CARL € RECH<ı x« is. IC > a " ' f i F c J EN vi n ‘ ’ MD an. nr aruier, € Er UNTERSUCHUNGEN NATURLEHRE DES MENSCHEN UND DER THIERE. HERAUSGEGEBEN VoN JACc. MOLESCHOTT. JAHRGANG 1859 VI. BAND. Mit Abbildungen GIESSEN, 1860... FERBER’SCHE UNIVERSITÄTS - BUCHHANDLUNG. (EMIL ROTH.) PREV RORL en RE, ER H & ur E: ER y% I % # Er SE UNTERSUCHUNGEN ZUR NATURLEHRE ’ "MENSCHEN UND DER THIERE. HERAUSGEGEBEN = VoN JAC. MOLESCHOTT. JAHRGANG 1859. VI. BAND. Mit Abbildungen. M & sh? 1uS, GN 2 RD ue! r a HAL HN GIESSEN, 1860. FERBER’SCHE UNIVERSITÄTS - BUCHHANDLUNG. (EMIL ROTH.) L Untersuchungen über die Structur des Bindegewebes. Von Dr. Alexander Rollett, Assistent bei der physiologischen Lehrkanzel der Wiener Universität.) (Mit 2 Tafeln.) Der grosse Umfang der Bindegewebs-Literatur ist allgemein be- kannt. Leichter als das bibliographische Detail derselben, lässt sich der geschichtliche Hergang ihrer Entwicklung überschauen. In den letzt- verflossenen dreissiger Jahren wurde durch Jordan, Schwann und Henle jene Lehre vom Bindegewebe ausgebildet, welche uns. in Henle’s „allgemeiner Anatomie“ überliefert vorliegt. Aber schon im Jahre 1845 sprach Reichert ganz entgegenge- setzte Ansichten über das Bindegewebe aus, indem er das mikroskopi- sche Bild: desselben. herleitete von einer eigenthümlichen Faltung und Runzelung einer an sich structurlosen Substanz, die er auf Grund des von ihm aufgestellten Continuitätsgesetzes der ungeformten Grundlage des Knochens und Knorpels verwandt erklärte. Im Jahre 1851 suchten Virchow und Donders jene Verwandt- schaft auf histogenetischer Basis zu befestigen, indem sie auch die Analogen der Knochen und Knorpelkörperehen im Bindegewebe nach- wiesen und jetzt für den histologischen Begriff‘ des Bindegewebes ") Aus dem XXX. Bande der Sitzungsberichte der kaiserlich österreichischen Aka- demie der Wissenschaften vom Herrn Verfasser mitgetheilt. Morescuort, Untersuchungen. VI. 1 2 4 dieselbe Gliederung in zwei wesentliche Bestandtheile in Anspruch nahmen, wie für den Begriff des Knorpels und des Knochens. Dieses wechselvolle Schicksal des Bindegewebes eiferte die meisten Histologen an, ihr Votum in dieser Sache abzugeben und es bildeten sich im Verlaufe eines noch immer wachen Streites drei Parteien aus. Nur einige Histologen nahmen die alte Lehre in Schutz. Eine geringe Zahl blieb unentschieden, oder machte der alten und der neuen Lehre Zugeständnisse. Die grosse Mehrzahl aber neigte sich zur neuen Lehre hin und suchte dieselbe weiter auszubilden. Unter dem Einfluss dieser letzteren Partei gewann der Begriff Bindegewebe eine immer grössere und grössere Ausdehnung und ist, weil ihm die verschiedenartigsten Texturen auf Grund der neuen Ver- wandtschaftslehre unterstellt werden konnten, zu einer blossen Ab- straction geworden, in deren weites Gebiet auch jenes Gewebe mit wirren Grenzen verschwommen ist, auf dessen Auffassung in den dreissiger Jahren ich zu Anfang hingewiesen habe und für welches Johannes Müller den Namen „Bindegewebe“ zuerst eingeführt hat. Mehr als das Knochen- und Knorpelgewebe hat es seine Selb- ständigkeit jener Verwandtschaft zum Opfer gebracht, indem nur diese letztere beinahe alle Sorgfalt der Histologen in Anspruch nahm. Man begnügte sich, wenn man irgend welche Textur Bindegewebe nennen konnte und verlangte von der Naturerscheinung derselben keine weiter charakterisirte Vorstellung, als die, welche in jener Abstraetion ent- halten war; denn damit hatte man ja was man wollte erreicht, man konnte die fragliche Textur von einem allgemeinen histogenetischen Standpunkte aus beurtheilen. Trotz des raschen Fortschrittes, welchen die neue Bindegewebs- lehre machte, blieb doch immer noch der Widerspruch, welcher sich vom Anfange gegen dieselbe erhoben hatte, bestehen und zahlreiche Meinungsdifferenzen über das Wesen des Bindegewebes existiren un- vermittelt neben einander. Diese Wahrnehmungen veranlassten mich zu untersuchen, was sich denn durch eine ganz voraussetzungslose Analyse bestimmter Objecte . B 1) in Beziehung auf die Eigenschaften, die Form und Lagerungsverhält- nisse des zur Constituirung jener Objecte verwendeten Materials fest- stellen lässt. Einige Beobachtungen, die sich mir während dieser Arbeit ergaben, werde ich im Folgenden mittheilen, weil es wünschenswerth wäre zu wissen, wie sie sich mit den gangbaren Ansichten vom Bindegewebe in Einklang bringen lassen. I. Die Zerlegbarkeit der Bindegewebsmassen. Wendet man auf das Bindegewebe die einfach instrumentale Prä- parationsweise an, deren sich die feinere Anatomie bedient, um die in einem Gewebe enthaltenen Formbestandtheile in möglichst natürlicher Begrenzung aus ihrer wechselseitigen Verbindung zu ziehen, so erhält man aus dem Bindegewebe der verschiedensten Organe cylindrische Massen von einem grösseren oder geringeren Querschnitt, die schon mit freiem Auge als solche erkennbar sind und sich unter der ver- schiedenen Benennung von Faserzügen, Strängen, secundären Bündeln oder strangförmigen Bindegewebsmassen die Anerkennung aller Ana- tomen erworben haben. Es ist ferner eine allgemein anerkannte Thatsache, dass jene eylindrischen Massen sich in der Richtung ihrer Längsaxe leicht in immer dünnere und dünnere Theile:zerfällen lassen und die Richtung dieser leichten Spaltbarkeit auf jenen Bindegewebsmassen durch eine unter dem Mikroskope erkennbare dunkle Längsstreifung vorge- zeichnet ist. Präparirt man sich einen jener Stränge, welche die Sehnen des erwachsenen Menschen constituiren, und bringt ein etwa zolllanges Segment desselben auf einen Objeetträger, so überzeugt man sich, dass die erwähnte leichte Spaltbarkeit in jeder mit der Längenaxe parallelen Richtung vorhanden ist, an jedem der erhaltenen Spaltungsstücke sieht man unter dem Mikroskope die charakteristische Längsstreifung und ausserden: feinfüdige Fransen, welche von den Flanken jener Stücke ı1* 4 unter spitzen Winkeln abtretend in die das Objeet umgebende Flüssig- keit hinaushängen. Die leichte Spaltbarkeit des Bindegewebes in der Richtung einer unter dem Mikroskope wahrnehmbaren Längsstreifung stellt, wie ge- sagt, Niemand in Abrede und sie muss ihren mechanischen Grund haben, welcher erst dann mit Recht in einer molecularen Anordnung zu suchen ist, wenn man sich überzeugt hat, dass er der mikroskopi- schen Erschauung unzugänglich ist. Die Erklärung, welche Reichert und seine Anhänger von dem mikroskopischen Verhalten des Bindegewebes geben, setzt die an dem- selben sichtbare Längsstreifung ausser allen Zunammenhang mit der nach der Richtung dieser Streifen vorhandenen Zerlegbarkeit, denn in der Annahme einer Faltung oder Runzelung einer durchaus homogenen Substanz lässt sich zwar die erste der genannten Eigenschaften des Bindegewebes begründen, nicht aber auch die letztere. Jene Ansicht hingegen, welche vor Reichert die allgemein herr- schende war, brachte die mikroskopische Längsstreifung und die in der Richtung derselben gestattete leichte Spaltbarkeit unter die ein- heitliche Vorstellung einer Faserigkeit des Bindegewebes. Nachdem ich die eben angeführten Anschauungsweisen einander gegenübergestellt habe, halte ich es nicht auch für zweckmässig, alle schon gebrauchten Gründe, welche für oder gegen dieselben sprechen, hier wieder abzuwägen. Es hat dieses Geschäft, was schon so oft un- ternommen wurde, nie zur Schlichtung der bekannten Controversen geführt. Ich will vielmehr sogleich an die Mittheilung von Beobachtungen gehen, welche mir geeignet scheinen, einen Aufschluss über den wahren Sachverhalt zu geben. Ich lernte im Kalkwasser eine Flüssigkeit von eigenthümlicher Wirkung auf bindegewebige Texturen kennen und dem Kalkwasser gesellte sich auf Anrathen meines verehrten Lehrers, des Herrn Professor Brücke, das ähnlich aber energischer wirkende Barytwasser bei. Legt man ein Stück Sehne vom erwachsenen Menschen in Kalk- wasser und lässt es darin durch 6—8 Tage oder noch länger liegen, so I bemerkt man an demselben keine andere Veränderung, als dass die peripherischen Partien desselben ein wenig durchscheinend werden. Bringt man aber einen der eylindrischen Stränge, welche die Sehne zusammensetzen, auf ein Objectglas und übt auf die Flanken jenes Stranges etwa in der Mitte seiner Länge auch nur einen sehr mässigen, zur Längsrichtung senkrechten Zug nach entgegengesetzten Seiten aus, so breitet sich derselbe in dem durch die auseinander gezogenen Präparirnadeln abgemarkten Raume zu einer Lage von theils gröberen, theils feineren, theils sehr feinen Fäden aus, von denen die zuletzt ge- nannten durch eine Auffaserung der ersteren sich herstellen. Es liegen diese Fäden auf verschiedene Weise über einander, und indem sie nach entgegengesetzten Richtungen hin verlaufen, kreuzen sie sich unter spitzen Winkeln. Durch die zwischen ihnen vorhandenen Räume sieht man direet auf die Oberfläche des Objectglases. Es gelingt aber niemals, einen also behandelten Sehnenstrang in Form einer Membran auseinander zu ziehen, deren dünnster mittlerer Theil in allmälig aufgewulstete Seitenränder überginge, wie dies doch mit einer in die oben beschriebene Zugsrichtung aufgenommenen structurlosen dehnbaren Masse der Fall sein müsste, sondern stets stellen sich auf den leisesten Zug zahlreiche, mit der Längsrichtung des Sehnenstranges parallel laufende Klüftungen her, welche die oben näher beschriebenen Partien von Sehnensubstanz gegen einander abgrenzen. Diese Erscheinungen zwingen uns aber eine Discontinuität der den Sehnenstrang bildenden Substanz in jeder mit der Längenaxe parallelen Richtung anzunehmen. Das Barytwasser verändert schon in kürzerer Frist, etwa nach 4—6 Stunden, die Sehnen in derselben Weise, wie dies durch das Kalkwasser geschieht. Nur werden die Sehnenstücke im Barytwasser im höheren Maasse durchscheinend. In dieser letzteren Flüssigkeit quellen auch die Sehnen etwas mehr an als im Kalkwasser, es ist aber das Quellungsmaximum der Sehnensubstanz weder für das Barytwasser, noch für das Kalkwasser bedeutend grösser, als für gemeines Wasser, und die Volumsveränderung der eingelegten Sehnenstücke in beiden Fällen keine beträchtliche. Für die mikroskopische Untersuchung der mit Kalk- oder Baryt- wasser behandelten Sehnenstücke ist es nothwendig, den in ihnen ent- haltenen Kalk oder Baryt zu entfernen, weil man sonst ein durch sich bildenden kohlensauren Kalk oder Baryt verunreinigtes Objeet erhält und in der gründlichen Durehforschung desselben durch den körnigen oder krystallinischen Niederschlag vielfach gestört wird. Zum grössten Theile kann man das Kalk- oder Barythydrat schon dadurch entfernen, dass man die Sehnenstücke, so wie man sie aus dem Kalk- oder Barytwasser herausholt, alsogleich in‘ destillirtes Wasser bringt, sie auswäscht und einige Zeit in Wasser liegen lässt. Es geht dadurch auch jener geringe Grad des Durchscheinens und der Aufquellung verloren, welcher den Sehnenstücken in den alkalischen Flüssigkeiten eigen wurde und sie erhalten das schön weisse und un- durchsichtige Ansehen des frischen Zustandes wieder. Noch besser und sicherer gelingt die Entfernung des Kalkes oder Barytes, wenn man die betreffenden Sehnenstücke in destillirtem Wasser ausspült, dem man so wenig Essigsäure zugesetzt hat, dass diese eben hinreicht, um den vorhandenen Kalk oder Baryt zu neutralisiren, aber nicht auch, um die bekannte Essigsäurewirkung am Bindegewebe her- vorzubringen. Hat man sich so ein für die feinere Untersuchung taugliches Objeet geschaffen, so sieht man, dass sich in dem mikroskopischen Bilde, welches von was immer für eimer Partie der in obiger Weise auf den Objectträger ausgebreiteteten Sehne entworfen wird, genau dieselben Verhältnisse ausprägen, welche ich für die Beschauung mit freiem Auge von dem ganzen Sehnenstrange angegeben habe. Feine Fädchen liegen theils dicht an einander gedrängt, theils durch grössere Zwi- schenräume getrennt und isolirt verlaufend im Sehfelde. Die durch eine solche Zerfällung erhaltenen feinsten Fasern sind jene bekannten Formelemente, welche von den Autoren als äusserst zarte, wasserhelle, scharf contourirte, unverzweigte und auf weite Strecken hin gleich diek bleibende Fäserchen unter dem Namen der Bindegewebsfibrillen aufgeführt werden, deren Durchmesser man mit dem Oecularmikrometer nur schätzungsweise auf höchstens 0,0002 bis 7 0,0003 Millim. bestimmen kann, die man aus frischem Bindegewebe durch Zerreissen desselben in immer dünnere und dünnere Flocken schon seit langer Zeit zur Anschauung brachte, über deren Existenz aber seit dem Jahre 1845 gestritten wird. Im gegenwärtigen Falle wurden sie unter Umständen gewonnen, welche unser Urtheil über den Grund der am frischen Sehnengewebe in einer bestimmten Richtung vorhandenen Spaltbarkeit, über die Natur der durch Kalk- oder Barytwasser isolirten Fasern und die Structur des aus ihnen constituirten Gewebes vollkommen sicherstellen. Es lassen sich die gemachten Erfahrungen zugleich gegen ein Argument aufführen, welches Reichert!) im Jahre 1850 noch gegen die Faserigkeit des Bindegewebes vorgebracht hat, indem er sagt: „Fibrillen und auch nicht isolirt gegebene Bündel derselben aus der Grundsubstanz eines leicht spaltbaren Bindegewebes darzustellen, ist bekanntlich kein Kunststück, kann aber auch leider zur Schlichtung der obigen Controverse (über die Structur des Bindegewebes) nichts beitragen. Ohne Zerrung die Fibrillen darzustellen, das ist ein Kunststück, welches Referent noch nicht kennt. Weder Maceration, noch das Kochen, noch chemische Agentien, durch welche Mittel selbst solche im frischen Zustande schwer zerlegbare Fasermassen zum Zer- fallen in ihre Elemente gebracht werden, haben zu gleichen Resultaten bei dem Bindegewebe geführt, obschon häufig nachweisbar eine Ver- änderung der morphologischen Beschaffenheit desselben nicht einge- treten ist. Die Resultate solcher Versuche sprechen durchaus gegen die Existenz isolirter Fibrillen und Fasern der Sehnensubstanz.“ So wie an dem Bindegewebe der Sehnen, so wird auch an dem Bindegewebe anderer Gebilde durch die Behandlung mit Aetzkalk oder Actzbaryt der Zusammenhang des leimgebenden Stromas gelockert, ich werde von den dabei stattfindenden Bigenthümlichkeiten später handeln. Das Kalk- oder Barytwasser verändert die morphologische Be- schaflenheit des Bindegewebes nicht, es greift die leimgebende Masse ’) Bericht über die Fortschritte der mik. Anatomie i. J. 1850. Müller’s Archiv 1851. fo) des Bindegewebes nicht an, lockert aber den festen Zusammenhang derselben auf und gestattet die Isolirung faseriger Formelemente aus derselben. Eine weitere Untersuchung ergibet, dass, während sich jene Abän- derung der mechanischen Verhältnisse des Bindegewebes herstellt, in das Kalk- oder Barytwasser eine geringe Menge einer Substanz über- geht, welche durch Säuren wieder aus jenen alkalischen Flüssigkeiten herausgefällt werden kann. Mit der Anwesenheit jener Substanz im Bindegewebe fällt also das innige Aneinanderhaften der Formbestandtheile desselben zusammen. Um sich von den angegebenen Thatsachen zu überzeugen, benutze man Bindegewebe in seiner reinsten Form, also Stücke, die aus dem Verlauf grösserer frischer Sehnen herausgeschnitten wurden. Legt man dieselben in eine nicht zu grosse Menge von Kalk- oder Baryt- wasser ein und untersucht diese Flüssigkeiten, nachdem sie 24 Stunden über den Sehnen gestanden hatten, so findet man, dass sie sich durch Zusatz von Essigsäure, verdünnter Chlorwasserstoffsäure oder Salpeter- säure trüben und sich ein flockiger Niederschlag daraus absetzt. Hat man mit verdünnter Salpetersäure gefällt und diese im Ueber- schuss zugesetzt, so sieht man, wenn man das Ganze erhitzt, dass in der Flüssigkeit eine blass eitrongelbe Farbe entsteht, die, wenn man in die abgekühlte Flüssigkeit Ammoniak bringt, in die schön gelbe Farbe des xanthoproteinsauren Ammoniaks übergeht Diese Reaction kann man auch benutzen, um geringere Mengen jenes Eiweisskörpers im Kalk- oder Barytwasser nachzuweisen. Der auf den Zusatz einer Säure entstehende Niederschlag ist mehr oder weniger reichlich, je nach dem Verhältniss der verwendeten Sehnen zur Menge des angewendeten Kalk- oder Barytwassers, d.h. nach dem Grade der Sättigung jener alkalischen Flüssigkeiten mit der darin löslichen Substanz. Zieht man eine beliebige Menge kurz abgeschnittener Sehnenstücke mit Kalk- oder Barytwasser aus und erneut diese Flüssigkeiten ein oder mehrere Male, so geht bald nichts mehr weiter aus den Sehnen- stücken in die alkalischen Lösungen über. 9 Es ist wahrscheinlich, dass jener Eiweisskörper, an dessen An- wesenheit im Bindegewebe das feste Aneinanderkleben der leimgeben- den Formelemente geknüpft ist, auch noch von anderen Lösungsmitteln z. B. von verdünnten Mineralsäuren oder verdünnten Lösungen der eigentlichen Alkalien angegriffen wird. Aber alle‘ diese Lösungsmittel bewirken auch ein bedeutendes Aufquellen der leimgebenden Masse des Bindegewebes, so dass die- selbe, wie bekannt, in eine durchscheinende Gallerte verwandelt wird, an welcher die mikroskopischen Charaktere des Bindegewebes voll- kommen verwischt erscheinen ; der Umstand, dass ein solches Anquellen der leimgebenden Substanz des Bindegewebes nach der Anwendung des Kalk- oder Barytwassers nicht stattfindet, macht diese Flüssig- keiten eben zu so schätzenswerthen Untersuchungsmitteln des Binde- gewebes. Ich muss jetzt noch anführen, dass schon Schwann?) von einer zwischen die Formbestandtheile des Bindegewebes eingelagerten Zwi- schensubstanz spricht, die er als. das letzte ‚Ueberbleibsel jenes embryonalen Blastems betrachtet, in welchem sich‘ das Bindegewebe entwickeln soll. Henle?®) hat sogar eine fein granulirte Masse, die sich als Zwi- schensubstanz in den Maschen der Arachnoidea vorfindet, abgebildet. Obwohl ich mich selbst nicht mit der Untersuchung, der chemi- schen Charaktere der in das Kalk- oder Barytwasser übergegangenen Eiweisssubstanz beschäftigt habe, erwähne ich hier doch, dass in den Wandungen der Schlagadern von Schulze?) Casein nachgewiesen wurde, welcher Stoff, wie Moleschott!) bestätigte, auch im Zell- gewebe:in geringer Menge vorkommen soll. ?) Mikroskopische Untersuchungen ete. Berlin 1839, p, 134. 2) Allgemeine Anatomie. Leipzig 1841, p. 349. ®) Annalen der Chemie und Pharmaecie, Bd. 71, p- 277 u. 8. w. *) Physiologie des Stoffwechsels in Pflanzen und Thieren. Erlangen 1851, p. 367. 10 II. Das Bindegeweblager der Lederhaut. Die leimgebende Substanz des Bindegewebes ist in verschiedenen bindegewebigen Organen nach einem verschiedenen Plane angeordnet. Man kann die Lederhaut einerseits und die Sehnen andererseits gleichsam als die Repräsentanten solcher verschiedener Anordnungen ansehen. Abgesehen von der ganz bestimmten und nur nach der Verschie- denheit der Organe oder der Thierelasse wechselnden Lagerungsrich- tung, welche die Bindegewebszüge in den verschiedenen Texturen gegen einander einhalten, worauf schon Bruch!) und Leydig?) auf- merksam gemacht haben, kommen auch innere Verschiedenheiten jener Bündel vor. Behandelt man die Bindegewebsbündel des Rindercorium mit Kalk- oder Barytwasser, so lassen sich aus einem solchen Bündel zu- nächst eine Anzahl von Abtheilungen isoliren, welche einen bedeuten- deren Durchmesser als die unter dem Namen der Bindegewebsfibrillen bekannten Fäserchen darbieten. Ich will für diese beim Rinde 0,003—0,006 Millim. dieken Abthei- lungen den Namen Bindegewebsfaser gebrauchen. Eine solche Faser erscheint unter dem Mikroskope vollkommen glatt und ungestreift und trägt, wenn nicht, wie dies manchmal an ein- zelnen Fäden der Fall ist, eine theilweise der Längenaxe parallele Zerspaltung eingetreten ist, keinerlei Anzeichen, dass sie aus dünneren Faserelementen zusammengesetzt sei. Man überzeugt sich leicht, dass die an den Bündeln des frischen Corium wahrnehmbare Längsstreifung von den Contouren der neben einander liegenden Bindegewebsfasern herrührt. Nach längerem 10—12tägigem Verweilen des Hautstückes in Kalkwasser spalten sich die m den Bündeln desselben enthaltenen Bindegewebsfasern ebenfalls in der Richtung ihrer Längenaxe. Man kann sich von den angegebenen Verhältnissen am besten !) Henle und Pfeufer’s Zeitschrift. Bd. VII, p. 378 u. 379. ®) Histologie des Menschen und der Thiere. Frankfurt 1857, p. 79. 11 durch die Untersuchung gegerbter Häute überzeugen. Die dem Gerben vorausgehenden Proceduren haben in der Regel nur zu einer Isolirung der Bindegewebsfasern geführt. Reisst man aus einem Stück Rindsleder einen jener eylindrischen Stränge, welche der Fleischseite desselben das bekannte filzige Ansehen ertheilen mittels einer Pincette heraus und untersucht ihn mikrosko- pisch, so sieht man, dass derselbe alle Verhältnisse des frischen Binde- gewebes, aber auf die deutlichste Weise ausgeprägt, an sich erkennen lässt. Jeder solche Strang (Fig. 1) besteht aus einem Bündel von Binde- gewebsfasern, deren neben einander liegende Contouren das längsge- streifte Ansehen jenes Stranges hervorbringen, und zerlegt man einen solchen Strang in jene leicht isolirbaren Fasern, so sieht man, dass diese vollkommen glattrandig durchsichtige Cylinder von gleichmässi- gem Durchmesser darstellen. Nachdem ich diese Erfahrung gemacht hatte, schien es mir über- haupt erspriesslich das Leder einer genaueren Untersuchung zu unter- werfen, indem die Textur des Bindegewebes in demselben vollständig erhalten war, man aber in der gerbsauren Collagensubstanz ein Objeet vor sich hat, welches von anderen durch seine Starrheit und die Prägnanz seiner Verhältnisse eben so vortheilhaft verschieden ist, als die meisten pflanzenanatomischen Objecte von denen der Thier- histologie. Es kam mir nun zunächst darauf an zu untersuchen, welchen Ein- Auss die bis zur vollendeten Gerbung der Haut wirksamen Processe auf das Bindegewebe ausüben und mir, da ich dies nirgend anders her beziehen konnte, Menschenleder selbst zu erzeugen. Beides lässt sich auf verhältnissmässig einfache Weise ausführen. Man braucht dazu fürs erste eine Anzahl von Flaschen und Gläsern. Ich verwendete Gefässe, deren eines beiläufig 0,27 Litre enthielt. Ein Stück Haut vom erwachsenen Menschen wurde von dem unterliegenden Fettgewebe möglichst gereinigt, in eine jener Flaschen gelegt, mit Kalkwasser übergossen und darnach die Flasche zuge- korkt. 12 Ich habe schon früher die Einwirkung des Kalkwassers auf binde- webige Texturen besprochen. Hier muss ich erwähnen, dass die Behandlung der zu gerbenden Häute mit Kalk in Substanz bis in die frühesten Zeiten der Gerberei zurückreicht. Der erste, welcher die Anwendung des Kalkwassers einführte, war A. Seguin!), derselbe, welcher mit Lavoisier über die Respiration experimentirte und die Abhandlung über Hautsecretion und den Ein- fluss der Bäder schrieb. Er erfand zur Zeit des Wohlfahrts-Ausschusses die Schnellgerberei. Man giebt an, dass die Häute zum Zwecke des Enthaarens gekalkt werden und allerdings lösen sich die Haare, und nicht nur diese, son- dern die sämmtlichen Oberhautgebilde von einer in Kalkwasser einge- legten Haut mit der grössten Leichtigkeit ab. Dass aber die Enthaarung und Befreiung der Haut von der Epidermis nicht der alleinige Grund des Kalkens sein können, hat schon Hermbstädt?) auseinandergesetzt. Er sagt, dass die Häute, um gutes und geschmeidiges Leder zu liefern, länger im Kalkwasser zubringen müssen, als zu ihrer Enthaarung nothwendig ist, und hat sogar aus dem Kalkwasser, mit dem er Stückchen Rinderhaut durch 14 Tage behandelt hatte, mittels Salzsäure eine Masse herausgefällt, über deren Natur er aber sehr unrichtige Vorstellungen hatte, indem er sie für ein aus einer löslichen Kalkseife abgeschiedenes Fett hielt. Man überzeugt sich durch Untersuchung des zur Extraction eines Hautstückes verwendeten Kalkwassers leicht, dass eine Biweisssubstanz in dasselbe übergegangen ist, die sowie sie zwischen die Formbestand- theile des Bindegewebes eingelagert ist, wahrscheinlich auch zwischen dem Corium und den Oberhautgebilden sich befindet. Ich kehre nun zu dem im Kalkwasser liegenden Hautstücke zurück. Die Oberhaut lässt sich in einigen Tagen von demselben abstreifen. !) Lelievre et Pelletier: Rapport au comite de salut public sur les nouveaux moyens de tanner les cuirs, propos& par le citoyen Armand Seguin, aus dem Journal des arts et manufaetures. Paris. Annde 4. übersetzt in Hermbstädt's Journal Bd. I, Berlin 1802, p. 187. ®) Chemisch-technologische Grundsätze der gesammten Ledergerberei. II. Bd. Berlin 1807, p. 210. 13 Ueberzeugt man sich, dass schon eine ziemliche Menge jener Eiweiss- substanz in das Kalkwasser übergegangen ist, so kann man dasselbe erneuen, um das Hautstück möglichst vollständig auszuziehen. Nach- dem es der Einwirkung der alkalischen Flüssigkeit im Ganzen 8 Tage lang ausgesetzt war, bringt man es, um den Kalk daraus zu entfernen, in schwach angesäuertes Wasser, wie das zu Anfang schon angegeben worden ist. Die vollständige Entfernung des Kalkes ist unumgänglich noth- wendig, damit man bei der nachfolgenden Behandlung der Haut mit Tannin nicht einen guten Theil der Wirksamkeit des letzteren ver- nichte, indem sich, wenn Kalk im Ueberschuss in die gerbsaure Lösung gelangt, ein körniger Niederschlag von unlöslichem, basisch gerbsaurem Kalk bilden würde, im umgekehrten Falle aber bei überschüssigem Tannin zwar eine lösliche Verbindung von neutralem gerbsauren Kalk entstehen würde, die aber keine gerbenden Eigenschaften hat. Ist also die Haut vom Kalke vollkommen befreit, so bringe man sie in eine mit schwacher Tanninlösung gefüllte Flasche. Man prüfe gleichzeitig ein Wenig jener Lösung durch Hinzutropfen von Leim- lösung auf den beiläufigen Gerbsäuregehalt. Die thierische Haut zieht bald allen Gerbestoff vollständig an sich. Pelouze!) hat diese Eigenschaft der thierischen Haut sogar benutzt, um aus einem Gemenge von Gerb- und Gallussäure die erstere voll- ständig zu entfernen, und aus der Gewichtszunahme der benutzten Haut quantitativ zu bestimmen. Man prüfe daher, nachdem man die Haut in die Tanninlösung ein- gelegt hat, diese letztere von Zeit zu Zeit auf ihren Gehalt an Gerb- säure durch Hinzutropfen von Leimlösung und setze, so oft man bemerkt, dass die Gerbsäure aus der Flüssigkeit verschwunden ist, eine neue Menge zu, so lange bis das neu hineingebrachte Tannin nicht mehr absorbirt wird. Man lasse endlich das Hautstück so lange in der gerbsäuerlichen Flüssigkeit liegen, bis eine Probe desselben, die man ) Erdmann und Schweiger, Journal fürpraktische Chemie, Bd. II, Leipzig 1854, p. 305. 14 mit Wasser abgespiilt und dann getrocknet hat, alle Eigenschaften des Leders zeigt. Ich fand die Haut vom Ochsen, vom Kalb, vom Kaninchen und auch die menschliche, wenn ich sie nach der eben beschriebenen Me- thode gegerbt hatte, zur Untersuchung vollkommen tauglich. Ich will zuerst, weil die Verhältnisse, der mangelnden Papillen halber, dort sich einfacher darstellen, mit dem Rindsleder beginnen. Es ist einerlei, ob man käufliches Kuh- und Kalbleder verwendet oder solches, welches man selbst gegerbt hat; ich habe mich überzeugt, dass sich letzteres in nichts von dem käuflichen unterscheidet als in der Farbe, welche bei dem einen bekanntlich die eigenthümliche Farbe der Lohe, bei dem andern nur ein lichtes Graubraun ist. Hat man aus einem Stück Kalbleder senkrecht zur Oberfläche stehende, sonst beliebig gerichtete Durchschnitte angefertigt, um sie mikroskopisch zu untersuchen, so ist es am besten, dieselben mit Ter- pentinöl zu tränken. Will man die Präparate längerere Zeit aufbe- wahren und besonders schön und durchsichtig erhalten, so wende man die kürzlich von Brücke!) für die Muskeln angegebene Methode an, man verdränge das Terpentinöl mit Dammarfirniss und schliesse die Schnitte in dem letzteren ein. An einem solchen Lederschnitte (Fig. 3) fallen zunächst zwei Schichten in die Augen, deren Abgrenzung von einander, so entschieden sie auch hervortritt, doch nicht durch einen zwischen beiden Schichten hinlaufenden Contour hervorgebracht wird. Diejenige Schichte, welche der freien Oberfläche des Corium zu- gekehrt war, hat eine geringere Breite, als die unter ihr liegende und bietet wegen der grösseren Menge der in ihr enthaltenen und die Zeich- nung des Objeetes gegen den lichten Grund abgrenzenden scharfen Contouren ein etwas dunkleres Anschen dar, als die letztere. Die innere dieser Schichten besteht aus verschieden dieken Bün- deln der oben näher beschriebenen Fasern. Diese Bündel laufen im !) Untersuchungen über den Bau der Muskelfasern, welche mit Hülfe des polarisirten Lichtes angestellt wurden. (Denkschriften der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften 1857, Bd. XV.) 15 Allgemeinen der Oberfläche des Corium parallel und steigen nur in allmählicher Neigung gegen dieselbe auf. Sie durchkreuzen sich unter spitzen Winkeln. Kurz es ergiebt sich hier derselbe Befund, welcher sich auch am frischen Corium ganz leicht ermitteln lässt und längst bekannt ist. Anders verhält es sich mit der äusseren Schichte. Sie hat schon seit lange die Aufmerksamkeit der Histologen auf sich gelenkt. Man hat aber ihre Structurverhältnisse, sowie die Beziehung zu der darunter liegenden 'Schichte noch|nicht mit. der erwünschten Klarheit durch- schaut. Man erinnere sich an die älteren Angaben über das corpus papillare, an Henle’s intermediäre Haut!), an die Bemerkungen Krause’s?) über die oberflächliche Schichte des Corium, an Bowman’s3) basement membrane oder tunica propria cutis, man erwäge, was Kölliker#) und Gerlach) über die zwei Schichten des ‘Corium angeben, was Meissner) über die eigenthümlichen Fasern des Papillarkörpers, was Virchow?) über die oberflächlicheSchichte des Nagelbetteorium angiebt und was in Leydig’s Histologie®) über die homogene Grenzschichte der Lederhaut vorkommt und man wird die Richtigkeit meiner früheren Behauptung zugeben. Die Untersuchung des gegerbten Corium ist geeignet, uns über das leimgebende Stroma jener Schichte einen ganz gründlichen Aufschluss zu geben. Kann man den Durchtritt eines Bindegewebbündels der inneren Coriumschichte durch die oben angeführte Grenze zur äusseren Schichte verfolgen (und das ereignet sich fast jedesmal an der einen oder der andern Stelle eines Lederdurchschnittes), so'nimmt man wahr, dass jenes Bündel sich auflöst und zwar zerfährt es in jene eonstanten Elemente, 1) Allgemeine Anatomie. Leipzig 1841, p. 1009. *) Artikel „Haut“ in Wagner’s Handwörterb. Bd. 2. Braunschweig 1844, p. 108. ?) Pbysiological anatom. London 1845—1853, p. 412. *) Handbuch der Gewebelehre. Leipzig, 1855, p. 97 und 98. 5) Handbuch der Gewebelehre. Mainz, 1853. ®) Beiträge zur Anatomie und Physiologie der Haut. Leipzig, 1853, p. 4 und 5. ?) Zur normalen und pathologischen Anatomie der Nägel. Würzburger Verhandlung 1854. Bd. V, p. 84, *) P. 67 und 79, 16 die man, wie früher gezeigt wurde, jedesmal bei der Auffaserung eines aus dem Lederfilz herausgerissenen Fadens erhält. Durch die Zwischenräume der von jenem Bündel ausgehenden Fasern oder Faserpartien flechten sich die in den Schnitt gefallenen Segmente gleichartiger Fasern in den verschiedensten Richtungen hin- durch, und diese innige Durchfleehtung von kürzeren oder längeren im Längsschnitt sichtbaren Fasern mit queren und schrägen Faser- durchschnitten wiederholt sich, den eigenthümlichen optischen Eindruck der äusseren Coriumschicht hervorrufend, bis an die Oberfläche der Lederhaut hin. Der scharfe Rand, welcher jenen Theil des Durch- schnittes gegen den'Grund des Sehfeldes absetzt, ist selbst wieder aus den scharfen Contouren der oberflächlichst liegenden Fasern zusam- mengesetzt. Man überzeust sich also an solchen Lederdurchschnitten auf die schönste Weise davon, dass das Hauptlager der Lederhaut aus vielfach durchflochtenen Bindegewebsbündeln besteht, während im peripheri- schen Theile des Corium die faserigen Elemente jener Bündel sich auseinanderlegen, untereinander sich durchflechten und so die’ eigen- thümliche Beschaffenheit jener Grenzschichte zu Stande bringen. Um Missverständnissen vorzubeugen, muss ich hier anführen, dass die bindegewebigen Texturelemente jener Grenzschichte sehr wohl von den in der frischen Haut daselbst wahrnehmbaren feinen elastischen Fasernetzen unterschieden wurden, was sich jedem, der einen Leder- durchschnitt untersucht, sogleich ergeben wird. Die Vermuthung eines solchen Verhältnisses für die Oberflächen- schichte des menschlichen Corium wurde bereits von Krause) aus- gesprochen. Er sagt: ‚man erblickt an der freien Hautfläche nur sehr kurze Strecken und Enden der Fibrillen, die in ihren Durchflechtungen nicht zu verfolgen sind, so dass hier die einzelnen Fibrillen und Pri- mitivfäden, nicht aber zusammengesetzte Fasern oder Bündel den Filz zu bilden scheinen.“ Inwieferne diese Vermuthung von dem wirklichen Sachverhalt abweicht, ergiebt sich von selbst. 1) A. o.a. ©. p. 108. 