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\ Heber die Langeweile.
— —
Vortrag
gehalten im wiſſenſchaftlichen Verein von
Dr. Erdmann, Profeſſor in Halle.
Berlin, 1852.
Berlag von Wilhelm Herp. (Beſſerſche Buchhandlung.)
770
FRDHRNN
Hohe Berfammlung !
Die oft ausgefprochene Behauptung daß es Feine Adfurbität gebe, die nicht von einem Philofophen vertheidigt wäre, trägt zwar ihre Wiverlegung in fih felbf, Indem eben fie eine ift die fchwerlich an einem Philoſophen einen Vertheidiger gefunden hat, doch aber ift fie nicht völlig aus der Luft gegrif- fen. Dan kann fie nicht eine boshafte Erfindung, fondern nur eine NMebertreibung nennen, denn wirk⸗ lich haben Philoſophen ſich oft in Paraborien ge⸗ fallen, ja ihre Anſicht auf Grundfäße gebaut, de- ten Unpaltbarkeit Leicht zu entveden. Beifpielshal- ber feien hier zwei Sätze erwähnt — wenn man fie nicht Tieber als einen und venfelben anfehn will — deren Anwendung einmal in Franfreich, einmal in Deutfchland, der Philofophie eine eigen⸗ hümlihe Richtung gegeben hat. In ber bebeutend- fen Schule Frankreichs, der des Des Cartes, wuxde früp der Grundſatz ausarigrogen, er ri
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nne nur hervorbringen, wovon er einſehe wie es tflehe und was es fei, und es warb daraus ge— Igert, daß unmöglich wir felbft unfern Arm be- egen, fondern daß Gott mit feiner wunderthätigen tacht insg Mittel trete und fih zum Exekutor un- res Willens mache. Nicht minder, nur in ums ehrter Weife, wurde in Deutichland von den nhängern 5. 9. Jacobi's die Solidarität von Er- nnen und Hervorbringen feflgehalten und, weil nes nicht ohne diefes Statt finde, behauptet: der denſch erfenne nur wo er fchöpferifch fei, und rum könne von Gott und göttlichen Dingen Nichts ewußt werden. Daß der Grundfaß der Carte⸗ aner nach welchem das Machenkönnen das B reifen in fich fchließt, daß diefer unhaltbar, do’ tachte ich die praftifche Erfahrung ale ich der enfiand meines heutigen Bortrags zu über nfing. Ich hatte dazu die Langeweile erw
er ih wußte daß ich fie machen könn
eren Hervorbringung ich mir eine Art
baft zufchreiben darf, und ich bemerkte
vie ihre Wefen und ihre Entflehungsar
icht ohne Weiteres klar werden wol
un, daß das Ertappen einer philof
yrität auf einem Irrihum mich ger nempfindlicher machte, fei es baf
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Philofophen über allen Philoſt mit mehr Recht als Ariftoteles Namen des „Meifters” führer gibt es: es ift der welcher, n nur einer oder der andern
nähere Befimmung „Man“
größte aller Autoritäten deren ſchlechtslos ift, weil fie als ! richter über Allen fleht, über ! fie, von welcher die Englänve zahl fprechen, weil fie nicht & zelnen ift, fie welche überall für fie gibt mit dem Gattur zeichnet wird, (Man, men, fie fpricht das leßte enticheider Händeln der Philofophen. W iſt daß „Man“ es fordern d nicht verweigern zu bürfen, ı eine Lehre recht fiegreich darfl hinter die Aegide jener Macht fondern ‚Dan‘ weiß. Wüß „Man von der Langenmweil wären wir mehr geborgen alt wäre was Kant und Epinoy pien davon halten müßten. — viel Leichter, die Anfichten jem
iffenfchaft zu vernehmen als die unferes Meifter r Meifter. „Kant und Spinoza haben ihre Ge: nfen laut werben laſſen, fie haben gefprocen, e eine im engen Freundeskreiſe im Haag, ber dere auf feinem Katheder in Königsberg, ja fie rechen noch heute zu Jedem ver die Ethik Tieft er die Kritif der reinen Bernunft.” Dies {fi htig, aber glüdlicher Weile iR unfer Philoſoph cht ſchweigſamer gewefen als jene Philoſophen, Ran’ ift nicht flummer als jene beiden Männer. agt man aber: ja wo fpricht denn „Man“, fo in ver Frage die Antwort enthalten: „Man“ icht wo man fpricht ; in der Spracde find Seine sanken laut geworben. Wie in der Sprache des einen feine Gedanken ſich offenbaren, in Leſ⸗ Sprache fein Hares Denfen fich fpiegelt, fo er d. h. der allgemeinen, Sprache das Den⸗ richt eines fondern des Menfchen, den wir fa „Mon nannten. Die Sprache zeigt wie “ph. der Menfch, die deutfche Sprache wie
in Deutfchland”, d. h. der deutſche Menſch Darum if es eigentlich einfacher hinter bag Ran‘ denkt zu fommen, als hinter Kant’s moza's Gedanten. Was beide gefagt ha- man nicht immer zur Hand, kt en 8
fih, fo muß man welt wenn, SO
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gen und ihre eigenthümliche Sprache in ber 8 entwidelt haben. Dagegen bei unferm Autor das Werft worin er lehrt und das Idiom n er fpricht zufammen, und dieſes fein Wert Jeder der fprechen fann, flets bei fich, den vo» nöfen „deutichen Sprachſchatz“ als ein beque= und glüdlicher Weife unverlierbares Wörter- ‚ zwar nicht in der Tafıhe aber im Kopf. Wer
tiefem Werke umberblättert läßt fi von dem
hren, der die Sprache ſchuf, wer auf den Sprach⸗
auch achtet ficht wie „Man“ zu denken pflegt, einfieht daß man nicht anders fprechen fann,
innt die Ueberzgeugung daß man in einer be-
mten Weife denfen muß. — Zwar mit ganz
edingtem Bertrauen darf man nicht erwarten der Sprachgebrauch ung alle Räthiel löſen v Mühe des eignen Denkens abnehmen wor
ın wie ein fonft ernfihafter Mann fi) wo’
ven darf frherzend feine Meinung hinter
serbergen die das Gegentheil befager
’ „Man fein Pedant und unfere,
rachen, bieten manche feiner Späßchen de
ı 3. B. von dem reuigen Verbrecher
e ein ſchlechtes Gewiflen, und vo
ten bem fein Gewiffen feine Borr
abe ein gutes, obgleich doch ar
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Letztern nichts taugt, ſo iſt dies eben ſo ſeltſam wie, worauf Lichtenberg aufmerkſam gemacht hat, daß wenn ein Menſch durch Zuhalten der Naſe es unmöglich macht, daß die Töne durch die Naſe gehn, daß man gerade dann fagt er fpreche Durch die Nafe. Dergleihen wird ung nicht dahin brin- gen mit dem Franzofen zu fagen On est un sot, wohl aber berechtigen zu fagen On est un farceur und verpflichten bei unfern Anfragen an den Sprad- gebrauch auf unferer Hut zu fein. — Glücklicher Weiſe ift bei unferm Gegenflande der Schöpfer des Sprachgebrauchs hübſch ernfihaft geweſen und wenn wir, mißtrauifch gegen Jacobi und die Cartefianer, ohne Bertrauen zu Kantianern und GSpinoziften, fragen was „Man“ als das Wefen der Langen- weile anzufehn habe, fo antwortet ung der Ge— fragte obgleich indireet, doch deutlich und richtig. Bekanntlich fagt man, wo Jemand firh der Langen weile entledigt, daß er fich die Zeit vertreibe. Er vertreibt fie fich, denn an fih kann die Zeit, die⸗ fer Fluß der Bergänglichkeit in dem wir die Dinge fhwimmen fehn, eben fo wenig vertrieben werben wie die Dunfelpeit die gegenwärtig unfere Hemi— ſphäre dedt; wie aber diefe Jeder fich vertrieben fat der in biefen erleuchteten Saal trat, fo maa der Menſch auch die Zeit KKh werten hen ei
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fie fih unmerflih madt. Wer im Unmerkbarw den des Zeitverlaufs das Aufhören der Langı weile fieht, fann ihr Wefen nur in das Gegentt feßen, alfo in die Aufmerffamteit auf d bloßen Zeitverlauf. Daß aber diefe Anfl welche jenem Sprachgebrauch zu Grunde liegt, richtige ift, wird von der eignen Selbſtbeobachtu beftätigt. Alle Gegenflänte werden vom Stri der Zeit an ung vorübergetragen wie die ſchwi menden Blumen vom Waldbach, ihr Vorüberſchwi men nennt man Gelcheben. Je mehr das, wı geſchieht unfere Aufmerkſamkeit reizt, d. h. je mı fie gefeflelt wird dur die Gegenftände ! jener Berlauf darbietet, um fo weniger achten u auf ihn felbft ganz wie, wenn fich dort die fı bigen Blumen drängen, die ſchwimmende Blume Snfel das Waffer verbirgt. Se feltner fie werbı deſto fichtbarer werden die Wellen und ber Be rende Knabe Hagt daß der Bach „nichts“ me bringt, wenn ftatt der erwarteten Blumen der Be nur ſich ſelbſt d. h. die Waſſermaſſe ihm darbiet Gerabe fo quält ed uns, wenn die Zeittheilch welche zwifchen bie Gegenflänvde fallen und al leer find, fih mehren und ausdehnen, fo daß u iſt als wenn „nichts“ mehr gefchieht; wir haben da Langeweile deren naivfler Ausprud der Wunfdh i
Kinder ift: ach möchte doch Etwas gefchehn! ganz wie jener Knabe fagte: ach möchte doch wieder Etwas (d. h. eine Blume) kommen. Langeweile it alfo ganz was dort das Sehen des bioßen Baflers, und wenn ich fage, je mehr Wafler um fo mehr Langweile, fo werde ich fiber alle bie auf meiner Seite haben die jemals wäßrige Neben gehört haben, in denen nur felten das Blümchen eines neuen Gedankens hervortaudte. Sa ich möchte den Vergleich mit dem Waldbach noch weiter ausdehnen: Regengüfle ließen ihn anfchwellen und führten von allen Seiten ein ſchmutzig graues Waſſer ihm gu, er wird zum Fluß, er wird zum rafenden Strom, da erreicht er die Höhe wo bie zwingenden Dämme nachgeben, er burchbricht fie und ein ungeheurer See ift da, in dem der Strom ſelbſt unfichtbar wirb weit, fo fcheint es, die Wafler ihn ſelbſt verfhlangen. In allen Beziehungen gleicht ifm die Langeweile, auch ihr Eolorit if ein gräu- liches Graͤulich wie feines, auch fie Tann zur ra- fenpften Langeweile werben wie Dancer erfahren, glücklicher Weiſe aber hat auch fie wie jener Strom ein Maaß, denn ift ein gewiſſer Punkt erreicht fo hört Alles auf bemerkbar zu fein, darum auch die leere Zeit, indem ver Menfch alles Bewußtiein wer- liert bat die Langeweile ſich \eiıt nergutt URUSU
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den Strom feine Fluthen; an die Stelle: ift das Schwarz der Bemwußtlofigkeit, t getreten. — Sollte die Behauptung r daß die Langeweile nur im Bemerken
Zeit befteht, fo wäre es nicht glaublich Zuftand ifolirt da flünde. Denn da ! ihrem Zwillingsbruder das gleich räthfelf hat, das wir Raum nennen, fo wäre wenn es nicht einen Zuftand gäbe quäle Langeweile, der im Bemerfen des leere Raumes beftünde. Der Umfland, daß ein folches Seitenftüd zur Langenweile offenbar für unfere Thefig, es ift — der del. Er entfleht da, wo fi Die Gege Raum der Wahrnehmung entziehn und a die bloße Räumlichfeit wahrgenommen wiı erregt e8 Schwindel wenn wir im V uns umgebender Gegenftände, oder wer uns gedreht werden: wie beim fchnell der Sarbenfcheide das Grau d. h. die Ui fteht, fo hier das Grau der Geftaltlofl alle beftimmte Geftaltung und Gegen| verfhwimmt und ſchwindet. Aehnlich der Schwindel auf Höhen. Im Zi Thürmers, und fei der Thurm noch fo
pfindet man ihn nicht, die Wände umb
benden Gegenflände firiren den Blick; jebt benfe man fith die Wände fort, denke fich den Fußboden immer mehr fich verengend, wir flehn nicht mehr auf einem folchen, wir ſtehn auf einem ſchmalen Brett, jebt nur auf einem fein gefpannten Draht in Thurmesg- höhe, jet nur noch auf einer Nadelſpitze, fo daß wir nichts mehr fehen was unfere Füße flüßt, jetzt denke man ſich auch dieſe Nadelſpitze weggenommen — bei der bloßen Borftelung fann uns Schwindel anwandeln, weil wir in uns hervorbradten was ihn bewirkt, die Anfchauung der Leere. Ueber dem Abgrunde des Nichts zu fchweben muß das Mari- mum bed Schwindels fein, welches dem Punkte nahe fünde, wo die Sinne vergehn, denn au hierin zeigt fih der Schwinvel als Gefchwifterkinv der Zangenweile daß beide aus ihrem Grau in das Schwarz der Bemwußtlofigfeit übergehn können. Die Zufammengehörigkeit beider Zuflände, die es er- Härlich macht, daß man die Langeweile ein Gefühl innerer Zeere nennt oder auch fagt: vor Langer⸗ weile drehte fih alles vor mir, diefe hat übrigens ber praftifche Menfchenverftand Tängft geahndet und fange ehe der geiftreihe Marcus Herz in feinem Buche vom Schwindel fat wider Willen auf bie Langeweile Tam, haben Ammen und Kindermäahe den Kindern wenig modulirte Whed V
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und zugleich ſie geſchaukelt, d. h. gleichzeitig fie langweilt und ſchwindlig gemacht, Beides um d einen Effekt ver Bewußtloſigkeit hervorzubringen_
Sn der Langenweile macht fich alſo die blog: Zeit wahrnehmbar. Mit dieſem Sat aber gerather wir in Gefahr gegen den alten Grundſatz zu ver: ftoßen, daß Nichts Feinen Effect habe. Denn die Zeit allein, if fie Etwas? Wir müſſen es vernei: nen, und dürfen es troß unfrer Behauptung, daf wir die Zeit den Fluß nannten, in dem wir bie Dinge wahrnehmen. Wir fprechen ja auch von Waſſer im Fluſſe, fehen die Kugel im Rollen, ber Stein im Fallen, die Tänzerin in der Pirouette, ohne daß daraus folgt, daß wenn nun das Waffer, die Kugel, der Stein, die Tänzerin verſchwände, der Fluß, das Rollen, das Fallen, die Pirouette bliebe und für fih Etwas wäre. Die Zeit if nichts Anders ale folches Fliegen, Rollen, Fallen, Pirouettiren, eben darum aber auch Nichts ohne vie, welche pirouettiren und fallen. — Wie aber? Die leere Zeit fol Nichts fein, und doch follen wir fie bemerfen in der Langenweile? Das ift ja ganz wie jener Schullehrer in den fliegenden Blättern welcher fagt: ich bemerke abermals fehr Biele, die nicht da find. Warum nicht? Wer weiß ob nicht Jeder, der Ab Jangweilt wirklich ganz in der Lage jened
Schullehrers fich befindet? Eins wird man_nemlich ben armen Schelm gewiß zugeben: daß an dem was er fagt Etwas dran if. Wenn er auch nicht die Abweſenden flieht, fo bemerkt er doch daß heute nicht, wie fonft doch, vie befannten pausbädigen Gefichter ihm die Echultifche unfihtbar machen, er bemerft alfo und fühlt einen Mangel. Gerabe fo ift die Langeweile ein Gefühl des Mangels, wir vermiffen Sntereffantes, und dies heißt eigentlich nur: wir bemerfen unfer eignes Nicht-Interefiirt fein. — Was heißt aber eigentlich Intereffirt fein und Sntereflelofigfeitt? Es ift durchaus kein Zufall, wenn wir durch die reflerive Form Sich interef- firen, daß einer fein Sntereffe findet, als feine Selbſtihätigkeit bezeichnen. Intereſſe iſt wirktich, was es urſprünglich auch heißt, dabei» oder dar—⸗ untersfein, unfer Sntereffe an einem Gegenftande befteht nämlich darin, daß wir uns ihm hingeben und von ihm ganz in demfelben Sinne fagen kön⸗ nen, „ich bin dabei”, wie wir e8 fagen wenn ung ein Borichlag gemacht wurde. So wenig Einer von feinen Freunden gezwungen werben kann, bei einer Iuftigen Partie „dabei zu fein — nähmen fie ihn mit Gewalt mit, ſo würden fie bald bemerken, daß er „abweſend“ it — eben fo wenig Tau 8 in Gegenftand erzwingen, daB mon ty Rüt \ya net
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fire, dazu gehört der gute Wille deſſen, der Sener Thierfehädel im Walde, vor dem ein ı Naturforfcher in Intereffe verfunfen fteht, if ganz unintereffant und dem vorübergehenden oder Handwerks - Burfhen verübelt es I wenn er fagt: „da liegt der langweilige . noch immer’. Der Forſcher fpricht nicht fı die längft gehegte Ahndung eines allgemein turgefeßes wird ihm durch einen, fonft unfid Spalt an diefem Schädel beflätigt, er fieht der Schädelform Vernunft, und wie follte jest an dem woran der Handwerfsburfche oder einen bloßen Knochen findet, wie f nicht daran fein Intereſſe, d. h. fein eigenee und darinsfein finden, da er felbft ja Nic will als Bernunft, und Bernunft wirklich
Schädel fihtbar ift, und aus demfelben he ihm redet? Man fagt von jenem Forfcher, den Schädel mit Geift betrachtet, weil es flimmung des Geiftes if, nirgends wie Fremde, überall heimifch d. h. dabei und zı zu fein, fih in Alles dv. h. in Allem fich, ol verwandtes Wefen, zu finden. Iſt aber dabei fein Intereſſe, fo ift Sntereffe-haben au zeigen, und begreifliher Weife nennt man bg Mann von Geift oder von Kopf, ber 6:
im Selbfigefpräh oder im Geſpräche mit Andern. Allem SIntereffe abzugewinnen, umgefehrt aber nen- nen wir den beſchränkt, oder auch einen Spioten, der fo wenig im Stande iſt aus den Schranken des eignen Meinens herauszulommen, daß er unfähig iſt, „dabei“ zu fein, wenn ihm eine partie — nicht de plaisir fondern de raison — angeboten wird. — Fragen wir aber nun, indem wir zu unferm Gegen- ftande zurückkehren, zu welchen von jenen Beiden der zu ftellen ſei, der fih langweilt, fo bleibt ung feine Wahl: War es ein Berdienft Intereffe zu finden, weil man wirklich fich intereffirt, fo iſt auch die Langeweile nur eigne Schuld und nicht ohne Grund iſt ein s’interresser fo auch s’ennuyes ein verbe reflechi. Dan braudt darum nicht mit Kant zu behaupten, daß die Zeit nur in ung felbft if, und wird dennoch fagen können: wer die bloße Zeit wahrnimmt, bemerft nur feinen eignen Zuftand, einen Zuftand der mit Recht als innre Leere be> zeichnet; als innre weil er in ung liegt, als leere weil er Kopf» und Geiftes-Ieer if, fo daß wenn oben gefagt ward, dem Gelangmweilten gehe es fo, wie jenem armen Schullehrer, wir fett hin⸗ zufügen möflen: er ift auch nicht geiftreicher als iener. — Vie das Intereffe Grid dire rietb, fo die Langeweile Ten \vrrit
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Kopf. Da .nun aber in allem Webrigen $ und Herz nicht zwei von einander getrennte Be thümer des Menfchen find, fondern vielmehr fo fammen gehören, wie die concane und convere € eines Kreisbogeng, fo fragt fihs, ob nicht auch Langeweile neben ihrer intellectuellen Seite « eine habe, welche die Gefinnung betrifft? Der gi zofe bejaht dies indem fein ennui aud einen f zenszuſtand bezeichnet. Indirect weift der deu: Sprachgebrauch eben dahin, indem das Gegeni der Langenweile, das Interreffirtfein, eben fo
eine intellectuelle Anregung andentet, als auch beginnende Liebe. In diefer Zufammenftellung eriten Anfänge des Erfennene und ber Liebe der Sprachgebrauch nicht nur den tieffinnigen $ Iofophen auf feiner Seite, der das Erkennen einı tellectuelfe Liebe nannte, nicht nur die Erfahrung Forſchers, dernur den Gegenfland zu begreifen‘ mag, den er mit Licbe betrachtet, fondern dag 3 niß Aller,. vie ed erfuhren, daß zwei Herzen ſich verſtehn, wo fie fib lieben. nur lieben wo fie verfiehn. Verhaͤlt fih aber Kopf und Herz
Sntereffe finden und Sntereffe nehmen, fo hal Sntereflelofigteit oder Langeweile viel mehr mit Herzen zu thun, als Viele meinen. Wofür mag Derz dat, und dem man ſich liebend hingiebt,
langweilt nicht. Umgefehrt aber, je mehr Einer fein Herz verfchließt, und anftatt Tiebend Allem fich hinzugeben, fih auf fih befchränft, um fo mehr wird die Langeweile bervortreten. Daflelbe fih auf fih Beſchränken, welches den Idioten oder befchränf- ten Kopf machte, if, von feiner Gemüthsſeite an- geiehn das, was das Wefen des Egoiiten macht mit feinem engen Herzen, welches fo wenig faßt, daß es eben darum fich ſtets Teer und einſam fühlt. Dies quälende Gefühl des Alleinfeins, das die meiften Egoiften als von der Umgebung verfchuldet beirachten, Hinfichtlich deſſen Einige fih dazu er= hoben, daß fie es als Strafe ihres früheren Be tragens anfehn, ift — das aber ahndet Keiner — tft felbft ver Egoismus, darum fchwindet es in dem Augenblid wo der Menih mit Liebe auf die Welt blickt, weit fie fih dann, wie durch Zauber, mit Brüdern und Schweftern bevölkert. Der ideenlofe Kopf Hagt daß nichts ihn intereffire, und das Kalte liebiofe Herz accompagnirt dazu mit der Klage, es fei verlaflen und einfam. Denkt man fih Beides vereint, ftelit man fih einen Zufland vor, wo das erftarrte Herz Hagt: „auf dieſer weiten Erbe Nie⸗ mand, Riemand‘’, und das ausgebrannte Hirn ver- langend ruft: „ach nur eine Ider, We net N Gedanten”, fo kann uns ein Schauer Iurimien, bei der Borftellung vieles vdͤoex ENOULIU 2
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feiner tödlichen und doch nicht tödtenden Langen⸗ weile. — Zeigt fih aber in ihr neben dem lee» ven Kopf auch das liebloſe Herz, fo if die gewöhnliche Art, in der Langenweile nur etwas Unangenehmes zu fehn, ein Seitenflüd zu der foge- nannten Humanität, die in dem Verbrecher nur einen armen Kranken fieht, und die faum anders unſchädlich zu machen ift, ald dadurch, daß man fi auf ihren Standpunkt flellt, und nun das Gefäng- niß Charite nennt, den Strafcodex als Pharmacopea den Richter als Arzt bezeichnet, und bie Hinrichtung nicht als Todesſtrafe, fondern als ein erprobteg specificum gegen die Mörberfranfpeit empfiehlt. Wie das Verbrechen noch etwas mehr ift als ein Fieber- delirium, fo ift es auch mit der Langenweile eine ernſtere Sache, als die Meiften im Sinne haben; wenn fie fagen es wäre beffer, man langweilte fich nie. Nicht nur befler wär’ es, fondern das allein Gute. Was vor geraumer Zeit in einem geiſt⸗ reichen Briefe mich frappirte, ohne daß ich fogleich Alles erkannte was in diefen Worten Tiegt, das was die Einen Satan und Teufel, Andere Ahriman, noch Andere Typhon nennen, daß biefes Alles nur Eines fei, nämlich die Langeweile, dies ift vollkom⸗ men richtig. Die Langeweile ift der wahre böf Dämon, benn wer fi langweitt Ik von dem D mon des Derfonalismus und Earamnd WERT
der ihn verhindert, Anderes intereffant zu finden und zu lieben als fih, von dem Dämon, der fein Hirn verbrannte, fo daß er nicht mehr in den Ge- genftänden fih, Bernunft, erkannt, der fein Herz erfältete, daß es nicht mehr vermag, in den Ange» legenheiten Andrer die eignen zu finden. In ber That, wenn man fieht wie diefer Dämon nicht nur die Kinder unartig und toll macht, fondern wie er eben fo den Erwachſenen ein Berlucher wird, ber zu den dbummften, ja zu den fchlechteften Streichen bringt, fo iſt gar nicht zu begreifen, warum nicht öfter gegen die Langeweile gepredigt wird. Das Thema verdiente es, ganz abgefehn von dem Vor⸗ theil den es darbietet, daB man den Zuhörern ing Gewiſſen ſchieben Könnte, fie dürften fich nicht lang⸗ weilen.
Gewiß war es nicht die Furcht, Durch Predigten gegen die Langeweile alle Regeln traditioneller Ho— mifetif zu verleßen, welche diefes Thema von den Kanzeln verbannt hat, fondern die Anficht, daß der- gleichen Auseinanderfeßungen im Munde eines Geift- fihen unpaflend feien, oder auch die Furcht, daß fih Nußanwendungen ergeben möchten, die in kei⸗ nem Zufammenhang ſtünden mit den Angelegenheiten des Himmels. Beides ift vielleicht nicht richte. Das Erfte wohl gewiß nit, denn wire ÜÜÜRr AEIEN
Leere bes Geiftes und Mongel an Uhr u Ol
gen, denen nicht ziemen, die von dem Geiſte ihren Namen führen, und mit Recht ſich rühmen die Lehre der Liebe zu verkündigen? Aber auch das Zweite möchte ich beſtreiten, daß dergleichen Betrachtungen profan ſeien, und ohne Beziehung auf die himm⸗ liſchen Angelegenheiten. War es einmal gewagt, die Langeweile als das wahre Inferno zu bezeich— nen, fo feheint ſchon die Conſequenz zu fordern, ihr Gegentheil in der Region zu fuchen, die Dante im dritten Theil feines Gedichtes ſchildert. Wer es thäte, müßte der Zufiimmung aller derer gewiß fein, die ung erzählen wie „hölliſch“ fie ſich gelang- weilt, wie „himmliſch“ unterhalten hätten, und Des nen es nie einfällt, diefe Ausprüde zu vertaufchen. Eine etwas zweideutige Autorität für Jeden, der e weiß, daß der Gebrauch von Kraftworten gewöb lich nicht mit der Stärde der Gedanfen par gebt; glücklicher Weife aber bedürfen wir ihre nit, da das bisher Gefundene hinreicht, wenig den Borhang zu lüften, der ung di
liſche Welt verbirgt. Die innere Leerheit, \ wahrnehmen ließ als Zeit und Bergängli: verihwand in dem Maaße, als der Menf
tereffirt, d.h. als er in das Wefen der €
eindringt, und fie Tiebend umfaßt.
man Beides in Gedanken bis zur Id⸗ beten Denfchen, des Seeligen over
fuhe man noch höher fich zu erheben, und denke ein Wefen, deſſen Einfichi ein Alles durchſchauendes Verſtändniß if, bei dem die Stelle des Interefleg, ter anfangenden Liebe, die Fülle der Liebe vertritt, und man wird einfehn, man wird wenigſtens ahn- ven, was ed für eine Bewandiniß hat damit, daß e8 für Gott und daß es für die Seligen feine Zeit gebe. Wie oft hört man: bei diefen Worten denke fih Niemand Etwas. Das Wort Niemand (mit dem man überhaupt etwas fparfamer fein foüte) fagt hier zu viel. Denke man fi nur eine Mutter, welche den Erzählungen des eben hus der Fremde zurüdgefehrtien Sohnes Taufcht, die ſich nicht fatt hören Tann, daß er in Freuden und Leiden ftets ihrer gedacht hat, die ganz erflaunt fhon Mit- ternacht fehlagen hört, da ihr die Stunden wie Minuten verlaufen find, — denke man, diefe Mut- ter hörte in dieſem Augenblide das Wort: „bet Gott find Zaufend Jahre wie Ein Tag‘, — id glaube fie würde ſich bei diefem Worte fehr viel benfen, und in biefem Augenblide würde es ihr gar nicht unverfländlich fein. Und fo möchte vie Liebe, die Löferin fo vieler Näthfel, weil fie das Ur-NRäthiel offenbart, wie Zwei Eins fein können, fie möchte ſich auch als der Räthfel löſende Meta- phyſiker erweifen in den Fragen nach Zeit und Ewigleit! Ber es je erfupr, wie als er Uebie \ein
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Blick Alles verſchönte — der Sonne gleich wenn ihre Strahlen wirklich das wären, wien oft nennen: Blicke, nie einen dunklen Punkt erl fönnte, weil ihr Erbliden Erleuchten wäre - dies an feiner ſchwachen Liebe erfuhr, wie follte | abſolut unverſtändlich finden, daß es für di enbliche Liebe feinen Raum (d. h. feine Leere) weil, wo fie hinblict, fie Alles mit ihren Ki bevöffert, und keine Zeit und Bergänglichkeit, fie flets beichäftigt ift, und Alles befeftigt ‚‚mii gen Gedanken“. Und fo muß ih am Ende jenen Kraftausprüden, von denen ich vorhin ! willen wollte, zugeflehn, daß ihnen eine Ah des Wahren zu Grunde liegt: wie die Geifter Herzens⸗Leere Hölle, fo tft Liebesfülle him Seligfeit. Wer mir aber fagen wollte, frevelhafter Weife Gott vermenfchliche, or ich fei frivol, da ich Seligkeit und Amüſem wechſle, für den babe ich meine Antwo— Auf das Erfte erwidere ich, Daß das Entmr Gottes zuerft die Vorftellung eines unm Gottes hervor gebracht, dann die Menfchen ı macht hat, auf das Zweite aber, daß wenn fifcher roue in einem fittfichen deutfchen H fpräch über die Herrlichleit ver Liebe and nun fagt, es fei von amours ur Furz von frivolites die Rede gewe
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ſolches Verſtändniſſes vielleicht nicht in denen liegt, die das Geſpräch führten.
Nach einer fo ſtrengen, vielleicht ultra⸗rigoriſti⸗ fchen Beurtheilung der Langenweile, wird wohl Nichte weniger erwartet werden als eine Apologie berfel= ben. Und doch — troß dem, daß es mir fchwer wird, den Wink nicht felbft zu befolgen, den ich dem etwanigen Prediger über die Langeweile gab — doch wird mir eine folche advocatura Diaboli auf- gebrungen, nicht nur durch die Gerechtigfeit, die fo- gar diefem Angeklagten einen Defenfor bewilligt, fondern durch die Gewalt von Thatfachen, die Keiner feugnen fann, und welche zu beweifen fcheinen, daß es mit der Langenweile nicht nur eine furchtbare, fondern auch recht hübſche Sache ſei. Zunächſt frappirt das Fartum, daß die bloßen Naturwefen, die Thiere — ich fpreche nur von den wilden, da die Hausthiere halbe Kunſtproducte und mit vielem Menfchlichen inficirt find — alfo daß die Thiere die Langeweile nicht Fennen, fondern entweder befchäf- tigt find oder fchlafen, alfo im erflern Falle ſich noch nicht, im zweiten Falle nicht mehr langweilen. Das fcheint zu beweifen, daß zu den Unterfcheinungszeichen zwifchen Menſch und Thier, als welches die Einen die Bernunft, die Andern, denen dies zu geringfügia fhien, diefes anfehn, daS ver Marin toan isn, noch ein neues hinyaarkügt werden tan. IS ar
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dh, fich zu langweilen. Sich lang- t menfhlidh. Damit allein wäre » lange nicht der infernale Character ., denn es könnte dies nur ein Beweis daß der Menfch nur über oder unter dem en kann, nie auf einer Linie mit ihm, Hölle kennt, freilich auch Feinen Himmel. noch viel befferes Borurtpeil für die Lange» egt der Umfland, daß fie bei dem Men- unsollfommneren Zuftande nicht, im voll⸗ en wohl vortommt. Das neugeborne Kind 2: wo es nicht arbeitet — feine einzige Ar⸗ Efien — da fihläft ed. Annäherungsweife 8 findet Statt beim Menfchen der dem Na— ınde nahe. Auch vieler unterhält ſich, inden yeitet, freilich im Schmweiße feines Angefich’ r nicht mehr, wie das Kind, in dem %r rheißung Lebt, wo bie füße Nahrung ihr ; bört die Unterhaltung der Arbeit aı er ein, und um zu fehn, daß dies da e tft, Hat man nicht nöthig, zu Hotte Iuftralnegern zu gehn; wer den Riem : Düna überfchreitet, wird fehn, wie ? nachdem die Werktage vorüber, dre’ onntags verfchläft, nicht weil er Relte englifhe Fabrikarbeiter, ff künſftliche Bewußtlofigteit \
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weil die Langeweile ein fo unnatürlicher Zuſtand ift, daß, wo fie fih bei dem Naturmenichen einftellt, fehr ſchnell der Punkt erreicht ift, wo der Strom die Dämme durchbricht und fich ſelbſt verfchlingt. Wenn alfo vorhin gefagt wurbe, daß bei dem voll- endeten Menfchen die Langeweile nicht mehr vor- fommen Tann, fo zeigen biefe Erfahrungen, daß fie bei dem anfangenden Menfchen gleichfalls fehlt, frei⸗ fih dort, weil der Menfch fich zu unterhalten weiß, hier, weil er unterhalten wird von feiner Arbeit oder von feinen Eltern, die den amüfiren der fich zu belufligen noch nicht vermag. Wie von jedem andern Wefen, fo fagen wir auch von dem Men⸗ fhen, wo er fi zwifchen dem Anfangs- und dem Bollendungspunfte befindet, er fet in feiner Bildung begriffen. Findet nun aber bloß in dieſer Zwi⸗ fihenperiode die Langeweile Terrain, fo werben mir nicht nur denen Recht geben, welche fagen, es ver⸗ rathe Bildung, wenn man fich mit guter Manier zu langweilen wiffe, fondern wir werben viel weiter sehn müſſen: Ob es mit guter oder fchlechter Manier geichieht, das macht hier feinen Unterfchiep, das ſich Langweilen überhaupt, die Langeweile an ſich ift Begleiterin der Bildung. Und zwar beglei« tet fle die Bildung nicht fo, wie das Negenwetter die Zahrmärkte begleiten (0, ren al, ER nicht wie der Schatten das Ai a du MÜÄ
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verbundenes Gegentheil, ſondern fie verhalten ſich wie Licht und Glanz: ſich Langweilen iſt Bil— dung. Den Beweis für dieſen Satz liefert wieder der Ehrenmann, dem wir heute ſchon manche Be⸗ lehrung verdanken, der Schullehrer, der ſo Viele bemerkt die nicht da ſind. Welchen Eindruck mag dieſe Bemerkung wohl auf jenen kleinen Knaben machen der heute zum erſten Male in der Schule ſitzt, der fich gewundert hat über die neuen Umge⸗ bungen, und über die vielen fremden Geſichter, und welcher fieht, daß dem Lehrer alles das nicht impo⸗ nirt, ja daß er noch mehr Knabengeſichter erwartet hat? Gewiß wird ihm er ſelbſt als der Unerfah⸗ rene vorkommen, der Lehrer aber als Einer der an Erfahrung ihm weit überlegen iſt. Nun, in der Lage jenes Neulings in der Schule befindet fich Jeder, den die Gegenftände unterhalten weil fie ihr neu find, fo wie jener Lehrer aber ift der, welch alles diefes Tangweilt, weil es ihm längſt befaı weil Alles längſt dageweſen if. Je weniger Erfahrung hätte, je weniger er bekannt wäre den Gegenfländen, um fo mehr würden fie ihn, als neu, unterhalten, je unterrichteter befto weniger findet Senes flatt und deſto langweilen fie ihn. Wenn aber fo fein Lange Jaben das Maaß ift für fein Erfahren- und ! siöptetsfein, fo {ft es Taum ein Wunder, v
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welcher fich langweilt bei dem mag Andere unter hätt, in feinen, ja ſelbſt in ipren Augen einen hö- dern Werth erhält. Weberall imponirt, der fih Tang« meilt, denen die es nicht thun. Bier figen einfache Bürgersfeute an einem öffentlichen Ort, Fannegie- gern und unterhalten ſich vortrefflich. Auf ein Mat wird es fill, Einer nach dem Andern fucht nach feis nem Hut. Alles um jenes Fremden willen, der zuerſt fie gar nicht flörte, der aber feßt deutlich zeigt, daß er fi langweilt, und ipnen dadurch ben Ge= danken aufbrängt, er verflehe das Alles befier, und es ſei eigentlich kindiſch, fih mit Etwas zu unter» halten worüber Jener Tängft hinaus iſt. Der Fremde dat ihnen das Spiel verborben, und dennoch Fün- nen fie fih einer gewiſſen Ehrfurcht nicht erwehren, und Mander wird feiner Grau erzählen, der Fremde fei ein vornehmer Herr geweſen. Woher weiß er das? Er fah ihn fih langweilen. — Aber ift es wohl in anderen Kreiien anders als dort, wo ber Keinbürger Tannegießert? In heiterer Geſellſchaft werden Anecboten erzäplt, Wie gemacht, Muſik ge= trieben und Alles geht vortrefflih. Warum fängt es an zu fioden, warum fieht man, ehe man über eine luſtige Gefchichte lacht, verlegen auf jenen Eis nen, warum verfagt dem Wißling feine Zunge, und der jungen Dame, die doch o un ia, u Stimme, wenn fe auf jenen Even ent IST
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auf feinem gelangweilten Antlitz leſerlich geſchrieben ſteht: wie kann man fih damit amüſiren ? und weil unmilfüprlich jeht Jeder glaubt, diefe Geſchichten feien ihm alle befannt, und man müffe fih fhämen fie neu zu finden, weil der Witzbold zu fürchten an« fängt, der Gelangweilte habe befiere Wipe gehört ober gemacht, und dem jungen Mädchen bie furdt- bare Ahndung kommt, Jener habe alle ihre Fieber von der ſchwediſchen Nachtigall gehört. So beugt ſich Alles vor ihm, und doch iſt der einzige Rechte» titel unter dem er folhe Superiorität in Anſpruch nimmt, und der von Allen refpectirt wird, nur ber, daß er fih langweilt. Wir haben darum gar kei⸗ nen Grund darüber zu lachen, daß jener Bürger auf den vornehmen Stand jenes Fremden ſchloß, wie das fi Langweilen Prärogative des Menfhen war, wie es Bildung verrieth, fo hat es endlich wirt ld etwas Bornehmes.
Unfere Anklage gegen und unfer Plaivoyer fi die Langeweile ergibt alfo das Refultat, daß d Uripeit über fie von dem Standpunkte des Beu theilenden abhängt. Was verdammlich erfchien, als die Verdammniß ſelbſt, wenn man es maß dem vollendeten Menfchen, erfreute fih einer ' humaneren Behandlung, wenn es verglichen | mit dem Anfangspunfte menfchlicher Entwidel
Bir mußten es erklärlich finden, wenn Ea-
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nebm fich brüftet, weil er fagen Ffann: „wie fann man fich dabei amüſiren,“ obgleich er die Ant- wort fchuldig bleiben möchte, wenn ein noch Vor⸗ nehmerer ihm fagte: „Wie fann ein Mann von Geift fih jemals nicht unterhalten ” Es ift mit ber Langenmweile wie mit dem, der auf einer mittleren Höhe ſteht: vom Golf von Neapel angefehn, er= fheint das Fort von St. Elmo hoch, ja unerfteiglich, aus dem Garten von Camaldoli fieft man es tief unter ſich und eg fcheint flach zu liegen. Freilich um in dad Camaldoli geiftiger Vollendung hineinzufom- men, dazu bebürfen Alle — im irdifchen Camaldoli befanntlih nur die Frauen — eines höhern Dispen⸗ ſes. — Hinfichtlich deffen, was von der Langenweile überhaupt gilt, kann es Feinen Unterfchied machen, ob fie als vorübergehende Stimmung, ob als ha- bitueller pas ganze Leben beberrfchender Zuftand er- fheint. Das Leßtere findet nur Statt bei denen, die man früher die Zerriffenen, heut zu Zage bie Blafirten nennt. Der blafirte Menſch, in dem der Spiritus verflog und nur das Phlegma blieb, der, weil der perlende Schaum des Lebens verſchwand, mit Recht Emousse genannt wird, den man fo oft mit dem ausgebrannten Bulcan verglichen hat, daß der Bergleich altmodiich geworben ift, der zerriffene oder blafirte Menih if der Viriuvd LU OT Sangenweile, und Ad inte 28 wall, SS
George Sand, wenn fie ihren Jacques oder ihren Voyageur fprechen Täßt, ſiets von dein Ennui redet, von dem fie befeffen find. Wie fhon die vorüber- gehende Langeweile ein vornehmes Air gab, fo natürlich nod mehr das Blafirtfein. Wenn Alfred de Muffet feinen Sohn des neunzehnten Jahrhun— derts fo zerriffen darfiellt, daß ich für ihn kaum einen andern Beflimmungsort als die Papiermühle müßte, fo hat er das Gefühl eine vornehme Natur zu ſchildern, und der Blafirtefte unter den Poeten und Poetifchfte unter den Blaſirten ift „jeder Zoll ein Lord.” Mit ver vornehmen Stellung aber, die der Zerriffene in Anſpruch nimmt, und die ipm auch pflegt eingeräumt zu werben, fireitet nicht, daß ge⸗ funde Naturen ſich abgeftoßen fühlen, ja daß ofi beide Gefühle der Erfurt und des Entfeßens ge: rade fo in einem Herzen fih beifammen finden, wi bei dem Kinde, wenn es eine graufenhafte Geſchi⸗ anhört und nun angſtvoll bittet, man folle, und ı fole nicht weiter erzählen. Staunend und Ehrfurcht erfüllt werden vor einem folder Muſſetſchen Heros Naturen ſtehn wie eine ouvriere, bie flint mit der Nadel und flüı
Zanz ein Leben führt, das nichts iſt als pagnerfepaum; angewidert werben durch ihn
es wiſſen, daß der Menſch ſich interefficen fc
er verpflichtet if, ertennend und Wehen
umfaffen; endlich angezogen und abgeftoßen zugleich die ahndungspollen Engel, welche beſchämt fühlen, daß ibr natürlicher Unſchuldszuſtand unreif ift, zugleich aber auch, daß in dem Zerriffenen fich vie Unnatur der Schuld firirt hat, und die fo die dop⸗ pelte Gewalt erfahren, die das Kainszeichen ber Bildung ausübt, welches der Blafirte im Antlitz trägt. Es ift ein Kaingzeichen, denn das Blafirt- fein ift infernal, e8 tft das Zeichen der Bildung denn das Zerriffenfein ift vornehm, wie die Lange= weile in ver es beſteht. — Daraus alfo, daß das Zerrain, auf dem der Gelangweilte und Blajirte fieht, eine Mittelregion bildet, ließ ſich erklären warum der Eine es hoch der Andere e8 tief flellte. Ebenfo aber läßt fih nun umgekehrt aus den ver- fhiedenen Urtheilen die über jene Erfiheinungen gefällt werden, auf den Standpunkt zurüdfchließen, auf welchen ber Urtheilende flieht, und dies kann ein praftifches Sntereffe für uns haben, indem nicht geleugnet werben fann, daß in unferer Zeit die Bla» firten im Courszetiel der Achtung anders notirt find als früher. Es gab eine Zeit, wo Naturen wie George Sand’s Jacques oder wie Waller in der Gräfin Dolores, wie Roquairol in Sean Pauls Titan überall Bewunderung erregten, und man braucht noch nicht ſehr alt zu Ken um 88 uU N haben, daß, wie heut zu Tage uf din mes
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ſo damals auf Zerriſſenheit gereiſt wurde. Gaſtfrei öffneten die Männer ihm das Haus, denn die Stätte, die ein Zerriſſener betrat, ſie war geweiht; ſo die Männer und die Frauen blieben nicht zurück: manches unſchuldige Herz, dem der Zerriſſene den Abgrund des ſeinigen aufſchloß, ſchauderte vor der bodenloſen Tiefe, weinte über den Abbadonna, vielleicht mit der ſtillen Hoffnung, ſein rettender Engel zu werden. Die Zeiten haben fich geändert. Was die gaſtfreien Männer betrifft, fo möchte ich Sedem ber fremde Länder bereift, rathen, flatt der Zerriffenheit einen guten Crebitbrief mitzunehmen, und hinfichtlich der Frauen haben tiefer Eingeweihte als ich, mir gefagt, ihr Urtheil über Männer habe fich ziemlich ing Gleichgewicht geſetzt mit dem über Kleider, — nicht fo, als wenn fie immer neue wollten, fonbern ein ganzer Mann fol ihnen Lieber fein als ein Dußend zerriffener. Berbürgen Tann ich es nicht, aber ich bin fo berichtet. Diefe Veränderung nun, muß fie ung nicht mit Stolz erfüllen hinfichtfich unferer Zeit, benn baß die Blafirten uns nicht mehr fo impontren wie früher, fcheint doch Har zu beweifen, daß un« fere Zeit auf einem höhern Standpunft fleht als fie. Leider nicht ohne Weiteres. Gewiß hat, wer ben böhern Berg erftieg, nicht mehr nöthig hinaufzu⸗ bliden, wenn er ben gewahren will, der auf dem Bügel ſteht, aber auch ver dor 2% wiht met v?-
thig, der ſich zu ihm geſellt, und mit ihm auf einem Niveau ſteht, wenn darum unſerm Stolz, daß wir die Blafirten und Zerriſſenen nicht mehr ſo achten wie unſere Väter, der Skeptiker antworten wollte: das kommt daher, daß in eurer Väter Zeit, als die erſten Zerriſſenen auftraten, es der ganzen Männer viele gab, die Zerriſſenen alſo die Ausnahme bilde⸗ ten, während Ihr in ihnen nur Eures Gleichen, nichts Beſonderes, feht, — fo iſt die Möglichkeit, daß er Recht habe, nicht zu leugnen. Und wenn meiner freudigen Behauptung, beut zu Tage werde eine ausgebrannte Jacques» Natur bei unfern Frauen fein Glück machen, berielbe Steptifer bie entge= genftellen wollte, dies habe feinen Grund darin, daß in unferer Zeit die Neulingsherzen, wie Fer— nande felten, dagegen die Naturen wie Lelia, die wegen ihrer Gleichheit mit ihm einen Jacques nicht hätte lieben können, häufig geworben feien, — fo würde ich mich zwar empört von dem Berläumder abwenden, aber um ihn zu widerlegen, dazu würde die Empörung nicht ausreichen, dazu bedürfte es einer befondern Unterfuchung über den Punkt, auf welchem unfere Zeit flieht. Es ift gewiß, fie flaunt das Blafirtiein nicht mehr an, wie ein furchtfamer Bewohner des Flachlandes den, welcher den Aſchen⸗ fegel des Veſuv beftieg, es frank Ay, her wir
fie bazu gelommen, den Reipett daner ya seiten!
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daß fie auf den Veſuv der Blafirten
„oder wie mancher bequeme Reifende
tragen Tieß und nun mit ihnen diefel-
en Schwefelvämpfe einatpmet? Oper
als ein Fühner Bergfteiger, ven Monte
fliegen, athmet fie hier reine Luft und
nem Gefühle, das dem Namen ihres
:8 entfpricht, den wüſten Krater ald un- Alchenhügel zu ihren Füßen liegen ?
> hat ſelbſt die unverfängliche Frage, was
e ift, und wie fie beurtheilt werden muß,
‚merft zu der hinübergeführt, bei der heut
die meiften Unterfuchungen anzulangen
zu der Frage: was haben wir für eine
Jiefe Frage aber werde ich ſchwerlich beant
fönnen, da ich eben fehe, daß wir — ga
haben.
Drud yon 3. F. Starde in Berlin.
A Ueber
das Heidniſche im Chriſtenthum.
Yorteag, gehalten in Halle am 30. Januat 1854. Bon
Br. Erdmann, Brofeffor in Hale.
Berlin 1854. Berlag von Wilhelm Herk. Bernie Ban)
In den legten Monaten ift in den Zeitungen, und zwar den aflerverfchiedenften, fo viel gegen Die Marmorgruppen auf der Berliner Schloßbrüde gefpros chen worden, daß fie es auf dem Gewifien haben, wenn es Manchem, der ald Fremder Berlin befuchte, gegans gen iſt, wie mir: mein erfter Gang galt jener Brüde. Zuerſt überrafchten mich, da ich doch gelefen hatte, ein fittfames Mädchen müffe, wenn es über die Brüde gehe, die Augen niederfchlagen, die zimmerhohen Sodel, auf welchen die anjtößigen Gegenftände ftehn, denn nur Goliaths Töchter oder Gargantua's Eus felinnen laufen jeßt Gefahr, wider Willen Etwas zu erblicden, was fie nicht fehen mögen. Bei dem ges wöhnlichen Wuchfe der Berliner Damen braudt eine itrenge Beftalin durchaus nicht herunter, fie braucht eben nur nicht hinauf zu blicken. ALS ich dann weiter, auf die Gefahr bin, mir den Naden zu verrenfen, die Gruppen genauer betrachtete und dabei mich auf das befann, was die Civis und Unus gro wnlia gegen das Radte geſagt hatten, Tamm wir et Su
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danke, Berlin fei zu der Prüderie amerifani Damen gelangt, die ihren lügelpianofortes I pressibles anthun follen, oder zu der Züchti jenes Papftes, der einer antiken weiblichen Si im Batican ein Hemde von Gips anziehn Tieß, ches fie noch jetzt trägt, da fein Nachfolger, obs ihn die Sache ärgern foll, nicht den Muth hat entgegengefegten Sinne der Schönen bei ihrer Toilet helfen. Indeß, diefe meine Furcht, Berlin ſei verfchämt geworden, verlor fih bald. Denn de noch an demfelben Abend fehen konnte, wie im? ter die Männer ihre Augen bewaffneten, damit i Nichts von Pepita's herrlihen Gliedern ent; und dabei hören, wie die Fraueu mit Entzüden Schönheit diefer Formen zergliederten, da fat ein, daß ich mich ganz unnütz geängftigt h Kurz, ich habe mich fehr bald überzeugt, daß die Reclamationen gegen die Gruppen, die im men der Züchtigkeit und Tugend aufgetreten, N waren ald Symptome der Luſt, Alles zu befrit die fogar da ſich regt, wo ein funftfinniger $ der eignen Stadt ein Gefchen? macht, um die jede andere Hauptſtadt beneiden fann. — Biel ı tiger ala diefe Stimmen, die übrigens fchon fe geworden find und bald verhallen werden, find welche von einer anderen Seite her fich erheben, nicht dies tadeln, dag nadte Geftalten, fondern mytbologifche Gegenftände dargeftellt wurden,
deren Anfchanen der, ohnedies zu fehr berrfchende, heidnifche Sinn genährt und verbreitet werde, Ich nenne diefe Stimmen viel wichtiger, weil fie neue Symptome einer ſehr weit verbreiteten Anficht find, die immer mehr um fich greift, nach welcher alle Uebel unferer Zeit nur darin ihren Grund haben folen, dag unfere Denk: und Anfchauungsmeife fo viel Heidnifches enthalte. Als vor einiger Zeit ein bochgeftellter Geiftlicher in Frankreich den Borfchlag machte, man folle auf gelehrten Schulen nicht mehr die heidnifhen Schriftiteller leſen laſſen, z0g er eigentlih nur die praftiiche Folgerung aus dem, was in den verfchiedenften Formen, auch bei uns, fehr oft ausgefprochen worden iſt. Bald hat man uns erzählt, wir hätten deswegen feine Anhänglich feit für unfere Fürften, weil wir auf der Schule nur die Republik und die heidnifche Bürgertugend verehrten lernten, bald redet man und vor, daß nur deswegen Mancher dur die Naturwifienfhaft vom Glauben abgeführt werde, weil fie noch immer nad den Grundfäßen des Ariftoteled, dieſes Erzheiden, getrieben werde, bald endlich fol die Beichäftigung mit der reizendften aber eben darum gefährlichiten Form des Heidenthumsd, mit dem Griechenthum, zu einer Vergötterung der Schönheit führen, deren Cul⸗ tus immer mehr an die Stelle der Religion trete, Wenn fie dann Alle fih zu der einen Behauptung vereinigen: dem, leider verkallenten, Kiuitesiuume
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fei nur zu belfen durch Entfernung alles nifchen, was fih allmälig eingefchlichen I hört Muth dazu, einem folchen Uniſono nicht zu fchweigen. Ich will es denn nicht weil ich meiner Zunge die Kraft zul fo mächtigen Chor zu überjchreien, fond« weiß, dag aud ein fchwacher Ton unte feren vernehmlich wird, wenn er mit ihr Conſonanz ftebt. In der That möchte, n Frage aufwerfe, ob an jener eben erw hauptung Etwas dran it? die Antwort dender Difjonanz ftehn mit dem, was Sol ten, die gewohnt find, in Sachen des Ch und der Chrijtlichleit das große Wort Dies fchliegt aber nicht die Möglichkeit a: Antwort, zu der wir gelangen, richtig ifl fo alt, wie das Chriſtenthum ſelbſt. 1.
Das Ghriftenthbum. Obgleich diefei denen gehört, die, wie das Wort Freih gleichgültig lafjen, da auc des Gegnert wallt, wa es ausgejprochen wird, jo g: doch jeltfam. Gerade wie dad andere, eben zufammengejtellt wurde, wird es | gebraucht, wirft in dem Einen Begeiftern Andern Empörung, ohne daß fie doch v e8 eigentlich befugt. Wie Viele verftchen Freiheit nur das negative Nichtsgebunde
fe auch, was fie aber nicht allein it? Gerade fo dient das Wort Ehriftenthum fehr Bielen nur dazu, einen Theil defjen zu bezeichnen, was darin befaßt it. Schon die Analogie mit gleichgebildeten Wor⸗ ten Sollte vor ſolcher Beſchränkung warnen. Würde man e3 nicht feltfam finden, wenn man unter Rit⸗ tertbum oder Römerthum nur einen Theil des rits terlihen oder römischen Weſens verjtünde, wenn man fagen wollte, Deutfchthum heißt deutfche Sprache, Griechenthum griehiihe Kunft, Alterthum bedeutet jo viel wie antife Erziehung? Und doc begeht man dieje jelbe Seltfamfeit, wenn man unter Chrijten- thum nur eine feiner Aeugerungen, die Religion nämlich, verfteht, die, fei fie auch immerhin die vors nehmſte unter den Erſcheinnngen des chriftlichen Lebens, doch nicht für fich allein den Namen in Anfpruch nehmen fann, der allen Grfheinungen des neuen Lebens, oder vielmehr dieſem neuen Leben felbit in feiner Ganzbeit und Fülle, zufommt. Diefes neue Leben ericheint zuerſt in feiner concentrirteiten Geftalt in dem Ginen, der eben deshalb nicht an diefem Leben nur Theil bat, fondern es felbit it und ſich mit Necht das Leben nennt. Es entwidelt fih und wäcit, indem es nicht mehr uur in Ihm allein egiftirt, fondern immer mehr Alle und Alles durch« dringt, bis endlich es, und eben darum Er, der Dies jes neue Leben ift, überall fichtbar fein wird, wie der Blig, der vom Aufgang HR mm NUN
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em feinem vollen Sinne, als das ‚ wie es in Allem fich zeigt, in der n der neugeftalteten Sitte, in drm :uleben, in der aus dem neuen Kunft und Wiffenfhaft, in den Geiſt verflärten Rechts und Staats⸗ ı diefem nehmen wir das Wort Ehri- ı wir und die Frage zu beantworten ‚ fih zur heidniſchen Weltanfhauung ie fie zu ihm? uns fogleich einen bedeutfamen Wink MWeife, wie fih zu dem erften Erſchei⸗ en Lebens die Heidenwelt verhält. An ‚on Bethlehem traten niht nur fromme en, denen die Voten ihres ftrengen unt tes anfündigten, daß die Zeit des Zucht :über, die des Friedens und der Freut ei, fondern zum demfelben Ziele werd: ben Magier von der Macht hingewiefr ald Gott gilt: das Geſetz der Geftt geboten, den König des neuen Pe’ In der That, wenn man flieht, vr | Schrift das, was die Heiden ti en, ganz eben fo als ein Wegweiſ in behandelt wird, wie der Eng iichen Hirten vernahmen, wenn r in einem der äfteften und fchön ‚a8 ſich erhalten hat, neben de
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mentlichen Sänger der Pfalmen die heidnifhe Sy— bylle als Prophetin von des Herren Tag gejtellt wird, wenn wir in den merkwürdigen Gedicht des theologifchften unter allen Dichtern die heidnifchen Weiſen ftets neben den Propheten des alten Bundes erwähnt finden, jo müſſen wir geitehn: als urfprüngs fi kann die Anficht nicht gelten, nach welcher das Heidenthbum nur von dem Chriſtenthum abzieht. Biele Sahrhunderte galten, und es gelten bei einem grogen Theil der Ehriftenheit noch heute Die Heidens könige als heilige Zeugen für's Chriftentbum und als Vorläufer defjelben, und fromme Künitler hiefs ten es nicht für einen Raub an der Göttlichfeit des heiligen Kindes, wenn fie es greifen ließen nach den DOpfergaben, die das Heidenthum zu feinen Füßen ausbreitete, nicht als eine Berfündigung an der Heis figteit der Jungfrau, wenn fie diefelbe darftellten mit den Perlen gefchmüdt, die eine Gabe der heid⸗ nischen Sterndenter waren. Es iſt erit die Neuzeit, die fo mißtranifch geworden tft gegen alle Gaben des Heidenthums, erft fie fürchtet Alles, was nicht feinen erften Urfprung innerhalb der hriftlichen Ans Sdayungen bat, exit ift fie fo puriftifch in ihrer
„lichkeit, daß fie — den Berliner Glauben ges ährdet erachtet, wenn nicht auf jedem Granitklod der Schloßbrüde ein Crucifix fteht anftatt der Sies gesgöttin oder einer andern heidniſch erdachten Gruppe.
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Sollte aber nicht die Neuzeit hierin ganz Re haben? Recht gerade wegen des eben Ausgefpro nen, daß das Heidenthbum auf das Chriſtenthi hinweiſe als ſein Vorläufer? Darin liegt doc), d e8 eben nur vor der hriftlichen Zeit, nicht in i eine Berechtigung hat, ganz wie die heidnifd Profelyten des Thors vor dem Heiligthum, nicht ihm, ihren Platz hatten. Mit Recht, fo fcheint muß jede heidnifche Anfchanung innerhalb der dir fihen Welt als reactionär im fchlechteiten Sür des Wortes gelten, da fie ja zurüdbringe; dal zurüd, wo die Menfchheit noch von den Schran! des Irrthums wie eine Feitung von ihren Maue und Wällen umjchlofjen war, während ja der Fo fhritt, den die Menfchheit an der Hand des EI ſtenthums gemacht bat, darin beitehe, dap fie beengenden Mauern hinter fih lieg. — Würe ı fih die Menſchheit durch das Chriſtenthum dazı geleitet, fo möchte man verjucht werden, die‘ Berleitung zu nennen, denn es bfeibt ftet‘ bedenkliche Taktik, einen feiten Platz, anſte einzunehmen, binter jih zu laſſen. Das € thum verdient aber diefen Vorwurf nicht, hat e8 durch die Einnahme der feindlichen 9 feine Eroberungen gefihert. Es bat fie ei wirklich in fi aufgenommen, fle bilden ! feiner feiten Punkte; zu einem andern Dad, dem Heidenthum diametral entg
Sudenthum, weldes wir aber bier nur infoweit zu berüdjichtigen haben, ald dadurch unfer eigentlicher Gegenftand, das Verhältniß des Chriftenthums zum heidnifchen Wefen, klarer wird. Wir können diefes Berhältnig fo formuliren: das Chriftenthum fchließt das Heidnijche nicht aus, fondern ein, es findet fich wirffich in ihm nicht nur etwas, fondern viel Heid- nifches, es hat ſich dajielbe aber nicht, wie die hen» tige Heidenfurdt meint, in das Chriſtenthum ein- gejchlichen, fondern diefes hat ihm geflifjentlich Thor und Thür geöffnet, und ernährt und erhält zu fei- nem eignen Frommen die heidnifchen Glemente; fie find der Knecht des Haufes, oder befier der Tempels diener, den ed in feinen Dienft und feine Pflicht genommen. Obgleich diefe Säge eigentlich von Kei- nem beftritten werden fünnen, welcher behauntet, dap das Chriſtenthum des Heidenthums Herr ge⸗ worden fei und immer mehr werden folle, worin doch gewiß liegt, daß das leptere zu feinem Diener beitimmt ift, fo wird man doch mit ihnen nidht fo leichten Kaufes durchkommen. Ihre völlige Rechts fertigung aber finden fie in dem Nachweile, daß das ChHriftentbum zwar nicht aus dem Heidenthume al- lein, aber doch auch aus ihm, vermittelit feiner Durhdringung mit dem Judenthum, entiteht und fih entwidelt, und daß fortwährend an diefe Durch— dringung das Sein und der Beſtand des Ehriitens thums gebunden ift.
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Die Entftehung des Chriſtenthums ift dur das Heidenthum und feine Vereinigung mit dem I denthbum bedingt. Wo beide ihre fpröde Stellu gegen einander aufgeben, wo griechiſche Weltwei ihre vornehme Verachtung der Wunder und Weiff gungen vergefien, wo römifche Hauptleute in d heiligen Schriften der verachteten Juden Belehrui juchen und wo wieder fromme Juden nach den N turgefegen zu forfchen, fich zu Aerzten auszubild anfangen, wo ein Mann priefterlihen Standes, uı fo fromm wie der Jude Philo, zu griehifchen Pt tofophen in die Schule geht, exit da ift jene E füllung der Zeit eingetreten, vor welcher das Chi ftenthum nicht fommen fonnte. Ind weiter, als nun gefommen ift, als in dem Stifter deijelb: ber Zunfe hervorgefprungen ift, der die ganze We entzünden follte, da ift bei feinem Anfachen 3: Flamme nicht nur dad Judenthum, nein! eben fo fe der heidnifche Geijt thätig gewefen. Selbit wenn w nur die religiöfen und Tirchlichen Erfcheinungen 6 traten, müſſen wir das ſchon zugeftehen. Verſte man nämlich unter Kirche eine refigiöfe Gemeinfcha! die einen beftimmten, rechtlich anerfannten Lehrbegri ein Bekenntniß oder fog. Symbol hat, fo muß mı einräumen: da aus der im Neuen Teftamente nied gelegten, ohne die Führungen des jüdifhen 9 kes unverftändlichen, ja unmöglichen DOffenba: mit Hülfe griehifcher Wifjenfhaft der Lehri
oder das, was außerdem dag es Gefchichte, auch ewige Wahrheit tft, herausgezogen wird, diefe Lehre aber vermittelft römischer Rechts- und Staats-Ein- rihtungen bindende Kraft, fo wie die fi zu ihnen befennende Gemeinfchaft rechtliche Normen erhält, — fo haben im Verein mit dem Judenthum beide For: men des Heidenthbums dazu beigetragen, daß die Ge- meinde fi zur Kirche entwicle. Gehn wir aber nun gar über den Kreis des Religiöſen und Kirchlichen hinaus, und denken an das Chriſtenthum ald Gan- zes, d. h. an alle Erfcheinungen des chriftlichen We ſens, bedenken wir, wie fich alle unfere Ideen vom Recht an die der Römer, von Kunft und von Schön heit überhaupt an die der Griechen anlehnen, fo werden wir in dem Chriftusfinde, wie e8 die Anbe— tung der jüdifchen Hirten und der heidnifchen Könige empfängt, eine Weijjagung darauf hin anerkennen müſſen, wie fih das Reich diefes Priedensfürften zu den beiden andern einmal verhalten wird: wie fein Stifter, fo hat auch das Chriftenthum fich angeeig- net, was Judenthum und Heidenthbum im Verein zu gewähren vermögen. Dies heißt nun aber nicht, der chriſtliche Geift und die chriftliche Anfchauungsweife fei nur ein Gemifh von jüdifchen und heidnifchen Ideen. Ich habe geflifjentlich die Vereinigung bei- der Durchdringung genannt und nicht Gemifh, um nicht zweierlei zu confundiren,, deſſen Verfchiedenheit und ſchon Borgänge der Aigharen Ant INN
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Zwei klare, fi entgegenfeßte Subftangen werden zu⸗ jammengegofjien. So lange die Fleiniten Theilchen jeder derjelben die der andern nur fuchen, höchſtens berühren, fo lange haben wir ein bloßes Gemiſch oder Gemenge. Es iſt trübe und in einer der Gäh- rung ähnlichen Unruhe. Endlich wird Alles ruhig und am Boden finden wir, abermals durdfichtig aber feit und in fchöner regelmäßiger Form, das Salz, in weldem die Atome jener beiden nicht mehr neben einander liegen, fondern fich ganz durchdrin— gen, fo daß nirgends nur eine jener Subftanzen, überall beide vder — wie man eben fo gut fagen kann — feine von beiden ſich findet. Gerade fo gebt der Entftehung des Chriftentbums jenes Ge— menge heidnifcher und jüdifcher Fdeen voraus, von welchem ich vorhin gefprodhen habe, und gerade wie bei der Salzbildung nur ein Beiner Theil der zus ſammengebrachten Flüfjigkeiten dazu verwandt wird, das Uebrige aber ein fades Phlegma bleibt, das, wenn es nicht rechtzeitig weggegofjen oder abgedampft wird, die fehon gebildeten Salzkryſtalle fährden kann, gerade fo geht nur ein Theil der heidnifch gebildeten Juden und vom AJudenthum ergriffenen Heiden zum Ehriſtenthum über, die Uebrigen hat die Gemeinde mit Recht als nicht ihr angehörig angejehn, oder gar als ihre Feinde zu fürchten gehabt. Daß aber aud nur jenem kleinen Theil die VBermifchung beidnifcher Ideen mit jüdijhen zur Brüde werden konnte, über
die fie zu den Anſchauungen des chriftlichen Geiftes gelangten, tit ein Bijtorifcher Beweis, daß fih das Chriſtenthum zu jenen Ideen fo verhält, wie das Salz zu den Subftanzen, die in ihm gebunden find.
Wirklich ein Beweis? Kann wirklich, wenn mit und aus dem Zufammentreffen des Zudenthums und Heidenthums der chriftliche Geiſt hervorgeht, daraus ohne Weiteres gefolgert werden, daß an ihre Eriftenz das Sein des Chriſtenthums gebunden, daß fie in⸗ tegrirende Beftandtheile deilelben find? Stahl und Stein treffen auch zuſammen und der Funke, der daraus hervorgeht, wird, wenn er zündet, zur Flamme, in der Doch weder vom Stein noch vom Stahl Etwas zu entdeden iſt. Bielleicht verhält ſichs jo auch mit dem Chriſtenthum, und wir hätten bejjer gethan, bei dem zuerft gebrauchten Bergleih mit dem Funken und der Flamme, die durch das Heidenthum ange- facht wurde, fteben zu bleiben, ald zu dem mit dem Salze überzugehn? Wir müſſen, ich geftche es zu, um die Behauptung zu begründen, daß nicht nur das Entftehen, ſondern auch Sein und Beltand des Chriſtenthums an jene Durhdringung gebunden ift, und nad einem Beweiſe umfehn. Bielleicht verhilft uns dazu unfer, eben getadeltes Gleichniß: Wie der Chemiker, wenn er und beweifen will, daß das Salz feine einfache Subftanz iſt, e8 uns in dem Momente der Zers fegung vorführt, wo ſich die Beitandtheile trennen und das Gebundene frei, DoR% wiüher Annie Ks
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bar wird, fo haben wir das Chriftenthum dort zu betrachten, wo ed in einen Zerfeßungs- und Ber: weſungsproceß hineintritt, um die Elemente wahr: zunehmen, die ed im gefunden Zuftande in feinem Schooße birgt, die aber, wo die Zerfegung beginnt, frei ang Licht treten. Das Jahrhundert, welches der Reformation voraudgeht, zeigt einen folchen Zer- jeßungsproceß in der chriftlichen Welt. Die audge- bildete Priefterherrfchaft, die Werfheiligkeit, der ges feplich geregelte Geremonialdienft, alles diefes zeigt ein rein jüdifches Wefen. Und zugleich ift in ihren weltlichen Zendenzen und in ihrem götzendieneriſchen Bilderdienft die katholiſche Kirche zum Heidenthum herabgefunfen. Diefem, frei und offenbar werdenden, heidnifchen und jüdifchen Sinne treten die Reforma- toren entgegen. Mit Recht ijt bemerkt worden, daß Luther und die fih ihm anfchließenden deutfchen Theologen befonders das jüdifche Wefen, die exelufive Heiligkeit des Priefteritandes, die Werfgerechtigkeit u. f. w. befämpften, während Calvin und die fich ihm anfchließende franzöfifhe und fchottifche Kirche vorzüglich das heidnifche Element, den Bilderdienft, die finnliche Exiftenz des Heiligften als ein fichtbares Ding u. f. w. angriffen. Ignoriren wir bier diefen Gegenfag unter den Refornatoren, der es erklärlich macht, warum den Anhängern des Genfer Bekennt⸗ nifjes unfer Zuther, wie er im Kreiſe der Seinigen beim Zautenfpiel Wein, Weib und Gefang preift, zu
weltlich, zu beidnifchsleichtfertig für einen Reformator erjcheint, während der, feine Stadt fireng regierende Galvin oder der flarre Schotte Knox mit feiner Vor⸗ liebe für das alte Teſtament und feinem Rigorismus gegen jedes Bild in der Kirche, für uns leicht etwas Zudaifirendes hat, — ignoriren wir, fage ich, dieſen Gegenfaß, jo beweiit doch, wenn in dem Verweſungs⸗ und Zerfegungsproceh des Chriſtenthums die beiden Elemente fi) geltend machen, die Luther und Calvin befimpfen, dies ganz Mar, dag auch in dem gefuns den Zuſtande des Chriſtenthums fie in ibm enthalten waren. Zwar fo nicht, wie in dem Momente der Zerfeßung, fondern fo wie die zerfrejlende Säure und das äßende Alkali im Salze find, das weder ätzt noch zerfrigt, weil fie beide fich gegenfeitig bin- den und von einander gebunden werden. Seltfam ! Hier, bei dem Salze, findet man ed ganz in der Drdnung, daß das Aetzende und Zerfrejjende ſich gegenfeitig calmiren, und wenn Einer, damit das Salz weniger fcharf fei, den Verfuch machen wollte, ihm alles Aebende zu entziehn, fo würde man es natürlich finden, wenn die fcharfe Säure, die dann allein übrig bliebe, dem Thoren Kleider und Hände zerfräße, bei dem Ehriftenthum aber räth man folche Thorheit an und nennt fie Weisheit, ald wenn nit, was man dort beim Salz fieht, natürlich, d. h. ein allgemeines Weltgefeß wäre, und als wenn nit das Chriftenthum auch Salz wäre, Su iu Str R
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nämlich, wie es (wahrſcheinlich doch nicht ohne ten Grund) genannt wurde! Gelänge es wir was Viele heut zn Tage für nothwendig erklä allen Paganismus zu vernichten, den das Chriftent in fi gefogen bat, fo bfiebe nichts übrig ala kanſtiſche Judaismus. (Natürlih hat wieder Krieg gegen Alles, was man jüdijche Boriteflun im Chriſtenthum genannt bat, zu einer Avotheofe zerfrefienden puren Heidenthums geführt.) Man bet darum die Folgen, ebe man Stimme und Hand erl um Mapregeln zu unterftügen, welche gerade Chriſtenthum zerftören müßten, da fie folde Mi frei machten, die das Chrijtenthum nur fo I nicht zu fürchten Hat, als es fie bindet und bändigt. 2.
Es wäre nicht unmöglich, daß diefe unfere nung denen, welchen fie gilt, fo erſchiene w mächtigen Streiche, welche der edle Ritter v traurigen Geftalt gegen die Windmühlen als das nicht treffend, dem fie gilt. All nämlih, was bisher gefagt wurde, können geben, können gleih uns zugeftehn, daß flige GSeftaltung der Welt, die wir Chri— nennen, alle früheren, darım aud das Hei fo in ſich birgt und bindet, wie der Tebendi fhenleib Phosphor und andere ihm ſchädli ſtanzen, und können dennoch ihren Kreng
den Paganismus, gegen die Wiederbelebung der heid- nifhen Anfchauungsweife, fortfeßen. Bei diefem ihrem Kriege nämlich Handle ſichs gar nicht um das Hei⸗ denthum, welces ein Beitandtheil fei im Chriiten- thum ald Ganzen, wie e8 eine gefchichtliche Macht, wie e8 die geiltige Befchaffenheit der ganzen Menfch- heit bezeichnet, fondern um die Chriftlichkeit des einzelnen Menfchen, um fein Chriſtenthum, und darum , daß er nicht zum Heiden gemacht werde. Sei es immerhin wahr, daß das Chriſtenthum fich durh Aufnahme und Verarbeitung auch beidnijcher Ideen gebildet habe, und daß alfo die Entziehung alles Heidnifchen ihm gefährlich wäre, wie den leben⸗ digen Leibe die Entziehung alles Phosphors; fo viel aber des Heidnifchen und fo verarbeitet, wie e3 dem Chriftenthun nothwendig, nehme der Einzelne ja in fih auf, indem er chriftlich erzogen wird, und nur hrijtliche Eindrüde empfängt. Dagegen, feinem Geifte noch außerdem rein heidnifche Koft bieten, wäre ja, ala wollte man dem Leibe, weil er doh auch aus Phosphor gebildet ift, nun noch Phosphor ala Nah⸗ tung reihen. — Ich fünnte darauf erwidern, daß dies auch wirklich gefchehen muß, und daß er phos⸗ phorhaltiger Nahrung bedarf, indeß eine Argunenta- tion durch ein Bild, welches noch dazu ich felbit dem Gegner in den Mund legte, würde fchwerlid überzeugen. Statt defjen werde darauf aufmerkfam gemacht, daß der Einzelne (einrt KKäteuiuumd
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wit dodurch chellhoĩ in Ihm yon Nevem aniteh ‚ eil. shrlit ent © Kalt gewinve Art wird» yo do eben dedwegen [ein Cytiſtlhw q otle e Etodien d aufen wu welche Ehriſtlͤch erden de it yurstiel- Wer da queiielt oder wer © wyſtiſch nennt vede pop © ans en ſo it on ger jede! guntie teil. ie gut Clovie xlelb 3 nr daß er vor wundert Johre Birtw war⸗ pen zu ad yon man S gerreotten \ w doch wir der K ertigteit eine wuh DEN G
fen erzogen wurden, einmal anfingen anftatt zu preiien Daß, auch einmal zu lernen wie damals die Kinder in den chriftlichen Ideenkreis eingeführt wurden? Das Mittel, welches, fo lange es Kinder gibt, das einzige it, fie zu Ideen zu bringen, daß man ihnen mündlicd oder nach einem Buche Solches erzählt, worin fie durch eigued Nachdenken die Idee, d. h. den Wahrheitsgehalt auffinden, zuerit ahn⸗ den, daun erkennen follen, war auch das Haupts bildungsmittel für Kinder in der „guten alten Zeit”. Wenn wir dann aber weiter zufehn, was den Kindern erzählt, was vor ihnen und fpäter von ihnen felbit gelefen ward, fo finden wir, daß damals die ſog. Kindergefchichten, d. b. die expreß für Kinder ausgefonnenen Gefchichten, nicht egiftirten, Diefe unfelige Erfindung der Neuzeit, die „Erzäbs lungen für Kinder“, welche für Kinder die fchlechte- ften Graählungen find, war der guten alten Zeit fremd ; viel mehr anerfennend, daß das Kind auferzos gen, d. 5. heraufgezogen, nicht aber die Eltern oder ionftigen Erzähler heruntergezogen werden follten, erzählte und las fie, zum größern Nußen und grö⸗ Beren Genufje der Kinder, ihnen nur Solche, was urfprünglich nicht für Kinder gefchrieben war. Ind diefes war? Erſtlich die biblifchen, namentlich Die Altteftamentlichen Gefchichten, durch welche das Kind, gleich einem Kinde Israels, einheimifch wurde in den Vorftellungen des alten Bunde, Sin
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aber ward zweitens das Kind eingeführt in die m alterliche Welt der Mährchen und in die fabelh Sagen des Alterthums, die beide nicht zur Kur erfonnene PBhantafiefpiele, gefchweige denn für K erdacht, find, fondern in denen das Haffifche und mauiſche Heidenthum durch feine tieflinnigften Mä: feine religiöfen und fonftigen Weltanſchauungen ni gelegt hat. Welch eine Gährung mußte nic dem Kopfe eines Kindes in der guten alten entitehn, wenn es von der Mutter in eine eingeführt, welche urfprünglich die war, wo. herrſcht und Balder ftirbt, vom Bater wieder, dem Homer Nacherzählte®, zur Bewunderung des Peleus und der Theti8 Sohn angeleitet, Bater und Mutter dazu geführt ward, Abrabr verehren und, troß feiner Schwächen, David : ben? Ja wohl, eine Gährung, aber die gr Zeit wußte, was ihre heutigen Lobredner ve dag nur aus kräftiger Gährung ein Flarer Trübung ausgefeßter, Tranf hervorgeht, und in ihrer Erziehungsmethode die Autorität ei Bern als alle Peftalozzi für fih, Deſſen, die Gährung heidnifchsjüdifcher Ideen di beit in den chriftlichen Ideenkreis hineingef
Wir billigen die Art, wie die alte ihre Kinder zum Chriſtenthum anleitete, wie in der Menfchheit, fo auch in Dr Menfhen das Ehriitenthum aus dem |
Heidnifchen und Jüdiſchen hervorgeht. Wir fügen aber noch Hinzu, daß auch darin im Ginzelnen das Ganze ſich abfviegelt, daß fein Chriftenthum nur durh Die Durhdringung beider Elemente ſich erneut und erhält. Nur an einem, aber dem vornehmften, Förderungs- und Grneuerungsmittel des chriftlichen Geiftes werde Died nachgewiefen, an dem Cultus, der Erhebnug durch gottesdienftliche Feier. Das Heidenthum ift zu feinem Gulminationspunft in den Griehen gelangt. Da ihre Religion eigentlich As betung der Schönheit ift, fo iſts natürlich, daß ihre religiöfe Erhebung zufammenfällt mit dem gefteigers ten Genuß des Schönen. Daher der heitere Charats ter ihres Cultus, in welchen (ähnlich war es im germanifchen Heidenthum) das fröhliche Mahl, das Wettfpiel, in dem die Kraft und Schönheit der Kämpfer die Zufchauer entzüdt, der Tanz und die ih daran anfchliegende dramatiiche Aufführung, faft den ganzen Tag der feitlihen Feier ausfüllen. Ganz anders verhält fich& bei dem Juden. An die Stelle der Schönheit trat bei ihm das ftrenge Geſetz in feiner erhabenen Majeftät; fein Cultus ift darum nicht Das heitere Spiel, fondern die erufte Eutfagung; nicht mit Duftenden Salben ſchmückt er ſich zur fröhs lihen eier fondern Sad und Aſche deuten die in: nere Zerknirſchung an; man fiebt ihn nicht auf ofs fenem Markte fchmaufen und jubeln, weil es Felttag, fondern ihn mahnt der Sabbath, fid, in fein Haus
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and in fich felber zurüdzuziehen. Alle äußer feit ift unterfagt : das fromme Bolf hat Einen g weil er Holz las am Sabbath und Hat f vertheidigt gegen den die Stadt erobernde denn es war Sabbath. Ganz der Stellung hend, die wir dem Chriftenthum anwiefen, in der chriftlichen Kirche fehr früh die Sad ftaltet, wie wir fie in katholiſchen Ländı bente finden: Ein Theil des Feiertages ijt t lihen Handlungen gewidmet, an welchen nehmen gefegliche Vorſchrift ift, der übrige T« dem Genufje des Schönen überhaupt, vor 2 fhönen Gefelligfeit und den Genüflen, w Kunft darbietet. Als nun in der Reform firenge Scheidung zwifchen Geiftlichem un’ chem, wie fie in dem Gegenfaß der Pr’ Laien firirt war, vernichtet ward, da war lich, daß auch die firenge Sonderung des mel geweihten VBor= und des der Erde aı Nachmittags aufhören mußte. Auch hier fi} der ſchon früher angedentete Unterfd der Genfer und der deutfchen Kirche,
fhied das, dem Heidenthum verwandt! firenge aus der Feier des ganzen Ta man es charakteriftifch finden muß, w Altteftamentlichen Ausdrüde Sabbath,
fih einbürgerten, ganz als Klinge ı wenn der Tag nah der Sonne gew
finnigsbeiter wenn er als ein fonniger Tag gedacht wird. Anders geftaltete ſichs und mußte ſichs ges falten bei Zuther und denen, die fih zu ihm gefells ten: Seine ganze Eigenthümlichleit, befonders aber daß er einen ganz anderen Punkt an der fatholifchen Kirche angriff, mußte ihn dahin bringen, dem Schös nen feine göttliche Abftammung, der Kunft ihr töch- terliches Verhältniß zur Religion nicht abzuftreiten; eine Kirche weiter, welche befonders den Ton legte auf die frohe Botfchaft, die uns verfündigt worden, mußte binfichtlich des beiteren, man kann fagen heidnifchen, Glementes in der Sonntagöfeier der Fatholifchen Kirche ähnlicher bleiben. Dabei aber mußte in einer Kirche, die jedem Thun nur in fofern einen Werth beilegt, als es Bethätigung einer Gefinnung ift, und allem Gotteödienft nur in fofern, ald er und der Gnade theilhaft macht, die geſetzliche Verpflichtung zum fonntäglihen Kirchenbefuch um fo mehr aufhö⸗ ren, als allmälig in dem Gottesdienite die Predigt, wenn auch nicht zum einzigen, fo doch zum haupt fächlichften Erbauungsmittel wurde, und es doc) ver- nünftiger Weile Keinem zugemuthet werden kann, er folle unter jeder Bedingung in die Predigt gehn, alfo auch dort, wo er gewiß weiß, fie wird fchlecht fein und ihn mehr ärgern als erbauen.
Freilich hat es jebt, gerade in Iutherifchen Län⸗ dern fo weit fommen fünnen, wie e8 gekommen ift: daß die Sonntagsfeier in einer continue Su
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tagsentweihung beſteht, indem entweder das yrı faifhe Werktagsleben oder ein unfittlihes Todſchle gen der Zeit an die Stelle des Gottesdienſtes getr ten ift. Wollte man dies ein heidnifches Weſen neı nen, fo thäte man den Heiden Unrecht, denn jo hab« fie e8 nicht gemacht. Ihre heitern Spiele warı wirklich eine Erhebung über das Niveau des gewöhr lichen Lebens und dürfen darum nicht mit dem 3: harren auf diefem Niveau, gefchweige denn mit dei Herabfinfen unter daſſelbe, verglichen werden. Ebe deswegen wäre es auch ein falfches Heilmittel fi unfer krankes Sonntagsleben, wenn man anftatt d« fündigen Wefend, welches der Krankheitsgrund iſ und eben fowol jüdijche als heidnifche Form anne’ men fann, das heidnifche Element in ihm, die äftk tifche Luft, die Freude am Schönen, unterdrüäd wollte, wie 3. 3. Diejenigen möchten, welche, gleid, fie den Befuch von Gefellfchaften, Gemälde ferien, Goncerten und Theatern für fein In halten, doch alles dieſes am Sonntag u fagt wünfchen. Ein folches Verfahren würde Sonntagsleben nicht gejund, fondern nur jüdije hen, wie ich es denn ganz in der Ordnung dag mit den Angriffen gegen alle äfthetifchen @
am Sonntage auch unter uns fich die Vorli
das Wort Sabbath anftatt Sonntag eingefte
und nicht leugnen will, daß, als in Berathuny
die Sonntagsfeier auch die Frage ventilirl
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ob es dem Chriſten erlaubt fei, fih am Sonntage zu raſiren? Dies mich ſehr an das erinnert bat, was ih als Knabe in einer Kleinen Judenſtadt gejehn babe, und was und in der h. Schrift von dem Müdens jeihen der Phariſäer gelagt wird, die dabei Kameele verfchluden. Es iſt nun wahr, das man nuus ftets daranf verweiit, jenfeits des Canals fei es Doch ges lungen, das heidnijche Klement aus dem Sonntags⸗ leben jo auszumerzen, daß am Sonntage feine Tafte auf dem Elavier angeichlagen, fein Spaziergang zum Anfchauen der ſchönen Natur gemacht, Fein durch Ges felligfeit gewürztes Mahl eingenommen wird. Dabei werden Dann immer Londons und Gdinburgs am Sonntag nad der Kirchenzeit verödete Straßen voll Bewunderung den Maffen entgegengeftellt, die in Paris und Wien fih Vormittags in die Mefje, Nachmittags in die Vergnügungslokale drängen. Bielleicht aber tbäten diefe Anglomanen und Scotomanen gut, nicht nur auf die Straßen, fondern auch in das Innere der Häufer zu bliden. Sie könnten da bei den höhes ren Ständen faft auf die Anficht fonımen, daß das Gähnen zu den frommen Gebehrden gehöre, fo häus fig fommt es dort am Sonutage vor, was aber die niedere Volksklaſſe betrifft, fo würden fie wohl ers ſchrecken, wenn fie auf Auftalten träfen, wo für einen beitimmten Preid der Arbeiter am Sonnabend fi fo beraufchen kann, daß er den größten Theil des Sonntags, an dem doc „Nichts au machen N. 8.
Tl ut
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fein Bergnügen zu haben iſt, im foporöfen 3 verſchläft. Diefe raffinirte Beftialität wi fchwerlih mehr gefallen als die, freilich mi idealen, Luftbarleiten unferer Arbeiter. H einem nur an Gewinn denkenden Fabrikbefige: es fcheinen, als fei jene Einrichtung in Englı nicht fo übel, denn der Kapenjammer des wi chen Raufches, ohne den jene Klafie einmal nic auskommen zu können, verderbe dort nicht de tag Vormittag, fondern nur den Sonnta an dem fei ja „nichts zu machen,“ was hier heißt als: kein Geld. Ich denke — freilid ih Reine Fabrik — es wird am beiten fei fuchen das Heilmittel für das franfe Somntr nicht bei den, überhaupt etwas judaifivendei ländern, fondern fuhen uns zurecht zu fü der Beitimmung des Chriſtenthums. Diefer wünfchen wir, daß jedem Verſuch, den Son: den Werktagen herabzuziehn, wenn die €
ſchwach ift, das Gefeß entgegentrete mit dem‘
mentlichen Worte: Sechs Tage follft du < aber der fiebente ift Ruhetag. Wo aber m verbieten will, am Sonntage und alles Sch freuen, dem Genufje eines Kunſtwerks o fchönen Gefelligfeit und hinzugeben, wozu wi Woche nicht Zeit hatten, da wollen wir es und r ben lafjen, daß der Sonntag ein Feſt⸗d. h.
dentag iſt. Er fei Beides; nicht in fatholf
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nacheinander jüdifchem Ceremonialdienſt und heidni- fhem Weltfinne gewidmet, fondern Beides durchdringe fih fo, daß in dem erniten feierlichen Gottesdienſte der Schönheitsfinn ſtets feine Befriedigung finde, daß fein disharmonifcher Gefang das Ohr zerreiße, fein unfchöner Anblick das Auge verleke, daß die Predigt ein vollendetes, bis ind Ginzelne durchdachtes und abgerundetes Kunftwerk fei, in dem Nichts den Geſchmack beleidigt, zu welchem Affen freilich Vieles anders werden muß, als es ift. Eben fo aber erhalte auf der andern Seite die gefellige Xuft eine höhere geiftige Weihe, fo daß wir mitten in der Freude und dem Jubel des Sonntags und gehobner fühlen als fonft, und — um noch einmal auf die alte gute Zeit zurüdzutommen — der Ausdrud, den man da⸗ mals oft hörte, wenn von einer Luftbarkeit die Rede war: „wir waren fröhlich in dem Herrn“, uns nicht nur wie eine alte Redeweife erfcheine, fondern auch als eine gute, d. h. der Sache entfprechende.
Ih bin weit abgefommen von dem, womit id) begann. Ich fehre zurück. Bor den Marmorgruppen auf der Schloßbrüde warnte man uns, wir follten ja nicht das Gift der äjthetiichen, helleniſchen Anfchauungs- weife in und faugen. Andere mögen wohl diefen Warnungsruf auch vernommen haben, denn wir fehen
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Biele, ohne einen Blick hinaufzuwerfen, über die Brüde rennen und dann quer über den Zuftgarten. Wir folgen ihnen und erreichen bald mit ihnen einen Bau, der, wie er fchon von Außen durchaus nicht an den heid- nifchen Cultus der Schönheit erinnert, fo inwendig nur die gefchäftige Wirkſamkeit des Geiftes zeigt, den wir (wie der Apoftel Paulus) dem heflenifchen diametral entgegenfegten. Ich brauche wohlnicht zu bemerken, daß ich nicht auf den Dom ftichle, fondern von den Haufe fpreche, welches vom Dom durch das campo sanio getrennt iſt. Angewidert von dieſem Geiſte fehnen wir und bald nach feinem Gegenfaß, nach Hellas, Um diefe Sehufucht zu flillen brauchen wir nicht zur Nike zurüdzugehen; hinter der griechifchen Säulen: reihe die hier neben uns fteht, finden wir, fchöner als auf der Schloßbrüde, was wir ſuchen. Wir treten hinein in die unteren Räume des Mufeumsg, fuchen uns unfere alten Lieblinge wieder auf, jteigen auf der ſchönen Treppe, die jetzt der Adorant ſchmückt, ins höhere Stodwerf hinauf, und um den Gindrud nicht zu verlieren, den die alten Sculpturen auf ung machten, wollen wir ohne ein Gemälde anzufehen fogleih die Haupttreppe herabfteigen. Da feflelt ung in der Rotonde unter den, nach Raphael Cartons gewebten Tapeten die eine; nicht nur, weil fie uns plöglich nad Hamptoncourt verfeßt vor den ſchöu—⸗ fen unter jenen Cartons, fondern, weil hier Raphaels FPinfel volbracht bat, was feit «ner Stumte Fine
trockne Deduction zu leiften verfuchte. Die Gruppe nämlich mit dem Opferthier, vor dem Apoftel Baulus, ift nicht von Raphael eigner Compoſition, fondern er bat fie einem alten griechifchen Meifter entlehnt und feinem Gemälde einverleibt. Wirklich einverleibt, denn Keiner wird in ihr eine fremde Zuthat fehn, fo fchliegt fie fih, als ein zum Ganzen gehöriges Glied, an das Uebrige. So wie diefed Raphaelifche Bild, das nicht verunftaltet fondern gehoben wird da⸗ durch, daß es ein Erzeugniß heidnifcher Phantafie in fich aufnahm, fo ift, behaupten wir, da 8 Chriſtenthum und fo, wünfchen wir, fei auch unferes! Diefen Wunſch nehmen wir auch nicht zurüd, wenn wir fagen hören: dag Raphael fo eine heidnifche Compofition in fein Gemälde aufnehmen konnte, fei ein neuer Beweis da⸗ für, daß er feine Werke nicht in dem chriftlich from- men Geifte concipirte, wie die älteren Meifter ihre firhlicy typifchen Figuren, daß er fhon dem Pagas nismnd in der Kunft Eingang gewährte, die daun nach ihm immer mehr yaganifirt fei. Dies fchredt uns nicht. Wir können die Meinung nicht aufgeben, daß, wer nicht nach Theorien, fondern nach feinem äfthetifchen Gewijien urtheilt, von dem Anblid der Madonna di Fuligno, oder wenn er ſich durchbliden läßt von den Augen des Kindes, die Raphael in der Madonna della Sedia oder der Sixtina auf die Leinwand hauchte, fich mehr erhoben fühlen wird als durch den fchönften Cimabue. Dies ift Meinung, Met sur AR TR,
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wahr und gewiß ift, daß eine Weltanfhauung, di das fich einverleibte, was das Heidenthum Herrliche: (und eben darum des Herrn Würdiges) bervorbrachte großartiger ‚uud weitherziger iſt als die, welche ei ausfchließt. Und zugleich auch des Namens eine hriitlichen würdiger, denn für die Anwartfchaft au diefen Namen tft und das entfcheidend, daß erft danı und erft dort, wo Heiden in die Gemeinde der Gläu bigen aufgenonmen werden, der Name, den die An hänger des Herrn bi8 dahin geführt hatten, der Nam: der Nazaräer, verfchwindet und den Plap macht, der wir heute noc, führen, dem Namen Ehriften. —
Drud von Gebrüder Ka in Deffan.
Ernſte Spiele.
Vorträge,
tbeils nen theils längſt vergeffen,
Dr. Erdmann, Sröfehor in Halle.
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Berlin. Derlag von Wilhelm Herp. Geherfäe Bnthanblung.) 1855.
Ei;
& I ——nger
Borwort.
Daß ich, was ernſtes Nachdenken mich finden ließ, in leicht ſcheinenden Spiel!) der Welt zu offenbaren verfucht habe, tft vielleicht Manchem mit der Stel: fung deutſcher Philofophen?) unvereinbar, als eine Profanation des Heiligthums der Wiffenfchaft erfchienen. War aber nicht der Kathedermann, da er ſich einmal verpflichtet hatte, zu einem anderen als feinem gewohnten Publitum zu fprechen, Damit in eine Gollifton der Pflichten?) gerathen, in der ihm kaum etwas Anderes übrig blieb als Lachen und Weinen*) ihre Rollen vertaufchen zu laſſen? Wer gegen den Irrthum mit Erfolg kämpfen will, bedarf vor Allem der Aufmerkſamkeit, und diefe pflegt den Thränen erpreffenden Strafpredigten weniger ficher zu ſeyn, als dem, der die Satyrınadfe vornimmt. Daß Manche glauben würden, mir ſey Das Lachen nicht Mittel fondern Zwed, war freilich zu fürchten. Allein, mag das inmmerhin boshaft jeyn, der Reiz des Aberglaubens?) ift für mich unwiderſtehlich, und fo befaftigt mich auch Diefer, den jene juperflugen Ernſthaften verrathen. Sa, felbft wo dad Mihver-
1) Seite 1-34. 2) ©. 35-72. 3) 6. 73—106. 4) ©. 107—142. 5) S. 143—170.
ftändniß fo coloffal auftrat, daß gerade in Dem.Bor: trag, welcher die bitterjten Wahrheiten enthält, man nur die Capriolen eines Poffenreißerd ſah, Hat es mid) ergötzt: Wenn jede Regel der beftätigenden Er: ceptionen bedarf, fo natürlich auch Die von mir auf: geftellte: Wir leben nicht auf der Erdet), und ed gab wirklich Feine palpablere Ausnahme, ald das Factum, daß Reptilien eriftiren, die völlig an bie Erde gebunden find. Mißverftändniffe über die In: tention mußten Vorwürfe über die Ausführung zur Folge haben. Ihre Wirfung auf nich war eine ver: ſchiedene. Der, dab in allen diefen Borträgen fich pure Sophiftif?) offenbare, Fann, da fie fich vor: gejeßt hatten, auf dem Wege des Räfonnements auf: zuklären, faft ald Lob gelten. Unerwartet, Das ge: ftehe ich, kam mir, wo ich die Geiffel des Spottes über bie ſchwang, die feine unbekleideten Marmorftatuen anjehn, aber wieder im Ballet nicht Gläfer haben koͤnnen, Die ſcharf genug find, daß man diefen Krieg gegen die Zrivolität frivol nannte. Dagegen fand ih es volllommen in der Ordnung, wenn die Be: hauptung, dad Heidnifche im ChHriftenthum?) zeige daſſelbe als mehr denn als weiter ausgebildetes Judenthum, zeige ed ald Ziel und Vollendung alles Deffen, was je Großes und Herrliches geleiftet fey, 1) ©. 171-208. 2) &. 05-232. 3) &. am.
wenn dieſe Manchen als Verſündigung gegen Chriſtum und ſein Werk erſchien. Wußte ich es doch längſt, daß Viele chriſtliche Demuth zu üben meinen, wenn ſie klein vom Chriſtenthum denken. Deſto größer von ſich, indem ſie zum Maaßſtab der Chriſtlichkeit machen, ob Etwas in ihren engen Geſichtskreis paßt. Der Chriſtus, der gleich dem Blitze „vom Aufgang bis zum Niedergange“ Alles durchleuchtet, ift ihnen zu groß, fie verlangen uach einem, der nirgends ijt ale „in der Kammer“ ihres Eleinen Herzend, eben darum nennen fie es eine Berunftaltung des Chriftenthumg, wenn behauptet wird, es habe alles Große und Schöne in fich aufgenommen und weite das Herz aud. Die Herrlichkeit des Chriftenthumsd mit glänzenden Farben malen, vielleicht gar ein Intereſſe daran erregen, beißt ihnen: ihm eine faliche Schminke geben, denn chriftliche Färbung fehen fie nur da, wo Engherzig: keit, d. 5. Langeweile!) ihr Grau in Grau malt.
Das Vorſtehende wurde gefchrieben, um den Bor: trägen voraudgefchidt zu werden, die im Laufe von fieben Fahren bei verjchiedenen Gelegenheiten ge: halten worden find, und mit dem ihren Abjchluß er: halten haben, welcher diefe Sammlung eröffnet. Als ich aber das Niedergefchriebene überlas, bemerkte ich, daß ich eigentlich zu Solchen gefprochen hatte, Die
1) 6. 267-302. -
meine Vorträge bereit3 Fennen und darum merken witr: den, warum an der bejtimmten Stelle gerade das be: ftinunte Wort gebraucht ward. Dann aber war auch eigentlich nunis daß, und war unpaffend, was id) ge: ſchrieben hatte, denn bekanntlich ift es mit Dem Lefen des Buchs nnd der Borrede wie mit Tag und Nacht: wer jenes kennt, pflegt fich um dDiefe wenig zu kümmern, dagegen ift fie dad Wichtigste von Allem für Die, welche ohne das Buch zu leſen ein Urtheil darüber fällen wollen. Sch war wirklich im Begriff, dad Nieder: gejchriebene zu caffiren, da fiel mir ein Auskunfts⸗ mittel ein. Durch Unterftreichen einzelner Worte (es find die Durch den Drud ausgezeichneten) und indem ich die Seitenzahlen binzufügte, ward aus der Erpec- toration Etwas, wogegen Nichts eingewandt werden kann, eine bloße Inhaltsanzeige. So möge fie denn ſtehen bleiben.
