr ganzes Außere, nicht zuletzt auch durch ihre braunen Beine, Heck zu denken, nachdem der Berliner Garten einige junge Stücke als „Schopfpaviane“ lebend erhalten hatte, und dieſe falſchen Schopfpaviane ſind denn auch ſchließlich der Anlaß geworden, daß Matſchie die ganze Gruppe der Celebesmakaken durcharbeitete. Ein ſolcher Affe des Leipziger Zoologiſchen Gartens ſtreckte ſchon ganz von ſelbſt die Hand durch das Käfiggitter, um ſich eine eiternde Wunde von Grimpe behandeln zu laſſen, nachdem er beim erſtenmal mit Gewalt dazu gezwungen worden war und dabei die Wohl⸗ tat verſpürt hatte. Dann aber blamierte er ſich wieder dadurch, daß er die Hand auch noch herausſtreckte, als längſt alles geheilt war. Der eigentliche Schopfpavian, C. niger Desm., ſchließlich, von der Südſeite der Nord⸗ halbinſel (Minahaſſa) mit dem Ausfuhrhafen Gorontalo, hat wieder ſchwarze, und zwar auch ſchon in der Jugend ganz ſchwarze Farbe; außerdem iſt er, in der Jugend wenigſtens, wie man ihn gewöhnlich lebend ſieht, durch lange Beine und ſchlanken Leib ausgezeichnet und nicht zuletzt natürlich durch den nach hinten vom Kopfe abſtehenden, im einzelnen aber nach allen Seiten auseinanderbiegenden Haarſchopf auf dem Scheitel hinter den mächtig vorſpringenden Augenbrauenwülſten. Die roten Geſäßſchwielen ſind geteilt und greifen mehr nach den Seiten auf die Oberſchenkel über. Die lang vorgezogene, an den Backen etwas ſeitlich zuſammen⸗ gedrückte Schnauze iſt, obwohl ſie vorn abgerundet iſt und die Naſenlöcher hinter einer breiten Oberlippe zurückſtehen, doch ſehr pavianartig durch eine ähnliche Riefelung und Hautfalten⸗ bildung, wie wir ſie beim Mandrill in der höchſten Ausbildung finden. Als Körperlänge wird 65 em angegeben; der Schwanz iſt zu einem kaum ſichtbaren knopfartigen Höcker verkümmert. Über das Freileben des Schopfpavians iſt wohl noch immer kaum etwas befannt- geworden. Über ſein Vorkommen berichtet Roſenberg: „Er wird in Gebirgswäldern bis zu 1300 m Höhe angetroffen und verſammelt ſich zuweilen in viele Hunderte von Individuen zählenden Scharen, um von einer Gegend in die andere zu ſtreifen. Einer meiner Freunde begegnete einſt während einer Dienſtreiſe einer ſolchen wandernden Affenherde, welche die Straße an der Stelle überſchritt, wo er ſich gerade zu Pferde befand; er hatte große Mühe, ſich mit Peitſchenhieben der Tiere zu erwehren. Zu Tulabollo vernahm ich beinahe täglich, zumal Grauarm-, Braunbein-Makak. Schopfpavian. 555 gegen Abend, ihr häßliches, dem Hundegebell ähnliches Geſchrei. Mein Jäger brachte mir einſt ein Junges. In der erſten Zeit gab ich dem Tierchen Milch und reife Piſangfrüchte zur Nah— rung, welche es, daran ſaugend, verzehrte; ſpäter fraß es auch gekochten Reis und in Waſſer geweichten Zwieback. Es wurde allmählich ſehr zahm, aber auch durch ſeine Zudringlichkeit be— läſtigend und gab, wenn man es allein ließ, durch anhaltendes Schreien ſein Mißvergnügen zu erkennen. Hörte das Tier in dem ganz in der Nähe des Hauſes liegenden Walde einen Vogel oder irgendein anderes Tier ſchreien, ſo wurde es unruhig und antwortete ſogleich. Dieſer 2 S EEE Schopfpavian, Cynopithecus niger Desm. /5 natürlicher Größe. Pavian kommt auch noch auf der kleinen, an der Südſpitze von Halmahera, dem größten Ei— lande der Molukken, liegenden Inſel Batjan vor, iſt aber dort nicht urſprünglich zu Hauſe. Der dortige Sultan erinnerte ſich, in ſeinen Knabenjahren gehört zu haben, daß unter der Regierung ſeines Vaters oder Großvaters ein Paar dieſer Affen nach Batjan übergebracht worden ſeien. Von dieſem Paare ſtammen alle dortigen Affen ab, die ſich bis jetzt noch lange nicht über die ganze Inſel verbreitet haben, geſchweige denn nach Halmahera übergewandert ſind.“ Neuerdings iſt der Schopfpavian öfters nach Europa gelangt und hat hier auch geraume Zeit in der Gefangenſchaft gelebt. Einer, den ich im Amſterdamer Tiergarten ſah, ſchien ſich ſehr wohl zu befinden. Er wurde bei Tage regelmäßig zu den Makaken gebracht, die in dem großen Affenhauſe die Zuſchauer beluſtigten. Mit dieſen ſchien er auf ziemlich gutem und mit einem weiblichen Babuin auf ſehr vertrautem Fuße zu ſtehen; wenigſtens erwies er dieſer zarten Schönen alle Aufmerkſamkeit und ließ ſich zum Dank gern von ihr ſein Haarkleid 556 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. durchſuchen. Zwei andere Schopfpaviane, ebenfalls höchſt übermütige Geſellen, machten ſich ein wahres Vergnügen daraus, zwei arme Budengs zu foppen und zu quälen. Die Paviane ſprangen auf ſie, ritten auf ihnen, maulſchellten ſie, gaben ihnen Rippenſtöße, zogen ſie am Schwanze und machten ſich ein beſonderes Vergnügen daraus, ihre innige Vereinigung zu ſtören. Zu dieſem Ende kletterten ſie auf den armen Tieren herum, als wenn dieſe Baum⸗ zweige wären, hielten ſie am Haare feſt und drängten ſich endlich, den Hintern voran, zwiſchen die ruhig Sitzenden, bis dieſe ſchreckensvoll auseinander fuhren und in einer anderen Ecke Schutz ſuchten. Geſchah dies, jo eilten die Quälgeiſter augenblicklich hinter ihnen drein und begannen die Marter von neuem. Bei den Affen dachte man eben früher in allen Tiergärten: Pack ſchlägt ſich, Pack verträgt ſich, und ſperrte fie zuſammen. Auch nach Hecks Erfahrungen iſt der Schopfpavian „ein ‚Erzaffe‘, ‚einer mit Armeln“, wie die Berliner jagen. Der meinige begrüßt mich mit ſchmatzendem Zähnefletſchen und Kopfnicken, auch wenn ich zwiſchen dem Publikum ſtehe. Er weiß ganz genau, daß ich mit zur ‚Firma‘ gehöre, obwohl ich mich nie beſonders mit ihm abgegeben habe; das hindert ihn aber nicht, mir bei jeder Gelegenheit den Hut vom Kopfe und den Schulterkragen vom Mantel zu reißen.“ Ein ähnlicher Racker ſcheint der Schopfpavian geweſen zu ſein, über deſſen loſe Streiche an Bord S. M. S. „Bis⸗ marck“ Th. Zell Bericht erhielt. Dieſer Schopfpavian konnte aber auch artig ſein, ging z. B. jeden Mittag nach Tiſch ſtolz an der Hand des Admirals ſelber auf zwei Beinen an Deck ſpazieren. In der übrigen Zeit war er aber ſtets bei der Mannſchaft zu finden, der er bald hier, bald da einen mehr oder weniger empfindlichen Schabernack ſpielte, ohne indes jemals bös⸗ artig zu werden. Sein Hauptſtück war, einem Mann die Pfeife, den Tabak oder die Zigarre wegzunehmen und, in Stücke gebrochen oder zerſtreut und zerpflückt, von der Takelage aus, wo ihn natürlich trotz der Behendigkeit der Leute keiner erreichen konnte, dem untenſtehenden ſchimpfenden Eigentümer an den Kopf zu werfen. Weil er zu viel Bananen ſtahl, wurde ihm ein Halsband mit einer Klingel angelegt. An dieſem zerrte und dehnte er aber ſo lange, bis er die Klingel ins Maul nehmen und ſo, ohne ſich zu verraten, ſeine Diebſtähle fortſetzen konnte. Er faßte dann raſch eine Banane mit einem Fuß, eine zweite mit einer Hand, eine dritte, die Klingel fahren laſſend, mit dem Maule und eilte mit lautem Triumphgeſchrei und Geklingel in die Takelage, um dort ſeine Beute zu verſpeiſen. Den Hühnern an Bord rupfte er die Federn aus, den Schlachtochſen ſprang er furchtlos zwiſchen die Hörner und rüttelte an dieſen. Als das Schiff angeſtrichen wurde, naſchte er Bleiweiß und lag fünf Tage krank in einer freien Koje, bis er durch Rizinusöl und heiße Milch geheilt war. Trotzdem verfiel er zum zweitenmal derſelben giftigen Näſcherei und ſtellte ſich dann ganz von ſelbſt im Laza⸗ rett ein; diesmal überſtand er aber die Vergiftung nicht: binnen vierundzwanzig Stunden war er dahin, betrauert von der ganzen Beſatzung. Für das Affentheater eignet ſich, laut Broekmann, kein einziger anderer Affe in demſelben Grade wie der Schopfpavian. Er lernt ſpielend leicht, hält das Erlernte feſt und „arbeitet“ mit wahrem Vergnügen. Bei ſeiner Seltenheit und dem hohen Preiſe, in dem er ſteht, iſt er aber kaum auf der Bühne zu finden, zumal er leider auch recht hinfällig iſt. Nach dem äußeren Anſehen zu den abweichendſten aller Makakenarten gehört einer der ſchönſten Affen überhaupt, den wir deshalb als Vertreter der Gattung Vetulus Rehb. ganz ans Ende der Makakenreihe ſtellen, obwohl er nach ſeinem Schädel ein echter Makak iſt und nur durch ſeinen Mähnenbart und mittellangen, gequaſteten Schwanz vielleicht etwas Gemein⸗ james mit den Mantelpavianen hat. Es iſt der Wandern Buffons (übrigens eigentlich ein UT „ as Schopfpavian. Bartaffe. 557 ſinghaleſiſcher Schlankaffenname), Nilbandar, Schiabandar, Tſchingala, Singa— lika uſw. der Inder, unſer Bartaffe, der Löwenſchwanz-Affe von Pennant und anderen engliſchen Forſchern, Vetulus silenus L. (albibarbatus). Ihn kennzeichnen der gedrungene Bau, ein reicher, eigenartig ſchüſſelförmig vertiefter, weil mit allen Haaren nach vorn ge— krümmter Vollbart, der das ganze Geſicht umſchließt, nur auf dem Scheitel eine Lücke läßt, und der mittellange, am Ende gequaſtete Schwanz. Der ſehr reiche, lange Pelz iſt glänzend Dartaffe, Vetulus silenus L. JI natürlicher Größe. ſchwarz, unterſeits licht bräunlichgrau, der mähnenartig verlängerte Vollbart dagegen, in der Jugend wenigſtens, gräulich; Hände und Füße haben mattſchwarze Färbung, die gutmütigen Augen braune Iris. Erwachſen erreicht der Affe eine Länge von nicht 1 w; Bourdillon gibt die Geſamtlänge zweier Männchen zu 87,5 und 89 em, die zweier Weibchen zu 77 und 70 cm an, die in der Länge ſehr wechſelnden Schwänze maßen 25—3S em. Nach den neueren Berichten iſt das Tier in Malabar heimiſch und bewohnt hier ausſchließ— lich die dichten Waldungen der Höhen, etwa vom 14. Grad nördl. Breite bis zum Kap Komorin, in Banden von 12—20 Stück. Über das Freileben des Bartaffen wiſſen wir ſoviel wie nichts. Seine Nahrung beſteht aus Knoſpen und Baumblättern. Er beſucht ebenfalls die Gärten 558 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. und richtet dort unter Umſtänden bedeutenden Schaden an. Thierbach erzählt, daß die von dieſen Affen herrührenden Verwüſtungen oft wirklich jammervoll anzuſehen ſind. In manchen Kokosgärten ſieht man nicht eine einzige Frucht auf den Bäumen, aber den Boden ganz beſät mit ihnen, zumal mit halbreifen, welche dieſe Affen abgeriſſen und herabgeworfen haben. Demungeachtet werden ſie von den Malabaren geſchätzt. Die Fürſten dieſes Volkes achten ſie ſehr hoch wegen ihrer Ernſthaftigkeit und ihrer Klugheit. Sie laſſen Junge aufziehen und zu allerlei Spielen abrichten, wobei dieſe ſich überraſchend gut benehmen. „Der weißbärtige Affe“, ſagt Heydt, „ſcheint mehr Nachdenken zu haben als andere Affen, kann gläſernes Geſchirr lange gebrauchen, ohne es zu zerbrechen, weiß ſogleich, wenn er unrecht getan hat, und gibt ſeine Traurigkeit darüber durch Gebärden zu erkennen ...“ Bennett erzählt von zwei Gefangenen, die er pflegte, daß ſie ſehr gutartig waren und ſich damit vergnügt hätten, an ihrer Kette ſich zu ſchaukeln. „Sobald jemand hereintrat, ſtieg der eine plötzlich von ſeiner Stange herab und paßte den Augenblick ab, um auf den Beſucher zu ſpringen und ihn un- verſehens zu erfaſſen und zu necken; dann kletterte er wieder auf ſeine Stange, als ob nichts geſchehen ſei, und freute ſich ſeines Erfolges.“ 5 Ich habe mehrere dieſer Tiere geſehen, auch eines längere Zeit gepflegt und muß ſagen, daß ich mit den Indern übereinſtimme. Der Bartaffe macht den Eindruck eines überlegenden Geſchöpfes. Auch er achtet auf jeden Menſchen und auf jedes Tier, das ſich ihm nähert: aber- dies geſchieht mit würdiger Ruhe. Von Natur iſt er gutmütig; unter Umſtänden kann aber der alte Adam in ihm lebendig werden. Das ruhige und ſanfte Auge blitzt dann in eigentüm⸗ lichem Feuer auf; das Geſicht nimmt den Ausdruck entſchiedenen Zornes an, und die Hal— tung des Affen bekundet, daß er jetzt nur auf den Augenblick lauert, zuzufaſſen und ſeinen Ingrimm zu betätigen. Zuweilen ſieht man ihn im Affentheater als mitwirkenden Schauſpieler in der Rolle eines würdigen Alten, zu der er ſich ſeines Ausſehens halber ganz vorzüglich eignet. Doch verſicherte mir Broekmann, daß er, wenn auch nicht ungelehrig, ſo doch ſchwerfällig von Begriffen ſei, lange Zeit brauche, um etwas zu behalten, und nicht mit der Willfährigkeit anderer abgerichteter Affen „arbeite“. In der Gefangenſchaft gezüchtet iſt der Wanderu an⸗ ſcheinend noch nicht; dagegen hat man merkwürdigerweiſe im Berliner Zoologiſchen Garten einmal zwiſchen ihm und einer Celebes-Makakin einen Miſchling gels der von ſeinem Vater den langen Schwanz hatte. Mehr oberflächlich durch ſein äußeres Anſehen mit Mähnenbart und Quaſtenſchwanz bereitete der Bartaffe, tiefergehend durch Schädelbau und Geſichtsbildung der Schopfpavian auf die beiden Hauptgattungen der wirklichen Paviane des bisherigen naturgeſchichtlichen Sprach⸗ gebrauchs vor, deren eine durch abgerundete Schnauze eben die Verbindung mit den Makaken herſtellt, während die andere die echten eckigen „Hundsköpfe“, wie ſie ſchon der alte Ariſto⸗ teles nannte, mit mehreren Untergattungen in ſich vereinigt. Dieſe Hundsköpfe wirken auf uns nur zu leicht abſchreckend und widerwärtig, weil bei ihrem Anblick der unmittelbaren Überzeugung, einen Affen, alſo ein menſchenähnliches Tier vor ſich zu haben, der ebenſo un: mittelbare Eindruck des ausgeprägt Tieriſchen ſich geſellt, der in uns eben durch das Ver— hältnis — mit menſchlichem Maßſtabe gemeſſen ein Mißverhältnis — zwiſchen dem engen, flachen Hirnkaſten und der mächtigen, lang vorgezogenen Schnauze hervorgerufen wird. Außer: dem erſcheinen die Paviane durch ihre ungefähr gleichlangen Vorder- und Hintergliedmaßen mehr als andere Affen auf das Laufen auf allen vieren beſchränkt, und in dieſem Sinne darf man ſie wohl als die niedrigſten, „tieriſchſten“ Affen bezeichnen. Bartaffe. Paviane. 559 Sie find aber neben den Menſchenaffen die größten Glieder der Ordnung. Ihr Körper⸗ bau iſt namentlich gedrungen bei den alten Männchen, deren Muskelkraft ungeheuer iſt. Der ſchwere Kopf verlängert ſich in eine ſtarke und lange, allermeiſt vorn abgeſtutzte, mitunter noch wulſtige oder gefurchte Schnauze mit vorſtehender Naſe; das Gebiß erſcheint raubtierähnlich vermöge ſeiner fürchterlichen Eckzähne, die hinten ſcharfe Kanten haben; die Lippen ſind ſehr beweglich, die Ohren klein; die ebenfalls kleinen Augen liegen ſehr tief, weil ſie von ſtarken Knochenwülſten überwölbt werden und nach unten gerichtet ſind: wiederum im menſchlichen Sinne unedle Bildungen, die dem Geſichtsausdruck des Pavians für unſer Empfinden etwas unheimlich Tückiſches und Bösartiges geben. Er hat das richtige „Verbrechergeſicht“! Die Gliedmaßen treten mit ganzer Sohle auf, und der Daumen iſt gut entwickelt, reicht bis zur Mitte des zweiten Fingers, Rückbildungserſcheinungen machen ſich nicht geltend. Der Schwanz iſt bald lang, bald kurz, bald glatthaarig, bald gequaſtet und wird bei den gewöhnlichen lang N ſchwänzigen und mähnenloſen Pavianen auf eine ganz eigentümliche Weiſe getragen, nämlich bis zum ſechſten Schwanzwirbel ſteif aufwärts gebogen und von da bis zum Ende ſchlaff und kaum ſelbſttätig beweglich herabhängend in einer Weiſe, die an den allbekannten „bammelnden“ Hammelſchwanz erinnert. Der Wurzelteil des Schwanzes läßt ſich nicht einmal beim toten Tiere gerade biegen, ſondern federt immer wieder nach oben. Grund und Zweck dieſes Verhaltens ſind nicht abzuſehen; ja, es laſſen ſich nicht einmal beſondere Einrichtungen nachweiſen. Selbſt Hans Virchow fand bei ſeinen genauen Unterſuchungen nur ein „nichtsſagendes“ Bild und über— zeugte ſich, daß der Körper, wie in ſo manchen anderen Fällen auch, die ſtarke Wirkung ohne beſondere Hilfsmittel zu erreichen vermag, nur vermöge der bis zur Verbindung zwiſchen dem fünften und ſechſten Schwanzwirbel vorhandenen Gelenkfortſätze, der elaſtiſchen Zwiſchenbogen— bänder und der ſtarken Seitenbänder an den Gelenken. Die Backentaſchen der Paviane ſind groß, ebenſo die Geſäßſchwielen, die gewöhnlich auch äußerſt lebhaft, meiſt rot, gefärbt find; da ſie zudem noch bei den Weibchen in der Brunſt ganz bedrohlich anſchwellen, ſo entſteht eine höchſt abſchreckend, wie eine böſe Entzündungskrankheit ausſehende Bildung. Die lange und lockere Behaarung verlängert ſich bei einigen Arten am Kopfe, Halſe und an den Schul— tern zu einer reichen Mähne und hat gewöhnlich unbeſtimmte Erd- oder Felſenfarben, wie Grau, Graugrünlichgelb, Bräunlich- oder Schwärzlichgrün. Der Verbreitungskreis der Paviane erſtreckt ſich über ganz Afrika ſüdlich der Sahara und Arabien. Die Paviane ſind zwar vorwiegend als echte Felſenaffen zu betrachten; doch halten ſich manche Arten zweifellos auch in Wäldern auf und ſind geſchickter im Baumklettern, als man ihnen nach Beobachtungen in waldloſen Gebieten zugetraut hat. Im Gebirge gehen ſie bis zu 3000 und 4000 m über die Meereshöhe, ja ſelbſt bis zur Schneegrenze hinauf; doch ſcheinen fie niedere Gegenden zwiſchen 1000 und 2000 m den Hochgipfeln vorzuziehen. Waſſer⸗ arme Landſtriche meiden ſie durchaus nicht, wiſſen vielmehr immer die nötige Tränke zu finden. R. Feußner hat ſie dabei in Deutſch-Südweſtafrika beobachtet, wie ſie die feuchte Erde aufkratzen und ſo erſt das Waſſer zum Vorſchein bringen. Deshalb ſollen in Südafrika zahme Paviane geradezu zum Aufſuchen von Waſſer benutzt werden. Von den Waſſerſtellen laſſen fie ſich auch ſchwer vertreiben, vertreiben vielmehr ihrerſeits oft genug die Schwarzen, namentlich ſchwarze Weiber, und deshalb hat man ihnen gegen dieſe, aber mit Unrecht, beſondere Gelüſte nachgeſagt. Die Nahrung der Paviane beſteht hauptſächlich aus Zwiebeln, Knollengewächſen, Gräſern, Kraut, Pflanzenfrüchten, Eiern und kleinem Getier aller Art. Doch dürfen wir annehmen, daß die wehrhaften und gewandten Burſchen ſich nicht bloß mit kleinen Lebeweſen begnügen, ſondern bei ihrer Gier nach Fleiſchnahrung wie echte Räuber auch über größere Tiere 560 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. herfallen. Nach Fiſchers Berichten fangen ſie in Oſtafrika nicht bloß Hühner, ſondern belauern Zwergantilopen und ſogar die ſtattlicheren Buſchböcke. In Südafrika haben ſie ſich neuer⸗ dings auch angewöhnt, den Sauglämmern der Schafherden nachzuſtellen, und dabei ſollen ſie es nicht zum wenigſten auf die Milch in deren Magen abgeſehen haben. Für den Viehzüchter werden ſie ſo ebenfalls zu Schädlingen. In den Anpflanzungen, zumal in den Weinbergen, richten die Paviane natürlich den allergrößten Schaden an, und man behauptet, daß ſie ihre Raubzüge förmlich geordnet und überlegt unternähmen. Sie ſollen oft noch eine gute Menge Früchte wegnehmen und auf die höchſten Gipfel der Berge ſchleppen. Daß ſie Schildwachen ausſtellen, iſt ſicher. Ebenſo, daß Hundsköpfe in beſiedelten, dürftigen Gegenden als eine wahre Landplage betrachtet werden müſſen, weil ſie dort den Landleuten außerordentlichen Schaden zufügen. In Deutſch-Oſtafrika verwüſten ſie, nach Lydekker, die Siſalagavenpflanzungen durch Abdrehen der Herzblattſchäfte und machen in einer Nacht ganze Hektare auf Jahre hinaus ertragsunfähig; in den Teakbaumſchulen plündern ſie, nach Gieſeler, nicht nur die Zwiſchen⸗ frucht, ſondern brechen, wie aus reiner Bosheit, die Wipfel der jungen Bäume ab. Und bei allen dieſen Raubzügen, überhaupt bei der Nahrungsſuche wie an der Tränke gehen ſie mit der größten Vorſicht zu Werke. Der vorangehende Leitaffe, das ſtärkſte Männchen, bleibt öfters ſtehen, um zu ſichern, und gibt dann der erſt in größerem Abſtand folgenden Herde durch einen beruhigenden Grunzlaut das Zeichen zum Weitergehen. Am Ziel angelangt, beſteigt er noch einmal einen Felsblock oder Baum und hält ſorgfältig Umſchau. Bemerkt er nichts Verdächtiges, ſo ſtößt er einen lauteren Schrei aus, und dann kommt's in Maſſen aus den Büſchen heraus und ergießt ſich über die Pflanzung. Scheint dem Alten dagegen irgend etwas nicht geheuer, ſo iſt er mit größter Geſchwindigkeit wieder in den Büſchen verſchwunden, um den Rückzug anzuordnen, und ebenſo geht es, wenn man z. B. auf der Steppe eine Herde in einem kleinen Buſchgehölz anſchleichen will. Auf den Warnungsruf entfaltet ſich augenblicklich in den Zweigen eine überraſchende Lebendigkeit. Lange, graue Schatten huſchen durch das Grün, ſtürzen zur Erde, und im nächſten Augenblick iſt die Herde verſchwunden. In weiter Ferne, auf einer Bodenwelle, wo das Steppengras ſpärlicher wächſt, ſieht man ſie vielleicht dann noch einmal, wie ſie in weit auseinandergezogener Linie dahinflüchtet. Trotz berechtigtem Ingrimm der Geſchädigten wird aber vielen Menſchen die Pavianjagd doch verleidet durch das menſchenähnliche Gebaren des getroffenen Wildes. So geſteht ein Engländer, der eine Buren⸗ treibjagd auf Paviane mit Kaffern als Treibern mitmachte: „Das Schlimmſte waren die Schreie, die ſie ausſtießen und die wirklich ganz an Klagerufe von Menſchen erinnerten. Auch ihre Bewegungen, wenn ſie getroffen wurden und die Arme hoch in die Höhe warfen, waren fürchterlich menſchlich.“ Dietrich erzählt, wie er in Deutſch-Südweſtafrika in eine große Pavian⸗ herde von 200—300 Stück hineinſchoß, die von einem Waſſerloch nicht weichen wollte. „Kaum waren wir der Waſſerſtelle auf ungefähr 1500 m nahe, als ſich in dem Dorngebüſch, das das Loch umgab, ein ohrenbetäubender Lärm erhob. Gleichzeitig flogen Steine, Holz und Schmutz uns entgegen, ohne uns jedoch wegen der großen Entfernung zu erreichen. Je weiter wir uns näherten, deſto wütender gebärdeten ſich die Affen. Als ich bereits ſo nahe war, daß ich in Gefahr geriet, von den Wurfgeſchoſſen der wütenden Menge getroffen zu werden, ſandte ich der Geſellſchaft einen Schuß entgegen, indem ich blind in den dichten Haufen hineinhielt. Die Kugel hatte einen jungen Pavian getroffen. Mit einem menſchenähnlichen Klagelaut blieb das Tier liegen, während ſeine Genoſſen ſich eiligſt zur Flucht wandten.“ Sehr ſchnell aber kam die Mutter zurück und holte das ſchwerverwundete Junge nach. „Am nächſten Ab- hang blieb die ganze Herde ſtehen und ſcharte ſich nun um das kranke Tier. Dieſes ſtieß Paviane: Allgemeines. 561 fortwährend ſeine Jammerlaute aus, die mir durch Mark und Bein gingen. Mit ängſtlichen Augen ſah es fortwährend auf ſeine Wunde und verſuchte, mit der Hand das Blut zurück— zuhalten. Die Mutter dagegen riß Blattwerk vom nächſten Strauch und ſtopfte es in die Wunde. Wohl über eine Viertelſtunde tönte das entſetzliche Geſtöhne an mein Ohr. Endlich, endlich noch ein letztes Aufjammern, dann Totenſtille. Mit einem von Herzen kommenden Sott ſei Dank! wandte ich mich ab und ſah noch, wie die ganze Geſellſchaft mit dem Toten im Dorn verſchwand. Die Waſſerſtelle mußte erſt gründlich gereinigt werden, ehe wir ſie benutzen konnten.“ Auch A. Berger hat es auf ſeinen Reiſen in Deutſch-Oſtafrika wieder⸗ holt erlebt, daß Paviane ihre Toten und Verwundeten mitſchleppten. Während die Herde flüchtete, blieb meiſt ein Männchen zurück, um gewiſſermaßen den Rückzug zu decken. Mehr als alle übrigen Affen zeigen die Paviane durch ihre Haltung, daß fie haupt⸗ ſächlich Erdtiere ſind. Ihre ganze Körperbildung bindet ſie an den Boden. Sie ähneln in ihrem Gange plumpen Hunden; auch wenn ſie ſich aufrichten, ſtützen ſie ihren Leib gern auf eine ihrer Hände. Solange ſie ſich ruhig verhalten und Zeit haben, ſind ihre Schritte langſam und ſchwerfällig; ſobald ſie ſich verfolgt ſehen, fallen ſie in einen merkwürdigen Galopp, der die allerſonderbarſten Bewegungen mit ſich bringt. Ihr Gang zeichnet ſich durch eine gewiſſe leichtfertige Unverſchämtheit aus. Das iſt ein Wackeln der ganzen Geſtalt, namentlich des Hinterteiles, wie man es kaum bei einem anderen Tiere ſieht; dabei tragen ſie den Schwanz gebogen und ſchauen ſo herausfordernd aus ihren kleinen, glänzenden Augen heraus, daß ſchon ihre Erſcheinung ihrem Weſen Ausdruck gibt. Die geiſtigen Eigenſchaften widerſprechen der äußeren Erſcheinung nicht im geringſten. Der Geiſt der Paviane iſt gleichſam der Affengeiſt in ſeiner Vollendung, aber, menſchlich be— trachtet, mehr im ſchlechten als im guten Sinne. Einige vortreffliche Eigenſchaften können wir ihnen nicht abſprechen. Sie haben als geſellige Tiere, die in feſt verbundener, durch Familien— bande verknüpfter Horde leben, eine außerordentliche Zuneigung zueinander und gegen ihre Kinder. Auch in der Gefangenſchaft kommt das manchmal zu rührendem Ausdruck, wenn ſie ſelbſt durch lange Trennungen ſich nicht entfremdet zeigen. Knottnerus-Meyer ſchildert dies von einem Mantelpavianpaar des Zoologiſchen Gartens in Hannover, die ſich dreiviertel Jahr nicht ſehen, nur hören konnten: wie ſie ſich in ſteigender Erregung immer lauter zuriefen, als das Weibchen eines Tages endlich durch den langen Gang hinter den Käfigen wieder zu dem Männchen hingehen durfte und dieſes geſpannt auf den Schieber zum Gange blickte. „Da fällt dieſer, und Eva erſcheint. Einige Augenblicke ſehen ſich beide ſtarr an, dann liegen ſie ſich unter ſtändigem Freudengeheul in den Armen, ſehen ſich wieder an, umarmen ſich von neuem und lange Zeit jo fort.“ Ein anderer Pavian, deſſen Weibchen geſtorben war, „raſte vor Wut und Schmerz“, ſo erzählt derſelbe Beobachter, „als man das tote Tier aus dem Käfig nahm. Tagelang ſaß er ganz teilnahmlos da, ohne zu freſſen. Das hinterbliebene Junge aber, das er bei Lebzeiten der Mutter nie berühren durfte, pflegte er bis zu deſſen Tode zärtlich, allerdings mit der bekannten, auch menſchlichen Vätern eigenen Unbeholfenheit. Ein anderes Weibchen, das man ihm lange nachher zugeſellte, lehnte er ab, ſo liebenswürdig auch dieſe Affin ſich und ihre Reize zeigte. Erſt viel ſpäter nahm er ein Weibchen des Lang— held⸗Pavians an, ohne jedoch zu ihm in zärtlichere Beziehungen zu treten.“ Der Hauptſtimmlaut der alten Paviane iſt ein gewiſſes rauhes Bellen, das aber zum Unterſchied vom Hundegebell niemals raſch hintereinander wiederholt, ſondern nur vereinzelt ausgeſtoßen wird. Die Weibchen und Jungen erheben bei jeder Gelegenheit ein zeterndes, gellendes Angſtgeſchrei mit Zähnegefletſch. Die freundliche Begrüßung wird durch ſchnatterndes Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 36 562 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. Schmatzen mit den Lippen ausgedrückt, Zorn durch andauernde Kaubewegungen und öfteres „Gähnen“, d. h. weites Aufreißen des Maules und Entblößen des Gebiſſes. Die Paviane hängen auch an dem Menſchen, der ſie pflegt und aufgezogen hat, und werden ihm ſelbſt nützlich auf mancherlei Weiſe, erkennen ihn wenigſtens als Herrn an und ordnen ſich ihm unter oder ſtellen ſich auf ſeine Seite; denn er iſt nun in ihrem Seelenleben an die Stelle der Artgenoſſen in der Freiheit getreten. Aber nur ihr weißer Beſitzer gilt ihnen als Herr; ſeine ſchwarzen Diener achten ſie nicht im geringſten, ſie machen überhaupt einen großen Unterſchied zwiſchen Weißen und Schwarzen und laſſen ſich durch dieſe letzteren nicht von all den unzähligen loſen Streichen abhalten, durch die ſie ſich ſchließlich oft doch unmög— lich machen trotz aller Liebhaberei, die man an ihren geiſtigen Leiſtungen haben muß. Wie bedeutend dieſe ſind, mögen einige ungemein feſſelnde Schilderungen Hans Beſſers aus Oſt⸗ afrika beleuchten. Beſſers Hundsaffe Jack kehrte ſeine drehbar auf einem Pfahl angebrachte Schlafkiſte ſtets mit der offenen Seite von der Wind- und Wetterrichtung ab. Den Mechanis⸗ mus von Ring und Durchſtecker an ſeiner Kette hatte er bald erfaßt und befreite ſich, ſobald ſein Herr außer Sicht war. Dann ging es den ſchwarzen Soldatenfrauen ſchlecht, die ihren Männern das Eſſen auf dem Kopfe zutragen wollten. Jack entledigte ſie im Nu ihrer Ge⸗ wandung, und dabei fiel ihm natürlich auch das Eſſen zur Beute. Kette und Vorſtecker wurden nun mit einer Leine, dann mit Leder feſt verknüpft; aber der Affe lernte alle Knoten, auch die kunſtvollſten, mit Leichtigkeit löſen, und als ſeine Kette ſchließlich an den Pfahl feſtgenagelt wurde, grub er dieſen aus und nahm ihn ſamt der Kette mit. Auf drei Beinen laufend, faßte er die Kette mit der einen Hand und ſchleifte ſo den Pfahl hinter ſich her. Eine junge grüne Meerkatze bemutterte und beſchützte er mit der bekannten, gerade bei den Pavianen ſehr aus⸗ geprägten Affenliebe; aber um eine Banane, die die Kleine nicht gutwillig hergeben wollte, riß er das zarte Affchen buchſtäblich in zwei Teile, die er einzeln mit Wut auf den Boden ſchleuderte. Eine Eſelſtute, der er ihr Fohlen am Schwanze fortziehen wollte, ſchlug ihm ſchließlich das Rückgrat entzwei. Danach verweigerte eine junge Hundsäffin, die ſich ihm innig angeſchloſſen hatte, jede Nahrung und ſtarb binnen vier Tagen. Ein anderer Hundsaffe, Maru, den Beſſer am Rikwaſee erſtand, lief dem weiterziehenden Reiſenden acht Tage nachher ſchon frei nach, war aber auch nur unter den Augen ſeines Herrn artig; ſonſt ſtahl er, wo er konnte. War er müde, ſo ſprang er mit aufs Pferd. Bald kannte er alle Leute, die zu Beſſer gehörten, und hielt ſich zu dem Küchenjungen, der, ſchlecht zu Fuß, ſtets eine halbe Stunde hinterher hum⸗ pelte, dabei aber oft den Affen noch tragen mußte. Groß war ſeine Waſſerſcheu, auch vor dem kleinſten Rinnſal: flugs hatte er den erſten beſten Träger am Lendenſchurz erfaßt und ließ ſich hinübertragen, ängſtlich ſich anklammernd. Wurde Raſt gemacht, ſo kam Maru ſtets zu⸗ nächſt zu ſeinem Herrn und umarmte ihn. Bei einer Begegnung mit wilden Hundsaffen ſetzte er dieſen mit den Doggen ſeines Herrn nach, kam aber noch ſchneller mit allen Anzeichen der Furcht wieder zurück und umklammerte Beſſers Hals ſo feſt, daß dieſem faſt die Luft ausging. Ob die wilden Artgenoſſen ihm in der Affenſprache irgendeine ſchlimme Drohung zugerufen hatten? Er ging von da an wenigſtens wilden Hundsaffen ängſtlich aus dem Wege. Fremde Hunde dagegen fürchtete er gar nicht, ſprang über ſie hinweg und zauſte ſie ſpielend an den Ohren. Mit den Doggen ſeines Herrn ſtand er ſich ausgezeichnet, durfte ſogar ein oder das andere Junge vom Lager der Hündin wegnehmen und liebkoſen: der ſtärkſte Vertrauensbeweis, den eine Hündin geben kann! Später bemutterte der Affe die Jungen auch nach Pavianart und leckte ſie rein, wenn ſie ſich an der Milchſchüſſel beſudelt hatten. Dabei guckte er ihnen ſtets auch ins Maul und unterſuchte dieſes an den Seiten mit dem Finger, als ob die Welpen | | 19 » Paviane: Allgemeines. 563 Backentaſchen hätten. Auch Maru löſte jeden Knoten, wenn er mit einem Strick angebunden wurde, ſtellte ſich aber ganz teilnahmlos, ſobald und ſolange man ihn dabei beobachtete. Wäh— rend einer Europareiſe ſeines Herrn wurde er bei anderen Europäern untergebracht, erkannte jenen aber nach acht Monaten ſofort wieder und begrüßte ihn mit ſtürmiſcher Zärtlichkeit. Aber all dieſe guten Seiten der Paviane können in den Augen des Menſchen, der ſie mit ſeinem Maße mißt, ihre Unſitten und Leidenſchaften nicht vergeſſen machen. Liſt und Tücke ſind Gemeingut aller Hundsköpfe, und namentlich zeichnet eine furchtbare Wut ſie aus. Ihr Zorn lodert ſo raſch wie ein Strohfeuer auf; aber er hält aus und iſt nicht ſo leicht wieder zu verbannen. Ein einziges Wort, ſpottendes Gelächter, ja ein ſchiefer Blick kann einen Pavian raſend machen, und in der Wut vergißt er alles, ſelbſt den, welchen er früher liebkoſte. Deshalb bleiben dieſe Tiere unter allen Umſtänden gefährlich, und ihr roher Sinn bricht durch, auch wenn ſie ihn lange Zeit gar nicht zeigten. Ihren Feinden gegenüber machen ſie ſich wahrhaft furchtbar. Die Paviane fliehen zwar vor dem Menſchen, laſſen ſich aber doch, wenn es not tut, mit ihm wie auch mit Raubtieren in Kampf ein, und dieſer wird oft recht gefährlich. Der Leopard ſcheint der Hauptfeind zu ſein; doch ſtellt er mehr den Jungen nach als den Alten, weil er alle Urſache hat, ſich zu bedenken, ob ſeine Fangzähne und Klauen dem Gebiſſe und den Händen der Paviane gewachſen ſind. Hunde werden vom Pavian gar nicht ſelten überwältigt; gleichwohl kennen die edlen Windhunde der Sudanaraber keine größere Luſt als die Jagd ſolcher Affen. Außer dem Hunde, dem Leoparden und dem Löwen haben die Paviane kaum ihnen beſonders gefährliche Feinde; dagegen iſt wohl anzunehmen, daß die Affen mit dem furchtbaren Giftzahn der Schlangen von jeher böſe Erfahrungen gemacht haben. Kein Pa⸗ vian hebt einen Stein auf oder durchſucht einen Buſch, ohne ſich vorher zu vergewiſſern, daß unter und in ihm keine Schlange verborgen iſt. Skorpione fürchten die klugen Tiere nicht, wiſſen ſie vielmehr mit großer Gewandtheit zu fangen und ihrer Giftſtacheln zu berauben, ohne ſich zu verletzen. Dann verſpeiſen ſie den Skorpion mit demſelben Vergnügen wie andere Spinnen oder ein Kerbtier. Die Brunſt zeigt ſich bei keinem anderen Tiere in ſo abſchreckender Weiſe wie bei ihnen. Die Weibchen werden zu gewiſſen Zeiten, alle 30 —35 Tage etwa, brünſtig, und dieſer Zu— ſtand währt nach meinen Beobachtungen, ſoweit äußerlich erſichtlich, 14—20 Tage. Er beginnt mit einem merklichen Anſchwellen der Geſchlechtsteile, das ſich im Verlaufe der Zeit faſt über das ganze Geſäß erſtreckt und die Schwielen blaſig auftreibt. Dieſe röten ſich gleichzeitig, als ob ſie entzündet wären, und das ganze Geſäß erhält dadurch ein wahrhaft abſchreckendes Aus- ſehen. Nach etwa acht Tagen verkleinern ſich die Blaſen, ſchrumpfen mehr und mehr zuſammen und verſchwinden gegen Ende der angegebenen Zeit vollſtändig. Im Anfange der Brunſt ſind die Weibchen ebenſo erpicht auf die Männchen wie dieſe während der ganzen Jahreszeit auf jene. Obgleich ſich die Hundsköpfe in der Gefangenſchaft fortpflanzen, läßt ſich auch bei ihnen die etwa 7 Monate währende Tragzeit aus denſelben Gründen nicht genau beſtimmen wie bei anderen Affen. Auch verſchiedenerlei Pavian-Miſchlinge ſind im Berliner und anderen zoologiſchen Gärten ſchon gezüchtet worden, ſowohl zwiſchen langſchwänzigen Arten als zwiſchen den kurzſchwänzigen, Drill und Mandrill; ja, aus Cincinnati wurde ſogar 1896 von einem Miſchling zwiſchen einem Mandrillweibchen und einer Rauchgrauen Mangabe berichtet, der nach der Beſchreibung durch runden Kopf und langen Schwanz dem Vater ähnlich war. Auch bei den Pavianen und ihren Miſchlingen gilt die allgemeine Regel, daß Affenſäuglinge aller- meiſt helle Haut und dunkles Haar haben. Bei den neugeborenen Pavianen iſt die Haut erſt 36* 564 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. ſehr rot, blaßt aber dann ab. Auch fie halten während der erſten Lebens zeit faſt Wien sg e eine Saugwarze der Mutter im Maule. Der Nutzen der Paviane iſt gering. Ihrer Gelehrigkeit wegen werden ſie zu allerlei Kunſtſtücken abgerichtet. In Südafrika ſollen fie, wie ſchon angedeutet, auch zum Aufſuchen des Waſſers in der Wüſte dienen. Wenn der Waſſervorrat zu Ende geht, bekommt der Pavian etwas Salziges zu freſſen. Das vom Durſte gequälte Tier wendet ſich bald rechts, bald links, bald vor-, bald rückwärts, ſchnüffelt in der Luft, reißt Pflanzen aus, und zeigt endlich durch Graben das verborgene oder durch ein entſchiedenes Vorwärtseilen das zutage getretene Waſſer an. Sonſt dienen die Paviane, wie die anderen Affen, nur der Schau- und Lachluſt der Menge im Varieté, Zirkus und Affentheater. Ein gelber Pavian konnte es als „Gentleman-Affe“ mit allen Schimpanſen-Konſuls und-Maſters aufnehmen, und Bärenpaviane erregten im Zirkus Schumann Bewunderung durch die ſelbſtverſtändliche Fixigkeit, mit der ſie, eben noch neben ihren am Boden liegenden Fahrrädern auf allen vieren ſtehend, im nächſten Augenblick ſchon drauf ſaßen, Figuren um Sektflaſchen fuhren uſw. Im Affentheater verwendete man die langſchwänzigen Arten mit Vorliebe, wo es auf große, ſchlanke Geſtalt ankam, z. B. zum Ponyreiten; Drill und Mandrill dagegen ſpielen ganz allgemein eine große Rolle, ſowohl durch ihr vorzügliches Auffaſſungsvermögen als durch ihre wirkungsvollen Köpfe. Die Bedeutung der Paviane, inſonderheit des Mantelpavians, für Kunſt und Kirche der alten Agypter iſt oben (S. 442f.) bereits berührt. Aber auch in den Sagen und Erzählungen der Araber ſpielen die Paviane eine hervorragende Rolle. Sie ſind es, welche die Geſchicht⸗ ſchreiber am beſten kennen, weil ſie in Jemen vorkommen, ſie auch, die am häufigſten lebend nach Agypten und Syrien gebracht werden; und auf ſie insbeſondere bezieht ſich die Behauptung des Propheten und feiner Freunde, daß Allah fie in ſeinem Zorne aus Menſchen zu Affen ver⸗ wandelt habe: eine ganz allgemeine Vorſtellung aller Völker, die mit Affen zuſammenleben. Die Reihe der Paviane müſſen wir mit dem Dſchelada der Abeſſinier (Gattung Thero- pithecus Is. Geoffr.) beginnen, weil dieſer nach allgemeinem Körperbau und Lebensweiſe zwar für unſer „Tierleben“ hier ein richtiger Pavian iſt, durch ſeine vorn abgerundete Schnauze aber doch eine gewiſſe Verbindung mit den Celebes-Makaken, beſonders dem Schopfpavian, herſtellt; ja, gewiſſe moderne Syſtematiker möchten ihn geradezu unter die Makaken verſetzen. Die Naſe endet auf der abgerundeten Schnauze erſt hinter einer breiten, wulſtigen Oberlippe, ragt aber dort ähnlich ſpitz hervor wie bei den eigentlichen hundeſchnauzigen Pavianen, und das gibt dem Geſicht eine ganz einzigartige, nach menſchlichen Begriffen natürlich nichts weniger als ſchöne Außenlinie, namentlich von der Seite, wenn auch die vorſpringenden Augenbrauen⸗ wülſte ſo recht in die Erſcheinung treten. Von vorn iſt der Anblick nicht minder befremdend. Man ſieht dann, daß hinter dem wulſtigen Maul die Schnauze ſeitlich etwas eingezogen iſt und von der Naſe über die Backe nach dem äußeren Augenwinkel in derſelben Bogenlinie eine ſcharfe Knochenkante verläuft, der noch einige Hautlängsfalten aufliegen, wie ſie andeutungs⸗ weiſe beim Schopfpavian und in der Vollendung beim Mandrill wiederkehren. Aber nicht genug der Abſonderlichkeiten: der Dſchelada hat auch noch an der Kehle eine halbmond- oder halsbandförmige Stelle, die, ganz ſcharf abgegrenzt, nackt und durch das Blut rot gefärbt iſt, gewöhnlich hellrot, in der Erregung blutrot, und zwei ebenſolche, ungefähr rechtwinklig drei⸗ eckige, mit der kürzeren Grundſeite aneinanderſtoßende Stellen mitten auf der Bruſt. Auch die Lider und die faltige Haut über den Augen ſind rot. Die Geſäßſchwielen dagegen ſind ganz klein und dunkel. Ein Knochenkamm längs des Scheitels trägt verlängertes, ſchopfartig Brauner und Schwarzer Dſchelada. 565 aufrichtbares Haar, und vor und unter den Ohren ſtrebt eine Art Backenbart nach hinten weg. Die ganze Oberſeite des Rumpfes aber bis gegen die Schwanzwurzel einſchließlich der Ober— arme iſt von einem langen, mähnenartigen Haarmantel bedeckt: „Mantelpavian“ iſt der Diche- lada noch mehr als ſein Verwandter, der dieſen Namen führt. Der Schwanz hat ſchließlich noch eine lange Endquaſte. Die Nägel ſind namentlich an den Vordergliedern ganz auffallend lang, krumm gewölbt und ſcharf: richtige Grabklauen. Der Dſchelada iſt der Pavian des abeſſiniſchen Hochgebirges und, entſprechend dieſer abgelegenen, ſchwer zugänglichen Heimat, nicht nur im zoologiſchen Garten, ſondern auch im Muſeum eine Seltenheit, von der wir wohl kaum genügende, geſchweige denn erſchöpfende Kenntnis haben. Das geht aus allerlei wider: ſprechenden Angaben hervor, ſchon über die Größe, in der, nach Schimper und Heuglin, der Dſchelada alle übrigen Paviane und damit alle Affen außer den großen Menſchenaffen über— treffen ſoll, während ſein Entdecker Rüppell dies in Abrede ſtellt. Für den Braunen Diche- lada gibt Rüppell folgende Maße eines alten Männchens: Länge von der Schnauzenſpitze bis zur Schwanzwurzel 97 em, Schwanz 55 em (ohne die 15 em lange Quaſte), Kreuzhöhe 46 em. Das Weibchen bleibt kleiner. Auch über die Zahl der Dſcheladaarten herrſcht vielleicht noch nicht endgültige Klarheit. Es werden zwei unterſchieden: der Braune Dſchelada, Th. gelada Rüpp. (Taf. „Affen IV“, 5, bei S. 552), aus dem Hochgebirge von Simien, mitten in Abeſſinien, und Axum, weiter nördlich in Tigre gegen die Grenze der italieniſchen Eritrea, mit braunem Mantel, grauem Hinterkörper, namentlich Hinterbeinen und Schwanz, und der Schwarze Dſchelada, abeſſi— niſch Tokur Sindſchero, Th. obscurus Heugl., aus Südabeſſinien von den Quellen des Takazzafluſſes an der Gallagrenze, Männchen mit ſchwarzer Mantelmähne und braunem Hinter- körper und Schwanz, Weibchen am ganzen Körper rötlichbraun und ohne jegliche Mähne. Nun waren aber vor langen Jahren ſchon eine größere Anzahl Dſcheladas lebend eingeführt worden, ebenfalls aus dem abeſſiniſchen Hochlande Simien, und zwar in 3000 m Höhe dort gefangen von einem ungariſchen Jäger Eßler, die ganz ſchwarz und in beiden Geſchlechtern bemähnt waren. Sie wurden damals viel beachtet und gezeichnet, auch von F. Specht. Heck ſah ein Paar mit einem Jungen in der Menagerie Kauffmann. Der Tokur Sindſchero ſoll auch eine andere Lebensweiſe führen als der Braune Dſche— lada, namentlich nur in kleineren Herden von 30—40 Stücken zuſammenleben. Schimper ſagte mir, daß man den Dſchelada gewöhnlich in einem Höhengürtel findet, der zwiſchen 3000 und 4000 müber dem Meere liegt. Hier lebt er in ungeheuren Scharen; an der unteren Grenze ſeines Hochgebirges dagegen erſcheinen nur kleinere Trupps von 100—200 Stück. Auch er verläßt die felſigen, mit Geſtrüpp bedeckten Wände bloß, um in der Tiefe zu rauben. Seine gewöhnliche Nahrung beſteht aus verſchiedenen Zwiebeln, die er ausgräbt, Orchideen, Liliazeen, aus Gräſern, Kräutern, Früchten aller Art, und ſelbſtverſtändlich aus Kerbtieren, Würmern, Schnecken und dergleichen. Die Felder beſucht er ebenfalls, und zwar, wie die Abeſſinier behaupten, immer genau zu der Zeit, wann der Wächter nicht vorhanden iſt. Obgleich weit weniger unverſchämt und zudringlich als der Hamadryas, der die angrenzenden tieferen Lagen bewohnt, richtet doch auch er großen Schaden an, hauptſächlich deshalb, weil er immer in Menge einfällt. Vor dem Menſchen flüchtet ſtets die ganze Herde, ohne ſich jemals zu verteidigen; doch iſt es immerhin nicht ratſam, einem aufs äußerſte getriebenen Dſchelada zu nahe zu kommen: denn ſein Gebiß iſt mindeſtens ebenſo furchtbar wie das des Hamadryas, und er bietet im Zorne einen noch ungleich fürchterlicheren Anblick als dieſer. Dann reißt er, nach de Beaux, der neuerdings einen im Leipziger Zoologiſchen Garten beobachten konnte, die oberen Augenlider 566 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. derart in die Höhe, daß mächtige rote Flecke um die Augen entſtehen, und ſtülpt die an der Innenſeite hellroten Lippen ſo vollſtändig um, daß die Oberlippe die Naſe, die Unterlippe das Kinn bedeckt und die raubtierähnlichen, langen, ſcharfen Eckzähne zum Vorſchein kommen. Außerdem richtet er den Schopf in die Höhe und zeigt die nackten, jetzt blutrot gefärbten Hautſtellen. Wie eine Ausgeburt der Hölle muß der mächtige Affe dann ausſehen! Mit dem Hamadryas lebt der Dſchelada durchaus nicht in freundſchaftlichem Verhältnis. Die Berge von Simien gleichen großen Häuſern; ſie fallen von obenher nur ſanft, ungefähr dachartig, hierauf aber plötzlich Hunderte von Metern mehr oder weniger ſteil bis ſenkrecht ab. In dieſen Wänden nun gibt es Felſenhöhlen genug, in denen unſere Affen ſchlafen. Bei Tage ſieht man ſie oft in langen Reihen, zu Tauſenden vereinigt, auf den Geſimſen und Vor⸗ ſprüngen ſitzen. Sie haben dann ihren Futtergang beendet und find geſättigt von oben herab⸗ gekommen. Selten ſteigen ſie bis zu dem Fuße der ſteilen Wandungen hernieder, eben, um einmal ein Feld da unten zu beſuchen. Bei ſolchen Ausflügen treffen ſie dann zuweilen mit den Hamadryaden zuſammen. Dabei kommt es zwar nicht zu ernſthaften Angriffen, aber doch zur Fehde. Dſcheladas und Hamadryaden erheben ein furchtbares Geſchrei, bedrohen ſich unter Brüllen, Brummen und Bellen. Einzelne alte Recken ſtürmen auch wohl aufeinander los und ſuchen ſich gegenſeitig zu packen. Sie zauſen ſich dann tüchtig an dem ihre Männlichkeit bekundenden Mantel und beißen ſich ſogar mitunter; allein in der Hauptſache bleibt es beim Geſchrei und bei den wutfunkelnden Blicken. . Auf den Tokur Sindſchero bezieht ſich eine treffliche Lebensſchilderung, die wir Heuglin verdanken. „Der Affe bewohnt in zahlreichen Familien die Klüfte und Höhlen der ſteilen Abfälle, auf denen er ſeine ſchwindelnden Wechſel über den tiefſten Abgründen ſehr regelmäßig einhält. Tritt nach einer kalten Nacht die Sonne über die Berge von Amba Sel herauf, ſo verlaſſen die Erdpaviane ihre Felsklüfte, wo ſie, ſicher vor Leoparden und Hyänen, hart an⸗ einander gekauert geruht haben. Langſam und ſcheinbar ſtarr vor Froſt ſteigen ſie, geführt von alten Männchen, auf eine ſonnige, vom Winde geſchützte Felsplatte, um ſich zu erwärmen. Dort drängen ſie ſich gewöhnlich dicht aneinander, die Jungen an die Mütter, und machen vielleicht noch ein kleines Morgenſchläfchen. Einige alte Männchen halten Wache, langweilen ſich aber dabei, reißen den ſcheußlichen Rachen gähnend auf, wiſchen ſich die Augen und brummen, wenn ein ſcharfer Windſtoß die fuchsfarbigen Spitzen der langen Mähne, in welche ſie ſich wie in einen Pelzmantel einhüllen, in Unordnung bringt. Jetzt wird die Sonnenwärme kräftiger; behaglich ſtreckt ſich eine alte Affin, eine andere durchſucht den Pelz ihres hoffnungs⸗ vollen Sprößlings und zerbeißt zähnefletſchend gewiſſe kleine Geſchöpfe, welche ſie dort entdeckt hat. Die Geſellſchaft wird nach und nach lebhafter, das junge Volk ungeduldig. Man ſetzt ſich endlich in Bewegung, ordnet ſich in eine Linie, welche von einem alten Schech angeführt und von einem anderen geſchloſſen wird. So geht es auf wagerechten, äußerſt ſchmalen Fels- ſtufen längs des Steilabfalls hin bis zu einer mit Sträuchern bewachſenen Schlucht. Dort führt der Steig nach unten, und ſo immer tiefer bis zu einer grünen, keſſelartig von Felſen umſchloſſenen Matte. Ehe jedoch das Rudel dieſe betritt, wird vorſichtig die ganze Ebene be⸗ trachtet; doch andere Geſellſchaften aus der Nachbarſchaft treiben ſich ſchon ſorglos im Tale umher. Einige Schildwachen werden wohl ausgeſtellt; die ganze Bande geht dem Futter nach, welches vorzüglich in Knoſpen, Blättern, Früchten und Getreide beſteht. Aber auch große Steine werden umgedreht, und iſt einer zu ſchwach dazu, ſo ſind ihm einige Kameraden behilflich; denn unter den Steinen gibt es Würmer, fette Larven, Käfer und Schnecken, welche auch nicht verachtet werden. Dazwiſchen ſpielen die jungen Männchen, poſſierlich ſpringend, Dſcheladas: Lebensweiſe. Feinde. Gefangenleben. Stimme. Nahrung. 567 necken und quälen ſich und ihre Alten und werden dafür tüchtig geohrfeigt, gebiſſen oder am Schwanze gezerrt. Mit frecher Höflichkeit nähert ſich ſchmunzelnd ein Geck einer liebenswürdigen Affin; fie wendet ſich kokett von ihm ab. Er wird zudringlicher; der rechtmäßige Schutz- und Eheherr nimmt Kunde von der Lage: es entſteht Lärm, Schlägerei, und der Liebhaber wird ſchmählich davongejagt. Naht Gefahr, ſo geben die Wachen durch Bellen ein Zeichen; jede Truppe ſchart ſich um ihren Anführer, die Mütter nehmen ſorgſam ihre Jungen zu ſich, alles beobachtet geſpannt den Feind. Langſam nur eilt die Geſellſchaft dem ſicheren Felſen zu, hier und da halt machend und ſich umſehend. „Ich habe verſucht, Hunde, welche die Herde ſehr leicht einholen, unter ſie zu hetzen; aber ſie ließen ſich in kein Gefecht ein, wenn einige alte Paviane Miene machten, anzugreifen und ihr Achtung einflößendes Gebiß zeigten. Bis an die Felſen verfolgt, werfen oder rollen die Affen nicht ſelten Steine auf ihre Feinde herab... Auf höheren Bäumen habe ich fie nie geſehen. Ein Rudel beſteht meiſt aus 20—30 Stücken, darunter nur einige alte Männchen; bei großen Streifzügen aber rotten ſich wohl mehrere Hunderte zuſammen und unternehmen meilenweite Wanderungen. Die Zeit der Tränke iſt nachmittags gegen 4 Uhr. An den Quellen ſind ſie gar nicht ſcheu und nähern ſich Menſchen und Vieh oft bis auf wenige Schritte. Mit einbrechender Dunkelheit geht es immer wieder zurück in dieſelbe Nachtherberge.“ Als Feinde nennt Heuglin neben dem Leoparden auch große Raubvögel, was man aber füglich anzweifeln darf, wenn nicht beweiſende Beobachtungen vorliegen. Namentlich der ebenfalls genannte Lämmergeier mit ſeinen ſchwachen Waffen dürfte höchſtens dadurch in den falſchen Verdacht geraten, daß er ſich an der Leiche eines abgeſtürzten oder vom Leoparden geriſſenen Affen ſättigt. Die wenigen Beobachtungen an Gefangenen, die bis jetzt möglich waren, laſſen darauf ſchließen, daß der Dſchelada ein ruhigeres, man möchte ſagen, geſitteteres Tier iſt als der Hamadryas und die anderen Paviane. Die Eßlerſchen benahmen ſich nach kaum einem halben Jahre ſchon ſehr verſtändig und zeigten nie die rohe Wildheit alt gefangener Hamadryaden. Das alte Männchen des obengenannten Paares, das Martin öfter beobachten konnte, verfolgte aber trotz äußerlicher Ruhe alles, was in ſeiner Nähe vorging, mit größter Aufmerkſamkeit, und wenn man dem Käfig zu nahe kam, konnte man verſichert ſein, einen Schlag von der bekrallten Hand zu erhalten. Das Weibchen ging ganz in der Sorge um das überall herum— kletternde Junge auf. Die Stimme des Dſchelada iſt, nach de Beaux, überaus biegſam und meiſt ſanft; ſelbſt ſein lautes Rufen klingt nicht ſo rauh und bellend wie das der Mantelpaviane. Und Martin ſpricht geradezu von einer Sprache. Während der Mittagszeit, wo die Menagerie wenig beſucht war, pflegte ſich die Familie anſcheinend plaudernd zu unterhalten, und zwar am lebhafteſten, wenn ſie ſich allein glaubte. Die Töne waren ſo verſchieden moduliert und akzentuiert, daß man unwillkürlich denken mußte, man habe ſprachbegabte Weſen vor ſich: ſie erinnerten in etwas an die unartikulierten Laute, welche Menſchen von ſich geben, die durch einen organiſchen Fehler am Sprechen gehindert werden. Die Nahrung beſtand neben Mohrrüben, Apfeln, gekochtem Reis und Brot hauptſächlich in Gras, das die Dſcheladas ſehr gern, aber mit Auswahl genoſſen; ſie nahmen dabei mit der einen Hand Halm um Halm und legten fie mit der Spitze nach oben in die andere Hand, wobei jedes welke Blättchen aus⸗ geſchieden wurde. Nachdem ſie dann den ſo geſammelten Grasbüſchel oben abgebiſſen hatten, warfen fie die Wurzelenden aus der Hand fort. De Beaus berichtet in einer gewiſſen Über: einſtimmung damit, daß der Leipziger Dſchelada Heu und Körner, am liebſten aber Salat gefreſſen habe. Vielleicht iſt der Dſchelada alſo wirklich mehr Pflanzenfreſſer als die übrigen Paviane. Trotzdem möchte man ihm tieriſche Koſt keinesfalls ganz vorenthalten. is 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. * S 0 Übergehend zu den eigentlichen Hundsköpfen, Gattung Papio Era. (Cynocephalus), mit vorn eckig abgeſtutzter Schnauze, an deren vorderſtem Ende die eigentümlich ſpitz vorſtehende Naſe ſich öffnet, müſſen wir jetzt den Mantelpavian oder Hamadryas, P. hamadıyas L. Taf. „Affen IV“, 3, bei S. 552), folgen laſſen, weil er nicht nur der nächſte geographiſche, auch tiefer gelegene Landſtriche von Abeſſinien bis in den Sudan, die Eritrea und nach Arabien bewohnende Nachbar des Dſcheladas iſt, ſondern auch durch Mantelbildung bei den alten Männchen ſich an ihn anſchließt. Bei einem von mir erlegten mittelalten Männchen meſſen die Mantelhaare 27 em. Die Weibchen ſind kürzer behaart und dunkel, d. h. olivenbraun von Farbe; die Jungen ähneln der Mutter. Schon beim halbwüchſigen Männchen aber macht ſich eine Verlängerung der Schulterhaare bemerkbar, zunächſt ohne Veränderung der Farbe; dieſe wird erſt allmählich durch weiße Ringelung der Haare heller und heller, bis der alte Mann ſchließlich ganz in Grau erſcheint. Er hat dann ungefähr die Körpergröße eines Vor⸗ ſtehhundes, wenn auch vielleicht nicht ganz die Höhe. Maße laſſen ſich ſchwer angeben oder vielmehr: ſie werden in den wiſſenſchaftlichen Werken verſchieden angegeben, auch für den mittellangen Quaſtenſchwanz, der übrigens nicht in der oben bereits beſchriebenen Weiſe, erſt aufgebogen und dann abgeknickt, getragen wird wie bei der Hauptmaſſe der mantelloſen Pa⸗ viane. Die ſcheinbar widerſprechenden Maßangaben für alte Tiere erklären ſich wohl ſo, daß der Mantelpavian in verſchiedenen Gebieten ſeines Verbreitungskreiſes verſchieden groß iſt, und ſo hat man denn die kleine ſüdarabiſche Form aus der Gegend von Aden bereits als Unterart P. h. arabicus 7’hos. abgetrennt. Zu beiden Seiten des kurz und dunkel behaarten Scheitels verlängert ſich das beſonders helle Kopfhaar des alten Männchens zu einem ſonder⸗ baren, aber nicht gerade unſchönen Aufputz, der ſchon mehr als ein Backenbart iſt, wie gekämmt und gebürſtet nach beiden Seiten vom fleiſchfarbenen Geſichte wegſteht und an Kinnbacken und Hals den Schultermantel berührt. i Wie der Hamadryas zu der Ehre gekommen iſt, den Namen einer altgriechiſchen Baum⸗ nymphe zu tragen, weiß ich nicht; in ſeiner Geſtalt und in ſeinem Weſen liegt wahrhaftig nichts Weibliches. Herodot, Plutarch und Plinius bezeichnen ihn mit Cynocephalus. Bei den heutigen Abeſſiniern heißt er Hebe, bei den Arabern Robah und in Agypten endlich Khird. Über die Verehrung, die der Hamadryas bei den alten Agyptern genoß, hat uns Dümichen (S. 442f.) belehrt. Eine Folge davon läßt ſich noch jetzt nachweiſen; denn alle Be⸗ wohner der Steppenländer des inneren Afrikas und auch ein großer Teil der Abeſſinier tragen ihre Haare genau in derſelben Weiſe gekämmt und geſcheitelt wie der Hamadryas, und er iſt ſomit unverkennbar zum Vorbilde für jene Leute geworden, mögen dieſe auch mehr die Bildſäulen als das lebende Tier im Auge gehabt haben. 5 Gegenwärtig findet ſich das Tier in Agypten nirgends mehr wild, und das wird auch früher nicht der Fall geweſen ſein, weil der Hamadryas ein ausgeſprochener Berg- und Felſen⸗ affe iſt, wenn auch nicht gerade ein Hochgebirgsaffe wie der Dſchelada. Im alten Agypten wurde er eben, wie ſo vieles andere, aus Arabien und dem Sudan eingeführt. Dagegen hat es durch ſein Ausſehen und Weſen eine gewiſſe innere Wahrſcheinlichkeit, daß die geläufige Vorſtellung des klaſſiſchen Altertums von den Satyrn auf den Mantelpavian zurückzuführen it. Alvarez, der etwa um 1580 in Afrika, und zwar in Abeſſinien, war, berichtet, daß er die Mantelpaviane in ungeheuren Herden geſehen habe, und gibt eine ſehr richtige Beſchreibung von ihrem Weſen und Treiben. „Sie laſſen“, ſagt er, „keinen Stein liegen; wenn ihrer zwei oder drei einen nicht umwenden können, jo ſtellen ſich jo viele daran, wie Platz haben, drehen ihn dennoch um und ſuchen ihre Lieblingsnahrung hervor. Auch Ameiſen freſſen ſie gern und Mantelpavian: Verbreitung. Lebensweiſe. 569 legen, um dieſe zu fangen, ihre Hände umgekehrt auf die Haufen, und ſobald eine Hand mit Ameiſen bedeckt iſt, bringen fie dieſelbe raſch zu Munde. Wenn man fie nicht abwehrt, ver: heeren ſie die Felder und Gärten. Ohne Kundſchafter gehen ſie zwar nicht in die Pflanzungen; aber wenn dieſe ihnen das Zeichen zur Sicherheit gegeben, dringt die ganze Bande in den Garten oder das umhegte Feld und läßt nichts übrig. Anfangs ſind ſie ganz ſtill und ruhig, und wenn ein unkluges Junges einen Laut hören läßt, bekommt es eine Ohrfeige; ſobald ſie jedoch die Furcht verlieren, zeigen ſie durch gellendes Geſchrei ihre Freude über ihre glücklichen Überfälle. Sie würden ſich in entſetzlicher Weiſe vermehren, wenn nicht der Leopard ſo viele ihrer Jungen zerriſſe und fräße, obgleich die Alten dieſe mutig zu verteidigen ſuchen.“ Unter den neueren Forſchern gibt Ehrenberg zuerſt eine ziemlich ausführliche Beſchreibung dieſer Affen, denen er in Arabien und an der Küſte von Abeſſinien einzeln und in großen Scharen begegnete. Ich meinerſeits traf den Mantelpavian auf meiner erſten Reiſe nach Afrika im Freileben nirgends an, um ſo häufiger aber auf meinem leider nur zu kurzen Ausfluge nach Abeſſinien im Frühjahr 1862 und kann alſo aus eigener Erfahrung über ihn reden. Der Hamadryas bewohnt das ganze Küſtengebiet Abeſſiniens und Südnubiens, nach Norden hin, ſoweit die Regen herabreichen, in ziemlicher Anzahl. Je pflanzenreicher die Ge— birge, um jo angenehmer ſcheinen fie ihm zu fein. Waſſer in der Nähe iſt unerläßliche Be: dingung für das Wohlbefinden einer Herde. Von den höheren Bergen herab wandern die Geſellſchaften zuweilen auf die niederen Hügelreihen der Samhara oder des Wüſtenſtreifens an der Meeresküſte herab; die Hauptmaſſe bleibt aber immer im Hochgebirge. Hier bewohnt jede Herde ein Gebiet von vielleicht 1 oder 2 Meilen im Durchmeſſer. Man begegnet kleineren Geſellſchaften viel ſeltener als größeren. Ich ſah ein einzigesmal eine Schar von 15—20 Stück, ſonſt aber immer Herden, die der niedrigſten Schätzung nach ihrer 150 zählen mochten. Dar: unter befinden ſich dann etwa 10 —15 vollkommen erwachſene Männchen — wahrhafte Un- geheuer von bedeutender Größe und einem Gebiß, welches das des Leoparden an Stärke und Länge der Zähne bei weitem übertrifft — und etwa doppelt ſo viele erwachſene Weibchen. Der Reſt beſteht aus Jungen und Halberwachſenen. Nach Blanford zählen die Hamadryas— herden oft ſogar 250—300 Stück. Einige Männchen halten gewöhnlich ebenſo die Spitze wie die Nachhut, während andere Felſen und Bäume beſteigen und ſcharf ringsumher ſichern. Wenn eine Herde an einer Quelle verſammelt iſt, ſitzt auf jedem Felsblock, ja auf jedem größeren Stein ſolch ein alter Familienvater, mit ſeiner wachſamen Würde trefflich zu ſeinen „ehr— würdigen“ grauen Haaren paſſend, und wartet geduldig, bis Menſchen und Vieh ihren Durſt gelöſcht haben. Rings um ihn betuen und betreuen die Weibchen ihre Säuglinge, und die größeren Jungen ſpielen luſtig miteinander. Wird eines von dieſen zu unnütz und ſtört die Ruhe der Alten, ſo nimmt es ſich der Alte in ganz unzweideutiger Art vor und belehrt es durch viele Püffe eines Beſſeren. Die raſche Bewegung auf der Erde, ein guter, ſtetiger Galopp, erweiſt die Mantelpaviane ſofort als echte Erdaffen gegenüber den Springbewegungen der Baumaffen. Sir Samuel Baker ſchildert, wie die großen alten Männchen majeſtätiſch zur Tränke voranſchreiten, gefolgt von den Weibchen mit ihren Jungen auf dem Rücken, die da in richtigem „Jockeyſitze“ recht bequem reiten und ſich am Rückenhaar der Mutter feſthalten, manchmal aber auch mit dem ganzen Körper zappeln, wenn die Glieder ihnen ſteif zu werden drohen. Da hat ein jüngerer Affe einen vollhängenden Beerenſtrauch bemerkt; kaum hat er aber gierig angefangen zu ſchmauſen, ſo entdecken auch andere den Leckerbiſſen, und es ent— ſteht eine Rauferei. Jetzt kommt ein altes Männchen heran, pufft den einen, zauſt den anderen, beißt den dritten ins Hinterteil und ſchüttelt den vierten, der ſich ſchon entwiſcht glaubte, am 570 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. Schwanze tüchtig durch. Nachdem er ſo im denkbar kürzeſten Verfahren die Ruhe wiederher⸗ geſtellt hat, macht er jeden weiteren Streit dadurch unmöglich, daß er ſich ſelber unter den Strauch ſetzt und die Beeren frißt. Baker hebt noch die Ausdrucksfähigkeit der Stimme beim Mantelpavian hervor. Seine Gattin wollte gern einen „Girrit“, wie die Sudanaraber den Mantelpavian nennen, haben. Da galoppierten drei Jäger zwiſchen eine Herde, die man gerade beim Naſchen des Harzes der Mimoſenbäume traf, und die Paviane waren ſo dumm, vor den Pferden her, ſtatt an den Hängen hoch zu flüchten. So waren die Reiter bald mitten in der Herde drin, bogen ſich blitzſchnell vom Sattel herunter, packten je ein halbwüchſiges Junges im Genick und hoben es zu ſich auf den Hals des Pferdes. Anſtatt zu beißen, was man hätte erwarten ſollen, klammerten ſich die Gefangenen da rittlings an und ſchrien Zeter und Mord. Die Hetze war ſchon zu Ende, die Jäger ſtiegen ab, riſſen vor den erſtaunten Augen des Reiſenden ſofort einige Rindenſtreifen von den Mimoſen, banden die Affen damit am Halſe feſt und bearbeiteten ſie dann unbarmherzig mit ihren Nilpferdpeitſchen, um ſie fügſam zu machen und ihnen jegliche Beißluſt auszutreiben. In den Frühſtunden oder bei Regen findet man die ganze Bande an ihren Schlafplätzen, größeren und kleineren Höhlungen an unerſteiglichen Felswänden und auf überdachten Fels⸗ geſimſen, möglichſt nahe zuſammengedrückt, die Jüngeren und Schwächeren dicht an den Leib ihrer Mütter oder auch ihrer Väter geſchmiegt. Bei gutem Wetter verläßt die Herde jene Wände in den Vormittagsſtunden und wandert nun langſam und gemächlich längs der Fels— wände dahin, hier und da eine Pflanze ausziehend, deren Wurzel hauptſächlich als Nahrungs- mittel zu dienen ſcheint, und jeden nicht allzu großen Stein umwendend, um zu beſonderen Leckerbiſſen, den unter den Steinen verborgenen Kerbtieren, Schnecken und Würmern, zu ge⸗ langen. Sobald das Frühmahl eingenommen, ſteigen alle nach der Höhe des Bergkammes empor. Die Männchen ſetzen ſich ernſt und würdig auf Steine, den Rücken dem Winde zu⸗ gekehrt; die Weibchen beaufſichtigen ihre ohne Unterlaß ſpielenden und ſich balgenden Jungen und treiben ſich unter dieſen umher. In den ſpäten Nachmittagsſtunden zieht die Geſellſchaft zum nächſten Waſſer, um dort zu trinken; dann geht ſie nochmals auf Nahrung aus und wendet ſich ſchließlich nach irgendeinem geeigneten Schlafplatze. Iſt ein ſolcher beſonders günſtig, ſo darf man mit Sicherheit darauf rechnen, die Paviane gegen Abend da einziehen zu ſehen, ſelbſtverſtändlich, ſolange man ſie nicht durch wiederholte Verfolgungen geſtört hat. Durrafelder in der Nähe des Wohnplatzes gehören zu deſſen ganz beſonderen Annehmlichkeiten und müſſen ſorgfältig gehütet werden, wenn man auf eine Ernte rechnen will; ſonſt erſcheinen die frechen Räuber tagtäglich, verwüſten weit mehr, als ſie verzehren, und richten ſchließlich das ganze Feld vollſtändig zugrunde. Es unterliegt wohl kaum einem Zweifel, daß fie mehr oder weniger ausgedehnte Wan⸗ derungen unternehmen, in der Abſicht, ein von ihnen ausgeplündertes Gebiet mit einem noch Nahrung verſprechenden zu vertauſchen; wenigſtens verſicherten mir die Eingeborenen, daß man ſie keineswegs das ganze Jahr über an ein und derſelben Stelle bemerke, ſie vielmehr kämen und gingen, wie es ihnen eben beliebe. Ich glaube nicht, daß die meiſten Geburten in eine beſtimmte Jahreszeit fallen, ſchließe vielmehr aus Beobachtungen an Gefangenen, beſonders über den Blutfluß der Weibchen, daß ihre Fortpflanzung und beziehentlich die Geburt ihrer Jungen in jedem Monate des Jahres erfolgen kann. Doch vermag ich darüber nur einige Beobachtungen aus der Gefangenſchaft mitzuteilen. Von den vielen Weibchen, die ich gepflegt habe, gebar eines zu meiner Über- raſchung Anfang Oktober ein vollkommen ausgetragenes Junge. Der letzte Blutfluß hatte Mantelpavian: Lebensweiſe. Fortpflanzung. 571 41/2 Monate früher ſtattgefunden; als Trächtigkeitsdauer iſt dieſer kurze Zeitraum jedoch wohl kaum anzunehmen. Das Junge kam mit geſchloſſenen Augen zur Welt, hatte vollkommen ausgebildete Nägel und ſehr feines Haar von oben ſchwärzlicher, ſeitlich gräulicher Färbung, während die Unter- und Innenſeite nackt oder wenigſtens faſt nackt war, jo daß man die ein⸗ zelnen Haare kaum bemerken konnte. Die Hautfarbe dieſer Stellen war hochziegelrot. Die Ge— ſamtlänge des Tierchens betrug 38 em, die Schwanzlänge allein 17 em, die Fußlänge 5,5 em, die Handlänge 4,5 cm. Die Mutter zeigte ſich außerordentlich zärtlich gegen ihren Sproſſen, aber auch im höchſten Grade beſorgt um ihn. Sie hielt das an ihre Bruſt gedrückte Kind mit beiden Armen feſt und leckte es fortwährend an allen Teilen des Leibes. Näherte ſich jemand, ſo ſchrie ſie entſetzt auf, den gewöhnlichen Ausdruck der Angſt: „eck, eck, eck“, aus— ſtoßend, drehte ſich auch gewöhnlich ab und kehrte dem Beobachter den Rücken zu. Die Nabel- ſchnur, die anfangs noch ziemlich weit herabhing, hatte ſie bereits 2 Stunden nach der Geburt, und zwar hart am Nabel, abgebiſſen, ohne daß deshalb eine Blutung erfolgt wäre. Das Junge ſchien ſehr ſchwach zu ſein, regte ſich wenig und gab nur leiſe, mehr tönende als ſchreiende Laute von ſich. Bereits in den Nachmittagsſtunden ſchien die Mutter zu merken, daß ihr Kind ſterben werde; denn ſie hatte es auf dem Boden des Käfigs abgelegt, ging auf und ab, oft an dem Kleinen vorüber und betrachtete es dabei mit anſcheinend gleichgültigem Blicke; doch duldete ſie nicht, daß jemand von uns es aufnahm, ergriff es vielmehr ſofort, wenn einer Miene machte, es zu berühren, und legte es wieder an ihre Bruſt. Gegen Abend war das Junge bereits regungslos; am nächſten Morgen lag es verendet auf dem Boden des Käfigs. Ob infolge der Geburt, ob aus anderen Gründen, bleibe dahingeſtellt: jedenfalls zeigte das Weibchen in der nächſten Zeit ein durchaus verändertes Weſen, litt entſchieden, bekundete wenig Freßluſt, ſaß viel auf einer und derſelben Stelle, verſteckte ſich halb im Stroh, zitterte, als ob Froſt es ſchüttele, legte ſich oft nieder und ſah überhaupt höchſt kläglich aus. Um andere Affen bekümmerte es ſich nicht mehr, und auch als ich ihm in zwei weiblichen, ſanft— mütigen Makaken Geſellſchaft geben ließ, verhielt es ſich abwehrend. Dies änderte ſich jedoch plötzlich, als Mitte November ein Makak geboren hatte. Wenige Minuten ſpäter nämlich bemerkten die Wärter das Junge in den Armen des Hamadryasweibchens, ſo daß ſie zu der törichten Anſicht verleitet wurden, letzteres habe ein zweites nachgeborenes Junge zur Welt gebracht. Dieſe Meinung wurde nun freilich ſehr bald durch das Tier ſelbſt zerſtört, da es ſich wenig mütterlich betrug, das Junge oft aufs Stroh legte und ſich zeitweilig kaum um dasſelbe kümmerte. Daß das Hamadryasweibchen der Makakenmutter ihr Kind raubte, ſteht vollſtändig im Einklange mit den Beobachtungen, die ich an anderen Affen gemacht habe, im Einklange auch mit dem Benehmen der frei lebenden Mantelpaviane gegen ihre Kinder oder kleine unſelbſtändige Affen ihres Geſchlechts überhaupt. Ja, nicht einmal bloß die Mütter oder die Weibchen insgemein, ſondern auch die Männchen beweiſen jungen Affen ihrer Art die größte Zärtlichkeit und treten unter Umſtänden mannhaft für ſie in die Schranken. Im Berliner Zoologiſchen Garten bewies ein Hamadryasvater ſeinem Sprößling von der Geburt an augenſcheinliches Intereſſe; namentlich als das Junge ſich erſt ſelbſtändig bewegen konnte, nahm der Alte es auch oft in den Arm, und ſpäter ſaß es viel bei ihm oder ſpielte um ihn herum, während die Mutter mit einem zweiten Weibchen ſich wo anders aufhielt. Dieſes zweite Weibchen beachtete der Alte nun gar nicht mehr: ſeit er Vater geworden war, richtete ſich ſeine ganze Aufmerkſamkeit und Sorge ausſchließlich auf Mutter und Kind. Der Schutztrieb war jetzt ſtets bei ihm rege; ſobald man an den Käfig herantrat, ſprang er vor, zur Verteidigung bereit, und dann trat das eigentümliche nervöſe Gähnen und Maulaufreißen ein, das bei Pavianen ein Zeichen verhaltener Aufregung und Angriffsluſt iſt. Wo Mantel⸗ paviane herdenweiſe gehalten werden können, auf den ſogenannten Affenfelſen, die man jetzt in mehreren Tiergärten eingerichtet hat, zeigt ſich aber auch die Schreckensherrſchaft der alten Männchen manchmal in wahrhaft fürchterlicher Weile. Da wagt es ſolch ein unglück⸗ liches Weibchen, ſchon ganz zerbiſſen und zerſchunden, nicht, von ſeinem übelgelaunten Peiniger ſich zu entfernen, ſondern folgt ihm, vor Angſt ſchreiend, in kurzem Abſtand überallhin nach, obwohl der Wüterich immer wieder in der roheſten Weiſe ſeinen Zorn an der Jammergeſtalt ausläßt. Im Zoologiſchen Garten zu Hannover iſt neuerdings der bei Affen ſeltene Fall ein⸗ getreten, daß ein Hamadryasweibchen Zwillinge brachte, und im Berliner Garten ging in früheren Jahren einmal ein ſolches an einer ſogenannten Bauchſchwangerſchaft zugrunde. Bei den Jungen hat man den etwas befremdenden Eindruck, als ob der Schwanz verhältnis⸗ mäßig länger und ſtärker wäre als bei den Alten, während gemeinhin bei jungen Tieren wohl eher das Umgekehrte der Fall zu ſein pflegt. Wenn die Mantelpaviane ftill ſitzen, ſchweigt die ganze Geſellſchaft, ſolange ſich nichts Auffälliges zeigt. Ein etwa herankommender Menſchenzug oder eine Viehherde entlockt einem oder dem anderen die bekannten Bellaute, die der Ausdruck einer gewiſſen Erregung ſind und daher die Aufmerkſamkeit der Geſamtheit wecken. Bei gefahrdrohender Annäherung eines Menſchen oder eines Raubtieres aber werden die allerverſchiedenſten Töne laut. Die ganze Geſellſchaft brüllt, brummt, bellt, ſchreit, grunzt und quiekt durcheinander. Alle kampffähigen Männchen rücken auf die Felskante vor und ſchauen aufmerkſam in das Tal hinab, um die Gefahr abzuſchätzen; die Jungen ſuchen Schutz bei den älteren; die Kleinen hängen ſich an die Bruſt der Mütter oder klettern auch wohl auf deren Rücken, und nunmehr ſetzt ſich der ganze Zug in Bewegung und eilt auf allen vieren laufend und hüpfend dahin. Vor den Eingeborenen fürchtet ſich der Hamadryas ſo gut wie nicht. Er zieht, un⸗ bekümmert um die braunen Leute, dicht vor ihnen hin und trinkt aus demſelben Bache mit ihnen. Ein Weißer erregt jedoch mancherlei Bedenken, obwohl man nicht gerade behaupten kann, daß die Affen vor ihm ſcheu entfliehen. Mehr noch als andere Familienverwandte zeigen unſere Paviane jene bedächtige Ruhe, die niemals um einen Ausweg verlegen iſt, die Gefahr mag noch jo nahe ſein. Anders verhält ſich die Sache, wenn die Herde Hunde oder gar Leo- parden gewahrt. Dann erheben die alten Männchen ein furchtbares Gebrüll und Gebrumm, ſchlagen erzürnt mit der einen Hand auf den Felſen, fletſchen die Zähne und ſchauen funkeln⸗ den Auges auf jene Störenfriede hinab, augenſcheinlich bereit, gemeinſam über ſie herzufallen. Die erſte Geſellſchaft, der ich begegnete, ruhte eben von ihrer Frühwanderung aus. Sie ſaß auf der Kante eines nach beiden Seiten hin ziemlich ſteil abfallenden Grates. Ich hatte die hohen Geſtalten der Männchen für auf dem Kamme liegende Felsblöcke gehalten, und erſt ein wiederholtes einlautiges Bellen, ungefähr dem hoch ausgeſtoßenen Laute „Kuck“ vergleich⸗ bar, belehrte mich. Aller Köpfe richteten ſich nach uns hernieder; nur die Jungen ſpielten noch unbeſorgt weiter, und einige Weibchen gaben ihr Lieblingsgeſchäft nicht auf, ſondern durch⸗ ſuchten noch eifrig den Pelz eines alten Herrn nach Ungeziefer. Unſere Hunde, zwei ſchöne, ſchlanke Windſpiele, gewohnt, die Hyäne von den Wohnungen abzutreiben, antworteten mit Gebell auf beſagte Laute, und ſofort entſtand ein allgemeiner Aufſtand unter der Herde. Die Affen zogen bis auf die letzten Poſten längs des Kammes dahin und verſchwanden unſeren Blicken. Doch ſahen wir zu unſerer Überraſchung bei der nächſten Biegung des Tales die ganze Herde, diesmal an einer ſenkrecht erſcheinenden, ſehr hohen Felswand, wo ſie in langer Reihe in einer mir unbegreiflichen Weiſe gleichſam am Felſen klebten. Der Knall des erſten 572 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. Mantelpavian: Jagd. Verhalten gegen Feinde. 573 Schuſſes brachte eine unbeſchreibliche Wirkung hervor. Ein raſendes Brüllen, Heulen, Brum— men, Bellen und Kreiſchen antwortete; dann ſetzte ſich die ganze Kette in Bewegung und wogte an der Felswand dahin mit einer Sicherheit, als ob die Geſellſchaft auf ebenem Boden ſich fortbewege, obgleich wir nicht abſehen konnten, wie es überhaupt möglich war, feſten Fuß zu faſſen. Nur an zwei Stellen, wo ſie einmal gegen 3 m in die Tiefe und beinahe ebenſo hoch wieder aufſteigen mußten, bewegte ſich der Zug langſamer und vorſichtiger. Überaus komiſch ſah es aus, wie die ganze Herde nach einem Schuſſe urplötzlich ſich am Felſen anklammerte, als fürchte ſie, durch die bloße Erſchütterung in die Tiefe hinabgeſtürzt zu werden. Beim Umbiegen um die nächſte Wendung des Tales trafen wir die Geſellſchaft nicht mehr in der Höhe, ſondern eben im Begriffe, das Tal zu überſchreiten. Ein guter Teil der Herde war bereits am jenſeitigen Hange angekommen, die Hauptmaſſe jedoch noch zurück. Unſere Hunde ſtutzten einen Augenblick, als ſie das wogende Gewimmel erblickten; dann ſtürzten ſie ſich mit jauchzendem Bellen unter die Bande. Sobald die Hunde herbeieilten, warfen ſich von allen Felſen die alten Männchen herab in das Tal, jenen entgegen, bildeten ſofort einen Kreis um die Rüden, brüllten furchtbar, riſſen die zähneſtarrenden Mäuler weit auf, ſchlugen mit den Händen grimmig auf den Boden und ſahen ihre Gegner mit ſo boshaften, wütend funkelnden Blicken an, daß die ſonſt ſo mutigen, kampfluſtigen Tiere entſetzt zurückprallten und ängſtlich bei uns Schutz ſuchen wollten. Selbſtverſtändlich hetzten wir ſie von neuem zum Kampfe, und es gelang uns, ihren Eifer wieder anzufachen. Als die Hunde von friſchem anſtürmten, befanden ſich nur wenige Affen noch in der Tiefe des Tales, unter ihnen ein halbjähriges Junges. Es kreiſchte laut auf, als es die Hunde erblickte, flüchtete eilends auf einen Fels— block und wurde hier kunſtgerecht von unſeren vortrefflichen Tieren geſtellt. Wir ſchmeichelten uns ſchon, dieſen Affen erbeuten zu können: allein es kam anders. Stolz und würdevoll, ohne ſich im geringſten zu beeilen und ohne auf uns zu achten, erſchien vom anderen Ufer her: über eines der ſtärkſten Männchen, ging furchtlos den Hunden entgegen, blitzte ihnen ſtechende Blicke zu, die ſie vollkommen in Achtung hielten, ſtieg langſam auf den Felsblock zu dem Jungen, ſchmeichelte dieſem und trat mit ihm den Rückweg an, dicht an den Hunden vor— über, die jo verblüfft waren, daß fie den Alten mit ſeinem Schützlinge ruhig ziehen ließen. Auf ſpäteren Jagden lernte ich die Hamadryaden noch beſſer kennen und dabei die un— glaubliche Lebenszähigkeit dieſer Tiere bewundern. Wenn ſie die Kugel nicht unmittelbar aufs Blatt oder in den Kopf erhielten, gingen ſie uns regelmäßig verloren. Sie eilten, auch wenn ſie ſtark verwundet waren, noch ſo rüſtig davon, daß ſie immer entkamen. Schrotſchüſſe fruchteten gar nichts. Sie griffen dann nur nach der verwundeten Stelle, rieben ſie mit der Hand und ſetzten ihren Weg weiter fort, als ob nichts geſchehen wäre. Als ich mit dem Herzog von Koburg-Gotha, ſeinen fürſtlichen Begleitern und der übrigen Reiſegeſellſchaft das zweitemal durch das Tal von Menſa zog, machte uns einer der Abeſſinier auf einige Mantelpaviane aufmerkſam, die auf ziemlich hohen Bäumen ſaßen. Ich erwähne dies ausdrücklich, weil die Paviane, wie ich oben ſagte, gewöhnlich nur im Notfalle Bäume erſteigen. Mir iſt es, ſeitdem ich die Tiere ſelbſt in ihrer Freiheit ſah, durchaus nicht mehr unwahr⸗ ſcheinlich, daß ſie auf einen nicht mit dem Feuergewehre bewaffneten Menſchen im Augen— blicke der höchſten Gefahr mutig losgehen und ihn gemeinſam angreifen, wie die Araber und Abeſſinier oder gute Beobachter, namentlich Rüppell und Schimper, übereinſtimmend erzählen. Wir ſelbſt haben zwar keine Erfahrungen geſammelt, die jene Beobachtungen beſtätigen konnten, wohl aber geſehen, daß die Hamadryaden ſelbſt vor dem Bewaffneten nur höchſt 574 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. langſam und mit ſehr vielſagendem Zähnefletſchen und Brüllen ſich zurückziehen. Max Schöller hat von ſeinen Mantelpavianjagden in Nordabeſſinien den Eindruck mitgenommen, daß die Affen, wenn auch nicht werfen, jo doch „jedenfalls nicht unabſichtlich Steine herab⸗ rollen laſſen“, und er beſtätigt die „Mitteilungen älterer Reiſenden, daß die verwundeten Affen von den unverletzten hinweggetragen werden“. Dabei ſah er „einmal ein beſonders großes Tier, das, durch einen Schuß in den Hinterſchenkel verwundet, ſich mit beiden Vorderarmen auf je ein junges Affchen ſtützte und ſich von dieſen fortführen ließ, ſie dabei erbarmungslos ohrfeigend, wenn fie nicht ganz genau die Flucht nach ſeinen Abſichten bewerkſtelligten“. In Agypten und namentlich in Kairo ſieht man oft Mantelpaviane im Beſitze von Gauklern und Volksbeluſtigern. Die Vorſtellungen ſind pöbelhaft gemein. Der Schauſteller hat die Gelehrigkeit des Pavians benutzt, um ſeine eigene Unſauberkeit im ſcheußlichſten Zerr⸗ bilde wiederzugeben, und die Naturanlage des Affen kommt den Abſichten ſeines Herrn nur zu gut entgegen. Übrigens benutzen die ägyptiſchen Gaukler gewöhnlich Weibchen; denn die Männchen werden mit der Zeit zu bösartig und gefährlich. Sogar in Agypten dürfen ſie nicht ohne Beißkorb ausgeführt werden. Dieſer hindert ſie jedoch immer noch nicht, Unfug zu ſtiften. Ich ritt einſt durch die Straßen Kairos und ſtieß dabei mit dem Fuße an einen auf der Straße ſitzenden Hamadryas; mein Reiteſel lief im ſchnellſten Galopp: gleichwohl hatte der Pavian im nächſten Augenblicke mich am Beine gepackt und riß mir mit wenigen Griffen die Gamaſche, den Strumpf und Schuh vom Fuße, mir zugleich als Zeichen ſeiner Gewandt⸗ heit und Freundlichkeit noch ein paar ziemlich tiefe Wunden hinterlaſſend. Ich habe ſpäter vielfach Gelegenheit gehabt, gefangene Hamadryaden zu beobachten, und mehrere von ihnen, junge wie alte, auch längere Zeit ſelbſt gepflegt. In der Jugend ſind alle liebenswürdig, zutulich, an ihre Pfleger im höchſten Grade anhänglich, gegen andere Menſchen freundlich, gegen andere Affen friedfertig; fie gleichen den in Gebärden und Weſen artigen Ba- buinen und erwerben ſich eine allgemeine Zuneigung. Dies ändert ſich aber mit zunehmendem Alter. Die Peitſche vermag viel, aber nicht alles, und die Tücke dieſes Affen bleibt unter allen Umſtänden zu fürchten. Einen Mantelpavian von einem Käfig in den anderen zu bringen, iſt ein ſchwieriges Unternehmen, weil er, gereizt, ſich mit blinder Wut auch auf ſeinen Pfleger ſtürzt und bei ſeiner Stärke ein keineswegs zu unterſchätzender Gegner iſt. Nur durch Erregung ſeiner Leidenſchaft gelingt es, ihn in die ihm geſtellte Falle zu locken, und wenn er wirklich einmal wütend gemacht wurde, fällt er auch der plumpſten Vorkehrung zum Opfer. Falls ihn ſeine Neugier nicht lockt, treibt ihn ſeine Wut, ſeine Rachſucht dahin, wohin man ihn haben will. Andere Affen laſſen ſich, wenn ſie erkrankt oder verwundet ſind, behandeln und verbinden; beim Mantelpavian iſt dies gänzlich unausführbar. Ein Gefangener, den ich pflegte, litt an einem unbedeutenden Ausſchlage, der namentlich auf einem ſeiner Beine hervortrat; es war aber unmöglich, ihm zu helfen, weil es nach einem mißglückten Verſuche niemand mehr wagen wollte, ihn mit dem Sacknetze einzufangen und feſtzuhalten. Der Ausſchlag mochte ihm zuweilen ein heftiges Jucken bereiten; denn er zuckte oft mit dem einen Beine und begann ſodann heftig ſich zu kratzen. Dies verurſachte ihm endlich Schmerzen, und dar⸗ über wurde er allgemach ſo wütend, daß er das Bein mit beiden Händen packte und wütend hineinbiß, als habe er es mit einem tödlich gehaßten Gegner zu tun. Im Tierhandel und daher auch in den zoologiſchen Gärten iſt der Mantelpavian immer häufig: er läßt ſich offenbar jederzeit leicht in größeren Mengen fangen, und zwar nicht bloß Zunge und Weibchen mit Säuglingen, ſondern auch alte Männchen! Das ſcheint in befremd⸗ lichem Widerſpruch zu ſeinen unleugbaren geiſtigen Fähigkeiten zu ſtehen; aber die Affen müſſen — 0 a Mantelpavian. Bärenpavian. 