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Tutti Frutt
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Tutti Frutti.
Aus den Papieren
des Verstorbenen.
De mortuis nil nisi bene. (Zur Beherzigung für alle Recenfenten.)
Dritter Band.
Gegen Nachdruck in Würtemberg privilegirt,
Stuttgart, Hallberger'ſche Verlagshandlung.
1834.
Leichtgeharnischte und mit mehreren .
Darenthesen bewaffnete Vorrede..
D.: Verftorbene mag durch die zwer erften Theile des vorliegenden hors d'œuvre (denn für mehr hat er es nie aus⸗ geben wollen) verfchiedenen hohen und. nied’ren Perſonen in feinem Baterlande etwas unbequem geworden feyn, weß- halb fie ihm feitdem auf mancherler Weiſe raſtlos zuzufeßen fuhen Ber fonders ungehalten fcheint man in Bers lin auf den Verfaffer ; denn, wie mein
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Freund Graͤvell mir von da ſchrieb: «Etwas Anderes ift ed Aber Andere zu lachen, oder felbft ausgelacht zu wer: den I»
Eine Fleine literariſche Meute jagens der Thiere verfolgt mich daber ſchon geraume Zeit fläffend, pfeifend, ja brül« [end fogar durch) Wald und Flur! «Biele Hunde, fagtman, find des Hafen Tod !» Da ich aber fein Haſe bin, will ich es wirklich unternehmen mid) meiner Haut zu wehren, und wenigftend Einen aud jeder der drei Thiergattungen mir abs zufchlagen fuchen, Alſo al campo:
Den Reigen eröffnet in ber Abends zeitung ein etwas blödfichtiger, alter Balfe, der aus den Lufiregionen heftig
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auf mich niederſtuͤrzt. Dieſer Vogel, der ſo lange von der Luft gelebt, ſieht die poetiſche Beſchreibung einer Fahrt in derſelben für ein proceſſualiſches Ae— tenſtück an, faſt wie einſt ein beruͤhm— ter Profeſſor der Jurisprudenz ſich über ben Liebesverkehr in tractatu de Obe- rone von Wieland fehr empört fühlte, Mein Gegner findet bei einer fo wich— tigen DBegebenheit, wie eine Luftfahrt fey, zu feinem Erftaunen überall entftellte Thatſachen, ift aber hauptfächlich dars über entrüftet, Daß ich feinen Namen genannt. Du lieber Gott! ich glaubte, dem braven Manne wahrhaftig eine Ehre damit anzuthun — wie leicht hätte
id ihn nicht ftatt als Profeſſor Reich—
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hart, als den Magiſter Armſchwach, auf⸗ führen koͤnnen, und man würde ihn viel: leicht eben fo gut daran erfannt haben, ohne daß fein geheiligter Name in's Spiel gebradht worden wäre. Der etz was ftarfe Vorwurf der «Unmahrheit» den er mir macht, bafiet fich aber auf folgende Puncte:
1) Daß Herrfteichhart nicht in mei- ner Stube, fondern in der Bibliothek meine Befanntfchaft gemacht habe, (Er nennt mich zwar den Grafen P..., den ich nicht kenne, meint doch aber mich, das ift klar.)
2) Daß er ſtatt 600 Thaler nur 80 Friedrihsd’or erhalten, wobei er noch bedeutend wegen meiner Schwere
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Gnan follte glauben ih armer ſchmaͤch— tiger Mann fey fo Dick, wie der felige König von Würtemberg gewefen) ein: gebüßt, und ferner Feineswegs ich die Luftfahrt veranftaltet, fondern er mich nur auf meine Bitten, gewiffermaßen aus Önaden, mitgenommen, Da er fi nicht ungern hiedurch zugleich einen Iuftigen Gefellfhafter verſchafft habe. Er ift deßhalb auch großmüthig ger nug, mir jeßt nod) das Zeugniß mit auf ven Weg zu geben, daß ih mich weder gefürchtet, noch ihn gelangweilt habe, obgleich er dennoch beflagen müffe, feßte er hinzu, daß feine tiefjinnigen Barometerbeobahtungen fehr durd) die
Tutti Frutti III. Vorrede. B
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Beweglichkeit befagten Geſellſchafters geſtoͤrt worden waͤren.
Dieſe beiden Puncte laſſe ich der Kürze wegen, ohne Antwort. Ich glaube, ſie waͤre nicht der Mühe werth.
3) Daß ich über Fuͤllung, wie Bal— laſteinnahme des Ballons unrichtige, Herrn Reichhart's europaͤiſchen Ruf ſchmaͤlernde Angaben gemacht, auch den «Unfinn» (man muß geſtehen, Herr Reichhart führt Feine aͤtheriſche Sprache) behauptet: Der Boden der Gondel fey nur angeleimt gewefen, Hierauf muß ich, nach befter Ueberzeugung, verfichern : daß ich nur wiederholt habe, was ich während unferer Reife aus Herrn Reich— bart!'3 eigenen Neußerungen abnahm,
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namentlich aber hat es mit dem friſch an— geleimten oder friſch angebundenen (bei— des macht keinen großen Unterſchied) Bo— den der Gondel ſeine vollkommene Rich— tigkeit, ſowie mit der deßhalb an mich ergangenen Warnung des Herrn Reich— hart. War es damals bloß eine witzige Erfindung ſeinerſeits, um meine «zu große Beweglichfeit» zu mäßigen, fo muß er jegt Die Schuld davon tragen. Die Ne— meſis ruht nie. ft fie mir doch felbft und zwar ziemlich grob, wenn gleih auf milz dernd burlesfe Weife hier in der Ge ftalt des profefjorifhen Luftgeiftes er— fchienen, den ic) jeßt mit feinen eig’nen Waffen, d. b. um bildlic) zu fprechen, mit B *
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einem Kiel aus feinen eig’nen Schwins gen gezogen, zu befämpfen wage.
Uber leider bin ih nun ſchon an meine eigene wunde Stelle gefommen!
4) nämlich — welcher Artifel mir vorwirft, die Abenteuer von der Fichte im Walde und dem Soupe im Einfted- ler ungenau erzählt zu haben. Hier muß ich nun mein Unrecht herzhaft ein- geftehen, ja, es hilft nichts — ich muß dem geftrengen Herrn Reichhart ſowohl, als der ganzen Lefewelt demüthig ker kennen: wie es fehr möglich fey (denn e3 iſt zu meinem Schmerze gar lange her), Daß, als ich aus der Gondel fteis gen wollte, wir noch nicht auf der Fichte faßen, fondern noch über derſel— ben ſchwebten, ferner daß wir nurdur ch
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die Aeſte hindurch fielen, und nicht dar— in hängen blieben, fondern bloß der Ballon; daß unfer Hülferuf daher auch nicht von oben, fondern von unten erfchallte; endlich daß das soupe, im Einftedler Feineswegs ſchlecht, fondern im Gegentheil (nad) Heren Reichhart's Geſchmack wenigftens) fehr gut war. Sch hoffe, dieß reuige Befenntniß wird in den Uugen billiger Richter mein Ber: brechen mildern, tugendhafte Menfchen aber werden zugleicd) der Meinung ſeyn, daß die Undanfbarfeit des Angebers groß ift, nachdem ich ihm doch am jer nem Abend, wie er felbft nicht leugnet, die fo gut gerathene Sauce zum geret- teten Fafan in eig’ner Perſon verfertigt
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habe. Ein ſolcher Zug von dienſtfer— tiger Gutmuͤthigkeit haͤtte ihn ruͤhren ſollen! Da er aber kein Erbarmen mit mir gehabt, ja ſogar auch noch dem Gaſtwirth, welcher vor 16 Jahren im Einfiedler haufte, unter den Fuß gibt, ebenfall3 gegen mich zu reclamiren, fo werde ich ihn jeßt auch an einen be deutenden Mangel feines Gedaͤcht— nifjes erinnern, Er verweiſet in Der vor mir liegenden Streitſchrift auf ſei— nen, in die Spener’fche Zeitung am Tage nad) unfrer Luftfahrt eingerück— ten Aufſatz. Aber e8 ift ihm entfallen, daß an diefem Auffag, glei wie an der Sauce in Potsdam, ich ebenfalls einigen Theil babe und zwar aus dem,
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mir fehr wohl erinnerlihen Grunde, weil ſchon damais des Heren Profef- ford Styl an derfelben Schwerfällig: feit litt, Die ich das Gluͤck habe, feine jegigen Bemühungen gegen meine We; nigfeit ebenfalls auszeichnen zu fehen.
Ein befonders poffirliher Umftand bei der Sache ift der, daß mir Herrn Reichhart's Auffa vor dem Drude, in einem zwanzigfach corrigirten Ma: nufeript (foviel Kopfbrechens hat die große Conception gefoftet) durch einen befondern Zufall mitgetheilt wurde, und ih, dem erlauchten Verfaffer ganz un: bewußt, noch einige Sprachfehler dar: in felbft verbeffert habe, was jedoch gern gefchehen ift, und wofür ich daher
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keinen weitern Dank verlange. Am Ende des Manuferipts ſtand eine ſehr
naive Stelle, deren Durchſtreichung ich
ungemein bedauerte. Herr Reichhart ſagt naͤmlich darin: «Sndlich verſichere «ich, daß es mir zum Vergnügen gerei— «chen würde, noch eine Luftfahrt in «Begleitung de8 Herın $ v. PP... «(was ich wiederum feyn foll) machen «zu koͤnnen, denn fehwerlich möchte ſich «ein gleich) angenehmer Reifegefellfchaf: «ter finden.»
Es hätte zu ſchmeichelhaft für mid) werden fünnen, wenn diefe Anerfennt: niß eines großen Mannes veröffentlich worden wäre, Wenn aber wirflic Herr Reichhart wiederum die Großmuth
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uͤben ſollte, mich, ſelbſt für die geringe Summe von 80 Fr.d'or, auf einer feiner Luftreifen gütiaft mitzunehmen (was um fo eher gefhhehen fünnte, da ich feitdem noch viel leichter geworden bin), fo würde ich doch immer fo ber foheiden feyn, mit unumftößlicher Ue— berzeugung anzunehmen: Daß die erz wähnten Louisd'or viel ſchwerer wiegen müßten, als id.
Ich babe mich) über diefe Sache fo weitläuftig ausgelaffen, weil fie in Form eines fürmlichen dementi, ja, in beleidi- genden Ausdrüden erfchien, und eine Forderung an mic ftellte, die bei einer romantischen Behandlung folder Gegen: finde (welcher natürlich geftattet feyn
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muß, der Wahrheit einige Dichtung beizumiſchen, wenn fie nicht ungenieß— bar wie Herrn Reichhart's eig'ne Schrei⸗ berei bleiben ſoll), freilich hoͤchſt laͤcher— lich iſt, aber manchen Leuten dennoch ad oculos zu demonſtriren noͤthig, weil ſie es ſonſt nicht einſehen. Haͤtte übri— gens Herr Reichhart ner einige unmwill- kuͤhrliche und irgend wefentliche Irrthü— mer in meiner Beſchreibung auf eine befcheidene Weiſe bemerkbar gemacht, fo würde ich gar nichts dagegen gehabt haben. Da er fi aber das Anſehn gegeben, an mir zum Nitter werden zu wollen, ja felbft den Berfuh gemacht, eine ungluͤckliche Luftfahrt in die Re— gion des Witzes auf meine Koften zu
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unternehmen, fo habe ic) es für zuträg- lich gehalten, ihn hiedurch an das Schickſal ſeines Urahn Ikarus zu erinz nern, der in's Waffer fiel, weil er den Gefahren des Fliegend nur mit wächfernen Flügeln zu begegnen verz mochte. Hält indeß Herr Reichhart Die feinigen immer für noch nicht ger börig gefhmolzen, fo werde ich ihn an neuer Evolutionen nicht hindern, und nach diefer Erflärung weder auf Ber fhuldigungen, noch Injurien feiner feitö mehr ein Wort erwiedern, denn erfiend habe ih im Empyreum jegt g’rade mehr zu thun, zweitens weiß ih) auch bereit3 aus trauriger Erfah—
rung, daß ein Autor für die Unter:
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welt vielerlei geduldig ertragen muß.
Schließlich benutze ich aber die jetzige Gelegenheit noch, um die Identitaͤt meines biedern Poſtmeiſters zu vindi— ciren. Sein fehlendes Bein hat ihm nur die Abendzeitung abnehmen laſſen, ſo wie ſie ihn gleichfalls in den Befrei— ungskrieg nach meiner Luftfahrt aus eig'ner Machtvollkommenheit geſchickt hat. In meinem Buche, tutti frutti betitelt, ſteht nichts davon, und ich habe den von ihr mitgetheilten Auszug auch nicht eingeſchickt, obgleich ich ſehr dankbar für die Ehre ſeiner Einrückung bin.
Dem ſchiffbrüchigen Falken koͤmmt ein Landsmann, ein Fuchs aus Leip—
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zig, zu Hülfe, der zwar den bittern Tadel gewandt zu überzudern weiß, auf der andern Cette aber ungalant mei: nen fomnambülen Doppelgänger mit Namen anruft, Wie leicht Fönnte die: fer, wie dad arme Mädchen in Dres— den, erfchroden aufs Pflaſter fallen, wenn ich ihn nicht in meinen Armen hielte! Der fonft fehr anmuthig ve dende, liebenswürdige Fuchs ſtreckt feine Schnauze durch die elegante Zei: tung hervor, Deren zu undurchſichtiges Papier ihm aber wahrſcheinlich, als blind machendes Schild, vor den Au— gen gelegen hat, denn er kann meiner Fährte nur mit der Nafe folgen, ohne wie es fiheint Dabei recht Flar zu fe
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ben. Nachdem er daher viel unnuͤtze Kreuz und Querzüge gemacht, hat er, bald rechts, bald links abirrend, bei'm letzten Sprunge meine Spur ſchon ganz und gar verloren. Fuͤchschen, wirf die Brillen weg! Du traͤgſt deren mehr als eine, und Deine fhöne Aeuglein glänzen fo hell und Klar, daß es Schade ift, fie nit ungetrübt zu fer ben. Ohne Brille härteft Du ſchwer⸗ lich die Form meines Buches fo mon: ſtroͤs gefunden. Bedenke: bei einer Sammlung von Früdten koͤmmt es nur darauf an, ob jede gefund und reif iſt. Bon einem Scheffel Aepfel darf feine Apfelform verlangt werden, weder bei Ananas noch Difteln, und
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fraͤgt ſich's nur, für welches aroma Kritikus die meifte Empfänglichfeit hat. Nimm den Scherz nicht übel, denn ih chre und ſchaͤtze Dich aufrichtig. Komm’ zu mir in meinen Wald und gewiß wir wollen, oder ich müßte mid) febr trügen, noch die befien Freunde werden.
Das Zriumvirat beſchließt ein un: förmliher Hecht. aus dem Berliner Spreecanal, defien Waffer bekanntlich nicht zu den kryſtallhellſten gehört. Es ift ein beamtetes Raubthier, läßt fi im Gefelljnafter vernehmen, und nimmt zuerft mit wichtigen Geberden den Cha— racter eined Zweiflers an, deren Art in Berlin fo felten geworden ift; bald
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aber merft man, daß er nur Scherz treibt und im Gegentheil ein’s der glaͤu— bigften Thiere feiner Gemeinde ift; denn er fühlt ſich innig davon über: zeugt, daß alle preußifche Gefeße, alle preußifche Beamte, alle preußifche Bil: dung, vor allem aber des guten Hech— tes eig’ner Antheil daran, das Bor: trefflihfte auf der Welt find. Boll von diefem felig machenden Glauben fperrt er Ddaber auch ex officio einen gewaltigen Rachen auf, um die armen tutti frutti zu verſchlingen. Wahrfchein: lic) Fommt ihm jedoch ein zu feharfer Senftgeruch daraus entgegen, denn er wendet ſich bald wieder voll Abſcheu von ihnen, erflärt die Früchte für wurm—
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ſtichig, und den Verſtorbenen fuͤr über— lebt. Ja er findet nun ſogar die Speiſe, welche dieſer früher dem Publicum vorgeſetzt, ganz vortrefflich, fo fehr er fie auch vorher gleichfalls verſchmaͤhte — dieß geſchieht freilich nur um dar: zuthun, wie tief das Neuere unter dem Aeltern ftehe, aber ich bin doch dankbar dafür, denn wer weiß, ob bei Erſchei— nung meines näcdhften Büchleing, dem tutti frutti nicht ein gleiches Glück wiederfährt,
Uebrigens, lieber Hecht, muß ih Dir in deinem Tadel völlig recht geben, es geht aber damit fehr natürlich zu. In einem alten Vade mecum jteht eine Anecdote, Die bejnat: es babe
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einmal eine Magd ihre reiche Gebie— terin (beide im Begriff zu heirathen) um eine Ausſtattung angeſprochen, wor— auf dieſe ihr 10 Thl. geſchenkt. Als ſie hierauf der gnaͤdigen Herrſchaft ih— ren Braͤutigam vorſtellte, bemerkte das Fraͤulein: dieß ſey ja ein hoͤchſt or— dinaͤrer Burſche, ſie ſolle ſich dagegen einmal ihren Zukünftigen anſehen. «J freilich», antwortete dad Maͤd— chen: «was wollt Ihr aber aud) für lumpige zehn Thaler Befferes haben?!»
Die Anwendung diefer Gefchichte liegt nabe. Zu den Briefen des Berftor: benen bot mir ©roßbritannien feine unerſchoͤpflichen Schäße zur reichſten Ausbeute dar, zu den befpeidenen tutti
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frutti lieferte mir nur ein kleiner Theil des Vaterlandes ſeine zehn Thaler. Und ed mag immer ein Kunſtſtuͤck ger nannt werden, die Welt fo viel von Sandomirifcher Bürenueratie und von Sandomirifhen Froͤmmlern unterhal- ten zu haben, ohne langweilig gewor⸗ Den zu ſeyn. Daß dieß aber wirklich nicht der Sal geweſen, beweifen mir gewiſſe untrügliche Zeichen, die felbft noch über der Kritif ftchen. Nun wird mir es Niemand verdenfen, wenn es mir wohlgefällt (denn ich bin nur ein armer, induftrieller Edelmann) die er: wähnten 10 Thaler zum Beften mei— ner Caffa mit 1000 zu multiplieiren. Ich gedenfe daher, diefe goodly mine
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(nach vorher eingeholter Erlaubniß mei— nes hochgeehrten Goͤnners, des Herrn Hofrath Foͤrſter) auch in den folgen— den Theilen noch keineswegs zu verlaſ— ſen. Ja, haͤtte ich Eigenſchaften genug, um von Maͤnnern erſchoͤpfend und wuͤr— dig zu ſprechen, wie unſ're Coryphaͤen: die Humbolde, Gans, und manche An: dere noch, die ich nicht nenne, weil fie mir zu nahe befreundet — dann freilich würden aud meine Schilde rungen intereffanter feyn, aber zum Loben bin ich nicht geiftreich genug, ih) muß alfo fhon fortfahren meinen Scherz wie bisher mit den Kleinen zu treiben.
Der legte Effort des ffeptifchen Spree:
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fifches ift eine lange und auch entjeß- lih breite Differtation über die Re— gulirung der bäuerlichen Verhaͤltniſſe, die nichts von dem entfräftet, was ich) gefagt, und mir Vieles unterlegt, was ich nicht gefagt. Dennoch werde ih, nicht ihretwegen, fondern um der Sache willen, bei gelegener Zeit, fe- parat Darauf antworten.
Als ich hier mi nun endlich in salvo glaubte, koͤmmt noch ein ſchwer— fälliges Thier in der Zöwenhaut hin: tennach trottirt und trompetet laut. Es erſcheint als Correſpondent des Morgenblattes, mit dem Zeichen eines Kreuzes angethan, eine Vorſicht die kaum noͤthig wäre, da ſich feine Rap⸗
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porte ſchon ohnedieß binlänglih von den oft wigigen und meiſt wahren ſei— nes Collegen, des Sternleind, unter fheiden. Der bezeichnete Kreuzträger nimmt viel Uergerniß an meinem ld: herlihen und immer wiederfehrenden «Incognito» und verfichert : daß fich über die tutti frutti in Berlin fogleih eine fefte abfelzudende Meinung gebildet habe.
Da es doch ſchlechthin unmöglich ſcheint, daß eine Meinung die Achſeln zucken koͤnne, fo muß fie ſich perſonificirt haben, wahrſcheinlich in der geehrten Individualitaͤt des Herrn Correſpon— denten ſelbſt. In dieſem Falle wird aber gewiß jeder gute Chriſt ihn auf—
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richtig. beflagen. Man denfe ſich — ganz wie im Mähren, wo eine Ge: ſellſchaft plößlich verfteinert, und jeder in der Bewegung, die er eben vornahm, verharren muß — trifft bier ein voll: kommen aͤhnliches Loos auch unfere ach— ſelzuckende Meinung, welche in dieſem actus feſt geworden, nun offenbar aus der peinlichen Stellung nicht mehr her: aus kann. Sa felbft, wenn ein boshaf: ter Fremdling ihre hülflofe Lage jet zu Applicirung der draſtiſcheſten Mittel miß— brauchen wollte, fie koͤnnte nicht einma! von Neuem dazu die Achfeln zucken, fon: dern müßte ſich ruhig in ihr Schickſal erge⸗ ben. Wir rathen einer auf fo unglüdliche Weiſe impotent gewordenen Meinung,
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ſich von unſ'rem herrlichen Gräfe operi— ren zu laſſen. Kann Correſpondent 2000 Pfund Sterling aufbringen, wie der liebenswürdige junge Prinz, dem Gott Segen ſchenken moͤge — der groͤßte operateur des Jahrhunderts macht ger wiß auch bier das Unmsgliche moͤg— ih. Sa, vielleint thut er gar ein Uebriges, und verferfigt. dem Kran- fen als Zugabe auch noch eine neue Naſe von beliebiger Länge gratis, Re- convalescent fönnte dann Fünftig dieſe ftatt des abgedroſchnen Kreuzchens, viel- leicht mit Nußen, feinen Berichten in effigie vorfeßen. Wir wünfchen ihm Dabei gewiß von Herzen den beften Erfolg, fobald wir nur nicht gezwung—
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gen werden, diefelben, ich meine Die Berichte, lefen zu müffen, was Gott gnaͤdiglich verhüten möge,
Aber nun muß ich) aud) Danf fagen! In zwei der gefchäßteften Fritifchen Blätter, denen für «literarifche Unter: haltung» und. den «Jahrbüchern für wifz fenfhaftliche Kritif», bin ich fo nach— fihtig beurtheilt und fo liebenswürdig belehrt worden, daß ich glaube: folgte die Kritif immer ſolchem Beifpiele, Au: toren und Publicum würden aud) überall nur den hoͤchſten Gewinn von ihr zie— hen, während jett leider zu oft das g’rrade Gegentheil davon ſtatt findet,
Dieß fage ich nicht, weil jene Recen-
Tutti Frutti III. Vorrede, €
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fionen Manches an meinen Büchern loben, fondern weil fie beide, durch den Scharfſinn der YAuffaffung, die befon- nene Klarheit des Urtheild und Die edle Gerechtigfeitsliebe ihrer Berfaffer fich als wahre Meifterftüde und Mufter in ihrem Sache hinftellen. Ihr Tadel ift belehrend, weil er fein und ſchonend, ihr Lob ermunternd und fchmeichelbaft, weil e8 unparteiiſch iſt. Es liegt mir daher an der Meinung diefer mir fonft perſoͤnlich gänzlic unbefannten Maͤn— ner zu viel, um nicht noch mit wenigen Worten zweier Puncte zu erwähnen, wo ich von ihnen nicht recht verftanden zu feyn glaube.
Beide Kritifer jupponiren ganz rich-
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tig ein vorherrſchendes ariſtocratiſches Element in mir, der Ungenannte aber traut mir ein Vorurtheil dabei zu, dem ich mich ganz fremd fühle Wie ich Diefes Princip begreife und wie ic) ihm anhänge, wird der politifche Aufz faß in den folgenden Theilen hinlaͤng— lic) zeigen, wenn ed mir gelungen iſt, deutlich zu werden, was bei diefen Ca— pitel Feinesweges leicht ift. Beide Kri— tifer auch halten mein Verftindniß des Ehriftentbums für irrig. Dennoch uns terfchreibe ich aus vollftem Herzen jer des der fhönen, überzeugenden, einfa: hen Worte de8 Ungenannten über Dies fen Gegenftand, und wenn ich aus C *
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ihnen auch noch helleres Licht gefchöpft, was ich höchft dankbar erfenne, fo bin id) dadurh im Wefentlihen doch nur in meiner früheren Anficht beftärft wor: den, ein Beweis, daß diefe Feine fals ſche war, fondern nur vielleicht unzu— länglih von mir ausgedrückt worden ift. Allerdings weihe ih in einer Nüance von meinen Beurtheilern ab — denn obgleich ich zugebe, daß es ein Vorzug des Chriſtenthums vor der Naturreligion fey, zu zeigen: daß außer der Gemeinfhaft mit Gott gar feine Seligfeit möglich ift — fo glaube id) doch auch, daß eben die chriftliche Kreuzes: und Leidenstheorie diefer Ge: meinfchaft mit Gott weit engere Gränz-
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zen ſetzt, als billig, und ſie faſt nur in ei⸗ nem einſeitig und folglich krankhaft, von religieuſem Gefuͤhl erhitzten Phantaſie beſtehen laſſen will. Die Gemeinſchaft mit Gott iſt ja immer vorhanden, wo wir nicht ſuͤndigen, ja ſelbſt im ſinn— lichen, irdiſchen Genuß, im Streben nad Wiſſen eben fo gut wie nach Glau— ben, nach Wahrheit wie nad) Tugend. Sie verbürgt und Zufriedenheit in jer der Lage, aber das Gefühl der Se ligfeit wird doc immer nur in felt- nern Yugenbliden über uns fommen, und, auf diefer Welt wenigftens, nie ein permanenter Juftand werden fün- nen. Wer alfo durd das Kreuz nad) ewiger Verzuͤckung ftrebt, ift wohl fchwer-
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fich auf einem gefunden Wege. Und hierin fowohl, wie in vielem Anderem bedarf es, meiner Meinung nad), bei der ungeheuern gerfpaltung, Ueber: reiz oder Lauheit, und Unficherheit un: ferer religieufen Anfichten, für die Welt einer von Neuem fihtlih erfcheinenden, Einheit des Glaubens hervorrufenden, entfchied’nen Autorität. Sft es denn nun ein fo falfch verfiandenes Chri- ftenthbum, wenn ich als meinen Glau— ben befenne: daß die hriftliche Reli: gion, aufgefaßt wie fie der Ungenannte erläutert, zwar gewiß die höchfte, dem Menfchen bisher gewordene Offenba- rung, eine wahrhaft göttlihmenfchliche — aber eben deßhalb auch Feine ver:
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fteinerte, fondern eine in und mit den Menfchen organisch fortlebende fey ? denn alles Menfchliche ift ja wandel— bar, Fann durch Aeußeres getrübt wer: den und bedarf deßwegen öfterer Nach: hülfe und Reformen, Ein großer Theil der Chriften, und zwar der, welder ſich g’rade für den aufgeflärteften hält, nennt fi) noch heute darnach: Nefor: mirte. Wo nun einmal Reform nöthig war, muß fie es in einer ge wiffen Zeit auch immer wieder wer: den, Eine folhe Religtiond - Reform, habe ich 'gefagt, brauchen wir jeßt drin: gend wieder, und bleibe dabei, weil die Zeit fo verworren geworden, daß faſt Seder heute einem verfchiedenen
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Slauben anhängt, und daher weniger als ein neuer Prophet der troftlofen Auflöfung Faum ein Ziel ſetzen zu koͤn— nen ſcheint. — Allerdings hat Herr Neumann fehr recht, wenn er meint «diefer müßte dann immer wieder Chri⸗ ſtus felbft feyn, d. h. doch nur: ein Wefen hoch und erhaben wie er, in feinem Sinn und feinem Geift » Wohl — aber die Menſchheit ift nicht die— felbe mehr, welche fie chedem war, und Daher möchte doch die Erſcheinung jeßt ganz anders verlaufen, und und Manz ed gejagt und gelehrt werden koͤn— nen, wozu die damalige Welt noch nicht reif war. Sa, wer weiß ob eine folche Reform nicht mit der Religion zugleid)
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die Politif, Ppyſik und Chemie, Arz neifunde u. f. w. insgefammt umfaf; fen wird, indem fie und ein unbefann- te8 Grundprinzip alles irdifchen Le: bens, aller Kunft und Wiffenfchaft enthüllt, das noch nicht gefunden ift, aber Manchem fchon vorgeſchwebt zu ha: ben fcheint. Hier würde auch der My: ſticismus feine glorreiche Auflöfung fin: den, der eben nichts Anderes unbemußt im Dunfeln ſucht. Es wird deßhalb nicht weniger im neugefialteten Chris ftentbum, jener tiefe göttliche Geiſt ruhen, der immer ein und Derfelbe bleiben muß, und der, erfannt und in fi) aufgenommen Einzelnen zu jeder Zeit genügen mag; doch die Maſſe
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der Menſchen bedarf mehr; ſie bedarf zu Leben und Verſtaͤndniß eines ganz zen Daraus hervorgewachfenen Baumes, mit vielen Früchten, und diefer wieder: um fortwährend des wartenden Gaͤrt— ners; fängt er aber endlich an abzu— fterben, wie e8 jeder Erfcheinung un- abaͤnderliches Loos iſt, fo ift eine gaͤnz— liche Verjüngung noͤthig, die mehr als den gewöhnlichen Gärtner verlangt, und die zu vollbringen von Sahrtaufenden zu Sahrtaufenden nur den höchften Auserwählten anvertraut wird, Etwas Anderes babe ich unter dem bier aber: mals angegriffenen Ausdrude: «neuer Chriftus» nicht verftehen koͤnnen, noch wollen, und im Grunte ift Diefe Mei:
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nung ganz orthodox, denn Jeſus hat ſelbſt geſagt: daß er wiederkehren werde.
Doch ich bin kein Theologe, und irre ich, fo Bitte ih um Entſchuldi— gung. Keßer gibt e8 ja nicht mehr !—
Zuletzt vereinigen fich beide Kriti- fer aud noch darin über mich, daß fie die wahre Natur, Gehalt und Anz ſpruch meiner literarifchen Erzeugniße und das, was fie wirflih Eigenthuͤm— liches haben möchten, Deutlich erken— nen und hervorheben, worüber fich be: fonders Herr Neumann fehr treffend Außert, indem er mein Buch eine Eon: verfation mit dem größern Publicum nennt. Ö’rade dieß war meine wohlbe: wußte Abficht, gerade Diefer genre, wenn
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man es fo bezeichnen will, fehien mir noch ganz unausgebeutet, und fo un: tergeordnet er feyn mag, das Intereſſe was, ohngeachtet meines ſchwachen Ta— lents, dieſe Verſuche dennoch allgemein erregt haben, bürgt dafür, daß der Gedanke, welcher ſie hervorbrachte we— nigſtens nicht unrichtig war.
In dieſem Lichte bitte ich nun auch die folgenden Theile fortwaͤhrend zu betrachten und fo freundlich aufzuneh— men, wie fie geboten werden, denn — von Einzelnen oft und fchwer in meinem Leben verfannt und bart ver: fett, babe ih mich Ticbend und verz trauensvoll an jenes imaginaire Wer fen, das Publicum genannt, gewen-
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det — ic) fche es als einen wohlmei— nenden, unparteiifchen, milten Freund mit den hoͤchſten und vielfeitigiten Eir genſchaften begabt an, und ſcheue mid) deßhalb auch nicht, ganz aufrichtig mit ihm zu feyn, ja mit Gelbftverläug- nung ihm offen meine Schler zu be: fennen, meine beſſer'n Eigenſchaften aber auch eben nicht zu verbergen ; und natürlid — da in diefem Ber: Fehr ich allein ſpreche und allein eine wahre Perfönlichfeit mitbringe — ma: he ich auch dieſe Perfönlichfeit in mei: ner Schrift zur Hauptfadhe, an die ſich das Uebrige nur ald von mir zu: ruͤckgeſtrahlt, anſchließen muf.. Gelingt mir es aber manchmal, jenes Fremde
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und Yeußere fo intereffant darzuftellen, daß meine Perfönlidhfeit darü— ber in den Hintergrund tritt, fo bat dann erſt dieſe letztere Urfache, ſich etwas auf ſich ſelbſt einzubilden. Kurz, man nehme mich hin, wie ich bin und wie ich ſeyn kann, und ſo lange ich unterhalte, hat Niemand noͤthig, ſich daruͤber zu allarmiren, ob es auch in regelrechter, bisher ſchon recipirter Form geſchehe oder nicht.
Endlich geſtehe ich ein, die Abſicht gehabt zu haben und fortwaͤhrend noch zu haben, das Thoͤrichte, Schaͤdliche und Boͤſe überall, wo ich es antreffe, ohne Anſeh'n der Perſon mit den Waf— fen des Ernſtes, wie des Spottes,
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angreifen zu wollen, und ed möchte leicht in diefer Hinficht noch befjer kom— men, als bisher. Qualificirt zu fol- chem Unternehmen aber hielt ich mich aus folgenden Gründen;
1) weil ih dadurch in vielen Fal- fen dem Ganzen zu nüßen glaube, und überdieß einen andern practifchen Spiel; raum für geiftige, gemeinnüßige Thaͤ— tigfeit Dermalen nicht aufzufinden weiß;
2) weil ih, ohne gehäffige Ausle— gung, es auch felbft fehr gern höre und am aufrichtigften dabei mitlache, wenn man das mir anhingende Thy: richte auf ähnliche Weife, als ich es Andern getban, ebenfalls herworhebt; noch danfbarer bin, wenn man mir
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das Schaͤdliche, was ich verurſacht, mit guten Gruͤnden nachweiſ't; das Boͤſe aber betreffend, mir Gottlob be— wußt bin, ſolches nie wiſſentlich und abſichtlich ausgeübt zu haben;
3) weil ich gar nicht der Meinung bin, daß einzelne Perſonen nie mit Satire angegriffen werden dürften. So— bald es nicht aus bloßer gemeiner Rach— ſucht, oder auf eine indecente Art ger fchiebt, fehe ih niht ein, welches Praͤ— rogativ die Perfonen hierin vor Staaten, Bölfern, Corporationen, oder den Menfchen im plurali genommen, voraus haben follten. Die größten Satirifer die e8 gegeben, Ariſtopha— ned, Aretin, Voltaire »c. haben fich
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nie gefheut, dumme, lächerliche oder boͤſe Perſonen mit der Waffe des Witzes zu befämpfen, und ohne fie immer mit ihrem wahren Namen zu bezeich- nen, fie doch durch den Inhalt ihrer Worte hinlänglich Fenntlic) zu machen; aber auch die größten Männer ihrer Zeit Tießen fich einen harmlofen Scherz gern von ihnen gefallen.
Daß übrigens der Autor diefes Bus ches felbft von allen Menfchen der Id: cherlichite feyn müßte; wenn es ihm einfallen koͤnnte, ſich folchen Geiftern, ald er bier anruft, gleich ftellen zu wollen, gibt er gern zu; aber das hindert ihn nicht, fey er auch noch fo ſchwach in der Ausführung, dennod)
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denfelben Grundfag wie fie zu befolgen.
4) Endlich vertraut er, fo gut als ein La Motte Fouqué ſcher Ritter, auf Gott, fein Schwert und feine Feder, liebt etwas frifhen Kampf recht fehr, und genießt Dabei das gute Gluͤck, daß er weder den offnen, nod) den verfteckten Feind fonderlich fürchtet. Nur vor falfhen Freunden bittet er Gott ihn zu bewahren!
Set, lieber Lefer gewähre noch ei- nen Augenbli Geduld, damit ich eine Pflicht erfüllen kann, der ich mich nie entziehen werde, wo ic) ohne Abſicht und unwiſſentlich geirrt oder angeſto— ßen zu haben befuͤrchten muß.
Es ſey mir alſo erlaubt, hier fol—
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gende zwei Berihtigungen beizufügen :
Man wird fi) vielleicht erinnern, was im zweiten Theile diefes Buches von einem Zourniere auf der, Burg ‚der Niedertbal’8 und von dem Sieger in demfelben erzählt wurde. Es fihreibt mir nur ein Sreund’ der Herr Juſtiz— Rath von Unruh' hierüber folgender: weife:
«Eine Stelle von wenigen Zeilen, «Band 2. ©. 228, hat mich fehmerz- «lich berührt, weil fie einen Mann «von einer lächerlichen Seite darftellt, «deffen Andenken bei mir in hoher «Achtung ftcht, abgefehen davon, daß «er mein Schwiegervater war. Gie «lieben die Wahrheit zu aufrichtig, eh—
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«ren den wahrhaft ritterlihen Mann «zu fehr aus eig'nem Bewußtfeyn, als «dag Sie es mir übel deuten Fönnten, «wenn ich zur Steuer der Wahrbeit «dem Sieger im Tourniere auf der «Burg ..... in feinem wahren Lichte «hier darzuftellen mich gedrungen fühle, «da mir zu viel daran gelegen ift, «daß fie den Manen diefes Ehrenman: «nes Ihre Achtung nicht verfagen. Seine «Befannten nannten ihn den zweiten «Nitter ohne Furcht und Tadel. Er «war unerfchrocden, von großer Ent: «fchloffenheit und ruͤckſichtsloſem Mur «the und hat dieß vielfach während des «Krieges ald verwaltender Kreis-Land— «rath, gegen FSranzofen und Ruffen,
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«fruͤher als Adjutant im Regimente «feines Vaters gegen Freiheitsliebende «Bauern — er allein gegen Hunderte — «bethätiget. Die Schleſier, noch ſtolz «auf jenes Nationalfeſt, kennen Ritter «Zettritzden Schwarzwaldauer, den Sie: «ger im Tourniere zu gut, um nicht von «der Unrichtigfeit der Ihnen gemachten «Angaben überzeugt zu feyn. Er gewann «den Preis mit einem Foftbaren Pferde «von Der edelften Abftammung, ein «Thier fo vortrefflih von ihm felbft «drefiirt., daß es alle Touren des Tours «niers ohne Zgel von felbft machte. «Den Zag vorher hatte die allbegeiz efternde Königin ein Frühftüd in dem «Schwarzwaldauer Haufe einzunehmen
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«gerubet. Der Wirth begleitete fie bis can den Wagen, dann fegte er ſich «auf fein gefchwindes Roß, ſprengte «ald Wegführer voran und begrüßte «ehrfurchtsvoll die junge Königin uns «ter den Hallen des neuen Schloßes. «Am Abend des Tourniers fanzte Ko, «nigin Louife mit dem Sieger. Nach «beendigtem Zanze vernahm er aus «Ihrem angebeteten Munde mit won— «nevollem Stolze die Worte: «Ritter «Zettriß ih weiß wahrlich nicht, ob «Sie ein befferer Reiter oder ein beffe: «rer Tänzer find.»
«Wer möchte nicht ſolche Worte in «der Erinnerung treu bewahren, und «fie noch feinen Kindern und Enfeln
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«mit freudigem Herzen überliefern ?
Ich hoffe dem geehrten Brieffteller vollftändig genug zu thun, indem ich — felbft jenen Ereigniffen ganz fremd —- feine Berichtigung meiner irrigen An— gabe bier mit Freuden wörtlid aufge nommen babe.
Sc theile ferner die Copie eines Briefes mit, den id) von Bamberg aus an den Herren Präsidenten Ro— ther gefchrieben.
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„Verehrtester Merr Präsident!“
«Der Verfaſſer der tutti frutti hat «Euer Hohwohlgeboren ſchon mündlich «geäußert, wie fehr er darüber erftaunt «war von Shnen zu hören: daß feine «Fleine Erzählung: «die Flucht in's Ger «birge», und die darin befchriebenen «Abentheuer auf einer Burgruine, eis ner Familie in Schlefien Anftoß ger «gegeben, und die feltfamften Deutunz «gen bei ihr veranlaßt haben follen. «Ich eile alfo Ihnen zu erflären, daß «zwar eine alte, ſehr vomantifch gele- «gene Burg in Schleſien, mir von
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«den Bewohnern: die Kiensburg. ger «nannt, Anflang zu jener Gefchichte «gegeben, ich aber von dieſem verz «falnen Schloffe nichts gewußt und «gehört habe, als daß die früheren «Befiger verftorben oder verfchollen waͤ— «ren, worauf die dazu gehörenden Gü— «ter nad) und nad an verfchiedene «Leute vertheilt, und vor einigen Jah— «ren die Burg felbft einem: Profeſſor «zugejhlagen worden ſey. Alles, was «id nun weiter in meinem Buche cr: «zähle, fo wie die von mir gemähl: «ten Namen der Königsburg und ei- «ned Heren von Lorf find ſaͤmmtlich «reine Fiction, und es wäre ſchlimm
Tutti Frutti III. Vorrede. D
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«für die Poeten und Romanſchreiber, «wenn man ihre Pbantaftebilder auf «folche Weife auslegen und an wirf- «liche, ihnen ganz unbefannte Bege— «benbeiten Fnüpfen wollte.
«Da es indeflen nicht im Traum «meine Abficht feyn kann, eine Fami—⸗ «lie Frinfen oder beunrubigen zu wol «len, die ich gar nicht Fenne, ja von «der ih nie etwas gehoͤrt babe, fo «will ich febr gern’ im dritten Theile «der tutti frutti das hier Gefagte einz «ruͤcken laffen, was wohl ganz bins elänglih feyn wird, dieß boͤchſt fon: «derbare qui pro quo genügend auf: «zulöfen.
«Da Fuer Hohwohigeboren mit den
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«betreffenden Perſonen bekannt find, fo «habe ich nicht das Gerinafte damider, «fie vorläufig von dem Inhalte Diefes «Briefed zu benachrichtigen.
«Mit dankfbarer Berebrung Euer «Hochmohlgeboren u. f. mw.» *)
Es mag nun leidht feyn, daß nod) viel' And’res, Feindlihes und Freund: liches, über mid) erfchienen ıft, das einer Erwiederung eben fo bedürftig wire als Alles in diefer, ſchon all: zulangen Vorrede Berührte. Es iſt
*) Es folgt bier im Tert' eine weitläuftige Relation der, dem Publicum bereits aus ver: fchiedenen Zeitungsartikeln befannt geword’uen Streitfache des Derfafferd mit dem Oberſten von Kurfell. Da indes diefer Gegenſtand ſeit— dem auf andere Weile militairiſch abgemacht
worden iſt, fo ward auf Verlangen des Autors die obige Stelle unterdrüdk.
ro. 35.
Slorgengespräch.
Der Herr: War er drinnen? Der Diener: Wer?
Der Herr: Der Pinfel,
Die Frau: Welder 2
Allgemeines Gelaͤchter.
Dieſer Zettel iſt von meiner Hand ge— ſchrieben, und wird daher wohl etwas be— deuten. Dennoch muß ich geſtehen, daß ich ſelbſt nicht mehr weiß, was; irre ich aber nicht, ſo muß eine einſtige Geliebte Goͤ— the's den Sinn vollſtaͤndig erklaͤren koͤnnen.
Rathe, Leſer, es wird dir Muͤhe machen. Errathe — und du wirſt große Zufrieden— heit daruͤber empfinden.
Nro. 36. Ein MWebelzettel
(d. b. ein folcher , der wie die Nebelfterne aus bundert Einzelnen zufammengefest ift.)
S .....1f ein Philofoph ganz nach meinem Geſchmack, mir recht feelenver: wandt. Sch will gleich erklären, wie. Man fagt, daß manche große jüdische Handels— häufer einen Beamten befolden, den fie „den Denker“ nennen, Won diefem wird weder eine Ausführung, noch felbit ein durch alle Puncte fortgeführter und vollendeter Plan verlangt, fondern nur neue Ideen, Anfich- ten, Projecte, Einfälle, mit einem Wort: aus dem Gemwöhnlichen Heraustretendes. Zündet eine ſolche Rakete, fo wird andern, bedachtigern, merhodifchern und gründlichern
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Geſhite— die fernere Pruͤfung und Inswerkſetzung uͤberlaſſen.
— der Denker unſrer klei— nen Cotterie. Eine Schule wird er nicht begruͤnden, ja nicht einmal ein Syſtem aufſtellen, aber ſelten unterhalte ich mich mit ihm, ohne einige neue Anſichten zu ge— winnen, und manchen Öegenftand in einem ganz andern Lichte zu erbliden, als es bis- her der Fall war. Noc öfter amüfiren mich bloß feine geiftigen Luftfprünge. Heute unterhielten wir uns über dramatifche Kunft.
„Ein dramatifches Kunfiwerf,“ fagte er, „befteht aus drei Dingen: dem Stoff, dem Gegenftande und der Idee. Der Stoff iſt die Fabel, der Gegenftand die Entwidelung der Charactere, die Idee die philofophiiche Wahrheit, welhe man anfhaulih machen will, Hier ein hinfendes Beifpiel: Ihr Rock nämlich, dramatifch betrachtet. Die Wolle ift der Stoff, das Tuch der Gegen ftand, die Idee Bekleidung.“
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„Vortrefflich,“ erwiederte ich, „eine paſ⸗ ſende Nachſchrift zum Ariſtoteles, oder zu Muͤllner.“
„Haben Sie die Staatszeitung heute ge— leſen?“ frug er abbrechend.
„Noch nicht.“
„Sie werden etwas Schönes darin fin— den: Unfer Landtag, fagt fie, war thätig in größter Ruhe. Eine claffifche Stelle! Auch ein dem Landtagsabfchied angehäng- tes Promemoria des Minifters tft leſens— werth. Er schließt es folgendermaßen : „Endlich find auch überall von mir Die nöthigen Anordnungen getroffen, um in der die Gymnaſien befuchenden Jugend nicht nur den hriftlich religienfen, fon dern auch den Firchlichen Sinn zu we een, und das kirchliche Element zum Bewußtſeyn zu bringen.““ Ein Element zum Bewußtfeyn zu bringen, ift eine Fühne Phrafe für einen Minifter, Sch bewundere fie ſchon deßhalb, weil ich fie eigentlich gar
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nicht veı der Hauptfaß aber koͤmmt mir faft vor, als wenn eine Obfthöferin erflärte: Es ift fhon lange mein Beftreben, es das bin zu bringen, daß die Abnehmer meiner Nüffe nicht nur den Kern derfelben, fondern auch die Schaalen mit gleihem Appetite verzehren. Vielleicht wäre es paffender ge weien zu fagen: Nicht mit dem Firshlichen Sinn wollen wir ung begnügen, fondern bauptfachlich den Acht chriftlichereligieufen zu weden ſuchen. Die Steigerung ſcheint logifcher, aber freilich fo fpricht nur die Dppofition, ein Minifterium hat andere Pflichten.“
„Apropos, lieber ©.....,“ fiel ic} ein, aus Furcht in die Politik zu gerathen, „Sie find ja ein wahres Glüdsfind. Man er: zahlt mir von einem bedeutenden Gewinnft, den Sie in der Hamburger Lotterie ger macht haben follen.“
„Ja, es iſt wahr, doch es bleibt unter uns, damit ich nicht Strafe zahlen muß.
das Juſti⸗ tut der Lotterie. Der Staat hat ganz recht, das Spielmonopol fuͤr ſich zu behalten und es, allen Andern zu verbieten, eben ſo wie nur officielle Freudenhaͤuſer legitim ſind *). Man declamirt ſo oft und viel gegen dieſe gute Lotterie, und doch wird man dem im Menſchen liegenden Beduͤrfniß, welches ſol⸗ che Anſtalten allein hervorbringt, immer einen aͤhnlichen Abfluß verſchaffen muͤſſen. Was hülfe es auch in der That, die Lot— terie aufzuheben, ohne zugleich allen Han
*) Don einem namhaften Arzt hörte ich vor Kurzem etwas Geltfames in diefer Hinficht, das mir der Mittheilung nicht unwertb fcheint.
Er behandelte einen, an vielen im Freiheits— friege erhaltenen Wunden leidenden, ehemaligen Landwehrofficier. Diefer, jest ohne weitere Subfiftenzmittel, war bei der Behörde um eine Derforgung eingefommen, und erhielt, da fein anderer Poften vacanf war, die abgabenfreie Erlaubnig — ein Bordell zu halten! Die Land: wehr ift doc zu Allem zu gebrauchen.
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del pieren unmoͤglich zu ma— chen, und jede andere Gelegenheit zu wa— gen und zu gewinnen abzuſchneiden. Ich behaupte, die Claſſenlotterie, wie ſie bei uns exiſtirt, iſt eine wohlthaͤtige Einrich— tung. Sie lockt nur zu maͤßiger, langſam be— friedigter Spielluſt, und hindert dadurch Viele, ſich ſchnelleren Gelegenheiten, um das Ihrige zu kommen, zu uͤberlaſſen. Fuͤr den irgend Vernuͤnftigen, der nur ein Be— ſtimmtes und Entbehrliches ihr widmet, was leicht iſt, da die Natur dieſes Spiels die Leidenſchaft nie uͤberraſcht und nirgends ſo erregt, als es die Boͤrſe oder Pharobank thut, bereitet ſie nie Gefahr und Ruin, wohl aber unerwartete und uͤberraſchende Gluͤcksfaͤlle. Am Ende iſt auch Geld nicht das höchfte, oder alleinige Gute auf dieſer Melt, Als beften Gewinn, den die Lotterie gewährt, (und zwar gerade für den gemei— nen Mann,) möchte ich faft die fortwaͤh— rend erhaltene Hoffnung anfchlagen, die
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ſuͤße Hoffnung, welche Tauſenden zum Troſte hingeſtellt wird, welche im gewoͤhn— lichen Leben zum ewigen Hoffedienſte, ohne irgend cine andere Ausſicht auf Beſſerung ihrer Tage, verdammt ſind; der ſtaͤrkende Glaube, daß ein gluͤcklicher Moment ihnen doch einſt noch Alles geben koͤnne, was ihre maͤßige Phantaſie ſich nur auszudenken ver— mag. Wie manches arme Individuum dieſer Art habe ich geſehen und beobachtet das vom Erſten bis zum Letzten des Jah— res froͤhlich hungerte, weil der zwanzigſte Theil eines Lotterielooſes in ſeinem Beſitz war, und eine Nummer ſuͤhrte, die es drei— mal geträumt, oder die ihm eine alte Caf— feefchwefter gewahrfagt hatte.“
„Darum, da wir einmal mancherlei Ue— bel nothwendig zu unferer Eriftenz zu braus chen fcheinen, tft c$ immer rathſam, folche Uebel, die fchon eingebürgert find, und nicht zu gewaltfem wirken, lieber beizubehalten, che man fich der Gefahr ausfeßt, bei ihrer
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Abſchaffung groͤßere dafuͤr einzutauſchen, und dann ſeufzend ſich wieder einmal zuru— fen zu muͤſſen: „que le mieux est toujours le plus cruel ennemi du bien.“ Glau— ben Sie mir, das Beſte waͤre eigentlich Alles beim Alten zu laſſen, dann erklaͤrt man uns auch gewiß fuͤr gute Kinder, es lobt uns die Mama, uns liebkoſ't der Papa, und ſtatt Schlaͤgen bekommen wir Zucker— werk.“
„Auf dieſem Wege begegne ich Ihnen felten, lieber ©..... Wenn fie fo fort fahren, DVerehrtefter, werden Ste nody Ge— heimerratö, und befehren mich zu dem Slauben an Wunder,“
„Gut, daß Sie mich auf Wunder brin- gen. Ich habe neulich ein altes Buch ger lefen, das mich nicht wenig überrafchte. Der Verfaſſer hat Chriftus ſchon vor 30 Jahren a la Walter Scott in einem hiſto— rifchen Roman verarbeitet, zuweilen herz— lich albern, zuweilen wirklich ſublim. Die
BB. Cenſur mußdamals unendlich nachfichtiger ge- wefen feyn, als heute, Man hatte ihr freilich noch nicht fo fehr und fo haufig unter die Naſe geleuchtet, als es jet gefchieht, wo
m manche, felbft der gefcheidteften Autoren
Herzten gleichen, die uns zur fchnellften Eur auf einmal die ganze Medicinflafche einnödthigen wollen, ftatt fie ung löffelweife beizubringen, oder gar, wie Boͤrne, die Slafche felbft in's Geficht werfen, daß das Glas zerfchmettert, und der überfräftige Inhalt erfolglos an uns herabfließt.“
„Doh um auf unfern chriftlichen Wal- ter Scott zuräczufommen, fo find die neu— teftamentarifchen Wunder dort höchft naiv und drollig abgefertigt, befonders die Ver: wandlung des Waffers in Wein, die bloß als eine artige Galanterie Jeſu für Die Hochzeitsgafte, und durch einen gewandten Sünger geſchickt ausgeführt, dargeſtellt wird.“
„Seltfam ift es aber im Ernfte, daß man
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auf diefe Wunder fo viel Gewicht legt, und noch heute der ehrliche Paulus ein fo langweiliges dickes Buch darüber hat fchreis ben koͤnnen.“
„Mein Gott! Wunder find ja das all täglichfte Ding von der Welt!“
„Jeſus hat wahrlich nicht allein Wunder gethan, denn nicht nur wird in den Evans gelten felbft die Wunderthätigfeit als et— was fehr gewöhnliches bei Vielen vorauss gefeßt, fondern die Gefchichten aller Völker wimmeln von Wundern, feit Anbeginn der Melt bis auf Elias, und von Elias bis auf den Prinzen von Hohenlohe. Als Wuns der erfchien ja fonft Alles, was mit bisher ungefannten Kräften der Natur bewerks ftelfigt wurde, aber freilich — der eigents liche Begriff des Wunders, ein folcher, der eine Aufhebung der ewigen Gefeße der Nas tur vorausſetzt — der ijt allerdings et— was Andres. Solches Wunder tft nur Gott felbft möglih, Es ift daher auch
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ganz confequent und nothiwendig, wenn man wirflihe Wunder annehmen will, den Wunderthater auch zum Gott zu machen. Bringt man aber in helleren Zeiten der Sache damit noch Nugen? Ich zweifle *). Berwerfen muß man fühn, was man nicht vor dem Nichterfiuhle der Vernunft rechtz fertigen kann, vorausgefeßt, daß diefe, mans gelbaft oder nicht, doch offenbar die un— zweifelbaftefte uns Menſchen gegebene göttliche Offenbarung ſey, aus der denn auch Niemand herrlicher als Chriftus felbit ge fchöpft hat.“
„sa dir, heilige Vernunft!“ fuhr ©. .... mit hoͤchſt comifchem Pathos fort,“ Dir
*) Niemand haft je eine bübfcbere Defini: tion der Wunder gegeben, als der jiebenjahrige Mirabeau bei feiner Firmelung.
Man erplicirte ibn, daß Gott nichts ſich ſelbſt Widerfprechendeg thun fünne; 3.8. feinen Stock machen, der nur ein Ende babe. „Sch verſtebhe,“ ſagte dag naive Kind, „ein Wunder iſt alfo ein Etoc mit Einem Ende”
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welche nur die Narren und Betrüger jeder Zeit fogern den zweiten Rang nach dem blinden Glauben anweiſen möchten, Dir allein hul— dige ich!“
„„Vernuͤnftig nun iſt es gewiß, (jagt mein Buch, denn ic) würde mich weder unterftehen jo zu fprechen, noch überhaupt folche triviale Dinge wirderholen, wena ich nicht fyater nod) etwas Anderes hin— zuzuſetzen wuͤnſchte,) vernünftig alfo ift cs gewiß, an eine innerhalb der ewigen Ge— ſetze des Weltalls fortfchreitende Leitung der menſchlichen Schickſale durch eine hoͤ— here Hand zu glauben und deßhalb auch Chriſtus, mehr als irgend Jemand, den die Geſchichte nennt, fuͤr einen Gottgeſand— ten anzuſehen, fuͤr einen, mehr als And're, goͤttlichen Menſchen, deſſen reine Tu— gend und erhabene Lehre die Menſchheit vom Uebel zu erloͤſen faͤhig iſt. — Aber je unbefangener, je tieſer man dieſe Lehre, nach Chriſtus eig'nen Worten pruͤft, je
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mehr muß man fich überzeugen, daß fie, von geiftiger Natur wie fie ift, der außern Wunder und der Gottheit ihres Gründers nicht nur nicht bedarf, fondern beide ihrer Verbreitung und ihrem wahren Verftänd- niß nur fchaden müfen, und deßhalb eben nicht mehr mit der Vernunft in Eins Hang zu bringen find. Ja, diefer Wahn— glaube iſt hauptfachlich daran Schuld, daß bis auf unfere Zeiten das Chriftenthum noch immer ein halb verfapptes Heidens und Judenthum geblieben tft.“
„„Was liegt denn in Chriftus menfchlich Berdienftliches, welches Beiſpiel der Nach— ahmung, welche Hoffnung ihm ähnlich zu werden, bleibt uns, wenn er ein Gott war? Mas, wenn er der größte der Menfchen ift, noch im Reiche der Möglichkeit Tiegt: namlich ihm nachzueifern, wie es unfer innigftes DBeftreben feyn foll, wird ein Un; ding, wenn er ein Gott war, Der Menſch, der zum Gdttlichen durch eig’ne Kraft
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hinan fteigt, ift er nicht für Menfchen ein eindringlicheres Vorbild der Tugend, als der Gott, welcher zum Menfchen herab: fteigt und ihm dann im Grunde doch nur eine Art göttlicher Comödie vorfpielt, wie Mahadoͤ, Krifchna und Achnlihe — ja, ift der fchwache Menfch, der fich aus eig’ ner moralifcher Kraft, die erhabenfte Zus gend übend, für die Wahrheit und das einft daraus zu fchöpfende Glüd feiner Brüder ruhig dem Opfertode weiht, nicht erhabener, als der Gott, welcher fich herz ablaßt, von den Menfchen gefreuzigt zu werden, um ein gutes Beiſpiel zu geben, und nach vollbrachter Geremonie wieder gen Himmel fahrt“ —
„Jeſus felbft mußte mehr oder weniger dem MWahnglauben feiner Zeit nachgeben, wenn er nicht ganz wirkungslos bleiben wollte, und in wiefern er überhaupt mit einer geheimen Gefellfchaft zu hohen Zwe— en verbündet war, laffe ich bier dahin
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geftellt feyn, aber fo viel ift gewiß, daß man bei vielen Gelegenheiten deutlich ſieht, wie widerlich ihm diefer ewige Durft nach MWundern ift, und wie er ftets wiederholt: daß nicht die Wunder, fondern Die innere Wahrheit und Goͤttlichkeit feiner Lehre das wahre Zeichen fer nergottliben Sendungfeyen. Kann etwas Tarer und offenbarer für jeden Ver— münftigen erfcheinen, als daß Gott, wenn er das Chriftentfum durhb Wunder hätte bei der Menfchheit beglaubigen wollen, er dann auch ſolche gewählt haben würde, die der ganzen Menfchheit cben fo unbe zweifelt hatten bleiben müffen, als es der Yufgang der Sonne für uns jeden Mor; gen ift? nicht aber dergleichen Erbarmlich- keiten zum Erfennungszeichen feines Soh— nes erforen, als das Austreiben der Zeus fel aus Bofeffenen in Schweine, oder Dir Verwandlung einiger Krüge Waffer in Wein u. ſ. w., was am Ende jeder Tafchenfpies
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ler heut zu Tage beifer zu machen verſteht.“
»» Aber nein! Chrifti Lehre, die heilige Mahrheit und achte Gott gefällige Froͤm— migfeit, die fie enthalt, ift ein Fortichritt menfhlicher Bildung, in fofern eben Götts liches in den Menſchen gelegt tft, wie alle andern großen Begebenheiten der Gefchichte, die nur allmahlich wirfen koͤnnen, deren Folgen unendlich find, und die wir felbft und durch innige Ueberzeugung immer neu erwerben müffen, um ihrer tbeilhaftig werden zu koͤnnen.“
„„Ja, wahrlich,““ fahrt der alte Romans fohreiber fort, „„jeder achte Chrift muß fehn- lih wünfchen, daß mir Befeitigung aller kindiſchen Schen, unfere hohe und edle, rein vernünftige und wahrhaft heilige Reliz gion, von dem Wuft’ eines albernen Mahn: glaubens, eines verführerifchen, falſch an- gewendeten Myfticismus gereinigt, diefe gei- ffige Sonne von den fie umgebenden Dunft- wolken gänzlich befreit werde, damit fie in
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affer ihrer Klarheit und Glanz endlich die ganze Erde erleuchten möge.““
„In der That, die Myſtiker brauchen über folche veraltete Aeußerungen gar nicht in Verzweiflung zu gerathen. Die Stern beleuchtete Nacht, welche ihnen gehört, wird immer auch noch nebenbei ihr Recht behalten, und auch die füße Dämmerung, das ſchoͤne Reid) der Poeſie — denn my— ftifch in Hundertfacher Beziehung wird ung Gott und die Natur in alle Ewigkeit blei— ben; das Chriſtenthum aber, die Lehre der Tugend, ift reine practifche Klarheit, und Chriftus war nichts weniger als ein My—⸗ ftifer, wie Jakob Böhme, ja, berüdjid- tigt man den Zeitpunct, in dem er lebte, macht man dafür die gehörigen Conceſſio— nen, fo möchte er wohl ganz und gar den jeßt wieder fo fehr aus der Mode kom— menden Namen eines ausgemacten Ra— tionalifien verdienen, nur aber eines foldjen, der das Leben ergriff ſtatt des
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Sederfiels, der fih in Vielem zwar zu feiner Zeit herabließ, aber dennoch, und ‚ohne Schwärmerei, aus reiner Ueberzeu— gung und überfchwenglicher Menfchenliche, - für das Reich der Wahrheit auf Erden fein Blut vergoß, und Fühn wie ein Held den Tod felbft weniger fürchtete, als unfre heutigen Rationaliften das Cenfurcollegium und die Zuchtrutbe ihrer Regierungen. Auch feine Juͤnger waren andere Leute der Kraft als die heutigen Lehrer. Hier möchte ich ausrufen, um alte und neue Zeit mit we nig Worten zu characterifiren : Yaulus, du warft ein Reformer, und Fühn haft du vergoffen für deinen Glauben die Ströme deines Bluts. Paulus, du bift ein Reformer und vorfichtig haft Du vergoſſen für dei- nen Glauben die Ströme deiner Dinte “ „Liebfter ©. ....,“ fagte ich, „das ift Alles recht gut und Flingt fogar wie ver- nünftig, man möchte Shnen aber doch noch
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darauf Manches erwiedern koͤnnen. Hören Sie z. B., was mir Fürzlich eine der geift- reichften Frauen fchrieb, denen überhaupt Religiofitat fo ſchoͤn anfteht:
„„Sie nennen fich einen Sünder, und zugleich fprechen Ste Ihre Schnfucht nach dem Göttlichen mit Leidenſchaft aus ;der Chri⸗ ftus, der Ihren weltlichen Neigungen, Ihrem und Shresgleichen irdiſchen Handeln ein fies ter Vorwurf ift, der fchon 1854 Jahre vom Erdboden verfchwunden *) — den wünfchen
*) Die guten Damen Fünnen nie guf rec nen! 1797 ftaft 1854 wäre richtiger. Denn nur die neumodifchen Frommen fünnen Ehrifti Verfhwinden von feiner Geburt an rechs nen, da er in der rechten Erfcheinung für fie noch garnicht eriftirr bat. Wir andere Ehriften, die wir an fein Leben glauben, rechnen fein Ver: fhwinten — wenn er denn einmal verfhwuns den feyn muß — von feinem Tode an, alfo jest erft 1797 Sabre; denn befanntlich ift Chri— ftu8 4 Jahr vor Ehrifti Geburtgeboren — laut Berechnung der Eonnenfinfterniß am allererften Ebarfreitage, und dem Cometen der erften, ächten heiligen drei Könige, Anm, des Denferg,
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Sie, er möge nur felbft wiederkommen in feiner einfachen menſchlichen Geftalt, die nicht blendet, nicht den ſtolzen Blif des Auges bricht, dem wollen Sie freudig folgen in feiner Weisheit und Herrlichkeit.
Sie verlangen es troß dem, daß die Sünde ihre Macht an Ihnen no) nicht verloren hat? — Warum verlangen Sie denn eben nach Chriftus? Hat denn die Melt feinen andern Helden geboren feit dem, oder vor dem, deffen Weisheit mit Ihren Bedärfniffen beffer im Einklang ftünde — der fih nicht für einen Gott ausgibt und doc) edel iſt und alles Große will, aus reirem Willen zur Schönhert? Warum verlangen Sie denn nach Chriftus, der ja deutlich gefagt hat: Ich bin Gottes Sohn — da Sie doch glauben: er ift nicht Gottes Sohn; und der alfo einen Irrthum oder einen Betrug nach Ihrem Glauben begangen hat. — Warum verlangen Sie nad) einem Menfchen, der uns mit fo feltfamen
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Geheimniſſen umgeben hatz der gefagt hat: Effet mein Fleisch und trinfet mein Blut; da doch in dieſer Aufforderung für Sie Feine göttliche Weberzeugung liegt ? “ „Ste fühlen deutlich eine Seelenleiden- fhaft für diefen laͤngſt verfcharrten und verwerten Chrifius. Wie Fam das? Erft hat Ihr Verſtand Kraft gewonnen felbit zu urtheilen, da haben Sie eingefehen, dag die Macht der Begeifterung in diefem gu— ten Menfchen ihn dazu, bewegte, fich für Alle aufzuopfern, daß er weife war, und dag er nur das Edle wollte; aber er war nicht Gott (freilih war er nidt Gott; er war nur Menfch, aber um fo mehr ift er Öott.) *) Nachdem Ihr Urtheil nun gereift ift, nachdem Sie Ihre Bernunft gebraucht haben, und mit diefer entfchieden zu haben glauben, daB andr’e Menfchen eben fo große Anfprüche an Ihre
* Das unterfchreibe ich.
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Liebe haben koͤnnten, wie er, nachdem böfe Neigungen Gewalt über Ste gewonnen ha— ben und der Teufel, wie Sie fpottend fagen, zu mächtig in Ihnen geworden iftz nun fehnen Sie fi) doch nach ihm troß die fer Macht. Sie fühlen: war’ er bier, Sie würden nie weiter wollen als in feiner Nabe ſeyn; alles Neue, alles Schöne wäre Ihnen nichts gegen einen Spruch aus ſei— nem Munde. O mein theurer Freund! ift denn die Macht diefes Menfchen nicht ries fenhaft gewachfen feit feinem Grabe? Da er damals doch nur einfaltige Fifcher an fid) zog, die unfchuldig waren und em: pfanglich für das Gute, und jeßt verderbte Sünder, die felbft herrifch find, voll Selbits liebe, geſchwaͤcht durch Nachgiebigkeit und Befriedigung aller ihrer Begierden, die ihn verlaͤugnet und vergeſſen haben, dieſe jetzt entzuͤndet, daß ſie mit Vertrauen an ſeine Bruſt fallen moͤchten, daß ſie es fuͤr das Cutti Frutti III. 2
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‚einzige Labſal ihrer nie befriedigten Sehnſucht halten, von ihm belchrt und an- gehaucht zu werden.“
„„O glauben Sie immer nicht, daß er Gottes Sohn ift, wenn Sie's vermd- gen; wenn diefe Liebe zu ihm nur in She nen wächst, dann ift es doch gewiß, daß er Sie liebt und anerkennt und die Macht ‚feiner Heilungen an Ihnen übt, und wie Fonnte Ihnen da Weh gefchehen? — Naͤh— men Sie erſt in Ihrem Herzen ganz und vollftandig die Zuflucht zu dem heißgelieb- ‚ten Freund, bald würden Sie Eins mit ihm feyn und würden dann nit mehr bezweifeln, wer er if!“
„Ste fehen, mir wird hier eben nicht gefcymeichelt — die Frommen geniren fic) nicht, aber bet alle dem haben dieſe ehrlich gemeinten Worte mir doch allerlei zu dens fen gegeben. Es ift eine tiefe Anſicht, die td) nicht zu verwerfen wage, aber Shrem Sfepticismus Fommt man nicht beit Ich
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weiß, Sie find und bleiben ewig ein fo arger Keßer, daß die Frommen Sie am Ende, mit Swedenborg für einen Solchen ausgeben werden, der, wenn man ihm auch den Himmel felbft auffchlöße, doch nicht darin bleiben möchte, weil er fich dar— in nur ſehr unwohl fühlen, und fchnell wieder vrdinatrere Gefellfchaft auffuchen würde,“
„Da würde man mir doch fehr Unrecht thun. Swedenborg's Mort ift eins der herrlichſten, voll tiefer Wahrheit, paßt aber auf Niemand beffer, als auf die Heuchler und Duckmaufer, die gewiß den Himmel am wenigften werden aushalten Tonnen;
‚und eben fo auch auf die, welche ihre Ver:
nunft in einem unfinnigen Glauben gefan- gen nehmen, mit dem fie eben fo unreif
für den Himmel bleiben, Mit einem hoch
von mir gechrten deutfchen Autor, dem
wahren Luther unferer Kritif fage ich hier:
„„Darin bin ich Swedenborgianer, daß 2*
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ich die innere menfchliche Freiheit weder hier noch dort, noch irgendwo als beſchraͤnkt zugeben will. Ohne diefen abfolut freien Willen, auf den zwar Alles einwirken, aber dem Nichts gebieten kann, wären wir Feine Geiſter, Feine felbjtftandige Wefen. Einen Geift, der in fi) dem Abgrunde zufinft (und eine Höhe und Tiefe gibt es im Sins nern), kann alfo auch Gott nimmer durd) Gnade, fondern nur durch Vorbild erlöfen, wenn der Gert fich durch ſolches Vorbild erlöfen laffen will. Gott ruft mit unends licher nie verfiegender Liebe ftets die Blüs then in uns auf, aber die Früchte koͤn— nen nur wir felbjt bringen.““
„Damit iſt aber noch nicht gejagt,“ fuhr ©.... fort, „daß wir ung zur Erlöfung Alle derfelben Form bedienen müffen.“
Wollen Sie mein religieufes Glaubenss befenntnig umfaffend Fennen, fo lefen Sie das herrliche Buch von Johann Friedrid) Derrick: „Der Geift unferer Zeit und das
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Chriſtenthum.“ Diefer hat aus meiner Seele gefprochen.
„Dennoch verwerfe ich auch den Myſti⸗ cismus nicht. Er mag, wie feine Vereh— rer wollen, mit Recht die Nachtfeite des Lebens genannt werden, wodurdh ihm inz deß ſchon fein untergeordneter Rang ange wiefen ift. Doch muß er dann auch in feiner Sphäre bleiben, dem Reihe der Ahr nungen. Er ift nicht practifcher Natur, und in fo himmliſch febonen Farben er mitunter fpielen mag, Doch nur ein ſchoͤ— nes Dunffgebilde, das vor dem Ölanz der Tagesjonne verfchwindet. Denn es tft ein- mal dem Menfchen angeboren, die Nacht als etwas Unficheres zu fchenen und nur dem Licht entgegen zu eilen. Ger laffen wir den Fledermaufen, Eulen und Raubs thieren, fo wie den Nervenfranfen ihren verfhiedenen Geſchmack, und theilen ihn auch zuweilen im Behagen des wachenden Traumes. Sobald aber der Myfticismus
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Thatfachen, d. h. poſitive Wunder, auf ftellen, für den aller Vernunft fpottenden Unfinn einer Scherin von Prevorft z. B., als eine neue Offenbarung einer höhern uns verfchloffenen Welt allgemeinen Glau— ben in Anspruch nehmen will, hört er auf Moyfticismus zu feyn und wird Charla tanismus, der nicht nur verfpottet, fon» dern ernfilich befampft zu werden verdient, weil er zu einer febwächenden verderblichen Art geiftiger Selbftbefleddung führt, die alles ächte Leben im Keime erſtickt und todtet. Die iſt mein Glaubensbefenntnig und feine Namensautorität wird mid) davon abbringen, weil mir und allen Menfchen, die es brauchen wollen, Gott eine hinlängs liche und höhere Autorität in mein innerz fies Wefen eingewebt hat, ein Flares unge trübtes Licht, das Alles beleuchten darf, che es etwas aufnimmt, und welches die Nacht wohl zuweilen verdunfeln, aber nie auslöfchen Fann.“
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„Sofrates und Chriftus waren Feine Myftifer, wohl aber viele ihrer Schüler, weil fie die großen Meifter eben nur halb verftanden haben, und fie noch überbieten zu möüffen glaubten. Das ewige Mefen felbft, wie die Natur, verſtecken fich hinter feiner einzigen zweidentigen Taͤuſchung, wenn wir fie auch in Feiner Art ergrüns den koͤnnen. Sie find uns verborgen, aber nie unwahr. Soweit daher die Faf- fungsfraft unferer eigenen Natur zureicht, fann ihr erhabenes Dafeyn, auch der Ge ringfte an Geiſt, fo weit es ihm zum gei- ftigen Leben hier nöthig ift, dennoch voll fommen inne werden, und das, was dars über hinausgeht, möchte vielleicht für Alle vom Uebel feyn, befonders wenn man feine eigenen Traume der Welt, es fey mit Feuer und Schwert oder mit der Feder, als heilige Norm und Lehre aufzwingen will“
„Nun jeßt ift das eben nicht mehr zu
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befürchten ,“ fiel ich ein, „wir find doc) wahrlich feit einigen Jahrzehenten mit Ries ſenſchritten vorwärts gegangen.“
„Vorwärts ? das ift noch) fehr die Frage, Wir glauben immer vorwärts zu fchreiten, wern wir auc in Wahrheit oft Jahrtau— fende rücdwarts geben. Maren nicht die ersten Ebriften, vor beinahe 2000 Jahren, in allem Wefentlichfien und Heiligfien viel weiter als wir? Und wo ift denn auf der andern Eeite die erhabene Kunft, das fris fcbe Leben der alten Heiden geblieben ? Todte Wiffenfchaften, hundertarmige Fa— brifen, Pulver und der Preßbengel entjcha- digen uns wohl kaum dafür.
Mas einen großen Theil Aſiens betrifft, fo jicht man, daß es mit der Brachmanis fhen und Buddha’fchen Religion (befonders der letztern, die faft alle Lehren chriftlicher Moral, als: Unterordnung der Sinnlich- feit, Demuth, Entbehrung, Menfchenlicbe, ja ſogar Mildrhatigfeit bis zu den Thieren
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und Pflanzen herab lehrt, fo wie die Gleich— heit aller Menfchen vor dem höchften Wer fen) eben fo gegangen tft. In einem noch weit entfernteren Zeitraum war auch) fie erhaben und rein, den höchften Geift nur anbetend, nur Tugend lehrend; und in welchen fchauderhaften, efelhaften Gößens dienft ift fie feitdem ausgeartet! In China war es daßelbe mit Confucius, der fo viel im Sinne Chrifti, ja mitunter faft mit feinen eigenen Worten gelehret hat. Was ift jeßt daraus geworden — vder umge— kehrt, was ift nicht daraus geworden. Wir z. B. find, nach Papft, Inquiſition, Sgefuiten u. ſ. w. erft fo weit jeßt durch Luther wieder zuruͤckgekommen, um cben diefe Frage nun ernfthaft und wohlbegrün: det thun zu koͤnnen.
Ich glaube, die neuere Politif Fönnte auch unter die rüdwarts fchreitenden Po— tenzen geftellt werden, denn Jaͤmmerliche—
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res als die letzte Zeit hat wohl Feine auf zuweifen,
Es fcheint wirklich, der menfchliche Geift fohreite nur in felt’nen, weit aus einander liegenden Epochen auf Furze Zeit vorwärts, wenn er überhaupt weiter fommt — und müffe dann wieder in lange, lange Finfter: niß verfallen, ehe die neue Lichtepoche reife, und ift endlich die Erde, fo zwifchen den fritifchen und glaubigen Zeiträumen der St. Simoniften auf- und abwogend, eins mal zu voll der Menfchlein geworden, fo ſchwemmt fie wahrfcheinlich eine neue Suͤnd⸗ fluth regelmäßig wieder rein, Keine fehr erfreuliche Ausficht freilich, wiewohl wir jest eben, gerade des vielen Unfinns, der wahrhaft babylonifchen Begriffsverwirrung wegen, hoffen dürfen, einer jener Lichtepochen wieder naher zu ftehen.“
„Nichts für ungut, lieber ©....., aber ich haſſe kaum etwas mehr, als dergleichen leere Declamationen, Man kann, wie mein
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alter Großvater fagte, Feinen Hund damit vom Dfen locken. Sprechen wir alfo lies ber von practifchern Dingen. Freuen Gie fih 3. B. nicht ſehr darüber, daß ihre Landsleute in der Dresd’ner Kammer, nach- dem fie fo lange über des Kaifers Bart deliberirt, mit einemmal die herrliche Idee gehabt haben, über eine Eifenbahn von Dresden nach Leipzig zu berathſchlagen. Hier loffen Sie einmal Ihrer Einbildungsfraft den Zügel ſchießen, und enthüllen Sie mir, was diefer göttliche Dampf ung Alles noch befcheeren wird, vorausgefeßt, Daß das neu— erfundene perpetuum mobile (oder, wie der Entdecker es nennt, die Selbſttriebma— fhine), an dem man in Carolath fo eifrig baut, nicht noch größere Nefultate gewahrt. Meinen Sie nicht z. B. es koͤnnte Fünftig einmal dahin kommen, daß man den Kriea, ftatt mit Soldaten nur mit Mafıhinen führte? Völker führen ja auch fihon lange nicht mehr in Mafle Krieg mit einander,
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fondern die Armeen find, fo zu fagen, die lebendigen Mafchinen, deren fie fich dazu bedienen. Nun gehen Sie einen Schritt weiter in der Cultur, erfinden Sie Bor: richtungen, mit denen man ftett eines oder ein paar Menfchen gleich eine ganze Co— lonne auf einmal erfchießen kann, und bald wird Niemand fich einer foldhen Kraft mehr entgegen ftellen wollen. Auf diefem Mege fame man dann ganz natürlicy dahin, die Menſchen Fünftig völlig aus dem Epicle zu lajfen, und bloß mit den Mafchinen zu agiren. Wem es gelange, des Andern Mar ſchine eine totale Niederlage beizubringen, wer, mit andern Worten, dur) ein ge ſchicktes Manveupre zuerftzu Schuffe Fame — der hätte gewonnen, und aud) den Krieg beendigt, fobald der Feind Feine neue Mas ſchine mehr entgegen fegen koͤnnte. Wie ſchoͤn, wenn wir ſolche menfchenfreundliche Zeiten noch erlebten !“
„Dieſer Gegenftand,“ erwiederte S.....
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etwas piquirt, „erſcheint mir noch trivtaler als Ihnen meine vorigen Declamationen, Nein, da fie einmal derlieben Fleinen deuts fhen Kammern erwähnen, fo interefjirt mich ein Beſchluß der Heffifchen, von dem ich Fürzlich hörte, weit mehr, Hier fehe ich einen weifen Vorſchritt. Sch meine die Aufhebung der Duellftrafen.“
„Das nennen Sie einen DVorfchrirt ?*
„Gewiß, denn der Befchluß iſt höchft vers nunftgemäß, und macht einem alten Ges fee ein wohlthatiges Ende, das weit bar: barifcher war, als der Gebrauch den «8 verpoͤnte.“
‚Laſſen Sie hören!“
„Weit entfernt, das Duell zu verdam— men, ſollten die Geſetze es in Schutz neh— men, und nur durch Einſetzung von Ehren— gerichten legaler und öffentlicher machen, denn der Grund diefer Sitte ift ein edler, aus einem zartern Moralitätsgefühl ents fproffen, als die Alten Faunten, und wie
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es fich bei uns, fo barock dieß Flingen mag, auf altgermanifche Sitten geftüßt, doch nur erft aus dem Chriftenthume fo entwickelt bat, wie es jest befteht. Ich las einmal in einem franzöfifchen Buch darüber ohn— gefahr Folgendes, was ich mir, da ich, wie Sie wiffen, gern citire, ziemlich genau ger merkt habe.“
„„Es find wahrlich höchft einfeitige Mos raliften,““ fagte jener denfende Franzofe, „„die bei unf’rem Zuftande der Sitten den Zweikampf ſchlechthin verdammen wollen. Sie bedenken nicht, daß das Motiv deffel- ben ganz daßelbe tft, wie das der Tugend und der Ehrfurcht für alle menfchlichen Ge feße. Denn in der That, nur weil wir anerkennen müffen, daß der Naturzuftand des Menfchen ihn nicht wie die Thiere in Wälder und MWüften bannt, wo jedes In— dividuum für fich allein dafteht, fondern ihn zum gefellfchaftlichen Leben beftimmt, fehen wir auch ein, daß Alle das Recht
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haben, Einem Geſetze vorzufchreiben, wors aus überhaupt die Verbindlichfeit zu Sitt— lichkeit und Necht allein hergeleitet wers den kann. In das Gebiet der Sittlichfeit gehört aber wefentlic) die Ehre, und da die Geſetze diefe nicht hinlanglich fchüßen, nad) der allgemeinen Meinung aber der Zweikampf die verlehte Ehre für gewiffe Stände nur wiederherftellen kann, fo ver: pflichtet auch das SittlichFfeitsprincip das Individuum, diefer allgemeinen Meinung Folge zu leiften, und das mit Strafe dro- bende Gefeß wird in dieſem Falle felbft nur eine Gefahr mehr, der man aus Mens ſchenachtung entgegen gehen muß, denn was dem Gefetse überhaupt zum Grunde liegt, der allgemeine Wille, ift noch mächs tiger ald das Geſetz felbft.““ So weit der Sranzofe,
„Iſt es nicht alfo eine wahre Barbarei, ‚ eben den Feinfühlenditen in eine folche Lage zu dverfeßen, wo er nothwendig entweder
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feiner Standeschre entfagen, alfo in den Augen Seinesgleichen Fünftig für ehrlos gelten ſoll, oder durch die härtefte Etrafe dem Geſetze verfallen, und dadurc) vielleicht das Unglück feines ganzen Lebens herbeis führen muß? Jeden Mißbrauch des Duells fann aber ein Ehrengericht mit leichter Mühe faft unmöglich machen, worunter ic) bauptfächlich jedes Duell ohne hinreichende Urfache verſtehe. Daß aber Einer hie und da fein Leben dabei verliert, das uns ohne dem jeder vom Dache fallende Ziegel alle Augenblicke rauben Tann, das ift bei einem Principe eben fo wenig zu berüdfichtis gen, als die Nothwendigfeit, im Kriege nicht mit Pfeffernüffen, fondern mit Ka— nonenfugeln ſchießen zu müffen.“
„Ich geftche, daß fie mid) überzeugt has ben, und wünfche daher von Herzen, dag man dießmal das Eprüchwort vom blinden Heffen umfehren möge, und andere blinde Gouvernements im Gegentheil fo
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helljehend wie die Heffen werden mögen. In Frankreich ift es fchon zum Theil gefchehen, und in America gibt es, fo viel ich weiß, auch Fein Strafmandat gegen das Duell. Es wunz dert mic) fehr, daß England diefem Beifpiele feines fo wohlgerathenen Tochterlandes nicht ebenfalls ſchon laͤngſt gefolgt it, da es doch) in fo vielen liberalen Inſtitutionen ung vorleuchtet.“
„England! wenn ich, nur diefe grundlofe Verehrung Englands meinen Landsleuten verleiden koͤnnte! In feinen politischen In—⸗ ftitutionen will ih im Voraus zugeben, daß es und weit überflügelt hat. Diefe find ein unbegreiflihes Werf, wo die grelß ften Contrafte ſich gegenfeitig dergeftalt die Wage halten, fich fo wunderbar zum Wohl des Ganzen in einander verwachien haben, und die verfchied’nen Kräfte fo heilfam fich modificiren, daß ihr glänzendes Nefultat, durch die Erfahrung, alle Theorien über den. Haufen zu werfen feheint, —
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Aber Englands fittliche Aufklärung ift wahr: lich deßhalb noch nicht hoc) geftiegen. Bei ihm Fann man recht fagen: Sein Reich ift nur von diefer Melt, Bulwer bemerft fharffinnig: jedes Volk regiere eine Grund— triebfeder; bei den Sranzofen ſey es die
Liebe zum Ruhm, bei den Staltänern zur
Kunft, bei den Engländern zur Thaͤtigkeit.
Richtiger noch würde er von den Letztern ges
fagt haben: die Liebe zu fich felbftz mit
andern Worten: der reinfte, Fraftigfte und am höchften gefteigertfie Eigennuß.
Es gibt drei hiftorifche Facta, die ale befonders characteriftifch für die englifche ‚ Nation angefehen werden Fünnten:
41) Auf Jeden der vier letzten Könige von England, fo unfchuldig fie aud) Alle an der Regierung Englands find, wurs den dennoch) Mordverfuche, bei einigen zu wiederholtenmalen, gemacht, wie wir durch eine Nede des Lord Grey felbft im Oberhaufe beftatigt finden.
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2) Ihre Armee ift die einzige in Eur ropa, welche noch mit Stodfchlägen bedient wird,
5) Nur in England gibt es Menfchen, die ein Gewerbe daraus machen, Ans dere umzubringen, um ihre Leichname an die Aerzte zu verfaufen,
Man denfe etwas über diefe drei That— ſachen nad), verbinde fie mit der Vorftek lung von einer eiftlichfeit, die das halbe Vermögen des Landes befist, und man wird auf den Stand wahrer menſchli— her Bildung in England ziemlid) richtig fohließen koͤnnen.“
„Ganz anders verhält es fi) mit dem Sranzofen. So politiſch niedrig dieſe jetzt fiehen, fo verworren in dieſem Augenblick auch alle übrigen Elemente dort gähren, fo vielverfprechend ift ihre Zufunft, und große Zeichen davon enthalt felbft das Chaos ihrer neuern Literatur, welche die englifchen Kritiker nur mit ihrer gewöhnlichen Eins
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feitigfeit und hausback'nen Philoſophie zu beurtheilen verfichen. Man hat gefagt: das ſchoͤnſte Nefultat neu’fter Civilifation bleibe immer die begonnene Verfchmelzung der Nationalitäten, und die daraus noth- wendig hervorgehenden allgemeinen Fort fohritte der Miffenfchaft. Namentlich ift dieß aber zwifchen Deutfhen und Franzo— fen jetzt der Fall, was wir Napoleon’s Sie— gen und Niederlagen verdanken. Durde dringen ſich aber einft deutfche und franzds ſiſche Nationalität völlig (ich meine in ci» nem geiftigen, nichts weniger als politi— fben Sinne), jo enthalten beide genug der wirffamften Keime, um die ganze Welt zu reformiren. Auch bin ich überzeugt, daß unfre geiftige Zufunft hauptſaͤchlich auf den Einfluß diefer beiden Nationen bafirt ift, welche allein in Europa noch ein wahr— haft organtfches Leben zu beißen fcheinen. Spanien kaun aber durch cine glückliche Revolution den Yusihlag dazu geben. Ita—
45 lien ift todt, England im Abjterben, und Rußland, wie Mirabeau ſchon fagte: pour- rie avant d’etre mure,“
„Gott ſteh' ung bei, lieber Denker!“ rief ich erfchroden aus: „Sie find heute in eis ner mörderifchen Laune. Kaum haben Sie mir die Billigung der Duelle abgezwun- gen, fo tödten Sie gleich felbit ganze Nationen mit einem Streih. Wenn das fo fortgeht, ift man ja am Ende feines eig’nen Lebens bei Ihnen nicht mehr ficher. Ich halte es daher am gerathenften Ihnen für dießmal Lebewohl zu jagen.“
So trennten wir uns lachend,
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ro. 37.
Es war ein merfwürdiges Zeichen der Zeit, und Fam uns lächerlid) vor, daß im Großherzogthum Heffen, in einem frühes ren Patent des Großherzogs an fein Volk, ſchon nicht mehr von Unterthanen, fondern ftatt deffen nur von Mitbürgern die Nede ift. Noch abgeſchmackter waren die De batten in der franzoͤſiſchen Deputirtenfams mer über daßelbe Wort Unterthan. — Ein Americaner von meiner Befanntfchaft fand es wiederum fehr lächerlich, daß wir, die er Servile nannte, mit Yffectation bei je— der Gelegenheit, und felbft ohne alles Dienfiverhaltniß, vom Könige doc) als von unferem Herrn, und von uns felbft als feinen unterthänigen Dienern fprächen. „Seltfam,“ fagte er, „daß die Menfchen immer den Ertremen zuftreben, und Die goldene Mittelfiraße einfom und verodet
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laffen! Man fey in Monarchieen der treue Unterthan des Fürften, und diene Gott nur als feinem Herrn, dann ift man weder Demagog noch Sclave!“
Sch ſchlug darüder meine Encyclopaͤdie nach, und fand, dag Thane ein altdeut- fches, altfachfifches Wort fey, befannt in England und Macbeth, und Thane oder Than ift Herr. Wo es alfo Unterthane, oder, wie wir Deutfche jetzt ſchreiben, Un— terthanen gibt, da muß es auch Ober thane geben; worunter wir denn vor der Hand die Regierungen, Kandrathe, Ablö- fungs > Commiffionss Ober» Thane ꝛc. ꝛc. verfichen dürfen, ja müffen.
Es will fih aber jeßt ein ganz neuer Haupt: Ober: Than geftalten, der die dfs fentlihe Meinung heißt, und der eben fo gut zur Defpotie geneigt ſeyn möchte, als alle Uebrigen. Erzählen wir demzu— folge hier ein Beifpiel, wie fehr man ihm bereits fchmeichelt.
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Nro. 38.
Der Fürft von ......, nachdem in cinis gen Blättern die Nachricht geftanden, er habe eine bedeutende Anzahl englifcher Pferde in England gefauft, und durch englifche Stallmeifter nach feiner Reſidenz bringen laffen — erachtete für nöthig, ſich deßhalb bei feinen mitbürgerlichen Unterthanen durch folgende Annonce zu rechtfertigen;
„In Beziehung auf die von englifchen Blättern gegebene, und aus diefen auch) in die Nr. 192 der Staatszeitung unter Zon- don uͤbergegangene Nachricht, daß der Fürft wahrend feiner legten Anweſenheit in Eng- land eine bedeutende Anzahl von Pferden gefauft babe, muß hierbei bemerft werden: dag von Geiner Durchlaucht nur drei
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Pferde gekauft find, welche von einem hie- figen Stallbedienten abgeholt worden, und daß von englifchen Stallmeiftern um fo weniger die Nede feyn kann, als Se. Durchlaucht niemals Fremde unter ihrer Dienerfihaft gehabt hat.“
Nun wahrlich, wenn es fo weit koͤmmt, daß der Souverain fich nicht einmal mehr getraut, die Befugniß jedes Privatmannes auszuüben, fo ift die Leibeigenfchaft noch nicht aufgehoben, fondern nur auf Die Throne verfeßt. Freilich find die Duodez- Throne ſchon am fich eine fo Elägliche Ano- malte, daB man in ihrer Atmofphare nur Hehnliches erwarten kann!
Tutti Frutti III. 3
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ro. 39,
Nach einer bedeutenden Krankheit hatte fih neulich eine folche Tragheit und ein foldyer degout an allem Schreiben meiner bemächtigt, daß ich dieſer Befchaftigung nicht nur ganz Valet zu fagen befchlog, jondern auch wirflic) Feine Gedanken mehr dazu in mir verfpürte. Sch las nun ſtatt dejfen, wie ein Heißhungriger, alle Ephe— meren des Tages, die aber in meinem Geiſte durchliefen, wie das Waſſer durch Münchhaufen’s trinfendes Pferd. Da fiel mir Tiefs ergögliche Sommerreife in die Hande, und ſiehe da — der Zauber war gelöftt! Gedanken ſtroͤmten wieder zu, der Geift wurde wieder lebendig, und neue Ars beit ging mit Freuden vorwärts. — Das ift Doch reiner Magnetismus!
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Uber auch eine Beruhigung anderer Art fand ich in diefem Buche, Man hatte mir namlich oft gefagt: ich fey originell. Nun verdroß es mid) fehr, dieß nie felbft an mir gewahr werden zu Tonnen, bis ich jeßt hier von Tief den Ausſprach las: „daß eine bewußtoolle Originalität Feine fey.“ Seitdem bin ich ganz zufrieden ge ftellt, und denke mir bei folchen Aeußerun— gen Anderer, ich fehe meine Originalität im Spiegel, den ich mich wohl hüten werde für ein taufchendes Glas zu halten. —
Als ich übrigens zu „fehriftftelern“ anz fing, oder, um genauer zu fprechen, als ich mich zuerft faft mit Gewalt dazu nöthigen ließ, dann aber bald großes Gefallen daran fand, gab es gewiß Niemanden, der fich mehr wunderte, Beifall zu erlangen, als mic) felbft. Nicht, daß mir nicht ebenfalls Bieles vom eigenen Machwerf ganz gut gefallen hatte, aber eben deßwegen fürchtete ih), daß ein Publicum, in dem es fo viel
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Sebildetere, Unterrichterere, Geiſtreichere gibt, als ich mich zu ſeyn rühmen Fanı, leicht anderer Meinung feyn möchte. Seit— dem, wo ich niehrere Erfahrung gefammelt babe, überzeugte ich mic) aber, daß die Sache doch ganz anders zufammenhängt, und daß ein Autor nur dann eben, wenn er an dem Geſchrieb'nen felbft das regfte Ssntereffe nehmen muß, wenn er fih zum Schreiben faft gezwungen fühlt, ftatt fich erft felbft zum Schreiben zwingen zu muͤſ— fen, — daß er, fage ich, nur dann hoffen darf, auch vor den Kennern im Publico zu befichen, und mit eben dem Vergnügen ger lefen zu werden, als er gefchrieben hat. Sa, die gutgeftimmten Leſer find in diefem Tolle auch immer großmüthig genug, Die Lücdenbüßer (die dem Autor eben fo wenig wie ihnen behagt haben) mit dem Beſſern fi) übertragen zu laffen, oder fie mit Milde ganz zu ignoriren,
Zugleich geht es aber mit dem Schreiben
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faft wie mit dem Apfelbiß und dem Ta— baffchnupfen, Einmal davon gefofter, kann man es nicht wieder laffen, und wenn auch das Publicum längft uns nicht mehr haben will, wollen wir doc noch immer das Publicum haben, worin ich, hatte ich nicht zu viel Ehrfurcht für daßelbe, das Publicum mit der Sünde vergleichen möchte, Die uns auch manchmal cher zu verlaffen pflegt, als wir fie
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Nr, 40.
Zu fehr darf man fich jedoch dem Ger fallen on fich felbft nicht überlaffen. So fannte ich einen Schriftfteller, der mit vie lem Talent begabt, demungeachtet immer einfeitiger wurde. Das Nathfel Löf’te fich mir erft, als ich erfuhr, daß er fchon feit zehn Jahren nichts miehr als feine eigenen Schriften lafe.
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ro. 41.
Erbaulich ift e8, daß bei dem Ceremo— niell der Huldigungsfeier für die Kronprinz zeffin von Spanien, nach den Zeitungen der erfte Huldigende, der Infant Franz von Paula, zuerft in die Hande des Pa— triarchen den Eid leiftet, dann aber noch vor dem König niederfniet, und Die fem fein Ehrenwort gibt, daß er den Eidauc halten werde, Wenn nach der Grammatif zwei Ntegationen be jahen, fo möchte man glauben, daß zwei Affirmationen folcher Art eben fo gut verz neinen Fonnten,
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Nro. 42,
Das große Wort: Gluͤck! wird gar zu fehr gemißbraucht, gar zu unpaffend anges wandte. Wenn z. B. Napoleon Kaifer wird, fo haben zwar günftige Umftande hierzu mitgewirkt, allein Gluͤck kann ich es nicht allein nennen, weil es noch weit mehr Ver- dienft tft.
Wenn aber feine Brüder, Joſeph und Serome, von unbedeutenden Menfchen und armen Zeufeln, die fie waren, ganz ohne ihr Zuthun der Eine König von Spanien, der Andere von Weſtphalen wird, fo würde ich dieß mit Recht ein ungeheures Glüd genannt haben, wenn diefe Individuen auf ihren Thronen geblieben wären, So ift es freilich nur eine ungeheure Myſtification des Gluͤcks gewefen, indeß auch diefe hat
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noch) leidlich genug im Verhaltnig zu ihrer frühern Lage geendet.
Glücklich werden Diele geboren. Glüd hat 3. B. wer das große Loos gewinnt, aber wer fchafft und wirft, das Geinige thut mit Kraft und Einficht, der iſt nur unglücdlich, wenn e8 ihm nicht gelingt; aber dem Gluͤcke bleibt er wenig verfchulz det, wenn er endlich erreicht, was er lange ers firebt. Wortheilgafter und ficherer bleibt es indeß immer für ein Individuum, Glüd als Verſtand zu haben, vorausgefekt, daß diefes Gluͤck auch aushaͤlt. Monarchen thun daher manchmal wohl: Gluͤckspilzen mehr als den Weiſeſten anzuvertrauen, ſo wie auch der Inſtinct in ſeiner beſchraͤnk— ten Sphaͤre den tiefſten Scharfſinn uͤber— fluͤgelt. Gluͤck koͤmmt ganz allein von hoͤ— herer Hand, Verdienſt iſt, zum Theil wer nigſtens, unfer eigener fchwacher Erwerb ; das Erſte alfo jedenfalls vornehmer,
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Nro. 48.
War jene Zeit höher geftellt, deren Achter Ausdruck des Ritters Mahlipruch war:
A Dieu mon ame, Ma vie au Roi, Mon coeur aux Dames,
L’honneur pour moi —
oder die heutige? welche mit dem liebens— würdigen Chamiffo fingt:
Das ift die Noth der fehweren Zeit, Das ift die ſchwere Zeit der Noth, Das ift die ſchwere Noth der Zeit Das ift die Zeit der Schwerenoth!
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Nro. 44
Man hat fich oft über meine große Gut— müthigfeit gewundert, aber fie wird fchon eine hinlanglich erklärt, daß ich das Glück habe, ein gebor'ner Sachfe zu feyn. Sc wage aber zu behaupten, daß diefes Volk eins der gutmüthigften auf dem Er— denrunde ift, wie es hundertfach in Maffe fowohl, als durch einzelne Subjecte von jeher bewiefen hatz am fihönften vor Kurz zem durch feine Revolution, und täglich noc) heute durch die Verhandlungen feiner Kammern, Uber folche große politifche Beweiſe find dem Beobachter nicht fo ans ziehend, fo gemüthlich möchte ich fagen, als Eleine verborgene Züge, die mit umwie derftchlicher Naivitat das Herz rühren und den Geift aufklären,
EN
Man geftattete mir daher, Gleichgeſinnte bier durch ein Excerpt aus der Leipziger Zeitung zu erfreuen, wo ein armer Theo— loge, das wahre unbewußte Nachbild des berühmten Doctor Syntax, feine Dienfte in einem umftändlichen Aufſatze anbietet.
Nur ein Safe, glaube ih, konnte fi rührend fchreiben, nur ein Sache vielleicht fann den Werth folcher Gefinnungen ge hörig würdigen! Doch ohne weiteres Prä- ambulum zur Sade;
„Ein unverheirathet, die 40 bereits paf- firter junger Mann, der fich auf den Wunfch der Seinigen dem geiftlichen Sache eigent— lich gewidmet, ſtets aber eine befondere Neigung zur Wirthſchaft in fi) verfpürt, ſucht einen angemeff’nen Wirfungsfreis, Dirfelbe bat ſich bisher neben der Huͤlfe— leiftung jeder Art, die er in früherer Zeit einem Geiftlichen gethan, und neben der beiläaufigen Erziehung von Kindern in Samilien, porzugsweife mit
PB
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Deconomie, Gärtnerei, der Viehzucht, der Thierarzneifunft und auch einiger medici- nifchen Hauspraris befchäftigt. Er ſchaͤmt fid) auch der niedrigften Dienfte nicht (wie anfpruchslos, Du Guter); er ift zur Vers richtung jeder Arbeit ohne Ausnahme bereit, und bat ein gutes Gemüth, (O brauchteft Du das noch zu verfihern!) Er würde fid) am beten zum practifchen Dienfte bei einer Mittwe, oder auch einem Lands geiftlichen oder fonftigen Beſitzer einer klei— nen Deconomie ficken, die diefer zu ſei⸗ nem Vergnügen bearbeitet, oder auch zu feiner Unterhaltung bedarf, und dazu fo ein Faetotum haben möchte (Bei Factotum brach ich faft in Thranen aus.) Jedenfalls aber wünfcht der Bezeichnete ein Haus, wo er als Familtienglied be handelt und mit höchftem MWohlwollen ge leitet wird (wer würde Dir dieß verfagen fonnen, Unbezahlbarer!), wo möglich in der gend um Halle, Leipzig, Zeiz, Naumburg
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und Querfurt, jedenfalls in Deutfchs land. Er ſteht zu aller Zeit bereit in jedwedes WVerhaltniß einzutreten. eine Ansprüche find die geringften, wenn er Nahs rung und Kleidung unmittelbar erhält, und im Principal Wohlwollen findet, fo ift er nicht nur zufrieden, fondern wird ſich allen Gliedern der Familie gaͤnzlich hin— geben, und nur deren Intereſſe raſtlos verfolgen. Daß man ſich auf ſeine Treue und Rechtlichkeit ganz verlaſſen kann, vers ſteht ſich von ſelbſt. (Ja wohl!) Reflectirende belieben ſchriftlich unter Ad⸗ dreſſe: D. (weiches) T. (hartes) Lochgaͤß⸗ lein 7 Treppen hoch, ſich geneigteſt zu melden,
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Nro. 45.
We derfelben Zeitung fteht auch, daß fich
ein fomnambüler Kutfcher des Königs der
Belgier aus dem Fenfter geftürzt und den Hals gebrochen, ein zweiter Kutfcber dages om, der des englifchen Gefandten, einem Deputirten mit der Peitfche ein Auge auss schauen habe, Man fieht aus diefem Betz
fpiel, wie viel Fraftiger annoch die englifche Conftitution als die belgische feyn mag. Anders würde es vielleicht geworden feyn, wenn der ſomnambuͤle Fönigliche Kutfcher das Glück gehabt hätte, bevor er ſich aus dem Fenfter ftürzte, des Herrn Dr. Kerner’s Bekanntſchaft zu machen. Wer weiß, ob
% nicht, die Zügel zu führen fchon
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früher gewohnt, mit Hülfe der Geifter, con: fitutionelle Negterungsgeheimniffe offen— bart hätte, von denen man bis jetzt gar noch nicht einmal eine Ahnung hat.
Pro. 46.
Sn einer Befchreibung des Erdbebens zu Liffabon las ich Folgendes von einem Au— genzeugen:
„Unter der Menge bemerfte ich auch eis nien alten ehrwuͤrdigen Prieſter in der Stola, der wahrſcheinlich aus der Paulskirche ent—
kommen war. Er lief fortwaͤhrend unter dem Volke herum, ermahnte es zur Buße und verſuchte es zu beruhigen und zu troͤ— fin, Er fagte den Leuten unter einem Strome von Thranen, fie hätten Gott durch ihre Sünden im höchften Grade erzürnt, die heilige Zungfrau würde fich aber für fie verwenden, wenn fie diefelbe anriefen. Ein Jeder drängte fich zu ihm, ihn um feinen Segen bittend, und fchäßte ſich glüd- lich, wenn er ihm fonahe Fam, daß er Das
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Kleid deffelben berühren Fonnte. Einige hatten Eleine hölzerne Erucifire und Heilis genbilder in den Händen, welche fie mir zum Kuße reichten; ein armer Srlander hielt mir den heiligen Antonius zu Diefem Zwede vor, und als ich feinen Arm fanft bei Seite fchob, um ihm zu verftehen zu ge⸗ ben, daß ich von ſolcher Froͤmmigkeit nichts wiſſen wolle, fragte er mich unwillig: ob ich nicht an einen Gott glaube? Ich bin
feſt überzeugt, daß manche dieſer armen
bigotten Menſchen, welche dieſe nutzloſen Holzſtuͤckchen retteten, ihre Kinder umkom— men ließen. Ich bedaure ſie herzlich und muß geſtehen, nie ein ruͤhrenderes Schau— ſpiel geſehen zu haben. Ihre Thraͤnen, ihre Seufzer und Wehklagen würden. das härtefte Herz bewegt haben. Sc) knieete mit ten unter ihnen nieder und betete fo inbrüns fig, als die Uebrigen, obgleich zu einem Andern, zu dem einzigen MWefen, welches
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allein meine Bitten erhoͤren und mir bel fen konnte.“
„Gleich darauf Fam, wie alle diefe Bit: ten höhnend, der zweite Stoß, der noch mehr Gebäude einftürgte und noch mehr Menfchen zerfchmetterte.“
Mas mich mun in der angezogenen Stelle befonders nachdenklich machte, das find die individuellen menfchlichen Anfichs ten, die fich darin Fund thun. Die angeb- lich auf der unterften Stufe Stehenden kuͤſ— fen die Holzbilder ihrer Heiligen und hof fen dadurch Rettung zu erlangen; die Näch: fien rufen die Jungfrau an und fuchen Hülfe, indem fie des Priefters Gewand er; faffen; diefer felbft fieht in dem Erdbeben nur eine Strafe der Sünden der Haupt ſtadt und halt bis zuleßt verdienftlic) an der Amtsyflicht feftz der eingebildete Eng- länder aber, der uns die Scene erzählt, weißt den armen Srlander mit feinen ger liebten Heiligen altflug und vornehm zu:
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ruͤck, um, wie er fagt, zu dem einzigen und wahren Gott zu beten, von dem allein er Hülfe und Erhörung erwarten Fann. Und doch find fie allezufammt Thoren oder Keiner!
Denn jedes Gebet um etwas im Neiche des Materiellen ift offenbar etwas Unnüßes, und auch eben nichts Frommes; das Mer dium aber, deffen man fich eben da— bei bedient, ziemlich gleichgültig, ja, ich
möchte faft die Anrufung eines Heiligen |
bei folhem Beginnen, wo man verlangt: daß die Gefege der Natur um unfertwil len aufgehalten werden follen, wenigftens noch confequenter in der VBerblendung halten, als die Prätenfion derer, die dem hoͤchſten Weſen felbft ſolches zumuthen — denn der Heilige iſt nad) unſ'rer Vorſtel⸗ lung nur ein feliger Menfh, dem man zwar größere Macht, aber immer noch menfchliche Intereſſen zutraut — wer aber Gott bittet, feine einfeitigen blinden Wünr
be
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{che zu erfüllen, der verlangt von dem Lenz fer aller Dinge, daß er feinen unabander- lichen Rathſchluß, die von ihm der Natur ertheilten ewigen Gefege feinetwillen andern und hiermit alfo feinen eig'nen heiligen Willen dem des Menfchen unterordnnen fol, Iſt dieß nicht Unfinn ?
Vernünftiges Gebet in jeder Lage Fann wohl nur der Ausdruck von Bewunderung Ehrfurht, Dank und Liebe, wie inniger Durft nad) Befferung feyn, mit vollftän- diger Ergebung in Gottes Willen, ja dem lebhaften Wunfche, ſich Ddiefem zu unters werfen. Dann folgt die innere Stark ung, die Hülfe Gottes für unfre Seele, jedesmal von felbit, und ffeigert fic) mit jedem Gebet.
Es ift freilich nicht zu laugnen, daß ſich - über dergleichen, im Frieden aller Elemente und behaglichem Wohlſeyn leichter philofo- phiren laßt, als wenn die Grundfeften der Erde wanken, und Valäfte, Thuͤrme und
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Tempel uͤber uns zuſammen krachen — aber daß man durch ſolches Entſetzen viel— leicht ſchwach wird, iſt nur ein Beweis unſ'rer Gebrechlichkeit, nicht der Unrichtig— keit meiner Behauptung.
War aber denn Keiner von denen, die jener Bericht ſchildert, wahrhaft fromm und ſtark in der ſchrecklichen Cataſtrophe? O ja Einer wird erwaͤhnt (und tauſend Andere gewiß gab es), deſſen Beiſpiel herz— erhebend iſt. Als naͤmlich das Muͤnzge— baͤude, in dem große Summen angehaͤuft lagen, von einer Seite borſt, verließen es alle Bewohner ſammt der Wache. Nur ein junger Edelmann von 17 Jahren, der die Wache befehligte, blieb ſtandhaft auf ſeinem Poſten, und als der Englaͤnder, dem wir dieſe Nachrichten verdanken, dort auf der Flucht vorbeikam, ſah er jenen jungen Mann ganz ſorglos und ruhig die Stelle der davon gelaufenen Schildwache einneh—
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men, und dor dem Thore auf und ab Pas trouilliren.
* Sugendfraftigkeit und das Gefühl der Pflicht find große Stüßen, und das Keb- tere immer der liebfte Gefahrte achter Froͤm— migfeit.
Mer aber fteht höher, Gott naher, der, welcher inbrünftig betetz „Liebfter Gott, laß das Erdbeben aufhören, damit ich dar- aus gefund entwifche,“ oderder, welcher im erhebenden Bewußtfeyn, feine Pflicht zu thun, ohne anderes Gebet als das der Er; gebung, ruhig erwartet, was die Nothwen- digkeit der Naturgefege nach Gottes MWil- len herbeiführen wird?
Die Froͤmmigkeit, die in fpeciellen irdi— fhen und äußern Dingen auf Gottes bes fond’re Hülfe vertraut, ift gewiß eine falfche — mie fo viele Taufchungen kann auch diefe wohl augenblicklich tröften und flars fen, aber fie ermangelt der Wahrheit, und deßhalb ift fie höchftens nur ein Palliativ—
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fein achtes Heilmittel, Der, welcher Gott wahrhaftig erkennt, verlangt folches nicht von ihm, und kann fo groben Irrthum eben fo wenig theilen, als der gereifte Mann wieder ein Kind werden kann. Dagegen fteht er aber auch ruhig und feft in jeder Lage da, nicht fowohl auf Gottes befond’re Protection als Gläubiger bauend, als weil er Gottes und der ewigen Weisheit gewiß ift, in allen Verhältniffen ganz unbeforgt, wie fte ſich auch für ihn geftalten mögen; obgleich er, als mit Thatfraft begabter Geiſt, auch alle feine Kräfte zu ihrer vor— theilhafteften Wendung üben wird. Der Fromme der erftern Art, wenn er nach fei- nen fchwachen und perfünlichen Begriffen von Gott fich vernachlaßigt, Gutes, wie er wähnt, mit Ueblem, Qugend mit Elend vergolten ſieht, wird leicht irre an feinem Glauben; ja Mancher, der auf diefe Weife redlich mit Gott anfing, endigt am Ende mit dem Teufel, eben weil er vom Haufe
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aus im Irrthum befangen war, der nie wahren Segen bringen kann. — Wie z. B. jener Nebell im Bauernfriege, den man in einer graufamen Zeit langſam verbrannte und der lange herzzerbrechend Gott um Hülfe anrief, als diefer aber nicht half, fich mit den fihauerlichftien Morten auf ewig dem Teufel ergab, aber natürlich weder auf der einen, noch der andern Seite ers hört werden konnte. Derjenige hingegen welcher die Nothwendigkeit alles Gefche- benden, und die ewige Xiebe und Gerech— tigfeit als Wefen aller Dinge erfennt, kann nie mehr daran irre werden, kann nie pers zweifeln, ihm gefchehe, was da wolle, Er weiß: daß ewiges Leben fich immer neu gebiert, und Alles, was da ift, es fey zu Schmerz oder Freude, in Gott bleiben u immer und ewiglich.
Tutti Frutti ILL, 4
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Nro. 47.
Es gibt Leute, die ſehr wohlthätig find. Ev wie fie von Armuth und Elend horer, fieht man fie gleich bereit und voll Eifer — eine Collecte zu eröffnen, Diefe Mühe gilt dann, wie billig, ftatt des eig'nen Beitrags. Befonders Prediger lieben auf diefe Meifc mit den Beuteln ihrer Freunde Gutes zu erzeigen, und finden dieß weit thunlicher, als den Beichtgrofchen oder das Taufgeld zu erlaffen.’
Ich Fannte Einen ‚diefer Art, der den Maßſtab feiner Achtung nur darnach an— legte, ob das Individuum ſchlecht vder gut — opfere. Wenn derfelbe privatim taufte, begab er fich ſtets nach vollbrad;- ter Ceremonie eiligft an den Ausgang der Stube, und ließ Keinen ohne entrichteten Zoll heraus
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An gutem Nath, an vielfacher Lehre ließ er’s aber ebenfalls nie fehlen, und ich glaube, die burlesfe Manier mit der er die letztere auf der Kanzel von fich gab, trug viel zu der Popularität bei, deren er fich erfreute.
Sch felbft war einmal Zuhörer folgender Nachmittagspredigt, welche lange bei ſei— nen Bauern Epoche machte, Er Fonnte die fonntöglichen Uebungen der Landwehr nicht recht leiden, und endigte daher feinen Sermon an einem Falten und regnichten Tage mit folgenden Morten: „So, meine Sreunde in Chriſto, wird es Euch Kar geworden feyn, wie undanfbar wir oft find, und die Gaben verfennen, welche ung der Herr ſchenkt, weil fie uns alltäglich vor— kommen. Wir follen aber nur die Augen oͤffnen und fehen, wie es Andern neben uns ergeht. Haben wir nicht Alle erft heute nod arme Leute gefeden, die an dieſem
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falten, regnerichen Tage, in Leinwandhos fen und dürftige Kittel gekleidet, auf der Gemeindehut frieren und noch dazu ohne Gewehre erereiren mußten! während Shr jeßt hier gemaͤchlich m Eurem Sonntagss fiaat filzet und im weiten warmen Rod, mit vortrefflichen Lederhofen angethan, Got— tes Mort von mir hört, Aber vernehmt, was ich fage! Was find Leinwandhofen? gar Feine Hofen — was find tuchene Ho— fen? gute Hofen — aber was find lederne Hofen? ewige Hofen. Amen!“
Nachdem er ein and’resmal lange über die Pflichten der Eltern gegen ihre Kinder feltfames Zeug gefalbadert, rief er zuletzt in Ekſtaſe aus: „Alfo erfennt Eure Pflicht, meine Brüder — feyd Vater und Mütter!“
Mir fiel dabei die franzöfifche Comoͤdie ein, wo der beletdigte Vater und Dorf-Maire in eds lem Zorne ausruftt Je suis pere, Mon- sieur, ptre et mere (Maire), Monsieur!“
Nro. 48.