17 Vergleicht man die durch Untersuchung des Rindsleders gewon- nenen Resultate mit den Erscheinungen, welehe man an der frischen, an der getrockneten oder in Pottasche gehärteten Haut zu beobachten Gelegenheit hat, so findet man, dass 'sie sich vollkommen aufeinander redueiren lassen. Was die innere’Schicht betrifft, 'so'ist die Uebereinstimmung an sich klar. In Beziehung auf die äussere Schichte ist zu bemerken, dass sie dem homogen erscheinenden, glänzenden Saum entspricht, welcher auf dem Durchschnitt der‘ frischen Haut unmittelbar unter dem Epithelium wahrgenommen wird. Die Einsenkung der’ Haarbälge reicht tiefer in die Haut hinem, als die untere Grenze jenes: Saumes. Macht man daher einen Durchschnitt durch das noch mit den Oberhautgebilden überzogene Rindercorium, so sieht man auf dem- selben unter der Grenze jenes Saumes noch eine zweite Abgrenzung, welche durch die bis zu jener Stelle reichenden Haarbälge hervor- gebracht wird. Enthaart man ein Hautstück mittels Kalkwasser, so kommt auf dem Durchschnitt desselben jene Grenzschicht des Coriums allein zur Anschauung. Mit den Präparirnadeln lässt sie sich nur sehr schwer in Fragmente von ähnlichen Dexturelementen, wie sie in der tiefern 'Schichte des Corium vorkommen, zerlegen. Auf dem Durchschnitt der Grenz- schiehte bemerkt man, wenn derselbe einem getrockneten Hautstücke entnommen ist, eine ähnliche feine Zeiehnung, wie auf dem Querschnitt getrockneter Sehnen, d. h. kleine punktförmige Lücken und schmale Spältchen, gegen welche die an ihren Berührungspunkten bis zum Ver- schwinden der Oonturen dicht aneinandergepressten Formbestandtheile schärfer abgegrenzt sind. Hat man die Haut in Leder umgewandelt, so hat man die weichen, in hohem Grade quellungsfähigen, schwach lichtbreehenden, dicht’ an einander gedrängten und durch eine eiweissartige Zwischensubstanz an einander gehefteten Texturelemente, in starre, 'nur im geringen MoL»sonorT, Unternuchungen. VI. 2 18 Grade quellungsfähige, stärker lichtbrechende, isolirt und lose neben einander liegende Elemente verwandelt, deren Identität in der äusseren und inneren Coriumschichte auf die direeteste Weise: durch die Auf- fleehtung. der Bündel der inneren Schiehte beim Uebertritt in die äussere zur Anschauung gebracht wird. Die. spärlichen Zwischenräume, welche die "eben besprochene Zeichnung des Durchschnittes vom getrockneten Corium bedingen, sind auf dem: Lederdurchschnitt mit einander in Verbindung getreten und ein ganzes Geäder von Zwischenräumen schlingt sich zwischen den neben einander liegenden Texturelementen hindurch, deren An- ordnung nun mit voller Klarheit zu überschauen ist. Ich habe früher angegeben, dass das Quellungsvermögen der: gerbsauren Collagen- substanz ein viel geringeres ist, als das der frischen Collagensubstanz, und dieser Umstand lässt sich benutzen, um die im Leder enthaltenen Fasern auch auf dem Querschnitt zur schönsten Anschauung zu bringen. Behandelt man einen Lederdurchschnitt mit Essigsäure, so quellen die Fasern desselben bis zu einem gewissen Grade an und werden da- durch zu vollkommenen Cylindern, deren kreisrunde Querschnitte auf dem Querschnitt eines Bündels, also gesondert neben einander liegen, dass sie sich nur an einzelnen Punkten der Peripherie berühren und von eingebogenen Seiten begrenzte, dreieckige oder rhombische Räume zwischen sich übrig lassen. (Fig. 4.) Das Bindegeweblager des menschlichen Coriums verhält sich, abgesehen von der unverhältnissmässig geringeren Breite der dichten Oberflächenschichte, genau so wie die Lederhaut des Rindes und ich gehe hier nur deswegen auf die Menschenhaut im Besonderen ein, weil man an ihr die beste Gelegenheit hat, das leimgebende Stroma der Papillen zw untersuchen. Man hat die äussere Schichte des Corium darum, weil auf ihr die Hautwärzchen aufsitzen, den Papillarkörper genannt. Dieser Name ist histologisch vollkommen zu rechtfertigen, indem die Papillen in Be- ziehung auf ihre Textur wirklich nur als verschieden gestaltete Fortsätze ‚jener Hautlage zu betrachten sind, nichts desto weniger ist jener Name nicht allgemein genug, weil die eigenthümliche äussere Lage des Corium 19 auch an Hautstellen vorkommt, wo keine Papillen anzutreffen sind; ja dort sogar mächtiger entwickelt ist. Untersucht man die Papillen an gegerbten Hautstücken, so sieht man ganz deutlich, dass sie Bildungen des dichten Aussenlagers der Lederhaut sind. Es kommen in ihnen dieselben glatten durcheinander geflochtenen, von den elastischen wohl unterschiedenen Fasern vor, ja man. sieht, dass das Materiale zur Bildung der Papillen nur dadurch gewonnen wird, dass die an der Coriumoberfläche verlaufenden Fasern sich ausbeugen, um mit ihren Verflechtungen gleichsam einen Mantel für die in den Papillen steckenden Gefässschlingen oder Tastkörper- chen zu bilden, deren geschrumpfte Rudimente sich selbst am Leder auf Behandlung mit Essigsäure zu erkennen geben. Am besten. dient zu, solchen Untersuchungen die Haut aus der Hohlhand, und zwar vom Ballen des kleinen Fingers. Man lasse dieselbe aber ja so lange in der Tanninlösung liegen, bis auch die Papillen vollkommen durchgegerbt sind, damit sie nicht etwa als ungegerbte hornartig, vertrocknete Knötchen auf der sonst gegerbten Haut aufsitzen und für die Untersuchung untauglich sind. Schon Bichat!), welcher menschliche Haut gerben liess, was er in seiner allgemeinen Anatomie nur ganz beiläufig und zum Zweck der folgenden Bemerkung anführt, sah ganz gut, dass der Gerbestoff gleichsam von der innern, an das Unterhautzellgewebe grenzenden Schicht in die Haut eindringe, so dass die’ lockeren Schichten des Corium viel früher gegerbt werden als die dichte Oberflächenschicht. Eine Beobachtung, die sich als vollkommen richtig erweist. Die Papillen nehmen die längste Zeit in Anspruch, um vollkommen gegerbt zu werden. Es erübrigt noch die Untersuchung der eigentlichen Oberfläche des Corium. Feine Durchschnitte durch die frische, getrocknete oder in Pottasche gehärtete Menschenhaut zeigen, dass der dem Durchsehnitt der Coriumoberfläche entsprechende Rand durchaus so fein gezähnelt ist, wie dies Meissner?) für den, Contour‘ der Papillen beschrieben und abgebildet hat, ”) Anatomie generale, Uebersetzt von Pfaff. 2. Bd. 2. Abth. p. 171. 2).A, 0.0: 0. p. 4. und 5, Taf. 1, Fig. 1. 2 “ 20 Untersucht man die durch einen feinen der Hautfläche parallel geführten Schnitt abgetragene Oberfläche, so sieht man, dass die zwi- schen jenen Zähnchen des Durchschnittes vorhandenen Einkerbungen kleinen ziemlich regelmässig vertheilten Grübchen entsprechen. Wieder sieht man auf Durchschnitten von Hautstücken, an welchen die unterste nach Kölliker’s Entdeckung aus sehr langen Cylinder- zellen bestehende Epithelialschichte noch erhalten ist, dass die langen Epithelzellen unmittelbar in jenen feinen Grübehen sitzen. "Ganz dasselbe Verhältniss findet auf den Papillen Statt, auf welchen jene Epithelialzellen von unten nach oben sich dachziegelförmig deekend angeordnet sind. Alle diese Beobachtungen lassen sich sehr schön an Hautstücken machen, die man erst frisch, dann, nachdem sie kurze Zeit in Kalk- wasser gelegen und nur erst die verhornte Epidermisschicht verloren haben, und endlich nach längerem Verweilen in Kalkwasser und gänz- lichem Verlust des Epithels untersucht. Die Untersuchung gegerbter Häute klärt auch den Oberflächen- Befund um ein Bedeutendes auf. Ein Stückchen von der Oberfläche des Menschenleders durch einen mit derselben parallelen Schnitt abgetragen und mit Terpentinöl ge- tränkt, zeigt ganz deutlich jene feinen Grübchen, und zwar liegen dieselben meist in den Winkeln kleiner sich durchkreuzender Faser- segmente, die in ihrem Verlauf nicht weiter zu verfolgen sind, und es hat die ganze Oberfläche an allen jenen Stellen, welche nicht von den grossen Mündungen der Haarbalggruben oder den Durchtrittsstellen der Schweisscanäle eingenommen werden, das Ansehen eines feinge- webten Stücks Zeuges, dessen Fasern in ihren Durchflechtungen ebenso nicht zu verfolgen sind. Man überzeugt sich aber auf dem Durchschnitt sehr leicht von der eigentlichen Constitution jener oberflächlichen Faserlage des Coriums, man kann noch überdies die Ränder des abgetragenen Stückehens aus- fransen und so die Webung mechanisch decomponiren. Die Oberfläche der Papillen verhält sich der übrigen Hautober- fläche vollkommen gleich. Man sieht nirgends frei auslaufende Fasern, 21 sondern ebenfalls kleine Fasersegmente, die, sowie sie aus der Tiefe auftauchen, eben dorthin wieder verschwinden; über den Verlauf der Fasern in den'Papillen wurde schon früher berichtet. Die Verhältnisse der gegerbten Papillen sprechen für Kölliker’s!) Annahme von schlingenförmigen Umbiegungen der Papillenfasern. Ich werde später, wenn ich von der Einwirkung gewisser Reagen- tien auf die leimgebende Substanz des Bindegewebes handeln werde, auf jene Beobachtungen näher eingehen, welche Meissner?) bewegen konnten, eine eigenthümliche Art frei auslaufender Fasern im Papillen- körper anzunehmen. Weder die Papillen, wie Meissner) ganz richtig angiebt, noch die übrige Hautoberfläche ist von einer structurlosen Haut überkleidet, der helle Saum, welchen man bisweilen auf Hautdurchschnitten sieht, erklärt sich durch das bis zum Verschwinden aller Interstitien dichte Aneinandergedrängtsein der einzelnen Texturelemente, und ist an Papillen, die man in ihrer Totalität unter dem Mikroskope betrachtet, noch überdies nur die Erscheinung eines dünneren und daher durch- sichtigeren Randes. Ich weiss nicht, ob ich hiemit die Meisser’sche Erklärung jenes Phänomens errathen habe, in seiner Schrift#) ist in der Stelle, welche diese: Erklärung. enthalten soll, ein sinnstörender Druckfehler vorhanden. Ich habe 'bis jetzt die Untersuchung des Corium vom Menschen und vom Rinde mitgetheilt; von kleineren Thieren habe ich nur die Haut des Kaninchens und des Meerschweinchens untersucht und: ge- funden, dass bei diesen das ganze Corium nur aus mit einander ver- flochtenen Bindegewebsfasern besteht, die Vereinigung derselben zu eylindrischen Bündeln fehlt bei diesen Thieren, die Webung: der Ober- fläche ist eben so zart, wie beim Menschen und beim Rinde und lässt sich an gegerbten Hautstücken sehr schön untersuchen. Hat man (dureh sehr geschmeidige und‘ biegsame Lederstücke ') Mikroskopische Anatomie. Bd. II, 1. Abth. Leipzig 1852, p. 10 *) A. 0.4. 0,p. 5 und 6 ?) A.a.0.p.4 *%) A.0.0,.p.4 Zeile 11 und 12 von unten. 22 Durchschnitte zu machen, und ist’es wünschenswerth, denselben eine grössere Festigkeit zu geben, so kann man sie in Collodium legen, um sie mit demselben zu infiltriren und dann an der Luft hart werden zu lassen; damit die erlangte Festigkeit von Dauer sei, lasse man, nach- dem die Stückchen infiltrirt sind, noch mehrere Schichten von Collö- dium auf ihrer Oberfläche abtroeknen und hülse 'sie so in einen festen Ueberzug ein. Bei der nachfolgenden Tränkung der gewonnenen Schnitte mit Terpentinöl wird das Pyroxilin wieder aufgelöst. III. Vom Bindegewebe der Sehnen. An den Sehnen unterscheidet man das Bindegewebe der Sehnen- bündel von demjenigen, welches zwischen jene Bündel emgeschoben ist und dieselben zugleich zusammenhält, indem es um die Peripherie der Sehne gleichsam einen Gürtel bildet, von dessen innerer Fläche die Scheidewände jenes Fachwerkes auswachsen, welches zur Aufnahme der Sehnenbündel dient. !) Hier soll zunächst das Bimdegewebe der Sehnenbündel zur Erörterung kommen. Die Sehnenbündel lassen sich, wie aus dem ersten Abschnitt 'be- kannt ist, auf die Einwirkung von Kalk- oder Barytwasser in faserige Elemente auseinander ziehen. ı Haben'.die zu diesen Versuchen ver- wendeten Sehnenstücke sehr lange Zeit in Kalk- oder Barytwasser gelegen, und hat man an ihnen, bevor man sie in die alkalischen Flüssigkeiten einlegte, durch einen ‘ganz seichten Längenschnitt die von dem umhüllenden Bindegewebe gebildete eirculäre Schichte durch- trennt, so kann man solche Sehnenstücke manchmal in einem Gefäss mit Wasser durch Hin- und Herschütteln’ des letzteren’ zu einem lockeren Filz auseinander waschen, ‘der unter dem Mikroskope (die- selben Eigenschaften erkennen lässt, wie ein nach der Behandlung mit Kalkwasser mittels der Präparirnadeln auseinander gezogenes Sehnen- bündel. !) Kölliker's Gewebelehre. Leipzig 1855, p. 190: 23 Man erhält aber niemals aus dem Bindegewebe der Sehnenbündel jene Abtheilungen, welche ich oben unter dem Namen der Bindegewebs- fasern beschrieben habe. Die leimgebende Substanz der Sehnenbündel ist also anders ver- theilt, als die leimgebende Substanz der Coriumbündel. Und zwar besteht diese Verschiedenheit darin, dass in den Seh- nenbündeln die leimgebende Substanz durchaus gleichmässig vertheilt ist, während in den Bündeln des Corium eine ähnliche gleichmässige Vertheilung sich auf einzelne gleich grosse isolirt neben einander liegende Abtheilungen beschränkt, deren Zusammentritt das Corium- bündel constituirt. Von der angeführten Verschiedenheit zwischen dem Bindegewebe der Sehnen und dem des Corium überzeugt man sich am besten durch ein anderes Object, an dem die beiden Bindegewebsarten neben einander vorkommen. Ich will daher dessen Betrachtung hier einschieben. Man untersuche die Bündel der Conjunetiva und die der Sclerotica von einem und demselben Ochsenauge frisch oder nachdenı sie kürzere oder längere Zeit mit Kalk- oder Barytwasser behandelt wurden; dabei wird man sich überzeugen, dass das Bindegewebsbündel der Sclerotica (Fig.5) so wie das der Sehnen beschaffen ist, während das Bindegewebe der Conjunctiva (Fig. 6) mit dem des Corium übereinstimmt. Wenn man nun jene Augenhäute gerbt und dann auf ihre Eigen- schaften untersucht, so findet man die oben auseinander gesetzte Ver- schiedenheit auch in dem Leder ausgeprägt. Die gegerbte Selerotica unterscheidet sich von der gegerbten Conjunctiva eben dadurch, dass man aus der letzteren, so. wie aus, dem Gorium glattrandige, isolirt neben einander liegende Fasern. erhält, während man die Bündel der Selerotica nur in äusserst feine Fibrillen auseinanderziehen kann. Mit dieser verschiedenen Anordnung steht auch die Art und Weise, wie sich die feinsten Fäserchen aus den Bündeln der Sehnen oder der Sclerotica einerseits und aus den Bündeln der Haut oder der Con- junetiva andererseits isoliren lassen, vollkommen im Einklange. Hat man ein Sehnenstück oder ein Stück der Selerotica in Kalk- oder Barytwasser gelegt und dadurch die Verbindung der leimgebenden Formelemente gelockert, so erhält man, wenn'man ein Bündel jener Bindegewebstexturen 'auseinanderzieht, sogleich, eine Menge von Fibrillen isolirt: neben einander liegend und theils grössere, theils kleinere unregelmässige Partien des Bündels, welche durch isolirte, streckenweise in, der einen und dann in der anderen der auseinander- gezogenen Partien verlaufende Fibrillen mit einander verbunden sind. (Fig. 7.) Anders verhält es sich mit den Bündeln der Haut oder der Con- junctiva, diese lassen sich vorerst nur in Fasern auseinanderziehen, und nur wenn das Kalk- oder Barytwasser durch längere Zeit einge- wirkt und das Gewebe in höherem Grade gelockert hat, zerspalten sich auch diese Fasern der Länge nach mehr oder minder regelmässig in dünnere Elemente und. man erhält dann beim Auseinanderziehen der Corium- oder Conjunctivabündel ebenfalls feinste Fäserchen (Fig. 8). Es ist interessant, dass mit dem Nachweis dieser verschiedenen Anordnung der leimgebendenSubstanz in den Bindegewebsbündeln ver- schiedener Organe eine histologische Differenz zwischen den gewöhn- lichen Bindegewebstexturen und den sogenannten fibrösen Geweben der alten Anatomen gegeben ist. Denn wie die Bindegewebsbiindel der Sehnen verhalten sich, wie ich mich überzeugte, die Bündel der Selerotica, der Aponeurosen, der firösen Gelenkbänder, der dura mater, der Zwischenknochenbänder; wie die Bündel der Lederhaut verhalten sich die der Conjunctiva, des Unterhautzellgewebes, der Submucosa des Darmcanales, der Zunica adventitia der Gefässe. Um sich von den angegebenen Verhältnissen genau zu überzeugen, untersuche man die Bündel verschiedener Objecte frisch, oder mit Kalk- oder Barytwasser behandelt, oder nachdem 'sie in Weingeist macerirt wurden. , Ich wende mich jetzt: wieder den Sehnen zu, um deren Querschnitt zu untersuchen. Man sieht’ auf dem Querschnitt eines getrockneten Sehnenbündels (Fig. 9) zweierlei Figuren. 25 Fürs erste:grössere, die in verschiedenen Abständen von einander stehen, in feine dunkle Fortsätze auslaufen und oft das Sehnenbündel in sehr regelmässige Abtheilungen!!) bringen. Diesen Abtheilungen des Querschnittes entspricht aber nicht etwa eine Zusammensetzung des Sehnenbündels aus parallel neben. einander liegenden kleineren Bündeln, wie man früher allgemein angenommen hat. Auf dem Längsschnitt ist: von: solchen isolirt neben einander lie- genden Formbestandtheilen nichts zu sehen und wenn man durch ein eylindrisches Sehnenstück, z.B. durch ein Stück aus. der dünnen runden Sehne des ın. palmaris longus. des Menschen etwa 10.0der 12 auf einander folgende Querschnitte anfertigt und unter dem Mikroskope betrachtet, so sieht man zwar immer die, den. Sehnenbündeln?) entsprechenden Abtheilungen des ganzen Querschnittes wiederkehren, aber die durch die besagten Figuren hervorgebrachten: Abtheilungen: der einzelnen Bündel sind auf jedem Schnitt ändere, und bald mehr, bald minder zahlreich vorhanden, was nicht:der Fall sein könnte, wenn die Zeich- nung des Querschnittes der Sehnenbündel'bedingt wäre durch parallel neben einander liegende Abtheilungen (primäre Bündel) derselben. Ueber die Natur dieser auf dem Querschnitt der Sehnenbündel sichtbaren Unterbrechungen werde ich im Späteren sprechen. Ausser den grösseren Figuren nimmt man aber noch eine feine punktförmige Zeiehnung wahr, welche zuerst vou Henle und Stadel- mann?) berücksichtiget und für ‚den Ausdruck der neben ‚einander liegenden Fibrillendurchschnitteserklärt wurde, eine Ansicht, welche in letzterer Zeit besonders: von Kölliker vertheidigt wurde, ‚während Reichert und Gerlach eine. widersprechende Deutung derselben gaben. Eine genaue ‚Untersuchung dieser feinen Zeichnung des Schnen- durchschnittes bei stärkeren Vergrösserungen zeigte mir, dass dieselbe hervorgebracht werde durch feine in ziemlich regelmässigen Abständen auftretende Lücken: von rundlicher, ‚meist unregelmässiger Gestalt, ’) Primäre Bündel der Autoren. 8. Kölliker’s Gewebelehre 1855. p. 191. ?) Beceundäre Bündel. 8. Kölliker's Gewebelehre p. 190 und 192 und, Fig. 98 *) Seetiones transversae ete, Diss, inaug,. 1844, 8. Ienle's Jahresbericht p. 15 26 welche Lücken wahrscheinlich den Kreuzungspunkten der zwischen den faserigen Elementen des Bindegewebes vorhandenen Durchgänge entsprechen. Dass diese feine und zierliche Zeichnung des Sehnen- bündel-Querschnittes?) mit der auf dem Längsschnitt vorhandenen parallelen Streifung innig zusammenhängt, und fehlt, wenn die letztere verwischt wird, ist schon lange bekannt. Ueberblickt man nun kurz, was über die Anordnung ‘der leimgebenden Substanz in den Binde- gewebsbündeln gesagt wurde, so muss man zugeben, dass die Binde- gewebsbündel nach einem ganz bestimmten Plane gebaut sind. Die Verschiedenheit in der Structur der Sehnen und der Corium- bündel, eine Verschiedenheit, welche sich für die Bindegewebsbündel eimer ganzen Reihe von Organen wiederholt, die Aufllechtung der Coriumbündel in der äusseren Schichte des Coriums, die Webung der Oberfläche der Lederhaut sind Gesetzmässigkeiten, welche die Auf- merksamkeit der Histologen gewiss eben so verdienen, als die zwischen dem Bindegewebe und dem Knochen- und Knorpelgewebe vorhandenen histogenetischen Uebereinstimmungen. IV. Veränderungen, welche das Bindegewebe durch Reagentien und durch kurz andauerndes Abkochen erleidet. Man bedient sich schon seit langer Zeit verschiedener chemischer Agentien, um das Bindegewebe m eine aufgequollene durchsichtige Masse zu verwandeln, weil man dadurch die zwischen die leimgebende Substanz des Bindegewebes eingelagerten und in den angewendeten Mitteln nicht aufquellenden, heterogenen Formbestandstheile am besten zur Anschauung bringen kann. Solche Agentien sind die Essigsäure, sehr verdünnte Salz- oder Salpetersäure oder die Lösungen der reinen Alkalien. Ich werde hier die Veränderungen beschreiben, welche das Binde- gewebe auf die Einwirkung von höchst verdünnter Salzsäure (1 p. m.) erleidet. 4) Es wurden nur vollkommen tadellose, von allen Sprüngen und Schnittriffen durch- aus freie Objeete zu dieser Untersuchung verwendet. 27 Wenn ein Stückchen einer Sehne in sehr verdünnter Salzsäure angequollen ist, so stellt dasselbe eine durchscheinende zähe und klebrige Masse dar. Bringt man ein kleines Stückchen unter das Mikroskop, so sicht man, dass die Längsstreifung des frischen Bindegewebes daran ver- schwunden ist und dass die Substanz ‘des Bindegewebes schwächer brechend geworden ist. Die am frischen Bindegewebe: vorhandene Längsstreifung kann aber nur verschwunden sein, weil sich (die auf- gequollenen und schwächer lichtbrechend gewordenen Formbestand- theile des Bindegewebes mit ihrer klebrigen ‘Oberfläche in den jener Längsstreifung entsprechenden Durchgängen aufs innigste an einander gelegt haben, was für das Bindegewebe denselben Effect haben muss, als wenn man die Interstitien desselben mit einer gleich lichtbrechenden Substanz durchtränkt hätte. Man hat daher das Bindegewebe durch Behandlung mit jener ver- dünnten Säure nur scheinbar in eine structurlose Substanz umgewandelt und es ist längst bekannt, dass, wenn man durch vorsichtige Neu- tralisation jener Säure das aufgequollene Bindegewebsstück wieder zusammenschrumpfen lässt, auch die charakteristische Längsstreifung wiederkehrt. Ich habe mich auch überzeugt, dass die verdünnte Salzsäure nicht blos die leimgebende Substanz des Bindegewebes aufquellen macht, sondern dass sie auch eine Substanz aus dem Bindegewebe auszieht. Legt man Sehnenstücke, deren eirculäre Schichte man durch einen Längseinschnitt getrennt hat, um ein ‚gleichmässiges Aufquellen .der- selben zu ermöglichen, in sehr verdünnte Salzsäure ein und lässt die- selben darin aufquellen, so kann man in der über den Sehnen stehenden Flüssigkeit mittels Kochsalz- ‘oder Tanninlösung einen gallertigen Niederschlag ausfüllen, gerade sowie aus der salzsauren Lösung der Eiweisskörper. Wenn man aber eines der aufgequollenen Sehnenstücke in destil- lirtes Wasser bringt und durch vorsichtigen Zusatz von Ammoniak die in das Sehnenstück imbibirte Salzsäure zu neutralisiren sucht, so nimmt die aufgequollene Sehne die weisse und undurchsichtige Beschaffenheit 28 des frischen Zustandes wieder an und lässt sich durch Hin- und Her- schütteln des Gefässes viel besser und leichter in jenen fädigen Filz auseinander waschen, von dem ich früher bei der langdauernden Ein- wirkung des Kalkwassers gleichfalls gesprochen habe. Legt man etwa 2—3 Zoll lange, aus dem Verlaufleiner Sehne aus- geschnittene Stücke in verdünnte Salzsäure ein, ‘ohne die ceirculäre Schichte derselben früher durchzutrennen, so wird die letztere, während das Aufquellen von den Schnittenden her beginnt, auf eine die Mitte des Sehnenstückes umschnürende Membran zusammengeschoben. So lange dieser Gürtel um das Sehnenstück herumliegt, kann der von jenem Gürtel seitlich zusammengepresste Theil nicht anquellen; wenn man aber die eireuläre Bindegewebsschicht durchschneidet und das Sehnenstück wieder in verdünnte Salzsäure bringt, so quillt-auch der früher zusammengepresste Theil auseinander. Manchmal reisst aber die circuläre Schichte während des Auf- quellens von selbst an verschiedenen Stellen ein, es bilden sich dann auch mehrere um das Sehnenstück liegende Einschnürungen aus und es nimmt dasselbe auf diese Weise die allerverschiedenartigsten Ge- stalten an. Ich habe die Thatsache, dass eine seitliche Compression der Sehnen hinreicht, um deren Quellungsvermögen zu beschränken, darum so ausführlich mitgetheilt, weil man dabei Gelegenheit hat das im Grossen zu sehen, was die sogenannten umspinnenden Fasern im Kleinen be- wirken, und weil sich daraus erklärt, warum die aus dicht verflochtenen Bindegewebsbündeln bestehende Haut in verdünnter Salzsäure. viel weniger anquillt, als dies ein aus parallelen Bündeln zusammen- gesetztes Sehnenstück thut. Wenn man mehrere aus einem Sehnenstück geschnittene Ab- theilungen nach Art eines Zopfes mit einander verflechtet, so quellen dieselben in verdünnter Salzsäure viel weniger an, als andere gleich- zeitig mit denselben eingelegte nicht verflochtene Abtheilungen einer Sehne. Es erklärt sich ferner, warum die dichte Oberflächenschichte des Corium viel weniger anquillt, als die innere Schichte desselben. Wendet man kaustisches Natron, in welchem das Bindegewebe zu 29 einer zähen schleimigen Masse anquillt, anstatt der verdünnten Salz- säure an, so sieht man ebenfalls, dass die stärker und rascher auf- quellende innere Coriumschichte sich von der weniger angequollenen Oberflächenschichte sehr bald wegquetschen lässt; eine Erscheinung, die Meissner!) bewogen hat, eigenthümliche, den Papillarkörper und die Papillen zusammensetzende Fasern anzunehmen. Interessant ist es, dass das Bindegewebe im dem durch die Quel- lung erworbenen seheinbar structurlosen Zustande fixirt werden kann. Wenn man eine in verdünnter Salzsäure angequollene Sehne m Tanninlösung bringt, so schrumpft sie nicht zusammen, sondern wird im aufgequollenen Zustande im eine spröde Masse umgewandelt. Hat man zu diesem Versuch ein Sehnenstück gewählt, um welches sich beim Anquellen eine der oben näher auseinandergesetzten Ein- schnürungen gebildet hat, so sieht man nach der Einwirkung des Tannin, auf der auseinandergeschnittenen Sehne die Grenze zwischen dem angequollenen und dem nicht angequollenen Theil des Sehnen- stückes. In der Gerberei macht man von der Wechselwirkung zwischen dem aufgequollenen Bindegewebe und dem Tannin schon lange Gebrauch. Nicht blos um den Kalk aus den Häuten zu entfernen, sondern auch um die Häute zu „treiben“ oder zu „schwellen‘“‘, wie man, sich ausdrückt, werden die zu Sohlleder zu verarbeitenden Häute in ein durch sauer gährenden Gerstschrot oder Weizenkleie erzeugtes Sauerwasser gelegt, sondern auch um daraus ein dickeres Leder zu gewinnen. Solches Leder stark getriebener Häute, wie es im Handel manch- mal vorkommt, kann man daher auch nicht zu den früher am Leder angestellten Untersuchungen verwenden, denn beide Lederarten ver- halten sich zu einander, wie frisches und aufgequollenes Bindegewebe sich zu emander verhalten. Auch das Kochen des Bindegewebes wurde besonders von Henle?) 1) A. a. O.p. 6. ?) Jahresbericht für 1850, p. 40. 30 und Virchow!) als ein Mittel empfohlen, um die heterogenen Bestand- theile des Bindegewebes deutlicher zur Anschauung zu bringen. Kurz andauerndes Abkochen verwiseht am Bindegewebe gleich- falls die charakteristische Längsstreifung und verwandelt dasselbe in eine anscheinend structurlose Masse, und zwar geht diese Umwandlung des mikroskopischen Charakters fast augenbliklich vor sich, sowie das Bindegewebe mit kochendem Wasser in Berührung kommt. Man könnte sich vorstellen, dass beim Abkochen in Wasser das Bindegewebe anscheinend homogen wird aus demselben Grunde, wie nach der Einwirkung von verdünnter Salzsäure, nämlich dadurch, dass es beim Kochen Wasser absorbirt. Um mich zu überzeugen, ob ein solcher Vorzug stattfindet, habe ich Sehnenstücke vor und nach dem Kochen abgewogen. Es wurde das Gewicht eines frischen ‚Sehnenstückes bestimmt, dieses hierauf in kochendes Wasser geworfen, eine oder mehrere Minuten lang gekocht, dann aus dem Wasser entfernt, an der Ober- fläche sorgfältig mit Löschpapier abgetrocknet und wieder gewogen. Die Resultate solcher Wägungen sind in der folgenden Tabelle verzeichnet. Gewieht der Dauer Gewicht Gewichtsunterschied frischen Sehnen des dergekochten in Grammen. Bemerkung. in Grammen. | Kochens. BENANNT Abnahme. | Zunahme. 1 0,605 1 Min. 0,570 0,035 _ vom Menschen. 2 0,550 3 0,500 0,050 — „ „ 3 0,545 “ 0,500 0,045 — ” „ 4 0,650 zu 0,670 — 0,020 » Hunde, 5 0,735 = 0,725 0,010 Zi „ = 6 0,520 5 Min. 0,460 0,060 u ». Menschen. 7 0,260 a 0,260 — == ” „ 8 0,285 er 0,260 0,025 — » „ Es geht aus diesen Versuchen hervor, dass eine Absorption von Wasser während des kurz andauernden Abkochens des Bindegewebes nicht stattfindet und man kann daher die Veränderung, welche das Bindegewebe beim Kochen erleidet nicht, wie die Veränderung nach 1) Würzburger Verhandlungen. U. Bd., p. 154. 31 der Einwirkung der verdünnten Salzsäure, von einer Verquellung der zwischen den leimgebenden Formbestandtheilen vorhandenen Durch- gänge herleiten.. Beim Abkochen verändert aber das Sehnenstück seine Gestalt, indem es plötzlich zusammenschnellt, wird es bedeutend kürzer und dicker als im frischen Zustande. Diese Einwirkung des 'kochenden Wassers auf das Bindegewebe haben schon Bichat!) und nach ihm Mascagni?) ausführlich erörtert. Der Erstere nennt das Feuer als das Hauptagens dieser Zusammen- schrumpfung (racornissement). Er giebt ferner an, dass das gekochte Zellgewebe „elastisch geworden ist, zerrt man es, so zieht es sich wieder in sich selbst zurück.“ Wenn man ein Stück einer gekochten Sehne durchschneidet, so wird man auch ganz unwillkürlich an den Widerstand erinnert, welchen ein Stück Cautschuk dem eindringenden Messer entgegensetzt. Mit der Veränderung der Gestalt, dem Kürzer- und Diekerwerden geht aber auch die dem frischen Bindegewebe eigenthümliche Längs- streifung verloren, es verschwinden also die jenen Längsstreifen ent- sprechenden Durchgänge den Augen und wir können zur Erklärung dieser Erscheinung nur anführen, dass die kürzer und dicker gewor- denen Formelemente des Bindegewebes sich in jenen Durchgängen aufs innigste an einander gelegt haben. Dass das Verschwinden der Längsstreifen wirklich nur mit der beim Kochen eintretenden Verkürzung der Sehne zusammenhängt, zeigt ein ganz einfacher Versuch. Man theile ein langes Sehnenstück, z. B. vom hochliegenden Fin- gerbeuger, in zwei Hälften. Die eine dieser Hälften verknüpfe man an ihren beiden Enden mit starkem Bindfaden und binde sie im ausge- spannten Zustande über ein entsprechend langes Holzstück fest. Diese ganze Vorrichtung werfe man nun gleichzeitig mit der un- ausgespannten zweiten Hälfte der Sehne in kochendes Wasser, lasse beide 3 Minuten lang in demselben verweilen und trockne sie hierauf an der Luft. ») A.a. 0.1. Band, 1. Theil, p. 36 u. 149 *) Prodromo della grande anatomia. Firenze 1819 32 Untersucht man nun beide Sehnenstücke, so findet sich an der ausgespannt gekochten Sehne die Längsstreifung vollkommen erhalten, während an: der zusammengesehrumpften Hälfte von derselben nichts zu sehen ist. Ich habe angegeben, dass. man’ die gekochten -Sehnenstücke trocknen muss und das, ist deswegen nöthwendig, weil, wenn man allsogleich die Bande der ausgespannten Sehne löst, diese ganz plötzlich zusammenschnellt und dann: wie die unausgespannt gekochte Sehne sich verhält. Ich habe gefunden, dass nicht allein die Siedhitze ein solch plötz- liches Zusammenschnellen der Bindegewebsbündel bewirkt, sondern dass auch die eoncentrirte Salpetersäure im Beginne ihrer Einwirkung eine solche Verkürzung des Bindegewebes hervorbringt. Legt man ein Stückchen Bindegewebe, in welchem sich kreuzende, locker neben einander liegende Bündel’ vorhanden sind, also ein Stück- chen aus der adventitia, oder dem subcutanen oder dem submukösen Bindegewebe unter das Mikroskop und lässt, während man es beob- achtet, eöncentrirte Salpetersäure darauf einwirken, so sieht man die einzelnen Faserzüge desselben wie durch ruckweise Stösse lebhaft hin- und hergeschleudert ‚werden, indem: sie die ausgesprochene Tendenz haben, sich zu verkürzen. Kann ein Faserzug wegen zufälliger Haftung seiner Enden zwischen Objectträger und: Deckgläschen diesem! Ver- kürzungsbestreben nicht Folge leisten, so springt'er sogar plötzlich entzwei, worauf sich die zwei durch den Riss erzeugten Theile, allso- gleich gegen die haftenden Punkte hin einziehen. Ist das Bindegewebe wieder zur Ruhe gekommen, 'so hat es sein Aussehen vollkommen verändert, indem es nun ganz und gar dem ge- kochten Bindegewebe ähnlich ist. Man möge das, was über die Einwirkung von Reagentien und des Kochens auf/das Bindegewebe gesagt wurde, als einen Beitrag zur Lehre von dessen Eigenschaften ansehen und als einen Beweis, dass man die Veränderung mikroskopischer Objecete durch derlei Mittel häufig nicht in einer ganz einfachen Weise absehen kann, und, dass das oft erwähnte Homogenwerden eines faserigen Bindegewebes und 33 Faserigwerden eines homogenen Vorgänge sind, deren Beurtheilung ganz eigenthümliche Schwierigkeiten in sich schliesst. vV. Die der leimgebenden Substanz heterogenen Formbestandtheile des Bindegewebes. Ich ziehe zur Sichtbarmachung derselben jene Mittel, in denen das Bindegewebe aufquillt, unter allen Umständen dem Kochen vor. Es wurde früher gezeigt, dass das Aufquellen des Bindegewebes vorzugs- weise nur in der zur Längsaxe des Bindegewebsbündels senkrechten Richtung stattfindet. Man macht aber andererseits die Erfahrung, dass die heterogenen Formbestandtheile des Bindegewebsbündels mit ihrer Längsaxe in der Längsrichtung des Bündels liegen. Es wird daher durch das Anquellen des Bindegewebsbündels nur der Querabstand jener Formelemente geändert und man hat Gelegenheit, sie in einem viel natürlicheren Lagerungsverhältniss zu beobachten, als man dies an einem beim Kochen um ?