Nun aber muß ich freilich von Neuem an ein Vorwort denfen. Für die nämlich), welche es leſen, um Darand zu ſehn ob fie Recht haben, wenn fie die nachfolgenden Blätter ungelefen aus der Hand legen. Sie find ganz im Recht! Das Büchelchen ent- hält, wie der Titel fagt, Spiele, und er lügt nicht, e find Spiele, nichts als Spiele. Wem daher das Leben überhaupt, wen insbefondere unfere Zeit einen Ernf zu fordern ſcheint, der alled Spielen verbietet, weſſe
Denken nicht Zeit bat, fich mit Anderem zu beichär: tigen, als was alle die Beglückungsvereine betrifft, Deren Mitglied er ijt, oder wen Die ängitliche Sorge um die europäische Civilifation nicht Ichlafen, Die um die Sntegrität der Türkei nicht ruhen läßt, oder wieder, wer es wicht begreift, daß ein Menſch etwas Anderes für feine Miffion anſehn kann, als für die innere zu jorgen, — der lefe dieſes Büchelchen nicht, es enthält von allem dem Nichts; es will jpielen und jtellt dem Leſer frei, mitzufpielen.
Sollte nun Jemand, der zuerft nicht daran dachte, den Einfall haben, dieſem Borjchlage Folge zu leiſten, dann möge dad zweite Wort, dad auf dem Titel ftebt, ihn daran erinnern, daß fo lange man mit: jpielt, man ed ernſt damit nehmen muß, damit man nicht denen, in deren Spiel man eintrat, das ihre verderbe. Da kaum irgend ein Spiel fo leicht ift, Daß man auf den eriten Bid ganz ohne weitere Aufinerf- ſamkeit weg hat worauf ed ankommt, fo wollen auch) dieſe meine Spiele, wie fie ed ankündigen, mit einigem Ernite gelefen feyn. Sollte es zu viel feyn, wenn fie wenigitens fo viel ernite Aufmerkfamfeit erwarten, als nöthig ift, um ihren Wortfinn zu faffen, um nicht das Gegentheil von dem was fie fagen heraus: und nicht in fie Hinein zu leſen, was man, Gott weik woher geholt Hat? Ich dente Ver Wine Axt TÜR
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diefe Forderung nicht unbillig finden, anders freilich die Beurtheiler. Unter Diefen wird Manchen die ge: forderte Dofis viel zu ftark erjcheinen, und da ed mir nicht einfällt einen Hahnemannianer zu Rademacher zu befehren, jo mögen diefe ed forttreiben, wie fie ed gewohnt find zu treiben. Arch mit manchen Diefer Vorträge ſchon getrieben haben. Über einen Derfelben las ich in einer viel gelefenen Zeitjchrift, Der Recen- jent fey Wort für Wort mit ihm einverftanden, und dennoch Habe er auf ihn einen gemifchten Eindruck gemacht, deun der Beurtheiler babe immer dazu denken müffen: wie wohl ein Vorfechter der frommen Partei fo fprechen könne? Sreilich, wenn man etwas Dazu denkt, kann fein Eindrud rein bleiben; das reinfte Gelb wird eine Miichfarbe, wenn ein Pinfel es um: rührt, der, mit Blau getränft, dieſes dazu bringt. Ein andres, noch mehr gelefenes Blatt, läßt durd den Minnd einer „einfachen Chriftenfeele, die freilit nicht im Stande fey, meinen Diftincttonen zu folgen ald die Summe des felben Vortrags der Welt « öffnen, er heiße Den Sonntag fo feiern, wie in d Bortrage mit audbrüdlichen Worten gefagt wird, folle nicht gefeiert werden. Weder auf blaufärbe Pinfel, noch auf Seelen die fo einf — (beinabe h
sch mich verjchrieben) — einfach find, daß ihr Dif
Honövermögen ſich nicht einmal bis auf Sa und '
erſtreckt, war jener Vortrag berechnet; an fie ift auch keiner der vorliegenden gerichtet.
Und an wen denn? An Soldye die, wenn fie eine Stunde dem Anhören oder Leſen eines Vortrages ſchenken, wicht verlangen, nur zu hören, was fie felbft ſchon hundert Mal gedacht oder taufend Mal gehört baben, die wenn das was fie hören ald parador fie dahin bringt, während der Zeit und nachher ihren Kopf zu jchütteln, diefe Bewegung fir ihm zuträg- licher halten, ald wenn er die ganze Zeit über — ges nidt hätte. An Sole ferner, die eine Ahndung davon haben, daß eine heitere Wendung noch etwad Anderes jeyn Tann, als eine Provocation zum Lachen: eine Äußerung nämlich der Luft, ja des Jubels, darüber dab man das Wahre gefunden. Als man Joſeph Haydn den Vorwurf machte, feine Meffen feyen heiter, ja luſtig, da hat er erwidert: „Das ift fchon wahr! Über wenn ich an meinen lieben Gott denke, da werd’ ich halt fo luſtig, daß ich mich ninımer zu Iafien weiß.” Wem, ald er died Gefchichtchen zum eriten Male hörte, ein ſüßer Schauer über den Leib lief, den winfche ich mir zum Genoſſen bei meinen Spielen. Wer aber daraus nur entnahm, daß Haydn ein frivoler Mann war und feine Mufit ohne Weihe, den bitte ich, auf fie nicht zu achten und fich ein Ärgernig zu erfparen. Ex int wet üirfer, um
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fih den Genuß zu verfchaffen, der „reine“ Her; erhebt, Romane zu lefen, Die — ed gibt ja deren fo tief und gründlich im Schmuße der Sünde heru wühlen, baß ihnen endlich bei dem Audmalen t Unflath8 nur übrig bleibt, anzugeben: wo man na ſchlagen folle, um dad Wort zu finden das ber Au (alfo doch!) nicht wagte niederzufchreiben.
Wenn ich mir Die Herzendluft wieder vergegi wärtige, mit ber diefe Vorträge gearbeitet und ı halten wurden, wenn ich mir zurüdrufe, daß fie n manchen freundlichen Blid und Händedrud eines 2 hörers verjchafft haben, daß die Herausgabe der | reits gedrudten ein freundliche Band zwifchen u und manchem Lefer gefnüpft bat, fo wird man begreiflich finden, daß ich dieſe Sprößlinge meir Geiſtes bei ihrer, theild neuen theild eriten, Ausflu in die Welt mit den zärtlichiten Wünſchen beglei Den freundlichen Leſern der früheren mögen die n binzugelommenen mit meinem Xebewohl meinen Do bringen. Denen aber, die mid) noch nicht kenn feyen fie alle empfohlen als jchwache, vom Ba vielleicht verhätichelte, Kinder, die auch in der Frem fo behandelt feyn möchten, wie daheim: con amo
Dr. Erdmann,
Das Spiel,
1855.
Garm-
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Die Erſcheinung, daß jede Sprache gewiſſe Lieb: lingswörter hat, die in allen möglichen Bedentungen und Wendungen wiederfehren, it interefjant genug, nur hat man fie überjchäßt, wenn man daraus fo: gleich Schküffe auf die Nationalcharactere zog. Wenn 3.8. die Sranzofen den Umſtand, daß im Deutichen das Wort „Schlagen“ eine fehr wichtige Rolle Spielt, indem wir auch die Uhr die bei ihnen „tönt“, ja die Nachtigall die bei ihnen „ſingt“ Tchlagen laſſen, mit einer gewiſſen Schadenfreude hervorheben, als wenn dies auf eine etwas robnfte Denf- und Lebensweiſe hindente, jo ijt Dies mindeſtens unvorſichtig. Denn wir könnten Dagegen bemerfen, day in ihrem dietion- naire fein Artifel jo ausgedehnt tft, wie „prendre“, nody einmal fo lang als „rendre*, während es im dentichen Wörterbuch fich mit „Nehmen“ und „Geben“ ganz umgekehrt verhält. Dergleichen Bemerkungen bleiben füglich der freundichaftliihen Ntederei unter Individuen verfchiedner Nationalität überlaffen. Da— gegen hat es ein großes, namentlich piychologifches, Intereſſe, wenn in allen Spracden ein und Ar Wort viel gebraucht wird, denn Tr henett, II V
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alle ſprechenden (d. h. denkenden) Weſen auf den dur: mit bezeichneten Begriff großes Gewicht legen. Dop—⸗ pelt interejjant wird es, wenn man fich gewöhnt bat, gerade Diefen Begriff als von wenig oder gar feinem Belange anzuſehn. Dies ijt nun der Fall hinfichtlicy deſſen, was man im Dentichen „Spiel“ und „Spielen“ nennt. Schon dieſer Umſtand allein fünnte zu einer Betrachtung darüber ermuthigen, wie viel mehr aber, wenn wir den unfterblichen Dichter nicht nur jagen hören, daß oft ein hoher Sinn im Find’schen Spiel liege, fondern ganz allgemein behaupten: Daß Der Menſch nur Dann ganz Menſch ift, wenn er fpielt. Freilich wird Died felbe Wort auch zur Entjchuldi- gung dienen, wenn nicht alle Seiten des Spieles zur Eprache kommen: Wer wollte unternehmen, in den Raum der und zugemejjenen Minuten zuſammen zu drängen, was, wenn Schiller Recht bat, Dem König der Erde feine Würde und Majeſtät gibt?
1.
Um die Kern- und Urgeſtalt des Spiels zu erken⸗ nen, begeben wir und dahin, wo der Menſch ſelbſt ung (wenigſtens jegt) in feiner primitiven Geſtalt ent- gegentritt, in Die Kinderjtube. Gleich am Cingange begegnet und der Knabe, der auf feines Vaters Stod Holz einherreitet, und im Sintergrunde fehen wi
das Eleine Mädchen, wie es im Gefühle mütterlicher Würde ein Weſen hätfchelt, in dem ein profanes Auge nur einen Plumpfad fieht oder höchſtens einen mit Kleie gefüllten Balg. Oder aber, wir fehen Die ganze kleine Samilte um Den Nelteiten, Der and Kar: ten ein ftattlihede Hans baut oder auch, indem er die Blätter bog, eine ganze Schladhterdnung auf: ftellte, Die, Sobald er den Singer bewegt, niederge: fhmettert das Schlachtfeld bedeckt. Oder endlich, wir ftellen ung zu der Heinen Schaar, Die ans Ceifen- ſchaum Weltfugeln Schafft, gegen deren Sarbenpracht unfere fchöne bunte Erde ein abgeblaßter Diond tft. — „Alles das, Eleine und umwichtige Dinge!” So meint man, und Doch nennt nicht nur der gemüthliche Deutjche fondern auch Der geiitreiche Franzoſe was und dag Liebſte iſt, unſere „Puppe“, und zu beiden gejellt fich der praftifch berechnende Sohn Albions wenn fie es ihr „Stedenpferd“” nennen; und Doch fagen wir, wenn wir ung aus unferer Welt alles Schlechte weg: träumen, und unfer Leben mit paradiefifcher Schön: beit ausichmüdten, wir hätten und ergößt an „Karten: häuſern“ und „Seifenblafen.“ Hat das Kind, und haben wir Unrecht, wenn anf jened erjte Zubehör der Kinderftube, und auf den Genuß den ed gewährt, fo großes Gewicht gelegt wird? Gewiß niht. So lange nämlich das Kind in dem Stot wur art,
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in dem Plumpſack nur ein zufammengedrehtes Tud fieht, jo lange richtet es ſich in feinen Gedanke nad) der Natur des Gegenjtandes, iſt alſo durch dieje beſchränkt. Mit dem Augenblide aber, wo e decretirt: „Stod und Plumpſack Toll nicht mehr feyı was es ift“, wird es unabhängig von der Natır der Oegenftände. Weiter, fo lange ihm die Ding galten als das was fie find, verhielt es jich empfan gend, pafjiv. Dagegen das Streitroß, das aus Den Stock wurde, iſt fein Werk, in welchen cs ein Aetivität gezeigt hat, Die man jchöpferifche All macht nennen fann, denn ed hätte jein Roß eben ſi gut aus der Elle der Mutter oder dent Bejeniti« der Magd machen können, und eben fo aus diefe felben Rohr, wenn es nur wollte, eine Lanze od ein Schießgewehr. Iſt aber Unabhängigkeit u Selbitthätigkeit das, was man Freiheit nennt, heist Spielen: Freiheit zeigen und der Genuß
es gewährt bejtcht darin, daß das Kind nicht pas: beluftigt wird, fondern daß es ſich jelbft beiuf fih felber die Luft fchafft einer Kraft bewuß werden, gegen welche alle Schranfen der Wirkli Nichtd vermögen. Wie foll ihn aber da nich Allem theuer jeyn was ihm zuerſt feine Sch kraft bewies? und wie wollen wir eö der 8 Deren Phantafie ein lebendiges Weſen gebar
denfen, wenn fie über den Nuchlofen erbittert ift, der von Diefem Kinde ihres Geiſtes jagt, es jey ein Balg? — Spielen heist: die Schranfen der Wirk: lichfeit überipringen, ſich frei machen von dieſen Schranfen, und wenn Pädagogen das Nichtipielen mander Kinder als Symptom son Bejchränftheit bezeichnet haben, jo iſt Das eigentlich als wollte man das Sterben ein Symptom des Todes nennen: wer gar nicht jpielt wird nicht, ſondern er bleibt beſchränkt, denn die Dinge ernjt nehmen heißt ja fie gelten, und aljo ſich Durch fie beichränfen, Laien, während wer mit ihnen |pielt jich als ihr Herr zeigt, von den fie es ſich müſſen gefallen laſſen als Streit: roß oder Schieggewehr zu gelten. Wenn nun aber Freiheit, wenn Die Herrichaft über Die Dinge und das Sich-dienſtbar-machen derſelben den Menſchen zum Menſchen macht, ſo iſt es allein das Spiel das ihn zu Dem, wozu er beſtimmt iſt, formt, d.h. ihn bildet. Eben darum können wir auch den unter: menschlichen Weſen dieſes Privilegium des Sich : ver: menjchlicheng nicht bewilligen, was Der gewühnliche Sprachgebrauch ihnen einräumt. Das jogenannte Spielen des Kätzchens mit den rollenden Knäuel tft gar Fein Spielen. Die Kape übt fich, te fernt; Mäufe fangen nämlich. Daß aber Lernen fein Syvie fen ift, wei fchon der Schultnohe, weaher ud
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daß wenn man lerne man nicht frei habe. Er hätte auch ſagen können: nicht frei ſey, denn in der That beim Lernen, wo uns allerlei Dinge eingeprägt wer— den, da muß man ſie gelten laſſen, ſie reſpectiren, es ernſt mit ihnen nehmen, alles dies aber hieß ja, durch ſie beſchränkt und alſo nicht frei ſeyn. Dieſes Ernſt-nehmen der Dinge hört im Spiele auf, wel— ches alſo Das ernite Geſchäft gerade jo unterbricht, wie der Sonntag Die Werktage, und Der Knabe hat völlig Necht, wenn ihm „Spieltag“ ein freier Tag heist oder einer wo nicht gearbeitet wird, gerade wie auch der Arbeiter Die Unterbrechung feines Ge: ſchäftes mit demſelben Worte bezeichnet, wie Die Er: hebung in Die höchiten Negionen, mit Dem Worte „feiern.“
Ohne Spiel gäbe es Feine gebildeten Menſchen. Die genanere Betrachtung zeigt, daß Dies nicht nur heißt daß das Spielen zum Gebildet werden, fon: dern daß e3 zum Gebildet ſeyn nothwendig ift, fr daß der Menſch Durch daſſelbe gebildet wird jo, vw er nicht durch Die Arzenei, jondern duch Die € fundheit, gejund wird. Was man Bildung ei Mannes nennt (micht fein Unterrichtet: oder Geler feyn) wird, bewußt oder unbewußt, von Allen nad) dem Einen gemeſſen, ob er zu jprechen ver Ich ſage „ſprechen“, nicht „reden“, denn Viele
nen reden, ſogar recht gut, aber ſie können nicht ſprechen, weil dazu auch das Antworten gehört und alſo das Reden-laſſen und Hören, was Vielen weit ſchwerer iſt, als Jenes. Je nachdem Einer Beides kann, Red' und Antwort ſtehn, oder was daſſelbe heißt, je nachdem er Converſation machen kann, je nachdem heißt er gebildet oder nicht. Wer nun kann ſie gut machen? Der welcher nur von Einem zu reden weiß, vom Wetter z. B., kann ed nicht, eben fo wenig der, welcher zwar viel weiß, es aber nur in einer Weiſe zu brauchen verjtebt, 3.8. um, wenn er gefragt wird, Auskunft zu geben. Den Eriteren wird man als befujtigendes Converfations: object, den Anderen als beiehrendes Gonverfationg- lericon gebrauchen, mit ihnen Gonverjation zu machen, Dazu find fie zu „bejchränft“, Sener durch die Ar: muth feines Wiſſens, Diefer Durch Die Enge feines Geſichtskreiſes. Wer aber auf jeden möglichen Ge: genjtand eingehen, und wieder ihn Jedem anjprechend machen Tann, wer Red’ und Antwort jtehen kann von der Beitimmung des Menichen und von Po: tichinomanie, von Der revalenta arabica und dem Copernikaniſchen Syſtem, son Der Urientalischen Frage und davon, ob man in Paris Die bejte Choco: lade bei Marquis oder bei Maſſon befommt, wer wig⸗ der einen und denſelben Gegenitant | Ken ui 1. D
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e Jemand widerfuhr, fo darſtellen kann, day der
ine darüber lacht, des Anderen Mitgefühl erregt yird, für den Dritten eine allgemeine Reflexion ſich »araus ergibt, — wer mit einem Worte aus Allen Alles zu machen vermag, der iſt ein unterhaltender, d. h. gebildeter Daum. Dieſes vermögen aber, haben wir vorhin „Spielen“ genannt, und in der That tft, was wir eben jeßt Den guten Gejellichafter lei- ften jahen, nur in anderen Dimenjionen ganz das Thun jenes Kuaben, der jo mächtig war, daß er aus Allen (Ste, Elle oder Bejenitiel) Alles (Roy oder Yanze oder Schießgewehr) belichig machen Eonnte. Die gebildete Converſation iſt nur ein Spielen mit den Gegenjtänden, eben Darum unterbricht te, ala Erholung gewährende Feierjtunde, Den Pad des ern: jten Geſchäftes, eben Deswegen aber beiteht aud) ihr Genuß wie bei jeden andern Spiele, in dem Ge: fühle unferer Kraft, gegen welche Alles widerjtande: 108 ift, der Alles dienen mu, damit wir uns Des Iujtigen. Das Gefühl dieſer Superiorität ijt eg, was uns jagen läßt, die Unterhaltung babe ung montirt (erhoben), ihm danken wir den Muth, Die Dinge nach unferer Art zu arrangiren, Dev endlich zu jenem ge: felligen Übermuth wird, der Nichts mehr rejpectirl weil er fih Mannes genug weis, wit Allem ferti zu werden. Und da das Gefühl der Kraft mit d
Größe des Überwundenen wächit, fo ijt es erklärlich daß Die Unterhaltung bald nicht mehr bloße Dinge, fondern Solches was jelber zu fpielen vermag, Per: fonen, zum Stoff nimmt, Der nun nach Luft und Laune verarbeitet wird. Ja jelbft Die medisance, dieſes einmal nicht abzuleugnende Ingrediens unferer Unterhaltungen, erſcheint piuchologiich betrachtet, in einem milderen Fichte. Wie der Kuabe, der ein wirk— liches Roß vielleicht ſchonte, ſich Daran belnſtigt das felbfterichaffene zu peitichen, jo beluſtigt uns, nicht day der Nebenmenfih ichlecht ift — das wäre Das diaboliſche „hab’ ich Doch meine Freude dran!” — fondern daß wir ihn fchleht gemacht haben. Daß ein Mann jammt feinem guten Ruf ſich's von ung muß gefallen laſſen, daß wir ihn zurichten wie wir wollen, dat wir beliebig einen ernithaften Dann in Die Injtige Perjon Des Abends verwandelt, Die hei- terſte und unbefaugenſte Dame mit einen heimlichen Liebesgram ausftatten können, dieſe unſere Allmacht iſt das Erhebende bei der Sache. Indem wir unſerm lieben Nebeumenſchen nach Belieben mitſpielen, ſpie— len wir nach Belieben mit ihm, denn „ihm mit“ iſt „mit ihm“, ſpielen aber hieß Macht zeigen und ſeiner Superiorität gewiß werden.
Gegen die aufgeſtellte Begriffsbeſtimmung Kat mißtrauiſch machen zu müſſen, Dal ie aut Kr ANUE
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Claſſe von Spielen nicht paßt, und zwar auf Die an welche Seder zuerit denft, wenn er gefragt wird, ober ſpiele?, auf die Karten und ihnen verwandte Spiele. Es fommt darauf an, ob wir fo urtheilen werden, wenn wir genauer unterjuchen, worin der Genuß liegt, den diefe Spiele gewähren? Dazu muß man von ihnen jedes fremde Intereffe entfernen und fie Dort beobachten, wo um Nichts, oder doch um jo wenig gejpielt wird, daß Das gewonnene und verlorene Geld für die Spieler Fein Gegenitand iſt. Man wird da finden, Daß Die Freude darüber, den ganzen Abend gewonnen zu haben, nicht geringer ift, vielmehr größer und wenigſtens vaufchender, ala wo der Gedanke an den Geldverluft eines guten Freundes fie verfiimmern kann. Cben fo wird nıan auf der andern Seite fehr fichtbaren Berdruß wahr: nehmen darüber, daß nicht die Börfe, fondern nur das Marfenfäftchen leer ift. So weit das Gewinnen ein Erfolg der größeren Gefchidlichfeit, ift dort der Triumph, hier der Ärger erflärlih: wer verlor ift überliftet worden, worauf der Ausdruck bete: werden hinweiſt, wer gewann, hat durch Cachiren feine Spieles oder fonft wie, fich al3 der Liſtigere erwieſ⸗ woranf der Ausdrud trick deutet. Dies iſt ed ’ nicht allein, ja es iſt nicht einmal Die Hauptſ
Die Sröblichkeit des Einen und der Ärger des
dern bezieht ich, wie ınan bald merken wird, ganz befonderd auf Die guten und jchlechten Karten Die jie bekanien. Mau kann ſich wundern, Das; Diejer nur vom Zufall abhingende Umftand Den Gewinner für den ganzen Abend mit Freude, ja mit Stolz er: füllt, und doch ift da eigentlich nichts zum Verwun— dern, es ijt ganz menſchlich. Denn mag Der Der: ftand noch jo viel demonſtriren, Das Gefühl aller Menſchen |tellt ſich auf die Seite der alten Sinn: iprüche, day Glück Talent, und daß went es lacht als ein Kühner zu erachten fey. Es iſt demüthigend, Unglück zu haben, und es chmeichelt Jedem, ein Liebling Fortuna's zu ſeyn, wäre ed auch nur im Kartenipiele. (Der Umjtand auf den man fi) da— gegen beruft, day Viele oft es ausſprechen, ſie hät: ten immer malheur und feven Unglückspilze, beweiit Nichts. Cs iſt Damit wie wit dem Häßlichſeyn und Altiverden. Iſt der Schade einmal da, jo muß man gelegentlich jelbit davon prechen, aber — wenn ich andy nicht jo weit gehn will zu behaupten, es ges fhehe nur um Widerſpruch zu erfahren — man wiirde es Doch jeden Andern fehr übel nehmen, wenn er davon anfinge. Sa fogar fein zu ſchnelles Über: zeugtieyn wenn wir felbjt Davon anfingen thut nicht wohl). Alſo dad Bewußtſeyn der größeren Gelchie- lichkeit und des größeren Glüka weremiat ig NUN
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Genuſſe des Siegerd, Beides gibt Dad Gefühl der Macht, der allem Widerftande gewachjenen Überle- genheit, und fo gilt aljo auch von dieſen Spielen ganz dafjelbe, was von allen bieher betrachteten galt: der Menſch Sucht in ihnen deſſen gewiß zu werden daß Alles ihm als Herren und Meiſter huldigt. Sit aber dieſes Sich-als-Herr wiſſen das ſpecifiſch Menſch— liche, ſo werden wir ſelbſt dieſe Spiele nicht aus— ſchließen, wenn wir Schillers Wort adoptiren, daß, wo er ſpielt, der Menſch ganz Menſch ſey.
2.
Zunächſt alſo und in ſeiner primitiven Form er— ſcheint das Spiel, in der Kinderwelt ſowohl als außer derſelben, als der unterbrechende Gegenſatz zum Ernſte der Wirklichkeit und zur moroſen Arbeit. Dabei haben wir dem Spiel, als dem ausſchließlich Menſchlichen, die höhere Stelle anweiſen müſſen und den Genuß deſſelben mit der Sonntagsfeier, dagegen das Ernſt-nehmen der Dinge mit den proſaiſchen Werktagen zuſammengeſtellt. Nun aber iſt doch dies gewiß nicht Das Normale, daß Feier- und Werftags- leben des Menſchen jo auseinanderfallen, wie in den alten Kalendern die rothen Feſt- und Schwarzen Ar: beitötage, fondern das Wahre ift, daß jene? auch äber Dieje feinen rofigen Schein werbreite, und der
Menſch in ſein Tagewerk die erhobene Stimmung bringe, die ihm erſt die wahre Weihe gibt. Gerade ſo iſt in ſeiner Treunung von der Wirklichkeit zwar die erſte Geſtalt des Spiels zu erkennen, darum aber nicht ſeine vollendete und höchſte. Dieſe erblicken wir dort, wo es nicht nur über die Wirklichkeit ſich erhebt, ſondern ſie nach ſich zieht, wo nicht gegen den Ernſt, ſondern mit ihm geſpielt wird, und das heitre Spiel nicht aus Der Welt entflicht, fondern felber eine Pelt ins Leben rnft. Dies Alles aber gejchieht wo das Spiel, indem ed den Ernſt in ſei— en Dienjt nimmt, zur Kunst wird. Wie jehr nad) einer Bereinigung Das Spiel fowohl, als Die ernfte Arbeit, trachten, das zeigt fich Darin, daß ſehr frühe ſchon der Epieltrieb jeine Befriedigung in folchen Spielen jucht, Die ernſte Arbeit und Übung erfor: dern, in den Gejkhiclichkeitsipielen nämlich, Die, von Treiben des Kreijels aufwärts big zum prachtvollen Ballſchlagen und bewundernäwerthen Billard, eine Reihe jelcher Verſchmelzungen Darbieten. Andrerſeits befriedigt ed den Menjchen nicht lange, daß Die Arbeit feiner Hände nur ein nützliches Geräth febafft, er fügt (mad Der nur arbeitenden Biene nie einfällt) Unnützes hinzu, Zierrathe und Schnörkel, kurz Spielereien, in denen auch er wieder Gejchieklichfeit zeigt. Der Syra- gebrauch, der beide Verichmelzungen Da SER ui
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der Arbeit Gefchiclichfeit nennt, erkennt Die gleiche Annäherung beider an Die Kunit Dadurch au, Daß er erlaubt von der Kunitfertigfeit eines Billard: fpielers und eines Tiſchlers zu Tprechen, was ihm bet dem primitiven Spiele de3 Stedenpferded eben jo we: nig einfällt wie bei der bloßen rohen Arbeit des Gänfe: weidend. Nur aber eine Annähernug, denn ſchwer— lich könnte ſich auf den Sprachgebrauch berufen, wer dem Gaſte, den er zu einer Kiünftlergejellichaft ein: ud nur Billard» oder Kegelipieler vorſtellen wollte. — Neil fie weder bloß Spiel noch bloß Arbeit it, Des: wegen liegt die Gejchielichfeit oder Virtuoſität wie eine verbindende Brüde zwijchen dem Diesjeitigen Gebiete, wo beides jtreng gejondert iſt, uud Dem Eilande der Kunft jenſeits, wo beide fich fo durch: dringen, daß das Spiel ſich nicht nur (als Zierrath) an den Eruſt anfchliest, jondern vielmehr ihn ver: Härt und in jeine eigne Region berüberzieht. Uns, die wir hüben jtehn kann darum Mancher, weil er Das Diejjeitige Geſtade verlaffen hat, ſchon als ein Priefter der Kunjt eriiheinen, während die wirklich drüben ftehn, in feinen Virtuoſenkünſten nur gut eingeübte Spielereien ſehen oder recht geſchickte, aber handwerksmäßige, Arbeit. Nicht daß der Künitle der Birtnofität Feinen Werth zufchriebe; er weis a Erfahrung dad durch fie allein der Weg zur 8
geht, aber ſie iſt ihm doch nur Vorbereitung, eben die Brücke, die zur Inſel der Seligen erſt führt, nicht fie felbjt ijt. Nlber die Spielereien lächelt er, die find ihm Spaß, vom Künſtler verlangt er mehr Gruft, den aber, der um feine Gejchieflichfeit zu zei: gen ſich abarbeitet, Den bedauert er, weil er noch nicht vermag fchöpferiich Das zu zeigen, was mit Recht die Zaubermacht Der Kunſt genannt wird. Und Doch neunt er es und nennt es alle Welt „ipielen“, wenn er mit den Bogen in Der Sand ſolchen Zau— ber übt. Wie follte er auch nicht? Sein mächtiger Strich wirft ganz das, was Die Phantafie des [pie enden Knaben und der Wiß des gebildeten Gefell- fchafterd, nur mit dem großen Unterfchiede, daß wäh: rend der Peßtere nur zum Spaß und fir fih und die Umſtehenden den eruften Mann zur Injtigen Per: on, das ruhige Mädchenherz zu Amors Bente nıachte, Der gewaltige Künſtler wirklich den Ernſten luſtig macht, und Dad junge Herz wirklich mit Liebesſeuf— zern erfüllt, und alſo nach Belieben wie jene, aber im Ernite, fo daß wir es jelber zugeſtehn müſſen aud uns und unferen Gefühlen macht was er will, d. h. mit ihnen und uns jpielt. Es iſt in Der That
ein Spiel, wein er ald Meiſter die Kunſt übt. Wie in den Gefchirklichkeitsfpielen der Übersanz, erfaunt werden mußte von dem hohen Sir IM 5)
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Kunſt, ganz eben jo läßt ſich für ihre Zwillings— ſchweſter, die Wifjenfchaft, gleichfalld der An- Mmüpfungapunft finden, Durch den fie mit den Cpie- len der Kindheit zuſammenhängt. Er liegt in den berechnenden oder Verftandesipielen, deren Neihe bei dem Damen⸗ſpiel anfängt und in dem Schach wipfelt, diefem wunderbarſten aller Spiele, deſſen Erfinder eben jo wenig, wie Der der arabifchen Ziffern, ge— ahndet hat was er erfand. In befonders organilirten Naturen läßt fih der Übergang vom Spiele zur Wiſ— fenfchaft faſt Schritt vor Schritt nachweiſen. Durch alle Schul-Claſſen war mein Nachbar auf Der Bank ein auch ſonſt ſeltſamer Knabe, der und (damals paſſio— nirte Schadjfpieler) oft zum Erſtaunen hinriß, wenn er, ohne ein Brett vor den Nugen zu haben, zwei ver: fchiedene Eihachpartien in den Nebenzinmern Dirt: girte und faft immer gewann. Diele Sabre darauf fand ich im Cafe de la regence in Paris, ihn ala anerkanntes Haupt — Labourdonnaie war geitorben und St. Amand hatte vor ihm die Eegel geftrichen — der franzsfishen Schachipieler. Er Iebte vom Unterricht in der Mathematik und dem, wie er Tagte, viel fchwierigeren im Echach, und Sprach wiederholt als Die Beitimmung feines Lebens dies aus, der Welt begreiflih zu machen, daß Schach Fein Epiel fey jondern eine Wiſſenſchaft. „Auch von der Gtatiftif,
ſetzte er hinzu, glaubte man anfänglich, fie ſey eine Spielerei.” War diefe Aeußerung ſchon ein Symptom der Hirnkrankheit, Die den. Armen . weggerafft hat? Sch glaube nicht. Wenn er aber irrte, fo ftreifte er doch nahe an eine große Wahrheit: Ob nämlich fein, ob irgend ein andered Spiel Wiffenfchaft ift, weiß ich nicht, Das aber weil; ih, day Wiſſenſchaft Spiel ift und daß nur der fie hat, der mit dem Erkannten zu fpielen vermag. — Den Übergang zu ihr bildet, wie zu der Kunit Die Gefchidlichkeit des Arbeiters, fo bier das Lernen und Gelehrtieyn, jened ein Sammeln und Aufnehmen, diefes ein Ber: grabenjeyn In, aus den Aufgenommenen gearbeiteten Ereerpten, Notizen, Heften. Es feheint ald wenn Dad größere Publicum nur diefe beiden Stadien Eennt. Menigftend weiſt der häufige Gebraud) des Wortes „Bücherwurm“ darauf Hin, dab man Den der im Belite der Wiſſenſchaft ift, in einen Ähnlichen Ver: hältniß zu den Büchern denkt, wie die Manlbeer- ranpe zum Maulbeerbaum, die ja andy zunächit nur aufnimmt was er bietet, dann aud Dem aufgenom: menen Stoff Die Fäden fpinnt, in die fie fich ein- hüllt und vergräbt. Käme der nach Wiſſen ftrebende Menſch über diefes Verhältniß nie hinaus, bfiebe er wirklich in der Lage, wie viele fich das deuten, Ach, er nur Beicheid wüßte ſo Lange \eine Büher at *
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ſind, Beſcheid geben könnte, ſo lange er ſe en vor ſich hat, jo käme er auch nie Dazu, ı ihm Erkannte zu bejigen und zu beherric ern bliebe vielmehr jtets beherrfcht und bejei m; von einem freien Schalten und Walten d r wäre nicht Die Rede, fondern er biicbe „ielwerk feiner Papiere, eine Senersbrunft Die fe bliothek verzehrte, ein Windhand der ihm | apier aus der Hand riffe, verdammte ihn, jene tathlofigkeit, Diefe zum Schweigen. Gerade der I jleich aber mit der Seidenranpe, zu Dem Der A drud Bücherwurm einlud, lehrt auch von Sen dem bloß Gelehrten, Den wahren Wijfenden un fcheiden. In dem Cocon nämlich bildet ſich, je v die Raupe Nahrung aufgenommen, und je Dichte ſich eingeiponnen hat, um jo kräftiger, ein neues fen, den aus den angeeigneten Stoffen Slügel wu und in dem während der Ruhe Des Eingefpr ſeyns eine neue Kraft reifte, die weder Die hatte noch die Chryſalide: Die Kraft, neues zu zeugen. Diefem Wefen, den geflügelten € terling, gleicht der, der fich zur Wiſſenſchaf nicht mehr dem Wurm! Das Kriechen vo zu Blatt, das Verſchlingen von Blatt auf 5 bat feinen Zwed erreicht: Die Flügel find zit Denen er ſich wiegt in dem reinen
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ſchöpferiſcher Gedanken. Hier wie dort hat die Aſſi— duität (Dad regungsloſe Stillſitzen) Dazu gedient Die Genialität zur Neife zu bringen, d. h. die Fähigkeit Leben zu erweden. Gier wie Dort wird, wenn Die Flügel ſich mächtig geung regen, Die Hille, unter deren Schuß ſie ſich dehnten, rückſichtslos durchbohrt, was Wunder darum wenn hier wie dort, die da Seide ſpinnen wollen aus dem Erlernten, die genia— len Schmetterlinge deteſtiren, die es wagen Löcher in das zu bohren, was in ihren Heften ſteht, ja die ſich herausnehmen, nicht mehr gebunden zu ſein an die papiernen Coconſchalen der Wiſſenſchaft, ſondern frei davon, auf den Flügeln derſelben ſich zu wiegen? — Die Schöpferkraft macht zum Wiſſenden, denn wie mit Recht der eben heimgegangene große Philoſoph geſagt hat: Etwas begreifen und wiſſen heißt: es ſchaffen. Schaffen aber war, wie wir geſehen haben, Spielen, und darum ſagten wir, daß nur der das Wiſſen und die Wiſſenſchaft hat der, da er frei in dem Erkannten ſchaltet und waltet, mit ihm ſpielt. Und dies gilt nicht etwa nur von der Wiſſenſchaft der man (ſeltſamer Weiſe indem man ſie zu tadeln glaubte) nachgeſagt hat, ſie fen ein Spiel mit Be: griffen, son der Philofophie. Nein, anch in Der Mathematik ift der Unterfchied zwifchen Den Lehrling und Meifter, d. 5. zwiichen dem ter WWoſk lt
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und dem der da weiß, daß Jener ſich an den For⸗ meln abarbeitet, mit welchen Newton ſpielt. Er ſpielt mit ihnen und doch ſind dieſe Formeln die Geſetze des Univerſums! Glücklich darum der Philo⸗ ſoph der da ſpielen könnte mit Begriffen, denn er wäre ein Newton für die Weſenheiten der Dinge. Kunſt und Wiſſenſchaft find es, die den Men⸗ ſchen aus der profaifchen Wirklichkeit in eine höhere, verklärte, Welt erheben. Die Kunft, indent fie die Schönheit der Welt zeigt und, wie dagegen dad Häp- liche Nichts tft und zur dienenden Folie wird, die Wiſſenſchaft indem fie in Allen das Geſetz nad weilt, wogegen das Geſetzloſe und der Zufall ver: fhwindet. Darin liegt eben das Geheimniß ihrer beruhigenden und erhebenden Macht: fie bringen bie durch. das Häßliche und Widermärtige aufgejtachelter Leidenfihaften zum Schweigen und befchwichtigen di ängſtliche Sorge, welche durch des Lebens Zufällt feiten provocirt wird, indem fie Beides nicht leid finnig vergefjen fondern vornehm verachten lehr Shnen gefchah darum nur ihr Recht, wenn ih eine höhere Region zum Wohnfig angewiefen w und fie ald Himmelstöchter begrüßt wurden. X waren aber, wie wir gefehen haben, Spiele, obı ein Spielen mit dem Ernftejten, indem der Kü mit unferen Gefühlen, ja indem er das Furcht
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was e3 giebt, den Sterbenden, Verzweifelnden, Mor: denden, Iptelt, der Wiffende wieder, mit Formeln jpielend, den Cometen ihre Bahn vorzeichnet und den Planeten ihren Stand anweiſt. Spiele find jene, und dod) Töchter des Himmels! Man muß ed daher erklärlich finden, day ein griechiicher Weiſer das Leben der Gottheit darein ſetzen Eonnte, daß fie mit tönenden Sphären (wie der Harmonikaſpieler mit freiienden Gloden) einen großen Weltchoral fpiele, oder ein andrer fie fchwelgen ließ in mathematiſcher und fpeculativer Erkenntniß, d. b. im Epielen mit Formeln und Begriffen. Sa felbit darüber darf man fich Faum wundern, daß ein alter Weiler Indiens ge- fagt hat, die Gottheit ſchaffe jpielend, wie der Knabe Seifenblajen, zu ihrem Ergögen Welten auf Welten. Sn Einem haben fie Alle Recht, darin daß es nichts Himmlifcheres, nichts Göttlicheres gibt als — zu fpielen.
3.
Die Erhebung von dem primitiven, rein menjch: lichen, Spiele zu den beiden hHimmlifchen, die wir in Kunſt und Wiſſenſchaft erkannten, ward ver- glichen mit der Verklärung des Werktaglebend durch die Feittagsitimmung. Die Trage liegt nahe, ob es nicht auch eine Sricheinung gibt, wide u Lem,
jener Verklärung Entgegengeiegten, zur Profanation des Feiertages, das NAnalogon bildet? Es müßte fich dert finden wo nicht, wie in der Kunft die Ar: beit dem Spiele dient, fondern wo umgefehrt Das Spiel zum dienenden Mittel wird für Die Zwecke der Arbeit und des Geſchäftes. Dieſe Zwecke find der Gewinn nnd Erwerb, md die Gewiunjpiele, ſammt ihren reinjten Typus Dem Hazardipiel, zeigen ung wirklich diefe Entheiligung Des Spieles. Ihre richtige Stelle wird ihnen eigentlich ſchon Dadurch angewiejen, day wem man von ihnen ipricht, ſich unwillkührlich Ausdrücke einjtellen, Die Den gewerb: thätigen Leben angehören, jo wenn man vom metier des Spielers fpricht, oder ihn einen Spieler von Profeffion nennt. Es wird hier nämlich Das Spiel, indent es zu einem Grwerbsmittel gemacht wird, in die Sphäre herabgegogen, über der es nach) feiner Natur und dem won uns gefundenen Begriff ftehen follte, fo day man ich faft wundern fünnte, daß in diefer Sphäre, wo es. oft jo bittrer Ernſt wird, dag
Wort Epiel noch beibehalten, und Diefe begriffg- und naturwidrige Vermiſchung von Spiel und Ge: ſchäft nicht vielmehr Widerjpiel genannt wird, wenn der Sprachgebrauch nicht ſehr oft ſo bitter ironiſirte; 3.8. dert, wo Einer ein „rechter” Mann genannt wird, gerade weil man weiß, er fey fein rechter.
Sn der That zeigen Diele, nur par antiphrase Spiele genannten, Befchäftigungen alles Das auf den Kopf geftellt, was wir bisher an allen wahren Spielen beobachtet haben. Den Reigen diefer Teßteren hatten die eröffnet, welche die Kinderwelt durbot. Welch ein Gegenſatz zu Dieien! Nach feinen Belieben läßt der Knabe Den Kreijel laufen, eigenmächtig entichted er ob das von ihm getummelte Roß Die Gerte oder ein Streichelt verdiene; wie anders an dem grü— nen Tiſch wo über Das Loos Des Spielenden dad Rollen der Freifenden Kugel enticheidet, Deren Sflave er wurde, weil ihn — der Volkswitz fpricht auch bier von einem Nitt, nur daß er nicht wie bei dem Stedenpferde dem Spielenden Die active Rolle zu: weit. Dort verſchwanden unter den geichiekten Hän— den Des Sinaben die Kartenblätter und ein Haus oder Tempel ſtand Da, oder er konnte, indem er die Kar: ten bog, allmächtig wie Der, welcher den Donnerfeil führt, ganze Reiben niederfchmettern; bier ſtarrt Einer vor fich bin, Haus und Hof iſt fort, der Tem— pel feines Glücks iſt eingeftirzt, nur Kartenblätter liegen vor ihm, regungslos wie vom Donner gerührt fteht er Da, und wer war e3 der den Blipftrahl auf ihn fandte? Die von ihm gebogenen Karten! — Wir verliehen die SKinderjtube ımd traten in dem Eaal, wo das Spiel Der Unterhaltung im hits
Gange war. Ein gleicher Gontraft, in dem zu Dies fem Saale der Gonverjation ein fogenannter Con- verjationsfaal jteht: Dort ein fröhliches Getümmel, wo der übermüthige gute Geſellſchafter mit Allen fpielt, Seden zum unterhaltenden Dbject macht, Kei⸗ ned und Keinen verfchont fondern Allem mitipielt, — bier düftere Stille, ein bleiher Mann am grünen Tiſch Der mit fih und feinem Lebendglüd fpielen läßt, er, der vielleicht Hochbegabte, ein Unterhal- tungsobject für elende Groupierd, Die ohne daß er ed ahndet ihn und feinen häuslichen Verhältniſſen ſchlimm genug mitjpielen. Gibt es wohl einen bitt- rern Hohn, ald daß man ein jolches Spielwerk einen Spielenden nennt? Ja ſogar das gejellige Karten: fpiel hat genauer angefehn, an dem Hazardipiel nicht einen Berwandten und ein Pendant fondern viel: mehr feinen Mntipeden. Denn, wenn dort der Lhombre: oder Boftonipieler fich jelbft rühmt, daß feine Geſchicklichkeit den Mangel guter Karten er: fege, jo erblaßt dagegen, wer beim Würfel gewann, vor den Gedanken, dab man glaube oder gar wilfe, er könne corriger la fortune. — Am Meiften tritt natürlicher Weije der Gegenjaß hervor, zwijchen den Erwerbfpielen und jener Steigerung des Spiels, die wir ald das himmliſche bezeichneten: zwiſchen der Hei: gung bed Niedrigern und der Degradation und Pro:
fanation des Höheren, ijt er natürlich Diametral. Da: ber iſt eö begreiflich daß, wein die Kuuft ala Muſe, die Wiſſenſchaft als Göttin, ihre Wohnfige ald Tem- pel gedacht werden, man Dagegen von einem Dämon des Spieles ſpricht, dem geopfert werde in den Spiel- höllen; das Infernale tft ja nur das verkehrte Himm⸗ lifche, ift Dad Unternatürliche, wie diefes das Über: natürliche iſt. Jene Himmelstochter verfchönte Alles, felbit das Häßliche wirkte, ald Folie, verjchönernd, diefer Dämon macht häßlich ſelbſt dad Schönfte von allem Schönen, das Frauenantlig. Die Göttin wie- der zeigte überall Gejeß und vernünftigen Zufans menhang, ihre dämoniſche Garricatur lehrt den Zus fall anbeten, und feiner Der ihre Macht erfuhr, hat Tich dem Aberglauben, diefer Vergötterung des Wider: finnigen, gu erwehren gewußt. Darum ift aber auch die Wirkung jener himmliſchen und diefer infernalen Macht ganz enigegengejeßt: jene brachte die Sorge und Leidenjchaft zur Ruhe, dieſe ftachelt die niedrig: jten Leidenſchaften auf und erfüllt mit der bangiten, oft mit verzweifelnder, Sorge. Wenn endlich der Dienft an den Tempeln jener Himmelstöchter Die Priefter vor fich und aller Welt ehrt und erhebt, fo macht dagegen der an einer folchen Hölle, abject in fremden, ja in den eignen Augen. Mit Stolz erfüllt es den Denker, wenn es ihm gelang zu Nylon mit
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, was der Scharfſinn der Größten erſann, und
»ude ſtrahlt and den Augen der Künſtlerin, wenn
flüftern hört: „Das ift fie, Die früher die Julia
ielte und jegt die Mutter in der Brant von Meſſina.“ Jer aber foll erſt kommen, der auf feine Bifiten- arte drucken läßt: Spieler von Profeſſion, und der nicht fein Groupiergeichäft hinter Das fo beliebte „Particulier“ verſteckt, was fo viel heißt, wie Nichts. Sogar Nichts zu fern erjcheint dem Elenden ſchon ald Avancement! —
Daß bei dieſem infernalen Character Des Hazard: ſpieles es bekämpft, daß laut gerufen wird, man Tolle die Epielböllen aufheben, ijt erklärlich und ift erfreulich. Zweierlei aber iſt Doch gegen Die Art zı bemerfen, wie ſich heut zu Tage dieſes Verlange laut macht. Erſtlich, daß es nicht confequent i fo lange es nicht weiter geht und auch fordert, d Das Spielen an der Börſe und Das Pariren bei } Wettrennen aufhört. Denn warım es weniger lid) fen jell, mein Geld Daran zu wagen, Daß von der Kugel getroifene Zahl höher als adyl ſeyn wird, als daran, Daß zum nächſten Nltim Metalliques über 72 ftehn werden, oder endlich Scherz einige Secunden früher ans Ziel Er werde, als Orinoco oder Nattle, das iſt nı ämjehn, obgleich ich gern zugeben will, Daß
den Metalliques unvorſichtiger wäre, als beides An: dere. ad aber Die verderblichen Solgen betrifft, fo ruiniren ihre Moralität und ihren Hausitand an der Stedbörje und in Eyfom oder Newmarket eben fo Biele, wie in Homburg. Verlangen, daß das Eine verboten; Das Andere aber freigelaffen werde, bieße einen Zuftand winfchen wie in einigen Staa: ten Nordamerika's, wo Das Geſetz dem, der täglich nur über einige Cents zu verfügen hut, es unmöglid) macht, auch noch fo mäßig Wein zu trinfen, wäh— rend wer Dollars genug bejist, um ihn orboftweije zu Faufen, gejeblich nicht an der Unmäpigkeit gehin: dert ift. Dies iſt Das eine Bedenken. Ein anderes ift, dag die meiſten Bekämpfer des Hazardſpiels fich die Ausrottung deſſelben viel leichter denken als ſie iſt, weil ſie, was dazn reizt und verſucht, nicht ge: hörig analyſirt und darum nicht erkannt haben, daß es ſehr complicirter Natur iſt. Hört man nämlich in den Anklagen dieſer Spiele immer dies in den Vordergrund ſtellen, daß Der Pointeur eigentlich be: trogen werde, da nad) der Wahrſcheinlichkeitsrech⸗ nung die Bank im Bortheil fey, jo verräth Dies Die ftiffichweigende VBoransfegung, daß der Gelderwerb das alleinige Motiv des Spielens ſey. Wäre Dies richtig, jo wäre ed pſychologiſch unbegreiflich, AN ſehr oft erwerbliebenden, ja habfüchtigen ut AAO
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Menſchen der Gedanke, durch die Lotterie oder auf ähnliche Weiſe reich zu werden, höchſt widerwärtig ift, und daß umgefehrt unter Ieidenfchaftlichen Ha: zardipielern ſich ſehr häufig Solche finden, die das Geld mit vollen Händen ausſtreuen. Känte nicht zu der Luft am Golde noch ein ganz’ anderer Factor Hinzu, jo wäre abfolut unbegreiflich, was und von den alten Deutfchen erzählt wird, daß fie im Wür— feln ihre Freiheit veripielten, Die ihnen zugleid) fo theuer war, daß fie Diefelbe fir Das Zehnfache Des Einſatzes nicht verkauft hätten. Die Behauptung yon For, der, wie überhaupt Diplomaten fehr oft, ein Teidenschaftlicher Hazardipieler war, daß ihm nach dem Gewinnen Nichte mehr Genuß gewähre, alt das Derlieren, iſt bekannt. Sagen, das fen nich wahr, er habe fich ſelbſt getäujcht, ift ſehr Teich aber doch auch ſehr vermeſſen, da viele Andere vr fi) ganz Daffelbe behaupten. Sch möchte Darin kei Selbfttäufhung fehn, fendern Die Wirkung jer zweiten Factors, der viel tiefer in De3 Menſchen H zen wurzelt als die Liche zum Golde, darum ' früher erwacht, aber auch viel ſpäter ausgert wird, als jene. Die Gewalt dieſes Diimonijchen
ged wird Mancher, bei dent Das Drgan ded Emm triebed jehr wenig ausgebildet iſt, an fich felbe fadren Fönnen, wenn er, nicht ganz flüchtig, fo
für längere Zeit, ald Zufchaner ſich an den Tifch Stellt, wo alle Welt fortune machen will und bie Herrn Benazet und Blanc fie wirklich machen. Eine Zeit lang läßt und das eintönige faites le jeu, le jeu est fait, das ängſtliche Schweigen während die Kugel rollt, das ſchnell und troden hingeworfene vingt, passe, rouge, pair, dad Klappern der dad Geld einziehenten Schaufel, bet dem mancher wer: lierende Neuling zufammenfchridt, zienlich ruhig. Da macht und die Bemerkung, die Bank habe heute Süd, anfmerkſam. Es ijt wahr! Es Elappert immer fort, weil die Croupiers nur einziehen, nur ſehr felten laffen fie, auszahlend, Die Golditüde durd) Die Luft fliegen. Aber es iſt auch Fein Wunder! Wie ſetzen die Leute auch? Einmal auf Roth verloren, gleich gebt es auf Schwarz. Da ijt fein Muth, Fein Fefthalten, fein Sorciren, keine Martingale, da muß id) doch — aber halt! Piychologiiche Unterfirchungen der Art, da fie gewöhnlich auf Selbſtbeobachtung beruhen, könnten, weiter fortgefeßt mich in ein jchiefed Licht Stellen; und noch dazu ganz ohne Nutzen, denn fie würden am Ende hinfichtlich minder perverfer Naturen Nichte beweijen. Soll entichieden werden, ob in aller Men— fchen Herzen etwas fehlummert, was außer der Ge: winnfucht dem Dämon ded Spieles Balalleın ax- führt, jo müjlen wir abermals zu ner Vraetsit
des Menjchen zurück, zum Kinde, das uns im Bän— digen des Stedenpferdes die eriten Spuren Der ges bildeten Converjation, im Epiele mit dent Kreifel und Ziehen der Damenſteine die erjten Anfänge von Kunit und Wiſſenſchaft offenbarte; bier werden wir nach dem ſuchen müſſen, was vorzugsweiſe Die Sande habe wird für jene infernafe Macht. Sch glaube wir finden fie in dem fo früh erwachenten Verlangen nad) den zerjtörenden Elemente, das nur für Me: phiitopheles und Die Kinder ein freundliches it, in dem Reiz, Den es hat, mit Der verzehrenden Flamme, obgleich man Die Gefahr ahndet, zu ſpielen. Es hat dies für Die meiſten Kinder einen unwiderſteh— lichen Zauber, und wie Ameiſen zum Ärger der Hausfrau Das Eingemachte, willen im Hauſe auch des ängſtlichen Waters zu feinen Entſetzen, die Klei— nen Zindhölzchen, vor Allen aber Schießpulver aus— zuſpüren und zu rauben. Dan beobachte nur ihre Spiel, deffen Gefährlichkeit eben Den Genuß gibt, genauer. Man jehe, wie aud) dem gutartigen Kinde die Augen glänzen, wenn es ficht, wie gleich einer glühenden Schlange die Flamme erjt let und dann verfchlingt und je mehr fie verjchlang, um fo größer wird, man beobachte die innerliche Satisfaction mit der ein gar nicht verdorbener Knabe eine Mine an- gelegt bat in der erfalteten Aiche des Küchenheerdes,
und nun der Erplofion entgegenfieht, wenn die Köchin Heuer macht, — man fehe Died an, und man wird nicht nur verftehn, wie mancher Knabe zum Ber: brecher wurde, Feuer anlegte um die Feueröbrunft zu jehn, fondern man wird auch ahnden, daß ein Reiz in der Aufregung liegen Tann, mit der man am grünen Tifch erwartet, ob Haus und Hof wirt: fih in die Luft fpringen wird. Mit einem Worte, die Luſt an der Gefahr und am Wagfpiele, Diele iftö, Die das Hazardfpiel würzt, und der Genuß ein Wagehals zu feyn, machts zum Genuffe felbft, den Hals zu wagen. Dieſe Luft liegt einmal im Men: fen, daher wird man fie höchſtens vom Hazard: fpiel ab auf einen vernünftigen Zwed hin Ddirigiren können, ausrotten wird man fie nicht. Darum wohl aber auch fchwerlich, ehe jene Direction gefunden wird, das Hazardipiel. Sie liegt im Menfchen, darum zeigt fie fich fchon im Kinde, und daß fie dämoniſch ift, Ändert darin nichts, denn was ohnedied alle Welt weiß, das hat die Betrachtung der Spiele der Kinder und beftätigt: Diefe Heinen Menfchen find
koch wahre Heine Engel und rechte Kleine Teufel. Um auf fein dreifaches (menfchliches, himmliſches, infernales) Antlig hinzuweiſen, ward dad Spiel vor: geführt. Welches derjelben hat mein heutiges dox⸗ geboten? Daß man ed ald eine der Himmelt: 3
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töchter würdige Opfergabe gelten lafje, ihm wiſſen⸗ Tchaftlichen oder Kunſtwerth zufchreibe, prätendirt ed nicht. Glücklich, wenn es nicht von mir heißt, „lein böfer Damon trieb ihn, um feinen Grebit zu retten, ed mit dem Spiel zu verfuchen, heraus: gelommen aber iſt Zero”, will id) glauben meinen Zwed erreicht zu haben, wenn man mein Spiel als rein menſchliches gelten läßt, als Unterhaltung.
1. Über die . ung deutfeher Yhilofopken zum Geben.
1850.
lenn ein Unbefangener, 3.3. ein Engländer oder ) ein gebildeter Deutjcher, welcher das Franzö⸗ ve ganz geläufig Tieft, Die Werke großer franzö— yer und deuticher Philofophen vergleicht, jo wird angs der Vortheil fchwerlich auf unferer Seite ı. Zuerft mug ihm fehr unangenehn der Con⸗ t in der Schreibart auffallen. Seit fie in m philojophifchen Werken die Mutterſprache an- iden, haben die Franzofen ein gutes, meiſtens ein ‚antes Franzöſiſch geichrieben. Im 17ten Sahr: dert tritt ihr größter Philofoph, Descartes, mit rt Abhandlung über Möglichkeit und Sicherheit Erkenntniß auf, welche den Geburtötag der neu: Philoſophie bezeichnet, und die in ihrem fchönen nzöftich nicht nur den Haren Geift des großen tthematikers, ſondern auch den feingebildeten Edel- m abipiegelt. Im 1Sten Jahrhundert iſt der phi⸗ phifchite Kopf Frankreichs offenbar Diderot; er eibt vortrefflih. Der endlich, an welchen man, in won heutiger Dhilofophie in Rranträhy ÜR
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Rede iſt, zuerſt denkt, Couſin, gilt für
erſten Styliſten, und läßt ſichs gern gefal man ihm eine pedantiſche und übertrieben« der Sprache vorwirft. Jetzt denke man € dies erfahren hat, herantretend an Die W fcher Philoſophen. Ihm ist gefagt, auch D babe feinen Descartes, Kant, deffen Unter über Möglichkeit und Sicherheit der Erfen: neue Epoche bezeichnen, und Dabei befier < feyen, als die meiften fpätern Werke deut! loſophen. Begierig ergreift er die Kritik: Bernunft und fängt an zu leſen, und
Anfange heißts: ed jey nur die Frage
worten: Wie fnnthetifche Urtheile a prioı ſeyen? Erfchroden blidt er nach dem
didleibigen Werks, um das Nefultat zu und findet: „der transicendentalen Miet dritter Theil, Architeftonif der reinen 2 — d. h. er bat drei griechiiche und Drei Worte in zwei Weberfchriften. Und was
Alles zwiſchen jenem Anfange und diefem ( giebt ed: Synthefis der Apprehenfion, da: bentale Deduction der Kategorien, weiter Ampbhibolie der Refleriondbegriffe, endlich: logismen und Antinomien der reinen Berny jo gebt ed nicht nur durch dieſes und '
Kantiſchen Werke, ſondern dieſer ſcholaftiſche Jar⸗ gon ſcheint zum Handwerk deutſcher Philoſophie zu gehören, wenigſtens iſt es vorgekommen, daß als Einer von Unterlage und Zufallendem geſchrieben hatte, man ihn erft verſtand, als man ſah, daß dies auf Deutſch (d. h. auf Philofophendeutih) Sub: ftanz und Accidens beige. — Hat man ſich nun aber an diefe Formeln gewöhnt, jo erregt der Inhalt der deutſchen Philofophie beionders durch Zweierlet Anſtoß. Zuerſt duch ihre Naturphilofophie, welche nicht, wie bei den Engländern, eine auf Er: fahrung und Rechnung gegründete Phyſik, fondern eine ſ. g. jpeculative Wiifenfchaft ſeyn will, indem fie ſich die Aufgabe ftellt, Die Sdeen aufzuftellen, die den durch Beobachtung gefundenen Geſetzen zu Grunde liegen, jo daß Dadurch erkannt werde, warum ge: tade Diefe und Feine andern Geſetze die Natur be: berrichen. Ein folder Verſuch nun, die Natur nad) Ideen zu conftruiren, erfcheint den Franzoſen ſowohl als Engländern ald ein Umkehren des allein richtigen Ganges, der von den Erfiheinungen zu den Geſetzen führe und bei dieſen ftehen bleibe, als eine Phan⸗ tafterei, die mau, wie manche andere, einer Nation von Zräumem zu Gute halten könne, bei fich felbft aber nicht dulden dürfe. — Noch mehr aber als über Die deutſche Naturphilofophie Kitten ie en U
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ber unſere Religionsphiloſophie. Daß ich nicht begnügt, die Beweisbarkeit oder Unbe sarkeit des göttlichen Daſeins zu prüfen, ſonder an Lehren macht, die man von jeher ald Myſi bezeichnet hat, Sündenfall und Erlöſung philofoy erörtern will, das zeige, daß die Grenze nich fpectirt werde, welche die Philofophie von der % Topbie, die Bernunft vom Myſticismus trenne. ı wenn wir und feine Sllufionen machen woller müffen wir gejtehn: auf den erjten Anblid erfı dem Ausländer und dem gebildeten Laien die n deutſche Philofophie ald phantaftifche Myſti gelehrten Rothwälſch vorgetragen. — ( darum begreiflich, Daß in Deutjchland die philo ſchen Schriftfteller ifolirter vom gebildeten Pu’ ftehn, daß — wie man es gewöhnlich ausdri die Kluft zwifhen Philofophie und weiter ift, als in Frankreich und England, ift eben fo begreiflich, daß, namentlich feit rührungen mit dem Auslande häufiger gewor Wunſch laut geworden tit: Die deutfche Pf möge aufgeben, was fie nur zu ihren: eignen
von der ausländifchen unterjcheide. Diefe ſetzt voraus, daß jene Eigenthümlichkeiten °
lich angeflogene Flecken find; dies aber ift entichieden. Wenn ein Niederländer, der
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des Rheins nur ſah, wo er Der Rhein heißt, aber nicht ijt, plöglid nach Schaffhauſen veriegt würde und dort einen Graubündner anträfe, fo würde das Urtheil Beider über die Zarbe des Rheins ſehr ver: fchieden auöfallen. Der Eine würde fi) wundern, vielleicht glauben, Umgebung und Beleuchtung laffe fein Waſſer grün erjcheinen, der Andere Dagegen bat bei Difentis zwar zweierlei Waſſer ſich mijchen ſehn, aber auch, daß beide grün, nur ein ſchöneres Grün erzeugen, das, wo es bei Reichenau eine dritte Nüance aufnimmt, dadurch zwar eigenthünnlicher, aber nicht minder grün wird, und er wird daher bei Schaffhauſen feinen alten Rhein erfennen und fagen, ohne grünes Waſſer gäbe es keinen Rhein, das Heine farbloſe Wäſſerchen bei Leyden fei eben nicht der Rhein. Auf weſſen Seite man in diefen Streit ſich zu Stellen babe, Scheint nicht zweifelhaft, ob aber binfichtlich der Sarbe der deutfchen Philofophie, jener ihrer erwähnten Cigenthümlichkeiten, man wie ber Niederländer oder mie der Graubündner urtheilen müſſe, kann nur erhellen, wenn man auf ihre erjten Urfprünge einen flüchtigen Blick wirft:
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Durch ihren erſten Stammvater gehört fie den höchften Kreifen der Gelelihatt au, iR Ür ImISt
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courfähig. Der ſchwäbiſche Graf Albert von Bol ſtädt iſt nämlich der erſte Deutſche, der als Phil ſoph genannt wird, deſſen Leiſtungen aber ſo ung heuer ſind, daß Mit: und Nachwelt ihm den Bi namen ded Großen gegeben haben, unter dem befannter geworden tjt, ald unter feinem Familie namen. Man bat fich aber mit dieſem ehrend Beinamen nicht begnügt, Tondern ein under Hülfe gerufen, um feiner Scharffinn und feine & lehrſamkeit zu erklären: Stumpf an Geift, foll nicht im Stande gewejen fein, den Arijtoteled zu ve ftehn, da habe ihm die heilige Jungfrau das Bi ſtändniß eröffnet und durch ihren Beiſtand jey um die etwas derbe Sprache des Mittelalters I zubehalten — aus einem Efel ein Philofoph gem den. (Daß man dies für ein Wunder hält, offenbar ein Beweis der Barbarei jener Zeit). I dem Albert in Padua und Paris als Lehrer Philofophie der Stolz ded Dominikaner: Orden worden, ward er ald Provinzial defjelben nad eſchickt, wo er bald viele Taufende von Sr um fid) verjammelte. Hierher fehrte er anf dort zu ſterben wieder zurüd, nachdem er ı Sabre Bifchof in Regensburg gewejen war Sage gebt, vor jeinem Tode habe auf fen Gebet die heilige Jungfrau alle Weisheit wi
ihm genommen, und fo fey aus dem Philofophen wieder ein Eſel geworden. (Sollte Etwas an diefer Geſchichte feyn, fo wird wohl nicht die Rüdbilbung ald Folge des Gebetd, jondern umgekehrt das Gebet als Folge der Rüdbildung anzufehn feyn.) Die Lehr⸗ thätigkeit Albert des Großen nun, (die begreiflicher Weiſe zwifchen jene beiden Verwandlungen fällt) zeigt eine der allermerfwürdigften und folgenreichften Erfcheinungen: was Die Kirche bis dahin unterfagt hatte, das hat fie bei ihm geduldet, nach ihm fogar gefordert, nämlich, Daß ihre Lehrer zu Unchriften und Antichriften in die Schule gehn, um ſich deren Ideen anzueignen. Wie fich überhaupt das Große vom Kleinen muß meijtern laffen, und wie das Ta- deln leichter tft, ald dad DBegreifen, jo haben auch bier fehr Biele über VBerblendung und Inconſequenz der Kirche gefchrien. Sogar unter denen, welche fonft zugeitehn, daß was die Kirche im Mittelalter unüberwindlid, machte, der Scharfblid gewejen fey, mit Dem fie jtets erkannte, was der Beruf der Zeit war, die Weisheit, mit der fie, nie voreilig, im: mer zur rechten Zeit, die Aufgaben der Zeit als ihre Forderungen ausjprach, die Gonfequenz, mit der fie niemals hinter den Forderungen der Zeit zurüdblieb, — ſelbſt unter diefen gibt ed Viele, welche meinen, in Dem, wovon die Rete war, UNI
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fiht, mit welcher fie duldete, daß ihre Lehr Schüler der Unchriſten wurden, habe fie ihr Weisheit nicht gezeigt. Und doch läßt fie ſich! wie in allem Übrigen nachweifen: — Das Ch; thum, d. h. der Geiſt, deſſen Wirkfamfeit mi Beginn der hriftlichen Religion anfüngt, befen feine eigentliche Aufgabe Die Überwindung der £ d. b. des Geiſtes oder der geiſtigen Mächte, : vor dem Eintritt des Chriſtenthums die Menſ beherrſchten. Um jenen Zwed zu erreichen, i erft nöthig, Da der neue Geiſt in fich er und fo muß er, um nicht im vorzeitigen K feine Kräfte zu vergenden, zuerſt ſich zurüc von der Welt; darum rufen, die zuerft von | Geiſte durchdrungen find, die Gründer und der Kirche Jedem, der fich zu ihr hält, zu, eı fih mit der Welt nicht befafien, folle die Wel fen und fliehn, nur dem Reiche angehören, das von dieſer Welt if. Zum Anfange ift dies wendig, aber auch nur zum Anfange, denn Zurüdziehn wird der Seind nicht überwunden, dern nur dadurch, daß man fein Rand erober zur Provinz macht. Dazu follte der chriftliche ih in feinem Rüdzuge ftärken, hat er durd felben feine Streitkräfte gefanmelt, dann ’ zweite Aufgabe die, den Eroberungdtrier
die Welt zu beginnen, ſie ſich unterthänig zu machen. Unter Welt war der vorchriſtliche Geiſt zu verſtehn; Das Chriftenthum hatte ihn vorgefunden in den bei- den Geftalten des Heidenthums und Judenthums, und darum ift die Aufgabe zuerjt, fich unbefledt zu erhalten von dem weltlich-, d. h. dem heidniſch- und jüdiſch- Gefinntjeyn. Während dad Chriftenthum in dieſer Rüdzugitellung in fich erjtarft, hat der von ihm geflohene Geift fich verjüngt in Islam. In ihm find die nichtchriftlichen Elemente verſchmolzen — dad alte Teftament und die Borftellungen der heidnifchen Sterndiener find die Quellen des Muha— medanismus — und Diefe Derfchmelzung tritt aus: drücklich gegen das Chriftentbum auf, und ift ihm diametral entgegengejebt, denn nicht nur ift ein aus der Kirche geſtoßner Ketzer Muhameds Lehrer ge: weien, fondern von Anfang an hat der Slam feine Beitimmung darein gefebt, in „diefer Welt“ zu herr- fhen. Was Wunder, wenn darum er, der von An- fang an „Herr diefer Welt” hat feyn wollen, von frommen Gemüthern als der Antichrift bezeichnet fit. Er ift wirklich das Weltlichgefinntfeyn zur Religion geworden, daher kann ald die Zeit gekommen ft, wo der chrijtliche Geift die Welt erobern foll, nur gegen ihn der Angriff gerichtet feyn. Gegen ihn, den Heren biejer Welt, Yak won, Te Yaustr int
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Zeit erkennend, abermals die Kirche durı Dberhaupt ind Feld gerufen. Mit dem | fchrei, der Herr will ed — der Herr, weld Geiſt ift und dad Schwerdt gebracht hat gex Welt — ward der Eroberungsfrieg begonne Kreuzzüge, in welchen außer dem 5. Grabe € gewonnen ward, das die Mufelmänner uns nic der abgenommen haben: Zartheit der Empfi Erhabenheit der Gefinnung, ritterliche Begei für alles Edle, Achtung für Wiffenfchaft und — Ganz parallel nun diefer ihrer, zu verſchi Zeiten verſchiednen immer aber cojequenten, fung zur Welt gebt die, welche die Kird Weltweisheit gegenüber einnimmt: Zuerfi nung vor ihr, wer philofophirt ift eben de ein Keber. Daun wird ſolche Philofophie ge die Gottesweisheit ift, wer aber der Natı Weltweisheit eines Ariftoteles anhängt, heißt Endlich ift der Geift ihrer Lehrer fo e daß die Kirche ed wagen kann, ihnen eine oberungäfrieg gegen die ideen der Welt zuzumuthen; der Gottfried von Bouillon a dieſem Kreuzzuge der Ideen iſt eben Albert der | Er bildet den Canal, durch welchen die Bid griechiſchen Philofophie, die Lehren des Artf Durch den ferner die Philofophie, welche r
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Sudenthnm nad feinem Contact mit griechifchen Speen hervorgegangen war, Die |. g. alerandrinifche Philoſophie Eingang ins Mittelalter gewinnt. Beide batten, aus der chrijtlichen Welt vertrieben, bei den Arabern Schuß, Überfeger und Erklärer gefunden. Bon jüdifchen Ärzten aus dem Arabifchen ind La— teinifche überſetzt, kamen nun diefe Schriften mit den Erklärungen der Diufelmänner in Alberts Hände, und mit welchem Fleiße er fie jtudirt hat, zeigen die 21 Soltobände, in welchen er großentheild nur ihre Lehren vertheidigt und erläutert. Es iſt ein merk⸗ würdiger Anblid, wenn man ald Schüler zu den Füßen ded Erzheiden Ariftoteled den großen Kirchen- lehrer fiten fieht, der (ald wäre Ariftoteles noch nicht unchriftlich genug) ihn fich von Antichrijten commen⸗ tiren, von Juden interpretiren laßt und dann mit ganz gleicher Ehrfurcht Bibelfprüche, Lehren Des Ariftoteles, Ausſprüche der Kirchenväter, des Avi⸗ cenna und Des jündiichen Arztes David anführt, um die Wahrheit der Tatholiichen Lehre zu beweifen. Merkwürdig aber nicht unbegreiflich, deun es han: belt fich eben darum, den ganzen Kreid der Ideen nichtehriftlicher Weltweisheit in die Dienftbarkeit des chriftlichen Geiftes zu bringen. — Verſteht man, wie Died gewöhnlich geichieht, unter fcholaftifcher Phi: Iofophie die Verſuche, areigiige numautiin, str
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telijche Philofophie mit der Kirchenlehre zu verſch zen, fo wird man Albert (fo wenig haben feine & arbeiten den Nachfolgern zu thun übrig gelaffen) größten Repräfentanten derjelben nennen müflen. ift e8 aber auch, wenn man zweitend mit dem W Tholaftifch eine beſtimmte Behandluugsweiſe Philoſophie bezeichnet, die feinen haarfpaltenden griffözerlegungen nämlich, zu welchen die Phil phen natürlicher Weiſe kommen mußten, welche Aristoteles, der felbit ſchon dieſe Neigung hat, | ten, und dabei den Verſuch machten, mit feinen ren die, einem ganz andern Boden entwachſ firchlichen Dogmen zu verbinden, was ohne jd finniges, oft gewaltfames Diſtingniren nicht md war. Auch in diefem nun hat es dem Albert ke der Folgenden um fo viel, ald er den Frühern zu gethan. Seine Unterfcheidungen der Wefenheit der Dingheit, beider von der Washeit, feine Fi ob Feuer nur durch Feuerheit Feuer fey u. f. find fo fubtil, wie fie zwei Sahrhunderte nac nur hätten jeyn können. Dergleichen Unterſuchm find heut zu Tage vergeffen, und man kann im fern fagen, das fcholaftifche Philofophiren Hab gehört, als kein Vernünftiger fich mit der beichäftigen wird, über welche fich im Idten 2 bert Die Philojophen die Köpfe zerbrachen
gelegentlich zerichlugen: ob wenn ein Kopf nicht durch ein Loch geht, dieſes von der Kleinheit Des Lachs oder der Größe des Kopfs herfomme. Eines aber ift geblieben, was nur im Gefolge jener Unterfuchun- gen ſich Eingang verfchafft hatte: Der Gebrauch einer ftrengen, großentheild Nriitotelifchen, Dann, oft Schlecht genug, ind Zateinijche überjegten, Terminologie. Der Gebrauch dieſer Kunjtaustrüde, ohne welde man fih in jenen fubtilen Unterfuchungen verwirrt hätte, wird nun gleichfalld mit dem Worte Scholaftiich bezeichnet, und wenn man Das Kantiiche Philofophi: ren ein ſcholaſtiſches nennt, jo will man nicht fagen, daß er die Fatholifchen Dogmen vertheidige, auch nicht, dar er von Feuerheit und Dingheit fpreche, fondern daß; er ausländiſche Kunſtausdrücke brauche. Der Name ift and) paſſend gewählt, denn daß wir folche Ausdrücke, ja daß wir gerade dieſe brauchen, läßt fih auf die Scholaftif und ihren großen Ahn- herrn zurüdführen: der allergrößte Theil Der philo: iophifchen Kunſtausdrücke, Die bei Kant umd Den Epätern vorfommen, findet fich ſchon bei Albert. Was vorher ſcholaſtiſcher Sarzon genannt wurde, hat ich feit ihmt bei den Deutfchen Philofophen erhalten, die länger als die übrigen lateiniſch fchrieben, dann als fie davon abgingen, wenigftend Den lateiniſchen zu dem dentjchen Anstrut Ginytügten, Ka U FIT
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bekaunt blieb, endlich Davon profitirten, deutiche Sprache überhaupt fi) durch aut Worte zu bereichern pflegt. Die undeutſche ausdrücke jind bei ung geworden, was die a Ziffern für die Mathematif Europa's. W römitcher Diathematiker aus Nationalgefühl | die römiichen brauchen, jo würde ſich Di rächen. Eben jo würde es dem deutſchen phen gehn, wollte er fich jener Formeln « und ihm fönnte nicht einmal falfch verftand triotismus zur Cntfchuldigung gereichen, | ſcholaſtiſche Anftrich Der deutſchen Philofop alt, wie fie jelbft, er ift eine von ihrem ! angeerbte Samilieneigenthitmlichkeit.
2.
Genau drei hindert Sahr nad) dem Gi Bollftädt ward in Marin Einfiedeln der Ahnherr deuticher Philojophie geboren. Wa Stammbaum betrifft, jo prüfen wir nicht ; denn Philippud Aureolus Theophraftı baft v. Hohenheim hat in feinem Wap: Querbalken. Der Mann ift Darum nicht Der erite praktiſche Arzt feiner Zeit — 18 die von allen Arzten aufgegeben waren, f gejtellt haben — hat er Durch feine ganz '
rie der Krankheit, mit welcher er der bisherigen höchſten Autorität, dem Celſus, entgegentrat, ſich den Beinamen des Paracelſus erworben, unter dem er am Meiſten bekannt iſt. Es iſt einer der ſeltſamſten Menſchen die je gelebt haben. Von fet- nem Vater und einigen Alchymiſten jener Zeit gründ⸗ lich in der damaligen Chemie unterrichtet, begab er fi) auf die berühmteften Univerfitäten in Deutjch- land, Stalien und Frankreich, und ftudirte mit Lei⸗ denſchaft viele Sahre lang die Werke der griechtichen und römifchen Ärzte. Das Rejultat war eine gren- zenlofe Berachtung der Univerfitäten, welche ſich fein ganzes Leben hindurch in Spöttereien über das „Ba: rettlein” (Doctorhut) Luft machte, für welches, wie er fich in feiner derben Sprache ausdrüdt, mancher deutfche Narr feine vierzehn Ducaten zahle, um ein approbirter Eſel zu werden. Weil, was der Arzt wiffen muß, weder auf Univerfitäten noch überhaupt an irgend einem Drt fich beifammen findet, fo be: ginnt er fein raftlofes Wanderleben, auf dem er „bei Doctoren, Scherern und Badern, gelehrten Ärzten, Weibern, Schwarzkünftlern und Aldhymiften, in Kl: ftern, bei Edlen und Unedlen, Gefcheidten und Ein: fältigen Erkundigungen einzog.” So durchwandert er lernend und kurirend ganz Deutichland, Stalten, Portugal und Spanien, Krk We Ninueinnir,
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England, Dänemark, die Mark, Pri Polen, kommt nah Mosfau, wiri Zartaren gefangen, Dann nad Cı Thidt, durchzieht die Wallachei, 1 bürgen, Croatien, bejucht die Inſe er endlich 1527, im 34ſten Jahr jeine arzt und Profeffor der Medicin in & türlih hat ed auf diefen Wander wärtigfeiten nicht gefehlt. „Die bet fagt er, trieben ihn aus Preußen, & Den Niederländern, den Univerfiti und den Mönchen gefiel er nicht Dank den Kranken gefiel er über mag wohl fehr gefunde Zeit gewefen gefiel er dort nicht lange. Daß er deutfch hielt, weil das die allein Sprache jey, erregte Anſtoß; mit t Eiferfucht feine glücklichen Euren er banden ſich die Apotheker, deren £ die Obrigkeit beaufjichtigt wünſchte alfo alle gegen fich, die in Natur Autorität galten. Schon nad) ein: ed, hat er Baſel verlajfen und fü ſtreifendes Leben wieder an. Born ruft ihn herbei, wo der Tod droh vorüber wird er oft verhöhnt, bi
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fubtiler Geſelle, was man bei Milch, Käſe und Ha— berbrod” nicht werde. Hier wird ihm der vorang: bedungene Kohn vorenthalten, dort beftehlen ihn feine Knechte — ein und zwanzig an der Zahl hat ihm „der Henker genommen und von diefer Melt abge- than” — und fo iſt es ihm meijtend kaum möglich, anftändig gekleidet bei feinen Kranken zu erfcheinen. Endlih ruft Ernft Pfalzgraf zu Rhein, Erzbifchof von Salzburg, ihn als Leibarzt zu ſich; die ſpät erreichte Ruhe Dauert aber nicht lange, der Tod, wie andere meinen der Mord, ereilt ihn im 48ſten Jahre feined Lebens. Sein Beſitz an edlen Metallen fiel den Armen, feine Bibliothek einem Barbier zu. Die legtere beftand aus zwei Eremplaren ded neuen Te- ftaments, einer biblifchen Soncordanz, einen Gym: mentar des h. Hieronymus und einem geürudten medicinifchen Buch. — Paracelius’ Bedeutung für die Philofopbie ift, daß er, wie Albert, die Lö- fung einer neuen Aufgabe beginnt. Ber chriftliche Geiſt, welcher, im Gegenfat gegen den naturtrun- kenen Geift des Alterthums, damit begonnen hatte, die Natur ald den Gegenfah gegen die Gnade zu fafien, der darin fo weit gegangen war, daß er Alle, welche die Natur Liebten, als Zauberer oder Gott: Iofe von der Gnade ausſchloß, und im Streben nad übernatürlicher Heiligkeit der Ynaıt tt, —
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dieſer iſt, namentlich durch das erneute Stud Alten dazu gekommen, nach der, 14 Jahrl hindurch verachteten, Mutter Natur ſich gı fehnen. Liebend erwartet fie die undankbaren und hält Koftbarkeiten bereit, die der Erſt foll der fich wieder in ihre Arme wirft. Dief war Paracelius. Die Wirkſamkeit bis dab angewandter Heilmittel, die er entdedt, und ihm zeigt, daß der Menſch an viel mehr Se biöher bekannt war, der Einwirkung der Rı gänglich ift, dieje läht ihn eine Menge von menhängen zwijchen dem Mienfchen und de verfum ahnden, welche er in feinen philoſo Schriften zu entwideln ſucht. Nur wenige ! 230 Abhandlungen die er, ohne irgend ein £ Rathe zu ziehen, in die Feder dictirt hat, und gelangt. — In den mannigfachiten oft ftiihen Lehren wiederholt ſich darin eigent! ein Grundgedanke: daß die Welt ein dur Leben durchdrungenes Ganze jey. Steht al einmal feft, fo folgt von felbft, daß der Die ein Glied an diefem Ganzen, und wenn d nehmite, daß in ihm fich das ganze Univerfi centrirt. Dies feine Lehre vom Menfchen o' im Kleinen, ald Mikrokosmus, als Ertract d Aus ihr aber ergeben ſich ganz conjequent d
— 55 — tiſchen Folgerungen, welche Paracelſus zieht. Wie wir vom Arzt verlangen, daß er erkenne ob geſtörter Puls aus Verknöcherung des Herzens oder aus ein— genommener Digitalis ſtammt, und für beide Fälle eine verſchiedene Behandlung erwarten, ſo iſt dem Paracelſus nur der ein Arzt, der in: kranken Men⸗ tchen, (gleichfam einen geitörten Pulsfchlag im Leben des Univerfums) Die Welt erkennt, und umgekehrt bei der Behandlung jedes Kranken auf den Zuftand des Univerſums, Stellung der Geitirne, Kometen, Erdbeben u. ſ. w. Rüdficht nimmt. Darum fol er Philoſoph jeyn, d. h. Kenner des Univerfumd, darum „Altrolog und Alchymiſt“ d. h. Aſtronom und Che: miler um die Natur der Planeten in den Metallen, beide in den Hanptorganen des Menſchen wieder zu erkennen, um einzujehn, daß die Leber die Natur des Eifens und de3 Planeten Mars habe und darum Leberkrankheiten als martialifche und Eifenkranfheiten zu behandeln find u. j. w. Forderungen der Art fieht man heut zu Tage als phantaftiich an, und ftellt ihnen die Behauptung entgegen, fie gründeten fich anf Nichts was ducch die Beobachtung gegeben fen. Was hätte Frankreichs größter Naturforicher, der verjtändige Cuvier, als er fich anheiſchig machte aus einem Zahn das ganze vorfündfluthliche Thier zu conftruiren, was hätte er ea, wenn u Are
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in der Zoologie ihm eingewandt hätte das fey möglih, da ihm ein folched Thier nicht geg fey? Er hätte gelüchelt. Eben fo ter Phr Paracelſus, wollte man ihm von Unmöglich fprechen. Ihm iſt gegeben, was er nöthig Hat Menſch, diejer Zahn an Dem großen Megathe das wir Univerſum nennen. — Phantaſtiſch oder nicht, die Idee Der Lebens: Einheit des M— fung, Die Paracelius zuerjt ausſprach, ift De tende Gedanke aller Deutjchen Naturphilofophi worden und geblieben. Mag auch nur felten | in Paracelfiicher Kühnheit das Univerfum darg haben als Fortſetzung des Sinnenſyſtems, möge die Meiſten begnügt haben, Ahndungen dieſes
meinen Lebens aufzuſtellen, alle deutſchen 9 philoſophen, ja noch mehr, manche ſinnige J forjcher, Die e3 für eine Beleidigung halten wi wenn man fie Naturphilofophen nennen wollte wenn fie von einer Metamorphoje primitiver $ nismen, oder von einer Etufenfolge des Xeber Iprechen, unbewußt von Demjelben Grundged geleitet. Es muß daher zugeitanden werden deutiche, Naturphilojophie bringt wirflich Die,
durch Beobachtung gefundene, Idee eined all nen Lebens oder einer wahren Einheit zu dr Scheinungen hinzu, und benrtheilt diefelben nar
Idee als nach dem Geſetz, das die Bernunft ihnen giebt. Sit dies ein Irrthum, oder ein Übel, fo iſt es nicht verfchuldet fondern angeerbt.
3.
Könnte man aber auch hoffen, daß der fcholafti- fche Anſtrich der deutſchen Philofopbie jo wie ihr naturphilofophifcher Tie auf Rechnung dieſes ihres doppelten Urſprungs gefchrieben würde, inımer biiebe fie doch für das Dritte verantwortlich, nämlich, daß ihre Religionsphilojophie nicht, wie die anderer Nationen, Die Grenzen reipectirt, die Philofophie und Theologie trennen, daß fie vergiät, daß der Scuiter bei feinem Leijten bleiben fol. Wenn nur nicht der dritte Stammherr deuntſcher Philoſophie — Sie ijt ein Drei: VBüterkind wie der Rhein mit dem fie verglichen wurde — wenn diejer nicht un- glüdlicher Weije grade ein Schufter wäre, der nicht bei feinem Leiften blieb! — Ein größerer Gontraft ift faum denkbar ala zwiſchen dem Bagabondenleben des Paraceljus und der bürgerlichen Haushaltung des Schuhmacher-Meiſters Sacob Böhme. Als Bauern: fohn in Altjeidenberg bei Görlitz geboren, beginnt er feine Laufbahn, indem er mit den andern Dorf: tnaben dad Vieh weidet. Auf eine Bifion, in der der Knabe voll Entiegen ih yon einen Quiüre ser
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prägten Goldes abwendet, ift jedenfalls dies Gewicht zu legen, daß darin fich zeigt, wie wenig fchon das mals die Schäße diefer Welt jein Herz reizten. Zu einem Schuhmacher in die Lehre gegeben, fchöpft er feinen fonftigen Unterricht aus der Bibel und den Sonntagspredigten, und begiebt fich dann nach voll- brachter Lehrzeit auf die Wanderjchaft, während der er überall in die Streitigkeiten hineingeriifen wird, Die die Rutheraner von den Reformirten und Beide ‘von den Katholiken trennen. Die Zweifel und inner Kämpfe die dadurch in ihm entitehn, jucht er durch eifriges Lefen myſtiſch-theologiſcher Schriften zu er: jtiden, oder beim Lejen von Paracelſus Werken zu vergeffen. Mitten unter dieſen Qualen tritt plößlich eine himmlische Ruhe ein, in der er fieben Tage lang, ohne daß dies ihn in feiner gewöhnlichen Ar- beit hindert, die Seligkeit völliger Ruhe, zweifels— freier Gewißheit und Earer Erfenntniß fchmedt. Ser ner Zuftand geht vorüber; nicht fpurlos, denn milder und fanfter als zuvor kehrt er in die Heimath zurür wird als Neunzehnjühriger in Görlitz Meijter u Ehemann, und lebt als Vater von vier Söhnen frie ih und ‚heiter als ehrfamer Schuhmachermeifter r feinem Gewerbe. Da wird im Jahre 1600 ' Fünf und zwanzigjührigen der Anblid eines vo Sonne erlenchteten Zinngefäßes zu dem, wa
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: Sage dem Pythagoras zwei harmoniſch Eingende abofe wurden: zur Offenbarung des wahren We— 38 ber Dinge. Die Ideen die ihm in jenem Aus mblide aufgingen, verſchließt er zehn Jahre in ſich, (8 aber zum britten Male ſich jener Zuftand ber Maxheit in ihm wiederholt, da fuht er — nur für fich felbft, darum in chaotijcher Weije wie fie ihm kommen — feine Ideen zu firiren, und jo entfteht feine „Aurora, ober Morgenröthe im Aufgange.“ Ein Edelmann findet bei ihm das unvollendete Ma- nuſcript und leiht es; von ben Abfchriften, die er bavon machen lägt, kommt eine in die Hände des Oberpfarrers Gregorius Richter, der nm bein näch— ften Gotteödienft vor verjammelter Gemeinde den vor ihm figenden Böhme als Keper und Aufrührer anklagt. Rührend iſt die Sanftmuth mit ber Böhme nach ber Kirche den Wüthenden um Belehrung an geht, rührend der Gehorjam mit ben er fich fügt, als der durch den Zeloten eingefchichterte Magiſtra / ihn aus ber Stadt verweift, und die Ergebung, mt der, als er am andern Tage zurückgerufen und ihr verboten wird, irgend Etwas zu ſchreiben, er au dies verſpricht. Gewiſſenhaft Hält er fein Wor obgleich, gegen die Abrebe, Richter fortwährend geg ihn predigt, und um ihn böfen Leumund zu errer feine Aurora umberjennet. Die Wie ver ST
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mebrt fi), Freunde, beionderd der Ch Arzt Balthafar Walther, beitürmen ihn; nachdem er neun Jahre lang mit fich ſelb bat, vermag er es nicht länger; er er er müſſe fihreiben und fchreibt für fid Freunde. Hätte nicht einer derſelben
Böhme’3 Aufſätzen duch Druck veröffentlic man ihn wohl in Ruhe gelaffen. Die nicht nur lateinische Schmähgedichte von Oberpfarrers hervor, jondern abermals beim Magijtrat. Diesmal ward Böhmen er möge zufehn ſich ver etwanigen ©ı Landesregierung ficher zu ftellen, und Di gemäß geht er nad) Dresden. Ein a Öffentliched Geipräd mit den bedeutendf gen, ein geheimes mit Dem Churfürften fi ihn Duldung, und da bald nad feine Richter ſtarb, To ſchien feine Ruhe nicht fährdet. Er jollte fie nicht lange geniei erite und legte Krankheit befüllt ihn; aı Stunde jagt er jeinen Tod voraus, und ı läßt er die Thür öffnen um deutlicher Muſik zn hören die er vernimmt, und e den Worten: Nun fahre ich hin ind Par durch eine höhere Autorität ward der 1 liche des Orts, — noch dazu derfelbe, I
feinem Zode das Abendmahl gereicht hatte, — bes wogen, den Leichnam eines Mannes zu begleiten, den jeine Freunde als einen Heiligen beweinten, eine zahlreiche Secte noch heute als jolchen verehrt. — Außer dem, worin Böhme ganz Original ift, theilt er mit Albert dent Großen eine wunderliche Qermi- nologie, mit Paracelfus die, demſelben entlehntee phantaftifche Naturphilofophie, und fo könnte man ed fait billig nennen, daß er Schon jehr früh par excellence als der „deutiche Philoſoph“ bezeichnet wurde. Die Summe der ihm eigenthimlichen Speculation ijt: daß der Menjch, wenn er auf ſich verzichtet und durch Glauben und Gebet wiederge: boren tft, jo mit Gott vereinigt ſey, daß er in Gott wurzelnd, „radicirend”, jagt er, „gleichſam ein Eleis ned Götterlein in dem unermeßlichen Gotte iſt.“ (Biele haben die! Pantheismus genannt und vergef: fen, daß der Pantheift als ein natürliches Ver: hältniß Aller behauptet, wa3 nach Böhme nur von den Wiedergebornen erreicht wird, d. h. denen, welche fih mit eigener Selbftthätigkeit Gott Hingegeben.) Wenn alfo dem Paracelfus der Menſch Die Welt im Kleinen war, und man eben deswegen in dieſem Mikrokosmus, als in einem Spiegel, das Univer: fum fehn und begreifen Eonnte, fo lehrt Dem analog Böhme, daß der Menih, wenn u witenliuun,
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d. h. von der Sünde befreit, Gott im Kleinen iſt. Es iſt darum durchaus nicht unmöglich Gott zu ſchauen, nur die Sündhaftigkeit (nach Böhme die monſtruoſiſche Geſtalt) des Menſchen macht, daß wenn er ſich in ſich vertieft, er Gott nicht erkennt, hat jene aufgehört, ſo findet der Menſch, daß ſein bisher verborgenes Weſen („der verborgene Menſch“) Gottes eignes Weſen ſey. Bei ſolcher Lehre fürchtet Böhme den Vorwurf der Hoffahrt nicht, er kannte nur eine Hoffahrt, ſie iſt: Nicht forſchen, nicht ſuchen. Suchen iſt die wahre Demuth; übt der Menſch dieſe und forſcht in ſich, ſo findet er von Allem, ſelbſt von den Schmerzen und Widerſprüchen in ſich, die (freilich ſchmerzen- und widerſpruchsloſe) Wurzel in Gott. Was darum vorhin von Paracelſus ge⸗ ſagt war, gilt auch von Böhme; auch ihm iſt der Menfch wie jener Cuvierſche Zahn, ein Spiegel def: fen, an dem er ein Glied ijt. — Diefer Böhmeſche Grundgedanke aber beherricht alle ſpätere Religions- philofophie in Deutjchland, namentlid) die des 19tr Jahrhunderts. Sie will nicht, wie Die oberflächli Halbbildung um Gott zu ehren ihn ent: menjchlid) vielmehr fucht fie aus dem wahren Menfhlid das Göttliche herauszuleſen, im richtig gefaßten € lihen die Wurzel des Dienjchlichen nachzuw
Ihr iſt darin ihr Vorfahr voraudgegangen
mehr, er ift darin ihr direkter Lehrer geweſen, denn mehr oder minder haben alle neuern Religionsphilo: fophen aus Böhme geichöpft, obgleih Manche, de- nen die Sranzofen Priret und St. Martin Lehrer wurden, kaum willen mochten, wejfen Lehren Dies uriprünglich waren. Wir aber wollen e3 offen ge: ftehen: die deutſche Religionsphilofophie hat einen Beigeihmad von Theoſophie; es tft dies aber fein Zufall, fondern ift ihr angeboren.
4.
Menn nun aber alle drei Vorwürfe, die auf der deutſchen Philoſophie laſten — die fcholaftiiche Aus⸗ drucksweiſe, die phantaſtiſche Naturphiloſophie, die theoſophiſche Religionsphiloſophie — nicht zufällige Verſchuldungen der Generation treffen, ſondern An⸗ geerbtes, ſo möchte gerade der Gewiſſenhafte Bedenken tragen ohne Weiteres, wie uns gerathen wird, die alten Feſſeln zu brechen, da ed Doch ein⸗ mal nur ein Mittel gibt, ſich der Zahlung ererb: ter Familenſchuld zu entziehen: die Bankerott-Erklä⸗ rung. Als daher vor nicht gar langer Zeit im Na: men der freien Wiffenfchaft verfündigt ward: die wahre Philofophie ſey der Gebrauch der fünf Sinne (eine Philofophie die gewiß alle deutſche Beſchränkt—⸗ heit abgeftreift hätte, da durchaus Tin Sumtn IQ,
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warum fich der Eskimo und Patagonier nicht zu il befennen follte) — da Eonnte ed um fo weniger dene verdacht werden, welche darin eine Inſolvenz-Erkli rung fahen, als ja ausdrüdlich von jenem Ausruf verfündigt wurde Die Deutjche Philofophie ſey „zi Gefchichte”, d. h. zu einer alten Gefchichte geworden Durch dieſe Erklärung wird nun freilich die Deutjd Philoſophie nicht injolvent, Da, der fie ausſprac von ihr Fein Mandat erhalten, dennoch könnte fi und Vieles fcheint das anzudenten, banferott feyı Es ift heute, vielleicht zu oft, die deutſche Phil: fophie mit dem Rhein, ihre Eigenthinnlichkeit m feinen grünen Waſſern verglichen, und ſpöttiſch könn man und fragen, wo wir in dieſem Augenblide fold Philofophie gewahren? Aufrichtig geftanden, fe Sahrzehenden ſuchen wir vergeblich nach dem majeft tifchen Strom mit immer neuen aber immer mal riichen Ufern; Die Waſſer, Die am Lauteſten raufche: find gelb und fcheinen dem Stromgebiete des Miſſou eber anzugehören als dem Des Rheins, die grüme die wir fehn, fcheinen Andern ftill zu ſtehn und folle grün feyn Durch ihre Gonferven. Und deunoch hoffe wir, daß der Strom der Philofophie noch nicht dr angefommen ijt, wo an beiden Ufern fein Der gefprochen wird, hoffen es, weil ja auch der ? feinen Bodenfee findet in dem er verſchwind
mächtiger, Elarer, aber grün herauszutreten, hoffen es, weil ſeit Pangloß deutſche Philoſophen Opti— miſten ſind. — Der Erbe muß des Erblaſſers Schul: den zahlen, allein es ſtreitet nicht mit Der Gewiſſen— baftigfeit dejfelben, wenn er Die Activa und Paſſiva de3 Erbes überfchlägt, nicht mit Der Ehrfurcht vor der Eigenthinnlichfeit dentſcher Philoſophie, wenn wir die Vortheile und Nachtheile erwägen, Die aus derjelben erwachſen werden. Dieſe vorauszuſehen it feine Prophetengabe nöthig, ſondern nur ein Rück— blick auf die Bergangenheit und die praftifche Regel, daß wer des Vaters Gewerbe ergreift, nicht hoffen foll, es beifer zu haben als er. Bon Albert dem Großen wird erzählt, er habe öfter Den Befud) beher Herren bekommen, Die aber nicht kamen um ſich über Wefenheiten und Dingheiten zu unterrichten, fondern weil ein von ihm verfertigtes Automat, ein Kopf der ſprechen Eonnte, ſie unterhielt. Das iſt ein bedeutjaner Wink für den, der ſich dem Dienfte son Alberts Tochter weihte, für den deutjchen Philo⸗ ſophen. Es gibt für ihn nur ein Mittel, um in den höhern Kreiſen willkommen zu ſeyn: er bringe einen Kopf mit der zu ſprechen verſteht und unterhält. Wer durch etwas Anderes, durch ſeine Philoſopheme, Bewunderung erregen will, läuft Ge-
fahr, daß man ihn ſo bemuntert woie ae an MIETE m
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mariage force den großen Philofephen Panc wundern, wo er beweilt, daß man nicht fagı Form des Huts, fondern Geſtalt Des Huts. nöſer iſt Died geworden, Dat Albert ein alte taire war, denn Damit iſt das Schickſal fein: ter, der deutichen Philoſophie, bei den Fraı ſchieden. Sch verdenfe es Feiner Derjelben, 1 fi mit ihre Nichts zu Schaffen macht, fo I ihren ſcholaſtiſchen Sargen fpricht, Denn Nich einen häßlichern Mund ala der Gebrauch Di ſcheulichen Worte, und ein häßlicher Mund i lich vecht häßlich. Darin haben es Die 8 beffer, und als ich in College de France eüı eleganten Vortrag über neuplatoniſche Phi anhörte, und Da zwar ſehr wenig Student deito mehr Damen fah, wandelte mich eine 9 an. Indeß es fiel mir ein, daß ganz nah ı Haufe, in dem ich mich befund, vor 700 ein großer Lehrer der Philofopbie wohnte un‘ deſſen ganzes Lebensglück zerjtört ward und I Ort zu Ort gehest, ald Verbannter und G ftarb, weil er eine fchöne und geijtreiche € gefunden. Sch dachte an ihn, ich Dachte a Baterland, das fo Viele anfzuweijen bat, 1 ner und geijtreicher find als Heloije, — und i meine Unaufmerkjamfeit im College de Fre
der Bemerkung: Lindlich, fittlih! Am Ende hat die Einrichtung bei und, wo Studenten fi für logiſche Kategorien begeijtern, ja ſogar duelliren, Die Zrauen aber zu denken pflegen: ein Philoſoph! Ha! — am Ende hat fie uach ihr Gutes. — Wenn Albert der Große äugleich mit feinen Sormeln auch feine Stellung in der Welt auf ung vererbt hat, fo lehrt des Paracelſus Echidjal, was wir zu erwarten haben, jo lange wir Naturphilojophie treiben. Die Naturforſcher des Jahres 1850 find nicht nachlichti- ger gegen die Naturphilofophie, als die Basler Phy- fiei in Fahre 1527 gegen den Vater derfelben. In— deß hat Dies auch fein Gutes, denn fo gewiß die Che zwiſchen Naturforichung und Naturpbilofophie im Himmel gejchloifen ist, und fie einmal zujammen fommen müſſen, eben fo gewiß iſt vor ihrer, wie jeder, zu früh gefchloffenen Ehe zu warnen. Für's Erſte wird wohl das Befte für Beide feyn, daß fie ihr Geſchäft abgejondert von einander treiben; Der Beifall der Forſcher könnte jeßt der Naturpbilo: ſophie gefährlich werden, fie verlangt nur Duldung. Wird aber auch diefe verfagt, und über die Natur: philofophie geipottet, weil jie den Flug in die Sonne verfuche, wird fie geſchmäht weil fie die Forſchung nie gefördert, immer gehindert habe, wird endlich zu laut Damit geprahtt, Ta st Kat ie hun . n*
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der Naturphilofophie getrennt, Die Naturforfi Fortichritte gemacht habe, nun Da werden wir wehren, indem wir bemerfen, Dal; e3 doch gut dag einmal Einer in Gedanken in die Sonne und von da aus Die Planeten betrachtete, da ein Naturphilofoph war, Der ſchon vor fu Sahren zum Gelächter der Forſcher behanptete Schädel beftehe aus Wirbeln und der Organi aus Bläschen, endlich aber wollen wir (ganz fragen, ob es wirklich ein beneidendwerther Zu der Naturwifjenjihaft ift, wo man 26 Bejtand der Galle kennt, aber nicht weiß wozu die dient, und wo hinfichtlich Des Zwedes der Milz in der größten DVerlegenbeit wäre, went es glüdlicher Weife Milzkrankheiten gäbe? — fange endlidy die Philofephie auch Religions) ſophie ſeyn will, jey fie bereit Sacob Böh Schickſal zu theilen; fie wird genug Ober: und I pfarrer finden, die, heißen fie gleich nicht Ri doch ale Richter und zwar als Schlecht inftruirte fie urtheilen und fie für vogelfrei erklären we Hat auch fein Gutes! Kann doch eben, we vogelfrei, nur die deutfche Philofophie frei, wi Bogel in der Luft, ihre Epeculation beginnen, wenn fie auch dazwifchen fich verirrt, fo ift e ein Andere? um eine Haustaube die von
wieterfonmt, ald um einen Bogel den man an einem Faden fliegen läßt. Solche Fäden kennen Englande und Frankreichs Philofophen jehr gut.