Ein geiftreicher und ernfthafter Narr ift von allen rarhfelhaften Wefen eins der uns bequemften im gewöhnlichen Leben, und einer von denen “to puzzle a conjuror“ wie die Engländer fagen. Man wird, feis ner Narrheit wegen, ihn nie begreifen, nie wiffen Fonnen, woran man mit ihm ift, nie herzhaft Zutrauen zw ihm faffen, nie feft überzeugt feyn koͤnnen, ob er es ehr: li), ja nur ernſtlich meine oder nicht, ob er wirklich etwas wolle oder nicht, ja, ob er nur überhaupt eine Meinung habe oder nicht, während doch auf der andern Seite fein gravitätifches Thun, fein gefühlvoller Anftrih, fein feheinbarer Enthufiasmus, - fein penetranter Scharffinn, feine durch dringende Wahrnehmungsgabe ihn oft uns
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ter den ausgezeichnetſten Männern feinen Hang anzuweifen fcheinen.
Heute die Klugheit, Sanftmuth, Befcyeis denheit und Verbindlichkeit felbft, fliegt ihm dein Herz und Geift entgegen. Morgen koͤmmſt Du wieder, aber er Tennt Did) nicht mehr, und feine Aeußerungen, feine Grundfäße, die er damonifch Dir entwis delt, machen Dich zurüdfichaudern vor eis nem Menfchen, dem Du Dich ganz hin zugeben im Begriff warft.
Es war aber eins und das andere nur die Nolfe, die der Narr fpielte, Feins ton beiden feine Achte Natur, oder wenn Du willft jede, fo lange er in feiner Narrheit fih in fie hineindachte.
Ebenfo fichft Du ihn geraume Zeit Flug wie Mechtavell, mit eiferner Geduld, mit unübertriefflicher Schlauheit und bewunderns— werther Kraft, einem fchwierigen Ziele fi) mit Riefenfchritten nahen. Seht ift er beinahe angelangt, er braucht nur noch die
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Hand im legten Augenblick darnach aus- zuftreden — da ftößt er es lachend mit dem Fuße um, wirft allen Umftehenden den auffliegenden Staub in’s Gefiht, und blaft ſich geruhig eine neue Seifenblafe auf, der er nun cben fo emfig nacheilt, ohne ihr ebenfalls eine längere Aufmerffamfeit zu fhenfen. Es ift etwas Poeſie in Diefer Narrheit, aber wer nihtrecht feft gewapp— net ift, halt fich beifer zchn Schritte davon,
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ro, 49,
Es gibt nichts Ungefchickteres als wenn die Gnadenaustheiler nur halb zu geben verftehen, Eine halbe Gabe erwedt, ftatt Dankbarkeit, nur Erbitterung, und was das Schlimmfte ift, fieraubt die Hoff nung — diefen großen Hebel in gefchickter Hand, Und doch begegnen wir diefem Miß— griff, dieſer thörichteften aller Knaufereien, fo Häufig an gewiffen Orten. Machtige mit einer Gefinnung diefer Art, feheinen nie mit der rechten Hand eine Gunft ertheis len zu koͤnnen, ohne mit der linfen wieder den beften Theil davon abzunehmen. Exem- pla sunt odiosa, aber fie liegen hundert mweife zur Auswahl da. Gar Viele, die dieß lefen, werden fie fchon felbft erlebt babe! Es entftcht folcyes Verfahren dens
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noch eigentlich nicht aus uͤblem Willen, ſondern nur aus Kleinlichkeit, ein ge— faͤhrlicher Feind der Gouvernements, weit gefaͤhrlicher als Freiheit der Preſſe. Hierin haben die Englaͤnder einen großen Vorzug vor uns. Bei ihnen geſchieht Ungerechtes, auch Thoͤrichtes, aber hoͤchſt ſelten Klein— liches.
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ro. 50.
Zwei abfonderliche Druckfehler.
Nro. 1.
Mit einiger VBerwunderung fand ich neu: lich in einem Sntelligenzblatt: „Schaafahns liche Zuftände der Seele“ angefündigt. Als ich nun fpater das vortreffliche Buch Schu— bert’s (Schlafahnliche Zuftände der Seele) felbft las, drang ſich mir wieder recht leb— haft Napoleon’ Bemerfung auf: „qwil n’y a quun pas du sublime au ridicule,‘* und ich dachte an die Scherin von Pre— vorft. Aus Schubert’8 Buche lernte ich aber 1.) daß im Schlafe wie im Machen der Menſch die Veränderung liebt, 2 dag man Lungengefhwäre durch Abfingen
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geiftlicher Kieder im Traume, welche eine rettende Eiterergießung nach außen bewerfs ftelligen, curiren koͤnne, welches neue Re⸗ cept ic meinem verehrten Freunde, dem Herrn Prafidenten Ruſt zu Berlin, ald an— erfannten DVerehrer des Magnetismus, zur Beherzigung empfehle. Aufrichtig gefagt, glaube ich aber, daß, wenn der Traͤumende: „Ach, du lieber Auguftin!“ gefungen, und dabei gehörig gefchrieen hätte, wohl unter den obwaltenden Umftänden, durch die heil; fame Erfchütterung, leicht daßelbe Reſul⸗ tat erzielt worden feyn möchte,
*
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Nro. 2.
In der preußiſchen Staatszeitung vom Jahr 1833. Nr. 324 endigt der neue Koͤ— nig von Belgien feine Thronrede folgender— maßen: „Ich rechne, meine Herren, auf die legale und beharrliche Mitwirkung, welche eine aus dem Willen der Nation hervorgegan— gene Regierung, die nimmer ben feſten Wil len hatte, fich auf diefelbe zu ftüßen, von den Vertretern des Landes erwarten darf.“
Es ift fihade, daß man nicht allen neu: eren Thronreden mit Verfeßung einiger Buchftaben auf aͤhnliche Weiſe zu Hülfe fommen kann, fie würden dadurch mit leichter Mühe, gleich der franzoͤſiſchen Charte, immer zu Wahrheiten werden,
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Goͤthe's Fauft, zweiter Theil hat uns gezeigt, daß es mit dem Erften doch nicht ganz fo ernft gemeint war, als wir glaub- ten, oder vielleicht gar ernfter noch — aber fo viel ift gewiß: weniger menfchlich und noch weniger teuflifch erfcheinen uns hier die alten Helden, wie auch der Dichter felbft weniger Fräftig, in der nenen Fort: feßung. — Ueberdem wird gar zu vielerlei angeklungen und fchnell wieder weggewor⸗ fen, zu viel im’s Allegoriſche nicht ganz behaglich verſchwemmt. Die fromme Schluß ſcene aber, welche ich dennoch immer noch nicht das wahre Ende des Werks nennen möchte — denn Fragment bleibt es auch in feiner jeßis gen Geftalt fortwahrend — ift wieder acht zeitlich, ich meine unfere Zeit malend, und, wie mid dünft, wenn auch nicht ganz ohne ernfte Meinung, doch auch nicht
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ohne tiefe Ironie. Stets hat der große Dichter, wie Keiner, feine Zeit gemacht, und auch mitgemacht. So ift auch hier nur halber Ernſt, halbe Froͤmmelei, halber Mephiftophelifcher Spott darin zu finden, Die Manderjahre und des Fauft zweiter
Theil haben eine große Wahlverwandtfchaft, wie ebenfalls die Lehrjahre mit des Fauft erſtem Theil. In diefen beiden blüht Ju— gend, in jenen fröftelt Alter. Doc eins wie das andere empfangen wir, wie billig, dankbar, obgleich mit Unterfchied. Ganz der alten Zeit würdig aber, vielleicht auch aus alter Zeit, iſt wiederum das letzte Wort, was wir hiermit dem großen Tod— ten freudig laffen, al$ Chorus mysticus:
„Alles Vergängliche
„Iſt nur ein Gleichniß;
„Das Unzulängliche
„Hier wird’8 Ereigniß.
„Das Unbefchreibliche
„Hier ift e8 getban;
„Das ewig Meibliche „Zieht uns hinan.
* ee
Nro. 52.
Uebrigens kann Zeder fich die obigen my» ftifhen Zeilen nach) feinem Belieben ausle— gen, ein Vorzug, den Göthe vor Allen hat. Denn e3 gibt zweierlei Arten Dich- ter; poeta et vates, Der Erfte ift Künjts ler, der Zweite infpirirter Prophet. 3. B. Schiller und Shakespeare.
Niemand vereinigt Beide wohl vollftäns diger als Börhe, und erſcheint dadurch wie die Natur ſelbſt.
Denn mit kuͤhner Univerſalitaͤt malt er den ſuͤßen Duft der Blumen, wie den Wurm der ſie zerfrißt, das mit froher Hoffnung und ſchwellenden Segeln dahin gleitende Schiff, wie den Sturm und Blitz der es in Truͤmmern zerſchmettert, Goͤtter und Teufel, Alles mit gleicher Schoͤpfungs⸗— liebe.
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Dft find daher feine Worte zweifchneidige Schwerter, wie 3. B. jener Ausſpruch in den Mitfchuldigen: „daß ein zartes Ge: wiffen und ein ſchwacher Character gewoͤhn— lich Hand in Hand gehen.“
Es iſt Alles wahr, und wenn es fchadet, ift es nicht Göthes Schuld, fondern deffen, der e8 ſchlecht anwendet.
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Nro. 53.
Es ift merfwürdig, wie wenig fich unf’re NRomanfchreiber um die Sitten fremder Nas tionen befümmern, wenn fieden Schauplatz ihrer Gefchichte in folche Länder zu legen belieben,
So fielen mir neulidy die Phantafiege mälde für 1831 von dem, wenn ich nicht irre, allgemein beliebten Dr, Georg Döring in die Hande, wo die comifcheften Irrthuͤ— mer diefer Art aufgehauft find.
Alle Ehefrnuen werden da in England mit Miß titulirt, und die Herren ftets mit Sir Frank, Sir Maidftone u. f. ws angeredet. Nun heißt bekanntlich nur em Mädchen Miß, eine Frau aber Miftriß, und das Wort Sir wird zwar als Anrede für Männer aller Stände gebraucht, aber
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nur in Dem Fall zugleich mit dem Namen verbunden, wenn es den Titel eines Bar ronets bezeichnen foll, wobei noch zu. be— merken ift, daß man dann nie den Zuna- men, fondern nur den Vornamen hinzufekt, fo daß, wenn 3. B. ein Baronet Charles Maidstone hieße, man ihn nie ©ir Maid: stone, ſondern Sir Charles anreden würde und fofort. Eben fo wird das Wort Eir, wenn man von Jemand fpricht, fei- nem Namen gleichfalls nur dann zugefeßt, wenn er zugleich Baronet ift, fonft bedient man fid) des Worts Master.
Es kann nicht fehlen, daß ſolche Ver: ftoße auf jeden, der England Fennt, lachers ich wirfen, und dem übrigen Intereſſe der Dichtung ſchaden muͤſſen. Mürden wir Deutfche wohl ernfthaft dabei bleiben Fon: nen, wenn 3. B. ein Engländer die Scene feines Nomans nad) Deutfchland verlegte, und nun etwa fo anfinge:
„Es war ein fcehoner heiterer Sonntag,
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als Mademoifelle Frank mit ihren vier lieblichen Töchtern dem Reſenthale zueilte, wo heute großes Concert und Feuerwerk die Menfchen anlockte. Noch hatte fie kaum die Hälfte des Wegs zurücgelegt, als Ba: ron Schneider der Tuchmachermeiſter, ihr Nachbar und Hausfreund fie ereilte. Bella, die altefie Tochter, gewiß heute die fchönfte Roſe im Nofenthale, erröthete fanft, als fie bemerfte, daß Baron Schneider nicht allein war, fondern vom jungen Baron Lorenz begleitet wurde, einem retfenden Handlungsdiener, deffen ſchwarze Augen und analoger Locenfopf der armen Bella [bon lange unruhige Traͤume verurfacht hatten u. f. w.“
Spater führt der Autor einen Nabob vor, der mit comisch feyn follender Affee tation Alles auf Indien bezieht. Diefen laßt er nun auf einem Spaziergang mit Verwunderung bemerken, daß ein fremder Gentleman, den man für fehr geizig auss
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gegeben, ftatt eines Pence, für Bezahlung des Brückenübergangs, eine halbe Krone gibt; da fpringt der Nabob haſtig hervor, faßt den Fremden bei der Hand und fragt mit glänzenden Augen: Sie waren gewiß in Indien? Eine Familiarität diefer Art, ihre Albernheit abgerechnet, ift nun den englifchen Sitten in ſolchem Grade entges gen, daß fie dort auffalliger feyn würde, als wenn hier ein Mann auf der Prome nade plöglich eine vor ihm gehende fremde Dame umarmen und fie fragen wollte: ob fie heute mit ihm zu Abend zu effen geneigt fey? Man würde in beiden refpees tiven Fallen, hier und dort, den Frager für verrückt halten.
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ro. 54.
Jemand hat gefagt: Alles, was die Eins bildungsfraft fich denkt, eriftirt irgendwo wirklich. Noch ficherer Ffann man behaup- ten: Alles, was die Einbildungsfraft als wirklih glaubt, ift auch wirflih für fie da. Im Mittelalter gab es ganz effecs tive Hexen und Gefpenfter, im Morgens lande gibt es noch üble Augen, Vampyrs, Zauberer und Feen. Für jene Völker find fie fo gut und gewiß da, als für uns Baume und Sträucher, und gar Manches eriftirt auch noch für Viele unter uns, was für Andere fchon verfchwunden if. Man möchte daher faft verfucht werden, anzunehmen, dag Alles bis auf einen gewiffen Grad allerdings nur Zlufion fey, die Dinge an fich Feine beftimmte Wahrheit hatten, fon dern fie nur von den fchöpferifchen Geiftern fort und fort empfingen.
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ro. 55.
Es ift doch eine fonderbare Sache um die Macht der Autorität bei den meiffen Menfhen! Wenn man in den orientalifchen unermeßlichen Fundgruben, die man jeßt fo tief aufwühlt, unter den vielen merk— würdigen Aehnlichkeiten zwifchen altern Res ligionsfagungen, vorzüglich der ſchon ers wähnten Legenden des Buddhaismus mit denen des Chriftenthums, zufallig auch ein: mal ein wörtliches Original der Bergpres digt, bereits in alter Zeit in Indien ge fprochen,, wörtlich vorfande, fo würde die der Schönheit derfelben in den Augen des Philofophen freilich nicht das Mindefte raus ben koͤnnen, wie würde es aber dabei mit vielen glaubigen Chriften ſtehen? Es wäre fehr möglich, daß mit der erfihütterten Au—
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torität auch ihr ganzes Chriftentfum zu Boden fiele. *
Ich kam auf dieſen Gedanken, als ich las, daß die Franzoſen Petrus (Kephas) Grab gefunden, und aus Mitleid mit dem Papſt in kleine Stuͤcke zertruͤmmert haben. Die ſind aber ſicher als ſchlechte Katholi— ken davon weggegangen!
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Nro. 56. Ein Doppelzettel.
(Abermald der Aftronomie entlehnt, in derfels ben Weife, wie man durch die Entdeckung der Doppelfterne auch neuerlich Darauf gebracht worden ift, Doppel-Miniſter einzuführen.)
Alte Beleidigungen, heißt es, werben fel ten durch neuere Wohlthaten in DVergeffens heit gebracht — aber auch umgekehrt z neuere Beleidigungen werden oft nur wegen alter Wohlthaten nicht vergeben, und es liegt etwas fehr Menfchliches darin. Ueberhaupt wird mit dem Worte Dankbarkeit viel Mißbrauch getrieben. Ein fo fhandliches Laſter auch Undankbarfeit ift, fo muß man doc) täglich erfiaunen zu hören, für was alles die Leute Dankbarkeit verlangen zu
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fonnen glauben! Mer nicht aus Jutereſſe, ſondern nur um des Beſten ſeiner eig'nen Seele willen handelt, wird ſelten uͤber Un— dankbarkeit zu klagen haben, und noch we— niger ſelbſt undankbar ſeyn.
Anders und proplematiſcher verhaͤlt es ſich mit der Wiedervergeltung feindlicher Angriffe. Was mich betrifft, ſo kann ich wohl ſagen, daß Niemand weniger rach— füchtig geboren, und mehr zu jener Indo— lenz geneigt war, von der Lichtenberg fo wahr fagts „daß fie zulest nichts mehr rächen kann und ſich jede Unterdrückung ges fallen laßt.“ Als ich die Richtigkeit dieſes Ausſpruchs endlich gewahr wurde, ging id) mit mir felbit zu Rathe, und einfehend, daß ich fo nicht wohl irdifch beftehen Fonne, zum himmlischen Märtyrer mid) aber noch nicht reif fühlte, fo befchloß ich feft von nun an, e3 werde mir fchwer oder leicht, in der Negel nie mehr weder etwas Gutes
Tutti Frutti III. 5
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noch etwas Uebles zu empfangen (voraus geſetzt, daß das letztere abfichtlich ertheilt wäre), ohne es mit den gehörigen Zinfen richtig wieder abzutragen. Das habe ic) denn auc) jo ziemlich gehalten, fo weit es we nigftens meine Mittel geftatteten, und mic) wohl dabei befunden, obgleich das Chri- ſtenthum es freilich anders vorfchreibt. Dieß muß man aber leider, fo lange die ganze Melt noch fo fehr im Argen liegt, nur wie die alten Nitter verftehen, und La Motte Fouque, deffen Helden die Leute immer
Liebevoll und freundlicy behandeln, auch
wenn fie ſie todtfchlagen.
Zu diefem leßteren argumentum ad ho- minem einmal zu fchreiten habe ich nun, meinen Grundfägen gemäß, allerdings noch nie Gelegenheit gehabt, da mic) felbft bis- her noch Niemand todtgefchlagen hat, aber im Uebrigen fühle ich mich, im Guten wie im Boͤſen, dennoch bei manchen Fallen in bedeutendem Ruͤckſtand. Zu meiner Er:
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leichterung geftatte ich mir jedoch bei dem Princip einige Modiftcationen. Sch ver- gelte 3. B. das Ueble nur fo lange wie der mit Ueblem, als ich Urſach' anzuneh- men habe, dag man feine Gefinnung und Handlungsweife in diefer Hinficht feitdem gegen mich nicht geändert hat. Iſt das Gegentheil der Fall, fo danke ich Gott von Herzen, vergeben und vergeffen zu dürfen, denn was Andern vielleicht Der: gnügen macht, nämlich ſich zu rachen, ift mir ein bitt’rer Trank, den ich aber, wie gefagt, aus Grundfaß, wie Medicin vers ſchlucke. Sch folge alfo hierin de prefe- rence dem Gonfucius, welcher fchon vor Chriſtus ſagte: Was dir die Leute thun, das thue ihnen wieder *), ein Spruch,
*) Es fagfe Jemand zu Khung: Fu: Dfü: „Was bältftdu von dem Grundfage, Feindfchaft mit Wohltbaten zu vergelten?'" Khung-Dſü ſprach: „Womit willft du denn Wohlthaten ver: gelten? Mit parteilofer Gerechtigkeit vergift dem Feinde, mit Wohltbaten nur dem Wohlthäter.“
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den Die Deutfchen nachher poetifcher in: Wurſt wider Murft, überfeßt haben. Co viel ift gewiß: einen practifchern Grunds {aß gibt es nicht, und es ift, wenn nicht Tugend, doch wenigftens Pflicht, ihn zu erfüllen — Pflicht der Selbjterhaltung, von den Moraliften Egoismus genannt — eine Eigenfchaft, für die man nie von Andern ſehr gepriefen wird, doch aber oft fich felbft dafür zu preifen Urfach hat; was denn immer auch ein Genuß ift, wenn gleich ein untergeordnete. — Es gibt mehr Leute, die fich ihn zu verfchaffen fuchen, als Sol⸗ che, die es eingeficehen — mit Maaß ges pflegt, ift er aber wirklich recht zuträglic.
Merkwürdig auch ift Folgendes, wegen der faft wörtlichen Uebereinftiimmung mit Ebriftug. „Gibt es wohl ein Wort," fragte Dfü:Khung, „demgemäß wir bi8 zum Zode handeln können?“ „Ja,“ erwiederte Kbung:Fu-Dfü : „dieſes Wort it: Was du ſelbſt nicht willſt, das dir geſchehe,dasthue nicht Andern.“
Nah Dr. Schott's Ueberſetzung.
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& No. 57.
Man Fann nicht daran zweifeln, daß fi) immer mehr das einzelne Hervorſte— hende in der Welt verliert, und das Allge— meine fich geltender macht. Große, diefe Welt erfchütternde Helden, weit über die Maffe erhab’ne Genies werden bald nicht mehr möglich) feyn, und es fiheint, daß Napo— leon, wie einer der größten, auch der letzte jener großartigen Herven gewefen ift. Die Menfchen werden immer mehr in der Menfch- heit aufgeben, von Anfang an aller Zweck der Eivilifation.
Es ift auch nicht zu laͤugnen, daß der St. Simonismus, mit fo vielen Lächer- lichfeiten und Snconfequenzen er fi news erdings behangen hat, dennoc auf dies fe Wahrheit ſich ebenfalls begründen wollte, und feine Vorherfagungen einer ganz neuen allgemeinen Anficht religieufer
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und weltlicher Verhältniffe werden, obgleich bedeutend anders modificirt, doch in Er: füllung gehen müffen, wenn nicht die Hoff nung: einft alle Menfchen nur eine Fami— lie ausmachen; alle Kräfte nur zum allge meinen Wohl, Feine zu gegenfeitiger Zer— ftörung angewandt; allen Krieg in Wett: eifer der Induſtrie aufgelöft, mit einem Wort, den Zuftand der Civilifation auf den der Natur geimpft und den gleichen Rechten aller Menfchen angemeffen, aber auch ihren angebor’nen Fähigkeiten analog, überall entwicelt zu fehen — eine bloße fromme Chimaͤre ift.
Es koͤmmt mir auch vor, als ſey es nur dieſe allgemeine Vergeiſtigung, dieß groͤßere Gleichgewicht der menſchlichen Faͤ— higkeiten, die einzelnen derſelben nicht mehr erlauben ſo ſchroff und ſtark hervorzutre— ten. Dieß macht die Zeit ſo weich und mild, und erregt in allen Staͤnden einen ſo lebhaften Wunſch nach behaglichem
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Xebensgenuß, wodurch die offenbar friedliche Tendenz der heutigen gebildeten Melt begründet wird,
Selbft da, wo Krieg oder Umwälzung entftchen, gehen beide jeßt immer von den Voͤlkern aus, die ihrerfeits wieder bloß deßhalb eine geordnete, freie DVerfaffung haben wollen, weil fie fühlen, daß ohne diefe, jene allgemeine Behaglichkeit ihnen nie gefichert bleiben koͤnne. Micht mehr die heroifche Freiheitsliebe des Alterthums ift es, die fie antreibt; freie Induſtrie, Handel und Wandel, ficherer und ruhiger Genuß des Privatlebens find es, welche fie fihh um jeden Preisverfchaffen wollen,
Man blide auf die Franzofen, der krie— gerifchften Nation Europa’s, man betrachte ihre leßte, ewig denfwürdige, fo ganz von Allem, was die Gefchichte aufweif’t, ver: ſchiedene Revolution, ihre Maͤßigung in und nach derfelben, und wie fie alle alten Nationalvorurtheile, ja felbft. ihre Eitels
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keit, von jeher die ftarffte ihrer Leidenfchafs ten, aufopfern und gefangen nehmen, für die lockendere Ausficht auf Ruhe und Frier den! So fcheint fich mit Napoleon, gleich) dem höchften Auffladern des Lichts vor feinem Erloͤſchen, das letzte Kriegesfener in Europa entladen zu haben, und alle cioilifirten Völker widerfireben von nun an dem äußern Streite, und zwingen Dis rect oder. indireet ihre Regierungen und Beherrfcher, wenn nicht zu gleicher Anficht, doch zu gleichem Verfahren.
Die Berücfichtigung eines fo neuen Zeitgeiftes follte den Negierenden ihre neue Politik vorfchreiben, und haben fie diefe richtig erfannt, fo werden fie aud) weit unbeforgter, gegen die Folgen großer Con— cefftonen gegen ihre Voͤlker werden, ala fie es bis jet meiftentheils noch find. Dieſelbe friedliche, induftriille und häus— lihe Richtung, wenn ich mich fo auss drüden darf, ftellt auch fie vor allen Um—
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wälzungen ficher, wenn fie nur mit dem Einen entgegenfommen, was Noth thut — einer Verfaffung namlich, welche Will führ verbannt, und der allgemeinen Bil- dung ein ficherndes Organ in der Vollss reprafentation geftattet.
Es ift daher befremdend genug, daß heute noch ein befanntes neues Werk über die franzöfifche Revolution, das den Grund derfelben auf fo platte Weife, aus abge droſch'nen Gemeinpläßen erflärt, auch nur den Beifall der Kurzfichtigften erhalten kann. Man erftaunt, wie es jetzt noch moͤglich ſey, ſich ſo ſehr an Gott und Menſchen zu verfündigen, um zu behaup— ten: daß nur eine allgemeine Vorliebe zur Anarchie, ein allgemeines Nichtwiffen der Menfchheit, was fie wolle und folle, fi) der Welt bemächtigt habe, und weß- halb? weil man der offenbarten
Keligion nicht mehr einen blinden *
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Glauben ſchenke, weil Jeder nur feiner Vernunft folgen wolle!
Sa freilich, Ihr wenigen noch übrigex Obſcuranten, deren Elentent die Nacht ift, wo freilich Alles nur eine ſchwarze Farbe hat Ihr lieben Leute, die Ihr nad) Um: fanden Sclaven oder Tyrannen ſeyn möch- tet (denn beide find ja nur die entgegen— gefeßte Pole deßelben Wefens), Eu) muß die Vernunft ein Gräuel ſeyn, aber daß Ihr dieß heute noch fo offen gefteht, be> weiſ't: dag Euch nicht nur die Vernunft, fondern auch der Verftand fehle,
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ro. 58
Es gibt außer Vernunft und Verftand noc) ein drittes wichtiges, geiftiges, fie be— treffendes Vermögen, naͤmlich das: die bei— den erften paſſend anzuwenden und alle Drei gehen leider nicht immer zufammen.
In Bezug auf das gewöhnliche Leben nennt man jenes Drittes Klugheit, und die Sranzofen noch bezeichnender: Vapro- pos de l’esprit et de la raison.
Es iſt fehr unbequem, dieſes Vermoͤ— gend zu ermangeln. Man gleicht dem Reichen, der feinen vergratenen Schaf nicht wieder finden Tann. Beſſer beinah’ dann, nie einen gehabt zu haben!
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Nro. 59.
Es fängt jetzt an, eine Kieblingsidee der Sorfcher zu werden, daß die fogenannten Milden Feineswegs jüngere, unausgebildete Voͤlker, fondern nur die Trümmer feit um alten Zeiten untergegangener Civilifationen feyen. Die der Menfchheit dadurd) eröffs nete Ausficht iſt nicht die erfreulichſte. Sch glaube aber, man muß fich auch bier vor dem pedantifchen Sehler verwahren, Alles gewiffen Theorteen anpaffen zu wollen,
Eben fo wenig, wie es leider wahrfcheins lich ift: daß das ganze Menfchengefchlecht, den Träumen der Optimiften gemaß, einft zu irdifchen Engeln werden wird, eben fo wenig wird es am Ende auch wieder ges meinfchaftlich zum Thiere herabfinfen,
Das befte Lehrbuch bleibt immer die Nas tur, und wie in diefer fortwährend die
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niedrigften Anfänge und die höchften Aus; bildungen in jedem Reiche zufammen bes fiehen, fo wird wohl auch unter den Menfchen immer ein Theil die oberfte ein and’rer die unterfte Stufe einnehmen, Die vernunftgemäßefte Anficht ſcheint mir daher eine folhe zu feyn, welche zwar ſtets im Einzelnen dem Ideal nachftrebt, das Ganze aber nicht als perfectibel, fon- dern ſchon als perfect anfieht, und nicht annimmt: daß die ganze Welt da fey, eiz nen unbefannten Zweck zu erreichen, fons dern daß aller Zweck des Seyns eben die fe8 ewige Seyn und Leben ift, und diefer folglich in jedem Augenblick fchon vollftäns dig erreicht wird,
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Nro. 60.
Kraftübung allein ift Freude, und aud) Tugend. Aller Genuß entfteht bloß aus ihr. Der Menſch fühlt fih nur dann fe lig, wenn er fich felbft genügt, und dieß geſchieht nie ohne vollftandigfte Kraftübung..
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ro. 61.
Es ift wohl wahr: der Menſch tft uns endlich Flein, aber er ift aud unendlich groß. Troſtlos klein und ſchwach in alle dem, wo er fich felbjt beherrfchen, dem Egoismus jeder Art entfagen fol — zum Erftaunen groß dagegen in dem, was er durch Wiffen zu erlangen und felbft, was er zu ahnen fahig if. Was fehlte ihm, wenn er nur dem Moralprincip in feinem Innern fo völlig g’nügen Fonnte, um, wie er foll, Gott dadurd ähnlich zu werden, Gewiß, ihm wüchfen in demfelben Augen: blick Zlügel, die mit der Schnelligkeit des Gedankens ihn durch jede Sternenweite führten, Er gewonne fi) die Welt. Denn göttliche Kinder find wir, wenn gleich in einem feltfamen Labyrinth befangen, und von unerklärlichen Ketten gefeffelt, aber den-
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noch wird ein Seder von uns fich ihnen einft entwinden, und frei fi) auf ewig an die Bruft des himmlifchen Vaters fchwinz gen dürfen, wo der Kampf aufhört, doc) nie die Thätigkeit.
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Nro. 62.
Wenn ich von Mofes gelefen, daß ihm Gott im feurigen Bufh erfchienen fey, habe ich immer geglaubt, daß er damit nur die Abendröthe gemeint, wenn fie in überirdifchem Glanz die Büfche in Feuer verflart, und dem bewegten Gemüth die ewige Nahe Gottes verkündet.
So hat mich alles Myſtiſche, wenn es aus der Natur hervorging, immer in tiefs fter Seele angefprochen,, aber was diefer Art von den Menfchen muͤhſam erfünftelt wird, mich meiftens Falt gelaffen,
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Nro. 63.
Schlussunterhaltung.
Als ih nod an Obigem fihrieb, kam unfer Denker herein und fah mir über die Schultern in das Manufeript.
„Es ift doch fonderbar!“ rief er, fobald er die letzten Zeilen gelefen, „daß ein frivo— ler Menſch, wie Sie, einer der die Welt fo fehr liebt und fo mancher practifchen Thaͤtigkeit Teidenfchaftlich hingegeben iſt, zugleich eine fortwaͤhrende Neigung fuͤhlt, ſich philoſophiſchen und. religieufen Grüs beleien (denn Forſchungen kann man es eigentlich nicht nennen) hinzugeben.“
„Lieber Freund,“ erwiederte ich, „der Menſch liebt die Abwechslung, und Sie würden Ih— ren Titel fchlecht verdienen, wenn Sie nicht einfahen, daß fo gewiß wir hier auf tha-
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tiges Handeln in diefer Melt angewiefen find, doc) auch noch etwas Höheres und Zufünftiges hinter dem Vorhange lauſcht, mit dem fich zu befchäftigen, eben fo heil- fam als genußreich iſt. Jeder thut es nun nad) feiner Art. Der Eine laßt fi) von Andern feinen Glauben machen; id) grüble, wie Sie fagenz; und Sie, Werthefter, Sie Eritteln und zweifeln, Am Ende werden wir doch Alle denfelben Weg einmal gehen müffen, Meinen Sie nicht?“
„Bei'm Himmel! das ift meine geringfte Sorge, Ich wuͤnſchte nur Eins, naͤmlich dag wir alt gewefen wären, che wir jung würden! Wie viel weniger Dumme Streiche würden wir da machen! Wir genößen dann die Welt mit Verſtande, mit aller Kraft zum Genuffe, während wir jeßt erit ver— ftandig werden, wenn der Genuß Abfchted zu nehmen anfängt.“
„Alles würde dann auc) im dem allgemei— nen Einrichtungen methodifcher, zweckmaͤ—
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iger feyn und eine fo tolle Zeit, wie bie unfrige, Fünnte man gewiß gar nicht ers leben. Bei ganzen Völkern findet fich übris gens zuweilen etwas meinem Wunfche Achns liches. Nehmen Sie 3. B. die Americaner.
Die find früher ald Engländer alt gewes fen, nun haben fie dafür als Americaner eine fo befonnene und Fröftige Jugend. Bei ihnen ift Alles, auch der Eleinfte Gebrauch, auf reellen Vortheil baſirt. Selbſt ihrer Froͤmmigkeit Fommen fie auf Auferft prac tifche Weiſe dadurch zu Hülfe, daß ihre Kirchen durchgangig bei der großen Son: nenhige forgfältig Tühl und luftig gehalten, und im Winter vortrefflich geheizt werden. Glauben Sie nicht, daß der Mangel diefes letztern Umftandes bei uns der Religion vielen Abbruch thut? Sch ſpreche gewiffers maßen aus Erfahrung, denn ich komme eben aus der Kirche, wo ich vor Zahneflays pern durchaus zu Feiner Erbauung gelangen konnte.“
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„Bielleicht thaut fie noch fpater bei Ih— nen auf, lieber ©...., wie die Tone in Muͤnchhauſen's Poſthorn.“
„Sie haben gut ſcherzen, Beſter, an Ih— rem warmen Ofen. Wahrhaftig ich habe bei'm letzten Ordensfeſte nicht aͤrger gefro— ren als heute, und das iſt nicht wenig ge— ſagt.“
„O waren Sie je dort? Davon haben Sie mir ja noch nichts geſagt. Erzählen Sie doch.“
„Es iſt ſchon ziemlich lange her, mein Ordensfeſt, und nicht war ich Zeuge jener großen Ordensvertheilung, die ſo ſeltſam mit Rauch anfing, und mit einem Schorn⸗ ſteinfeger endete, ſondern g'rade zu der Zeit, als der Tiſchler Wandſchaff in Berlin die Quadratur des Cirkels erfunden zu haben glaubte, wohnte ich zum letztenmal dieſer Feierlichkeit bei. Sie wiſſen, das Ordenss feſt findet immer im Januar ſtatt, und das mals waren nocd) alle Ritter genöthigt, alt
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und jung, in Schuhen und feidenen Strüm- pfen, fowohl in der Kirche als im Schloffe zu erfcheinen. Sch babe mir auch immer eingebildet, die Jahreszeit fey abfichtlich fo gewählt worden, um zugleich für befferes Avancement unter den Rittern zu forgen, denn mancher Alte feierte dort fein leßtes Feft, wenn er verfaumt hatte, unter der feidenen Hülle ſich in Hirfch- und Kalbleder zu ſtecken.“
„Am meiften beluftigte mich zu jener Zeit der baumlange Feldmarfchall K., der feine feidenen Strümpfe gar über die Steifſtie— feln gezogen hatte, und wahrlich in diefem Coſtuͤme den Elephantenorden verdient hätte.“
„Ber Zafel, in dem fchonen Saal, dem nichts fehlte als Defen, führte mich mein guter Stern neben einen Geheimen-Rath, einen-berühmten Gourmand und Lebemann, der aber heute in jeder Hinficht die Miene eines Kreuzträgers angenommen hatte. Kaum brachte er den erfien Löffel Suppe
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zum Munde, als er fchon feufzend ausrief: „Gott im Himmel, fie ift richtig ſchon eis: falt geworden!“ Jetzt griff er in die Rock— tafche, und holte ein Kleines Etui heraus, das ich zuerft für eine Schnupftabafsdofe hielt. „Schen Ste nur, werthefter Herr Mitritter,“ fagte er, indem er es dffnete und mir einen Tafchenthermoneter vorhielt, „ein Grad nur über den Gefrierpunct, ift es nicht ſchrecklich?!“ Sch mußte lachen und rieth ihm, fich an den Wein zu halten, überdem , tröftete ich, feyen frifche Eßzim— mer ja der Verdauung fehr zuträglich! Mein guter Rath wurde treulich befolgt, der Leidende verlor Feinen Augenblick mehr mit Plaudern, und als fein Champagner> glas zum Dritten oder viertenmal gefüllt worden war, ſchien er mir vollig aufger thaut. „Ich bin,“ wandte er fich jetzt wie der zu mir, „am Hofe wenig befannt, jagen Sie mir doc), ic) bitte, wer tft jener aus— landifch ausfehende Mann ?“
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Ich richtete meine Blicke nach dem bes zeichneten Ort, „Ein Chinefe,“ erwiederte ih, „der als Profeffor der orientalifchen Sprachen angefangen, und als Lakay geen- der hat.“ — „Ein Ehinefe! Gott, wie muß diefer arme Menfch heute gefroren haben! Aber was fagen Sie von Lakayen? Es tragen zwar viele Solche jeßt mehr oder weniger Orden, aber diefer ift ja mit dem Einfchub der neuen erften Abtheilung der zweiten alten Klaffe geſchmuͤckt, und fit ja auch mit am Tiſche.“
„O! die alte Ercellenz meinen Sie, mit dent fchlohweiß gepuderten Haupte, welcher der Chineſe eben den Teller reicht — nein, die ift nicht fo weit her, das ift nur ein Prafident aus der Provinz. Uebrigens ift Ihr Quiproquo um fo comifcher, da der alte Herr beftimmt zu feyn feheint, mit erotifchen Perfonen in Conflict zu gerathen. Hören Sie den feltfamen Zufall, Voriges Jahr befand derfelbe ſich im Theater zu
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Coblenz. Das Schickſal wollte, daß der berühmte Neifende, Prinz von Neuwied, mit einem feiner fürzlich importirten Buto- cuden ebenfalls das dafige Theater befuchte, und diefer, der Butocude nämlich, feinen Pla immediat hinter unferm Prafidenten eingenommen hatte, Seltſamer Weiſe faßte der Wilde den poetiihen Gedanken, des alten Herren Frifur fey von Zucer, und da er das Süße fehr liebte, Wilde aber ihren Begierden wenig Zaum anzulegen verftchen, fo ſtreckte er ohne Weiteres feine Zunge heraus und beleckte zweimal den vermeinten Zuckerhut fo herzhaft, daß der Praͤſident, hoͤchſt auffallend gefigelt, zuſam— menfuhr, ſich erſtaunt umſah, und noch mehr erfchraf, als er das furchtbare Ge fiht erblickte, welches, dummdreift lachelud, ihn jegt mit einer horriblen Grimaſſe ans gloßte. „Euer Ercellenz,“ fagte ein Spaß: vogel, der die ergogliche Scene ſchon cine Tutti Frutti. III. 6
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Meile ruhig mit angefehen, „nehmen Eie ſich in Acht, es ift des Prinzen von News wied Menfchenfreffer, und er hat fichtlich Appetit auf Sie befommen.“ Entfeßt fprang der Präfident auf und rief um Hülfe, bald ward der Aufftand allgemein, und unter Schelten und Gelächter brachte man endlich den Butocuden in ficherern Gewahrfam.“ „Sie fcheinen gut bewandert hier zu feyn, mein Herr,“ fagte beifallig mein gaftronoe mifcher Nachbar, indem er von neuem fein Glas füllen ließ, „Fünnen Sie mir wohl von jenem Ritter dort, der fo ausfieht, als babe er einen Handſchuh über’3 Geficht ges zogen, oder von dem großen Officter neben ibm, der eine fo capable Miene annimmt, als fen bereits das Feldmarfchallseramen glücklich von ihm beftanden worden, eine eben fo Iuftige Gefchichte «erzählen « — „Mahrhaftig, Sie haben es ziemlich getrof fen,“ erwiederte ich, „ich brauche bloß dem Beifpiel des ehrlichen Pommer zu folgen,
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der auf die Srages Ob er lateinifcy ver: ftünde? antwortete: Nein, ich nicht, aber mein Bruder. Die Leute namlich, die Sie mir andeuten, bieten wirklich nichts dar, als ihre eig’ne flache Unbedeutendheit, aber da fie eine Anecdote wollen, fo liefert der Herren nachftier Nachbar einigen Stoff da- zu *). Diefer, ein Landrat) von Gtutters beim, begleitete voriges Jahr die Kaiferin Mutter durch feinen Regierungsbezirk, Die Kaiferin, der man das Geftüt von Trafehn als merfwürdig gerühmt hatte, frug ihn, ob es noch mehrere Stutereien in der Pro; vinz gabe? Nein, Ihro Majeftat, erwies derte der Gefragte, welcher unglüclicyerweife ftatt Stuttereien Otutterheime verftanden hatte, ich und meine Schwefter find von Allen allein noch übrig.“
„Sie erinnern mich,“ fiel der Geheime:
*) Da der Betreffende todt ift, darf die fehr
unſchuldige Gefcichte wohl hier ihren Platz finden.
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rath ein, „da Sie Trafehn erwähnen, an etwas noch Stärferes diefer Art, was man faum glauben würde, wenn man es nicht ſchwarz auf weiß gefehen hätte.“
„Bei einer Snfpectionsreife, die ich im jene Gegend machen mußte, bat mich eine alte Wittwe, einen Brief an den Herrn v. DB. mitnehmen zu wollen. Shne auf die Adreſſe zu achten, ſteckte ich ihn in meine Brieftafche, und gab ihn eben fo ab, glaubte aber in die Erde finfen zu müffen, als die Auffchrift gelefen wurde, und folgendermar- Ben lautete:
„Er. Hochwohlgeboren, dem erften Landbefchaler im Königlichen Geftürt zu Trakehn, Herrn von B...., Rit ter mehrerer hoher Orden . . . .“*
„Aber bei Gott! ich glaube, Eie find trotz meiner vortrefflichen Unterhaltung eins gefchlafen,“ unterbrach ih Hier ©... . » fehr entrüftet; denn ich hatte wirklich die
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Augen zugemacht, und mich in ganz ans dere Gedanken vertieft.
„Verzeihen Sie, geiftreicher Denker,“ fagte ich, „meine Unachtſamkeit iſt hoͤchſt firafbar, aber die Betrachtung hatte mid) gewaltfam ergriffen: wie feltfam ſich Doch die Zeiten ändern, und welchen hübfchen Eontraft man wahrgenommen haben müßte, wenn während Shrer Ordenstafel plößlid) die weiße Frau eingetreten wäre, und Sie neumodifche Nitter ſaͤmmtlich gezwungen hätte, den Achten alten wiederum Plaß zu machen. Wenn dann die Geharnifchten auf ihre Sitze niedergeraffelt wären, ftatt dem leifen froissement Ihrer leichten Tuch— roͤcke; die goldenen Ordensketten geklirrt haͤtten, ſtatt dem Wehen Ihrer bunten Baͤndchen; und ſtatt der kleinen Cham— pagnerglaͤschen, von denen Ihr Nachbar viere geliest (Sie ſehen, ich habe genau Achtung gegeben), Humpen, wovon ciner vier Bouteillen enthalt, deren Stelle er:
—
ſetzt haͤten — gewiß wuͤrden Sie, einem ſolchen Schauſpiel gegenuͤber, kaum geglaubt haben, daß die neue, wie die alte Geſell— fchaft, doch beide noch immer aus den namlichen Menfchen, mit allen ihren Lei⸗ denfchaften, Sehlern und Tugenden, beftehe, daß es noch ganz diefelben Leute feyen, nur in andere Gewänder, als damals, ges Fleidet. — Mit den alten Gewändern find aber dennoch auch einige andere wichtige Dinge auf immer entflohen, und ſtatt ihrer, gleich den MWallfifchen (die auch die einzis gen Ueberbleibfel aus der Urwelt find), nur dunfle Namen übrig geblieben, die man nicht mehr rccht zu deuten weiß, und den— noch blindlings fortführt. Em folcher ift 3 DB. der Name Kitter, und fo ziemlich auch) der Name Adel.“
„Sie pfufchen mir in’s Handwerk, Ver— ehrter ,‚“ eiferte ©... . ., „und fcheinen ganz zu vergeffen, daß die Paradoren, nad) unferer Convention, nur mir erlaubt find.
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In der That berühren Sie aber da ein inhaltreiches Gapitel! Zeden Tag danke ich meinem Gott, Fein Adelicher auf diefer Melt geworden zu feyn, Fein folcher armer Mann, dem es zugemuthet wird, ein längft abgeftorbenes Gefpenft hier noch in Fleiſch und Blut repräfentiren zu follen, einen Schatten, der, ohne mehr felbft verwunden zu Fünnen, doch noch überall verwundbar geblieben it, ein Flägliches Phantom, das die Kinder jetzt verfpotten, und die Erwachfenen uns gefcheut mit Koth bewerfen. Hören Sie einen unferer höchft beliebten Schriftfteller, einen fonft ganz harmlofen Romanſchrei— ber, wie wüthend er auftritt, fobald er auf das Kapitel diefes unglüdfeligen Adels fommt:
„„ Schande der Menfchheit!““ ruft er aus: „daß diefe gottverfluchte Bande nod) immer als Blutfauger an den Adern uns ferer Staaten liegt, und das Marf des Bürgers und Landmanns verzehrt, begün-
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fiigt von unſern Fürften, erbarmlichen Schwaͤchlingen, wie cs aud König Friede ri von Schweden war.““ (Der Roman ſpielt naͤmlich in Schweden.)
„Du lieber Herr im Himmel! wenn das Mark der Unterthanen heut zu Tage noch ausgefaugt wird, fo bekoͤmmt wahrhaftig der Adel am wenigften mehr davon zu for fien, cher möchte dem Fabrifheren, ‚dem Yapierfpeeulanten, dem Staatsbeamten etz was davon zu kommen.“
„Ein Anderer fagt zwar mit etwas mehr Mäßigung, aber eben fo ungerecht:
„„Dieſer verabfcheuungswürdige Adel, der vor fünfzig Sahren, alle Menfchenrechte höhnend, dem Landmanne verbot, die Sek der zu düngen, damit dem Edelmann nicht die Rebhuͤhner nah) Dünger ſchmeckten; der in den Tuilericen im Sommer auf ge fireutem Salz eine Schlittenfahrt veran- ftaltete, während das Wolf, wegen der uns geheuren Abgaben, dieſes nothwendigſte Nabs
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rungsmittel kaum noch bezahlen konnte ꝛc.““ „Sollte man nicht glauben, weil einige Verabſcheuungswuͤrdige folchen gottlofen Mißbrauch getrieben, der ganze Adel habe zu jener Zeit das Düngen der Felder vers hindert, und fey den Sommer über auf Salz umher gerutfht? Sit ſolches Gene: ralifiren nicht ganz abgeſchmackt, und ift der Bürgerfiand etwa deßhalb verabſcheu— ungswürdig, weil weit mehr Bürgerliche wie Wdeliche als Spisbuben und Raub— mörder gehangen und gerädert worden find, oder die Soldaten eine gottverfluchte Ban— de, weil Diele derfelben fich oft fchon der graufamften Erceffe ſchuldig machten ?“ „Menfchen find Mernfchen. Unter Allen, weß Standes fie feyn mögen, werdet Ihr Schaͤndliche finden, die Andere ihrem Egois— mus zum Opfer bringen. Eure Schuld ift ed, wenn hr durdy Schlechte Inſtitutionen ſolche Mißbraͤuche nicht nur möglich, fons
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dern haufig macht. Erhebt alle Ultralibe- ralen zu Edelleuten, und gebt ihnen wieder denfelben Spielraum, den der genannte franzöfifche Adel einmal zu jener Zeit hatte, und Ihr werdet in Kurzem wieder Yehnlis ches, vielleicht noch) Schlimmeres erleben — denn die Kleinen find wahrlich nicht milder, als die Großen! Das hat uns fchon die franzoͤſiſche Revolution, wie auch andere Zeiten, z. B. die der Zudenverfok gungen ım Ahten Sahrhundert fchauderer- regend genug gezeigt. Bet leßtern beiden fpielte der Adel Feineswegs die Hauptrolle. Alfo nicht der Adel als Stand ift zu haf fen, fondern nur die Staatsverfaffung, die ihm oder einem andern Stande die Gele genheit und Freiheit des Mißbrauchs gab oder gibt. Der heutige Adel ift wahrlich der harmlofefte aller Stände in diefer Hinz fiht, und wenn er verächtlich geworden ift, fo fommt dieß jeßt bei ihm nicht mehr aus zu großem Ueberfluß, fondern nur aus
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zu großem Mangel an Waffen her, um fchadlicy werden zu koͤnnen.“
„Bei der Subhaftation eines Nitterguts auf dem Lande hörte ich neulich einen uns ferer angefehenen Zuftizbeamten — als man über Tiſch das unglüdliche Geſchick des Gutsbeſitzers beklagte (welcher, nach der Subhaftation feines Gutes, wobei er nur aus der Unmöglichkeit, ein verhaltnißs mäßig geringes Capital zur rechten Zeit zu negoziren, fein ganzes Vermögen verloren, und nun mit acht Kindern betteln mußte) — mit höhnifcher Miene ausrufen: „„So ift es fchon recht! Dieß Volt muß et alles zum Teufel fahren, cher wird's nicht beffer werden. Was fchadet’8 denn dem Lande, daß fie ihre Güter verlieren, es werden immer Undere da feyn, dieſe wieder in Empfang zu nehmen.““
„Hine illae lacerymae, und die Advocas ten werden dabei gewiß nicht die Letzten ſeyn. Muß man aber nicht das gefühl
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— —
volle Herz, die geſunde Politik und die edle Dreiſtigkeit gleichmaͤßig bewundern, welche dieſem Diener der Gerechtigkeit bei— wohnten? Seine Genoffen ftimmten übrk gens frohlockend ein, einige anwefende ade— liche Gutsbefiger hörten nichts Neues, und fahen nur beſchaͤmt auf ihre Zeller, ich aber notirte mir den Fall, gleichfalls nicht als etwas Seltenes oder Merfwürdiges, aber doch als eine rührende Geſchichte; denn während diefe Commiſſarien hier von den legten Pfennigen, die fie dem Unglüd: lichen ausgepreßt, noch tafelten und praß— ten, mochte diefer wohl mit feiner troftlo: fon Frau und feinen unmündigen Kindern das ungewohnte Brod der Armuth mit glühenden Thranen benetzen.“
„So wehmüthig Ihre Geſchichte Einen ſtim— men koͤnnte,“ ſagte ich, „ſo geſchieht Ihrem Adel doch wirklich nur vollkommenes Recht. Er hat ganz das, was er verdient, das Loos, was er ſich ſelbſt bereitet. Hat ihn
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die Nemefis geftürzt, fo gefhah es nur in der Geftalt feiner eigenen Thorheit, und wenn er nicht fehr bald die Mittel ergreift, die ihn einzig noch retten, ja ihn fogar zu mehr machen Fünnen, als er je in Deutſch— land war, fo wird er über ein Kleines ganz verfhwinden, und eine felige Ruhe im Grabe ift ihm dann audy von Herzen zu gönnen.“
„Ah, ich weiß ſchon, was Sie fagen wollen. Nach Ihnen foll eigentlich der Edel— mann nicht mehr, fondern fein Landbefig den Xdelstitel führen.“
„Ganz recht,“ erwiederte ich, indem ic) ein Dlatt aus meinen Papieren hervor: holte, „betrachten fie hier einmal eine neue Art von Stammbaum, den ich geftern ente worfen, um zu ermitteln, was in einer ges gebenen Zeit aus einer Adelsfamilie, nad) den jeßt herrfchenden Principien conftruirt, und aus einer, nad) den meinigen gebildet, werden muß. Sch habe diefelbe allerdings
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befonders fruchtbarer Natur angenommen, und dem Stammpater zehn Söhne, jedem Solgenden aber, ohne Erwähnung der Sterbefälle, zwei leben bleibende, männlis he Nachkommen ertheilt, was eben nicht phyſiſch unmöglich ift, und auf den Zeit: raum von 50 Jahren immer eine Generar tion gerechnet. Sehen Sie felbft.“ Hiermit gab ich ihm folgendes Blatt:
Nro. 2. Dernunftge: Pro. 4. Unfer Aber. mäßer Adel,
> S > — — = D —— = O = = = = [> —2 o = > * — — 6 = E ei 6) = “1 in S Fu ee = ZEN sReEsinee = o 2 3 = 2 — — = = Saul sr = = GEHN Zu * Se ER = = Zain se — — = — 9 2 m (eR) 2 Io m
1839| 1/6000) OF 1830| 116000| 0 1860| 10| 600| 0 } 1860| 1160001 9 1890| 20] 300| 0 $ 1890| 1,6000] 19 1920, 40; 150 1950| 80 75
1920, 16000! 39 1950| 1/6000) 79 1980| 1/6600| 159 2010| 1/6000] 319
1980|160 37 1; 20101320 183),
= 10,70
„Hier finden wir alfo,“ fuhr ich fort, „auf der erften (der ſchwarzen) Colonne, nach Verlauf von 200 Sahren, im ganz möglichen Laufe der Dinge, die Zahl der
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Barone in eben dem Verhältnig zunehmen, wie ihre Mittel abnehmen, und zulegt eine Schaar von 320 bettelnden DBaronen mit 18 Thalern jährlicher Einfünfte, die dem Lande nur zur Laft fallen müffen, während wir auf der andern Colonne zwar fort: während nur einen Baron anftändig ber fiehen, zugleich aber eine Menge nüßlicher Bürger freudig neben ihm anwachſen fes ben, die dem Lande vielfachen Nutzen zu gewähren, und neue Fonds zu gründen im Stande find. Beide Parteien, fo be terogen fie auch daftchen, entfprießen den— noch gleichmäßig aus dem Scamen deffel: ben Urbarons, nur unter verfchiedenen Bes dingungen entwidelt, welche allein den ganzen Unterfchied hervorbringen. *
„Muß nun nicht jeder Patriot wünfchen, daß, wo der Adel einmal nicht ganz auf— zuheben ift, wenigftens ein folder Zuftand beffelben, der die Aufitellung der erften Colonne möglid macht, eine Radicalreform
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erleide? Und Fonnen wir es dem Bürger noch fo fehr verdenfen, wenn er die Praͤ— tenfionen eines folchen Adels, nach Aufhos rung des Sauftrechts, unerträglich findet, und ihn eben fo fehr verachtet als anfein— det? Demungeachtet hat der Bürger auch Unrecht, denn er follte dergleichen Adeliche nur von Grund des Herzens bemitleiden, ja, wie e8 im Morgenlande den Blodfin- nigen zu Theil wird, fie als infpirirte Märtyrer verehren, die ihm zu feinem Beften eine heilſame negative Lehre geben.“
zen Simmel ie Haste ©... .%, „Sie find fchlimmer, als alle Democraten, und wüthen in Ihrem eigenen Sleifch.“
„Allerdings,“ erwicderte ich, „doch nur un den Franfen Theil, wenn ich Fonnte, auszufchneiden, damit der gefunde wicder frisches Leben erlangen möge. “
„Fromme Traume, mein Theurer! Laſ— ſen Sie ſich doch daruͤber keine graue Haare wachſen. Denken Sie bloß an ſich, und
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für die Andern laffen Sie den lieben Gott und das Gouvernement forgen!“
„DVortrefflihe Moral! Wo haben Eie denn die aufgefunden, wenn ich fragen darf?“
„Es ift der erſte Paragraph im Kate— Hismus für ruhige und gute Bürger. Rich— ten Sie ſich alfo nur darnach!“
„Wir wollen wirklich uns beſinnen.“
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Acht Srühlings- uno Sommertage
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Eine wahre Geſchichte, mit dem Anſtrich einer Novelle,
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Dorgefchobenes.
Faſt nehme ich Anftand, fo unbedeutende Abenteuer wieder zu erzählen, als die fol: genden find; indeß man lieft des Außer: ordentlichen jet fo viel, man verdirbt fich den Magen fo oft mit weit bergeholten Delicateffen, daß zur Veränderung auch einfache Koft wohl einmal munden mag.
Eine Characteriſtik meines Freundes Mifchling hier im Voraus zu geben, tft wohl unnöthig, denn da wir ihn acht gans zer Tage lang nicht aus den Augen ver- lieren werden, ſo müßten wir fchlechte Men fhenfenner feyn, wenn wir nicht am Ende derfelden wenigſtens einigermaßen müßten, mit wen wir zu thun gehabt haben. Auch it, da wir bloß wirklich Gefchehenes be— richten, Faum zu befürchten, daß wir etwas
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ganz Characterlofes liefern Tonnten, wie man ed Manchem unferer modernen Ror manfchreiber zuweilen vorwerfen will; es müßte denn feyn, daß Mifchling’s eigener Character gerade in der Characterlofigfeit beftünde, und dann wäre freilich diefem Uebelftande nicht weiter abzubelfen,
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Erster Tag.
Es war Morgen, ganz früher, gold’ner Morgen. Alle Kufufe fihrieen, wie um die Wette, und die Sonne las emfig auf den Sluren einen langen Schatten nach dem andern auf, die aus der Macht noch liegen geblieben waren.
Mifchling fehritt rüftig zu, die Vögel zwitſcherten und die Käfer fummten, frifch wehte die Luft, und auf den jungen Bir fen, durch die der Weg ſich anmuthig fohlängelte, glänzten taufend Thautroͤpfchen in allen bunten Negenbogenfarben.
Den Fürften der Erde, und felbft fchon den vornehmen Leuten, muß Gott ohne - Zweifel weit mehr verzeihen, als den Ars men; denn jene haben in Mahrheit ein
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hundertmal fchwereres, befchranfteres und genußloferes Leben! Wer gefund ift, ver— fuche e8 3. B. nur einmal, einige Meilen an einem ſchoͤnen Frühlingsmorgen durch Wald und Flur im Angeficht der blauen Berge, und fey es auch auf dem holprigs fien Selfenpfade zu wandern, und dann denfelben Weg in einem herrlichen Wagen, mit fehs Pferden befpannt, gemächlich ausgeftrecft, vom Staube feines Gefolges umgeben, in der glühenden Mittagshite fo bequem, aber auch fo langweilig als moͤg— lich zurüc zu legen, und er wird bald den Unterfchied gewahr werden.
Sollte er dann dennoch) das letzte vorzie— hen, fo würde ich dafür halten, daß ihn unfer Schöpfer gar nicht gemacht, fondern nur eine unregelmäßige Gaͤhrung der Nas turftoffe fein trauriges Dafeyn hervorge: bracht habe.
So oft Mifchling, unter ſolchen Gedan— fen fröhlich weiter eilend, eine Höhe erftieg,
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wandte er fich immer wieder um, noch ein: mal die Thürme der alten Stadt Grölig zu betrachten, und auf ihren hohen Dom aus der Ferne die Blicke, zu heften, wo Tetzel einft unter einem buntlafirten Zie— geldache fo viel Ablaß verkaufte, daß, wie die Chronik fagt: die ganze Kirche von dent. Erlös nachher gebaut werden Fonnte,
Heut zu Tage, meine ich, würde freilid) diefes Mittel nicht mehr anfchlagen, aber -die Leute find deßhalb nicht beffer d'ran. Mas man ihnen fonft aus den Tafchen Iodte, das nimmt man ihnen jeßt gera- dezu, auf directem, wie auf indirectem Wege. Die Staats» und Finanzfünftler haben die Kirchenfünftler abgelöft, und wers den walten, bis einmal der große Papier: banqueroute eintritt, der der Melt vielleicht bald bevorfteht, und fie wahrfcheinlich dann wieder auf eine neue Meife Ichren wird, daB das alte Lied fich immer wiederholt:
Einige Schelme und viele Thoren! Eutti Frutti IIT. 7
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In der guten alten Burgftadt, die Mifch- ling heute früh verlaffen, mochte es auch wohl mehr der Keßteren als der Erfteren geben, und wahrlich, es hatte ihnen nicht an hinlänglicher Uebung in jener Zeit gefehlt, wo fie, bald für Alexander, bald für Napoleon illuminirend, Jahrelang nicht wußten, wer von Beiden das leßte Kicht behalten würde, Gewiß war es damals ein Glüd für die guten Leute, daß ihr alter Bürgermeifter alle Nächte zwanzig Taſſen Thee trank, und beim Gewitter ſich in den Keller zu begeben pflegte. Ein Braufefopf mit Cham: pagner, ein Freund von Bliß und Donner würde fich nicht fo gut Durchgewunden haben, und die gezwungenerweife zur Fledermaus gewordene Stadt unter feiner Regierung noch ſchlimmer als jeßt gerupft worden ſeyn. Nun bat fie im Lager der obfiegen- den Quadrupeden den Hafen der Ruhe er- reicht. Die ſchweren Prüfungstage find
überftanden, und das Fleine Feuer der
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Beamten: Bataillone hat den Kanonendon- ner der Armeen abgelöft. Trotz beider tft jedoch die Stadt noch immer reich geblie ben, und mein Freund hatte felbft Gelege heit, dieß bei einem fplendiden Fefte zu ber merken, wo der Vorftand, in alter füßer Gewohnheit und momentanerzerftreuung (als fey die Vergangenheit nur ein Traum ges wefen) wieder den feligen Sriedrich Auguft hoc) leben ließ, obgleich er gewiß. Sriedrich Wilhelm eben fo treu im Herzen führte,
Gröliß ift ein Ort, der, wie feine Um— gegend, viele hiftorifche Erinnerungen dar— bietet. Mifchling hatte auch nichts von diefen zu befichtigen verfaumt, felbft nicht die Copie des heiligen Grabes, zu dem der fromme Gründer dreimal reif’te, weil bei der Ausführung ihn eben fo vielemale fein ſchwaches Gedaͤchtniß verließ.
Im Zauberpalaſt der adelichen Jungfrauen hatte er viele reizende Stunden verlebt; auf der Kunſtkammer der gelehrten Geſellſchaft
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ſich electrifiren laſſen, und ein intereffantes Embryo, fo wie einen Stinkkaͤfer, deffen gold’nes Kleid, durch das Mifrofcop bes trachtet, eine ganz unerhörte Pracht, wie von fo viel in einander gefchmolzenen Edel feinen entfaltete, und endlich zwei große antediluvianiſche Hörner andachtig befchaut, welche der Gelehrtefte ihrer Prafidenten der Academie als ewiges Andenken zurücgelaf fen hatte. Auf dem Landtage war er emfig bedacht gewefen, die DVolfsreprafentation (auch) ein Embryo) zu fiudiren, und hatte fih dabei human der Dieten gefreut, welche des Landes Diener fo reichlich Dabei erzie len; in der Reſource hatte er tapfer ein Concert ausgehalten und ſich dort faft auf immer an fchlechten Tabaksrauch gewöhnt; auch die Gärten der Armida hatte er pflichte fehuldigit bewundert, in denen des Gtädt- leins freundlicher Maäcen durch fiebenzig Sorten Rofen und fiebenzigjahrige Rofenz wangen bekundet, daß er das Kebenselirir
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ewiger Fugend unter feinen Blumen gefuns den haben muͤſſe; zuleßt aber hatte er auch noch Haus und Hof fleißig befucht, wo die liebenswürdigfte der Gräfinnen in philoſo— phifcher Ruhe den Mufen und einer Eleinen Geſellſchaft auserwählter Freunde lebt. Unter diefen Letztern zog ihn beſonders ein merfwärdiger Mann an, der unferer Sprache, wenn wir ihm folgen, eine neue Yera bereiten wird. Er beabfichtigt namz lich, alle fremden Wörter nunmehro völlig ‚aus derfelben auszumerzen, und um hier nur in der Kürze zu zeigen, mit welchen Gluͤck er bereits operirt hat, führe ich ei— nige ferner Verbefferungen im Militairfach am. Infanteriſten find dort von ihm, höchft naturgemäß, im Ganger, Cavalleriften. in‘ Sprenger, Muſikanten in Klanger und Tier railleurs in Fanger verwandelt worden. Man ficht, daß hier nicht nur auf das Vernünftige, fondern auc auf den Reim fogar Rücficht genommen worden ift, wos
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durch zugleich einem etwanigen Vorwurf der Ungereimtheit im Voraus fihon ſieg— reich begegnet wird. Derfelbe Dann hatte in andern Fachern fich nicht weniger aus— gezeichnet, Feinen geringen Einfluß auf den Speculationsgeift feiner Mitbürger ausge übt, und ihnen auch felbft darin fchon als practifches Mufter vorgeleuchtet; zuerft durch die Beſetzung eines Teich mit Blutegeln fiatt der Karpfen, alsdann durch die Vers fendung eines Centner Wachſes nah Me zifo, welches aber leider durch Unvorſich— tigfeit unterwegs an einem Ofen zerfchmolz, und da hierdurch mehrere andere Waaren befchadiget wurden, den geehrten Abfender in einen langen Proceß verwidelte. Da nun Entfcheidungen der Proceffe bei ung fehr einem Spiele gleichen, das man „Kopf oder Wappen‘ nennt, wobei gewöhnlich ein blinder Zufall den Ausfchlag gibt, fo pro— ponirte unfer genialer Freund feinem Geg— ner, fich lieber einem Gottesurtheil zu uns
terwerfen, und zu dem Ende fich ruhig mit ihm an ein Senfter der Nefource zu placis ren, wo es fehr viele Fliegen gibt. Derje— nige nun, auf deffen Nafe fich die erfte Sliege fegen würde, der follte den Rechts» fireitt gewonnen haben. Der Kampf fand ftatt, und der Gegner fiegte. Es verlautere aber nachher, daß dieß nur durch Lift ges ſchehen fey, indem er fic) vor Anfang des Duells einen Tropfen Sliegengift auf feine Naſe geträufelt, und fo begann hierüber ein neuer Proceß, welcher, fo viel ich weiß, noch fchwebt.
Auch mehrere Mitglieder der naturhifto- riſchen Gefellfchaft fanden fich bei der jun- gen Gräfin ein, die fich feit einem Yahre
mit Unterfuhung der wunderbaren Sage
vom hiefigen Nachtichmiede befchäftigten. Defagter Schmied ift ein in Gröliß wohl befannter Spuf, der fih nur bei Nacht hören laßt, und Herrn Kerner für die dritte
ZU;
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Ausgabe der Seherin vom Prevorft fehr zu empfehlen feyn möchte.
Die Sage diefes Nachtfchmiedes ift kuͤrz— lich folgende: Meifter Volprecht lebte flei— fig und glüdlich mit feiner jungen Frau. Da Fam ein fchmuder fremder Gefell und bot ihm feine Dienfte an. Er arbeitete für zehn, und brachte vieles Geld in's Haus; doc) frommte es dem Meifter nicht, ver bald ein Praſſer und Schlemmer, feine Srau aber des Fremden Buhlin ward,
Eines Abends erfchien ein vornehmer Herr in Scharlad) gekleidet, bei Volpreht, und bot ihm 100 Goldgülden, wenn er ihm in fieben Tagen ein Grabgelander anfertigen wolle. „Uber,“ feßte er hinzu: „Werfchreis ben müßt Shr Leib und Geele, daß es in fieben Tagen um Mitternacht fertig fey.“ Der Handel wird abgefchloffen, und Vol—⸗ precht tragt feinem ſtets rüftigen Knechte die Arbeit auf. Schon nad) dreien Tagen ift dieſe vollendet bis auf einen einzigen
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Ring, und Volprecht eilt wohlgemuth auf's Land, zu Hochzeit und Schmaus und Tanz! Am ſiebenten Tage koͤmmt er zuruͤck, und ſiehe da, als er das Gitter beſichtigt, fehlt immer noch der Ring und mit ihm der Geſelle.
Schnell geht er ſelbſt an's Werk, das Fehlende zu ſchmieden, doch vergebens. Er haͤmmert, daß der Schweiß ihm vom Gr fichte trieft. Umſonſt — jedes Eifen bricht. So koͤmmt, in Verzweiflung und Todesangft, die Mitternacht heran, und mit dem Schlage Zwölf der fharlachrothe Herr. — Kurz: der Teufel holte, wie billig, Herrn Volprecht.
Sein Haus ficht noch jest, und oft hört man dort in ftillen Nachten unterirdifch auf dem Amboß haͤmmern, fo laut manchmal, daß die Fenſter davon erzittern.
Niemand aber hat bisher erklären koͤn⸗ ® nen, was es eigentlich mit diefem unficht- baren Schmieden für eine Bewandtniß habe.
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Auch zeigte man fonft den Fremden auf dem Kirchhofe das Eifengitter mit dem feh— lenden Ringe, Dabei wurde erzahlt: daß man oft verfucht habe einen Ring anzules gen, daß aber allemal über Nacht der Ning wieder verfchwunden ſey.
Die Acten der unterfuchenden Gefellfchaft über einen fo merfwärdigen und räthfelhafe ten Gegenftand find bereits zu einer unge heuren Dice angefihwollen, aber immer verhindern neue Indicien den endlichen Schluß derfelben. So weit ift man bereits im Reinen: Entweder bat der Spuf feinen Grund in natürlichen Urfachen, als da find: Echo, verfrerrte Quellen, Naben, abficht: licher Spaß und dergleichen, oder der hans mernde Schmied ift cin Hereinragen der Geifterwelt in die Gröligifhe, Ein Drit— te8 glaubt man ſchwerlich ausmitteln zu fünnen, x
Dielfach fich allen diefen Ichrreichen und angenehmen Erinnerungen bingebend, ers
reichte Mifchling Mittags einen Gafthof, deffen Schild von der feltfamften Art war. Hier lud namlich Gott der Vater, grimmig wie Erlfünig ausfehend, in propria persona die Keifenden zur Einkehr ein. Aus den Wolken herausfchauend, hielt er eine große gold’ne Wage in der Hand, deren eine Scale, bis an den Rand mit fchwerem Hafer gefüllt, fich tief zwifchen zwei irdifche Derfonen herabfenfte, wovon die eine einen Zuhrmann, die andere den Wirth darftelite, und finnreich hierdurch andeutete, welches reichlihe Maas in diefer Schenfe gewährt werde,
Aus Gottes Munde gingen folgende Worte hervor: „Dieß Haus ftchet in meiner Hand „on Land und Kreis ift es wohlbefannt „Dur goldenen Wage wird es genannt.
SH muß gefichen, höher kann fich die gaftwirthliche Induſtrie kaum verfteigen, und es ift zu bezweifeln, daß außerhalb der
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Provinz, die Miſchling und mir das Leben gab, irgend Jemand einen ähnlichen Schwung genommen hat.
Doch fchien es fait, daß der liebe Gott nur für den Hafer forgte, denn alles Uchrige, was mein Freund von menfchlicher Speife anzufchaffen fuchte, war herzlich fchlecht und fo thener, als hätte der Teufel die Zeche gefchrieben. Auch bemerfte er nad)» ber, als er das Bild vor dem Meitergehen noc) einmal betrachtete, daß in der That die Figur des Wirths, mit ihrer farcaftir fhen Miene, viel Mephiftophelifches hatte, und innerlich zu fagen ſchien: das Maas ift zwar voll, guter Freund, warte aber nur auf den jüngften Tag, d. h. den der Rechnung!
Das Innere der Kneipe hatte uͤbrigens viel Eigenthuͤmliches. In der großen Saal aͤhnlichen Stube zogen den Blick zuerſt ein halbes Dutzend Maͤdchen auf ſich, von de— nen einige ſehr huͤbſch waren, und die
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ſaͤmmtlich an einem, ohngeachtet der Tages— hitze ſtark geheizten, Ofen ſich emſig mit Federſchließen beſchaͤftigten. Der leichteſte Flaum flog denn auch wie Schneeflocken in der ganzen Stube umher, was jedoch vier ſtattliche Fuhrleute, alle kraͤftige coloſ— ſale Figuren, nicht im Geriugſten hinderte, gleich daneben ein reichlich es Mahl fetten Schoͤpſenbratens einzunehmen, den ſie wohl— gemuth mit Bier und Branntwein gehoͤrig hinunter ſchwemmten. Alle Artigkeit des Wirths, alle Coquetterieen der Dorfſchoͤnen waren dieſen beguͤnſtigten Gaͤſten gewid— met, und wurden zum Theil, die letztern namlich, mit ziemlich handfeſten Liebfofun- gen erwiedert. Ihr Geſpraͤch, von dem fich Miſchling nichts entgehen ließ, beluftigte ihn gar fehr, und im Grunde war ihr Bes tragen ziemlich nach der newften Mode, ja fogar ihr Coſtuͤm, die belichten blauen Dloufen, ganz daßelbe, wie cs Mifchling
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erſt voriges Jahr in Pyrmont den dortigen Hofmarſchall hatte tragen ſehen.
Die Staͤnde, man ſieht es, naͤhern ſich taͤglich einander mehr.
Nach beendeter Mahlzeit trennte ſich die Gefellfchaft, und nur einer der Kärrner fpannte em, um feinen Weg fortzufegen, Unfer Held begleitete ihn eine Strede, und lobte feine ſchoͤnen Fraftigen Roffe. „Aber,“ frug er, „da Ihr einen Hengft und eine Stute zufammen ſpannt, gibt das nicht manchmal Verwirrung ?“
„Do, Gott bewahre!“ fagteder Fuhrmann. „Der da,“ auf den Goldfuchs weifend, „weiß ſelbſt noch nicht, daß er ein Hengſt ift, und die da hat’s fchon wieder vergeffen, daß fie als eine Stute geboren wurde,“ und lachend begleitete er feine Worte mit einem derben Peitſchenhieb auf den Nüden der armen Matrone, um jeder Reminiscenz im Vor⸗ aus zuvor zu kommen.
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Mifhling fand diefen Fuhrmannswitz ganz angemeffen, und glaubte fogar ſchon manchen noch fchaleren gehört zu haben, der dennoch aus einem parfümirten Munde mit falfchen Zähnen hervorging. „ga,“ fuhr fein pferdebandigender Begleiter fort, „glaus ben Ste mir nur, das Metier eines Fuhr⸗ manns ift gar nicht fo übel, als Sie viel— leicht denfen, Sehen Sie, am Tage habe ic) meine gefunde, nie zu angeftrengte Ars beit in freier Luft, und zur Gefellfchaft meine Pferde und meinen Spiß, mit denen ich mich fo gut unterhalte, als wären es Menfchen, wobei ic) noch dazu immer ihr unumſchraͤnkter Herr bleibe, was auch nicht zu verachten if. "Meine Tracht ift warın und bequem, mein Sinn munter und frößs lih, und komme ich mit der Dammerung in's Quartier, da ift jeder Abend ein wahr res Feſt zu nennen. Sie haben’s ja mit angefehen, wie unfereins aufgenommen wird, und ſo iſt's überall, nicht allein im
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Gaſthof zum lieben Herrgott, den wir eben verlaffen haben, fondern gab’ es auch einen zum leibhaftigen Satanas, es würde eben fo feyn. Sa, mein befter Herr, die Wahr⸗ beit zu geſtehen, ich war nicht immer Fuhr— mann, ich habe vorher Manches verſucht, und damit Sie's nur wiſſen — erſtaunen Sie nicht zu ſehr: Studiosus olim fui, studiosus infelix et incapax theologiae, Sa, ja! es ift nicht anders, geehrter Herr. Meine Eltern, ehrliche Bauern, wollten nach) der Narrenmode unferer Zeit durchs aus einen Gelehrten aus mir drechfeln, machten fich und mich arm, damit ich fu: diren Fonnte, und was half's? Sch ware verdorben und geftorben, wenn ich nicht fo gefcheidt war, dahin zurücdzufchren, von wo ich früher ausgegangen, Ich muß noch lachen, wenn ich an meine Fauderwelfchen Predigten denke, und mie ich auc) den Reuten „in Angft und Schweiß, lehren mußte, was ich nicht weiß.“ Glüdlicher:
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weife machte ich einem hübfchen Madchen einen Heinen Erlöfer von der Theologie, denn durch ihn war’s mit meiner Hoffnung auf eine Anftellung aus. Ein and’rer lu— fliger Scandal fam noch hinzu, und fo ward ich folenniter relegirt, wofür ich meis nem Schöpfer noch täglich danfe. Denn damals war ich ein elender Sclave, heute bin ich eim Achter Freiherr, und taufchte nicht mit dem Könige von Frankreich.“ „Alter Studiosus ,“ fiel Mifchling ein, „das letzte Gleichniß ift nicht gut gewählt. Mer Teufel taufchte heutzutage mit dem Könige von Frankreich, dem innehabenden
ſowohl wie dem relegirten! — Uber in
allem Uebrigen will ich Euch gern Recht geben. Es wäre wohl ein wahres Glück für Euresgleichen, wenn Alle, die etwas Underes werden wollen, als wozu fie das Schickſal einmal beftiimmte, durch Euer Beiſpiel Flug gemacht werden koͤnnten. Ich gratulire Euch, Ihr habt die Theologie nur
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verlaffen, um zur Philofophie überzugehen, denn diefe, wenn fie practifcher Natur iſt, findet fich überall an ihrem rechten Plaße, fo gut hinter dem Karren, als auf dem Throne, nur nicht zum Beten auf ber Kanzel.“
„Unſer Weg trennt fich hier, wie ich fehe, lebt wohl, bleibt bei Eurer Flugen Zufries denheit, und der Himmel beſchere Euch im: mer gefunde Pferde am Tage und hübfche Mädchen am Abend.“
„Fiat und fchönen Dank!“ erwiederte der Iatinifirende Fuhrmann lachend, Fnallte mit der Peitfche, und ließ in Mifchling’s Bil derbuche eine anfpruchlofe Vignette in Holz; ſchnitt zurüd,
Da Miſchling in der Ferne etwas Mos numentartiges auf einem fahlen Hügel er: blickte, ſo ging er querfeldsein darauf zu, fchon vermuthend, daß es zum Andenken _ der berühmten Schlacht dienen folle, die hier im DBefreiungsfriege geliefert wurde.
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In einem dunkelroth, wie mit Blut ans geftrichenen Häuschen, fand er zwei Inva— liden, welche die Schlacht mitgefochten hatten, dennoch aber nur eine höchft unvoll— fommene Ausfunft über diefelbe ertheilen Eonnten. Der Eine war eine feltfame Edir tion für Sprachverdrehung. So nannte er das Monument ſtets Mahomed, und be klagte fich fehr über den ungezogenen Meg, der dazu hinauffügre, und auf dem erft geftern ein Wagen ausgefchüttet habe. Die Umwiffenheit diefer guten Leute abgerechnet, ift der Gedanke huͤbſch, Mit: Tampfern in der Echlacht ihre Wohnung hier angewiefen zu haben. Schade nur, daß diefe, wie das Monument felbft, fo außerordentlicd) Fleinlih und geſchmacklos ausgefallen find. Das leßtere, von eifernen Platten wie ein Ofen zufammengefeßt, ra— benfchwarz angeftrichen, und zwifchen vier fümmernde Feine Linden aufgeftellt, fah in einiger Entfernung vollkommen einem
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Scornfteinfeger ahnlich, der fich Hinter den Daumen verftecft hat.
Nicht weit von dem Hügel, auf dem fich Mifchling befand, fand ein altes Schloß, wie es fihien von einem weitläuftigen Parf umgeben. Unfer Wanderer, der nichts zu verfaumen hatte, ging darauf zu und fand ein intereffantes altes Gebäude, das feine ganze Aufmerkffamkeit in Anfpruc nahm. Große Giebel von uralten Bäumen befchat- tet, eim hoher gothifcher Thurm, eine ges räumige feinerne Freitreppe mit baroden Figuren frappirten ihn, und trugen alle, gleic) dem weiten Wirthfchaftshofe immediat vor der Hauptfacade, ganz das Gepräge jener alten Ritterſitze, deren Befißer in pas triarchalifcher Einfalt das Raffinement uns ferer Tage noch nicht Fannten, dennoch aber in mancher rohen Pracht und in luſtiger Schwelgerei uns oft übertreffen mochten.
Mifchling flieg die Treppe hinan, ohne Semanden zu begegnen, und blieb vor dem
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Portale neugierig fichen, welches Wappen und allerlei Zierrathen fchmückten, an denen noch Farben und Bergoldung theilweife fichtbar geblieben war.
Eine Inſchrift auf verblichenem Golds grunde, entzifferte Mifchling nicht ohne Mühe. Sie lautete, in einer Art Verfen, folgendermaßen :
Wo Zedlis 1502 und Saraleder *) 1555
waren —
Da ſucht ein Seher Thoß 1548 fortzu— fahren,
Er baut fein Eigenthum zwar nur von innen aus,
Doch fchreibf er auswärts hin: Gott fegne diefes Dans!
Die Thür ftand offen, und führte unmits telbar in eine große gewölbte Halle. Hier wehte noch ganz der Athem alter Zeit, hier mochte auch noch jeßt ganz das altjunfer-
*) Man bittet die Alterthumsfenner, ung zu belehren, woher diefer adelige Name, dev eher ei— nem Quäfer als einem Ritter anzugehören feheint, wohl eigentlich herſtamme?
Re
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riche Leben herrſchen. An der Dede hing an drei langen eifernen. Stangen, ſtatt der Kronleuchter, eine Menge frifch gefchoffenen Wildes. Auf einem Tiſch in der Ede ftan- den mehrere Wein: und Bierfrüge, und dar- unter eine anfehnliche Batterie Slafchen. Ein anderer Tifch beherbergte eine Anzahl Pfeifen, von denen, p&le-mele mit Gewehr ren und Hirfchgeweihen vermifcht, auch nocy mehrere Exemplare an der Wand auf- geftellt waren, und auf einem größeren Tifch von ftarfem Eichenholz in der Mitte des Saals fanden fi), wie am Boden, noch einige Spuren des leiten, wahrfcheinlich fehr belebten, Abendmahls.
Endlich erfchien ein, wie ein Sagerburs fche gefleideter, Diener und fragte nad) Miſchling's Begehr. „Der Herr,“ feßte er hinzu, „it mit feiner ganzen Gefellfchaft auf der Jagd.“
„Nur Neugierde eines Neifenden, die ich fchon befriedigt,“ antwortete Mifchling. „Iſt
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% es wohl auch erlaubt, den hier anftoßenden Garten zu befuchen ?“
„Der gehört jet nicht mehr zum Schloß,“ fagte der Burfche, „der ift an die adeliche Reffource der Gntsbefier hier aus der Um— gegend vermierhet. Heute find aber nicht viel da, bloß ein Dußend alte Weiber mit ein Paar von ihren Töchtern, da koͤnnen Sie fich schon vergnügen und einmal rein gehen, Sie müffen nur den Frauenzimmern nicht gerade zu fehr in den Wurf Fonımen, Es iſt ſehr ſchoͤn jeßt im arten, fie haben 'nen berühmten Gärtner da gehabt, der Flügel ausgehauen hat, mit Xempels dars hinter, und’s Monument fieht man wie mit dem Sperpertif. Es ift auch ein Graben mit fremden Gaͤnſen d’rin, die jeßt fo bes liebt find. Na, Gott befohlen, ih muß jeßt aufräumen,“
Als Mifchling, um zu allen dieſen Herr- lichfeiten zu gelangen, wieder den Hof durchfchritt, begegnete ihm ein hübfcher Knas
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be, der eine Futterfchütte trug, und damit nach dem Stalle ging.
„Komm’ ich hier linfs recht in den Reſ— fourcengarten ?“ frug Mifchling.
„Nu freilich,“ antwortete der Junge paßig.
„Ber bift Du denn, Kleiner?“
„sc bin Fein Du, ich bin der Junker.“
Mifchling lachte, und glaubte wieder ber haglich im adelichen Jahrhundert zu leben. Er hätte gar nicht geglaubt, daß es noch folhe Winkel gabe, die wie Dafen fich mits ten in ganz heterogenen Gegenden erhalten, wo denn die Menfchen unglaublich lange im veralteten Gleiſe fortfchreiten, Dis mit einemmal die neue Zeit auch über fie her— einbricht, und fie dann gewöhnlich allen andern vorauslaufen.
Als er in den Garten trat, ärgerte er fi) über die Verehrung, welche verfehrter Geſchmack in dem urfprünglich gewiß ſchoͤ— nen und zwecmaßigen, wenn duch fehr
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ſymmetriſch geformten Ganzen angerichtet hatte. Doc) welchen Fleck im Freien ver- fhönte nicht der Mai! Auch fand er Schat- ten und eine malerifche Kirchenrutne, die fih, in eine lange Mauer mit Schteßfchars ten auslaufend, laͤngs der einen Seite des Gartens hinzog, und mit Epheu überwach- fen, von einigen Nußbaͤumen überragt, ei nen hoͤchſt malerifhen Anblick bot,
Hter erblicte er denn bald die ihm ſchon annoneirten Damen, welche, noch über ein Dutzend ftarf, gravitätifch um einen Tifch gereiht faßen, Kuchen und Caffee vor fic) ftehben hatten, und ohne Ausnahme emfig ſtrickten. Miſchling konnte ſich eines un— willkuͤrlichen Laͤchelns nicht erwehren, als er ſchon von Weitem ihr Geſchnatter hoͤrte, und Mund und Haͤnde fortwaͤhrend wie in krampfhafter Bewegung arbeiten ſah. Er benutzte jetzt ein Gebuͤſch, um ihnen unver— merkt naͤher zu kommen, und ſie ein wenig
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zu behorchen, fündlic in der That, aber den Tugendhaften dürfen wir unfern Hel⸗ den auch kaum zugefillen,
„Haben Sie fchon die vor vier Wochen in unfere Gegend gefommene Baronin Ro— fenfranz gefehen, Frau Oberftlientenantin ?“ frug Die eine der Damen. „Man macht ja ein entfegliches Wefen von ihrer Schön- heit. Iſt fie denn von guter Familie?“
„Nun, die Rofenfranze,“ erwiederte die
" Angeredete, „find in Daͤnemark fehr ange— fehen ; ob aber der Mann diefer Dame auch wirflih daher ftammt, weiß freilich) Gott allein, denn heutzutage nehmen ja die Leute
Namen an, wie fie nur wollen, und felbft die Juden laffen fi Hardenberg, Löwen: ftein, Hoßfeld, Pücler, Brandenburg und Gott weiß wie noch taufen! Die Baronin babe ich neulih beim Grafen Manteufel angetroffen, Fann aber nicht fagen, daß fie eben fehr vornehm ausfahe, Huͤbſch ift fie, aber mit einer fehr freien Tournäre, Die
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freilich jetzt ſo Mode geworden iſt, daß man oft nicht mehr die Kammerjungfer von ihrer Herrſchaft unterſcheiden kann. Was ſie fuͤr eine Gebor'ne iſt, habe ich nicht herausbringen koͤnnen, und als ich ſie darum befrug, that ſie, als hoͤre ſie mich nicht, und wandte ſich gleich weg, um mit Jemand anderem zu ſprechen. Ich habe daher auch mein Conſentement ſogleich ver— weigert, ſie in unſere adeliche Reſſource auf— zunehmen.“
„Da haben Euer Gnaden auch ſehr recht daran gethan,“ fing eine Dritte an, „denn man munkelt allerlei uͤber das fremde Paar. Ueberdem wohnen ſie bei einem ganz ob— ſcuren Menſchen, den Niemand Fennt.... aber darf ich Ihre Taſſe füllen? Frau Dberfilieutenantin haben erft fünfe getruns Een, und müffen doc wenigftens das halbe Dugend voll machen.“
Unglüclicherweife ward bier eine Der jüngeren Damen den unberufenen, etwas
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vorgetretenen Horcher gewahr, als er eben ſein Augenglas auf ihre Reize gerichtet hatte, und er bemerkte mit Schrecken, daß bei Erwaͤhnung des Wolfes die ganze Heerde in Zorn und Allarm gerieth.
„Hier gilt es, der Gefahr in's Auge zu ſchauen,“ ſagte Miſchling zu ſich ſelbſt, und da er noch einen leeren Stuhl am Tiſch ſtehen ſah, naͤherte er ſich, ſeinen Hut zie— hend, mit demuͤthiger, aber zugleich ent— ſchloſſener Miene, und den Stuhl ergreis fend, bat er um die Vergünftigung, an eis
ner fo intereffanten Gefellfchaft Theil neh— men zu dürfen. Bei diefen Morten hatte er fich auch bereits niedergefeßt, und frug feine Nachbarin unbefangen: ob es heute nicht außerordentlich ſchoͤnes Metter fey ? Doch wie hatten die zitternden Lippen der armen Dame einer Antwort mächtig wers den follen! Ein ftarres Staunen hatte fich des ganzen Kreifes bemächtigt, man ſchien ob folder Kühnheit wie vom Donner ge
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rührt. Selbſt die Strickſtruͤmpfe feierten einen Augenblick, doch begannen fie wenige Secunden darauf, wie auf eim gegebened Zeichen, mit verdoppeltem Eifer zu ſchwir— ren, fo daß es Mifchling faft vorfam, als befinde er fich in einer Strumpfwirferfabrif. In diefem Eritifchen Augenblid fprang ein eines Hündchen, das Mifchling immer begleitete, an einer der Damen empor, wels che vorhin hauptſaͤchlich das Wort geführt hatte, Frau Oberftlieutenaatin titulirt wurde, fo fteif wie ein Lineal daſaß, und einem alten Ahnenbilde glich — 309 ihren Zwirn⸗ fnaul auf die Erde, und entriß ihr dadurd) den tragischen Strumpf. Mifchling fürzte zwar fogleich herbei, um ihm aufzuheben, und des Thieres Unart zu entfchuldigen, bei den fürchterlichen Zornblicken aber, die nun von allen Seiten cuf ihn gefchoffen wurden, ward ihm ernftlich bange. „Gnaͤdigſte Frau Oberftlientenantin,* fagte er, bittend die Hande faltend, „verzeihen
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Sie großmüthig, ich beſchwoͤre Sie, meinem zudringlichen Hunde, und feinem noch zus dringlichern Herrn! Beide unterlagen wir nur großer Verfuchung, ich der Zhres eben fo impoſanten als gewinnenden Anblide, Zemire dem Dufte des vor Ihnen ftehenden Kuchens.“
Ihr Kleid haftig abFlopfend und aus fehüttelnd, als habe es eine Schlange bes rührt, evwiederte die Alte mit unterdrüdter Muth: „DO dergleichen Tann ja vorfallen,
heut zu Tage muß man auf Alles gefaßt ſeyn.“
„Gnadige Frau,“ ſagte Miſchling, „bes ruhigen Sie ſich, es iſt ein ganz ariſtocra— tiſcher Hund, dem Sie zuͤrnen, ein ächter Abkoͤmmling der Windſpiele Friedrichs des Großen, die von ihren Waͤrtern nie anders als mit Sie, und dem Titel Monsieur oder Mademoiselle angeredet werden durften. Dieſes mein Exemplar ſiammt direct von
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der alten Prinzefiin in ©. her, von ihrer achten Zucht, mein’ ich.“
Bei dem Morte „Prinzeffin“ malte ſich ein angenehmes Staunen auf allen Geſich— tern. Man wagte es zum erftenmal, Mifch: ling anders als von der Seite anzufehen, und ein fehr hübfches junges Mädchen am andern Tiſchende lächelte fogar ganz hold- felig zu ihm herüber. Sehr hierdurch ers mutbigt, fuhr er folgendermaßen fort: „Seit recht lange fchon fuche ich einen ſtandesge— mäßen Gefährten für das arme Gefchöpf, leider aber bis jet immer noch umfonft, und. es wäre doc) Sammerfchade, nicht wahr, meine Gnadige, wenn die edle Race ein; ginge, oder gar in das Gemeine herabges zogen würde.“
„Nun,“ replicirte die Perpendiculaire, bes deutend fanfter geworden, eine mesalliance würde für einen fo noble gebor’nen Hund allerdings zu beklagen ſeyn!“
Mit diefen Worten rief fie die Fleine Zes
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mire, welche ſich auf meinen ſtrengen Vers weis unter den Stuhl verfrochen, gnadig hervor, und reichte ihr mit eigener hoher Hand ein Stük Kuchen, |
„Alſo,“ fuhr fie fort, „von der Prinzeffin Caroline felbft haben Ste das allerliebfte Händchen? Ein fehr Huldreiches Geſchenk!“
„D Gott, nein!“ fiel Mifchling ein, „er ift ihr wahrfcheinlich geftohlen worden, ich babe ihn von einem Soldaten gefauft, denn ich felbft bin leider lange nicht fo vornehm, als mein Hund.“
Ein lang gezogenes „Sp...?* war die Antwort, man fah fich wieder an, zifchelte fi) in’s Ohr, lächelte hoͤhniſch, und die Strümpfe begannen wieder Schieffalsfchwer zu faufın. Ein langes Schweigen trat ein.
„Wie Fommt’s, meine Damen,“ fing Mifhling von neuem Fleinlaut an, „daß Sie hier fo ganz allein ohne Männer find,
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es ift wohl heute nur Damentag, und das her mein Eindringen doppelt ftrafbar ?“
„Unſere Männer,“ fagte mit ftolzer Miene die Fran Oberſtlieutenantin, „find auf den Balz, auf der Jagd des Auerhahns, die dieß Fahr ungemein fpat begonnen hat. Sie werden fchwerlich wiffen, was das für eine Jagd ift, da fie nur zu den nobelften ge hört, und bald auch, wie fo Vieles, nur noch. in der Erinnerung eriftiren wird. Die lieben Wilddiebe, die man jet fo hegt und pflegt, fangen ſchon an, ſich auch dabei blicken zu laffen.“
„sa wohl,“ fiel Miſchling ein, „dieß Volk treibt es jetzt wirklich arg. Denken Sie ſich, meine Damen, daß ich einen ſolchen Kerl erft vor zwei Monaten, nicht tauſend Schritte vom Schloſſe, felbit erfchoffen habe,“
„on der That!“ riefen zehn Stimmen zugleich mit reger Theilnahme, „felbit ers fhoffen? das war brav, und nicht weit
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som Echloffe, fagten Sie, alſo von Ihrem eigenen Schloffe ohne Zweifel?“
„Sie fcherzen, meine Damen, ich fpreche von des Herzogs von Hohenburg Schloſſe, wo ich bei meinem Verwandten, dem Park: forfter eben zum Beſuch wer, den die Schur— fen ſoͤrmlich angriffen, und in deffen Vers theidigung ich den Wilddieb erlegte.“
Miſchlings's Actien fielen nach diefer Erz Uarung wieder um ein Bedeutendes, 08 wurde aber noch viel ſchlimmer, als er aus Neckerei hinzufeßte: „Warum gibt man and) den ganzen Bettel von Wild nicht auf, und zum Todtſchießen einem Jeden frei; der Zeitgeiſt erflärt fich einmal gegen dag Sagdvergnügen, und was der Zeitgeift will, das muß koch über furz oder lang ges ſchehen.“
Jetzt hatte unſer Freund ſeine letzte chance verloren, der alten Dame ſchwoll ſichtlich der Kamm, und mit einer kirſchbraunen Zornroͤthe auf den gefurchten Wangen rief
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fie entrüftet aus: „Recht fo, mein Herr, Sie reden gewiß ganz Ihren Verhaäͤltniſſen angemeffen. Dem Bedienten hinten auf dem Wagen dauert die Zeit zu lange, er möchte fih gerne hineinfegen. Das Alte muß freilih alles umgeworfen werden, um dem herrlichen Neuen, dem Liberalen! Plaß zu machen, das verfteht ſich; ſchade nur daß es troß des ewigen Wechfels in der neuen Zeit täglich überall fchlimmer wird. Gott Lob gibt es aber dennoch Leute, Die von allen dieſen Neuerungen noch nichts haben an fih kommen laften, und fich dem: ungeachtet ganz leidlich dabei befinden. Nicht wahr, Frau Baronin, wir 5. B. wir ge hören noch zu. diefen Altmodifchen, die ſich gern von den Sanscälottes und Sansfa- song unferer Zeit fo fern als möglich balten....“
„sa, wenn wir fünnen,“ — ſetzte die Anz geredete mit einem giftigen Geitenblid auf Mifhling hinzu, und ein heiferes Lachen
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der Frau DOberftlieutenantin, von dem ver— fehtedenartigften Gefrachze der Uebrigen bes |
gleitet, verfündigte Mifchling, daß nun der | Stab über ihn gebrochen fey, In dem | Augenblick erhob fich eim ungeheures Ger |
ſchnatter neben ihnen, das von der früher wähnten Heerde Gaͤnſe und Enten her
.. welche eine Magd eben in den, mit ſchoͤner grüner Vegetation überzogenen Schloßgraben trieb.
„Meine Damen,“ fagte Mifchling aufftes bend, „ich verfiche, wen Ihre Worte gelten follen;. was jedoch den Sanscälotte betrifft, fo müffen Sie Ihre Augen felbft von der Ungerechtigfeit diefes Vorwurfs überzeugt haben, dein Sansfagon muß ich aber allers dings einſtecken, und mich fehuldig befen- nend, um Ihre guadige Verzeihung bitten. Der alte Geift, den Sie lieben, möge fer ner hier herrſchen, er weiß, wie ich fehe, das Hohe mit dem Nüßlichen zu vereinenz
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Denn auf demfeiben kleinen Naume, Nur rechts und linfs von einem Baume, Schnattert Ariſtocratie
Uud daneben Federvieh!
Miſchling geſteht mit Beſchaͤmung, daß er nach dieſem heroiſchen Wagſtuͤck Ferſen— geld gab, und mit ſolcher Eile den Garte verließ, daß er nicht mehr mit Beſtimmtheit angeben kann, ob gewiſſe hoͤchſt unariſtocrati— ſche Ausdruͤcke, die er hinter ſich zu hoͤren glaubte, eine Wirklichkeit waren, oder nur in ſeiner aufgeregten Phantaſie erklangen. Als er ſich aber weit genug von aller Ge fahr entfernt glaubte, lachte er fich fatt über die verlaffenen Earricaturen, und fchwor fi) zu, von nun an eine recht lange Zeit nur mit jungen Sprößlingen diefes Gr ſchlechts, und zwar mit ganz liberalen zu verkehren,
Es war fon völlig dunfel geworden, als er, müde und beftaubt, in dem beruͤch— tisten Städtchen Klein Schilda anlangre,
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und fein Nanzlein von fi) legend, den Wirth zur Sonne um eine &tube bat. Der Mann fah etwas dümmlich aus, und dazu Mifchling von der Seite an, als dachte er: Du Fußgänger koͤnnteſt wohl auch eben fo gut auf der Streu ſchlafen, nahm aber doc) endlich das Licht, um ihm hinaufzuleuchten, wobei er ſcharf betonte: „die Stube koſte 16 Groſchen fuͤr eine Nacht.“ Als der Gaſt daruͤber jedoch keineswegs erſchrack, und ſogar ein moͤglichſt gutes Abendeſſen mit einer Bouteille ſeines beſten Weins ver— langte, maß er ihn vom Kopf bis zu den Fuͤßen, ſchuͤttelte ein wenig mit dem weißen Haupte und empfahl ſich dann, ſchnelle Be— dienung verſprechend, mit einem tiefen Vuͤckling.
er hätte gedacht, welches comiſche Aben— teuer Mifchling fi) durch diefen Contraft feiner Erfcheinung nit feinen Bedärfniffen bereitete! Ganz ohne Ahnung des Bevors fichenden Icdte ihn, nachdem er fi) vor:
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laufig ein wenig ausgeruht und erfrifcht hatte, der ſchoͤne Mondfchein noch einmal in's Freie.
Sp ſchlenderte er, während man fein Abendeſſen bereitete, nach alter Gewohnheit in dem Städtchen umher, ſchaͤkerte am Brunnen mit einer Schaer wafferholender Mädchen, erfundigte fi) bei'm Nachtwaͤch— ter nach den DOrtsmerfwürdigfeiten, und hatte zulegt noch das Vergnügen, die Ber kanntſchaft der Tochter des Herrn Bürgers meifters zu machen, welche, auf der Banf vor ihrem Haufe figend, mit ihrer Magd in fentimentaler Stimmung den Mond anz fhaute, und nun an Mifchling einen eben fo unerwarteten als redſeligen Gefellfchafter erhielt.
Unter folchen Boffen war ihm eine Stunde fhnell vergangen, und in der munterften Stimmung Tehrte er endlich, nachdem er noch einen Blid aus dem nahen Thore in die Mondfcheinlandfchaft geworfen, auf ei—
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nem Umwege nach) feinem Gafthofe zurüd, Er fand hier Alles bereits in guter Ords nung, und nad) feiner Anweiſung eingerich— tet, doc) Fonnte ihm das feltfam argwoͤh— nifche DBetragen, das Anftaunen und heims liche Geflüfter der Leute, wenn er fich ein— ‚malabwandte, nicht ganz entgehen, obgleich) er nur in fofern darauf achtete, als es ihn zu noch größerem Muthwillen verführte, Mifhling hatte ohnedieß einige fonder bare Gewohnheiten. So pflegte er immer Abends eine feltfam hohe Müße und einen talarähnlichen Schlafrock zu tragen, der ihm das Anfchen eines Armeniers gab. Es war in diefem grotesfen Coftüme, daß er fih auch heute mit gutem Appetit zur Tafel feßte, während er in den Zwiſchenac⸗ ten laut in einem englifchen Buche Tas, and oft unwillführlich durch herzliches Lachen über des Autors wißige Einfälle feine Lec— türe unterbrach, wohl auch gelegentlich in demfelben fremden Idiom mit fich felbft
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ſprach. Das aufwartende Mädchen fchien ihn bereits für nicht ganz richtig im Kopfe zu halten, wenigftens beeilte fie fich, oft ſichtbar zufammenfahrend, ihren Dienft mit fo großer Schnelligfeit als möglich zu ver: richten. Auch des Wirths langes Geficht laufchte manchmal aͤngſtlich an der Thüre, und Mifchling ermangelte nie, fobald er es merkte, dann noch fiarfer als vorher zu declamiren, was die von ihm beabfichtigte Wirkung, wie wir bald fehen werden, nur zu gut erfüllte,
Aufgeregt durch dieſe Comoͤdie fühlte Mifhling wenig Luft zum Schlafen, und da er fich gerade in guter Dispofition dazu zu finden glaubte, fchrieb er in jener Nacht bis am hellen Morgen einen tractatum de originalibus in 24 Bildern im Styl des Pater Abraham a Sancta Clara, den wir dem Publicum nachftens vorzulegen beab— ſichtigen.
Nach deſſen Beendigung erſt verſchloß er
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— — — —
ſich in ſeine Stube, und ſchlief nach den vielfachen Fatiguen ſehr ſanft bis um 42 Uhr am andern Mittag, würde auch wahrſchein— lich noch länger gefchlafen haben, wenn nicht ein gewaltiges Pochen an feiner Xhüre um jene Zeit ihn zum Aufſtehen genöthigt bitte,
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Zweiter Tag.
Es war der Herr Wirth, der mit einem Buche, Feder und Dinte in der Hand ſehr ſolenn hereintrat, und Miſchling erſuchte, ſeinen werthen Namen und Character, da er, wie er kopfſchuͤttelnd hinzuſetzte, geſtern ja immer unter Lachen zu nennen verwei— gert habe, nunmehro auf hoher Policei ſpeciellen und allergemeſſenſten Befehl un— verzuͤglich anzugeben, auch) feinen Paß fo- gleich an den Herrn regierenden Bürgers meifter zu überfenden.
„Nun, nun!“ rief Mifchling, ärgerlich fo gewaltfam gewedt worden zu feyn, „es wird doch damit wohl Zeit haben, bis ich aufgeftanden bin? Da ich die Nächte was he, wie Eie fehen, muß ich dod am
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Morgen fchlafen, das ift einleuchtend, und ich finde es daher fehr ungeztemlich von Ihnen, mich um folcher Albernheiten wils len fchon jett zu fioren. Ueberdem Fann man mit Shren verdammten Federn ja gar nicht fchreiben, und Shre lichtblaue Dinte gehört auch faft zu den unfichtbaren, Eis nen Paß aber führe ich nicht. Laſſen Sie mich alfo jett gefalligft ungefchoren, und fommen Sie in zwei bis drei Stunden wieder, wenn Sie den Ton meiner Klins gel vernehmen werden. Apropos, wie heigen Sie denn? ich habe aus gewiffen Gründen Luft mir Ihren Namen zu merken.“
„Mein Name ift Quietfch,“ erwiederte, fi) in die Bruſt werfend, das hagere Männlein, und, feßte er mit einem vers nichtenden Blicke auf Mifchling hinzu, „ich brauche meinen ehrlichen Namen vor Nies mand zu verlaugnen.“
„Nun ich audy nicht, lieber Quietfch,“ verficherte Mifchling fehr ruhig, „aber che
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Sie diefen ordentlich erfahren, Tann cs dem ohngeachtet noch Tange dauern. Geht beforgen Sie mir aber mein Frühftüd, und leben Sie wohl!“
Die ungehaltene Miene und der etwas verdächtige Geftus, mit denen Mifchling diefes legte Wort begleitete, bewogen dieß— mal den erfchrodenen Quietſch, ſich ſchleu— nigſt zurüczuzichen. Doch Faum hatte unfer Freund feine Toilette einigermaßen in Ordnung gebracht, und feine erſte Eis garre angebrannt, als ein neues, noch) ftär- keres Vochen an feiner Thüre erfchallte, und Herr Quietſch abermals hohnladyelnd, aber dießmal noch) von zwei andern Herren begleitet, hereintrat, die fich fofort als der Herr Bürgermeifter und Nathsfchreiber ans Eündigten, und halb drohend, halb verles gen, peremtorifch des Fremden Paß ver langten.
Der Spaß war zu einladend, um ihn nicht eine Weile fortzufegen. Als Mifhling
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daher nur eine fpöttifche Antwort ertheilte, winfte Sr. Mohledlen, der Herr Bürgers meifter, auch Oberaͤlteſter wahrfcheinlic) allpier, dem Herrn Rathsſchreiber Eubfti- tut (der feinerfeits Sperling nicht weniger ahnlich fah, als fein Principal dem Hertz fcher Krahwinfels) , ſich niederzufeßen, um ein Protocol! in optima Forma aufzuneh— men. Diefes, verfhmolzen mit dem Ber richt an den Landrath, den Mifchling fich fpater verfchaffte, diene nun flatt fernerer Erzählung. Unterthänigfter Bericht
an Sr. Hochwohlgeboren den Herrn Lands
rath, Hauptmann von Posgaru zu
Gallnichen.
„Schon geſtern Abend wurde einem hoch— loͤblichen Magiſtrate allhier von dem hiefis gen Gaſtwirth zur Sonne, Herrn ꝛc. Quietſch Folgendes allerſubmiſſeſt gemeldet.
Es ſey naͤmlich eine verdaͤchtige Perſon bei Obſelbigen eingekehrt, hieß es, welche
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beftaubt und zu Fuße angefonmen, nichts defto weniger fich wie ein großer Herr ges berdet, großen Luxus in Speife und Trank ges trieben, wahrend dem Effen in einen fremden Kauderwelfh Stundenlaug mit fich ſelbſt gefprochen, und von Zeit zu Zeit ein grau- liches Lachen zum Schred aller Hausbe— wohner ausgeftoßen, ja um A Uhr nad Mitternacht auf unerhörte Weife und mit großem Larmen nod) Caffee verlangt, und nicht eher geruht, bis fie dergleichen erhal: ten, dagegen während diefer ganzen Zeit auf alle geziementlich angebrachte Fragen nah Stand, Paß, woher und wohin? gar Feine Antwort gegeben. Mit vieler Mühe habe am Ende der ꝛc. Quietſch be fagte Perſon erft gegen Mittag des andern Tages, bis zu welcher Zeit diefelbe angeb- lich gefchlafen haben wolle, und fich ver: iHloffen gehalten, bewegen koͤnnen, hoch— policeilihe DVorfchriften einigermaßen zu Fefpeetiren und wenigftens Hoffnung auf
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fpäteren Gehorfam zu geben, wobei ders felbe fi) nocd) über des Wirths elende Fe— dern und Dinte beflagt, ja fogar etwas von Albernheit und unnüßer Hudelei fallen gelaffen. Aus mehreren Aeußerungen des Unbekannten war es dabei dem ꝛc. Quietfch doch gelungen herauszubringen, daß ders felbe mehr am Tage als in der Nacht feylafe, und alfo wahrfcheinli nur bei Nacht reife, welches als hoͤchſt verdächtig erfcheint, fo wie die gleichfalffige hoͤhniſche und drohende Yeußerung des Inculpaten, daß ꝛc. Quietfch lange warten Fünne, bis er feinen wigflichen Namen erfahre. Außer diefen auffallenden Nachrichten des Gafts wirth's wurde mir, dem unterzeichneten Bürgermeifter, heute and’rerfeits noch Fol gendes rapportirt: Der rathfelhafte Fremde war bei Mondfchein noch in allen Straßen unfrer Tieben Stadt umher promenirt, und zulegt fogar an mein eig’nes Haus gefome men, wo meine Tochter mit unf’rem Dienft-
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mädchen, als es fchon ganz fpat war, nod) auf der Bank faß, um den fchönen Abend zu genießen. Diefe meine Tochter num hatte der Fremde ohne Weiteres angeredet, fi) mit unglaublicher Hardieffe zwifchen meine Tochter und das Mädchen mitten inne gefeßt, und mit ihnen allerlei allotriis getrieben, unter andern nicht entblödet, zu fagen, daß er der neue Mittagsprediger fey, der den jeßigen ablöfe, weil diefer Feines: wegs, wie wir glaubten, verfeßt fey, fon- dern als Freiwilliger unter die Soldaten gehe, um gegen die Cholera zu marfchiren,
Als nun meine dumme Mile ihn deßhalb mit offnen Munde angeftarrt, applieirt er ihr auf felbigen einen Kuß fo unerwar— tet, daß fie laut auffchreit und Davon lau— fen will. Er hält fie aber zurück und gibt ihr eine Düte mit Zuckerwerk, das abfcheu- lih nach Pfeffer geſchmeckt haben, und, wie er an Mile gefagt, im Staliänifchen
Cutti Frutti III, 9
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diabolini heißen fol. Dem Dien dchen aber reicht er 16 Grofchen Courant, daß fie fih etwas dafür Faufen möge. Ehe er darauf ganz weggeht, fagt er noch zu mei: ner Mile die Fühnen Worte: Sie folle fich in Acht nehmen, um Mitternacht würde er als Geift vor ihrem Bette fiehen. Als er nun endlich abgezogen tft, fchleicht ihm un: fer Dienſtmaͤdchen nach, und fieht, wie er vor unferm kleinen Froſchteich gleich vor dm Thore ſtehen bleibt, fich bei'm Schein d:5 Mondes mit den Sröfchen und Unfen formlich zu unterhalten anfangt, ja fie fo gar zuleßt in Verſen anfıngt, worauf er einen großen Stein in den Teich wirft, wo denn alle Sröfche, die vorher, wie Eath’rine verfihert, außerordentlichen Laͤrm gemacht haben follen, mit einemmal wie verfiummt gewesen wären, und feinen Laut mehr von fih gegeben hätten.
Von da tt er auf den nahen Kirchhof gegangen, hat eine lange Zeit, daſelbſt auf
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und abſchreitend, verweilt, und fih zuleßt gar unter ſeltſamem Gemurmel auf einen Seichenftein gefeßt, wobei meinem Madel fo greufig zu Muthe geworden, daß fie jchnell davon gelaufen, und nad) Haus ge
eilt iſt. Man weiß alfo nicht, weldhe Mas leficien diefe Nacht noch ferner vorgegangen
feyn mögen. Es war aber das Bekannt— gewordene fchon mehr als genug! Ich, der unterzeichnete Bürgermeifter der
Stadt Klein» Schilda, hielt es daher für
meine Pflicht, nunmehro ex ofßcio den Herrn Fremden um Ausweis oder gefeß- liche anderweitige Beglaubigung feiner Ver: jon auffordern zu laffen, worauf derfelbe
mir bloß fagen ließ, er habe nichts dergleis
chen bei ſich. Nun ward die Sache immer
ernfthafter. Ich begab mich daher fofort ſelbſt
in eorpore mit dem Nathsfchreiber in das
Quartier diefes widerfpenftigen und fo fehr
verdächtigen Fremden, welcher demohnges 9*
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achtet nicht einmal aufftand als ich herein- trat, fondern mich ziemlich barfch fragte: was ich bei ihm wolle? Derfelbe, eine lange Perfon von weißer Gefichtsfarbe, ra- benfhwarzem Bart und Haaren, und von einen Feineswegs Landeskfindlichen Ausfeh’n, foß in einem langen gelbfeid’nen Kaftan, mit einem violetfarbigen Turban auf dem Kopfe, fchreibend am Tiſche und rauchte eine Cigarre, während ich, zugleich mit Wuͤrde und aller zu verlangenden Deferenz, den Zweck meines Hierfeyns auseinanders feßte, und nochmals peremtoriſch Paß oder fonft verlangte. Da ich mich hier etwas in meiner Rede verwicelte, und fieben ver fchied’ne gedruckte Negierungsreferipte vor— wies, welche mein Betragen rechtfertigen follten, fchlug der Fremde ein höchft unan⸗ ftandiges Gelächter auf, und erwiederte fol- gende feine eignen Worte: Uber, lieber Freund, ich habe Ihnen fchon gefagt, daß ich weder „PaB noch fonft“ habe, weil ich
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nur Hon meinem Gute eine Fleine Erholungs- reife von wenigen Meilen gemacht, und die Dbfervanz im Lande genug Fenne, um zu wiffen, daß eine Perfon, die mit eig’ner Equipage (welches dießmal allerdings nur meine Füge find) einige Meilen weit von ihrem gewöhnlichen Aufenthaltsort umher— reift, dazu Feines Paſſes in unfern frieds lichen Zeiten bedürfe, und alfo Zhr lächers liches Betragen, mein verehrter Herr Buͤr— germeifter, nur ein ganzliches Mißperfichen der gegebenen Befehle beweiſ't.“
Sch bat ernftlich, fich zu menagiren, und fuhr nun alfo fort:
Sch; Moher fommt man?
Hier gebrauchte der Fremde einen wahrs fcheinlich injurieufen Ausdruck in der aus; ländifchen Mundart, lachte abermals und fagte dann:
„Don Friedland, wo man mich, obgleich im Auslande, nicht fo abgefhmact behan- delt hat, als hier,“
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ch: Womit beweifet man, daß man von Friedland koͤmmt?