/, seiner ursprünglichen Länge verkürzten Bindegewebsbündel thun kann. Am meisten zu empfehlen ist die An- wendung der verdünnten Salzsäure (1 p. m.) oder wenn man die leim- gebende Substanz gänzlich von den heterogenen Theilen trennen will, die von Verdauungsflüssigkeit, worin sich die leimgebende Substanz viel früher auflöst, als die übrigen, Bestandtheile des Bindegewebes. Ich lege zu dem Ende ganze Sehnenstücke in verdünnte Salzsäure ein und schneide, wenn dieselben aufgequollen und durchsichtig geworden sind, mittels einer feinen Schere kleine Stückchen der Länge nach aus jenen Sehnen heraus. An solchen Schnitten sieht man unter dem Mikroskope zweierlei heterogene Einlagerungen. ‚Fürs erste glatte, hie und da gabelig ver- zweigte, schr feine runde Fasern, die an keiner Stelle ihres Verlaufes eine Anschwellung oder Erweiterung zeigen, und sich ganz wie feine elastische Fasern verhalten, dieselben machen keinerlei Windungen, sondern haben einen ziemlich gestreekten Verlauf. Diese Fasern sind identisch mit den von Henle!) beschriebenen sehr feinen Kernfasern, . ') Canstatt’s Jahresbericht für 1851, p. 24. Mouesonort. Untersuchungen. VI. 3 34 die in den von ihm untersuchten gekochten Sehnenstücken einen ge- schlängelten Verlauf hatten. Ferner sieht man aber und zwar in ganz regelmässiger Vertheilung eigenthümliche Körperchen, welche aus einem scharf begrenzten langen ovalen, platten mittleren Theil und aus zwei auf den Polen dieses mitt- leren Theiles aufsitzenden blassen, schwach eontourirten, spitz auslau- fenden, bald kürzeren, bald längeren Fortsätzen bestehen, welche manchmal zwei über einander liegende solche Körperchen mit einander verbinden. Der scharf begrenzte mittlere Theil hat eine Länge, die zwischen 0,0318 Millim. und 0,0772 Millim. schwankt, er ist platt, manchmal wind- schief gebogen, erscheint heller, wenn er auf der Fläche liegend, dunkler, wenn er auf der Kante stehend sich unter dem Mikroskope präsentirt, die Breite desselben beträgt der Fläche nach gerechnet im Mittel 0,0045 Millim., häufiger wird derselbe auf der Kante stehend, als auf der Fläche liegend angetroffen, im ersteren Falle erscheinen die früher beschriebenen, auf den Polen des mittleren Theiles aufsitzenden blassen Fortsätze deutlicher, als im @etzteren Falle. Diese Fortsätze sind, wenn das Bindegewebe erst kurze Zeit in Salzsäure gelegen ist, deutlicher, als wenn dasselbe längere Zeit in der verdünnten Salzsäure gelegen ist. Löst man die leimgebende Substanz des Bindegewebes in künstlicher Verdauungsflüssigkeit auf, so bleibt nur der scharf be- grenzte mittlere Theil jener Körperchen ungelöst neben den im Binde- gewebe vorhanden gewesenen Kernfasern zurück. So lange man diesen mittleren Theil nur von der Kante aus be- trachtet, passt auf denselben die Beschreibung, welche Virchow!) von den im Bindegewebe enthaltenen Kernen gibt, mit alleiniger Ausnahme der „sehr dicht stehenden spiralförmigen Windungen“?). WasHenle®) von den Kernen des Bindegewebes angibt, bezieht sich gleichfalls auf den mittleren Theil jener Gebilde. 1) Würzburger Verhandlungen, Bd. II, p. 157. 2?) Schrumpfungserscheinung im gekochten Bindegewebe, bei windschiefer Verbiegung jener Körper. - 3) Canstatt's Jahresbericht für 1851, p: 22. 35 Ich habe dieselben in den Sehnen des erwachsenen Menschen (Fig. 10) und des Frosches (Fig. 11) von ausgezeichneter Schönheit angetroffen. Sie liegen in Längsreihen über einander und haben mit den früher angeführten feinen Kernfasern keinerlei Verbindung. Sie sind in ziemlicher Menge und in regelmässigen Abständen im Binde- gewebe vertheilt. In den Zeichnungen, welcheich davon gegeben habe, ist ihre Anzahl darum etwas beträchtlich, weil ein ziemlich dickes Sehnenstück unter das Mikroskop gebracht wurde, bei dessen voll- kommener Durchsichtigkeit man die Körperchen aller Tiefen, die einen deutlicher, die anderen undeutlicher, mit einem Male übersah. Ja für die Zeichnung aus der Froschsehne wurde eine solche in ihrer Wotalität im aufgequollenen Zustande unter das Mikroskop ge- bracht. ‚ Die Vertheilung jener Körperchen und ihre Unabhängigkeit von den feinen Kernfasern kann man eben nur in aufgequollenen Sehnen gut beurtheilen. Um den Sehnenquerschnitt in Beziehung auf die heterogenen Ein- lagerungen zu untersuchen, empfiehlt sich folgendes Verfahren: Man trockne eine in verdünnter Salzsäure aufgequollene Sehne an der Luft und fertige feine Querschnitte aus derselben an, befeuchtet man diese mit Wasser, so quellen sie alsbald auseinander und es werden auf dem Querschnitt die heterogenen Bestandtheile sichtbar. Und zwar stimmt das Bild ganz mit demjenigen überein, welches Henle!) von dem Querschnitt gekochter Sehnen beschrieben hat. Die sternförmigen Figuren des Sehnenquerschnittes, welche die sogenannten primären Bündel der Autoren?) von einander abgrenzen und zu Verwechslung mit heterogenen Einlagerungen Veranlassung gegeben haben, sind am Querschnitt des gekochten oder des angequollenen Sehnenbündels in höherem Masse ausgeprägt als auf dem Querschnitt des frisch getrock- neten Sehnenbündels. Die Deutung, welche Henle3) diesen Figuren zu Theil werden ') A. 0.0. p.22 und 28. 2) Secundäre Henle's %) Canstatt's Jahresbericht p. 23. z* 36 liess, ist vollkommen richtig. Es haben sich bereits Reichert!) und Bruch?) dafür ausgesprochen. Man kann die in einem Querschnitt enthaltenen Figuren niemals als solche isoliren. Wenn man aber einen gekochten Querschnitt der Einwirkung von concentrirter Salzsäure aussetzt und den Veränderungen, welche die Salzsäure hervorruft, unter dem Mikroskope zusieht, so bemerkt man, wie bei den geringen und langsamen Bewegungen, die zum Ausgleich verschiedener durch die Diffusion der Salzsäure hervorgebrachten Spannungen entstehen, die in jenen Figuren an einander grenzenden Partien der Sehne sich nach entgegengesetzten Richtungen an einander verschieben, ja wie die Ränder derselben sich umschlagen, ohne dass an der Stelle der sternförmigen Figur irgend eine ähnlich gestaltete Zelle zurückbliebe. ı Wohl aber sieht man in jenen Spalten sehr oft eine helle Membran, welche sich entweder von der einen oder der anderen die sternförmige Spalte begrenzenden Contouren ablöst. Henle3) erklärt diese Membranen für elastische und identifieirt sie mit den zwischen die Sehnenbündel als Fortsätze der eirculären Faserschicht eindringenden Scheidewänden. Er giebt ferner an, dass die auf dem Querschnitt der Sehnenbündel sichtbaren sternförmigen Figuren sehr oft in die Zwischenräume der Sehnenbündel einmünden. Das letztere ist, wie ich mich überzeugte, auf mehreren nach ein- ander angefertigten Querschnitten einer Sehne für ein und dasselbe Bündel an verschiedenen Stellen seiner Peripherie der Fall. Von den zwischen den Sehnenbündeln vorhandenen Querwänden und das Innere der Sehnenbündel durchdringenden membranartigen Streifen hat Henle*) Erscheinungen abgeleitet, welche man früher allein aus dem Vorhandensein seiner sogenannten umspinnenden Fasern erklärte, nämlich die an aufgequollenen Bindegewebsbündeln vorhan- denen Einschnürungen. !) Müller’s Archiv 1854, p. 38. 2) Siebold und Kölliker, Zeitschrift für wissenschaftl. Zoologie. Bd. V, p. 171. °) Canstatt’s Jahresbericht für 1851, p. 24 %) A. 0.a. O.p. 25. om 2 Er hat damit einer von Reichert!) seit 1847 vertheidigten An- sicht ein Zugeständniss gemacht. Einer Ansicht, welche die Einschnü- rungen, die an aufgequollenen Bindegewebsbündeln zu sehen sind, von einer während des Aufquellens in reifenartige Stücke zerrissenen Scheide jener Bündel ableitet. Leydig?) hat dieselbe Darstellung in seiner Histologie gegeben und in neuester Zeit hat sie Klopsch3) zum Gegenstand einer ausführlichen, mit sehr naturgetreuen Zeichnungen versehenen Abhandlung gemacht. Die erwähnte Scheide hat Niemand gesehen, man hat eben nur auf deren Dasein aus den Erscheinungen geschlossen, welche sich während des Aufquellens eines sogenannten umsponnenenBindegewebs- bündels herstellen, nachdem man sich überzeugt hatte, dass die früher jenen Erscheinungen supponirten Spiralfasern nicht in allen Fällen sich nachweisen liessen. Köllikert) hat ebenfalls die Annahme jener Scheide gebilligt, obwohl er für gewisse Objecte die Existenz der Spiralfasern vertheidigt. In dem Bindegewebe, welches zwischen der Haut des Hodensackes und der tunica vaginalis communis sich befindet, ferner in dem Corium- lager des Ochsen kommen zahlreiche Bündel vor, welche nach Behand- lung mit Essigsäure die bekannten. Einschnürungen in der grössten Regelmässigkeit zeigen, ohne dass man im Stande wäre, elastische Spiralfasern als die Ursache derselben nachzuweisen, und es ist die Annahme einer jene Erscheinungen bedingenden Scheide von vornher- ein sehr empfehlenswerth. Es war nur eine Aufgabe noch zu lösen, nämlich die, jene Scheide auch im unversehrten Zustande zur Anschauung zu bringen. Letzteres ist mir niemals gelungen. Ich überzeugte mich vielmehr, dass keine solche Scheide existirt, wohl aber eine eigenthümliche von den Spiral- fasern ebenfalls verschiedene Bildung vorkommt, welche nicht nur die ’) Müller's Archiv 1847. ?; Histologie des Menschen und der Thiere. Frankfurt, 1857, p. 31 #) Müller’s Archiv 1858, p. 417 *) Siebold und Kölliker, Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, Bd. 9, p. 140 38 betreffenden Bindegewebsbündel umspinnt, sondern auch in deren Inneres eindringt, um dort wieder kleinere Partien zu umspinnen. Ich habe dieselbe aus der Haut des Ochsen in Fig. 12 abgebildet. Das Verfahren, welches ich einschlug, um solche Bilder zu er- halten, war folgendes: Ich legte etwa 4 Millim. dieke Durchschnitte der Ochsenhaut in absoluten Alkohol, um sie zu entwässern, und 20g, nachdem dies ge- schehen war, den Hautdurchschnitt auseinander; zahlreiche Bündel hingen dann, wie Fransen aus den Rissenden hervor. Diese wurden mit der'Scheere abgetragen und auf einen Objectträger gebracht, damit sie vollkommen durchsichtig wurden, mit Terpentinöl und dann mit Damarfirniss durehtränkt. An solchen Bündeln sieht man dann ein oberflächliches Netzwerk von eigenthümlich unregelmässig gerandeten platten Balken, die hie und da in das Innere des Bündels verschwinden oder aus demselben auftauchen, und deren Anordnung alle Erscheinungen, die bei der Quellung des betreffenden Bündels stattfinden, eben so gut erklären, als die eben angeführte Scheide. Man untersuche aber die in der oben angeführten Weise erhaltenen Bündel genau und eine grössere Anzahl derselben, um ein sicheres Urtheil über diese umspinnende Formation zu bekommen, da sie beim Auseinanderreissen der Hauttextur an einzelnen Bündeln nothwendiger Weise verloren gehen musste. Aus dieser Anordnung, die eine unverleugbare Aehnlichkeit mit den die Sehnenbündel umgebenden und sie durchdringenden Scheide- wänden hat, erklären sich namentlich Bilder, wie sie Klopsch?) in Fig. 6 und 7 gezeichnet hat, viel natürlicher als durch die Annahme, das dort kleinere eingescheidete Bindegewebsbündel in grösseren wieder eingescheideten enthalten sein sollten. !) Müller's Archiv 1858, p. 430 und Fig. 6 und 7. Rollett. Untersuchungen üher die Structur des Bindegewebes. Taf. 11. chungen über die Structur des Bindegewebes. Rollett. Untersi Fig 10 Fig. 6. Fig. 1. . Isolirte Fasern aus dem Kalbleder, 300 mal vergrössert. . Durchschnitt durch käufliches rohes Kalbleder, «a— 5 äussere Schichte 11. 12. Erklärung der Abbildungen. Bindegewebsbündel aus dem Kuhleder, 600 mal vergrössert. des Corium, &—c innere Schichte des Corium. Vergrösserung 300 mal.t Die Dieke des Leders betrug 1,8 Millim., deren 300malige Linearver- grösserung daher 54 Centim. Es sollten daher von ce an noch 20 Cent. gezeichnet sein. . Der Querschnitt eines mit Essigsäure behandelten Bindegewebsbündels aus dem Kuhleder, 300 mal vergrössert. . Ein Bindegewebsbündel aus der Selerotica des Ochsen nach zweitägiger Behandlung mit Kalkwasser, 600 mal vergrössert. . Ein.Bindegewebsbündel aus der Conjunetiva des Ochsen nach zweitägiger Behandlung mit Kalkwasser, 600 mal vergrössert. . Feinste Fasern einer Menschensehne nach zweitägiger Behandlung mit Barytwasser aus derselben isolirt, 800 mal vergrössert. . Bindegewebsbündel aus der Conjunctiva des Ochsen, 14 Tage in Kalk- wasser gelegen, 600 mal vergrössert. . Querschnitt aus einer getrockneten Sehne vom a 300 mal ver- grössert. . Die im Text beschriebenen heterogenen Bestandtheile aus einer in Salz- säure angequollenen Menschensehne bei 300maliger Vergrösserung ge- zeichnet. Dieselben Elemente aus der Froschsehne, nachdem dieselbe 4 Stunden in Verdauungsflüssigkeit gelegen hatte, 300 mal vergrössert. Bindegewebsstrang aus der Ochsenhaut mit dem im Text beschriebenen umspinnenden Netzwerk, 300 mal vergrössert. Alle Zeichnungen wurden nach genauen mit dem Ocularmikrometer sorg- fältig controlirten Massen angefertigt. II. Ueber die Fortpflanzung der Muskeln. Von Prof. Julius Budge in Greifswald. Mit 11 Abbildungen. Wenn man sich auch mit dem blossen Auge und durch einfache Messungen davon überzeugen kann, dass bei dem Wachsthume die Muskeln dicker und breiter werden, so war doch bisher nur unvoll- kommen bekannt, worin der Grund dieser Zunahme zu suchen sei. Denn einmal konnte diese in der Erweiterung der einzelnen Fasern, aus denen der Muskel zusammengesetzt ist, der sogenannten Primitiv- bündel liegen, aber auch zweitens durch Bildung neuer Fasern ent- standen sein. Im’ersten Falle wäre anzunehmen, dass bei der ersten Entstehung der Muskeln im Embryo schon die ganze Zahl der Fasern en miniature vorhanden sei und im Verlaufe nach den 3 Dimensionen sich vergrösserte. Dies ist in der That die herrschende Ansicht, vergl. z. B. Kölliker Gewebelehre, 2. Aufl: p. 208. Es ist auch factisch festgestellt, dass bei Muskeln erwachsener Menschen und Thiere die Fasern durchgängig und oft um ein Be- trächtliches breiter sind, als bei jungen Muskeln. Aber es ergiebt sich von selbst, dass dadurch nicht bewiesen ist, ob daneben nicht auch neue Fasern sich bilden, und gerade ein solcher Nachweis würde zu wichtigen practischen Folgerungen führen können, einerlei ob das Resultat ein positives oder ein negatives wäre. Es würde sich durch Rechnung ermitteln lassen, ob die breiteren Fasern des erwachsenen Thieres in gleicher Anzahl im Muskel vor- 41 handen seien, wie ‚die schmäleren des jüngern, wenn der Cylinder einer Muskelfaser jedesmal einen ebenso grossen Breiten- als Diekendurch- messer hätte und wenn zweitens die verschiedenen Fasern desselben Muskels gleich breit wären. Beides ist nicht der Fall. Hievon über- zeugt man sich mit einem Blicke, wenn man einen feinen Querschnitt eines Muskels mikroskopisch betrachtet. Besonders ist die Breiten- differenz ganz exorbitant. Beispielsweise will ich nur erwähnen, dass in dem m. gastrocnemüus eines und desselben Frosches nach meinen genauen Messungen die Fasern 34 verschiedene Breitendimensionen haben, welche von !/js0 bis 32/90 Millimeter variüiren; und bei einem andern grössern Frosche sogar Öl verschiedene Breitendimensionen zwischen 3/jso bis %/j, mm. liegend. Hierin liegt zugleich ein Beweis, wie wenig Sicherheit es ge- währt, aus den Messungen einiger hundert Fasern ein Mittel zu ziehen und auf dieses einen Schluss zu begründen. Es giebt nur einen Weg, um mit ausreichender Schärfe über die Frage zu entscheiden, ob neue Muskelfasern während des Wachsthums sich bilden, nämlich wenn man sämmtliche Fasern desselben Muskels unversehrt zu zählen im Stande ist. Es ist mir geglückt, in einem von den Pflanzenanatomen häufig gebrauchten Mittel die Muskeln so voll- ständig in ihre Fasern zu zerlegen, dass ein solcher Muskel wie die Blätter eines Buches auseinander geschlagen werden kann; dass man die Fasern, wie sie neben einander gelagert und geordnet sind, mit einem Blicke überschauen kann; dass dabei alle Theile, auf die es wesentlich ankommt, mikroskopisch genau untersucht werden können; dass, wenn das rechte Zeitmoment gewahrt wird, nicht eine einzige Faser zerbricht; dass man endlich bei längerer Einwirkung desselben Stoffes die eigentliche Elementarzusammensetzung der Muskelfasern leicht darstellen kann. Dieses Mittel ist eine Verbindung von concen- trirter Salpetersäure mit chlorsaurem Kali.!) ') Dasselbe Mittel dient auch sehr gut zur Untersuchung anderer Theile. So z. B. wird der Axeneylinder in den peripherischen Nerven durchaus deutlich, ebenso die Nierenkanälchen mit den Kapseln oft ungemein klar. 42 Ich habe bereits mitgetheilt (siehe Wunderlichs Archiv 1858, p- 71), dass die Zählung der Fasern von dem m. gastroenemius junger und alter Frösche mich zu dem Resultate geführt hat, dass bei jungen Fröschen eine beträchtlich geringere Anzahl von Fasern vorhanden sei, als bei erwachsenen. So fand ich z. B. bei einem Frosche, der vom Scheitel bis After nahe 34 mm. mass, im »n. gastrocnemius 2271 Fasern, bei einem andern, der 76,5 mm. mass, 4458 Fasern. Hieraus musste man schliessen, dass ausser der Zunahme der be- reits vorhandenen Fasern in ihrem Querschnitte auch neue hinzutreten. Es war mir aber damals nicht gelungen, Beobachtungen über den Her- gang der Neubildung zu machen. Neuere Untersuchungen haben auch hierin einige Aufschlüsse mir gewährt, welche ich im Folgenden mit- theilen will. In der jüngsten Zeit habe ich meinen früheren Zählungen noch einige neuere hinzugefügt und namentlich möglichst junge Frösche mit beinahe ausgewachsenen verglichen. — Hier folgen die Resultate. 1 2 3 4 5 Länge des Frosches vom Scheitel bis zum After. . .. 13mm. 155mm. 17 mm. 46mm. 80 mm. Zahl der Fasern im m. gastrocnemius . 1053 1336 1727 3434 5711 Es braucht kaum erwähnt zu werden, dass das Verhältniss zwi- schen der Grösse des Frosches und der Zahl der Muskelfasern im gastrocnemius weder ein ganz bestimmtes sein kann, noch auch bei den einzelnen Thieren genau dasselbe ist. Denn einmal wird die Neu- bildung nicht in allen Lebensperioden gleich rasch von Statten gehen; zweitens aber kommen natürlich auch individuelle Verschiedenheiten vor. Bei zweiFröschen von gleicher Körperlänge wird doch ein Unter- schied von mehren Hunderten von Fasern vorkommen können. Nur deshalb, weil der numerische Unterschied bei jungen und alten Thieren so ungemein gross ist, kann man mit aller Sicherheit auf eine Neu- bildung von Fasern während des Wachsthums rechnen. 45 Um den Hergang dieses Prozesses genauer zu studiren, waren zunächst Messungen sämmtlicher Fasern eines Muskels erforderlich. Diese mühselige Arbeit ist bereits an 2 m. gastrocnemitl vollendet, jedoch nur der Breiten-, noch nicht der Längendurchmesser. — Ich bediente mich dazu eines Oberhäuserschen Mikroskops, das Mikro- meter war im Okular und jeder Zwischenraum zwischen 2 Mikrometer- linien betrug genau !/,so mm. Zur leichtern Uebersicht werde ich nur die Zähler angeben und den Nenner weglassen, so dass also z. B. 9 bedeutet °/,s, mm. Es fanden sich: A. Bei einem Frosche, der vom Scheitel bis After 71 mm. mass. Fasern in einer Breite von Fasern in einer Breite von 10 3 10984 2 nun. 29 28 4 122 Yascm ; O.mm, 30 5 CB > Pe En; Bösen: Erle. voll BIS nn Mriian,r 6 10m. Sek. 32 BE... u. 7 | FREE SR 130 8 ee ra aa Ba 9 | OUREIERETN. 35 Te A ra Sa (0) OB, are Halt Bon... 11 DO Re I Bel ;- | RE 1 aa. AT. 838 Bi2. ser N FLY PAPER MEPPEN PT STEIN G }3) 197... -. Ei ergap 1A BlacM onehishl.and0 2 2 Fi AR 15 Ba | Le er. 00 16 Sg, Dass elsil 4 ER a er ee Baer ep. .. 18 ID re A ra |) N 5 160%>buady0» sag] 120 am. Rh 1321 .. 21 8 47 KAD’O Pa, Run, 199 a en AR HI rarerulen una day 34, Minzapee 9 Woran. 4... .24 A TEE 1125 25 2 5l BI2 ash wen Din, andam Uaunz DB yon EZB, eh Ense Do. ; 26 41871 3391 3391 1171 Summa: 4562 44 B. Bei einem Frosche, der vom Scheitel bis After 43 mm. mass. Fasern in einer Breite von 1 4 33 4 TE 208 9 Te 296 414 303 289 262 154 316 169 196 2733 Huaum DH So [79V Evo Hrrm 2738 1104 Fasern 206 . 169 . 196 . 119). Summa: 3342 Der grössere Muskel enthielt Der kleinere Muskel enthielt 4562 Fasern. 3842 Fasern. in einer Breite von 13 14 15 16 17 13 19 20 21 22 23 24 25 26 27 23 29 30 32 also 720 Fasern weniger. Uebersicht. In einer Breite waren im musculus gastroenemius Fasern vorhanden von bei dem erwachsenen bei dem jungen Frosche 1— 2,5 inel. 0) 92 3— 7 incl. 248 1519 Sa 133 1127 13 1013 808 18—2- ), 163 246 2; 545 41 28-32 „ 516 9 3334 430 0 38—42 „ 218 ) Be 80 0 über48 16 0 45 Mehr als 5/js aller Fasern des kleinen Muskels haben eine Breite von nur 1— 7, während von dem grössern nicht mehr als ungefähr !'js diese Breite haben. — Zwischen */> und 5/,; aller Fasern des grossen Muskels haben eine Breite von 13—22, von dem kleineren zwischen %/,s und 4/5. Bei weitem mehr als die Hälfte aller Fasern sowohl vom erwachsenen, als vom jüngeren Muskel schwanken in ihrer Breite zwi- schen 8 und 22. Einem Frosche von gleicher Körperlänge, wie der grössere der beiden beschriebenen, wurde vom 16. April bis 1. August alle feste Nahrung entzogen. Sein Körper magerte bedeutend ab, der m. gastro- cnemius war auffallend blässer und dünner geworden. Auch dessen Fasern wurden einzeln gemessen, es ergab sich der Breitendurchmesser beträchtlich geringer und zwar waren 12 Fasern !/ıs, mm. breit. 270 Fasern. 9 mm. breit. 5 „ 1!/s ” ”„ 307 „ 10 ”„ „ Talatzdın 2 von 149bsmy Jadliuy Sy 4 „7 21/3 ” „ 130 » 12 » > 1297, 3 ” ” Ol, 13 „ D) 6 ”„ Bla ” ” 12 ” 14 ” ” SER 4 =Y % 64 5 15 045 7 DI2n , 1) ” E 30: . los: “= Amer: OHanıG " 2 te, 5 455 Eh) 6 ”„ ” 18 ” 18 eh ’ 3 » 61), » ” 13 ” 19 „ ” an „nd RR, ME RZUr es, 1 ” Qua ” ”„ 3 ” 21 ” ” 383 „ 8 ”» „ 3 ” 22 ”„ „ 1 P}] 31/, ” » 1 „ 25 ” ” Die Gesammtzahl der Fasern betrug 3664. Wenn man nun auch nicht behaupten kann, dass dieser Frosch eine gleich grosse Faserzahl (4562), wie der oben unter A. angeführte, vor 31/; Monaten besass, so ist es doch höchst wahrscheinlich, dass dessen gastroenemius damals nicht 395 Fasern weniger als der von A. hatte, sondern dass in dieser Zeit eine Anzahl von Fasern zu Grunde gegangen ist. Auch ist dies schon deshalb wahrscheinlich, weil eine so beträchtliche Abnahme in dem Breitendurchmesser bemerkbar ist. Die meisten Fasern, nämlich 1355, also mehr als !/, hat eine Breite von 4—6, während von A. nur 46 Y/3g, nämlich 143 Fasern von dieser Breite ist. — Solche Beobachtungen gestatten uns einen tiefern Einblick in die Vorgänge, welche während des Hungerns und somit auch während der Ernährung stattfinden, Es würde sich dadurch fast auf die Stunde ermitteln lassen, wie viel die Muskelfasern, durch Nahrungs- oder Blutmangel, durch Arbeit, durch Einfluss der Nervenanregung ete. an Masse oder der äquivalenten Kraft verlieren, wenn eine hinreichende Anzahl von Beobachtugen vorliegen wird; — und ebenso andrerseits würde sich mit einer bisher nicht vor- handenen ‚fast mathematischen Sicherheit der Einfluss der Nahrung, der Uebung, verschiedener Heilmittel, guter Luft, der Temperatur, des Lichts ete. auf die Muskeln darstellen. Nachdem also im Vorhergehenden nachgewiesen worden ist, dass im wachsenden Muskel eine doppelte Veränderung erfolgt, nämlich eine Breitenzunahme der einzelnen Fasern und dann auch Neubildung, so musste sich die Untersuchung zur Erforschung beider Hergänge wenden. Zunächst wurden Beobachtungen darüber angestellt, ob bei gleicher Länge und ungleicher Breite der Fasern die Kerne zu- nehmen. Hierzu durften nur ganz junge Thiere genommen werden. Bei diesen bemerkt man bekanntlich fast genau in die Längenaxe der Muskelfaser eine Reihe von Kernen fast regelmässig geordnet in grösseren oder geringeren Entfernungen neben einander liegen. Diese zu zählen hält nicht schwer. Vgl. Fig. 7.— Auch wenn bereits Neben- kerne vorhanden sind, wie in Fig. 9, so kann man dennoch leicht eine Zählung vornehmen. Da indess die Fasern nicht gleiche Länge haben, vielmehr sehr differiren, so war es nothwendig, die gefundenen Längen auf eine und dieselbe zurückzuführen. Ich habe dazu eine Länge von 100 gewählt. Folgendes sind die Beobachtungen. 47 | Beobachtet Berechnet auf 100 No. | Breited. Fr Länge d. Faser | Zahl der Kerne | Länge Zahl der Kerne | En 1 1,25 30 5 100 6— 7 2 15 80 12 { 15 3 1,5 50 8 fi 16 4 2 19 4 ” 21 5 2 70 6 . 8— 9 6 2 100 13 1 13 7 2 58 6 li 10-11 8 2,5 70 20 5 28—29 M) 3 40 13 T 32—33 b) 100 16 „ 16 3 60 10 5 16—17 3 30 11 I 36—37 3 115 22 N 19-20 3 105 26 Ri 245 3,5 45 Ha RR 3334 35 40 13 h 39-33 4 90 14 k5 15—16 4 50 16 1 32 4 65 12 3 18-19 5 N BR SHARE ar 4041 1 140 3 100 2— 3 | 60 5 2 8— 9 1 150 10 ” 62T 1,5 115 9 Mi 7-18 1,5 100 10 hr 10 1,5 80 9 er Ik) 1,5 130 13 K 10 1,5 50 9 z 15 2 85 13 e 15-16 2 200 8 5 4 2 150 6 f 4 2 115 14 e 12—13 2,5 70 ik) 5 2:92 3 170 21 12-13 3 210 19 , 9-10 3 60 17 , 28 3 74 19 h 2526 35 215 43 i 20 4 100 32 . 32 4,5 | 110 40 7 36—37 5 1.807 |” 29 % 36-37 48 Beobachtet Berechnet auf 100 No. | Breite d. Faser | Länge d. Faser | Zahlder Kerne Länge | anıaer Kerne 1 IE} 60 4 100 6— 7 2 2 70 10 " 14-15 3 2 60 6 Mi 10 4 2 60 3 j 5 5 2,75 70 16 hi 2223 6 3 56 17 A 30—31 7 3 60 12 j' 20 8 3 60 10 hi 16—17 9 3 60 14 k: I 2394 10 4 58 12 ii 20—21 11 4 70 17 R 24—25 12 4 70 19 Ei 27—28 Das allgemeine Resultat dieser Beobachtungen ist, dass die Zahl der Kerne mit dem Breiterwerden der Faser zunimmt; obwohl von dieser Regel auffallende Abweichungen z. B. Reihe I. No. 5, 8, 9, 12, 17 und 19; Reihe I. No. 10, 11 und 15; Reihe III. No. 4 vorhanden sind. Die Kerne vermehren sich in vielen Fasern so sehr, dass fast Kern an Kern zu liegen scheint oder dass nur ein sehr schmales Kör- nerfädchen zwischen zwei Kernen bemerkt wird (Fig. 10). Im Innern der Kerne beobachtet man sehr häufig kleine Fettbläschen, welche oft dicht gedrängt an einanderliegen (Fig. 11). Dies ist häufiger bei dickeren, als schmäleren Fasern der Fall. Bei breiter werdenden Fasern bleiben indess die Kerne nicht mehr allein in der Längenaxe liegen, sondern sie erscheinen auch zwischen der Längenaxe und dem Seitenrande. Hierbei ist bemerkenswerth, dass man die lange Kernreihe an mehren Stellen unterbrochen sieht, und an der Stelle, an welcher diese Unterbrechung Statt findet, liegt ein seitlicher Kern (s. Fig. 9); so dass es fast den Anschem hat, als sei der Kern aus der Mittelreihe herausgefallen und rücke nach dem Rande hin. Ich habe wiederholt gesehen, wie solche Seitenkerne noch dicht an der Mittelreihe anlagen, dann wieder, wie sie noch nicht völlig den Rand erreicht haben und endlich, wo sie dicht am Rande anliegen. — 49 Aber auch dabei bleibt.es noch nicht stehen, sondern man findet ferner- hin noch Fälle, wo der Rand durch die Kerne ordentlich heryorgetrieben erscheint und es den Anschein gewinnt, als ob diese Kerne auf der Muskelhülle auflägen, wie es in Fig. 8 bei einigen Kernen zu sehen ist. Es ist nun bemerkenswerth, dass es Fasern der feinsten Art giebt, bei welchen der grösste Theil der Kerne in derselben Art aufzuliegen scheint, wie dies in Fig: 5 dargestellt ist. An dieser Faser sind nur 2 Kerne vollständig in der Mitte, die übrigen mehr oder weniger von der Mitte entfernt. Bei weiterer Entwicklung (Fig. 6 und 7) bemerkt man keine Randkerne mehr, alle Kerne liegen vielmehr in der Mitte. Zufolge dieser Beobachtungen könnte man zu. der Vermuthung geführt werden, von einer stärker gewordenen Faser, wie,z. B. der in Fig. 8 dargestellten, schnüre sich am Rande eine junge Faser ab und gehe nun ihrer weiteren Entwicklung entgegen, indem ihre Randkerne in die Mitte rücken, hier sich vermehren, dass dann Nebenkerne her- austreten, dabei der Querschnitt zunähme und durch Bildung von Randkernen der Oyclus vollendet wäre. — Obwohl ich nun einige Er- scheinungen gleich anführen werde, welche, dieser Annahme zu ent- sprechen scheinen, so ist dennoch grosse Vorsicht,erforderlich und ich muss hinzufügen, dass es mir bis jetzt noch nicht gelungen ist, eine Faser zu finden, bei,welcher eine nach der Länge, zu beobachtende Einknickung oder Einschnürung bemerkbar geworden wäre. Wohl aber ist es mir wiederholt vorgekommen, dass von einer Faser am Rande sich eine feinere abzuheben schien, wie dies in Fig. 2 dargestellt ist, wo dieselbe an einem Ende vollständig, am andern nicht mehr ganz mit der Grund- (oder Mutter-) Faser verbunden war. In andern Fällen war die Vereinigung noch lockerer, wie in Fig. 3 und 4. — Bei Unter- suchung solcher Fasern war ich aufs eifrigste bemüht, um mich zu überzeugen, dass eine solche dünne Faser nicht etwa unter die andere sich gelegt hätte. Denn es kommen in der That Fälle vor, welche zu einer Täuschung veranlassen können, die jedoch beim Hin- und Her- schieben des Deckgläschens und Hinzufügen von mehr Flüssigkeit vermieden wird. Endlich habe ich noch die Spaltung der Fasern zu erwähnen, wie Mounscuorr, Untersuchungen. VI. 4 50 sie in Fig. Lund ia dargestellt sind. Die Spaltung der Muskelfasern am Herzen und in der Zunge ist bereis schon vor längerer Zeit beob- achtet worden, ich habe sie auch früher in den Muskeln des Magens von Cobitis fossilis (bei welchem Fische ich im Magen quergestreifte Muskelfasern entdeckt habe) wenn auch selten gefunden. Sie zeigen sich aber wahrscheinlich viel häufiger. — Sie sind jedoch sicher nicht gleicher Art. Bei grossen Fröschen habe ich dichotomische Thei- lungen stärkerer Fasern gesehen, wovon jede der beiden nahezu so stark war, als die ungetheilte. Unter 1000 kamen gewöhnlich 2, manchmal nur 1 solcher Fasern, selten mehr vor. — Anderer Art sind die Theilungen, wie sie in Fig. 1 dargestellt ist. Hier ist der abgehende Zweig offenbar weniger entwickelt, schmäler, enthält wenige Kerne. Ob diese Art der Theilung einen Anfang von Abschnürung ausmacht, vermag ich nicht sicher zu entscheiden, obwohl es mir nicht unwahr- scheinlich ist. Schliesslich lässt sich für die Abschnürung noch eine Erscheinung geltend machen, die ungemein häufig beobachtet wird. Wenn man nämlich in einem kleinen Convolute neben einander liegender Fasern die einzelnen betrachtet, so wird man sehr oft neben ausgebildeten, breiten, ausserordentlich schmale, helle, oft nur mit emer Kernreihe in der Mitte versehene Fasern sehen, welche dicht an einer Seite, mit- unter auch an beiden Seiten anliegen und grosse Aehnlichkeit mit den embryonalen haben. I. Ueber die Wirkung. der Sitzbäder, der Brause und der nassen Einwickelung auf den Ausscheidungsprocess. Von Böckerin Bonn. A. Die Sitzbäder. Dr. Louis Lehmann, gegenwärtig Arzt am Bade zu Oeyn- hausen, stellte im Jahre 1853, als Arzt der, Wasser -Heilanstalt zu Rolandseck Versuche über die Wirkung. der Sitzbäder von verschie- denen Temperaturen an, und veröffentlichte seine Arbeit in dem „Archiv des Vereins für gemeimschaftliche Arbeiten zur Förderung der wissen- schaftlichen Heilkunde von Dr. J.. Vogel, Nasse und, Beneke, Göttingen; 1854,“ Bd.1L S. 515 bis 543 inel. und. Bd. Il. S. 1 bis 23. ‚Am’zuerst angeführten Orte, 8. 542 stellt er folgende Sätze auf: 1. Sitzbäder von !/, Stunden, Dauer und von,12 bis 7,7% R. war- mem Wasser entziehen dem menschlichen Körper ‚so viel Wärme, als hinreichend ist, um, 45 Pfund Wasser um 1,6° R. höher zu erwärmen. 2. Solche Sitzbäder machen den ‚Puls seltener. „ 3. Solche Sitzbäder haben einen ‚vermehrten: Verbrauch von Ma- terial innerhalb des Körpers zur Folge. 4. Solche Sitzbäder vermehren’ ,die; Quantität, des ausgeschie- denen Urins,. | t E ‚ 5. Solehe Sitzbäder vermehren ansehnlich das im Urin auszuschei- dende Wasser. 4* 6. Solche Sitzbäder vermehren ansehnlich die im Urin auszuschei- denden festen Stoffe, die feuerfesten Salze, die Harnsäure und den Harnstoff. 7. Die Wirkung solcher Sitzbäder auf die Vermehrung der Urin- entleerung tritt nicht unmittelbar nach genommenem Bade, sondern erst längere Zeit (eine halbe Stunde) nachher deutlich hervor. 8. Die Wirkung soleher Sitzbäder ist ungefähr eine und eine halbe Stunde lang in der Vermehrung der Urinentleerung wahrzunehmen. 9. Solche Sitzbäder vermehren die insensibeln Perspirations- stoffe. — Diese Versuche von Dr. Lehmann wurden, wie sie es in der That auch verdienten, mit vielem.Lobe aufgenommen, ‚seine Schlüsse aus den- selben wurden überall gebilligt, und stiessen nirgendwo auf Widerspruch. Eine Arbeit, die so viel Mühe und Fleiss gekostet hat, wie die Lehmann’sche, ist einer Experimentalkritik werth. Eine solche werde ich hier vornehmen, und untersuchen: 1. dürfen die von Lehmann aufgestellten Thesen allgemeine Gel- tung beanspruchen? und g 2! sind die von Lehmann gemachten Schlussfolgerungen überall gerechtfertigt? Später werde ich dann auch die Versuche Anderer mit in das Be- reich meiner Betrachtungen ziehen: Meine Stellung als Arzt der Wasserheilanstalt in Rolandseck gab mir Gelegenheit und die Herbstferienzeit auch Musse, neue Versuche anzustellen, und -von einem meiner vorzüglichsten Zuhörer, Herrn E. Lampe, stud. 'med.'solehe anstellen zu lassen. Da Lehmann angiebt, dass die Wirkung der (7% bis 12° warmen) Sitzbäder auf die Vermehrung der Urinentleerung erst’eine halbe Stunde nach genommenem Bade deutlich hervor- und 11/, Stunde später wie- der zurücktrete, so wählte ich zu meinen Versuchen eine Erg Zeit. Sie wurden in folgender Weise angestellt: »' Morgens gegen 6 Uhr stand ich auf, trank praecise 7'Uhr’200 ©. ©. Wasser, fuhr mit der Eisenbahn um '7’Uhr und 20 Minuten von Bonn nach Rolandseck, trank kurz nach meiner Ankunft, vor 8'Uhr, 53 250 C.C. Wasser, dann 300 C. C. lauwarme Milch und ass dazu 60 Grm. Weissbrod (ein Brödchen) welches ich mit Butter bestrich. Die Buttermenge habe ich nicht genau bestimmt, weilich aus meinen früher angestellten, und zwar aus mehr als hundert Versuchen weiss, dass die Butter auf die Ausscheidung des Harns und der einzelnen Bestandtheile desselben gar keinen merklichen Einfluss übt. Die Resultate dieser mei- ner Versuche habe ich am 22. September 1357 auf der Naturforscherver- sammlung in Bonn öffentlich vorgetragen, und werde ich sie bald durch den Druck veröffentlichen. Uebrigens glaube ich doch, dass in allen Versuchen die von mir verbrauchte Buttermenge so ziemlich gleich ge- blieben sein wird. Nach dem Frühstücke musste ich zu Stuhle, "und um 8!/, Uhr, unmittelbar nach der Koth- und Harn-Entleerung, wog ich mich auf einer:genauen Lastwaage, welche bei der Belastung mit Gewichten und meinem Körper noch 5 Grmm. deutlich anzeigt, nackt ab. Kurz nach der Abwägung trank ich 250 C. C. Brunnenwasser, setzte mich !/s Stunde lang, ging dann immer ein und denselben Weg bis zur Ro- ländsecker Ruine, bewegte mich zu Hause nur wenig und wurde von den Kranken consultirt. Um 11!