Damit aber, daß Die Philofophie Darauf ver- zichtet, denen zu gefallen, welche die Seele der Ge: fellihaft bilden, daß fie zweifelt, die Naturforjcher zu gewinnen, und gefaßt ijt, den Hab der Theo- Iogen zu tragen, jcheint fie auch refignirt zu haben auf jede Wirkſamkeit, hat fie fich dem Flöfterlichen Leben Der Schule geweiht, md fchlägt hinter fich die Pforte zu, die in den Garten des Lebens führt. Und wenn dem fo wäre, fo tft noch nicht be- wieſen, daß fie Damit das Höchite opferte, Dem ed erheben fich manche Etimmen, weldye behaupten, jener Garten biete nicht Die fchönjten Früchte. Ich will von Sokrates nicht |prechen, welcher Die Philofophie pries, weil fie ein ftetes Sterben und ſich Los— machen vom Leben jey, nicht von Fichte, welcher zum Philojophiren einladet, welches Nicht: Leben fey, wie Leben Nicht: Philofophiren, — beide waren ja eraltirte Köpfe, die ein wohlgeordneter Staat nicht dulden kann, wie denn der Cine den Gift: becher trinfen, der Andere feine Profefiur aufgeben mußte, — es gefellt Sich aber zu ihnen en Mann von befferem Namen, Schiller, mit deffen Ausſpruch das Leben fey wicht ter Sirer ie, An ui
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ereinigen läßt, Das Wiſſen ſey dieſes höchf „Göthe aber, ruft man, der hat des Lebens Baum und grüne Weide der dürren Spec und grauen Theorie Doch vorgezogen”, uni Autorität könnte ung ſchrecken, wenn nicht der der fo gern Mährchen und Räthſel erzählt, wir fie deuten und löſen, jene Ausiprüche - Mephiitopheles in den Mund gelegt hätte! ed ſey, Mephiſto-Göthe habe Necht, und zı fey der letzte Zweck, — was heißt denn Mancher hegt die fire Idee: in eignen Eleme eigne Natur gewähren laſſen, Dies und nur dir leben. Nicht nur die Fiſche gehören zu Diele: töpfen, Die es den Katen bisher nicht haben wollen, day im Waſſer zu ſchwimmen ei fey, fondern wo wir über Andere urtheil wir Alle diefen Begriff des Lebens zu Gru der größte Mathematiker feiner und aller Parlament (einmal und nie wieder) eine $ da war er unbedentend und aljo nicht er diefer Nacht lebte Newton nicht, er war lebte auf, als er zu feinen Rechnungen ;
in welchen er lebte und ewig lebt. ( darum die Unfterblichleit erworben, ' wieder feine Zeit fo getödtet bat, daß er reden ausdachte, wie feinerjeits Pitt m
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fo töbtete, daß er werfuchte, Die Lehre von den lurios nen weiter auszubilden. Und dab es nicht feine, als folle durch den Mathematiker und Staatsmann von ber Philoſophie abgelenkt werden, als Plate jet: nen Staat ſchrieb, — fie fügen Hente, er Habe ihn geträumt. Wer gäbe nicht Alles hin, einmal Sol: ches erträumt zu Haben? — da lebte er; in jenem Traum lebt und wirft er noch heute. Als ev aber den Verſuch machte, einen Staat, wie fie es nennen, ins Leben zu ınfen, da war er gerade der Träne mer, ba iſt er unweiſe und aljo lebt Plato nicht. Die Zeit, die er in jenen fruchtlofen Verſuchen in ESyrakus zubrachte, bildet eine Lücke in feinen Lehen, wie jene Parlamentsnacht in dem Leben Newton's. Darum fort mit jeder Philoſophie, die ſich vom Ler ben trennt! Nur das it ums Philofephie, was ganz Leben ijt; wie Newton's Rechnen Leben war, wir es für Raphael fein eben gab, ald Malen, wi Beethoven nur lebt, wenn er in Tönen ſchwelgt, f fey und Bleibe dem deutſchen Philoſophen das Phil
fopgiren — Leben.
Bon jeher Hat man als Wappenzeihen der Phi fophie den nächtlichen Vogel der Minerva angefe die Eule, den Kauz. Den Schild der deutſchen PH ſophie werden drei ſolcher Nachtwögel zieren mũſ Ich Habe verfucht, dies he Wohhene a eds
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dem ich auf alle drei — jeltfante Käuze fürwahr — hinwied. Diejer Schild möge aud) den fchügen, der, nachdem er vor einem mehr als jonnenhellen Tag ein Eulenlied angeftimmt bat, um des großen Dich: ters Adjolutionsformel bittet: Eolche Käuze muß es auch geben.
II.
Über
Gollifion von Pflichten.
1853.
Hit nur, was der äußeren Ausjchmüdung des Le— bens dient, unterliegt der Mode; die Allmacht Die: ſer Herricherin erjtredt jich auf Gebiete, die man erhaben denken jollte über jeden Wechſel: Welche Probleme den einfamen Denfer beichäftigen, welche Fragen als für Die Mienjchheit wichtigften gelten, das ändert fich, gerade wie der Geſchmack au Werfen der Schönen Literatur, und was Der einen Generation als Lebensfrage erfchien, wird von der andern ale unbedeutend befächelt. Ein Ichlagender Beleg dafür iſt, wie verjchieden von ehemals jeßt Die Unterfuchun: gen angejehen werden, welche die Moral betreffen. Es gab eine Zeit wo Moral und Moralität die Lo— fung des Tages war, wo Seder, der auf der Kanzel ftand, Moral predigte, und — was entjcheidender tft — dabei gern gehört wurde, wo ein Schaufpiel fiher war zu gefallen, wenn es eine moralifche Ten- denz hatte, wo endlich philo\onhiüiige Eotame Wu
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beurtheilt wurden, ob in ihnen die Moral geordnete oder hervorragende Stelle einna bat ſich Alles geändert: Moralpredigten ſir Mode; hört man von einem neuen Stück ſey moraliſch, ſo geht man nicht hinein und Circus und das Ballet vor, wo dieſe Ten ger zu fürchten; was endlich die Philoſopl ſo giebt es — wenigſtens in Deutſchland mehr Profeſſuren der Moralphiloſophie, ja leſungen darüber werden immer ſeltner.
unerörtert, ob dieſe Veränderung für oder Gegenwart ſpricht. Wer ſo denkt, wie je Frankreich, welche behauptete ein anſtändit dürfe das Wort decent nicht in den Mund ne es Dod) immer begleitet fei son Dem Neb des Gegentheild, der wird vielleicht unjere tuliren, Daß fie zu moralifch ſey um von S zu jprechen. Fin Andrer folgert vielleicht,
eſſire fich für Anderes mehr als für Moral wie der Zeitgenofje jener Franzöſin, der eir er wolle gar nicht lengnen, daß Der Vate unmoraliiche Handlung jey, aber — was ſchlimmſte — es verftoße eine ſolche That ı guten Geſchmack. Entjcheide hier wer kanr Darin werden Alle einig jein: Gegenſtände zu betrachten ift veraltet, Das Moralifiren
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jenfeit einer vergangenen Zeit, die gegenwärtige t andere Quterejien. Nur Der Umjtand, da es um (Eine in dieſem Kreiſe geben möchte, Die nicht Sweilen es geduldet hat, daß ihr rococo als das Teufte” vorgelegt wurde, kann mir den Muth geben, f gleiche Rachficht zu rechnen, wenn ich aus einer veralteten Disciplin, wie Die Moral it, einen egenftand wähle. Es ijt einer Der, als noch mo— Afiet wurde, jehr häufig beiprochen, fpäter beinahe tgeſſen ward; ich meine naͤmlich die Fälle, wo me» Üiche Verpflichtungen mit einander in Streit gerathen x die jegenannte Gollijion von Pflichten.
Seit jener gelehrte Phyſiker — den jein König bie Erklärung angegangen hatte, warum, wenn in einen Gimer Waſſer einen todten h Binz ut, der Eimer um das Gewicht des Jiſches, wenn einen lebendigen um gar Nichts ſchwerer wird Folge langen Nachdenkens den Gruud richtig
gebracht hatte, und nun ber geijtreiche Fürft
Ngte, dad das Factum gar nicht Statt habe,
v wird es Jedem anzurathen jein, daß er vor
* jeiner Stimme über einen Gegenjtand der
ng zuiehe, ob es jich auch un etwas Reales
Bei unſerm Gegenftande ift dies um fo
biger, als wirklich bedeutende Autoritäten t haben, es gebe teine Kellitten won
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ichten, und fogar den Trumpf Darauf f ein Moralſyſtem, welches einen Streit von !
ſtatnire, dadurch allein fid) ſelbſt verur
‚el wichtiger ald fo ein Trumpf, und auch
ichtiger als Die Ägide berühmter Namen, ne Behauptung, daß ihr Gründe zur Seite weiche Die Unmöglichkeit folder Colliſion beweiten jcheinen. „Pflichten, heißt es da, fin derungen der Bernunft, ein Streit der Pflichten alſo ein Widerjtreit unter Bernunftforderungen. ed aber gegen dad Grundgeſetz alled Denken ftögt, daß Die Vernunft (theoretifch) Entgegeng behaupte, jo muß man auch confequenter annehmen, Dat Die Vernunft, Die Doch Die Ei Selbe ijt, auch nicht (praftiich) Widerjtreitend dern kann“. Man kann Diefe Mnalogie d retiichen und praftifchen Verhaltens der 9 und die Eolidarität ihrer Behauptungen ur rungen, zugeftehn, fie aber witer den Geg und jagen: „Eben weil die Bernunft, wo fi fehr oft Widerſprechendes als richtig be wegen ijt ed auch nicht unmaglich, Daß fie Gefeße giebt, Widerjprechendes für r Den Beweis, Daß die Vernunft wirkfis hauptungen führt, die ſich widerjprechen Die Denter des Alterthums in gewiſſer
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geliefert, Die man Trugſchlüſſe genannt hat: mit Un— recbt da fie, wenigizens einige, ganz ohne alle Täu— hung nur zeigen, tm welche Berwidiungen Die Ver: nunft gerathen kann. Eines diefer Raiſonements, zu feiner Zeit jehr berühmt, werde bier erwähnt, weil ed einen guten Anhaltepinkt giebt für unſere Unter: fuchung. Eine Mutter mit ihrem Kinde, jo wird er: zählt, tie auf ein Erocodil, Das ihr das Kind ent: riß, dann aber folgenden Pact mit ihr abſchloß: Die Frau jollte irgend Etwas jagen; wire was fie be: hauptete richtig, jo erhielt fte ihr Kind wieder, war ed unwahr, jo ward das Kind gefreifen. Die Mutter, wahrjcheinlidy um jichrer zu gehn ala ficher, fagte: Du wirft mir mein Kind nicht wiedergeben. „Un: glückliche, brüllte das Crocodil, jeßt muß ich e3 ja in jedem Falle verfchlingen, denn ſelbſt wenn ich es Dir wiedergeben wollte, verfiele eg mir nach unjerem Dertrage, weil Du gelogen hätteſt.“ „Unredlicher Barbar, replicirte Die Diutter, in jedem Falle muß ich mein Kind wiederbefonmen. Du darfft es nicht behalten, weil ich ja Dann die Wahrheit geiprochen, und nad) unſerm Bertrage Dad Leben meines Kindes gewonnen hätte.“ Co weit dies Geihichtchen. Es tft Har, Dad Das Raiſonement auf beiden Seiten ganz richtig it; Time Die Sache zum Proceß, jo müßte Die Zrau eine Dienge von Tetern Hier Wut Sum
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eine Legion von Neffen bei den Gerichten a haben, und dort der Nepotismus jehr herricher nicht alle Drei Inſtanzen entſcheiden follten, de Theile Recht haben. Tas Kind würde ofı Zweifel dem Fiscus zugefprechen werden. — wie bier ſich wideriprechente Behauptungen richtig find und alfo eine Nernunft:Eollific ben iſt, gerade fo kann Sich-widerſprechendes ehr Prlicht fein und alſo ein Streit von I eintreten. Wer verſprochen hat, ein Unrecht ; mag anfangen, was er will, er wird feine verfeßen: er wird jein Wort brechen, wenn That unterläßt und wird ſich anflagen müſſer er fein Wort hielt. Wenn Eoriolan fich von und Gattin nicht erbitten lieh, jo verrieth er milienpietät und die Pflicht gegen fein Ba jeßt wo er Diefer nachgiebt, wird er zum V an dem Dolfe, dem er ſich zu Dienjt gegel ftirbt den Tod des Verräthers nicht mit Unr Situationen, wie die eben erwähnten, fon oft vor, als daß nicht auch Lie Moraliften, der Pflichten: Eollifion jedes Plätzchen in ihrem € verfagten, fich hätten vor der Macht der Th beugen follen. Zugleich aber find fie der A ſie ein bequemes Ausfunftämittel Darboten, um und Zhatfachen in Einklang zu bringen. Dr
in jenen Fällen Das Verſprechen des Unrecht felbit eine Pflichtwidrigfeit, Goriolang Dienſt bei den Vols— fern felbit eine Prlichtverfeßung war, jo ward der urſprüngliche Sat, daß es feine Pflicht: Gollifionen geben könne, dahin bejchränft, Dat es feine gebe, die nicht ſelbſt verjchuldet wäre; jede Colli— ſion, welche vorkommt, folle zu den „Such der böſen That” gehören, Die fortzeugend „ſtets Böſes muß gebären.“ „Eben darum aber, hieß e3 weiter, bleibe es Dabei, daß im Syſteme der Moral fein Platz für die Gollifionen fich finde. Wie die Anatomie nicht Me gewaltſamen Verſtümmelungen berüdjichtige, welche man auf dem Schlachtfelde fieht, fo babe auch die Wiſſenſchaft von den Pflichten nur Das Allgemein: gültige zu betrachten, Habe bei den normalen und natürlichen Verhältniſſen ſtehn zu bleiben, in welchen eben jo wenig jtreitente Pflichten vorkommen, wie die Natur jene erplodirenden Zubjtanzen hervorbringe, durch Die jo oft Menſchen verunglüden, wenn fie willführlich Seindjeliges vereinigen, was Die Natur getrennt hielt.” Die Auskunft, daß Fein Streit der Pflicht eintritt, wenn man nur nicht ſelbſt durch Ver: letzung von Pflichten ihn hervorruft, fcheint wirklich aller Berlegenheit ein Ende zu machen, und empfiehlt ſich auch dadurch, daß bei den theoretifchen Bernunk- Eollifionen, von welhen aben Die Kite wir, CM
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z Ähnliche Die natürlichſte und nächſtlieg ſcheint. Wenigſtens wenn man einem,en maaßen aufgeweckten Knaben die Geſchich :ocodil und der Mutter erzählt, fo pflegt nigem Kopfbrechen die Dummheit der Mut (lagen, alfo ganz wie jene Moralijten vom € gen, dat er nur Durch feine Unvernunft, in ich den Feinden verkaufte, in ſolche Gewiſſ zefommen fey, ganz jo behauptet der Knabe die Frau nicht jo unvernünftig ihren Sap < fo wäre ihr alle Noth eripart worden. U werden zugejtehn müſſen, daß wenn die Mu fagt Hätte: „Du bift ein beichupptes Un; oder: „Mein Kind iſt zwei Sahre alt“, ‘ Behauptung zwar nicht jehr galant, Die zw ſehr tieffinnig gewefen, in beiden Fällen Kind gerettet wäre. Allein Darum mit je ben und jenen Moraliften die Cache jo abz alle Bernunft:-Collifionen, feien fie retifche, ſeien fie praftifche, jind felbf dete und darım vermeidliche Zufälle, und abermals jchon die Denker des Altı möglich gemacht und zwar durch eine V erzählten Gefchichtchend. Diesmal figuri ftatt einer Mutter ein Mann. Dieſer Garten gerathen, in welchem jeder Ein
Data
pflichtet war, eine Behauptung auszufprechen. War diefe wahr, jo ward er erjäuft, Dagegen ward eine Unwahrheit mit Cröroffelung beſtraft. Da dieſe Alternative etwas unangenehm ift, fo Tuchte der Mann Beidem zu entgehn, indem er fagte: Man wird mid) erdroffeln. Died durfte nämlich jebt nicht gefchehn, weil er fonft die Wahrheit gejagt hätte und alſo nicht erdroffelt werden durfte, erfäuft aber durfte er gleichfalld nicht werden, denn dann hätte er ja gelogen, worauf das Erſäufen nicht ftand. Der Mann glaubte fich gerettet, der Wächter des Gejehed aber ſprach — gleich jenem Teufel in Dante’s Inferno — glaubft Du, ich fei fein Logiker? Du wirft er: Drofjelt, denn fonft hätteft Du gelegen, worauf ja Erdroſſelung ſteht.“ — Es ift Har, die Verlegenheit ift hier ganz wie dort bei der Frau, nur daß man bier nicht, wie vielleicht Dort, fagen fann, der Mann babe dumm gehandelt. Bet jedem andern Satze wäre er im Handumdrehen ftrangulirt oder erfäuft, jebt ift wenigftend eine Discuffion nöthig und da dieſe, allem Anfcheine nach, lange dauern wird, hat er wenigftend Zeit gewonnen. Wollte aber Jemand, um den beruhigenden Satz, daß der Vernünftige nie in eine Collifion gerathe, nicht aufzugeben, ed Dummheit des Mannes nennen, Daß er in fo einen Garten test, To Tieße fich denen, Dan jene genımte Nies St S*
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ieue, ihm unbekannte Einrichtung war, i ven Garten der einzige Weg zum Arzte fi fein krankes Kind retten follte u. f. w., auf die ich nicht weiter eingebe, Damit nicht rung über ſeine, eines Melodram's würdige | mir die Faſſung raube, die zu einer genau ſuchung nöthig iſt. — In dieſer verbeiferte nun kann das, zur Übung des Scharfſinns Geſchichtchen als Wink dienen, Daß aud) in } Gebiete der Menſch ohne fein Verſchuld ähnliches Gedränge kommen kann. Eigentlich i zu wenig gejagt, die Erzählung ijt vielmeh treue Schilderung der fittlichen Lage eines S fih in den dermaligen Verhältniſſen fin weder gejchaffen noch verjchuldet hat. | hältniffe nämlich bilden wirklid) einen In dem in jedem Augenblid von ung gefe daß wir und ansprechen, immer aber a hende Tafel vor unjer Auge gejtellt i' zweierlei Arten ded Todes die Wahl läßt Welt, in die wir ohne unjere Schuld g immer die Wahrheit fprechen wollte, w bian gefcholten, wer fich auf Lügen heißt ein Schmeidhler, d. h. in dem el den wir von der öffentlichen Mein Dem andern jtrangulirt. Es giebt '
ſich zu retten: Wie jener Mann muß man pfiffige Redensarten erfinden, in denen die Wahrheit hinter Lügen verhüllt oder die Lüge mit Wahrheit verbrämt ift, in welchen der Ernſt fich Hinter Den Scherz ver: ſteckt, das Spiel ſich in ein ernites Gewand Eleidet; nur ſo fann ed gelingen, den grauſamen Nachrichter hinzuhbalten, den man Publicum nennt, und wenig: ftens fo fange, ald er unentfchloffen darüber iſt, wel: ches jener beiden ehrenrührigen epithetes und zu: fonıme, das eined artigen und feinen Mannes zu führen. Den Widerspruch fich Erenzender Pflichten erfahren wir in unfern compflicirten Berhäftnijfen überall: er begleitet ung auf Die Straße, wo wir den Hut ziehen müfjen vor Menſchen, Die unſere Verachtung verdienen, er tritt mit ung in Gefell- Schaft, wo Jeder, dem wir oder der und vorgeftellt wird, auch wenn er und ganz gleichgültig iſt, fein „Freut mich unendlich” erwartet, oder wo ein Andrer, deſſen Geklimper unſere Ohren zerreißt, berechtigt ift zu verlangen, daß wir durch Worte oder wenig: ftend durch Schweigen, die Übrigen glauben machen, er babe ung ergögt. Es giebt Viele, Die dieſe That: fachen nicht ableugnen, wohl aber daß fie muralifche, fittliche, Gollifionen enthalten. „Es handle fic dabei gar nicht um Pflichten, fondern um Befolgung von fittlich gleichgüttigen einander Bay, Ir
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banalen Phraſen der Höflichkeit würden zu fel ehrt, wenn man fie unter die Kategorieen von 9 heit und Lüge ftelle, denn da Niemand, an d gerichtet werden, durch fie belogen werde, fo auch, wer fie gebraucht, nicht gelogen; Beweis fey, daß man ed gewiß Feinen Widerfprudh n wird, wenn Einer, der au einem Abend zehn Bekanntichaften gemacht und alſo „zehn unent renden” fich gerühmt bat, gleich Darauf jagen x fein ganzes Leben ſei ohne alle Freude verla So oder ähnlich Iprechen Viele, und mögen vie Recht haben. Aber auch diefe, nicht all zu rig fchen, werden zugeben, daß man ohne Schu Lagen gerathen kann, wo die Pflicht der Wahr liebe mit anderen Pflichten ing Gedränge kr Sie brauchen nur an die Fälle zu denken, Die Unterfuchungen über die Nothlüge noch Diode ren, vorzugöweile zur Sprache kamen: Soll maı mordluftigen Wahnfinnigen, der bewaffnet nad Verſteck feined Feindes fragt, Die Wahrheit |: Darf der fterbenskranfen Frau der Tod ihres K verheimlicht oder abgeleugnet werden, damit fie zu Grunde gehe? Ein großer Philofoph hat g bier fey die Sache ganz einfach, d. h. er ha Sollifion geleugnet, die ja nur darin beſtan' Mehrfaches gefordert ilt. „Wenn meine Fer
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er, in einer Gemüthslage iſt, wo ſie keine Wahrheit verträgt, ſo verdient ſie zu ſterben, und alſo ſoll ſie fterben.“ (Zur Vermeidung von Mißverftändniffen bemerfe ich, daß er nicht etwa unglüdlich verheirathet war.) Handelte ſichs darum, gegen Fichte die Noth— lüge zu vertheidigen, fo fünnte man auf die Gefahr binweifen, daß jeßt ein jtreng moralifcher Arzt einem Kranken, der feine gefunde Kojt verträgt, nicht Queck— fiber, Sod, Opium und anderes giftiged Zeug ver: fchreiben, fondern ihn Dem Tode preis geben könnte, den er allerdings durch jeine Hirnentzündung, Skro— pheln oder Cholera reichlich verdient hat. Die Noth- füge aber zu rechtfertigen, ijt hier gar nicht meine Abſicht. Ich möchte nur den, weldher auf Fichte’s Worte ſchwört, fragen: wenn die Frau, deren Geiſt die Wahrheit eben jo wenig verträgt, wie ihr Leib die gejunde Koſt, Durch die Eröffnung der Wahrheit den, meinethalben verdienten, Tod erlitten hat, ob er, der die Scharfrichterrolle übernahm, fich gar Feine Gewiſſensbiſſe machen wird? Vielleicht antwortet er mit Nein! und das wird mir eine Betätigung dafür fein, was ich ohnedied weiß, Daß in Saden der Nothlüge am meiiten ohne Noth gelogen wird. Die Gegenfrage des Andern, ob wir und denn nicht ſchä— men würden — fogar in einem ſolchen Falle — ge: Iogen zu haben, kann und in keine Berlaggiitt tu
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gen. Unſere Behauptung iſt ja eben, daß nich Lebenslagen einfach, ſondern daß manche ſo ver ſind, daß, man möge thun was man wolle, ohne Schaam oder Reue gar nicht herausko— kann. Wir behaupten, daß dies nicht nur
unſere Schuld veranlaßte Ausnahmen ſind, ſo daß in den Verhältniſſen, in welchen wir leben Colliſion der Pflichten, von der bisher die Möglichkeit behauptet ward, faſt in jeden genblicke Statt findet.
Aber ſelbſt dabei wird man nicht ſtehen b können. Zwar kann es zu ſehr bedenklichen 9 lelen verleiten wenn wir, wo der Finger ge wurde, nach Der Hand greifen, Doch werden wir ihr haſchen müſſen. Wird nämlich, wie bishe auf Die Dermaligen Berhäftniffe geſchoben, daß J ten collidiren, jo könnte immer wieder gejagt wı da3 finde Statt durch unſere Echuld, zwar durch Die Schuld des Einzelnen, der fich in Der lifion befindet, aber durch unfere Geſammtſchuld, welche Die Lebensverhältniſſe jo verzerrt find. gehn aber weiter und behaupten: es liegt ir Natur der Pflichten, daß ſie nicht erfüllt w fönnen, ohne daß Pflichten verlegt werden. 9 Diefe „Natur“ oder das Weſen aller Prlicht F darauf leitet und jchen Die Art wie mn V—
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tungen aufzunehmen pflegt. Wollte man Jemand, der in eine Geſellſchaft gebt, zur Pflicht machen, daß er ſich an dem Silbergeſchirr nicht vergreife, ſo wird er es an einer derben Antwort nicht fehlen laſſen, vielleicht gar eine Injurienklage anbringen. Es kann feltfam genannt werden, daß er die Berpflichtung zur Ehrlichkeit, die Doch gewiß nichts Chrenrühriges ift, gerade fo aufnimmt als würde ihm Das Gegen: theil zugemuthet, und Doch finden wir Alle Died ganz natürlich. Warum? weil Verpflichten jo viel beißt, als ein Gefeß geben, und unfer Gefühl, ganz im Einklange mit jenem Bibehwort, welches fagt, daß ed für den Gerechten Fein Gefeß giebt, fondern nur für Den Ungerecdhten, nur Dort eine Berpflichtung begreifen kann, wo das Gebotene nicht von ſelbſt erfolgt, ein Gefühl, Daß auch nicht irrt, fondern Durch genauere Betrachtung nur bejtätigt wird: Jede Handlung nämlid) und jedes einzelne Wollen, geht and Dem, was den Willen in Bewegung febt, fo hervor, wie die Wellenfreife auf der jtillen Waffer: flähe aus dem Punkte Hervorzugehen fcheinen, in welchen ber erichütternde Stein fiel. Die fittliche Lage aber des Mienfchen, der unter Geſetzen und Pflichten jteht, bietet zwei folche Centra und zwei Wellenſyſteme dar. Das eine befaßt Die Bewegun: gen des Willend, Die nur aus dem du Sarut
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hervorgehn, Die perſönlichſten Neigungen und 9 des Herzens, in welche man fo ſehr das eig Eelbft des Menſchen und fein eigenites Ser daß man hiervon zu fagen pflegt, Dies thue felbft, oder hierin laffe er jich gehn. Dieſe zel des eignen (Selbſt-) Wollens jteht gegenüt andere Macht, vor der Das Perjänliche verſch und welche, durch die Vernunft zu ung ſp unjer Wollen auf dad Allgemeingültige richte die Wellen diefer beiden Kreife ſich begegn freuzen, da fühlt natürlich der Menſch fein liches Wollen, jene felbjtiichen Neigungen, ge und diefe Hemmung, diefen Drud und Zwang er dad Müffen oder Das Geſetz, fo daß all darin feinem Sich: gehen-faifen entgegengetret eigned Seyn verneint wird, wir es Keinem fen Eönnen, wenn Die Worte: „Du mußt Sı ihm Elingen wie „Du bift nicht jo”, Müifen i lich Berneinung des Seyne, ijt Nicht-ſeyn. W jede Pflicht ein Müſſen, fo war eg auch con wenn Kant, der Philoſoph, Der, weil ihm das Höchite war, fie am genauejten erforfı ihr Wefen darein febte, dat der Menſch ſic winde, feine perfönlichen Wünſche unterdri Schiller Hat in einem feiner Xenien dem Kaı welcher darüber Elagt, dab Neigung ihn Dier
gegen ſeine Freunde mache und er alſo feinen mora- liichen Werth habe, den Rath gegeben, er folle die Freunde zu verachten fuchen „und mit Unluſt alsdann thun was die Pflicht ihın gebent.” Der ächte Kan- tianer kann in dieſem Rathe feinen Spott Tehen, jondern nur das in hübſche Verſe gebracht, was Kant, zwar in Profa, aber wörtlich jelbft ausge: fprochen hatte. Er fagt ausdrüdiih: Wer aus Wohl- wollen dem Nebenmenſchen hilft, der handelt nicht moralifch, jondern nur wer ed thut, „ohne daß Na: tur ihn zu einem Dienichenfreunde ſchuf.“ — Freilich eine andere Folgerung wird ſich Der Kantianer we: niger gern gefallen laſſen, um derentwillen allein ich die trodne Unterfuhung, was das Wort Pflicht be- deutet, angefangen habe, und nody einige Schritte begleitet jein möchte: Pflihtmäpig handeln beißt: fi) überwinden, der eignen Neigung nicht folgen. Wem denn? Nur jener allgemeinen Macht, die den perfönlichen Wünjchen entgegentritt. Nicht Wohl: wollen, nicht Menfchenliebe, nicht die Sympathien des Herzens, follen nach Kant ung leiten, jondern nur Eines, die Liebe zum Geſetz, die Achtung vor ihm. Wie aber? diefe Achtung und Xiebe zum Ge: feß, ift fie nicht Luft an ihm, und wenn ich mit Luft an ihn handle, verſtoße ich nicht da gegen das, was Kant in Profa gelehrt und Schler ist
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bat, gegen die VBorfchrift, mit Unluft zu Sch ſtehe da wirklich zwifchen Sceylla und € denn was von Menfchenfreunde galt wird auch vom Geſetzesfreunde gelten, und Die © alfo fo: nur wer aus Piebe zum Geſetz erfüllt die Pflicht, wer aber aus Lieb: handelt, verlegt die Pflicht, d. h. Fürzer au Pflichterfüllung iſt Pflichtverlegung aber ijt auch Der Beweis geliefert für Die tung, daß Pflicht-Collifienen aus Der 9 Pflicht folgen, denn daraus, daß Die Pflich die Pflicht verleßt, ſchließen wir, daß jed erfüllung es thne mit Derjelben Sicherheit aus der Sterblichkeit des Menichen es fi jeder Menſch Sterben wird. — Cs find < nur die verzerrten Berhältnifie der Gegempa die Pflichten verwirren. Wir könnten dem paradieſiſchen Zujtande viel näher ſtehn, wi ten noch nicht verpflichtet zu ſeyn anf der zu grüßen, noch nicht genäthigt ung über kanntſchaft mit Hinz oder Kunz unendlich ; noch nicht gezwungen jedes Clavieripiel z dern, e3 brauchte noch gar Feine Tollhänus ben, die mit blanfen Degen umberlaufen, Frauen brachten noch nicht fo nervenſchwar daß eine traurige Nachricht fie tödtet, — a
könnte ganz anders ſeyn und doch, ſobald es nur Pflichten gäbe, gäbe es auch Colliſionen unter ihnen. Auch dann würde, wer wohlthätig iſt, ſeine Kinder verkürzen — der Glänbiger gar nicht zu gedenken — wer die Pflichten der Gejelligfeit übte, Die gegen die Armen hintanfeßen, wer ein Vergehen ftrafte, das Geſetz der Milde übertreten. Su wer weiß, ob nicht fehr nahe am Paradiefe das angefangen bat, was ſich jetzt jo fern Davon — wiederholt, Daß, wo die Frau der idealen Pflicht Der Geiſtescultur ent: jpricht, der Mann darin Die Derlegung der fehr reellen gegen Die Küche fieht. Kurz, immer fteigernd haben wir zuerit nur die Möglichkeit, dann die Wirk: lichfeit der Pflichten-Colliſion, endlich jogar ihre Noth— wendigfeit behauptet, jo Dat, wo es überhaupt Pflich- ten gibt, jie gar nicht ausbleiben kann, und zwar nicht weil wir Died jelbjt verfchuldet haben, oder Die Schuld unferer Väter tragen, fondern weil der Boden, auf welchen Pflichten wachjen, dem Des Urwaldes gleicht, Deilen ſich kreuzende Schlingpflan— zen Jeden verjtriden, der hinein geräth.
Die Rage des Menjchen, der fich im Streite der Pflichten abquält, iſt zu jehr der des Irion ähnlich), als dat nicht die Frage entjtehen follte: Gibt es da feine Hülfe? So lange man über GCollifion von Prüchten nachdenkt, hat man daher u pr TUE
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fich aufgeworfen, ja nur um fie zu beantworten, Die ganze Unterfuchung über jene angeftellt. Ein Aus: funftämittel hat viel Beifall gefunden und findet ihn noch: „Muß einnal eine Pflicht verlegt werden, fo erwäge man, wo anı wenigiten Echaden angerichtet wird und faſſe Darnach feinen Entſchluß.“ So wohl: meinend diefer Rath ijt, jo erinnert er Doch etwas an jened, gewiß auch in guter Abficht gedichtete Lieb von zwölf Strophen, zum Gingen für den Dachdeder beftimmt, wenn er dad Unglüd haben follte, vom Thurm zu fallen. Man verſetze ſich sur recht lebhaft in die Lage, die bei den Unter: fuchungen über ftreitende Pflichten das ftereotgpe Beifpiel abgab: Zwei Schiffbrüchige haben fich auf ein Brett gerettet, das nicht im Stande ift, Beide zu tragen, und die Pflichten der Selbſterhaltung und Menſchenliebe find im Streit. Nach jener Regel muß der geopfert werden, an deffen Leben am we: nigften liegt, und fo entjteht (vorausgefeßt, daß Beide pflichtgetreue Menfchen find, Die ihr Lehrbuch der Moral gut im Kopfe haben) ein Kreuzverhör zwiicher Beiden auf der fchwimmenden Planke. — Geſetzt nun, es zeigte ſich, daß jeder von ihnen drei Sinr ben zu verforgen hat, fo verlangt dag Compendi daß entichieden werde, an weilen Kindern mehr !oren gebt, wenn fie ohne vwäterlihe Aufſich
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chſen, alſo welche die talentvolleren find. Wollen her Beide correct handeln, fo muß ein verglei⸗
endes Eramen zwiichen den Kindern angejtellt wer⸗ m, und daß fich dazu Beide nach Haufe begeben, m bort ihre hoffnungsvollen Sprößlinge zu verfam: nen, das halte auch ich für fie für das Rathſamſte. Benn nur nicht am Ende das fatale Meer den Urs laub verweigert, in der Bejorgniß, daß fie Darüber Hinaus wegbleiben! Hpnlihe Schwierigkeiten wird es überall haben, im Gedränge ſich kreuzender Pflich- ten jenem wohlgemeinten Rathe zu folgen: Bei jeber Erwägung der Art wird fi nämfich zeigen, daß, welcher Entſchluß auch gefaßt werde, neue Gollifio: nen entjtehn werden und aus dieſen wieder neue. Diefe alle vorher nur zu erwägen und zu verglei: en, dazu gehört mehr Zeit als der hat, ber fih entſcheiden ſoll. Der Grund, warum jener Rath nicht helfen kaun, liegt darin, daß er ein Palliativ gibt, anftatt eines Heilmittel; denn da er uns in dem Gebiete läßt, in bem, wie wir willen, ſtets Colliſionen zum Vorſchein kommen müſſen, fo bfei- ben wir immer dem Wandrer im Urwalbe gleich der vom Wege ab und in das Gewirre der Schling pflanzen hinein geriet$ und, wenn er eine Ran’ durchſchnitt, zu feinem Entjegen vor und Hinter fi
Hundert neue erjcheinen Üeht, We um Bbo
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hindern. — Wie aber? wenn es möglich wäre, ſich über das ganze Bereich ſittlicher Verwicklungen ſo zu erheben, wie jener Adler, den der in Schlingge— wächſe verſtrickte Reiſende um feine Flugkraft benei— det oder wenigſtens um ſeine Vogelperſpective, von der and der verlorne Weg überſchaut werden kann? Nie, wenn e3 die eigentliche Beitinmmung fittlicher Gonflicte wäre, die Sehnſucht nach jener höhern Re: gion zu weden und zu ihr den Weg zu eröffnen? Wäre dem fo, fo dürften wir in dem der Pflicht und ihren Collifionen unterliegenden Menſchen nicht ein Gegenbild jehn der Srien, Tantalus und Siſy— phus, Sondern eine Beitätigung Der tröftlichen Lehre des Evangeliums, welches vom Geſetz zwar fagt, es verdanme und mache nicht jeliy und dennoch es als Wegweiſer anfieht Dorthin, wo alle Verdammniß aufhört. Es fragt fich, wozu wir gelangt find? Pflicht fand nur dort Statt, wo den, was der eigne Genius fordert, die allgemeinen Bejtimmumgen hem⸗ mend entgegentraten, wo, nach unjerem Bilde, von zwei Mittelpunften aus Wellenkreiſe erregt wurdeı. Denft man fih nun diefe beiden Centra ji inmer - näher kommend, endlich ganz in Eins fallend, ſo müßten offenbar alle Kreuzungen und Hemmungen aufhören und nur regelmäßige concentriiche Wellen ich zeigen. Iſt Dies nun möglich Hinfichtlich unferr
Wollens? Wenigſtens der Deutſche muß cd für mög: lich halten, denn wenn er fowel Das, wozu Das Per: fönlichfte in ibm, fein Genius, jein Talent ihn be: ftimmt, als auch die Stelle, welche Das Allgentein- weſen, der Staat ihm anweiſt, mit einem Worte bezeichnet: mit dem Worte Beruf, fo zeigt er, dag ihm Beides ein Gedanke, ein und diefelbe Cache iſt. Daß Diefe Sprechweiſe wirklich nur lautgewor— dene Weiſe des Denkens iſt, zeigt ſich in einer Menge von Erſcheinungen, um derentwegen man den Deutſchen zu verſpotten pflegt. Daß wir, wo Einer ein Amt erhielt, fügen, jetzt ſei er etwas, daß wir unſeren Namen, d. h. Die Bezeichnung unſeres perfön- lichſten Weſens ſo gern mit dem Namen unſeres Am— tes vertauſchen und lieber bei dieſem als bei jenem uns rufen hören, daß, wie ſie geſagt haben, bei uns Jeder ſich geſchmeichelt fühlt, wenn er nicht Müller oder Schultze, ſondern irgend wie, ſei es auch nur Thorwächter, heißt, — (obgleich doch jene Namen einen guten Klang haben und nicht erſt durch unfer witzigſtes Blatt innmortalifirt wurden) — wie oft ift nicht dies Alles und vorgeworfen. Seltſamer Weije hat man diefe ftolze Freude an feinem Amte Titelfucht genannt, während fie Doch leicht juft Dad Gegentheil Davon werden kann. Denn da ja Die Titel gerade das Amt, welches man bekleidet, unfichtbar au wachen a
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pflegen, ſo wird, wem der eigne Beruf als der höchſte erſcheint, ſich argern können, wenn er einen Titel er: hält, den er mit Solchen theilt Die nicht feine Be: rufögenoffen find, und Durch ven, weil er nun jo titnlirt wird, wie die Andern, Der Welt verborgen wird, daß er etwas ganz Anderes iſt, als fie. Wie it allen Andern, jo bat man auch hierin ung Deutjche immer wieder auf Die nation-modele verwiejen, big jeßt aber ijt Der Nachweis ausgeblichen, warum es befler ijt, wenn man die Amtsthätigfeit zum devoir rechnet, ald wenn man fie in feinem fittlichen Haug: haltungsbuche auf Das andere Latus ſetzt. Vielleicht iſt es ultrasdeutiche Befchränftbeit yon mir, aber ee Icheint mir, als fünne dies Niemand verächtlich ma chen, daß er in jeine Amtstbätigkeit fein eigentliche Senn ſetzt, und ale müſſe (um bei dem oben erwähr ten beicheidnen Amtchen ftebn zu bleiben) eine Sta befier fahren, wenn ihr Thorwächter in feinem € ichärte jeinen „Beruf“ Sieht, d. h. feine eigne? ſtimmung und Prädeſtination, al3 wenn ed ihm
als ein „Platz“ erjcheint, auf dent fich’s bequem ' oder gar als eine „Laſt“, Die ihm aufgebürdet wı
— Laſſen wir aber die jtädtifchen Angelegenh und weuden ung wieder zu allgemein menſchl' denken wir ung einen Mann, wie ed Deutich 7
zu denfen, fo Daß der Amtsname jagt was €
weil darin angegeben ift was in ibm und worin er lebt, jo gibt mus jene Gemüthslage Gelegenheit, ein Geſetz zu erfennen, welches ebenſo ausnahmstes Die materielle Welt beherrſcht, wie Die ſittliche. Daß auf Otto von Guerike's leere Kugeln Die Luft mit einer Kraft drückt, die ein Dutzend Pferde nicht über— winden, daß dagegen wir, obgleich unſer Körper der Luft eine viel größere Fläche darbietet, uns in ihr leicht und wohl fühlen, ja daß jener Adler über dem Urwalde ſogar von ihr gehoben und getragen wird, — Das find allbefannte Erſcheinungen. Sie offen: baren ganz daſſelbe Geſetz, nach welchen Einem, fer Feine Muſik in fich hat, fie ſchwer wird oder läftig ift, während dem Andern, deſſen Ohr und Herz Muſik athmet, Sie wohl thut, ein Dritter endlich, dem fie das Mearf feines Lebens ift, auf Lünen ich wiegt und zu feiner Luft die Sonate fpielt, Die der Unmufifaliiche ſchwer nennt oder gar einen Finger: brecher. Ebeuſo ijt ed wieder ganz daſſelbe Geſetz, wenn, Der chne innere Größe ijt, ſich von einer Großthat gedrüdt, wenn der Geiſtloſe fich durch eine geiſtreiche Unterhaltung beengt fühlt, während dem Geiſtvollen dieſe zur Luſt, dem Großdenkenden jene zur Erhebung wird. Man hat dieſes Geſetz des ge- ſtörten und wieder hergeſtellten Gleichgewichtes ein Geſetz der Pnenmatik genannt, weil won aA un Nr
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Luftarten beobachtet Hat, man ſollte es auch t wegen fo nennen, weil es über Die Geiſter herrf Diefes allgemeine Geſetz, daß nur das drü deſſen man ledig tft, nad umgekehrt, daß n und.innerlich erfüllt, keine Laſt mehr tft, Di: bedingt auch unſer Verhältniß zu unſerer ſittlie Athmoſphäre. Wie manche ſiebzehnjährige Dot Diana bat in der Penfion Die Geführtinnen entz Durch ihre Philippifen gegen Das Joch der Ehe, ! macht, wenn fie ald Nennzehnjährige ven Mann if Herzens gefunden, die Erfahrung, Daß Die verhaf Feſſeln Roſenketten jind, Die nicht drüden! Es fein Wunder, daß ihr jeßt Die Bande der L leicht Dünfen, es iſt Die Folge jenes pnenmatiſ Naturgeſetzes: fie ijt nicht mehr ledig, d.h. « der Liebe nicht mehr ledig. Ganz Gleiches wie holt fich bei Deu Manne, der Das Amt feines 4 zens gefunden, und fi) nun ihm, wie die befe Männerfeindin dem Manne, hingab, fo Hingab,
er, wieder wie fie, ihm Alles opferte, felbit fe Namen. Wie fein mag Die ſchöne junge Frau cheln, wenn eine Penfionsfreundinn fie bedauert gen ihrer fchweren Pflichten, wie ironijch beiſtimt wenn ihr gejagt wird, fie jey die Sklavin eines gi famen Despoten! Gerade wie ihr, ijt dem zu Mu der in feinem Amte feinen Beruf fand, und
prechen hört von Den ſchweren Pflichten Deifelben, wie es jtete Selbjtüberwindung fordere, wie es er: drüde mit der Laſt von Arbeiten. Alle diefe Noth, um derentwillen man ihn beklagt, hat er nie erfah— ren, ba feine zwingende Pflicht, jondern Die eigne Neigung ihn thätig ſeyn läßt, da er fich gehen läßt, wenn er jeinem Berufe folgt, da es Die Luſt am Ar: beiten ijt, Die ihn an den Arbeitstijch zieht, jo würde er den Andern gar nicht veritehn, wenn ihm nicht einfiele, dat es verſchiedene Eprachen giebt und Daß, wie er das franzöſiſche mariage de raison auf gut deutſch mit „Brodtheirath” wiedergiebt, ſo e3 ja auch denkbar iſt, daß dem, der vom deutſchen „Beruf“ nichts verſteht, er ſich ins Franzöſiſche überſetzt und zur „charge“, zur Laſt, wird. Erklären wird er ſich's fönnen, aber herab von Der Bogelperipective, Die wir fuchten, wird er mitleidig auf alle die bliden, welche thätig find, weil fie müſſen, wirken, weil fie verbun: den jind, arbeiten, weil ed zwingende Pflichten giebt. Ueber alles Diejes ijt er hinaus. — Hört aber in den Momenten, wo der Menſch nur feinem Berufe lebt, das Müſſen auf, jtellten fich ferner dort, wo es ein Berpflichtetjein giebt, ganz ficherlic) Colliſionen ein, fo folgt, dag je mehr Einer in feinem Berufe aufgeht, um jo mehr der Streit der Pflichten ver: ſchwindet, während umgetehrt ter SHÄR ud Um
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Berufe berans Amt uud Neigung, Müſſen und Wo len, ſich jcheiden, und uns in Das Yubyrinth fittliche GSolfifionen geratben läßt. Die tägliche Erfahrung be ftätigt dieſe Regel. Anı Krankenbette kann ein Zwei fel entitebn, ob Dem Kranken durch Ankündigung De naben Todes das Yeben zwar verfürzt, aber Gelegen beit gegeben werden fell, für jein Zeelenheil zu ſor gen. Wer wird bier zweifelhaft fein? Der Arzt Menner nur und ganz Arzt ift, gewiß nicht. Den wie er noch nie bei einem Kranken einen andern Ge danken gehabt bat, als zu thun was feine einzig Luft ijt: Leben zu verlängern, jo wird ibn Dies auc bier weder zweifelhaft ſein noch ſchwer. Ganz ebe fo wenig wird Der wahre Seelſorger ſchwanken, dei jen Leben ijt, Seelen zu retten, dem es nie Selbfi übenwindung fojtet Dies zu thun, und der ed ebe darum auch heute nicht bedenklich finden wird. Ne ner von Beiden empfindet alſo eine Colliſion. Sı bald aber der Cine anfängt auch an das Scelenbei der Andere auch an die Pebensverlingerung zu Der fen, d. h. ſobald Sener halb Arzt und halb Seelſor ger, Diejer halb dieſes halb jenes wird (mıd Cold die ganz Seelſorger, find ungefähr jo ſelten zu finde wie ein ganzer Arzt), fo tritt die Collifion der Pflid ten bervor mit ihren jich Frenzenden: „Ich möchte und „ich müßte”, „ich dürfte“ und „ich könute“, am
ehe man aus dieſen Eubjonctifd beraus ijt, wird es im Indicatif heißen: der Kranke ift manſetodt und längſt begraben. — Das Mittel, aller Diejer Noth zu entgehn, dag man Eins fei und darum auch eind mit fich, inden man ganz in feinem Berufe auf: gebt, iſt heroifch und wird kaum anloden zu einer Zeit, wo ja jelbit das Wort „ganz“ vwerpönt jeheint, da ja bekanntlich der für gesichtet gilt, Den man „radical” nennt, und der für moralifch todt, den man Des „Abſolutismus“ zeiht, als wäre nicht dad Richteradicale nur Das Oberflüchliche, und als gäbe ed ein anderes Gegentheil Des Abſolutismus, als dad Unvollendetjein und Die Halbheit. Gleichviel! Wo Pflichten collidiren, und fie collidiren überall, wo es Pflichten, Geſetz, Zwang gibt, da hilft nur eine Ra: Dicalkur, und fie befteht nicht darin, eine eingetretene Sollifion zu löſen, fondern darin, dad Eintreten der: felben immer feltner, ja jo weit es gelingt, unmöglich) zu machen, nicht im Wegichaffen eines Synptomes, iondern im Heben der Kranfheitsurfache. Treibt aber die Colliſion der Pflichten dazu, ſich ſolcher Kur zu unterwerfen, nun fo kann fie in gewiller Weile ald etwas fittlich Wünſchenswerthes, wenigitens Fördern⸗ des angeſehen werden, indem ſie Den, der jenes hö— here Gebiet big jetzt nicht kannte, dahin weiſt tn Dem aber, der für eine Zeitlang ed veeh We Unit opt
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Heimfehr wet. So hat ja Mancher, Den fein Poda gra nach Gräfenberg trieb, ſpäter es geſegnet, weil e von da nicht nur Gejundheit zurückbrachte fondern auc die Gewohnheit, Diät zu leben, oder — (um ein Bil zu brauchen, Das nicht von jo unangenehmen Neben gedanken, wie Dem des bloßen Waſſertrinkens, beglei tet ift) —: Jene befehrte Donna Diana, von de oben Die Rede war, eutſchied ſich To jchnell, weil fi ſich nicht zu Laffen wußte vor den Onälereien Der fic befänpfenden Bewerber. Hat fie Unrecht, wenn fi die Noth ſegnet, Die Jene ihr gemacht, und die fi dabin brachte, jo früh ihre Wahl zu treffen?
Nun — und der langen Rede furzer Sinn? Mi Moral der Fabel? Doch nicht der abgeftandene Ge meinfpruch, daß Jeder vor feiner Thür kehren Tolle Kaum kann ich es leugnen, und ich bin in Verlegen heit, wie ich mich rechtfertige. Auf Plato mich be rufen, der Ähnliches gelehrt? das würde mir übe vermerkt werden, Denn bekanntlich Darf jich ein Pro feffor der Philofophie nicht auf einen Philojopher berufen, ſondern muß Dies Solchen überlaſſen, die kei nes von Beiden find. — Sagen: Da drumten bei um gäbe ed noch ftädtifche Polizei, und aljo würde, wem nicht jeder Hausbeſitzer vor feiner Thüre kehren ließe Died Die entjeßlichiten Folgen haben, das würde td felbft mir nicht vergeben, denn tab hieke ja burd
eignes Geſtändniß das Urtheil provociren, Das ohne: dies Vielen auf der Zunge fchwebt, Das fürdhterliche: „Ein Kleinftädter aus der Provinz!” — So gereiche mir denn zur Entjchuldigung, womit der Vortrag be: gann: Die Moral unferer Unterjuchung fun doch feine andere Natur Haben als die Moral überhaupt. Bon dieſer ‚aber war ja fogleich zugejtanden, fie fet rococo. —
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IV.
Über
1848.
H Jachen und Meinen. i | .
Wxs man mit dem Worte Leben bezeichnet, das tritt ım3, wenn wir un ung bliden, zunächit in Der doppelten Sorn des Pflanzen: und Thier:Xebend ent: gegen. Se häufiger nun Die Erſcheinungen Diefer beiden Weiſen Des Lebens find, und je größere Man: nigfaltigfeit fie Darbieten, um jo näher fcheint Der Gedanke zu liegen, daß fie die beiden einzigen find, in welchen das Leben erijtiren Fanı. Hat man aber Dieje Borftellung ſich angeeignet, fo ift e8 ganz con- fequent, wenn man verlangt, daß Alles, was weder eine Pflanze, noch ein Thier ift, als todt angefehen werde, oder umgekehrt, wenn man fordert, daß Al- led, was für ein Lebendiges gilt, zum Thier- oder Pflanzen-Reich gerechnet werde. Es fcheint, ald werde beut zu Tage dieſe Sonfequenz ziemlich allgemein ge: zogen. Wenigſtens wer heute von einem Leben der Erde jprechen wollte, der Tiefe Gefahr für einen verworrenen Kopf gehalten zu werden, weil man ihm den (allerdings verworrenen) Gedanken zumuthete, Daß die Erde eine große Pflanze ſey, obaleik u Kt
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nerfeit3 die Gegner, Denen Die Erde für tedt gilt, wohl durch Die Frage in Berlegenheit jeßen fünnte, warum denn fie nicht nur von einem Schickſal, fondern von einer Geſchichte Derielben Tprechen? Auf der andern Seite gilt Vielen Jeder für einen Myſtiker (was and) nicht viel beifer ijt, als ein ver: worrener Kopf), Der nicht Damit zufrieden iſt, wenn der Menſch als ein Sängethier bezeichnet wird, Das ſich durch feine zwei Hände auszeichne, wihrend Der Affe ihrer vier habe. — Wenn nun trotz allem den die Menſchen nicht aufhören werden, Durch Die Ihat zu zeigen, daß fie Jich Deu Thierreich nicht mehr ver: wandt und angehörig achten, als Dem Pflanzenreich (fie erklären dies, indem fie ſich ihre Yieblinge wicht nur unter Den Thieren wählen, tondern auch ans den Blumen) oder daß ſie ſich Höher fchäßen als beide (tie beweifen Dies, indem fie Den Berjuch ma— chen, nicht une Blumen, ſondern auch Thiere zu züch— ten und zu veredeln), fo entſteht Die wichtige Frage, ob der Menſch Die wirkliche, vor Der Wiſſenſchaft zu rechtfertigende Befugniß habe, ich eine ſolche ercep: tionelfe Stellung zuzuschreiben? Ein fchlagender Be: weis fiir dieſes Necht würde darin beitehen, dat ſich bei ihm Lebensänßerungen aufweiſen ließen, welche man vergeblich in der Pflanzen: und Thierwelt jucht, und die man eben deswegen berechtigt ijt, für and:
fchlieglich menfchliche Lebengericheinungen zu halten. . Auf zwei derjelben jey eg erlaubt, Die Aufmerkſam—⸗ feit zu lenken; fie find Das Lachen und das Weinen.
Beide find rein menschliche Lebensäußerungen, denn die Lachtauben mit ihren jogenannten Geläch— ter, Das Crocodill mit jeinen (vielleicht gar erdichte: ten) Thränen wird nur der als Gegenbeweis anfüh— ren können, welcher meint, bloßes Luft: Ausitogen jey Lachen, bloßes Thränen-Vergießen jchon Weinen. — Beide Erſcheinungen geboren ferner zufanımen, wie Jeder erfahren wird, wein er den Verſuch macht, eine der beiden zu betrachten, und Dabei wahrnimmt, daß der Gedanfe der andern mit derjelben Noth: wendigfeit jich anfdringt, mit der wir, wenn wire einen rothen “led lange anſehn, einen grünlichen Rand um denjelben erbliden. Dieſe Zuſammengehö— rigkeit beider, welche Der deutſche Sprachgebrauch in manchen Gegenden naiv To audeutet, daß ev mit Dem einen Worte Greinen beide bezeichnet, wird nun auch bejtätigt durch Die Unterfuchungen der Anato: men und Phyfiologen. Leider fehlt es Hinfichtlic) beider — (beſonders hinfichtlih Des Lachens, Denn das Weinen iſt im neuerer Zeit glüidlicher gewejen) — noch ſehr an eracten Unterjuchungen, und wenn die Zeit noch lange währen jollte, wo man in der Phyfiologie als eracte Unterfuchungen nur Ve We&
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läßt, Die fih auf das Mifrosfop und Die chemiiche Analyſe gründen, fo wird es begreiflicher Weile noch lauge daran fehlen. Wir wifjen kaum mehr als Dies: daß Das Lachen und Das Weinen Erampfhafte Bewer gungen gleicher Organe find, und daß Diefe Dr: gane Diefelben find, welche auch beim Sprechen Die wichtigfte Rolle jpielen: Die Athmungswerkzeuge, Die Muskeln des Geficht3 überhaupt, und des Mundes inebeiondere. So lüdenhaft nun auch Diefe Notizen find, jo reichen Doch fie allein fhon aus, um gewiſſe uns Allen befannte Erfahrungen, und zwar rein für: yerlich zu erklären: Seder weiß, daß es viel Schwerer ift, Das Lachen und einen zu verhalten, wenn man fpricht, ala wenn man ſchweigt. Abgejehn son allem Andern, hat Dies feinen rein Eürperlichen Grund Darin, daß beim Sprechen der Apparat in Bewegung ge: feßt wird, Der auch zu jenen beiden dient, und daß es viel ſchwerer ijt, Die Mafchine, wenn fie fich be— wegt, außerhalb des falſchen Geleiſes zu halten, als wo fie ruht. Nicht minder ift eg rein Förperlich zu erflären, warum wir, um nicht zu weinen, fehluden, um wicht zu lachen, die Stirn runzeln, Die Zähne zufanmienbeißen n. |. w.: die Organe des Lachend und Weinens, Der Kehlkopf, die Geſichtsmuskeln, werden in entgegengeleßter Richtung bewegt. Dar Schweigen um nicht zu lachen, ijt Daher ganz, w
bei Der Locomotive das Bremien, das Schlucken un nicht zu weinen, was bei ibr das Reveräfiren. Bedenkt man endlich, Dat Derielbe Nero, der einen großen Theil jener Bewegungen vermittelt, auch Die Thränendrüſen beberricht, jo iſt — abermals rein förperlih — erklärbar, warum Das Schluchzen im: mer, das Lachen ſo oft mit Thränenerguß begleitet iſt. Wegen dieſer körperlichen Zuſammenhänge kann ich es darum nicht für ſehr wunderbar halten, wenn jener Maler mit einigen Pinſelſtrichen ein Luchendes Kinderantliß in ein weinendes verwandelt: mit einem ganz gleichgültigen Geficht wäre ihm dies Knuſtſtück vielleicht ichwerer geworden. — Sieht man weiter zu, welchen andern Lebensäußerungen das Yachen und Weinen am Nächiten ſteht, To ſcheinen ſich zwei große Klaſſen von Erſcheinungen um ihren Befiß zu ſtrei— ten, welche eben wie fie Gemüthszuſtände verratben: Auf der einen Seite nämlich ftehn Die Gebehrden, jene Zeichen von Gemüthszuſtänden, Die zwar nicht ganz beliebig und nur conventionell find (denn Se: der weis von Natur, was es heißt, wenn, Der fid) fhänt, fich Die Augen bededt) doch aber der Will: führ unterworfen find, denn man kann es un— terlaſſen, Tich Die Augen zu bededen. Ganz anders Dagegen verhält e3 fich mit der andern Klaſſe hier: her geböriger Ericheinungen, yon mu ih NUN V
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fpiel nur Das eine Erröthen anführen will. Daß, wer fich ſchämt, fich Die Augen verbirgt, dag finden wir erklärlich, weil es feinen Gemüthszuſtand paſ— end ausdrückt, daß uber wer fich ſchämt, rotb wird, dies finden wir nicht nur erflärlich, fondern natür: fi, nothbwendig. Warum machen wir Dielen Unterfchied? Weil wir wiſſen, daß bier Die Will führ nichtd Direct vermag, während fie Dort Alles vermochte. (Direct vermag fie bier michte, wäre es aber möglich, Dar in Dem Augenblick, wo Das Blut in die Wangen jteigen will, ein Gemüthszu: ftand hervorgerufen würde, Der ed von da vertriebe, fo bliebe es natürlich wo es mar, und indirget wäre das Erröthen vermieden. Und bier zeigt ſich mieder einer von Den unzähligen Fällen, wo Die gütige Nas tur den Frauen durch unmittelbaren Tact offenbart, was wir in jahrelangem Forſchen, oft vergeblich, fu: chen. Es kommt oft vor, dal in Gegenwart einer Frau ein Wort geiprechen wird, das, wäre fie un: beobachtet, ihr gewiß Dad Blut ins Antliz triebe. Sept aber erröthet fie nicht, aus Angſt ſich zu com: promittiren. Aus Angft. Wie fein, mie phyſiolo— giſch richtig! Die Angft macht erblaiien, und Darum giebt ed fein jichreres Mittel gegen das aufrühreri: The Blut, ald die Angſt. Wir können dieſe Geſchit
lichleit nur bewundern, wir haben fie nicht, ed g
bört zu dem Bielen, was wir veritehn, ja lehren fönnen, aber nicht machen, und man könnte verjucht feyn, bierin eine Ungerechtigkeit der Natur zu jehn, wenn fie nicht ihre audgleichende Macht Darin gezeigt bätte, Daß fie ung viel weniger Schamhaftigkeit gab, und — einen undurchlichtigern Teint), — Zu wel: cher nun von beiden Klafjen gehört das Lachen und Meinen? Zu den der Willkühr unterworfenen Ge: behrden, oder zu jenen der Willkühr enthobenen, wie das Erröthen war? Sie fallen, wie ed jcheint, zwifchen beide, denn je gewiß es iſt, daß man Durch den bloßen Willen das Lachen unterdrüden kann, fo ift ed Doc) eben jo gewiß, Daß man Durch den bio- Ben Willen es nicht hervorbringen kann — ein for: eirtes Lachen iſt Fein Rachen — und auch was das Unterdrüden betrifft, Ichrt Die Erfahrung, daß die Meijten ſich nicht auf ihre Willenskraft verlaffen, fondern (wie dort beim Erröthen) Umwege machen, indem fie den Rath befofgen, den fchon Knaben ihren Schulcameraden zu geben pflegen, wenn nicht gelacht werden darf: fie denken an etwad Trauriges, ein Mittel, das übrigens nicht immer dad beite feyn möchte, da feine Anwendung nur zu oft jenes Wet: terfeuchten auf dem Gejicht Hervorbringt, jened Ab- wechfeln lichelnder und weinerlicher Mienen, das oft ſchlimmer tft, ale das offene Laden. Qr
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Nach diefen vorläufigen Bemerfungen, welche beide Erfcheinungen ganz gleichmäßig betrafen, möge es erlaubt feyn, zu einer geionderten Betrachtung Fe: der der beiben überzugehn, welche mit Beileitefeßung des, zum Theil noch fo wenig erforfchten Leiblichen, von den vielen pſychologiſchen Fragen, Die fich hier aufbrängen, nur Die zu beantworten juchen fol, welche Gemüthszuftände Das Lachen und Weinen ver: räth, oder noch beſtimmter: woritber gelacht und ge: weint wird? Wenn bier ein Gegenſatz beider fich zei: gen follte, jo wird dies natürlich ihrer Verwandtichaft und Zufanunengehörigfeit feinen Abbruch thun. ind Doch auch Links und Rechts nur Deswegen ſiamefſiſche Zwillinge, weil fie fich Diametral entgegengetegt find.
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Mir beginnen mit dem Rachen, dieſem luſtigeren unter den beiten Gejellen, wenn anders Das alte deutſche Sprichwort Recht haben follte, Daß Der Lacher jelbit über das Grab jpringt, und juchen es bis in feine erften Urfprünge bin zu verfolgen. Da finden wir, daß das neugeborene Kind nicht lacht. Zwar verziehn Neugeborene oft im Schlaf die Gejichte- musfeln, aber wenn man Dies, wie e3 geichieht, Lachen nennt, fo müßte man and) von jeden Kindr jagen, ed weine, wenn ihm beim Echnupfen F
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ugen thränen. Dieſes fogenannte Rachen bedeutet ichts, amd eben darum Hat die Phantafie freien Zpielraum in ihren Deutungen. Die eine berjelben, aß das im Schlaf lachende Kind von Engeln befucht werde, iſt fe poetiich und fehön, Daß man kaum wagen darf an Die andere, fehr proſaiſche, zu er: innern, obgleich bier, wie leider fo oft im eben, die Proſa gegen die Poefie Recht behalten möchte. Das erite eigentliche Lachen des Kindes kommt erft dort vor, wo es bereits Die Vorftellung von der Ge: ſtalt und den Geſichtszügen des Vaters und ber Mutter Hat, da iſt das Lachen ein Zeichen der Luft, welches ihre Gegenwart dem Kinde gewährt: ed lacht ben Eltern zu, eö lacht aus Liebe. Aber auch bei Dieiem Sachen, fo fchön es ift, io entzückend nament- lid für Die, denen es gilt, Können wir nicht ftehn bleiben; auf unfere Frage gibt es feine Antwort weil die Frage felbft: Worüber wird hier gelacht feinen Sinn hat. Dazu nun über Etwas zu lachen nicht nur zu zulachen, fondern zu beladen, ba; Tomnıt dad Kind noch fpäter: erſt dort nämlich, r ſich der Kreis feiner Vorftellungen fo erweitert h daß gewiffe Combinationen berfelben ihm überraſch⸗ vorkommen, und bei ihm biefelbe Wirkung herr bringen fönnen, wie die geiftreichen Gedanken C binationen eines Lichtenberg der Ir Pat si
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Erwachſenen, mit einen Worte, wo ihm Etwad ſpaßhaft vorfommt. Wir wollen mit ihm ein Erperiment machen, indem wir es zum Lachen brin- gen. Dies ift hier leicht, denn das Kind lebt noch in der glüdlichen Zeit, wo die Wie wohlfeil find, ed gibt für einen Scherz fein Danfbareres Publikum, als ein Kind. Wir machen alfo eine Gebehrde, als wollten wir es jchlagen, aber aus dem Schlage wird eine Liebfofung, oder aber, wir thun, als wollten wir ihm fein Naſchwerk nehmen, anjtatt aber und darnach zu jtreden, Tauern wir uns zuſammen, halten den Arm krumm, fo daß wir e3 nicht erreichen und alfo unfere Mühe vergeblich ift. Beides erjcheint nun dem Kinde fo außerordentlich komiſch, daß es nicht aufhören Fann, zu lachen. Worüber eigentlich? Offenbar über die zwedhwidrige Verbindung deſſen, was man thut mit dem, was man zu erreichen fucht, der Mittel, Die man dazu anwendet, und deffen, was am Ende herausftommt. Darin liegt aber die allge: meine Formel für Alles, was auch im jpäteren Leben den Erwachſenen lachen macht, jo offen dargelegt, daß wir jenes erfte Lachen des Kinded mit einem Göthe'ichen Ausdruck ala Das Urphänomen unferer ganzen Unterjuchung bezeichnen Eünnen. In jedem Lächerlichen nämlich ohne Ausnahme List fih eine folde zwedwidrige Berbindung, läßt fih em
folher überrafhender Contraſt nachweilen. Sehn wir einen ernithaften Mann, Der im feierlichen Schritt über Die Straße fchreitet, auf Das mit Glatteis be Ledte Trottoir gerathen, To iſt Der Anblid Deswegen ſo ergöglid), weil gerade Dort, wo feine ganze Hal- tung Nie innere Gravität und Fejtigfeit andeuten fol, er genüthigt wird, Tänzerbewegungen zu machen und in jedem Augenblid eine nene Unterjtügung feines Schwerpunftes zu fuchen. Derjelbe Contraft, welcher und lachen macht über Den Einfültigen, der die pfif- figiten Meittel ergreift, um ſeine Abjicht zu verfehlen, 3. B. über jenen, der, damit beim Leichenbegängnit feines reichen Oheims die Dienerichaft traurig aus— febe, ihr Geld gibt und ſich wundert, dat fie immer luſtiger wird, Diejer jelbe Gontrajt läht den Spinoza (der ſonſt nie lacht) auflachen beim Anblid einer liege, Die in ein Spinnenneß gerathen, dort zappelt, um ſich zu befreien, und je mehr ſie zappelt, um fo fichrer den Mörder hHerbeiruft. Wenn in einer Wiener Poife ein Zauberer, weil es mit dem Zaubern nicht geht, ylößlich einen Streichrienten beraugzieht und, wie der Barbier Das Raſirmeſſer, nun feinen Zauberjtab daranf fchärft, jo macht dies einen lä⸗ cherlichen Effect, weil um Uebernatürliches zu errei- hen, ein Mittel angewandt wird, das nicht einmal der Kunst abgelernt wurde, Die wirtlüig her ir
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Natur hinausgeht, ſondern Dem Handwer ganz im Niveau des Natürlichen hält. widriges Thun, Die ſich Darin zeigende N des Handelnden, endlich Das daraus nothr gende Zerfallen in Nichts, das iſt es, wı worüber ichen das Kind lacht.
Jenes erite Lachen aber des Kindes zei Zweites, was ihn gemeinichaftlich iſt mit teren Lachen: das Kind lacht, weil unter wehe zu thnu, zu Schanden wird, wei Naſchwerk nicht erreichen Finnen. Wäre erzürnt und feine Abficht, webe zu thun, eitelt, oder langte es ſelbſt nach Etwas, zu Hein, um es zu erreichen, es wide y lachen.. Was es jeßt jo beluſtigt iſt, Dat fein eignes Intereſſe ans Dem Spiele wei lacht auch Das ind, wenn jene Gebehrden Dal gemacht werden, nicht, Du fürd Schmerz oder den Verluſt jeines Naſch tödtlicheres Gift aber für Das Laden, ı es mehr unmöglich machte, als Die Surd nicht. Hat aber das Kind, inden jene S wiederholt wurden, erfahren, Daß nichts ar fürchteten wird, jo gibt ihm Died Das Sicherheit, bat es ferner in Der häufig bolung jener Gebebrden Zeit genug geb
ſehn, daß man den Arın ganz anders führen, fich felbft ganz anders halten müſſe, um zum Ziel zu fommen, io gibt ihm Diele Einſicht eine innere Sa— tiefaction, weil es ſich klüger dünkt, als wir, und alſo ung überlegen. Dies Gefühl aber der einen Sicherheit und Des Dem Belachten Überfegen: ſeyns iſt nicht nur dem Winde nothwendig, damit es lache, jondern uns eben io. Auch wir müſſen un ſelbſt außer dein Spiele willen, um ungeſtört Inchen zu können. Der Anblick jenes pathetiſch Einherſchrei— tenden, der ſich auf dem Glatteis plagt, ergötzte uns, ja aber nur jo lange, ala wir feſt und ſicher au unſerm Fenſter Tigen und von oben herab ihn be- trachten Fünnen, müßten wir dagegen im feierlichen Zuge neben ihm gebn, jo bekäme die Sache eine fehr ernſthafte Seite. Es iſt ein unveränderliches, pſychologiſches Geſetz: je näher ein Ereigniß, Das Lachen erregt, uns jelbit angeht, deſto mehr ver: fiert es den GSharacter des Pächerlichen. über die (Sinfalt eines ganz Aremden lacht man mit ungetrüb: tem Vergnügen, über die Einfalt eined Verwandten ſchon viel weniger, und nur im Kreije jeiner Familie; bat man jelbit einen einfältigen Streid) gemacht, fo vergeht Das Lachen, man ärgert jih, e3 liegt darin fo gar nichts Belnjtigendes, daß man es oft gar nicht begreifen kann, wie Semmt ah Taetert IN,
machen kann. Niemand verlacht ſich ſelbſt, Niem dem iſt es lieb, oder auch nur gleichgültig, wenn verlacht wird, und Die Bonhommie des Sofa Lie man als Gegenbeweis anführen möchte, mit er ſich auf die Bühne geitellt haben fell, um Beluſtigung Des Athenitchen Publicums jeine Gef mit feinem Zerrbilde vergleichen zu laſſen, dieſe weiſt gar nichts: Jener bunhomme wur der grö Schalk. Es beiuftigt ibn, Das Die Athener jo bi find, ihn mit den Sophiſten zu verweihieln, denen er fich je verschieden weiß, er geht anf Bühne, mn innerlich über die Lacher zu lachen. J Paul jagt, man lache mur über Die Kfeinbeit ı über Das Kleine Er bat Recht, wenn man Il näher beitimmt: Wo man es an Andern wahrnin und wo es uns Dis Gefühl Der einen Größe ı Überlegenheit aibt, da lacht man.
Weil wir aber mur dert lachen, we das Fe Ichlagen der Abſicht u. ſ. w. uns nicht jelbit tang über Ungeſchick und Mißgeſchick, Das uns fern ji und Außerlich bleibt, Deswegen bezieht das Lac feinen Etoff befonders Durh den Sinn, derung Fernite zeigt und was uns am meiſten äußerlich durchs Auge. Eine Melodie it kaum im Stan einen Menſchen zum Lachen zu bringen, Dagegen ed Der Muſik leicht, Thränen hervorzulocken, oft re
dazu ein einziger klagender Ton hin, jey er nun der Menfchenbruft, ſey er der Harmonica entquollen. Umgekehrt verhält fih8 mit dem Schen und darunı mit der Malerei. Ungerührt, wenigjtens trodnen Auges, kann auch der Zurtfühlende einen trefflic) ausgeführten Bethlehemitiſchen Kindermord betrach- ten, und eine einzige Grimaſſe bringt auch Den ernit: haften Mann zum Lachen. Wunderbarer Gontraft! durch das Ohr empfüngt der Menich von der Au- Benwelt die Kunde, Die ind Innere, zum Herzen dringt, und wen diefeg getroffen und gerührt wird, ſo antwortet er durchs Auge fürs Auge, feine Ant- wort iſt fichtbar, es ijt die warnte, darum fo wohl- täuende Thräne. Wo aber die Außenwelt zun Men: chen fpricht durch den kälteſten und herzlofeiten der Sinne, durchs Auge, da bleibt das Auge jtumm, da macht ded Menjchen Antwort ſich hörbar in dem Falten, berzlofen, darum jo oft verleßenden Lachen. In der That ift das Lachen herzlos, (und wir fol ten nicht jo viel vom herzlichen Lachen Tprechen), denn wenn es auch nicht wie bei dem Lachen der Schadenfreude, Das Unglück des Andern iſt, worüber gelacht wird, ſo ſind es doch wenigſtens ſeine kleinen malheurs, welche unſere Heiterkeit hervorrufen, und das Gefühl, daß es ein Lachen ganz ohne Bosheit nicht gebe, iſt ja der Grund, warum wir mt a D-
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Chriftum nicht Tachend Denken können. Man lacht Darüber, was uns nicht am Herzen liegt, wer über Vieles lacht, Dem Liegt Vieles nicht am Herzen, wer über Alles, dem Lüge gar nichts am Herzen, er wäre der vollig Herzlofe, ein Gemüthszuftand zu Dem grö— here oder geringere Annäherung wirklich vorkommt. Es liegt aber in der Natur der Sache, daß, wenn dieſe überhaupt geduldet werden foll, fie nur gedul: det werden kann bei den männlichen Gefchlecht. Man ijt nun einmal darin übereingefenmen einem Manne, wenn er fich nur frei von Furcht zeigt, zu: zugeſtehn er habe Herz — während es und nicht ein- fällt von einer Fran, weil fie dreuft ijt, zu jagen: fie jey eine Srau von Herz — Furcht nun findet ge: wis nicht Statt wo gelacht wird, und der über Al: les jpottet kann Daher jehr gut furchtlos und uner: Ichroden jeyn; jo wird man Denn Dem Alles verlas chenden Dann, wenn er fich nur jonjt al3 ein Diann zeigt der Herz bat, oder herzhaft iſt, Herzloſigkeit in anderer Beziehung zu Gute halten müſſen. Nicht fo bei der Fran. Schön ijt die Satyrphyſiognomie nie, erträglich nur beim Manne. Damit ijt aber andy ausgeſprochen, daß das Gebiet des Belachend« wertben für den Mann viel ausgedehnter ſeyn mu” als bei der Frau, was aud) durch Die Erfahrung )
jtätizt wird, welche zeigt, Das Männer fehr Vie
mit lachendem Munde beiprechen, was niemals den Inhalt von Franen-Geſprächen bildet, weil es Ge: biete betrifft, welche der Frau zu heilig find, als daß fie dieſelben mit jemand Anders als fich ſelbſt be: jpräche, oder zu widerwärfig, als day ſie nur daran Dächte. Im Ganzen liebt das Lachen die luſtigen Kreife der Männer.
Es ift aber fehr die Frage, ob in den Geſagten etwas fiegt, was das männliche Geſchlecht als Das beneidenswerthe erjcheinen lädt. Salt könnte man ed glauben da wir ihm den Gefährten zugewieſen baben, den wir ja jelbit als den Inftigern bezeich— neten. Allein es hat ſich auch gezeigt, daß feiner Luſtigkeit nicht ganz zu trauen war, weil chvas vom Mephiſtopheles dahinter ſteckte. Nun wird vielleicht Mancher meinen, ſo erſcheine das Lachen nur dem der es, vielleicht als ein pedantiſcher Moraliſt, be— trachte, dagegen für den der es erfährt, für den Lacher ſelbſt, ſey dies anders, für ihn gebe es nichts Süßeres und nichts Plaiſirlicheres. Allein dem iſt doch nicht ganz ſo, denn es zeigt ſich, daß für den Lächer ſelbſt das Lachen nur zu oft dieſe genußreiche Seite nicht darbietet. Dies iſt dort der Fall, wo es ſich mit Gefühlen verbindet und Gefühle verräth die ſonſt geeignet ſind, eher das Gegentheil vom Lachen hervorzubringen. Der Anh Tr EUR UN
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Lachen hervor, und man meint joldyes Lachen ey angenehm. Ob wohl auch dort, wo ein Huß den Banern Sieht, der emfig das Feuer an feinem Scheiter: haufen jhürt, und nun, gewiß lächelnd, o heilige Einfalt! ausruft? Schwerlich. Man nennt folchee Lachen, wo man lächerlid) findet was fo traurig ift, ein jchmerzliches oder auch ein bitteres Lachen. Mit Recht, denn es iſt weder luſtig noch füß. Es weift auf Wunden Die nach innen bluten. Und den: noch ijt dieſes bittere Lachen noch nicht Das bitterfte, weil der Gemüthszuſtand, aus dem es hervorgeht, . das Schwanfen zwifchen Mitleid und Spott, wo das Gemüth abwechjelnd der einen und Der andern Regung ſich bingiebt, noch nicht der ſchlimmſte iſt. Es giebt eine Bereinigung des Entgegengeſetzten, Die ſchlimmer ijt, weil fie bleibend iſt, wo das Ge: müth dadurch, Daß es der einen Regung ſich hingiebt um fo fichrer Der andern verfällt, wo Die Xiebe Den Haß erzeugt, und darum mit ihm jteigt und fällt wie er mit ihr lebt und ftirbt. „Cine monjtruöfe Verbindung wie Die fabelhaften Ungeheuer des Alter: thums“ wird man fügen, und monſtruös iſt fie aller: Dinge, aber nur nicht eine Erfindung der Fabel, denn fie erijtirt: in der Eiferſucht hat fie Realität. Er hört nur ein geringer Scharffinn dazu, um zu find‘ Daß der Ciferfüchtige quäle, peinige, ja morde
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io Haife. Es iſt auch fehr wenig Wip dazu nöthig an zu beweifen, daß Eiferiucht Liebe beweiſe, und af Orhello nicht merdete, wem er nicht liebte. Ran kann weder jenen Scharffinnigen noch dieſen Bipigen widerlegen, fie haben beide Recht, denn ber Ciferfüchtige quäft aus Liebe, peinigt aus Liebe, mordet aus Liche, weil er haft aus Liebe. Liebe ward hier Ha, Fiebe ftirbt hier dahin in Haß, und wie und von eiugelnen Menichen erzählt with, dab fie im Momente des Sterbens Diefelbe Phyſiognomie zeigen, wie da fie ind Beben traten, jo wählt fich diefe in Haß erſterbende Liebe gern den Begleiter den wir als Gefährten ber eriten reinften Liebe fennen lernten, das Lachen. Der Ciferfüchtige lacht, aber wie? Qualen im Herzen. Und wo die Eiferſucht zum Wahnſinn des Verbrechens wird, da vertritt die Stelle des unartikulirten Roͤchelns der Rache ein, wicht nur bitteres, ſondern entjeplichee — Gelächter. Wo Othello jeine That vollführt, Da muß er lachen. Grit fpäter laßt ihn Der Dichter Magelaute ausſtohen.
2.
Es iſt aljo mit dem Lachen doch nicht immer ein: fo Inftige Sache als es zunächit fheint. Es Hat fein ernite, feine mehr als ernite, feine entſehliche Seit Wenn darum Manche, wo fie de Wu DV
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dammniß malen wollen son fteten Gelächter Der Hölle iprechen, io will ich mich zwar nicht Dafür ver: bürgen, Daß das Gemälde richtig iſt, wehl aber dafür, Day der Pinfel, mit Dem es gemalt ward, im ganz richtige Pſochologie getaucht war. Ob Dies aber auch Der Fall iſt hintichtiich derer, welche, wenn lie una eine felige Welt jchildern wollen, ſtets Dies an ihr preifen, daß Dort feine Thräne werde geweint werden, Dies tft eine andere Arage. Zu ihrer Be: antwortung kaun beitragen, wenn wir uniern zweiten Gegenſtand betrachten, Das Meinen Suchen wir auch hier Die eriten Erſcheinungen deſſelben auf, To finden wir, Daß Das nengeberne Kind, wie es nicht lachte, jo auch nicht weint. Es zeigt lich weiter, Daß fein erſtes Weinen ganz Das Gegenſtück bildet zu feinem eriten Lachen, zum Zulachen ans Liebe. Es weint nämlich, wo es Die Vorſtellung von ehwas Fremden oder Abſchreckenden erlangt bat, im Deifen Gegenwart aus Furcht, weil es fein Daſeyn ges führdet, feine Sicherbeit geitört fühlt. Wie aber über jenes Lachen aus Liebe, To gehn wir auch über dieſes Weinen aus Furcht Tchnell hinweg, und ſuchen nach Dem, welcdes uns bier dag Urphänomen giebt. Wir finden Diefes Weinen in feiner reinſten und vsollendetiten Geſtalt erit viel ſpäter, auch erit dert, wo bei Dem Kinde fich der Kreis feiner Vorftellungen
beträchtlich erweitert hat. Da es graufam fcheinen fönnte, wenn wir auch hier erperimentirten und das Kind zum Weinen bräcten, jo werden wir wohl warten müjjen, bis eine Gelegenheit ſich darbietet. Eie bleibt nicht lange aus: dag Kind thut einen Fall, der Schmerz ten ed empfindet ift nicht fehr groß, und fo weint es zunächſt nicht; es fteht auf, fieht fih betreten, gleichfam fragend, um, und wenn feine bejonderen Umitänte eintreten, jo wird es wohl zum Meinen gar nicht kommen. Sollte aber das Kind bemerfen, daß es blutet, oder follte die ängſtliche Mutter Hinzufpringen nnd anfangen das Kind aus— zufragen oder zu bedauern, fo kann man ziemlich ficher feyn, dag die Thränen bald fließen werden. Warum wohl jeßt? Weil im erjten Fall das Blut, vor welchem alle Kinder ein angebornes, ich möchte fagen rührendes Entſetzen haben, int zweiten die be- ftürzte Miene der Mutter die Borftellung giebt von einer Gefahr oder von einem Unglüd. Diefe Bor: ftellung aber von Unglüdlichfeyn iſt für das Meinen des Kindes fo fehr die Hauptfache, daß man ein ganz gejundes Kind, dem fein Finger weh thut, Durch bloßes Bedauern und ihm Boritellen, wie unglüdlich es fey, fehr leicht zum Weinen bringen Tann. Auf der andern Seite kann ed ohne eine folche Vorſtellung jo gar nicht meinen, A nenn
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ihm weinerlich zu Muthe ift, und es fich Feines dens klar bewußt iſt, es allen möglichen Schar aufbietet um eins zu finden. Bon den vielen 2 achtungen die hier gemacht werden können, bier eine: Wie bei Den Erwachſenen, fo zeigen fich beim Kinde die erften Anfänge Des Weinens in j malitiöfen Kügelchen das wir im Halſe fühlen Das zum fteten Schluden nöthigt, einem der angenehmſten Gefühle, die e3 giebt. Danert nu meinerliche Stimmung, und in Folge Derjelben nnangenehme Gefühl beim Kinde zu lange, un kann gar Nichts finden, was es unglüdlich mach fängt es endlich an zu weinen — über jeine ! fchmerzen, d.h. die Borftellung eines Leidens, eigentlich Zolge des Weinens it, wird ihm G Dazu. Dies hat etwas Komiſches. And Doch gel bei dem Erwachſenen oft gerade je. Auch der wachfene kann nicht weinen ohne die Borftellung Leidens, auch ihm iſt manchmal weinerlich zu M und er jucht zu feiner tranrigen Stimmung die ftellung eines Leidens, nur freilic) findet er dies in Halsfchmerzen. Das Arjenal feiner trüben E rungen ift ja jo reichlich verfehn, dat ihm Die $ leicht wird; der Eine denft an ein Unrecht das zugefügt ward, der Andere an einen Berluft dr erlitt. Beide kommen ſo ſchnell zu ihrem Ziel
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beweifen aber, eben wie jenes Kind, dat zum Weinen traurige Gefühle nicht hinreichen, fondern, dab es trüber Gedanken, ganz beitimmter Borftellungen von einem Unglück bedarf. Dies ift auch ein Grund, warum kaum irgend Etwas das Weinen fo hervor: ruft und befördert, ald wenn man von einem be: klagenswerthen Unglüd fprechen hört. Durchs Spre— chen wird jedes Gefühl in beitimmte Gedanken ver: wandelt, Worte geben die Earjten Boritellungen. (Sch jage geflifientlich: auch ein Grund, denn es fommt dazu noch ein andrer, der weniger hierher gehört. Wo man von einem Leiden fprechen hört, hört man in der Regel eine larmoyante,' vor Rüh⸗ tung zitternde Stimme; es ijt bekannt, daß dies fehr das Weinen befördert, aus einem Grunde wie id) glaube, der nur oder doch bejonders Förperlich ift. Seder Menſch nämlich hat die Neigung, wo er eine Melodie hört, fie, wenn fie nicht zu ſchwer oder un: befannt ift, innerlich nachzufummen. Dieſe Nei- gung bemächtigt ſich unferer auch wo wir das Tre- molo der gerührten Stimme vernehmen, und zwar mehr als irgendwo, denn die Melodie ift allbefannt und fehr leiht. So tremuliren wir innerlich mit, und wenn died auch nicht hinreicht Die Schleufen der Thränen zu öffnen, gelodert wenigftend werden fte dadurch. Daß wirklich dieler aüer din itligertüit- 9*
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perliher Grund hier die Hauptfache tft, und dag der Geiſt, d. h. der Inhalt des Gefprochenen wenig oder gar nichts austrägt, Died zeigt im höchſten Grade Garrik, wenn er durch das Herfagen des Abe fein Publitum zum Weinen bringt, und im gerin- gern herumziehende Smprovifatoren die, wo Die Ge: danken am fpärlichiten geſäet find, am Liebſten Dies Regifter ihres Orgelwerks ziehn und mit dem größten Erfolg).
Das weinende Kind zeigt, daß ohne Boritellung des Elendſeyns Feine Thränen fließen. Es lehrt uns aber weiter, daß, wie es felbit, jo auch im jpätern Leben der Erwachfene, nur über dad eigne Leid und die eigne Hülfslofigfeit weint. Man führe hier nicht die Thräne des Mitleids ald Gegenbeweis an. Wo der Menſch aus Mitleiden weint, da weint er eben weil er mit leidet, weil er durch eine Illuſion fich in die Stelle des Leidenden verjett, deſſen Leiden in fein eigned verwandelt hat. Darum gilt bier ein Geſetz dad ganz dem entgegengejeßt fit, das wir beim Lachen Tennen lernten: Über das Unglück eined ganz Fremden weint der Menſch gar nicht oder doch fchwer, über das eines Angehörigen viel leichter, über Das eigene am leichteiten, vielleicht immer. Chen wegen diejed diametralen Gegenſatzes iſt ed möglich, daß ſich Lachen und Weinen ſo oft begegnen und in bie
Hände arbeiten: Wie viel weniger würde geweint werden, wenn alle die Thränen wegfielen die über das Ausgelachtwerden vergojfen werden, und wie viel Stoff zum Lachen würden wir einbüßen, wenn nie ein Anderer in die Lage käme in der er fich beweint! Sn der That find die Situationen, über die ge: lacht und geweint wird, ziemlich diefelben, und nur die Perfon ift’s, die den Unterjchied macht. Über die fremde Rathlofigkeit wurde gelacht, die eigne Rathloſigkeit macht ung weinen, dort ward gelacht über ein Weſen das in Die Netze des mörderifchen Geſchicks fiel, wer ſich in folchen Fäden verftridt weiß, weint; wir fonnten mit Sean Paul fagen, daß die Kleinheit ded Andern und lachen macht, man weint nur wo man fich übermannt und niederge: fehmettert fühlt, d. h. wo man fi feiner Kleinheit bewußt wird. Nur dort, denn auch die Thränen der Rührung und Bewunderung den wir einer großen That zollen, fie zeigen, dat und jene Großthat über: wältigt, daß wir ihr gegenüber und fo Flein vor: fommen. Eben weil die Thräne ein Bekenntniß iſt des Überniannt: und Überwältigtfeyns, eben Dedwegen giebt eö Fein befferes Gegenmittel gegen Dad Weinen ale den Stolz. Er ift, was fein Gegentheil, die Zucht, fürd Lachen war. Der Stolz als ein Gefühl der Kraft und Unüberwindliiitet \ahr Ust Beuni-
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fein des Übermannt: und Überwundenfeyn nicht auf: fommen, und weil nur bei diefem geweint wird, fo macht der Stolz es phyſiſch und pfychologifch un: möglich zu weinen. Wirklich unmöglid. Dies wird häufig vergeffen und Darum manches ungerechte Urtheil gefällt: Es giebt Frauen Die fehr leicht wei- nen, die aber, wo fie bemerft haben, daß ihre Thrä- nen gar feinen Eindrud machen, zu ftolz find, in Gegenwart eines folchen Barbaren fie zu vergießen. Wollte man nun, weil ihr Stolz die Thränen zu: rüdzuhalten vermag, daraus fchliegen, wo dieſelben fließen, ſey dies willführlich oder gar künſtlich her: vorgebracht, fo thäte man ein fchreiended Unrecht, eben jo fehr als wollte man dem, dem einmal vor Furcht das Lachen verging, wenn er nachher lacht, befchuldigen, er ftelle fich nur labend. — Wenn aber Weinen ein fich Übermannt:Erflären, und wenn der Stolz ein Gegenmittel dagegen tft, fo ift be: greiflih, Daß man dort, wo man das Gefühl der Stärke und Unüberwindlichkeit erwartet oder gar fordert, dad Meinen unpaffend finden wird. Dies ift nun der Fall mit dem Geſchlecht, dad man dad ftarfe genannt hat. Ob das männliche Gefchlecht den Beinamen des ſtarken verdient, ob nicht, gehört nicht hierher, genug es führt ihn, und — noblesse oblige: Es giebt nur fehr wenige Gelegenheiten, wo wir
dem Manne erlauben zu weinen. Das Alterthum war hierin viel nachfichtiger und freigebiger. Homer erlaubt feinem Achill zu weinen, weil Das Schickſal ihn fo früh fterben läßt. Sch Bin überzeugt, daß mancher Tertinner unferer Tage, der Diele Stelle mit Hülfe eines Wörterbuchs und — einer Brille lieft, im Gefühl feiner Manneswürde die Schwach— beit des griechiichen Helden bemitleidet. Doch aber giebt es Situationen, wo auch wir es dem Manne, ja jogar dem ſtarken Manne, zu Gute halten, wenn er weint. Auch der Held darf ed, wenn er z.B. durch den Verrath eines Bertranten Dem Feinde über: liefert ward. Der Nichtswürdigkeit gegeniiber ift auch der Held wehrlos, darum darf er fi hier wehrlos befennen, er Darf weinen. Es giebt noch eine andere Gelegenheit, wo die Thräne den Mann nicht zu ent: ehren fcheint: Sit es wahr, was uns von unjern Nachbarinnen an der Seine erzäblt wird, jo gilt bet ihnen der Mann für unwiderſtehlich, der mit Thrä— nen un Exrwiderung der Liebe flebt. Es wäre be: greiflich, denn ein feineres Compliment ijt kaum denf: bar, ald wenn man zu veritehn gibt, man jtehe einem Srauenherzen jo machtlos gegenüber wie — Achill dem Schickſal. Dies aber find Doch nur Ausnahmen. Im Ganzen ift die Thräne weiblichen Geſchlechts und hat zu ihrer eigentlichen Domaine A tue
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Auge. Der Frau erlaubt man in vielen Lay zu bedauern und alfo zu weinen, wo man vom (oft unbilliger Weife) verlangt, er folle der fpotten, des Mißgeſchicks Lachen. Manweintnur,womanfichfelbitbei und wehrlos jicht. Und hierin liegt nun a eigentliche Erklärung der Thatjache, daß Thrän 10 Viele — namentlich über Männer und zwar ü die felbft felten oder nie weinen — eine jo gre walt haben. Es ijt ein Irrthum, welchen di nenden fehr oft hegen, als bewiejen ihre Thrän fie Recht und, der die Thränen erpreßte, Unrecht Dies aljo ijt allerdings ein Srrthum. Woll aber deshalb jagen: Nun, wenn Thränen Die beweijen, fo bedeuten fie gar Nichts und müfl den vernünftigen Mann ganz gleichgültig Taf wäre Died eben jo ein Irrthum. Thränen b allerdings Etwas: nämlich, daß die Weinen maltraitirteg Opferlamm, wenn auch nicht Doch ich dafür hält, und dies kann unter Um viel mehr Eindrud machen, als daß fie Rec Man denke einen beftimmten Fall: Es habe ein fey ed nun feiner Schweſter, fey es feiner Frar ftellungen zu machen über irgend ein Verſehn begangen bat, über irgend eine Unvorſichtig fie ſich zu Schulden kommen lieg. Die Da
Unrecht Haben — eine Borausfegung von der ich ſehr gut weiß, dei fie im höchiten Grade unmwahrfcheinlich ijt, Die mir aber fo erlaubt feyn möge wie den Da: thematifern ihre unmöglichen Größen, welche fie ja auch manchmal in Rechnungen bringen, wo fie Die: felben entbehren könnten, nur um fchneller zum Ziel zu fommen. Der Dann findet die fchöne Schuldige bei irgend einer gleichgültigen Befchäftigung: fie be- reitet Jich zu einem Morgenipaziergange vor. Cr fängt feinen Sermon an. Sie, zunächſt um Zeit zu gewinnen, antwortet irgend etwas ganz Gleich: gültiges: „Laß mid) nur erjt meine Handfchuhe rubig anziehen!" Was hat fie nicht mit diefer kurzen Ant: wort außer der Zeit Alles gewonnen! Erjtlich bat fie geſprochen, die Mafchine, wie wir fie oben ge: nannt haben, ift alfo in Gang. Zweitens hat fie ihre eigne Flagend:bittende Stimme gehört, die auf fie mindeftend den Cindrud machen muß, wie Garrik
mit feinem Abe auf fein Publitum. Drittens hat '
fich durchs Sprechen ihr Geift auf ganz beſtimmte BVorftellungen concentrirt, auf Handfchuhe und in Ruhe laffen. Fährt nun, wie ed wahrfcheinlich ift, weil die Handſchuhe Nichts mit der Sache zu thun haben, der Mann in feiner Mercuriale fort, jo wird die Dhraje geändert, ſie wird generalifirt. „Nicht einmal die Handichuhe Tann mon wuliy mut
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heißt es jebt, und wenn fie dabei nicht weint, fo würde ich felbit es ihr verdenfen. Grund genug hat fie, denn ich nehme die ganze Hohe Verſammlung zu Zeugen, daß es in der That feinen ärgern Drud und feine entfeglichere Sklaverei geben faun, als wenn und etwas jo Unfchuldiges, wie das Anziehen von Handſchuhen, gewehrt wird. Sch Hoffe daher auch zur Ehre des Mannes — der mir übrigens ganz un: bekannt ift — daß er um nicht für einen fo entjeg- lichen Tyrannen gehalten’ zu werden, die ganze Sache fallen läßt, kann mich aber freilich auch des Arg— wohns nicht erwehren, dat jehr bald die ſchöne Wei— nende überzeugt feyn wird, fie habe hinfichtfich jenes Verſehens ich volljtändig gerechtfertigt.