Fremder: Ich rathe Ihnen, ſelbſt bins zureifen und fich an befagtem Orte zu ers fundigen, einen beffern Beweis vermag ich vor der Hand nicht zu geben.
Ich: Sehr wohl; man bedient fich alfo ganz unhaltbarer Ausflüchte? Wohin will man denn zu?
Sremder: Nach Bufenthal.
Ich: Momit wird dieß bewiefen?
Fremder: Ich verlang’ es nicht beſ— fer, als es in ohngefähr einer Stunde mit der That zu beweifen,
Ich: Oho fo weit find wir lange noch nicht. Warum hat man geftern durch felt ſame Selbftgefprache in ungangbarer Munds art die Ruhe diefes Haufes bis in die tiefe Nacht geftort, und welche Abficht hatte man dabei?
Fremder: Das Erfte, weil es mir jo
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gefiel, und das Zweite — geht Sie nichts am.
Sch: Charmant! wollen doch jehen, ob es mich nichts angeht. Kurz und gut, mein Herr, wer und was ift man?
Sremder: Da ich es Ihnen hier jo eben aufgefchrieben, und Ste vielleicht leſen koͤnnen, jo brauche ich es nicht erft zu wie derholen.
Hiermit uͤberreichte er mir einen beſchrie— benen Zettel.
Ich: Allerdings kann jedes Mitglied ei— nes wohledlen und hochweiſen Magiſtrats zu Klein-Schilda leſen, und nehme ich dieſe ehrenrüßrige Ueußerung ad protocollum, Sie geben fich alfo, wie ich hier erfehe, für einen Erbz und Gerichtsheren auf und zu Sichdichfuͤr aus, Fünnen es aber mit nichts beweifen. Nun ift uns aber ein Ort diefes Namens ganz unbefannt, würden auch ders gleichen auf der ganzen Karte des König.
nn
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reiche Preußen vergebens fuchen, fintemalen er wohl nur im Phantafus eriftirt.
Dei diefen nachdrüdlichen Morten ward der Fremde fichtlich höflicher, und obgleich er fi) immer noch anftellte, als fey er gu— tes Muths, fo merfte man doc), daß meine Seftigfeit ihm nachg’rade zu imponiren gus fing.
„Ewr. Mohledlen verzeihen,“ begann er ganz herabgeftimmt, „mein Gütchen ift fo flein, daS es auf der Karte der preußifchen
tonarchte vielleicht nicht zu finden tft, Aber haben Sie Feinen Globus %
Ich: Ich bitte deutfch zu fprechen, da wir hier in Klein-Schilda gute Preußen find, und Fein fremdes Kauderwelfch verſte— ben, noch reden,
Fremder: Nichts für ungut, Ewr. Wohl edlen, ich meine eine Erdfugel, vielleicht finden Sie Sichdichfür darauf. Es liegt g’rade 220 6 Minuten der Breite und 64
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der Länge, nach dem Meridian der Inſel Ferro.
Sch: Herr, das geht zu weit! Haben Sie einen wohlweifen Magiftrat und Bür- germeifter allhier nicht länger zum Beſten. Was wollen Sie mit Ihren langen und breiten Schnurrpfeifereien und einer Erdku— gel fagen, am Ende werden Sie uns wohl gar noch Ihr Gut auf einer Kanonenkugel fuchen laffen wollen.
Diefer wißige Ausfall, mit dem ich auf die polnische Rebellion anfpielte, brachte den verdächtigen Fremden, der, wie es nun au— genfcheinlich ift, zu dieſer rebellifchen Bande gehören muß, und von daher koͤmmt, oder dahin will, in große Verlegenheit, die er zwar von Meuem. hinter einem unmarürli- hen Lachen zu verbergen ftrebte, dennoch aber, ſchon halb geftehend, ſich nun folgen- dermaßen vernehmen ließ: „Sie fegen mic) wirflih in BVerlegenheit, unbezahlbariter aller Bürgermeifter (dieß war fein ſchmei—
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chelhafter Ausdruck), ich weiß mir nun kei— nen Rath mehr (denn fo weit hatte ich ihn: Schon. gebracht), und wenn Ste mir nicht auf mein ehrliches Geficht glauben wollen,, muß ich Ihnen anheimftellen, was Eie in
Shrer Weisheit zu befchließen für gut fin—
den werden, Nun bitte ich aber,“ fuhr er, wieder ziemlich impertinent werdend, fort: „nun bitte ich, vorläufig meine Stube güs tigſt zu verlaffen, damit ich mich anziehen: kann. Adieu alfo für jegt,“ und damit winfte er mir mit der Hand hinaus, als jey er noch fo ein vornehmer Herr.
Dieß würde mich nun wohl nicht aus: dem Concept gebracht haben, da ich aber ohnedem nichts mehr zu fragen wußte, that ich ihm den Willen und ging einftweilen nach Haufe, eine Bürgerwache jedoch vor der Stube laffend. Hier überlegte ich num. nochmals den ganzen verwidelten Cafus, fowohl mit meinem Collegen, als auch dem Herrn Stener-Controleur und dem Herrn
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Dberpfarrer, und nachdem wir die ſieben verfchied’nen Reſcripte unferer allerlöblich- fen Regierung von verſchied'nen Zahrgan- gen nochmals genau durchftudirt, beſchloß ich in Gottes Namen Folgendes: Angeſehen, daß der fich bier aufhaltende Fremde eine fehr verdachtige Perfon ift, daß er nicht leugnen kann, fich mit fich jelbit in einer ganz fremden Sprache unterhalten zu haben; angefehen, daß derfelbe weder Paß noch fonft bei fich führt, weder bewei— fen Faun, wo er herfümmt, noch wo er kin will; angefchen endlich, daß derfelbe ein böchft auslandifches Anfeh’n hat, und ſich
dennoch für gut preußiſch ausgeben will,
befagter Sremde auch in der Dunkelheit Uns fug in unfrer Stadt getrieben, und das weibliche Verfonal dafelbit turbiret — ſo befchliegen wir, als wohl beftallter Bürger: meister und Prafidirender im Rath allhier, daß befagter Fremde, der leicht einer jener polnischen Rebellen felbit ſeyn koͤnnte, denen
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wir nachzuſpuͤren die firengfte Ordre haben, bis auf höhere einzuholende Weifung, unſ're Stadt mit nichten verlaffen dürfe, fondern unter anftandiger Haft bis auf Weiteres im Gafthofe zur Sonne beim Herrn ꝛc. Quietſch als Staatsgefang’ner verweilen muͤſſe.
So geſchehen, Klein⸗Schilda am 12. des Wonnemondes im Jahre 1834.
Auguſt Lindenblüthe, Bürgermeifter,
Eliss Fuchs, Nathsichreiber,.
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Da ſaß nun der arme Mifchling: ‚Und war fih’s mit Graufen bewußt! Bon des Landrathshülfe fo weit, Unter Efeln die einzige fühlende Bruft, Allein in der graßlihften Einſamkeit!“ *
Es Sant ihm das Herz, und er fandte: noch einmal zu dem geftrengen Oberhaupte der Stadt.
„Herr Bürgermeifter,“ fagte er, als die: fer ftolz und gebietend erfchten, „ich muß Ihnen jetzt gehorchen, aber bedenken Sie dennoch wohl, was Sie thun, damit ihnen der Spaß nicht noch theurer zu ftehen fommt, als mir.“
„ON“ rief Herr Zindenblüthe mit Zuvers fiht: „Sch nehme dieß ganz. auf meine Hörner,“
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Mifhling: Es ift möglich, und ich zweifle Feincswegs daran, daß dieſe von einer Befchaffenheit find, um viel tragen zu koͤnnen, aber Sie müffen wiffen, daß ich in höchft wichtigen Geldgefchäften reife. Komme ich heute nicht nach Bufenthal, fo Fonnen mir durch dieſe Zögerung Tauſende verloren gehen. Halten Cie mich alfo ohne Noth Hier auf, fo werden Eie allen mir
auch den Verluft zu erfigen haben.
Dürgermeifter: Herr Rathsfchreiber, was fagen Sie zu diefem fpißfindigen Eins wand?
Rathsſchreiber: Ich gefiche Ener Wohledlen, daß die Sache mir allerdings | bedenklich ſcheint, und fich daher wohl aber; | mols zur Berathung mit dem Herrn Ober; pfarrer und Gteuer » Controleur eignen möchte Erinnern ſich Euer Wopledlen nur de3 andern Unfchuldisen, der fich bier ers benfte, und die viele Sorse und Angſt, wilde uns diefe Gefchichte bereitete.
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Als Mifhling des Gehenkten erwaͤhnen orte, faßte er neuen Muth und befchloß, dieſen Umftand fogleich zu feinem Vortheil zu benußen.
„Noch Eins bitte ich zu bemerken, Herr Bürgermeifter,“ fuhr er fort. „Schon feit geftern fühle ich mich unwohl, wahrfchein: lich von der abfcheulichen hiefigen Koft, die aus nichts als Schweinefleifch und Sauer:
kraut befteht, fo wie in Folge des gewiß
gebleizucerten Meines, den mir Herr Quietſch auftiicht. Zwingen Ste mich laͤn— ger zu einer gleichen Vergiftung, fo kann
ich Leicht ernfilich Tranf werden, ja viel—
leicht hier ſterben. — Bedenken Sie die
Sorge, die Verantwortung, die Koſten,
welche daraus für Sie entſtehen koͤnnten! — Der Herr Bürgermeifter ſchwieg gedan— Fenvoll, „Hochedler Herr Bürgermeifter!“ rief Miſchling, indem er eben fein letztes Stuͤck Gepaͤck in ſein Nanzkin ſteckte, „weifer und
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bedächtiger Herr Nathsfchreiber, ich sehe, daß fie von dem Gewicht meiner Vorftel- lungen wohlthätig erfihüttert find, und mei— nen Gründen ein geneigtes Ohr zu leihen anfangen. Hören Sie alfo meinen Vor— fhlag: „Hier,“ und er ergriff die Feder, „bier fchreibe ich einen Brief an Shren Landrath, der mein guter Frennd iſt. Dies fen Brief laffe ich flatt meiner hier, und gebe ihn hiermit in Ihre eig’nen Hände, Waͤre nun wirklich auch etwas Verdächtiges an mir, was Doch nicht im Geringſten der Salt ift, fo legitimirt Ste diefer Brief ja vollfomnen. .... Ich fehe, wir find einig. Mie Fonnten Sie fidy aud) einer fo fonnens flaren Auseinanderfeßung , wie diefer, ent— gegenftemmen. Herr Quietfch!“ rief er, „jogleich meine Rechnung! ich habe Bürg- fchaft geleiftet und die Sache ift abgethan!“
„Was meinen abermals der Herr Raths— ſchreiber?“ frug Herr Lindenblüthe mit ſchwacher Stimme. „Allerdings .... der
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Gehenkte „.. .. der Brief an unfern Herrn Landrat} .... die Adreffe ift ganz richtig
... ich glaube, unter folchen Umftan- DERER
„Können wir den Hcren wohl gehen laf fen,“ fiel der Rathsſchreiber, unfern Helden bedeutfan anlachelnd, ein, „um fo mehr, da ich gewiffe beruhigende DVermuthungen zu faffen anfange, die ih Ewr. Wohledlen nachher noch privatim mittheilen werde.“
Die Rechnung war unterdeffen präfentirt und bezahlt, und die gute Stimmung feiz ner mächtigen Gegner benugend, fagte Mifchling fchleunigft dem noch immer uns entfchloffen, wie zwifchen zwei gleich großen Heubündeln ftehenden Bürgermeifter, ein ehrerbietiges Lebewohl, druͤckte dem Flugen Rathsſchreiber die Hand und eilte, che man ſich nod) vollftändiger befann, fchnellen Zus Bes aus der Thüre, und durch die auf dem Markte verfanmelte Volfsmenge auf und davon.
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„Het“ rief einer aus dem Haufen ihm neugierig nach: „iſt der polnische Nebell ſchon geſchloſſen, oder geht er noch frei berum ?“
„Er iſt entwiſcht, guten Leute,“ ſagte Mifchling, und 1000 Thaler Belohnung, wer ihn todt oder lebendig auffangt. Fragt nur Euren geftrengen Heren Bürgermeifter.“
Mit diefen Worten entfchwand unfer Freund, auf immer wie er hoffte, Kleins Schilda's Weichbild, glücklich erlöft von allen ihm dort droßenden Gefahren. Er verlor nichts dabei, als feinen kleinen Hund, der fich unglüclicherweife verlaufen hatte, den er aber einige Wochen fpäter ebenfalls wieder erhielt.
Uber nicht für Alle iſt Klein-Schilda, wie für ih, nur eine Burlesfe geblichen, denn ernitlich fchlimm ging es dort einem armen Teufel, deffen Andenken den Buͤr— germeiſter heute fo fichtlich in Schrecken feßte, und vielleicht den größten Antheil an
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Miſchling's ſchneller Befreiung hatte. Die— ſer arme Unbekannte, deſſen fruͤhere Schick— ſale man nie genau erfahren, fand in Klein— Schilda ſein tragiſches Ende auf folgende Weiſe.
Aus Ermanglung eines Paſſes in das Stadtgefaͤngniß gebracht, und dort auf das Uebelſte behandelt, gerieth der wohlgekleidete, und wie es ſcheint ganz gebildete Mann, über die ihm zugefügte Schmach in ein ſolches Delirium, daß er fich ſchon denſel— ben Abend mit feinem feid’nen Tafchentuche an dem Thürpfoften erhing. Die Frau des Kerfermeifters, eine ächte Klein-Schil— da’jche Tochter, hört das dabei gemachte Geraͤuſch, und tritt nach frifcher That in ta3 Gitterfenfter des Gefaͤngniſſes. Noch verzicht der Aermſte in fchreeflichen Con— vulſſonen fein Geftcht, ein herzhafter Schnitt fonnte ihn jeßt noch retten, aber nein, meint Frau Martha, das ſchoͤne ſeid'ne Tuch kann ſie Doch nicht fo verderben, Ste
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eilt lieber, fich bei ihrem Manne Raths zu erholen, der eben, nur ein Augenblidichen, zu Schnapfe gegangen war. „Wiel“ ruft diefer erfchroden, „gehangen bat fich der Kerl? Das muß ich fogleich dem hochwei- fen Rathe melden.“ Er eilt, doch Niemand ift zu Haufe. Der Scabinus endlich wird angetroffen.
„Holt fchleunig den Bader!“ ift der durch» Dachte Befcheid, „Damit er den Delinquen- ten losfchneide, und ihm die Hülfe der Kunft angedeihen laffe.“
Doc auch der Bader findet fich erft nach langem Suchen, und als er koͤmmt und in’s Fenſter hineinlugt, erflärt ers durch eine Thür, an der ein Selbſtmoͤrder hänge, brachten ihn nicht hundert Ochfen, gefchweige denn der Herr Scabinus allein.
Mas ift zu thun? Jeder ahmt des Bas ders Beifpiel nah, Niemand will durch die verhängnißvolle Thüre gehen, denn es würde fchweres Unglüf dem Kühnen bedeu—
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ten. Die Autorität des hochweifen Rathes felbft bleibt in dieſer Hinficht ohne Wir— fung, der Fremde hangt und hängt, eine lange Nacht und einen langen Tag — nod) immer ift Fein Ausweg gefunden.
„Ha“ ruft der Bürgermeifter nach feche- ftündiger peinlicher Seſſion, feinen befüms merten Collegen zu: „Ich hab's. Wir Dre chen die Gefängnißmaner ein, und damit das Auffehen nicht zu groß wird in unf'rer guten Stadt, fo thun wir's noch diefe Nacht.“
Geſagt, gethan, und bei des blaſſen Mon- des Schimmer ward durch den Henker, in aller Rathsherrn hoher Gegenwart, der Ges henfte aus der Brefche hinausgefchleift, und hinter der Kirchhofsmauer verfcharrt, und die verhaͤngnißvolle Thür war unverfehrt geblieben.
Tiefes Stillfehweigen über die tragifche Geſchichte ward zwar geboten, doch nichts bleibt ja verfchwiegen unter der Sonne,
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und ſeit jener Zeit erlangte Klein-Schilda zuerft die vollftändige Ebenbürtigfeit mit feiner größeren Namenefchwefter.
Als jedoch vor Kurzem die Großherzogin Br, 20 durch das Städtchen reif'te, ftieg fein Ruf nod um eine Stufe höher. Mas giftrat hatte eine neue Steinbrüde vor der Stadt erbaut, und als er erfuhr, daß ein großer Potentat des Nordens diefen Weg zu nehmen gedenfe, befchloß er, nach deſſen allerhoͤchſter Perſon diefe Brüde zu benennen. Seine Mojeftat follten, als Erfter diefelbe paſſirend, fie gewiffermaßen einweihen. Ob: gleich nun die Nothbrüce fchon abgebrochen und Feine and’re Paffage möglich war, be ſchloß dennoch Magiftrat, die Landſtraße ohne Weiteres zu ſperren, Niemand vor Seiner Majeſtät uͤber die neue Bruͤcke zu laſſen, und dieſelbe, ſey es Noth, ſelbſt mit gewaffneter Hand zu vertheidigen. Schon batten ſich Wagen, Reiter und Fußgänger angehauft, die unter Verwuͤnſchungen und
u De Fee
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Flücben vergebens tobend, den Uebergang zu erzwingen fuchten, als die erlanchte Schweſter des Monarchen, ihrem erhab'nen Bruder entgegen eilend, vom Oberburggra— fen von B..., begleitet, und vom Land— rath des Kreifes geführt, bei dem omineu— fen Paſſe ankam. Wie die übrigen ward durch zwei Bürger zu Pferde auch ihr Wa: gen angehalten. Erftaunt und ergrimmt ſtuͤrzte der Landrath herbei, befahl, augen blicklich Pla zu machen, doch Alles verge— bens. Jede Drohung feheiterte an dem un bezwinglichen Stoicismus der Bürger von Klein-⸗Schilda.
In Verzweiflung und ganz verſtoͤrt, be— richtete jetzt der Landrath der liebenswuͤrdi— gen Fuͤrſtin das unerhoͤrte Ereigniß. Da gelang es endlich Ihr ſelbſt, deren Huld ſelbſt Klein-Schilda's Characterſtaͤrke nicht zu widerſtehen vermochte, folgende Capitu— lation zu Wege zu bringen.
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Art. 1. Die Brüdenpaffage wird frei ges geben.
Art, 2. Die Großfürftin nimmt für Shren Erlauchten Bruder Befig davon, und weiht fie in feinem Namen ein,
Und ſiehe, Schilda’s Stern hatte gefiegt!
Bon diefem Augenblic an führt die Brück des Monarchen hohen Namen, zu der Bür- ger Stolz und Ruhm für ewige Zeiten,
Die Dammerung war fihon eingetreten, als Miſchling noch immer im dichten
Walde fortfihritt, ohne deffen Ende erreichen
zu Tonnen. Es war artig genug, daß
g’rade, als der Mond hinter einer dunklen
Molke hervortrat, und die hohen Edeltan-
nen mit feinem Silberlichte umfloß, quer
durd) die Baume und über die Straße weg ein langer fchwarzer Mann mit weiten majeftätifchen Schritten an ihm vorüberging.
Don füß aͤngſtlichen Schauern durchrie— felt, konnte ſich Mifchling nicht enthalten,
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laut auszurufen: „O Rübezahl, Rübezahl, bift Du es, fo erhöre meine Bitten, denn wiffen wirft Du fchon, wo mich der Schuh drückt!“
„Junger Herr, treiben Sie hier Feine Polen,“ erfchallte im dumpfen Baß die Antwort, „die Nacht ift Feines Menfchen Sreund,“
D Gott, dachte Mifchling, hätte mich der fhwarze Mann nur nicht junger Herr genannt, denn das beweiſ't mir leider gleich vom Anfang an, daß er Fein Geift feyn fann, fondern in der Nacht wahrfcheinlich nicht genauer fieht, als ich felbit. *)
„Nichts für ungut, licher Mann,“ fing er von Neuem an, „wer Ihr denn auch
*) Mifchling will ſich hier alt anftelten, weil er bereit3 29 Jahre zählt, etwas Characteriſti— ſches der heutigen jungen Leute, die fich leider nicht mit Unrecht im dreißigfen Sabre ſchon ſelbſt für Greiſe halten,
Tutti Frutti III. 10
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ſeyd, koͤnnt Ihr mir nicht fagen, wie weit es noch bis zu irgend einem Drte ift, wo man ein leidliches Nachtquartier zu finden hoffen darf? Es fiheint, ich habe mid) verirrt, denn ich wollte nach) Bufenthal, und müßte, meiner Rechnung nach fchon dort ſeyn.“*
„Bir wollen ſeh'n, was zu thun tft,“ antwortete der Fremde, welcher bei näherer Befihtigung unferm Helden ein ganz ab- fonderliches Aeußere darbot.
Beide Männer traten cben auf einen Schlag in’s Freie hinaus, wo das helle Mondliht Mifchling erlaubte, feinen Ge fahrten auf das Genauefte zu betrachten. Ein ohngefähr 5ojahriger Mann, reichlid) ſechs Fuß und mehrere Zolle meſſend, ftand vor ihm, mit ein paar Augen, die wie glühende Kohlen funkfelten, und einer langen Adlernafe, unter der fich ein ungeheurer Schnurrbart auf beiden Seiten weit in's Geſicht hinein ringelte. Das etwas zwei-
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deutige Lächeln, mit dem er grüßte, zeigte zwei Reihen glänzender Zahne, und unter der niedrigen mit einer Feder gefchmückten Muͤtze quollen rabenfchwarze dichte Haare bervor, die hinten zufammen gebunden einen armesdicken Zopf von wenigftens zwei Schuh Länge formirten. Der kurze dunfle Roc glich einer Zager-Kutka, und die Beine be Eleideten ein paar hohe Steifftiefeln, von der Art, die man fonft auf Univerfitäten trug und Kanonen nannte, Um den Leib war ein Feiner Hirfchfänger gefchnallt, und ein Fnorriger Alpſtock vervollftändigte die fremdartige Tracht.
„sunger Herr,“ begann der Rieſe, und in feiner Stimme lag dabei etwas eben fo Humoriftifches als Gutmüthiges, „von Bu- fenthal find Sie noch mehrere Meilen ent- fernt, aber wollen Sie diefe Nacht mit mir und meiner Familie in der Judenſchenke zubringen, wo wir nun ſchon feit acht Ta—
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gen haufen, fo follen Sie uns willfommen ſeyn.“
Miſchling, dem keine Wahl mehr uͤbrig zu bleiben ſchien, bejahte dankend.
„So gut, wie Ruͤbezahl, als den Sie mich eben anriefen,“ fuhr der Fremde fort, „werde ich Sie freilich nicht betten Tonnen, oder dafür haben Sie auch bei'm Erwachen am Morgen Feinen unheimlichen Spuf zu befürdten; und an munt'rer Geſellſchaft ſoll's auch nicht fehlen, befonders wenn es Ihre Caſſe erlaubt, uns den Abend gut zu tracttren, denn wir find ein Iuftiges, _aber armes Voͤlkchen, mürfen Ste wiffen, mein werther Herr!“
„Derf ich fragen,“ erwiederte Mifchling nicht ganz unbeforgt, „wen ich eigentlich Diefe gütige Auskunft zu verdanfen habe, und in welcher Zeit wir wohl die — Sur denfchenfe zu erreichen hoffen dürfen?“
„Ja, darauf ift nicht fogleich zu antwor⸗ ten, namlich was mich betrifft, denn in
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der Judenſchenke werden wir, fo Gott will, werm und ruhig fißen, che eine halbe Etunde vergeht. Uber, wie gefagt, von mir Fonnte ich Ihnen fchon vielerlei erzaͤh— len! Geboren bin ich z. B. ein Zigeuner, wenigftens in ihrer Mitte erzogen, ob ein ächtes oder gefiohlenes Zigennerfind, das mag der Himmel wiffen. Unſere Tleine Bande aber ifi nah und nach verfchollen und verdorben, eine Weile mußte ich mich dann allein in der Welt herumtreiben, zus letzt habe ich mich ein paarmal verheiras thet, ein Dierteldugend ſchmucke Kinder in die Welt gefest, und fo verdienen wir ung nun ehrlich, aber Fümmerlich, unfer Brod, bald auf diefe, beld auf jene Weiſe. Für’s Erfte bin ih, Ihnen zu dienen, Fleckaus— macher, Wanzentödter, Naben: und Maul wurfsfänger, und komme da eben von eis ner Runde auf den benachbarten Gütern zurück, wo ich in diefen Fächern mit her hem Beifall gebraucht worden bin,
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Morgen aber, wenn Sie mit uns blet- ben wollen, morgen würden Ste mic) als Harfeniften und Chef einer höchft refper- tabeln Gefellfchaft wieder finden. „Sa, ja,“ fuhr er mit einer pfiffigen Micne fort, „Sie würden ftaunen, wenn Sie mit an— fahen, was ich mir da herausnehmen darf, wie ich, troß dem gefchicfteften Hofmanne, Könige am Gängelbande führe, mit Prin- zeffinnen nah Willführ verfahre, ja felbft über den Zeufel nad) - Belieben difponire, und gar manchen großen Mann wieder le bendig mache, der ſchon viel hundert Jahr in Fühler Erde ruht. Mit einem Mort, werther Herr, mit Hülfe meiner guten Frau, die eine Staliänerin und eine che malige Uetrice ift, dirigire ich ein Mario: nettentheater, und öfters fpielen wir in der Umgegend, namentlich aber im Dorfe Lanz genhörnchen, wo es viele reiche Leinmeber gibt, die ergoͤtzlichſten Tragoͤdien. In die fem Augenbli find an der Reihe: Frido—
Pa a , "
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Im von Hohlbein, der ftandhafte Prinz von Galteront, und Doctor Faufti Höllen- fahrt von Klingelmann.“
Bei dieſen troftreichen Morten Fehrte auf Mifchling’s, vorher viel Ungewißheit verrathende Züge, ein heiteres Lächeln zus ruͤck, und dankbar rief er dem großen Manne zu:
„Topp, Herr Schaufpieldirector, wenn Sie mich haben wollen, bleibe ich ein paar Tage bei Ihnen, doch mit dem Beding, daß Sie mir wenigftens eine Ihrer Haupt: puppen nach Auswahl zu dirigiren geben, und ſich, fo lange ich in der Zudenfchenfe verweile, mit Ihrer Samilie als meine Säfte anſehen wollen,“
„Hurrah!“ fchrie der Alte mit einer Stimme, die wie Schlachtruf durch den Wald hallte, „Das nenne ich mir einen bra— ven jungen Herren, den wir auch auf den Händen tragen wollen, fo lange er fich’s bei uns gefallen laßt; ja! und meine be
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fter Puppen, huͤbſcher, als Sie vielleicht erwarten, Sollen Ihnen alle zu Dienften jtehen. “
Froh feine Muͤtze fchwenfend, machte er hierauf den nicht weniger erfreuten Mifche ling auf ein Licht aufmerffam, das in der Ferne flimmernd, bald glänzender hervor- trat, bald fih auf Augenblicke hinter den Baunıen wieder verbarg.
„Das tft die Sudenfchenke,“ fagte er, „bald find wir am Ziel, und es ift gar Fein Schlechtes Wirthshaus, das Fonnen Sie mir glauben. Auch find die Wirthsleute eben fo gute Chriften, als wir; vor alten Zeis ten hat man aber da einmal einem reichen Juden den Garaus gemacht, und feitdem ift der Schenfe der nicht allzuwohl Elingende Name geblieben.“
Die Wanderer näherten fich jet dem Thore, Hundegebell ertönte in der Nähe, ynd bald darauf fprang ein herrlicher ung’riz
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ſcher Wolſspacker in großen Süßen auf fie zu, und liebfofend an feinem Herrn hinauf, wahrend er Mifchling drohend Die Zähne wies.
„Allons! Kuſch, Goradil der Fremde ift unfer guter Freund,“ fagte, ihn freunds lich fireichelnd, der Alte, und das kluge Thier fchien, fchnelf umgewandelt und mit dem Schweife gegen Mifchling wedelnd, die an ihm gerichteten Worte vollkommen verftanden zu heben.
Da 08 ſchon fpat war, mochten fich die Wirthsleute, Feine Säfte mehr ermwartend, bereits zur Ruhe begeben haben, denn, als unfere Reifenden in das Haus traten, famen ihnen bloß die beiden Eühne des Sremden mit einer Lampe entgegen, nicht ohne einige Ueberraſchung Mifchling mus fiernd, deſſen ziemlich eleganter, angloma=s nifcher Anzug und zierliches Ranzchen mehr einen Fußgänger aus Laune, als aus Noth
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anfündigten, und ſtark gegen das barode, armliche Ausfehen des Gebieters der Mas rionetten abftachen. Die jungen Leute das gegen, die auffallend hübfch waren, fahen aus, wie von irgend einem Yufzuge herz kommend, und waren daher mit weit grö- Berer Sorgfalt, wenn gleich nicht weniger phantafttfch gekleidet. Lange Locken hingen am ihren entblößten Hals, in ihren Ohren glanzten große goldene Ringe, wie mand)- mal Staliäner und Franzoſen zu tragen pflegen, kurze, himmelblaue Jaͤckchen mit einer breiten rothen Schaͤrpe umſchloſſen die ſchlanke Taille, und Trikots mit kleinen Schnuͤrſtiefelchen zeichneten die huͤbſcheſten Beine und Fuͤße, die man nur ſehen konnte. Die Geſichter waren jugendlich keck, voller Ausdruck und Feuer, beſonders reizend aber „Das des aͤlteſten, der eben, Mifchling mit einer allerliebften troßigen Miene vom Kopf bis zu den Füßen meffend, ausrief: „Rum, Bater, welchen neuen Recruten bringft
— Du uns denn da in's Haus? Die Mutter war ein wenig unwohl und iſt zu Bett gegangen, und wir warten ſchon recht lange auf Dich. Biſt Du und Dein Gefährte nun hungrig von der Neife, fo wird wohl Schmalhans Euer Küchenmeifter feyn muͤſſen.
„Lieber Herr,“ ſagte der Alte, „verzeihen Sie, wenn meine Soͤhne ein bischen zu freimuͤthig ſprechen, es ſind ſonſt gute Jun— gens, die, fo lange Sie es ſich hier gefal— len laſſen wollen, gewiß ſich beeifern wer— den, Ihre Gewogenheit zu verdienen. Gian— nino, Dir emfehle ich den fremden Herrn beſonders, Du wirſt ihm,“ ſagte er, einen autoritativen Blick auf den Knaben wer- fend, „in Allem, was er braucht, ſchnell zur Hand ſeyn, und jetzt gleich damit ans fangen, daß Du für ein fo gutes und reich- liches Abendeffen forgft, als Du aufzutrei— ben im Stande bift. Wede nur die Wirths— leute wieder, wenn fie zu Bette find, denn
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der gnaͤdige Herr het fchon erflärt, daß, fo lange er bei uns bleibt, nicht er unfer Gaſt iſt, fondern wir feine Gaͤſte feyn ſollen.“
„Ja,“ fiel Miſchling ein, ganz ſeine vor— nehme Miene annehmend, „laß' es an nichts fehlen, liebe Giannino, und um Dich gleich im Voraus im gute Laune zu verfeßen, fo nimm hier diefen Beutel, und ſey fortan mein Schatzmeiſter.“
Der Alte ſchielte begterig herüber, Gian— nino ſchlug einen Augenblick die dunkeln Augen zu Boden, und ſagte dann faſt wehmuͤthig, den Beutel in der Hand wie— gend: „Es iſt doch eine ſchoͤne Sache, ſo reich zu ſeyn; denn wer reich iſt, der iſt frei, nicht wahr, Vater? Nun, lieber Herr,“ fuhr er fort, „ich will genaue Nech- nung halten, und danfe einfiweilen für ge fhenftes Vertrauen.“
Eine leichte Roͤthe flog bei diefen Wor-
ten über feine Wangen, und mit einer
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gracienfen Verbeugung verließ er ſchnell das Zimmer.
„Ja! meine Jungens muͤſſen auch ihr Brod fuͤr ſich verdienen,“ fing der Alte wieder an, und Giannino wuͤrde bei jeder Kunſtreitertruppe willkommen ſeyn. Die Mutter war zu ihrer Zeit in Italien eine der erſten vom Fach, fo wie in noch man» chem Anderen,“ ſetzte er lachend hinzu.
„Run, Kofeph,“ frug er hierauf den zweis ten Knaben, „babt ihr gute Einnahme ges macht? Eie find nämlich, wandte er fid) erlauternd zu Mifchling, „heute mit der Mutter bei'm Herzog auf den: Lindenaner Jagdſchloſſe beſtellt geweſen, um dort auf dem Seile zu tanzen, und ihre andern equi— libriftifchen Kunſtſtuͤcke zu machen.“
„Lieber Vater,“ fagte Joſeph mit fchüchs terner Stimme, „der Herzog wer verreift, und der Intendant hat uns befohlen, auf den erften Sonntag des Tünfrigen Monats nach Hohenburg zu kommen, uns aber
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für die heute vergebene Mühe aut bewir— thet, und einen Ducaten gegeben. Doch auf dem Nücweg begegneten wir der ar men, unglüclichen Bauerfrau bier aus dem Dorfe, mit ihren zwei Fleinen Würmchen; derfelben, der vor ein paar Tagen, wie Du weißt, Haus und Hof abgebrannt, und der Mann dazu verunglüct ift. Die weinte fo bitterlih! — und da meinte Giannino, er werde es bei Dir verantworten, und gab, da er nichts anderes hatte, der armen Frau den ganzen Ducaten hin ...“
„zum Teufel mit des Giannino's groß- muͤthiger Narrheit!“ rief der Alte höchft ärgerlich, „hab’ ich nicht mehr verloren, als das alberne Bauerweib, und weiß Giannino nicht, wie kuͤmmerlich wir felbft unfer Brod verdienen muͤſſen! Wahrhaf— tig, waͤre der gute junge Herr mir nicht gerade heute wie vom Himmel geſchickt worden, ich wuͤßte ja nicht einmal, wo ich nur das Geld fuͤr die Zehrung dieſer Tage
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hatte hernchmen follen — aber ihr jungen Tollhauster Fonnt keinen blanfen Grofchen in der Taſche dulden, e8 brennt euch gleich in den Fingern, bis er fortfömmt. Sie werden fehen, was der verteufelte Junge mit Ihrem Geldbeutel anfangen wird, und thaͤten vielleicht beffer, ihn mir anzuvers trauen.“
„Rein, nein,“ fagte Mifchling lachend, „der ift in guten Handenz Niemand darf meinen neuen Schaßmeifter foren. Schmaͤ⸗ len Sie Giannino nicht, jeßt feße ich erft doppelte Vertrauen in ihn!“
Eben trat der Genannte mit zwei Schüf feln voll Falter Speifen und ein paar Fla— fchen Mein herein, deckte den Tiſch mit einem faubern Tuche, und ordnete Alles jo gewandt, als habe er fhon feit Jahren als Kellner fungirt.
„Joſeph,“ fagte er fchmeichelnd, nachdem er Mifchling gebeten, heute mit dem guten
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Millen fürlieb zu nehmen, „Joſeph hat“ wohl feine Litanei vom Ducaten bereits.“
angebracht, Vater, weil Du fo verdrieglic) ausſieh'ſt — laß’ es dießmal nur gut ſeyn, oft werd’ ich's ja nicht wieder thun koͤn— wen! Stell — nicht ſo boͤſ' an, im Grund des Herzens, weiß ich, kannſt Du mid) doch deßwegen ih t weniger lieb haben.“
„Lieber Giannino,“ fagte Mifchling, „ich erlaube Dir, dem Vater das Geld aus uns ferer Caſſe zu erfeßen; damit wird wohl Alles ausgeglichen feyn, nun aber wollen wir effen, denn bei allen 11,000 Zunge fern, und dem heiligen Sohennes in der Wuͤſte Dazu, mic) hungert fehr!“
Das Mahl war heiter, der Mein leidlich, und obgleich die Knaben nur wie Madchen nippten, wurde doch Giannino im feiner Luſtigkeit zulegt fat ausgelaffen, und das bei, wie es ſchien, mit jedem Augenblick feinem proviſoriſchen Herrn mehr zugethan,
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eine Zuneigung, die Mifchling ftarfer er: wiederte, ald es ihm felbft recht begreiflich war,
Als er mir fpater fein Abenteuer er— zahlte, fette er zwar geheimnißvoll hinzu: zu feiner Zeit habe ihm der Lieblichite Traum das Nathfel überrafchend gelöf’t — in dem vfficiellen Bericht fand ich jedod) weiter nichts vor, als daß erft fpät in der Nacht die Iuftige Tafel aufgehoben wurde, und Giannino dann unfern Freund, Beide in etwas eraltirrem Zuftande, fchafernd und lachend fein Schlafgemac hoch unter dem Dache anwies, wo ihm ein Tleines Kaͤmmerchen, armlich aber reinlich), von dem beforgten Knaben bereitet worden war.
(Eine Moche, die Mifchling mit dem Iuftigen Voͤlkchen in völliger Gütergemeinz ſchaft verlebte, und nach und nad) eine fehr enge Sreundfchaft mit Giannino ſchloß,
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deffen feurige und gefühloolle Seele ſich ihm ganz hingab, übergehen wir, als wer niger wefentlich in unfere Geſchichte ein- greifend, und fahren da fort, wo Ereig- niffe eintraten, die einen dauernden Ein— flug auf unferes Helden Leben auszuüben beftimmt waren,
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Dritter Tag.
Mit gefpannter Erwartung faßen Die Leineweber von Langenhornchen por dem fchön bemalten Vorhang, der bunten Sce— nen gewärtig, die fich bald vor ihnen ent— falten follten. Einige bliefen dicke Tabaks— wolfen von ſich; Andere vefperten, mit noch größerem Phlegma; mehrere Fleine Kinder aber fchrieen bereits vor Ungeduld, vergeblih von den beforgten Müttern bes ſchwichtigt.
Da ertoͤnten die Accorde der Harfe, vom Geſang der Madame Saroli begleitet, und abwechſelnd von ihrem univerſalen Gemahl durch ein Intermezzo auf der Trommel be— reichert, denn er ſpielte beide Inſtrumente mit mehr Fertigkeit, als wir ihm zugetraut hätten,
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Unterdeffen hatte Mifchling, der einft weiten das Amt des Directors übernomz men, von feinem fehönen Pagen unterftüßt, alle Puppenfäden wohl geordnet, die re fpectiven Xoiletten aufs Glänzendfte in Stand gefet, und nachdem man überein gefommen, daß Giannino die weiblichen, er die männlichen Nollen fprechen folle, gab er das Zeichen zum Aufrollen des Vor— hangs, und wollte eben das Stüd, wie folgt, beginnen, als der Ruf: „Sungeng, auf die Kniee!“ feine Augen nochmals auf die Zufchauer lenkte, und er mit nicht ge ringer Verwunderung die zwei» vorderften Glieder, welche aus der Dorfjugend allein gebildet wurden, wie anbetend vor feinen Puppen niederfallen fah.
»Das gehört zur biefigen Policei,“ ers Harte Giannino, herzlich lachend, „fie mas chen’s immer fo, damit die Eltern, Die hinten figen, bequemer fehen koͤnnen. Bis
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zum Zwiſchenacte darf Keiner aufſtehen, wenn er nicht Kopfnuͤſſe riskiren will.“
Nun, bei'm Himmel!“ fagte Mifchling, „ic glaubte fchon, weil Dein Vater eben ein fo herzbrechendes geiftliches Lied trom— melt, die Zungens hätte eine unüberwind- lihe Srömmigfeit angewandelt, welche ja ohnedieß heut zu Tage die Kirche oft auf dem Theater wieder findet. Aber laß’ uns jegt anfangen, ergreife Kaſperle's Faden, und lege Donna Anna zurecht.
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Duppen Don Juan.
Eine Bariation.
Erster Act. Er ſter Wut
(Nacht. Es donnert. Sturm und Regen. Von grellen Blitzen abwechſelnd erhellt, taucht aus der Dunkelheit ein weißes Schloß hervor, das eine wilde romantiſche Gegend umgibt.)
Prinz Don Juan und Kafperse treten auf.
Kaſperle. Geſtrenger Prinz, ich halt's nicht laͤnger aus. Das iſt fuͤr Kaſperle kein Schmaus, Nicht Ruh' bei Tag, nicht Ruh' bei Nacht, Das hat der Henker ausgedacht!
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Nein, jeßt wird mir der Spaß zu toll. Hätt’ ich den Bauch noch gründlich voll! Doch feit 12 Stunden hab’ ich nichts ges freffen, Muß einen Schuh im: Umfang wen’ger meffen, Laͤß't Euch), o Prinz, der Kitzel Feine Ruh), Fall'n mir vor Müdigkeit die Augen zu! Herr, ich will Euch nicht langer dienen; Sa, fehneid’t nur Eure graufen Mienen, Befertigt hab’ ich jeden Zweifel, Dien’ ih Euch länger, hole mich der Teufel. Don Juan (mit verftellter Sanftmuth). D treuer Freund in jeder Noth, Willſt Du fo fchmählich mich verlaffen, Du, der mir folgen wollte bis in: Tod, Kannft jest fo böfen Vorſatz faſſen? Geh’ in Dich, Kafperle, nimm diefe Börfe! Und nun befeft’ge ſchnell die Leiter,
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Bald bin ich meinem Schaßchen auf der
Ferſe, Und dann hilft Witz und Kuͤhnheit weiter. Kaſperle
(nimmt die Börſe und ſteckt fie ein). Nicht einen Schritt. Wir ſind geſchieden! O haͤtt' ich immer Euch gemieden,
All' meine Unſchuld habt Ihr mir geraubt! Wer haͤtt', o Himmel, das geglaubt,
Als ich noch aller Tugend war befliſſen, Daß ſo der Suͤnd' ich wuͤrd' erliegen muͤſſen?
Don Juan (zieht wüthend den Degen).
Verfluchter Hund, ſtirb auf der Stelle, Und fahr' im Augenblick zur Hoͤlle!
Ich ſpieße dich an dieſe Mauer,
Wie geſtern jenen frechen Bauer.
Sag', Bube, haſt im Ernſte Du geſprochen? Schnell ſey Verrath in Deinem Blut gerochen.
(Er treibt Kafperle gegen die Schloßmaner, und fegt ihm das Schwert auf den Magen.)
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Kafperle.
O gnad’ger Herr, o liebfter Don Juan!
Mas fangt mit Eurem treuen Kafperle Shr an —
Wollt Ihr den Spaß nun gleich fo tra- gifch nehmen?
Ich will ja gern zu Allem mich bequemen,
Und was follt’ ich zum Teufel hin,
Da ich bereits bei Euch fihon bin.
Laßt's gut feyn, ſteckt den Degen ein,
Sch will ja gern gehorfam feyn.
Sch will ja fünd’gen, ftehlen, morden,
Bis ich Eud) gänzlich gleich geworden.
Don Juan (den Degen einftedend). Das hat ein guter Geift Dir eingegeben, Sonſt wär’s jet aus mit Deinem Leben. Nun frifch an’s Werk, die Leiter an, Ich ſteig' hinauf, du darfft von hier nicht weichen, Cuttt Frutti II. 11
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Und hörft Du irgend Jemand nah’n, Sp gibft Du ſchnell mir das befannte Zeichen. (Don Juan Flettert die Leiter hinauf, und fteigt in’s Fenfter.)
Zweiter Auftritt. Kafparle, fpäfer Don Antonio,
Kafperle (nimmt die gefchenfte Börfe aus der Taſche). Verfluchter Satan! haͤtteſt du nicht Gold und Eiſen, Die armen Menſchen zu bethoͤren, Ich wollte Dir die Wege weiſen, Und auf der Stelle mich bekehren. So aber kann's nichts helfen,
Und heulen muß man mit den Wölfen, Nun fey’s! die Sünde hat Doch auch ihr Gutes.
(Mit der Börfe Elappernd.) D’rum, Kafperle, bleib’ auten Muthes!
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ne re *
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Noch iſt's ja lange hin zur legten Stunde, Und daß die Seele dann zur rechten Zeit gefunde,
Mil von der Hälfte hier ich Ablaß Faufen, Fa, morgen fchon will ich zum Pater laufen !
Denn luſtig leben, felig ſterben — So fann ein Sünder nie verderben!
(Setzt fi auf eine Bank vor dem Haufe.) Doh da mein Herr jeßt mit der Donna fofet,
Und mit dem Satan um ihr Schidfal looſet,
Will ich 's Brevier hervor nun zieh'n, Und fromm zu ſeyn mich ernſt bemuͤh'n.
(Holt eine Feldflaſche aus der Taſche.) Meil Don Suan, in Eind’ verloren, Den Rofenfranz nicht leiden Fann, Hab’ ich dafür die Flaſch' erforen, Und bete mit Vergnügen d’ran.
(Er thut einen langen Zug.)
O Jungfrau unterm Sternenzelt,
er
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Bor Allem gib mir recht viel Geld! Denn ohne Geld gibt’s feinen Held, Ein Zammer ift die ganze Welt!
(Ninmt einen zweiten Schlud,)
Dann, lieber heil’ger St. Ignatius, Bewahre Deinen treuen Knecht
Doc wenigitens bis St. Servatius, Vor Prügel, Wunden und Gefecht,
(Trinft zum dritfenmale.)
Du aber, heil’ge Magdala, regiere
Den Sinn der widerfpenftigen Elvire,
Daß endlich fie ergeb’ ihr Herz
Dis Kafperle's verliebtem Schmerz.
So — nun hat Leib und Seel zur G’nüge,
Jetzt will ich ruhig Schlafen geh’n,
Und was der Himmel auch verfüge,
Dem Frommen Fann Fein Leid gefcheh’n. (Widelt fh in Don Juan's Mantel, den
diefer abgeworfen, ald er die Leiter eritieg,
und lege ſich dann der Länge nah auf den Raſen, wo er bald in tiefen Schlaf verfälft.)
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Don Antonio
(im Nachtanzuge, erfheint auf dem Balkon eines Seitenflügels), Schwarz ift die Nacht, und ſchwuͤl die Luft —
Es weht mid) an, wie Grabe Duft! Schwer hat der Alp auf WE gedrüdt, Und mir das Cramium faſt verruͤckt. Es iſt mir ſo entſetzlich bange, Als kniff man mich mit einer Zange. Was will die Ahnung nur bedeuten! Droht mir Gefahr von fremden Leuten? Kommt meiner Anna was zu nah’? F Erkrankte vielleicht der Papa?
Doch nein. Ich habe nur zu viel gegeſſen, Auch bei der Flaſche wohl zu lang gr ſeſſen;
Der Magen nun bedraͤngt das Herz, Und ſchaffet ſolchen falſchen Schmerz, Ja, iſt er nach dem Kopf gewandt, Verdunkelt gar er den Verſtand!
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Der Magen ift ein Autocrat, Und wir die Pupp an feinem Drath!
Doch laffen wir’s Philofophiren, Es möcht’ zu fehr uns ecbauffiren! Mein Brautgen fchlaft indeß in Ruh’, Die Augen drückt ihr Unſchuld zu. Gewiß traumt fie von mir, die Gute, Ach! wer doch ſchon zur Eeit’ ihr ruhte! Doch weils einmal für jetzt nicht ift, Ein Thor, der das Unmögliche vermißt. Ich will mich wieder fchlafen legen, Ihr Bild in meinem Buſen hegen, Und, wie ſie ſelbſt, in dieſen Raͤumen Don was ich liebe, ſelig traͤumen. —
(Geht in das Innere des Hauſes ab.)
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2 a AR Pr 1 0 a a a
Man hört von der andern Seite Geräuſch. Don Juan reißt eine Nebenthüre Fertig auf, und zerrt Donna Unna fih nad, Es donnert und blitzt.
Donna Anna. Ha! Don Juan! Du warſt es, ſchaͤndli— cher Verraͤther, Der meines Braͤut'gams Stimme log? Und — gottvergeß'ner Miſſethaͤter! Um meine Unſchuld mich betrog!
(Sie weint, daß es einen Stein erbarmen möchte, und fFraubt fih mit allen Kräften gegen Don Juan, während ver Donner immer fürchterlicher rolf.)
Ha! will Fein Blitz fi) mein erbarmen, Dieß Ungeheuer zu zermalmen !
O Hülfe! Vater! mein Herz, es bricht, Nacht decket meiner Augen Licht.
(Hält fchluchzend die Hand vor’s Geſicht, für fi). Wie fchön er ift der Bofewicht!
O ſchwaches Herz, verrath dich nicht.
(Sie finft vor Don Juan nieder, und umflam: mert feine Kniee.)
— Au
Don Juan. Laß’, Anna, diefe tollen Klagen! Willſt Du denn aller Welt es fagen, Mas, thöricht Mädchen, Dir geſchah? Das wirt Du beffer Flug werfchweigen Und fiill Dich jeßt dem Schickſal neigen, Das Dich's mit Feuer theilen fah! Haft für Antonio mich gehalten ? Laß' nun die Liebe freier walten, Erwied’re meine heiße Glut. — Nichts hilft Dir ferner alles Toben, Die Diener Schlafen ruhig d’roben Und lachen würd’ ich ihrer Wuth. Matt nur ift Deines Braut’gams Flamme, Dem Löwen nicht, er gleicht dem Lamme. Heiß’ Did) von diefem Schwachling log, Komm’, laß’ die Comddiantenpoffen Echürz Liebchen Dich und unverdroffen Folg' mir auf meiner Väter Schloß.
(Kaſperle fängt gewaltig an zu ſchnarchen. Don Juan horchend.)
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Hörft Du den Fühnen Braut’gam fehnar: chen ? Der Pinfel Fennt es beffer nicht, e Und den geftrengen Hausmonarchen Den feffelt wohl an’s Bett die Gicht. Donna Anna,
Nein, Verführer! ftandhaft werd’ ich blei—
ben, VEN
Und eh' willig ih Dir folge,
Lieber hier mich felbft entleiben,
Hingeftreet von Deinem Dolche,
(Sucht Don Juan den Dolch zu entreisen, den er im Gürtel trägt. Während dem ers tönt von Neuem Lärm im Haufe Don Juan zieht den Degen, und Donna Anna finfe ohnmächtig anf Safperle nieder, der davon erwacend, fi die Augen veibt, und erſchrocken aufſpringt.)
Vierter Auftritt.
Der Comthur, im Schlafrock mit der Nachtmütze auf dem Kopfe, und einen langen Stoßde— gen in der Hand, ſtürzt aus der Thüre here vor, Hinter ihm ein Zwerg mit einem
*
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Windliht. Don Juan tritt Hinter eine Säule. i
Comthur
(auf Kafperle eindringend, der fih mit dem Mans tel vermummt),
Halt’, frecher Bube, wirf die Maske nieder, Der Sonne Licht fieht diefen Morgen
Nur Einer von und Beiden wieder,
Und diefes Haupt, gebleicht in Sorgen, Muß erft im Staube blutig liegen,
Eh’ Du der Unthat Frucht gentep’ft.
Her, Feigling! lern’ den Vater erft befiegen,. Eh’ Du der Tochter Schande fieh’ft.
Kafperle
(wirft den Mantel weg und fällt zähneklappernd auf die Kniee).
O Hear! Ihr irrt, ich hab’ Euch nichts gethan,
Sch Heiße Kafperle und bin ein frommer Mann,
Der Eure Tochter hier verführet,
Dem Fluch und Straf’ allein gebühret,
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Das ift der graufe Don Juan, Doc) ich bin ganz unfchuldig d'ran.
Don Juan
(tritt vor). Brav, Kafperle! für fo viel Ireue Bleib’ ich gewiß in Deiner Schuld, Fa, Kafperle, im Voraus freue Dich auf die Zeichen meiner Huld. —
(3um Comthur gewendet) Nun pad’ Did) eilig, alter Thor, Zu ungleid) war’ der Kampf mit Dir; Ich bin’s, der Deine Tochter fich erfor, Und Feine Macht entreiß’t fie mir, Drum wag’ es nicht, mich mehr zu reizen, Mad’ Pla, und fliehe ohn' Verweilen, Sonft wird troß allem Deinen Spreizen Ein ernft Geſchick Did) fchnell ereilen,
Comthur (wüthend auf Don Juan eindringend). Verfluchter Boͤſewicht, nimm Deinen Lohn! (Gefecht. Kaſperle Flsktert auf einen Baum.)
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Don Jwan— Bemuͤht Euch nicht. (Sticht den Comthur nieder.) Da liegt der Affe ſchon.
Der Zwerg (wirft fi) wehftagend über feines Herrn Leiche). O Jemine! der Herr ift maufetodt Dem ift gebacken nun fein Brod! Und auch der neue Schlafrod ift zerriffen, Jott! diefe Menfchen haben Fein Sewiffen!
Don Juan.
Bring’ Deinen Herrn zu Bert, Er fcheint es zu bedürfen!
Den Lohn, den cr fo eben mir freundlid) zugedacht,
ill von der Tochter Mund ich fchon ges mächlich fehlürfen,
Sobald ung Bed’ ich nur in Sicherheit gebracht.
(Er nimmt die noch immer Teblofe Douna Anna
in feine Urme, und ſucht fie mit ſtürmiſchen Küffen zu erwecken.)
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Kafperle (der vom Baum wieder herunter koͤmmt). O Herr! wohl hatt’ ich recht, dem Teufel felbft Euch zu vergleichen, Hab’t Fein Erbarmen Ihr mit Zung noch Alt?
Der Vater muß durch Eud) verbleichen Und vor der Zeiche thut er Tochter Ihr Gewalt!
Don Juan.
Du Schuft! Wie ſchoͤn ſteht Dir's Mo— raliſiren,
Du feiger Wicht! der auf dem Baum ver ſteckt
Bei'm Streit nur denkt an's Retiriren,
Und Tugend nur, wie's Schwein den Zus der leckt,
Komm’, Schu, und hilf mir Anna tras gen,
Denn nur zu lang verweilten wir.
Schon feh’ ich Licht im Oſten tagen
Und nicht geheuer wird es hier,
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Fünfter Auftritt,
Rufen hinter der Scene. Don Antonio mit einem zahlreichen Gefolge von Dienern, mit Schwertern bewaffnet und Faden tragend, erfcheinen im Hintergrunde der Bühne,
Don Antonio, Habt Ihr des Comthurs Stimme nicht vernommen ? Umftellt die Räuber, Laß't fie nicht ent- fommen! Mer liegt dort an der Erde? Ha, was ſeh' ich! Anna — der Vater todt! Gott fiy uns gnaͤdig! Kaſperle.
O Himmel! nun find Beide wir verloren, Ach Kafperle, war’ft nimmer Du geboren! Don Juan,
Verdammt! der Uebermacht muß ich jeht weichen,
Doc meine Rache foll fie bald erreichen!
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(Er legt Donna Anna nieder, und indem er feis nen Mantel dem herbeieilenden Don Ans tonio über den Kopf ſtülpt, fehlägt er fich durch die Menge, während Kafperfe über einen der Diener hinmwegvoltigirend, auf der andern Seite entwifcht.)
Ende des erſten Acts.
—*
Be
—
Nach Beendigung diefer erjten Abtheilung, deren Folge wir dem Leſer großmüthig ers laffen, hatte Mifchling, der ein ftandhafter Freund der Abwechslung ift‘, dem Director die fernere Leitung der Puppen wieder über geben, und war zu den Zufchauern herab- gefttegen, wo er fchon früher ein paar auf fallend zarte und huͤbſche Bauernmädchen bemerft hatte, welche Handfchuhe trugen; . ja, als die eine den ihrigen einen Augen— blick auszog, war es ihm gar vorgefom> men, als ob ein Brillantring an ihren Sir- gern geblist hätte. Dieß intriguirte ihn
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fehr, er fuchte fih daher ohne Affection Beiden zu nähern, und behorchte während dem noch einige franzoͤſiſche Worte, die ihn jet volllommen überzeugten, daß er hier nur verftellte Bäuerinnen vor fi) has ben muͤſſe. „Ihr lieben Kinder,“ fagte er, gemächlich hinter ihnen Pla nehmend „was meint Ihr zu dem prächtigen Stuͤck, was wir Euch da vorgefpielt haben?“ — „sit Er auch einer von den Comddianten ?“ fagte die Kleinfte von Beiden, mit einer verzweifelt fchnippifchen Miene, indem fie leife ihre Nachbarin anſtieß. Dieß war eine reizende Blondine, mit dem Anftand einer Königin und der Sanftmuth einer Taube. Ein unnachahmlicher, rührender und doch Kalb fchalfhafter Ausdruck ruhte in den feuchten blauen Augen, die höchft verführerifche lange feidene Wimpern bes ſchatteten. Und noch reizender war der Fleine Purpurmund — cc, und erft der Mund! wie Gretchen fagt — in der That, dachte
Mifchling, diefen Mund Füffen zu dürfen, wie er fo räthfelbaft wehmuͤthig lächelt, das müßte Götterwonne feyn! und in trunfenem Anſchauen verloren, hatte er Mühe, aus der füßen Verwirrung wieder zu fi) felbft zu fonımen.
„Nu,“ fagte die Muthwillige, welche ihm zuerft Rede geftanden, „mas gloßt Er ung denn fo an, wie die Kuh 's neue Thor? hat Er mich nicht verfianden? ich fragte Ihn: ob Er auch einer von das Spielvolf fey ?“
„Freilich, freilich,“ erwiederte Mifchling, „das ganze Stück ift ja von mir felbft ver; fertigt, und die ſchoͤnen Stimmen, die Ihr gehört habt, die groben und die feinen, die fomen alle nur von mir allein ber. In Wahrheit, es fehlte uns nichts, als fo eine fhöne Prinzeffin wie Deine Nachbarin da, und ich möchte dann mein Lebtage nichts anders thun, als mit den Puppen fpicden.“
„Na, na, mac)’ Er ung nichts weiß —
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werden wir das glauben, daß Er, großer Bengel, noch mit der Puppe fpielen wird.“
„Mit einer, wie Du, allerdings nicht,“ eiferte Mifchling entrüftet, „Dich würde ich dem hölzernen Kafperle überlaffen; aber einen folchen Engel, wie Deine Nachbarin, den würde ich anbeten, und wie die Guns gens da vorne vor ihm niederfallen, wenn er auch ſtumm und nur von Stein wäre.“
Die Blondine, welde bisher große Theil: nahnılofigkeit affectirt hatte, lächelte bei die— fen Morten, leicht erröthend, und entfaltete dabei, vielleicht nicht unwillführlich, die Per- len ihres Mundes, welche Mifchling in dies fen Augenblid begehrungswerther als alle orientalifchen erfchienen. Die Weiber, dachte er froblockend, find doch alle eitel — Evend treue Tochter!
„Na, aber was ift denn das vor eine drollige Puppe ?“ fing die Kleine jeßt wieder an (es mochte wahrfcheinlich die Kammer,
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jungfer ſeyn). „Steh’ nur, Dore, ift das nicht leibhaftig wie Fleiſch und Bein?“ „Aber wirklich,“ fagte Mifchling, „das tft täufchend, o welch’ guter Spaß! Sa, ja, e8 ift die Kleine achtiährige Tochter des Dis rectors, die man fo Fünftlid) zur Marios nette angelernt hat, daß fie von den wirf- lichen faum mehr zu unterfcheiden ift, wie man’ denn mit den Kindern unferer vors nehmen Schaufpieler ja auch zu machen pflegt. Wahrlich, ganz wie am Drath ge zogen. Wortrefflich! Aber,“ flüfterte Mifch- ling der Blonden zu, „Du fprichft ja gar fein Wort; willft Du das huͤbſche Kind und die Puppen vielleicht einmal oben ans fehen? Wenn Du Luft haft, bringe ich Dich glei hinauf, es wird Dir gewiß Spaß machen, die ned’fchen Dinger fo ganz in der Nahe betrachten zu koͤnnen.“ „Sortons,“ hörte jetzt Mifchling, ftatt ber Antwort, die Schöne leiſe ihrer Begleiterin in’d Ohr raunen. Im Nu fanden Beide
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auf, und mit einem unwilligen Blick auf Mifchling fagte das fupponirte Kammers kaͤtzchen: „Na, will Er wohl fo gut feyn, und uns ein bischen Plag machen, da wir doch Seine Puppen nicht werden Fünnen — denn wir müjfen zu Haufe, fonft Friegen wir Schelte.“
Hiermit eilten fie ſchnell hinaus, doc) Mifchling ihnen mit gleicher Schnelle auf dem Fuße nach, und erreichte fie eben noch glüdlich vor dem Haufe, eh’ fie fi ganz im Dunfel verloren hatten,
„Guten Kinder, es ift ja ſtockfinſtere Nacht, ich kann Eucdy nicht fo allein gehen laffen.“
„Ra, fo feht mir doc) den zudringlichen Burfchen an! So laß’ Er Einen doch uns geſchoren; geh’ er feinen Weg, und laß’ Er uns den unfern gehen!“
„Meine Damen,“ fagte Mifchling, „vers ftellen Sie ſich nicht langer, Eie find eben fo wenig Baͤuerinnen als ich ein Marionetten- fpieler, aber Sie haben defto mehr Unrecht,
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in diefer Finfternig ohne alle Begleitung den Ruͤckweg antreten zu wollen“ — und die augenblicliche Pauſe benugend, welche der Feine Schre den holden Mädchen eins flößte, feßte er hinzu: „Berauben Sie mich doch nicht fo neidisch des Gluͤcks, das mir der Himmel unerwartet zuführte. Laſſen Sie mid immer Shnen meinen Yrm bie ten, um Sie ficher nach Haufe zu geleiten, ich ſchwoͤre auch, mich Ihnen nicht weiter als bis zur Thuͤre Ihrer Wohnung zum Fuͤhrer aufzudringen. Dort angekommen, verlaſſe ich Sie augenblicklich, oder erwarte draußen Ihre weiter'n Befehle.“
Nach einigem leiſen Gefluͤſter zwiſchen den beiden Damen ließ ſich jetzt zum ers ftenmal die fanfte Flötenftimme der Blons den vernehmen: „Gut, mein Herr, wir wollen einmal an die Uneigennüßigfeit eines Mannes glauben, und daß Sie nur bie Nitterpflicht zu üben wünfchen, zwei hülflofe Mädchen gebührend zu beſchuͤtzen. Wohlan,
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bier haben Ste meinen Arm, es ıft überdieß nicht weit nach unferer Wohnung. Doc wohlverftanden, heute wenigftens trennen wir uns an der Thüre, und Sie machen feinen Verfuch, uns weiter zu folgen, Spa ter foll, ich fage es Ihnen vorher, ein au- derer Tag kommen, wo Ste mir an jenen Ort nachfolgen dürfen, ob gern dann — wird die Zufunft Ichren. Nun kommen Sie!“
Entzuͤckt ergriff Mifchling, obgleich etwas befremdet von der räthielhaften Yeußerung, den lebenswarmen, fchwellenden Arm, der leife in dem feinigen zu zittern ſchien, und feine Schritte foptel als nur immer möglich verzoͤgernd, verfuchte er Alles, feine Nach— barin dahin zu vermögen, ihm ihren Nas men und Stand zu entdecken, jedoch ohne allen Erfolg. Eben jo wenig gelang es ihm, eine befriedigende Antwort auf feine zärtlichiten Bethenrungen zu erhalten, und fo rührend er auch ſprach, fo verzweifelnd
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er fi) anftellte, Fein ZTroftwort kam aus dem füßen Munde, deffen rofiger Hauch nur von Zeit zu Zeit um feine Wangen jptelte, wenn er „mit leifem Fleh'n, füßem MWimmern“ ihr Flagend zuflüftert, was fein Herz fo ftürmifch bewegte,
„Wir find am Ziele,“ fagte jet mit ges dampfter Stimme die Schöne, „Leben Sie wohl, und .... ih muß Ihnen wenigftens jo viel fagen: Kennten Sie mid, Sie würden nicht wünfchen, mid) wieder zn fehen.“
Bei diefen Morten fchloß ihre Gefahrtin eine niedrige Pforte auf, die man in der fhwarzen Nacht Faum erkennen Fonnte, und wie Schatten waren Beide Durch Diefelbe verfchwunden, Mifchling hörte nur noch das Miederzufchlagen der Thüre, Feinen fernern Laut mehr, und fid), von Liebe und Schnfuht durchglüht, an die Mauer Ich: nend, dachte er kaum darüber nach, was er num weiter beginnen folle, obgleich er
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überzeugt war, daß es ihm nicht einmal möglich feyn würde, allein den —* zu finden.
Er mochte einige Minuten fo in fen Sinnen hingebracht haben, als er mehrere Menfchen, von denen einer eine Blendlaterne trug, auf fi) zufommen ſah. Hinter eine alte Linde tretend, Fonnte er fie genau ber obachten, ohne felbft von Jemand bemerkt zu werden, und feine Freude war nicht ges ring, als einer von ihnen, den er bei'm Schein der Laterne nach feiner Kleidung für einen Fatholifchen Pater hielt, fich der> felben Thuͤre, durch die feine Schöne ver- fhwunden war, nahen, und mit dem Aus— ruf: „Hier ift es!“ einen Schlüffel hervors ziehen, die Thür öffnen, und dann die ganze Gefellfchaft, der noch ein Bauer mit einem fdywarzen Ziegenbod am Stricke und einer fhwarzen Henne im Arme folgte, in die felbe eingehen ſah. Geſchickt fchlüpfte er hinter ihnen d’rein, ohne fich zu verrathen,
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erſchrack aber nicht wenig, als er, ſtatt in einem Hausflur, wie er erwartete, plößlich vor einem Leichenfteine fand, und bald inne ward, daß er ſich nirgends anders als auf dem Kirchhofe befinde. Wie ein Blik fuhr ihm die Erinnerung jener Masfe durd) den Kopf, die dem Herzog von G., einen berüchtigten Wüftling, als er fie in ein ab- gelegenes Zimmer verfolate, und dort knie— end bat, fich zu demasfiren, einen Todten— fopf hinter der Larve fehben ließ, und von der man nie etwas weiter erfuhr, als was die Ausfage zweier Portchaifenträger ents hielt, die berichteten; eine fchwarz ver: mummte Dame auf Ihr Verlangen an der Thüre der Todtencapelle auf dem Kirchhofe abgejeßt zu haben. Der Eine wies dazu noch ein verfhimmeltes Goldſtuͤck aus dem letzten Jahrhunderte vor, das, wie er fagte, die Fremde ihm mit eisfalter Hand in die fet- nige gedrüdt. Am naͤchſten Jahrestag diefes Maskenballes ftarb aber der Herzog plößlich, Eutti Frutti III. 12
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Ein unwillfürlicher Schauer durchrieſelte Mifchling bei diefem Gedanfen, doch fchnell befonnen, ducte er fich jeßt hinter dem Grabmal nieder, um mit Sicherheit die feltfame Geſellſchaft, mit der er fih einge fhloffen fand, fortwährend im Auge behal- ten zu koͤnnen.
„Nun,“ fagte der Vater, „laß't ung denn obne Zeitverluft die Beſchwoͤrung beginnen, und den unterirdifchen Mächten, die ung günftig feyn mögen, zuvoͤrderſt die Thiere opfern. Hier unter den drei Kreuzen muß der Schaß liegen, die alte Klofterlegende laßt Feinen Zweifel darüber, alfo frifch an’s Werk.“
Einer der Maͤnner ergriff hierauf die Henne, und ſchnitt dieſer den Hals ab.
„Herr Pater, mich grauft!“ rief der Bauer: „wenn ung nur der Teufel nicht holt.“
„Schweig’, Dummrian! wenn etwas uns ſerm Vorhaben hinderlich wird, fo kann es nur Deine unbefiegbare Schwaßhaftigfeit
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ſeyn. Ich ziehe jetzt den erſten magiſchen Kreis mit der ſchwarzen Henne Blut, tri- tet Alle hinein, und vergeß't e8 um aller Heiligen willen nicht, daß, fpricht von nun an einer von Euch auch nur das geringfte Mort, der Schaß hundert Meilen tiefer in die Erde führt‘, und die böfen Geiſter, die ihn bewachen, Euch unfehlbar den Hals umdrehen werden. Mich allein fchüßt mein heiliges Gewand und die priefterliche Meihe. Her mit dem Ziegenbod!“
Das Thier, welches eine Ahnung fei- nes Martyrerthums haben mochte, firäubte ſich mädtig, ward aber bald überwältigt.
„D Bo!“ fagte der Pater mit feierlis chen Zone: „Bo, ich fchlachte dich zur Sühne unferer Sünden, und weihe dein Blut den Unterirdifchen, damit fie, feinen füßen Duft einathmend, uns vergönnen mögen, zu heben den Schaf, den fie feit Sahrhunderten treu bewachen. “
„Apollyon, Satanas, Beelzebub, mädti-
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ger Herr der Erde! fen uns dabei hold. und gewärtig. Amen |“
Der Bock ſank zappelnd in fein Blut, und wo die Schnauze hinwies, ward der erſte Spaten in die Erde geftoßen. Inter tiefem Schweigen aing nun die Arbeit rü- fig fort, Mifchling, dem als unberufenen Zeugen dieſer gotteslafterlichen Ceremonie, nicht ganz wohl zu Muthe war, wandte fein Auge von den unermüdlichen Schatz⸗ grabern.
Einmal dauchte es ihm, auch an der Thür ein leiſes Geraͤuſch zu vernehmen, doch ward alles fchnell wieder ſtille. Es fhien nur der Wind gewefen zu ſeyn, der in den Blättern der alten Linden gerafchelt.
Man mochte fchon eine halbe Stunde gegraben haben, und ein hoher Haufen Erde verdeckte die Leute bereits faft ganz: lich Miſchling's Blicken, obgleich die auf- geftellte Laterne die Gruppe gerade von feiner Seite hell beleuchtete, als plößlich ein Stillftand einzutreten fehten, und gleich
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darauf eine Stimme, wie Mifchling glaubte, die des Bauern, laut auffchries „Herr Fer fus! ein eiferner Kaſten.“
Kaum war das Wort gefprocdhen, als ein Durchdringender Pfiff rund umher er— tönte, und viele fchwarze Geftalten von allen Seiten aus dem Dunfel hervorbra: chen, und die laut brüllenden Teufelsbe— ſchwoͤrer ergriffen, Mehrere bisher vers borgene Laternen wurden zugleich fichtbar, worauf ein, Mifchling wohlbefannter dicker Mann im grauen Ueberrod, den ein hart- naͤckiges Aſthma etwas zu Incommodiren ſchien, und der die fonderbare Gewohnheit hatte, bei'm Hervorfprudeln feiner Phrafen ihnen bald da bald dort den finnlofen Laut: „enmem“ anzuhängen, die Gefellfchaft folz gendermaßen andonnertes „Hab' ich Euch endlih, Zhr Lumpenpad — emmen, Ihr Zeufelöbrut —emmen! Wart', Euch) foll das Schäßegraben ſchon im Stockhauſe bei Waffer und Brod vertrieben werden — emmem. Fort mit den Kerls, und in dee
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festen Löcher unten rechter Hand jeden einzeln eingefperrt — emmem |“
Die Deliquenten wimmerten, alle auf den Knieen Tiegend, wahrfcheinlich noc) immer ungawiß, ob fie mit Xeufeln oder der Policei zu thun hätten, und ber bide Direstor nicht vielleicht der Leibhaftige in eigener Perfon mit Hörnern und Pferde fchweif unter der anfpruchslofen Maske fy. Nur der Vater trat Fed vor, und fragte: ob man im Ernft gefonnen wäre, einen Geweihten der Kirche mit jenen Elen— den in eine Claſſe zu feßen. Er fey bloß bergefommen, um den Gcandal zu ver hindern, und die verblendeten Menfchen im Stillen und Guten von ihrem firafba- ven Verhalten abzubringen.
„Wiſchiwaſchi!“ fagte der Policeidirector, „mit gefangen, mit gehangen — emmem, je- denfalls ift es gut, daß Sie bis zum Ende bei den Verblendeten aushalten — emmem, damit dieſe Ihrer troftreihen Ermahnun gem: nicht entbehren. Marfch, fort — em⸗
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mem,, und thut, wie ich gefägt, ohne Ausnahme!“
Es war ein SHE für Mifchling, def man bei'm Getuͤmmel des Transportes die Kirchhofsthuͤre dießmal wieder zuzu— ſchließen vergaß, denn aus Furcht, hier gleichfalls „mit gefangen und mit gehan— gen“ zu werden, hatte er nicht gewagt, dem Troſſe zu folgen,. und crft, als wie der die tieffte Stille über den Graßern berrfchte, flich er leife neben den Leichen des Bode und Huhnes vorüber, dem Aus— gange zu, und wollte eben fchleunig das Meiterfuchen, als er im Scheine des Mon— des, der ſeit Kurzem aufgegangen war, etwas im Grafe blinfen fah. Es aufhe bend, fand er mit großer Freude, daß es ein goldener Ring ſey, den ohne Zweifel eine der Frauen verloren haben mußte, Mit verlichter Thorheit ihn Füffend, ſteckte er ihn forgfältig zu einigen andern Pre tiofen, die er in einer Bufentafche ver: wahrte, und eilte nun, den Meg aufzufus
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chen, der ihn zur Zudenfchenfe zurüdführ ven follte, Doc unbefannt mit der Ge gend hatte er mit nicht wenig Ungemac) zu kaͤmpfen. Bald gerieth er im Sumpf, und mußte querfeldein einen andern Pfad auffuchen, bald verfperrte ihm ein breiter Randgraben den Weg, den er nicht zu durhfchwimmen Luft hatte, Furz, es daͤm⸗ merte bereits der Morgen, che er müde und matt die erfehnte Herberge wieder ers reichte, wo die gute Giannina (denn wir muͤſſen nun wohl ihr Incognito aufgeben), treu feiner harrend, laut aufjauchzte, als fie den geliebten Fluͤchtling, deffen langes Yusbleiben fie ſich nicht erklären Fonnte, wieder in ihren Armen hielt, Doch fchien ein Anfall italienifcher Eiferfucht fich ploͤtz⸗ lich ihrer zu bemeiftern, als die Sorge geſchwunden, und fie jet das blaffe Ger fiht, die vom Nachtthau feuchten Haare Miſchling's näher betrachtete,
„Wo warft Du?“ rief fie mit zornfuns funfelnden Yugen. „Ich ſah Dich zuleit
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hinter zwei Bauernmädchen figen, Don dem Augenblid an hat Dich Fein Menfch wieder erblickt. Bei'm Himmel! Henrico, ich Fonnte Dich ermorden, wenn ic) wüßte, daß Du mid armes Mädchen, die Du wie Durch Zauber hingeriffen, die Dir, ach! fo leicht, Alles hingegeben — nun kaum an meinem Herzen erwarmt, fchon fo handlich verrathen koͤnnteſt!“
„Aber, närrifches Maͤdchen,“ befänftigte fie Mifchling, „fey doch Fein folches Kind! Wenn Du wäßteft, daß ich faft die ganze Nacht hindurch theils auf dem Kirchhof zugebracht, theild in der Irre umher ge Jaufen bin, Du würdeft mich bedauern, und mir Glühwein bereiten, fiatt einem abgeſchmackten Argwohn Raum zu geben, Uebrigens erkläre ich Dir, ſolche Sclaverei duld ich nicht. Du bift ein füßer Engel, und ich liebe Dich zum KRafendwerden, aber vergiß nicht, daß ich als Dein Herr bier eingetreten bin, Du bift mir Rechen haft fhuldig, ich Dir Feine!“
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„© Scelerato! fo haben: wir nicht gez wetter; den Augenblick geftehe, note Du auf den Kirchhof gefommen, oder, bei der Ma— donna ſchwoͤr' ich's, Du follft mich mit feiner Singerfpige mehr berühren.“
Ein Strom von Thraͤnen entftürgte jet: ihren Augen, und aufs Sopha hingewor— fen fchluchzte fie Iant. Ste waren fo fchon, diefe weinenden Augen! Die Leidenfchaft: ließ. dem feurigen Maͤdchen fo reizend — Miſchling gab nach.
„Liebſte, theuerſte Giannina!“ rief er, und kniete reuig vor ihr nieder: „beruhige Dich doch. So wiſſe denn — aber darf ich es wagen, Dir mein Geheimniß anzu— vertrauen ?“
„Alles!“ laͤchelte Giannina unter Thraͤ— nen: „wenn nur kein Frauenzimmer dabei im Spiele iſt.“
„Nun wohl, ſo hoͤre! Du haſt mich noch nie nach meinen Verhaͤltniſſen in der Welt gefragt, was mir ſehr an Dir gefal—⸗ len hat — jetzt bin ich Dir aber genauere
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Auskunft fhuldig. Sch din der Sohn ei⸗ nes wohlhabenden Kaufmanns, der ſich mit einer huͤbſchen Summe Geldes von feinem Geſchäft zurüdzog, und mir nebſt nicht unbedeutenden Gapitalien ein anfehn- liches Sut im N... ſchen hiaterlaffen bat. Sch bin frei und unabhaͤngig, und koͤnnte bloß meinem Vergnügen Ichen. Leider habe id) aber einen dummen Streid) gemacht, und werde nun, in Folge deffen, aus polis tifchen Gründen verfolgt, weßhalb ich fehr ängftlih auf meine Sicherheit bedacht feyn muß. Sch ließ mich namlich verleiten, mit zwei Studenten und einem Profeffor gegen den H... fihen Staat zu confpiriren, und wir hatten ihn auch ohne Zweifel über den Haufen geftürzt, wenn man uns Die gehörige Zeit gelaffen hatte, Ich verfichere Dir, wir fingen die Sache mit großer Piffigkeir an. Meit verzweigte Verbin: dungen mit Kammerdienern, Kammerjungs fern und mit andern diis minorum gen- tium (gu deutſch: Herren der Hintertreppe)
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waren angefnüpft, und, um Blut zu fpar ven, überall nur der Weg der Verführung eingefchlagen worden,
So war ed uns bereits gelungen, es * hin zu bringen, daß der Chef der Armee ſich alle Tage betrank, der Juſtizminiſter ſeine Protection fuͤr baares Geld verkaufte, der Miniſter des Auswaͤrtigen gaͤnzlich un— ter dem Pantoffel ſeiner Maitreſſe ſtand, und der Miniſter des Innern ein Betbru— der geworden war. Ein guter Zweck heir ligt befanntlich alle Mittel, und wir hatten ſchon die Freude, zu fehen, wie die Uns zufriedenheit unter allen Ständen immer großer ward — als leider unfere Verſchwoͤ⸗ zung entdeckt, und unfer erhabener Plan wahrfcheinlich für immer vereitelt wurde! Gegen mich hat man zwar Feine Directe Beweiſe, denn ich war fo gefcheidt, wie Mallenftein (deffen Unfchuld, wenn glei) etwas zu fpat für ihn, nun ja auch offen zu Zage liegt), nie etwas Gchriftliches von mir zu geben. Sch hoffe daher noch
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mit einem blauen Auge davon zu kommen. Dennoch muß ich mic) eine Zeitlang den Blicken meiner Verfolget zu entziehen fus hen, und ich Tann Dir mein Ehrenwort geben, daß ich erſt geftern aus der Haft nur mit Mühe und großer Geiftesgegens wart mich glüclich losgemacht hatte, als ic) Deinem Vater im Walde begegnete, jenes glüdliche Zufammentreffen, dem ich es ja allein verdanfe, daß ich diefe Thräs nen Dir jet von den holden Wangen füß fen darf.“
„Was Du nun heute für eine Bauern dirne hielteft, war nichts als ein verfleide> ter Knabe: denn wie Du unter einer Kings benmasfe das fchönfte Mädchen verbargft, wirft Du einfchen, daß auch ein junger Burfche ſich als Mädchen verkleiden Tann, Diefen Knaben nun fchickte mir ein Freund, um mich noch zur rechten Zeit zu warnen, daß die Policei mir auf der Spur fey, und er gewiß wiffe, daß fie nod) diefe Nacht eine Nachſuchung in Langenhörnchen veran⸗
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falten werde. Sein Bote follte mich in den gefährlichen Stunden an einen fichern Drt führen, und diefer Ort war denn eben der Kirchhof, wo ich nur mit einem Zeichen: ftein gebuhlt habe, bis der Morgen graute, Aber leider bin ich auch hier nicht mehr fiber. Mein Plan ift daher, morgendes Tages in das nahe Städtchen zu gehen, mo, wie ich hörte, Sahrmarft if, um mir dort wo möglich eine Verkleidung zu be forgen, die mich meinen Verfolgern ganz unkenntlich macht.“
„sch begleite Dich!“ rief Giannina, „ich will Dir glauben, obgleich Deine Gefchichte etwas feltfam Flingt, aber aus den Augen laffe ich Dich jet nicht mehr.“
„Du füßer Engel! Wie wirft Du aber den Vater verlaffen fonnen?“
„Ach, gib ihm Geld, und er laßt gefcher ben, was man will.“
„Nun gut, laß’ mich Alles reiflich übers legen; der Tag foll Rath bringen, und die Nacht — die Nacht,“ feste Mifchling lä-
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chelnd hinzu, inden er das Kinn des ſchoͤ— nen Mädchens empor hob, und ihm zart lich in die Augen ſah — „Du fennft das Sprühwort: die Nacht wollen wir es nod) beichlafen.“
Gluͤcklicher Mifchling! und doc) Tonnte der Bofewicht dem armen Mädchen folche Maͤhrchen aufheften, ja, und er war noch firafbarer, als Ihr bis jet wißt, verchr- te Lefer — denn weit entfernt, Neue zu fühlen, ging fein ganzes Dichten und Trach— ten wirklich nur einzig und allein dahin, die verführerifche Blondine zu gewinnen, die ihm eine fo boshafte Schaferftunde auf dem Kirchhofe bereitet hatte. Um fie, es koſte was es wolle, wieder zu finden, hatte er fih (immer mit Liebhaberet die aben— teuerlichſten Wege einfchlagend) den Plan der Verkleidung auf dem Jahrmarkte aus: gedacht, und fann jeßt, als Giannina, er: muͤdet von dem langen Wachen, fihon auf dem Sopha fanft entf:hlummert war, noch immer angeftrengt darüber nach, wie er
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feinen Zweck ihr wohl am beften verbergen möge, ohne fte doch ganzlich zu verlaffen — denn das konnte er, obgleich fie ihm ihre Eroberung allerdings nicht fchwer genug gez macht, feinem Herzen dod) nicht abgewinnen.
Uber fo find die Männer, neunundneuns
zig unter Hunderten! Nur was ihnen
ſchwer wird, reizt fie, das Entgegenfommen eines ungefünftelten Naturfindes, eines äch> ten, unverfälfchten Gefühls wiffen fie nicht zu fchäßen, und es gefchieht ihnen nur recht, wenn fie zuleßt einer herzloſen Co— quette in die Hande fallen, die fie zu Tode martert. Wir fürchten fehr, daß auch Miſchling in feiner blanäugigen Blondine die Nächerin fihon gefunden hat.
Ende des dritten Bandes,
—*
Tutti Frutti.
IV.
Eutti Frutti.
Aus den Papieren
des Verstorbenen
De mortuis nil nisi bene. (Zur Beherzigung für alle Secenfenten,)
Vierter Band.
Gegen. Nachdruck in MWürtemberg yripilegitt.
Stuttgart, Hallberger'ſche Verlagsbandlung.
1834.
Be
I.
Acht
Frühlings- un Sommertage
aus dem
Leben Miſchling's.
Eine wahre Geſchichte, mit dem Anſtrich einer Novelle.
—
(Fortſetzung und Beſchluß.)
made
Tutti Frutti IV,
Vierter Tag.
Ein reges Leben herrſchte im Städtchen Moosheim. Vollgepfropft von Buden ftroßte der weite Marftplag, und durch den Schmuß der engen bretternen Straßen, welde fich momentan gebildet, wogte die Faufbegierige Menge. Hier ſah man Knaben die eben erftandene Pfeife probiren, oder den Ham: pelmann nebft Pfefferfuchen in Sicherheit bringen, dort feilfchten ein paar alte Wei— ber eine Stunde lang um eine Caffeemuͤhle und verließen, nachdem fie zwanzig derfel- ben unterfuht, unverrichteter Sache die Bude, weil fie ihnen um einen Sechfer zu thener ſchien. Großmüthiger zeigte ſich der eben an fie anftoßende dicke Vachter, der,
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bereits etwas angeftochen, rechts und links den Dirnen Bänder austheilte und dann, feine Freunde in der Apotheke tractirend, bei verlegenen Sardellen und Grüneberger Champagner alle Sorgen der fchlechten Korn- greife vergaß. Weiterhin beluftigte der eu- ropaifche Hercules die Schauluftigen, kunſt— gerecht eine Keule auf den Zähnen und eine brennende Düte auf der Nafe balancırend, oder die Attituͤden griechifcher Statuen nach» ahmend. Es war unmöglich, das hierzu dienende Coftüm ohne Lachen anzufehen. Man denke fich einen fechzigjährigen Mann in ſchmutzigen Tricot gehüllt, der nur noch Knochen, aber Fein Fleifch mehr produeiren Fonnte; über die Schultern, ftatt der Los wenhaut, ein Stuͤck borftiges Fell hängend, das ohne Zweifel von einem alten Reiſekof— fer abgefchnitten worden war, und die Fahle Glatze mit einem verwelften Lorbeerfranze bedeckt, unter dem das runzliche, verhun— gerte Geficht jämmerlich hervorgloßte,
— — — —
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Als ein vortrefflicher Pendant zu ihm diente am andern Ende des Platzes ein eben fo alter, wie ein Wilder angefleideter Sranzofe, der vorgab bei Lapeyrouſe's Schiff bruch fich auf eine wüfte Inſel gerettet zu haben, wo er viele Fahre von Steinen ge lebt, und nur als Leckerbiſſen zuweilen einen rohen Fiſch oder ein gefang’nes Geflügel genoffen. Zur Beglaubigung brachte man ihm, nach diefer Erzählung, eine Schüffel Kiefelfteine, die er zum Theil Faute, und dann ſaͤmmtlich mit allen Zeichen des Mohlbehagens herunterfchlang; vorher aber wurden jedesmal die Steine umbhergezeigt, und auf ihre durch die Kraft der Verdaus ung glatt abgerundete Form aufmerffam gemacht, „denn,“ feste die furchtbar haß- liche Sranzöfin, feine Gattin, hinzu: „feit fünf Jahr frißt er fi alle Tak.“ In der That eine appetitliche Kofi! So wie nım die Steine von Neuem verfchludt waren, entblößte der zahme Milde feinen Magen,
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und [ud die Zuſchauer ein zu fühlen, wie die Kiefel darin Flappertenz; danır fpeißte er zum Deffert noch ein lebendiges Huhn, tranf ein Glas Blut dazu, und das diner war fertig.
Noch viele and’re Induſtrielle zogen durch
mannigfache Erpofitionen die Neugierigen
an, rund umher an den Fenftern der Haus fer aber, und auf den hie und da hervors fpringenden Balconen, fah man umentgelts lich unzählige Caffeegeſellſchaften fien, die ſich guͤtlich thaten und einen frohen Nach— mittag bei'm Anblick des ſteten, ſich immer
erneuenden, Gewuͤhls des wogenden Mark—
tes verbrachten.
Mitten in dieſem finden wir jetzt auch Miſchling wieder. Giannina im verhuͤllen— den Ueberrock und runden Hute haͤngt an feinem Arme,
„Schmucke Herren!“ rief eben ein huͤb— ſches, braunes Zigeunermadchen fie an: „wollt Ihr Euch nicht von mir Euer fünf
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tiges Schickſal wahrfagen laſſen? Für eine fleine Gabe erfahrt Ihr vielleicht mehr von mir, als Ihr glaubt, denn meine Mutter ift am Fuß der großen Pyramide in Aegyp— ten felbft geboren worden, und hat mir alle ihre Seheimniffe, als Foftbares Erbtheil hinterlaffen.“
„Run, dem dürfen wir ja nicht aus dem Wege gehen,“ fagte Mifchling, „gib ihr doc) Deine Hand, Giannino.“
„Ei, welche Fraufe Linien!“ rief mit täu- [hend dargeftelltem Erſtaunen das Mad: chen. „Junger Herr, Ihr fend nicht, was Ihr Scheint — doch nehmt Euch in Acht! — Es gibt gefährliche Spiele! Seht cin: mal bier Eure Lebenslinie am. Da ift ein Punct, wo Euch eine ernfte Gefahr droht. — Was erblick' ih? Ein großer Herr, ein Fürft oder Herzog muß es ſeyn! Der tritt mit Euch in die genau’fte Verbindung. Mahrhaftig, waͤr't Zhr ein Mädchen, ich wollte d'rauf fchwören,, er heirathete Euch,
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aber auf jeden Fall verfnäpft fih Euer Schickſal auf das Innigfte mit diefem Herrn, und Ihr Fommmt auch nie wieder im Leben von ihm los... .“
„Dummes Geſchwaͤtz!“ fagte Mifchling, und 309 Giannina weg, indem er dem Mädchen ein Geldſtuͤck hinwarf: „komm', bier ſeh' ich einen Mann, mit dem ich ſpre— den muß.“
„Nun, nun,“ lachte die Zigeunerin, „ſchoͤ⸗ nen Dank für das Geld, aber — dummes Geſchwaͤtz war es nicht, was ich fagte, und — hütet Euch felbft nur! Mer die Wahr— fagerin unterbricht, dem bringt es Ungluͤck.“
Mit drohend aufgehob’nem Finger verlor fie fih nach) diefen Worten wieder in bie Menge.
„Es ift feltfam genug,“ bemerkte Gian- nina, „aber das Geſchwaͤtz diefes Mädchens erjchreckt mich faft. Weißt Du wohl, Hen- rico, daß eine alte Frau diefes wandernden Volkes mir einft fchon beinah, daßelbe, als
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ih noch ein Kind war, in Stalten proph— zeiht hat? Man fagt doch, daß diefe Leute wunderbare Geheimniſſe befigen follen. Mein Vater hat mir erftaunliche Dinge davon erzählt !“
„O Du thörichtes Kind!“ erwicderte Miſch— ling: „die Schlaue‘ Hat an Deiner Hand Dein Gefchleht erfannt, und das ift Alles, — Einen vornehmen Herrn aber weiffagen fie einer Jeden;“ und hiermit redete er eif tig einen Haufirer an, deſſen beifpiellofer Haarwuchs nur wenig von den Zügen ſei— nes Gefichts unterfcheiden ließ. Nach einigen gewechfelten Worten winfte er dem Manne, ihm nad) der grünen Traube zu folgen, und alle Drei verfhwanden bald unter Ihrem großen Portal.
Sc Fenne den Wirth in der grünen Traube recht gut. Er heißt Hellerwerth, koͤnnte aber mit eben fo gutem Rechte auch Thalerwerth heißen. Seine Rechnungen wenigftens find immer mehr auf den Thaler⸗
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als auf den Hellerfuß. Uebrigens ift «8 ein herzensguter, angenehmer, und fogar fehr leichtglaubiger Mana, für einen Gaſt— wirth eine felt’ne Tugend! Er hat davon ein im Städtchen berühmtes Beifpiel gege— ben, Ein Tafchenfpieler namlich wohnte lange bei ihm, aß und tranf reichlich, aber zahlte nicht. — Am Zage feiner Abreife brachte er indeß Herrn Hellerwerth. eine fhöne mit Edelfteinen befegte Kette, mit der Bitter fie gefalligft tariren laffen zu wollen, Dieß geſchah, und die Summe, die der Juwelier angab, überftteg wohl um das Doppelte des Wirths Forderung. „Nun, verehrter Freund,“ fagte der Tafıhens fpieler: „Sie wiffen, welchen fchlechten Ver— dDienft ich hier mit meiner Kunft gehabt babe, ich bin daher von Geld in dieſem Augenblick wirklich ganzlich entblößt. Doc) möchte ich um Alles in der Welt willen Ihnen feinen Echaden verurfachen. In drei Monaten komme ich wieder bier durch,
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und werde dann zu Heller und Pfennig meine Schuld bezahlen. Unterdeffen laffe ich Ihnen diefe Kette als Unterpfand zus ruͤck. Sch packe fie hier in dieß Schächtel- hen, wie Sie ſehen, und verfiegle es vor Ihren Augen, Eo, bier ift es, bewahren Eie es aber ja wohl, denn Sie Fennen nun feinen Werth, und ich lege felbit noch einen weit höheren darauf, da die Kette, welche es enthält, das einzige Andenken ift, was mir (hier ſchien eine Thrane in feinem Auge zu glänzen) von meiner feligen Frau noch übrig bleibt. Gebt bitte ich) nur noch um ein’s, namlich um ein gefalliges Dar: leh'n von 50 Thalern, meine dringendften Ausgaben auf der Reife damit zu decken, bis ich erft wieder einigen DVerdienft ſam— meln kann. Sch werde, wie gefagt, Alles mit Zinfen dankbar wieder erftatten, und follte mir etwas Menfchliches begegnen, nun fo find Eie ja mehr als überreichlich gedeckt, Jedech mache ich es mir zur au
PR drüdlichen Bedingung, daß Sie nur, wenn Sie in Jahr und Tag nichts wieder von mir hören follten, das Siegel auf diefer Schachtel brechen, wo Sie fich dann mit dem Inhalt bezahlt machen mögen.“
Unfer guter Hellerwerth that Alles, was man verlangte, und es gehört wenig Scharf: finn dazu zu erratfen, daß, wer nie wie- der Fam, der ehrliche ZTafchenfpieler war. Sechs Zahre find nun feitdem verfloffen, aber Herr Hellerwerth bütet fich wohl, das Siegel zu brechen, weil er weiß, daß bie ganze Anzahl feiner Bekannten nur auf diefen Moment wartet, um ihn nachher weidlich auszulachen, während er jeßt nod) fortwährend affeetiren Fann, von der Ehr— lichFeit feines guten Freundes, des Tafchen- fpielers, ganz überzeugt zu feyn. Uber oft fohüttelt er heimlich die Schachtel, und dann den Kopf bedeutungspoll — doc) das Siegel bricht er nicht. Einen fonderbaren Umſtand hat er aber dennoch nicht vers
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ſchweigen koͤnnen, nämlich daß einige Zeit nach des Tafchenfpiclere Abreife, die Schach— tel einen ganz peftilenzialifchen Geftanf vers breitete, der fich) zwar nach und nach wie: der verloren hat, deffen Urſach' ihm aber bis jeßt immer unerflärlich geblieben ift. Ach, wüßteft Du, guter Hellerwertb, was mir Mifchling vertraut. Der Zafchenfpie- [er war nämlich Niemand anders, als der uns wohlbefannte nunmehrige Marionettens director, der bei jenem Iuftigen Ubendeffen in der Zudenfchenfe Mifchling, unter vielem Lachen, den guten Spaß erzahlt hatte, den er fich einmal mit einem leichtgläubigen Wirthe gemacht, welchen er freilich nicht nannte, und fich auch aus denifelben Grunde heute wohl vom Jahrmarkte zu Moosheim fern halten mochte, „Sa,“ fchloß der Abens teurer feinen Bericht, „ich hatte der guten Haut von Wirth eine todte Maus ftatt der Juwelen in die Schachtel practicirt, und ich begreife noch heute nicht, daß der ehr—
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liche Mann den Braten nicht gerochen hat, denn er muß dod) in kurzer fich verzweifelt ſtark bemerklich gemacht haben.“
Kehren wir aber jetzt zu unſ'rem Helden zuruͤck.
Miſchling hatte den Hauſirer in ſeine Stube genoͤthigt, ſetzte ihm dort Wein vor und befragte ihn theilnehmend, wie er mit feinem Handel zufrieden ſey?
„Schleht genug, gnädiger Herr,“ antz wortete diefer, „die Zeiten find zu fchlimm, fein Menſch Fauft mehr, und gefchieht es ja, fo feilfcht jeder bis auf den aͤußerſten Grofchen. Da war’s fonft anders, wo ich oft meinen ganzen Kram an einem Tage bier los wurde, aber das Geld wird immer knapper, und die Menfchen wahrfcheinlic) ſchlimmer, weil es täglich mehr EFoftet, fie zu regieren; wie uns wenigftens die fort; während fteigenden Abgaben vorausfegen laffen.“
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Sonderbar, dachte Mifchling, des Menz ſchen Stimme koͤmmt mir ſo bekannt vor, als haͤtte ich ſie oͤfter ſchon gehoͤrt, und doch kann ich mich ſeiner durchaus nicht entſinnen. „Nun, lieber Mann,“ ſagte er, „ih will Euch einen Handel vorfchlagen. Sch pflege Alles in der Welt zu verfuchen, und habe Luft, es auch einmal mit Eurem Handwerk zu probiren. Was wollt Shr für Euren Kaften, neuen Rod, Ledergürtel und breitframpigen Hut, Alles zufammen in runder Summe haben? Seyd Zhr billig, fo geb’ ich den Käufer dazu auf der Stelle ab.“
Der Fremde firirte Mifchling einen Mos ment mit Dürchdringendem Blick, und fagte dann fchnells „Wenn Sie mir 50 Thaler daflır geben, mögen Sie den ganzen Bettel nehmen, und wohl befomm’s !“
Mifchling fchlug zu, bald hatte man von einem Kleiderjuden dem Haufirer ein and’ res Gewand nebft Hut verfchafft, und
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wenig Minuten fchon nach ſich diefer dankbar empfohlen, fand Mifchling, bald als Tyroler gefleidvet vor dem Spiegel, legte eine ſchwarze Peruͤcke nebft Badenbart an, worauf Giannina ſich noch bemühte, ihn durch Schminke und, wo es fehlte, mit Hülfe einiger ihrer Seidenloden immer un Tenntlicher zu machen, fo daß er zuleit faft felbit daran zweifelte, fein eigenes Ger fiht noch vor fich zu haben,
„Du ftehft demohngeachtet allerliebft aus,“ fagte Giannina, die Schminfbüchfen wieder in den Kaften legend, „und ich würde mid) von Neuem in Did verlieben, wenn es nicht leider fchon früher gefchehen wäre! Könnte ich nur in den Kaften da Friechen, wie die Prinzeſſin von den Erdgetftern, die jenem wilden Gefellen auf diefelbe Weife durch alle Länder folgte, und dabei nad) Belieben bald ein großes Schönes Mädchen, bald ein allerliebites Fleines Daumchen wer— den Fonnte. Sm leßtern Zuftande hatte fie
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dann ihr niedlich meublirtes Stübchen mit allen möglichen Luxusartikeln im Kaften. Nicht wahr, das wäre Dir auch g’rade recht, Henrico, um mic) gleicd) einfperren zu Fön- nen, wenn Dir eine Andere eben einmal beffer gefiele? Geh!“ fuhr fie fchmollend fort, „feit der Puppencomödie traue ich Dir nicht mehr, und ich glaube wahrlich, Gott verzeih? mir die Sünde, Du möchteft jenem Don Juan von Deiner Fabrik wohl fo oft wie möglich felbft in’s Handwerk pfufchen.“
„Welche Poſſen, Giannina! ich hoffe, Du fennft mich beifer.“
„O wahrlich nicht! Denfft Du denn, ich hätte e8 nicht bemerft, mit welcher Auf merffamfeit Du heute noch nach allen Fen— ftern umherblickteft, und jedes weibliche Ger fiht lorgnirteft, das in Deine Nahe Fam. Deine fieberifche Unruhe den ganzen Tag lang, Deine jeßige Verlegenheit — Du fuhft Semanden, gefteh’ es nur, Du haft
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bei diefem Suchen einen beftimmten Zweck, den Du mir verbergen: willft, ja Deine ganze Verkleidung hat einzig und allein. nur diefen Grund. DO mein Fremd! ein lieben: des Weiberauge ficht ſcharf. —“
„Nun aber hoͤre mich weiter. Ich kann viel, ſehr viel fuͤr den opfern, den ich liebe, aber von ihm betrogen zu werden, empoͤrt mich. Keine Betheuerungen! Ich glaube es ſchon, daß Du mir nach Deiner Art aufrichtig gut biſt, es mag auch jetzt mehr Neugierde und Eitelkeit ſeyn, der Maͤnner größte Schwachheit! die Dich in dieſem Augenblick noch außer mir mit ei— ner Andern befchäftigt. Natürlich haft Du Dich dabei vor meiner Eiferfucht gefürchtet, und mir deßhalb Dein artiges Mahrchen geftern Abend aufgebunden? Wohlan, ich babe meine Thorheit eingefehen — nreine Eiferfucht bezwungen, und verdiene num in jeder Hinfiht Dein Vertrauen. Schenke mir diefes alfo unbedingt, Henrico, gib: mir
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wenigftens diefen Troſt, und ich will — ja bei Gott! zu meiner eig’nen Strafe will ich es — ich will ſelbſt Dir jene unbekannte Schöne fuchen helfen, von der ich jeßt ganz gewiß weiß, daß fie es war, die Du aus dem Theater begleitet haft, denn meine Schweiter Joſepha bat beide Frauen genau beobachtet, und mir einen leider unzweifelz haften Bericht über fie erſtattet. — Es iſt doch huͤbſch, daß Du, felbft unter der Schminke noch erröthen kannſt — doch id) vergebe Dir, faffe aber nun Deinen Ents ſchluß. Unbedingtes Vertrauen, hörft Du wohl, Feine Art von Zurückhaltung, auch nicht die Fleinfte, und ich bin Dein treuer Bundesgenoffe von Neuem, der Dir mehr nüßen wird, als Du je allein zu bewerfs ftelligen im Stande feyn würdeft. Auch ift es ja mein Intereſſe — denn nur die Ungewißheit reizt Dich, ift der Schleier des Geheimniffes erft abgeftreift, wag' ich's vielleicht, mit jener Schönen in die Schrans
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fen zu treten. Doch Ein’s muß ic) noch) hinzufügen, lieber Henrico, Mas Einem recht ift, ift dem Andern billig. Auch mich bat, außer Dir, noch ein and’rer Mann auf das Lebhaftefte befchäftigt. Sch fah ihn ebenfalls nur einmal und flüchtig, und weiß auch nicht, wer er if. Sch will Dir zwar nicht zumuthen, ihn mir ebenfalls fuchen zu helfen, aber finde ich ihn zufällig, und er gefallt mir in der Folge beffer als Du — fo widerfprichft Du nicht, und übft diefelbe Nachficht, wie ih. Nun, Henrico, was fagft Du zu allem diefen, gefall’ ich Dir fo beffer — ift Dein Herz jeßt ganz beruhigt?“
„Giannina, Du bijt ein Engel und ein Teufel zugleich, wie eigentlich alle Weiber! und dieſes ewige Nathfel tft es ja eben, das uns unterjocht! Wie gut weißt Du, Schlaue, bei diefer Gelegenheit mich eben fo ſehr Deine Großmuth bewundern zu laffen, als mein Herz in Unruhe zu verfegen. Wie?
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— — —
alſo wirklich! Du, die mich ſo heiß zu lie— ben vorgab, Fönnteft mich nun fo leicht für einen Andern verlaffen, ja, batteft fchon einen Andern in Deinen Gedanfen! O nie lernt man Euch Weiber aus! Wenn man Euch noch fo feft zu fallen glaubt, ent- ſchluͤpft Ihr, glatt wie ein Aal. Und was mich betrifft, fo tft doc) meine Schuld ge wiß weit geringer, als Du zu glauben ſcheinſt — indeffen Du follft wenigftens Alles wiſſen!“
Nachdem Mifchling nun vollftändig (mit wenigen Eleinen Neftrictionen, die fich viel— leiht Giannina auch erlaubt) gebeichtet, und Ötannina während der Erzählung zwar einigemal' erblaßt, aber ihre Empfindungen gewaltfam niedergedrüct hatte, fagte fie mit bewegter Stimme: „Gut, und was ges denkſt Du jet zu thun ?“
„Da ich die gewünfchte Verkleidung mir verschafft, fo denke ich morgen zuerjt den Kirchhof, wo mid) die fanfte Here verlieh,
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wieder aufzufuchen, und genauere Nachfor: fhungen bei'm Küfter ken Es muß auf jeden Fall ein zweiter Ausgang vorhan— den feyn, den die Damen benußt haben, um mir ihre Comddie vorfpielen zu Füns nen, und wo ohne Zweifel der Magen fie erwartete. Sehr weit vom Orte Tonnen fie auch nicht wohnen, oder müffen wenigitens nahe davon zum Befuche gewefen feyn. Sch will diefen Nachmittag noch mehrere der ſchoͤnſten Waaren, die ich nur hier finden fann, einfaufen, und mit ihrer Hülfe hoffe ih), als ein fo eleganter Haufirer, gewiß überall gut aufgenommen zu werden. Du, meine holde Verbündete, Fannft eine Gui— tarre nehmen, mich. als mein jüngerer Bru— der begleiten und durch Deinen Gefang un— fere Erfcheinung vervollftandigen. Wir ges hen dann von Edelhof zu Edelfof, und es müßte fich fehr unglücklich geftalten, wenn wir nicht bald unfern Iwec erreichen folk ten. Mär’ es aber am Ende auch nichts,
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fo führen wir doch ein Leben voller Abs wechfelung, ja der Himmel weiß, was uns noch fonft für Iuftige Abenteuer aufftoßen. Allein, möchte es langweilig geworden feyn, aber mit Dir, Giannina, mit Dir wird ja jede Strohhütte zum Freudentempel.“
„Schon gut, lieber Freund, doch nur im Gefolge der beliebten Abwechfelung, nicht wahr? Sieh’, ich koͤnnte Dich eine hübfche Strede unnüß umberführen, und Dich viel leichter betrugen, ald Du mich, aber ich will Dir gleich zum Anfang einen Beweis treuer Nedlichfeit geben, der Dich befchäs men mag. Sch müßte mich namlich fehr irren, oder die Danıe, die Du fuchft, ift ſchon fo gut wie gefunden.“
„te, Gianinna, Du kennſt fie?“
„Nach einigem Nachfinnen fagte Gian— nina: „Sefehen habe ich fie nicht, aber von ihr vielerlei gehört, was mit Deiner Ber fchreibung ganz übereinftimmt — Dod) jeßt genug davon, heute nichts mehr von Ihr,
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heute will ich Did) noch allein genießen, morgen fchon führe ich Did) vielleicht in ihre Nahe, wenn ich auch ihren Aufent- haltsort noch nicht mit Beftimmtheit ange: ben kann.“
„Es wird mit diefer Nahe nicht viel zu bedeuten haben, erwiederte Mifchling, ich fange an zu glauben, daß Du Deine Ge fangene beffer als irgend Jemand feft zu halten verfiehft. Jetzt bitte ih Dich aber, recht vernünftig und bedaͤchtig alles Haͤus— liche zu beforgen, unter andern auch den Bauerwagen, mit dem wir gefommen find, zurück zu fchicken, denn von nun an müffen wir zu Fuß wandern. Mache dann auch noch Alles ab, was Dir zur unfrer Tour etwa noͤthig ſcheint. Sch werde unterdeffen meine Einfäufe abfchliegen, Deine Guitarre nicht zu vergeffen, und mich überdem nach— her noch ein wenig bier umſehen, ob ich nichts unfern Zweck Forderndes erfahren fann. In kurzer Zeit bin ich wieder bei
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Dir, und verlaffe Did) dann heute nicht wieder, Komm’ her, fohmolle nicht, fo — einen herzlichen Kuß, und der Himmel bes büte Dich, meine Theure, meine einzige Giannina.“
Als Miſchling weg war, machte Gian— nina's erkuͤnſtelte Faſſung der tiefſten Trau— rigkeit Platz. Troſtlos fiel das arme Maͤd— chen an ihrem Bette auf die Kniee, und verbarg laut weinend ihren Kopf in die Kiſſen. „Ungluͤckliche!“ rief ſie, „warum mußte eine ſo unbeſiegbare Leidenſchaft ſich meiner fuͤr dieſen Fremdling bemaͤchtigen, der mich vielleicht nicht einmal liebt, ſon— dern nur eine vorübergehende Befriedigung feiner Sinnlichfeit an mir ſucht. Ach! wie kann es auch anders ſeyn; muß er nicht denfen, wie er mich fand, ich fey für Viele fhon vor ihm daßelbe gemefen! Und doch wie habe ich mich immer gegen des Vaters intereffirte Ubfichten mit Erbitterung ges
Eutti Frutti IV. 2
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ſtraͤubt, und gerade hier mußte ich ihnen entgegenfliegen, wie die arme Müde, die fih am freundlich glänzenden Lichte zum Tode verfengt. O meine verewigte Mut- ter! hätte ich Dich nicht verloren, — Du bätteft mid) treu gewarnt, denn an Dir hatte ic) ja eine feſte Stuͤtze in jeder Noth. Dittere Erfahrung hatte auch Did) gelau: tert! wie viel mußteft Du Arme leiden durch einen unbewachten Augenblick Deines liebenden Herzens, und jeßt „. . doch es ift nun einmal gefchehen, weine nicht uns nuͤtz über Vergangenes, thörichtes Gefchöpf! Henrico iſt ja gut, fo freundlichen Ge— muͤths, ſcheint oft fo tiefen Gefühls — er wird mich nicht meinem traurigen Verhälts niß von Neuem -überlaffen. Wer foll mich daraus erretten, wenn er es nicht thut! Gewiß — meine uneigennüßige Treue muß ihn rühren, g’rade fo nur kann ich hoffen, ihn mir zu erhalten. Verhaßte Frau! wohl kenn' ih Did — Dich, einft fo gering,
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jet in Reichthum und Rang, vielleicht in noch erhöhterem Liebreiz, ftrahlend — Dir wird jeßt freilich doppelt Alles erlaubt fen, was ein armes Mädchen, wie id) bin, ſich zur Sünde rechnen muß. O es ift wahr! Du bift eine gefährliche Nebenbuhlerin — je herzlofer und falfher, nur um defto ger fahrlicher für Henrico, der fo eitel iſt!“
Unruhig ging fie auf und ab, trocknete unmuthig ihre Thraͤnen und, mit füdlicher Lebhaftigkeit ihr Selbitgefprach fortfeßend, fprang fie jeßt plöglich auf einen ganz an- dern Gegenftand über.
„Und der Herzog!“ fagte fie, unwillführ: li) einen Blick auf den Spiegel werfend, und über die Schönheit lachelnd, mit der die vom innern Aufruhr aufgeregten Züge ihr daraus entgegen glänzten — „der Herz zog — auch der hatte, wenn nicht dein Herz Giannina, doch deine Phantafte recht tief ergriffen! Unbegreiflih ift Henrico’s
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AehnlichFeit mit ihn, — Menn er wüßte, daß vielleicht nur diefe Uehnlichfeit es war, die mich ihm gleich von Anfang an fo wis derftandslos, fo ſchnell entgenführte! Viel— leicht wäre Diefer Herzog, hoch wie er fteht, an feiner Stelle dennoch erfenntlicher ge wefen. — Schön fah er aus, wie er auf der Jagd fo ſchnell an mir vorüber braufte, und nichts den Fühnen Reiter aufhielt. Und dann erzählte man fo viel von ihm, fo viel Sonderbares, ja Schlimmes andy genug -— aber eben das reizt uns, Gott weiß warum! Es ift doch Schade, daß er jenen Tag vereift war — nun Henrico, nimm Did) in Acht, wenn Du meiner nicht werth bift, wenn Du meinen Werth nicht anerfen: nen willft, bier liegt eine Gelegenheit zur Rache — denn feltfam genug, Beide ver- fhwimmen oft zu einer Perfon in meiner Phantaſie. —
Aber fort mit euch jet, al ihr fhweren, unheimlichen Gedanfen! ich will
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nichts mehr von euch wiffen, will mich faffen, fammeln und fo liebenswuͤrdig feyn als ich Fann, den boͤſen Fluͤchtling, wenn er wiederfehrt, mit allen meinen Kräften zu umſtricken.“
Wir verlaffen unfre Echöne mit die: fem, Mifhling fo Unmuthiges verfprechen: den, Vorfaß, und fehen uns einen Yugen- bli® nad) ihm felbft, auf dent noch immer larmenden Marfte um,
Er war eben in ein alterthümlih au& fehbendes Haus getreten, um ein Probeſtuͤck im feinem neuen Fach abzulegen, ward aber im Hausflur durch ein wohlerhaltenes, wie es fohien, aus dem Mittelalter herfiammendes Steinbild aufgehalten, das er mit vielem Intereſſe betrachtete. Es fellte einen ehr: würdigen, heitern Greis dar, dem ein goldgelocktes Kind fröhlich den Bart zupfte. Die beiden Pole der Menfihheit waren in fchönfter Sdealifirung höchft gemütlich und geiftreich aufgefaßt. Ein junger Menſch
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war unterdeß gleichfalls eingetreten, und frug Mifchling, was er fo aufmerffam hier betrachte ?
„Ein Schönes Kunſtwerk aus bied’rer gu: ter Zeit,“ fagte diefer. {
„Nun es freut mich, daß es Euch ge fallt,“ fuhr der junge Mann fort, „denn Bild und Haus gehören, obgleich wir weder vornehme noch reiche Leute find, doch ſchon feit 200 Sahren unfrer Familie Es fol eine eig'ne Bewandtniß mit diefem Steine haben, und eine Prophezeihung ausfagen: daß fo lange diefes Bild im Haufe bleibe, auch unfre Familie d’rin blühen würde, mit ihm ginge aber auch diefe zu Grunde, Ein vornehmer Herr hat dem Vetter ein- mal fchweres Geld dafür geboten, es ift ihm aber um nichts feil, und alle Sahre im Mai wird dem Kinde, wie dem Alten ein frifcher Blumenfranz von der Couſine aufgefeßt. Der Tag ift immer ein großes Familienfeſt, denn die beiden Figuren follen
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unf’re erften Ahnherren gewefen feyn, ja die Leute munfeln fogar, der Greis gehe noch jeßt manchmal im Haufe um, und fey mehr als einmal bei wichtigen Gelegen- heiten den Befigern erfchtenen. Es foll auc), behauptet man, ein Schaß hinter dem Bilde liegen. Aber um Feinen Preis möchte mein Vetter darnach fuchen laffen.“
„Wer ift den Euer Better?" fragte Miſch⸗ ling.