575 fi ja merkwürdigerweiſe ganz allgemein nachſagen laſſen, daß fie trotz aller ihrer Verſchmitzt— heit leicht zu übertölpeln find. Wenn der Mantelpavian von feinen Bergen auf die Felder her— niederkommt, fangen ihn die Eingeborenen oft einfach durch Müdehetzen, wobei ihnen natürlich meiſt Weibchen und Junge zur Beute werden. Der europäiſche Tierfänger dagegen baut aus ſtarkem Knüppelholz an der Tränke einen großen, mit dornigen Mimoſenzweigen beflochtenen Fangkäfig mit Falltüren, der mit Körnern als Köder beſtreut wird. Während nun die Weib— chen und Jungen eines Familientrupps aus der großen Herde ſich im Inneren gütlich tun, hält das zugehörige Oberhaupt an der Tür Wache und läßt keine anderen Affen hinein. Deshalb iſt an der Rückſeite noch eine zweite Tür, durch die, weil unbewacht, ſich die Falle ſchnell füllt. Dann löſt der Jäger aus ſeinem Verſteck die Schnur der Falltür, und der Fang iſt geſchehen, unter ungeheurem Affengeſchrei und Tumult natürlich. Ernſt Wache erzählt das ſehr feſſelnd in dem Hagenbeckſchen Buche „Von Tieren und Menſchen“, in dem das Ein- fangen wilder Tiere natürlich eines der gehaltvollſten Kapitel bildet. Einmal blieben die Affen ſogar Sieger, und es wurde eine wahre Affenſchlacht geliefert, als „ein Heer von 3000 Hamadryas ſich auf die wenigen Jäger ſtürzte... Im Getümmel des Kampfes konnte man wahrhaft rührende Szenen beobachten. Ein kleiner Affe, der, durch einen Knüppelſchlag betäubt, am Boden lag, wurde von einem großen Männchen gerettet und kühn mitten durch die Feinde in den Buſch getragen. Eine Mutter, die bereits ein Junges auf dem Rücken trug, nahm noch ein zweites auf, deſſen Mutter erſchoſſen worden war.“ Der Hamadryas hält ſich bei uns im allgemeinen ganz gut, entwickelt ſich ſogar nicht ſelten ſehr ſchön. So zierte den Hauptkäfig des Kölner Affenhauſes lange Jahre eine Gruppe männlicher Mantel— paviane, die dort buchſtäblich alt und grau geworden waren. Von der Hauptmaſſe der Paviane, den mantelloſen Arten mit etwa halb körperlangem, un⸗ gequaſtetem Schwanz, laſſen wir hier den ſüdafrikaniſchen Tſchakma (aus dem hottentottiſchen Tſchakamma) oder Bärenpavian, Papio porcarius Bodd. (Abb., S. 576), aus dem Kapland, Natal und Transvaal, nach Norden verbreitet bis zum Limpopofluß, nach W. L. Sclater ſogar bis zum Sambeſi, folgen, weil er, wenn auch keinen Mantel, ſo doch einzelne lange Haare und Haarſträhne an den Schultern hat, namentlich die alten Männchen, und dadurch eine gewiſſe Verbindung mit dem Mantelpapian herſtellt. Zugleich iſt er mit ſeinem ſchwarzen Geſicht, von dem ſich helle Augenlider abheben, ſeiner grauſchwärzlichen, auf dem Rücken mit einem Schein von Grün überflogenen Farbe der dunkelſte der mantelloſen Paviane und durch ſeine Verbreitung der ſüdlichſte, war, nach Sclater, 1900 immer noch häufig im ſüdlichen Kapland und wurde zuweilen ſogar auf dem Tafelberge ſelber noch geſehen. In der Gruppe der dunklen Arten iſt er wieder der größte und der langſchnauzigſte; dagegen hat er die kleinſten Geſäßſchwielen von allen Pavianen. Ein dünner Backenbart iſt gegen die Ohren gekämmt, verdeckt dieſe aber nicht. Der Schädel hat beſonders ſtarke Augenbrauenwülſte; eine ähnliche wulſtige Firſte, die von der Augenhöhle zum Naſenloche läuft, erſcheint äußerlich im Geſicht als der Anfang jener Aufwulſtung der Backen, wie fie bei Drill und Mandrill ihre Voll⸗ endung erreicht. Hände und Füße ſind gewöhnlich ſchwarz, bei nördlichen Stücken aus Trans⸗ vaal anſcheinend aber heller, etwa wie der übrige Körper, gefärbt. Der Tſchakma iſt ein richtiger Felſenaffe, der Pavian der ſüdafrikaniſchen „Klippen“, auch von Deutſch-Südweſtafrika. Zur Zeit der Challenger-Expedition lebte er noch auf den Strandklippen bei Kapſtadt und in den Schluchten, die ſich zum Meere herabziehen; dort wurde in einer Höhle bei Kap Point, alſo am eigentlichen Kap der Guten Hoffnung, noch das 576 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. Gerippe eines alten Tſchakmas gefunden, der ſich offenbar dahin zurückgezogen hatte, um zu sterben, Nach Sclater klettert der Tſchakma aber auch ſehr gut und ſchläft mitunter ſogar auf hohen Bäumen. Gewöhnlich übernachtet er allerdings in Felslöchern und ⸗ſpalten und wird öfters gefangen, indem man dieſe vor Tagesanbruch umſtellt. Abgeſehen vom Menſchen, iſt auch ſein Hauptfeind natürlich der Leopard, der ſich aber höchſtens an Weibchen und Junge heranwagen darf. Bei den Wanderungen am Tage eröffnen und ſchließen alte Männchen den Zug, und bei der Raſt werden Wachtpoſten auf Felsſpitzen ausgeſtellt. Der Gang des Tſchakmas auf ebener Erde iſt nicht ſehr fördernd; da wird der Affe leicht von jedem Hunde Tſchakma, Papio porcarius Bodd. Is natürlicher Größe. überholt; auf felſigem Gelände dagegen, an Berghängen läßt er dieſen weit hinter ſich. Der Schwanz bleibt dabei ſtets in der bezeichnenden Haltung der mantelloſen Langſchwanzpaviane: der Wurzelteil aufgekrümmt, die anderen zwei Drittel niederbaumelnd. Die Spur des flüch⸗ tenden Pavians gleicht dem Abdruck eines Kinderfußes, die Hände werden bei dieſem Galopp nur leicht aufgeſetzt. Der Schrei iſt ein rauhes, gedehntes Bellen, das in der Stille der Nacht ans Ohr tönt, als ob es ganz nahebei wäre; aus dem Chore hört man dann mitunter auch das gellende, langgezogene Todesjammern des Opfers heraus, das ein hungriger Leopard gepackt hat. In der Nahrung iſt der Tſchakma ein Allesfreſſer, der ſich gern an Beeren, an den Früchten und Blättern der Stachelbirne oder indianiſchen Feige und anderem Wildobſt ſättigt, aber ebenſo eifrig Skorpione, Tauſendfüßer und allerlei Inſekten, ſogar Eidechſen ſucht und zu dieſem Zwecke alle loſen Steine umwendet wie ein zünftiger Inſektenſammler. Auch wilden Honig naſcht er gern: Cloete hat ihn beim Plündern eines Erdbienenneſtes beobachtet. Der Pavian rannte zu dem Neſte hin, riß eine Wabenſcheibe heraus, warf ſie hin, rollte ſie hin und her, Tſchakma. Roter Pavian. 577 bis die Bienen heraus waren, und trug ſie dann abſeits, um ſie da in Ruhe vor den wütenden Inſekten zu verzehren. Seine gewöhnliche Koſt indes ſind wohl die Zwiebeln der zahlreichen, am Kap jo maſſenhaft wild wachſenden Schwertlilienarten (Iridazeen, Gattung Ixia), deren eine geradezu die „Pavianslilie“ heißt. Der Pavian gräbt ſie mit ſeinen derben Händen aus, frißt ſie aber nicht, ohne ſie erſt ſorgfältig zu ſchälen. Den Farmern tut „Freund Adonis“, wie die Buren den Pavian ſcherzweiſe nennen, viel Schaden in Feldern und Obſtgärten; er ſaugt auch Straußeneier aus, und neuerdings haben ſich manche ſogar dazu verſtiegen, Schaf— und Ziegenlämmer tot zu beißen und richtig auszuweiden, um die Milch in deren Magen zu erlangen. Dadurch ſind ſie dann auch auf den Geſchmack von Blut und Fleiſch gekommen. Dieſe Koſt verurſacht ihnen aber, ebenſo wie uns Menſchen, erhöhten Durſt, und Bachmann wurden von einem Buren auf dem Grunde eines ausgetrockneten Brunnens liegende Pavian— gerippe von ſolchen „lamm-eeters“ gezeigt, die, nach deſſen Erzählung, mitunter, ganz „gek“ vor Durſt, ſich in die Tiefe ſtürzten, wenn ſie das Waſſer von oben nicht erreichen können. In der Gefangenſchaft zeigt ſich ferner, daß die Paviane auch den Alkohol und den Tabakrauch ſehr lieben, alſo zu denſelben Laſtern neigen, wie ſie vielen Menſchen ſo verderblich werden. Man jagt die Paviane mit Hund und Gewehr, indem man ein „Felſenkopje“, wo ſie ihre Schlafhöhlen haben, vor Tagesanbruch umſtellt; ſie verteidigen ſich aber mutig gegen die Hunde, packen ſie mit den Händen und bringen ihnen oft ſchwere Wunden bei mit ihren mächtigen Eckzähnen, die bei alten Männchen 5 und 6 em lang werden. Auch gegen den einzelnen Jäger und ſelbſt Reiter, der ſie verfolgt, nehmen die Paviane mitunter eine ſo ent— ſchloſſene, drohende Haltung an, daß es geraten erſcheint, ſie in Frieden zu laſſen. Zugleich wird ihnen große Schlauheit nachgerühmt im Ausſtellen von Wachen und im Auskundſchaften, und eine Johannisburger Zeitung führte noch im Jahre 1904 in einem Aufſatz über das Eingreifen des Menſchen in die Tierwelt, das ſich ja gerade in Südafrika ſo vernichtend be— merkbar gemacht hat wie kaum ſonſtwo, den Pavian als einziges Beiſpiel eines Vierfüßers an, „der imſtande war, der unabläſſigen Verfolgung zu widerſtehen, und zwar mit geiſtigen Waffen“. Deshalb gelingt es, nach Feußner, in Deutſch-Südweſtafrika auch nur ſehr ſelten, einen Pavian im Eiſen zu fangen, und „iſt einer doch einmal hineingegangen, ſo ſchneidet er ſich faſt regelmäßig den Lauf ab“. Die Jäger müſſen ſich ſchon in Frauenkleider ſtecken, wenn ſie auf Paviane zu Schuß kommen wollen. Als Schlupfwinkel ſollen den Pavianen beſonders die Opuntiendickichte, die ſich gerade in den kultivierteren Gegenden Südafrikas ſehr vermehrt haben, gute Dienſte leiſten, ebenſo aber ihnen durch die Früchte Nahrung und durch die dicken, ſaftigen Blätter Erſatz für Waſſer bieten, wie durch ihre fürchterlichen Dornen Schutz. In Gefangenſchaft ſieht man den Tſchakma häufig; mitunter wird eine ganze Horde in den Handel gebracht, darunter auch die rieſigen Leitaffen, die dann in ihrem engen Käfig den Käufer mit ihren kleinen, tiefliegenden und dadurch um ſo tückiſcher wirkenden Augen nicht ſchlecht an— blitzen und dumpf mit der Hand auf den Boden ſchlagen. Die jüngeren dagegen werden ſehr bald nach der Gefangennahme zahm und ſchnattern jedermann zähnefletſchend mit einer gewiſſen kriechenden Freundlichkeit an. Im Affentheater finden Bärenpaviane ebenfalls viel Verwen⸗ dung, auch als Radfahrer. Im Hamburger Zoologiſchen Garten war einer auf eine ganz wirk— ſame Rache gegen neckende und lachende Beſucher, namentlich die Feldgrauen, verfallen; er beſpritzte ſie mit dem nicht gerade ſehr reinlichen und appetitlichen Inhalt ſeines Waſſerbeckens. Der Rote oder Guinea-Pavian, Papio papio Des m. (Sphinx, olivaceus), iſt eintönig rotbraun, ockerfarben, verbreitet ſich vom Senegal an über das weſtafrikaniſche Guineagebiet, Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 37 578 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. auch über Togo, und iſt alſo durch ſeine Namen in der Hauptſache ſchon gekennzeichnet. Er gehört zu den kleineren Langſchwanzpavianen, erreicht kaum 70 em Kopfrumpflänge und hat einen verhältnismäßig kurzen Kopf. Er muß in ſeiner Heimat gemein ſein; denn er iſt im Handel faſt immer zu haben und in den zoologiſchen Gärten faſt überall zu ſehen. Trotzdem liegen über ſein Freileben keine beſonderen Schilderungen vor: es wird ſich aber von dem anderer Paviane kaum unterſcheiden. In der Gefangenſchaft erwieſen ſich, nach Grimpe, zwei Weibchen als geradezu ſpottſchlechte Mütter, machten ſich förmlich ein Vergnügen daraus, ihr Junges zu mißhandeln und warfen es ſchließlich ſogar von der Decke des Käfigs herab; aber wegnehmen ließen ſie es ſich nicht. Zu den dunklen Langſchwänzen gehören noch einige ſchwer zu unterſcheidende Formen, die man als Grüne Paviane zuſammenfaſſen möchte, weil ihr ſtark geſprenkeltes Fell aller: meiſt einen grünlichbräunlichen Schimmer hat; in den wiſſenſchaftlichen Reiſewerken gingen fie früher gemeinhin unter dem Namen Anubis-Pavian, P. anubis F. Cww., herzuleiten von dem hundsköpfigen Gotte gleichen Namens im alten Agypten. Doch kamen die „Anubis⸗ paviane“ früherer Zeiten allermeiſt über den weſtafrikaniſchen Hafen Lagos in Nigerien nach Europa, und die Agypten zunächſt wohnende Lokalform der Gruppe, der abeſſiniſche At⸗ bara-Pavian vom Blauen Nil, führt den lateinischen Namen P. a. doguera Puch. Schimp. Wie der vortreffliche Sammel- und Forſchungsreiſende Menges dieſen Atbara-Pavian an Waſſertümpeln im ausgetrockneten Flußbette des Gaſch dutzendweiſe fing, das wird in dem Hagenbeckſchen Buche „Von Tieren und Menſchen“ ſehr eingehend geſchildert. Es geſchieht auf die denkbar plumpſte Weiſe mit einer an Ort und Stelle aus zähen Hölzern und Rindenbaſt zuſammengeflochtenen Kaſtenfalle, in die man die Affen einfach mit Durrakörnern hinein⸗ ködert. Wenn ſie ſich daran gewöhnt haben, zieht man dann eines Tages die Falltür zu, und da die futterneidiſchen großen Männchen nur wenig Weibchen und Junge mit hineinlaſſen, ſo fing man gerade dieſe mächtigen, alten Burſchen, die dann, nachdem ſie mit Hilfe ſtarker Aſtgabeln feſtgeklemmt, gefeſſelt und herausgeholt waren — die ſchwierigſte und gefährlichſte Arbeit! — als wertvolle Schauſtücke ihren Weg in die zoologiſchen Gärten antreten mußten, während man das wertloſe Jungzeug wieder laufen ließ. Dabei konnte feſtgeſtellt werden, daß ein junges Weibchen, das an einer Geſichtsnarbe kenntlich war, ſich dreimal hinteinander hatte fangen laſſen. Menges ſieht darin einen Beweis geringer Intelligenz, und man kann ihm darin auf keinen Fall ganz unrecht geben; doch bleibt anderſeits zu berückſichtigen, daß Pavianweibchen und junge den alten Männchen, die für die Sicherheit der Herde zu ſorgen haben, blindlings zu folgen gewohnt find und bei der Schreckensherrſchaft, die dieſe Affen- paſchas ausüben, auch kaum eine andere Wahl haben. Ein rührender Zug iſt, wie Menges weiter erzählt, daß die verwaiſte Affenherde tagtäglich nach dem Tierfängerlager zog und von den umſtehenden Dumpalmen aus mit ihren gefangenen Oberhäuptern, die da in Käfigen ſteckten, herzbewegende Zwieſprache führte, die ſchließlich immer in ein ohrzerreißendes Konzert ausartete. Einer der „Hinterbliebenen“ ſprang ſogar einmal über den Dornverhau ins Lager hinein, man half ihm aber natürlich ſehr ſchnell wieder hinaus. In der Gefangen⸗ ſchaft find alte Männchen erſt recht ſtreitbare Geſellen. Der Hamburger Zoologiſche Garten beſitzt einen, der ſich alle Augenblicke über einen Beſucher ärgert und, da er dieſem nicht zu Leibe kann, in der Aufregung ſich ſelber regelrecht ohrfeigt. Von deutſch-oſtafrikaniſchen Pavianen gehören in dieſe dunkelgefärbte Gruppe der grau⸗ braun geſprenkelte Manjara-Pavian, Papio a. ibeanus 7%os., der urſprünglich aus Britiſch⸗ Grauer Babuin. 0 = * Grüne Paviane. Babuine. 579 Oſtafrika beſchrieben, dann aber auch im nördlichen Deutſch-Oſtafrika, am Manjaraſee, am Natronſumpf, nachgewieſen wurde, und als Verbindungsglied nach dem Weſten der Kagera— Pavian, Papio a. tesselatus Elliot, nach einem deutſchen Vorkommen am Kagerafluſſe jenſeit des Viktoriaſees hier ſo genannt; urſprünglich wurde er aus dem britiſchen Uganda beſchrieben. Sonſt wird der Oſten Afrikas nur von hellen Langſchwanzpavianen bewohnt, die ſich um den altgeläufigen Namen Babuin, P. cynocephalus L. (babuin) gruppieren. Der Babuin ſoll, nach Elliot, Nubien, das ſüdlich anſtoßende Sudangebiet des Sennar und weiterhin Oſt- und Innerafrika bewohnen mit unbekannter Südgrenze. Jedenfalls gibt es auch ſehr weit ſüdlich in Portugieſiſch-Oſtafrika, Moſambik, noch helle Paviane; dort ſcheinen ſie ſogar am allergrößten zu werden: hat doch Elliot im Britiſchen Muſeum die zuſammen— gefaltete Haut eines wahrhaft rieſigen Männchens aus portugieſiſchem Gebiete unterſucht, an der der halbkörperlange Schwanz nicht weniger als 73 em mißt! Anderſeits gibt es in der Maſſaiſteppe einen oben ockergelben, unten bis ins Weißliche verblaſſenden, zuerſt von dem ausgezeichneten Forſchungsreiſenden Oskar Neumann geſammelten Pavian, Papio c. neu- manni ATS ch., der jo klein iſt (Kopfrumpflänge nur 1 m, Schwanz 46 em) und fo kurz. beinig, daß man ihn füglich Zwergpavian nennen kann. Ihn läßt Elliot ſogar als ſelbſtän— dige Art gelten. Dagegen reiht er den großen, langbeinigen graugrünen Langheld-Pavian des inneren Deutſch-Oſtafrikas, Papio c. langheldi Misch., zuerſt von Major Langheld in Uſukuma geſammelt, und den Gelben Babuin, Papio c. ochraceus Pfrs. (Abb., S. 580), zuerſt von Peters in der Ausbeute ſeiner Moſambikreiſe beſchrieben, aber auch über das deutſch⸗oſtafrikaniſche Küſtengebiet verbreitet, als gleichbedeutend unter die Babuine mit ein und ebenſo den oben bräunlich olivengelben, unten gelb- oder grauweißen, ſchon 1843 nach einem Gefangenſchaftsſtück aufgeſtellten Toth-Pavian oder Grauen Babuin, Papio e. toth Ogilb., der längere Zeit als der Pavian des deutſch-oſtafrikaniſchen Küſtengebietes galt. Vielleicht gehört er in den nördlichen, der Gelbe Pavian in den ſüdlichen Teil? Jedenfalls macht das alles aber den Eindruck, als ob unſere Kenntnis der hellen oſt- und innerafrika— niſchen Paviane noch nicht abgeſchloſſen wäre und mehrere geographiſch begründete Unterarten zum mindeſten unterſchieden werden können oder vielmehr müſſen, wie das ja auch der große Verbreitungskreis von vornherein wahrſcheinlich macht. Beim ſudaniſchen Babuin iſt der glatte, gleichmäßige, nirgends verlängerte Pelz oben olivengrünlichgelb, jedes Haar abwechſelnd ſchwärzlich und gelb geringelt, unterſeits lichter, auf den Backen weißlichgelb. Geſicht und Ohren haben ſchwärzlich bleigraue, die oberen Augenlider weißliche, die Hände braungraue, die Augen hellbraune Färbung. Erwachſene Männchen erreichen bei 65—70 em Schulterhöhe eine Geſamtlänge von 1,50 m, wovon der verhältnismäßig dünne Schwanz allerdings ein Drittel wegnimmt. Die ganze Geſtalt iſt aus— gezeichnet durch Schlankheit und Langgliedrigkeit; daher auch der Händlername Langarmpavian. Hartmann hat mir über das Freileben dieſes Affen nur folgende Mitteilung geben können: „Auf dem Djebel-Guli lebt der Babuin in ziemlicher Anzahl; er findet daſelbſt Knollen von Liliengewächſen, Früchte von wilden Feigen, Tamarinden, Beeren des Ciſſus- und in benach⸗ barten Ebenen auch ſolche des Khetamſtrauches uſw. und lebt äußerſt gemütlich in den Tag hinein, falls nicht einmal ein Leopard in feine Berge kommt, ihn aufſtört und, wenn es mög- lich iſt, einen oder den anderen auffrißt. Die Eingeborenen bekümmern ſich im ganzen wenig um ihn, obſchon ſie gelegentlich ein Junges fangen und aufziehen. In einer Hinſicht aber ſcheinen dieſe Paviane den Fungis doch läſtig zu werden, wenn jene nämlich Waſſer holen 37 * 580 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. wollen. Die Paviane ſteigen von den Bergen zur Ebene herab und trinken hier aus den kleinen Quellteichen. Nun verſichern die Fungis, daß ihre jungen Mädchen beim Waſſerholen nicht ſelten von alten Babuinen angegriffen und mißhandelt werden. Deshalb gehen, ſobald man noch halbe Kinder auf die Waſſerplätze ſendet, ſtets einige, bewaffnete junge Männer zu deren Schutze mit. Uns haben die reihenweiſe einer hinter dem anderen über die ſteilen 7 SI . Gelber Babuln, Papio eynocephalus ochraceus Pirs. Vs natürlicher Größe. u C 9 Granitplatten des ſchroffen Djebel⸗Guli ziehenden und unter den Bäumen des Gebirges ſpielen⸗ den Paviane ſtets das größte Vergnügen bereitet. Bei jedem Trupp ſahen wir einige in ihrer Art rieſenhafte alte Herren. Unſere Abſicht, Jagd auf ſie zu machen, konnten wir übrigens nicht ausführen, weil fie ſich bei verſuchter Näherung regelmäßig rechtzeitig zurückzogen.“ Über das Freileben der Babuine in Oſtafrika teilt Noack aus den Aufzeichnungen des jo früh verſtorbenen R. Böhm folgendes mit: „Häufig in der Baumſteppe, ſowohl bei Ortſchaften als an Flüſſen, ſo überall bis zum Tanganjika, auch in Urua und Katanga. Junge, die auf dem Rücken ihrer Mutter reiten, vom Mai bis zum März geſehen, doch ſcheinen ſie zu jeder Jahres⸗ zeit geboren zu werden. In großen Banden ſtreifen ſie durch die Wälder und brechen von da Babuin: Freileben in Oſtafrika. 581 zur Reifezeit von Mais und Negerhirſe in die inſelartig um die Ortſchaften liegenden Felder ein, wo ſie großen Schaden anrichten. Sie ſind ebenſo frech wie klug berechnend. Oft laſſen ſie ſich nur mit Mühe durch das Geſchrei und Speerwerfen der Feldwachen vertreiben und bleiben dann ruhig ſo lange in der Nähe des Waldrandes, bis die Luft wieder rein iſt. Vor Weibern haben ſie überhaupt keine Furcht, ſtellen ſich ihnen ſogar gegenüber und rauben ihnen ihr Eſſen. Das Feuergewehr kennen ſie ganz genau; vor den Jägern pflegen fie langſam herzuflüchten, von Zeit zu Zeit auf niedrige Bäume ſpringend oder ſich an Stämmen aufrichtend, um Umſchau zu halten, bleiben hier auch bis auf Büchſenſchußweite ſitzen, ſpringen aber ſofort herab, ſowie man das Gewehr an den Kopf nimmt. Junge, auch ziemlich herangewachſene, bleiben bei der erſchoſſenen Mutter. Angeſchoſſene werden von den alten Männchen weiter— geführt und beſchützt. Gegen Hunde ſtellen ſie ſich gleich und oft mit Erfolg; trotzdem werden ſie auch mit Hunden gehetzt und ſchließlich von dieſen auch feſtgehalten. Stets machen die alten bewährten Männchen, die eine gewaltige Größe erreichen, den Beſchluß. Hält die Bande, fo wandeln letztere auf der gefährdeten Front hin und her; befindet ſich die Herde in einem Baumgipfel, jo treten fie von Zeit zu Zeit herausfordernd auf freie Aſte vor. Wenn auch ſchwer und plump in ihren Bewegungen, ſo klettern dieſe Paviane doch mit großer Sicherheit auf den höchſten Baumwipfeln umher, von denen ſie ſich bei nahender Gefahr mit mächtigen, geräuſchvollen Sätzen herabwerfen. In der Nacht ſchlafen ſie auf hohen Bäumen, doch wechſeln ſie manchmal auch in tiefer Dunkelheit. Ihre Stimme iſt bei den alten Männchen tiefer und ſtärker, ein kurz abgebrochener, bellender Laut; erſchreckt kreiſcht und ſchreit die Bande durch⸗ dringend. Ein kurz und rauh ausgeſtoßenes, O! O! drückt Verwunderung und Unwillen, ein langgezogenes Ooh! Verlangen aus. „Jung gefangen ſind ſie ſehr drollig und gewöhnen ſich raſch ein; doch haben ſie be— ſtimmte Perſonen, die ſie ſehr lieben, und von denen ſie ſich ſtets tragen laſſen, während ſie andere haſſen und angreifen. Sie laſſen ſich auch wie Hunde auf Menſchen hetzen. Sind ſie böſe, ſo zeigen ſie die Zähne, ziehen die Augenbrauen hoch und legen die Ohren zurück, richten ſich auch in komiſcher Weiſe in die Höhe. Vor Gewitter, heftigem Regen und Sturm bekunden fie große Angſt, find überhaupt leicht bis zur völligen Verzweiflung zu erſchrecken. Höchſ⸗ eigentümlich iſt ein konvulſiviſches Zucken, das ſie oft befällt, wenn man ſich mit ihnen be— ſchäftigt, ohne daß ſie irgendwie krank find, ſowie daß fie ſich z. B. Europäern langſam, augen: ſcheinlich in höchſter Angſt, aber wie von unſichtbarer Gewalt getrieben, nähern, bis ſie die Perſon berühren und dann plötzlich laut aufſchreiend zurückſpringen. Sehr gern freſſen ſie Heuſchrecken, auch Mäuſe und dergleichen.“ Daß gerade dieſe Paviane, nach Fiſcher, auch viel größeren Tieren nachſtellen, iſt bereits auf S. 560 angeführt worden. Grote traf den Babuin bei dem deutſch-oſtafrikaniſchen Küſtenorte Mikindani in den Buchten am Meeresſtrande, wo die Trupps auf und ab gingen, jedenfalls um ausgeworfene Muſcheln und andere Weichtiere zu ſuchen. Beunruhigt, zogen ſie ſich in den Mangrovewald zurück. In den Siſalagavenpflanzungen wiſſen ſie, nach Voſſeler, das Herz der Pflanzen mit ſcharfem Ruck ſo auszubrechen, daß es wie von boshafter Hand abgeſchnitten erſcheint. In Saatbeeten ruinieren ſie alles, indem ſie bedächtig Keimling um Keimling aus der Erde ziehen, beriechen und wegwerfen. Bei alledem beobachten ſie aber die größte Vorſicht und verſchwinden augenblicklich, ſobald ſich ein Menſch zeigt. Anderſeits verleugnen auch ſie den bekannten Mut der Paviane nicht: Voſſeler ſelbſt wurde einſt im Buſche der Panganiniederung von zwei der ſtärkſten Männchen einer Horde geſtellt, die ſein Maultier ruhig herankommen ließen, und zwei andere ſolche Affenhäuptlinge packten gar die Bulldogge eines Reiſenden, die ſie ankläffte, 582 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. und ſuchten den Hund mit vereinten Kräften an Schwanz und Beinen auf eine Palme her⸗ aufzuziehen, ſo daß ihn ſein Herr nur im letzten Augenblick noch mit der Nilpferdpeitſche be⸗ freien konnte. Ein einzelnes altes Männchen, das ſich über ein Jahr lang im Uſambaragebirge herumtrieb und da viel Schaden machte, erwehrte ſich verfolgender Hunde einfach durch Ohr— feigen. Sein Gewicht wurde, als man es endlich erlegen konnte, auf 32 kg feſtgeſtellt. Ins Waldgebirge ſcheinen, nach Voſſeler, hauptſächlich ſolche alte, von der Horde abgetriebene Männchen zu kommen. In ſeinen Bewegungen und ſeiner Stellung gleicht der Babuin ganz den anderen Pavianen; fein geiſtiges Weſen zeichnet ihn jedoch zu ſeinem Vorteil aus. Er iſt ein ſehr kluges Tier und gewöhnt ſich, jung eingebracht, außerordentlich leicht an den Menſchen, läßt ſich zu allen möglichen Kunſtſtücken ohne Mühe abrichten und hängt ſeinem Herrn, trotz ſchlechter Behandlung, mit großer Treue an. Das Weibchen iſt ſanfter und liebenswürdiger als das Männchen, das oft ſeine Tücken und Unarten auch ſeinem Herrn gegenüber zeigt, während das Weibchen mit dieſem auf dem vertrauteſten Fuße lebt. Der erſte Babuin, den ich beſaß, Perro, hatte ſich ſchon nach drei Tagen vollkommen an mich gewöhnt. Ich wies ihm das Amt eines Türhüters an, indem ich ihn über unſerer Hof— türe anband. Hier hatte er ſich bald einen Lieblingsplatz ausgeſucht und bewachte von dort aus die Tür auf das allerſorgfältigſte. Nur uns und ihm Bekannte durften eintreten, Uns bekannten verwehrte er hartnäckig den Eingang und gebärdete ſich dabei ſo toll, daß er ſtets gehalten werden mußte, bis der Betreffende eingetreten war, weil er ſonſt wie ein wütender Hund auf dieſen Fremden losgefahren ſein würde. Im Zorne erhob er den Schwanz und ſtellte ſich auf beide Füße und eine Hand; die andere benutzte er, um damit heftig auf den Boden zu ſchlagen, ganz wie ein wütender Menſch auf den Tiſch ſchlägt, nur daß er nicht die Fauſt ballte wie dieſer. Seine Augen glänzten und blitzten, er ließ ein gellendes Geſchrei hören und rannte wütend auf ſeinen Gegner los. Nicht ſelten nahm er eine ſehr freundliche Miene an, ſchmatzte mehrmals raſch hintereinander, was immer als Freundſchaftsbeteuerung auf— zufaſſen war, und ſtreckte ſehnend die Hände vor. Dann aber fuhr er blitzſchnell nach der Hand, kratzte und biß. Er lebte mit allen Tieren in Freundſchaft, mit Ausnahme der Strauße, die wir hatten. Perro ſaß, wenn ſeine Wächterdienſte unnötig waren, gewöhnlich ruhig auf ſeiner Mauer und hielt ſich gegen die ſengenden Sonnenſtrahlen eine Strohmatte als Schirm über den Kopf. Da geſchah es denn ſehr oft, daß einer oder der andere Strauß ſchaukelnd herankam, mit ſeinem dummen Kamelkopfe ſich dem herabhängenden Schwanze des Affen näherte und, ohne daß Perro es ahnte, dieſem plötzlich einen tüchtigen Biß verſetzte. Die Strohmatte wegwerfen, laut ſchreien, den Strauß mit beiden Händen am Kopfe faſſen und tüchtig abſchütteln, war dann gewöhnlich eins. Es kam oft vor, daß der Affe nachher eine ganze Viertelſtunde lang ſeine Gemütserſchütterung nicht bemeiſtern konnte. Während unſerer Rückreiſe nach Agypten wurde Perro, der mit allem Schiffsvolke gute Freundſchaft hielt, an den Bord der Barke gebunden. Er fürchtete das Waſſer in hohem Grade, war aber doch geſcheit genug, ſich, wenn er durſtete, dieſem ſo zu nähern, daß er keine Gefahr zu beſorgen brauchte. Zuerſt probierte er ſeinen feſten Strick, dann ließ er ſich an dieſem bis nahe über den Waſſerſpiegel hinab, ſtreckte ſeine Füße in den Strom, näßte ſie an und leckte ſie ab, auf dieſe Weiſe ſeinen Durſt ſtillend. Gegen junge Tiere zeigte er warme Zuneigung. Als wir in Alexandrien einzogen, hatten wir ihn auf den Wagen gebunden, der unſere Kiſten trug; ſein Strick war aber ſo lang, daß er ihm die nötige Freiheit gewährte. Beim Eintreten in die Stadt erblickte Perro Babuin: Gefangenleben. 583 neben der Straße das Lager einer Hündin, die vor kurzer Zeit geworfen hatte und vier aller— liebſte Junge ruhig ſäugte. Vom Wagen abſpringen und der Alten ein ſäugendes Junges wegreißen, war die Tat weniger Augenblicke; nicht ſo ſchnell gelang es ihm, ſeinen Sitz wieder zu erreichen. Die Hundemutter, aufs äußerſte erzürnt über die Frechheit des Affen, fuhr wütend auf dieſen los, und Perro mußte ſeine ganze Kraft zuſammennehmen, um dem ans dringenden Hunde zu widerſtehen. Sein Kampf war nicht leicht; denn der Wagen bewegte ſich ſtetig weiter, und ihm blieb keine Zeit übrig, hinaufzuklettern, weil ihn ſonſt die Hündin gepackt haben würde. So klemmte er nun den jungen Hund zwiſchen den oberen Arm und die Bruſt, zog mit demſelben Arme den Strick an ſich, weil dieſer ihn würgte, lief auf den Hinterbeinen und verteidigte ſich mit der größten Tapferkeit gegen ſeine Angreiferin. Sein mutiger Kampf gewann ihm die Bewunderung der Araber in ſo hohem Grade, daß keiner derſelben ihm ſein geraubtes Pflegekind abnahm; ſie jagten ſchließlich lieber die Hündin weg. Unbehelligt brachte er den jungen Hund mit ſich in unſere Behauſung, hätſchelte, pflegte und wartete ihn ſorgfältig, ſprang mit dem armen Tiere, das gar keinen Gefallen an ſolchen Tänzer— künſten zu haben ſchien, auf Mauern und Balken, ließ es dort in der gefährlichſten Lage los und erlaubte ſich andere Übergriffe, die wohl bei einem jungen Affen, nicht aber bei einem Hunde gerechtfertigt ſein mochten. Seine Freundſchaft zu dem Kleinen war groß; dies hinderte ihn jedoch nicht, alles Futter, das wir dem jungen Hunde brachten, ſelbſt an deſſen Stelle zu freſſen und das arme hungrige Pflegekind auch noch ſorgfältig mit dem Arme wegzuhalten, während er, der räuberiſche Vormund, das unſchuldige Mündel beeinträchtigte. Ich ließ ihm noch an demſelben Abend das Junge abnehmen und es zu ſeiner rechtmäßigen Mutter zurück— bringen. Der Verluſt ärgerte ihn dergeſtalt, daß er mehrere Tage ſehr mürriſch war. Während meines zweiten Aufenthaltes im Oſtſudan hatte ich viele Paviane derſelben Art zu gleicher Zeit in meinem Gehöfte. Sie gehörten teils mir, teils einem meiner Freunde an. Jeder Pavian kannte ſeinen Herrn genau und ebenſogut den ihm verliehenen Namen. Es war eine Kleinigkeit, einen friſchgekauften Affen beides kennen zu lehren. Wir brachten das Tier in das Innere unſerer Wohnung und ſorgten durch aufgeſtellte Wachen dafür, daß es den Raum nicht verlaſſen konnte. Dann nahm einer von uns die Peitſche und bedrohte den be— treffenden Affen, der andere gebärdete ſich in ausdrucksvollſter Weiſe als Schutzherr des Ver— folgten. Nur ſelten wurde es wirklich nötig, einen Pavian zu ſchlagen; er begriff ſchon die Drohung und den ihm in Ausſicht geſtellten Schutz und erwies ſich ſtets ſehr dankbar für die ihm in jo ſchwerer Bedrängnis gewordene Hilfe. Ebenſo leicht wurde es, einem Hundskopf⸗ affen begreiflich zu machen, daß er mit dem oder jenem Namen getauft worden ſei. Wir riefen den Namen und prügelten alle, die falſch antworteten. Hierin beſtand das ganze Kunſtſtück. Es war keineswegs nötig, harte Züchtigungen zu verhängen. Die Drohung, zu ſchlagen, be— wirkte oft mehr als die Schläge ſelbſt und verſetzte jeden Pavian ſtets in die größte Aufregung. Alle unſere Paviane teilten mit den Eingeborenen die Leidenſchaft für die Meriſa, eine Art Bier, das die Sudaneſen aus den Körnern der Durra bereiten. Sie berauſchten ſich oft in dieſem Getränke und bewieſen mir dadurch, daß die Sudaneſen mich der Wahrheit gemäß über den Fang der Paviane (mit berauſchenden Flüſſigkeiten) unterrichtet hatten. Rotwein tranken die Affen auch, Branntwein dagegen verſchmähten ſie ſtets. Einmal goſſen wir ihnen ein Gläschen davon mit Gewalt in das Maul. Die Folge zeigte ſich bald, zumal unſere Tiere vorher ſchon hinreichend oft die Meriſa gekoſtet hatten. Sie wurden vollſtändig betrunken und ſchnitten die allerfürchterlichſten Geſichter, wurden übermütig, leidenſchaftlich, kurz, gaben ein abſchreckendes Zerrbild eines rohen, betrunkenen Menſchen. Am anderen Morgen ftellte 584 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. ſich der Katzenjammer mit allen ſeinen Schrecken ein. Man merkte es ihnen an, daß ein heftiger Kopfſchmerz fie peinigte; fie hielten ſich auch wohl wie Menſchen unter ſolchen Umſtänden mit beiden Händen das beſchwerte Haupt und ließen von Zeit zu Zeit die verſtändlichſten Klagen hören. Wie der Katzenjammer ihnen mitſpielte, zeigten ſie dadurch, daß ſie nicht nur das Futter, ſondern auch die ihnen dargebrachte Meriſa verſchmähten und ſich von Wein, den ſie ſonſt jehr liebten, mit Abſcheu wegwandten. Dagegen erquickten fie kleine ſaftige Zitronen außer⸗ ordentlich; ſie gebärdeten ſich auch hierin wieder vollkommen menſchlich. it den anderen Tieren, die ich lebendig hielt, vertrugen fie ſich ſehr gut. Meine zahme Löwin ängſtigte zwar die Meerkatzen auf das höchſte, nicht aber die mutigen Hundsköpfe. Dieſe flohen wohl auch, wenn ſich das gefürchtete Tier nahte, hielten ihm aber tapfer ſtand, ſowie die Löwin einen Verſuch machte, einen Pavian wirklich anzugreifen. Dasſelbe habe ich ſpäter ſtets beobachtet. Meine zahmen Paviane flohen z. B. vor Jagdhunden, die ich auf ſie hetzte, trieben dieſe jedoch augenblicklich in die Flucht, wenn einer der Hunde es wirklich gewagt hatte, ſie am Felle zu packen. Der flüchtende Affe ſprang dann unter furchtbarem Gebrülle blitz⸗ ſchnell herum, hing fi mit unglaublicher Gewandtheit an den Hund an und ohrfeigte, biß und kratzte ihn derartig, daß der Gegner in höchſter Verblüffung und gewöhnlich heulend das Weite ſuchen mußte. Um ſo lächerlicher war ihre jedes Maß überſteigende Furcht vor Kriech⸗ tieren und Lurchen aller Art. Eine unſchuldige Eidechſe, ein harmloſer Froſch brachten ſie geradezu in Verzweiflung. Sie raſten förmlich, ſuchten die Höhe zu gewinnen und klammerten ſich krampfhaft an Balken und Mauern feſt, ſoweit es ihr Strick zuließ. Gleichwohl war ihre Neugierde ſo groß, daß ſie nie umhin konnten, ſich die ihnen entſetzlichen Tiere in der Nähe zu betrachten. Ich brachte ihnen unter anderen mehrmals giftige Schlangen in Blechſchachteln mit. Sie wußten aus Erfahrung, was für gefährliche Weſen dieſe Schachteln beherbergten, konnten aber doch nicht widerſtehen, die geſchloſſenen Gefängniſſe der Schlangen aufzumachen, und weideten ſich dann gleichſam an ihrem eigenen Entſetzen. Einer dieſer Paviane verendete auf ſehr traurige Weiſe. Mein Diener Auguſt wollte ihn im Nil baden und warf ihn vom Bord unſeres Schiffes aus in den Strom. Der Affe war an einem langen Stricke befeſtigt, deſſen Ende Auguſt in der Hand behielt. Unglücklicherweiſe aber entfiel dem Diener der Strick, der Affe verſank, ohne auch nur einen Verſuch zum Schwimmen zu machen, und ertrank. Ein anderes Mitglied der Geſellſchaft, ein Weibchen, Atile mit Namen, brachte ich mit mir nach Deutſchland und in meine Heimat. Atile zeichnete ſich durch auffallenden Ver⸗ ſtand aus, verübte aber auch viele loſe und tolle Streiche. Wenn unſer alter, mürriſcher Haus⸗ hund draußen im Hofe ſeinen Mittagsſchlummer hielt, erſchien die neckiſche Affin leiſe neben ihm, ergriff ihn ſacht am Schwanze und erweckte ihn durch einen plötzlichen Riß an dieſem geachteten Anhängſel aus ſeinen Träumen. Wütend fuhr der Hund auf und ſtürzte ſich bellend und knurrend auf die Affin. Dieſe nahm die herausforderndſte Stellung an, ſchlug mit der einen Hand wiederholt auf den Boden und erwartete getroſt ihren erbitterten Feind. Der erreichte ſie zu ſeinem grenzenloſen Arger niemals. Sowie er nämlich nach ihr biß, ſprang ſie mit einem Satze über den Hund hinweg und hatte ihn im nächſten Augenblicke wieder beim Schwanze. Daß der Hund zuletzt wirklich vor Wut ſchäumte, half ihm nichts: ſchließlich räumte er ſtets mit eingezogenem Schwanze das Feld. Atile liebte Pflegekinder aller Art. Haſſan, die S. 513f. erwähnte Meerkatze, war ihr Liebling und genoß ihre Zuneigung in ſehr hohem Grade — ſolange es ſich nicht um das Freſſen handelte. Atile brach ihm augenblicklich das Maul auf und leerte die gefüllten Vor⸗ ratskammern Haſſans ohne Umſtände aus, wenn dieſer den kühnen Gedanken gehabt hatte, . Babuin: Gefangenleben. 585 auch für ſich etwas in Sicherheit zu bringen. Übrigens genügte ihrem großen Herzen ein Pflegekind noch nicht; ihre Liebe verlangte umfaſſendere Beſchäftigung. Sie ſtahl junge Hunde und Katzen, wo ſie immer konnte, und trug ſie oft lange mit ſich herum. Eine junge Katze, die ſie gekratzt hatte, wußte fie unſchädlich zu machen, indem fie die Klauen des Tieres unter: ſuchte und die Nägel dann ohne weiteres abbiß. Die menſchliche Geſellſchaft liebte ſie ſehr, zog aber Männer ganz entſchieden Frauen vor und neckte und ärgerte letztere in jeder Weiſe. Auf Männer wurde ſie bloß dann böſe, wenn dieſe ihr etwas zuleide getan hatten, oder wenn ſie glaubte, daß ich ſie auf die Leute hetzen wolle. In dieſem Punkte war ſie ganz wie ein abgerichteter Hund. Man durfte ihr bloß ein Wort ſagen oder jemand zeigen: ſie fuhr dann ſicher wütend auf den Betreffenden los und biß ihn oft empfindlich. Empfangene Beleidigungen vergaß ſie wochenlang nicht und rächte ſich, ſobald ſich ihr Gelegenheit bot. Ihr Scharfſinn war außerordentlich groß. Sie ſtahl meiſterhaft, machte Türen auf und zu und beſaß eine bedeutende Fertigkeit, Knoten zu löſen. Schachteln und Kiſten öffnete ſie ebenfalls und plünderte ſie dann immer rein aus. Wir pflegten ſie manchmal zu erſchrecken, indem wir ein Häufchen Pulver vor ſie auf den Boden ſchütteten und dieſes dann mit Feuer⸗ ſchwamm anzündeten. Sie ſchrie gewöhnlich laut auf, wenn das Pulver aufblitzte, und machte einen Satz, ſoweit ihr Strick es zuließ. Doch ließ ſie ſich derartige Schrecken nur einigemal gutwillig gefallen. Später war ſie pfiffig genug, den brennenden Schwamm mit ihren Händen zu erſticken und ſo die Entzündung des Pulvers zu verhüten! Dann fraß ſie dieſes regel— mäßig auf, wahrſcheinlich des ſalpeterigen Geſchmackes wegen. Während des Winters bewohnte ſie gewöhnlich den warmen Ziegenſtall, trieb aber hier häufig Unfug, indem ſie Türen aushob und ſo die Ziegen und Schweine befreite, Bretter abdeckte und andere unerlaubte Streiche ausführte. Das eingemiſchte Kleienfutter, das die Ziegen erhielten, fraß ſie leidenſchaftlich gern und fing deshalb oft Streit mit den rechtmäßigen Eigentümern an. Hierbei benahm ſie ſich äußerſt geſchickt: ſie faßte nämlich mit der einen Hand den Eimer oder Kübel, mit der anderen packte ſie die Ziege an den Hörnern oder an dem um dieſe gewundenen Stricke und hielt ſie, während ſie ſelber trank, ſoweit wie möglich von ſich ab. Wenn eine Ziege ſie ſtieß, ſchrie ſie laut auf und hing dann gewöhnlich im nächſten Augenblicke an dem Halſe ihrer Gegnerin, um ſie zu beſtrafen. Sie verzehrte alles Genießbare, namentlich gern Kartoffeln, die auch ihre Hauptſpeiſe bildeten. Würzige Säme⸗ reien, zumal Kümmel, waren eine Leckerei für ſie. Den Tabak und noch mehr den Tabaks— rauch liebte ſie, wie viele Affen, in hohem Grade und ſperrte, wenn ich ihr ihn ins Geſicht blies, das Maul weit auf, um davon ſoviel als möglich einzuſchlürfen. Ihre Zuneigung zu mir überſtieg alle Grenzen. Ich konnte tun, was ich immer wollte: ihre Liebe gegen mich blieb ſich gleich. Wie es ſchien, betrachtete fie mich in allen Fällen als voll- kommen unſchuldig an allen Übeln, die ihr widerfuhren. Wenn ich ſie züchtigen mußte, wurde ſie niemals auf mich wütend, ſondern ſtets auf diejenigen, die zufällig anweſend waren. Mich zog ſie unter allen Umſtänden ihren ſämtlichen Bekannten vor: ſie wurde, wenn ich mich nahte, augenblicklich eine Gegnerin von denen, die ſie eben noch geliebkoſt hatte. Freundliche Worte ſchmeichelten ihr, Gelächter empörte ſie, zumal wenn ſie merkte, daß es ihr galt. Sie antwortete jedesmal, wenn wir ſie riefen, und kam auch zu mir heran, wenn ich es wünſchte. Ich konnte weite Spaziergänge mit ihr machen, ohne ſie an die Leine zu nehmen. Sie folgte mir wie ein Hund, wenn auch nur in weiten Bogen, die ſie nach eigenem Ermeſſen ausführte, und Haſſan lief wiederum ihr treulich nach. Als Haſſan ſtarb, war ſie ſehr unglücklich und ſtieß von Zeit zu Zeit ein bellendes Geſchrei aus, auch in der Nacht, die ſie ſonſt regelmäßig verſchlafen hatte. 586 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. Der Babuin wird im Sudan oft gefangen, auf dem Nil herunter nach Agypten und von dort nach Europa gebracht; er gelangt jedoch auch von anderer Seite hierher: man ſieht ihn ziemlich häufig in Gefangenſchaft. In Agypten dient er Gauklern ziemlich zu denſelben Zwecken wie der Hamadryas. In Europa iſt er ein ſtändiger Bewohner der Affenhäuſer in den Tier⸗ gärten und der Affenkäfige in den Tierſchaubuden, ebenſo regelmäßig auch auf dem Affentheater zu finden, weil Klugheit und gutmütiges Weſen ihn zur Abrichtung geeignet erſcheinen laſſen und ſein biegſamer Schwanz leicht in der Kleidung verſteckt werden kann. Wie leicht er lernt, iſt aus dem Vorſtehenden erſichtlich geworden; wie treu er behält, und wie willig er „arbeitet“, zeigt ſich bei jeder Vorſtellung auf der Affenbühne. Er zählt unter deren größte Künſtler. Wenn irgendwo bei den Pavianen, ſo muß Abtrennung in eine beſondere Gattung bei den beiden ſchon im Außeren ganz befremdlich abweichenden, ja geradezu abenteuerlich ausſchauenden Pavianarten vollauf berechtigt erſcheinen, zu denen als letzten wir jetzt ge⸗ langen: beim Drill und Mandrill, die man als Stummelſchwanzpaviane oder, weil das unter Umſtänden zu Verwechſelungen mit den Schopfpavianen führen dürfte, vielleicht noch beſſer als Backenfurchenpaviane (Mandrillus Ritgen, Mormon) zuſammenfaſſen könnte. Denn in den beiden Namen ſind ihre Haupteigentümlichkeiten ausgedrückt. Sie haben ganz kleine, nur wenige Zentimeter meſſende Stummelſchwänze und als auffallendſtes Merkmal an ihren mächtigen, ſelbſt für Pavianſchnauzen noch unverhältnismäßig großen Köpfen ganz eigentümlich gewulſtete und gefurchte Backen, die am Schädel wie rauhe, krankhafte Knochen⸗ auftreibungen ausſehen. Am lebenden Tiere iſt nun nicht nur dieſer ungeheure und unge⸗ heuerliche Kopf, ſondern auch das entgegengeſetzte Leibesende, die ganze Gegend der Geſäß⸗ ſchwielen, mit auffallenden, bei der einen Art ſogar ſchreiend bunten Farben wie bemalt, was auf unſere landläufigen Schönheits- und Anſtandsbegriffe natürlich äußerſt befremdend wirkt. Indes iſt nicht zu leugnen: wenn auch vielleicht eine zimperliche Natur ſich ſchamhaft von ſolchem Mandrill abwenden wird — der unbefangene Betrachter wird von ſolchen Aus- geburten der Natur lebhaft gefeſſelt werden. Denn wiederum iſt nicht zu leugnen: ſolch ein alter Drill- oder Mandrillmann, neben dem ſein Weib geradezu zwergenhaft ausſieht, wird zwar vielleicht nicht ganz ſo groß, genauer geſagt: nicht ganz ſo hoch wie die langbeinigeren Schwanzpaviane, er hat aber dafür einen derart gewaltigen, man muß ſchon ſagen: athle⸗ tiſchen und herkuliſchen Muskelbau, namentlich in ſeinem etwas überhöhten Vorderteil um die Schultern herum, daß er unwillkürlich imponiert, und dieſem imponierenden Eindruck kann auch der Kopf auf die Dauer keinen Abtrag tun, ſobald man erſt ſo weit iſt, ihn mit ſeinen Farben vorurteilslos zu betrachten. An ſich krönt nämlich dieſer mächtige, übergroße Kopf ganz folgerichtig die Wirkung geradezu unheimlicher Kraft, die die Geſamterſcheinung des Tieres ausſtrömt, und ſeine Farben, Schwarz und Weiß oder gar Scharlachrot, Himmel⸗ blau und Zitronengelb, befremden uns letzten Endes ganz ſicher nur deshalb ſo ſehr, weil wir ſolche ungebrochene Farben bei einem Säugetier nicht gewöhnt ſind; bei einem Vogel oder Schmetterling würden wir dieſe Farbenzuſammenſtellungen ganz gewiß ſehr ſchön finden. Was aber den genaueren, vorurteilsloſen Beobachter unwiderſtehlich bekehrt, das iſt ſchließlich das geiſtige Weſen, das aus der ganzen einzigartigen Tiererſcheinung ſpricht, ſehr beredt und eindeutig: ein furchtloſes Selbſtbewußtſein und eine mutige Tatkraft ſondergleichen! Solch einen alten Drill oder Mandrill verprügeln zu wollen oder zu können, dieſer Wunſch und Gedanke wird auch dem größten Raufbold unter uns Menſchen nicht kommen, ſobald er ſich ſeinen Gegner nur einmal ordentlich angeſehen hat. Ro Ws — 5 - 8 5 * Drill und Mandrill. 587 Doch der kundigere Tierfreund, der weiß, daß die moderne Forſchung auch in den früher ſogenannten beſchreibenden Naturwiſſenſchaften auf Erklärung und Verſtändnis nicht mehr verzichtet, wird hier ganz beſonders geſpannt und wißbegierig fragen, welche Gründe für Ent ſtehung ſolcher befremdlichen, ganz einzig in ihrer Art daſtehenden Säugetier- und Affenform abzuſehen ſeien, und da iſt es gewiß der Wiſſenſchaft ſelber am peinlichſten, keine wirklich befriedigende Antwort zu haben. Man muß die auf die Spitze getriebenen Merkmale zweifel⸗ los zu den ſogenannten ſekundären Sexualcharakteren Darwins, deutſch: mittelbaren Geſchlechts— merkmalen, rechnen, weil ſie eben nur den männlichen Drill und Mandrill auszeichnen, wäh— rend ſie bei dem viel kleineren weiblichen nur eben angedeutet ſind. Aber damit gibt man wenig wirkliche Erklärung; namentlich leuchtet in dieſem Falle ſchwer ein, daß die Auswahl von ſeiten des Weibchens, alſo die geſchlechtliche Zuchtwahl Darwins, die überhaupt wohl der ſchwächſte Punkt feiner Theorie iſt, das Männchen zu ſolchem unheimlichen Muskelteufel herangezüchtet habe: denn der rieſenhafte Drill- oder Mandrillpaſcha bittet die kleinen, ſchwachen Weiber ſeiner Horde nicht lange um Erhörung. Eher könnte hier vielleicht Günthers „Ein— ſchüchterungsausleſe“ verfangen, zumal ſolch alter Leit-Drill oder -Mandrill mit feinem dräuenden Haupt ſchon Feinde und Nebenbuhler bange machen kann, wenn er kampfbereit vor die Seinen als Schutzwehr hintritt; aber für kritiſche Tierpſychologie hat es ſein Bedenkliches, bei Tieren ohne weiteres dieſelben geiſtigen Wirkungen anzunehmen, wie wir ſie an uns Menſchen beobachten, und am allerwenigſten vermögen wir triftige oder gar zwingende Gründe einzuſehen, warum es gerade beim Mandrill zu dieſem unter Säugetieren ſonſt ganz un- erhörten „Olfarbenanſtrich“ des Geſichtes kommen mußte. Um die Körperbeſchreibung der beiden Arten nicht zu unvollſtändig zu laſſen, wäre dem Vorſtehenden noch hinzuzufügen, daß bei beiden auch Hodenſack und Umgebung lebhaft rot, wie entzündet ausſehen, ähnlich den entſprechenden Körperſtellen beim Rheſus. Die ganze Gegend der Geſäßſchwielen dagegen iſt bis über den dünn behaarten Anfangsteil der Ober— ſchenkel auf der Kehrſeite des Tieres mit einem an ſich ſehr ſchönen und feinen Farbenüber— gang von Rot oben am Schwanze über Rotlila zu Blaßblau geziert, und zwar wirklich geziert; das wird jeder empfinden, der ſich von dem beſchränkt menſchlichen Vorurteil befreit hat, daß dieſer Körperteil auf keinen Fall betont werden dürfe. Dieſe zarten Farbentöne des Hinter⸗ teils ſtehen durch die ganze Art und Weiſe, wie ſie „aufgetragen“ ſind, in einem auffallenden Gegenſatz zu dem „grellen, dicken Olfarbenanſtrich“ auf dem Geſicht des Mandrills. Dieſer hat auf ſeinem blauen Geſicht, vom Auge her im Bogen gegen die ſcharlachrote Naſe vor— gewölbt, viele in der Tiefe dunkelgefärbte Furchen und einen ausgeſprochenen, am Kinn etwas ziegenbartähnlich verlängerten, zitronengelben Bart. Der Drill dagegen hat ein tiefſchwarzes Geſicht mit nur zwei Furchen, das von weißem, nur wenig bartartig verlängertem Haar um— geben iſt und dadurch mit den tiefliegenden, kleinen, dunklen, ſtets lebhaft umherblickenden Augen nur um ſo unheimlicher ausſieht. Die Körperbehaarung iſt bei beiden Arten oben dunkel, beim Drill etwas dunkler, mehr ſchwärzlich, beim Mandrill etwas heller, mehr grün— lich; unten iſt ſie dafür beim Drill deſto heller, weißlich, beim Mandrill nur durch Verſchwinden des grünen Scheins der Rückenfärbung mehr grau. Die Weibchen, die bei beiden Arten an Größe und Stärke hinter den Männchen noch weiter zurückſtehen als bei den anderen Pavianen, und die Jungen haben wohl dieſelben Haarfarben, und die jungen und die weiblichen Drills haben wohl auch ſchwarze Geſichter wie der alte; aber der Bart und die Farbentöne der nackten Teile ſind nur blaß und ſchwach angedeutet. Die kleinen, jungen Mandrille haben um die Zeit, wann ſie gewöhnlich lebend eingeführt werden, gleichfalls ganz ſchwarze Geſichter und kaum 588 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. angedeutete Backenfurchen; als Mandrille erweiſen ſie ſich oft nur durch den gelblichen Schein der das Geſicht umrahmenden Behaarung. Der neugeborene Drill gar hat, wie die Geburten im Berliner Garten lehren (Taf. „Affen IV”, 8, bei S. 553), ein helles Geſicht und unter⸗ ſcheidet ſich von einem anderen Pavianſäugling weſentlich nur durch ſeinen Stumpfſchwanz. Die Naſe des Mandrills vollendet ihre Rötung erſt mit dem Zahnwechſel, vorher iſt ſie ſchwarz mit rötlichen Flecken; die blauen Backen zeigen ſich früher, wulſten ſich aber allmählich erſt auf, weil auch die unterliegenden Knochen ſich allmählich erſt auftreiben, und das alles geht begreiflicherweiſe beim Weibchen viel ſpäter und langſamer vor ſich als beim Männchen. Der Mandrill heißt wiſſenſchaftlich mit ſeinem neueſten oder vielmehr älteſten, aus der älteſten Linné⸗Ausgabe wieder zu Ehren gebrachten Namen: M. sphinx L.; da dieſer aber zu Ver⸗ wechſelungen mit dem geſchwänzten Guineapavian führen kann, fügen wir noch den ge⸗ läufigeren Namen M. maimon aus einer ſpäteren Linne-Ausgabe hinzu. Der Drill durfte bis jetzt ſeinen eingebürgerten Namen M. leucophaeus F. Cuv. behalten. Beide Arten bewohnen das Guineagebiet Weſtafrikas, wo überhaupt die größte Fülle von Affenarten zu Hauſe iſt, und werden ſchon ſeit dreihundert Jahren nicht ſelten lebend zu uns gebracht. Trotzdem ſind über ihr Freileben kaum unmittelbare Beobachtungen veröffent⸗ licht worden. Ja, nicht einmal ihre geographiſche Verbreitung ſcheint man genauer zu kennen, am wenigſten die Verbreitungsgrenzen beider gegeneinander; denn für beide wird übereinſtimmend nur ganz allgemein angegeben: vom Niger bis zum Kongo, obwohl das von vornherein wenig Wahrſcheinlichkeit hat, weil gemeinhin ſo nahe verwandte, beſſer geſagt: nächſtverwandte Arten nicht nebeneinander vorkommen, ſondern ſich gegenſeitig auszuſchließen und zu vertreten pflegen. Nur Matſchie ſucht aus dieſer Grundanſchauung heraus eine Einzelbegrenzung, indem er dem Mandrill Südkamerun und das Kongogebiet zuweiſt, dem Drill Nordkamerun. Vielleicht be⸗ wohnt alſo der Drill im ganzen Guineagebiet mehr das Innere, den Norden und Oſten, der Mandrill mehr die Küſtenſtriche, den Süden und Weſten. Erſt 1905 erhalten wir durch Bates einige genauere Nachrichten, die er auf ſeiner For⸗ ſchungsreiſe in Südkamerun geſammelt hat. Bates ſpricht aber bemerkenswerterweiſe nur vom Drill, der dort bei den Bulunegern allgemein Sek, das alte Männchen Zombo heißt, wenn er es auch nicht für ganz ausgeſchloſſen hält, daß der Mandrill ebenfalls dort vor⸗ komme und mit dem Drill zuſammengeworfen werde. Selbſt ſcheint er alſo nicht viel von den Tieren geſehen zu haben, die angeblich wenig zahlreich ſind und ſich im tiefen Urwald, entfernt von den Dörfern, halten, oft in großen Horden, manchmal aber auch nur drei oder vier zuſammen. Aber auch im Urwald zeigen ſie ſich als Bodenaffen, die lange nicht ſo flink in die Baumkronen zu entweichen verſtehen wie andere Affen; nur ihre Nachtruhe halten ſie da wie dieſe. Einmal ſah Bates die dürren Blätter des Waldbodens aufgewühlt wie von kratzenden Hunden, und man ſagte ihm, daß das das Werk der Drille ſei, die da unter dem Fallaub nach Nüſſen und Wurzeln ſuchten. An anderen Stellen waren wieder kleine ſtammloſe Palmen entwurzelt und ihrer zarten Spitzentriebe beraubt. Ein verwundetes Männchen ſah Bates ſich ſehr wütend gebärden, ſo daß die ſchwarzen Jäger für ihren kleinen Hund fürch⸗ teten; er hat dieſe aber niemals vom Drill als einem für Menſchen gefährlichen Tiere ſprechen hören. Ein im Auguſt erlegtes Weibchen trug einen Säugling an der Bruſt. Dem klaſſiſchen Altertum waren Drill und Mandrill aller Wahrſcheinlichkeit nach un⸗ bekannt; denn daß unter dem Choeropithecus (— Schweinsaffe) des Ariſtoteles der Mandrill zu verſtehen ſei, weil er am Vorderende ſeiner Pavianſchnauze eine ähnliche Naſenlochſcheibe hat wie das Schwein an ſeinem Rüſſel, iſt nur eine ganz unſichere Deutung. Dagegen kannte „ Drill und Mandrill. 3889 man den Mandrill im Mittelalter ſchon ſehr wohl, und der vielzitierte Ausſpruch des alten Gesner: „Und wann man ihm mit einem Finger dräuet oder deutet, ſo kehret es den Hindern dar“, beruht auf einer ganz richtigen Beobachtung. In der Gefangenſchaft iſt ein junger Mandrill ein allerliebſtes Geſchöpf, unter einer reichhaltigen Geſellſchaft im Affenhauſe der ausgeprägteſte Komiker, zu luſtigen und tollen Streichen jeder Art aufgelegt, mit unverwüſtlicher guter Laune begabt und ungeachtet ſeiner durch nichts zu erſchütternden Unverſchämtheit in keiner Weiſe widerwärtig. Die Eigentümlich— keit, die Gesner mit der Derbheit unſerer Vorfahren kennzeichnet, zeigt allerdings auch ſchon der junge Mandrill: er drückt nach Paviansart ſeine freundliche Unterwürfigkeit nicht mit devot lächelndem Geſicht, ſondern mit dem Hinterteil aus; deshalb geſchehen hierauf bezügliche Bewegungen mit einer ſo ausgeprägten Harmloſigkeit, daß man über der Komik das Unanſtändige im menſchlichen Sinne vergißt. Dies aber ändert ſich meiſt nur zu bald. Die Leidenſchaftlichkeit des alten Mandrills kennt in der Regel keine Grenzen. Erzürnt gerät er in eine entſetzliche Aufregung, vergißt alles und ſtürzt ſich gleichſam kopflos auf ſeinen Feind zu. Ein wahr— haft teufliſcher Glanz ſtrahlt aus den Augen der Beſtie, die mit dämoniſcher Kraft und Bös— willigkeit begabt zu ſein ſcheint. Jetzt hat er nur den einen Gedanken: den Gegner zu zer— reißen und jedes Hindernis aus dem Wege zu räumen. Weder die Peitſche noch die blanke Waffe wird von ihm im geringſten beachtet. Sein Angriff bekundet nicht mehr Kühnheit, ſondern geradezu Verrücktheit. Ebenſo rückſichtslos oder man ſagt wohl beſſer: ſelbſtlos geht er aber auch vor, wenn in der Gefangenſchaft ſein Schutztrieb durch eine wirkliche oder vermeintliche Gefahr für ſeinen Herrn erregt wird oder für andere Freunde, denen er ſich zugehörig fühlt. Doch wäre es ein Irrtum, eine falſche Vermenſchlichung, dabei geſchlechtliche Empfindungen vorauszuſetzen, wenn ein menſchliches Weib im Spiele iſt, und dafür beweiſt es auch nichts, daß man in der Menagerie des Pariſer Pflanzengartens einſt einen ausgebrochenen Mandrill dadurch wieder in ſeinen Käfig locken konnte, daß man die mit ihm befreundete Wärtertochter von einem anderen Wärter umarmen und küſſen ließ. Der brave Affe, der ſeinem Alter nach in der Freiheit längſt Leitaffe geweſen wäre, folgte nicht etwa verliebter Eiferſucht, ſondern nur ſeinem aufopfernden Schutztriebe und hätte ſich ganz gewiß genau ebenſo benommen, wenn man ihn durch Bedrohung eines männlichen Freundes gereizt hätte. Den franzöſiſchen Beobachtern von damals mag die ihnen naheliegende Deutung des ganzen Vorganges verziehen ſein; ſie haben ſich wohl auch durch die Erfahrung beſtimmen laſſen, daß beträchtlich viele Mandrille an ihrer ge— ſchlechtlichen Erregbarkeit und Leidenſchaftlichkeit in Gefangenſchaft vorzeitig zugrunde gehen. Doch gibt es Ausnahmen. So war z. B. der große, ſeit 1903 dort aufgewachſene Mandrill des Berliner Gartens ein recht gemütlicher und verhältnismäßig gutmütiger Burſche, obwohl er natürlich auf irgendwelche von ihm feindlich aufgefaßte Reizung ſofort mit drohendem Kopfnicken und Zorngähnen antwortete. Allerdings hatte er früher einmal ſeine Eckzähne eingebüßt, und das iſt bekanntlich immer von Einfluß auf das Benehmen älterer Affen— männchen. Sein Käfignachbar, ein beinahe ebenſo großer Drill, iſt ſchon eher der geſchilderte Gewaltherrſcher mit den gefährlichen Launen, dem man Weibchen und Junge nicht ohne weiteres anvertrauen darf. Das hindert aber alles nicht, daß Drill und Mandrill bei richtiger Behandlung ſich in hohem Grade zähmbar und erziehungsfähig erweiſen. Schon Jardine berichtet von einem Mandrill, der erwachſen und ſehr zahm war, gegen ſeinen Wärter ſich folgſam zeigte, aber durch Fremde leicht in Wut gebracht werden konnte; warum und wieſo, wiſſen wir heute zu er N 590 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. beurteilen. „Dieſer Mandrill“, ſagt unſer Gewährsmann, „lernte unter anderem Branntwein trinken und Tabak rauchen. In ſeinem Käfig ſtand ein kleiner Armſtuhl, auf den er ſich, wenn es ihm befohlen wurde, würdig ſetzte und fernere Befehle erwartete. Alle ſeine Bewegungen wurden langſam und bedächtig ausgeführt. Hatte der Wärter die Tabakspfeife angezündet und ſie ihm gereicht, ſo betrachtete er ſie genau und befühlte ſie wohl auch, bevor er ſie in das Maul ſteckte. Er ſteckte ſie dann ins Maul bis an den Kopf und hielt ſie einige Minuten daran, ohne daß man Rauch ſah. Denn während dieſer Zeit füllte er ſeine Backentaſchen und ſein geräumiges Maul; dann aber blies er den Rauch in Maſſen aus Mund und Naſe. Gewöhnlich ſchloß er dies Kunſtſtück mit einem Trunk Branntwein und Waſſer, welcher ihm in einem Becher gereicht wurde. Dieſen nahm er ohne Umſtände ſogleich in die Hand.“ Ein hochberühmter Mandrill war der große Künſtler vom Affentheater des Herrn Broek— mann. Er befand ſich über 16 Jahre im Beſitze ſeines Herrn, gezähmt und abgerichtet, wie nur ein Affe es ſein kann. Gegen Fremde zeigte er ſich ſelbſtverſtändlich ebenfalls erregbar und jähzornig; mit ſeinem Herrn aber ſtand er auf dem vertrauteſten Fuße, und ſelbſt wenn er, um ſeinem Jähzorne geeigneten Ausdruck zu verleihen, nach Pavianart die Stäbe ſeines Käfigs ſchüttelte, als wollte er ſie zerbrechen, durfte Broekmann ohne Bedenken ihn am Halsbande packen und aus ſeinem Käfig herausnehmen, auch ſofort zur „Arbeit“ verwenden. „Bei der allgemeinen Erfahrung der Tierzüchter“, ſagt Reichenbach, der dieſen Mandrill ebenfalls kannte, „daß dieſe Affenart nur in ihrer freien Natur ſich zu erhalten vermag, in der Ge— fangenſchaft aber bald untergeht, weil ſie in Einſamkeit und Müßiggang ihren rohen Lüſten erliegt, drängt ſich uns die Frage auf: aus welchem Grunde wurde es denn möglich, daß Broekmann den Mandrill ſo glücklich aufzuziehen und geſund und kräftig zu erhalten ver— mochte, einen der wildeſten und roheſten Affen? Wir glauben die richtige Antwort auf dieſe Frage in demſelben Verhältnis zu finden, das im Menſchengeſchlechte unter ähnlichen Um: ſtänden gleiche Ergebniſſe herbeiführt. Auch die niederen, rein tieriſchen Triebe des Mandrills und die ſein eigenes Sein untergrabenden Gelüſte fingen an zu ſchweigen oder wurden gar nicht erregt, als die beſſeren Fähigkeiten erweckt und betätigt wurden, als der Menſch ihn emporzog aus jener Sphäre, die das Tier zu ſeinem Untergange geführt haben würde, durch Lehre zu Leiſtungen, welche die Geiſtestätigkeit in ihm erweckten und das Geſchöpf wahr- ſcheinlich in einer ungewohnten Spannung nach einer neuen Richtung hin fortwährend unter⸗ hielten.“ Ich ſtimme ſolchen Worten vollſtändig bei. Gewiß, die geregelte Arbeit iſt es ge⸗ weſen, welche dieſen Affen zu dem gemacht hat, was er iſt: zu dem ausgezeichnetſten Mitgliede ſeiner Art, zu einem Mandrill, wie es ſicherlich bis jetzt noch wenige gegeben hat. Man muß dieſes Tier, wie ich, im Käfig, hinter und auf der Bühne geſehen haben, um es voll— ſtändig würdigen zu können; man muß einer Unterhaltung zwiſchen ihm und ſeinem Herrn gelauſcht haben, um zu verſtehen, was Erziehung ſelbſt bei einem ſo wilden und ſcheinbar unverbeſſerlichen Weſen zu leiſten vermag. Ein derartiges Beiſpiel, wie dieſer Affe es ge- währt, iſt im höchſten Grade lehrreich für alle. Über das Weſen der in Tſchintſchotſcho jahrelang beobachteten Mandrille ſchreibt Pechuel— Loeſche: „Wir hielten drei Mandrille in unſerem Gehöfte, gleich dem Mohrenaffen mittels Leinen an Stangen befeſtigt, die ihre Behauſung trugen; auch ſie entflohen nicht, wenn ſie ſich einmal in voller Freiheit austummeln durften. Es waren echte Paviane: voller Liſt und Schlauheit, ungezogen, ausgelaſſen, immer auf Unfug ſinnend. Die Charaktere der drei waren bei alledem durchaus verſchieden. Pavy, ein Männchen, war ſehr liebenswürdig, einſchmeichelnd und außerordentlich anhänglich. Jack, ein ſchwaches Weibchen, war ein | Drill und Mandrill. 591 vollendeter Humoriſt, trieb Kurzweil mit allen Menſchen — außer mit dem weiblichen Geſchlechte, das er durchaus nicht leiden konnte — war aber niemand beſonders zugetan. Iſabella, ein ſehr ſtarkes Weibchen, das wir bereits vollſtändig erwachſen geſchenkt erhielten, weil es um ſeiner Bösartigkeit willen in einer Faktorei nicht mehr geduldet werden durfte, fiel wütend Menſchen jedes Geſchlechtes, Alters und jeder Farbe an, die ſich ihm näherten. Es dauerte lange, bis ſie, durch zweckmäßige freundliche Behandlung beruhigt, wenigſtens in uns Europäern keine Feinde mehr erblickte. Ihr Charakter war verdorben. Sie ließ ſich alles Gute gefallen, war aber nicht erkenntlich dafür. „Pavy und Jack waren faſt wie Hunde wachſam. Auf ihren hohen Behauſungen ſitzend, hielten ſie aufmerkſame Umſchau und kündeten ſtets ungewöhnliche Vorgänge in der Nachbar— ſchaft ſowie das Nahen von Beſuch an. Da wir ihnen wie den anderen Tieren von Aus— flügen gern einige beſonders geſchätzte Näſchereien: leckere Früchte, ſüße Grasſtengel, Blätter, Käfer, Heuſchrecken, mitbrachten, hatten ſie ſich gewöhnt, unſere Rückkehr mit Spannung zu erwarten, und uns ſchon auf einige hundert Schritt Entfernung mit frohem Keckern und Krähen zu begrüßen, wobei ſie den Kopf drollig nach oben reckten oder die gewagteſten Kunſt⸗ ſprünge vollführten. Dies ſteigerte ſich bedeutend, wenn wir ſie anriefen. „Ganz neu war mir, daß die Paviane ſich irgendwelche lebloſe Gegenſtände zum Spiel— zeug erkoren, ſie, wie Kinder ihre Puppen ins Bett, des Abends vorſorglich mit in ihre Schlafkaſten nahmen und dort auch am Tage verwahrten. So hielt Iſabella längere Zeit eine kleine blanke Blechbüchſe ſehr wert, Pavy ein krummes Holzſtückchen, das er unter den luſtig— ſten Kapriolen durch Aufſchlagen mit der Hand von der Erde in die Luft wirbeln machte. Einſt flog es zu weit, ſo daß Jack ſich ſeiner bemächtigte. Darob entſtand zwiſchen beiden grimmige Feindſchaft, und dieſe beſtand fortan ungemindert, obwohl ich Pavy ſein Hölzchen zurückgab. Späterhin vergnügte er ſich auch ſehr hübſch mit einer Flintenkugel. Jack dagegen hatte eine Leidenſchaft für mein Inſolationsthermometer gefaßt; kam er frei und wußte ſich unbeobachtet, ſo ſprang er danach und entführte es. Er freute ſich offenbar am Glitzern des Glaſes, behan— delte es aber ſtets ſo ſorglich, daß das Inſtrumment, ſelbſt wenn es mit auf Bäume oder Dächer genommen wurde und ihm abgeſchmeichelt werden mußte, doch nie zu Schaden kam.“ Ein anderer ſehr ſtarker Mandrill, den Pechuel-Loeſche einſt auf einem kleinen Küften- fahrer mitnahm, erwies ſich weder feuer- noch waſſerſcheu und zeigte ſich auch als guter Schwimmer. „Er war, obwohl ſonſt gutartig und auch dankbar, ein Ausbund von Tollheit und Unart und hatte ſein beſonderes Vergnügen daran, aus dem in einem mit Sand gefüllten Kübel an Deck offen brennenden Kochfeuer Brände zu reißen und umherzuſchleudern. Dies tat er nicht nur in unbewachten Augenblicken, ſondern auch in Gegenwart des um das Schickſal ſeiner Töpfe in ſteter Angſt ſchwebenden Koches. Da er die gefährliche Unart nicht ließ und wir ſehr viel Pulver an Bord hatten, wurde der Pavian auf einen an langer Leine nach—⸗ geſchleppten Kahn verbannt und mit einer Kiſte als Wohnung verſehen. Dort behagte es ihm aber gar nicht, und er hockte, ſehnſüchtig zum Schiffe blickend, auf dem Buge des kleinen Fahr— zeuges. Sein Sinn ſtand nach Befreiung. Kaum war die Dunkelheit angebrochen, und der Koch bereitete den Abendtee, ſo fiel der Kochtopf mit dem Waſſer um, und die Feuerbrände flogen ſprühend über Deck. Der Pavian, über und über naß, war an Bord, flüchtete ins Takelwerk und konnte in der Nacht nicht wieder entfernt werden. Am nächſten Morgen wurde er gefangen und abermals in den Kahn gebracht. Er aber — das Schiff hatte nur geringe Fahrt — lief ſogleich an dem zum Schleppen benutzten Tau auf uns zu, drückte es natürlich durch ſein Ges wicht in das Waſſer und ſchwamm nun wie ein Hund und ziemlich ſcharf ziehend bis zu 592 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. dem über den Stern aufwärts führenden anderen Ende. Ein zweites Mal ſprang er ſofort in das Meer und mußte über 10 Minuten lang hinter uns herſchwimmen, ehe der ergrimmte Eigner des Fahrzeuges ſich bewegen ließ, das arme Tier vor dem Ertrinken zu erretten. Der Affe war ſchon recht ermattet, als wir ihn erreichten; denn die Wellen gingen hoch und kurz. Aber die Lehre hatte gewirkt: fortan ertrug er ſeine Verbannung mit geziemender Würde.“ Planmäßig, wie über den Rheſus, hat Joh. v. Fiſcher auch über Drill und Mandrill Gefangenſchaftsbeobachtungen geſammelt und Verſuche angeſtellt, namentlich über die geiſtigen Fähigkeiten. Sein junges Mandrillmännchen konnte ſtundenlang mit Kindern von 4—5 Jahren ſpielen, ohne irgendwie unwillig zu werden oder ſeine Spielgefährten auch nur im geringſten zu verletzen. Gute Bekannte ſeines Herrn begrüßte der Affe mit dem bekannten krähenden Freudengeſchrei, wobei er ſie zugleich angrinſte, indem er die Oberlippe emporhob und die Mundwinkel zurückzog, ſo daß die ganze Reihe ſeiner perlenweißen Zähne zum Vorſchein kam. Pfungſt erklärt dieſes ſpielende Zeigen der Waffe, der Eckzähne, durch Heben der Mundwinkel als Zeichen des Wohlwollens, mit dem Lächeln und Lachen des Menſchen zu vergleichen. Zugleich wandte der Mandrill in folgerichtiger Fortſetzung der äffiſchen Ausdrucksformen für demütige Freundlichkeit dem Begrüßten ſeine Kehrſeite zu. Bei ſeinem Herrn tat er dies bezeichnender⸗ weiſe nur in der erſten Zeit. Vor bärtigen Männern fürchtete er ſich ſehr und war ſelbſt durch Leckerbiſſen nicht aus dem Verſteck zu locken. Dieſem Verhalten mußte wohl irgendeine beſondere Lebenserfahrung zugrunde liegen. Offiziere dagegen liebte er ſehr, offenbar wegen der blanken Knöpfe, Achſelſtücke uſw., an denen er ſich gern zu ſchaffen machte, ebenſo wie mit bunten Kleidern und Teppichen. Auf letzteren ſaß er ſtundenlang und vergnügte ſich damit, die Blumen zu unterſuchen, Stäubchen herauszukratzen. Bunte Lappen ſchleppte er im ganzen Hauſe herum. Blanke Gegenſtände: Hemdknöpfe, Nägel mit Meſſingköpfen, verſchwanden in ſeinen Backentaſchen, und nur ungern gab er ſie wieder. Vor Schlangen und ähnlichem fürchtete er ſich derart, daß ihm durch Unterlegen von Schlangenhäuten ſogar das bei ihm ſo ſehr, bei ſeinem Herrn deſto weniger beliebte Umkehren von Teppichen und Tiſchdecken ab⸗ gewöhnt werden konnte. Als ihm zwiſchen die Blätter eines Bilderbuches, das er ſehr gern betrachtete, die Abbildung einer Seewalze, alſo eines nur einigermaßen ſchlangenförmigen Tieres, gelegt wurde, ſprang er faſt einen Fuß hoch in die Höhe und ſchlug laut ſchreiend mit einer Hand auf den Boden, das Haar ſträubend und am ganzen Leibe zitternd. Im Spiegel grinſte er ſein Bild an und bezeigte ihm nach Pavianart ſeine Hochachtung mit der Kehrſeite; er griff und ſchaute auch hinter den Spiegel. Angerufen kam er in ziemlich un⸗ beholfenen Sätzen, wobei er vollſtändig ſchräg (v. Fiſcher meint wohl ſchränkend, das Hinter⸗ teil gegen das Vorderteil ſeitlich verſchoben) lief, heran und ſchwang ſich auf den Schoß. Im Garten bewegte er ſich nur auf dem Boden und ſtieg, auf einen Baum geſetzt, ſehr bald wieder herunter. Die Stimme findet v. Fiſcher ſchwer beſchreiblich und nennt ſie „ein Gemengſel von knarrenden, krächzenden und grunzenden Lauten, bei geſteigerter Erregung jedoch ein hell— ſchallendes, gezogenes da, va, da...” Wenn der Affe des Morgens aus feinem dunklen Nacht⸗ behälter herausgelaſſen wurde, jo begrüßte er das „mit fröhlichem Grunzen, das wie ein ge— dehntes, mehrmals wiederholtes Uh mit geſchloſſenem Maul aus dem Grunde der Kehle klang; dabei ſtreckte er die beiden Lippen weit vor, hielt ſie jedoch zuſammengepreßt und ſchüttelte zwei⸗ bis dreimal leicht mit dem Kopfe“. So drückte er „ſeine Zuneigung, Freude und fein Behagen“ aus. Im zoologiſchen Garten hört man von jungen Mandrillen nur das unter Kundigen für ſie bezeichnende „Krähen“, das, wenn auch nicht gerade melodiſch, ſo doch gewiß auch nicht unangenehm klingt, vielmehr etwas Kindlich-Fröhliches hat. Von alten hört man . Drill und Mandrill. 593 überhaupt wenig Töne, höchſtens ein dumpfes Grunzen. Nahm v. Fiſcher ſeinem Mandrill einen Leckerbiſſen weg, entlief oder verſteckte er ſich vor dem Affen, der ihm nie von der Seite wich, ſo ſchlug dieſer mehrmals mit der Vorderhand gegen den Boden, das Maul weit öffnend, ſo daß die Zunge ſichtbar wurde, und ſchrie heftig und weinerlich wie ein kleines Kind. Dabei ſtieß er ein gedehntes, durchdringendes J — — — aus, bis ihm der Atem ausging und er, am ganzen Leibe zitternd, mit weit geöffnetem Maule daſaß. v. Fiſcher vergleicht dieſe Töne und Bewegungen gewiß mit Recht dem wütenden Strampeln und Schreien, man würde viel— leicht beſſer noch ſagen: dem atemloſen „Wegbleiben“ kleiner Kinder, die in ihrer Schwäche ſich nicht anders wehren können, wenn etwas gegen ihren Willen geſchieht. Den Kindern, eines Nachbarn, die gern mit ihm ſpielten, ſprang der Mandrill ſtets entgegen und warf ſich dem einen oder anderen in die Arme, ſeine Freude durch Vorſtrecken der Lippen und Grunzen ausdrückend. Beim Spielen grinſte er fortwährend und ſtieß in der höchſten freudigen Erregung ein lautes, kicherndes ä, ä, ä.. . aus, das Maul dann weit öffnend. Dieſes letztere entſpricht, nach v. Fiſcher, entſchieden unſerem Lachen, während das ſtumme Grinſen unſerem Lächeln gleichzuſetzen iſt. Dieſes Lächeln, begleitet von leichtem Kopfſchütteln, beantwortete auch ein alter Mandrill des Kölner Zoologiſchen Gartens, den v. Fiſcher ſo begrüßte, in derſelben Weiſe. Entſprechende Mitteilungen hat v. Fiſcher auch über ein junges Drillweibchen veröffent— licht, und die Folge war, daß Darwin ſelber für dieſe Beobachtungen ſich ſehr intereſſierte. Bei ſeinem Drill beobachtete v. Fiſcher, wenn er ihn anfaßte und hochhob, als Zeichen be— ginnenden Unwillens ein Zucken des ganzen Körpers, das ja auch bei anderen Pavianen und den Makaken wiederkehrt, bei einem erregten Rheſus an Kopf und Bruſtkorb zu beobachten iſt, während es ſich bei den Pavianen durch Aufſchlagen mit der Vorderhand oder Fort— ſchleudern irgendwelcher gerade greifbar naher Gegenſtände äußert. Von anderen Affen oder mittels eines Stäbchens auch von Menſchen ließ er ſich gern am Hinterteil krauen, wobei er beifällig grunzte, ähnlich wie der Mandrill. Er wendete, wie dies Paviane und Makaken allermeiſt tun, deshalb ſtets ſeine Kehrfeite nach vorn, und Darwin, der darüber mit v. Fiſcher in Briefwechſel trat, deutet dieſe Gebärde mit Recht als den Affengruß. Urſprünglich iſt es gewiß ein geſchlechtliches Anbieten als Unterwürfigkeitszeichen. Dem eignen Herrn gegenüber wird es nur in der erſten Zeit geübt, dann nicht mehr, vielleicht aus dem Gefühl heraus, daß dieſem gegenüber das Abhängigkeitsverhältnis ein für allemal geregelt und beiderſeits bekannt iſt. Der Drill ſchrie wie der Mandrill, jedoch bedeutend heiſerer. Er träumte oft ſchwer, ſtieß dann Angſtlaute aus und flüchtete ſich, wenn er geweckt wurde, Schutz ſuchend zu ſeinem Herrn. Aber auch Lächeln im Schlaf ließ ſich beobachten, nur weniger ausgeprägt. Fleiſch wies der Drill in jeder Form hartnäckig zurück. Abbildungen von Inſekten und dergleichen erkannte er ſofort; das große Bild eines Rheſus grinſte er ſofort an und entbot ihm ſeinen Affengruß. Weiter geht das Verſtändnis für Bilder bei vielen Wilden auch nicht. Den Ge— ſichtsausdruck ſeines Herrn konnte v. Fiſchers Drill ganz genau beurteilen. War er für irgendeine Unart ausgeſcholten worden, ſo genügte eine kaum merkliche Aufheiterung der Geſichtszüge, um einen ungeſtümen Freudenausbruch bei ihm hervorzurufen. Am meiſten wirkte auf ihn, wie auf Affen überhaupt, das Emporziehen der Augenbrauen, was die Affen ſelber ja auch als Stimmungsausdruck verwenden, und ebenſo teilte er mit anderen Affen eine ausgeſprochene Furcht vor dunklen Zimmern. Ließ man ihn in einem ſolchen allein, ſo ſchrie er laut und lange und verkroch ſich dann; dagegen machte er ſich gar nichts daraus, in einem hellen Raume eingeſperrt zu werden. Wem drängte ſich da nicht der Vergleich mit dem menſchlichen Kinde auf! Und nicht minder müſſen wir an uns ſelber denken und gewiſſe Volksredensarten, Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 38 594 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. wenn wir bei v. Fiſcher leſen: „Jede heftige Erregung bei Schreck endigte mit einem raſch vor— übergehenden Durchfall.