/, Uhr wurde aller Urin auf ein- mal entleert, und wog ich mich dann nackt zum zweitenmale ab. Alle Versuche wurden in genau derselben Weise angestellt, nur dass ich in den Sitzbadeversuchen nach der Abwägung und gleich nach dem ge- trunkenen Glase Wasser ein Sitzbad von der unten anzugebenden Dauer nahm. Wenn also die Wirkung des Sitzbades sich in den ersten 2 Stunden nach demselben zeigt, so musste sie in dieser östündigen Versuchszeit deutlich hervortreten. Da ich an meiner gewöhnlichen Lebensweise gar nichts änderte, auch eine; solche einhielt, wie sie in Wasserheilanstalten im Allgemeinen geführt wird, so war ein reines Resultat um so eher zu erwarten. Die Menge des Urins wurde nach Cubikcentimetern bestimmt, der Harnstoff und die Chlorverbindungen, ersterer nach Ausfällung der letztern, nach Liebig’s Titrirmethode bestimmt. !) 7) Die Quecksilberlösungen, mit welchen.ich und Herr Lampe titrirten, waren aua der Handlung des Medicinalrathes Dr. Mohr in COoblenz, bezogen durch Dr. Mar- quartinBonn. 54 I. Tabelle über den Normalzustand, ohne Sitzbad. Harnstoff | Kochsalz in, 1000 Theilen Ze Körpergewicht am T Körper: | Harn- Datum |} Anfange | ‚Schlusse | Gewichts-|,. Menge 1858 des Versuchs Verlust |in 3 Stund. Zpfd.|LothZpfd.|Loth |inLothen | in C.-C. 26. Sept. 16129 [16029 | 30 435 |122 27... Iieolıs 161] 8, | 30 520. |.113 2m 161] 2 1160| 1,5] 30,5 430 11,0 IE REN 161|.8. 160,126 12 260 19,5 Sun 161 | 95/161| 2 1D 290 19,2 2. Oct.) 162.|14. | 161 128,5 |»:16,5 360 14,3 de 162 118,5 | 161 |14 34 3 4. "1e2ılta | 160 119 ©1045 720 92 Go: 162 | 2 [160 |20 42 750 10,0 on, 163 | 8 |161 29 39 685 9,3 - ‚Mittel aus 10 Versuchen. 28,7 522. |, Bemerkungen. OP ILS I Vans or uoH NUR BTEn VorUT mem ERS TICH SICHT SUCHT B So Harnstoff | Kochsalz in-3 Stunden in Grammen iin Der Harn war in allen Versuchen klar, weingelb, sauer von Reaction. Stuhlentleerungen kamen in der Versuchszeit nicht vor. II. Tabelle über die Körpergewiehtsverluste und die Harnausscheidung Jel s-# a 2a 3 |25| 29 = lo..le.a Arsen 28 E8 83 Fe} EEG} nach R. mit Sitzbad. l |Temperatur des Bade -Wassers beim Beginn | Ende des Bades in Graden nach Reaumur Mittel aus 10 Versuchen. Temperaturzu- nahme des Badew. P»OPVWoVDNVDNDD 1 oa 161 162 162 Zpfd.|Loth|Zpfd. des Versuchs 5,161 11 |159 160 |28,5| 160 161 |21. | 160 751 16226 161 161126 161 161 |11 160 1 9,5| 161 5 |161 129 160 2: 160 14 Körpergewicht am Anfange | Schlusse Loth 8 26 18,5 28,5 29 13,5 8 3 29 20 Bemerkungen. ., E {2} E © A F E-} o E = u B © “ Cubikcentimetern von 3 Stunden 'Koch- | Harn- stoff Koch- salz in1000Theilen]| in 3 Stunden Harn- stoff | salz 61:98 9,0 | 6,0 17,0 | 10,0 11,7 | 92 10,7 | 6,4 188| 92 1230| 5,3 12,2 |,,6,0 12,0 | 65 10, 45,0 UST ROH E ID OOS On On & oc © 0 DES ao re re in Grammen SHsmvean- vow Urin klar, weingelb, sauer, Fäces keine. Am 15. und 18. Oct. war die Bewegung während der Versuchszeit dreimal so gross wie'in allen übrigen Versuchen, da ich über Land einen en machen musste. der Bewegung kam ieh in gelinde Transspiration. Bei I) III. Tabelle über die Pulsschläge vor (a) und während (d) des Sitzbades. & 8. Oet. | 9, Oct. | 11. Oet. | 12,0et; | 13,,0et, |14.0ct, | 15, Oet, | 16./0et, | 18 Oet., Be Mngen 2l..a. hauidııa alayalajalaıalayn)ajalaıa 2 66 72| »\es| 68] 168164166 | 621721 62]64 1 63|72 |") m al 64 2266|. \ez62!e8|6aleh62|72 | 63163164172 | Wie niet ans une. 4 68 71, 65 16516267 61164 63,72 | 6462| 65 |72 | beile ergiebt, zum 51164 68... |64 160/66 |162\67 64/64 | 64|71 16561116671 | Tyshkurz nachdem 6 6 68 62 | 60166 | 62168 | 64 163 | 63,70 | 64/60 | 63171 | Theil bei dem Ab- 2 660.1» 168) 162 60|66 162|66 1621621165 70165162.| -|70 | wäsen,) zum Theil 8 66 68| 62), I66l 64 I63l66l6a|cale2| |70 | unmittelbar vordem 9 las" lea! Ie2i>leaft srl leo lenleuı) 70 | Klkmann achdem 10) 66.160167 |, 162|..162..63| 164). 69 |62|61 |; 169) zimmer begeben, 11 66 159169160162] 621" Tel 164] I6olenle2] 167 ahscsteit. eh gb- IE) . 59168 | 6061 | 6066 64 64 69 62.\64|66 | genaue „ Secunden- 3 6 14) 67158169 59/68 60/60 60165| [65] 164) 169] 162 [63/64 | uhr, und zählte den 58169160160] 1641 "1651 164166169 1162 [63 |64 | Kuls ak Minuselang, 15) 66 . \60|68|60160|60,64 |. 160 64 68,68 62 | 65/66 | nutewurde zumAuf- 16) 65 64169 | 60|60 | 60163 | 62165 2 67,67 | 1626666) schreiben der Zub 17), 64 |61/70|60/61|.. |62..62165|. 64 | 66166 32. | 65165 | benutze 18° 65 069 eolea|’ Terlealsa |” Isal” Ice] Is galea 1, 235, zum Sitzbade 19) 64 .)68|69 sl 646264 64 66 62 \63|64 | war 5012 Zollpfund 20 65 642) 1601 Is2le2lsd] 64 163] I62| _ |64| schwer. 12 Quarı al. 10164 si laulsahun lee lea nlenlnlon]il I6hl Wkeeientte Kr 22 | [H2) 63 64 62 62 62 64 ir des Wasjere 23 62 64 64 62 62 62 BEE 2 SEUSBDIDEEN: 2 62]...1631 1 16%] „.\ea] 78a 1,,le2,).,;j62 | Mo saim@adeannı 25 63 63 | 63 64 65 62 64 ar hineingesetzt 26 64-168] 162] 1166.14 16 een 2 64 162 cal 163] 162 deapparat case, so | S 52 3 ). y le Thei & ! 6 5 & & F Meine: Körpers, von | x x : etwas o 30 | 62 64 64 62 Kniegelenke, bis ein n Bi 1 &l.l| elaraeeest . 8sNa s = f 64 = = vom Wasser be- = | deckt. 34 62 63 3 62 64 36 1 63 37 64 35 63 39 | 62 40 | 62 Bevor ich meine eignen Versuche mit denen des Herrn Lehmaun vergleiche, führe ich noch eine Versuchsreihe des Herrn Lampe an. Meine Versuche sind nämlich aus dem oben 8.52 angeführten Grunde in _ anderer Weise, als die von Lehmann angestellt. Herr Lampe da- 56 gegen hat mit Ausnahme des kurz vor dem Versuche getrunkenen Wassers, ganz in derselben Weise wie Lehmann experimentirt, und zwar folgendermaassen. Morgens vor 6 Uhr stand Herr‘ Lampe auf, urinirte um 6 Uhr, trank 606 Cubikcentimeter Brunnenwasser, wog sich auf einer genauen Körperwaage ab, und nahm gleich nachher ein Sitzbad von 21 Minuten Dauer. Nach dem Bade machte er sich eine, sich immer, auch in den Versuchstagen ohne Sitzbad vollkommen gleichbleibende körperliche Bewegung zu Fusse, brachte dann den ganzen Morgen mit chemischen Analysen und Studiren zu, urinirte praecise 12 Uhr und wog sich dann wieder ab. In der ganzen Versuchszeit wurde weder etwas ge- gessen, noch getrunken. Mittags um 1 Uhr und Abends um 7 Uhr wurden in allen Versuchen sich immer gleich bleibende Mengen von Fleisch, Milch, Eiern und, Brod, d. h. gleichviel Fleisch, gleichviel Milch, Eier und Brod genossen. Nachmittags um 4 Uhr immer die- selbe Menge Kaffee von gleicher Stärke. Auch die körperliche Be- wegung, und die Beschäftigung des Nachmittags waren immer genau gleich. Um 10 Uhr ging Herr Lampe zu Bette. Der Urin von Mit- tags 12 Uhr bis den andern Morgen 6 Uhr wurde in einem luftdicht verschlossenen Glase gesammelt und analysirt. Die Bedingungen, unter welchen die Versuche angestellt wurden, waren an allen Versuchstagen so genau wie möglich gleich. Jeder, der Versuche der Art angestellt hat, wird wissen, welche grosse Selbst- überwindung zu solchen genauen Versuchen gehört, und es mag Herr Lampe hierin eine Entschuldigung finden, wenn er nur 8 Versuche über Sitzbäder machte. Zu bemerken ist schliesslich, dass Herr Lampe ein sehr gesun- der, kräftiger Mann von 32 Jahren ist. 57 IV. Tabelle. Körpergewicht. Erste Reihe. Zweite Reihe. Mit Sitzbad. Ohne Sitzbad. nn re | | s.|8 =5 < | Gewicht]. | Gewicht I. | I-I. | =5 Ei GewichtI. | Gewiebt I. | I-II. Sept. Kilo - Gramm! Kilo - Gramm | Grmm. Sept.! Kilo - Gramm | Kilo-Gramm| Grmm. - 84 | 317 | 1483 Mittel der Körperverluste: 1323 ı Mittel der Körperverluste; 1079 Mittlerer Fehler: 220 Mittlerer Fehler: 263 Fehlersumme: 483 Schwankungsgrösse: 133 Sehwankungsgrösse: 517 Mittelunterschied: 244 Anmerkung. "Temperatur des Sitzbadewassers bei 1 — 16,90 Cels. 2— 16,40 „ 3— 170 ; 4=15.30 V. Tabelle. Menge des Harns. Erste Reihe. Zweite Reihe. F Harn B. 3 [=] Cetm. Cetm. Cetm. Sept.| Cetm Cetm Cetm. 495 792 1287 1 | 23 354 1271 1625 1043 1897 2940 2.,| 24 724 2776 3500 125 1721 2446 3.125 429 1662 2091 1091 1588 2679 4.| 26 1109 1753 2862 "839 1500 2338 Mittel: 654 1846 2500 Vom Harn A sind [ Mittlerer Febler: | ] | 23 | 8 Uhr 156 CCtm. Mittlerer Fehler: gelassen 10 „ sch „ von Reihe A: 280 j — a ee N „. Brö56 * u Mi u ap 4 ass ve Sa. 354 CCtm, Fehlersum- N 12 Wie 188 „ ehlersum- 2) 24 | 8 Uhr !397 CCtm. deelunten- he Sa. ne; 522 n„ 22 ; za En elunter, nn 7 den ee olde 3|I18 8 Uhr 536 „ schied: 185 2 Sa. 724 CCim. Mm By 2 8 Uhr 190 „. ME... 308 -n. |. 8122 116 imktasnich | Sa. 725 OCim. | 12.106 5 Sa. 429 COtm Uhr 759 „ » u I10 be; H A 4 ) 26 | 8 Uhr 560 | |12 0160, U il 10 ,,1,1,,286 | 8a, 1001 CCtm 12 „818 I 8a. 71109 COtm. 58 VI. Tabelle. Erste Reihe. Harnstoff. Zweite Reihe. A. B. ARBEIT B, AH+B. ge bo) Betrag Betrag Betrag Be Betrag Betrag Betrag Ooo- | grm. | oo | grm. | %o | gran, | 3 Oo. | grm. | %oo. | grm. | Oo. | grm. 27,2 | 13,55 151,5 | 39,8) 41,5 153,3 | 1 | 28,9: 10,2 | 34,7 | 44,1 133,4 | 54,3 17,3 | 18,0) 26,1 | 49,5 | 25,4 | 67,5 | 2 | 20,5 | 14,8 | 17,3 | 47,8 | 17,9 | 62,6 18,7 | 13,5 | 27,0 | 46,5 | 24,5 | 60,0 || 3 | 29,6 | 12,7 | 29,1 | 48,4 | 29,2 | 61,1 15,8.| 17,2) 27,5 | 43,7 | 22,7 60,9 4] 15,1 | 16,7 | 24,5 | 42,9 | 20,8 | 59,6 Summa: | 62,2 | | 241,7| Summa: 2 183,2 237,6 Mittel: | 15,5 44,9) , 60,4 Mittel: |13,6'| 458.) I) jl59,4 Pehlere 1 207 3,57 5,03 2,42 2,35 3,14 Febler- summe: 4,49 5,92 8,17 Mittelun- terschied: 1,9 0,9 1,0 VII. Tabelle. Chlor-Natrium. Erste Reihe. Zweite Reihe. A. B. A+B. ER A. B. 'A+B: Betrag Betrag Betrag]| & = Betrag Betrag Betrag /oo- | grm. | %oo- | rm. | oo. | grm. R %/o. | grm Oo. | grm. | Pa. | grm. 1,|.39| 19105 |,835| 79)102|| 1. |.10,3| 3,6], 13,0 | 16,5 ! 12,4 | 20,1 2% betO| Ba Tu 14.6 7,5|21,9|| 2,| 84| 6,1 | 82 22,8 | 8,26] 28,9 3.122,11.5,1.1,96|16,5 | 18,8°216 || 3°| 11,7/|_ 5,07 937 | 16,2 | 2080 127,1 4.) 9,6 | 10,5 12, 1 19, 2| 11,1.1,29,7 2 6,01 66. 9,3 116,3») 8,0 2, b) Summa: | 24,8 58,6 83,4 | Summa: .|21,3 var | 93,0 Mittel: 6,2 14,65 | 20,85 || Mittel: 5,3 17,9 23,3 Mittlerer | r Se N 3,14 4,05 6,97 1,24 2,82 3,41 Fehler- summe: 4,38 6,37 10,38 Mittelun- terschied: 0,9 3,2 2,4 1) Das Zeichen °/ou bedeutet, dass die in der betrefienden Columne stehenden Zahlen auf 1000 Theile (Urin berechnet sind. 59 VIII. Tabelle. rn ——— | Schwefelsäure. | zum Here on Erdphosphate, A. A. A. Erste Reihe. Zweite Reihe. | ErsteReihe. Zweite Reihe. | Erste Reihe. Zweite Reihe. St; 6. St. x In 6 St. St, oo ER Ofoo Imre: Oo in | 06 Ben Oo in Grm. 000 ir eh. 1110 | 050 115 1,00 | 0,50 I 1,12] 0,0 | 0,24 | 0,12 | 0,36 ] 0,13 2 10,5, 1,:0,52 ‚| .0,8 0,52-)..0,54 | 0,57.| 10,41 |,0,20 .|; 0,22, |,0,24 | 0,17 er 00L | 18 0,57 | 0,41 |1,05 | 0,45 | 0,24 | 0,17 | 0,32 | 0,14 4.1.05 10,55 | 0,5 0,23 0.25 0,44 | 0,49 110,161] -0,17.| 0,12 \.0,13 Mittel: | 0,52 0,43 0,44 0,17, 0,14 Betrachten wir zunächst die in Tab. IV. bis VII. aufgeführten Er- gebnisse der Körpergewichtsverluste und der Harnuntersuchungen. 1. Mit Sitzbad büsste Herr Lampe in 6 Stunden durchschnittlich 1323 Grmm., ohne dasselbe 1079 Grmm. ein, also ein Mittelunterschied von 244 Grmm. Hunderte von Aerzten' würden; daraus den Schluss ziehen, dass durch das Sitzbad die Gesammtkörperverluste, somit auch die insensibeln Perspirationsstoffe sehr bedeutend vermehrt würden. Eine, den mathematischen Gesetzen entsprechende Verwerthung der gewonnenen Zahlen, wie'sie von Professor Radicke in seiner ausge- zeichneten und höchst verdienstvollen Arbeit: „die Bedeutung und der Werth arithmetischer Mittel, mit besonderer Beziehung auf die neueren physiologischen Versuche zur Bestimmung des Einflusses gegebener Momente auf'den Stoffwechsel, und Regeln zur exacteren Beurtheilung dieses Einflusses“ in dem Archiv für physiologische Heil- kunde von Wunderlich 1858 S. 145 bis 219, gelehrt worden ist, wird uns vor solchen übereilten Schlussfolgerungen bewahren. Nach dem daselbst angegebenen Kriterium darf man den Mittelunterschied zweier zu vergleichenden Beobach- tungsreihen nichtmehr, wie es meistentheils bisher geschah, allgemein als entscheidend ansehen, sondern nur dann, wenn derselbe die Summe der mittleren Fehler (oder der mittleren Schwankungen, wie es dort heisst) übertrifft, oder doch zum min- desten ihr gleichkommt. Ferner'verliert, selbst bei Erfüllung’die- ser Bedingung, der Schluss seine bindende Kraft, wenn die Zahl’ der 60 Beobachtungen eine zu geringe ist, und es kann das Resultat dann höchstens einen Werth haben, als Bestätigung eines gleichlautenden aus hinlänglich zahlreichen Beobächtungen gezogenen Resultats, In gegenwärtigem Falle ergiebt die Tabelle IV für die Summe der mitt- leren Fehler die Zahl 483, also bedeutend mehr, als für den Mittelunter- schied, der nur 244 beträgt, so dass die vorliegenden Versuche keineswegesirgend welche Sicherheit dafür gewähren, dass die Sitzbäder beiHerrn Lampe die Körpergewichtsverluste verändert haben. Die Abnahme der Mittelzahl kann nämlich sehr leicht durch zufällige N-benursachen herbeigeführt sein. Aus denselben Gründen'schliessen wir,jaus;den Tabellen V bis VIll,dass bei Herrn Lampe weder. dieMenge des Harns, noch die des Harnstoffs, noch der Chlorverbindungen,noch der schwefelsauren: und. phosphorsauren Verbindungen, noch die der Erdphosphäte in entschiedener: Weise durch: das Sitzbad verändert, weder vermehrt«noch, vermindert wor- den sind. Die' von mir selbst angestellten, in Tabelle .I:und! II angeführten Untersuchungen über das’ 8: bis 10° R.»warme' Sitzbad ‚geben ‚dasselbe negative Resultat, wie die des Herrn Lampe. In einem Zeitraume von 3,Stunden wurden durch ein 20.bis 40 Minuten dauern- des Sitzbad bei mir weder die Gesammtkörperverluste, noch dieMenge.des Harns, des Harnstoffs und der Chlorverbin- dungenin deutlicher Weise verändert. Dieses Resultat geht so zweifellos aus dem einfachen Ueberblick der Zahlen hervor, dass ich. es nicht für nöthig gehalten habe, den mittlern Fehler aus den Zahlenreihen zu berechnen. Hieraus folgt, dass bei Herrn Lampe ind: mir eine, die ebenge- nannten »Ausscheidungen verändernde,‚Wirkung 'der: Sitzbäder: sich weder in den ersten drei, noch auch in: den.ersten sechs Stunden nach dem Sitzbade bemerklich macht.. Wer die Tabellen IV bis-VIIL aufmerk- sam: betrachtet, ‚wird finden, dass in den Lampe'schen: Versuchen ein Sitzbad von. 21 Minuten Dauer, und 15° bis: 170.C. weder auf die 24stündigenKörperverluste,noch aufdiein 24Stunden aus- 61 geschiedene Menge des Harns,,desHarnstoffs und des Koch- salzes von veränderndem Einflusse,ist. Dievonmir und Herrn Lampe genommenen Sitzbadver- suche haben also keinen Beweis, geliefert für, vermehrten Verbrauch von Material innerhalb. des Körpers,, Wir sehen, dass aus unseren Versuchen keine Berechtigung her- vorgeht, den im ‚Eingange dieser, Arbeit von Liehmann unter Nr..3 bis 9 angeführten Schlüssen über die, von ihm behauptete Wirkung der Sitzbäder beizutreten. ' Dan den letzten Jahren die Heilkunde mit; so vielen sogenannten exacten, Untersuchungen; bereichert) worden ist, welche Zahlen zur ‚Grundlage haben, aus denen: unrichtige Schluss- folgerungen:gezogen'sind, so wird es wohl der, Mühe lohnen, die Leh- mann’schen Zahlen etwas näher zu untersuchen und zu sehen, ob die angeblichen Resultate aus ihnen herzuleiten sind: Inder folgenden Tabelle gebe ich eine Uebersicht. der Lehrnang) ä schen Versuche, die eine Östündige Versuchszeit umfassen. Die Zah- len bedeuten Grammen,, IX. Tabelle. Zusammenstellung der Lehmann’schen Versuche. Ohne Sitzbad. Mit Sitzbad. ERFAHREN sel 5, 88 = 18228 8 an FA: ® A ERFENE 18/yır 1,5611 705 [834] 6,11 7,711,76 24/yy7 0,461 910 |674| ‚8,2)11,0, 0,58 | 0,35 | 0,37 “vr 0,53 628 |280| 5,8] 6,910,50| 0,13 | 0,36 Plyaıı £ 435 | 200.|.,3,7) 7,6|0,56 | 0,34 | 0,25 eıx 825 601 | 6,5/11,2/0,82 0,20 “lıx 625 Ei; 6,5/11,2/0,57 0,38 | 0,22 2/x 838 1583| 9,1114,3 0,55 | 0.45 W/x1 1025| 668 10,0 13,2 0,57 0,32 | 0,29 Mittel: 464 272 4,8 17,1 0,69 0,52 0,31 | 749 463 6,9 104 0,61 0,34 0,30 Mittler. Fehler: 109 58 125 084 176 176 2,52 0,39 Bm 2 2 ara) 1128 Unter. schiede: 285 191 3,0 0,18 Man sieht aus dieser Tabelle, dass überall, ausser bei den Körper- gewichtsverlusten die Mittelunterschiede 'erheblich geringer ausfallen, als die Summen der mittleren Fehler, und dass man daher, abgerech- net die gedachte Ausnahme, keineswegs die Lehmann’schen Schlüsse als sicherstehend betrachten darf, und es erweisen sich, wenn man das Verhalten des Körpergewichts ausschliesst, die Lehmann’schen 'Ver- suche ebenso unentschieden, wie die von Lampe und mir. Nament- lich also haben wir durchaus noch keinen Grund, eine Vermehrung des Urins, der feuerfesten Salze, des Harnstoffs, der Chlorverbindungen, der Schwefelsäure, der Phosphorsäure und der Erdphosphate als Wir- kungen der 7° bis 14° R. warmen Sitzbäder hinzustellen. Zu bemerken ist noch, dass Lehmann am'13., 18. und 23. Aug. ein Sitzbad, am 1. Sept., 10. Oct. und 20. Oct. zwei, und am 29. Oct. und 1. Nov. drei Sitzbäder, jedes von 15 Minuten Dauer genommen hat. Mithin vermögen selbst zwei- bis drei Mal in 6 Stunden wieder- holte Sitzbäder nicht, deutliche Einwirkungen auf die Körperausschei- dungen hervorzubringen. Die Harnsäure habe'ich deshalb nicht mit aufgeführt, weil die Harnsäuremengen in der Normalreihe zwischen 0,040 Grmm. und 0,146 Grmm. ‚in der Reihe mit Sitzbädern zwischen 0,02 und 0,16 Grmm., also in einer solchen Weise schwanken, dass selbst die-Vergleichung der Mittel aus 8 Versuchen ganz und.gar unstatthaft ist. Durch die von Lehmann erhaltenen Zahlen werden seine eigenen Schlussfolgerungen, mit Ausnahme des nicht unwahrscheinlichen grös- sern Körperverlustes durch Sitzbäder, nicht hinreichend gestützt, und es stimmen die von ihm über die Sitzbäder gemachten Versuche, soweit sie die Harnausscheidungen betreffen, inihren Resultaten mit den meinigen und denen des Herrn Lampe überein. Bei dieser Gelegenheit kann ich eine hierhergehörige Bemerkung nicht unterdrücken. Im ‘Jahre 1857 bot ich meine Sarsaparille- Arbeit, welche in Reil’s Journal für Pharmakodynamik Bd. Il, 1. ab- gedruckt ist, einem Redacteur eines andern deutschen ınedieinischen Journals zur Aufnahme an. Dieser stellte mir die Bedingung zur Auf- nahme, dass ich bloss die Mittelwerthe, aber nicht die sämmtlichen 63 Zahlen, aus denen ich sie erhalten, abdrucken lasse, da der Druck der Zahlen zu köstspielig sei, und man nicht nöthig habe, die Origi- nalzahlen zu kennen, wenn man nur das arithmetische Mittel wisse. Dieser Herr hatte einen schönen Begriff von dem Mittelwerthe! Da Radieke in seiner vorzüglichen Arbeit mathematisch nachgewie- sen hat, dass heutzutage eine Unmasse von Irrthümern durch die Un- kunde von dem Werthe und der Bedeutung der Mittel in die Wissen- schaft eingeschleppt werden, so ist'klar, dass die blosse Aufführung der Mittelzahlen es dem Leser ganz’ unmöglich macht, zu erkennen, ob die aus den Zahlen gezogenen Mittel richtig verwerthet sind oder nicht, und dass jeder vorsichtige und &gewissenhäafte Forscher die sämmtlichen Originalzahlen mitzutheilen sich verpflichtet fühlen wird. Hätte Lehmann uns bloss seine Mittelzahlen vorgeführt, so würde er umsonst gearbeitet haben. ° Es würde mir nicht möglich gewesen sein, seine nicht genügend motivirten Schlussfolgerungen aus seinen richtigen Zahlen zu 'rectificiren. Jetzt bleiben seine Versuche, mathe- matisch richtig gedeutet, eine wirkliche, dauernde Errungenschaft für die Wissenschaft. Es ist nur zu bedauern, dass Lehmann seine Versuche in zu weit von einander abgelegenen Tagen (s. 0. die Tabelle IX) angestellt hat. Liegen schon die Versuche, welche mit einander verglichen werden, einen Monat und länger auseinander, so gilt die Vermuthung, dass die Ausscheidungen durch veränderte Temperaturverhältnisse, veränderten Feuchtigkeitsgrad und Druck der Luft, und vieles Andere, wäs’ich hier nicht weiter auszuführen brauche, sich so verändern, dass die Ein- wirkung eines Sitzbädes dagegen entweder zurücktrete oder doch unkenntlich gemacht werde. Um so unsicherer müssen demnach -die Schlussfolgerungen sein. Es ist sehr wünschenswerth, dass die ein- zelnen, mit einander verglichenen Versuche 'so nahe wie möglich zu- sammengerückt werden. Diese Unsicherheit der Schlussfolgerungen muss um s0 mehr sich geltend machen, wenn die verglichenen Reihen nur klein sind und, wie'die Lehmann’schen, nur 8 Versuche umfas- sen. Das oben als richtig hervorgehobene Resultat der nicht unwahr- scheinlichen grössern Gesammtkörperverluste durch die von Lehmann 64 angewandten Sitzbäder (darf nur mit Vorsicht; aufgenommen werden. So viel ist aber gewiss, dass dieser Effect nur ein individueller ist, und z. B. bei Lehmann zutrifft, dagegen weder bei mir, noch auch bei Herrn Lampe. Ueber das Verhalten des Pulses im Sitzbade haben unter Anderen, Johnson, Petri, Lehmann, Lampe und ich Versuche angestellt, welche durchaus kein übereinstimmendes Resultat ergeben: Was die Versuchsanstellung der drei zuerst genannten :Herren anbetrifit, so haben sie nur ein einziges Mal vor dem Sitzbade,den Puls gemessen, ein Verfahren, welches durchaus nicht zu billigen ist, da die Pulszahl nach den verschiedenen Zuständen des Körpers, Be- wegung,'Stehen, Sitzen, Liegen, u. s. w. sich sehr ändert. Im Sitz- bade selbst hat man die Pulsschläge oft gezählt, und hätte; man ein Gleiches auch vor dem Sitzbade thun sollen. Lehmann sagt a. a. O.: „Damit ich den Einfluss, welcher, wie, wir wissen, schon, durch Ent- kleiden in kühlem Raume auf Puls und Athem geübt wird, nicht auf Rechnung, des Bades stellte, entkleidete ich mich vorher, so, wie zum Sitzbade nöthig, setzte mich in dieselbe Position, wie im Sitzbade und,zählte dann zuerst meinen Puls, nach einer die Secunden anzei- genden Uhr. Sass ich im Sitzbade, so zählte ich wieder, ebenso nach 5, nach. 10, nach 14 Minuten.“ Wenn also. Lehmann ‚erst in ‚das Badehaus ‚ging, ‚sich bei a Gehen und darauf beim Entkleiden jbewegte, so ‚musste die, vor dem Bade gewonnene Pulszahl sehr, hoch ausfallen, und ‚konnte ‚somit zu Vergleichen mit der beim ruhigen Sitzen im Bade; erhaltenen nicht, be- nutzt werden. Wie Johnson und Petri beiihren Versuchen verfah- ren, ist von ihnen nicht angegeben, sie haben aber Beide den Puls vor dem Bade nur ein einziges Mal gezählt, und es ist zu vermuthen, dass sie ähnlich wie Lehmann dabei,zu Werke gingen. ‚| Johnson sagt in seinen „Untersuchungen über die Wirkungen des kalten: Wassers auf den gesunden: Körper, ıa. d. E., von Dr..G. W. Scharlau Stettin 1851, 8..179: „ein ‚Sitzbad von !/, Stunde erzeugt stets eine; Verminderung der Pulszahl.“ Petri bekam schon,andere Ergebnisse, die,er in seiner, „wissen- 65 schaftlichen Begründung der Wässerkur, :Goblenz 153° 8» 174 folgen- dermaassen ausdrückt: „Die Beobachtungen von Johnson dürfen nicht zu dem Schlusse verleiten, dass: in einem halbstündigen 'Sitzbade ein, stetiges Fallen des Pulses unten allen Umständen /stattfinde. | ‚So wie bei dem kalten Tuche, so ist auch bei, dem Sitzbade! der’ Grad der Eigenwärme von entscheidendem Einflusse auf;die ‚Blutbewegung, und zwar bedingt das Anhalten derselben durch gute Bedeckung eine: all- mälige Zunahme der Pulsschläge,| und befördert ihr ‚Verlust durch leichte Bedeckung anhaltende Abnahme: . Ein, regelmässiges: Fallen des Pulses in den ersten 5 bis 10 Minuten, ist\. stets die unmittelbare Wirkung des Bades, der fernere;Zustand (des Pulses hängt!nicht vom Bade, sondern vom Verhalten des Badenden ab... Bei Sitzbäderh von 10 bis 12% R. mit völliger Eigenwärme, unmitfelbar vor. dem Bade und bei guter Bedeekung d.h. anschliessender Umgebung der nicht am Wasser befindlichen Theile mit den gewohnten Kleidern und Decken, verhält,sich nach' meinen langjährigen’ Beobachtungen der Puls folgen- dermaassen: in den ersten d Minuten nimmt er nicht allein an Zahl der Schläge ‚ab, er wird auchiträge, gespannt; in den folgenden 5 Minuten lässt. ‚die Abnahme allmälig nach, ‚dagegen bleibt!die'Spanhung, zu- weilen setzt,der, eine‘ oder der. andere ‚Schlag! aus; gegen: die: zelinte, elite Minute, oft, sogar früher, verliert 'deriPuls die Hänte, die einzelnen Schläge kommen lebhafter, die Zahl vermehrt sich um einige, ‚ohne noch ‚die ursprüngliche Höhe wieder zu erreichen ;:von der dreizehnten, vierzehnten Minute an schreitet die! völlige, Itreie Entwickelung' des Pul- ses gewöhnlich rasch vor, so dass man,einige ı Minuten. nachher oft einen kräftigen, wellenförmigen, bärtlichen Puls findet, dessen Schläge die ursprüngliche Zahl meisiens, wieder erxeicht haben.“ Johnson und Petri führen eine Zahl von Versuchen an, wodurch ihre Schlüsse gerechtfertigt werden sollen. | |Man' kann diese im 'Allge- meinen gelten lassen, und nur das ist, gegen Beide einzuwenden, dass sie.ihre Schlussfolgerungen nicht auf ihre. Versuchspersonem:allein!be- ziehen, sondern, ihnen eine allgemeine; Gültigkeit zu vindieiren suchen. Dies ist ein grosser Fehler. 'ı Es miissen: bei den, dem steten: Wechsel unterworfenen Erscheinungen noch viele Tausende von Beobachtungen Mon»scuort, Untersuchungen. VI. 5 66 angestellt werden, bis wir zu einem allgemein gültigen Gesetze gelan- gen können. Scharlau behauptet in seinen „klinischen Mittheilungen aus dem Gebiete der Wasserheilkunde, Berlin 1857“ S. 61: „Wenn man'in einem Sitzbade den sechsten Theil der Körperoberfläche mit Wasser von 7. bis 15° R. in Berührung bringt, so sieht man folgende Erscheir nungen eintreten: 1) Eine Verlangsamung des Pulses vom Beginn der Eintauchung bis zur vollendeten zweiten Minute, von da an wieder eine Zunahme der Zahl der Pulsschläge der Art, dass nach 5 Minuten die ursprüng- liche Zahl derselben wieder bemerkt wird.“ Dies ist also wieder eine von den übrigen verschiedene Angabe über die Pulszahl, eine Angabe, die, soviel ich weiss, nicht durch Zah- len motivirt, aber jedenfalls in so fern unrichtig ist, als sie zu allge- mein hingestellt worden. Zur Widerlegung der Seharlau’schen Ansicht kann die von Lehmann gegebene tabellarische Uebersicht über das Verhalten des Pulses und der Athemzüge im kalten Sitzbade, a. a. ©. S. 351 und die ebendaselbst Bd. II S. 14 mitgetheilte dienen. Uebrigens ist die von Lehmann aufgestellte Behauptung, dass kalte Sitzbäder den Puls sel- tener machen, nicht allgemein gültig,’ da in seiner Tabelle sogar 6 Aus- nahmen von der Regel vorkommen. Da inzwischen Lehmann unter den oben angegebenen ungünstigen Bedimgungen nur eine einzige Pulszählung vor dem Bade vornahm, so kann aus seinen Versuchen kein sicheres Resultat gezogen werden. Will man aber die einzige, vor dem Bade erhaltene Pulszahl als die wirkliche Repräsentantin der Pulse annehmen, so lässt sich nicht leugnen, dass bei Lehmann in der Re- gel die Zahl der Pulsschläge durch das Sitzbad vermindert worden sei. Wie aber Tabelle III zeigt, habe ich, ohne durch vorherige Be- wegung aufgeregt zu sein, sitzend, vor dem Bade memen Puls gezählt, und kam zu folgendem Ergebnisse: eine Pulsverminderung durch das Sitzbad konnte ich bei mir nicht wahrnehmen, vielmehr ehernoch eine Vermehrung. Beim Einsitzen in das kalte Bade- wasser wurde bei mir der Puls in den meisten Fällen beschleunigt, 67 bei Lehmann. aberı verlangsamt. — Die Kälte ist bei mir: sehr wirksam. Wenn ich im Sitzbade sass und die Schenkel die Bauch- decken berührten, ich; nun aber die letzteren etwas zurückzog, so dass das kalte Wasser in die Falte drang, so wurde durch die dabei erregte Kälteempfindung mein Puls gleich um einen oder zwei Schläge beschleunigt. Im Allgemeinen scheint mir für die von mir angestellten Versuche folgender Ausdruck der richtige zu sein: Durch den Ein- druck des kalten Wassers beim Einsitzen in das Sitzbad wurde mein Puls beschleunigt, dieZahl der Pulsschläge ver- minderte sich in der Regel im Bade, erreichte nur ein Mal am Schluss den Höhepunkt wie beim Einsitzen, fiel aber vie erheblichunter die Zahl der Schläge vor dem Bade; in den meisten Fällen war der Puls vor dem Bade seltener, als während desselben. X, Tabelle. Herr; Lampe beobachtete seine Pulsschläge vor dem Bade: in der 5. £ 10. 15. 20. Minute im Bade: 59 63 65 62 66 59 59 Bye) 59 öl 59 56 56 59 61 61, 61, 58, 61, 61. 65...) 63 65 66 Dann hat Herr Lampe bei einem andern gesunden, 25 Jahre alten 200 Pfd. Zollgew. schweren Manne, Herrn K., folgende Zählungen gemacht: Zl. Tabelle. Temperatur des | Datum, Wassers M ei P N inach Zahl der Pulsschläge | Zahl der Pulsschläge zwischen der sechsten 1858 dem Bade vor dem Bade, und zwanzigsten Minute des Sitzbades, Oecwber. | na ach Celsius, 24 130° 15 3,60 163. 65. 67.68. 67. en 57. 56. 57 eh! 25 15,29 17, 40 63, &R: 62. 64 65. 8.8 F 5 27 12,80 15,4 56.1 5 28 14,4° | 16,9% 5 54. 58, 54. 54.54. 54.5 r 54. 57.60. 30 | 13,8° | 16,49 172. 70. 4% 70. 71. 73.58. 57. 57. 56. 55. 57. 57. 58. 56. 56. | 72.65.67.69. | 56. 56. „68 66. 66. 66. .68 br 68 Bei dieser Person stellt sich ein ganz anderes Resultat wie bei Lampe und mir heraus, und ich nehme keinen Anstand zu behaupten, dass das Sitzbad bei ihr die Zahl der Pulsschläge vermin- dert habe. So viel stehtaber nach dem Vorhergehenden fest, dass das kalte Sitzbad so verschieden auf den Puls der einzelnen Menschen einwirkt, dass es bis jetzt nicht möglich ist, da- rüber einen allgemeinen Ausdruck zu formuliren. Therapeutische Schlussfolgerungen über die, Anwendung, der Sitzbäder bei Kranken aus irgend einer dieser Versuchsreihen zu ziehen, würde einen unverzeihlichen Leichtsinn bekunden, und unter- bleibt deshalb hier. Ueber die Erwärmung des Badewassers beim Sitzbade habe ich, wie aus Tabelle II hervorgeht, 10 Versuche angestellt. Wer sich die Mühe nehmen will, obige Tabelle nachzusehen, wird finden, dass 501/, Zollpfund Wasser, in welchem ich 20 bis 40 Minuten gesessen hatte, um 2 bis 4,250 R. wärmer geworden ‚waren.!) — Andere Versuchspersonen erhielten andere Resultate, wie schon die Lehmann’schen Beobachtungen a. a. O. und folgende Tabelle zeigen. !) Vom 10. October an war mein Zimmer, in welchem ich das Sitzbad nahm, etwas erwärmt, wärmer als die Temperatur des Wassers. Ein vergleichender Versuch ergab, dass bei 14° Zimmertemperatur das Badewasser in !/, Stunde um noch nicht 1/;" R. erwärmt wurde, eine Temperaturerhöhung, die ich ausser Acht gelassen habe, die aber von Jedem, der grössere Genauigkeit verlangt, mit in Rechnung gebracht werden kann: 69 XII. Tabelle. Te 3 T tur des E . Ei Temperatur olzo.el aa e Badewassers = E1 3 ce oe r =2| vor | nach | 53€ RRlErE ® 235 Bemerkungen. 5 demBadeinGra-=5 |55£% Bizlall Sept-|dennach Reaum.| AS 3 |. FA ee ee) 3 5 5 | 16 13,5 15,0 0n feblt Lampe al Die beiden Versuchspersonen Herr H. 17 13,1 14,5 1, ” » ” und Sch. litten beide an Lebervergrösse- 18 13,9 15,1 1,2 „ „ „ rung, und nahmen zu gleicher Zeit in dem- 19| 22 | 13,5 |1,6 selben Baderaum das Sitzbad. u f z 4 ” 2. Ausser Fräulein R. nalım noch eine an- Oct 1 ® dere, ebenfalls wie Fräulein R. an ner- 15 |.10 12 2 3 Herr H. 15 vöser Aufregung leidende Dame, Fräulein 19 10 12 D} 2 B., zwischen dem 18. und 23. October 1853 i 5 9 11 Br? { Sitzbäder. 20.) 10 12 2 11 ” » ED die Zimmer der Herren H. und Sch. 21 | 10 12 2 10,5 A ar in demselben. Hause, waren, in welchem | 10 12 92 11 die Damen R. und B. gleichzeitig in ihren > 5) 5 2 2 Zimmern, die nicht geheizt waren, bade- 23 | 10 12 & 11 ” ” ten, so darf man wohl annehmen , dass die 5 | 10° 12 2 11 hy » Temperatur der Baderäume dieselbe war, 26.| 10 12 2 11 wie die der Herren. Das Badewasser zeigte 97 | 10 12 P} 105 ? * dieselbe a und würde von Fräu- = ’ u lein B. ebenfalls nur um einen Grad er- 23 |) 9,5 1112 125 105 N K wännt, wie (bei Eräöletin zu Das Bade- e, “ rn er betrug ungefähr 50 Zollpfund. 121.10 2 2 fehlt |Hr. Sch. un Hama die Versuche von Fräulein B. mit 19) 10 12 2 ” „ ” denen des Fräulein R. vollständig über- 20 | 10 12 2 11 ” „ einstimmten, so sind jene der Raumerspar- 21 10 12 2 10,5 » ; niss wegen ausgelassen worden. 2|10.|)12 |2.|.u a . 30 ıe2 || ı n ie 35|10.| 12.112] 11 $ % %|10 |12 |2 | u > “ 97 | 100 | 1212| 10510 ie 38|10:|12 |2,|.:105|...,, _ 18/10 | 11 |1 | fehlt Fräul.R.| 15 10, ee oh 20 | 10 11 1 TUE ” eben hai ze 22 |.10 11 1 ® » P 2A oa 25.) 10, | 1 bl.) RER) Een 10 | Kae Te on aa 2310 11 1 Wir sehen bei der Vergleichung der Tabellen II, XI und XI dass ungefähr die gleiche Menge Wasser von verschiedenen Personen ungleich erwärmt wird. Dieser Satz wird noch mehr bewahrheitet, wenn wir die Beobachtungen anderer Schriftsteller hin- zunehmen. Ich führenur einige an. Die Versuchspersonen von John- son erwärmten im Sitzbade 4 Gallonen Wasser von 43° Fahr. auf 50°, von 430 auf 50,75%, von 42,5% auf 50,5°, von 43° auf 51,30, von 420 auf 50°, von 44° auf 520, von 530 auf 5V,5°, von 49,5 auf 54°, von 49,5" auf 55%, von 50° auf 55%, von 52° auf 58°, sämmtlich in 15 Minuten; 70 andere von 43,5 auf 53,3%, von 42,50 auf 53,250, von 42° auf 54° in einer halben Stunde. Petri erhielt eine Wärmezunahme des Wassers in 15 Min. 0,5° R. in 15 Min. 1,5°, in 30 Minuten 0,759, in. 30 Minuten 1°R. Lehmann nimmt durchschnittlich 1,6°R. an, Scharlau sagt l. ce. S. 62: „45 Ptd. Wasser nehmen durch ein Sitzbad von 15 Minuten eine um 1,6° höhere Temperatur an,“ und hat ohne Zweifel diese An- gabe von Lehmann entlehnt. Hr Um zu erfahren, ob die Temperatur des Harns in der Blase durch das Sitzbad erniedrigt werde, hat Herr Lampe mit dem Herrn K. (s.. Tab. XI) 5 Versuche angestellt. Er bestimmte mit einem feinen Thermometer nach Celsius, dessen Grade noch in 5, Theile getheilt sind, während des Lassens des Harns seine Temperatur, und zur Controle noch in folgender Weise. Es wurden 8 Bechergläser von dünnem Glase und verschiedener Grösse so ineinander gesetzt, dass je 2 durch eine Luftschicht von einander getrennt waren. Das grösste, in welchem also die beiden anderen standen, war oben mit einer ver- kitteten Korkplatte luftdicht verschlossen, in’ deren Mitte ein’ Kork- stopfen, durch welchen das Thermometer ‚hindurchging, möglichst genau passte. Das Thermometer ragte bis in die Mitte des innersten Glases. Die Gläser hatten die Temperatur des erwärmten Zimmers, nur das letzte Mal waren sie auf 270 C. erwärmt. — Dieser Apparat wurde in der Art gebraucht, dass das Thermometer mit dem Korke abgenommen, der Harn in das kleinste eirca 145 ©. C. Harn fassende Becherglas gelassen, und nach luftdichter Einsenkung des Thermo- meters nach 6 Minuten, nämlich dann abgelesen wurde, wenn das Ther- mometer den höchsten Stand erreicht hatte.’ Herr: Lampe bestimmte die Temperatur des Harns 1) zu Zeiten aw welchen kein Sitzbad’ ge- nommen worden war, und 2) unmittelbar: nach einem 'Sitzbade: von 20 Minuten. Beide Bestimmungen wurden gemacht, wenn.die Blase'ziem- lich. gefüllt war, und lagen die entsprechenden Urinentleerungen und Temperaturbestimmungen 3 bis 4 Stunden auseinander. Herr Lampe machte 20 Einzelmessungen der Urinteniperatur. Es‘ stellte! sich keine Verschiedenheit der Temperatur des Harns ausser und gleichnmach.dem Sitzbade heraus. — Da die Zahlen keinen Un- 7 terschied ergeben, so halte ‘ich die Anführung derselben für über- flüssig. Endlich hat Herr Lampe an sich selbst und bei Herrn K. die Temperatur der Mundhöhle unter der Zunge kurz vor dem ®Bade, während desselben und nach demselben durch ebendasselbe feine Thermometer bestimmt ‘und die Grade nach Celsius in fol- gender Tabelle zusammengestellt: XIII. Tabelle. Datum. k Versuchs- Im Badenach 2)/g Stund nn 1858. VOREIFLLE Bi No Bade, September. 19 Minuten. | 20 Minuten. Lampe: 18 36,70 36,99 370 19 36,9% 370 37,20 October. K.: 24 37,15° 1 370 25 36,3" 370 27 37,10 370 28 36,90 36,90 30 37,9 37.9 Nachdem die vorstehende Arbeit einige Stunden vollendet war, ging mir heute, am 20, Decbr. 1358 das in Berlin unter dem 18. Deebr. erschienene Stück 101 der „allgemeinen medieinischen Central- Zei- tung“ zu, in welchem Herr Dr. L. Lehmann in Oeynhausen eine Replik: „zur Würdigung des physiologischen Einflusses der Sitzbäder“ auf meinen in der niederrheinischen Gesellschaft für Natur- und Heil- kunde am 10. Nov. 1855 gehaltenen, auszüglich in derselben Central- Zeitung, Stück 95 8. 757 mitgetheilten Vortrag über meine und Herrn Lampe’s Sitzbadeversuche, hat abdrucken lassen. ‘Die Kürze, mit welcher die Protokolle unserer niederrheinischen Gesellschaft mitge- theilt werden müssen, mag es hinreichend entschuldigen, dass ich mir Lehmann’s Tadel zugezogen habe dafür, dass ich nicht angegeben, ob Herr Lampe bei seinen Sitzbadeversuchen auch den ganzen Mor- gen fastete, wie Herr Lehmann es that. Dass Lampe sich der Spei- sen enthielt, und kurz vor dem Sitzbade 606 ©. ©. Brunnenwasser 12 trank, ist in.dieser Arbeit: oben/angegeben.t)‘ Wenn: Herr Lehmann dagegen protestirt, dass ich die Lampe’schen Versuche als Controle der seinigen laufstelle, so habe ich dagegen: nichtsseinzuwenden. Der Leser, dem:ich hier objeetiv alle,Lampe’schen ‘Versuche vorgeführt habe, wird sich über die!Bedeutung. derselben, den Lehmann’schen gegenüber, und’im Verein mit dem'meinigen, ein:selbstständiges Urtheil zu bilden im Stande sein. Ich selbst bedaure nur'sehr, dass allerlei äussere Umstände den Herrn Lampe verhinderten, seine Ver- suche zu vervielfältigen, und .weissisehr wohl, dass die Schlüsse aus ihnen nur mit grosser Vorsicht aufgenommen werden müssen, noch viel weniger aber dazu dienen können, die Lehmann’schen grösseren Versuchsreihen zu widerlegen. Wenn Lehmann sagt: „So lange Herr Böcker nicht, wie ich gethan habe, alle Temperaturen von 7 bis 30,50 R. und zwar fastend, wird durchprobirt haben, so lange wird seine Arbeit keine Gegenprobe auf die meinige sein können,“ so gebe ich ihm vollkommen Recht. Ich habe weder in dieser Arbeit, noch auch in dem Referat über meinen Vortrag am 10. Nov. irgend etwas der Art prätendirt, ich habe nur gesagt, dassich bei meiner, und der Lampe- schen Versuchsanstellung, also unter den genau beschriebenen Beding- ungen, andere Resultate erhalten, und nur Sitzbäder von: 8 bis 10° R. (Herr Lampeiyon 12% bis. 14% R.) also'solche angewandt habe, welche Lehmann als „kalte“ bezeichnet, und ihnen. die Eingangs dieser Arbeit mitgetheilten Wirkungen zuschreibt. Ich‘für meinen Theil glaube aller- dings, dass sich-.sowohl'meine. als Lampe’s Versuche mit,den Lieh- mann’schen vergleichen lassen, so weit sich diese auf Bäder von 7. bis 120. R. beziehen, und im ersten Theile seiner Arbeit mitgetheilt sind. Der anderen, im 11..Bande 4. Hefte 8. 1 ete..des Beneke’schen Archiv's von Lehmann iveröffentlichten ‚Versuche habe ich keine Erwähnung thun können, da ich mit den verschiedenen Temperaturen! des, Wassers keine Versuche, angestellt ‚habe. | Wenn aber Lehmann glaubt;/ich ) 1) Jch kanu in dem Geuuss von 606 c. c. Wasser vor dem Versuche keinen erheb- lichen störenden Einfluss auf die Resultate erkennen, da in allen Versuchen, auch in denen ohue-Sitzbad die gleiche Menge Wasser getrunken wurde. 73 habe beabsichtigt, seine Versuche zu widerlegen, so ist er entschieden im Irrthum befangen. Ich greife seine Versuche nicht an, sondern unter- suche bloss seine, stellenweise zu wenig befestigten Schlussfolgerungen. Er behauptet in seiner Replik: „In derselben‘ eclatanten ‘Weise, wie hier bei den Urinmengen beweisen die Zahlen in meinen Beobach- tungen die Vermehrung der verschiedenen Harnbestandtheile, die 'Stei- gerung des Körpergewichtsverlustes, die Abnahme der Pulsfrequenz im Sitzbade u. s. w.““ Dass ich die stärkere Abnahme der Pulsfrequenz und des Körpergewichts bei seiner Person als wahrscheinlich an- erkenne, habe ich oben auseinandergesetzt, übrigens aber gezeigt, dass ich seinen übrigen Schlussfolgerungen nicht beitreten kann. Auch die Gründe habe ich angegeben. Sie sind unwandelbaren mathema- tischen, von Radicke lichtvoll entwickelten Gesetzen entnommen. Will Lehmann diese’nicht anerkennen, so muss er andere Gesetze der Wahrscheinliehkeit mathematisch begründen und die bestehenden widerlegen. ‘So lange er das nicht thut, glaube ich im Rechte zu sein, selbst wenn Tausende von Aerzten, denen die Vorbildung abgeht, diese Gesetze erkennen und begreifen zu können, Lehmann’s'Schlusstolge- rungen beistimmen. Wenn Lehmann’ weniger strenge’ Anforderungen an die Verwerthung der Zahlen stellt als ich, so kann ich nichts da- gegen machen. Ich betrachte die von Lampe und mir angestellten Versuche nur als eine Erweiterung der Lehmann’schen, aus welchen der Verfasser Schlussfolgerungen gezogen hat, denen ich an vielen Stellen meine Billigung versagen inusste, und deren Remedur ich vorgenommen habe. Wenn Herr Lehmann ferner sagt: „Böcker schliesst aus seinen Versuchen an zwei Personen, dass die Sitzbäder keinen Einfluss auf die Ausscheidungen des Körpers üben, und verfällt so in einen ärgern Irrthum als ich begangen hätte, wenn ich,’ wie er glaubte, auf die All- gemeingültigkeit meiner Versuche geschlossen hätte,“ so 'bemerke ich dagegen 1) dass ich nirgendwo'&esagt habe, dass die Sitz- bäder keinen Einfluss auf die Ausscheidungen des Kör- pers üben. Herr Lehmann zeiht mich da eines Irrthums, den er rein aus der Luft greift; ein nicht lobenswerthesVer- 74 fahren! Ich habe bloss gesagt, dass die von Lampe und mir unter- suchten Ausscheidungen bei: uns; sich 'nicht als eine Vermehrung be- weisend gezeigt hätten, und weiss sehr gut, dass es noch mehrere Aus- scheidungen: die der Haut, der Lungen, der Leber ete. giebt, welche ich nicht untersucht habe, und zu deren’ quantitativer Bestimmung unsere Untersuchungsmethoden nicht ausreichen. Ich habe a. a. O. S. 758 ausdrücklich gesagt: „Die Wirkung (des Sitzbades im Allge- meinen als eine diuretische zu bezeichnen, ist jedenfalls unzulässig.“ Dass diese meine Behauptung, welche sich selbstverständlich nur auf kalte Sitzbäder von 7 bis 150 R. bezieht, durchaus. be- gründet ist, wird jeder Leser zugeben müssen, und: folgt auch aus Lehmann’s Versuchen selbst. Um aber dem Leser der Centralzeitung gegenüber den Satz zu vertheidigen, dass seine Versuche die diuretische Wirkung. der Sitzbäder beweisen, schreibt Lehmann unter. die im Jahre 1853 in Rolandseck für 6 Stunden gewonnenen Zahlen) die- jenigen, welche er 2 Jahre später in einer ästündigen Versuchszeit in Oeynhausen erhälten hatte. , Zahlen, welche aus Versuchen erhalten sind, die in so weit auseinander gelegenen Zeiten ‚und Orten erhalten wurden, mit einander zu vergleichen, würde ein vorsichtiger Forscher niemals wagen, und hat Lehmann den Lesern der Central- zeitung sorgfältig verschwiegen, dass er seine 5, 4 und östündigen Versuche nicht aus seinem Aufsatze über die Sitzbäder (Vogel, Nasse, Beneke’s Archiv I. S. 521 und 11.8. 1), sondern aus seiner Schrift: „Die Sooltherme zu Bad Oeynhausen, Göttingen 1356“ entnommen hat.‘ Ueberdies hat Lehmanu, um nur eine recht lange Zahlenreihe zu erhalten, noch die Zahlen für die Urinmengen, welche er bekam, als er. mit,25 bis 300,5 warmen Sitzbädern experimentirte, zugefügt, ob- wohl er sah, dass sich meine und, Lampe’s Experimente nur auf die kalten Sitzbäder bezogen, und ich seine Versuche über die. warmen Sitzbäder nirgendwo einer Kritik unterzogen habe. 2) Ich habe in meinem Referate in Nr. 95. der Centralzeitung nicht behauptet, dass Lehmann auf die Allgemeingültigkeit seiner Versuche geschlossen ‚hätte.. ‚Ob ich ein Recht dazu gehabt hätte, Lehmann daraus einen Vorwurf zu machen, dass er die, an seiner Person ver- 75 meintlich' gewonnenen Resultate zu sehr verallgemeinerte, möge der Eeser entscheiden, wenn er zu den, Eingangs’ dieser Arbeit wörtlich eitirten Lehmann’schen "Behauptungen. noch folgende hinzunimmt. In Beneke’s Archiv Bd. II S. 16 heisst es: ,‚Uebersieht man die vor- stehend mitgetheilten Beobachtungen ‚’so ergeben sich leicht folgende Gesetze I) über die Wirksamkeit der Sitzbäder auf die Vermehrung des Stoffwechsels. 1) t/;stündige Sitzbäder von 15°. R. haben eine Ver- mehrling des in einer gegebenen Zeit entstehenden Körpergewichts- verlustes zur Folge.“ Und S. 19: „Kehren wir zu den aus den beschrie- benen Beobachtungen folgenden Gesetzen zurück. 4) Die Harnaus- scheidung nach kalten und warmen Sitzbädern ist-bedeutend vermehrt. 5) Diese Vermehrung findet schon unmittelbar: nach einem genomme- nen Bade, vorzüglich aber und in ausgesprochenster Grösse etwa eine Stunde nach einem Bade Statt. 7) Der nach solchen Sitzbädern ent- leerte Urin ist nicht ‘allein dem' Wassergehalte nach, sondern auch in seinen festen Bestandtheilen beträchtlich vermehrt. Namentlich aber sind Harnstoff, Harnsäure, feuerfeste Salze und das Chlor in vermehr- ter Menge ausgeschieden worden, etc. ete.“ Und Seite 20: „‚Nach’allen diesen Wahrnehmungen gehört sowohl das kalte, als auch das warme Sitzbad unter die eigentlichen Diuretica. Ja ich zweifle, ob ein Infusum Herbae Digitalis jemals‘ in'derselben energischen Weise, wie ein Sitzbad, und dieses zwar in solch’ unmittel- barer Folge, die Urinausscheidung ‘vermehren’ werde. Da nun ein kaltes Bitzbad auch gleichzeitig die Pulsfrequenz 'herunterstimmt und deu COharakter‘des Pulses dem Normalen zu verändert, so ist dieses äussere Mittel auch nach dieser Richtung geeignet, die Digitalis zu ver- treten, Auf diese Weise wird! in'vielen Fällen. von Wassersucht das hier: besprochene Mittel Heilung bringen, so dass man dann scherzhaft sagen könnte: Wasser vertreibt Wasser.“ Lehmann spricht hier überall von Gesetzen, die er über das Sitzbad gefunden zu haben glaubt. , Ein Gesetz ist der auf inductivem Wege gewonnene allgemeingültige Ausdruck für eine Reihe von fest- stehenden Thatsachen, die nicht bloss bei einem einzigen Individuum, sondern bei allen gleichartigen Individuen constant zutreffen. Ich kann 76 mir kein Gesetz denken, das nur für ein einziges Individuum, 'Leh- mann, zutreffen könnte. Nach Seite 20 stellt Lehmann das kalte Sitzbad unter 'die Diuretica,, und will (durch dasselbe die | Diyitalis ersetzen und die Wassersucht heilen. Hieraus. schliesse ich, dass Lehmann die Wirkung, welche er bei sich selbst erhalten hatte, auch bei Anderen annahm, und 'so seine Schlüsse ungebührlich verallgemei- nerte. Er führt ]. e. der Centralzeitung dafür, dass er sich diese Ver- allgemeinerung nicht habe zu Schulden kommen:lassen, eine Stelle aus seiner Sitzbadearbeit 1. e. 11.8. 18 an, in welcher es heisst: ,‚An dieser Stelle will ich (die Bemerkung nicht unterlassen, dass’ die Eigenschaft des Wassers, durch seine niedrigere oder.höhere Temperatur zu reizen, nach der 'grössern oder geringern Erregbarkeit der Nerven, nament- lich auch nach der Gewöhnung, höher oder niedriger liegende Indiffe- renzgrenzen haben wird, so\ dass die hier festgestellten !) wahrschein- lich' nieht allgemeine, ‚sondern nur für mich geltende Richtigkeit bean- spruchen, während Andere, welche meine Beobachtungen wiederholen werden, andere Grenzen abstecken dürften. ‚Ich hege diese Vermuthung aus dem Umstande, dass die ersten Bäder von neutraler Temperatur zu einer Zeit genommen wurden, wo ich lange vorher nur kaltgebadet hatte... Ihre?) Einwirkung: auf meine Körperausgaben: war durchaus nieht sichtbar 'ete. Es wird aber für jede ‚Individualität eigentlich indifferente Bäder geben.“ Aus diesem Passus kann:ich nur erkennen, dass Lehmann von dem 'ihm 'eigenthümlichen verschiedenen Verhalten der Temperatur: grade, nicht aber davon spricht, dass die von ihm über das kalte Sitz- bad aufgestellten Gesetze als bloss bei ihm gültigelangesehen werden sollten. Ich kenne kein, nurbei einem einzigen Menschen existirendes Gesetz! Herr Lehmann hätte dann auch! 2 Seiten später sagen müs- sen: „Das kalte Sitzbad ist nur für mich ein Diweticum; nur bei !) Doch wohl nur auf Indifferenzgrenzen bezüglichen. 2) Hier sind nur die Bäder von neutraler Temperatur, d. h. von 17 bis 24° R. ge- meint, welche bei L. keine Aenderung der Ausscheidungen hervorbrachten. Seine Be- hauptungen über die, den Stoffwechsel vermehrende Wirkung der kalten Sitzbäder von 7 bis 15° R. sind durch diesen Satz nicht restringirt, und die, die Körperausgaben ver- melhreude Wirkung ist nicht als eine bloss individuelle bezeichnet, 77 mir wird es die Digitalis vertreten, und bei mir Wassersucht heilen.“ Dass: nun bei mir der' Indifferenzpunkt für die, die Körperausgaben vermehrende Wirkung des Sitzbades schon bei ‘8° R. anfangen sollte, wie es Herr Lehmann zu vermuthen 'scheint, da doch bei ihm die Indifferenzpunkte zwischen 17 und240R. liegen sollen, wäre doch sonder- bar, würde aber, wenn es sich bestätigen sollte, beweisen, dass unsere Individualitäten sehr verschieden sich verhälten, und wir Beide aus unseren Versuchen keine allgemeinen, noch viel weniger aber therapeu- tische Schlussfolgerungen ziehen dürfen, immer ‘vorausgesetzt, dass die Lehmann’schen Schlüsse den unwandelbaren allgememgültigen Gesetzen der Mathematik gemäss richtig’ gewonrien worden wären. Aber, ich wiederhöle es nochmals: ich habe Herren Lehmann nie einen Vorwurf darüber machen wollen, däss er das Resultat 'semer schätzenswerthen Versuche über das Sitzbad' in Form’ von Gesetzen ausgesprochen, und sie in solcher Fassung zu allgemein hingestellt hat.’ Ich habe aus seiner Replik mit’ Vergnügen ersehen, dass er seine Versuche äls einzelne Beobachtungen anerkennt, (die nur für seine Per- son geltende Resume’s erlauben, und nicht, wie’es Scharlau schon gethan hat, bei allen Menschen, und so auch bei Kranken, "als gültig anerkannt werden sollen. Ich mache, um neue Missverständnisse zu 'verhüten, den Leser nochmals und dringend darauf aufmerksam, dass die aus meinen und Herrn Lampe’s Versuchen‘ gezogenen Resultate'nur als individuelle, unsern Organismus betreffende, und nicht als solche angesehen wer- den sollen, die für alle Menschen, geschweige noch für Kranke, gültig und maassgebend seien, Daraus, dass wir Beide keine Vermehrung der Körperausgaben, von denen wir noch lange nicht alle" untersuchen konnten, durch die Sitzbäder fanden, "folgt nicht, dass bei uns eine Vermehrung in Wirklichkeit nicht stattgefunden'habe, sondern nur, dass die Versuche nicht erkennen lassen, ob die hervorgetretenen Ab- weichungen in den Mittelzahlen von den Sitzbädern' oder von anderen zufälligen Ursachen herrührten. ' Ferner folgt daraus nicht, dass nicht bei anderen: Individuen die Sitzbäder wirken ‚resp: einen so! starken Effeet haben würden, dass sie die Störungen’ aus ‘Nebenursachen' hin- 73 reichend überwiegen, um das Verhältniss zwischen den Mittelzahlen und den Schwankungen unzweideutig zu machen. Ich behaupte, dass mit Ausnahme des vermehrten Körperverlustes bei Herrn Lehmann seine Schlüsse bis jetzt nicht ausser Zweifel gestellt worden sind. . Auch dievon Lehmann l.c, 1. S. 535 und 536 angegebenen 3 Doppelver- suche über die beim Sitzbade stündlich entleerten Harnmengen haben bei mir eine solche Ueberzeugung nicht hervorgerufen, namentlich da der 12. Versuch: mit Sitzbad den 16. Versuch ohne dasselbe durch die fast gleichen Zahlen aufhebt, und nun noch 2 Doppelversuche übrig bleiben, welche durch ihre zu geringe Anzahl für mich Nichts be- weisen, zumal sie der Zeit nach sehr weit auseinander liegen. ‚ Wenn aber Herr Lehmann es nicht verschmäht, zum Beweise seiner Be- hauptung Versuche, die. er in Rolandseck gemacht hat, mit denen, die er in Rehme.anstellte und eirca 2 Jahre auseinanderliegen, zusam- menzustellen, so wird er einen Zeitraum von einem Monate sicher als irrelevant ansehen. Auch dies würde beweisen, dass unsere Individua- lität, und unsere Anforderungen an wissenschaftliche Wahrscheinlich- keit und Gewissheit sehr verschieden sind. Sollte man es aber'als be- wiesen annehmen wollen, dass kurz nach dem’ kalten Sitzbade mehr Urin, als ohne dasselbe ausgeschieden würde, so, könnte man diese Erscheinung auf eine vollständigere Entleerung der. Blase zu- rückführen. Ich habe oft beobachtet, dass Männer und Frauen, die kurz vor dem kalten Sitzbade vollständig, wie sie glaubten, urinirt hatten, sofort eine beträchtliche Menge Urin entleerten, so wie sie sich ins Sitzbad setzten. ' Aehnliches kommt auch beim Baden. im Freien, nach dem'Auskleiden vor. — Man darf doch nicht annehmen, dass sich urplötzlich in wenigen Minuten oder sogar Secunden, 100 und mehr C. C. Urin in den Nieren bilden, die sofort entleert werden?! — Zum Schlusse erlaube ich mir als Resultat der bisherigen Unter- suchungen über die,physiologische Wirkung. der Sitzbäder folgenden Satz auszusprechen: „Eine constante, durch einen Mittelwerth annäherungs- weise nach Graden richtig ausdrückbare, Temperaturer- höhung einer bestimmten Menge 8 bis 15%R. warmen, zum 79 Sitzbade gebrauchten Wassers ist ebensowenig, als eine constante Verminderung der Pulsschläge oder Vermehrung der Körpergewichtsverluste, oder der Menge des Urins und dessen einzelner Bestandtheile durch ein 7 bis 15° RR. war- mes Sitzbad nachgewiesen.“ Das’ vorliegende Beobachtungs- und Versuchs-Material über das 7° bis 15° R. warme Sitzbad reicht also nicht aus, um allgemeine Wir- kungsgesetze desselben bei Gesunden oder bei Kranken aufstellen zu können. Wir sind noch weit davon entfernt, die heilende Wirkung des Sitzbades von obigen Temperaturen, welche wir so oft bei Kranken beobachten, physiologisch erklären zu können. Wir müssen uns vorläufig damit begnügen zu wissen, dass das Sitzbad wirkt, wie es wirkt, mag uns noch wohl lange verborgen bleiben. Ich beabsichtige, im nächsten Jahre meine Untersuchungen über dies wichtige Mittel fortzusetzen, und in grösserem Maassstabe auszuführen. B. Die Brause. Ueber die Wirkung der kalten Brause auf die Körpergewichts- verluste, die Menge des Harns, des durch denselben ausgeschiedenen Harnstöffs und der Chlorverbindungen habe ich an mir selbst zwei nicht unansehnliche Versuchsreihen angestellt. Die Versuche umfassen, wie bei den Sitzbädern eine dreistündige Versuchszeit. Die Lebensweise war dieselbe wie bei den Sitzbade- versuchen, nur dass ich in den ersten acht Versuchen statt 300 €. €. 600 ©. ©. Milch zum Frühstück trank. Gleich nach der‘ Abwägung nahm ich die stärkste, 9"R. kalte Brause von etwa 45 bis 48 Fuss Fall- höhe 7 Minuten lang. Sie hat einen so starken Druck, dass anfangs das Gefühl eintritt, als würde die Haut mit Ruthen gepeitscht. Während ich die Brause nahm, bewegte ich mich hüpfend und springend schr stark, s0 dass also eine 7 Minuten länger dauernde heftige Bewegung neben der andern Bewegung, die in allen Versuchen sich vollkommen gleich 80 blieb, zu. den Brauseversuchen noch hinzukam. Schon während der Brause stellte sich ein recht behagliches Wärmegefühl ein, nach der- selben war ich immer in hohem. Grade erfrischt. | Invallen Versuchen liess ich wie bei den Sitzbadeversuchen, allen Harn erst am Schlusse des Versuchs, um einem etwaigen Einwurfe vorzubeugen, als sei durch die ungleichen Entleerungen der Blase mehr oder weniger Harn wieder resorbirt worden. Zur Zeit der Versuchsanstellung war ich ganz gesund, glaube aber, dass ich einen grossen Theil meines Wohlseins gerade der Brause zu- zuschreiben habe. Im December 1857 nämlich litt ich 3 Wochen lang an,der Grippe. Noch nicht wieder hergestellt, erfuhr ich viele, mich gemüthlich aufregende Unannehmlichkeiten, die bis in den März hinein- dauerten. Dabei unterzog ich mich vielen körperlichen und geistigen Anstrengungen, und arbeitete viel in. den Osterferien 1853 bis tief im die Nacht hinein. Es stellte sich meine frühere Schlaflosigkeit wieder ein, so dass ich Nächte hindurch zwar studiren, aber nicht schlafen konnte. Mein Gedächtniss litt sehr, und ich bekam vom Febr. 1558 an einen immer dauernden, heftigen, spannenden, drückenden Kopfschmerz in der Tiefe des Vorderkopfes und ähnliche Schmerzen im Verlaufe der ganzen Pfeilnaht, welche beim Anfühlen heftig brannte, und so empfindlich schmerzte, dass ich mich nur unter den grössten Schmerzen kämmen, ja nicht einmal das Haar bürsten konnte. Der Appetit verminderte sich auffallend, ich sah elend aus, wurde mager, und‘ kraftlos, und machte mich mein Zustand sehr besorgt. ‚Nachdem ich die Leitung der Wasser-Heilanstalt inRolandseck am 1. Mai 1858 übernommen, nahm ich täglich, vom ersten Mai bis Ende Juni eine Brause ‚von ö,bis 6 Minuten, und schon nach 4 Wochen war alles Krankhafte der Art; ver- schwunden, dassich seit mehreren Jahren ein ‘so vollständiges Wohl- sein nicht gekannt habe. Auch jetzt dauert; dasselbe fort. Von. Juli an bis September nahm ich nur von Zeit zu Zeit eine kalte Brause, s1 XIV. Tabelle. Ueber die Versuche mit Brause. ” 6} E = E ‘ BÖrDErEOwichE EN * | Harn- | Koch- | Ham- | Koch- AR 28 im Anfange am Ende gs Eiche stoff | salz. stoff A =& g | aveenzas | Ef: E50 in 1000 Theilen. | in 3 Stunden = | ga# ER in Gramm. Soul 1858. ‚| Pfund. | Loth, | Pfand. |/Loth. | |E= | | Sept. | | | | | | 11022 17159 14 158°) 26 | 18 278 Ta 1,8 ag 2/lı;;& 161 5.,1,159 | 28,5. | 36,5 .).523 |112,9 1.94 | 6,7 4,9 3 8 160 | 24 | 160 2 22 317 | 145 | 3939| 46 | 31 4 \,9%. |» 1611,26) 16014112840] 28 386 || 16,0: |113,0: |. 6,2: ,5,0 5 13 | 160 | 14 | 159 | 26 18 460 | 15,4 7,8 rent 3,6 6 14 | 161° 1126 ) 160) 25,57 | 30,5 | 600 | 10,6 | 6,4 1.64 188 7i 15 | 161. |.5_|,160.| 17. |.18 .|.280.1.200 | 12,0 | 56 | 34 8) 316" 161 118,5 60 5 35 | a 9 11 124.J1.162..|,0,5 |).461 „1,.0,51.|,80,..|.500.1.13,0. 195.165 |, 4,8 10 | 18 | 161 6,9 | 160 | 18 185 | 350 | 185 | 74 | 64 |«2,6 11'119 161 1174046160..11185 | 385 158511 1407| 7,2 TEN 73,9 2,120 ,1,162 1,21 | ie, | 27 ‚| 24 363,1. 19,0 | 111, 69 | 40 13% 215160 91 21°°| 71601 |" 45 1165 | 511138 N Ka or" 35 14 22 162 %5.1, 161] 12,5. 27 400 | 147. 9,5 5,9 3,8 15 | 23 | 161 | 14 | 160 | 265 | 17,5 | 485 | 15,0 a a 16.111.241 1,161.) 207 11160.) 204. 1.30..,:1.545..1.16,2 | 10,9. |, ,8,8..115,9 Mittel aus den 4 ersten Versuchen: 26,1 | 376 5,6.| 41 »” „ allen Versuchen: 25 444 6,5 4,1 » „den letzten 12 Versuchen: 24,5 | 467 69.1 41 XV. Tabelle. Ueber den Normalzustand. ’ * - = 2 } Körpergewicht am BD BE 2) on. 5 . % F) e 2& = E Anfange | Schlusse zes SER Fe RE DR Sr ERS EL. DENN EHE &4= | 255 | inı000’Theilen. | von 3 Stunden. 3 FE! 2|es2 in Gramm. S 1858. | Pfund. | Loth. |Pfana. [tom | 2 |8” I Sept. | | [ | 1 1 159° 7°10,5°1158° | 29 11,5 | 317 | 16,6 91 75,8 2,7 2 3 160 | 5 159 11 24 447 | 12,9 7,31: 6,1 3,3 3 6 160 | -2 159 | 13 19 234 | 21,8 | 122 | 5,1 2,8 4 7 161 |.,8 160 9,5:128,5.|1436 | 19,3 7,3115, 3,2 5 11 161 | 17 161 5 12 | 251 | 212 | 14,8. | 5,3 3,7 6 rer 1a] 1029 | 15 240 | 205 | 111149 | 97 Mittel aus den ersten 4 Versuchen: 21 359 55 80 „m alleu 16 Versuchen: 25 446 5,1 3,4 5 „ den letzten 12 Versuchen: 26 | 476 5,5 | 3,5 Mounsenorr , Untersuchungen. VI 6 82 In den vier ersten Versuchen der beiden letzten Tabellen nahm ich zum Frühstück und kurz vor dem Beginn des Versuchs 300 ©. C. Milch mehr, als an den übrigen Versuchstagen. Da ich also mehr Flüssigkeit und die in 300 ©. ©. Milch mehr enthaltenen festen Stoffe, stickstoffhaltige Substanzen und Salze, eingeführt hatte, so hätte man erwarten dürfen, dass ich in diesen 8 Versuchen mehr Harn, mehr Harnstoff und Kochsalz ausgeschieden und mehr an Körpergewicht eingebüsst haben würde; allem ein solches Resultat trat zu meiner Ver- wunderung nicht ein. Die Zahlen machen es vielmehr sehr unwahr- scheinlich, dass der Mehrgenuss von 300 C.C.Milch in den er- sten nachfolgenden 3!/, Stunden auf meine Körperausgaben, soweit diese letzteren untersucht wurden, eingewirkt habe. Die Tabelle XV. enthält nur 6 Normalversuche. Die oben bei den Sitzbädern in Tabelle I. aufgeführten 10 Versuche wurden genau unter denselben Bedingungen wie die letzten 10 Brauseversuche aus- geführt, müssen also zur Ergänzung der Tabelle XV. mit in Rechnung gezogen werden. Ich habe deshalb die aus allen 16 und den letzten 12 Versuchen sich ergebenden Mittel der Tabelle XV. hinzugefügt. Die von mir ausgeführten Versuche über die Wirkung der Brause ergeben, wie die sehr geringfügigen Mittelunterschiede in der Tabelle zeigen, Folgendes: „Es ist unwahrscheinlich, dass die von mir 7 Minuten lang gebrauchte starke Brause innerhalb 3 Stunden die Ge- sammtkörperverluste, die Menge des Harns, des Harn- stoffs und des Kochsalzes verändert habe.“ Es folgt hieraus keineswegs, dass der Brause eine solche Wirkung überhaupt nicht zugeschrieben werden könne, wenn jene unter anderen Bedingungen angewandt worden wäre, wenn andere Individuen sich dem Versuche unterzogen hätten. Ich vermag nur über meine eigne Person zu verfügen. Ich habe bei meinen Versuchen eine Lebens- weise geführt, wie siein meiner Anstalt und in den Kaltwasserheil- anstalten überhaupt geführt wird. Da es nun von wissenschaftlichem Interesse ist, zu wissen, ob wir den etwa veränderten Ausscheidungen, oder, wie Andere zu sagen belieben, dem alterirten Stoffwechsel die 83 therapeutischen und oft beobachteten Wirkungen der Brause zuschrei- ben dürften, so musste ich unter solchen Bedingungen, wie sie sich in den Wasserheilanstalten vorfinden, arbeiten. Die therapeutischen Wirkungen der Brause bei Kranken lassen sich durch meine, am ge- sunden Körper angestellten Versuche nicht in solcher Weise erklären, dass durch die Brause die Ausscheidungen des Harns, des Harnstofis, der Chlorverbindungen oder die Gesammtkörperverluste verändert würden. Esist mir auch nicht wahrscheinlich, dass eine, diese Aus- scheidungen verändernde Wirkung hervorgetreten sein würde, wenn ich die Versuche noch länger fortgesetzt, oder die Zeit des Versuchs länger, etwa auf 6 bis 24 Stunden ausgedehnt hätte. Wenn eine Zahl von 16 Doppelversuchen einen sich beinahe gleichbleibenden Mittel- werth ergab, so würde eine dreifach grössere, noch so günstig, aus- gefallene, Versuchsreihe keine entschiedene Vermehrung oder Ver- minderung ergeben haben. Eine längere Versuchsdauer würde meines Erachtens auch zu keinem andern Resultate geführt haben und zwar aus folgenden Grüuden: Die oben angeführten Versuche von mir und Herrn Lampe ergaben ein gleichlautendes Resultat, obwohl ich’ eine nur dreistündige, Herr Lampe aber eine sechsstündige, resp. vierund- zwanzigstündige Versuchszeit gewählt hatte. Auch die sechsstündigen Versuche von Lehmann stimmen, nachdem seine gewonnenen Zahlen statistisch richtig verwerthet, d. h. den mathematischen Gesetzen ent- sprechend gedeutet wurden, mit meinen dreistündigen in der Haupt- sache in den meisten Punkten überein. Hieraus ist mir wahrscheinlich, dass auch bei mir eine sechs- bis vierundzwanzigstündige Versuchszeit andere Ergebnisse nicht zu Tage gefördert haben! würde. . Ein vier- undzwanzigstündiger Versuch würde auch ohne Aufnahme von Nah- rungsmitteln, welche erwiesener Maassen die Ausscheidungen: sehr beeinflussen, nicht möglich gewesen sein. Eine fortgesetzte Nahrungs- entziehung aber wirkt, wie aus meinen Versuchen über die Wirkung des innern Gebrauches des Wassers !) hervorgeht, so ungleich auf den 1) 8. meine „Untersuchungen über die Wirkung des Wassers“ in den Verhandlungen der k. k. Leopold, - Carol.- Akademie der Naturforscher, Band XXIV. Theil 1. 1854. 6* 34 Ausscheidungsprocess, dass ihre, nach dem jetzigen Zustande der Wissenschaft unberechenbaren Effecte die etwaigen der Brause höchst wahrscheinlich unkenntlich gemacht haben würden. Wer aber glaubt durch sorgfältige Abwägung aller Speisen und Getränke und Gleich- stellung aller in beiden Versuchsreihen die Schwierigkeiten beseitigen zu können, der mag durch Anstellung solcher Versuche, wie ich sie in meiner oben eitirten Wasserarbeit gemacht habe, sich selbst über die unendlichen Schwierigkeiten, welche ein reines Resultat dennoch unmöglich machen, genauer unterrichten. Hat doch auch Kaupp'!) durch seine mühevollen Versuche über die stets und lange dauernd aus- geführte Gleichstellung aller Nahrung gezeigt, dass es uns nicht ge- lingen wird, hierdurch alle Störungen zu entfernen. Bedenken wir ferner, dass Gesunde und Kranke in den ersten 2 bis 3 Stunden nach der Brause eine angenehme Erfrischung, eine behagliche Leichtigkeit in fast allen Körperverrichtungen, namentlich im Muskelsystem, eine allgemeine Munterkeit und Kühlung verspüren, welche nach 2 bis 3 Stunden wieder schwinden, oder doch bedeutend nachlassen, so will mir scheinen, dass, wenn eine Veränderung in den Ausscheidungen die Wirkung der Brause bedingte, jene auch in den ersten 2 bis 3 Stunden nach Anwendung dieses Mittels hervortreten, ja am auffallendsten sein müsste. Möge sich indessen Niemand durch meine Bemerkungen und Bedenken abhalten lassen, die Versuche mit der Brause in der ver- schiedensten Weise abzuändern! Meine Versuche sind doch nur als schwache Anfänge zu betrachten, die ich im nächsten Jahre weiter fortzuführen gedenke. C. Die Einwiekelung in nasse Laken mit nachfolgender nasser Abreibung. Ueber die Wirkung der nassen Einwickelung mit später folgender nasser Abreibung stellte Herr Lampe in Rolandseck zwei mühevolle 2) S. Kaupp’s Versuche über die Wirkung des Kochsalzes in Vierordt's Archiv für physiologische Heilkunde, Jahrgang 1855. 85 Versuchsreihen an. Er regulirte seine Lebensweise auf das Sorgfäl- tigste. Morgens vor 5!/; Uhr stand er auf, trank 500 Cubikcentimeter Brunnenwasser, urinirte, wog sich um 51/, Uhr auf einer sehr genauen Körperwaage ab und liess sich gleich nachher von einem Badewärter in ein nasses Laken einwickeln. Dies geschah in folgender Weise. Ein grosses leinenes Betttuch wurde in 10°R. warmes Wasser getaucht und mässig ausgerungen über das Bett ausgebreitet, auf welchem eine wollene Decke lag. Nackt ausgekleidet, legte sich Herr Lampe auf das nasse, kalte Laken, und wurde von dem Badewärter nach den Regeln der Kunst in dieses und die wollene Decke fest eingewickelt. Dann wurden noch von den Füssen bis an den Hals Plümeaux über- gesteckt, und verblieb Herr Lampe in dieser Einwickelung an den ersten beiden Tagen 2, später 21/, Stunden. Nach wenigen Minuten wurde er schon warn, und schien gegen Ende der Einwickelung eine gelinde Ausdünstung sich einzustellen. Nach 2 bis 2!/, Stunden wurde die Versuchsperson ausgewickelt und ihr mit einem nassen kalten Laken der ganze Körper abgerieben. Da- rauf stellte sie einen, sich in allen Versuchen gleich bleibenden Spazier- gang an, und brachte den Morgen meist auf der Stube mit Studiren und chemischen Analysen zu. Um 11'/; Uhr wurde urinirt und gleich darauf das Körpergewicht bestimmt. In der Zeit von Morgens 51/, Uhr bis 111/; Uhr, also von der ersten Körpergewichtsbestimmung bis zur zweiten nahm Herr Lampe weder Speise noch Trank zu sich, ass dann um | Uhr am Kurtische zu Mittag und Abends nach 7 Uhr saure Milch nebst Brod. Um 10 Uhr ging er zu Bett. Die Menge des von Mittags 1 Uhr bis zum Schlafengehen getrun- kenen Wassers wurde gläserweise bestimmt, und war in allen Ver- suchen gleich. Die im Durchschnitt aus 12 Doppelversuchen fast gleiche Menge Urin beweist, dass Herr Lampe die Menge des Getränks ge- nau regulirte. Der von Morgens 5'/, bis 111/, Uhr in einem luftdicht, mit einge- riebenem Glasstöpsel verschlossenen Glase gesammelte Urin A wurde getrennt von dem in gleicher Weise von 11'/; Uhr Vormittags bis zum 86 andern Morgen 51/; Uhr gesammelten Harn B analysirt. Das Chlor wurde nach Liebig durch Titriren, der Harnstoff nach Ausfällung des Chlors, ebenfalls nach Liebig, die Schwefelsäure, der Kalk und die an Alkalien gebundene Phosphorsäure wurden durch 'Wägung nach denjenigen Methoden bestimmt, welche ich in meinem „Lehrbuch der praktischen medieinischen Chemie für praktische Aerzte und Stu- dirende der Medien, Weimar, 1855“ Seite 47 A. 8.56 A 2, und S. 87a ausführlich beschrieben habe. Auch die Nachmittags abgehende Stuhlentleerung wurde vom achten bis zum vierundzwanzigsten Ver- suchstage gewogen. Zur Morgenszeit gingen keine Fäces ab. Das Befinden des Herrn Lampe während der ganzen Versuchs- zeit vom 14. August bis zum 7. September 1858 war vorzüglich. Vom 14. bis zum 25. August stellte er die Normalversuche ohne Einwicke- lungen an, wobei also nur diese wegfielen, die ganze übrige Lebens- weise und Versuchsmethoden aber genau dieselben blieben. Die in Rolandseck geführte Lebensweise war von der, welche Herr Lampe zu Hause führte, dadurch verschieden, dass er hier Morgens zu früh- stücken pflegte. Diesem Umstande mag es auch wohl zugeschrieben werden, dass, wie Tabelie XV. zeigt, in den ersten Tagen eine etwas ungewöhnliche Abnahme des Körpergewichts erfolgte. In den unten mitgetheilten Tabellen sind die Versuche ohne Eimwickelungen mit „erste Reihe“, die mit Einwickelungen dagegen mit „zweite Reihe“ überschrieben. 