„Mein Vetter ift ein Zahnarzt, die Cou— fine iſt Gefellfchafterin bei der jungen Ba— ronin Rofenfranz, und ic), guter Freund, ich habe früher Balbier gelernt, ſtudire aber jest Theologie.“
Nun, meinte Mifchling, laut auflachend, da werden Sie ja nur fortfahren, die Leute auf eine andere Weife zu balbiren. Kann ich Ihnen aber nichts aus meinem Kaften zum Berfaufanbieten, fchöne Meffer, Pfet- fenföpfe, Parfümerieen, Galanteriewaaren aller Art 7“
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„Mein licher Mann, ich behalte zu fol- hen Dingen zu wenig Geld übrig, aber wenn Ihr hübjche Sachen habt, fo kommt herauf zur Coufine Betty, die iſt immer faufluftig, und g’rade heute zum Jahrmarkte nur deßhalb hereingefommen.“
„Wenn's erlaubt it, werde ich Ihnen alfo folgen, Herr Theologe,“
„Ja, ja, Fommt nur gleich mit, ich will Euch bei der Couſine einführen,“
Sie ſtiegen jeßt die Dunkle, ausgetretene MWendeltreppe hinan, und als fie auf den Eorridor traten, ging eben die Thüre einer Stube gegenüber auf, und heraus trat ein Mann, in dem Mifchling den Tabuletkraͤ— mer wieder zu erkennen glaubte, deffen Ka: fien er vor einigen Etunden gefauft, jedoch trug er nun einem ganz fremden modifchen Anzug.
„sch werde,“ fagte er, mit der Miene ei- nes Protectors, zu dem ihn bis an die Treppe begleitenden Zahnarzt, „reinen Kam—
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merdiener fogleich schicken, un das Bewußt abzuholen, und zugleich meine Nechnung zu berichtigen. Adieu!“
Er ging hieraufrafh an Mifchling voruͤ— ber, wie es ſchien, ohne diefen zu bemerfen, Mifhling aber ward es bei dem Klang feiner Stimme jeßt mit einen Male ganz Klar, daß der Menſch, der cben das Haus, wie ein Mann vom Stande gekleidet, ver loffen habe, und mit dem er vorher ale Haufirer gehandelt, ein und diefelbe Perfon mit dem Fatholifchen Vater feyn müffe, deifen er in der Beſchwoͤrungsnacht auf dem Kirchhofe zum erften Mal anſichtis geworden war.
Iſt dieß ein Betruͤger, oder ein Roman— tiker, wie Du? ſagte Miſchling eben zu ſich ſelbſt, als ihn der Zahnarzt, ein ſtaͤm— miger, ziemlich barſch ausſehender Mann, mit trocnem Tone frug: was er bier wolle?
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„Es tft ein Haufirer, der Öalanteriewaas ren zu verfaufen hat, Herr Vetter,“ meldete der junge Theologe, „ich wollte ihn eben zur Coufine führen, die eau de mille fleurs und wohlriechende Seife haben will, wonach der Kaften bier ja fo duftet, daß ſchon das ganze Haus davon durchdrungen tft.“
„Was bringft Du mir, lieber Louis?“ rief bier ein niedlicher Schwarzfopf, haſtig hinter dem Papa aus der Stube hervortres tend, bei deſſen Anblick Mifchling noch mehr ftaunte, und freudig inne ward, daß er fich heute in einer Periode der Ueberra- fhungen befinden müffe, denn vor ihm ftand leibhaftig die Kleine Schnippifche aus der Puppencomopdie,
Weit entfernt, ihn felbit genauer zu ber obachten, war fie nur neugierig, feine Waa— ven zu fehen, nöthigte ihn herein, und be fahl fogleich auszupaden. Miſchling bes merkte bald, daß zu Allem in der Melt Uebung gehöre, denn er benahm fich fo
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ungeſchickt in feinem Handwerk als möglich, und forderte befonders fo unverhaltnißmaßige Preife, bald zu viel, bald zu wenig, daß Mademoifelle Betty einigemale ungeduldig mit dem Kopfe fchüttelte, und den jungen huͤbſchen Mann, mit feinem von gewöhnliz chen Leuten feines Handwerks fo verſchie— denem Anftande, immer verwunderter zu betrachten anfing.
Nachdem fie einige Gegenftände ausge wählt hatte, und noch in allen übrigen nah) Damenart herumzuframen fortfuhr, rief fie mit einem Mal, faſt blaß vor Schreck werdend, aus: „Gott, der Ring der Baronin! Wie feyd Ihr zu Diefem Ning gefommen?“ frug fie heftig, doch fich ſchnell befinnend, feßte fie hinzu: „Der Ning fieht einem mir befannten recht ahır lich — was fordert Ihr dafür ?“
„Der Ring da,“ fagte Miſchling, „gehört eigentlich nicht in meinen Kram, ja ſtreng genommen, nicht einmal mir, denn aufrich-
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tig gefagt, ich habe ihn erft dieſen Morgen auf der Straße gefunden. Wie es aber fcheint, Mademoifelle, Fennen Sie die Pers fon, der er angehört. Wollen Ste mir fa gen, wo ich fie antreffen kann, fo werde ich ihr denfelben mit Vergnügen wieder zus ftellen.“
„Es iſt nicht nöthig, Ihr koͤnnt mir den King überlaffen, und für Eure Mühe will ic) Euch fehr gern feinen doppelten Wert) bezahlen.“
„Verzeihen Sie, Mademoifelle, ich kann ihn nur der DBefigerin felbft verabfolgen laffen. Ein armer Hauftrer hat auch manch» mal ein ſeltſames Gelüft, und da ich alfe Urfach’ zu vermuthen habe, daß diefer Ning an einem fehr huͤbſchen Finger getragen worden ift, fo gebe ich ihn nur unter der Bedingung zurücd, ihn felbft wieder an dies fen Finger ſtecken zu dürfen.“
„Hört einmal, lieber Freund,“ fiel ihm das junge Mädchen heftig in die Rede,
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„wie lange treibt Ihr denn Euer jeßiges Handwerk? Ihr ſcheint mir ein ganz ab- fonderliches Eremplar von einem Tabulet— framer zu feym Himmel! jest faͤllt's ja wie Schuppen von meinen Augen, Sie find ja... bei Gott! derfelbe imperti.... Doc) nein, verzeiht, ich irrte mich. Ach, da habe ich noch eine hübfche Kette, die ich gern vertaufshen möchte, fie liegt in meinent Putzkaͤſtchen. Kommt einmal mit, lieber Freund, und feht fie Euch an.“
Mit dieſen Worten fprang fie über den Eorridor in ihre Stube, und Mijchling, feis nen Kaften aufnehmend, folgte ihr bedach- tig nach.
„Die Couſine ift doch wie Queckſilber,“ bemerkte der Theologe.
„sa leider,“ erwiederte der Zahnarzt, und feßte fi) an den Tiſch, um in der Berei— tung von Zahnpulver fortzufahren, in wel chem Gefchäft er, durch die fich fo ſchnell
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folgenden Befuche, vorher unterbrochen wors den war.
„Mein Herr, wer Cie aud) feyn mögen,“ fagte Mamfell Betty, fobald Mifchling die Thür hinter fic) zugemacht hatte, „da Sie uns ausgefundfchaftet haben, was fehr haͤß— lih von Ihnen ift, fo befchwöre ich Sie wenigftens, als den ritterlichen Damenbes fhüßer, für den Sie fich ausgaben, uns niht durch Erzählung des unuͤberlegten Streichs zu compromittiren, zu dem ein böfer Geift uns geftern verleitete. Der Ba- ron — denn ohne Zweifel wiffen Sie auch nun, wer meine Begleiterin war — der Baron ift bereits im größten Zorn über den verlorenen Zrauring gewefen, und hörte er vollends, wie er verloren wurde, fo würde fein Argwohn Feine Grängen mehr fennen, und die arme Frau, die fo fchon mit dem ungeliebten, rohen Manne höchft unglücklich ift, die Hole auf der Erde haben. Geben Sie mir alfo, ich bitte, den Ring
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wieder, halten Ste über Alles, was Eie wiffen, reinen Mund, und ich will dann Shren bewährten Nitterfinn bei der fchönen Gebieterin auch nach Kräften anpreifen.“ „Liebenswürdige Betty, auf meine Dis: eretion Fonnen Sie und die Frau Baronin fi) vollftandig verlaffen, aber foll ich den Ning wiedergeben, den Ring, der, feit ich ihn fond, an meinem Herzen ruhte, und den ich nur abfichtlich Ihnen vorlegte, um jeden Zweifel über die wahre Befitzerin zu befeirigen — foll ich) mich von dieſem höch- ften Kleinod wieder trennen, fo fühle ich nicht Edelmuth genug in mir, dieß ohne Belohnung zu thun, Sagen Sie mir daher zusörderft, wo koͤmmt diefe reizende Baro— nin Rofenfranz ber? Ich bin überhaupt nur felten, und fett mehreren Monaten gar nicht in die hiefige Gegend gefomnten, babe aber unterwegs fchon über eine Dame dieſes Namens einige geheimnißvolle Be
—— merkungen gehört. In welchen Verhältniſ— fen alſo lebt fie hier?“
„Sie hielt ſich, als ich vor ſechs Mona— ten zu ihr kam, in Dresden auf, ſcheint aber, ſo jung ſie iſt, vorher viel in Italien und andern Landern umhergereiſ't zu ſeyn, doch weiß ich über ihr früheres Leben und ihre Herkunft nichts Genaueres. Gebt iſt fie mit ihrem Manne zum DBefuch bei ei— nem Herrn v. Wolf in Lindenau, der, glaub’ ich, das Eleine Landhaus, was cr bewohnt, erſt vor Kurzem angefauft hat, ein Mann, deffen beffändige Reifen und ganzes Betragen mir oft höchft räthfelhaft vorfommen. Sie haben ihn ja gefehen, es war der Herr, welcher meinen Vater ver: ließ, als Eie in’s Haus traten. Er hat uns eben wieder eine Abwefenheit von vier Wochen angelündigt, fo daß wir dieſe Zeit ganz allein haushalten werden, Was nun meine gnädige Frau betrifft, fo iſt fie ein wahrer Engel an Liebreiz, Sanftmuth und
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Güte, doppelt intereffant Durch eine ſtille Schwermuth, die über ihr ganzes Wefen verbreitet tft, und doch zuweilen recht loſem Muthwillen Pla macht, wovon Eie ja feldit ein Fleines Pröbchen erlebt haben. Se veizender fie aber ift, defto fataler erfcheint mir ihr Herr Gemahl, ein heftiger, arros ganter, und noch dazu grundhaßlicher Menfch, vor dem fie fich bloß fürchtet, ohne ihn lieben zu koͤnnen. Oft thut mir das arme, ſchoͤne Weib fo leid, daß ich ordent; lich) wünfchen fünnte — doch das will ich Ihnen nicht fagen, Sie möchten’s fonft mißbrauchen. Nun, was foll ich noch weis ter beichten 2“
„Nichts, befte Betty; was Sie mir er: zahlt haben, gibt mir fehon genug zu dens fen, und wir fprechen darüber noch weiter, Set follen Sie mir nur noc etwas ge loben, namlich der himmlifchen Frau, der Sie ja aud) fo innig zugethan find, von mir zu fagen, daß ich, feit ich fie einmal
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gefeh’n, Feine Ruhe mehr finde, ja nicht ferner ohne fie leben mag, daß ich aber, weit entfernt, ihre Tugend zu beleidigen, nur ihre Sreundfchaft wünfche, und bloß Die Gelegenheit, ihr Vertrauen für die Zus kunft mir erwerben zu koͤnnen. Sagen Sie ihr: daß ich allein nur ihretwegen diefe Vers kleidung angenommen hätte, feft entfchloffen, nicht eher zu ruhen, bis ich fie aufgefunz den, und daß ich es jest für einen wahren Wink des Himmels anfahe, fo unerwartet — denn mein Befuch diefes Haufes war ein bloßer Zufall — ihre Spur entdeckt zu haben; fo wie ich es mir fchon vorher als ein ahnungsfchweres, glüdbringendes Zei— chen gedeutet, daß ich es feyn mußte, der ihren Trauring fand! Sagen Sie ihr end» lih: daß ich auf di.fenNing jene Verbinds licyfeit ihr einft folgen zu müffen beziehe, die fie mir fo verratherifch vom Kirchhofe angefündigt, daß ich aber auch dahin, und in den Tod ihr lieber folgen wolle, als
43 jeder Undern zu des Lebens üppigfter Freude, Haben Sie ihr das recht treulich an's Herz gelegt, fo bereiten Sie fie auf meine Er: ſcheinung zu übermorgen vor, und wenn Sie nur ein wenig Mitleid mit meiner qualvollen Sehnſucht haben, fo bewegen Sie die reizende Aline — Sie fehen, der Zrauring bat mir ihren Namen verrathen — mir nur eine Eleine Unterredung in Ih— rer Gefellfchaft zu geftatten, was in diefer Masfe gewiß am leichteften möglich feyn wird, und hoffentlic” werden Sie, gute Betty, den Gemahl anderweit zu befchafti: gen wiffen, wahrend ich feiner Frau meine Waaren auspade. Das Uebrige wird fich finden, und kennen wir uns nur erft ein wenig naher, fo hoffe ich, follen fich vald ungeftörtere Gelegenheiten darbieten, unfere Bekanntſchaft fortzufegen. Truͤgen mid) übrigens meine Ahnungen nicht, fo befindet ſich Ihre Gebieterin in fehr üblen Handen, und ich werde ihr in diefer Hinficht viel:
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leicht nüßlicher, als fie glaubt. Vor allem warnen Sie fie vor dem Herrn v. Wolf, bei dem fie fich befindet, da diefer ein fehr verdächtiges Handwerf zu treiben fiheint. Sch werde, um hier Tlarer zu fehen, fogkeich einige Maßregeln ergreifen, muß Sie aber zu dem Behuf jet auch verlaffen, Liebe Betty. Hier ift alfo der Trauring — mit fhwerem Herzen trenn’ ich mich von ihm, und hier, liebes Mädchen,“ fuhr Mifchling fort, indem er einen andern weit Foftbarern King aus feiner Taſche zog, „hier, diefen behalten Sie zu meinem Andenfen, und laffen Sie mich hoffen, indem ich beide in Ihr hübiches Handchen lege, daß ich diefen Handen fortan mein ganzes Glück getroft anvertrauen darf. Alſo auf Wiederfeh’n, übermorgen früh um die eilfte Stunde — nicht wahr?“
„Gott, wie Sie mich drangen! Nun beftimmt verfprechen kann ich nichts. Doch was ich vermag, das foll geſchehen.“
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„Das genügt, und ewig bleibe ich für diefen Dienft Ihr Schuldner,“
Mit diefen Worten eilte Mifchling, über Erwartung befriedigt, triumphirend von dannen.
Betty, welche die Thuͤre geoͤffnet, ſah ihm bis zum Ende der Treppe nach, druͤckte, als er fort war, die Thuͤr wieder hinter ſich zu, und ſagte, die Ringe in ihrer Hand wiegend, mit ſpoͤttiſchem Laͤcheln: „Die Maͤnner ſind Gimpel, meine Gebieterin hat recht! Wie leicht haben wir Dich geſangen. Komm' nur, wir kennen Dich beſſer als Du uns,“ und traͤllernd in der Stube um— her huͤpfend, ſang ſie: Se vuol ballare, Signor Contino, il chitarrino vi suonero.
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Füntter Tag.
Noch lagen die Morgennebel über Moos- hei'ms Meichbild gebreitet, als Mifchling und Giannina ſchon die jeßt leeren und todten Straßen der Stadt durchfchritten, Beide in Gedanken fehr verfchied’ner Art vertieft. So waren fie ftillfehweigend bis in die Vorftadt gefommen, wo ein feltfa- mes Haus Mifchling’s Aufmerkffamfeit er regte, das einer Kapelle glich) und mit ver: fchied’nen Erdwällen, gleich Baftionen um— geben war, dabei ganz neu ausfah, und dennod) bereits eingefallen war, Gegenüber befand fich eine Art Tabagie, die ſchon, oder vielmehr noch, befucht zu feyn ſchien. Der Beſitzer, ein klug ausfehender Mann, mit Fleinen glänzenden Augen, fand vor
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der Thür und frug grüßend, ob Die Herren nicht in der Falten Morgenluft einen Schlud auf die Reife mitnehmen wollten.
„Bringt nur etwas her,“ erwiederte Miſch— ling (der nie gern eine Gelegenheit vorbei- ließ, um Erfundigungen jeder Art einzu— ziehen), „vorher aber jagt mir doch, welche Bewandtniß es mit diefem Haufe bier hat, und ob es bewohnt ift.“
„Ha, ha!“ lachte der Mann, „es geht Euch gewiß wie den böhmischen Fuhrleu— ten, die neulich mitten hier im Kothe auf die Kniee niederfielen, weil fie ‚glaubten, es fen die neue Fatholifche Kirche, die une fer Graf bauen laffen will, Rieke! zwet Glaͤſer bitt’re Pomeranzen für die beiden Herrn. Na feßen Sie ſich dody einen Au— genblick hier unter meine Selangerjelieberz laube nieder. —
Sa, das Haus alfo hier gegenüber hat fi) unfer großer Dichter Leopold gebaut. Sehen Sie, da koͤmmt er eben felber, der
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Teine unterſetzte Mann da im eleganten Delze, mit feinem Jungen an der Hand, den er gewiß lernen laſſen will, wie die Sonne aufgeht. Sehen Sie, wie er des monftrirt! Sa, der alfo hat's Haus gebaut, und wies beiden Schenie's zu gehen pflegt. die immer was Xpartes haben müffen, ficht auch fein Haus Feinem andern in der Stadt ahnlich.
Daß die Mauer aber eingefallen ift, da kann er nichts dafür, die hat der letzte große Sturm eingeriffen, ehe fie noch ganz fertig war, denn fie bauen gottesläfterlic) bier zu Lande. Da möchte man oft ganz des Teufels dD’rüber werden! Gehen Gie nur einmal z. B. den comifchen Schornffein da auf dem Haufe an. Gibt doch der Herr Leopold dem dummen Teufel von Maurer eine Zeichnung aus einer englifchen Landfchaft dazu, und was thut der Kerl? er mauert Ihnen den Schatten mit auf! Sa, es gibt wunderliches Volf hier. Den-
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fon Sie fih, neulich hatte mein Knecht unterwegs Prügel befommen, und da ich Klage darüber führen wollte — denn id) mache fo ein bischen den Advocaten mit daneben — fo frage ich ihn, zu welcher Stunde denn die Sache eigentlich genau vor ſich gegangen fey? Dafieht der Menſch nad) der Uhr, und nachdem er eine Meile gefuct, meint er: er koͤnne es jeßt nicht fagen, denn feine Uhr fey ftehen geblieben.
Wenn aber 's gemeine Volk auch hier zu Sande ein biffel dumm ift, fo haben wir defto mehr große Geifter unter den Honoratioren.“
„In der That?“ frug Miſchling neugie— rig: „erzaͤhlt mir doch.“
„Nun da haben wir gleich noch zwei be: ruͤhmte Autoren, den Herrn Heinrich , der auch zugleich noch Affeffor im Landesge— richte ift, und der ihnen mir nichts Dir nichts, heute ein Protocol über eine ge
Eutti Frutti IV. 3
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ftohlne Gans aufnimmt, und morgen eine Tragodie von Carl dem Großen macht, und dann den Herrn Herrmann, der zwar mit den DVerfen nicht weit her tft, aber Ih— nen eine gottlofe profaifche Satire fchreibt, daB man ſich das Zeug nur fo aus den Handen reift. Auch einen tüchtigen Schlag Prediger haben wir hier. Sie werden nur immer mit der Zeit zu dick, aber unfer Superintendent, Kreuz Bataillon! ich fage ihnen, das ift ein Mann, wie ein General! Der alte Luther Fanın nicht beffer auf der Canzel ausgeſehen haben, und, auch nicht beffer gepredigt.
Sie haben fih wohl nicht lange genug bier aufgehalten, um einmal in unfere Kir- he zu gehen?“ j
„Nein,“ fagte Mifchling, „ich bin Katho- lik, und kann auch, aufrichtig geftanden, Euer fchredliches Gegröhle nicht recht lei: den, wenn alle die Stimmen Durch die Nafe und durch die Gurgel, in Fiftel und
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im Baß durd) einander medern und brüls len, daß Einem Angft und bange dabei wird. Bei uns wird Doch die Muſik nur von Leuten beforgt, die 's gelernt haben. Habt Ihr bei Euch auch ſchon die neue Agende eingeführt ?“
„O freilich, mein Fleiner Zunge gehört auc) dazu. Der ptept Euch wie ein Cana— rienvogel vom Chor herunter, daß man nur feine Sreude d’ran hat.“
„Run, da hat Euer Superintendent, den Ihr fo lobt, wohl auch den Orden fchon befommen ?“
„Nein, er mag wohl noch nicht alt genug dazu feyn, aber ein Paar Mumien bier auf den Dörfern, die's Jubiläum gefeiert, die haben ihn neulich gekriegt, ob mit oder ohne, weiß ich nicht genau.“
„Es ift comiſch,“ fagte Mifchling, „ſolche Orden bei'm Zubildum ertheilt, Fommen mir immer vor, wie die Blumenkränze, die
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die alten Heiden den Opferthieren aufhang- ten, ehe fie gefihlachtet wurden, denn der Zod mit der Senfe fteht auch gewöhnlich fhon hinter dem Subilar, fein Opfer in Empfang zu nehmen. Danun die Eitelkeit bei den Alten doch auch ſchon ziemlich ab- geftumpft ſeyn mag, fo haben weder fie viel Freude davon, noch Fann das Beifpiel ſehr ermunternd auf Andere wirken! Ueber— dm find ja die Orden fchon längft nur ein bloger Schmuck geworden, und fo follte man fie nur jungen Leuten und noch Fraf- tigen Männern geben, wie z. B. aud) Dia— manten und Perlen eine zahnlofe Metrone nur noch haßlicher machen, die Reize einer ſchoͤnen jungen Frau aber doppelt hervor: heben.“
„Pah!“ fagte der Zabagift, „davon di s fieh’ ich nichts, und Ihr müßt wohl einmal durch die Schule gelaufen feyn, daß Ihr fo gelehrte Bemerfungen darüber macht; unfereins halt nun auf fol’ Zeug, wie
Drden, die nichts einbringen, wenig, obgleich fie jeßt auch unter uns eben nicht mehr ror find. Unfer Scharfrichter 3. DB. hat's ſilberne Kreuz, und der Lohnfuhrmann hier da> neben, der ruffifcher Soldat gewefen tft, der bat ’nen ganzen Regenbogen auf der Weſte. Um aber wieder auf den Scharfrichter zu fommen, das ift Euch ein wahrer Mord: Ferl, wie wir zu fagen pflegen, der fehönfte Mann, Fann ich Euch verfichern, in der ganzen Gegend, und als er vor zwei Jah— ren bier einen Delinguenten raderte, als Huſar angezogen mit den blinfenden Orden auf der Bruft, da follen ſich fo viele Weis ber in ihn verlicht haben, daß die boͤſen Leute meinten, er habe nicht gewußt, wohin er zuerft hören follte, fo hatten fte ihm zur gefeßt. Ja, die Aufklärung macht Riefen- ſchritte!“
„Ihr trinkt aber nicht, ſoll ich Euch nicht lieber Coffee und ein Feines” Fruͤhſtuͤck vor: fegen, da Ihr nun doc einmal fo lange
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verweilt habt. Ihr fcheint Fein Feind von einer luftigen Unterhaltung, und ic) freue mich immer, wenn ich einmal mit Jemand, der Erfahrung hat, ein vernünftig Wort wechfeln kann. Euer Begleiter da ift ja aber ganz ſchweigſam. Ein hübfches junges Blut! Woher, Landsmann? feyd Ihr hier aus der Gegend?“
„Ach nein,“ fagte Giannina ſchwermuͤ— thig. „Ich Fomme weiter, viel weiter her, aus dem Lande der Muſik“ — und ihre Guitarre ergreifend, fang fie für ſich ein paar italianifche Strophen in den gold’nen Morgen hinein.“
„Ei, Sapperment!“ rief der Schenfwirth aus, „das ift ja eine delicate Mufit! So nen Virtuoſen wünfchte ich mir für meine Säfte am Abend. Nun, lieben Leute, ih hole das Frühftüc, und wir bleiben dann noch ein Viertelftündchen zuſammen. Biel leicht gibt uns der junge Muficant dazu ein Liedehen in unprer ehrlichen Mutter
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fprache zum Beften, und was die Zeche ber trifft, fo laßt mich nur dafür was aus Eurem Kaften auslefen, Geld verlang’ ich von Euch nicht, denn ich weiß fchon, auf der Reife hat Euresgleichen nicht immer allzuviel davon übrig.“
„Siehft du, Giannina,“ fagte Mifchling vergnügt, als fie allein waren, „wir fan- gen an mit unferm neuen Handwerk Gluͤck zu machen. Der drollige Kauz bier amuͤ— firt mich, und ob wir eine Stunde weiter oder hier frühftücken, muß wandernden Gluͤcksjaͤgern, wie wir find, auf Ein’s berausfommen, Lindenau werden wir fchon noch erreichen, und wirft du müde, nun fo nehmen wir wieder einen Bauernwagen. Jetzt aber thu' mir den Gefallen und fing’ noch ein Lied, Wielleicht lockſt du mir den großen Poeten da gegenüber her, der ſchon die Ohren nach uns gefpist zu ha— ben fcheint,“
Miſchling täufchte fich nicht. Schon
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bei den erſten Accorden der Barcarole, wel che die Sängerin anftimmte, fahen fie Herrn Leopold fi) in Bewegung feßen, feinen Sohn in's Haus fchiden, und nun den ers ſten Mall feines Gartens langfam herab— ſchreiten, manchmal ftehen bleibend, und Zeichen des Beifalls von fich gebend,
„Bravo, Giovannetto, bravissimo!* rief er in die Laube tretend: „‚Siete Venetiano, Scomeito ?*
„A servir la, Signor,“ erwiederte Gi⸗ annina Falt, und fuhr in ihrem Geſange fort.
Als fie gender hatte, ſagte Mifchling : „Herr Leopold, der lofe Knabe hat bloß ger fungen, um Sie herüber zu locken. Wir find übrigens ehrliche Deutfhe; der Burs fche da freilich mit einem ftarfen Anflug italtönifchen Bluts, aber eben als Deuts fchen it e8 uns wohl nicht zu verdenfen, wenn wir begierig waren, den berühmten Dichter in der Nabe zu fehen, deifen ges
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mörhliche Novellen ich fo oft auf den Puß-
tifchen der Damen liegen fehe, wenn ic)
ihnen meine Herrlichkeiten ausbreite,“
„Ei, Sie Fennen mic) ,“ erwiederte Herr Leopold lachelnd, „und haben mich fogar gelefen? Nun das fchmeichelt mir von Leu: ten Shres Standes g’rade am meiften, denv die Herzen des Dolls mir zu gewinnen, daran liegt mir mehr, als an allen Ge Ichrten.“
„Sagen Sie mir doch, Herr Leopold,“ fing Mifchling fich verbeugend wieder an: „ſind Ste nicht — denn Ihre liebften Ge fhichten find mir die, wovon eine in Bo— tanybay und die and’re in Griechenland fpielt — am diefen beiden Orten felbft ges wefen, weil Sie's Einem gar fo natürlid) zu machen verftehen.“
„In Botanybay,“ erwiederte Herr Leopold, mit der fatirifchen Miene, die ihm fo ei— gen ift, eine Prieſe nehmend, „in Bota—
nybay war ich noch nicht, aber in Grie— E —
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chenland, der Zürfei und Egypten aller dings.“
„Ach, dahin moͤcht' ich auch,“ rief Gians nina, den Dichter mit ihren fchönen Au— gen begierig anfchauend. „Wie herrlich muß es da feyn!“
„Ja, wie man’ nimmt,“ fagte Herr Leopold, „gut und ſchlecht. Wer viele Ber dürfniffe hat, dem möchte es auf Die Lange dort nicht fehr gefallen; aber wer die Na- tur liebt, und ein gutes Clima,“ feßte er, fi) etwas fchauernd in feinen Pelz wickelnd, hinzu, „der geht wahrlicb — aus einem Entzuͤcken in’s andere. Das find and’re Morgen und Nächte, als unf’re nebelfal- ten, unfreundlichen! Da find die Regen- bogen nicht bloß am Himmel, fondern felbt im Thau wölben fie ſich auf der Erde und an den Hügeln hin, während in der Luft es überall funfelnd zittert, als wenn unfer lieber Herr Gott Sil— ber auf die Erde ſaͤen wollte. Und am
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Abend ſieht man zuweilen die roͤthlich ges färbten Inſeln im indigordunflen Meere, als feyen fie in die Höhe gehoben und fchwebten in der Luft über den rollenden Wogen; noch wunderbarere Schaufpiele bie tet die Nacht, wo durch eine, mir nie cr Härte Taͤuſchung, am klarſten, ftahlblauen Himmel, der Mond oft wie ein goldglän- zender Knopf auf einer durchfichtigen ſchwar—⸗ zen Schatten-Pyramide fteht, die fich am Horizont von der Erde Rand bis zu ihm hinaufbaut. Da hab’ ich wohl oft unter meinem Mantel im Freien gefchlafen, und wenn ich erwachte, und die unbefchreibliche Pracht um mich her ſah, geglaubt, nun würde ein Mahrchen aus taufınd und einer Nacht fich begeben, oder auf der Eb’ne von Troas die alten Helden ihren Gräbern ent: fteigen, um mich mit Homer’s göttlichen Morten zu begrüßen!“
Das Letzte hatte der Dichter mit gefenf- tem Haupt, das Auge nach oben gerichtet,
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wie für fich felbft hingeſprochen, dann, fein Yuditorium bedenkend, das er wie faft alle Menfchen nur nad) den Kleidern beurtheilte, lenkt er ein und frug Mifchling: „ob er mit feinem Sahrmarft zufrieden gewefen fen ?“
„Nun, fo leidlich,“ meinte diefer, „Doch find mir noch huͤbſche Waaren übrig ger blieben, Iſt Shnen vielleicht etwas gefäl- lig? hier habe ich ganz neue englifche Pas tentfedern, und ich würde nicht wenig ftolz feyn, wenn ich wüßte, daß des Herrn Leo— pold's nächfte Novelle mit einer Feder aus meinem Kaften gefchrieben worden fey. Eiz nen fchönern Preis Fünnte ich ja gar nicht dafür erlangen, und wenn ein gemeiner Mann fich’S unterficehen darf, fo würden Sie mich recht glüflidy machen, verehrter Herr, wenn Sie hier diefen Griffel in Email mit dem Dutzend Federn dazu, von mir als eine geringe „Huldigung aus dem Volke“ annchmen wollten.“
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„Du fallft aus der Rolle,“ flüfterte Gian- nina dem Freunde in’s Ohr, Herr Keopold aber, verwundert und doch gefchmeichelt, erwiedertes „Wirklich, Ihr befhant und erfreut mich, und ich will cin fo gut ger meintes Gefchenf nicht ausfchlagen, indeß ehe Ihr weiter geht, finde ich wohl noch Gelegenheit zu einer Erwiederung. Meine nächte Gefchichte foll aber jedenfalls, Euch zu Ehren: der Tabuletkraͤmer — betitelt werden.“
„Herzlichen Dank!“ fagte Mifchling, und bat den eben mit dem dampfenden Caffee wiederfehrenden Wirth, doch noch für eine Perſon mehr Anftalt zu machen, da Herr Leopold ohne Zweifel ihnen die Ehre erzeiz gen werde, Theil an ihrem Frühftüd zu nehmen.“
„ah, ſchon Bekanntſchaft gemacht ?“ rief der Wirth vergrügt, „das ift ja charmant von Ihnen, Herr Leopold, ich habe Sie ohnedieß recht lange nicht bei mir gefeh’n.
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Gleich foll Alles bereit feyn, wie Sie's gern haben, ich Fenne ja Ihren Geſchmack, und da ich Sie nun fo alle beifammen weiß, darf ich wohl meine Morgeneinfaufe in der Stadt beforgen, und bei der Rückkehr gewiß hoffen, Sie noch anzutreffen.“
„Gut,“ bejahte der Dichter, „ich will nur meiner gefirengen Frau fagen, daß fie heut früh nicht auf mich rechnen darf, und bin dann gleich wieder bei Euch.“
„Der Mann gefällt mir,“ verficherte Siannina, „aber das muß wahr feyn, Du baft ein eigenes Talent, Befanntfchaften anzufnüpfen, mit Dir ift man immer gleich im erften Augenblick fo, als Fennte man Dich fchon feit Fahren.“
„Das macht meine Aufrichtigkeit, gute Giannina, „und wenn auch mein Roc manchmal täufcht, nicht wahr, mein Herz, vor dem ift immer ein großes Senfter, in das Jedermann hineinfehen kann?“
„Nun,“ fchüttelte Giannina zweifelhaft
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mit dem Kopfe, „ich glaube, Du feßeft oft genug Verirfcheiben davor. Ach, Henrico! nur nie für Deine Giannina!“ und halb unter Thraͤnen lächelnd, druͤckte fie ihm zärtlich die Hand.
Als Herr Leopold wieder Fam, überreichte er Mifchling eine Fleine römische Mofaik und fagte: „Hier fchenfe ich Ihnen das Portrait des Papſtes, wie er eben feinen Segen austheilt, Ein Schelm gibt's beffer als er's hat.“
„O, das ift ja eine wahre Reliquie!“ rief Giannina feurig und kuͤßte das Bild, „Mit Deiner Erlaubniß, Camerad, will ich es zu mir nehmen, und als Amuler gegen alle böfe Anfechtungen auf dem Herzen tragen.“
„Ah, Ihr ſeyd alfo Katholifen? Nun, da habe ich's ja auf's Befte getroffen, und Ihr werdet mich ohne Zweifel recht beneiden, wenn Ihr hört, daß ich dem Driginal des Bildes, nicht den Pantoffel, weil das keinem
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Proteftanten vergonnt wird, aber dod) die fegnende Hand habe Füffen dürfen,“
„Wirflih ? Sie haben den heiligen Bas ter von Angeficht zu Angeſicht gefehen ? O welche fhöne Erinnerung! darum be neide ich Sie aufrichtig! Obgleich in Ita— lien geboren, war ich doch nie fo glücklich!“
„Nun allen Reſpect für Seine Heiligkeit, aber da habe ich doch noch in den fünf und vierzig Jahren meines Lebens einige Erinnerungen aufzuweifen, die mir ganz anders an’s Herz gehen, und 2 von Sstalien am meiſten!“
„So tft es g’rade heute 20 Sahr, ja — wir haben doch den 15. Mai? ja richtig, grade heut vor 20 Zahren, daß ich ein Mädchen zum Leßtenmal fah, in die ich fo fterblich verlicht war, daß ic) fie, obgleich nur eine Geiltänzerin und Kunftreiterin, anf der Etelle geheirathet haben würde, wenn fie mich nur bätte haben mögen. Ich glaubte mich freilich von ihr wieder geliebt,
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aber es kam anders, — Lie follte chen am Abend ſpielen, und war ſchoͤn wie cin Eugel. Eie hatte fid) als Wilde coftümirt, und die reizenden Formen, die von einem Prariteles gemodelt fehienen, zeichnete Die feſt anliegende durchfichtige Kleidung faft wie ohne Hülle. Bis fie ihr Pferd Beitieg, war ich bei ihr geblieben, und da fie mir mehr als gewöhnlich eraltirt fehien, und ich befürchtete es koͤnnte ihr etwas zuftoßen, bat ich fie zärtlich, doch ja heute Feine zu gefährlichen Dinge zu wagen.
„O bagatella,* fagte fie ladyend, „das iſt mein leßter Ritt,“ und fprengte gleich, uns ter dem lauten Beifallruf des Publicums, wie eine Raſende dahin, che ich nod) eine Erflörung der feltfamen Worte von ihr ers balten konnte. Nachdem fie mit wunder: barer Grazie und Kraft einen Theil ihrer Rolle durchgeſpielt, rief fie ylößlid, ihr werde unwohl, und ſank auch fofort ohn— maͤchtig auf das im vollen Lauf begriffene
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Dferd zuruͤck. Man fprang glüclicherweife fchnell hinzu, ehe fie noch herabfiel, und da fie befinnungslos zu ſeyn fchien, abe fie ohne Zeitverluft von ihren Cameraden fortgetragen. Sch wollte zu ihr, ward aber nicht hineingelaffen, da fie, wie man fagte, fehr Frank zu Bette gebracht worden fey. — Sch, wie Alle, wurden getäufcht, denn das Ganze war nur eine italianifche Kift, ihre Eltern zu betrügen. Diefelbe Nacht verfchwand fie, wie man glaubte, mit ek nem Ungar, der ebenfalls in der Truppe diente, und wie man erfi jeßt erzählte, ſchon lange ein heimliches Liebesverftandniß mit ihr unterhalten haben follte. Seiner Armuth, und überhaupt feines nicht fehr empfehlungswerthen Lebenswandels wegen, hätte er freilich nie auf ehrlichem Wege die Einwilligung der Eltern zu erlangen ver: mocht. Sch nahm mir die Sache damals fo zu Herzen, daß ich in eine ſchwere Krank heit verfiel, denn wir Dichter find einmal
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Narren, und noch jeßt Fann ich nie ohne Bewegung an die fchöne Treuloſe denken!“ Himmel! wie hieß diefes Mädchen?“ frug Giannina mit zitternder Stimme.
„Sie war damals ziemlich berühmt in Sstalien, unter dem Namen der fchönen Roſa und — Sie werden lachen, wandte er fich zu Mifchling, aber wie ich da Gh ren jungen Gefährten anfichtig wurde, er; innerte er mich durch die Aehnlichfeit feiner Züge auf das Lebhaftefte an jeres nie ver geffene wilde Maͤdchen.“
„Oh Dio! che acceidente!“ feufjte Gi annina.
„Die Aehnlichkeit hat fie wirklich nicht betrogen,“ fagte Mifchling überrafcht, „wa rum follten wir's Ihnen verheimlichen ? der junge Mann, den Sie vor fich fehen, ift in der That der Sohn Ihrer ehemali— gen Geliebten und jenes Ungarn, der fie in Stalien entführte,“
„Iſt es möglich 12“ rief Leopold mit Er—
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ſtaunen. „Weihe Schickung! Lieber juns ger Mann, rechnen Ste auf mich, wo ir— gend Sie meiner bedürfen koͤnnen. Iſt es nicht jeßt, vielleicht Fommt ein and’resmal eine Zeit dazu. Sie werden mich zu Ih— rem Dienft ſtets von ganzen Herzen bereit finden.“
„Nun,“ meinte Mifchling, wir werden gewiß, wo möthig, von Ihrem gütigen Anerbieten Gebrauch machen, vor der Hand ift fie — ich meine die Perfon meines jun: gen Freundes hier — in ziemlich ficherem und gutem Schuße, aber wer kann wiffen, wie ſeltſam fich die Dinge manchmal in dir Melt geftalten, und Die effen ftebende Zuflucht zu einen redlichen Sreunde ift im— mer ein großes Gut.“
„DO,“ fagte Giannina, „wie oft hat die feltge Mutter Shrer erwahnt, und manch— mal mit Thranen von dem DBlonden, fo nannte fie Sie immer, geäußert: daß er ihr gewiß am meiften von allen Männern
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zugethan geweſen ſey, und ſie ſich ewig ein Gewiſſen daraus machen wuͤrde, den bra— ven Deutſchen fo getäuſcht zu haben. Ach! ca. ſchwer für ihren damaligen Schler gebüßt, und vieles Ungemad) ſeitdem erlit— ten, doch irren Sie, wenn Sie glauben, daß ... doch warum Dinge von Neuem berühren, die ich taufendmal viel lieber der Vergeſſenheit übergeben möchte. Sch würde auch nicht wünfchen, daß Sie meine felige Mutter je wieder gefehen hätten. Es würde ihren Kummer nur herber gemacht haben, und Sie, mein Herr, Cie würden in der ſchnell gealterten, kraͤnklichen Frau Feine Epur mehr von dem glänzenden Jugend— bilde gefunden haben, das Ihrer Phantajfie jetzt noch fo lebhaft vorfchwebt,“
„Du biſt wahrlich auffallend gefcheidt für dein Alter,“ fagte Mifchling. „Viele an Deiner Stelle würden gewöhnlicher gedacht haben, aber es ift höchft richtig, wag Du ſagſt. Alte, vergangene Verhältniffe auf-
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zuwaͤrmen, iſt das Verkehrteſte, was man thun kann. Die Welt ſtroͤmt immer fort, wie ein unendliches Meer; ſo war es ein— mal der Wille des Schoͤpfers, und ſo . rig es ung vorkommen mag, wahr ift es dennoch, und ift wohl früher ſchon acfagt worden: der im Leben geliebtefte Todte, Fame er nach Jahr und Tag wieder, er würde überall unbequem und zu viel fen!
Unfere Unterhaltung wird aber zu ernft, fprechen wir von heiterern Dingen. Gie follen hier ein fehr artiges Liebhabertheater in Moosheim haben, wie ich geftern im Gaſthofe hörte Da find Sie wohl Thea- terdichter ? “
„D nein, dieß Tach beforgt mein Freund Heinrich und mit glänzenden Erfolg. Uebri- gens ift diege Unterhaltung eine große Reſ— fource für uns, und auch nichts nüßlicher für die Moralität, namentlich 3. B. um Chen zu befürdern, als ein ſolches Liebha— bertheater. Seit einem Jahr feiern wir
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ſchon die dritte Verbindung diefer Art, die ftatt im Himmel auf den Bretern gefihlofs fen wurde. Erft vor wenig Tagen hat das hübfchefte unf’rer Madchen den fteifften unſ'⸗ rer Liebhaber zu Hymens Altar entführt. Nun kann man allerdings ein fehr hölzerz ner Liebhaber auf dem Theater ſeyn, und nichts defto weniger ein vortrefflicher Eher mann werden. Solche Verlufte muß man alfo des allgemeinen Beſten willen ruhig tragen, neulich ging’s ung aber viel ſchlim— mer, denn denken Siefih — flatt Hymen trat die Landwehr gegen uns auf,“
„Die Landwehr?“
„Richt anders. Wir hatten große Vor⸗ bereitungen zu einer Dper gemadt, ein Geburtstag follte gefeiert werden, die ganze Gegend war eingeladen, da mußte unfer befter Schaufpieler, erfter Tenoriſt, Regiſ— feur und Factotum, den wir gar nicht zu erfegen im Stande waren, ohne Gnade zur Landwehrübung fort, weil der gramliche
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Oberſt Stubenfrau Luft hatte uns einen Pof- fen zu ſpielen.“ — „Das war freilich) ein großes Unglück,“ rief Mifchling lachend, „ein Liebhabertheater zu foren, graufam! Da: für it Ihnen offenbar der Staat Genug- thuung ſchuldig.“ — „Sa, jedes Ding hat zwei Seiten!“ antwortere Herr Leopold ganz ernfthaft. „Ein Fühner Gedanfe mag es geweſen feyn, die ganze Nation zu Solda— ten zu machen, aber eine ſtoͤrende Inſtitu— tion bleibt es Doch, nicht nur für das gefel- lige Vergnügen, fondern auch für alle Leute im Umte, für alle die, welche von ihrer Hande Arbeit täglich leben müffen, und endlich auch für Ulle, welche Andere zu ihrem Dienft bezahlen, und oft nicht auf fie rechnen dürfen, wenn fie fie am ſchwer— ften miffen Tonnen.“
„Es ift wahr,“ fagte Mifchling, „ich höre in der That darüber von allen Seiten viele Klagen, aber doc), wenn Ste die unermeß-
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lichen DVortheile auf der andırn Seite be— denken, feheinen fie mir höchit ungerecht...“ „Um Gotteswillen,“ unterbrach ihn Herr Leopold eifrig, „laſſen Sie uns nicht in dies fen Schacht hinunter fteigen, wir kaͤmen nie wieder heraus. Auch geb’ ich gern im Voraus zu, daß in unfern Zeiten, wo Alles fo ſchoͤn in einander zu verfhwimmen an fangt, der poetiſchen Betrachtung auch ein fo coloffales Chamaleon, wie unj’re Lande wehr iſt, intereffant vorfommen muß. Wo begegneten Sie ihm nicht in allen Farben fpielend! Wer z. DB. hat mir diefen ſchoͤ— nen Pelz gemacht? Ein Landwehroffisier, Mer verforge mic) mit Caffee, Zuder, Tas bat, Kaje? - Ein Landwehrofficier. Wer haft mein Holz, wer putzt meine Pferde, wer fchreibt meine Derfe ab, wer liefert mir dieß und jenes, wer iſt mein Vorge— feßter, und wer dient mr, von meinem Gutsherrn herab bis zum Ausraͤumer der Tutti Frutti IV. 4
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Canale? Unter dem magiſchen Namen : „Sandwehr“ find fie Alle begriffen. Nur den lieben Gottesdienft Fann ich mir noch außerhalb diefes Kreifes verfchaffen, und das weibliche Gefchlecht ift ebenfalls noch nicht enrolirt, obgleich die fieben Mädchen in Uniform manche Gedanken darüber ges geben haben mögen, die vielleicht noch ein- mal Früchte bringen.“
„Sie haben recht,“ fuhr Mifchling fort, „es tft dieſe Landwehrinftitution, abgered)- net ihres andern vielfachen Nußens, aller: dings auch eines von den großen Nivelli- rungsmitteln, welche die neuere Zeit zu ihr ren Zwecken anwendet, und die unfer Ei— nem nur wohlthun Fonnen. Wir find aber num auch bald am Ziel, Sc wüßte Faum mehr, wo man noch einen großen Unter: fhied zwifchen den Menfchen auffände! Man nehme einen Minifter oder Schnei- der, Hofmarfchall oder Lakaien, Scharfrich- ter oder General, find nicht alle freigebor’ne
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Menfchen, alle Kinder des Staates, und folglich von Haus aus alle gleich, fo zu fas gen, alle zu unferes Herrn Gott’3 Landwehr gehörig? Und hinfichtlich unferes perſoͤn— lichen Werthes und Ranges follte es ei— gentlich doch nur darauf anfommen, wie gut oder fchlecht jeder eben fein zugetheil- tes Pfund anwendet, und da ift es noch fehr die Frage, zu weſſen Vortheil der Vergleich ausfallen würde, Bleiben wir 3. DB. bei den zufammengeftellten Perſonen ftehen, fo fünnte man fagen: der Haupt: unterfchied zwifchen einem gefchicdten Fi— nanzminifter und einem beliebten Schnei- der beftehe. hauptfächli nur darin, daß der erfte fich fortwährend quäle, wie die alten Staatsfchulden zu bezahlen, und neue wieder zu machen feyen, der andere aber nur die Sorge habe, wie er alte und neue ausftehende Schulden glüdlich eincaffı- ren möge. 4”
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Das andere Gleichung will ich übergehen, da es fich Jeder leicht felbft ausfüllen kann, aber Scharfrichter und Generale fcheinen auch, fo heterogen die Benennungen find, dennoch vielfach zufammen zu ſtimmen. Srüber hatten fie 3. B. ſchon immer Die ofenbere Aehnlichkeit, Menfchenblurvergte- fen als ein beſtimmtes Umt zu verwalten, und cs fehlte ihnen darin felten an Be fhaftigung — jetzt naht die Zeit heran, wo fie Beide wieder die Aehnlichkeit haben werden, Fein Menfchenblur mehr vergie— Gen zu dürfen, und alfo in Zukunft wahr fheinlich ihre refpeetiven Titel nur pro forma führen werden. Dann werden bie Einen fih damit begnügen müjfen, Thiere abzuziehen, die Andern, Eoldaten anzu: zichen, wobei ſich denn noch die Bemer— kung aufdringt, daß auch hier wiederum Schneider (uͤberhaupt ein hoͤchſt wichtiger Stand!) eine bedeutende Rolle ſpielen, und nicht ohne Nutzen ſelbſt in die Generalitaͤt
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mit übergehen mögen; denn ift der Gene ral zugleich Schneider, fo kann er in feinen Mußeftunden ja die Probe-Uniformen gleich felbft anfertigen, und dann noch viel hauft- ger als jet, es ſey nun nach barbariſchem oder nicht barbarifchem Schnitt, eine anz genehme Xbwechfelung eintreten laffen.“
„Mein guter Freund Haufirer,“ fagte Herr Leopold, Mifchling von der Eeite anfehend, „Ihr ſeyd doch Fein Policei— fpion 7“
„Barum das?“
„Meil Ihr über Euren Stand fpredt, und wahrhaftig auch eben fein Blatt vor den Mund nehmt.“
„Defter Herr Leopold, das hatt’ ich von Schnen nicht erwartet. Leſen Eie doch) ein- mal Ihre eigenen Novellen nah, ob da die Türken und Chriften, weß Standes fie auch ſeyn mögen, nicht Alle cben fo tieffinnig ſprechen, als Sie 's nur felber thun Fonnten — und nun wollen Sie mir
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mein bischen unbedachtes Gefhwaß nicht gelten laffen? Sie, der in der Welt fo viel umhergereif’t, Ste follten doch wiffen, dag man heutzutage folche halbe Bildung, wie ich armer Teufel aufzumeifen habe, unter jeder Kutte findet. Sehen Sie, wer: ther Herr, vor ein paar Tagen erft redete mich ein Fuhrmann lateinifch an, heute fage ich Ihnen auf griechiſch Lebewohl, und da, wie ich fehe, mein Camerad uns ferem wiedergefehrten Herrn Wirth bereits die Zeche bezahlt hat, fo nehme ich meinen Manderftab wieder auf, und wünfche Ih— nen zum Abfchied von Herzen Gluͤck und Heil. Xauge!“
„Hören Sie einmal, Herr Leopold,“ fagte der Tabagift, dem beiden Fremden, die eben in die lange Pappelallee hinter der Stadt einbogen, noch immer nachjehend, „das fcheinen mir ganz abfonderliche Leute!“
„Bas Fünmert’s uns,“ antwortete nad’ finnend der Dichter, „mir find fie doch lieb
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geworden — aber etwas Ungewoͤhnliches ſteckt allerdings dahinter, lieber Haͤſerich, da haben Sie vollkommen recht.“
Auf einem ziemlich beſchwerlichen, be— ſonders durch ſeine Eintoͤnigkeit ermuͤden— den Wege, der ſich fort und fort durch Sand und Kiefern hinzog, kamen unſere Wanderer gegen Mittag an ein Foͤrſter— haus (ſiehe die Karte), hinter dem noch einige andere elende Wohnungen zerſtreut lagen.
Es war ſehr heiß geworden, und der gluͤhende Sand, nur hie und da mit ein paar einzelnen, halb verdorrten alten Foͤh— ren bedeckt, der graue Horizont, die elenden Huͤtten, und die paar zerlumpten Menſchen, die umherſtanden, boten ein unbeſchreiblich melancholiſches Bild, deſſen troſtloſer Jam— mer noch characteriſtiſcher durch einen gro—
so
Gen ſchmutzigen Hühnerbaner mit vielen Ahtheilungen hervorgehoben ward, der auf einer Karre vor dem Haufe fand, und von deffen gefiederten Bewohnern fchon mehrere der Hitze erlegen zu ſeyn fchienen,
„Wer wohnt hier ?“ fing Mifchling.
„Der Sörfter Henker.“
„Wie heißt das Dorf?“
„Leichnam.“
„Run wahrhaftig,“ fagte Mifchling zu feiner Gefahrtin, „ſelten paſſen Name und Sache fo gut zu einander, wie hier. Webers haupt aber zeichnet fich diefe Provinz durch feltfame Namen aus. Vor einigen Jah— ren ging aus dem Staͤdtchen, das id), nicht weit von bier, damals bewohnte, eine Deputation wegen zu beforgender Huns gersnotb zu der Amtsregierung in der Sechsſtadt ab, und beftand aus drei Bürs gern, mit Namen: Bierwagen, Gläfel und Brodforb. Zu gleicher Zeit führte dort ein Seiſenſieder Kalb einen Proceß gegen
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feinen Miethsmann Kalbel. Am tollſten aber waren die Namen auf dem herrſchaft— lichen Schloffe zufammen gewürfelt, Der dortige Intendant hieß Wolf, der Secre— tair Hahn, der Voliceibeamte Stier, der Caplan Vogel, der Koch Abeſſer, der Kel— lermeifter Saufhaus, der Laufer Frrgang, und der Einheizer Stubenrauch. Man glaubte in der Comoͤdie zu feyn, wenn man die Keute um fich her fo rufen oder anreden hörte.“
Giannina lachte. „Aber,“ feste fie Hinz zu, „Dein Name Mifchling dachte ich, wäre doc) auch feltfam genug, und um fo mehr, da er ziemlich auf Dich paßt.“
„O, du Eleine Schlange, füngft Du aud) an zu ftehen? Wiſſe aber, daß der Name Mifchling nicht fonderbarer und cben fo vornehm ift, als die alten Adelsnamen: Rindsmaul, Schweinichen, Ferkel, Nicds eſel, Pfoͤrtner von der Holle, Gott, Teufel,
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Hund, Unbefcheiden, Unruh u. |. w. ohne noch zweit meiner guten Freundinnen, der Gräfin Koß, gebor'ne Zucer, und der Gräfin Kurzrod, gebor’ne Langbein, zu erwähnen.“
„O Henrico, hoͤr' mit Deinen abſcheuli— hen Namen auf, mir wird in Diefer fhauerlihen Umgebung ganz unheimlich dabei.“
„Beruhige Dich, mein Engel, noch ein Feines Stündchen, und wir fommen in eine lachendere Flur, mit freundlicheren Namen ausgeftattet. So lauten wenigftens meine Nachrichten, die ich in Moosheim eingezogen. Biſt du müde?“ „aAch nein, nur meine Augen find es —
feh” ich wieder frifches Grün, fommt mir auch wieder frifcher Muth. Schöpfe mir aber etwas Waffer am Bach, ic) bin fo durftig. Hier ift der Becher.“
Als Giannina getrunfen, und nun den Becher wieder zuruͤckgab, fand fie ihres
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Sreundes Blicke mit einem feltfamen Aus: druck von Wehmuth auf fie geheftet. Stuͤr— miſch 309 er fie an fein Herz und Füßte jie zärtlich, dann fich, wie mit unterdrüd- ter Nührung adwendend, verließ er fie un— ter dem Vorgeben, ebenfalls Durft zu führ len, und den Becher noch einmal füllen zu wollen,
Waͤhrend er nun das fteile Ufer zu dem Kleinen Fluͤßchen zum zweitenmale hinab Eletterte, war unterdeß ein unfchein- barer Wagen, mit zwei muthigen Pferden befpannt, berangefommen. Eben wollte Giannina, das Geraͤuſch hörend, feitwarts treten, als zwei Fraftige Arme fie von hin— ten ergriffen, und ohne auf ihr Hülferufen zu hören, fie mir DBligesfchnelle in den Magen hoben, der hierauf augenblicklich im geſtreckten Galopp mit ihr davon jagte.
Ein wohlgefleideter Mann zu Pferde, der, wie es ſchien, die Expedition geleitet, blieb zurüd, und ging, als Mifchling wie—
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der zum Vorſchein kam, ſein Pferd am Arme fuͤhrend, mit abgenommenem Hut auf ihn zu.
„Bortrefflich ausgeführt, Vivarais,“ fagte Mifhling, „Du haft aber dody nicht ver— geffen, den Doctor zu inftruiren, daß er fie mit der größten Ehrerbietung behandelt, und auch nicht verfaumt, ihr gleich mein Billet zu geben ?“
„Wie Sie befohlen, gnädiger Herr, tft Alles genau beforge worden, und Mas demoifelle wird Shren Brief gewiß in wes nigen Minuten fchon in Händen haben.“
„Gut! Verlag’ mich jeßt, und finde Did) morgen Mittag in Lindenau mit meinen Pferden ein, wie ich es angeordnet.“
Der Mann, ehrerbierig grüßend, ſchwang fi) auf feinen Klepper, und war bald nicht mehr zu fehen.
„Arme Giannina!“ dachte Mifchling mit einem tiefen Seufzer, „ich Fonnte nicht anders. Ber Gott!“ rief er, tief Athem
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bolend, und unwillführlic) die Hand an's Herz legend, „Das Mädchen fing an, mir ernftlich gefährlich zu werden — und dod), was follte das Ende davon feyn? Jeden— falls will ich indeß beobachten, wie fte die Prüfung beſteht. Die Trennung wird uns wohl Beide abkühlen, und wenn id) fie wieder fehe, Alles fo anders feyn, daß die vergangenen Tage in die Traumwelt zus rücfinfen — ac), holde Traumwelt! wie viel glücklicher bift Du, als die profaifche Zageswahrheit. — Dem naͤchſten Traume darf ich aber nicht mit fo fehwerem Her: zen entgegen gehen,“ fuhr Miſchling, fich gewaltfam ermannend‘, fort, „wer weiß auch, ob diefer nicht eine ernſtere Geſtalt, als der vorige, annimmt? Es wäre über: dieß wohl endlich einmal Zeit, Freund Mifhling, daß Du auch dem Hafen der Ruhe zufteuerteft, und — die liebe Sünde verließeft, che fie dich verlaßt. Alinens fanfte blaue Augen wären gerade die Sterne,
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deren Licht mir am holdfeligften zu einem ſolchen Befehrungsgefchäfte leuchten koͤnn— ten, und wahrlih, nur emer fo fanften Zaube möchte ich mic) zuletzt ganzlic) auf Disceretion ergeben. Sie gehört freilich nod) einem Andern, aber diefer verdient fie zu wenig, als daß ich mir ein Gewiſ— fen daraus machen follte, ihn bei Seite zu fchieben. Ohne gegenfeitige Zuneigung tft Feine Verbindung, heilig.“
„Nun, der Himmel — und fo ſchlimm bin ich ja doch nicht, daß ich den nicht anrufen dürfte — der Himmel möge wals ten, und Alles zu einem guten Ende führen !“
Nach diefem ihn dem Anfchein nad) nur halb befriedigenden Selbſtgeſpraͤch, fchritt Mifchling, immer von Neuem im zerftrenz tes Nachfinnen verfallend, zögernd in eis ner andern Richtung fort, als die, welche por wenig Minuten der davon eilende War gen genommen,
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Mir überlaffen ihn dort vor der Hand dem Kampfe feiner widerftreitenden Em— pfindungen, und wenden uns wieder zu der armen Giannina, die fo eben folgens des Billet mit leichenblaffer Wange lieft:
„Vergib, theure Giannina, wenn ich zur Lift meine Zuflucht genommen habe, um Did einer unnatürlichen Vertrautenrolle zu überheben, die Dir nicht von Herzen gehen kann, und die uns Beiden nur die peinlichften Momente hätte bereiten muͤſſen. Es gibt aber auch noch andere unausweich- barı Gründe, warum ich, felbft ohne den erwahnten Umftand, Dennoch über den heutigen Tag nicht in Deiner Gefellfchaft zu bleiben vermocht hätte. Du wirft mich haften, Giannina, und doch verdiene ich Deinen Haß nicht. Könnteft Du in mer nem Herzen lefen, Du würdeft ... doch ih fühle, Betheuerungen fiehen mir in diefem Augenblicke fchleht an, die Zukunft wird Manches entwirren. Der von mir
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gemiethete Wagen wird Dich bis an den Kreuzweg vor der Judenſchenke bringen. Kehre dann unverzüglich zu Deinem Bas ter zurüc, der Did) erwartet, und gib ihm den inliegenden Brief. Hoffentlich wird er durch feinen gehaltvollen Inhalt ganze lic) zufrieden geftellt werden. Hab’ ich neulich recht gehört, fo war’t ihr auf den erften Sonntag Fünftigen Monats zu dem Herzog nach Hohenburg bejtellt, wo, glaub’ ich, große Fefte ftatt finden follten. Seyd zur beftimmten Stunde da, und kehrt im weißen Hirſch ein. Sit es mir irgend mögli), fo werde ich Dich dort wicder fehen. “
„Mehr Fann ich Dir in diefem Yugens blif nicht fagen. Dein Begleiter, mein vertrauter Freund, wird Dir ein Etui übers reihen. — Kränfe mich nicht durch feine Zuruͤckweiſung. Es enthält eine Schnur Perlen, ein Erbftüf von meiner Mutter, die Du zu meinem Gedaͤchtniß tragen
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ſollſt. Möge es dich bald als eine fröhli- be Braut ſchmuͤcken, und du glüdlicher werden, als es je hoffen darf zu feyn
Dein
tief befümmerter Henrico“
„Gott!“ rief Giannina mit zitternder Stimme: „o Gott! Fonnte der, dem ic) Leib und Seele hingegeben, dem ich meine Seligkeit geopfert hatte, Fonnte der fo uns barmherzig mid) armes Madchen verftos Een? Ad), diefer Schmerz ift graͤßlich!“
„O Henrico, nein, fo niedrigen Verrath hart’ ich Dir nimmer zugetraut! Mit fols her Schmad mic zu überhaufen, wie eine abgedanfte Dienerin, mich noch zu guter Legt bezahlen zu wollen, gerechter Himmel, wo verberg’ ich meine Schande?!“
„Mein Herr,“ fagte fie, ſich faffend, und mir Hoheit zu ihrem Begleiter wendend,
BB: .. ion
„hier it ein Brief an meinen Vater einz gelegt, den ich aber Sie zu übergeben bit— ten muß, da ich mich auf feinen Fall da- mit befaffen will, und hier ift ein Etui, das Sie fogleich zu ſich nehmen werden, wenn Sie nicht wollen, daß es dort in den Landgraben fliegt.“
Shre Miene war fo drohend, (daß ihr Nachbar nicht zu widerftchen wagte, und ohne ein Wort zu erwiedern, mit Unter— würfigkeit Beides in Empfang nahm.
„Nun aber, mein Herr,“ feßte fie mit erfticten Thranen hinzu, indem fie das eben gelefene Billet in viele Stüde zer— riß, und diefe den Winden übergab: „nun befchwöre ich Sie, eilen Sie, fo fehr Sie fonnen, um mic) zu meinen Eltern zu bringen, denn ich fühle mic) ... wirklich fehr unwohl!“
Der Mann verneigte ſich, immer noch ſchweigend, aber fichtlich gerührt, und mit lebhafter Iheilnahme die Frampfhaft vers
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ftorten, und doch immer noch fo fchönen Züge des leidenden Mädchens betrachtend,
Giannina aber warf fi erfchöpft im die Wagenecke, ftill vor fich hinweinend, wahrend mit erneuerter Schnelligfeit Die jest harteren Boden unter fich fühlenden Pferde vorwärts eilten,
„Der Elende!“ fagte Giannina nach ei— nigen Minuten dumpfen Hinbrütens zu fi) felbft. „Zum Herzog ſchickt er mich! Gewiß ift fein Verfprechen, dort mic) wie der zu ſehen, nur ein leeres VBorgeben. — Zeigt es nicht das Ende feines verrätherts fen, treulofen Briefes nur zu deutlich, daß er mich nur mit guter Manier los werden will, Aber fein Wunfch foll erfüllt werden! Sa, ich will dem Ruf des Her 3998 folgen — hat mich doc) immer eine feltfame Ahnung bei jedem flüchtigen Ges danken an diefen fremden Mann wie vers folgt, und prophezeihte man mir nicht zwei— mal ſchon mit folcher Beftimmtheit, daß
92 idy mit ihm in die innigfte Verbindung treten müßte. Ad, Henrico! was Du weggeworfen, vielleicht würde er es aufhe— ben, und an fein Herz legen, nicht für den Beitvertreib einiger Tage, wie Du, nein für immer, nicht als ein verlaffenes Mad- chen, wie Du mich behandelt, nein .... Und warunm nicht, wenn ich ihn fo geliebt hätte, wie Di! Haben es die MWahrfas gerinnen mir nicht beide fo prophezeit, und war nicht mein Dater fo vornehm wie er, und bin ich auch Feiner gültigen Ehe entiproffen, vor Gott war fie es doch. O, Du mein hingefchiedener, armer Vater, hätten Meuchelmörder Did) nicht getroffen, che Du für die unglüdliche Mutter forgen fonnteft, wer weiß, ob nicht Iangft eine Scaar von Dienern auf meine Befehle laufchte, ftatt daß ich jet mein Fümmers lidyes Brod mir im Staube fuchen muß! Ah, und dann noch folche Schmach zw erleben! Henrico, Henrico! Du haft mein
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Herz gebrochen! Und was mich verzwei— feln machen koͤnnte, iſt — ach! daß ich es nicht beſſer verdient! Bin ich denn ſeiner werth, konnte ich ihm ein reines, unbe— ſcholtenes Weib ſeyn? O, warum mußte gemeine Umgebung mich ſchon, faſt mei— ner unbewußt, durch ihren truͤben Hauch entweihen, ehe noch mein Herz zu fuͤhlen gelernt. Von dieſem wenigſtens, Henrico, haſt Du die erſte, reinſte Frucht gepfluͤckt, ja, und mit ihr auch den Baum getoͤdtet! — „Ha! was iſt das?“ ſchrie ſie jetzt laut auf in wilder Fieberphantaſie: „der Herz zog ift da, und cin Gerippe fteht an felz ner Seite! Ach, es iſt der Xod, dem ich mic) jeßt vermahlen muß!“
„Beruhigen Sie ſich doch, liebes Mid: hen!“ fagte ihr Begleiter, fie voll Mitleid anblickend; „liebten Sie denn meinen Freund fo fehr und ganz ausſchließlich, daß Eie ſich über feinen Verluſt gar nicht zufrieden geben Fonnen? Aufrichtig gefaat, ich glaube
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faum, daß er einen fo tiefen Schmerz verdient, Wiſſen Sie denn, wer er iſt?“
„uch, was Fümmert’s mich,“ fagte Gian— nina vor fid) Hin — „ich weiß nur, daß er mich verrathen hat!“
„Sein Name Mifchling ,“ fuhr der offi— cteufe Freund fort — ein in den Vierzigen fiehbender Mann von athletifhen Formen — „ift nur ein angenommenen, Er beißt eigentlih Willibald, und ift ein Romans fchreiber unter dem Namen Friedrid) Dun- fel. Um neuen Stoff zu feinen Gefchidy- ten zu finden, geht er beftändig felbft auf Abenteuer aus, und ich wette, meine liebe Mademoifelle, er hat mit Ihnen bloß aus einem ähnlichen Grunde Befanntfchaft ge macht, fo daß ich auch gar nicht zweifle, Sie naͤchſtens als die intereffante Heldin irgend einer Novelle wieder zu finden,“
„Wie, auch das noch!“ fagte Giannina, „auch diefe Demüthigung wäre mir noch befchieden ? Und Sie, den mir Herr Miſch—
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ling oder Willibald, wie Sie ihn nennen, als feinen treuften Freund nennt, Sie far gen mir das? O mein Herr, Ste wählen Ihre Zeit zum Scherzen auf Feine fehonende Meife,“
„Ich fiherze gar nicht, liebes Mädchen, nur weil Sie mir leid thun, habe ich She nen ohne weitere Nüdfiht die Wahrheit fagen wollen. Aber es gibt Leute, Die, ohne fo viel glatte Worte machen zu Fon nen, wie mein Freund Willibald, vielleicht eine aufrichtigere und dauerndere Neigung zu Ihnen faffen Fonnten, als er. Laſſen Sie mic) einmal Ihren Puls fühlen, denn Sie müffen wiffen, daß ich ein Arzt bin, und Ste mir auf dem beften Wege fcheis nen, ein hißiges Fieber zu befommen. Nun,“ fagte er, bedachtig zahlend: „altes rirt genug! aber das hübfche Patſchgen muß ich doch einmal Füffen, ehe ich's wies der los laffe.“
„Mein Herr!“ rief Giannina, zornig ihre
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Hand zurück zicehend: „von nun an hat unfere Unterhaltung für immer ein Ende, und von Allem, was Sie mir gefagt, glaube ich nicht cin Wort.“
9 ,Die iſt wahrhaftig tactfeft,“ murmelte der Doctor in den Bart, und fich in feinen Mantel wicelnd und gemaͤchlich zurück les gend, fagte er: „Wie's beliebt, meine beite Mademoifelle, der Glaube wird Ihnen fchon noch in die Hand kommen.“
Kurze Zeit nachher überzeugte fid) Gian— nina zu ihrer großen Beruhigung, daß ihr Begleiter feft entfchlafen war, und fich jeßt ihren traurigen Betrachtungen ungeftört überlaffend, verfiel fie endlich felbit, von Forperlicher Ermüdung und Gemuͤthsbewe— gung überwältigt, in einen unruhigen Schlummer, den fortwährend wuͤſte Traus me beängftigten. Zuletzt däuchte es ihr: fie tanze auf einem hoshgefpannten Seile, und feige jest eben darauf zu einer Kirche tyurmipißge hinan, als des Dach, an welches
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das Seil befeftigt war, ſich öffnet, und ihre ehemalige Gefpielin Aline mit zorniger Miene ihr auf dem fchmalen Dfade entgegen tritt. In Todesangſt ficht fie id nah Hülfe um, und erblicdt auf dem Thurmbalcon einen Herrn in glanzen- der Uniform, von einem zahlreichen Ge: folge umgeben, der ihr theilnehnend etwas zu fagen ſcheint, was fie nicht verſtehen fann. Da erft erblict jener Herr das ihr entgegen Fommende Mädchen, und laut ruft ers „Um Gotteswillen, Aline! Stoß’ die arme Giannina hinab, und rette Dig“
„Das war Henrico’s Stimme!“ aͤchzt fie verzweiflungsvoll, es flimmert ihr vor den Augen, und rettungslos ftürzt fie im die bodenlofe Tiefe hinab.
„Wir find am Ziel, Mademoifelle, ers muntern Sie ſich, hier ift Ihre Reifetafche und Ihre Guitarre, den Brief an Ihren
Tutti Frutti IV, 5
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Herren Vater wird der Kutfcher beforgen, wahrend ich hier die Pferde halte, und das Etui werde ih, Ihrem Wunfche gemäß, Herrn Willibald wieder zuftellen. Sch hoffe, wir fcheiden als gute Freunde, und Mademoifelle, wenn es Alle fo gut mit Ihnen meinen, wie ich, fo .... doch mein Gefchaft ift hier aus, und Niemand greife dem Schickſal vor. Haben Ste noch fonft etwas an Herrn Willibald zu beftellen ?“
„Hein 2... Doch ja .... fagen Sie ihm, ich behielte feine Guitarre zum einzigen Angedenfen, und wenn er einmal in ftiller Nacht ihre leifen Accorde ſchmerzlich wie: der tönen höre, dann folle er fich fügen: Siannina fey nicht mehr!“
Sechster Tag.
Es fchlug präcis A1 Uhr auf dem Kirch— thurme zu Lindenau, als ein Mann, den wir nicht fchwer erfennen, vor einem eins fachen aber zierlichen Landhaufe ftand, und bei dem nadlafjig an die Thür gelehnten Diener demuͤthig anfrug, ob er wohl feine Waaren den gnädigen Herrfchaften auss legen dürfe. Er komme eben vom Jahr— markt zu Moosheim, und koͤnne mit den fhönften franzöfifchen, englifchen und deut- fhen Waaren aufwarten,
„Warum,“ fagte der alte, mürrifche, fhnurrbartige Bediente, „warum nennt Ihr, deutſche Handelsleute, denn immer die ehrliche deutfche Waare zuletzt, und den
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fremden Firlefanz zuerft? Wenn ich nur wüßte, woher der rafende Reſpect koͤmmt, den bei uns Alles vor fremden Ländern hat. Wie wir in Paris einmarfchirten, da fam mir doch das Sranzofenvolf mit allem feinen Gefchnatter und gebrat'nen Frofch- Feulen recht erbarmlich vor, und bei Water: (vo, Fann ich wohl fagen, hatten aud) die Engländer, als e8 zum Abend ging, Fein fo groß’ Maul mehr wie font wohl, und waren wir ehrliche Deutfche nicht dabei ges wejen, hätte man wohl von dem Tage an, von den ganzen Englandern nichts mehr auf dem fejten Lande vernommen.“
„Alſo nennt mir Eure guten deutfchen Waaren nicht zuleßt, und nun will ich Eud anmelden. Der Herr ift zwar nicht zu Haus, aber die gnadige Frau wird Euch ſchon ’was abfaufen.“
„O wie erwünfcht!“ dachte Mifchling, und folgte mit klopfendem Herzen.
Schon auf dem Hausflur begegnete ih—
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nen, wie von ohngefahr, Mademoifelle Betty, und als fie den Haufirer mit dem Bedienten Lorenz gewahrte, fagte fie, Die Hände zufammenfchlagend: „Nein, der fommt doch wie gerufen! eben wollte die gnädige Frau wieder nad) Moosheim ſchi— den, weil ihr Alles nicht recht war, was ich vom Jahrmarkte mitgebracht, Nun bat der Mann da vielleicht Alles was fie braucht.“
„Ja,“ meinte Lorenz treuherzig, „er fagt: er habe eine Menge deutfche, englifche und franzöfifche auserlefene Waaren.“
„Wohl, fo kommt nur gleich herein, lies ber Sreund, ich werde Euch den Meg zeis gen, und Ihr, Lorenz, geht nur wieder hine unter, daß der Herr nicht ſchmaͤlt, wenn er zu Haus koͤmmt und Euch nicht an Eurem Poften findet,“
„Na, ich gehe fehon, aber hört einmal, Freund Haufirer, kommt doch noch einmal bei mir ran, Wenn Shr einen Pfeifenfopf
_ 102 mit dem alten Blücher habt, fo Fauf ich ibn Euch) ab,“
„Damit werd’ ich Euch dienen Fünnen,“ fagte Mifchling, und folgte mit Ungeduld feiner Führerin,
„Es hat ſchoͤn fchwer gehalten; zifchelte ihm dieſe zu, „die gnadige Frau dahin zu bringen, Sie zu fehen. Sie wollt’ es mit aller Gewalt nicht, ich machte aber fo eine herzbre— chende Befchreibung von Allem, was Sie ih- retwegen ausgeftanden hatten, und wie fchon es doch von Ihnen geweien, daß &ie glei) den Ring zurücgegeben, wie verfchwiegen und folide Sie wären, und wie fo ganz außer fih vor Kummer, als Sie gehört hatten, daß die gnaͤdige Frau nicht glüdlicd) ſey — worüber fie mich dann noch aus- ſchmaͤlte, daß ich Ihnen das gefagt hätte — furz, am Ende erweichte ich fie doch, aber durchaus müßte ich dabei ſeyn, fagte fie — allein bliche fie mit Ihnen um feinen Preis.
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Laſſen Sie fid) aber das nicht anfechten, ich werde fchon fehen, was ſich thun laßt.“
„Englifhes Mädchen, nie kann ih Dir meine Dankbarkeit genügend beweisen! Du bift wirklich das liebenswuͤrdigſte Geſchoͤpf unter der Sonne.“
„Stille, ſtille!“ wiſperte Betty; „wenn das die gnadige Frau hörte, würde fie am Ende noch eiferfüchtig auf mich armen Wurm!“
Hiermit dffnete Betty die Thür, und ihn in ein geraumiges Zimmer fchiebend, in dem nur ein ungewiffes Tageslicht durch) dunfele Gardinen eindrang, rief fie laut: „Gnaͤdige Frau, hier it ein Mann mit vers ſchiedenen Galanteriewaaren von Mcosheint, und fragt an, ob Sie etwas brauchen Fün- nen ?“
„Laß ihn nur näher treten,“ erwiederte eine leife, zitternde Stimme, deren füße Töne wie fo viel Magnethaͤmmer an uns feres Helden empfängliches Herz fchlugen.
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Die Barsnin, mit bloßem Haar, das vorn gefcheitelt, in üppigen Locken auf Hals und Schultern herabfiel, faß in einem eins fachen, aber nur deſto verführerifchern, wet Sen Morgenanzug an einem geräumigen Tiſch, von dem fie jest einige Papiere ab- räumte, und Mifchling ftillfchweigend ein Zeichen gab, feinen Kaften hier abzufegen.
„Welche lächerliche VBermunmung!“ fagte fie halblaut. „Was bezweden Sie nur das mit ?“
„run,“ fuhr fie mit fchalfhafter Miene fort, „was wollen Sie mir denn verfaufen ?“
„Önädige Frau,“ fagte Mifchling, einen bittenden Blick auf Betty werfend, indem er mehrere Sacher mit Waaren herauszog und vor die Baronin hinftellte. „Das Werthr vollfte, das Unſchaͤtzbarſte, was ich befaß, ift Ihnen bereits abgeliefert worden, und was den Preis dafür betrifft, feßte er laͤ— hend hinzu, fo fage ich nur: „Standess perfonen zahlen nach Belieben.“
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„Ein ehrlicher Finder,“ eriwiederte die Baronin, „verlangt feinen andern Lohn als herzlichen Dank, und den verweicere ich Ihnen nicht. Ja, ich füge noch die Bitte hinzu: mir den umüberlegten Spaß zu verzeihen, den ich mir mit Ihnen auf dem Kirchhofe erlaubt, und woran Betty noch mehr Schuld war als ich, die mich nur zu oft verleitet — gegen meine Ueberzeugung zu handeln!“
„O!“ fagte Mamſell Betty, „wenn Eie, guädige Frau, mich fo vor dem fremden Kaufmann herabfegen wollen, fo mag ich es wentgftens nicht felbft mit anhören,“ und mit diefen Worten war fie, ſchnell wie ein Pfeil, aus der Thür entfchwunden,
„Betty!“ rief die Baronin entrüftet; „Betty! ich befehle Dir, augenblicklich zu: ruͤckzukommen .....“
Doch keine Antwort erfolgte.
„Himmel!“ ſagte die Baronin mit den Zeichen der groͤßten Unruhe aufſtehend, „wel— che Demuͤthigung in meinem eig'nen Hauſe!
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O, mein Herr!“ rief fie mit ängftlichen Unmuth, die Hande ringend, „entfernen Eie ' ſie ſich, ich kann und will nicht allein mit Ihnen ſeyn. Wie kann ich es nach dem, was ich fchon an jenem unglüdlichen Abend, eben fo thöricht ale Fühn, von Ihnen aus: iprechen hören mußte! Verlaſſen Eie mid), ich beſchwoͤre Sie, es iſt meine erfte und legte Bitte.“
„Aline! Zauberin, der Fein Maͤnnerherz widerftehen kann,“ flehte der gewandte Vers führer, und warf ſich ftürmifh vor ihr nie— der, „mache mit mir, was Dir gut dünft, aber Deine Füße will ich umflammern, bis Du mir ein Wort des Troftes, des Erbar- mens mit ciner Leidenfchaft fagft, die mid) wie glühendes Feuer verzehrt, feit ich zum erſten Mal in Dein Engelsantlig fchaute. O allmachtiger Gott! koͤnnten ſolche fanfte Himmelsaugen täufchen! eher müßte ja des unfchuldigen Lammes Natur fich im des Tigers Graufamfeit verwandeln!“
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„nein Herr! welche Sprache erlauben Sie ſich — wollen Sie ein ſchwaches hülflofes Weib zur Verzweiflung bringen, eine ver: beirathete Srau von ihren Pflichten verlo— den? o Gott! wollen Sie mein Herz, mein vielleicht zu ſchwaches Herz rüdfichtslos in den Abgrund des Verderbens ftürzen! Was würde die Folge feyn, wenn ich Shrer uns feligen Zeidenfchaft für mich auch nur das geringfte Gehör geben wollte, ein Raufd) des Augenblids für Sie — ewiges Elend für mid! Noch einmal, ich befhwöre Sie bei Allem, was SZhnen heilig it, ja, ic bin es, die Sie um Erbarmen fleht. Der: laffen Sie mi! Stehen Sie auf! O ge rechter Himmel, ſchuͤtze mich,“ rief fie weis nend, „alle .meine Sinne verlaffen mich!“
Wie es zuging, daß fie bei diefen Worz ten dem ihre Kniee umfaffenden Mifch- ling in die Arme fanf, Fonnte er fyaier nicht genau angeben, aber felbft von glü- henden Flammen verzehrt, ſchloß er fie won:
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netrunfen an fein Herz, fchwor der halb Bewußtloſen die theuerften Eide, fortan nur für fie zu leben, fie von ihren unwärdigen Ketten zu befreien oder zu fterben; und ihr ren füßen Mund mit wilden Küffen bede— end, weiß der Himmel was noch daraus geworden ware, wenn nicht in Diefem ent: fcheidenden Augenblick Betty mit dem leiz fen und aͤngſtlichen Auf: „es kommen Leute!“ eben herein getreten ware. „Verdammt!“ fagte Mifchling, wie fein Don Juan in der Puppencomddie, und eilte, ſich fchnell wieder feines Kaftens zu bemachtigen. „Wir werden jeßt geftürt, an: gebeteter Engel,“ flüfterte er der erſchrock'nen Baronin mit einem fenrigen Handedruc zu, „aber unfer Bund ift gefchloffen, Dein, himmliſches Mefen, bin ich auf ewig!“ Mit einem tiefen Seufzer und ohne Ants wort nahm diefe ihren vorigen Plaß am Zifche wieder ein, und während fie noch, mit dem Schnupftuch vor dem glühenden
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Geficht, gewaltfam hervorquellende Thranen zu trocknen fchien, declamirte er bereits mit lauter Stimme die fchönften Anprei— fungen feiner vortrefflihen Waaren her. Unterdeffen waren im Gefolge des Baron Roſenkranz mehrere Perfonen eingetreten, von denen Mifchling eine jchon früher verz nommene afthmatifche Stimme, die nod) nicht recht zu Athem Fommen Fonnte, hinter fich eifrig fagen hörte: „Ganz gewiß, er iſt es — emmem; fein jeßiges Coftüm ift bier ganz genau befchrieben — emmen.“ Sich fihleunig umwendend, erblicte Mifchling den Lindenauer Policei- Director von zweien feiner Satelliten gefolgt. „Verzeiden Ste, gnädige Frau, daß wir bier bis in Ihre Stube dringen — em— mem, der Herr Baron wollte unfere Ents fhuldigung übernehmen, da wir einen höchft gefährlichen Boͤſewicht — emmem, den uns bezweifelten Chef einer zahlreichen Rauber; bande hier auf der Spur find — emmem,
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und zweifelsohne in diefem dermaligen Herrn Zabuletframer vor uns fehen — emmem, der vorgeftern noch ein Fatholifcher Pater zu feyn beliebte.“
„xieber Freund,“ wandte er fih nun an Mifchling, „weif’ er fi) doch einmal gefäl- ligft mit feinem Paffe gebührend aus — emmem!“
„Welche Noth hat man doch heutzutage überall mit der Policei,“ dachte Mifchling. „Herr Policei-Director,“ fing er an...
„Alſo Er Fennt mid) fhon — emmem?“
„sch habe diefe Ehre.“
„run!“
„Mein Papß liegt mit meinen übrigen Effecten noch in Moosheim, weil ich, mor— gen fchon dahin zurückehrend, nicht glaubte, als ein ehrlicher Mann, der bloß feinem Handelsgefhaäfte nachgeht, auf die paar Zage eines folchen zu bedürfen.“
„Faule Fiſche — emmem, lieber Freund, und bis wir feinen Paß nebit Effecten in
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Moosheim vorfinden — emmem, wird Er fich es einftweilen ein wenig bei uns auf der Hausvogtei gefallen laffen — emmem.“
„Verſchonen Sie mich damit, geehrteiter Herr, und um meine Wenigfeit, die fo un: fhuldig ift, wie ein neugebor’nes Kind, loszufaufen, will ich Ihnen eine höchft wich- tige Entdeckung machen. Ich habe namlic) die allergegründetefte Vermuthung, daß der Mann, den Sie fuhen, wenn es anders der namliche ift, den Sie als Fatholifchen Pater arretirten, wo er, wie ich in Erfah: rung gebracht, eine Fünftliche Masfe trug, und Ihnen nachher entwifchte, indem er, ſchnell feine Kutte umdrehend und Die Maske abziehend, Zhren Leuten als ein ganz Fremder erfibien, und fo Gelegenheit fand, fi) aus dem Staube zu machen — wenn, fage ich, diefer zugleich auch der be: rüchtigte Rauberhauptmann ift, der unfere Wälder feit einiger Zeit unficher macht, fo
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— befinden Sie ſich hier in feinem Haufe, denn Herr v. Molff ift der Mann.“
„Iſt der Menfch rafend?“ rief Baron Rofenfranz, „oder halt er uns für Narren, ein folches Mährchen zu glauben ?“
Der Policei-Director war indeß nachden— kend geworden. „Herr Baron,“ ſagte er, „was der Mann da ſagt — emmem, über: raſcht mich ungemein, denn Sie müffen wiffen — emmem, daß mir felbft über die: fen Herrn v. Wolff ſchon fehr feltfane Mittheilungen zugefommen find — emment, und ich fchon mehrere Male verfuchte, feine perfünliche Befanntfchaft zu machen, ohne ihn je antreffen zu koͤnnen — emmem. Sie werden mich daher verbinden, Herr Baron, wenn Sie mir mittheilen, was Cie von Ihm wiffen — emmem.“
„Nun,“ erwiederte der Baron mit ficht: barer Befremdung, „als ich voriges Jahr von Stalien fam, habe ic) feine Befannt: (haft in Dresden gemacht, wo er täglic)
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eine Reftauration befuchte, in der auch ich zuweilen fpeifte. Da ich nun dort einmal von meiner Abficht fprach, das hiefige Ge— bürge im Frühling zu bereifen, fo bot er mir fein Landhaus hier, wo wir uns eben jeßt befinden, zur Wohnung an, was er, wie er fagte, um fo leichter entbehren Fünne, da er vieler Geſchaͤfte wegen nur höchit felz ten zu Haufe ſey. Meiter weiß ich aller: dings nichts von ihm.“
„Mein Gott!“ fagte die Baronin, „wic leichtfinnig, lieber Mann! Du fagteft mir ja, Herr v. Molff fey ein alter Freund von Dir.“
Der Policei-Director firirte den Baron fcharf, und diefer erwiederte mit einem feichten Anflug von DBerlegenheit: „Aller: dings, was man fo in der Welt einen be fien Freund nennt, liebes Kind. Er hatte immer viel Geld, fpielte hoch, gab fehr gute dines, wer Teufel fonnte da glauben,
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mit einem fo verdäachtigen Menfchen zu thun gehabt zu haben!“
„un,“ meinte der Policei-Director, „Die Sache wird fich bald aufklaͤren — emmem, wir wollen der gnädigen Frau jest nicht länger befchwerlich fallen — emmem, nur muß ich amtlich und fehr ernftlich alle Anz wefende erfuchen, von dem bier Vorgeganz genen ganz reinen Mund zu halten — cm: mem, damit Herr v. Wolff, wenn er un fhuldig ift, nicht in feinem Rufe angetaftet, und tft er der, den wir fuchen — emmem, nicht vorzeitig gewarnt werde. Ihr aber, guter Freund — emmem, marfchirt jeßt mit und. Nehmt ihn in Empfang — em— mem!“ wandte er fich zu den beiden Poli— ceidienern. 2
Unrerdeffen hatte die Baronin mit ihrer Kammcerfrau ein leifes Gefprad geführt, in Folge deffen jeßt ploͤtzlich die Letztere vortrat, und des überrafchten Directors Hand Füffend, fagte: „Sie Fennen mich,
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meine Eltern und ganze Familie; ich will Ihnen alſo nur geſtehen, der Hauſirer iſt mein Schatz, und ein ganz unverdächtiger Mann, den wir feit vielen Jahren Fennen. Nur meinetwegen ift er eigentlich hergefom- men, ich ftehe mit Leib und Leben für ihn, und bitte himmelhoch, den armen Jungen nicht in ſolche Schande und Malheur zu bringen. Laſſen Sie ihn nur jeßt nad) Moosheim zuruͤck, und er wird ſich morgen fhon auf alle Weife bei Ihnen als ein uns befcholt’ner, ehrlicher Kaufmann, der er ift, legitimiren koͤnnen.“
„Mein beftes Kind — emmem, es thut mir herzlich leid, wenn dem fo ift, wie Sie fagen, aber ich kann es nicht wagen — emmem, diefen Mann jest loszulaffen, ich koͤnnte mich felbft deßhalb der größten Ver: antwortung ausfezen — emmem, ja meinen Dienft darüber verlieren — emmem. Uebri— gens tröften Sie fih, es foll ihm gewiß Fein Leid gefchehen, und wenn er Feine
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Schuld auf fich geladen hat — emmen, was kann ihm ein Furzer Arreft Schaden, den ſich in unfern unruhigen Zeiten ja ganz andere Leute haben gefallen laſſen muͤſſen — emmen, Leute, thut Eure Schuldigkeit!"
„Halt!“ rief Mifchling, der bisher, fehr unbefangen, nur jeden Moment wahrgenontz men hatte, um feiner Geliebten einen zart lichen oder fprechenden Blick unbenerft zu— werfen zu koͤnnen. „Halt! oder Ihr werdet es bereuen.“ — Und indem er jest fchnell ein Terzerol aus feinem Kaften zog, rief er, fich zugleich in die Stubenede retirirend, mit lacherlihem Pathos aus:
„Eh foll die Welt zu Grunde geh’n, Und Ungeheures hier geſcheh'n,
Eh’ Ihr von dem aefalbten Haupt Mir eine falfhe Locke raubt!“
Alles war zurücgefahren und ſtarrte mit offenem Munde auf das gefpannte Piftol, und den wie verrüct erfcheinenden Redner.
„Herr Poltcei-Director, ich capitulire,“
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fuhr Mifchling fort, „und erbiete mich, meine Maffe abzuliefern, mit der einzigen Bedins gung: daß Sie mir in der Nebenftube nur eine Unterredung von einer Minute unter vier Augen verftatten. Sch habe ihnen ein böchit wichtiges Geheimniß noch anzuver- trauen.“
„Sehen Sie nicht,“ warnte der Baron, „er will Ste vielleicht nur bequemer dort umbringen.“
„Poſſen — emmem!“ rief der Policeis Direetor eifrig, befahl feinen Leuten, den Eingang zu bewachen, und auf Mifchling herzhaft zugehend, fagte er: „Ueberliefert mir Eure Waffen — emmem, und folgt mir in des Herrin Barons Cabinet — ems mem. Sch hoffe, Sie erlauben %“
„O Alles in unferem Haufe, wilfen Sie, ficht fiets zu Ihrem Befehl.“
Als Beide in dem Cabinet angelangt waren, zog Mifchling die Ihür forgfaltig zu und brach, ſich aufs Sopha werfend,
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in ein faft convulſiviſches Gelächter aus, „rein, es iſt zu toll,“ rief er, „alter, Dicker Freund, feyd Ihr den heute ganz mit Blinds heit gefchlagen? Muß ich denn,“ fagte er, „wie auf dem Theater, Bart und Perüde abnehmen, dag Zhr mich endlich erfennt? Na! feht her, bin ich Euch noch verdächtig ?“
„Herr des Himmels! Serenissimus — emmem!“
„Still, Fein Wort weiter, verrathet mid) nicht. Geht ſogleich ab und fagt, ich hatte mid vollftändig legitimirt, und daß ber Baron ja nie die Mahrheit erfährt. Ver— fteht Shr mich — ich habe meine Gründe dazu. Uebrigens werde ich Euch über den faubern Wolff und auch über den ebenfalls etwas rathfelhaften Baron ſpaͤter noch das Noͤthige mittheilen. Jetzt macht, dag Ihr fortfomnt, ich werde Euch demuͤthig folgen. Spielt Eure Rolle natürlid. Damit gab er ihm einen fanften Stoß nach der Thür, machte fi) Verüfe und Bart wieder feft,
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und Beide traten nun, che Faum noch die verlangten zwei Minuten verftrichen waren, in das Zimmer der Baronin zurüd.
„Der fremde Haufirer — emmem,“ fagte der Policei-Director, ganz echauffirt, „hat mir in der That eine höchft merkwürdige Eröffnung gemacht — emmem, in Zolge deren ich an feiner Unfchuld nicht mehr zweifeln Fann — emmem.“ —
Hier lächelte Betty der Baronin verftoh- len zu. —
„Lebt wohl, guter Freund — und id) bleibe Euch wahrhaft und zeitlebend verz pflichtet — emmem. Nun, ich wünfche Euch dafür aud) immer guten Abja Eur rer fchönen Waaren — emmem. Herr Baron und Frau Baronin, nochmals um Verzeihung bittend, empfehle ich mich be— ſtens — emmem, und bitte von wegen des Herrn von Wolff die Abrede ja nicht zu vergeffen — emmem.“
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Mit diefen Morten entfchwand endlich der unbequeme Beſuch.
„Sonderbar,“ fagte der Baron, „die Scene hat fi) ja mit einemmal, wie durch Zauber, geändert. Guter Freund, Ihr ſeyd wohl außer Eurem kaufmaͤnniſchen Mer tier, auch noch Schaufpieler, weil Ihr fo gut deelamiren koͤnnt?“
„Ach, guädiger Herr,“ fagte Mifchling, auf dem Liebhabertheater zu Moosheim ba- be ich ja eben meine theure Betty Fennen gelernt. In der Zodesangft vorher declas mirte ich ſchnell ’ne Stelle aus Herrn Hein rich’3 letztem Puppenfpiel, die mir g’rade einftel, die namlich, wo die Schergen den Prinzen Facardino auch in den Kerfer fhleppen wollen. Das Terzerol war aber gar nicht geladen, und nur eins, was ich bier zum Verfauf bei mir führe.“
„Ihr feyd ein drolliger Kauz! Wie habt hr Euch aber zuleßt noch frei gemacht ?“
„Ja, verzeihen Sie, gnädiger Herr, das
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darf ich nicht ſagen, es betrifft aber eine gewiſſe Geſchichte, verſtehen Sie, die der Herr Policei-Director — emmem, auch nicht gern laut werden laſſen moͤchten — emmem. Es iſt auch ſo etwas Liebes da— bei im Spiele, verſtehen Sie?“
„Ha! ha! das tft excellent! Sa, ja, ich kann mir's fchon denken. Nun und Ihr, Ihr habt Euch alfo dieß haarſchwarze und naſeweiße Mädchen ausgewaͤhlt? Na, wohl bekomm's! Apropos, wußten Sie etwas davon, Madame?"
„Nicht ein Wort, erwicderte die Baro— nin, flüchtig erröthend, „auch war ich fehr ungehalten darüber, indeffen, da mir Betty eben verfichert, der Fremde fey ihr Braͤu— tiganı, fo müffen wir's uns ja ſchon gefal- len laſſen. Geht alfo nur jeßt auf Euer Zimmer, denn ich fehe wohl, wie fehr Euch die Ungeduld plagt, endlich allein mit einander feyn zu dürfen. Die Sachen, die ich vorher von Euren Waaren ausges
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wählt babe, guter Freund, Fonnt Ihr meis ner Kammerfrau übergeben, fie wird Euch den Preis dafür auszahlen.‘
„O Sie liebte gnädige Frau, fagte Betty, und füßte ihrer Gebieterin danfbar die Hand, „Sie find doch immer die Güte felbft, und haben auch mit einem armen Madden Mitleid, die eben fo eine ſchreck— liche Alteration hat ausfichen müffen! Na fomm’, Lolo, kuͤß' der gnädigen Frau Bas ronin, die's fo gut mit uns meint, auch die Hand, wenn Sie's guadig erlaubt, und dann komm' mit mir herauf, daß Du Dich von Deinem Schred doch ein bischen erholen kannſt!“
Da der argwohnlofe Baron jet eben ein Bureau dffnete, um einen Brief herauszns nehmen, benutzte Mifchling fchnell den guͤn— ſtigen Augenblick zum legten, bedeutungss vollen Handfuß, und verlieh dann, feiner Pfeudo-Geliebten folgend, und mit einer ehrfurchtsvollen Verbeugung bei dem Herrn
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Baron vorbeigehend, das Zimmer, mit Amor’s Pfeile tief im Herzen.
„seht will ich Ihnen etwas vertrauen,‘ fagte Betty auf der Treppe, „wir kennen Sie, gnaͤdiger Herr. Nie hätte fonft auch die Frau Baronin Shre Herfunft erlaubt, aber da ihr Gemahl durchaus nicht Luft bezeigte, Ihre Befanntfchaft zu fuchen, und dennoch — unter dem Giegel des Ge— heimniſſes ſey es geſagt — die Baronin, Sie, gnaͤdiger Herr, ſchon früher in Dres— den geſeh'n, und feit diefer Zeit immer vf- ter über ihre unglüdliche Lage Flagte, und immer [hwermüthiger wurde, fo iſt es mir nicht allzu fchwierig geworden, fie zu der heutigen Zufammenfunft zu bereden. Schon in der Puppencomodie erfannte die Baro— nin Sie gleich) auf den erſten Blick wies der, und die arme Frau zitterte wie ein Espenlaub, als Sie fi hinter und feßten, Das war mir gleich ein verdächtiges Zeis hen! Nun ift es an Ihnen, die Sache fo
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einzuleiten, daß Sie mit dem Herrn Ge: mahl unter Ihrem wahren Namen und Geſtalt in nähere Berührung fommen. Nur fo ift es möglich, längere und leichtere Ger legenheiten zu finden, Ihre weitern Zwecke zu verfolgen — denn, daß Eie Feine ehr lichen Abfichten haben follten, gnaͤdiger Herr, das traue ich Ihnen nicht zu! Er nen folchen harmlofen Engel zu betrügen, das ware fchredliche Sünde! Aber daß die arme Frau von diefem abfcheulichen Ba— ron, einem Spieler, und Gott weiß, was font noch, durd eine ehrliche Scheidung ſich losmacht und Ihre rechtmäßige Ge: mahlin wird, das fag’ id) offen, das wün- {he ich Ihnen Beiden von ganzer Seele. Auch glauben Sie nicht, daß Sie je einen andern Zweck bei meiner gnädigen Frau erreichen, denn fo fanft und fchwach ihr Herz ſeyn mag, auf das Capitel ihrer Tu: gend, da ift fie eine Lowin! Meine Rolfe iſt alfo nun fo ziemlich ausgefptelt, und“,
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fetste fie lachend hinzu, „ich werde wohl Feine geringe Mühe haben, meinen Lolo mit Auftand wieder los zu werden, wenn Euer Durblaucht als glanzender Schmet— terling erft aus diefer Puppe ausgeflogen find, '*
„Ihr habt nich alfo doch nur zum Ber fien gehabt, während ich Euch zu täufchen glaubte?* jagte Mifchling mit einigen Beroruß.
„Mein guadigfter Herr, das nennt man malice blanche, die uns Frauen immer erlaubt ift. Ohne ein bischen chrliche Lift, wie follte man e8 da mit den ftarfen, ty rannifchen, böfen Männern aushalten. Geht es Ihnen in diefer Hinficht nie fchlimmer old mit ung, fo wuͤnſche ich Ihnen im Voraus von Herzen Glüd.“
„ga, ja, ich weiß es ſchon,“ erwies derte Mifchling, Bitterfüß lachelnd, „man muß fihb mir Euch immer darauf gefaßt machen, der zuletzt Angeführte zu bleibın,
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aber die Baronin foll es mir doch noch ein wenig entgelten I*
Mas hierauf num noch weiter abgeredet wurde, laffen wir unberührt, um fo mehr, da es ſcheint, als wenn wir überhaupt von Miſchling ganz und gar Abfchied zu neh— nen haben werden, und feine Rolle, uns ter dieſem Namen wenigſtens, jeßt ausges fpielt ſey.
Wir wollen indeß, che der fechste Tag ganz vergeht, die übrig bleibende Zeit das zu benußen, dem Lefer einige kleine Dune felheiten, die fih im Verlauf unfprer wahrs haften Geſchichte eingefchlichen haben, ſo— weit aufzuklären, als fie uns felbjt bis jest bekannt find,
Da wir uns Alle ohne Zweifel am leb— hafteſten für die trenmüthige Giannina und die verführerifche Aline intereffiren, fo muͤſ— fen wir hauptfächlich einige frühere Um— ftande aus ihrem beiderfeitigen Leben in möglichfter Kürze nachholen.
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Der Fremde, welcher vor 20 Jahren Roſa Chiarini aus Rom entführte, war ein deur ſcher Fuͤrſt, deffen wahren Namen feine Geliebte nie, fondern nur einmal durch Zur fall feinen Stand im Allgemeinen erfuhr, Der Ungar, oder vielmehr Zigeuner Co— rally aber, hatte blos als bezahlter Agent des Fürften bei der Entführung gehandelt, und Roſa Diefom bis auf die nachfte Sta— tion, in der Richtung nach Ancona bin, zugeführt. Hier wartete der Fürft ihrer zu befferer Eicyerung des Geheimniffes, und ließ ſich, da fie feft darauf befianden, foͤrm— lich mit ihr unter dem Namen Luigi trauen, geſtand ihr jedoch in fpäterer Zeit felbft, dB er ſich dazu nur eines verfleideten Dieners bedient habe, da fein hoher Stand eine gefegliche Verbindung mit ihr unmoge lih mache. Sie reiften von hier nach) Ve— nedig und lebten dort über cin halbes Jahr lang glückliche Tage, im QTaumel befrie— digter Luft, als ploͤtzlich der Fürft mit eis
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nem jungen Doctor, dem einzigen Deutz ſchen feines Gefalges, fpurlos verſchwun— din war. Ziemlich beträchtliche Fonds, die er bei feinem Banquier niedergelegt hatte, tilgten zwar alle feine Schulden und reich— tin zur Yuszahlueg der Dienerfchaft, jo wie einer nambeften, von ihm ſchon früs ber feſtgeſetzen Summe für Rofa, voll fondig hin; aber über ihn felbft Fonnte auch der Banquier Feine beftimmte Aus— funft geben.
Später verbreitete fi indeg ein, mit zienilich wahrfibeinlichen Umſtaͤnden begleis tetes Gerücht: Daß beide Fremde von Naus bern überfallen und ermordet worden wü« ren.
Roſa, ſchon hochſchwanger, ſich hoͤchſt ungluͤcklich fuͤhlend, ganz huͤlflos und von Coraliy’s Bewerbung verfolgt, entſchloß ſich endlih, dem Ungar ihre Hand zu ges ber, der, um ollen Unannehmlichkeiten zu entgehen, von nun an den Namen Zaroli
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annahm, und lange ein umherirrendes Le ben mit ihr führte.
Nachdem er ihr Geld verthban, und ihre Talente, ja vielleicht felbft ihre Reize ge waltfam und auf jede Art ausgebeutet hats e, ſtarb fie endlich, durch Kummer und Gram fruͤhzeitig hingeopfert, in einem Dorfe an der italiänifhen Graͤnze. Gern hätte fie das Leben verlaffen, wenn fie nicht ihre beiden Kinder, wovon die ältefte Giannina, die Frucht ihrer Zugendliebe, die zweite, Joſephe, die Tochter Corally's war, in ſo üblen Handen hatte zuruͤcklaſſen muͤſſen.
Auf dem Todbette entdeckte fie der da- mals A2jahrigen Giannina zuerft die wah- ren Umftände ihrer Geburt, begleitete mit vielen zartliben Warnungen und Lehren das traurige Bekenntniß, und übergab ihr als einziges Vermaͤchtniß eine Schrift, wel: de die erwähnten Details enthielt, mit einem Medaillon, das auf einer Seite des
Fuͤrſten Bild, in feltfamer Laune als Mönch +
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gemalt, auf der andern eine Loce fchöner brauner Haare enthielt. Sn diefer Schrift fand Giannina ihres Vaters nur unter der Benennung des Prineipe Luigi erwähnt, indem alle frühern und fpätern Bemuͤhun— gen ihrer Mutter, feinen Samiliennamen zu erfahren, ganzlich fruchtlos geblieben waren. Ehe die arme Roſa ſtarb, befe— ftigte fie noch felbft das Medaillon an ei— ner ferd’nen Schnur an der Tochter Hals, bat fie, es immer zum Andenken ihrer unglücklichen Eltern zu tragen, und machte ihr über das Ganze firenges Gehrimniß zur Pflicht, bis vielleicht ein günftigeres Schickſal fie einft in den Stand ſetze, et— was Genaueres über die Verhaltniffe des unbekannten Urhebers ihrer Zage zu er— fahren.
Diefen Befehl ehrend hatte daher Gian— nina auch ihrem Geliebten nur den Vorna— men ihrer Mutter und ihre Entüjrung durch Corally, aber nie die nähern Um:
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fiände ihrer Geburt mitgetheilt, ſo daß ur fie, gleih Allen, ‚für die rechte Tochter des Ungarn hielt. Einmal war ihm das Medaillon, welches Giannina faſt nie ab- legte, aufgefallen; da fie Jedoch, ſchnell daruber hinweggehend, nur äußerte, Daß fie es in Folge eines Gelübdes trage, hätte es Mifhling für einen Mangel an Deli- cateffe gehalten, weiter darüber nachzufor- ſchen, indem er es für das Andenfen er nes früheren Geliebten anfah.
Sp war denn die Mutter nach langen Leiden hingeſchieden, ihr letzter Seufzer noch ein heißer Segen fuͤr ihre verlaſſenen Kinder.
Der Vater verheirathete ſich wenige Mo— nate darauf von Neuem in Trieſt mit ei— ner in ſehr ſchlechtem Rufe ſtehenden, aber huͤbſchen und raͤnkevollen Wittwe, mit Na— men Gratovi, und ſetzte ſein vagabundes Leben in mehrerer Herren Laͤnder fort, bis er endlich mit ſeiner Familie bis zu jener
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Stufe gemeinen Erwerbes herabfanf, auf der wir ihn angetroffen haben.
Giannina, fo lange das Lieblingskind der Mutter , und durch ihre guten Lehren, wie durch das Beiſpiel ihrer bittern Er— fahrung gewarnt, fuchte, fo viel fie konn— te, des Daters und der Stiefmutter verz derblichem Einfluß auf ihr Gemuͤth entge gen zu arbeiten. Doch wer mag deu Fol: gen eines fortwährend gegeb’nen üblen Beis fpiels ganz entgehen! Es bleibt daher als lerdings problematifch: ob wir der reizenz den Giannina, ſelbſt che fie Mifchling Een: nen lernte, noch einen Stand ganz unbe— flefter Unfchuld zutrauen dürfen, doc) ift fo viel gewiß, daß fie die Unfchuld der Seele nod im reinften Grade befaß, fo wie ein redliches Herz und ein tiefes, ed— les Gefühl, Manches Madchen auf he: hem Standpuncte, der kaum ein Argwohn zu nahen wagt, mag fich prüfen, ob fie immer Daßelbe noch von fich rühmen Fanın,
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Giannina war ein holdes Naturfind, in dem fi) auf feltfame MWeife italianifches Feuer mit deutfcher Reflexion vermifchte, ein fchlimmes Geſchenk der Natur, da man mit einer folchen Dispofittion nur zu ſchnell durch die Zeidenfchaften hingeriffen wird, und nachher darüber ſchmerzlich zu grübeln nie unterlaffen Fann.
Auf ihrer bunten Lebensbahn hatte fie auch einmal eine zartliche Madchenfreund- ſchaft für ein höchft verführerifches Ge— fchöpf ihres Alters gefaßt, das, obgleid) es noch die Unbefangenheit felbft ſchien, doc) bereits in der Kunft fihlaufter Co— quetterie tief erfahren war, eine Kunft, welche Giannina immer ganz fremd gebliee ben, die jene aber, fo zu fagen, faft mit auf die Welt gebracht hatte. Denn ſchon ale Kind wußte fie mit unbefchreiblicher Grazie Alt und Zung zu gewinnen, und durch ihr einfchmeichelndes Weſen die Men- hen zu Allen: zu bringen, was ihr Findi-
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ſcher Sinn verlangte. Shre Herkunft war unbefannt. Die Frau eines wandernden Schaufpiel-Directors hatte fie eines Abends auf ihrer Treppe gefunden, als fie eben aus der Darftellung der Oper Aline zur rücffehrte, und das Kind, deffen Erziehung fie mitleidig übernahm, nach der Heldin jener Oper benannt.
Später ward fie der gefeierte Liebling, und faft einzige Erhalter, der bald da, bald dort auftretenden Truppe, die thr Pflegvater dirigirte. Obgleich fie nun bei dieſem wandernden Leben ſich in Hunderte von aufeinanderfolgenden Avantüren fort während verwicelt fah, wußte fie doch da> bei immer einen fo tactvollen Anftand zu behaupten, ja fic) felbft einen folchen Schein von Unfchuld und Zurückhaltung zu geben, daß ſtets Neue willig in die Falle gingen, und nur der Verlaumdung zurechneten, was fie. von ihren Vorgängern erfuhren. Sm diefer Epoche war es, wo Giannina's Fa—
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milie ſich eine Zeit bei derfelben” Gefell- [haft engagirt hatte, und die zwei Mad- chen, beide durch Neiz und Talent fid) gleich, ſtatt fih zu befeinden, eben viels leicht wegen der ganzlichen Verfchiedenheit ihrer Charactere, die heißeſte Freundfchaft ſchloſſen. Die Art, wie die fchlaue Aline jo viele Männer, bald auf dieje, bald auf jene Weife, zu bethören und am Gaͤngel— bande zu führen wußte, beluftigte im Ans fang Giannina's Mutbwillen, doc als fie die immer gleiche Herzloſigkeit gewahr ward, niit der ihre Freundin auch edlere Gemuͤ— ther , denen fie die heftigite Leidenschaft log, mit demfelben ſchwermuͤthig lächelnden Spott hinter ihrem Rücken kalt verhöhnte, und mir allen Sophismen, die ihr zu Gebote fianden, auch Giannina zu gleicher Hands lungsweife zu verlocken fuchte, 309 ſich des Mädchens gefunder Sinn immer mehr von Diefem unter Blumen gahnenden Abgrund: zuruͤck. Noch ſtaͤrker ward aber ihre Ab—
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neigung, als einjunger, vornehmer Mann, der auf Giannina felbft einen tiefen Eins druck gemacht hatte, gleichfalls im diefer Sprene Neiße fiel und, durch einen uns glücklichen Zufall fih von ihrer Untreue überzeugend, denfelben Abend noch auf der Schwelle ihres Haufes erfchoß.
Ohne irgend ein Mitgefühl bei dieſem tragifchen Ereigniß zu zeigen, wußte Die gewandte Aline es fogar noch fo zu Farz ten, daß man als die Urfache diefes Selbit- mordes nur die Verzweiflung des jungen Mannes angab: ihr vergebens feine Hand angeboten zu haben — ein Geruͤcht, in Folge deffen die gebeugten Eltern, den fup- ponirten uneigennüßigen Edelmuth des Maͤd⸗ chens noch durch ein bedeutendes Geſchenk belohnen zu muͤſſen glaubten.
„Siehſt Du,“ fagte lachend Aline zu ih— rer Freundin, „diefe ganze Welt iſt ein Narrenhaus, und wer das einmal weiß, der führt die Menfchen auch nie mehr an-
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ders als am Narrenfeile. Sch will Dir foviel propbezeib’u, Giannina! wirft Du’s nicht Fünftig eben fo machen, wozu der Himmel Did) vortrefflich ausgeruͤſtet hat, fo wird man Did) daran führen, und Du wirft vielleicht nicht beffer enden, als jener Narr, der fih’8 in den hohlen Kopf ge feizt hatte, ich müßte ein Qugendfpiegel und nur für ihn gefchaffen ſeyn.“ Siannina, im Innerſten empört, ants mortete nichts, verließ aber mit thränens den Augen das Zimmer, und mied ſeit— dem die, bald zur Feindin gewordene Freun— din, ſoviel es nur in ihren Kräften ftand. Bald darauf verließen ihre Eltern die Schau— fpielergefellfchaft, um einem andern Er: werbe nachzugehen, und die Madchen vers loren fich gänzlich aus den Augen, bis ein Jahr jpater Giannina von einem Fremden erfuhr, daß ihre ehemalige Gefährtin eis nen Spieler mit einem vornehmen Titel
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geheirathet habe, und mit ihm gleich nach der Hochzeit nach Italien abgereift fey. Mir haben diefe Aline im Martonettens Theater zu Langenhörnchen kennen gelernt. Mas fie dahin gelockt hatte, war der Wunfch, fi) ungefannt zu überzeugen, ob die Zeus te, deren Namen fie gehört, wirklich ihre ehemalige Bekannte und Cameraden wärs ren, mit denen fie natürlich jedes Zufams mentreffen forgfaltig zu vermeiden, alles Intereſſe hatte. Sie erfuhr, was fie wif fen wollte, ward aber gegen ihre Vermu— thung ebenfalls von Joſepha erfannt, Die es am andern Tag, der Schwejter meldete. Das Zufammentreffen mir Mifchling war der coquetten Fran, die ſchon langft auf den Beſitz des hochgeftellten, noch freien Mannes Plane verfchied’ner Art entworfen hatte, cben fo überrafchend als willkom— men, Sie wußte daher auch mit fihneller Erfindungsgabe durch die Kirchhofsſcene eiz nen Eindruck folcher Art in ihm zuruͤck
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zu laffen, von dem fie, bei dem bekann— ten Character dis phantaftifchen Herrn, mit Zuverficht hoffen durfte, daß er fich nicht fobald bei ihm verwifchen wuͤrde. Ihr Kanmermadchen Betty war die Vertraute Diefer lehren Plane, wußte jedoch von der Vergangenheit der fhonen Aline eben fo wenig als die übrige Welt.
Siannina, als fie Mifchling im Gafts hof zu Moosheim verfprach, ihm felbit die rathfelhafte Schöne auffuchen zu helfen, that dieß im der fichern Vermuthung, daß dies fe, nach) ihrem Erfcheinen an jenem Abend zu urtheilen, jedenfalls fih in der Nahe aufhalten müffe, obgleich fie den Ort felbft noch nicht wußte, Eine kleine Verraͤtherei lag indeß ihren Erbieten allerdings infos fern zum Grunde, als fie das Auffinden der verhaßten Nebenbuhlerin nur dazu bes nusen wollte, fiedurd Aufdeckung der Ver: gangenheit zu demüthigen und vor ihrem Gelichten zu entlarven. Dieß würde auch
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geſchehen ſeyn, und Die duͤſt're Gewitter wolfe, welche wir fchon am Horizont berz auffteigen fehen, vom Anfang an zertbeilt baben, wenn nicht Mifchling feine ſpaͤter fo zufällig felbft gemachten Entdedungen Giannina vorfichtig verfchwirgen und Die Hermfte zuletzt ganz von ſich zu entfernen gewußt hatte.