“ 5 Die zweite Unterfamilie der geſchwänzten Altweltaffen, die Stummelaffenartigen oder Schlankaffenartigen (Colobinae) unterſcheiden ſich von dem bisher betrachteten eigentlichen Affenvolk im gewöhnlichen Sinne ſo weſentlich, nicht nur in der äußeren Erſchei— nung, ſondern auch im inneren Leibesbau und im geiſtigen Weſen, daß manch einer ſich wun⸗ dern wird, ſie auch in der neueſten, ſonſt ſo haarſcharf ins einzelne gehenden Syſtematik nicht ſchärfer abgetrennt zu ſehen. Für den Tierfreund und Beobachter ſind ſie gar nicht mit den anderen Affen zu vergleichen: ſie ſehen ganz anders aus und haben ein ganz anderes, ſtilles und zurückhaltendes, um nicht zu ſagen: langweiliges Weſen. In dieſem Sinne ſind es gar keine richtigen „Affen“, und da ſie außerdem zufolge ihrer eigenartigen Ernährungsweiſe in Gefangenſchaft ſchlecht halten, ſo ſind ſie auch im Tierhandel ſelten und ſpielen in den zoologiſchen Gärten gar keine Rolle. Sie find nämlich Grünfreſſer, Blattfreſſer, haben alſo einen verhältnismäßig leichten, einfachen Nahrungserwerb, und damit hängen nicht nur uns mittelbar ihre körperlichen, ſondern, wie ohne weiteres einzuſehen, mittelbar auch ihre geiſtigen Eigentümlichkeiten zuſammen. Die Backzähne haben deutlich ausgebildete Querkämme, und die Hauptbewegung des Unterkiefers beim Kauen geht von hinten nach vorn. Der ganze Schädel iſt überhaupt glatt und rundlich, hat weder vorragende Muskelleiſten noch langgezogene Schnauze und macht dadurch einen recht menſchenähnlichen Eindruck. Noch bezeichnender aber iſt die Bildung des Magens, der dreimal ſo groß iſt wie bei einem gewöhnlichen Affen, und eine gewiſſe Dreiteilung aufweiſt, namentlich in einen erweiterten Anfangsteil und einen mit zahlreichen Ausſackungen verſehenen Endteil. Das Ganze iſt ſo gekrümmt, daß Anfang und Ende nebeneinander zu liegen kommen, und zwiſchen zwei Muskelbändern, die im äußeren und inneren Bogen verlaufen, bilden ſich eben die Ausſackungen. Dieſer Magen, den v. Berenberg⸗ Goßler neuerdings wieder, auch entwickelungsgeſchichtlich, genau unterſucht hat, zeigt ſchon eine recht weitgehende Anpaſſung an ausſchließliche Pflanzen-, genauer geſagt: Blätternahrung und läßt nicht nur vielerlei Übereinftimmungen mit dem Känguruhmagen erkennen, ſondern geradezu von Wiederkäuerähnlichkeiten ſprechen. St doch ſogar eine Schlundrinne vorhanden, die un: mittelbar an die Speiſeröhre anſchließt und das Trinkwaſſer ſofort in den hinteren Magenteil überführt, ohne daß es ſich erſt in dem meiſt futtergefüllten Vormagen verliert! Die Mengen, die dieſer enthält, find ungeheuer: 3—5 Pfund bei einem Körpergewicht von 13—15 Pfund! Soviel müſſen die Tiere bei dem geringen Nährgehalt des Blattfutters zu ſich nehmen, und ebenſo müſſen ſie dann wieder ſtundenlang träge in der Verdauungsruhe dahocken. Auch der Blinddarm iſt im Gegenſatz zu dem der anderen Affen ſehr ſtark ausgebildet: ein langer, geräu- miger Sack, und das iſt bekanntlich ebenfalls ein ſicheres Anzeichen ausgeſprochenen Pflanzen⸗ freſſertums. Backentaſchen find keine vorhanden, wohl aber kommen Kehlſäcke vor, die ſich bis in die Achſelhöhle ausdehnen können. Das äußere Ausſehen ift dadurch abweichend, daß die ein⸗ zelnen Haare kaum jemals in verſchiedenen Farben geringelt ſind wie ſonſt meiſt bei den Affen, ſondern nur eine Farbe haben, was aber eine gewiſſe Buntheit und wirkungsvolle Zeichnung keineswegs ausſchließt. Das Auffallendſte iſt aber die ſchlanke, langſchwänzige und langgliede⸗ rige, geradezu magere Geſtalt, die der einen Gruppe, den Schlankaffen, mit Recht den Namen gegeben hat. Dabei ſind die Hinterglieder länger als die vorderen, was bei Altweltaffen nicht wieder vorkommt, und das bringt nicht nur eine vollkommene Eigenart in Umriß und Körper: haltung mit ſich, ſondern auch die Neigung, ſtreckenweiſe halb aufrecht auf den Hinterbeinen Satansaffe. Mantelaffe. f 595 zu laufen. Unter dieſen Umſtänden kann man einer Abbildung ſofort anſehen, ob ſie nach dem Leben gezeichnet oder einfach über den Leiſten einer gewöhnlichen Affenfigur geſchlagen iſt. Die Unterfamilie teilt ſich in die afrikaniſchen Stummel- und die indiſchen Schlankaffen, denen ſich noch die merkwürdigen Naſenaffen anſchließen. Die Stummel- oder Seidenaffen (Gattung Colobus ZU.) find im allgemeinen noch weniger ſchlankleibig und langbeinig und im beſonderen durch die ſtummelförmige Verkümme— rung des Vorderdaumens ausgezeichnet, die ihnen den Namen gegeben hat. Es ſind ſehr auf— fallende, reichbehaarte und eigentümlich gefärbte, mit ſonderbaren, aber ſchönen Mähnen und anderen Haarwucherungen gezierte Tiere. Sie erreichen eine Geſamtlänge von etwa 1,50 m, wovon mehr als die Hälfte auf den Schwanz kommt. Ihre geographiſche Verbreitung erſtreckt ſich quer durch das mittlere Afrika von der Weſtküſte bis auf die Inſel Sanſibar im Oſten. Als Blattfreſſer und Urwaldbewohner kommen ſie freilich mit dem Menſchen kaum in Berührung; leider aber werden ſie neuerdings ihrer ſchönen Felle halber ſtellenweiſe ſo ſtark verfolgt, daß ihr Beſtand gefährdet erſcheint. Man kann rote und ſchwarze Stummelaffen unterſcheiden oder vielleicht beſſer geſagt: ſolche mit und ohne Rot; letztere haben als Grundfarbe Schwarz, ſind aber meiſt weiß gezeichnet. Die Jungen werden in abweichenden, ganz weißem Jugendkleid geboren. Ganz ſchwarz iſt der afrikaniſche Satans- oder Teufelsaffe, Colobus satanas Nr., der zuerſt von der Inſel Fernando Po im Buſen von Guinea bekannt wurde, nach Elliot ſich aber weit über Weſtafrika: Senegambien und Sierra Leone, Gabun und den Kongo, verbreitet; auch für Kamerun wird er aufgeführt. Er trägt ein langes, grobes Haarkleid, und ein Scheitel⸗ ſchopf fällt ihm nach vorn über; nur der Schwanz iſt kurz behaart und ohne jeden Endbüſchel. Im Tierhandel und auch in den zoologiſchen Gärten wurde er früher durch Farbe und Namen vielfach verwechſelt, weniger zwar mit dem kleinen amerikaniſchen, auch Satansaffe genannten Schlaffſchwanz, deſto mehr aber mit der ungefähr gleichgroßen und ähnlich behaarten Mantel— mangabe vom Kongo. Er ſelbſt iſt wohl kaum jemals lebend dageweſen. Aus dem Teufelsaffen laſſen ſich nun, nach Lydekker, die anderen Arten der ſchwarzen Untergruppe durch Verlängerung und Weißfärbung gewiſſer Stellen des Haarkleides ableiten, und wir gelangen ſo zu den berühmten Guerezaaffen, die mit ihren Haarmänteln und Schwanz— quaſten ganz und gar an ihren ſtändigen Aufenthaltsort, die flechtenbehangenen Baumrieſen des Urwaldes, angepaßt erſcheinen. Wie freilich die Zwiſchenſtufen zu erklären ſein ſollen, das muß, nach Lydekker, genauerer Erforſchung des Freilebens der wenig bekannten Tiere vorbehalten bleiben. Lönnberg erklärt alle dieſe Abzeichen einfach als Schmuck, wie er ja auch ſonſt bei Affen ſo vielfach vorkommt. Beim deutſch⸗oſtafrikaniſchen Mantelaffen oder Weißſchulter-Seidenaffen, Colo- bus palliatus P£rs., mit ſeinen verſchiedenen Unterarten treten ſchon die Anfänge der Mantel— bildung auf; aber der weiße Aufputz beſchränkt ſich noch auf die Schultern, Schläfen und Backen und den Endteil des Schwanzes, der im übrigen grau iſt. Nach Voſſeler verbreitet ſich der Mantelaffe an der deutſch-oſtafrikaniſchen Küſte in den Galerie- und Mangrovewäldern der Flußmündungen des Sigi und Rufidſchi bis über das Uſam— bara= und Ulugurugebirge ins Innere und iſt auch um die wiſſenſchaftliche Station Amani, wo unſer Gewährsmann ſo lange wirkte, häufig. „Wird er nicht verfolgt, ſo zeigt er wenig Leben. Erſchreckt läuft er mit unglaublicher Sicherheit über die dünnſten Zweigenden einer Baumkrone zur anderen. Den großartigſten Anblick aber gewährt eine flüchtende Herde in den 38 * 1 596 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. Wäldern der ſteilwandigen Gebirgsſchluchten, wo ſich haushohe Baumgalerien übereinander aufbauen. Unter Vorantritt eines alten Männchens jagt die Truppe durch das Geäſt des Plateau⸗ waldes, eilt hinaus ins Gezweige des nächſten Baumes am oberen Schluchtrande und hält einen Moment an. Dann aber fliegen die Tiere, alt und jung in kurzen Abſtänden eins hinter dem anderen, mit faſt wagerecht geſpreizten Beinen 30—40 m tief hinab auf die nächſtunteren Baumwipfel. Prächtig heben ſich dabei die weißen, lang flatternden Schulterhaare von dem glänzend ſchwarzen Fell ab. Kaum verklang das Rauſchen des letzten fallenden Körpers auf dem dichten Laubdach, ſo wiederholt ſich das Aufklatſchen ſchon aus größerer Tiefe. Nach zwei bis drei ſolchen Sprüngen tritt Ruhe ein. Die Affen ſind in einer dichten Baumkrone geborgen, ſitzen in Reihen auf den Aſten und lauſchen, ſorgſam umherſpähend, ob abermals Gefahr naht. Iſt genügend geſichert und nichts zu befürchten, ſo geht jedes Mitglied für ſich auf die Suche nach Nahrung, entfernt ſich aber gewöhnlich nicht weit von feinen Genoſſen. Doch ſcheinen ſich ältere Männchen ſowohl wie ſäugende Weibchen mit ihren Jungen gern abzuſondern. Scheinbar ſorglos treiben ſich ſolche Einſiedler 30 — 50 m vor den Augen des Beobachters auf einem Baum herum, ruhen bald mit nach vorn herabnickendem Kopf, ſchreiten gemächlich auf den Aſten hin und her oder zupfen Blätter und Knoſpen, wohl auch Früchte als Nahrung ab, ſuchen dabei gern die Sonne auf und fühlen ſich ſichtlich behaglich, wenn ſie ihnen auf den Pelz brennt. Der Mantelaffe ſcheint ganz Baumtier zu ſein. Nie hörte ich davon, daß er ſich auf dem Boden bewegt und z. B. in Pflanzungen eindringt. Ein bereits ausgefärbtes, im Klettern vollkommen gewandtes Junges benahm ſich, auf die Erde geſetzt, ſehr unbeholfen und ſuchte mit froſchähnlichen Sätzen zu entrinnen. Dabei ſtellte es die Beine breit auseinander. Auf Baumäſten dagegen ging es normalen Schrittes auf und ab. Wie die meiſten Affen begeben ſich auch die Stummelaffen früh zur Ruhe. Gegen Abend laſſen ſie gelegentlich noch ihre ſtark ſchallende, tiefrauhe Stimme hören. Die Herden ſind verſchieden groß: 6—8, 10—20 Stück, gelegentlich vielleicht auch noch mehr. Von der Blätternahrung iſt das ganze Gebiß, am meiſten die Vorderzähne, tiefſchwarz gefärbt, als wäre es mit Lack überzogen. Die geiſtigen Fähigkeiten ſtehen ſehr tief, wenigſtens bedeutend tiefer als die der Meerkatzen.“ Bei den eigentlichen Seidenaffen oder nach der längſtbekannten abeſſiniſchen Art ſogenannten Guerezas iſt der bezeichnende weiße Seiden- und Seitenmantel vollſtändig, bis zur Schwanz⸗ wurzel reichend, vorhanden. Beim Weſtlichen Guereza, Colobus occidentalis Rochebr., aus Kamerun, dem Tſadſee-, Niger- und Kongogebiet noch etwas dünn; dafür zieht ſich bei ihm aber die weiße Endpuſchel über ein Drittel des Schwanzes herauf. Beim Abeſſiniſchen Guereza, Colobus abyssinicus Oken (guereza), reicher, die Schwanzpuſchel aber auf das Ende beſchränkt. Den Höhepunkt ſtellt indes der Weißſchwanz-Guereza, Mbega der Suaheli, Colobus caudatus 7%os., aus Deutſch- und Britiſch-Oſtafrika, namentlich dem Kilimandſcharogebiet, dar: mit ſeinem üppigen weißen Seitenmantel und dem ganz weißen, bis zur Wurzel lang, roßſchweifähnlich behaarten Schwanze unbedingt die ſchönſte Art und einer der ſchönſten Affen überhaupt, zumal auch der Kopf durch das längliche, dunkle, weiß umrahmte Geſicht und eine wie kurz geſchorene und von einem mittleren Scheitel nach beiden Seiten in die Höhe gekämmte Haarfriſur ein ganz eigenartiges Gepräge erhält. Man kann ſie mit dem geteilten Barett eines katholiſchen Geiſtlichen vergleichen, und ſo erklärt ſich der Händlername „Biſchofaffe“. Die Mähne, wie ich den Seitengürtel des Guerezas vielleicht nennen kann, hängt wie ein reicher Beduinenmantel zu beiden Seiten des Körpers herab und ziert ihn unbeſchreiblich. Ihre Haare ſind von größter Weichheit und Feinheit und dabei Mbega. ilimandfcharo- Guereza.) Guerezas. 5 597 von bedeutender Länge. Der ſchwarze Pelz des unteren Körpers ſchimmert hier und da zwiſchen dem koſtbaren Behange hindurch. » Zwar erwähnt bereits Hiob Ludolf Ende des 17. Jahrhunderts den Guereza, und Oken gab ihm den erſten wiſſenſchaftlichen Namen. Nähere Kunde und wohlerhaltene Bälge des ſchönen Tieres brachte aber erſt Ed. Rüppell, der den Guereza während ſeiner Reiſe in Abeſ— ſinien in der Provinz Godſcham auffand und den im Lande gebräuchlichen Namen zum wiſſen— ſchaftlichen machte. Auch Heuglin beobachtete ihn öfters in Abeſſinien und am Weißen Fluſſe. Später fand Thomſon den Weißſchwanz-Guereza im Maſſailande, in der Landſchaft Kikuju, und nach Johnſton traf ihn auch Hans Meyer nicht nur am Kilimandſcharo, ſondern auch weiter ſüdlich ziemlich häufig in der Landſchaft Kahe, weſtlich vom Dſchibeſee, jenſeit der Uguenoberge. . Der Guereza findet ſich, wie mir Schimper mitteilte, vom 13. Grade nördl. Breite an überall in Abeſſinien, am häufigſten in einem Höhengürtel von 23000 m ü. M. Hier lebt er in kleinen Geſellſchaften von 10—15 Stücken auf hochſtämmigen Bäumen, gern in der Nähe klarer fließender Gebirgsgewäſſer und häufig auch unmittelbar neben den einſam im Schatten geheiligter Bäume ſtehenden Kirchen. Eine Wacholderart (Juniperus procera), die, im Gegen— ſatze zu der bei uns wachſenden, ſo rieſenhafte Verhältniſſe zeigt, daß ſelbſt unſere Tannen und Fichten neben ihr zu Zwergen herabſinken, ſcheint ihm ganz beſonders zuzuſagen. Er iſt, wie mein Berichterſtatter mit beſonderem Ausdrucke ſagte, „ein im allerhöchſten Grade behendes Tier“, das ſich mit geradezu wunderbarer Kühnheit und Sicherheit bewegt. Wo der Guereza keine Nachſtellungen erleidet, iſt er, laut Heuglin, nicht ſcheu und bellt und kreiſcht mit katzen— artig gebogenem Rücken den, der ihn aus ſeiner Ruhe ſtört, gemütlich an. Verfolgt zeigt er ſich in ſeiner ganzen Schönheit. Mit ebenſo großer Anmut wie Leichtigkeit, mit ebenſoviel Kühn— heit wie Berechnung ſpringt der ſo wunderſam geſchmückte Geſell von Zweig zu Zweig oder aus Höhen von 15 m in die Tiefe hinab, und der weiße Mantel fliegt dabei um ihn herum, wie der Burnus eines auf arabiſchem Pferde dahinjagenden Beduinen um Roß und Reiter weht. Übrigens kommt der Guereza nur dann auf den Boden herab, wenn die Verfolger ihm ſehr nahe auf den Leib rücken: als vollendetes Baumtier findet er in ſeiner luftigen Höhe alles, was er bedarf. Seine Nahrung iſt die gewöhnliche der Baumaffen: Knoſpen, Blätter, Blüten, Beeren, vielleicht auch Früchte, nebenbei Kerbtiere uw. Im Gegenſatze zu anderen Affen wird er von allen Eingeborenen als ein harmloſes Geſchöpf betrachtet, hauptſächlich wohl deshalb, weil er die Pflanzungen verſchont oder wenigſtens keine größeren Verwüſtungen anrichtet. Im Gallalande lebt der Guereza, nach Menges, hauptſächlich in den tiefen, feuchtwar— men Bergſchluchten; die Ruwenſori-Expedition traf ihn dagegen im Gebiete der großen inner— afrikaniſchen Seen gelegentlich bis 8500 engliſche Fuß (etwa 2600 m) hoch, an der Waldgrenze. Am beſten hat den Mbega der Suaheliſprache Hans Meyer geſchildert. Zunächſt die eigentüm— lichen Stimmlaute: „Von weitem iſt die Anweſenheit einer Guerezabande erkennbar an einem eintönigen ſingenden Summen, das in wechſelndem Anwachſen und Abnehmen von den zuſammen— ſitzenden Familienmitgliedern ausgeht. Näher kommend kann man die prachtvollen Geſellen in Banden von 4—8, alte und junge, in den hohen Wipfeln teils ruhig verdauend und ſummend, teils von den jungen Trieben und Beeren des Wacholderbaumes naſchend, in Muße be⸗ obachten. Wird der Beobachter entdeckt, ſo ſchweigt die Geſellſchaft plötzlich; leiſe ducken ſie ſich hinter dichtbelaubte Zweige oder Stammteile und blicken unverwandt herab, ohne aber zu fliehen. Das führende Männchen kommt jedoch behutſam näher, wendet ſich unruhig nach der verdächtigen Erſcheinung und ſtößt in kurzen Pauſen einen Warnruf aus, der wie das 598 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. Balzen eines Puters, gefolgt von einem mehr oder minder langen ‚Da‘, klingt. Auf einen Schuß erfolgt allgemeiner raſcher Rückzug, keine eigentliche Flucht, und prächtig ſieht es aus, wenn bei den langen Sprüngen die weißen Mäntel und Schwänze wallen. Der Affe ſcheint dann wirklich zu fliegen.“ Und in ſeinem maßgebenden Werke über den Kilimandſcharo be⸗ richtet Meyer: „Der Wald wird merklich feuchter und ſchattiger. Von 2200 m Höhe an über- ziehen ſich die Bäume immer mehr mit langen wehenden Bartflechten, und gleichzeitig erjchei- nen die erſten Trupps des ſchönſten aller afrikaniſchen Affen, des Colobus caudatus, deſſen langer weißer Behang mit den Bartflechten der Bäume eine wunderbare Schutzähnlichkeit hat. Die prachtvollen Tiere ſind in dieſer abgelegenen Gebirgsgegend nicht im mindeſten ſcheu und laſſen ſich leicht ſchießen, wenn man ſie erſt einmal zwiſchen den flechtenbehangenen Baumwipfeln entdeckt hat. Wenn die Tiere ſpringen, breiten ſich die weißen Haarmäntel wie Flügel auseinander, und man meint wirklich, fliegende Tiere von Baum zu Baum ſchweben zu ſehen. Merkwürdig iſt die große vertikale Verbreitung dieſer Affenart. Auf der Südſeite des Gebirges, wo ſie freilich ſchon eine Seltenheit geworden ſind, habe ich die ſchönen Tiere in den Oaſenwäldern von Kahe und Aruſcha, alſo in 700 m Höhe, angetroffen und im Ur⸗ wald der Weſtſeite oberhalb Kibonoto bis an den oberen Waldesrand, alſo bis 3300 m Höhe. In der heißen Niederung ſind ſie aber, wie ich an den von mir geſchoſſenen und gekauften Exemplaren ſehe, nicht ſo langhaarig wie in den kühlen Bergwäldern.“ Dasſelbe beſtätigt Schillings, muß aber leider ſchon im Jahre 1905 hinzufügen, daß in den Oaſen Kahe und Aruſcha-Thini, an deren mit hohem Baumwuchs beſtandenen und mit dem Hochwald des Kilimandſcharo in Verbindung ſtehenden Waſſerläufen die Mbegas früher als heilig von den Eingeborenen geſchützt waren, ſie durch die Hinterlader der jagenden Askaris von der Station Moſchi zu Seltenheiten geworden ſind. Als ſehr bezeichnend ſpricht er mit Recht auch von den haſtigen, ungeſtümen Bewegungen des „Ol goroi“ der Maſſai, mit denen der Affe die Blätter von den Zweigen rupft und zum Munde führt. „Gefangene pflegen niemals Beißverſuche zu machen, bevor ſie nicht mit den Händen ihren Gegner umklammert und dem Munde möglichſt nahe gebracht haben.“ Der große, faſt wiederkäuerartige Magen faßt unglaubliche Mengen von aromatiſch duftenden Blättern verſchiedener Art. Oftmaliges Rülpſen unterbricht die Nahrungsaufnahme, die nur morgens und abends ſtattzufinden pflegt. Außer dem ſummenden Geſang geben die Mbegas häufig einen kurzen, grunzenden Laut von ſich. „Sie werden von einer damals von mir entdeckten Zeckenart (Ixodes schillingsi Neum.) in manchen Wäldern außerordentlich gepeinigt. Dieſe Zecken ſaugen ſich ausſchließlich an den Augenlidern der Affen feſt, und ſo entſtehen ſchlimme, eiternde Entzündungen der Augen.“ Oskar Neumann berichtet nach von der Marwitz, daß im Walde von Kahe der Magen der Guerezas zur Reifezeit gewiſſer Bäume ganz mit deren Früchten angefüllt iſt, und beobachtete ſelber, wie meiſterhaft ſich die Tiere auf den Bäumen zu verſtecken wiſſen, indem ſie die nächſtſtehenden Zweige ſamt deren Laube mit den Händen unter ſich zuſammendrücken. Auch Berger erfuhr auf ſeiner Forſchungsreiſe durch Engliſch-Oſtafrika, wie ſchwer Guerezas im Urwalde zu ſehen ſind. Er erlegte im Galeriewalde am Hang des Elgejograbens weſtlich vom Baringoſee ein altes Weibchen, an deſſen Bruſt ein erſt wenige Tage altes Junges hing. Dieſes war mit einem lockigen weißen Fell bedeckt, nur Geſicht und Ohren waren ſchwarz. Die Umfärbung in das ſchwarzweiße Alterskleid muß aber ziemlich früh erfolgen; denn mehrere ſpäter erlegte ziemlich kleine Junge trugen dieſes bereits. Mit einer guten Büchſe in geübter Hand hätte der Abeſſinier den Guereza vielleicht ſchon ausgerottet; denn es galt früher als beſondere Auszeichnung, einen Schild zu beſitzen, der 2 4 r TE te an Ch a hen a r N Guerezas: Frei- und Gefangenleben. 599 durch ein Fell dieſes Affen ſeinen ſchönſten Schmuck erhalten hatte. Man bezahlte in Gondar, der alten abeſſiniſchen Hauptſtadt, ein ſolches Fell mit einem Speziestaler, einer Summe, für die man 5—6 fette Schafe einhandeln konnte. Gegenwärtig iſt jener Zierat bedeutend im Werte geſunken: die beſchriebenen Schilde ſind glücklicherweiſe nicht mehr gebräuchlich. Nach Berger benutzen die Eingeborenen am Kenia die Felle aber noch als Schmuckſtücke, und am Elgejo⸗ graben werden die Guerezas in der Weiſe gejagt, daß die Leute, ſobald eine Herde flüchtig wird, das Angſtgeſchrei der Jungen nachahmen, um die Alten zu bewegen, nach den vermeint— lichen Jungen Umſchau zu halten. Der Schrei iſt etwa: hm bau! Jedenfalls haben die ſchönen Affen überall, wo der Weiße hinkommt und auch die Schwarzen beſſer bewaffnet ſind, ſchwer zu leiden. Davon weiß Schillings ein Lied zu ſingen. Während früher die Maſſai— El⸗morane den Mbega nur erlegten, um ſein Fell als Fußſchmuck zu verwenden, hat neuer— dings im ganzen Kilimandſcharo- und Merugebiet eine heftige Verfolgung eingeſetzt. Bei den einzelnen Händlern, ſowohl Griechen wie Indern, fand Schillings häufig viele Hunderte von Guerezafellen auf einmal, bereit zur Verſendung nach Europa. Ein Miſſionar beſchäftigte ſich in ſeinen Mußeſtunden jo erfolgreich — zum Verkauf — mit der Erlegung dieſes immerhin an Ort und Stelle ſchon 4—7 Mark geltenden Affen, daß er in einem Monat bis zu 80 Stück und mehr erbeutete! — Bei ſeinen Streifereien in den Bergwäldern fand Schillings häufig dünne, nicht viel mehr denn ſtricknadeldicke, eigens zur Erlegung des Mbega angefertigte Gift⸗ pfeile. Sie waren von Eingeborenen vergeblich abgeſchoſſen und ſo verloren worden. Gerade die Guerezafelle, die einem ganz beſtimmten Geldwerte entſprechen, werden den Händlern auf Beſtellung von den Eingeborenen mit Vorliebe geliefert. So hat man ſich neuerdings doch veranlaßt geſehen, den Mbega in die deutſch-oſtafrikaniſchen Jagdſchutzverordnungen aufzu— nehmen und die Zahl der zur Erlegung freigegebenen Stücke auf den Jagdſcheinen beſchränkt. Ob das aber was hilft, ſolange die Felle den Schwarzen lohnenden Verdienſt bringen und die Händler ſie ſchließlich doch irgendwo ausführen können? Das wenige, was über Aufzucht und Gefangenhaltung von Mantel- und Guerezaaffen vorliegt, ſoll hier zuſammengefaßt werden. Voſſeler konnte an zwei annähernd gleichgroßen Jungen des Mantelaffen, die, vollkommen unverletzt, trotz des hohen Sturzes bei Erlegung der Mutter noch an deren erkaltetem Leichnam nach Nahrung ſuchten, ſowohl das faſt ſchnee— weiße, ſeidenglänzende, feingewellte Jugendkleid als deſſen raſches Verſchwinden beſtätigen; das größere Junge war bereits vollſtändig ausgefärbt wie die Alten. Es kläffte mit bellend rauher Stimme und biß nach der Menſchenhand; das jüngere dagegen war an ſeinen Pfleger ſehr anhänglich. Aber auch dieſes hielt nur drei Wochen aus, und doch begann in ſeinen letzten Lebenstagen bereits die Schwarzfärbung, vor allem deutlich am Schwanz, an den Gliedmaßen vom Knie und Ellbogen ab und auf den Seiten des Körpers. Der Mißerfolg ſelbſt eines jo liebe- und verſtändnisvollen Pflegers wie Voſſelers entſpricht nur der all— gemeinen Erfahrung, daß junge Stummelaffen kaum aufzuziehen ſind. So find denn auch Guerezas in früheren Jahren nur ganz ausnahmsweiſe einmal lebend eingeführt worden: der erſte aus Abeſſinien 1877 durch denſelben Jäger Eßler, dem wir auch die erſten ausgewachſenen Dſcheladas verdanken. Drei weitere kaufte Heck 1890 durch Menges’ Vermittelung von einem griechiſchen Händler für den Berliner Zoologiſchen Garten, und ſie waren die erſten, die in weiteren Kreiſen bekannt, auch von Mützel nach dem Leben gezeichnet wurden. Sie lebten zwar nicht allzulange, aber doch geraume Zeit, hatten ſich, ihrer Grünfreſſernatur entſprechend, beſonders an Salatfütterung gewöhnt und begrüßten ihre 600 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. Salatköpfe ſtets mit einem eigentümlichen, in der Klangfarbe zwiſchen dem Winſeln der Kapu⸗ ziner und dem Krähen der jungen Mandrille mitteninne ſtehenden Geſchrei. Bald lernten ſie auch, aus dem breithalmigen märkiſchen Milizheu Paſſendes ſich auszuſuchen und verzehrten es mit gutem Erfolg für ihre Verdauung. Wie unſere Kolonialbewegung durch Sammel- und Forſchungsreiſen in der Tierkunde im allgemeinen einen ungeahnten Aufſchwung herbei⸗ geführt hat, ſo bewirkte ſie im Einzelfalle auch weitere Einführungen lebender Guerezas. Vor allem durch Schillings, der 1900 das Kunſtſtück fertigbrachte, einen ausgewachſenen Weiß⸗ ſchwanz⸗Guereza durch Kopfſtreifſchuß lebend in ſeine Gewalt zu bekommen und jo gut einzu⸗ gewöhnen, daß er zwei Jahre im Berliner Garten aushielt. „Erſt nach tagelangen vergeblichen Bemühungen“, ſchreibt Schillings, „war es gelungen, den Affen dahin zu bringen, die Blätter und Triebe einer Fagara, die ich als Hauptfutter des Mbega erkundet hatte, anzunehmen und zu verzehren.“ Aber auch dieſe nahm der Affe nur, wenn ſie ganz friſch waren. „Die Anpaſſung an eine ganz beſtimmte Lebensweiſe iſt beim Guereza ſo ſehr in ſtarre Bahnen gelenkt, daß das Tier ihm dargereichte Zweige ſtets mit haſtig reißendem Griff ihrer Blätter zu entkleiden verſucht, wie es das im Freileben gewöhnt iſt. Langſam und bedächtig einen Gegenſtand aufzunehmen, wird zudem dieſem Affen ſchon durch die Daumenloſigkeit ſeiner Hände erſchwert. Nur ſehr langſam und allmählich gelang es mir dann, ihn auch an Bananen zu gewöhnen.“ Alt eingefangene Mbegas weiſen, nach Schillings, im Gegenſatz zu anderen Affen, jede Annäherung des Menſchen zurück und leiden ſichtlich. Ihr Benehmen hat niemals etwas Affiſches oder Komiſches, erſcheint vielmehr ſtets würdig, ernſt, gemeſſen und zurückhaltend, und fo bleibt es auch bei längerer Gefangenhaltung. Stundenlang ſitzt ſolcher Urwald-Sonder⸗ ling unbeweglich in einer Aſtgabel ſeines Kletterbaumes, einerſeits auf die Füße, anderſeits auf das Geſäß geſtützt, wie zur Parade und iſt ſo mit ſeinem wallenden weißen Schmuckhaar für das Publikum zwar ein anzuſtaunendes Prachtſtück, aber kein richtiger Affe. — Neuer⸗ dings hat namentlich der zoologiſch ſehr intereſſierte Jaſper v. Oertzen auch den Weſtlichen Guereza glücklich in den Berliner Garten gebracht. Die noch übrigen weſtafrikaniſchen Stummelaffenarten erſcheinen gegen den Teufelsaffen viel weniger verändert, weil ſie wenig oder gar keine Mantel- und Roßſchweifbildung, nur weiße Zeichnung haben. Es ſind der Weißſchenkelaffe oder Weißbart-Stummelaffe, Colobus vellerosus Is. Geoffr. (Taf. „Affen IV“, 7, bei S. 553), von Senegambien und der Goldküſte, auch Togo, der außer der weißen Rück- und Außenſeite der Schenkel durch weißen Schwanz, weiße Stirnbinde und weißen, das Geſicht krauſenartig rund umrahmenden Backenbart gekennzeichnet iſt, und der ganz ähnliche, angeblich auch in denſelben Gegenden lebende Bärenſtummelaffe, C. polycomus Schreb. (ursinus), dem nur die weiße Schenkel⸗ färbung fehlt, der dafür aber den Anſatz zu einem Schultermantel aufzuweiſen hat. Der Weißſchenkelaffe iſt neuerdings hin und wieder lebend eingeführt worden, auch in den Berliner Zoologiſchen Garten, und beide Arten haben, zu ihrem Schaden natürlich, ſogar im Pelzhandel als „Scheitelaffen“ ſchon eine Rolle geſpielt. Vor zwanzig Jahren kamen, nach Braß, jährlich nicht weniger als 100 000 Felle auf den Markt, die mit ihren 5—10 em langen, ſchwarzen, ſeidig glänzenden, von der Mitte aus nach beiden Seiten herabfallenden Haaren ſich ſehr ſchön zu Muffen eigneten und hauptſächlich zu ſolchen verarbeitet wurden. Dann ließ die Mode wieder nach; immerhin werden auch jetzt noch gegen 10000 Stück im Jahr verhandelt. Die in der Hauptſache braunen und roten Stummelaffen ſind noch viel ſeltener als die ſchwarzweißen, ſie ſind lebend faſt ganz unbekannt und müſſen daher hier ſehr kurz erledigt Weißſchenkelaffe. Bärenjtunmelaffe Kirks Stummelaffe. 601 werden. Sie wohnen allermeiſt in Weſtafrika; aber gerade über eine oſtafrikaniſche Art von Sanſibar, den blauſchwarzgeſichtigen, weißnaſigen, mit vornüber fallendem Haarſchopf gezierten Kirks Stummelaffen, Colobus kirki Gray, wiſſen wir durch Oskar Neumann einiges vom Leben. Leider muß Neumann ſeinen Bericht in eine traurige Vorherſage ausklingen laſſen. Früher vermutlich über die ganze Inſel verbreitet, lebte der Affe nämlich ſchon in den neunziger Jahren vorigen Jahrhunderts, von der zunehmenden Kultur zurückgedrängt, nur noch in den Wäldern der Südhälfte der Inſel, und zwar zwiſchen den Dörfern Mojoni im Inneren und Jambiani an der Oſtküſte. Seine Tage dürften gezählt ſein. Er lebt, nach Neumann, im Gegenſatz zu den ſchwarzweißen Arten, mehr einzeln, hält ſich in Wäldern auf, die zur Trockenzeit faſt waſſerlos ſind, und benimmt ſich ziemlich zutraulich. Die Ureinwohner der Inſel, die Wahadimu, greifen ihn angeblich in der Morgendämmerung mit der Hand, nad: dem ſie ſich nachts unter ſeinen Schlafbaum geſchlichen haben. Neumann erhielt drei Stück. Schon nach wenigen Tagen waren dieſe vollkommen zahm, und beſonders ein Weibchen hatte ſich bald ſo an ihn gewöhnt, daß es freudig auf ihn zukam, ſobald er das Zimmer betrat, und laute Klagerufe ausſtieß, wenn er es verließ. Auch dieſe Stummelaffen verſchmähten ſogar Laub, wenn es nur einige Stunden alt war, nahmen keinerlei Früchte, dagegen gern die Blätter der Papaya. Heuſchrecken ſchienen ein Leckerbiſſen für ſie zu ſein. Als Neumann Sanſibar verlaſſen mußte, ſtarben ſie unter der „Pflege“ ſeiner Diener ſchleunigſt. Was die Stummelaffen für Afrika, find die Schlankaffen (Gattung Presbytis Esche,, Pygathrix, Semnopithecus) für Indien und die anſchließende Inſelwelt. Sie ſind, wie ihr Name andeutet, ſchlanke und leichtgebaute Affen mit langen, feinen Gliedmaßen und ſehr langem Schwanze, kleinem, hohem Kopfe, nacktem Geſicht und verkürzter Schnauze und ohne Backentaſchen. Ihre Geſäßſchwielen ſind ſehr klein. Ihr Knochenbau erinnert wegen ſeiner ſchlanken Formen an das Gerippe der Gibbons. Die Hände haben lange Finger; der Daumen der Vorderhände iſt zwar verkürzt, aber nicht ſo verkümmert wie bei den Stummelaffen, und trägt einen flachen Nagel. Die Behaarung iſt wundervoll fein, ihre Färbung ſtets an— ſprechend, bei einer Art höchſt eigentümlich; die Haare verlängern ſich am Kopfe oft be— deutend. Ein Kehlſack von verſchiedener Größe iſt bei ſämtlichen Arten vorhanden. Das Feſtland Südaſiens, Ceylon und die Eilande des indiſch-malaiiſchen Inſelmeeres ſind die Heimat der Schlankaffen. Hier leben ſie in mehr oder minder zahlreichen Trupps in den Waldungen, am liebſten in der Nähe von Flußufern, nicht minder gern aber auch in der Nachbarſchaft der Dörfer und Pflanzungen und führen, weil ſie faſt überall geſchont werden, ein ungemein behagliches Leben. Um mit kurzen Worten ein allgemeines Bild ihres Frei— lebens zu geben, will ich der Einzelſchilderung hervorragender Arten einige Bemerkungen vor— ausſchicken und mich dabei auf die Mitteilungen von Tennent und Wallace ſtützen. Wenn man den Schlankaffen in ihren heimiſchen Waldungen begegnet, ſieht man ſie in der Regel in Geſellſchaft von zwanzig oder dreißig ihrer Art, in den meiſten Fällen eifrig mit der Nahrungsſuche beſchäftigt. Außerſt ſelten bemerkt man ſie auf dem Boden, es ſei denn, daß ſie herabgefallene Früchte ihrer Lieblingsbäume dort unten aufſuchen wollten. Vor den Eingeborenen fürchten ſie ſich nicht im geringſten, legen vielmehr die größte Sorgloſigkeit an den Tag; der fremdartig gekleidete Europäer dagegen wird mehrere Minuten lang angeſtarrt und hierauf ſobald wie möglich geflohen. In ähnlicher Weiſe erregt die Gegenwart eines Hundes ihre Neugier; anſtatt aber deſſen Bewegungen zu beobachten, pflegen ſie ſtets durch Geſchrei uſw. ſich hervorzutun und zu verraten. In Furcht geſetzt, verbergen ſie ſich oft im 602 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. — Gezweige der Bäume und wiſſen dies in einer Art und Weiſe zu bewerkſtelligen, daß ſich eine Geſellſchaft, die ſich vielleicht auf irgendeiner Palme gütlich tat, in der kürzeſten Zeit unſichtbar macht. Trauen ſie dem Frieden nicht, ſo flüchten ſie, und zwar mit einer Schnelligkeit, Ge⸗ wandtheit und Sprungfertigkeit, die kaum erreicht, geſchweige denn überboten wird. Sie ſpringen ungeheuer weit von den Aſten eines Baumes auf die etwas tieferen eines anderen, regelmäßig jo, daß der Zweig, auf dem fie fußten, durch ihr Aufſpringen tief hinabgebogen wird und fie beim Zurückſchnellen wieder in die Höhe ſchleudert; ſie ſind aber auch imſtande, im Sprunge noch die Richtung zu ändern, um nötigenfalls einen anderen, paſſenderen Zweig zu ergreifen und ſich weiter fortzuhelfen. Es iſt, wie Wallace bemerkt, ſehr unterhaltend, zu ſehen, wie dem Führer, der einen kühnen Sprung wagte, die anderen mit größerer oder geringerer Haſt folgen; und nicht ſelten kommt es dann vor, daß einer oder zwei der letzten ſich gar nicht zum Sprunge entſchließen können, bis die anderen außer Sicht ſind. Dann werfen ſie ſich förmlich verzweifelt und aus Furcht, allein gelaſſen zu werden, in die Luft, durchbrechen die ſchwachen Zweige und ſtürzen oft zu Boden. Da, wo ſie ungeſtört ihr Weſen treiben dürfen, werden ſie zudringlich, erſcheinen unmittelbar auf oder vor den Häuſern und richten mancherlei Schaden an; ja es kommt ſogar vor, daß ſie Kindern gefährlich werden. Die Nahrung beſteht aus den verſchiedenſten Pflanzenteilen, Früchten aller Art, ſoweit ſie ſolche öffnen können, Knoſpen, Blättern und Blüten, und es iſt unter dieſen Umſtänden kein Wunder, daß ſie ſich in Gefangenſchaft nicht ſo gut halten wie die gewöhnlichen alles freſſenden Affen. Die Gattung der Schlankaffen kann man noch weiter in ſechs Gruppen teilen: die meiſt roten oder rötlichen Schopfſchlankaffen, die dunklen, ſilberigen oder ſchwarzen Helmſchlankaffen, die braunen oder ſchwarzen Perückenſchlankaffen, die ſchwärzlichen oder ſilbergrauen Wirrkopf⸗ ſchlankaffen, die großen, wenig oder gar nicht beſchopften, ſchlicht gefärbten Hulmans und die bunten Kleideraffen. Unter allen Schlankaffen verdient zunächſt berückſichtigt zu werden der Hulman, der Langur oder Hanuman, wie die Hindus ihn nennen, der Wanar der Marathen — der heilige Affe der Inder, Presbytis entellus Dufr. (Semnopithecus; Taf. „Affen IV“, 9, bei S. 553). Er iſt in den meiſten Gegenden Vorderindiens der gewöhnlichſte Affe und verbreitet ſich immer mehr, weil man ihn nicht allein ſchützt und hätſchelt, ſondern in ge— wiſſen Gegenden auch einführt. Die Geſamtlänge des ausgewachſenen Männchens beträgt, nach Elliot, 1,57 m, nach Jerdon manchmal bis 1,72 m, wovon freilich 97 em auf den ver- hältnismäßig ungemein langen, gequaſteten Schwanz kommen, das Gewicht 9 —11 kg. Die Färbung des Pelzes iſt gelblichweiß, die der nackten Teile ſchwarzviolett. Geſicht, Hände und Füße, ſoweit ſie behaart ſind, und ein ſteifer Haarkamm, der über den Augen verläuft, ſind ſchwarz; der kurze Bart dagegen iſt gelblich. Nach Blanford findet ſich der Hulman nicht im Pandſchab und in Sind, ſondern erſt öſtlich davon im ſüdlichen Radſchputana, in Gudſcherat, Bombay, in den Mittelprovinzen, im ſüdweſtlichen Bengalen und Oriſſa, vielleicht auch noch ſüdwärts vom Godawari. Hutton behauptet, daß er öſtlich vom Hugli und nördlich vom Ganges nicht heimiſch und, wo er doch geſehen werde, eingeführt worden ſei. Blanford dagegen verſichert beſtimmt, daß er auch in Audh vorkomme und im allgemeinen wohl auch am Fuße des Himalajas. Im Gebirge ſelbſt wird er erſetzt durch den Himalaja-Schlankaffen oder Berghulman, P. schistaceus Hodgs., mit dem er leicht verwechſelt wird, der aber, heimiſch von Kaſchmir bis Bhutan, nirgends unter 2000 m Höhe herabſteigen ſoll. Weiter öſtlich, bis nach Hinterindien, über 111181 1. Schopfhulman, Presbytis pileatus BH, mit 2. Schwarzichopf-Schlankaffe, Presbytis melalophus Raffl. Jungem. ½ n. Gr., s. S. 603. — F. W. Bond-Lond. phot. 1/7 nat. Gr., s. S. 608. — Aufnahme a. d. Zoologischen Garten Antwerpen. ee - 3 * 5 ee — x — 3 . ˙ A — 3. Weißbart-Schlankaffe, Presbytis cephalopte- 4. Budeng, Presbytis auratus E. Geoffr. rus Zimm. iss nat. Gr., s. S. 607. — W. S. Berridge, ½ nat. Gr., s. S. 605 — P. Kothe-Berlin phot. F. Z. S.-London phot. —* | Pe — 1 5. Naſenaffe, Nasalis larvatus Wurmb, junges 6. Nafenaffe, Nasalis larvatus Wurmb, altes Weibchen. | Männchen. !/s nat. Gr. s. S. 69°. — Th, Reimers- 1112 nat. Gr., s. S.609. — Wilson & Co.-Singapore phot. | Haınburg phot. 3 7. Hulock, Hylobates hoolock Harl. 8. Siamang, Symphalangus syndactylus Desm. nat. Gr., S. S. 613. W. P. Dando, F. Z. S.-London phot. g nat. Gr., S. S. 614. — Aus Elliot, ‚Primates‘, Neuyork 1912. 9. Wauwau, Hylobates leuciscus E. Geoffr. 10. Car, Hylobates lar L. 9 nat. Gr., S. S. 614 W. P. Dando, F. Z. S.- London phot. 19 nat. Gr., S. S. 614. — W. P. Dando, F. Z. S.-London phot. 11. Borneo-Orang mit Backenwülſten Sultan“, Zool. Garten Amiterdam). 14 nat. Gr., S. S. 632 u. 646 A. J. W. de Veer- Amsterdam phot. Hulmans. j 603 Aſſam, Tſchittagong und Oberburma, verbreitet ſich eine dritte, ganz ähnliche und nahe ver: wandte Art, ver Schopfhulman oder Kappenlangur, P. pileatus BIAο¹ Taf. „Affen V“, I), und im ſüdoſtindiſchen Gebiete von Madras und im Norden der Inſel Ceylon lebt der eben— falls hierhergehörige Madras-Hulman, P. priamus Blyth, der ſich unter anderem durch helle, gelbliche Hände und Füße unterſcheidet. Der Hulman nimmt nicht den letzten Platz unter den unzähligen Gottheiten der Hindus ein und erfreut ſich dieſer Ehre ſchon ſeit undenklichen Zeiten. Der Rieſe Ravan, ſo berichtet die altindiſche Sage, raubte Sita, die Gemahlin des Schri-Rama, und brachte ſie nach ſeiner Wohnung auf der Inſel Ceylon; der Affe aber befreite die Dame aus ihrer Gefangenſchaft und führte ſie zu ihrem Gemahle zurück. Seitdem gilt er als Held. Viel wird berichtet von der Stärke ſeines Geiſtes und von ſeiner Schnelligkeit. Eine der geſchätzteſten Früchte, die Mango, verdankt man ihm ebenfalls: er ſtahl ſie aus dem Garten des Rieſen. Zur Strafe für ſeinen Diebſtahl wurde er zum Feuertode verurteilt, löſchte aber das Feuer aus und ver— brannte ſich dabei Geſicht und Hände, die ſeitdem ſchwarz blieben. Schon ſeit vielen Jahren hat man dieſen Affen in ſeinem Vaterlande beobachtet; allein gerade deshalb ſind wir am ſpäteſten mit ihm bekanntgeworden. Daran war nicht zum wenigſten ſchuld, daß es Schwierigkeiten oder vielmehr Gefahren hat, das heilige Tier zu töten; denn bloß die Marathen erweiſen ihm keine Achtung, während faſt alle übrigen Inder ihn hegen und pflegen, ſchützen und verteidigen, wo ſie nur können. Ein Europäer, der es wagt, das unverletzliche Tier anzugreifen, ſetzt ſein Leben aufs Spiel, wenn er der einzige Weiße unter der leicht erregbaren Menge iſt. Der Affe gilt eben als heilig, und heutzutage noch iſt die Achtung gegen das heilige Tier dieſelbe wie früher. Die Inder laſſen ſich von dem unverſchämten Geſellen ruhig ihre Gärten plündern und ihre Häuſer ausſtehlen, ohne irgend etwas gegen ihn zu tun, und betrachten jeden mit ſcheelen Augen, der es wagt, den Affen zu beleidigen. Duvaucel berichtet, daß es im Anfange ihm unmöglich war, einen dieſer Affen zu töten, weil die Einwohner ihn ſtets daran verhinderten. Sooft ſie den Naturforſcher mit ſeinem Gewehre ſahen, jagten ſie immer die Affen weg, und ein frommer Brahmine ließ es ſich nicht verdrießen, einen ganzen Monat lang im Garten des Europäers Wacht zu halten, um die lieben Tiere augenblicklich zu verſcheuchen, wenn der Fremde Miene machte, auf ſie zu jagen. Forbes verſichert, daß in Duboy ebenſoviel Affen als Menſchen anzutreffen ſind. Die Affen bewohnen das oberſte Stockwerk der Häuſer und werden dem Fremden unerträglich. Sie ſind ſo dreiſt, daß ſie nicht nur die Gärten plündern, ſondern um die Eſſenszeit auch in das Innere der Häuſer dringen und den Leuten die Speiſe aus der Hand nehmen. Der Miſſionar John verſichert, daß er bloß durch angeſtrengte Wachſamkeit ſeine Kleider und andere Sachen vor dieſen Dieben habe ſchützen können, und einem anderen iſt es gar geſchehen, daß fie ihm in einem unbewachten Augenblick ein kleines Kind zu Tode biſſen! Überall in Indien gibt es Affentempel, die den geſchwänzten Heiligen geweiht ſind, und immer iſt auch ein menſchlicher Heiliger, ein alter Prieſter oder Fakir da, der über das Wohl der Tempelaffen wacht und fie füttert. Das iſt aber oft kaum nötig; denn nicht nur die ein⸗ geborenen Gläubigen, die im Tempel ihre Gebete verrichten, laſſen es ſich angelegen ſein, nachher auch den heiligen Tieren auf dieſe nahrhafte Weiſe ihre Verehrung zu bezeigen, ſondern auch die Europäer, die die Affentempel als unterhaltende Sehenswürdigkeit beſuchen, tun aus Spaß und Kurzweil dasſelbe. So iſt es gekommen, daß die ſtets in der Nähe umherlungern— den Affenheiligen dieſes „Opfer“ von den Beſuchern geradezu verlangen. Der Leitaffe einer ſolchen Bande auf dem Galtapaß bei der Stadt Dſchaipur in Madras fiel den Münchener 604 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. - Maler Oſtermayer ganz bösartig an, weil er beim dritten Beſuche nicht daran gedacht hatte, gleich Futter zu verabreichen, und es bedurfte des Dazwiſchentretens des alten Tempelprieſters, um ernſteres Unheil zu verhüten. Abgeſehen von ihrer Unverſchämtheit ſind dieſe Affen ſchmucke und anziehende Geſchöpfe. John ſagt ausdrücklich, daß er niemals ſchönere Affen geſehen habe als die Hulmans. Ihr freundſchaftlicher Umgang untereinander und ihre ungeheuren Sprünge feſſeln jeden Beob⸗ achter. Mit ganz erſtaunlicher Behendigkeit ſteigen ſie von der Erde auf die Wipfel der Bäume, ſtürzen ſich von da wieder auf die Erde herab, brechen, wie zum Scherze, ſtarke Zweige herunter, ſpringen auf die Wipfel weit entfernter Bäume und gelangen in weniger als einer Minute von einem Ende des Gartens bis zum anderen, ohne die Erde zu berühren. Sie ſind oft in wenigen Minuten in unglaublicher Menge verſammelt, plötzlich verſchwunden und ein paar Minuten ſpäter alle wieder da. Das tägliche Treiben und geſellige Leben der Hulmans iſt das aller Affen. Sie bilden im Walde, ihrem eigentlichen Wohngebiete, zahlreiche Banden, denen ein aus hartnäckigen Kämpfen ſiegreich hervorgegangenes Männchen vorſteht, und ſtreifen unter deſſen Führung plündernd, raubend und mehr verwüſtend als verbrauchend in ihm und in den benachbarten Feldern und Gärten umher, Gebrandſchatzten zur Geißel, frommen Narren und unbeteiligten Forſchern zur Augenweide. Ihre Vermehrung in günſtigen, d. h. unter dem Schutze der Gläubigkeit ſtehenden Gegenden iſt eine beſorgniserregende; dagegen ſterben ſie erwieſener— maßen in höher gelegenen Gegenden Oberindiens, wo ſie eingeführt wurden und werden, bald wieder aus. Blyth berichtet, daß beſiegte Männchen einer Bande von dem ſein Harems⸗ recht wahrenden Affenſultan ausgetrieben und gezwungen werden, ſich eigene Vereine zu bilden, erfuhr auch von den Eingeborenen, daß des Streitens und Kämpfens unter verſchiedenen Banden kein Ende wäre. Sie liefern ſich förmliche Schlachten. Hughes ſchildert nach Augen⸗ ſchein eine ſolche, in der zunächſt die Führer einen Zweikampf ausfochten, bei dem der eine tödlich verwundet wurde. Dann erſt griffen die Weibchen ein. Hutton beobachtete Ahnliches von dem auf dem Himalaja lebenden Verwandten des Hulmans. Der Fakir des Affentempels auf den Höhen des Jakkoberges bei Simla berichtet auch von einem Zweikampf des „Ra⸗ dſchahs“ einer roten, alſo offenbar Rheſus-Affenbande, die bis dahin den Tempel innehatte, mit dem einer grauen Langurherde, der mit dem Siege der Grauen und der Vertreibung der Roten endete. Ein alter Langur-Mann iſt alſo unter Umſtänden einem alten Rheſus-Mann nicht nur gewachſen, ſondern ſogar über! Hulman wie Berghulman unternehmen, wie es ſcheint, zuweilen größere Streifzüge oder Wanderungen, jener bei Eintritt kalter Witterung in ſeinen Höhen, dieſer, um von der gläubigen Bevölkerung Zoll zu erheben. Der heilige Feigenbaum In⸗ diens ſoll der Lieblingsaufenthalt der Hulmans ſein. Man erzählt, daß unter demſelben Baume auch giftige Schlangen wohnen, mit denen die Affen in beſtändiger Feindſchaft leben. Es wird übrigens verſichert, daß die Hulmans gefeit ſeien gegen gewiſſe Pflanzengifte; Gaben von Strychnin, die andere Tiere gleicher Größe töten würden, ſollen bei ihnen wirkungslos ſein. Von ihrer Bewegungsfähigkeit ſagt Jerdon: „Sie ſpringen überraſchend behende von Zweig zu Zweig und machen im Notfall ganz erſtaunliche Sprünge. Ich habe ſie von Baum zu Baum, einen Zwiſchenraum von 20 und 30 Fuß, überſetzen ſehen, wobei ſie vielleicht 40 oder 50 Fuß ſchräg abwärts ſchwebten. Auch auf allen vieren laufen ſie bemerkenswert ſchnell, indem fie mit hurtigen Sprüngen über den Boden hineilen.” Dabei krümmen ſie ihren langen Schwanz über den Rücken nach vorn, wie Blanford mitteilt. Dieſem Gewährsmann zufolge findet man ſie niemals weit vom Waſſer. „Ihre Stimme“, bemerkt er an anderer wu ee er Enten er ü Hulmans. Budeng. 605 Stelle, „iſt laut und wird oft, beſonders morgens und abends, gehört. Die zwei gewöhnlichſten Laute, die fie ausſtoßen, find ein hallender, freudiger, faſt wohlklingender Ruf, eine Art Jauchzer, wenn ſie ſich durch das Gezweig ſchwingen, und ein rauher Kehllaut, wenn ſie beunruhigt oder ärgerlich ſind. Dieſer letztere iſt dem Tigerjäger, zu deſſen beſten Freunden der Hulman gehört, vertraut. Doch iſt es ein Irrtum der Jäger, anzunehmen, daß der rauhe Kehllaut ſtets das Vorhandenſein eines Tigers oder Leoparden verkünde; denn ebenſooft laſſen die Affen ihn hören, wenn ſie irgendwie und von irgendwas überraſcht ſind. Ich habe ihn vernommen, auch wenn die Affen bloß einen Hirſch flüchten ſahen, und ich glaube, daß ſie einen plötzlich erſcheinenden Menſchen nicht anders begrüßen würden.“ Im übrigen ſagt Blanford, daß der Hulman ruhiger, weniger neugierig und übermütig ſowie weniger zänkiſch ſei als die Makaken. In Gefangenſchaft werden alte nicht ſelten griesgrämig und bösartig. Im April 1912 wurde im Londoner Zoologiſchen Garten ein junger Schopfhulman in abweichender Jugendfärbung geboren: Geſicht, Ohren, Hände und Füße blaß fleiſchfarben, wie anſcheinend bei allen neugeborenen Affen; kahler Vorderkopf; goldbraunes Haarkleid; eine dünne Reihe ſteifer, ſchwarzer Augenbrauenhaare. Nach drei Monaten begann der dunkle Hautfarbſtoff ſich zu zeigen, und nach ſechs Monaten waren die nackten Teile ſchwarz. Im Herbſt machte das Säuglingskleid längerem, graubraunem Haar Platz; aber auch im achtzehnten Lebensmonat hatte das Junge noch nicht die Haarfarbe der Alten angenommen, noch nicht den langen weißen Bart und den aufrechten Scheitelſchopf entwickelt. Das zweite Junge ſah wieder etwas anders aus, hatte ſandgelbes Fell, weniger kahlen Vorderkopf, kleinere Augen und weniger ſchwarze Augenbrauen, ſo daß der Verdacht beſteht, der Vater des erſten ſei ein damals im ſelben Käfig lebender echter Hulman geweſen. Ein ſehr ſchöner Affe iſt der Budeng der Javaner, Presbytis auratus ZE. Geoffr. (Semnopithecus maurus; Taf. „Affen V“, 4, bei S. 602). Er iſt im Alter glänzend ſchwarz, im Geſicht und an den Händen wie Samt, auf dem Rücken wie Seide; aber nicht immer, oft auch grau überflogen: man muß wohl mehrere Arten und Unterarten unterſcheiden, die ſich auch über Sumatra und Borneo verbreiten. Der Unterleib, der ſpärlicher behaart iſt als der Oberleib, zeigt einen bräunlichen Anflug. Der Kopf wird von einer eigentümlichen Haarmütze bedeckt, die über die Stirn hereinfällt und zu beiden Seiten der Wangen vortritt. Neugeborene Junge ſehen goldgelb aus, und nur die Haarſpitzen des Unterrückens, der Oberſeite des Schwanzes und der Schwanzquafte find dunkler. Bald aber verbreitet fi) das Schwarz weiter, nach wenigen Monaten find die Hände, die Oberſeite des Kopfes und die Schwanzquaſte ſchwarz, und von nun an geht das Kleid mehr und mehr in das des alten Tieres über. Die Geſamtlänge diejes . ſchönen Affen beträgt nahezu 1,5 m, wovon mehr als die Hälfte auf den Schwanz kommt. „Der Budeng“, ſagt Horsfield, „lebt in großer Menge in den ausgedehnten Wäldern Javas. Man findet ihn in zahlreichen Geſellſchaften auf den Wipfeln der Bäume, nicht ſelten in Herden von mehr als 50 Stücken zuſammen. Sie erheben bei Ankunft des Menſchen ein lautes Geſchrei und ſpringen unter entſetzlichem Lärm ſo wütend in den Zwei gen umher, daß oft ſtarke Aſte von den abſterbenden Bäumen brechen.“ Anders ſchildert ihn Bertram, ein früherer Wärter des Berliner Zoologiſchen Gartens und guter Beobachter, nach ſeinen Erfahrungen auf Bali bei Java. Dort ſieht man den Budeng nicht ſelten in Geſellſchaften von höchſtens etwa 30 Stück ſowohl im Flachlande als im Gebirge bis 1000 m hoch, aber nie in der Nähe menſchlicher Wohnungen. Ebenſo meidet er auch die lebhaften, unruhigen Makakenbanden. Die Hauptnahrung beſteht offenbar aus 606 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. Blättern und Beeren: Bertram hat die Budengs nie etwas anderes freſſen ſehen. Die Beeren der hohen Urwaldbäume pflücken ſie einzeln mit der Hand und ſtecken ſie ins Maul. In eine Falle ködern laſſen ſie ſich nicht, und die Eingeborenen fangen ſie daher ſo, daß ſie ſie auf einen einzelnen Baum treiben, den dann ein Mann beſteigt. Darauf laſſen ſich alle Affen von oben herabfallen und werden unten mit Matten und Netzen auf- und eingefangen. Sie halten aber in der Regel nur wenige Tage, da ſie den dargebotenen Reis nicht anrühren, ja nicht einmal Waſſer trinken. Bertram ſchildert es als Gewohnheit des Budengs auf Bali, wenigſtens in manchen Gegenden, daß er ſich ſchon auf 150—200 m Entfernung vom Men⸗ ſchen von ſeinem erhöhten Sitz herabfallen läßt, um dann auf der Erde im dichten Unterholz zu verſchwinden. „Oft ſah ich Budengs in einer Höhe von 25—30 m abſpringen und dann ſchnell davonlaufen. Man glaubt, wenn man den Körper und den Schwanz aufſchlagen hört, die Affen müßten ſich alle Knochen brechen.“ Die Stimme, die die Budengs des Abends bei Eintritt der Dunkelheit zu erheben pflegen, nennt Bertram ein fürchterliches Brüllen, bei dem man meint, mindeſtens ein größeres Raubtier zu hören; er ſah es immer nur die größten der Horde ausſtoßen, und es pflanzt ſich von einer Horde zur anderen fort. In der Gefangenſchaft bleibt der Budeng während vieler Monate ernſt, und weil er ſo nichts zum Vergnügen der Eingeborenen beiträgt, findet man ihn ſelten in den Ortſchaften. Hier und da auf Java leben Budengs aber in halbwildem Zuſtande, gehegt und gepflegt von den Eingeborenen. „Ich beſuchte“, erzählt Jagor, „die Quelle des Progo, welcher die Provinz Kadu, den Garten von Java, bewäſſert und in das indiſche Weltmeer fließt. Kaum waren wir angekommen, als von den umliegenden Bäumen eine Anzahl Affen, und zwar Budengs, herabſtiegen und zutraulich-dreiſt uns umringten. Wir fütterten ſie mit Mais. Dieſe Anſiedelung halbzahmer Affen beſteht, nach der ſpäter noch mehrfach beſtätigten Ausſage des mich begleitenden Häuptlings, ſchon ſeit alter Zeit.“ Ungeachtet der Verehrung, die der Budeng im allgemeinen ſeitens der Eingeborenen genießt, wird er, wie Horsfield mitteilt, von dieſen gejagt, weil ſie ſein Fell benutzen. Bei dieſen Jagden, die gewöhnlich von den Häupt⸗ lingen angeordnet und befehligt werden, greift man die Tiere mit Schleuder und Stein an und vernichtet ſie oft in großer Anzahl. Die Eingeborenen wiſſen die Felle auf einfache Weiſe, aber ſehr gut zuzubereiten und verwenden ſie dann, wie auch die Europäer tun, zu Satteldecken und allerlei Heerſchmuck; namentlich werden jene geſchätzt, die ganz ſchwarz von Farbe ſind und ſchöne, lange Seidenhaare beſitzen. Als ich den Budeng im Tiergarten zu Amſterdam zum erſten Male lebend ſah, war ich überraſcht über ſeine Schönheit. Dieſer Affe erregte die allgemeine Aufmerkſamkeit aller Be⸗ ſchauer, obwohl er nicht das Geringſte tat, um die Blicke der Leute auf ſich zu ziehen. Er iſt ſtill und ruhig, aber nicht übellauniſch und ungemütlich. Das Paar, das in Amſterdam lebte, hielt ſtets treu zuſammen. Gewöhnlich ſaßen beide dicht aneinander gedrängt in ſehr zu— ſammengekauerter Stellung, die Hände über der Bruſt gekreuzt, auf einer hohen Querſtange ihres Käfigs und ließen die langen, ſchönen Schwänze ſchlaff herabhängen. Ihr ernſthaftes Ausſehen wurde vermehrt durch die eigentümliche Haarmütze, die ihnen weit in das Geſicht hereinfällt. Wenn man ihnen Nahrung vorhielt, kamen ſie langſam und vorſichtig herunter, um jene wegzunehmen, blieben dabei aber ruhig und bedächtig wie immer. Sie mußten zeitweiſe, namentlich des Abends und Nachts, mit zwei Schopfpavianen zuſammenhauſen. Man ſah es den Budengs an, wie außerordentlich unangenehm ihnen die zudringlichen Geſellen waren, wie ſehr ſie ſich vor ihnen fürchteten. Sobald die ſchwarzen Teufel nur in den Käfig kamen, blickten jene angſtvoll nach ihnen hinab. Während ſie unter den Fäuſten ihrer Peiniger Budeng. Weißbart-⸗Schlankaffe. 607 litten, ſchrien ſie oft jammervoll auf; aber das vermehrte nur die Wut der Paviane: ſie wurden um ſo frecher und grauſamer, je leidender ſich jene verhielten. In Antwerpen lebte ein Budeng unter kleinen Meerkatzen und Makaken. Alle Mitbewohner ſeines Käfigs waren kaum halb ſo groß wie er, und trotzdem war auch hier wiederum er der Gequälte und Gefoppte. Eine kaum ein Jahr alte Meerkatze ſpielte zur Zeit, in der ich den Garten beſuchte, hier die Rolle des Mohrenpavians, und auch gegen dieſen frechen Afrikaner verhielt ſich der Javaner leidend und untertänig. Es ſah ſehr komiſch aus, wenn das kleine Geſchöpf den großen Affen ſozu— ſagen nach ſeiner Pfeife tanzen ließ; es meiſterte ihn vollſtändig und maßregelte ihn durch Püffe, Ohrfeigen, durch Kneipen und Raufen in wahrhaft jämmerlicher Weiſe. Man konnte nicht in Zweifel bleiben, daß Gutmütigkeit der Hauptzug des Budenggeiſtes iſt. Auch der Budeng ſcheint von unſerem nordiſchen Klima viel zu leiden. Man ſieht es ihm an, wie wohl ihm jeder Sonnenblick tut, wie glücklich er iſt, wenn er nur einen Strahl des belebenden Geſtirnes auffangen kann. Auf den Tiermarkt und in die zoologiſchen Gärten kommt er ſelten. Der Berliner Garten erhielt 1909 zwei Stück durch den obengenannten früheren Wärter von Bali, der weſtlichſten der Kleinen Sundainſeln, die dicht an Java an- ſchließt. Sie hatten das nicht ganz ſchwarze, ſondern ein etwas grau überlaufenes Fell und zeigten ſich als ſtille, harmloſe Tiere. Mit ihrem ſorglichen Wärter und ſeiner Frau, die ihnen immer etwas mitbrachte, hatten ſie ſich aber bald befreundet; namentlich das jüngere Männ— chen kam ans Gitter und ließ ſich ſtreicheln. Es beläſtigte mitunter auch das alte Weibchen mit Spielluſt ſo ſehr, daß es durch einen kräftigen Stoß abgewehrt werden mußte. Neben dem Hulman war, wenigſtens früher, am häufigſten der Weißbart- oder Weiß— rücken⸗Schlankaffe, Presbytis cephalopterus Zimm. (Semnopithecus leucoprymnus; Taf. „Affen V“, 3, bei S. 602), von Ceylon, der Kalu der Singhaleſen, zu ſehen; neuer— dings iſt er wenig mehr gekommen. Er iſt, wie ſeine beiden Namen andeuten, gekennzeichnet durch den weißen, ſeitwärts weggekämmten und mit den Haarſpitzen wieder nach vorn ge— krümmten Backenbart und den grauweißen Unterrücken; ſonſt iſt er dunkel, rauchbräunlich. Nach Tennent iſt er auf Ceylon häufig, in der Freiheit lebhaft und aufgeweckt, in der Gefangenſchaft aber, wie alle Schlankaffen, für unſer Auge mit einem gewiſſen Schein von Ernſt und Traurigkeit umgeben, der bei ihm durch das ehrwürdige Abzeichen des weißen Bartes noch verſtärkt wird. In ſeinem wirklichen Weſen iſt er ſanft und zutraulich, für gütige Behandlung äußerſt empfänglich und bald bereit, ſeiner Zuneigung Ausdruck zu geben, wobei er einen tiefen, klagenden Ton von ſich zu geben pflegt. Er iſt ſehr reinlich und verbringt viel Zeit mit Strählen und Säubern ſeines Pelzes. Tennents Gefangene fraßen ſehr gern Bananen; ihr größter Leckerbiſſen waren aber die roſenfarbenen Blüten des roten Eibiſch (Hibis- cus). Sie fraßen auch die Blätter vieler anderer Bäume und ſogar ſaftigere Teile der Rinde. Auf die Erde kommen ſie in der Freiheit wohl nur, wenn ihre Lieblingsfrüchte fallen. Ihre Sprünge auf der Flucht müſſen Erſtaunen erregen, ſind aber, nach Tennent, gemeinhin nicht ſo ſehr ein wirkliches Springen wie ein Schwingen von Aſt zu Aſt, wobei die ſtarken Arme abwechſelnd gebraucht werden: alſo eine Bewegungsweiſe nach Art der Gibbons. Und wenn ſich die Tiere in der Entfernung täuſchen, werfen ſie ſich noch in der Luft zur Seite, um niedrigere Zweige des gegenüberſtehenden Baumes zu faſſen und ſich durch deren Rückſchwung wieder in die Höhe werfen zu laſſen auf höhere und entferntere. Aus Tennents Schilderungen geht ſchon hervor, daß es in verſchiedenen Gegenden, auf den Gebirgen und in der Ebene Ceylons, weitere Arten oder Unterarten gibt, bei deren Unterſcheidung 608 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. aber anſcheinend Ausartungen ins Weiße Verwirrung geftiftet haben. Die Eingeborenen er⸗ klärten eine größere, von ihnen als Maha unterſchiedene Form, P. ursinus Dlyth, die den Europäern kaum zu Geſicht kommt, weil fie nur die unzugänglichen Gebirgswälder des jüd- lichen Ceylons bewohnt, als viel wilder und ſtärker. Ihr raſch wiederholtes „Hau, hau“ iſt in der frühen Morgendämmerung eine der bezeichnenden Tierſtimmen in jenen luftigen Höhen. Aber auch auf dem ſüdindiſchen Feſtland hat der Weißbart einen Verwandten in dem Nil- giri-Langur, P. johni Fisch., der gleichnamigen Berge, der fi über Travancore und die Weſt⸗Ghats bis zum Kap Komorin verbreitet, aber nirgends unter 2500 engl. Fuß (760 m) heruntergeht. Dieſer wird, zum Unterſchied von den meiſten anderen Affen Indiens, von den Einwohnern viel verfolgt ſeines Felles und Fleiſches wegen, das gewiſſe Kaſten eſſen; er iſt daher ſehr ſcheu und vorſichtig. Nach Blanford bewohnt er in kleinen Trupps von 5— 10 Stück die Scholas, die dichten, aber ſcharf begrenzten Wälder auf den Nilgiris und den übrigen ſüdindiſchen Hochländern, aber auch die waldigen Abhänge, und macht viel Lärm mit ſeinem lauten, kehligen Angſt- und Warnruf. f Große Seltenheiten, im Berliner Garten nur einmal vertreten geweſen, ſind der ebenfalls rauchgraue Blätteraffe, Presbytis obscurus Reid, aus Siam und Malakka, dem im Leben die nackte weiße Haut um Augen und Mund eine ganz merkwürdige Maske verleiht, und der Schwarzſchopf- oder Rote Schlankaffe, Presbytis melalophus Raffl. (melanolophus; Taf. „Affen V“, 2, bei S. 602), von Sumatra, der durch ſeine Namen im weſentlichen ſchon beſchrieben iſt. Der Duk oder Kleideraffe von Kotſchinchina, Pygathrix nemaeus L., hat gegenüber den anderen Schlankaffen einen jo unverkennbar derberen Bau des Leibes und der beinahe gleich- langen Glieder, daß bei ihm Abtrennung in eine beſondere Gattung (Pygathrix E. Geoffr.) ſchon äußerlich eine gewiſſe Berechtigung hat; am auffallendſten iſt er aber gekennzeichnet durch ſeine bunte Färbung, ſeine „Kleidung“: er trägt, um im Bilde zu bleiben, graue „Jacke“, aus der an den Unterarmen weiße „Hemdärmel“ hervorkommen, weiße „Weſte“, ſchwarze „Knie⸗ hoſen“, braune „Strümpfe“, ſchwarze „Schuhe“ und „Handſchuhe“. Durch dieſe Auffaſſung hat ihn der phantaſievolle Buffon berühmt gemacht. Sonſt wiſſen wir nichts von ihm trotz der franzöſiſchen Koloniſierung ſeiner Heimat, und lebend iſt er erſt recht noch nicht dageweſen. Mit dem Tibet-Langur oder Stumpfnaſenaffen, Rhinopithecus roxellanae 4. M.-E., aus Oſttibet und dem anſtoßenden Weſtchina, gelangen wir dann zu einer Gattung - (Rhinopithecus A. M.-E.), die den Übergang zu einer der merkwürdigſten Affengeſtalten, dem eigentlichen Naſenaffen, vermitteln hilft. Für Europa wurde er durch den verdienſtvollen Chineſenmiſſionar David entdeckt, dem wir ſo viele Bereicherungen unſerer Tierkunde, auch den Davidshirſch, verdanken; die Chineſen bildeten ihn aber ſchon um 2200 v. Chr. ab, und zwar bezeichnenderweiſe als Menſchen. Sein Stumpfnäschen iſt zwar klein, wie es ſich für ein ſolches gehört, aber unglaublich kühn aufgeſtülpt: bis in Augenhöhe! Der Stumpfnaſenaffe lebt als einer der äußerſten nördlichen Vorpoſten unter den Affen überhaupt in Waldgegen— den, wo einen großen Teil des Jahres Schnee liegt, und nährt ſich da von Früchten und Bam— busſchößlingen. Lebend iſt er noch nie eingeführt worden. Noch eine weitere ſonderbare Affengattung (Simias Mill.) mit nur einer Art ſchiebt ſich dazwischen, ehe wir zum Naſenaffen kommen: die Pageh-Stumpfnaſe, Simias concolor Mill., } x Weitere Schlankaffen. Duk. Tibet⸗Langur. Pageh-Stumpfnaſe. Naſenaffe. 609 von der ſüdlicheren der Pageh- oder Naſſauinſeln an der Südküſte Sumatras. Sie hat zwar auch nur eine kleine Stumpfnaſe, ſonſt aber ſchon einen Naſenaffenſchädel. Außerlich weicht ſie durch ſchwarze Farbe ab, und eine ans Unwahrſcheinliche grenzende Auszeichnung beſitzt ſie in einem angeblich nackten, nur am Ende gequaſteten Schwanze, der noch keine 20 em lang iſt. Der eigentliche Naſenaffe oder Kahau von Borneo ſchließlich, Nasalis larvatus Wurmb (Semnopithecus nasieus; Taf. „Affen V“, 5 u. 6, bei S. 602), der einzige Ver⸗ treter ſeiner Gattung (Nasalis E. Geoffr.), zeigt ſchon am knöchernen Schädel lange, in der Stumpfnaſenaffe, Rhinopithecus roxellanae A. M.-E. Yıo natürlicher Größe. Seitenanſicht etwas vorſpringende Naſenbeine; dieſen ſitzt aber beim alten Männchen eine nicht nur lange, ſondern in der Mitte auch breite, längsgefurchte, gekrümmte, über den Mund niederhängende Gurkennaſe auf, die nicht nur den Namen Naſe in demſelben Sinne wie beim Menſchen uneingeſchränkt verdient, ſondern ſogar alles weit in den Schatten ſtellt, was ſonſt von Naſen bei Affen und Menſchen vorkommt. Weibchen und Junge haben nur die kleinere, hochſtehende Stumpfnaſe, wie ſie ſchon durch die vorhergehenden Gattungen vor— bereitet wird. Die ganze Entwickelung von den erſten Anfängen beim Keimling an hat neuer⸗ dings der Freiburger Anatom Wiedersheim erſchöpfend dargelegt und gezeigt, daß dieſe Ent wickelung der der menſchlichen Naſe durchaus gleichartig iſt. Wie bei den vorhergehenden Gattungen iſt auch beim Naſenaffen der Körperbau etwas derber und die Gliedmaßenlänge Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 39 610 18. Ordnung: Affen. Familie: Meerkatzenartige. ziemlich gleichmäßig, der Schwanz dagegen ſehr lang, wie bei den eigentlichen Schlankaffen. Die Behaarung iſt reichlich und weich; am Scheitel ſind die Haare kurz und dicht, an den Seiten des Geſichtes und am Hinterhaupte länger, um den Hals bilden ſie eine Art von Kragen. An dem Scheitel, dem Hinterkopf und in der Schultergegend find fie lebhaft braun— rot, auf dem Rücken und der oberen Hälfte der Seiten fahlgelb, dunkelbraun gewellt, an der Bruſt und dem Oberteile des Bauches licht rötlichgelb gefärbt; in der Kreuzgegend findet ſich ein ſcharf abgegrenzter Fleck von graulichweißer Farbe, deſſen Spitze nach der Schwanz— wurzel zu gerichtet iſt; die Gliedmaßen ſehen in der oberen Hälfte gelblichrot, in der unteren, ebenſo wie der Schwanz, aſchgrau, die nackten Innenflächen der Hände und die Geſäßſchwielen graulichſchwarz aus. So zeigt auch dieſer Affe eine ſehr lebhafte Geſamtfärbung. Erwachſene Männchen des Kahau erreichen eine Größe von etwa 1,50 m; ihr Leib iſt 0,70 m und der Schwanz etwas darüber lang. Die Weibchen bleiben kleiner, ſollen jedoch ſchon vor ihrem vollendeten Wachstume fortpflanzungsfähig ſein. Der Kahau lebt geſellig auf Borneo. Über ſein Freileben bemerkt ſein Entdecker, Baron Wurmb, 1781 holländiſcher Gouverneur in Batavia, ungefähr folgendes. Des Morgens und Abends ſammeln ſich zahlreiche Scharen auf den Bäumen und an den Flußufern und erheben dann oft ein Geheul, das dem Worte Kahau ſehr ähnlich klingt und den Tieren dieſen Namen verſchafft hat. Sie ſind ſchnell und gewandt und haben eine ungeheure Fertigkeit im Springen und Klettern. Ihre geiſtigen Eigenſchaften ſind wenig bekannt; doch behauptet man, daß die Tiere ſehr boshaft, wild und tückiſch ſeien und ſich nicht wohl zur Zähmung eigneten. Man ſagt, daß ſie, wenn ſie überraſcht werden, ſich auf den Bäumen verbergen, aber mit großem Mute ſich verteidigen, wenn ſie angegriffen werden. Die Dajaken ſollen fleißig Jagd auf die Naſenaffen machen, um ihr Fleiſch zu erhalten, das ſie als wohlſchmeckend ſchildern. Sie nennen die Tiere übrigens nicht Kahau, ſondern Bakara, die Malaien aber Bakantan. C. Bock ſchreibt: „Dieſer Affe bewohnt die dichten Wälder an den Flußufern und wählt ſich die Wipfel der höchſten Bäume aus. Sie ſind langſam in ihren Bewegungen und laſſen ſich nicht leicht ſtören. Ich erinnere mich, daß mir bei einer Gelegenheit die Dajaken drei langnaſige Affen wieſen, die, außer Schußweite, ſich auf einem ſehr hohen Baume ſonnten. Die Wilden machten Lärm; aber die Affen beachteten es nicht, bis ich einen Schuß auf ſie ab— feuerte, worauf ſie mit zwei weiten Sprüngen in dem dichten Laubwerke verſchwanden.“ Bock ſagt, daß ſie gewöhnlich ruhig fliehen, indem ſie mit einigen wohl abgemeſſenen, wenigſtens 20 Fuß weiten Sätzen von Aſt zu Aſt ſpringen. „Sie nähren ſich von wilden Früchten und Blättern. Von allen Affen ſind ſie am ſchwerſten in der Gefangenſchaft zu erhalten. Zunächſt iſt es ſchwierig, ſie an Reisnahrung zu gewöhnen, und außerdem ſcheinen ſie in der Gefangen— ſchaft zu verkümmern, wenngleich ſie von Natur nicht ſehr rührig ſind. Sie erſcheinen über— aus trübſelig, und ich ſah ſie lange Zeit in einer Stellung verharren, ohne daß ſie die leiſeſte Bewegung machten oder, ſelbſt wenn ſie geneckt wurden, irgendeine Grimaſſe oder ein Zeichen von Arger zu erkennen gaben. In Buitenzorg zeigte mir Herr Teysmann drei, die er über zwei Jahre erhalten hatte; lange Zeit hatte er ihnen friſche Blätter aus dem Walde zu eſſen gegeben, ſie aber allmählich an Reis gewöhnt.“ Selenka berichtet, daß die Naſe der alten Männchen, wie ein Kolben, ſchlaff über das Maul herabhängt. Bei jeder Bewegung baumelt der Kolben pendelnd hin und wieder. Will das Tier freſſen — ſeine Nahrung beſteht ausſchließlich aus Blättern, die maſſenhaft verzehrt werden und den Bauch mächtig auftreiben —, jo ſchiebt es die baumelnde Naſe zur Seite und bringt mit der anderen Hand oder dem Fuß die Blätter ins Maul. 3 Naſenaffe. 611 Auch der frühere Lübecker Muſeumsdirekter Lenz teilt einiges über das Freileben mit nach Berichten des Kapitäns Storm, der ſich durch die lebende Einführung der Rieſenorangs bekannt— gemacht hat. Danach freſſen die Naſenaffen hauptſächlich junge Knoſpen gewiſſer Baumarten, die in ſumpfigen Gegenden und an Flußufern wachſen, verſchiedene Sumpfpflanzen und kleine, bittere Waldfrüchte. Darin liegt die Schwierigkeit der Eingewöhnung in die Gefangenſchaft. Alte verſchmähen jede Nahrung und ſterben, und Junge leben nur ſo lange, wie man ſie mit Milch erhalten kann. Im Freileben find ſie nicht ſelten zu 30—40 beiſammen. Gegen Abend ſuchen ſie mit Vorliebe die Ufer der Flüſſe auf und übernachten hier unmittelbar am Waſſer hoch oben in den Wipfeln der Bäume, wo ein friiher Luftzug herrſcht und keine Moskitos vor— handen ſind. Sie ſchlafen gern weit in den Vormittag hinein, bis ihnen die Sonne zu warm wird. Bei Gefahr ſind ſie in zwei Sätzen von den höchſten Bäumen herunter und im Dickicht verſchwunden. Grober Schrot tötet einen Naſenaffen ſelten auf der Stelle, weil die Haut ſehr dick und feſt iſt. Häufig lebt der Naſenaffe mit einem dunkelgrauen Schlankaffen zuſammen. Hornaday hat ebenfalls die Naſenaffen gewöhnlich auf den Bäumen über dem Waſſer getroffen, und neuerdings iſt beobachtet worden, daß ſie gut ſchwimmen. Auf den Uferbäumen pflegen fie ſich behaglich zu ſonnen und ſind die feſſelndſte Belebung der Landſchaften. Der Schrei klingt, nach Hornaday, wie „Honk“, gelegentlich auch wie „Kihonk“, lang gezogen, mit tiefem Ton, wie von einer Baßgeige. Beebe begegnete einem ſchwimmenden Naſenaffen mitten auf dem breiten Rejangfluſſe. Der Affe bewegte dabei die Vorderglieder nach Art eines ſchwimmenden Hundes, legte ſich aber bald auf die eine, bald auf die andere Seite, und wenn er dabei rück— wärts nach dem Dampfer ſah, ſchwamm er mehr menſchenähnlich. Auf einen Fehlſchuß des malaiiichen Schiffsführers tauchte er für 28 Sekunden unter und ſchwamm dann rüſtig, wie vorher, weiter. Naſenaffen bewohnen viel dieſe mit halb untergetauchten Nipapalmen be: ſtandenen Flußmündungsgebiete, in die die Meeresflut weit hinaufſteigt, und haben da Ge— legenheit genug, ihre Schwimmkünſte anzuwenden. Der erſte und wohl einzige Naſenaffe, der in Europa und Deutſchland etwas länger aus— hielt, war ein noch ſtumpfnaſiges Jungtier, das 1901 von einer Franzöſin herübergebracht und dann im Beſitz Wilhelm Hagenbecks war, des um Tiereinfuhr und Tierdreſſur ebenfalls hochverdienten Bruders des bekannten Tierhändlers. * Bei keiner Sippe der Affen zeigt ſich die Entwickelung der Vorderglieder in gleichem Grade wie bei der Familie der Gibbons oder Langarmaffen (Hylobatidae). Sie tragen ihren Namen mit vollſtem Rechte: denn die über alles gewohnte Maß verlängerten Arme er— reichen, wenn ſich ihr Träger aufrecht ſtellt, den Boden. Dieſes eine Merkmal würde genügen, um die Langarmaffen von allen übrigen Mitgliedern ihrer Ordnung zu unterſcheiden. Sie erreichen eine ziemlich bedeutende Größe, wenn auch keine einzige Art über 1 m hoch wird. Ihr Körper erſcheint trotz der ſtarken und gewölbten Bruſt ſehr ſchlank, weil die Weichen: gegend, wie bei dem Windhunde, verſchmächtigt iſt; die Hinterglieder ſind bedeutend kürzer als die vorderen und ihre langen Hände bei einer Art noch durch die teilweiſe miteinander verwachſenen Zeige- und Mittelfinger ausgezeichnet. Der Kopf iſt klein und eiförmig, das Geſicht menſchenähnlich; Backentaſchen fehlen; die Geſäßſchwielen ſind klein, und der Schwanz iſt äußerlich nicht ſichtbar. Ein reicher und oft ſeidenweicher Pelz umhüllt ihren Leib. Die Behaarung teilt mit den eigentlichen Menſchenaffen und Menſchen die von den übrigen Säugetieren abweichende Eigentümlichkeit, daß der Haarſtrich am Unterarm von unten nach 39 * 612 18. Ordnung: Affen. Familie: Gibbons. oben geht. Schwarz, Braun, Braungrau und Strohgelb ſind die Hauptfarben. Alle Gibbons haben außerordentlich laute Stimmen und laſſen ihre Rufe beſonders gern in den Morgen: ſtunden hören; doch finden ſich an ihrem Kehlkopf keinerlei beſondere Bildungen, die ſich etwa mit denen der Brüllaffen vergleichen ließen. Früher rechnete man die Gibbons zu den Menſchenaffen; neuerdings hat man eine be— ſondere Familie aus ihnen gemacht, weil fie, wie die niederen Affen, deutliche nackte Geſäß⸗ ſchwielen haben, wenn auch nur kleine. Als Unterlage für dieſe Geſäßſchwielen hat das Becken auch die nach außen gekehrten, rauhen Sitzbeinhöcker, und es iſt überhaupt in ſeiner ganzen Form nicht menſchenähnlich, ſondern lang und ſchmal. Ebenſo hat die Wirbelſäule nicht die Sförmige Krümmung wie beim Menſchenaffen und Menſchen, läßt aber doch eine gewiſſe Annäherung an dieſe erkennen. Dagegen iſt ihre Gliederung, das Verhältnis ihrer verſchiedenen Abſchnitte zueinander, durchaus menſchenähnlich; ebenſo der kurze, breite Bruſtkorb, und mit ihrem breiten, kurzen, einheitlichen Bruſtbein gehen die Gibbons ſogar noch über die Menſchen— affen hinaus. Die Geſtaltung des Beines und die Anordnung ſeiner Muskeln ergibt nahe Anſchlüſſe an die amerikaniſchen Klammeraffen, obwohl dieſe einen langen Greifſchwanz und die Gibbons äußerlich gar keinen Schwanz haben; Klaatſch meint überhaupt, man könne die Gibbons noch mehr als mit den Schlankaffen eben mit den Klammeraffen vergleichen, und tatſächlich erinnert an dieſe auch die Bewegungsweiſe auf ebener Erde, der halb aufrechte Gang der Gibbons, nur daß bei jenen die Vorderglieder nicht entfernt ſo verlängert ſind wie bei dieſen. Am meiſten find Unterarm und Hand verlängert; der Daumen dagegen iſt klein, un⸗ gewöhnlich tief von der übrigen Hand abgeſpalten und weit hinten angeſetzt, kaum noch zum Greifen fähig. Die ſchmalen, langfingerigen Hände werden denn auch viel mehr im ganzen als gekrümmte Kletterhaken gebraucht bei der abweichenden hangelnden und ſchwingenden Bewegungsweiſe, wie ſie die Gibbons auf den Bäumen üben: bei der ſie mehr unten an den Aſten hängen, als nach Art der anderen Affen oben auf ihnen laufen und ſpringen. Bei Betrachtung des kleinen, rundlichen Kopfes und Schädels, den keinerlei Knochenkamm und vorſpringende Schnauze ins Tieriſche zieht, erinnert Klaatſch wieder an die Ahnlichkeit mit den amerikaniſchen Klammeraffen, die ſogar jo weit geht, daß die Naſenlöcher weiter aus— einander und mehr nach der Seite ſtehen als bei den niederen Altweltaffen. Die Rückbildung der Naſe und des Naſenbeins iſt nicht ſo weit gediehen wie bei dieſen. Trotz der kleinen, kurzen, gar nicht vorſpringenden Kiefer hat das Gebiß doch das niedere Merkmal ſtark verlängerter Eckzähne; der langſame, ſpät eintretende Zahnwechſel dagegen verrät wieder eine höhere Stufe. Schließlich zeigt ſich auch in den Einzelheiten des verhältnismäßig kleinen Gehirns und in der Lagerung des Herzens eine Mittelſtellung zwiſchen den Menſchen- und den übrigen Affen. Alles in allem weiſt man den Gibbons heute ihre Stelle neben den eigentlichen Menſchen— affen an, mit denen man ihnen keinen unmittelbaren Zuſammenhang mehr zuſchreibt; vielmehr glaubt man an ihre ſelbſtändige Entwickelung aus niederen Affenformen. Das ſchließt jedoch große Menſchenähnlichkeit in vielen Beziehungen keineswegs aus; dieſe fällt vielmehr angeſichts der Gibbons auch dem Unkundigen ſofort auf trotz der entſtellenden „Uberarme“, und beim Gibbonkeimling, bei dem dieſe ſich erſt ſpät entwickeln, iſt die Menſchenähnlichkeit ſogar für den Forſcher geradezu überraſchend, wie Selenkas klaſſiſche Unterſuchungen dargetan haben. So leuchtet auch unſchwer ein, daß die foſſilen Vorfahren der Gibbons, die auf der Sonder- bahn der Armentwickelung noch weiter zurück waren, noch ungleich menſchenähnlicher wirken müſſen, und das erklärt es wieder, daß man Dubois' vielberegten Aufrechtgehenden Affen— - menjchen, Pitliecantlropus erectus, von gewiſſer Seite als Gibbon hat anſprechen wollen: | | 1 W Allgemeines. 613 ſchließlich nur eine andere Ausdrucksform für die Tatſache, daß wir nur jo ungefähr und nicht anders uns das geſuchte Zwiſchenglied vorſtellen können! Die Gibbons verbreiten ſich in zwei Gattungen und einer größeren Anzahl zum Teil ſehr ähnlicher Arten über Hinterindien und die zugehörige Inſelwelt, auch die Inſel Hainan. Mit dieſen „Arten“ hat es aber ſeine eigene, anſcheinend recht zweifelhafte Bewandtnis. Sagt doch ſelbſt Elliot in ſeinem großen Affenwerk, der von ihm angegebene Beſtimmungsſchlüſſel beſchreibe nur den „typiſchen Stil“ der anerkannten Arten, dieſe ſeien aber alle der Abände— rung unterworfen, manche ſogar im denkbar höchſten Maße, derart daß unter den ſchwarzen Arten zur Ausartung ins Weiße neigende Stücke in verſchiedenen Abänderungsſtufen und vielfältigen Farbentönen vorkämen und anderſeits bei den hellen wieder ganz oder teilweiſe ſchwarze; die Gibbonſammlung eines Muſeums bilde daher immer eine geradezu verwirrende Maſſe von ein- und mehrfarbigen Fellen. Und dieſe abweichenden Stücke find nicht etwa auf beſtimmte Fundorte beſchränkt, ſondern kommen in derſelben Gegend, ja ſogar in derſelben Herde vor, was unwiderleglich beweiſt, daß alle dieſe Farbenabänderungen für die Syſtematik keine Bedeutung haben, ſondern nur Launen der Natur und ernſthafter wiſſenſchaftlicher Be— trachtung nicht wert ſind. So Elliot, dem wir alles gern glauben, nur die letzten Worte nicht; denn für die lebendige Forſchung haben gerade ſolche abändernde Arten die größte Be— deutung unter dem höheren Geſichtspunkte, daß ſie uns heute noch den Zuſtand nicht völliger Verfeſtigung und Erſtarrung vor Augen führen, in dem wohl oder übel alle Arten einmal geweſen ſein müſſen. Im Londoner Zoologiſchen Garten iſt es ſogar vorgekommen, daß ein Gibbon ſeine Farbe von Rotgelb in Schwarz wechſelte, und neuerdings hat der franzöſiſche Siam⸗Reiſende Boutan feſtgeſtellt, daß in den kleinen, 6—7 Stück umfaſſenden Trupps des Weißwangen⸗Gibbons (Hylobates leucogenys Og.) ſtets neben der Mehrzahl der regelrecht gefärbten ſchwarzen Stücke mit weißem Bart eine Minderzahl von goldgelben ohne ſolchen zu beobachten iſt, die Pouſargues einem Prinzen von Orleans zu Ehren H. henrici Pous. genannt hat. Ein Gibbon von Hainan, der, nachweislich ſieben Jahre alt, in den Londoner Garten kam, war, als der Vorbeſitzer ihn ſeinerzeit, etwa halbjährig, von Eingeborenen kaufte, dunkel rauchgrau, wurde aber bald ſchwarz und blieb ſo die ganzen Jahre. In London färbte er ſich dann binnen weniger Wochen wieder ſo weit in Grau um, daß dem Vorbeſitzer die Veränderung auffiel; dieſe ſchritt in der Zeit vom März bis zum Hochſommer derart fort, daß das Tier gar nicht mehr wiederzuerkennen war, und im Frühherbſt war es vollkommen ſilber— grau bis auf ein ſchwarzes, nach den Seiten und nach hinten verbleichendes Mittelband auf dem Kopfe. Ein Männchen dagegen, das der Vorbeſitzer des Londoner Weibchens als ungefähr zwölfjährig kannte, war und blieb ſchwarz. Pocock möchte daraus, aus älteren Angaben des Formoſaforſchers Swinhoe und anderen guten Gründen ſchließen, daß die Umfärbung in Grau eine Eigentümlichkeit des fortpflanzungsfähig gewordenen Weibchens iſt. Unter dieſen Umſtänden und bei dieſem Stande der Kenntnis ſeien aus der typiſchen Gattung Hylobates III. nur die folgenden Arten ganz kurz gekennzeichnet: Der Hulock, Hy- lobates hoolock Harl. (Taf. „Affen V“, 7, bei S. 603), iſt ein Langarmaffe von etwa 0,90 m Höhe. Sein Pelz iſt bis auf eine weiße Stirnbinde kohlſchwarz, der des Jungen ſchwarzbraun, an den Gliedmaßen längs der Mittellinie des Leibes und auf dem Rücken aſchgrau. Nach Blanford find jedoch heller gefärbte Hulocks, bräunlichſchwarze bis hell gelblichgraue, durchaus nicht ſelten; es ſcheinen immer die Weibchen zu ſein. Der Hulock bewohnt Hinterindien und findet ſich, laut Blanford, in den waldigen Berggegenden ſüdlich von Aſſam bis hinab durch Arakan, nach Anderſon bis Martaban, ferner unterhalb Bhamo im Irrawadditale, in Oberburma 614 18. Ordnung: Affen. Familie: Gibbons. und bis zur Oſtgrenze von Yünnan. Den Namen, eigentlich Uluk, haben ihm die Hindus nach ſeinem ſehr lauten Ruf gegeben. Der Lar oder Weißhändige Gibbon, Hylobates lar L. (Taf. „Affen V“ 10, bei S. 603), wird ungefähr ebenſo groß wie der Hulock, hat ſchwarzgraue Färbung, lohfarbenes, rings von weißen Haaren umgebenes Geſäß, ſtets hellfarbige Hände und Füße ſowie ein an den nackten Teilen ſchwarzes, meiſtens von einem weißlichen Haarkranz umrahmtes Geſicht. Die Geſamtfärbung wechſelt von Schwarz bis Gelblichweiß; hellfarbige Tiere ſollen viel häufiger als beim Hulock vorkommen und in manchen Gegenden überwiegen. Als Vaterland iſt die Malaiiſche Halbinſel und Tenaſſerim, wo der Lar bis 1100 m hoch über dem Meere lebt, zu betrachten. Tickell behauptet, daß dieſer Gibbon bis zur Nordgrenze von Pegu, und Anderſon, daß er ſogar in Arakan vorkomme. Der Unka oder richtiger Ungka, Ungka puti, Hylobates agilis Desm. (variegatus, rafflesi), von Sumatra, iſt einer der veränderlichſten in der Farbe und ſchwankt zwiſchen Gelb— lichweiß und Kohlſchwarz, nur vielleicht noch mit einem ſchmalen, weißen Überaugenſtreif. Das hat natürlich viel Verwirrung geſtiftet und ihm viele lateiniſche Namen verſchafft. Roſen⸗ berg fand ihn in Gebirgswäldern bis zu 1000 m Höhe. Der richtige Wauwau oder Silbergibbon von Java dagegen, Hylobates leuciscus E. Geoffr. (Taf. „Affen V“, 9, bei S. 603), ändert weniger ab, eigentlich nur in der ſtärkeren oder ſchwächeren Ausbildung eines ſchwarzen Querfleckes auf dem W und eines weißen oder grauen Haarkranzes um das ſchwärzliche Geſicht. Eine beſondere Gattung (Symphalangus Glog., Siamanga) bildet der Siamang, 8. syndactylus Desm. (Taf. „Affen V“ 8, bei S. 603), wegen der vom Grunde bis zur Hälfte verwachſenen Zeige- und Mittelzehe und des nackten Kehlſackes. Er iſt der größte aller Lang⸗ armaffen und auch dadurch ausgezeichnet, daß ſeine Arme verhältnismäßig weniger lang als die der anderen Arten erſcheinen. Duvaucel nennt ihn mit Recht häßlich, „beſonders deshalb, weil die niedrige Stirn bis auf die Augenbrauenbogen verkümmert iſt, die Augen tief in ihren Höhlen liegen, die Naſe breit und platt erſcheint, die ſeitlichen Naſenlöcher aber ſehr groß ſind und das Maul ſich fait bis auf den Grund der Kinnladen öffnet. Gedenkt man ſonſt noch des nackten Kehlſackes, der ſchmierig und ſchlaff wie ein Kropf am Vorderhalſe herabhängt und beim Schreien ſich ausdehnt, der gekrümmten, einwärts gekehrten Glied— maßen, die ſtets gebogen getragen werden, der unter vorſtehenden Höckern eingeſenkten Wangen und des verkümmerten Kinnes, ſo wird man ſich ſagen müſſen, daß unſer Affe nicht zu den ſchönſten Vertretern ſeiner Ordnung gehört. Ein dichter, aus langen, weichen und glänzenden Haaren gebildeter Pelz von tiefſchwarzer Farbe deckt den Leib; nur die Augenbrauen ſind rot— braun. Auf dem Hodenſacke ſtehen lange Haare, die, nach Ae gekehrt, einen nicht ſelten bis zu den Knieen herabreichenden Pinſel bilden. Die Haare richten ſich am Vorderarme rück⸗ wärts, am Oberarme vorwärts, ſo daß am Ellbogen ein Buſch entſteht.