87 XViI. Tabelle. Körper- Gewicht. Erste Reihe. Zweite Reihe. (Norm,) 8s Gewicht IL.2) | I-I. ER E GewiehtI. | Gewicht I. | I-T. “5 ao a I: st: ; E & grm. | & 1858. | Kilo- | grm. | Kilo- | grm. | grm. August I Ang. | ] & 1 4 | 87 | 93 | 87 | 242 708l 1 | 85 | 658 | 84 | 983 | 675 2 \:15 | 87 | 733 | 87 0| @33| 2 | 27 | 85 | 858 | 84 | 833 | 1025 3.1 16 | 87 | 383 | 86 | 367 |1016| 3 | 28 | 85 | 983 | 84 | 808 | 1175 4 | 17 | 86 | 583 | 85 | 983 | 6001 4 | 29 ı 85 | 833 | 84 | 808 | 1025 5,18 | 8 |383| 85143 | 901 5 | 30 | 86 | 258 | 85 | 133 11125 6| 19 | 8 83| 85 | 417 | 6665| 6 | 1 8 | 783 | 84 | 658 [1125 Sept. | 2/20 | 86 1533| 85 | 633 | ol 7 | 1 | 85 | 333 | 84 | 208 [1075 8/21 | 86 83185 433 | 6501 8 2 | 85 | 383 | 84 75 |1308 9122 | 85 | 833 | 84 | 983 | 850|| 9 3 | 8 | 108 | 84 | 33 [1075 10 |'23 | 85 | 633 | 84 | 833 | 800)| 10 4 | 85 | 42 | 83 | 733 1708 11.124 | 85 | 983.) 85 158 | 8255| 11 5 | 85 | 183 | 84 | 133 [1050 12 | 25 | 85 | 683 | 84 | 908 | 775|| 12 6 |.85 50 | 83 | 733 1317 Mittel: 789 Mittel: 1141 Mittlere Schwankung: 120,7 Mittlere Schwankung: 231,5 ') 5%, Uhr. 2) 11%/, Uhr. XVII. Tabelle. Gewicht der Fäces. Erste Reihe. Zweite Reihe. TE1 mm — — Tag der Reihe. Gramm. Tag der Reihe. Gramm. | 1 fehlt 1 188 2 _ 2 293 3 — 3 245 4 _ 4 195 5 _ 5 172 6 _ 6 138 7 — 7 208 8 194 8 277 9 217 9 122 10 138 10 183 11 165 11 138 12 300 12 225 XVIII. Tabelle. Erste Reihe. Menge des Harns. Zweite Reihe. Anmerkung. Der Harn war in allen Versuchen gleichmässig sauer und von normalem Aussehen. A+B. E 2 |.Aln.| BablaAtR, A 1858. Cetm. Cetm. Cetm. Tag der Reihe 1 181 971 1152 2 15 216 1885 2101 3 16 696 1517 2213 4 ılyy 265 1593 1858 5 18 236 891 1127 6 19 163 758 921 Ü 20 540 2587 3127 8 21 383 2059 2442 9 22 506 1611 2117 10 23 602 1396 1998 11 24 380 2028 2408 12 25 453 2063 2516 Mittel: 385 1613 1998 1) A— Harn von 5!/, Morgens bis 11!/, Uhr. ?2) B = Harn von 11!', Uhr bis 5'/, Uhr. XIX. Tabelle. Erste, Reihe. 1 26 658 2 27 513 3 28 718 4 29 637 1) 30 743 6'| 31 706 | Se ptbr. el, 608 8 2 756 9 3 680 10 4 429 11 5 539 12 6 605 Mittel: 633 1) Der Drang zumHarnen war beim Verlassen der Decken jedesmal ziemlich stark, steigerte sich während der Abreibung und der Harn A dieser Reihe wurde immer wenigstens zu 5/g, wenn nicht zu 7/3 unmittelbar darnach gelassen. Harnstoff. Zweite Reihe. — ———— ER A.ı) B.2) | A+B. 5 Q A. I B. A+B. = Ei Betra, Betra; ‚ |Betrag|| #3 e Betra Betra Betra; 2 O/oo- a oo rm ei 0/0 Er Er oo- ern. | Ofen: | 9/00: Er ı |a33| 66 |a77 366 [366 lage] ı I125] 821 195 | 348 | 17,6 | 43,0 2 1423| 91) 22,7 | 422,8 | 24,7 | 51,9 2 1157| 80| 21,4 | 35,9 | 20,1 | 43,9 3 119,9 | 13,5 | 22,6 | 34,3 | 21,7 | 48,1 3112| 95|183 | 376 | 16,6 | 47,1 4 |312| 83 | 243 | 38,7 | 25,3 | 47,0 4 \12,9| 7,8| 24,0 | 34,2 | 20,4 | 42,0 5 |36,2| 85 | 423,3 | 37,7 | 41,0 | 46,2 5 |10,9| 9,7| 17,6 | 38,9 | 16,4 | 48,6 6 |49,6 | 8,1 | 41,7 | 31,6 | 43,1 | 39,7 6 |13,2| 92. 27,3 | 33,4 | 2,1 42,6 7 23,4 | 12,6 | 15,1 | 39,1 | 16,5 | 51,7 7 Del 36 | 315 | 33,7 | 28,7 | 43,3 8 |21,7| 82 | 18,8 | 38,7 | 19,2 | 46,9 8 |15,2 | 11,5 | 38,3 | 32,7 | 27,5 | 44,2 9 119,5 | 9,9 | 22,6 | 36,4 | 20,9 | 46,3 9 \15,0|102 | 21,3 | 43,6 | 20,0 | 53,8 10 |15,4| 9,3248 | 34,6 | 22,0/43,9 || 10 |195 | 8,7 | 36,0 | 36,2 | 31,3 | 44,9 11 | 27,1 | 10,5 | 20,2 | 41,0 | 21,3) 51,3 | 11 118,3 | 9,9 | 33,3 | 35,0 | 28,2 | 44,9 12 |21,9| 99199 | 41,0 | 20,2) 50,9 | 12 |16,6 | 10,0 | 27,9. | 35,7 | 24,2 | 45,7 Mittel: 95 | 37,7 46,2 | Mittel: 8,9 | 36,0 44,9 1) Im Harn A. 2) Im Harn B. XX. Tabelle. Chlor - Natrium. 39 Erste Reihe. Zweite Reihe. ] T 5S.| A. B. A+B. Ss A. B. A+B. = a es @oo- |Betrag| 0%. |Betrag| O/o. |Betrag ER Op: |Betrag| 90. |Betrag| %w. |Betrag &” | grm. | grm. | grm. | grm. | grm. | grm. | & grın. | grm. | grm. | grm. | gr. | grm. 1 Iosıla2 T12slıaal1aalıse] 758 38 100 178 | 88] 21,6 3.1183139115,0 1283 | 15,3 | 3232| 2 | 88 145 111,0 | 18,4 | 10,5 | 22,9 3.113,317,2 1144 | 21,8 | 15,8 | 35,0 | 3.| 76 |5,5 921194 | 88 | 24,9 4 \13,7\3,6 |133|312|187|348| 4 | 53 34 | 13,0 | 18,5 | 10,6 | 21,9 5 116,5 13,9 | 20,2 | 18,0 | 19,4 | 21,9 | 5 .|.7,0 \5,2°|10,8 123,9 | 9,9 | 29,1 6 119,8'|3,2 121,9 16,5 | 19,7 | 214 || °6 | 8,1 |5,7 | 20,2 | 24,7 | 15,7 | 30,4 7'115,2|82 98125311071 335| 7 | 78 47 118,8) 16,9 | 14,3 | 21,6 8.113752 1135 278 13,1 |33,0 | '8 | 705,3 |118,4 | 15,7 | 12,4 | 20,8 9 | 13,1 6,6 14,6) 235 1142| 30,1| °9.) 6,2°\4,1°| 14,1 125,0 | 10,7 | 29,1 10.) 6,9131 115,2) 21,4 | 17231245) 10 | 50 121 112,6 | 12,7 10,3 | 14,8 11.133 49 | 13,1 | 26,5 13,0 | 31,4 | 11.| 6,9 \'3,7 | 20,7 | 21,8 | 16,0 | 25,5 12 | 14,8,\6,7 | 10,2,.21,0 | 11,0.127,7 || 12 | 66.140 |11,211431| 97,118,3 Mittel: 5,1 22,8 Mittel 4,3 19,9 Mittlere Mittlere Schwankg.: 1,65 Schwankg.: 1,05 Fehler- Mittelunter- summe.: 2,70 schied: 0,8 XXI. Tabelle. Schwefelsäure. Erste Reihe. Zweite Reihe. ee —ee—— 8 r A+B Ss A. B. A+B se Betraj 3 4 Betr 07 Bet B Er En & pA Da Seh: Er $ a ae ? ST TuS 1 ? ! { 2,60 1 0,43 | 0,29: 1,09 | 1,95 2,24 2: | 1,55 | 0,34) 1,22.|,2,31 2,65 2. 0,62 | 0,32.|.1,30 | 2,19 2,01 3: | 0,62 | 0,35 \.1,42.| 2,16 2,51 3: | 0,58 | 0,42:| 0,89 11,87 2,29 4 | 1,42 1 0,38 |.1,38,|.2,20 2,58 4 | 0,46 | 0,29.| 1,34 | 1,92 9,22 D. | 1,65 | 0,39) 3,26: 2,90 3,29 5.-| 0,43 | 0,32:|:0,98 |2,05 2,37 6 2.43 | 0,40. 2,54 11.92 |: 2.32 6.| 046 | 0.33.1781 2,18 |. 2,51 ‚1 \0,73 |. 0,40 | 0,80 | 2,08 2,48 7 0,59 0,36 | 2,11 | 1,90 2,26 8 | 1,02 0,39 | 1,15 12,38 2,77 8 | 0,48 | 0,36 | 2,58 | 2,03 PR) 9 10781040 11 212 | 2,52 910,53 | 0,36 | 1.03 | 211 | »247 10 | 0,63 | 0,38 | 1,431) 2,00 | 2,38 10 | 1,02 | 0,44 | 2,32 119,33 |. 1.2)77 11 |1,23 | 0,46 | 1,10 | 2,24| 2,70 11 | 0,76 | 0,41 | 1,91 | 2,02 2,42 12 | 0,86 | 0,39 | 0,87 |1,80 | 2,19 12 | 0,62 | 0,37 \.1,35 ) 1,73 2,20 Mittel: | 0,39 2,19 Mittel: | 0,36 | 2,02 XXII. Tabelle. Kalk. Erste Reihe. Zweite Reihe. ER I 8. Tas. ER I B. |A+B E Betrag Betrag | Betrag ER Betrag Betrag | Betrag & | Oo. Jin gem. | 9. |ingrm. | in grm. | & go. Jin grm.| og. [im srm. | in grm T 1] 0,067 | 0,012 | 0,150 | 0,15 | 0,162 1 | 0,056 | 0,037 |.0,090 | 0,12 | 0,157 2 | 0,078 | 0,017 | 0,078 | 0,14 | 0,157 2 | 0,045 | 0,023 | 0,090 | 0,15 | 0,173 3 | 0,022 | 0,015 | 0,056 | 0,09 | 0,105 3 | 0,056 | 0,040 | 0,090 | 0,19 | 0,230 4 | 0,033 | 0,009 | 0,045 | 0,07 | 0,079 4 | 0,034 | 0,022 | 0,102 | 0,15 | 0,172 5 | 0,033 | 0,008 | 0,120 | 0,10 | 0,108 5 | 0,023 | 0,017 | 0,090 | 0,20 | 0,217 6 | 0,110 | 0,018 | 0,140 | 0,11 | 0,128 6 | 0,011 | 0,008 | 0,168 | 0,23 | 0,238 7 | 0,089 | 0,048 | 0,073 | 0,20 | 0,248 7 | 0,023 | 0,013 | 0,146 | 0,13 | 0,143 8 | 0.033 | 0.013 | 0.067 | 0.14 | 0.153 | 8 | 0.045 |.0.034 | 0.190 | 0,16 | 0,194 9 | 0,022 | 0,011 | 0,078 | 0,13 | 0,141 9 | 0,034 | 0,023 | 0,112 | 0,23 | 0,253 10 | 0,056 | 0,033 | 0,100 | 0,14 | 0,173 || 10 | 0,034 | 0,015 | 0,190 | 0,19 | 0,205 11 | 0,056 | 0,021 | 0,067 | 0,13 | 0,151 || 11 | 0,056 | 0,035 | 0,157 | 0,17 | 0,205 12 | 0,033 | 0,015 | 0,078 | 0,10 | 0,115 | 12 | 0,045 | 0,027 | 0,123 | 0,16 | 0,187 Mittel: 0,018 0,13 Mittel: 0,024 0,17 XXIII. Tabelle. Erste Reihe. Phosphorsäure an Alkalien gebunden. Zweite Reihe. B. A+B. Betrag | Betrag in grm. | in grm. 1 Ss A. 15% A+B.|5,; A. oa =] ws as 7 lee |“. Be 1 172,977 0,54 |"2,59 |°2,52°| 3,06 1 | 0,26 | 0,17 | 0,95 | 1,69 2 | 264 | 0,57, | 1,59 | 3,00 | 357 | 2 | 0,57 | 030 | 1110 | 1.84 3 | 064 [045 | 097 | 147 | 292 | 3 | 098 | 080 | osı | 11 4 | 1,56 |'0,41 | 1,18 | 1,88 | 2,29 4 | 0,67 | 0,43 | 1,04 | 1,48 5 | 2,31 |0,55 | 2,74 | 2,44 | 2,99 5 | 0,49 | 0,36 | 0,95 | 2,11 62,617 17043172597) °1,96°|72539 6 | 0,41 | 0,29 | 1,49 | 1,83 7 | 09 052 |o72 | 186 | 238 | 7 | 041 | 085 | 159 | 143 8 | 108 |o4 | 095 | 196 | 237 | 8 | 046 | 055 | 213 | 1.82 9 | 0,80 040 | 110 | 177 | 217 | 9 | 049 | 033 | 0,72 | 147 10 | 0,62 [0,37 | 1,26 | 1,76 | 2,13 || 10 | 0,54 | 0,23 | 2,00 | 2,01 11 | 132 10,50 | 076 | 154 | 20a || 11 | 049 | 0.36 | 1.87 | 1.97 12 | 0,59 |027 | 0,90 | 1,87 | 214 || 12 | 0,41 | 0.25 | 1.90 | 243 Mittel: | 0,45 2,00 | 2,45 Mittel: 0,28 1,81 Mittlere Mittlere Schwankg : 0,084 Schwankg.: 0,07 Mittelunter- schied: 0,17 Schwankungs- summe: 0,155 1,86 2.14 191 1,91 2,47 2,12 1,68 2.17 1,80 224 2,23 2,68 2,09 91 Betrachten wir nun die Resultate der einzelnen Tabellen, welche die Lampe’schen Versuche über die nasse Einwickelung enthalten. Aus Tabelle XVI ersieht man, dass die sechsstündigen Körper- verluste ohne Einwickelung gegen die mit derselben sichtlich abstechen. In der ersten Reihe schwanken die Gesammtkörperverluste zwischen 600 und 1016 Grmm., in der zweiten Reihe zwischen 675 und 1708 Grmm. in 6 Stunden. Es war zu erwarten, dass der eigentliche Effect der Einwickelung sich beim ersten Male (am 26. August) nicht in seiner ganzen Grösse zeigen werde, und der Körperverlust beträgt auch nur 675 Grmm., steigt aber schon am folgenden Tage auf 1025, als dem Minimum in der zweiten Reihe, sofern der erste Versuch ausgeschieden wird, und erhebt sich mit einzelnen Schwankungen bis auf 1708 Grmm. Mit Ausscheidung des ersten Versuchs übersteigt das Minimum der zweiten Versuchsreihe das Maximum der zweiten, und man darf daher unbedenklich annehmen, dass bei Herrn Lampe eine 2 bis 21/; stündige nasse Einwickelung mit nachfolgender nasser Abreibung die Gesammtkörperverluste vermehrt. Dieses Resultat wird durch die Mittelzahlen aus beiden Versuchsreihen noch befestigt. Das Mittel aus der ersten Reihe beträgt 789, das aus der zweiten 1141 Grmm., der Mittelunterschied also 552 Grmm. Herr Lampe büsste also bei seinen Einwiekelungen in 6 Stunden durchschnittlich über ein Mediecinal- pfund mehr an Gewicht ein, als ohne dieselben. Die Schwankungs- summe beider Reihen beträgt 352 Grmm. WennaberdieSumme der mittleren Schwankungengleich oderkleineristalsdie Unter- schiede derMittel, so darf aufeine wahrscheinliche Vermeh- rung oder Verminderung der Stoffe in den mit einander ver- glichenen Reihen geschlossen werden. Die Vermehrung der Gesammtkörperverluste durch 2 bis 2!/;stündige nasse Ein- wickelungen darf bei Herrn Lampe als wahrscheinlich ange- nommen werden, und zwar um so mehr, da die Zahl der von ihm angestellten Versuche nicht gering ist. Da ich nun bald zeigen werde, dass bei diesen grösseren Körper- verlusten durch die nasse Einwickelung den Darmentleerungen gar keiner, der Harnausscheidung entweder kein, oder nur ein geringer 92 Einfluss zuzumessen ist, so können jene nur entweder der verstärkten Haut- und Lungen- Ausscheidung, oder der einen von beiden zuge- schrieben werden. Da wir bis jetzt, trotz allen neuen Apparaten, kein Mittel haben, die, durch die Lungen vom Menschen ausgeathmete Koh- lensäure oder das ausgeathmete Wasser genau zu bestimmen, so muss die Frage, ob die vermehrte Lungenausdünstung an der grössern Ein- busse des Körpergewichts unzweifelhaften Antheil habe, vorläufig unbe- antwortet bleiben. Wahrscheinlich ist mir das nicht. Die ruhige Lage in der Einwickelung, wodurch mir keineswegs das Respirationsgeschäft gefördert zu werden scheint, wird wohl nicht geeignet sein, die Lungen- ausscheidung zu vermehren, und so bleibt die Haut als dasjenige Organ allein übrig, dem ich den überwiegend grössten Antheilan den grösseren Körperverlusten zuerkennen möchte. Die Resultate der Lampe’schen Versuche stehen mit den Behaup- tungen von Howard F. Johnson in directem Widerspruch. Da die Behauptungen dieses Arztes an der Wasserheilanstalt zu Ferns von fast allen Hydrotherapeuten als zweifellos richtig angenommen werden, und, so viel ich weiss, die Johnson’schen Versuche die einzigen bisher gemachten sind, so halte ich es für angemessen, sie hier zu besprechen. Man findet sie in den „Untersuchungen über die Wirkungen des kalten Wassers auf den gesunden Körper, um seine Wirkung in Krankheiten festzustellen, von H. F. Johnson, aus dem Englischen von Dr. G. W. Scharlau, Stettin 1551.“ Johnson sagt a. a. ©. 8. 126: „1) Die (nasse) Einpackung ist von einem geringen Körperge- wichtsverluste begleitet. 2) Dieser Verlust würde auch ohne das nasse Tuch herbeigeführt worden sein. 3) Mit der Verlängerung der Einpackung nimmt dieser Gewichts- verlust nicht absolut, sondern nur beziehungsweise zu. 4) Die nassen Einwickelungen bringen niemals einen Schweiss hervor.“ Fassen wir nun die beiden ersten Nummern zusammen, so heisst das: die nasse Einpackung bedingt keinen grössern Körpergewichts- verlust, als wenn das Individuum ohne Einwickelung geblieben wäre. 93 Eine solche Behauptung rechtfertigen die Johnson’schen Ver- suche durchaus nicht. Man findet sie a. a. ©. von S. 75 bis 82, und hat Johnson deren 9 angestellt. Die Versuchsperson wurde vor der Einpackung gewogen, verblieb in dieser 60, 60, 70, 90, 100 Minuten, 21/, Stunde, 4, 4, 4 Stunden, wurde dann ausgewickelt, eine Minute lang in ein kaltes Wannenbad gesetzt, abgerieben, dann in trockene Tücher gut eingewickelt und mit denselben eine Minute gerieben, und gleich nachher zum zweiten Male gewogen. Der Gewichtsverlust betrug 13, 3113, 1a 3, 1/43, 2,5, 2123, 8943, 1943, 2), 5.) Wer nur ein einziges Mal einen Menschen beobachtet hat, der mit dem ganzen Kör- per in ein Vollbad gesetzt und nur eine Minute lang abgerieben wird, wird wissen, dass an der Haut und in den Haaren noch ansehnliche Mengen von Wasser hatten bleiben, die erst allmälig verdunsten. Es war also kein reines Resultat, sondern vielmehr zu erwarten, dass die Körpergewichtsverluste zu gering ausfallen würden, Beobachtungs- fehler, die in den Lampe’schen Versuchen durchaus nicht vorkommen konnten. Johnson hätte also diese Fehler vermeiden und erforschen müssen, wieviel seine beiden Versuchspersonen an Körpergewicht ver- loren haben würden, wenn sie eine gleiche Zeit lang nicht eingewickelt gewesen wären. Da dieses nun nicht geschehen, so sind seine Behaup- tungen unter Nr. l und 2 ganz und gar unmotivirt. Lampe’s genauere Versuche beweisen das Gegentheil. Auch Lampe schwitzte in der nassen Einwickelung nicht, allein die Körpergewichtsbestimmungen machen einen durch die nasse Einwickelung erzeugten grössern Ge- sammtverlust wahrscheinlich. Der Behauptung aber, dass die nasse Einwickelung niemals Schweiss hervorrufe, muss ich aus eigner Erfahrung an mehr als 120 Patienten, welche dieser Procedur unterworfen wurden, geradezu widersprechen. Vor allen Dingen ist zu bemerken, dass es in jedem Falle sehr von der Art der Anwendung der nassen Einwickelung und von den äusseren Umständen abhängen wird, ob dieselbe vermehrte Hautausdünstung hervorrufen werde, oder nicht. Eine kurze Einwickelung, etwa von der Dauer einer Viertel- bis zu einer halben Stunde wird schwerlich 94 jemals Schweiss erregen, namentlich nicht bei kalter Lufttemperatur. Ich glaube auch nicht, dass durch sie die unmerkliche Hautausschei- dung erheblich zunehme. Ich weiss sehr gut, dass manche Patienten 2,3 bis 4 Stunden in nasser Einwickelung liegen können, ohne auch nur im Geringsten zu schwitzen, wogegen gerade dieselben Patienten am andern Tage schon nach einer Stunde in Transspiration kamen. Ich habe Fälle gesehen, in welchen schon vor Ablauf von einer Stunde in der nassen kalten Einwickelung Schweiss ausbrach. Eine Dame litt seit mehreren Jahren an Psoriasis, in einer Weise, wie man sie sel- ten sieht. Die ganze Körperoberfläche, von den Zehen bis zum Wirbel war mit Ausschlag so bedeckt, dass man nicht einen Silbergroschen hätte auf die Haut legen können, ohne dass derselbe den Ausschlag berührte. Die Haut schuppte sich in grossen Massen ab. Diese Patien- ' tin wurde Morgens und Nachmittags 2 bis 3 Stunden lang nass einge- wickelt, und schon nach einer halben Stunde brach über den ganzen Körper der Schweiss aus. Die Badewärterin musste schon vor Ablauf einer Stunde kommen, um ihr den von dem unbedeckten Gesichte in Strömen ablaufenden Schweiss abzuwischen, und nach 2 bis 3 Stunden hatte sie so geschwitzt, dass der Schweiss bis in die Matratze gedrungen war. Inden letzten vierzehn Tagen liess ich sie erst nass einwickeln, beim Ausbruche des Schweisses, also nach einer halben Stunde, wurde sie wieder in nasse und kalte Tücher eingewickelt und diese Procedur eine halbe Stunde später wiederholt. Jedesmal war der Schweiss sehr reichlich. Ausser den beiden nassen Einwickelungen mit nachfolgender nasser Abreibung bekam sie täglich noch eine Brause, abwechselnd mit einem Sitzbade, und nach acht Wochen war sie vollständig geheilt. Sie ist bis jetzt gesund geblieben. Nicht minder auffallend habe ich nach nassen Einwickelungen bei anderen Kranken Schweiss eintreten sehen, der freilich in manchen Fällen ausblieb. Aber auch in diesen Fällen möchte sich durch die Waage eine vermehrte Hautausdünstung haben constatiren lassen, so wie es bei Herrn Lampe geschah. Johnson hätte höchstens sagen dürfen, dass er in der nassen Einwickelung nie habe Schweiss ausbrechen sehen. Ich gebe zu, dass 95 die nasse Einwickelung nicht immer Schweiss, oder vermehrte Haut- ausdünstung hervorrufe, ich will sogar gern glauben, dass unter Um- ständen durch jene, namentlich wenn sie nur kurze Zeit angewandt wird, die Hautausdünstung sogar vermindert werde; aber ich behaupte, und bin im Stande zur Begründung meiner Ansicht viele Beobachtungen anzuführen, dass durch die nasse Einwiekelung sehr oft eine gelinde, in manchen Fällen sogar eine stark vermehrte Hautausdünstung hervorgerufen wird, besonders dann, wenn die Einwickelung eine Stunde und länger fortge- setzt wird. Mein erfahrener und sehr geachteter Kollege, Herr Dr. Petri in der Laubbach, sagt sehr richtig in seiner: „wissenschaftlichen Begrün- dung der Wasserkur, gestützt auf 13jährige Erfahrung, Coblenz 1853“ S. 157: „Die Wärme tritt oft gleich nach der Einwickelung wieder ein, oft erst nach !/, bis '/, Stunde, steigt allmälig, bis sie zuletzt in eine brennende Hitze übergeht, die sich durch einen gelinden Schweiss, an Stirn und Gesicht deutlich erkennbar, entladet. Derselbe Verlauf findet statt, sogar nach mehreren gleich nach einander wiederholten Einwicke- lungen. Mancherlei Umstände, unter anderen bedeutende Kälte des Tuchs, ungünstige Witterung können die Wiederkehr der Wärme und die Zunahme der Pulsschläge wohl verlangsamen, nie aber verhindern. Ist hingegen die Einwickelung nicht anliegend, lüftet sich die wollene Decke an den Schultern und am Halse, sogar ohne, oder bei der ge- ringsten Bewegung, fehlt es an guter Bedeekung, so kann der Kranke Stunden lang liegen, ehe einige Wärme wiederkehrt.“ Wie nun, allen Erfahrungen zum Trotz Dr. Scharlau in seinen „klinischen Mittheilungen aus dem Gebiete der Wasserheilkunde, Berlin 1857“ S. 62 mit einer so beneidenswerthen Sicherheit behaupten kann: „Niemals wird durch die nasse Einpackung die Hautausdünstung ver- mehrt, wie dies Waage und Gewicht beweisen“, bleibt mir unbegreif- lich. Es unterliegt keinem Zweifel, dass sich Scharlan auf John- ston stützt. Hätte Jener die Versuche von diesem mit mehr Kritik betrachtet, so wäre der Irrthum sehr bald entdeckt worden. Johnson stellte seine Versuche nicht in der Weise an, die zur Begründung seiner 96 Ansicht hätte führen können. Wer ein Buch mit Beobachtungen und Experimenten liest, muss sich zuerst die Frage stellen, ob der Verfasser auch eine geeignete Methode befolgthabe, um auf die an die Natur gestell- ten Fragen eine richtige Antwort zu erhalten. DaScharlau an seine, von Johnson adoptirte falsche Ansicht über die Wirkung der nassen Ein- packung sofort weitgreifende therapeutische Schlussfolgerungen knüpft, so ist sein Irrthum um so gefährlicher, und muss er um so nachdrück- licher bekämpft werden. Ich werde nachher zeigen, dass Scharlau noch mehr Irrthümer über die Einwickelung in nasse Tücher 'verbrei- tet hat. Wenn Johnson auch wirklich nachgewiesen hätte, dass eine ein- bis vierstündige nasse Einwickelung bei 2 Personen die Hautaus- dünstung nicht vermehrt habe, so würde daraus doch noch nieht tolgen, . dass jene das niemals thut. Daraus, dass bei Herrn Lampe die 2 bis 21/;stündige Einwickelung die Hautthätigkeit vermehrte, folgt noch nicht, dass Versuche gleicher Art bei allen Menschen von demselben Resultate begleitet sein werden. Es ist zwar wahrscheinlich, aber auch noch nicht einmal gewiss, dass, wenn Herr Lampe unter denselben Umständen dieselben Versuche machen wollte, nun wieder dasselbe Resultat hervortreten werde. Es fehlt noch viel daran, dass wir über einen gewissen Effekt allgemeingültige Aufschlüsse erhalten. Nur durch eine strenge Induction können wir zum Ziele gelangen. Wenn wir die Körpergewichtstabelle XVI betrachten, so Sriden wir, dass Herr Lampe mit einem Körpergewichte von 87,953 .Kilo- gramm die Versuche anfıng und mit 85,5 Kilogr. schloss. In der ersten Reihe sank, ohne die Einwickelung, das Körpergewicht von 87,9 auf 35, 7 Kilogr. Die Ursache davon liegt sehr nahe, und ist in der veränderten Lebensweise zu suchen. Er war gewohnt Morgens zu frühstücken und Abends Fleisch und andere Speisen zu geniessen. Nun wird man geneigt sein einzuwenden, dass die Versuchsperson in der ersten Reihe nicht dieselbe gewesen, welche sie in der zweiten Reihe war, weil beim Anfange der Versuche auf sie noch die Verän- derung der Lebensweise verändernd eingewirkt habe. Ich bin nicht geneigt hierauf besondern Werth zu legen. Sollte aber Jemand anderer 97 Meinung sein, so müsste ‚man die 3 ersten, Versuchstage, also von 14. bis 16. August, ausschliessen. Am 17. August ist das Körpergewicht 86,5 Kilogr., und dem am 30. August, also einem Versuchstage in der zweiten Reihe, sehr nahe. Wollen wir aber die 3 ersten Versuchstage ausscheiden, so bleibt das Resultat. doch ganz dasselbe. Diese Be- merkung gilt auch bei den später zu betrachtenden Ausscheidungen, und werde ich deshalb nicht wieder darauf zurückkommen. Das Gewicht der Faeces (s. Tab. XV) ist leider in den 7 ersten Tagen der ersten Reihe nicht genau bestimmt worden. So viel ist aber gewiss, dass die Defäcation in den ersten Tagen zu derselben Zeitund schätzungsweise in gleicher Menge vor sich ging. In der ersten Reihe schwankte die Fäcesmenge zwischen 138 bis 300 Grmm., in der zwei- ten Reihe zwischen 122 und 293 Grmm., mithin fast gleiche Schwan- kungsgrösse. Uebrigens habe ich bei Patienten, welche nur die nassen Einwickelungen gebrauchten, niemals eine Veränderung der Stuhlent- leerungen eintreten sehen. Beobachtungsreihen, welche diesem nega- tiven Befunde widersprächen, habe ich nirgendwo aufgefunden. Die Zahlen, welche die Harnmengen anzeigen (s- Tab. XVII), sind schon schwieriger zu beurtheilen.: Sie ergeben wenigstens kein ganz zuverlässiges Resultat. Es kann nicht geleugnet werden, dass in der ersten Reihe A die Zahlen durchsehnittlich kleiner sind als in der zweiten Reihe A, die Mittel verhalten sich wie 385 : 6383. Da aber in der ersten Reihe A die mittlere Schwankung 169, in der zweiten Reihe A die mittlere Schwankung 95, die Schwankungssumme mithin 264, die Diffe- renz beider Mittel indessen nur 248 Grmm. beträgt, so darf man nicht mit Gewissheit eine Vermehrung der Urinsecretion durch die nassen Ein- wickelungen in den ersten 6 Stunden der Versuchszeit folgern.. Dass aber die nasse Einwickelung bei Herrn Lampe, wenigstens in den ersten 6 Stunden, die Urinseeretion etwas bethätigt habe, wird mir durch fol- gende Betrachtung nicht ganz unwahrscheinlich. ' Alle, in der neuern Zeit angestellten exacten Versuche haben zw'dem Resultäte geführt, dass die Urinmenge, welche in 24 Stunden gelassen wird, hauptsächlich, um nicht zu sagen allein, von der eingeführten Wassermenge abhängig ist. Lampe trank an allen Versuchstagen gleich viel Wasser, und so MoL»schoTT , Untersuchungen, VI. 7 98 sehen wir, dass die durchschnittliche Harnmenge in beiden Reihen so ziemlich dieselbe (1998 ©. C. und 2097 C.C.) blieb, mit einem kleinen Unterschiede von 99 ©. C. Dieser kann durch den verschiedenen Wassergehalt der nicht abgewogenen Speisen sehr wohl bedingt ge- wesen sein. Wir finden nun die Zahlen für die Harnmengen bei den Einwickelungen in den Morgenstunden von 5/, bis 111/; Uhr durch- schnittlich grösser, als zur selben Zeit ohne dieselben, dagegen in die- sem Falle die Harnquanta in der nachfolgenden Zeit kleiner als in jenem Falle, und so ist es mir nicht unwahrscheinlich, dass die nasse Einwickelung zu einer stärkern Harnausscheidung Veranlassung giebt, welche aber, wenn die Menge des eingeführten Wassers gleich bleibt, in den späteren Stunden wieder zurücktritt. So viel ist gewiss, dass bei Herrn Lampe durch die nasse Einwickelung die Ge- sammtmenge des Harns entweder gar nicht oder doch nicht merklich verändert wurde. Von den einzelnen Bestandtheilen des Harns wurden, wie die Tabellen XIX bis XXIII zeigen, die Mengen des Harnstoffs, des Chlornatriums, der Schwefelsäure und des Kalkes nicht nach- weisbar verändert. Da wo es mir nöthig schien, habe ich die mittlere Schwankung berechnet, beim Harnstoff, bei der Schwefelsäure und beim Kalke zeigen schon die Durchschnittszahlen, dass eine Vermehrung oder Verminderung ihrer Mengen nicht wahrscheinlich ist. Anders verhält es sich mit der an Alkalien gebundenen Phos- phorsäure. Es ist nämlich wahrscheinlich, dass diese bei der Versuchsperson durch die nasse Einwickelung vermin- dert wurde.) Merkwürdig ist, dass in. den, der sechsstündigen ersten Versuchszeit folgenden späteren 13 Stunden bei den Einwickelungen die (wahr- scheinliche) Verminderung der Phosphorsäure sich nicht ausgleicht, und dass selbst für 24 Stunden bei Anwendung der nassen Einwicke- lungen die Phosphorsäure doch immer noch etwas vermindert bleibt. Ich bin geneigt zu schliessen, dass in Betreff der verminderten Aus- 1) Es ist nämlich die Schwankungssumme 0,155 geringer als der Mittelunterschied 0,170, s. Tabelle XXI. 99 scheidung der phosphorsauren Alkalien durch die nasse Einwickelung der Effect ein nachhaltiger war, und sich nicht etwa so wieder ausglich wie bei den Harnmengen. Es würde von grossem Interesse sein, die Bedeutung der phos- phorsauren Alkalien für unsere Organisation und für den Stoffwechsel zu kennen. Ich gestehe indess, dass darüber befriedigende Auf- klärungen fehlen. Hüten wir uns aber, zu schliessen, dass die nasse Einwickelung die Ausfuhr der phosphorsauren Alkalien überhaupt vermindere! Es könnte möglich sein, dass die Phosphorsäure, statt an Alkalien, nur an die Magnesia gebunden, in übrigens gleicher Menge aus dem Körper ge- treten sei. Inzwischen ist mir dies höchst unwahrscheinlich. Bei den vielen Tausenden von Harnanalysen, welche ich gemacht habe, fand ich, dass Magnesia und Kalk in ziemlich gleichen Verhältnissen durch den Harn ausgeschieden werden. Der Kalk wird durch die nasse Ein- wickelung nicht vermehrt, und deshalb halte ich es für unwahrschein- lich, dass mehr Magnesia an Phosphorsäure gebunden ausgetreten sei. Es könnte ferner angenommen werden, dass durch die vermehrte Hautausscheidung mehr phosphorsaure Alkalien aus dem Körper ent- fernt, und so die ausgeschiedenen Gesammtmengen gleich gemacht worden seien. Da wir aber die Mengen der aus dem Blute durch die Haut ausgeschiedenen phosphorsauren Alkalien auch nicht einmal annäherungsweise bestimmen können, so würde es baarer Zeit- verlust sein, auf obige Vermuthung näher einzugehen. Nehmen wir sie aber auch einen Augenblick als richtig an (ich für meinen Theil bin nicht dazu geneigt), so würde mir dennoch die vicarürende Thätigkeit zwischen Haut und Nieren in Betreff der Ausscheidung phosphorsaurer Alkalien immerhin bedeutungsvoll erscheinen. Da nun aber, wie aus Tabelle XX ersichtlich, das Chlornatrium durch die nasse Einwickelung nicht vermehrt wird, da die Alkalien, Kali und Natron an Phosphorsäure und Chlor gebunden, von den bei- den letzteren aber die Phosphorsäure vermindert ist, da in allen Ver- suchen der Harn gleichmässig sauer war, so musste die bei den Einwickelungen durch den Harn ausgeschiedene Summe 7* 100 der beiden Alkalien vermindert sein. Auch dieses Resultat würde von grossem Werthe sein, 'wenn wir die Bedeutung der Rolle kennten, welche die Alkalien im Organismus spielen. Ob die Ver- minderung der Alkalien auf den Respirationsprocess, die Gallen- oder Blut-Bereitung von Einfluss sein möchte, wissen wir nicht. Indess ich enthalte mich hier aller theoretischen Speculationen, zu welcher dies merkwürdige Resultat sehr leicht verführen könnte, und halte: die reine Thatsache vorläufig fest. : Mit einigen Worten komme ich noch auf Dasjenige zurück, was Scharlau a. a. ©. S. 63 über die Einwickelung in nasse Tücher sagt. Er hat behauptet, dass durch das Sitzbad die Urinausscheidung, der Harnstoff, die Chlormetalle und die Harnsäure um das Doppelte, die schwefelsauren und phosphorsauren Salze aber nicht vermehrt wür- den, und dass ganz dieselben Erscheinungen bei der Ein- wickelung in nasse Tücher beobachtet würden. — Beim Lesen dieser Scharlau’schen Behauptungen konnte ich mich nicht genug wundern über die Sicherheit und Bestimmtheit, mit welcher er dieselben ausspricht. ‘Vor mir hat Niemand schlussgerechte Versuche darüber angestellt, ob wirklich die von Scharlau: behaupteten Effecte der nassen Einwickelung eintreten, und es ist unverzeihlich, dass Schar- lau in seinen klinischen Mittheilungen Behauptungen aufstellt, die rein aus der Luft gegriffen sind, und keine einzige Beobachtung, keinen einzigen Versuch zur Grundlage haben: Herr Lampe hat endlich noch einige ‘Versuche bei Kranken in der Rolandseeker Anstalt angestellt, welche 2 Stunden lang: in der nassen Einwickelung bis zum Ausbruche des Schweisses lagen. Er maass die Temperaturen der Mundhöhle im Schweisse, während der Einwickelung, Morgens zwischen 7 und 8 Uhr und zum Vergleiche zu einer andern Stunde, welche in Tabelle XXIV angegeben ist: Die Patienten hatten nach der Einwickelung ihren Spaziergang im Freien gemacht, und darnach Milch und Weissbrod mit Butter gegen 84/, bis 9 Uhr genossen: Der Herr P. litt an Rückenmarkslähmung, Herr Sch. an chronischem Pharyngealkatarrh, Herr D. an Polyurie (ohne Zucker m Urin), Herr S. an Hämorrhoiden und Leberanschwellung, Herr 101 Schr. an chronischem Magenkatarrh. Die Quecksilberkugel des sehr feinen Geissler’schen Thermometers wurde von Herrn Lampe den Kranken 10 bis 15 Minuten lang unter der Zunge gehalten, natürlich bei geschlossenem Munde, bis das Quecksilber nicht mehr stieg. — Ich erlaube mir nicht, aus diesen wenigen Versuchen, deren Genauigkeit ich übrigens verbürgen kann, irgend welche Schlüsse zu ziehen. Eine Veröffentlichung der Beobachtungen halte ich für gerechtfertigt, um Andere zu ähnlichen Versuchen aufzufordern. XXIV. Tabelle. Einige Temperaturmessungen (Mundhöhle) angestellt an Personen, welche im nassen Laken schwitzten. ‚E en: = IE HE ir: = he 3. | kıaakı ke: Be. = Klon Biel lien ne ES er El BRR:| I 8 | 36.6030) 0,0 [ 36,50 | 37,150 2) | 0,650 36,80| 37,1503) |0,350136,60 |370 9) |0,40 36,80| 36,90 4) |0,1° [36,60 | 37,402) | 0,80 ||36,70 | 37,40 ı) [0,70 p6,75° 37,402) | 0,650 36,80 | 37° 2) | 0,20 Per 370 |0,30 136,40 |370 =) |0,6° 36,65°| 36,80 4) | 0,150||36,6° | 37° 1) [0,40 11 Uhr Morgens, !) 4 Uhr Nachmittags(, ') 10 Uhr. 1) 11%/, Uhr. 4) 10 Uhr. 10 Uhr. 2) DA, R N "12 „ 2) 10 \ N 7 BIP LOW, eh *) 10 Uhr. s IArichh *) Nach dem Mittagsessen. Die Temperaturen der äussern Luft sind bei ‘Anstellung von physiologischen Versuchen, wie sie in dieser Arbeit mitgetheilt wor- den, nicht ohne Belang. Ich habe sie für die von mir und Lampe verwandten Versuchstage in der Tabelle XXV zusammengestellt, ob- wohl ich nicht finde, dass etwaige Differenzen in den Ausscheidungen von Temperaturverschiedenheiten herzuleiten wären. Uebrigens will ich dem Urtheile der Leser nicht vorgreifen. 102 XXV. Tabelle. Ueber die Temperatur sämmtlicher Versuchstage von Böeker und Lampein Graden nach Röaumur. n| IT Datum, | Morgens | Mittags Abends Datum. Morgens Mittags Abends 1858. 7 Uhr. 1 Uhr. 9 Uhr. 1858. 7 Uhr, 1 Uhr. 9 Uhr. August. T September. l zn 14 17 23 18 16 10,5 19 16 15 16,5 17 14,5 17 13 21 16 16 13 21 15,5 18 13,5 16 14 17 14,5 22,5 18 19 12 17 14 18 17,5 25 | 19,5 20 12,5 18,5 14 19 18 20 14,5 21 11 16 12 20 13 18 15,5 22 9,5 19 14,5 21 12. 16 14 23 13 16,5 14,5 22 11 17 14,5 24 3 16,5 11,5 23 14 15 15 26 9 15 12 24 13 21 14 27 10 15 11 25 13,5 18 12 28 9 14 11 26 11 14 "10,5 29 8 18 13,5 27 D) 15 11,5 30 12,5 17,5 14,5 28 ı' 10 14 8 October. 29 8,5 12,5 10 2 10 14 12 30 11 17 13 3 10 15 12 31 aa 16,5 12,5 4 &D 16 11,5 September. 6 Ü 13 > 10 15 12 7 7 13 12 2 12 15,5 14 8 12 11 6,5 3 14 15,5 15 9 2,5 9 6,5 4 15 20 16,5 10 35 10,5 7,5 5 14 18,5 13 11 7,5 12 9,5 6 12,5 17 12,5 12 8 10,5 6 7 10 16,5 1 13 4 12,5 9,5 8 11,5 16,0.) 