Mas nach diefen Nachrichten nun noch undeftimmt erfcheinen möchte, wird ohne Zweifel der Bericht über die folgenden Tage löfen.
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Siebenter Tag. (Vier Wochen fpäter.)
Der Herzog von Hohenburg, Graf zu Lindenau, war einer jener kleinen mediati— firten ehemaligen Halb- Souveraine, Die, wenn fie arın find, ein hoͤchſt calamitofes Leben führen, das zwiſchen Glanz und Roth, zwiſchen Scham und Spott, zwifchen Stolz und Demuth hoͤchſt jammerlich mitten inne liegt.
Sind fie.aber reich, fo ift ihre Stellung immer nod) eine angenehme, wenn auc) mehr als ſonſt unvolllommene Zugabe zu ihrem Vermoͤgen, und ihr Anſchen wie ihr Einfluß duͤrfen ſich, auf ſolchem ſoliden Goldgrund geſtuͤtzt, noch immer einer ge— wiſſen Realität erfreuen.
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In diefer letztern günftigen Lage befand fi) der jeßige Herzog, obgleich er feit ges raumer Zeit in einen gefährlichen Proceß mit einem feiner Vettern verwidelt worden war, den er jedoch durch die Fürzlihe Aufs findung gewiffer Documente, die man lange verloren glaubte, nun für fo gut als gewons nen anfehen Fonnte, Von der Natur nicht ftiefmütterlich begabt, gefund und im Frafe tigften Mannesalter, feit aht Jahren Be fitzer der großen Herrfchaften, die ihm ein früh verftorb’ner Onkel hinterlaffen, und eben jener Vetter vergebens ftreitig machte, uns abhängig und frei, führte er ein eigenthuͤm— liches, oft romanhaftes, immer unruhiged Leben, das Wenige nachzuahmen weder Luft noch Fahigfeit gehabt haben würden. Denn wir müjfen geſtehen: es war ein wunders licher Heiliger diefer Herzog! Seine eig’s nen Befigungen nur höchft felten befuchend, fo daß er dort fait am wenigiten befannt war, irrte er fortwährend, bald da, bald
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dort, in der Welt umher, Don Allem hatte er etwas verfucht, bei nichts war er geblie- ben, und tr08 aller Welterfahrung und Ber obadytungsgabe Fonnte man dennoch mit Recht von ihm fagen: daß er nur in der Phantaſie wirklich Lebe, in der Wirflichs feit aber blos phantafire, weßhalb er fi) auch nie recht in Diefe zu finden wußte. Yus dem mämlichen Grunde mochte es wohl kommen, daß er felten felbft genau angeben konnte, was er wolle, und Andere alfo noch weniger aus ihm Flug zu werden vermochten. Soviel ift gewiß, daß nie bei ihm der Fortgang feiner Handlungen mit irgend einiger Sicherheit voraus zu beſtim— men war; und nicht leicht hat es wohl ei— nen Menfchen gegeben, der mobiler fich in fi) felbft umzuwandeln fahig gewefen ware. Heute noch ſtolz, farcaftifch und übermüthig, faum Etwas in der Welt zu boch für ſei— nen Ungriff haltend, und Alles mit bitte rem Spotte höhnend, fah man ihn vielleicht
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morgen ſchon mit fchwarmerifcher Gluth und innigitem Enthufiasmus einem Beifpiel hoher Tugend huldigen, ja mit fchüchterner Demuth felbft geringerem Verdienfte fich willig unterordnen. Begegnete man aber demſelben Menſchen einige Tage fpäter, fo konnte es wohl ſeyn, daß man in ihm nur einen phantaſtiſchen, leichtſinnig unbeſorg— ten, weltlichen Wuͤſtling wiederfand, der nie fuͤr einen ernſten Gedanken, fuͤr einen tiefen Eindruck empfaͤnglich geweſen zu ſeyn ſchien.
So machten ihn dieſe ewigen Contraſte zu einem Raͤthſel fuͤr Alle, abſtoßend fuͤr Viele, verfuͤhreriſch aber auch und unwider— ſtehlich anziehend fuͤr Manche! denn neben den duͤſtern Stellen gab es auch helle Lich— ter — und wer ſich an das Edle in ſeiner Natur vertrauend zu wenden wußte, fand wohl einen tieſen, erfriſchenden Quell in ſeinem Gemuͤth, der nie verſiegte, wenn er gleich oͤfters zugeworfen ſchien.
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Seine größte Schwäche war Eitelfeit — und um fo mehr, da fie, gegen beffere Er- fenntniß, durch eine ganz eigenrhümliche Anomalie, ihre Nehrung nur in Außern Zufalligkeiten und wahren Lappalien fuchte, hinfichtlic) des innern, achten Merthes, d. 5. in Bezug auf moralifche und inteller- tuelle Eigenfchaften aber, gar nicht zu exi— ftiren fchien.
Sm Ganzen, glaube ich, fcheute man ihn mehr, ald man ihn liebte, doch nicht feine Sreunde, Die feft an ihm hielten. Daß es deren nur Wenige gab, Fam wohl großen- theils auch daher, weil es bei ihm fo fchwer ward, auf den eigentlichen Kern zu drin: gen, und Niemand der flüchtigen Bekannt: fchaft jederzeit off’ner, dem engern Freund» ſchaftsbuͤndniß dagegen tiefer verfchloffen war,
Reiche und vornehme Leute machen über: die immer fchlechte Erfahrungen über menschlichen Werth, und nehmen daher leicht
Tutti Frutti IV. 7
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eine bittere Geringſchaͤtzung der Maſſen an, die fich nachher nur fchwer zu Ausnahmen entjchließt, und eine Geiftesftimmung herz vorbringt, welche oft den DVerftand auf fo: fien des Herzens ausbildet.
Seit einigen Jahren hatte indes unfer Herzog, der viel gefehenen Welr ſchon ziem— lih müde, jene heterogenen Eigenschaften bedeutend zufammengefehmolzen, obgleich Gutes und Uebles noch immer fo rüftig in ihm firitten, daß ein vollfommener Sieg des einen oder des andern fortwährend fehr bipothetifch blieb. Um nun diefen zu bez ſchleunigen (denn es war ihn felbit ernftz lich um Befferung zu thun) und dem Gu— ten in ihm einen der mächtigiten Gehülfen zu geben, dem dieſes im Leben zu finden vermag — eine zweite Seele, die abwech- felnd fich in die unfere verfenfen, oder uns in die ihrige aufnehmen kann — war jeßt feines Herzens Wunſch Tebhaft auf eine baldige Vermaͤhlung gerichtet. Man Tann
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fi leicht denfen, dag ein Mann wie er, für jeden Genuß fo empfanglich, und nicht übertrieben gewiffenhaft über die Natur def felben, bei feiner gewinnenden Perſoͤnlichkeit und feinen vielen Mitteln, mannigfache Erz oberungen in dem Kauf feines bunten Le: bens gemacht haben mußte. Doch hatte er bei dieſem fchnellen Wechſel nie jenes andauernde, auf Legitimität im der Kiebe allein ſicher zu gründende, Glück fin— den fünnen, das fein fcharfer und feiner Geiſt, und fein urfprünglich edles Gemuͤth, vielleicht ihm felbit unbewußt, immer mit vager, [hmerzlicher Sehnſucht gefucht hatten,
Es trat ihm aber bei diefen gutem Vor— fügen fehr viel in den Weg, und am mei— jten ohne Zweifel die ſeltſamen Mittel, die er ſelbſt zu ihrem Gelingen einſchlug, fo wie jene ſchon erwähnte Unitätigfeit, die bald wollte, bald nicht wolfte, oft vor dem Erlangten wieder erſchrack, und nie envas Wirflihes zu finden im Stande war, was
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jenen, ihm ftets Sefellfchaft leifienden, Idea— len der Phantaftie harte gleich kommen koͤnnen. Hochmuͤthig durch Geburt und Erziehung, und liberal durch Nachdenken und Urtheil, wollte er ſich zwar im Anfang nie durch niedrigen Stand abſchrecken laſſen, fuͤhlte aber, naͤher ruͤckend, doch immer einen un— willkuͤhrlichen Schauder bei dem Gedanken an eine totale Meſalliance, der ihn definitiv zuletzt immer zur Flucht trieb. Vornehme Damen dagegen fand er meiſtens zu ver— woͤhnt oder unnatuͤrlich, und da er abwech— ſelnd eben ſo avantageus als demuͤthig war, ſo erſchien ihm oft Eine, die an keinem jener ihn abſchreckenden Fehler litt, nur deßhalb wenig wuͤnſchenswerth, weil eben nicht ein einziger Nebenbuhler ſie zu begeh— ren ſchien; eine Andere aber gar nicht zu entamiren, weil ſchon ſo viele Wuͤrdigere als er, ihre Augen auf fie gerichtet hatten, Seit Kurzem war jedoch durch eine hef—
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tige Leidenſchaft, die alle geringere und fhwächere Ruͤckſichten ſchnell zu befeitigen pflegt, feine Wahl endlich entfchieden wor: den, und dieß denn auch ganz fo thöricht — als es bei dem Character des Wählen: den zu erwarten ſtand; obgleich man ge ſtehen mußte, daß ein serführerifcheres Ideal in der Außern Erfcheinung,, ja felbft im Seelenbilde, das fich fiheinbar in den tief bedeutfamen Zügen fpiegelte, Faum gedacht werden Fonnte,
Die Anmuth und Majeftät, mit der diefe Frau feiner Wahl, felbft den theilnahmlofen Fremden entzücte, wenn er ihre herrliche Geftalt im Schmuck des gewählteften Anz zugs durch die Säle ſchweben, oder im Cir— fel der Gefellfchaft die Unterhaltung mit fo vornehmer Grazie und milder Mürde Teiten ſah — die fchalfhafte Luftigfeit, die fie dem Freund entfaltete, wenn im Fleinen Kreife ungezwungener Scherz an ber Tages⸗ ordnung war — und ach! die leidenfchafts
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liche Zärtlichkeit, der Inbegriff von allım fügen Zauber, den fie auf den Geliebten auszuſchuͤtten wußte, wenn Fein fremdes Auge im Tempel geheimer Liebe kaufchte — wer koͤunte dieß fehildern, der es gefannt, ohne fih noch in feruer Erinnerung bis in die innerfte Seele davon ergriffen zu fühlen!
Und doch war diefe fehöne Erfcheinuug nur cine Schauſpielerin auf der Bühne die: fer Welt, wie fie es früher auf den Bretern ihres Theaters gewefen war. Kein Herz fchlag Hinter dieſem fich unruhig hebenden Bnuſen, eine ftudirte Angewoͤhnung nur war jener ſchwermuͤthig finnige Blick, jener Aus— druck eines tiefen, nie geftilften Schmers 308, jene Ahnung einer ewig unbefriedigten Sehnfucht, die um Mund und Mangen fieberifch zuckte, und fo wehmüthig im tie fon Dlau des Auges zitterte, Erlogen war die ſuͤße Zartlichfeit, erlogen das fich ſelbſt Bergeffen ſtuͤrmiſcher Leidenſchaft — erlo— gen Alles — nur nicht der Triumph ge—
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fhmeichelter Eitelfeit, und das Falte Ent— zücen gemeinen Eigennußes.
So war 5 mit der heuchlertfchen Zau— berin bejchaffen, die wir unter dem Namen der DBaronin Nofenfranz kennen lernten. Die Tiftige Frau hatte die legten Wochen fo gut zu benugen verftanden, daß fie den Herzog nun fchon, als unauflöslich in ih— rem Netze gefangen, betrachten konnte.
Da fie wußte, daß ihr Mann, em Spies ler und gemeiner Bonpivant von der gez wöhnlichten Denfungsart, den größten Theil feines Vermögens bereits verſchwendet, und fih g’rade jet in manchen bangen Berlegenheiten befand, in Folge deren er fih auch hauptfächlid aus der Haupiftadt entfernt hatte, fo befchloß fie, nach reiflich- fter Ueberlegung, ihn felbft zum Mitwiffer und Gehülfen ihrer Plane zu machen, Obz gleich im erſten Augenblick nicht wenig überrafcht und enträftet, imponirte ihm doc) bald eben fo fehr die Kalte Entfchloffenheit
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feiner Frau, deren Beſitz ohnedem den Reiz der Neuheit längft für ihn verloren hatte, als ihn das Verfprechen machtig lodte, ihm von dem reichen Herzoge für die Abtretung feiner Frau und gutwillige Entfagung aller feiner Rechte auf fie, eine große Sunme auszumwirfen, die auf einmal feine Affairen zu arrangiren, ja ihn in beffere Umftande als je zu verfegen im Stande wäre.
Es dauerte daher nicht lange, fo Fam das zartliche Vaar von ganzem Herzen überein, fich gegenfeitig auf alle Art und Weiſe bez bülflich zu feyn, den phantaftifchen Herzog hinter’s Licht zu führen. Wie die gegens feitigen Rollen am beiten zu fpielen ſeyn dürften, um mit Anjtand fich überreden zu laffen, Edelmuth und Entfagung gehörig zur Schau zu tragen u. f. w., wurde auf's Genauefte befprochen, einige falfche Docu- mente zu fehmieden vorbehalten, um die Herkunft der Baronin in Die eines armen Mädchens aus guter Samilie umzuwandeln
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— ein Maͤhrchen, in das der Scharfjinn der gewandten Intriguantin Wahres und Erdichtetes fehr gefchieft zu verweben wußte — und endli noch beſtimmt: daß der Baron, fobald der Plan gelungen, und das Geld erlangt fen, unter dem Vorgeben, fetz nen Schmerz in der Einfamfeit und in weiter Entfernung zu vergraben, fo eifrig als möglich auf feine Abreife und fchnelle Scheidung dringen folle, damit die neue Verbindung eilig vor fich gehen Tonne, che irgend ein unglädlicher Zufall fie vielleicht noch’ im letzten Augenblick vereitle.
Der Herzog, vollig unabhängig, von Liebe verblendet, wenig argwoͤhniſch von Natur, ungeduldig und ſtets gewohnt, ohne viel rechts noch links zu blicken, feine immer leidenfcHaftlichen Wuͤnſche auch fiets im Sturme zu befriedigen, gab den Verbuͤnde— ten leichtes Spiel. Bevor noch ein Monat verging, war Alles im gewünfihten Sleife. Dem Baron war ein entferntes Gut, über
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das der Herzog frei difponiren Fonnte, Fäufz lich überlaffen, und der Kaufpreis quittirt, die Scheidung von der Baronin aber, da beide Theile willig confentirten, mit fehr leichter Mühe eingeleitet worden. Der Herz 309 hatte Aline daher bereits auf dem Ho: benburg’schen Schloffe als unumfchranfte Gebieterin, und feine Tünftige Gemahlin förmlich eingeführt, der ganzen Umgegend in dieſem Verhaltniffe vorgeftelit, und der ſchoͤnen Frau war langft von Allen mit Enthuſiasmus gehuldigt worden, als der heutige Sonntag eintrat, der Geburtstag Des Herzogs, und zugleich derſelbe Tag, an welchem die arme Giannina durd) Mifch- ling’s frühern Brief nach) Hohenburg be ſchieden worden war.
Dbgleih in einem fortwährenden finnli: chen Kiebesraufch für die Baronin befangen, hatte der Herzog dennoch auch oft mit ban— gen Gefühle feiner Giannina gedacht. Es war etwas in ihm, fein befferes Selbſt
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vielleicht, das ihm in einfamen Etunden zuweilen mit Summer nahte, ja felbft mit fhmerzlicher Sehnſucht, im die fi) wohl ein leifer Vorwurf mifchte, und fein Herz ach der offenen, biedern Sinnesart, dem kunſtloſen, eben fo anmuthig kecken als zart lichen Weſen jenes Mädchens hinzog, die ihm eigentlich nur deßhalb, weil fie ihm auf fo unterer Stufe erfebienen war, nie einer ernftern Berücfichtigung werth ge fıhienen hatte. Oft jedoh, wenn er fich ipre treue Liebe, ihre feurige, edle Seele, ihr off'nes, gutes Herz vergegenwärtigte, und fie dann umwillführlich mit Alinens fohilfernder Natur verglich, hatte er zuwei— len eine undentliche Ahnung davon, daß dort nur Schein, bier allein Wahrheit den Scepter führe.
Es lag wohl in diefen Gefühlen, dag er fi) bisher immer gehüter hatte, feiner zus fünftigen Gemahlin auch nur ein Wort von feinem Verhaltniffe zu Giannina mit
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zutheilen, obgleid) die Baronin, welche den Herzog an jenem, dem Kefer erinnerlichen Abend in Giannina’s Gefellfchaft gefehen, fchon einigemale ihn auszuforfchen gefucht hatte, in wie weit er mit dieſem „herum: zichenden Comödiantenvolfe,“ wie. fie. fich ausdrüdte, Damals in Berührung gefommen fey.
Am tiefften gerührt hatte den Herzog des alten Doctors Erzählung, als diefer von feiner Sendung den verfpateten Bericht ab- fiattete, und, da er der Einzige unter allen war, welcher die Baronin mit einigem Arg- wohn betrachtete, geradezu dem, Herzog ge: fagt hatte: „daß er für feine Perfon nichts mehr bedaure, als daß er diefes Mädchen von fo niedriger Herfunft nicht an die Stelle der Baronin verfeßen Tonne, da er nie ein weibliches Gefchöpf gefehen, das ihm beifer geeignet gefchienen hatte, g’rade das Gluͤck eines Mannes, wie der Herzog fey, auf eine. dauernde Meife zu begründen. , Der
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Herzog hatte damals das Geſpraͤch ſchnell abgebrochen; heute nahın er es wieder auf, und ließ fi) den ganzen Hergang noch einmal erzählen. Es ift fonderbar, fchloß der Doctor, dieſes ſchoͤne Mädchen in ihrer auffallenden männlichen Kleidung hat mich an dem Tage, als ic) fie begleitete, und fie. fo unruhig neben mir fchlief, in langft vergeff’me alte Zeiten wieder verſetzt, und ich mag es gar nicht laͤugnen, einen fo tiefen. Eindruck bei mir zurüdgelaffen, daß id) mir vorgenommen hatte, auf einem zweiter einfamen Beſuch genauere Nachfor- ſchungen über ihre Herkunft und früheres Leben bei ihr felbit anzuſtellen. Ich ‚habe indeß die fehs Meilen bis zur Juden— fchenfe leider vergebens zurüdlegen müffen, denn als ich dort anfam, wer die ganze Familie abwefend auf einer Berufstour im Rande, und es war ungewiß, ob fie je wie der zurückkehren würde. Sehr verdrießlich fuhr ich wieder meines Wegs, Denn das
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fböne liebe Kind intereffirt mich einmal mehr als ich fogen kann, und wehrhaftig, gnaͤdiger Herr, wollte fie mich zum Manne haben, ich glaube, ich nahme fie auf der Stelle; denn in ſolchen Augenbliden, wie die waren, welche ich ihr auf Ener Durch— laucht Befehl hoͤchſt ungern bereiten mußte, lernt man das Innere des Menfchen oft beffer Fennen, als durch eine Sahrelang an: dauernde ruhige Bekanntſchaſt.“
„er hindert Ste daran," fagte der Her: 309, mit einem Anflug von übler Laune, „Sie müffen wiffen, ich erwarte die Fa— milie heute bei der Illumination, und da koͤnuen Sie ja, fuhr er faſt höhnifch fort, auf der Etelle um ihre Innamorata anz halten. — Sedenfalls aber empfehle ich die Schoͤne Shrem befondern Schutz. Die Fa: milte wird hier im weißen Hirfch wohnen, fprechen Ste mit dem Sutendanten, daß man fie recht gut dort halte, und es den Leuten an nichts fehlen lajfe. Sagen Eie
Be
Siannina auch) — da Eie einmal bei ihr als mein Vertrauter aufgetreten find — daß Willibald, wie Sie mid) getauft, forts gereiſ't fey, und fie wahrscheinlich vergeffen habe. GErzahlen Sie mir dann, und zwar ganz aufrichtig, ob die holde Donna in den drei— vier Wochen, die feitdem vergangen, dem armen Willibald nicht recht vollſtän— dig Gleiches mit Gleichem vergolten hat.“
„Ich fürchte, nein,“ fagte der Doctor kopfſchuͤttelnd, „aber daß ich es von ganzem Herzen wünfce, Tonnen Sie verfichert foyn, denn das arme Madchen dauert wu
„Meinen Sie, weil es in meine Hande kam?“ unterbrach ihn noch aufgeregter der Herzog.
„Nun,“ antwortete der Doctor ſich tief verbeugend, „mit allem fchuldigen Reſpect vor Euer Durchlaucht, glaube ich doch wirk— lich, daß fie hatte im beffere kommen koͤnnen.“
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Die Unterredung ward hier durch die Baronin unterbrochen, die, fehon wie der junge Tag, im eleganten, ihre fehlanfe Taille auf das reizendfte hervorhebenden Neitfleide hereintrat. Sobald der Herzog den Doctor durc) einen Wink entfernt hatte, ftürzte Aline fih ftürmifh an feinen Hals.
„O mein Geliebter,“* rief fie unter Thraͤ⸗ nen, „eben erhielt ich diefen Brief, der mir des Barons Abreife von Lindenau meldet. Auf immer hat er, wie er fchreibt, mit zerriffenem Herzen dieſe Gegenden verlaffen, allen Formalitäten unferer Scheidung it gegnügt, und Dir gehöre ih nun ganz, mein theurer Freund, Dir, der hinfort meine einzige Stüße und der einzige Ger bieter meines Lebens feyn wird! Kann id) dabei auch nicht ganz jeden innern Vor: wurf befehwichtigen, muß ich felbft dem Manne ein tiefes Mitlerd fchenfen, den ich mit jo viel Härte verlaffen, und der, wenn auch ungeliebt und geringerer Achtung werth,
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doc; dieß nicht um mich verdient hatte, o Heinrich! fo war die Verführung, die Ges walt allmaͤchtiger Liebe zu groß, die gleich bei Deinem erften Anblic® mich fo wunder: bar, 4a mit wahrhaft unwiderftehlicher Macht erariffen hat! Es it heute Dein Geburtstag. — ZH ſann erft hin und ber, was ich Dir an diefem für mich heiligen Tage für ein Angebinde weihen follte. Sch batte allerlei erdacht, als ich aber dieſen Brief erhielt, da fagte ich mir: was Fann ih meinem Heinrich Befleres geben, als mich felbft, und hin flog ich zu Dir, und bier Eniee ich jeßt zu Deinen Füßen, wie Du fo oft vor den meinen, und ſchwoͤre Dir Treue und Liebe bis zu dem legten Athemzuge, und nie trübe eine unedle Res gung, nie auch nur ein Schein der Um wahrheit diefes felige Verhaͤltniß.“ „Englifches Weib!‘ fagte Heinrich, fie zartlich am fein Herz druͤckend: „wie werde
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ich je genug folche hingebende Liebe zu ver— dienen fahig ſeyn!?“
„O Du Schalk!“ cerwiederte Aline Tür chelnd: „jetzt machft Du ſchon Phrafen wie ein gefärtigter Ehemann. Ich fehe wohl, dag ich nur zu hingebend war, doc will ich fpröde wie Eis jet feyn, bis ich Dich erft wieder fo voll Leidenfchaft und Gluth zu meinen Füßen fehe, als jenen böfen verführerifcehen Menfchen in Lindenau, der wie ein allmaächtiger Zauberer mich fo fehr verlodt hat, daß ich mandımal ängfi- lic) fchandernd denfe, cs fin das Ganze nur ein himmliſcher, aber täufchender Traum!“
„Doch jetzt komm'. Führe mich nad) der neuen Anlage in Deinem Park, der Alinen: Inſel, auf deren Namen ich fo ftolz bin, Sch habe das Fruͤhſtuͤck ſchon hinbeordert. Die Verde ftehen gefattelt, mad ich fühle eine rechte Eommerluft in mir, mic) herum— zutummeln in Deinen herrlichen grünen
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Auen. Die übrige Gefellfchaft iſt bereits voraus, und mag immer eine Meile dort unf’rer harren. Die gute Kleinfpiß wird fie Schon unterhalten! Komme und fey heis ter, denn ich finde heute einen Anflug von Zrübfinn auf Deinem Geſicht, der mir gar nicht gefallt, was haft Du denn?“
„Liebe Aline,“ fagte Heinrich, „mein Geburtstag ſtimmt mich immer etwas traus rig, wenn ich mic) auch übrigens noch fo glücklich zu fühlen Urfach’ habe. Geboren— werden und Eterben find doch ein paar zu wichtige Momente im Leben, um nicht ei— nen ernften Ruͤck- oder Vorblic zu verans laſſen, und dann, füßer Engel, jedes Jahr, das uns weiter vom erften entfernt, bringt uns doch um eben fo viel dem Ichten när ber. — Konnte ich nicht ſchon bedauern, fo viel vergangene nicht mit Dir verlebt zu haben!“
„Edmeichler! Du weißt Did gut zu vertheidigen, ich werde Did daran erins
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nern, jedesmal wenn Du mir in Zufunft Deine Geſellſchaft entziehen willſt; jetzt will ich nicht weiter forſchen, aber wiſſe, trotz meiner blauen Augen, die Du ſo ſanft findeſt, bin ich argwoͤhniſch wie ein Inqui— ſitor, und eiferſuͤchtig wie ein kleiner Tiger. Mache alſo ja heute Frau von Kleinſpitz wicht zu ſehr die Cour, font ſtuͤrze ich mich in den See, und ftatt mir zum Traualtare zu folgen, folgt Du dann nur meiner Bahre.“
„Welche abſcheuliche Bilder, Aline, ſchaͤme Dich! Selbſt im Scherz koͤnnte mich ſo etwas toͤdtlich aͤngſtigen.“
„Siehſt Du, was eine truͤbe Miene von Dir hervorbringt, glaͤtte alſo Dein ſchoͤnes Geſicht — fo,“ ſagte fie, und ſtrich ihm mit den lebenswarmen Händchen die Locken von der Stirn, „und nun laß’ uns reiten, durch Sur und Auen, wie der wilde Zäger durch die Lüfte tobt.“
Mir ſolchem MWefen traf ſie's denn bei
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Heinrich g’rade recht, und er war au längft ganz wieder der Frohe und Leicht: finnige geworden, als fie nad) einem weis fen, angenehmen Ritt endlich auf der Inſel anfamen,
Die dort verfammelte Gefellfchaft beftand aus wenigen Beamten des Herzogs und eis nigen Fremden. Zu den Keßtern gehörte ein fiebenzigjahriger dicker Rittmeifter in coquetter Perücke und „pfiffiger“ Kleidung, wie er ſelbſt fie characterifirte; der forcir- tefte ci-devant jeune homme, und übers dDieß in feinen Erzahlungen, ohne je etwas von Falſtaff gehört zu haben, diefem dem noch häufig fehr nahe kommend; ferner ein magerer, homdopatifcher Gutsbefißer, ma- lade imaginaire und täufchend Poitier in den petites Danaides ähnlich, wenn diefer angfilih auf der Bühne umberfchreitet, poursuiyi d’un songe; zuleßt die fchon er— wähnte Frau von Kleinfpig mit ihrem ichläfrigen Gemahl, eine dreißigjährige gut
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conjervirte Schönheit und ein landlicher blue stocking von ziemlich pofjierlichem Gepränge.
Außer diefen comiſchen Elementen mach— ten der wirkliche Willibald, ein intereſ— ſanter junger Autor, der gebildete Architect des Herzogs mit ſeiner huͤbſchen Frau, beide Berliner, und der uns bekannte Doctor, die mercanteſten Perſonen in der Geſell— ſchaft aus.
Wir wollen zur Abwechslung einmal un⸗ ſichtbar ihr Geſpraͤch belaufchen:
Der Herzog: Guten Morgen, meine Herren und Damen, ich hoffe, Sie haben Shren heutigen Sonntag frommer begon: nen als ich, und waren fammtlih in der Kirche, fo dag Sie mir — der leider davon abgehalten wurde — erzählen fünnen, wie fie mit dem neuen Hofprediger zufrieden find.
Fr. v. Kleinfpig: Sie wiffen, gnadis ger Herr, dag wir Damen uns gern von
Aeußern beftechen laffen, und fo muß ic) fagen: der Mann bat einen fchönen Locen- fopf, und fein Orfan tft vortrefflich, nur finde ih, dag er etwas zu frei predigte und ſich wirklich unglaublich ftarfer Aus— druͤcke bediente, die dem Rhyt mus un); rer Kirche doch gar nicht angemeſſen ſind.
Herzog: Dem Rhytmus unſ'rer Kirche! — Ah, Ritus wollen Sie wohl ſagen?
Fr. v. Kleinſpitz: Ja, Ritus habe ich gejagt. So hat er ung z. B. weder vor noch nach der Predigt das übliche Compli— ment gemacht, und das DBarerunfer mit Variationen gebetet. Außerdem lief er in der größten Leidenfchaft auf der Kanzel auf und ab, wie ein Panther in feinem Kaftg, flug auf das Pult mit der Hand, daß cd droͤhnte, und fchrie in feiner Wuth Dinge heraus, die ic) Faum wage nachzuerzählen.
Rittmeiſter: Immer heraus damit, guädige Frau, wir Fünnen fchon etwas ver: tragen. |
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Fr. v. Kleinſpitz: Nun, er fprad) über Symbolibus, und fo, meinte er, fey aud) das heilige Abendmahl nur zu verftchen, oder, rief er mit donnernder Stimme, glaubt Zhr etwa: „Der liebe Gott fey ein Gannibale, der Euch zumuthen wolle, Blut zu trinken und Menfchenfleifch zu fref- fen?“ *)
Der Herzog: Höchft unſchicklich in der That! Es ift feltfam, wie die Frömmler auf der einen, und die Rationaliften auf der andern Seite, auf gleiche Werfe fo nach— theilig für das Befte der wahren Religion ihr Ziel überfchießen. Nun, und Sie, Ritt meifter, was meinen Sie dazu?
NRittmeifter: Ach, gnadiger Herr, da habe ich Feine Meinung, denn, aufrichtig geftanden, ich bin in meinem ganzen Xeben nur einmal in die Kirchegegangen, Schon
*) Factiſch.
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im Anfang hatte ich viel Noth mit dem Singen gehabt, da trat endlich der Predi— ger auf die Kanzel und begann mit folgen- den Worten: „Als der Kaifer Auguftus in Rom regierte...“ Zeufel, dachte ich, das wird mir zu lang! Wir effen Punct Zwölf zu Mittag, jest ift es fchon halb 11 Uhr, und ehe der Mann Zeit hat, vom Kai— fer Auguftus bis auf unfern König Friede rich) Auguft zu kommen, iſt die Suppe ver— dorben und der Braten angebrannt. So— mit masbte ich mich denn leife fort, und fam nie wieder.
Hr. v. Reibſtein Cheimlih zu der Fran des Architecten): Welche DBeftialität!
Der Doctor: Man muß geftehen, Herr Kittmeifter, Ihr Materialismus ermangelt wenigftens nicht des naiven Vortrags. Ich für meine Perfon fee aber doch einen gro- Ben Werth auf die Erbauung, Die uns ein wahrhaft guter Prediger, ein Mann,
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der überdieß durch Beifpiel confequent mit feinen Vorfchriften lehrt, gewähren Fann. Aber wahr ift 8, der Stand erlaubt fich heutzutage gar zu heterogene Abfchwei- fungen im jeder Hinficht. Denken fich Euer Durchlaucht, daß ich neulich einen Predi- ger die Oper „Robert der Zeufel‘“ auf der Kanzel recenftren hörte, wobei er denn be: fonders darüber in Harnifch gerieth, daß derfelbe Schaufpieler, der am Sonnabend den „Teufel“ gefpielt, den Sonntag darauf im Oratorio die Rolle „Chriftt“ gefungen habe; wie ich auch einmal in Berlin Herrn Mattaufh am erften Abend den „Papſt,“ und am zweiten „Luther“ fpielen fah.
Herzog: Nun dergleichen ift nichts Neues. Der Superintendent R. in B. pflegte auch öfters früh Kinder einzufegnen oder den Eltern das Abendmahl zu reichen, und Abends in einer Privatgefellfchaft den „Don Juan“ zu fingen, oderden „Mepht: fiopheles‘“ zu agiren. |
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Do«tor: An ſich iſt freilich darin nichts Boͤſes, aber wer ſich zum ſpeciellen Diener der Gottheit weiht, ſich dadurch gewiſſer— maßen als iſolirt und geheiligt vor den uͤbrigen Menſchen hinſtellt, der muß aller— dings unendlich Vielem entſagen, wenn er dieſer Rolle ganz genuͤgen will. Wir uͤbri— gen Menſchenkinder haben da freilich Fein viel leichteres Spiel, daher ih auch für einen Priefter, der feinen Poften, nach mei— nem Maapitabe, ganz ausfüllt, nicht nur den allergrößten Refpect hege, fondern über: haupt der Meinung bin, daß vielleicht nur ein folcher das höchfte menfchliche Ideal zu erreichen im Stande jey.
Herzog: Apropos, Doctor, da wir vom hoͤchſten menfchlichen Ideal fprechen, was fagen Sie zu Nodier’s ſeltſamer Offenba— rung über die menfchliche Palıngenefie und die Auferſtehung?
Doctor: Ich finde fie ziemlich fran- zoͤſiſch, denn zuerit widerfpricht der Autor
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fich felbit, indem er den Menfchen für uns fähig erflärt, das je wiffen oder begreifen zu fünnen, was er ihm doch nachher deuts lich verfünden will, und zulegt gibt er für etwas Niegehörtes und Neues aus, was doch fchon vfter vor ihm zur Sprache ge bracht worden tft. Herzog: Sie haben wohl recht, denn wenn er auffiellt: „daß zuerft die rohe Materie, mit der Kraft des Wachsthums und der Fort: bildung ausgejtattet, von Gott ge fchaffen wurde, und nun diefem Pro— ceffe frei überlaffen, ſich anfänglich in Luft und Waffer zufammengethan, dann im raftlofen MWeiterftreben aus Stein in Pflanze, aus diefer in’s Thier und aus diefem zulegr in den Menfchen überging,“ fo ift dieß eben fo wenig neu, als die wei: tere Annahme: „Daß auch der Menſch noch keineswegs
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diefe Kraft des Wachsthums erſchoͤpft babe, fondern neue NRevolutivnen der Erde vielleicht noch ein höheres Wefen (Nodier’8 &tre comprehensif) hervorz bringen werde, bis endlich der letzte Grad, der der Auferftehung folge, wels cher (nach Nodier) die Schöpfung der Vorſehung abſchloͤße, worauf der Menſch in Gott zuruͤckkehre, und fortan ewig mit ihm lebe.
Bis foweit nun, nämlich, daß die Erde nod) cin beffer begabtes Wefen, einen po: tenzirten Menfchen, einen Engel hervor: bringen koͤnne, bin ich fchon langft mit Herrn Nodier's Meinung einverftanden ge— wefen, nur glaube ich, daß dann, wenig: ſtens nach der Analogie des Bisherigen zu fchliegen, neben diefem Engel auch der jeßige Menſch, wenn gleich in verminders ter Unzahl und in weit untergeordneterem Verhaͤltniß forteriftiren müffe, fo wie die Natur auch jeßt jede ihrer Fortbildungs—
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fiufen, von der unſern an bis zu uns her auf, vor unfern Augen fortbeftchen läßt. Diefe Ausficht ift num zwar für die neuen Engel fehr angenehm, aber für die, welche Menfchen bleiben, nicht ganz ſo einladend, da fie wahrfcheinlicy zu den hommes con- prehensifs in einem noch fchlechtern Ver: haͤltniß, als die Neger zu ung, oder etwa wir zu den Franzofen (nach der Leßtern guten Meinung von fi felbft) ſtehen würden,
Nach diefer Hypotheſe aber noch weiter, bis zur Auferfiehung und dem Leben im Himmel, gehen und darüber uns auch et— was vorfafeln zu wollen, ſcheint mir doch ein gar zu leeres Spiel! fo wie ich auch nicht begreife, wie man immer Gott und die ganze Schöpfung fo einfeitig nur auf unfere Heine Erde und den Menfchen faft allein beziehen und zufammenzichen will. Hierin liegt meines Erachtens, aud) bei Nodier’s angeblich neuen Offenbarungen,
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ein faft Eindifcher Widerſpruch. Beſſer ges fallt mir fein Feldzug gegen die Bud): druckerkunſt.
Aber die Damen, ſehe ich, haben ſich ſchon von uns abgewandt, wahrſcheinlich, weil ſie der Meinung ſind, daß wir außer ihnen gar keiner andern Engel mehr be— duͤrfen, und vor der Hand, Doctor, denke ich, wollen wir ihnen Recht geben. — Ich bitte Dich, Aline, bleibe hier, es iſt uͤber— dem Zeit an unſer Fruͤhſtuͤck zu denken.
Die Baronin: Eo laß’ uns in deu Pavillon gehen, Ich hoffe, Heinrich, Du wirft nicht fchmälen, wenn ich der alten huͤbſchen Sitte unferer Voreltern gefolgt bin, und mitten auf den Tiſch einen Kur chen mit 29 Kichtern habe ſetzen laffen ?
Herzog: D, welche unglüdliche Ueber: rafchung! Wer wird Einem denn die ganze Bürde feiner Jahre fo in's hellfte Licht feßen! Sch werde mir das auch merken, liebes Kind, und fobald Du. einmal 30
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zahlft, follit Du gewiß jedes Fahr auf dies felbe Art daran erinnert werden. Uebrigens weißt Du, daß ich fehr abergläubifch bin — wenn nun ein Licht auslöfchte — das bes deuter immer einen fchmerzlichen Verluft, und gefhieht c8 gar dem Lebenslicht, fo made ich gewiß noch heute Abend mein Teſtament.
Ber diefen Morten trat die Gefellfchaft in den Papillon, und der fchadenfrohe Zur fall fügte es num wirklich, daß durch den eindringenden Zug zweit der Eleinen Lichter ausgelöfcht wurden. Obgleich der Herzog es nur mit Lachen bemerfte, Fonnte man ihm doch anfehen (und bei Wenigen malte fi) jeder innere Eindruck fo deutlich auf dem durchfichtigen Gefichte ab, als bei un— ferem, aller Verftellung hoͤchſt unfähigen, Freunde), daß ihm der Umftand fehr un: angenehm war,
„Siehft Du, was Du angerichtet,“ fagte er halblaut zur Baronin, „nun bewahre uns nur der Himmel heute für Ungluͤck!
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Sch habe Teider,“ fette er lauter hinzu, während man an der Tafel Plag nahm, „ich habe leider auch noch einen andern Grund, warum ich diefe Lichter nur mit der ſchmerzlichſten Erinnerung anfehen kann. Eine meiner beften Freundinnen, ein äthes riſches, Tiebliches Gefchöpf, hing mit der leidenſchaftlichſten Zärtlichkeit an ihrer klei— nen, achtjährigen Tochter, dem leibhaften Ebenbilde von Vater und Mutter zugleich, und einem der originellften und reizendften Kinder, die ich je gefehen habe. Der Ge burtstag der Kleinen trat ein, und der vers bangnißvolleLichterfuchen fpielte dabei eben: falls feine Role. Man ließ ihn brennend in der Kinderftube ftehen, ald man zu Tifch ging. Nad) einiger Zeit bat das Kind feine Mutter, noch einmal hinauf laufen zu dürs fen, meil es etwas vergeffen habe. Die unglüdliche Erlaubniß wird gegeben, und wenige Minuten darauf hört man cin ents fegliches Gefchrei. Alle ſpringen auf, und
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auf dem Flur begegnete ihnen fchon das Deflagenswerthe Geſchoͤpf, in hellen Slam: men ftehend, und wie eine Feuerſaͤule das her wirbelnd. Handeringend und fchreiend folgt ihr huͤlflos die Kammerfrau,. Alle Hülfe war zu fpat. — Unter namenlofen Schmerzen, die das Fleine Wefen mit einer an das Wunderbare fireifenden Refignation ertrug, gab fie wenige Tage darauf die uns ſchuldige Seele in die Hande ihres Schoͤp— fers zurück. Die Mutter, welche nichts zu tröften vermochte, folgte ihr bald in’s fruͤh— zeitige Grab.
Nach der Ausfage der Kammerfrau, die mit mehr Aufopferung und Geiftesgrgen- wart das arme Kind vielleicht hatte retten fonnen, war das Unglüd dadurch herbei geführt worden, daß die Kleine bemerkte, ihr Lebenslicht ſey ausgeloͤſcht, und hinzu— trat, um es wieder anzuzunden. Bei die jer Gelegenheit Fam fie den andern Kichtern zu nahe, ihr Kleid fing Feuer, und ehe es
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nod) bemerkt wurde, war fie ſchon über und über vom Slammentode umringt.“
„Zragt die Lichter weg,“ fagte die Baro- nin etwas verftiimmt, „Du machſt Einem mit Deinem Aberglauben ganz Anaft und bange.“
„Ja, gnadige Frau,“ fing der Rittmeifter an, „Dar agt man: Einem das Licht aus- blafen! Sch hatte einmal in meiner Ju— gend ein Duell diefer Art. An der Wirths- tafel namlich befam ih Händel mit einem fremden Officier, und da Diefer noch die Nacht weiter reifen wollte, machten wir aus, uns fogleich im Garten neben dem Haufe zu fchießen. Jeder hing fich eine Saterne an die Bruft, und dann ſtellten wir uns zehn Schritt von einander hin. Der Fremde hatte den erftien Schuß und ftreifte mir die Haut, dicht neben der Laterne, ich aber hatte das Unglück, g’rade hineinzutrefz fen, und fo meines Gegners Licht und Le— ben mit einander auszublafen.“
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„Sonderbar,“ fagte der Herzog, „Diefelbe Anecdote habe ich erft voriges Jahr in eis nem franzöfifchen Roman gelefen, ohne zu wiffen, daß Sie der Held derfelben waren. Erftachen Sie nicht einmal einen Spieler, einen oder zwei, ich erinnere mich nicht mehr genau?“
„Einen nur, Euer Durchlaucht, aber ich ſtach ihn zweimal.“
„Zweimal, wie ſo?“
„Ich merkte, daß er falſch ſpielte, trat unbemerkt hinter ihn, zog meinen Degen, und als er eben eine Volte ſchlug, nagelte ich ihm Hand und Karte an den Tiſch. Sobald er wieder geheilt war, ging denn natuͤrlich unſer Zweikampf vor ſich, und ich hatte das Ungluͤck, ihn zu erſtechen.“
„Aber man muß ſagen, Sie hatten im— mer viel Ungluͤck in Ihren Duellen. Was ren Sie auch ſo ungluͤcklich in der Liebe und im Epiel ?“
„Im Öenzen freilich ja, denn fonft würde
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es mir jest beffer gehen, als es leider der Fall ift, aber zuweilen machte ich auch enorme Gewinnfte in beiden. Don den er» fien zu fprechen, bin ich indeffen zu discret, aber hören Sie, wie mir es zuweilen im zweiten glücdte. Als ich bei der Garde ftand, reif’te ich einmal nad) Leipzig auf die Meffe, um mir ein Paradepferd zu Faus fen, und alles, was ich dazu hatte aufs treiben Fönnen, waren 60 Louisd’or, für die ich einem Zuden 100 verfchreiben mußte. Sch befah mehrere Pferde, und wollte eben einen Handel abfchließen, als der berühmte Tollkopf, Graf Seidenfhwanz, der damals mein Nittmeifter war, mich unter Sen Arm nahm und fagte: „Gott ftraf’ mich, Kerl! handle hier. nicht wie ein Philifter, fondern fomm’ mit mir in den Helm, wo der alte Domprobft Uffel eben 2000 Louisd'or Bank gelegt hat, die wir fprengen wollen. Gib ber Deine Kouisd’or, wir ſpielen de moitie.“
Dem Graf Seidenfhwan; konnte Nies
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mand widerftehen, er 308 mich mit fich fort, und ch’ ein paar Minuten vergingen, fanden wir vor dem Uffel’fchen Goldhaufen. Der Graf fing damit an, eine ganze Bous teille Champagner auf einmal herunter zu ffürzen, und warf dann meine 60 Lonisd’or auf den Tifch, „Der Bube gilt!“ fagte er. „Sonica gewonnen. Paroli au et“ Mies der gewonnen; und daß ich's Furz mache, ohne eine andere Karte ala den Buben zu jeßen, hatten wir in wenig Minuten die Bank gefprengt. „Hier, Camerad,“ fagte der Graf, „da nimm die Halfte und nun Gott befohlen, denn ich habe jest andere Dinge zu thun. Auf Miederfehen alfo in Dresden!“ und damit verfehwand er.
Ep reih war ich noch nie gewefen! Ueber 2000 Lonisd’or Famen auf meinen Theil allein, und ich mußte alle Tafchen fülfen und den Reft in den Hut thun, um das Gold nus fortzubringen! „Halr’, Freund!“ fagte Uffel, „da Ihr mir doch einmal Alles
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abgewonnen habt, jo nehmt auch) nod) meine Pferde mir dazu, nebft Wagen und Zuber hör. „Gut,“ erwiederte ich, „600 Louisd'or fiehen dagegen auf dem Buben,“ und die vierte Karte war der Bube. „Nun Bafta!* rief der Domprobft: „ießt habt Ihr mid) bis aufs Hemde ausgebeutelt. Morgen früh fchicke ich Euch Wagen und Pferde. Mo wohnt Ihr?“ — „Im Hötel de Bavtere,“ fagte ic), und machte, daß ich fortfamt. Am andern Morgen war ich faum auf geftanden, fo kommen meme 410 Pferde ſchon ar, ein ſchoͤner Wagen mit einem brillanten Poftzug und 6 Herrliche Keit- pferde. Im Wagen aber fit ein wunder ſchoͤnes Mädchen, die ſteigt aus, koͤmmt herauf und indem fie niedlich Tairt, fagt ſie: Herr Lieutenant, leſen Ste mal hal: ter das Billet. Wie ich's aufmache, ift noch ein Beutel mit 100 Ducaten drin, und der Domprobft fohreibt mir: Da Ihr, verteufelter Kerl, mir Geld, Pferde und
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Magen, Als zufammen abgenommen habt, fo nehmt meine Maitreffe auch noch mit in den Kauf. Wollt Ihr fie aber nicht, fo gebt ihr die beiliegenden 100 Ducaten, und fchickt fie ihren Eltern wieder zu.
Mas that ich nun? Das Mädchen wurde gleich wie ein Jokey eingefleidet, und auf’d vorderfte Pferd gefegt, mußte fie wie im Triumph in Dresden einziehen, alle 14 Pferde hinter ihr d’rein mit fchonen rothen Decken geziert, und 7 Reitfnechte, die je- der eins davon an der Hand führten.“
„Köftlich!“ rief der Herzog, „vierzehn in Steifleinen!“
„Bitt' um Vergebung!“ fagte der Ritt: meifter, „rothes Tuch war's mit gelbem Vorſtoß.“
Ich ſelbſt alſo fuhr im Wagen nach. Am Thore aber begegnete ich unſer'm Chef, den alten General Schlitz, der mich wie ſei— nen Sohn liebte, und bei dem ich auch ſtets den Freitiſch hatte. „Nun, Ungar—
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wein und Pulverdampf!“ rief er (das war jein Kieblingsfluh), und die lange rothe Naſe wadelte ihm vor Vergnügen, „was bat der Sappermenter da wieder angeftellt! Mo hat Er die Maffe Pferde aufgebracht, fag’ Er? Na, ich kann mir's fchon den— fon, aber die Hälfte Fauf’ ich, und die andere Hälfte muß ibm morgen 's Oft cier-Corps abfaufen. Da laß’ Er mic) nur vor forgen; nun aber marfch, gleich "raus aus dem Wagen, und mit mir zu Tifcd, Potz Ungarwein und Pulverdampf! da foll Er mir feine Streiche alle erzahlen. Sa,“ endigte der Nittmeifter, „jo brachte mir dieſe glückliche Meffe mehr als 20,000 Rthlr. ein, aber wie gewonnen, fo zerronnen !*
„Gut, gut,“ fagte der Herzog, „von dem fpäatern Unglüd wollen wir nichts wife fen, es möchte am Ende fo coloflal wer: den, daß wir es gar nicht aushalten koͤnn⸗ ten.“
„Es iſt wirklich ſchrecklich, wie diefer
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alte Mann lügt ,“ flüfterte Frau von Klein— fpig der Baronin zu. „Sedesmal, wenn er eine Zahl zum zweitenmal in den Mund nimmt, wird alterum tanterum daraus.“
„Uber, lieber Willibald ,“ fing der Her—⸗ 309g wieder an, „Sie reden ja heute Fein Wort, Gewiß find Ste vom Ihrem nenen Zrauerfpkel Carl von Bourbon fo abfor- birt. Ein ſchoͤner Stoff, fürwahr! Se mand ift Ihnen indeß fchon zuvorgefoms men, haben Sie cs geleſen?“
„Der Himmel bewahre mich,“ ermwiederte Willibald, „nichts fiort im Componiren wie das Lefen. Vorher foniel wie mög: Gh, wahrend der Arbeit muß. man fi jeden fremden Eindrud fern halten, wenn man fein bischen Driginalität behaupten will.“
„Nun Sie würden auch wenig aus die ſem Werfe lernen,. denn der Autor hat cs glüklid dahin zu bringen gewußt, den fhönften. Zug, den die Gefchichte felbit.lics
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fert, ich meine Bourbon’s Tod, und wir der Held im Sterben feine Leiche zu vers decken befichlt, damit die Soldaten nicht durch den traurigen Anblick muthlos wer> den — in eine fentimentale Narrenfcene mit Erſcheinung feiner Geliebten, und eis ner Art Befehrung vermifcht, zu verwäfs fer,
Richtiger aufgefaßt hat er den Kunft- griff, daß er dem Connetable die geheime Abficht unterlegt, ſich zum König. Italiens zu mache, aber nicht wie ein Held faßt und durchdenft Bourbon diefen Plan, fon- dern wie ein fchwebender Mondfcheinsport, der jedesmal höchft lächerlich wird, went er nachher wieder das Rauche herausfehren folf,
Sch wünfche Ihnen von Herzen befferir Erfolg, aber aufrichtig gefagt, ich glaube, die Zeit der tragifchen Mufe ift vor der Hand abgelaufen, und wird fobald nicht wieder beginnen, Wo follen tragische Dich—
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ter berfommen, wenn die Menfchen nicht mehr empfänglich dafür find 2
Dei den Alten floffen, fo zu fagen, Thea: ter und Kirche faft in Eins zufammen. Slaube und Enthufiasmus glühte in jedem Zuhörer. Auch Shafefpeare’s Zeit war durch und durch noch eine gläubige, und zugleich eine voll einzeln hervorragender hohen Kraͤf— te; in allen feinen verfchiedener Figuren ift es doch immer eben nur feine eig’ne lebenswarme Epoche, aus der er fie nimmt. Darum hatten fie auch alle Leben und ſpra— chen Leben an, felbft noch heute, wenn auch im geringeren Grade. Wo foll der— gleichen aber in unferer Nivellirungsprriode berfommen, die zwar auch an fid) recht gut feyn mag, aber cben, weil fie über: all nur nach practifchen Nealitäten fucht, für jene freiwillige, tiefe, innere Taufchung, die der Zragifer in Anfpruch nehmen muß, feinen Sinn mehr hat. Wir Fonnen in diefer Sphäre nur noch Puppen mit alren
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Segen behängen, auch, wie die Franzofen, melodramatijcheCarricaturen anfertigen, aber nichts wahrhaft Xebendiges werden wir mehr aufitellen.“
„Um’s Himmels willen, gnädiger Herr,“ fagte Willibald, „wollen Sie Kindermord auf fi) laden? MUeberzeugten Sie mich von der Wahrheit Ihrer Anficht, ich müßte ja meinen armen Bourbon in der Wiege fhon erftiden, ich glaube aber, es liche ſich Ihnen doc) noch Manches entgeg- NEßngrrrärset
„Nein!“ erwicderte der Herzog: „Schlagen Sie mich glorreiher — durch die That, Mas feit fo vielen Sahren Keinem mehr gelungen ift, machen Sie es möglich, und ich will gern mein Unrecht befennen . . .*
„Verzeihen Sie,“ unterbrad hier Fran von Kleinfpig, „der Connetable von Bour— bon ift Doch der namliche, der in der Schlacht von Pavpian Franz den Schönen ges fangen nahm?“
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„Allerdings,“ ſagte lahend Willibald, „und fobald meine Tragddie fertig ift, wer— de ic) Sie bitten, guadige Frau, die Pa— rodie dazu zu fchreiben.“
„Nun, nun, Scherz bei Seite! Sch habe mich auch fchon in der Comoͤdie ein wer nig verfucht, Sie wiffen, ich bin, ohne mich zu rühmen, eine der Stüßen des Lieb— babertheaters zu Moosheim, und da bleibt denn doch dieß amd jenes im Gedaͤchtniſſe bangen, was dann wieder im eig’nen Geifte aufknoſp't! In folcher Stimmung pflege ich ofr, nachfinnend, einen Fidibus meines Mannes zu ergreifen, und copire Dann gleich meine Gedanfen darauf, und fie find gar nicht fo fchlecht meine Gedanken!“
„sa wohl, Liebe Kleinſpitz!“ befräftigte der Herzog: „wir pränumeriren Alle im Voraus auf Zhre hängenden Knospen, ſo— bald Site fich entichließen werden, fie der Melt zu entfalten, wie auf die von Ihrer Mufe befhwängerten Fidibuffe — aber jet,
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da der Champagner koͤmmt, wollen wir zuvorderft einen Toaſt trinfen. Meine fhöne Braut foll leben !“
Frau von Kleinſpitz, die bereits eine ganze Bonteille Wein geleert hatte, und bei jedem Glafe verficherte: das Frühjahr fey ihre durftige Zeit, aber im Winter trinfe fie nie einen Tropfen, eilte, dem Toaſt alle mögliche Ehre zu machen. Exaltirt auf: fpringend, trat fie aber unglüclicherweife fo nachdrüädlich auf den Fuß ihres Nach- bars, des Franklichen Herrn von Reibſtein, daß diefer einen lauten Schmerzensfchrei nicht zurüchalten Fonnte,
„Wieder ein Ungluͤcksomen,“ fagte der Herzog, mißmuthig fein Glas hinfeßend, „was machen Sie auch für unnüße Evolu— tionen, Frau von Kleinfpig !“
„Önädigfter Herr, ich falle vom Sten— gel über Ihren Aberglauben!“ rief diefe piquirt: „Frau Baronin, Sie dürfen das nicht einreiffen laſſen, denn ich habe die
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Erfahrung an meinem guten Manne ge macht. In der Welt lacht man nur über fo etwas, aber familierement macht nichts unglüclicher als dergleichen Grillen.“
„Beruhigen Sie fih, meine DBefte,“ ers wicderte die Baronin, Sie fehen, mein guter Heinrich lächelt ſchon unwillführlich — über fi ſelbſt. Wir wollen daher, ins dem wir den Toaſt erwiedern, und auf fein Wohl die Gläfer leeren, auch gleich auf feine Beſſerung in der erwähnten Hin— fiht mit trinfen.*
„Ich danfe herzlich, aber laß’ mir dod) ja meinen Aberglauben, Aline. Nichts macht beffere Ehemänner, und vergiß aud) nicht, daß der erfte Aberglaube, den Du von mir erfahren, fich an einen Trauring fnüpfte.“ —
„Diefe Bemerfung muß mich freilich ent— woffnen,“ fagte die Baronin, und cine leichte NRoͤthe verbergend, wandte fie fih zu ihrer Nachbarin.
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„Sie haben mir ja ein fonderbares Bud) zugefchict, lieber Walter,“ ‚redete jeßt der Herzog den Architecten an, „das junge Eus vopa meine ich; wahrlich jung im jeder Hinfiht! — jung an Geift, Frifche und Genialität, jung aber auch an Erfahrung und gelautertem Geſchmack. Ein Freund machte mich bereit3 auf diefe Erfcheinung aufmerffam, und ih muß Ihnen doch, fo gut ich mich deffelben erinnern fann, den Inhalt unf’rer Correſpondenz darüber mit- theilen. „Mich,“ fchrieb mein Freund, „macht dieß Buch ganz unglücklich! Es gibt mir eine Stimmung von Pein und Weh, dag ich ein ganz weinerliches Ge— fiht dazu mache; dieß rührt aber einzig von den Kunftgewöhnungen her, in denen mein Gemüth fett frühften Jahren fich auf und niederſchwingt; das Geſtaltete fehlt mir zu fehr, und das Bildende, und der große Hintergrund ruhiger Natur und Ger
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fbichte, der aus une dlichen Weiten doch eine feſte Schlußwand mact; an Talent, Seit, Einfiht, Reiz und Kraft fehlt es nicht. Der Autor ijt ein ungewöhnlich b.- gabter Menſch, der in Ermangelung alles andern, was ihm zu feyn und zu treiben noch verfagt ft, Sich im Dichtungsfache verfucht, Ware ich ein Helfer bei'm Staats- weſen, ich wäre aufmerffam auf diefe jun- gen Leute, die in Deutfchland immer hau- figer bervortauchen. Sie find ein Zeichen der Zeit, und ihr Wirken und Dichten deu- tet auf manches Neue, das fie vielleicht nicht liefern, aber vorfhmeden und ans deuten,“
„In vieler Hinficht ftehe ich fremd zu ihnen. Stesmeigen ſich Alle ein wenig zu dem Frevel hin, Goͤthen läftern zu wollen, ihn zu verkleinern, zu mißachten; und darin verwerfe ich fie nun unbedingt. Diefe junge Literatur koͤmmt mir vor wie rei- tende Artillerie; da fie einmal da ift, möchte
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man fie nicht wieder miffen, obgleich un— fer altes ſchweres Geſchuͤtze, zu dem wir gefhworen, dabei gar fehr außer Acht fommt.*
„Sie,“ feste mein Freund hinzu, „wer den meine Anficht nicht ganz theilen, denn obgleich auf and’rem Standpuncte, und fehr verjchied’ner Begabung, haben Ste doch mir diefen Zünglingen etwas gemein, und zwar das MWefentlichite, namlich die Gei— ftesfreipeit, mit der Sie in Welt und ker ben dazuftehen, ſich umzuſchauen und ein: herzugehen vermögen. Ich betrachte Sie alfo im Grunde als einen natürlichen Ver— biindeten jener Fampflujiigen reitenden Ar— tillerie.“
Ich antwortete:
Wenn die junge Europa Goͤthe ſtachelt, hat ſie ſich nur wie die alte dem Jupiter auf den Ruͤcken geſetzt, waͤhrend ſie unbe— wußt von ihm entfuͤhrt wird — ja Goͤthe bleibt nicht nur der Entfuͤhrer, ſondern
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felbft der Vater diefer ganzen neuen Fur gend. Der Göttliche ſteht lorbeerumkraͤnzt auf dem Olymp, und flieht uns von dort behaglich zu. Wir aber Frabbeln und wab- beln nur munter auf der Erde herum, und leben und fchreiben, von ihm befruchtet und von Herzen angeführt.
Um aber auf das Buch zurüczufommen, fo tadle ich des Autors einfeitige Erbitter rung gegen das Vornehme und feine Uns befanntichaft mit diefer Region, die er doch mehrfach fchildern will. Sie ift weder fo leer als er glaubt, noch fo gemein als er
fie darftelft. Wenn cin zweiter Cervantes:
aufträte, fo hätte er hier gleich den Stoff zu einem zweiten Don Quirotte zur Hand; einen fahrenden Profeffer im Kampf mit dem MWindmühlenriefen des Adels, Man fonnte hierüber die drolligften Scenen er; finnen, wobei es jedod) immer am ergüßr- lichten erfcheinen würde, daß im Grund des Herzens die Einbildung vom Adel und
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der unterdrüdte, noch immer fo feltfam aus alter Gewohnheit beftehende, unwill— führliche Nefpect vor demfelben, gar nicht mehr in den Vornehmen, fondern nur in den fahrenden Profeffor felbft und feines Gieichen anzutreffen fey. Diefes unbeſieg— bare Gefühl aber iſt es eben, was ihre Wuth und Bitterfeit gegen jenes Phan—⸗ tom fo fehr fleigert. Ja fieht man nicht noch heute, jo unbegreiflih es ift, Buͤr⸗ gerliche fich fortwährend nach jenem gehalt lofen und dennoch angefeinderen Adelstitel drangen? Neulich Faufte in unferer Ge gend ein gewiffer H... das Rittergut Efelss berg. „Nun muß ich mid) adeln laffen,“ fagte er zu feinem neuen Gerichtöhalter; „welchen Namen, der recht wohl Elingt, vas then Sie mir wohl anzunehmen?“ — „Sie koͤnnen feinen alterthümlichern und paffendern wählen,“ erwiederte diefer lächelnd, „als: Eſel von Efelsberg.“
Vornehm ift heutzutage nur, wer auch)
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geſellſchaſtlich vornehm gebilder if. Sol— che bleiben nun freilich gern unter Perfos nen ihrer eig'nen Art, die fie in den ſoge— nannten höheren Ständen am haͤufigſten finden, und es kann allerdings vorkommen, dag Leute entgegengefetter Bildung von felben ECirfeln fern gehalten werden, und darüber in Zorn geratben. Es gefchiebt dich jedoch nur aus demfelben Grunde, warum auch fie wiederum ihre Schneider und Schu— fter nicht tauglich für ihren täglichen Um: gang finden — und in dirfer Hinſicht wird es auch ewig Standes-Unterſchied ge ben muͤſſen, fo lange wir nicht alle Engel geworden find, mit gleichen Fahigfeiten, gleicher Bildung, und folglich gleichen Ans fprüchen. Wars der junge Autor des vor—
liegenden Buches z. B. je wirklich der Ge
liebte ciner Fürftin gewefen, er würde feine Schaferftunde gewiß nicht mit weniger Kraft, aber zugleich mit mehr Grazie und Feine heit befchrichen haben ; denn abgerechnet die
Be
horreur eines Boudoirs mit grünen Vor— bangen, gold’nen Quaften und einem ſchar— lachrothen Divan, wird Feine Dame aus der großen Welr, ihren Geliebten liebko— fend: „Du Schuft !“ nennen, noch öffentlic) lascive Gemälde in ein's ihrer Zimmer auf bangen laffen, das ihr Mann und ihre Hausgenoſſen täglich betreten Formen. Noch weniger aber ift in den Gefellfebaften vor: nehmer Leute unverheiratheten Damen je eine cyniſche Freiheit geftattet worden, wie bier Geſandten- und Grafentöchter fie forts während ausüben, als ſtammten fie nicht aus einem großen, fondern aus einem dffentlihen Haufe her. Ulle dieſe Ver— baltniffe hatten von einem Meltmanne, mit gleich genialer und felbft freier Behand— lung, dennoch unendlich zarter, und deß— halb auch wahrer und anziehender gefchildert werden Fonnen ”). Die neuen
*) Mir haben ein neneres Beifpiel davon im
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Anfichten über Philoſophie und Politik, die fharfen und überrafchenden Gedanfen des Verfaffers, fogar die feurige Kuͤhnheit feis nes Ausdruds — Alles das würde dabei nicht aufzuopfern nöthig gewefen feyn. Est modus in rebus. Der modus aber fehlt bier eben. Doch anziehend, erregend, Gr danken hervorrufend bleibt die Lectüre des Buchs gewiß für Jeden, der Genialität zu würdigen, geiftige Kraft zu fühlen und als eleetrifche Funken auf ſich felbft einwirken zu laffen fähig ift.“
„Sie haben es ausgefprochen ‚“ fagte der Architect: „Zugend hat nicht Tugend! Sie ift aber der beite aller Fehler, und wird alfo diefer Wein erft ausgegohren und zehn Jahre auf dem Faffe gelegen haben, fo wird er auch Töftlich wie Nectar feyn. jeden: falls ift c8 Cometenwein.“
„Nun,“ erwiederte der Herzog, „ich zweif—
den Novelten des Freiherrn von Uugern:Stern: berg
z0i
le daran nicht, der Weinſtock iſt trefflich, doch rafchelt cine Kleine Schlange in dem Laube.“ —
„Es wird aber nun bald Zeit aufzubres hen, lieber Heinrich,“ fiel die Baronin ein, „denn es bleiben mir für das heutige Feſt noch eine Menge Anordnungen zu tref fen übrig. Cie haben do Ihren Wagen hier, liebe Kleinfpis, fo daß Sie zur rech— ten Zeit wieder bei uns ſeyn koͤnnen?“
„Ja, gnaͤdige Frau, unfer Einfpänner ift parat; mein Mann hat feinen National tiger heute eingefpannt, und der läuft, fann ich Ihnen verfichern, wie der Wind.“
„Ei,“ fagte der Rittmeifter, „da koͤnnen wir ja um die Wette fahren. Mer zuerjt auf dem Schloßhofe in Hohenburg ankoͤmmt, hat gewonnen, und ich feige meine Stute, eine achte Carcaſſe, die ich von einem Kofafengenceral gekauft, unbefchens gegen Ihren Nationalaltiger.“
„BVortreffliher Einfall!“ rief der Herz
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309: „dieß wird eine race, welches felbft im sporting magazine Aufſehen erregen muß!
Kittmeifter, Sie haben bei mir um eine Stallmeifterftelle fupplicirt. Es ift zwar jet Feine vacant, aber wenn Sie gewin- nen, mache ich Ste dennod) zum Gtall- meifter in partibus infidelium, das heißt, ich ftelle Ste bei'm Nationaltiger und Ih— rer eig’nen Garcaffe fo lange an, bis die lestere wieder zu einer Circaffierin wird.“
„O,«“ meinte die Baronin, „ich fee aud) einen Preis; gewinnt Frau von Kleinfpig, fo erhalt fie von mir die ſchoͤne Zeichnung über meinem Camin, die fie geftern noch fo enthufiaftifch lobte. Wie nannten Sie fie ſich doch, DBefte ?“
„Ach, die Madonna-dellaSepia! Dief Geſchenk würde mich ganz beglüden. Es ift eine vortreffliche Copie nach einem der größten italiänifchen Meifter — ich will die Wahl haben ob nad) Leopardo da Vinei, oder Hannibal Carbaccio. Nun, lieber
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Mann,“ fagte fie, und ſtieß diefen freund lid in die Seite, „jeßt firenge Dich an, Du haft immer ſoviel mit Deinem Natio— naltiger geprahlt. Hier heißt es nun: hie rectus, hic salta!“
„D mein Kind!“ ſagte der Öatte feurzend: „[prich doch deutfch: hie Rhodus, hie salta! beißt das, was Du fagen willft, aber bei dDiefem Springen werden wir noch den Hals brechen!“
Es thut uns leid, die olympifchen Spiele, die fich hier vorbereiten, dießmal nicht mit anfehen zu Fünnen, denn wir müffen, um nicht zusiel Zeit zu verlieren, unfere Lefer jegt nach dem weißen Hirfch führen, wo ſchon früh die Familie Saroli eingetroffen ift.
Wenn in den übrigen Mitgliedern diefer Familie Feine Veranderung vorgegangen ift, fo finden wir dagegen die arme Giannina, beute in den Kleidern ihres Gefchlechtes, blaß und abgehärmt wieder, und doch nur fhöner noch in der tiefen Melancholie, die
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mit Molltönen aus ihrer fanft melodifchen Stimme erklingt, und das Feuer der ſchwar— zen Augen dampfend, ihrer ganzen Erfchei- nung einen unbefchreiblicy füßen, wehmuͤ— thigen Zauber mittheilt,
Sie har ihren Henrico nicht mehr erwar— tet, langft fich gefagt, daß er für fie verlos ren ſey — und dennoch kann fie eine Thräne nicht zurück zwingen, die langfam über ihre Wangen rollt, als fchon ein halber Tag vergangen tft, und Feine Spur von dem Ungetreuen fichtbar wird.
Auf Befehl des Herzogs war indeß ber Intendant fchon früh im weißen Hirſch' gewefen, um dem Wirth anzufündigen: daß die Sanıilie, welche der Herzog in feinen befondern Schutz nehme, in Allem frei zu halten fen, und man c$ ihr an nichts fehlen laffen jolle. Auch hatte der Intendant den Fremden bereits weitläuftig erzählt, wie fein Herr fih mit der gefchiedenen Baronin Nos fenfranz in Kurzem vermäahlen werde, und
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ihr zu Ehren mehrere Wochen lang große Fefte ftatt finden würden. Zu dem Ende wies er bald darauf dem alten Saroli das Local im Park an, wo der Herzog, als Ueberrafhung für feine Braut, ein Mario: nettenfpiel angeordnet hatte, das In einem fcherzhaften Bezug auf den Tag ihrer erſten Bekanntſchaft, den es ihr lebhaft zurücru: fen follte, gedichtet war, und zugleich als ein Intermezzo bei der prächtigen Illumi— nation dienen follte, welche die folgende Nacht in einen Fünftlichen Tag zu verwan— deln beftiimmt war.
Marum der Herzog die arme Ötannina unvorbereitet einer fo fchmerzlichen Prüfung unterwarf, ift in der That mehr, als id) erklären Fann, Ohne Zweifel fchmeichelte es feiner romanhaften Phantafie, undvi ck leicht felbft feiner Eitelkeit, die kindiſch ges nug dazu war, den Effect zu beobachten, den feine Erfcheinung in fo verfchiedener Umgebung auf Giannina machen würde;
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denn es ergoͤtzte ihn oft mit feiner VBornehms | heit zu coquettiren, obgleich im tiefften Grunde der Seele fie eigentlih Niemand geringer achtete, ja meiſtens laftiger fand, als er. Da er fie aber einmal befaß, fpielte er auch damit, faft wie ein Taſchenſpieler, bei dem der Werth feiner Künfte ebenfalls nur aus der Blindheit feines Auditoriums hervorgeht.
Vielleicht war aber aud) jene feltfame Bitterkeit die Urfach’ feiner Harte, Die manchmal eig’ne Schuld an dem geliebten Mefen ftraft; ein unerflärlicher, aber in der Erfahrung Degründeter Zug des menfchlichen Herzens, der, fo ſchlecht er iſt, doch wenig: ftens den Vortheil hat, daß er ſpaͤter bie Verföhnung am füßeften macht. Früher hatte er die Abficht gebabt, Giannina unter der Masfe Mifchling’s noch einmal zu fe ben, aber des Doctors Kobeserhebungen, die ihn verftimmt, hatten ihn davon wieder ab- gebracht. Nun wollte er nach Befinden
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— ja bier wußte er wahrscheinlich felbft wieder nicht, was er eigentlich wollte — fondern als ein Achter großer Herr, ein verzog’ned Kind des Glücks, dachte er, es würde jeden: falld irgend eine artige Eituation, irgend etwas Picantes daraus entftchen, und liche ihn Giannina wirklich noch, warum follte er (bei feinen fo leichten Grundfägen in diefer Hinficht) nicht eine folche füße Freun— din fi auch noch neben feiner Gattin zu erhalten fuchen. Er hatte ja Schlöffer ge: nug, wo er fie mit Anftand unterzubringen leichte Gelegenheit fand!
Das Schidfal laßt aber nicht immer fo vornehm mit fid) fchergen, und unver muthet reicht es manchmal, ftatt des er: warteten fchäunenden Nectarbechers, den bitt’ren Wermuth, an dem man ein langes Leben zu trinfen bat!
Die herzogliche Tafel, an der heute große Galla fiatt gefunden hatte, und die Bluͤthe des benachbarten Adels verfammelt worden
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war, nahte fih ihrem Ende, Bor einer Stunde war die Sonne hinabgefunfen, und durch die hohen Saalfenfter flimmerten be: reits unzählige Kichter aus Wald und Buͤ— ſchen heruͤber, als drei Kanonenſchuͤſſe an: fündigten, daß Alles bereit fey, der hohen Ge; fellfchaft ein nicht ganz unahnliches Bild von den MWundern der Tauſend und einen Nacht vorzuführen. Schon der feftlich geſchmuͤckte Zug, den der Herzog mit feiner reizenden Braut, firahlend von Diamanten und noch mehr durch eig’ne Schönheit anführte, bot der zu Tauſenden verfammelten Menge ei— nen ungewöhnlichen Anblick; hoͤchſt uͤberra— fhend aber waren in der That die weiten Anordnungen des prachtvollen Feſtes. Zuerft zeigte. fih den meugierigen Zus fhauern das alterthümliche Schloß, in allen feinen vielfah abwechfelnden architectonis fchen Linien durch dichte Lampenreihen ges zeichnet, und das Innere der Fenſter in farbigen Facetten Spielend, kunſtreich er—
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leuchtet. Herrlich fchimmerte das weitläuf- tige Gebaude in der Nacht, während auf feinen hohen Thürmen Kranze von Feuers befen flammende Kronen in der Luft bil- deten. Ein großes gothifches Portal, von bunten Lampen finnreich zufammengefeßt, glänzte im reichfter Farbenpracht vor dem Eingang. Wendete man von hier die Blicke nad) dem Garten, fo überjah man dort zuerft ein weites Blumenparterre, das auf türfiihe Weife, durch unfichtbare Lampen am Fuße der Blumen verflart, einen zaus berifchen Effect hervorbradite. Auf einem Hügel in der Mitte des Parterres war eine Vaſe von gigantifchen Dimenfionen aufge fiellt, aus der ein Bouquet Fünftlicher Rie— fenblumen, ebenfalls nur von innen belsud)- tet, in dem brennenden Glanze coloſſaler Edelfteine, wie aus unterirdifhem Feuer hervorwuchs. Rechts und links diefer Gaͤr— ten, wo hohe Lindens und Kaftanien-Haine dichte Wände bildeten, hatte man hinter
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diefen einige hundert Holzftoße angezuͤndet. Ihre Flammen, durch die Baume verbüllt, ließen nur die faubdome und grünen Wald— mande vor ihnen, wie transparent erfcheinen, während belle Wolfen rörhlichen Dampfes oben bervorguollen, und die nahen Gebäude mit grellem Licht übergoffen, bis fie fich zulet in dem, durch den Contraſt der Feuer fat fhwarz gefärbten Sternenhimmel lang- ſam verloren.
Sp war man Überall von Glanz und Licht und buntem Farbenfchmelz in jeder duͤance umgeben; nur der Hintergrund, ein weiter Ste, den grüne Hügel befranzten, lag noch undentlich geformt, im düfterer, dunkler Ruhe da. — Doc) jeßt ertönt von den entfernten Bergen eine zweite Ealve des Gefchüßes, und im Nu ſieht man am Horizont, in der Breite einer Viertelmeile, thurmhohe Buchftaben lodernd emporfteigen. In wenig Secunden glänzt Far und deut:
a lich der Name Aline“ wie eine Feenfchrift, am Firmament.
Sauter Beifall und manches fiaunende Ab! belohnt die Erfinder dieſes fchönen Ecaufpiels, bis nach und nach ein Buch— fiebe nach dem andern langfam erlifcht.
Kaum aber hat der letzte Funke ausge glübt, fo feheint fidy der, eben noch einem bellen Silberfpiegel gleichende See, in einen fenerfpeienden Vulcan umgewandelt zu ha— ben. Ein bobes Schiff durchfchneider feine Wellen. Zanfende von zifchenden Raketen fliegen gen Himmel, grüne Schlangen rins geln fic) auf der Fluth, Feuerräder fchwirs ren dazwifchen, und furchterregende Mer teore, Gefpenfter aus der wilden Jagd, durchfaufen die Lüfte, wahrend eine verftedte Milttarbande die Mufif der Hölle aus dem Freiſchuͤtzen dazu fpielt. Zuletzt fliegt, mit dem Gekrache des einfchlagenden Blitzes, das ganze Schiff in die Luft — und Dun:
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felheit lagert fi) von Neuem über die Ge Gewaͤſſer.
Nach Beendigung dieſer Scene begab ſich der Herzog mit ſeiner Geſellſchaft in einen Wald, den man auf orientaliſche Weiſe, bis in die hoͤchſten Baumkronen hinauf, mit bunten chineſiſchen Laternen illuminirt hatte. Von hier fuͤhrte der Weg auf eine Waldwieſe hinaus, in deren Mitte eine hohe Fichte als Chriſtbaum decorirt war, ſtrotzend von vergoldeten Nuͤſſen, Aepfeln und Lich— tern aus dem Lande des Brobdignacs. An ihrem Fuß lagerte, in malerifche Coftüme gekleidet, die fröhliche Zugend des nahen Dorfes, die ſich nun ſchnell zu allerlei land- lihen Spielen und Tanzen, zum Erfteigen bunter Maien, zum Wettlaufen in Saden, zum Ringen, Hahnfchlagen, und ahnlichem Kurzweil mit geraufchooller Luſtigkeit ans ſchickte.
Nachdem man auch dieſer Unterhaltung einige Zeit gewidmet, erreichte die Gefell-
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ſchaft endlich einen größern freiern Platz, wo zum Schluß des landlichen Feftes eine lange Zafel für mehrere hundert Menfchen. bereitet worden war. In ihrer Nähe ſah man, an enormen Bratipießen und über hohen Scheiterhaufen, einige ganze Ochfen, Kälber und Hammel braten.
Auch dampften hier mehrere Keffel mit Suppe, in denen man bequem ein Bad von SFleifchbrühe, wie weiland König Jerome von Weftphalen, hatte nehmen Fünnen, Auf den Zifchen fanden ftatt der Bouteillen Biertonnen, fchon mit Blumenguirlanden verziert, und vier lebendige Steinadler in Kaͤfichen von Eifendrath formirten den Tifchs auffaß.
Jetzt war der Zeitpunct herangefonimen, wo der Herzog, wahrend das Volk fid zum Schmaufe einfand, in einem Gartenpavillon feine Braut und die Gefellfchaft durch das Martonettenfchaufpiel überrafchen wollte. Don außen war hier abfichtlih Alles dun—
BE.
fel geblieben, und nur eben fo fyärlich er— leuchtet, als nörhig: to make darkness visible. Ein Meer von Licht flurhete dafür den Ankommenden entgegen, als die Pforten des Tempels ſich geöffnet hatten, und fle nun plöglich vor einem Fleinen, in barodem Geſchmack decorirten Theater ftanden, auf den die Vorftellung auch augenblicklich be: gann, fobald der Herzog mit feiner Braut, und die vornehmſten Danıen ihre Plage in Befig genommen hatten.
Heute accompagnirte, ftatt weiland Ma— dame Gratovi’s Harfe und Trommel-Con- eert, die Gapelle des Herzogs, Hinter dem Theater verborgen, das Fleine Gelegenheits— ftü, und die Gewaͤnder der Puppen prang- ten in Sammt und Gold und Seide, kaum an Pracht denen untergeordnet, welche in Spontinifchen Opern Berlin entzüden. Se der war auf das Angenchmfte überrafcht, nur die Baronin, welche ſich nicht ganz wohl und unruhig zu fühlen ſchien, nahm
ES ang
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die Attention des Fürften nicht fo beiter auf, wie er erwartet hatte.
Das Vorſpiel war bald geendet, und nun trat, auf heimliche Anordnung des ſchaden— frohen Doctors und dem Fürften felbjt uns erwartet, Giannina, wie die Nymphe des Flußthals coftümirt, mit leichten, arherifchen Schritten vor, um, wie man 18 Ihr vorge— fehrieben, unter Herfagung eines Furzen Ser dichts, vor dem Gebieter und feiner Braut, Die fie leicht daran erfennen würde, daß fie auf zwei vergoldeten Lehnſtuͤhlen den vorders fien Platz einnahmen, Blumen hinzuftreuen, Schuͤchtern und leife begann fie mit nieder geſchlag'nen Augen ihren Spruch, wahrend ihre Schonpeit und Örazie im ganzen Saal ein Gemurmel des Beifalls von allen Sei— ten hervorrief.
Hierdurch ermuthigt, erhob ſie endlich das Geſicht, und ihre großen ſchwarzen Au— gen trafen mit vollen Blick auf die ver Baronin. Beide ſtarrten fich einen Augen—
—
blick gegenſeitig an. „Aline! Du die Braut ?* hörte man Giannina ganz laut in bewußt— lofem Erftaunen fagen — und mit einem unverftändlichen Klageton fanf die Baronin in Heinrichs Arme.
„Biſt Du wahnfinnig, Giannina?“ rief entrüftet der Herzog, fich im Schreck gleich ihr gänzlich vergeffend, „was foll diefes tolle Treiben ?“
„Serechter Gott I“ — ftohnte dumpf Gian- nina, und hielt fich zitternd an der Cou— liſſe feit, „traume ih? Henrico — der Her— zog! O Unglüdliche, fliche — fliehe diefe falfche Erde auf ewig!“
Kaum hatte fie diefe Worte wie im Wahn: finn ausgerufen, bet denen die Gefellfchaft, ungewiß, ob fie Ernft oder Spiel feyen, wie verfteinert jtehen blieb, und der Her zog felbit in der Betäubung nicht mehr wußte, wohin er fich mit feiner Hülfe wen; den follte, fo fürzte Gtannina mit einem durchdringenden Schmerzensſchrei finnlos
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davon, drängte hinweg, was fich ihr ent: gegen ftellen wollte, und wie ein gejagtes Reh durch die Büfche bricht, floh fie un- aufhaltfam die Treppe hinab, welche vom Theater in den Park führte, und in den weiten Wald hinein, bis fie erfchöpft und fait athemlos unter dem Fuß einer alten Eiche niederſank.
In der allgemeinen Berwirrung und dem Qumult, welcher diefer Scene folgte, hatte man fchnell ihre Spur verloren; die Eltern, an ihre ercentrifche Leidenfchaftlichfeit ge: wohnt, hatten, mit Zufammenlefung ihrer Marionetten befchaftigt, ebenfalls wenig auf fie geachtet, und fo war Niemand ihr gefolgt.
Die Aermſte befand fich in einem befla- genswerthen Zuſtande. So graufam ſich betrogen, fo demüthigend vor einer glüdli- bern Rivalin, wie fie glaubte, fich gehöhnt zu fehen, Fonnte ihr ebeu fo leidenfchaftlich
Eutti Frutti IV, 10
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liebendes als ſtolzes Herz nicht ertragen! Sie wünfchte nur den Tod, und rollte in wilder Verzweiflung hundert düft’re Gedan- ten durch ihr brennendes Gehirn, alle nur darauf gerichtet, auf welche Art fie am ſchnellſten dieſer umerträglichen Qual ein Ende machen fünne, Da hörte fie die ras ſchelnden Tritte nahender Leute, und voller Furcht, entdeckt, und durch fie von ihrem Vorhaben abgehalten zu werden, verbarg fie fih unter einem Strauch, angfilich den Athem an fih haltend, damit fie Keiner gewahr werde,
„Wie ſteht es,“ fragte eine leife Stimme dicht neben ihr, „habt Ihr Euch den Fünft: lid) geformten Schlüffel zu des Herzogs Cabinet endlich verfchafft ?“
„a, Hauptmann,“ war die cben fo leife gegebene Antwort, „hier ift er; der eiferne Kaften fteht im Fenfter rechter Hand, und den Schluͤſſel zu diefem legt der forglofe Herr gewöhnlich in das oberfte Fach eines
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kleinen MWandfchranfes, der daneben fteht, und den man leicht mit jedem Dietrich öffnen kann. Ihr koͤnnt Euch darauf ver laffen, daß die Documente, für die der Graf eine fo ungeheure Summe geboten bat, und außerdem noch wenigftens an 50,000 Thlr. in Gold und Gaffenfcheinen fic) in dem eifernen Kaften befinden — und fo vielerlet Leute gehen diefen Abend im Schloß herum, fich die Slumination zu befehen, daß gerade heute die Gelegenheit die allerbefte ift. Die meiften Diener find überdem im Park und bei den Tafeln ber fhäftigt, bloß zwei Dffictanten, die nur unvollfommen im Schloffe Befcheid wifs fon, haben die Wache dort übernommen. Sie denfen aber am wenigfien daran, fondern figen im Saal, und laffen fi) Wein und Effen gut ſchmecken. Zun Ueber: fluß find auch die von Euch befohlenen Cameraden überall vertheilt, um im Noth— 10 ar
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falle, Euch glich zu Hülfe zu kommen. Es kann nicht fehlen — in fünf Diinuten — ſeyd Ihr einmal im Cabinet, ift die Arbeit gethan, und die Papiere wie das Geld un: fer. Doch müßt Ihr eilen, denn der Teu— fel hat fo ſchon fein Spiel gehabt, und die Baronin im Theater in Ohnmacht fallen laffen. Der Herzog hat fie einfiweilen in das nahe englifche Haus bringen laffen, wo der Ball ftattfinden follte. Er ift jeßt noch voller Beforgniß bei ihr, aber es ift leicht moͤglich, daß er bald zurüdfahrt. sch felbft erhielt bereits den Auftrag, den Magen in einer Viertelftunde zu beftellen, werde mich aber natürlich nicht damit übers eilen. Alfo Glüf zu, Hauptmann, aber zögert feinen Augenblick länger. Noch Eins! ſtieße Euch etwas WVerdächtiges auf, fo fpringt unbeforgt aus dem Fenſter. Es ift nicht hoch, und ich habe den Joſeph unten in den Fleinen offenen Hof poftirt, der ganz dunfel geblieben tft, und aus dem man,
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an der Stallmauer bin, gleih im Freien it, “
„Gut, Conrad,“ war die Antwort, „mor⸗ gen Abend um diefelbe Zeit fpäteftens ſpre— hen wir uns hier wieder, wenn wir uns nicht früher treffen Fünnen, und Dein Theil an der Beute foll nicht der fchlechtefte feyn. Du bit ein Burfche, der bald Avancement verdienen wird! Jetzt aber fort, und halte mir den Rüden frei!“
Bei diefen Morten eilten die Fremden fo nahe an Giannina vorüber, daß der Eine faft an fie angeftoßen hätte. Schnell verlor ſich dann das Geräufch ihrer Schritte im Walde,
Für Giannina's Gefühle war die Reac— tion, welche diefes Gefprach im ihnen her: vorbrachte, eine wahre Wohlthat, auch die Erwähnung des Nanıens der Baronin, nun ihrer Zodfeindin, erweckte ploͤtzlich in ihr das Gefühl der Rache. Genugthuung, Ent— larvung der Betrügerin dammerte dunkel
m _ vor ihrer Seele. Mit der ganzen füdlichen: Lebhaftigfeit ihres Characters ergriff fie alfo jet nur das Eine, was Noth that.
Ohne fih zu befinnen, folgte fie dem Räuber, und ſchlug, fo ſchnell ihre Füße fie nur tragen wollten, fogleich felbit den Weg nad) dem Schlofje ein. Als fie dort, die Kocalität nicht genau Fennend, erft nach einigen Ummegen anfam, fand fie nur noch wenig einzelne Zuſchauergrup— pen darum her vertheilt, da die meiften den entfernteren. DVorftellungen zugezogen waren.
MWohlwiffend, daß fie Feine Zeit mehr verlieren dürfe, und dennod) ungewiß, an wen fie ſich wenden folle, aus Furcht, viel: leicht gerade auf einen der verfleideten Raus ber zu ftoßen, trat fie durch das bunte Portal unter bangem Herzklopfen in bie Halle, wo fie jedoch, mit inniger Freude, den ihr befannten alten Intendanten am Camine eingefchlafen fand.
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„ommt,“ rief fie, ihn weckend, „führt mich im Augenblid zu den Officianten, die die Mache im Echloffe haben.“
„Ei, et, meine ſchoͤne Mademoifelle,“ fagte der Alte noch halb verfchlafen, „wes— halb hat denn das ſolche Eile?“
„sch bitte Euch um Gottes willen, ver- liert Feine unnüße Zeit, Ihr werdet es gleich erfahren, Kommt jeßt ohne weitere Fra— gen. Auf meinen Knieen befchwöre ib Euch, zögert nicht !“
„Nun, nun! fie find im Eßſaale bei Tiſch, hier gleich die Treppe hinauf, ſo fommt denn.“
Giannina fprang ungeduldig voran, und den Kopf fchüttelnd folgte langfamı der Alte.
„Herbei, meine Herren !“ ſchrie Gianni— na, die Thür aufreiffend, den ruhig dort Tafelnden zu: „Räuber find im Cabinet des Herzogs! Bewaffnen Sie fi), helfen Sie Schnell, oder in wenig Minuten ift es
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zu ſpaͤt, und der Verluft des Herzogs viel- leicht unerſetzlich!“
„Tod und Teufel!“ rief der eine Beamte, ein Fräftiger junger Mann, „da muͤſſen wir auc) dabei feyn I“ während der and’re, ein abgelebtes Männlein, todtenblaß und erfchrocdfen, mehr an's Retiriren als an’s Vordringen zu denfen ſchien. Der Inten— dant aber ſchlug in der Thür die Hände fprachlos über dem Kopf zufammen.
„Laufen Sie, Herr Rehfuß,“ fagte der jurge Mann zu dem Schmächtigen, „und holen Sie mit dem Intendanten fogleich Waffen und Menfchen herbei, ich will mid) unterdeffen mit diefem fchweren filbernen Leuchter verfehen, und wenn's Glüd gut ift, einem der Hallunfen damit den Kopf einfchlagen.“
Und mit dem lauten Ruf: „Halloh! zu Huͤlfe! Raͤuber!“ ftürzte er fich nach des Herzogs Cabinet, Giannina, das herzhafte Mädchen, ihm auf dem Fuße folgend, Er
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nige Leute, denen fie auf dem Corridor begegneten, fchloffen fich mit an fie an, andere verdächtigere Geftalten famen ihnen gleichfalls entgegen. Jetzt ersäiähien fie den Eingang zum Gabinet, und fanden die Aus Bere Thür offen, die innere aber verfchlof fon. „Brechen Sie fie auf,“ fügte Gian— nina, „der Räuber muß fohon darin feyn, und hat fich nur von innen verriegelt, weil er fi) aus dem Fenfter fluͤchten will.“
Unterdeffen hatten ſich ſchon mehrere Menfchen, unter denen auch noch einige Diener des Herzogs, zu ihnen gefellt, wel ches wahrfcheinlich die feigen Spiefgefel- len des Hauptmanns zu fihneller Flucht bewog, wenigftens hinderte Niemand die Stürmenden, und in wenig Secunden wid) ihren vereinten Stößen die leichte Thür, In demfelben Moment bemerften fie auc) fhon einen Mann im Cabinet, der eben auf das Fenfterbret gefprungen war, und
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auf diefem Mege fih glükli mit der Beute gerettet heben würde, wenn nicht Giannina, mit der ganzen Gewandtheit und Kraft ihrer männlichen Erziehung, herbei- gefprungen! wäre, und, den ftarfen Räuber am Kragen fallend, ihn mit Gewalt auf den eben beraubten eifernen Kaften zurüd- geworfen hätte,
„Derfluchtes Ungethüm!“ rief diefer wuͤ— thend — dem fie in ihrer theatralifchen weißen Zradt mit den blaffen Wangen und funfelnden Augen wie ein Gefpenft vorfommen mochte — „laß' mic) los, oder ich fende Dich zur Hölle zurüf, wo Du hergefommen bift !“
Einen Augenblid nur ſah man einen fugekinden Dold im Lampenfchein bligen, und mit einem unterdrüdten Echmerzens- fohrei fanf Gianning, tödtlich getroffen, zu Boden.
Schreck und Staunen über die entfeßli- he That feſſelte in dieſem furchtbaren
227 _ Moment jede Hand. So gelang es dem Bofewicht, das Fenfter aufzumwirbeln, und mit feiner Beute glüdlich hinab zu fprin- gen. Doch war er kaum am Boden ans gefommen, als man auch fchon einen Schuß hörte, dem gleich darauf ein tiefes Aechzen, und nachher frohes Triumphgeſchrei folgte. Es war die Stimme des Intendanten, der, wohl berechnend, daß er von diefer Seite dem Näuber am beften den Nüdzug ab- fohneiden Fonne, mit einigen fchnell gefamz melten Gchülfen herbeigeeilt war, und felbft mit feiner Zagdflinte den glücklichen Schuß gethan hatte,
Noch Fniete oben der junge Mann ner ben Giannina, und verfuchte vergebens, das ftrommeis aus ihrer Seite hervorquel— lende Blut zu ftillen, als der Doctor her eintrat, den der Herzog eben nach Haufe gefchickt hatte, um einige Medicamente für die Eranfe Baronin zu holen, und der nun, fo ungeahnet! hier feine Hülfe bei einem
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weit fchreclicheren Vorfalle nöthig fand. Der fefte, an Scenen diefer Art gewöhnte Mann Fonnte dennoch bei dem troftlofen Anblick, der fi) ihm hier darbot, kaum die nöthige Faſſung bewahren, denn jchon eine flüchtige, vorläufige Unterfuchung ließ ihn das Schlimmfte befürchten. Auf feine Anordnung wurde die Derwundete fogleich mit größter Vorſicht in das anftoßende Zimmer der Baronin gebracht, und ihr auf dem Sopha ein Lager bereitet, auf das man fie, noch immer bewußtlos, nieder; legte,
Sobald der Arzt für eine weibliche Be Dienung geforgt, die unnüßen Zufchauer entfernt, und Alles für die Kranfe gethan, was die Umftände erforderten, fehrieb er dem Herzog, mit Weberfendung der ver- langten Medicamente, und Furzer Anweis fung, wie die DBaronin zu behandeln ey, was fih im Schloffe zugetragen,, hinzufür gend, daß er das unglücliche Mädchen,
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die fich auf eine fo heldenmüthige und ges heimnißvolle Weife für das Intereſſe des Herzogs aufgeopfert, unmöglich verlaffen fonne, auch nicht verfchweigen dürfe, daß ihr Leben in der höchften Gefahr fchwebe.
Dann feßte er fih an der Leidenden Bette nieder, und betrachtete mit inniger Wehmuth das holde Schmerzensbild, dem bald auch diefer letzte verloͤſchende Lebens— hauch entfliehen ſollte, der jetzt noch ſchwach den halb entbloͤßten Buſen der ſchoͤnen Ohn— maͤchtigen hob und ſenkte. Die Lampe warf ihren hellen Schein auf die edlen, ausdrucksvollen Zuͤge, die ihm ſo oft ſchon unwillkuͤhrliche Erinnerungen aus alter Zeit heraufbefhworen, und som erften Augen: blick an fein Herz mit einer wunderbaren Ruͤhrung ergriffen hatten. Da fiel ihm erft auf dem bloßen Halfe des Mädchens ein Kleines, altvaterifches Medaillon auf, deſſen Anblif ihn mit Staunen erfüllte, Behutſam es aufnehmend, drüdte er an
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an der Feder, und dad Bild eines Moͤn— ches Leuchtete ihm entgegen.
„Himmel, meine Ahnung!“ rief er: „fo haft du mich doch nicht betrscen! Ga, Du bift es wirflich, armes, beflagenswerthes Kind! Unnatuͤrlich verlaff n, che Du nod) geboren war’ft, mußteft Du das Schloß Deines Vaters nur betreten, um darin zu fterben !
D Du unfer Aller Vater über den Wol— fen! warum prüfit Du manche Deiner Kinder fo hart! oder nimmft Du Diefes nur fo früh in die Schaar Deiner Engel auf, damit der Erde Weh fein Herz — nicht noch bitterer brehe? Gott des Er- barmens, Dein beiliger Wille gefchehe!“
„Amen!“ fagte Giannina leife, die um terdeß die Augen das erfiemal wieder auf gefchlagen hatte, und nun mit matter Stimme verwundert fragte: „te, lieber Herr Doctor, bier — wo bin id) denn? — Ach, der Räuber! O, wie das fchmerzt,
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hier in der Seite. Ach! helfen Sie mir... jeder Athemzug ift ein Dolchftih. Wiſſen e8 meine arme Eltern fchon ?“
„Beruhigen Sie fich, theures Kind,“ fagte der Doctor mit ſchwer unterdrüdter Ber wegung, „Sie werden fich bald beffer führ len! Hier nehmen Sie diefen Trank und fprechen Ste nicht. Ruhe ift Ihnen jetzt vor Allem dringend vonnöthen. Sobald Sie es ertragen Tonnen, werde ich nad) Ihren Eltern Schicken,“
Das arme Mädchen fchloß halb die mü- den Augenlieder, und weinte ftill vor fich bin. Des Doctors Troftworte, die er mit zerriffenem Herzen gab, fchienen wenig bei ihr zu fruchten.
Nach einiger Zeit fagte fie: „Taͤuſchen Sie mid nicht, lieber Freund, ich fühle es, ich weiß es mit Beftimmtheit — daß ich fterben muß. Meine Befinnung iſt jeßt ganz zurück gefehrte. Sch bin nur matt, ach, fo matt! und die Glieder werz
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den mir fo flarr und fchwer, Er wird wohl bald vorüber feyn, der Traum des Lebens — und doch bin ich noch nicht ferz tig. Sa, lieber Doctor, ich muß ihn nod) einmal fehen, che ich fterbe 2... ich muß ; ihn warnen vor der Schlange, die er in feinem Bufen naͤhrt. Ich habe ihn ja längft aufgegeben, nicht meinetwillen, ach, nur feinetwillen will ich ihn von fo großem Elend erretten |“
„Liebes Mädchen, ich befehwöre Sie, überlaffen Sie fich jeßt Feinen fo angreifens den Gedanken. Ich will fie nicht betrü- gen, Ihr Herz ift ftark genug, das Unver— meidliche zu tragen, aber noch ift ja Hoff: nung da, wenn Sie nicht muthwillig ſelbſt fie zerjtoren. Jedenfalls verfpreche ich Ih—
nen, daß Sie Zeit haben follen, von Ihrem
Herzen Alles abzuwaͤlzen, was es drüdt. Auch ich habe noc) einige höchft wichtige Tragen an Sie zu thun, aber jeßt, mein kuͤhnes, liches Mädchen, ſchonen Sie ſich
—
und zeigen Sie all die muthige Selbſtbe— herrſchung, die Ihrer edlen Seele wuͤrdig ijt,“
Siannina fchüttelte feufzend mit dem Haupt, doch that fie ergeben nach des Doc- tors Willen,
Eine Viertelftunde mochte im diefer Ber mühung vergangen feyn, doch fand fie wer der Schlaf noch Nuhe. Im Gegentheil ſchienen die unheilverfündenden Symptome immer drohender zu werden, und da kurz Darauf dem Doctor gemeldet wurde, daß der Herzog draußen ſey, und wenn es ir gend möglich, dringend Einlaß wünfche, bat fie fo beweglich, ihn gewähren zu laf fen, daß der. Doctor, ohnehin Feine günftige Hoffnung mehr hegend, nachgab, und ihr verfprach, fobald er den Herzog nur eint- germaßen vorbereitet haben. würde, ihn for gleich zu ihr zu fenden.
„Vorher aber,“ fette er hinzu, „muß ic) felbft noch einige Fragen an Sie thun, lice
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bes Madchen, die ich Sie einfach zu beant: worten bitte. — Won wen haben Sie das Medaillon, das Ste an Ihrem Halfe tra: gen?“
„Bon meiner feligen Mutter, Rosa.Chia- rini.“
„Die Leute, bei denen Sie leben, ſind alſo nur ihre Stiefeltern?“
„So iſt es.“
„Wen ſtellt das Moͤnchsbild vor, das Ihr Medaillon enthaͤlt?“
„Meinen Vater, einen deutſchen Fuͤrſten, wie man mir geſagt, deſſen Familien-Name aber weder meine Mutter noch ich je er— fahren haben. Ein Papier, was mir meine Mutter auf ihrem Todtenbette uͤbergab, enthaͤlt alle naͤhere Umſtaͤnde, und meine Stiefſchweſter Joſephe weiß den Ort, wo ich es aufgehoben habe. Luigi war des Fuͤr— ſten Taufname. Weiter weiß ich nichts von ihm.“
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„Genug!“ fagte tieffeufzend der Doctor. „Ich rufe jeßt den Herzog, aber um Got: tes willen, fchonen Sie ſich und ihn, foviel Sie es vermögen.“
Mit leifen Tritten verließ er nun das Zimmer, um dem Herzog entgegen zu. gehen.
„D Doctor!“ fagte diefer verftört, jo wie er feiner anfichtig wurde: „Wie fteht es mit Giannna? Wie erfläre ich mir dieſe rathfelhafte Begebenheit? Der erfchoffene Räuber, bei dem man meine wichtigften Documente und mein ganzes baares Geld in Gold und Papieren fand, ift derfelbe Herr von Wolff, ein getaufter Zude, von dem ich Ihnen erzählt und bei dem Die Baronin früher mit ihrem vorigen Gemahl wohnte, Wie fam Giannina zu fo genauer Kenntniß feines Vorhabens? — Doch zur Hauptfache, denn was ift alles Andere da- gegen! Ueber diefenur beruhigen Sie mid.
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Nicht wahr, fie ift nur ſchwer, nicht toͤdt— lich verwundet ?“
„Erlauben mir Euer Durchlaucht,“ fagte der Doctor mit einiger Feterlichfeit, „Ihnen in hr Zimmer zu folgen, denn ich habe Ihnen einen fehr wichtigen und hoͤchſt uns erwarteten Bericht abzuftatten.“
Als fie dort angelangt waren, und der Doctor forgfältig die Thüre hinter fich ver- fhloffen hatte, fagte er: „Wiffen Sie gnä— diger Herr, wer diefe unglüdliche Giannina it, die aus Liebe zu Ihnen hier untergeht — ah! ein Unglüdsfind ift fie, das in ſeltſamer VBerzweigung in ihr eigenes Schick— fal mit verwebt ift — eine nahe, theure Ynverwandte..... mit einem Wort, fie it jene vor der Geburt fchon verlaffene Toch- ter Ihres Onfels, von der Sie gehört ha— ben müffen, und die, im Fall feine vorge: fpiegelte Verehelichung mit der Mutter Gültigkeit gehabt hätte, vor Gott und Men; fchen die rechtmaßige Erbin all’ der Güter
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wäre, die Sie jetzt beſitzen, ja auch diefes Schloffes, das die Arme, o bitteres Schick— fal! nur betrat, um darin den Tod zu fin— den. Schon bei ihrem erften Anblick er— griff es mich wie unheilſchwere Ahnung, beute aber hat mir das Bild Ihres Vaters, das ich, auf ihrem Bufen ruhend, fand, und wenige Worte ihrer eigenen Erflärung die ganze traurige Gewißheit unzweifelhaft ent huͤllt.“
Der Herzog ſtarrte ihn ſprachlos an.
„Sie erinnern ſich,“ fuhr der Arzt fort, „daß Ihr Onkel, mit dem ich damals in Italien reiſ'te, eine betruͤgeriſche Ehe mit einem armen Maͤdchen aus jenem Lande einging, und als dieſe ſchon eine Frucht derſelben unter ihrem Herzen trug, von ſeinem ſtrengen Vater hart gedraͤngt, ſich verleiten ließ, die mehr getaͤuſchte als ver— fuͤhrte Chiarini in Venedig auf eine hoͤchſt grauſame Weiſe zu verlaſſen, ohne ſie je mit ſeinem wahren Namen bekannt gemacht
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zu haben. Er glaubte fchon genug zu thun, daß er ihr eine bedeutende Geldfumme zus ruͤckließ.
Spaͤter hat er ſich zwar große Muͤhe gegeben, uͤber ihr und ihres Kindes weite— res Schickſal etwas zu erfahren, jedoch ganz vergebens, da ſie laͤngſt in Italien gaͤnzlich verſchollen war, und Niemand wußte, wo— hin ſie ſich gewendet. Eben ſo fruchtlos waren, wie ich hoͤre, alle Nachforſchungen der verlaſſenen Roſa ihrerſeits, und Gian— nina weiß bis dieſen Augenblick nur, daß ein vornehmer deutſcher Herr ihr Vater war, ohne irgend etwas von ſeinen naͤheren Umſtaͤnden zu kennen.
Sie mag jetzt Alles durch Sie erfahren, doch nun, gnaͤdiger Herr, faſſen Sie ſich auch als Mann — denn ich darf es Ihnen nicht mehr verſchweigen: Giannina zu ret— ten gibt es kein Mittel mehr. In wenig Stunden wird dieſer ſchoͤne lebenswarme
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Körper ein Falter Leichnam feyn, und die treue Seele bei Gott!“
Der Herzog fanf wie vernichtet auf fei- nen Seffel zurück. „Allmachtiger Gott!“ rief er: „ift deun fein Erbarmen? O theu— ver Freund, die Halfte meines Vermögens gehöre Shen, wenn Sie den Engel retten, das treue Herz, das durd) meinen Keicht: finn ſtirbt. Nein, ich werde nie mehr Ruhe finden! Doch jeßt beſchwoͤre ich Sie, laffen Ste mich hin zu ihr, wenn Ste mich nicht zur Derzweiflung bringen wollen. Ach! daß ich wenigftens ihre Verzeihung .... o Giannina, welch' fohredliches Verhaͤng— niß
„Kommen Sie, ich will Sie zu ihr fuͤh— ren, doch beſchleunigen Sie nicht noch durch zu heftige Gemuͤthsbewegung das nahe Ende der Dulderin, obgleich — fügte er ſchmerz— lich laͤchelnd hinzu — obgleich die Liebe auch auf dem Todtenbette wohl thut.“
Es war ein furchtbarer und doch auch
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tieffeliger Moment für Beide, als Heinrich zu den Füßen des Bettes niederfanf, und ſtumm mit heißen Thraͤnen Giannina’s Hände bededte.
„O, mein Henricol“ fagte fie endlich mit faum vernehmbarer Stimme: „Dank, inni— gen Dank für diefe Zeichen Deiner Liebe. Sie machen meinen Tod zum füßen Ueber gang in eine beffere Welt. Denn täufchen darf ich Did) ja nicht, mein Geliebter .... bald wird Dein armes Madchen in tiefer Erde liegen, und Feine Deiner Liebfofungen fie mehr erwecken koͤnnen; d'rum fättige fie noch damit, fo lange fie lebt, komm', achte meiner Wunde nicht, und Füffe mei- nen Mund, damit er Dir durch feinen heißen Drud fage, was der Stimme aus zufprechen fchon fo fchwer wird.“
Es Liegt eine erhabene, unendliche Wol- luft im Schmerz! Als in diefem Kuffe ihre Thranen fich miſchten, und ihre See len in einem einzigen glühenden Hauch zu:
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fammenfloffen, da mögen Engel an dem Schmerzenslager geftanden und vom All mächtigen Gnade für fie erfleht haben!
Es dauerte lange, che Giannina's ums fhlingende Arme den Geltebten wieder [os ließen, an deffen Bruſt fie gern den legten Seufzer ausgehaucht hatte. Endlich fans Een fie, in halber Ohnmacht erfchlafft, Tang- fam herab, und wie ein weißes Marmor: bild lag fie nun eine geraume Zeitlang mit gefchloffenen Augen, vor dem gleich ihr zum Tode erbleichten, zitternden Freunde da.
Als fie wieder einige Krafte mühfam ge fammelt hatte, fagte fie feierlich: „Nun, Henrico, muß ic) Dir noch weh’ thun. — Gott ift mein Zeuge, wie gern ich Dir es erfparte, aber ich darf Dir es nicht ver- ſchweigen.
Es war eine Zeit, wo ich der thoͤrichten Hoffnung Raum gab, Du wuͤrdeſt fuͤr im— mer mein werden koͤnnen, eine Zeit, wo
Tutti Frutti IV. 11
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ich weder Deinen hohen Rang ahnete, noch ſo innig fuͤhlte, als es ſeitdem der Fall ge— weſen iſt, daß mein langes niedriges Leben wenn gleich, bevor ich Dir begegnete, ohne die groͤbſte Schuld geblieben, doch jenen zarten Duft von meiner Seele geſtreift hatte, der mich allein ganz Deiner werth haͤtte machen koͤnnen.
Alſo ſchon ehe ich Dich hier wieder ſah, und erkannte, hatte ich jeder Hoffnung auf Deinen Beſitz entſagt, obgleich der Gedanke, mich von Dir verhoͤhnt und gemißachtet zu ſehen, mich heute faſt zur Verzweiflung trieb! Es iſt alſo weder Eiferſucht noch Ei— gennutz, die mir jetzt die Zunge loͤſen, auf der der bitt're Tod ſchon ruht. Es iſt nur der einzige Wunſch, Dich nicht ungluͤcklich werden zu ſehen, der mich zum Sprechen zwingt.
So wiſſe denn, mein Freund, die Frau, die es durch einen Betrug, den ich nicht kenne, dahin gebracht, daß Du ſie zu
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Deiner Braut erforen — ift Deiner ganz li) unmwürdig, von weit niedrigerer, unbe Fannter Herkunft alsich ſelbſt, ein Gefchöpf, das Sabre lang auf gemeinfier Stufe im Schlamme des Lajters gelebt, und, als zu fohleht für den Umgang jedes rechtlichen Mädchens, von mir, fobald ich fie erfannte, wie eine Peftfranfe geflohen ward. Haft Du nicht erft vor wenigen Stunden gefe: hen, wie mein Anbli, gleih dem Haupte der Medufe, auf fie gewirft hat?
Du war’ft nicht der, für den id Dich halte, mein Henrico, wein Du nad) dem, was Du jest weißt, dieſe Schlange nicht augenbliclih auf immer von Dir entfern— teſt; auch darfft Du in die Worte einer Sterbenden, ad)! einer Seele, die auf der ganzen Welt nur an Dir allein noch hängt, feinen Zweifel mehr fegen.“
„O Siannina, mein Leben, mein Alles! welche Nattern erweckſt Du in meiner Bruft. Wie hat jene graßliche Taͤuſchung mid)
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vermögen koͤnnen, das Glüd, was fon in meine Arme fank, von mir zu ftoßen, um einem teuflifchen Schatten wahnfinnig zu folgen, der mich jeßt hoͤhnend in die Hölle hinabſtoͤßt.
Ja, ſchon ehe ich zu Dir eintrat, ward die Binde von meinen Augen geriſſen. Ein Brief des elenden Barons, der mit dem Gelde was er mir entlockt, nun in Sicher— heit, ſich an uns Beiden mit unerhoͤrter Niedertraͤchtigkeit hat raͤchen wollen, ent— huͤllte mir durch untruͤgliche Beweiſe das ganze ſchwarze Gewebe des Betruges in derſelben Stunde, als feine elende Gefahr tin, durch Deinen Anblick entſetzt, in das Gartenhaus gebracht wurde, aus dem fie — denn Gott Lob noch ift fie nicht meine Frau — nie in mein Schloß zurüdfehren wird. O Giannina, welches ſchwere, goͤtt⸗ liche Strafgericht, daß in dieſem naͤmli— hen Augenblick, wo das ſeligſte Gluͤck uns erreichkar geworden waͤre, Du das Opfer
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meiner verruchten Verblendung werden mußt, und ftatt am Traualtar wir nun im Tode nur. uns vereinigen werden — denn Did) überleben kann und will ich nicht, O nein, Du treuer hingeopferter Engel, diefe Ge⸗ wißheit wenigftens bleibt mein einziger Troſt!
Wie unendlich ſchoͤn hatte das Schickſal es mit uns im Sinne, waͤr' ich nicht ſelbſt der Moͤrder unſers Gluͤcks geworden! Du weißt es ja nicht, armes ungluͤckliches Maͤd⸗ chen! — So hoͤre denn: Dein Vater war mein Onkel, der vorige Herzog von Ho— henburg, von dem der groͤßte Theil meines Vermoͤgens herſtammt, und ach! ſeine Sünde an Deiner verlaſſ'nen Mutter wur chert auch in mir jeßt fort! — Du, Gian— nina, hätteft hier zu gebieten gehabt, nicht ich, wenn die Ehe meines Onkels als gül- tig hätte anerfannt werden müffen. Seht, da wir Alles dieß entdeckt, jet, wo jeder verdunfelnde Schleier von meinen Augen
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gefallen tft, wo ich Dich, wieder ich ſelbſt geworden, mit unbefchreiblicher Liebe an— bete, und wo Du, Engel der Milde, auch an Deinem Verderber noch immer mit glei— her Zaͤrtlichkeit haͤngſt, ach! wie jüß hätte alles vergangene Unglück fih in Seligkeit aufgelöft — und nun — o Gott! die Strafe tft zu hart, erbarme Dich doch um diefes unfchuldigen Wefens willen — oder, iſt Feine Rettung, fo trenne mich wenigſtens nicht von ihr, wenn ich ihr folge in das dunfle Neih, das ja nur ohne fie mir furchtbar ſeyn kann.“
„Henrico,“ ſagte Giannina ernſt und feierlich zu ihrem Freunde, der in wilder Verzweiflung ſeine Haͤnde rang, „Henrico, was Du mir jetzt uͤber meine Geburt ent— huͤllt haſt, beruͤhrt mich nur noch wenig, denn es iſt nur irdiſcher Tand. Auch iſt es gut, wie es iſt — denn, mein Freund, unſ're Verbindung wäre anf dieſer Welt immer eine unnatuͤrliche geblieben, die ung
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feinen Segen hätte bringen koͤnnen. O nein,“ fuhr fie fort, mit aller Aufregung des fie fchürtelnden Fiebers, „Gott hat es fo zu unferm Heil beffer gefügt! Aber was Du eben über Dich felbft gefagt, das fchmerzt mich tiefer als meine Todeswunde. Hen— rico, wenn meine ganze Serle fih nicht von Dir wenden foll, fo febwöre mir hier vor dem Allmächtigen, den Du befennft, wie ich, nie eine verbrecherifche Haud an Dein Leben zu legen, es gefchehe, was da wolle. Bis hierher haft Du nur, verzeike die harten Worte, mein Freund, durch Leichtfinn und Thorheit gefehlt, niht Du bift Schuld an meinem Tode — aber hüte Dich vor größerer unverzeihbarer Echuld! Iſt mein Verluſt ein tiefer Schmerz für Dich, fo trage ihn zu Deiner Beſſerung — dann, mein Henrico, werden wir gelautert einft uns wiederfinden in einer feligern Melt, und nichts wird unf’re gleichgeftimms ten Seelen mehr zu trennen vermögen,
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Doch verfchirzeft Du die endlofe Gluͤck — Gott! mir fchaudert vor dem fehwarzen Bilde — dann erft find wir getrennt — auf ewig. Ach! ich habe ja gleih Dir verbrecherifche Gedanfen gehegt, als Die Gewißheit Deines Derluftes mich faft bis zum Wahnfinn ergriff, und wie danfe ich es ;eßt mit Inbrunſt dem Liebenden Gott, daß er mich durch jenen Räuber, deffen Anschlag ih im Walde unwillführlich ber laufchen mußte, von fo entſetzlicher Sünde errettete. O, mein Geliebter! laß’ mich nicht in Verzweiflung fterben, nur berus bige, beſelige meine leßten Augenblicke durch die Gewißheit: daß Du geduldig tra- gen willft, was der Herr über uns ver hangt.‘*
„D Du bift grauſam!“ fagte Heinrich dumpf vor Sich hin. „Du verdammft mid) zu ei nem Leben voll Qual — doc) welches Opfer war’ ich Dir nicht ſchuldig! Beruhige Di, ich werde handeln nur wie Du es willſt.“
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„Ach, habe Dank! Du haft mit diefen Morten den fchwerften Stein von meiner Bruft gewälgt, aber mein Freund ..... mein armer Freund... ich fühles... meine Kräfte ſchwinden immer mehr. — Sende mir ohne Zeitverluft die Meinigen; denn waren fie gleich ‚mein Unglück im Leben, im Tode will ich liebend von ihnen fheiden und nachher — o mein Henrico, fey doch fandhafter ald Dein fchwaches ungluͤckliches Mädchen — nachher fchicke zu dem Fatholifchen Priefter, daß er komme mich mit meinem Gotte zu verföhnen, — Iſt Alles beendigt — dann fey noch der legte Abfchied.... Dir geweiht... Jetzt geh’!... und weine nicht fo trofilos... Es bricht men Herz... und ich bedarf noch Faſſung.“ —
Ein langer Kuß noch, ein krampfhafter Druck der Hand, die Heinrich mit ſeinen Thraͤnen badete — und betaͤubt, wie ein zum Richtplatz Gefuͤhrter, ſchwankte er aus der Thuͤr.