“ Es kommen auch Weißlinge vor; C. Bock erhielt einen ſolchen lebendig. Ausgewachſene Männchen erreichen Im an Höhe, klaftern aber beinahe das Doppelte. Der Siamang eigentlich Amang; denn „Si“ heißt im Malaiiſchen „der“ — iſt in den Waldungen von Sumatra gemein und wurde von tüchtigen, Forſchern in der Freiheit wie in Gefangenſchaft beobachtet. Er lebt aber auch auf der Malaiiſchen Halbinſel, Wray hörte ihn dort im Gebirge noch 6— 7000 engl. Fuß hoch, und auf dem Padanger Hochlande Lar. Unka. Wauwau. Siamang. 615 Sumatras bildet der Siamang ſogar in 1450 m Meereshöhe ſchon eine beſondere Höhenform, die Pohl ihrem Entdecker zu Ehren als Unterart volzi beſchrieb auf Grund ihres langen, rauhen, zottigen und glanzloſen Haares. Auf den kleinen Pageh-Inſeln ſüdlich von Sumatra lebt noch eine Inſel-Zwergform (Unterart klossi Mill.) mit weichem, ſeidigem Haar. Ihre ganze Ausrüſtung weiſt die Langarmaffen zum Klettern an, und zwar zu jenem eigen— artigen hängenden und ſchwingenden Klettern, das ihnen ihre verlängerten Arme und Hände mit den kleinen, weit zurückliegenden Daumen ermöglichen. Wie lang im Verhältniſſe dieſe Arme ſind, wird am deutlichſten klar, wenn man vergleicht. Ein Menſch klaftert, wie bekannt, ebenſo weit, als er lang ift: der Gibbon aber klaftert faſt das Doppelte ſeiner Leibeslänge; ein aufrecht ſtehender Mann berührt mit ſeinem ſchlaff herabhängenden Arme kaum ſein Knie, der Gibbon hingegen ſeinen Knöchel. Daß ſolche Arme beim Gehen auf allen vieren faſt unbrauchbar ſind, iſt erklärlich: ſie eignen ſich bloß zum Klettern. Deshalb iſt der Gang der Langarmaffen ein unſicheres Schwanken auf den Hinterfüßen, ein ungelenkes Dahinſchieben des Leibes, der nur durch die ausgeſtreckten Arme im Gleichgewichte erhalten werden kann, das Klettern und Zweigtanzen der Tiere aber ein luſtiges, köſtliches Bewegen, ſcheinbar obne Grenzen, ohne Bewußtſein des Geſetzes der Schwere. Die Gibbons ſind auf der Erde fremd, im Gezweige jedoch das gerade Gegenteil: wahre Vögel in Affengeſtalt. Trotzdem und alledem aber gehen ſie von allen „Vierhändern“ noch am beſten und am liebſten aufrecht, und anderſeits ſind ihre berühmten Sprünge mehr ein Emporſchnellen und Wiederherabfallen mit Hilfe des biegſamen Baumgeäſtes. Zu ſelbſttätigen großen Sprüngen nach oben er— ſcheinen die Hinterglieder zu ſchwach. Der Ungka macht, nach Duvaucel, Sprünge von 40 engl. Fuß (über 12 m) und fängt Vögel im Fluge. Er lebt angeblich mehr paarweiſe. Der Lar dagegen ſchart ſich zu Banden von 6— 20, jung wie alt und beide Geſchlechter beiſammen. In ſeinem Weſen ſoll er, laut Tickell, nicht ganz ſo lebhaft und behende ſein wie der Hulock; er iſt auch etwas ſchwerer gebaut als dieſer. Auch er trinkt, wie Hulock und Sia— mang, indem er mit der Hand das Waſſer ſchöpft und das von den Fingern träufelnde auf— leckt. So trinken die Gibbons jedenfalls alle, und das zunächſt ſo töricht erſcheinende „Hand— trinken“ erklärt ſich ſehr zwanglos und triftig aus dem Freileben dieſer bodenfeindlichen Tiere, die auch an ihren Dſchangelwäſſern gewiß hängend trinken, indem ſie die Hand eintauchen und namentlich den haarigen Handrücken ablecken. Hat dann ein Weibchen ein Junges an der Bruſt hängen, ſo entſteht leicht der Anſchein, als ob es das Kleine „waſche“. Auf dieſe Weiſe erklärt Pocock ſehr einfach und einleuchtend unwahrſcheinliche Angaben älterer Reiſen— den. Auch das Geſchrei des Lars wird als durchaus verſchieden von dem des Hulocks ge— ſchildert, und der Hainan-Gibbon ſchreit wieder anders; das konnte im Londoner Tiergarten vergleichend beobachtet werden. Während der Hulock in zwei verſchiedenen Tonlagen ſchreit, etwa wie: hahu, hahu, haha, huhah, hält ſich der hoch einſetzende Triller des Hainan-Gibbons auf der gleichen Tonhöhe und iſt noch ſchriller als der höhere Ton des Hulocks. Er beſteht aus 3—6 Lauten, die in ſehr raſcher Folge wiederholt werden; Pocock ſpricht auf Grund ſeiner Beobachtungen jedoch die feſte Meinung aus, daß dabei nicht die Zunge, wie man denken ſollte, ſondern nur die Lippen tätig ſind. Dann folgt ein Augenblick Pauſe und aber— mals eine Wiederholung, ungefähr ſo: ha, ha, hu, hu; hu, hu, hu; hu, hu, hu, hu, hu uſw. Der Lar bedient ſich im Gezweige der Bäume ſo ausſchließlich ſeiner Vorderglieder, daß er irgendwelche Gegenſtände, die er mitnehmen will, lediglich mit den Füßen hält, beſonders, wenn er fliehend geraubte Früchte in Sicherheit bringen will. 616 18. Ordnung: Affen. Familie: Gibbons. Am ſchwerfälligſten bewegt ſich, ſeiner Geſtalt entſprechend, der Siamang, da er nicht bloß langſam geht, ſondern auch etwas unſicher klettert und nur im Springen ſeine Behen⸗ digkeit bekundet. Aber auch die übrigen vermögen auf dem Boden nur ſchwer fortzukommen. „Im Zimmer oder auf ebener Erde“, ſagt Harlan von den Hulocks, „gehen ſie aufrecht und halten das Gleichgewicht ziemlich gut, indem ſie ihre Hände bis über den Kopf erheben, ihre Arme an dem Handgelenke und im Ellbogen leiſe biegen und dann rechts und links wankend ziemlich ſchnell dahinlaufen. (Vgl. Taf. „Stellungen verſchiedener Menſchenaffen I“, bei S. 622.) Treibt man ſie zu größerer Eile an, ſo laſſen ſie ihre Hände auf den Boden reichen und helfen ſich durch Unterſtützung ſchneller fort. Sie hüpfen mehr, als ſie laufen, halten den Leib jedoch immer ziemlich aufrecht.“ Von den übrigen wird geſagt, daß es ausſehe, als ob der Leib nicht allein zu lang, ſondern auch viel zu ſchwer ſei für die kurzen und dünnen Schenkel, ſich deshalb vorn überneige, und daß ihre beiden Arme beim Gehen gleichſam als Stelzen benutzt werden müßten. „So kommen ſie ruckweiſe vorwärts, vergleichbar einem auf Krücken humpelnden Greiſe, welcher eine ſtärkere Anſtrengung fürchtet.“ Ganz das Gegen— teil findet ſtatt, wenn ſie ſich kletternd bewegen. it unglaublicher Raſchheit und Sicherheit erklettert der Wauwau, laut Duvaucel, einen Bambusrohrſtengel, einen Baumwipfel oder einen Zweig, ſchwingt ſich auf ihm einige— mal auf und nieder oder hin und her und ſchnellt ſich nun, durch den zurückprallenden Aft unterſtützt, mit ſolcher Leichtigkeit über Zwiſchenräume von 12—13 m hinüber, drei-, vier⸗ mal nacheinander, daß es ausſieht, als flöge er wie ein Pfeil oder ein ſchief abwärts ſtoßen⸗ der Vogel. Er ſpringt ohne Not über Zwiſchenräume, was er durch kleine Umwege leicht ver— meiden könnte, ändert im Sprunge die Richtung und hängt ſich an den erſten beſten Zweig, ſchaukelt und wiegt ſich an ihm, erſteigt ihn raſch, federt ihn auf und nieder und wirft ſich wieder hinaus in die Luft, mit unfehlbarer Sicherheit einem neuen Ziele zuſtrebend. In den Kakhyen-Bergen an der Oſtgrenze von Münnan, wo der Hulock gemein iſt, konnte Anderſon bei Tagesanbruch an den Rufen der Banden, die von ihren Schlafplätzen in den tiefen, warmen Tälern nach einer Höhe von ungefähr 4000 engl. Fuß (1200 m) zogen, beurteilen, wie erſtaunlich raſch ſie im Gezweige vorwärtskamen. Von ſeinem mittleren Standpunkt aus hörte er erſt ein ſchwaches Murmeln; das wurde aber mit jeder Minute deutlicher, bis ſchließ— lich die ganze Herde mit einem wahren Sturmgebraus von Tönen, „huoko, huoko“ ſchreiend, vorbeiflog. Wenige Minuten ſpäter ertönten dann die Schreie ſchon hoch oben am Berge. An einem weiblichen Wauwau, den man lebend nach London brachte, wollte man die Bewegungsfähigkeit ſeiner Sippſchaft prüfen und richtete ihm deshalb einen großen Raum deſonders her. Hier und da, in verſchiedenen Entfernungen, ſetzte man Bäume ein für das Kind der Höhe, um ſeinen wundervollen Bewegungen Spielraum zu gewähren. Die größte Weite von einem Aſte zum anderen betrug nur 6 m — wenig für einen Affen, der in der Freiheit das Doppelte überfliegen kann, viel, ſehr viel für ein Tier, das, ſeiner Freiheit be⸗ raubt, in ein ihm fremdes und feindſeliges Klima gebracht und ſeiner urſprünglichen Nahrung entwöhnt worden war, das eben erſt eine ſo lange, entkräftende Seereiſe überſtanden hatte. Doch trotz all dieſer mißlichen Umſtände gab der Gibbon derartige Beweiſe ſeiner Bewegungs— fähigkeit zum beſten, daß, wie mein Gewährsmann ſagt, „alle Zuſchauer vor Erſtaunen und Bewunderung geradezu außer ſich waren“. Es war ihm eine Kleinigkeit, ſich von einem Aſte auf den anderen zu ſchwingen, ohne die geringſte Vorbereitung dazu merken zu laſſen, und er erreichte das erſtrebte Ziel mit unwandelbarer Sicherheit. Er konnte ſeine Luftſprünge lange Zeit ununterbrochen fortſetzen, ohne dazu einen neuen erſichtlichen Anſatz zu nehmen; — * Langarmaffen: Freileben. Bewegungen. Nahrung. 617 den zum Sprunge nötigen Abſtoß gab er ſich während der augenblicklichen Berührung der Aſte, die er ſich zum Auffußen erwählt hatte. Ebenſo ſicher wie ſeine Bewegungen waren bei ihm Auge und Hand. Die Zuſchauer beluſtigten ſich, ihm während ſeiner Sprünge Früchte zuzuwerfen: er fing fie auf, während er die Luft durchſchnitt, ohne es der Mühe wert zu achten, deshalb ſeinen Flug zu unterbrechen. Er hatte ſich ſtets und vollkommen in ſeiner Gewalt. Mitten im ſchnellſten Sprunge konnte er die begonnene Richtung ändern; während des kräf— tigſten Dahinſchießens erfaßte er einen Zweig mit einer ſeiner Vorderhände, zog mit einem Rucke die Hinterfüße zu gleicher Höhe empor, packte mit ihnen den Aſt und ſaß im Augen— blicke ſo ruhig da, als wäre er nie in Bewegung geweſen. Um ſo bemerkenswerter iſt eine Beobachtung von H. O. Forbes über den Siamang. Er ſagt: „Daß dieſe Affen in ſo weiten Entfernungen von Baum zu Baum ſpringen, wie man jagt, halte ich für unrichtig; denn wenn beim Fällen des Waldes nahe beim Dorfe eine Ge— ſellſchaft von Siamangs von den nächſten Bäumen nur 30 Fuß weit abgeſchnitten wurde, kletterten fie bei jedem Axtſtreich in höchſter Angſt am Baume auf und nieder und wagten nicht, den Zwiſchenraum zu überſpringen; ſelbſt wenn der Baum fiel, wagten ſie nicht, ſich durch Herabſpringen zu retten, ſondern ließen ſich durch deſſen Sturz zerſchmettern.“ Daraus dürfte indeſſen noch nicht zu ſchließen ſein, daß ſie einen Raum von 10 m, zumal ſchräg abwärts, nicht durchmeſſen können; es wäre doch möglich, daß ſie, durch ihre ungewöhnliche und bedrohte Lage geängſtigt und verwirrt, nicht daran denken, ſich in der geläufigen Weiſe zu retten. Wallace jagt zwar ebenfalls, daß der Siamang ſich viel langſamer als andere Gibz bons bewege und nicht die „ungeheuren Sprünge“ liebe, gibt aber doch an, daß auch er ſich „zwiſchen weit auseinanderſtehenden Bäumen hin und her ſchwinge“. Die Beobachtung der Gibbons im Freileben hat übrigens ihre Schwierigkeiten, weil faſt alle Arten den Menſchen meiden und nur ſelten an die Blößen in den Waldungen heran— kommen. „Meiſt leben ſie“, ſagt Duvaucel von den Siamangs, „in zahlreichen Herden, die von einem Anführer geleitet werden. Überraſcht man ſie auf dem Boden, ſo kann man ſie auch gefangennehmen; denn entweder hat der Schreck fie ſtutzig gemacht, oder ſie fühlen ſelbſt ihre Schwäche und erkennen die Unmöglichkeit zu entfliehen. Die Herde mag ſo zahlreich ſein, wie ſie will, ſtets verläßt ſie den verwundeten Gefährten, es ſei denn, daß es ſich um einen ganz jungen handelt. In ſolchem Falle ergreift die Mutter ihr Kind, verſucht zu fliehen, fällt vielleicht mit ihm nieder, ſtößt dann ein heftiges Schmerzensgeſchrei aus und ſtellt ſich dem Feinde mit aufgeblaſenem Kehlſacke und ausgebreiteten Armen drohend entgegen.“ Die Malaien berichten auch, daß die Siamangs öfters den Tigern zur Beute würden, was, wenn überhaupt wahr, nichts anderes ſagen will, als daß die Todesangſt die Affen vollſtändig ſinnlos macht. Über die Hulocks liegen ebenfalls ziemlich ausführliche Berichte vor. Dieſe Affen halten ſich, laut Harlan, vorzüglich auf niedrigen Bergen auf, da fie Kälte nicht ertragen können. Ihre Nahrung beſteht aus Früchten; doch verzehren ſie auch gewiſſe Gräſer, zarte Baumzweige und andere Pflanzenteile, kauen dieſelben aus und verſchlucken den Saft, während ſie die ausgekaute Maſſe wegwerfen. Blanford teilt jedoch mit, daß ſie, wie eigentlich von allen Affen zu erwarten, auch Inſekten, beſonders Spinnen, ſehr gern freſſen. Candler bezweifelt das nicht, hat aber die Erfahrung gemacht, daß gefangene Hulocks ſolche Inſekten, wie Schmetter⸗ linge, ablehnten, vielleicht wegen bitteren Geſchmacks; ebenſo aber auch Eier. Wenn man ihnen Inſekten oder kleine Vögel gibt, ſo werden ſie ſie immer in Stücke reißen und wohl auch einmal hineinbeißen und koſten; daraus darf man aber noch nicht ſchließen, daß derartiges in der Freiheit zu ihrer regelmäßigen Nahrung gehört. Dieſe beſteht vielmehr, nach Candler, 618 18. Ordnung: Affen. Familie: Gibbons. gewiß in der Hauptſache aus Früchten und den ſaftigen Schößlingen von Bambus und allerlei Waldbäumen. Candler findet die Hulocks äußerſt ſcheu und ſchwer zu beobachten. Im Katſchar⸗ dſchangel von Manipur hört man ihr Geſchrei ringsum, wenn man auf einem Urwaldpfad dahintrabt; ſobald man aber den Weg verläßt oder ſich ſonſt um fie kümmert, herrſcht Todes- ſtille, bis man, des Wartens überdrüſſig, ſeinen Weg fortſetzt. Der Ruf klingt ſehr angenehm, anſchwellend und abnehmend und erinnert etwas an den „Hals“ einer Meute Haſenhunde. Man hört ihn beſonders am frühen Morgen; in der heißen Tageszeit verſtummt er und läßt ſich erſt abends bei Sonnenuntergang wieder vernehmen. Man hat ihn als „Hulu, hulu“ mit dem Ton auf dem Hu niederſchreiben wollen; er iſt aber nach Candlers Überzeugung nicht mit Buchſtaben wiederzugeben. Bei ſeinen täglichen Ritten durch den Dſchangel ſchien es unſerem Beobachter, als ob die Hulocks ihr Wohngebiet ganz planmäßig zur Nahrungsſuche vornähmen, wie der Pflanzer die verſchiedenen Teile ſeiner Teeplantage. Erfüllten ſie nämlich heute ein gewiſſes Revier mit ihrem Geſchrei, ſo war da morgen nichts mehr zu hören; wohl aber kehrten ſie vielleicht eine Woche ſpäter an dieſelbe Stelle zurück. In früheren Zeiten waren ſie anſcheinend weniger ſcheu, vielleicht im Zuſammenhang mit der geringen Beſiedelung durch Weiße. Nach Owen, der faſt zwei Jahre lang im Wohngebiete der Hulocks lebte, bilden dieſe die größten Herden, vereinigen ſich in ihren Wäldern zu Scharen von 50 bis über 100 Stück. Alte Männchen ſondern ſich, laut Blanford, auch von den Banden ab und führen, wie dies bei ſo vielen Säugetieren vorkommt, ein einſames Daſein. Gewöhnlich bemerkt man e in den Wipfeln der Lieblingsbäume, auf deren Früchte ſie beſonders erpicht ſind; manchmal aber kommen ſie auf Fußpfaden aus dem dichten Walde heraus in die offenen Lichtungen. Eines Tages begegnete Owen plötzlich einer Geſellſchaft von ihnen, die ſich fröhlich beluſtigten, bei ſeiner Annäherung aber ſogleich Lärm ſchlugen und in das Bambusdickicht entflohen; ein andermal hingegen ſah er ſich, während er auf einer neu angelegten Straße einſam einher⸗ ſchritt, unvermutet von einer großen Geſellſchaft unſerer Affen umgeben, die zwar überraſcht, noch mehr jedoch erzürnt ſchienen über das Eindringen eines fremdartig gekleideten Weſens in den Bereich ihrer Herrſchaft. Sie ſind, wie mir Haßkarl mitteilt, ebenſo vorſichtig wie neu— gierig und erſcheinen daher nicht ſelten am Rande eines freien, zum Feldbau entholzten Platzes, namentlich da, wo ſie noch nicht durch Jäger ſcheu gemacht worden ſind, verſchwinden aber im Augenblicke, ſobald ſie bemerken, daß man ſie beobachtet oder ſich ihnen nähert. Um jo öfter hört man fie. Bei Sonnenauf- und -untergang pflegen fie ihre laut ſchallenden Stimmen zu einem ſo furchtbaren Geſchrei zu vereinigen, daß man taub werden möchte, wenn man nahe, und daß man wahrhaft erſchrickt, wenn man die ſonderbare Muſik nicht gewohnt iſt. Sie ſind die Brüllaffen der Alten Welt, die Wecker der malaiiſchen Berg⸗ bewohner und zugleich der Arger der Städter, denen ſie den Aufenthalt in ihren Landhäuſern verbittern. Man ſoll ihr Geſchrei auf eine engliſche Meile weit hören können. Von gefangenen Langarmaffen hat man es auch oft vernommen, und zwar von denen, die Kehlſäcke beſitzen, ebenjogut wie von denen, welchen dieſe Stimmverſtärkungstrommeln fehlen. Ein guter Be⸗ obachter, Bennett, beſaß einen lebenden Siamang und bemerkte, daß dieſer, wenn er irgendwie erregt war, jedesmal die Lippen trichtermäßig vorſtreckte, dann Luft in die Kehlſäcke blies und nun lospolterte, faſt wie ein Truthahn. Er ſchrie ebenſowohl bei freudiger wie bei zorniger Aufregung. Auch das Ungkaweibchen in London ſchrie zuweilen laut, und zwar in höchſt eigentümlicher, muſikaliſcher Weiſe. Man konnte das Geſchrei ſehr gut in Noten wieder— geben. Es begann mit dem Grundtone E und ſtieg dann in halben Tönen eine volle Oktave hinauf, die chromatiſche Tonleiter durchlaufend. Der Grundton blieb ſtets hörbar und diente — . «» 9 ͥ, in Langarmaffen: Stimme. Fortpflanzung. Geiſtige Fähigkeiten. 619 als Vorſchlag für jede folgende Note. Im Aufſteigen der Tonleiter folgten ſich die einzelnen Töne immer langſamer, im Abſteigen aber ſchneller und zuletzt außerordentlich raſch. Den Schluß bildete jedesmal ein gellender Schrei, der mit aller Kraft ausgeſtoßen wurde. Die Regelmäßigkeit, Schnelligkeit und Sicherheit, mit der das Tier die Tonleiter herſchrie, erregte allgemeine Bewunderung. Es ſchien, als ob die Affin ſelbſt davon im höchſten Grade auf— geregt werde; denn jede Muskel ſpannte ſich an, und der ganze Körper geriet in zitternde Be— wegung. Auch vom Lar hat Tickell das Geſchrei ſehr genau in Noten aufzeichnen können. Ein Hulock, den ich vor geraumer Zeit lebend im Londoner Tiergarten ſah, ließ ebenfalls ſehr gern ſeine Stimme erſchallen, und zwar zu jeder Tageszeit, ſobald er von dem Wärter angeſprochen oder von ſonſt jemand durch Nachahmung ſeiner Laute hierzu angereizt wurde. Ich darf be— haupten, daß ich niemals die Stimme eines Säugetiers, den Menſchen ausgenommen, gehört habe, die volltönender und wohllautender mir in das Ohr geklungen hätte als die des gedachten Langarmaffen. Zuerſt war ich erſtaunt, ſpäter entzückt von dieſen aus tiefſter Bruſt hervor— kommenden, mit vollſter Kraft ausgeſtoßenen und durchaus nicht unangenehmen Tönen, die ſich vielleicht durch die Silben hu, hu, hu einigermaßen wiedergeben laſſen. Andere Arten ſollen einen viel weniger angenehmen Ruf ausſtoßen. So beginnt der Wauwau, wie mir Haßkarl mitteilt, mit einigen vereinzelt ausgeſtoßenen Lauten: ua, ua; hierauf folgt ſchneller: ua, ua, ua; dann: ua, una, ua, ua, und zuletzt wird der Ruf immer kläglicher und raſcher, das u kürzer, jo daß es faſt wie w klingt, das a länger, und nunmehr fällt die ganze Ge— ſellſchaft mit gleichen Lauten in den Vortrag des Sängers ein. Ahnlich „ſangen“ auch vier Silbergibbons, die neuerdings im Breslauer Tiergarten gepflegt werden. Der größte ſtimmte an: kurz abgeriſſene, bellende Laute, die immer häufiger und lauter wurden. Allmählich fielen die übrigen ein, die Schreie wurden ſo ſtark, daß man ſie weit im Umkreis hörte, und gingen dann in eine allmählich abnehmende Tonleiter zwitſchernder Laute über, die an Vogelgeſang erinnerten, wobei der ganze Körper der Tiere heftig erzitterte. Zur Fortpflanzung wird vom Lar berichtet, daß das Junge zu Anfang des Winters geboren wird und ſich beinahe ſieben Monate von der Mutter mitſchleppen läßt, ehe es ſich ſelbſtändig macht. Über die geiſtigen Fähigkeiten der Langarmaffen ſind die Meinungen der Beobachter geteilt. Duvaucel ſtellt dem Siamang ein ſehr ſchlechtes Zeugnis aus. „Zwar wird er, unter Menſchen gebracht, bald ſo ſanft, wie er wild war, und ſo vertraulich, wie er vorher ſcheu war, bleibt aber immer furchtſamer als die anderen Arten, deren Anhänglichkeit er niemals erlangt, und ſeine Unterwürfigkeit iſt mehr Folge ſeiner unbeſchreiblichen Gleichgültigkeit els des gewonnenen Zutrauens. Er bleibt derſelbe bei guter und ſchlechter Behandlung ... Meiſtens ſitzt er zuſammengekauert, von ſeinen eigenen langen Armen umſchlungen, den Kopf zwiſchen den Schenkeln verborgen, und ruht und ſchläft. Nur von Zeit zu Zeit unterbricht er dieſe Ruhe und ſein langes Schweigen durch ein unangenehmes Geſchrei, das weder Empfindung noch Bedürfniſſe ausdrückt, alſo ganz ohne Bedeutung iſt. Selbſt der Hunger ſcheint ihn aus ſeiner natürlichen Schlaftrunkenheit nicht zu erwecken. In der Gefangenſchaft nimmt er ſeine Rahrung mit Gleichgültigkeit hin, führt fie ohne Begierde zum Munde und läßt fie auch ohne Unwillen ſich entreißen. Seine Weiſe, zu trinken, ſtimmt ganz überein mit ſeinen übrigen Sitten. Er taucht ſeine Finger ins Waſſer und ſaugt dann die Tropfen von ihnen ab.“ Auch C. Bock nennt ihn in der Gefangenſchaft träge und dumm. Derartige Erfahrungen an ein zelnen Tieren dürfen aber nicht ganz allgemein aufgefaßt werden, zumal die übrigen Beobachter weit günſtiger über unſeren Afjen berichten. I 620 18. Ordnung: Affen. Familie: Gibbons. H. O. Forbes erhielt einen jungen Siamang, der mit ſeiner geſchoſſenen Mutter vom Baume geſtürzt war: „In ſehr kurzer Zeit ließ er ſich zähmen und wurde ein ſehr angenehmer Geſellſchafter. Der Ausdruck ſeines Geſichtes war ſehr intelligent und bisweilen faſt menſch⸗ lich; aber in der Gefangenſchaft zeigte er ein trauriges und gedrücktes Weſen, welches jedoch in der Aufregung gänzlich verſchwand. Mit welcher Eleganz und Artigkeit nahm er das, was man ihm bot, mit ſeinen zarten, ſpitzen Fingern! Um zu trinken, legte er nicht die Lippen an das Gefäß, ſondern hob das Waſſer zum Munde, indem er ſeine halbgeſchloſſene Hand eintauchte und die Tropfen linkiſch von den Fingern ableckte. Die artige, liebkoſende Weiſe, wie er ſeine langen Arme um meinen Hals und ſeinen Kopf an meine Bruſt legte, wobei er ein zufriedenes Brummen hören ließ, war ſehr liebenswürdig. Jeden Abend pflegte er mit mir einen Gang um den Dorfplatz zu machen, mit ſeiner Hand auf meinem Arme. Es war ein merkwürdiger und lächerlicher Anblick, wie er aufrecht auf ſeinen etwas krummen Beinen in größter Haſt dahintrippelte, wobei er auf die ſeltſamſte Weiſe mit dem freien langen Arme über dem Kopfe hin und her ſchlenkerte, um ſich im Gleichgewichte zu halten.“ Bennett brachte einen Siamang faſt bis nach Europa herüber, und dieſer gewann ſich in ſehr kurzer Zeit die Zuneigung aller ſeiner menſchlichen Reiſegefährten. Er war ſehr freund— lich gegen die Matroſen und wurde bald zahm, war auch keineswegs langſam, ſondern zeigte große Beweglichkeit und Gewandtheit, ſtieg gern im Takelwerke umher und gefiel ſich in allerlei harmloſen Scherzen. Mit einem kleinen Papuamädchen ſchloß er zärtliche Freundſchaft und ſaß oft, die Arme um ihren Nacken geſchlungen, neben ihr, Schiffsbrot mit ihr kauend. Wie es ſchien, hätte er mit den übrigen Affen, die ſich an Bord befanden, auch gern Kameradſchaft gehalten; doch dieſe zogen ſich ſcheu vor ihm zurück und erwieſen ſich ihm gegenüber als ſehr ungeſellig. Dafür rächte er ſich aber. Sobald er nur immer konnte, fing er einen ſeiner mit—⸗ gefangenen Affen und trieb mit deſſen Schwanze wahren Unfug. Er zog den armen Geſellen an dem ihm ſelbſt fehlenden Anhängſel oft auf dem ganzen Schiffe hin und her oder trug ihn nach einer Rahe empor und ließ ihn von dort herunterfallen, kurz: machte mit ihm, was er wollte, ohne daß das ſo gepeinigte Tier jemals imſtande geweſen wäre, ſich von ihm zu be⸗ freien. Er war ſehr neugierig, beſah ſich alles und ſtieg auch oft an dem Maſte in die Höhe, um ſich umzuſchauen. Ein vorüberziehendes Schiff feſſelte ihn immer ſo lange auf ſeinem erhabenen Sitze, bis es aus dem Geſichtskreiſe entſchwunden war. Seine Gefühle wechſelten ſehr raſch. Er konnte leicht erzürnt werden und gebärdete ſich dann wie ein unartiges Kind, wälzte ſich, mit Verrenkung der Glieder und Verzerrung des Geſichts, auf dem Verdeck herum, ſtieß alles von ſich, was ihm in den Weg kam, und ſchrie ohne Unterlaß „ra! ra! ra!“ — denn mit dieſen Lauten drückt er ſtets ſeinen Arger aus. Er war lächerlich empfindlich und fühlte ſich durch die geringſte Handlung gegen ſeinen Willen ſogleich im Tiefinnerſten verlegt: ſeine Bruſt hob ſich, ſein Geſicht nahm einen ernſten Ausdruck an, und jene Laute folgten bei großer Erregung raſch aufeinander, wie es ſchien, um den Beleidiger einzuſchüchtern. Zum Bedauern der Mannſchaft ſtarb er, noch ehe er England erreichte. Ein Hulock, den Harlan fünf Monate lebendig beſaß, wurde in weniger als einem Monate ſo zahm, daß er ſich an der Hand ſeines Gebieters feſthielt und mit ihm umherging, wobei er ſich mit der anderen Hand auf den Boden ſtützte. „Auf meinen Ruf“, erzählt Harlan, „kam er herbei, ſetzte ſich auf einen Stuhl zu mir, um mit mir das Frühſtück einzunehmen, und langte ſich ein Ei oder einen Hühnerflügel vom Teller, ohne das Gedeck zu verunreinigen. Er trank auch Kaffee, Schokolade, Milch, Tee uſw., und obgleich er gewöhnlich beim Trinken nur die Hand in die Sa tauchte, jo nahm er doch darauf, wenn er durſtig war, das Langarmaffen: Gefangenleben. 621 Gefäß in beide Hände und trank nach menſchlicher Weiſe daraus. Die liebſten Speiſen waren ihm gekochter Reis, eingeweichtes Milchbrot, Bananen, Orangen, Zucker und dergleichen. Die Bananen liebte er ſehr, fraß aber auch gern Kerbtiere, ſuchte im Hauſe nach Spinnen und fing die Fliegen, die in ſeine Nähe kamen, geſchickt mit der rechten Hand. Gegen Fleiſchwaren ſchien er Widerwillen zu haben. Mein Gefangener war ein außerordentlich friedfertiges Ge— ſchöpf und gab ſeine Anhänglichkeit an mich in jeder Weiſe zu erkennen. Wenn ich ihn früh beſuchte, begrüßte er mich mit fröhlichem, lautſchallendem „ Wau! Wau! Waul, welches er wohl 5 —10 Minuten lang wiederholte und nur unterbrach, um Atem zu holen. Erſchöpft legte er ſich nieder, ließ ſich kämmen und bürſten und bekundete deutlich, wie angenehm ihm das war, indem er ſich bald auf die eine, bald auf die andere Seite legte, bald dieſen, bald jenen Arm hinhielt und, wenn ich mich ſtellte, als ob ich fortgehen wollte, mich am Arme oder Rocke feſthielt und mich wieder an ſich zog. Rief ich ihn aus einiger Entfernung, und erkannte er mich an meiner Stimme, ſo begann er ſogleich ſein gewöhnliches Geſchrei, bisweilen in klagender Weiſe, aber ſobald er mich ſah, ſogleich in gewöhnlicher Stärke und Heiterkeit ... Ein junges Weibchen derſelben Art, welches ich ebenfalls pflegte, ſtarb auf dem Wege nach Kalkutta an einem Lungenleiden. Während der Krankheit litt es augenſcheinlich große Schmerzen. Ein warmes Bad ſchien ihm Erleichterung zu verſchaffen und tat ihm ſo wohl, daß es, her— ausgenommen, ſich von ſelbſt wieder in das Waſſer legte. Sein Benehmen war ungemein ſanft, etwas ſchüchtern, Fremden gegenüber ſogar ſcheu. An mich aber hatte es ſich bereits nach einigen Tagen derartig gewöhnt, daß es ſchnell zu mir zurückgelaufen kam, wenn ich es an einen freien Platz geſetzt hatte, in meine Arme ſprang und mich umhalſte. Niemals zeigte es ſich boshaft, niemals biß es; ja ſelbſt gereizt verteidigte es ſich nicht, ſondern verkroch ſich lieber in einen Winkel.“ Auch das vorhin erwähnte Weibchen des Wauwau war liebenswürdig in ſeinem Be— tragen und höchſt freundlich gegen alle, denen es ſeine Zuneigung einmal geſchenkt hatte. Es unterſchied mit richtigem Gefühle zwiſchen Frauen und Männern. Zu erſteren kam es freiwillig herab, reichte ihnen die Hand und ließ ſich ſtreicheln; gegen letztere bewies es ſich mißtrauiſch, wohl infolge früherer Mißhandlungen, welche es von einzelnen Männern erlitten haben mochte. Vorher beobachtete es aber jedermann prüfend, oft längere Zeit, und faßte dann auch zu Männern Vertrauen, wenn dieſe ihm deſſen würdig zu ſein ſchienen. Alle, die den Hulock ſchildern, rühmen ſein lenkſames, liebenswürdiges Weſen. Auch alte werden in ganz kurzer Zeit zahm, und ſo kann es ſchließlich nicht wundernehmen, daß in Katſchar die Teepflanzer, laut Candler, Hulocks ſogar oft Jahr und Tag als halbe Haus— tiere halten, indem ſie ſie frei umherlaufen laſſen. Die Affen ſitzen oft tagelang in den Baum— wipfeln, dann aber plötzlich wieder beim Frühſtück auf der Stuhllehne, nehmen indes niemals etwas vom Tiſch, haben überhaupt tadelloſe Manieren und halten ihr Fell ſchön rein. Mit Sonnenuntergang kauern ſie ſich, feſt in eine Aſtgabel hineingedrückt, zum Schlafen nieder, laſſen in dieſem halbzahmen Zuſtande aber nur ſelten ihre Stimme hören; Candler meint: weil ihnen bei ihrem Einzelleben die Anregung durch die Genoſſen fehlt. Ein Siamang, der Moeſch in Bekalla auf Sumatra von Battakleuten gebracht wurde, ſah auf die anderen Affen in dem geräumigen Käfig von einem hohen Lieblingsplatze mit einer gewiſſen vornehmen Zurückhaltung herab und wußte ſich ſelbſt einen großen, zudringlichen Javaneraffen mit wuchtigen Maulſchellen ſeiner langen Arme vom Leibe zu halten. Kleinere Mitaffen faßte er manchmal am Schwanze und wirbelte ſie um ſeinen Kopf. Zu ſeinem Herrn faßte er ſofort Zutrauen, nahm ihm am erſten Tage und in der Folge täglich frühmorgens Bananen aus der 622 18. Ordnung: Affen. Familien: Gibbons und Menſchenaffen. Hand und ließ ſich ſtreicheln, ſelbſt die Hand anfaſſen und feſthalten, was Affen gemeinhin ſehr ungern tun. Seit Moeſchs Abreiſe nach Europa trauerte er, blickte immer nach der Tür, durch die ſein Herr zu kommen pflegte, verweigerte die Nahrung und war nach drei Tagen tot. Gleich erfreulich ſind in Europa und in unſeren Tiergärten die Erfahrungen in der Haltung von Gibbons durch deren Zahmheit und zutrauliche Lenkſamkeit; allermeiſt aber leider recht unerfreulich iſt ihre Haltbarkeit oder vielmehr Hinfälligkeit. Je lieber man ſolchen kleinen „Affenmenſchen“ dank ſeinem liebenswürdigen Weſen gewonnen hat, deſto ſchmerzlicher iſt es nachher für den Pfleger, ihn elend dahinſiechen zu ſehen. Immerhin gibt es rühmliche Ausnahmen, die wieder Mut machen können: ſo hat neuerdings ein Gibbon im Frankfurter Garten über 7 Jahre ausgehalten. Alle Gibbons, die einigermaßen geſund und lebens— kräftig übers Meer kommen, find ſehr ſchnell die Lieblinge ihrer Wärter, wenn dieſe einiger- maßen danach ſind, ſogar neben und trotz Schimpanſen. Im Berliner Garten teilen ſie immer ſehr bald die Wärterſtube mit ihrem Pfleger, und wenn die Frau das Mittageſſen bringt, niſten ſie ſich ſofort behaglich auf ihrem Schoß ein. Es iſt ganz merkwürdig, welche unwider— ſtehliche Neigung die Gibbons haben, ſich hudern und hätſcheln zu laſſen; fie find, um mit Voſſeler zu reden, die geborenen Hätſchlinge. 0 An dem weiblichen Hainan-Gibbon des Londoner Gartens, der das obenerwähnte merkwürdige Beiſpiel von Umfärbung gab, ließen ſich hochwichtige Beobachtungen über Wachs— tum und Reife machen. Er gab das erſte Zeichen weiblicher Reife im ſiebenten Lebensjahre; die Menſtruation wiederholte ſich dann in Zwiſchenzeiten, die immer zwei oder drei Tage mehr betrugen als der Kalendermonat, und dauerte jedesmal zwei bis drei Tage. Bei einer Krank— heit des Tieres blieb ſie ſo lange aus, bis nach der Geneſung die Kräfte wiederhergeſtellt waren. Die Klitoris dieſes Weibchens war ſo groß, daß es von dem Vorbeſitzer für ein kaſtriertes Männchen mit ungeheilter Wunde gehalten wurde, und zu derſelben Verwechſelung forderten, nach Welch, auch Weibchen anderer Gibbonarten heraus. Anderſeits konnte derſelbe Beobachter im Londoner Garten feſtſtellen, daß Männchen, die ſitzend bereits 35 em maßen, noch keine Spur von Hodenſack hatten und nichts von Hoden fühlen ließen. Der Hodenſack des Hainan-Männchens begann erſt nach zwei Jahren ſich zu bilden, und nach weiteren zwei Jahren war er erſt ausgebildet; er hatte keine hängende, ſondern am Grunde breite, ſpitz zulaufende Form und war mit kurzen ſchwarzen Haaren bedeckt. Der Penis war bei dieſem ſchwarzen Männchen dunkelrot gefärbt, bei einem Siamangmännchen dagegen ſchwarz. Neuer- dings haben auch die Gibbons der Kulturmenſchheit ihren Nutzen gebracht dadurch, daß man ſie zu Verſuchen über Empfänglichkeit für Menſchen- und Rindertuberkuloſe benutzt hat. v. Dungern fand dabei keinen Unterſchied zwiſchen den Folgen der Einſpritzungen von Men— ſchen- und Rindertuberkelbazillen, was wieder einen entſprechenden Rückſchluß auf die Gefähr- lichkeit der Rindertuberkuloſe für den Menſchen erlaubt. * In aufſteigender Reihenfolge hat unſer Werk ſeine Leſer durch das ganze Tierreich ge— führt. Dieſer Aufſtieg nahm ſeine unzweideutige Richtung auf den Menſchen hin mit den Säugetieren und innerhalb dieſer immer unzweideutiger mit den Hochtieren, zu denen der Menſch ſelber vom alten Linne, alſo ſeit Begründung des naturgeſchichtlichen Syſtems, ſchon gerechnet wurde. Bei den Affen ſahen wir nach unſerer Anordnung die menſchenähnlichen Züge ſich häufen im Leibesbau wie in den geiſtigen Fähigkeiten. So iſt es nur folgerichtig, daß den Schluß unſeres Werkes die menſchenähnlichſten Säugetiere bilden, die Menſchenaffen Stellungen verichiedener Menichenaffen 1. Stellungen verichiedener Menſchenaffen II. Langarmaffen: Gefangenleben. Menſchenaffen: Allgemeines. 623 (Familie Pongidae, Anthropomorphae), die ihren Namen mit vollem Recht tragen. Wer ſie nur einmal im zoologiſchen Garten ſieht, und erſt recht, wer fie näher kennenlernt, würde ſie ganz von ſelber ſo nennen, wenn ſie nicht längſt allgemein ſo hießen: ſo men— ſchenähnlich ſind ſie! Das gilt jedoch nur mit derſelben Einſchränkung wie bei den Affen überhaupt. Am menſchenähnlichſten ſind ſie im Mutterleib und in der Jugend, weniger im ausgewachſenen Alter, am wenigſten im höheren Mannesalter. Und das gibt uns, kraft der allgemeinen Bedeutung der Keim- und Jugendformen, daß ſie urſprünglichere Züge aus ge— meinſamer Vergangenheit noch erkennen laſſen, wieder einen Fingerzeig, wie das Verwandt ſchaftsverhältnis zwiſchen Menſchen und Menſchenaffen zu verſtehen iſt. Dieſe ſind ebenſo— wenig wie irgendeine andere lebende Affenform die Vorfahren des Menſchen: eine „Abſtam— mung vom Affen“ in dieſem Sinne, wie ſie immer noch in den Köpfen der Unkundigen ſpukt, gibt es nicht; das iſt in allen einigermaßen unterrichteten Kreiſen, erſt recht natürlich in unſerer Menſchheitsforſchung, längſt ein überwundener Standpunkt. Da herrſcht vielmehr aus guten Gründen durchweg die Überzeugung, daß höchſtens von einer gemeinſamen Stammform die Rede ſein kann, aus der ſich Menſchen und Affen, inſonderheit Menſchenaffen ableiten ließen. Von dieſer Stammform, die einem längſt vergangenen Entwickelungszeitalter der Erdrinde angehören muß, dürfen wir im glücklichſten Falle nur verſteinerte Knochenreſte erwarten; gefunden ſind ſolche bis jetzt aber nicht. Von dieſer angenommenen Stammform aus würden ſich dann die Menſchenaffen wie, allgemein geſprochen, die Affen überhaupt als ein Seiten⸗ zweig darſtellen, der ſich mit Gliederbau und Lebensweiſe an das Klettern angepaßt hat, während der Menſch in ſeinen Uranfängen, auf dem Erdboden bleibend, durch Erwerbung des aufrechten Ganges im wahrſten Sinne des Wortes „den Kopf frei“ bekam und ſich zum höchſten Denkweſen, zum „Gehirntier“ ausbilden konnte. Damit hatte er das beſte Teil er— wählt, das ihn zur Herrſchaft befähigte über alle anderen Erdbewohner und über die Erde ſelber. Ihm gegenüber erſcheinen die Menſchenaffen als eine nebenſächliche, im Haushalt der Natur bedeutungsloſe Verwandtenſippe, die, weil ſie ſich in den Urwald und auf deſſen Bäume zurückzog, geiſtig nicht höher ſtieg. Bezeichnenderweiſe werden die Menſchenaffen aber von keinem einzigen Eingeborenenſtamm ihrer Heimatländer als Tiere angeſehen, ſondern überall „Waldmenſchen“ genannt, und dieſer feſten Überzeugung der Naturvölker kommt von der entgegengeſetzten Seite, aus der allermodernſten Serumforſchung, das tatſächliche Ergebnis entgegen, daß nach den Unterſuchungen von Nuttall, Uhlenhuth, Friedenthal die Blutflüſſigkeit eines mit Menſchenblut vorbehandelten Kaninchens mit Menſchenaffenblut eine faſt ebenſo ſtarke Verwandtſchaftsreaktion ergibt wie mit Menſchenblut. Aus dem Leben im Urwald, beſonders dem Kletterleben darin, müſſen die Menſchenaffen verſtanden werden: es iſt der beſtimmende Zug ihres Weſens, und dieſer ſpricht ſich natürlich vor allem in ihrem Gliederbau aus. Umgekehrt wie beim Menſchen ſind die Arme länger als die Beine, und der Fuß iſt ein ausgeprägter Greiffuß, deſſen Daumenzehe weit von den übrigen Zehen abſteht und mit dieſen von der entgegengeſetzten Seite her zu ſicherem Griffe zuſammenwirkt. Dieſer Greiffuß iſt aber nicht deshalb, weil er greifen kann, eine Hand: er hat ſeine Ferſe, wie bei allen Affen, die ganz zu Unrecht eine Zeitlang den Namen Vierhänder getragen haben. Und ebenfalls umgekehrt wie beim Menſchen iſt nicht nur der Unterarm länger als der Oberarm, ſondern auch der Handdaumen ſehr ſchwach und wenig leiſtungsfähig. Er ſitzt weit hinten an der ſchmalen, langen Hand und verrät deutlich dieſelbe, bei den meiſten Affen unverkennbare Neigung zum Verkümmern, die wir bei den Stummel- und Schlankaffen bis zu völligem Verſchwinden gehen ſehen. Die Menſchenaffen haben eben Kletterfüße und 624 13. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. Kletterhände: ein großer, vorn angeſetzter Daumen würde fie bei ihrer hängenden, „hangeln⸗ den“ Fortbewegung auf den Bäumen in der Verwendung der ſchmalen Hand mit den langen Fingern als „Kletterhaken“ nur hindern, während die nachgreifenden Füße mit der ſtarken Daumenzehe zur Sicherheit feſt zufaſſen müſſen. Gegenüber der Gewandtheit im Gezweige Skelett des Menſchen () und des Gorillas , unnatürlich geftredt. macht der halb aufrechte Gang auf der Erde einen recht ungeſchickten Eindruck: es werden mehr die Außenränder der Fußſohlen als dieſe ſelber aufgeſetzt und der Körper dabei auf die Fingerknöchel der langen Vorderglieder geſtützt, zwiſchen dieſen wohl auch der Körper ſchwingend durchgeſchoben, als ob das Tier auf Krücken ginge. Entſprechend der höchſtens halb aufrechten Haltung der Menſchenaffen hat auch deren Becken noch eine mehr tieriſche, ſchmale und lange Form: es iſt nicht, wie beim Menſchen, zu dem wirklichen, ſchüſſelförmigen „Becken“ im eigentlichen Wortſinne geworden, in dem die Allgemeines. 625 Eingeweide ruhen. Das hat Prochownick-Hamburg neuerdings wieder feſtgeſtellt und nur die alte Behauptung Hartmanns beſtätigen können, daß der Beckengürtel der Menſchen— affen der am wenigſten menſchenähnliche Abſchnitt des Skelettes iſt. Jede Menſchenaffengattung zeigt an einem oder mehreren Punkten des Beckens eine ausgeſprochene Menſchenähnlichkeit, jede aber an anderen Stellen des Beckens, und zwiſchen den beiden Geſchlechtern iſt in der Beckenform kaum ein Unterſchied zu finden, während er beim Menſchen bekanntlich unverkennbar iſt; allerdings hat Fritſch bewieſen, daß der Geſchlechtsunterſchied am Becken ſich bei niederen Menſchenraſſen weniger deutlich ausprägt. An der Wirbelſäule bringt indes der halb aufrechte Gang in der Lendengegend doch ſchon eine Andeutung der beim Menſchen ausgeprägten Sförmigen Krümmung zuwege, und obwohl äußerlich nicht der geringſte Reſt eines Schwanzes ſichtbar iſt, liegen unter der Haut doch noch vier oder fünf mehr oder weniger verkümmerte Schwanz— wirbel, die ja aber auch beim Menſchen noch nicht vollkommen verſchwunden ſind. Wie bei dieſem wölbt ſich der Bruſtkorb mit den Rippen breit und tonnenförmig im Gegenſatz zu der ſpitzen Kielform der niederen Affen und übrigen Säugetiere; wie häufig beim Menſchen, im Gegenſatz aber zu allen anderen Säugetieren, treten auch die knorpeligen Teile der Bruſt— rippen ſeitlich vom Bruſtbein teilweiſe untereinander in Verbindung und geben dem Bruſtkorb ſo ein feſteres Gefüge. Dieſer lädt in ſeinem unteren Teile ſogar auffällig breit aus, und in ſeinem Inneren ſehen wir Herz und Lunge bereits in der Umlagerung begriffen, die dem Menſchen eigentümlich iſt. Der Hals der Menſchenaffen iſt ſehr kurz und der Kopf daher weit entfernt von der frei ſpielenden Bewegung beim Menſchen. Er ſteckt vielmehr zwiſchen den Schultern, keilt ſich namentlich bei dem halb aufrechten Gange ſo tief zwiſchen dieſe ein, daß es für unſere Begriffe faſt unnatürlich ausſieht. Dabei wirkt auch die verſchiedene Be— feſtigung an der Wirbelſäule mit, an der der Kopf mehr vorn anhängt als obenauf ſitzt. In der Rumpfgröße und -ſchwere können die Menſchenaffen den Menſchen erreichen oder gar über— treffen; durch die kurzen Beine und die nur halb aufrechte Haltung erſcheinen ſie aber kleiner. Der Schädel verändert ſich ſehr von der Jugend zum Alter, namentlich beim Männchen. Beim Menſchenaffenkind iſt er, wie beim Menſchenkind und Menſchen, glatt und rundlich, der Hirnteil im Gleichgewicht oder ſogar Übergewicht gegen den Kieferteil. Die Augenbrauen— wülſte, die übrigens auch niedere Menſchenraſſen haben, entwickeln ſich dann aber immer ſtärker, der Kieferteil wächſt immer weiter vor, während der Hirnteil im Wachstum zurückbleibt, und wenn ſich dann hinten und oben auf dem Schädel noch Knochenkämme erheben, ſo bleibt von Menſchenähnlichkeit ſchließlich nicht viel mehr übrig als das Gebiß; auch dieſem geben aber beim alten Männchen die verlängerten Eckzähne etwas „Tieriſches“. Bemerkenswert bleibt auf alle Fälle, daß Hans Virchow an Schädeln wilder, in der Freiheit erlegter Menſchen— affen hohle Zähne beſchreiben konnte; doch entſtehen ſolche wahrſcheinlich durch eine Verletzung, und der Krankheitserreger der Zahnfäule konnte bis jetzt noch nicht nachgewieſen werden. Ahnlich wie mit Schädel und Gebiß ſteht es mit dem Gehirn. Weber nennt es „ein ver— einfachtes Menſchengehirn, dem aber nichts Weſentliches fehlt“. Immerhin wird es auch beim rieſigſten Gorilla nicht größer und ſchwerer, als das Menſchenhirn ſchon beim Neugeborenen iſt, und wenn beim Menſchenmann der Inhalt des Hirnkaſtens im Mittel 1500 cem beträgt, ſo überſteigt dieſer Mittelwert bei den Menſchenaffen im beſten Falle kaum 500, bei der Mehrzahl der Gattungen kaum 400. Wie ſich die Vereinfachung des Hirnbaues gegenüber dem Menſchen in der verſchiedenen Zahl der Hirnzentren ausſpricht, darüber iſt in unſerer Allgemeinen Einleitung (Bd. X, S. 30) ſchon das Nötigſte geſagt. Trotz alledem dürfen nicht nur, ſondern müſſen die Menſchenaffen auch nach ihren geiſtigen Fähigkeiten als die Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 40 626 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. menſchenähnlichſten, die höchſtſtehenden Säugetiere anerkannt werden. Sie ſind ſicher auch die wichtigſten Verſuchstiere für die Tierſeelenkunde, und ſo iſt es von ſeiten der modernen ex⸗ perimentellen Tierpſychologie nur folgerichtig, daß ſie es auf Betreiben des rührigen, leider ſchon verſtorbenen Experimentalbiologen Rothmann unter dem Vorſitz des ehrwürdigen — 2 Schädel von Menſchenaffen. 1) Gorilla, 2) Orang-Utan Ö, 3) Orang-Utan P, 4) Orang⸗Utan⸗Kind, 5) Schimpanſe. Aus F. Birkner, „Die Raſſen und Völker der Menſchheit“, München o. J. Anatomen Waldeyer ſeit einigen Jahren zu einer Beobachtungsſtelle für Menſchenaffen auf der klimatiſch jo geſegneten Inſel Teneriffa gebracht hat, wo ein junger Piycholog tätig iſt. Vom Kehlkopf ſtülpen ſich große Luftſäcke aus, die bis in die Achſelhöhle reichen können. Dies tun ſie aber gerade bei derjenigen Gattung, die am wenigſten Stimme hat, und da ſie immer bei den alten Männchen am ſtärkſten ausgebildet ſind, ſo möchte man ſie nicht als Stimmverſtärker auffaſſen, ſondern vielmehr als Luftkiſſen, auf dem der ſchwere Kopf mit den mächtigen Kiefern ruht. Nackte Geſäßſchwielen ſind nicht vorhanden, ebenſowenig aber ein fleiſchiges Geſäß im menſchlichen Sinne; der Rumpf endet vielmehr ganz ſchmal und ſpitz, Allgemeines. 627 was in der Anſicht von hinten der Menſchenähnlichkeit viel Abtrag tut. Dagegen ſind wieder Sohle und Handteller, die vorderen Finger- und Zehenglieder nackt, das Geſicht nur mit feinen, kurzen Härchen beſetzt, wie beim Menſchen, und auch ſonſt hat die Behaarung viel Menſchenähnliches; ſogar bis in manche Einzelheiten: Schnurr- und Backenbart im menſch— lichen Sinne, d. h. nicht zu verwechſeln mit den ſteifen Taſthaaren anderer Säugetiere, kommen vor, und am Oberarm richten ſich die Haare nach unten, am Unterarm nach oben, ganz wie beim Menſchen. Im übrigen aber erweiſt ſich die Behaarung als durchaus tieriſch, geradezu gegenſätzlich zur menſchlichen darin, daß auch die Menſchenaffen, wie alle übrigen Säugetiere, gerade da die wenigſten Haare haben, wo der Menſch die meiſten hat: auf dem Kopfe, zumal dem Scheitel, in den Achſelhöhlen, in der Schamgegend. Ebenſo fehlt den Menſchenaffen, im Gegenſatz zum Menſchen und im Verein mit allen übrigen Säugetieren, der rote Lippenſaum, das Übergreifen der inneren Mundſchleimhaut nach außen, und dieſe beiden letztgenannten Einzelheiten gehören zu den größten Schwierigkeiten, die ſich der Ableitung des körperlichen Menſchen von einem tieriſchen Vorfahren entgegenſtellen. Die Lippen der Menſchenaffen ſind denen des Menſchen gegenüber außerordentlich beweglich, weil die Oberlippe, genau geſagt: der Ringmuskel des Mundes nicht verbunden iſt mit der Naſe, die nicht aus dem Geſichte hervorragt. Die Lippen können ſo ganz erſtaunlich weit vorgeſchoben werden, und das benutzen die Menſchenaffen auch zu einem durchaus menſchenähnlichen, aber viel auffallenderen Aus— druck von Gemütsbewegung. Hans Virchow hat das alles neuerdings eingehend unterſucht. Die geographiſche Verbreitung der Menſchenaffen erſtreckt ſich von der weſtafrikaniſchen Guineaküſte bis in das Gebiet der innerafrikaniſchen Seen und anderſeits über die Großen Sundainſeln Sumatra und Borneo. Die Menſchenaffen haben gewiß niemals zu den maſſen— haft vorkommenden Tieren gehört; doch vermochten begreiflicherweiſe die Eingeborenen mit ihren minderwertigen Waffen ihnen wenig Abtrag zu tun, und andere Feinde haben ſie natur— gemäß kaum. Seit aber der Weiße und mit ihm das moderne Gewehr immer mehr in ihren Heimatländern überallhin dringt, hat ihr Beſtand ſich ſo gelichtet, daß man ſchon für ihre Zu— kunft zu fürchten beginnt. In unſeren afrikaniſchen Kolonien ſind ſie daher durch die neueſten Jagdverordnungen unter Schutz geſtellt worden. Über das Freileben der Menſchenaffen war außer Eingeborenenmärchen und phantaſtiſchen Jagdgeſchichten früher nicht eben viel bekannt. Neuerdings iſt es mit der zunehmenden Reiſe— forſchung mehr geworden; aber die Lebenseigentümlichkeiten der verſchiedenen Gattungen gehen trotz des gemeinſamen Urwaldlebens doch ſo weit auseinander, daß wenig Gleichartiges übrig— bleibt, was nicht ganz allgemein Affenart wäre. Hierzu gehört auch, daß die Menſchenaffen in der Hauptſache Pflanzenfreſſer ſind, nach Gefangenſchaftsbeobachtungen zu ſchließen, aber auch tieriſche Koſt nicht verſchmähen. Dagegen ſtehen ſie allein mit der durchgehenden Ge— wohnheit, ſich Schlafneſter zu bauen, d. h. des Abends aus abgebrochenen Aſten und belaubten Zweigen in einer Aſtgabel ſich ein weiches Nachtlager aufzuſchichten. Da der Zahnwechſel bei den Menſchenaffen ungefähr in demſelben Alter vor ſich geht wie beim Menſchen, ſo darf man wohl ſchließen, daß den Menſchenaffen ungefähr dieſelbe Lebensgrenze geſetzt iſt wie dem Menſchen. Im Gegenſatz zum Menſchen und im Einklang mit anderen Affen ſteht der allermeiſt ſtarke, auffallende Größenunterſchied zwiſchen beiden Geſchlechtern, der im Schutzdienſt des alten Männchens für Weibchen und Junge nur eine unvollkommene und nicht für alle Menſchen— affengattungen zutreffende Erklärung findet. Im Gefangenleben verhalten ſich alle Menſchenaffen ziemlich gleichartig und waren wenigſtens in früherer Zeit auch alle gleicherweiſe die Sorgenkinder der Tiergärten, die nur allzubald 40 * 628 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. Lungen- und Darmkrankheiten zu erliegen pflegten. Neuerdings hat ſich das gebeſſert, be⸗ zeichnenderweiſe aber nicht jo ſehr durch Verbeſſerungen in der körperlichen Pflege als viel— mehr durch liebe- und verſtändnisvolleres Eingehen auf die gemütlichen Bedürfniſſe dieſer geiſtig hochſtehenden, gewöhnlich in mehr oder weniger zartem Kindesalter zu uns gebrachten Geſchöpfe. Schmidt-Frankfurt war wohl ſeinerzeit der erſte, der einem jungen Menſchenaffen einen beſonderen Wärter beiſtellte und ihn von dieſem ungefähr wie ein Kind behandeln und aufziehen ließ; Schöpf-Dresden, Heck-Berlin und andere folgten, und heute iſt dieſe Art der Menſchenaffenhaltung längſt allgemein üblich. Sie hat den erfreulichen Erfolg gezeitigt, daß wir jetzt ſchon eine ganze Reihe von Menſchenaffen haben gedeihlich heranwachſen, zehn Jahre und noch länger leben und unter unſerer Pflege geſchlechtsreif werden ſehen. Der junge Menſchen⸗ affe muß ſeinen kindlichen Anklammerungstrieb befriedigen können, den er mit den Jungen der übrigen Affen gemein hat, genau genommen aber auch mit dem menſchlichen Säugling, der eben deshalb ſo mörderiſch ſchreit, wenn er allein in der Wiege liegen ſoll. Der Wärter muß daher alles dranſetzen, ſeinen neuen Pflegling möglichſt raſch dazu zu bewegen, daß er zu ihm auf den Arm kommt. Hat die kleine Affenwaiſe ſich ſo erſt an ihren Pfleger im wahren Sinne des Wortes angeſchloſſen, ſo bleibt ſie auch eher bei guter Laune, und das ſtärkt wieder ganz gewiß auf dem Wege über die Seelenſtimmung ihre körperliche Widerſtandsfähigkeit gegen die ungünſtigen Einflüſſe der Gefangenſchaft und der nordiſchen Witterungsverhältniſſe. Wenn heute ein junger Menſchenaffe wirklich geſund in unſere Hände gelangt, ſo dürfen wir auch hoffen, ihn längere Zeit am Leben zu erhalten; leider aber lehren unzweideutige Er- fahrungen, daß viele ſchon den erſten Keim einer tödlichen Krankheit in ſich tragen, wenn ſie nach Europa kommen. Wie viele Eingeborene „aus dem Buſch“ ſchon in den Küſtenſtädten ihres Heimatlandes ſich ungemein anfällig gegen Schwindſucht und andere Krankheiten zeigen, ſo offenbar auch die Menſchenaffen. Solange ſie jung und geſund ſind, machen ſie durch ihre Klugheit und Liebenswürdigkeit viel Freude; dank den mitunter erſtaunlich menſchenähnlichen, genauer geſagt: kindähnlichen Formen, in denen ſich ihr geiſtiges Weſen ausſpricht, ſieht man ſie unwillkürlich mehr wie Kinder als wie junge Tiere an, und man braucht ſich ſo ſchließlich des Geſtändniſſes nicht zu ſchämen, daß man zu ihnen auch eine ähnliche Zuneigung wie zu Kindern empfindet. Wenn man überhaupt tier- und kinderlieb iſt! Wer das nicht iſt, wird den Kopf ſchütteln über ſolch ſonderbare Schwärmerei. Wird der Pflegling dann älter oder gar erwachſen, ſo wird er naturgemäß ſchwieriger, und der Pfleger muß bei ſeiner Behandlung ſchon die richtige Miſchung von Nachſicht und Strenge zu finden wiſſen; namentlich geſchlechts— reife Weibchen geben dann zur Zeit der monatlichen Schwellung und Blutung deutliche Beweiſe üblen Befindens und übler Laune. Alt gefangene Menſchenaffen verſöhnen ſich nicht mehr mit ihrem Schickſal und verfallen, genau genommen, langſamem Hungertode; doch kommen ſolche Fälle begreiflicherweiſe nur ſehr ſelten vor. Von Krankheiten der Menſchenaffen wiſſen wir aus der Freiheit nichts. Aus der Ge— fangenſchaft iſt den oben ſchon genannten Lungen- und Darmkrankheiten noch hinzuzufügen, daß umfangreichen Erfahrungen nach die Menſchenaffen, bei uns und unſerer Ernährung wenigſtens, offenbar für die Blinddarmentzündung ſehr empfänglich ſind. Ferner ſpielen natür⸗ lich eine große Rolle die Knochenkrankheiten, beſſer geſagt: die Knochenwachstumskrankheiten, die trotz langer Lebensdauer und ſonſtiger Geſundheit des Tieres im ſtärkſten Maße vorhanden ſein können. Im Neuyorker Zoologiſchen Garten hat man zu Anfang des Jahrhunderts eine ganze Anzahl Menſchenaffen verloren, angeblich durch ein Dickdarm-Infuſor (Balantidium coli), das die Tiere von den Rieſenſchildkröten des Gartens erworben haben ſollten. Drang-Utan. 629 Von Nutzen oder Schaden der Menſchenaffen kann bei ihrer geringen Kopfzahl und zu: rückgezogenen Lebensweiſe kaum die Rede ſein; wenn ſie den Menſchen angreifen, der ihnen nach dem Leben trachtet, ſo iſt das nur ihr gutes Recht der Notwehr. Wohl aber muß hier darauf aufmerkſam gemacht werden, daß ſie heute als Naturdenkmäler zu betrachten und als ſolche zu ſchonen ſind: ſo ſtark iſt ihre Zahl bereits gelichtet! In unſeren afrikaniſchen Kolonien iſt denn auch die Menſchenaffenjagd entweder ganz verboten oder die Behörde wenigſtens zum Verbot ermächtigt. Bei der naturgeſchichtlichen Betrachtung der Menſchenaffen wurden ſchon in älterer Zeit der aſiatiſche Orang von dem afrikaniſchen Schimpanſen und Gorilla unterſchieden und alle drei als ſelbſtändige Gattungen gewertet. Heute wiſſen wir, daß wir nicht nur von jeder dieſer drei Gattungen mehrere oder eine ganze Reihe verſchiedener Arten zu unterſcheiden haben, ſondern namentlich auch, daß diejenigen afrikaniſchen Menſchenaffen, die man unter dem Namen des Schimpanſen zuſammenzufaſſen pflegte, wieder in mehrere Gruppen zerfallen. Wir beginnen mit dem aſiatiſchen Menſchenaffen, dem Orang Borneos und Sumatras (Gattung Pongo Lacep., Simia), vollſtändig: Orang-Utan, d. h. auf malaiiſch Waldmenſch, von den Dajaken Borneos Meias oder Majas, auf Nordſumatra (Deli) Maras genannt, dem auch Elliot in ſeinem großen Affenwerk die niederſte Stelle unter den Menſchenaffen, am weiteſten vom Menſchen entfernt, anweiſt. Auf den erſten Blick ſchon ſcheidet den Orang von ſeinen afrikaniſchen Verwandten die rote Farbe des dünnen, aber mehr oder weniger langen und zottigen Haarkleides, deſſen Töne zwiſchen Hell- und Schwarzrotbraun ſchwanken. Bei näherem Zuſehen ergeben ſich aber auch Formeigentümlichkeiten genug. Vor allem die über— langen Arme, die, beinahe ſo lang wie beim Gibbon, bei aufrechter Haltung des Tieres bis zu den Fußknöcheln hinabreichen. Der Orang hat unter den Menſchenaffen die längſten Arme und die kürzeſten Beine und entfernt ſich dadurch am weiteſten vom Menſchen. Anderſeits nähert er ſich dieſem in der Hirnſchädelform wieder am meiſten an, wenigſtens auf der kindlichen Stufe, und zwar beſteht, nach Hans Virchow, dieſer „ganz beſonders menſchliche, ja verblüffend menſchliche, man möchte beinahe jagen: unangenehm menſchliche Zug“ in der über dem Mittel⸗ geſicht ſteil anſteigenden Stirn. Der Geſichtsſchädel iſt auf dieſer Stufe, wenn auch ſchnauzig vorgeſchoben, ſo doch ſehr ſchmal, die Naſenbreite ganz außerordentlich gering, weniger als die Hälfte gegenüber dem jugendlichen Schimpanſen. Später bilden ſich allerdings auch beim alten Orangmännchen vielfach die Knochenkämme auf dem Hirnſchädel aus, die wir von den großen Affen kennen; beim Weibchen fehlen ſie, dieſes behält auch durch ſchwächere Entwickelung der Augenbrauenwülſte den menſchenähnlichſten Schädel. Ebenſo waltet im Gebiß des Orangs anſcheinend eine menſchenähnliche Veränderlichkeit ob — wenigſtens wenn man nach einer Schädelſammlung urteilen darf, die Abbott für das Nationalmuſeum der Vereinigten Staaten aus der Landſchaft Landak im Gebiete des Sekajanfluſſes (Weſtborneo) heimgebracht und die Hrdlicka wiſſenſchaftlich verarbeitet hat. Letzterer konnte nach dem Gebiß nicht einmal die völlig ausgewachſenen Tiere ausſondern; er fand überzählige Backzähne und konnte nament⸗ lich bei weiblichen Gebiſſen oft auffallende Kleinheit der hinteren Backzähne feſtſtellen. Von hinten fällt beim Orang über den vorn nackten Schädel das lange Kopfhaar vor, ganz in der Weiſe, wie es ſich manche kahlköpfige Menſchen kämmen. Das Körperhaar iſt ſpärlich auf dem Rücken und ſehr dünn auf der Bruſt, um ſo länger und reichlicher aber auf Schultern, Armen, Leibesſeiten und Beinen, wo es in wirren Strähnen herabfällt und bei alten Männchen bis 50 em lang wird; ja bei ſolchen ſtehen auf den Fingerrücken noch Haare von 10 em Länge! 630 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. In ſeinem rotbraunen, zottigen Fell, mit dem kugeligen Wanſt, den unmäßig langen Vorder— gliedern, an denen die nach den Ellbogen zu gerichtete Behaarung auffallend hervortritt, und dem namentlich in jugendlichem Alter mehr ſchmalen und hochſtirnigen Kopfe, den von hinten vorfallendes Haar bis zum Scheitel deckt, iſt der Orang eine jo bezeichnende Affen⸗ erſcheinung, ſchon durch die rote Farbe, daß er wirklich vor Verwechſelung mit ſeinem ſchwarzen Verwandten, dem Schimpanſen, ſicher ſein ſollte, der im zoologiſchen Garten oft ſein Käfig: nachbar oder Genoſſe iſt. Das Auge iſt klein, das Ohr ſogar ungewöhnlich klein. Eine weitere hervorſtechende Eigentümlichkeit alter Orangs beiderlei Geſchlechts iſt der ſtarke Kehlſack, der, nach Ficks Unterſuchungen, mit ſeinen äußerſten Ausläufern fi bis in 7 MAL 1 if NS VEIT INS SI DEINES G IN 5 S NN Fa IN I Junger Orang-Utan. die Achſelhöhle ziehen kann und eine Offnung nach außen hat. Zur Stimme hat er keine Be⸗ ziehung: der Orang iſt beinahe ſtumm. Man neigt daher mehr dazu, den Kehlſack als eine Art Luft- oder Waſſerkiſſen aufzufaſſen, auf dem der ſchwere Kopf ruht. Bei alten Männchen kann noch ein üppiger Bart hinzukommen, auch ein ganz unzweideutiger Schnurrbart im menſchlichen Sinne, der jedoch die Oberlippe größtenteils frei läßt, und als ganz abſonderlicher „Schmuck“, deſſen Zweck und Bedeutung vollkommen dunkel iſt, halbmondförmige, bis 20 em lange und an der breiteſten Stelle bis 10 em breite, aus Bindegewebe und Fett beſtehende Backenwülſte, die ſich von den Schläfen nach dem Munde herunterziehen. Kehlſack wie Backen⸗ wülſte verſchönern natürlich den alten Orang in unſeren Augen nicht, machen ihn vielmehr für menſchliches Empfinden zu einem unheimlich häßlichen Scheuſal. Die Backenwülſte können übrigens auch ſchon früh auftreten. Bei einem jungen Orangmännchen des Frankfurter —— — — — r Orang-Utan: Körperbeſchreibung. 631 Tiergartens, das ſitzend nur 40 em hoch ankam, legten ſie ſich ſchon im folgenden Jahre an, während das Tier inzwiſchen ſein Gewicht von 6750 g auf 11850 g gebracht hatte. Aber- mals zwei Jahre ſpäter waren ſie bereits recht entwickelt, und das Körpergewicht hatte ſich auf 24500 & erhöht, alſo mehr als verdreifacht. Schließlich iſt für den Orang noch bezeichnend, daß an der Daumenzehe der Hinterglied— maßen der Nagel fehlen kann. Allem Anſchein nach fehlt dann aber auch das vorderſte Zehen— glied oder vielmehr: dieſes iſt mit dem zweiten verwachſen, und es iſt ſogar die Möglichkeit nicht von der Hand zu weiſen, daß dieſe Verwachſung erſt im höheren Lebensalter eintritt. Hans Virchow iſt darüber, wie überhaupt über Menſchen- und Menſchenaffenfuß, mit ſehr vielverſprechenden Unterſuchungen beſchäftigt. In der Größe iſt auch beim Orang derſelbe bedeutende Unterſchied zwiſchen beiden Ge— ſchlechtern wie bei vielen Altweltaffen und den Menſchenaffen insbeſondere: das alte Männchen wächſt ſich ſchließlich zum Rieſen aus. Im Berliner Zoologiſchen Muſeum wird, nach Matſchie, das Fell eines ſolchen aus Sumatra „aufbewahrt, das vom Scheitel bis zur Fußſohle 1,80 m lang iſt und deſſen Beine eine Länge von 90 em haben“. Eine andere Meſſung an einem Sumatraner aus dem Jahre 1883 gibt Kerbert-Amſterdam in einer vergleichenden Tabelle ſogar mit 1,94 m Scheitelfußſohlenlänge an. Anderſeits maßen zwei altgefangene und 1894 durch gemeinſame Schauſtellung in Europa berühmt gewordene Borneo-Orangs, „Max und Moritz“, nur 1,33 und 1,38 m, der dem Amſterdamer Tiergarten 1913 vom Sultan von Serdang geſchenkte „Sultan“ ſogar nur 1,18 m, und doch wurden fie alle mit Recht als „Rieſenorangs“ bezeichnet. Denn Eindruck und Ausdruck gründen ſich hier weniger auf die Geſamtgröße als vielmehr auf den geradezu ungeheuerlich erſcheinenden, Menſchliches trotz aller Ahnlichkeit weit hinter ſich laſſenden Vorderkörper: Kopf, Schultern, Arme und Hände. Vor dem Käfig eines ſolchen Rieſenorangs, wie ihn nur Ausnahmefälle uns zur Schau bringen, wird kaum jemand eines gewiſſen Grauens ſich erwehren können, wenn irgendwie Leben in die zuſammengekrümmte, braunrot-zottige, bärenartig auf dem Stroh liegende Maſſe kommt. Wenn das Rieſenvieh dann langſam den unbeſchreiblich ſcheußlichen Kopf hebt, von dem die Backenwülſte wie große Scheuklappen nach den Seiten abſtehen, wenn es den vor— ſtehenden Rachen aufreißt und die mächtigen, dunkelfarbigen Zähne zeigt, wenn dazu die kleinen, tiefliegenden Augen tückiſch funkeln und der nackte, faltige Kehlſack bei den Bewegungen des Kopfes hin und her fällt zwiſchen den unmäßig breiten Schultern, wenn die unglaublich langen Arme mit den rieſigen, bis auf die Fingerſpitzen langzottig behaarten Händen von einer Seite des Käfigs bis zur anderen greifen, und ſchließlich das Ungetüm vor dem Beſchauer ſich erhebt in ſeiner ganzen, wahrhaft unheimlichen Größe und Maſſigkeit, neben der der kräftigſte Mann wie ein Kind daſtehen würde — — das iſt tatſächlich ein unvergleichlicher, unwillkürliches Gruſeln erregender Anblick, unvergeßlich für jeden, und wenn er ſich ſonſt noch ſo wenig um Tiere und Naturgeſchichte kümmert. Wenn aber ſo die äußere Menſchenähnlichkeit höchſtens die eines wüſten Zerrbildes iſt, ſo war Fick bei der Leichenöffnung eines der obengenannten Rieſenorangs immer wieder aufs neue erſtaunt über die „geradezu fabelhafte innere Ahnlichkeit mit dem Menſchen“. Nach ſeinem eigenen Geſtändnis drängte ſich ihm immer wieder die Frage auf, was denn überhaupt dieſem Homo satyrus eigentlich innerlich fehle, um Homo sapiens genannt werden zu können; denn alle Unterſchiede, die ſich bei der Präparation da und dort ergeben, ſind doch, genau betrachtet, nur ganz untergeordneter Natur. Bezeichnenderweiſe aber mit Ausnahme des Gehirns! Dieſes wog bei dem obengenannten Rieſenorang „Moritz“ nur 400 g gegen 1350— 1500 g beim Menſchen! 632 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. Die kurzen Beine des Orangs ſind mit den Knien ganz nach außen gedreht und die Füße unten ſo ſchief eingelenkt, daß das Tier nur auf deren Außenrand auftritt mit nach innen gewendeter Sohle. Solche Hintergliedmaßen ſind natürlich trefflich geeignet zum Klettern, um ſo weniger aber zum Laufen auf der Erde, und der Orang iſt es denn auch, den man am häufigſten, wie auf Krücken, mühſelig ſich fortbewegen ſieht, indem er den Körper pendelnd zwiſchen den langen, auf die Knöchel geſtützten Armen durchſchiebt. Und wenn er — wohl nur in der Gefangenſchaft und mehr oder weniger angeregt und angeleitet dazu — wirklich ganz aufrecht geht, ſo drückt er ſowohl die Knie als das Kreuz in einer uns ganz unnatürlich erſcheinenden Weiſe durch und ſchlingt die langen Arme kreuzweiſe um die Schultern, als ob er ſich ſelbſt umarmen wolle. So hält er offenbar noch am leichteſten das Gleichgewicht, kann aber auch nur kurze Strecken langſam und ungeſchickt mit weit auswärts geſetzten Füßen gehen. Dagegen iſt er mit dieſen eigenartigen Gliedmaßenverhältniſſen, die die Bewegungsleiſtung ganz auf den Vorderkörper verſchieben, ein um ſo beſſerer und ſichererer Kletterer oder vielmehr: ähnlich wie der Gibbon und ganz gewiß mehr als die afrikaniſchen Menſchenaffen auf ein aus— ſchließliches Baumleben angewieſen. Die Finger ſind bis zu einem Drittel oder zur Hälfte des hinterſten Gliedes durch Bindehäute verbunden. Die Waden ſind wenig entwickelt und die ſchmalen, flachen Ferſen ſpringen wenig vor: auch eine Eigenheit des ausgeprägten Kletterfußes. Die Syſtematik der Orangs liegt ganz unglaublich unklar, und die Verzweiflung des modernen Syſtematikers, daß daran vorläufig auch nichts zu ändern iſt, ſpricht aus jedem Wort deſſen, was Elliot ſeitenlang darüber ſchreibt. Und doch ſieht man die ſchönſten Merk male vor ſich am Schädel, an glatten und gewulſteten Wangen, an heller und dunkler Farbe, die vollauf genügen würden, um eine ganze Reihe von Unterarten, ja vielleicht ſogar von Arten aufzuſtellen, wenn man nur ſicher wüßte, wie dieſe Merkmale untereinander zuſammen⸗ gehören und mit der Geographie zuſammenſtimmen. Das weiß man aber nicht, und ſo muß man ſich trotz aller ſonſtigen Fortſchritte in der Säugetierſyſtematik gerade bei einer ſo wichtigen und über zwei Inſeln verbreiteten Gattung wie dem Orang wohl oder übel mit einer Art begnügen: der ſchon ſeit alten Zeiten im Syſtem geführten Simia satyrus L.; man hat indes wenigſtens die Genugtuung, ihr als Pongo pygmaeus Hoppius einen noch um drei Jahre älteren Artnamen geben zu können, geſtützt auf die „Amoenitates Academicae“ des alten Hoppius aus dem Jahre 1763. Will man aber die Orangs von Borneo und Sumatra unter: ſcheiden, ſo heißt der Borneo-Orang Pongo p. pygmaeus Hoppius (Taf. „Affen V“ 11, bei ©. 603), der Sumatra-Orang Pongo p. abeli Clarke (Taf. „Affen VI“, 1, bei S. 650). Sichergeſtellt iſt durch lebend eingeführte Stücke, daß es ſowohl in Borneo als in Sumatra Orangs mit Backenwülſten gibt, ferner daß die von Borneo kommenden gewöhnlich dunkel rotbraun, die aus Nordſumatra über Deli an der Oſtküſte ausgeführten aber hell rotbraun ge— färbt find. Die nackten Teile find bei alten und dunkel gefärbten Orangs bläulich- oder ſchiefer⸗ grau, bei jungen und hell gefärbten namentlich um Mund und Augen herum mehr fleiſchfarbig. Der Orang⸗Utan iſt ſeit alter Zeit bekannt, wenigſtens vom Hörenſagen. Schon Plinius gibt an, daß es auf den indiſchen Bergen Satyrn gäbe, „ſehr bösartige Tiere mit einem Menſchengeſichte, die bald aufrecht, bald auf allen vieren gingen und wegen ihrer Schnelligkeit nur gefangen werden könnten, wenn ſie alt oder krank ſeien“. Doch müſſen wir, mit Troueſſart, ſehr bezweifeln, daß das klaſſiſche Altertum den Orang wirklich aus Augenſchein gekannt hat. Nichtsdeſtoweniger erbt ſich Plinius' Erzählung fort von Jahrhundert zu Jahrhundert, und man vergißt faſt, daß man noch von Tieren redet; aus den Affen werden beinahe wilde Menſchen. Erſt Bontius, ein holländiſcher Arzt, der um die Mitte des 17. Jahrhunderts auf Java lebte, Orang-Utan: Syſtematik. Geſchichte ſeiner Kenntnis. Freileben nach Wallace. 633 ſpricht aus eigener Anſchauung; aber auch bei ihm und ſpäteren bleibt es dabei, daß die Orang⸗-Utans aufrecht auf den Hinterfüßen gehen, obwohl hinzugefügt wird, „daß fie auch auf allen vier Beinen laufen könnten“. Eigentlich ſind die Reiſebeſchreiber an den Über— treibungen, die ſie auftiſchen, unſchuldig; denn ſie geben bloß die Erzählungen der Eingeborenen wieder. Dieſe halten aber bekanntlich die Menſchenaffen durchweg nicht für Tiere, ſondern für Menſchen, die nur aus irgendeinem Grunde abſichtlich nicht ſprechen, z. B. aus dem nach Ein— geborenenlogik ſehr triftigen Grunde, um nicht arbeiten zu müſſen. Die erſte gute Beſchreibung des lebenden Tieres lieferte, wie Kerbert berichtet, 1778 A. Vosmaer, der Muſeums- und Tier⸗ gartendirektor des Prinzen von Oranien in Het Loo beim Haag, nach einem — dem erſten! — 1776 aus Borneo über Java eingeführten jungen Stück. Der berühmte holländiſche Anatom Peter Camper konnte dann mehrere Orangs zergliedern und beſchrieb auch ſchon den Kehlſack. Dank den trefflichen Forſchungen Wallaces ſind wir über das Freileben genauer unter— richtet. „Man weiß“, ſagt Wallace, „daß der Orang-Utan die beiden großen Inſeln Sumatra und Borneo bewohnt; jedoch ſcheint er auf der erſteren viel ſeltener zu fein als auf der letzteren. Hier hat er eine weite Verbreitung. Er bewohnt ausgedehnte Gegenden der Südweſt-, Südoſt⸗, Nordoſt⸗ und Nordweſtküſten, hält ſich aber ausſchließlich in niedrig gelegenen und ſumpfigen Wäldern auf. In Sadong findet man ihn bloß in flachen, waſſerreichen, mit hohem Urwalde bedeckten Gegenden. Über die Sümpfe erheben ſich viele vereinzelt ſtehende Berge, die zum Teil von Dajaken bewohnt werden und mit Fruchtbäumen bebaut worden ſind. Sie bilden für den Meias einen Anziehungspunkt; denn er beſucht ſie ihrer Früchte halber, obwohl er ſich des Nachts ſtets in den Sumpfwald zurückzieht. In allen Gegenden, wo der Boden ſich etwas erhebt und trocken iſt, wohnt der Orang-Utan nicht. So kommt er beiſpielsweiſe in den tieferen Tälern des Sadonggebietes häufig vor, fehlt dagegen jenſeits der Grenze, inner— halb welcher Ebbe und Flut bemerkbar ſind. Eine große Fläche ununterbrochenen und gleich— mäßig hohen Urwaldes iſt für das Wohlbefinden unſeres Affen Bedingung. Solche Wälder bilden für ihn ein offenes Land, in dem er ſich nach jeder Richtung hin bewegen kann. Er geht von einem Baumwipfel zum anderen, ohne jemals auf den Boden hinabzuſteigen. Die hohen und trockenen Gegenden, die mehr durch Lichtungen und ſpäter auf dieſen wachſende, niedere Dſchangeln bedeckt ſind, eignen ſich nicht für die eigentümliche Art der Bewegung unſeres Tieres, das hier auch vielen Gefahren ausgeſetzt ſein würde. Wahrſcheinlich finden ſich außerdem in ſeinem Gebiete auch Früchte in größerer Mannigfaltigkeit, indem die kleinen injel- artigen Berge als Gärten oder Anpflanzungen dienen, ſo daß inmitten der ſumpfigen Ebene die Bäume des Hochlandes gedeihen können. „Es iſt ein ſeltſamer und feſſelnder Anblick, einen Meias gemächlich ſeinen Weg durch den Wald nehmen zu ſehen. Er geht umſichtig einen der größeren Aſte entlang in halb auf— rechter Stellung, zu welcher ihn die bedeutende Länge ſeiner Arme und die verhältnismäßige Kürze ſeiner Beine nötigen. Stets ſcheint er ſolche Bäume zu wählen, deren Aſte mit denen des nächſtſtehenden verflochten ſind, ſtreckt, wenn er nahe iſt, ſeine langen Arme aus, faßt die betreffenden Zweige mit beiden Händen, ſcheint ihre Stärke zu prüfen und ſchwingt ſich dann bedächtig hinüber auf den nächſten Aſt, auf welchem er wie vorher weiter geht. Nie hüpft oder ſpringt er, niemals ſcheint er auch nur zu eilen, und doch kommt er faſt ebenſo ſchnell vorwärts, wie jemand unter ihm durch den Wald laufen kann.“ — An einer anderen Stelle meint Wallace, daß der Orang im Laufe einer Stunde bequem eine Entfernung von 5—6 engliſchen Meilen zurücklegen könne. „Die langen, mächtigen Arme ſind für ihn von größtem Nutzen; ſie befähigen ihn, mit Leichtigkeit die höchſten Bäume zu erklimmen, Früchte 634 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. und junge Blätter von dünnen Zweigen, die ſein Gewicht nicht aushalten würden, zu pflücken und Blätter und Aſte zu ſammeln, um ſich ein Neſt zu bauen.“ Ein von unſerem Forſcher ver⸗ wundeter Orang-Utan zeigte ſeinem Verfolger, in welcher Weiſe der Bau ſolchen Neſtes geſchieht. „Sobald ich geſchoſſen hatte“, erzählt Wallace, „kletterte der Meias höher im Wipfel des Baumes hinauf und hatte bald deſſen höchſte Spitzen erreicht. Hier begann er ſofort ringsherum Zweige abzubrechen und ſie kreuz und quer zu legen. Der Ort war trefflich gewählt. Außerordentlich ſchnell griff er mit ſeinem einzigen noch unverwundeten Arme nach jeder Richtung hin, brach mit der größten Leichtigkeit ſtarke Aſte ab und legte ſie rückwärts quer übereinander, ſo daß er in wenigen Minuten eine geſchloſſene Maſſe von Laubwerk gebildet hatte, die ihn meinen Blicken gänzlich entzog. Ein ähnliches Neſt benutzt der Meias auch faſt jede Nacht zum Schlafen; doch wird dieſes meiſt niedriger auf einem kleinen Baume angebracht, in der Regel nicht höher als S—15 m über dem Boden, wahrſcheinlich weil es hier weniger den Winden ausgeſetzt iſt als oben. Der Meias ſoll ſich in jeder Nacht ein neues machen; ich halte dies jedoch deshalb kaum für wahrſcheinlich, weil man die Überreſte häufiger finden würde, wenn das der Fall wäre. Die Dajaken ſagen, daß ſich der Affe, wenn es ſehr naß iſt, mit Pandanusblättern oder ſehr großen Farnen bedeckt. Das hat vielleicht zu dem Glauben verleitet, daß er ſich eine Hütte in den Bäumen erbaue. „Der Orang-Utan verläßt ſein Lager erſt, wenn die Sonne ziemlich hoch ſteht und den Tau auf den Blättern getrocknet hat. Er frißt die mittlere Zeit des Tages hindurch, kehrt jedoch ſelten während zweier Tage zu demſelben Baume zurück. Soviel ich in Erfahrung bringen konnte, nährt er ſich faſt ausſchließlich von Obſt, gelegentlich auch von Blättern, Knoſpen und jungen Schößlingen. Unreife Früchte zieht er den reifen anſcheinend vor, ißt auch ſehr ſauere oder ſtark bittere. Insbeſondere ſcheint ihm die große rote fleiſchige Samen— decke einer Frucht vortrefflich zu ſchmecken. Manchmal genießt er nur den kleinen Samen einer großen Frucht und verwüſtet und zerſtört dann weit mehr, als er ißt, ſo daß man unter den Bäumen, auf denen er geſpeiſt hat, ſtets eine Menge Reſte liegen ſieht. In hohem Grade liebt er die Durian und vernichtet eine Menge dieſer köſtlichen Früchte, kreuzt aber niemals Lichtungen, um ſie zu holen. Außerſt ſelten ſteigt der Orang-Utan auf die Erde herab, wahrſcheinlich nur dann, wenn er, vom Hunger getrieben, ſaftige Schößlinge am Ufer ſucht, oder wenn er bei ſehr trockenem Wetter nach Waſſer geht, von dem er für gewöhnlich genug in den Höhlungen der Blätter findet. Nur einmal ſah ich zwei halberwachſene Orangs auf der Erde in einem trockenen Loche. Sie ſpielten zuſammen, ſtanden aufrecht und faßten ſich gegenſeitig an den Armen an. Niemals geht dieſer Affe aufrecht, es ſei denn, daß er ſich mit den Händen an höheren Zweigen feſthalte, oder aber, daß er angegriffen werde. „Vor dem Menſchen ſcheint ſich der Meias nicht ſehr zu fürchten. Diejenigen, welche ich beobachtete, glotzten häufig einige Minuten auf mich herab und entfernten ſich dann nur langſam bis zu einem benachbarten Baume. Wenn ich einen geſehen hatte, mußte ich oft tauſend Schritt und weiter gehen, um mein Gewehr zu holen; trotzdem fand ich ihn nach meiner Rückkehr faſt ſtets auf demſelben Baume oder innerhalb eines Umkreiſes von ein paar hundert Fuß. Niemals ſah ich zwei ganz erwachſene Tiere zuſammen, wohl aber Männchen wie auch Weibchen zuweilen begleitet von halberwachſenen Jungen... Nur ausnahmsweiſe geſchieht es wohl, daß ein Orang-Utan mit Menſchen kämpft. Eines Tages kamen einige Dajaken zu mir, um mir zu erzählen, daß ein Meias am geſtrigen Tage einen ihrer Genoſſen beinahe getötet habe.“ Dieſe hatten ihn aber angegriffen, als er ſich an den Schößlingen einer Palme am Ufer gütlich tat, und das Tier hatte ſich nur gewehrt. Es ergriff ſeinen Gegner mit den Orang-Utan: Freileben. Nahrung. Verhalten zum Menſchen. Lebenszähigkeit. 