Und fo fcheint es denn, als habe fich unfer Urtheil hinfichtlich der beiden Begleiter des Menfchen feltiam umgeſtaltet. Der eine, fein Iuftiger Rath, zeigte bei näherer Betrachtung unheimliche, boshafte Züge. Der andere, der anfänglich jo moros erjchien, bot zuletzt fogar einen ergößlichen Anblid. Und man jage aud) bier nur nicht, daß nur fein Anblick ergöge, und daß er nur ergöße, wenn man ihn mit Den Augen feined boshaften Bruders betrachtet. Nein! dent Weinen fommt an fich, für den Weinenden felbft, eine freundliche und genußreiche Eeite zu. Zwar dies allein will ich nicht fo nennen, daß Thränen
den Schmerz lindern, und daß Mancher mit Recht wünfcht: o könnte ich Doch weinen!; hierin wären die Thränen doch nur wie eine Arzenci, Die auch, wo fie Hilft, nichts deitomeniger bitter ſeyn kann. Aber ed gibt Thränen die an und für fi), nicht nur in ihren Zolgen, erquiden und Genuß gewähren, und fie treten bei Gelegenheiten hervor, die abermals den diametralen Gegenfat zeigen der zwilchen dem Weinen und dem Lachen Statt findet. Dort hatten wir ein Lachen, wo ein tiefer Schmerz den Menfchen fo in feinen Augen erhebt, dab ihm Alles Elein und ver: ächtlich erfchien, und er fchmerzlich, bitter, lachte. Hier gibt es dagegen ſüße Thränen. Sie fließen dort wo ein übermaaß von Freude und faſt erbrüdt, wo ein kaum gefaßtes Glück und überraſcht und über: mannt, wo Luft und überwältigt und wir vor Gelig- feit vergehn, das heit vor Iauter Reben — ſter— ben. Dort fahen wir weiter, wie eine monſtruöſe Verbindung von Liebe und Haß fih Luft machte in ® dem furchtbaren Gelächter des Mörders. Es gibt eine andere DBerbindung von jenen beiden, dauernd wie jene, aber nicht monſtruös: In der Großmuth, in der Feindesliebe gebiert der Haß die Liebe, wie in der Eiferfucht Liebe den Haß erzeugte, und wo im gegenfeitigen Vergeben Feinde ſich and Herz fallen, da weinen fie, denn Jeder KEhKK Tun Neruitiiitn,
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niedergejchmettert Durch die Großmuth des Andern, und diefe Thränen der Berföhnung fie find nicht nur füß, fie find entzüdend, wie jened Lachen nicht nur bitter war, fondern entfeglich. Und wer wollte fit) am Ende wundern, daß fo die Verbindung ganz Gleicher fo Ungleiches geben fol, da ja Kunft und Natur und täglic) Daffelbe zeigen. Die Kunft, wenn aus Sungfrauenantligen und Adlerfittigen die Alten ihre Harpyen bilden und die Neuern ihre Engel, Die Natur, wenn Diefelben einfachen Stoffe in einer Verbindung ein Gift geben, in einer andern etwas Unſchädliches, ja das Segensreichite und Belebendfte. Senem Gift entfpricht das bittere und entfegliche Lachen, dieſer andern Verbindung die füße und ent: zuende Thräne. Sch fage entfpricht, weilich Fein eracter Forfcher bin, wäre ich Dies ich müßte mich anderd anddrüden, denn vom Standpunkt eracter Wiffenfchaft betrachtet ift die Thräne, felbit Die
© Träne der Freude und des Entzüdens, fie ift wirt: Lich nichts Andres als jene unfchädliche Verbindung von Saueritoff und Wafferitoff — Waſſer.
Es bliebe nun noch übrig Ciniged über die Eo8- metifche Bedeutung jener beiden Erfcheinungen zu fagen, und ed wäre vielleicht am Platz, warnend dem weit verbreiteten Aberglauben entgegenzutreten, als wenn Thränen ein ſchönes Antlig noch verfchönerten,
— indeß, dieſes Gebiet zu betreten, daran hindern mich manche Bedenklichkeiten. Wollte ih Schön: heitömittel angeben, und wollte ich Das hier thun, ich fürchte Died müßte Lachen erregen. Wollte ich einen, ohnedies langen, Bortrag noch verlängern, Mancher könnte Died zum Weinen finden. Zu einer Betrachtung beider Erfcheinungen einzuladen, war allein meine Abficht. Es kann unmöglich in meinem
Sntereffe liegen, fie praftifh, und noch dazu fo, hervorzurufen.
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Über den
» poelifchen Beiz des Äberglaubens. |
3 1850. :
S ß ?. Ö
Mer jemals Kinder beobachtet hat, wo ihnen Ge: fchichten erzählt werden, oder wer fich felbit das Vergnügen gemaht bat, ihnen dergleichen zu erzäh- Ien, der wird bemerkt haben, daß fie fich gern gleich am Anfange defjen verjichern, daß die Gefchichte auch wahr fey. Fit ihnen dieſe Trage bejaht, fo feßen fie fich erft recht in Pofitur mit ihrer Theil- nahme, denn jett wiſſen fie, daß Diefelbe nicht weg: geworfen ift. Ja fogar, wenn ihnen gejagt ift, die Erzählung werde wohl erfunden jeyn, felbft dann fcheinen fie, je mehr fie ſich intereffiren, um fo mehr die Hoffnung zu faſſen, dad Erzählte jey Doch wohl wahr; — denn nur fo fann ich mir den äußerft ko⸗ mifchen Ärger erflären, welchen manche Kinder zei— gen, wenn am Gnde einer fehr interefjanten Ge: fhichte der Erzähler ihnen jagt, er felber habe fie erdacht. — Sey es, daß fie vergeffen hatten, mas am Anfange gejagt war, daß die Gefchichte erfun- den fey und nun daran erinnert werden — fey ed, dag fie allmählig fich üiberreheten,, im Sumtir für
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doch der Erzähler nicht willen, ob der Autor erfand oder blog einem wirklichen Factum nacherzählte, jebt aber diefe Hoffnung aufgeben müſſen, — genug fie kommen fich wie genedt vor, dat man fie fo ge: fpannt auf einen Ausgang achten ließ, den der Er— zähler ganz nach jeinen Belieben umändern Eonnte. — Wie in dem Bergnügen der Kinder am Geſchich— ten: Erzählen fich der erjte Keim des Genuſſes zeigt, den uns ein Dichterwerf gewährt, eben jo iſt jenes Berlangen der Kinder, die Gefchichte jolle wahr jeyn, die erfte Spur einer Forderung, welche der erwach- fene und gebildete Menfc an Die Spiele der Dich: tenden Phantafie ftellt, und stellen mul. Weil ihm Dernunft und Wahrbeitötrieb angeboren ift, Des- wegen verlangt er auch von dem Gedicht, dab es Mahrheit enthalte. Freilich darin unterfcheidet er fi) vom Kinde, day ihm Wahrheit und wirkliches Gefchehenfeyn nicht einerlei ift, Denn er hat erfah: ren, daß manches wirflich geführte Xeben, mancher wirflich erijtirende Zuftand, eine große Lüge war, dagegen aber auch, daß mancher Roman eine tiefe Wahrheit lehrt. Wenn wir aber von diefem Un- terfchiede abiehen, fo verlangen wir (nicht minder als die Kinder) von jedem poetifchen Werk, und wäre ed auch das phantaftifchite Mährchen, daß der Er: aähler nicht bloß feinem Belieben folge, fondern fi
einer höhern Nothwendigkeit, der Wahrheit, unter: werfe, dab fein Mährchen einen vernünftigen Sinn enthalte, wo wir Diejen vermifjen, wo wir ihn nicht einmal al3 allegorifch angedeutet ahnden, da befries digt und dad Gedicht nicht, denn der Unfinn ift nie poetiſch. — Diejer Behauptung fcheint nun die Er: fahrung zu widerjprechen, welche lehrt, daß Diele, was wir als Aberglauben bezeichnen, dennoch mit einem poetiſchen Reiz begleitet iſt. Vielleicht war es dieſe Erfahrung, welche den poetischen, dabei aber für klare Berjtändigfeit jehr eingenommenen, Sean Paul jagen ließ, aller Aberglaube fei „ein Glaube mit einem Aber”, ein Ausfpruch, der in feiner All: gemeinheit gewiß unrichtig ift, von Dem aber zu hof: fen fteht, daß er gültig fen hinfichtlich folder aber: gläubifchen Boritellungen, die etwas Poetiſches ha⸗ ben. Ich age, zu hoffen, denn es wäre Doch traurig, wenn wir beim Eintreten in die Welt der Poeſie, was den Menichen zum Menfchen macht, die Vernunft, draußen laſſen müßten, und auf der an- dern Seite eben fo traurig, wenn die poetifche Be⸗ friedigung Dadurch verbittert würde, daß wir und eigentlich ihrer fchämen müßten. Es ſei mir erlaubt, die Aufmerkjamfeit auf einen ſolchen Aberglauben zu lenken, um zu fehen, ob vielleicht in ihm der Glaube von dem Aber zu trennen, U. u Tu
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hen Wahrheit zu finden ift, oder ob er ein bloßer Wahn ift, defien fich der vernünftige Menfch nie, alfo auch nicht im Gedicht, freuen foll: — Die Bor: ftelung, daß der Menſch von Natur in einem ge: wiffen Rapport zu den Planeten ftehe, fo daß ihre Zuftände, ihre Bewegung und Ctellung fein Schickſal bejtimmen, eine Voritellung, die bei man- chen Völkern des Alterthums die Stelle der Religion vertrat, im Mittelalter mwenigitend vereinbar mit der Religion erichien, dieſe hat noch jest für viele Men: fchen etwas Poetifches, ja für unfern größten Dich: ter hat fie etwas fo DVerführerifches gehabt, dat er in Wilhelm Meiſters Wanderjahren, um ung ein weibliches Wefen als befonderd hochbegabt zu jchil: dern, von ihr erzählt, daß die Schickſale des Plane: ten Merkur von ihr empfunden und mit erlebt wir: den. Da nun auf der andern Seite der gefunde Menſchenverſtand fich gegen dergleichen Zufimmen- hänge jträubt, weil der Planet Merkur etwas für fich ift, und der Menſch wieder etwas für ſich, fo werden wir am Ende Denen beijtimmen müſſen, welche fagen, daß der alteröfchwache Göthe hier der Romantik des Mittelalters mit feinen Wünſchelruthen und feinen Horoskopen verfallen ſey, und Die ed eine romantische Schwäche nennen, wenn man auch in diefem Werke den großen Dichter wiedererfennen will.
Schon die Gerechtigkeit, wie viel mehr die dankbare Berehrung, fordert, daß man zuſehe, ob nicht jener phantaftifchen Erzählung etwas Wahres und Ber: nünftiges zu Grunde liegt. | Wir prüfen zu dieſem Ende das, worauf jened Berdammungsurtheil fußt, die Behauptung, daß der Menſch etwas für fich ift, und indem wir dabei zu- nächit von den Sternen ganz abjehen und anftatt der übrigen nur unferen Planeten berüdfichtigen, unterfuchen wir, ob man dem Menſchen wirklich ein ganz felbitftändiges, ifolirted Leben zufihreiben müffe, oder auch nur dürfe. Der gewöhnliche Ausdruck: der Menſch jey ein Bewohner der Erde, das fchöne Wort unfered großen Geographen: die Erde fey dad Erziehungs haus des Menſchen, faßt das Verhältniß zwiſchen Menſchen und Erde ſo, wie das zwiſchen uns und den ſchützenden Wänden, zu welchen wir, auch wenn wir ſie ſo lieb haben wie die, innerhalb der wir erzogen wurden, doch nur in einem äußer⸗ lichen Verhältniß ftehn, weil wir umziehen und ohne dat wir dadurd) anderd würden, fie mit an: dern vertanfchen können. Verſucht man aber in Ge- danken binfichtfich der Erde einen ſolchen Umzug, wie diejenigen z. B. thun, welche fich das Leben nach dem Tode ald eines auf andern Planeten denken, 10 macht man die Erfahrung, doh vunier Bein St
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Erde viel inniger ift; es findet fic) nämlich, daß wir in Gedanken immer die Erde (d. h. alle irdiſchen Perhältniffe) mitnehmen, d. 5. bei jenem Fluge un- ferer Gedanken die Erde wirkli nicht verlafjen. Man denkt ichs fchön, einmal auf dem äußerften Planeten zu leben, jo lange man davon abitrahirt, daß dort Die Sonne nur jo groß erfcheint wie ung der Planet Denus, daß dort der Unterichied von Tag und Nacht nur fo groß ift wie bei und zwijchen einer fternhellen Nacht mit oder ohne jenen Plane: ten, daß in gleicher Proportion die Sommerhite und Winterkälte dort fich nahe Itehn, daß demgemäß alle Bedingungen menſchlichen Daſeyns fehlen. Be: dächte man dies, fo würde man jenen Gedanken auf: geben, weil er eigentlich enthält, was dem menjchli- chen Denken unmöglich ift: dag man fih nicht mehr ald Menſchen denke. Da ift die Bibel viel menfch- licher und wahrer, wenn fie in den wenigen Gtellen wo das Wie des Lebens nach dem Tode zur Sprache fommt, von einem folchen Fluge durch die Planeten Nichts fagt, dagegen dem erneuten Menfchen eine erneute Erde verheißt. Sie beftätigt damit, mas wir in uns ſelbſt erfahren, daß der Menfchengeijt nicht Insfommen Tann von der Erde, daß er der wahre Erdgeiſt ift, weil er irdifch lebt, irdifch fühlt, tebifch denkt. Diefed Verſchmolzenſein mit der Erde
bat feinen Grund darin, daß er nicht nur auf der Erde, jondern von ihr lebt, ja wenn man will von ihr gelebt wird, indem ihr Xeben auch ihn durch— dringt. Ich fage mit Abficht ihr Leben, denn wenn auch die Erde jeit fie den Menſchen geboren, er: ſchöpft, nicht neue Geſchlechter hervorbringt, jondern dies ihnen ſelber überläßt, jo hat doch die Geburt ihre3 Benjamin ihr nicht, wie jener Rahel, den völ- ligen Tod gebracht. Dazu, ihre Kinder, nament- lich ihren Süngjtgebornen zu nähren, hat fie noch Leben genug, und wie das Kind an der Mutter Brüſt den flüffigen Leib der Mutter trinkt, fo ift auch die Erde für den Menfchen nicyt nur der Tifch, auf dem ihm die Speife dargebracht wird, fondern die Speife jelbit; was ihn ernährt, was er athmet, was ihn erhält, alles dies iſt Beitandtheil der Erde. Ja das Verhältniß ift noch inniger als zwilchen einer menjchlichen Mutter und ihrem Säugling: nur mit: telbar und langjam überträgt fich die fieberhafte Er- regung derjelben auf das Kind, anders Dagegen hier, wo dem Kinde bei anbrechender Nacht die Augen zufallen, weil der Schlummer der großen Mutter zugleich fein erquidender Schlaf ijt, wo der Menſch das Frühjahröpulfiren der Erde als feine Reijege- fühle oder Todesgedanten empfindet, oder das We- ben des Sirocco ald feine Melle iur, mit
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er der Erde verbunden ift wie die Blüthe, die mit dem Baume Franft und gedeiht. Wozu aber bier bloße Bilder und Gleichniſſe, wo die entfchiedenfte Analogie zu uns fpriht? Wenn man ed ganz na- türlich findet, dat Pflanzen und Bäume, daß, wenn gleich, in geringerer Ausdehnung, auch Die Thierwelt ihren Winterfchlaf hält, worin liegt denn das Be: fremdende, wenn der Menſch gleich den übrigen Kin- “dern der Erde im Winter nicht nur mehr Schlaf verlangt, jondern — man braucht um Died zu be- merken nicht die Naturvölfer zu befuchen, man braucht bloß mit ungebildeten Landleuten verkehrt zu haben — innerlih minder aufgewedt ift? Es iſt der legte Reſt vom Winterfchlaf der ſich bis in das Menſchen⸗ leben hineinzieht.
MWenigftend hinfichtlich feines Verhältniſſes zur Erde werden wir ed aljo aufgeben müſſen dem Menfchen ein völlig ifolirted Leben für fich zuzu: Schreiben; allein wir Dürfen Doch andrerfeits, indem wir folched Zufammenleben mit der Erde behaupten, nicht den großen Unterfchted überfehen, der auch bierin zwifchen dem Menſchen und den. übrigen Be- wohnern der Erde Statt findet, die nur Parafiten und Mitleber an derjelben find. Was manche Mut—⸗ ter fich träumt während fie ihren Eritgebornen mit ibrem eignen Leben nährt, was die Glücklichen unter
den Müttern wirklich erleben, daß der Sohn fidh über die Mutter erhebt, daß fie hinauf zu fehen hat zu ibm ald zu einem großen Herrn, der fie verherr: licht, — die Gebenedeite unter den Müttern ſah zu ihm hinauf ald zu ihrem Herrn — Died iſt Die Beitimmung ded Menfchen der großen Mutter ge: genüber. Er foll die Erde verherrlichen, indem er fih über fie erhebt und fie durch feinen Geift, d. h. künſtlich, verfchönt, d. h. cultivirt und ver: ändert. Indem ‚aber darin die Erde fich nach dem Willen des Menfchen richtet, Eehrt fich offenbar das urfprüngliche Berhältnig um: von Natur folgte der Menſch der Erde, durch feine Kunſt bringt er ed dahin, dag fie ihm gehorcht; von Natur aß er die Früchte des Waldes, durch feine Kunft verwandelt er den Wald in Zeld und zwingt diefem nicht na— türliche fondern Gulturpflanzen ab. Se mehr der Menſch feine Beftimmung erfüllt, als mächtiger Herr der Erde gegenüber fteht, um fo mehr lodern fich alfo die Bande, welche unüberwindlich waren, fo lange er noch ald unmündiges Kind am Herzen der Mutter lag. — Für Die Erfüllung feiner Be- ftimmung brauchen wir in den allerverfchiedenften Berbältniffen ein und daffelbe Wort, indem wir ſo— wohl von dem Eiweiß, das zum Huhn, ald von dem Talent, das zum Birtuofen wird, Kae, Ne üben
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fih (jenes zum Huhn, dieſes zum Tonkünſtler) ge— bildet. Wir feßen darum auch immer dad Gebils dete dem Rohen vder Unreifen entgegen als dem— jenigen, welches feinen Bildungsprozeß noch vor ſich hat. Bleiben wir bei diefen Wort, fo werden. wir jagen müffen, der Menſch bildet fih um ſo mehr, geht um fo mehr aus den Zuftande der Rob: beit heraus, als er fich zum Herrn der Natur macht, oder, da dies nur durch Kunſt geichieht, je mehr er fünftliche Verhältniite an die Stelle der natürli- hen ſetzt. Darnm tft ed ganz nothwendig, daß durch die Fünftliche Agricultur die Menjchheit nicht nur den Adler ſondern fich cultivirt, d. h. gebildet hat, darum ift es umgefehrt begreiflich, daß und die Worte rohe Völfer und Naturvölker Gleiches be- denten, und dat wir unter dem rohen Zuftande des Menihen den Naturzuftand verftehn. Sit aber dies richtig, fo folgt auch ganz von jelbft, daß bei wachfender Bildung Mles feltener werden müſſe, was den Dienfchen ald den von der Natur beberrich- ten erjcheinen läßt. Da nun alle die Erfcheinungen, in welchen der Menfch (wie die bloßen Naturweſen) ale Mitleber der Erde erfcheint, dazu gehören, fo ift ed ganz nothwendig, daß fie mit zunehmender fünftlicher Eultur feltener werden müſſen, während fie im Zujtande der Rohheit, d. h. Uncultur, viel
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häufiger find. Jetzt denke man fich einen Zuftand, wie den unſrigen, wo fait alle natürlichen Verhält— niſſe durch Eiinftliche verdrängt find, wo die von und felbft gefchaffenen Gewalten, Gewohnheit und Mode, fo die erite Natur verdrängt haben und zur zweiten Natur geworden find, daß was jene gebietet unna⸗ türlich heißt; wo man es 3. B. natürlich findet, daß die Schlafenäzeit zum Tanz angewendet wird, ja wenn einmal joll am Tage getanzt werden, gewiß künſtlich Nacht machen und dann abermals künſt-— lich fie in Tag verwandeln wird, man denfe fich dies und man wird fich nicht wundern dürfen, wenn in fo künjtlichen, ja Doppelt künſtlichen Zujtänden die Zufammenhänge, von denen wir fprechen, fchwer auf: zufinden find: fie find eben etwas zu Natürliches, und wir leben nicht mehr in natürlichen Zuftande. — Dieſes nun, daß Died Natürliche von der Eultur verdrängt ift, dieſes vergeſſen Alle, welche das, was ung von rohen Naturvölfern erzählt wird, fogleich Deshalb ala Fabel verwerfen, weil ed bei und nicht vorfommt. Daß die Wilden ein beſtimmtes Bors gefühl von ihrem Tode haben, daß bei ihnen Biele beim Eintreten in eine Hütte empfinden follen, ob ein dem Tode Naher fich darin findet, iſt vielleicht nicht wahr; der Grund aber, den Einige anführen, man bürfe ihnen dergleichen übernatieiiuen SuHsK-
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blick nicht zutrauen, der ja ſelbſt unfern gefchidteften Ärzten abgehe, Diefer ift unhaltbar; hier ift von etwas Übernatürlichem gar nicht die Rede. Da bie Kapen fich verſtecken um zu fterben, da der treue Hund den tödtlich erkrankten Herrn flieht, zudring- liche Stiegen fich an den Sterbenden drängen, weil fie die beginnende Verweſung ahnden, fo fcheint dad vielmehr dad Natürliche zu fein, und nur unfer über: natürlicher, d. h. künſtlicher Zuſtand, in dem wir fo: gar gejcheute Ärzte haben, es verſcheucht zu haben. Daß ſich Nichts der Art bei uns findet, beweift nicht daß dergleichen nicht möglich jeyn follte bei Natur: völfern, die wir freilich nicht darum beneiden wer: den, fondern eher beffagen, daß fie den Kaben, Hun⸗ den und Fliegen jo Ähnlich blieben. Wollen wir daher Erfahrungen fammeln Hinfichtlich des natür- lichen Zufammenhanges zwiſchen dem Xeben der Erde und des Menfchen, der auch bet uns fich noch fin: det, jo werden wir dahin bliden müflen, wo die fünftliche Entwidlung, d. h. die Bildung noch nicht begonnen hat oder wenigſtens nicht tief Durchdrang. Alfo auf Die Kinder und die ungebildeten Land— leute. Darum ward nur bei den Kindern auf das Schläfrigwerden mit anbrechender Nacht bingewie- fen, weil das bei uns ald Mangel an gefellichaft: licher Bildung ericheinen würde; allein auch bier
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wird die Ausbeute gering feyn, Denn wo man ed na= türlich findet, daß Das nengeborne Kind im ver: dunkelten Zimmer liege (ald wenn dann die Men: fhen nicht von Natur würden blind geboren wer- den), da fängt die Eultur mit dem erjten Athemzuge der Kinder an. Mbnlich ift es hinfichtlich des Land: mannd: wo es natürlich erfcheint, daß der Bauer in Dörfern wohnt, Gaffee trinft, unter Federbetten fchläft, Zeitungen lieſt und Politik treibt, da Tann von einem Naturmenfchen kaum mehr die Rede feyn, und darum will ich gern zugeben, daß hier zu Lande von jenem Stumpferwerden im Winter, von jenem Reit des Winterfchlafes, von dem ich oben ſprach, feine Spur fich finde, den ich bei Bauern, die un: ter ganz andern, einfacheren, Umjtänden leben, fehr deutlich bemerkt habe. —
Daraus aber, Daß es die Bildung ift, welche alle die Ericheinungen verfchwinden läßt, in Denen fi) der Menſch ald Anhängfel der Erde und ale ihr Leben theilend erweiit, daraus folgt, daß dieſelben wieder hervortreten müſſen oder wenigitend können, wo ihre Wirkfamkeit aufhört. Halten wir Dies feft, daß unter Bildung nicht etwa nur Die Fähigkeit zu lefen oder zu jchreiben, fondern die erfüllte Be⸗ ftimmung zu verftehen ift, die Darin beiteht, daß der Menſch die Natur bezwang und vvx Äe Ted ontlür,
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fo kann ed nicht auffallen, wenn die Krankheit als eine Negation der Bildung bezeichnet wird, wie ja denn auch der gewöhnliche Sprachgebrauch hier Mip- bildung, Berbildung, d. h. mißrathene Bildung | . fagt. In der That ift jede Krankheit entweder ge: bemmte Bildung (wie die Blaufucht der Kinder) oder mißgeleitete hinfichtlich ihrer Nichtung. Gegen den übermüthigen, jetzt bitter gejtraften, Cinfall Heine’s, dab die Gefundheit ungebildet, pöbelhaft, fey, werden wir gerade in den Kranfheitderjiheinun: gen Migbildungen erkennen, darum aber auch und nicht wundern, wenn in Krankheiten der Menſch der Naturgewalt wieder verfällt, und alle die Zuſam— menhänge wieder hervortreten, von welchen cr ich (über die Natur fiegend) befreit hatte. Der Gefunde hat Recht, wenn er fagt: was ficht mich’s an, ob die Bäume Blätter treiben, er wird krank und der aud) in ihm fich mächtig regende Lebensjaft fprengt die todeöwunde Bruft; der Gefunde geht ungeltraft nach Mitternacht zu Bette, weil es feine Schlafenäzeit ift, und fpottet ded Arztes, der ihm Die Kinder als Mufter vorhält, er wird Frank und der gejteigerte Paroxysmus des Fiebers zeigt, daß nicht alle Stun: ben des Tages gleich find. Der Gejunde hat Necht wenn er fagt, daß der Mond wohl über das Meer und über deſſen Ebbe und Fluth Gewalt haben möge
(felbft wenn er nicht jogleich begreift warum dieſel⸗ ben zwei Mal Statt finden), dabei aber leugnet, daß er über ihn Macht habe, allein er wird mondſüch— tig und unterliegt der Gewalt, die er bie dahin ver: höhnte; was der Gefunde den Laubfröichen und Spinnen überläßt, Witterungsmechfel zu empfinden, darin wird er ihnen ähnlich, wenn Rheumatismen, ja wenn Hühneraugen ihn plagen. — Wie wir ed tadeln mußten, wenn verkannt wird, da Manches im Naturzujtand möglidy ja nothmwendig ift, was bei wachjender Eultur eben jo nothwendig verjchwinden muß, jo find wir hier zu gleichem Tadel berechtigt: Sn der abergläubiichen Furcht vor Aberglauben, die unfere Zeit characterifirt, in der wir ganz vergeflen, daß nicht das Ungläubigieyn den aufgeklärten Dann verräth, jondern das eingehende Unterfuchen — (der Dumme Bauer ift der ungläubigite, er verfucht nichts Neues weil er e3 nicht glaubt) — in dieſer Furcht alſo verwerfen wir ohne Weiteres ald unmöglich, als undenkbar, was nur krankhaft zu feyn braucht. Es gibt noch heut zu Tage nervös reizbare Mten- fhen, welche, wenn ſich im Zimmer eine Kabe be- findet, Zittern, Ohnmachtsanwandlungen, befommen. Es wäre nicht undenfbar, daß bei krankhaft reiz- barem Welen ähnliche Symptome fid) zeigten, wo Jemand auf quellens oder metslleeiigen Bruen RL.
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Seht denfe man fich in der Hand eines folchen er- zitternden oder von momentaner Schwäche befallenen Individuums eine ſchwankende Ruthe: daß diefe er: zittert oder in der fchwachwerbenden Hand fich ſenkt, enthält durchaus feine Undenfbarfeit — und von der allein ilt hier die Rede. Daß endlich, wenn der— gleichen Eranfhafte Nervoſität vorfommen follte, fie mehr in dem nervös reizbaren Mittelalter, als in unferer abgeitumpften blafirten Zeit vorkommen wird, liegt in der Natur der Sade. Die Undenkbarkeit und der Unfinn in diefen Erzählungen beginnt erft dort, wo man dad Kactum anfängt zu erklären, wo man ed auf die Hafelruthe oder darauf fchiebt, daß diefelbe in der Johannisnacht gefchnitten ward u. f. w. Wenn wir aber darand, daß Dies alles Aberwitz ift, fogleich ſchließen wollten, alfo habe nie eine Wün- fehelruthe in der Hand eines Kranken gezittert, und die ed behaupten, jeyen Betrogene oder Lügner, — fo find wir dabei vielleicht eben fo gerecht wie im Mittelalter der Richter, welcher, wenn eine Frau and eignem Antriebe ſich angab ald eine, die auf einem Bejenjtiel auf den Blocksberg geritten fey, nun fie bona fide zum Tode verurtheilte, anftatt zu un: terfuchen, ob ihr Died nicht wirklich paffirt ſey: im Traum nehmlich, in welchem Fall fie, wenn der: gleichen Träume Werk verborbener Phantafie waren,
eine ernite Ermahnung, wenn Folge von Krankheit, ärztliche Behandlung, gewiß aber nicht den Feuer: tod verdient hätte.
Nach einer folcyen Apologie, jogar der Wünfchel: ruthen, wird, wenn ich num zu den Sternen zu: rückkehre und zu Der Frage: ob ihre Bewegung den Menjchen Etwas angehe, Mancher meinen, ic müſſe, wolle ich confequent fein, auch die Sterndeu- terei in Schuß nehmen. Vielleicht doch nicht. Selbſt wenn das Verhältnig des Menſchen zum Planeten: ſyſtem ganz fo märe wie das zu feiner Mutter, der Erde, fo würde er Doch nur fo lange ald ein Mit- Leber an demfelben erjcheinen, als er fich von der Natur nicht frei gemacht hat, und die Macht der Eonftellatienen würden wir auf die Zeit befchränten müfjen, wo der Menfch noch jo wenig die von ſei— ser Vernunft dictirten oder wenigitens begriffenen Geſetze für das Höchfte hielt, daß ihm vielmehr das Naturgeſetz als fein Gott, der Planetentanz, worin Tich Dies Geſetz am großartigiten zeigt, ale die allei- nige Offenbarung Gottes erfchten. Aber felbft dann wäre die Wirkſamkeit der Sterne auf den Menjchen nur als eine äußerjt geringe zu ftatuiren und Die gar nicht in Vergleich kommt mit der Stärke der Bande, mit welchen die Erde den Menfchen an ich Tettet. Wie auch in einem allgemeinen Mixpr Kart INNEN
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Landes die Bäume eines Gartens, die Ähren eines Feldes ergiebig ſeyn können, wenn Umftände Statt fanden oder Maaßregeln ergriffen wurden, Die die: fen Garten oder diejed Feld, an deſſen Xeben Bäume und Ähren fpeciellern Antheil haben als an dem dee ganzen Landes, iſoliren und vor den Einflüffen un— ter denen das ganze Yand leidet ficher ſtellen, jo ift unfere Erde ein ſolcher ifolirter Garten im Plane: tenſyſtem, und weil der Menfch mit ihr fo innig ver: bunden ijt, deswegen kann ihn das, was in Dem grö- Bern Ganzen gefchieht, fogar wo er noch der Natur angehört, nur wenig berühren. Endlid, aber müſ— fen wir fogar dieſes Wenige noch leugnen, denn die Möglichkeit, daß der Menſch ſich in, wenn aud fchwächern:, doch ähnlichen Berhältnig zum Plane: tenſyſtem befinden könne wie zur Erde, beruht auf der Vorausſetzung daß eg ein Leben Des Planeten: inftems gebe. Dazu aber, Died anzunehmen, nöthigt und nichte. Da wir von Xeben nur da jprechen, wo fid) fo complicirte Bewegungen zeigen, daß wir genöthigt ſind entweder andere Kräfte anzuichmen als welche die todte Natur beherrſchen, oder wenig— ſtens ganz eigenthümliche Combinationen der ſonſt wirkenden, die Bewegung der Himmelskoörper aber ſehr einfach aus Stoß und Zug erklärt und aufs Haar berechnet werben Tann, — ſo haben gewiß die
mehr Recht, welche das Planeteniyitem mit einer Uhr vergleichen, als Die es zu einem lebendigen Wefen machen. Wo aber Das Ganze nicht lebt, Eann von einem Participiren des Theild an jeinen Leben nicht die Rede feyn, und Da auf Diejer Annahme alle ajtro: logiſchen Borjtellungen beruhen, jo müſſen wir jagen dergleichen Zuſammenhänge finden nicht und fanden nie Statt.
Segt aber jcheint, wenn irgend Einer am Anfange unferer Unterfuchung noch zweifelhaft geweſen ſeyn follte, gar fein Zweifel nicht möglich. Wenn feft- ftehen follte, daß der Unſinn feinen (auch feinen poeti- fchen) Reiz für den vernünftigen Menſchen haben foll, jet eben aber die Anficht von einem Zufammen- leben mit den Sternen als Irrthum bezeichnet wurde, jo kann auch Göthe nur in einem Moment roman: tifher Schwäche feine Diakarie erfunden haben, und wir müflen ung für ihn, jollte ed uns aber gefallen baben, für ung jelbft, fchämen. Dies ift doch noch nicht ganz ficher, denn ein Irrthum braucht nod) fein Unfinn zu jeyn. Wenn ein Kind fich in den Spiegel liebt, und nachtem ed vergeblich verjucht hat jenes andere Kind zu berühren, nun Hinter den Spie- gel greift, fo ift jeine Borftellung trrig, und dennoch freun wir und, daß died Kind fo viel Sinn und Berftand. zeigt, denn wenn ht üer ven Kur
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unbefannte Umſtand Statt finde, dat dieſe Glas: icheibe mit Amalganı bededt ijt, jo hätte ed ganz recht, da hinten ein Kind zu vermuthen. In der Yage dieſes Kindes aber befanden fich die frühern Gejchlechter, welchen es verbergen war, daß der Yauf der Geſtirne jo einfach iit, Die vielmehr, weil fie die Erde für den Mittelpunft Des Syſtems hielten, den Planeten jo complicirte, vor: und rüdelaufende Be: wegungen und Darum bewegende Lebenskräfte zujchrei: ben mußten. Sie irrten, aber mit Sinn und Ber: ftand. Wie uns aber jenes hinter dem Spiegel juchende Kind nicht nur durd) die erjten Spuren von Verſtand ergößt, fondern zugleih rührt, weil es und Die glütdliche Zeit zurüdruft wo wir uns zwar täufchten, aber auch fo viele ſchmerzliche Enttän: ſchungen nicht erfahren hatten, eben jo erfüllt une der Gedanke an einen Zujtand der Menſchheit, we noch kein Newton Das Planetenſyſtem entgeijtet Hatte, und wo man von den Planeten glaubte, tie führten einen Reigen auf, mit den fühen Gefühlen, mit wel- hen in allen Völkern und Jahrhunderten der Menſch auf die paradiejiiche Kindheitszeit Des Geſchlechtes zurüdgeblidt hat. — Und nun denfe man fich den Dichter, Der mehr ald je Einer, dem geheimnigvollen Wirken der Natur laufchte, der Natur: und Offian: trunten in jeinem Werther gegen die bürgerlichen
Berhältnifie anjtürmt, deſſen Wahlverwandſchaften zeigen wollen, daß daſſelbe Naturgeſetz, welches von der Kalferde die Säure, auch Eduard von Charlotten fcheidet, und man wird fich nicht wundern, wenn er die unter feinen Heldinnen, welche ihm am Meiſten gefällt, Dttilien, um fie mit allen Vorzügen zu fhmüden, nicht, wie das ein heutiger Autor viel- leicht thun würde, mit jocialen Fragen ich .befchäf- tigen, jondern — Steinfohlenlager fühlen läßt; denke man ſich ihn mit feinem Haß gegen Newton, mit Sngrimm gegen Mle erfüllt die aus gewaltſamem Stoßen und Ziehen das Univerfum conftruiren, und man wird ed begreifen wie er, um Mafarien Doppelt Telig zu fchildern, fie Hingegeben jenn läßt Dem Zuge allgemeinen Lebens, dag er über die Erde ausdehnt big auf die Wandeliterne. Nennt man Dies roman- tifch, To jen ee, nur verbanne man es darum nicht ins Mittelalter: die Freude an der Kinderwelt iit auch romantijch, fie aber war dem klaſſiſchen Alter: thum eben fo wenig fremd als das romantifche Aus: malen eines goldnen Zeitalter; die Sehnſucht aus der Stadt aufs Gebirge mit feinen öden Gletſchern, aus unjern Culturzuftänden nach einem amerikaniſchen Urwald, alles dies ift eben jo romantisch, und nimmt man und dies Alles, jo werden wir wohl weniq Poetie nachbebalten.
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Wenn unjere Unterfuchung und berechtigt ben Dichter gegen den Vorwurf ganz finnlofer Phan- tafterei in Schuß zu nehmen, fo gibt fie und zugleich noch einen andern Wink Hinfichtlich feiner Beurthei: lung. Wir haben gejehn, daß wenn fi Erſchei— nungen, die im paradieftjch-findlichen Alter der Menſch⸗ beit natürlich waren, ind Gulturleben hineinziehn, daß fie dann Symptome von Krankheit find. Obgleich bei feiner offenbaren Vorliebe für dergleichen, Göthe vielleicht verlegt feyn würde Durch jo eine Behaup— tung, fo bat er doch bei der Behandlung dieſer Erſcheinungen praftifch jich auf unſere Seite geftellt, und auch hier wieder bewiejen, daß jeine perfönlichen Sympathien und Antipathien ihn nie gegen die Wahr: heit verblenden. Wer wollte verfennen, daß er mit Werther fumpathifirt im Anſtürmen gegen die bür: gerlichen Berhältniffe, und dennoch ftellt er dies An- ftürmen dar ald nothwendig zum Untergange führend, was aber nothwendig dazı führt das nennt man ja eben Krankheit. Wer will es leugnen, daß Göthe perjönli Eduard und Ottilien doppelt Tiebt, weil fie unter dem natürlichen Geſetz der chemifchen Wahlverwandtfchaft ftehn, aber er zeigt wie Diefes Beherrihtfeyn zum Tode führt, d. h. Krankheit iſt. So auch in dem, was ung hier befchäftigt. Ihm erfdeint Dttilte als beſonders beaakt, weil ſie Stein-
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fohlenlager ipürt, aber er fchildert wahr und des— wegen gejtebt er, daß Nte etwas langſamen Berftan: des geweſen jey (was Doch wohl bei einer jungen Dame nur ein Berläumder den gejunden Zuftand nennen wird); eben jo ift ihm Makarie deppelt ver: ehrungswürdig wenn die Zeit ihres Rapports mit den Planeten beginnt, aber er gibt ter Wahrheit Die Ehre und bekennt, daß gerade dann fie aufhörte, Werke der Barmherzigkeit zu üben und der Engel der Umgegend zu ſeyn, jo das aljo jene Momente des fiderifchen Pebens von ihm ſelbſt als folche ge: ichildert werden, Die wie ein fittliher Schlaf oder eine ethiſche Ohnmacht, das wache und gefunde fitt: fiche Leben unterbrechen. Und hier möchte man, troß des romantifchen Sternlebens der Makarie, dem jün— gern antistomantifchen Gefchlechte den Haren Verſtand des alten Göthe wünſchen. Es geht dieſem Ge: fchlechte feltfam; ganz daffelbe was auf der einen Seite bis auf den Tod verfolgt wird, genießt auf der andern um jo mehr Verehrung, und da ed dort noch eher geduldet werden möchte als hier, fo möchte ich jagen, daß unjere Zeit Neigung zu moralifchen ‚Milchverfeßungen habe, wenn ich nicht fürchtete bei allen, Die medicinifche Kenntuiffe haben, in den Ge: ruch zu kommen, daß ich längft veraltete Anfichten liebe. Fin merkwürdiges Beiipiel \tlger MEARÄEN
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die leider im ethiſchen Gebiete kein Wahn ſind, ſehn wir hinſichtlich des Intereſſes, das man an Räubern und Banditen, Verbrechern überhaupt, nahm und nimmt. Früher las man den Rinaldini, Pontolino- Abällino, und ſah im Leſen Die Großherzigfeit nur im Kerker. Das ift jet gegen den guten Gejchmad. Sch habe nichts Dagegen, dad Diefe Romane heut zu Tage nicht mehr gefallen, und wünjche durchaus nicht fie vom Küchentifch wieder zurüd ind Zimmer der Dame, ob aber dies ein gejunderer Zujtaud ijt, wo ganz dafjelbe Raifonnement aus den Romanen in Die 1. g. Organe der öffentlichen Meinung übergegangen ift und Zeitungen ſich nur Darüber erweichen, daß die Zelle des Zuchthäuslers jo traurig iſt, als müſſe ordentlicher Weile Das Verbrechen nur zu Belnfti: gungsorten führen, das ift Die Stage. Ich fürchte jo wird es auch mit der Nomantif gehn. Es wäre nicht unmöglich, daß, wenn wir und erjt Alle werden überzeugt haben, daß Romeo und Julie nur gedichtet ward um zeigen, was Dabei herauskommt, wenn ein Mann ich der Leidenjchaft der Liebe hingibt und darüber fein Geichäft oder feine politijche Garriere verfäumt, daß dann andere Völker mit Recht Tagen werden: jeltjam fey es, daß Die Deutichen, Die durch ihre Leidenjchaftlichkeit zu jedem Geſchäft untauglich, daß Diele die Liebe nur als Gefchäft oder ald Mittel
zur Garriere gebrauchten. Und wenn wir je dazu gelangen follten, dag Göthe nicht mehr ein großer Dichter ift, ſondern ein unklarer Kopf, der anftatt hübſch bei der Erde zu bleiben, feine Helden auf dem Mercur und der Venus anfiedelt, Dann möchte auch die Zeit nicht mehr fern feyn, wo man und nachſagen wird, wir feyen phantafie- und poeſieloſer als die Amerikaner, nur binfichtlich unjerer bürgerlichen Ein- richtungen jeyen wir Phantaſten und conjtruirten Staaten, die vortrefflih wären für den Mercur und die Venus. Die Gegenwart iſt nicht jehr fchön. Doch tenne ih Manihen, der fie einer jolchen Zufunft weit vorzöge.
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Wir leben nicht auf der Erde.
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Dagegen, dag die Worte „Aufgeklärt“ und „Ohne Borurtheile” ale gleichbedeutend gelten, und daß man ald das Ziel aller Erziehung und alles Unterrichts, ſowohl der Individuen ald der Völker, Die Befreiung son Borurtheilen anfieht, Dagegen ift, To lange diefer Ausdrud richtig veritanden wird, Nichts einzuwenden. Gewöhnlich aber meint man damit nur dies Eine, das was biöher geglaubt wurde, widerlegt und ale irrig nachgewiefen werde, und da ift der Ausdrud offenbar zu enge gefaßt. Viel enger nämlich als die Bildung ded Wortes verlangt, denn da darin doch nur gefagt ift, daß vor reifficher Überlegung geur: theilt wird, Etwas ſey falfch oder richtig, gut oder . Schlecht, jo ift offenbar „Vorurtheil“ ganz gleichbe: . deutend mit „vorgefaßter Meinung”, wobei ed ganz unentfchieden bleibt, ob diefe richtig ift oder unrichtig. Daß die Erde fih um die Sonne dreht tft, jo lange mir es nicht bewiefen oder durch mein eigned Nadh- denken beftätigt iſt, eben fo ein Borurtheil wie, daß ein.über den Weg. laufender Hafe Unaüt wills
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Bon beiden Vorurtheilen muß fi) der Menſch be: freien, um ein aufgeflärter Mann zu fein; es ge: ſchieht aber Hinfichtlich beider auf verſchiedene Weiſe. Hinfichtlich des erjten fo, daß ihm die Bewegung der Erde bewiejen wird, jo daß, wenn er nun ſpäter urtheilt, fie jtehe nicht jtill, Dies nicht mehr ein Bor: urtheil ift, jondern vielmehr ein Nach urtheil genannt werden müßte; hinſichtlich des zweiten jo, daß er dahin gebracht wird, gar nicht mehr jo zu urtheilen, weder vorher noch nachher. Gäbe ed nur das leb: tere Mittel, die Menſchen aufzuklären, jo hätten Die Finfterlinge Recht, welche die Aufklärung für ein Un: glüd Halten. Denn da Alles, was das Kind (und der ungebildete Menſch) glaubt und weiß, nicht ale ein Bewieſenes, jondern als eine vorgefaßte Meinung oder ein Borurtheil in ihm lebt, indem es Feine Gründe weiß, warum es den Bater gehorchen, Die Mutter lieben joll, jo würde die Aufflärung, indem fie ihm feine Vorurtheile widerlegte, die heiligiten Überzeugungen in ihm zerjtören. So aber tft es nicht. Glücklicher Weife ift das Widerlegen der Borurtheile nur ein Theil der Erziehung. Ein ebeßfo wichtiger, wenn nicht größerer, Theil derjelben befteht darin, daß beitätigt und bewiefen wird, was wahr war in den kindlichen Borurtheilen, und auch Died befrett Davon, weil ed. davor ſchützt, voreilig zu urtbeilen.
Aber nicht nur in der Erziehung des Kindes ift es fo. Alles Zufammenleben der Menſchen hat doch zu: legt nur den einen Zwed, daß fie ſich gegenjeitig unterrichten, bilden, aufflären, und darum befteht es eigentlich nur in einem gegenfeitigen Bejtätigen deſſen, was Wahres, und Widerlegen deſſen, was Unrichtiges fich findet in unjeren VBorurtheilen.
Da die Vorträge, welche bier gehalten werden, ein gegenjeitige3 Sich unterrichten und Sid) aufklären zu ihrer Aufgabe haben, io Fann auch ihre Lojung nur diefer zweifache Krieg gegen die VBorurtheile jeyn. Sch habe einmal bier*) den Verſuch gemacht zu zei: gen, dag in einem Vorurtheil, das Viele für irrig Halten, manches Wahre enthalten ift. Würde ich nun abermals als Vertheidiger von Meinungen auftreten, die alle Welt für unrichtig Hält, jo könnte das doch am Ende ein fchlechtes Licht auf mich werfen, und felbit die Autorität des größten jet [chenden Dichters, des Finzigen, der noch lebt aus der Zeit der großen Dichter, der einmal feinen: Freunde fchrieb, ihm jey die wahrfte Philofophie die, welche ihm die meiften feiner Borurtheile beftätige, jelbit die Autorität dieſes feined Freundes, der ein großer Philofoph war und doch fich Solches frhreiben ließ, ja fich darüber freute
) ©. ben vorhergehenden Vortrag: Ueber ben poetifchen Rei, bes Aberglaubens.
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— felbft diefe Autoritäten würden mic kaum vor dem Borwurf ded Obſcurantismus ſchützen. Es ift aber nicht nur die, gewiß billige, Nüdficht auf mei: nen guten Ruf, Die mich dahin bringt, heute (ganz im Gegenfaß gegen das vorige Mal) eine fehr allge- mein verbreitete Meinung, die Viele als einen Aus: fpruch ded gefunden Menfchenverftandes anfehn, als einen groben Irrthum zu bezeichnen, fondern es be: wegt mich dazu noch etwas Anderes, nämlich daß ich dadurch, ich Kann nicht einmal jagen eine Pflicht der Dankbarkeit erfülle, fondern vielmehr nur eine Schuld abtrage. Sch bin nämlich durch einen vor einiger Zeit bier gehaltenen Bortrag von einem irrigen Bor- urtheil erlöft worden, das ich einige vierzig Sabre gebegt Hatte, ja noch mehr, der Gedanke, den ich heute bier Durchzuführen gedenke, ift, wenn auch nicht gerade jenem Bortrage entnommen, jo doch durch ihn entitanden. Als ich nämlich vor einigen Wochen bier ber fam, um einen Vortrag anzuhören, lebte ich des Glaubens, den vielleicht Manche mit mir ge: theilt haben, daß ich und alle übrigen Menſchen auf der Erde leben und darauf wandeln werden, bis ber unerbitiliche Tod und unter diefelbe bringt. Der Bortrag aber, den ich anhörte, zeigte mir, wie fehr ich mich geirrt hatte. Es ward nämlich in demjelben bewiefen, daß die Atmofphäre gerade fo zur Erbe
gehört, wie Die Ayfelichale zum Apfel, oder wie die fruchtbare Aderkrume zu dem feiten Erdboden, auf welchem fie ruht. Ich mußte mir alfo fagen, daß fo wenig der Wurm, der zwifchen Fleiſch und Schale des Apfels fich befindet, jagen darf, er Frieche auf dem Apfel herum, fo wenig der Maulwurf, der unter der Aderkrume wühlt, behaupten darf, er laufe umber auf dem der, daß eben jo wenig wir das geringfte Recht haben zu prätendiren, daß wir auf der Erde leben. Ic) fagte mir, daß, wenn ed Wefen geben follte, die wirklich auf der Erde leben, d. h. auf der ducchfichtigen Schale ded großen Apfeld, den wir Erde nennen, auf dem kryſtallnen Aderlande, unter dem wir wühlen, daß dieſe in ihrem Rechte Tind, wenn fie, ich wundernd, herabbliden auf Die feltfjamen unterirdifchen Gefchöpfe, die fich fo tief unten fo gefallen, und dann doch wieder fo viel Auf- bebend davon machen, wenn es ſechs Fuß tiefer hinab fol. Sn dad befchämende Manlwurfsgefühl, mit dem mich jener Vortrag erfüllte, mifchte ſich, ich kann ed nicht leugnen, manches Tröftliche. Denn wenn ich bis dahin wohl manchmal gefagt hatte: der Ärger über das und das, oder die und die wird mich noch unter Die Erde bringen, jo fah ich jeßt ein, daß dieſe Furcht jehr thöricht geweien, da ich ja längſt darunter bin. Wie ed aber wohl hei dem Nur: av}
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matifer geht, daß wenn er eine Formel für eine Art von Größen gefunden, er nun fragt, ob fie nicht auch für andere gültig, fo erzeugte jener Gedanke bald einen ihm verwandten in mir, den ich eben, meil er hier entitanden ift, auch bier an's Licht treten laffe. Sit es nicht am Ende mit dem Leben hoch über der Erde gerade fo, wie mit dem unter ihr? Auch von einem überirdifchen Leben ſprechen die Men: ſchen und hoffen ed nach dem Tode, ganz wie id bisher das Sein unter der Erde durch die Todes— pforte von mir gefchieden gedacdıt hatte. Wie, wenn fie fich eben jo irrten, wie ich mich bid dahin geirrt hatte? Je mehr ich darüber nachdachte, um fo Harer wurde mir, was ich hier Har zu machen wünfche, dap nämlich der Menfch wie er bereit3 unter ber Erde lebt, fo auch gegenwärtig fehon in himmlischen Regionen wandelt. Es ift aber nicht (woran bei dem Ausdrud „im Himmel wandeln“ natürlic) Seder zuerst denkt) es ift nicht das religiöſe Gebiet, in welches ich hineintreten will, jondern ein von ihm verfchiedened, freilich von der gejunden Keligiofität ihm verwandt geachtetes, es ift das Gebiet der Kunft. In wie weit diefe mit Recht den Namen der Him- melötochter führt, in wie fern wir, obgleich der Hip- pogryph längft aus der Mode gekommen, doch noch som Fühnen Fluge der Dichter, von ihrem Entrüdt-
ſeyn in höhere Regionen jprechen dürfen, in wiefern der Genuß ded Schönen oder der Kunftgenuß wirffih über alles Irdiſche erhebt, darüber wünschte ich, gäben wir und Nechenjchaft.
1.
Die Erde oder der Inbegriff alles Irdiſchen zeigt und zunächſt die finnlichen Erfcheinungen nebit den fie beherrichenden Gefeten oder das, was wir Natur nennen. Der Umftand, daß in allen Eprachen der Natur die Kunſt, dem Natürlichen das Künftliche entgegengeftellt wird, fcheint darauf Hinzumeifen, daß zum Weſen der Kunjt eine VBerneinung der Natur, ein Berlafjen derjelben gehöre. Dies ift auch ganz richtig. Nicht nur Hinfichtlich der Kunft, die wir dem Gewerbe gleich ftellen, deren Werke wir Einft- liche nennen oder Kunjtproducte, fondern auch hin- fichtlih der Schönen Kunft, die das Kinftlerifche ſchafft und das Kunſtwerk; auch dieſes ift nicht anders denkbar als fo, daß darin die Natur verneint wird. Eben darum zeigen ſich die eriten Spuren des Kunſtſinnes bei Individuen jowohl ald bei der ganzen Menjchheit, in der Luft am Mährchenhaften und Zanberifchen, d. h. an dem, was nad) Natur: gejegen unmöglich ift. Wie in feinen erjten Syielen das Kind fich Iosreigt won dem Eier AR Hirte
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lihen, eben fo zerreißt die Eindliche Menſchheit in ihren erſten Poefteen die unverbrüchlichen Geſetze der Natur, und diefed Zerreißen gewährt eine Luſt der ähnlich, welche die genießen follen, Die anftatt auf den natürlichen Stützen ihres Leibes zu ftehn, un: natürlicher Weife von einem Ballon hoch in Die Lüfte ſich tragen laffen. Es hat Pädagogen gegeben, welche verlangten, man jolle den Kindern feine Mährchen erzählen, fondern fie zu veritändigen Menſchen er: ziehn, die fich mit dem Natürlichen genügen laſſen. Mollten diefe Männer confequent fein, fo mußten fie auch Die Spiele der Kinder verbieten und ver- hindern, daß fie fich daran freuen. Denn daß der Knabe aus dem Spazierftod feined Vaters ein Reit: pferd herauszaubert, daß das Heine Mädchen einen ichlecht gedrehten Plumpſack in eine Köchin verwan: delt, die auf den Markt gefchidt wird, das ift um gar Nicht3 weniger unnatürlih, ald day im Mähr: chen ein böfer Zauberer die Prinzeffin in einen Rofen- oder Dornftrauch verwandelt. Weil Beides ganz gleich unnatürlich ijt, Deöwegen macht auch Beides ein ganz gleiche DBergnügen. Denn die Luft an der Unnatur iſt berechtigt, weil fie die Erfahrung gibt, daß Die Naturgefeße nachgiebig find. Das Thier, welches Durch fie gefeffelt wird, kennt Diefe Luft nicht, und wenn die Thiere Dichter Hätten, fo würden dieſe
gewit feine Mährchen erzählen, fondern nur vom wirklichen Graſe fingen, oder wenn fie Sleifchfreffer find, von einem wirflihen natürliden Stüd Fleiſch. Das find Ultra’s der Verſtändigkeit, die hübſch bei dem Natürlichen bleiben. Da aber unfere, auf die Natur verfeffenen Pädagogen ihre Efeven Doch nicht fo weit bringen werden, daß fie es jenen Muſtern gleich thun, jo follten fie auch lieber den Menichenkindern ihre Spiele lajfeu und ihre Mähr- chen, an denen ſich freun die eriten Keime des Kunft- und Schönheitsfinnes verrathen heißt.
Sch fage mit Abficht die eriten Keime, denn mehr als diefe möchte ich in der Luſt am Unnatürlichen nicht fehn. Nicht daß ic) zurüdnehmen möchte was ich gefagt, daß es zum Weſen der Kunft gehört die Natur zu verneinen, fondern weil die Verneinung, die eben betrachtet ward, weder die einzige ift, noch auch die höchſte. Die Sätze: der Stein iſt Feine Pflanze, und: dad Thier ift feine, verneinen von beiden das pflanzliche Leben und bedeuten doch ganz Berfchiedenes. Der erite fagt, daß der Stein noch nicht ind Pflanzenleben hinein:, der zweite, daß Das Thier darüber hinausreicht. Die Berneinung der Natur, die bis jetzt betrachtet wurde, ift wie: der Stein ift noch feine Pflanze, darum bringt fie es eigentlich nur bis zum Unternatiutlühen | u U ld
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begreifli, warum dämoniſche, fratenhafte, unter: irdiſche Mächte in den Mährchen eine fo wichtige Rolle ſpielen. Es gibt aber eine andere Negation der Natur, in welcher fie fo verneint wird, wie das Pflanzenleben dort, wo wir jagen, das Thier ift nicht mehr eine Pflanze, eine Verneinung, Die zu— gleich pofitiv, bejahend, ift, und die Freude an dieſer muß nothwendig bei wachfender Bildung des Men— Then an die Stelle der Luft am Unnatürlichen, Mähr-— chenhaften treten. Der Kunftfinn nämlich Tieg ihn den Reſpect vor dem Natürlichen verlieren, auf der andern Seite wird, je mehr feine Bernunft reift, um fo mehr er einfehn, daß die Gefeße der Natur viel mächtiger find, als die Findlihe Phantajie träumte. Und jo wird er, um mit fich felbft im Einklang zu bleiben, verjuchen müffen, dem Kunſtſinn zu Gefallen die Natur zu verneinen, der Vernunft aber genug zu thun, indem er fie bejaht; er wird zugleich und zumal fie gelten lafjen und fie nicht achten. So un- vereinbar Beides fcheint, jo verbindet ſich's doch überall, wo wir Etwas fteigern oder verftärfen. Denn da wir ed verändern, fo bleibt ed nicht wie es war, wird aljo von und verneint, auf der anderen Seite wird es nicht etwas Anders, e3 bleibt was ed ift, ja ed wird dazu in noch höherem Grade, alfo bejaben wir ed. Das Wort: Idealiſiren“, das
man für dieſe Thätigkeit braucht, iſt paſſend gewählt, weil „Ideal“ einmal das Gegentheil des Realen be: deutet, und dann doch auch wieder eine vollendetere oder gefteigerte Realität. Indem nun die Kunſt die natürlichen Gegenſtände idealifirt, bleibt fie eben fo wenig wie der Mäbhrchen : Erzähler bei dem Natür: lichen ftehn, aber fie verneint ed anders ald er. Sie verneint es, indem fie eg bejaht, denn wo die Natur etwas gut gemacht hatte, da thut fie ded Guten, zwar nicht zu viel aber Doch mehr; was die Natur aus fich hervor trieb, dad wird von der Kunft über— trieben, und darum ijt es durchaus fein Zufall, wenn wir von einen Erzähler, der nicht eract bei dem Mirklichen jtehn bleibt, bald fagen, er übertreibe, bald wieder Ausdrüde brauchen, die der Kunft ent: lehnt find: er malt aus, er verfchönert u.f.w. In der That iſt jedes Berfchönern ein Hinausgehn über das Wirkliche, und anftatt dem Künſtler dad Weber: treiben zu verbieten, muß man vielmehr jagen: Ein Künftler, der nicht übertriebe, was die Natur ihm darbietet, wäre ein Natur:Copift, fein Künftler. Diefer muß darftellen, was die Natur nur wollte, aber ver- fehlte, er muß nicht nur fie treffen, fondern über: treffen, und darum wahrhaft Über: Natürliches leiten. Jeder wahre Künftler thut Das auch; nicht nur die, welche dafür berühmt Kind, ol Ar \et
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tdealifiren, wie die Bildhauer des Alterthums, die ihren Statuen fo vorstehende Stirnen gaben, daß wenn dergleichen in der Wirklichkeit vorfommen follte, jeder Arzt einen Waſſerkopf vermuthen würde, nicht nur ein Guido Reni, deifen überirdifche Schönheit faft zur Körperlofigfeit wird, nein es gilt dies von Allen, felbft von denen, die berühmt find Durch ihre Naturtreue. Man betrachte einen Betteljungen von Murillo, man jehe dad wundervolle alte Ehepaar son Slingeland in der Dresdener Gallerie an, man vertiefe fi in Die Anfchauung eined Denner- fchen Kopfes, an dem die Eurzgefchnittenen Barthaare felbft unter der Xoupe naturtreu erfcheinen, — man kann jich leicht überzeugen, daß diefe Meifter über das Natürliche hinausgingen. Denn wie ift es wohl zu erklären, daß man den Betteljungen „reizend” findet, während dad Original dieſes Bildes ficherlich mit Efel erfüllte? Ich glaube nicht, daß irgend ein Mann Runzeln in einem weiblichen Geſicht fo ent- zudend finden wird, daß er fie zahlt, und bei dem Slingeland'ſchen Bilde thut es mancher. Eine Dame, die einen wirklichen fchlechtrafirten Bart mit der Coupe betrachtete, ift, mir wenigftens, noch nicht vorgefommen, das Denner'ſche Bild aber reizt fie dazu. Warum ift dies Alles in der Wirklichkeit ganz anberd ald bei dem Gemälde? Einfach deshalb, weil
auf dem Gemälde gunz anders ift als in der Wirk: keit. Weil die Künſtler Alles verjchönerten, weil srillo die Lumpen reizend machte, weil Slin: and die Fältchen der Haut idenlifirte, weil nner den Bart, den Die Natur nur zu treiben mag, übertrieben, d. h. bejjer getrieben hat, Turz L fie Alle nicht Natur, jondern Ueber-Natur dars Iten. Dieſes Berfchönern und Berklären der Natur nicht ein beliebige3 oder conventionelled, dann e es die unnatürlichen, oder, wie man fie nennt, nterirten Bilder, nein! Der Künſtler ftellt Die genftände ganz jo dar, und nur fo dar, wie er fieht, aber er ſieht fie fchöner. Man hat früher vom fogenannten „böfen Blick“ geiprochen, der Kraft haben follte, Alles zu verderben, worauf fich richtet. Dieſe Erzählungen find Gottlob Fa: t. Eben fo aber, ja doppelt fagen wir Gottlob, ; das gerade Gegentheil des böjen Blicks Feine vel iſt. Dies iſt der Künſtlerblick, Der Alles ver: mt. Des Künftlers Auge Hat die Kraft, was ed haut zu idealifiren, und wenn man gejagt hat, Maler fehe in den Gegenftänden mehr, ale der e, fo müßte man vielmehr jagen: er fieht es hin⸗ ‚ er fiehbt es hinzu. Denn wie dad nad) Mähr: ı verlangende Kind nicht zufrieden ift mit dem, 3 natürlich ift, eben {no wenig er, wur REN Et
nicht phantaftiich in das Reich der Unnatur, jondern phantafiereich ergänzt er die Natur, und je.mehr er dies thut, um fo mehr ift ed ein ganzes Bild, was er und vorführt.
Da wird man nun vielleicht fagen, alles dieſes fey richtig hinfichtlich der Phantaften, zu denen viel- leicht die meiiten Künftler gehören, die durch ein ge- trübted oder "gefärbted Auge die Welt betrachten. Der befonnene und vernünftige Dienfch Dagegen, deſſen Linfe fpiegelhell, der Fenne auch nichts Höheres als das reine Spiegelbild der Natur, der überlaffe jene fogenannte Übernatur den romantifchen Naturen, und freue ſich des Kunſtwerks um fo mehr, je mehr es nur die Natur rein wiedergab. Es ift nicht ſchwer zu beweiſen, daß ed (glüdlicher Weife) folche beſon⸗ nene Männer und folche piegelhelle Linfen des geifti- gen Auges nirgends gibt, ja es läßt fich dies leicht jogar in den Gebiete nachweifen, wo man es viel- leicht am Wenigſten vermuthet, in dem Gebiete der Portraitmalerei. Wenn irgendwo, fo follte man bier glauben, daß Naturtreue die höchfte Forderung fet, und doch ift felbit hier der Niüchternfte und Bernünf- figfte nicht zufrieden, wenn anitatt eined Kunſtwerks ihm die bloße Natur entgegentritt. Ich erinnere mich vor jehr langer Zeit eine Gejchichte gelefen zu haben, wo ein Dialer, der einen englifchen Lord portraitirte,
weil defjen Freunde immer neue Ausitellungen an dem Bilde machten, endlich voll Ungeduld das Ge: fiht aud dem Gemälde herausfchnitt und den Lord bat, jein eigenes in die Dadurch, entjtandene Deffnung hineinzufteden. Als nun die wieder hereingerufenen Freunde das Bild jetzt erſt recht Ichlecht fanden, habe Das vermeinte Portrait zu jprechen angefangen und die Sreunde ſeyen bejchimt fortgefchlichen. Worüber fie fich eigentlich gefchämt haben, begreife ich bis auf den heutigen Tag nicht. Sie find volllommen in ihrem Recht, denn Seder, dem ein Kunſtwerk ange- fündigt ift, wird feine Erwartungen über die Natur binausfpannen, und wenn er nun — in dem ange: führten Kalle fogar umzeben von Kleidern u. |. w., die der Pinfel verfchönt hatte — wenn er nun Die bloße Natur ſieht, muß er das Bild ſchlecht finden. Mir würden gerade fo wie jene Freunde urtheilen, ja wir haben fchon jehr oft jo geurtheilt, wenn wir ein Daquerrotyp oder eine Photographie, bei Der feine Künſtlerhand nachgeholfen hatte, abſcheulich fanden. Warum ſagen wir und ſagen es mit Recht, daß im Daguerrotyp Die Leute häßlich werden? Weil wir es für ein Portrait anfehn, vom Portrait aber nicht erwarten, daß es ein Gelicht, gleichfam alg eine ſtenographiſche Nacyichrift, mit allen grammatifchen und rhetoriichen Fehlern, abichreiut. Man tuatiaen
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Mangel gar nicht beifer bezeichnen, ald ed im ge: meinen Leben gejchieht, wenn gejagt wird, der Pho- tographie fehle Das Neben, welches der Maler dem Portrait gibt. Das, weran wir in der Natur das Leben erkennen, Die Bewegung der Gliedmaßen, das Muskelſpiel, die jtets wechſelnden Lichter im Auge, dies Alles kann der Dialer nicht auf der Leinwand feithalten, davon aber iſt in jener oft gebrauchten Phraſe gar nicht die Rede. Eie fpricht ja nicht von den Reben, welches der Maler wahrnimmt, fondern von dem Leben, was er dem Portrait gibt, und darum ift diefe Nedensart jo vortrefflih. In der That gibt er ihm Etwas, es ift Zugabe und Zuthat des Künftlers, was ung mit immer neuem Critaunen vor Raphael’s Leo X. ſtehn läßt, er hat es dem Portrait geliehen diejes Übernatürliche, vermöge deſſen aus dem Bilde ein Geijt Ipricht, Den die Natur hinter dem Borhange eines fetten Antlitzes verbarg, es ift jenes Unfagbare, Das und bewunderud ausrufen läht: was hat 'diefer Genius aus dem Geſicht ges macht! Sa wohl gemacht. Hierin liegt ed, die Pho- tographie kann höchſtens zeigen, was ein Geficht iſt, Dagegen kann die Mafchine, in der fie entiteht, nichts aus dem Gefichte machen, und Darım bat fie fein Leben. Eben darum aber komme ich darauf zurüd, daß bie Freunde jened Lords ſich gar nicht zu ſchä⸗
men brauchten. Einer aber muß fich fchämen, dad ift der Maler, der die Zumuthung machen Tann, ein natürliches Menjchenantliß für ein Kunftwerk, d. h. für ein Übernatürliches gelten zu laſſen, der gebil- deten Menfchen jo wenig Kunjtfinn zuſchreibt, dag fie bei einer Photographie nicht Das Leben vermifjen follten, welches der wahre Maler gibt, Denn in Der That iſt ja eim natürliches Menfchenangeficht nur eine colorirte Photographie in Lebensgröße.
Freilich eine Erfahrung droht das ganze Gebäude meined bisherigen Räſonnements umzumerfen: Es wird nämlich behanptet, dag die Meiften ihr Spie- gelbild jchöner finden ald ihr Portrait, auch wenn ed von einem geſchickten Künftler gemacht wurde. Vorausgeſetzt die Thatfache wäre richtig, was ich dahingeſtellt jeyn laffe, würde fie beweijen, Daß man die Natur dem vorzieht, was der Künftler aus ihr macht? Nach dem, was uns feit ſteht, glaube ich das nicht. Dem Auge des Künſtlers ward die Macht zugeichrieben, als Gegenſatz zum böfen Blick, Alles zu verfchönen, was er anſchaut. Diefe Zaubermacht bat ihren Grund in der überirdifchen Begeijterung, die in Dem Dichter lebt, welche die Alten dahin brachte zu fagen, er jchaffe im „heiligen Wahnfinn”, und ihn vergleichen ließ mit dem weiffagenden Prophe⸗ ten. Wenige find fo bevorzugt, DAR We Taıtter-
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begeifterung immer in ihnen wach ijt, und Daß dem: gemäß in jedem Augenblid Alles fich in ihrem Auge verklärt und verfchönt, kaum Einer aber ift wieder fo arm, dag es ihm nicht zu Zeiten gefchähe. Wer hat nicht, namentlich in feiner Iugend, Momente ge: habt, wo der Dichter in ihm feine Flügel regte? Eben fo lebt, vielleicht in Allen, gewiß in Vielen der Maler, der nur der Gelegenheit wartet, um feine Gegenwart zu verrathen. Beiondere Gelegenbei: ten können ihn in's Leben rufen, wie bei Goethe, wenn, ald er aus der Dresdener Gallerie heranstritt, fein Auge einen Echujterladen in Oſtade'ſchem Co- Iorit fieht, oder bei vielleicht Allen unter und, wenn nach längerer Betrachtung fehr fchöner Gemälde alle Gefichter auf der Straße uns ſchöner erfcheinen. Hier bedurfte der Maler in und des Zurufs eines andern Malers außer und, um zu erwachen, aber er war nicht todt, fondern fehlummerte nur. Wie be: fondere Zeiten, wie befondere Gelegenheiten den Künftlerfinn erweden, fo tft e8 nicht undenkbar, daß fein Hervortreten bedingt wäre durch die Präfenz beitimmter Gegenstände Wenigſtens hinſichtlich der Stimmung, mit der fie die Begeifterung des Künſtlers verglichen, hinfichtlich des heiligen Wahn: finns der Weiffagenden haben die Griechen dieſes Debauptet, indem fie ihre Pythia nur prophezeien
ließen, wenn fie auf einem Dreifuß fa. Nun, wenn wir dies und gefallen laſſen, wenn wir die, welche erzählen, mit dem ſich Hinjeben auf den Dreifuß fey weifjagende Begeiſterung über jene Stau gekom— men, das geiitreichite Volk der Erde nennen, wie follten wir wohl dazu fommen, ed für ganz unmög— ich und undenkbar zu halten, daß bei unjeren Frauen die Künftlerbegeijterung komme durch das Hinſetzen vor den Spiegel? Sch gehe aber noch viel wei- ter, ich halte Dies nicht nur für weit erklärlicher, als daß ein Dreifuß begeijtert, fondern für ganz natür: li) und nothwendig. Schon aus naturwifienfchaft- lichen Gründen, denn da die Belegung unjerer Spiegel aus zweierlei Metall beiteht, jo iſt ed fchon nach den Geſetzen des Galvanismus ganz nothwendig, daß das von ihm reflectirte Bild electriſirend wirkt. Dann aber beſonders aus Gründen, welche ich bisher ent- widelt habe. Es tft noch vor wenigen Augenbliden die Wirkung des verklärenden Raphael's Auges ald dad Gegentheil des böfen Blicks bezeichnet wor: den. Wenn nıan nun täglich fieht, wie bei dem Hin- feßen vor den Spiegel jeder böfe Blid verjchwindet, wie er den füßeften, holdeiten, ja ganz bezaubernden Bliden Platz macht, iſt ed da wohl anderd möglich, als daß diefe eben — bezaubern? Kann ed wohl da irgendivie ausbleiben, dag in Dem Eu m
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Raphaelifches Bild erblidt, oder wie wir eö wij: fen, vielmehr Hineingemalt, wird? Nun denfe man fih aber die, weldhe in den Spiegel blidend, dort den Schönen Raphael bewunderte, ſich umdrehend und ihr Portrait erblidend. Und wenn es ein Ti- zian war, der ed malte, o nehme ich es ihr nicht übel, wenn fie ihren Raphael vorzieht, denn fo fehr mir Tizian's Paul III. gefällt, fo bin ich doch immer wieder zu Raphael’s Julius II. zurüdge- fehrt, Der mich noch mehr anſprach. Ich verlaffe aber diefen Gegenftand, der mich leicht dahin brin- gen Fönnte, alle Fabeln von Zauberjpiegeln in Schuß zu nehmen, weil ed gar feine Spiegel gibt, die nicht bezauberten, und kehre zu meiner Behauptung zu: rüd, die alfo nicht dadurdy umgeftoßen wird, daß Vielen das jelbftgemalte Portrait, das man Spiegel- bild nennt, beffer gefällt ald Da3 von einem andern Meiſter. Es bleibt dabei, jeded Kunftwerk ift über: natürlich, Darum überirdiich, und wo wir ed genie- Ben, fehweben wir höher ald Blanchard und Green über der Erde.
2.
Zu dem Compler alles Irdiſchen gehört aber noch Anderes, ald was wir die Geſetze der Natur nennen. Denn wir Zauft jagen hören: Die Erde hat mid
wieder!, jo veriteht Died Keiner jo, dat er wieder den Gejeßen der Schwere, Wärme, Electricität u. f. w. unterliegt, jondern vielmehr daß die Mächte wieder über ihn Gewalt befommen haben, die man im Ge: genjaß gegen die natürlichen die Jittlichen zu nen: nen pflegt. Wenn ich nun Zmeitend Dazu übergehe, das Verhältnis der Kunft zu den fittlichen Verhält— niffen zu betrachten, fo wird es mir wohl nicht ver: dacht werden, wenn ich nicht mehr, wie bisher, die Kunft, die mit Farben, fondern vielmehr die be- rüdfichtige, Die mit Worten malt, ald dem Ma: “terial, in dem ſich Eittlihes am Bollfommenften darstellen läßt. In den fittlihen Verhältniſſen, im Recht, in der Familie, im Staat gewinnt die Sitt: lichkeit Form und Wirklichkeit, darum gehören auch fie zur wirklichen Welt, bilden eine Seite der: felben, wie Die natürlichen Verhältniſſe Die andere. Darf ich nun wirklich den Muth haben, was ich von Diejen leßtern fagte auch auszudehnen auf jene? darf ich, dem entfprechend, was Dort gejagt ward, in der Luft an dem, worin das Sittliche verneint wird, in der Luft am Unfittlichen, äfthetifchen Sinn finden? Sch werde ed wohl müſſen, wenn ich nicht Alles zu— rüdnehmen will, was ich vorhin angeführt habe, um die Luft am Unnatürlichen zu rechtfertigen. Ich fönnte mic) nun darauf berufen, daR
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wiffen Genre der dramatifchen Poefie, unfittliche Scherze nicht nur vergeben werden, fondern unver: meidlich zu ſeyn fcheinen, ich will aber nicht in die— ſes feabröfe Gebiet Hineintreten, fondern nur am unfer eignes Gefühl appellicen, ja an das Gefühl der Strengiten unter und. Wer kann fagen, daß er nie Wohlgefallen daran gehabt hat, wenn auf dem Theater dad Thema durchgeführt wurde, das von Terenz bis auf Moliere, von Moliöre bis auf Kobebue und Scribe, in fo unendlichen Weifen vartirt worden iſt, daß ein ſpitzbübiſcher Diener ſei— nen Herrn, eine leichtfinnige Frau ihren Mann be— trügt? Wer will ſich vermefjen zu fagen, daß er fih nie für einen Helden intereffirt und ſich an ihm erfreut habe, der jeinen Fürjten und jein Vaterland verräth? Jeder wird zugeitehn, daß es jehr unmo- ralifch ift zu ftehlen, ſehr unfittlich jeinen Mann zu betrügen, aud) wenn er alt ſeyn follte, völlig gegen Sittlichkeit und Moral Berrath zu üben, — das Alles gibt man zu, und Doc hat man ein Wohl: gefallen, keine moralifche aber eine äjthetijche Freude an dieſen Sachen. Die Dijtinction, Die man vielleicht machen wird, vergleichen gefalle nicht weil, fondern obgleich ed unfittlich, dieſe imponirt mir eben jo wenig wie der Machtſpruch: Das Un: fittliche Fönne einmal nicht ſchön feyn. Jene Unter
ſcheidung macht feinen Eindrud auf mich, weil der alte Dupin überhaupt etwas in Mißkredit bei mir fteht, Diefe Centenz aber von der Solidarität Des Eittlichen und Schönen nicht, weil, fo Viele fie auch im Munde führen — Fein Menſch daran glaubt. Denn, Hand auf's Herz, wenn Goethe's Werther, weil ed Unrecht iit, die Stau eines Andern zu lieben, fih begnügt hätte, während Lotte Butterbemmen ftrich, ihr ihre Pflichten gegen Albert auseinander: zufeßen, wenn er anjtatt gegen Standesunterjchiede zu wüthen, fich darein ergeben hätte, daß für Bür- gerliche es nur Eubalternpojten gibt, wenn er anftatt fi eine Kugel durdy den Kopf zu fchießen, eine andere Frau geheirathet, folide gelebt und fich ein ehrliches Begräbniß erworben hätte, jo wäre Dies Alles ſehr moralisch, ehr fittlich geweien, aber auch — herzlich langweilig und profaiih. Da haben wir es! das bloße Sittliche ergötzt nicht, es erjcheint pro- ſaiſch, d. h. unſchön, und jo jehr wir ung auch eral- tiren mögen für bürgerliche Sreiheit, bürgerliche Tugend und hundert andere Bürgerlichkeiten, nur im Gedichte wollen wir fie nicht, denn da beißt Die Bür— gerlichfeit — Pfattheit. Eben Darum iſt ed durch and fein Wunder, wenn die Diorgenröthe eines beffern Geſchmacks in Deutfchland durch Werke bezeihst wird, welche im Gegenjag gegex Dir Vommtagn Sir \R*
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ralpredigten von der Bühne herab, Fed und über: müthig aller Proja, freilich auch oft aller Sitte, in's Angeficht fchlugen. Wer aber fagen wollte, nur die ruchlofe moderne Kunft könne eine negative Stellung gegen Die Sittlichfeit einnehmen, Dem jtelle ich ein ganz entichiedened Nein entgegen. Vielmehr liegt es im Wefen der Kunit, daß ihr das Wirkfiche nicht ge— nügt, zum Wirflichen aber gehört, ganz wie die Na— tur, fo aud) die Sitte.
Eben deswegen aber, weil Die Sitte ganz fo wie die Natur ein Theil der Wirklichkeit ift, eben Deöwegen muß auch hinfichtlic, ihrer ganz Das gelten, was von der Natur galt: Die Berneinung der Eitte, in welcher fie nur nicht reſpectirt wird, das Unjitt- liche, bildet das Gegenſtück zu Dem Unnatürlichen, und wie die Luſt an diefem, am Mährchenhaften, verfchwand vor der Luſt am Übernatürlichen oder Spealen, eben jo verhält ſich's auch hier: Der vollen: dete (nicht nur anfangende) Schönheits- und Kunft: finn verlangt nach einem über-Sittlichen, d. h. nach einer gejteigerten, idealen, über die Wirklichkeit hinausgehenden fittlihen Ordnung. Neunt man, mit den Weijen Des Alterthums und dem Evangelio, Die Übereinftimmung mit der fittfichen Ordnung Gerech— tigkeit, jo wird Das Verlangen entftehn nach einer döhern Gerechtigkeit, die ſich zu ter wirffichen des
bürgerlichen Lebens fo verhält, wie jenes Raphaeli- ſche Portrait zum fleifchigen Gefichte des wirklichen Leo X. Das wirkliche Xeben hat natürlich für eine folche höhere Gerechtigkeit eben jo wenig Raum, ale die Natur ein Raphaelſches Portrait hervorbringt. Sa jelbit wenn Einem, den das bürgerliche Leben gefeilelt Hält, die Ahnung kommt, daß es noch) Hö- beres gibt ald die Gerechtigkeit, Die hier gefordert wird, jelbit dann wird er ſich fehr hüten, Diejeg Hö— here in’s bürgerliche Leben hineinzuziehn, fondern wird es einer höhern Region zuweiſen, wie der Rich: ter in Amerika, der, wenn auf feine Frage: Wie willſt Du gerichtet jeyn? der Angeklagte geantwortet bat: Nach den Geſetzen meines Landes! in demjelben Augenblid wo er ſich vornimmt, nur Gerechtigkeit zu üben und gar feine Gnade, dem Schuldigen zu: ruft: Gott jey Dir gnädig! Was aber das ernfte, trdifche Leben nicht duldet, das findet Statt in dem beiteren, überirdiichen Gebiete der Himmelstochter, der Kunjt. Hier waltet eine höhere Gerechtigkeit, die wir der bürgerlichen entgegenitellen und Die poe- tifche nennen, weil und ihr gegenüber die wirkliche profaifch erſcheint. Wenn wir und der poetifchen Gerechtigkeit freun, jo erfreut uns ein ſich Hinmweg- fegen über die Sitte, über Recht und Geſetz, aber nicht ein joldhes, wie e3 und im WUakikkiihen un Tu
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der Ungerechtigkeit begegnet, fondern vielmehr eineg, das über Die Sittlichkeit hinausgeht, über-fittlich ift. Wie, wer entzüdt vor der Sirtinifchen Madonna und ihrem Himmelsfinde augruft: das find nicht die natür- lichen Augen eined Kindes! nicht den Maler wegen Un: natur anklagt, Sondern den Eindrud des Übernatürlichen befennt, das aus den Dunkeln Augen des Kindes ihm durch das Herz dringt, eben jo erhebt und Die Luft an der poetiichen Gerechtigkeit jo hoch über die wirk— liche, daß diefe und unvollfommen und untergeordnet erſcheint.
Es ſei erlaubt den Unterſchied beider an einem Beiſpiel nachzuweiſen. Ich wähle dazu ein Stück von Shakespeare, das uns Allen bekannt iſt, und das gewiß nie Einer las oder aufführen ſah ohne innere Luft: den Kaufmann von Venedig. Der Sude Shy— lok bat Dem Kaufmann Antonio, den er tödtlich haft, für einen Freund eine Summe Geldes geliehn unter der Bedingung, daß wenn fie nicht rechtzeitig bezahlt werde, er ein Pfund Fleifch zunächit dem Herzen aud Antonio's lebendigem Leibe fchneiden dürfe. Der Wechjel verfällt, der Jude Flagt und verlangt fein Recht. Wäre jebt von dem Gerichte die Klage zurüdgewiefen, weil Verträge über uner: Iaubte Handlungen ungültig find, jo würden wir ge- wis nicht zufrieden feyn. Sch glaube, ſelbſt der eral-
tirtefte preußiiche Surijt wire es nicht, und wenn wir ihm noch fo oft das Allgemeine Kandrecht Theil I. Titel V. $. 68 citirten, er ließe ſich gewiß nicht irre machen, jondern würde ji) mit ung freun, daß Shalespeare, troß des preußiſchen Landrechts, den Antonio Todesangit ausſtehn lädt. Warum aber befriedigt dies und Alle? Weil eine höhere Gerechtig- feit Dies fordert, weil zwar unfere Geſetze es nicht verbieten, von einem Todfeinde, den wir verachten, eine Gefälligfeit anzunehmen und es von dem Zufall eined ungünftigen Windes abhängig zu machen, ob wir ihm mit Leib und Reben verfallen, es aber darum nicht minder ein frevelhaftes Spiel mit dem Andern und mit fich jelbit it, das Strafe, ftrenge Strafe, verlangt. Darum fordert es, nicht die bürgerliche, wohl aber die poetifche, d. h. die höhere Gerechtig: feit, Daß Die Klage angenommen wird. Wenn ed aber nun zum Prozeß kam, welchen Gang mußte nach Recht und Gefeß er nehmen? Porzia:Bel: lario gibt dies ganz richtig an: Entweder der Jude verzichtet auf fein Necht, oder aber Antonio verfiel dem mörderifchen Meſſer. Keines von Beiden hätte und befriedigt. Das Exfte nicht, weil Shylof dann feinen Charakter verleugnet hätte, dad Zweite nicht, ‚weil Antonio’s leichtjinnige Gefälligkeit für einen Freund zu entſetzlich beitraft wire. Yaa Üren Dr
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lemma, aus dem und die bürgerliche Geſetzgebung nicht herauszieht, reißt ung nun das Urtheil der Por: zia. Ich glaube nicht zu irren, wenn ich fage, Daß fein Obertribunal und Caſſationshof der ganzen Welt dieſes Urtheil beftätigt hätte. Denn daß, wer das Fleiſch gekauft hat, auch Herr ijt des Darin fließenden Blutes, das lehrt Der geſunde Menichenverftand, wenn and nicht eine uralte juriftiiche Hegel (accessorium sequitur principale), ja ſogar ein ausdritdliches Gefeß der zwölf Tafeln dafür fpräche. Und dennoch freun wir und Ddiejes Urtheils, und ich glaube jeder Juriſt (der e8 eigentlich monftrös finden müßte) vergißt feine Suriöprudenz, freut fid) mit und und hat mit uns die Porzia noch lieber als zuvor. Warum fo? Weil er in dem Unrecht, welches dem Juden gejchieht, einen Act höherer Gerechtigkeit anerkennt. Denn wenn Einer nicht einmal den Feldicheer bezahlen will für den, den er hülfebedürftig macht, bloß weil ed nicht „geichrieben fteht im Schein”, wenn alle Vernunft: und Menfchlichkeitsgriinde Nichts find gegen den ge— fehriebnen Buchftaben, nun dann gefchehe ihm, was er fo wünſcht: Vernunft, Recht und Billigfeit, Alles fey Nichts, ed gelte der todte Buchitabe.
Und fo machen wir denn die Erfahrung, daß der Genug des Schönen uns in jeder Hinficht über
Irdiſche erhebt, indem er und nicht nur der urgefeße fpotten läßt, jondern in eine jo erhabene fon führt, daß von da herab untergeordnet er- nt, was und fonft mit Necht als das Höchfte :: die bürgerliche und ftaatliche Ordnung. Ganz ed alio ein Wahn war, dat wir erjt nad) dem ye unter die Erde kommen werden, ganz fo war sin Irrthum, daß duch die Pforte des Todes getrennt jeyen vom überirdijchen Leben, und daß enfeit3 der Gegenwart liege. Und doch — denn ı muß gerecht fein — ganz ging dies Borurtheil t fehl, und in gewiffer Weiſe bleibt Dies Erhoben- ben über die Erde, Stets ein Senjeitd. Man muß ilich heraustreten aus Dem Kreiſe Des wirklichen md, um in jene höhere Region einzutreten, und gelehrt man muß jene höhere Ordnung vergeffen,
zu wirken im bürgerlichen Leben; beide ſtehn h eine Kluft gejchteden einander gegenüber, bier
Leben mit feinem Ernſt und feiner rajtlofen Ar: ‚ dort die Kunft mit ihrem heitern Spiel, in : wir von der Arbeit feiern. Wir verlangen von : Menfchen, daß er beides thue, arbeite und feiere, : abwechjelnd, daher in jedem Augenblide nur ed von Beiden, wie von jenen Zwillingepaare er nur die eine Hälfte der Götterwelt angehörte. rum iſt Illuſion, d. h. cin und Kt ie
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des Vergeſſen aller bürgerlichen Verhältniſſe nöthig, um Theil zu nehmen an den Begebenheiten einer höhern Welt, in welcher fich die poetijche Gerechtig- feit werwirklicht, jede Erinnerung an die profaifche MWirklichkeit jtört die Illuſion und wirft darum un: angenehm. Eben ſo unangenehm aber auf der andern Seite ift es ung, wenn Die Ideale, die dort herr: fchen, fich Herrichaft anmaßen in der wirklichen Welt, und wenn fie hier Die bürgerliche Proſa verdrängen wollen. Wir finden es ganz in Der Ordnung, wenn nach mehrwöchentlichen Aſſiſen unfer Staatsanwalt und Schwurgerichts : Präfident zur Erholung in’s Theater gehn und enthuſiaſtiſch Beifall klatſchen, wo Porzia ihr Urtheil füllt. Wir würden es aber ge: wig nicht in der Ordnung finden, wenn jener feine Strafanträge machte, Diefer feine Urtheile fällte, fo daß es übereinſtimmte mit den Principien des rei- zenden jungen Doctor Balthafar. Wir fühlen, dat dad Eine drüben Hingehört, während hüben andere Geſetze herrichen. Denn mag immerhin die Lauge des Spottes verdient jeyn, mit welcher Der ftolze gräfliche Dichter den reimejchmiedenden Erininaliften in Weißenfels überjchiittet, die Sache iſt nicht zu andern: mehr oder minder ift nur am Abend, we wir feiern, Der Zugang zum Helicon frei, am Mor: gen bält den Menfchen der Actentiſch gefeilelt. Warum
aber gelingt ed der Kunft nicht, völlig fich einzu: bürgern im Dieffeits, warum nicht, die Wirklichkeit ganz zu durchdringen und Durchdringend zu verklären? Weil die Muſen nicht die Herrinnen find des Him- meld und der Erde, jondern nur Töchter des Olym— piers, der alldurchdringend und allbeherrichend Alles bewältigt! Wir perjonifiziren die Künſte nicht mehr, wie die Griechen, machen fie nicht zu Töchtern Des Zeus. Daran aber, dab fie in einen töchterlichen Verhältniß ſtehn, zweifeln auch wir nicht, und könnten es auch nicht, wenn wir uns nicht gegen dad Factum verblenden wollten, das fie Das Schönite was fie leiften, einer hböhern Macht weihen, blumenlefenden ‚Kindern gleich, welche die allerichänften Blumen der Mutter in den Schooß legen. Bringt Doch die Archi- tectur Höhereg nicht hervor, ala den Tempel und den Dom, Höheres nicht die Sculptur, ald das Götter: bid, nichts Höheres die Malerei, als die Mutter Gottes und den Gottmenjchen, und bekennen fie ſich doch dadurch als Töchter einer gemeinfchaftlichen Mutter. Diefe ihre Mutter, die Religion, fie ver: mag was den Töchtern unmöglich war. Zwar jcheint auch fie die Welt in zwei Hälften zu feheiden, indem fie daflelbe Wort jpricht, was wir oben vernahmen: Arbeitet und feiert — ihr Feiern iſt Beten —, Ste ift aber nur ein Schein diefe Trenmuny, RN Tr
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ſich zu widerſprechen, jagt fie: „Betet ohne Unter: lag” und Fönnte eben fo gut jagen: „Arbeitet ohne Unterlaß”, denn Arbeiten in ihrem Dienfte ift Beten, und Feiern in ihrem Sinne iſt Arbeit. Ich habe am Anfange meined Vortrags erklärt, ich wolle das re ligiöfe Gebiet nicht betreten, herantreten aber an daffelbe mußte ich um die Grenzen zu finden, inner: halb deren die bejeligende Macht der Kunft einge ſchloſſen iſt. Ich mußte wenigitens hindeuten auf das Gebiet, wo wir nicht mehr bloß durch Illu— fion in eine Welt uns erheben, deren höhere Ord— nung vor und aufgeführt wird, an der wir darum nur Theil nehmen, indem wir und felbit vergeffen, um zu feyn wie im Himmel, fundern wo wir felbit die handelnden Perfonen find, felbft eine höhere Ordnung verwirklichen, die uns jagen läßt, unjer Wandel ijt im Himmel, ich mußte wenigitend einen flüchtigen Blid werfen auf das Gebiet, deffen Freuden fih zum Kunftgenuffe verhalten, wie zur Morgen- röthe der helle Tag. Beide aber, jowohl die Aurora eined jchöneren Tages, als feine hell aufgegangene Sonne, ſie fönnen und, denke ich, tröften Darüber, daß wir, den Maulwürfen gleich, unter der Erde wühlen, und werden und berechtigen dad Wort des ausgelaffenen Dichters zu erweitern und es „wirklich allerliebft“ zu finden „auf“, unter und über „ver lieben Erde.” —
vIL Ypologie der Sophiftik.
1855.
Mer Ausſpruch: „die Weltgefchichte it das Weltge: richt”, macht das Urtheil Der Gefchichte zum entjchei: denden, hinfichtlich deifen Keine Berufung mehr mög— ich if. Mit Recht, wenn unter „Gefchichte” Die Reihe der Begebenheiten verjtanden wird und nicht bloß, wozu der Sprachgebrauch gleichfalle berechtigt, die Erzählung derjelben. Nach dem Urtheil der Ge— ichichte im eriteren Sinne iſt Der groß, deſſen Werke ſich im Verlauf der Weltbegebenheiten als nachhaltig und einflußreich erweilen, Klein und unbedeutend da— gegen, weſſen Ihaten Nichts bewirften, Alles bein Alten ließen. Dabei wäre aber doch immer der Fall möglich, daß die, welche Den Gang der Geichichte erzählen, von dem Grjteren behaupteten, er fey ohne Größe, von den Lebteren, er jey ein großer Mann geweien. Man kann, um nicht Durch den doppelten Sinn des Wortes „Geſchichte“ Mißverſtändniſſe zu erregen, von dem Urtheile Der Gejchichte Das Urtheil der Nachwelt unterfcheiden, und wird dann jagen müffen: das Nrtheil der Geſhichte WAXLX.
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wie dag göttliche Endurtheil über alle Dinge, dagegen Dad Urtheil der Nachwelt ift einer Rectification fähig, und Die Aufgabe des Hiftorikers tft, an der Revifion Diejeg Urtheiles mitzuarbeiten, indem er, wenn wir die Individuen der Vergangenheit andere beurtheilen als ihre Thaten es verdienen, ſtets darauf aufmerf: ſam macht, wie jchwer fie wiegen in dem Fortfchrei- ten der Menfchheit. — Zwei Fälle find nun denkbar, die den gewitfenhaften Hijtorifer Dahin bringen werden, darauf anzutragen, Daß das Urtheil ungeftoßen werde, welches man, weil fo lange Zeit feine Berufung Dagegen eingelegt wurde, als rechtöfräftig anzufehn fich gewöhnt hatte: Die Nachwelt kann eine geichicht: liche Perfon ungerechter Weife überjchäßen, oder wieder, gegen alle Billigfeit, unterfhäten. Sm eritern Falle wird Der Hiftorifer dem vergötternden Wahne ent- gegentreten müſſen. in trauriges Gejchäft, denn wenn irgendwo der Sprucd wahr jeyn jollte: „Ein Wahn der und beglüdt, iſt eine Wahrheit werth Die ung zu Boden drüdt“, jo ift e8 hier. Die Zahl der großen und bewundernöwerthen Individuen iſt ohne⸗ dies nicht ſehr groß, und ich denke es geht Vielen fo, wenn ſie fehen, wie vor dem kritiſchen Scharf: finn eines Hiſtorikers wieder ein lange verehrter Nim⸗ bus verjchwindet, daß fie mit Göthe jagen: Wenn die Dergangenheit fo groß war, daß fie das Große
and, io follten wir die Größe haben, daran zu mben. Biel belohnender dagegen ift ed, wenn den ftorifer die Erforfchung des Ganges der Gejchichte hin bringt, ald Chrenretter manches bid dahin ge= terten Namens aufzutreten. Die richtige Würbdi- ng der Größe Gregor des Siebenten auch von . steftantifcher Seite, die Anerkennung auch von ten der Chriſten, daß Muhammed mehr war als bloßer Betrüger, die fi) immer mehr verbrei- be Anficht, daß Srommell ein Heros erfter Größe, acchiavelli nicht ein feiler freiheitsmörderiſcher Für: iknecht war, — dies Alles gehört zu den Triumphen hiſtoriſchen Kritik, die nicht nur dem Scharffinn re machen, fondern auch dem nach Anfchauen der nfchlichen Größe Durftenden Herzen wohl thun. — ı8 bisher Gefagte gilt nicht nur von der Weltge- chte im engeren Sinn, fondern findet feine An: adnng eben jo auf die Gefchichte der Philofophie. rade wie der Name des republifaniich gefinnten wentinerd Sahrhunderte lang zur Bezeichnung ſer⸗ »e und perfider Politik gedient hat, gerade jo ift h viel Lingere Zeit hindurch der Name einer ganzen ffe von Philofophen nur ald Scheltwort gebraucht den, und wie Mackhiavelliamus fo gilt „Sophiftif” jt für einen Schmeichelnamen. Das Factum er- rt ſich leicht, wenn wir bedenten, Di, a ut un \L
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Nachrichten über die Sophiften ungefähr fo gegangen ift, wie mit denen über die Pharifier. Wie wir Alle dieſe letzteren zuerſt kennen lernen aus den Reden Chrifti der fie befämpft, und aus der evangelifchen Geſchichte, Die und zeigt wie fie Chrifto widerjtanden, fo verbinden wir mit dem Namen „Sophift” immer das Andenken an das, was Plato und Ariftoteles, dieſe weiter gehenden Bekämpfer der Sophiiten, von ihnen und ihren Lehren faft immer im polemifchen Intereſſe erzählen. Die biftorifche Gerechtigkeit for: dert, daß ohne ein folches Intereſſe ruhig ermogen ‚werde, ob man nicht dem Phariſäismus Unrecht thut, wenn man in ihm bloß Heuchelei, und der Sophiftik wenn man in ihr nur täufchende Überredungsfünfte fiebt? Inden hier ein Beitrag gegeben werden joll zu einer gerechten Würdigung, bleibt natürlich (denn Niemand foll in des Andern Handwerk pfufchen) die Chrenrettung der Pharifäer den Theologen überlaffen, unjer Sean Calas, der übrigens in den lebten Decen- nien ſchon fehr beredte Vertheidiger in Deutjchland, Holland und England gefunden, jey die Sophiftik und die Repräfentanten derfelben, die Sophiften. Dem Gerichtögebrauche gemäß, der den Inquifiten felbft den eignen Namen angeben läßt, Iaffen wir und von den Sophiften felber jagen, warum fie fich fo nennen und was ie eigentlich wollen? Da
itwortet und der Erfte unter ihnen ſowohl der Zeit 8 dem Range nach, indem er died fogar durch bie bleitung des Wortes zu rechtfertigen ſucht, Sophift ße, Klugmacher, und er nenne fich deswegen fo, eil er die Kunft übe, die Leute gefcheidt und zu maltigen Männern zu machen. Died erjcheint und Itfam, bloß weil der Ausdruck nicht der gewöhnliche b Hätte Protagoras gefagt, feine Aufgabe fey: Auf: rung und Licht zu verbreiten, jo würden wir darin w Nichts Auffallendes finden, und Doch bliebe Die sache Diefelbe, denn worin der Unterſchied zwiſchen an Aufgeflärt: und Geſcheidtſeyn beitehen foll, wäre hwer anzugeben, und fo lange das englijche know- dge is power Recht behält, wird man aud) von m Aufgeklärten jagen müffen: er fey mächtig oder »waltig, oder wenn man die gewöhnlichere negative jezeichnung vorzieht, er habe aufgehört beſchränkt, on Umwiſſenheit und VBorurtheilen gefeffelt zu feyn. - Im Grunde ift alfo, was jener Sophift ald feine nfgabe angab ganz dafjelbe, was Die Verbreiter des ichtes und der Aufklärung im achtzehnten Jahrhun⸗ ert in Frankreich jowohl ald in Deutjchland zu er: stchen fuchten. Und nicht mit Unrecht, denn je mehr van fich mit der Wirkfamkeit derer, Die ſich im Alter: zum Sophiften nanuten, nnd andrerjeitd der Freunde ed Lichtes und der Aufklärung im aigugnken At: . \A*
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hundert befannt macht, um jo mehr fpringt die Äpn- lichkeit in die Augen. Dort wie hier handelt es ſich nicht darum, ein ftrenged Syitem aufzuftellen, welches durch die wiffenfchaftliche Form fich darauf befchräntt, Eigenthum eines gefchloffenen Kreifes, einer Schule, zu ſeyn, fondern vielmehr darum: im weiteren SKreife Einfichten aller Art zu verbreiten, „Philoſoph für die Welt” zu feyn, ein Name, den characteriftifch genug einer der Bebeutendften unter den Aufflärern einer Sammlung feiner beiten Auffäge gab. Hier wie dort gehen die DVerbreiter des Lichtes Darauf Hin, Die Menſchen innerlich frei zu machen, Freifinnigfeit zu verbreiten, einmal dadurch, daß fie ihn von den Vor⸗ urtheilen frei machen, die ihn bisher beherrfcht Hatten, dann aber wieder fo, Daß fie ihm zeigen, wie er, anitatt Daß bisher er von Allerlei beherricht wurde, Alles zu bewältigen juche; theoretifch indem er im Stande ift jeden Stoff zu beherrichen, 3. B. über jeden aus dem Stegereife Reden zu halten, praftifch indem er einfieht, wie Alles unferen Zweden dienft- bar gemacht werden kann, fo wie im Grunde Alles einzig und allein dazu da iſt, daß ed dem Nuten des Menfchen diene. Dieſe Gewißheit läßt den größ- ten der Sophiften audfprechen, der Menſch fey das Maag, d. 5. die beftimmende Regel, für alle Dinge, und macht ed erklärkeh, dag im aditiehnten Jahr⸗
hunderte Died als der Zwed der Sterne angegeben werden Eonnte, daß jich der Menſch in dunkler Nacht an ihnen zurechtfinden könne. In dieſes ftolze Be: wußtſeyn, Alles als fi) Ddienftbar zu willen oder auch), indem man ed benußt, fich wirklich dienſtbar machen zu Eönnen, feßte Protagoras das, was er Die Tüchtigkeit und Stärke nannte, ganz wie ja auch im achtzehnten Jahrhundert in Frankreich und Deutfch- land als ftarfe Geiſter Die gepriefen wurden, welche im Stande waren, ftolz ſich über alles das hinweg: aufeßen, was die Gemüther der Schwachen band und gefangen hielt, und auch hier kann man alfo kaum einen Unterfchied finden zwiſchen dem Griechen, welcher fich rühmte, er könne Durch feine Lehren die Zuhörer zu tüchtigen mannhaften Reden (zu wahren „Allermeltö- Kerlen”) machen, und den Deutfchen die durch ihre Schriften Freifinnigfeit und Starfgeifterei zu beför⸗ dern behaupteten.