'rer12 14 8,5 12 11,5 e 11 16 lo: 13 15 9,5 14,5 9,5 11 12 199. N 10 16 19) 14 12 12 12 20,5 16,5 18 7,9 16 10,5 13 14 21,5 16 14 13,5 21 17 | 15 13 T 14 Ueberblieken wir nun die Ergebnisse der vorstehenden mühevollen physiologischen Untersuchungen, so müssen wir leider gestehen, dass jene mit den grossartigen therapeutischen Resultaten, welche in den Wasserheilanstalten in unzweifelhaftester Weise beobachtet werden, in keinem entsprechenden Verhältnisse stehen. Ich habe in diesem Jahre die hartnäckigsten und eingewurzeltsten ‘Leiden, welche Monate und Jahre lang allen möglichen Kurversuchen | widerstanden hatten, in Rolandseck durch die Anwendung eines 103 oder mehrerer der besprochenen Mittel dauernd heilen sehen. Dass diese wirken, wird Niemand in Abrede stellen, der nur ein ein- ziges Jahr in einer Wasserheilanstalt gewirkt hat, aber wie sie wirken, ist uns freilich noch ein Räthsel. Mehrere Hydrotherapeuten sind um Erklärungsgründe gar nicht verlegen, und so kommt es, dass viele hydrotherapeutische Werke von den vagsten und fabelhaftesten Hypo- thesen wimmeln. Diese können nur dazu dienen, denjenigen wissen- schaftlich gebildeten Aerzten, welche mit Umsicht die entwickelten Hypothesen prüfen, und nicht in der Lage sind, die unleugbaren Er- folge der Wasserkuren durch eigne Anschauung zu beobachten, das Vertrauen zu diesen zu rauben. Nimmt man noch hinzu, dass noch immer einige Wasserärzte die Wasserkuren als ein Heilverfahren prä- konisiren, welches als Universalmittel alle übrigen Heilmethoden ent- behrlich machen könne, so muss der Credit, den sich bis jetzt die Hydrotherapie erworben hat, vollends Schiffbruch leiden. Für mich ist das Wasser ein Mittel, durch dessen vielfache Anwen- dungsformen man zwar eine Menge von Krankheiten, aber nicht alle, heilen kann. Leider beruhen die Indicationen zur An- wendung der Wasserkuren, denen ich schon seit Beginn meiner 18jäh- rigen Praxis meine ungetheilte Aufmerksamkeit geschenkt habe, auf unsicheren theoretischen Grundlagen, und so kommt es denn, dass nicht selten von auswärtigen Aerzten Kranke in Wasserheilanstalten geschickt werden, welche nicht dahin gehören, und umgekehrt möchten viele Patienten daselbst Heilung finden, denen man die Wasserkur als zu heroisch und zu gefährlich darstellt. Man bedenkt nicht, dass der Arzt in einer Wasserheilanstalt es ganz in seiner Gewalt hat, von den leichtesten und schonendsten Anwendungsformen zu den schwereren und eingreifendsten allmälig fortzuschreiten. Aus diesem Grunde mache ich schon seit 7 Jahren alljährlich im Sommer mit meinen Zu- hörern in der Arzneimittellehre Exeursionen in die Anstalt zu Ro- landseck, damit sie durch Anwendung der einzelnen Anwendungs- | formen des Wassers an ihrem eignen Körper Vorurtheile überwinden lernen, mit welchen nicht wenige praktische Aerzte behaftet sind. Um den Wasserkuren aber eine dauernde Zukunft zu sichern, ist 104 es unumgänglich nothwendig, dass die physiologische und thera- peutische Wirkung derselben mit Ausschluss aller willkürlichen, unbewiesenen Hypothesen und theoretischen Speculationen auf ratio- nellem, inductivem Wege festgestellt werde, denn sonst laufen sie Gefahr, in die Rumpelkammer der therapeutischen Modesachen gewor- fen zu werden. Eine Heilmethode, welche so bedeutende, unleugbare Erfolge aufzuweisen hat, wie die Hydrotherapie, kann und darf eines wissenschaftlichen Bodens nicht entbehren, und um diesen zu gewinnen, werde ich auch in Zukunft meine Kräfte verwenden. Bonn, den 23. December 1858. Dr. Böcker. Berichtigungen. In den beiden ersten Bogen dieser Arbeit, namentlich von Seite 57 bis 6l in den Tabellen IV, V, VI, VII, IX und Seite 60 Zeile 4 von oben, möglicher Weise auch noch an einigen andern Stellen, sind durch ein Versehen die Ausdrücke „mittlerer Fehler“, „Fehlersumme“ statt „mittlere Schwankung‘“, „Summe der mittleren Schwankungen“ stehen geblieben. Ich bitte den Leser, den Ausdruck „mittlerer Feh- ler“ in „mittlere Schwankung“ und „Fehlersumme“ in „Summe der mittleren Schwankungen“ zu verbessern. Ich hoffe nicht, dass durch mein Versehen ein Missverständniss sich einschleichen werde, da der mittlere Fehler und die mittlere Schwankung nach ein und derselben Regel berechnet werden, was auch schon aus Seite 59 Zeile 4 von unten zu entnehmen ist. Seite 79 Zeile 6 von unten lies statt 45 bis 48 Fuss: 15 bis 18 Fuss. Leipzig, Druck von Giesecke & Devrient. IV: Die verschiedenen Formen der quergestreiften Muskelfasern. Von Alfred v. Biesiadecki und Aug. Herzig''). (Mit 3 Tafeln.) Natürliche Enden quergestreifter Muskelfasern suchte man lange Zeit nur dort, wo ein Muskel an eine Sehne grenzt und sah daselbst die Muskelfaser stumpf abgerundet aufhören. Später wurden spitz zulaufende freie Enden quergestreifter Mus- kelfäden im Innern der Muskel durch Rollett bekannt). Funke®) gab darnach Nachricht, dass Ernst Heinrich Weber ein solches Verhalten der Muskelfasern gleichfalls beobachtet habe und die spindelförmige Gestalt derselben als normal betrachtet. Da ausser dieser Angabe nichts über derlei Elemente bekannt wurde, so veröffentlichte der eine von uns, als es ihm gelang, 3 bis 4 Centimeter lange spindelförmige quergestreifte Muskelfasern zu isoli- ren, eine kurze Notiz darüber). Mit Zugrundelegung dieser Thatsachen konnte man sich die Frage stellen, in welchen verschiedenen Formen allseitig von natürlichen ') Aus den Bitzungsberiehten d. k. Akademie der Wissenschaften in Wien, Bd. XXX., Nr. 13, von den Verfassern mitgetheilt. ?) Ueber freie Enden quergestreifter Muskelfäden im Innern der Muskel, Sitzungsbe- richte der k. Akademie der Wissenschaften zu Wien. Junih. 1856. #) Lehrbuch der Physiologie. Leipzig, 1858, pag. 649. #) Aug. Herzig, Ueber spindelförmige Elemente quergestreifter Muskelfasern. Morsscuorr, Untersuchungen. VI, 8 106 Grenzen eingefasste Elemente des quergestreiften Muskelgewebes er- scheinen. Eine gemeinschaftlich von uns ausgeführte Untersuchung erlaubt uns auf diese Frage Antwort zu geben, indem es uns gelungen ist, aus den verschiedensten Muskeln einer Anzahl von Wirbelthieren querge- streifte Muskelfasern in ihrer Totalität zu isoliren. Die Methode, deren wir uns dazu bedienten, war wieder die des Einlegens gekochter Fleischstücke in Glycerin. Wir werden nun die beobachteten Faserformen beschreiben, indem wir gleichzeitig auf die beigegebenen Zeichnungen verweisen. Muskelfasern, die beiderseits stumpf abgerundet endigten, haben wir aus dem extensor digit. com. longus, aus dem &ibialis anticus und dem extensor hallueis vom Menschen, ferner aus dem extensor digit. com., dem biceps und triceps brachü, dem gastroenemius und soleus des Ka- ninchens, dann aus dem gastrocnemius, Bi-femoro-plantaire (Duges), aus dem intra-ilio-femoral, ex -iio-trochanterien, und adscapulo -hume- ral (Dug&s) des Frosches isolirt (Fig. 1). An diese Form schliest sich eine zweite, wo die Enden unter dem Mikroskope durch seichte Einschnitte gekerbt erscheinen, so dass sie nicht einfach stumpf abgerundet, sondern mit mehreren kegelförmigen Spitzen endigen. Diese Form isolirten wir aus dem extensor digit. com., dem tbialis antieus vom Menschen, aus dem gastrocnemius des Frosches und aus vielen Muskeln des Kaninchens (Fig. 2): Solche in Zacken getheilte Faserenden werden auch von Kölli- ker für den Schwanz der Froschlarven angegeben!). Die beschriebenen Endigungsweisen trifft man auch an eim und derselben Faser. Solche Fasern enden dann auf der einen Seite stumpf abgerundet, auf der andern Seite mit kegelförmigen Zacken, und sind in den ange- führten Muskeln mit den zwei zuerst beschriebenen Formen gemengt. 1) Mikroskop. Anat. II. Bd. 1. Hälfte, pag. 224, Fig. 65. 107 Ganz‘ verschieden von ‚den aufgezählten Formen sind die von einem von uns schon früher beschriebenen spindelförmigen Muskelfa- sern, von welchen wir hier eine Abbildung beifügen (Fig. 5). Muskelfasern, die einerseits stumpf abgerundet, andererseits spitz endigten, isolirten wir aus dem adduetor brevis erurds und dem Beuger des Unterschenkels vom Kaninchen, aus den musculis vastis vom Men- schen, aus dem Pferdefleisch und endlich aus dem Froschfleische (Fig. 4), wo sie schon von Rollett beobachtet wurden). Alle bis jetzt beschriebenen Muskelfaserformen fanden wir, wie aus unsern obigen Anführungen hervorgeht, meist in ein und demsel- ben Muskel neben einander. Während aber die spindelförmigen Ele- mente die Mitte des Muskelbauches einnehmen, laufen von den beider- - seitigen Sehnen Muskelfasern aus, die an der Sehne entweder ein stumpf abgerundetes oder ein in kegelförmige Spitzen ausgehendes Ende, an der gegenüberliegenden Seite aber ein spitz zulaufendes Ende besitzen, welches sich zwischen die spindelförmigen Fasern einschiebt. Solche Combinationen isolirten wir z. B. aus dem pubio-thoraeique (Duge&s) vom Frosche, in welchem übrigens auch um vieles längere von Sehne zu Sehne laufende beiderseits stumpf abgerundete Muskelfasern vor- kommen. An den spitz zulaufenden und frei im Innern des Muskels endigen- den Fasern sahen wir beim Pferde von den Seiten der Faser dünne, kurze, hakenförmig gekrümmte, oder dickere, gerade verlaufende Fort- sätze ausgehen, welche zugespitzt endigten. Die kleineren erscheinen wie Anhängsel des Muskelfadens, wäh- rend die stärker entwickelten kurze Aeste einer dichotomisch ver- zweigten Muskelfaser darstellen (Fig. 5 und 6). Die Zeichnung (Fig. 5) wurde uns nebst einigen Präparaten zur Benützung von Dr. Rollett überlassen. Wir sahen auch, dass zwei aus der dichotomischen Theilung einer Muskelfaser hervorgegangene Aeste durch eine Brücke mit einander )L. €, pag. 180. 5* 108 in Verbindung traten und so eine wirkliche Anastomose zu Stande kam (Fig. 7). So wie in der Stamm-Musculatur des Pferdes fanden wir auch in dem ew-ilio-trochanterien (Duges), in dem gastrocenmzus des Froschs und in dem Muskelfleische der Zota vulgaris dichotomisch getheilte Mus- kelfasern. In der Musculatur der Zunge, die wir der dort schon längst beobachteten baumförmig verzweigten Muskelfasern halber einer be- sonderen Untersuchung unterwarfen, stiessen wir auf eine weitere Form der quergestreiften Muskelfasern, nämlich auf Fasern, die beiderseits ein in zahlreiche Verästelungen zerfahrendes Ende darboten, solche beiderseits baumförmig verzweigte Muskelfasern isolirten wir aus der Zunge des Frosches (Fig. 8). Ausser den baumförmigen Endigungen kommen aber an den Muskelfasern der Zunge, wie wir uns durch die Untersuchung zahl- reicher Objeete!) überzeugten, auch noch stumpf abgerundete wie in der Menschenzunge (Fig. 9), in der Hunds-, Meerschweinchen- und Kaninchenzunge (Fig. 10), oder in mehrere kegelförmige Spitzen ge- theilte Enden vor (Fig. 11), wie in der Kalbszunge. Aus der Zunge des Pferdes isolirten wir Fasern mit ähnlichen hakenförmigen Anhängen, wie aus der Stamm-Musculatur dieses Thieres (Fig. 12). Nachdem wir nun die verschiedenen von uns beobachteten For- men beschrieben haben, ergiebt es sich von selbst, dass durch un- sere Untersuchung die Analogien zwischen dem quergestreiften und glatten Muskelgewebe gestützt werden, indem die quergestreifte Muskelfaser ebenso als ein allseitig begrenztes Formelement aufzu- fassen ist, wie das spindelförmige Formelement des glatten Muskel- gewebes. Auch die bisher oft angeregte Frage über den Zusammenhang zwischen Muskel - und Sehnengewebe scheint uns dadurch erledigt zu sein, indem diejenigen mikroskopischen Bilder, welche bis jetzt noch !) Mensch, Kalb, Kaninchen, Meerschweinchen, Hund, Schildkröte, Lota vulgaris. 109 einige Histologen zur Annahme eines direeten Überganges zwischen Sehnen und Muskelgewebe veranlassten, sich daraus erklären, dass in solchen Fällen eine Muskelfaser nicht mit einem stumpfen Ende, sondern mit mehreren kegelförmigen Spitzen in das Sehnengewebe hineinragte. So haben wir namentlich aus dem Intercostalmuskel des Men- schen, aus dem Kölliker!) scheinbar direct in das Sehnengewebe übergehende Muskelfasern abbildet, in grosser Anzahl die oben an- gegebenen mit mehreren kegelförmigen Spitzen endigenden Fasern isolirt. 1) Mikroskopische Anat. Bd. II., 1. Hälfte, pag. 218, Fig. 62. Ne Über das Gefüge der Substantia propria corneae. Von Dr. Alexander Rollett. (Assistent bei der physiologischen Lehrkanzel der Wiener Universität.1) (Mit 1 Tafel.) Es herrscht wenig Übereinstimmung in den Ansichten über das Gefüge der zwischen dem äusseren Epithelium und der glasartigen Lamelle eingeschlossenen Hornhautschichte. Die Lehre von der Faserigkeit der Sudstantia propria corneae, welche von Valentin?) im Jahre 1836 in die neuere Gewebelehre ein- geführt wurde, zählt eine Reihe von Anatomen und Ophthalmologen zu ihren Anhängern. Nach Valentin schrieben: Henle in seiner allgemeinen Anato- mie, Pappenheim in seiner speciellen Gewebelehre des Auges), Brücke in seiner anatomischen Beschreibung des menschlichen Aug- apfels*) in gleichem Sinne über die Hornhaut, und in den Handbüchern von Todd-Bowman, Gerlach und Kölliker findet man die Lehre von der Faserigkeit der Substantia propria corneae wieder. Henle, welcher, wie gesagt, in seiner „allgemeinen Anatomie“ die obige Lehre gleichfalls vorgetragen hatte, setzte an deren Stelle später 1) Aus dem XXXIII. Bande der Sitzungsberichte der kaiserl. Akademie der Wissen- schaften vom Herrn Verfasser mitgetheilt. ?, Repertorium der Physiologie 1836, p. 311. 3) Breslau 1842, p. 55. 4) Berlin 1847, p. 9. 111 eine andere?), die an Dornblüth?) ihren Vertheidiger fand. Darnach soll die Hornhaut aus zahlreichen Schichten structurloser Lamellen bestehen. Andererseits hat man aber, seit Reichert sein Continuitätsgesetz aufgestellt und Virchow die Identitäts-Erklärung von Knochen-, Knorpel- und Bindegewebskörperchen vollzogen hat, auch das Hom- hautgewebe der sogenannten Bindesubstanzgruppe einverleibt. Man betrachtet dabei den chondringebenden Antheil der Substantia propria corneae als structurlose Intercellularsubstanz zwischen den von Toynbee entdeckten und von Virchow unabhängig wieder gefunde- nen Oorneakörperchen. Die Bündel der früheren Autoren werden für Streifen von Inter- eellularsubstanz, getrennt von einander durch die heterogenen Einla- gerungen, die Fasern für Kunstproducte erklärt. Strube hat den Bau der Hornhaut also dargestellt3). Leydig bekennt sich zur selben Lehre). In der Abhandlung von Hiss5), der eingehendsten unter allen, ist durch die mit facultativer Spaltbarkeit begabten Hornhautlamellen eine Annäherung an die ältere Lehre versucht. Endlich muss ich noch anführen, dass vor Kurzem Classen®$) eine Kritik der verschiedenen Ansichten über den Hornhautbau zum Vorwurf seiner Rostocker Habilitationsschrift gemacht hat, in welcher er Gelegenheit nimmt, der alten Lehre von der Faserigkeit der Subst. propr. corn. das Wort zu reden. Was ich so eben aus der Literaturgeschichte kurz angemerkt )) Canstatt's Jahresbericht für 1852, p. 26 und 27, I. Bd. 2) Henle und Pfeiffer’s Zeitschrift für rationelle Medicin, N. F., Bd. VII. und VIII, p- 212 und 156. ®) Der normale Bau der Hornhaut und die pathol. Abweichungen in demselben. Diss. inaug. Würzburg 1851. *) Histologie des Menschen und der Thiere, p. 221 und 230. ®) Beiträge zur normalen und pathologischen Histologie der Carnea. Basel 1856, p. 12 n.8. 1. ®) Über die Histologie der Hornhaut. Rostock 1858, p. 25. 112 habe, weist genügend auf die Thatsache hin, dass die Ansichten über die Subst. propr. corn. ähnliche Wandlungen erlitten haben wie die An- sichten über das Bindegewebe. Da ich aber die letzteren nicht resultatlos auf die Probe einer me- thodischen Untersuchung des bezüglichen Objects gestellt hatte, so war es naheliegend, mit den ersteren ein Gleiches zu thun. In meiner Abhandlung!) über das Bindegewebe wurde angegeben, dass man sich von der Faserigkeit des im fertig gebildeten Organis- mus vorhandenen Bindegewebes am. besten überzeugen könne, wenn man. es auflockert durch Extraction eines in dasselbe eingelagerten löslichen Körpers, welcher die Xanthoproteinsäure-Reaetion giebt?). Was ausser den schon in der Einleitung angeführten Momenten noch ganz besonders dazu bestimmen konnte, die Hornhaut einer ganz ähnlichen Prüfung zu unterwerfen wie das Bindegewebe war, dass man durch die einfache, instrumentale Präparation der Subst. propr. corn. stets auf faserige Elemente geführt wird, die ihres constanten Er- scheinens halber wenigstens eben so gut für die natürlichen Ergebnisse der. Zergliederung, als für durch eine Zerspaltung der Hornhautsub- 1) Sitzungsber. der kais. Akademie zu Wien, mathem. -naturw. Classe, Bd. XXX, Nr. 13, p. 37. . 2) Seither ist mir eine Abhandlung von Payen (Über die Zusammensetzung des Le- ders. Erdmann’s Journal für prakt. Chemie, Bd. LXXI, p. 341) bekannt geworden. Aus dieser will ich Einiges hier eitiren, weil die darin ausgesprochenen Ansichten so gut mit den von mir auf andrem Wege gewonnenen Erfahrungen übereinstimmen. Es heisst dort: „Die Rindshaut enthält dichte widerstehende Theile und Theile von geringerem Zusam- menhange und anderen Eigenschaften‘; ferner: „Durch längeres Gerben werden die we- niger dichten Theile der Haut allmälig gelöst, wodurch die relative Menge der fibrösen widerstehenden Theile sich vergrössert, wobei das Leder eine zugleich weichere, minder brüchige und zähere Beschaffenheit erhält.“ Weiterhin spricht Payen die Ansicht aus, dass die in den verschiedenen Gerbemethoden angewendeten Agentien die weniger dichten Theile der Hautihrer leichten Veränderlichkeit halber angreifen, sich'mit ihnen verbinden und dieselben theilweise auflösen werden, dass man durch Ausziehen des zersetzbaren Theiles der Haut ein schwammiges und geschmeidiges Leder erhält, während dasselbe dichter aber brüchig wird, wenn man geringere Mengen jenes zersetzbaren Theiles aus- zieht. Er weist ferner darauf hin, dass sich aus der von ihm angeführten Constitution der Haut leicht erklären lasse, wie in den direct getrockneten, oder in den mittels der einfa- chen Operation der Pergamentbereitung zugerichteten Häuten die schwach zusammenhän- gende Substanz ein Adhäriren aller Theile unter sich bewirkt, die Dicke vermindert und die erforderliche Starrheit dieser Produete hervorbringt. 113 stanz erzeugte Kunstprodukte erklärt werden können; ferner dass im Parenchyme der Hornhaut Eiweisskörper vorfindlich sind, die von Funket), nachdem er sie durch Auslaugen fein zerschnittener Horn- häute gewonnen hatte, sogar chemisch näher bestimmt wurden, dass endlich diese Eiweisskörper nicht etwa nur auf die Corneakörperchen beschränkt sind, sondern wirklich die ganze Substanz durchtränken und Veranlassung geben, dass diese letztere, mit Salpetersäure und Ammoniak behandelt, sich durch und durch gelb färbt. Zur Auflockerung des Bindegewebes bediente ich mich des Kalk- und Barytwassers, weil diese Flüssigkeiten den im Bindegewebe vor- handenen Eiweisskörper ausziehen, ohne sogleich auch verändernd auf die leimgebende Substanz des Bindegewebes einzuwirken. Für die Untersuchung der Hornhaut konnte ich mich dieser Flüs- sigkeiten nicht bedienen, denn sowohl das Kalkwasser, in welchem man Bindegewebe viele Monate lang unverändert bewahren kann, als noch vielmehr das Barytwasser, welches auch das Bindegewebe schon nach tagelangem Einwirken in höherem Grade verändert, greifen als- bald die chondringebenden Bestandtheile der Subst. propr. corn. an, wie ja auch das destillirte Wasser, welches das Bindegewebe nahezu un- verändert lässt, in kürzester Frist ein beträchtliches Anschwellen der Hornhaut zu Stande bringt. Ich.lernte aber eine andere Methode kennen, welche für die Unter- suchung des Bindegewebes und der Hornhaut gleich tauglich ist. Sie besteht in der Behandlung jener Texturen mit übermangan- saurem Kali. Dasselbe zerfällt unter dem Einflusse reducirender Sub- stanzen bekanntlich nach der Formel: Mn0,KO=2Mnd; +30-+KO. Bechamp?) benützte es vor einiger Zeit speciell zur allmälichen Oxydation histogenetischer Substanzen. Es schien mir wahrscheinlich, dass an Bindegewebmassen, welche man jenem zersetzenden Einflusse unterwerfen würde, zunächst der ") Lehrbuch der Physiologie, 2. Auflage 1858, Bd. II, p. 160. 7) Annalen der Ohemie und Pharmacie, Bd. C, p. 247, 114 Zusammenhang der resistenteren leimgebenden Elemente aufgelockert werden dürfte. Meine Voraussetzung, bestätigte sich für das Bindegewebe, und diesem ganz ähnlich verhält sich auch die Suöst. propr. corn. Frische Hornhäute des Ochsen wurden etwa in 2 Linien breite Streifen zerschnitten und in einem Becherglase mit einer Lösung von übermangansaurem Kali,die zur Hälfte aus concentrirter Solution, zur Hälfte aus destillirtem Wasser bestand, übergossen. Die jedesmal benützte Quantität jener Lösung wurde nach Gut- dünken bemessen, aber nie mehr als etwa 2 Unzen zu einmaliger Über- giessung verwendet. Man ist dadurch in den Stand gesetzt, den Oxydationsprocess rechtzeitig zu unterbrechen, und verhindert, dass die über den Horn- hautstücken stehende Flüssigkeit zu stark alkalisch werde. Die zuerst aufgegossene Flüssigkeit entfärbt sich sehr rasch und die Hornhautstücke werden auch alsbald in ihren oberflächlichsten La- gen dunkel gefärbt. Hat sich die Flüssigkeit völlig entfärbt, so giesst man sie ab, wäscht die Hornhautstücke, um einen Theil des gebildeten Alkali zu entfernen, mit destillirtem Wasser, und übergiesst sie hierauf wieder mit einer Quantität übermangansauren Kali; wird auch dieses nach einiger Zeit entfärbt, so verführt man wie früher und wiederholt die ganze Procedur so lange, bis eine neu aufgegossene Quantität des zer- setzbaren Salzes auch nach mehrstündigem Stehen nicht mehr weiter entfärbt wird und die verwendeten Sehnenstücke durch und durch braun gefärbt sind. Dieser letzterwähnte Zeitpunkt tritt in verschiedenen Versuchen bald früher bald später ein. Man wäscht schliesslich die Hornhautstücke wieder mit destillir- tem Wasser aus, und kann nun, indem man quadratische Stückchen aus denselben schneidet, diese letzteren in einem Reagenzgläschen durch Hin- und Herschütteln also aus einander waschen, dass sie ein lockeres, filziges Ansehn annehmen. Nach und nach erscheint die ganze Oberfläche von theils kürzeren, theils längeren, in der umgeben- 115 den Flüssigkeit flottirenden Fasern besetzt, die nach fortgesetztem Schütteln meist einzeln von derselben abfallen. Unter das einfache Mikroskop gebracht, nimmt sich das aufge- lockerte Hornhautstückchen aus wie ein Haufen innig verflochtener Bänder, welche sich theils mit der breiten, theils mit der schmalen Seite dem Blicke präsentiren und an deren einem oder anderem man eine der Fläche des Bandes parallel laufende schwache Längsstreifung wahrnimmt. Wenn man etwa 2 Zoll lange Sehnenstücke der Länge nach in zwei Hälften theilt, nurl um die an denselben vorhandene eirculäre Schichte zu durchtrennen und auch die inneren Sehnenbündel der che- mischen Einwirkung zugänglicher zu machen, und nun jene Sehnen- theile mit übermangansaurem Kali in der obigen Weise behandelt, so erhält man schliesslich beim Auseinanderwaschen derselben theils grössere, theils kleinere Partien, welche sich auf den ersten Blick als Längsabtheilungen der benützten Sehnenstücke zu erkennen geben. Unter dem Mikroskope nehmen sie sich als mehr oder minder breite, braun gefärbte, mit blassen Contouren und einer schwachen Längsstreifung versehene Massen aus, in welchen man, so wie in etwas wenig aufgequollenem Bindegewebe überhaupt die heterogenen Ele- mente jenes Gewebes in regelmässiger Vertheilung antrifft. Ganz ähnliche Charaktere bieten auch die durch Zerfällung der Hornhaut erhaltenen Bänder bei der Besichtigung mit dem Compo- situm. — In den Zustand mässiger Schwellung wurden aber die bezüglichen Gewebsantheile nur versetzt, weil sie sich einige Zeit lang im der durch die Zersetzung des übermangansauren Kali entstandenen alkalischen Flüssigkeit befanden. Legt man die ‚mit übermangansaurem Kali behandelten Sehnen- stüicke in eine sehr schwache Tanninlösung, die man, wenn sie unwirk- sam geworden ist, durch eine neue, eben so schwache nach und nach ersetzen kann, so verändert sich alsbald ihr Aussehn. Wenn nämlich die leimgebenden Elemente Zeit haben, wieder zu versehrumpfen , d; h. eher von dem ihnen anhaftenden Alkali befreit 116 werden, als sie sich mit Gerbstoff sättigen, so sieht man alsbald, dass die durch das Auseinanderwaschen einer Sehne erhaltenen Abtheilun- gen aus einer grösseren oder geringeren Menge: deutlich isolirbarer Fasern zusammengesetzt sind. Die bandförmigen Hornhautabtheilungen,, welche man nach der Behandlung mit übermangansaurem Kali gewinnt, verhalten sich dem Bindegewebe ganz ähnlich. Die Längsstreifung auf der breiten Seite jener Bänder wird deut- licher. Die Streifen liegen im Allgemeinen in bestimmten Abständen neben einander, machen aber unregelmässige, rasch auf einander fol- gende Ausbeugungen, welche sich in den; neben einander liegenden Streifen nicht immer genau entsprechen. Die Längsstreifung lässt sich bei veränderter Einstellung des Mikroskopes durch die ganze Dicke eines jener bandartigen Gebilde verfolgen. Den Streifen entsprechend stellen sich an manchen jener Gebilde Theilungen ein, aus welchen entweder die Isolirung eines zwischen zwei der genannten Längsstreifen liegenden Theiles, oder eines aus mehreren solchen Theilen bestehenden Abschnittes resultirt. Die durch einen solchen Zerfall gewonnenen einfachsten Formen stellen platte Fasern dar. Diese lagern sich, indem sie mit ihrer breiten Seite an einander grenzen, in solcher Anzahl zusammen, dass daraus jene oben beschriebenen bandartigen Bündel zusammengesetzt werden. Im Vergleiche mit der Wirkung des Kalk- und Barytwassers hat die oben beschriebene Methode nur einen Nachtheil. Es existirt näm- lich ein Stadium, in welchem die Formelemente der untersuchten Tex- turen etwas anquellen und sich alsdann nicht deutlich unter dem Mi- kroskope wahrnehmen lassen. ’ Dieses Stadium kann man aber umgehen, wenn man die durch Zer- setzung des übermangansauren Salzes eintretende Alkalescenz der an- gewendeten Flüssigkeit verhindert. Durch zeitweiliges Hinzutropfen einer Säure gelingt dies jedoch nicht, man ist dadurch nicht im Stande, die Flüssigkeit immer genau neutral zu erhalten, und gegen verdünnte Säuren sind die Elemente 117 des Bindegewebes und der Subst. propr. eorn. eben so empfindlich wie gegen verdünnte Alkalien. Um zu dem gewünschten Resultate zu gelangen, verwendete ich eine Mischung von übermangansaurem Kali mit Alaun, welcher letz- tere trotz seiner Eigenschaft blaues Lakmuspapier zu röthen, bekannt- lich die histologische Constitution des Bindegewebes conservirt. Die Lösungen der zwei genannten Substanzen sind ohne Zersetzung mit einander mischbar'), nur wenn das übermangansaure Kali freies Alkali enthält, entsteht gleich beim Zusammenmischen der Lösungen ein Nie- derschlag, welcher abfiltrirt und gewaschen sich weiss ausnimmt und als Thonerdehydrat erweist. Bei weiterem Alaunzusatze entsteht nun kein neuer Niederschlag mehr. Man setze, um die für die Behandlung des Bindegewebes oder der Substantia propria corneae zu benützende Flüssigkeit zu erhalten, der Lösung von übermangansaurem Kali jedesmal so viel einer con- centrirten Alaunlösung zu, als eben hinreicht, um ein m die Mischung getauchtes blaues Lakmuspapier deutlich roth zu färben. Wie früher in der Lösung des übermangansauren Salzes lege man nun in diese Mischung Sehnenstücke oder Hornhautstücke ein und behandle diesel- ben so lange damit, bis sie sich durch und durch braun gefärbt haben. Die Zersetzung des übermangansauren Salzes erfolgt in dieser Mischung etwas langsamer, und während die Flüssigkeit sich entfärbt, scheidet sich ein Gemenge von Manganhyperoxyd und Thonerdehydrat aus; sie wird aber, wenn man Alaun in hinreichender Menge zugesetzt hat, niemals alkalisch. Die mit dieser Flüssigkeit behandelten Texturen bewahren ihr mikroskopisches Ansehn vollkommen; es wird aber der Zusammen- hang der Texturelemente aufgelockert, so dass sich dieselben in ausge- dehntem Maasse isoliren lassen. Der an denselben haftende fein ver- theilte Braunstein stört eben seimer feinen Vertheilung halber die mi- kroskopische Durchforschung der betreffenden Objecte nicht im Ge- ») Frommherz: Ueber die Mangansäure; Schweigger's Journal für Chemie und Physik, Bd. XLI. Halle 1824, p. 280. 118 ringsten und bringt vielmehr für die Untersuchung der’ zarten, und im frischen Zustande nur bei schwachem Lichtzutritte deutlich sichtbaren Hornhautfasern denselben Nutzen, wie z. B. eine Färbung. derselben mit Jodtinctur. Die mit übermangansaurem Kali behandelten Sehnen oder Horn- hautstücke geben, mit Salpetersäure und Ammoniak behandelt, keine Xanthopsoteinsäure-Reaction. Donders!t) giebt an, dass gut ausgewaschenes und ausgezogenes Bindegewebe mit Salpetersäure gekocht und darauf mit Ammoniak be- handelt, sich entweder gar nicht gelb färbt oder doch wenigstens nur einen Stich in’s Gelbliche zeigt. Paulsen?) behauptet dagegen, dass alles Bindegewebe nach der Behandlung mit Salpetersäure und Ammoniak sich deutlich gelb färbt. Für die Beurtheilung dieses scheinbaren Widerspruches kann Folgendes dienen: Wenn man ein Stück einer frischen Sehne, oder der ihres Epithels und der Descemet’schen Membran beraubten Horn- haut in einer Eprouvette mit Salpetersäure verkocht und nach dem Er- kalten zur Flüssigkeit Ammoniak hinzugiesst, bekommt man eine deut- lich gelbe Färbung derselben. Wendet man dagegen dieselben Portionen von ausgewässerten Sehnen- oder Hornhäuten an, so ist die nach der Einwirkung von Sal- petersäure und Ammoniak heryvortretende Färbung um Vieles weniger intensiv. Nimmt man endlich Sehnen- oder Hornhautstücke, welche mit übermangansaurem Kali bis zur durchgehenden Bräunung behandelt wurden, so erhält man keine Spur der Xanthoproteinsäure-Reaetion. Die in die Eprouyette gebrachten braunen Stücke zerstieben wäh- rend des Kochens mit Salpetersäure anfangs zu einer, die Flüssigkeit braun färbenden Wolke, die aber, kaum entstanden, wieder vergeht; nun erscheint die Flüssigkeit vollkommen farblos und auch ein Zu- 1) Holländische Beiträge von v. Deen, Donders und Moleschott. Düsseldorf und Utrecht 1848, Bd. I, p. 67, 2) Observat. mierochemica. Mitav. 1849. 119 satz von Ammoniak bringt keine Farbenveränderung an derselben hervor. Durch den Zusatz jenes Alkali entsteht zugleich in der Flüssigkeit ein Niederschlag von Manganoxydul, welches sich während des Ko- chens mit Salpetersäure gebildet hat. Die Anwesenheit der Oxydationsstufen des Mangans hindert das Hervortreten der gelben Farbe nicht, denn wenn man zu einer Portion gebräunter Hornhaut- oder Sehnenstücke auch nur ein kleines Flöck- chen einer frischen Sehne oder Hornhaut zusetzt, nun mit Salpeter- säure kocht, und nach dem Erkalten Ammoniak zusetzt, tritt eine deut- lich wahrnehmbare gelbe Färbung in der Flüssigkeit hervor. Indem ich auf die oben beschriebenen Texturelemente der Horn- haut zurüickkomme, muss ich Einiges über deren Anordnung in den verschiedenen Schichten der Substantia propria corneae mittheilen. Die platten Bündel der Subst. propr. corn. verlaufen in dem mitt- leren und hinteren Theile der Hornhaut, unter verschiedenen Winkeln sich kreuzend, der Oberfläche der Hornhaut parallel und es lässt sich dieser Theil der Subst. propr. corn. am besten mit einem „geschichte- ten Mattenwerk,“ wie Brücke sagt, vergleichen. Unmittelbar unter dem Epithelium aber, in jener Schichte, welche Bowman Lamina elastica anterior genannt hat, verlaufen jene Faser- bündel in geneigter Lage zur Oberfläche empor und kehren ebenso von derselben wieder zurück, während dieses Verlaufes biegen sie sich viel- mal um einander, und bringen durch ihre innige Verflechtung die dichte Lage der Subst. propr- corn. unter dem Hornhautepithelium zu Stande. Man kann sich an den nach den obigen Methoden behandelten Horn- häuten zugleich auf das entschiedenste überzeugen, dass die sogenannte Lamina elastica anterior durchaus kein Analogon der Descemet’schen Membran darstellt; die letztere behält in allen Fällen ihr vollkommen structurloses Ansehen, ihre elastische Einrollbarkeit, ihren splittrigen Bruch bei, und lässt sich ferner von der unter ihr liegenden Schichte der Subst. propr. corn. vollkommen isoliren; Eigenschaften, welche sammt und sonders der dichten Lage der Subst. propr. corn. unterhalb des äusseren Epithelium abgehen. Alles was ich bisher über die Horn- 120 haut des Ochsen angegeben habe, gilt in gleicher Weise für die Horn- haut des Menschen. Es zeigte ferner die Subst. propr. corn. beim Hund, beim Schaf, beim Kaninchen und Meerschweinchen dasselbe Gefüge wie beim Rind. ‘Ebenso fand ich es bei rana esculenta, bei bufo cine- reus, bei lacerta viridis und natrix torquata, ferner beim Karpfen, bei der Forelle, beim Hechte. Die Hornhaut der Vögel verhält sich aber wesentlich anders, indem die Subst. propr. corn. derselben aus innig durchflochtenen Fasern besteht, welche sich mit grosser Leichtigkeit von einander isoliren lassen. Dieselben sind schmal, glatt, unverzweigt, und nur in geringem Grade platt gedrückt; sie unterscheiden sich durch diese ihre Form ebenso wie durch die Artihrer Zusammenlagerung von den Hornhautelementen der übrigen Thiere. Bei der Gans schwankt der Durchmesser der Hornhautfasern zwischen 0,0037 und 0,0050 Mi- limeter. Untersucht wurden noch die Hornhaut von der Ente, vom Raben, vom Huhn, vom Sperling und von der Taube. Die vergleichend - histologisch interessante Ausnahmsstellung der Vögel veranlasste mich, die Hornhaut dieser Thiere besonders genau am Scheitel, und nahe dem Cornealrande, und jedesmal in ihrer ganzen Dicke vergleichsweise zu untersuchen, um mich gegen eine etwaige Verwechslung des Hornhautgewebes mit Bindegewebe zu versichern, denn es war durch die Untersuchungen Brücke’s!) über das Vogel- auge bekannt geworden, dass vom Cornealrande her eine lockere, bin- degewebartige Faserschichte eine Strecke weit zwischen die in den vorderen Rand des Knochenringes übergehende. äussere Hornhautlage und die mit dem Crampton’schen Muskel in Verbindung stehende innere Hornhautlage eindringt. Allein ich fand in allen Theilen der Hornhaut die oben beschrie- benen wohl charakterisirten Fasern, aber nirgends Gebilde, welche den platten Faserbündeln der übrigen Thiere vergleichbar gewesen wären. In der vorliegenden Abhandlung habe ich mich nur mit der Faser- I) Müller’s Archiv 1846, p. 371. 