635 Händen, packte in demſelben Augenblicke den Arm mit dem Maule und wühlte ſich mit den Zähnen in die Muskeln über dem Ellbogen ein, ſie entſetzlich zerreißend und zerfetzend. Nach den neueren Erfahrungen ſcheint der Orang ein einſeitigerer Pflanzenfreſſer zu ſein als feine afrikaniſchen Vettern. Selbſt die alten Rieſenorangs „Max und Moritz“ verſchmähten junge Tauben in allen Altersſtufen, und der Schiffsarzt vom Lloyddampfer „Preußen“ berichtet, daß gleich nach der Abfahrt von Singapore durch Genuß von Fleiſchbrühe geradezu ihr Leben gefährdet worden ſei. Dagegen iſt der Orang auch in der Freiheit ſo erpicht auf die Früchte des Indiſchen Zibetbaumes (Durio zibethinus Z.) und der Mangoſtane (Gar- cinia mangostana L.), daß er ihnen zuliebe ſogar die Pflanzungen der Dajaken aufſucht, und darin beweiſt er wieder einen durchaus menſchenähnlichen Geſchmack; denn dieſe Früchte, ſo— wohl die ſtachelſchaligen, zwar faul riechenden, aber wunderbar fein ſchmeckenden Durionen als die apfelſinenartig ausſehenden Mangies gehören zu den beliebteſten Obſtſorten Niederländiſch— Indiens. Auch A. v. Wenckſtern erfuhr im Hinterland von Deli beim Schlagen einer breiten Straße in den Urwald, um Tabak zu pflanzen, wobei die Fruchtbäume geſchont wurden, wie zähe die Orangs an dieſen Fruchtbäumen hängen. Wahrſcheinlich können die armen „Wald⸗ menſchen“ nur auf ihnen ihren Hunger ſtillen und begeben ſich ſo, getrieben von der täglichen Gewohnheit, ſchließlich auch in Lebensgefahr, in der ſie umkommen. Wenckſtern erlegte auf dieſe Weiſe nicht weniger als ſechs Stück und konnte an dieſen beobachten, daß der Orang von Natur ſehr wenig menſchenſcheu iſt. Wie ſoll er, der ſonſt keinen Feind hat, das auch ſein, ehe er den Menſchen kennengelernt hat? „Mit großer Regelmäßigkeit“, ſchreibt v. Wend- ſtern, „beſuchte er täglich einen ſolchen Baum am frühen Morgen und am Nachmittag.“ Der erſte Schuß hatte den Erfolg, daß der Orang „ſich ſchüttelte, ſtreckte und ſich höchſt bedächtig dem tieferen Walde zu in Bewegung ſetzte, mit den Händen weit vor ſich greifend, ſtarke Zweige faſſend und dann mit den Füßen auf dicht unter den gepackten Aſten befindliche Zweige nachtretend“. „Ein Menſch“, ſagt v. Wenckſtern ganz richtig, „bewegt ſich in einer Baumkrone in ganz ähnlicher Weiſe.“ Die oft gehörte Behauptung, daß der verfolgte Orang mit Aſten würfe, beſtreitet unſer Gewährsmann verſtändigerweiſe ganz entſchieden. „Faſt in allen Baum⸗ kronen iſt dürres Holz. Mir iſt in einem Fall ein ganzer Regen trockenen Holzes unter dem wegeilenden, leicht zu beobachtenden Tier vor die Füße gefallen: ſeine frei ſichtbaren Bewegungen waren aber deutlich nur die des Beſtrebens, vorwärts zu kommen, und dabei hatte es einen dürren Aſt mit zahlreichen Zweigen abgebrochen.“ Dagegen beſtätigt unſer Beobachter, daß der ſchwer krankgeſchoſſene Orang, wenn er nicht mehr weiter kann, in einer Aſtgabelung ſich, wie zum Schlafen, niederlegt und mit abgebrochenen Laubzweigen zu verbergen ſucht: er „brach einige ihm erreichbare kleinere, belaubte Zweige ab, die er teils über die Gabelung legte, teils auf die Seite ſeines Körpers, die uns zugewandt war“. Ganz unglaublich nennt v. Wend- ſtern die Lebenszähigkeit des Orangs. Einer hatte dreizehn Wunden, von denen der Pflanzungs— arzt ſieben als ſehr ſchwer bezeichnete, und faſt jede einzelne hätte nach ſeiner Überzeugung einen Menſchen bewegungsunfähig, wahrſcheinlich ohnmächtig gemacht. „Der Orang aber vermochte noch zu fliehen und faſt eine Stunde lang ſich auf ſeinem luftigen Sitze zu erhalten.“ In einem gewiſſen Widerſpruch zu dem oben von Wallace mitgeteilten Falle hat v. Wenckſtern beim Orang keinerlei Angriffsluſt oder auch nur Notwehr feſtſtellen können. „Die herunter⸗ geſtürzten ſchwerverwundeten Tiere machten in keinem Fall den geringſten Verſuch einer Gegenwehr oder gar eines Angriffes, wenn ſie gepackt und weggebracht wurden. Ich habe meine Hand jedem geſchoſſenen Tier in die ſeine gelegt: jedes ſchloß dann leicht die Hand ohne Haſt — es war ſo täuſchend das Gefühl eines empfangenen Händedrucks, daß ich ſchwer einer 636 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. gewiſſen Gemütsbewegung Herr werden konnte, beſonders wenn ich das Auge des Tieres ſuchte, in dem eine tiefe Traurigkeit unendlich müde ſich ausſprach in ſonderbarem Gegenſatze mit dem wilden Ausſehen des zottigen Kopfes und des gewaltigen Gebiſſes.“ Dieſe Erfahrung läßt ſich nur ſo erklären, daß die fraglichen Orangs entweder zu ſchwer verwundet und durch den Sturz vom Baume verletzt waren, um ſich noch wehren zu können, oder daß ſie in ihrem Geiſte den urſächlichen Zuſammenhang nicht herzuſtellen vermochten zwiſchen ihrer Verwundung und dem Jäger, während dies bei dem von Wallace geſchilderten Nahkampf mit den Wilden wohl keine Schwierigkeiten machte. Über Neſt und Neſtbau beim Orang ſind wir ſeit der Reiſe Selenkas gut unterrichtet; dieſer ſchickte dem Berliner Muſeum ſogar ein gut verpacktes und erhaltenes Orangneſt zu, das dort ausgeſtellt iſt. Es ſtand auf einer 11 m hohen Dreigabelung eines etwa 14 m hohen und 30 em dicken Baumes, alſo nicht ſehr hoch und auf einem nicht ſehr dicken Baume. Das iſt aber allem Anſchein nach die Regel; denn wahrſcheinlich iſt es dem Orang auf den hohen Bäumen zu windig und unruhig zum Schlafen. Selenka ſchreibt dazu: „Jeden Abend oder jeden zweiten Abend bereitet ſich der Orang ein neues Neſt, allermeiſt in kleinen Bäumen und nicht ſehr hoch. Man kann im Urwald an einem Tage ein Dutzend ſolcher Neſter finden. Sturmwinde fegen ſie von Zeit zu Zeit fort. Der Orang polſtert ſich ſein Lager mit kleinen Zweigen, woran grüne Blätter ſitzen, und mit abgerauften Blättern aus. Die Zweige des Neſtes ſind nur übereinandergelegt; niemals findet man ſie verflochten.“ Das Orangneſt des Berliner Muſeums iſt etwa 1,40 m lang, an den Enden etwa 0,30 m, in der Mitte 0,80 m breit und 0,20 m hoch. Es iſt nur aus etwa 20—25 Zweigen zuſammengeſetzt, die meiſt in einer Richtung neben- und übereinanderliegen; mehrere find geknickt und ihre Teile ſpitzwinkelig zuſammengebogen. Obendrauf liegen viele loſe Blätter gleicher Art; ſie konnten botaniſch als zu der Dipterokarpazeengattung Shorea gehörig beſtimmt werden, die in Inſel-Indien Wälder bildet. Auf ſolchem Neſte hat ein großer Orang ſehr gut Platz: er kann ſogar aus- geſtreckt darauf liegen. Der Neſtbautrieb liegt angeboren im Orang drin; denn auch jung eingefangene betätigen ihn in europäiſcher Gefangenſchaft. Ein im Londoner Garten ent⸗ ſprungener Orang baute ſich ſofort auf einem Baume in der Nähe des Affenhauſes ein Neſt, und dasſelbe taten öfter Orangs des Berliner Gartens, denen man manchmal abſichtlich ihre Freiheit ließ. Als echter Inſtinkt bricht der Neſtbautrieb auch durch, wo er gar keinen Zweck mehr hat. So trug ein Orang des früheren Berliner Aquariums beblätterte Erlenzweige, die man ihm in ſeinen Käfig gab, auf ſein erhöhtes Schlafbrett an der Wand und legte ſich des Abends, in ſeine Decke gehüllt, darauf nieder. Ein merkwürdiges Erlebnis mit einem Orangweibchen hatte der Baſeler Sammelreiſende Schneider. Als er das Tier tödlich traf, war ihm, als flöge ihm etwas über den Kopf, und er fand dann fünfzehn Meter weit im Gebüſch ein kleines Junges von 40 em Länge. Wir geben die Tatſache wieder, ohne gleich die Unterſtellung daran zu knüpfen, daß die Alte das Junge abſichtlich weggeſchleudert habe, um es aus der Gefahr zu bringen, und halten die Erklärung für einfacher und näherliegend, daß das Wegſchleudern unwillkürlich geſchah in dem Augen— blick, als die Alte ſich ſchwer getroffen fühlte. In ſolchem Falle ſcheinen aber Affenmütter öfter ihr Junges wegzuſchleudern; denn auch Wallace fand ein ſolches, mit dem Kopfe im Sumpfe ſteckend, als er die Alte mit drei Schüſſen erlegt hatte. Gelegentlich einer ſeiner Jagden erlangte Wallace auch ein Orang-Junges. „Als ich es nach Hauſe trug“, berichtet er, „geriet es mit ſeinen Händen in meinen Bart und faßte ſo feſt hinein, daß ich große Mühe hatte, frei zu kommen; denn die Finger ſind gewöhnlich Orang-Utan: Neſt und Neſtbau. Wallaces Lebensbild eines jungen. 637 am letzten Gelenke hakenartig nach innen gebogen. Es hatte noch keinen einzigen Zahn; doch kamen einige Tage darauf die beiden unteren Vorderzähne zum Vorſcheine. Wenn ich meinen Finger in ſeinen Mund ſteckte, ſaugte es mit großer Kraft, zog ſeine Backen mit aller Macht ein und ſtrengte ſich vergeblich an, etwas Milch herauszuziehen, und erſt nachdem es das eine Zeitlang getrieben hatte, ſtand es mißmutig davon ab und fing ganz wie ein Kind unter ähnlichen Umſtänden zu ſchreien an. Liebkoſte und wartete man es, ſo war es ruhig und zufrieden; ſowie man es aber ablegte, ſchrie es ſtets, namentlich in den erſten paar Nächten, die es unter großer Unruhe verbrachte. Ich machte einen kleinen Kaſten als Wiege zurecht und reichte ihm eine weiche Matte, die täglich gewechſelt und gereinigt wurde, fand es jedoch ſehr bald nötig, auch den kleinen Meias zu waſchen. Dieſe Behandlung gefiel ihm, nachdem er ſie einigemal durchgemacht hatte, in ſo hohem Grade, daß er zu ſchreien begann, ſobald er ſchmutzig war, und nicht eher aufhörte, als bis ich ihn herausnahm und nach dem Brunnen trug. Obwohl er beim erſten kalten Waſſerſtrahl etwas ſtrampelte und ſehr komiſche Grimaſſen ſchnitt, beruhigte er ſich dann doch ſofort, wenn das Waſſer über ſeinen Kopf lief. Das Ab— waſchen und Trockenreiben liebte er außerordentlich, und vollkommen glücklich ſchien er zu ſein, wenn ich ſein Haar bürſtete. Dann lag er ganz ſtill und ſtreckte Arme und Beine von ſich, während ich das lange Haar auf Rücken und Armen ſtrählte. In den erſten paar Tagen klammerte er ſich mit allen vieren verzweifelt an alles, was er packen konnte, wirtſchaftete mit den Händen in der Luft umher und verſuchte, irgend etwas zu ergreifen. Gelang es ihm, einen Stock oder einen Lappen mit zwei Händen oder mit dieſen und einem Fuße zu faſſen, ſo ſchien er ganz glücklich zu ſein. In Ermangelung eines anderen ergriff er oft ſeine eigenen Füße, und nach einiger Zeit kreuzte er faſt beſtändig ſeine Arme und packte mit jeder Hand das lange Haar unterhalb der entgegengeſetzten Schulter. Da ich ſah, daß er Haar ſo gern hatte, bemühte ich mich, ihm eine künſtliche Mutter herzuſtellen, indem ich ein Stück Büffelhaut in ein Bündel zuſammenſchnürte und niedrig über dem Boden aufhing. Zuerſt ſchien ihm dieſes ausgezeichnet zu gefallen, weil er mit ſeinen Beinen nach Belieben umherzappeln konnte und immer etwas Haar zum Feſthalten fand. Meine Hoffnung, die kleine Waiſe glücklich gemacht zu haben, ſchien erfüllt. Bald aber verſuchte er zu ſaugen. Dabei zog er ſich ſoviel als möglich in die Höhe und ſuchte nun überall nach der Saugwarze, bekam aber nur den Mund voll Haare und Wolle, wurde verdrießlich, ſchrie heftig und ließ nach zwei oder drei vergeblichen Verſuchen gänzlich von ſeinem Vorhaben ab. Nach der erſten Woche fand ich, daß ich ihn beſſer mit einem Löffel füttern und ihm mehr abwechſelnde und nahrhaftere Koſt reichen könnte. Gut eingeweichter Zwieback mit etwas Ei und Zucker gemiſcht, manchmal ſüße Kartoffeln wurden gern gegeſſen, und ich bereitete mir ein nie fehlſchlagendes Vergnügen dadurch, daß ich die drolligen Grimaſſen beobachtete, durch welche er ſeine Billigung oder ſein Mißfallen über das, was ich ihm gegeben hatte, ausdrückte. Das arme kleine Geſchöpf beleckte die Lippen, zog die Backen ein und verdrehte die Augen mit dem Ausdrucke der höchſten Be— friedigung, wenn er ſeinen Mund mit dem, was er beſonders liebte, voll hatte, während er andernfalls den Biſſen eine kurze Zeit mit der Zunge im Munde herumdrehte, als ob er einen Wohlgeſchmack daran ſuchen wolle, und wenn er ihn nicht ſüß oder ſchmackhaft genug fand, regelmäßig alles wieder ausſpie. Gab man ihm dasſelbe Eſſen fernerhin, ſo begann er zu ſchreien und ſchlug heftig um ſich, genau wie ein kleines Kind im Zorne zu tun pflegt. „Als ich meinen jungen Meias ungefähr drei Wochen beſaß, bekam ich glücklicherweiſe einen jungen Makaken, der klein, aber ſehr lebhaft war und allein freſſen konnte. Ich ſetzte ihn zu dem Meias, und ſie wurden ſogleich die beſten Freunde. Keiner fürchtete ſich im 638 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. geringſten vor dem anderen. Der kleinere Makak ſetzte ſich ohne die mindeſte Rückſicht auf den Leib, ja ſelbſt auf das Geſicht des Meias, und während ich dieſen fütterte, pflegte jener dabei zu ſitzen und alles aufzunaſchen, was daneben fiel, gelegentlich auch mit ſeinen Händen den Löffel aufzufangen. War ich mit der Atzung fertig geworden, ſo leckte er das, was an den Lippen des Meias ſaß, begierig ab und riß dieſem ſchließlich das Maul auf, um zu ſehen, ob noch etwas darin ſei. Den Leib ſeines Gefährten betrachtete er wie ein bequemes Kiſſen, indem er ſich oft darauf niederlegte, und der hilfloſe Meias ertrug allen Übermut ſeines Ge- fährten mit der beiſpielloſeſten Geduld; denn er ſchien zu froh zu ſein, überhaupt etwas Warmes in ſeiner Nähe oder einen Gegenſtand zur Verfügung zu haben, um den er zärtlich ſeine Arme ſchlingen konnte. Nur wenn ſein Gefährte weggehen wollte, hielt er ihn ſo lange, als er konnte, an der beweglichen Haut des Rückens oder Kopfes oder auch wohl am Schwanze feſt, und der Makak vermochte nur nach vielen kräftigen Sprüngen ſich los zu machen. Merkwürdig war das verſchiedene Gebaren dieſer zwei Tiere, die im Alter nicht weit auseinander ſein konnten. Der Meias benahm ſich ganz wie ein kleines Kind, lag hilflos auf dem Rücken, rollte ſich langſam hin und her, ſtreckte alle viere in die Luft, in der Hoffnung, irgend etwas zu erhaſchen, war aber noch kaum imſtande, ſeine Finger nach einem beſtimmten Gegenſtande hinzubringen, öffnete, wenn er unzufrieden war, ſeinen faſt zahnloſen Mund und drückte ſeine Wünſche durch ein ſehr kindliches Schreien aus; der junge Makak dagegen war in beſtändiger Bewegung, lief und ſprang umher, wann 5 wo es ihm Vergnügen machte, unterſuchte alles, ergriff mit der größten Sicherheit die kleinſten Dinge, erhielt ſich mühelos auf dem Rande des Kaſtens im Gleichgewicht, kletterte an einem Pfahle hinauf und ſetzte ſich in den Beſitz von allem Eßbaren, das ihm in den Weg kam. Man konnte keinen größeren Gegenſatz ſich denken: der Meias erſchien neben dem Makak noch mehr als ſonſt wie ein kleines Kind. „Nachdem ich meinen Gefangenen ungefähr einen Monat bejejjen hatte, zeigte ſich, daß er wohl allein laufen lernen würde. Wenn man ihn auf die Erde legte, ſtieß er ſich mit den Beinen weiter oder überſtürzte ſich und kam ſo ſchwerfällig vorwärts. Wenn er im Kaſten lag, pflegte er ſich am Rande gerade aufzurichten, und es gelang ihm auch ein— oder zweimal bei dieſer Gelegenheit, ſich herauszuhelfen. War er ſchmutzig oder hungrig, oder fühlte er ſich ſonſt vernachläſſigt, ſo begann er heftig zu ſchreien, bis man ihn wartete. Wenn niemand im Hauſe war, oder wenn man auf ſein Schreien nicht kam, wurde er nach einiger Zeit von ſelbſt ruhig. Sowie er aber dann einen Tritt hörte, fing er wieder um ſo ärger an. Nach fünf Wochen kamen ſeine beiden oberen Vorderzähne zum Vorſcheine. In der letzten Zeit war er nicht im geringſten gewachſen, ſondern an Größe und Gewicht derſelbe geblieben wie anfangs. Das kam zweifellos von dem Mangel an Milch oder anderer ebenſo nahrhafter Koſt her. Reiswaſſer, Reis und Zwieback waren doch nur dürftige Erſatz⸗ mittel, und die ausgepreßte Milch der Kokosnuß, die ich ihm manchmal gab, vertrug ſein Magen nicht. Dieſer Nahrung hatte ich auch eine Erkrankung an Durchfall zuzuſchreiben, unter der das arme kleine Geſchöpf ſehr litt; doch gelang es mir, ihn durch eine geringe Gabe Rizinusöl wiederherzuſtellen. Eine oder zwei Wochen ſpäter wurde er wieder krank und diesmal ernſt⸗ licher. Die Erſcheinungen waren genau die des Wechſelfiebers, auch von Anſchwellungen der Füße und des Kopfes begleitet. Er verlor alle Eßluſt und ſtarb, nachdem er in einer Woche bis zu einem Jammerbilde abgezehrt war.“ Zur Vervollſtändigung des von Wallace ſo trefflich gezeichneten Lebensbildes eines 1 Orang⸗Utans will ich noch einige ältere Berichte folgen laſſen. Die erſten genauen Beobachtungen verdanken wir dem oben ſchon genannten Tiergartenleiter des Prinzen von Oranien, Vosmaer, ar ae een P Orang⸗Utan: Wallaces Lebensbild eines jungen. Altere Berichte. 639 der ein Weibchen längere Zeit zahm hielt. Das Tier war gutmütig und zeigte ſich niemals boshaft oder falſch. Man konnte ihm ohne Bedenken die Hand in das Maul ſtecken. Sein äußeres Anſehen hatte etwas Trauriges, Schwermütiges. Es liebte die menſchliche Geſellſchaft ohne Unterſchied des Geſchlechtes, zog aber diejenigen Leute vor, die ſich am meiſten mit ihm beſchäftigten. Man hatte es an eine Kette gelegt, worüber es zuweilen in Verzweiflung geriet; es warf ſich dann auf den Boden, ſchrie erbärmlich und zerriß alle Decken, die man ihm ge— geben hatte. Als es einmal freigelaſſen wurde, kletterte es behend in dem Sparrwerke des Daches umher und zeigte ſich hier ſo hurtig, daß vier Perſonen eine Stunde lang zu tun hatten, um es wieder einzufangen. Bei dieſem Ausfluge erwiſchte es eine Flaſche mit Malagawein, entkorkte ſie und brachte den Wein ſchleunigſt in Sicherheit, ſtellte dann aber die Flaſche wieder an ihren Ort. Es fraß alles, was man ihm gab, zog aber Obſt und gewürzhafte Pflanzen anderen Speiſen vor. Geſottenes und gebratenes Fleiſch oder Fiſche genoß es ebenfalls ſehr gern. Nach Kerbtieren jagte es nicht, und ein ihm dargebotener Sperling verurſachte ihm viel Furcht; doch biß es ihn endlich tot, zog ihm einige Federn aus, koſtete das Fleiſch und warf den Vogel wieder weg. Rohe Eier ſoff es mit Wohlbehagen aus. Der größte Leckerbiſſen ſchienen ihm Erdbeeren zu ſein. Vor dem Schlafengehen machte es ſtets große Anſtalten. Es legte ſich das Heu zum Lager zurecht, ſchüttelte es gut auf, legte ſich noch ein beſonderes Bündel unter den Kopf und deckte ſich dann zu. Allein ſchlief es nicht gern, weil es die Einſamkeit überhaupt nicht liebte. Bei Tage ſchlummerte es zuweilen, aber niemals lange. Man hatte ihm eine Kleidung gegeben, die es ſich bald um den Leib und bald um den Kopf legte, und zwar ebenſowohl, wenn es kühl war, als während der größten Hitze. Als man ihm einmal das Schloß ſeiner Kette mit dem Schlüſſel öffnete, ſah es mit großer Aufmerkſamkeit zu und nahm ſodann ein Stückchen Holz, ſteckte es ins Schlüſſelloch und drehte es nach allen Seiten um. Es konnte die verwickeltſten Knoten an einem Stricke ſehr geſchickt mit den Fingern oder, wenn ſie zu feſt waren, mit den Zähnen auflöſen und ſchien daran eine ſolche Freude zu haben, daß es auch den Leuten, die nahe zu ihm hintraten, regelmäßig die Schuhe aufband. Die Hinterhände benutzte es ebenſo geſchickt wie die vorderen. So legte es ſich z. B., wenn es etwas mit den Vorderhänden nicht erreichen konnte, auf den Rücken und zog den Gegenſtand mit den Hinterfüßen heran. Es ſchrie nie, außer wenn es allein war. Anfangs glich dieſes Geſchrei dem Winſeln eines Hundes. Der Orang, den Cuvier in Paris beobachtete, war etwa 10 —11 Monate alt, als er nach Frankreich kam, und lebte dort noch faſt ein halbes Jahr. Seine Bewegungen waren langſam und auf dem Boden ſchwerfällig. Er ſetzte beide Hände geſchloſſen vor ſich nieder, erhob ſich auf ſeine langen Arme, ſchob den Leib vorwärts, ſetzte die Hinterfüße zwiſchen die Arme vor die Hände und ſchob den Hinterleib nach, ſtemmte ſich dann wieder auf die Fäuſte uſw. Wenn er ſich auf eine Hand ſtützen konnte, ging er auch auf den Hinterfüßen, trat aber immer mit dem äußeren Rande des Fußes auf. Beim Sitzen ruhte er in der Stellung der Morgenländer mit eingeſchlagenen Beinen. Das Klettern wurde ihm ſehr leicht; wenn ſich die Zweige zweier Bäume berührten, kam er leicht von einem Baume zum anderen. In Paris ließ man ihn an ſchönen Tagen oft in einem Garten frei; dann kletterte er raſch auf die Bäume und ſetzte ſich auf die Aſte. Wenn ihm jemand nachſtieg, ſchüttelte er die Aſte mit allen Kräften, als wenn er ſeinen Nachfolger abſchrecken wollte; zog man ſich zurück, ſo endeten dieſe Vorſichtsmaßregeln; erneuerte man den Verſuch, jo begannen ſie ſogleich wieder. Die Eſſens— zeit kannte er genau, kam regelmäßig zur rechten Zeit zu ſeinem Wärter hin und nahm, was dieſer ihm gab. Fremdenbeſuche wurden ihm oft läſtig, und nicht ſelten verſteckte er ſich jo 640 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. lange unter ſeinen Decken, bis die Leute wieder fort waren. Bei Bekannten tat er dies nie. Nur von ſeinem Wärter nahm er Futter an. Als ſich einſt ein Fremder an den gewöhnlichen Platz ſeines Pflegers ſetzte, kam er zwar herbei, verweigerte aber, als er den Fremden bemerkte, alle Nahrung, ſprang auf den Boden, ſchrie und ſchlug ſich, wie in Verzweiflung, vor den Kopf. Seine Speiſe nahm er mit den Fingern und nur ſelten gleich mit den Lippen auf und beroch alles, was er nicht kannte, vorher ſorgfältig. Sein Hunger war unverwüſtlich: er konnte, wie die Kinder, zu jeder Zeit eſſen. Zuweilen biß und ſchlug er zu ſeiner Verteidigung um ſich, aber nur gegen Kinder und mehr aus Ungeduld als aus Zorn. Er war überhaupt ſanft und liebte die Geſellſchaft, ließ ſich gern ſchmeicheln und gab Küſſe im eigentlichen Sinne. Wenn er etwas ſehnſüchtig verlangte, ließ er einen ſtarken Kehllaut hören. Dieſen vernahm man gleichfalls, wenn er im Zorne war; doch wälzte er ſich dann oft am Boden und ſchmollte, falls man ihm nicht willfahrte. Zwei junge Katzen hatte er beſonders liebgewonnen und hielt die eine oft unter dem Arme oder ſetzte ſie ſich auf den Kopf, obſchon ſie ſich mit ihren Krallen an ſeiner Haut feſthielt. Einigemal betrachtete er ihre Pfoten und ſuchte die Krallen mit ſeinen Fingern auszureißen. Da ihm dies nicht gelang, duldete er lieber die Schmerzen, als daß er das Spiel mit ſeinen Lieblingen aufgegeben hätte. Eine weitere Mitteilung rührt von einem guten Beobachter her, der einen Orang-Utan drei Monate mit ſich auf dem Schiffe hatte. Das Tier hauſte, ſolange ſich das Schiff in den aſiatiſchen Gewäſſern befand, auf dem Verdeck, ſeinem beſtändigen Aufenthalte, und ſuchte ſich nur des Nachts eine geſchützte Stelle zum Schlafen aus. Während des Tages war der Drang- Utan außerordentlich aufgeräumt, ſpielte mit anderen kleinen Affen, die ſich an Bord befanden, und luſtwandelte im Takelwerke umher. Seine Gewandtheit und die bei dieſen Bewegungen ſichtbar werdende Muskelkraft war erſtaunlich. Kapitän Smitt, der Beobachter, hatte einige hundert Kokosnüſſe mitgenommen, von denen der Affe täglich zwei erhielt. Die äußerſt zähe, 2 Zoll dicke Hülle der Nuß, die ſelbſt mit einem Beile nur ſchwer zu durchhauen iſt, wußte der Orang mit ſeinem gewaltigen Gebiſſe ſehr geſchickt zu zertrümmern. Er ſetzte an dem ſpitzigen Ende der Nuß, wo die Frucht kleine Erhöhungen oder Buckel hat, mit ſeinen furchtbaren Zähnen ein, packte die Nuß dann mit dem rechten Hinterfuße und riß ſo regelmäßig die zähe Schale aus— einander. Dann durchbohrte er mit den Fingern eine der natürlichen Offnungen der Nuß, trank die Milch aus, zerſchlug hierauf die Nuß an einem harten Gegenſtande und fraß den Kern. Nachdem das Schiff die Sundaſtraße verlaſſen hatte, verlor der Orang mit der ab— nehmenden Wärme mehr und mehr ſeine Heiterkeit. Er hörte auf zu turnen und zu ſpielen, kam nur noch ſelten auf das Verdeck, ſchleppte die wollene Decke ſeines Bettes hinter ſich her und hüllte ſich, ſobald er ſtill ſaß, vollſtändig in dieſe ein. In der gemäßigten jüd- lichen Zone hielt er ſich größtenteils in der Kajüte auf und ſaß dort oft ſtundenlang mit der Decke über dem Kopfe regungslos auf einer Stelle. Sein Bett bereitete er ſich ebenfalls mit der größten Umſtändlichkeit. Er ſchlief nie, ohne vorher ſeine Matratze zwei- bis dreimal mit dem Rücken der Hände ausgeklopft und geglättet zu haben. Dann ſtreckte er ſich auf den Rücken, zog die Decke um ſich, ſo daß nur die Naſe mit den dicken Lippen frei blieb, und lag in dieſer Stellung die ganze Nacht oder zwölf Stunden, ohne ſich zu rühren. In ſeiner Heimat geſchah ſein Aufſtehen und Niederlegen ſo regelmäßig wie der Gang einer Uhr. Punkt 6 Uhr morgens oder mit Sonnenaufgang erhob er ſich, und ſowie der letzte Strahl der Sonne hinter dem Geſichtskreiſe entſchwunden war, alſo Punkt 6 Uhr abends, legte er ſich wieder nieder. Je weiter das Schiff nach Weſten ſegelte und demgemäß in der Zeit abwich, um ſo früher ging er zu Bette und um ſo früher ſtand er auf, weil er eben auch nur ſeine zwölf Stunden ſchlief. Orang-Utan: Gefangenleben. 641 Dieſe Veränderung des Schlafengehens ſtand zwar nicht genau mit der Zeitrechnung des Schiffes im Verhältniſſe; allein eine gewiſſe Regelmäßigkeit war nicht zu verkennen. Am Vor— gebirge der Guten Hoffnung ging der Orang bereits um 2 Uhr des Mittags zu Bette und ſtand um ½3 Uhr des Morgens auf. Dieſe beiden Zeiten behielt er ſpäter bei, obwohl das Schiff im Verlaufe ſeiner Reiſe die Zeit noch um zwei Stunden veränderte. Außer den Kokosnüſſen liebte er Salz, Fleiſch, Mehl, Sago uſw. und wandte alle mög— liche Liſt an, um während der Mahlzeit eine gewiſſe Fleiſchmenge ſich zu ſichern. Was er ein— mal gefaßt hatte, gab er nie wieder her, ſelbſt wenn er geſchlagen wurde. 3—4 Pfund Fleiſch aß er mit Leichtigkeit auf einmal. Das Mehl holte er ſich täglich aus der Küche und wußte dabei immer eine augenblickliche Abweſenheit des Koches zu benutzen, um die Mehltonne zu öffnen, ſeine Hand tüchtig voll zu nehmen und ſie nachher auf dem Kopfe abzuwiſchen, ſo daß er ſtets gepudert zurückkam. Dienstags und Freitags, ſobald zum Eſſen geläutet wurde, ſtattete er den Matroſen unwandelbar ſeinen Beſuch ab, weil die Leute an dieſen Tagen Sago mit Zucker und Zimt erhielten. Ebenſo regelmäßig ſtellte er ſich um 2 Uhr in der Kajüte ein, um am Mahle teilzunehmen. Beim Eſſen war er ſehr ruhig und, gegen die Gewohnheit der Affen, reinlich; doch konnte er nie dazu gebracht werden, einen Löffel richtig zu gebrauchen. Er ſetzte den Teller einfach an den Mund und trank die Suppe aus, ohne einen Tropfen zu verſchütten. Geiſtige Getränke liebte er ſehr und erhielt deshalb mittags ſtets ſein Glas Wein. Er leerte dieſes in ganz eigentümlicher Weiſe. Aus ſeiner Unterlippe konnte er durch Vorſtrecken einen 3 Zoll langen und faſt ebenſo breiten Löffel bilden, geräumig genug, um ein ganzes Glas Waſſer aufzunehmen. In dieſen Löffel ſchüttete er das betreffende Getränk, und niemals trank er, ohne ihn zuvor herzuſtellen. Nachdem er das ihm gereichte Glas ſorgfältig berochen hatte, bildete er ſeinen Löffel, goß das Getränk hinein und ſchlürfte es ſehr bedächtig und langſam zwiſchen den Zähnen hinunter, als ob er ſich einen recht dauernden Genuß davon verſchaffen wollte. Nicht ſelten währte dieſes Schlürfen mehrere Minuten lang, und erſt dann hielt er ſein Glas von neuem hin, um es ſich wieder füllen zu laſſen. Er zerbrach niemals ein Gefäß, ſondern ſetzte es ſtets behutſam nieder. Während der Reiſe kletterte er ſelten umher und dann ſtets langſam und bedächtig; gewöhnlich tat er es nur dann, wenn ein anderer kleiner Affe, ſein Liebling, wegen einer Unart beſtraft werden ſollte. Dieſer flüchtete ſich dann regel— mäßig an die Bruſt ſeines großen Freundes und klammerte ſich dort feſt, und Bobi, ſo hieß der Orang-Utan, ſpazierte mit ſeinem kleinen Schützlinge in das Takelwerk hinauf, bis die Gefahr verſchwunden ſchien. Man vernahm nur zwei Stimmlaute von ihm: einen ſchwachen, pfeifenden Kehllaut, der Gemütsaufregung kennzeichnete, und ein ſchreckliches Gebrüll, das dem einer geängſteten Kuh etwa ähnelte und Furcht ausdrückte. Dieſe wurde einmal durch eine Schule von Pottwalen hervorgerufen, die nahe am Schiffe vorüberſchwamm, und ein zweites Mal durch den Anblick verſchiedener Waſſerſchlangen, die ſein Gebieter mit aus Java gebracht hatte. Der Ausdruck ſeiner Geſichtszüge blieb ſich immer gleich. Leider machte ein unangenehmer Zufall dem Leben des ſchönen Tieres ein Ende, noch ehe es Deutſchland erreichte. Es geriet über eine volle Rumflaſche und hatte fie faſt völlig geleert, ehe man da— zwiſchenkam. Es hatte ſie auf geſchickte Weiſe entkorkt und ſeinem Verlangen nach geiſtigen Getränken nur allzuſehr Genüge leiſten können. Etwa 10 Minuten nach dieſem Vorgange wurde Bobi plötzlich lebendig. Er ſprang auf Stühle und Tiſche, machte die lächerlichſten Bewegungen und gebärdete ſich mit ſteigender Lebhaftigkeit wie ein betrunkener und zuletzt wie ein wahnſinniger Menſch. Es war unmöglich, ihn zu bändigen. Sein Zuſtand hielt ungefähr eine Viertelſtunde an; dann fiel er zu Boden, es trat ihm Schaum vor den Mund, Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 41 642 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. und er lag ſteif und regungslos. Nach einigen Stunden kam er wieder zu ſich, verfiel aber in ein heftiges Nervenfieber, das ſeinem Leben ein Ziel ſetzen ſollte. Während feiner Krank⸗ heit nahm er nur Wein mit Waſſer und die ihm gereichten Arzneien zu ſich, nichts weiter. Nachdem ihm einmal an den Puls gefühlt worden war, ſtreckte er ſeinem Herrn jedesmal, wenn dieſer an ſein Lager trat, die Hand entgegen. Dabei hatte ſein Blick etwas ſo Rührendes und Menſchliches, daß ſeinem Pfleger öfters die Tränen in die Augen traten. Ich habe mehrere lebende Orang-Utans beobachtet, keinen einzigen aber kennengelernt, der mit einem Schimpanſen gleichen Alters hätte verglichen werden können. Allen fehlte die letzteren jo auszeichnende neckiſche Munterkeit und die Luft zu ſcherzen: fie waren im Gegen— teil ernſthaft bis zum Außerſten, mehrere auch ſtill und deshalb langweilig. Jede ihrer Be⸗ wegungen war langſam und gemeſſen, der Ausdruck ihrer braunen, gutmütigen Augen un— endlich traurig. So ſtellten ſie faſt in jeder Hinſicht ein Gegenſtück des Schimpanſen dar. Es gibt jedoch auch Ausnahmen, und als ſolche darf der etwa vierjährige Orang bezeichnet werden, der 1878 dem Frankfurter Zoologiſchen Garten von einem Gönner ſelbſt über See gebracht wurde, nachdem er ſchon drei Jahre auf Java zahm gehalten worden war. Max Schmidts ausführlichem Berichte über ſeinen vielverſprechenden Pflegling entnehmen wir, daß dieſer Orang ungemein lebhaft war, den ganzen Tag unermüdlich herumſpielte und kletterte. Schon in Neapel, wo Schmidt ihn in Empfang nahm, gab er bemerkenswerte Beweiſe geiſtiger Fähigkeiten und einer an das menſchliche Kind erinnernden Weſensart. „Ein Stück Bindfaden, das der Affe in ſeiner Streu gefunden haben mochte, bot ihm lange Zeit eine angenehme Unterhaltung, indem er es in das Lattengitter ſeines Käfigs flocht, und zwar ſo, daß er es zur einen Offnung hinausſchob und zur nächſten wieder hereinholte und ſo fort. Später ging der Bindfaden verloren, und er bediente ſich nun eines Heu- oder Strohhalmes; doch waren dieſe zu ſpröde und brachen öfter ab... Nachts ſchlief er ganz ruhig... Nur einmal erwachte er vollkommen, als ich ſpät abends nach Hauſe kam und mein Licht in ſeinen Käfig ſchien. Da ruhte er denn auch nicht eher, als bis ihm nochmals Milch gereicht wurde. Jede erfahrene Mutter wird wohl auch hierin ganz das Verhalten eines kleinen Kindes erkennen. Die Art, wie er in einem ſolchen Falle ſeinen Willen durchzuſetzen ſuchte, war ebenfalls eine ganz kind⸗ liche. Er begann erſt zu wimmern, wobei er den Mund verzog wie ein weinender Menſch; dabei ſprang er im Kaſten umher und trat mit der Ferſe heftig gegen die Tür, während er mit den Händen ſeine Streu durcheinander warf. Bei einer ſolchen Gelegenheit machte er eines Tages die Wahrnehmung, daß er durch entſprechendes Stoßen gegen die Wände ſeines Transport⸗ behälters imſtande war, dieſen von der Stelle zu bewegen. Dieſe Erfahrung nutzte er denn auch gehörig aus, wodurch mir einige Schwierigkeiten erwuchſen.“ Auf der weiteren Eiſen⸗ bahnreiſe, die der Orang mit ſeinem Pfleger in einem beſonderen Abteil zurücklegte, verhielt er ſich „im ganzen ſtill und beſchäftigte ſich hauptſächlich mit aufmerkſamer Betrachtung der Gegend, deren raſches Vorübereilen ihn höchlichſt zu intereſſieren ſchien. Die Fahrt durch Tunnels ließ ihn ruhig, wenn ich mich an der Seite befand, wo er mich ſehen konnte; ſaß ich dagegen am anderen Ende, ſo ſtreckte er wohl die Hände aus dem Käfig oder ließ ein leiſes Wimmern hören, beruhigte ſich aber ſofort, wenn ich ihm durch einige Worte meine Anweſenheit kund⸗ gab. Wenn ich beim Aufenthalt an den Stationen Miene machte, den Wagen zu verlaſſen, begann der Affe faſt jedesmal zu weinen; denn dieſe Bezeichnung verdient doch wohl das Wimmern mit gleichzeitigem weinerlichem Verziehen des Geſichtes. Ich muß indes bemerken, daß ich bei dieſer Gelegenheit niemals Tränen beobachtet habe, ſo ſehr ich darauf achtete. Nachts ſchlief das Tier auch während der Eiſenbahnfahrt, hielt ſich aber, um die Bewegung 5 eee Orang-Utan: Schmidts Beobachtungen. 643 des Wagens minder unangenehm zu empfinden, mit drei ‚Händen‘ am Gitter feines Käfigs feſt.“ Heftiges Seitenſchleudern des Wagens während einer Nachtfahrt wurde ſchließlich „auch dem Orang zu bunt. Er erwachte, begann leiſe zu wimmern, und als ich mich trotzdem nicht um ihn zu kümmern ſchien, ſtreckte er ruhig die Hand nach mir aus, deren Fingerſtellung einen ungemein flehenden und hilfeſuchenden Ausdruck hatte. Als ich ihm nun meine Hand reichte und ihm einige freundliche Worte ſagte, beruhigte er ſich alsbald wieder und verſuchte einzuſchlafen.“ In Frankfurt wurde ihm und ſeinem Wärter dann ein eigenes Zimmer mit Turngeräten und Klettergelegenheit eingeräumt und die Menſchenaffenhaltung begann, die neuerdings überall üblich geworden iſt. „Eine Kugel aus leichtem Holz von etwa 15 em Durch— meſſer machte dem Affen die größte Freude. Er rollte ſie, nahm ſie in den Arm und hob ſie zeitweiſe, jo hoch er konnte, über ſeinen Kopf empor, wobei er vergnüglich nach ihr blickte. Daß ſie beim Niederfallen auf den Boden heftig polterte, amüſierte ihn höchlich, und er warf ſie nun öfter hin, um dieſes Geräuſch zu veranlaſſen. Als er ihrer müde war, legte er ſie in eine Ecke, aus der ſie, da der Boden etwas geneigt war, aber ſofort wieder hervorrollte. Darauf blickte er ſich ſuchend um und ergriff ein Stückchen Brot, das er unter die Kugel ſteckte, ſo daß dieſe da liegen bleiben mußte, wo er ſie zu haben wünſchte. Einen kleinen hölzernen Hammer faßte er ohne weiteres ſofort beim Stiele an und ſchlug damit auf den Boden. Nach einigen Tagen entdeckte er außerhalb des Gitters einen Nagel, der aus den Dielen etwas hervorragte. Einige Zeit drückte er mit den Fingern daran hin und her; dann aber holte er den Hammer und verſuchte damit, den Stift hineinzuſchlagen.“ Bei Beurteilung dieſer Leiſtung iſt es wohl angebracht, ſich zu erinnern, daß dieſer Orang ſchon drei Jahre Gefangenſchaft und Verkehr mit Menſchen auf Java hinter ſich hatte. Mit großen Bogen Papier ſuchte er ſchon auf der Seereiſe in komiſchſter Weiſe ſich zu drapieren, indem er „die Ecken unter dem Kinn zuſammenfaßte, ſo daß das Geſicht wie aus einer Kapuze hervorſah“. Machte man in das Papier ein großes rundes Loch, „ſo ſteckte er ſofort den Kopf hindurch, zwängte aber auch die Arme hinein, jo daß das Papier zerriß . .. Einen kleinen Hut aus Papier ſetzte er ſofort auf den Kopf und zog ihn an beiden Enden kräftig herab, damit er auch ſitzen blieb... Häufig benutzt er das Papier, um ſeine Kugel darin einzuwickeln, wobei er ſich mit großer Gewandtheit benimmt. . . Seine Lieblingsunterhaltung iſt Necken und Balgen mit ſeinem Wärter oder anderen ihm bekannten Perſonen“, aber „jeden ſeiner Bekannten behandelt er in anderer Weiſe ... Die Berührung ſeiner Körperſeiten erregt ihm Kitzel. Wenn er ſich auf ſeine Strohdecke niederſetzt, verſäumt er ſelten, mit dem Handrücken über die zu benutzende Stelle zu fahren, um etwaige Unebenheiten, Brotkrumen und dergleichen zu beſeitigen . . Helle, freundliche Farben liebt der Orang ſehr.“ Als er für ſein Bett ſtatt der gewohnten weißen Decke eine graue erhielt, ſuchte er eine unter dieſer liegende hellfarbige hervorzuziehen und ſich mit dieſer zu bedecken. „Das leuchtende Rot an Uniformen oder hellfarbige Kinderkleider betrachtet er lange.“ Deutlich beweiſt er auch, „daß er ſich zu kleineren Kindern ganz beſonders hingezogen fühlt, indem er ſolche nicht ſelten durch Darreichung ſeines Hammers oder eines anderen Gegenſtandes zum Mitſpielen zu veranlaſſen ſucht“. Sein Mienenſpiel iſt ſehr ausdrucksvoll. „Wenn er irgendeine Schelmerei im Schilde führt, ſo ſieht man einen heiteren Zug um ſeinen Mund, ähnlich wie bei manchen Menſchen. Die Freude über ein Spielzeug oder einen gelungenen Streich drückt ſich durch ein Lächeln aus, wobei ſich der Mund in die Breite zieht. Bei höherem Grade des Vergnügens und in übermütiger Laune entſteht förmliches Lachen, indem das Tier den Mund öffnet und die Lippen zurückzieht, daß die Zähne ſichtbar werden, wobei es einen mehr oder minder lauten 41* 644 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. kichernden Ton hören läßt. . . Bei Furcht oder Angſt tritt zunächſt die Unterlippe etwas vor, dann werden beide Lippen weit vorgeſtreckt“: die allgemeine Ausdrucksform der Menſchenaffen. Von Stimmlauten wurde außer dem erwähnten Wimmern nur bei größerer Aufregung „ein leichtes Grunzen“ gehört. Einen Sperling, der ſich am Fenſter ſeiner Stube zu Tode geflogen hatte, faßte der Orang erſt nur mit der größten Vorſicht an, ſpielte aber dann damit und machte ihn ſchließlich „kaput“, wie ein Kind ein Spielzeug. Vor ſeinem Spiegelbild, das ihm unvermutet in einem Spiegel außerhalb des Gitters gezeigt wurde, rückte er erſt mehrmals angſtvoll aus, dann ſpuckte er es an und ſuchte mit ſeinem Hammer und mit Brotreſten nach dem Spiegel zu werfen. Näherte man den Spiegel, ſo flüchtete der Affe ſofort wieder. Bald aber ſuchte er ſein Ebenbild zum Spielen zu bewegen. So „holte er ein Blatt Papier, ſtreckte es, ſo weit er konnte, jenem entgegen und bewegte es hin und her, wie wir zu tun pflegen, um in ähnlichem Falle die Aufmerkſamkeit eines Kindes zu erregen. Daß er in dem Spiegel— bilde ſich ſelbſt erkannt habe, war nicht nachweisbar. Es iſt dies um ſo erſtaunlicher, als er die anweſenden Perſonen im Spiegel ſah und erkannte; denn er fixierte ſie zeitweiſe im Bilde und blickte ſich dann nach ihnen um, als wolle er ſich verſichern, daß ſie auch in Wirklichkeit da ſeien.“ Als der Spiegel weggenommen wurde, „betrachtete er überraſcht die Stelle der Wand, an der ihm ſoeben eine neue Welt erſchienen war, und näherte ſich, ſo weit tunlich, als wolle er ſich ganz genau überzeugen, ob denn wirklich nichts mehr von alledem vorhanden ſei. Er ſtieg auf den Baum, kletterte an den Gitterwänden empor und ſuchte ſo von den verſchiedenſten Standpunkten die merkwürdige Stelle zu prüfen.“ Seine Stube unterſuchte er natürlich genau. „Die Unterſuchung der Wände geſchah in der Weiſe, daß das Tier ruhig mit dem Kopf dagegen drückte. Erſt nachher erfolgte eine Prüfung durch Betaſten mit den Händen, die indes mehr auf die Tapete berechnet ſchien; denn dieſe verſuchte der Orang an ſolchen Stellen, wo ſie hohl klang, mit den Nägeln abzureißen.“ Den Kletterbaum probierte er jo aus, daß er immer auf einen höheren Aſt ſtieg, jedesmal aber wieder auf den Fuß boden zurückkehrte. Die Schwungſeile faßte er zwar an und bewegte ſie, blieb aber mit den Füßen auf dem Boden ſtehen, ließ ſofort los, ſobald die Ringe knarrten, und ſchaute bedenklich nach oben. Die Leiter ſtieg er nach Art erwachſener Menſchen hinauf, auf jede Sproſſe nur einen Fuß ſetzend. An der Decke befand ſich von früher eine Stuckverzierung, aber nur gemalt. Dieſe befühlte der Orang wiederholt mit den Fingerſpitzen. Sein Lieblingsſtück war bald und blieb dauernd ein Wiener Rohrſtuhl, der ihm auf alle nur erdenkliche Weiſe zum Unterhaltungs— ſpiel diente. Ebenſo machte er ſich unverzüglich mit ſeiner Schlafkiſte zu ſchaffen, wenn dieſe nicht frühmorgens ſofort weggenommen wurde. Er brachte es fertig, die ziemlich ſchwere Kiſte mit beiden Händen an der Schmalſeite etwas hoch zu heben, und dann wendete er wieder das oben ſchon erwähnte Anſtemmen mit der Stirn an, um ſie von unten zu faſſen und voll— ſtändig aufzurichten. Ebenſo ſtemmte er ſie beim Niederlaſſen wieder mit dem Kopfe und zog dann die Finger unter dem Boden heraus, ehe er ſie auf dieſen niederſetzte. Sehr bemerkenswert und für die geiſtigen Fähigkeiten der Menſchenaffen überhaupt bezeichnend war ſein lebhaftes Intereſſe für außerhalb des Gitters und ſeines Bereiches an— gebrachte Gegenſtände verſchiedener Art, die für ihn keinerlei „praktiſchen“, mit ſeiner Wohl— fahrt zuſammenhängenden Wert haben konnten und ihm alſo eigentlich ganz gleichgültig ſein mußten, anderen ebenfalls geiſtig durchaus nicht niedrig ſtehenden Tieren gewiß auch gleichgültig geblieben wären, z. B. ein Plakat, ein Thermometer. Selbſt als Schmidt ihm eines Tages die Gittertür öffnete, ſo daß der Orang zu ſeinen ungeduldig erwarteten Apfel— ſinen gelangen konnte, die der Wärter im Vorraum gerade für ihn ſchälte, eilte er nicht dahin, Orang-Utan: Gefangenleben. Geiſtige Fähigkeiten. Temperament. 645 ſondern riß ſchleunigſt das Plakat ab. Und als er einſt einen Knüppel von entſprechender Länge in die Hände bekam, benutzte er ihn im erſten unbewachten Augenblick dazu, um das Thermometer vom Nagel herunterzuſtoßen. Das Thermometer wurde weiter weg gehängt. Aber kaum hatte der Affe gelegentlich einen Spazierſtock erwiſcht, ſo hatte er ſofort ermeſſen, daß er mit dieſem wiederum ſo weit reichen würde, und es abermals heruntergeworfen. Einer Schmeißfliege, die hoch an der Wand ſaß, ſuchte er mit der Hand beizukommen, indem er ſich ſo lang reckte, wie er konnte. Als er ſie ſo nicht erreichte, holte er ſeinen Knüppel und faßte dieſen ſchließlich am äußerſten Ende nur mit den Fingerſpitzen an; allerdings auch vergebens. In anderen Fällen ſuchte er Fliegen mit dem Ende ſeines Schwungſeiles totzuſchlagen. Um ſeinen Lieblingsſtreich ausführen zu können, das Zauſen ſeiner Bekannten am Barte, wovor dieſe ſich natürlich nach Kräften zu hüten ſuchten, machte er gewiſſe Manöver, die das unbedingte Gepräge liſtiger Überlegung trugen. Nicht nur, daß er es erſt offenſichtlich und lang— ſamer mit der einen Hand, dann aber um ſo plötzlicher mit der anderen verſuchte und auf letztere Art auch oft erreichte: er hielt auch ein Spielzeug und, wenn das nichts fruchtete, ein Stück von ſeinem Brot zur Anlockung hin; ſobald aber jemand tat, als wolle er abbeißen, hatte er ihn mit der anderen Hand blitzſchnell am Barte, „wobei ſeine Mienen die Freude über den gelungenen Streich ſattſam ausdrückten“. Die Spielerei, daß das Tier auf eine Aufforderung, es möge doch etwas abgeben, ſtets ein Stück von der Nahrung, mit deren Verſpeiſen es gerade beſchäftigt iſt, hinreicht, erklärt Schmidt mit Recht ebenfalls für einen „Beweis ſeiner hohen geiſtigen Stufe“ und fügt ſehr treffend hinzu: „es dürfte kein anderer (nicht Menſchen-) Affe ſich freiwillig oder auf ein paar zu ihm geſprochene Worte hin dazu herbeilaſſen“. Erfahrene Tierpfleger und ⸗abrichter, wie Perzina, bewerten die geiſtigen Fähigkeiten des Orangs, wenigſtens für die Vorſtellungsdreſſur, bedeutend niedriger als die des Schimpanſen. Während dieſer z. B. das Radfahren im Nu lernt, mühte ſich Perzina mit ſeinem Orang monatelang vergebens ab und konnte ihn ſchließlich nur eben als Hintermann auf dem Tandem— rad gebrauchen. Anderſeits tritt aber gerade jetzt in unſeren Theatern und Zirkuſſen ein mittel— großer Orang „Urian“ auf, der nicht nur ausgezeichnet am Trapez turnt, ſondern auch in menſchlicher Kleidung genau dieſelbe lächerliche Menſchenvorſtellung gibt, die man im letzten Jahrzehnt von den verſchiedenen „Konſul“ titulierten Schimpanſen genugſam kennengelernt hat. Nach Hornaday vom Neuyorker Zoologiſchen Garten ſind eben die einzelnen Orangs ſehr verſchiedenen Geiſtes Kinder. Von zweien, die er gleichzeitig pflegte, bezeichnet er den einen als einen gelehrigen Nachahmer, den anderen als einen „ſelbſtändigen Denker“. Erſterer lernte ſehr raſch, ſich menſchlich zu benehmen und in Kleidern Vorſtellung zu geben. Letzterer war für derartiges nicht zu haben, erfand aber für ſich, nach Hornadays Auffaſſung, grundſätzlich ausgedrückt, den Gebrauch des Hebels. Er benutzte das eichene Querholz ſeiner Trapezſchaukel, um Gitterſtangen ſeines Käfigs auseinanderzubiegen und dann den Kopf durchzuſtecken, zerbrach damit ſtarke Schlafkäſten uſw. Ahnliches erzählt Karl Hagenbeck von ſeinem Orang Jakob, der mit einem Eiſenſtab, den er von ſeinen Turngeräten losgebrochen hatte, ein Vorhängeſchloß ſprengte. Das zugehörige Weibchen Roſa verſtand ſehr geſchickt, Drahtgitter vom Rahmen zu löſen und ſo ins Freie zu gelangen. Der Orang iſt meiſt ruhig und bedächtig, ein Phlegmatiker, wenn man ihn in eines der vier althergebrachten Temperamente eingliedern ſoll. Als Phlegmatiker zeigt er aber viel ſchwerer und langſamer, was er kann, geht er viel ſchwerer aus ſich heraus als ſolch ein über— ſprudelnder Sanguiniker, wie es der Schimpanſe iſt. Auch im kindlichen Alter ſchon, wo das 646 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. Tier doch noch ein ſehr großes Anſchlußbedürfnis hat. Durch dieſes wird aber ſchließlich auch jeder junge Orang mit einem liebevollen Pfleger ſicher zuſammengeführt und macht dieſem dann ebenſoviel Freude wie ein Schimpanſe. g Anders älter gefangene und ganz und gar die alten Rieſenorangs: ſie bleiben völlig unzugänglich und verfallen, genau genommen, einem langſamen Hungertode, weil ſie von der Gefangenſchaftsnahrung, an die ſie ſich nicht mehr gewöhnen mögen, viel zu wenig zu ſich nehmen. Teilnahmlos und in ſich zuſammengezogen lagen dieſe Gefangenen auf dem Stroh, wie ein großer, braunroter Wollhaufen; nur manchmal löſte ſich aus dieſem, wie eine lange, mit niederhängenden Wollfranſen beſetzte Stange, der magere, trotzdem aber gewaltige Arm, und die allein mindeſtens 30 em lange Hand tat einen ärgerlichen Schlag ans Gitter gegen die läſtigen Beſchauer. Wurden dieſe zudringlicher, jo hob ſich wohl auch der einzig in feiner Art da- ſtehende, jedem, der ihn geſehen hat, unvergeßliche Kopf mit den ſchwer verſtändlichen Backen⸗ wülſten und dem rieſigen, widerlichen Kehlſack, das breite Maul mit den dünnen Lippen öffnete ſich und fletſchte das zwar mißfarbige und ſtumpfe, deshalb aber nicht weniger achtunggebietende Gebiß. Die beiden erſten Rieſenorangs, die ſeinerzeit ein Schiffsoffizier des Lloyddampfers „Preußen“ mitbrachte und die damals der unternehmende Beſitzer des Leipziger Tiergartens, Pinkert, kurz entſchloſſen, in Genua kaufte, „Max und Moritz“, lebten in Europa denn auch nur vom November bis in den Januar, konnten gerade nur in Brüſſel und Paris ausgeſtellt werden, erzielten aber dort im Akklimatiſationsgarten Tageszahlen von 28000 und 35000 Be- ſuchern. Als ähnlich wirkſame, aber auch ähnlich kurzlebige Zugſtücke erwieſen ſich die etwas ſpäter eingeführten Rieſenorangs „Anton“ im Hamburger und „Jumbo“ im Berliner Zoolo— giſchen Garten. Der rührige Pinkert hatte nämlich inzwiſchen einen ganz zielbewußten Betrieb der Sache eingeleitet, indem er ſich mit einem Lübecker Kapitän Storm zuſammentat, und ſo ſind wir heute über den Fang alter Orangs, der zunächſt als eine ſchwer begreifliche Leiſtung erſcheint, genau unterrichtet. Storm erzählt darüber, daß, ehe er mit ſeinem Dampfer „Lübeck“ nach Borneo kam, die Dajaken dort ſich um alte Orangs gar nicht bemühten, weil ſolche nicht verlangt wurden, daß ſie aber auf ſeine Anregung mit der naiven Geriſſenheit, wie ſie gerade die Wilden auszeichnet, ſofort eine ſichere Fangweiſe herausfanden. Haben ſie im Urwalde ſolchen alten Orang ausfindig gemacht, ſo treiben ſie ihn zunächſt auf einen einzeln ſtehenden hohen Baum, der nur von niedrigeren Bäumen umgeben iſt, fällen dieſe letzteren, ſchaffen einen freien Platz um den großen Baum und halten einen oder zwei Tage Wache, bis der Orang hungrig und durſtig geworden iſt. Dann hängen ſie ihm auf die unteren Zweige ein Gefäß mit dem giftigen, ſchwindelerregenden Milchſaft der Schlingpflanze „Tuba“, den ſie ganz überlieferungsmäßig auch ins Waſſer gießen, um die Fiſche zu betäuben. Der vom Durſt gequälte Orang nimmt den verhängnisvollen Trank an und ſtürzt entweder vom Baume herunter, was weniger erwünſcht iſt, weil er ſich dabei meiſt verletzt, wenn nicht gar zu Tode fällt, oder er wird wenigſtens ſo „benommen“, daß man den Baum fällen und ihm dann einen aus zähen Zweigen geflochtenen Käfig überſtülpen kann, nachdem man ihm der Vor⸗ ſicht halber unmittelbar nach dem Falle noch Pfefferwaſſer in die Augen geſpritzt hat. Der neueſte lebend gezeigte Rieſenorang iſt wohl der „Sultan“ des Amſterdamer Gartens (Taf. „Affen V“, 11, bei S. 603), zwar ein Geſchenk des Sultans von Serdang in Nord- ſumatra, aber von Borneo dorthin gebracht. Er zeigte ſich im Gegenſatz zu ſeinen „Vorgän⸗ gern“, nach Kerberts Bericht, ſehr gutartig, ließ ſich ſogar von ſeinem Wärter den zottigen Pelz kämmen und reinigen. Vor der Konzertmuſik im Garten hatte er merkwürdigerweiſe große Angſt, verkroch ſich zitternd, ſobald er ſie hörte. Ein Stückchen Eiſendraht benutzte er Orang-Utan: Rieſenorangs. Fang. Stimme. Kehlſack. Lebensdauer. 647 jo richtig und unzweideutig als Zahnſtocher, daß Kerbert darin einen Beweis für den Ge⸗ brauch von Werkzeugen bei Tieren ſieht. Sultans Wärter hörte einmal auch ſein Gebrüll, während vom Gebrüll alter Orangs in der Freiheit ſonſt nur der Jagdreiſende Heiland ſpricht, offenbar angeregt durch die Schilde— rungen des Gorillagebrülls. Die übrigen gefangenen Rieſenorangs, die man bis jetzt beobachten konnte, haben es allem Anſchein nach nie vernehmen laſſen, und von den jungen Orangs in unſeren zoologiſchen Gärten hören wir nur ein leiſes „Miefen“, einen hohen, langgezogenen Ton. Allermeiſt aber verhalten Orangs ſich ſtumm: auch darin im Gegenſatz zu Schimpanſen. Mehrmals ſind auch bereits ſäugende Orangmütter mit ihren Jungen nach Europa gebracht worden. An einer ſolchen Gruppe ließ ſich 1901 im Leipziger Zoologiſchen Garten beobachten, daß die Alte dem Jungen Semmel vorkaute und ihm dieſe ins Maul ſteckte. Das Junge ſaugte aber noch, obwohl es, nach Pinkerts Anſicht, bereits 2¼ Jahre alt war. Die Alte trug es nicht mehr immer mit ſich herum, ſondern wenn ſie z. B. nach Menſchenaffenart, auf die Fingerknöchel geſtützt, im Käfig umherging, humpelte das Kleine genau auf dieſelbe Weiſe hinterdrein. Die lebend eingeführten Rieſenorangs ſind nach ihrem Tode natürlich wiſſenſchaftlich ver— wertet worden. Insbeſondere hat der Pariſer Muſeumsdirektor A. Milne-Edwards die auf ſeine Anregung von mehreren franzöſiſchen Zoologen und Anatomen gemachten Unterſuchungen an Max und Moritz mit prachtvollen Abbildungen der lebenden Tiere veröffentlicht, und von dem in Leipzig verendeten Anton hat der Anatom Fick dort hauptſächlich den Kehlſack genau unterſucht. Moritz war, nach Milne-Edwards, 1,40 m hoch, klafterte mit ausgebreiteten Armen 2,62 m und wog in dem abgemagerten Zuſtande nach ſeinem Tode noch 73,5 kg. Nach der Größe ſeiner Backenwülſte, die am Grunde jo breit aufſaßen, daß — ein ſonderbarer Anblick! — das kleine Ohr ihnen hinten anhing, und nach gewiſſen Skelettmerkmalen war Moritz an der Grenze ſeines Wachstums angelangt, nach den weißen Haaren an ſeinen Lippen zu ſchließen, ſogar ſchon ſehr alt. Da wir nun gute Gründe haben, Wachstum und Alter des Orangs und der Menſchenaffen überhaupt dem des Menſchen ungefähr gleichzuſtellen, ſo dürfen wir Moritz auf 50—60 Jahre ſchätzen. Max war kleiner, leichter und jünger, hatte auch noch wenig entwickelte Backenwülſte. Anton wurde noch älter als Moritz, auf 60 Jahre, geſchätzt; Sultan auf mindeſtens 30, wahrſcheinlich aber 40—50. Anton war nur 1,25 m hoch, hatte aber 1,11 m lange Arme. Auch von jung eingeführten Orangs haben wir aus der Gefangenſchaft ſchon recht befriedigende Lebensdauern zu verzeichnen, wenigſtens in einzelnen Fällen. So lebte der berühmte, auch in Meißener Porzellan verewigte „Peter“ des Dresdener Gartens, ein hell— brauner Sumatraner (Taf. „Affen VI“, 1, bei S. 650), unter Schöpfs Pflege 91/2 Jahre und entwickelte ſich zu einem prächtigen Schauſtück mit üppigem Bartwuchs. Ein Vierteljahr vor ſeinem Tode hatte er die letzten Backzähne bekommen, nicht ohne ſchmerzhafte Zahnfleiſch— ſchwellungen. Ein Weibchen des Frankfurter Gartens lebte ſechs Jahre und wurde im Jahre vor ſeinem Tode geſchlechtsreif. Und ein Orang des Baſeler Gartens lebte wohl mindeſtens ebenſolange. Dieſer und die Berliner wurden viel ins Freie gebracht, der Dresdener Peter dagegen gar nicht. Ein großes Männchen, das der Londoner Garten neuerdings erhielt, war vorher in ſeiner Heimat und in Singapore ſchon 17 Jahre in Gefangenſchaft geweſen. Nach Storms Bericht hatten die Dajaken ſonſt, weil niemand alte Orangs haben wollte, die Mütter mit Giftpfeilen erlegt und die Jungen gefangen. Nach Troueſſart erlegten ſie ſo aber von jeher auch alte Männchen um des Fleiſches willen. Dieſes iſt zwar blaß, weich und ſüßlich, 648 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. wie es der Europäer nicht liebt, den Dajaken aber ein Leckerbiſſen, wahrſcheinlich noch von der Zeit her, da ſie durchweg Menſchenfreſſer waren. Sie ſchneiden dem verendeten Tiere die vergiftete Wunde aus, und dann iſt es ein Feſt für ſie, den Leichnam zu zerlegen und das Fleiſch über dem Feuer zu braten. Als Verſuchstier hat ſich der Orang, wie der Schimpanſe, in der modernen N ſchung nützlich gemacht: Neißer hielt zu ſolchen Zwecken neben Scharen anderer Affen auch viele Orangs in ſeinen Verſuchsanſtalten in Surabaja auf Java. Agazzotti-Turin ſetzte einen Orang unter die Luftpumpe und fand dabei, daß bei einer Luftverdünnung auf 450 mm Barometer⸗ ſtand das Tier auffallend ruhiger wurde, bei 300 mm in Schlaf verfiel und bei 270 mm be⸗ wußtlos wurde bis zu völliger Unempfindlichkeit. Bei 470 —450 mm wurde das Atemholen häu⸗ figer und zugleich ſchwächer und bei 300 mm ganz unregelmäßig und krampfartig. Im Grunde dieſelben Veränderungen, wie ſie bei der Bergkrankheit des Menſchen beobachtet werden. Von den beiden in der Hauptſache ſchwarz gefärbten afrikaniſchen Menſchenaffengattungen, Schimpanſe und Gorilla, die unter ſich näher verwandt ſind als mit dem rot gefärbten aſiatiſchen Orang, iſt der kleinere und ſchwächere Schimpanſe, Gattung Pan Oken (Troglodytes, An- thropopitheeus), durch verhältnismäßige Häufigkeit in den zoologiſchen Gärten bei weitem bekannter, ja man kann ſagen: volkstümlich geworden, zumal ſein vergnügtes und gewecktes Weſen alle Welt anzieht. Er hat längere Beine als der Orang, aber kürzere Arme; dieſe reichen bloß bis gerade übers Knie hinaus. Alte Männchen werden, nach Hartmann, bis 1,70 m hoch, Weibchen ſchwerlich über 1,30 m; die Tiere erſcheinen aber immer kleiner, weil fie ſich nach Menſchenaffenart nur halb aufrecht, mit den Fingerknöcheln auf den Boden geſtützt, halten. Am Schädel iſt auch im kindlichen Alter ſchon der Hirnteil ganz flach, was ihm, um mit Hans Virchow zu ſprechen, etwas ungemein Tieriſches gibt, im Gegenſatz zum Orangſchädel; dagegen iſt das Mittelgeſicht, namentlich durch die größere Naſenbreite, wieder mehr menſchlich. Die flache, wenig hervortretende Naſe des Schimpanſen unterſcheidet ſich im äußeren Anſehen ſehr weſentlich von der des Gorillas dadurch, daß die auffallende Umrandung durch die auf— gewulſteten Flügelknorpel fehlt. Die ſchief ſtehenden und gebogenen Naſenlöcher treten ungefähr zu einer mondſichelartigen Figur zuſammen; niemals aber buchtet ihre obere Begrenzung nach oben aus. Der Bereich der gewölbten, in viele Längs- und Querfalten gelegten Oberlippe erſcheint durch dieſe Geſtaltung der Naſe um ſo größer; die Unterlippe ragt aber doch noch etwas vor, wie beim Gorilla. Beide Lippen ſind ſehr beweglich und können, ſich zuſpitzend, weit vorgeſtreckt werden. Auf dem Hirnſchädel kommt es auch bei alten Männchen nie zur Bildung ſolcher ſtarken Knochenkämme wie bei allen Gorillas und vielen Orangs; dagegen ſind die Kiefer manchmal ſehr ſtark vorgezogen und die Zähne ſehr ſchief geſtellt. Dieſe ſind ſchwächer und kürzer als die des Gorillas. Ebenſo ſind die Augenbrauenwülſte ſchwächer als bei dieſem, aber ſtärker als beim Orang. Das braune Auge iſt ziemlich groß und hat einen angenehmen Ausdruck. Die Ohren des Schimpanſen ſind weniger rückgebildet als bei den übrigen Menſchenaffen und dem Menſchen, vielmehr groß, bis 7 em hoch, bis 5 / em breit und abſtehend, in der Form aber menſchenähnlich, mit Ohrläppchen. Der Knochenbau des Rumpfes und der Gliedmaßen iſt beim Schimpanſen im ganzen ſchlanker, zierlicher, weniger maſſiv als beim Gorilla, und vom Orang ſcheidet ihn ſchon nicht nur das verſchiedene Verhältnis zwiſchen Vorder- und Hintergliedmaßen, ſondern auch zwiſchen Ober- und Unterarm, die beim Schimpanſen gleichlang ſind und im Verein mit den kräftigeren, längeren Beinen ſchon darauf hindeuten, daß der Schimpanſe zwar überwiegend, aber nicht Schimpanſe. 649 ſo ausſchließlich wie der Orang, ein Baumleben führt. Die Muskeln an Bruſt, Schultern und Armen entwickeln ſich nie zu ſolcher ungeheuerlichen Maſſigkeit wie beim alten Gorilla— mann, und die Beine ſind wadenlos. Die Hand hat einen ſchmalen, langen Teller und lange, bei alten Tieren aber ſehr dicke und ſtarke, runzelige Finger, zwiſchen denen ſich bis gegen die Mitte des erſten Gliedes eine Bindehaut ausſpannt. Der Daumen iſt auffallend ſchwach und entſpringt weit hinten an der Hand, ſo daß er, an dieſe angelegt, mit ſeiner Spitze noch lange nicht das hinterſte Glied des Zeigefingers erreicht. Man mache ſich durch Vergleich mit der Men— ſchenhand klar, wie wenig er dadurch zu kräftigem Zuſammenwirken mit den übrigen Fingern Junger Gambia ⸗Schimpanſe. imſtande iſt: er verrät deutlich die Neigung zum Verkümmern, die wir bei den Affen ja vielfach beobachten. Im Gegenſatz dazu iſt die große Zehe am Fuße lang, ſtark und durch einen tiefen Einſchnitt von den übrigen Zehen getrennt, ſo daß ſie mit dieſen zuſammen einen äußerſt kräf— tigen Greiffuß bildet. Im Zuſammenhang mit dieſer Verwendung iſt die Ferſe wieder nur ſchwach ausgebildet. Die Nägel ſind rundlich, gewölbt, ſchwärzlich hornbraun bis ſchwarz. „Die Schimpanſen gehen auf allen vieren, indem ſie die Finger gegen die hohle Hand einſchlagen und die mit Gangſchwielen bedeckten Rückenflächen derſelben auf den Boden auf— ſtemmen. Der Fuß wird entweder ebenſo, mit eingeſchlagenen Zehen, gebraucht oder auch mit flacher Sohle aufgeſetzt. Das Aufrechtſtehen hält der Schimpanſe nicht lange aus; er ſucht dabei eine Stütze für die Hände oder legt letztere über dem etwas nach hinten gebeugten Kopfe zuſammen, wie um damit das Gleichgewicht zu halten.“ (Hartmann.) Das Haar ſteht verhältnismäßig dünn, namentlich auf Bruſt und Bauch und der 5 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. 650 9 Innenſeite der Glieder. Es iſt ſchlicht, nicht wollig oder zottig, lang auf den Schultern, dem Rücken und außen auf den Ober- und Unterarmen, Ober- und Unterſchenkeln. Die Hauptfarbe iſt ein dunkles Schwarz. Mehr kann im allgemeinen über Behaarung und Farbe nicht geſagt werden; denn es würde nach unſerer heutigen Kenntnis der verſchiedenen Schimpanſenformen nicht mehr durchgängig zutreffen. So ſchillert das Schwarz manchmal matt rötlichbraun, oder die Haarſpitzen auf den Gliedmaßen ſind, namentlich bei alten Stücken, grau oder fuchſig gefärbt, was dieſen Teilen einen bald aſchgrauen, bald fahlrötlichen Schein verleiht. Das Untergeſicht iſt oft mit dünnen, kurzen, weißlichen Haaren beſetzt, die wie Bartſtoppeln im menſchlichen Sinne ausſehen. Desgleichen zeigen ſich ſolche auch um den After herum, hier freilich länger und dichter ſtehend. Vorder- und Oberkopf können mit Haaren bedeckt ſein, die dann gewöhnlich ge⸗ ſcheitelt ſind; es kann aber auch eine Art Glatze auftreten. Bedeutende Farbenunterſchiede haben wir heute auch an der Haut kennengelernt, ins⸗ beſondere an den nackten Teilen: Geſicht, Handteller und Fußſohle. Sie können ganz hell und ganz dunkel ſein; doch iſt meiſt wohl die Augengegend dunkel, die Mundgegend hell, Hand⸗ teller und Fußſohle helldunkel fleckig. N Die Syſtematik der Schimpanſen ſtellt Elliot als beinahe ſo hoffnungslos hin wie die der Orangs, indem er behauptet, keine zwei Schädel ſeien ſich gleich, alle unterſchieden ſich vielmehr ebenſoſehr wie Menſchenſchädel untereinander. Das kann man aber vielleicht billigerweiſe gar nicht anders verlangen? Es fragt ſich nur, ob nicht doch gewiſſe unveränderliche Merkmale vorhanden ſind, mögen ſie nun im Schädel, im Haar, in der Farbe oder ſonſtwo liegen. Jeden⸗ falls iſt auch Elliot überzeugt, daß es mehrere Schimpanſenarten gibt, und er beſchreibt deren „ganz vergnügt“, wie er ſelbſt ſagt, nicht weniger als elf trotz aller Rätſel, die ihn in der Schimpanſenfrage „grüßen“, ohne daß er zu antworten wagt. Matſchie hat mehr Mut; ihm haben aber auch die Offiziere und Beamten der Schutztruppe und ganz beſonders die wahr⸗ haft rieſige Ausbeute der letzten Sammel- und Forſchungsreiſe des Herzogs Adolf Friedrich zu Mecklenburg eine ſolche Menge von Schädeln und Fellen im Berliner Muſeum zuſammen⸗ gehäuft, daß er ungleich mehr als jeder andere zur Entſcheidung berufen erſcheinen muß. Er benennt denn auch zunächſt drei weitere Schimpanſenarten, die Elliot ebenfalls gereizt, aber zu⸗ gleich auch wieder ande hatten, und fügt noch ſechs mittel-, mit anderem Worte: deutſch⸗ oſtafrikaniſche Arten hinzu. Das mag ungeheuerlich anmuten; aber Matſchie hält jedem Zweifel die Aufforderung entgegen, man möge nachzählen, wieviel unterſcheidbare Negerſtämme in Mittelafrika von der Weſtküſte bis zu den großen Seen im Inneren wohnen. In dieſem kühnen Vordringen können wir der modernen Syſtematik hier nur ſo weit folgen, als ſie uns zum Leitſeil dienen muß, an dem wir uns zwiſchen den ie lebend vor Augen kommenden Schimpanſenformen zurechtfinden können. Da iſt vor allem der eigentliche oder vielmehr der Gambia-Schimpanſe, Pan chim- panse Meier (Anthropopithecus troglodytes; Abb. S. 649), der auch geographiſch als nörd⸗ lichſte und weſtlichſte Art an der Spitze fteht. Er hat, beſonders in der Jugend, das allbefannte Schimpanſengeſicht: um Mund und Naſe hell, um die Augen dunkel, Augenbrauenwülſte wieder hell; weiße Bartſtoppeln am Kinn, längere ſchwarze Barthaare auf Schläfen und Backen; mitt- leres Stirnfeld, nach dem Oberkopf ſich zuſpitzend, kahl; Haar der Stirn- und Vorderkopfſeiten wie geſcheitelt. Dieſe Art, die ja auch Europa am nächſten lebt, war, zumal in früheren Zeiten, auf dem Tiermarkt vorherrſchend und bot durch ihr ganz bezeichnendes Außere kaum Anlaß zu irgendwelchen Zweifeln, Vermutungen und Verwechflungen. Anders, als ſchwarzgeſichtige Schimpanſen zu uns kamen. Ihnen heftete ſich alsbald der Affen VI. x 5 — rs J. Sumufra-Orang ohne Backenwülite („Peter“, Zool. Garten 2. Kahlkopf-Schimpanlin „Sally“, Zool. Garten London. | Dresden). 1/44 nat. Gr. s. S. 652. — Aus Elliot, ‚Primates‘ Neuyork 1912. 1/14 nat. Gr., S. S. 632 u. 647. — A. Karl Schuster-Wien phot. — 3 3. Kamerun-Schimpanfin aus Kribi am Tokundjefluß („Millie“, 4. Tanganjika-Schimpanie aus Deutfich - Oitafrika Zool. Garten Berlin). ½4 nat. Gr., s. S. 651. — Neue Photogr. Gesell- („Soko“, Zool. Garten Berlin). schaft A.-G. Berlin-Steglitz phot. 1/14 nat. Gr., s. S. 653. — Gebr. Haeckel-Berlin phot. 5. Gorillaweibchen („Puffi“, Zool. Garten Breslau). !/ı4 nat. Gr., s. S. 693. — Nach Photographie. 7. Hans Meyers Gorilla (Naturhift. Hofmufeum 8. Berg-Gorilla, Gorilla beringei Misch. Wien). ½16 nat. Gr., s. S. 680. — H. Dümler-Wien phot. 118 nat. Gr., s. S. 630. Nach Pno:ogr. des Entdeckers u. Erlegers Beringe. Schimpanſe: Gambia⸗Schimpanſe, Kulukamba, Tſchego. 5 651 Verdacht auf Gorillamiſchlinge an, und er wollte, beſtärkt durch die Ausbeute des Jagdreiſenden Hugo v. Koppenfels, längere Zeit nicht weichen, obwohl v. Koppenfels bald ſelbſt nicht mehr daran glaubte, und der Berliner Anatom Hartmann ſchon in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts betonen mußte, daß die „dazugehörigen Schädel freilich nur diejenigen un- verfälſchter Schimpanſen“ waren. Noch viel früher hatte denn auch der Gabun- und Kongo— reiſende Du Chaillu die natürliche Folgerung gezogen und vom eigentlichen Schimpanſen nicht nur den Tſchego, ſondern auch den Kulukamba unterſchieden. „Als ich in der Nähe des Aſchiralandes“, berichtet v. Koppenfels, „ein überaus ſtarkes männliches Tier aus einem großen Trupp von Schimpanſen ſchoß, die wohl zufällig gemein- ſchaftlich mit einer Gorillafamilie Kolanüſſe ſchmauſten, da ließ ich mich gleichfalls verleiten, die Vermutung auszusprechen, den von Du Chaillu entdeckten Kulu Samba‘ erlegt zu haben, und dachte an die Möglichkeit, da ich Gorillas und Schimpanſen friedlich beieinander traf, daß eine Baſtardierung zugrunde liegen könne. Aber der Kulu Hamba iſt weiter nichts als ein großer Schimpanſe, den die Aſchiraleute nach ihrer Sprache verſchieden bezeichnen. Die Malimbas nennen ihn ‚Kulu‘, die Mpongwe, Galloa, Kama, Orunku hingegen „Nſchisgo“ Einige dieſer Stämme, ich glaube die Kama, ſetzen zur näheren Bezeichnung noch ‚Mbuve' hinzu, welches ſoviel heißt wie: neſtbauender Affe.“ „Pechuel⸗Loeſche berichtet: „Die Eingeborenen der Loangoküſte und von Yumba unter: ſcheiden zwei Spielarten von Schimpanſen, die ſich niemals zueinander geſellen ſollen: eine größere und ſeltene, nur im Gebirge heimiſche, die ſie, Tſchimpänſo“ nennen — danach dürfte die üblich gewordene Bezeichnung der Fioteſprache entſtammen und etwa Wurzelgräber bedeuten — und die gewöhnliche Art, die fie ‚Niku‘ nennen, die wir allein kennengelernt und tot wie lebendig mit nach Europa gebracht haben. An entlegenen Orten erhielt ich von jagdkundigen Ein— geborenen in der Hauptſache ganz übereinſtimmende Angaben über den Tſchimpänſo. Er ſei ſchlauer, weit größer und ſtärker ſowie bösartiger als der Nſiku, habe ein glatteres, mehr graues, manchmal auch braunes Fell und immer ein ſchwarzes Geſicht wie der Gorilla. Die böſen Tiere lebten nur in kleinen Familien beiſammen und nicht in Banden wie die Nſeiku.“ Die S. 670 und 671 abgebildete Mafuka des Dresdener Zoologiſchen Gartens war vielleicht ein Tſchimpänſo; jedenfalls ſtammte ſie von der Loangoküſte und war in Yumba erworben worden. Sie war die erſte allgemein bekannt und berühmt gewordene Vertreterin der Tſchegos in Europa; in neuerer Zeit folgten ihr „Johanna“ in Barnum und Baileys amerikaniſcher Rieſenſchau und „Miſſie“ im Berliner Zoo (Taf. „Affen VI“, 3). Von Johanna iſt leider die nähere Herkunft nicht bekannt; von Miſſie dagegen wiſſen wir ganz genau, daß ſie als Geſchenk von Frau Gabriele Langheld herübergebracht wurde, vorher aber im Beſitze des verdienten Sammlers Zenker war und aus deſſen Bezirk Kribi in Kamerun vom Lokundjefluß ſtammte. Jedenfalls iſt der Tſchego in Kamerun und dem ſüdlich benachbarten Gabun weitverbreitet, und es darf daher nicht wundernehmen, daß er wieder in mehrere Arten zerfällt wird. Wir können hier nur die am längſten bekannte — „Stammform“ ſozuſagen — ans führen, den eigentlichen Tſchego, Pan satyrus L. (Troglodytes niger, tschego), von Gabun, und die ganze Gruppe kurz kennzeichnen als große, etwas geſtreckt gebaute, auch im ganzen Ge⸗ ſicht dunkel gefärbte Schimpanſen mit ſtarken Augenbrauenwülſten, die aber immerhin hinter denen des Gorillas zurückbleiben, und nicht gerade ſehr breiter, aber vorſpringender Schnauze. Der Oberkopf iſt flach, oft ſogar ſo flach, daß man danach wieder eine Gruppe der Flachkopf— Tſchegos (Abb., S. 652) abgetrennt hat, bei denen die Ohren den Scheitel überragen. Die Schnauze dieſer Flachkopf⸗Tſchegos, die in Kamerun zu Haufe ſind, ſpringt beſonders weit 652 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. vor, und ihre Oberlippe iſt ſehr gewölbt, ſo daß ſie wie geſchwollen ausſieht. Außerdem beſitzen dieſe Tſchegos deutliche Geſäßſchwielen und färben ſich im Alter auf Scheitel, Unterrücken und Beinen ganz ähnlich hell aus wie die meiſten Gorillas. Beim Flachkopf-Tſchego vom oberen Lobofluß im Inneren Kameruns nennt Matſchie dieſe abweichende Farbe auf dem Rücken und den Beinen ſchmutzig hellblond, auf dem Scheitel ſchmutzig bräunlich und die Art daher Anthropopithecus ochroleucus Misch. Viele Schimpanſen neigen, namentlich im Alter, zur Kahlköpfigkeit, und Du Chaillu hat eine Art beſchrieben, die er geradezu Kahl— kopf⸗Schimpanſe, Pan calvus Du Ohaillu. nennt. Über dieſe find Elliot und Matſchie verſchiedener Meinung. Elliot möchte die be— rühmte „Sally“ (Taf. „Affen VI“, 2, bei S. 650), die in den achtziger Jahren vori— gen Jahrhunderts im Londoner Tiergarten lebte, hierher rechnen; Matſchie hält ſie aber aus guten Gründen, die in Du Chaillus Be— ſchreibung liegen, für den erſten in Europa lebend bekanntgewordenen Vertreter des gleich— falls von Du Chaillu beſchriebenen Kulu— kamba, Pan koolookamba Du Chaillu, der bei weitem am meiſten abweichenden Schim- panſenform, die allem Anſchein nach verdiente, zum mindeſten als Untergattung, wenn nicht als ſelbſtändige Gattung unterſchieden zu wer— den. Einen ſo eintönig braunſchwarzen, kah⸗ len, rundgewölbten Kopf mit jo wenig vor⸗ ſpringender Schnauze, dafür aber ſo großen, 5% der Geſichtslänge erreichenden Ohren, wie das Sally ſchon in der Jugend zeigte und zeit— lebens behielt, hat man ſeitdem nicht wieder an einem lebenden Schimpanſen geſehen. An Fellen und Skeletten hat man aber mittler⸗ weile im Muſeum gelernt, daß der Kulukamba, 2 ig 8 der ſich vom Inneren des franzöſiſchen Kongo— ee gebietes jenſeits des Ogowefluſſes nach dem inneren Kongoſtaate verbreitet, ſehr groß wird, größer als das Gorillaweibchen, und namentlich rieſige Hände mit verhältnismäßig langem Daumen hat. Den Schädel kennzeichnet der kurze, aber ſtarke Unterkiefer mit dem ſenkrecht aufſteigenden Gelenkaſt. Der Londoner Sally ſagt ihr Pfleger Bartlett auch abweichende Neigungen und Fähigkeiten nach. Sally fing Ratten und biß ſie tot, fraß gern kleine Vögel und junge Tauben und gab nachher eine Art Gewölle von ſich, wie ein Raubvogel, beſtehend aus den Federn und anderen unverdaulichen Teilen. Sie zeigte ſich viel intelligenter als gewöhnliche Schimpanſen, jo daß der Pſycholog Romanes ſehr weitgehende, in ihren Ergeb: niſſen allerdings nicht ganz unbeſtrittene Verſuche mit ihr machen konnte. 1 Schimpanſe: Kahlkopf-, Guinea-, Schweinfurt, Marungu-Schimpanſe. Soko. 653 Es gibt auch ganz hellgeſichtige Schimpanſen ohne dunkle Augengegend. Ein folder iſt gleich der nächſte Nachbar des Gambia-Schimpanſen, der Guinea-Schimpanſe, Pan leuco- prymnus Less., von Sierra Leone und Liberia, mit dünnem, geſcheiteltem Kopfhaar, bräun— lichen Stoppeln um den Mund und kurzem, dickem Bart ums Geſicht herum. Die längſten und ſtärkſten Backenbärte haben wohl die innerafrikaniſchen Schimpanſen, die dadurch, daß ſie bis an die großen Seen gehen, auch zur deutſch-oſtafrikaniſchen Tierwelt gehören. Eine ſolche hellgeſichtige, langbärtige Art iſt der Schweinfurth-Schimpanſe, Pan schweinfurthi G70“. aus dem Njam-Njam⸗Lande. Der Marungu-Schimpanſe, Pan marungensis Noack, vom Weſtufer des Tanganjikaſees dagegen hat dunkles Geſicht. Ebenſo der Soko, auf Suaheli richtiger Nſoko, Pan castanomale Misch., vom Nordoſtufer des Tanganjika, der kohlſchwarzes Geſicht, Kopf- und Barthaar, am entgegengeſetzten Körperende aber dunkel kaſtanienbraune Haare hat. Zu dieſer von Matſchie neu aufgeſtellten Art muß das Männchen gerechnet werden, das mindeſtens zehnjährig unter dem Namen Soko (Taf. „Affen VI”, 4, bei S. 650) als Ge— ſchenk des bekannten Afrikaforſchers und Kolonialbeamten Stuhlmann in den Berliner Zoolo- giſchen Garten kam, nachdem es auf der wiſſenſchaftlichen Verſuchsſtation Amani unter Voſſe— lers Pflege ſich prächtig entwickelt hatte und ein berühmtes Tier geworden war. Um zu beweiſen, daß die Alten den Schimpanſen gekannt haben, führt man das Moſaik— bild an, das einſtmals den Tempel der Fortuna in Präneſte ſchmückte und unter vielen anderen Tieren der oberen Nilländer auch unſeren Menſchenaffen dargeſtellt haben ſoll, der im alten Agypten angeblich „Djeng“ hieß. Erwähnt wird er von vielen Schriftſtellern der letzt— vergangenen Jahrhunderte meiſt unter dem Namen „Inſiégo“ oder „Nſchiögo“, den er in Mittelafrika heute noch führt. Dieſer Name iſt bei dem erſten engliſchen Weltbummler Battel aus dem Anfang des 17. Jahrhunderts in „Enjocko“ verdorben. Um die Wende zu demſelben Jahrhundert lernte aber ſchon der portugieſiſche Seefahrer Lopez am Kongo den Schimpanſen kennen, und wenig ſpäter wurde der erſte lebende Schimpanſe nach Europa in den Tiergarten des Prinzen von Oranien gebracht von Tulpius, ein ſpäterer wurde von Tyſon zergliedert und beſchrieben. Von dieſer Zeit an gelangte das Tier wiederholt zu uns, und neuerlich trifft es ſogar mit einer gewiſſen Regelmäßigkeit auf dem europäiſchen Tiermarkte ein. Früher hielt man Ober- und Niederguinea mit den Hinterländern, etwa von Sierra Leone bis zum Kongo, für ſeine ausſchließliche Heimat. Dort bewohnt der Schimpanſe die Wal- dungen an den Flüſſen der Küſte und in den Gebirgen. H. v. Koppenfels jagte ihn in den Gabun- und Ogoweländern. Weiter ſüdwärts iſt er nach den Befunden der deutſchen Loango— Expedition bis in die Nähe des Kongos gemein. Jetzt willen wir auch vornehmlich durch deutſche Forſcher, daß er bis tief in das Innere von Afrika, bis in das Seengebiet verbreitet iſt, dort etwa jo weit wie die Olpalme und der Graupapagei. Schon Heuglin jagt: „Auf dem dichtbelaubten Hochholze längs der Flüſſe im Lande der Njam-Njam hauſt in Paaren und Familien der Mban (richtiger Baäm), ein Affe von der Größe eines Mannes... Derſelbe baut ſich große Neſter auf den Kronen der Bäume... Er hat eine olivenſchwärzliche, nicht dichte Behaarung, nacktes, fleiſchfarbenes Geſicht und weißliches Geſäß.“ Man kann nicht jagen“, berichtet Savage aus Niederguinea, „daß die Schimpanſen geſellig leben, da man ſelten mehr als ihrer fünf, höchſtens ihrer zehn zuſammen findet. Auf gute Gewähr mich ſtützend, darf ich behaupten, daß ſie ſich gelegentlich in größerer Anzahl verſammeln, um zu ſpielen. Einer meiner Berichterſtatter verſichert, bei einer ſolchen Gelegen— heit einmal nicht weniger als ihrer fünfzig geſehen zu haben, die ſich durch Jubeln, Schreien 654 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. und Trommeln auf alten Stämmen erfreuten. Sie meiden die Aufenthaltsorte der Menſchen ſoviel wie möglich. Ihre Wohnungen, mehr Neſter als Hütten, errichten ſie auf Bäumen, im allgemeinen nicht hoch über dem Boden. Größere oder kleinere Zweige werden niedergebogen, abgeknickt, gekreuzt und durch einen Aſt oder einen Gabelzweig geſtützt. Zuweilen findet man ein Net nahe dem Ende eines dicken, blattreichen Aſtes, 8 —12 m über der Erde; doch habe ich auch eins geſehen, das nicht niedriger als 13 m fein konnte. Einen feſten Standort haben die Schimpanſen nicht, wechſeln ihren Platz vielmehr beim Aufſuchen der Nahrung oder aus ſonſtigen Gründen, je nach den Umſtänden. Wir ſahen ſie öfters auf hoch gelegenen Stellen, wohl nur deshalb, weil die dem Feldbau der Eingeborenen günſtigeren Niederungen öfters gelichtet werden und jenen dann paſſende Bäume zum Bau ihrer Neſter mangeln. Selten ſieht man mehr als ein oder zwei Neſter auf einem und demſelben Baume oder ſogar in der⸗ ſelben Umgebung. Doch hat man einmal deren fünf gefunden.“ In der Ruhe nimmt der freilebende Schimpanſe gewöhnlich eine ſitzende Stellung an. Man ſieht ihn in der Regel ſtehen oder gehen; wird er dabei entdeckt, ſo fällt er unverzüglich auf alle viere und entfernt ſich fliehend von dem Beobachter. Wie man ſchon aus dem Körper⸗ bau vermuten kann, iſt der Schimpanſe ein geſchickter Kletterer. Bei ſeinen Spielen ſchwingt er ſich auf weite Entfernungen von einem Baume zum anderen und ſpringt mit ſtaunenerregender Behendigkeit. Die Nahrung beſteht wahrſcheinlich aus denſelben Pflanzen und Früchten, die der Gorilla verzehrt: Früchte, Nüſſe, Blatt- und Blütenſchößlinge, vielleicht auch Wurzeln bilden wohl die Hauptſpeiſe. Nicht ſelten ſoll er Bananen und andere Fruchtbäume beſuchen, welche die Neger zwiſchen ihren Maisfeldern anpflanzen, oder ſich in verlaſſenen Negerdörfern, in denen die Papaya in großer Menge wächſt, einfinden und dort ſo lange verweilen, als es Nahrung gibt, nach deren Aufzehrung aber wieder Wanderungen von größerer oder geringerer Ausdehnung unternehmen. Neuere Aufſchlüſſe über das Freileben geben uns die Mitteilungen von H. v. Koppenfels, und dieſe ſind beſonders wertvoll, da ſie eigener Anſchauung entſpringen. „Gleich dem Gorilla baut der Schimpanſe für ſeine Jungen ein ſtorchartiges Neſt, nur mit dem Unterſchiede, daß er dasſelbe auf ſtärkeren Bäumen, in größerer Höhe und etwas kleiner anlegt. Der männ⸗ liche Schimpanſe verbringt die Nächte in einer Vergabelung von Zweigen, hart unter dem Neſte ſeiner Familie.