Welches war nun weiter das Mittel, wodurd die Sophijten behaupteten, daß ihr Ziel erreicht werde? Auch hier können wir und an ihre eignen Berficherungen halten, da mit dem was fie jagen, das Zeugniß ihrer Gegner ganz übereinftimmt. Beide nämlich jagen, jenes Mittel ſey geweſen: „Die Kunft in Gegenſätzen ſich zu bewegen”, oder „Widerfprechen: des zu behaupten.” Plato gibt und eine aniinuliiie
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Beichreibung von diefer Kunft und von der Wir: fung die es hatte, als fie zuerſt in Athen geübt wurde. Er erzählt, daß einer der Sophiften vor einer großen Schaar der geiftreichiten Jünglinge aus: einandergefeßt babe, ein Menih jey nur Einer, andrerjeitö aber, da er aus vielen Gliedmaßen be- ftehe, könne man auch jagen er ſey nicht Einer fon- dern Vieles. Dieſes foll nun ein wahres Entzüden und gar nicht endendes Beifalldjauchzen hervorgerufen haben. Wenn wir jo etwas hören, und zugleich auch dies, daß viele der älteren Athener, als fie jene Be- weisführung gehört, bedenklid, den Kopf gefchüttelt haben und gejagt, dergleichen Leute dürfe man nicht in die Stadt kommen Taffen, denn fie würden Die Jugend verderben, — fo möchte man fich faſt an den eignen Kopf greifen und fich fragen, ob man träumt oder wacht? Was hat foldy Yäppifches Zeug mit dem Gejcheidt:, Gewaltig: und Tüchtigmachen zu thun? Und wie können ferner die Zuhörer Darauf folched Gewicht legen, dat die Einen jauchzen und die andern den Kopf jchütteln? Freilich, daß ein Menfch viele Gliedmaßen habe, ift fein folcher Fund, daß darauf ein großes Gewicht zu legen ift. Dies aber ift auch gar nicht Die Hauptfache in dem, was ber Sophift zeigt, ein viel Wichtigeres und wirklich Bewundernswerthes ift, daß er, mag er nun einen
Menſchen, mag er einen Tifc oder irgend etwas Andres betrachten, durch das Einerfeitd und Andrer: fettö, je nad) feinem Belieben verfchiedene Seiten des Gegenftandes hervortreten läßt. Fragt man: was liegt darin jo Großes? fo iſt zu antworten: jeßt nicht viel, wo Died Allen fo geläufig geworden ift, daß ed in mandyer Schule verpönt werden konnte, in den deutſchen Auffäben die Trivialität vorzu⸗ bringen, daß jedes Ding feine verfchiedenen Seiten darbiete. So ijt ed jetzt, wo ja auch jedes Kind das kann, was Jahrtaufende hindurch die Menfchheit nicht konnte, bis vielleicht das größte Gente, deffen Namen die undankbare Nachwelt vergefien hat, die Erfindung machte: Worte in Buchftaben zerlegen. Mit der Erfindung des Einerſeits und Andrerfeits ist ed Ähnlich. Einmal gemacht, wird fie bald Ge— meingut Aller, aber fie machen, war keine Heine und feine unwichtige Cache. Das Betrachten nämlich von mehreren verjchiedenen Geſichtspunkten aus, macht der Einfalt in der Betrachtung ein Ende, da Diefe, wie das Wort ganz richtig andeutet, ganz einfach, von einem einzigen Punkte aus, Alles beurtbeilt. Se mehr man fich an jene vieljeitige Betrachtungsweiſe gewöhnt hat, um fo jeltfamer erfcheint es und, wo fie noch nicht angewandt wird, und mancher Vater ift fon, wenn fein Sohn ihn fragt. sb Qumiant
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ein guter oder ein Schlechter Menſch war, ungeduldig geworden über eine jo „einfältige” Sage; fie ift ed wirklich, weil fie die mehrfältigen Geſichtspunkte, unter welchen der Vater den Earthagifchen Helden be: trachtet, nicht ahndet. Nennt man nun Das von mehreren Punkten aus betrachten, Reflerion oder auch Kaifonnement, fo wird man in den Einerfeitd und Andrerfeitd das eigentliche Fundament, und in den Erfindern derfelben die wahren Väter ded Naijon- nementd anerkennen müffen. Die Sophiſtik iſt die ‚Kunst des Raifonnements, und jeder jtellt fich ſobald er reflectirt, oder raifonnirt, auf den Standpunkt, auf welchen die Sophiſten zuerſt gelehrt haben, ſich zu erheben. — Wenn aber dies, fo ift der Zufammen- bang zwiſchen den Ziel welches fie ſich verjegten, dem Gejcheidtmachen, und dem Mittel deſſen fie fich bedienten, dem Öeltendmachen der verfchiedenen Ge— fichtöpunfte, ein fehr natürlicher. Die Bieljeitigkeit macht den gefcheidten Dann, und von jenem einfältig fragenden Knaben fagen wir mit Recht, er ſey nicht recht gejcheidt, weil er nicht fcheidet, was Der Vater zu diftinguiren pflegt, und was in den Worten gut und fchlecht, wie fie der Knabe braucht, ganz unge: fchteden und confus vereinigt ift. Es iſt dann ferner ganz begreiflich, warum die Sophiften des achtzehnten Zabrhunderts, wie wir die Väter der Aufllärung
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nennen können, ihren Kampf gegen die finſteren Bor: urtheile mit denjelben Waffen führten, deren fich die Aufklärer im perikleiichen Zeitalter bedient hatten, mit dem Geltendmachen Der verſchiedenſten Gefichtg: punkte. In der That, indem fie zeigen, wie es nur von unferem Raijonnement abhängt, ob die Ausficht von der Epige des Ätna ein wunderjchönese Pano⸗ rama iſt, oder ein Bild völlig erreichter Glückſelig⸗ feit, gewöhnen fie daran, aus Allem Alles zu machen, Nichts fo zu reipectiren, daß ınan ed unver: ändert und unangetaftet müßte. jtehen Iaffen, lehren fie Alles in den aller verjchiedenften Weiſen beur: theilen, worin ja eben Das Gegentheil des Gebunden- ſeyns durch feite Vorurtheile bejteht. Nichte macht vorurtheilsloſer als das Raiionnement, weil man da: durch von jeder Anficht loskommt. Nichts aber am Ende aud mächtiger. Wer nämlich feinen Stoff fo zu beherrichen weiß, daß er nach Gefallen jede mög: liche Seite an demfelben heruorheben kann, der hat Damit auch Die Fähigkeit erlangt, was ihm wünfcheng- werth ericheint fo Darzuftellen, daß die, von denen die Erfüllung feines Wunfches abhängt, darin ihren eignen Bortheil oder aber aud) Etwas fehn, was ihnen Ehre machen wird, kurz die Kunft der Überredung iſt eigentlich nur Die Kunſt ded Raiſonnements, und man muß ed ald etwas ganz Natöx(Ged nich, en
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die Sophiften die erften Lehrer der Beredtfamkeit wurden. Es heißt diefe Kunft nicht berabfegen, wenn man fie Überredungdfunft nennt, denn es ift ganz willkührlich und gründet fid) auf gar fein Recht, wenn man bei dem Worte „Überreden“ nur an die Fälle denkt, wo ein Irrthum Einem glaublidy gemacht wird. Sch habe den Anderen nicht weniger überredet, wenn ich ihm alle die Gründe audeinanderfeßte, die zur Rückkehr zum Guten rathen, als wenn ich ihn durch meine Reden dahin brachte, den Pfad der Tugend zu verlafien. Cined wie das Andere aber wird nicht geleiftet durch ftrenge mathematische Deduction, denn die läßt Falt, und bewegt zu feinem Thun, fondern durch Vielſeitigkeit des Raiſonnements. Man zeige die Seiten, durch welche ſich eine That empfiehlt, und man wird zu ihr bewogen, man weiſe die auf, die ſie verdammenswerth machen, und man wird vor ihr abſchrecken, beides aber vermag nur, wer die Kunſt des Raiſonnements inne hat; je mehr er ſie beherrſcht, deſto unwiderſtehlicher wird ſeine Rede, je mehr wird er im Stande ſeyn, auch die aller Verſchiedenſten herum zu kriegen. War aber jene Kunſt nur das geſchickte Handhaben des Einerſeits und Andrerſeits, ſo war es wahrlich nicht zu ver⸗ wundern, wenn gerade die geiſtreicheren unter den Atbeniſchen Jünglingen denen Beifall zollten, die auf
den Gebrauch diefer Zauberworte himwieſen. Sie abndeten, daß die Fertigkeit im Lehren diefer Worte notwendig dazu führen müſſe, jedem Dinge die Seite abzugewinnen, die darum fo ftark ijt, weil fie den Zubörer an feiner ſchwachen faßt.
Eben jo wenig aber wird man ſich Darüber wur: dern dürfen, wenn der alte und ehrenfefte Bürger der Stadt den Kopf fchüttelte und nichts Gutes ahn⸗ dete bei diefen bis dahin unbefannten Kunftftüden. Die Betrachtungsweije, welche der Einfalt den Krieg erklärt, fie muß früher oder fpäter aud) dem einfäl- tigen Glauben und der Einfalt der Sitten gefährlid) werden. In der That beiteht alles das, was man unbefangene Pietät nennt, nur in der Reflerionälofig- feit und Der Abweſenheit jeglichen Raifonnemente. Für den frommen Glauben bietet die religiöje Wahr: heit nur die eine Seite dar, daß fie von der Gott: beit geoffenbarte Lehre ijt, nur von der einen Geite fieht der rechtichaffene Bürger von rechten Schrot und Korn die vaterländiichen Geſetze an, dat fie feit unvordenkliher Zeit gelten, day wir ſie befolgen müſſen, wie unfere Väter fie befolgt haben. Wer aber erft gelernt hat von Menſchen und Tifchen nachzu: weifen, daß fie aud) noch von einer andern Seite betrachtet werden können, was wird den hindern num zu fagen, nur einerfeits {ey die Keaua gÜÜREN
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Urſprungs, andrerſeits aber muthe fie und allerlei Unbegreifliches zu, und eben jo ſey ed nur Die eine ©eite an den vaterländifchen Gefeßen, daß fie fo lange gelten, eine andere Seite derjelben ſey, daß nur die Mächtigen von ihnen Bortheil haben? Es ift nicht ohne Grund, was man zu allen Zeiten ge- fagt hat, daß die Aufklärung auch ihre Gefahren bat, die Künfte Des Protagorad und Gorgias fie bieten eine Seite dar, nach der fie wirklich loſe Künſte find, und daß die Worte Sophift im Alterthum, Aufklärer in der neueren Zeit, eine böfe Nebenbe: deutung befommen haben, daß die redlichen Bürger dort, von einen Gewaltigwerden, und fromme ©e- müther hier, von der Freifinnigkeit und Kühnheit der Itarfen Geiſter Nichts hören wollten, wir fünnen ed ihnen nicht verdenken. Jene Gewaltigen, Freien und Starken find nämlid) zu einem folchen Bewußtjeyn ihrer Fähigkeit, mit Allem umzufpringen gefommen, Daß fie zulegt gar Nichts mehr refpectirten, daß im Alterthbum der Eine fich erbietet, die Kunft zu lehren wie man vor Gericht die ſchlechte Sache ald gut, Die gute als fchlecht Darftellen Tann, der Andere fich rühmt, ganz gleich überredend fir oder wider jeden Gegenſtand fprechen zu können, und in dem Zeitalter der Aufklärung Mancher mit ganz gleicher Birtuofität am Dormittage auf der Kanzel das Dogma vertheis
Digt, das er am Abend in fröhlicher Gefellichaft mit frehem Witze verfpottet. Auch der Krieg gegen die Borurtheile, um deßwillen die alten und modernen Sophijten fi), und um deifentwillen wir fie rühmen, er bietet, um die Aufklärer mit ihren eignen Worten anzugreifen, zwei verjchiedene Seiten der Beurthei- Yung dar. Einmal entwurzelt er manchen inveterirten Irrthum, andrerjeit3 aber find anch die heiligiten Überzeugungen, find Pietät der Kinder gegen die Eltern, des Kicchengliedes gegen die Kirche, des Bürgers gegen den Staat, fo lange fie nicht wiſſen⸗ fchaftlich geprüft find, und das ift doch bei den We- nigjten der Sal, auch DBorurtheile, obgleich nicht terige, jondern berechtigte und wahre. Allen Bor- urtbeilen den Krieg erklären, heißt eben darum die Gemüther alles wefentlichen Inhaltes entleeren, heißt, um die verdorbene Luft aud einem Raum zu fchaffen, anjtatt des Ventilators die Luftpumpe brauchen, und mit ihr zwar die mephitifchen Dünfte, zugleich aber auch alle Bedingungen des Lebens wegichaffen. Gerade fo doppeljeitig wie die Sophiſtik und Auf- Härung ſich Hinfichtlicy ihres Einfluffes überhaupt zeigt, gerade fo zeigt aud) ihr Verhältniß zur Phi- Iofophie ein Sanusantlit. Auf dieſes Berhältnig iſt um fo mehr einzugehn, ald nad) dem hisher Geſagten der Anjchein entjtehen könnte, ala yitten vr Reit,
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welche zwar den Sophiſten zugeſtehn, daß ſie für die Verbreitung allgemeiner Bildung, für Ausbildung der Sprache und Beredtſamkeit wichtig, dagegen für die eigentliche Philoſophie ohne alle Bedeutung geweſen, ja die eigentlichen Repräſentanten der Nicht-Philo⸗ ſophie ſeyen. Obgleich ſich unter denen, Die dies be- Haupten, fehr berühmte Namen finden, fo zeigt eine genauere Betrachtung der Entwicklung der Philofophie, daß die Gefchichte anders geurtheilt hat, als Diefe Männer. Es iſt nämlich Fein Zufall, daß im Ber: lauf der Gefchichte der Philofophie, die Aufklärung und der Kampf de? Raifonnements gegen die Vor: urtheile, zwei Mal als der Vorläufer eined ganz neuen Aufſchwunges der Philofophie aufgetreten ift, daß die Sophiſtik im Alterthum ald der Johannes Baptifta des Sokratismus, Die Aufklärung des achtzehnten Sahrhunderts als der Borläufer Kants erfcheint. Der Gedanke liegt zu nahe, als daß er nicht Hätte oft ausgeiprochen werden follen, daß zwiſchen Sokrates und Kant eine große Analogie Statt finde Man bat fich aber gewöhnlich bei der Parallele zwifchen beiden auf ganz Einzelnes bejchränft, anftatt viel- mehr ihre ganze Stellung zu ihren VBorläufern und Nachfolgern ind Auge zu fallen. Zwei Punkte find eö bier befonders, die bei der richtigen Würdigung beiber im Auge behalten werden müſſen: Einmal, daß
rates ſowohl als Kant darin Epoche in der Ge⸗ hte machen, daß ſie von einem ganz neuen Punkte Alles zu betrachten lehren, daß der Erſtere, indem te Selbſterkenntniß als die höchſte Weisheit ſetzte, t, wie man dem Cicero nachgeiprochen bat, die Iofophie vom Himmel auf die Erde herabzog, ern umgekehrt, da die von den älteren Phyſikern vom Anaragoras betrachteten Himmelskörper nur en find, die Aufmerkjamfeit von den Erden aber das hingelenkt hat, worin der Himmel (freilich die Hölle) zu finden ift, auf dad eigne Sch, daß yerum Kant den Verſuch macht, den er felbft mit des Kopernikus vergleicht, nicht mehr wie biöher mehmen, daß ſich unfer Denken nad) den Gegen- ben richtet, jondern umgekehrt, daß fich die Gegen- de nach unjerem Denken richten müffen. Beide nuthungen aber Fönnen nur zu einer Zeit gemacht den, wo das Raiſonnement frei gemacht hat von m was bis dahin ald feft und unerjchütterlich ge- en bat, wo die Menfchen eine folche Leichtigkeit ngt haben, jeden möglichen Gefichtäpunft geltend nachen, daß ihnen auch zugemuthet werden Tann, . Ausgangspunkt ihres Denkens zu machen, was ‚ der an dem bisher Gültigen feithält, geradezu Aberwig erjcheinen muß. Nur dem vorausgegan: m Einfluß der aufflärenden Roionmente sten
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ed die beiden Fühnen Neuerer, dab aud von ihren . Kehren gefagt wird: „Das laffe fich (gleichfalls) Hören.“ Kant aber und Sokrates find nicht blog Neuerer, fondern die Größe Diefer beiden Heroen zeigt fi) zweitens darin, daß (wie namentlich die ſpätere Ent- wicklung gezeigt hat) Alles was die vorausgegangenen Philoſophen gelehrt Hatten, in ihre Syiteme mit auf- genommen, darin verarbeitet und affimilirt ift. Wie viel Eleatiſches und Heraklitifches im Sokratismus liegt, das haben die Eleineren Sokratiſchen Schulen, wie viel Dogmatiiches und Steptifches in Kant, das haben die Kantianer, befonders Reinhold und Maimon gezeigt. Dazu aber, daß dieſe entgegengefeßten Ele- mente fich durchdringen, dazu ift zuerit nöthig, daß fie mit einander gemengt werden, und dies haben die Aufflärer Der alten und neuen Zeit geleiftet. Im unfyftematifcher Vielfeitigfeit verbinden fie das Hete— rogenfte — (dort Eleatifches und Atomijtifches, bier Molffiche Philofophie mit den Kehren Berkeley's und Hume’3) — zu einem bloßen Gemenge; wenn aber da der electrifche Funke Sofratijchen oder Kantifchen Genie’3 hindurchblitzt, fo ift an die Stelle des Ge: menged etwas ganz Neues getreten, das freilich der geſchickte Chemiker hernach wieder zeriegen kann, das aber mehr tit als jenes Gemiſch. Man kann daher gar nicht treffender das Verhältniß jener Vorläufer .
zu dem auf fie folgenden Philofophen ausiprechen, als Plato e3 an demjelben Orte thut, wo er von den Künjten der Sophiſten jpricht. Cr tadelt es da, dag fie vom Menjchen Iehrten er jey Cines, und Daneben auch DBieled, er verlangt von dem Philo: ſophen, Derjelbe folle nachweiſen, daß das Eine an ihm felbit Bieles iſt, d. h. er will nicht nur Surta- pofition jondern Intusſusception der verichiedenen Elemente, wie fie fein Meiſter, Sokrates, darbot. Man vergeffe aber nicht, daß, Damit fich eine folche innige chemijdje Verbindung bilde, zunächſt eine me- chaniſche Bereinigung vorausgehn muß. Auch der ſtärkſte electriiche Sunfe bildet fein Waſſer, er bedarf Dazu der unter einander gemengten Safe. Wie alfo die Vorurtheilsloſigkeit, welche die Aufklärung fchuf, die Borbedinguug war, dab die neue Lehre Boden gewinne, jo ijt Die unſyſtematiſche DVieljeitigkeit zu der die Sophiftif bringt, die unerläßliche Bedingung dazu, Daß eine Lehre Auflang finde, Die alljeitig iſt und zugleich ein Syjtem. Mit einem Worte, die Sophiftif und Aufklärung bildet die Brüde zu den ueuen Standpunften, durch jene muß bindurchgegan- gen ſeyn, ehe es möglich ift zu Diefen zu gelangen. Durch) fie hindurch. Der Philofoph alfo, deffen Borläufer die Sophiften waren, wird fie Hinter ich lafjen müſſen. Was wird aber dauon dir RUre U W
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müffen? Daß den Altgläubigen, denen die Aufklärung bedenklich fchien, der Philofoph ald der Schlimmfte unter den Gefährlichen erjcheinen muß. So macht der, troß alles feines Muthwillens, mit Ernſt an alter Art und Sitte hängende Ariftophaned zwiſchen dem Sokrates und den Sophijten feinen Unterfchied, chiebt jenem in den Mund, was Protogoras gejagt hatte, und eben jo zeigen die Maaßregeln des Wol- nerfchen Miniſteriums gegen Kant, ald er jeine Re: ligionslehre veröffentlichte, daß die religiöfe Reaction zwifchen ihm und Cherhard oder irgend einem andern Repräfentanten der Aufklärung feinen Unterfchied machte. Ganz anders wird dagegen das Urtheil der Aufklärer lauten; da der Philofoph ihren Standpunkt verlafien hat, ftellen fie natürlich ihn zu den Nicht: Aufgeklärten, find aber, obgleich fie ftet3S vom Ge—⸗ fcheidtjeyn fprechen, nicht gejcheidt genug, den, der ed noch nicht iſt von Dem zu unterjcheiden, der es nicht mehr ift, weil er mehr ift als Died. Wenn des Sokrates Genius ihm vorfchreibt, die vaterländifchen Geſetze zu befolgen, fo lächelt der Sophift über den Beichränkten, der ed nicht wagt, nur den eignen Nutzen und das eigne Belieben zu berüdfichtigen, fon: dern Rüdficht nimmt auf die Vorurtheile der Maſſe; er vergißt, daß durch die Beiltimmung des eignen Genius dad Borurtheil aufgehört Hat Vorurtheil zu .
feyn, daß es eine auf eignem Urtheil beruhende Über: zeugung wurde. Und wieder: Wenn Kant in dem Bude, welches ihm das Mipfallen der Cenſurkom⸗ miffion und ded Minifteriumd zuzog, nachweift, daß in den Lehren von der Erbfünde und der Erlöfung viel mehr Vernunft liegt, ald die Xeute meinen, fo erheben die Aufgeklärten ihre Stimme wider diefe Nachgtebigkeit gegen den Wuſt des dunklen Mittel: alterö, oder überreden wenigſtens alle Welt, Kant rede jo nur, um ed mit den mächtigen Herren nicht zu verderben. Oder aber, wenn er, der Mitarbeiter an der Berliner Monatöfchrift, diefem Organ ber Aufflärung, ftreng jvitematifche Arbeiten in einer eracten Schul: Terminologie gibt, jo wird er dafür von dem aufgeflärten Buchhändler, der das Privile: gium für fich in Anſpruch nimmt, Beurtheiler und Berleger alled deffen zu ſeyn, was Licht verbreitet, in einem wißig jennjollenden Roman als ein ver- alteter Pedant verſpottet. Alle Urheber diefer An: griffe bedenken nicht, Daß: ein Dogma um der Ber: nünftigkeit feines Inhaltes willen annehmen, nicht mehr heißt vom bfinden Glauben beherrfcht ſeyn, und wieder, dab das Syſtem des Kriticismus als ein neues, die veralteten Syſteme und ihre veralteten Formen eben fo hinter fich gelafien Hat, wie der ge: ſchmackvolle Schriftjteller,, weldher in ver Syesihe rt
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gebildeten Gonverjation die Fragen fpielend beant: wortet, an denen fich die Philofophen der früheren ©enerationen abgearbeitet hatten. — Der Philofoph wird es begreifen, eben darum aber auch ruhig er: tragen, wenn gleichzeitig er Sophiſt geſcholten und ale Bertheidiger antiquirter Vorurtheile bezeichnet wird, ganz wie Sofrates darüber lächelt, daß er ale Repräfentant der Sophiftif auf die Bühne gebracht wird, und Kant den Ungrund darin nachweiit, daß man ihn einen Anhänger Spinoza’s oder Hume's oder irgend eined älteren Syftematifers nennt. Wie aber wird er feinerfeit3 die anfehn, die ihm fo entgegen: gefeßte Vorwürfe machen, und wie im Verkehr mit ihnen fich jtellen? Dem Vorurtheil wird natürlich der Philoſoph feine Unklarheit sorwerfen, wird for: dern, daß ed in Frage geftellt, dem Raiſonnement unterworfen werde, und daß ſich Niemand einfeitig dem entziehe, auch Die entgegengefeßte Anſicht unpar— tetifch zu prüfen. Dort wieder, wo fi) Einer deß rühmt: vorurtheilslos zu ſeyn, Da wird der Philoſoph zufehn, ob er nur das voreilige Urtheilen los wurde, oder ob er nicht gar jedes Urtheild, jeder Überzen: gung ich entledigt hat. Sm dieſem letzteren Falle wird er dem Aufgeflärten vorwerfen, daß fein Stand- punkt Hohl und leer ift, Daß vor dem Lichte, welches er fo rühmt, nicht nur das Dunkel, fondern auch alle
Pracht der Farben verſchwand, und der Starke Geift, der ſich rühmt Nichts zu glauben, mit dem Irrthum auch die Wahrheit über Bord geworfen bat. Sn Diefer Stellung es jenen Beiden recht zu machen, das darf der Philojoph nicht hoffen, Dies aber ift ein Grund mehr, feinen Standpunkt hoch zu ftellen: des zweideutigen Glückes, Das dem juste milieu ftets widerführt, von entgegengejegten Parteien zu den Ihrigen gezollt zu werden, ſchämt fic) anı Ende doch jeder ehrliebende Menfch, e3 macht ihn irre an feiner eignen Aufrichtigkeit. Ganz anders dort, wo Beide und detejtiren, da weiß man wenigjtend, daß man nicht um DBeider Beifall geworben bat, und es ift die Möglichkeit gegeben, daß man nicht die fade
Mitte zwiichen Den Ertremen bildet, jondern die vor: nehme Stellung über ihnen einninmt. Dieſe kommt nun wirklich der Philejophie zu, deren Norläufer die Aufklärung war, weil fie nämlich nicht nur, wie eben gezeigt ward, jedes ter beiden Extreme von ihrer Einſeitigkeit befreit, jondern weil ſie jedem ſogar in dem überlegen ift, worauf es ſich bejonders viel zu Gute thut. Die einfache Pietät, die nichts vom Raiſonnement der Aufklärung wiſſen will, fie rühmt ſich jo gern der Sejtigkeit ihres Glaubens. Berdient fie wohl diefen Ruhm, wo fie jede Neflerion flieht, weil diefe fie unficher machen künne? Kan wm folgen Unglauben an den eignen Blaiken wit
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die Feſtigkeit deſſelben, Sicherheit nennen? Iſt nicht vielmehr der ſeiner Sache viel ſichrer, der weil er ihn in ſeiner Schwäche kennen lernte, gewiß iſt, daß fein Zweifel ihm ſeine Überzeugung rauben kann? Der Borurtheilölofe wieder, er prahlt mit feiner Auf- Härung, weil er Nichts glaube. Hat er noch nie mals die Erfahrung gemacht, daß Die Ungebildetiten am Schnellften damit bei der Hand find, wenn fie von einer neuen Entdedung hören, ungläubig den Kopf zu Ichütteln, während der aller Aufgeklärtefte der feyn möchte, der Alles unterfucht, d. h. ehe es widerlegt ift an die Möglichkeit glaubt? Das leicht: gläubige Annehmen des Borurtheildvollen, das leicht: fertige Abfprechen des Borurtheilälofen, dem Urtheile- vollen ijt beides zu leicht, ihn Lodt nur dad Schwere, das Gediegene und Erprobte.
Mo darum die Sophiftif die Philofophie ver: treten will, wo anitatt der in dad innerfte Weſen dringenden, allfeitigen, Deduction, das Die verfchie: denen Gefichtöpunfte geltend machende, vieljeitige bloße Räfonnement allein Wiffenfchaft ſeyn will, da wird man freilich gegen fie auftreten müſſen. Es fragt ſich aber, ob jene tiefeindringende Deduction überall am Plab ift, und ob ed nicht Gebiete gibt, in welchen das Xicht verbreitende Raifonnement das allein paffende Berftändtgungsmittel ift? Vorhin ward
ſchon auf die oratoriihe Thhtigteit Gingemieien. UT
der Kanzel, auf der Tribüne, vor den Geſchwornen wäre ed nicht am Plaß, ſchulmäßige Deductionen zu geben, hierher gehört, mit Hegel zu fprechen, „Die geiftreiche Reflerion die den Begriff hindurchicheinen läßt“, nicht ihn felber entwidelt. Eben fo dort, wo man fih den Zwed geſetzt hat, nicht ſowohl Die Miffenihhaft vor den Augen des Leſers oder Zuhörers entſtehen, die Wahrheit rejultiren zu lajjen, ſondern die gefundenen Rejultate mitzutheilen und annehmbar zu machen. Je mehr der Eeiten hier aufgezeigt werden, je überrafchender die verfchiedenen Geſichts⸗ punkte hervortreten, um jo feffelnder wird der Bor: trag feyn, um fo mehr wird er interefliren, um fo fichrer feinen Zwed erreichen. Auch wer die Anficht nicht theilt, Die heut zu Tage oft audgejprochen wird, Daß die Zeit der philojophiichen Syfteme vorüber fey, was confequent fejtgehalten zu dem Nefultate führen würde, daß zum dritten Male die Zeit gekommen jey, wo die Sophiftif, indem fie alle biäherigen Sy: fteme in geiftreiches NRaifonnement verwandelt, den Boden zu mijchen habe, damit eine bis dahin unbe- tannte Blume ihm eutwachſe, auch wer diefe Anficht nicht theilt, wird dort, wo es fich darum handelt, außerhalb der Schule zu befprechen, was die ftrenge Wiſſenſchaft deducirte, in dem lichtvollen aufflärenden Raifonnement d. h. in der Sit, WR duin paffende Mittel fehn. Einem Beer Ten RW“
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eines Sophiſten beilegen iſt, obgleich es jehr häufig ge: ſchieht, überhaupt etwas unvorfichtig, denn die Erwi— derung liegt ihm Doc) zu nahe, man zeige durch feine Einwände, daß er die Gabe des Geſcheidtmachens gerade gar nicht habe. Wird nun aber gar Diefer Ausdruck dort gebraucht, wo Einer gar nicht die Abficht hat, jtreng wilfenfchaftliche Beweije zu geben, fondern wo er, fey ed in einer Rede, ſey es in einer für ein größeres Publitum berechneten Auseinander⸗ feßung, einen Gegenstand beleuchten, Aufklärung über ihn geben will, fo ift jener Name geradezu ein Lob⸗ ſpruch. Was mollte nıan auch mehr verlangen ald daß einer Betrachtung, wie 3. B. die vorjtehende tft, zugeitanden würde, fie habe manches Vorurtheil gegen die Sophijten zerftrent und habe dies geleiitet, indem fie dazu brachte Diefelben nicht mehr einfeitig zu ver: urtheilen, d. h. fie habe das Ziel der Sophilten mit ihren Mitteln erreicht? So weit ihr dies gelungen iſt, fo weit ift fie auch geweſen, als was fie fich an- gekündigt hat, eine Chrenrettung Der Sophiſtik, und wenn fie ihre Aufgabe in der Form einer Selbitver- theidigung Iöite, fo wird das Bedenken, daß von Sokrates bi3 auf Eugen Aram die fich ſelbſt verthei: digten wenig Glück hatten, durch Den Troſt aufge: wogen, daß man ihre VBertheidigungsreden wenigftend aufmerfjam anhoͤrte und nody Lieit.
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VII. Über das Beidnifche im Ghriftentkum. h
1854.
In den letten Monaten ift in den Zeitungen, und zwar den allerverfchiedenften, jo viel gegen die Mar- morgruppen auf der Berliner Schloßbrüde gefprochen worden, daß fie ed auf dem Gewiſſen haben, wenn ed Manchem, der ald Fremder Berlin bejuchte, ge: gangen iſt, wie mir: mein erfter Gang galt jener Brüde. Zuerft überrafchten mich, da ich deoch gelefen hatte, ein jittfames Mädchen müffe, wenn es über die Brüde gehe, Die Augen niederfchlagen, die zim⸗ merhohen Sodel, auf welchen die anftößigen Gegen: ftände ftehn, denn nur Goliaths Töchter oder Gar- gantua’3 Enkelinnen laufen jeßt Gefahr, wider Willen Etwas zu erbliden, was fie nicht fehen mögen. Bet dem gewöhnlichen Wuchfe der Berliner Damen braucht eine jtrenge DBeftalin durchaus nicht herunter:, ſie braucht eben nur nicht hinauf zu blicken. Als ich dann weiter, auf die Gefahr bin, mir den Naden zu verrenken, die Gruppen genauer betrachtete und Dabet mich auf das befann, was die Civis und Unus pro multis gegen dad Nadte geſagt Hatten, Tas ir et
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Gedanfe, Berlin fey zu der Prüderie amerifanifd Damen gelangt, die ihren Flügelpianofortes Ine pressibles anthun follen, oder zu Der Züchtigkeit jeı Papſtes, der einer antiken weiblichen Statue im tican ein Hemde von Gips anziehn ließ, welches noch jebt trägt, da fein Nachfolger, obgleich ihn : Sache ärgern foll, nicht den Muth hat, im entgegi gefegten Sinne der Schönen bei ihrer Toilette helfen. Indeß, diefe meine Furcht, Berlin ſey ul! verfchämt geworden, verlor fich bald. Denn Da noch an demfelben Abend fehen Eonnte, wie im Th, ter die Männer ihre Augen bewaffneten, Damit ihr Nichts von Pepita’3 herrlichen Gliedern entgehe, u dabei hören, wie die Frauen mit Entzüden die Schi heit dieſer Formen zergliederten, da fah ich ein, d ich) mich ganz unnüg geängitigt. hatte. Kurz,
habe mich fehr bald überzeugt, daß alle die Rec mationen gegen die Gruppen, die im Namen | Züchtigkeit und Tugend aufgetreten, Nichte waı ale Symptome der Luft, Alles zu befritteln, die fog da fich regt, mo ein Funftfinniger Fürſt der eigr Stadt ein Gefchenf macht, um die und jede and Hauptftadt.beneiden kann. — Biel wichtiger ald di Stimmen, die übrigens ſchon feltner geworden fi und bald verhallen werden, find die, welche von ei anberen Seite her fich erheben, und nicht Died: tade
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z nackte Geſtalten, ſondern daß mythologiſche genſtände dargeſtellt wurden, durch deren An— wen Der, ohnedies zu ſehr herrſchende, heidniſche an genährt und verbreitet werde. Sch nenne dieſe immen viel wichtiger, weil fie neue Symptome er jehr weit verbreiteten Anficht find, die immer br um fich greift, nach welcher alfe Übel unjerer t nur darin ihren Grund haben follen, daß unjere nk⸗ und Anſchauungsweiſe fo viel Heidnifches ent- te. Als vor einiger Zeit ein hochgejtellter Geiſt— er in Frankreich Den Vorſchlag machte, man folle ' gelehrten Schulen nicht mehr die heidntichen hriftſteller leſen Iafjen, 309 er eigentlich nur die Etifche Solgerung aus dem, was in den verfchie- sten Formen, auch bei ung, fehr oft ausgeſprochen rden it. Bald hat man uns erzählt, wir hätten wegen Feine Anhinglichfeit an unjere Fürften, I wir auf der Schule nur die Republik und die dniſche Bürgertugend verehren lernten, bald redet n und vor, daß nur deswegen Mancher durch die turwiffenfchaft vom Glauben abgeführt werde, weil nod) immer nach den Grundſätzen des Ariftoteles, ſes Erzheiden, getrieben werde, bald endlich Toll Beichäftigung mit der reizendften aber eben darum äbrlichiten Form des Heidenthums, mit dem Grie- atbum, zu einer Vergötterung der Shö ök Üiren,
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deren Cultus immer mehr an die Stelle der R trete. Wenn fie dann Alle ſich zu der einen B tung vereinigen: dem, leider verfallenden, Cl thume fey nur zu helfen durch Entfernung al Heidnifchen, was ſich allmälig eingefchlichen E gehört Muth Dazu, einem folchen Unifono geg nicht zu Schweigen. Ich will ed Dennoch wagen weil ich meiner Runge die Kraft zutraue, ef mächtigen Chor zu überjchreien, jondern w weiß, Daß auch ein fchwacher Ton unter vi teren vernehmlich wird, wenn er mit ihnen r Conſonanz fteht. In der That möchte, wenn Trage aufwerfe, ob an jener eben erwähnt: bauptung Etwas dran ift? die Antwort in dender Diffonanz ftehn mit dem, was Solche X ten, die gewohnt find, in Sachen des Chrifte und der Chriftlichkeit das große Wort zu
Dies ſchließt aber nicht die Möglichkeit aus, I Antwort, zu der wir gelangen, richtig ift um! fo alt, wie das Chriftenthun felbit.
l.
Das Chriſtenthum. Obgleich dieſes Wort z: gehört, die, wie dad Wort Freiheit, Keinen gültig laffen, da auch des Gegnerd Blut aı 20 es auögefprochen wird, fo geht es ihm dr
am. Gerade wie dad andere, mit dem ed eben zu- ammengeftellt wurde, wird es fortwährend gebraucht, virkt in dem Einen Begeifterung, in dem Andern Smpörung, ohne daß fie Doch wilfen, was es eigent- ich befagt. Wie viele verftehen nicht unter Freiheit mr das negative Nicht-gebunden-feyn, was fie auch, vas fie aber nicht allein ift? Gerade fo dient dad Bort Chriftenthbum fehr Vielen nur dazu, einen Theil yefjen zu bezeichnen, was darin befaßt iſt. Schon te Analogie mit gleichgebildeten Worten follte vor olcher Beichränfung warnen. Würde man ed nicht eltjam finden, wenn man unter Ritterthum oder Römerthum nur einen Theil des ritterlichen oder rö- nifchen Weſens verftünde, wenn man fagen wollte, Deutfchthum heißt deutiche Sprache, Griechenthum jriechifche Kunſt, Altertum bedeutet fo viel wie ntife Erziehung? Und doch begeht man diefe felbe Seltfamfeit, wenn man unter Chriftenthbum nur eine einer Äußerungen, die Religion nämlich, verfteht, yie, ſey fie auch immerhin die vornehmfte unter den Srfcheinungen des chriftlichen Lebens, Doch nicht für ich allein den Namen in Anfpruch nehmen kann, der Men Erjcheinungen des neuen Lebens, oder vielmehr dieſem neuen Leben felbit in feiner Ganzheit und Fülle, zukommt. Dieſes neue Leben erfcheint zuerft in feiner concentrirteften Geftalt in den Einen, Vet
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eben deshalb nicht an dieſem Leben nur Theil hat, ſondern es ſelbſt iſt und ſich mit Recht das Leben nennt. Es entwickelt ſich und wächſt, indem es nicht mehr nur in Ihm allein exiſtirt, ſondern immer mehr Alle und Alles durchdringt, bis endlich es, und eben darum Er, der dieſes neue Leben iſt, überall ſichtbar ſeyn wird, wie der Blitz, der vom Aufgang bis zum Niedergang leuchtet. In dieſem ſeinem vollen Sinne, als das ganze neue Leben, wie es in Allem ſich zeigt, in der neuen Religion, in Der neugeitalteten Sitte, in dem erneuten Bamilienleben, in der aus Dem nenen Geiſte erzeugten Kunit und Wiſſenſchaft, in Den durch den neuen Geijt verklärten Rechts: und Staatsver— hältnifien, in Diefem nehmen wir das Wort Chriften- thum, wenn wir und Die Srage zu beantworten juchen, wie e3 fid) zur heidniſchen Weltanſchanung verhält und wie jie zu ihm?
Da gibt ung fogleich einen bedeutfjamen Wink die Art und Weife, wie ſich zu Dem erjten Gricheinen des neuen Lebens Die Heidenwelt verhält. An die Krivpe von Bethlehem treten nicht nur fromme jü- dische Hirten, Denen Die Boten ihres ſtrengen und eifrigen Gottes ankündigten, daß die Zeit Des Zucht: meijterd worüber, Die Des Friedens und Der Sreude gefommen jey, fondern zu demſelben Ziele werden Die heidniſchen Magier von der Macht hingewiefen,
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Lie ihnen ala Gott gilt: Das Geſetz Der Geſtirne hat ihnen geboten, Den König des neuen Reiches aufzu: fuchen. In der That, wenn man fieht, wie in ber heiligen Schrift das, was die Heiden in den Sternen lafen, ganz eben jo als ein Wegweifer auf Chriftum bin behandelt wird, wie der Gugelöruf, den die jü- diſchen Hirten vernahmen, wenn man bedenkt, daß in einem der ältejten und jchönjten Kirchenlieder das fich erhalten hat, neben den Alttejtamentlichen Sänger der Palmen die heidnifche Sybylle als Prophetin von des Herren Tag geitellt wird, wenn wir in dem merbwürdigen Gedicht des theologijchiten unter allen Dichtern die heidniſchen Weiten ſtets neben den Pro: pheten des alten Bundes erwähnt finden, jo müflen wir gejtehn: als die uriprüngliche kaun die Anficht nicht angejehen werden, nad) welcher Das Heidenthum nur von dem Chriſtenthum abzieht. Viele Jahrhunderte galten, und e3 gelten bei einem großen ‘Theil der Chriftenheit noc heute die Heidenkönige als heilige Zeugen für's Chriſtenthum und ald Vorläufer deifelben, und fromme Künjtler hielten ee nicht für einen Raub an der Göttlichkeit des heiligen Kindes, wenn fie es greifen liegen nach den Opfergaben, die dad Heiden: thun zu feinen Füßen ausbreitete, nicht für eine Ver: fündigung an der Heiligkeit der Jungfrau, wenn fie diejelbe darftellten mit den Perlen gethmükt, Vier dur \6
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Gabe der heidnifchen Sterndeuter waren. Es iſt erft die Neuzeit, die jo mißtrauifch geworden tft gegen alle Gaben des Heidenthums; erſt fie fürchtet Alles, was nicht jeinen erjten Urjprung innerhalb der chrift- lichen Anfchauungen hat, erſt fie ift ſo puriftiich in ihrer Chriftlichkeit, Dat fie — Den Berliner Glauben gefährdet erachtet, wenn nicht auf jeden Granitblod der Schloßbrüde ein Crucifix ſteht anftatt der Sieges- göttin oder einer andern heidnifch erdachten Gruppe. Sollte aber nicht die Neuzeit hierin ganz Recht haben? Necht gerade wegen des eben Ausgefprochnen, dat das Heidenthum auf das Chriſtenthum hinweije als fein Borläufer? Darin liegt Doch, daß es eben nur vor der dhriftlichen Zeit, nicht in ihr, eine Be rechtigung hat, ganz wie die heidnijchen Profelyten des Thors vor dem Heiligthum, nicht in ihm, ihren Plag hatten. Mit Recht, fo jcheint ed, muß jede heidnifche Anichauung innerhalb der chriitlichen Welt als reactionär im fchlecyteiten Sinne des Wortes gelten, da fie ja zurüdbringe; dahin zurüd, wo Die Menfchheit noch von den Schranken des Irrthums wie eine Feſtung von ihren Mauern und Wällen umfchloffen war, während ja der Fortichritt, den die Menichheit an der Hand des Chriſtenthums gemacht bat, darin beftehe, daß fie jene beengenden Mauern Dinter ih ließ. — Wäre wirklich die Menfchheit
urch das Chriſtenthum dazu angeleitet, fo möchte aan verfucht werden, dies eine Berleitung zu nennen, enn es bleibt ftetd eine bedenkliche Taktik, einen feften Maß, anftatt ihn einzunehmen, hinter fich zu laffen. das Chriftenthum verdient aber diefen Vorwurf nicht; telmehr hat ed durch die Einnahme der feindlichen Bollwerke feine Eroberungen gefichert. Es hat fie in⸗, d. h. wirklich in ich aufgenommen, fie bilden etzt einen feiner feiten Punkte; zu einem andern ward hm das, dem Heidenthum diametral entgegengefeßte Sudenthum, welches wir aber bier nur infoweit zu erückſichtigen haben, ald dadurch unfer eigentlicher Hegenftand, das Verhältniß des Chriſtenthums zum eidniſchen Weſen, Harer wird. Wir können dieſes Zerhältnig jo formuliren: das Chrijtenthum fchließt as Heidniſche nicht aus, fondern ein, es findet fich oirklich in ihm nicht nur etwas, fondern viel Heid: iiſches, es hat fich daſſelbe aber nicht, wie die heu- ige Heidenfurcht meint, in das Chrijtenthum einge- chlichen, Tondern dieſes hat ihm gefliffentlih Thor md Thür geöffnet, und ernährt und erhält zu feinem ignen Frommen die heidnifchen Elemente; fie find er Knecht des Haufes, oder befjer: Der Tempeldiener, en es in feinen Dienft und feine Pflicht genommen. Ibgleich dieſe Sätze eigentlich von Keinem beftritten . verden Tönnen, welcher behauptet, Vo DR Sxetten- \6*
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thum des Heidenthumsd Herr geworden fey und immer mehr werden folle, worin doc, gewiß liegt, daß das leßtere zu feinem Diener bejtimmt ift, jo wird man doch mit ihnen nicht fo leichten Kaufes durchkommen. Shre völlige Rechtfertigung aber finden fie in dem Nachweiſe, daß das Chriftenthum zwar nicht aus dem Heidenthume allein, aber doch auch aus ihm, vermit- telft feiner Durchdringung mit den Judenthum, ent: ftebt und fich entwidelt, und daß fortwährend an diefe Durchdringung dad Sein und der Beſtand des Chriftenthums gebunden ift.
Die Entftehung des Chriſtenthums ift durch das Heidenthum und feine Vereinigung mit dem Juden: thum bedingt. Wo beide ihre fpröde Stellung gegen einander aufgeben, wo griechiiche Weltweife ihre vor: nehme Verachtung der Wunder und Weiffagungen vergefien, wo römiſche Hauptleute in den heiligen Schriften der verachteten Juden Belehrung juchen und wo wieder fromme Juden nach den Naturgefeben zu forschen, ſich zu Ärzten auszubilden anfangen, wo ein Mann priefterlihen Standes, und fo fromm wie der Jude Philo, zu griechifchen Philnfophen in die Schule gebt, erft da ift jene Erfilllung der Zeit ein- getreten, vor welcher dad Chriftenthum nicht kommen fonnte. Und weiter, ald ed nun gekommen ift, als in bem Stifter defielben ber Funke hervorgeiprungen
, der die ganze Welt entzünden follte, da ift bei nem Anfachen zur Flamme nicht nur das Quden- ım, nein! eben jo fehr der heidnifche Geift thätig weſen. Selbft wenn wir nur die religiöfen und lichen Erfcheinungen betrachten, müfjen wir dad on zugeftehen. Verfteht man nämlich unter Kirche ıe religiöfe Gemeinfchaft, die einen beftimmten, htlich anerkannten Lehrbegriff, ein Bekenntniß oder jen. Symbol hat, fo muß man einräumen: da aus e im Neuen Tejtamente niedergelegten, ohne die ihrungen des jüdischen Volkes unverftändlichen, ja möglichen Offenbarung, mit Hülfe griechifcher tfienfchaft der Lehrinhalt oder das, was außerdem B es Geſchichte, auch ewige Wahrheit ift, heraus- zogen wird, dieſe Lehre aber vermittelft römiſcher echts- und Staats: Einrichtungen bindende Kraft,
wie die fich zu ihnen befennende Gemeinfchaft Hiliche Normen erhält, — fo haben im Verein mit m Indenthum beide Sormen des Heidenthums Dazu igetragen, daß die Gemeinde ſich zur Kirche ent- le. Gehn wir aber nun gar über den Kreis des eligiöſen und Kirchlichen hinaus, und denken an das hriſtenthum als Ganzes, d. h. an alle Erfcheinun- n des chriftlichen Weſens, bedenken mir, wie fich je unfere Sdeen vom Necht an die der Römer, vom unft und von Schönheit überhaupt am die der Goe
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chen anlehnen, fo werden wir in dem Chriſtuskinde, wie ed die Anbetung der jüdifchen Hirten und der heidnifchen Könige empfängt, eine Weilfagung darauf bin anerkennen müfjen, wie fic) das Reich Diefes Friedensfürſten zu den beiden andern einmal verhalten wird: wie fein Stifter, fo bat auch das Chriften- thum fi) angeeignet, was Judenthum und Heiden: thum im Verein zu gewähren vermögen. Dies heißt nun aber nicht, der chriftliche Geift und die chriit- liche Anſchauungsweiſe fey nur ein Gemiſch von jü- diichen und hHeidnifchen Ideen. Sch habe gefliffent- lich die Bereinigung beider Durchdringung genannt und nicht Gemiſch, um nicht zweierlei zu confundiren, deſſen Verſchiedenheit uns fchon Vorgänge der ficht: baren Natur zeigen. Aus dem bloßen Gemenge zweier Gaſe wird, wenn der electrifche Funke hindurchſchlug ganz etwas Neucd, dad reine Waffer in dem fie ſich durchdringen. Dder aber: Zwei klare, fich entgegen: feßte Subftanzen werden zufammengegofjen. Eo lange die Heiniten Theilchen jeder derjelben die der andern nur fuchen, höchitend berühren, fo lange haben wir ein bloßes Gemiſch oder Gemenge. Es iſt trübe und in einer der Gährung Ähnlichen Unruhe. Ent: lih wird Alles rubig und am Boden finden wir, abermals durchſichtig aber feft und in fchöner regel- mäßiger Form, dad Salz, in weldem die Atome
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jener Beiden nicht mehr neben einander liegen, ſendern ſich ganz Durchdringen, jo Day nirgends nur eine jener Eubitanzen, überall beide oder — wie man eben fo gut fagen ann — feine von beiden fich findet. Gerade fo gebt der Entſtehung des Chriftenthums jened Ge: menge heidnifcher und jüdiicher Ideen voraus, von welchem ich vorhin gejprochen habe, in welches der zündende Zunfe der Geburt des Herrn fällt, um etwas Neues an jeine Stelle zu jeßen, jene wüjte und trübe Unruhe, welche der Krvjtallbildung vorausging, und gerade wie bei der Salzbildung nur ein Kleiner Theil der zujanmengebrachten Slüffigfeiten dazu verwandt wird, das Übrige aber ein fades Phlegma bleibt, das, wenn es nicht rechtzeitig weggegoifen oder abgedampft wird, die fchon gebildeten Safzkryitalle fährden kann, gerade jo geht nur ein Theil der heidniſch gebildeten Juden und vom Judenthum ergriffenen Heiden zum Ehrijtentfum über, die Übrigen hat die Gemeinde mit Recht als nicht ihr angehörig angejehn, oder gar als ihre Feinde zu fürchten gehabt. Daß aber aud) nur jenem Heinen Theil die Vermiſchung beidnifcher Ideen mit jüdiichen zur Brüde werden konnte, über die fie zu den Anjchauungen des chriftlichen Geiftes gelangten, ijt ein Hiftoriicher Beweis, daß fich das Chriſtenthum zu jenen Ideen jo verhält, wie das Salz zu den Eubitanzen, die in ihm gehuntien In.
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Wirklich ein Beweis? Kann wirklich, wenn mit und aus dem Zuſammentreffen des Judenthums und Heidenthums der chriſtliche Geiſt hervorgeht, daraus ohne Weiteres gefolgert werden, daß an ihre Exiſtenz das Seyn des Chriſtenthums gebunden, daß ſie in- tegrirende Beſtandtheile deſſelben ſind? Stahl und Stein treffen auch zuſammen und der Funke, der daraus hervorgeht, wird, wenn er zündet, zur Flamme, in der doch weder vom Stein noch vom Stahl Etwas zu entdeden iſt. Vielleicht verhält ſichs fo auch mit dem Chriftenthum, und wir hätten beſſer gethan, bei dem zuerſt gebrauchten Vergleich mit dem Funken und der Flamme, Die durch das Heidenthum angefacht wurde, itehen zu bleiben, als zu dem mit dem Salze überzugehn? Wir müffen, ich geftehe es zu, um bie Behauptung zu begründen, daß nicht nur Das Ente ftehen, fondern auch Seyn und Beſtand des Chriften- thums an jene Durchdringung gebunden ijt, und nad einem Beweiſe umfehn. Vielleicht verhilft ung Dazu unfer, eben getadeltes Gleichniß: Wie der Ghemiler, wenn er und beweifen will, daß das Salz feine ein- fache Subftanz ift, es und in dem Momente der Zer: fegung vorführt, wo ſich Die Beftandtheile trennen und das Gebundene frei, das bisher Ratente offen: bar wird, fo haben wir das Chrijtenthbum dort zu betrachten, wo e3 in einen Zerießungd: und Ber:
weſungsproceß hineintritt, um die Elemente wahrzu: nehmen, die ed im gefunden Zuftande in feinem Schooße birgt, die aber, wo die Zerfeßung beginnt, frei and Licht treten. Das Sahrhundert, welches der Reformation vorausgeht, zeigt einen ſolchen Zer- feßungsproceß in der chriftlichen Welt. Die ausge: bildete Priefterherrichaft, die Werkheiligkeit, der ge feglic geregelte Geremontaldienft, alles dieſes zeigt ein rein jüdiſches Weſen. Und zugleich iſt in ihren weltlichen Tendenzen und in ihrem gößendienerifchen Bilderdienft die Fatholiiche Kirche zum Heidenthum herabgefunfen. Diefem, frei und offenbar werdenden, heidniſchen und jüdiihen Sinne treten die Reforma⸗ toren entgegen. Mit Recht ift bemerkt worden, daß Luther und die fich ihm anschließenden deutfchen Theo- Iogen befonders das jüdiſche Weſen, die erciufive Heiligkeit des Prieiterftandes, die Werkgerechtigkeit u. ſ. w. befämpften, während Calvin und die ſich ihm anſchließende franzöſiſche und fchottifche Kirche sorzüglich Das heidnifche Clement, den Bilderdienft, die finnliche Griftenz des Heiligiten ald ein fichtbares Ding, u. ſ. w. angriffen. Ignoriren wir hier diefen Gegenfag unter den Reformatoren, der ed erklärlich macht, warum den Anhängern ded Genfer, Belennt- niffes unfer Luther, wie er im Kreije der GSeinigen beim Lautenjpiel Wein, Weib und Gelang priit, D
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weltlich, zu heidnifch-leichtfertig für einen Reformator .erfcheint, während der, feine Stadt ftreng regierende Calvin oder der jtarre Schotte Anor mit jeiner Vor: liebe für das alte Teitament und feinem Rigorismus gegen jedes Bild in der Kirche, für und leicht etwas Sudaifirendes hat, — ignoriren wir, fage ich, diefen Gegenfaß, jo beweiit Doch, wenn in dent Verweſungs— und Zerſetzungsproceß des Chriſtenthums Die beiden Elemente ſich geltend machen, die Luther und Calvin befämpfen, dies ganz EHar, dat auch in dem gefunden Zuftande des Chrijtenthbums fie in ihm enthalten ‚waren. Zwar fo nicht, wie in dem Momente der Zerfeßung, jondern fo wie die zerfreiiende Säure und das ätzende Alkali im Salze find, das weder ätzt noch zerfrißt, weil fie beide fid) gegenjeitig binden und von einander gebunden werden. Seltiam! Hier, bei dem Salze, findet man ed ganz in der Ordnung, daß das Ätzende und Zerfreſſende fich gegenfeitig cal: miren, und wenn Einer, damit das Salz weniger fcharf fey, den Verſuch maden wollte, ihm alles Ätzende zu entziehn, fo würde man es natürlich fin- den, wenn die feharfe Säure, die dann allein übrig bliebe, dem Thoren Kleider und Hände zerfräße, bei dem Chriſtenthum aber räth man folche Thorheit an und nennt fie Weisheit, ald wenn nicht, was man Dort beim Salz fieht, natürlich, d. h. ein allge-
meines Weltgeſetz wäre, und ald wenn nicht das -Chriftenthbum auch Salz wäre, Salz der Erde näm- lich, wie es (wahrſcheinlich doch nicht ohne guten Grund) genannt wurde! Gelänge es wirklich, was ‚Biele heut zu Tage für nothwendig erklären, allen Paganismus zu vernichten, den das Chriſtenthum in ſich gejogen hat, jo bliebe nichts übrig als der Fauftifche Zudaismus. (Natürlic Hat wieder der Krieg gegen ‚Alle, was man jüdiiche Vorjtellungen im Chrijten: thum genannt bat, zu einer Apotheoſe Des zerfreſſen⸗ den puren Heidenthums geführt.) Man bedenke darum die Kolgen, ehe man Stimme und Hand erhebt, um Mapregeln zu unterftügen, welche gerade das Chriften- thum zerftören müßten, da fie ſolche Mächte frei ‚machten, die das Chriſtenthum nur jo lange nicht zu fürchten hat, ald es fie bindet und aljo bändigt.
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Es wäre nicht unmöglich, daß dieje unfere War: nung denen, an welche fie gerichtet ift, jo erſchiene mie die mächtigen Streiche, welche der edle Ritter von der traurigen Geftalt gegen die Windmühlen führte, als das nicht treffend, dem fie gilt. Alles das nämlich), was bisher gefagt wurde, können fie zugeben, können gleich und zugeftehn, daß die geiftige Geſtaltung der ‚Welt, die wir Chriftentfum nennen, Me keukeren,
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darum auch das Heidenthum ſo in ſich birgt und bindet, wie der lebendige Menſchenleib Phosphor und andere ihm ſchädliche Subſtanzen, und können dennoch ihren Kreuzzug gegen den Paganismus, gegen die Wiederbelebung der heidniſchen Anſchauungsweiſe, fortſetzen. Bei dieſem ihrem Kriege nämlich handle ſichs gar nicht um das Heidenthum, welches ein Be: ftandtheil fey im Chriftentbum ald Ganzen, wie ed eine geichichtliche Macht, wie es die geijtige Bejchaf: fenbeit der ganzen Menſchheit bezeichnet, jondern um die Chriftlichkeit "Des einzelnen Menjchen, um fein Chriftenthum, und darum, daß er nicht zum Heiden gemacht werde. Sey ed immerhin wahr, daß Das Chriſtenthum ſich durch Aufnahme und Verarbeitung auch heidniſcher Ideen gebildet habe, und daß alſo die Entziehung alles Heidniſchen ihm gefährlich wäre, wie dem lebendigen Leibe Die Entziehung alles Phos: phors; fo viel aber des Heidnifchen und fo verar- beitet, wie ed den Chriſtenthum nothwendig, nehme der Einzelne ja in fich auf, indem er chrijtlich er: zogen wird, und nur chriitliche Eindrüde empfängt. Dagegen, feinem Geifte noch außerdem rein heidniſche Koft bieten, wäre ja, als wollte man dem Leibe, weil er doch auch aus Phosphor gebildet ift, num noch Phosphor ald Nahrung reichen. — Ich Eönnte Darauf erwidern, daß Died auch wirklich geicheben
muß, und daß er phosphorhaltiger Nahrung bedarf, indeß eine Argumentation durch ein Bild, welches noch dazır ich jelbft dem Gegner in den Mund legte, würde jchwerlich überzeugen. Statt deffen werde darauf aufmerkjan gemacht, dag der Einzelne jeines Chriftenthums nur dadurch theilhaft wird, daB das Chriſtenthum in ihm von Neuem entiteht, daß es in ibm — die heil. Schrift nennt es Geftalt gewinnen — teproducirt wird, und dab eben deswegen fein Chriftlichwerden alle Die Stadien durchlaufen muß, welche das Chriftlichwerden der Welt durchlief. Wer daran zweifelt, oder wer ed myſtiſch nennt, bedenke, Daß ed ganz eben fo iſt jchon bei jeder Kunftfertig- keit. Die Kunft des Clavierjpield z. B. iſt jo fort- geichritten, daß, wer vor hundert Jahren ein Virtuos war, heut zu Tage von manchem Sinaben würde über: troffen werden. Und do wird auch heute Keiner mit der Kunitfertigkeit eines Lißt oder Thalberg ge- boren; Feder muß den Gang vom ftümperhaften Ge: Mimper bis zur Virtuofität, den die Kunft des Cla⸗ sierfpield durchgemacht hat, in ſich abermals durch: machen, nur daß die vervolllommnete Lehrmethode und die Gelegenheit, von der Wiege an gute Muſik zu hören, heut zu Tage alle diefe Stadien ſehr jchnell durchlaufen läßt. Gerade jo kommt auch der Menſch zur ertigkeit im neuen Leben nur dadvx6h, We mn
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ihm der Gang fich wiederholt, auf welchem die Menſchheit dieſes nene Leben gewann, feine Erziehung zum Chriften ift eine Wiederholung der Erziehung der Dienfchheit zum ChriftenthHum. — Wenn doc) die, welche in ihrem Eifer gegen das moderne Heidenthum ftetö die alte gute Zeit loben, in der noch die Men- fehen zu Chriften erzogen wurden, einmal anfingen anftatt zu preifen daß, auch einmal zu lernen wie damals die Kinder in den chriftlichen Ideenkreis ein-- geführt wurden? Das Mittel, welches, jo lange es Kinder gibt, das einzige it, fie zu Ideen zu bringen, dag man ihnen mündlich oder nach einem Buche Solches erzählt, worin fie Durch eigned Nachdenken die Idee, d. h. den Wahrbeitsgehalt auffinden, zuerft ahnden, dann erkennen follen, war auch das Haupts bildungsmittel fir Kinder in der „guten alten Zeit.” Wenn wir dann aber weiter zufehn, wad den Kindern erzählt, was vor ihnen und fpäter von ihnen felbft gelefen ward, jo finden wir, daß Damals die fogen. Kindergefchichten, d. b. die expreß für Kinder ausge⸗ fonnenen Geſchichten, nicht eriftirten. Diefe unfelige Erfindung der Neuzeit, die „Erzählungen für Kinder”, welche für Kinder die fchlechteften Erzählungen find, war der guten alten Zeit fremd; vielmehr anerken⸗ nend, daß das Kind auferzogen, d. h. heraufgezogen, acht aber bie Eltern oder fonitigen Erzähler herunter⸗
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gen werden ſollten, erzählte und las fie, zum een Nuten und größeren Genuſſe der Stinder, ı nur Solches, was urjprünglich nicht für Kinder trieben war. Und diejes war? Erſtlich die bibli- ;, namentlich die Altteftamentlichen Gejchichten, ) welche das Kind, gleich einem Kinde Israels, stmifch wurde in ten Borftellungen des alten des. Gleichzeitig aber ward zweitend das Kind führt in die mittelalterliche Welt der Mährchen in die fabelhaften Sagen des Alterthums, Die » nicht zur Kurzweil erfonnene Phantafiefpiele, weige denn für Kinder erdacht, find, fondern in n das Haffiiche und germanifche Heidenthum durch tiefſinnigſten Männer, feine religiöjen und foniti- Weltanſchauungen niedergelegt hat. Welch eine zung mußte nicht in dem Kopfe eined Kindes in guten alten Zeit entitehn, wenn es von der ter in eine Welt eingeführt, welche urſprünglich war, wo Odin herricht und Balder jtirbt, vom ee wieder, durch Den Homer Nacherzähltes, zur mnderung von Des Peleus und der Thetis Sohn feitet, von Bater und Mutter dazu geführt ward, abam zu verehren und, troß jeiner Schwächen, id zu lieben? Ja wohl, eine Gährung, aber Die alte Zeit wußte, was ihre heutigen Lobredner efjen, Daß nur aus kräftiger Gährung an Unter, \
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feiner Trübung audgefeßter, Trank hervorgeht, und fie hatte in ihrer Erziehungsmethode die Autorität eines Größern als alle Peſtalozzi für ſich, Defien, der durch die Gährung heidnifch-jüdifcher Ideen die Menfchheit in. den chriftlichen Ideenkreis hineinge- führt hatte.
Wir billigen die Art, wie die alte gute Zeit ihre Kinder zum Chriftenthun anleitete, weil ganz wie in der Menfchheit, fo auch in dem einzelnen Men- fhen das Chriftenthbum aus Dem Gemifche des Heid: nifchen und Jüdiſchen hervorgeht. Wir fügen aber noch hinzu, daß auch darin im Einzelnen Dad Ganze fih abfpiegelt, day fein Chriſtenthum nur Durch die Durchdringung beider Elemente ſich erneut und er- hält. Nur an einem, aber dem vornehinften, För⸗ derungs⸗ und Erneuerungsmittel des chriftlichen Geiſtes werde Died nachgewiefen, an dem Gultus, der Er: hebung durch gottesdienftliche Zeier. Das Heiden: thum iſt zu feinem Culminationspunkt in den Griechen gelangt. Da ihre Religion eigentlich Anbetung der Schönheit ift, fo ifts natürlich, daß ihre religiöfe Erhebung zufamntenfällt mit dem gefteigerten Genuß des Schönen. Daher der heitere Charakter ihres Cultus, in welchem (ähnlich war es im germanifchen Heidenthum) das fröhliche Mahl, das Wettipiel, im dem bie Kraft und Schönheit der Kämpfer die Zu:
fchauer entzüdt, der Tanz und die fich daran an: fchließende dramatifche Aufführung, faft den ganzen Tag der feitlihen Feier ausfüllen. Ganz anders verhält fichd bei den: Juden. An die Stelle der Schönheit trat bei ihm das ftrenge Gefeb in feiner erhabenen Majeſtät; fein Cultus ijt darum nicht das beitere Spiel, jondern die ernjte Entjagung; nicht mit duftenden Salben fhmüdt er ſich zur fröhlichen Feier, fondern Sad und Aſche deuten die innere Zer⸗ knirſchung an; man jieht ihn nicht auf offenem Marfte ſchmauſen und jubeln, weil ed Feſttag, fondern ihn mahnt der Sabbath, fi in fein Haus und in ſich felber zurüdzuziehen. Alle äußere Thätigkeit ift unter: fagt: das fromme Bolt Hat Einen gefteinigt, weil er Holz lad am Sabbath und Hat fich nicht verthei- digt gegen den die Stadt erobernden Zeind, denn ed war Sabbath. Ganz der Stellung entipredhend, Die wir dem Chriftentfum anwieſen, bat ſich in ber ehriftlichen Kirche fehr früh die Sache ſo geitaltet, wie wir fie in Fatholifcher Ländern noch heute finden: Ein Theil des Feiertaged iſt den kirchlichen Hand» Iungen gewidmet, an welchen Theil zu nehmen geſetz⸗ liche Vorfchrift ift, der übrige Tag gehört dem Ge: nuffe des Schönen überhaupt, vor Allem ber ſchönen Gefelligkeit und den Genüffen, welche die Kunft dar bietet. Als nun in der Reformation die ftrenge yı
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Scheidung zwifchen Geiſtlichem und Weltlichem, wie fie in dem Gegenfaß Der Priefter und Laien firirt war, vernichtet ward, da war ed natürlich, Daß auch die ftrenge Sonderung des tem Himmel geweihten Bor: und des der Erde angehörenden Nachmittags aufhören mußte. Auch hier aber zeigte ſich der fchon früher angedeutete Unterjchied zwifchen Der Genfer und der deutfchen Kirche. Jene nänlich fchied Das, dem Heidenthbum verwandte Element jo ftrenge aus der Feier des ganzen Tages aus, daß man ed charak: teriftifch finden muß, wenn in ihr die Altteſtament⸗ Yichen Ausdrücke Sabbath, Sabbathsfeier, ich ein: bürgerten, ganz als Einge es zu heidniſch, wenn Der Tag nach der Sonne genannt, zu leichtfinnig : heiter wenn er ala ein fonniger Tag gedacht wird. Anders geitaltete ſichs und mußte ſichs geftalten bei Luther und denen, Die fich zu ihm gejellten: eine ganze Eigenthümlichkeit, beſonders aber daß er einen ganz anderen Punkt an der Eatholifchen Kirche angriff, mußte ihn dahin bringen, dem Schönen feine gött- liche Abſtammung, der Kunſt ihr töchterliches Wer: hältniß zur Religion nicht abzuftreiten; eine Kirche weiter, welche befonders den Ton legte auf die frohe Botſchaft, die und verfündigt worden, mußte hin⸗ fichtlich bed heiteren, man kann jagen heidnifchen, Elementes in der Sonntagöfeter der katholiſchen Kirche
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ähnlicher bleiben. Dabei aber mußte im einer Kirche, die jedem Thun nur in fofern einen Werth beilegt, ale es Bethätigung einer Gefinnung ijt, und allem Gottesdienit nur in fofern, ald er und der Gnade theilhaft macht, Die gefegliche Berpflichtung zum fonntäglichen Kirchenbejuc) um fo mehr aufhören, als allmälig in dem Gottesdienfte die Predigt, wenn auch nicht zum einzigen, fo doch zum hauptjächlichiten Er- bauungsmittel wurde, und es Doch vernünftiger Weife Keinem zugemmuthet werden kann, er folle unter jeder Bedingung in die Predigt gehn, alſo auch dort, wo er gewiß weiß, fie wird fchlecht feyn und ihn mehr ärgern ald erbauen.
Freilich hat es jebt, gerade in Iutherifchen Län- dern fo weit kommen können, wie ed gefommen ift: daß die Sonntagsfeier in einer continnirlichen Sonn- tagsentweihung bejteht, indem entweder das proſaiſche Werktagsleben oder ein unfittliches Todfchlagen ber Zeit an die Stelle des Gottesdienſtes getreten iſt. Wollte man dies ein heidnifches Weſen nennen, jo thäte man den Heiden Unrecht, denn jo haben fie es nicht gemacht. Ihre heiten Spiele waren wirklich eine Erhebung über das Nivenu des gewöhnlichen Lebens und dürfen darum nicht mit dem Beharren auf diefem Niveau, gefchweige denn mit Dem Herab⸗ ſinken unter daſſelbe, verglichen werden. Eben des⸗
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wegen wäre ed auch ein faliches Heilmittel für unfer Eranfes Sonntagdleben, wenn man anjtatt Des fün- digen Wefend, welches der Kranfheitägrund ift, und eben fowehl jüdische als heidnifche Form annehmen ann, das heidnifche Element in ihm, die Äfthetijche Luft, Die Freude am Schönen, unterdrüden wollte, wie 3. B. Diejenigen möchten, welche, obgleich fie den Befuh von Gejellihaften, Gemäldegallerien, Concerten und Theatern für Fein Unrecht halte, Doch alles dieſes am Sonntag unterjagt wünſchen. Ein ſolches Berfahren würde unfer Eonntagsleben nicht gejund, fondern nur jüdiſch machen, wie id) ed Denn ganz in der Ordnung finde, dab mit Den Angriffen gegen alle afthetiihen Genüffe am Sonntage auch unter und fich Die Vorliebe fir das Wort Sabbath anftatt Sonntag eingeftellt bat, und nicht leugnen will, daß, ald in Berathungen über Die Eonntags- feier auch Die Frage ventilirt wurde, ob e3 dem Chriften erlaubt jey, fich am Sonntage zu rafiren? Dies mich ſehr an das erinnert hat, was ich als Knabe in einer Eleinen Judenſtadt gefehn Habe, und was und in der h. Schrift von dem Mückenſeihen der Pha- rifäer gejagt wird, die dabei Kameele verjchluden. Es ift nun wahr, daß man uns ftets darauf vermeift, jenfeit3 des Canald ſey ed doch gelungen, Das heid⸗ niſche Element aud dem Sonntagöleben fo auszu⸗
merzen, daß am Sonntage feine Tafte auf Dem Cfas vier angejchlagen, Fein Spaziergang zum Anſchauen der ichönen Natur gemacht, fein durch Gejelligfeit gewürzted Mahl eingenommen wird. Dabei werden dann immer Londons und Edinburgs am Eonutag nach der Kirchenzeit verödete Strafen voll Bewun⸗ derung den Maſſen entgegengeitellt, die in Paris und Wien fid) Vormittags in die Meife, Nachmittags in die Vergnügungslokale Drängen. Bielleicht aber thäten dieſe Anglomanen und Scotomanen gut, nicht . nur auf die. Straßen, fondern aud) in das Innere der Häuſer zu blicken. Sie Eünnten da bei den höhe: ren Ständen faſt auf die Anficht kommen, Daß das Gähnen zu den frommen Gebehrden gehöre, jo häufig fommt es dort am Eonntage vor, was aber Die niedere Volksklaſſe betrifft, fo würden fie wohl erjihreden, wenn fie auf Anftalten träfen, wo für einen beftimnt- ten Preis der Arbeiter am Sonnabend fih fo be— ranfchen kann, daß er den größten Theil des Sonn: tags, an dem doc „Nichte zu machen“, d. h. Fein Vergnügen zu haben it, im foporöfen Zujtande ver: fchläft. Diefe raffinirte Beftialität wird uns ſchwer⸗ (ich mehr gefallen als die, freilich nicht ſehr idealen, Luftbarfeiten unferer Arbeiter. Höchſtens einem nur an Gewinn dentenden Fabrikbeſitzer könnte e8 fcheinen, als jey jene Einrichtung in England gar nicht fo
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übel, denn der Kapenjammer ded wöchentlichen Rau: ſches, ohne den jene Klaffe einmal nicht fcheine aus: fommen zu können, verderbe dort nicht Den Montag Bormittag, fondern nur den Sonntag, und an dem fey ja „nichtd zu machen”, was hier fo viel Heißt als: fein Geld. Sch denke — freilich befige ich Feine Fabrik — es wird am beiten ſeyn, wir juchen das Heilmittel für das kranke Eonntagöleben nicht bei den, überhaupt etwas judaiſirenden, Engländern, fondern ſuchen und zurecht zu finden an der Beſtim⸗ mung ded Chriftentbums. Dieſer gemäß wünſchen wir, daß jedem Verſuch, den Sonntag zu den Werf- tagen herabzuziehn, wenn die Sitte zu ſchwach ift, das Geſetz entgegentrete mit dem Altteftamentlichen Worte: Sechs Tage follft du arbeiten, aber der fiebente ift Ruhetag. Wo aber man und verbieten will, am Sonntage und alles Schönen zu freuen, dem Genuſſe eines Kunſtwerks oder der ſchönen Gejellig- feit und hinzugeben, wozu wir in der Woche nicht Zeit hatten, da wollen wir e8 und nicht rauben laffen, dat der Sonntag ein Zeit: d. h. ein Freudentag fit. Er ſey Beides; nicht in katholiſcher Weile nach» einander jüdifchem Ceremonialdienft und heidniſchem Weltfinne gewidmet, fondern Beides Durchdringe füch 10, daß in dem ernften feierlichen Gotteödienfte auch der Schönheitsfinn ſtets feine Befriedigung finde, daß
fein disharmoniſcher Geſang dad Ohr zerreiße, fein unjchöner Aublid das Auge verlege, daß die Predigt ein vollendetes, bis ind Einzelne durchdachte und abgerundetes Kunftwerk jey, in dem Nichts den Ge- ſchmack beleidigt, zu welchem Allen freilich Vieles anders werden muß, aldes ijt. Ehen fo aber erhalte auf der andern Seite die gejellige Luſt eine höhere geiftige Weihe, fo daß wir mitten in der Freude und dem Jubel ded Sonntags und gehobner fühlen als fonft, und — um noch einmal auf die alte gute Zeit zurüdzulommen — der Ausdrud, den man damals oft hörte, wenn von einer Luſtbarkeit Die Nede war: „wir waren fröhlich in dem Herrn”, und nicht nur wie eine alte Redeweiſe erfcheine, fondern auch als eine gute, d. h. der Sache entfprechende.
Sch bin weit abgefommen von dem, womit ich begann. Ich kehre zurüd. Vor den Marmorgruppen auf der Schlofbrüde warnte man und, wir follten ja nicht das Gift der äfthetifchen, helleniichen An⸗ ſchauungsweiſe in und fangen. Andere mögen wohl diefen Warnungsruf auch vernommen haben, denn wir ſehen Viele, ohne einen Blid hinaufzuwerfen, über die Brücke rennen und dann quer über den Lujt- garten. Wir folgen ihnen und erreichen bald mit ihnen einen Bau, Der, wie er {chau von Asien inuin-
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ans nicht an den heidniſchen Cultus der Schönheit erinnert, ſo inwendig nur die geſchäftige Wirkſamkeit des Geiſtes zeigt, den wir (wie der Apoſtel Paulus) dem helleniſchen diametral entgegenſetzten. Ich brauche wohl nicht zu bemerken, daß ich nicht auf den Dom ſtichle, ſondern von dem Hanſe ſpreche, welches vom Dom durch Dad campo santo getrennt iſt. Ange- widert von dieſem Geifte fehnen wir und bald nad feinem Gegenſatz, nach Hellad. Um diefe Sehnfudht zu Itillen brauchen wir nicht zur Nike zurüdzugehen; hinter der griechifchen Säulenreihe die hier neben und fteht, finden wir, fchöner als anf der Schloßbritde, was wir fuchen. Wir treten hinein in die unteren Räume ded Meufeumd, fuchen und unfere alten Lieb- linge wieder auf, fteigen auf der fchönen Treppe, die jeßt der Adorant ſchmückt, ins höhere Stodwerf hinauf, und um den Eindrud nicht zu verlieren, den die alten Sculpturen auf und machten, wollen wir, ohne ein Gemälde anzufehen, fogleich die Haupttreppe herabfteigen. Da feifelt und in der Notonde unter den, nad) Raphaels Cartons gewebten Tapeten die eine; nicht nur, weil fie und plöglich nach Hampton court verjeßt vor den fchönften unter jenen Cartong, jondern, weil hier Raphaels Pinfel vollbradyt bat, was feit einer Stunde eine trockne Deductton zu leiften verfuchte. Die Gruppe nämlich mit dem Opferthier, Ein.
vor dem Apoſtel Paulus, ift nicht von Raphaels eigner Sompofition, jondern er hat fie einem alten griechifchen Meifter entlehnt und feinem Gemälde einverleibt. Wirklich einwerleibt, Denn Seiner wird in ihr eine fremde Zuthat fehn, fo fehlieit fie ſich, als ein zum Ganzen gehöriges Glied, an das Übrige. Sp wie dieled Raphaeliſche Bild, das nicht verun⸗ ftaltet fondern gehoben wird dadurch, daß es ein Er- zeugniß heidnifcher Phantafie in ſich aufnahm, fo ift, behaupten wir, dad Chriſtenthum und fo, wünfchen wir, ſey auch unferes! Diefen Wunfch nehmen wir auch nicht zurüd, wenn wir jagen hören: daß Naphael fo eine beidnifche Compoſition in fein Gemälde auf: nehmen konnte, fey ein nener Beweis dafür, dag er feine Werke nicht in Dein chriftlich frommen Geifte eoneipirte, wie die älteren Meijter ihre Firchlich ty: pifchen Figuren, Dad er jchon dem Paganismus in der Kunft Eingang gewährte, die Dann nach ihm immer mehr paganifirt fey. Dies fchredt uns nicht. Mir können die Meinung nicht aufgeben, Daß, wer nicht nach Theorien, fondern nach feinem äſthetiſchen Gewiſſen urtheilt, son dem Anbfid der Madonna di Fuligno, oder wenn er fich Durchbliden läßt von den Augen des Kindes, Die Raphael in der Madonna della Sedia oder der Sixtina auf die Leinwand hauchte, ſich mehr erheben fühlen wird a8 inc Ton nt
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Cimabne. Dies ift Meinung. Mehr aber als Dies, wahr und gewiß iſt, daß eine Weltunjchauung, die das fich einverleibte, was dad Heidenthum Herrliches (und eben darum Des Herrn Würdiges) hervorbrachte, großartiger und weitherziger iſt als Die, welche es ausſchließt. Und zugleihh auch Des Namens einer hrijtlichen wirrdiger, denn für die Anwartichaft auf Diefen Namen ift und das entfcheidend, Daß erft Dann und erit dort, wo Heiden in die Gemeinde der Gläu— bigen aufgenommen werden, der Name, den Die An- hänger des Herren bis dahin geführt hatten, Der Ntame der Nazarker, verfchwindet und dem Platz macht, Den wir heute noch führen, dem Namen Chrijten. —
Über
die Yangeweile, 1852. n
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Die oft audgeiprochene Behauptung, dat ed feine Abfurdität gebe, Die nicht von einem Philofophen vertheidigt wäre, trägt zwar ihre Widerlegung in fich jelbit, indem eben fie eine ift, die fchwerlich an einem Philofophen einen Bertheidiger gefunden hat, Doch aber ift fie nicht völlig aus der Luft gegriffen. Man fann fie nicht eine boshafte Erfindung, fondern nur eine Übertreibung nennen, denn wirklich haben Philoſophen ſich oft in Paradorien gefallen, ja ihre Anficht auf Grundfäge gebaut, deren Unhaltbarkett Veicht zu entdeden. Beifpielöhalber feyen bier zwei Säge erwähnt — wenn man fie nicht lieber ald einen und denfelben anfehn will — deren Anwendung ein⸗ mal in Frankreich), einmal in Deutfchland, der Phi: Iofophie eine eigenthümliche Richtung gegeben bat. Sn der bedeutendften Schule Frankreichs, der bes -Descarted, wurde früb der Grundfag auögeiprochen, der Menfch könne nur hervorbringen, wovon er ein- fehe wie ed entftehe und was es fey, und ed ward Darand gefolgert, dag unmöglih wte (IR wien
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Arm bewegen, fondern dag Gott mit feiner wunder: thätigen Macht ind Mittel trete und fich zum Cre- kutor unferes Willens mache. Nicht minder, nur in umgekehrter Weife, wurde in Deutichland von den Anhängern 3. 9. Jacobi's die Solidarität von Cr: kennen und Hervorbringen feitgehalten und, weil jened nicht ohne dieſes Statt finde, behauptet: der Menſch erkenne nur wo er fihöpferifch fey, und darum könne son Gott und göttlichen Dingen NichtE gewußt werden. Dat der Grundſatz der Gartelianer, nad) welchen das Machenkönnen das Begreifen in ſich fchließt, daß Diefer unhaltbar, davon machte ich Die praktifche Erfahrung als ich den Gegenftand meines heutigen Vortrags zu überdenken anfing. Ich hatte dazu die Langeweile erwählt von der id) wußte daß ich fie machen fönne, ja in deren Hervorbringung ich mir eine Art Meifterfchaft zufihreiben darf, und ich bemerkte bald, dab mir ihr Wefen und ihre Ent: jtehungdart durchaus nicht ohne Weiteres Ear werden wollte. Sey ed nun, daß das Ertappen einer philo- ſophiſchen Autorität auf einem Irrthum mid) gegen die andere unempfindlicher machte, fey ed daß ich nie große Sympathien für eine Schule gehabt habe, die von dem was dem Menſchen das Höchite ift, „nichte- willen will”, genug ich ließ mich von den Bedenk⸗ . Sichleiten nicht hindern, Die einen Anhänger dieſer
Schule von feinem Vorſatz hätten abbringen müffen. Troß ihred warnenden Rufs: was Du begreifit bringft Du in dir, wad du verftändfich machſt in Andern bervor, wage ich e8 den gefaßten Vorſatz feitzuhalten und zu einer Betrachtung der Langenweile ein- zuladen Die und zeigen ſoll was ſie ift, wie fie ent- fteht und wie fie beurtheilt werden muß. Schlimm genug wäre ed freilich, wenn mein Vortrag jener Schule Anhänger verfchaffte, inden fie nach) Beendi- gung deffelben fagen müßten: Jene haben Recht, das Begreiflich machen der Langenweile iſt wirklich ein Hersorbringen derjelben.
Die oben gemachte Bemerkung, daß jelbit Häupter yon Philoſophenſchulen oft Unhaltbares behaupten, dabei der Umstand, daß fie unter fich felten überein— ftimmen, macht es rathjam nicht bei einem derfelben Belehrung zu fuchen. Gäbe ed dagegen eine Auto: rität, vor der fie alle fich beugten, fo hörte alle Be: denklichkeit auf und der Philofoph, zu Dem alle Meiſter hinaufblidten wie ihre Schüler zu ihnen, und deſſen Entſcheidung Alle fich gefallen ließen, Der wäre unfer Mann. Einen folden Philofophen über allen Philo: fophen, der eben darum mit mehr Recht ald Arifto- teled im Mittelalter den Namen des „Metfterd“ führen follte, einen foldhen gibt es: es tft der welcher, weil er nicht der Mann nur einer oder der andern SC.
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ift, ohne jede nähere Beitimmung „Man“ genannt wird. Diefe größte aller Autoritäten deren Name bei und gefchlechtälos ift, weil fie ald der neutrale Schiedsrichter über Allen fteht, über Männern und Frauen, fie, von welcher die Engländer ftetö in der Mehrzahl fprechen, weil fie nicht die Macht eines Einzelnen tft, fie welche überall wo ed einen Namen für fie gibt mit dem Gattungsnamen Menfch bezeich- net wird, (Man, men, on d. h. homme) — fie fpricht das letzte entjcheidende Wort auch in den Hän⸗ deln der Philofophen. Wovon Einer überzengt ift, dab „Man“ es fordern dürfe, das glaubt er nicht verweigern zu Dürfen, und umgekehrt, will er eine Lehre recht fiegreich darſtellen, fo ſtellt er fich Hinter die Agide jener Macht und fagt nicht: Sch, fondern „Dan“ weiß. Wüßten wir darum was „Man“ von der Zangenweile zu halten hat, fo wären wir mehr geborgen, als wenn und befannt wäre: was Kant und Spinoza nad) ihren Prinzipien davon halten müßten. — Nun fcheints freilich viel leichter, die Anfichten jener beiden Meijter der Wiſſenſchaft zu vernehmen ald die unjered Meifterd der Meifter. „Kant und Spinoza haben ihre Gedanken Iaut werden laffen, fie haben geiprochen, der eine im engen Freundeskreiſe im Haag, der andere auf feinem Katheder in Könige: berg, ja fie ſprechen noch heute zu Jedem ber die
Ethik lieft oder die Kritit der reinen Vernunft.“ Dies ift richtig, aber glüdlicher Weiſe iſt unfer Philoſoph nicht fchweigjamer gewefen als jene Philoſephen, „Man“ iſt nicht ftummer als jene beiden Männer. Fragt man aber: ja wo fpricht denn „Man“, fo ift in der Frage die Antwort enthalten: „Dan“ fpricht wo man fpricht; in der Sprache find Seine Gedanken laut geworden. Wie in der Sprache des Einzelnen feine Gedanken fich offenbaren, in Leſſings Sprache fein klares Denken fich piegelt, jo in der d. h. der allgemeinen, Sprache das Denken nicht eined fondern des Menfchen, den wir ja eben „Man“ nannten. Die Sprache zeigt wie „Man“ d. h. der Menfch, die dentfhe Sprache wie „Man in Deutjchland”, d. h. der deutſche Menſch denkt. Darum ift ed eigentlich einfacher, hinter das was „Man“ denkt zu kommen, ald Hinter Kant's und Spinoza's Gedanken. Was beide gejagt haben, hat man nicht immer zur Hand, hat man es aber vor fich, jo muß man zweierlei lernen: was fie jagen und ihre eigenthümlihe Sprade, in der fie es entwidelt haben. Dagegen bei unjerm Autor fällt das Werk worin er lehrt und das Idiom worin er fpricht zufammen, und Diefes fein Wert hat Jeder der Sprechen Kann, ſtets bei fi), den volumi- nöfen „deutfchen Sprachſchatz“ als ein bequemes und glüdlicher Weife unverlierbares Wörtecbo St W
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nicht in der Taſche aber im Kopf. Wer in dieſem Werte umherblättert läßt fich von dem belehren, der die Sprache ſchuf, wer auf den Sprachgebraudy achtet fieht wie „Man” zu denfen pflegt, wer einſieht, daß man nicht anders fprechen kann, gewinnt die Über: zeugung, daß man in einer beftimmten Weife denken muß. — Zwar mit ganz unbedingtem Vertrauen darf man nicht erwarten, daß der Sprachgebrauch uns alle Räthſel Löfen und die Mühe des eignen Denkens ab: nehmen werde. Denn wie ein fonft erufthafter Mann fich wohl erlauben darf, fcherzend feine Meinung hinter Worte zu verbergen, die das Gegentheil befagen, fo it auch „Man“ Tein Pedant und unfere, wie alle Sprachen, bieten manche feiner Späßchen dar. Wenn man 3. B. von dem reuigen Verbrecher fagt, er habe ein fchlechtes Gewiſſen, und von dem verſtockten dem fein Gewiffen feine Vorwürfe macht, er habe ein gutes, obgleich Doch gerade das des Leptern nichts taugt, fo iſt Dies eben fo feltiam wie, worauf Lichtenberg aufmerffam gemacht hat, daß wenn ein Menſch durch Zuhalten der Nafe ed unmöglich macht, daß die Töne durch die Nafe gehn, daß man gerade dann fagt er fpreche durch Die Nafe, anftatt zu fagen, er ſpreche gar nicht Durch Diefelbe. Dergleichen wird und nicht dahin bringen mit dem Franzoſen zu fagen On est un sot, wohl aber berechtigen zu fagen On
est un farceur und verpflichten, bei unfern Anfragen an den Sprachgebrauch auf unferer Hut zu ſeyn. — Glücklicher Weife ift bei unferm Gegenſtande der Schöpfer des Sprachgebrauch hübſch ernithaft ge: wefen und wenn wir, mißtrauifch gegen Sacobi und die Cartefianer, ohne Vertrauen zu Kantianern und Spinoziften, fragen was „Man“ als das Wefen der Langenweile anzufehn habe, fo antwortet und der Ge⸗ fragte obgleich indirect, Doch deutlich und richtig. Bekanntlich fagt man, wo Jemand fi) der Langen⸗ weile entledigt, dag er fich die Zeit vertreibe. Er vertreibt fie fich, denn an fich kann die Zeit, diefer Zluß der Vergänglichkeit in dem wir Die Dinge ſchwimmen fehn, eben jo wenig vertrieben werben wie die Dunfelheit Die gegenwärtig unfere Hemifphäre deckt; wie aber diefe Seder ſich vertrieben Hat der in diefen erleuchteten Saal trat, jo mag der Menſch auch Die Zeit fich vertreiben, indem er fie fi) un- merklich macht. Wer im Unmerkbarwerden bed Zeit serlaufd das Aufhören der Langenweile ſieht, Tann ihr Weſen nur in dad Gegentheil ſetzen, aljo in bie Aufmerffamteit auf den bloßen Zeitverlauf. Daß aber diefe Anficht, welche jenem Sprachgebrauch zu Grunde liegt, die richtige ift, wird von der eignen Selbftbeobachtung beftätigt. Alle Gegenftände werden som Strom der Zeit an und worühergeitunrn br
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die fchwimmenden Blumen vom Waldbach, ihr Vor- überfchwimmen nennt man Gejchehen. Ie mehr das was geichieht unfere Aufmerkſamkeit reizt, d. h. je mehr fie gefeffelt wird durch die Gegenftände die jener Verlauf darbietet, um fo weniger achten wir auf ihn felbft ganz wie, wenn fidh dort die far- bigen Blumen drängen, die fchwimmende Blumen: Snfel dad Waffer verbirgt. Je feltner fie werden, befto fichtbarer werden die Wellen und der barrende Knabe Hagt daß der Bad) „nichts” mehr bringt, wenn ftatt der erwarteten Blumen der Bach nur fich felbft d. h. die Waffermaffe ihm darbietet. Gerade jo quält ed und, wenn die Zeittheilchen, welche zwifchen bie Gegenftände fallen und alfo leer find, fich mehren und außdehnen, jo daß uns iſt ald wenn „nichts“ mehr gejchieht; wir Haben dann Langeweile deren natofter Ausdrud der Wunſch der Kinder ift: ach möchte doch Etwas gefchehn! ganz wie jener Knabe fagte: ach möchte doch wieder Etwas (d. h. eine Blume) kommen. Langeweile ift aljo ganz was dort das Sehen ded bloßen Waſſers, und wenn id) fage, je mehr Waffer um fo mehr Langeweile, fo werde ich ficher alle die auf meiner Seite haben, die jemals wäßrige Reden gehört haben, in denen nur felten das Blümchen eined neuen Gedankens hervortauchte. Ja ich möchte den Vergleich mit dem Walbbach noch
weiter auddehnen: Regengüffe ließen ihn anfchwellen und führten von allen Seiten ein ſchmutzig graues Wafſer ihm zu, er wird zum Fluß, er wird zum ra- fenden Strom, da erreicht er die Höhe wo die zwin- genden Dämme nachgeben, er durchbricht fie und ein ungeheurer See ift da, in dem der Strom felbft un- fichtbar wird weil, fo fcheint ed, die Waſſer ihn jelbft yerichlangen. In allen Beziehungen gleicht ihm die Zangeweile, auch ihr Colorit ift ein gräuliches Gräu: ich wie feines, auch fie kann zur rafenditen Langen: weile werden wie Mancher erfahren, glüdlicher Weife aber bat aud) fie wie jener Strom ein Maaß, denn ift ein gewiſſer Punkt erreicht jo hört Alles auf be- merkbar zu jeyn, darum auch Die leere Zeit, indem der Menſch alles Bewußtſeyn verliert, hat die Lange⸗ weile fich felbft verzehrt wie dort den Strom feine Zluthen; an die Stelle ihred Grau ift dad Schwarz der Bewußtlofigkeit, der Schlaf, getreten. — Sollte die Behauptung richtig feyn, dab Die Langeweile nur im Bemerken der leeren Zeit befteht, jo wäre ed nicht glaublich, daß diefer Zuftand ifolirt da ftünde. Denn ba die Zeit zu ihrem Zwillingäbruder das gleich räthielhafte Weſen hat, dad wir Raum nennen, fo wäre es feltfam, wenn es nicht einen Zuftand gäbe quälend wie die Langeweile, der im Bemerken des leeren, bloßen, Raumes beitünde. Der KuttsmU | v
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es wirklich ein folches Seitenftüd zur Langenweile gibt, fpricht offenbar für unfere Theſis, ed tft — der Schwindel. Er entjteht da, wo ſich die Gegen- ftände im Raum der Wahrnehmung entziehn und anftatt ihrer Die bloße Räumlichkeit wahrgenommen wird. Darum erregt ed Schwindel, wenn wir tm Mittelpunkte und umgebender Gegenftände, oder wenn fie um und gedreht werden: wie beim fchnellen Dreben der Farbenjcheibe das Grau d. h. die Unfarbe entiteht, fo bier dad Grau der Geftaltlofigfeit, weil alle beftimmte Geftaltung und Gegenftändlichkeit ver- ſchwimmt und ſchwindet. Ähnlich erflärt ſich der Schwindel auf Höhen. Im Zimmer des Thürmers, und ſey der Thurm noch ſo hoch, empfindet man ihn nicht, die Wände und die umgebenden Gegenſtände fixiren den Blick; jetzt denke man ſich die Wände fort, denke ſich den Fußboden immer mehr ſich verengend, wir ftchn nicht mehr auf einem ſolchen, wir ſtehn anf einem fchmalen Brett, jet nur auf einem fein gefpannten Draht in Thurmeshöhe, jet verkürze fich diefer Draht: wir ftehn nur noch auf einer Nabel: fpiße, jo daß wir nichts mehr ſehen was unfere Füße ſtützt, jetzt denke man ich auch diefe Nadelfpige weg: genommen — bei der bloßen Boritellung kann une Schwindel anwandeln, weil wir in und hervorbrachten was ihn bewirkt, die Auſchauung ber Leere. über
dem Abgrunde des Nichts zu ſchweben muß das Maris mum des Schwindeld jeyn, welches dem Punfte nahe ftünde, wo die Sinne vergehn, denn auch hierin zeigt fich der Schwindel als Gejchwijterfind der Rangen- weile, daß beide aus ihrem Grau in das Schwarz der Bewußtlofigkeit übergehn Fünnen. Die Zuſammen⸗ gebörigfeit beider Zuftände, Die es erklärlich macht, daß man die Yangeweile ein Gefühl innerer Xeere nennt oder auch jagt: vor Langerweile drehte fich alles vor mir, dieſe hat übrigens der praftifche Mens fchenverftand längft geahndet, und lange ehe der geiftreiche Markus Herz in feinem Buche vom Schwin⸗ del faſt wider Willen auf die Laugeweile fam, haben Ammen und Kinderinägde den Kindern einförmige wenig modulirte Weifen vorgefungen und zugleich fie gefchaufelt, d. h. gleichzeitig fie gelangweilt und ſchwindlig gemacht, Beides um den einen Effeft der Bewußtloſigkeit hervorzubringen.