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Er fah fie nicht mehr wieder — denn ein hitziges Fieber warf ihn felbft noch in derfelben Nacht befinnungslos aufs Kranz Fenlager, Furz zuvor che Giannina, nach dem fie den Vorfchriften ihrer Religion ges gnügt, in den Armen des Doctors und ihrer Schwefter, mit einem legten Gruß an ihren Henrico auf den Lippen, fanft entfchlafen war, und ihre reine Seele, wir hoffen es mit Zuverficht, bei Gott der Se— ligkeit theilhaftig ward, die ihr auf Erden nicht beſchieden ſeyn follte,
ehter Uag: nebſt feiner Folge. (Wiederum einen Monat fräfer.)
Gibt es wirflic) anders als wir organi— firte Weſen, denen es dennoch möglich ift, in eine Art finnlichen Verkehrs mir uns zu treten; oder find folche Falle, deren haus figes Vorkommen in allen Zeiten behauptet worden tft, nur die Folgen einer plafti- ſchen Selbftthätigkeit unſ'rer eignen Seele, die allerdings, wie der thieriſche Magne— tismus am beſten lehrt, ein noch wenig er— forſchtes Vermoͤgen zu beſitzen ſcheint, durch das ſie faͤhig wird, aus ſich ſelbſt heraus— zutreten, und gewiſſermaßen ihren eig'nen Doppelgaͤnger zu bilden — oder auch durch
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fremdartige Oeftalten ihrer eig’nen Schöpf- ung fi) Geheimniffe offenbaren zu laſſen, die im gewöhnlichen Zuftande ewig ein Buch mit fieben Siegeln für fie geblieben wären? |
Diefe gewichtige Frage möchte wohl nie ganz g’nügend beantwortet werden Fünnen, wiewohl Keiner unterlaffen wird, in feinem eignen Innern für eine oder die andere dieſer Auslegungen Partei zu nehmen,
So beurtheile denn aud) der Lefer das Solgende, wie es ihm gut dünft,
Wer vor vier Mochen den Herzog von Hohenburg in jenen feftlihen Tagen, in der Bluͤthe feiner Jahre, in Fülle der Ges fundheit und firahlend von Zufriedenheit und Vergnügen gefehen hatte, würde kaum in der ſchwarz gefleideten, blaffen Geftalt, deren fparliches Haar, in Folge ſchwerer
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Krankheit fhon zum Theil ergraut war, und deren leidende Züge einen fo tiefen Kunız mer verriethen, denfelben Mann erfannt haben, der ihm vor Kurzem noch fo bes neidenswertb — und heute fo bemitleidens- werth erſchien!
Ungluͤck und die Sünde altern fchnell!
Längit hatten die muntern Gäfte das Schloß verlaffen, langft war die Baronin mit Geld abgefunden und entfernt worden, Einſamkeit und Stilfe hatten die Stelle der geräufchvollen Froͤhlichkeit Bagaue ner Tage eingenommen.
Zum erftenmal. ſah man heute wieder einige Bewegung im Schloß. Ein bepad- ter Wagen fand auf dem Hofe, und mehr rerg, gleich ihrem Herrn in Trauer geflei- dete Diener waren befchäftigt, noch dieſes und jenes zu einer, wie es fchien, fehr weis ten Reife zu ordnen.
Unterdeffen war der nur noch unvoll- fommen genefene Herzog, em Do:tor am
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Arm geführt, in den Park gegangen. Bald hatten Beide die alte Kirchenruine erreicht, innerhalb deren Mauern, unter Dornen und wilden Blumen, einfiweilen ein einfas her weißer Stein die Stelle anzeigte, wo das treu’fte Herz in Fühler Erde ruhte. Künftig follte ein fchöneres, finnig erdach— tes Monument, aus dem edelften Marmor geformt, das Andenken der DBerftorb’nen würdig chren. Ein bittendes Zeichen des Herzogs entfernte jeßt den Doctor, der langſam und traurig dem Echloffe wieder zuſchritt. Der Herzog aber Fniete vor dem Grabe nieder, legte feine glühende Stirn auf den Falten Stein, und betete ftille und lange. Dann füßte er den mit Rofen bes pflanzten Grabhügel, und einen ſchmerzlich verlangenden Blick nach dem blauen Hin mel richtend, der in ſchoͤnſter Eryftall’ner Sonnenpracht über ihm glängte, verließ er zögernd, und wie er wünfchte auf ımmer, die Stelle, die fein Kiebftes umfchloß. Ale
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er von dem Furzen Meg, fichtlich angegrif— fen, zurüdfam, war Alles zur Abreife fer tig. Mit einem freundlichen Gruß von feis nen, befümmert ihm nachblickenden Dienern, mit einem langen ſtummen Handedrud vom Doctor, Abichied nehmend, warf er fi) in feinen Wagen, und bald lag der Schauplaß feiner Freuden und Leiden weit hinter ihm, doch der nagende Wurm im Innern blieb bei ihm zurüd.
Es war ſchwuͤl und ftürmifch. Als ge gen Abend die Sterne zu funfeln anfingen, ftieg hinter ihm eine tieffehwarze Gewitter: wolfe am Horizont empor, die Immer grös Ber anwachfend, im Werterleuchten die Ge: ftalt eines feuerathmenden Drachens anz nah, der, einen Stern nach dem andern verſchluckend, Ströme dunklen Waffers auf ‚die Erde fpie.
Bitter lachelnd blicte der Reiſende zu dem Ungeheuer am Himmel hinauf, und
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freute ſich des paſſenden Begleiters. Doc) bald verfiel er wieder in dumpfes Sinnen.
Nachdem er lange Zeit vergebens ver: ſucht, die qualvollen Gedanken zu verfcheus chen, ließ endlich die ermattete Natur ihn mit einbrechender Dunkelheit Cer beabfich- tigte Tag und Nacht zu fahren) in einen tiefen Schlaf verfinfen,
Wie möchten wir aber dem Leſer zumus then, Alles anzuhören, was dem Herzog von nun an im Gemühle fremder Länder Vielartiges begegnete,
Acht Fahre reifte er faft in allen Welt- theilen unf’rer Erde umber, und hörte wohl:
„daß hie und da ein Glüdlicher ge wefen — doch er — cr fand dieß Gluͤck, das au ihm einft trügerifh gelächelt, nie mehr wieder.
Gealtert, Franflich, der Fühne Muth ge brochen, der ihn fonft über alles Ungemach des Lebens fo leicht hinwegtrug, Fehrte er
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endlich matt und müde, nur um in Ruhe den erwünfchten Tod zu erwarten, nad der verlaffnen Heimath zurüc, Kaum daß er fie wieder erfannte, die alt gewohnten Gegenftande, fo hatte ſich Alles verändert, Anderes hatte wohl auch fein fehwächer ge wordenes Gedächtniß nur vergeffen!
Es war fchon fpat Abends, als er, fich fehr unwohl fühlend und faft die Annaͤhe— rung einer fchweren Krankheit fürchtend, feinem Kammerdiener befahl, bei dem er: ſten Safthaufe, das fie antreffen würden, anhalten zu laffen, da er fich nicht vermoͤ— gend fühle, die Nacht feinen Weg bis Ho: henburg fortzufegen.
Man befand ſich in einem tiefen Walde und erblickte endlich eine ftattliche Herberge.
Das Haus, das von allen Seiten die Baͤume dicht umfchloßen, war außerft groß und weitläuftig, in einem auffallend regel: mäßigen, edlen Style erbaut, und wie es ſchien, nur ganz kürzlich erft fertig geworden.
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Es war fchlohweiß getündht, und da eben, während man noch im Hofe hielt, der Mond zwifchen zerriß’nen, wie im Sturme am Himmel fich jagenden Wolfen hervor: trat, fo fühlte der Franfe Herzog feine Aus gen von dem hellen, Falten Nefler, der von dem weißen Haufe zurüdyrallte, fo vers wundet, daß ibm die eguprifche Sage vom Mondftih einfiel, der fehnell erblinden macht.
Er ftieg aus, und fand alle Zimmer, durch die er ging von derfelben blendenden, Firchhöflichen Weiße, auch die Meubeln tru: gen alle diefe Farbe, ja vor der Treppe lag felbjt ei ungeheurer weißer Hund, der wie aus cararifchem Marmor geformt, Ich: los zu ruhen fchien. Als der Herzog an ihm vorüberichritt, erheb er cin furchtba: res Geheul, ohne fich jedoch weiter zu regen.
Eine Teichmähnliche Frau mit bewe— gungslofen, steinernen Zügen führte Die
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Säfte. Sie war in tieffte Trauer gebüllt, deren ſchwarze Sarbe fchauerlich mir der übrigen Umgebung contraftirte. Ueberall herrfchte die größte Neinlichfeit, die mu— fterhaftefte Ordnung, überall derfelbe grans dioſe Styl, überall diefelbe Falte, unheim— liche Leere, wie in einer Behauſung der Todten.
Der Herzog, den ſchon das Fieber ſchuͤt— telte, eilte, ſich zur Ruhe zu begeben. Das Zimmer, welches man ihm bereitet hatte, erſchien ſehr hoch und geraͤumig, und bil— dete die Ecke des Hauſes, etwas entfernt von den Stuben, die man der Dienerſchaft angewieſen hatte. Sein Bett ſtand an der kahlen weißen Wand, zwiſchen zwei Fen— ſtern, die, ohne Laden noch Rouleaux, dem Schein des Mondes freien Spielraum bis in jeden Winkel verſtatteten. So ſehr die— ſer Umſtand den Herzog ſonſt am Schlaf zu hindern pflegte, ſo ließ ihn doch dieß—
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mal große Meattigkeit bald die erfehnte Ruhe finden,
Sie war aber nicht von * Dauer. Es mochte eine Stunde nach Mitternacht ſeyn, als er im ſtaͤrkſten Fieberparoxismus und unter den heftigſten Schmerzen er— wachte. Doch war es ſeltſam, daß es ihm durchaus unmoͤglich blieb, die Augen zu oͤffnen. Ber immer uͤberhandnehmender Qual wollte er ſeine Leute rufen, doch kei— nen Laut war er vermoͤgend uͤber ſeine brennend trock'nen Lippen zu bringen,
Sp in tödtlicher Angft, fprachlos, von fhwarzer Nacht umfangen, von den unerz träglichften Schmerzen gefoltert, lag er, bald in dumpfem Hinbrüten bewegungslos da, bald warf er fihin verzweiflungsvoller Ungeduld wild umher — eine tödtlich lange Zeit, die dem Xeidenden eine Ewigkeit dünfte !
Da war es ihm ploͤtzlich, als wehe ein leifer Zephyr über ihn hin, fächle kuͤhlend
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feine heißen Wangen, und öffne lind und fanft ihm nach und nad) die Augen.
Des Mondes hellfter Glanz erfüllte das Gemach. Er blickte unficher, halb geblens det um fich her, bis feine Augen zuleßt auf einer Stelle feft hafteren, wo die Mond— ſtrahlen von beiden Eeffenftern fich, wie le bendig geworden, in ſeltſamem Spiele mifch- ten. Jetzt ſchien es ihm, als zude es dort wie ſchwache Blitze, und ein rofiger Nebel flieg auf — immer mehr gewann die Wolfe Geftalt — dreimal erflang ein Ton, als wehe der Wind über die Saiten einer Zy— tber hin — und o Gott! in himmlifcher Erſcheinung, in überirdifch verflärter Schöns heit, ftand die vor ihm, nad) der mit ta fend Thränen glühender Sehnſucht er fo oft verzweiflungsvoll gerufen.
Mit einem Blick unendlicher Liebe, bes feligender als je der Ausdruck irdiſcher Keir denfchaft war, ruhten die hellen Sterne ih— rer Augen auf feinem blaffen Antlig.
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„Mein treuer Henricol“ hauchten ihre Lips pen, „mein armer Freund! der Allbarmher— zige vergonnt mir, Dich aufzurichten in Deinen Schmerz. Verzage niht — Ruhe wird zurückehren in Deine Seele. Denn wife: zu Deinem Scußgeift ward von einem gnadigen Gott ich auserfehen, fo lange Du auf diefer Erde wall'ſt.“
„Dürfen auch Deine irdifchen Augen mid) von num an hier nie mehr wiederfehen,, fo iſt mein ganzes Weſen doch, in all’ feiner unausjprechlichen Liebe, Dir immer noch, bis einft in mamenlofer Wonne auf ewig wir vereint an des Unendlichen Throne ruh'n. Verbanne alfo jede Klage, gewinne frifches Leben wieder, denn folches ift hier Dein Beruf. — Und nun, Henrico, lebe wohl! Vergiß es nie, wenn Du verjüngt Did) wieder fühlen wirft — Dein treuer Engel wacht über Dich.“
Und wie fie genaht, verfchwebte langfam wieder, im rofigen Dufte, die Gestalt, des
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Auges milder Engelsblif, das Leite was verfchwand.
Was Heinridy in diefen Momentin em— pfunden hat, kann unſ're arme Sprache nicht beſchreiben, ja jinnlos faſt erſcheint, was er davon zu ſchildern verfuchte.
„sch hörte ihre Worte nicht,“ ſagte er, „ich ward fie auf eine übernatürliche Art inne, der ich Feinen Ausdruck geben Fann. Nicht vom Ohre allein wurden diefe Laute vernommen, nein, von der Seele und allen Sinnen zugleich?
Diefe Stimme erflang nit nur mit entzücender, nie vernommener Melodie, nein, fie duftete auch wie Paradiefisluft, fpielte in hundert wunderbaren Farben wie Regenbogenkränze um mein Haupt, ergoß fic) mit entzückenden Schauern, wie ein lin: dernder, jeden Schmerz in Wolluft auflöfens der Balfam, durch alle meine Glieder, und der füßefte, in felige Traͤnme getauchte
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Schlaf folgte der Wonne jener unvergeßlis hen Augenblicke.
Als Heinrich von diefem langen Schlaf mit dem Gefühl belebender Erquickung er— wachte, fah er den Doctor an feinem Berre figen, und nicht weit davon feinen treuen Kammerdiener mit beforgter Miene ftehen.
„Gott Lob!“ rief der Doctor, mit tiefer Ruͤhrung des Herzogs Hand Füffend, aus, „ießt ift jede Gefahr. verfchwunden! Ihre gute Natur hat geſiegt, aber noch geftern, ich leugne es nicht, hielt ich Sie für eine fichere Beute des Todes.“
„Mein Gott!“ fagte der Herzog, „wie ift mir denn, hab’ ich nicht lange Jahre in der Irre umhergefchweift — oder hat ein wüfter Traum mich geafft! Wie bin ic) hierher gefommen, in dieß kleine, elende Zimmer? Himmel! welche Bats terie von Medicins Slafchen fehe ich hier ſtehen!“
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„a,“ erwiederte der Doctor lachelnd, „Die Sacultät wußte in der That nicht mehr, nad) welhem Mittel fie greifen follte, und Gott ſey Danf, daß die Natur die Cur felbft in die Hand nahm. — Wo Sie find, gnädiger Herr, wollen Sie wiſſen? Seht darf ich es Ihnen wohl fagen. Als Sie vor acht Tagen, kaum halb genefen, auf Ihrer Abreife beftanden, ahnete mir gleich nichts Gutes, und was ich befürchtete, ge- ſchah audy nur zu bald. Schon am andern Morgen kam ein reitender Bote von Ihrem treuen Diener dort, der mir meldete, daß Sie gegen Ubend defjelben Tages, in die feltfamften Phantaſieen verfallen feyen, Die in wenig Stunden faft bis zur Raſerei aus- geartet wären, zuleßt aber einer todtähnli- hen Ermattung Platz gemacht hätten, Er habe feinen andern Rath gewußt, als Sie in der nahen Judenſchenke einfiweilen unter: zubringen, da eine weitere Transportirung
Tutti Frutti IV. 12
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ihm bei Ihrem Zufiande unmöglich gefchier nen. Er bat mich nun um des Himmels willen, Feinen Augenblick länger mit meiner Ankunft zu zögern. So haben Cie uns denn diefe acht Tage über wahrhaftig nicht wenig zu fihaffen gemacht, und wie gefagt, geftern glaubte ich, alle Hoffnung ſey da: bin — als fih mit einem Mal, wahrend wir Alle troftlos an Ihrem Bette ftanden, die frühern wilden Phantaſieen in ein leifes Slüftern verloren, und hierauf Ihr Geſicht wie von einem Scheine himmlifcher Verklaͤ— rung übergoffen werd. Shre erlofch’nen Augen ftrahlten wie von einem neuen Feuer, und Furz darauf verfielen Sie in einen tie fon Schlaf, der achtzehn Stunden ohne Un— terbrebung gedauert hat; das war denn die heilfame Erife, der Sie Shre Nettung einzig und allein zu verdanfen haben,“ „Öiannina!“ Lifpelte Heinrich mit beben- den Lippen, und eine heiße Wallung drang wohlthuend an fein Herz. „O meine Freun—
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de!“ fagte er dann und faltete nachdentend feine Hände, „es gibt Dinge in diefer Welt, von denen unfre Philofophen fich nichts träumen laffen! Sch aber habe zu traus men aufgehört,“ feste er heiter hinzu, „denn ich bin erwacht — und von nun an will ich das rechte Leben erft beginnen. Nicht nur die Krankheit meines Körpers, nein, auch die meiner Seele hat diefe lange Nacht begraben! Es hat Alles fo fommen müf fen. — Ich bereue nichts, was gefchehen, denn Neue tft Thorheit, nur Beffermachen ift Weisheit!“
Heinrich hielt Wort, und leicht ward cs ihm, dem Gluͤcklichen! denn die Liebe eines Engels war fein Schußgeift. Davon über: zeugt, konnte er nur leichte Fehler mehr begehen. Er genoß feine Tage noch viel fach, er pflücdte noch manche fchöne Frucht vom Baume des Lebens, aber mit Maß und in den Schranfen der Vernunft.
Dauernder und befeligender aber ift das
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Gluͤck deſſen, der aus Liebe zur Vernunft koͤmmt, als deſſen, der aus Vernunft zur Liebe koͤmmt.
Und dieß, koͤnnte man ſagen, iſt vielleicht der wahre Unterſchied zwiſchen Religion und Philoſophie.
Als ich die vorliegende, ſo eben beendete Geſchichte einer Freundin in der Reſidenz vorgeleſen hatte, frug ſie mich dringend, ob denn Alles dieß wirklich wahr ſey? „Ganz gewiß,“ erwiederte ich, „ſchon der hoͤchſt glaubwuͤrdige Titel hat Ihnen das ja an— gezeigt.“
„Nun, wo hat es ſich alſo zugetragen?“
„Darüber kann ich Ihnen Feine beſtimmte Auskunft geben, aber Sie bringen mich doch durch Ihre Frage hier ploͤtzlich auf etwas, was mir ganz entfallen war. Der Freund naͤmlich, welcher mir das Manu—
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feript mittheilte, gab mir damals, zu bei ferer DOrientirung, eine Fleine Karte mit, Diefe werde ich jeßt fogleich meinem Ders leger ſchicken, daß er fie, fauber lithogra— pbirt, oder auch in Stahlftich, wenn ihm Diefer nicht zu theuer ift, der Erzählung beifüge. Es ware fehr gut, wenn dieß Bes fpiel Nachfolger fande, denn da man ſich ohneden bei vielen modernen Novellen manche mal gar nicht in der etwas verwirrten Los calität zurecht finden fann, fo wäre dieß ein herrliches Hülfsmittel; und wie fehr muß auch durch die bildliche Anſchauung das Intereſſe an der Gefchichte felbft ge: winnen!
Sch werde Ihnen alfo den erwähnten Grundplan gleichfalls morgen mittheilen, einftweilen Fann ich Shnen aber, zu Be friedigung Ihrer Neugierde, noch geſtehen: daß ich zwar, wie gefagt, nichts Zuverlaßiz ges über den Schauplaß der Abenteuer Mifchling’s weiß, aber doch einmal gehört
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zu haben glaube, ein Theil derfelben habe fih in meinem eigenen Vaterlande — in der Lauſitz zugetragen,“
„Der Lauſitz!“ fagte laut lachend die Dame, „nein, wie ift es möglich, daß man aus der Lauſitz feyn kann? Miffen Sie wohl, daß, ſchon als ich noch in der Maͤd— henpenfion war, unfre alte morofe Lehrerin, die nicht litt, daß wir bei'm Unterricht nur eine Miene verziehen durften, es doc) nie dahin bringen Fonnte, uns das Lachen zu gerwehren, wenn in der geographifchen Stunde von der Laufiß die Nede war? Ja, es wurde fpater formlich in die Gefeße der Penfton aufgenommen: bei Erwähnung der Lauſitz dürfe eine Viertelftunde gelacht wer: den, aber nicht länger.“ }
„eiebenswürdigfte Spötterin,“ erwiederte ich, nicht ohne einen Kleinen Anflug von Verdruß, „das koͤmmt bloß daher, weil Sie fein Lateiniſch verſtehen. Sie haben viel— leicht bei Lauſitz nur an den Sitz einer
Bi... Laus gedacht, ftatt an Laus Dei zu denfen, was diefe herrliche Provinz doch bet jedem Liebhaber von Tannzapfen, Kartoffeln und Sandfchollen hervorrufen muß. Eigentlich aber koͤmmt das Wort von dem Character ihrer Bewohner ber, denn dieſe find Feines: wegs Hitzkoͤpfe, fondern den Ertremen ab- geneigt, und cher von Natur etwas lau. Auch ift es nur verftändig, daß fie im Gan- zen lieber figen als laufen. Es find ges wiffermaßen, wenn Ete wollen, phlegmati— ſche, aber eben deßhalb auch fehr gute Leute, Die zwar nicht ungern viel reden, aber ſtets nur fehr wenig handeln, was fie zu fehr eremplerifchen Bürgern macht. Nur darf man fie nicht mit den ebenfalls dort anfa- Bigen Wenden verwechteln, ein Bölfchen, das, obgleich es mitten unter ihnen lebt, doch fein ſlaviſches Blut, wie feine flavtfche Gefinnung fo rein erhalten hat, wie nur Juden und Zigeuner die ihrigen.
Uebrigens muß ich Ihnen fagen, daß ein
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Abſchnitt des Landes fehr romantisch tit, und der andere wiederum zum Theil fehr fruchtbar, ja das Ganze hat man von jeher nicht mit Unrecht einer guten Kuh verglis- ben, die Freund und Feind fiets gleich tüchtig gemolfen haben. Die Kuh gibt auch noch heute gute Mil, und die Mel fer laffen es wahrlich an Eifer nicht fehlen! In der ethnographifchen Befchreibung, welche unf’re gelehrte Geſellſchaft nachftens von diefer Provinz herausgeben wird, fteht Fol- gendes: „Man Fann mit Recht den obern Theil der Kaufig einen Garten, und den niedern, ohngeachtet feines fandigen Bodens, eine wahre Holz und Kornfammer nennen. Beiden fehlt e8 in der jeßigen Epoche an nichts, als an etwas mehr Aufmerkffamfeit von oben, an etwas mehr Unterfiügung von Seiten des Gouvernentents, welches Diefe neue Acquiſition wohl bisher zu unbe deutend für feine Beachtung gehalten hat. — Wir find nicht fo glücklich als die Rhein—
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länder, und gleich einem Paria unter ben Provinzen, erfreut fic) die arme Lauſitz noch feiner jener Wohlthaten, die ihren Schwes fern zu Theil wurden, Feiner Chauffee, kei— nes Canals, Feiner Aufhülfe der Induſtrie, feiner Gunftbezeigung irgend einer Art — obgleich zu allem diefem die bejte Gelegens heit vorhanden wäre, und obgleich das Fleine Laͤndchen mit Anftrengung aller feiner Kräfte, fo viele neu auferlegte Abgaben bezahlen muß, ohne daß man ihm die alten deßhalb erlaffen hatte. Daher koͤmmt fie freilich auch immer tiefer in's Unrecht, d. h. fie wird alle Tage armer, der jündlichfte aller Zuftande....“
„O, ich bitte Sie, liebſter U. 3., verſcho— nen Sie mich mit Diefem pedantifchen Zeuge, ich fehe, Ste wollen mir das Lachen durch Langeweile vertreiben, aber es fol Ihnen nicht gelingen.“
Und bier Ficherte fie wieder in ihr Schnupftuch wie ein Ganschen, und jagte
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halblaut, fich fortwährend mit Lachen un- terbrechend: „Nein! ba, hu, ha, ba, es ift Doch zu ſpaßhaft! Sie find alfo wirklich daher, ba, ha, ha, ha, aus der Lauſitz! ba, ha, ba, ha, — Himmel! ich befomme den Lachkrampf! Machen Eie, dag Sie fortkommen, oder ich verfcheide,.“
Hier geftehe ich, dag mein ganzer Lau— ſitziſcher Patriotismus, und das will viel fagen, rege ward, und in wahre Empörung uͤberging.
„Gnaͤdige Frau,“ ſagte ich, „das iſt zu arg! Wie koͤnnen Sie eine ehrliche und ſittſame Provinz fo geringſchaͤtzend behan— deln? eine Provinz, aus der Ephraim Leſ— ſing und Johann Gottlob Fichte hervorge— gangen find! Madame,“ ſetzte ich hinzu, denn ich Fannte mich nicht mehr vor Zorn, „Madame, wir haben ein Wochenblatt, ein Raufizifches Wochenblatt! und ich werde den Nedacteur acht Grofchen ſchicken, um ein patriotifches Pasquill auf Sie anzufers
tigen. Jetzt aber gehe ich, Madame, und nie fehen Sie mich wieder.“
Die Unglückliche lag in Krampfen, ob aus Angft über meine fürchterliche Drohung, oder noch immer, es iſt Faum glaublich! aus unverftandigem Gelächter über die Lau— fig ? ich habe es nie erfahren, denn in mei- ner Wuth reifre ich ſogleich mit Ertrapoſt nad) Haufe, und habe feit diefer Zeit mein liebes Vaterland nie wieder verlaffen.
II.
Hachrede.
Es ift fchon oͤfter bemerklich geworz den, daß ich cin großer Freund von Vor— reden bin. Da ich jedoch bei dieſem Theile eine ſolche verfänmt habe, fo entfchädige ich mich, noch che es zu fpat wird, mit einer Nachrede — ein Titel, der überdem einen doppelten Sinn enthält, wie man bald merfen wird. Ich beginne:
Das Erfcheinen einer neuen Novelle von Tief ift gewiß für Seden, der den großen Dichter zu würdigen weiß (und zu unf’rer Ehre wird diefes Publicum, Gott Lob! in Deutfchland täglich größer), ein’s der freus
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digften Ereigniffe. Wie vielmehr noch für einen abgefiorb’nen Einftedler, wie ich es bin, dem dergleichen oft nur fehr fpat zu Geſicht koͤmmt. So erhielt ich denn aud) geftern erft die vor einigen Jahren gefchrier bene launige Erzählung, „der Jahrmarkt“ betitelt. Nun Fonnte mir gar nichts mehr a tempo fommen, als darin eine fo vor: trefflihe Satire auf Varcomanen zu finden, weil mein Doppelganger, der Fürft von Muskau, eben ein großes Gartenwerf her- ausgegeben hat, zu dem Tiek's geiftreicher Scherz hier fhon, fo zu fagen, praenume- rando die ergößlichite Kritik liefert, und — um mit Achten Necenfentenworten zu reden — über die Wichtigkeit, mit der der Fürft eine Spielerei behandelt, die fi) dem wah— ren Kunftgebiete gar nicht anreihen darf, fiegreich den Stab bricht. Ich vermag da— her Allen, die fih einmal gutmüthig dazu verftanden haben, jenen trod’nen Tractat, bei dem ich fchworen kann, wenigftens fünf-
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zig Mal eingefchlafen zu feyn, zu leſen — jeßt zu ihrer Entfchadigung und ihrem Vergnügen nichts Beſſeres anzurathen, als Tiek's Jahrmarkt gleich darauf folgen zu laſſen. Denn das tft eben die erfreulichfte und vieleicht allein wahrhaft geniale Sa— tire, welche die comifchen und fchwachen Seiten im Menfchen nicht erft auffindet, fondern fie, gleihfam durch - Snfpivation, im Voraus fon erraͤth; weßhalb fich denn auch immer gar viele Leute von folchen Propheten perfonlich angegriffen glaus ben, obgleich das Genie in feiner Unfchuld uns nur das Mögliche und Wahre im all gemeinen Menfchengeifte aufdecft, und eben deßhalb immer ficher iſt, daß ſich die per— fünlichen Driginale dazu ſchon von felbit finden werden,
In wie weit übrigens mein befagter Feind und Doppelgänger dem Tiek'ſchen Baron wirklich, fern oder nah, verwandt fey, über:
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laffe ich, wie billig, dem Scharfſinn des Lefers feldft zu beurtheilen — Glodenzüge und Frühftücde nach Maßgabe größerer oder minderer Bewunderung exiftiren zwar, um der Wahrheit ihr Recht zu geben, bis jet in feinen Gärten noch nicht; daß er aber in dem vorliegenden Werklein dennoch mit böchft poffterlicher Gravität übermäßig an die große Glocke gefchlagen, Tann Fein Parz teilofer in Abrede fielen. Eonderbar trifft es ſich indeß, daß cin and’rer geiftreicher Movellendichter, dem das Publicum auch mit viel Liebe zugethan ift, Leopold Sche— fer, dem parcomanisch = literarifchen Bilders buche ebenfalls eine, aber dießmal wirklid) abfichtliche Beurtheilung ex post zugedacht hat. Diefe ift mir zufallig fhon im Mas nufeript zu Geficht gefommen, und zu mei: nem nicht geringen Erftaunen ganz günffig ausgefallen. Welches unverdiente Glüd! Denn auf jeden Fall wird Schefer’s Auf:
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faß den Leſern willfommen feyn, wie es früher Tiek's Jahrmarkt war, und fo ge lingt es der CEitelfeit des unbedeutenden Parkbefchreibers noch zuletzt, fich zwifchen zwei berühmten Dichtern, dem ironifchen und dem enthufiaftifhen, wenigftens Ber zugsweife einen Augenbli mitten inne zu ftellen,
Darüber koͤnnte ich faft neidifch werden, wenn ich nicht bei meinem Hinfcheiden den Neid mit allen übrigen menſchlichen Suͤn— den fchon abgelegt hatte; denn auf meinem jeßigen Stern gibt es wieder neue, ganz anders geftaltete Sünden und Qugenden, als da unten, und man würde fich dort nicht weniger darüber wundern, wenn es mir vergonnt wäre, aus jener Schule zu fhwaßen, wo ich fo eben in Quarta einge rücdt bin, Indem ich Diefes ehrenvolle Avancement meinen hinterlaff’nen Freunden, wiewohl mit Verbittung aller Sratularionen,
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ergebenft anzeige, empfehle ich mich denſel— ben zugleich beftens bis zum nächften und legten Theile diefes copieufen hors d’euvre, wenn anders ein folcher zu u Reife noch beſtimmt ift.
zum Schluß gebe ic) aber * eine eig'ne kurze Recenſion des beſagten Gars tenwerks zum Beſten, die ohne Anmaßung als infaillible zu betrachten iſt:
Die vornehmen Leute fangen nun auch an, in unſer Fach hinein zu ſtuͤmpern. Welche traurige Ausſichten fuͤr unſ're Lite— ratur!
Hier liegt vor mir ein Kind dieſes Gei— ſtes, ein ſolenner Gartenſchmaus, arrangirt von einem ſchon vielfach anderweitig be— kannten Kraftgenie. Zuerſt erſcheint eine Vorkoſt en macédoine, worin auch etwas mit unterlaͤuft von der Politik und Regie— rungskritik, nebſt vielen andern Allotrien, die gar nicht dahin gehoͤren; Alles wohl
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eingefalzen und eingepfeffert, dann wieder mit Zucer nebft franzöfifchen Phraſen be- fireut und mit Unſchuld masfirt, pour seryir tantöt à la bourgeoise, tantöt à la royale, mais tovjours au supröme et parfait haut gout; das Ganze überdich mit langen Perioden und fehr verlängerten Abfchweifungen reichlich gefpict.
Zur Hauptfchüffel werden hierauf eine folhe Menge Vegetabilien fervirt, daß Fein Menſch fie ohne Indigeſtion zu verbauen im Stande iſt; um fo mehr, da nichts als Waſſer, mit einigen Fünftlicben Felſen darin, als Erfrifhung dazu herumgereicht wird.
Statt der .behaglichen Ruhe bei'm "Def fert gibt e8 aber nichts als endlofe Pros menadın. Ihrer ermüdenden Kraft danft man indeß, nach beendigtem FSrohndienfte, wenigftens eine wohlthatige Schläfrigkeit.
Lieber Fürft! parcomanifiren Sie mei—
2
netwegen alle Shre Güter, aber mutben Sie und nicht zu, die langweilige Be fhreibung davon in hundert Variationen auf daßelbe Thema durchzulefen.
Nur Shr freundlicher Abfchied gefiel mir, und mit danfbarem Gähnen fage ich Ih— nen daher jet von Herzen: Gute Nacht!
Ende des vierten Bandes.
Anzeige einer Original-Ausgabe der ſaͤnmmtlichen Werke des Verfaſſers der „Briefe eines in Deutſch—
land reiſenden Deutſchen,“ von
Earl Julius WMeber,
in Lieferungen von 6 Bogen, gr. 8. 6 gr. oder 24 Fr. die Lieferung.
Einzeln find davon zu haben
im erhöhten Subferiptionspretfe bon 36 Fr, oder 9 gr. per Lieferung
das
Papſtthum und Die Paͤpſte.
(Ein vorher nie gedructes Werk.)
Deutfhland
. oder Briefe eined in Deutfchland reifenden Deutfchen.
4 Bande,
Tutti Frutti.
V.
*
Eutti Frutti.
Aus den Papieren
Des Verstorbenen
De mortuis nil nisi bene. (Zur Beherzigung für alle Kecenfenten,)
Fünfter Band.
Gegen Nachdruck in Württemberg privilegirt:
Stuttgart, Hallberger’fche Verlagshandlung,
1534.
E. Dolitische Ansichten
Dilettanten.
Eruletitiumng.
Es ift nit immer nöthig, daß das Wahre fich gleih verkoͤrpere; indeß ſchon genug, wenn es geiſtig umherſchwebt und Ue— bereinſtimmung bewirkt, wenn es wie Glockenton ernſt — freundlich durch die Lüfte wogt,
Goͤtthe.
Der politiſche Schwindel beherrſcht die Welt, und das Spruͤchwort: — Schuſter bleib' bei deinem Leiſten — iſt aus der Mode gekommen. Denn wie Herr von Pradt ausruft: Wer von uns iſt heutzutage nicht General — Miniſter — Koͤnig geweſen! ſo moͤchte ich fragen: Welcher Advocat will heute nicht den Staat regieren, welcher Schuſter ihm nicht dabei helfen, und wel
FE”
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cher literariſche Lampenputzer nicht die Welt mit ſeinem Licht erleuchten! Das Schlimmſte iſt — die Krankheit wirkt, noch gewiſſer als die Cholera, contagieus und epidemiſch zugleich, und Keiner, er ſtraͤube ſich, wie er wolle, kann ſich mehr von ihrem Ein— fluſſe ganz frei erhalten.
Auch mir geht es nicht beſſer als allen Andern, und der Leſer verwundere ſich da— her nicht zu ſehr, wenn er ſieht, daß auch dieſes Buch nicht ohne einen ſtarken An— fall des erwaͤhnten Uebels in die Welt zu treten vermag.
Einige politiſche Gedanken bedrangten mich, und ſo viel ich deren auch von An— dern hoͤre und leſe, ſo ſchien mir, daß doch immer noch etwas zu ſagen uͤbrig bleibe.
Um dieſe Stimmung abzuloͤſen, ſchrieb ich den folgenden Aufſatz. Man beurtheile ihn nicht anders, und wenn ich im Ver— lauf deſſelben zu ernſt, zu gravitäaͤtiſch für meine Zaille werden follte, fo bedenke man
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—
eben, was ich geſagt: daß die Politik einmal die allgemeine Krankheit unſ'rer Tage tft, und ein Kranker jedenfalls dop— pelte Nachſicht verdient.
Bemerken muß ich aber noch, daß dieſer Aufſatz bereits vor zwei Jahren geſchrieben wurde und jetzt nur wenig Veraͤnderung erlitten hat. Ich theilte ihn damals un— ſern hochverehrten Prinzen, einigen Mini— ſtern und andern marcanten Männern des Landes mit. Unfere Prinzen widmeten dem— felben, da fie Alles, was das Vaterland betrifft, mit fo regem Intereſſe ergreifen, von Allen die meifte Aufmerffamfeit, und ich verdanfe ihnen manche geiftvolle Beleh— rung. Auch einige der Standesherren bil ligten meine Anſichten, der Feine hundert: koͤpfige Dienftadel nur tractirte fie, wie man leicht denfen kann, als eine eben fo abgeſchmackte als ftrafwürdige Tollheit, und der davon Kenntniß nebmende Theil der Beamtenwelt gab mir die Schrift ftillfchwets
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gend mit vornehmen, wenn gleich etwas bitt'rem Lächeln zuruͤck. Viele Andere ber baupteten auch, daß ſolche Vorfhläge uns ausführbar fiyen. Das Kette Fann ich nicht unbedingt glauben, und es würde und wahr: lich nicht allzuviel Ehre bringen, wenn dem alfo wäre, indeffen mäffen wir zuvoͤr— derft fchen, was ein größeres Publicum. darüber urtheilt. Zwei im Mefentlichen. mir ganz Gleihgefinnte haben. ſich feitdem fhon vor diefem vernehmen kaffen, ein un; ter dom Namen Baltiſch aufgetret’ner Au— tor, und der Verfaffer der Schrift über Fideicommiffe *). Beide find aus dem Bür-
*) Außerordentlich ſchön und mahr fagt die fer Legtere: „Einer der größten Uebelſtäude unferer Zeit ift, dab für die Mehrzahl allein dies jenigen Syſteme faßlih und begreiflih find, mwelche entweder zur Deipotie oder zur Anz ardie führen. Die Keuntniß der wahre Freibeit it noch zn wenig verbreitet.“ „Man: wird aber ftet3 übel fahren, wenn—
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gerftgnde, und dieß habe ich für ein gutes Zeichen gehalten. Ich wuͤnſchte mir nur gleiches Talent und gleihe Kenntniffe mit jenen geehrten Beiden, um eben fo über zeugend zu dem unpartetifchen Leſer pre hen zu können, als fie es gethan.
Ich laſſe jetzt, gleichſam als kurze In: haltsanzeige, und damit Jeder im Voraus
man deu Völkern nur- immer weitläuftige Conſtitutions-Urkunden proclamirt,, die das Volk am feinem Orte auch nur nothdärf. fig zu erfaffen im Stande ift.“
„Noch übler, wenn man thörichterweife porauszujegen wagt, das Volk werde ans den politifchen. Hahnengefechten der. Pars- teien und den täglich wechſelnden Meinun: gen der Volksredner zur Flaren und. rid: tigen Erkenntniß feiner wahren Intereſſen gelangen.“-
„Die Freiheit muB. erlernt werten durch eine progreſſive Entwirfelung der Freiheit, wie man in den Wiſſeunſchaften das Höchſte nur erreicht durch Weltkenntniſſe umd ſte— tes Nachdenken.“
und weiter unten: „Nunmehr iſt aber dringend nothwendig,
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wife, was er finden wird, Folgendes vor: angehen.
Die Gefeße der äußern Natur, wie die Erfahrungen der Geſchichte, lehren uns, auf beiden Megen menschlicher Erfenntniß, umviderfprechlich: daß das Altwerdende, fey es auch noch fo fehr feiner Zeit ent fprechend, noch fo vortrefflih conftituirt gewefen, endlich abjterben, und eben fo,
das; der adelige Stand aleichfalld geordnet werde, weil er der Monarbie um fo un: eutbehrlider wird, als Die Demosratie, mir Rechten verfchen, auf den Landtagen auch mit Anfprüchen aufrreten wird und muß.“
„Wie sit Dem Adel zu beifen? wie ihn conflituiren 2“
„Dem Adel iſt nur dadurch zu helfen, das man ibn abſchafft; man erſchrecke nit! wir wollen damit nur ſagen, daß er in feiner jetzigen Derfaffung abgeſchafft wer: de, uud eine neue zeitgemäße Draanifarion erhalten muß.“
Mie ſehr bin ich Hierin mit dem tieiblicen: den Autor einverftanden! mweniner mit deu Mitten, die er, um zum Zwecke zu gelangen, vorſchlägt.
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dag das jugendliche Neue in feinem fr ſchen Wachstum und feiner Ausbildung fortfchreiten nıug. Nicht anders, als durch die gewaltfamgte, graufamjte Yusrottung kann 05 ganz und erfolgreich beſeitigt wer— den, wie 3. B. der Proteftantismus in Boͤh— men und Salzburg; partielle Reactionen verdoppeln nur feine Kräfte, und alfo nur hombopathiſch, d. i. indem man cs mit feinen eig'nen Mitteln befampft, kann man es wohltpärig aufhalten, wo es ctwa zu Schnell und zu üppig waͤchſ't. Daßelbe Gefes aber, im der fo confequenten Welt ordnung, wie im Phyſiſchen, auch im Geis fügen — im Reiche der Ideen.
Mir dürfen es uns nicht ableugnen, wenn wir nicht dem Strauße nachahmen wol- len, der nicht ſieht, weil er den Kopf im Bufch verbirgt: daß Freiheit, fo weit die ſes Gut irdifch und vernunftgemaß zu er langen ſteht, die junge Pflanze ift, welche jegt in der Weltgefihichte treibend empor:
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fhießt. Zu vertilgen ift fie nicht mehr, wenn man auch wollte, weil fie bereits zu tief gewurzelt, überdem auch ſchon in den vereinigten Staaten von America, Das man prophetiih die neue Welt nennt, den vortheilhafteften Boden zu einem bereits in großer, wenn auch noch nicht vollendeter Fülle blühenden Exemplare gefunden hat.
Europa’s Boden ift ihr dagegen, in fol- der Art von Ausbildung, wegen des Gan— ges feiner frühern Cultur und Gefchichte gewiß durchaus ungünftig, und ich bin da— ber volfommen der Meinung: daß fich bier Die neue Zeit mit ganz andern Modifica— tionen entfalten muß, und daß eine zu ſchnelle und übereilte Entwickelung derfel- ben, Diefen europätfchen Boden (um bei dem gewählten Gleichniß ftehen zu bleiben) vielleicht auf Zahrhunderte ausfaugen und unfruchtbar machen; folglich jenem ſchoͤ— nen Sreiheitsbaume, wäre er auch noch jo
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.——
freudig aufgeſchoſſen, doch bald ein zu früh: zeitiges Alter und Abfterben bereiten würde.
Es mag feyn, dag wir in der Theorie ein Ideal aufitellen koͤnnen, was in feiner Vortrefflichkeit vielleicht alle jetzigen Ver: faffungen über den Haufen ftieße. Uber die Frage kann bei dem Vernünftigen hier nicht feyn: Mas ift das Beſte an fich, fondern: welches Befte koͤnnen wir erreichen? Wür- de man nicht den Schulfuaben auslacen, der Zeichnen lernen fol, und fchon in der erjten Unterrichtsjtunde erklärte, er wolle nur Raphael'ſche Gemälde malen, aber nicht mit Linien und Verfpective anfangen, um, wenn er Genie genug dazu habe, gras datim ein Maler zu werden ?
Alfo nur durch Sahrhunderte, durch viele und viele Uchergänge Fünnen wir vielleicht einft das politifche Utopien erreichen, das unfere Enthuftaften fo vielfah anzupreifen ftreben.
Iſt dieß aber wahr, fo darf auch der
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jegige Vorwurf der Staatemämer in Eu— ropa nur der ſeyn, mit möglichfter Beruͤck— fihrigung des Zeitgeiftes, und im feiner cigenen, nur weiſe angehaltenen und ge: maßigten Nichtung, den herannahenden Strom fo unſchaͤdlich dem Beſtehenden als möglich zu machen, und ihn in vielfachen Canaͤlen durch die Klippen zu führen, um das Land zu befeuchten, ſtatt die Fluth ſich auf einmal daruͤber hinſtuͤrzen zu laſ— ſen, und das Land zu verheeren. Dazu aber ſcheint, meiner feſten Ueber— zeugung nach, am ſicherſten bei uns nur auf dem Wege conſtitutioneller Mo— narchieen zu gelangen zu ſeyn, und auch dieſes Mittel kann nur wiederum mit Hoff— nung auf Erfolg angewendet werden, wenn man da, wo es in Wirkſamkeit treten ſoll, auch fuͤr die Dauer deſſelben ſorgt, und zu dieſem Behuf aus den vorhandenen Ele— menten eine ſtarke und gewichtige, den Forderungen der Zeit entſprechende Ari—
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ftocratie vorher gebildet hat, eine folche, die dem Staate nichts koſtet, fondern auf eig’nen Füßen fieht, aus eig'nen Kräften fich erhalt, und aus dem DVolfe ftets cr: neuert.
Ohne diefe wird das Königthum im: mer mehr und mehr, und zu der Völker Ungluͤck, einen ſchweren Stand erhalten, und fchon hat Frankreich in dem ewigen Wechſel feiner Dynaftieen hinlaͤnglich ge— zeigt, wie unentbehrlich das artftocrati- {che Princip für die Erhaltung einer jeden Art von Monarchie, am meiften aber einer conftirutionellen ift, ein Princip, welches auch wir leider bei uns im Königreich Preußen ſo Fünftlich untergraben haben, und welches wieder zu heben, und durch zweckmaͤßige Umgeftaltung. zeitgemäß zu machen, wir noc) immer nicht die gerings fie ernftliche Anftalt machen”).
*) Schon Baco fagt: Eine Monarchie ohne Ariftocratie kann nur ein abſoluter Deſpotismus
Tutti Frutti V. 2
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Sranfreich iſt nur deßhalb zu dem Une ding einer republicanifchen Monarchie ge worden, weil es die Bourbons verfaunten, ſich eine machtige, achte Ariſtocratie zu fhaffen, ftatt einer nomimellen. Dazu bätten fie ihre reichen Mittel und ihre Mil- liarden verwenden follen, die, einzeln an Unbedeutende verfplittert, ihren Untergang nur befchleunigt bat.
Wie aber nun das democratifche Ele— ment dort immer mehr unter dem Thon— bilde eines nur fogenannten Königs wur chernd, die Oberhand gewann, kamen fie bald dahin, dag fihon vor geraumer Zeit ein Minifter in der Deputirtenfammer df- fentlich zu erflaren für nörhig fand: Nie mand Fonne das Wahlſyſtem vernünftiger weise als ar iſtocratiſch bezeichnen, wenn
ſeyn — heute aber nicht mehr des Thrones, fondern der Beamten oder, des Volks, im eriten Flle alfo Büreaucratie, im zweiten Anarchie.
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anders man nicht entjchieden geneigt fen, fich ferner eines Wortes zu bedienen, das aus der franzdofifdhen Sprache ausgemerz;t wor den Fey)!
Mit der Ausmerzung diefes Wortes und der Anſtalt, die es bezeidmet, iſt aber auch, wie jet die Sachen in Franfreich fichen, das Wort König nur noch ein keerer Schell, und auch bei uns im diefer Hinſicht die Aeußerung eines fehr gelefenen deutſchen Journals bemerkenswerth, das, frohlockend uͤber die Vernichtung des Adels, ausruft: „Han haben die Voͤlker cs nur mit Einem noch zu thun!“
Soll der Thron in feiner Integrität feft Beftchen,. und der Jnhaber deifelben
*) Die Geldariftocratie und Rothſchild's Reich nahm er wahrfheinlih mit einer Reservatıo meutalis vou dieſem firengen Urtheilsſpruche aus,
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— — — —
nicht nur ein Praͤſident mit dem bloßen Titel Koͤnig ſeyn — was in dem groͤßten Theil von Europa weder gerecht, noch volksgemaͤß ſeyn wuͤrde — ſo muß er auf die eherne Baſis einer machtvollen Ariſto— cratie geſtellt werden; worunter ich jedoch den Leſer ſehr bitte, nicht etwa Ultra's, noch Adel uͤberhaupt, wie er jetzt beſchaffen iſt, zu verſtehen, ſondern cin volksthuͤm— liches Inſtitut dieſer Art, wie es zum Nutzen und Heil des Ganzen denkbar und ausfuͤhrbar iſt.
Dieſe Anſichten find es hauptſächlich, welche ich in dem folgenden Aufſatze etwas umſtaͤndlicher auszufuͤhren verſucht habe, mit beſonderer Ruͤckſicht auf unſere vater— laͤndiſchen Verhaͤltniſſe und Localitaͤten, in— dem ich zugleich unvorgreifliche Andeutun— gen hinzugefuͤgt, wie ich glaube, daß ein ſolcher Zuſtand der Dinge bei uns auf vernuͤnftige und ſelbſt populaire Weiſe noch realiſirt werden koͤnne, wenn man ſich nur
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gehorig verftandigen und von allen Seiten guten Willen dazu mitbringen will,
Im Ganzen tft jedoch mein Wunfch nur, hiedurch eine Anregung zu weiterer Fors [hung auf demjelben Wege zu geben, und gern fage ih, was meine individuellen Anfichten betrifft:
Salvo meliore,
Han lieſ't täglich Brochuͤren über die fo reiffend fortſchreitenden Begebenhei— ten, und über die Bedürfniffe der neueſten Zeit, die bald mehr, bald weniger Beifall erlangen, jedoch meiftens nur in theoretis fe Declamationen ausarten, die ich in der Luftregton verlieren, ohne irgend mo feften Boden zu faflen, und namentlich über das, was fich fpeciell uns Preußen aufdringen muß, nirgends recht aufrichs tig mit der Sprache heraus wollen *).
Nur im diefem leßtern Sinne, mit moͤg— lichfter Abftrahirung von allen im Boraus
*) In Blackwood's Magazin fand ich zmar neulih einen Auffag über Preußen, der ziem— Ih in’s Detail aeht, aber dabei zugleich eine jo unerhörte Unkenntniß feines Gegenftandes
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aufgejtellten allgemeinen Syſtemen, ſey es mir erlaubt, ſowohl einige Andeutungen uͤber Das hinzuwerfen, was uns, meiner
verräth, daß ihn gewiß Niemand, der mit un— fern Verhältniſſen nur einigermaßen vertraut iſt, im Tadel wie im Lobe ohne Lachen leſen kann. Ich führe von jeder Art mur cin Beiſpiel au.
Vom unfterbligden Friedrih erfredt lich der Autor zu Sagen: „Im Friedrichs Augen war der preußiihe Bauer nichts als ein Fünftiger ' Soldat. Hätte man ihm feine Freikeit gege— ben, würde man ihm Geſchmack an Unabhäns gigkeit und Ungehorfum gegeben haben (ſchöne Folgen der Freiheie”), und fo hielt er es für beſſer, ihm Teibeinemw zu laffen, in der ganzen Stärke und Grauſamkeit dieſes Worts. Im feinen Briefen ſcherzt unſer philantropiſcher Kö— nig manchmal über das Schickſal dieſer Armen, deren Lage Voltaire's Freund nicht verbeſſern zw fünnen glaubte,“
Weiche unmwürdige, grundfofe Schilderung des großen Mannes, der m ſteter, gewiſſenhafteſter Uebung feiner Prlichten und firenajter Unpar— teilicfeit genen alle feine Unterthanen für emine Zeiten dad Muſter der Könige bleiben wird. Als Lob ſoll Kolgendes gelten:
„Die militäriſche Disciplin it übrigens m ganz Preußen vorherrſchend. Man bemerkt fie
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Meinung nach, wohl frommen Fonnte, als euch über die Natur des Zuftandes, in dem wir uns wirklich befinden, und wie wir in denfelben gerathen find. Mehr ber zwecke ich nicht — deun zu erfchöpfender, folgerechter Ausarbeitung diefer Gegenftan: de fehlt e8 mir eben fo fehr an Zeit als an Luft, und höchft wahrfcheinlich auch an Geſchick.
in ſeinem Verwaltungsſyſtem, und in allen von der Regierung getroffenen Maasregeln. Sie erſtreckt ſich auf alle Beamten. Die große Re— gierungsmaſchine geht auf ſolche Weiſe gut und ſchnell. Ich glaube nicht, daß in Betreff der Geſchwindigkeit, der Deconomie und Ge: nauigfeit, irgend etwas dieſem Syſtem gleich geftelt werden Fünnte, das, wenn man will, deſpotiſch, aber bei weitem weniger verfchürzt und hinderlich, bei weitem weniger geneigt ift, ſich ſelbſt zu vernichten, als die vertretenden Regierungen,“
Sch überlaffe jedem Kundigen, den Gom: mentar zu Diefer Stelle felbft zu machen, des ven eine Hälfte unwahr, die andere chief aufgefaßt ift. Mebrigens wäre es gewiß fehr
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Sch maße mir nicht entfernt an, ein Staatsmann vom Handwerk ſeyn zu wol len, glaube aber, als freier Beobachter, auch über Gegenftände diefer Art wohlein; mal meine befchetdene Meinung fo gut-als ein Anderer äußern zu dürfen, wober ich mid) zugleich bemühen werde, das Wenige, was ich eben fagen will, mindeftens offen,
aut, wenn unſere Beamteuwelt nur wirk— lih etwas militeirifch organtfirr würde. Deco: nomifches und Schnelles würde unfesibar dabei gewinnen.
Heber die Landwehr mird chen fo einfeitia geurtheilt, und zuletzt schließt der Autor (wohl fein: Engländer) Damit; daß er uns verſichert: - Preußen werde dur fein Gouvernement con: firutionell gemacht, ohne dar es ſelbſt es merke, nnd che man ſich es verſähe, würden ſich die preußiſchen Staaten mit einemmale frei (das find fie fon im wefentlichften Theile der. Frei: beit), conftituftonelt® und verfreten " erbikfen. Das Letztere wünſche ich zwar von Herzen, Bin aber hinſichtlich Der Norbereitung dazu ganz in dem Zuſtande, den der Werfaffer uns jaſchcriet naͤmlich: ich merke nichts’ davon.
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unparteiifch und Jedermann verftändlich vorzutragen, ein Verdienft, deffen fich in der That nicht alle politifchen Schriften unferer Tage rühmen koͤnnen.
Sch bin weder cin Anhänger der ſoge— nannten abfoluten Wolfs- Eouverainität, nod der unbedingten Legitimität, und der zu ihr (in diefem Sinne) gehörenden, abfoluten Monarhie”). Denn weder Die moralifdye Perfon des Herrn von Sccken— dorf, fo geiftreich und neu ihre Yuffindung auch ift, noch alle Sophismen der Jarki— ihen Schule Fonnen mich abjolute Herr: ſchermacht als cin wohlthätiges Princip anfehen,, noch alle Phantaficen der Ultra- liberalen mir die Herrfchaft der Democra—
*) Der Souveram ift allerdings des Volkes wegen da, aber chen deshalb kann das Volk nicbt ſelbſt Souverain feyn,
Eben fo ift die irdifhe Macht des Souverain’d nibt mit der geiftigen Gottes zu vergleichen, weit Gott nit unferswillen, fondern wir fei: netwillen da find,
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tie als etwas wuͤnſchenswerthes erſcheinen laſſen. Volks-Souverainitaͤt und Herrſcher— Legitimitaͤt ſollten ſich, meiner Meinung nad), auf eine Art im Staate verſchwiſtern, wie im Menjchen der freie Wille und die Macht des Schickſals mit einander beit ben. Es liegt hierin allerdings, wie in allen tieferen Verhaltniffen, etwas Myſti— fches, was nicht mehr haarfcharf zu defini— ven ift, fondern mehr vom gefunden Ge fühle wahrgenommen werden muß, Aber fo viel fieht ohne Mühe Feder ein, daß einfeitig anerkannte Volks = Souperainität zu fortwährender Anarchie führen muß, abſolute Monarchie von Gottes Gnaden bingegen Feine bleibende Garantie gegen Tyrannei gewähren kann*).
*) Schr merfwürtig find in diefer Hinſicht die neueren Debatten in der franzöfiihen Dez putirtenfammer (über die Adreffe vom Januar 1854). Hier, wo drei Deputirte ſich öffentlich zu den monftveufen Grundfägen Robespierre's
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Große Republifen — doch in der Re gel nur gefellfchaftliche Zuftande, in denen Viele ftatt Eines befehlen wollen — ſchei— nen überdie$ aus taufend Gründen, die ich den Lefer und mir erlaffe, in Europa der- malen ein Unding, am meiften aber in Deutichland, wo man eigentlich Tieber gez horcht als befichlt — ſelbſt die Befehlen:
bekennen, bemweifen fie mit großem Talent doch nur folgende zwei Dinge:
4) dag fie zwar, von dem Grundſatze der Dolfe: Souverainität ausgehend, wirflih nur ganz confequent folgern, und gibt man ihnen das Poſtulat zu, ganz in ihrem Redte find;
3) aber, daß eben deshalb das Princip ein irriges und höchſt unheilvolles feyn müffe, mit welhem fein ftabiles Regieren mehr möglich iſt.
Gerade foihe Erdrterungen müfen cs alfo am Ende dahin bringen, daß die Franzofen der gefunden Dernunft die Ehre neben, und dem Grundſatze der Volks-Souverainität im diefer Beſchränktheit und Verkehrtheit der Anſicht gänz- lich entfagen.
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den. — Ueberdies werden alle Negenten- haͤuſer bei uns in Deutfchland wirklich noch findlich geliebt, wenn man auch mit ihren Handlangern nicht immer zufrieden tft.
Ich geftehe alfo, daß eine wohlgeord- nete conftitutionelle, reprafentative M os narchie, in der fih Volk und Herrfcher, gleich legitim, wie Seele und Körper ver: einigen, mir ungeachtet der bisher aus ans dern Urfachen mißglücdten Verſuche diefer Art, und der aus diefem Grunde allgemein Fühler gewordenen Vorliebe für diefe Staats: form, immer noch von allen Verfaffungss arten als die wünfchenswerthefte, dem Geis fie der Zeit und den Deutfchen angemef fenfte erfcheint. Aber eine folche kann nur dem Zwecke allgemeinen Wohls entfprechen, kann nur auf die Dauer befteben, wenn ein Drittes, cin wefentlid er baltendes Princip in der Mitte ſteht, das eben ſowohl der Willführ des Herr fhers als der unruhigen Anmaßung des
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Volks einen unüberfteigbaren Damm ent: gegenſetzt.
Dieſes Princip iſt aber einzig und allein in einer volksthuͤmlichen mächtigen Ariſto— cratie zu finden, und fo unpopulär die for Name, weil man immer nur einen Sauerteig aus der Seudalzeit darunter ver ftchen will, auch jet geworden ift, fo wird man doch über Furz oder lang darauf zu— rücfommen, oder dent conſtitutionellen Sy⸗ ften ganz entfagen müffen.
Mas lehrt denn Europa’ neuen Ge fchichte fchon jet einen Zeden, der mit un— parteiifchen Augen ſehen will? Die gro Ben Staaten, welche den conftitutionellen Meg in den letzten Jahren einfchlugen, ha— ben ihn entweder zum Theil ſchon wieder verlaſſen, ja die craffeite Deſpotie ihm vor; gezogen, wie Spanien und Portugal *),
*) Ju der alferneu’jten Zeit kehren zwar Spanien und Portugal fih wieder dem couſti— tutiouelleu Syſteme zu, und thun fehr wohl dar—
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oder befinden fi, wie Frankreich, in einer Verwirrung und Auflöfung, die nur eines Sunfens zu neuen Umwaälzungen bedarf, und Ffünftigen Zeiten nur das tragicomiſche Schaufpiel einer Nation aufftellt, welche ihre Dynaftieen wie Hemden wechſelt, ihren König täglich verhoͤhnt und beleidigt, in balber Anarchie ſich fortwahrend aufreibt, und ſtets wiederfehrender Revelutionen wie unentbehrlicher Uderlaffe zu bedürfen fcheint. Die Eleinern ander mit Conftitutionen dagegen fpielen eine nod) traurigere Rolle, und wenn fie auch nicht bei allen fo Fläg- lic) wie bei den Belgiern ablauft, fo find fie doch eigentlich weder recht Fiſch noch Fleiſch in dieſer nenen Brühe, zehren ſich in unnuͤtzen und verdoppelten Koſten auf, und wuͤrden, einige Schreier abgerechnet,
au, verſäumen fie aber, wie früher, der Ariſto— eratie einen gebührenden Platz darin anzuwei— feu, fo wird das neue Gebäude bald wie das erite zerichellen.
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es vielleicht von Herzen gern fehen, wenn fie die Foftfpielige Neuerung wieder mit guter Manier [os werden Fünnten.
Eine folhe Berfaffungsart paßt wohl überhaupt nur für große Reiche, welche der Gang der Civilifation auch höchft wahr: foheinlich nach und nacy überall herbeifuͤh— ren wird. Sch frage: ob eine Rudolſtaͤdti— ſche oder Hechingiſche, Reußiſche oder Kip- peiche u. f. w. Conſtitution nicht an das Burleske ftreifen würde!
Es entiprachen alfo alle bisher neu eta- blirten conftitutionellen Verfaffungen ihrem Zwecke und den gehegten Erwartungen nicht. Nur England, ohngeachtet des freffenden Krebfes feiner Geiftlichfeit (der wohl nur durch Amputation gründlich zu heilen feyn möchte), ohngeachtet der grobften und lächer: lichften einzelnen Mißbräuche in feiner alten Berfaffung, ohngeachtet des gemißhandelten, elend verwalteten und fi) fo oft drobend gegen daßelbe erhebenden Irlands, fteht
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dennoch immer glei mächtig groß und feft in feiner conſtitutionellen Würde vor uns da, mit einer vollftandigern Freiheit der Individuen, als irgendwo fich ein Staat inEuropa erfreut, mit unumſchraͤnkter Frei— heit der Preffe, die es nicht zu fürchten braucht, mit ficherer Kraft inmitten aller Unruhe der Zeit, reformirend aber nicht umwerfend, nie plößlicy) das Dberfte zu unterft Fehrend, drohend mächtig nach au— Ben, mit Zuverficht im Innern, ja felbit Sranfreich mit aufrecht haltend, was ohne diefes glückliche Buͤndniß der neu'ſten Zeit (beiläufig gefagt, die größte und in ihren Folgen noch nicht zu berechnende, Defaite, welche die ‚übrige europaͤiſche Diplomatie feit Napoleon erlitten hat) wahrſcheinlich fhon felbft zufammen geftürzt ware.
Es muß alfo in feiner conftitutionellen Berfaffung doch ein Princip der Dauer liegen, welches den andern Staaten fehlt — und man zeige mir eim and’res, als das
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feiner Ariftocratie — denn Eteinfohlen, oder das Meer, sder den englifchen Egois— mus dafür auszugeben, HT cine wahre Al: bernheit.
Nun gebe ich zwar gern zu, daß eine folche Anſtalt, in andern Ländern aus den Nichts heraufzubeſchwoͤren unthunlich ſey,
und weiß ſehr wohl, daß ſie immer auf
einer ſchon vorhand'nen Baſis wurzeln muͤſſe. Fehlt aber dieſe etwa in Deutſch—⸗ land, wie fie in dem vereinigten Staaten 3 B. fehlen würde? Ganz das Gegen: theil. Selbft im Sranfreich, trotz feiner to⸗ talen Urawalzung, durch die erfte Kataſtrophe fehlte fie noch keineswegs, und ich fagte daher ſchon früher: es fey meine Ueberzeus gung, daß die Bourbons noch heute, und glücklich für fi) und Frankreich, regieren würden, wenn Ludwig der Uchtzchnte alle Mittel, die ihm damals zu Gebote ftanden, Dazu angewendet. hätte, eine achte und kraftvolle Ariftocratie. wieder herzuftellen,
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ftatt dieſe Mittel unter einen nichts ſagen— den Adel zu verzetteln, von dem er cime Hülfe und Unterftägung zu erlangen hoffte, die ein folcher baltlofer Stand doch heutzus tage weder gewähren kann, noch in der Kegel will.
Auc bei uns ift der Adel im letzten Sta⸗ dio der Auszehrung begriffen, aber dennod) find die hiſtoriſchen und nattonellen Ele: mente einer mächtigen und angefehenen Aris fioeratie immer noch darin hinlang- lich vorhanden, um fie in wünfchenss werther Geftalt new conftrniren zw Fonnen. Hierbei will ich) jedoch nicht behaupten, daß unfere Ariftocratie auch in Alfem der englifchen gleich ſeyn koͤnne, noch folle, nein, nur in dem wefentlichen Puncten: der Macht zumErhalten, und dem eig’nen lebendigen Intereſſe an diefer Erhaltung, im angemeß’nen Neichthum und Grundbe— fit, in Popularität und Achtung bei der Nation, im eigner feſter Dauer und den—
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noch gleicher Zugänglichkeit für Alle — darin muß fie ihr ahnlich feyn. Alles dich aber ift zu erreichen — bei dem vernuͤnf—⸗ tigen, gemäßigten, Flaren, deutfchen Volke am erften zu erreichen. Doch freilich muͤſ— fen Völker und Regenten ſich für diefen Zweck aufrichtig entgegen kommen, müffen von der Nothwendigfeit eines ſolchen vermittelnden Standes überzeugt ſeyn; die Einen nicht mehr zwei fo himmelweit vers fhiedene Dinge, als verhaßter Blutadel und volfsthümliche Ariftocratie find, für ein und daßelbe anfehen wollen; die An: dern ſich überzeugen, daß abfolutes Herr> fchen nicht mehr zeitgemäß ift, ſich daher auch ohne Eiferfuht Pairs gefallen laf- fen, die es nicht bloß, wie in Frankreich, dem Namen nad) find — jammerliche Schat- ten, weder einer Volfsrepräfentation, noch einem Senat entfprechend — und mit dies fer Gefinnung dann (denn von oben muß bei uns die Initiative diefer Einrichtung
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allerdings ausgehen) einen neu organifirten Adel aufrichtig hervor zu rufen fuchen, der nicht bloß aus Hofichranzen und befoldeten Dienern befteht, fondern im Volke wur: zelnd, aus ihm erwachfen, und aus ihm fich fortwährend erneuend, diefen Volke auch werth ſeyn Fünne.
Liberale! Ihr wollt unbefchränfte geſetz— liche Freiheit der Verfon, ihr wellt unbes ſchraͤnkte gefegliche Freiheit der Preffe. Es ift ein fchöner, ein gerechter Wunfch! Aber Ihr werdet ihn nie erreichen, und folltet Ihr es einen Augenblick lang, dod das Erreichte nie behalten, ohne den feften Bürz gen einer ſtarken Yriftocratie,
Welcher Spuverain wird, ohne Schuß vor dem democratifchen, oft Demagogifchen Elemente, das, feiner Natur nach ewig veränderlich, fort und fort einem Beffe ven nachfirebt, und deßhalb nie ein Gu— tes bewahren kann, Euc) eine Freiheit ges wahren mögen, die feine eig'ne Nuhe und
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die feiner Voͤlker jeden Angenblick bedroht; ja, welche Regierung, ſelbſt wenn fie aus Eurer Mitte genommen wäre, wird im Stande ſeyn, ſich gegen Euer eig'nes Frei— heitsfeuer zu erhalten, das der Fuͤllung ei— nes Luftballons gleicht, womit dieſer, wenn der noͤthige Ballaſt fehlt, bis im die unendlichen Raume unaufhaltſam fliegend fortgeriffen wird. Glaubt es, denn es tft wahr, der Vortheil Aller fordert Be jbranfung, und was im Leben ſelbſt— gewählte Berbranfung aus freier Willführ ift, das iſt für eine Nation die Monarchie, und für Diefe wiederum die Ariitocratie im Staate.
Ich werde weiter unten ausführlicher zu entwickeln ſachen, wie ich mir die Beſchaf— fenbeit einer zeitgemäßen Ariſtocratie im unserm Vaterlande Preußen denke.
Border muß ich aber nochmals feftfegen: das ich überhaupt unter einer rartonellen Conſtitution nur eine folche verftchen kann, wo die noͤthigen Gewalten in einer fo wohl
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abgemeffenen Mechfelwirfung ftehen, daß durch eine Deputirtenfammer der Gemei- nen (aus zweckmaͤßig conftituirten Wahlen bervorgehbend) dem Principe des Strebens nad) ewiger Vervollfommmung freier Spiels raum gegeben ſey; durch eine mächtige und geehrte Ariftocratie aber dieſem, feiner Na— tur nach ftets gahrendem Principe, ein hin— langlid erhaltender Damm entgegen gefeßt werde, und endlic) der erecutiven Gewalt des Thrones; mir dem Recht des Veto, Machtmittel genug verliehen find, um jedesmal nach der Seite hin den Ausſchlag geben zu fonnen, wo fie c$ dem wahren In— tereffe des Ganzen — was unter folchen Umftanden immer nur dag ihrige feyn Fann — angemeffen findet. Die Initiative der Geſetzgebung kann dann gewiß ohne Ge fahr dem Eouverain wie den Volksvertre— tern gleichmaßig zuſtehen.
Unter diefen Bedingungen alfo nur fcheint mir jedem großen Reiche cine conftitutio-
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nelle Berfaffung wünfchenswerthz; es koͤmmt nur darauf an, ob ſie ausfuͤhrbar iſt. Fehlt aber in dieſer nothwendig harmoniſchen Drei— einigkeit der Gewalten irgend eine derſel— ben, ſo iſt ſelbſt die abſolute Monarchie, durch allgemeine Bildung ohnehin heutzu— tage ſchon gemildert, einem ſolchen conſti— tutionellen Zwitter hundertmal vorzuzie— ben *).
Dieſe Anſicht, einmal aufgeſtellt, wird nun, unſerm Zweck gemaͤß, zuvörderft zu unterſuchen ſeyn, ob in Preußen eine re— praͤſentative conſtitutionelle Verfaſſung uͤber—
*) Die Geaner des conſtitutionellen Princips haben es lächerlich zu machen geſucht, daß man drei ſo heterogene Dinge, wie Democratismus, Ariſtocratismus und Monarchismus, in einen Topf werfen, und daraus die befte aller Staats: verfajjungen braunen wolle,
Demohngeachtet ift nichts den ewigen Gefehen der Natur entſprechender, die alles DBeftehende aus Volarifation und Antagonismas zufammens gefebt hat. Geiſt, Seele und Leib haben auch ſehr verfchied’ne Tendenzen, und machen doc) erft zuſammen den ganzen Menfchen aus.
nu
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haupt ſchon gehörig vorbereitet fey, welche Elemente dazu vorhanden find, und was ohne fie jet unfer factifcher Zuftand ift. Es ift wohl Zedem offenbar, daß Preu- Bens ganze Stellung peremtorifch verlans ge, ja, daß es fein eigentlicher Beruf fey, bei dem Marfche europäifcher Civilifation ftet3 mit feinem Motto: „Vorwärts!“ wo nicht Allen‘ vorangufchreiten, doch wenig- ftens in den vorderften Reihen feinen Platz einzunehmen. Jede andere Politik möchte für Preußen einft gefährlich werden. Schon feit der Reformation, deren Lehr ven es ganz mit dem Geifte des Vol—⸗ fes, und felbft wider die Gefinnung feis nes damaligen Fürften auffaßte, fcheint die preußifche Monarchie berufens Deutfch- land vorzuleuchten, und zwar auf die edelfte Weiſe, ohne alle gewaltfante Umwälzung nur mit dem eben fo gewaltigen aber zugleich befonnenen, rechtmäßigen Tutti Frutti V. 3
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Fortfchreiten der Vernunft. Sehr richtig it in dieſer Hinficht bemerft worden: „daß der fiebenjährige Krieg ebenfalls nur eine Fortfegung des dreißigjährigen war. Wäre Friedrich befiegt worden, fo ergriff dır Ka- tholicismus und mit ihm der Obfeurantis- mus wider die Macht auf mehrere Jahr— hunderte.“
Hier aber Tonnen num felbft die Feinde Preußens nicht leugnen, daß in diefem Rei- che feit dem großen Churfürften fortwaͤh— rend, durch einen wahrhaft erhaben zu nennenden Regentenftamm, der, abgered)- net, daß aus ihm einer der größten Män- ner aller Sahrhunderte hervorging, raftlos Intelligenz zu verbreiten und zu erhalten gefucht hat — daß, fage ich, durch eine fo felten und glücklich fortdauernde Perfün- lichkeit im diefem Negentenftamm, ohnge- achtet er abfolut über uns herrſchte, nad) und nad) eine Liberalität im Gouverne— ment einheimifch geworden, und eine Frei—
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heit des Volkes herbeigeführt worden tft, die jegt fo ſtark im der öffentlichen Mei nung Wurzel gefihlagen hat, daß fie ſchon nicht mehr precair, und bloß von der Per— fon des Herrfchers abhangig, genannt wer: den kann — fondern e8 wirklich in unferm Lande jest fchon faft unmöglich gewor- den tft, im der Hauptjache anders als li— beral zu regieren. Wir leben daher auch bereits freier in Bezug auf die vom Throne ausgehende Willführ, als in ſaͤmmtlichen ſchlecht conftruirten conftirmtioneilen Staaten, obgleich unter einem abfoluren Herrfcher, der, der Verfaffurg gemäß, mit uns jeden Tag fo ziemlich wie mit Scla— ven verfahren dürfte. Bloß die Gewalt der Intelligenz bat es alfo fchon dahin ge bracht, daß ein Monarch Preußens, felbit den Gedanfen kaum mehr fallen kann, wirklich) abfolut, d. h. nach bloßer Will: führ regieren zu wollen. echte Liberali— tät in der Gefinnung Aller hat fo bereits, 8 *
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gleich einer aufgegangenen Sonne, den Thron wie die Hütte erleuchtet, hauptfäch- lich vielleicht deßhalb, weil wir durch die Meisheit unf’rer Fürften fchon längft von einem der größten Hemmfchuhe der Eivi- lifation befreit worden find, ich meine von einer Dominirenden Kirche, jenem Staa: te im State, der nur verzehrt ohne zu erwerben, mit feinem lebendigen irdifchen Intereſſe der Nation wahrhaft verwachfen ift, und auf den Himmel fich ftügend, da, wo er die Macht einmal an fich geriffen, dem MWeltlihen nur gebieten, nicht ihm gehorchen will. Dieß aber gewährt uns eben zu jedem Schritte nach vorwärts einen unermeßlichen Vortheil, deffen Man— gel England ſelbſt erfchüttert, Frankreich verwirren hilft, und Defterreich zum Still fiehen zwingt. Haben wir nut fo Großes den Vorfahren unj’res Herrfcherftammes zu danken, fo find wir jeßt Lebende noch be fonders gefegnet, denn wo fänden wir ein
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allgemein geliebteres, ein würdigeres Haupt, als unfern König, in welcher heutigen Fuͤr— ftenfamilie aud) einen blühenderen Stamm rüftiger, wohlmollenderer und beſſer gebil- deter Prinzen? Nunquam libertas gra- tier exstat, quam sub rege pio, ift ein altes Wort, das aber für unfern verehrten Monarchen eigends erfunden zu feyn fcheint, und ich glaube nicht, daß cs einen eingt- gen. Preußen gibt, der hierin nicht mit mir übereinftinimte, und dtefen theuren Fürften nicht mit religiöfer Kiebe und Treue an— haͤnge. Der wohlwollende Sinn, die Mä- Bigung, die unerfchütterliche Gerechtigkeits— liebe, der fo richtige und fcharfe Blick bei allen großen Gelegenheiten, der Haß aller Willkuͤhr, die unfern König auszeichnen, find ja Alles g’rade die fchönften Zierden für einen conftitutionellen Monarchen. Sie verbürgen uns auch jeßt unendlich viel — und ift eine freimüthige Aeußerung erlaubt, ſo Fonnte in Bezug auf unfern thenern
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Herrfchber, bei den dermaligen Verhaͤltniſ— fen, vielleicht nur der einzige Wunfch noch übrig bleiben, daß Seine Erlauchte Perfon zugänglicher wäre, daß es leichter ſey, den König felbft zu fprechen, um Seiner ho— ben Einficht perfönlich vortragen zu duͤr— fen, was fo oft durd das Intereſſe Ande— rer entftellt, ibm nur einfeitig befannt werden kann — denn ein König, ſey er auch noch fo groß, gut und weife, kann doch) nicht immer Mißbranchen wehren, nicht immer unglückliche Maßregeln verhüten, nicht immer Irrthum vermeiden und fchad- liche Inſtitutionen entfraften oder aufhal— ten, wenn er nur die Stimme feiner Die: ner hört, und feine freie unabhängige Organe da find, welche ohne Dienftabhän: gigfeit auch die Stimme der Nation uns verfalfcht und dffentlich zu feinem Throne zu bringen befugt find; auch Feine Unftalten die, wie Freiheit der Preffe und allgemeine Volfsreprafentation, das
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Volk ſelbſt über fein wirkliches Wohl auf— flaren, und durch vielfache, wohlthatige Reibung und Austaufc) der Ideen das Wahre und Beſte endlich an's Tageslicht bringen muͤſſen.
Wo dieß fehlt, moͤgen auch bei dem be— ſten Monarchen feſte Stuͤtzen wankend wer— den, und leicht ſich ein langſames Gift einſchleichen, das bei eintretenden unguͤn— ſtigen außern Umſtänden ſelbſt den ſonſt geſundeſten Körper gefahrden kann.
So iſt es nicht in Abrede zu ſtellen, daß bereits bei uns eine fruͤher ſehr ſeſte Stuͤtze nicht bloß wankt, ſondern ſchon ſo gut als vernichtet iſt, ohne durch eine andere erſetzt worden zu ſeyn, und als ein ſchleichendes Gift moͤchte wohl die ſtatt ih— rer erwachſene, aber keineswegs denſelben Beruf zu erfuͤller fahige Burcaucratie, Die immer mehr zum Syſtem werdende Herr— ſchaft der Beamtenwelt bezeichnet werden loͤnnen, die ſich auf den Truͤmmern eines
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bedeutungslos geword’'nen Adels empor gehoben hat, und jeßt die eigentliche Einheit und Kraft des Staates vielleicht mehr als uͤbermaͤchtige Barone oder eine unruhige Deputirtenfammer untergrabt; die Energie des Volkes ſchwaͤcht; in Die, dur) einige gentale Köpfe hervorgerufene Induſtrie und den freien Verkehr noch im: mer allzuhäufig Fleinlich hemmend eingreift; allen großartigen Gemeinfinn und heilfane Derbrüderung der Nation ober abfihtlid) zerftort, weil fie im rivalen Conflict der verfchted’nen Stände ihren beften Vortheil findet, und daher Stadt und Land,. Bürger, Dauer und Adel gern feindlic) einander ge genüber ſtellt, wahrend- fie felbit nur alle gleichermaßen unter die ceifernen Daum— fhrauben amtlicher Autoritat, und einer Unzahl fih zum Theil widerjprechender, zum Theil unzweckmaͤßiger Gefege zu beu— gen fucht, die in ihren gewandten Handen
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beliebig. zu einer Geißel, oder einer wäch- fernen Naſe werden,
So liegt fie wie ein Alp, wie eine: tiefe Gewitterfhwüle auf dem Lande, und es iſt die hüchfte Zeit, daß diefe moderne Hyder mit taufend Köpfen gelahmt, diefe in's Unz zäblige gehende Vereinzelung individueller Thätigfeiten für ein einfeitiges Inte— reffe, in. eine Bahn des der ganzen Na tion gemeinfamen Intereſſes gelei- tet werde, und fo einem regern, conftituz tionelfem Leben der Monarchie Pla ma— chen. ”):
*) Es iſt authentifh, daß wir im Staat von 60 Fahren nicht mehr denn A7 Aſſeſſoren (die damals glaub” ich Affiftenten hießen) hatten. Heute find deren 400! und doch werden durch— ſchnittlich nur 42 Rathsſtellen offen. Ferner find gegen 2400 Referendairen und wahrſcheiu— lich gegen 4000. Auscultatoren! Diefer Zudrang vermehrt. fi wie eine Lavine, und auch ohne Befoldung drücden doch alle. diefe Menſchen auf dem Volke.
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Ihr, die ihr regiert werdet, verlangt überall wohlfeile Regierung, denn das iſt ja der Ruf aller Volker von England bis America, wo fie freilich dermalen am wer nigften Fofter. Iſt cs num der Adel, oder das Heer der Beamten, die Euch ſoviel mehr zu erhalten Fojten als nöthig ware? Alſo feinder Euch doch nicht, Ihr Kinder einer Mutter, felbit untereinander an, Ihr gerseinfchaftlihen Bürger, nur mit einem verfchiedenen Namen! fondern erkennt den wahren Feind beider, der fich noch obendrein fortwährend aus Euch felbit reerutirt. Nur das Intereſſe oder der Enthuſiasmus be wegen die Maffın, ſagt Jemand; die Maſſe der. Beaniten aber wird jo zu fagen von beiden zugleich belebt, namlich" vom Enthu— ſiasmus des JIntereſſes. Dieſes Intereſſe der Beomtenwelt bleibt aber, mit geringer Ausnahme Einzelner, ewig nur das: fo viel Macht und fo viel Gehalt als nur im— mer möglich zu befommen, und Seder, der
51 aus unfern Reihen zu ihnen Übertritt, theilt dieſe Anſicht Fehr bald, denn ſie iſt leider ganz menfchlich. Unfer Intereſſe dagegen ift g’rade das Entgegengefegte, namlich: anf der einen Seite de Macht der Beam: ten durch eine Euch und fi felbft ver: theidigende ſtarke Ariſtocratie, die Euch nichts koſtet, im Zaum zu halten; auf der andern aber des Staates Diener, die ih jest ald Eure Herren anfeben, jo wohlfeil zu haben als möglih, Dieß Letz— tere aber gefchieht nicht dadurch, daß fie ſchlecht bezahlt werden, denn dem Och— fen, der drifcht, foll man das Maul nicht verbinden, fagt die Bibel: fondern dadurch, daß ihre unnuͤtze Anzahl, ihr überwiegender Einfluß befchränft werde — und das it es, was Euch unendlich mehr Noth thur, als die Anfeindung eines fchon jo gut ala verſcholl'nen, armen Adels, oder gar div Sppofition gegen eine volfsthämliche Arts
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ſtocratie, die Euch am ficherften eine gluͤck— liche Zukunft verbürgen wird.
Diele höchft würdige, uneigennügige und edle Staatsdiener felbit find mit mir hier— über einer Meinung. Sie und Alle, die ihnen gleichen, und deren Zahl ift Gort Lob noch groß, willen fih ſehr wohl von dem, was in Maffe hier unter Bureaucra— tie zu verftehen ift zu unterfcheiden *).
Jene find des Staates Stüße und Pal- ladium, Ddiefe werden feine furchtbarfte Zuchtruthe, weßhalb auch ſchon Jemand jehr bitter, aber nicht ganz unwahr gejagt
*). Ein fehr- geiftreiber Mann dieſer Claſſe fhrieb miv vor Kurzem diefe mir merkwürdigen Worte: „Es würde oft ſchwer feyn, den Patrio— tismus, der von fo vielen unferer Behörden wie vorfäslih erfödtet wird, zu bewahren, wenn er nicht aus einer reineren Duelle flüße. Solche ächte Behördenmänner find ganz abnorme Men: hen, Leute wie heraldifhe Thiere! Man kann den Unrerdrücten kaum das Recht abipreden, über dag empört zu fenn, was ſie ein ganzes Le ben. hindurch raffinirt plagt.“
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bat: Preußen ift Fein militairifcher Staat mehr, fondern ein Beamtenftaat (ſ. Briefe aus Berlin).
Es ift übrigens hiermit durchaus nichts‘ Perfonliches gemeint, fondern nur das Re— fultat einer fehlerhaften Stellung der Ber amtenwelt im Allgemeinen hervorgehoben, die ihr, als einer weſentlich eben fo demo; cratifchen, als herrfchfüchtigen Körperfchaft, immer beiwohnen wird, wo fie. wie bei uns (nur die allerhöchfte Gewalt des Herr: fchers ausgenommen), alle übrige des Staa: tes in fich vereinigt, außerdem fo gut wie unabfegbar ift, und dabei noch zuleht eine wahre Allmacht im Detail erlangt, welche, wie wir jeßt conftituirt find, durch nichts mehr im Staate contrebalancirt wird. Dieß iſt es, was fie fo gefährlich, fo vernichtend für die, Freiheit und Sicherheit der Indi— viduen fowohl, als für die Freiheit der Na— tion im Allgemeinen macht, und machen muß. — denn jede Kraft, die man in Ber
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wegung ſetzt, und der man Naum gibt, wird ihn auszufüllen ſtreben. Dieß kann der Kraft nicht einmal verdacht werden, fie folgt nur der innern Nothwendigkeit. Sp erwarb ſich früher der Kriegs: oder Kitterftand, dann die Prieſterſchaft ihre Univerfalmonarcie, Die der Staatsdiener und Advocaten ſcheint unferer Zeit vorbe— balten. Die Dinge find ftarfer als alle Perſonen. MWollte man bloß von Perſoͤn— lichFeit bei uns fprechben, fo Fünnte man im Gegentheil mit Wahrheit fagen: daß die größere Rechtlichkeit und Einficht, wel: che bei den metften unferer Beamten ohne Zweifel, wie bei unferm ganzen Volke vor herrſchen, die grundfalfche Richtung und Stellung des buͤreaucratiſchen Inſtituts noch weit weniger fühlbar machen, als cs im ahnlicher Lage, und mit gleih mangelhaf— ter Einrichtung in diefer Hinficht an ans dern Orten der Fall feyn würde. Dip it mir auch oft als Argument für unfere
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Beamtenberrfibaft eingewandt worden und, weder die Sache noc) meine Meinung ver: ftehend, hinzugeſetzt: daß es Doch nirgends fo viele ausgezeichnete Beamte als gerade bei uns gabe; der Vernunft gemaß aber nur das Talent und Verdienft im Sraate hoch und mächtig fiehen müßten. Dieß Letztere halte ich nun überhaupt für irrig (da Talent und Verdienſt nur in feſten Schranken dem Ganzen wahren Nußen bringen), aber in einer Monarchie iſt es
vollends ganz widerfinnig — denn iſt das perfonliche VBerdtenft der einzige und hoͤch ſte Maßſtab für zu ertbeilende Macht und Größe, ſo muß vor Allen der König jedesmal als der Verdienftvollfte der ganz zen Nation gewaͤhlt werden, und es thaͤte ſogar Noth, ihn wieder abzuſctzen, wenn ſich wahrend feiner Rezierung ein noch Ver: dienftvollerer faͤnde. Da aber Berdienit ſelbſt relativ iſt, fo fragt fich, wer foll dar- über unfehlbar belehren, und zuletzt müßte
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ein Gottesurtheil entscheiden. Verdienit und Zalent müffen hervorgehoben, benütst, fo wirffam als möglich gemacht, gechrt und belohnt werden, aber allein und unumſchränkt im Staate herrfchen, die einzige Gewalt darin feyn, Dürfen fie nicht. Das Ver— dienſt-Princip in diefer Hinſicht führt, eben weil es fo beweglich und relativ ift, noth— wendig zu fortdanernder Unruhe und Um: waͤlzung. Dieß fühlend, erfand man die Kegirimität, das Recht der Geburt, welches nicht relativ ift, obgleich es in feiner An— werdung auch wieder nachtheilig ausarten kann, und daher ebenfalls feines Gegen— gemictes bedarf. Aber doch hat eben diefe Legitimitaͤt fchon hinlanglicy bewiefen x daß zur Ruhe und zum Glüce der Völker zweckmaͤßige Inſtitutionen, die das Princip der Dauer in fich felbit tragen, mehr Ver: dDienft um das Glück der Völker "haben, als alle Perfonlichkeiten, cben weil die Leg: tern ungewiß und momentan, die Erjtern
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bleibend, feſt und erhaltend wirken, Nur wo die Legitimität auch precair, d. h. per⸗ fonell oder eigenmäachtig wirfen will und kann, taugt fie nichts, aber in ihre richtige: Schranfen gebannt, wird fie eben fo. an— wendbar für den Thron als für cine wahre Yriftocratie, Wir fommen daher immer wieder auf das in unferer Zeit einzig voll ſtaͤndig Befriedigende, auf die eben fo le gitime als befchranfte, auf die richtig orga> nifirte conftitutionelle Monarchie zus ruͤck.
Wer die Verdienſt- und Talent-Theorie in dem angegebenen Sinne vertheidigt: daß naͤmlich durch alle Stufen nur immer dem hoͤchſten gegenwaͤrtigen Talent alle Gewalt und aller Einfluß eingeraͤumt werden muͤſſe — der bezweckt entweder eine ſultaniſche Ver⸗ faſſung, wo die Gewalt des Stärfern (im⸗ mer das am jicherften fich zu jeder Zeit gel- tend machende Verdienft) von oben bis um- ten unumfchränft herrfcht, oder eine ameri—
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canifhe, in der die Volks-Souverainitaͤt regiert, und über das Talent, wenn nicht richtig, doch wenigftens nad) dem Glauben der Mehrheit entfcheider, wo dann freilich feine Artftocratie mehr, aber aud) Fein Koͤ— nig vonndthen find. Im erſten Falle iſt der Verfechter einer ſolchen Theorie ein Sclave, und es gibt deren in allen Stans den — im zweiten (in Europa wenigftens) ein Schwärmer und Thor, der auf Stei— nen einen Saamen ausfaen will, welcher dort nimmermehr aufgehen Fann.
Die Amts- und Juſtiz-Hierarchie, von der ich vorher jprach, iſt bei uns dadurch entftanden, dag in Folge der politischen Um: wälzungen, als Napoleon die Welt in ihren Fugen erſchuͤtterte, unſer Gouvernement ſelbſt ſein Heil nur in einer langſamen Re— volution finden zu koͤnnen glaubte. Es hatte darin in jener gefahrvollen Criſe auch nicht Unrecht, und wir muͤſſen es heute noch den damaligen Miniſtern Stein, und
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befonders Hardenberg, danfen, daß in der jeßigen gährenden Epoche wir ſchon def: halb auf die langfte Ruhe rechnen koͤnnen, weil jene Staatsmänner bereits nad) und nach Manches zum großen Theil vorbereitet und in's Leben geführt haben, was jest an andern Orten gewaltfan gefordert wird. Es blieb aber gegen das Ende feines Las bens der alte Staatscanzler nicht mehr Herr feiner Mittel. Sie wuchfen ihm felbit über den Kopf, und das, was weife angefangen war und fegensreich gewirft, nahm nun eine einfeitige und fchädliche Richtung. Nur den Zweck im Auge, eine möglid;ft beweg— liche Maffe, durch eine neue Freiheit eral- firt, dem großen Feinde entgegenfeßen zu fonnen, ftieß damals das Gouvernement, vielleicht mit zu wenig Schonung, und zum Theil mit Gefährdung aller Eigen: thumsrechte Fühn das DBeftehende um, das mit aus dem alten Schutt ein neues, luf— tigeres Gebaude entſtehe. Zu deffen Auf
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führung ſchuf es fich die Büreaueratie, und befleidete fie von nun an allein, mit aller Macht und Ehre, Rang und Einfluß im Staate, die fortan nur vom Throne aus— gingen, denn ohne Amt war man nichts mehr, wie in. der Türkei und in Rußland. Sm Anfang entfprad das Mittel vortreff- lich dem Zweck — als fich aber dieſe Beam— tenwelt erft recht feitgefegt hatte, und rund umher nur Untergebene ſah, fo fing fie bald an ſich zu fünlen, ja ihre Kmter faft wie ein Eigenthum anzufehen *), den Obern
*) Es ift infereffant, hier eine Stelle aus der Botſchaft des Präfidenten Sadfon vom Sahre 1831 über dieſen Gegenftand zu verglei— Sen. Er fagt:
„Es dünkt mir rathfam, die Amtsperiode der höhern Beamten auf febs Jahre zu befhränfen. So dürfte die Neinfeit un— ferer Negierung am beften befürdert wırz den: Doch möchte vie Natur des ricterli: den Amtes, und die Morkwendisfeit, fich die höchſten Talente und die erfahrenften Politiker für das Cabinet und die wichtig
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ungern duldend, den Untergebenen despo- tifch niederhaltend. Und da ward die lei:
ften diplomatifhen Poſten vorjubehalten, allenfaus eine Ausnahme von jenem Aus— fhließungs = Prineip bilden. Unter denen, die fih lange im Beſitze von Macht und Aemtern befinden, find wohl nur Wenige, die nicht mehr oder minder unter dem Ein— fluffe von Gefühlen flehen, welche der ge= freuen Erfüllung ihrer öffentlichen Pflichten hinderlich find. Sollte auch ihre Redlich— Feit Feine unmittelbare Anfechtung erfahren, fo gewöhnt man ſich doch daran, das Amt ats eine Urt von Eigenthbum und die Negierung mehr als ein Mit: tel zur Beförderung individuel: ler Suterefffen, dennaldein bloß zum Beften des Volks erfundeneö Werkzeug zu betrachten. Bertechung bei Einigen, Entartung vichtiger Gefühle und Grundſätze bei Audern, wenden die Regierung von ihren ygefegmäßigen Zwecken ab, und fchaffen fie zu einem Werkzeuge für die Erhaltung Weniner auf Koften Die: ler um. Die Pflichten aller öffentlichen Beamten find fo Elav und einfach, oder lafz fen fich doch fo aufftellen, daß fähige Män— ner fich Teicht zur Erfüllung derfelben ges ſchickt machen: und ich kann nicht umhin,
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tende Hand des Minifters nach und nach zu Schwach, die Zügel wieder jtraffer anzu- ziehen.
zu glauben, daß durh das Tanne Bleibe: im Amte mehr verloren gebt, als ſich im Allgemeinen durch Lie Erfahrung gewinnen last. Ib ſchlage demnach der Erwägqun« dee Cougreſſes die Ausdehnung des Ge: feges, welches die Amtsdaner auf vier Jahre beſchränkt, auf ale Aemter vor. Nie: mand bat das Recht, ſich zu bes flanen, wenn Das öüffentlide Wohl feine Abſetzuug erfordert, nur Das Dotf hat diefes Nedt, wenn ein ſchlechter Beamteran die Ztelie eines guten tritf. Der Abgeſetzte har die namlichen Mittel, lich Unterhalt zu verihaffen, wie die Millionen Menſchen, die nie im Amte aeitauden, Durch die vorgefchlagene Beſchräukung würde der Begriff von Eigenthum, der jest fo altgemein mir dem Amte verfnüpft wird, wenfaltenz und follte auch daraus zuweilen Nachtheil fur Einzelne erwacfen, fo würde fie doch, durch Beförderung jener Circulaz tion, die ein leitendes Princip in dem ve: publicanifchen Glaubeusbekenntniſſe bilder,
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Man wurde cs auch bald von mehreren Seiten gewehr, daß man ſich auf falſchem und gefabrlihem Wege befinde, aber es war nicht mehr möglich, die Direction zu andern. Ein zweifelhafter Halt (und Ste henbleiben iſt ſchon Ruͤckſchreiten) war Als les, was man bewerfitelligen Fonnte. Auf dieſer Station befinden wir uns eigentlich) noch jeßt. Sie iſt einer Epoche bei'm Bauen zu vergleichen, wo man einen guten Theil des alten Haufes abgetragen, und alle Ma: teriglien zum neuen angefahren hat, mit einem Mal aber über den Plan des neuen Baus wieder ungewiß und uneinig wird, und ihn von Neuem in Ueberlegung nimmt. Aber die Zeit. vergeht, man muß eilen. Manche, die ſich einbilden, es ſey noch 10 Uhr früh, wenn es wirffid fchon 5 Uhr
dem ganzen Syſtem eine gefunde Thatkraft verleihen.“ So denkt man über Stellung der Beamten in dem freiditen Staat der Weit.
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Nachmittag ift — glauben, fie Fönnten im— mer fo halten bleiben; Andere wollen die neuen Materialien lieber wieder abfahren, und dazu die Pferde gleich rückwärts an den Wagen fpannen — aber Beides: Ste henbleiben und Ruͤckwaͤrtsfahren koͤnnte heute nur zum fichern, dereinftigen Verderben fuͤh— ren. Das Alte tft dahin — es ift vom Gouvernement felbft gewaltfam eingeriffen worden, ohne Schonung feftbegründeten Ber ſitzthums der Einzelnen, und einmal ver- nichtet, oder in der Agonie liegend, kann e8 nicht wieder auferwect werden. Es würde im günftigen Falle nur ein ſchein— bares Leben behalten. Es kann jetzt nur noc) Davon die Rede feyn, wie das Neue, fhon DBeftehende und Bevorftehende, fo motivirt werden möge, daß das Endres fultat wieder die Vortheile des Alten bringe, ohne feine Nachtheile, und wie hierauf ein folcher Zuftand auch feft zu begründen ſey. — In dem abfichtlich
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balbeingertifenen Haufe Fonnen wir fo ſchwer— lich wohnen bleiben, wenn es auch noch fo fiber nad) Außen mit Vertheidigungsmit- teln und Boliwerfen verfeben ware, worauf Viele bisher Alles allein berechneten, wir brauchen auch einen fichern Bau im Innern, damit uns bei eintretenden ‚Sturm nicht die Balken auf den Kopf fals len, und ein warmes Obdach fuͤr jede Wit: terung da ſey.
Schon der Fuͤrſt Hardenberg glaubte, bis zum Ende feiner Laufbahn, dag dieß nur auf conſtitutionellem Wege zu erlangen fey, und that zu folchem Zwecke mehrere vorber reitende Hauptjchritte.
Andere ausgezeichnete Männer unterftüß- ten ihn darin, und bildeten mir unermudes tem Fleiß und Eifer ein noch weir ſtaͤrker darauf bimweifendes Inftitut aus, Nach dem, was fo gefchaffen und organifirt wurde, ſcheint es mir weniger die Frage zu feyn,
Eutti Frutti V. 4
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ob man noch eine Conftitution oder allge meine Volfsrepräfentarion geben folle, als: ob man noch eine für immer vers meiden fünne?
Mit der FSreigebung der Bauern, mit ihrer Ablöfung von allen früher über fie ausgeübten Gerechtfamen der Gutsbefißer, mit der Aufhebung ihrer Abhangigkeit von denfelben als früherer Ortsobrigkeit, mit ihrer Conftituirung als freie Grundbefißer, mit der neuen bevorftchenden Communal- Drdnung, mit dem großen Gewicht, wel- ches man den Städten gegeben, mit der unbefchranften ‚Gewerbefreibeit, mit der Unabfegbarkeit der Staatsbeamten ꝛc. bat man fchon, beinahe mehr als noͤthig und vielleicht gut war, dem Princip der abfolu: ten Monarchie fillfchweigend entfagt, und es ift im diefem Sinne nicht ganz unpaſ— fend die Ablöfung eine Auflofung ge nannt worden,
Mit dem, das ganze Volk zu Soldaten
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machenden Syſteme der Landwehr aber, bat man einen wahren Riefenfchritt zu ci ner freien Verfaſſung zurüdgelegt, der faum mehr ein vorbereitender, fondern ein in medias res führender‘ zu nennen if. Dar durch hat man, man muß es danfbar be fennen, wahrhaft unpopuläre Maßregeln, die das Ganze betreffen, für die Zukunft faft unmöglicy gemacht, zugleich aber dem Volke eine Gewalt im die Hande gegeben, die, unser allen Umftänden, nur in einer’ regulirten , allgemeinen Bolfsreprafen- tation ihr hinlangliches Gleichgewicht finden möchte. Die DOrganifation dieſes Syſtems, wie c8 jest eriftirt, bringt über dem, ungeachtet vielfacher Vortrefflichkeit, doch aud) außerordentliche Störungen im’ bürgerlichen Leben und Verkehr hervor, ent- zieht der Snduftrie eine ungeheure Summe, weit weniger durch das, was fie koſtet, als durch das, was fie zu erwerben verhindert,
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gibt außerdem manche Gelegenheit zu druͤ— Anden Chicanen für die bürgerlichen Ver— baltniffe, ſelbſt im tiefften Frieden, noch unendlich mehr im Fall eines Krieges, viel— feisht gar eines unglücklichen Krieges. Für feine Meinung fireitend, würde indeß alles dieß überfehen werden, im entgegengefesten Falle dürfte, mit Grund, bei einer fp mir litairifch und mobil gemachten Nation, ein ungünftigeres Refultat befürchtet werden koͤnnen; ja wenn man nicht von vben die völlige Entwickelung diefer fo begonnenen Emancipation jelbjigewahrend und dirigi— rend zu Stande bringt, jo mag man leicht bei unruhigen Zeiten, die doc) Feineswege für immer unmöglih find, einem neuen Qugendbunde oder einer andern unregelma- ßigen Kraftanßerung des Zeitgeiftes die gün- fligfte Gelegenheit vorbereiten. Auch iſt gar nicht in Abrede zu ftellen, daß das Landwehrfpiten um fo gefährlicher werden kann, da es jest nur, als vom abfoluten
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obern Willen allein ausgehend, betrachtet werden muß, und dadurch nothwendig ein ſehr arbitraires Anſehen erhaͤlt.
Eine ſtehende Armee, wie ſie fruͤher eri— ſtirte, uͤbt weit weniger Druͤckendes auf alle taglidye Verhaͤltniſſe des Lebens aus, und gar oft hört man den heutigen ge zwungenen Dienft Aller vom zwanzigiten bis zumr fechzigften Jahre, mit fortwähren; des Uebungen und Laften, dem dftern Herz ausreiſſen aus den gewählten und noͤthigen Erwerbssverhältniffen, und der freien Die pofition des Gouvernenzents über dieſe Maſſe zur Verteidigung wie zum Ungriff — von den eben unangenehm davon Getroffe nen nicht anders tituliren, als: cine ganz neue Art von allgemeiner militairt cher Leibeigenfchaft.
Ganz anders aber ftellt ſich die Sache, wenn eine Repraͤſentation der Nation felbit, zur Mertheidigung des eig’nen Heerdes, ein ſolches Inſtitut verlangt oder beftatigt. Das
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E clbftauferlegte tragt man überdieß, auch wenn es drückt, immer leicht, das Aufge— zwungene fehwerer, fey auch die Laſt wirf lich geringer. Ohne eine fichernde Garans tie, welche nur aus einem reprafentativen Syſteme und dem darin Fund gewordenen Nationalwillen für beide Theile hinlaͤnglich hervorgehen Fann, dürfte alfo, meiner Ueber zeugung nach, das Snftitut der Landwehr eben fo leicht verwundend für das Volk, als in Collifionsfällen und bei ganz andern Conjuncturen als die jeigen find, bedenk— lih für den Souversin felbft werden koͤn— nen. Sm Uebrigen bin ich weit entfernt zu bezweifeln, daß diefes Syftem nicht die heilfamfte, zeitgemaͤßeſte und glüdlichfte Idee fen, welche für Preußen’s Wohl je erdacht werden Fonnte, und einer der fehon- fien Ruhmeskraͤnze genannt zu werden ver- dient, die, aus unf’res allgeliebten Monar— chen fpectellen, liberalen Willen entfprungen,
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einſt ſeine ſo vielfach ſegensreiche Regierung für alle Zeiten zieren wird,
Denn außer ihren rein militairifchen Vor— theilen, und daß fie die ganze Nation Fries gerifch macht (ein Glü im Krieg. wie im Frieden), erreicht fie zwei andere wohlthäs tige Zwede, deren Nußen unberechbar ift, - und jeden pecuniairen Nachtheil weit über: trifft. Es find folgende: *)
4) daß fie bei der vortrefflichen Organi⸗ fation, man kann fagen, Erziehung unfers Militairs, ganz befonders auch in moralifcher Hinfiht, eine bisher nie ftatt gefundene, folide und weſent⸗ lihe Bildung des Volks allgemein durch alle Claſſen deffelben verbreitet, welche unf'rer (ohngeachtet Herrn Cou⸗
*) Man findet im zweiten Theil diefed Buchs fhon etwas Aehnliches angeführt, des beffern Sufammenhanges wegen veritatte man indeß hier eine theilweife Wiederholung.
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ſin's Kobpreifungen) nod vielfach mangelhaften bürgerlichen Er,ichung gründlich nachhilit, eine Wabrheit, die ſich Jedem, der mit den gemei— nen Claſſen viel zu verkehren bat, unabweisbar aufdringen muß.
Daß eben durch eine militairifche Bil— dung diefer Art allein dasjenige, was uns Allen durch ganz Europa am meiſten Noth thut, und im bürgers lichen ‚Leben faft ganz verfchwindet — Gchorfam und Disciplin — noch in der preußiſchen Nation erhalten worden ift, und unter folchen Umſtaͤn— den auch in einer conftiruttonellen Zu— funft eher zunehmen als abnehmen würde. Die Zeit hat dieß bereits bes wiefen, denn Fein Sand hat dem Schwindel eben diefer Zeit bis jet fo ehrenvoll widerftanden, in keinem herrfcht mehr Anbänglichfeit an unfer angeftammtes Fürftenhaus, und Fein’s
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ift daher Unrußen und Umwaͤlzungen, wie wir fie rund um uns crlebt, wer niger ausgeſetzt.
Man hat alfo, durch die erwähnten Maß regeln, fich fortan der bloßen Willführ fchon fo gut wie begeben. Iſt aber dic einmal geſchehen, fo kann der Herrfcher bei einer einzuführenden freieren Verfaſſung nichts mehr einbüßen, fondern im Gegen; theil dadurch feine, im unwillführlichen Uebergange vielleicht möglicherweife Gefahr laufende, Autoritat nur auf die Baſis der dauerndften, vernunftgemäßeften Macht, namlid einer foldyen, die nur zu feinem und des Volkes Glücke befchranft ift, befe— ffigen, und für alle Folge ſichern. Iſt nun dieſemnach erfichtlich, daß weder Volf noch, Fuͤrſt bei einer conftitutionell repräfene tativen Verfaſſung etwas zu verlieren ha— ben, wohl aber Vieles gewinnen koͤnnen, fo dürfen wir: mit großer Gemigthuung auch
anerkennen, daß zur Aufführung eines fol €
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chen Gebäudes g’rade unfere Lage noch viel Günftiges darbietet. Auf der einen Seite haben wir, wie ſchon bemerft, Feine Kirche mit politifcher Macht ausgerüfter, die uns am DBaue hindern Fonnte, auf der andern aber finden wir fchon zwei Haupt: elemente dazu, von Fraftiger Qualität, bei uns vorhanden — nämlich eine be reits herangebildete, weit ausgebreitete Sins telligenz im Volke, zur Formirung einer tüchtigen Deputirtenfammer, und eine, mit allen wünfchenswertheften Attributen reich- lic) verfehene, populaire Legitimität in der regierenden Familie. — Aber vergebens fehen wir uns leider nach der nothiwendigen Mitte, dem unerlaßlichen Zuſammenhalte des Ganzen um, nad einer mächtigen Ariftoeratie, deren Daſeyn, wie wir für hen, England fo groß gemacht, deren Mans gel Frankreich fo verdirhlid geworden ift, und Höchft wahrfcheinlich noch. mehr werden wird. Denn die franzöfifhe Pairsfammer
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iſt nichts als höchftens ein Senat von jehr geringem Einfluß, bildet aber in gar nichts mehr seine wahre Ariftocratie, wozu ihr fhon das Hauptingredienz fehlt: großer Landbeſitz und Popularität, gleihwie eine fefte Vereinigung ihres cig’nen Privatins tereffes mit dem der Nation, Bilder fich) die Ariftocratie in Frankreich nicht noch auf andere Weife aus, fo geht dieſes Land gewiß mit ftarfen Schritten: einer vollig republifanifchen VBerfaffung entgegen, und kann es dann dieſe ſich auch nicht erhalten, wieder vollftändiger Anarchie und dem Urs tergang, oder einer neuen Militairdeſpotie. Jedenfalls wird fein König bis dahin Die Miürde der- Majeftat entbehren, und eine fortwährende - Entfagungsrolle zu fpielen haben.
In frühern Zeiten war es ſtets das Bes fireben der Monarchen, ihre mächtigen Art fioeratieen zu ſchwaͤchen oder zu vernichten, und fie Hatten damals viele Urſach' dazu
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— ihr heutiger Vortheil erheifcht g’rade das Gegentheil,
Die preußifhe Monarchie hatte zwar nie einen dem Regenten formidablen Adel, Er war ganz and’rer Art wie 3. DB. der engli- ſche und franzöfifche, mit fehr wenigen ein- zelnen Ausnahmen; immer glich er, wenn id) es fo nennen darf, nur einem in Gil bergeld gewechfelten Goldftüd, die einzelnen Coloſſen and’rer Zander waren bier überall durch viele Kleinere, aber doch ſtets von übergewöhnlihem Maße und Geltung re praͤſentirt. Er beftand aus einer eben nicht reichen, aber doch großentheile wohlhabenden, durch Stifter, Pfründen, und Hofgunft überdem unterftüßten Claffe, und wurde auf feinen Nittergätern als die natuͤrliche Obrigkeit, der Herr feiner Bauern, als wirklicher, nicht bloß titulatrer Gerichts: und Grundherr, als die fichtlidie Mittels: perfon zwiſchen König und Unterthan an— gefeben. Die Gewohnheit hatte durch Jahr⸗
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hunderte dieſes Verhaͤltniß geheiligt, und eine Art von Nimbus daruͤber gebreitet. Die ausgeuͤbte Autoritaͤt war aber auch reell, und es waͤre vielleicht ungerecht zu behaupten, daß ſie damals ganz nutzlos geweſen ſey. So viel iſt gewiß, daß die Gewohnheit daran ziemlich tief im Volke eingewurzelt war, ſo daß bei dieſem der Stand der Beamten, der in weit geringerer Zahl als jetzt dazwiſchen ſtand, zwar auch Gehorſam und Achtung, aber bei Weitem nicht daſſelbe Anſehen genoß. Geburt dand damals über dem Amte, gewiſſer— maßen das Ideelle uͤber dem Realen, wie— wohl in einem Sinne, der auch nicht der richtige, nur dem Vorurtheile der Zeit an— gemeffen, und eine Folge früherer Begeben- beiten war. Heute bat fich dagegen das Blatt gänzlich gewendet.
Derfelbe kriechende Refpect, diefelbe Men: ſchenfurcht, eriftiren leider immer nod), und zuweilen fogar in noch größerem Maß—
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fiabe, bei dem gemeinen Manne auf dem Lande, aber es tft nicht mehr der Gutsherr, der fie einflößt. Diefer geht fehr unbeach— tet an ihnen vorüber, ja ein Foniglicher Prinz, der König felbft, wenn er öfter wie: derfehrt, erregt nur noch wenig Senſation — fommt aber der Gerichtshalter, der Stenereinnehmer, der Oberlandesgerichts>, der Regierungs-Rath ꝛc., da fliegen fchnell die Hüte herunter vor den immediaten nad): fin Herren, und in fchuldiger Devotion rangirt fich der Bauer ").