“ Eine Begegnung mit Schimpanſen ſchildert v. Koppenfels folgender⸗ maßen: „Nach einiger Zeit höre ich Zweige raſcheln; das Geräuſch nimmt zu, und ich ſehe eine große Bande Schimpanſen auf hohen Kolanußbäumen die Früchte pflücken ... Schräg über mir hatte ich die ſcharfäugenden Schimpanſen ... Während der kurzen Friſt, welche ich mir in den Farnen zur Beobachtung gönnte, fiel mir die gemeſſene Vorſicht auf, mit welcher die Schimpanſen auf die äußerſten Enden der langen Zweige auf allen vieren hinausliefen, um Nüſſe zu pflücken. Wurden die Aſte dünner, jo hingen fie ſich, den Rücken der Erde zu⸗ gekehrt, daran, hatten mit jeder Hand einen Zweig erfaßt und behielten beim Fortbewegen jedesmal drei ſichere Haltepunkte, bevor ſie mit der freien Hand nach den Früchten griffen, die ſie dann auf weniger halsbrechenden Plätzen verzehrten, um ihr ſchwindelerregendes Klettern immer wieder von neuem zu beginnen.“ g Des weiteren berichtet Pechuel-Loeſche über Schimpanſen im Gebiete von Loango: „In manchen Gegenden, namentlich am Kuilu und an der Banyamündung (Yumba), müſſen fie, nach dem allenthalben vernehmbaren Geſchrei zu urteilen, außerordentlich häufig ſein. Sie leben in Familien und Banden beiſammen. Ihr entſetzliches Jammern, ihr wütendes Kreiſchen und Heulen, welches des Morgens und Abends, manchmal auch des Nachts losbricht, macht | Schimpanſe: Freileben Nejtoau, Geſchrei, Nahrung). 655 einem die Tiere recht verhaßt. Da ſie wahre Virtuoſen ſind im Hervorbringen nichtswürdiger Laute und auch das Echo dieſe mannigfach zurückgibt, kann man nicht abſchätzen, wie viele ſich an dem wüſten Lärme beteiligen; manchmal aber vermeint man ihrer mehr denn hundert zu hören. Wer einen Begriff bekommen will, was Schimpanſenfamilien in muſikaliſcher Be- ziehung zu leiſten vermögen, der fahre ein paar Tage auf dem Kuilu ins Gebirge und gebe acht, in welcher Richtung eine Bande Meerkatzen gezogen iſt. Ich habe dieſe raſtloſen und übermütigen Affen, die ich hinreichend in der Wildnis und in unſerem Gehöfte beobachtete, ſtark in Verdacht, daß ſie es ſind, welche die unbehilflichen Anthropomorphen in handgreiflicher Weiſe ſo lange necken und peinigen, bis der Urwald von ihrem Geſchrei widerhallt. „In der Regel ſcheinen ſich die Schimpanſen auf der Erde in dichtem Gebüſche und Szitamineenbeſtänden aufzuhalten und Bäume nur behufs der Erlangung von Früchten zu beſteigen. Auf weichem Grunde drücken ſich ihre Fährten ſehr deutlich ab; wo das Amomum wächſt, halten ſie ſich beſonders gern auf, und dort findet man a 105 hochroten Frucht: ſchalen weithin verſtreut.“ Wie es ſcheint, kämpft der Schimpanſe mit dem Menſchen einzig und allein, um ſich zu verteidigen. Fürchtet er gefangen zu werden, ſo leiſtet er dadurch Widerſtand, daß er ſeine Arme um den Gegner ſchlingt, ihn zu ſich heranzieht und zu beißen verſucht. Savage hat einen Mann geſehen, der ſo an den Beinen bedeutend verwundet worden war. „Die ſtarke Entwickelung der Eckzähne beim erwachſenen Schimpanſen möchte Neigung zu Fleiſchnahrung andeuten. Solche zeigt ſich jedoch nur, wenn er gezähmt wurde. Anfänglich weiſt er Fleiſch zurück, nach und nach aber verzehrt er es mit einer gewiſſen Vorliebe. Die Eckzähne, welche ſich frühzeitig entwickeln, ſpielen alſo nur eine Rolle bei der Verteidigung. Kommt ein Schim— panſe mit dem Menſchen in Zwieſpalt, ſo iſt beinahe das erſte, was er tun will, beißen.“ Entgegen Savage, aber übereinſtimmend mit v. Koppenfels iſt Falkenſtein der Meinung, daß der Schimpanſe, gleich dem Gorilla, auch in der Wildnis animaliſche Koſt aller Art recht gern verzehrt, wenn er ſie nur erlangen kann. „Man darf“, ſagt Falkenſtein im Werke der Loango⸗Expedition, „in einem ſehr verbreiteten Vorurteile befangen, durchaus nicht ängſtlich ſein, jeder Art von Affen Fleiſchnahrung in irgendeiner Form zu verabreichen. Das lehren ſie uns ſelbſt, wenn wir ſie im Freien zu beobachten Gelegenheit haben, indem ſie mit wahrer Leidenſchaft den Inſekten, namentlich Spinnen und Heuſchrecken, nachſtellen, aber auch Vögel und Eier zu erlangen ſtreben. Für Schimpanſen ſind Ratten Leckerbiſſen, die ſie gegen alle Gelüſte der Genoſſen energiſch verteidigen, und ebenſo verlangt der Gorilla nach Fleiſch, das er zum guten Gedeihen notwendig braucht. Im Walde wird er ſich, wenn die Jagd ungünſtig iſt, vielleicht oft mit Früchten begnügen müſſen; wenigſtens fand ich bei zwei großen erlegten Schimpanſen nur vegetabiliſche Reſte im Magen. Doch bin ich überzeugt, daß der Befund ein zufälliger war, und daß man bei anderen Gelegenheiten den Nachweis der ani— maliſchen Koſt leicht wird führen können.“ In Liberia muß der im Negerengliſch „Baboon“ (d. h. eigentlich Pavian) genannte Schimpanſe, nach Büttikofer, bei Goro und Fali nicht ſelten ſein. Man fürchtet ihn dort, erlegt ihn wenig und ißt ihn nicht, wie andere Affen, angeblich, weil er zu menſchenähnlich ausſieht. Doch läßt man ſich nicht abhalten, junge zu fangen und an die engliſchen Bojt- dampfer zu verkaufen. „Oft machen die Schimpanſen, wenn auf ihren Standplätzen das Futter, Baumfrüchte, Mais, Reis uſw., ſpärlich zu werden beginnt, größere Züge und be— ſuchen dann oft Orte, an denen man nie zuvor derartige Gäſte geſehen hat.“ Für Kamerun dagegen bezeichnet es Haberer als Tatſache, daß die Menſchenaffen überall 656 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. des Fleiſches halber rückſichtslos von den Eingeborenen verfolgt werden. Nach ſeiner Meinung können daher verſchiedene Arten oder Unterarten ſchon als ausgerottet gelten, oder nur wenige Stücke treiben ſich noch vereinzelt in den von der Kultur heimgeſuchten Urwaldgebieten umher. Der Schimpanſe iſt, nach Haberer, nicht ſo ſcheu vor dem Menſchen und kein ſo ausgeſprochenes Urwaldtier wie der Gorilla. Häufig hört man ihn in der Nähe menſchlicher Niederlaſſungen ſchreien, und auch an den Verkehrswegen läßt er ſich ab und zu blicken. Haberer hält es nicht für ausgeſchloſſen, daß die Eingeborenen von dem Trommeln und Aufſtampfen, das die Schimpanſen gewohnheitsmäßig üben, die erſte Anregung zu der merkwürdigen Trommel⸗ ſprache empfangen haben, die in einzelnen Gebieten Kameruns ſehr ausgebildet iſt. Ebenſo iſt er überzeugt, daß die Schwarzen von den Menſchenaffen den Genuß der oben ſchon ge— nannten „roten, körnigen Früchte von bitter-aromatiſchem Geſchmack“ gelernt haben, die auf Urwaldlichtungen an breitblätterigen, langſtieligen Pflanzen unmittelbar über der Erde wachſen und die Lieblingsnahrung der Menſchenaffen bilden. Nach Junker hält ſich der Schimpanſe vorzugsweiſe an die Frucht des Puſſo (Preculia) oder Puſchiß, eines Baumes aus der Familie der Brotfruchtbäume oder Artokarpeen von rieſigem Wuchſe, deſſen kopfgroße Kugelfrucht wohl gegen 1000 bohnengroße Kerne enthält. Der Stamm dieſes Baumes ſteigt, wie eine Säule, bei 3—4 m Dicke 12 —15 m und noch höher ohne Aſte in die Höhe und entwickelt oben eine Krone von 10 m Höhe. Der beit Beweis für die Kletterkraft des Schimpanſen! Der Kameruner Schutztruppenoffizier Jaſper v. Oertzen, einer der beſten und eifrigſten Tierbeobachter, beſchreibt das gemeinſame Schreien der Schimpanſen in einer Weiſe, daß man an den berühmten Brüllaffengeſang erinnert wird. Ihm verging zeitweiſe keine Nacht, in der er nicht das durchdringende Geſchrei einer Schimpanſenherde vernahm. „Ein altes Männchen intoniert in tiefem Baß ein allmählich geſteigertes Ho-oh-hu-hu, dann ſetzt der ganze Trupp mit Ua⸗ua⸗ua ein, die Töne ſchwellen zu gewaltiger Stärke an, um dann allmählich ftufen- weiſe abzufallen, bis das ſchauerliche Konzert in den Rufen eines einzelnen Tieres verhallt Die Töne werden nicht nur durch Ausſtoßen, ſondern auch durch Einziehen der Luft hervorgebracht. Die erwachende Geſellſchaft läßt, noch während ſich die Tiere in den Neſtern befinden, das Geſchrei ertönen, dann etwa halbſtündlich während der Nahrungsſuche, auch nachts, nament- lich bei Mondſchein.“ Die Nahrung des Schimpanſen ſetzt v. Oertzen völlig gleich der des Gorillas. Seine Gefangenen fraßen neben den beſchriebenen Früchten mit wahrer Leiden— ſchaft die Blätter eines Schlinggewächſes, die denen unſeres Haſenklees gleichen und auch den ſäuerlichen Geſchmack haben wie dieſer. Der Schimpanſe weiß aber auch die Nahrungspflanzen des Menſchen zu ſchätzen; ihretwegen lebt er, nach v. Oertzen, ſogar lieber in der Nähe von Anſiedelungen als im dichten, unbewohnten Walde. „Die alten und neuen Farmen mit ihren Fingerbäumen üben eine große Anziehungskraft auf ihn aus.“ Unſer Beobachter rühmt den Schimpanſen auch als „ausgezeichneten Läufer, der einen andauernden und fördernden Galopp zu gehen vermag... Das Bauen des Neſtes geſchieht, indem mehrere Zweige nach innen umgeknickt werden. Das Tier ſetzt ſich auf dieſe umgeknickten Zweige, während die Arme nach neuen Zweigen auslangen. Trockene Aſte oder Blätter werden nie zum Neſtbauen benutzt, ſondern nur friſche, die den Armen erreichbar ſind. Nach der Dichtigkeit des Baumes richtet ſich auch die Dichtigkeit des Schlafneſtes; in den hohen Schirmbäumen ſind die Neſter recht durchſichtig.“ J. v. Oertzen beobachtete eines Abends ein Schimpanſenweibchen, das im friſch bereiteten Neſte auf dem Rücken lag, während ein Junges auf der Mutter herumturnte. Die Alte ſchien recht ſchläfrig zu ſein; denn ab und zu drückte ſie den kleinen Quälgeiſt an ſich, Schimpanſe: Freileben. 657 um ihn zur Ruhe zu bringen. Schließlich, als die Dämmerung vorſchritt, wurde auch der Kleine müde und legte ſich neben die Alte, den Kopf an deren Bruſt. Über einen oft oder vielmehr innerafrikaniſchen Schimpanſen weſtlich des Tanganjikaſees, der alſo ſchon zur deutſch-oſtafrikaniſchen Tierwelt gehört, den Nſoko, wiſſen wir ſeit Böhms Zeiten einiges durch ſeinen überlebenden Reiſegenoſſen Reichard. „In einem trocknen Regen— flußbette fand ich ganz friſche Spuren eines ſehr großen Affen. Er hatte ſeinen Weg auf den Hinterfüßen zurückgelegt und dabei zuweilen abwechſelnd eine der beiden Hände als Stütze zu Hilfe genommen, wie die Abdrücke bewieſen. Es waren dabei nur die zweiten Glieder, von den Fingerſpitzen an gerechnet, des Zeige- und Mittelfingers ſtark in den Sand eingedrückt, und zwar mit der Außenſeite. Vom vorletzten Finger fanden ſich ſtets nur ganz ſchwache Spuren im tiefen Sande, vom kleinen nur an einer Stelle. Im ganzen machten die Spuren den Eindruck, als wenn nur ein ſehr geringer Teil des Körpergewichts während des Gehens nach vorn verlegt wird; die Füße waren ſcharf und tief eingedrückt.“ Wir dürfen alſo beim Schimpanſen wenigſtens zeitweiſe halb aufrechten Gang annehmen. Der beobachtete muß ein mächtiger Burſche geweſen ſein; denn ſeine Fußſpur war noch etwas größer als Reichards Schuhe, d. h. 31— 32 em lang. Reichard ſah auch von demſelben Tiere ganz friſch ab— gebrochene Aſte, welche die Dicke eines Armes über dem Handgelenk hatten; ſie einzuknicken, erforderte bei der Zähigkeit der betreffenden Holzart gewiß eine ganz bedeutende Kraft. Der Affe hatte dieſe angewendet, um zu erbſengroßen, blaugrauen Beeren zu gelangen. Wenn Schimpanſen in die Felder der Eingeborenen einbrechen, nehmen ſie ſelten die Sorghumkörner, obwohl Reichard einige Male auch unverdaute Körner in der Loſung fand; ſie kauen vielmehr die ſüßen Halme aus, ganz ſo wie es die Schwarzen tun. Im Herzen Afrikas fand der Schimpanſe in keinem Geringeren als Schweinfurth ſeinen Schilderer: die im Njam-Njam-Lande heimiſche Art, langhaarig, langbärtig und langgliederig, mit ſchmalem, hohem Schädel und mittelfarbigem, olivenbraunem Geſicht, heißt Pan schwein— furthi Gigl. Die Eingeborenen brachten dem großen Reiſenden eines Abends eine Anzahl Schädel, die er für einige Kupferringe eintauſchte, und erzählten ihm, daß das Tier zahlreich in den nahen Wäldern anzutreffen ſei. Die Nam-Njam jagen den Schimpanſen, indem ſich 20 oder 30 Mann zuſammentun, den kräftigen und gewandten Tieren auf den 25 und mehr deter hohen Bäumen nachklettern und fie in Schlingen und Netze treiben, in denen die Affen dann geſpeert werden. Dabei ſollen ſie ſich aber verzweifelt wehren, mitunter ſogar dem Jäger den Speer aus der Hand reißen und ihn gegen ihre Verfolger kehren. Jedenfalls fürchten dieſe nichts ſo ſehr wie den Biß der mächtigen Fangzähne und den Griff der ſtarken Arme dieſer Affen. Bei den Njam-Njam heißt der Schimpanſe Rana oder Manjaruma, bei den Sudanarabern, die ihn ſchon lange gekannt zu haben ſcheinen, geht er mit ein in den all— gemeinen Namen Baahm. Er liebt beſonders die Wälder an den Flußufern; im dicht— bevölkerten Kulturlande der Monbuttu, der ſüdlichen Nachbarn der Nam-Njam, am Uellefluß zieht er ſich jedoch möglichſt in die Einſamkeit zurück. Schweinfurth hebt auch bereits einen Unterſchied im Leben alter und junger Schimpanſen hervor, der vielleicht weit allgemeiner Platz greift, als man früher annahm: die Alten halten ſich paarweiſe oder ganz einzeln, und nur die Jungen ſieht man in Trupps vereinigt. Junker führt die Jagdſchilderung noch weiter aus, indem er hinzufügt, daß der verfolgte Schimpanſe gern auf den Boden herabkommt, weil er im dichten Unterholze leichter zu entwiſchen gedenkt. Das muß natürlich den Fang mit Netzen und die Erlegung mit der Lanze oder Pfeil und Bogen erleichtern. Am Albertſee wird der Schimpanſe, nach Caſati, überhaupt nicht gejagt, weil er früher ein Menſch geweſen Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 42 658 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. ſei; ſo bemänteln wenigſtens die eingeborenen Wanjoro dort ihre Feigheit vor ſich ſelbſt und den fragenden Forſchern. Die Walegga ſollen ihn aber, ebenfalls nach Caſati, dadurch fangen, daß ſie ihn mit Bier betrunken machen: eine in Afrika vielverbreitete Art des Affenfanges. Ein Monbuttuhäuptling rühmte Caſati das Schimpanſenfleiſch als ſo gut wie Menſchenfleiſch, von keinem anderen an Feinheit des Geſchmackes erreicht, und bei dem großen, durch Schwein⸗ furth berühmt gewordenen Monbuttukönig Munſa wurde es als Leckerbiſſen aufgetiſcht. Auch die Akkazwerge jagen den Schimpanſen, wie ſie ja überhaupt die Jäger des Urwaldes ſind. Gekrönt wird unſere Kenntnis vom innerafrikaniſchen Schimpanſen durch die Beobach⸗ tungen und Sammlungen des Herzogs Adolf Friedrich zu Mecklenburg, aus deren bis jetzt unerreichter Fülle Matſchie unter anderen einen Pan adolfi-frideriei Misch. entnahm. Der hohe Forſchungsreiſende beobachtete dieſe neue Art vom Vulkangebiet bei dem merkwürdigen, kurzwüchſigen Volke der Batwa und konnte ſofort feſtſtellen, daß als Schlafbäume der ſehr hohe und bis zur Krone aſtfreie Podocarpus, der Umufu, ſowie der Mutoie (Sapotazee) bevorzugt werden. In den Morgenſtunden, zwiſchen 7 und 9 Uhr etwa, verlaſſen die Tſchegos ihre Schlafbäume, indem ſie ſich mit großer Behendigkeit an dem kahlen Stamm auf den Erdboden herunterlaſſen, um hier die jungen Bambustriebe zu freſſen. Die einzelnen Familien haben ſtets einen beſtimmten Bezirk, ein Revier, das ſie ungern verlaſſen. Früh, bei Sonnen⸗ aufgang, und abends, wenn die kurze Dämmerung naht, hört man weithin ihr ſchwach ein⸗ ſetzendes, allmählich anſchwellendes, endlich in ſchrilles Kreiſchen ausklingendes Geſchrei, das, ſtets nur wenige Augenblicke dauernd, ſich in unregelmäßigen Abſtänden wiederholt. Als der Herzog beim Morgengrauen zur Jagd bereit war, hatte er unglücklicherweiſe als Führer gerade einen Batwamann erwiſcht, für deſſen Sippe nach feinem Seelenwanderungsglauben der Im- pundu (Menſchenaffe) Umuzimu (heiliges Tier) war, und der ſich daher nur durch die Vorſtellung beruhigen ließ, daß er ſelber ja an der Jagd mit der Waffe ſich gar nicht zu beteiligen brauche. Das lautloſe Anpirſchen in eine tiefe Bergſchlucht hinab und jenſeits am Hange wieder hinauf durch das unglaubliche Gewirr von Lianen, Bambus und Dornen hindurch war ein ſaures Stück Jägerarbeit, zumal der Rat des Batwaführers, die Kleider abzuwerfen, nicht befolgt werden konnte. Schließlich wurde es aber in einem einzigen Augenblicke freier Durchſicht nach oben durch blitzſchnellen, aber guten Schuß auf einen mächtigen Affen belohnt, der hoch oben auf dem Aſte eines wohl 60 m hohen Mutoie ſtand. Ein ſchwerer Schlag und ein wütendes Gebrüll folgte. Das Wild flüchtete noch, ſchwer krank, den Hang hinunter, ſtellte ſich unten den verfolgenden Schwarzen und wurde von dieſen mit dem Speer abgetan. Als der Herzog am nächſten Morgen von einem anderen Schlafbaum ein jüngeres Tier herunterſchoß, wurde plötzlich der Buſch lebendig, und auf 15 Schritt erſchien der Kopf und das fletſchende Gebiß eines alten Männchens. Dieſe begleiten öfter die Familien in einiger Entfernung, halten ſich aber allein. Das Opfer zeigte nicht übel Luſt, anzugreifen, verendete aber gleichfalls mit der Kugel in der Bruſt binnen weniger Minuten. Trotzdem räumte die Herde noch nicht das Feld, ſondern die geſchüttelten Bäume und Bambus bewieſen dem Jäger noch längere Zeit die Nähe der erboſten Tiere, die ſich erſt allmählich verzogen. Der Alte hatte mit graugelben Haaren durchmengtes Fell, Hände und Geſicht tiefſchwarz, während der Jüngere wiederum bei tiefſchwarzem Haarkleid gelbliche Färbung des Geſichtes und der Handflächen aufwies. Hans Paſchen, der glückliche Erleger eines der größten Gorillas, erwähnt von einer Jagd an der Südgrenze Kameruns, im Ntumgebiet am Kampofluſſe, auch beim Schimpanſen dasſelbe Fauſttrommeln auf der Bruſt, wie es ſonſt vom Gorilla geſchildert wird. Er beſchreibt auch, wie der angeſchoſſene Affe, ein alter Mann mit ſchwarzem Geſicht, den er 120 Pfund Schimpanſe: Jagd. Fortpflanzung. 659 ſchwer ſchätzte, vor ihm „in Kampfſtellung ging, ſich vor die Bruſt ſchlagend und wütendes Gebrüll ausſtoßend“. > Der Ruhm, 14 Schimpanſen, nebſt Raubzeug und Wildſchweinen, im Weberſchen Eiſen gefangen zu haben, gebührt, nach der Jagdzeitung „St. Hubertus“, einem anderen Deutſch— Kameruner, Stachelhauſen in Iſongo. Mögen ſie ihm „in der Regenzeit eine große Menge Planten, Bananen und Kakaofrüchte gefreſſen“ und er wenig freie Zeit gehabt haben, „den Dieben mit der Büchſe nachzuſtellen“: das dem Bericht beigegebene Bild mit den Menſchen— affengeſtalten, an der Hand im Raubtiereiſen gefangen, löſt doch ganz andere Gedanken aus als den des erfolgreichen Fallenſtellers, daß „dieſe Eiſen den Übelſtand in wenigen Wochen beſeitigten“. Der Tierpſycholog muß ſich nur wundern, daß die Schimpanſen ſo kurz hinter: einander alle offenbar in dieſelbe Falle gingen, ohne ſich durch das jämmerliche Schickſal ihrer Genoſſen warnen zu laſſen. Da iſt es eine gewiſſe Beruhigung, daß ſich unſere Kolonial— verwaltung neuerdings auch der Schimpanſen angenommen hat. In Deutſch-Oſtafrika iſt die Jagd auf dieſe ſeit 1911 verboten; in Kamerun, dem wichtigſten Menſchenaffengebiete, kann wenigſtens die Jagd auf Tiere, „bei denen für die Erhaltung der Art ein wiſſenſchaft— liches Intereſſe vorliegt, vom Gouverneur zeitweilig oder dauernd verboten werden“. In Togo kommt nach der amtlichen Veröffentlichung des Reichskolonialamts über Jagd und Wildſchutz in den deutſchen Kolonien offenbar gar kein Schimpanſe vor. Über Zeit und Umſtände der Paarung, Trächtigkeit und Entwickelung der Jungen uſw. iſt bis jetzt nur ſehr wenig öffentlich bekannt, ſo wenig, daß es aus dieſem Grunde ſchon lohnen würde, an geeignetem Orte ein „Schimpanſenparadies“ zu errichten, wo die Tiere möglichſt natürlich leben und bei dieſem natürlichen Leben ganz ſyſtematiſch ſtudiert werden könnten; denn dabei würde ſich gewiß vielerlei feſtſtellen laſſen, was uns wieder im Ver— ſtändnis der entſprechenden Vorgänge beim Menſchen vorwärts brächte. Könnte man nicht einige Urwaldgebiete in verſchiedenen Gegenden Kameruns als Bannwälder für Menſchenaffen erklären? Über die Entwickelung der Schimpanſen weiß man bis jetzt bloß aus Beobachtung an gefangenen Jungen, daß deren Wachstum weit langſamer vor ſich geht, als man früher angenommen zu haben ſcheint. Wie bei allen jung eingeführten Affen unterſchätzt man auch beim Schimpanſen leicht das Alter. Er ſoll beinahe nackt geboren werden; auf den Tiermarkt kommt er aber immer ſchon behaart, wenn er keine Hautkrankheit hat. Über Begattung, Tragzeit und Geburt weiß man aus der Freiheit gar nichts, über die erſtere aus ganz neuen Beobachtungen an dem großen Schimpanſenpaar des Berliner Zoologiſchen Gartens nur, daß ſie, entgegen mancherlei Behauptungen und Erzählungen, nicht im geringſten menſchen— ähnlich, ſondern ganz und gar tieriſch vor ſich geht, indem das Weibchen ſich hinten ſo tief niederkauert, daß es mit dem Hinterteil beinahe den Boden berührt; das Männchen vollzieht dann von hinten in ähnlicher Haltung die Begattung. Das geht aber alles ganz ruhig und leidenſchaftslos vor ſich: keine Spur von Geſchrei oder ſonſtwie auffallendem Benehmen! Auch als die beiden Tiere zum erſtenmal zuſammengelaſſen wurden, trat nichts von alledem ein, was man etwa erwarten oder befürchten konnte. Insbeſondere kehrte Miſſie nicht im geringſten die eingewöhnte und verwöhnte „Herrin des Hauſes“ hervor, ſondern erkannte offenbar den ebenbürtigen Mann willig an, und er wiederum behandelte ſie mit einer Zartheit, die für die Zuſchauer etwas ungemein Anſprechendes hatte. Nach gelegentlichen Mitteilungen unſerer Schutztruppenoffiziere und Sammelreiſenden hat es den Anſchein, als ob für die Schimpanſen. in Kamerun eine gewiſſe Wurf- und damit auch eine gewiſſe Brunftzeit angenommen werden dürfte: die Jungen ſollen allermeiſt zu Anfang der Regenzeit geboren werden. 492* 660 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. Bei einem jungen Schimpanſen des Zoologiſchen Gartens zu Halle, der um Oſtern, 4 kg ſchwer, ankam, waren die vier oberen und die vier unteren Schneidezähne ſowie ein Backzahn jederſeits völlig durchgebrochen. Es fehlten alſo zum vollen Milchgebiß, das wie beim menjch- lichen Kinde aus 20 Zähnen beſteht, der zweite Backzahn und der Eckzahn. Dieſe Backzähne brachen im Mai und Juni durch und im Laufe des Juli auch die oberen Eckzähne, die ſo⸗ genannten Augenzähne. An der Stelle der unteren Eckzähne war das Zahnfleiſch um dieſe Zeit ſchon ſehr geſchwollen: ein Beweis, daß auch dieſe letzten Milchzähne ſehr bald zum Vor⸗ ſchein kommen mußten. Dieſer junge Schimpanje hatte mit dem Zahnen genau jo zu tun wie viele Menſchenkinder, obwohl er inzwiſchen 1 kg zunahm: er hatte Schnupfen, ſteckte die Finger in den Mund und wollte am liebſten den ganzen Tag von ſeiner Wärterin auf dem Arm getragen werden. Wieder einer der vielen Beweiſe, daß die Gefangenſchaft und Haustierſchaft beim Tier dieſelben Folgen hat wie die Kultur beim Menſchen! Ein anderer junger Schimpanſe, den derſelbe Garten aus erſter Hand erhielt, war Ende April ſeiner erlegten Mutter von dem Vorbeſitzer als noch ganz unbeholfenes Junges abgenommen worden, das noch nichts von Zähnen aufwies. Es lernte ſehr ſchwer laufen und klettern, fing erſt um Weihnachten damit an und lutſchte noch im Hochſommer des folgenden Jahres an der Daumenzehe, trank aber ſeine Milch ſchon ganz artig aus der Taſſe, die es ſelbſt mit einer Hand zum Munde führte. Über Wachstum und Gewichtszunahme hat man nur Gefangenſchaftszahlen, und dieſe ſind begreiflicherweiſe recht ungleichmäßig; vielleicht ſpielt aber dabei auch eine Rolle, ob die einzelnen Stücke einer größeren oder kleineren Art angehörten. So trat in einem Falle binnen fünf Jahren eine Gewichtszunahme von 11 auf 23 kg, alſo eine reichliche Verdoppelung des Körpergewichts ein, in einem anderen binnen fünf Jahren eine Zunahme von 7,5 auf 25 kg, alſo reichliche Verdreifachung, in einem dritten aber binnen vier Jahren ſchon eine Zunahme von 15 auf 58 kg, alſo beinahe eine Vervierfachung. Zugleich vergrößerte ſich im letzteren Falle die Höhe des aufrechtſtehenden Tieres binnen Jahresfriſt um 8 em und binnen eines halben Jahres um weitere 3 em. Ein anderer Schimpanſe, Männchen, der ſchon halbwüchſig eingeführt wurde, wuchs in vier Jahren von etwa 85 em auf 117 em Standmaß und hatte dann einen Bruſtumfang von 78 em. Der Zahnwechſel beginnt nach den Berechnungen aus dem Gefangenleben nicht vor dem ſechſten Lebensjahre, wobei im Einzelfalle immer noch die Möglichkeit bleibt, daß das Tier zur Zeit der Einfuhr zu jung eingeſchätzt wurde; er zieht ſich aber allem Anſchein nach bis ins ſiebente und achte Jahr hinein, ehe die Eckzähne gewechſelt ſind. In einem Falle lag zwiſchen dem Durchbruch der oberen und unteren Eckzähne eine Friſt von annähernd zwei Jahren, jedenfalls eine Hemmungserſcheinung infolge der Gefangenſchaft. Mit Beendigung des Zahnwechſels tritt allem Anſchein nach beim Weibchen auch bald die Geſchlechtsreife ein, alſo etwa im achten Lebensjahr. Sie äußert ſich in regelmäßigen monatlichen Blutungen, verbunden mit auffallender Schwellung der äußeren Geſchlechtsteile, die, prall mit Blut gefüllt, das Ausſehen einer hell fleiſchfarbigen, geſchlitzten Birne annehmen. Vorbereitend gingen in einem Falle ſchon zeitweiſe Schwellungen voraus. Nach fünf Tagen geht die Schwellung wieder zurück, jedoch durchaus nicht vollſtändig; ſie bleibt vielmehr zum großen Teil beſtändig erhalten, blieb es wenigſtens bei den einzeln gehaltenen Schimpanſenweibchen (Johanna-Barnum, Miſſie-Berlin), die man bis jetzt beobachten konnte. Bei der Berliner Miſſie war während der Menſtruationstage auch eine ungünſtige Veränderung im geiſtigen Weſen nicht zu verkennen: fie war dann träge und übellaunig, wenig geneigt zur Ausfüh- rung aller der kleinen Scherze, die ſie den Beſuchern auf Geheiß des Wärters ſonſt ſo willig Schimpanſe: Zahnen. Wachstum. Geſchlechtsreife. Tanzen. Kinderleben. 661 vormachte, und mußte ſchonend behandelt, möglichſt in Ruhe gelaſſen werden. Einigermaßen erwachſene Schimpanſen männchen hat man bis jetzt wohl noch ſeltener gehabt als Weibchen, und nur in einem Falle, von einem mindeſtens elfjährigen Tiere, liegt eine Unterſuchung auf lebende Spermatozoen vor. Solche wurden nicht gefunden, und es darf daher wohl angenommen werden, daß beim männlichen Schimpanſen die Fortpflanzungsfähigkeit noch erheblich, um mindeſtens 3—4 Jahre, ſpäter eintritt als beim Weibchen. Nach der allgemeinen Regel bei den Affen und dem Größenunterſchied der beiden Geſchlechter iſt dies auch kaum anders zu erwarten. Im Benehmen ſcheint ein gewiſſer Geſchlechtsunterſchied beim Schimpanſen darin zu beſtehen, daß die Männchen ungleich mehr zu aufſtampfendem Tanzen und gleichzeitigem Aufſchlagen mit den flachen Händen neigen als die Weibchen, beſonders in mehr heran— gewachſenem Alter. In Berlin hat man wenigſtens die Schimpanſin „Miſſie“ niemals zum Tanzen in dieſem Sinne bewegen können, während bei den beiden großen Männchen, die man im letzten Jahrzehnt da beobachten konnte, dem früheren „Soko“ und dem jetzigen „Moritz“, nur einige Anregung durch taktmäßiges Auftreten und Händeklatſchen dazu gehörte, um als: bald einen wilden Tanz zu veranlaſſen, der z. B. Klaatſch den Vergleich mit dem Korobberi der ſchwarzen Auſtralier nahelegte. Wenn man überhaupt damit zuſammenhält, daß nicht nur bei den außereuropäiſchen ſogenannten Wilden, ſondern auch noch bei ſo manchen euro— päiſchen Völkerſtämmen bis zum Koſaken und ſogar zum oberbayriſchen Schuhplattler dem Manne der Löwenanteil beim Tanze zufällt, ſo gibt die ganze Sache allerlei zu denken. Und erſt recht, wenn man in den Berichten der Menſchenaffenſtation auf Teneriffa lieſt, daß dort auch ein größeres Weibchen tanzte, aber ganz anders als das Männchen: durch Umdrehen um die eigene Körperachſe und abwechſelndes Aufſchlagen der Hände auf den Fußboden. Im Freileben bilden die heranwachſenden, unreifen Schimpanſen beiderlei Geſchlechts wohl die größeren Banden, die mit viel Geſchrei den Urwald durchziehen, während die erwachſenen ſich mehr in kleinen Familientrupps unter Führung eines alten Männchens halten, das von ſeinen Weibchen und deren kleinen Saugjungen begleitet iſt. Dieſer Herdentrieb der Jung— tiere zeigte ſich auch ſofort bei den neuangekommenen Inſaſſen der Menſchenaffenſtation auf Teneriffa, die ſofort eine Horde bildeten, als ſie in den großen Grasgarten herausgelaſſen wurden, unter Führung des größten Männchens, das jeden nahenden Menſchen durch Er— regungs- oder Warnlaute anzeigte, während ein größeres Weibchen, aufmerkſam nach rückwärts ſichernd, die Nachhut bildete. Als die Tiere dann vertraut und zahm wurden, verlor ſich das. v. Oertzen hat auch aus dem Kinderleben des Schimpanſen einiges beobachtet. Die Jungen werden wohl bis zum dritten Jahre von ihren Müttern an der Bruſt getragen und klammern ſich mit großer Zähigkeit feſt. Die Alten fühlen ſich weder beim Klettern noch beim Laufen durch die Laſt behindert. Allerliebſt ſind die erſten Gehverſuche der Kleinen. Die Alte ſetzt ihr Kind auf den Boden: es fängt gellend an zu ſchreien vor Furcht und flüchtet ſofort an die ſchützende Bruſt zurück. Immer wieder aber bemüht ſich die Mutter, das ängſtliche Kleine niederzuſetzen; ſchließlich faßt es ſich ein Herz und kriecht einige Schritte weit. Es ſtützt ſich dabei nicht, wie erwachſene Tiere, auf das zweite Glied der nach außen gedrehten Hand, ſondern es legt die ganze Rückſeite der Hand auf den Boden. Zuweilen reißt es im Übermut eine Pflanze aus, verliert dabei das Gleichgewicht und kullert auf den Rücken. Nicht nur die tutter, ſondern auch das alte Männchen verteidigt die Jungen. Als v. Oertzen mit ſeinen Leuten ein Junges verfolgte, das ſcheinbar ſeine Mutter verloren hatte, ſchrie dieſes ängſtlich: da brach mit geſträubtem Haar ein altes Männchen durch das Dickicht und ließ keinen Zweifel darüber, daß es den Verfolgern zu Leibe gehen wollte. 662 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. In ihrer Heimat ſchon werden Schimpanſen viel zahm und mehr oder weniger frei um— herlaufend gehalten; die meiſten, die auf den europäiſchen Tiermarkt kommen, haben wohl eine derartige Vorſchule in einem Europäerhauſe Afrikas durchgemacht und ſind daher bereits zahm und an Menſchen nicht nur gewöhnt, ſondern auch zutraulich und anhänglich. Wenn man ſie dann, ihrem Weſen und ihren Fähigkeiten entſprechend, mehr wie Kinder als wie Tiere behandelt, erlebt man viel Freude an ihnen. Freilich iſt ihnen allem Anſchein nach eine gewiſſe Vorſchule nach der Gefangennahme doch recht nötig; wenigſtens urteilt Pechuel— Loeſche über die ſeinerzeit auf dem Gehöfte der Loango-Expedition gehaltenen Schimpanſen, die von den Eingeborenen für geringe Tauſchwerte reichlich dorthin gebracht wurden, nicht ge— rade ſehr günſtig. Er ſpricht ihnen beſondere Individualität, Energie, Lebhaftigkeit, natürliche hochentwickelte Intelligenz glatt ab und bezeichnet ſie in ihrem Weſen ausnahmslos als recht ordinäre Tiere, denen man wenig Sympathie entgegenbringen, die man im allgemeinen weder bösartig noch gutmütig und in keinem Falle liebenswürdig oder dankbar nennen konnte. Neben ihnen erſchien ein junger Gorilla (der ſpäter im Berliner Aquarium berühmt gewordene) wie ein vornehmes Geſchöpf. Das muß allerdings „Schimpanſenpöbel“ geweſen ſein! Da⸗ gegen erfreute Junker ein junger Schimpanſe durch ſeine rührenden, kindlich-menſchlichen Gebärden ſo, daß er ſich viel mit ihm beſchäftigte. Offnete Junker eine Kiſte, ſo kam der Schimpanſe, neugierig wie ein Kind, herbei, guckte mit hinein und beroch oder betaſtete die einzelnen Gegenſtände. Dann wieder ſaß er ſtill da, betrachtete ſeine Wunden (Lanzenwurf an der Hand), wehrte mit der geſunden Hand, vollkommen menſchlich in der Gebärde, die Fliegen ab und entfernte wohl auch mit dem Nagel des Zeigefingers den Eiter und die Kruſten von den Wundflächen. Später wurde er krank, huſtete viel, und zwar in einer völlig menſch- lichen Tonart; er war offenbar in Afrika ſchon krank geworden. v. Oertzen erhielt in Joko (Kamerun) einen jungen Schimpanſen mit einem fünf Tage alten Armbruch, die Bruchſtelle heiß und ſtark geſchwollen. In vierzehn Tagen war der Bruch geheilt und der Arm wieder gebrauchsfähig. Ein anderer, ſchon etwa achtjähriger Schimpanſe war ausgerückt und wurde beim Wiedereinfangen fünfzig Meter hoch von einem Baume herab— geſchleudert, ſich vielmals in der Luft überſchlagend. Der Aufſchlag klang dumpf, ſämtliche Knochen ſchienen gebrochen zu ſein, und doch erhob ſich der Ausreißer ſofort wieder; nur ein leichtes Naſenbluten hatte der furchtbare Fall hervorgerufen. Vier von unſerem Beobachter in Akoafim gehaltene Schimpanſen hielten untereinander beſte Freundſchaft. Sahen ſie ſich nach längerer Trennung wieder, jo begrüßten fie ſich auf rührende Weiſe: auf den Hinter: beinen ſtehend umarmten ſie ſich und gaben durch lebhafte Rufe ihre Freude deutlich zu erkennen. Bei den gemeinſamen Fütterungen benahmen ſie ſich höchſt geſittet und neidlos; nur eine aus Joko ſtammende Schimpanſin war etwas ſelbſtſüchtiger Art und fing manchmal Händel an, wenn fie ſich benachteiligt glaubte. Und doch ſchreibt v. Oertzen allen Schimpanſen ſtarken Jähzorn zu. Wurden die genannten auf dem Marſch von ihren Trägern niedergeſetzt und ſollten ein Stück Weges auf eigenen Füßen gehen, ſo ſchrien ſie vor Wut, warfen ſich auf den Rücken und ſchlugen mit den Händen auf den Erdboden. Erſt wenn die Karawane mitleidlos weitermarſchierte, entſchloſſen ſie ſich, zu folgen; ans Entweichen dachten ſie dabei aber nie. Einer mußte wegen Bronchialkatarrh inhalieren, wurde zu dieſem Zweck gefeſſelt und das Maul mittels Knebels offengehalten. Nachher bebte er ſtets vor Wut und verfolgte ſelbſt ſeinen Pfleger, dem er jonft aufs innigſte zugetan war; niemals wagte er aber, v. Oertzen ſelber anzugreifen, nachdem dieſer ihn einmal bei ſolcher Gelegenheit gezüchtigt hatte. v. Oertzens Schimpanſen trieben ſich auf ſeiner Station nach Belieben umher und nächtigten manchmal + Schimpanſe: Gefangenleben. 663 ſogar im Freien; dann machten ſie ſich aber ſtets Schlafneſter. Schon ganz junge, einjährige Tiere verſuchten das, auch wenn ſie nur während der Mittagsſtunden in einem Baume ruhten. Ein dreijähriger Tſchego, der, von Sandflöhen befallen, mit ſeinen wunden Händen und Füßen nie gewagt hatte, zu klettern, litt ſpäter geradezu an Schwindel. Mit der größten Vorſicht kletterte er 2—3 m hoch; dann packte ihn aber ein derartiges Angſtgefühl, daß er ſich weder vor- noch rückwärts wagte und eindringlich um Hilfe rief. Dagegen war er auf dem Boden ſehr geſchickt, tanzte ſehr drollig mit ähnlichen Leibbewegungen wie die Negerweiber, bearbeitete halbe Stunden lang „vierhändig“ die Sprechtrommel und ſchleuderte, wenn er zu „knobelnden“ Soldaten gelangen konnte, die Kaurimuſcheln ganz regelrecht, mit dem Finger ſchnippend, von ſich, nachdem er ſie nach Spielerart auf dem Boden hin und her gerieben hatte. Ebenſo lernte er bei der Jagd auf die Sandflöhe ſich des Bambusſtäbchens bedienen, wie die Menſchen, und ſich nach Negerart die Zähne putzen. Wenn das Zelt ſeines Herrn aufgeſchlagen wurde, ergriff er wohl auch ein Buſchmeſſer und verſuchte damit, um die Zeltwände einen Graben auszuwerfen. Seinen Genoſſen fiel derartiges nicht ein, und v. Oertzen folgert daraus wohl mit Recht, wie individuell veranlagt gerade hochentwickelte Geſchöpfe ſind. Von dem Tanganjika-Schimpanſen Soko weiß Voſſeler, der ihn mit ſieben Jahren nach Amani in Pflege bekam, nicht gerade viel Gutes zu berichten. Er bezeichnet ihn als einen groben, übermütigen, oft ſelbſt hinterliſtigen Bengel. Offenbar beſaß der Neger, dem der Affe den größten Teil ſeines Lebens anvertraut war, gar keine Erziehergabe, und ſo entwickelte ſich ſein Pflegling zu einem wahren Ausbund im Unfugſtiften. Die Schwarzen rückten aus, ſobald er ſich blicken ließ, und die Weißen mußten ſeine Beſuche ſtets mit zerbrochenem Hausrat und beſchmutzter Wäſche bezahlen. Einen Hauptſpaß machte ihm das Trommeln auf Well blechdächern, das er mit großer Ausdauer betrieb. Junge Hunde ſchloß er ſorgſam in ſeine Arme, ältere mußten ihm gelegentlich zu Übungen im Bockſpringen dienen. Bekannte Euro⸗ päer, für die er ein vorzügliches Gedächtnis hatte, begrüßte er mit laut kreiſchendem Geſchrei, dem, wie jedem Freudengeheul, erſt einige tiefe Töne vorangingen, vor allem aber mit einem urkräftigen Handſchlag. Freute er ſich ganz beſonders, ſo trampelte er noch mit den Beinen. In tiefſter Dunkelheit legte er kilometerlange Wege zurück und kletterte mit Sicherheit auf „Bäume, um ſich Früchte, wie z. B. Papayen, zu holen. Hatte er ſich nach ſtundenlangem Tollen müde getobt, ſo ließ er ſich willig wieder an die Kette legen. Leicht neigte er zum Jähzorn, und wenn ſeine Wünſche nicht ſofort erfüllt wurden, biß er ſogar ſeine Wohltäter. Züchtigungen machten ihm wenig Eindruck; womöglich ſuchte er den Stock zu erfaſſen und ſelbſt zu hauen. Er war nicht nur nicht erzogen, ſondern verwöhnt, wohl durch die Nachſicht ſeines gutmütigen, ſtumpfſinnigen Negerwärters. Verſtändig benahm er ſich, wenn er ärztlich behandelt werden mußte, ließ ſich gern waſchen und bürſten, ſchüttete aus der Hand ſelbſt Waſſer über das Geſicht und rieb dieſes ab, ſtieg auch gelegentlich aus freien Stücken zum Baden in die Wanne. Mit Kindern ging er ſanft um und ergriff fie an den Händen, um mit ihnen aufrecht umher— zuſpazieren. Er war ein Freund von Tabakrauch, nahm Zigarren und Pfeifen gern in den Mund, rauchte aber nicht wirklich. Außerordentlich große Empfindlichkeit gegen Kitzeln brachte ihn ſofort zu grinſendem Lachen, ſobald man nur Miene machte, ſeine Kehle oder Körperſeite im Spaß zu berühren; hilflos kugelte er am Boden, ſobald er wirklich gekitzelt wurde. Zum Spiel war er gern geneigt, allerdings meiſt in derber Weiſe. In Ruhepauſen zeigte er auch mehr gemütliche Seiten, ſtreichelte Geſicht und Bart des ſich mit ihm abgebenden Europäers und machte ſich an deſſen Kleidung zu ſchaffen. Manche Befehle befolgte er, brachte z. B. einen bezeichneten Gegenſtand; meiſt beachtete er ſie aber nicht. Von beſonders ausgeprägten 664 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. Verſtandesfähigkeiten konnte bei ihm nicht geſprochen werden. Er fraß am liebſten tropiſche Früchte, vertilgte erſtaunliche Mengen von ſolchen, ging aber nach Affenart verſchwenderiſch damit um. Maniok und Süßkartoffeln ſchälte er wie die Neger; Zuckerrohr zerkaute er ſehr gern. Inſekten liebte er nicht, ſchüttelte fie ſchleunigſt ab. An Fleiſchnahrung lag ihm offen- bar nicht viel, er verfolgte aber Geflügel. Im großen Mittelkäfig des Berliner Affenhauſes, wohin er ſchließlich als Geſchenk Stuhlmanns wanderte, erregte er Aufſehen durch ſeine wilden Tänze und gellenden Juchzer, bei denen er mit Händen und Füßen polternd auf Sitzbretter und Fußboden aufſchlug. Am Lederriemen ins Wärterzimmer gebracht, eilte er ſtets ſofort zum Fenſter und mißachtete über dem Hinausſchauen ſelbſt Leckerbiſſen: immerhin ein bedeut⸗ ſames Zeichen für ſeine geiſtigen Fähigkeiten! Unter allen Menſchenaffen gelangt gegenwärtig der Schimpanſe am häufigſten lebend zu uns, hält hier aber leider oft nur 2—3 Jahre aus, während er, wie man verſichert, in Weſtafrika bis 20 Jahre in Gefangenſchaft gelebt haben und groß und ſtark geworden ſein ſoll. Bis jetzt hat man ſtets beobachtet, daß die jung gefangenen ſanft, klug und liebens— würdig waren, und ſchon in den früheren Jahrhunderten ſuchte man mit Erfolg, ihnen menſchliches Benehmen beizubringen. So gehorchte Buffons Schimpanſe wie ein artiges Kind aufs Wort oder auf ein Zeichen, bot den Leuten den Arm an und ging mit ihnen umher, ſetzte ſich zu Tiſche, benutzte ein Vorſtecktuch und wiſchte ſich, wenn er getrunken hatte, damit die Lippen; ſchenkte ſich ſelbſt Wein ein und ſtieß mit anderen an, holte ſich eine Taſſe und Schale herbei, tat Zucker hinein, goß Tee darauf und ließ ihn kalt werden, bevor er ihn trank. Traills Schimpanſe hielt man einen Spiegel vor: ſogleich war ſeine Aufmerkſamkeit gefeſſelt. Er blickte fragend ſeinen Herrn an, hierauf wieder den Spiegel, ging hinter dieſen, kam zurück, betrachtete nochmals ſein Bild und ſuchte ſich durch Betaſten zu überzeugen, ob er wirkliche Körperlichkeit oder bloßen Schein vor ſich habe: ganz ſo wie es wilde Völker tun, wenn ihnen zum erſtenmal ein Spiegel gereicht wird. Leutnant Sayers erzählt von einem jungen Schimpanſen, der ſehr eingenommen war für Kleidungsſtücke. Das erſte beſte, das ihm in den Weg kam, eignete er ſich an, trug es ſogleich auf den Platz und ſetzte ſich unabänderlich, mit ſelbſtzufriedenem Gurgeln, darauf, gab es auch gewiß nicht ohne harten Kampf und ohne die Zeichen der größten Unzufriedenheit wieder her. Sein Herr verſah ihn daher mit einem Stück Baumwollenzeug, von dem er ſich dann, zur allgemeinen Beluſtigung, nicht wieder trennen mochte, und das er überallhin mitſchleppte, ſo daß keine Verlockung ſtark genug war, ihn zu deſſen Aufgeben auch nur für einen Augenblick zu bewegen. Heutzutage hat in unſeren Affenhäuſern jeder Schimpanſe ſeine Schlafdecke und verſteht es ganz vortrefflich, ſich warm darin einzuhüllen. Ich kann dieſe Berichte nach eigener Erfahrung beſtätigen und vervollſtändigen, da ich ſelbſt mehrere Schimpanſen jahrelang gepflegt und beobachtet habe. Einen ſolchen Affen kann man nicht wie ein Tier behandeln, ſondern mit ihm nur wie mit einem Menſchen verkehren. Ungeachtet aller Eigentümlichkeiten zeigt er in ſeinem Weſen und Gebaren ſo außerordentlich viel Menſchliches, daß man das Tier beinahe vergißt. Es würde abgeſchmackt ſein, wollte man die Handlungen und Streiche eines jo hochſtehenden Geſchöpfes einzig und allein auf Rechnung einer urteilsloſen Nachahmung ſtellen, wie man es hin und wieder getan hat. Aller⸗ dings ahmt der Schimpanſe nach; es geſchieht dies aber genau in derſelben Weiſe, in der ein Menſchenkind Erwachſenen etwas nachtut, alſo mit Verſtändnis. Er läßt ſich belehren und lernt. Wäre ſeine Hand ebenſo willig oder gebrauchsfähig wie die Menſchenhand, er würde noch ganz anderes nachahmen, noch ganz anderes lernen. Er tut eben, ſoviel er zu tun ver— mag, führt das aus, was er ausführen kann; jede ſeiner Handlungen aber geſchieht mit 0———— . Sr ne r ne — Schimpanſe: Gefangenleben. 665 entſchiedener Überlegung. Er verfteht, was ihm gejagt wird, und wir verſtehen auch ihn, weil er zu ſprechen weiß, nicht mit Worten allerdings, aber mit ſo ausdrucksvoll betonten Lauten und Silben, daß wir uns über ſein Begehren nicht täuſchen. Er erkennt ſich und ſeine Um— gebung und iſt ſich ſeiner Stellung bewußt. Im Umgang mit dem Menſchen ordnet er ſich höherer Begabung und Fähigkeit unter, im Umgang mit Tieren bekundet er ein ähnliches Selbſtbewußtſein wie der Menſch. Er hält ſich für beſſer, für höher ſtehend als andere Tiere, namentlich als andere Affen. Sehr wohl unterſcheidet er zwiſchen erwachſenen Menſchen und Kindern: erſtere achtet, letztere liebt er, vorausgeſetzt, daß es ſich nicht um Knaben handelt, die ihn necken oder ſonſtwie beunruhigen. Er hat witzige Einfälle und erlaubt ſich Späße, nicht bloß Tieren, ſondern auch Menſchen gegenüber. Er zeigt Teilnahme für Gegenſtände, die mit ſeinen natürlichen Bedürfniſſen keinen Zuſammenhang haben, für Tiere, die ihn ſozu— ſagen nichts angehen, mit denen er weder Freundſchaft anknüpfen noch in irgendein anderes Verhältnis treten kann. Er iſt nicht bloß neugierig, ſondern förmlich wißbegierig. Ein Gegen— ſtand, der ſeine Aufmerkſamkeit erregte, gewinnt an Wert für ihn, wenn er gelernt hat, ihn zu benutzen. Er verſteht Schlüſſe zu ziehen, von dem einen auf etwas anderes zu folgern, gewiſſe Erfahrungen zweckentſprechend auf ihm neue Verhältniſſe zu übertragen. Er iſt liſtig, ſogar verſchmitzt, eigenwillig, jedoch nicht ſtörriſch; er verlangt, was ihm zukommt, ohne recht— haberiſch zu ſein, bekundet Launen und Stimmungen, iſt heute luſtig und aufgeräumt, morgen traurig und mürriſch. Er unterhält ſich in dieſer und langweilt ſich in jener Geſellſchaft, geht auf ihm paſſende Scherze ein und weiſt unpaſſende von ſich. Seine Gefühle drückt er ähn— lich aus wie der Menſch. In heiterer Stimmung lacht er freilich nicht, aber er ſchmunzelt doch wenigſtens, d. h. verzieht ſein Geſicht und nimmt den unverkennbaren Ausdruck der Heiter— keit an. Trübe Stimmungen dagegen verkündet er nicht allein durch ſeine Mienen, ſondern auch durch klägliche Laute, die jedermann verſtehen muß, weil ſie menſchlichen mindeſtens in demſelben Grade ähneln wie tieriſchen. Wohlwollen erwidert er durch die gleiche Geſinnung, Übelwollen womöglich in ebenderſelben Weiſe. Bei Kränkungen gebärdet er ſich wie ein Ver— zweifelter, wirft ſich mit dem Rücken auf den Boden, verzerrt ſein Geſicht, ſchlägt mit Händen und Füßen um ſich, kreiſcht und rauft ſich ſein Haar. Ein von mir gepflegter Schimpanſe iſt rege und tätig ohne Unterlaß, vom frühen Morgen bis zum ſpäten Abend, ſucht ſich ununterbrochen mit irgend etwas zu beſchäftigen, und ſollte er auch nur mit ſeinen Händen klatſchend auf ſeine Fußſohlen klopfen, ganz ſo wie Kinder es ebenfalls zu tun pflegen. So ungeſchickt er zu ſein ſcheint, wenn er geht, ſo gewandt und behend iſt er wirklich, und zwar bei jeder Bewegung. In der Regel geht er in der ſämtlichen Menſchenaffen eigenen Weiſe auf allen vieren, und zwar mit ſchiefer Richtung ſeines Leibes, indem er ſich mit den Händen auf die eingeſchlagenen Knöchel ſtützt und entweder ein Hinter⸗ bein zwiſchen die Vorderarme und eins außerhalb dieſer ſetzt oder beide Hinterbeine zwiſchen die Vorderarme ſchiebt. Trägt er jedoch etwas, ſo richtet er ſich faſt zu voller Höhe auf, ſtützt ſich nur mit einer Hand auf den Boden und bewegt ſich dann eigentlich ebenſo geſchickt wie ſonſt. Wirklich aufrecht, alſo nur auf beiden Beinen allein, ohne ſich mit einem Arme zu ſtützen, geht er bloß dann, wenn er in beſondere Erregung gerät, beiſpielsweiſe wenn er glaubt, daß ſich ſein Pfleger von ihm entfernen wolle, ohne ihn mitzunehmen. Bei dieſer Bewegung hält er die im Armgelenke gebogenen Hände ſeitlich vom Kopfe ab nach oben, um das Gleich— gewicht herzuſtellen. Der Gang auf allen vieren ſieht äußerſt holperig aus, fördert aber verhältnismäßig raſch genug und jedenfalls mehr, als ein Menſch zu laufen imſtande iſt. Eigentliche Beweglichkeit und Behendigkeit entfaltet er aber doch nur im Klettern, und hierin 666 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. unterſcheidet er ſich, wie wahrſcheinlich alle übrigen Menſchenaffen, weſentlich von ſeinen Ord⸗ nungsverwandten. Er klettert nach Art eines Menſchen, nicht nach Art eines Tieres, und turnt in der ausgezeichnetſten Weiſe. Mit ſeinen Armen ergreift er einen Aſt oder ſonſtigen Halt und ſchwingt ſich nun mit überraſchender Gewandtheit über ziemlich weite Entfernungen weg, macht auch verhältnismäßig große Sätze, immer aber ſo, daß er mit einer Hand oder mit beiden einen neuen Halt ergreifen kann. Die Füße ſpielen beim Klettern und Turnen den Händen gegenüber eine untergeordnete Rolle, obgleich fie ſelbſtverſtändlich ebenfalls in Mitleidenſchaft gezogen und die höchſt beweglichen Zehen gebührend benutzt werden. Mit dem ihm gebotenen Turngeräte macht er ſich vom Morgen bis zum Abend zu ſchaffen und weiß ihm fortwährend neue Seiten der Verwendung abzugewinnen. Er ſchaukelt ſich minutenlang mit Behagen, klettert an ſeiner hängenden Leiter auf und ab, ſetzt dieſe in Bewegung, geht am Reck, mit den Händen feſt hangend, hin und her und führt andere Turnkünſteleien mit vollendeter Fertigkeit aus, ohne jemals im geringſten unterrichtet worden zu ſein. So ſicher er ſich auf dieſen ihm bekannten Turngeräten fühlt, ſo ängſtlich gebärdet er ſich, wenn er auf einen Gegenſtand klettert, der ihm nicht feſt genug zu ſein ſcheint: ein wackeliger Stuhl z. B. erregt ſein höchſtes Bedenken. Den Händen fällt der größte Teil aller Arbeiten zu, die er verrichtet. Mit ihnen unterſucht und betaſtet, mit ihnen packt er Gegenſtände, während der Fuß nur aushilfsweiſe als Greifwerkzeug benutzt wird. Er gebraucht ſeine Hände im weſentlichen ganz ſo wie ein Menſch und unterſcheidet ſich von dieſem hauptſächlich darin, daß er die einzelnen Finger der Hand unter ſich weniger als der Menſch bewegt, d. h. gewöhnlich mit dem Daumen und der übrigen ganzen Hand zugreift; doch wendet er bei genaueren Unterſuchungen ſehr regelmäßig auch den Zeige- und Mittelfinger an. Auch der zahme Schimpanſe ſchlägt bei heiterer Stimmung, gleichſam um ſeinen Über⸗ mut auszulaſſen — noch mehr aber, wenn er wütend iſt —, nicht bloß mit den Händen auf den Boden, wie andere Affen es ebenfalls tun, ſondern trampelt auch mit den Beinen auf und nieder, beſonders da, wo es tönt, und bringt damit ein trommelndes Geräuſch hervor. Er zeigt ſich wahrhaft entzückt, wenn ſich ein Menſch herbeiläßt, in derſelben Weiſe wie er zu klopfen, ja er fordert Bekannte geradezu auf, derartig mit ihm zu ſpielen. Mein Schimpanſe kennt ſeine Freunde genau und unterſcheidet ſie ſehr wohl von Fremden, befreundet ſich aber bald mit allen, die ihm liebreich entgegenkommen. Am behaglichſten be⸗ findet er ſich im Kreiſe einer Familie, namentlich wenn er aus einem Zimmer ins andere gehen, Türen öffnen und ſchließen und ſich ſonſtwie zu unterhalten vermag. Man vermeint es ihm anzuſehen, wie gehoben er ſich fühlt, wenn er ſich einmal frei unter ihm wohlwollen⸗ den Menſchen bewegen und mit ihnen am Tiſche ſitzen darf. Merkt er, daß man auf ſeine Scherze eingeht, ſo beginnt er mit ſeinen Händen auf den Tiſch zu klopfen und freut ſich höchlich, wenn ſeine Gaſtgeber ihm folgen. Außerdem beſchäftigt er ſich mit genauer Unter⸗ ſuchung aller denkbaren Gegenſtände, öffnet die Ofentüre, um ſich das Feuer zu betrachten, zieht Kaſten heraus, kramt ſie aus und ſpielt mit dem, was er hier findet, vorausgeſetzt, daß es nicht verdächtig erſcheint; denn er iſt in hohem Grade ängſtlich und kann vor einem Gummi⸗ balle ſich entſetzen. Sehr genau merkt er, ob er beobachtet wird oder nicht. Im erſteren Falle tut er nur das, was ihm erlaubt wird, im letzteren läßt er ſich mancherlei Übergriffe zus ſchulden kommen, gehorcht aber, wenn ſein Pfleger ihm etwas verbietet, auf das bloße Wort hin, obſchon nicht immer ſogleich. Lob feuert ihn an, namentlich wenn es ſich um Schwingen und Turnen handelt. Beſchenkt oder freudig überraſcht, beweiſt er ſich dankbar, indem er, ohne gerade hierzu abgerichtet oder gelehrt worden zu ſein, ſeinen Arm zärtlich um die Schulter 1 9 | | 4 Zu Pi ni’ aa Di u De a a ns len ann Daun u U Q UL LU LUD OL LÖ UL LUD | DL Ü 2 14 Lu dd nl m Schimpanſe: Gefangenleben. 667 des Wohltäters legt und ihm eine Hand oder echt menſchlich auch einen Kuß gibt. Genau dasſelbe tut er, wenn er des Abends aus ſeinem Käfig genommen und auf das Zimmer ge— bracht wird. Er kennt die Zeit und zeigt ſich ſchon eine Stunde, bevor er in ſein Zimmer zurückgebracht wird, höchſt unruhig. In dieſer letzten Stunde darf ſein Pfleger ſich nicht ent— fernen, ohne daß er in ausdrucksvolles Klagen ausbricht oder ſich auch wohl verzweifelnd gebärdet, indem er ſich, wie beſchrieben, auf den Boden wirft, mit Händen und Füßen ſtram⸗ pelt und ein unerträgliches Kreiſchen ausſtößt. Dabei beachtet er die Richtung, in der ſein Pfleger ſich bewegt, genau und bricht nur dann in Klagen aus, wenn er meint, daß jener ihn verlaſſen wolle. Wird er getragen, ſo ſetzt er ſich wie ein Kind auf den Arm ſeines Pflegers, ſchmiegt den Kopf an deſſen Bruſt und ſcheint ſich außerordentlich behaglich zu fühlen. Von nun an hat er anſcheinend bloß den einen Gedanken, ſobald wie möglich auf ſein Zimmer zu kommen, ſetzt ſich hier auf das Sofa und betrachtet ſeinen Freund mit treuherzigem Blicke, gleichſam als wolle er in deſſen Geſichte leſen, ob dieſer ihm heute abend wohl Geſellſchaft leiſten oder ihn allein laſſen werde. Wenn er das erſtere glaubt, fühlt er ſich glücklich, wo⸗ gegen er, wenn er das Gegenteil merkt, ſehr unglücklich ſich gebärdet, ein betrübtes Geſicht ſchneidet, die Lippen weit vorſtößt, jammernd aufſchreit, an dem Pfleger emporklettert und krampfhaft ſich an ihm feſthält. In ſolcher Stimmung hilft auch freundliches Zureden wenig, während dieſes ſonſt die vollſtändigſte Wirkung auf ihn äußert, ebenſo wie er ſich ergriffen zeigt, wenn er ausgeſcholten wurde. Man darf wohl ſagen, daß er die an ihn gerichteten Befehle vollſtändig verſteht; denn er befolgt ſie ohne Zögern und beachtet alle ihm zukommen— den Gebote; doch gehorcht er eigentlich nur ſeinem Pfleger, nicht aber Fremden, am wenigſten, wenn dieſe ſich herausnehmen, in Gegenwart ſeines Freundes etwas von ihm zu verlangen. Als er zum erſtenmal meinem ſechswöchigen Töchterchen gezeigt wurde, betrachtete er zunächſt das Kind mit ſichtlichem Erſtaunen, berührte hierauf das Geſicht überaus zart mit einem Finger und reichte ſchließlich freundlich die Hand hin. Dieſer Charakterzug, den ich bei allen von mir gepflegten Schimpanſen beobachtet habe, verdient beſonders deshalb hervor— gehoben zu werden, weil er zu beweiſen ſcheint, daß unſer Menſchenaffe auch im kleinſten Kinde immer noch den höher ſtehenden Menſchen ſieht und anerkennt. Gegen ſeinesgleichen benimmt er ſich keineswegs ebenſo freundlich. Ein junges Schimpanſenweibchen, das ich früher pflegte, zeigte, als ich ihm ein junges Männchen feiner Art beigeſellte, keine Teilnahme, kein Gefühl von Freude oder Freundſchaft für dieſes, behandelte das ſchwächere Männchen im Gegenteile mit entſchiedener Roheit, verſuchte es zu ſchlagen, zu kneipen, überhaupt zu miß⸗ handeln, ſo daß beide getrennt werden mußten. Ein ſolches Betragen hat ſich keiner der von mir gepflegten Schimpanſen gegen Menſchenkinder zuſchulden kommen laſſen. Abweichend von anderen Affenarten iſt mein Schimpanſe munter bis in die ſpäte Nacht, mindeſtens jo lange, als das Zimmer beleuchtet wird. Das Abendbrot ſchmeckt ihm am beiten, und er kann deshalb nach ſeiner Ankunft im Zimmer kaum erwarten, daß die Wirtſchafterin ihm den Tee bringt. Erſcheint dieſe nicht, ſo geht er zur Türe und klopft laut an; kommt jene, ſo begrüßt er ſie mit freudigem „Oh! Oh!“, bietet ihr auch wohl die Hand. Nachdem er geſpeiſt hat, will er ſich in ſeiner Häuslichkeit noch ein wenig vergnügen, jedenfalls noch nicht zu Bette gehen. Er holt ſich ein Stück Holz vom Ofen oder zieht die Hausſchuhe ſeines Pflegers über die Hände und rutſcht ſo im Zimmer umher, nimmt ein Hand- oder Taſchentuch, hängt es ſich um oder wiſcht und ſcheuert das Zimmer damit. Scheuern, Putzen, Wiſchen ſind Lieblings⸗ beſchäftigungen von ihm, und wenn er einmal ein Tuch gepackt hat, läßt er nur ungern es ſich wieder nehmen. Anfangs ſehr unreinlich, hat er ſich bald daran gewöhnt, ſeinen Käfig, das 668 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. Zimmer und das Bett nicht mehr zu beſchmutzen; und wenn er einmal das Mißgeſchick hat, in Schmutz zu treten, zeigt er ſich ſehr verdrießlich, gebärdet ſich genau wie ein Menſch in gleichem Falle, betrachtet mit entſchiedenem Ekel den Fuß, hält ihn ſoweit als möglich von ſich, ſchüttelt ihn ab und nimmt dann eine Handvoll Heu, um ſich damit zu reinigen. Ja, 3 iſt bemerkt worden, daß er letzteres, nachdem es Dienſte getan, zur Tür ſeines Käfigs hinauswarf. Sobald das Licht ausgelöſcht wird, legt er ſich zu Bette, weil er ſich im Dunkeln fürchtet. — Vor Schlangen und anderen Kriechtieren ſowie vor Lurchen hat der Schimpanſe eine lächerliche Furcht. Schon ihr Anblick verurſacht ihm Entſetzen. Zeige ich ihm Krokodile, ſo ruft er halb ängſtlich, halb ärgerlich „Oh! Oh!“ und ſucht ſich ſchleunigſt zu entfernen; laſſe ich ihn Schlangen durch eine Glasſcheibe betrachten, ſo ſtößt er denſelben Ruf aus, verſucht aber nur ausnahmsweiſe ſich zu entfernen, weil er die Bedeutung des trennenden Glaſes genau kennt; nehme ich aber eine Schildkröte, Eidechſe oder Schlange in die Hand, ſo eilt er im ſchnellſten Laufe davon, um ſich zu ſichern. Heute, während ich dieſe Zeilen überleſe, lebt das vortreffliche Tier nicht mehr. Eine Lungenentzündung, die auf eine Halsdrüſengeſchwulſt folgte, hat ſeinem Daſein ein Ende gemacht. Ich habe mehrere Schimpanſen krank und einige von ihnen ſterben ſehen: keiner von allen hat ſich in ſeinen letzten Lebenstagen ſo menſchlich benommen wie dieſer eine. Das erwähnte Männchen kam ebenfalls krank in Europa an, war, wie ein leidendes Kind in gleicher Lage, eigenſinnig, klammerte ſich ängſtlich an dem ihm zuerteilten Wärter feſt oder ruhte bewegungslos auf ſeinem Lager, den ſchmerzenden Kopf mit einer oder beiden Händen haltend, verweigerte Arzneien zu nehmen, zeigte ſich auch ſonſt oft unfolgſam und unartig: vorſtehend geſchilderter Schimpanſe verleugnete auch während ſeiner Krankheit die ihm ge wordene Erziehung nicht. Er genoß die ſorgſamſte Pflege mehrerer Arzte, und ich kann wohl nichts Beſſeres tun, als einen dieſer Arzte, Dr. Martini, anſtatt meiner reden zu laſſen. „Ich hatte den Schimpanſen vordem oft beobachtet und die Ausgelaſſenheit ſeines Weſens, das lebhafte Mienenſpiel, die raſtloſe Beweglichkeit und die unbegrenzte Liebe zu ſeinem Pfleger angeſtaunt. Um ſo mehr überraſchte mich der Eindruck, welchen der kranke Affe auf mich machte. Bis auf den Kopf in ſein Deckbett gehüllt, lag er ruhig und teilnahmlos gegen alles, was um ihn her vorging, auf ſeinem Lager, den Ausdruck ſchweren Leidens im Antlitze, von Huſtenanfällen geplagt, in oberflächlicher, aber beſchleunigter Atmung nach Luft haſchend, nur zeitweiſe unter Schmerzensſeufzern die Augen aufwärtsſchlagend. Wie ein Kind ſcheute er vor mir, dem ihm unbetannten Manne, zurück und machte an dieſem Tage eine genauere Unterſuchung unmöglich. Letztere gelang erſt, nachdem ich während der folgenden Beſuche durch Beileidsbezeigungen und freundliches Nähertreten ſein Vertrauen mir erworben hatte. Außer bedeutender Schwellung der Lymphdrüſen zu beiden Seiten des Halſes ließen ſich Verände⸗ rungen des Gewebes in beiden Lungenſpitzen und eine neuerdings hinzugetretene Entzündung des linken unteren Lungenlappens feſtſtellen. Hierzu kam noch eine eiternde Geſchwulſt vor und unterhalb des Kehlkopfes, welche nachweislich mit der Drüſenerkrankung im Zuſammen⸗ hange ſtand und bereits Kehlkopf und Luftröhre zuſammenpreßte, früher oder ſpäter alſo ent⸗ weder zur Erſtickung führen oder zum Durchbruche nach außen oder innen kommen oder, was wahrſcheinlicher, ihren Inhalt in den Mittelfellraum ſenken und dadurch weitere Gefahren hervorrufen mußte. Das beklagenswerte Geſchöpf ſchien ſich dieſer Geſchwulſt als Atmungs⸗ hinderniſſes bewußt zu ſein; wie bräunekranke Kinder in ihrem Lufthunger nach dem Sitze des Leidens faſſen, ſo führte der Schimpanſe meine unterſuchende Hand, als erwarte er in dunkler Ahnung von dieſer Hilfe, immer und immer wieder zur Halsgeſchwulſt zurück. —— . Car Te 2 r — — q ⁰ Schimpanſe: Gefangenleben (Krankheit). 669 „Nach vorgängiger Beratung mit einem Berufsgenoſſen wurde die Offnung des Sen— kungsgeſchwüres durch einen Schnitt in der Höhe des Kehlkopfes als dringend notwendig erkannt. Leicht gefunden war dieſer Rat, ſchwierig die Art und Weiſe der Ausführung. Jede Bewegung des leidenden Tieres während der wundärztlichen Operation konnte dem Meſſer eine tödliche oder doch ſchwer verletzende Richtung geben. Betäubung durch Chloroform war infolge der ſchweren Erkrankung der Lunge unterſagt; Chloralhydrat, in einer Gabe von 3 9 verſuchsweiſe angewandt, bewirkte kaum einen Halbſchlummer, nicht aber Bewußtloſigkeit. Nach dreiſtündigem erfolgloſen Warten gingen wir endlich mit Gewalt ans Werk. Vier Männer ſollten das Tier feſthalten. Umſonſt: mit Aufbietung all ſeiner Kräfte ſchleuderte der Schim— panſe die Leute zur Seite und hörte nicht eher zu toben auf, bis wir die vermeintlichen Pei— niger zur Tür hinausgewieſen hatten. Was durch Zwangsmittel nicht zu erreichen geweſen war, ſollte jetzt zu unſerem Erſtaunen freiwillig gewährt werden. Wieder beruhigt durch güt— liches Zureden und Liebkoſungen, geſtattete der Leidende ohne Widerſtreben eine nochmalige Unterſuchung der Halsgeſchwulſt und leitete auch diesmal bittenden Blickes meine Hand. Dies mußte uns ermutigen, die Operation ohne Hilfe betäubender Mittel und ohne jegliche Feſſel zu wagen. Auf dem Schoße ſeines Pflegers ſitzend, beugte der Affe den Kopf rückwärts und ließ ſich willig in dieſer Stellung feſthalten. Die erforderlichen Schnitte waren raſch geführt; das Tier zuckte weder, noch gab es einen Laut des Schmerzes von ſich. Eine Menge dünn— flüſſiger Eiter quoll hervor, und mit ſeiner Entleerung ſchwand die Geſchwulſt. Jetzt trat freiere Atmung ein, obwohl die beſtehende Lungenentzündung immer noch eine Vermehrung der Atemzüge veranlaßte. Ein unverkennbarer Ausdruck der Freude und des Beſſerbefindens prägte ſich in den Zügen des Kranken aus, und dankbar reichte er unaufgefordert uns beiden die Hand, beglückt umarmte er ſeinen Wärter. Leider genügte die Beſeitigung dieſes einen Leidens nicht zur Rettung des Lebens. Die Halswunde heilte, aber die Lungenentzündung griff weiter um ſich. So heldenmütig und verſtändig das kranke Tier ſich während der wundärztlichen Behandlung gezeigt, ſo willig und folgſam nahm es die ihm gereichten Arz— neien, ſo ſanft und geduldig erſchien es in ſeinen letzten Stunden. Es ſtarb, wie ein ſenſch, nicht wie ein Tier ſtirbt.“ Ein Paar ſchon recht ſtattlicher Schimpanſen war in den neunziger Jahren ein Haupt— anziehungspunkt des inzwiſchen leider eingegangenen Nillſchen Tiergartens in Stuttgart, der fi) damals durch allerlei ſchöne Erfolge in der Tierpflege und zucht hervortat. Ihnen rühmt der Tiermaler Fr. Specht insbeſondere die Gabe herzlichen Lachens nach. Als er, dem einen die Hand führend, mit Kreide eines Tages Tierfiguren auf die Wand des Käfigs zeichnete, ließ das Tier ihn ruhig gewähren und ſah aufmerkſam zu. Als Specht aber ſeine Hand frei ließ, ſchattierte es ſelbſt die Figuren mit einer Geſchwindigkeit derart ab, daß in kurzer Zeit nichts mehr davon zu ſehen war. Als das Männchen, das ſpäter angekauft wurde, aus ſeinem mit Watte ausgepolſterten Transportkaſten heraustrat, ſtanden ſich beide Tiere, auf den Hinter— füßen ſtehend, einen Augenblick ſtumm gegenüber, um ſich alsdann in die Arme zu fallen und ſich herzlich und wiederholt zu küſſen. Das Weibchen holte dann ſeine Decke herbei, breitete ſie auf dem Boden aus, ſetzte ſich darauf und lud das Männchen durch Gebärden ein, es ſich bequem zu machen. Bei der Mahlzeit ſaßen beide ſich artig gegenüber an einem Tiſche und genoſſen ihren Brei mit dem Löffel ohne den geringſten Futterneid. Wenn die Trinkgefäße aufgeſtellt wurden, zog das Weibchen regelmäßig den Becher des Männchens behutſam an ſich heran, trank daraus und ſtellte ihn ebenſo ruhig zurück. „Der Mann ſoll eben nicht ſo viel trinken!“ ſetzt Specht launig hinzu. 670 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. Wie man das kichernde Grinſen des Schimpanſen als Lachen bezeichnen kann, zumal es bei denſelben Gelegenheiten eintritt, wo der Menſch lacht, ſo darf man einen anderen Brauch „küſſen“ nennen, den der Affe, wiederum bei entſprechender Gelegenheit, übt, wenigſtens in der Gefangenſchaft, wenn er ſehr zahm geworden iſt. Dann pflegt er nämlich mit weit vor⸗ geſtreckten Lippen den Mund ſeiner beſonderen Freunde zum Willkomm zu berühren, zumal wenn dieſe ihm das Geſicht hinhalten. Der erſte „berühmte“ Schimpanſe in neuerer Zeit war das oben ſchon genannte Tſchego— weibchen „Mafuka“ des Dresdener Zoologiſchen Gartens, das in den 1870er Jahren dort NM { N 1 N N se )| NEN I NN SEN Schimpanſe Mafuka, Dresden. lebte. Schöpf der Ältere hatte für Mafuka ein Zimmer ganz menſchlich eingerichtet mit Tiſch, Stühlen und Bettſtelle, in der ſie auf Strohſack und Keilkiſſen, mit einer Decke zugedeckt, nachts ſchlief in inniger Umarmung mit einer kleinen Schnurrbart-Meerkatze, mit der zuſammen ſie aus ihrer Heimat herübergebracht worden war. Nach kurzer Zeit ſchon hing ſie mit rührender Zärtlichkeit an Schöpf, umarmte und küßte ihn, wenn ſie ſeiner nur habhaft werden konnte, und vertrat ihm den Weg, wenn er nur Miene machte, ſich zu entfernen. Manierlich ſetzte ſie ſich früh an den Kaffeetiſch, nahm ſich eine Taſſe und ſchenkte ſich ſelbſt een. Weißbrot und Zwieback liebte ſie nur mit ungeſalzener Butter beſtrichen. War die Butter geſalzen, ſo ſchabte die Feinſchmeckerin ſie mit den Nägeln ab und benutzte ſie als Pomade für Kopf und Schultern. Mit Beſen und Scheuerlappen lernte ſie ziemlich geſchickt umgehen, und als ſie dem Direktor einmal den Gitterſchlüſſel aus der Taſche geſtohlen hatte, wußte ſie ihn ſofort zur Offnung der Gittertür zu gebrauchen. Einen Schornſteinfegerjungen hielt ſie offenbar für einen Neger⸗ jungen, wie ein ſolcher ihr in Afrika als Spielgefährte gedient hatte; denn ſie begrüßte ihn 2 — n — We e U Schimpanſe: Gefangenleben. Mafuka. Menſchliches Benehmen. 671 mit Freudengeſchrei. Als ſie aber durch das Gitter ſeine Füße befühlt und den Ruß gerochen hatte, biß ſie ihn in den Finger und wollte vor Wut das Gitter zerreißen. Kleine Kinder ſuchte ſie zu erſchrecken, indem ſie erſt aufrecht rückwärts ging, dann aber ans Gitter ſprang und dieſes mit aller Gewalt ſchüttelte. Sie war überhaupt nicht ganz gutartig und wurde mit der Zeit immer unbändiger. Eines Nachts, als ſie durch ein ſtarkes Gewitter in große Aufregung verſetzt worden war, mußte ſogar die Schnurrbart-Meerkatze ihrer plötzlich aus⸗ brechenden Wut zum Opfer fallen. Sie packte die Kleine am Schwanze und ſchlug und Schimpanſe Mafuka, Dresden. ſchleuderte ſie unaufhörlich an die Wand und auf den Fußboden, ſo daß das arme Ding dem herbeieilenden Schöpf in den Armen ſtarb. Sogar noch am anderen Tage wollte ſie ihre Wut von neuem an der Leiche auslaſſen. Rührend war dagegen wieder ihr Abſchied von dem geliebten Pfleger, als ſie den Tod herannahen fühlte. Sie verſuchte ſich aufzurichten, ſchlang noch einmal ihre Arme um ſeinen Hals und drückte ihn feſt an ſich, wie ſie dies wäh⸗ rend der letzten Wochen, wo ſie ganz teilnahmlos geweſen war, nie mehr getan hatte. Dann ſank ſie in ſich zuſammen und verendete ſo allmählich. ö Wie ſchon Mafuka, ſo hat man in neuerer Zeit erſt recht alle Schimpanſen, die länger aushielten, heranwuchſen und dadurch bekannter wurden, mehr oder weniger an menſchliches Benehmen, insbeſondere menſchliches Eſſen und Trinken gewöhnt, und das ging ſo leicht und ſpielend, bedurfte gemeinhin ſo wenig ſchärferer, zwangsweiſer Abrichtung, daß man faſt den Eindruck hat, als entſpräche es ſo der Natur des Schimpanſen, daß man dieſem zum min⸗ deſten eine ganz erſtaunliche, ans Menſchliche grenzende Fähigkeit und Neigung zuerkennen 672 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. muß, ſich bilden und erziehen zu laſſen. Alle namhaften Schimpanſen dieſes Jahrhunderts führten ſolch halb menſchliches Gefangenleben, und man muß ſich unter dieſen Umſtänden geradezu wundern, daß die gewerbsmäßige Tierabrichtung zu Schauzwecken ſich des Schim⸗ panſen als ihres wirkungsvollſten Gegenſtandes nicht ſchon viel früher bemächtigt hat. Zuerſt tat es ein Amerikaner mit der ganzen Geriſſenheit, auf die ſein Land ſo ſtolz iſt. Der Ruhm ſeines Gentleman-Schimpanſen „Konſul“, der in Frack, Lack und Claque im Varieté auftrat und im Hotel erſten Ranges wohnte, überflog in Wort und Bild im Nu die Erde, der ſmarte Manager heimſte ungeheure Gagen ein und zuletzt — ſehr bald ſchon — noch die bedeutende Verſicherungsſumme für das teure Leben der weltberühmten Affengröße. Heck ſah den erſten „Konſul“, der viele Nachfolger fand, noch in ſeinen letzten Zügen. Da lag dieſer freilich verkehrt im Hotelbett, mit dem Kopfe am Fußende, und war nur noch ein armer Affe, ver⸗ loren an doppelſeitiger Lungenentzündung. Er und alle, die nach ihm ſo und ähnlich hießen, haben aber, grundſätzlich genommen, nie Beſſeres geleiſtet und mehr der Bewunderung Wertes gekonnt, als ein geſchickter Schimpanſenwärter ſeinem Pflegling auch im zoologiſchen Garten ſpielend beibringen kann; nur fehlt dort die blendende Aufmachung. Es mögen daher hier nur noch einige Einzelzüge aus dem Leben bekannter Schimpanſen kurz Erwähnung finden, die, für beſondere Fähigkeiten bezeichnend, der Verewigung in unſerem Werke wert erſcheinen. Auffallend leicht lernen alle Schimpanſen (aber auch andere Affen) das Zweiradfahren und üben dieſe Kunſt nebſt allerlei zugehörigen Kunſtſtückchen mit einer ſelbſtverſtändlichen Sicherheit, daß man ſtaunen muß. Man kann ſich das nur dadurch erklären, daß ſie mit ihren Greiffüßen auch die Pedale feſt umfaſſen können und als Baumtiere ein beſonders feines Gefühl für das Gleichgewicht haben. Feine Abmeſſung der Bewegungen iſt ihnen jedenfalls eigen; denn ſie ſchenken ſich alle auch aus der Kanne in die Taſſe und aus der Flaſche in das Glas ein, ohne etwas zu verſchütten, ſie ſtecken den Schlüſſel in das Schloß und ſchließen auf. Bei dieſen Leiſtungen darf man freilich nie vergeſſen, wie ſehr fie durch die menſchen— ähnliche Hand unterſtützt werden, die anderen klugen Tieren, vor allem dem Hunde, fehlt. Beim Schließen eines Schloſſes zeigt ſich jedoch auch wieder die Minderwertigkeit der Hand gegenüber der menſchlichen: zufolge des ſchwachen, zurückliegenden Daumens muß der Schim⸗ panſe ſuchen, den Griff des Schlüſſels zwiſchen den Handteller und die eingeſchlagenen vier Finger zu faſſen. Der erſte Schimpanſe, den Knauer für das Wiener Vivarium kaufte, fiel ihm, aus dem Transportkaſten gelaſſen, ſofort um den Hals und war nur mit vieler Mühe wieder von ihm wegzubringen. So ſtark iſt der Anklammerungstrieb bei jungen Schimpanſen! Erſtaunlich war das Gedächtnis desſelben Affen für Menſch und Tier. Ein Beſucher, dem er beſonders zugetan war, wurde, obwohl er über ein Jahr nicht dageweſen war, ſofort wieder⸗ erkannt und mit wilder Freude begrüßt. Ebenſo fand der Schimpanſe einen jungen Malaien⸗ bären, der ſein Spielkamerad geweſen war, dann aber mit zwei anderen ſeiner Art vereinigt wurde, nach einer Trennung von mehreren Monaten ſofort unter den dreien heraus und lieb⸗ koſte ihn durch das Gitter eifrigſt. Als ein anderer Affe aus ſeinem Käfig entkommen war, bearbeitete der Schimpanſe die Tür des Affenzimmers ſo lange mit den Händen, bis der Wärter kam, und ſchaute dann fortwährend mit ſeinem lauteſten Gurgelruf nach dem Fenſter hin, wo im oberſten Winkel der Ausreißer hockte. Eine andere im Wiener Tiergarten heran⸗ gewachſene Schimpanſin, „Maja“, die ſich das Wiener Volk ganz köſtlich als „Mayern“ mund⸗ gerecht machte, bewohnte ein eigenes Häuschen mit einer Wärterin. Wenn dieſe zu ihr ſagte: „Es iſt kalt. Geh doch einheizen!“, ging ſie ſofort zum Ofen, öffnete deſſen Tür, holte aus einem Winkel des Zimmers Papier und Stroh, breitete dieſes im Ofen aus, legte kleine r Schimpanſe: Gefangenleben. Dreſſur. 673 Holzſtücke darauf, entnahm aus der Zündholzſchachtel ein Streichholz, ſtrich es geſchickt und vorſichtig an und ſetzte damit das Papier im Ofen in Brand. Bei alledem brauchte die Wär— terin nicht einzugreifen. Die Schimpanſin ſchloß auch die Ofentür und wartete noch das Auf— flammen des Zündſtoffes ab, ehe ſie wieder zu der Wärterin kam. Die vom Herzog Adolf Friedrich zu Mecklenburg dem Frankfurter Garten geſchenkte Kongo-Schimpanſin „Baſſö“ (Taf. „Affen VI“, 6, bei S. 651) erledigt nicht nur glatt ein ganzes Varieteprogramm, das jederzeit eine hohe Gage wert wäre, ſondern zeigt ſich auch als „Rechenkünſtlerin“ mit Holz- täfelchen, die die Zahlen von 1 bis 10 tragen. Obwohl ihr Erzieher ſich aufrichtig bemüht, ihr keinerlei Zeichen zu geben, genügen, wie Direktor Priemel mitteilt, doch für das menſch— liche Auge kaum wahrnehmbare unwillkürliche Blicke des Wärters, um „Baſſö“ die richtige Zahl finden zu laſſen, ſo daß die Löſungen auch anſcheinend ſchwieriger Aufgaben prompt und faſt ſtets richtig erfolgen. Selbſt noch nach Eintritt der Geſchlechtsreife im Frühjahr 1915 iſt das mächtige, etwa 60 kg wiegende Tier ein umgänglicher, manierlicher Pflegling ge— blieben, der den Beſuchern frei im Garten vorgeführt werden kann, ganz im Gegenſatz zu dem inzwiſchen eingegangenen Schimpanſen „Auguſt“, einem überaus kräftigen, aber wohl zu ſpät in Gefangenſchaft geratenen und deshalb kaum mehr erziehungsfähigen Männchen. Obgleich es mit großer Mühe möglich war, „Auguſt“ eine gewiſſe Dreſſur beizubringen, blieb er doch immer ein aufſäſſiger und gefährlicher Burſche, dem von Zeit zu Zeit von mehreren Wärtern mit vereinten Kräften die Mucken ausgetrieben werden mußten. Hatte er dann genug, ſo kam er, gewiſſermaßen abbittend, zu ſeinem Wärter. Ja ſogar die Platzpatronenpiſtole wurde als letztes, unfehlbares Reſpektmittel angewendet, um den Verkehr ſeiner Pfleger mit ihm über— haupt noch zu ermöglichen. Seine Wutanfälle, wie Priemel ſie ſchildert, waren fürchterlich. Er jagte dann wie wahnſinnig auf dem Fußboden des Käfigs umher. Alle Muskeln waren aufs äußerſte angeſpannt, das lange, ſtraffe, glänzend ſchwarze Haar geſträubt. Bald ſchlug er mehrmals hintereinander mit beiden Handflächen gleichzeitig auf den Fußboden, daß es dröhnte, bald auf einen Tiſch, Stuhl oder ſonſtigen Gegenſtand. Beim Aufſchlagen ſprang er wiederholt mit den Füßen gleichzeitig vom Boden auf. Das wutverzerrte Geſicht war faſt immer dem Gegenſtand ſeines Argers zugewendet. Die mächtige Bruſt hob und ſenkte ſich. Dabei ſtieß er faſt ununterbrochen teils gellende, teils heulende Schreie aus. Das bekannte „Hu, hu“ der Schimpanſen wurde zum Geheul, häufig durchſetzt von heiſeren, gellenden Schreilauten. Beim Angriff verſuchte das wütende Tier in erſter Linie die Kraft ſeines mächtigen Gebiſſes. Das Rauchen lernen die Schimpanſen leicht. Die gewerbsmäßig abgerichteten und vor— geführten üben es alle zu ſtaunender Heiterkeit des Publikums; doch tun ſie es nur auf Ge— heiß, der Genuß bei der Sache ſcheint ihnen nicht aufzugehen. Nur ein Schimpanſe des Rotter— damer Gartens machte eine Ausnahme: er rauchte offenbar ſehr gern ſeine Zigarre, legte ſie fein ſäuberlich mit dem Feuer nach außen auf das Laufbrett an der Wand, wenn er ſich mit Turnen etwas Bewegung machen wollte, kehrte aber immer bald zu ihr zurück und nahm wieder ein paar Züge. Auch das Rollſchuhlaufen pflegt man den Artiſten-Schimpanſen bei- zubringen. Im Gegenſatz zum Radfahren leiſten ſie aber darin gewöhnlich nicht viel, wie ja auch ſchon das Aufrechtgehen ihnen unverkennbar ſchwerfällt. Da verſagen eben die Beine, die beim Baumaffen ſchwächer entwickelt ſind. Grundſätzlich genommen, ſind dieſe Schim— panſenvorſtellungen nichts weniger als „Wunder der Dreſſur“, ſo wirkungsvoll ſie auch für die große Menge ſind durch das lächerliche Zerrbild des Menſchen, auf das ſie hinzielen. In jeder durchſchnittlichen Pferdenummer, die man im Zirkus ſieht, ſteckt mehr ſaure Arbeit und Abrichtungskunſt, und am wenigſten Geſchmack und Urteil haben die Neuyorker Milliardäre Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 43 674 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. bewieſen, die ſich ſolche Affen zu ihren „luncheons“ und „dinners“ einluden. Freilich, es waren ja „Gentlemen“-Affen, und ſie kamen in „full dress“! Vor einigen Jahren ging übrigens die Nachricht durch die Zeitungen, daß ein Schimpanſe ſich auf ſeinen Abrichter geſtürzt und ſo feſt in deſſen Hand verbiſſen habe, daß man ihm mit einem Hammer den Schädel einſchlagen mußte. Wer in dieſem Falle mehr Schuld hatte, der Menſch oder der Affe, muß wohl dahingeſtellt bleiben. Ehrenvoller für beide Teile war jedenfalls eine andere Zeitungsnachricht, nach der ein bekannter Tigerbändiger bei ſeiner Vorführung auch einen Schimpanſen verwenden wollte. Als ihm nun beim Üben ein Tiger unverſehens auf den Rücken ſprang, ſtürzte ſich der Schimpanſe ohne Zaudern auf den Tiger, obwohl er mit dieſem ſonſt ſchon recht gute Freundſchaft geſchloſſen hatte, und wurde jo zum Retter feines Herrn. Zu wiſſenſchaftlichen Verſuchen, Intelligenzprüfungen und ähnlichen Zwecken diente in früheren Zeiten und gelegentlich dem engliſchen Pſychologen Romanes das dadurch berühmt gewordene Kulukambaweibchen „Sally“ des Londoner Gartens; neuerdings ſind hierzu ganz ſyſtematiſch die Inſaſſen der eigens für dieſe Forſchungen mit Hilfe der Berliner Akademie der Wiſſenſchaften begründeten Menſchenaffenſtation auf Teneriffa von den Stationsleitern Teuber und Köhler ausgenutzt worden. Romanes' Verſuche ſind als beſondere Leiſtungen in weiten Kreiſen bekanntgeworden, aber nur, weil vielfach leichthin behauptet wurde, er habe Sally das Zählen gelehrt. Er ſelbſt drückt ſich viel vorſichtiger aus und ſchildert in feinen Berichten nur, wie weit es ihm unter den ungünſtigen Verhältniſſen im Zoologiſchen Garten, bei der fortwährenden Ablenkung durch Beſucher uſw., mit Hilfe der Wärter gelungen iſt, den Affen dazu zu bringen, auf Nen⸗ nung eines beſtimmten Zahlworts die entſprechende Zahl Strohhalme von ſeinem Lager weg— zunehmen und durch das Gitter zu reichen. Das ging mit Sicherheit bis fünf, und es ließ ſich ſogar auch eine gewiſſe Wahrſcheinlichkeit feſtſtellen, daß Sally tatſächlich das Zählen als ſolches erfaßt hatte, wirklich von eins an zählte, dadurch, daß ſie veranlaßt werden konnte, die Strohhalme im Mund anzuſammeln und alle zuſammen erſt dann abzuliefern, wenn die verlangte Zahl erreicht war. Sobald man aber über fünf hinausging, wurde die „Schülerin“ unſicher, die Fehler mehrten ſich, je mehr man ſich der Zehn näherte, und über die Zehn hinauszugehen, wagte man infolgedeſſen gar nicht. Dieſes Ergebnis wird erſt richtig beleuchtet durch die entſprechende, auch von Romanes angeführte Erfahrung mit einem Krähenpaar, das man am Neſte dadurch überliſten wollte, daß erſt mehrere Jäger ſich im Verſteck auf den Anſtand ſtellten, dann aber bis auf einen wieder weggingen. Auch in dieſem Falle mußte man bis zu fünf Mann aufbieten, um die Vögel zu täuſchen, obwohl es ſich hier jedenfalls mehr um unmittelbares Zahlenſchätzen als um eigentliches Zählen handelt: eine grundſätzlich ſehr wichtige, im Einzelfalle, namentlich bei kleinen Zahlen, Einern, aber ſehr ſchwierige Unter⸗ ſcheidung! Anderſeits meint Romanes wieder, daß Sally ſogar „eine Ahnung vom Multi- plizieren“ gehabt haben müſſe, weil ſie öfters verſuchte, einen langen Strohhalm, zuſammen⸗ geknickt, für zwei anzubringen. Romanes machte auch Farbenverſuche mittels gefärbter Stroh⸗ halme. Dieſe fielen aber ſehr ſchlecht aus: Sally unterſchied nur Weiß von allen anderen Farben und konnte auf keine Weiſe weiter gebracht werden, ſo daß unſer Forſcher ſchließlich auf den Gedanken kam, ſie ſei am Ende farbenblind. Als Gegenbild gehört ſchließlich zu alledem, daß auch bei den Naturvölkern, den ſogenannten Wilden, gerade die Zahlen- und Farbenunterſcheidungen noch ganz in den Anfängen ſtecken, für die höheren Zahlen (Zehner) und die meiſten Farben des Regenbogens gar keine Worte in der Sprache vorhanden ſind. An den ſieben Schimpanſen der Menſchenaffenſtation auf Teneriffa war unter anderem 4 El f f Schimpanſe: Intelligenzprüfungen. 