In der Rangenweile madyt fich aljo die bloße Zeit wahrnehmbar. Mit diefen Cab aber gerathen wir in Gefahr gegen den alten Grundſatz zu verjtoßen, daß Nichts keinen Effect habe. Denn die Zeit allein, ift fie Etwas? Wir müffen es verneinen, und dürfen es trog unfrer Behauptung, dab wir die Zeit den Fluß nannten, in dem wir die Dinge wahrnehmen. Wir Sprechen ja auch vom Waſſer im Tinte, En
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die Kugel im Rollen, den Stein im Fallen, die Tän: zerin in der Pirouette, ohne dag daraus folgt, daß wenn nun das Waffer, die Kugel, der Stein, bie Tänzerin verfchwände, Der Fluß, dad Rollen, das allen, die Pironette bliebe und für fid, Etwas wäre. Die Zeit ift nichts Anders als ſolches Fließen, Rollen, Zallen, Pirouettiren, eben darum aber auch Nichte ohne die, welche pirouettiren und fallen. — Wie aber? Die leere Zeit foll Nichts feyn, und doch follen wir fie bemerken in der Langenmweile? Das tft ja ganz wie jener Schullehrer in den fliegenden Blättern, welcher jagt: ich bemerke abermals fehr Biele, die niht da find. Warum nit? Wer weis ob nicht Jeder, der fich Iangweilt wirklich ganz in der Lage jenes Schullehrers fich befindet? Eins wird man nem: ih dem armen Schelm gewiß zugeben: Daß an Dem was er fagt Etwas dran ift. Wenn er auch nicht die Abweſenden fieht, fo bemerkt er doch daß heute nicht, wie fonft doch, die befannten pausbäckigen Gefichter ihm die Schultifche unfichtbar machen, er bemerkt alfo und fühlt einen Mangel. Gerade fo ift Die Langeweile ein Gefühl des Mangeld, wir ver- miſſen Intereffantes, und dies heißt eigentlich nur: wir bemerken unfer eignes Nicht-Intereffirt feyn. — Was beißt aber eigentlich Intereſſirt feyn und Inte reffelofigfeit? Es ift durchaus kein Zufall, wenn wir
durch die reflexive Form Sich intereſſiren, daß einer fein Interefſe findet, als ſeine Selbſtthätigkeit be- zeichnen. Intereſſe iſt wirklich, was es urſprünglich auch heißt, dabei⸗ oder darunter⸗ſeyn, unſer Intereſſe an einem Gegenſtande beſteht nämlich darin, daß wir und ihm hingeben und von ihm ganz im dem⸗ felben Sinne fagen können, „ich bin dabei”, wie wir ed jagen wenn und ein Borjchlag gemacht wurde. Sp wenig Einer von feinen Freunden gezwungen werden Tann, bei einer Iuitigen Partie „Dabei“ zu feyn — nähmen fie ihn mit Gewalt mit, fo würden fie bald bemerken, daß er „abweſend“ ift — eben fo wenig kann ed ein Gegenftand erzwingen, daß man fich für ihn intereffire, dazu gehört der gute Wille defien, der ed thut. Jener Thierfchädel im Walde, vor dem ein genialer Naturforfcher in Intereſſe ver: funfen fteht, ift an fich ganz unintereffant und dem vorübergehenden Förſter- oder Handwerk: Burfchen verübelt eö Niemand, weun er jagt: „da liegt der Yangweilige Knochen nody immer.“ Der Forſcher fpricht nicht fo, denn Die längit gehegte Ahndung eines allgemeinen Naturgeſetzes wird ihm Durch einen, fonft unfichtbaren, Spalt an diefem Schädel beftätigt, er ſieht alfo in der Schädelform Vernunft, und wie ſollte er nicht jebt an dem woran der Handwerks: burſche Nichts oder einen bloden Kuauen ÜÜU Nr
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follte er nicht daran fein Intereffe, d. h. fein eigenes dabei: und darin-ſeyn finden, da er felbit ja Nichts feyn will als Vernunft, und Vernunft wirklich in dem Schädel fichtbar ift, und aus demſelben herand zu ihm redet? Man fagt von jenen Sorfcher, Daß er den Schädel mit Geift betrachtet, weil ed Die De: ftimmung des Geiftes tft, nirgends wie in Der Fremde, überall heimisch d. h. dabei und zu Haufe zu feyn, fich in Alles d. 5. in Allem fich, oder ihın verwandtes MWefen, zu finden. Sit aber ſolches Dabeifeyn Ins tereffe, fo iſt Intereffe-haben auch Geift zeigen, und begreiflicher Wetfe nennt man den einen Mann von Geiſt oder von Kopf, der es vermag im Selbſtge⸗ fpräch oder im Gefpräche mit Andern Allem Ins terefje abzugewinnen, umgefehrt aber nennen wir den befchränft, oder auch einen Idioten, der fo wenig im Stande ift aus den Schranfen des eignen Mei: nend heranszukommen, daß er unfähig ift, „Dabei“ zu jeyn, wenn ihn eine partie — nicht de plaisir fondern, was viel luſtiger ift, de raison — ange⸗ boten wird. — Fragen wir aber nun, indem wir zu unſerm Gegenſtande zurüdfehren, zu weldien von jenen Beiden der zu ftellen fey, der jich Iangweilt, ſo bleibt und feine Wahl: War es ein VBerdienft Intereffe zu finden, weil man wirklich ſich intereffirt, Jo iſt auch die Langeweile nur eigne Schuld und
nicht ohne Grund iſt wie s’interesser fo auch s’ennuyer ein verbe röflechi. Man braucht darum nicht mit Kant zu behanpten, daß die Zeit nur in ung jelbft tft, und wird dennoch jagen können: wer bie bloße Zeit wahrnimmt, bemerft nur feinen eiguen Zuftand, einen Zuftand der mit Recht als innre Leere bezeichnet wird; ald innre weil er in und liegt, ald Xeere weil er Kopf: und Geiſtes-leer ift, fo daß wenn oben ges fagt ward, dem Gelangweilten gehe es fo, wie jenem armen Schullehrer, wir jetzt Hinzufügen müffen: er tft auch nicht geiftreicher als jener. — Wie das Intereſſe Geift verrieth, fo die Langeweile den leeren Kopf. Da nun aber in allem Übrigen Kopf und Herz nicht zwei von einander getrennte Beſitzthümer des Menfchen find, fondern vielmehr fo zuſammen gehören, wie die concave und convere Seite eined Kreiöbogend, fo fragt ſichs, ob nicht auch bie Langeweile neben ihrer intellectuellen Seite auch eine habe, welche die Geſinnung betrifft? Der Franzofe bejaht dies indem fein ennui auch einen Herzenszu⸗ ftand bezeichnet. Indirect weift der deutſche Sprach: gebrauch eben dahin, indem das Gegentheil der Lan⸗ genweile, das Interreffirtfeyn, eben jo wohl eine intelleetuelle Anregung andeutet, als auch Die begins nende Liebe. In diefer Zufanmenftellung der eriten Anfänge des Erkennens und der Liebe hat der Ey
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gebrauch nicht nur den tiefſinnigen Philoſophen auf ſeiner Seite, der das Erkennen eine intellectuelle Liebe nannte, nicht nur die Erfahrung des Forſchers, der nur den Gegenſtand zu begreifen vermag, den er mit Liebe betrachtet, ſondern das Zeugniß Aller, die es erfuhren, daß zwei Herzen ſich nur verſtehn, wo ſie ſich lieben, nur lieben wo ſie ſich verſtehn. Ver⸗ hält ſich aber Kopf und Herz wie Intereſſe finden und Intereſſe nehmen, ſo hat die Intereſſeloſigkeit oder Langeweile viel mehr mit dem Herzen zu thun, als Viele meinen. Wofür man ein Herz hat, und dem man ſich liebend hingiebt, das langweilt nicht. Umgekehrt aber, je mehr Einer ſein Herz verſchließt, und anſtatt liebend Allem ſich hinzugeben, ſich auf ſich beſchränkt, um jo mehr wird die Langeweile ber: vortreten. Daffelbe fich auf ſich Beichränfen, welches den Spdioten oder beichränkten Kopf machte, ift, von feiner Gemütbsfeite angefehn das, was dad Wefen des Egotften macht mit feinem engen Herzen, welches fo wenig faßt, daß ed eben darum ich ſtets leer und einfam fühlt. Died quälende Gefühl des Alleinfeyne, das die meiften Egoiften ald von der Umgebung ver: ſchuldet betrachten, Hinfichtlich deſſen Cinige ſich dazu erhoben, dat fie ed als Strafe ihres früheren Be: tragens anfehn, iſt — das aber ahndet Keiner — iſt ſelbſt der Egoiomus, darum fchwindet ed in dem
Augenblick, wo der Menſch mit Liebe auf die Welt blickt, weil ſie ſich dann, wie durch Zauber, mit Brüdern und Schweſtern bevölkert. Der ideenloſe Kopf klagt, daß nichts ihn intereſſire, und das kalte liebloſe Herz accompagnirt dazu mit der Klage, es ſey verlaſſen und einſam. Denkt man ſich Beides vereint, ſtellt man ſich einen Zuſtand vor, wo das erftarrte Herz klagt: „auf dieſer weiten Erde Nie: mand, Niemand“, und das ausgebrannte Hirn ver⸗ langend ruft: „ach nur eine Idee, nur einen neuen Gedanken“, ſo kann und ein Schauder überlaufen, bei der Vorſtellung dieſes völligen Alleinſeyns mit ſeiner tödtlichen und doch nicht tödtenden Langenweile. — Zeigt ſich aber in ihr neben dem leeren Kopf auch das liebloſe Herz, ſo iſt die gewöhnliche Art, in der Langenweile nur etwas Unangenehmes zu ſehn, ein Seitenſtück zu der ſogenannten Huma⸗ nität, die in dem Verbrecher nur einen armen Kranken ſieht, und die kaum anders unſchädlich zu machen tft, als dadurch, dag man fi) auf ihren Standpunkt ftellt, und nun das Gefängniß Charite nennt, den Strafeoder als Pharmacopee, den Richter ald Arzt bezeichnet, und die Hinrichtung bei Leibe nicht als Todesitrafe, fondern ald ein erprobte specificum gegen bie Mörderkrankheit empfiehlt. Wie dad Ders brechen noch etwas mehr iſt als An Rhenitum,
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ſo iſt es auch mit der Langenweile eine ernſtere Sache, als die Meiſten im Sinne haben, wenn ſie ſagen: es wäre beſſer, man langweilte ſich nie. Nicht nur befſer wär' es, ſondern das allein Gute. Was vor geraumer Zeit in einem geiſtreichen Briefe mich frap⸗ pirte, ohne daß ich ſogleich Alles erkannte was in dieſen Worten liegt, daß was die Einen Satan und Teufel, Andere Ahriman, noch Andere Typhon nennen, daß dieſes Alles nur Eines fey, nämlich die Range weile, dies ift vollfommen richtig. Die Langeweile ift der wahre böfe Dämon, denn wer fich Iangweilt tft von dem Dämon ded Perfonalimus und Egois⸗ mus bejefjen, der ihn verhindert Anderes intereffant zu finden und zu lieben als fich, von dem Dämon, der fein Hirn verbrannte, fo daß er nicht mehr in den Gegenftänden fich, Vernunft, erkennt, ber fein Herz erfältete, daß ed nicht mehr vermag, in den Angelegenheiten Andrer Die eignen zu finden. Sn der That, wenn man fieht wie diefer Dämon nicht nur die Kinder unartig und toll macht, fondern wie er eben fo den Erwachfenen ein DBerjucher wird, der zu den Dummiten, ja zu den fehlechteften Streichen bringt, fo tft gar nicht zu begreifen, warum nicht öfter gegen die Langeweile gepredigt wird. Das Thema verdiente ed, ganz abgefehn von dem Vor⸗ Theil den es darbietet, daß man deu Zuhörern ind
Gewiffen fchieben könnte, fie dürften ſich nicht lang⸗ weilen.
Gewiß war e3 nicht die Furcht, durch Predigten gegen die Langeweile alle Regeln traditioneller Ho» miletit zu verlegen, welche diefes Thema von dem Kanzeln verbannt hat, fondern die Anficht, daß der: gleichen Andeinanderfeßungen im Munde eines Geift- lichen unpaſſend feyen, oder auch die Furcht, daß fich Nupanwendungen ergeben möchten, die in feinem Zu: fammenhang ftünden mit den Angelegenheiten des Himmels. Beides it vielleicht nicht richtig. Das Erfte wohl gewiß nicht, denn wie follte gegen Leere des Geiſtes und Mangel an Liebe zu predigen, denen sicht ziemen, Die von dem Geifte ihren Namen führen, und nit Recht fich rühmen die Lehre der Liebe zu verkündigen? Aber auch das Zweite möchte ich be- Streiten, daß dergleichen Betrachtungen profan feyen, und ohne Bezichung auf die himmliſchen Angelegen- beiten. War es einmal gewagt, die Langeweile als Dad wahre Inferno zu bezeichnen, fo fcheint ſchon Die Conſequenz zu fordern, ihr-Gegentheil in der Region zu fuchen, Die Dante im dritten Theil feines Ge⸗ Dichtes fchildert. Wer ed thäte, müßte der Zuftim: mung aller derer gewiß; ſeyn, die und erzählen wie „hölliſch“ fie ſich gelangweilt, wie „himmliſch“ unter⸗ Halten hätten, und denen es nie eivöKK. Tee Wehr
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drücke zu vertauſchen. Eine etwas zweideutige Auto⸗ rität für Jeden, der es weiß, daß der Gebrauch von Kraftworten gewöhnlich nicht mit der Stärke der Gedanken parallel gebt; glüdlicher Weiſe aber be- dürfen wir ihrer auch nicht, da dad biöher Gefun- dene binreicht, um ein wenig den Borhang zu Lüften, der und die himmlische Welt verbirgt. Die innere Leerheit, die Nichts wahrnehmen ließ als Zeit und Vergänglichkeit, fie verfchwand in den Mache, ald der Menfch fich intereffirt, d. h. als er in dad Weſen der Gegenſtände eindringt, und fie liebend umfaßt. Sept fteigere man Beides in Gedanken bis zur Idee des vollendeten Menſchen, ded Seeligen oder Heiligen, verjuche man noch höher fich zu erheben, und denfe ein Wefen, deffen Einficht ein Alles durchſchauendes Verſtändniß ift, bei dem die Stelle des Intereſſes, der anfangenden Liebe, die Fülle der Liebe vertritt, und man wird einfehn, man wird wenigftens ahnden, was ed fir eine Bewandtnii hat damit, dag es für Gott und daß ed für die Seligen feine Zeit gebe. Wie oft hört man: bei diefen Worten denke fid Niemand Etwad. Dad Wort Niemand (mit dem man überhaupt etwas jparfamer jeyn follte) fagt hier zu viel. Denfe man fi) nur eine Mutter, welche- den Erzählungen des eben aud der Fremde zurüdge- fehrten Sohnes lauſcht, die fich nicht fatt Hören kann,
daß er in Freuden und Leiden ſtets ihrer gedacht hat, die ganz erſtaunt ſchon Mitternacht fchlagen hört, da ihr die Stunden wie Minuten verlaufen find, — denke man, diefe Mutter hörte in diefem Augenblide dad Wort: „bei Gott find Taufend Sabre wie Ein Tag“, — ich glaube fie würde fich bet dieſem Worte fehr viel denken, und in diefem Augenblide würde es ihr gar nicht unverftändlich ſeyn. Und fo . möchte die Liebe, die Löferin fo vieler Räthfel, weil
fie dad Ur: Rätbfel offenbart, wie Zweit Eins ſeyn können, fie möchte fich auch ald der Näthfel löſende Metaphyſiker erweifen in den Fragen nad) Zeit umd Ewigkeit! Wer es je erfuhr, wie ald er liebte fein Blick Alles verfchönte — der Sonne gleich, die, wenn ihre Strahlen wirklich dad wären, wie wir fie oft nennen: DBlide, nie einen dunklen Punkt erbfiden könnte, weil ihr Erblicken Erleuchten wäre — wer dies an feiner fchwachen Liebe erfuhr, wie follte der es abfolut umverftändlich finden, daß es für bie unendliche Liebe feinen Raum (d. h. Feine Leere) gibt, weil, wo fie hinblidt, fie Alles mit ihren Kindern bevölkert, und feine Zeit und Vergänglichkeit, weil, fie ftets beſchäftigt ift, und Alles „befeitigt mit ewigen Gedanken.” Und fo muß ich am Ende felbft jenen Kraftausdrüden, von denen ich vorhin Nichts wiffen wollte, zugeftehn, daf ihnen eine Ahndung des Wobe
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ren zu Grunde liegt: wie bie Geifted- und Herzens— Leere Hölle, fo ift Liebesfülle himmliſche Geligfeit. Wer mir aber fagen wollte, daß ich frevelhafter Weiſe Gott vermenfchliche, oder aber ich ſey frivol, da ich Seligfeit und Amüſement verwechöle, für ben habe ich meine Antwort bereit. Auf Das Erſte er widere ih, daß dad Entmenſchlichen Gottes zuerſt die Vorftelung eined unmenſchlichen Gottes hervor: gebracht, dann die Menfchen gottlos gemacht hat, auf dad Zweite aber, daß wenn ein franzöliicher rou6 in einem fittlichen deutjchen Haufe ein Geſpräch über die Herrlichkeit der Xiebe angehört hat, und num jagt, ed fey von amours und distractions, furz von frivolitös die Rede gewefen, der Grund folched Ber: ftändniffes vielleicht nicht in denen liegt, die Dad Ge- fpräch führten.
Nach einer fo ftrengen, vielleicht ultra =rigorijti- {chen Beurtheilung der Rangenweile, wird wohl Nichts weniger erwartet werden ald eine Apologie Derjelben. Und doch — troß Dem, daß ed mir ſchwer wird den Wink nicht felbft zu befolgen, den ich dem etwanigen Prediger über die Langeweile gab — doch wird mir eine jolche advocatura Diaboli aufgedrungen, nicht nur Durch die Gerechtigkeit, die fogar diefem Ange: Hagten einen Defenfor bewilligt, jondern durch die Gewalt von Thatfachen, die Keiner leugnen kann,
und welche zu beweifen ſcheinen, daß es mit der Langenweile nicht nur eine furchtbare, ſondern auch eine recht hübſche Sache ſey. Zunächft frappirt das Sactum, daß die bloßen Naturweſen, die Thiere — ich ſpreche nur von den wilden, da die Hausthiere halbe Kunſtproducte und mit vielem Menſchlichen inficirt ſind — alſo daß die Thiere die Langeweile nicht kennen, ſondern entweder beſchäftigt ſind oder ſchiafen, alfo im erſtern Falle ſich noch nicht, im zweiten Falle nicht mehr, Iangweilen. Das ſcheint zu beweifen, daß zu ben Unterfcheibungägeichen zwiſchen Menſch und Thier, ald welches die Einen die Ver: munft, die Andern, denen bied zu geringfügig ſchien, dieſes anfehn, baf ber Menſch dochen kann, noch ein neues hinzugefügt werben Tann: die Fähigkeit näm ⸗ Kid), ſich zu langweilen. Sid langweilen ift menfhlid. Damit allein wäre freilich noch lange nicht der infernale Character aufgewogen, denn es könnte dies nur ein Beweis mehr ſeyn, daß der Menſch nur über oder unter dem Thiere ſtehen kann, nie auf einer Linie mit ihm, das Feine Hölle Tem, freilich aud) feinen Himmel. Aber ein nod viel beſſeres Vorurtheil für die Langeweile erregt der Um- ftand, daß fie bei dem Menfchen im unvolllommneren Zuftande nicht, im vollfommneren wohl vorkommt. Das neugeborne Kind hat Feine. wo Anl U “8”
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— feine einzige Arbeit ift Eſſen — da jchläft e Annäherungsweife Gleiched findet Statt beim Me {chen der dem Naturzuftande nahe. Auch dieſer unte Hält fich, indem er arbeitet, freilich im Schwei feines Angefichtö, weil er nicht mehr, wie das Kin in dem Lande der Verheißung lebt, wo die füße Na rung ihm zuſtrömt; hört die Unterhaltung der Arbı auf, To fchläft er ein, und um zu fehn, daß bi das Natürliche iſt, bat man nicht nöthig, zu Hotte totten oder Auftralnegern zu gehn; wer den Niem oder gar die Düna überfchreitet, wird jehn, wie d Bauer dort, nachdem die Werktage vorüber, di Biertheile ded Sonntags verjchläft, nicht weil er fü wie der verfünitelte englifche Sabrikarbeiter, für ein Sirpence künſtliche Bemußtlofigkeit fchafft, jonde weil die Rangeweile ein jo unnatürlicher Zuftand i daß, wo jie jich bei dem Naturmenichen einftellt, fe Tchnell der Punkt erreicht ift, wo der Strom I Dämme durchbricht und ſich felbft verichlingt. We alfo vorhin gejagt wurde, daß bei dem vollendet Menſchen die Langeweile nicht mehr vorkommen fan fo zeigen diefe Erfahrungen, daß fie bei dem anfa genden Menjchen gleichfalls fehlt, freilich dort, w. der Menſch ſich zu unterhalten weiß, bier, weil unterhalten wird von feiner Arbeit oder von fein Eltern, die den amüftren, der ſich zu beluftigen no
nicht vermag. Wie von jedem andern Weſen, ſo ſagen wir auch von dem Menſchen, wo er ſich zwiſchen dem Anfangs: und dem Vollendungspunkte befindet, er ſey in feiner Bildung begriffen. Findet nun aber Bloß in dieſer Zwiſchenperiode bie Langeweile Terrain, fo werben wir nicht nur denen Recht geben, welche fagen, es verrathe Bildung, wenn man fi mit guter Manier zu langweilen wiffe, ſondern wir werben viel weiter gehn müffen: Ob ed wit guter ober ſchlechter Manier gefchteht, das macht hier feinen Unterfchied, das ſich Sangweilen überhaupt, die Langeweile an fig), iſt Begleiterin ber Bildung. Und zwar begleitet fie die Bildung nicht fo, wie dad Regenwetter bie Jahrmartte begleiten fol, rein zufällig, auch nicht wie der Schatten bad Licht ald ein mit ihm verbun- denes Gegentheil, ſondern fie verhalten ſich mie Licht und Glanz: fi Langweilen ift Bildung. Den Beweis für dieſen Satz liefert wieber ber Ehren: mann, dem wir heute ſchon manche Belehrung ver- danken, der Schullehrer, der fo Diele bemerkt bie nicht da find. Welchen Eindrud mag diefe Bemer- fung wohl auf jenen Meinen Knaben madjen, ber Heute zum erften Male in ber Schule ſiht, ber fich gewunbert Hat über bie neuen Umgebungen, und über die vielen fremben Gefichter, und welcher fieht, DaB dem Lehrer alles daB nicht Ampaniet, Ya Tg er un
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mehr Knabengeſichter erwartet hat? Gewiß wird ihm er ſelbſt als der Unerfahrene vorkommen, der Lehrer aber als Einer, der an Erfahrung ihm weit überlegen iſt. Nun, in der Lage jenes Neulings in der Schule befindet ſich Jeder, den die Gegenſtäude unterhalten, weil ſie ihm neu ſind, ſo wie jener Lehrer aber iſt der, welchen alles dieſes langweilt, weil es ihm längſt bekannt, weil Alles längſt dageweſen iſt. Je weniger er Erfahrung hätte, je weniger er bekannt wäre mit den Gegenſtänden, um ſo mehr würden ſie auch ihn, ala neu, unterhalten, je unterrichteter er iſt, defto weniger findet Jenes ftatt und deſto mehr langweilen fie ihn. Wenn aber fo fein Yangeweilehaben das Maaß tft für fein Erfahren: und Unterrichtet-feyn, fo ift ed faum ein Wunder, wenn der, welcher ſich fangweilt bei dem was Andere unterhält, in feinen, ja felbft in ihren Angen einen höhern Werth erhält. Überall inponirt, der ſich langweilt, denen die ed nicht thun. Hier fißen einfache Bürgersleute an einem öffentlichen Ort, Fannegießern und unterhalten fich vortrefflih. Auf ein Mal wird es ftill, Einer nach dem Andern fucht nach feinem Hut. Alles um jenes Fremden willen, der zuerft fie gar nicht ftörte, der - aber jet deutlich zeigt, daß er fich Iangweilt, und ihnen dadurch den Gedanken aufdrängt, er verftehe Dad Alles beffer, und es fey eigentlich Eindifch, ſich
mit Etwas zır unterhalten worüber Jener längft hin⸗ aus tit. Der Fremde hat ihnen das Spiel verborben, und dennoch fönnen fie ſich einer gewiffen Ehrfurcht nicht erwehren, und Mancher wird feiner Frau er: zählen, der Fremde fey ein vornehmer Herr gewefen. Woher weiß er da8? Er ſah ihn fich langweilen. — Aber ift ed wohl in anderen Kreifen anders ald dort, wo der Kleinbürger fannegießert? In heiterer Geſell⸗ ſchaft werden Anecdoten erzählt, Wiße gemacht, Muſik getrieben und Alles geht vortreffih. Warum fängt ed an zu jtoden, warum fieht man, ehe man über eine luſtige Gefchichte lacht, verlegen auf jenen Einen, warum verfagt dem Witzling feine Zunge, und ber jungen Dame, die doch fo hübfch fang, ihre Stimme wenn fie auf jenen Einen bliden? Weil auf feinem gelangweilten Antlig Tejerlich gejchrieben fteht: wie kann man fi) damit amüfiren? und weil unwillkühr⸗ lich jest Seder glaubt, diefe Geſchichten jeyen ihm alle befannt, und man müſſe fich ſchämen fie neu zu finden, weil der Wigbold zu fürchten anfängt, ber Gelangweilte habe beffere Witze gehört oder gemacht, und dem jungen Mädchen die furdhtbare Ahndung kommt, Sener habe alle ihre Lieder von der ſchwe⸗ diichen Nachtigall gehört. So beugt ſich Alles vor ihm, und doch tft der einzige Nechtötitel unter dem er ſolche Supertorität in Aniyead ut, TUE
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von Allen rejpectirt wird, nur der, daß er fich lang» weil. Wir haben darum gar feinen Grund darüber zu lachen, daß jener Bürger auf den vornehmen Stand jenes Fremden ſchloß, wie Das fich Langweilen Prä- zogative des Menfchen war, wie ed Bildung verrieth, fo hat ed endlich wirklich etwas Vornehmes. Unfere Anflage gegen und unfer Plaidoyer für die Langeweile ergibt aljo das Refultat, daß das Ur: theil über fie von dem Standpunkte des Beurthei- Ienden abhängt. Was verdammlich erjchien, ja als die Verdammniß felbft, wenn man ed maß an dem vollendeten Menfchen, erfreute fich einer viel huma⸗ neren Behandlung, wenn e3 verglichen ward mit dem Anfangspunkte menjchlicher Entwidelung. Wir mußten ed erklärlich finden, wenn Einer vornehm fich brüftet, weil er jagen kann: „wie kann man ſich Dabei amü- firen“, obgleich er die Antwort jchuldig bleiben möchte, wenn ein noch Vornehmerer ihm fagte: „Wie kann ein Mann von Geift ſich jemals nicht unterhalten?” Es ift mit der Langenweile wie mit dem, der auf einer mittleren Höhe fteht: vom Golf von Neapel angejehn, erfcheint das Zort von St. Elmo hoch, ja unerfteiglih, aus dem Garten von Camaldoli fieht man es tief unter fich und es jcheint flach zu liegen. Sreilih um in dad Camalboli geiftiger Vollendung Dineinzulommen, bazu bedürfen Alle — int irdifchen
&amaldoli bekanntlich nur die Frauen — eines höhern
Dispenfed. Hinfichtlich deflen, wad von ber Lan⸗ genweile überhaupt gilt, kann es einen Unterfchieb machen, ob fie ald vorübergehende Stimmung, ob ala habitueller das ganze Leben beberrfchender Zuftand erſcheint. Das Lebtere findet nur Statt bei denen, die man früher die Zerrifienen, heut zu Tage bie Blafirten nennt. Der blafirte Menfch, in dem ber Spiritus verflog und nur dad Phlegma blieb, der, weil der perlende Schaum des Lebens verichwand, mit Recht emousse genannt wird, den man fo oft mit dem auögebrannten Bulcan verglichen hat, daß der Bergleich altmodiſch geworden ift, der zerriffene . oder blafirte Menfch ift der Birtuod in der Langen— weile, und ich finde ed natürlich, daß George Sand, wenn fie ihren Jacques oder ihren Voyageur fprechen laßt, ftetd von dem Ennui redet, von dem fie be- feffen find. Wie jchon die vorübergehende Langeweile ein vornehmes Air gab, fo natürlicd) noch mehr das Blafirtfeyn. Wenn Alfred de Muffet feinen Sohn des neunzehnten Sahrhunderts fo zerriffen darftellt, daß ich für ihn kaum einen andern Beftimmungdort ald die Papiermühle wüßte, fo hat er das Gefühl, eine vornehme Natur zu fchildern, und der Blafirtefte unter den Poeten und Poetifchite unter den Blafirten ift „jeder Zoll ein Lord.” Mit der sungen Sir
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Inng aber, die der Zerriffene in Anfpruch nimmt, und die ihm auch pflegt eingeräumt zu werden, ftreitet nicht, daß geſunde Naturen ſich abgeftoßen fühlen, ja daß oft beide Gefühle der Erfurcht und des Ent: feßend gerade fo in einem Herzen fich beifammen finden, wie bei dem Kinde, wenn ed eine graufen: hafte Gefchichte anhört und nun angftooll bittet, man folle, und man ſolle nicht weiter erzählen. Staunend und von Ehrfurcht erfüllt werden vor einem folchen de Muffetfchen Heros Naturen ftehn wie eine petite ouvriere, die flinf mit der Nadel und flinfer im Tanz ein eben führt, das nichts tft ala Champagnerfchaum; — grand mousseux, darum imponirt ihr Nichte fo fehr wie ein homme Emousse — angewidert werben durch ihn feyn Die es willen, daß der Menich fich intereffiren foll, daß er verpflichtet ift, erfennend und ltebend Alles zu umfaffen; endlich angezogen und ab- geitoßen zugleich Die ahndungsvollen Engel, welche befchämt fühlen, daß ihr natürlicher Unfchuldäzu- ftand unreif ift, zugleich aber auch, daß in dem Zer⸗ riffenen fich die Unnatur der Schuld firirt hat, und die fo die Doppelte Gewalt erfahren, die Das Kains⸗ zeichen der Bildung ausübt, welche der Blafirte im Antlig trägt. Es iſt ein Kaindzeichen, denn das Blaſirtſeyn iſt infernal, es tft dad Zeichen der Bil- dung, denn dad Zerrifienfeyn tft vornehm, wie die
Langeweile in der es beſteht. — Daraus alſo, daß das Terrain, auf dem der Gelangweilte und Blaſirte fteht, eine Mittelregion bildet, ließ fich erklären warum der Eine es hoch, der Andere es tief ftellte. Ebenſo aber läßt fich nun umgekehrt aus den verfchtedenen Urtheilen, Die über jene Erſcheinungen gefällt werben, auf den Standpunkt zurüdfchliegen, auf welchem ber Vrtheilende ſteht, und Died kann ein praftifches In⸗ tereffe für und haben, indem nicht geleugnet werden kann, daß in unferer Zeit die Blafirten im Cours: zettel der Achtung anders notirt find als früher. Es gab eine Zeit, wo Naturen wie George Sand’3 ac: ques oder wie Waller in der Gräfin Dolores, wie Roquairol in Sean Pauls Titan überall Bewunde⸗ rung erregten, und man braucht noch nicht fehr alt zu feyn um es erlebt zu haben, daß, wie heut zu Tage auf ein Inftrument fo damald auf Zerriffenheit geretft wurde. aftfrei öffneten die Männer ihm das Haus, denn die Stätte, die ein Zerriffener betrat, fie war geweiht; fo die Männer und die Srauen blieben nicht zurück: manches unfchuldige Herz, dem der Zerriffene den Abgrund des feinigen auffchloß, fchauderte vor der bodenlofen Tiefe, weinte iiber den Abbadonna, vielleicht mit der ftillen Hoffnung, fein rettender Engel zu werden. Die Zeiten haben. jich geändert. Was die gaftfreien Männer hetttit, W
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möchte ich Jedem der fremde Länder bereift, rathen, ftatt der Zerriffenheit einen guten Creditbrief mitzu- nehmen, und binfichtlich der Frauen haben tiefer Ein- geweihte ald ich, mir gefagt, ihr Urtheil über Männer babe ſich ziemlich ind Gleichgewicht gefebt mit dem über Kleider, — nicht jo, ald wenn fie immer neue wollten, fondern ein ganzer Mann foll ihnen lieber feyn ald ein Dutzend zerriffener. Verbürgen kann ich ed nicht, aber ich bin fo berichtet. Diefe Verände— rung nun, muß fie und nicht mit Stolz erfüllen hin⸗ fichtlich unferer Zeit, denn daß die Blafirten und nicht mehr jo imponiren wie früher, fcheint doch Har zu beweifen, daß unfere Zeit auf einem höhern Stand⸗ punkt fteht ald fie. Leider nicht ohne Weiteres. Ge: wiß bat, wer den höhern Berg erftieg, nicht mehr nöthig hinaufzubliden, wenn er den gewahren will, der auf dem Hügel fteht, aber auch der hat es nicht mehr nöthig, Der fich zu ihm gefellt, und mit ihm auf einem Niveau fteht. Wenn darum unferm Stolz, dag wir die Blafirten und Zerriffenen nicht mehr fo achten wie unfere Bäter, der Skeptiker antworten wollte: dad kommt daher, dab in eurer Väter Zeit, ald die erften Zerriffenen auftraten, ed der ganzen Männer viele gab, die Zerriffenen alfo die Ausnahme bildeten, während Ihr in ihnen nur Eures Gleichen, nichts Befondered, ſeht — ſo iſt Die Möglichkeit, daß
er Recht babe, nicht zu leugnen. Und wenn meiner freudigen Behauptung, heut zu Tage werde eine aus» gebrannte Jacques-Natur bei unjern rauen fein Glück machen, derfelbe Steptifer Die entgegenftellen wollte, died habe jeinen Grund darin, daß in unferer Zeit die Neulingäherzen, wie Fernande jelten, Dagegen die Naturen wie Lelia, die wegen ihrer Gleichheit mit ihm einen Jacques nicht hätte lieben Fönnen, häufig geworden feyen, — fo würde ich mich zwar empört von den Verläumder abwenden, aber um ihn zu widerlegen, dazu würde die Empörung nicht ausreichen, dazu bedürfte ed einer befondern Unter: fuchung über den Punkt, auf welchen unfere Zeit fteht. Es ift gewiß, fie ftaunt das Blafirtfeyn nicht mehr an, wie ein furchtiamer Bewohner des Flach⸗ landes den, welcher den Aſchenkegel des Veſuv beftieg, e3 fragt fich aber, wie tft fie Dazu gelommen, den Reſpekt Davor zu verlieren? Geſchah es fo, daß ſie auf den Veſuv der Blafirten ihnen nachkroch, oder wie Anancher bequeme Reifende thut, ſich nachtragen ließ und nun mit ihnen diefelben erftidenden Schwefel- dämpfe einathmet? Oder aber hat fie, als ein Fühner Bergſteiger, den Monte St. Angelo erftiegen, ath: met fie hier reine Luft und ſieht mit einem Gefühle, dad dem Namen ihres Standpunttes entipricht, den wůſten Krater ald unfruchtbaren Wherüac u en Füßen liegen?
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Und fo bat ſelbſt die imverfängliche Frage, was Langeweile ift, ımd wie fie beurtheilt werben muß, und unvermerkt zu der hinübergeführt, bei der heut zu Tage die meiften Interfuchungen anzulangen pfle- gen, zu der Frage: was haben wir für eine Zeit? Dieje Frage aber werde ich fchwerlich beantworten können, da ich eben fehe, daß wir — gar feine baben.
Drudfebhler.
Seite 18. Zeile 7 und 8 von unten flatt: Rabourbonnaie und Et. Amand lies: Labourbonnais und St. Amant. Seite 28. Zeile 8 von unten flatt: aufhort lies: aufhöre. .- 6. - 5 - oben ⸗ nach - and. 1. - 6 20.009 . fs. .-» 29. «- 2.» .« Lehren - Brauden.
Buchbruderei von Eukan Lange in Brian.
Akademiſche Rede
zum Geburtstage ©. M. des Königs gehalten
von
Dr. Erdmann, Brofefor in Halle,
8 all &y Drud und Berlag von H. W. Shmitt. 1856.
Sm einer aus den verfchiebenften Gefühlen gemifchten Stimmung ftehe ich heute vor Ihnen. Betraut mit der ehrenvollen Vollmacht, ver Freude Worte zu verleihen, mit der unfere Kör⸗ perihaft zum fiebzehnten Male viefen Tag als das Wiegenfeft ihres Königs und Herrn feiert, habe ich zugleih, daß ausnahmsweiſe mir bie ſes Recht ertheilt wurde, durch den Hinweis auf einen ſchmerzlichen Verluſt zu entſchuldigen, in Folge deſſen der Lehrſtuhl bei uns erledigt iſt, dem jenes Recht geſetzmäͤßig zuſteht. Iſt nun aber dem, welcher dieſes Verluſtes ermähnt, nicht nur ein tühtiger Amtögenafe, \ennern Sm . \
nahe flehenvder Freund bingegangen, jo richtet fh unmilllürlih fein Auge auf die naͤchſt⸗ liegende Vergangenheit, wobei es freilich klar wird, wie viel leichter es war bei dieſer freu: digen Gelegenheit für den Kränkelnden, als es ift anjtatt des Geftorbenen zu reden, wie viel genußreicher, zu vertreten, als den Verſuch eines Erjabes zu mahen. Indeß, nicht län: ger darf der Blid auf jenem Creigniß ruhen, nicht länger der Mißklang dauern, den die trau: rige Erinnerung mit dem Genuß der freudigen Gegenwart, und den das Lautwerden perjön- lihen Empfindens mit der Aufgabe bildet, nicht als Einzelner jondern als Glied des Oanzen zu jprechen. Beides hört auf dur die Erhe⸗ bung in die Region, in der vor dem Haren Denken die trübften Gefühle und vor dem all: gemeinen Inhalt alle bloß perjönlichen Intereſſen zurüdtreten, in vie Syhöre, welhe die Univer-
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fität als die ausſchließlich ihrige anfieht, durch die Erhebung zur wiſſenſchaftlichen Betrachtung. — Wie aber, hat nicht durch diefe Behauptung der im Namen der wiſſenſchaftlichen Körperſchaft ſprechen ſollte, die Wiſſenſchaft und mit ihr Alles, was für die Wiſſenſchaft iſt, unter anſcheinendem Lobe vielmehr verllagt und bitter getadelt? Und iſt nicht durch eine Anklage gegen die Wiſſenſchaft, ‚gerade hier und jegt, ein neuer Mißllang hervor— gebracht, ſchneidender als jener, ven eine Klage um einen hingeſchiedenen Freund an des Königs Ehrentage hervorbrachte? Wirklich gliche einer Anklage gegen die Wiſſenſchaft, was eben von ihr gefagt ward, wenn der Sinn dieſer Worte ſeyn follte, daß die Wiflenihaft jene Uner⸗ f&ütterligeit und apathifhe Ruhe gibt, melde mander Weife des Altertyums anftrebte, jene Gleihgültigkeit,. die ungebeugt auf den Trüme wern der Welt fteht, weil fie Riinb hewummet 2.
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und Nichts liebt. Hätten alfo meine Worte dieſes jagen wollen, fo wäre wirklid gegen die Wiſſenſchaft ein Anathem ausgefprochen von der Stelle herab, an der man erwartet, daß nur ihre Lob gelungen werde. — Und wenn mir nun dies wirklich gejchehen wäre, Verwunderung dürfte es eigentlich kaum hervor⸗ zufen. Die Zahl derer, welche heut zu Zage diefe Weife anftimmen, ift jo groß, der Klang ihrer Stimmen jo laut, daB man gegen den nachſichtig ſeyn muß, der fihb von der Wucht des ihn umgebenden Chores mitreißen läßt. Wenn es nun bei mir nicht fo ift, fo ift dies nicht mein Verdienſt, es iſt Gabe, oder vielleicht Schuld, der Natur. Wem fie das feine Obr verjagte, das jede Einbiegung in eine andere Tonart jogleih wahrnimmt, und die biegjame Kehle, die jedes angeltimmte Lied begleiten und verſtaͤrlen kann, ven ıhat fie auf der andern
Seite davor fiher geftellt, daß es ihm wider Willen gefchehe ganz fo zu fingen wie alle Welt, und nie etwas Anderes im Ohr zu haben als das zuleßt Gehört. Wil nun ein Solder nicht, mas vielleicht das Klügfte wäre, ſchwei⸗ gen, fondern ift, wo alle Welt fingt, auch ihm nad Gefang zu Muthe, fo wird ihm kaum etwas Anderes übrig bleiben, als ein altes Wiegenlied vor ſich hinzufummen, vdeflen Weiſe in jeinem Ohre fo feit fißt wie die, die es ihm zuerft jang, in jeinem Herzen. Freilih darauf muß er gefabt feyn, daß die ihm zunächſt Stehenven, welche die Mode -Arie jingen, von ihm fagen, er finge falſch. Sie haben in gemiller Weile Net, etwa fo wie beim Weftwinde die Wind- fahnen Recht haben von der Magnetnabel zu fagen: fie zeige falſch. Woher der Wind weht, Bas zeigen jene Gewandten, jtet3 Neumodiſchen wirklich viel befier, als die arme, jo ftereotype.
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Nadel, — und daß fie etwas Anderes zeigen will, fällt ihnen nicht ein. Auf die Gefahr bin, daß e3 mir gehe wie jener Armen, jey es erlaubt ein altes Lied ins Gedächtniß zurüdzu: rufen, das mir von lieber Stimme an ber Wiege meines wiſſenſchaftlichen Lebens gejungen ward; e3 fingt davon, daß die Willenjchaft die heiligfien Intereſſen der Menſchen nicht fährde. — Alle Anklagen, melde das Gegentheil behaupten, laf- fen fih als auf ihre gemeinfchaftlihe Formel auf den Vorwurf zurüdführen, der eben, meil er der gemeinjchaftlihe Ausprud für alle der Wiſſenſchaft gemachten Vorwürfe ift, am meiften berühmt geworden ift, auf den Vorwurf nämlich, daß die Wiſſenſchaft den Glauben zerftöre. Denn, welche Bewandtniß es auch haben möge mit dem BZufammenhange des Wortes Glauben mit dem Worte Geloben, jo viel ift gewiß, daß der Sade nah das Halten der gelobten Treue und der
Berlaß auf das Gelobte, mit dem Glauben zu⸗ jammenfällt, und daß eben deswegen, um von den Außerlidhiten Berhältniffen unter Menſchen zu beginnen und zu den innigften überzugehn und bei den beiligften zu jchließen, dur Vertrauen und Glauben allein es Gläubiger und Schuloner gibt, duch den Glauben an den Gatten das Che: gelöbniß einen Sinn, durch den Glauben an fein Volt der Bürgerfinn eine Stätte hat, daß durch den Glauben an ven Verſöhner die Mens jhen zu Gläubigen im eminenten Sinne des Wortes werden. Darum aber heißt: den Glau⸗ ben zeritören, jede8 Band zerreißen, welches Menjhen an Menſchen Mnüpft, und wieder: es gibt keinen Krieg gegen das, was das Heiligfte und Größeſte ift unter den Menfchen ‚ver nit im Grunde darauf hinausginge, die fides und pietas, das heißt den Glauben, zu untergraben. Darum aber ift es auch eine Anklage auf Leben
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und Tod gegen uns, die in jenem Vorwurf ent⸗ halten iſt, daß die Wiſſenſchaft den Glauben vernichte oder auch nur fährde. — Gegen uns, ſage ich, denn mwähne doch Niemand, daß es im Grunde doch nur eine unter den Willenfchaften jey, der folder Vorwurf gemacht wird; wenn irgendwo jo hat ſich's bier gezeigt, daß der Brand des Nahbarhaujes eines Jeden eigne Angelegenheit ift. Zwar vorzugsmeife iſt es, und der Zeit nach zuerft, das Fundament aller Wiſ⸗ ſenſchaften geweſen, welches des Unglaubens gezies ben wurde, und bekanntlich hat man bei uns (nicht ſehr originell) fiebzig Jahre Später al3 bei den Frans zojen die Entvedung gemacht, ein Philofoph und ein Ungläubiger ſeyen gleihbedeutende Ausdrücke. Aber die anderen Willenfchaftenund die, welche fie treiben, find gleichfalls an die Reihe gelommen. Der Schon vor Jahrhunderten den Phyſikern und Aerzten gemachte Borwurf der Ungläubigfeit fin-
bet beut zu Tage fein Echo in der Art, wie im Namen de3 Glaubens gegen die Naturwifiens Ihaften geeifert wird. Daß das böfe Sprid- wort noch immer befteht, welches ven Rechts⸗ gelebrten dem gläubigen Chriſten entgegenjeßt, ſcheint zu beweifen, daß auch die glänzenpften Ausnahmen unferer Tage vom Volksbewußtſeyn nur al3 ſolche betrachtet werden, meldhe die Re⸗ gel beitätigen. Sprach- und Alterthumskunde, jo wird uns gejagt, bilde und von Jugend auf zu Heiden, und Herder fündhaftes Wort, daß der Hauptvortheil der Bibelverbreitung im Mittel- alter darin beitanden habe, daß dadurch bie griehiihe Sprache bekannt blieb, wird heute durch die (vielleiht eben jo jündhafte) Behaup⸗ tung abgebüßt, daß man Griehiih nur lernen müfle, um die Bibel in ber Urjpradye zu leſen. Kurz, es ſcheint als wollte man nur die Then» Iogie unangetaftet lajlen. Aber jelbit dieſe wird
von denen, welche das lautete Wort führen, nur in jo weit gebuldet, als fie nicht Willens ſchaft ift, als fie fich dazu hergibt anderen, als wiſſenſchaftlichen Zwecken zu dienen. Es ift darum die Angelegenheit aller Wiſſenſchaft, und darum unjer Aller Angelegenheit, wenn wir zu einer Zeit, wo fo Vielen Wiſſensſcheu und Glaubensftärte gleihbedeutende Worte zu jeyn fcheinen, das Verhältniß zwiſchen Wiſſenſchaft und Glauben näher ins Auge ſaſſen.
Da zeigt fih nun ganz zuerft der genaue Bujammenbang jo, daß meder der erfte noch die folgenden Schritte auf der Bahn zur Wiflen- ſchaft möglih find ohne Glauben. Nur wer ſucht und forjht, kommt zur Willenihaft; was aber beißt Suden anders ald glauben, daß Etwas erſt noh zu finden it? Che vieler Glaube, dieſe wirkliche Gewißheit von Etwas,
das man nicht ſieht, in dem Menſchen ent⸗ ſtanden iſt, begnügt er ſich mit dem Augenſchein, mit dem, wovon man nur Kunde hat, nicht aber ein Wiſſen, weil dieſes letztere den Gegen⸗ ſtänden auf den Grund geht. Weiter aber, wenn in dem Glauben, es gebe einen ſolchen, zunächſt verborgenen, Grund der Dinge, oder, wie man ſich gewöhnlich auszudrücen pflegt, es ſey etwas dahinter, zu dem man gelangt, indem man es herausbringt oder indem man ſelbſt dahinter kommt, wenn man, fage ich, in dieſem Glauben, zu ſuchen angefangen hat, was iſt es, was uns vor Ermattung ſchützt, uns nicht ſogleich ablaſſen und jagen läßt, das iſt einmal nicht herauszubringen? was anders als der Glaube, diejer innere Grund könne nicht immer verborgen bleiben, die feſte Zuverſicht, er müfle an's Licht kommen. Und endlih, wenn nad längerem Suden fih in dem Dunkel das
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Licht zeigt, was bringt dazu, mißtrauiſch zu prüfen ob man ſich nicht getäufcht habe, ebe man der Welt feine Entdedung mittheilt? Was anders, ala daß man fih wie ein Menſch ohne Treu und Glauben vorfäme, wenn man von dem Gelöbniß abließe, das man fih gab, nicht zu ruhen, bis Alles zweifelsfrei feit ſteht. — Iſt es aber jo, zeigt fih, daß Anfang, Mitte. und Ende des zur Wiſſenſchaft führenden For- ſchens ein Glauben ilt, jo müflen uns als höchſt thöriht die erjheinen, welche, um ſich als He⸗ zoen in der Wiſſenſchaft varzuftellen, ſich deſſen rühmen, fie hätten nie, oder auch nur in den Zagen jugendlicher Beichränktheit, vem Glauben in fih Gewalt eingeräumt. it dem wirklich. jo, deſto fchlimmer für ihr Wiflen, dem es ſicher⸗ lich fih wird anfühlen lafien, daß fie nicht mit allem Ernite fi dem Gegenftande gelobt, nicht dem Gelöbniß Treu und Glauben gehalten
baben, kurz, daß fie ohne fides forfhten, So ſeltſam es auch ſolchen, die alles Glaubens ſpotten, erſcheinen mag, wenn als Muſter ihnen Männer vorgeführt werden, von denen ſie nur als von Helden des Glaubens gehört haben, ſo könnten fie doch, gerade was das Willen und die Wiſſenſchaft betrifft, von einem Augufitn und Anfelm gar viel lernen. In dem berühm- ten Ausfpruche des Griteren, den der Andere fi angeeignet hat: „Ich glaube um zu willen,“ werde ich eine Unterordnung des Willens unter das Glauben erjt dann anerkennen, wenn man daraus, daß Einer jagt: Ich baue, um ein Haus zu haben, wird folgern müflen, daß ihm das Bauen die Hauptſache, das Haus bloße Neben, ſache ift, und bis dahin wird wohl nod einige Zeit verjtreihen. Heute aber ſchon werde ich, und muß „Jeder, in jenem Sabe die Behauptung finden, daß nur durch den Ölauben man zur
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Wiſſenſchaft gelangt. Die Richtigkeit dieſer Be bauptung haben jene beiden Kirchenfürſten, die man mindeftensd mit demfelben Rechte Herven der Wiflenfhaft nennen kann wie Helden des Glaubens, durch die That bewiefen. Denn hätte Auguftin nit geglaubt, dab die Zweifel, welde die Vernunft aufzumwerfen vermag, auch gelöft werden können, jo hätte er nicht feine tieffinnigen wiſſenſchaftlichen Grörterungen ver: ſucht, jondern fich vielleiht mit der heute fo beliebten bequemen Auskunft des Nichtwiſſens befriedigt, daß die Lehre der Kirche unlösbare Miderjprühe enthalte, daß dies aber Nichts thue, da fie ja kein logiſches Syitem feyn wolle, Und hätte Anjelm nicht geglaubt an die Kraft der Wiflenfhaft und an die Erfennbarfeit des Weſens der Seele, er wäre nicht der erfte Dia- lettifer feiner Zeit geworben, und hätte nicht im neunundfiebzigften Jahre um noch einige Jahre
gebeten, um die Lehre von der menſchlichen Seele ganz ins Neine zu bringen. Sie haben beide nur beöwegen jo viel gewußt, d. h. gefunden, weil fie jo viel gefucht d.h. geglaubt haben. — Wie wir auf jene beiden Männer alle vie ver- weiſen, welche ihre Glaubensjheu als Beweis ihrer Willensftärle zur Schau tragen, gerade fo werden wir den vermeintlih Glaubensitarken, die aber in Wirklichkeit nur willensicheu find, jenes Auguftinijch » Anjelmifhe: „Durch Glauben fommt man zum Willen” entgegen halten. ft der Glaube wie die Arbeit des Bauens, jo werden wir mit demjelben Rechte, mit dem wir von dem vollendeten Hauje jagen: welche Arbeit ftedt in diefem Bau! — wo das Willen er- reiht ift, und je mehr Willen erreicht wurde, um jo mehr fpreden: welden Glauben muß doch dieſer gehabt haben, da e3 ihm gelungen ift, im Willen und in der Wiflenfhaft jo viel
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zu leiften! Dies ift jo wenig eine paraboge Art zu folgern, dab vielmehr ver unbefangene gefunde Sinn feit Menſchengedenken fo zurüds geihlofien hat. Denn woher käme es, daß im gewöhnlihen Sprachgebrauche dem, der viel er forſcht und eine gründliche Wiſſenſchaft fich ers worben hat, das Beiwort eines reblichen ges willenhaften Forſchers, dem Ungründliden das gegen der Name des Leichtfinnigen, Unſoliden beigelegt würde, wenn nicht der, der den Sprach⸗ gebraud ſchuf, der gejunde Sinn, es fühlte, daß fihs in der Willenihaft um Redlichkeit und Gewillen, das heißt um Treu und Glauben handelte? Ja daß alle Welt nur dem Willen: den Glauben ſchenkt, dem aber, der fi als unmwiflend erweiſt, den Glauben entzieht, ift eigentlich ein Beweis, daß alle Welt nur Jenen als Einen anfieht, der Glauben hat, venn bier wie überall gilt der Spruh, daß gegeben nur
dem wird, der da hat, genommen nur von dem, der nicht hat.
Es ift vorauszufehn, daß in dem, mas bisher gejagt ward, Mancher mehr ein Spiel mit Worten ſehen wird, als eine gründliche beweijende Erörterung. Der Glaube nämlid, von dem bisher geiprohen wurde, ſey im Grunde nur Glaube an fich ſelbſt, ſey ftolzes Berlafien auf den eignen Scharffinn. Daß die ſes zur Wiſſenſchaft gehöre und durch das Wij- fen genährt werbe, das möge wohl feyn. Wenn man aber von der Gefahr ſpreche, die dem Glauben von der Wiflenjchaft drohe, jo meine man gerade das Gegentheil von jenem ftolzen GSelbftvertrauen, man meine ein bemüthiges Sich⸗ bingeben an eine höhere Macht. — Hätten vie, welche jo jprechen, je mit der Gewißheit zu finden, nad Wahrheit gefucht, je mit der Sicherheit des Ge⸗
lingens wiflenfchaftlihe Verſuche gemacht, jo hätten 2
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fie auch erfahren, daß diefe Gewißheit und Sicher» beit durchaus nit ein Vertrauen auf die eigne Kraft ift. Mas die Spradhe der Griechen in be neidenswerther Sinnigleit angedeutet hat, daß die Wahrheit das ſich nicht Verbergende ift, dies fühlen während des Forſchens nah ihr, wir Alle, und gerade wie der Betende der Erhörung gewiß ift, nicht weil er fih als fo ſtark, ſon⸗ dern weil er den, zu dem er betet, als fo barmberzig weiß, fo ift, was und mit ſieges⸗ gewiſſer Freudigkeit forfihen läßt, der Glaube nicht an unſere Scharfiichtigleit, ſondern an die fih offenbarende Lichtnatur der Mahrheit, vers möge der fie aud uns ſich nicht verbergen wird, Nicht ein Verlaflen auf uns ſelbſt, fondern ein Berlaflen auf die fiegreihe Kraft der Wahrheit ift jener fuchende Glaube, von dem wir jagten, daß ohne ihn Fein Wiflen möglich ſey. Eben darum aber ift aud die Freude, die uns ers
faltt, wenn dem Suchen das Yinben folgte, nicht eine eitle Luft an der eignen Geſchicklich⸗ keit, und wer je das Glüd erfuhr, daß ein bis dahin verborgener Punkt der Wahrheit fi ihm erſchloß, der wird es verftehen, warum der große Meptünftler, als er jenen Beweis zu Stande gebracht hatte, nicht austief: Dies habe id gemacht, jondern: ch hab's gefunden! und daß er nicht hinausging, um anbetende Verehrung für fh zu fordern, fondern daß er einer hö⸗ beren Macht die Helatombe fchlachtete. Nenne man es Glüd, nenne man es Fund, nenne man es Gnade, kurz man fühlt: es ift uns gelommen, gegeben ald ein unverdientes Ge⸗ ſchenk, und alle jene, zum Theil vielleicht er- fundenen, Erzählungen von klingenden Amboſen, fonnenbefchienenen Zinngefäßen, jchwingenden Kirchenleuchtern, fallenden Aepfeln, nach welchen ein Zufall die größten wiſſenſchaftlichen Gnt⸗ ye
dedungen vermittelte, fie haben darum etwas Einſchmeichelndes, weil wirklich eine jede Offen barung der Wahrheit, die uns zu Theil wird, ein Geſchenk ift, das uns zufiel, eine Erleud: tung und Cingebung, die wir nicht verdienten, fondern die und wurde. Eben darum durfte auch vorhin das Forſchen und Suchen mit dem Beten verglichen werden, eine Zujammenftellung, in der uns ein Bibelſpruch vorausgegangen ift, in dem zum Bitten und Anllopfen das Suchen als das Dritte geftellt wird. Webereinftimmend mit dem wegen jeiner Frömmigkeit gepriejenen Jakob Böhme werden wir daher nur in dem Nichtforihen Hochmuth ſehen und die Behaup⸗ tung ausjprehen, daß nichts demüthiger macht als das Erforſchthaben der Wahrheit, das heißt: das Wiſſen. — Man pflegt, um dieſe Behaup⸗ tung zu widerlegen, ſich auf die Erfahrung zu berufen, daß gerade ſehr gründliches Forſchen
und ſehr ausgevehntes Willen fo oft zu ver⸗ mejlenem, ja mwahnfinnigem Hochmuth bringe. Jener Sterntundige des vorigen Jahrhunderts, welcher, weil er den ganzen Himmel durchforſcht hatte, Gott leugnete, mander Anatom unferer Tage, den jeine feinen Zerlegungen des Leich- nams dahin gebradt haben das Dajeyn einer Geele zu leugnen, viele Naturfundige, melde durch ihre mikroſkopiſchen oder chemiſchen Unter: fuhungen dahin gebradht ſeyen, allem Weber- ‚finnliden die Eriftenz abzuſprechen, — fie fol: len ein Beweis feyn, daß das Willen zum ver: mejlenen, abſprechenden Hochmuth bringe. Be: weijen fie dies wirlih? Zeugt ihr Hochmuth wirklich gegen das Willen und gegen die Wil: jenfhaft? Wenn dem Einen jein Fernglas im: mer nur Eterne zeigte und nie einen Gott, wenn das Scalpel des Anderen immer nur Nerven und Muskeln blos legte und nie eine
Seele, wem Mikroſtop und chemiſche Reagentien dem Dritten nur fichtbare Stoffe und nie etwas Meberfinnlihes vor's Auge bradte — Yacla, die nicht gerade unglaubli find, — und fe nun daraus, daß fie Etwas nicht jahen, nicht blos legten, nieht fanden, d. h. daß fie Feine Wiſſenſchaft davon haben, folgen, es Friftive nicht, fo jcheint es billiger, diefe argumenta ab ignorantia der Ignoranz zuzurechnen als dem Willen. Thun wir aber dies, jo urtheilen wir abermald nur dem gefunden Sinne und der Erfahrung gemäß, welche uns lehren, daß die am wenigſten von Etwas willen, am Kediten darüber zu urtbeilen pflegen.
Darin aljo können mir den Unterſchied zwiſchen dem Glauben, den die Gegner dem Willen entgegenftellen und dem, von dem wir jagen, er jey der erite Schritt, oder dad Ein⸗ gangsthor, zum Willen, wicht feben, daß nur
jener ein demüthiges Sichhingeben fey; das tft der Glaube, von welchem wir |prechen, ebenfe. Aber ein Anderes fcheint zwilden beide eine Kluft zu legen: der Glaube des Forſchers an die Wahrheit, jagen fie, fey nur ein Glaube des Kopfes, ihrer dagegen ſey Sache des Her: zens, ſey Sache des ganzen Lebens. Obgleich) es für uns etwas Seltfames bat, wenn Kopf und Herz ſich jo entgegengejeßt werden, und dann nur das Herz ald der Sib des Lebens ‚angefehn wird, als wenn nur ber fein Leben verlöre, dem das toͤdtende Blei das Herz zer- reißt, und der nicht, dem das Fallbeil den Kopf vom Rumpfe trennt, — jo wollen wir es uns bier doch gefallen lafjen. Wir fragen dann aber, ob e3 etwa bloß ein Mibbrauch ver Sprade ift, wenn von Einem gejagt wird: er lebe in der Willenfchaft, oder fie liege ihm am Herzen? Wenige werden den Muth
haben zu behaupten, daß bei der Vereblung der Eitten, melde der große römiihe Redner dem wiſſenſchaftlichen Studium zujchreibt, das Herz unverändert und roh bleibe. Oder wenn man den, kürzlich als Greis verftorbenen, franzöjt chen Gelehrten, den nur fein angeftrengtes Studium dahin gebradht hatte, blind und ge= lähmt mehr als zwanzig Jahre auf einem Schmerzenslager zuzubringen, jagen hört: er würde, hätte er jein Leben wieder zu beginnen, diefelbe Laufbahn ergreifen, denn fie biete Et was, was mehr ſey ald Rang und Reichthum und Gejundheit, — wer will da leugnen, daß das Herz da mitiprehde? — Will man aber ftatt bloßer Verficherungen, Thatjachen ? hier find fie: Gleich dem Kleanthes des Alterthums, der Sklavenarbeiten auf ſich nahm, weil ſie ihm die Mittel zum Studium gewährten, wird jener franzoͤſiſche Gelehrte gemeiner Soldat, um nach
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Indien zu gelangen, unterwirft fih dem noch mübjeligeren Rnecht3dienfte unter einem tyranni- fhen Braminen, durchwandert unter unjäglichen Mühfeligkeiten das fremde Land, nur vom Wil: fenspurfte getrieben. Wie Demokritus all fein ererbtes Gut zu wiſſenſchaftlichen Seifen ver: wendet, und feinen Lohn darin findet, feinen Lands: leuten als Greis feinen Diakosmos vorzulefen, fo opfert unfer großer Landsmann Vermögen und Geſundheit, um einst einem größeren Zuhörerkreife, den Gebilveten aller Zonen, feinen Kosmos vorlegen zu können. Haben diefe Männer nicht der Wiſſenſchaft gelebt, haben fie nicht mit ihrem Herzen fih ihrem Dienfte gewidmet? — Wollte aber Jemand, um ihre DVerbienite zu fchmälern, die Vermuthung ausſprechen Chrliebe und Ruhmſucht ſey da mit im Spiele geweſen, wie merben fie denn das nennen, wenn Einer, dem es ſchon in den Jahren der Jugend ge-
lang, durch Aufftellen einer Theorie feinen Nas men uniterblih zu maden, jpäter öffentlich be- tennt, ein Süngerer habe ihn überzeugt, daß feine Anfiht nicht zu Halten jey? Ich vente, in einer jolhen Erklärung hat der Mann nicht feine Ehre gejuht, ſondern der Wahrheit die Ehre gegeben, und das iſt eine That, die nicht nur feinem Kopfe, die feinem Herzen angerechnet werben muß. — Bielleiht wird mander Geg- ner der Wiflenfhaft in den eben angeführten Thatſachen eine Prahlerei fehen, und zwar die Prahlerei des Bettelftolzes, weil, was da erzählt wurde, nicht3 Erhebliches fey, jondern was fich bei einem ernften und ehrlihen Mann von felbft verftehe. Nun dann wird es uns ja wohl erlaubt ſeyn, von ihm und feinen Genoſſen, id will nicht jagen Größeres, nein, nur eben ſolche Kleinigkeiten zu erwarten wie dieſe. Iſt nım etwa unter denen, welche meinen durch ihte
Diatriben gegen die Wiflenfhaft summos ho- nores unter den Glaubensſtarken überreichlich verdient zu haben, ift unter diejen wirklich bie Zahl derer jo groß, die dem, was fie previgen, ih jage nicht ihr Einlommen, nein, nur bie Hoffnung eines vergrößerten Einkommens opfern ? Wo find fie denn, die Schaaren derer unter den Willensfeinden, welche bereit find, Wohl: leben und gefiherte bürgerlihe Stellung zu opfern — ich meine natürlih, ohne daß ihnen vorher durch Gefinnungsgenofien ein Erjag ver: bürgt war — und fih dem Ocean einer un: gewifien Zukunft anzuvertrauen? Kommt es denn endlich jo gar oft wor, daß Einer, um den fih eine Schaar bemwundernder Anhänger ge: jammelt hat, welche das Butrauen auf jeine Zauterleit, Feſtigkeit, Aufrichtigleit ebenfo feſſelt wie dort die Theorie des genialen Naturfor: ſchers, daß diejer denen, die ſich zu ihm ge:
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fellten, offen erklärt, es ſey eine Täuſchung ges wejen, um bdefientwillen fie ihn fo hoch geftellt hatten? — Mir werden nah dem, was wir eben über die argumenta ab ignorantia ge fagt haben, uns hüten, daraus, daß wir von dergleihen erhebenden Erſcheinungen unter den Wiſſensfeinden keine Wiſſenſchaft haben, Folge: rungen zu ziehen. Dagegen dürfen wir aus dem, was wir kennen und wiſſen, die Folgerung ziehen, daß der Glaube, ohne welchen es über: haupt kein Willen gibt, eine Hingabe nit nur einer Seite des Menſchen, jondern jeined gans zen Weſens mit Kopf und Herz ift, jo ‚daß er darin befteht, daß der Menſch überhaupt nicht mehr fih jondern einem Andern lebt. Bielleiht haben wir, indem wir den Geg⸗ ner aus einer Angriffsftellung nad der andern zu vertreiben verfucht haben, dadurch, nament: lih aber durch unfern lebten Ausprud, ihn in
die gebracht, in welcher er den Kampf am ſiegreichſten zu führen vermag. Das iſt es eben, wird er ſagen können, warum die Wiſſen⸗ ſchaft dem wahren Glauben jo gefährlich wird, daß fie ganz mie dieſer eine völlige Hingabe des ganzen Menſchen ift, aber eine Singabe nit an die rechte Macht. Sie iſt wirklich eine fides im wahren Sinne ‚bed Wortes, aber eine mala fides, fie ift nicht Unglaube in dem Sinne, daß fie allen Glauben ausſchlöſſe, ſon⸗ dern ganz mit Recht hat es Beifall gefunden, daß die Wiſſenſchaft vielmehr zum Aberglauben, das beißt zum falſchen Glauben, führe. Sie bringt nämlih zu einer abgöttiihen Verehrung des Logiihen, während der wahre Glaube das Chrijtliche verehrt, fie iſt ein wirklicher Götzen⸗ dienſt, indem fie an die Stelle ver Liebe zum HErrn, worin der wahre Glaube befteht, vie Wahrheitsliebe jegt, alfo wirklich einen anderen
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Herren neben den wahren ftellt. Dagegen läht ſich doch Manches bemerten. Dem Borwurf der Bergötterung des Logiihen, von dem wir die Wiflenihaft um jo weniger befreien wollen, als viele Wiflenichaften Schon in ihrem Namen ( Phyſiologie, Piyhologie, Theologie) diefelbe zur Schau tragen, könnten wir entgegens fegen, daß ja die Gegner jelbjt von dem HErrn fagen, er fey der Logos und dieſer jey goͤtt⸗ liher Natur. Wollten fie diefen Einwand das durch entkräften, daß fie auf die verjchiedenen Bedeutungen des Wortes Logos hinmwiefen, fo wenden wir und zu ihrem zweiten Vorwurf, daß die Wiflenfchaft nichts Höheres gelten laſſe als die Wahrheit und die Liebe zu ihr. Wie aber, wenn der HErr felbit fih die Wahrheit nennt, iſt da nit Liebe zur Wahrheit eben Liebe zu Ihm? Hier ebenſo wie bei dem Worte Logos fagen: Wahrheit und Wahrheit ift zweier
lei, ift etwas bedenklich, denn das gibt Ber widelungen nicht nur mit dem gedbuldigen Woͤr⸗ terbuche, jondern mit der Kirche, die bereits im Mittelalter gegen die Theorie von zweierlei Wahrheit ihre entſchiedene Verwahrung eingelegt bat. Wollte endlich Jemand ſich hinter fein proteſtantiſches Gewiſſen verfteden und dieſe Entſcheidung der mittelalterlichen Kirche nicht gelten laſſen, ſo verweiſen wir dieſen auf das für den Proteſtanten entſcheidende Bibelwort, nach welchem der von Chriſto geſandte Geiſt in alle Wahrheit leiten ſoll, woraus gefolgert werden muß, daß es keine Wahrheit gibt, in welche dieſer Geiſt nicht leitete. Uebrigens beſcheide ih mich gern, daß dieſer Rüuͤchſchluß nur nah den Regeln der Wiſſenſchaft noth⸗ wenbig ift, die ich vorzugsmeife die meine nenne, der Logik, und will den Privilegien und me munitäten der modernen Exegeſe durchaus nicht
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zu nahe treten. Noch viel weniger freilich fie darum beneiden, und darum werde, ohne die beliebte Weile die Hauptjahen megzuerllären, das Wort des HErrn feilgehalten: „Obne mid tönnt Ihr Nichts thun,“ woraus, wenn man nit jagen will, Nichts heiße hier Etwas oder Viel, fich ergibt, daß ohne Seinen Geift auch die millenjchaftlihen Thaten nicht vollbracht werden. — Dieſen Ausfpruh halten wir feſt, nicht nur weil der heilige Buchſtabe, jondern weil Vernunft und folgerichtiges Schließen darauf führt: Big zum Ueberdruß hört man davon iprechen, daß Niemand fi der Macht des jedes- maligen Zeitgeifles zu entziehen vermöge, und e3 gehört in der That Fein fehr fcharfes Auge dazu, um zu ſehen, daß es durchaus gar Nichts gibt, was im neunzehnten Jahrhundert gerade jo wäre, wie im fiebzehnten und achtzehnten, Diefed nun, was fie dem Geilte jedes Jahr⸗
bunderts, ja jedes Jahrzehends, zugeftehn, dies: ſes dem Geiſte abzufprehen, der in den neuns zehn Jahrhunderten, ſeitdem er auögegoflen ward über die Welt, die Natur eines Ferments, weldhe der ihm zuſchrieb, der ihn zuerſt ver- kuündigte, bethätigt hat, — dies wäre wie gegen alle Erfahrung fo gegen alle Vernunft. Biel: mehr, wie in dem leiblihen Leben, wo der gifs tige Krankheitsftofj übertragen ward, kein Atom des Körpers frei bleibt von der anjtedenven Peltnatur, jo bat im geiftigen Gebiete, das Ferment des chriſtlichen Geiſtes, per infectio- nem vitae, wie ein tiefiinniger Mann dies genannt hat, Nichts unergriffen gelallen, Alles ergriffen, Alles neu gemacht. Daraus folgt gar nicht, wie Mancher, um und durch die ab» furde Folgerung zu wiberlegen, vielleiht ein- wenden fünnte, daß nad einer folhen Anficht e3 in der dhriftlihen Zeit nur wahre Chriſten
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und Gläubige geben könne. Denn dies: hängt davon ab, wie fih Jever zu dem Zuge bes chriſtlichen Geiftes innerlich ſtellt. Was die Alten von dem Schidjale jagten, daß, je nach⸗ dem der Menſch will oder nit will, die Macht deflelben als Führung oder Zwang, als ductie oder tractus, empfunden werde, iſt buchftäblich richtig von der Macht des chriftlihen Geiftes. Unwiderſtehlich jevem Rinde der chriftlihen Zeit, wird fie von dem, der fih ihr zu entreißen verfuht, als eiferne Feſſel ſchmerzlich empfun⸗ den, dem wieder, der ſich völlig ihr hingab, ericheint fie als eine füße Laft — (biblifh ges ſprochen: jenem wird Chriſtus zum Fall, diefem zur Auferftehung). — gerade wie in der Che, mit welcher die Schrift das Walten des chrift: lihen Geiftes in dem Menfhen vergleiht, dem Manne ohne Glauben das, Gejeß und Feſſel iR, was dem, der feinem Gelöbniß treu blieb,
als Rofenkette erſcheint. — Welche von dieſen beiden moͤglichen Stellungen zu dem Gange des der Menſchheit eingegoſſenen Geiſtes, der ein- nehmen wird, der ſein Leben der Wiſſenſchaft weihte, darüber kann nach dem bisher Geſagten
kein Zweifel Statt finden. Im Leiten in alle Wahrheit beſtand jener Gang und in dem Stre⸗ ben, d.b. ſelbſt Verlangen, nach Wahrheit beftand die wiſſenſchaftliche Arbeit, darum geben Weide niht wider fondern mit einander. Das Verlangen nah Wahrheit fällt zufammen mit ver Wirkſamkeit des hriftlihen Geiſtes, es ‘hat ein Recht fih ein riftlihes zu nennen, denn ‘wie in feinem Gmpfinden und Handeln ver Ghrift ein ganz Anderer ift als der Nicht:Chrift, jo aud in feinem Wiſſen. Dies gilt von altem Willen, auch das macht Teine Ausnahme davon, von ven man in unjeren Tagen’zu jagen pflegt, e3 ſey ganz unberührt vom chriſtlichen Geifte,
das Willen von den Gejeben der fichtbaren Welt. Für uns ift es mehr als ein Zufall, daß das Heidentbum bei einem unbelannten Öotte anlangte und daß es ihm als ein Fre vel erijhien, den Schleier, der das Naturleben dedt, gewaltfam zu heben, mährend nad ber chriſtlichen Anſchauung Gott gewußt wird als fih ofienbarend und erft in der hriftlichen Zeit der Menſch es gewagt, der Natur ihre Gebeim- nifie, nit nur mo fie diejelben zeigen wollte, abzulaufhen, jondern im wiſſenſchaftlichen Ber: ſuche gewaltfam zu entreißen. Beides gebt mit einander. Wird, wie die Schrift jagt, in ber Wahrnehmung und Grlenntniß der finnlichen Melt Gottes unfihtbares Wefen offenbar, jo kann das Erforſchen derjelben die Gottheit nur ehren, denn wie der jhon einmal erwähnte Kirhenfürft gejagt bat: Gottes Ehre ift, daß er erkannt, daß fein Weſen offenbar wird.
Daß im Dienfte der Wiſſenſchaft die Ehre Gottes gefördert wird und alſo dieſer Dienft ein wahrer Gottespienft ift, dies erjheint trog der Autorität eines Anfelm, und troß dem, daß unſer Gewiſſen, dieſe Stimme Gottes in uns, uns nie Vorwürfe macht, wenn wir dieſem Dienſte Alles, Vermögen, Geſundheit, Leben opfern, es erſcheint furchtſamen Gemüthern als eine vermeſſene, ja frevelhafte Behauptung. Ge⸗ rade wie fie erſchrecken, wenn fie hören, daß das Licht mancher Sterne Jahrtauſende bedurfte, um unſer Auge zu treffen, weil dadurch die Welt ſo ungeheuer groß wird, und ſie fürchten ſie werde zu groß, um das Werk eines Gottes zu ſeyn — den, wohlbemerkt! ſie doch all⸗ mächtig nennen — gerade fo wird ihnen un— beimlih, wenn fie vie Behauptung hören, die Wirkſamkeit Chrifti zeige fih nicht nur in der ‚Umftaltung des religiöjen Lebens, ſondern Sein
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Geiſt habe gar nichts, nicht einmal die Größen- und Naturlehre unverändert gelafien. Es ft als meinten fie, daß jo Großes felbit der Sohn Gottes nicht leiften fünne, und als werde er beleidigt, wenn man von Ihm erwarte, was über Seine Kräfte gebt. Wir nun theilen folthe Bedenklichkeit nicht, glauben auch, daß die Ge fahr, zu groß von der Macht des Chriftenthums zu denken, heut zu Tage nicht die am meiften zu fuͤrchtende iſt. Wohl aber gibt uns, daß wir wiſſen, welcher Geift ver ift, der „alle Dinge erforjchet, Yelbft die Tiefen der Gottheit,“ nit nur beim Forſchen nah den Tiefen der Gottheit, jondern beim Erforfhen aller Dinge jene Gemißheit, daß das Biel erreicht werden wird, die der hat, der da weiß, daß er nicht lebt und forſcht, ſondern ein anderer, böberer Geift, in ihm, jene triumphi- sende Freudigleit, die ih im Sinne hatte, wenn ih davon ſprach, daß die Wiſſenſchaſt über alte
trüben Gefühle und alle bloß perſoͤnlichen In⸗ terefien erhebe, jenes Siegergefühl, das uns von ber Seligteit des Erkennens und Wiſſens pres hen läßt. Wer aber bier Anathema rufen wollte, weil wir hier dem Erkennen und Willen zufchreiben, was nur richtig ift vom Glauben, der ja nicht erfennt und nicht weiß, — dem antworten wir, jo fteht es mit dem mahren Glauben nit; nit mit dem Glauben des Pe: trus, denn der hat erkannt, daß Chriftus iſt der Sohn des lebendigen Gottes, nicht mit dem des Johannes, denn der lehrt, daß das ewige Leben fey: Gott zu erfennen, niht mit dem des Paulus, denn der weiß, an men er glaubt, und weiß, daß nichts ihn ſcheiden kann von der Gnade Gottes. Anders freilih ift es mit benen, die jeder wiflenjchaftlihen Unterfuhung das Ohr, vor jedem Buche eines ihnen nicht als fromm empfohlenen Berfaflerd das Auge
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ſchließen, meil fie ja nicht wiſſen, ob ver fie nicht von der Gnade Gottes ſcheiden wird. Ob aber dieſer furchtſame Olaube, der nit weiß, was Paulus jo ficher mußte, ob dieſes fchmädh: lihe Gläubchen nicht vielmehr Unglaube ift, Unglaube an fih, an der Wahrheit — — — — — Aber wo gerathe ich hin? Vertheidigen nur wollte ih und werde zum Unfläger, zu preifen was mir das Höchſte von Allem, mar meine Abfiht und ich gerathe auf nichts weni⸗ ger als Preifensmwerthes und in feiner Weiſe Hohes! Mic wieder zureht zu finden, dazu bedarf es nur eines Blides um mid, und einer Befinnung darauf, als was und wozu ich bier ftehe. Umgeben von Solchen, die, weil fie dem der Willenfchaft gegebenen Gelöbniß treu bfie- ben, die Seligkeit des Willend gejchmedt haben, vor mir Solde, die mit dem freudigen Glauben an die neidlos ſich mittheilende Wahrheit den Lauf beginnen, deſſen Ziel ſolche Seligkeit ift,
ftebe ich bier im Namen einer der Anftalten, welche der Stolz unferes Vaterlandes find, die beftimmt find nur allein der Willenjhaft zu dienen, und denen, nur wenn fie ſelbſt dieſen Beruf vergaßen, andere Zumuthungen gemacht wurden. Ich ftehe bier, im Namen vieler Pflanzftätte ver Wiflenihaft, Wünſche auszu- fpreben für das Wohl eines Königs, deſſen offen und frei befannter Glaube ein jtarfer und fiegreiher Glaube ift, welcher weiß, daß der Geilt des HErrn nit nur im Zempel und in den Augenbliden der Andacht mädtig if, fon: dern Alles, auch Kunft und Willenfchaft, erneut bat, und der in diefem kühnen Glauben oft ängſtlich Geſinnte den Kopf ſchütteln machte, wo er durch die That bewies, daß ihm bei dem Kunſtwerk der Kunſtwerth und die Schönheit, und bei dem Lehrer der Wiſſenſchaft das Wiſſen die Hauptſache iſt. Einen König ſoll ich feiern, an den wir glauben; an den Wh mante,
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Ungläubigen gelernt haben zu glauben, ſeit fie gejehen haben, daß dem gegenjeitigen Yamort, das an dem großen Trauungsmorgen vor nun mehr ſechzehn Jahren zwiſchen ihm und uns ausgetaujcht ward, Er treu geblieben ift, und daß er nicht mie andere Fürlten, in böjen Zagen, den Ring, der bie Stirne der Könige Ihmüdt, diefen Zrauring, der fie mit ihren Un: terthbanen verbindet, ehebrecheriih weggeworfen, jondern daß er feinem Gelöbniß Glauben ge balten hat. Worte foll ich geben unferen Ges fühlen für einen König, der in faum vergangener bevenkliher Zeit, wo Alles ungemiß war, troß dem, daß lautes Rufen und leijes Flüſtern bier: bin oder dorthin zu verloden juchte, gezeigt bat, er wille, melde Pfliht vor allem Andern er babe, und von dem Mander, der damals irre war, heute weiß, was er Ihm dankt und an Ihm bat. Diefen König erhalte Gott! —
Bewohnheiten und Angewohnheiten,
Bortrag, gehalten im wiſſenſchaftlichen Verein zu Berlin son
Dr. Erdmann, Brofeffor tn Halle,
Berlin. Derlag non Wilhelm Herß. (Beſſerſche Buchhanklung.) 1858.
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Hohe Derfamminng!
Yis vor Jahren ein berüßmter Arzt bie Kenntuiß des Opiums für den Inbegriff der ganzen Heifwif- ſenſchaft erflärte, da fiel das auf und man nannte es jest, eine Uebertreibung. Es war eben nod nicht wie wo alle Tage ein neues Mittel, fei es nun kaltes Waſſer oder trodene Semmel,-fei e8 Glectricität oder Apfelwein, als einziges und als untrüglich gegen alle Krankheiten auspofaunt wird. Damals aber ſchon und alfo noch mehr heute, wäre vor folhem Vorwurf der ſicher geweſen, der, was jener Arzt von der Heil- Tunft, das von der Geiſteswiſſenſchaft behaupten wollte: daß es Einen Schlüffel giebt, ohne welchen man in ihr nirgends, mit dem aber man im jedem ihrer Gebiete fortlommt. Mit welchem Capitel derfelben man fid) befhäftigen möge, überal fößt man früher ober fpäter auf bie ungeheure Bedeutung der Ge- wohnheit. Sie herrſcht ſchon dort, wo die Schwelle Taum überfchritten ift, die im das irdiſche Leben hin- einführt, denn von ben Verveguimgen Tea Kurt „N
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man für angeboren hält, ſind viele, vielleicht die meiſten, angewöhnte, und wieder gelangt der Menſch an die andere Schwelle, über welche der Weg aus dem Leben hinausführt, dadurch, daß ſich die Seele ganz in ihren Leib eingewohnt hat, und nun erfährt, was man zu erfahren pflegt, wenn Einem Haus⸗ Heid oder Schuhwerk fo recht bequem und gewohnt worden 'ift: es ift vertragen. In der Gewohnheit eines beftimmten Handelns befteht nach Ariftoteles unfere Tugend, ımd ohme feine oder eine der feinen gleiche Autorität zum Rüdhalt zu haben, wird man behaupten dürfen, daß die Ausdrüde: ich glaube dies, oder auch: das verftehe ih, in vielen, ja vielleicht den meiften Fällen, nur foviel heißen, als: ich bin ge- wohnt, daß man mir e8 dvorredet und habe mich ge- wöhnt, es nachzufprehen. Ja über die Gebiete bes Geiftigen hinaus reicht ihre Macht. Daß die Dref- fur der Thiere, das Acchimatifiren der Pflanzen ein fie Gewöhnen ift, giebt Jeder zu, und faum Tieße fidh etwas dagegen einwenden, wenn in einer gut einge jpielten Violine oder einer verblafenen Flöte die erften Spuren guter und fchlechter Gewohnheit gejehen wür⸗ den. Darm aber wäre auch der Verſuch, in der bier zugemeffenen Zeit das ganze Gebiet der Gewohn⸗ heit zu überfchauen dem gleich, den Ocean mit einem £inderlöffel auszufchöpfen. Stott \eimer werte Yet
nur der gemadht, zwei befondere Arten der Gewohn⸗ heit kennen zu lernen, über deren verjdhiedene, ja entgegengefeßte, Natur alle Welt einverftanden fein muß, da fonft die Sprache, in der, und durch die allein es ein Einverſtändniß unter aller Welt giebt, nicht beide einander entgegenjegen würde. Die Sprache unterjcheidet die Fälle, wo ih mich an gine Sade, von denen, wo ich mir eine Sache angewöhnte, weiſt alfo dort mir, bier dagegen der Sache, bie leidende Rolle zu. Wo, wie in dem erfteren Falle, ich (der Sache) gewohnt werde, bin ich als das Paffive, wo dagegen, wie im zweiten, fie (mir) gewohnt wird, ift fie als leidend, und ich als das Active gefett, ein Gegenſatz, den der Sprachgebrauch aud) fo firirt, daß er wo der Menſch paffiv ift, von Gewöhnung und Gewohnheiten, wo activ, von Angewöhnung und Angewohnbeiten ſpricht. Indem wir es dem Schöpfer des Sprachgebrauch überlaffen, biejen Unterſchied gegen den jcharffinnigen modernen Denker zu ver- theidigen, welcher ihn Ieugnet, nimmt die gegenmwär- tige Unterfuhung den Gegenfak von Gemohnhei- ten und Angemwohnheiten als einen allgemein zugeflandenen zum Ausgangspunkt, läßt ſich durch ihn ihre Grenzen beftimmen, und fragt auch deingemäß nicht mehr ob, fondern fogleich wie fie von einander unterjchieden find?
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Bon Gewohnheiten im Gegenfa zu Ange wohnheiten fpricht man da, wo gewiffe Teidentfiche Zuftände, 3. B. Empfindungen, ein Bedürfniß wur⸗ den, fo daß ihre Abwefenheit unangenehm auffällt, qnälend if. Die Gervohnheit des Einen zu beftim- ter Stumde feinen Kaffee zu haben, des Anderen all- abendlich in Iuftiger Gefellfchaft zu fihen, des Dritten den Dampf übelriechender Blätter einzufchlürfen, fte find Beifpiele davon, daß der Zuſtand eines Genie- ßens oder Habens eine ſolche Macht über uns gemimnt, daß wir ohne ihn nicht fein, von ihm nicht laſſen können. Iſt aber dieſes Nicht-Laffen-können das Weſen der Gewohnheiten, fo ift es eigentlich auch nicht richtig zu jagen, daß wir fie haben, als wenn wir ihre Befiter wären, ſondern vielmehr haben fie ung und wir find von ihnen befeffen, ein Ausdrud, der auch für den höchften Grad der Gewohnheit, die Leidenſchaft, ganz gebräuchlich if. Wovon wir nicht laffen können, dem ftehen wir machtlos als unfreie Sclaven gegenüber, und darum find wir, je mehr Gewohnheiten wir haben, um fo unfelbftftändiger und ſchwächer. Iener Mann, der. jo an feinem Morgen- Kaffee hängt, muß fich den freundlichen Vorwurf ger .
fallen laffen, ber Kaffee ſei \ein Taihle, Ben Sohern
fagt man, nicht fehr freundlich, nad), ber Wirthshaus⸗ beſuch fei feine ſchwache Seite. Und was den Dritten betrifft, jo ift zwar die Welt fo tolerant geworben, daß fie feine Gewohnheit nicht mehr im Ernſt als ein Lafter anfieht und beftraft, fondern nur im Scherz fo nennt; aber harakteriftiich bleibt es doch, daß ſelbſt Veidenfhaftliche Liebhaber des Tabacksgenuſſes dafiir noch keinen andern Namen erfunden haben als das Wort Rauchen, das, wenigftens bei Schornfteinen und Kami⸗ nen, einen Fehler bezeichnet; ein demüthiges Bekenntniß mit dem jehr gut zufammenftimmt, daß wenn Einer fich von biefer Gewohnheit losmachte, er fi und Andern wie ein Heros erfcheint, der Tyrannenketten zerriß. Wirklich ift, nicht nur diefe fondern jede Gewohnheit, mehr ober minder eine Feffel; fie alle machen uns zu SHaven, und wenn in jenem wundervollen Monolog des Wallenſtein die beſchränkte Maſſe, weil ihr das Ge⸗ wohnte heilig ift, für fo unfelbftftändig erflärt wird, wie der Säugling an der Amme Bruft, fo ift es nicht nur die Eraltation des Dichters die Beides zufammenftellt, fondern der praftifche Menjchenverftand läßt, fo lange ed Erziehung (d.h. ein Herausführen aus der Unfelbft- ftändigfeit und Befreien von der Unmündigfeit) giebt, die- ſelbe nicht nur mit dem Entwöhnen beginnen, fondern großen Theils nur darin beftehen, daß das Entftehen von @ewohnheiten verhindert, die eniftundienen aher Tuner
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than werden. Dies Faetum allein, daß jeder. Erzieher ein Abgewöhner, alle Erziehung ein Befreiungsfrieg gegen die Gewohnheiten ift, würde binreichen, um uns fagen zu laffen: Gewohnheiten befchränfen. Je weniger einer hat, deſto freier if} er, je mehr, befto weniger ift er es. Und wieder: Je mehr er mit Gewohnheiten behaftet ift, deſto mehr bat die Erziehung no an ihm abzuarbeiten, d. h. defto weniger ift er ganz und wohl erzogen. |
Biel vortheilhafter dagegen fällt, wenn wir, wie fo eben, die Praris des Erziehers zur Richtſchnur nehmen, unjer Urtheil aus binfichtlihh der Ange⸗ wöhnungen Dies Wort brauchen wir dort, wo irgend ein Thun ums fo geläufig warb, daß es feiner Anſtrengung bedarf, weil es ganz von felbft geht. Mindeitens eben jo viel Mühe, wie der vernünftige Pädagog fi giebt, um es zu verhindern, daß der Menſch fih am Diejes oder Jenes gewöhne umd es durchaus Haben müſſe, wird darauf verwandt, biefes oder jenes Thun zu einem angewöhnten, zu einer Sertigleit, wie man e8 nennt, werden zu laffen. Das Streden der zarten Glieder wird durch die angelegten Windeln, das Geradeſitzen durch ftets wiederholten Zu- ruf, das Auswärtsgehn durch das Marter-Inftrument der erſten Tanzſtunden eingeübt, d. 5. angewöhnt, damit es von felbft geichehe, damit e& Maier, d. 5.
unwillkührliches Thun werde, keine Mühe mehr mache. Es ift feine Inconfeguenz, wenn berfelbe, der ſich eben als Abgewöhner zeigte, hier darauf ausgeht an- zugewöhnen. Beides hat denjelben Zweck, den Zög- King tüchtig, Träftig, ſtark, frei — gleihviell — zu machen. Darım wird einerfeits verhindert, was ihn in fremde Gewalt bringt, aljo unmächtig macht, dies aber thut die Gewohnheit; darum auf der an- deren Seite gefördert, was das Maaß feines Könmens und feiner Macht ift, dies aber ift wirflidh die Ange⸗ wöhnung, denn nur wenn ein Thun mir gar feine Mühe macht, ganz von felbft geht, dann exit kann ich fagen, ich Tann das, oder ich habe es in meiner Gewalt. Wer ein Thum fi fo angemwöhnt hat, daß es ohne die allergeringfte Schwierigfeit fi) ganz von ſelbſt vollzieht, in dem hat fich das Können zu dem gefteigert, was mit dem ihm ſprachlich verwandten Worte Kunſt bezeichnet wird. Dem Künftler ift bie Ueberwindung jeder Schwierigkeit gemohnt worden, feine gelibte d. h. gemöhnte, Hand oder Stimme voll⸗ bringt Alles von ſelbſt. Se mehr dies der Fall ift, befto mehr fagen wir, er habe feine Triller oder Coloraturen in feiner Gewalt oder fei ihrer Herr; und nicht mur von ihm fagen wir das, fondern alle Bewegungen nennen wir unfrei, jo lange fie dem, der fie macht, ungewohnt find, Daneaaı wu Tr nt
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Angemwohnheit wurden und von felbft erfolgen, da fagt man, der Menſch Habe fie in feiner Gewalt, bewege fich frei. Da die Gewohnheit des Thuns nicht, wie die vorher betrachtete des Habens, abhän⸗ gig macht, fondern zum Herren und frei, fo ſpricht man aud) hier nidht mehr wie dort von einem faible oder einer ſchwachen Seite, fondern vielmehr die force eines Künftlers und die Stärke einer Sän- gerin wird e8 genannt, wenn die Triller und Colora- turen von felbft erfolgen, und der Ausdrud Birtuo- fität, der die Fertigkeit oder das angewöhnte Thun, der Tugend zugefellt, ift ein merfwürdiger Gegenfat dazu, daß wir vorhin die Gewohnheit an einen Genuß ein Lafter nennen hörten. Je mannigfaltiger das Thun ift, das ein Menich ſich angewöhnte, defto weiter das Gebiet, in dem er frei fehaltet und mwaltet, deito mehr aber auch ift das Ziel der Erziehung erreicht oder er wohl erzogen.
Demnach ſcheint es, als müßten die Gewohnheiten in dem Kapitel von den Krankheiten, die Angewohn- heiten dagegen in dem von den Heilmitteln der Seele abgehandelt werden, ein Refultat das wir, aufer fei- ner Einfachheit, noch wegen einer anderen Rückſicht will» fommen heißen müßten. Vielleicht frappixt Manchen die Behauptung, daß zu den vielen Gegenfäben, aus weldjen ber Unterfchieb der beiden SGedteäter beiteht,
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aud) dies gehört, daß Männer viel mehr als Frauen dazu neigen, von Gewohnheiten beherrjcht zu werden, Dagegen Frauen weit leichter fi) Etwas angemwöhnen, und doch ift fle zu rechtfertigen. Am Leichteften fir den, der ein einzelnes Faetum als Beweis filr einen allgemeinen Sat gelten läßt; denn diefen witrden wir auf jenen Mann verweiſen, ‘von dem wir er- fahren haben, daß er gewohnt ift zur beſtimmten Zeit jeinen Kaffee zu haben. Da nämlich feine Frau, wo⸗ ran doc kaum zu zweifeln, fi) angewöhnt hat, zu beftimmten Zeiten ihren Kaffee zu geben, fo zeigt dies würdige Paar, indem fie gewohnt ift zu geben mas er zu haben, gerade die Bertheilung von Gewohnheit bes Habens und gewohnten Thun, die mein Sat be- hauptet. Wer alſo einem einzelnen Falle allgemeine Beweiskraft zugefteht, der muß fich zufrieden geben; ba aber Wenige fo gefällig zu fein pflegen, fo wirb nach einem Beweiſe gefucht werden müffen, der Allen genügt. Als folchen wird man wohl das Factum gel- ten laffen, das nicht nur Eltern und Erzieher, ſon⸗ dern jeder aufmerffame Beobachter beftätigen wird, daß jedes Heine Mädchen den Bruder, felbft wenn er älter ift, im Aneignen don Manieren, von Ge- ſchicklichkeiten aller Art weit hinter fich läßt, daß bie * Länftlichften Bewegungen (man denfe an bie beim Striden, deſſen Schwierigleit dadvx Bien IR
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der Strumpfwirkerfiuhl noch nicht vereinfacht werben fonnte), ihm faft im Handummenden zur Fertigkeit werden, kurz daß es viel früher wohlerzogen ift als er, daß dies Alles aber unter die Kategorie der An- gewöhnungen fiel. Steht aber mein Sat feft, daß bie Angewöhnungen vorzüglid) der Frauen Sache find, oder daß, naturhiſtoriſch ausgedrüdt, die Menſchen in die ziwei Arten der Gewohnheitsmenſchen oder Männer, und Angewohnheitsmenſchen oder Frauen zerfallen, fo ift auch begreiflih, warum id) das Reſultat unfe- rer Unterfuhung, nad) welchem die Angewöhnung heilt, was die Gewohnheiten verderben, ein mwilllom- menes nannte. Die trodne Unterfuchung hat dahin geführt, wozu den Dichter die Mufe: zur Huldigung der Frauen.
Wie Schade nur, daß die Wiſſenſchaft niht galant ift! Ob deswegen nicht, weil fie weiblichen Geſchlechts, Oalanterie aber von Frauen nicht verlangt, ja nicht einmal gewünfcht wird, entſcheide ih nicht. Genug, daß eine genauere wiſſenſchaftliche Unterſuchung den Borzug, den wir bis jet den Angewöhnungen ein- räumten, in Nichts verſchwinden läßt. Er gründete fi darauf, daß, während man von einer Gewohnheit, die und beherrfcht, nicht Laffen Konnte, die Angewöh⸗ nung uns fagen ließ: Dies macht mir feine Mühe, def din ich Herr. Gilt dies aber wirtüi von Allem, bas
man ſich angewöhnte? Man denke einmal an die Fälle, die, wo dies Wort gebraucht wird, den Meiften eher einzufallen pflegen, als die Gejchidlichkeiten und Fertig⸗ Teiten, an die nämlich, wo Geberden, Mienen, Redens- arten zur Angewohnheit wurden, indem die Organe berfelben eine folche Fertigkeit im Hervorbringen ber- ſelben erlangten, daß fie nun ohne unjer Wiſſen und Rollen von felbft erfolgen. Warum runzelt man dba die Stirn, fchüttelt den Kopf, wiederholt ſtets daſſelbe Wörtchen? Weil man es nicht Laffen fann. Wie feltfam aljo hat fi der Spracdhgebraud) umgekehrt: Das Nicht-Laffen-können, das bisher als Weſen der Gewohnheit galt, wird auf einmal zum Prädilate der Angewohnheiten, die damit auch den Ruhm einbüßen, den Menſchen ftärker und freier zu machen, und da⸗ rum aud) das Hecht die gepflegten Lieblinge des ver⸗ fländigen Erziehers und das Maaß der Erziehung zur fein. Kant, der auf gute Erziehung fehr viel gab und, wie auf vieles Andere fo auch auf Pädagogik fi) gut verftand, will nicht nur, daß ein wohlerzogener Menſch, feine ſolche Angewohnheiten habe, fondern behauptet fogar, daß wenn Einer mit der Angewohnheit behaftet if, Selbftgefpräche mit heftiger Gefticulation zu bes gleiten, oder, wenn er allein, laut zu peroriren, daß er dann bort bingehöre, wo man alle anderen BAGRE einfperrt. Zwar fo weit wie Kant, der a WELT
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verpflichtet war, Alles auf die Spite zu treiben, gebt der geſunde Menſchenverſtand nicht. Für complete Narren erllärt er die nicht, die dergleichen thun; aber für närrifche Leute gelten fie auch ihm, und die für befjer erzogen, die durch größere Herrichaft über fich felbft, fid) davon frei erhielten. Was wir aljo eben nod) als Maaß der Stärke eines Menſchen anjahen, feine Angewöhnungen, das zeigt fich, genauer betrach⸗ tet, als Ketten, die ihm feine Freiheit rauben.