*) Ein junger Regierungd:Affeffor, von dem ich übrigeng wünſche, das recht Viele ihm glichen, erzählte mir neulich ſelbſt, wie er, mit der Ein: führung der neuen Städteerdnung in R..... beauftragt, Faum feine Faſſung habe bewahren fünnen, als er fah, wie man ihm mitten in der Kirche, dem Prediger gegenüber, eine förmliche Art Thron bereitet hafte, wo er Plab nehmen und ſich vom Prediger mit den übertriebenften Lobiprühen haranguiren laffen mußte,
Dieß ift freilich ſehr lächerlich, aber ed &as racterifivt die Zeit,
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Dieß Gefühl im Volke hat auch feinen guten Grund, und ift der Zeit gemäß ganz practifch, während fich früher in das Vers haltniß zum Gutsherrn viel patriarchalifche und fogar einige romantische, poetiſche Eles mente einmifchten. Das Volk ſieht fehr wohl ein, daß die Beamtenwelt, wenn fie die einzige Macht im Staate geworden ift, ohne Adel und Volfsrepräfens tanten, die fie im Zaume halten koͤnnten, auch eine unwiderftchliche wird, eben fo mächtig als jene alte, priefterliche, da fie ſich auc gleich jener täglich frifch erneut, überall in das gewöhnliche Leben einz greift, unabfeßbar und in Collegien vereint, jeden Angriff erfolglos macht, und in allen Beziehungen daher den geringften Verſuch zum Miderftande auf das Bitterſte entgels ten laffen fann. Ihr eig’ner Vortheil lehrt fie bald, faft unwillführlich zufanımenbalten, ſchon nad) dem gemeinen, aber wahren Spruͤchwort: „daß eine Krahe der andern
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nicht gern die Augen aushackt,“ und hat ſich dieſer Grundſatz erſt geordnet, fo iſt fie weder im Einzelnen, noch im Allgemeinen mehr verwundbar — es ſey denn durch ganz neue Inſtitutionen. Ja, jeder momentane Autoritaͤtseffort des Souverains ſelbſt muß am Ende fruchtlos bleiben, und je liberaler die Geſinnung bet Herrſcher und Dolf, je ſchwerer muß jede energiiche Maßregel gegen eine fo felt angewachfene Buͤreaucratie werden. Die Farholifche Prie— fterbierarchie bat uns früher ein fuͤneſtes Beispiel ähnlicher Macht gezeigt, und doch batte fie nur den fernen Himmel zum Machtgeben, wahrend die Beamtenbierarchie unntittelbar Über die ſtets gegenwärtige irs diſche Gewalt im Staate gebietet, fie erſt nach unten kehrt, erheiſcht es aber ihr Vor: theil, fie eben fo leicht auch einmal nad) oben richten kann. Zuletzt würde fie dann indireet fo gut den Thron als direct den geringften Unterthen beberrfchen.
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Der chemalige preußiſche Adel, wie ge fagt, damals als eine folide Mittelftufe zwifchen König und Volk begründet, mit genügender Autorität über feine Unterrhanen verjeden, und dennoch gleich diefen der ab- foluten Macht des Königs unterworfen, gab zu feiner Zeit, und bei den damals noch serrfchenden Anfichten, gewiß dem Ganzen einen beffern und weniger drücenden Halt, als feitden eine democratifhe Büreaucrar tie, indem er gewiffermaßen nad) beiden Seiten Front machte, die Unterthanen gegen das Gouvernement vertrat, und diefem ges gen jenem als Bollwerk diente, wozu tie Beifpiele haufig beigebracht werden Fonnten. Es war unter folben Umftanden, aucy nur weife von dem großen Friedrich, ihm im Militatr ebenfalls immer eine, fee nen Civilverhältniffen entfprechende Stellung anzumweifen *).
*) Mutatis mutandis Wäre es agewiß nicht übel, wenn man dieß auch jest noch Im der
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Er blieb fo, in allen Lagen, der mit vä⸗ terlicher Autorität ausgeftattete Herr und Vormund der Landbewohner, wahrend er zugleich in Maffe die große Leibwache des Thrones bildete. Echwerlidy würde diefer fo conftituirte Stand bei uns, ſelbſt durd) die franzöfifche Revolution und den ganz neuen Schwung, welchen feirdem der Mens fchen Geift genommen, gaͤnzlich umgeftoßen, fondern nur anders und zeitgemaßer, lang- fam umgeftaltet worden feyn, wenn nicht einerfeits er felbit den Keim des Verderbens, durch eine thorichte Sfolirung und Einbil: dung eines beffern Blutes, noch mehr aber
Landwehr einigermaßen berüdfichtigte, mo es doch unmdalih aut thun kann, wenn der Offis ciant feined Gutsherrn diefen im Militärvere hältniſſe befehligt, der Provifor in der Apotheke die erſte Mititärperfon im Orte ift, der aus— übende Echneidermeifter eine Compagnie come mandirt, oder der Gaſtwirth zugleih der Of: ficier und der Echnapslieferant feiner Soldaten
iſt.
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durch eine der widerfinniaften Inſtitutionen, die es gibt, im fich gelegt hätte — id) meine die Vererbung der Güter zu gleichen Theilen an fammtliche Kinder, mit gleicher Beibehaltung der Titel für Alle, eine Ano⸗ malie, die ihn unter ſolchen Zeitumftanden, wie fie nun eintraten, bald arnı, ohnmaͤch— tig, lächerlich und verhaßt zugleich machen mußte. — And’rerfeits fuchte aber, als ſey das Erfte noch nicht genug, nan aud) das Goupernement, ebenfalls zur neuen, ſchon angedeuteten Richtung übergehend, mit dem inftinctartigen Naturhaß der Kraft gegen das Schwache, ihn durch Entziehung fait aller früher befeffinen Rechte und Autorität, feiner inne habenden Stifter, Prründen und fonftigen Prarogativen, fo null und nichtig zu machen, fo alles ehemaligen Anfehens zu berauben, daß er, im Allgemeinen betrach- tet, jeßt nur noch ein wahres Phantom feiz ner früheren Eriftenz darbietet, drüdend für den Verftändigen, der es noch an fi) tra-
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gen muß, und halb lächerlih, halb nichts fagend in den Augen des Bürgers, der ſich, nicht mit Unreht, im Mefentlidyen weit mehr dünft, da er wenigftens das ift, was er fcheint.
Es gibt aber demohngeachtet nech einige Umftande mehr, die den Bürger gegen den beutigen Adel auch noch jetzt fortwährend erbittern. Dahin gehört vorzüglich, daß durch wiancherlei Einfluß (mehr der alten als Der neuen Zeit angehürig) und auch aus dem Wunſche ganz rechtlich gefinnter Perſonen: fo weit es gebt, gleichfan wieder gut zw machen, was früher gegen den Stand de5 Adels, in feiner damaligen Stellung wirklich verfchuldet worden tft — jet von Neuem angefangen wird, die heutigen adli- gen Individuen, die nunmehr gar feine, auf irgend etwas Volksthuͤmliches bearüns dete Anfprüche an Begünftigung mebr ma— en Fünnen, dennoch bei diefer oder jener Belegung von Stellen, dem Bürger, ohne
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alles vorwagende Talent, und bloß aus dem Adelsgrunde vorzuziehen. Dieß muß, als eine Inconſequenz, die jet zur Ungerech— tigkeit geworden iſt, übles Blut machen, und geſtattet leicht Boswilligen, den fo herabge— funfenen Adel immer noch theilweiſe als Kucht Ruprecht den Kindern zum Fürcdhten dinzuftellen, und ſo um h ͤch ſt an politifhen fbadliden NH a5 zwifben Wdeligen und Bürgerli- dyen neue Nahrung zu geben, während auf der andern Seite der Buͤreaucratie wahr⸗ lic) durch den im fie tretenden Fleinen Adel auch kein bejferes Blut beigemifcht wird.
Wunderbarerweiſe haben fich indeffen in dem aufammengeworfenen, unformlichen Schlackenhauſen dieſes Adels, Dennoch hie und da einzeln ſtehende Felſen erbalten, die, in Verbindung mir dem, was die neueren Provinzen, Die Rheinlande und Sachfen bieten, noch Binlanglichen Stoff enthalten,
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um daraus mit einigem frifchen, unumgang- lid) nothwendigen Zufluffe sus den andern Caſſen, eine. neue volfsthümlice und zeitgemäße Ariftocratie zu bil den, die ſchnell das Nothduͤrftige, und bald das Noͤthige zu leiten im Stande feyn würde,
Sie hervorzurufen, bedürfte es nur des
feſten und thatigen Willens der Negierung, fo wie der Einficht des unendlichen Nußens einer folhen Maßregel bei der Nation, welche leßtere ganz gewiß nicht ausbleiben würde, wenn auch im Anfange noch) man: bes Vorurtheil dagegen ftreiten follte. Unmodglich kann man annehmen, daß der Heine, dürftige, überall mißgeachtere Adel fo unvernünftig feyn follte, das geringe Opfer gehaltlofer und hoͤchſt unbequemer Titel, das man allerdings, wenigftens für
feine Nahfommenfchaft, von ihm fordern.
müßte, zu verweigern. In diefem Falle bliebe freilih Fein anderer Ausweg übrig,
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als ein Machtſpruch, oder der: die ganze Nation zu adela — und wie in Oeſterreich, Alle mir dem abgeſchmackten, jest fo ſinn— 108 gewordenen „von“ zu befleiden, um die nöthige Gleichheit wieder auf anderem Wege hervorzubringen. Denn unumganglicd north: wendig ift es, für einen neuen und vers nunftgemaßern Zuftend der Dinge, daß die neue Ariftocratie, als aus dem allgemeinen gleichen Volkswillen hervorgegangen, be trachtet werde, und daß fie daher auch der einzige Fünftige Adel im Ötaate, und zu diefem Behuf hauptfächlich auf Grundbeſitz bafirt fey, alfo nur der wirt liche Befiger den Titel führe, feine übrigen Kinder und Verwandte abır in den Bürgerftand zurüdtreten müßten, um auf diefe Weife beide Stande fich von Neuem wieder verbrüdern zu laffen, und alle Rivalität unter ihnen aufzuheben, fp dag der Adel Fünftig Die Spiße der Nation felbit und aller ihrer Claſſen
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repräfentire, ihr gemeinfamer Stolz werde, fiatt wie in frühern Zeiten, eine unrerdrüdende, außer dem Volke fie hbende Safe, von angeblih anderem und beſſerem Blute ſeyn zu wollen. Es muß dader der neue Adel, wenn er auf der einen Seite durch Geburt ſich fortvererbt, auf der andern auch für Jedermann durch Ver— dienft undDorzüge aller Art zugang- lich feyn, dem Regenten natuͤrlich die Ernen— nung dazu nach wie vor zufiehen, jedocd) mit der Bedingung, daß, wo der Monarch auf feiz nen oder der Nation Wunfch irgend Einen dazu erheben will, er ihm aud die Aus- fiattung mit einem feiner neuen Würde angemeff'nen Grundbeſitz gewähren muß, wenn dieſer nicht fchon anderweit ſtatt fin, det, denn cin Adliger ohne Grundbeſitz kann Fein Mitglied einer Ariftoeratie feyn, und ald bloße individuche Auszeichnung paſſen denn Orden, Geld und andere Titel arten ungleich beifer,
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Unter unfern Standesherren, nebft noch vielen andern großen Gutsbefigern, die ſich dazu qualificiren, (einigen ehrenwerthen Ca— pitalifien, die ihr Vermögen in Gütern anz zulegen Willens waren, fo wie Staatsmänz- nern und Kriegern von großem Verdienft die zu dotiren wären, würden jeden Yugenz blick in dem DBereih der Monarchie noch eine mehr als hinlängliche Anzahl Männer zu verfammeln feyn, um mit ihnen eine impofante Ariftocratie zu bilden, in der man dann eben fowohl alte, hiftorifche Na⸗ men, Die. ihr Anfehen bei'm Volke, vorzügs li in den Provinzen, noch nicht verloren haben, als neuere DVerdienfte, die Jeder ans erkennt, und auch die eben fo reelle Macht des Reichthums finden würde, fo daß Alle ſich zugleich geltend machen Fonnten.
Diele der großen Gutsbefiger find zwar verfchuldet, die Wenigften durch Verſchwen⸗ dung, fondern faft Alle nur durch die ge
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rügte, für jede Ariftocratie fo finntofe, gleich theilige Vererbung ihres Gutspermögeng, und den Mangel an Majoratsftifrungen. Das Argument der Unbilligfeit, welches man gegen diefes ungleiche Erbrecht der Kinder vorbringt, iſt hoͤchſt einfeitig. Wir find Alle Gottes Kinder, und erben doch von ihm fehr verfchieden, Sobald vs ein: mal als eine gefegliche und fich von felbit verftehende Sache feftftcht, daß dem aͤlteſten Sohne eines Ad'ligen als Majoratsherrn das ganze in liegenden Gruͤnden beſtehende Familienvermoͤgen gebuͤhrt, ſo kann es den juͤngeren Soͤhnen eben ſo wenig einfallen, ſich daruͤber zu beklagen, als es koͤniglichen Prinzen einfaͤllt daruͤber in Verzweiflung zu gerathen, daß ſie nicht alle Koͤnige wer— den, oder dem armen Kraͤmer in ſeinem Laden, daß er nicht ſo reich iſt, als der Banquier, welcher den Palaſt neben ihm bewohnt. Dieß zeigt England zur Genuͤge, und kein juͤngerer Sohn des Adels wuͤrde
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dort nur wünfchen, die Erblichfeit zu gleichen Theilen zu feinen Gunften dort eingeführt, und damit die Ariftocratie über den Haufen geworfen zu fehen. Auch ift für das Wohl der ariftocratifchen Familien felbft zu berücfichtigen, daß ein mächtiger und angefehener Familienchef ftets allen feinen Kindern wenigftens eine ausgezeich- nete Erziehung zu geben im Stande ift, das befte Erbtheil! und außerdem jedem Berdienftvollen feiner Familie leicht eine bedeutende Unterftüßung durch fein eig’nes Anfehen und nothwendig daraus folgenden Credit gewähren kann. Bei uns in Deutfch- land werden. wir am beften gewahr, was das Gegentheil bewirkt, wo wir numerirte und nicht numerirte Fürften, Grafen und Herren zu Hunderten, alle mit denfelben Namen und Titeln herumlaufen fehen, von denen Viele kaum wiffen, wo fie das täg- lihe Brod hernehmen follen, ohne doc,
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einntal mit ihren Titeln belaftet, als nüßs liche Bürger fich welches erwerben zu Füns nen. Aus diefer gleichtheiligen Vererbung fommt es alfo hauptfachlich, daß die noch vorhandenen großen Befißungen alle vers fchulder find, weil die Inhaber derfelben, bei jeder neuen Generation, mit ihren Ges fhwijtern theilen und ihnen große Summen baar auszahlen müffen, die nach und nad) die größte Befigung paralyfiren.
Sit aber die hieraus hervorgegangene, jeßige allgemeine Verfchuldung der großen Gutsbeſitzer auch drüdend, fo würde fie doch für alle diejenigen, welche imnıer noch nicht die Halfte ihres Gutswerths ver- ſchulden, nicht fo verderblid haben werden Tonnen, daß jene Befiger in vielen Fallen fhon die anfehnlichiten Güter ganz einbüs Ben und mit dem Rüden anfehen mußten; wenn diefer völlige Ruin nicht durch unf’re böchft mangelhaften Hypothekengeſetze noch nachtraͤglich kuͤnſtlich herbeigeführt würde,
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Gefeße, die in VPedanterie und Form wahr: baft untergegangen find, und verbunden mit der bisherigen Theilnahmlofigfeit und Unthätigkeit der höchften Behörden in diefer Hinficht, den untern geftattet hätten, Alles aufzubieten, um fie fo nachtheilig als möglich für den Adel und Gutsbeſitzer anzuwenden, der, wie fie wohl wiffen, in feinen unabhängigen Mitgliedern noch der einzige ſchwache Damm ift, der ihrer Uni- verfalberrfchaft entgegen ſteht.
Der Staat würde nur dieß Verſehene gut miachen, und fich felbft helfen, wenn er bier energifch eingriffe, und rar dicale Hülfe leiftete, die er überdem, wie mir fcheint, ganz ohne Opfer gewähren kann. Es wäre hierzu nur nöthig, daB das Gouvernement, bei eintretender Verle— genheit angefehener Gutsbefiker, durch eine Commiſſion unterfuchen ließe; ob die auf dem Beſitz haftenden, fo oft aus vielfa- chen Privaträcfichten uud Bedärfniffen ges
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fündigten, und im Augenbli nicht wieder zu negozirenden Capitalien im überwiegen den Gutswerthe jedenfalls hinlangliche Si— cherheit fänden — und in ſolchem Falle die Directoren disponibler Staatsfonds und and’rer Depofitalfonds, die im preußifchen Staate höchft anfehnlich find, unter feiner Garantie autorifirte, diefe Schulden für den Augenblif zu tilgen oder zu überneh- men, und felbit dafür in die Rechte der Gläubiger einzutreten — dabei aber die Be dingung machte, daß die alfo belafteren Güter fofort in ein Majorat verwandelt werden müßten, mit Feftfegung eines ber fimmten Fonds zu jahrliher Amortifation des fchuldigen Capitals. Mo nad) Bericht der Commiſſion diefe Sicherheit nicht vor- handen wäre, würde dagegen, wenn nicht befondere perſoͤnliche Nücfichten und alſo Zuſchuß aus Staatsgeldern fanden, weder eine Hülfe des Staats, noch cine Major
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ratsftiftung als zulaffig — koͤnnen *).
Es gibt aber auch noch eine große Men— ge angeſehener Gutsbeſitzer, die ſich, ohne Unterſtuͤtzung des Staats, ſelbſt Hülfe zu verſchaffen im Stande find, "oder gar kei— ner bedürfen, und die, wenn fie wüßten, daß fie nicht anders, als durch Majorats- fliftungen, des neuen Adels und aller feiner Vorrechte theilhaftig werden Fonnten, ſich natürlidh aus freiem Willen dazu ſehr gern verftehen würden. ' Auf diefem Wege aber müßte fohon in wenigen Jahren, und mit immer fteigender Progreffion, fich wie— der ein wahrer Ehrfurcht gebietender und der Nation auch Ehre machender Landes- adel bilden, und mit ihm das fo nöthige, in allen Ständen immer mehr dem flüd)- tigen Speculationsgeift weichende, Zntereffe
*) Dasselbe Fönnte vielleikt anch dur eine Finanzoperafion, ein vom Staate garanfirtes Papiergeld, erreicht werden,
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an Erhaltung des Beſtehenden! — denn man fage, was man wolle, verfchuls dete kleine Gutsbefiger, Handwerker, die reichften Kaufleute, Beamte, felbft Bauern mit ihrem jet überall moͤglichſt parcellir⸗ ten Eleinen Eigenthume, Tonnen nie das— felbe gewaltige Zutereffe, eben fo we nig wie die gewaltigen Mittel für die Erhaltung. der Integritaͤt ihres Daterlandes haben. Die Kteinen haben für's Erftenur Heine Mittel, find aber außerdem auch ih— rer Natur nach zu beweglich, und- hoffen daher gar leicht in. Beranderung — Ber befferung zu finden, Kaufleute «aber. haben ein zu Schnell disponibles Vermögen, und find zu fehr Cosmopoliten, um in ‚der Ne: gel große Opfer von ihnen erwarten zu dürfen. So lange die Großen fo groß waren, daß jie dem Thron ſelbſt m ihren Horizont mit aufuchmen Fonnten, warden auch fie unftat, aber eine große Ariftocra- tie in einer confiitutionellen Monar—
Br. "WU chie ift auf nichts als auf Erhaltung des Beſtehenden angewiefen, und ihre Ambition weit weniger auf vermehrte Reich— thümer, deren fie hinlänglich befist, noch weniger auf Hofgunft, deren fie nicht! mehr bedarf — ald auf ein weit edleres Ziel ger richtet, namlich das: Ehre, Anfeh’n und Einfluß bei der ganzen Nation, durch den Nutzen, den fie ihr zu gewähren fich fahig fühlt, als Danf dafür von ihr zu erhalten. Popular zu feyn, ift der natürlichfte Stolz eines conftitutionellen Edelmanns, fo weit es fih nur mit feinen Pflichten ge: gen den Staat zu vertragen im Stande ift.
Auf dieſe Weife kann alfo wirfliches Verdienft und zwar nachhaltiges, auch in ganzen Ständen, fo gut wie in Indivi— duen, durch zweckmaͤßige Snftitutionen herz vorgerufen werden, denn es ift wohl gar Feine Frage, daß ein auf diefe Weife hingeftellter Adel fehr bald ſich felbft fhäßen lernt, und ftatt, wie bisher,
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in erbarmlichen Fütilitäten fich zu gefallen, großentheils eine bloße Pflanzfchule für Höf- linge und Staats-Dienftjager abzugeben, ſei— ne größere, wichtigere Beftimmung: ein ger borner Reprafentant der Nation zu feyn, bald einzufehen und zu lieben anfängt, und fich mit feurigem Eifer dafür auszubilden ber müht. Daß er dann zugleich von Kinds heit an in einer gewiffermaßen hoͤhern Sphäre lebt, wird ihm gewiß nicht zum Nachtheil gereichen. Oder will man etwa die wuͤr— devolle Stellung eines Menfchen für nichts rechnen, der, fchon von der Geburt zu gror Gem politifchen Einfluß beftiimmt, und das bei zugleich auf feines Volkes Beifall, als böchften Ruhm angewiefen, dem Mangel und allen feinen degradirenden Einflüffen von jeher fremd, von Reichthum und ed» lem Befiß umgeben, faft nothwendigermeife auch einen veredelteren Character annehmen muß?
Würde man nicht, wenn man allen Men-
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fhen eine ſolche Eriftenz vom Haufe aus geben koͤnnte, dieß eine wahre Erhöhung des ganzen menjchlichen Zuftandes nennen muͤſſen! Da fie aber Allen nicht gegeben werden Fann, fo ift dem Volk ſchon Gluͤck zu wünfchen, wo fie Viele befigen, und Allen wenigftens die Bahn offen fteht, ei— nen ſolchen Zuftend erwerben zu koͤnnen und zwar nicht für den Erwerber felbit al lein, fondern auch bleibend für feine Nach— fommen auf ewige Zeiten.
Für diefe Behauptung gibt England cben- falls einen Beleg, wo, einige Ultra’3 und viele Modewaaren abgerechnet, der Adel ohne alten Zweifel verhaltnißmaßig am zahl- reichfterr zu dem gebildeteften Theile der Nation, und zu dem patriotifcheften gehört. Ja, denkt man darüber nad), war: um den Engländern faft überall in Europa ein gewiffes größeres Anſeh'n als den In— dividuen and’rer Nationen gezollt wird, fo findet man wirflih, daß dieß hauptſäch—
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lich dem unwillführlid Smponirenden ihrer mächtigen Ariftocratie, vor deren über: wiegenden Reichtum und Größe wir ung beugen, zugefchrieben werden muß.
Auch darf man nicht vergejjen,, daß alle die weifen Neformen, die wir in England feit Fahren vorfchreiten fehen, und die, wenn es dabei bleibt, dieſem Lande eine ihm fchon nahe Revolution erfparen werden, ja ihm noch für lange Jahre eine neue Bürgfchaft der Macht und glücklicher Zeiten geben müf- fen, zuerft von einer Oppofition, und dann von einem Miniftertum ausgingen, deſſen einflußreichfte Mitglieder faft alle zum hoͤch— ffen Adel gehören. Und fo war es fchon früher: ja felbft feine magna charta danf England feinem Adel.
Aber das Unglüd in Norddeutfchland ift, daß dergleichen Vorbilder dort bisher nie vereinigt waren, und daß daher die zwei Begriffes einer volfsthümlichen Ariftocratie auf der einen Seite, und eines mit Necht
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hoͤchſt unpopuläaren und abgefchmacten Adels auf der andern, felbft von vielen Gebilde: ten fortwährend ganz mit einander ver wecfelt werden, und daher Leute gegen die Ariftocratie wie gegen die Hölle eifern, ohne darunter etwas and’res, als die alte Adelstyrannet vergangener Sahrhunderte zu verſtehen. Und bei'm Lichte befehen, Ihr geſchwor'nen Feinde der Ariftocratie, Fonnt Ihr ja dennoch irgend einer Art derfelben nie und nirgends entgehen, das liegt in Gründen, die Ihr nicht abändern Fonnt, weil fie aus der Natur des Menfchen fich herfchreiben. Vernachlaͤßigt Ihr aber, eine folcye zu bilden, die auf Poeſie, Ehre, al- tem und neuem Ruhm, mäcdtigem Grund: befig und daraus nothwendig herfließendem Intereſſe am Wohle des Ganzen bafırt ift, fo fallt Ihr ohnſehlbar in die Hande, ent: weder der Beamten- oder der Geld» oder der Priefter » Arifiocratieen. — Beantwortet Euch nun felbft die Frage: bei welcher von
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diefen allen Ihr beffer fahren werdet, und vergeßt nicht, daß die größten Schreier ge gen einen vernunftgemäßen und repräfen- tativen Volfsadel, die Euch zu bethoren fuchen, dieß eben nur aus der Hoffnung thun, einer der genannten Pfeudo-Xrifto- eratieen, nach Zerfidrung der achten, felbft anzugehören zu koͤnnen; da das Motto folcher Leute von jeher Fein and’res gewe— fen ift, als: „Fort von Deinem Plate, da- mit ich ihn einnehme,“
Auf diefem Wege find die Franzofen zu jener wahren contradictio in adjecto, ihr rer republicanifhen Monarchie ge fonımen, ein Unding, welches die Erfah- rung der Gefchichte fo gut als jede gefunde Ueberlegung verwerfen muß.
Sch wiederhole es alfo mit der fejteften Ueberzeugung: in unferer bewegten, an al- len Banden der Vergangenheit ftarf rüt- telnden Zeitz einer Zeit, wo jede Macht fih heimlich rüftend ihre Streitmittel vers
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mehrt und dennoch jede Macht nichts mehr als einen Krieg fürchtet; einer Zeit, wo Armeen nidyts mehr, und die Nationen Al— les find — in folcher Zeit, fage ich, iſt eine ftarfe Ariftocratie, welche die Nation zufammenhäalt, die einzige Garantie des Gluͤckes und der Ruhe für König und Volf, die einzige Garantie für unerfchütterliche Einheit und Beftandigfeit eines monarchi— fhen Staates. Es kann daher auh an Feine Conftitution bei uns zu denken feyn, fo lange wir Feine Ariftoeratie dDiefer Art gründen; ohne Eonftitution ift aber auch auf Feine Freiheit der Preffe, auf feinen weitern bedeutenden Fortſchritt liberaler In— ftitutionen zu hoffen — und dennoch Fonnte fein rechtlicher Minifter, meines Dafürhals tens, dem Monarchen zu einer Conftirution und Volfsreprafentation ohne die noͤthig— ſte Bedingniß ihrer Freiheit und Dauer rathen. Eine fchnelle allgemeine Verwir— rung, ein noch jammervollerer Zujtand als
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in FSranfreih, Unficherheit des Beſitzes, Schwanken aller Anfichten, fortwahrende Beforgniß, ein ewiges Schwert über dem Haupte, würde die unmittelbare und un ausbleibliche Folge davon fern.
Es ift merfwürdig zu betrachten, wie felbft da, wo die Ariftocratie mit hundert andern Mängeln nur höchft einfeitig auf tritt, fie dennoch in unfern Zeiten Wunder für Erhaltung und Ruhe gewirkt hat! Man werfe einen Blif auf Defterreih. Ber al lem Obfeurantismus, bei allem abfichtli: hen Zurüchalten der Civilifation, bei Pfaf⸗ fenthum, Bigotterie und Unwiffenheit des Dolfs, Mangel, über die alle wir langft hinaus find (denn die albernen Berfuche der Froͤmmler bei uns find nur ein par— tieller Wahn» oder Stumpffinn und noth- wendige Folge einer früheren eben fo ab» geſchmackten Freigeifterei), fehen wir den- noch g’rade dort ein fchlagendes Beiſpiel, was eine wenigftens mächtige und reiche,
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wenn auch fonjt Feineswegs gut organifir- te, Ariftocratie laften kann.
Zchnmal am Rande des Abgrundes, ers bob fi) Defterreic) aus eigenen Kraͤf— ten immer wieder gleich einem Phoͤnix aus der Aſche! Beamte und Volk blieben ziemlicy gleichgültig unter dem Joche des fremden Eroberers, nur das Gelbfigefühl, das Intereſſe der Ariſtocratie brachte jedes Opfer, und belebte dadurch den Geift in der ganzen Nation hinlaͤnglich, um durd) die großartigften Anftrengungen die aus—⸗ —— U abzuſchuͤttelu ).
*) Dan . übrigeng gefteben, daß dag öfterreihiihe Gouvernement feine Ariftocratie auch zu fhäsen weiß. Es bat einen febr ein: fachen Grundfag, den es feit Jahrhunderten befolgt. Keine große Samilie gibt ed iu den dfterreichifchen Staaten, von der nicht einige Mitglieder in diefer oder jener Zeit. ibn hiſto— rifche Dienfte geleifter hätten, weil es ſich eben zur Regel macht, Die AYusgezeichnetiten derfels ben vor, allen Andern mit Vertrauen zu beeb: ven und an hohe Poſten zu ftellen.
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Der ganze Rheinbund hatte ſich fchon mehr oder weniger in fich felbft umgewalzt, und dem Napoleon’schen Intereſſe angefchloffen, Preußen aber, geftcehen wir es, fiel bei'm erften Streich; und verdantte vielleicht in Tilfit nur Rußland und Napoleon’s (für ihn ſelbſt fo irrigen) weitern Pläne feine Erhaltung.
Später hat es zwar durch eimen der glor-
Für abfolute Monarcieen kann Fein Prin- cip wohltbätiger feyn. Bei ung findet, in der Praris wenigfteng, g’rade dag Gegentheil ftatr. Große, durd ihre Lage unabhängige Familien werden als folche, mit wenigen Ausnabmen, niche nur nicht mebr als Andere berücdfichtigt, fondern im Gegentheil dem Fleimen, ganz von feinem Gehalt und Poſten abhängigen Adel, wie der ganzen Büreaucratie überhaupt, mac: gelegt, und vom Dienft, ja felbft von der Hauptſtadt eher fern gebalten als angezogen und geſucht; gleichfam als fey man eiferſüch— tig auf ihre größere Gelbftitändigfeit, und rechne fie nur balb zur unterthänigen Volks— familie. Daber bat es ſich denn aud) nad) und nach fo geftalter, daß wir jest in unferem
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reichften Ausnahmsfalle, durch eine Art politifhen Wunders, fich ebenfalls zu ei- nem allgemeinen, hohen Enthufiasmus er- hoben, aber doch erft, nachdem es durd) einen rußifchen Winter, der aus dieſem herz vorgehenden unerhörten Niederlage Frank— reichs, und durch eine rußiſche Hülfsarmee wieder, fo zu jagen, Icbendig gemacht wor— den war. Und dennoch mußten ihm dabei noch drei Dinge zu Hülfe fommen, welche
Staate die abfolute Monarchie mit einer repu: blikaniſchen Adminiftratien vereinigt feben, eine Anomalie, Die fih nur im conftirutionellen Princip wieder zum wahrhaft barmonifchen Ac— cord auflöfen dürfte. GSchen der junge Mira— beau fchrieb die prophetiſchen Worte, als noch an Feine Revolution in Frankreich gedacht wur: de: „.Deja les services arendre à la patrie n’ont presques plus rien de ce que j’ose appeler filiaU et pieux, Le vice des monarchies trop despotiquement eonstituces est de ne point ai- mer les autorifes naturelles.. Bientöt les no- tables n’ont plus rien à faire dans les gou- vernemens absolus, qu’a porter les arınes ou a valeter & la cour.“
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man durchaus nur außere und momentane nennen muß, weil fie nicht immer und zu jeder Zeit wirken koͤnnen — ich meine, bie perfönliche Liebe zu unferm König, bie Schmad) einer unerträglichen fremden Ar- roganz und Bedruͤckung vieler Fahre, und endlih der maͤchtige Magnetismus, der von Friedrich's Leiche noch eim malans feinem Grabe über Preu— Ben ausftrömte! Es ift die Natur ei— nes folhen nachträglichen Enthuſiasmus, daß er nur höchft felten eintritt, und da— ber nie mit Gewißheit auf ihn zu rechnen iſt. Eine wahre, bleibende innere Kraft kann auf ihm nicht begründet werden.
Man müßte alfo, wen man in Preu— Ben eine conftitutionelle Verfaſſung beab- ihtigte, zuerft daran denken: eine neue Ariftoeratie, im der Art, wie ich fie zu fchil- dern verfuht, durch thatiges Eingreifen der Regierung in’s Leben zu rufen; wozu es vicheicht Feine zwecmäßigere und popu—
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larere Spnitiative geben mochte, als, die Prinzen des Foniglichen Haufes, als Mies litair » und Civil-Gouverneure, den Provinz zen vorzufegen, und mit einem Nath der erfahrenften Männer aus allen Standen verfehen, ſpeciell mit diefer Organifirung des neuen Adels zu beauftragen. — Ware dieß gefihehen, fo würde es auch wüns ſchenswerth ſeyn, Diejenigen, welche Tünfz tig zu Pairs des Reichs beftimmt find, zu ihrem wichtigen Berufe ſchon vorher moͤg— lichit heranzubilden. Dazu eignet fich aber die halbe Maßregel der Provinzial-Land— tage mit fo vielen timiden Befchranfungen, wie uns die Theorie fchon hatte lehren koͤnnen, und die Praris genugfam zeigt, nicht hinlaͤnglich — denn auf dem Trock'⸗ nen kann Niemand fchwimmen lernen. Das gegen würden, fo wie man mit großem Erfolg Militairfchulen eingerichtet hat, auch dergleichen für gebor’ne Volfsreprafentanten fowohl, als alle Solche, die für diefen ruhms
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vollen Beruf fih im Voraus auszubilden wünfchen ‚ gewiß die erfprießlichften Dienfte thun. Auch Fonnte man wohl fchon jet die abwechfelnde Zulaſſung eines Theils der Standesherren in den Staatsrath, fo lan- ge wir noch Feine Pairsfammer haben, als eine angemeffene und dem Gouvernement wie den Standesherren, nuͤtzliche Einrich- tung einführen, wenn auch nicht, um dort ſchon Gefeße zu geben, doch um zu lernen, wie man fie gibt. Das Gouvernement würde dadurdy nebenbei etwas fpecieller und weniger einfeitig über manche Bedürfniffe des Landes aufgeflart werden, der bloße Seihäftsfchlendrian der Büreaur würde fogar von Leuten, die im Treiben der Welt und gegen fo viele Fünftliche Schwierigfei- ten anfampfend, lange einen großen Befig zu Dirigiren gewohnt find, vielleicht ei- nen fehr wohlthatigen Smpuls erhalten koͤn⸗ nen, da wirklich fechzigjahriges Actenleſen und Namenunterfchreiben nicht immer g’rade
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zu den oberften Stellen fo gut qualificirt, als ein heller practifcher Kopf, ein im Dranz ge der eig’nen Noth geftählter und feſt ge word’ner Character, und eine noch mehr auf Menfchen » als Gefchaftsfenntniß ges gründete großartige Anficht der Dinge. Sol- che Leute Fünnen freilich nicht von früh bis Abends im Bürcau „büffeln,“ fondern fie find der Meinung des Fürften Kaunitz, der fagte: „daß er lieber wolle, man werfe ihm vor, den ganzen Tag Papierſchnitzel gemacht, als einen Brief nur gefchrieben zu haben, den ein Anderer hätte fchreiben fonnen“ — aber wo e8 gilt, da wiffen fie eine fchnelle und fefte Partie zu ergreifen. Sie regieren nicht nach dem letzten Pofts tage, heute rechts und morgen links, wie wir es in unfern Zeiten fo oft gefeben, fie legen auch nicht die Hände in den Schvoß, und überlaffen es dem lieben Gott, was er in feiner Weisheit ſchicken will, oder der Zungfrau, wie Züles Polignac — fon>
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dern, indem fie Alle, die in ihrem Bereich find, nad) ihren Fähigkeiten zu brauchen wiffen, folgen fie jedoch, nach reiflicher Prüfung, feft und ſtark nur dem einen, für heilfam und nöthig erfannten Princip, ohne Furcht und ohne Schwanfen, fi) durch nichts irre machen laffend, und aud) Keinen für unentbehrlich haltend, der nicht in ihren Sinn eingehen will; zwar zau— dernd und geduldig, wo es Noththut, aber auch wie der Blitz einfchlagend, wo Schnelle und Energie erfordert wird. Gern werden fie den Rath der Verfiändigen hören, die Auskunft der Erfahr’nen verlangen, aber immer felbfiftandig und allein entſchei— den, dabei aber es fo einzurichten wiffen, daß fie nur felten ihr Schiff dem Strome entgegen zu lenken haben, fondern es in feiner Hauptbahn mit der Stromung fienern. Nur wer einen Zweck klar einges fehen und ihn dann will, feft und unab- anderlih, und nichts halbes daneben —
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ohne jedoch mit Eurzfichtiger Pedanterie Al— les über einen Leiſten fchlagen zu wollen, wird vorwärts fommen, jeder Andere macht eben nur Papierſchnitzel, indem er glaubt, Gefchafte zu machen. Ein folher Cha- racter it alfo unendlich wichtiger zum Dirigiren, als alle Gefhäftsroutine der Welt, und in den conftitutionellen Staa: ten bewährte fich oft diefe Lehre, wo fich jo mancher Minifter zeigte, der gleich gez wappnet aus Zupiters Haupte fprang, ohne vorher. je den Staub der Acten gefofter zu haben.
Sb fagte, es würde dem Sclendrian wohl thun, im Staatsrathe durch ein neues Element erfrifcht zu werden, und fich for gar in diefem Elemente vielleicht Talente für den nähern Dienſt des Staates zeiger. Ale der Neuaufgenommenen aber würden in diefer Verfammlung wenigftens, indem fie ſich für’s erfte fchweigend unterrichteten,
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ſelbſt Verſtaͤndniß, Antheil und endlich Fa- higfeit zu dem ihnen beftimmten Wirfungs- freife erlangen; Eigenfchaften, die ihnen bet dem dermaligen Stande der Dinge in der Regel für immer fremd bleiben müf fen, und alfo auch jeßt noch abgehen, fo wie alles Talent der Rede, "welches fpater bier ebenfalls Gelegenheit Beamer Ue⸗ bung finden wuͤrde.
Stoͤrend kann aber die Zalaſung der qualificirteſten Standesherren in den Staats— rath der guten Sache in Feiner Art wer— den, wenn gleich hie und da unbequem für Einige, gewiß nicht für Die, welche dafelbit die erften Stellen einnehmen, und unter Denen wir fo manche hochft würdige Männer zahlen. Ein fich zeigender Mans gel an Intelligenz würde dort ohne Zwei— fel augenblidlih zum Schweigen gebracht, ein Zufluß von Talent und Gente aber, wenn er fich finden follte, doch wohl nicht
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als fehadliche Contrebande angefehen wer: den Fünnen.
Ich glaube jest meine politifchen An— ſichten, infofern fie uns ‚betreffen, deutlich, wenn auch nur Furz und in den Haupts puncten entwicelt zu haben. Sehr wohl weiß ich indeffen, daß von Theorieen zur Praxis überzugehen ein ganz anderes, tau- fendmal ſchwierigeres Gapitel it. Es ge hören dazu mancherlei große Eigenfchaften, und dieſer und jener alte Practiker (heißt oft auch nur Uetenfchreiber ), wird daher alles bisher Gefagte vielleicht nur für eine Viſion anſehen. Ich will die dahin ge ftellt feyn laffen. Mir war es darum zu thun, ich leugne es gar nicht, auch ein- mal meine individuelle Anficht frei auszu— fprechen. Der Leſer mag fie prüfen — un:
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möglich fcheint mir die Ausführung eben fo wenig, als unzeitgemäß.
In diefem Sinne nun fiy c$ mir jeßt erlaubt, noch einen Schritt in meiner Bi— fion weiter zu gehen. Man hat oft, und ich glaube mit vollfommenem Recht ge fagt, daß wir Preußen factifch einer grö- Fern Freiheit als die Franzofen genießen, Iſt dieß alfo wahr, fo wird cs mir wohl eben fo gut, als dem gemäßigten Lamar— tine in der frangofifchen Deputirtenfanımer, auch bier erlaubt feyn, cin crreichbares Utopien für unfere jegige Lage aufzuftel- len, wobei ich auch darin feiner Meinung beiftimme, daß alle großartigen Neuerun— gen, che fie in's Leben treten Fonnen, im: mer ein utopifches Anfchen haben müffen.
Indem ich alfo hier befonders auf mein gewähltes Motto an der Epige dieſes Auf: fatses hinweise, werde ich herzhaft ausipre den, was ich, wäre ic) dazu berufen, zu
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der Ausführung meiner Plane vorfchlagen würde.
Meiner Meinung nach würde man das mit anfangen müffen, fucceffive Verord— nungen, ungefähr folgenden Inhalts, erge— hen zu laflen:
Der König, Fonnte man mit vollfommes nem Nechte fagen, bat feinem Volke eine Conſtitution verfprochen, und wenn dieſes Berfprechen bis jeßt noch nicht realifirt wurde, fo geſchah dieß bloß aus dem Grunde, weil die Zeit der dazu wefentlic) nöthigen Vorbereitungen noch nicht abge— laufen, und hier nichts fchadlicher als Ueber— eilung ſey.
Vieles ſey unterdeſſen aber ſchon gereift, die voͤllige Emancipation des Bauernſtan— des ihrem Ende nahe, und mehrere, dieß Gefchaft erleichternde, weniger koſtſpielig machende, und zugleich in der Ausfuͤhrung beſchleunigende Modificationen wuͤrden eben berathen.
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Die definitive Fefttellung der Commu— nalordnung (bei welcher leßtern auf die zu ihrer Erhaltung unerläßliche Autorität der Grundbefiger wohl Rüdficht zu nehmen feyn möchte), fehreite ebenfalls, wie au die fo dringende Revifion des Landrechts und der Hypothekengeſetze, rüftig vor.
Die bisher angeordneten Iandftändifchen Berfammlungen hätten ihrem proviſori— ſchen Zweck entfprochen, und bei allen Ständen den Sinn für reprafentative Ver— faffung gefcharft, die Theilnahme eines Jeden am Wohle des Allgemeinen immer mehr erweckt, und zu dem dereinftigen ho; ben Wirfungsfreife beffer vorbereitet.
So viel ſey gethan, aber höchft Wich— tiges bleibe noch zu thun uͤbrig. Da— hin gehoͤre vor Allem die Bildung einer kraͤftigen, auf großen Grundbeſitz baſirten, ſo viel als moͤglich unabhaͤngig geſtellten, und Jedem im Volke zugaͤnglichen Ariſto— cratie, ohne welche keine conſtitutionelle
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Monarchie auf die! Dauer zu beſtehen im Stande fey. "Deren Hervorrufung "aus der Nation Fonne aber nicht ohne einige Meinungsopfer der Privaten, namentlich des (fogenannten) Adels, wie er jest be fünde, ſtatt finden, indem der Fünftige Adel des Landes ganz anders als der bie herige organifirt werden müffe, um, was er eben jetzt leider nicht mehr hinlänglich fey, wolfsthümlich, hochgeachtet und nuͤtzlich zu werden.
Nur die Pairs oder Standesherren wür den in Zukunft Diefen Adel, die neue AHriftocratie bilder, alle übrige jetzt beftehenden Geburtstitel aber von den jetzi⸗ gen Inhabern zwar bis an ihren Tod bei— behalten werden Fonnen, jedoch nach wie vor nur Titel bleiben, und Teine Rechte verleihen‘, fih aud) auf die Nachfommen nicht mehr fortzupflanzen fahig feyn. Da— gegen (koͤnnte man für die Schwachen hin« zufeßen) werde es fortan jedem preußifchen
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Unterthan geſtattet feyn, ſich wie in Oeſter— reich, wo man Sidermann Ew. Gnaden titulire,, das Woͤrtchen „von“ beliebig beiz oder abzulegen, wenn er. fi ohne daßelbe nicht beruhigen Tonne.
Bon allen Mitgliedern einer“ Familie, die ein Majorat befist, Fonne aber nur der Majorats- und Standesherr den an feinem Befiße haftenden Tirel allein führen, und feine Söhne oder nachften Anverwand— ten nur Darm einen ahnlichen, wenn meh— rere Majorate in derfelben Familie von verfhiedenen Graden beftünden. Alle übriz gen Kinder und Verwandte der Majorats: beſitzer müßten inden Bürgerftand zu rücdtreten, aus dem ſie früher auch alle ausgegangen wären.
Als Norm für die zu ftiftenden Majos rate werde feftgefeßt: daß ein Fürft, deſſen Gütercompler man den Nanıen „Fürften- thum“ beilege, daraus wenigftens einen reinen Ertrag von 50,090 Thlr. beziehe,
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cin Graf aus. ſeiner Grafſchaft 45,909, ein Baron aus ſeiner Baronie 40,009, Thlr; Jedoch werde nachgegeben, daß nm nicht zu viel koſtbare Zeit zw verlieren, ein folz cher Grundbeſitz, wenn er auch jetzt ver⸗ ſchuldet ſey, und daher fuͤr den Augenblick die ſtipulirte reine Revenuͤe dem Inhaber nicht mehr gewaͤhre, dennoch zu einem Ma: jorate erhoben werden duͤrfe, aber nur um ter folgenden Dr dingungen}, Bee N 4) daß: die- Schulden ‚nach, landſchaftlichen (sum Theil vielleicht etwas ‚nach der, Localitãt beſſer motibirten) Tarprin⸗ cipien nicht die aha des N überfttegen, J 2) fogleich, bei Stiftung, des 5 eine jährliche geficherte ſucceſive Ab⸗ Zzahlung der Schulden eintrete, fo daß im einer vorher genau. zu, beftimmenz den Zeit: ders ganze Beſitz jedenfalls ſchuldenftei ſeyn můſſe t f
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Die Standesherren, bloß aus den genann⸗ ten! drei Elaſſen beſtehend,/ deren erſten ößne Ausnahme "die, Beueunung Durchlaucht, der zweiten Erlaucht, und der der dritten Standesherrlichkeit Noder Herrlichkeit er— theilt werde/ ſollten unter ſich den reſpeeti— ven Rangihres Standes) ——— Wer tum’ * Ernennung rar
—A m dadsı. yin1ol
*) Hierbei möchte man N —*— bon alten, ſich abchdaus der kurfürſtlichen Zeit 3 ichreibenden, „und in der damaligen Abhängig: keit vom Reiche begründeren, Prineipe 3 ‚abgeben, das dem *1 — ——— Aei ei⸗ sein höbern Safer preußiſchen zutheilt.
Seit Preußen ſelbſt eine große, amd mächtige Monarchie geworden ift, ſteht es ihren exr⸗ ſchern oo —28 — Abei RIES bei\Echaffangleinerichenen —— nicht im, eigenen ‚Lande, geringer, zu Shägen, als den fremden,‘ wie dieß ohnehin, längit ‚ale andern jerbfiftändigen Nationen thin?‘ np
Die Auſicht, welherman dem entgegen geſetz⸗ ten Verfahren bei uns, zum, Grunde, lege, ift wirklich feltfam. Man jagt, fie fey bifterifch. Abgerechnet, Daß, wie Gang fehr richtig bemerft,
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Im Uebrigen würden die Standesherren, welche für die höchften Neprafentanten der
es lächerlich fey, auf das Hiftorifche im preußi— fhen Staat etwas zu gründen, da im Grunde feine ganze Hiftorie von Friedrich dem Großen ausgehbe, und es fich feine eigentliche Hiftorie erft in der Zukunft fuhen müſſe — kann aud am Ende hiftorifch handeln nur heigen: zeitge— mäß, in Folge des Vergangenen handeln, aber nicht, fich von ehemaligen Zuftanden und Mo- tiven, die nicht mehr paſſen, auch heute noch ohne Noch feſſeln zu laſſen. Wird ſich etwa der König von Preußen geringer ſchätzen, als die Könige von Schweden und Dänemarf, weit diefe Jahrhunderte lang ſchon als unum— ſchränkte Könige in Europa berrfchten, wahrend die Markgrafen und Kurfürften von Branden— burg noh vom Reiche und Kaifer abhängige Sürften waren? Eben fo verhält es fih im fleineren Maßftabe zum Theil mit dem hohen Adel der jesigen Monarchie, der zwar nicht deutfch:reichgzunmiftelbar war, fo fange deut: fcher Kaifer und deutfcheg Reich eriftirte, aber im Wefentlichen oft faft gleiche und noch aus— gezeichnetere Rechte im Vaterlande befaß, jest aber, wo die Herrſcher des Landes ſelbſt eine der erften unabhängigen Hauptmächte Eure:
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Nation gelten, als foldye auch den Bor: rang über alle Nichtadelige haben, es moͤch—
pa's repräfentiven, zur eigenen Glorie dieſer, nicht mehr dem Schatten eined fremden Adels, deren Prärogativen längit de facto aufgebort baben, nacfteben foltte. Iſt es nicht ſeltſam, daß z. B. einigen Fürften in Preußen, deßwe— gen, weil fie von Friedrich dem Großen, vder dem jebigen König dazu ernannt find, der Ti: tet Durchlaucht im Vaterlande von den Bebör— den nicht gegeben werden foll, wäbrend man ibn doc allen denen, die früher zu fogenannten reichsunmittelbaren Familien auc mit geringes ren Titeln gebörten, gewährt, ja ibn auch felbft den von fremden Ländern erft acquirirten Für: ften, wie ſchwediſchen und polnischen, beide überdieß von febr neuer Creation, zugeftanden bat, die Fürften preußifcher Creirung Dagegen mit dem ganz außer Gebrauh gefommenen Titel Fürftlihe Gnaden gewilfermaßen unter jene vangirt. Es bat überdem Klüber und Andere auch fattlam nachgewiefen, daß die mei: ſten großen Adeldfamilien Deutſchlands voll: fommen der Sache nach diefelben Anfprüche baben, ala die, welche fich allein im Beſitz fol: cher Güter befanden, die ibnen einen Sitz auf der Fürſten- Grafen: oder Ritterbanf ertheilten.
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ten, diefelben auch ein noch ſo wichtiges Amt oder, Miltteirrang bekleiden; denn
Friedrich der Große betrachtete die Sache ganz verſchieden. Er gad oft den von ibm creirten Fürften, fetbit in der Auffchrift feiner Briefe, den Titel Durchlaucht oder Liebden, und nannte fie immer Berter, wobl wiſſend, daß der Geber einer Gunft fich nur feloft Dadurch boch ſtellt, wenn er feiner eigenen Gabe auch hohen Werth beilegt.
In der That iſt es ſchwer, irgend einen hin— reichenden Grund aufzufinden, warum Preußen feinen eigenen Adel um fo viel geringer ſchä— ben follte, ald fremden, es müßte denn. der feyn, daß Leute von großem Eredit dafelbit zu einer früber reich&zunmitrelbaren Familie gebört und deßbalb ibren Einfluß geltend gemacht ba: ben, Familien diefer Art ein böheres Vorzugs— recht einräumen zu fallen, als fie bei ung bil: ig baben foltten. Patriotiſch und preußifch iſt dieg aber ganz gewiß nicht, und folglih auch nicht bifterifch, im ächten Einne des Worte, denn ich wiederbofe ed: nicht am Alten zu kle— ben, fondern von der Gefchichte Lehre für die faufende Zeit anzunehmen, ift biftorifch.
Sch glaube, die Eache wurde im Staatsmi— niſterio discutirt, und einige Einwendungen
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wolle der König Verdienft belohnen, fo ſtehe es ihm immer frei," wen er’ für gut finde, zum Pair zu erheben, und ihn nah Maß— gabe des ertheilten Titels wo nöthig zu dotiren. Das Amt allein aber koͤnne nur Wirkungskreis und Macht geben, nicht) abernein Diener der Nation, als ſol⸗ her den Vorrang über die höchften Re— praͤſentanten diefer Nation fe J einnehmen,
in, dem von mir angegebenen Sinne gemacht. Die, „Biftorifche“ Anficht aber prävalirte, und 28 blieb dabei: daß die Fürſten „ preußifcher Creation, die früher weder reihsunmittelbar noch Schweden oder Polen, gewefen, ‚fih mit dem ‚geringeren Pradicat begnügen müßten. ,
Nun glaube ic) zwar, daß jeder, vernünftige Mann auf Titel überhaupt heutzutage. nicht allzubiet mehr gibt, und ihre faſt lächerlich ge— wordene Eeite in. unfern Seiten ſehr wohl ein⸗ fiebt, man läßt fich ‚aber in nichte, auch im Ge: ringfügigften nicht, gerin gegen Andere feines: gleichen willkührlich zurückſetzen, und iſt auch, um bei "dem ‚gewählten Beiſpiel fteben ‚zu blei⸗ ben, die ‚Benennung Durchlaucht eigentlich für alle Fuͤrſten zu vfef, die nicht Souveraine find
—
ECEs iſt gewiß eine ſehr weiſe Einrichtung, daß in England nur die Pairſchaft Rang gibt, denn die Pairſchaft ſtammt aus der Nation, iſt ihr erſter Repraͤſentant, die Be⸗ amtſchaft iſt eine "bloße koͤnigliche Gnade amd Charge. "Manches Amt bringt es mit fie), "daß es die größte temporaire? Macht im Staate haben muß, in fie wi =
I; rt.
NG, 1; 11190
— hatten ihn ja nicht einmiat die Kurfürs ften), "fo" muß man | doch! bedenken,’ daß auch ſämmtliche andere Titel dermaßen herauf ges ſchraubt worden find, daß felbit.in, den gewöhnz lichften bürgerlichen Berhälmifen man unter andern ſchon jetzt Sedermann, der nich betteln geht, Hochwohlgehoren titulirt. Ueberdem hat das Prädicat Fürſtliche Gnaden etwas ‚io Ser: olles uͤnd Unzeitgemaßes, daß im gemeinen te: ben dennoch over / wäre es auch nur um Ben Mund weniger voll nehmen; zu, müſſen, jeden, deutſchen Furſten Durchlaucht titulirt, die Meu— preußiſchen aber dadurch in die unangenedine Nothwendigkeit verfegt find, enriveder fortwähs rend rechts und links zu erklären, dieß gebühre, ihnen. nicht, oder „ungefähr das zu werden, was man eitte Bedientenercefen; enden? 7,7
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ſo umfaſſend, der Wille des Königs Fann fie jeden Augenblid aufhören laffen. Nicht fo- die Pairſchaft, welche nur das Geſetz oder der Tod dem Individuo rauben kaum Es gebührt ihm alfo in jeder Hinſicht ein höherer Rang, als irgend einem. Beamten, weshalb. in England auch der letzte Baron und. Pairs den allmaͤchtigen Premier Mir nijter wie dem ruhmvollſten Feldmarfhall vorausgeht. Es iſt aber, dieß nicht al- lein in der. Natur der Sache ſo analog als billig, fondern auch höchft zweckmaͤßig, weil dadurch der Maͤchtige, der fo gern ſich zu überbeben ‚geneigt ift, täglid daran er— innert wird, daß es aud) außer dem König noch etwas über ihm gibt, nämlich, die Nation, repraͤſentirt durch die Pairs, denen er in ihrer natiomellen feineswegs per ſoͤnlichen Würde nachitehen muß, wenn er auch in allen andern Verhaltniffen ſie zu regieren, ja im Namen des Königs ihnen zu befchlen befugt iſt. Dieß wirft. als ein.
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vortreffliches Correctionsmittel gegen Beam tenfiolz, den unertraͤglichſten und gefabrlichz ften von allen, weil er eben ftets mit der Macht vercint einherfchreitet.)
Alle Standesherren würden, bis zum Eintritt der Conjtitution, und mit ihr einer Bairsfammer, fobald fie ihre Volljährigkeit erreicht, in einer gewiffen Zahl, abwechfelnd den Sitzungen des Staatsrathes beizuwoh— nem das Recht haben.
Ueber alle Berugniffe der Pairs unter conftitutioneller Verfaſſung werde fpater bet Ertheilung diefer Conſtitution beftinzmt, bei der Communalordnung aber fchon früher ihre DBerhaltaiffe zu den Einwohnern ihrer Beſitzungen feftgefeßt werden.
Alle bisherige Adelsprarogativen, in for fern fie nicht in die neue Ariftocratie über: gingen, hörten auf, dagegen würde bei Eins führung und Negulirung der Communal— ordnung darauf Nücjicht genommen werden, den Gutsbeſitzern diejenigen localen Autos
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ritätsrechte zu fichern, ohne welche fie nicht beftehen Fonnten, welche jedod) nur an dem Gutsbeſitze, nie am der Perfon haften Fünnte, Gewöhnliche Gutsbefißer, die nicht zur Ari- fiocratie gehörten, koͤnnten nach wie vor ganz frei über ihr Eigenthum den beſtehen⸗ den Gefegen gemäß verfügen, weil, fobald dem Staate einmal das nöthige Erhaltungs- princip durch die neue Ariftocratie gegeben fey, e8 weder als politifch noch zweckmaͤßig angefehen werden koͤnne, allen Grundbefiz durch Feine unnüge Majoratsſtiftungen ei⸗ fern zu madıen,
Die Inhaber von Ordenszeichen würden, nach) des Königs Beſtimmung, auch tin Zu- funft nach wie vor Nitter heißen, jedoch ohne weitere als Ehrenrechte damit zu ver- binden.
Um Diefe neuen Maßregeln zu befchleus nigen, und die nöthigen Organifirungen uns verzüglich vorzunehmen, werde der König (Fönnte man in meinem Traume fortfahren),
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in fanmtlichen Hauptprovinzen des Reichs, Prinzen feines-Haufes als feine Lieutenants mit der höchften Eivil- und Militair-Muto- rität befleidet fenden, deren Snftruction int Sinne des Vorhergehenden ausgefertigt worz dem fen, welche unmittelbar an Seine Mar jeftat berichten würden, und welche die Na— tion als die beften Bürgen von des Königs päterlicher Fürforge, und als das würdigfte und parteilofefte Organ zwifchen ihm und ihr anfehen Fonne,
Eine ſolche, allerdings außergewöhnliche Maßregel müßte, fo Fühn fie ſcheint, den- noch meiner Ueberzeugung nach), in Kurzem zu dem erwünfchteften Ziele führen, würde ſich hoͤchſt wahrfheinlich des Beifalls der allgemeinen Meinung fehr bald zu erfreuen haben, und ftatt des jeßt verhaßten Adels
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eine populaire Arijtocratte Schaffen; dabei aber ohne gewaltfame Mittel mit einem Schlage die Büreaucratie, den gefährlichften Feind aller Elaffen, gleih einem electrifchen Aal, dem man die Elcctricitat abgezogen bat, ihrer fchadlichen Kräfte berauben, und fie in die ihr angemeffenen Schranken auf immer zurücweifen — ein Zuftand, den die Beſſern und Klügften aus ihrer Mitte felbit wünfchen, da Ertreme doch zuleist immer untergehen müffen, diefer Untergang aber dann oft tragisch wird *).
Auch die Vernünftigen unter dem Adel würden wohl entgegen fommen, da ihr wahrer Vortheil es erheifcht, denn unr auf dem angegebenen Wege Tonnen Familien von hiſtoriſchen Namen, die jest verzettelt
*) Sch erinnere bier an die Worte Steine: „Eine Maſchinerie fab ich falfen den 14. October „1306, vielleicht wırd auch die Schreibmafchinerie „ihren 14. October haben!“
u _ und gering gefchaßt umher vegetiren, und um das liebe Brod dienen müffen — im Fall fie zufammen noch Vermögen genug dazu befaßen, oder hoch verdienfivolle Mit glieder unter fich zahlen, die auf eine be fondere Beruͤckſichtigung des Staates Ans wartfshaft hatten — wieder ein neues, fefter begründetes Anfehen erhalten, wenn fie freis willig zufammentreten, um Einen aus ihrer Mitte zum ftandesherrlichen Reprafens tanten zu dotiren. Hier würden aud Falle eintreten, wo, um folche geehrte Namen nicht untergehen zu laffen, der Koͤ— nig in feiner Gnade durch Verleihung eis niger Domainen, die ohnehin bei den jetzi— gen Zeiten jo wenig einbringen, und Durch ihre zweckwidrige, fchon der Natur der Sa— che nad) ungünftige Adminiftration, den Gutsnachbarn oft zum Gefpdtte dienen, dem Rande eine Wohlthat erzeigen Fünnte, die unendlid, mehr Nußen fihaffen würde, als die einzelnen baaren Geldunterftügungen an
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fo viele banquerotte Gutsbefiger, deren Quelle die edle Großmuth unfers Könige iſt, die aber dennoch Keinen folid wieder bergejtellt haben. Aehnliches würde auch auf Koften der Nation für Hochverdiente Männer bürgerlicher oder ad’liger Abkunft ſpaͤter ftatt finden fünnen.
Die ganz armen Titelinhaber, die es nicht möglich zu machen wüßten, weder durch Befiß noch Verdienft, im neuen Adel wieder aufzuleben, würden freilich gutwillig ein fo leichtes Opfer bringen muͤſ— fen, und koͤnnten nur falfchlich über Zuruͤck⸗ feßung und Ungerechtigkeit Flagen, wo ih nen im Gegentheil eine wahre Erleichterung gegeben, und es ihnen allein möglich ge macht würde, für ſich und ihre Kinder in die Claffe der nüßlihen und geachte— ten Staatsbürger, auf jeder Stufe der- felben eintreten zu koͤnnen, ja felbit des Handwerks gold’nen Boden fuchen zu dür- fen, wenn ihnen nichts anders mehr übrig
—
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bliebe; ftatt jeßt ald pauvres honteux, und nur zu oft als Speichelleder der reichen Bürger, ein elendes Leben zwifchen nicht refpectirten Anfprüchen und reellem Mangel zu friften.
Man konnte mir noch entgegnen, dag durch die Ausführung folcher Plane Privat: rechten zu nahe getreten würde. Darauf erwiedere ich bloß, daß, wo dieſes ohnehin ſchon fo vielfach gefchehen tft, wo, wie bei ung, z. B. durch die Regulirung der bauer» lichen Verhaͤltniſſe, durch die vorhergegangene Freigebung des Bauernſtandes ohne alle Entfhadigung der Berheiligten, Durch die Aufhebung der Adelsſtifte, Klöfter ꝛc. x. mit höchft geringer und nur lebenslanglicher Entichadigung, Alles aber immer mit Rüds fiht auf das allgemeine Beſte und fogar mit Billigung der Mehrheit — man ſich num auch nicht fcheuen dürfe, noch einen Schritt weiter zu gehen, und aud) einen leeren Zitel zu caffıren, um das Ganze zu
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vollenden, und für lange Zeiten zu confoliz diren.
Die Furchtſamen und Peinlichen werden freilich alle davor erſchrecken, aber Furcht— ſame und Peinliche ſind jetzt eben nicht mehr zeitgemaͤß, und der raſche kuͤhne Gang einer ſolchen Zeit fordert auch kuͤhne und raſche, obgleich keineswegs uͤbereilte Schrei— ter, um ihr nicht nur nachzukommen, ſon— dern ihr ſelbſt vorzugehen, wo es ſeyn muß.
Wer alſo mit dem hier Verhandelten in der Hauptſache einverſtanden iſt, d. h. wer ſich mit mir fuͤr uͤberzeugt haͤlt, daß wir uns mit ganz Europa in einer bedenklichen Lage befinden, und daß nur eine conſtitu— tionelle Verfaſſung mit einer ſtarken Ariſto— cratie den Thron und uns in der Zukunft gezen alle Greuel und Zerſtoͤrungen der Anar— chie vollig ſichern koͤnne, der follte auch durch Wort und That die Hand an's Werk legen, einen fo wohlthätigen Zweck zu foͤr—
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dern, fo weit nur das Geſetz und fein Wir: fungsfreis es ihm geftattet. Der Adel biete gern, und von felbit, die verlangten unbedeu— tenden Opfer an, um aus dem jegigen Chaos wenigitens in einigen feiner Mitglieder fünfz tig größer, reicher und volfsthümlicher wieder heroorzugehen, und der verftändige Bürger, der friedliche Eigenthümer bedenfe, daß auch ihm Ruhe und Sicherheit nur auf diefem Mege verbürgt werden Fünnen; daß aber ein Adel, deſſen Mitglieder täglich in den Schooß des Bürgertbums zurücdtreten, und zu deffen Höhe wiederum auch jeder Bürger Durch Verdienft emporzufteigen fahig ift, Fein Gegenftand feiner Eifer ſucht mehr, fondern nur feines gerechteften und vernimftgemaßeften Stolzes, wie in jeder Hinficht feines wohlverftandenften In— tereffes feyn Fonne. Denn eine folche Ari— ftoeratie, wie ich fie aufgejtellt, wird noc) außer ihrem fpeciell politifchen Nugen, auch Tutti Frutti V. 7
„Age
von höchfter Wichtigkeit für die große Mehr: zahl des Volfs, für die gewerbtreibenden, arbeitenden Claſſen werden. Sie verbürgt ihnen einen ficherern, andauernderen, ‚grüße: ren Erwerb dur einen fih immer gleich) bleibenden Luxus, den der ewig wechfelnde Reichthum der Banauiers und Geldfpecu- lanten, wie die Anwendung ihrer Gapitalien auf immer neuen Erwerb in Papierform febr ungewiß und precair machen. Man mag über ein folches Motiv zur Anpreifung der Ariftocratie fpotten fo viel man will, es it dennoch fehr reell, und ein veredelter Luxus nichts weniger als ein Uebel im Staate. Durdy nichts aber wird er ficherer hervorgerufen, und wohlthätiger geordnet, als durch eine glücklich geordnete Ariſtocra— tie. Dieß wiffen die arbeitenden Claſſen in England fehr gut, und find daher dem dortigen Adel mehr als in irgend einem andern Lande ergeben, bloß aus dem natürs lien Grunde, weil fie von ihm mehr reel-
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len Nußen ziehen, und vermöge feiner Stel- lung ziehen müffen, als ihres Gleichen in andern Ländern, wo Feine fo feſt begründere mächtige Claſſe eriftirt.
Kunft und Wilfenfchaft, um die ſich be: Faunslich die Geldlente wenig befümmern, außer wo ihnen die leßte etwa g’rade zu beff'rem Erwerbe nuͤtzt, und mit der erjten ſich Anſehen zu verfchaffen ift, werden ſich ebenfalls eines ſich ſtets gleich bleibenden Schutzes von einer reichen. Ariftocratie zu erfreuen haben, ware es auch nur, weil der edelfte und hoͤchſte Lurus eben nur durch ihre Huͤlfe erreicht werden fann. Mo aber hohes Anſehen und großer Reichthum lange in einer Familie einheimifch find, und das gewöhnliche Wohlleben eine Alltäglichfeit ift, nimmt der Lurus immer nach und nad) jenen edleren und höheren Character von felbft an, und geht, als Beifpiel wirfend, auf die übrigen mehr wechfelnden Reichen,
— —
wentgftens Als Nahäffung über, die den Künften immer wieder Vortheit bringe — denn auch der duͤmmſte Neiche kann dem größten Künftler Gelegenheit zu Entwicke— fung und Ruhm geben — da aber, wo feine Tonangebende Ariftocratie das Vorbild gibt, findet gewöhnlich eine viel gemeinere, veränderliche und ungewiffere Geldanwen— dung ftatt. Dbgleich das engliſche Volk feiner Nationalität nach, im Grunde wenig Achten Kunftfiun beſitzt, fieht man doc) da- felbit faft Feinen Edelmann, der nicht die bedeutendften Künftler befchäftigte, und kei— nen Palaft der Großen, der nicht Schäße der Kunſt, zumeilen von unfchaßbarem Werth und außerordentlicher Anzahl beherbergte. Mas fehen wir dagegen bet uns? Ent weder Mangel aller Kunft aus Armuth, oder eine Geldverfehwendung, die nur auf Dinge gerichter ift, welche Fein Andenken zurück laffen. Der Hof, die Prinzen allem, font äußerft Wenige, thun etwas Bedeu:
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tendes für Kunft und Wiffenfchaft. Man bereife die Schlöffer der jeßigen Vornehmen und emporgefommenem Reichen, man fehe ihre Hötels in. der Stadt —' das Xeithetifche ift dort ein unbekanntes Element, fte haben fi) nicht einmal zum Geſchmackvollen und zum Comfort erhoben.
Eine große Vertheilung des Vermoͤ⸗ gens iſt einer Nation auf der einem’ Seite fehr wuͤnſchenswerth, fobald nur dafür ge forgt ift, daß auf der andern Seite auch große Maffen deffelben für immer com- pact bleiben. ' Dann nur entſteht ein wohlthätiges Gleichgewicht, Wo Alles ber weglich und veränderlich iſt, gibt es Feine Ruhe noch Halt: Wo Alles feſtſteht, er folgt Erſtarrung. Ein Zuſtand, der beide Uebel aufloͤſſt und verſchmilzt, iſt alſo der gluͤckliche, und findet ſich vollſtändig da, wo eine freie bewegliche Mehrzahl mit dem feſten Kern einer großen Ariſtocratie vers bunden tft.
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Diefe aber nur in Gelde oder Verdienſt zu fuchen, iſt hauptfachlich deßhalb eine Thorheit, weil fie dann eben der Hauptfas che, der Stetigkeit ermangelt.
Sch wiederhole dieß fortwährend , denn gewiffe Wahrheiten koͤnnen nicht oft genng ausgefprochen, nicht genug von allen Seiten beleuchtet werden, befonders, wenn fo all gemein durch Wort und Sachverwechſelung ein hartnädiges ungerechtes Vorurtheil gez ger fie beftcht.
Endlich wird jeder Unbefangene einfchen, daß ich durch mein Syſtem auch keineswegs das Talent unterdrüden, und Geld und Guͤterbeſitz darüber ftellen wolle, obgleich zu meiner ‚größten Verwunderung Einige, die diefen Auffaß lafen, meine Meinung fehr irrig fo ausgelegt haben. Mit geringem Nachdenken wird man im Gegentheil daraus abnehmen Fonnen: daß ich durch eine Vers faffung, wie die hier vorgefchlagene, g’rade dem perfönlichen Talent noch eine größere
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Belohnung und einen, wenn aud) begraͤnzten, doch eben deßhalb edleren, und vor Allem fiberern Wirfungsfreis verfchafft wiffen mill, als es, mit wenigen Ausnahmen, je bei uns gehabt hat.
Sobald die Conftitution in's Leben traͤte, müßte die bei weitem größere Maffe des vorhandenen Talents ſich nothwendigerweiſe in der Deputirtenfammer zufammen finden, und viel weniger davon würde, mie die Sachen jeßt ſtehen, wahrfcbemlih in die Pairskammer gelangen, weiche auch deffen, mern fie nur gehörig auf den noch fefter ftebenden Halt des großer Grundbeſitzes und des daraus entſpringenden natürlichen Intereſſes baſirt tft, weniger Bedarf; denn von ihr wird das Auffinden des Fehler— baften und das Ausdenfen des Neuen, wozu der meifte Geiſt gehört, nicht verlangt, fondern nur der gefunde aufgeflarte Sinn, der das ausführbare Gute vom chimaͤriſchen, das practifch Anwendbare vom bloß theore:
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tifch Glaͤnzenden zu unterfcheiden weiß, und daher auch fogleih für die Regierung in allen den Fallen eine hoͤchſt nöthige Stuͤtze abgeben wird, wo das debordirende, demo— cratifche Princip der Deputirtenfammer, wie wohl zu vermuthen fteht, ihr von vorn herein Gewalt anzuthun geneigt feyn möchte.
Es ift num ganz natuͤrlich, daß ausge zeichnete Männer, die fich als foldye in der Deputirtenfammer zeigen. und bewähren, ebeu durch diefes ihr Genie ficher feyn koͤn— nen, ſich bald demit einen Weg in’s Mi: nifterium des Landes (wo große Gunſt oder Aneiennität allein, dann kaum mehr hin: führen kann) und endlidy in tie Mitte der Ariſtocratie felbft zu bahnen; bei welcher Letztern Elemente dieſer Art immer ſehr willkommen ſeyn werden, wenn ihre große Menge auch dort, wie geſagt, nicht jo un: umganglih noͤthig iſt. Eine foldhe, Erhö- bung muß. aber in einem confiiturionellen Staate, wo der Adel als feftefte Stüße der
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Nation organifirt, und als die höchite Staf- fel ihres eignen Glanzes und Ruh mes angefehen wird, aud) die fchönfte Per: fpeetive für Jeden, wie zugleich die foli- dDefte Belohnung für Talent und Verdienft feyn. Gibt es hingegen Feine Pairskam— mer, oder nur eine fogenannte mit lee rem Tirel, fo ift die Aufnahme in diefelbe weder mehr ein reizendes Ziel noch eine Belohnung, und das Talent, welches feine Kräfte fühlt, und fie, Fofte es was es wolle, üben will, macht den, welcher es beſitzt, wie wir es in Frankreich fo oft gefehen, zum bloßen Volkstribun und Revolutionair, wel- cher, wenn es gut gebt, eine Furze Zeit der Volfs- und Pobelmann bleibt, dann vielleicht, wie Benjamin Conſtant por Kum— mer darüber ftirbt, daß ihm alle feine Po— pularität doch nicht nad) Verdienft geholfen, und zuletzt ein ſchoͤnes Begraͤbniß erhalt — gebt es aber fchlecht, wohl früher ſchon auf dem Schaffot endet.
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Nur eine todte Ariftocratie alfo, die einers feits ohne gehörige Dotationen und Nach— druck, oder and’rerfeits nicht SGedem aus der Nation zugänglich wäre, würde eine Ungerechtigkeit gegen das Talent, eine Hin- derung deffelben , folglich auch hemmend für wahre Civilifation ſeyn, wie es jeht auch unfer Adel wirfli ift — eine mit allen Lebensfeimen ausgeftattete conſtitutio— nelle Ariftocratie ift aber nur ein Bürger: Inſtitut wie jedes andere, und eben fo ſehr würdiges Ziel und Belohnung des Ge- nies, ald das unerfchütterlichite Fundament des Staates, auf deffen fiherem Bo den allein dem Beweglichen zu je der Zeit der wuͤnſchenswerthe frete Spielraum gegeben werden kann, der ohne diefes Fundament nie ge fabrlos zu geftatten tft.
Es wäre wohl eine würdige Aufgabe für unfere Stande, einer fo ernften und wichti- gen Materie ihre Yufmerffamfeit zu leihen,
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und wenn fie zu einer gleichen Anftcht darz über gelangen Fonnten, ſie raftlos auszus fprechen, ja zu den Füßen des Throns nie derzulegen, um das Gouvernement zu überz zeugen, daß eine Adelsreform, eins der groͤßten Bedärfniffe Preußens! eben fo ausführbar als mwünfchenswerth ſey, und dag es nicht zu befürchten habe, dabei auf Schwierigkeiten zu ftoßen, die nur ohne die Hülfe eines bedeutenden Uebergewichts in der Öffentlichen Meinung als unbeftegbar erscheinen dürften.
Es würde ſchon eine große Belohnung meines ſchwachen Beftrebens, die böchite Freude für mem, vom innigſten Vatrtotis- mus durcbdrungenes Herz feyn, wenn Die vor— leg nden Zeilen nur talentvolleren und erfahr: neren Männern, als ich bin, Anlaß gaben, daßelbe Thema gehaltvoller und aründlicher, aber auch eben fo offen, zu entwickeln, und ibm dadurch ein allgemeines Intereſſe bei
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allen Standen zu verfchaffen, was es mir in hohem Grade zu verdienen fcheint. Geſchaͤhe dieß aber auch nicht, fo ift es dennoch unter den heutigen Conjuncturen, welche den früheren nicht mehr gleichen, die Pflicht eines jeden Staatsbürgers, das wer nigfteng nicht zu verhehlen, was ihm für das Wohl des Ganzen dringend nöthig er: jcheint, fobald es, wenn aud) vielleicht irs
rig, denn Irren ift menfchlid — nur im,
Treue und Liebe für feinen König, wie für feine Mitbürger begründet ift. Aber aud) die Pflicht der Selbiterhaltung zwingt ihn dazu, namentlich den Stand des Adels, der nach einer andern Stellung ringen, oder feine Eriftenz aufgeben muß, nod mehr den großen Grundbefiger, deſſen Lage die unficherfte von allen it, der am wenigften zu verlieren hat, und der ohne Halt von oben, und mit Fünftlih und abſichtlich untergrab’ner Popularität bei'm Volke, den Druck der Büreaucratie von allen Unter:
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thanen des Königs am empfindlichiten fühlt, und die unerfchwinglichiten Laften tragt, während er dennoch), in feiner jeßigen uns fihern und beflagenswerthen Stellung, faft unglaublicherweife immer nod) dem Neide der Beamten, wie dem Groll der übrigen Stände am meiften ausgefegt ift.
Als Solcher habe id) für mid) felbft ge: fprochen, als Bürger für Alle, und feierlich betheure ich, daß, wenn ic) durch das Opfer meines Ranges und meines fammtlichen Güterbefiges dem Vaterlande diejenigen Sins ftirutionen verfchaffen Fünnte, die es nad) meiner Weberzeugung auf eine hohe Stufe dauernder Macht und Größe heben müßten, ich mit Freuden dieſes Opfer bringen, mid) fortan mit dem maßigften Lebensunterhalt begnügen, und dieß für gar Feine Entbeh- rung anfehen würde. Habe ic) zuviel ge hofft, wenn ich einer großen Anzahl unſ'res Adels eine ahnliche Gefinnung zutraue ? Ich glaube es nicht. Jedes perfünliche
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Opfer wird gern vom wahrhaft Edlen ver: ſchmerzt werden, fobald er nur fiber feyn Fann, daß cs dem Ganzen zu Gute fomme, unfer Adel kann cs. aber noch weit wohlfeiler haben, er braucht nichts Reelles, nur eine Chimäre zu opfern, um noch obendrein einen wirklichen und fehr foliden Gewinn dafür einzutaufchen.
II.
Aus meinen Jetteltöpfen.
Dritte Ziehung.
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Nro. 64. Cetztes Geſpräch mit meinem Denker.
Mein Freund S...., dem ich den obi- gen Yuffaß eben vorgelefen hatte, fchüttelte den Kopf.
„Damit werden Sie nicht weit fommen,“ fagte er, „und fo gern ich Ihnen zugebe, daß Sie, namentlich hinfichtlich der. elenz den Stellung. des jeßigen Adels, recht. ha— ben, fo wette ich doch, daß auch nicht ein einziger Landjunker, und nagte er auch am Hungertuche mit einem Dußend Söhnen, weder für ſich noch für diefe ein Sota von feinen eingebildeten Privilegien freiwillig aufgeben wollen wird. Früher war ein Zeitpunet in- Preußen, wo fo etwas hätte gelingen Fonnen, als das ganze Land ge
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gen Frankreich im Enthuſiasmus anfitand. Damals harten ſich Alle jede neue Orga: nifation gefallen baffen. Doch dieſer guͤn— ftige Zeitpunck za Umgsftaltung des Adels ift verfaumt werden, umd wir wollen aus andern Gründen nicht wuͤnſchen, daß je ein ähnlicher wiederkehre.
Manche glauben, nach und nad) werde man vernuͤnftiger werden. Der Meinung bin ich aber noch weniger. Solche Refor— men Tonnen nar plößlic), entweder durch Revolutionen, oder durch die zwingende Macht eines unumſchraͤnkten Monarchen in's Merk geftellt werden. Die erften be: tschfend, wäre das Remedium fchlimmter, wie die Kranfheir, das andere aber hat feine Schwierigkeiten.“
„Die mir doc) keineswegs als unüberfteig- lich erfcheinen ‚“ fiel ich ein, „wenn die Cache auf dem Wege angefangen wird, den ich angedeutet. Auch irren Sie ſich gewiß über den Geift unferes Fleinen Adels. Er tt
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nicht fo blind, feinen eigenen Vortheil nichr einzufeben, und hängt viel weniger an ciz nem leer gewordenen, und deßhalb auch unbequem gewordenen Titel, als Sie vor: ausſetzen.“
„Gut,“ ſagte S....„geſetzt es geſchaͤbe, glauben Sie wirklich, dann etwas aufgeſtellt zw haben, was zur Dauer beſtimmt ſey?“
„Ras nennen Sie Dauer? alles Ding hat feine Zeit, nur das nachfte mögliche Gute ift zw ergreifen, unfere Nachkommen: mögen immer noch Befferes auffinden. Ich ſelbſt kaun mir allerdings noch einen Zur ftand weit höherer, humanerer, menfchlicher Staatebildung denken, aber der liegt ganz- lich außer den Gränzen der Gegenwart. Mie viel Jahrhunderte müffen da erft vor— über raufchen! Wie viel Vorurtheile, wie viel gebeiligte Sitten erft ihre Populari- tät verlieren — und das ift ja eben der ewige Fehler der Idealiſten oder Ideologen, diefe ungeheure Gewalt des Beſtehenden
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bei ihren Projecten ganz aus den Augen zu feßen. Sie jagen, dergleichen Revolus tionen koͤnnten nur plößlich eintreten! Ein Ihurm fallt allerdings plößlich ein, aber erft, nachdem er lange Jahre hindurd) nach und nad) baufällig geworden ift, und wäre er fhon eingefallen, fo tftderge funfene Coloß dennoh manchmal noch nicht wegzuſchaffen.
Mie- lange ift z.B. das Papſtthum fen in der Idee vernichtet, und doch gibt es nach wie vor Paͤpſte, wird deren auch noch lange geben. Welcher Gebildete ficht beutz zutage nicht die Nichtigkeit leerer Titel, Drden u.f.w. ein. Kann man fie deßhalb abſchaffen? Unmöglid) !“
Nun! und Spricht das nicht eben gegen Sie?“
„Keineswegs, denn ich will den Adel nicht abgefchafft, fondern nur reformirt. fehen, eben ſo gut wie Papſtthum nud Katholi— cismus reformirt worden find. Der Ueber—
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gang zu einer conftitutionellen Regierungs— verfaffung tft aber der einzige mögliche Meg dazu, wenn anders die Macht ihn einschlagen will, in deren Handen bei uns freilich "allein diefe Möglichkeit ruht, und von der aljo die Initiative dazu ausgehen muß.“
„sch begreife gar nicht,“ fuhr ©... abfpringend fort, „warum man ſich fo fehr über dergleichen politifche Formen den Kopf zerbrechen will. Sch behaupte geradezu: daB jede Negierungsform hinlanglich iſt, wo das Individuum nicht gehindert wird, moralifch gut, und als ein ehrlicher Mann zu leben. Das tft doc die - eigentliche Hauptſache, und wo alfo nur die Gefege refpeetirt "werden , und religieuſe Duldung herrſcht, finden wir einen ſolchen Zuſtand jetzt in Europa uͤberall. Die verworrenen Begriffe unferer Tage von Freiheit, und die daraus folgenden übertricbenen Anfprü- he, die jeder an das Leben macht, find
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der Hauptgrund unſeres unruhigen und unfeligen Zuftandes. Es kann ſeyn, daß etwas weit Beſſeres daraus geboren wird. Mer kann ſoweit fehen! Falle ich aber nur die Unheimlichkeit und Unbequemlich— feit der Gegemvart in’s Auge, fo dürfte eine Erziehung der Jugend, wie der Er: wachfenen, die ausfchließlic) auf Gehorfam, Demuth und Beichranfung gerichtet wäre, vielleicht, jo bitter die Medizin auch ſchme— Ken möchte, doch das beſte Heil und Be: glüfungsmittel für uns feyn. Darüber babe ich manchmal ganz eigene Gedanken ! 3. B. wie furchtbar ſchreit man nicht über- all über Kaften und Kaftengeift!
Es Fommt aber doch fehr darauf an, weldyer Art beide find. SKaften, wenn ſie nicht gerade eine verfteinerte Natur anz genommen haben, wie in Indien, find. nichts als Claſſen. Wollt Ihr, Liberale, aber feine verſchiedene Klaffen in der Gefell- fhaft dulden, warum hebt Ihr dieſe nichr
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auch in den Schulen auf, und vergonnt Quinta und Prima ſich ebenfalls zuſam— men zu emancipiren? Das iſt unerzogene Jugend, ſagt Ihr — aber die Menſchen ſind auch nur große Kinder, die ebenfalls fortwaͤhrend erzogen und gezuͤgelt werden muͤſſen. Die ſich als zweckmaͤßig bewaͤh— renden Einrichtungen der Schule werden auch im Staate, mutatis mutandis, ganz gut thun. Warum alſo nicht auch dort verſchiedene Claſſen, warum nicht Vorrechte der erſten, ſobald nur die in den letzten ſitzen, auch ohne Schwierigkeit in die erſten gelangen koͤnnen, wenn ſie ſich gehoͤrig dazu qualificiren? Hierdurch wird ja eben das Streben nach Fortſchritt befoͤrdert, und die Vorrechte der Hoͤhern nur von denen angefeindet werden, die ſich unfahig fühlen, ſie durch eigenes Verdienſt zu erreichen. Freilich, Ihr wollt keine gebor'ne Pri— maner, und darin ſcheint ihr in der Schule allerdings recht zu haben, aber alle Gleich—
160 _ niffe hinfen. In der Schule find die ge bor’nen Primaner diejenigen, welchen der Itebe Gott größere Talente als den Andern gegeben; im Staate gleichfalls die, welche mit größeren materiellen Mitteln geboren werden. Ihre Schule müffen aber doch beide erft durchmachen,, ehe fie zur Aus— übung ihrer Vorrechte gelangen. Nur Feine gebor’nen Lehrer Fünnen geftattet werden, weil diefe zugleich die Herren find. Alfo erbliche Ariftocratie wird Euch keinen Ab— bruch thun, aber erbliche Beamte, die war ren fchon fchwerer zu ertragen, und doch fcheint’s bald, als wenn es auch dazu kom— men koͤnnte!“ "
„Bravo, lieber ©....,' das heiße ich doch einmal ordentlih in's Blaue hinein varfonnirt! Aber fo unbaltbar und fich felbft widerfprechend Ihr Schulgleichnig ift, fo bin ich doch, weil- wir emmal ä tort et & travers fchwärmen wollen, ebenfalls nicht recht mir mir emig: ob
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Kajten, und zwar ziemlic) abgefchloffene fogar, nicht in vieler Beziehung eine fehr zweckmaͤßige Einrichtung feyn Fonnten, und ob überhaupt zum ruhigen Glüd der Ge fellfchaft die Freiheit der Individuen: Al les unternehmen zu fünnen, was fie wol len — nicht nur in Hinfiht der Moral und der ©itte, fondern felbft im Lebens: verkehr zweckmaͤßig zu befchränfen ware?
Nie hat z. B. ein Voll, und dieß in den Zeiten großer Rohheit und Findifchen Aberglaubens, dennoch eine längere und größere Profperität genoffen, fih mehr in Künften, Aderbau, Gewerben und Krieg ausgezeichnet, als die alten Aegypter. So fehr Sie nun über die folgende Meinung fpotten werden, und fo wenig id) auch be haupten will, dergleichen fey jet wieder zu reglifiren möglid, fo möchte ich jenes von mir angeführte und nicht zu beftreis tende Factum doch hauptfählid der In—
Tutti Frutti V. 8
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fiitution zufcpreiben, nad) welcher zwar alle Einwohner Aegypten's fich für gleich) edel geboren hielten, dennod) aber das Volk fireng im die vier verfchiedenen Clay fen: der Priefter und Gelehrten; der Land: bauer und Hirten; der Krieger, und der Gewerbtreibenden erblich getrennt war. Der Staat ift eine Maſchine, eine große Manufactur, und wie bei folchen dadurch, dag Heftimmte Leute immer nur das Eine und Daßelbe von dem bezwedten Ganzen anfertigen, die groͤßte Vellfommenheit im Allgemeinen erreicht, und die Induſtrie aufs Höchfte gebracht wird — cben fo wird auch im Staate Kraft und Ruhe vielleicht am ficherften erlangt werden, wenn Jedem darin fein (in der Begränzung im— mer noch ungemein weiter) Wirfungsfreis, fo zu fagen, angeboren wird. Hierbei Fonnte uͤberdieß — jedoch nicht als Negel, fondern als Ausnahme — 18 dem Individuo nicht ganz verfchloffen zu feyn brauchen, mit ge
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wiſſen Bedingungen von einem Ctande zum andern überzugeben. Daß jetzt Jeder Alles ergreifen und verlaffen darf, wie es ihm nur gelüftet, bringt wohl größtentheilg jene Verwirrung hervor, welche der bei'm Ban des Thurms zu Babel gleicht, und deren einzelne Züge jene englifche Carricatur des Zeitgeiftes fo gut darftellt, wo der Kutſcher auf dem Bod, Mathematik ftudirend, um— wirft; der Bauer, fatt zu pflügen, auf dem Unfrante Zurisprudenz erlernt; der Bierbraner als Senator fungirtz der Prie— fter fish duchirt und Füchfe jagt, und der Soldat ein Berbruder wird. Wir werden wohl noch Tollerss erleben, che es beifer wird!
Man denke ſich dagegen ein Volk in folche voraus beſtimmte Claſſen geſchieden; die nothwendige Vervollkommnung, welche ſich, ihrem ſtets gleichen Wirkungskreiſe gemaͤß, in ihnen ausbilden muß; dieſes
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Reich ferner in Provinzen abgetheilt, die durch Nomarchen Cheutzutage Praͤfecten oder Prafidenten genannt) regiert werden, welche nur dem König und feinem Rath verantwortlich find (denn die für alle Ad— miniftrattionsangelegenheiten fo verderbliche Centralifation und alles collegialifche Mer fen dabei wollen wir gern weglaffen); das zu gute Communaleinrichtungen, und end— lich eine aus jedem der verfchiedenen Stän- de, und von ihnen gewählte Reprafentans tenzahl, welche die Fonigliche Gewalt mo— derirend, ihr zur Seite ſteht — und ich glaube wirklich, daß ein ſolcher Staat, felbit in unferer Zeit, alle Elemente der Macht und des Fortfchrittes beffer zur Hand, und in größerer Thaͤtigkeit entwidelt, aufzus weifen haben würde, als gar viele heutige Heiche in ihrer beflagenswerthen und pre cairen Eriftenz. Beilaͤufig gefagt, möchte das einflußreihe Todtengericht, deffen wohlthätige Folgen für die allgemeine Mo:
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ral Diodor fo Schön fchildert *), und man- he jener Befchranfungen, die in Aegypten
*) Sch kann mir nicht verfagen, diefe Stelle bier abzufchreiben, da fie auch auf uns noch beufe volffommen eben fo gut, als auf die Griechen paßt:
„Wenn der Todte beftattet werden folt, fo fagen deſſen Angehörige den Begräbniß— tag den Richtern an, und den Verwandten und Freunden deſſelben; fie melden Das mit den Morten: „es will .... (hier wird der Name des Nerftorbenen genannt) über den See geben.“ Da fommen dann mehr als vierzig Richter, die fich in einen Halb: freis ſetzen, auf einem Gerüfte jenfeits des See's, und nun wird der Kahn bin: abgelaifen, der für diefen Zweck von eige: nen bierzu beftimmten Leuten gebaut ift. Es fteht darin ein Fährmann, welchen die Aegypter in ihrer Sprache Eharon nennen. Iſt der Kahn in den Eee binabgelaifen, fo ſteht es indeffen nach dem Gefege Jedem frei, den Todten anzuflagen, che der Sarg, in welchem er Tiegt, in den Kahn gebracht wird. Tritt nun ein Kläger auf, und bes weiff, dag der Werftorbene fafterbaft- ge: lebt, fo ſprechen die Richter ihr Urtheil,
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den Königen auferlegt wurden, und die viel ftrenger waren, als es conſtitutionellen
und das feierliche Begräbniß wird der Lei: che verweigert. Findet man aber die Be— fhuldigung ungearündet, fo verfällt der Anftäger in fchwere Strafen. Wenn ji gar fein Kläger zeigt, oder wenn Der, welcher auftritt, al$ Verläumder erfannt wird, fo legen die Verwandten die Trauer ab, und Iobpreifen den DBeritorbenen. Don feiner Herkunft ſprechen ſie nicht, wie e8 bei den Griechen gewöhnlich it; denn die Aegypter glauben Alle von gleich edler Abkunft zu ſeyn. Aber die Gefcichte feiner Erztebung und Bildung von Kinds beit auf erzäblen fie, und befchreiben dann } die Frömmigkeit und Gerechtigfeit, die Mä— Bigung und die andern Qugenden, die er im Mannesalter geübt; zufest rufen fie die Götter der Unterwelt an, fie mögen ibn in die Wohnungen der Krommen auf: nehmen. Die Volksmenge ftimmt in die Lobſprüche ein, und bilit den Todten ver: berrlihen, der nun in der Unterwelt mit den Frommen fortleben foll.* In dieſer Eitte fpricht jich ein gewiſſes Bart: gefühl aus, und zugleich das Beftreben, das
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tonarchen bisher zugemnthet wurde, nicht übel einzuführen ſeyn; wenn auch felbit der
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wüthendfte Republikaner diefer Tage nicht fo weit gehen würde, der Könige Diät nur auf Kalbe und Gänfefleifch befchranfen zu wollen.“
„sole der Teufel alle Volitif,“ fagte ©... fhaudernd, „wenn fie ung zu einer ſolchen
wirflihe Bewunderung verdient, eim freundfis bes und edles Betragen durch die Erinnerung an die Verhältniſſe der Lebenden nicht nur, fondern fogar an die Ehre, welche dem Todten durch das Begräbniß wiederfäßrt, alfo durch alfe möglichen Beweggründe zu empfeblen. Bei den Griechen berubt der Glaube an das Zus fünftige, an den Lohn der Frommen, wiean die Strafeder Böſen, auf will kührlichen Dichtungen und entftelften Sagen. Daber können dieſe DVorftelfungen unmöglich die Menfchen auf den beiten Meg leiten; fie werden vielmehr den Lafterhaften zum Geſpöt— fe, und man feat darauf einen febr geringen Werth. Die Xeaypter dagegen fernen nicht aus einer Zabel, fondern durd den
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Diät führen follte, Diefe verrüdten Aegyp⸗ ter müffen eine Ahnung von der Homoͤo— pathie gehabt haben. Uebrigens erinnere ich) mich aus dem von ihnen angeführten Diodor, daß fie vortreffliche Gefege über die Aerzte hatten, Diefe durften namlich) — mie auch fpater in Defterreich den Feld— herren nur nach den Difpofitionen des Hof friegsratbs Schlachten zu liefern erlaubt
Augenfhein bie Ekrafe für die Böfen, und den Lohn für die Guten Fennen; fo werden denn diefe fowohl als Jene täglich an ihre Pfliche fen erinnert, und darin liegt dag Fräffigfte und fiherfte Mittel zur fittlichen Veredelung.
Für die beften Geſetze aber Fönnen nicht dies jenigen gelten, weldhe die Einwohner am reihiten madhen, fondern welde Die verfräglihften und die braudbar: ften Bürger bilden.
Leopold Schefer bat in feinen Gedichten ein „Todtengericht,“ worin die NWerweigerung des Begräbniffes ergreifend dargeftellt ift, und zeigt, wie ſchwer es ſeyn möchte, und doch wie nütz— lich, die Probe zu machen.
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war — nur nad den feftgeftellten Vor— fchriften der Facultäten - curiren. Starb der Kranke hiernach gefegmaßig, fo waren fie außer Schuld, heilten fie ihn aber auf ilfegitinne Weife, gegen die gegebene Vor— ſchrift, fo verfielen fie in harte Strafe, Die Bevölkerung feheint übrigens eben fo wenig dabei gelitten zu haben, als bei den verſchiedenen Spyftemen, und dem unbe: ſchraͤnkten Monopol unferer heutigen Aerzte: nad) jeder beliebigen Theorie todten zu dürfen.
Diefe Erinnerung an den Tod bringt mich aber jet mit einemmale auf etwas ganz Anderes, namlich auf Geiftererfcheiz nungen, und da muß ich Shen denn ſa— gen, daß mir diejenige, welche Ste im drit- ten Theile Ihrer Tutti Frutti zum Beſten gegeben haben, obgleich etwas langweilig, dennoch viel Nachdenken verurfacht hat.
Es ift mir nämlich in vergangenen Ta—
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gen felbit etwas Uchnliches gefchehen, auch mich hat eine Geiftererfcheinung von einem abgeſchmackten Fehler gebeffert, und auch ich weiß nicht, ob die Geiſter wirkliche, oder nur von mir ſelbſt gemachte waren.“
„Sie hatten eine Geiſtererſcheinung?“ frug ich verwundert, „nun, das muß etwas ganz Beſonderes geweſen ſeyn! Bitte, er—⸗ zahlen Sie, darauf bin ich wirklich begierig.“
„sch verſichere Ihnen, daß mir dieſe Viſion gar lange Zeit nicht wenig Angſt verurſacht hat, obgleich ſie allerdings kei— neswegs ſo ſentimaler Natur als die Ih— rige war. Alſo hoͤren Sie:
Ich hatte in meiner fruͤhern Jugend die Schwaͤche, ſehr eitel zu ſeyn, wandte eine in's Laͤcherliche uͤbertriebene Eorgfalt auf meinen Anzug, ſchminkte und ſchnuͤrte mich, jagte ſtets nach neuen Moden, kurz beging alle Thorheiten, deren ein Narr dieſer Art nur fähig iſt. Einmal hatte ich mich auf einem Ball ſo knapp in meine Uniform
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gepreßt, und um recht blühend auszufchen, mein Halstuch fo eng gebunden, daß ich mitten im Tanze ploͤtzlich bewußtlos nie derſtuͤrzte, für todt weggebradht wurde, zu Haufe zwar wieder zu mir felbit fam, aber in Folge dieſes Zufalls in eine fehr ſchwere hitzige Krankheit verfiel.
Gegen das Ende derfelben, als ich eines Abends ohne Schlaf mid auf meinem Schmerzenslager umherwarf, fiel mir ſehr lebhaft ein Geſpraͤch meiner verftorbenen Eltern ein, das mich zu jener Zeit beſon— ders frappirt haben mußte.
Meine Mutter namlid), die vor ihrer Berheirathung Hofdame gewefen war, er— zahlte, daß fie, fo oft fie bei der Kaiſerin früh den Dienft gehabt, des damaligen Co— ſtuͤmes wegen, ſtets genöthigt gewefen wart, die ganze Nacht vorher, fertig frifirt und angezogen, aufzuſitzen.
„DD,“ fagte mein Vater lachend, „Das iſt noch gar nichts, viel ſchlimmer waren wir
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jungen DOfficiere bei'm Regiment Seydlitz dran, denn an den Paradetagen mußten wir die ganze Nacht vorher hangen.“
„Wie, hängen, lieber Mann?“ fragte meine Mutter verwundert.
„Allerdings, denn auf andere Weife war es völlig unmöglich, in Die naffen und en— gen ledernen Beinkleider hinein zu fommen. Mir waren zufrieden, wenn wir nur in je— der halben Stunde einen Zoll tiefer einz drangen, bis es uns endlich gelang, auf Neptuniſchem Wege von außen und Vul— fanifchem von innen Sleifch und Bein und Leder zu einem untheilbaren Ganzen zu— ſammenzuſchmelzen.“
Dieſe Geſchichte alſo beſchaͤftigte von Neuem lebhaft meine Einbildungskraft, ehe ich einſchlief. Denken Sie ſich nun mei— nen Schreck, liebſter Freund, als ich mit dem Schlag Zwölf ploͤtzlich aufwache, und in der Stubenede meinen Vater in dem alten Seydlitz'ſchen Colfet, gerade wie er
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es befchrieben, in feinen Lederhofen hängen fehe, und dann, fich grinfend hin und her fchaufelnd, mir zurufen höre: „Lieber Sohn, dieß find die traurigen Folgen der Eitek keit!“ Entfeßt drehe ich mic) um, da fit auf der andern Seite des Betts meine Mutter, im breiten Reifrock, mit einer uns geheuren Srifur auf dem Kopfe, und fagt: „Lieber Sohn, fieh’, was wir leiden aus Eitelkeit!“ Ich fuhr mehr todt als Tebendig unter die Dede, fo wie ich aber wieder hervor zu blinzeln wagte, fah ich auch wies der die beiden Geftalten refpective hängen und fißen, und diefelben, widerlich geplaͤrr— ten Worte tönten von Neuem an mein Ohr. Dabei war es mir, ganz wie Sie es bei Ihrem Herzoge anführen, eben fo unmöglich den geringften Laut herauszus bringen, um nad) Hülfe zu rufen, und nicht eher, als bis der Hahn Frahte, wo mein Vater eben den lebten Zoll feiner Hoſen erreicht hatte, und meine Mutter fich zum
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Lever der Kaiferin erhob, verfehwand der entſetzliche Spuf.
Bald nach diefer Erfcheinung half ſich meine Natur. Ich genaß von meiner Krank— heit, und war zugleicd) von aller Stutzer— hafrigfeit für mein ganzes übriges Leben geheilt,“
„Man fieht wohl,“ fagte ich lächelnd, „dag die Geifter fih immer ſehr gut nach der Zndividualität ihrer Kunden zufrichten wien. Nun will ich aber fogleich Ihre Erzählung mit einer andern, etwas ernfter ausgehenden, Ahnung erwiedern, und dann, wenn Sie die Geduld noch nicht verloren haben, mit einer Wagner’fchen Geſpenſter— geſchichte, d. h. einer folchen, Die natürlic) erklart wird, ſchließen.“
©.... nickte beifällig mit dem Kopfe, und ich fuhr fort:
„Die Gräfin P. war eine höchft liebens— würdige und lebensluftige Dame. Ganz nach ihres Herzens Wuͤnſchen verheirathet,
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aber lange Einderlos, hatte ihr Gluͤck feit einem Fahre durch die Geburt zweier Kna— ben, Zwillinge, die feldft ihre Anıme kaum von einander unterfcheiden fonnte, den höd)- ſten Grad erreiht; und man kaun denfen, daß fie dieſe Kinder mit wahrer Leiden- ſchaft aubetete.
Die Familie war eben aus der Nefidenz, mit einer Eleinen gewählten Geſellſchaft, wieder auf ihre Herrfchaften zurücgefchrt, und refidirte in einem alten Schloſſe, von dem die Sage fchon in früherer Zeit aller: lei Gefpenfterifches verbreitet hatte.
Die Gräfin, welche durchaus an derglei— chen nicht glaubte, bediente ſich dieſes Um— ftandes oft zu Kleinen Neckereien, obgleich in Kurzem ein eben fo unerklaͤrliches als widerfinniges Ereigniß fie feldft in ihren Zweifeln etwas wanfend machte.
Die ganze Gefellfehaft faß namlich noch fpat Abends am Camin verfammelt, ım.d wie es manchmal zu gehen pflegt, fo trat
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nach lebhafter Unterhaltung plößlich eine fchwühle Stille ein. Sn diefem Moment war es Allen, als ob Jemand ganz leife mit Filzſchuhen bei ihnen vorbei durch die Stube gehe, und gleich darauf fah man ci- nen Pfeilertifch, der am andern Ende des Zimmers ftand, fi von felbft von der Wand ablöfen, und wie durch die Luft ei— nige Schritte weit auf die Gefellfchaft zus rücen. Alles fprang auf, doch che noch einer fi dem Tiſche zu nahen gewagt, ging diefer wieder, eben fo ruhig wie er gekommen war, an feinen alten Platz zurüd.
Diefer unbegreifliche Vorfall hatte jedoch durchaus weiter Feine Folgen, und man vergaß ihn endlich, ohne fich ihn erklären zu koͤnnen.
Unter mancherlei Tandlichen Vergnügun- gen und Seften, bei denen der gaftfreie Graf ſtets abwechfelnde Gafte in feinem Haufe bewirthete, verging der Sommer nebft eis
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nem ‚Theil des Herbftes, und man hatte fhon wieder die Vorbereitungen zur Ab- reife gemacht, als eines Abends die Graͤfin eines neuen intereffanten Buchs erwahnte, und begierig etwas daraus mitzutheilen, auf ihr Zimmer ging, um es felbit zu ho— len, Es dammerte bereits, doch hatte man nod) Fein Licht angeſteckt, als fie in den Saal trat, der zu ihrer Wohnftube führte, Heftig erſchrocken blieb fie im der Thüre ftehen, denn fie glaubte mitten im Saal zwet Eleine mit ſchwarzem Tuch behangene
Saͤrge ftehen zu fehen. Erſchuͤttert eilte
fie zur Gefellfehaft zurüd, theilte mit, was fie erblieft und bat ihren Mann nebft den andern Herrem-fie zu begleiten, um ficd) felbi von dem fonderbaren Umftande zu überzeugen.
Als die Herren an der Ihüre ankamen, geftand Jeder, er fahe das Naͤmliche, doch müffe es Taufchung feyn — und als man nun nach Licht rief und die Sache naher
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unterfuchte, fand fih auch in der That, daß die Erfiheinung, welche fo vollftandig Särgen geglichen, in Wahrheit nichts an— d'res war, als einige dunfle Kleider der Graͤfin, die ihre Kammerfrauen auf zufanıs mengeftellte Stühle hier zum Einpaden ausgebreitet hatten. Man lachte nun all gemein über den ausgeftand’nen Schred, und zwei Tage darauf ward die projectirte Gebürgsreife angetreten, die man der Rüd- kehr in die Reſidenz vorangehen laffen wollte.
ie war die Gräfin heiterer gewefen, als auf diefer Reife, die fie bald zu Wagen, bald zu Pferde, bald zu Fuße machte, und deren romanttifche Abwechslung ihrem Cha- racter fo jehr zufagte. Da ward ihr Ver: gnügen auf die fchmerzhaftefte Weife durch einen Erpreffen unterbrochen, der einen Brief brachte, worin die Gouvernante der Kleinen Örafen meldete, daß eine gefährliche Epidemie im Orte ausgebrochen ſey, und ihre Pflegbefohl'nen gkichjalls davon er⸗
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griffen schienen; doch, fette ſie hinzu, ſeyen alle Sympteme höchit leicht, und hoffent- lich die Gefahr ſchon wieder vorüber, wenn der Herr Graf und die Frau Gräfin zus ruͤckkommen würden. Sie habe es jedoch für ihre Schuldigfeit gehalten, ‚bei Zeiten Anzeige von dem unangenehmen Vorfell zu machen.
Unglüclicherweife. hatte der Bote, die Reiſeroute der Gefellfchaft nicht kennend, zuerſt eine falfche Direction eingejchlagen, und war bereits ſechs Tage unterwegs, ebe er fie antraf. Man beeilte ſich nun um jo mehr auf der Stelle aufzubrechen, die Grafin natürlich in der fchredlichften Unruhe über ihre heißgelichten Kinder. Als wenn indes Als zur Verzögerung ihrer Reife beitragen follte, brachen fie unterwegs noch den Wagen, und Fonnten, troß aller Bemühung, nicht eher, als am Abend des folgenden Tages das Schloß erreichen. Es war wieder in der Stunde der Dammız
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rung, als die Gräfin aus dem Magen fprang, und fich heftig vor den verſtoͤrten Blicken der Dienerfchaft entfegte? „Mo find meine Kinder?“ fchrie fie, und ftürzte, ehe ihr noch Jemand folgen Fonnte, Die Treppe hinauf. Der Graf, der ihr am naͤchſten war, hörte jeßt eine Thür gewalt- fam aufreiffen, ein herzdurchbrechenden Schrei, und gleich darauf einen dumpfen Fall, Als er hinzufam, lag die Grafin ohn— mächtig in der Saalthüre, und im Saale felbft ftanden, genau an derfelben Stelle, wo er fie früher gefehen, zwei Kleine Sarge, diegmal aber — nur in zu fürchterlicher Wirklichkeit — das Liebſte bergend, was er auf der Welt fein nannte!
Die Wahrheit diefer traurigen Gefchichte fann ich mit jedem Fleinften Nebenum— ftande verbürgen. Dennoch gebe ich gern zu, daß der Zufall dabei, fo gut wie irs gend eine andere Macht, fein Spiel gehabt haben kann. Solche Zufalle bleiben indeß
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immer fajt eben fo wunderbar, als jede an: dere Auslegung.‘
„Dergleichen Ahnungen beftreite ic) durch— aus nicht,‘ fagte ©...., „obgleich ich fie nur einer befondern phyſiſchen Dispofition zufchreibe, von der wir zwar eben fo wenig genaue Rechenfchaft geben koͤnnen, als das von, wie der Baum wäachf’t, wie wir über haupt leben, mit einem Wort, wie Alles zugeht, was wir täglich) mit Handen greis fen — die aber eben deßhalb auch um nichts wunderbarer tft.
Solcher innern, aus uns felbft hervorges benden Art find, meiner Ueberzeugung nad), alle Ahnungss und Geifiergefchichten, fie haben Namen, wie fie wollen. Man bat zwar oft wegen der allgemein bei den Men— fchen verbreiteten Gefpenfterfurcht aud) anf das wirkliche Dafenn der Gefpenfter fchlies Ben wollen. Mir fcheint jedoch ganz mit Unrecht. Jeder Menſch fühlt feine Schwäche immittten einer rathfelhaften, ihm ganz vere
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fhleierten Natur, feine Ohnmacht gegen ihre pofitiven und negativen Kräfte. Dieß iſt der Urfprung aller Art von Surcht, und die Perſonificirung diefer Agentien in Geis fter fehr erflärbar. Dazu koͤmmt noch, daß von jeher die fcharffinnigern und ftärkern Menſchen diefe Dispofition der Menge ger mißbraucht haben, um fle durch folche my— ſtiſche, unbeſtimmte Echreden beſſer in ihre Gewalt zu bekommen. Die Prieſter aller Völker haben namentlich dieſes große Mittel überall, bei den rohen Wilden wie bei den ciilifirteften Nationen, am beften auszubeuten verfianden. Ste und ihres Gleichen find daher zum Theil die achten Vaͤter, mindeftens Stiefvater, der Geſpen— fter, und welche glänzende erfolgreiche Ver: fuche diefer Urt bietet ja gerade wieder die neuſte Zeit!
Da Shnen auf jedem Fall bei diefer Ber merfung die Scherin von Prevorit einfällt, und dieſes Buch noch immer fortfährt, fich
einer großen Menge Anhaͤnger zu erfreuen ich auch weiß, daß Sie felbit Fein geringes Sintereffe daran nehmen, fo verfchmähen Sie es vielleicht nicht, mit anzuhören, was ich nenlicd) in einer Unwandlung von Lanz germeile darüber niederſchrieb?“
„Gewiß nicht,“ erwicderte ich, „obgleich das Ihema allerdings zu den abgedrofchen: fien gehört. ES freut mich aber fchon, daß ein ſolches Buch doch fo viel Eindrud auf Sie gemacht hat, um Ste zum Schreiben zu bewegen. Man darf, fehe ich wohl, an Ihrer Befferung noch nicht ganz verzwei— feln.“
S.... kramte ein wenig in feinen Pa— pieren und nachdem er einige Blätter her— vorgezogen, begann er folgendermaßen:
Veraltetes, aber noch nicht Unnützes.
Schon feit der Zeit, als ich zuerſt Frag— mente aus der Echerin von Prevorſt gele-
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fen hatte, befchloß ich, mich fortan alles Unglaubend zu begeben. Es verwunderte mich feitdem weder, wenn eine alte Frau, in Ermang’lung der Kuh, aus einem Stride fehr ſchmackhafte Sahne melfte; noch fand ich es befremdend, wenn ein Amulet fo hartnädig in der Stube herumlief, daß cs wie eine Maus eingefangen werden mußte; oder filberne Löffel gleichfalls eine eigen- mächtige Promenade in der Luft unternah: men; oder Jemand ſich zur Verändernng einmal das Eſſen ganz abgewühnte; oder auch, wenn er wegen zu vielen Effen eis ner Laxanz bedürftig wurde, diefe fchon da— durch erreichte, daß er einen Saphir an den Finger ſteckte — vollends fo ganz ge ringer Dinge als Umpherfliegen und Leuch- ten, oder fich mit fünfzig Pfund fchweren Eifenftangen fchlagen zu laffen, um der wollüftigften Empfindungen theilhaftig zu werden — gar nicht einmal zu gedenken.‘
„Seitdem ich nun aber fo gläubig
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geworden bin, ift auch über mich felbft eine Art von Inſpiration gefommen, und zwar eine fehr wichtige. Es erfchien mir nam: lich Niemand Geringeres als der Goldgeift in eig'ner Perfon, deffen übernatürliche Pracht zu befchreiben vergebens feyn würde, Er überreichte mir Herrn Profeffor Schmie— der's Werk über Alchymie, und fügte einen hoͤchſt beherzenswerthen Winf hinzu: wie kuͤnſtliches Gold annoch zu erzielen ſey. — Das Mittel fcheint überdem, gleich allen großen Erfindungen, über alle Maße einfach. Es beruht nar darauf: gewiffe Metalle mit einem gewiſſen vegetabilifchen Stoff in Verbindung zu bringen, wodurd) fie ohne Weiteres Gold werden follen , wie man auch bekanntlich bereits Indigo und Duedfilber fchon zu einem wahren Amal- gama vereinigt hat. Die befannte rothe Tinctur der Goldmacher war nichts and’res. Es wird daher, nachdem man diefen Haupt: Tutti Frutti V. 9
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punct Fennt, jeßt nur noch die Kleinigkeit aufzufinden feyn: welches Metall, und befonders welde Pflanzen dazu nöthig find ?“
„au diefem Zweck verfehle ich nicht, dar: auf aufmerffam zu machen, daß auf den Abhängen des Libanon ſich eine befondere Ziegenart aufhält, mit ſchoͤnem, feiden- artigen Haar und fehr langen Ohren, deren Zähne durch eines der Kräuter, von denen fie ſich nähren, vergoldet werden. Sa- pienti sat! Leute, die nun nod) mehr von der Sache wiſſen wollen, oder vielleicht fhon mehr davon verftehen, als ich, mögen alfo diefe Offenbarung gehörig würdigen, und follten fie bei weiterer Forſchung dann wirklich fo glücklich feyn, auf dem angegeb- nen Wege den Stein der Weifen zu ent- decken — fo bitte ich mir nur halb Part aus, und verfpreche aud) Alles aufs Beſte anzuwenden, was man mir von dem leidi- digen nervus rerum zufließen laffen wird,
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Sa, ic) bin fogar der Meinung, daß die hieraus für mich entipringende Thaͤtigkeit meinem imnern Menfchen immer noch zu: träglicher feyn wird, als alle Verzuͤckungen, die ich mir bei frommem Müßiggange auf myſtiſchem Wege zu verfchaffen fuchen koͤnnte; fintemalen dergleichen doch wohl hier in der Hegel Feineswegs unfere Beſtimmung, fon- dern nur die Folge g.waltfamer und uns glüdlicher Ausnahmen, durch getjtige oder koͤrperliche Krankheit herbeigeführt feyn möchten. Wer jedoch — 3. B. gemartert wird, und dann in eine Verzuͤckung gera- then kann, die ihm Vergnügen ftatt Schmerz zen verurſacht, dem günne ich fie natürlich von ganzem Herzen; nur in gewöhnlichen Verhaͤltniſſen fcheint es mir cher fündlich als lobenswerth zu feyn, einem Zuftande diefer Art nachzujagen, der niemals eintres ten kann, fo lange ein gefundes Gleich— gewicht unfrer Kräfte fiatt finder. Hier g *
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zeigt fih nun leider, daß ich noch nicht ganz befehrt bin. So kann ic) unter andern bei aller gläubigen Difpofltion doc). ſolche Dinge immer noch nicht glauben, die mir den Liebenden Vater im Himmel wie einen graufamen Tyrannen hinftellen. Z. B. wenn Herr Kerner in der Vorrede zu feiner Ser herin jagt: „Aber gingft Du im Gewühle „des aͤußern Lebens verloren, fo wird doch „einmal eine Stunde fommen, wo Dir das „innere Leben aufgeht, und gebe Gott, „daß es nicht die leßre ſey!“
Solche drohende Yeußerung riecht ftarf nad) Inquiſition und Pharifaismus, und fonnte fait an der ehrlichen Meinung def- fen irre machen, der ſie auszufprechen wagt.