675 zu beobachten, daß ſie zum mindeſten vor den dort häufigen Eidechſen nicht jene heftige an— geborene Kriechtierſcheu der Affen an den Tag legten. Sie haſchten die Eidechſen vielmehr am Schwanze und trieben mitunter auch eine gemeinſam in die Enge, indem ſie einen Kreis um ſie bildeten. Vom Gebrauch der Sinne iſt bemerkenswert, daß die Schimpanſen oft, um ſich eine Geruchsempfindung von einem Gegenſtande zu verſchaffen, dieſen mit dem Zeigefinger berührten und den Finger dann berochen. Ein großes, geſchlechtsreifes, zunächſt geſondert eingeſperrtes Tſchegoweibchen verriet den unzweideutigen Trieb, ſich Nahrungsvorräte auf— zuſammeln, und teilte dieje bezeichnenderweiſe nur mit dem führenden Männchen des übrigen Trupps. Wenn dieſes herankam, holte es zwei Bananen herbei und gab ihm eine davon ab. Beim Schlafengehen konnten alle den Hang zum Neſterbau nicht unterdrücken, der alſo an: geboren ſein muß; einige bewegten ſich auch lebhaft im Schlafe und ſtießen Laute aus, was nur durch Träumen erklärt werden kann. Das Wortverſtändnis ging ſo weit, daß die Schimpanſen einfache Befehle, wie „Iß!“ „Herunter!“, „Komm herein!“ „Geh hinaus!“ „Offne die Tür!“, die unter ſorgfältiger Vermeidung von Armbewegungen und Mienenſpiel gegeben wurden, richtig verſtanden; weiter aber ging es nicht. Ausdrucksbewegungen der Arme, wie ſie beim Men— ſchen als Begleiterſcheinungen der Sprache allbekannt ſind, fand Teuber auch bei ſeinen Sta— tionsſchimpanſen weit entwickelt. Sie find einerſeits bei handbegabten Säugetieren ſelbſtver— ſtändlich, wie das Hinhalten der offenen Hand am ausgeſtreckten Arm, wenn der Schimpanſe etwas haben will; anderſeits mutet z. B. Kratzen des Kopfes oder Rumpfes mit einer Hand als Ausdruck zaudernder Unentſchloſſenheit ganz verblüffend menſchlich an, und es darf dabei nicht verſchwiegen werden, daß entſprechende Beobachtungen in den zoologiſchen Gärten bis jetzt nicht gemacht oder wenigſtens nicht veröffentlicht worden ſind. Ahnliches gilt von dem allgemein äffiſchen „Lauſen“ und Zukehren des Hinterteils als Zeichen unterwürfiger Freund— lichkeit, auch von der Beobachtung, daß die Stationsſchimpanſen beim „Küſſen“ ſtets gekaute Obſtſtücke aus dem eigenen Munde in den des Freundes hinüberſchoben. Teuber hält es für möglich, daß hierin der Urſprung der Kußbewegung zu ſuchen iſt. Nach ſeinen Beobachtungen ſtand den Schimpanſen auch Lachen und Weinen, wie dem Menſchen, zu Gebote; doch war das Lachen ſtumm, bei ſtarken Luſterregungen mit hörbarer Atembewegung, das Weinen ohne Tränen. An eigentlicher Intelligenz zeigten die Tiere auffallende Unterſchiede; überhaupt kann, nach Teuber, die ſcharf ausgeprägte Individualität der Schimpanſen gar nicht genug hervorgehoben werden. Dieſe lernten alle bald, an der mit Hebelvorrichtung verſehenen Waſſerleitung den Hebel benutzen, ja ſogar ihn abgeſtuft bedienen, um den Waſſerſtrahl zu regeln. Die Höchſtleiſtung vollbrachte aber nur das größte, durch Intelligenz ausgezeichnete Männchen, das, als der Wärter den Stellhebel des Waſſers außerhalb der Tür abgeſtellt hatte, nach vergeblichem Verſuch, Waſſer zu bekommen, die Tür öffnete, den Hebel herunter: zog und dann herauslief und trank. Das Tſchegoweibchen zeigte ſeine Intelligenz auch bei Witterungswechſel. Wenn es herausgelaſſen wurde und kühles Wetter war, ſo kehrte es um, holte ſeine Wolldecke, breitete fie auf dem Boden aus und ſetzte ſich darauf. Gebrauch von Werkzeugen war dadurch nachzuweiſen, daß das größte Männchen ohne Anleitung einen zu— fällig daliegenden Stock benutzte, um eine ihm ſonſt nicht erreichbare Banane heranzuholen. Und nicht nur das; Köhler ſchreibt ſogar: „Iſt ein Rohr zu kurz, um den gewünſchten Gegen⸗ ſtand damit zu erreichen, ſo ſchiebt er ein zweites, dünneres um einige Zentimeter in das erſte hinein und erhält jo einen verlängerten Stock“. Darf man das nicht ſogar als einen Anz fang zur Verfertigung von Werkzeugen auffaſſen? Krankheiten des Schimpanſen kennen wir nur aus der Gefangenſchaft, und da ſind es 43 * 676 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. eben die Krankheiten, die das Gefangenleben, das Leben und Aufwachſen in fremdem, von der Heimat ganz verſchiedenem Lande und die Berührung mit dem Menſchen im Gefolge hat. So ſind manche Schimpanſen ſchon bei ihrer Ankunft in Europa mit einer Hautkrankheit behaftet, über die man anſcheinend immer noch nicht im klaren iſt. Die Haare fallen aus, die Haut faltet ſich und ſieht trocken, weißlich, ſtaubig aus; ſie ſchuppt ſich auch ſtaubig ab, wenn das Tier, einem ſtändigem Juckreiz nachgebend, ſich kratzt. Die genaueſten Feſtſtellungen und Erfahrungen über dieſe Krankheit hat man wohl im Kölner Zoologiſchen Garten gemacht, wo ſie bei einem ſonſt vortrefflich gedeihenden Schimpanſen merkwürdigerweiſe erſt im zweiten Jahre nach ſeiner Ankunft jo recht zum Ausbruch kam. „Jeder Alfrikareiſende“, ſchreibt Direktor Wunderlich, „der in Kamerun oder ſonſtwo einen Schimpanſen gepflegt hatte, kannte die Krankheit, die in Afrika auch bei den Eingeborenen häufig iſt und deshalb einfach als ſegerkrankheit bezeichnet wird. Jeder kannte auch ein unfehlbares Mittel, und alles wurde angewandt, aber ohne Erfolg.“ Inzwiſchen war der Affe zu einem gänzlich haarloſen, geradezu abſchreckend wirkenden Geſchöpf geworden, das vom Morgen bis zum Abend ſich kratzte. Da entſchloß man ſich zu einer Arſenikkur, und die half. Sie mußte nur immer wieder einmal unterbrochen werden, weil als regelmäßige Folge Appetitloſigkeit ſich einſtellte. Ein eigent⸗ licher Krankheitserreger wurde nicht gefunden. Ein haarloſer Schimpanſe auf der Höhe dieſer Hautkrankheit war auch „Zizi-Bamboula, der Affenmenſch“, angeblich der Miſchling eines Gorillas mit einer Negerin, der ſamt ſeiner „Mutter“ noch im Jahre 1908 als, missing link“ von ſmarten Reklamemachern der Pariſer Preſſe und dem Pariſer Publikum vorgeſetzt werden konnte in richtiger Spekulation auf beider unbegrenzte Unwiſſenheit, Leichtgläubigkeit und Urteilsloſigkeit. — Ferner ſind bei uns die jungen Schimpanſen begreiflicherweiſe vielfach von den Entwickelungskrankheiten heimgeſucht, wie ſie das Aufwachſen in mehr oder weniger geſchloſſenen Räumen, der Genuß zubereiteter Nahrung, kurzum: das Kulturleben im euro- päiſchen Sinne mit ſich bringt, in erſter Linie alſo von Knochenkrankheiten. Noch häufiger aber als die bekannte Rachitis, die „engliſche Krankheit“ des britiſchen Induſtrieproletariats, die die krummen Beine der Kinder verurſacht, aber auf das Kindesalter beſchränkt iſt, tritt vielleicht eine andere, neuerdings erſt von Pick genauer unterſuchte Knochenkrankheit (Ostitis fibrosa) auf, die in immerwährender Auflöſung und Wiederabſonderung von Knochenmaſſe beſteht und das ganze Leben fortdauert. Solche Knochenkranke waren gerade einige langlebige Schimpanſen, die aber durch dicke Köpfe auffielen: zwei des Londoner und einer des Dresdener Gartens, deſſen Kopf ſchließlich dreimal ſo groß war wie ein gewöhnlicher Schimpanſenkopf. Früher müſſen, beſonders nach Nills Erfahrungen zu urteilen, auch ſkorbutartige Er- krankungen des Zahnfleiſches, verbunden mit Knochenfraß der Kiefer und Ausfallen der Zähne, häufig aufgetreten ſein; aber nicht nur bei friſch eingeführten Tieren als Folge ſchlechter Er⸗ nährung auf See, ſondern auch nach längerer Zeit noch wurden ſie zur Todesurſache durch allgemeine Blutvergiftung, ähnlich wie bei Papageien. Neuerdings hat man davon wenig mehr gehört, wohl dank den raſcheren und beſſeren Seereiſen und der geſünderen Haltung hier. Von Krankheiten, die beim Menſchen jetzt viel von ſich reden machen, fordert die Blinddarm⸗ entzündung offenbar auch unter den gefangenen Schimpanſen viele Opfer: von 61 in Eng⸗ land feſtgeſtellten Leichenbefunden lauteten 10 auf dieſe Krankheit als Todesurſache. — Der ſchlimmſte Würger bleibt immerhin die Tuberkuloſe, die aber durchaus nicht die landläufige Lungentuberkuloſe zu ſein braucht, ſondern ebenſogut ihren Sitz im Darm, in der Milz, in den Halsdrüſen haben kann. Wir neigen jetzt zu der Anſicht, daß ſie oft ſchon in den afrikaniſchen Hafenſtädten erworben wird, wie ja auch die Neger aus dem Inneren oft an ihr erkranken, Schimpanſe: Krankheiten. Gorilla: Geſchichtliches. 677 ſobald ſie an die Küſte kommen; ſie kann aber auch ſeit Jahren eingewöhnte, ausgewachſene Schimpanſen noch befallen und raſch zum Tode bringen: Beiſpiel die Miſſie des Berliner Gartens, die, ſeit ihr Wärter in den Krieg mußte, nicht mehr ins Freie geführt werden konnte und ein langweiliges, ſchwächendes Stubenhockerleben führen mußte. Nicht ſelten aber, wenn man Tuberkuloſe erwartet, zeigt die Leichenſchau nur Anämie, allgemeine Blutleere, welke Organe, namentlich geſchrumpfte Milz. Schließlich finden ſich bei unſeren gefangenen Schim— panſen auch Eingeweidewürmer; allerdings wohl nur ſolche des Menſchen, beſonders der all— bekannte Kinderwurm Oxyuris vermicularis. Dieſer kann aber maſſenhaft auftreten. Aus Hautblaſen im Handteller friſch eingeführter Schimpanſen will man Fadenwürmer (Filaria) hervorgeholt haben; doch haben darüber wohl keine genauen Unterſuchungen ſtattgefunden. Der Gorilla (Gattung Gorilla Is. Geoffr.) hat ſeinen Namen ſchon aus den alten Karthagerzeiten, da Hanno mit einer großen Flotte feinen „Periplus Hannonis“ unternahm, um an der weſtafrikaniſchen Küſte Kolonien zu gründen. Die „wilden Menſchen“, die da geſehen und von den Dolmetſchern Gorillas genannt wurden, waren aber gewiß keine ſolchen, nicht einmal Schimpanſen, ſondern wahrſcheinlich Paviane, und der Name Gorilla im heutigen Sinne erſcheint daher tatſächlich ebenſo unberechtigt wie ſo mancher andere Tiername. Er wird aber auch Gorgadas geſchrieben, und das hat den bekannten Th. Zell auf die Deutung gebracht, in der Gorgo des klaſſiſchen Altertums einen Gorilla zu ſehen. Eine Annahme, für die ſich aus dem alten Schrifttum ſelber mehr gute Gründe herholen laſſen, als man glauben ſollte! Und dasſelbe gilt für den weiteren Gedanken Zells: Polyphem ein Gorilla, ſo abenteuerlich er im erſten Augenblick erſcheinen mag; man braucht ſich nur daran zu erinnern, daß der Zyklop nach der griechiſchen Wortbedeutung nicht einäugig, ſondern rundäugig zu denken iſt, d. h. mit mehr rundgeſchnittener Augenöffnung, die von dem „Weißen“ wenig ſehen läßt, wie ſolches eben bei den Affen im Gegenſatz zum Menſchen der Fall iſt. Im Entdeckungszeitalter iſt es dann der beim Schimpanſen ſchon genannte erſte engliſche Welt— bummler und Freibeuter Battel, dem wir zugeſtehen müſſen, daß er um 1590 ſchon den Gorilla nicht nur gekannt, ſondern ihn auch als Pongo vom Schimpanſen unterſchieden hat. Das Wort Gorilla dürfte ſich vielleicht aus den Eingeborenennamen Jina, N'Jina, Indjina, N'Guyala ableiten laſſen, wie Pongo aus N'Pungu, M'Pungu. Erſt 1847 aber ſchickte der engliſche Miſſionar Savage genauere Mitteilungen über den mehr als jedes andere wilde Tier gefürch— teten, dem Schimpanſen weit überlegenen Gorilla, begleitet von Zeichnungen des Schädels mit den ſtarken Knochenleiſten, an den großen Anatomen Owen, und dieſer erhielt in demſelben Jahre auch zwei Schädel aus Briſtol, nach denen er ſeinen Troglodytes savagei beſchrieb. Um dieſelbe Zeit müſſen aber, anſcheinend durch einen amerikaniſchen Miſſionar Wilſon, Unterlagen für eine Beſchreibung auch nach Amerika gekommen fein; denn dort wurde ein Troglodytes gorilla aufgeſtellt. 1856 kam dann der bekannte und durch den Gorilla berühmt gewordene Du Chaillu nach Gabun und erweiterte unſere Vorſtellungen vom Gorilla mit ſolchem Temperament und ſolcher Phantaſie, daß ſie ſchon über die Wirklichkeit hinausgingen und Winwood Reade deshalb eine Afrikareiſe unternahm, um ſie auf die Wahrheit zurückzuführen. Seit Ausdehnung der Koloniſation haben wir über den Gorilla und ſeine ungeahnt weite Ver— breitung nach Oſten vielleicht die wichtigſten Nachrichten durch Deutſche erhalten; jedenfalls beſitzt das Berliner Muſeum die reichſte Sammlung von Schädeln und Häuten, die die weſentlichſte Unterlage für die Aufſtellung verſchiedener Gorillaformen bietet. 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. 67 [0 #} Ganz allgemein aber unterſcheiden den Gorilla vom Schimpanſen gewiſſe Körperverhält— niſſe und Schädelmerkmale. Der Gorilla hat zwar im Verhältnis zum Rumpf längere Arme als der Schimpanſe, aber auch längere Beine, und die Menſchenähnlichkeit ſeines Gliederbaues wird noch verſtärkt durch den langen Oberarm, der zugleich auf weniger ausgeprägtes Kletter⸗ leben hindeutet. Auch die Gorillahand iſt am menſchenähnlichſten, weil ſie den breiteſten te 5 © BEE NER... Ren Erlegers Paſchen. Jaunde-Gorilla. Nach Photographie des Teller, die kürzeſten Finger und den ſtärkſten Daumen hat; und der Fuß verrät wiederum, wenn er auch ein Greiffuß mit weit abgeſtellter Daumenzehe bleibt, durch kurze, breite Sohle und ſtarke Ferſe, daß der Gorilla ſich viel auf der Erde bewegt. Da tritt er auch mit der ganzen Sohle, nicht bloß mit dem Außenrand, auf. Ein Hauptweſenszug des Gorillas iſt aber der ganz gewaltige Größenunterſchied zwiſchen beiden Geſchlechtern, der wohl noch ſtärker iſt als beim Orang, den alten Gorillamann zu einem ringkämpferähnlichen Muskelungetüm macht und auch gewiſſe Schädelmerkmale mit ſich bringt. Ein ſolcher Rieſen-Gorilla, wie er Gorilla: Körperbeſchreibung. 679 z. B., von H. Paſchen 1900 in Jaunde (Kamerun) erlegt, jetzt im Rothſchild-Muſeum zu Tring ſteht, wiegt nach mäßiger Schätzung 250 kg, iſt vom Scheitel bis zur Zehe über 2 m hoch trotz der kurzen Beine — was für einen gewaltigen Rumpf muß er alſo haben! — und ſpannt von einer Mittelfingerſpitze zur anderen 2,s0 m. Noch größere, wahrhaft aben— teuerlich anmutende Zahlen ſchickte ein lateiniſcher Kulturpionier und glücklicher Gorillajäger, E. Bruſſaux, vom mittleren Sangafluß im franzöſiſchen Kongo der Zeitſchrift „La Nature“ ein: 350 kg Gewicht, Gewicht der rechten Hand allein 2,5 kg, Geſamtkörperlänge 2,30 m, Höhe der ſitzenden Leiche noch gleich der eines ſtehenden Eingeborenen, Schulterbreite 1,10 m. Tatſächlich iſt die Schulterbreite des alten Gorillas im Vergleich zur menſchlichen geradezu ungeheuerlich zu nennen, und die ſtarken Schultern, die mächtige, gewölbte Bruſt erſcheinen ganz über alle Begriffe mit Muskelmaſſen beladen. Solche ſchieben ſich auch am Kopfe, wo ſie den ſchweren Unterkiefer zu halten und zu bewegen haben, von beiden Seiten auf den Hirnſchädel hinauf, ſtoßen oben in der Mittellinie zuſammen und preſſen, um mit Klaatſch zu reden, dort gleichſam, immer neuen Platz zu ihrem Urſprunge fordernd, die Knochenmaſſe zu einem Längskamm in die Höhe, der ſich auf dem Hinterhaupt auch nach den Seiten fort— ſetzt. Zum Anſatz der dicken Muskeln, die den ſchweren Kopf halten, tragen die Halswirbel lange Dornfortſätze, und der kurze Hals bildet dadurch mit Hinterkopf und Rücken eine gerade Linie, ſo daß der Kopf unmittelbar auf dem Rumpfe zu ſitzen ſcheint. Auch vorn am Schädel kriechen die Muskelmaſſen hinter den Augenhöhlen empor und ſchieben ſich an die Überaugen— wülſte heran, die beim Gorilla ſehr ſtark entwickelt ſind. Das alte Männchen hat natürlich auch ein gefährliches Gebiß mit verlängerten Eckzähnen. Beim Weibchen zeigt ſich nichts von alledem, es wird auch nicht größer als ein Schimpanſe. Im einzelnen unterſcheidet ſich der Gorilla vom Schimpanſen noch durch das kleine oder wenigſtens kleinere und menſchenähnlichere Ohr mit Leiſte und Gegenleiſte, Ecke und Gegenecke, ja ſogar mit kleinem, hängendem Ohrläppchen, durch die aufgewulſteten, überall nach außen ausgebogenen Umriſſe der breiten, weit offenen Naſenlöcher, die weniger beweglichen und weniger vorſtreckbaren Lippen, die nackte Bruſt und die Bindehäute zwiſchen den drei mittleren der, wie ſchon erwähnt, breiten und kurzen Finger und Zehen. Der Gorilla muß auch, wie der Menſch, die Fähigkeit haben, die Stirn- und Kopfhaut vorzuziehen; denn bei der Schilderung ſeines Angriffs auf den Jäger wird öfter von ſeinem „vorfallenden Haarſchopf“ geſprochen. Das am Nacken, Schultern, Hüften leicht gewellte, ſonſt ſtraffe, aber ziemlich lange und zottige Haar läßt das Vordergeſicht, nach oben bis zu den Augenbrauen, ſeitlich bis zur Mitte der Jochbogen, nach unten hin bis zum Kinn, das Ohr, die Hand und den Fuß unten, ſeitlich und, ſoweit Finger und Zehen nicht vereinigt ſind, auch oben gänzlich frei. Dagegen bekleidet es ziemlich regelmäßig den übrigen Leib, Oberkopf, Nacken, Schultern, Oberarme ſowie Ober: und Unterſchenkel, wo es manchmal 10 em und darüber lang wird, am dichteſten, Bruſt und Bauch am ſpärlichſten, iſt bei alten Tieren aber auch auf Mittel- und Unterrücken gewöhnlich abgerieben und hat, mit Ausnahme des Unterarmes, ſeinen Strich von vorn und oben nach hinten und unten, am Unterarme dagegen von unten nach oben. Bartbildung kommt vor. Alle nackten Teile haben graulich ſchieferſchwarze, die mit Haaren bekleideten Hautteile dunkel lederbraune, die Haare dagegen eine allgemeingültig ſchwer zu beſchreibende Färbung. Ein düſteres Dunkelgrau, hervorgebracht durch wenige rötliche und viele graue Haare, herrſcht vor; die Miſchung beider Farben wird gleichmäßiger auf Oberkopf und Nacken, weshalb dieſe Teile deutlich graurot, mitunter ſogar fuchſig ausſehen; auf dem Rücken kommt mehr das Grau, an den inneren Schenkelſeiten das Braun zur Geltung. Einige ſchmutzig weiße Haare finden 680 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. ſich am Geſäß. Weibchen, namentlich jüngere, ſind dunkler und einheitlicher gefärbt; junge Tiere ganz dunkel, mattſchwarz. Anderſeits, je älter der Gorilla wird, deſto mehr ſcheint er am ganzen Körper grau zu werden. Nach der Schädel- und Gebißbildung, aber auch nach äußeren Färbungs- und Behaarungs— merkmalen werden heute ſchon eine ganze Reihe von Gorillaformen unterſchieden. Dieſe ſind, wenn auch viel weiter als man ſich früher träumen ließ, doch lange nicht ſo weit ver— breitet wie die Schimpanſen. Wenigſtens nach Weſten nicht; dort haben wir in den Ländern um den Golf von Guinea bis jetzt keine Belege zugleich weſtlicheren und nördlicheren Vor— kommens, als ſie v. Oertzen, Mansfeld und Diehl im Gebiete des Croßfluſſes an der Grenze von Kamerun und Nigerien geſammelt haben. Nach Oſten ins Innere Afrikas geht aber auch der Gorilla, wie der Schimpanſe, durch das ganze nördliche Kongobecken hindurch bis an die Waſſerſcheide gegen das Nil-, Tſadſee- und Nigergebiet und nach Deutſch-Oſtafrika hinein bis zum Kiwu- und Tanganjifajee, die beide nordſüdlich auf derſelben Linie liegen, und gerade dort an der öſtlichen Verbreitungsgrenze, in dem vulkaniſchen Gebirge am Kiwuſee, hat man 0 0 ) 7 eine beſondere Bergform des Gorillas entdeckt, die einzige, die Elliot als beſondere, ſelbſtän— dige Art anerkennt. Alle anderen möchte er beſtenfalls vielleicht als Unterarten gelten laſſen. Deren hat aber vor allem Matſchie heute ſchon eine ganze Reihe aufgeſtellt, meiſt den Ent— deckern und Sammlern der Schädel und Felle gewidmet (G. diehli, jacobi, graueri, hans- meyeri [Taf. „Affen VI“, 7, bei S. 651], zenkeri); eine wurde auch von Rothſchild nach Matſchie ſelber benannt (G. matschiei). Die am längſten bekannte Art, der Eigentliche oder Gabun-Gorilla, der ſich von der Gabunküſte ins Innere verbreitet, hat auch die älteſten wiſſenſchaftlichen Namen: Gorilla gorilla Wyman (savagei, gina), behalten und weiſt die Merkmale unſerer oben wiedergegebenen Artbeſchreibung auf, insbeſondere auch in der Farbe. Zu ihr gehörte der junge „Mpungu“, der berühmte erſte Gorilla des Berliner Aquariums, den Falkenſtein von der Loango-Expedition mitbrachte; ſein Fell wurde als dunkel ſchwarzgrau, mit einzelnen weißen Haaren gemiſcht, beſchrieben. Der oben ſchon erwähnte Kameruner Rieſen-Gorilla, den Paſchen in Jaunde erlegte, wurde ſpäter im Beſitze Rothſchilds für dieſen zum Typus ſeines Matſchie gewidmeten Jaunde-Gorillas, G. matschiei Rothsch.; er zeichnete ſich durch deutliche Rotfärbung auf dem Kopfe aus. Dieſe Kopffärbung kann aber bis zur Ausbildung einer auffallenden kaſtanienrotbraunen Kappe gehen, jo daß danach ſchon 1862 ein Rotkopf-Gorilla, G. castaneiceps Stack, aus dem franzöſiſchen Kongo beſchrieben wurde. Die abweichendſte und deshalb allgemein als ſelbſtändige Art anerkannte Gorilla— form bleibt aber immer der Berg-Gorilla, G. beringei Misch. (Taf. „Affen VI“, 8, bei S. 651), aus der Vulkankette unmittelbar nördlich des Kiwuſees. Dort, auf dem Kirunga, in einer Höhe von 3000 m, erlegte Hauptmann v. Beringe, ein Verwandter Wißmanns, 1903 das erſte Stück und ſchickte es an Heck, der es dem Berliner Muſeum überwies. Später hat der vortreffliche Sammelreiſende Grauer mit vieler Anſtrengung und Ausdauer durch Wabembejäger weitere Stücke beſorgen können. Die Art hat natürlich ihre Schädel—⸗ und Zahnmerkmale, erweiſt ſich aber ſchon äußerlich als ganz eigentümliche Gebirgsform durch das lange, dichte, an den Beinen etwas lockige Haar; außerdem hat ſie einen Bart. Die Farbe iſt bei Weibchen und Jungen glänzend ſchwarz. Beim alten Männchen haben die Haare auf dem Kopf rote Spitzen, Schultern und Arme find ſchwarz, unterhalb der Schulz tern zieht ſich ein gelblichweißes Band quer über den Rücken; ſonſt iſt die Farbe, wie ges wöhnlich beim alten Gorilla, mit Grau gemiſcht. in ie 8 Al a Gorilla: Gabun, Jaunde-, Rotkopf-, Berg-Gorilla. Freileben. 681 Bis in die neuere Zeit ging alles, was man über das Freileben des Gorillas wußte, kaum über gruſelige Jagdgeſchichten hinaus, und den Löwenanteil an dieſen hatte der Reiſende Du Chaillu, der dadurch eben allbekannt wurde. W. Reade konnte aber als Ergebnis ſeiner weſentlich deshalb unternommenen Afrikareiſe der Londoner Zoologiſchen Geſellſchaft die Gründe entwickeln, aus denen er mit vollſter Sicherheit ſchließen durfte, daß Du Chaillu niemals einen Gorilla erlegt hat. Reade macht unter allen älteren Berichterſtattern den Eindruck der größten Verläßlichkeit. Er hat alle Eingeborenen, die einen Gorilla erlegt hatten, unter den Belingi am Muni, unter den Schikeni am Gabun und unter den Kommi am Fernandovaz, ebenſo auch die aus dem Inneren ſtammenden Sklaven, die von ihren Herren als Jäger verwendet wurden, auf das ſorgfältigſte ausgefragt und berichtet darüber: „Ihre Mitteilungen über die Wildheit der Affen reichen kaum bis an die Erzählungen von Savage und Ford heran. Sie leugnen, daß der Gorilla, ohne gereizt zu ſein, den Menſchen ſtets angreife. Laßt ihn in Frieden‘, jagen fie, ‚und er läßt euch in Frieden.“ Wenn er aber beim Freſſen oder im Schlafe plötzlich überraſcht wird, dreht er ſich in einem Halbkreiſe herum, heftet ſeine Augen feſt auf den Mann und ſtößt einen unwillig klagenden Schrei aus. Ver— ſagt das Gewehr des Jägers, oder wird der Affe nur verwundet, ſo läuft er zuweilen davon; manchmal aber ſtürzt er ſich mit wütendem Blicke, herunterhängender Lippe und nach vorn überfallendem Haarſchopfe auf den Gegner. Sehr behend ſcheint er nicht zu ſein; denn die Jäger entkommen ihm häufig. Er greift ſtets auf allen vieren an, packt den betreffenden Gegenſtand, reißt ihn in ſeinen Mund und beißt hinein. Die Geſchichte vom Zuſammenbeißen des Gewehrlaufes wird allgemein erzählt, iſt aber durchaus nicht wunderbar, weil die billigen Gewehre aus Birmingham von jedem ſtarkkieferigen Tiere zuſammengequetſcht werden dürften. Der Jäger, der mich in den Waldungen von Ngumbi führte, wurde einſt von einem Gorilla verwundet. Seine Hand war vollſtändig verkrüppelt und die Narben der Zahnwunden am Gelenke noch ſichtbar. Ihn forderte ich auf, mir genau die Art und Weiſe des Angriffes eines Gorillas zu zeigen. Ich ſtellte den Jäger vor, er den Gorilla. Er nahm eine gebückte Stellung an, und ich tat, als ob ich auf ihn ſchießen wollte. Nun kam er auf allen vieren auf mich zu, ergriff meine Hand am Gelenke, zog ſie zu ſeinem Munde, biß hinein und lief davon. ‚So‘, ſagte er, ‚hat der Gorilla mit mir getan.“ Der Leopard gilt allgemein für ein wilderes und gefährlicheres Tier als der Gorilla. Auch der Schimpanſe greift, wenn er angefallen wird, einen Menſchen an; dasſelbe tut der Orang-Utan, dasſelbe tun alle Tiere vom Elefanten bis zu den Kerbtieren herunter. Ich kann alſo keinen Grund zu der Annahme finden, daß der Gorilla wilder und mehr geneigt zum Angriffe auf einen Menſchen ſei als andere Tiere. „Das, was ich aus perſönlicher Anſchauung verſichern kann, iſt folgendes: Ich habe die Neſter des Gorillas geſehen und beſchrieben, bin jedoch nicht imſtande, beſtimmt zu ſagen, ob ſie als ſtändige Betten oder nur als zeitweilige Lager benutzt werden. Ich habe ebenſo wieder— holt die Fährte des Gorillas gefunden und darf deshalb behaupten, daß der Affe gewöhnlich auf allen vieren läuft. Auch habe ich einen jungen Gorilla und einen jungen Schimpanſen in gefangenem Zuſtande beobachtet und darf verſichern, daß beide gleich gelehrig ſind. Endlich kann ich behaupten, daß der Gorilla wenigſtens zuweilen vor dem Menſchen flüchtet; denn ich war nahe genug, um zu hören, daß einer vor mir weglief. „Während der Schimpanſe in der Nachbarſchaft kleiner Steppen hauſt, ſcheint der Gorilla das düſtere Zwielicht der dichteſten Wälder zu lieben. Von den Bäumen bricht er ſich Zweige und Blätter, die ſich in einer ihm erreichbaren Höhe über dem Boden befinden. Zuweilen erklettert er auch einen Baum, um deſſen Früchte zu genießen. Eine Grasart — 682 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. wahrſcheinlich iſt Amomum granum paradisi, eine Szitaminee, gemeint —, die in feuchten Buſchwäldern wächſt, liebt er ſo, daß man ſein Vorkommen da, wo dieſes Gewächs vor⸗ handen, faſt mit Sicherheit annehmen kann.“ ; £ Später hat Hugo v. Koppenfels, ein leidenſchaftlicher Jäger, in den ſiebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts mehrmals Reiſen in die Gabun- und Ogoweländer unternommen, um den Gorilla in ſeiner Heimat aufzuſuchen. Koppenfels iſt der erſte Europäer, der nachweis⸗ lich Gorillas in der Wildnis beobachtet und eigenhändig erlegt hat. Er beſtätigt viele der Angaben, die andere, beſonders Reade, vom Hörenſagen berichtet haben, und ergänzt ſie nach eigenen Erfahrungen. „Der Gorilla lebt, bis auf die alten hypochondriſchen Männer, im engeren Familienkreiſe und treibt ſich des großen Verbrauches an Nahrung wegen nomadiſie⸗ rend umher, indem er da nächtigt, wo er ſich bei Anbruch der Dunkelheit gerade befindet. Er baut alſo jeden Abend ein neues Neſt und errichtet dies auf geſunden, ſchlank gewachſenen, nicht viel über 0,3 m ſtarken Bäumen in einer Höhe von 5—6 m. Es iſt ſtorchneſtartig in der erſten Abzweigung ſtärkerer Aſte aus grünen Reiſern angelegt. Die Jungen und, wenn dieſe noch der Wärme bedürfen, auch die Mutter pflegen darauf der nächtlichen Ruhe, wogegen der Vater zuſammengekauert am Fuße des Stammes, mit dem Rücken daran gelehnt, die Nacht verbringt und ſo die Seinigen vor dem Überfalle des Leoparden beſchützt. In der trockenen Jahreszeit, wenn ihm Waſſer und Nahrung im tiefen Inneren der Wälder knapp zu werden beginnen, ſucht der Gorilla die Pflanzungen der Eingeborenen heim, dort nach Affenart große Verwüſtungen anrichtend. Die Eigentümer ſtellen dann Wachen aus, und es gelingt in den meiſten Fällen, ihn durch wiederholtes Abfeuern der Flinten zu verſcheuchen. Zuweilen kommt es jedoch vor, daß alte Gorillamänner, vom Hunger getrieben, ſich dadurch nicht ſtören laſſen, ſondern nächtlicherweile ihre Verwüſtungen fortſetzen. Die Geſchädigten ſehen ſich dann wohl oder übel genötigt, dem Nimmerſatt aufzulauern oder nachzuſtellen, um ihn unſchädlich zu machen. Dies gelingt ihnen indes nur in den ſeltenſten Fällen, da der ſchlaue Burſche die ernſte Abſicht ſeiner Verfolger bald herauswittert und ſich auf einige Zeit empfiehlt. „Sofern er unbehelligt bleibt, greift der Gorilla den Menſchen nicht an, meidet vielmehr deſſen Begegnung. Wird er jedoch überraſcht, ſo richtet er ſich auf, ſtößt aus tiefer Bruſt ein nicht wiederzugebendes, kurz abgebrochenes, bald rollendes, bald grunzendes Gebrüll aus und bearbeitet mit ſeinen Rieſenfäuſten die gigantiſche Bruſt, wobei unter Zähnefletſchen und einem unendlich boshaften Ausdrucke des Geſichtes ſich ſeine Haare auf Kopf und Nacken vibrierend ſträuben. Ein wütender alter Gorilla bietet einen Furcht erweckenden Anblick. Reizt man ihn nicht und zieht ſich bei guter Zeit allmählich zurück, noch bevor ſeine Wut ihren Höhepunkt erreicht, ſo glaube ich nicht, daß er zum Angriffe ſchreiten würde. Sollte man aber das Unglück haben, ihn nur leicht zu verwunden, dann freilich bin ich, ohne es ſelbſt erlebt zu haben, feſt überzeugt, daß er den Schützen annimmt. Soviel ich zu beobachten Gelegen⸗ heit fand, lebt der Gorilla von Pflanzenſtoffen. Die Jungen zeigen aber in der Gefangen⸗ ſchaft eine ganz beſondere Vorliebe für tieriſche Koſt; es läßt ſich daraus ſchließen, daß fie auch in der Wildnis Fleiſch ſowie Eier nicht verſchmähen. Die Eingeborenen benennen den Gorilla verſchieden. Die Mpongwe, Orunku, Kama, Galloa: „Ndſchina“; die Mpangwe (Fan oder Pan, wie fie ſich ſelbſt nennen) geben ihm den Namen ‚Nguyala““ Seinen erſten Gorilla erlegte H. v. Koppenfels am Weihnachtsfeſte 1874. Er hatte ſich unfern von einem Ibabaume angeſtellt, deſſen Früchte die Gorillas ſehr lieben, und wo er von ihnen friſch angebiſſene gefunden hatte. „Hinter meinem Stamme hervorlugend, gewahrte ich eine Gorillafamilie ſorglos mit den Früchten beſchäftigt. Sie beſtand aus den beiden Eltern Gorilla: v. Koppenfels' Beobachtungen. 683 und zwei im Alter verſchiedenen Jungen; das menſchliche Alter zum Maßſtabe genommen, konnte das ältere 6 Jahre, das jüngere 1 Jahr alt ſein. Es war rührend anzuſehen, mit welcher Liebe das Weibchen um das Jüngſte beſorgt war. Der Vater hingegen kümmerte ſich um nichts als um Stillung des eigenen Hungers. Die beſſeren Früchte mochten wohl auf— gezehrt ſein, als das Gorillaweibchen mit außerordentlicher Behendigkeit den Stamm erklomm und die reifen Früchte herunterſchüttelte.“ Am angeführten Orte ſchildert ſchon v. Koppenfels auch noch näher, wie der ſchwere, bequeme Alte ſich von Weibchen und Jungen die Früchte pflücken und zutragen läßt und mit ſcheltendem Grunzen Ohrfeigen austeilt, wenn das nicht raſch und reichlich genug geſchieht oder die Familienmitglieder nach ſeiner Meinung zu viel ſelbſt auffreſſen. Alſo auch beim Gorilla die Paſchawirtſchaft, die wir von anderen Affen kennen, nur vielleicht noch auf die Spitze getrieben dadurch, daß Weibchen und Junge dem Leitaffen nicht nur das meiſte und beſte Futter laſſen, ſondern es ihm ſogar noch hinbringen müſſen! „Der männliche Gorilla begab ſich nun kauend zum nahen Waſſer, um zu trinken. Ihn hatte ich keinen Augenblick aus den Augen gelaſſen, als er nahe am Rande des Waſſers mit einem Male Unruhe zu erkennen gab und in geduckter Stellung nach dem Baume ſicherte, der mich verbarg. Wenige Augenblicke genügten, das mich unbeweglich anäugende Wild aufs Korn zu nehmen. Der Schuß krachte... Der männliche Gorilla war tödlich getroffen auf das Geſicht geſtürzt. Die Jungen flüchteten, einmal kurz aufſchreiend, in das Dickicht; die Mutter ſprang aus beträchtlicher Höhe vom Baume zur Erde und eilte ihnen nach.“ Nicht lange darauf ſchoß Koppenfels bei einer zufälligen Begegnung den ſtärkſten Gorilla, den er überhaupt erlegt hat. Er war, von ſeinen Trägern gefolgt, im Walde einen ſchmalen Wildwechſel entlang gegangen. „Plötzlich ertönte hinter mir ein Schrei des mir zunächſt gehenden Galloa, und unter dem Zurufe: ‚Gib acht, Herr, ein großer Gorilla! warfen die feigen Burſchen ihre Laſt fort und liefen davon. Ich war durch den Ruf beſtürzt und gewahrte erſt, als ſeitwärts ein dumpfes Grollen hörbar wurde, eine dunkle Maſſe kaum 15 Schritt von mir ſich rieſenhaft aufrichten. Es war der größte Gorilla, den ich je geſehen, und der erſte, welcher ſtandhielt. Hätte er meine Beſtürzung benutzt, ich wäre verloren geweſen. Auf eine Probe, wie lange dieſes gegenſeitige Anſchauen wohl dauern würde, ließ ich es nicht an— kommen. Als ich die Doppelbüchſe hob, wurde das rollende Gebrüll bellender; das Trommeln auf der Bruſt wurde ſchneller; die ſtruppigen Kopfhaare ſträubten ſich zitternd, und es ſchien, als wollte mein ſchreckliches Gegenüber zum Angriffe übergehen. Hätte ich mich bei guter Zeit vorſichtig zurückgezogen, würde der Gorilla, davon bin ich überzeugt, mich nicht angenommen haben. Dies lag indes gar nicht in meiner Abſicht. Meiner Aufregung Herr geworden, zielte ich ruhig und ſicher nach dem Herzen. Nach abgegebenem Schuſſe ſchnellte das Tier in die Höhe und fiel, die Arme ausbreitend und ſich drehend, auf das Geſicht. Hierbei hatte es eine 5 em ſtarke Liane erfaßt, und ſo mächtig war ſeine Kraft, daß es mit dieſer dürre und grüne Aſte zur Erde riß. Sein Gewicht ſchätzte ich auf 200 kg; feine Körperlänge betrug 1,9 m.“ In dieſem Jahrhundert brachte weſentliche Förderung und Vervollſtändigung unſeres Wiſſens vom Gorilla erſt die Durchforſchung unſerer weſtafrikaniſchen Kolonie Kamerun, und unter den Jägern, Sammlern und Beobachtern, die in dieſem Sinne verdienſtlich gewirkt haben, iſt als erſter G. Zenker zu nennen. Menſchliches, ſogar viel Menſchliches hat nach ihm dieſer Waldrieſe an ſich. Die Weibchen bringen dem an einem Baumſtamm ſitzenden alten Männchen Früchte, die ſie ihm zu Füßen legen, und er legt ſeine langen Arme um ihre Schultern und ſcherzt mit ihnen in knurrenden, kreiſchenden und quietſchenden, zuweilen wie 684 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. Lachen klingenden Tönen. Oft bricht er, wenn die Fliegen ihn zu ſehr beläſtigen, Büſchel von Zweigen ab, die er dann auch beim Vorwärtsſchreiten in der Hand behält, und mit denen er ſich wedelt. Das wäre ganz unzweifelhaft Gebrauch von Werkzeugen auch im Freileben eines Tieres, wo von Nachahmung des Menſchen und Anregung durch dieſen keine Rede ſein kann. Zenker beobachtete den alten Gorilla in Begleitung einer Anzahl Weibchen und jün— gerer Männchen, alſo in größerer Geſellſchaft, zum mindeſten in vielweibiger Familie. Als ſein Wohngebiet bezeichnet er den tiefſten Urwald, weit entfernt von menſchlichen Anſiedelungen, in denen der Gorilla aber, jedenfalls aus Gründen der Nahrungsſuche, von einem Ort zum anderen zieht ohne feſten Aufenthalt. Dabei gehen die jüngeren Männchen voraus, die Weib- chen folgen, und der Alte läuft langſam hinterher, alles beobachtend, indem er ſich von Zeit zu Zeit aufrichtet und nach allen Seiten umheräugt. Wieder einer der ſchwer erklärlichen Fälle großer Vorſicht und Scheu bei einem wehrhaften, man möchte in dieſem Falle faſt ſagen: mehr als wehrhaften Tiere, dem außer dem weißen Menſchen kaum ein anderes Weſen lebens— gefährlich werden kann! Von den Eingeborenen ſagt nämlich Zenker, daß ſie den Gorilla ſehr fürchten und ſofort flüchten, ſobald fie ihn ſpüren. Und deren „Scheu“ iſt viel erklärlicher; denn Zenker ſagt weiter, der Gorilla überfalle und töte die unvermutet in ſein Reich gelan— genden Neger aus dem Hinterhalt. Er muß ſich alſo von ſolchen Vorfällen überzeugt haben. Argwöhnt der alte Gorilla Gefahr, ſo gibt er, nach Zenker, zunächſt ein leiſes Warnungs— trommeln von ſich, indem er den Mund öffnet und mit der Hand dagegen ſchlägt. Sobald er aber irgendein größeres Tier oder einen Menſchen erblickt, ſchlägt er in ſchneller Folge mit der Fauſt auf die Bruſt — das bekannte Bruſttrommeln, das alle Gorillajäger und -beobachter ſchildern — und wendet ſich gegen den Feind „hüpfend“, wie Zenker ſagt. Die älteren Er— zählungen, daß der verwundete Gorilla mit furchtbarem Gebrüll ſich auf den unglücklichen Jäger ſtürze, ihn umarme, erdrücke und totbeiße, beſtätigt auch Zenker; doch fügt er ein— ſchränkend hinzu: falls er ein Verſteck nicht erreichen kann. Es müſſen unſerem zuverläſſigen Gewährsmann alſo auch Fälle vorgekommen oder glaubwürdig berichtet worden ſein, in denen ſelbſt der verwundete Gorilla den Jäger nicht annahm, und es hat daher ganz den Anſchein, was ja auch das Natürlichſte iſt, daß der Gorilla ſich gegen den Menſchen ebenſo benimmt wie andere als wehrhaft und gefährlich bekannte Tiere, d. h. den Menſchen nicht in allen Fällen und unter allen Umſtänden angreift. Über die Nachtruhe des Gorillas finden wir bei Zenker die früheren Schilderungen wieder, wie nur die Weibchen und Jungen ſich Schlaf— neſter auf den Bäumen zuſammenbrechen, das alte Männchen aber unten auf der Erde, an den Baum gelehnt, ſchläft: jedenfalls, weil es für ſolch luftiges Schlafbett in der Höhe zu ſchwer iſt. Zenker ſpricht aber auch von einer Mittagsruhe, bei der der Alte dieſelbe Stellung ein— nimmt, die anderen aber um ihn herumſitzen oder am Boden ausgeſtreckt ſchlafen. Den Lauf des Gorillas nennt Zenker ziemlich ſchnell. Dabei werden die Arme nach außen geſetzt und die Fäuſte mit den dicken Schwielen der Fingerknöchel aufgeſtützt. v. Oertzen ſchildert zunächſt die düſtere, für den Menſchen äußerſt unbehagliche Urwald— heimat des Gorillas in Kamerun: die dumpfe Treibhausſchwüle, das dichte Blätterdach der gewaltigen Bäume, durch das nur ſelten einmal ein Sonnenſtrahl dringt, die ewige Dämme⸗ rung des dichten Unterholzes und undurchdringlichen Dickichts aus Schlinggewächſen, Dornen und tauſenderlei pflanzlichen Schmarotzern ohne jede Blume oder andere freundliche Farbe. Umgeſtürzte Baumrieſen modern am Boden. Acht Monate im Jahre währt die Regenzeit, die mit ihren unerbittlichen, gleichmäßigen Güſſen und ſtarken Nebeln auf Tage und Wochen die Sonne verhängt und Flüſſe und Flüßchen die Umgebung überſchwemmen läßt. Tieriſches Gorilla: Neuere Berichte (Zenker, v. Oertzen). 685 Leben ſpürt man kaum außer Moskitos und den unermüdlich ſchrillenden Zikaden. An den Aynoſümpfen bei Akoafim in Südkamerun zählte v. Oertzen in einer „Altfarm“ (verlaſſenen Farm?) nicht weniger als 16 Schlafneſter des Gorillas, davon 9 auf dem Boden und 7 in 3—5 m Höhe in den Zweigen von Schirmbäumen. Mit Wahrſcheinlichkeit ſchließt er daraus auf eine Horde von mindeſtens zehn Köpfen, wenn er auch zugibt, daß mehrere vielleicht nicht auf dem erſten Neſt, das fie ſich herrichteten, zur Ruhe kamen. So vielköpfig wie die Schim- panſenherden können dieſe Gorillahorden aber nie werden, weil der Gorilla überhaupt viel ſeltener iſt. Die Geſamtzahl aller lebenden Stücke iſt ja gewiß bei verſchiedenen Tierarten ſehr verſchieden, und den Gorilla erklärt v. Oertzen zudem noch trotz aller Kraft und Größe für ein hinfälliges Geſchöpf, das nicht annähernd ſolche Schußverletzungen aushalten kann wie der Schimpanſe und mancherlei Krankheiten unterworfen iſt. Der Gorilla iſt, jo meint unſer Ge- währsmann ſehr geiſtreich, mit ſeiner Entwickelung in eine Sackgaſſe geraten; er hat von keiner Naturanlage genug mit auf die Welt bekommen, um ſchwerere Proben im Daſeinskampf be— ſtehen zu können; er iſt nicht für eine gewiſſe Stelle im Naturhaushalt ſo abgeſtimmt, daß der Art größtmögliche Fortdauer geſichert wird. Er iſt weder ein gewandter Kletterer noch ein aus— dauernder Läufer; er hat das gewaltige Gebiß eines Raubtieres und nährt ſich von Pflanzenkoſt; er hat die Kraft eines Athleten, rettet ſich aber lieber durch die Flucht als durch Angriff. Auch ſeine Sinne konnten ſich im Urwald nicht ſo vollkommen entwickeln wie bei den Steppenaffen. Nach unſerem Gewährsmann erſtreckt ſich das Vorkommen des Gorillas nicht zuſammen— hängend über weite Landſtriche, ſondern iſt immer nur inſelartig, mit anderen Worten: nach v. Oertzen hält der Gorilla an gewiſſen Standorten feſt, obwohl man äußere Gründe dafür nicht erkennen kann. Im ſüdlichen Ebolowabuſch z. B. fand v. Oertzen in einem zehn Tage— märſche großen Waldgebiet nur drei kleine Gorillareviere, zwei in faſt unbewohntem Urwald, eines aber in der Nähe zahlreicher Ortſchaften bei dem Poſten Sang Melima gelegen. Dieſe Horde war weit vorſichtiger, aber auch angriffsluſtiger als die beiden anderen, die nur ſelten mit dem Menſchen in Berührung gekommen waren. Von jener waren vier oder fünf Stück abgeſchoſſen worden, und doch verließ ſie den Platz nicht. Im Baſchobezirk Nordkameruns fand v. Oertzen im Palaverhauſe als Fetiſche die Schädel von nicht weniger als neun Gorillas auf— gehängt, die während der letzten zwei Jahre in der Nähe erlegt worden waren. Ganz alte Einzelgänger halten, nach v. Oertzen, ein noch engeres Revier beſetzt, nicht ſelten eine alte Farm, die ſie dann hartnäckig gegen jeden Eindringling verteidigen. Bei dem Poſten Kam ließen Eingeborene eine Plantenfarm im Stich, die von einem ſolchen alten Gorilla mit Beſchlag belegt war. Die allgemeine Meinung von der Gefährlichkeit des Gorillas ſchraubt v. Oertzen noch weiter herunter als Zenker. Er hat immer den Eindruck gehabt, daß die Tiere ſcheu und furchtſam ſind und lieber ihr Heil in der Flucht als im Angriff ſuchen, und er hat ſogar eingeborene Jäger kennengelernt, die zwanzig und mehr der Rieſenaffen erlegt hatten, ohne je angegriffen worden zu ſein. Über den verwundeten Gorilla jagt aber allerdings auch er: Wehe dem Unvorſichtigen, der dem gereizten Rieſen zu nahe kommt! Einem alten Jäger aus Baſcho, der einem ſolchen mit dem Meſſer zu Leibe gehen wollte, riß der wütende Affe das Bein aus dem Gelenk und zerfleiſchte es entſetzlich. Bei Kam wurden einem Jäger die vier Finger einer Hand von einem verwundeten Gorilla abgebiſſen. Die Lieblingsnahrung des Gorillas find, nach v. Oertzen, die in Jaunde Eſun und Etos genannten Früchte, beides nahe verwandte Blattgewächſe, deren rote, längliche Schoten unmittel— bar über dem Erdboden ſtehen. Dieſe weichſchaligen Früchte bricht der Gorilla auf, lutſcht den ſäuerlichen Inhalt aus und verſchluckt ihn mitſamt den kleinen ſchwarzen Kernen. Auch 656 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. das Mark der Stengel frißt er, biegt bedächtig die langen Zweige nach unten, ſchlitzt fie der Länge nach auf und holt den ſaftigen Inhalt heraus. Gern frißt der Gorilla auch die ſchwamm⸗ artige Frucht des Fingerbaumes und die Früchte eines Adjab genannten Baumes. Je nach der Jahreszeit ſcheint er ſich faſt ausſchließlich von einer der genannten Fruchtarten zu nähren; zum mindeſten ließ ſich aus der Loſung erkennen, daß keine große Vielſeitigkeit in der Koft beſtand. Der Geſchmack ift „mehr auf ſaure Genüſſe abgeſtimmt“. Deshalb verſpeiſt der Gorilla Planten und Bananen nur gelegentlich, und am meiſten ſagt ihm das Süße noch in Form von Zuckerrohr und jungen Maiskolben zu. Nach Heinicke ſoll er auch Wurzeln ausgraben. Aus Südkamerun werden auch Bodenneſter von Gorillas, von Einzelgängern, beſchrieben, die im Grasbuſch gefunden wurden und ſogar ein kiſſenartig erhöhtes Bündel für den Kopf hatten; ein enger Gang durch das dichte, hohe, ſchilfartige Gras führte hin. Nach Haberer iſt der Gorilla aus den Küſtengebieten Kameruns und aus Jaunde nahezu verſchwunden. Im gebirgigen Bakoklande kommt er noch häufiger vor, und im ſpärlich be— wohnten Süden gegen das Kongobecken zu an den Flüſſen Dſchah und Bumba ift er nicht ſelten. Dort konnte Haberer in ſechs Dörfern vierzehn Schädel erwachſener Gorillamännchen ſammeln, die die Eingeborenen als Trophäen an die Ecken ihrer Hütten gehängt hatten, aber keinen ein⸗ zigen weiblichen oder jungen Schädel, jedenfalls weil das angriffsluſtige alte Männchen zuerſt zur Strecke gebracht wird. Ein Häuptling verlor bei ſolchem Kampfe ein Auge und trug eine tiefe Narbe auf der Stirn davon. Die üblichen Schauergeſchichten von Frauenraub hörte Ha- berer dort nicht, wohl aber wiederholt die Behauptung, daß der Elefant dem Gorilla das Feld räume, und er hält es nicht für unwahrſcheinlich, daß der Urwaldathlet mit ſeinem Gebrüll und Bruſttrommeln dem empfindlichen Dickhäuter tatſächlich die Gegend verleidet. Nach Ha— berer iſt der Gorilla ein echtes Bodentier, und daß Paſchen ſein rieſiges Prachtſtück von einem Baume herabſchoß, ſchon ein Beweis, daß dieſer Gorillamann arg in die Enge getrieben war. Daß der Gorilla tatſächlich die würzigen Früchte der Amomum Arten gern frißt, konnte Sokolowſky an einem Gorilla beſtätigen, den der bekannte „Kameruner“ Dominik dem Hagen⸗ beckſchen Tierpark in Stellingen zuführte. Reſte ſeiner Reiſekoſt wurden im Hamburger Bo— taniſchen Garten unterſucht und erwieſen ſich als getrocknete Früchte des Kamerun-Kardamoms (Amomum angustifolium Sonn.). Die Sammlung beſitzt ſolche Samen auch ſchon aus älterer Zeit, die aus einem Gorillamagen ſtammen. Dieſer aromatiſchen Samen wegen werden die Früchte aber von anderen Tieren nicht gefreſſen, und Sokolowſky möchte daher eher glauben, daß fie der Gorilla mehr als Neizmittel zur Förderung der Freßluſt und Verdauung zu ſich nimmt. Auf Hans Meyers Reiſe im oſtafrikaniſchen Seengebiet 1911 wurde von dem leider ſpäter ermordeten Dr. Houy der Mageninhalt eines alten Berggorillaweibchens und ſeines Jungen unterſucht und feſtgeſtellt, daß beide vorwiegend die Triebe einer etwa 1 m hohen, unſerem Schierling ſehr ähnlichen Pflanze gefreſſen hatten, die am Sabinjo und den anderen Vulkanen dort überall im Walde häufig wächſt. Sie zeichnet ſich durch einen durchdringenden Geruch aus, der ſie ſchon von weitem verrät, und nach Ausſage des Erlegers, des Kolonial⸗ offiziers Stemmermann, ſollen die toten Tiere noch geradezu unerträglich nach jener Pflanze geſtunken haben. Ein Seitenſtück zu Sokolowſkys Mitteilung, das ein merkwürdiges Licht auf das Sinnenleben des Gorillas wirft! Den Impundu, wie der Berggorilla im Vulkangebiet heißt, ſelbſt zu beobachten und zu erlegen, haben ſowohl Grauer als Herzog Adolf Friedrich ſich vergeblich bemüht. Vergeblich ſchlug letzterer ſein Lager auf einem kalten, unfreundlichen Gebirgsſattel auf, wo das Ther— mometer nachts bis auf den Gefrierpunkt ſank, und Grauer bekam auch am Nordweſtufer Gorilla: Neuere Berichte (Haberer, Houy, Grauer). 687 des Tanganjikaſees den Kinguſi, wie der Gorilla bei den dort wohnenden Wabembe auch heißt, nicht lebend zu Geſicht. Durch Geld und gute Worte oder vielmehr reiche Geſchenke konnte er aber wenigſtens den Wabembeſultan Sibotoi bewegen, zehn ſeiner beſten Jäger zur Jagd auszuſchicken. Nach umſtändlicher Vorbereitung von acht Tagen, die mit Brauen von Zaubermitteln hingingen, machten ſie ſich endlich auf, nur mit dem Lendenſchurz be— kleidet, aber ganz mit roter Erde beſtrichen und mit ihren ſehr ſtarken, 2 m langen Speeren bewaffnet. Am dritten Tage war bereits ein Gorilla erlegt; es hatte aber auch mehrere Ver— wundete gegeben, zwei ſo ſchwer, daß ſie auf Bahren aus Zweigen und Lianen getragen werden mußten. Alle Wunden waren Bißwunden, auch bei Erlegung aller ſpäteren, im ganzen 16 Gorillas, die Grauer bis 1911 ſammeln konnte. Das brachte unſeren Gewährsmann zu der Meinung, daß der Gorilla im Kampfe ſich nur ſeines Gebiſſes bediene und ſeine mit ge— radezu verblüffender Muskulatur ausgeſtatteten Arme nicht auszunutzen verſtehe. Die Jäger folgen oft tagelang der Spur, die in dem ſtets ſehr feuchten Gebirgsurwald leicht kenntlich iſt. Sobald ſie durch das Geräuſch brechender Zweige oder das Geſchrei, das einem ſehr lauten, heiſeren Bellen ähneln ſoll, zur Gewißheit gelangen, daß die Tiere nicht mehr weit ſind, ſchleichen ſie mit größter Vorſicht ſo nahe an ſie heran, bis es ihnen mit Sicherheit möglich iſt, einem der Gorillas einen Speer in den Leib zu ſchleudern. Nun bilden die Wabembeleute ſchnell einen Halbkreis, und während ſich der Gorilla auf einen ſeiner Angreifer ſtürzt und ihn zu Boden wirft, rennen ihm die anderen von allen Seiten die Speere in den Leib. Das Fleiſch des Go— rillas gilt den Wabembe als köſtlichſter Leckerbiſſen. Die Backen und die Fleiſchteile der Hände und Füße werden ſtets dem Sultan vorbehalten. Selbſt die Haut wird zu einem zähen Brei gekocht und verzehrt. Auch im Wabembegebiet leben die Gorillas, die dort, nach Grauer, ſehr häufig ſind, in größeren Trupps, bei denen ſich aber ſtets nur ein ganz altes Männchen mit grauweißem Rücken befindet. Den menſchlichen Pflanzungen und Anſiedelungen nähern ſie ſich dort nie. Dem toten Gorilla ſchneiden die Jäger Ober- und Unterlippe, Bruſtwarzen und ſämt⸗ liche Nägel an Händen und Füßen ab, um das alles, die fleiſchigen Stücke gedörrt, als Talisman an ſich zu tragen. Wie R. Paßberg bezeugt, hatte der von Paſchen erlegte Gorilla, der von Hunderten von Schwarzen getrieben und auf die Hauptkarawanenſtraße gejagt worden war, drei unvorſichtige Jaundeleute gefaßt und durch Eindrücken des Bruſtkorbes getötet. Der Verſuch, junge Gorillas lebend nach Europa überzuführen, war regelmäßig miß— glückt. Erſt den Mitgliedern der deutſchen Loango-Expedition gelang das Unternehmen erfolg— reich. Falkenſtein, Arzt und Zoolog der Expedition, erhielt durch einen glücklichen Zufall einen jungen Gorilla, der aber auch ſchon dem Schickſale der übrigen verfallen ſchien, und vornehmlich ſeiner unermüdlichen Sorgfalt für das Tier iſt es zu danken, daß dieſes zunächſt längere Zeit in Afrika und danach im Aquarium zu Berlin beobachtet und angeſtaunt werden konnte. Falkenſtein fand den Gorilla am 2. Oktober 1875 zu Pontanegra in dem Magazin des Portugieſen Laurentino Antonio dos Santos an die Brückenwage gefeſſelt vor und bot natür— lich ſofort jeden erſchwingbaren Preis dafür. Laurentino machte ihm jedoch den Affen zum Ge— ſchenk als Dank für die uneigennützige ärztliche Behandlung, die Falkenſtein ihm und ſeinen Landsleuten hatte angedeihen laſſen, und „Mpungu“, ſo wurde der Gorilla genannt, zog auf der Station Tſchintſchotſcho ein, zunächſt freilich noch als matter Schwächling, der den größten Teil des Tages, in einer Ecke zuſammengekauert, mit Schlafen verbrachte, oft während des Freſſens ſchon einſchlief. Doch trank er mit Behagen Ziegenmilch und nahm auch verſchiedene Früchte, namentlich die der in den Savannen wachſenden Anona senegalensis, die er mit ſichtlich erwachtem Appetit auswählte. Nach und nach gewöhnte er ſich an die Kulturfrüchte, 688 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. wie Bananen, Guayaven, Orangen, Mango, und begann, je kräftiger er wurde und je öfter er bei den Mahlzeiten ſeines Herrn zugegen war, alles, was er genießen ſah, ſelbſt gleichfalls zu verſuchen. „Indem er jo allmählich dahin gebracht wurde“, jagt Falkenſtein ſehr richtig, „jegliche Nahrung anzunehmen und zu vertragen, wuchs die Ausſicht, ihn glücklich nach Europa überzuführen, und dies iſt gewiß der einzige Weg, ſpäter andere junge Gorillas für die Überfahrt fertig zu machen; jeder Verſuch, ſie unmittelbar nach der Erlangung ohne vor— herige Entwöhnung von der alten Lebensweiſe, ohne ſie den veränderten Verhältniſſen ganz langſam und planmäßig anzupaſſen, an Bord zu bringen, wird immer wieder von neuem ein mehr oder weniger ſchnelles Hinſiechen und den Tod zur Folge haben.“ Unſer Gorilla „gewöhnte ſich in wenigen Wochen ſo ſehr an ſeine Umgebung und die ihm bekanntgewordenen Perſonen, daß er frei herumlaufen durfte, ohne daß man Fluchtverjuche hätte zu befürchten brauchen. Niemals iſt er angelegt oder eingeſperrt worden, und er bedurfte keiner anderen Überwachung als einer ähnlichen, wie man kleinen umherſpielenden Kindern angedeihen läßt. Er fühlte ſich ſo hilflos, daß er ohne den Menſchen nicht fertig werden konnte und in dieſer Einſicht eine wunderbare Anhänglichkeit und Zutraulichkeit entwickelte. Zuweilen aber zeigte er ſich auch recht eigenſinnig. Er hatte verſchiedene Töne, um ſeinen Wünſchen und Gefühlen Ausdruck zu geben; davon waren die einen eigentümliche Laute des eindring— lichſten Bittens, die anderen ſolche der Furcht und des Entſetzens. In ſelteneren Fällen wurde noch ein widerwilliges, abwehrendes Knurren vernommen. „Was über das eigentümliche Trommeln der Gorillas berichtet wird, fanden wir völlig bewahrheitet, da unſer ‚Mpungu‘ zu verſchiedenen Malen, augenſcheinlich im Übermaße des Wohlbefindens und aus reiner Luſt, die Bruſt mit beiden Fäuſten bearbeitete, indem er ſich dabei auf die Hinterbeine erhob. Dies iſt übrigens, ſoviel ich weiß, während ſeines Aufent- haltes in Europa nicht mehr beobachtet worden, vielleicht gerade weil er den Grad der Geſund⸗ heit hier nicht bewahren konnte, den er zu jener Zeit in ſeiner Heimat wiedererlangt hatte. Außerdem gab er ſeiner Stimmung häufig in rein menſchlicher Weiſe durch Zuſammenſchlagen der Hände, das ihm nicht gelehrt worden war, Ausdruck und vollführte, zuzeiten ſich uüber⸗ ſtürzend, hin und her taumelnd, ſich um ſich ſelbſt drehend, ſo ausgelaſſene Tänze, daß wir manchmal beſtimmt glaubten, er müſſe ſich auf irgendeine Weiſe berauſcht haben. „Beſonders auffällig war die Geſchicklichkeit und Behutſamkeit, die er beim Freſſen an den Tag legte: er nahm jede Taſſe, jedes Glas mit einer natürlichen Sorgfalt auf, umklam⸗ merte das Gefäß mit beiden Händen, während er es zum Munde führte, und ſetzte es dann leiſe und vorſichtig wieder nieder, jo daß ich mich nicht erinnere, ein Stück unſerer Wirtſchaft durch ihn verloren zu haben. Und doch haben wir dem Tiere niemals den Gebrauch der Geräte noch andere Kunſtſtücke gelehrt, damit wir es möglichſt naturwüchſig nach Europa brachten. Ebenſo waren ſeine Bewegungen während des Freſſens ruhig und manierlich; er nahm von allem nur ſo viel, als er zwiſchen dem Daumen, dem dritten und Zeigefinger faſſen konnte, und ſchaute gleichgültig zu, wenn von den vor ihm aufgehäuften Futtermengen etwas weg⸗ genommen wurde. Hatte er aber noch nichts erhalten, ſo knurrte er ungeduldig, beobachtete von ſeinem Platze bei Tiſche aus ſämtliche Schüſſeln genau und begleitete jeden von den Neger⸗ jungen abgetragenen Teller mit ärgerlichem Brummen oder einem kurz hervorgeſtoßenen grollen⸗ den Huſten, ſuchte auch wohl den Arm der Vorbeikommenden zu erwiſchen, um durch Beißen oder täppiſches Schlagen ſein Mißfallen noch nachdrücklicher kundzutun. In der nächſten Minute ſpielte er aber wieder mit ihnen wie mit ſeinesgleichen. Er trank ſaugend, indem er ſich zu dem Gefäße niederbückte, ohne je mit den Händen hineinzugreifen oder es umzuſtoßen, ſetzte Gorilla: Gefangenleben. Falkenſteins Bericht. 689 kleinere jedoch auch an den Mund. Im Klettern war er ziemlich geſchickt, doch fiel er einmal aus den Zweigen eines glücklicherweiſe nicht hohen Baumes auf die Erde herab. Es ſcheint aber, als würden die Bäume nur von den Gorillas erſtiegen, um Nahrung zu ſuchen, während der gewöhnliche Aufenthaltsort der Waldboden iſt. Ebenſo bleiben ſie gewiß nachts auf der Erde und raffen ſich von allen Seiten Blätter und Reiſig zum Lager zuſammen, wie wir es den unſrigen oft mit einer alles um ſich her vergeſſenden Emſigkeit tun ſahen. „Bemerkenswert war ſeine Reinlichkeit; wenn er zufällig in Spinngewebe oder Abfall- ſtoffe gegriffen hatte, ſo ſuchte er ſich mit einem komiſchen Abſcheu davon zu befreien oder hielt beide Hände hin, um ſich helfen zu laſſen. Ebenſo zeichnete er ſich ſelbſt durch völlige Geruch— loſigkeit aus und liebte über alles, im Waſſer zu ſpielen und herumzupatſchen. Von allen den ſeine Individualität ſcharf ausprägenden Eigenſchaften verdient ſeine Gutmütigkeit und Schlau— heit oder eigentlich Schalkhaftigkeit hervorgehoben zu werden: war er, wie dies wohl anfänglich geſchah, gezüchtigt worden, jo trug er die Strafe niemals nach, ſondern kam bittend heran, um: klammerte die Beine und ſah mit jo eigentümlichem Ausdrucke empor, daß er jeden Groll ent: waffnete; wollte er überhaupt etwas erreichen, ſo konnte kein Kind eindringlicher und ein— ſchmeichelnder ſeine Wünſche zu erkennen geben als er. Wurde ihm trotzdem nicht gewillfahrt, ſo nahm er ſeine Zuflucht zur Liſt und ſpähte eifrig, ob er beobachtet würde. Gerade in ſolchen Fällen, in denen er mit Beharrlichkeit eine gefaßte Idee verfolgte, war ein vorgefaßter Plan und richtige Überlegung bei der Ausführung unverkennbar. Sollte er z. B. nicht aus dem Zimmer heraus oder umgekehrt nicht in dasſelbe hinein, und waren mehrere Verſuche ſeinerſeits, ſeinen Willen durchzuſetzen, abgewieſen worden, ſo ſchien er ſich in ſein Schickſal zu fuͤgen und legte ſich unweit der betreffenden Tür mit erheuchelter Gleichgültigkeit nieder, bald aber richtete er den Kopf auf, um ſich zu vergewiſſern, ob die Gelegenheit günſtig ſei, ſchob ſich allmählich näher und näher, indem er, ſorgfältig Umſchau haltend, ſich um ſich ſelbſt drehte, richtete ſich, an der Schwelle angekommen, behutſam und nach oben ſchielend auf und galoppierte dann, mit einem Sprunge darüber ſetzend, ſo eilfertig davon, daß man Mühe hatte, ihm zu folgen. „Mit ähnlicher Beharrlichkeit verfolgte er ſein Ziel, wenn er Appetit nach Zucker oder Früchten, die in einem Schranke des Eßraumes aufbewahrt wurden, erwachen fühlte. Dann verließ er plötzlich ſein Spiel, ſchlug eine ſeiner Abſicht entgegengeſetzte Richtung ein, die er erſt änderte, wenn er außer Sehweite gekommen zu ſein glaubte. Dann aber eilte er direkt in das Zimmer und zu dem Schranke, öffnete ihn und tat einen behenden, ſicheren Griff in die Zuckerbüchſe oder die Fruchtſchüſſel (zuweilen zog er ſogar die Schranktüre wieder hinter ſich zu), um dann behaglich das Erbeutete zu verzehren oder ſchleunig damit zu entfliehen, wenn er entdeckt war. In ſeinem ganzen Weſen aber verriet er dabei deutlich das Bewußt— ſein, auf unerlaubten Pfaden zu wandeln. „Ein eigentümliches, faſt kindiſch zu nennendes Vergnügen gewährte es ihm, durch Klopfen an hohle Gegenſtände Töne hervorzurufen. Unbekannte Geräuſche waren ihm aber in hohem Grade zuwider. So ängſtigte ihn der Donner oder auf das Blätterdach praſſelnder Regen, mehr aber noch der langgezogene Ton einer Trompete oder Pfeife ſo ſehr, daß ſtets ſympathiſch eine beſchleunigte Verdauung angeregt wurde. Bei ihn befallenden leichten Indis— poſitionen wendeten wir eine derartige Muſik mit einem Erfolge an, wie er in anderen Fällen durch Purgiermittel nicht beſſer erzielt wird. „Unter fortgeſetzter Pflege gedieh unſer Schützling zuſehends, bis zu Anfang Februar 1876; zu dieſer Zeit aber befiel ihn eine ſchwere, mit Konvulſionen verbundene Krankheit, die nur als eine eigentümliche, heftige Malaria-Infektion gedeutet werden konnte. Vier Wochen Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 44 690 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. lang fürchteten wir täglich, ihn zu verlieren, bis ſeine außerordentlich kräftige Konſtitution und vielleicht der konſequente Gebrauch von Chinin und Kalomel endlich den Sieg davontrug. „Intereſſant ift es noch, das Wachstum Mpungus von dem Moment feines Erwerbes, dem 2. Oktober 1875, bis zu ſeinem Tode am 13. November 1877 zu verfolgen. Die erſte Meſſung ergab: ganze Länge von der Fußſohle bis zum Scheitel in geſtreckter Lage 73 em; Rumpflänge allein 46 em; aufrechte Höhe beim natürlichen Stehen 65 em, Schulterbreite 25 cm. Das Gewicht betrug 14 kg. Bei der letzten Meſſung war die ganze Länge 86,5 em, Rumpflänge 56 ¼ cm, aufrechte Höhe 76 em, Schulterbreite 29 em. Das Gewicht betrug 21 kg. Er hat alſo in dem Zeitraume von 2 Jahren um ein Sechſtel ſeiner Höhe und die Hälfte ſeines urſprünglichen Gewichtes zugenommen. In der Zeit ſeiner kräftigſten Geſund—⸗ heit wurde die Zahl ſeiner Atemzüge im Mittel auf 24 in der Minute, die der Pulſe auf 88 und die Temperatur an dem unfehlbarſten Orte auf 37,7 Grad Celſius feſtgeſtellt. „Der Tod erfolgte unter den Erſcheinungen der galoppierenden Schwindſucht, zu welcher ſich in den letzten Tagen ein heftiger Magendarmkatarrh geſellt hatte. Die übrigens in Gegen— wart der erſten pathologiſch-anatomiſchen Autorität vorgenommene Obduktion ergab noch das überraſchende Reſultat, daß Mpungu mehrere ſehr ſchwere Krankheiten in der kurzen Zeit ſeines Lebens, und zwar wahrſcheinlich der letzten Periode, durch ſeine außerordentlich kräftige Konſtitution überwunden hatte. Es zeigten ſich nicht nur die Reſte einer früheren Herzbeutel⸗ und Bruſtfellentzündung, ſondern auch einer ſehr ausgedehnten Darmerkrankung. Dieſe alle hatte er glücklich durchgemacht.“ Bei der Leichenöffnung durch Virchow und Hartmann gewährte, nachdem die Schädelkappe abgeſägt und das Gehirn herausgenommen war, die Grundfläche des Schädels jedem der anweſenden Arzte das täuſchend ähnliche Bild eines geöffneten Kinder: ſchädels mit allen ſeinen Vertiefungen, Blutgefäßverzweigungen und Nervenpaaren, ſo daß ſelbſt ein geübter vergleichender Anatom einen Unterſchied zwiſchen der Innenanſicht des Schädels eines Kindes und der vorliegenden nicht hätte finden können. Dagegen konnte bei Offnung des Unterleibes durch die zurückgeſunkene Lage der Leber und Milz ein Unterſchied zwiſchen dem Gorilla- und Menſchenkinde feſtgeſtellt werden. Bei Offnung des Darmes ſetzte wieder die verblüffende Ahnlichkeit des anatomiſchen Befundes der Darmſchleimhaut und ihres Inhaltes mit demjenigen eines an Darmkatarrh geſtorbenen Kindes die Umſtehenden in Staunen. Im Blinddarm fand ſich eine krummgebogene Stecknadel und ein Handſchuhknopf; beide hatten jedoch an der Stelle, wo ſie lagen, keine Entzündungserſcheinungen hervorgerufen. Über Beobachtungen an dieſem Gorilla im Aquarium zu Berlin berichtete Direktor Hermes in einem Vortrag auf der Verſammlung deutſcher Naturforſcher und Arzte zu Hamburg: „Unſer etwa 2 Jahre alter männlicher Gorilla hat eine Höhe von faſt 3 Fuß erreicht. Sein Körper iſt bedeckt mit ſeidenweichem, grau meliertem, auf dem Kopfe rötlichem Haare. Seine derbe, ge⸗ drungene Geſtalt, ſeine muskulöſen Arme, ſein glattes, glänzend ſchwarzes Geſicht mit den wohl⸗ geformten Ohren, das große, kluge, neckiſche Auge geben ihm etwas frappant Menſchenähnliches. Er würde einem Negerknaben gleichen, wenn die Naſe förmlicher geſtaltet wäre. Dieſer Ein⸗ druck ſteigert ſich durch die Unbeholfenheit ſeines ganzen Weſens; jede ſeiner Bewegungen läßt mehr einen tölpelhaften Buben als einen Affen erkennen. Wenn er, daſitzend wie eine Pagode, ſeinen Blick über das ihn anſtaunende Publikum ſchweifen läßt und dann mit nickendem Kopfe plötzlich in die Hände klatſcht, hat er ſich im Nu die Herzen aller erobert. Er verkehrt gern in großer Geſellſchaft, unterſcheidet jung von alt, männlich von weiblich. Gegen Kinder von 2— 3 Jahren iſt er liebenswürdig, er küßt ſie gern und läßt ſich alles gefallen, ohne jemals von ſeinen überlegenen Kräften Gebrauch zu machen. Altere Kinder behandelt er ſchon Gorilla: Gefangenleben. Falkenſteins und Hermes’ Berichte. 691 ſchlechter; läßt er ſich auch gern auf das Spielen mit ihnen ein, rennt mit ihnen um die Wette um Tiſch und Stühle, die er häufig umwirft, dabei in neckiſcher Weiſe bald dieſem, bald jenem einen Schlag mit der Oberfläche ſeiner Hand verſetzend, ſo geniert er ſich auch nicht im min— deſten, mitten im Spiele ein Bein zu erfaſſen und ſeine Zähne daran zu probieren. Auf dem Arme von Damen benimmt er ſich höchſt dankbar, er umarmt ſie, und, ſich an ihre Schulter lehnend, bleibt er gern längere Zeit auf ihrem Schoße. Im allgemeinen Affenkäfig ſpielt er gern, und hier iſt er der unbedingte Beherrſcher; ſelbſt der Schimpanſe ordnete ſich ihm widerſtandslos unter. Er behandelte dieſen aber ebenbürtiger, indem er ihn faſt aus⸗ ſchließlich als Spielgefährten erwählte und ihn, wenn auch manchmal etwas derb, liebkoſte, während er rückſichtslos mit dem gemeinen Affengeſindel verkehrte. Er packte den Schimpanſen, und, ihn feſthaltend, wälzte er ſich mit ihm auf der Erde. Entwiſchte er ihm, ſo fiel der Gorilla wie ein ungeſchickter Knabe mit vorgeſtreckten Händen auf die Erde. Er geht auf der Sohle des Fußes, indem er ſich auf die Außenflächen der Hand ſtützt. Aber er ſetzt die Füße mehr auswärts als der Schimpanſe und trägt den Kopf aufrecht. In guter Laune, die ihn übrigens ſelten verläßt, ſteckt er die Spitze der roten Zunge aus dem glänzend ſchwarzen Geſichte, was den negerbubenhaften Eindruck noch erhöht. „Menſchenähnlich wie ſein ganzes Weſen iſt auch die Weiſe, wie er lebt. Morgens um die achte Stunde erhebt er ſich von ſeinem Lager, ſetzt ſich aufrecht hin, gähnt, kratzt ſich an einigen Stellen ſeines Körpers und bleibt ſchlaftrunken, teilnahmlos, bis er ſeine Morgen⸗ milch eingenommen hat, die er aus einem Glaſe zu trinken pflegt. Nunmehr, ganz ermuntert, verläßt er ſein Bett, ſieht ſich in der Stube um, ob er für feine Zerſtörungsluſt einen Gegen: ſtand findet, guckt zum Fenſter hinaus, fängt zu klatſchen und in Ermangelung paſſenderer Geſellſchaft mit dem Wärter zu ſpielen an. Stets muß dieſer bei ihm ſein. Nicht einen Augenblick bleibt er ganz allein. Mit ſchrillen Tönen ſchreit er, wenn er ſich von dieſem verlaſſen findet. Um 9 Uhr wird er gewaſchen, was ihm wohlgefällt. Mit grunzendem Tone gibt er ſeiner Freude hierüber Ausdruck. Dem Zuſammenleben mit dem Wärter entſprechend, hält er ſeine Mahlzeiten wie dieſer. Zum Frühſtück erhält er ein Paar Wiener, Frankfurter oder Jauerſche Würſte oder ein mit Hamburger Rauchfleiſch, Berliner Kuhkäſe oder ſonſtwie belegtes Butterbrot. Dazu trinkt er am liebſten ſeine kühle Weiße; höchſt originell ſieht es aus, wenn er das umfangreiche Glas mit ſeinen kurzen, dicken Fingern umfaßt, das ihm entfallen würde, wenn er nicht einen Fuß zu Hilfe nähme. Obſt ißt er gern und viel, von Kirſchen ſondert er ſorgfältig die Kerne. Um 1 Uhr bringt die Frau des Wärters ihm ſein Eſſen. Solange er während des heißen Sommers in meiner Wohnung lebte, erwartete er ſehnſuchtsvoll dieſe Stunde. Er ließ es ſich nicht nehmen, die Korridortür ſelbſt zu öffnen, wenn es klingelte. Erſcheint die Frau, ſo unterſucht er die Speiſen und naſcht gern von dem, was ihm am beſten ſchmeckt. Eine Ohrfeige iſt die gewöhnliche Folge ſeiner Naſchhaftigkeit, und artig erwartet er dann, nicht einen Blick von den Speiſen wendend, den Beginn der Mahlzeit. Zuerſt eine Taſſe Bouillon. Im Nu iſt dieſe bis auf die Nagelprobe geleert. Dann gibt es Reis oder Gemüſe, vornehmlich Kartoffeln, Mohrrüben oder Kohlrabi mit Fleiſch ges kocht. Die Frau hält darauf, daß er ſich anſtändig benimmt, und er gebraucht in der Tat den Löffel ſchon mit Geſchick. Sobald er ſich aber unbeobachtet glaubt, fährt er mit dem Munde in die Schüſſel. Zum Schluſſe iſt ihm ein Stück eines gebratenen Huhnes am willkommenſten. Er iſt kein Koſtverächter: was der Wärter ißt, iſt auch ſeine Speiſe, und an Menge gibt er dieſem nicht viel nach. Iſt das Eſſen vorüber, ſo will er ſeine Ruhe haben. Ein ein⸗ bis anderthalbſtündiger Schlaf macht ihn wieder aufgelegt zu neuem Spiele. Nachmittags 44 ** 692 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. erhält er Obſt, abends Milch oder Tee und Butterbrot. Um 9 Uhr geht er zur Ruhe. Er liegt auf einer Matratze, in eine wollene Decke eingehüllt. Der Wärter bleibt bei ihm ſitzen, bis er eingeſchlafen iſt, was bei ſeinem großen Bedürfniſſe nach Schlaf nicht allzulange dauert. Lieber ſchläft er mit dem Wärter in einem Bette, wobei er ihn umfaßt und den Kopf auf eine Stelle ſeines Körpers legt. Er ſchläft feſt die ganze Nacht hindurch und pflegt vor 8 Uhr nicht zu erwachen.“ In der Folgezeit kamen dann weitere junge Gorillas lebend nach Europa, auch ins Berliner Aquarium; keiner aber lebte auch nur einigermaßen lange genug, um wieder Gegen- ſtand allgemeiner Aufmerkſamkeit werden zu können. „Darwin iſt auch jetzt nicht mehr Mode“, ſagte damals eine kluge Berlinerin. Der Gorilla hatte ſich ſo bei den Tiergärtnern ſchnell einen ſchlechten Ruf erworben, und bei den hohen Preiſen, die gefordert werden, mochte ſich niemand mehr zum Ankauf entſchließen, zumal auch ein größeres, ſchon 1,20 m hohes, auf 8 Jahre geſchätztes Männchen, 1892 wiederum aus Gabun eingeführt, im Berliner Aquarium kaum zwei Monate hielt. Doch gab dieſes Tier wieder einmal Gelegenheit, die Menſchenſcheu und aus der Angſt entſpringende Bosheit eines früher ſchlecht behandelten Gorillas kennenzulernen. Es ließ ſich von niemand berühren, außer von ſeinem Käfignachbar, einem kleinen Schimpanſen, ſchlug und biß nach der Menſchenhand, und flüchtete unter unmutigen, dem Schweinegrunzen ähnlichen Lauten regelmäßig vor dem Direktor Hermes, ſeit dieſer ſich einmal mit einem Stock gezeigt hatte. Schrie Hermes den Affen dann an, ohne Stock oder Peitſche in der Hand zu haben, jo wurde dieſer meiſt jo wütend, daß er ſich, laut ſchreiend und dabei das Maul weit auf- reißend, auf ihn ſtürzte und durch das Gitter nach ihm langte. Auch wenn der Wärter dem Gorilla eine Frucht reichte, ſchlug er ſie ihm meiſt, grunzend, aus der Hand, oder er nahm ſie bei wiederholtem Anbieten, warf ſie aber auf die Erde. Um aus dem Waſſernapf an der Erde zu trinken, ſtützte er ſich auf die Hände, ſenkte den Kopf und ſchlürfte mit geſpitzten Lippen. Seine wollenen Decken holte er zuſammen, ſetzte ſich darauf, erfaßte die hervorragenden Enden mit der Hand, ſchob fie an oder unter ſich und ſetzte den Fuß darauf. Das wieder— holte er ſo lange, bis die ganze Unterlage einem runden Neſte ähnlich war. Beim Gehen benutzte er die ganze Sohle des Fußes, doch ſetzte er zuerſt die äußere Längsſeite auf. An Bananen war er ſo ausſchließlich gewöhnt, daß er zwei Tage hungerte, als keine zu haben waren. Schließlich nahm er Datteln und bevorzugte dieſe dann auch weiter, als es wieder Bananen gab. Anfangs fraß er zwei Pfund täglich. Im ganzen war er teilnahmlos und ruhig, immer mürriſch, wenn ſich ihm jemand näherte. Nur von dem benachbarten Schim⸗ panſen duldete er dies; ja, als dieſer eines Tages zu ihm gelaſſen wurde, ließ er es ſich ſogar gefallen, daß der kleine Kerl ſich an ſeine Bruſt hing. Nur als er ihm immer wieder ſeine Decke wegſchleppte, grunzte er unwillig und biß ihn ſchließlich in den Arm. Seitdem ging der Schimpanſe natürlich nicht wieder an ihn heran. In zwei Fällen großer Aufregung übte dieſer Gorilla auch das Bruſttrommeln, aber nicht mit den Fäuſten, ſondern mit den flachen Händen: einmal, als er mit Blitzlicht photographiert wurde, und das andere Mal, als er aus ſeinem Käfig entwiſcht war. Hunger und Durſt trieben ihn wieder hinein, aber erſt abends in der Dunkelheit, als er die lauernden Wärter nicht mehr ſehen konnte. In der Er: regung ſträubte ſich auch ſein Haar am Hinterkopf und im Genick, als ob er von einem Ohr zum anderen eine Krauſe angelegt hätte. Seine genauen, nach dem Tode genommenen Maße waren ſchon recht anſehnlich: vom Scheitel bis zur Fußſohle 119 em (vom Scheitel zum Steiß 67, von da zur Fußſohle 52), Armlänge von der Schulter zur Mittelfingerſpitze 78 em (bis zur Handwurzel 53, Handteller 12, Mittelfinger 13), Fußſohle bis zur Zehenſpitze 21 em (die Gorilla: Gefangenleben. Hermes’ und Grabowſkys Berichte. 693 Zehen nur 5), Bruſtumfang 66 em, Schulterbreite 30 em. Trotzdem ſtand der Gorilla erſt im Anfang des Zahnwechſels: er hatte oben 2, unten 1 der großen endgültigen Schneidezähne. Die größte Haltbarkeit muß man bis jetzt dem Gorillaweibchen „Puſſi“ (Taf. „Affen VI“, 5, bei S. 651) des Breslauer Zoologiſchen Gartens nachrühmen, das dort über ſieben Jahre gelebt hat und dadurch mit Recht ein berühmtes Tier geworden iſt. Es gehörte zu einer der Formen mit ockerbrauner Kopfplatte, hatte von dieſer aber noch keine Spur, als es 1897 etwa vierjährig ankam. Erſt 1901 trat, nach Grabowſkys Bericht, dieſe Kopffärbung ganz allmählich in die Er— ſcheinung, und erſt 1903 war ſie vollſtändig. Entſprechend dem weiblichen Geſchlecht des Tieres wurde der Rücken aber nicht hell, nur oberhalb des Afters wuchs ein Büſchel weißer Haare, und es iſt auch nicht anzunehmen, daß die Farbe ſich ſpäter noch geändert hätte; denn nachdem der Gorilla binnen der erſten vier Jahre, bis 1901, ſein Gewicht von 15,75 kg auf 30,5 kg verdoppelt hatte, nahm er trotz beſter Geſundheit nicht mehr zu, und Grabowjfy zieht daraus mit einer gewiſſen Berechtigung den Schluß, daß dieſer Gorilla als Weibchen mit ſchätzungsweiſe 8 Jahren wohl ausgewachſen war. Schon 1898, danach alſo im fünften Lebensjahre des Tieres — wenn eben ſein Alter nicht, wie dies bei Affen leicht geſchieht, zu niedrig angenommen it —, traten indes geſchlechtliche Erregungszuſtände ein, und dieſe wiederholten ſich vom Jahre 1899 an in regelmäßigen Zeitabſtänden von vier Wochen; doch konnten Blutungen nicht feſtgeſtellt werden, und ebenſowenig trat Schwellung ein, nur eine gewiſſe Rötung: beides bemerkenswerte Unterſchiede gegen den Schimpanſen. Bald dauerte dieſe Brunſt nur einen, bald mehrere Tage. Die Augen des Tieres bekamen dann einen ſtarren, wilden Ausdruck und veränderten ſein ganzes Geſicht. Sobald ſich nun eine ihm bekannte männliche Perſon im Affenhauſe zeigte, ſtellte der Gorilla ſich mit den Hinterfüßen recht breitbeinig hin und ſchlug zwiſchen den Beinen durch mit der Hand ſo lange gegen ſein Hinterteil, bis man ſich wieder entfernte oder ihm drohte, was aber nur für kurze Zeit nützte. Töne gab der Affe dabei gar keine von ſich, preßte vielmehr die Lippen ſehr feſt aufeinander und hielt den Kopf recht hoch. Die Freßluſt war in den Brunſttagen gering. Dabei wurde der Zahnwechſel erſt im Jahre 1901 vollendet, und zwar ließ ſich das Tier im Frühling dieſes Jahres die unteren Milch— eckzähne aus dem ſtark geröteten Zahnfleiſch herausnehmen, nachdem es oft in den Mund gefaßt und den Wärter dadurch aufmerkſam gemacht hatte. Nach vollendetem Zahnwechſel ſtieß der Gorilla zuweilen am Tage, anſcheinend als Zeichen von Wohlbehagen, vorher von ihm nie gehörte Laute aus, die etwa wie: u! u! ul u! uh! uh! uh! klangen, und darauf in kürzeren Zwiſchenzeiten noch: gu! gu! gul gu! . .. Als Zeichen von Wohlbefinden faßt Grabowſky, wie Falkenſtein, auch das Bruſttrommeln jüngerer Gorillas auf. Puſſi legte ſich zu dieſem Zweck auf den Rücken oder hockte ſich auch aufgerichtet hin, aber ſeltener, und klopfte ſich dann mit beiden Fäuſten abwechſelnd eine Weile kräftig auf die Bruſt. In den beiden letzten Jahren ihres Lebens tat ſie das nicht mehr. Vielleicht machten ſich damals ſchon die Anfänge der chroniſchen Nierenentzündung geltend, der ſie ſchließlich erlag, nachdem ſie im Jahre vorher ſchon wiederholt an kolikartigen Krämpfen gelitten und die Harnunterſuchung den Beweis der Krankheit erbracht hatte. Wie gut Puſſi ihre Sinne zu gebrauchen wußte, bewies ſie bei den verſchiedenſten Gelegenheiten. So drehte ſie ſich gar nicht um, wenn ſie den Schritt ihres Wärters unter denen der Beſucher im Zuſchauerraum des Affenhauſes heraushörte, ſondern ging gerades Weges zur Tür ihres Käfigs und erwartete ihren Pfleger dort. Ebenſo ließ ſie durch ihr Benehmen keinen Zweifel, daß ſie ihn im Freien draußen ſchon eräugte und erkannte, wenn er noch SO--100 m entfernt war, und fie roch jeden Zuſatz zu ihrem Futter, auch wenn er für die menſchliche Naſe ganz unmerklich war, ging dann nur mißtrauiſch nach langem 694 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. Beriechen heran oder verweigerte es. Die Fütterung machte daher manchmal Schwierigkeiten, zumal Puſſi in ihren Freßgelüſten ſehr unbeſtändig war; immer aber nahm Puſſi, im Gegen⸗ ſatz zu dem Berliner Mpungu, nur Pflanzennahrung, niemals irgendwelche tieriſche Koſt. Entſprechend der Ernährung in der Freiheit fraß fie anfangs außer Bananen nur Heu; bald aber verſchmähte ſie Früchte und nahm dafür Brot- und Semmelkruſten. Lange hielt ſie an aufgebrühtem Kleeheu feſt, von dem fie eifrig und ſorgfältig die Köpfchen und Blätter ab: rupfte und zerkaute; ebenſo nahm fie aber auch friſchen Klee, junges Akazienlaub und Roſen⸗ blüten. Trinkwaſſer nahm fie merkwürdigerweiſe nur, wenn es ſchwach geſalzen war, nachdem man dieſes Mittel einmal angewendet hatte, um ihr das Urintrinken abzugewöhnen; ſie trank aber viel, im Sommer bis 3 Liter am Tage, mit geſpitzten Lippen in kleinen Zügen, ohne daß ein ſchlürfender Ton hörbar ward. Eine Zeitlang fraß ſie mit Vorliebe die friſchen Blätter einer Gummibaumart, die gerade im Affenhaus ſtand, und die man deshalb vermehrte; ſie gewöhnte ſich aber auch an in- und ausländiſche Früchte, Nüſſe, Mohrrüben. Kartoffeln und Reis war das einzige gekochte Futter, das fie zu ſich nahm. Auf den benachbarten Schimpanſen war ſie neidiſch, wenn man ihn fütterte oder ſich nur mit ihm beſchäftigte; manchmal ſchob ſie ihm aber auch Futter zu, das ſie ſelbſt nicht mochte. Bei Gewitter und Schüſſen entleerte ſie ſich ſofort vor Angſt und zitterte am ganzen Körper. Auch vor dem Stock flüchtete ſie fich ſtets, obwohl fie niemals geſchlagen wurde, und ebenſo vor Negern und anderen dunkel— häutigen Menſchen: wohl eine Erinnerung an ihre Gefangennahme und erſte Gefangenſchaft und zugleich ein Beweis für ihr gutes Gedächtnis. Heu zum Nachtlager ſchleppte ſich Puſſi in eine Ecke ihres Käfigs, ſetzte ſich mitten hinein und ſtopfte es ſich ringsum ſorgfältig unter; dann zog ſie die Decke über den Körper und ſchlief ſitzend. Am Tage legte ſie ſich zuweilen, ganz menſchlich, auf die Seite, ſchob eine Hand unter den Kopf oder ſtützte ſich ſeitwärts auf einen Ellbogen und hielt, wieder echt äffiſch, das Kinn mit der Sohle eines Hinterfußes. Der Gang hatte etwas Eckiges und Steifes an ſich; Klettern und Turnen geſchah mit äußerſter Ruhe, ohne jede Haſt. Bei Hitze oder Anſtrengung ſchwitzte Puſſi wie ein Menſch, beſonders auf der Stirn, und auch ihre Ausdünſtung war ſehr menſchlich. „Sie riecht nach Schwarz brot wie ein ruſſiſches Bauernmädchen“, ſagte ein vorurteilsloſer Menſchen- und Tierkenner ſcherzhaft; er hatte aber im Ernſt vielleicht nicht ganz unrecht. Das berühmte Tier iſt von Kieſewalter porträtähnlich und naturgetreu modelliert worden und bleibt ſo im Abbild wenigſtens dem Breslauer Garten für immer erhalten. Seine Maße betrugen: Höhe des Scheitels vom Boden bei gewöhnlicher Stellung auf allen vieren 72 em; Länge von der Oberlippe über Kopf und Rücken bis zum After 90 em; größter Bruſtumfang 78 em. Vorderglieder von der Schulter bis zum Knöchel 60 em, Hinterglieder 48 em; größter Umfang des Oberarms 35 cm, des Oberſchenkels 45 em; Länge des Hinterfußes mit Zehen 23 em, Spreizung der großen Zehe von der kleinen 13—15 cm; rote Kopfplatte 16 em lang, 12 em breit. Ein ſehr vielverſprechender Gorilla Ernſt Perzinas, ſtrotzend von Geſundheit und ſpru⸗ delnd von Übermut, der unter der Obhut dieſes Pflegemeiſters ſich gewiß prächtig entwickelt hätte, erlag allem Anſchein nach einem unglücklichen Sturz. Die Leichenſchau ergab Ge⸗ hirnentzündung, und es iſt intereſſant, daß auch Perzina bei dieſer Gelegenheit das „oft ganz merkwürdige Ungeſchick“ des jungen Gorillas betont: im Grunde genommen nur eine Menſchenähnlichkeit! Dieſer Gorilla übte tagtäglich beim ſpielenden Tollen das Bruſttrom⸗ meln und ließ ſeinen viel größeren Künſtlergenoſſen, einem Schimpanſen und einem Orang, keinen Augenblick Ruhe. g Wie in der Erkenntnis verſchiedener Gorillaformen, ſo hat auch in der Einfuhr lebender Gorilla: Gefangenleben und Fang nach Grabowſky und v. Oertzen. 