Eine ganz gleiche Umkehrung des früher Gejagten ergiebt die genauere Betrachtung der Gewohnheiten, bie vorhin jo ſchlecht wegkamen. Sehr flarfe Em- pfindungen, fo lange fie nen find, übermannen umd beberrfchen uns. Ein heftiger Lärm, das Knirſchen des Sandes, ein widerwärtiger Geruch, ſie machen uns unfähig, an irgend etwas Anderes zu denten. Iſt Einer ein Müller oder ein ©lasfchleifer, oder bewohnt er feit Sahren eine Stadt, in der man nur mit Braun- kohle heizt, fo achtet er das nicht, denn er ift def gewohnt worden. Die allerheftigften Schmerzen, leib- liche wie phyfifche, fie machen dem, der ſich an fie ge- mwöhnt hat, feine Roth mehr, und daß wir von ihm fagen, er fei feines Schmerzes Herr geworden, iſt ganz in der Ordnung, denn wir haben ja gejehn, daß man Herr deſſen ift, was feine Mühe macht, jet hören wir,
daß das Gewohnte Teine Noth mad, Mitte wachen
aber und Noth machen, Tiegt nicht weit auseinander. Wie merkwürdig, daß jetst das paffive Gewohntwerden eines Zuftandes, das wir bisher als die eigentliche Sklavenkette des Menſchen anjahn, fi) als das er- weit, was ihn zum Herrn macht und alfo mächtig und frei! Merkwürdig oder nicht, auch hier ſtimmt zu dem, was wir eben gefunden haben, die Praris der Er- zieher, welche darauf ausgeht, durch Abhärtung d. 6. durch Stumpfmachen gegen unangenehme Empfindun- gen, ihre Zöglinge frei zu machen von ber Gewalt ber Schmerzen. Das der Schmerzen Gemohntwer- den, das Hart» und Stumpfwerden gegen fie, das ift das fihherfte aller ſchmerzſtillenden Mittel, und mer genauer zufieht wie und wodurch die meiſten Menſchen Schmerzen, Roth und Elend ertragen, die ung unfäg- Yich erjcheinen, der wird mid) nicht tadeln, wenn ich, am Anfange, um auf die Gewohnheit zu kommen, vom Opium ſprach: Die Aehnlichkeit zwifchen Beiden geht Leider zu weit, indem nicht nur das Ertragen des eignen fondern auch das Sehen fremden Leides zur Gewohnheit wird und diefe zum Einjchläferungsmittel gegen Mitleid und Dienftfertigleit. Solcher, die diefes geiftige Opium effen hat vielleicht unfer Dccident mehr als der Orient Solcher, die für ihren Leib von Euro- päern Opium — ich wollte fagen Kivilifatton — kaufen.
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En Werthunterſchied alfo findet zwiſchen beiden Formen ber Gewohnheit nicht Statt; in beiden macht fie frei und macht zum Knecht, feffelt und bindet, IÖR und befreit fi. Daß uns diefe Behauptung in Händel mit den Logilern verwideln follte, weil was wir fagten fi) widerfpricht, fie aber fortwährend prebi- gen, was fich felber widerſpreche, könne nicht ge dacht werden, fürchten wir nicht. Es Tann den Herren unmöglich Ernft fein mit ihrer Loſung; dem da fie von dem, was ſich widerfpricht, fo viel prechen, und fo Bieles, 3. B. daß es undenkbar fei, davon zu fagen wiffen, fo nöthigen fie uns zn ihrer eignen Ehre vorauszufetsen, fie hätten das, wovon fie reden, auch gedacht. Eben darum geben wir ganz unbe fümmert um jenen Zuruf zu, daß in bem Begriff der Gewohnheit Entgegengefettes vereinigt if. Das aber bat der geſunde Menjchenverftand Längft gewußt, und demgemäß die Gewohnheit eine zweite oder andere Natur genannt. „Natur“, weil fte eine Beſchaffenheit ift, von der wir uns nicht losmachen lönnen, „andere“ oder zweite, weil fte eine hervorgebrachte, fünftliche ift, Bei⸗ des zufammen, weil fie feine natitrliche Natur ift. Ein folcher fich widerfprechender, Name war aber auch der pafjendfte für Etwas, das wie fein Wefen ſich wider» Spricht, fo auch Entgegengefetstes zeigt in feiner Ent⸗
ſtehung. Gewohnt fein und Ahtumytung Wit bahurd
ein, daß wiederholtes Empfinden Empftndungelofigkeit bewirkte, daß weil Etwas fo lange eine Qual gewejen, es nicht mehr quält. Fertigkeiten wieder und andere Angewöhnungen entftehen fo, daß in Folge vorfäglichen Thuns unvorſätzlich gethan wird, ober daß man fich fo lange mit etwas abgequält hat, bis man ſich damit nicht mehr abquält. Wer nicht immer Beides zugleich feſt⸗ hält, verzichtet darauf, das Entfichen der Gewohnheit zu erflären und ihr Wefen zu begreifen. — Aber noch mehr, zur richtigen moraliſchen Beurtheilung ber Gewohnheit ift unerläßlich, daß Teine der beiden Be- flimmungen vergeffen werde. Diefer Fehler wird oft begangen, wo die Gewohnheit als Entjchuldigungs- grund herbeigerufen wird: Dem Bruder oder Gatten, der es eime Zeit lang angejehn bat, wie während einer Paufe im Geipräh die Stirn gerungelt, ber Kopf gefchüttelt, die Achfel gezudt wird, unb nun bittet, man möge die heftige Gemüthsbewegung unter- drüden, dem wird etwas fpitig geantwortet, „er täujche fih, man fei gar nicht heftig, man habe an etwas ganz Gleichgültiges gedacht und das Stirnrunzeln und Ropffchütteln fei eine bloße Angemwohnheit, etwas Unwillführliches rein Körperliches, wofür man Nichts könne.“ Wenn diefe Antwort dem Warner Etwas fagt, da® er wirklich bisher nicht wußte, fo muß ber Mann einen heilfofen Schret doodo hahm. Su 2
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Kopfichütteln als Geberde bei einer vereinzelten Ge⸗ miüthsberwegung ift am Ende feine große Sache, denn une fois n’est pas coutüme. So hat er bisher ge dacht. Jetzt aber wird ihm vertraut, es fei coutume und jet wird die Sade ernfthaft. Sehr erufthaft! Denn wie viele heftige Gemüthsbewegungen müſſen Statt gehabt haben, ehe die Stirnmuskeln die Sertig- feit erlangten, ſich von felbft zu rungen! Wie oft muß man in der Lage gewejen fein ärgerlicd) den Kopf zu fchütteln, ehe das Schütteln zu einer körper⸗ lichen Nothwendigkeit wurde, wie das Athemholen! Wahrli es ift die höchſte Zeit, die freundlichen Gedanken, welche die Stirn glätten und ben Kopf zur Ruhe bringen, auch fo oft hervorzurufen, daß die glatte Stirn zur Angervohnheit werde, und zu einem rein Körperlichen und Unwillkührlichen, daß der Kopf ſich ruhig hält. Jetzt, ehe jene Reparation eingetreten ift, hat man freilich Recht zu fagen: Ich kann ja Nichts dafür, aber nicht minder Recht hat der Bruder oder Gatte, wenn er erwidert: Liebes Kind, daß Du Nichts dafür kannſt, dafür kannſt Du, und fehr viel. Die Dame nennt dies vieleicht Unfinn, und doch wird fie gerade jo urtheilen, wo ihr die eigne Situa⸗ tion an einem Anderen und in vergrößertem Maaf- ftabe entgegentritt. Jenem Berehrer des Bacchus, welcher ſich darüber beklagt, vo& wen immer fein
vieles Trinken tadle, und nie ein Wort verliere über feinen unauslöſchlichen Durft, wird fie in's Geſicht Lachen wie alle Anderen, Warum? Weil gerade dies, daß fein Durft, in Folge der vielen Löfchungsverfuche, unauslöſchlich und unwiderſtehlich geworben ift, ihm zum Tadel gereicht, viel mehr als wenn er einmal ohne — man nennt es aud) über den — Durft ge- trunten hätte. Oder aber, wenn ein Angellagter fi jo entfehuldigen wollte, daß er nicht geftohlen habe wie ein Neuling, ber dazu eines befonderen Ent- ſchluſſes bedürfe, fondern er fei ein eingefleifchter Dieb und könne das ihm zur Natur gewordene GStehlen nicht laſſen, und der Richter würde ihn nun gerade firenger beftrafen al8 den, der es lafjen kann, fo wird jene Dame dies ficherlich in der Ordnung finden, und doch ift das Princip, welches den Richter leitet, gerade daffelbe, welches, wo es der Bruder oder Gatte gegen fie geltend machte, von ihr Unfinn gefcholten ward. Sage man aber nicht, daß hier ganz Verſchiedenes zufammengeftellt werde: unfchuldige Gewohnheiten imd Beichaffenheit des Wefens, des ganzen Ichs. Erftlich giebt es keine unfchuldige Gewohnheit, fondern an jeder Angemohnheit ift der Menfch ſchuld, oder er ift für fie verantwortlich. Das pflegt auch Hinfichtlich ber hübſchen Angemwohuheiten, des graciöfen Ganges, des fertigen Clavierfpiels u. \. vo. Farm in Brdut
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zu ſtellen, indem er ſich dieſelben als ſein Verdienſt zurechnet. Alſo ſei man conſequent. Zweitens liegt Gewohnheit und Weſen oder Ich des Menſchen gar nicht ſo weit auseinander, wie Manche meinen. Es iſt nicht ohne Grund, wenn man von dem Compler feiner Gewohnheiten zu fagen pflegt, So oder Das bin ich einmal. Das Ich iſt wirklich nur ein Geſpinſt, in welchem Gewohnheiten und Angewohnheiten bie primitiven Fädchen bilden, oder um ein pafjenderes Bild zu brauchen, wie ein Geficht nicht ift außer den Sefichtszügen, fo bilden in dem inneren Antli, bie wir das Sch des Menfchen neımen, feine Gewohn- heiten die einzelnen Züge. Unſer Ich ift nur unfer. zur Gewohnheit geiwordenes Empfinden und Thun, wofür ſchon dies ein Beleg ift, daß wenn wir ganz ungewohnte Empfindungen haben, wir uns fragen: Bin ich es auch wirklich? und wieder wenn uns ganz ungewohnte Willens-Anmwandlungen fommen: melcher Genins oder Dämon hat mir dies eingegeben? Unfer Ich ift nur unjere Gewohnheiten und Angewohnheiten, waren fie aber das, was und wovon wir nicht laſſen fonnten, jo begreift fih, warum das Ich das if, wovon wir niemals los fommen, und was uns Teine Macht zu entreigen vermag, fo daß ein großer Phi- Iofoph e8 den unfterblichen Gott in uns hat nennen Zönnen und eim nit minder araker ven Wuxur, der
nicht ftirbt. — Beſteht das Ich aus den Gewohnheiten, und waren diefe, wie wir gefehn, ein Widerfprud) in fih, jo muß natürlih als ihr Product das IH auch diefen Widerfpruch als multiplicirt, in riefen- hafter Dimenfion zeigen. Nur ein anderer Ausdrud für diefen Widerſpruch ift es, wenn wir das Ich ein großes Räthſel nennen, denn feit dem Räthiel, weldhes Simfon aufgab und dem, welches dem Dedi- pus vorgelegt ward, hat jedes Räthſel nur darin be- ſtanden, Entgegengefetstesg — (dort Freſſer und Speife- geber, hier vierfüßig, zweifüßig und dreifüßig) — in Einem zu denfen. Die räthjelhafte, d. h. widerſpruchs⸗ volle, Natur des Ichs ift nicht abzuleugnen: Wer fein Kind mehr ift, defien Handlungen gehen aus feinem Weſen oder feinem Ich jo nothiwendig hervor, wie der Rofenftod Rofen trägt und feine Stechäpfel, der Dornftrauh Dornen und feine Reben. Das gefteht Jeder, wenn er ehrlich ift, fich felbft, und dennoch, wenn feine Thaten den Dornen und Stechäpfeln gleichen, macht er fih Vorwürfe. Iſt das nicht ein Wider⸗ ſpruch? Gewiß! Aber um ihn zu begreifen ober um, was dafjelbe hieß, das Räthſel zu löfen, warum wir uns tadeln, wo wir doch nur handelten mie es unfere Natur mit fi) bringt, brauchen wir weder die Freiheit zu leugnen noch myiyſtiſche Theorien zu exfiuuen, sr Nichts erlären, fondern nur, den Moihemaitrrn Up
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lich, die ſchwierige Aufgabe in leichtere zu zerlegen. Wo ein Thım zur Gewohnheit geworden ift, da erfolgt bie einzelne Bethätigung unmwillführlich, wie das Athem⸗ holen, als Folge einer körperlichen Befchaffenheit. Ob⸗ gleich wir dies wifjen, tadeln wir doch, nicht die einzelne Bethätigung (das eine Stirnrunzeln), fondern die Be- fchaffenheit, weil dieſe eine zugezogene, ſelbſtverſchul⸗ dete iſt. Nun, wenn es begreiflich iſt, daß es ſolche den natürlichen ähnliche, aber ſelbſt verſchuldete Be⸗ ſchaffenheiten giebt, ſo mag es ſchwerer zu begreifen fein, iſt aber gewiß nicht abſolut unbegreiflich, daß die Summe dieſer Beſchaffenheiten, die unveränder⸗ liche Totalbeſchaffenheit, die wir das Weſen oder das Ich eines Menſchen nennen, auch eine zugezogene, ſelbſt bewirkte und verſchuldete iſt. Es iſt, gerade wie dort im Kleinen, ſo hier im Großen. Bin ich einmal ſo wie ich bin, ſo kann ich freilich nicht anders handeln. Daß ich aber ſo bin, das iſt meine Schuld, und darum kann ich und muß ich tadeln und anklagen nicht die einzelne ſchlechte Handlung — (wäre dieſe meinem Weſen ſo fremd, wie die trockenen Früchte am Weihnachtsbaum, ſo wären nicht viel Worte zu verlieren) — ſondern ich tadle mich, weil ich ſo bin, daß mein Weſen ſolche Früchte trägt, daß es mir natürlich iſt ſo zu handeln. Wer die Gewohnheit nicht begreift, Tann das I vhht vertin. Be Ser
kenntniß ihres Weſens iſt einer der wichtigſten Schritte zur Löſung dieſer Fundamentalfrage der Pſychologie.
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Bis jetzt iſt von der Gewohnheit nur geſprochen, ſo weit ſie Lebenszuſtand einer Einzelperſon und für dieſe von Wichtigkeit iſt. Sie hat aber neben dieſer pſychologiſchen auch noch die ethiſche Bedeutung, daß ſie in allen ſittlichen Gemeinſchaften den zuſammen⸗ haltenden Kitt bildet. Daß rechtliche, bürgerliche, ſtaatliche Ordnung „in der Gewohnheit feſt gegründet ruht”, kann Niemand leugnen, wenn er zugibt, daß folche Ordnung nur durd) das Zuſammengehen von Rechten und Pflichten befteht, und damm findet, wie die Gewohnheit diefes oder jenes zu genießen fi) zu Anſprüchen und Rechten verhärtet, und wieder alle Berbindlichfeiten ihren erften Urfprung darin haben, bag Leiftungen berföümmlich, d. h. zur Angewohnheit wurden. Ich gehe über diefen Punkt hinweg. Nicht um dem Vorwurf aus dem Wege zu gehn, daß wenn ich die Rechte mit den Gewohnheiten, die Berbind- lichkeiten mit den Angewohnheiten identificire, nad) der vorhin beliebten Erbtheilung unter die beiden Ge⸗ fchlechter am Ende herausfommen werde, daß nur bie Gewohnheitsmenfchen, d.h. die Männer, Rechte haben. Da habe ich Feine Kurht. Männer woerrara ur Cor
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ſolche Conſequenz nicht zur Laſt legen, und Frauen — — mm, benen werde ich antworten, daß fie es ja find, die uns immer vorwerfen, wir feien in alle Ewigkeit die Rechthaber, und daß es ſehr unartig wäre, wenn wir ihnen uicht glaubten. Mein Grund, warum ich bei der Bedeutung der Gewohnheit für die bürgerliche Ordnung mic nicht aufhalte, if ein anderer: Die Grenzen, in welchen unfere Unter⸗ fuhung fih zu Halten verſprach, waren durch ben Gegenſatz beftimmt, ben der Sprachgebraud zwilchen Gewohnheiten und Angemwohnheiten jelgte. Diefer Gegenfaß, dort feftgehalten, wo der Werth beider verglichen wurde, fcheint, feit die moralifche Bebeutung der Gewohnheit und ihre Wichtigteit für das Ih zur Sprache kam, ganz abhanden gekommen zu fen. Unwillkührlich ward dort von ber Ge wohnheit uur im Ganzen, und als gebe es Teine verſchiedene Arten derfelben, gejprochen. Zwar, ihr Unterfchied würbe wieder zum Borjchein kommen, wo die eine Art für die Rechte, die audere für die Pflichten ben Boden abgiebt, nicht aber ihr Gegenſatz, dem wo biejer fich zeigt, da wird der bürgerliche Verband nicht geknüpft ſondern vielmehr zerriffen. Wollen wir daher feftbalten, was die Sprache uns einprägte, daß Gewohnheiten und Angewohnheiten fich entgegen⸗ gefest find, und wollen dvenucd hen TB: Veheme
tung zuſchreiben, ſo werden wir uns nach Fällen um⸗ ſehen müſſen, wo gerade durch ihren Antagonismus Gemeinſchaft zu Stande kommt.
Aber darf auch jener Gegenſatz noch feſtgehalten werden? Iſt er nicht, trotz aller Autorität bes Sprach⸗ gebrauchs, aufzugeben, feit fich gezeigt hat, baf beide unter dert gemeinfchaftlichen Begriff (oder Unbegriff) ber befreienden Feſſeln, oder der in Banden fchla- genden Befreier fallen? Daß dies nicht nothwendig ift, dafür giebt uns die Naturwiffenjchaft einen deut- lichen Wink, den freilich der verachten wirb, welcher in der Ratur nur Geiftlofes fieht, und in dem Geifte nur Unnatur, der aber willlommen heißen, welcher weiß, daß in beiden dieſelbe Vernunft fich zeigt, die- ſelbe Weisheit waltet, und welcher eben darum bet aller ihrer Verſchiedenheit in der Natur aufflärende Analogien des Geiftigen, in den geiftigen Erſcheinun⸗ nungen Winke zum Verſtändniß der Natur findet. Die nun unter den Naturwiffenjchaften, von deren Süßen der Bater der englifchen Naturphilofopie, Lord Bacon, ahndete, was der Schöpfer ber deutſchen Raturphilo- fopbie, Schelling, geradezu ausſprach, daß fie die allgemeinften und fundamentalften Naturgefeke am Meiften enthüllen, bie Chemie lehrt, daß der aller- änferfte Gegenfats immer dort Statt findet, wo aus analogen Factoren Beftchendes Ti yenenilter IL“
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Säuren und Bafen find beide Sanerftoffverbindumgen. Man hat die Erfcheimungen des äußerſten oder dia⸗ metralen Gegenjates, weil biejelben zuerft an dem Magnet genauer betrachtet wurden, lange Zeit in Deutſchland polarifche oder Erjcheinungen der Pola- rität genannt, ein Name der allerdings dort, wo es fih um electriihe oder chemifche Gegenſätze han⸗ delt, nicht ganz pafjend ift und vielleicht beffer mit dem deutſchen Worte Spannung, geſpannter Gegen⸗ fat, oder einem ähnlichen vertaufcht würde. Der maßlofe Zorn aber, mit dem in neuerer Zeit eracte Naturforfcher über den armen Ausdrud berfallen, in Folge defjen Jeder von vornherein für einen Confu⸗ fionarius gilt, der von Polarität dort fpricht, wo es fih nit um Endpunkte einer Linie, fondern um Stoffe handelt, hat etwas Seltfames, fo lange fie ſelbſt den Blit eine electriiche Erfcheinung nennen, woraus ein Purift, wie fie jelbft, folgern könnte, daß fie den Blitz für etwas Bernfteinernes erklären. Die- ſelbe Nadhjficht, die man dort dem Worte „Electrifch“ erweift, wird auch hier in Anſpruch genommen, wenn im weitern Verlauf diefer Unterfuhung der Gegenfat zwifchen Gewohnheiten und Angewohnheiten ihre Po- larität genannt werden ſollte. Es handelt fi näm⸗ lich darım, zu zeigen, wie das Berhältnig von Manz and Weib, denen wir je Eur der beiden a rer Do-
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mäne zugewieſen hatten, gerade durch den polaren Gegenſatz beider beſtimmt wird, und wie dieſer Gegen⸗ ſatz Formen annimmt, die an magnetiſche, und wieder ſolche, die an electriſche und magnetiſche Vorgänge erinnern.
Wo ſich das Verhältniß erſt knüpft zwiſchen dem Manne, der feine Gewohnheiten und dem Engel, der feine Angewohnbeiten hat, da wirken beide aufeinan» ber, wie der Nordpol eines Magnets auf den Süd- pol der magnetifchen Nadel. Man hat es wohl fchon erlebt, daß das Krausziehen der hübfchen Stirn, das Aufmwerfen des Näschens, das fpöttifche Schiefziehn des Mundes allerliebft gefunden wurde als eine jolie petit moue, daß grotesfes Mienenfpiel, womit die Worte eines Andern, die Bewegung des ganzen Kör« pers, womit die eigenen begleitet wurden, eine ganz reizende Lebhaftigfeit genannt ward. Und eben fo braucht man nicht gerade in fremde Welttheile zu reifen, um zu fehen, daß ein jchönes Kind mit dem Fidibus heranfpringt, weil fie e8 jo amüſant findet, daß „Er“ raucht, „nein fo amüſant!“ In dieſer Zeit wo es ein glüdlicher Fund ift, etwas Neues zu ent- deden, woran „Er“ hängt, oder was „Sie“ nie unter- läßt, ziehen Gewohnheiten und Angewohnheiten an, weil fie piquant find.
Daß es bamit nicht abgeiham Ken Tun, \KSEN.
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ſchon die Grammatik, indem wo Eines piquant iſt, nothwendig ein Anderes piquirt werden muß. Wollte Einer dieſe Regel außer Acht laſſen, fo würde dem Schnitzer, ben er begeht, ein firenger Corrector, bie Zeit, die Jahre, nicht ausbleiben. Mit diefen tritt ein Moment ein, wo, wer Selbitgejprädhe zu befau- {chen verfteht, viel Neues lernen Tann. „Diefes fa- tale Rauchen, Heißt es jetzt, ich laſſe mir es nicht ausreden, es muß umngejund fein.“ Und wieder: „Dieſe abjcheuliche Manier, das Geficht zu verziehen, fie wird mir noch ganz häßlich darüber.” Iſt nun Eines fo undvorfichtig und hält diefen Monolog Yant, fo kann es bald in dem einen Zimmer bes Haufes einen Qualm geben, von dem es gewiß nicht heißen wird: „nein jo amüjant“, und in dem andern eine moue, die nur ein Verläumder petite nennen kann aber auch nur ein Schmeichler jolie. In beiden Räu- men wird übrigens der Hauptgrund bes Verdruſſes die Sorge um das Andre fein; hier die um „Seine“ Gefundheit, dort die um „Ihre Schönheit. Beides ift eigentlich Kurus, denn trots alles Rauchens iſt „Er“ terngejund, und „Sie“ wieder wird von aller Welt ganz hübfch gefunden, aber diefes Motiviren des eigenen Aergers bient, gleichſam als hinüberleitender Accord, dazu, den Uebergang von der früheren Moll⸗ 3u ber gegenwärtigen Dur-Tonart var 16 RR wunl.
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ger grell erfcheinen zu laſſen. Grell aber ober nicht, der Uebergang ift gemacht und bie Polarität von Gewohnheiten umd Angewohnheiten bringt hier Er⸗ ſcheinungen hervor, ber ähnlid), wo zwei electrifizte KXügelhen, die emfig nad) Vereinigung firebtge; jo- bald dieſelbe erreicht if, plötzlich auseinander fprin- gen. — Würde Jedes vorausfehen, daß biefes elec- teifche Stadium nicht ausbleiben Tann, fo wurde mandje, ſonſt gleichgultige Gewohnheit gelaffen were ben, fo lange es noch geht, und mandje Heine Ange wohnheit würde nie entfichen. Mit Abſicht ſpreche ich hier von Gfleihgültigem und von Kleinigfeiten, denn biefe find hier gerade von der größten Wichtig keit. Wie eim fehmerzhafter Stoß, ja eine ernfthafte Berletzung, mit mehr Geduld pflegt getragen zu wer⸗ den als ber leiſe Kitzel, wenn eine Fliege fih zum Hunbertfien Mal auf unfere Stirn ſetzt, fo kann das unerwartete Hervortreten einer Differenz in jehr wich ⸗ tigen Fragen einen ſchmerzhaften Zufammenftoß bes dingen, der dem einen ober beide Theile fehr verletzt, und ift doc) weder fo unangenehm noch von fo nach⸗ haltiger Wirkung, wie biefe Heinen Berftimmungen, die nur dadurch hervorgerufen werben, daß es zur Angewohnheit wurde, alle Selbſtgeſpräche mit Kopfe ſchutteln zu begleiten, oder jede Antwort mit „Nein“ oder „Aber“ zu beginnen. Es it chen qua wu ir
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dem Electriſiren. Nicht ſtarke Stöße an die Glas—⸗ ſcheibe, bei denen ſie laut aufſchreit, ſondern das leiſe unhörbare Reiben derſelben füllt die Leibner Flaſche und eben fo leiſe und unmerklich erhält mancher Mann, der ihr gleicht, feine electrifche Ladung. Da fteht an der Electriſirmaſchine feines häuslichen Lebens eme liebe Seele, und ohne zu wilfen, iwas fie anrichtet, dreht fie und reibt fie drauf zu. Sie ahndet nicht, daß was fie für ganz unbedeutend hält, und was es auch vielleicht ift, durch das Immmer- und Immer⸗ wiederfoinmen, den Mann in jene Spannung gebradjt bat, in der wir anfangen anfzupaffen. In faft ängft- licher Erwartung fteht er ſchon da. „Sekt kommt es” — jett wird fie gleich ſchütteln — jet fagt fie ganz beftimmt Nein — jet — jet“ — da bedarf es nur einer unvorfichtigen Berührung und — prif! — der Funke ſchlägt heraus.
Bliebe es nun bei dieſem electriſchen Stabimm, wie wir es nannten, jo würde die BPolarität der Gewohnheiten und Angemwohnheiten in Teinem Haus⸗ ftande das Wetterleuchten aufhören laffen, ja in man⸗ hen würde bald Feuer im Dad) fein. Der Berlauf aber des chemiſchen Gegenſatzes giebt eine tröftliche Verheißung. Nicht darin, daß, wenn ſich entgegen- geſetzte Subftanzen zufammen gegoffen werben, das erfte Aufbraujen und vie Star in ver Tlüftgleit fich
verliert, die weder fauer noch alkaliſch ſchmeckt und enhig und fühl das Glas füllt; das infipide Pflegma ohne Spiritus, welches dort eintritt, wo man durch Sie abftumpfende Kraft der Gewohnheit empfindungs- Jo8 wird gegen die Angewohnheiten, die zuerft piquant erfchienen, ſpäter piquirten, — diefen Zuftand wird Keiner für einen glücklichen anſehen. Nein, ich denke an jene Ausgleichung des chemifchen Procefies, wo nicht, wie in dem Phlegma, bie Heinften Theilchen beider Subftanzen gleichgültig und leicht verſchiebbar neben einander Shwimmen, fondern in inniger Durch⸗ dringung fie einander Halt und Feftigfeit geben, fo daß ein Neues entiteht und ein Schöneres als fie, iu der Tremung ſowohl als in dem Aufbraufen, zeigten, der Kryftall. Diefem innigen fih Durd)- dringen und Aneinanderhalten entjpriht der Zu⸗ fand, wo den Angewohnbheiten nicht die befreiende Macht der Gewohnheit entgegengeftellt wird, durch die man hart und unempfindlic) dagegen wird, fon: dern vielmehr die Seite der Gewohnheit begegnet, vermöge der fie unfere Herrin wird, jo daß aljo der Mann nit fo der Heinen Angemohnheiten feiner Frau gewohnt wird, wie ber Müller des Geklappers, auf das er nicht mehr achtet, fondern vielmehr fo, wie wir den ganz zuerft erwähnten Dann an den Kaffee ge» mohnt fanden, daß er alfo fie nicht miiien mag, Wil ÄT
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ihm zum Bedürfniß und Genuß wurden. Wiebermm wird ihr, in biefem Stadium chemiſcher Durchdringung, feinen Gewohnheiten zu Willen zu fein, fo fehr zur An⸗ gewohnheit werden, daß fie e8 thut, nicht wie dort we der Reiz der Neuheit es piquant machte und amüſant, fondern weil fie es nicht laſſen kann. — Jede nene ſolche Berftridung von je Gewohnheit umd Angewohn- beit wird da ein nenes Knötchen in der umauflöslichen Berfiridung, in welcher zu ihrem Glücke beide Ge- chlechter fih gefangen finden, und die man mit bem Worte Liebe bezeichnet. Selbit dem Mißbrauch, dieſes Wort für jede Gewohnheit zu brauchen, wie im: „Jaime a manger“ oder „er liebt den Wein‘ Tiegt etwas Wahres zn Grunde: zwar nicht jede Gemohn- heit ift Liebe, aber jede wahre Liebe ift Gewohnheit ja fie ift Gewohnheit in einer höheren Potenz. Das eigentliche Wefen des Menjchen, das was mir fein Selbſt, fein Ih, oder aud) fein Herz nennen, ent ftand wie wir gejehen haben nur aus feinen Gewohn⸗ heiten und Angewohnheiten, e8 war nur ein Geſpinſt aus dem, wovon und was er nicht lafſſen Tonnte. Fragen wir aber, was man Liebe nennt, jo verfteht man darunter jenen Ing ber Herzen zu einander, der fie niht nur zu einander treibt, wie die electrifchen Kügelchen, fondern fie dahin bringt fih jo aneinander und ineinander hinein zu gerwituen, tot keines von
dem anderen, noch auch das laſſen kann, ſich ihm hin⸗ zugeben. Nun dann aber iſt auch das Werden und Sein ber Liebe, der Entſtehung nnd dem Weſen eines Ichs jo ähnlih, daß man es nur in der Orbnung finden muß, wenn von ihr gejagt wird, daß zwei Herzen zu einem werben, d. h. daß ein neues, weites res, weil fie Beide in fich befaffendes, Herz oder Ich. entfteht. Aehnlich, aber nicht bafjelbe, denn wenn jedes Ich vorher ein Geſpinſt genannt wurde, jo ift biefes neue und befjere Ich ein Gejpinft von Ge⸗ fpinften, d. 5. ein Gewebe; Gewohnheiten und An- gewohnheiten binden hier folche an einander, deren jedes jelbit nichts mar als eine Verbindung, ein Con⸗ bolut gleichfam, von Angewöhnungen und Gewohn- heiten, fo daß es im ſtreng mathematifchen Sinne zu nehmen ift, wenn wir die völlige Verſchmelzung zweier Herzen als höhere Potenz der Gewohnheit bezeichneten. Wie darum das Räthſel des Ich’, jo wird das Räthſel der Liebe Keiner zu Löjen vermögen, dem nicht zuvor fid) das geheimnißvolle Wejen der Gewohnheit erſchloß.
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Die Regel, daß was zuviel erklärt Nichts erklärt, kann bedenklich machen gegen eine Deduction, nach der, was wir den Wurm der nicht ſtirbt nennen hörten, durch daſſelbe entſtehen ſoll, was die Liebe entzündet, in der nach dem tiefſinnigen morgenländiſchen Dichter das Ich gerade ſtirbt. Wie ſchon einmal, könnte ich mich auf das Opium berufen, das ja auch belebt und tödtet. Zweckmäßiger noch ſcheint es, auch hier wie gleichfalls ſchon einmal geſchah, die Chemie als Rechts- beiftand anzurufen. Ihre Entdedung, daß ganz glei) zufammengefetste Subftanzen polymorph fein können, d. 5. fo verfchiedene Eigenjchaften zeigen, wie der Traubenzuder und die concentrirte Eifigjäure, die genau analyfirt ganz dafjelbe find, zeigt, daß es gar nichts Unnatürliches if, was wir vom Zufammen- treffen von Gewohnheiten und Angemwohnheiten be- hauptet haben. Ja hier könnte der feltene Fall ein- treten, daß der Piycholog feiner Lehrerin, der Chemie, mit eimem belehrenden Winfe danken könnte. Der Chemiker erflärte fic) jenen Polymorphismus etwa fo, daß die fi) verbindenden Grundftoffe das eine Mal fo, das andere Mal anders fi) an einander an- lehnen oder aufeinander fügen, warum aber gerade die eine Verbindung dem Wein feine Süße giebt, die andere eine ätzende Säure zeigt, das erklärt er für
unbegreiflich. Anders der Piycholog, wo er die ver- fchtedenen Weifen durchdenkt, in welchen bie beiden Grimdftoffe, die uns beichäftigt haben, Gewohnheit und Angewohnheit, fi) begegnen und verbinden kön⸗ nen. Er fingirt dazu den Fall, daß Einer, der be- fchloffen hatte e8 nie wieder zu thun, doch, weil in Folge häufiger Wiederholung er es nicht laſſen konnte, fi) darauf eingelaffen habe, hier einen Vortrag zu halten. Seine zur Angewohnheit gewordene Behand- Iungsweife Tann da auf ein Publikum ftoßen, das ihrer fo gewohnt worden ift, wie man es gewohnt wird, daß alles Halliiche nad) Braunkohle‘ riecht, und welches darıım als Urtheil über fie das nicht achtende: Wie gewöhnlich! ſprechen wird. Es kann aber aud der Fall eintreten, daß es der Zuhörerfchaft zur An- gewohnheit ward, dem Sprechenden Nachſicht zu zeigen und diefe ihre Behandlungsweife ift ihm fo zur fitßen Gewohnheit geworden, daß er, heimgefehrt, fie nicht mehr zu rühmen wüßte, als wenn er fagen könnte, fie fei gewejen: wie gewöhnlid. Ein und daffelbe Wort alfo dient hier dazu, das auszudrüden, mas aus dem Zufammentreffen von Angewohnheit und Gewohnheit refultirt; ein und derfelbe Ausdruc, denn was er bezeichnet ift wirklich das Product ganz gleicher Factoren, und doch glaube ich wirb Jeder bearesis,
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finden, daß das dadurch Ausgedrückte das eine Mal eſſigſauer ſchmeckt, das andere Mal ſüß. Von dem Pſychologen, der Gewohnheiten und Angewohnheiten betrachtet, glaube ich es nicht nur, ſondern weiß ich es gewiß.
Buchdruckerei von Gukan Lange in Berlin.
Vortrag
gehalten im wiſſenſchaftlichen Verein zu Berlin von
Dr. Erdmann, Profeffor in Halle.
Berlin.
Berlag von Wilhelm Herp. (Belferfge Buchhandlung.)
1861.
u
Hohe Derfammiung!
Der Umftand, daß Aberall von fünf Welttheilen geſprochen wirb, anftatt von ebenfo vielen Er dtheilen, kann al8 einer ber vielen Beweiſe, wie gern wir Men- {hen unferen Augenpunft als ven einzig möglichen an« fehen, ben Gebanfen nahe legen, daß fi mit dem, was wir Weltgefetge nennen, ebenfo verhalte; daß wir auch Hier auf die ganze Welt ausbehnen, mas nur vom einem Bruchtheil derſelben gilt. Müßte biefer Gedanke das Vertrauen zu ber Unverbrüchlichkeit erforſchter Ge⸗ fee erſchllttern, ſo wäre vor ihm zu warnen, benn ba ſolches Vertrauen, ſelbſt da wo es zu weit geht, das Wiſſen fördert, fo ift e8 ſogar dann weit dem Skeptieis- mus vorzuziehen, ber bie Kraft und Luft zum Forſchen lähmt, indem er bei jebem Gefunbenen uns zuflüftert: vielleicht ift e8 nur ein Wahn. Diefe Folge braucht aber jener Gebanfe nicht zu haben; hier fo wenig wie anber- wärts: Wer mit offnem Auge und Sinn bie Landſchaften des deutſchen Baterlanbes befucht, wird finden: daß kaum in einem Punkte der Holfteiner gany \o witue sn bentt, wie ber Tproler ober Bayer, uno Le Tu nr
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ganz anders als der Preuße, und doch wird dies ihn nicht dahin bringen, in beſchränkter Aufgeblaſenheit über Alles Zeter zu ſchreien, was anders iſt als in ſeinen vier Pfählen, noch viel weniger aber zu jenem gefin- nungslofen Kosmopolitismus, der Wirkungskreis, ge wohnte Sitte, angeftammte Regierung, gerade fo leicht vertaufcht wie eine Mietwohnung. Vielmehr werben ſolche Erfahrungen ihn veranlaffen, öfter und lauter als je Gott dafiir zu danken, daß er ein Preuße, und zu- gleich immer mehr zu flaunen vor dem Reichthum bes deutichen Geiftes, der ſolche Gegenſätze in fich zu binden vermag. Ganz jo fol auch der Gedanke: „PVielleicht beberricht, was du ein Weltgeſetz nennft, nur den be- ſchränkten Kreis, den du überſiehſt“, uns mit immer größerer Ehrfurcht erfüllen vor der Macht, die neben unferem Kreife alle anderen nad ihren Gefeen regelt, zugleich aber den Eifer verdoppeln, mit dem wir bie Unverbrüchlichfeit Der Geſetze darthun, die den unfrigen beherrſchen. Sei e8 darum wirklich der mittlere Stand unfere® Planeten zwijchen den beiden Extremen feiner monblojen und überbemondeten Gejchwifter, der ung, Kinder der Erbe, nöthigt, uns überall inmitten von Gegenfäten zu finden. Ihr Stand ift der ihrer Kinder, und fo find wir e8 ihrem und unjerem Stande fchulbig, biefer Nothivendigteit nayugeben. Der Menſch thut alfo was er muß und hat daher voltommen Re, wem u
als Geſetz des Denkens ausjpricht, daß von Jedem eines von zwei entgegengejeten gelte, ober als Geje alles Seins, daß alle Entwidelung auf dem Gegenſatze berube, ober endlich als Gefetz Des Handelns, daß nur im Kampf der Gegenfäge fich das Recht und das Rechte verwirkliche. Alle diefe Formeln unterwerfen das Al, vie finnliche fowohl als die fittliche Welt, dem Gegenüberftehen eines Pofitiven ober mit fi und Anderem Einigen, und eines Negativen, d.h. mit fih und Anderem Differivenden, Zwielpältigen; denn auf Diefen Orundgegenfak find, als complicirtere Formen bdesfelben, zuletzt alle anderen zu⸗ rüdzuführen. Kraft dieſes Gejetes fieht der Menſch ven Mittelpunkt feines Horizontes, das eigene Ich, als ein Doppeltes, als ein Pofitines in ſich Einiges, das er fein Inneres oder feine Seele nennt, und als ein dieſem Entgegengejetstes, das feine Differenzen mit der Außen⸗ welt ausgleicht, fein Aeußeres oder feinen Leib, und an . basfelbe Gejetz erfcheint er gebunden, wenn er von die⸗ fem Centrum an die äußerfte Grenze feines Horizontes fich erhebt, und num das Verhältniß Gottes zu der Welt in den beiden entgegenfetten Weifen denken muß, bie wir mit den Worten Erichaffung und Erhaltung. bes zeichnen, deren erfteres befagt, daß in der Welt Nichts von ſelbſt fei, während das zweite auf ein Gewährene laſſen binweift, vermöge dei die VBorgänar in er SAL aus ihr inwohnenden Geſetzen, d. h. van Kt, TÜREN
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So lange dieſe beiden Verhältniſſe auseinander gehalten werden, befindet ſich der Menſch im gewohnten Geleiſe ſeines Denkens, ſcheint ihm Alles verſtändlich, ſobald aber das Gegenüberſtehen, der Gegenſatz, aufhört, Gott mit ſeiner erſchaffenden Thätigkeit die erhaltende, jenes Gehen⸗laſſen, unterbricht, jo nennt er das unbegreif⸗ ih oder auch Wunder und Hagt, daß dabei der Ber- ftand ftille ftehe. Stille ftehel Im der That, fein ge- wöhnlicher Gang wird unterbrochen, wenn er vereinigt denken ſoll, was er bisher trennte, gerade wie ber ge⸗ wöhnliche Gang des Rechners unterbrodhen wird, wenn man ihm zuerft zumutbet, was nur pofitio fein Tann als negativ zu denken, und was er eben darum ein Srrationales oder Imaginäres nennt. — Der, wo wir hinbliden mögen, uns begegnende Gegenfag ift nun auch der Boden, auf dem allein uns ein Verftändniß aufgehen kann über das Weſen des Träumens, ba, wenn nicht gewilfe Formen des Gegenjates unfere Welt . beberrichten, e8 feine Träume gäbe. Eben darum möge es nicht als ein Abjchweifen von der Sache ericheinen, wenn zuerft dieſe Vorbedingungen des Traumes be- trachtet worden. Bon ihm und Solhem, das von feiner Art und ihm verwandt, follte die Rebe fein, die Aſcen⸗ denten aber bat man noch nie von den Verwandten ausgeſchloſſen, und mit den Voreltern pflegt faft jede Biographie zu begimnen.
1.
Der Theil der Welt, welchen ber mit Recht ſtolze und erchufive Menſch als den untermenfchfichen bezeichnet, dem er aber doch ben Abel bes Lebenbigen nicht ab» ftreitet, zerfällt in das Pflanzen» und Thierreich. Ihr Gegenfaß, der den Lord Bacon dahin brachte, das Tpier eine umgekehrte Pflanze zu nennen, nöthigt uns, nad dem Gefagten, dem einen pofitiven, dem anberen nega- tiven Charakter zuzuſchreiben. Dabei if es zweifellos, daß wenn dies geſchieht, das Pflanzenleben ale das pofitive, als mit fi) übereinftimmenbes Weben in ſich, gebacht wirb: fieht doch das Bewußtſein Aller in der Blumenwelt die Welt der Schönheit, d. h. ber inneren Harmonie, und das natürliche Symbol der Unſchuld und bes Friedens. Ebenſo bezeugt ben negativen Cha- ralter des Thierlebens, baf Jeder in den Schmerzen und Begierden bes Thieres, etwas Analoges zu den inneren Differenzen und Stürmen im menſchlichen Her- gen ahndet.
Derjelbe Gegenſatz, der bie untermenfchliche Welt in die beiden großen Geſchlechter ber Pflanzen und Thiere theilt, zeigt fi) innerhalb der Menichenwelt abermals in zwei Gefchlechtern, die aber nicht wie jene einander feindlichen, von einander, fondern {ür einnuher Wien. Zrogbem, daß an bie Stele Des Untagenauna Dt
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hier die gegenſeitige Anziehung trat, iſt der Unterſchied, ja der Gegenſatz, zwiſchen dem männlichen und weib⸗ lichen Sein und Leben kaum geringer als dort; das weibliche Sein und Weſen iſt von dem des Mannes ſo verſchieden, und ihm eben darum ſo merkwürdig und unergründlich, daß es manchem neugierigen Pſychologen vergeben werden muß, wenn er Jahre ſeines Lebens darum geben möchte, könnte er nur auf Donate, ja auf Wochen, gleich dem Tirefias, in eine Frau verwandelt werben, vorbehalten natürlich, daß er eine ganz deutliche Erin» nerung davon an feinen Schreibtifch zurückbrächte, wie es in einem Frauenberzen, namentlich aber in einem Frauenkopf, ausfieht. Darüber, welches der beiden Na- turreiche ſich in je einem ber beiden Gefchlechter wieder erkennen Taffe, fcheint nirgends ein Zweifel obgewaltet und darin die beiden Gejchlechter fih ganz frieblich getheilt zu haben, denn jo lange man denken kann, hat fih das eine Gefchlecht den Vergleich mit der Rofe und Lilie, das andere mit dem Löwen und Abler gefallen laſſen, dagegen eine Bezeichnung mit weiblichen Thier⸗ namen (von der Schnede und Spinne durch Die Schlange und Rate hinauf bis zur Meerlate) pflegt dort nie als eine Schmeichelei aufgenommen zu werden. Auch bier formulicen wir alfo nur, was allgemein zugeftanden wird, wenn wir jagen, daR her weibliche Menſch ber vofitive, ber männlige ver megpküor \Ki, Kar wuR wur
der Bosheit zu fürchten, die etwa ſagen könnte, daß gerade bei dem weiblichen Gefchlecht fich öfter eine ge⸗ wife Vorliebe für das Nein-fagen zeige. Abgeſehn davon, daß dieſe Malice Doch gar zu wohlfeil wäre, würde das Factum — gefetst, es wäre richtig — viel mehr für als gegen unfere Formel ſprechen. Es bewieſe nämlich, gerade wie bie nicht zu beftreitende Thatfache, daß Männern Nichts Lieber ift als das Jawort, daß jedes der Gefchlechter befonbers nach dem ftrebt, was bes anderen ift.
Der Gegenſatz des Pofitiven und Negativen, der bie untermenjchlihe Welt in die pflanzliche und thierifche, bie menſchliche in die weibliche und männliche ſchied, tritt aber noch näher an das menschliche Individuum heran, indem nicht ein einziges eriftirt, das nicht bald in einem pofitiven, bald in einem negativen Zuſtande fih befände. Jener beißt Schlafen, dieſer Wachen. Die Zufammenftelung des Schlafes mit dem Pflanzen- leben, zu ber die Bezeichnung beider als. pofttiver Das feinsformen nöthigt, wird fchwerlich Anftoß-erregen, ba man e8 gewohnt ift, den Schlaf ein Begetiven nennen zu hören. Defto mehr aber feine Zufammenftellung mit dem weiblichen Leben, wozu berjelbe Grund zwingt; da muß man fich, jo fcheint es, ſchämen vor den galanten Sranzofen, bei denen nicht nur, wie üei 08 ui, V Schlaf männlich, fondern gerade vos Woryen Rt
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gedacht wird. Der Grund ſolches Anftoßes und ber Grund, warum der franzöfiihe Sprachgebraud für ga- lant gilt, liegt einmal in dem, bei Manchen vorkom⸗ menden Irrthum, daß der Schlaf blos ein Zuftand des Leibes fei, zweitens aber in dem ſehr weit verbreiteten Wahn, daß er fih zum Wachen verhalte wie der Müßig- gang zur Arbeit. Gegen ven erjterwähnten Irrthum ift nur zu bemerken, daß überhaupt Leib und Seele nicht wie zwei Fremde zu einander ftehen, bie fich zu einem Gejchäft, höchſtens zu einer Reife auf gemeinjhaftliche Koften, ver- banden, fondern Daß e8 Das eine Ich ift, welches, weil der Welt der Gegenfäke angehörig, ſich als Aeußeres oder Leib und als Inneres oder Seele weiß, und daß eben deswegen, wie der ganze Menſch wacht, fo auch der ganze Menih fchläft. Schwerer ift es, mit dem zweiten Irrtum fertig zu werben. Man ift e8 fo ge« wohnt, daß im Intereſſe des. Arbeitseiferd dariiber ge- Hagt wird, daß der Menſch ein ganzes Drittheil feines Lebens verichlafe, daß der falt ein jchlechtes Vorurtbeil gegen feinen Fleiß erweckt, der in jene Klage nicht ein» fiimmt, und doch hat fie, vom Stanbpunlte richtiger Piychologie angejehen, nicht mehr Recht, als wenn Einer e8 bedauerlich fände, daß man zwei ganze Dritttheile feines Lebens verwache. Wer da jagen wollte, ja aber es mwerbe body währenn des Schlafes Nichts getban, ber alide Einem, der vom Seeleben HR mo un un
t, wenn das Schiff in den Hafen lief, ba.baben Matrofen nichts mehr zu thun. Höre man nur al in einem Hafen das Hämmern und Pochen, he man ein Schiff, das dort liegt, und jehe, wie ein Segel geflidt, dort eine gefprungene Plane t, bier Ballaft und dort Mundvorrath eingepackt, getheert und dort gepußt wird, und man wirb mehr von Müßiggang ſprechen. Dem Schiff im n gleicht der jchlafende Menſch; zwar nicht beſchäf⸗ mit den MWogen der Außenwelt, deren Einbrlide iht aufnimmt und in die er keine Veränderungen nträgt, flickt und beflert, padt und putzt er an fich x. Leiblih, indem die Functionen, welde der Er- ung bienen, fortgehen und nun die Organe, bie rend Des Wachens vor anderweitiger Arbeit ihre zeit nicht halten konnten, wie das Gehirn, Die Ner- die Muskeln, welche beſonders angeftrengt wurben, zu dem Shrigen kommen; innerlich oder pfuchiich, m bie vielen Eindrücke zurechtgelegt, die Spuren unbeveutenberen getilgt, die mächtigften dem Ach paßt und einverleibt, man möchte jagen, ins Haupt- eingetragen werben. Darum liegt fo unendliche zheit in ber Weifung, eine Sache zu beichlafen, in Warnung, die Sonne nicht untergehn zu laſſen einen Zorn. Der lebhafteſte Streit, Ver nur en afengehen beigelegt wurde, X Wa en x
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leiſeſten Groll, mit dem wir einſchlafen, denn damit wird der Anfang zu dem gemacht, das, weiter fortgeſetzt, den Groll zu einem eingefleiſchten Haß macht. Dieſes Einfleiſchen iſt Arbeit genug, darum wird nicht nur dort im Hafen die Theerjacke ungeduldig, wenn man ſie ins Geſpräch zieht und brummt etwas von Land⸗ ratten, welche meinen, es gebe nichts zu thun, ſondern bei Jedem gleicht der Aerger, mit dem man aus einem ſüßem Schlaf erweckt wird, aufs Haar dem, mit dem wir in einer wichtigen Arbeit geſtört werden. Wir wurden e8 auch wirklich, in der Arbeit des Uns» fammelns. Weil der jchlafende Menſch fich fammelt, aus der zer- fireuenden Beihäftigung mit der Außenwelt in fich felbft zurückkehrt, Deswegen ift der Ausprud, daß im Schlaf Das Selbftbewußtjein aufhöre, etwas bedenklich. Es verbindet fih damit leicht die Vorftellung, als komme uns unfer Selbft abhanden. Sollte, was fehr fraglich, ein ſolches Ab⸗ handenkommen überhaupt möglich fein, im Schlafe findet e8 gewiß nicht ftatt. Dies kommt vor, daß im tiefen Schlaf uns die Zufammenhänge mit der Außenwelt, die wir am Abend überjchauten, namentlich wenn wir eben in fie bineintraten, abhanden fommen, jo daß wir, am fremben Ort erwachend, uns fragen: wo bin ih? Auch Das kann im Leben vorkommen, was Calderon und Shafespeare and auf ber Bühne zeigen, daßz Einem alle Verhältniſſe, in denen er bisher gelebt hat orrjägeaunuen, und er wm
Erwachen nicht weiß, ob er Prinz oder Gefangener, ob Lord oder Keſſelflicker iſt. Ja ſogar dies iſt vorgekommen, daß der Schwerverwundete, den innerer Brand empfin⸗ dungslos machte, beim Erwachen den erſtorbenen Leib, den ſeine Hand berührte, für einen Bettgenoſſen hielt. Das aber iſt noch nie vorgekommen, und müßte doch, wenn man im Schlaf ſich ſelbſt verlöre, ſehr oft vor⸗ kommen, daß der Erwachende wüßte, nur Einer befinde ſich im Bette und doch verlangte, der Fremdling ſolle hinausgeſchafft werden. Der Schlaf iſt ſo wenig ein Abhandenkommen des Selbſtes, daß man vielmehr nie⸗ mals fo ſehr bloßes oder reines Selbſt iſt, nur in und mit feinem Selbft und für fein Selbft lebt als dann. Diefe Selbftinnigfeit, dieſer Selbftgenuß, von feiner Veiblichen Seite Behaglichkeit, von feiner ſeeliſchen Selig. feit, in feiner Ganzheit Gemütbsruhe oder Gemüthlichkeit, hat eben darum feinen Ärgeren Feind, als den inneren Zwielpalt oder vie Gemüthserſchütterung. Unentichloffen- heit ober gar Gewiſſensbiſſe ſcheuchen ven Schlaf vom Lager, ein Schred, mehr noch ein Aerger, im Zraum, macht ihm angenblidlich ein Ende. Den inneren Frieden heben als Weſen des Schlafes die fprlchwörtlichen Re⸗ densarten: wer fchläft, ſündigt nicht, er jchläft den Schlaf des Gerechten u. |. w. hervor; daß er Diefe Einheit mit fih ift, das bringt uns dahin, iüun AR ven α. Biumenhaften Zuftand, dasſelbe nntih, Ian a Sem
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liche Seite des Lebens anzufehen. Dabei ift es paffender, das Schlafen und Wachen dem Gegenjatz der Geſchlechter, al8 dem der Pflanzen und Thiere gleich zu ſetzen: nicht Gegner wie dieſe letzteren find fie, ſondern fich zugeneigt leben fie, wie jene für einander: Normaler Weiſe wacht man fich jchläfrig und ſchläft fih munter d. H. wach. Im dem Haushalt, welchen ver Menſch führt und fein Leben nennt, ift er, wo er wacht, ber fleißige Erwerber, wo er ſchläft, die wirthliche Hausmutter, jener baut, vertheidigt und erweitert, dieſe orbnet und ſchmückt das Haus, Wie aber, wenn alle vierunbzwanzig Stunden ber Menih in jenen Hausfrauenzuftand bineingeht, ift da nicht der Wunſch des neugierigen Piychologen erfüllt, jo daß e8 der leichtfinnig angebotenen Lebensjahre nicht bebarf? Leider fehlt gerade Das, um deſſentwillen er das Angebot machte: eine Erinnerung an jenen Zuftand, ein klares Bewußtjein Davon am Schreibtiih, das war der geforderte Preis. Jetzt weiß er wohl, wenn er er⸗ frifcht anffteht, e8 muß gar wohlig fein an jenem Grund des Seelenfriedens, wie wohlig aber weiß er jo wenig wie jener Fifcher ehe er hinſank. Die Welt, die er, nad fieben- ober achtftindigem Aufenthalt darin, beim Er⸗ wachen verließ, eriftirt flir ihn jo wenig, wie für jenes Bauermädchen das Leben der vornehmen Emigrantin eri- flirte, in das fie immer exit einteot, weun fe als Bäuerin einfchlief, Za, wenn es eine Communtcotion he air k
beiden Welten! Nun, Umnerfättlicher, auch dieſe giebt es; es fallen wirklich Streiflichter aus der einen in bie andere; Erjcheinungen, die, aus demfelben Grunde, aus welchem das Hineintreten ber ſchaffenden Thätigleit Gottes in die erhaltende Unbegreiflichleiten und Wunber gab, ale wunberlihe und rätbielhafte bezeichnet werben. Wir faffen viefelben alle unter dem Begriffe des Träumens zulammen und hätten aljo die Stammtafel besfelben von jeinen erften Ahnen bis zu unſerem eigentlichen Helden berabgeführt.
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Träumen beißt: Ichlafenb wachen; träumen heißt: wachend fchlafen. Beides heißt jo, denn Die Vermählung ber beiden Seiten, die wir am Menfchen unterjchieben, giebt Kinder beiderlei Gejchlechts: Der Sohn, welchen ver wilde Tag der ſüßen Nacht fchenkt, ift ver Traum, bie Tochter, mit der fie den Tag erfreut, ift Die Träumeret: Le songe, la röverie. Wenn in das ftille Blumen- leben des in fich ſchwelgenden Selbftes Die Beichäftigung mit der Außenwelt fällt, weil unfere Sinnesorgane, an⸗ ftatt zu ruhen, uns ihre Bilder vorgaufeln, fo nennen wir dies mit Recht: träumen, fligen wohl auch hinzu: im eigentlihen Sinne des Wortes, Warum auch nicht, wenn wir nur nicht vergefien, daR «8% «hen ie in Tage lichen Sinne gefprochen ift, wenn wir nom Rimme
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bort reben, wo während des wachen Tageslebens, wo die Sinne, dieſe Thore der Erfenntniß offen ftehen, ber Menſch dennoch von der Außenwelt nichts vernimmt, weil er in fich verſank, weil er, anftatt auf dem Ocean der Allen gemeinfchaftlichen Welt fein Schiff zu feuern, die Mannſchaft hinunterrief in ven Raum feiner eigenen, beſonderen Welt, um jeßt an feiner Argo zu fliclen und zu putzen. Im erfteren Falle, wo um Mitternacht bie aufgeregte Phantafle uns ihre Bilder vorzaubert, pflegt man fie phantaftiich, geifterhaft zu nennen und man hat ein Recht Dazu, denn weil fie zu ben Gejegen ber Welt nicht paſſen, in welcher fie ericheinen, fo gleichen fie wirklich den Geiftern einer anderen. Aber biefen felben geifterhaften Charakter haben Die ſpaniſchen Schlöffer, bie fich vor unferem Auge aufbauen, ober die Melodie die unfer Ohr uns vorfingt, wenn wir, vom Lejen eines Foliauten ermattet, uns zurücklehnen und der Phantafle, die jo lange ſchweigen mußte, die Zügel ſchießen laſſen. Dort folgten uns Bilder, Töne, Taft- und (obgleich feltener) Geſchmacks⸗ und Geruchsempfindungen in eine Belt, in die fie eigentlich nicht Hingehören, und erinnern an ihre Heimath, hier wieder kommt eine Botfchaft aus dem Lande der Innerlichkeit und nimmt uns fo in An- ſpruch, daß wir darüber den Geruch der ausgehenden Arbeitslampe, ja (obgleich feltener) Die Töne des ver⸗ Rimmten Leierlaftens wor wnierem enter UL weden,
Wo in aller Welt liegt der Unterſchied, der uns zwingen follte, das, was alle Welt Träumen uennt, nicht fo zu nennen? Wir fehen feinen und heißen darum beibes fo, fowohl wo die Frau in uns dem Manne etwas ins Ohr filiftert, al® das, wo unfere männliche Hälfte der weib- lichen einen Winf giebt.
Hier fragt fich zuerft: find dieſe Unterredungen in unferem inneren Hausftande nicht ſolche Uebergriffe wie bie, wo die Frau fih in Die Gefchäfte oder die wifjen- fchaftlichen Arbeiten des Mannes hineinmijcht, oder gar der Mann um die Geräthe der Küche fich kümmert, find fie nicht etwas krankhaftes? Unſerer Berufung auf das Alterthum, welches bie Träume unter die glüdlichen Sterne geftellt bat, und die Kinberwelt, die im Allge- meinen fo zu denken pflegt, wie jener Knabe, der befragt, wie er gejchlafen, „ehr ſchlecht“ antwortete und dies fo begründete „ich habe gar nichts geträumt“, Diefer wirb man vielleicht entgegenftellen, daß ja oft krankhafte Miß- bildungen Wohlgefallen erweden, und freilich, wenn man bebentt, daß die meiften Menſchen die Monftrofität der gefüllten Blumen den normalen, einfachen, vorziehen, ja daß e8 Solche giebt, die ganz entzüdt fein koͤnnen über die krankhaft geichwollene Leber einer Gans, fo muß man dies zugeftehn. Entſcheidender möchte darum dies fein, daß man Das Träumen A® end Sau anfebn muß, weil ſonſt vie game Wer din ik
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Hospital würde. Es hat nämlich noch nie einen Men⸗ chen gegeben (gleich nach der Geburt geftorbene Kinder vielleicht ausgenommen) der nie geträumt hätte, unb bie, welche um Leffing über alle Menfchen zn erheben, e8 von ihm fabeln, machen ihn nicht zu einem Gott, fondern zu einem Monftrum. Zunächſt die Träume und Zräumereien, bie kurz vor dem Einſchlafen und Aufwachen, darin beftehn, daß man dort Die Gedanken nicht mehr zufammenhalten Tann, daß Bilder und Wörter vor uns abichnurren, jo daß man feines firiren Tann, und wieber, daß hier beliebig hervorgerufene Phantafie- bilder eine Lebendigkeit befommen, wie niemals am Tage, diefe Träume des Halbfchlafes und Halbwachens, biefe wird kaum Einer leugnen. Aber auch hinfichtfich des ganzen Schlaf und des vollen Wachens könnte Jeder reift darauf wetten, daß mur jelten Einem eine ganze Nacht nichts geträumt habe, und noch nie Einer einen ganzen Tag jo aufgewedt war, daß er gar nicht träumte. Nur weil der Beweis hinfichtlich des Traumes fchwerer zu führen ift, als bei ber Träumerei, warb bort das vorfichtigere „felten“ bier das entichiebene „nie“ gebraucht. Bei den Träumereien beweift man, Daß anch das Wachen des Aufgewecteften nicht ohne fie war, birect und inbirect. Gerabezu, indem man bas Geftändniß erpreht, daR mitten im ſtrengſten Feſthalten einer Gedankenreihe, 2.9. Mieend ver Tiny da I
ſchwierigen Problems, dieſe und jene kreuzenden Neben⸗ gedanken durch den Kopf fuhren, für eine Zeit lang wucherten und ſo den Faden zerriſſen und zum Wieder⸗ anknüpfen nöthigten; indirect und anf einem Umwege, indem man ben, ber fih auf die Nebengedanken wicht befinnen kann, darauf binweift, daß, wenn feine folche Unterbreddungen flatt gefunden hätten, ber Faden ber verknüpften Gedanken jo glatt fein müßte, daß er ſich mit Leichtigkeit von der Spindel abhafpeln, ich meine, rückwärts bie ganze Gedankenreihe ſich reproduciren, Tieße. Wer dies mit den Gedanken eines Tages, ja nur einer Stunde, kann, dem will ich zugeſtehen, er ſei ganz auf⸗ geweckt geweſen, aber nur dem. Auf ſolchen inbirecten Beweis ſind wir nun auch bei dem gewieſen, der daraus, daß er beim Erwachen ſich nicht nur nicht darauf be⸗ finnen kann was, ſondern ob ihm geträumt hat, ſo⸗ gleich folgert, es ſei nicht geichehn. Da wir nämlich Die Dauer einer vergangenen Zeit nur nach der Zahl der Vorſtellungen mefjen, die eine Spur in uns nad fießen, jo Tann, wo bei dem Erwachen unjer Schlaf uns lange ober kurze Zeit gewährt zu haben Icheint, fein Zweifel darüber ftatt haben, daß im erflen alle viele, im zweiten weniger, aber immer Doch Bilder, d. h. Träume, den Heerb unferer Empfindungen umganlelt haben. Nur in den Fällen, wo «& ver Yuitnoigen \S iR, als wäre man im Augenktit ext Angetten, H
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es möglich, daß Einem wirklich nichts geträumt hat. Ob außer ber Kinderzeit, wo auch Dies für Abweſenheit ober boch viel geringere Anzahl von Träumen ſpricht, daß der Schläfer fiundenlang, ohne fi zu regen, in derſelben, oft jehr umbequemen, Stellung verharrt, ob außer ihr dies noch vorkommt, daß Stunden, die man verjchlief, wie ein einziger Augenblid ericheinen, das iſt die Frage. Oft gewiß nicht, vielleicht niemals. Es muß daher wiederholt werben: will man nicht Die Welt in ein großes Krankenhaus verwandeln, fo gönne man dem Träumen feinen Pla unter den gefunden Erfcheinungen. Wohl aber kann e8 in feinen beiden Formen krank⸗ haft werden. Dies gejchieht, wo es feine Grenzen überfchreitet, jo daß es mit der Welt in offenen Wider⸗ fpruch tritt, in ber e8 erſcheint. Da wird alfo, um mit dem Traum zu beginnen, dies eine krankhafte Er- f&einung fein, wenn die Traumbilder jo übermäßig Ieb- baft werben, daß darüber die Beftimmung des Schlafes verfehlt oder gefährbet wird. Nur dem Wachen gehört bie Direction der Bilder der Außenwelt, ihre will- kührliche Verbindung und Zerlegung an, aljo werben im Schlaf biefe Bilder nur dann nichts krankhaftes fein, wenn fie wirklich ohne Zuthun unferer Willkür kommen und fi verbinden. Wenn man, nicht nur im Halb⸗ fhlaf, den man, vbgleih wit Mühe, dvxch das Oeffnen ser Augen vertreiben Tann, Northern etwa ve ug Par
hindurch die Träume dirigiren konnte, fo hat man ſchlecht geſchlafen, fteht müde und abgeipannt auf, währen über⸗ raſchende, phantaftiiche Combinationen im Traume etwas Erfrifchendes haben. Eben darum hat der Schlaf feine Beftimmung verfehlt und war alfo fchledht, wenn wäh⸗ rend desſelben wiſſenſchaftliche Aufgaben gelöft, Kunftwerte geichaffen wurben; Das zeigt einen inneren Hausftand, in dem der Mann eine folche Paſſion fürs Einreifen und Umbauen bat, daß es ber Hausfrau unmöglich wird, je Ordnung im Haufe zu machen und wüſt und unorbentlich ſah e8 ficherlich in Tartini's Kopfe an jenem Morgen aus, wo er bie befaunte, im Traum vom böfen Feind ihm vorgefpielte, Sonate niederſchrieb. Ja, man kann dies noch weiter ausdehnen und alle Träume, in welchen bie Zagesbeihäftigung, wenn auch in, dem Schlafe ziemen- ber, phantaftiicher Weife fortgejegt wird, dem ſchlechten, Dagegen alle bie uns in ferne Länder und Zeiten führen, dem gefunden Schlafe zuweilen. — Nur dem Wachen ferner gehören bie Vorftellungen, welche den realen Vorgängen gemäß ablaufen, eben darum wird der ges funde Schlaf nur folhe Träume zulaffen, die von jener Ordnung abweichen. Wenn wir in Träumen das jehen und hören, was wirklich außer uns vorgeht, dann find wir krank. Ein tiefer, lange Zeit gar nicht unb auch jet nicht fo, wie er follte, beachteter Bunker vaus ſoſches Träumen, das er {heint aus Srialruag WÄRST
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zu haben, Wahrträumen, ein Name, der um fo pafien- ber ift, al8 man ja für ven Grad, bei dem nicht nur das ſchon Eingetretene, ſondern auch das fih Vorbe⸗ reitenbe geträumt wirb, mo es ausgeſprochen wurde, von jeher den Ausdruck Wahrfagen gebraucht hat. IM ſchon das Wahrträumen krankhaft, weil darin zur Unzeit der Menſch zum Spiegel ver Wirklichleit wird, fo das Wahrfagen noch mehr. Nicht nur, weil e8 ein höherer Grad ift als jenes, fondern weil darin, wegen des Ausiprechens, ein dritter Eingriff defien, was ich den Dann im Leben des Menfchen nannte, in bie Do» maine ber Frau flattfindet: Die zum Sprechen, wie zu allen andern willkürlichen Bewegungen dienenden Mus- fein, follen im Schlafe ruhen, böchftens zu jenen un⸗ bewußten, ven fogeniannten Nefler- Bewegungen dienen, mit berien aud im gefünben Schlaf der Schlafende tief anffeufjt oder eine Fliege verſcheucht. Der Schlaf ift ſchon ſchlecht, wenn dieſe ſehr heftig werben, wenn ver Schlafende ſich viel herumwirft, ſtöhnt, Wörter aus- ſtoßt; er iſt der Schlaf eines Kranken, wenn ber Schläfer fih aufrichtet, zufammenbängenn fpricht, das Bette verläßt, wandelt. Nachtwanbeln ift bis zur Krank⸗ heit gefteigertes Träumen, das mur bei fehr afficirtem Rervenfyfteni flattfindet und aufmerffamer Pflege bebarf. Ganz zerrüttet envlih mug ein Rerneufgftem fein, Damit
ib Bahrträumen, Dieetion ver Traun -Betuiiungn
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und Ausſprechen derſelben jo verbinden, wie es bei Eini⸗ gen geſchehen fein fol die künſtlich — durch Die ſoge⸗ nannte magnetiiche Manipulation — nervenkrank ge⸗ macht wurben. Das Mißtrauen, das gegen die Realität diefer Erfcheinungen ziemlich allgemein herrſcht, ift ſchwer⸗ lich geringer geworben, feit ein, durch feine Großſpreche⸗ veien berühmter, franzöfiicher Schriftfteller fie in feinen Mö&moires d’un medecin recht ſpannend dargeftellt und ipäter als jelbft erlebt in Schuß genommen bat. Bon beiferen Männern aber als er habe ich, tbeils in dem, was fie geichrieben haben, theils mündlich, jehr Aehn⸗ liches vernommen und Einem, der nicht Arzt ift, ziemt ed nicht, die Grenzen zu beftimmen, bis wohin ein Menſch trank werben kann.
Wie der an fich gejunde und Darum fo Iuftige Traum, ebenio kann die an fih normale und darum ſüße Träu- merei das Maß überfchreiten und zur Krankheit wer- ben. Dies geichieht, wo fie den wachen Menfchen nicht nur für eimen Augenblid von der Außenwelt abzieht, fondern ihm die Theilnahme daran bleibend und ganz unmöglich madt. Die Stufenfolge krankhafter Erjchei- nungen bier, ift natürlich der bei dem Traume angege- benen gerade entgegengefeßt: Was dort ein Mafftab war für die Steigerung der Krankheit, wirb bier zur Geſundheits⸗Scala. Ie größer hier vie KWBKAKßä. se. wachen Zraumbilber ſelbſt zu Ienten, am wire we
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niſchen Schlöffern zu bauen ober ben Bau zu unter⸗ brechen, befto gefunber ſind wir. Ebenfo, je mehr ſich in unjeren offnen Sinnen die wirkliche Außeumelt ab⸗ fpiegelt, und je mehr wir unfere Sprachwerkzeuge nnb Bewegungsmuskeln in unjerer Gewalt haben. Drängt fih aber während des Wacens ein Traumbilb fo un⸗ wiberftehlich vor, daß es Die Wahrnehmung ber Außen- welt alterirt ober gar verbrängt — das Erftere pflegt man Illuſion, das Zweite Hallucination oder Viſion zu nennen — ober aber, verfintt der Menſch jo in fi ſelbſt, daß er gar nicht Dazu gebracht werben kann, ein Spiegel der Außenwelt zu werben, endlich: entreißen ihm feine Träumereien jo bie Herrſchaft über Sprach⸗ und Bewegungsmusfeln, daß er ihnen gemäß jprechen, gefticuliren, endlich handeln muß, oder wieder, weil fie Die Organe feſſeln, nicht ſprechen, nicht handeln, viel leicht nicht einmal fich regen Tann, dann ift bie Krank⸗ heit eingetreten, die wir Wahnfinn nennen, bie wir alſo als das Gegenftüd zu den höchſten Steigerungen des krankhaften Traums, dem Wahrjagen und bem Nachtwandeln bezeichnen koͤnnen. Mit dem erſteren bat ſchon Plato den Wahnfinn verglichen (in feiner Zufammen- ſtellung von Mantik und Mauie, was Schleiermacher geiftreich mit Wahrfagen und Wahnfagen wiebergab) mit dem Nachtwandelnden pAeat ber eugliiche Sprachgebrand; bes Wahnſinnigen yulamımenyoftlien, ver Tr ie nie
ſelbe Wort hat. — So ſüß darum das ſich Ergehen in Träumereien iſt, und ſo ſehr es, mäßig genoſſen, den Kopf erfriſcht, ſo nippe man doch vorſichtig von dieſem Trank. Schon Manchem iſt das fortwährende Träumen von einem Gewinnſt, in der Lotterie ober durch eine glück⸗ lie Speculation, manchem Anderen das Ausmalen eines zu erbauenden Haufes bis in® Heinfte Detail, wenn jener — wie es wahrfcheinlich ift — nie eintritt, dieſes nie zu Stande kommt, die VBeranlaffung geworben, baß flatt zn gewinnen, er verlor, ben Verſtand nämlich, und daß Das Ende feiner finureihen Arrangements auf dem Papier, ein Derangement wo anders war, Der praftiiche Menjchenverftand warnt mit Recht davor, fi) Etwas in den Kopf zu feen, unb Doc, wie leer würde es in ihm ausjehn, wenn man gar nichts hineinfetttel Wie vom Erhabnen zum Lächerlichen, jo ift auch vom Schön⸗ ſten zum Entjeglichften nur ein Schritt. Uns fchauert vor Entzüden, wenn wir der Träume unſerer Jugend gebenfen, und wieder: „welch ein entlegliher Traum“ fo haben, gleih mir, Viele gedacht, wenu fie bie Un⸗ glücliche in einfamer Zelle fahen, bie Jahre lang, den ganzen Tag, unterbroden nur durch wenige Stunben Schlafs, Angftichreie ausftieß, gleich dem, den die Flamme ergriff. Aehnliches mochte die Aermfte wirklich träumen. Mochte, nicht mag. Denn was menkhliher Aut WÄR gelingen tonnte, eine höhere Mask Typ Br Nr N
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Erwachen bringen. Und auch in dieſem Falle ward, wie Aehnliches oft geſchieht, der herannahende Tod, denn dieſer war es der zum Wecken geſandt wurde, von der ruhig gewordenen Kranken mit dem laut ge⸗ ſungenen: „Nun danket alle Gott“ begrüßt.
3.
Nachdem die Vorbedingungen des Träumens und ſein Weſen im geſunden ſowohl als kranken Zuſtande erörtert, bleibt die Frage übrig: woher es kommt? Wer mit diefer Frage nur erfahren will, wie das Träumen entfteht, dem muß die Antwort des Phyfiologen, daß im Traum durch eine Alteration des im Gehirn vor» gehenden Ernährungsprocefies, bei der Träumerei Durch einen urjprünglich beliebigen Gedanlen, die Central» theile des Nervenſyſtems zu ihrer eigenthlämlichen Thätig⸗ feit, zum Hervorbringen von Bildern, gereizt werben, um ſo mehr genügen, als ſich Daraus auch erklären Ließe, warum uns die Traumbilder im Schlaf als ohne unjer Zuthun gegebene, und darum wirkliche Dinge, unfere Luftichlöffer dagegen als Gebilde unferer Phantafle er⸗ fheinen, ein Unterſchied, den ja auch der Sprachgebrauch anbeutet, ber bort ven palfiven Ausprud anwendet mir bat dies — hier den activen: Ich habe Dies geträumt. Der Pfycholog aber, wenn er mac dem Woher ber
Träume fragt, will wid wege when. war Ya
_ N — giebt nur an, durch melde Thür der Bote einer fremben Welt hereintrat, darüber, wer ihn fanbte und was er meldet, fagt fie nichts, fie erflärt nur, daß wir, nicht was wir träumen, nur das Dafein, nicht den Inhalt ber Träume, und wo wir biefen hernahmen, bas wollten wir minbeftens ebenfo gern ald Jenes wiflen, als wir fragten: wo fommen unfere Träume her?
Soll nicht alles bisher Geſagte zurüdgenommen werben, fo muß bie Antwort lauten: lediglich aus bem eignen Selbſt. Was nicht in mir, wenn auch ſchlum⸗ mernd, liegt, das kann nicht in mir erwachen, wie denn noch nie einem Menſchen von Empfindungen eines festen ober fiebenten Sinnes träumte, geſchweige benn, daß je ein junges Mädchen ſich als ehrwurdigen bärtigen Greis geträumt hat. Nur was id im Wachen könnte, taun id im Traum. Dies giebt einem jeben Traum eine Vebeutung, eine viel größere als bie ift, von ber die Traumbücher fabeln. Gar Vieles nämlich, was im wachen Leben ſich nicht heransiwagt, fei e8 eine Frucht, eine Hoffnung, ein Wunſch, eine neidiſche Regung, das offenbart fi manchmal ſehr rüchſichtslos im Traum, ſo daß man ſich ſelbſt ſehr oft aus den Träumen, die man hat, den Andern aus denen, die er erzählt, von einer ganz neuen Seite kennen lernt. Nicht nur der Umgang des Dienfcen, auch was wub wir ur au, läßt uns Schläffe ziehn auf da®, war it. GAR
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der Träumereien giebt dies Jeder zu, von dem Moraliſten, der die verdorbene Phantaſie tadelt, bis zu dem Helden der einft jo gefeierten Mysteres de Paris, der, um feine Leute kennen zu lernen, fie dahin bringt, daß fie vor ihm ſpaniſche Schlöffer bauen. Defto ſchwe⸗ reren Stand hat man mit der Behauptung, Daß auch das, was dem Menſchen träumt, fein Wefen aufbede. Denigftend wenn diefe Behauptung allgemein gehalten wird, denn in feltiamer Inconſequenz findet man es in der Ordnung, daß Tartini die Sonate, bie er im Traum fpielen hörte, als feine Compofition herausgiebt, Dagegen ein Verbrechen, das man im Traum begeht, das ſoll uns nichts angehn. Verſuchen wir es, bie Weisheit des alten Philofophen, Der zu den Unterſchieden der Guten und Böſen auch dieſes rechnet, daß jene fich böchitens im Traume erlauben, was dieje auch im Wachen tbun, und des Sprachgebrauches, der von dem ganz Une ſchuldigen fagt: dem falle felbft im Traum nichts Schlim⸗ mes ein, verfuchen wir fie zu rechtfertigen, indem wre zuerft den übermäßig lebhaften Traum ins Auge fallen. Wenn jener Abt, der einem feiner Mönche einen ſtren⸗ gen Verweis gegeben, benjelben nachtwandelnd in feine Zelle treten und mehrmals mit dem Dolch in fein (des Abtes) Bette ftoßen fieht, und daraus auf des Möndhes rachſüchtiges Gemüth ſchlietzt, fo if uns feine Berechti⸗ gung, fo zu ſchließen, \onnentiar. Sun ven, nn u
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dem höchften Grabe des Traums fo ſonnenklar if, warum ſoll Daß bei einem niebrigeren abfofut falſch fein? Es fühlt uns nicht ein, den orientaliſchen Tyrannen in Schuß zu nehmen, ber feinen treuften Diener hinrichten läßt, weil ex fi im Traum als Sultan ſah, — (bie Dummheit, dies zu erzählen, war das Gtrafbarfte an ber Sache) — aber nicht nur jener Tyrann benft vom Traum, was Schiller vom Wein jagt: „er erfindet nicht, er ſchwatzt nur aus" — fonbern hierin ftellen ſich auf feine Seite unfer Gewiſſen und unfre Erfahrung. Jenes indem, wenn Einem von einer niebrigen That träumte, bie er beging, er nicht darüber lachen Tann, fondern ſich ſchämt. Diefe, indem mehr als Einem in biefem Saal ein Traum offenbart hat, wie er hinſichtlich Diefes ober Jenes gefinnt ſei. Wie eine große deutſche Künftlerin als Gretchen bie Worte bes bbſen Geiſtes fich ſelbſt zuflüftert und davor erfährict, gerabe fo macht es Jeder, bem ba träumt. Was er zu fidh fpricht, if oft Solche, das er im Wa⸗ hen ſich nicht zu geſtehen wagte, ober was fo leiſe er- Hang, daß das Geräufc des Tages es Übertönte und was nun, hörbar geworben in ftiller Nacht, ein ganz neues Geheimniß zu offenbaren ſcheint. Das thut es auch wirklich, nur wird barin nicht wie ber Abergläubige meint, ein Geheimmiß ber Außenwelt fonbern eins bes eigenen Herzens enthiillt. Wenn voir im Traun run zauben und morben ſehn, ſo tert wa Tin hir ol
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er fähig ift, wohl aber weß wir ihn, wenn aud im verborgenften Winkel unferes Herzens, fähig halten. Daf ſich im Traum das eigne Selbft offenbart mit Allem, was in ihm fchlummert, Das erklärt einmal warum, namentlich in jüngeren Jahren, wo man noch viel Un- befanntes in ſich zu entbeden bat, die eigenen Träume fo intereflant find, anbrerjeit® warum fie Andere nicht interelfiren, jo daß in der Gefellichaft ver als übernaiv er- ſcheint, welcher anfängt von feinen Träumen zu erzählen. Die Gefellichaft ſchätzt den Menichen nicht nach dem, mas in ihm ſchlummert, fondern nach dem, was aus ihm her⸗ auskommt, für fie ift Ieber, was er für Die Welt if, fein in fich webendes Selbſt ift ihr ziemlich gleichgültig. Die Zulammenftelung des Trankhaften Traums mit dem gefunden, vermöge ber nicht nur bie mörde⸗ rifche Abficht. des Nachtwandlers, fondern jeber Traum dem Schläfer ins Gewiſſen geſchoben wurde, ſcheint ab- gefehn von allem Anderen ſchon darum ungehörig, weil fie zu wiberfinnigen Confequenzen führt. Wie fich zum Nachtwandeln der Traum, fo verhielt fich die Träumerei zum Wahnſinn. Wil man nun, wie eben geichab, das Geſunde dem Kranken gleich fegen, jo wird man, ba der Geſunde zur Rechenfchaft gezogen wurde für feine Zräumereien, am Ende gar den Kranken verantwortlich machen für feinen WVohnliun. Nun, und warum nicht? — Bon der früheren Barbarei, werke ven Buutesingn
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als einen Beſeſſenen zu dem Verbrecher ſperrte, ſind wir glücklicher Weiſe zurücgelommen, ebenſo von ber Theorie, bie conjequent durchgeführt an bie Stelle ber Irrenanftalten zwar nicht Strafe aber Befferungepäufer gefeist hätte. Ob aber nicht bie Anficht, bafı ber Wahn finn eine Kranfpeit fei wie alle anderen, auch ein ein» ſeitiges Ertrem, das ift eine anbere frage. Der Um⸗ fland, daß wenn ein aus dem Afyl Entlafjener von feiner Krankheit fo unbefangen und fo oft fpräche, wie von einem Beinbrud in feiner Kindheit, alle Melt meinen wirbe, es fei noch nicht ganz richtig mit ihm, daß wir es dagegen in ber Orbnung finben, wenn er mit einer gewiffen Befangenheit, bie an bie Beihämung erinnert mit ber Einer an eine im Traum begangene Nichtswürdigkeit denkt, jener Zeit erwähnt, — biefer Umftand zeigt, daß wir Alle im Wahnfinn doch noch etwas Andres fehn als eine blos angeflogene Krankheit, zu ber man wie zu ben Poden durch Anftedung ober Imoenlation kommen kann. Und dies ift wicht etwa bios ein Zaiengefühl. Eine große Autorität in biefen Dingen ſprach einmal aus: Goethe habe nicht wahnfinnig werben Lnnen, und auf ben Einwand: wenn ihm mm aber eine Aber im Kopf Iprang? erfolgte bie Antwort: da wäre er wahrſcheinlich apoplektiſch geſtorben. Das Befremben über eine ſolche Behauptung wird geringer vedecd, wen. man fie mit ber ergärtzt, tie uns act were we
man fte alle Tage Hört: es fei Einer zu dumm, als daß er könnte wahnfinnig werden. Iſt nämlich, wie gezeigt wurbe, der Wahnſinn Die über ihre Grenze ge gangene Träumerei, fo wirb wer zu jebem Bau eines ſpaniſchen Schlofjes unfähig ift (der Dumme) aud fein fo verrüctes bauen können, wie jener ficilianiiche Fürſt. Und wieder, wer fo träumt wie Goethe, daß er jebe Träumerei künſtleriſch geftaltet von fich ablöſt, fie gegen- fändlih und zum Gedicht zu machen vermag, der kann allerdings ficher fein, daß er immer über feine Trän- mereien als unbeſchränkter Befiter berrichen, nie von ihmen beberrjcht und bejeffen fein, werbe. Der große Srrenarzt aljo, die Behauptung, die man alle Tage hört, und unſere Theorie, fie ftimmen ganz lberein. Uebrigens hatte diefe, da fie ja den Träumer zum Mit- ſchuldigen machte nicht Daran, da ihm, fondern daran, daß ihm gerade Dies träumte, gar nicht zu der Eon- fequenz berechtigt, daß Niemand ohne eigne Schuld wahnfinnig werde. Höchften® zu der, daß es fein Zu⸗ fall, wenn dieſen Kranken dieſe, den andren andere Wahnvorftellungen fefleln, und dieſe läßt fih ohne Ge⸗ fahr vertreten: Daß jene Irre, welche nur von ihren vornehmen Belanntichaften zu reben weiß und bamit prablt, Daß um ihretwillen jet fchon der Thronfolger ein Abfteigezimmer in ver WHhokK genommen habe, baf biefe, als fie geiund, in ihren Arumerien u Tu
bauten ſtets beſcheiden und demüthig war, das glaube ein Andrer. Daß jener Faſelnde, deſſen nnunter⸗ brochener Redeſchwall vom Hundertſten ins Tauſendſte geht, auch in geſunden Tagen es liebte flüchtig naſchend von einem Gedanken zum andern zu flattern, möchte ebenſo gewiß ſein, als daß jene ſtille und freundliche Kranke jetzt den Lohn dafür empfängt, daß ihre Träu⸗ mereien ſtets freundlich waren und fromm und mild. — Viele unter denen, die dieſer Saal umfaßt, ſind wohl als Zuſchauer oder Theilnehmer in die phantaſtiſche Welt eines Maskenſaales hineingetreten, wo die ge⸗ wählte Vermummung verpflichtet, aber auch erleichtert, fih für einen Abend in eine fremde Situation und Perjönlichleit hineinzuträumen. Wenige werben Ge- legenbeit und Luft gehabt haben, jene Säle zu bejuchen, deren Bewohnern die entftellende Vermummung bes innern Menſchen abgeliftet werben foll, weil fie ftch Dazu verurtbeilt haben, bleibend aus einer fremben Perfönlichkeit heraus zu ſprechen und zu agiren. Noch wenigere enblich, vielleicht Keiner außer dem Sprechen- den, burffe e8 anjehn, wie die Vermummung bes äußeren Menſchen zum Mittel warb, den inneren zum Demasfiren zu bringen, dahin nämlich, daß Kranke fich für Stunden aus den Feſſeln unwiberftehlicher Träu⸗ merei, aus denen fie heraus zu tommen nut verüiuen,
wenigftens heraus träumten. &n Moamesuit w Irrenbauſe, einer ber merkwärhigten und wWartüin
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nicht nur, ſondern auch der fchönften und erhebendſten Abende, den ich Durchlebt habe, hat mich nur beſtärken kön⸗ nen barin daß, wie man nicht außer Acht laſſen barf, was uns träumt, weil es uns aus uns felber heraus träumt, fo Jeder fih bewachen joll in dem, was er träumt, weil er nicht wiffen kann, was er im fich hinein träumt.
Gäbe die Einficht, daß nicht nur unſere Luftichlöffer uns ſelbſt zu ihrem Baumeifter, fondern auch die über⸗ raſchendſten Scenen eines Traumes uns felbft zu ihrem Dichter haben, gäbe fie nur ein fchärfere® Auge für moraliſche Schwächen und ein beſſeres Berftänbniß ber intellectuellen Krankheiten, fo wäre ber nicht zu ent ſchuldigen, der in beider Hinficht Geſunde zu einem Gange verleitet hätte, der an das Siechbette führt. Südlicher Weife aber eröffnet das gefundene Refultat, wenn e8 mit bem verbunden wird, was dieſe Unter- ſuchung einleitete, die Ausficht in ein Gebiet, wo jelbft der von Gefundheit Strogende noch Heilung ſucht und findet. — Es warb Dort nämlich von dem Gegenfak geiprochen, den der Begriff ver Erichaffung der Welt zu dem ihrer Erhaltung bilde, da jener alles Von⸗ſelbſt⸗ fein aufhebe, diefer behaupte. Dies hindert den unbe fangenen frommen Sinn nicht, Beides neben einander zu flatuiren, und wird ihm — wie das oben geſchah — bemerklich gemadt, euer Beriintung Biber führe anf
Unbegreiflileiten und unter , \p wuieruut er Ne beim. Bei einem gewiien Büoungtutte sur, we
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zwar über die unbefangene Einfalt hinausgeht, ſich aber täuſcht, wenn er ſich für den höchſten hält, bei dieſem fängt man an, jedes Sich⸗ unterwerfen für ehrenrührig zu balten, und da bringt dieſer edle Mannesftolz dazu, um ſich nicht dem Unbegreiflichen zu unterwerfen, jene Entgegengejeten nie zufammen zu laffen, und fo wird denn entichieden: Verfländig und confequent ſei nur Eines von Beiden, entweder alle Freiheit und Selbftftändigkeit aufzugeben, die Welt und fidh ſelbſt blos als ein Machwerk und willenlofes Werkzeng Gottes anzujehn, oder ſich Selbftftändigkeit zugufchreiben, dann aber auch den Wahn aufzugeben, daß eine höhere Macht fih in unfere Angelegenheiten mifche; Dagegen Beides: Geſchöpf und Doch fich ſelbſtbeſtimmend und frei, das fei ein vierediger Cirkel, den könnten fie nicht dulden. — Wenn nur die Guten nicht fonft fich dieſe vier- eigen Cirkel ganz ruhig gefallen ließen! Schon was ihnen träumt und was fie erträumen, bringen fie felbft bervor und dennoch kommt e8 ihnen ungerufen; wie viel mehr ift dies fo, wenn dem Dichter ein Gedicht entfteht, das, wenn es nicht geworben, wenn e8 gemacht oder ein Machwerk, kein Gedicht wäre, Wie, wenn wir Menſchen auch nicht Machwerke, jondern Dichtungen — Träume — der Gottheit wären? aufgegangen in bem sensorio Gottes, wie ber nicht nur geoke, Innern ss fromme Netoton ben Raum genannt ya? &% REN gefunden, als ein großer Denter vie ESSEN u
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Drama nannte, zu dem der ewige Dichter ben Plan entwirft und bie Rollen vertheilt, Die Durchführung ber Rollen im Einzelnen aber den improvifirenden Schau- ipielern überläßt. Warum foll nicht auch das Leben Des Einzelnen eine ſolche commedia dell’ arte fein? Daß das Leben ein Traum, fpricht dem Calderon alle Welt nach, warum aber nun ein Traum, der dem Lebenden felbft träumt? warum nicht auch einer, den eine höhere Macht dichtet und träumt, von der er hervorgerufen, dann aber dem eignen Wachsthum überlaffen ward, jo daß es von feiner Entwicklung abhängt, ob er wird in liebenber Erinnerung behalten, ob unmuthig abgefchlittelt werben?
Nicht Behauptungen und Löſungen wollen dieſe Säte fein, fondern Fragen, Räthſel, die einer Löſung bedürfen, Bruchſtücke eines Traumes, den mitzuträumen fie veran- laffen wollen. Mögen die, welche ihn mitgeträumt haben und die jett dem Erwachen entgegengehn, durch bie Erinnerung an ihn, nicht mit dem wüften und benoms menen Gefühle erfüllt werben, mit dem wir einen lange auf uns laftenden Alp Ioswerben, jondern, weil doch darin hingewieſen warb auf die Lösbarkeit manches wich⸗ tigen Räthjels, Eimer oder der Andere die Wirkung mit nad Haufe nehmen, wie da, wo ein |pannender, lange nachklingender, Traum die erfte Morgenftunbe erbeitert und einen erfolgreihen Tag wergekt.
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Ueber Scwärmerei und Begeifterung,
Vortrag gehalten
am 21. März 1863 im wiſſenſchaftlichen Verein zu Berlin
von
Dr Erdmann, Vrofeſſor in Halle.
Serlin. Verlag von Wilhelm Herp. Befferfge Bugfantung,) 1863.
Hohe Derfammlung!
Das in der Ankündigung diefes Vortrags bie Schwärmerei vor die Begeifterung geftellt ward, Tann als ein Berftoß gegen eine der erften Regeln der Rebe: kunſt erſcheinen, gegen das Geſetz der Steigerung näm- Ad, nad) welchem immer dad Stärkere auf dad Schwä- here folgen fol, nie umgekehrt. Wollte der Vortragende erwidern er halte die Schwärmeret für Krankheit, bie Begeifterung für etwas Geſundes, fo würde Mancher 308 ein Eingeftänbnig jenes Verſtoßes nennen, denn Ne Anficht I. Browns, nad welcher Krankheit Steige: zung ber Lebensthaͤtigkeit, iſt, obgleich im ber, Mediein Ängft aufgegeben, wo fittliche Zuftände beurtheilt wer⸗ sen noch ſehr verbreitet. Nicht nur bei dem gemeinen Mann, der, wenn er ſich betrügen ließ, feine Einfalt zern zu große Ehrlichkeit nennt, fondern auch bei ben Döchftgebilveten, die, wenn in einem Sande, wo bisher Jeder feinem Berufe lebte, Alles drunter und brüber zeht, weil der Koch den Kellner fpielt und der Kellner ven Koch, dies eine Steigerung ver yaltlüägen Lens elßen. So bleibt wohl kaum eiwod Vodered ein
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als jener Exrwiderung die Erklärung hinzuzufügen, daß der Standpunkt dieſes Vortrags nicht jener etbifche Brownianismus ift, fondern daß er vielmehr mit den Anfichten übereinftimmt, nach welchen Krankheiten im Zurüdfallen auf frühere Zuftände oder auch darin be: ftehen, daß, an ſich normale und gejunde Gebilde fid zur Ungeit oder an ungebörigen Orten zeigen. Kann gleich eine ſolche Erklärung mich in Mikeredit bringen bei den Nerzten, die weder auf die ältere Teratomorphie Etwas geben, noch auf die neuere Theorie von ben pathologiſchen Subftitutionen, fo ift Doch durch fie der Grund angegeben, warum bier zuerit die Aufmerkjam: feit gelenkt werden wird auf ein Gebiet unterhalb der Sphäre, wo und die Schwärmeret und die Begeifterung begegnet, ich weine auf das untermenfchliche Leben.
1.
Wenn Solde, die über das Weſen des thierifchen Lebend die allerverjchiedenften Anfichten haben, doch darin übereinftimmen, daß fie von Thier-Sndividnen Iprechen, alfo ein Wort brauchen, von dem nicht nur mittelalterliche Philoſophen gelehrt haben es dürfe nur angewandt werden, wo Vielheit und mögliche Theilung gegeben fei, jondern au unler Syuahafühl, welches sicht zuläßt, dag wir Das gan, Cunie tus), in
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Individuum nennen, fo beweift das, daf nad) der Ans ſicht Aller zu einem Lebendigen dies gehört, daß Man: nigfaltiged zu einer Einheit verbunden iſt. Beide aber, die Mannigfaltigkeit und bie Einheit, zeigt und das Thterleben in fehr verfchtedenen Verhältniffen, und von diefem Verhältniß Hängt es (menigftens mit) ab, ob wir ein Thier Hoch oder niedrig ftellen auf der Stufen: leiter thieriſcher Volllommenheit. Ganz wie bie Thiere, die faft nur einfache Zellen find, alfo Einheiten ohne ale Mannigfaltigkeit, ganz fo ftellen wir auch wieder bie Thiere ſehr niedrig, in welchen die Einheit fo ſchwach iſt, daß durch einen Schnitt ein Lebendiges in zwei ver: wandelt werden kaun. Diefe Selbftftändigkeit der Theile und ihre Unabhängigkeit vom Ganzen, verliert fich, je höher man an jener Stufenleiter binauffteigt, um fo mehr. Indeß ift fie noch beim Krebs fo groß, daß fein Leben ungeftört feinen Gang geht, auch wenn ihm jährlich ein neuer Magen wächſt; Etwas, worum ihn vielleicht mandjer Menſch beneidet, bei dem folche Verjüngungs— kraft fich höchſtens bis auf Gefinnung und Grundfäße erftredt. Bei den vollfommenft organifirten Thieren zeigt fi Mannigfaltigkeit und Einheit ganz gleich zu ihrem Rechte gelommen: jene indem bie Glieder ver- ſchieden find und keines Dad andere vertreten kann, dieſe indem von ihr getrennt die Glieder nertinmen son zu Orunde gehn. Sept man wun wit wen te
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Philoſophen des Alterthums den Unterſchied zwiſchen einem Organismus und einem bloßen Haufen darein, daß jener Ungleichartiges, dieſer nur Gleichartige ver⸗ bindet, ſo kann man zweifelhaft werden ob nicht ein Polyp, anſtatt ein Individuum vielmehr ein Haufen (von Thierzellen) genannt werden müſſe. Ein gleiches Bedenken erregt es, wenn bei Erſcheinungen, die uns von den Bienen und Ameiſen her am Beſten bekannt ſind, wo die einzelnen Individuen nicht für ſich leben ſondern, als würden ſie von dem Ganzen gelebt, von ihm getrennt zu Grunde gehen, das Wort Collectiv⸗ Individuum gebraucht wird. Es ſcheint dabei überſehen zu werden, daß die Beſtandtheile eines ſolchen Ganzen ganz gleichartig find, jo daß der gewöhnliche Sprach⸗ gebrauch nicht nur mit dem Ariftoteled fondern auch mit der Wahrheit mehr übereinftimmen möchte, wenn er weder von einem Ameiſen-Staate noch von einer Bienen » Familie ſpricht, fondern dort Haufen, bier Schwarm fagt, und aljo Wörter anwendet die wir jtetd brauchen, wo die Unterordnung, und darım bie Ordnung, fehlt. (Niemand fpricht von einem Corps von Flüchtlingen oder einem Regiment von Marodeuren, fondern Feder fagt: Haufen oder Schwarm). Laffen wir nun bier den Ameiſenhaufen, über welchen uns nicht genug eracte, wentgftend wicht tendenzloje rein wiffenfchaftlidye, Unterfuhpangen vorliegen, ma Yale,
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an den Bienenfchwarnt, fo beweift und durch ihn Natur, daß ed Thiere giebt, die nie für fich felbft, ner nur für ein größeres Ganzes, den Schwarm, m, an dem fie als jelbftlofes und widerftandölofes fitzthum haften, aus dem fie ihr Leben fchöpfen. > zeigt und aber, die Unerjchöpfliche, auch ſolche le, wo Thiere, deren individuelles Leben ſtark genug um ſich als felbititändig zu behaupten, für eine t Lang zu folchen ſelbſt- und widerftandälofen warmtheilen werden, wie die Bienen immer find. jeö zeitweilige Bilden eined Schwarmed, dad man, 3 wie dad Bilden eined neuen bei den Bienen, bwärmen nennt, zeigt fich bei den Zügen mancher he, bei den periodiſchen Wanderungen vieler Vögel, einer feiner ergöglichiten Formen bei der Balze der ckhaähne. Das Charakteriitiiche bei allen dieſen Er- nungen ift, daß die Thiere während ded Schwär- 18 ihre Sndividualität, ihr Selbft, verlieren, daß fie hören fich felbit in Befiß zu haben und ald von em Andern befeffen erjcheinen, daß ein Zanber oder nn fie zufammenhält, in Folge welcher der vom Zuge ſekommene Fiſch oder Vogel wie toll und blind oder h ganz benommen erfcheint, und die balgenden Birk: me ganz Eopflod einer nach) dem anderen fich weg- eBen Yaflen, und beim nächſten Worgengtuuen Le der an den gefährlichen Dxt Tomımen, WR wu TV
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Spielhahn, den burlesken Vortänzer bei ihren Orgien, tödtet und fo den Bann (Niemand wei für wie lange) löft. Weder das bleibende noch das zeitweilige Selbft- loswerden ftreitet mit dem Begriffe des Thiers; Teines von beiden darf daher ein unnatürlicher, oder auch nur unbegreiflicher, Zuftand genannt werden. Müßte näm- lich der Begriff des Thiers durchaus mit einem einzigen Worte angegeben werden, jo wüßte ich dafür kaum ein ‚anderes vorzufchlagen ale das Wort Wiederholung. Daß wir fo oft die Thier-Individuen Cremplare oder Stüde nennen, (man denke dabei zugleich an Exemplare eines Buches, an jo und fo viele Stüd Louisd’or u. ſ. w.), dag wir ihnen nicht Eigen- fondern nur den Arte: Namen beilegen, beweift, daß wir in ihnen nur Wie derholungen eines Typus fehen, eine Anficht die darin ihre Beftätigung findet, daß auch das Thun der Thiere nur ein Wiederholen defien tft, was Thiere ihrer Art immer thaten, ja daß das volllommenfte Thier, welches auch thut was nicht nur feine Artögenofjen thun, dies doch nicht felbft fondern nur na ch macht. Was Wun- der alfo, daß Weſen die nichts jelbft find nichts felbft thun, felbftlos werden? Ganz im Gegenſatz dazu iſt von dem Begriff des Geiſtes der des Impuls» gebens fo unzertrennlich, dab a8 (ein eigentliches Weſen die Ur: fprünglichkeit und Originalität garage. Sa Srihh
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diefer feiner Umwiederholbarkeit und Einzigkeit fordert das geiftige Weſen für fid) einen eigenen Namen, fieht in der Bezeichnung mit dem Artönamen, in der Anrede: Menſch! eine Beleidigung. Mit Recht; jedod möchte ih zu einer Injurienklage nicht rathen: ein Widerruf des Beleidigerd könnte die Sache noch ſchlimmer machen. Mit dem Original fein, beffen das geiftige Weſen ſich bewußt ift, geht die Originalität feines Thuns Hand in Hand. Ohne die That des fich als Ich Erfaſſens erifticte der Geift gar nicht, und diefe That iſt bie originellfte, weil fie nie Einer dem Anderen vor- oder nahmadt. Die Originalität mindeftens zeigt jedes geiftige Wefen: als diefes unwieberholbare Ich zu fein; Mindeftend, denn es giebt Hierin Grade. Ganz wie, um Wärmegrade oder Höhen abzuihägen, man einen Grad oder eine Höhe ala Null der Erwärmung und Erhebung ſeht, und, obgleich wir fehr gut wifien, daß ſchmelzendes Eis viel wärmer ift als ſchmelzendes Quedfilber und bie Meeresfläche viel höher als der Meereögrund, wir doch erft dem, was barüber hinaus- geht, zugeftehen es habe Wärme oder Höhe, ganz fo ziehen wir auch bei der Abſchätung der Gelfter eine Linie, nehmen einen gewifien Grad von Driginafität als das Minimum an, welches eben darum nicht ger 3&hlt wird. Crft von bem, der über hie Rus fteht, fagen wir er habe &eitt, wer «d wur rät
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fonft aber fich ald Copie und Eopift ermeift, von dem fagen wir: er habe feinen, fet geiftlos, womit er gar nicht für ein untergeiftiged Wejen erklärt wird. Alle die Stufen innerhalb des Geiſt-habens, welche durch die Wörter: Mann von Geiſt, geiſtreicher, geiſtvoller oder genialer Mann u. ſ. w. unterſchieden werden, ſetzen immer eine eigenthümliche, unmtederholbare, Pro: ductiond=, wenigjtend Gombinationg - Fähigkeit voraus, die über das Niveau hinaudgeht, auf welchen der Geift- Iofe ſtehen bleibt, den wir, eben mit Rüdficht auf dies Niveau, den Platten, den Gewöhnlichen, den gemeinen Mann, den Mittelmäßigen, nichts Befonderes u. |. w. nennen, nicht um ihn zu fchelten, fondern um den Ge: genſatz hervortreten zu laſſen zwilchen ihm und dem Ungemeinen, Außerordentlichen, Hervorragenden. Stel: gert fih nun in Einem ber letzteren Art das Geift: haben zu jener Heftigkeit, die man Affeet, Leidenſchaft, Paifion, nennt, ohne welche nie etwas Großes geleiftet wird, fo hat man den Zuftand der Begeifterung. Begeifterung, das zur Paffion gewordene Getjt-haben, tft darum Drang und Bermögen zu originellem Schaffen. Der begeifterte Künftler fchafft Neues, nie Dageweſenes, der geiftloje wiederholt und copirt, fich oder Andere; die religiöje Begeiſterung fchafft ein neued Herz, die wiſſenſchaftliche eröfinet neue Anfichten der Welt. Daß der Geiftlofe der Begeiiterang wniikte, darum u,
teine Behauptung, es ift eine ſelbſtverſtändliche Tauto: logie. Iſt er ed aber, fo natürlich auch (da 0 +0=0) die Summe ber ihm Gleichen, die wir bie Maffe, bie Menge, den großen Haufen nennen, bei weldhen Wör— term, wie dad Hinfichtlich des einen derfelben ſchon vor: Hin bemerkt ward, immer die Gleichheit der Summirten vorauögefeßt wird. Begeifterung der Maſſe ift ein Widerſpruch in fich felbft: um ihrer fähig zu fein, muß man nicht zur Maffe gehören, über berjelben ftehen, mehr fein als fie. Daraus folgt aber nicht, daß nun auch Alle, welche Geift haben darum ſich auch begefftern müßten, ja nur es könnten. Wie es Manchen giebt, der Zeitfebens gefund war, weil ihm nie Etwas gefehlt hat, und der doch nie jenes pridelnde Gefühl Tennen lernte, welches und zeigt, daß die Gefunbheit etwas Pofitives ift, wonon die Adern ftrogen ja fpringen möchten, fo kann es geiftreiche, ja geiftvolle Menſchen ‚geben, aus welchen nie der eleftrifche und efeftrifirende Bunte der Begeifterung herausſchlug. Nur bad Umge kehrte iſt unmöglich; wie nur bas fich vergrößern Tann was eine Größe hat, fo nur der der Geiſt Bat, fi begeiftern.