Ich glaube zwar gern, daß der menſch— liche Geiſt ſich fein eig’nes Geſchick bildet, ja Gott ſelbſt, ohne der Seele eig’nen Wil- len, fie vielleicht nicht felig machen Fann, aber anzunehmen: daß Gott nur diefe Furze
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irdifche Lebensfrift, und nicht die Ewigkeit, zur immer noch möglichen Befferung oder Fortbildung gegeben, ja in einem andern Zuftand uns diefe Befferung fogar erfchwes ren werde — ſcheint mir die größte Got: tesläfterung; abgerechnet, daß jede Bemü- bung, durch folche Fietionen eine heilfame Furcht einzuflößen, Feinen Segen bringt, indem eine aus Furcht hervorgehende Beſ— ferung ganz gewiß. nur eine fcheinbare, Die aus Liebe entfpringende aber allein die Achte feyn kann.
Auch jene oft wiederkehrende Anficht : „daß der Menſch immer mehr von der Natur abgefommen fey,“ ift zum mindeften höchft einfeitig aufgefaßt. Don der Natur kom— men wir wohl nie-ab, aber die Menfchheit altert,. fo gut wie alles and’re in der Na— tur, und Tann daher jet nicht mehr die ſelbe ſeyn, die fie in ihrer Kindheit war. In Ddiefer und der- vorher bemerften Hin: fibt nun wird. es ziemlich problematiſch,
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ob ein Buch, in der Tendenz der Scherin Hou Prevorft gefchrieben, eben weil es Furcht einflößen und. durd) diefen Hebel in einen dunklen und blinden Aberglauben zurüds führen will (wenn. auch in guter Abſicht), nicht für eraltirte und ſchwache Menschen zu den gefährlichften zu rechnen ſey? ob— gleich es Feineswegs zu den gehaltlofen ge— bort. Was mich betrifft, der fih nur an das Moralifche deffelben gehalten, fo habe ich es von Anfang bis zu Ende nicht ohne Nutzen, ja oft mit wahrer Erbauung gele- fen, und ich will daher gern ein Bekennt—⸗ niß thun, das man ſchwerlich yon mir er- wartet, und. zu dem ich felbit erft nach und nad), in ernjter Prüfung des viel an- gefocht’nen Werks gefommen bin. Ich ge ftehe naͤmlich dankbar und offen: das Buch bat mich in mancher Hinſicht gebeſſert, ja überhaupt recht wohlthätig erweckt. Wenn auch weit entfernt davon, in Allem mit den. Berfaffern gleicher Meinung zu. feyn,
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wenn auch nicht felten auf ſtarke Wider: fprüche fioßend, wenn aud) überzeugt, daß Vieles, was in dem Buche zu beweifen ge> fuht wird. nur wohlgemeinte Sophismen find, als unter andern die Stellen, Seite 242 und 285 und andere, wo man ver: möge eines unpaffendes Bildes darthun will: die Nacht ſtehe höher als der Tag, der blinde Glaube höher als das Wiffen, die niedrigfte Function der Seele ſey das Den- ken u. ſ. w.*); obgleich endlich durch noch andere Aeußerungen ſogar widrig afficirt, wie z. B. jene ſchon geruͤgte Stelle und das eben ſo ſtrenge unberufene Richten Eſchen— mayer's (Seite 266 2te Ausgabe der Se—⸗
*) Sp jteb£ auch der nie irrende Inſtinct der Thiere in gewiffer Hinſicht böber, ala al: fer Verftand, denn er ift eine unmittelbare, uns trügliche Gottesgabe, aber es hängt Fein Ver: dienft daran. Das ift aber dag große geiftige Vorrecht des Menfiben: durch das Denken durch die Bernunft zum Glauben zu gelan- gen, nicht durch ein blindes Gefühl,
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herin), fo hat doch das edle und reine Stres ben, welches heil aus der Xotalität des Werkes hervorleuchtet, einen tiefen Eindrud auf mich gemacht, und in der Hauptfache (was ich namlich für die Hauptfache hal- te) meine eig’ne Ueberzeugung geftärft; denn auch vorher und immer habe ich das Gw te, Schöne und Wahre innig gelicht und als Höchfies verehrt, aber ich habe doc)
feineswegs immer darnach gehandelt, und-
das Heilige, blieb mir vicheiht, im Ge wühl des Lebens noch mehr fern. Sch fehe ein, daß ih, und: wohl gar Mancher meir ner Mitmenfchen mit mir, daß wir Alle, fage ich alfo, hoͤchſt ernfthaft über uns: zu wachen haben, um nicht vom Schlamme der Melt langfam hinabgezogen zu: werden, in eine Region, wo das Unheil wohnt, und daher mit angeftrengtefter Sorge dem Geifte feinen Standpunct „in den. Innern. Kreifen,“ wie es die Seherin nennt, bewahren müf fen, um felig. werden zu koͤnnen. Bin. ich
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nun zwar auch überzeugt, daß die göttliche Licbe ihrem Geſchoͤpf in jeder Eriftenz und in jeder Zeit die Öelegenheit der Befferung, oder richtiger vielleicht Selbftbildung, in gleichem Grade offen laßt, fo ift doch wahr; Ih auch jegt Feine Zeit dabei zu verlie ven, da es wohl möglich feyn Fonnte, daß die Seele fih endlih im Pfuhl des Uns reinen und Bofen in einem foldyen Grade zu verkehren, im Stande wäre, daß fie fich zu allerlegt felbft gewiffermaßen verdamm- te, felbit gar nicht mehr zum Lichte zu: rüdfehren wollte. Und darunter verftehe ih die Sünde gegen den heiligen Geift, die nicht vergeben werden kann. Jede ans dere Auslegung diefer Stelle des Evange: liums fcheint mir eine der Gottheit unwürs dige.
Nach jener Anſicht waͤre denn wohl auch die Hoͤlle denkbar, und ihr Eifer, ſich Pro— ſelyten unter den Geiſtern anzuwerben, nicht minder,
* Te
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Daß ferner, bei allem Beſtreben, wuͤr⸗ diger zu werden, das Evangelium ein weit beſſerer Führer als alle andern philoſophi— ſchen und religiöfen Syfieme ſey, glaube ic) ebenfalls, aber durchaus nicht mit Eſchen⸗ mayer : daß diefes Evangelium die einzige Gnadenfonne für das Univerfum fey, und vollends fo ganz nur den Worten und der Form nach, wie 66 hier eufgeftellt wird. Anders würde es lauten, wenn gefagt waͤ— re: „die einzige. Gnadenfonne, die zum Heile führt, if die, welche aud) im Evans gelio und zwar dort im reinſten Lichte ſtrahlt.“ Aber daß g'rade dieſe Form die einzige im Himmel geltende Idee fuͤr die ganze Welt ſey, ſcheint mir eben ſo un— glaublich, als die gauz materielle Bekeh— rung fündiger Geiſter durch das bloße An— hören und Nachbeten biblifcher Sprüde und geiftlicher Lieder, Die ihnen die Seherin vorjagt, worauf fie fie gleich einer Medi—
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zin einfchlucden, und dadurch fofort ficht- lich lichter, und finaliter felig werden !!
Nein, fo arm ift wohl der Himmel nicht, und ſchon hier hat der heilige Geift die achte Gnadenſonne in jeder Religion und in jedem Bufen Dem enthüllt, der kindlich, nicht blind und ohne Denken, im Gegen; theil mit allen Kraften feines Geiftes zu— gleich, fie würdig aufzunchmen trachtet.
Darüber kann fi) auch Niemand irren, Mer fich in feinem Innern ruhig und be friedigt fühlt, weil er aus, auf Gefühl, Bernunft und Nachdenken gegründeten Glauben, das Wahre, Gute und Schöne für fein aͤchtes Element hält, und darin in Demuth; und inniger Liebe zu Gott noch weiter dem Heiligen zuftrebt, der ift ſchon hier glüdlic und auf dem Wege, zu noch) höherer Seligkeit, die fopriftliche oder tra- ditionelle Lehre, der er folgt, Fonme von wen und woher fie wolle.
Mie geht cs nun zu, daß im Sonnen;
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freife der Seherin, von dem doc) gefagt wird: dag darin genaue Rechnung über das moralifche Leben des Individuums ger halten und zu feiner Zeit im Lebenskreiſe verzeichnet werde — dennoch durchaus nichts dergleichen anzutreffen ift, fondern nur ganz triviale Bemerkungen über ihr Fürperliches Befinden? Weberhaupt waltet binfichtlich dDiefer Krankheit ein merfwürdiger Egois— mus bet der Scherin vor, denn fobald es ihrem Körper im Geringften ſchadet, weißt fie die ermen, nach Erlofung ſchmachten— den Geifter inımer fehr cavalierement ab, laßt fich auch felbft im Suppeneffen nicht von ihnen ftören, jammert über ihre höchft laftige ZudringlichFeit, ja verſchweigt fogar ihre dringendften Auftrage, bloß aus Ber forgniß: man werde hier darüber fpotten. Das fümmt mir ſehr hart vor, und uns möglich Fann ich doch annehmen, daß durd) die magnetifche Behandlung und wahrend derfelben der Scherin Moralitäat ganz aus
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dem Spiele bleiben follte, denn fie war fid) ja fortwährend felbit bewußt, ja im gefteigerten Grade, und folglich doppelt zur rechnungsfaͤhig. Wenn es fich aber um eine fo ungeheure Sadye handelt, als ci- nem Menfchen die ewige Seligkeit zu vers fhaffen, fo gehört Fein Eleiner Egoismus dazu, die Sache mit fo viel nonchalance zu betreiben. Ich wuͤnſche hierüber Beleh— rung, denn fo manche Taufhung und Leicht: gläubigfeit bei diefer merfwürdigen Ges ſchichte auch mit unterlaufen mögen, fo oft nur Bildliches für Realität genommen wurs de, fo find doch auch die tiefften, auffals lendften Andeutungen die Fülle darin, wel- cbe der redliche Forfcher nicht zurückweifen darf, und die felbjt in Feiner Art dem vernünftigften Denfen widerfprehen; ja felbft die Moͤglich keit, daß fogenannte Geifter, mit andern Worten dody nur: von den Menfchen verfchiedene und gewöhnlich niht fichtbare Weſen, dennoch) in unf’rer
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Nähe eriftiren und unter gewiffen Bedinz gungen mit uns verkehren, ja auch wohl dabei ganz ordinaire Handlungen begehen koͤnnten, wie 3. B. einen Löffel unfichtbar wegzunchmen u. f. mw. ift eigentlich nicht mit Vernunftgründen g’radezu zu beſtrei— ten. Berfchieden mochte es ſich indeſſen mit jenen Gefhichten, und daraus abgezo- genen Folgerungen, verhalten, die man aus innern Gründen für unglaublich erflären muß, weil fie unfinnig find; obgleich lei— der der Menſch überhaupt bei allen Reli- gionen und Religteufen, dem Heiligſten ftets auch Abſurdes angehängt hat. Darum fagt die Bibel:
„Prüfet und das Beſte behaltet!“ — Sie will alfo ebenfalls Feinen blinden Glauben. Die außerordentliche Trivielitat der Geifter ſtoͤrt mich am wenigften, ja ic muß offen befennen?: daß es g’rade dieſe Gemeinheit ift, welche mic) an fie glau- ben machen Fonnte, weil e8 mir immer ir
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rationell vorgefommen tft, einen fo ge waltfanen Sprung nach dem Tode anzu- nehmen, . der aus einem ganz finnlichen, rohen und gemeinen Menfchen, wie wir deren hier ja leider täglich in der Mehr⸗ zahl ſehen (und felbit Leider viel Werg am Rocken haben), ploͤtzlich einen erhab’- nen Geift machen foll! Wenn etwas un: finnig iſt, ſo iſt es dieß, daher mir auch noch feine gemachte Geiſtergeſchichte die an— ſpruchsloſe Neivitat der Prevorſt'ſchen Geis fler zu erreichen ſcheint, obgleich einige Yutoren, z. B. der felige Epieß, ihnen fehr nahe gelommen find. Unfchuldige Ges mürher finden aud) dergleichen Romane mit Recht ſehr ergößlih, und werden gewiß an ihrer Moralitat feinen Schaden dadurd) erleiden. Das Fonnte wie Spott Elingen, und ich. ftelle es auch eben nicht in Abre: de, daß man Über die Aventuͤren der Ser herin, jo wie zum Theil auch über das Benehmen ihrer glaubigen Umgebungen oft
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wider Willen in lautes Gelächter ausbre— chen muß, aber die Glaubwürdigfeit Diefer Begebenheiten hat dadurd), in mei: nen Augen wentgftens, nicht im Gering- ſten gelitten; denn wieviel, ich wiederhole 8, iſt hier auf diefer Welt nicht albern, und gibt es überhaupt eine perfünliche Fortdauer (was doch ein faft unbefiegbares Gefühl in ung andeutet), jo tft es ganz gewiß und notbiwendig, daß auc dort auf der nad ften Welt unterfter Stufe, ebenfalld noch viel Albernheit herrfchen muß. Hierin ift alfo der Zact der Scherin bei ihren Bir fionen jedenfalls hoͤchſt richtig.
Eben fo erfcheint es mir ganz plaufibel, daß der Nervengeift, fo zu fagen, einen Ab⸗ druck, oder fchattenartigen Kern des Kor: pers mit nimmt und jenfeits wieder pro- ducirt, aber daß er dieß auch von den Kleidungsſtuͤcken, die der Körper nicht ein: mal im Tode, fondern wahrend des Lebens
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gewöhnlich hier getragen, im Stande: tft, wird ſchon fehwerer zu begreifen,
Für die Klugen und Ehrlichen hat aber, wie fchon erwähnt, neben dieſem laͤcher— lichen Elemente, das Buch wahrlic auch einem: fehr ernften Inhalt, und wie in. al ler. irdischen Welt, fpiegelt: fih auch in ihm das Höchite neben dem Niedrigften ab.. Wer das Letztere num nicht glauben kann, der halte fi daher nur- an das Eritere, und dieß gewiß zw feinem Hreik Sch habe wenigftens fo gefühlt, als ich es las; wobei mich überdem die Gefchichten, als Poeſie, unterhielten, und dieß um fo mehr, weil ich. ihnen im vieler Hinſicht mehr Glauben fchenke, als. Andere zu- thum geneigt feyn mochten. Einen Scherz dar- über halte ich aber deßhalb aud) noch für feine Sünde, befonders da ich aus triftiz gen: Gründen weiß, daß von der guten Ge: fellfchaft des Zwifchenreihs Frau 9. fich leider Feines einzigen Beſuchs zu: erfreuen.
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batte. Sonft würde man fich bald über- zeugt haben, daß nicht alle Verftorbene im Hades fo ausgezeichnet alberne Teufel find, als der größte Theil derjenigen, welche uns bier befannt werden.
Um der Sache ganz anf den Grund zu fommen, follte Herr Dr, Kerner eine Reife nach Conſtantinopel maden, und dort ein: mal eine Mahomedanerin in helffehenden Zuftend zu bringen ſuchen. Es möchte dann wohl 10 gegen 1 zu wetten feyn, daß in diefem Falle die Somnambüle, wie die ihr erfcheinenden Zürfengeifter, den Koran und Muhammed als eben fo infaillible und ausſchließliche Mittel zur Seligkeit ange ben würden, als fie Frau H. in der Bi⸗ bel und Chriſtus findet — das gefteigerte religienfe Gefühl, die innige Anbetung und Liebe zu Gott dagegen wuͤrden gewiß Die namlichen feyn.
Soll ic) reſumiren, ganz reinen Wein einfchenfen,, wie man zu jagen pflegt, fo
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iſt meine Anſicht der Gefihichte der Se— berin von Prevorſt dieſe:
Wie ſchon im gewöhnlichen Traume oft Wahres und Falfches mit einander Hand in Hand gehen, und Vieles [dom darin uns unbegreiflich bleibt, fo ift es auch im mognetifchen Traume, nur mit dem Un⸗ terfchiede,. daß dort durch eine befondere, unendlich gefteigerte Nervenaffection, Deren ganzer Verlauf und Grund uns Dis jest ein Geheimniß geblieben, wirklich folche Dinge, die bisher für wunderbar oder un— möglih galten, nun möglich und wahr werden; wie z. B. das Feruſehen, Leſen mit gefchloff’uen Augen, Kundthuung zu⸗ künftiger Dinge (wiewohl immer in einem fehr engen, die Perfönlichkeit der Eeherin betreffenden, und aus ihr allein hervorge- henden Kreife), Blicke in eine vorher dem Individuo unbekannte Vergangenheit, viel— leicht felbft das Neden fremder Sprachen u. ſ. w. Neben diefem Reelfen, was ich der
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Kürze wegen als erwieſen zugeben will, bildet aber die Krankheit, und eine folche iſt es, auch Falſches, ja Abgefchmadtes daneben, das zugleich, fehr naturgemaßer- meife, feinen: ganzen Anftrich und Farbung von der Bildungsftufe des magnetifchen Individuums felbit annimmt.
Es iſt alfo fehr moͤglich, daß dir Se— herin im ihrem Schlaf eine uns nicht zu erflärende Kunde, 3. B. von dem alten Bürgermeifter Bellon. befam, diefe alte Thar- fache gleichfam in den Spiegel ifres Traums nad) Traumesart hineinfiel; fie eben fo das- Actenftüd in jener andern Sache im Ge richtshaufe ganz richtig gefehen hat, und dennoch das Uebrige, was ihr Traum, im Sinne ihrer individuellen Anfichten und Lieblingsneigungen, darum her gebildet hat, namlich die Geifter, und ihre durch fie practicirte Erlöfüng, ein bloßes Schaum— bild waren; eben ſo wie jede gewoͤhnliche Traumgeſchichte, ehngeachtet eine Menge
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wirklich eriftirender Gegenftande darin vor fommen, deßwegen nicht um ein Haar breit glaubwürdiger wird, fondern im Ganzen doch immer nur ein phantaftifcher gehaltlofer Wahn bleibt. Es wäre alfo eine feltfam unlogifche Behauptung zu fchließen: Weil einiges ung Unerflärliche in der Gefcbichte der Seherin als erwiesen zu betrachten ift, fo muß das Ganze wahr feyn! Sc) folge lieber Herrn Kerner’s eig'ner Anficht über die Erfchei- nungen, die Blake und Nikolai hatten. Er meint: „viel möge hier Taufchung, aber doc) auch einige achte Gefpenfter darunter gewefen feyn.“ So fage ich auch über Herrn Kerner's Buch: Manches ift ſchoͤn darin, Manches mag wahr darin feyn, aber das Meifte bleibt Unfinn, und diefes kann man daher, mit eben fo vielem Nech- te, ein Hereinragen der Narrenwelt, als der Getjterwelt, in die unfre nennen. Mas nun die vielen übrigen Gefpenfter- gefchichten betrifft, deren große Uchnlich-
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keit die Mahrheit der Prevorſt'ſchen bewei— fen helfen foll, fo tft dieß ein fihr ſchwa— ches Hülfsmittel, denn abgerechnet, def bier Lüge und Wahrheit ſchwer zu unter foheiden find, fo waren Diejenigen, welche ſolche Spufereien gefehen haben wollen (Herr Kerner felbft nicht ausgenommen), allzufammen in einem mehr oder weniger analogen Zuftande krankhaften Nervenreis zes, und es ift alfo höchft natürlic), daß fie unter ähnlichen Verhältniffen und unter den allerdings noch nicht erflarten Einflüß fon eines Kranfen auf den Andern, auch Aehnliches haben fehen muͤſſen, wobei denn gewig die Anſteckungstheorie in vielfachen Beziehungen gar nicht ohne Grund feyn mag. Alles aber, was diefe Geifterfeher bisher geſchaut, bewegt ſich leider immer nur in einer gemeinen und trivtalen Melt, fo daß die Geifter in Fleiſch und Bein ge huͤllt, uns ſchon ganz anders wichtige Din- ge offenbart haben. Erfihiene einmal nur
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einer Hellfeherin ein Geift, der ihr ein Buch dietirte, wie z. DB. wie Profeffor Hart: mann’s „Beift des Menfchen“ ift, fo koͤnnte man mit Freuden daran glauben: daß dieß die Verfündigung eines fchon höher ge lauterten Wefens ſey — fo lange diefe Geifter uns aber nur, wie die Prevorfter Dofen, mit KalE und Unrath bewerfen, oder, wie die Prevorfier Guten, in Fal- tenkleidern Lieder aus dem würtemberg’- fchen Gefangbuche vorfingen, laſſen wir ſolchen Poͤbel des Geifterreichs lieber in feiner Ruhe, und begnügen uns mit dem, was wir fchon auf dem gewöhnlichen menſch— lihen Wege erlangen koͤnnen. Um derglei- chen Refultate willen ift es wahrlich noch nicht nöthig, die Vernunft für eine bloße irdifche Anftalt, das Denken für die ges meinfte Function unfrer Seele, und die Gefühle auf der Herzgrube für das einzig Heilige anzunehmen. Die Tugend ift die Hauptfache. Concedo — das lehrt ung
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auch) die fo gering gefchäßte Vernunft, und Dank fage ich, g’rade in ihrem Namen, aus vollem Herzen dem Doctor Kerner für fo manches Schöne und Herrliche in Profa und Verfen, was mich in feinem Buche erfreut und gerührt hat, aber dann trem nen wir uns ganzlid — denn Ver: nunft, Verftand und Wiffen find mir alle ſammt zu edle Dinge, um nicht mit Zu- verficht hoffen zu dürfen, daß fie auch ſaͤmmtlich einer fernern Ausbildung jenfeits fahig feyn follten, ja eine Billion Pre vorſt'ſcher und and’rer Geifter werden mid) davon nicht abbringen, und ich hoffe zum gütigen Gott, deßhalb auch weder ewig verdammt zu werden, noch mich Jahrhun— derte lang im Zwiſchenreich langweilen zu muͤſſen, bis es einer Schlafwachen gefällt, fid) en passant mit meiner Erlöfung ab— zugeben, wahrend fie ſich ſelbſt dabei Me- diein verfchreibt, oder in guter Ruhe ihre Suppe ißt.“
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„Nun,“ fagte ©. ...., Indem er fein Blatt hinlegte, „find Sie meiner Mei- nung?“
„zum Theil, aber ich dachte, Sie ftell- ten fi) in Ihrer Schrift etwas füßer an, als fie eigentlich find. inigemal mußte ic) heimlich Tachen, denn Sie famen mir ganz wie der Wolf im Schaafspelz vor, der fich zuweilen vergißt und herausbeißt.“
„sch weiß, daß Sie ſcherzen, fonft brad)- ten Ste mich ernftlih in Harnifch; denn Sie Fennen mic) wohl genug, um voraus— zufegen, daß Heucheln jeder Art mir fremd iſt. Mo ich mich pofitiv ausfpreche, rede oder fchreibe ich nie anders als ich denke, Aber freilich, meine Anfichten und Gedan- fen find nicht immer ganz gleich, und ich babe darin etwas vom Dichter an mir, daß ich mich in fehr verfchied’ne Stand— puncte manchmal fo lebhaft hineindenfen fann, daß ich fie irrthümflich eine Weile
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für nieine eig'nen anſehe. Ware das nicht, Ste hatten mir ja nie das Amt ertheilt, worin ich bei urf’rer verehrten Geſellſchaft angeftellt bin. Wenn Ste mic), mit lie benswürdigem Spott, Shren Denker nen: nen, fo tft es nicht der tiefe und fehwere, den Sie haben wollen, fondern der leichte und bewegliche, gewiffermaßen eine zweite (allerdings weniger ergogliche) Edition der ehemaligen Hofnarren, von denen man eben feine ftrenge Confequenz verlangt, und ein Wort zuviel, leichter vergibt, als eine Thorheit zu wenig. — Uber Sie haben mir noch eine Geiftergefchichte verfprochen, und ich halte Sie bei'm Wort.“
„Diefe ift Furz und wird bald erzahlt feyn:
Yuf dem Schloffe des Grafen van ber Ne... in Holitein gab es ein Zimmer, das fchon feit einigen Jahren von den wenigen Bewohnern aͤngſtlich geflohen ward, weil man jedesmal um die Zeit der Mitternacht
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dafelbft ein hoͤchſt Flagliches ſchaudererre— gendes Geheul vernahm, das ganz dem Sammergefchrei eines Menfchen glich, der gewaltfam ermordet wird. Es dauerte, wie man erzählte, nur ohngefähr eine Mi— nute lang, und hörte zuletzt, wie mit ei: nem in Todesnacht verfinfenden, fihmerz- lichen Seufzer auf.
Die Herrfchaft hatte nie auf dem Schloffe gewohnt, es fügte ſich aber g’rade jetzt, daß der Befißer, der eben feine Gemahlin verloren hatte, um fich von traurigen Er— innerungen zu befreien, es für eine Zeitz lang zu feinem Aufenthaltsort auserfah. Durch einen eig'nen Zufall beftimmte er g’rade das verrufene Zimmer zu dem feis nigen. Der Caftellan unterftand fich zwar, etwas von dem- darin ftatt findenden Spufe zu außern, doch der Graf eriwiederte mit einem trüben Lächeln, daß er auf fo etwas nicht achte, befahl, die beiten Meublen
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unverzüglich daſelbſt aufzuftellen, und Al— les fo bequem einzurichten, als es in der Eile möglid) ſey.
Nachdem er gefpeift, ging er fogleich herauf, und legte fich, da er von der Reiſe fehr ermüdet war, zeitig zu Bett.
Indeß mochte doc die Erzählung des Gaftellans nicht fo ganz unwirkſam geblie- ben ſeyn, denn gegen Mitternacht erwachte er, und kaum hatte die alte Thurmuhr zwölfmal mit dröhnendem Zone qusge fihlagen, als, ſcheinbar ganz nahe bei ihm, das graufenhafte Gehenl ertönte, immer entfeglicher ward und dann, nach und nad) abnehmend, wie hinter der Wand verhallte,
Der Graf fprang erfchroden auf, klin— gelte feinem Diener; die Stube, alle Ne: benzimmer wurden aufs Genaufte durch— fucht, aber nicht das Mindefte, was An— laß zu dem Gehörten geben Fonnte, gefuns den, ımd dem Grafen blieb nichts übrig,
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als ſich wieder miederzulegem, und fo gut er fonnte, den Schlaf zurüdzurufen. Nachdem am folgenden Morgen die Un- terfuchungen von Neuem, wiewohl eben fo frachtlos, wiederholt worden waren, ließ der Graf zur nächſten Nacht verfihted’ne Perfonen in allen Nebenzimmern, fo wie im Corridor, als Wachen aufftellen, und hoffte nun der Sache dadurch ein Ende gemacht zu haben. Doch begab: fich- Alles g’rade fo wie vorber,. und blieb eben fo unbegreiflich. Mehrere Tage vergingen auf diefelbe Weise, mit unermüdeten Verfuchen zu einer Entdefung des fonderbaren Kla— gegefchreis, doch auch nicht die, leifeite Spur einer, Erklärung. zeigte fih. Der Graf, ein fehr herzhafter Mann, erklärte endlich, daß, wenn der Geift nicht wei- chen wolle, er. es eben fo wenig thun wer— de, und feine Mohnung behauptend, gez wöhnte er ſich zulest ſo fehr an die ſtets
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wiederfehrende Erfeheinung, daß er kaum darauf mehr achtete.
So vergingen zwei Zahre, und mehrere Bekannte, die im Verlauf diefer Zeit den freiwilligen Einfiedler befuchten, hörten öf- ters mit ihm das Naͤmliche.
Da ftarb ein fteinalter Secretair des vo— rigen Grafen, der ſchon langft, halb con: tract und faft Eindifch, fein Dachſtuͤbchen, das er über dem Zimmer des Grafen inne hatte, nicht mehr verlaffen, Und mit feiz nem Zodestage — verſchwand aud) der Spuk plöglich, ohne ſich ſeitdem je wies der hören zu laffen.
Einige Zeit darauf follten die Meublen de8 alten Mannes verauctionirt werden. Zus fallig erfuhr der Graf, daß eine feltfane alterthümliche Stußuhr darunter befindlic) ſey, und da er dergleichen Antiquitäten fehr liebte, befahl er, fie für ihn zu erfte- hen. Dieß gefchah, und die Uhr wurde, nachdem der Kammerdiener fie forgfaltig
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aufgezogen, auf fein Verlangen in feiner Stube und nahe an feinem Bette aufge ftellt.
Wie entfeßte fich der arme Graf aber, ald um Mitternacht wieder das alte Ges heul, nur noch furchtbarır und lauter als früher, von Neuem ertünte, Aus dem Schlafe auffahrend fprang er, entjeßter ale das cr> ftemal auf, überzeugte fi) aber auch fait augenblidlich, bei'm Scheine des Nachts lichts, daß es die Uhr ſeyn muͤſſe, von der der Laͤrm ausgehe. Dieß war auch der Tall, und zwar in Folge eines ſeltſamen Vexirwerks, das Niemand vorher in ihr geahnet.
Ob der alte Mann ein fchadenfrohes Ver— gnügen an diefer Sache abfichtlich unter: halten, oder ob er in feinem Findifchen Zu: ftande von der Vorausſetzung eines ver— meintlichen Spufes im Schloſſe nie etwas gehört, felbft aber zu fehr an das Spiel
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feiner Uhr um Mitternacht gewöhnt war, um noch etwas Auffallendes darin zu fin: den, tft nie genau ermittelt worden.“ „Wie viele angebliche Geifter mögen eben fo materieller Natur. feyn,“ fagte ©... .- 2 „doch beweifen fie freilich eben fo wenig et= was dagegen, als die unerflärten. dafür.“ „sch für meine Perſon ziehe aber jedenz falls immer die Lchtern vor, der Effect, der davon zurückbleibt, ift weniger nüchtern,“ „Es geht mit den Gefpenftern in diefer Hinficht wie mit den Religionen. Je glaͤu— biger der Fanatismus, defto beffer! Als ic) in Nom war, wurde der Fuͤrſt Bi... aus falſch verftandenem Neligionseifer ka— tholifch, und zugleich närrifch. Er qualte fi) feitdem mit der fonderbaren Idee: ob er ein Mönd) oder eine Nonne werden foll- te, und frug uns fehr ernfthaft defhalb um Rath. Sch fchlug ihm vor, etwas ganz Neues, noch nicht Erhörtes zu ftiften, und
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ein Nonnerich zu werden, beiläufig gejagt, ein von mir erfund’ner Name, den Sie mir in Shren Briefen gejtohlen haben. Er ergriff dich mit Feuer, ging nicht mehr aus feiner Stube, trug ein von Mönchen und Nonnen zugleich entnommenes Cofiüm, und gab lange, unter diefer abentheuerli— hen Rolle des Nonnerichs, unf’rer luſtigen Geſellſchaft Gelegenheit zu den lächerlich: fien Moyftiftcationen.“
„Man muß fagen,“ erwicderte ich, „hs rem Rathe zu folgen ift .einladend! Cie mögen manchen armen Teufel in diefer Art auf dem Gewiſſen haben.“
„O,“ fagte S..... lachend, „mit Unter: fhied. Habe ih Ihnen ſelbſt nicht den vortrefflihen Rath gegebeu, Ihre tutti frutti zu fohreiben, und habe ich nicht fo- gar eine gute Portion von dem Meinigen no großmüthig dazu geliefert 2“
„Ja es iſt mir auc fchlecht genug be-
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fommen, Ich danfe Gott, daß ich dem Ende des letzten Theils nahe bin, und von Ihnen und den übrigen böfen Geifter, die daran helfen, nichts mehr darin vor— kommen wird; denn der Berliner Sonn tagsgaft haft uns bereits Alle folenniter in den Bann gethan. Hier, fagte ich, und übergab ©..... ein großes Couvert mit einem officiellen Siegel, worauf Herz, Kreuz und Roſen prangten, mit der geiftvollen Umſchrift:
Des Chriften Herz auf Roſen geht, Wenn's mitten unter'm Kreuze fteht.
„Was foll ih Damit?“ frug ©....., dem fchon bange zu werden anfing. „Deffnen Sie, und lefen Ste vom Ans fang bis zu Ende die darin enthaltene Num— mer 11 vom Jahr 1834, die mir für Gie zugeſchickt wurde,“ O Himmel! firafen Sie mid) nicht fo
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bart. Was enthält fie denn Intereſſantes für mich?“
„DaB Sie von jedem unnüßen Worte Kechenfchaft geben follen, was in unſerm Buche fteht.“
©..... verſtummte.
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Nro. 63.
Sch höre fo oft, wenn von Romanen oder Schaufptelen die Rede tft, fagen: Diefe und jene Charactere find doh nicht im Ge— ringiten gehalten!
Man verfteht aber hierunter meiftens ct- was, was gar nicht die Natur eines Men: fchen, fondern nur die eines Automaten ift — denn wo findet man den lebendigen Men- fhen, der nicht hundertmal aus feinem Character fiele, wenn man einen fo feften Maßſtab als eine Elle an ihn legen will.
Ein dergleichen regelmäßig gehalt’ner, aus bloßer Reflerion abitrahirter Character bleibt immer hoͤlzern, während der wahre Dich- ter, den nur Inſpiration leitet, auch al- lin wahre Weſen fchafft, und ſich den- noch, oder vielmehr eben deßhalb, die größ-
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ten Freiheiten mit feinen Helden heraus: nehmen darf.
Eben fo gcht es auch mit dem Schau: fpieler. Je vielfeitiger er einen Character aufzufaffen im Stande ift, je reicher und wahrer wird feine Darftellung ſeyn, ja man wird genug Gelegenheit haben, zu bemer— fon, daß er da oft den höchften Effect, den Glanzpunct feines Spiels hervorbringt, wo er eben fcheinbar aus der Nolle fallt, d.h. wo er die ganz unerwartete Seite, und nicht geahnete tiefe Verwickelung eines Characters durd eine glücdliche Wendung ploͤtzlich an’s Tageslicht treten laßt. Der befte Dichter, um an ihm diefe Wahrheit zu ftudiren, iſt Shakespeare; Schauſpie— ler, die ſie illuſtriren, haben wir leider nicht mehr. Miß Oneil und die Bethmann, Iffland und Fleck waren von diefer Art.
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Nro. 66.
Ein neues Buch über Selbftunterricht im Reiten, aus dem Engliſchen hoͤchſt poſſier— lich überfegt, ift fo gewiffenhaft genau, daB es felbit folgende Anweifung enthalt:
„Die auf Reitdahnen gewöhnliche Sitte, dag der auffteigende Reiter zuerft den Ans wefenden ein Compliment madt, kann bei'm Selbſtunterricht, wo man al lein iſt, wegfallen.“
Eine andere Stelle, die Anſchirrung des Pferdes betreffend, iſt folgendermaßen uͤber— tragen:
„Schwanzriemen. in Finger wird er laubt, um darunter fpielen zu Tünnen.“
nn
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Pro. 67.
Wie dem Don Quirotte, erfcheinen auch mir die Windmühlenflügel als etwas Omi- neufes! Nicht aus Beſorgniß, mit ihnen in Sollifion zu fommen, fondern weil der Gedanke etwas Hölifhes für mich hat: daß fie fih ewig mit reiſſender Schnelle folgen, ohne fih je erreichen zu koͤnnen. Ich werde darüber fentimental, und fie fommen mir vor wie das Bild unglüd- licher Liebe zu ewiger Sehnfucht verdammt!
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ro. 68.
Jemand jagt fehr richtig: „Charactere, die mehr Serle und weniger Geift haben, bleiben Dem, was fte ergriffen, bis zu feinem gänzlichen Untergange treu, und opfern fich felbjt, wenn alle Hoffnung ver: loren tft; um aber große Charactere zu feffeln, müffen noch Elemente des Gelin- gens vorhanden feyn. Ohne diefe hört felbft- das Intereſſe daran bei ihnen auf.“
Dieß tft auch der Grund, warum Na- poleon nach Waterloo fo handelte, wie er ge handelt hat, und fich nicht, wie Lord By: von lächerlicherweife wollte, den Tod eines unglücklichen Spielers gab. Es war dic niht Schwäche, cs war Größe!
Et EEE
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Pro. 69.
Die ftärfiten Zeiten wareır immer fronım.- Aber auch; der Gehorſam, die Aufopferung blüht nur in den ftarfen Zeiten. In den erſchlafften will man nicht mehr gehorchen, und verſteht auch nicht mehr zu befehlen. Daraus entiteht denn nothwendig Anarchie. Welches feltfane Schaufptel bieter in diefer Hinficht Frankreich jeßt dar. Auf der einen Seite zeigt es uns einen König, der, feit er auf dem Throne fit, fortwährend Einzelne feiz ner Unterthanen bei den Gerichten injuria- rum belangt,. und felten Recht dabei be> halt; auf der andern Seite ein Volk, das erklärt: es wolle zwar eine Monarchie aber nicht Unterthan des Königs ſeyn — ja es mäjfe, nach dem Grundfaß der Bolfs- Spuperainität, fowohl der Nation in Maf;
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je, wie jedem einzelnen Individuo frei ftchen, einem andern Könige zu buldigen, wenn es dieſen vorziehe; und Gerichtser- kenntniſſe haben dieſen Grundfaß ſanctio— nirt!
Das iſt die Nation, die ſich die gebil— detſte in Europa nennt und es in vieler Hinſicht wirklich iſt! Hier ſieht man recht, welchen unſinnigen Wirrwarr, auch bei den geſchickteſten Leuten, eine falſche Stel lung hervorbringt. Frankreich hat nur zwei Wege vor ſich: Es muß den Grund⸗ faß der VBolfe-Souverainitat aufgeben, und freimüthig entweder zu einer wirklichen Mos warte zuruͤckkehren, das Oberhaupt jey, welches es wolle, oder zur Republik über- gehen. Eher wird es weder Ruhe, noch Dauer wieder erlangen koͤnnen.
Spanien Fann vielleicht einft zum zwei— tenmale die erite Rolle in Europa fpielen,
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wenn es ihm gelingt, feine unglüdliche re: ligteufe Richtung mit dem verzehrenden Un— geziefer feiner Priefter und Pfaffen los zu werden. Diefer Nation iſt es dann viel leicht befchteden , das geſuchte Gleichgewicht wieder herzuftellen, welches jeßt überall gefährdet erfcheint. Denn in Spanien al- lein tft eben das Volk, der fogenannte ge— meine Mann, der befte Theil der Nation; ein Volk, das mehr als alle übrigen, Treue, Gehorfam und Liebe als innerftes Mefen feiner Natur bewahrt hat, und eben deß— balb fo ſchwer nur zu reformiren, fo lang- fam felbft von feinen thorigften Vorurthetz len gu befreien tit,
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Pro. 70.
Wie fih die Zeiten andern! Ehemals trugen nur die Vornehmen und“ Ritter Schnurrbärte, dann nur Hufarem und Kut— fcher, heutzutage vorzugsweife Laderdiener und Handwerfsbirfchen. Eben ſo legen
die Türken ihre ehemaligen Bärte ab, und:
die Saint-Simoniften fie an.-
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ro. 71.
In mehreren Provinzen Sranfreichs wird der Caffee aus Schüffeln mit Eplöffeln ge geffen, in Deutfchland nippt man ihn aus Heinen Taſſen, in England aus großen, und in Stalien trinft man ihn aus Bier— glafern. Auf jede Art ſchmeckt er in der That bedeutend anders, denn das Wie ift faft eben fo wichtig, als das Was. Aus diefem Caffeefaß kͤnnte man wahrjagen !
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IR
Um uns gleich höher zu verfteigen, denn aus dem Kleinen entfpinnt fich das Große, wollen wir fagen: Formelle Behandlung gibt allen Dingen erft ihren Werth, Die fonft nur roher Stoff find.
Was macht die Natur fihon, und zieht uns bei ihr an? Nicht die Elemente, fon- dern ihre Bildung zu Meer und Land.
Worin verliebt man fih? Nicht in die Atome, die das Weib bilden, fondern in die Zufammtenftellung derfelben, in die Form weiblicher Schönheit. Alle Kunft ift alfo auf die Form baſirt, und die Schaßung der Form eins der Hauptprarogative des Menfchen als denkenden Wefens; daher bei höhern Weſen die Steigerung wahrfchein- lih noch bis in's Unendliche fortgeht, und
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die Sternenmaffen, das ganze Uniserfum zulegt gewiß eine überirdifche Schoͤnheit haben, die unfer Geift ahnen mag, aber unf’re Sinne noch nicht faſſen Fonnen.
Und fo wird es auch im Intellectuellen feyn. Se complictrter die Form, je erhab'⸗ ner! Schon das Genie, welches hier er: fcheint, ift doch eigentlid nichts als die Bereinigung der Eigenfchaften Mehrerer in einer felbfiftandigen Form erfcheinend. By— ron und Walter Scott 3. B., ſchon viel fache vereinigte Kräfte, noch einmal in eins gefhmolzen, würden Shafefpeare fehr nahe kommen. Warum follten wir nach dem Zode nicht auf diefe Weife fortdauern, und vollfommner werden durch Bereinigung Vie- ler zu Einem?
73.
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Es iſt nicht zu verwundern, daß beſon— ders die Großen der Erde, die Herrſcher und Fuͤrſten, die Froͤmmigkeit an Andern lie— ben, und ſich auch ſelbſt zu ihr hinneigen. Fuͤr's Erſte erklaͤren ſie ſich mehr als wie Andere ausſchließlich von Gottes Gnaden, und gehen daher gern ihren Unterthanen mit dem guten Beiſpiel vor: ſich Gott, als ihrem unumſchraͤnkten Herrn, zu unter— werfen — damit jene in der Stufenfolge ihnen ein Gleiches .erzeigen. Ferner aber müffen fie auch, als ſchwache Menfchen, die dennoch zu Erdengdttern geftempelt find, oft felbjt das Bedürfniß der Demüthigung vor einem Höheren noch mehr ald Andere fühlen, um gewiffermaßen dem lieben Gott
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freiwillig wieder zu bezahlen, was fie von ihren Völkern ebenfalls gratis empfangen. Endlih ift die Religion und die Kirche, wenn leßtere nicht etwa dem Monarchen felbft über den Kopf wächſ't, allerdings von allen politifchen Zaͤumen der, welcher nach der Gefchichte Lehre bisher am Belten ge wirft bat.
Tutti Frutti V. 11
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74.
Als ich den erften Theil der Cabinetsors dres Fr. des Gr., gefammelt von Breuß, durchgelefen (von der Geſchichte felbft ſpre— che ich jeßt nicht), hatte ich ein Gefühl, dem ganz ahnlich, als hätte ich lange die Düfte Zupiters von Vhidias betrachtet. Diefer König war ein gebor’ner Herrfcher in vollen Sinne des Worte. Don ihm kann man mit Necht fagen: daß er Vater und Herr feiner Unterthanen war. Zugleich befonnen und Fraftig, unverdroffen und ge recht, liebreich und ftreng, tapfer und nach— gebend, wie es paßte, und immer weife, bleibt er ein Mufter der Könige für alle Zeiten.
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75.
Geftern hörte ich einen originellen Beweis für die Mahrheit der Offenbarung. „Wer nicht an die Möglichkeit einer Offenbarung glauben will,“ fagte mein Freund, „der braucht nur Shafefpeare zu lefen, um ihrer inne zu werden. MUeberzeugt er fi dann nicht davon, fo ift Hopfen und Malz an ihm verloren.“
141%
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#76.
Das ächte Gemüth ruht nit bloß im Herzen, es lebt auch im Kopfe. Aber es gibt auch eine Art, die bloß im Kopfe ih— ren Sitz bat. Beide find einfeitig, und ic müßte nicht zu entfchetden, welche von dies jen Halbheiten den Vorzug verdiene. Mehr erregen wird die zweite, mehr geliebt wer- den die erfte, beide vereinigt aber nur fef- feln auch wieder Herz und Geift zufammen mit gleicher Stärke.
Seltfam aber ift es, daß die Deutfchen allein das Wort dafür, und eigentlich aud) das Weſen in feiner tiefften Bedeutung be: figen. Dennoch möchte es fehr ſchwer wer- den, genau zu definiren, was man unter diefem Ausdruck eigentlich zu verftehen habe.
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Hier iſt aber beiſpielsweiſe eine Aeußerung, die nur aus einem gemüthlihen Menjchen hervorgehen kann.
„Man muß Semanden einmal wehe ge than haben, che man ihn ganz und vollitän- dig. lieben kann.“
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71.
Reifebefchreibungen find meine Lieblings: lectüre, Sch Ierne wenigftens, das Studium der Gefchichte ausgenommen, aus ihnen am meiften, und je ungelehrter und einfacher die Reifenden, je lieber find fie mir.
Kann man in diefer Art etwas Intereſ— fanteres leſen, als der Gebrüder Landers Reife in Africa? Es ift ein Roman voller Abenteuer, und gibt mehr zu denken als manche Predigtfammlung.
Unter andern ficht man daraus recht deutlich, daß die Menfchen fid) am Ende doch überall in der Hauptfache gleich find, und der Unterfchied der Givilifation eigent- lid) etwas ganz precaires ift, was oft ganz allein nur von diefen oder jenen früher einmal angenommenen Anfichten abhängt.
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Unfere Tracht z. B. gibt gewiß an Un- fhönheit und Unzweckmaͤßigkeit der der Wilden nichts nach, oft aber übertrifft jene die unf’rige weit an Gefhmad und Nuͤtz— lichkeit. Ob man fich mit rother Erde oder mit weißem Mehl pudert, ift am Ende auch ziemlich gleich, und ob man fich mit Glas: perlen oder Ziegelftücten oder mit Ordens— trödel ſchmuͤckt, ebenfalls.
Die religieufen Anfichten diefer rohen Voͤlker find, nach dem Folgenden zu urtheiz len, auch nichts weniger als unvernünftig, felbft mit den unf’rigen verglichen. „Die Priefter fagten uns,“ erzahlt Landers, „daß fie an eines höchften Gottes Daſeyn glauz ben, und an .einen Himmel, wo er wohnt. Dieß glorreihe und allmachtige Wefen wache über die Schickſale der Menfchen während ihres Lebens, und belohne oder be: firafe jeden im fünftigen Leben nach feinen Verdienften.“ Doc haben fie von einer Hölle oder dem Orte ewiger Qual durd)
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aus Feine Vorftellung, was der orthodore Engländer natürlich fehr bedauert. „Die Seelen der Guten,“ fagen fie im Gegen theil, „werden in ein ruhiges, glückliches, ſchoͤnes Land gebracht, in welchem feinen Affen zu wohnen geftattet ift (wie glüd- lich!) und wo fie immer bleiben. Die Boͤ— jen dagegen müfjen, bevor ihnen geftattet wird, an fo vielem Glüd und Genuß Theil zu nehmen, Schmerz, Kummer und Strafe dulden, und mancherlei Qualen find für fie bereit, bis fie hinreichend ihre Miffethaten gebüßt haben, worauf fie nad) und nad) in den glücklichen Zuftand erhoben werden.‘*
Zanders gibt hier abermals fein Bedauern über diefe unvollfommenen Nationen von der wahren Holle zu erfeunen. Mas aber uns betrifft , fo fcheint es doc) auch noch nicht fehr lange her zu feyn, daß wir nur fo vernünftig als diefe Africaner geworden find!
DBetrügeret und Egoismus herrſchen frei
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ih dort vielfach, wie bei uns; im Ganzen genommen aber regiert ebenfalls das Recht, und in zwei andern koſtbaren Eigens fhaften: Gehorſam und Gaſtfreundſchaft — übertreffen fie ung.
Taglicher Verkehr mit Europa würde die meiften diefer Völker des Innern gar bald gleich uns civilifiren, nur behüte fie der Himmel vor chriftliden Miffionairen!
Hoͤchſt merfwürdig, wiewohl auf ganz andere Weife, ift die Relation der Fahrt des Herru Lindfay und des Dr. Gußlaff's an den chinefifchen Kuͤſten. Was mid) bei diefer hauptſaͤchlich in Erfiaunen feste, war Feineswegs die Auskunft, welche wir darin über China finden, fondern vielmehr die, bier an den Tag gelegte, wahrhaft überne- türliche Unverfhämtheit der Engländer!
Sch muß geftehen, daß ich ſeitdem eine große Hochachtung vor dem chineftichen Gouvernement und der Weisheit feiner Be— hörden befommen habe; es auch den Chir
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nefen nach folchen Beifpielen Feineswegs mehr verdenfen kann, wenn fie uns für Barbaren anfehen.
Der Feigheit der Chinefen ihre hriftliche Duldung mit der Frechheit der Europäer zuzufchreiben, ift faum denkbar, da eine Handvoll Menfchen von einer folhen Maffe, vote ihnen hier entgegenftand, am Ende doch durch die bloße phyſiſche Kraft erdrüdt werden müßten, ja ziemlich gefahrlos mit Parapluies todtgefchlagen werden koͤnnten. Die Chinefen haben aber offenbar eben fo gehandelt, wie vernünftige Menfchen bei ung es auch thun, wenn fie einem Beſoff'⸗ nen oder Verruͤckten begegnen, der fie bela- ftigt, und den fie, fo lange es irgend mög- lich tt, in Güte zu befchwichtigen, und ſich vom Halſe zu fchaffen fuchen.
Das Naiv’fte aber ift, daß unf’re Bar: baren fich felbft immer im größten Rechte glauben, wenn fie auch gegen alle Sitte und Völferrecht handeln, und das Erſtau—
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nen gar nicht begreifen koͤnnen, mit welchen die Mandarinen fie betrachten, „als wenn fie gar feine Menfchen warın.“ Sa, fie find fo gluͤcklich in ihrer Selbjtzufriedenheit, daß fie auch das Lachen aller Zufchauer über die fremden Narren, nur als Beifall ausle- gen, den man ihrer Grobheit fchenft.
Wir haben wirklich vom himmlifchen Reiche noch etwas zu lernen, und ich möchte wohl eine chinefifche Relation über dieſe Begebenheiten leſen; wo fich dann vielleicht auc) die Kanonaden der chinefifchen Flotte, welche die Engländer bei ihrer Abreife hin- ter fich vernahmen, nur als Freudenfchüffe erflären würden: folcher ungehobelten Gafte, mit guter Manier endlich glücklich los ger worden zu ſeyn.
Bei alle dem hat indeß doc) eine ſo co— loffale Smpertinenz , wie die Engländer fie faft von jeher gegen alle Völker ausgeübt, eine ehrwuͤrdige Seite; denn mit dieſer Conſequenz durchgeführt, verfehlt fie bis auf
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einen gewiffen Grad wenigſtens, ihres Er- folges nie. Die Meiften laffen fich von ihr verblüffen, und geftatten deren Ausuͤbern zuleßt ein formliches Necht dazu. Gute Deutſche! Ihr habt in diefer Hinficht ohne Zweifel in Europa die meifte Aehnlichkeit mit den Chinefen.
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78.
Ich lebte neulich mehrere Monate auf einem einfamen Zagdichloffe tief im Forfte, mit Feiner andern Gefellfchaft als ſechs Hunden, eben fo viel Pferden und einigen andern Thieren, Eine Dame, der ich aus jenem Orte fchrieb, und meinen Brief mit den Morten abbrach: „lebe wohl, ich muß jet meine Hunde füttern,“ nahm dieß fehr übel auf, und machte mir bittere Vorwürfe über meine Hundeliebe.
Darauf antwortete ich ihr Folgendes:
„Warum foll ich die Hunde nicht Lieben? Die Thiere verdienen in mancher Hinficht mehr Liebe ald Du und alle Menfchen. Die Thiere find göttlich, rein und unverfälfcht; die Menfchen nur menfchlih, und felbft
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das nicht immer, Gott ſey's geklagt! Denn wir follen erft werden, was fie fchon find — unfhuldig.
Ueber Alles, was ich deßhalb fchon von ihnen gelernt, über die unbefchreibliche Lie: benswürdigfeit, die g’rade diefe Unfchuld ihnen gibt, koͤnnte ich ein Buch fchreiben. Ein wahres Vorbild für den Menfcyen aber ift befonders der Hund, Sch befige einen Pudel, den ih zum Hofmeifter meines Sohnes machen würde, wenn ic) einem hätte. Einjtweilen benuge ich ihn zu meiner eig’ nen Bildung. Wird es Dich nicht rühren, wenn ich Dir folgenden trait von ihm er zahle?
Er hatte eine feltfame Zuneigung, eine wahre Leidenfchaft für eine junge Kate ge- faßt, die er bei Spaziergängen ftundenlang im Maule mit fich herum trug, und wo ein Ruhepunct eintrat, behutfam abſetzte, um mit ihr zu fptelen. Bei'm Freffen
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nahm fie ihm ftets die beften Biſſen weg, ohne daß er fie je daran hinderte,
Die Kate ftarb, und ward im Garten begraben, Mein Pudel zeigte den tiefften Kummer, rührte fein Futter mehr an, und heulte die ganze Nacht hindurch Elaglich.
Wie erftaunte ich aber, als am nachften Morgen der Pudel wieder mit der Kate im Maule erfchien. Er hatte fie ausgegra- ben, und nur mit Gewalt konnte man fie ihm entreiffen. —
D wie rein, ohne alle Beimifchung find eure Tugenden, o Thiere! Treue, Gehor— fam, Muth, Geduld u. ſ. w., wie vollftän- Dig ift Alles bei Euch ausgepragt! Fehler habt Ihr eigentlich gar nicht, aber, was wir fo nennen, etwa — Gefraßigfeit, Um genirtheit, Eiferſucht, Neid, Schelmerei, Diebs- und Raufſinn — Alles wird bei Euch, Thiere, wegen feiner Natürlichkeit, anmuthig. Wenn ich z. B. wegen Unpäß> lichkeit im Bette frühftüfe, und meine
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kleine Zemire, ein Windfpiel von Friedrich des Großen gefchichtlicher race, wie ein Pfeil hereingefchoffen Fommt, mit einem Sat aufs Bert fliegt, und mit der Schnels ligfeit einer Biene, die aus einer Roſe nippt, im Fluge die Haut vom Rahmtöpf: chen ftiehlt, und mit demfelben Sprunge auch fchon wieder die außerfte Ede des Bettes erreicht hat, wo fie, fich demüthig niederfauernd, um Verzeihung fleht, und mich dazu mit jo fchalfhaft blinzelnden Aeuglein, die wie Sterne funfeln, comifch verftohlen anfchielt — fo behaupte ih, daß das muthwilligfie Mädchen nicht Iieblicher und artiger fcherzen koͤnne. Oder wenn ich reite und mein riefenmäßiger Neufundlänz der, fcheinbar unbefangen, neben mir hers trabt; jest aber ylößlich quer über den Weg einen Löwenfprung von fünf Fuß Hohe macht, um mein Pferd en passant fpielend bet der Nafe zu paden; dieſes, er ſchrocken zuruͤckfahrend, aufbaumt, und ich
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ihn dann entrüftet fchelte, er jedoch), feelen- vergnügt über den angerichteten Unfug, mir nur die lofeften Blicke zuwirft und frohlo— end darüber belt, mich fo gut angeführt zu haben, während er im Gefühl feiner Sicherheit (da ih ihm vom Pferde aus nichts anhaben kann) hoͤchſt glüdfelig, mit lang von ſich geftredtem Schweife, um mich her caracollirt — fo kann ich manch— mal fo herzlidy über ihn lachen, daß ich foft meinen Si auf dem Pferde zu behal- ten Mühe habe, und doch nothgedrungen mir geftehen muß: daß Menfchenjpaße die fer Art fich zehnmal plumper geftalten würz den. Noch unterhaltender vielleicht find die poffterlichen Kunftftücde und Luftfprünge, die meine feidenhaarige Hühnerhündin mit ihren Kleinen anftellt, wenn fie ihnen den erften Unterricht im Laufen gibt, und nad)- ber fo dankbar mir die Hande ledt, daß ich ihr die Zeit dazu gelaffen.“
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Doch, um von den Yunden nicht zu viel zu fagen, gehe ic) zu einem zahmen Kra— nic) über, einem genz fonderbaren Kauz, der unter andern, wenn er hungrig ift, felbft an der Küchenthüre fo lange Elingelt, bis man ihm etwas zu effen bringt, bei deffen Tanzen aber gewiß Fein Menfch ernfthaft bleiben kann. Iſt er gut gelaunt, fo be gleitet er mich oft bis an die Parkgraͤnze, fortwährend einen unermüdlicyen Grotesk— tänzer abgehend. Man wird, wie bei Hoff mann’ Erzahlungen, vom Gomifchen in das Phantaftifche hinübergeriffen, wenn man nah und nac) des Kraniche Kopfperdre hungen immer convulfivifcher und feine Sprünge immer colofjaler werden fieht, bis fie zulegt die Höhe des Haufes errei- hen, und er endlich die, bisher nur den Tact fchlagenden, Flügel ganz entfaltend, ftatt eines Poffenreiffers, der er war, nuu wie ein majeftatifcher Geift, weit über die
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höchften Spigen der Fichten hinauf, ſich in den Wolfen verliert.
MWenn ich aber vollends die Rehe an eis nem duftenden Frühlingsmorgen in ihren Liebesſpielen belaufche, und die füße Zart- lichkeit, die unnachahmliche Srazie und In— nigfeit aller ihrer Bewegungen bewundern muß, da fommt mir oft faft das Weinen nahe, und ich werde fo fromm, daß cs mir das Herz zerfprengen möchte; cine Stim— mung, in die, aufrichtig gefagt, mein Beichtz vater weit mehr Mühe hat mich zu bringen, als diefe unvernünftigen Thiere.
Alfo, Geliebte, goͤnne mir meine Liebe zu diefen Gefchöpfen, und hege Feine fernere Eiferfucht auf felbige. Bewundere fie viel mehr mit mir gemeinfchaftlih, und wo fonnteft Du das befier als hier. Berede daher Deinen guten Manı.....
Dod) hal? — im Schweigen ift Sicher: heit, wie Cromwell fagt. Mehr braucht
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das Publicum von diefer Correfpondenz nicht zu wiſſen — denn daß ich die Thiere nicht allein liebe, wird es doch auch ohne— dem wahrfcheinlich finden — und daß die Menfchen, wenn es ihre Lieblingsneigungen gilt, nicht viel enthaltfamer, als die Thiere find — das weiß es leider auch!
Nur foviel alfo noch zurNachricht: Liebte mich einmal ein Mädchen fo aufrichtig, unterwürfig und natürlich, wie mein Hund, ich heirathete fie auf der Stelle, doch eber ſchwerlich.
Meine Ziehung möge jetzt mit einer ern⸗ ften Warnung fchließen.
Der englifche Minifter, Sir James Gras ham, endigte jeine Nede im englifchen Par— lament für das Intereſſe des Landbaues
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mit folgenden für uns höchit inhaltfchweren Worten: „Die Bande zwifchen Gutsherren und Paͤchter (hier Bauer), die von der größten Wichtigkeit find, haben fchon etwas (hier bereits faft Alles) von ihrer Feftigkeit verloren. Sehr bedauern würde ich es, wenn man fie noch Ioderer machen wollte; ein einziger falfcher Schritt würde dem Gutsbefitzer Verderben bringen, und dem ganzen gefellfchaftlichen Körper einen Stoß verjeßen, den das Land ſchwerlich aushalten dürfte. Wenn eine folhe Maßregel durch» ginge, würden zwei Drittheile des Lan— des feil, und die Grundſtuͤcke maffen: weife losgefchlagen werden (wie es bei ung ſchon in vielen Provinzen der Fall ift, und zwar meiftend sub hasta). Dadurd aber würde nicht nur eine Claffe verarmen, fondern der Staat felbft feinem Ruin entgegen eilen.“
Ah! erwachten wir doch über dieſen
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Punct, fo lang es noch Zeit iſt! Denn ein Grundherr wird bei ung bald nichts and’res mehr heißen: als ein Herr der zu Grunde geht. —
HER.
Naive Bemerkungen
eines
Mannes vom Sande,
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I war lange nicht in der Reſidenz gewefen, und aufrichtig gefagt, etwas ver- bauert.
Um mid) daher wieder au courant zu fesen, die rauhen Angewöhnungen wo mög- lich abzufchleifen, und mein einfaches Leben durch einige bunte Farben zu erfrifchen, beſchloß ich von Neuem einen Bli in die große Welt zu werfen. In wenig Tagen umgab mich wieder das Gewimmel der Hauptftadt.
Es war ſchon fpat am Abend, als ic) ankam, und die Neugierde bewog mich fo gleich zu einem Spaziergang bei Mond: ſchein.
Tutti Frutti V. 12
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Welche Pracht, welcher edle Geſchmack, fagte ich freudig zu mir, hat fich bier ent— faltet! Auf dem Gensd’armes-Marfte hatre ich geglaubt, in Griechenland zu feyn, wenn nicht aus alter Zeit noch ein paar haßliche Anhängfel ftehen geblieben wären, die man wehrfcheinlich noch nicht Zeit gehabt hat, wegzufchaffen. Was mic) aber am andern Morgen noch mehr in Erftaunen feßte, war, daß auf diefem fchonen Plag mitten in dem anfehnlichften Stadtviertel und zu dem Fuße eines der edelitien Tempels Thaliens, ein abicheulih ſchmutziger Fiſch- und Victua— lienmarkt abgehalten wurde, der faſt die Paſſage hemmte und Auge und Naſe auf das Unangenehmſte belaͤſtigte.
Nur erhab'ne Gefuͤhle dagegen bewegten mich, als ich vom Brandenburger Thore aus, von Ueberraſchung zu Ueberraſchung uͤbergehend, meine Schritte nach dem herr- lichen alten Schloffe unferer Beherrfcher lenkte. Der Eraftig elegante florentinifche
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Palaſt, gleih zu Anfang der Promenade, gibt eine grandiofe Zdee von den Wohnun— gen unfrer Privatleute, und es wunderte mic) recht fehr, fpater jo viele fchale Witze— leien über diefes Gebaude hören zu muͤſſen, die doch eigentlih alle nur aus dem dunf; len Gefühl entfpringen, daß es, g’rade hier Molirt, zu edel gegen die Umgebung abfte- che. Der Tadel trifft alfo, genau befehen, nur den fchlechten Geſchmack der gemeinen Haufer rund umber, die c8 wie ein leben— dig hingeftellter Vorwurf trifft. Sehr zu bedauern iſt es befonders, daß die Selegen- heit nicht benußt wurde, ein gegenüber ſte— hendes Valais von gleich großen Dimenfio: nen auch in gleidy gutem Styl zu verän: dern, Nichts hatte Die impofante Stra: Fe fchöner beginnen koͤnnen. Die fchone Linden- und Rüftern- Allee, welche der Straße den Namen gibt, hat etwas gelit: ten, weil man zu einer gewiffen Epoche die unglücliche Idee faßte, die ehrwürdigen al 12*
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ten. Baͤume auszuroden, um von Holland mit großen Koften verfchriebene Lindenpfähle dafür hinzupflanzen, die noch immer nur zweraabnliche Aeſte getrieben haben.
Immer grandioſer erfchien das Ganze, je mehr ich mic) dem Schloſſe näherte,
Die Wache, der leider noch immer die fo wohl verdienten Trophaen fehlen, reihte ſich würdig dem. großartigen Zeughaufe an, und die Marmorhelden vor ihrer Sronte fehienen im ‚zitternden Strahl des Mondes wieder [ebendig werden zu wollen.
Su noch wundersollerem Glanze erhob ih das Mufenm, dieſes unvergängliche Monument der edlen Kunftliche unfres Kö- nigs, und des hohen Genius, der es ge ſchaffen. Schade, daß es allen Bauten Schinkel's, wieden Meifterftäden gothiſcher Baukunſt geht. Sie bleiben alle in irgend etwas unvollendet!
Wie hier den Canal entlang Maſſen uͤber Maſſen ſich thuͤrmen? Wie verſchieden in
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ihren Einzelheiten, wie erfreulich gleich in erhab’ner Wirkung !!
Es ift wahrlich eine große Gnade Gottes für ein Volk, wenn ein Genius unter ihm geboren wurde, der für die Nachwelt gelebt bat. Darum, großer Mann! wenn gegen- wartiger Unverftand an Dir makelt, troſte Dich, mit der ungerheilten Bewunderuug, die einft die Enkel Dir lohnender zellen merden..
Als mich alle diefe Gefühle faft über- mannen wollten, Eehrte ich auf den Opern⸗ ylas zurüd‘, und freute mid), daß die alte Commode auch noch da war. Man muß auc) etwas zur Herabfiimmung haben. Zu große Volfommenheit möchte ermüden, und ich kann nicht leugnen: die neue Fenereffe, von der man hinfihtlicdh des Styls nur ſa— gen kann, daß fie im langen Styl crbaut ſey, wie: der zufammengefniffene Dom ent- ſprachen diefem wohlthätigen Zwecke gleid)- falls fehr.. Sch biu nicht blind, wie man
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ſieht, aber Schinkel wegen diefer feinen Schatten einen Vorwurf zu machen, koͤmmt mir nicht in den Stun.
Am andern Morgen begann ich meine Viſiten bei Zung und Alt. Es fiel mir auf:
1) daß fait alle Damen, die ic) zu Haufe antraf, hinter einer Epheuhecke in ih— rer Stube entweder faßen, oder auf und ab patroullirten;
2) daß alle Tifche im Zimmer, ja felbit die Sophalehnen, mit einer Menge Geruͤmpel, wie in einer Antiquarens bude, bedeckt waren.
Ber den Hübfchen nahm es fih nod) ganz gut aus, aber wenn eine Alte, die der Pique-Dame glich, hinter ihrem Epheu— gitter wie ein feltenes Thier paradirte, und unter allen Merkfwürdigfeiten ihres Apar—
ee. tements als’ die größte erfchien, konnte ich⸗ mich manchmal kaum des Lachens cat halten..
Als eine dritte Sonderbarfeit erſchien es mir, faft immer an einer Wand des Wohnz zimmers alle Tithographirte Portraits der Foniglichen Familie (mehrere Dußend an der Zahl) ald Zeichen eines feurigen Par triotismug m eine unfoͤrmliche Maffe an einander gereiht,. aufgehangen zw fehen — und was für ungetrene Portraits für treue Unterthanen! Als ich fpater auf ci- nem Balle frug: Himmel! wer ift diefe englifch fchöne junge Dame mit den mil den blauen Augen, voller Geift und Güte, dem bezaubernden Weſen voller Grazie und Hoher? und zur Antwort erhielt: das iſt die Prinzeffin Wi... fo hätte ich darauf gefchworen, die Lithographie, welche ih fo vielfach vorher von ihr gefchen, müffe von cinenr Blinden. angefertigt wor—
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den ſeyn; und mit den meiften der Uebri— gen. war c5 nicht anders befchaffen.
Ich behaupte nun, folche hapliche Copieen herrlicher Originale an die Wände zu hänz gen, ſey ungemein unpatriotiſch — getraute mich aber, blöde, wie. ich bin, doch nicht, es Jemanden zu fagen,
An den. meiften Damen, die ich befuchte, bemerfte ich übrigens heute. bedeutend viel Unruhe, und fie liefen oft an's Fenſter. Erft bei der dritten oder vierten. Vifite er— fuhr ich die Urfache, Der Hoffourier fuhr namlich. herum, um zu einen, dejeüuner- dansant bei Hofe einzuladen. Es verſteht ſich, daß Jede ſich ſehr gluͤcklich fühlte, die dieſes beneidenswerthe Loos ſelbſt traf, aber wurde man. uͤbergangen, jo; wollte man. doc) wenigſtens wiſſen, ob die oder jene Bekannte im der Straße auch nicht, oder. doch, dazu auserforen. ſey. Hielt der Hofmereur nun nirgends weiter an, ſo malte ſich immer noch eine ziemliche Zu—
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friedenheit auf den Phyfiognomien der Schoͤ⸗ nen, ftand aber die Caroſſe irgendwo ftill, fo war der. Unmuth nicht zu verfennen. Nun, dachte ich bei mir, die Refidenzen find doc) auch nur größere Krahwinfel!
„Est-il possible ?!“ rief Frau von N, „da wird wahrhaftig die alte Schadhteldedel mit ihrem ausrangirten Prinzenklepper wie der befohlen! Nun, meine Tochter, an Dich wird wohl diefen Winter die Reihe nicht fommen !“
„O M’ma,“ erwiederte diefe, „ich liebe auch die Srühballe gar nicht, und bin noch vom geftrigen Brühl’fchen ganz fatiguirt.“
„Da haft Du ja gar nicht getanzt!“
„Eben deßwegen, M’ma, es war fo lang- weilig mit all? dem Creti und Pleti. Den: fen Sie fih, Eine ftellte ſich hinter den Prinzen E...., und fagte: Sie Narciß! — der Prinz antwortete, fich halb umſe— hend: Gänfeblümchen — que me veux tu?
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Und dann war ein General Eifenfreffer da, der ſchreckliche Grimaſſen ſchnitt. Wenn Jemand von Katzen ſpraͤche, ſagte uns Graf R...., befame er gleich den Zufall. Sie alauben nicht, M’ma, was für Carri— cafuren man dort antrifft. Die gute alte B.... war auch zum Zodtlachen. Ihr Kleid war hinten von einander geborften, und formirte eine große Spalte, die den ganzen Ball über offen blieb, ha, ha, be, id) muß noch lachen, wenn ich daran denfe. “ Bei diefen Worten empfahl ich mich.
Mas mich fehr in der Nefidenz erbaut bat, iſt die allgemeine Frömmigkeit, die ich jeßt hier antreffe, und für die doc) fonft Berlin, felbft unter dem großen Friedrich), gar nicht fo berühmt war! Heiligenbilt- chen, Erucifire, die zehn Gebote Funftreich
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gefchricben, überrafchen Einen haufig, und verfteigen fich ſelbſt bis im die zierlichtten Boudoirs. Ich fah fogar ein Schlafzim—⸗ mer bei einer alten Befannten, mit nichts Anderem als einem Ecce homo hinter dem Bette, und einer hängenden Bibltorhef von lauter Erbauungsbüchern gefchmädt. Als ich dieſe letztern aber durchblätterte, war, der Himmel weiß wie, aud) der Fau— blas, ſchoͤn Schwarz eingebunden, mit einem großen, gold’nen Kreuze auf beiden Seiten, nit darunter gerathen. Vielleicht follte er fich dort befehren, wie mande Betſchwe— fier auch früher nur eine Bertfchweiter wer.
Men glaubt, daß das neue Modejour— nal, vom 1. künftigen Monats an, jede Nummer mit einer Predigt beginnen, und, ftatt Calembourgs und Cannondrums, Sprüche aus dem Sonntagsblatt enthal— ten werde — eine fehr zweckmaͤßige Neue— rung, denn ein Modejournal muß doch vor Allem die Mode mitmaden.
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Viele Leute, die dieß gehörig: einfehen,. machen nebft der Mode auch ihr Glüd durch die Frömmigkeit. Man nennt: fie Sutriguanten, ich finde das aber Feines: wege. Der gute W. pflegte zu meiner Zeit zu ſagen: „Sch intriguire nie, fondern wenn ich etwas erlangen. will, gehe ic) immer den g’radeften Weg, g’rade durch die Lichtenau durch“ — und ſo gehen aud) Die, welche heute etwas haben wollen, „g’ra- de durch die Frömmigkeit durch,“ und «8 bekoͤmmt ihnen ſehr gut.
Bei meinen Abendbefuchen fand ich, eben fo regelmaßig als früh hinter denn Epheu— gitter, jede Dame hinter einem runden Tiſch und einer enormen Aftrallampe fißen.. Alle Vorbereitungen zum Thee waren ficht- bar, nur die Gaäfte blieben gewöhnlich aus. Man faß. in der Wüfte mit höchiteng zwei bis drei Perfonen, und Feder war wahrend der ſtockenden Unterhaltung nur darauf be> dacht, wie er geſchickt den Moment: erlauz
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fen möge, wo er fich mit guter Manier wieder aus dem Staube machen koͤnne.
Nur einige Koryphaen der Gefellfchaft erfreuten fich eines zahlreichern Audito— riums, und ftabilerer Konverfationiften.
Am einfamiten fand ich es bei einer jungen G©elehrtin, die eben hinter ihrer Aftrallanıpe eingefchlafen war, als ich herz eintrat.
„Ach!“ fagte fie nach der erften Begrü- Bung: „ich las eben im. Stern von Se villa. Welch’ ein göttlicher Dichter iſt doch Calderon!“
„Wenigſtens ſcheint er Ihnen eben einen geſunden Schlaf verſchafft zu haben, gnaͤ— dige Frau,“ erwiederte ich; „aber,“ ſetzte ich hoͤchſt tölpelhaft (man erinnere ſich, daß ich vom Lande kam) hinzu: „wie koͤmmt's, daß Sie ſo allein ſind?“
Die Heine Frau. verzog; ein wenig: ihr huͤbſches Geſicht, und fagte:
„Mein. Gott, ich. wollte heute. eigentlich
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gar feine GSefellfchaft feben, fondern dieſen Abend Clio weihen. Ich erwartete Ro. den genialen Hiftortfer und fanften Politiker.“
„DO, wie fehr würde ih mich freuen, rief ich aus, die Bekanntſchaft diefes aus: gezeichneten Schriftftellers zu machen! Ser ben Ste ihn ost, gnaͤdige Tran ?“
„ob ich ihn fehe? Er war und it noch immer mein Hofmeiſter.“
„In der That 2“
„Ja, Id) lernte viel von ihm, denn Nie— mand iſt tiefer im die mittlere Gefchichte eingedrungen. Darin tft er wirklich) eins zig! — Uber mein Herr, Sie fommen vom Lande, finden Sie nicht den Ton der Reſidenz hoͤchſt affectirt und unnatuͤrlich?“
„zuweilen,“ ſagte ich, mich auf die Lip— pen beißend, „doch Liegt das ohne Zweifel mehr an meiner eigenen Unbefanntichaft mit dem Ton der grogen Welt, als an dieſem ſelbſt.“
„Seltſamer Menſch! Wahrlich, ich glau—
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be, Sie ſind noch beſcheiden. Eine voͤllige Unſchuld in grauen Haaren! Das iſt ja ordentlich ruͤhrend. Einen Mann wie Sie koͤnnte ich heirathen!“
„Gnaͤdige Frau,“ ſagte ih erſchrocken, „ich bin ſchon verſehen.“
In dieſem Augenblicke kam Herr R..., und um Lehrer und Schuͤlerin nicht zu ſtoͤren, wich ich von dannen.
Weiter iſt mir an dieſem Tage nichts Bemerkenswerthes aufgeſtoßen.
Ich war zu einem Diner bei meinem Freunde X. gebeten. Er hatte mir geſchrie— ben: „Wir find nur ſechs Perſonen, lauter alte Bekannte, Du Fannit auf luſtige Ge fellfchaft rechnen, und was Küche und Kel— ler beirifft, denke ih, wirſt Du uns aud) nicht degenerirt finden.“
Ich Fam, um nicht zu fpar zu kommen,
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ſchon eine halbe Stunde früher, als ic) gebeten war, und fand meinen Freund in großer Verzweiflung. „Denke Dir, fagte er, ein böfer Damon muß über uns wal- ten! Drei unf’rer Säfte laſſen fi) nad) einander entfchuldigen, weil fie bei Prinzen befohlen worden find, wo die Etikette dann nicht erlaubt, einem frühern Engagement zu folgen.“
Kaunı hatte er ausgefprochen, als ein neues Billet erſchien, und auch der vierte Gaft meldete, er fey fo eben zum Kron— prinzen befohlen.
„Simmel!“ rief mein Wirth, wie Augu— ftus verzweifelnd als er des Varus Niederz- lage erfuhr (denn er genirte fich nicht mit mir), „o meine böhmifchen Safenen! meine grünen Erbfen, für 10 Thlr. das Pfund! meiin prachtiger Seefiſch! es iſt zum Todt— fchießen. Jetzt muͤſſen wir’s allein. auf effen, wenn wir. koͤnnen. Und: wie. wirft
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Du Dich: mit mir töte-a-tete langweilen, alter Freund !**
Ich bat: ihn ſich zu beruhigen, mit Wahr; heit verſichernd, Daß: ich gar nichts vers miffen, würde, aber freilich. hinfichtlic) mei— nes; AUpperits wur für einen Mann meine Schuldigkeit thun Fonne,“
„Geſtehe aber,“ ſagte er, „es iſt hart, daß wir nie auf unſ're Gaͤſte rechnen duͤrfen, ſelbſt wenn fie zugeſagt haben. Nicht cher, als bis fie effectiv am Tiſche Platz genom- men, iſt man gewiß, ſie zu beſitzen. Un— fere Prinzen. ſollten ſich der armen Diner; geber erbarmen, und gleich uns Andern, vier Tage vorher ihre Gaͤſe befehlen. Wenn wir heute cine Indigeſtion bekommen, lege ic) es auf ihr Gewiffen.“*
Es ging jedoch Alles beffer, als mein Freund: befürchtete, und obgleich nur allein uns gegenüber, unterhielten wir uns doch recht gut.
Mein Freund jammerte im Anfang viel
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über die heutige Zeit, ein Gefprach, das alte Leute immer wahrhaft con amore führen, weil fie ſich den vermeintlich glan- zenden Gegenfag ihrer! Jugend dabei fo recht lebhaft vor Augen ftellen koͤnnen. „Die Moral unfrer Tage,“ rief er (als ih ihm meine Bemerkungen über deren Wachsthum in der großen Welt mitgetheilt hatte), noch. immer übler Laune aus: „welch ein gebrechliches Werk iſt das! Und unf're große Melt — ach Du lieber Gott! fo ylump und roh, und unwahr dabei, war jie wohl noch nie, Sie wird fidy aber doc) noch zu übertreffen fuchen. Nur der Mit telftand ift in amf’rem heutigen Lebenswe— fen noch fchlechter und elender. Die Eur: wicelung, die dieß einft nehmen kann, iſt gar nicht abzufehen! und das Schulenprei- fen, was jet bei uns eingeführt wird, und dahin ſtrebt, jeden Bauer zum Gelehrten zu machen, wird mit dem halben Wiſſen, das es wie eine Epidemie unter alle Clai-
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fen verbreitet, es nur noch fchlimmer ma— hin! So haben wir auch vor dem Halle: fchen Thore eine Befferungsanftalt für ver: wahrlof’te Kinder, aber die vielen Zugrund- richtungsanftalten für wohlerzog’ne Fräaus leing nehmen fich viel glanzender ans! O Saint Simon, ich muß an Dich denken! Dor einigen Tagen fagte mir ein Freund: Neulich war ih in Betrachtung verfunfen, was denn bei ung eigentlich an die Stelle der vormals fo bedeutenden und reichlichen Stockpruͤgel getreten ſey? und es leuchtete mir unwiderſprechlich ein; die Eramina! Naͤmlich als Calamitaͤt ganz gewiß; ob auch an Wirkſamkeit, ift noch die Frage. Daß die untern Claſſen dabei im Vortheil find, ift klar, denn geprügelt werden fie nicht mehr, und eraminirt nur die obern, welche nun gerade fo unglücklich find und unter der Zucht feufzen, wie jene vor— mals. —“
„Du haft wohl recht,“ fagte ich, „wir wils
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fen nicht mehr, was wir wollen, noch fol: len. Wie leicht ward c8 dagegen in ihrem geregelten, fo klar vorgeſchrieb'nen Leben unfern Vorfahren! Mit unbefchreiblichem Vergnügen las ich neulich in dieſem Sinne die Memoiren des Grafen von Dohng, höre nur: Einmel ſpaßt der Kurfürft mit feinem Stocke, und ſchlaͤgt dem Befehle; haber feiner Garden damit dermaßen auf die Schienbeine, dag biefer vor Schmerz einen Auganbli die ſchuldige Ehrfurcht faft aus den Augen ſetzt, und ſich fogar empfindlich zu außern wagt. Er fallt na türlich in Ungnade, und wird alfobald jet wer Würden entſetzt. Den andern Tag er ſcheint er, nichts deſto weniger wieder, jiz dod in Armerſuͤnderkleidung, bei Hofe. Der Kurfuͤrſt wird gerührt, begnadigt den Verbrecher, „aber,“ jagt er, „weil Ihr fo fenftble feyd, werde ich nie mehr mir Euch ſpaßen.“ Da ſtuͤrzt ſich Dohna nieder, umklammert des Gebieters Kniee, und fleht
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um neue Schläge, denn lieber will cr ſich todtfchlagen laffen, als nicht ganz auf alte Weiſe bes. oder mißhandelt zu werden.
Und dieſer Dohna war dennoch ein homme de qualite, ein durchaus herrlicher Mann, und einer der bravjien Officiere der Armee. — Meiters Graf Dohna reiſ't fer: ner Braut, entgegen, und bringt ihren Schmuck mit. Er koͤmmt an einen über: getretenen, reifenden Fuß: Die Bruͤcke iſt nicht mehr — aber die Braut wird unge: duldig ſeyn! Da fiürzt fih der Kammer- - Diener, das Kafichen mit den Steinen über den ı Kopf haltend, in den Strom auf die Gefahr zu, erfanfen, und Graf Dohna folgt ihm. Welches Devouement von Herrn und Diener und worgibt es jeßt in irgend einem Stande, noch Achuliches ?*
Doch,“ ſagte mein Freund, „Depouement iſt noch da, nur in edleren Dingen ! Das Volk betreffend, exinnere ich Sie bloß an Schleier⸗ macher's Begrabniß, welchem ſeit dem Tode
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der feligen Bethmann Fein’s gleich gefom- men iſt — und wie Diele opfern fid dem Wohl des Staats. Hatte er je mehr Diener?“
„Site wollen fcherzen, merfe ich wohl, aber Sie werden dennoch nicht leugnen, dag wir wirklich Manner befigen, um die uns jede Regierung beneiden kann.“
„Darin muß ich Ihnen aus voller Seele Necht geben“ antwortete mein Freund mit recht leuchtenden, patriotifchen Augen. ‚Wir haben erjt ganz neuerlich ein ſchoͤnes Bei— fpiel davon gefehen, ald unfer Prafident Rother fo gefährlich krank danicder lag, und vom Hochiten bis zum Letzten fich eine Theilnahme Fund gab, die etwas wahr: haft Rührendes hatte. Sn der That, Dir fer ift einer von den wenigen Dienern des Staates, über die Fein getheiltes Urtheil ftart findet, den Jeder von Herzen verehrt, und deffen genialem Scharfblid und bie derer Rechtlichkeit das Land ſelbſt einen
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großen Theil feines Credits verdanft. Ein folder Mann verſoͤhnt mit gar vielen Mit: telmäßigen und Webelwollenden, über die man fonft genug zu fenfzen haben würde!
Mas mir aber immer am meiſten an dem Prafidenten gefallen har, find befon- ders zwei Dinge! einmal die ſchlichte Ein- fachheit, mit der er fo anfpruchlos das Geniale Schafft, und das Gute durchführt, als ſey es nur das Gewöhnlichite — zwei: tens die cdle Treue, die er, wie Wenige, dem Andenken feines frühern großen Goͤn— ners erhalten har! jenes berühmten Staats: mannes, welchen Hunderte, die nur durch ihn etwas geworden find, fo ſchnell gering fhätzen lernten, als nichts mehr durch ihn zu erhalten war.“
„Es gibt noch zwei andere ausgezeichnete Männer in Berlin,“ fuhr ic) fort, „von des nen man in einer und der andern Hinficht Daßelbe wie von Rother fagen Fann, und Beiden huldige ich eben fo von Grund des
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Herzens. Sie werden leicht errathen, wen ic) meine, Alle Drei bilden ein edles Klee blatt, deffen Tange Erhaltung ich dem Staate, deffen Zierde fie find, aufrichtig wuͤnſche. Obgleich felbft Fein gebor’ner Preuße, wiffen Sie fattfam , wie fehr ich überhaupt an Ihrem Lande hänge, wo ein fo weifer und gerechter König herrfcht, und wo auch im Allgemeinen der Geiſt ſo kraͤf— tig die Moterie überflügelt — doch kann man nicht leugnen, das Fleiſch hat dort aud) zuweilen feine ſchwachen "Stunden, wie ſreilich überall!
In der jetzigen Epoche ſteht indeß Preu⸗ ßen beſonders groß da, denn das Einfluß— reichſte, was in Deutſchland feit lange ge⸗ ſchah, iſt ohne Zweifel der von Ihrer Ne gierung ausgehende Deutſche Zollverband. Endlich ein Band, das nachhaltig Deutſche, in dem Sinne nationeller Einheit, wirklich verbinden wird, ganz arcders in's Leben greifend, als es der deutſche Bund vermag.
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Der Minifter, von dem diefe Idee ausging, erlangt einen europäifhen Ruhm, und wenn ich mir ein fchlechtes Calembourg erlauben darf, fo wird man, wie Jemand von einem Ihrer Prinzen gerühmt: „Jeder Zoll ein Ritter“ — Fünftig in Deutfch- land fagen koͤnnen: „Jeder Zoll ein Maa— Gen!“
„Gott geb’ es!“ fagte mein Freund, „Um aber noch einmal auf unfern verehrten Ro— ther zurücdzufommen, fo gibt es, feine Verdienfte als Staatsdiener abgerechnet, auch wenig fo unterhaltende und joviale Gefellfchafter im gewöhnlichen Leben, und gewiß feinen liebenswürdigern Wirth, als er in feinem Haufe ift, was ich erſt fürze lich felbft erfahren habe.
Wie manche picante Unecdote erinnere id) mid) damals und früher aus feinem reichen Leben von ihm gehört zu haben, ein Leben, das gewiß einen fehr intereffan-
Tutti Frutti V. 13
— ein Stoff zu Memoiren darbieten wuͤrde, wenn unſ're deutſchen Staatsmaͤnner nur den guten Sinn haben wollten, hierin den franzoͤſiſchen mehr nachzuahmen. Ich muß Ihnen eine dieſer Anecdoten, als Beiſpiel zum Beſten geben:
Der Praͤſident befand ſich einſt mit dem Staatscanzler, Fuͤrſten von Hardenberg, deſſen Gefolge und dem bekannten Arndt, auf der Inſel Ruͤgen. Bei Beſichtigung eines der ſchoͤnen Puncte dieſer Inſel hatte ſich zufaͤllig der Canzler, mit Arndt im Ge ſpraͤch begriffen, mit dieſem etwas von der Geſellſchaft in's Gebuͤſch entfernt, als mit einemmal ein lauter Schrei aus jener Di— rection ſich vernehmen laͤßt. Rother ſpringt ſogleich hinzu, und findet den Fuͤrſten blu: tend am Boden liegen, während Arndt die Haͤnde ringend um Huͤlfe ruft. Der Keßtere hatte nämlich einen Aſt zurücdbiegen wol len, der, ihm entgleitend, den Etaatscanz- ler fo heftig in's Geſicht gefchlegen, daß
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er ihn zu Boden warf, und ftarf an dır Naſe beichadigte. Man eilte Faltes Waffer zu holen, um das Blut zu ftillen, und hob den alten Fürften anf, der fi nur ziem— lic) langfam erholte, „Mein Gott!“ fagte Rother beforgt, „weicher unglückliche Zufall! Iſt Euer Durchlaucht jeßt wieder etwas beffer ?“
„O,“ erwiederte der liebenswürdige Greis mit feinem fo gewinnenden Lächeln: „es ift nichts — der Zeitgeift hat mich nur ein wenig auf die Nafe gefchlagen.‘*
Ein launiger Zufall fügte es, daß Furz darauf der Prafident eine Marmorbüfte des Staatstanzlers, von Rauc) gefertigt, er hielt, in welcher der Marmor einen Fleck hatte, der, wie man noch heute in des Präs fidenten Landhaus jehen kann, deutlich die Heine Schmarre abbildet, welche das Ori— ginal an jenem Tage „im Conflict mit dem Zeitgeifte* davon trug.‘
Mir Famen jegt auf Literatur zu ſpre—
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den, und nad einiger Zeit frug mein Freund: „Haben Sie fchon das Buch Ra- bel gelefen ?“
„Mehr als einmal,“ erwiederte ich. „Die ſes Buch) iſt eine merfwürdige Erfheinung! Es gefallt Allen, aber recht verfichen wird man es erft in hundert Sahren “
Ich Fannte die außerordentliche Frau, von der es doc) nur einen Heinen heil ihres umfaffenden Geiftes enthalt, der in Allen feiner Zeit weit vorausgeeilt war.
Auch die Einleitung zu dem Buche, von Varnhagen, fcheint mir in Gedanken wie Doritellung, ein vollendetes Meifterftüc, und indem man diefes tiefe und klare Ein- dringen in die geheimfien Labyrinthe des Herzens, wie der Sprache bewundert, fühlt man zugleich, daß ein Verluft, wie ihn Varnhagen durd) den Tod einer folchen Ges fahrtin erlitten, nie mehr im Leben ganz zu erſetzen ift!
Das Buch felbft ift ein wahrer Katechis-
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mus für mic) geworden, und feit mehreren Monaten las ich, wie meine Stimmung eben war, nichts als Rahels Briefe, Varn— hagen’s geiftreiche,, ſo anmuthig belchrende Kritifen und Heine’s unübertrefflihe Witz⸗ fenerwerfe. Damit hat man eine ganze Bibliothek!“
„Standen Sie je mit Varnhagen in Correſpondenz?“ frug mein Freund.
„Allerdings, und ich fee einen hohen Merth darauf; denm es gibt im der That wenig Menschen, die folche vollendete Briefe zu fchreiben verftchen. Ihr Inhalt iſt Mur ſik und ihr Yeußeres ein Gemälde — denn Sie Fennen Varnhagen's calligraphiiche Starke. Ich befige wohl fünfzig und mehr Briefe von ihm, und da tft doch nie, aud) nur ein Buchftabe ausgeftrichen, Feine Phrafe, die nicht auf das Vollendetite ge: rundet erfchiene, Fein Gedanke, der nicht etwas Neues, Picantes, Gedieg'nes ent hielte. DVarnhagen ift freilich ein berühm:
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ter Schriftfichler indeß daß man in forg- faltig gefeilten Drucfchriften fo weit koͤmmt, gelingt auch Andern — daß aber eine Quelle fo lauter, rein, und gleich reichhal- tig, wie immer neu geboren, aus dem Geiſte ſtroͤmt, iſt gewiß eine hoͤchſt ſelt'ne Eabe!“
„Es iſt uͤberhaupt Schade,“ fuhr mein Wirth fort, „daß nicht mehr Correſpon— denzen gedruckt werden. Wie viel Intereſ— fantes und Herrliches geht da täglich unge: noffen zu Grunde! Ich mentgftens wollte für eine folhe aus dem Leben gegriffene Lectuͤre, gern alle unſ're feichten Fierionen hingeben, mit denen jede Bächermeife über ſchwemmt wird.‘*
Um aber auf etwas Und’res zu fommen, muß ich Shnen eine Nachricht mittheilen, die Eie erfreuen wird. Schinkel iſt beru— fen worden, des jungen Griechenfönigs neues Schloß in Athen zu bauen, Ich babe nur einen Blick auf den. Plan wer—
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fen Könner, der 'mich aber entzücdt hat. Die neuen Gebaude find auf eine höchit originelle, ganz Schinkel's Genie würdige Weiſe, mit einer theihverfen Neftauratton der Mropolis in Einflang gebradt, und minfen, wenn es jo ausgeführt wird, un— fer Zeitalter einſt wahrhaft verherrlichen.“
„D wie gönne ich ihm diefen fchönen erweiterten Wirkungskreis! Dort wird fein Feuergeiſt fich erjt in der wahren Heimath fühlen, und der liebenswuͤrdige Künftler auch fehr zufrieden: ſeyn‚,einmal fein marfifches Backſteinmaterial mit Pentheliſchem Marz: mor vertauſchen zu Dürfen, Ste wilfen...*
Doc) ich glaube es wird mit diefer Probe unfrer Unterhaltung genug. ſeyn.
Sch war für dem Abend bei einer jüdr fen Samilte eingeladen, welche, wie ich gehört, ein ſehr brillantes Haus machen
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follte. Der reihe Mann hieß, mit der Vorliebe der Juden für Thiernamen, Fer: dinand Kuh, und war vor Kurzem erft von Paris zurüdgefommen, wo er eine Engländerin geheirathet, und aldMonsieur Ferdinand Cu eine glänzende Rolle gefpielt hatte.
Als ic) eintrat, Fan mir die Frau vom Haufe, in einem mit Hermelinfhwänzchen verbrämten Kleide, mit pathetifchen Schrit- ten entgegen, fo daß ich glaubte, die Ge— mahlin weiland des großen Churfürften vor mir zu ſehen. Der größte Theil der Ges fellfhaft beftand aus Künftlern aller Art, deren Macen Herr Kuh zu feyn fehien, und auch mit vieler Salbung über Plaftit, Mas lerei und Mufik fich vernehmen ließ. Meh— rere Edelleute, fogar Hoflente, waren aud) zugegen, aber fo incognito, daß fie jelbit ihre Orden zu Haufe gelaffen hatten. Wie Don Ranudo ließen fie es fid aber nicht weniger gut ſchmecken als die Andern, ob-
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gleich mit ſpoͤttiſchen und verächtlichen Mic: nen.
Ich fete mich in eine Ede neben einem intereffanten Weltmanne, und fah dem Treiz ben zu. Der erwähnte Mann kam cben von England zurüc, und klagte mir fchrei- end, daß die Deutfchen fo fehr fchrieen! Sch gab ihm fehr leiſe recht, der Wink half aber nichts. „Wer ift jener geiftreich ausfehende Mann?“ — ſchrie er mir von Neuem in’s Ohr.
„Das ift,“ erwiederte ich (denn ich bin fhon ganz befannt in der Stadt), „der be rühmte H...., der ſich wie der Rhein hier im Sande verliert.“
„Oh! und Sener neben ihm“,
„Ein ltebenswürdiger Sonderling, mein Freund, Graf R.... Ich habe geftern bei ihm gefrühftüct, und bin noch ganz betäubt von allen dem Selt'nen und Merk würdigen, was ich bei ihm geſehn. Er wohnt vor dem Thore in einem Fleinen
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orientalifch » europaifchen Muſeum, feiner Muße und den Wiffenfchaften lebend, ver— jaumt „aber auch) die guten, Dinge, des, Le- beus nicht, wenigftens. war unſer Fruͤhſtuͤck vortrefflich. Er iſt von Geburt ein. Hols laͤnder, und trug. ſonſt die alte niederläns diſche Tracht. Ich weiß nicht, warum er ſie ſeitdem wieder abgelegt hat, denn man wuͤrde der Menſchheit eine wahre Wohl⸗ that erzeigen, wenn Viele gemeinſchaftlich eine Verſchwoͤrung anzettelten, um ber hor— riblen Affenkleidung unſ'rer Tage das Gar— aus zu machen. Dabei faͤllt mir ein, daß ich Graf R. ſchon auf. dem Wiener Con— greß gekannt, wo er zuerſt in jener Tracht erſchien. Eines Abends bei Frau von Arn— ſtein aͤußerte Fraͤulein Saaling gegen un— fern geiſtreichen St...: Graf R. mas de. ihr. ganz, den Effect, - als fey er eben aus dem Rahmen eines fchonen VBandyf’; ſchen Gemäldes geftiegen. Zufällig traf es ſich, daß am andern Tage Graf R. das
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Portrait feiner Mutter, einer herrlichen Frau von großen Eigenfihaften, dem Herrn von Öt.... ſchenkte. Dieſer padte cs ſo— gleich forgfältig ein, und ſchickte es Frau: lein Saaling mit der Zuſchrift: „Hier erz halten Sie zu gefälliger Anfiht den Nah: men, aus dem Graf R. gefprungen.“ — Iſt das nicht artig? “
„O ja,“ fchrie mein Nachbar, „ich habe von dem Grafen R. fihon gehört, er foll einmal das große Loos gewonnen haben.“
„Glauben Sie das nicht „“ fagte ich, „denn nach der Probabilitatslehre iſt es dreimal wahrfcheinlier, vom Bliß erfchlagen zu werden, als das große Loos zu gewinnen, Sc glaube, Fein Menfc gewinnt es, we— nigftens habe ich noch eben fo wenig ein ſolches Gluͤckskind gefehen, als einen Geift.“
Hier unterbrach und der amüfante Doc tor W. und die Unterhaltung wendete fich aufs Theater.
Da ich nun Leider noch aus der Zeit
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von Fleck und Iffland datire, fo hielt ich's fuͤr's DBefte, lieber heute ganz zu ſchwei— gen, ließ aber dem Ballet, den Könige ftadter Opern, dem Eckenſteher, und vers fchted’nen Decorationen auf dem Nationals theater alle Gerechtigfeit wiederfahren. W. erzählte von Dresden, Tiek's erfolgreicher Negie, und den dortigen Öaftfpiel der Mas dame Schröder vor einigen Jahren. „Nie,“ fagte er, „ſah ich Magifter Lob» waſſer in größerer Verlegenheit. Er hatte fid) ganz vorn an's DOrchefter placirt, um nicht von der gefeierten Schaufpielerin überz fehen zu werden, und Flatfchte eben wie befeffen, als er zu feinem nicht geringen Schred bemerkte, daß fic) wahrend dem Madam Hartwig neben ihn gefekt hatte. Doch der Erfahr'ne wußte ſich zu helfen. So wie er im Klatfchen paufirte, rief er leife der Nachbarin zu: Keine Hartwig, feine Hartwig! und fo zwifchen Klatfchen und „feine Hartwig!“ zog er ſich bis an
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des Stüdes Ende glanzend aus der be denflichen Lage.“
„Apropos,“ fing mein Angloman wie der an, „waren Ste fchon bei Hofe“
„Wie verjteh’ ich diefes Apropos — mei— nen Sie Apropos von Lobwaſſer?“
„Ha, ha, gut! Nein, ich wollte bloß fragen, ob es wirklich wahr fey, daß fit Kurzem die Hofleute auch in Stiefiln cr- fcheinen dürfen, wie wir’d in der großen Melt jet überall einführen, Sehr ver: nünftige Sitte! obgleich den alten Herren die geftiefelte Attituͤde noch gar nicht recht zur andern Natur werden will, wie man behauptet. Manche, fagt man, Fonnten faum die Balance erhalten, und hätten ein Gefühl der Schamhaftigkeit, wenn fie auf die ungewohnte Tracht herabblidten, wie junge Madchen, die zum erftenmal in furs zen Ballroͤcken erfcheinen müffen.
Sie werden übrigens fehen, ehe ein paar Fahre vergehen, tragen die Damen auch
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Stiefeln — neulich fah ich ſchon eine mit einem Schnurrbart und er lich ihr vortreff— lich, by God!“
„uch, Alles vermischt und civiliſirt ſich heutzutage, das erfenne ich nun wohl, feit ich wieder in der Reſidenz bin,“ erwiederte ich, „denn erft diefen Morgen begegnete ic) dem türfifchen Gefandten, der wie ein Kos ſak angezogen war und mit ruffifchen Ac— cent Franzoͤſiſch ſprach. Geſtern aber fah id) auf dem Theater eine ganze Compag- nie Madden beffer exrerciren als weiland Napoleon's Garde; und auf dem Gewand- hauſe erblickte ic) ftaunend Ritter mit Stern und Band. auf Wollſaͤcken reiten, um de ren Inhalt an Juden zu verfaufen. Das Eprüdwort lügt. Es gibt viel Neues unter der Eonne!“
Das Treppenfest. Ein merfwürdiger Abend.
Madame E.... hatte mich eingeladen, den: Thee bei ihr allein zu trinken. Ich rechnete auf eine fehr intereſſante Unterhal- tung — wir vergnügten ung aber weit we; niger im Zimmer als vor der Thüre. Ich muß hier im Voraus bemerken, daß Ma— dam E... im rez de Chaussee des S... fchen Hötels wohnt, gleich rechts von der großen Treppe.
Als ich mich dem Haufe näherte, be— merkte ich Schon, mit landjunkerlicher Ver: wunderung, daß das Portal prachtvoll il— luminirt war. Ein dider Portier im ſelt— famiten Coftüme, halb Soldat, halb La— kai, brüftete fi) auf dem perron, und
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jah mich ftolz von der Seite an, als ich befcheiden eintrat. Hier aber glaubte ich mich in einen, Feentempel verfeßt! Eine anmuthige Srühlingswäarme erfüllte das ganz ze Haus; feharlachrothes Tuch deckte den Boden der Halle, wie die Stufen der Treps pe, wo es elegant durch gold’ne Spangen feftgehalten wurde. Reiche Drapperien von gleichem Stoff fchmücten die Wände, und eine Allee von Orange: Bäumen mit allen Arten der fchönften Blumen untermengt, bunte Lampen gleich Früchten aus Edelftei- nen tragend, führte nach den obern Ge mächern. Eine Menge Menfchen Tiefen hin und her, ohne auf mich zu achten. Ich begab mic) eilig zu meiner Freundin und frug, was hier vorgehe?
„O,“ fagte fie, „der Gcheimeraty gibt einen Ball, den der Hof mit feiner Ge genwart beehren wird; und fchon feit Tan- ger als vierzehn Tagen leide ich an den Vorbereitungen dazu. Doch heute foll ung
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dieß Feft beffer amüfiren,, als die meiſten von denen, die daran Theil nehmen wers den. Wir Fönnen uns nachher Feck hinter einem der Orange-Baͤume etabliren, und Alles mit anfeh’n ohne bemerkt zu werden; denn Herr und Frau vom Haufe fehen und hören heute nicht, darauf mögen Sie fich verlaffen, alle ihre Sinne find nur auf die prinzlichen Herrfchaften gerichtet.“ Dieß gefiel mir, denn ich beobachte gern, und ich bat daher, Feine Zeit zu verfaumen. Mir öffneten leife die Thür und waren Faum hinter unfern Baum gefchlüpft, als wir die Srau Geheimerathin im höchften Puß, eine lange Zitternadel auf dem Kopfe und in jeder Hand eine Slafche eau de Eolo- gne tragend, herabeilen fahen. „Sohann, Matthes, Zürge,“ rief ſie: „hurtig, her!“ und drei von Gold firogende Lakaien flo— gen herbei, „Hier, feht her, das tft eine Slafche eau de Cologne, waſcht Euch die Hande damit, und gebt auch den Andern
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davon, und dann zieht gleich die neuen weiß— leimvand’nen Handſchuh' an, daß Feine von den. boden Herrſchaften Eure fchmußigen Tagen ſieht. Mit der andern Slafche fprengt dem Boden, fo wie die erfte Prinzeß koͤmmt. Portier! habe Ihr den Herrn vorher auch recht verftanden, Brauer? Um Gottes und aller Heiligen» willen, macht Feine Eonfus fion und bringt-uns in's Ungluͤck. Merkt wohl, wenn ein Prinz koͤmmt, Elingelr Ihr einmal — nun fo paßt dach auf, dicker Eiel, wenn. ich mit Euch. fpredye und ta> Kelt nicht mit dem Bandelter — alſo, wenn ein Prinz koͤmmt, einmal, wenn's aber eine Prinzeffin tfe, zweimal — und. laut und vernehmlich,, hart Ihr?“
„Na, find Se man unbeforgt,. ie wer ſchon machen. Se Fennen mer ja!“
„ou, Juͤrge, ſtehſt auf der: halben Treppe, und fo wie Du Brauerm klin— geln hörft, rennft Du rauf als wenn's Haus brennte, und ſagſi's dem Herru — wenn’s
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namlich einmal klingelt — klingelt's zwei— mal, jo fagit Du mir’s. — Ach Gott! lieber Mann,“ feufzte fie, fi) mit dem Schnupftuc Luft zufächelnd, und zu dem eben in Pontificialibus herabfommenden Ge: mahl wendend, „ich ſchwitze wie cin Bras ten! es iſt eine große Ehre, freilich, aber ich werde doch Gott danken, wenn’s erſt wieder vorbei ft.“
„sa, mein Kind!“ erwiederte der dicke Ehemann, noc) tiefer feufzend: „Hoffart will Zwang leiden, ich fagte Dir's gleich, aber Du gabit Feine Nude, Welche Noth haben wir nur ſchon gehabt, che wir’s fo weit brachten! Sch fage Dir, Hans vers fihert mich, unfre Pferde wollten gar nicht mehr freffen, fo müde wären fie von dent vielen Herumfahren bei den Hofmarfhäl len und Oberhofmeifterinnen, bis wir’ endlich los kriegten.“
„Na, aber fo nen Ball auch,“ fiel ihm die Frau Geheimeraͤthin in's Wort, „jo 'nen
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Ball bat auch diefen Winter noch Keine gehabt, Sechs Prinzen und zehn Prinzef finnen, mit den fremden Herrfchaften, were den wir haben! Aber aufgepaßt, wird’s beißen! ich beſchwoͤre Dich, lieber Mann, fey nur dießmal nicht fo fchwerfällig wie gewöhnlich! Bedenke, die ganze Gefchichte foftet uns wenigftens taufend Thaler, und wenn wir nun umfchütteten, und eine von den Herrfchaften verfaumten, fo hatten wir ja, ftatt der Ehre, nichts als Schmach und Schande davon!“
Hier raffelte der erfte Wagen am Thore.
„Herr Jes! da kommt ſchon Einer!“ rief die Frau Geheimeräthin, „mac, daß wir in den Saal fommen....“ und das beforgte Paar ftolperte die Treppe hinauf.
Ich lachte herzlich.
„O, es wird noch beſſer kommen,“ ſagte meine boshafte Freundin, warten Sie nur, jetzt wollen wir uns zuruͤckziehen, bis wir
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die erfte Klingel ertoͤnen hören, dann erft wird das Schaufpiel wieder intereffant.“ Als wir am Theetifch faßen, fagte meine Freundin, mir eine Taſſe, fo groß wie ein Spühlnapf reichend: „Ja, mein alter Freund, das find die DVergnügungen der großen Welt! Freilich werden heutzutage Leute mit hineingezogen, die man fonft nicht darin anzutreffen gewohnt war — aber dennoch ift es merfwürdig, wie fehr foldye arme Schaͤcher ſich abqualen, und wie viel fie fich es koſten laffen, um fich lach erlid) zu smachen. Denn morgen werden wir nicht allein die, welche nicht dabei waren, fi über diefes Feſt Iuftig machen hören, fondern auch alle Die, welche es mitgenoffen haben. Und nichts, das koͤnnen Sie mir glauben, wird den Gäften dabei recht ger wefen feyn, kein Mangel der Bedienung, fein blunder der Herrfchaft wird ihnen ents gehen, und ohne Fehl Alles, was gefchehen. oder nicht geſchehen, verftceht ſich noch ger
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börig embaillirt, cin paar Tage lang den Stoff zur Unterhaltung bieten muͤſſen. Wie viel glücklicher find Sie doch, Ihren Kohl in Ruhe auf dem Lande zu pflanzen, fern von all diefem leeren Getreibe“
„ich, denken Sie das nicht!“ fagte ich: „Welt iſt Welt, und Menfchen find Men: fchen, auf dem Lande wie in der Stadt! und kann man der Thorheit einmal nicht entlanfen, wo es auch fiy, fo iſt es doch beffer, den Narren bei Champagner und Truͤffeln, beim Schein der Wachsferzen und dem Dufte der Drangenblüthen, als bei Kohl und Talglicht und Düngerhof zu ſpielen.“
„Nun, in fo gefährlicher Nähe leben Sie wohl bei fih auch auf dem Lande nicht?“
„Habe ich es aud) etwas beffer, fo finde ich) es doh wohl bei manchem Nachbar nicht anders, und im Ganzen betradytet — ziehe ich wentgitens die Stadt hundertmal dem Lande vor. Die Einförmigfeit macht
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Einen dort melancbolifch, einfeitig, der fort wahrende Heine Verdruß über Dieß und Senes bitter und boshaft, und faſt nur mit Untergeb’nen verfehrend , gibt man fich zu— lest eine lächerliche Wichtigkeit. Und wie muͤhſam und koſtſpielig ift jeder Genuß! Will ich Journale lefen, Deren ich hier Hun— derte für wenige Groſchen zu meiner Dispefi- tion habe, muß ich dort zehnmal fo viel Thaler dafür ausgeben; jeden Gegenſtand des Lurus muß ich weit her kommen laffen ; und die Ges fellfichaft, die ich hier umſonſt habe, muß ich wochenlang felbjt Dewirthen, wenn ich nach ihr verlange. Theater, Concerte, Illumi— nationen, Feuerwerke, Bauchredner , fremde Potentaten, intereffante Durchreifende aller Art muß ic) entbehren — und was habe ich zum Erfag? Nichts, als die elende Natur, der ic) etwas naher bin, mehr Froͤ— Ihe, ‚Fliegen und Mücken nebſt and’rem Ungeziefer, und allenfalls wärmere Stuben
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als in der Reſidenz. Nein, Sie find die Gluͤckliche...“
Hier erbebten die Fenſter von dem dop— pelten Geraſſel mehrerer ſchnell herbei eilen— den Wagen. Der Schein der Laternen flog an uns voruͤber, und gleich darauf erſchallte die Klingel mit ſolcher Gewalt, daß wir uͤber deren Bedeutung nicht in Zweifel blei— ben konnten.
Wir eilten hinaus. Schon keuchte der Herr Geheimerath die Treppe hinab, und die vom Lande entbot'nen Lakaien, wie Sta— tiſten auf dem Theater in Livreen geſteckt, marſchirten auf. Dem ungluͤcklichen Juͤrge aber, der, zu gutwillig, den letzten Reſt der eau de Cologne-Flaſche eben noch friſch auf den Boden ſprengen wollte, entglitt die Treuloſe, und ſaͤete klirrend, Glasſcherben ſtatt Blumen, vor dem eintretenden Prin— zen hin. Der Geheimerath erſchoͤpfte ſich in Entſchuldigungen, fuhr ſelbſt zur Erde, das ſcharfe Glas zu beſeitigen, wobei er
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ſich derb in die Finger ſchnitt, und geleitete dann Seine Hoheit, die bei der Joecrisse artigen Verzweiflung Jürgens und feines Herrn kaum ihre ernfthafte Faſſung behaupr ten fonnten, die ſcharlachrothen Stirgen binan,
Es waren nur wenige Minuten verfloffen, und die legten Spuren des Unglüds nod) faum gaͤnzlich forrgefchafft, als die Klingel von Neuem, dießmal aber zweimal ſchmet— terte.
Nun war es an der Geheimeräthin, das Treffen zu führen, Mann und cin langer Sohn mir einem großen Schuurrbart, der anzeigte, daß er die Handlung erlerne, trab— ten bloß als Hülfstruppen hinterdrein; aber o Schrecken! der Portier hatte fich grirrt — es war Feine Prinzeffin, fondern wieder nur eine prinzlihe Männlichkeit.
Madame will cilig rechtsumkebrt machen, überficht die Stufe und — boshaftes Schick—
Tutti Fratti V. 14
_ 306 _ fal! ftürzt auf eine fo perfide Weife, daß fih dem Operngucker des zweiten Prinzen ein Schaufpiel prafentirt, welches kaum vor fünfundzwanzig Fahren verzeihlich ger wefen wäre! Der Gemahl kann, feinem Berufe folgend, Feine Notiz von ihr nehmen, aber der lange Sohn deckt ihr die Netirade, und die halb ohnmachtige Mama mehr tra— gend als führend, fett er dieſelbe glüdlich wieder oben im Ballfaale ab.
Um nicht zu ermüden, will ich refumiren. In Zeit von einer halben Stunde fahen wir auf diefe Meife, mit mehr oder weniger Gluͤck fungirend, Herr und Frau vom Haufe ſechzehnmal an der Hausthür erfcei- nen. Die guten Leute waren von den prinz- lihen Herrfchaften fo abforbirt, daß fie die übrigen Gäfte gar nicht zu berückfichtigen, ja faum zu fehen fchienen, und in ihr r Angft und Aufregung Manche, die ihnen auf der Treppe begegneten , faſt umſtießen, wenn fie ihrem Wettlauf hinderlich wurden,
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Die großen Deſaſtres waren aber noch nicht voruͤber!
Es kam naͤmlich ganz zuletzt diejenige Prinzeſſin, bei der man wegen ihrer Stel lung in der Nabe des Thrones am meiften anzuftoßen fuͤrchtete — und das mitleids: lofe Satum wollte, daß bei ihr die Klingel riß! Niemand aljo erfchien an der Thür, fie zu empfangen.
Die liebenswärdige Fuͤrſtin bemerkte es vielleicht felbit Faum, daß Keiner ihr ent: gegen kam, aber für Geheimerath und Ras tbin war es cin Donnerſchlag. Ueber das Zuviel, was dem einen Prinzen zu Theil geworden, hatten ſich Beide ſchnell getröftet, über das Zuwenig aber, womit fie der Prinzeffin manguirt, Fonnten ſie Feine Ruhe finden; und als am andern Morgen die sragifche Periode der Nüchternheit eintrat, die nach jedem großen Feſte für die Gaft- geber den bittern Nachgefchmad liefert, fagte
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308 die Geheimeräthin mit «iner Thraͤne im Auge zu ihrem Gemabl: »O Barnabas, dieß Unglüd mir der zerriſſ'nen Klingel, nein, das überwinde ich nicht!"
Ende des fünften Bandes.
fr Pückler-Muskau, Hermann 2449 Ludwig Heinrich
P778 Tutti frutti
1834
Bd. 3-5
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