695 Gorillas die Durchforſchung unſerer weſtafrikaniſchen Kolonie Kamerun weitere Förderung gebracht oder doch wenigſtens bemerkenswerte Ereigniſſe. v. Oertzen ſagt darüber ganz un— zweideutig: „In Kamerun iſt heute glücklicherweiſe die Jagd auf die Menſchenaffen ganz verboten. Eingeborene Jäger hatten eine Zeitlang im Auftrage von Weißen unter den Be ſtänden dieſes intereſſanten Wildes gewütet; denn der Verkauf von Skelett und Decke brachte dem Europäer reichen Gewinn. Das Halten der Fährte auf dem immer feuchten Urwaldboden iſt nicht ſchwierig, zumal der genommene Weg durch umgeknickte Zweige, ausgeriſſene Wurzeln, häufige Loſung und dergleichen gekennzeichnet iſt. Zudem verraten ſich die Tiere auf größere Entfernungen durch das Brechen von Aſten, die im Spiel abgeriſſen werden, und durch das zeitweiſe Trommeln gegen die Bruſt.“ Und weiter: „Durch Europäer angeregt, haben die Jaundes es gelernt, die Großaffen mittels Netzen zu fangen.“ Sie umſtellen deren Nacht— lagerplatz mit ihren 10 m langen Wildnetzen und fällen raſch die meiſt weichholzigen Bäume längs der Netze. „Durch den Lärm und die in den Keſſel gelaſſenen Hunde wird der Trupp zerſprengt. Ein oder das andere Tier gerät in die Netze; es wird gedeckt und dann gefangen oder getötet. Alte Tiere zerreißen die Netze wie Spinnengewebe. Bei derartigen Jagden ſind ſchon vier und mehr Tiere lebend erbeutet worden, die dann regelmäßig eingingen. Im Intereſſe des edlen Wildes iſt zu hoffen, daß dieſe Jagdmethode nicht zu ſehr in Mode kommt.“ Dieſe Hoffnung hat ſich erfüllt. Es iſt auf dem Tiermarkt längſt wieder ganz ſtill geworden von Gorillas; denn Reichtümer und Ehren waren mit dieſen nicht zu holen. Immerhin er— hielt das alte Berliner Aquarium im Jahre 1907 durch den verdienten Kameruner Major Dominik wieder einmal einen Gorilla, und zu Hagenbeck nach Stellingen kamen um dieſe Zeit der Gorilla-Hochflut binnen zwei Jahren nicht weniger als acht Stück aus Kamerun. Hagenbeck nahm ſie aber nur in Pflege und bewahrte dadurch ebenſowohl ſich ſelber vor Ver— luſt wie die Beſitzer vor Gewinn; denn von allen dieſen Gorillas lebte nicht ein einziger auch nur ſo lange, daß er überhaupt zum Verkauf ausgeboten werden konnte. Wenn man als Tiergärtner im Stellinger Tierpark den Eckraum des großen Tiermagazingebäudes betrat, der ſich zwar Menſchenaffenhaus nannte, der aber von irgendwelchen bewährten geſundheitlichen Einrichtungen für ſolche und erſt recht von irgendwelchen neuartigen Gedanken zur Haltung dieſer Menſchentiere nicht das geringſte aufwies, und wenn man da dieſe armen Schelme von Gorillas in der Ecke des Käfigs ſitzen oder liegen ſah, mit dem Geſicht nach der Wand gekehrt, oder gar es mit den Händen bedeckend, teilnahmlos, wie mit der Welt zerfallen und in ſich ſelbſt verfallen, ſo war man froh, nicht ihr verantwortlicher Pfleger zu ſein; denn ſie waren für jeden ſchärferen Blick ſchon vom Tode gezeichnet. Allgemein hat man die letzten Gründe dieſer Hinfälligkeit nicht ſo ſehr auf körperlichem als vielmehr auf ſeeliſchem Gebiete geſucht; v. Oertzen ſcheint der Gorilla nach ſeinem „Temperament beſonders ungeeignet zum Kampf ums Daſein: er gibt ſich leicht ſeinem Leiden hin“. Und weiter jagt unſer Gewährs— mann: „Bei vielen hochſtehenden Tieren bereitet die Haltung in der Gefangenſchaft beſondere Schwierigkeit; denn neben der körperlichen Pflege bedarf vor allem die empfindſame Seele verſtändnisvoller Behandlung. Welchen Einfluß aber ſeeliſcher Druck auf den Körperzuſtand haben kann, weiß jeder zu beurteilen, der geſehen hat, wie manche Neger, die noch nicht mit dem Europäer in Berührung gekommen waren, in der Gefangenſchaft verfallen, obwohl ſie beſſere Nahrung erhalten als in ihrer heimatlichen Freiheit.“ Schließlich zieht v. Oertzen unerſchrocken und vorurteilslos auch die letzte tatſächliche Folgerung für die ſeines Erachtens einzig richtige und Erfolg verſprechende Behandlung junger Gorillas in der Gefangenſchaft: „Ich glaube, man wird nur dann Ausſicht auf Erfolg haben, wenn man die Tiere in einem 696 18. Ordnung: Affen. Familie: Menſchenaffen. Alter erhält, in dem ſie noch nicht zum Bewußtſein ihres Daſeins und ihrer Umgebung gekommen ſind, in dem der Schutz noch durch die Mutter ausgeübt wird. Die natürliche Mutter müßte durch eine ſchwarze Amme erſetzt werden, die ihren Pflegling dann genau wie ein Kind zu behandeln hätte. Ich kann keine Verletzung der Menſchenwürde darin finden, daß eine Frau ein verwaiſtes Tierkind nährt, um der Wiſſenſchaft einen hervorragenden Dienſt zu leiſten. Südamerikaniſche Indianerinnen und Südſee-Inſulanerinnen ſäugen bekanntlich junge Katzen, Hunde, ſogar Schweine! Warum ſollte alſo nicht eine Negerin einen Gorilla aufziehen? Die bisher gefangenen Gorillas find meiſt ſchon in Afrika verſtändnislos ge— halten, und damit iſt der Todeskeim in ſie gelegt.“ Das trifft gewiß für die obenerwähnten Kameruner Gorillas zu, am meiſten für diejenigen, die ſchon etwas mehr herangewachſen waren und dadurch die Schrecken und Leiden der Gefangennahme und Gefangenſchaft um ſo weniger verwinden konnten. Es trifft aber ſicher nicht zu für das junge Gorillaweibchen „Hum⸗hum“, das der Oberleutnant Heinicke, ebenfalls im Jahre 1908, zu Hagenbeck brachte, nachdem er es bereits zwei Jahre auf ſeiner Station Ebolowa gehalten hatte. Ganz wie der berühmte erſte Mpungu ſeinerzeit von Falkenſtein in Tſchintſchotſcho gehalten wurde, und ganz mit demſelben Erfolge, daß auch über dem Vorleben dieſes Gorillas in afrikaniſcher Ge⸗ fangenſchaft, wie Heinicke es ſchildert, der Sonnenſchein fröhlicher Kindheit leuchtete. Er hielt ſeiner Hum-hum ſogar zwei Negerbuben als Spielgefährten nicht nur in Afrika, ſondern brachte ſie auch mit nach Europa. Trotzdem ging auch dieſer Gorilla in Hagenbecks Pflege raſch dahin; das Heimweh, dem Hagenbeck in ſeinem Buche „Von Tieren und Menſchen“ übereinſtimmend mit v. Oertzen den raſchen Tod der Kameruner Gorillas zuſchreibt, muß alſo in Stellingen doch über ihn gekommen ſein. Im übrigen glich das Benehmen dieſes Gorillas, wie es in Afrika zwei Jahre lang beobachtet werden konnte, haargenau demjenigen des Falken: ſteinſchen Mpungu und gerade in der bedeutſamſten Eigenſchaft: einer gewiſſen Empfindſam⸗ keit und Bedachtſamkeit und als Ergebnis beider einer gewiſſen Vornehmheit des Weſens. Dieſe Worte kehren in den Schilderungen immer wieder, unter anderen in Sokolowſkys „Beobachtungen über die Psyche der Menſchenaffen“, in denen Heinickes mündliche Berichte wiedergegeben ſind, und dieſe Vornehmheit zeigt ſich nicht zum wenigſten auch im zurüd- haltenden Benehmen junger Gorillas, wenn man ſie mit den überſprudelnden, rückhaltloſen Schimpanſen zuſammenbringt. Das beſtätigt Haberer aus Beobachtungen auf der Kameruner Station Lolodorf und beſtreitet deshalb um ſo entſchiedener jede Vermiſchung beider Menſchen⸗ affenarten, an die auch heute längſt niemand mehr glaubt. Außer den Krankheiten der Atmungs- und Verdauungswerkzeuge, die den widrigen Ein⸗ flüſſen der europäiſchen Gefangenſchaft zugeſchrieben werden müſſen, leiden die jüngeren Gorillas nachgewieſenermaßen auch an Wurmkrankheiten. So fanden ſich, nach Sokolowſky, im Blute aller der Kameruner Gorillas, die ſeinerzeit bei Hagenbeck ſo ſchnell hintereinander eingingen, zahlreiche mikroſkopiſch kleine Fadenwürmer (Filarien), mit denen die Affen ſich nach Anſicht unſeres Gewährsmannes ſchon in ihrer Heimat angeſteckt haben mußten: leicht erklärlich bei der ſumpfigen Natur ihrer Standorte im Urwald. Dieſe Fadenwürmer waren aber nicht als die eigentliche Todesurſache anzuſehen; denn Schimpanſen, die ſie auch hatten, befanden ſich ganz wohl dabei. Vielmehr zeigte ſich wiederum die hochgradige allgemeine Blutarmut, die auch bei der Leichenöffnung von Schimpanſen und Affen überhaupt oft das einzige greifbare Ergebnis iſt. Dagegen iſt der letzte junge Gorilla des Hamburger Gartens im Jahre 1910 nach ganz kurzer Zeit bereits zweifellos an einer merkwürdigen Wurmkrankheit geſtorben, die er ſchon aus Afrika mitgebracht hatte. Bei ihm waren die Drüſen des Gekröſes Gorilla: Gefangenleben. Wurmkrankheiten. — Vorgeſchichte der Affen. 697 (Mesenterium) ſtark geſchwollen, dunkel ſchwarzbraun gefärbt und enthielten teils graugelben Eiter, teils eine braune, zähe Flüſſigkeit und in dieſer einen kleinen ſpulwurmartigen Rund— wurm; allermeiſt ſaßen je eine eiter- und eine wurmhaltige Drüſe dicht beiſammen. Die Vorgeſchichte der Affen muß naturgemäß an die der älteren und altertümlichen Hochtierordnung der Halbaffen anknüpfen. Dort mußten wir ſchon die alttertiäre Gattung Anaptomorphus aus dem amerikaniſchen Eozän von Wyoming ſozuſagen als einen Weg— weiſer zu den Affen bezeichnen und von der madagaſſiſchen Gattung Nesopithecus (Archaeo- lemur) aus dem nächſten und letzten Erdabſchnitt des Pleiſtozäns ſagen, daß fie nach Anficht ihres Beſchreibers Forſyth Major entweder der höchſtentwickelte Makiartige oder der niederſte Affe iſt. Das bedeutet keinen Widerſpruch in ſich ſelbſt; denn je weiter zurück, deſto näher laufen die Ab⸗ ſtammungswege zuſammen. We⸗ ber möchte es deshalb für die Affen noch unent- ſchieden laſſen, ob ſie und die Halbaffen ſelb⸗ ſtändige Zweige eines gemeinſa⸗ men Stammes ſind, oder ob die Affen eine Halb: affenſtufe durch⸗ 2 laufen haben; er Senbodu.ger. H 0 Mesopithecus pentelieus, ein pliozäner Schlankaffe von Pikermi in Griechenland. neigt aber mehr Na der letzteren Anz ſicht zu. Jedenfalls muß man auch die Affen für einen alten Säugetierſtamm halten, wenn man den urſprünglich gebliebenen Bau ihrer Gliedmaßen mit den fünfteiligen Endſtücken, das ebenſo urſprüngliche lückenloſe Gebiß mit ſeinen regelrechten, für irgendwelchen einſeitigen Gebrauch wenig veränderten Zahnformen, den allermeiſt einfachen Magen und andere Merk— male bedenkt. Auch die Scheidung in die beiden Hauptgruppen der Alt- und Neuweltaffen muß ſchon ſehr früh in der Vorgeſchichte vor ſich gegangen ſein: beide haben durchgehend ein zu verſchiedenes Gepräge. Vielleicht darf oder muß man aber, mit Winge, die Altweltaffen von neuweltlichen Stammformen ableiten; wenigſtens hat es nach Funden von Ameghino den Anſchein, als ob wir in den eozänen oder miozänen Gattungen Homunculus Amgh., Anthropops Amgh. und anderen gewiſſe Stammformen der Krallenaffen und der eigentlichen Breitnaſen vor uns hätten. Nach Bluntſchli ſpielt da auch die abweichende Geſtaltung des Nagels der zweiten Fußzehe eine Rolle, die bei den Halbaffen mehr oder minder ausgeprägt, bei den Weſtaffen aber, nach den Unterſuchungen unſeres Gewährsmannes, wenigſtens unverkennbar angedeutet iſt. Das muß man wohl als ein Verwandtſchaftszeichen auffaſſen, und es wäre dann zur Erklärung Ameghinos Annahme alter Landverbindungen zwiſchen 698 18. Ordnung: Affen. Südamerika, Afrika und Auſtralien wieder heranzuziehen, die auch aus anderen Gründen durchaus nicht ſo unwahrſcheinlich ſind, wie es zunächſt ausſieht. Altweltliche Schmalnaſen find bis jetzt erſt im mittleren Tertiär Europas gefunden worden, das ja damals tropiſches Klima hatte. Aber auch bei ihnen müſſen wir eine frühe Trennung zwiſchen Tieraffen und Menſchenaffen, einſchließlich der Gibbons, annehmen. Der gemein— ſchaftlichen Wurzel beider ſtehen die Schlankaffenartigen mit ihrem runden Schädel wohl noch am nächſten: der ſehr gut bekannte, weil in faſt vollſtändigem Skelett erhaltene Mesopithecus pentelicus Wagn. aus dem unteren Pliozän der berühmten griechiſchen Fundſtätte von Pikermi verrät Beziehungen zu den Schlankaffen wie zu den Makaken, und im Pliozän Südfrankreich und Italiens, aber auch Indiens, treten ſchon eigentliche Schlankaffen im heutigen Sinne auf. Ebenſo ſind Makaken und Paviane aus ihrem heu⸗ tigen Verbreitungsgebiete foſſil nachgewieſen, Ma⸗ kaken aber außerdem aus Italien, Sa Deutſchland und England. Die Menſchenaffen möchte Weber begreiflicher⸗ weiſe von Ur-Gibbons mit weniger verlängerten Vordergliedern ableiten, weil dieſe durch ihren Schä⸗ delbau ſich wieder gut an die Vorläufer der Schlank⸗ affen anſchließen laſſen und anderſeits mitunter Am nächſten ſteht dieſen die miozäne Gattung Plio- pithecus Gerv., die aus Südfrankreich, den Alpen und der Gegend von Augsburg nachgewieſen iſt, alſo wohl über das ganze weſtliche Mitteleuropa verbreitet war. Dagegen wird die Gattung Dryo- pithecus Zart. aus dem mittleren Miozän Süd— frankreichs nach Größe und Zahnbau allgemein zu Schädeldach von Pithecanthropus erectus, . . Ri 5008 open. den eigentlichen Menſchenaffen gerechnet und mit dem Schimpanſen verglichen; ſie ſteht nur durch gewiſſe Einzelheiten im Bau des Unterkiefers den niederen Affen noch näher. Das iſt auch der Fall mit der Gattung Palaeopitheens Lud. aus dem Pliozän der berühmten nordindi⸗ ſchen Fundſtätte der Siwalikberge, die aber im übrigen den Schimpanſen ſo ähnlich war, daß der Beſchreiber Lydekker ſelber fie nachher mit dieſen vereinigen wollte, und da an derſelben Fundſtätte und in denſelben Schichten außerdem ſchon lange Reſte eines unzweifelhaften Orangs und neuerdings auch ſolche eines ganz und gar gorillaähnlichen Menſchenaffen (Sivapithecus Pilgrim) gefunden find, jo ſcheint das Urſprungsgebiet der Menſchenaffen feſtgelegt. Ander⸗ ſeits können wir dieſe aber neuerdings bis ins Oligozän zurückverfolgen, wo ſie, nach Schloſſer, im Propliopithecus haeckeli Schlosser von der berühmten Fundſtätte Fayum in Unter⸗ ägypten ihren unzweifelhaften Urahn haben. Der Unterkiefer des Menſchen von Piltdown (Suſſex, England), den Smith Woodward als Eoanthropus dawsoni beſchrieb, hat ſich bei der Nachprüfung durch den Waſhingtoner Syſtematiker Gerrit Miller als einem foſſilen Schim⸗ panſen zugehörig erwieſen, und damit iſt der Beweis erbracht, daß es in ſpättertiärer oder + diluvialer Zeit in Europa noch Schimpanſen gegeben hat. Wie aber die Ur-Gibbons zu den Menſchenaffen führen, ſo ſcheinen ſie auch den Weg zum Menſchen weiſen zu wollen durch den vielumſtrittenen Pithecanthropus erectus Dub., den der ſchwer von den heutigen Gibbons zu trennen find, n Vorgeſchichte der Affen. 699 holländiſche Kolonialarzt Dubois 1894 nach einem Schädeldach, drei Backzähnen und einem Oberſchenkelknochen aus erſt für jungtertiär gehaltenen, dann aber als altdiluvial nach— gewieſenen Tuffſchichten am Bengawanfluſſe bei Trinil auf Java beſchrieb und benannte. In dem Namen, zu deutſch: aufrechtgehender Affenmenſch, liegt zugleich die Anſicht des Entdeckers und Beſchreibers ausgeſprochen. Dieſer beanſprucht damit nicht mehr und nicht weniger, als das Bindeglied zwiſchen Menſchen und Affen, das ſeit Darwin mit heißem Bemühen geſuchte „missing link“, gefunden zu haben, und es war gewiß eine weltgeſchichtliche Stunde, als er dem Internationalen Zoologenkongreß in Leiden die koſtbaren Fundſtücke vorlegte unter Vorſitz Rudolf Virchows, der ſelber früher geſagt hatte, wenn irgendwo, ſo werde ſich das „fehlende Glied“ noch am erſten in der hinterindiſchen Inſelwelt finden. Dubois gründet ſeine Anſicht auf den feineren Bau des Oberſchenkelbeines, namentlich des Hüftgelenkkopfes, durch den er ſich zu der Annahme berechtigt hält, der Beſitzer dieſes Oberſchenkels müſſe zu aufrechtem Gange beſſer befähigt geweſen ſein als irgendein lebender oder foſſiler Menſchenaffe, und ebenſo auf den Bau des Schädeldaches, deſſen Größe und Wölbung auf einen weit größeren Gehirninhalt ſchließen läßt, als ihn irgendein Affe hat. Zugleich bildet das Hinterhauptbein dieſes Schädels durch die Neigung ſeines unteren Teiles eine weitere Stütze für die Anſicht, daß hier eine kaum geringere Fähigkeit zum aufrechten Gang vorhanden war als beim Menſchen, aber eine weit ſtärkere als bei den Menſchenaffen. Die Zahnreſte ſind zu geringfügig und zu ſchlecht erhalten, als daß ſie irgendwelche belangreichere Schlüſſe erlaubten, und der ganze Fund hat natürlich je nach dem allgemeinen Standpunkt der Unterſucher verſchiedene Beur⸗ teilung gefunden. Daß Rudolf Virchow das Schädeldach einem Affen, das Oberſchenkelbein einem Menſchen zuſchreiben wollte, erſcheint Klaatſch als der beſte Beweis für die Mittelſtellung des ganzen Fundes, über den das letzte Wort wohl noch nicht geſprochen worden iſt. Abok 178. Adapis 421. a Addax nasomaculatus 185. Adenota kob 177. — — leucotis 177. Affe, heiliger, der Inder 602. Affen 422. Aegoceros 278. — beden 278. — ibex 278. 279. — nubiana 278. — severtzowi 273. 278. — sibirica 278. Akalima 481. Akeratos-Gruppe der Rinder 336. Akumba 389. Alcelaphus 188. Alces 100. — alces 102. — americanus 101. — gigas 101. — machlis 102. — palmatus 102. — Pfizenmayeri 102. Algäuer Raſſe (Rind) 353. Allens Galago 413. Alouatta 471. — caraya 479. — seniculus 479. — villosus 479. Alouattinae 471. Alpaca 60. 66. Alpenſteinbock 278. 279. Altai-Maral 137. Altai-Wapiti 137. Altbüffel 322. Altililemur medius 394. Aluate 472. 479. Ammodorcas clarkei 223. Ammotragus lervia 269. — tragelaphus 269. Amrut⸗Mahal⸗-Raſſe (Zebu) 347. Anaptomorphus 421. 697. Anconſchaf 257. Andenhirſche 97. Anden-⸗Spießhirſch 99. Angler-Raſſe (Rind) 348. Angoraziege 292. Angus (Rind) 348. Anda 309. Anoa depressicornis 309. Anoglochis sedgwicki 75. 78. Ansbad-Triesdorfer Rind 352. Sachregiſter. Anthropomorphae 623. Anthropopithecus 648. — ochroleucus 652. — troglodytes 650. Anthropops 697. Antidorcas 219. — euchore 219. — marsupialis 219. Antilocapra americana 159. — fureifer 159. Antilocaprinae 159. Antilope 206. — cervicapra 206. Antilopen, Echte 206. Antilopinae 206. Anubis⸗Pavian 578. Aotes 463. — rufipes 464. — trivirgatus 464. Aotinae 461. Apella 485. Apis 345. Aplocerus 242. Aepyceros melampus 209. — — petersi 209. — — suara 209. Archaeolemur 697. Argali 250. Argali-Hausſchafe 267. Arighi 467. Ariſtoteleshirſch 123. Arkal 249. 264. 265. Arni 312. | Artiodactyla 1. Arui 570. Arut 524. Aſſam-Rheſus 545. Aſtrachaner Schaf 264. Atbara-Pavian 578. Ateles 498. — albifrons 500. — arachnoides 498, — ater 500. — bartletti 500. — belzebuth 500. — geoffroyi 500. — hypoxanthus 498. melanochir 500. — panistus 499. — pentadactylus 500. — variegatus 500. Atlashirſch 141. Arctocebus calabarensis 409. Auchenia 60. — huanaco 61. Auer, Auerochſe 340. 565. Avahis 396. Avemba 523. Axis 120. | — alfredi 122. — axis 120. Axishirſch 120. Aye-Aye 399. Azaras Kapuziner 486. Baahm 657. Babakoto 398. Babiruſas 30. Babirussa 4. 30. — alfurus 30. — babyrussa 30. Babirussinae 4. 30. Baboon 655. Babuin 579. — Gelber 579. — Grauer 579. Backenfurchenpaviane 586. Baira 200. Bakantan 610. Bakara 610. Bakonyer Schwein 23. > Baldinger Tigerſchwein 22. Balirind 326. 334. Bandar 536. 539. Banteng 326. 333. Baraſinga 127. Bärenmakak 546. — Blaßgeſichtiger 547. Bärenmaki 409. Bärenpavian 575. Bärenſtummelaffe 600. Barrigudo 495. Bartaffe 557. Bartſchwein 6. Barwalſchaf 267. Baſtardſchaf, Württembergiſches 261. Bayeriſches Rotvieh (Rind) 352. Beden 278. h Behra 200. Beiſa 183. — Arabiſche 183. — Südafrikaniſche 182. Beni Israel 198. Berberaffe 547. Berberhirſch 141. Bergamasker Schafe 261. Berggaur 328. Berggorilla 680. Berghulman 602. Bergrenn 111. Bergſteinbock 274. Berkſhire-Schwein 21. Berok 552. Bezoarziege 285. Bharal 268. Bibos 308. 326. — banteng 333. — — butleri 333. — frontalis frontalis 330. gaurus 327. — — hubbacki 330. — sondaicus 333. Bindenſchwein 12. Bindenſchweine 5. Biſamochſen 300. Biſamſchwein 32. Biſchofaffe 596. Biſon 371. 372. Bison 308. 364. — americanus 372. — bison 372. — — athabascae 372. — bonasus 366. — — caucasius 367. — europaeus 366. — priscus 364. — sivalensis 364. Blastoceros 89. -— bezoarticus 89. Blätteraffe 608. Blaubeutel 516. Blaubock 182. Blauböckchen 196. Blaubull 174. Blaumaul 518. Blaurückenducker 196. Blauſchaf 268. Bleichböckchen 201. Bleichböcke 201. Bleßbock 187. Bock von Mendes 258. 291. Böckchen 200. Böcke 244. Bokombul 393. Bonasos 364. Bonassus 365. Bongo 166. Boocercus euryceros 166. Borneo-Drang 632. Borſtentiere 2. Bos 308. — americanus 372. — antiquus 322. — baini 322. — banteng 333. — — butleri 333. — bison 372. — — athabascae 372. — bonasus 366. — — caucasius 367. — brachyceros 335. 338. 353. — bubalis 312. 12. Sachregiſter. Bos bubalis fulvus 312. — — hosei 312. — — macroceros 312. — buffelus 312. — caffer 318. —- — aequinoctialis 321. — — azrakensis 321. — — brachyceros 320. — — cottoni 321. — — nanus 319. — — ruahensis 321. — — schillingsi 321. — — simpsoni 320. — depressicornis 309. — frontalis frontalis 330. — — gaurus 327. — — hubbacki 330. — frontosus 336. — grunniens 359. — longifrons 335. — mindorensis 311. — orthoceros 336. 339. — pallasi 312. — primigenius 339. 340. — — minutus 341. — priscus 364. — pumilus 319. — sivalensis 364. — sondaicus 333. — taurus 308. — — brachyceros 336. 337 — — macroceros 336. — trochoceros 338. 351. Boselaphus tragocamelus 174. Bovidae 73. 157. Bovinae 305. Boz 285. Boz⸗Paſang 285. Brachycephalus-Gruppe der Rin⸗ der 336. Brachyceros-Gruppe der Rinder 335. 338. | Brachyteles arachnoides 498. — hypoxanthus 498. Brachyurus 469. Braunbein⸗Makak 554. Brazza⸗Meerkatze 523. Breitnaſen 444. Breitſchwanzſchafe 263. Broh 552. Bruh 552. Brüllaffe, Roter 479. — Schwarzer 479. Brüllaffen 471. Bru⸗-ſamundi 405. Bubalinae 186. Bubalis 188. — buselaphus 188. — caama 188. — cokei 189. — lelwel 189. — lichtensteini 189. — major 189. — tora 188. Bubalus 307. 309. — antiquus 322. — baini 322. | 701 Bubalus bubalis 312. — buffelus 312. — caffer 318. — — aequinoctialis 321. — — brachyceros 320. — — eottoni 321. — — nanus 319. — — simpsoni 320. — depressicornis 309. — mindorensis 311. — pallasi 312. Budeng 605. Budorcas 240. — bedfordi 241. — taxicolor 240. — tibetana 240. 241. Buffalo 372. Büffel 307. — afrikaniſche 318. — Aſiatiſcher 312. — Indiſcher 312. Bunder 538. Bündner-Oberländer Schwein 16. Bunodontia 2. Buntbock 187. Busac 343. Buſchbock, Abeſſiniſcher 166. — Südfrikaniſcher 166. Buſchböcke 165. Buſchducker 195. Büſchelohr-Beiſa 183. Buſchſchweine 24. Buſh-Babies 411. | Büttikofers Weißnaſe 523. Cacajao 469. Cacajao 469. — calvus 469. — melanocephalus 479. — ouakari 469. — rubieundus 471. Callicebus 461. — lugens 462. — personatus 462. — torquatus 462. Callimico goeldii 444. 461. Callithrix 450. 461. — argentata 455. — jacchus 450. — melanura 455. — penicillata 451. — pygmaea 455. Callitriche 515. Callitrichidae 446. Camelidae 46. Cameloidea 46. Camelus 47. — bactrianus 57. — dromedarius 49. — — fossilis 48. — sivalensis 48. Campbells Meerkatze 525. Capella 231. Capparo 495. Capra 272. 285. — aegagrus 285. -— beden 278. 702 Capra caucasica 273. — — cylindricornis 273. — falconeri 297. — — cashmiriensis 298. — — jerdoni 298. — hireus 285. — ibex 278. 279. — nubiana 278. — prisca 288. — pyrenaica 274. — — hispanica 276. — — lusitanica 276. — — pyrenaica 276. — — vietoriae 276. — severtzowi 273. — sibirica 278. — walie 278. Capreelns Ss. — capraea 84. — caprrolus 84. — mantschuricus 83. — pygargus 83. — tianschanicus 83. — vulgaris 84. Capricornis argyrochaetes 229. — crispus 230. — sumatrensis 229. — — bubalinus 229. — — thar 229. Capricornulus crispus 230. Caprinae 244. Caraya 473. 479. Cariacus 92. Caridagueres 495. Caruiri 469. Caſertaner Schweine 23. Catarrhini 505. Catoblepas 191. Cavicornia 73. 157. Cebidae 461. Cebinae 479. Cebus 479. 482. 527. — apella 485. — azarae 486. — capueinus 485. — eirvifer 486. — fatuellus 486. — hypoleucus 485. — leucogenys 486. -— macrocephalus 486. — unicolor 486. Celebes-Hirſcheber 30. Celebesſchwein 6. Cephalophinae 194. Cephalophula 196. Cephalophus 194. 195. — caerulus 196. — — melanorrheus 196. — — schultzei 196. — doria 196. — dorsalis 196. — grimmius 197. — — coronatus 197. — jentinki 195. — maxwelli 196. — mergens 197. — monticola 196. I | Sachregiſter. Cephalophus natalensis 195. — — harveyi 197. — — nigrifrons 195. — rufilatus 196. — silvieultrix 195. Cercocebus 527. — agilis 529. — albigena 530. — aterrimus 530. — aethiops 528. — collaris 529. — fuliginosus 528. — galeritus 529. — lunulatus 528. — torquatus 529. Cercopithecidae 505. Cercopithecinae 506. Cercopithecus 506. 515. — albogularis 524. — — preussi 524. — ascanius 522. — — schmidti 522. — aethiops 516. — brazzae 523. — callitrichus 515. — campbelli 525. — cephus 518. — eynosurus 516. — diana 525. — — roloway 525. — erxlebeni 525. — erythrotis 522. — grayi 525. — griseoviridis 516. — hamlyni 528. — histrio 522. — insignis 525. — kandti 525. — labiatus 523. — lalandei 517. — leucampyx 523. — — pluto 523. — — stuhlmanni 523. — l’hoesti 525. — melanogenys 522. — moloneyi 524. — mona 525. — neglectus 523. — nietitans 523. — patas 526. — petaurista 522, — — büttikoferi 523. — — fantiensis 523. — petronellae 526. - pygerythrus 517. — — rufoviridis 518. — ruber 526. — sabaeus 515. - samango 523. — stairsi 524. — talapoin 514. — tantalus 516. - wolfi 526. Cervicapra 176. Cervicornia 73. Cervidae 73. 74. Cervinae 79. 88. Cervulus 117. Cervus 134. — affinis 138. — albirostris 138. — canadensis 136. — — canadensis 137. — — lühdorfi 137. — — merriami 137. — — oceidentalis 137. — — sibirieus 137. — cashmirianus 138. — elaphus 139. — — albicus 136. — — barbarus 141. — — corsicanus 141. — — hispanicus 141. — — rhenanus 136. — maral 139. — thoroldi 138. — wallichi 138. — xanthopygus 138. Ceylon-Hutaffe 538. Chagnik 363. Cheirogaleus 394. — major 395. — milii 395. — samati 394. Cheviotſchaf 261. Chirogaleus smithi 395. — trichotis 394. Chiromyidae 399. ' Chiromyinae 399. Chiromys 399. ‚„Chlorocebus 515. Choeropithecus 588. Choeropsis liberiensis 34. Chrysothrix 479. — scjurea 480. Chucuto 469. Chucuzo 469. Coassus 98. Colobinae 594. Colobus 595. — abyssinicus 596. — caudatus 596. — guereza 596. — kirki 601. — occidentalis 596. — palliatus 595. — polycomus 600. — satanas 595. — ursinus 600, — vellerosus 600. Connochaetes 191. — guu 191. — taurinus 192. — — albojubatus 193. — — hecki 193. — — johnstoni 193. Coquerels Zwergmaki 396. Cynocephalus 568. Cynomolgus 533. Cynopithecus 553. -— inornatus 554. — maurus 553. — niger 554. — ochreatus 554. Dama 130. — dama 131. — mesopotamica 131. — vulgaris 131. Damagazelle 213. Damalis 186. Damalıscus 186. — albifrons 187. — korrigum 187. — — jimela 188. — — tiang 188. — — topi 188. — lunatus 187. — pygargus 187. Damara⸗Dik⸗Dik 198. Damararind 346. Damhirſch, Echter 131. — Meſopotamiſcher 131. Damhirſche 130. Danziger Schlag (Rind) 348. Daubentonia madagascariensis 399. Daubentoniidae 399. Daubentoniinae 399. Davids Hirſch 146. Defaſſa 180. Demidoff-Galago 417. Deutſches Edelſchwein 21. Deutſches veredeltes Landſchwein 22. Devilles Affchen 457. Devon-Vieh 354. Diadem⸗Meerkatze 523. Diadem⸗Sifaka 397. Diana⸗Meerkatze 525. Dibatag 223. Dickhornſchafe 253. Dickkopfkapuziner 486. — Einfarbiger 486. Dicotyles albirostris 32. — labiatus 32. — torquatus 32. Dicranoceros 159. Dik⸗Diks 197. Dinkaſchaf 259. Djanıus 316. Dorcatherium 71. Dorcatragus megalotis 200. Dorcelaphus 91. Dorkasgazelle 215. Dorſetſhireſchaf 261. Doryceros inornatus 100. Drill 586. 588. Dromedar 47. 49. Dryopithecus 698. Dſchangelrind 327. Dſchelada 564. — Brauner 565. — Schwarzer 565. Dſeren 211. Ducker 194. — Echte 196. 197. Duk 608. Dünengazelle 215. Durham⸗Vieh (Rind) 348. Durukuli 465. Dybowſkihirſch 130. Sachregiſter. Edelhirſch 139. Edelhirſche 134. Edmi⸗Gazelle 214. 215. Eichhornaffen 446. Einhuferſchwein 18. Elandantilope 171. Elaphodus 117. — michianus 117. Elaphurus davidianus 146. Elch, Amerikaniſcher 101. — Europäifdher 102. — Oſtſibiriſcher 102. Elche 100. Elektoralſchafe 262. Elen 102. Elenantilope 171. Elend 102. Eleotragus arundinum 176. Elk 137. Ellipſen⸗Waſſerbock 178. Enjocko 653. Eoanthropus dawsoni 698. Equus johnstoni 148. Erdmeerkatzen 526. Eringer Rind 354. Eriodes arachnoides 498. — hypoxanthus 498. Erxlebens Meerkatze 525. Erythrocebus 526. — patas 526. — ruber 526. Erzgebirgsziege 290. Eusus 5. — barbatus 6. — celebensis 6. — verrucosus 5. Faulaffen 403. Faunaffe 486. Fellziege, Chineſiſche 292. Felſen⸗Makak 546. Feſchtal 271. Feſſanſchafe 259. Fettſchwanzmakis 394. Fettſchwanzſchafe 263. Fettſteißſchafe 267. Fingertier 399. Fitiliki 394. Flachkopf⸗Tſchego 651. Flußpferd 35. Flußpferde 34. Flußſchwein 25. — Abeſſiniſches 24. Flußſchweine 24. Formoſa⸗Makak 545. Frankenſchaf 261. Frankenvieh (Rind) 352. Franqueiro-Rinder 337. Frau Grays Waſſerbock 178. Frontosus-Gruppe der Rinders336. Fün 524. Furcifer 97. Gabelantilope 159. Gabelbock 159. Gabelhirſch, Peruaniſcher 98. Gabelhirſche 97. 708 ! Gabelhorntiere 159. Gabun⸗-Gorilla 680. Galaginae 403. 410. Galago 412. — agisymbanus 416. — alleni 413. — crassicaudatus 416. — galago 412. — kirki 417. — moholi 412. — senegalensis 412. — sennariensis 412. — zanzibaricus 413. Galago, Kirks 417. — Thomas' 417. Galagos 403. 410. Galloway (Rind) 348. Gambia⸗Schimpanſe 650. Gams 232. Gaur 326. 327. Gayal 326. 327. 330. Gazella 210. — arabica 214. — bennetti 214. — ceuvieri 214. 215. — dama 213. — — dama 213. — — mhorr 213. — — permista 213. — —- rufieollis 213. — dorcas 215. — — isabella 215. — granti 214. — — petersi 214. — gutturosa 211. — leptoceros loderi 215. — marica 211. — pelzelni 214. — pieticaudata 211. — przewalskii 211. — rufifrons 215. — soemmerringi 213. — spekei 214. ; — subgutturosa 211. — thomsoni 214. Gazelle, Arabiſche 214. — eigentliche 215. — Indiſche 214. — Mongoliſche 211. — Nordchineſiſche 211. — Perſiſche 211. — Tibetaniſche 211. Gazellen 210. Gelbbartmaki 392. Gelbrückenducker 195. Gelbſteißhirſch 138. Gemsbock 182. Gemsbüffel 309. Gemſe 231. 232. — Japaniſche 230. Gemſenartige 229. Geoffroys Klammeraffe 500. Gerenuk 224. Geſpenſttier 419. Gibbon, Weißhändiger 614. Gibbons 611. Giraffa 151. 704 Giraffa camelopardalis 153. — — capensis 153. — retieulata 153. Giraffe 151. — Kapiſche 153. — Nördliche 153. — Nubiſche 153. — Südliche 153. — Zweihörnige 153. Giraffengazelle 224. Giraffidae 73. 147. Girrit 570. Glan⸗Donnersberger (Rind) 352. Gnu, echtes 191. Gnus 191. Gnuziegen 240. Goldſtirnaffe 500. Goral 230. Gorilla 677. 680. Gorilla 677. — beringei 680. — castaneiceps 680. — diehli 680. — gina 680. — gorilla 680. — graueri 680. — hansmeyeri 680. — jacobi 680. — matschiei 680. — savagei 680. — zenkeri 680. Grants Gazelle 214. Grauarm⸗Makak 554. Graubraunes Alpenvieh 352. Grauwangenmangabe 530. Greisböckchen 201. Grivet 516. Großohrhirſch 97. Großſtirnraſſen (Rinder) 351. Großſtirnrind 336. Grünmeerkatzen 515 Grunzochſen 359. Grysbok 201. Guanaco 60. 61. Guariba 472. Guazuy 89. Guenon 506. Guereza 596. — Abeſſiniſcher 596. — Weſtlicher 596. Guevei caerulus 196. — maxwelli 196. Guinea-Pavian 577. Guinea-Schimpanſe 653. Guineiſches Hausſchwein 23. Gurktaler Schwein 16. Halbaffen 380. Halbmali 393. — Breitſchnauziger 393. Grauer 393. — Olivenbrauner 393. Halbmondantilope 187. Halbſchafe 268. Halbziegen 298. Halsbandmangabe 529. Sachregiſter. Halsbandpekari 32. Hamadryas 568. Hamlyn⸗Meerkatze 527. Hampſhiredowns (Schafe) 261. Hangul 138. Hanuman 602. Hapale 450. — argentata 455. — jaechus 450. — leonina 458. — penicillata 451. — pygmaea 455. — ursula 456. Hapalemur 393. Haploceros 242. Hartebeeſt 188. — Lichtenſteins 189. Hartläufer 28. Harveys Buſchducker 197. Harzer Rotvieh (Rind) 352. Harzziege 290. Hattock 394. Haubenmangabe 529. Hausbüffel 313. Hausrind 308. 334. Hausſchaf 255. — Altägyptiſches 258. Hausſchwein, wildſchweinähnliches 17 | Hausſchweine 14. Hausziege 288. Hebe 568. Hecks Gnu 193. — Makak 554. Heidſchnucke 266. Hemigalago 412. 417. — demidoffi 417. — thomasi 417. Hemitragus 298. — hylocrius 299. — jayakari 299. — jemlahicus 299. Herrentiere 380. Himalaja⸗Schlankaffe 602. Hinterwäldler Vieh (Rind) 358. Hippocamelus 97. — antisiensis 98. — bisuleus 97. — chilensis 97. Hippopotamidae 34. Hippopotamus amphibius 35. Hippotraginae 180. Hlippotragus 180. — equinus 180. — — bakeri 181. — — gambianus: 181. — — ruto-pallidus 181. — leucophaeus 182. — niger 181. Hircus-Hausziegen 288. Hirſch, Spaniſcher 141. Hirſchantilopen 180. 8 LO Hirſche 74. Halbrotes bayriſches Schwein 19. — Echte 83. Hirſcheber 30. Hirſchferkel 71. Hirſchziegenantilope 206. Bachtandsvich, Schatüſches Mind) 345. Hochtiere 380. * Höckerzähner 2. Hohlhörner 73. 157. Homunculus 697. Hornloſe Rinder 354. Horntiere 73. 157. Huanaco 60. 61. Huemul 97. Hulman 602. Hulock 613. Hundsköpfe 558. — eigentliche 568. Huniaſchafe 268. Huſarenaffe, Gewöhnlicher 526. — Weißnaſiger 526. Huſarenaffen 526. Hiutaffe 536. Hutmangabe 529. Hydrelaphus 83. Hydropotes inermis 45. 83. Hyelaphus 120. 122. — porcinus 122. Hyemoschus 71. Hylarnus 200. — batesi 201. Hylobates agilis 614. — henriei 613. — hoolock 613. — lar 614. — leueiscus 614. — leucogenys 613. — rafflesi 614. — variegatus 614. Hylobatidae 611. Hylochoerus meinertzhageni 25. — rimator 26. Ibex 278. Illyriſches Rind 353. Impala 209. Impundu 658. Indri 398. Indriartige 396. Indris 397. Indris 397. — indris 398. Indrisinae 396. Inſiégo 653. Inuus 538. — arctoides 546. 9 — assamensis 545. — ecaudatus 547. — erythraeus 538. — fuscatus 546. — maurus 553. | — rhesus 538. — speeiosus 546. — sylvanus 547. Iſabellantilope 176. Iſubrahirſch 137. Jal 359. — zahmer 362. Jaunde-Gorilla 680. Javaneraffe 533. Jimela 188. Johnſtons Gnu 193. Kabuanama 481. Kafferbüffel 318. Kagera⸗Pavian 579. Kahau 609. Kahlkopf⸗Schimpanſe 652. Kalu 607. Kama 188. Kamel, Einhöckeriges 49. — Zweihöckeriges 57. Kamele 46. 47. Kanalrinder 353. Kandts Meerkatze 525. Kantſchil 71. Kappenlangur 603. Kappen⸗Meerkatze 525. Kapuziner 482. — Eigentlicher 485. — Gehaubter 486. — Gehörnter 486. — Schwarzweißer 484. Kapuzineraffenartige 461. Kapuzinerartige im engeren Sinne 479. Karakulſchaf 263. Karibu 111. Kaſchmirhirſch 138. Kaſchmirziege 293. Katſchgar 250. Katta 391. Katzenmaki 391. 394. — Büſchelohriger 394. — Cqquerels 396. — Milius' 395. Kemas 230. Kerabau 313. Khird 568. Kima 524. Kinguſi 687. Kirks Galago 417. — Stummelaffe 601. Klammeraffe, Bunter 500. — Schwarzer 499. Klammeraffen 493. 498. Kleideraffe 608. Kleinohriges chineſiſches Schwein 20 Klippſpringer 202. Koata 499. Koboldmaki 419. Koboldmakis 417. Kobus 177. — defassa 180. — — defassa 180. — — unetuosus 180. — ellipsiprymnus 178. — kob 177. — — leucotis 177. — leche 178. — maria 178, Kompa 416. Kongoni 189. Konzi 189. Korrigum 187. Krä 533. Sachregiſter. Krallenaffen 446. Krausbartſchwein 6. Krauſes Schwein 23. Kreishornſchaf 250. Kronenducker 197. Kronenmaki 392. Kropfantilope 211. Kropfgazelle 211. Kudu, Großer 169. — Kleiner 171. Kudus 169. Kuhantilope, Nordafrikaniſche 188. — Weſtafrikaniſche 189. Kuhantilopen 186. — Eigentliche 188. Kuhländer Rind 352. Kukang 405. Kuku⸗jeman 268. Kulukamba 652. Kupferſchaf 266. Kurzhornbüffel 320. Kurzhornrinder 336. Kurzkopfgruppe der Rinder 336. Kurzſchwanzaffen 469. Kuxio 467. Lagöthrix 495. — humboldti 495. — lagotricha 495. Lajjar banar 405. Lalandes Meerkatze 517. Lama 60. 64. Lama glama 64. — huanachus 61. — — carsilensis 62. — pacos 66. — peruana 64. — vicugna 67. Lamagazelle 223. Lamas 60. Langarmaffen 611. Langbart⸗Diana 525. Langbeinſchafe 257. 259. Langheld⸗Pavian 579. Langhornraſſe der Rinder 345. Langhornrinder 336. Langſchwanzhirſch 93. Langſtirnraſſen (Rinder) 352. Langſtirnrind 335. Langur 602. Lapunder 552. Lar 614. Larvenmaki 397. Larvenſchwein 25. Larzacſchaf 261. Lasiopyga 506. 518. Lasiopygidae 505. Lasiopyginae 506. Leierantilope 187. Leierantilopen 186. Leierhirſch 129. Lelwel 189. Lemur 385. — albifrons 392. — brunneus 392. — catta 391. — coronatus 392. Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 705 Lemur fulvus 392. — leucomystax 389. — macaco 389. — melanocephalus 392. — mongoz 392. — niger 389. — nigrifrons 392. — rubriventer 392. — rufifrons 392. — variegatus 388. — — ruber 388. — varius 388. — xanthomystax 392. Lemuridae 384. Leontocebus 456. — devillei 457. — leoninus 458. — mystax 457. — oedipus 457. — rosalia 459, — ursulus 456. — weddelli 457. Lepilemur 394. — mustelinus 394. Leptobos 307. Lichanotus 396. 397. — brevicaudatus 398. — laniger 396. Limnotragus 168. — gratus 168. — selousi 169. — spekei 169. Linasſchaf 256. 295. Liſzt⸗Affchen 458. Lithocranius walleri 224. Litſchi⸗Waſſerbock 178. Llama 64. Lophotragus 117. Loriartige 402. Loris 403. Loris Iydekkerianus 404. — tardigradus 403. Lorisinae 403. Löwenäffchen 458. — Großes 459. Löwenmakak 551. Löwenſchwanzaffe 557. Macaco de cheiro 479. — de noite 464. Macacus 532. 533. — cynomolgus 533. — fascicularis 533. — — mordax 534. — maurus 553. — pileatus 538, — radiatus 536. — sinicus 536. Mackenzie⸗Moſchusochſe 301. Madoqua 197. — damarensis 198. — hemprichi 198. — kirki 198. — saltiana 198. Madoquinae 197, Madras-Hulman 603. Magot 547. 45 706 Magus 553. — maurus 553. Maha 608. Mähnenhirſch 125. Mähnenſchaf 269. Maſas 629. Majo 420. Makadu 536. Makak 532. 533. — Hecks 554. — Japaniſcher 546. Maliartige 384. Makis 385. Malbruk 516. Mamberziege 291. Mandrill 586. 588. Mandrillus 586. — leucophaeus 588. — maimon 588. — sphinx 588. Manga 536. Mangaben 527. Mangabeys 527. Mangalica-Schwein 23. Manjara⸗Pavian 578. Manjaruma 657. Mantelaffe 595. Mantelmangabe 530. Mantelpavian 568. Maral 138. Maras 629. Märchler Schwein 17. Marica⸗Gazelle 211. Marikinas 460. Marimonda 500 Markat 539. Markhur 297. Marmoſet 450. Marſchſchafe 267. Marſchſchwein 17. Marungu⸗Schimpanſe 653. Maskenſchwein 19. Mauchampſchaf 257. Maultierhirſch 97. Mausmali 395. Maxwells Ducker 196. Mazama 98. — nemorivaga 98. — rufa 99. — rufinus 99. — tema 99. Mbega 596. Mbukumbuku 530. Meerkatze, Gelbgrüne 515. — Rotgrüne 517. 518. — Weißgrüne 516. Meerkatzen, Eigentliche 506. Meerkatzenartige 505. Megaceros giganteus 78. Megaladapis 421. Meias 629. Meminna 71. Mendes, Schafbock von 258. 291. Mendesantilopen 185. Mendjangan 125. Menſchenaffen 622. Merinoſchaf 261. Sachregiſter. Merycopotamus 30. Mesopithecus pentelicus 698. Mhorrgazelle 213. Microcebus 394. — coquereli 396. — murinus 395. — myoxinus 395. — pusillus 395. Midas 456. — goeldii 461. — rosalia 459. Milchſchaf, Oſtfrieſiſches 267. Milu 146. Mindorobüffel 311. Minjangan 125. Miopithecus talapoin 514. Miriki 498. Mirikina 464. Mitteldeutſches Rotvieh (Rind) 352. Mixocebus caniceps 394. Mixodectes 421. Mohrenäffchen 456. Mohrenmakak 553. Mohrenmaki 389. Mohren-Mangabe 528. Mohrenpavian 553. Moloneys Meerkatze 524. Molukkenhirſch 125. Mona⸗Meerkatze 525. Mönchsaffe 468. Mongoz 392. Monjet 533. Mono 479. — feo 469. — rabon 469. Moorantilope 177. Moose 101. Moosedeer 101. Moosrind 353. Mormon 586. Moschinae 80. Moschus 80. — moschiferus 80. Moſchusböckchen 200. Moſchusochſe der Melville-Inſel 302 — Oſtgrönländiſcher 302. — Oſtlicher 302. — Schwarzer 302. Moſchusochſen 300. Moſchustier 80. Moſchustiere 80. Moufflon & manchettes 270. Mufflon 246. 265. — Aſiatiſcher 249. Muido 518. Muntiacus 117. 118. — crinifrons 118. — feae 118. — lacrymans 118. — michianus 117. — muntjac 118. — reevesi 118. Muntjak, Indiſcher 118. Muntjakhirſche 117. Muntjaks, Echte 118. Muſimon⸗Hausſchafe 266. Mvuli 167. Mycetes 471. — niger 479. — seniculus 479. Myoxicebus 393. — griseus 393. — olivaceus 393. — simus 393. F Nabelſchwein 32. Nabelſchweine 4. 32. Nachtaffe, Gewöhnlicher 464. Nachtaffen 463. Nachtaffenartige 461. Nacktohrhirſch 96. Nahur 268. Nalpſer Schaf 265. Namarind 346. Nanger 213. Nasalis larvatus 609. Naſenaffe 609. Ndele 413. Negrettis 262. Nemestrinus 551. — andamanensis 551. — leoninus 551. — nemestrinus 553. Nemorhaedus 230. — caudatus 230. — goral 230. — raddeanus 230. Neotraginae 200. Neotragus moschatus 200. — pygmaeus 201. Nesopithecus 421. 697. Nesotragus 200. — moschatus 200. Netzgiraffe 153. Nichtwiederkäuer 1. 2. Niederungsraſſen der Rinder 347. Nilbandar 557. Nilgau 174. Nilgiri⸗Langur 608. Nilgiri-Tahr 299. Nilpferd 35. Nisnas 526. Nonruminantia 1. 2. Nototragus 201. Nichiego 658. Nſoko 653. Nyala 166. Nyala angasi 166. Nyeticebidae 402. Nycticebus coucang 405. Nyetipithecinae 461. Nyctipithecus 463. Odenwälder Rotvieh (Rind) 352. Odocoileus 89. — americanus 92. — — macrourus 93. — bezoarticus 89. — campestris 89. — columbianus 97. — dichotomus 91. — gymnotis 96. Odocoileus hemionus 97. — macrotis 97. — mexicanus 92. — nemoralis 92. — paludosus 91. — peruvianus 92. — virginianus 92. Ohrenhirſche 96. Ohrenmakis 410. Dfapi 148. Okapia johnstoni 148. Ol goroi 598. Olidosus 32. Ouotragus leche 178. — maria 178. Opolemur 394. — samati 394. Drang 629. Orang⸗Utan 629. Oreamnos americanus 242, — laniger 242, — montanus 242. Oreas 171. — canna 171. Oreotraginae 202. Oreotragus 202. — oreotragus 202. — saltatrix 202. Oribi 201. Orientalis⸗Hausſchafe 265. Orignal 101. Orongo 224. Oryx 183. Oryx 182. — algazel 183. — beatrix 183. — beisa 183. a — callotis 183. — gazella 182. — leucoryx 183. Oſtfrieſiſch⸗Oldenburger (Rind) 348. Otelaphus 96. — columbianus.97. — hemionus 97. — macrotis 97. Otogale 412. Otolemur 412. 416. — agisymbanus 416. — erassicaudatus 416. Otolienus 412. Otterſchaf 257. Ouakaria 469. — calva 469. Ourebia ourebi 201. — scoparia 201. Ovibos 300. — mackenzianus 301. — moschatus 302. — — melvillensis 302. — — niphoecus 302. — — wardi 302. Ovibovinae 300. Ovis 244. — ammon 250. — — poli 250. — aries palustris 265. Raſſe Sachregiſter. Ovis aries studeri 266. — canadensis 253. — — ccwani 254. — — dalli 254. — — gaillardi 254. — — nivicola 253. — longipes 259. — — palaeoaegyptius 258. — musimon 246. — orientalis 249. — vignei 249. — arkar 249. — cycloceros 250. Oxfordſhiredowns (Schafe) 261. özem 515. Paarhufer 1. Paco 60. 66. Paduaner Schaf 261. Pageh⸗Stumpfnaſe 608. Pala 209. Palaeopithecus 698. Palaeotragus 148. Pamirſchaf 250. Pampashirſch 89. Pan 648. — adolfi-friderici 658. — calvus 652. — castanomale 653. — chimpanse 650. — koolookamba 652. — leucoprymnus 653. — marungensis 653. — satyrus 651. — schweinfurthi 653. 657. Panolia eldi 129. Pantholops hodgsoni 224. Papio 568. — anubis 578. — — doguera 578. — — ibeanus 578. — — tesselatus 579. — babuin 579. — eynocephalus 579. — — langheldi 579. — — neumanni 579. — — ochraceus 579. — — toth 579. — hamadryas 568. — — arabicus 568. — olivaceus 577. — papio 577. — porcarius 575. — sphinx 577. Papuaſchwein 12. Parauacu 468. Parkrind, Engliſches 348. Paſang 285. Paſſan 182. Patas 526. Pavian, Roter 577. Paviane 558. — Grüne 578. Pecari 4. — angulatus 32. — tajacu 32. Pecora 73. 707 Pekari 32. Pelea capreolus 175. Pelzelns Gazelle 214. Perodicticus edwardsi 409. — ibeanus 409. — potto 408. Perſianerraſſe (Schaf) 263. Peters⸗Gazelle 214. Petronella-Meerkatze 526. Pferdeantilope 180. — Schwarze 181. Pferdeböcke 180. Pferdehirſch 124. Pferdehirſche 123. Phacochoerus 26. — africanus 27. — aethiopicus 28. Pinche 457. Pinſeläffchen 450. Pinſelſchwein 24. Pinzgauer (Rind) 352. Pithecanthropus erectus 612. 698. Pithecia 466. — albinasa 468. — hirsuta 468. — leucocephala 467. — monachus 468. — pithecia 467. — satanas 467. Pitheciinae 466. Pithecus 532. 533. — eynomolgus 533. — fascicularis 533. — — mordax 534. — pileatus 538. — radiatus 536. — sinicus 536. Platyrrhini 444. Plesiometacarpalia 79. 117. Pliopithecus 698. Plumplori 405. — Geſchwänzter 408. Pluto⸗Meerkatze 523. Po&phagus 308. 359. — grunniens 359. — — mutus 360. Poland⸗China⸗Schwein 23. Polniſches Schwein 17. Pongidae 623. Pongo 629. — pygmaeus 632. — — abeli 632. — — pygmaeus 632. Porcula salvania 23. Porcus 30. Portax pietus 174. Portugieſiſches Schwein 23. Potamochoerus 4. 24. — afrieanus 25. — choeropotamus 25. — hassama 24. — intermedius 24. — larvatus 25. — penicillatus 24. — porceus 24, Potto 408. 45* 708 Presbytis 601. — auratus 605. — cephalopterus 607. — entellus 602. — johni 608. — melalophus 608. — melanolophus 608. — obscurus 608. — pileatus 603. — priamus 603. — schistaceus 602. — ursinus 608. Preuß⸗Meerkatze 524. Primates 380. Primigenius⸗Gruppe der Rinder 335. 338. Prinz Alfreds Hirſch 122. Prisca-Hausziegen 290. Pronghorn 159. Propithecus 397. — diadema 397. — verreauxi 397. Propliopithecus haeckeli 698. Prosimiae 380. Protylopus 47. Prox 117. Pseudaxis 129. — dybowskii 130. — hortulorum 130. — mantschuricus 130. — sika 130. — — ta@vanus 130. Pseudois 268. — burrhel 268. — nahoor 268. — nayaur 268. Pudu 100. — humilis 100. — pudu 100. Puduhirſch, Chileniſcher 100. Puduhirſche 100. Pukan 405. Puſtelſchwein, Javaniſches 5. Puſtelſchweine 5. Puſtertaler Rind 354. Pygathrix 601. — nemaeus 608. Rambouillet 262. Rana 657. Rangifer 109. — arctieus 111. — caribou 111. — fennicus 111. — groenlandieus 111. — montanus 111. — platyrhynchus 111. — sibirieus 111. — tarandus 111. - terrae-novae 111. Raphicerus campestris 201. — melanotis 201. — sharpei 201. Rappenantilope 181. Ratte von Madagaskar 395. Rauchgraue Mangabe 528. Rauhohr⸗Rheſus 545. Sachregiſter. Redunca 176. — arundinum 176. — redunca 176. Reduncinae 175. Neh 84. — der Mandſchurei 83. Rehböcke 175. Rehbok 175. Rehe 83. Renn, Finniſches 111. — von Neufundland 111. — Sibiriſches 111. — zahmes 114. Renntier 111. Renntiere 109. Rheſus 538. Rhinopithecus roxellanae 608. Rhinostigma hamlyni 528. Rhönſchaf 261. Rhynchotragus 198. — damarensis 198. — kirki 198. Riedbock 176. — Großer 176. Riedböcke 175. 176. Rieſenducker 195. Rieſenelch 101. Rieſen⸗Elenantilope 172. Rieſen⸗Galago 416. Rieſenreh 83. Rilawa 538. Rinder 305. Rindergemſen 240. Robah 568. Rollaffen 482. Rollſchwanzaffen 482. Romaniſches Schwein 22. Roßantilopen 180. Rotbauchmaki 392. Rotbüffel 319. 325. Röteläffchen 459. Rotgeſicht⸗Makak 546. Rothalsgazelle 213. Rothirſch 139. Rotkopf-Gorilla 680. Rotkopfmangabe 529. Rotnaſen-Meerkatze 522. Rotohr-Meerkatze 522. Rotſtirngazelle 215. Rotſtirnmaki 392. Rucervus 127. — duvauceli 127. — eldi 129. — — platyceros 129. — schomburgki 127. Ruminantia 2. 44. Rupicapra 231. — rupicapra 232. — tragus 232. Rupicaprinae 229. Rusa 120. — alfredi 122. — aristotelis 123. — axis 120. — — ceylonensis 121. — — major 121. — — minor 121. Rusa hippelaphus 125. — — moluecensis 125. — poreinus 122, — — anamiticus 123. — — minor 123. — unicolor 123. — — equinus 124. — — mariannus 124. — — philippinus 124. Ruſahirſche 120. Rüſſelzwergantilopen 198. Saanenziege 290. Säbelantilope 183. Sächſiſches Rotvieh (Rind) 352. Saguin 450. Sahuaſſu 462. Saiga 226. Saiga tatarica 226. Saimiri 480. Saimiri 479. — oerstedi 480. — sejureus 480. Saimiris 479. Saki 467. Samango-Meerkatze 523. Sambar 123. Sambars 123. Samotherium 148. Sangarind 345. Saſſa 202. Saſſaby 187. Satansaffe 467. 595. Sattelziege, Walliſer 292. Sauerländer Rotvieh (Rind) 352. Schabrackenducker 195. Schadi 547. Schaf von Menidi 265. Schafe 244. Schafochſen 300. Scharlachgeſicht 469. Scharmindi billi 405. Schiabandar 557. Schieferaffe 495. Schimpanſe 648. Schirrantilope 165. Schlaffſchwänze 466. Schlankaffe, Roter 608. Schlankaffen 601. Schlankaffenartige 594. Schlanklori 403. Schleſiſches Rotvieh (Rind) 352. Schmalnaſen 505. Schmalſchwanzſchafe 260. Schmidts Weißnaſe 522. Schneeſchaf 253. Schneeziege 242. Schneeziegen 242. Schnurrbartäffchen 457. Schnurrbartmeerkatze 518. Schomburgks Hirſch 127. Schopfantilopen 194. Schopfhirſch, Chineſiſcher 117. Schopfhirſche 117. Schopfhulman 603. Schopfmangabe, Schwarze 530. Schopfmangaben 530. Schopfpavian 554. Schraubenantilope 169. Schraubenziege 297. — Jerdons 298. Schwäbiſch⸗Haller Schwein 17. Schwarzbüffel 318. Schwarzferſenantilopen 209. Schwarzgeſicht⸗Klammeraffe 500. Schwarzkopfmaki 392. Schwarzmakak 553. Schwarz⸗Pinſeläffchen 451. Schwarzrückenducker 196. Schwarzſchopf⸗Schlankaffe 608. Schwarzſchwanzhirſch 97. Schwarzſtirnducker 195. Schwarzſtirnmaki 392. Schwarzwaldziege 290. Schweifaffen 466. Schwein, Mittelchineſiſches 12. Schweine 2. — echte 5. Schweineartige 1. Schweinfurth⸗Schimpanſe 653. Schweinsaffe 552. Schweinsaffen 551. Schweinshirſch 122. Schweinshirſche 122. Schwielenſohler 46. Seidenäffchen 450. Seidenaffen 595. Sek 588. Selenodontia 2. Semnopithecus 601. — entellus 602. — leucoprymnus 607. — maurus 605. — nasicus 609. Senegal⸗ Galago 412. Senegal⸗Waſſerbock 180. Sennarſchwein 13. Serow 229. — Weißmähniger 229. Shorthorn 348. Shou 138. Shropſhiredowns (Schafe) 261. Siamang 614. Siamanga 614. Sieger Rotvieh (Rind) 352. Sifakas 397. Sikahirſch 130. Sikahirſche 129. Silberäffchen 455. Silbergibbon 614. Simia 538. — aretoides 546. — — esau 547. — assamensis 545. — cyclopis 545. — erythraeus 538. — fuscatus 546. — inuus 547. — lasiotis 545. — rhesus 538. — satyrus 632. — speciosa 546. — sylvanus 547. 550. Simiae 422 Sachregiſter. Simias concolor 608. Simmentaler Rind 351. Singalika 557. Singſing 180. Sitatunga 169. Sivapithecus 698. Soko 653. Sömmerring⸗Gazelle 213. Speke⸗Gazelle 214. Spießböcke 182. Spießhirſch, Grauer 98. — Roter 99. Spießhirſche 98. Spinnenaffen 497. 498. Spitzbergenrenntier 111. Sportive Lemur 394. Springaffen 461. Springantilopen 219. Springbock 219. Springtamarin 444. 461. Sproſſenhirſche 89. Stairs⸗Meerkatze 524. Steenbok 201. Steinbock, Nubiſcher 278. — Sibiriſcher 278. — Spaniſcher 274. — Weſtkaukaſiſcher 278. Steinböcke 278. Stenops 403. — gracilis 403. — tardigradus 405. Steppenantilope 226. Steppenduder 196. Steppenraſſen der Rinder 343. Steppenrinder, Ungariſche 344. Steppenſchaf 264. Steppenſchafe 249. Stirnrind 330. Streifenducker 196. Streifengnu 192. Strepsiceros 169. — capensis 169. — imberbis 171. — kudu 169. — strepsiceros 169. Striatosus 5. — vittatus 12. Stuhlmann⸗Meerkatze 523. Stummelaffen 595. | Stummelaffenartige 594. Stummelſchwanzſchafe 268. ala 608. Subulo 98. Suidae 2. Suinae 5. Sumatra⸗Orang 632. Sumpfantilope, Oſtafrikaniſche 169 — Weſtafrikaniſche 168. Sumpfböcke 168. Sumpfgaur 328. Sumpfhirſch 91. Suoidea 1. Sus 4. — barbatus 6. — — oib. — celebensis 6. 709 Sus eristatus 12. — leucomystax 12. — — continentalis 12. — moupinensis 12. — niger 12. — palustris 15. — papuensis 12. — sardoa 13. — scrofa 7. — — attila 8. — — baeticus 8. — — ferus antiquus 8. — — meridionalis 8, — sennariensis 13. — taivanus 12. — timoriensis 12. — verrucosus 5. — vittatus 12. Sylvicapra 196. — grimmia 197. — — coronata 197. — mergens 197. Symphalangus 614. — syndactylus 614. — — klossi 615. — — volzi 615. Tahr 298. 299. — Arabiſcher 299. Takin 240. Talapoin 514. Tamarin negre 456. Tamarins 456. Tamworth⸗Schwein 21. Tantalus⸗Meerkatze 516. Tarsiidae 417. Tarsius 417. — spectrum 419. — tarsius 419. Taurotragus 171. — derbianus 172. — — gigas 172. — oreas 171. — oryx 171. — — livingstonei 172. — — pattersonianus 172. Tayassu 4. — pecari 32. Tayassuinae 4, 32. Telemetacarpalia 79. Tendj 412. Tetracerinae 205. Tetracerus quadricornis 205. — — subquadricornutus 205. Teufelsaffe 595. Tevangu 404. Theropithecus 564. — gelada 565. — obscurus 565. Thomas' Galago 417. Thomſons Gazelle 214. Thorolds Hirſch 138. Tiang 188. Tian⸗ſchan⸗Reh 83. | Tibethirjch 138. Tibet⸗Langur 608. Tokur Sindſchero 565. 710 Topi 188. Tora 188. Torfrind 338. 353. Torfſchaf 265. Torfſchwein 15. Torfziege 289. Totenkopfäffchen 479. Totenköpfchen 480. Toth-Pavian 579. Tragelaphinae 164. Tragelaphus 165. — decula 166. — roualeyni 166. — scriptus 165. — silvaticus 166. Tragulidae 70. Traguloidea 70. Tragulus 71. — javanicus 71. — meminna 71. — napu 71. Trampeltier 47. 57. Troglodytes 648. — gorilla 677. — niger 651. — savagei 677. — tschego 651. Tſchakma 575. Tſchego 651. Tſchingala 557. Tſchiru 224. Tſchital 120. Tumbili 517. Tundrarenntiere 111. Tur 273. Turgauer Schwein 17. Turus caucasicus 273. — — eylindricornis 273. — pyrenaicus 274. Tylopoda 46. Uakari 469. — Roter 471. Uiſtiti 450. Uluk 614. Una happolava 404. Ungka 614. — puti 614. Unka 614. Unveredelte Landſchweine 17. Unveredeltes hannöverſch-braun⸗ ſchweigiſches Landſchwein 18. Ur 339. 365. 366. Urraſſen⸗Gruppe der Rinder 335. 343. Vari 388. — Roter 388. Veado branco 89. Vellericornia 73, Sachregiſter. Verreaur-Sifafa 397. Vervet 517. Vetulus 556. — albibarbatus 557. — silenus 557. Vicuna 60. 67. Vierhornantilope 205. Vignei⸗Hausſchafe 257. Virginiahirſch 92. Virginiahirſche 91. Vogelsberger 352. Vogeſenvieh 353. Vollbart⸗Meerkatze 525. Wahumarind 346. Waldböcke 164. Waldducker 195. Waldecker Rotvieh (Rind) 352. Waldrenntiere 111. Waldſchweine 25. Waldziegenantilopen 230. Waluwy 396. Wanaku 467. Wanar 602. Wanderu 556. Wapiti 136. — Oſtamerikaniſcher 137. — Weſtamerikaniſcher 137. Warzenſchwein 27. Warzenſchweine 26. Waſſerböcke 177. — Echte 178. Waſſermoſchustier 71. Waſſerreh, Chineſiſches 45. 83. Waſſerrehe 83. Watuſſirind 346. Wauwau 614. Weddells Affchen 457. Weißbartgnu 193. Weißbartpekari 32. Weißbart⸗Schlankaffe 607. Weißbart⸗Stummelaffe 600. Weißbauch⸗Klammeraffe 500. Weißkehl⸗Meerkatze 524. Weißkopfaffe 467. Weißkopfmaki 392. Weißnaſe, Dunkle 523. — Helle 522. 523. — Schwarzbäckige 522. Weißnaſen (Meerkatzen) 522. Weißnaſenaffe 468. Weißohr⸗Waſſerbock 177. Weiß ⸗Pinſeläffchen 450. Weißrücken⸗Schlankaffe 607. Weißſcheitel-Mangabe 528. Weißſchenkelaffe 600. Weißſchulteraffe 485. Weißſchulter⸗Seidenaffe 595. Weißſchwanzgnu 191. Weißſchwanz⸗Guereza 596. Rotvieh (Rind) Weißwangen⸗Gibbon 613. ’ Wiederkäuer 2. 44. 4 Wieſelmakis 394. Wildebeeſt 191. — Blaues 192. Wildſchwein 7. — Vorderindiſches 12. Wildſchweine, echte 5. Windſpielantilope 198. Windſpielantilopen 197. Winſelaffen 482. Wiſent 364. 365. 366. — Kaukaſiſcher 367. Witwenaffe 462. Wolfs Meerkatze 526. Wollaffe, Grauer 495. Wollaffen 495. Wollhaar⸗Gemſe 230. Wollmakis 396. Wollſchafe, Langſchwänzige 260. Xiu 467. Hal, ſ. Jak. Vorkſhire⸗Schwein 20. Yuruma 504. Zackelſchafe 260. Zackenhirſche 127. Zaupelſchaf 260. JZebu 337. 339. — Afrikaniſcher 345. — Aſigtiſcher 347. Ziege, Agyptiſche 291. — Langenſalzaer 290. — Thebaiſche 291. Ziegen 272. 285. — Athiopiſche 291. Ziegenantilope, Langſchwänzige 230. Zillertal⸗Duxer Rinder 354. Zombo 588. Zottelaffe 468. Zweihufer 2. Zwergantilope 196. Zwergböckchen 200. 201. Zwerg⸗Edelhirſch 141. Zwergflußpferd 34. Zwerg⸗Galago 413. Zwergmaki, Gabelſtreifiger 396. Zwergmakis 395. 5 Berne 514. N wergmoſchustier, Afrikaniſches 71. Zwergmoſchustiere 70. Zwergen 57 wergſeidenäffchen 455. wergur 341. Ara 23. wergziege, Kameruner 289. Zwergziegen 289. Abbott 629. Acoſta 65. 67. 70. Adametz, L. 288. 338. 344. 346. 353. Adams 120. 174. 231. 299. Adanſon 412. Adolf Friedrich, Herzog zu Med- lenburg 323. 411. 658. 686. Agatharchides 48. Agazzotti 648. Albrecht 472. Alian 115. 527. Allen 372. Alvarez 568. Ameghino 697. Anderſon 552. 613. 614. 616. Andersſon 149. Annandale 408. Anſon, Lord 295. Arenander, O. E. 336. 354. Ariſtoteles 123. 292. 364. 550. 558. 588. Audubon 93. 96. 162. 254. 375. 378. Augſt 288. Art 102. 106. Azara 475. Bacle 413. Baker 39. 40. 154. 326. 327. 330. 332. 568. 570. Baldwin 119. Balfour 441. Ball 540. Baer, K. E. v. 367. Barbaro, Joſafa 293. Barker 539. Bartlett 163. 389. 500. 652. Bates 417. 455. 456. 457. 459. 463. 464. 465. 468. 469. 470. 496. 511. 523. 524. 588. Battel 653. 677. Bauſchke 13. Bautan 613. Beaux, Oscar de 35. 565. 567. Beckmann, Ludwig 350. 351. Bedford, Herzog von 120. 139. Bellonius 293. Bennett 558. 618. 620. v. Berenberg⸗Goßler 594. Berger, A. 38. 153. 177. 179. 180. 189. 190. 209. 217. 323. 561. 598. 599. Berghem, Berthoud v. 282. v. Beringe 680. Namenregiſter. Bernier 294. Bertram 605. 606. Beſſer, Hans 562. Binder 288. Biſchoff 87. Blaauw 192. 194. Blanford 125. 174. 225. 250. 516. 534. 536. 538. 539. 553. 602. 605. 608. 613. 617. 618. Blaſius 104. 143. Bley, Fritz 102. 103. 104. 106. 109. Bluntſchli 697. Blyth 604. Bock 406. 553. 610. 614. 619. Bohm 257. 266. Böhm, R. 25. 29. 36. 37. 38. 40. 155. 166. 167. 180. 189. 209. 210. 323. 411. 412. 518. 580. 657. Bojanowſki 18. Bolau 156. Bonpland 33. Bontius 632. Bornmüller, A. 90. Bosman 409. Bourdillon 557. Brandes 389. Brandt 399. v. Brandt 146. Braß 64. 263. 292. 600. Brehm, Reinhold 274. 276. Breuner, Graf 96. Broekmann 551. 558. 590. Brooke, Sir Victor 118. Browning 328. Bruſſaux, E. 679. Buffon 386. 395. 456. 460. 550. 556. 664. Butler, W. F. 374. Büttikofer 34. 326. 528. 655. Buvry 270. 271. Buxton 249. Cabrera 275. „ Calpurnius 364. Camper, Peter 633. Candler 617. 618. 621. Canfield 161. 162. 163. 164. Caſanova 325. Cäſar 102. 109. 365. 370. Caſati 657. 658. Catlin 375. Cesnola 48. Cetti 247. Chriſtie 150. Cloete 576. Collett 104. 105. 106. 112. 115. 131. Colquhoun 351. Conwentz 368. Copeland 303. 304. Coquerel 399. Cramer 365. Cuming 419. 420. Cumming, Gordon 185. 193.221. Cuvier 258. 340. 516. 544. 639. Dach 102. Dahl 423. Darwin 62. 63. 64. 257. 428. 587. 593. 699. David, Armand 146. 608. — J. J. 150. — Lukas 365. v. d. Decken 37. De la Brue 527. Deninger 31. Derby, Earl of 128. Deville 471. Diehl 680. Dietrich 560. Dinnik 367. Diodor 42. 264. Dixon, Hepworth 374. Döderlein 280. Dodge 375. 379. Dombrowſti, E. v. 140. Dominik 686. 695. 696. Drayſon 177. 202. 322. Dubois 612. 699. Du Chaillu 651. 652. 677. 681. Duerſt 48. 73. 205. 258. 259. 260. 265. 266. 290. 307. 309. 312. 336. 337. 339. 343. 345. 347. 354. Dümichen 442. 568. v. Dungern 622. Duvaucel 603. 614. 615. 616.617. 619. Edinger 428. Ehrenberg 199. 568. Eichwald 367. Ekkehard 364. Elliot 208. 327. 397. 400. 412. 413. 416. 449. 462. 464. 466. 479. 483. 484. 486. 487. 498. 500. 514. 516. 524. 528. 534. 554. 579. 595. 602. 613. 629. 630. 632. 650. 652. 712 Erhard 286. Ermel, A. 295. Eſcherich 368. Eßler 565. 567. 599. Eßlin 334. Eversmann 7. Fahrenholz 436. 545. Falkenſtein 655. 680. 687. 688. 693. Falz⸗Fein 173. 194. 211.227. 249. 271. 308. 309. 342. 379. Ferdinand II. von Medici 51. Feußner 559. 577. Fick 630. 631. 647. Filatow 367. 368. 369. 370. Finſch 162. 374. 376. Fiſcher, G. A. 411. 560. 581. — Joh. v. 536. 541. 542. 543. 592. 593. Fisher 328. 330. Jitzinger 13. 259. Fockelmann, Auguſt 401. Forbes 603. 617. 620. Forſyth 121. 313. Francia, Dr. 478. Franges 343. Franz II., Kaiſer 262. Friedenthal 436. 442. 453. 623. Friedrich Auguſt, Kurfürſt von Sachſen 262. Friedrich der Große 262. Fritſch 209. 625. Fröbel 374. 378. Gaillard 182. 258. 259. 260. 289. Galenus 550. Gantzer 9. Garcilaſo de la Vega 66. Garner 482. 483. Garrod 332. Geoffroy 459. Gesner 366. 550. 589. Gieſeler 442. 560. Girtanner 248. Glitſch 227. Glur 265. 266. Gmelin 337. Göldi 461. Göring 62. 63. v. Goßler 442. Grabowſky 693. Grandidier 394. Graſhey 281. Gratiani 366, Grauer 680. 686. 687. Grimpe 492. 554. 578. Grote, H. 411. 417. 524. 581. Güldenſtädt 367. Günther 587. Haacke 174. 396. Haas 534. Haberer 655. 656. 686. 696. Haeckel 77. Hagenbeck, Karl 645. 695. 696. 208. 311. 387. 389. Namenregiiter. Hagenbeck, Wilhelm 611. Hahn, E. 14. 22. 48. 114. 116. 255. 293. 295. 334. 335. 342. Hamilton 120. Hanſemann, D. v. 441. Hardwicke 206. Harlan 616. 617. 620. Harris 168. 171. 173. 187. 190. 193. Hartert 52. 53. Hartmann 526. 579. 625. 649. 651. 690. Haßkarl 126. 406. 618. Haugwitz 102. Heck 31. 73. 82. 91. 98. 179. 209. 227. 228. 375. 408. 423. 494. 552. 554. 556. 565. 599. 628. 680. Hedin, Sven 58. 361. 362. 363. Heiland 647. Heinicke 686. 696. Heinroth 25. 31. 43. 66. 73. 123. 128. 129. 130. 168. 169. 180. 185. 187. 206. 208. 237. 311. Heller 310. Henſel 473.474.475. 476.477.489. Herberſtein, Freiherr v. 365. Hermes 690. 692. Herodot 36. 264. 568. Hertwig, F. 37. Heuglin, Th. v. 29. 38. 39. 177. 178. 179. 189. 215. 526. 565. 566. 567. 597. 653. Heydt 558. Hilzheimer 14. 15. 23. 35. 47. 73. 77. 104. 131. 141. 258. 267. 289. 322. 337. 339. 340. 341. 342. 343. 344. 353. 363. 364. Hodgſon 119. 255. 313. Hoffmann, E. 77. v. Höhnel 322. Hopkins, D. 41. Hoppius 632. Hornaday 96. 97. 161. 371. 372. 374. 375. 611. 645. Hornung 454. Horsfield 119. 605. 606. Hoeſch 7. 14. 16. 17. 18. 19. 21. 22. Houy, Dr. 686. Hrdlicka 629. Hughes 604. Humboldt, A. v. 456. 458. 462. 463. 469. 471. 473. 474. 475. 476. 481. 501. Hutton 538. 602. 604. Huxley 443. Jackſon 189. Jäger, Guſtav 472. Jagor 419. 420. 606. Jannaſch 55. 289. Jardine 589. Jarocki 340. Jentink 12. Jerdon 73. 118. 120. 207. 231. 332. 602. 604. 254. 309. 378. 379 Joeſt, W. 344. John 603. 604. Johnſon 539. Johnſton, Sir Harry 148. 597. Jones 406. 407. Jope, Max 218. Junghuhn 127. 534. Junker 57. 177. 656. 657. 662. Kantzow 102. Kapherr 106. Kappler 449. 466. 468. a 476. 478. 481. 501. Kauffmann 121. 123. 124. 125. 129. 313. 317. 326. 327. 328. 329. 330. 332. Keller, C. 258. 265. 267. 286. 338. — O. 47. Kerbert 631. 633. 646. 647. Kerſten 37. 411. 416. Kieſewalter 694. Kinloch 81. 82. 118. 297. 299. 300. 328. 362. Kipling, Rudyard 432. Kirk, Sir John 36. Kitt 353. Klaatſch 612. 661. 679. 699. Klampferer 235. 236. Knauer 14. 156. 280. 281. 402. 672. Knieſche 492. Knottnerus⸗Meyer 434. 437. 561. v. Kobell 237. 238. Köhler 674. 675. Kolumbus 345. Koppenfels, H. v. 37. 326. 651. 653. 654. 655. 682. 683. Koske 98. Kotſchy 286. 287. Kowarzik 300. 301. Kretſchmar, Eduard 221. Kteſias 340. Kühn, J. 5. 249. 308. 309. 326. Kükenthal 113. Kuntze, O. 359. Laborde 468. Lambert 327. Lampert 149. Landois 440. v. Langem ⸗Steinkeller 525. Langheld (Major) 579. — Gabriele 651. Lanick, Dr. A. 241. 242. Lankeſter, Ray 73. 148. 152. Laurentino Antonio dos Santos 687. Laurer 339. Zazar, Graf 365. Leche 27. Lehmann 48. 49. Lehrberg 115. Lenz 611. Leo Africanus 264. Lesbre 48. Leſſona 281. Leutemann 425. Le Vaillant 182. 221. Lichtenſtein 155. 172. 173. 182. 209. 221. Lindner, O. 37. 326. Linns 20. 255. 359. 380.550. 588. 622. Littledale 58. Livingſtone 178. Loder 215. Lombardini 47. 56. Lönnberg 24. 26. 27. 62.114. 152. 153. 154. 168. 179. 217. 318. 323. 524. 595. Lopez 653. Lorenz 286. Lortet 289. 312. Loewis, O. v. 105. 108. Ludolf, Hiob 597. Ludwig, Emil 53. Lydekker 2. 96. 97. 131. 139. 288. 312. 318. 327. 331. 381. 395. 498. 500. 524. 527. 560. 595. 698. Macintyre 299. Meckinloch 225. 231. Me Maſter 119. 120. 125. Me Nancy 379. Major, Forſyth 5. 24. 697. Makovicky 344. v. d. Malsburg 338. 341. Mansfeld 680. Maregrave 24. Marco Polo 115. Maria Thereſia 262. Markham 120. Martens 534. Martin, Ph. L. 458. 474. 567. — W. L. C. 517. Martini, Dr. 668. v. d. Marwitz 598. Matſchie 85. 136. 141. 321. 412. 413. 483. 498. 499. 526. 527. 553. 588. 631. 650. 652. 653. 658. 680. Max, Prinz von Wied 92. 163. 254. 447. 451. 459. 462. 463. 473. 478. 490. 498. 501. Meeter v. Zorn, A. 455. Meinertzhagen 26. Meißner 48. 53. Mell 545. 547. Menges 29. 224. 578. 597. 599. Meyen 62. 63. 65. Meyer, A. B. 310. — Ernſt 104. — Hans 50. 98. 172. 597. 598. 686. Middendorff 336. Miechow, Matthias v. 365. Miller, Gerrit S. 71. 85. 102. 276. 534. 698. Milne⸗Edwards 271. 647. Möllendorff, v. 146. Möllhauſen 374. 376. Montelius 16. Mooreroft 362. Namenregiſter. Moeſch 621. 622. Moſer, H. 59. Mucante 366. Müller, J. 131. — Lorenz 456. 457. 464. 472. 478. 479. — Robert 51. 52. 255. 260. 263. 344. 347. — Salomon 333. 419. 420. Munk 442. Mützel 163. 282. 331. 599. Nachtigal 54. 57. Nathuſtus, H. v. 5. 15. 17. 23. 336. — S. v. 262. 267. 309. Natterer 100. Nehring 5. 8. 12. 13. 16. 17. 18. 60. 264. 279. 340. Neißer 442. 648. Neumann, J. 346. 347. — Oskar 579. 598. 601. — P. 90. Niedieck 101. Nill 674. Nilsſon 335. 336. 351. Nitſche 104. Noack 35. 210. 580. Nolde 58. Nordmann 367. Nuttall 623. Ofner 314. 316. 317. Oken 597. Olaus Magnus 115. Oertzen, Jaſper v. 600. 656. 661. 662. 663. 680. 684. 685. 695. Osgood 112. Oſtermayer 604. Oſtrorog 366. Other 115. Owen 1. 335. 399. 618. Pallas 112. 211. 212. 227. 267. 452. Palmer, T. S. 96. Paſchen, Hans 658. 679. 686. 680. Paßberg, R. 687. Paulus Diaconus 315. Payer 304. Pechuel⸗Loeſche 24. 41. 167. 289. 295. 325. 434. 439. 506. 518. 519. 530. 590. 591. 651. 654. 662. Pedro de Cieza 61. Pennant 557. Perzina, E. 401. 402. 540. 645. 694. Peters 399. 579. Pfizenmayer 101. 102. 109. Pfungſt 427. 428. 429. 437. 441. 592. Phayre 552. Pick 441. Pinkert 646. 647. Pira 16. 17. Pleß, Fürſt von 130. 281. 368. Brehm, Tierleben. 4. Aufl. XIII. Band. 713 Plinius 36. 102. 364. 365. 568. 632. Plönnies, Frau v. 454. Plutarch 568. Pockel 87. Pocock 298. 425. 431. 461. 522. 613. 615. Pohl 615. Pohlig 264. Pollen 385. 389. 390. 391. 393. 396. 399. 400. Pollock 330. Polo, Marco 250. Poſſelt 550. Pouſargues 613. Preble 137. Priemel 673. Pritzler 347. Prochownick 625. Prſchewalſky 49. 58. 59. 211.251. 252. 268. 269. 359. 360. 361. 362. Purpus 243. Rabinowitſch, Lydia 441. Radde 7. 108. 211. 212. 249. 367. Raffles 419. 553. Rainsford 526. Ramm 349. Ramonath 106. Reade, Winwood 677. 681. Reichard 209. Reichardt 657. Reiche 325. Reichenbach 449. 461. 590. Rein 546. Reiß 60. Rengger 32. 33.90. 463. 464. 465. 473. 475. 478. 487. 488. 491. Rex 546. Ribeiro 461. Richardſon, Sir John 254. Ridley 553. Romanes 652. 674. Rooſevelt 36. 37. 153. 154. 169. 173. 183. 185. 189. 190. 193. 209. 210. 214. 217. 323. Roſenberg, H. v. 310. 406. 419. 554. 614. Roß 303. Rothmann, Max 427. 626. Rothſchild 680. Rumpler von Vorbach, Abt 340. Rüppell 29. 37. 40. 565. 573. 597. Rütimeyer 5. 8. 15. 265. 307. 335. 338. 347. 348. 351. Salaza, Juan de 345. Sallat 100. 136. 139. Salt, Titus 67. Salvadori 281. Salvin 479. 490. Sanderſon 328. 329. 330. 332. Sandwith 286. Savage 653. 655. 677. Sayers 664. 45 * 714 Schäff 9. 84. 101. 104. 105. 136. 140. 141. 144. Scheitlin 358. Schillings 27. 37. 151. 153. 154. 156. 171. 172. 173. 174. 179. 185. 189. 209. 210. 214. 217. 598. 599. 600. Schimper 565. 573. 597. Schinz 234. 284. Schlieffen, Graf Martin Ernſt v. 440. 551. Schloſſer 698. Schmidt, Max 194. 502. 503. 628. 642. 643. 644. 645. — Rochus 522. Schneider 6. 12. 229. 636. Schöller, Max 574. Schomburgk, H. 34. — R. 33. 447. 463. 465. 466.473. 480. 481. 483. 484. 488. 490. 501. Schöpf 371. 628. 647. 670. 671. Schoetenſack 266. 290. 338. 354. Schrader 340. Schreber 399. Schubotz 149. Schulenburg-Wolfsburg, Graf von der 97. Schumann 564. Schwarz, E. 41. 530. Schweinfurth 177. 189. 190. 324. 657. 658. Sclater, Ph. L. 148. 168. 410. — W. L. 25. 155. 187. 194. 517. 575. 576. Scott 207. Seba 404. Seitz, A. 548. 549. Selenka 610. 612. 636. Selous 38. 42. 155. 156. 172. 173. 178. 179. 181. 185. 191. 209. 322. 323. 324. Severzow 250. Sharpe, Bowdler 539. Shaw, G. A. 391. 395. Shephard, C. S. 550. Sigel 391. ‚Sjöftedt 217. 524. Smith, Hamilton 298. 340. — Woodward 698. Smitt 640. Snethlage 461. Sokolowſky 686. 696. Soemmerring, W. 75. Sonnerat 399. Sparrmann 43. | Tſchudi, F Namenregiſter. Specht, F. 565. 669. Spix 455. 468. 486. Stachelhauſen 659. Stader 228. Stanley 355. Stegmann 336. 339. Stehlin 4. Steiger, A. 21. Steinen, K. von den 503. 504. Stella, Erasmus 365. Steller 252. Stemberger 363. Stemmermann 686. Sterndale 73. 120. 123. 174. 208. 297. Stevenſon 65. Stoliczka 225. Stolz 313. Storm 646. 647. Strauch 4. Stübel 60. Studer 266. Stuhlmann 653. 664. Swiecicki 340. Swinhoe 546. 613. 379. Szalay 102. 131. 314. 315. 365. Tankerville 349. Teleki, Graf S. 322. Tennent 404. 538. 601. 607. Tesdorpf 247. 248. Teuber 674. 675. Thevenot 404. Thiel, H. 61. Thielmann, Freiherr v. 163. 254. 373. 374. 375. Thierbach 558. Thilenius 258. 259, Thomas, Oldfield 25. 168. 461. Thomſon 597. Tickell 534. 614. 615. 619. Toldt jun. 424. Traill 664. Tramnitz 304. Troueſſart 421. 632. 647. 496. 499. Tuckott 282. Tulpius 653. Turner 523. Tyſon 653. Uhlenhuth 442. 623. Ulmanſky 8. 16. 17. Ulrich 105. 5. v. 234. 235. 236. 356. — J. x v. 65. 66. 67. 69. 466. Veit 534. Viktor Emanuel II. 281. Vinſon 399. Virchow, Hans 426. 559. 625. 627. 629. 631. 648. — Rudolf 690. 699. Vogt, Karl 385. 446. Volz 6. 12. Vosmaer, A. 633. 638. Voſſeler 27. 40. 413. 524. 581. 582. 595. 599. 622. 653. 663. Wache, Ernſt 575. Wagner, Johann Andreas 60. 484. Waldeyer 626. Waldo, E. 248. Wallace, A. R. 601.602. 617. 633. 634. 636. 638. — 9. F. 241. Walter, A. 50. 113. Weber, Max 2. 23. 380. 382. 384. 417. Wenckſtern, A. v. 635. Werner 343. Weſtendarp 42. Weſtminſter, Herzog von 102. Wied, Prinz von, ſ. Max, Prinz von Wied. Wieſe 106. Wilckens 336. 337. 343. 354. Wilczek, Graf 282. 283. Williams, J. 54. 57. Wilſon 677. Winans 131. Winckell, Dietrich aus dem 10. 88. 89. 143. Winge 16. 159. 265. 338. 339. Wippel 236. v. Wißmann 324. Woldrich 131. v. Wolten 234. Wrangel 112. Wray 614. Wunderlich 222. 676. Wurmb, Baron 610. Wyath 378. Mouatt 348. Zell, Th. 556. 677. Zenker, G. 651. 683. 684. Zerenghi 37. Ziegler 87. Ziemann 441. Zuckerkandl 401. Druck vom Bibliographiſchen Inſtitut in Leipzig. 2231 i ö 4 ’ k VERBREITUNG DER SÄUGETIERE 1. 20Westl:0 ÖstL20 v. Greenwich = 60 — — 2 B 0 . Wendekrd.Steinbodks 1% 2 1 L B Kloakentiere, Beutelliere u. Zahnarme Kloakentiere (Monotremata) Fleischfressende Beuteltiere (Polyprotodontia) —— — - Pflanzenfressende Beuteltiere (Diprotodontia) ie TTS wu G === Äquator — Erdferkel u.Schuppentiere 8 (Nomarthra). Ameisenfresser Ayrmecophagidae) — Faultiere (Bradypodidae), — 6Gürteltiere Dasypodidae) Iren Schwert 2 f File N D N e N” u — = Wendekr d.Krebses | 528 nan e 85 Wendekr.d.Steinbodks Er I Wale u. Seekühe. —— Bartenwale (Mysticetil Zahnwale (Denticeti). WE — Paarhufer I. S — Ochsen (Bovinae) Schafe u. Ziegen (Caprinae) —— Antilopen (Antilopinae). . Seekühe (Sirenia) Nara au — —— Giraffen (Giraflidae) —— lürsche (Cervidae). -Moschustiere (Moschinae et Hydrelaphinae —— — Zwergmoschustiere (Tragulidae). + Wendehr d. Steinhocks RBB Kamele (Camelidae) 7 — Flußpferde (Hippopotamidae), +--.- Schweine (Suinae) +—— Nabelschweine (Tayassuinae) 60 — — 2 — 20 LE 20 100 180 140 100 Bibliograph. Institut, Leipzig. BREITUN 80 u Vora olarkreis n en — Na 2 npaarhufer, | . Rüsseltiere u. Klippschliefer — Pferde (Equidae | — N — Tapire (Tapiridae) 9 —— Nashörner Rhinocerotidae) ; —— Elefanten (Elephantidae) "\ Klippschliefer (Procaviidae) 4 | . = |-_. . Hasemnäuse(Viscacädae) »eWendekr.l. Steintocks . Stachelscloseine : (Hystricidae, Coëndidae == Nasetiere 1 A „ rugrauen u.Sprindhasen Las 5 — N 15€ ug 8 nn — AUT N (Octodontidae, Crefiodacty- agomorpha,Hystricomorpha, Sciuromorpha) 5 7 n ene 5 — Hasen (Leporidae) -J chwanzhörnchen/Anomaluridae) ER ___Pfeifhasen(Ochotomidae) —— Eichhörnchen (Sciuridae) . -— . Meerschweinchen (Cavidae, Aöoutidae) __ ——Biberu.Biberr: (Castoridae Haplodontidae) D 2? N e 2 zz ne . 5 ___|.Wandekr d.Krebses \N Sg —.— Nagetiere II Wühlmäuse (Microtinae, (Myomorpha)) — N Myotalpinae) _ ne 3 ) I — W 2 Pr wurfsratten (Bathyergidae) igmodomntinae usw.) ö --- - Erdmäuse (Geomyidae, Heteromyidae) — Mäuse(furmaeusw) K.» — —. Blindmäuse (Spalacidae) u | Siebenschläfer Myozidae) & — — re ein —— — 140 120 2140 100 \ Bibliograph. Institut Leipzig. e * ru * iM * | | 9 j N. E ii M Fr a 5 . W 7 1 1 Das u 4 Ai 1 ü 0 ii 5 Bene 5 ® iin 1 « 2 1 g iz ) u * 82 l 5 e L N * | 8 * 1 15 f 1 N 1 1 0 en 10 0 j j Fu 21 FR & 1 ’ ’ % ’ 1 2 \ 5 7 „ I r N A 1 5 * g 5 f 0 1 6 ö * 7 ) 0 VERBREITUNG DER SÄUGETIERE III. eee eee 100 EIN men —— eier | 7 Valros 5 e \ N. IN ri 7 KR’ Flossenfüßer Seehunde (Fhocidae) Walrosse (Trichecidae) _ = Ohrrobben (Otariidae) I : * Arag 2 . — 2 N Raubtiere I. — Hunde (Canidae) — Ottern (Lutrinae) Marder (Musteleae) Wendekr. d Kreises E RESTE Raubtiere I. — Katze n (Felidae) zen (Cryptoproctinae) —— Hyänen (Hyaenidae) . Schleichkatzen ‚ N werridae) | — FR, Anz \ =, 2 2 Vendekr. ass 5 Stinktiere-/Mephiteae) Dachse (Melinae) 7 —— — — Waschbären (Proeyonidae)| f -- —- Katzenbären (Aihurinae) Bären (Ursinae) Vielfraße (Guloneae) -__Wendeke d.Kredses +. ——5 eee, Insektenfresser. (Inseetivora) - Galdmulle (Chrysochloridae) Bor stenig nz Spitzottern n (Potamogalidae * el (Centstidaę, Sclenodontidae —— Maulwürfe (Talpidae) itzmäuse (Soricidae) el (Erinaceidae) selspri u pi (Maeroscelidi pa — - Flattermakis nal (Galeopi tecidae — zhörnchen? 3 CH E 100 — 100 Bibliograph. Institut, Leipzig. JR av A Fledermäuse (Chiroptera) Blattnasen (Phyllostomidae, Natalidae) Fischerfledermäuse ( Noctilionidae) Echte Fledermäuse ( Vespertilionidae) —— Hufeisemnasen ridae, Rhinolophidae) nde Hunde (Pteropidae) Affen und Halbaffen —— Gespenstmakis (Tarsiidae) —— Nachtmakis (Nycticebidae ) ----- Makis u.Fingertiere (Lemuridae et Chiromyidae) Menschenaffen (Simiidae) ; Krallenaffen —— Breitnasenaffen (Cebidae) —— Hımdsaffen (Cynopitheeidae s Gibbons ( Hylobales) Die tierischen Verbreitungs- zonen nach ihrer physika- Arctisches Nördliche u.südl. lischen Beschaffenheit. SEE Vi Bibliograph. Institut, Leipzig. Wendekr d Rrtbses "°% a Ne EN 3 Wendet d Steirbocks: \ Mittlere Wälder. S zone, (Klettertiere) BINDING SECT. JUN 71908 PLEASE DO NOT REMOVE CARDS OR SLIPS FROM THIS POCKET UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY QL Brehm, Alfred Edmund 45 Tierleben B74 1911 Bd.13 Piologica & Medical O 5 N Men ——— ren en” Dee I Iris wel — . N . a — arten heran, — . 2 17515 2 2———— 982 — means. — — re a — er r . ae nee ter ee 8 — — — me Ir ET N red ns no x 5 7 3 S — —ñ—[— 2) 8 ee! Tin ——— 5 N — an — ů — at . ee, — — ePte Mass Dee BEE EHER Dann a” 1 ee — ee MT: LEE Te ee Ltd engen 1 mE Te — — 1 eee e . Pr TER — * 7 Kress ee — er — te PrLR BE 22712 Nee teen [int 3 1 Ken W nn . DU