Dem Gebirgöreifenden mag es begegnen, daß wenn ex eine Höhe erreicht hat, er um ſich nur einen uner ⸗ meßlichen Nebel-Dcean fieht, aus dem weriugite Ken Sufeln fervorragen, harct er ober yalig ur, \n
Zuſehen aver Jınver man, vag ſie aue ım, ju den, allgemeinen geiftigen Mächten wurzeln. ber in der Kirche lebt, der welcher unfer 2 fie find die Mutterbruft, an der wir ruhe der wir Nahrung ziehen. Dieſes Durchdrun folchen größeren (allgemeinen) Geijtern kar denen, die wir unter dem Namen Mafle faßten, nicht ald Ton=angeben, [ondern nu und Nachgehen geitalten: fie fingen nicht fondern die Chöre in dem Oratorium deg und politiichen Lebens. Bei ihnen zeigt id liche und patriotiihe Sinn als Zucht und als Halten an Sitte und Herlommen, di unterfchäßt, welcher nicht weiß daß fie wic viel fchwerer, find als die momentane Opfe: zu der Zeiten der Noth Alle, auch die Mo
men. “it aber Der. melden der Mllaemein
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geifterung, darum möchte fie kaum je herrlicher it haben, ald bei jenem Apoftel, der ſich felbft zißt daß er fagen fan, er lebe eigentlich wicht, t ein Größerer in ihm, und wieber ſich in feiner Gümfichteit und Cinzigfeit fo fühlt, dah er ſich ı kann: Ich habe mehr gearbeitet als fie Alle. » Tann fi) Beides nur verbinden, wenn jenes ein Bielgegliebertes, darum ber Mannigfaltigfeit bhold ift, fondern ihrer bedarf und fie hervor ⸗ Darum eben bei jenem Apoftel, der die Beſtim⸗ ber Menfchheit, für die er begeiftert ift, darein in befeelter Tempel oder Leib zu fein, worin kein jen noch Theilchen fehlen kann, ohne das Ganze nftalten ober zu verftümmeln, und eben darum einen eigenthümlichen Werth Hat und etwas Be: if. Sid) mit Alen einverftanden, und zugleich feiner Eigenthümlichleit verftanden wiſſen, das Bedingung zu biefer Begeifterung für das ‚ die den Menſchen, nicht nur, wie die bisher tete, über feinen gewöhnlichen Zuftend, fondern id felbft erhebt und fähig macht, Uebermenſch- zu leiften im Dienfte jened größeren Ganzen. miſt auch das Mittel, wodurch Einverftändnig und Einer dem Anderen verftändlich wird, bie bad Wort, das Werkzeug, worurh Tide WÜERe erung, die Allgemeinbegeifterung, wirirdtt
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oder vielmehr wodurch Einer aufgefordert wird, ſie in fich zu erzeugen. Da die, welche ſich überhaupt nicht begeiftern können, folcher Aufforderung nicht Folge leiften können, jo ift ed in der Ordnung, wenn die Maſſe folchen Ruf überhört. Es ift aber möglich, ja, da die Rede, die die Begeifterung erwedt, ihrem Wort: laute nach Allen verjtändlich tft, iſt es wahrfcheinlich, . daß in Zolge derjelben Manchen, der zur Maſſe ge hört, ed auch anwandelt fich, gleich den Begeifterungs- fähigen, zu erheben. Diefe Anwandlung unterjcheidet von dem gewöhnlichen oder gemeinen Mann den, für den wir feinen treffendern Namen willen, als den, durch unſere größten Dichter courfähig gemachten, Studentenausdrud Philifter. Wir verftehen darunter den, der nichts DBefonderes tft, den ed aber anwandelt etwad Beſonderes zu jein. In dem englifchen snob liegt eine Ahndung, aber nur eine ſchwache, des deutſchen Philifters. Wie in Allem fo find wir auch hierin die größte Nation. Was wird nun wohl die Folge einer folhen Anwandlung fein? Cine finntge Fabel des Alter: thums giebt darauf Antwort: Ein genialer Künſtler beftet fich jelbft und feinem geiftlofen Sohne Flügel an die Schultern; ihm werden ſie zum Heil, der Sohn aber fällt, nicht nur auf das Niveau zurüd von dem er fi erhob, jonvern {ef water doielke, auf ben Meeresgrund. Amer Itaradl vd — wer PEEREA
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Nicht im Stande, gleich Paulus fo ſich von einer Höheren Macht durchleben zu Iaffen, daß dies bie Kraft und das Bewußtfein der Eigenthümlichkeit fteigert, und doch verlangend, ftatt zu leben gelebt zu werben, erfauft er eö damit, daß er aufhört etwas für fich felbft zu fein, und nun natürlich felbftlos, wie der benommene Bogel oder Fiſch, einem größeren Ganzen verfällt. Statt der Juno übermenfchlicher Begeifterung umarmt er die untermenſchliche Wolle ded Schwarmgeifted, wie died Luther nennt, der Schwärmeret wie eö heute heißt. Wie Aefferei nie vom Affen, ebenfo wird Schwär- merei nie von ben Wefen gefagt, denen das Schwärmen natürlich ift; Schwärmerei ift dad Herabfinken geiftiger Weſen in den Naturzuftand des Schwärmend, darum ein Mittleres zwiſchen geiftigem und natürlichem Der: halten, für welches eben darum die Gefege nicht aus der Geifteslehre, ſondern der Naturbeobachtung zu ſchöpfen find. Entſprechend dem, daß man ſchlecht ger heilte Knochenbrüche falſche Gelenke nennt, weil ſie mit den Gelenken die Aehnlichkeit haben, daß bei beiden kein ununterbrochener Knochen da iſt, könnte Einer die Schwärmeret als falſche Begeiſterung ober auch Ber geifterung des Philifters erklären, da zwiſchen beiden wirklich die Aehnlichteit Statt findet, dah fie paffio- nirte Zuftände find. Da würde aber Über The dl gpfeit der viel wichtigere Unteriäred wergiien, DIE
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bei dem Begeifterten dad Geifthaben, bei denen, die da ſchwärmen, die Geiftlofigkeit Paffion ward. Des Schwär- mens, d. h. der paffionirten Geiftlofigfeit tft der, ber jemald begeiftert war, gerade fo unfähig, wie der Geift- Iofe oder die Mafje es der Begeifterung war. Dagegen ift ihre Sade das Schwärmen. Und dadurdy wird fie durchaus nicht zu einem trübfeligen freudlofen Da: fein verurtheilt: Freude und Genuß hat Jeder nur in feinem Elemente, und die Iuftigen Abendeoncerte im Froſchteich fcheinen zu beweilen, daß des Plaiſirs es dort mindeftens ſo viel giebt, ald in den ftillen Lüften, in denen der Adler ſich wiegt.
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Sp lange meine Behauptung, daß Schwärmerei ein Zurüdfallen auf den Schwarmzuftand, ſich nur auf ſprachliche Ableitung ftügt, kann fie nur fordern, nicht undeutſch gefcholten zu werden. Will fie außerdem auch noch für richtig gelten, fo wird für fie der Beweis zu führen fein, den man auch jonft für naturwifjenfchaft: lihe Theorien führt: man wird auf allbefannte That: ſachen hinweiſen und zeigen müfjen, dab fie bet diefer Annahme leicht, ſonſt vieleicht gar nicht erklärt werben Können. Indem jegt zu ſobhen Thatlachen überge-
gangen werben joll, tt Die Art eine dayysie: edit
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natürlich: aus ihnen auf die Richtigkeit meiner Behaup⸗ tung zurüdzufchliegen, dann aber auch: von ihr aus, ungerechtem Tadel jener Thatſachen entgegenzutreten, indem fie als nothwendige Erſcheinungen eines Natur: geieges dargeftellt werden. Zum Weſen des Schwar- med gehörte Gleichartigkeit feiner Theile, fie wird alſo aud zum Schwärmen gehören; da nun lebendige Or- ganismen nicht, wohl aber die Gewebe aus benen fie beftehen, alſo ihre Bruchtheile, ſolche Gleichtheiligkeit zeigen, fo wird ed nicht weiter Erftaunen oder Zorn erregen dürfen, wenn ber Schwarmgeift nicht aus Ganz heiten fondern aus Bruchtheilen feine Nahrung zieht. Nicht für die Kirche, den Staat, die Wiſſenſchaft, wird geihwärmt, fondern für Secten, Fractionen, Schulen; ja vielleicht Seiten einer Schule. Umgekehrt aber, man ſehe es als ein Naturgefeß an, wenn die, welche ſich einer Secte ober Fraction ganz hingeben, allmählig ihre Individualität ganz einbüßen, immer mehr ben Anderen gleich d. h. immer ordinärer und gewöhnlicher werben, fo daß fie zulegt nur wollen können wozu die Parole ausgetheilt warb, nur denken und ſprechen, was hundert Mal gedacht und gefagt ift. Gewiß ift diefe Monotonie, die Manchen dahin gebracht hat zu fagen: von dieſer Secte kenne ich ſchon ſechs Erem⸗ plare, von jener Fraction fünf Sha ud Ye W Seiten jener Schule haben mir at ya Sud ⁊
geliefert, — gewiß ift fie für den Außenftehenden fehr langweilig und legt ihm den Gedanten nahe, daß dies Secten- und Fractionsleben die Menſchen beichränft und immer fopflofer mache. Dies aber berechtigt nicht, fie zu fchelten. Langweilig fein ift kein Polizeivergeben, gefchweige denn ein Verbrechen, das darf Jeder; und daß, wer darauf verzichtet, feinen Kopf für fich zu haben, wie dies die Sraction verlangt, damit aufhört überhaupt einen zu haben, denn was man nicht für fih bat, hat man nicht, und alſo kopflos wird, das fann man zum Voraus wiflen, auch wenn nicht der benommene Fiſch und der fudernde Birkfhahn bewiefen, dag den Schwärmenden ein Bann und Zauber gefangen hält. Wir räumen Jedem das Recht ein, fich ſolchem Zauber bin- und feinen Kopf berzugeben, wir verlangen aber auch für und das Recht, den unfrigen zu behalten, fowie dad: wenn und vorgeredet wird: „Willſt du nicht in unfere Sraction, jo mußt Du dich zu jener halten“, ruhig zu antworten: Ich gönne Euch eure vielen Sractionen, ich ſelbſt will verſuchen gar nicht in Die Brüche zu gerathen.
Einen Zauber oder Bann nannten wir dad, was die Schwärmenden feflelt. Es fragt fich, woran er gebunden ift und hängt? Alle Schwärme in der Na: far geben und die gleihjlautenne Antwort: an einem,
den Bezauberten ganz wleihartigen, Diem. En But
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Hahn wie die übrigen präfidirt der Balze, ein Kranich ober Lachs wie alle anderen führt ben Zug an und ift feine Seele. Auch die Bienen machen hier feine Aus» nahme, denn genaue Unterfuchungen haben bewieien, daß die Mütter ganz gewöhnliche Bienen find, die nur, weil nicht fchlechtere Koft und engerer Raum ihr Wachs: thum verhinderte, fi), als die beffer genährten, fehneller und volftändiger entwidelt Haben. Hätte ich dies ſchon gewußt, ald vor vielen Jahren in Oftende der fehr ger wöhnliche Menſch, der zum Ergöpen der Wirthätafel ſehr fentimental, namentlich wenn er im Spiel ver- loren Hatte, zu erzählen pflegte, wie harmlos und poe« td) er fe, ſich endlid) als Antonin Tpouret, Depu- tirter von Lille, erwies, für den damals die Mafje in Frankreich ſchwärmte, fo wäre ich vielleicht weniger er⸗ ftaunt geweſen, hätte aber mehr ala damals Gewicht darauf gelegt, daß er fo gut genährt war. Vielleicht, fage ich; denn damals ahndete ich nur, was ich jept weiß, dab das Schwärmen der Mafle nicht nur fo Heißt, fondern dasfelbe ift, wie das Schwärmen in ber Natur, daß eben darum beides von demfelben Geſetz beherrſcht wird und alfo die Maſſe [hwärmen muß für das, worin fie ihres Gleichen fieht, wenn auch tm ver ⸗ größerten Maßſtabe. Welche Fülle von Belchrungen gewähren mir, feit mir Died fert fteht, Rute tungen, bie fonft für mich unfendgtbse wuren. Ne
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lich haben ſie Bedeutung nur für die Verhältniſſe, in die der Menſch durch jenes Herabſinken geräth. Da erzählt ein ſehr exacter Beobachter, daß alljährlich in jedem Bienenſchwarm, wenn die Zahl ſeiner Bewohner und die Hitze ſehr ſtieg, die Mutter, um welche bisher Alles kreifte, beunruhigt dadurch, daß ſich die neu aus: gebrüteten Mütter hörbar machen, darauf ausgeht, die- felben zu vernichten, dann aber, weil die übrigen Bie- nen dies nicht zulaffen, genöthigt ift, dem abziehenden Theil des Schwarmd, der fich als neuer conftituirt, zu folgen, während die Nachbleibenden, ald wäre gar nichts gefchehen, fih um die junge Mutter fchaaren. Welche Beruhigung iſt das für mich, der ich mich früher er: eiferte, wenn ein Sractiondhaupt, mehr gefchoben und gezogen als fchiebent und ziehend, zun Haupt eines Fractiönchens ward, weil jeine frühere Schaar von ihm abfiel, daß ich jeßt Darin ein allgemeines Naturgeſetz erfenne. Und wieder, wenn derjelbe Gewähremann erzählt, daß die Bienen fortwährend ihre Arbeit unter: brechen, um dem jeweiligen Weifel ihre Zärtlichkeit zu ermeijen, theild indem fie ihn mit der Zunge jtreicheln, theils indem fie ihm Sutter reichen, wie follte ich darin nicht Waffen finden gegen die, welche darüber jammern, daß die Maſſe bei ihren Demonftrationen fo viel Zeit vergeude, oder die, weldye Darüher Inutten, Daß Diefelbe fo wenig Erfindungdgabe gie, Ka use en
s
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Hole? Die Sticheleien ded Lepteren gehen offenbar auf bie Abfütterungen der Gefeierten, und jene cajolirenden Bungenfpiele, die in der Sprache gewöhnlicher Sterb- lichen Trinkſpruch oder Toaft heißen, im erhabenen aber — ich meine im Zeitungs — Style: begeifterte, von ftürmiſchem Beifall unterbrochene Anrede. Mein Sag und jeder Bienentorb muß die Stichelnden überzeugen, daß woran fie ſolchen Anftop nehmen, nicht nur unſchul. dige Sachen find, fondern nothwendige, weil der ganz natürliche Ausdrud eines ganz natürlichen Demonftra- tionsdranges. Wie eö fcheint nur dies Beides, denn ein Drittes, was früher obligat zu fein pflegte, baf; man dem Gefeierten — Virtuoſen oder Erfinder einer neuen Reli- gion — anftatt der Pferde viel langſamere Zugthiere vor⸗ ſpannte, findet in den Naturerfcheinungen feine Analogen, und ift wohl auch deswegen aus der Mode gekommen. Trotz feines Reichthums an praktifchen Anwenbun: gen wird aber mein Sap auf allgemeine Zuftimmung um fo weniger rechnen bürfen, ala es fcheint, daß ſchon bie erfte barand gezogene Solgerung mit der Erfahrung ftreitet. Die Solgerung war: die Mafle jhwärmt nur für das, worin fie ihres Gleichen fieht; die Erfahrung aber Iehre, fagt man mir, daß fie gejchwärmt habe und (wärme fur Dichter, Helden, Gelehrte erften Ranges, und ebenfo, daß nicht alle Sracttons: und Schauer Antonin Thouret's fein, {ondern Vor unter en W
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höchſt geſcheidte und geiſtreiche Männer finden, felbft wenn ed wahr fein follte, daß die ſich um fie ſchaaren dies Beiwort nicht verdienen. Alles richtig; aber auch diefen Einwand widerlegt — die Naturgefchichte der Schwärme. Man bat, um herauszubringen, was denn eigentlich die Bienen an die Mutter fefjelt, dieſe auf verichiedene Weile verftümmelt und dabei gefunden, daß wenn man ihr beide Antennen (Zühl- oder nach Ande ren Geruchshörner) abfchneidet, Niemand mehr ihrer achtet. Da nun die Antennen nicht zu den Organen gehören, worin die beffere Koft und größere Brütezelle die Entwidlung modificirte, fondern hierin Wetfel und Arbeitsbiene fich gleich find, fo ift ed bei ihnen — tout comme chez nous. Wie dort die Bienen nach ben Antennen, fo fucht bei und die Maffe, ehe fie ins Feuer geräth, bei dem zu Feiernden nad) Solchem, worin er wie fte, d. 5. geiftlos und gewöhnlich if. Kann fie nun died „den Zopf, der Allen hinten hängt“ durch— aus nicht finden, fo hängt fie ihm einen an; ftößt fie aber auf Einen, an dem fie feinen wahrnimmt, defien Dlympier-Augen aber anzudeuten jcheinen, daß er gar nicht geſonnen ſei, ſich ſo ein Ding anhängen zu Laffen, fo laßt fie ihn ftehen, denn der ift ihr zu „vornehm“, und fucht nach einem Anderen, von dem die Leute auch viel fprechen, und ber bach mehr tft „wie unjer Einer”. Run aber giebt ed Eines, worin sa Ver Yieraee
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nehmſte gleich einem der Ihrigen wird: er ftirbt. Nichts st gewöhnlicher, Nichts gemeiner, Nichts ordinatrer als der Tod; in Nichts zeigt ein Menſch mehr Mangel an Geift als barin, daß er feinen aufgiebt. Schon darum find die Todten für die nad) Enthuſiasmus bürs ftende Maſſe eine gefundene Beute: ihr bloße Sterben ealtirt für fie, und fo kann es vorfommen, da Einer, der am Borabende feines Todes beteftirt ward, am Tage nach bemfelben mit Ovationen gefeiert wird. Das zu fommt aber zweitend, daß ber Todte fich nicht mehr wehren kann gegen das Anhängen aller möglichen Zöpfe, die ihn ber Maffe erft werth, und die ihn fähig machen, die vergötterte Puppe einer Saifon zu fein. Nichts tft Iehrreicher ald dieſe, für die ſchwärmende Maſſe erfuns denen Geſchichtchen, aus benen man zwar nie lernt, was ber Gefeierte war, wohl aber, was den Feiernden über Alles geht. Sehr harakteriftifch ift in diefer Hins fiht, das dem Galilei angedichtete, Gefchichtchen, daß, ala er die Bewegung der Erde abihwören mußte, er für fi) gemurmelt habe: Und fie bewegt ſich doch. Ich nenne das Geſchichtchen erfunden; denn ba jene Worte unhörbar follen gefprochen fein, fo wüßte man von ihnen doch nur durch Galilei's eigene Erzählung. Für fo gefcheibt aber wird man den Galilei doch wohl halten, daß er gewußt hat, wie es nicht (ehr wi O5 denmuth zeigt, auch gewöhnlich won \ehen umen cd
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verhoͤhnt zu werden pflegt, wem man FSauſft in der Taſche macht. Der Philifter freilich ſieht die Sady anders an: ihm ericheint Einer, der in feiner Taſch Fauſt macht, als ein Goliath an Muth, denn er felbt bringt es nur zu Schnippchen in ber feinigen. Dis wiſſen die auch fehr gut, die ihn mit jenem Gefchichtchen regaltren; ihm deutlich zu machen, worin die wahre Größe Galilei's befteht, möchte fehr jchwer fein, wer gegen das „Inwendig raifonniren“ ihm verftändlich ift, und verehrungdwäürdig ericheint; deswegen wird ihm von feinem Lieblings-Blatt oder Redner von Zeit zu Zeit pathetifch zugerufen: E pur si muove, wobei Beide noch den Neben: Bortheil haben, daß er fi fagt: die verftehen nicht nur Alles, fondern fogar Sta- liäniſch. Ganz wie bier den Galilei, fo richtet die Maſſe jeden wirklich Großen ſich erjt zu, um ihn gentehbar zu finden, und für ihn fchwärmen zu können. Sie be: ftättgt Darin nur, was gejagt ward: Man begeiftert fi für Größeres, Höheres, man ſchwärmt nur für feined Gleichen.
Iſt Schmwärmerei nicht ſowohl ein geiftiger, als viel: mehr ein Naturzuftand, in welchen geiftige Wefen ge rathen, jo folgt von jelbft, daß Bedingungen rein phy⸗ ſiſcher Art ihr Hervortreten ermöglichen oder verhindern werben. Nicht nur der Yäger, der früh Morgens bie
Birkhähne bei der Balze Überroidgen mil, Kart, warm
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ed Abends ftürmt und Flocken fallen: es wird nichts, fondern dasſelbe Wort fpricht Pötion am Vorabende einer verabredeten Straßendemonſtation aus, ald er fein Fenſter öffnet und es regnet. Ohne Gefühl des phy- chen Wohlſeins ſchwaͤrmt ſichs gar zu fehlecht. Auch dies ift bei der Begeifterung andere. Während ber größten Berfolgungen und Leiden hat ſich in der Kirche die größte Begeifterung gezeigt; inmitten der größten Landescalamität gründet unfer, ſelbſt verarmter, König die Berliner Hochſchule; während der drückendſten Baum · wolfennoth denken die Sabrifarbeiter in Lancaſhire an die Gründung von Schulen für ihre Kinder. Dagegen, wo ſchnell erworbener Reichthum jeden Genuß leicht erreichbar macht, da will man alle acht Tage ein neues exeitement, und wo in Folge eines bis dahin uner« hörten materiellen Wohlſeins 1a France s’ennuie, da ſchwärmt die Maffe heute für den, der jenes Wort er fand, morgen wendet fie es am gegen feine eigenen glänzenden Reden und rottet fi um ben, der ihn einen Säwäger nennt und einen Lügner. ft phyſiſches Wohlſein Lebensbedingung für die Schwärmeret, fo ift es eine Ungerechtigkeit, wenn man die Schwärmenden ſchilt, daß fie fich das Gefühl des Wohlſeins zu fteis gern pflegen, oder wenn man mit bitterem Spott das Leben in der Wüfte, das Zaften und die Nogtuuien, wie einft begeifterte Männer ed übten, von Ess
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ſiaſten von heute mit ihren Zweckeſſen als Mufter vor: hält. Es ift eine Ungerechtigkeit, denn Eines fchidt fih nicht für Alle. Pullatillen gedeihen auch in purem Sande, Nympheen gehen darin zu Grunde; die Schwär: merei ift wie die leßteren, fie will begofien fein, ſogar fehr. Daß man aber dazu Flüffigkeiten nimmt, bie allerlei organische Beftandtheile enthalten und, im Fall es diefer zu viel gab, dies durch Soda haltiged Wafſer gut macht, das ift nach Prinzipien der Agriculturchemie das einzig rationelle Verfahren.
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Da die bisherige Audeinanderfegung nur gezeigt bat, daß, wenn einmal geſchwärmt wird, Die, welche es thun, nicht noch beſonders getadelt werden dürfen, wenn fie langweilig werden, beichränft erjcheinen, nicht im Trocknen figen wollen u. |. w., weil died Alles dann ganz natürlich ift, jo hat fie offenbar einem Plaidoyer geglichen, das nicht auf Freiiprechung des Angellagten binarbeitet, fondern nur darauf, dem Mitleiden der Ges Ihworenen die Annahme mildernder Umftände zu ent: reißen. Bielleicht tft der Inculpatin Unrecht gefcheben. In Einem nicht nur vielleicht, fondern gewiß: darin, Daß man den Hauptzeugen nur erzählen ließ, was gegen
fie fpricht, in dem aber, was für fie wagen Tasse, I
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gar nicht befragte. Diefer Hauptzeuge ift für und die Sprache geweien, die und bezeugen mußte, dag Schwär- merei mit Schwarm, Begeifterung mit Geift verwandt fei. Nun giebt und aber doch die Sprache ihre Winte nit nur durch die Stammverwandtfhaft der Wörter, fondern auch durch das, was in ihr herrichender Ger brauch; ja auf diefen muß man eigentlich mehr geben, weil er nicht nur, wie jene, und lehrt wie damals, wo die Wörter entftanden, unfer Volk dachte, fondern wie es noch heute denkt. Erkundigt man ſich aber bei dem heu- tigen Sprachgebrauch nad) der Schwärmerei, fo denkt er bei biefem Worte nicht, wentgftend gewiß micht zu⸗ erft, an das fich zu einem Schwarm Zufammentotten, ſondern er meint jenen eraltirten Zuftand, der in der Einfamkeit fo gut wie im Verein mit Anderen, viel- leicht noch beffer gebeiht, in dem das Herz für dad Edle glüht, nach dem Höchften verlangt. Dieſe Schwär: merei als fein ausſchließliches Eigenthum dem Ppilifter zuſprechen, ihr alles das nachſagen, was bis jept von der Schwärmerei gefagt wurde, würde jedes fittfiche Gefühl verlegen. Und wieder fagen: mit ihr verhalte - ſichs ganz anders als mit der biäher betrachteten, das ſcheint unfere ganze Begriffebeftimmung umzuwerfen. Doch nicht. Nicht nur anders tft diefe einfame Schwär- merei, als die biöher betrachtete, fonderu tar ertınd Gegentheil und dennoch bezeichnen vor hehe wi Sun
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Worte; mit demſelben Recht, mit welchem wir Dämme⸗ rung nicht nur den Anbruch des Tages nennen, ſon⸗ dern auch Dad Gegentheil davon, jein Vergehen. Die frühere Behauptung: Schwärmerei jet ein Zuftand Solcher, welche der Begeifterung nicht fähig, bleibt unerfchüttert, auch wenn Solche unterjchteden werden, die überhaupt nicht und Solche, die nur noch nit fich begeiſtern können. Sa felbft dad ganz zuerft aus: geiprochene Urtheil, Schwärmerei jei Krankheit, kann aufrecht gehalten und doch zwiſchen folchen Krankheiten unterjchieden werden, welche die Gefundheit nur fähr: den, und denen die, weil fie vor Fünftigen Krankheiten fiher ftellen, diefelbe zugleich fürdern, wie Pocken, Scharlachfieber, kurz alled das, was man Entwicklungs⸗ oder Kinderkrankheiten zu nennen pflegt.
Den Zuftand, wo etwas noch nicht ift, was es fein fann und fol, nennt man überall Keimzuftand oder Unreife. In der Zeit, wo der Geiſt erit reift, d. h. der Jugend, kann auch die Begeijterung nur im Keim- zuftande fich zeigen, und dies ift jene andere Schwär: merei, von der eben gefprochen wurde, die nicht im Nie, nur im Noch nicht: Begeiftertfein beftehen follte. Bon ihr, der Jugendſchwärmerei, gilt nun nicht, was von der Schwärmerei der Maſſe gejagt ward, daß fte nur uneigentlich, wie bie faichen Gelenke, Begeifte:
rung heiße. Sie iſt ed wirtiih, war im Tomtiyesae
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ſtande. Sie iſt Begeiſterung, denn ſie adelt den, der ſie hegt, indem ſie den Keim der Urſprünglichkeit in ihm nahrt und ihn dahin bringt, nie ſich gemein zw machen, ftets fich über das Gewöhnliche zu erheben, Sie ift Begeifterung, denn fie kann ihren Gegenftand nicht vornehm genug haben, und wo fie demfelben etwas andichtet, da wird ed gewiß nicht fein, daß er Muth zeigt, wo es Niemand merkt, jonbern eher, daß er den Martyrtod nie geſcheut Habe. Sie tft Begeifterung aber im Keim- oder Knospenzuſtande: mas ihr fehlt, iſt nicht der Inhalt, fondern die entwidelte Form, die Entfaltung, und darum die Klarheit. Wie die Jugend Geift nur zeigt, indem fie Herz (dieſe Knospe des Geiftes) zeigt, fo iſt auch ihre Begeifterung ein Herzenäzuftand und heißt ba (jugendliche) Shwärmerei. Während die Schwärmerei der (herzloſen) Maſſe darin befteht, daß ihr etwas in den Kopf gefegt ward, zeigt die Schwär- merei der Jugend, wie dus, was den Geiſt des begeis fterten Mannes erfüllt, ſich bort geftaltet, wo es bie Herzen eroberte. Statt ber Har gedachten Vernunft: forderungen in dem Begeifterten, fprechen in dem ju: gendlichen Schwärmer die unbeftimmten Wünfche des Herzens, ftatt der Maren Welterfenntniß dort, malt hier die Phantafie ſich ihre eigene Welt. Weil fie aber rein find diefe Wünfche und Phantsfegeiitte, Vera gen ftinmen fie mit dem zuiammen, wa Let ie
das Werden zu Eifig. Gerade in enittiit, wa he er
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Haren Geiſt erfüllt; was Beide wollen, der Begei— fterte und der jugendliche Schwärmer, es tft dasſelbe: das Ideale. So gewiß ed darum fft, daß wer jemalö begeiftert war, nie ſchwärmen kann, ebenjo gewiß, daß nie Einer Begeifterung zeigen wird, der nie gefchwärmt Hat. Die Möglichkeit der Begetfterung beruht darauf, ja fie befteht darin, daß in der Jugend gefchwärmt ward, aber audgefchwärmt. Dies Wort bat nicht den ruchlojen Sinn, wie in dem Munde Mancher das Wort „ausgetobt”, dat nämlich Die Tugend dad Mark ihrer Knochen vergeuden folle, damit man im Alter windel⸗ weiche Männer babe, die keines Widerftandes fähig. Nein, ausſchwärmen fol die Jugend jo, wie der Moft ausgähren fol, um ein Getränf zu geben, das, wenn es auch nicht die fliegende Gluth des „Federweißen“ er: regt, Fräftiger ift, nachhaltiger erwärmt, und ficher ift vor einer zweiten, unzeitigen Gährung. Die Iugend- fchwärmerei iſt der gährende Moft der Begeifterung, bie Schwärmerei der Mafje tft ihr Eifig; darum ent: fteht fie auch ganz wie dieſer. Wo nämlich die Um: feßung der Beftandtheile, die wir Gährung des Meoftes nennen, unterbrohen wird, ehe fie durch Die ganze Maſſe bindurchgegangen ft, da entfteht in dem Weine, der darüber hinaus fein follte, ein neues Arbeiten, ein Gaͤhren, dad aber eine Zeriegung anderer Art ift, eben
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Jugend ziemende Schwärmerei gewaltfam unterbrüdt ward, in der Maffe, deren Beftimmung tft, ruhig zu fein, eine Gährung ſchlimmerer Art, und ihr Verhält niß wird am richtigften fo formuliert: die Schwärmeret der Maſſe ift verhaftene oder zurüdgetretene Jugend ſchwärmerei. Dies führt auf eine weitere Frage: was veranlaßt ſolches Zurüctreten?
Einem Bortrage, der den Beobachtungen über das Schwärmen in der Natur jo viele Belehrungen ent lehnte, ja feinen Urfprung verdankt, ift es nicht zu ver- übeln, wenn er auch hier ſich bei ihnen Raths erholt. Da fagt ihm nun die Erfahrung, daß von ben ur— ſprünglich ganz gleichen Bienenmaden in den Einen, den in bie engen Zellen gelegten, die Lebenskeime kom⸗ mender Generationen verfümmern, in den Anderen, die nicht fo eingeengt aufwachſen, ſich entwideln und reif werben. Weiter aber lehrt dad Erperiment, daß auch in der letzteren fie ertödtet werden, fobald fie einer zu niedrigen Temperatur (— 60) auögefept werden. Dem Winke, den jene Erfahrung uns giebt, Tönnte Einer die Fälle entgegenftellen, wo auch bie beengend- ften Verhältniffe bie Kraft des Geiftes nicht brachen, ja, indem fie frühe zum Widerftande aufforberten, viel- mehr fteigerten, fo daß alfo Hier der Eingeengte felbft that, was im Bienenkorbe Anderen Üherifien Wr. bie Belle erweitern. Keiner wich Dieie Te wu
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die uns mit Stolz ob der Kraft des Menſchen erfüllen. Keiner aber wird behaupten, daß es immer, Wenige nur, daß es oft ſo geht. Schlagender noch, aber auch niederſchlagender iſt, was jenes Experiment uns an— deutet. Es mahnt uns an die, welche die Keime wahrer Begeiſterung in ſich trugen, die aber in eine Atmo— ſphäre gefeßt wurden, wo der kalte, ertödtende Hohn geijtreicher, aber blafirter, Wortführer jeder ſchwärme⸗ riihen Anwandlung als Romantif den Krieg erflärt, jeden Funken wahrer Begeifterung ald Idealismus brandmarft, und in denen jene Keime eritarıten. Und nun trete man mit, durch Erfahrung und Crperiment geſchärftem, Blid an die Gegenwart heran: die wach— fende Bevölkerung beengt immer Mehreren den Raum, durch den wachjenden Wohlftand find Bedürfnifje und Genüſſe aller möglichen Art entjtanden und die Zahl derer Entjeßen erregend geftiegen, die von Jugend auf erit hören, dann denfen: dad mußt du entbehren, wenn du Dir nicht Mittel jchaffft, es zu erreichen. Will Einer ih wundern, wenn Dieſe nie eine Anwandlung jugend: liher Schwärmerei empfanden? Und wieder, wenn man bedenkt, daß den immer weniger Werdenden, denen mehr Spielraum und beffere geiftige Koft geboten wart, und die alfo wohl hätten fchwärmen können, ſchon an der Wiege Heines und Anderer Sarkasmen dagegen dorgefungen wurden, mo man ed it uni,
Da
finden, wenn fie das in ſich zu unterbrüden fuchen, was man fie gelehrt Hat, „blöbe Jugendeſelei“ zu nennen, und wenn ihnen dies (wenigftend hinſichtlich der Jugendlichteit und Blödigkeit) wirkfi gelingt? Beides alfo hat fich vereinigt, um in der Gegenwart die Zahl derer fo groß werden zu Iaffen, in denen die weinigte Gährung jugendlicher Schwärmerei gehindert und unterbrochen, die Effiggährung der Maſſenſchwär- merei hervorgerufen ward. Darum werden wir nicht nur, wie vorhin, die Aeußerungen diefer Schwärmerei, fondern wir werben ihr Dafein, ihr Vorkommen felbft ruhiger anfehen müffen, als dies gewöhnlich gefchieht, denn wir haben und erffärt, warum fie nicht audblei- ben konnte. Ja, wenn wir heute eben, daß es dieſes Eſſigs doch gar zu viel giebt, fo wird felbft darin noch ein Troft und ein Grund zur Freude gefunden werden können. Nicht im Sinne derer freuen wir und des Eſſigs, welche ihn praftiich verwerthen, indem fie, was ſich fonft nicht haften würde, den eigenen ephemeren Ruhm darin einmachen, fondern weil, fo Schade es ift, daß ein Jahrgang umſchlug, er und bemeift, wie viel Trauben unfer and trug.
Und neben diefem leidigen Troft fein Heilmittel? Selbft wenn mein Beruf wäre, was er glüdficher Weile nicht iſt, als Heifkünftler in bie Zertoechiiintie Kupe greifen, durften mehr von mic wertet Wie 06
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verlangen, welche die neuere Medicin auf Kojten der älteren erheben, weil fie zwar nicht mehr Kranke kurirt, aber viel befier weiß, woran fie jtarben. Wie viel we niger dürfen fie es jetzt, wo mein Bernf nur ift, der Zeit, jo weit ich es vermag, den Spiegel der Wahrheit vorzuhalten. Sehen wir aber zu, wie in Diefem Zeit: fpiegel das, was ung befchäftigt hat, Die Schwärmerei und Begeifterung fich ung darftellt, jo zeigt er ung zu- erft Das glänzende Bild, das wir in dieſen Tagen fahen, wo Tauſende von Solchen, die vor einem halben Jahr⸗ hundert fchwärmend für dad Vaterland, Taum noch Sünglinge, fich auf ihres Könige Ruf um ihn ſchaar— ten, als reife mit Preußens größten Chrenzeichen geſchmückt, auf ihres Königs Ruf um ihn fich fammeln, begeijtert für das, wofür fie damals ſchwärmten. Er zeigt und weiter ein trübered Bild: er zeigt, wie miß- trauiſches Unterdrüden jugendlicher Schwärmerei nur in fehr Wenigen die Keime wahrer Begeijterung ftei: gerte, in Vielen fte verkümmerte, in noch Mehreren fie erftidte oder verfänerte, und wie dem Zubelrufe jener unglüdfeligen Zeit: alle Gährung hat aufgehört in der ſchwärmenden Tugend, heute das fpottende Echo ant- wortet: die Maſſe gährt und ſchwärmt. Cr zeigt ung endlich — doc) nein! möge ein Anderer den Vorhang lüften, binter dem ſich zeigt, wie ih eine Welt ge ftaltet, wo dies ſeine Früchte irügt, Don Seituiste Ve
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Begeiſterung, welche erſt reift, verhöhnen, und Geift- volle mit denen buhlen, die feiner fähig find. Anſtatt mit einem ſolchen Mißklange zu ſchliehen, geht mein Vortrag vielmehr zu denen über, die, weil der Pro: metheifche Funke noch in ihnen glüht, ung eine Zukunft verheißen, die nicht nur ſchwarz ift. Und nicht nur zu ihnen, um uns, —aud an fie, um fie ſelbſt zu ermun⸗ tern, möchte er fidh richten. Auch Hier im Saale ſchlägt vielleicht manches junge Herz und drohen die geheim: nißvollen Ahndungen jugendlicher Schwärmerei die volle Bruft zu fprengen, weil fie fi} verbergen müffen vor denen, die ihrer fpotten, oder welterfahren weiffagen: dergleichen führe zu Nichts in einer Welt, wie fie nun einmal ift. Möge aud) Bier. — zum legten Male — ein Blid auf das Schwärmen der Naturweien Be lehrung und Beruhigung gewähren. Vollbeladen mit den Schägen der buftigften Blumen fucht ein Bienchen den Rückweg. Richtungslos ift fein Flug, denn fein Haus ift mutterlos, oder es felbit zu weit Davon ab- gekommen. Da kreuzt, kühn und ficher, weil er feinen Strich nicht verlor, der Arbeiter eines mächtigen Schwar- mes der Armen den Weg. Erſchrocken weiß fie nichts Beſſeres zu thun, als ihren Honig anzubieten; der wird angenommen, und — nad) furzer Zeit finden wir bie Beraubte emfig arbeitend neben dem Räuher, wer Ir in fein Haus mitnahm. Schwärme bar Te or
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volle Seele unbeſorgt weiter! Schwärme fie, wie der und älteren Generationen einft fchwärmen machte, der heute vor hundert Fahren geboren Ward. Schwärme fie getroft und ſiegesgewiß. Wir finden fie einmal wieder und laffen und erzählen, wie fie mit dem, was ihr Honigmündchen gab, fich eine Heimath erfauft hat, in der aus der richtungsloſen Schwärmerei Begeifte- rung ward für dad, was zuleßt allein begeiftert, für Pfliht und Beruf.
Berlin, Drud von Suhon She. Marienfraie r.10.
3 Zwei Märtyrer der Wiſſenſchaft.
Vortrag gehalten zum Seften des Halleſchen Frauenvereins am 9. März 1864 von
Dr. Erdmann, vm ſeſſor in Halle.
Serlin. Berlag von Wilhelm Herg. Geſſerſche Buchhandlung.) 1864.
Hochuverehrende Derfammlung!
Ya den, zum Sihaben beider Theile, oft wieder⸗ Holten Streitigkeiten über den Vorzug ded Glaubens oder Wiſſens und den, ſich daran anfchließenden, Zän- kereien über Religion und Wiffenfchaft, ift es vorge kommen, daß die Gläubigen, indem fie mit gerechtem Stolz auf die Menge von Blutzeugen hinwieſen, deren fih die Religion rühmt, daran die nedende Frage Tnüpften, wo denn die feien, die für ihre wiſſenſchaft ⸗ liche Ueberzeugung den Beweis geliefert haben, den der ehrliche Kant ala den fehlagendften bezeichnet: daß ſie Alles, Wohlſein und Leben, daran fegten? Bet ſolcher Gelegenheit Hat es an fpöttifchen Seitenbliden auf je= nen Heros der Wiſſenſchaft nicht gefehlt, der troß feis ner befjeren Weberzeugung ed doch abgeſchworen hat, daß die Erde fi bewege. Wer dem Galilei gleich nachher geſagt Hätte, daß ein ſolches Abſchwoͤren eigent» Hd) eine jämmerliche Sache fei, Hätte von ihm leicht die Antwort erhalten können: Freund! Das Haft du mir nachgeſprochen. Denn in ber That Kat er, m einige Zahre vorher ſich das Gerhäyt weruräiet Ads
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er habe abgefchworen, den Cardinal Bellarmin um ein fchriftliches Zeugniß gebeten, daß diefe „ehrenrührige” Behauptung eine Verläumdung fei. Bei ſolchem auf: richtigen Eingeſtändniß erfcheint ed mir als Härte, wenn, anftatt des Vielen was ihm Chre macht, jeit zweihundert und ein und dreißig Jahren immer wieder das Eine erwähnt wird was feine; ja die Härte wird zum graufamen Hohn, wenn man Dies Eine fo behan⸗ delt, ald wäre ed dad Größte was Galilei je gethan. Wie Hein müßte der doch fein, defien größte Großthat etwas wäre, was er felbit für ſchmachvoll erflärt! Aber gelebt es wäre anders, gefegt Galilei hätte geglaubt und th glaubte, was wirklich Viele zu meinen ſcheinen, daß Sich » Durdhlügen eine Heldenthat fei, oder auch ein Martyrthum, jo würde dies nicht ich zu beweiſen, nicht tch den Galilei zu rechtfertigen haben, fondern der Phy⸗ fifer. Statt feiner diefe Pflicht erfüllen hieße einen Ein» griff thun in feine Rechte, zu denen doch gewiß gehört, daß man nicht gehindert werde feine Pflicht zu erfüllen. Wäre num gar der Phyſiker, dem ich fein Thema vor wegnähme der unjrige, jo wäre das ein Raub an uns felbft, den Ste alle, mit Recht, mir nicht vergeben wür⸗ ben. Dagegen trete ich Niemand zu nabe und thue fo recht was meines Amtes ift, wenn ich den, nicht nur der Vhyſik fondern der Wiſſenſchaft überhaupt hingewor⸗ fenen, Handſchuh jo auihebe, Do ih ak em Muck
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rologio gerabe meiner Wiſſenſchaft, ber Philoſophie, zwei Namen hervortreten Iaffe. Zur Wahl deö einen verpflichtet fogar ein perfönliched Band; Jahre lang hat, ber ihn trug an berfelben Univerfität, der id) an« zugehdren die Chre habe, an der Untverfität Witten berg, in bem Sache gelehrt, das ih am berfelben ver⸗ treten helfe. Nur eine Bemerkung muß ich, um Miß- verftändniffe oder falſche Erwartungen abzufchneiden, vorausfhiden> Wenn ich Hier von zwei Märtyrern der Wiſſenſchaft fpreche, fo wird dies Wort im Sinne des Sahrhundertd genommen, dem fie angehörten. Das fechgeßnte Jahrhundert Tannte noch nicht elmmal Hagel- und Sener-Affecurangen, geſchweige denn bie viel neuere Erfindung der Berficherungdanftalten gegen Martyrthum. Gegen barf ich wohl eigentlich wicht jagen, da biefe Anftalten ja ausdrüdiih zum Martyrium auffordern, etwas was freilich bie Feuer-Affecuranzen auch oft thun, aber doch nur wider Willen. Diefe Imftitute alfe Tannte jene dunkle Zeit noch nicht. Die Lente von damals waren wirklich unglaublich zurüd. Wenn fie gehört hätten, mas wir fo oft mit Angen fahen, daß Einer, der ſich „für feine Ueberzeugung geopfert” hat und nun die erwartete Leibrente aus einer Märtyrer Gaffe richtig bezieht, davon Luſtreiſen macht, daß er in Zweckeſſen gefeiert wird, in glängenhen Kanten id artyrthum ſchildert und {ubelnde Vodo dodt cat
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— fie wären im Stande geweien von einem folchen Märtyrer in heiler Haut (diefer Specialit6 des neun- zehnten Jahrhunderts) zu jagen, er habe wohl eine heile Haut aber er fei gar kein Märtyrer. Treuen wir und unfered aufgeklärten Zeitalterd, denken wir aber, um jene Zeit zu verftehn, für eine Stunde wie le.
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Gerade am Scheidepuntte der beiden Hälften des fechzehnten Sahrhundertd wird in einer angefehenen Familie Giordano Bruno geboren. In der Neapolita- nifhen Stadt Nola; daher: il Nolano. Ganz jung teitt er in den Domintcanerorden. Mit welchem Sinn er den ermwählten Beruf ergriff, darüber fehlen uns alle Nachrichten; vielleicht mit glühender Schwärmerei. Bielleicht war feine verloren gegangene Jugendſchrift von der Arche Noah, die er dem Papft Pius dem Fünften zueignete, nicht nur in ihrem Titel fondern auch im Inhalte ein Gegenftüd zu der Schrift des Hugo von St. Victor, diefem Entzüden der Myftiker für Jahrhunderte. Wie dem et, daß die Befriedigung in dem erwählten Beruf nicht dauernd war, darf nicht Wunder nehmen. Schon das Bild des Giordano, die ſes feine Dval auf dem Inuaen Halfe, welcher aus dem Mönhsgewand ſcheimt herautworien ya mie, ni
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Baͤrtchen auf der Oberlippe, die großen, dunklen von etwad gebrungenen Lidern umfclofienen Augen — fie vor allem Tünbigen und, daß fie nicht nur zu Thränen der Refignation beftimmt find, zu deutlich an, als bag wir erftaunt fein follten, wenn wir von Kämpfen hören zwiſchen ber mächtig gebietenden Stimme ber Natur und ben Sorberungen des Drbend, der von feinen Glie⸗ dern eine über die Natur hinausgehende Heiligkeit er wartet, und faum ein Gebot Chrifti fo fehr betont als das, fein Fleiſch zu kreuzigen. Solche Kämpfe find nicht audgeblieben, und um ſich vor ihnen zu retten, hat Giordano, bei dem Kafteiungen und geiftliche Uebungen fehwerlich einen befieren Erfolg gehabt haͤt⸗ ten, fi ganz auf geiftige Beichäftigung geworfen. Poeſie, bald aber ganz ausſchließlich die Wiffenfchaft, ſollten ihm den inneren Zwieſpalt vergefien helfen, in den er gerathen war. Der wiffenfchaftlihe Forſchungs - trieb hatte fich, namentlich in Italien, in diefem Jah» Hundert ganz ber Natur zugewandt, und auch Bruno folgt diefem Zuge. In feinem Klofter find es vor allem die tieffinnigen Werke zweier Deutſchen, bie für ihn Epoche machend werden; vor Allem die bes Biſchofts von Brigen, des Cardinals Nicolaus, (von feinem Geburtsort End der Eufaner genannt) dann bie des fiebzig Jahre jüngeren Kopernikus. Beide, beisstak die erfterem, erfüllen ihn mit dem 18 Yalyen seduhesen
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Gedanken, daß das materielle AU unendlich ſei, daß die Erde nicht fein Mittelpunkt fein konne, weil dor. wo ein Lauf von Milliarden Meilen und dem Ende nicht näher bringt, nirgends Mittelpunkt ift oder auf überall. — Mit, der Andacht verwandter, Bewunderung vertieft er fich immer mehr in das Anſchann bes Alle, wogegen die Erde zu einem Punkt, und was ihm bis: ber die ganze Welt geweſen war, zu einem ber vielen Planetenſyſteme zufammenfchrumpft, und verfchlingt mit immer neuem Wiffendburfte die Schriften derer unter den Neueren, die, wie fein Landömann Teleflus, dieſen Gedanken fich gleichfalls zu eigen gemacht hat⸗ ten. Die nee grenzenlofe Welt, bie fich dem Geiſte feine8 Auges aufgethan hat, erhebt ihn über das Be engende feiner Lage, er giebt fidh zufrieden. — Da aber ermächft gerade aus dem was ihn getröftet Hatte ein nener Conflict: Wieder wird er, und abermals im Namen der Kirche und ihres Gründers, anfgeforbert von dem zu Iaflen, wo fein Herz iſt. Die Kirche hat nichts gegen die Wiffenfchaft, was fie aber duldet ift die von ihr recipirte Wiffenfchaft, die fogenannte Scho⸗ laftik d. 5. der mit einer Menge anderer Cfemente verſetzte Ariſtotelismus. Die Kirche Hat auch nichts gegen die Bewunderung des Weltalls und feiner Größe. Aber fie fürchtet durch das Aufgeben der ſich um bie Erde drehenden Planeten: vd Summittiiir, Yen Us,
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zu verlieren, wo Gottes Thron ſtehen kann. Und ſo bat die Kirche fo ſehr Ihre Sache mit der des Ariſto⸗ teled und des Ptolemätichen Weltſyſtems verfchmolzen, daß wer beide befämpft, ihr profan erjcheint, Hat er fih aber in ihren d. 5. in Chriſti Dienft begeben ald ein Ungeborfamer gegen beide. So Bruno, der Or densbruder. Alſo abermals tritt die Kirche mit ihrer Autorität und dem Namen Chrifti dem entgegen, was ihm fein Alles geworden war, aber mit einem anderen Erfolge diefed zweite Mal, ald dort wo es zuerft ge- ſchah. Die Forderung, das wilde Blut zu bändigen, wird zu fehr durch die Stimme des Gewiſſens unter: ftüßt, ald daß fie Iange nnbefolgt bliebe, und fo mag wohl auch Bruno, als die Kirche zu ihm ſprach: Gieb mir dad Weib, jo theuer deinem Herzen, Gieb beine Laura mir, ee mag (mm mit demfelben weiter zu |prechen, den ich eben plünderte) geftöhnt haben: Ich riß fie bintend aus dem wunden Herzen, Und weinte laut und — gab fie ihr. Als aber dad zweite Opfer verlangt ward, zu entfagen dem, was den Durft nach Erkennt⸗ nis ſtillt und nach Wahrheit, da macht der ergebene Gehorfam der Empörung Plab und dem Haß gegen den Unterdrüder. Beratung und Ekel bemächtigt fich feiner gegen den Artftoteled, den er iu jeinem cavallo Pegaso al8 eine der Bandelungen Kvrd ER . Sngrimm gegen die roͤmiſch taryolkiäge Terre, Wr €
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einer Schrift gegen die Trandiubitangiation im dem angreift, was damals zu ihrem Schibboleth geworden war, endlich aber wirklicher Haß gegen Chriftum, ber ihn nicht mur zu Spöttereien über die Lehre vom Gott: menfchen in feiner bestia trionfante bringt, fondern auch dazu, ſich unwillig vom Crucifixe abzuwenden, das ihm beim Tode vorgehalten wird. Es wäre Un- gerechtigkeit, dem Bruno Religiofität abzufprechen: feine eroici furori zeigen eine glühende Frömmigkeit, faft Gotttrunkenheit; aber feine Religiofität hat feine chrift- liche Färbung, fie tft, was er weiß und weß er fi rühmt, ganz heidnifch, fie äußert ſich oft in wörtlicher Vebereinftimmung mit jenem Lobgefang des Stotfers Kleanth, der die Welt als den lebendigen Leib des Zeus feiert, und mit dem Lehrgedicht des Epicureers Lucrez, defien Gottheit die Natur iſt. — Einmal auf dieſen Standpunkt gelangt, befeftigt ihn daranf das Studium auch folcher Schriften, die von einem ganz andern and geichrieben waren. Sp die ded Catalonierd Ramon Lull. Was deffen Schule als jein Hauptverdienft an- fah und wofür er den Märtyrertod gelitten hatte, die Vebereinftimmung feiner Lehre mit dem Tatholifchen Dogma, nennt Bruno eine Abgejchmadtheit; er verehrt in Lull nur den Erfinder der großen Kuuft, deö Ber ſuchs nämlich, die Denuklehre einer Anweifung zum Hechnen ähnlich zu mahen, wat werdget
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weil er meint dieſe neue Logik werde den ihm verhaß · ten Ariftoteled auch dort entthronen, wo jelbft befien Gegner feine Autorität beftehen ließen, in der Denk, lehre. Ebenſo fährt er fort den Eufaner ald ben tief» finnigften aller Menfchen zu preifen, darüber aber, daß bei ihm bie Lehre vom Gottmenfchen den Mittelpunkt aller anderen bildet, geht er hinweg und meint, ber Priefterrodt Habe den Nicolans am Gehen gehindert. Er ſelbſt Hält ſich an jenen räumlichen Mittelpunkt des Alls, ber nirgends tft und überall. Diefe beiden Gedanken, die Unmahrheit der Ariftotelifchen Lehren, die Denklehre nicht ausgenommen, und die Unendlich keit und Gottäͤhnlichteit des AUS, das unendlich viele Welten enthält wie unfere, dieſe werben und bleiben Hinfort die Leitfterne in Bruno's Denken und Leben. Für ich behalten kann er fie nicht, denn nicht nur weh das Herz, and) wei ber Geift voll iſt, geht der Mund über. Das Klofter aber bietet ihm weber Hörer in der Gegenwart, noch eine Druderpreffe, durch welche er zur Nachwelt fprecden Tann. So bieibt ihm mur übrig beide außerhalb der beengenden Mauern zu fuchen; er bricht dad Gelũbde, das ihm zur Kette geworben und entzieht ſich in feinem dreißigften Jahre durch Flucht feinem Kloſter und feinem Baterlande, um einen Lehr« ſtuhl zu finden auf dem er lehren, und eine Kreir durch bie er ber Nachwelt verünven tanı Wied | wer
— 12 — auch Alles, was er für wahr erkennt. Der Arme hat weder das Eine noch das Andere gefunden!
Der Ort wohin damals faſt Alle ſich flüchteten, die in Italien mit der römiſchen Kirche gebrochen hatten, Genf, war auch für Giordang der erfte Haltepunkt. Lange indeß konnte feined Bleibend an einem Orte nicht fein, wo mit faft monarchifcher Gewalt Beza die Geiſter beherrfchte, er der nicht nur, wie Calvin, in die Hinrichtung Servets wegen deſſen ketzeriſcher An- ficht von Chrifto eingewilligt, fondern diefelbe in einer befonderen Schrift gerechtfertigt Hatte, und der fpäter, als Einer die Denklehre, anftatt nach Ariftoteles nach Ramus lehren wollte, denjelben zwang die Stadt zu verlaffen. Um die Freiheit zu finden, die er fuchte, mußte Bruno weiter wandern. Zwei Jahre Iaug hat er fih im öftlihen und füdlichen Frankreich aufge halten. Wir wiffen Davon nur, daß er längere Zeit in Lyon war, und daß fein Verſuch, in Toulonfe Bor: lefungen zu balten, auf unüberwindliche Oinderniffe ſtieß. Glücklicher war er in Paris, wo erim 3. 1582 erichien. Daß die Sorbonne, dieſes Bollwerk de Ariſtotelismus, von dem (ſpäter fo genannten) Collöge de France in Schach gehalten wurde, machte es mög» lich, daß, als Giordano im Gegenfah zur Ariſftoteliſchen die Lullfche Denttunit zu Tehren anfing; er feine Hin
dernifje fand, ja day man m \agsr dur wöwsiiin
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Profefiur anbot; freilich unter der, ihm unerträglichen und darum nicht annehmbaren, Bedingung daß er fidh zum Befuch der Meffe verpflichte. Troh diefes freund: lichen Entgegenkommens, trotz der Huld, der er ſich bei dem Könige erfreute, ſah er doch bald, daß Paris nicht der Ort ſei, mo mehr als das Aeußerliche feiner Lehre, die Methode der Wiffenfchaft, der Weg zur Wahrheit, öffentlich gelehrt werben dürfe. Ja, der Welt auch den Inhalt der Wiſſenſchaft, die Wahrheit felbft, ber kannt zu machen, ſcheint nicht einmal durch den Drud möglich gewefen zu fein, denn bas übermüthige Luft- fpiel il Candelajo, in welchem er bie gelehrten Pe danten verfpottet, wird Niemand ald Gegenbeweis ans führen. Bielleicht war, daß dies in England mit größerer Sicherheit geichehen könne, ein Grund, warum ber Buchdruder Bautrollier, der nachher Bruno's itas liäniſche Sachen brudte, gleichzeitig mit ihm Frankreich für immer verließ. Ald unfer Slüchtling, ſchon ein Jahr nach feiner Ankunft in Paris, nad) England ging, fies nen die lachendſten Ausfichten ſich zu verwirkfichen. Gleich anfänglich) bot fid) bei einer alademiſchen Feier» lichkeit in Oxford die Gelegenheit, drei Tage lang ald fiegreicher Disputator ſich zu zeigen. In Bolge beffen beginnt er dort atabemifche Vorlefungen; nicht nur darüber, wie man Begriffe zerlegt und nerkiuet, Woe bern über das lopernikaniſche Weltigitem und Äther ie
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Unfterblichkeit der menfchlichen Seele. Kaum aber daß er fie begonnen bat, muß er fie ſchließen und erfahren dag, wenn Orford auch nicht mehr die Naturbegeifter: ten einfperrt, wie dreifundert Jahre früher den Roger Baco, ed doch noch weit davon entfernt tft, Diejelben
als willlommene Säfte zu hegen. So verläßt er dem _ nach kurzem Aufenthalt die Stadt, die er mit anderen -
Hoffnungen betreten hatte, nnd kehrt nach London zu- rüd, wo ihm hohe Pariſer Empfehlungen das Haus bes franzöftfchen Gefandten Mauviffier geöffnet hatten, in das er jetzt als ftehender Genofle einzieht; die Be kanntſchaft mit Philip Stöney eröffnet ihm einen Kreis geifteöverwandter Männer; durch nähere Beziehungen zum Hof wird er ein glühender Bemwunderer der
Königin Clifabeth, Die derjelbe Papft ercommunteirt
hatte, dem fein erſtes Werk gewidmet war.. Hier im engen Freundeökreife wurden mündlich die Ideen ent- widelt, die er denn auch endlich durch die Bermittelung bed vorhin genannten Bautrollier, der ſpäter viel Un- gelegenheit davon hatte, gedrudt der Mit: und Nach—⸗ welt vorgelegt hat. Man kann es nicht einen Zufall nennen, daß der, der mit der Kirche gebrochen hatte und von den Univerfitäten für fich nichts hoffte, die Kirchen: und Univerfitätäfprache verfchmäht, und im der Sprache redet, die \eine Motterigradhe war, und damals am englüihien Hofe vvd vu ven Wors Sun
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Londons, Lieblingsſprache. In London alfo und ita> liäniſch erihien Bruno's Gaftnahl, ein philofophifches Geſpräch, dad, wenn ed auch Feinen Vergleich aushält mit Plato's unübertroffenem Meifterftüd, fo doch durch eine Menge tieffinniger Gedanken überrafcht; bier feine Hauptichriften von den Principien des Alls, vom Un- endlichen und den vielen Welten; bier endlich jenes Geſpräch unter den olymptichen Göttern, in welches er feine Moralphilofophte eingefleidet hat, und in dem er durch den Mund ded Momus, der dad Gewiſſen repräfentirt, al’ den Grimm und alle die Galle aus⸗ fpeit, Die gegen Kirche und Chriſtenthum fich bei ihm angejammelt hatte. Alles was ihm in feinem Bater- Iande, was ihm in Tonloufe und Orford feindfelig be- gegnete, erhält bier feine Strafe, zugleich aber rächt er fih an der Macht, in deren Namen man ihm entge- gengetreten war. Darum diefe Spöttereien über die ttefften Myſterien des Chriſtenthums. Nicht nur des römtfch = tatholtfchen, denn die Rechtfertigung nur aus dem Glauben wird gerade eben jo verhöhnt. — Auch dieſe glüdlichite Zeit in Giordano's Leben ging vor: über, Maupiffier und Sidney verließen ziemlich gleich zeitig England und dem Bereinfamten wollte das, einft jo laut gepriejene, Land nicht mehr gefallen. Zualetch regt ſich abermals der Wunſh nah, Auer wÜRTIUES Bebrthätiakeit. nach einem Rattener., So NÄHIT
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es denn mit dem Profeſſorenlande, mit Deutſchland. Zwar der erſte Verſuch ſchlägt fehl. Von Marburg wird er glattweg fortgewieſen. (Nachher hat man ſich deß geſchämt und aus den Acten der Facultät ausra⸗ dirt, daß dies mit Willen der Facultät geſchehen ſei. Wie Schade, daß in den Blättern der Geſchichte ſich Raſuren nicht eben ſo leicht machen, wie in einem album academicum oder im eignen Gedäaͤchtniß!) Slüdliher war er in Wittenberg. Der milde ver föhnliche Geift Melanchthond wirkte dort noch nad, und fo hat man den Anderögläubigen, wie er fich felbft in feiner Abfchtedsrede nennt, mit duldſamem Sinne zwei Jahre lang lehren laſſen. Freilich war ed nu, was er auch in Parts gelehrt hatte: Logik, Denkkunft nach Lull'ſchen Grundfägen. Für die eigentlichen Ar: cana feiner Lehre fehlte es ihm an Boden. Bielleicht wird Prag diefen bieten? Er geht dahin, aber was er ‚bier druden läßt, beweift, daß er dort noch weniger wagen durfte ald in Wittenberg. Da öffnet fich plöß- lich eine Ausficht, fo glänzend wie noch nie: Herzog Zulius von Braunfchweig beruft ihn als Führer ſei⸗ ned Sohned und zugleich als Univerfitätölehrer nad Helmftädt. Kaum aber ift er da, fo ftirbt der Herzog. Daß Bruno die Trauerrede halten mußte, beweift in welchem Anjehn er hier Wod. Trotz deſſelben und trotz dem, daß fein früherer Bhglıny Her eh Tuiıaı
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fingen die Aufeindungen bald an. Aus einer öͤffent ⸗ lichen Excommunication durch den Pfarrer Boðthius, ſo wie aus einer Aeußerung in der Trauerrede hat man ſchließen wollen, daß Bruno jetzt — früher ges wiß nicht — förmlich zum Glauben der Proteftanten ſich bekannt Habe. Obgleich er gegen ben verdammen ⸗ den Zeloten fcheint Recht behalten zu haben, fo mar ihm doc der Aufenthalt in Helmftädt verleidet, und auch dies Har geworben, daß hier er nichts Wichtiges werde bdruden Tönnen. Beides zufammen war wohl der Grund, warum wir ihn im 3.1590 in Srankfurt finden, wo ber gelehrte Buchdruder Wechel (ein beut- ſcher Henry Etienne) feine brei lateiniſchen Lehrgedichte, vom breierlei Kleinften, von der Einheit, von der Uns enblichteit druckt, ja bie Debdication an den Herzog von Braunfchweig ſchreiben muß, weil während des Druds ber Berfafier Frankfurt ganz plöglich verlafien und ſich auf die Reife nach — Stafien gemacht Habe.
Was ift ed wohl gewefen, das ben Giordano in bie Nähe derer führte, bie in ihm nur ben Fahnen- und Landeöflüchtigen fehen Tonnten? War ed nur Heimweh, mr Sehnfucht nach dem blauen Himmel und ber reis nen Luft? War es dad Verlangen, wiederum in bem Mittelpunkte gelehrter Bildung zu leben! War es ber Wunſch das, was auf franzoͤſiſchen, engltidien, Vexiiigen. Univerfitäten nicht geglüct war man ze ut ws
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einer italiänifchen zu verjuchen? Oder aber, wollte er einen praktiſchen Beleg zu einem der letzten Worte geben, dad er in Deutſchland geichrieben Kat: der Weile fürchtet den Tod nicht, ja ed kann Lagen geben, in welchen er ihn fucht, wenigitend ihm rubig entge gengeht? Niemand vermag dieſe Fragen zu beant worten. Genug, zum Erftaunen Aller, zum Schreden dee Wenigen die fich für ihn intereffirten, vernahm man im 3. 1591, daß Bruno in Padua, das damals unter Benetianifcher Herrichaft ftand, öffentliche Vor⸗ lefungen halte. Bald mußte er merken, daß fidh ein Unwetter über feinem Haupte zufammenziehe; ihm zu entgehn begibt er fich nach Venedig. Zu fpät! Schon war der unermüdliche P. Snquifitor San Severina anf ihn aufmerffam geworden, und forderte daß der entlaufene Mönch verhaftet werde. Died konnte nicht verweigert werden und geichab im September 159. Gegen die Auslieferung aber nah Rom fträubten ſich die Venetianer. Man bat, daß fie fo lange wider ftanden ald ein Berdienft ded P. Sarpt, diefer Incar nation der Politit ded Staats-Intereſſes im Gegen fag zu jedem Angriff, gehe er auch von der Kird aud, bezeichnet, und daß die Auslieferung endlich bo
erfolgte fo erflärt, daß im 3. 1598 Sarpi nicht F
beim war. Gewiß it, daß in dieſem Jahre Bew
nach Rom gebracht warb, dab er Tot ud inter T
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beftürmt wurde, feine Kehereien, unter die man auch feine Bewunderung der Königin Eliſabeth rechnete, durch Widerruf zu fühnen, und da, als Alles vergebr lich war, endlich das Todesurtheil über ihn gefällt werd. Er empfing ed mit den erhabenen Worten: Died Ener Urtheil macht Euch zittern, nicht mich! Dann ward er dem Nachrichter übergeben mit der Weiſung, daß bie barmherzige Mutter Kirche fein Blut Tönne fliegen fehn. Der Mann verftand ben Wink: Blut ift wirklich nicht gefloffen am 17. Februar 1600 auf dem Campo de’ Fiori, denn den Nolaner verzehr ⸗ ten die Slammen des Scheiterhaufens!
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Sollte Einer in ben zuletzt geſprochenen Worten eine Aufforderung finden, zu wiederholen was er oft gehört, oder auch felbft gefagt hat, daß wie hier Bruno an dem Benetianifchen Staatsmann feinen Vertheidi- ger, an dem Römifchen P. Inquiſitor feinen Der: folger gefunden, fo zu allen Zeiten die Wifſenſchaft Grund gehabt habe, ſich über bie geiftliche Macht zu beflagen, die Weltmacht aber zu rühmen, fo halte er fein Urtheil zurück, bis wir gehört haben, was in dem⸗ ſelben Jahre, wo Bruno nad Rom gebrock wi, ein Landemann und Geiftesverwanter yon un
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fahren hat. Achtzehn Jahre jünger als Bruno war Giovan Domenico Campanella in Stylo in Calabrien geboren und trat, indem er ſeine Taufnamen mit dem des bedeutendſten Theologen der Dominicaner, Thomaſo, vertauſchte, in ſeinem funfzehnten Jahre in den Dominicanerorden. Der glühende Eifer, mit dem fich der junge Mönd auf Poeſien und naturwiſſen⸗ ſchaftliche Studien wirft, bringt ihn nicht, wie den Nolaner, in Zwieſpalt mit ſeinem Beruf. Man braucht nur ſein Bild anzuſehn, den Mann dem die Kutte ſo bequem ſitzt als hätte er ſie nie abgelegt, die kurze Stirn mit dem krauſen ſchwarzen Haar, bie feft ge: fchloffenen Lippen, und man fagt fih: deſſen Art ift ed nicht, einmal gefaßte Befchlüffe zu bereuen. Zwar feine Ordensgenoſſen wurden bedenklich, ald der Jüng⸗ Ung mit folcher Leidenfchaft über die Schrift des Te leſius herfiel, und verhinderten jebe perjönliche Berüh— rung, fo daß er ben Meifter auf der Bahre zum erften Male ſah, und fein Loblied eine Todtenflage wurde, aber was fie von einer genaueren Belanntfchaft ge fürchtet haben mochten, lag dem Sampanella fern. Mit Recht fagt er fpäter, daß feine Darftellung der Natur: lehre nur darin von der des Telefins abweiche, daß er gezeigt babe, wie alled dieſes fchon von ben Kir henvätern gejagt \el. Bam Aufange bis zum Ende feiner Laufbahn iſt er ein reg Trier Damm
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Daß, von jener erften Disputation an, wo einer der Widerlegten entrüftet ausrief: nur durch Hülfe des Böen Tönne der Jüngling dad wiſſen, wozu er feine Zeit gehabt, um es zu Iernen, fo viele Orbenägeiftliche ihn anfelndeten, daß er Jahre lang, mochte er in Rom oder Florenz, in Padua ober Venedig fein, von heim» lichen Spähern umgeben iſt, die ihm jedes Manufeript ſobald es vollendet iſt, eutwenden, um es, wie ſich fpäter zeigt, den römifchen Inquiſitoren zu ſenden, ber weiſt nicht das Gegentheil. Theils gehen dieſe Chir canen von Gliedern eines andern Ordens aus, theild find fie Folge perfönlichen Neides, theils endlich hat die Rache fie dietirt, die der Hochfahrende, auf feine Gegner ftolz Herabblidende, wohl hervorrufen konnte. Entſcheidender als alles dies iſt doch, da er aus allen Prüfungen welche bie Inquifitoren in Folge diefer Angebereien mit ihm vornahmen, gerechtfertigt und rein hervorgeht. Nach einem längeren Aufenthalte außerhalb ber Heimath ehrt er in diefelbe zurück, bes ſchaͤftigt mit einem Trauerfpiel zur Verherrlichung ber Maria Stuart — (Bruno Hatte ihre Feindin, die Ell⸗ ſabeth, gepriefen) — und fortarbeitend an feinem merk würdigen Buche über bie fpantiche Monarchie, das man, weil der Schluß und einige Einfchiebiel defſelben zwölf Jahre fpäter geichrieben wurhen, RR eine fpätere Zeit gejegt hat. Geweh tat er Ti os
Träume dieſes Werks von einer über den Erdkreis verbreiteten Herrichaft des Papftes, unter ber es feine Keperei, nenne fie ſich uun nach Muhammed oder Cal⸗ vin ober Luther, mehr geben werde, auch münblich oft entwidelt, und vielleicht haben merkwürdige Conftella- tionen ihn diejes Himmelreich auf Erden als nahe be vorftehend hoffen und verkündigen laſſen. Gleichviel; mitten in diefen beglüdenden Bifionen trifft ihn ber verhängnißvolle Schlag, der fein Leben zerftört.
Was eigentlich die Spanifche Regierung, unter der fein Vaterland damals ftand, dahin gebracht bat, ihn als Majeftätöverbrecher einzuziehn, tft nie aufgeklärt. Die Beichuldigung, er habe mit den Türken gegen die Tpantfche Herrſchaft confpirtrt, ift eine Abgeſchmaktheit dem Manne gegenüber, der nichts fo haßt ala bie Türken, und in dem eben erwähnten Buche auseinan⸗ derjeßt, wie nur Spanien berufen und im Stande jel, jene Weltmonarchte zu gründen, von dem das frühere Kaifertfum nur einen Theil ausmache, und die Hoff: nung ausfpricht, im mündlichen Gejpräch dem (damals noch Iebenden) Philipp dem Zweiten audeinanderzu- fegen, wie er das durch Glaubensſpaltuug geſchwächte Deutſchland am ficherften feinem Scepter unterwerfen könne. Alfo einen andern Grund muß die Spantfche Regierung gehabt haben, u zu vwerhaften und auf
bie Erpreffung eined Geitäntritiet Yuryautadten, ih
einen Juſtizmord beichänige. Vielleicht diefen, daß Gampanella der geiftig Begabtefte war unter benen, welche in bem ſchon entbrannten Rampfe des Staats und ber Kirche, fich auf die Seite der letzteren ftellte, und darum der Gefährlichſte. Gerade in dem Jahre wo in Rom Bruno’ Verhöre begannen, fangen in Neapel die Campanella's an. Sieben und zwanzig Jahre Hat er in funfzig verſchiedenen Kerkern, zulegt im Castel del Ovo in Neapel gefefien. Sieben Mal iſt er gefoltert worden, und wie? Einmal, — viel leicht an bemfelben Tage, wo bie geiftliche Macht auf dem Campo be’ Fiori ihre Schen vor Blut bethätigte, — Hat auf der Sandfpige zwiſchen Chiaja und Sante Lucia die Staatsgewalt, die ſolche Sentimentalität wicht kennt, mit brutaler Aufrichtigkeit vierzig Stun ben lang ihm Stüde Fleiſch vom Leibe reißen Iafien, fo groß, daß er feinen Blutverluſt auf zehn Pfund Thägt, — alles dies, damit er geftehe. Geftehen wäre bet ihm, wie bei Giordano das Wiberrufen, eine Lüge gewefen, aber fo wenig der Nolaner fo wenig will der Stylefe dem Feinde den Triumph bereiten, daß er lügt: Er duldet und fehweigt. Sept verſucht man eine ans dere Tortur: Bücher, die Speife feines Geiftes, fie werben ihm genommen, Schreibematertal, bies Mittel für uns Stubenfiger Gedanken zu Arien, ia mine ben, ihm vorenthalten. Ex exteägte, dern cent ind
eine Bibliothek in die ehernen Tafeln feines Gedächt⸗ niſſes eingegraben in der er jebt lieft, und faßt bie tieffinnigften Gedanken in wohltönende Sinngedichte zufammen, die er zuerit in Die Wände fragt. Endlich fehen feine Peiniger ein, dag bier Nichts zu erreichen; zwar die Pforten feines Kerkerd öffnen für ihn ſich nicht, troß der Fürſprache vieler Zürften, namentlich mehrerer auf einander folgender Päpfte, aber Die Quä⸗ lereten hören auf, man läßt Bücher, man läßt Briefe, man läßt endlich Neifende ein, und bemerkt wirklich nicht oder thut wenigftend fo, wenn er heimlich feine Gedanken niederichreibt. Durch diefe Kanäle flieht dem von der Welt Gefchiedenen Kunde zu von feber Entdedung welche die Kenntniß von der fittlichen und finnlihen Welt erweitert, jo daß, ohne einen Apparat zu Erperimenten und ohne Reifen, er an phyſikaliſchem und ethnologiſchem Wiſſen täglich wächit, und bald in beidem als einer der Kundigften dafteht. Wer fidh wundert daß Kant, ohne jeine Vaterſtadt zu verlafien, fo viel von der Welt wußte und verftand, muß ben Gampanella um fo viel mehr bewundern, als das Gaftel del ovo enger und abgejchlofjener tft als Könige berg. Durch Die ihn befuchenden Fremden aber fucht er nicht nur Kunde zu emkaugen tea Lee Melt, fon
dern auch ihnen von {ig \eher zu gen un ua von,
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was er im Gefängui ergeühel. orı ur Sur ie
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fer Boten erweift ſich ald tren; er ift, was Gampanella am Meiften haft: ein Deutſcher und ein Lutheraner. Tobias Adami, der ald Hofmeifter den fächfifchen Edelmann von Bünan auf Reifen begleitete, Iernte ben Calabreſen im Kerker kennen und fchägen, und gab unter dem Titel „Glödfeln,“ ber zugleid) auf ben Na- men des Verfafſers anfpielt, die poetiſchen Ergüfſe befielben heraus, fpäter einen Abriß feiner ganzen Pht- loſophie, endlich Le er noch drei andere Schriften beffelben auf eigene Koften druden. Alle Anderen ga ben ſchoͤne Berfprehungen, nahmen das Manufeript und ließen nichts von fich hören, oder fie gaben es wohl gar ald ein eigned Werk heraus und erndteten Ruhm. Sein Hauptwerk hat er auf diefe Weife vier Mal von Neuem niederſchreiben müffen; er tröftet fich damit, daß es beim vierten Male am beften gelungen ſei. Logiſche, mathematiſche, phyſikaliſche, theologifche beſonders aber politiſche Arbeiten hat er in einer Zahl im Gefangniß verfaßt, vor ber man ſtaunt, und bie Zeit naht heran, wo er wird fagen können: eben fo viele Jahre im Kerker verlebt wie außer demfelben! Endlich, nachdem Pfilipp ber Dritte, unter dem er eingelerfert ward, geftorben tft und fein Nachfolger fich ſechs ganze Jahre mit Bitten Hat beftürmen Inf» fen, ſchlägt die Stunde der Befreiung, Un 15. Dun 1536 wirb Gampanella in Treiget get, MIET
dad Stud Paradied, das auf die Erde gefallen, nicht zu halten vermochte, daß er lieber dahin eilte wo feine eigentlichen Befreier lebten, nach Rom, wer will ihm Died verdenten? Wohl ift es ein Paradied dad man überihaut wenn man links ben Veſuv erblidt und ben St. Angelo, rechts Iſschia nnd den St. Epomeo, und vor ſich die wunderbaren Formen Capri's fich lagern fieht, aber felbft Died Gemälde mag das Senftergitter einer Zelle des Caftel del ovo ald Vordergrund, ent- ftelen. Kaum in Rom angelommen, fängt er wieder an zu jchreiben. Erſt eine Bertheidigungsichrift für fih, dann eine Mahnung an die gelehrte Welt, nicht Länger von dem Heiden Artjtoteled die Schulen beberr: fhen zu lafjen. Mit diefen und anderen Arbeiten be- {häftigt, denkt er in Rom rubig leben zu koͤnnen, bald aber kommt ihm die Weiſung zu, daß fein alter Feind ihm abermals auflauere. Es tft Feine Zeit zu verlie ren; verkleidet führt ihn der franzöftiche Geſandte an dad Thor, dann verläßt er Rom und Stalien für immer und gebt nad Parid. Der von Spanien Ge mißhandelte war in Frankreich Gegenftand allgemeiner Dienftbeflifienheit; nicht nur Gelehrte fondern auch Staatömänner ſuchten den Mann, defien Welt: und Staatentunde feinen Umgang fo belehrend machte. Hier in Dart ward ihm au die Muße, über feine ganze Schriftftellerthätigtet Retyenkgatt zu ven, ah
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bie Früchte derfelben zu fammeln. Eine Gefamtaus gabe in zehn Boliobänden ward begonnen; das voll⸗ ftändige Regifter befigen wir, dad angiebt was jeder Band enthalten ſollte. Bald nachdem im vierten Bande biefer Gefamtausgabe jened viermal geſchrie · bene Hauptwerk erfchienen war, im Jahre 1639, ftarh Thomaſo Campanella der Dichter und Philofoph am 21. Mat, alfo an demjelben Tage an dem mehr als zweitaufend Zahre früher der größte Dichter unter ben Philoſophen, Plato, geboren warb.
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Das Schiefal diefer beiden Märtyrer — oder wenn ich ganz genau reden foll dieſes Märtyrerd und biefes Belennerd — meiner Wiffenfchaft zeigt, daß die Feinde derfelben doch nicht ganz Recht haben, wenn fie be haupten die Gefchichte der Philofophie zeige ein Lächer- liches Poffenfpiel, fondern daß es darin auch tragiſche Auftritte gibt. Tragiſch nenne ich das Gefchid beider, nicht empörend und entfeglich, und wähle mit Bedacht jenes Wort. Wenn wir in den Zeitungen lefen, daß wieder in einem neugebauten Haufe ein @iebel oder eine Steintreppe eingeftärzt fei und einige Bamiliens väter erſchlagen Habe, fo iſt es entfeglich dog Wir Tea. fo ſchlecht bauen und empärend Ya Tr Bis
ſolches Unglüd nicht verhindert, Tragiſches aber liegt darin nicht. Damit eine Begebenbeit tragifch jet, muß fie — doch wozu eine trodene Definition, wo fchöner ats je Einer jener Harfner, der es freilich kennen mußte, und dad Weſen des Tragifchen enthüllt, wenn er im Namen ded Armen, der fein Brod mit Thränen af, zu den himmlischen Mächten Ipricht: Ihr führt ind Leben ihn hinein und laßt den Armen fchuldig werben, dann überlaßt Ihr ihn der Pein, denn alle Schuld rächt fih auf Erden.” War ed nun fo auch bei Gi- ordano und Thomafo? Und wenn es fo war, welches find bier die himmliſchen Mächte? und wieder: worin wurden die Beiden ſchuldig? und endlich: in wiefern ift, was fie litten, fich rächende Schuld? Konnten je Men- ſchen jagen, dab, was tm Leben fie nie verließ und überall geleitet bat, der Hunger nach Erkenntniß, der Durft nah Wahrheit geweſen ſei, fo find es dieſe Beiden. Damit aber haben fie und auch die himm⸗ liſche Macht genannt die fie ind und im Leben führte, ed ift die Philojophie, und das Ziel wohin fie im Philofophiren und durchs Philofopbiren gelangten, es ward erreicht unter ihrer, der Göttin, Führung. Was aber iſt unter dem fo oft mißbrauchten Worte Phil: fopbie zu verftehn? Da noch nie ein Philofopb, mochte er auch noch jo hoben Werhh torauf legen, daß was er lehrt von ihm zuerſt gefanten \el, Buena sun Sr
feine Meinung oder feine Anficht erklärte, ſondern Je⸗ der fordert daß Alle dies gelten Iafien, fo werben wir im Einklange mit dem, was alle Philoſophen mindes ftens gefühlt, bie fhärfer fehenden ansbrüdlic ausge ſprochen haben, Philoſophie den Inbegriff defien nen. nen müffen, was nicht Einer fondern Alle, nicht ein Menſch fondern der Menfch oder die Menſchheit, nicht ein Mann fondern Jedermann, kürzer was Man für wahr erkennen muß, als recht erachten fol, alſo Man's d. 5. der Menfchheit Weisheit. Wenn wir dann weis ter behaupten daß, wie jeder Mann, fo auch Mau oder die Menfchheit, anders iſt in der Knaben: und anderd in ber Jugendzeit, und darum auch ihre Weisheit ver- ſchieden fein muß je nad) verſchledenen Zeiten, fo tft dies nicht etwa nur ein moderner Einfall, den man den Philoſophen früherer Zeiten nicht leihen dürfe, denn gerade Giordano Brunn iſt ed, der gejagt hat die Ehrfurcht vor dem Alter müfe dahin führen, daß man bie gegenwärtige Zeit am meiften ehre, denn heute fet die Menfchheit viel älter und erfahrener, als bie um zwei Sahrtaufende jüngere Menſchheit der Arifto- telifchen Zeit. Lord Bacon der, wie andere Süße Anderen, fo dieſen dem Giordano entlehnt und den Ruhm erworben Hat, ihn erfonnen zu haben, folgert ans ihm, daß feine Philoſophie nicht fein, des WKehsKxx Grgeuguiß, fonbern daß Te &ehut \ener DL \®
Wir unterjchreiben dies, beichränten es aber nicht auf feine, fondern dehnen ed auf jede Philofophie ans. Kein wahrer Philofoph bat nur feine, jeder hat mit feiner, der ganzen Zeit Weisheit verlündigt, und den Beruf des Philofophen auf fih nehmen heißt fich ver: pflichten, die Zeit zu deuten; philofophiren heißt, and» fprehen was an der Zeit ift, heit die unbewußten Grundfäge der Zeit zum Bewußtfein bringen und for: mulicen. Aber nur was. wirklich an der Zeit ift, ihre Grundſätze, joll der Philoſoph feftftellen: von einer an der nichts ift, und die Feine Grundfäbe hat, von der tft nichts zu fagen, der fchweigt der Mund der Zeiten: deuter oder Philofophen. Den Ruf, die Zeit zu deu: ten, haben nun aud) Bruno und Campanella vernom- men, und der Moment in dem fie ihn vernahmen war ed, in welchem die himmliſche Macht, die hinfort ihre Herrin fein follte, die Philofophie, fie in das Leben bineinführte, das dem, der e8 einmal gefoftet Hat, das einzige wahre Xeben tft.
Fragen wir aber weiter: wie fich beide verhalten haben zu dem Ruf, ihre Zeit zu deuten, dann zeigt ed fih und, wie die Armen fehuldig wurden. Beginnen wir mit dem Calabreſen, jo war die Zeit worüber, wo ein Gregor der GSiebente, wo ein Innocenz der Dritte faft allein in den Beruf ihrer Yet eingeweiht waren.
Seitdem haben andere Mädte ge Haut cfüuven, ink
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bis dahin unterbrüdte Princip der Rationalität fängt an ſich im Staatöleben geltend zu machen; in der Re⸗ ligion entfteht das Verlangen, nicht das in der Kirche geltende Dogma als fertig anzunehmen, fondern eb felbft aus der biblifchen Offenbarung heraus zu ent wideln, alfo in fich felbft den Ummwandlungsproceß zu wiederholen, durch welchen aus der biblifchen Offen⸗ barung die Kirchenlehre, aus der froben Botichaft ein Lehrbegriff geworden ift. Die Gewalt dieſer Mächte unterſchätzt Campanella nicht, aber von ihrer Berechti⸗ gung bat er feine Ahnung, daher fehen wir ihn mit dem Zorn und dem euereifer, der überall die Reaction gegen den Neuerer bejeelt, den Nationalitätöpolitiker Machiavelli ganz fo wie Luther und Calvin ald Wie berbeleber heidnifcher Sdeen; ja als diabolifche Erſchei⸗ nungen verklagen, und ſehen ihn weiter, wie ed bie Reaction zu allen Zeiten verfucht, Gewaltmaßregeln gegen die neuen Mächte anrathen. Miſchehen, freis willige unter den Zürften, gezwungene unter den Uns terthanen, follen alle nationalen Unterfchtede verwilchen; Förderung der Naturwifienfchaften ſoll die Luft, Ver⸗ drängung des griechiichen Unterrichts auf den Schulen fol die Fähigkeit zu eregetifchen Unterfuchungen neh⸗ men. Es Hilft nichts. Er kommt zu fpät. Ein fo ges waltiger Geift Campanella tft, er hat u dm gewaltiger Anachronismus. Mieht winer, wur iS ON
gegengejegter Weiſe ift ed Giordano. Seine Zeit war noch nicht reif, Ericheinungen hervorzubringen, wie Pascal, Newton, Haller, gleich Fromm und groß in ber Wiſſenſchaft, die fich durch Gebet zur Forſchung ftärk ten, und die jede neue Entdeckung bemüthiger und feommer machte. Er, ein Kind des ſechzehnten Jahr⸗ hunderts, Tonnte noch nicht, wie jene Kinder des fieb- zehnten und achtzehnten, fühlen, noch viel weniger konnte er, wie die des neunzehnten, ed Mar erkennen, daß und wie fi Naturwiflenichaft und Glaubenslehre ausein⸗ anderzufeben haben. Bernünftig ift eine ſolche Aus: einanderfeßung nur dort, wo der Phyſiker aus phyſi⸗ kaliſchen Gründen, eben wie er daraud, daß bie Strtiniihe Madonna auf photographiſchem Wege ver: vielfältigt wird, nicht ſchließt, daß das Original auf bemfelben Wege entftanden fein müfje, fo fich nicht beraudnimmt die ſtets und überall herrichenden Geſetze auf das Einmalige, fich nie wiederholende anzuwenden, wie ed der Anfang aller Dinge oder auch nur einer ganz neuen Erjcheinungdweife ift, — und wo der Theologe aus Gründen ded Glaubens und feiner Wiflenfchaft es einräumt, daß es ein Gebiet (eben des Phyſikers) gebe, in dem wirklich nach unverbrüdjlichen, unabänderlichen Geſetzen Alles geichieht, fo daß es bier nicht nur th» richt, jondern tereligiäs, whrow qehacht wäre, wollte man ein Andersfeintiunen Aotsiten. Yu tiger wen
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nünfttgen und gefunden Auseinanderſetzung ift, wie ges fagt, Bruno’ Zeit nicht reif. Wenn er fi) aber nicht bei einer fo unklaren und verfhwommenen Einheit von Wiſſenſchaft und Kirchenlehre befriedigen kann, . wie etwa das funfzehnte Jahrhundert oder auch Campanella, fo. kommt ed bei ihm zu einem vor und unzeitigen Auseinandergehn beider, d. h. zu einer Auseinander- zeigung. Wie die Frucht, bie wenn fie reif gemorben vom Baume fällt füß, wenn por der Zeit abgeichlagen bitter und herbe iſt, fo giebt auch hier die Anticipation des noch Unmöglichen ftatt friedlichen Abkommens bit- teren Haß, und wie dort das Heimmeh und die Sehn ⸗ fucht nach der Allgewalt der Kirche den Campanella, fo macht hier der ungebuldige Bruch mit ihr den Giordano zum Anachronismus; fie beide bleiben ſchul⸗ dig, was ihre Herrin, die Philofophie, von Jedem for dert, der fich ihrem Dienfte weiht.
Und darum hat fie, die Himmlifche, gethan was nach bes Harfnerd Lied der Himmliſchen Art ift, fie hat die beiden Schuldigen der Pein überlaffen. Zu: nächſt der Pein, deren Eintritt von ihr allein, nicht von bienftfertigen Schergen abhängt: Sie läßt ent behren, was dem Philofophen Iohnt, der wirklich das lehrt was die Zeit fordert, frendigen Anklang bei den Hörern, dankbaren Wiederhall von Sehen er Let. 3’ Osstel del Ovo drängt {ih teine test
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Jünglings⸗Schaar, und was von da aus in die Welt gefandt wird, läßt wie Noah's Taube nichts wieder von ih hören. Der Andre aber der von Land zu Rand irrt, tft am Ufer des Rhone und der Garonne, der Iſis wie der Elbe, in Helmftädt und in Padua gleich unverftanden, und alfo verlaffener und einfamer als Sener im Kerker zu Neapel. Dann aber überläßt ihre bimmlifche Herrin beide auch der andern Pein, von welcher ich gefprochen babe, bei der ihr andere Mächte ald Henker und als Folterknechte dienen, und jo wenig es und einfällt diefe zu loben, begreiflich werden wir ed doch finden, und alfo ein gewiſſes Recht darin an- ertennen, dab an dem Zurüdbleibenden die Macht Rache nimmt, die der Träger der neuen Ideen tft, der Staat, an dem unzeitig Voreilenden aber die Gewalt, die jeit Alter? das Scepter führte, die Kirche. Dad Gefühl aber, daß bei beiden Philofophen eine Schuld an der Philoſophie, fich ſelbſt gerächt hat, Died ift ed was bei ihren Leiden nicht die Empörung auflommen läßt, die und erfüllt wo wir den ganz Unfchuldigen gepeinigt, den ganz Schuldlofen gemordet fehn. Berubigt jchon dies, jo kommt dazu noch ein Anderes. Wie darin daß eine Schuld ſich rächt, oder in dem was wir ihre Strafe nennen, auch ihre Sühne liegt, und am dad „Bft gerichtet\" ſich Gox \ei vomtl has Iſt gerettet!” fliegt, fo zeigt ein merterer BÜR u vr Sei
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unſerer beiden Märtyrer, wie auch hier jenes Merk würdige ftattfindet, daß worin der Menich gefehlt hat darin er geftraft wird, aber eben darin auch gefegnet, eine Verknüpfung des (fo feheint es) Unvereinbaren, welche bei dem Anblid eines Trauerfpield die bitter- füße, nieberfämetterndserhebende Wirkung äußert, bie wir tragifche Befriedigung nennen. Dem rüdgewande ten Campanella, der bed Papftes Allmacht verkündigt, amd eine Umkehr der Wiſſenſchaft zu ber Zeit fordert, wo noch fein Ariftoteles fie heidniſch gemacht Hatte, Lohnt die Erfahrung, daß dem allmächtigen Papfte ger lingt, was feiner Eonnte: ihn frei zu machen; und am Abend feiner Tage Hat er dad von vielen getheilte Ber wußtjein, er babe die ganze Wiſſenſchaft veftaurirt. Reſtaurirt, zurücgebildet. Den wieder, der von einem Buchdruder zum andern läuft, um einen zu finden, der es ber Welt verfündige, daß die Zukunft ihm Recht geben werde, Hat folche Hoffnung nicht getäufcht: die: felben Gedanken die er in London offenbarte, hat Spi- noza, Die er in Frankfurt verfändigt, Hat Leibnih, zu einem Lehrgebäude verarbeitet. Auch wo fie irrten alſo unfere beiden, Haben fie nicht bloß geirrt, auch wo fie litten nicht umfonft gelitten, und die Furcht und das Mitleid, mit dem wir ihr Martyrthum fehen, wirb ger reinigt und verfärt, weil ihnen der Stadel der Ess Pörung genommen iſt, wit der wir an Sinn
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trachten das ungerecht ift und nur unbarmherzig. Wäre es anders, ſo hätte ich hier nicht an ſie erinnern dürfen, denn in die Reihe von Vorträgen die einem Liebes— werk gewidmet find, darf fich Feiner ftellen, der den Zuhörer mit Haß und Bitterkeit im Herzen entläßt. Sept aber durfte ich ed. Und daß beide ihr tragifches Loos mit ſolchem Heldenmuth trugen, das läßt mich denen, die wir gleich Anfangs fpöttifch fragen hörten, wo denn die Blutzeugen feien für wiflenfchaftliche Meberzeugungen?. kühn dieſe beiden zeigen und jagen: wenigftens meine Wiffenfchaft Hat Männer hervorge: bracht Die für dad was fie ald wahr erkannt Hatten, Gut und Blut, nicht nur zu opfern verfprachen (denn das macht fich Ieicht, Dank dem Beiftande, den Sanct Gambrinus und Die heilige Nicotiana leiften) ſondern wirklich opferten, wirklich Entbehrung, Qualen und Tod dafür litten.
5994-47
Berlin, Drud von Woran Stamm. . Marienfraie Ar.i8. .
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3 2044 037 910 379
DATE DUE