121 substanz der Hornhaut beschäftigt; dem was über die Toynbee-Vir- chow’schen Hornhautkörperchen schon geschrieben wurde, habe ich nichts Positives hinzuzufügen. Nur muss ich angeben, dass in demselben Maasse, als man in ir- gend einem Objecte die Fasern der Subst. propr. corn. deutlicher sieht, die deutliche Wahrnehmbarkeit der Hornhautkörperchen abnimmt. An der Oberfläche der mit übermangansaurem Kali und Alaun isolirten Hornhautbündel sieht man nur Gebilde aufsitzen, welche sich mit ge- trennt liegenden Kernen vergleichen lassen. Man mag übrigens über die Toynbee-Virchow’schen Hornhautkörper und die Fasersubstanz der Hornhaut, so wie über ihr Verhältniss zu einander, was immer für eine Vorstellung haben, sicher und gewiss bleibt es, und in gleichem Maasse auch für das Bindegewebe geltend, dass man die einmal vor- handene Constitution der chondringebenden und beziehungsweise leim- gebenden Substanz, ihre Zusammensetzung aus bestimmt geformten und in ein und derselben Textur an Form und Ausdehnung unter ein- ander ähnlichen Elementen als charakteristisches Merkmal in die Be- schreibung jener Texturen eben so gut aufnehmen muss, als die An- gabe, dass ausser diesen Elementen auch noch andere, von ihnen ver- schiedene, regelmässig vertheilt in dem bezüglichen Gewebe vorkommen. Erklärung der Abbildungen. Fig. 1. Aus einander gewaschenes Hornhautstückchen aus einer mit Mn,0,KO behandelten Hornhaut des Ochsen, 20mal vergrössert. „ 2. Hornhautbündel vom Ochsen, mit Mn, 0,KO und dann mit Gerbsäure be- handelt. „ 3. Zwei Hornhautbündel in gekreuzter Richtung über einander liegend, aus einer mit Mn,0,KÖ und Alaun behandelten Hornhaut des Ochsen. „ 4. Fasern aus der Hornhaut des Raben. Die drei letzten Figuren 300mal vergrössert gezeichnet, Mouescuorr, Untersuchungen VI. 9 VI. Untersuchungen über die physiologische Wirkung des Kako- dyloxydes und der Kakodylsäure. Von Prof. Dr. ©. Schmidt und Dr. O. Chomse in Dorpat. Erster Theil. Geschichtliches und Darstellung. * Durch die nachfolgenden Untersuchungen beabsichtigen wir Eini- ges zur Kenntniss des Verhaltens der metallhaltigen organischen Ra- dikale, deren erster und gewiss interessantester Repräsentant das Kakodyl ist, im Organismus beizutragen. Alles in dieser Beziehung Bekannte besteht nur in den kurzen Notizen, die sich zerstreut in den Abhandlungen Bunsen’s finden!). Die in diesen Untersuchungen mitgetheilten Beobachtungen über die Wirkung des Kakodyloxyds und der Kakodylsäure sind, was zu- nächst das Kakodyloxyd betrifft, folgende: „der Geruch dieser Sub- stanz ist im höchsten Grade widrig und erinnert an den des Arsenwas- serstoffs. Schon in kleinen Mengen reizt er auf’s heftigste zu Thränen und bringt einen fast unerträglichen, sehr lange anhaltenden Reiz auf die Schleimhaut der Nase hervor. Wenn man sich den Dämpfen län- gere Zeit aussetzt, so bewirken sie Uebelkeit und Brustbeklemmung. — In kleinen Mengen (unter Wasser) auf die Haut gebracht, bewirkt das Alkarsin ein heftiges Jucken. Der Geschmack ist dem Geruche ähnlich und innerlich wirkt es als ein heftiges Gift.“ (Pogg. Ann. XL, p- 224.). 1) Pogg-, Annal. XL, p. 219. — XL, p. 145. — Aun. Pharm. XXXVII, p. 1. — SU, pi 14. zuvap 123 „Die geringste Menge dieser Substanz entzündet sich fast momen- tan an der Luft und bewirkt dabei, mit Theilen des Körpers in Berüh- rung gebracht, Brandwunden, die äusserst gefährlich sind, indem das Alkarsin noch heftiger wirkt, als die arsenige Säure, wovon ich mich durch Versuche an Thieren überzeugt habe.“ (Pogg. Ann. 42, 146.) „Das Einathmen des fast unerträglichen arsenikalischen Geruches ist ohne bleibenden Nachtheil.“ (Pogg. Ann. XLII, p. 147.) Ueber das Verhalten der Kakodylsäure finden wir folgende An- gaben: „Die Kristalle sind vollkommen geruchlos und zeigen einen kaum bemerkbaren Geschmack. Obgleich es mehr als 78°/, (58°/,?) As. und Sauerstoff in demselben relativen Verhältnisse enthält, wie sie in der Arseniksäure vorhanden sind, zeigt es dessen ungeachtet gar keine oder doch nur höchst unbedeutend giftige Eigenschaften. Frösche, de- nen kleine Mengen dieser Substanz selbst bis zu 1 Gr. beigebracht waren, blieben mehrere Tage gesund und starben erst längere Zeit darauf.“ (Pogg. Ann. XLII, p. 140.) Ferner: Angaben über an Thieren mit Kakodylsäure angestellte Versuche (von wem? ist nicht näher angegeben), finden sich in Gme- lin, Handb. der Chem. Bd. V. S. 61, wo es heisst: „6 Gr. in den Magen, oder 7 Gr. in die Jugularvene, oder 4 Gr. in die Lungen (!) eines Kaninchens gespritzt, bewirken nicht das geringste Unwohlsein.“ Ferner findet sich, folgende Angabe von Bunsen in den Ann. de Chim. & Phys, (III Serie, Tome VII. p. 358.) „5 Grammes (soll wohl heissen Gran) dissous dans leau et injectes dans la veine juyulaire d'un lapin, ne produisirent pas la mort, ni möme aucun symptome d' impoisonnement.“ Aus älterer Zeit finden wir in den Untersuchungen von Thenard!) über die Constitution des Lig. fumans Cadeti nur eine kurze Bemer- kung über die Einwirkung der Kakodyldämpfe auf ihn. Er sagt: „J etais dans le meme &tat que si j avais pris une forte medecine et quelque- 7) Ann, Chim, LII, p. 54. 9* 124 ‚Fois j eprouvais des &tourdissements, contre lesquels j'employai avee succ2s U hydrogene sulfure, dissous dans l eau.“ Auch Dumas!) sagt, dass die Kakodyldämpfe aufihn als ein wah- res Gift gewirkt haben. — Alle in neuerer Zeit über die Kakodylverbindungen veröffentlich- ten Untersuchungen, wie die von Dumas, Laurent, Gerhard, behan- deln nur rein chemische Controversen. Geht es aus dem oben Mitge- theilten, namentlich was die Kakodylsäure betrifft, zur Genüge hervor, dass ihr Arsengehalt von keinem Einflusse auf ihre Wirkung ist, dass das Arsen vielmehr in dieser Verbindung, entsprechend der Theorie der gepaarten organischen Radikale, im Organismus eben so seine charakteristisch toxischen Eigenschaften eingebüsst hat, wie es seine charakteristisch chemischen Eigenschaften verloren hat; liess sich auch a prior annehmen, dass dasselbe für das Kakodyloxyd gleiche Geltung haben werde, dass dieses ebenso nur gemäss seiner Eigen- schaften als niedrigere Sauerstoffverbindung desselben Radikals, das im Organismus nur durch seine vehemente Oxydirbarkeit eine schäd- liche Wirkung ausübt, nicht aber durch seinen Arsengehalt, so fehlte doch der experimentelle Beweis für diese Annahmen. — Einen solchen Beweis durch Untersuchung der Ausscheidungsformen der von uns aus der Reihe der Kakodylverbindungen gewählten beiden Sauerstoffver- bindungen zuliefern war der Hauptzweck der folgenden Untersuchungen. Bevor wir mit der Mittheilung der angestellten Experimente be- ginnen, sei es uns erlaubt, in möglichster Kürze die Art und Weise an- zugeben, auf welche die zu untersuchenden Substanzen dargestellt wurden, da bei der Darstellung ein in manchen Beziehungen anderer j Weg eingeschlagen wurde, als der von Bunsen empfohlene, theils um die Darstellung an sich weniger lästig zu machen, theils, namentlich was das Kakodyloxyd betrifft, um über dasselbe in der Weise verfügen zu können, wie es die beabsichtigten Versuche erheischten. Die Darstellung des Kakodyloxydes geschah in bekannter Weise !) Nouv. Ann. Phys. & Chim. VIII, p. 362. 125 durch trockene Destillation von gleichen Theilen arseniger Säure und essigsauren Kali’s. — Das innige Gemenge beider dieser Substanzen wurde in eine ziemlich geräumige weithalsige Retorte (s. Fig. I. a.) ge- bracht, in deren Hals das weite Glasrohr eines Liebig’schen Kühlap- parates (2) luftdicht eingefügt wurde. Das andere Ende dieses Appa- rates endete durch einen gut schliessenden Kork in einer mit einer kleinen Quantität destillirten Wassers gefüllten, doppelt tubulir- ten Kugelvorlage (ec). Der zweite Tubulus dieser Vorlage war durch einen doppelt durchbohrten Kork verschlossen. In ein Loch dessel- ben war eine kurze Glasröhre (d) eingefügt, die gleich unterhalb des Korkes endete, durch das andere Loch ging ein dünner gläserner Winkelheber (f), dessen äusseres Ende in eine Spitze (g) ausgezogen und zugeschmolzen war. — Mit der Röhre d war durch ein Kautschuk- rohr der zweite, zur Vorlage geneigte Kühlapparat e verbunden, an dessen freiem Ende auf dieselbe Weise eine ziemlich lange Glasröhre h angebracht war, die unter den Rost 7 eines kleinen, gut ziehenden Windofens führte. — Die Destillation wurde im Freien auf dem Sand- bade vorgenommen. Gleich nach beendeter Destillation wurde an Stelle des Kühlapparates e ein Kohlensäureapparat gesetzt. — Der in die Vorlage übergegangene sogenannte Liquor fumans Cadet wurde aus derselben nach dem völligen Erkalten der Destillationsretorte da- durch entfernt, dass der äussere Arm des Glashebers f, nachdem seine Spitze abgebrochen war, in eine mit destillirtem Wasser gefüllte Geiss- ler’sche Glashahnburette (Fig. II.) getaucht wurde, in welche, durch Ab- fliessenlassen des Wassers, der ganze Inhalt der Vorlage überging. — Das so erhaltene rohe Kakodyloxyd wurde in dieser Burette durch mehrmaliges Durchschütteln mit frisch ausgekochtem destillirten Was- ser gewaschen; dann mit einer concentrirten Lösung von kohlensaurem Kali durchgeschüttelt und endlich in eine tubulirte Retorte, mit einer kleinen Menge jener Lösung behufs der Rectification gebracht. — Der Retorte diente als Vorlage eine zum Theil mit frisch ausgekochtem destillirten Wasser gefüllte Glashahnburette, die gut abgekühlt erhalten wurde. Durch den Tubulus der Retorte wurde vor und gleich nach beendeter Destillation in dieselbe ein, in einer dreihalsigen W oulf’schen 126 Flasche gewaschener Kohlensäurestrom geleitet. — Die Destillation wurde auf dem Sandbade vorgenommen. Es ging bei derselben das Kakodyloxyd in ölartigen, wasserhellen, farblosen kleinen Tropfen, durch das in der Glashahnburette enthaltene Wasser hindurch und sam- melte sich am Ende derselben an. — Zur Aufnahme des so gereinigten Kakodyloxydes. waren kleine Glasröhren (Fig. III.) angefertigt worden, die bei ain eine zugeschmolzene Spitze endeten, bei # zu einem dün- nen Halse ausgezogen wurden, über welchem ein kleines Stück e von dem ursprünglichen Lumen der Röhre nachgelassen war. Der Inhalt dieser Röhren war durch Ausmessen mit Wasser vorher genau be- stimmt. — Diese Röhren wurden ganz mit frisch ausgekochtem destil- lirten Wasser gefüllt und auf dieselben ein kleiner Glastrichter (Fig. IV. b.) gesetzt, dessen feine Spitze c durch den Hals der Glasröhre d hin- durchging. Nachdem dieser Trichter auch ganz mit destillirtem Wasser gefüllt worden war, wurde in ihr die Spitze der Glashahnburette «a, die das reine Kakodyloxyd entbielt, eingeführt und 'bei Oeffnung des Hahns ging das Kakodyloxyd leicht in die Glasröhre über, die, nachdem sie bis auf eine kleine zurückbleibende Wassermenge gefüllt war, an ihrem Halse vor dem Löthrohre zugeschmolzen wurde. Auf solche Weise wurde eine ganze Reihe von Glasröhren mit Kakodyloxyd ge- füllt und dann die Röhren in einem Gefässe unter Wasser aufbewahrt!). — Das so erhaltene Kakodyloxyd entsprach allen ihm zukommenden Eigenschaften. Es war eine völligklare, farblose, stark lichtbrechende, dünnölige Flüssigkeit, von höchst unangenehmem Geruche2). Sie ent- zündete sich an der Luft sogleich und verbrannte mit fahler Flamme. Bei sparsamem Luftzutritte entwickelte es dichte, weisse, stark riechende Dämpfe; mit Wasser mischte es sich nicht; mit Olivenöl bil- dete es eine vollkommene Emulsion, die an der Luft stark rauchte. Ebenso bildete es mit Eiweiss eine Emulsion, ohne das Eiweiss zu coa- guliren oder sonst sichtlich zu verändern. — Beide Emulsionsformen wandten wir bei den Experimenten an. — 1) S. Anmerk. 1. 2) S. Anmerk. 2. 127 Was die Bereitung der Kakodylsäure anlangt, so wurde sie zum grössten Theil aus der bei der Darstellung des rohen Kakodyloxydes in der Vorlage befindlichen obersten Schicht, dann aus dem Wasch- wasser des rohen Kakodyloxydes und endlich aus diesem selbst darge- stellt, indem Alles zusammen mit feingeschlämmtem Quecksilberoxyde digerirt wurde, wobei unter Reduction desselben sich der vorher starke Kakodylgeruch bald vollständig verlor. Die vom redueirten Quecksil- ber abfiltrirte braungelbe Flüssigkeit wurde auf dem Dampfbade bis auf 1/, eingedampft, von dem Quecksilber, das sich wieder ausgeschieden hatte, nochmals abfiltrirt. Das erhaltene mässig nach Kakodyl riechende dunkelbraune Filtrat wurde auf's Dampfbad bis zur beginnenden Kıy- stallisation gestellt, dann mit heissem Alkohol behandelt, nochmals filtrirt und dann wieder bis zur Krystallbildung abgedampft. Als diese eintrat, wurde das dieMasse enthaltende Gefäss unter eine Glassglocke neben Schwefelsäure gestellt und der langsamen Krystallisation über- lassen. — Die von der Mutterlauge darauf getrennten Krystalle wurden nochmals aus Alkohol umkrystallisirt. Die so erhaltenen Krystalle wa- ren fast ®/, Zoll lang, säulenförmig, vollkommen farb- und geruchlos und zeigten folgendes chemisches Verhalten: 1) Sie waren in Wasser und Alkohol leicht löslich. 2) Die wässrige Lösung röthete Lackmuspapier deutlich. 3) Schwefelwasserstoff erzeugte in der wässrigen Lösung eine weisse, milchige Trübung, welche durch Kochen nicht verändert wurde. 4) Mit phosphoriger Säure erwärmt zeigte sich in der wässrigen Lösung beim Erwärmen selbst nur undeutlich, beim Erkalten aber ein sehr stark wahrnehmbarer Kakodylgeruch unter gleichzeitiger Ent- wickelung von dieken (von Kakodyloxyd) weissen Dämpfen. 5) Die wässrige Lösung, mit salpetersaurem Quecksilberoxydul versetzt, gab einen dicken, grauen Niederschlag, der beim Erhitzen schwarz wurde. Die von demselben abfiltrirte Flüssigkeit war warm farblos, beim Erkalten trübte sie sich und setzte einen’weissen Nieder- schlag ab, der sich beim Erwärmen sofort wieder löste. Der Nieder- schlag erschien unter den Mikroskope als aus spindelförmigen Nadeln bestehend. 128 : 6) Mit Quecksilberchlorid gab die wässrige Lösung einen weissen, krystallinischen Niederschlag von nadelförmigen Krystallen, der sich beim Erhitzen bis zum Sieden nicht wieder auflöste. 7) Die wässrige Lösung mit rothem Quecksilberoxyde gekocht erlitt keine Veränderung, es trat keine Reduction des Quecksilberoxy- des ein. Die abfiltrirte Flüssigkeit blieb beim Erkalten klar u wurde durch Schwefelwasserstoff nicht verändert. 8) Die wässrige Lösung, mit Bleioxydhydrat behandelt, gab eine klare Lösung, aus der durch Schwefelwasserstoff Schwefelblei in dieken schwarzen Flocken gefällt wurde. Die von dem Niederschlage abfil- trirte Flüssigkeit war klar, wasserhell und gab mit Zinnchlorür zum Sieden erhitzt keine Veränderung. 9) Die wässrige Lösung mit Zinnchlorür versetzt gab eine starke weisse Trübung und beim Erwärmen einen höchst penetranten Geruch (nach Chlorkakodyl). 10) Silbersalpeter gab mit der wässrigen Lösung der Kakodylsäure einen weissen Niederschlag, der beim Erhitzen ohne sich zu lösen bräunlich wurde. Die Flüssigkeit zeigte keinen Geruch. Der Nieder- schlag wurde durch Ammoniak anfangs vermehrt, löste sich jedoch im Ueberschusse desselben mit bräunlicher Farbe. — Die ammoniakalische Lösung setzte beim Kochen einen Silberspiegel ab, indem die Flüssig- keit farblos und wasserklar wurde. — 11) Die wässrige Lösung mit Salzsäure und Zinkspänen in ei- nen Gasentwickelungsapparat gebracht, dessen Leitungsrohr in eine Silberlösungtauchte, erzeugte in derselben nach kurzer Zeit eine braune, flockige Fällung, hervorgebracht durch die gleichzeitig im Ballon sich entwickelnden weissen dicken schweren Nebel. 12) Mit in Zersetzung begriffener thierischer Substanz zusammen gebracht, entwickelte die Kakodylsäure nach wenigen Tagen einen deutlichen Kakodylgeruch. 13) Barytwasser, Kalkwasser, Chlorcaleium, neutrales essigsaures Bleioxyd erzeugten keine Veränderung in der wässrigen Lösung der Kakodylsäure. 14) Zink und Platin, zur galvanischen Kette geordnet, erzeugten 129 in der wässrigen Lösung der Kakodylsäure rasch einen deutlichen Ka- kodylgeruch. — Aus den angeführten Reactionen und der physikalischen Beschaf- fenheit der erhaltenen Krystalle geht wohl zur Genüge hervor, dass wir es mit reiner Kakodylsäure zu thun hatten. Zum Nachweis der- selben bedienten wir uns der unter 4 und 11 angeführten Reactionen. Zweiter Theil. Experimente. 1. Versuch. Einer jungen Katze, die seit 12 Stunden gehungert 4unr hatte, wurden 0,2 Grm. Kakodyloxyd in einer Oelemulsion durch eine Nachmitt. elastische Röhre in den Magen gebracht und hierauf die Katze in einen Blechkasten gesetzt, der geeignet eingerichtet war, um die Excrete auffangen zu können. — Anfangs verhielt sich das Thier ruhig, nach 1/, St. jedoch trat Unruhe ein, die Respiration wurde beschleunigt und 4°/, Uhr. es erfolgte nach kurzem Würgen Erbrechen, wodurch nebst einigen wenigen unverdauten Speiseresten der grösste Theil der eingegebenen Emulsion ausgeworfen wurde. Nach dem Erbrechen trat wieder Ruhe ein, doch nach 20 Minuten wiederholte sich das Erbrechen, wodurch 4U.35M. schleimig schaumige, nach Kakodyl riechende Massen entleert wurden. 8 Stunden darauf waren an der Katze keine auffallenden krankhaften 12'/, Uhr Erscheinungen bemerkbar, ausser einer ziemlich stark beschleunigten N*"ts- Respiration und einer grossen Mattigkeit. — 5 Stunden später wurde 6 Uhr Morgens. die Katze todt gefunden. Harn und Faeces waren während der ganzen Versuchszeit nicht entleert worden. Sectionsbefund. Die Lungen blass, collabirt. Im rechten Herz- ventrikel viel dunkles, nicht geronnenes Blut. Die Leber gross und blutreich. Die Gallenblase mit dunkelgrüner Galle stark erfüllt. Milz normal. Der Magen bot alle Zeichen der heftigsten Entzündung mit enormer Exsudatbildung zwischen (und in die) membrana mucosa und 10%/, Ulır Mittags. 111/, Uhr. 11'/,-12U. 12—1 Uhr. 5U.Nachm. 130 iumica muscularis, die übrigens selbst intact war. Das Epithel der Magenschleimhaut war in Fetzen abgestossen und hatte hierdurch einen Theil des Exsudats frei in die Magenhöhle treten lassen. Das Duodenum war stark injieirt; die Schleimhaut war an einzelnen Stel- len des Epithels beraubt. Im Dünn- und Dickdarm nichts Abnormes; desgleichen in den Nieren und der Harnblase. In letzterer fanden sich nur wönige Tropfen Harns, die zur chemischen Untersuchung nicht ausreichend erschienen. 2. Versuch. Einer jungen Katze, die seit 24 Stunden gehungert hatte, wurde 1 Grm. Kakodylsäure in Brodpillen eingegeben. — Nach einer halben Stunde trat nach kurzem Würgen Erbrechen ein, wodurch fast alle eingegebenen Pillen nur oberflächlich etwas erweicht, zugleich mit einer bedeutenden Menge eines sauer reagirenden Schleims ausge- worfen wurden. — !/; Stunde später wiederholte sich das Erbrechen und dasselbe geschah in den folgenden ®/, Stund. noch 3 Mal. Die zu- letzt erbrochenen Schleimmassen zeigten eine alkalische Reaction. — Dieselbe Reaction zeigten auch die während der hierauf folgenden Stunde 2 Mal durch Erbrechen entleerten Schleimmassen. — 4 Stunden nach dem letzten Erbrechen wurden flüssige Faeces abgesetzt. — Die Katze war während der ganzen Zeit ziemlich munter und nur zuletzt etwas durch das häufige Erbrechen ermattet. Harn war bisher nicht entleert worden. Chem. Untersuchung. In dem ?/, St. (um 11t/, Uhr) nach der Eingabe der Kakodylsäure Erbrochenen entwickelte sich nach dem Er- hitzen mit PO, beim Erkalten der Flüssigkeit ein deutlich wahrnehm- barer Kakodylgeruch. — In den 4!/, St. nach der Eingabe (um 5 Uhr) entleerten flüssigen Faeces liess sich durch dieselbe Reactionsmethode die Kakodylsäure nicht mit Sicherheit nachweisen. 3. Versuch. Einer jungen Katze, die seit 12 Stunden gehungert ‘ hatte, wurde 1 Grm. Kakodylsäure in Wasser gelöst durch .ein elasti- 1°/, Uhr. 3'/g Uhr. 3%), Uhr. 4'/, Uhr. sches Rohr in den Magen injieirt. — Nach einer halben Stunde wur- den feste Faeces entleert, die nicht weiter untersucht wurden. —1?/, St. nach der Eingabe trat Erbrechen ein, das sich nach '/, St. wiederholte. Bald darauf wurden auch flüssige Faeces entleert. — !/, St. später 2222222... 131 wurde Harn entleert und 2'/, St. hierauf wieder Hüssige Faeces. — Während der folgenden 12 Stunden war 2 mal Harn entleert worden. — In dem Verhalten der Katze zeigten sich während der ganzen Ver- suchsdauer keine anderweitig auffallenden Krankheitssymptome, sie frass hernach mit grosser Gier. Chem. Unters. Die 13), St. (um 3!/; Uhr) und 2 St. (um 33/, Uhr) nach der Eingabe der Kakodylsäure erbrochenen sauer reagiren- den Massen wurden auf dem Dampfbade bis zur Trockenheit ein- gedampft, der Rückstand in Alkohol gelöst, das eingedampfte Filtrat hiervon mit PO, erhitzt. Es liess die Flüssigkeit beim Erkalten eben so wenig als während des Erhitzens einen Kakodylgeruch wahrnehmen. — Die flüssigen, sauer reagirenden Faeces, die 13/, St. (um 33/, U.) entleert wurden, wurden mit Alkohol behandelt, das Filtrat auf dem Dampfbade abgedampft, der Rückstand in destillirtem Wasser gelöst und mit PO, erhitzt. Während des Erhitzens trat keine besondere Verän- derung ein, beim Erkalten jedoch trübte sich die anfangs klare bräun- liche Lösung und entwickelte dicke, weisse, stark nach Kakodyl rie- chende Dämpfe. — Der 2!/, St. (um 4Uhr) nach der Eingabe entleerte, klare, gelbliche, geruchlose, sauer reagirende Harn liess in gleicher Weise mit PO, erhitzt einen deutlichen Kakodylgeruch beim Erkalten wahrnehmen. — In den zuletzt entleerten, klaren, geruchlosen, sauer reagirenden Harnportionen trat bei Behandlung mit PO, die erwähnte Reaction nicht ein. — Die 4/, St. nach der Eingabe (um 6!/, Uhr) ent- leerten flüssigen Faeces wurden in gleicher Weise wie die frühern mit Alkohol behandelt und eingedampft. — Beim Lösen des Rückstandes in Wasser liessen sie schon für sich, ohne Anwendung von PO,, einen deutlichen Kakodylgeruch wahrnehmen, der nach dem Erwärmen mit PO, sich nicht vermehrte. 4. Versuch. Die zu dem vorhergehenden Versuche benutzte Katze wurde in einen Kasten, zu dem die Luft nur spärlichen Zutritt hatte, gesetzt. In diesen Kasten wurde Kakodyloxyd, das sich in einem Gefüsse unter einer dünnen Wasserschicht befand, gestellt, so dass sich bald der ganze Kasten mit einer stark nach Kakodyl riechenden Atmosphäre füllte. — Die Katze wurde bald sehr unruhig; aus dem 61/, Uhr. 53/, Uhr Nachmitt. 6Uhr. 6 Uhr 20° 6 Uhr 40° 6 Uhr 40° 18 7 Uhr 50° 7 Uhr 50‘ 8 Uhr 5’ 132 Maule traten grosse Massen schaumigen, zähen Schleimes hervor, die Augen thränten stark ; aus der Nase wurde durch häufiges Niesen dicker, zäher Schleim ausgeworfen. Nach einer Stunde war die Katze sehr er- mattet, fiel beim Gehen um und miaute mit heiserer, kaum vernehmba- rer Stimme. — Sie wurde hierauf aus dem Kasten entfernt und verfiel, augenscheinlich betäubt, sogleich in Schlaf, aus dem sie erst nach 1'/; Stunde erwachte. Der Gang war noch immer schwankend und nur schwer konnte sie sich aufrecht erhalten. — Damit sich: die Veränder- ungen, die möglicher Weise den vorhergehenden Versuch im Darmka- nale hervorgerufen hatte, nicht verwischten und dann, um die Folgen des letzten Versuches zu sehen, wurde das Thier 21/, St, nach dem Be- ginnen dieses Versuches durch Strangulation getödtet. Seetionsbefund. Lungen collabirt, wenig Blut enthaltend. Sie liessen sich leicht aufblasen, beim Zusammensinken trat aus ihnen ein deutlicher Kakodylgeruch hervor. Der Magen war stark von geruch- loser Luft aufgetrieben, sonst normal. Der übrige Darmkanal normal. Die Blase contrahirt; enthielt nur einige Tropfen Harns, die zur che- mischen Untersuchung aufgehoben wurden. Chem. Unters. Die Behandlung des Harns nach der oben er- wähnten Methode mit PO; zeigte keinen Kakodylsäure-Gehalt an. 5. Versuch. Einem Huhne wurden 0,3 Grm. Kakodyloxyd in einer Eiweissemulsion in den Kropf injieirt. — Nach !/, St. wurde aus der Kloake eine klare, geruchlose Flüssigkeit entleert. Die Respira- tion beschleunigte sich allmälig mehr und mehr. 20 Minuten nach der Eingabe trat eine ähnliche Entleerung aus der Kloake ein, wie die vor- herige. — Nach wiederum 20 Minuten wurde eine zähe, schleimige, stark nach Kakodyl riechende Masse aus der Kloake entleert. Solche Entleerungen folgten in kurzen Intervallen während der folgenden Stunde 11 mal. — Unter dem Mikroskope wurde in allen diesen Ent- leerungen eine grosse Masse von Cylinderepithel beobachtet. — Gleich- zeitig mit der letzten Entleerung aus der Kloake trat aus dem Schna- bel eine schäumige emulsionsähnliche, weisse, stark nach Kakodyl riechende Masse hervor. In der folgenden 1/, St. traten noch 2 Entlee- rungen aus der Kloake von obiger Beschaffenheit ein. Die Athemfre- 133 quenz war bis 140 in 1‘ gestiegen. — 10’ nach der letzten Entleerung, also 21/, St. nach der Eingabe des Kakodyloxydes starb das Huhn, in- dem sich gleichzeitig eine Entleerung aus dem Schnabel, die der ersten ähnlich war, einstellte. Seetionsbefund. In der Luftröhre fand sich eine grosse Masse einer schaumigen, schleimigen Flüssigkeit, die stark nach Kakodyl roch. Die Lungen stark mit Blut erfüllt. — Die Schleimhaut des Oeso- phagus bis zum Kropf hin mässig injieirt, an einzelnen Stellen hatte sich aber das Epithel abgestossen. — Die Schleimhaut des Kropfes war stark injieirt, gerunzelt, und liess sich wegen des darunter abgelagerten Exsu- dates leicht abziehen. — Aus demselben Grunde war auch die horn- ähnliche, stark geschrumpfte Auskleidung des Magens leicht ablösbar. Die Magenmuskeln selbst schienen intact zu sein. — Die Schleimhaut des ganzen Darmkanals war stark geröthet und in ihrer ganzen Aus- dehnung fast allen Epithels beraubt. — Sowohl der Inhalt des Kropfes, des Magens, der aus einigen Haferkörnern bestand, als der schleimige, gelbliche Darminhalt roch stark nach Kakodyl. Chem. Untersuchung. Alle aus der Kloake entleerten Massen wurden zusammen in ein Gefäss gebracht, mit Alkohol extrahirt, filtrirt, und vom Filtrate ein kleiner Theil abdestillirt. Das Destillat trübte sich mässig beim Zusatz von Wasser (Kakodyloxyd?). Der Rückstand in der Destillationsretorte wurde bis zur Trockenheit auf dem Dampf- bade eingedampft, die trockene Masse in Wasser gelöstund dann mitPO, erwärmt. Beim Erkalten trat der Kakodylgeruch deutlich hervor !). 6. Versuch. Einer Stute von torpider Constitution, sonst aber normalen physiologischen Funetionen (Puls 36, Athem 9.) wurden in die linke Jugularvene 10 Grm. einer Lösung von Kakodylsäure, die 1 Grm. reiner Säure enthielt, injieirt. Bald nach der Injection trat eine Ge- fässaufreguug ein, die jedoch nur IM Stunde anhielt, um dann einen Puls von 32 zu hinterlassen. 5 Stunden nach der Injection liess sich keine Abweichung von dem ursprünglichen physiologischen Verhalten des Thieres bemerken bis auf den Puls, der 32 Schläge behielt. — Be- !) Siehe Anm. 3. 81‘, Uhr. 10 Uhr. 12 Uhr. 134 hufs der chem. Untersuchung wurde !/, Stunde nach der Injeetion eine Blutentziehung aus der rechten Jugularvene gemacht. Gleich darauf wurde vermittelst Katheters Harn entleert. Eine zweite Harnentleerung wurde 2!/, St. nach der Injection vorgenommen. — Die während 5 St. nach der Injection 2 Mal erfolgten Mistentleerungen zeigten für sich keinen fremdartigen Geruch und wurden daher auch nicht weiter unter- sucht, zumal sich in der relativ kleinen Menge kein besonderes Resul- tat von der chem. Untersuchung erwarten liess. Chem. Untersuchung. Der !/,St. nach der Injection (um 10U.) entleerte Harn wurde auf dem Dampfbade bis zur Oeldicke einge- dampft, der Rückstand mit Alkohol extrahirt, das Filtrat wieder bis zur Oeldicke verdunstet und dann mit Salzsäure und Zinkspänen in einen Ballon mit emem zweimal in rechtem Winkel gebogenen Gaslei- tungsrohre gebracht, dessen Ende in eine Lösung von Silbersalpeter getaucht wurde. Das entwickelte Gas trübte anfangs die Silberlösung nicht (bei AsH, wäre es gleich geschehen) — nach wenigen Minuten jedoch begann sich in derselben ein bräunlicher, flockiger Niederschlag zu bilden, während sich der Inhalt des Ballons mit weissen, schwer sich in den Hals desselben erhebenden Nebeln füllte, die allmälig in die Silberlösung eindringend in ihr obige Fällung erzeugten. Die im Bal- lon sich bildenden Dämpfe zeigten einen penetranten Kakodylgeruch )). — Die 21/; St. (um 12 Uhr) nach der Injection entleerte Harnportion führte bei derselben Behandlungsweise zu demselben Resultate. Bei dem !/; St. nach der Injection (um 10 Uhr) entzogenen Blute wurde die Untersuchung des Serum und der Placenta getrennt vorge- nommen. — Das Serum wurde zuerst mit starkem Alkohol behandelt, vom Niederschlage abfiltrirt, bis zur Oeldicke eingedampft und dann derselben Untersuchungsmethode, wie der Harn, unterworfen. Es trat Fällung in der Silberlösung und der penetrante Kakodylgeruch ein. — Dieselbe Reaction, doch wie es schien noch bedeutend stärker, trat bei derselben Behandlung mit CIH und Zinkspänen beim Ailtrirten einge- diekten Wasserextraete des Blutkuchens ein. x 1) Siehe Anmerk. 4. 135 7. Versuch. Der zum vorhergehenden Versuche benutzten Stute wurde etwa 24 St. nach demselben 1 Grm. Kakodyloxyd in einer Oel- emulsion, die in eine grosse, ausgehöhlte Brodpille eingeschlossen war, in den Oesophagus gebracht, worauf die Pille von dem Thiere bald verschluckt wurde. — Vor der Eingabe zeigte das Thier keine Abwei- chung vom ursprünglichen physiologischen Verhalten, bald darauf aber traten sehr häufige Kaubewegungen ein, als Zeichen von Uebelkeit. Der Puls wurde frequent und intermittirte. — !/, Stunde nach der Ein- gabe schien der Athem nach Kakodyl zu riechen. Da aber der Geruch auch von den hintern Pharynxpartien herkommen konnte, die mögli- cher Weise bei der Eingabe mit dem Kakodyloxyde in Berührung ge- kommen waren, so wurde darauf vorläufig kein besonderes Gewicht gelegt. 2 Stunden nach der Eingabe wurde Blut aus der Jugularvene entleert und gleich darauf auch eine Harnentleerung vorgenommen. — Während der folgenden 24 St. liess sich an dem Thiere kein besonde- res bemerkenswerthes Symptom bemerken: es frass und trank gut. Chem. Untersuch. Sowohl im Harn als im Blute, die 2 Stund. nach der Eingabe des Kakodyloxydes entleert worden waren, konnte nach der oben beschriebenen Methode durch CIH und Zn Kakodyl sicher nachgewiesen werden. — Für sich bot weder Harn noch Blut einen fremdartigen Geruch dar. 8. Versuch. 24 Stunden eirca nach dem vorhergehenden Ver- suche wurde derselben Stute, die bis auf einen etwas gesunkenen Puls (32 statt 36) nichts Krankhaftes wahrnehmen liess, mittelst einer Gutta- percha-Röhre, die bis über die Mitte des Oesophagus reichte, 5 Grm. Kakodyloxyd in einer Oelemulsion von einem Gesammtvolumen von 100 CC. in den Oesophagus injieirt, ohne dass etwas von der Emulsion mit der Maulhöhle oder dem Schlundkopfe in Berührung kam. — Schon nach einer halben Stunde, vielleicht auch schon früher, roch die exspi- rirte Luft nach Kakodyl. — Der Puls wurde allmälig aussetzend, das Thier machte häufige Kaubewegungen. — 21/, St. nach der Eingabe wurde eine Blutentziehung gemacht und gleich darauf auch Harn künstlich entleert. Es wurden von dem Thiere wiederholte, natürlich vergebliche, Brechbewegungen gemacht; das Maul schäumte stark; der 11 Uhr. 11!/, Uhr. 1 Uhr. 10'/; Uhr. 11 Uhr, 123/, Uhr, 21/, Uhr. 31/, Uhr. 4'/, Uhr. 51/, Uhr. 7 U.Morg. 10%/, Uhr. 11 Uhr. 136 Athem war sehr beschleunigt. — 5 Stunden nach dem Beginn des Ver- suches war der Puls bis auf 24 gesunken. Nach einer Stunde hob er sich wieder bis auf 36. Die untere Hälfte der Füsse, der Grund der Ohren fühlten sich kalt an. — 6!/, Stunde nach der Eingabe wurde eine Harnentleerung gemacht. Die dabei zufällig eintretenden Flatus rochen stark nach Kakodyl. Der Puls war jetzt auf 60 Schläge gestiegen. Nach einer Stunde fiel er wieder bis auf 50. — Die Respiration war sehr beschleunigt, der Athem roch deutlich nach Kakodyl; die Schleim- haut des Maules war höher geröthet und sehr warm. Das Thier liess den Kopf tief herabhängen und stemmte ihn gegen die Wand, ein Zei- chen von Betäubung. Die Pupillen waren gegen Lichtreiz unempfind- lich. Dieser Zustand dauerte 12 Stunden ohne wesentliche Veränder- ungen an. Es hatte das Thier sich während der Nacht nicht niederge- legt, keine Sauf- und Fresslust gezeigt. Am Morgen des andern Tages liess sich eine auffallende, lähmungsartige Steifheit der hintern Extre- mitäten bemerken. Das Thier schwankte mit dem hintern Körpertheile beim Gehen; die Füsse und Ohren waren eisig kalt, der Puls = 70, Athem sehr beschleunigt, zeigte noch deutlichen Kakodylgeruch ; Zei- chen von Betäubung deutlich wahrzunehmen. — 31/, Stunde nach die- ser Beobachtung trat eine willkührliche Harnentleerung ein, die leider nicht aufgefangen werden konnte. — !/, Stunde hierauf wurde das Thier, da es ersichtlich höchstens den Abend erleben konnte und die Section noch am Tage gemacht werden sollte, durch den Nackenstich getödtet. T Secetionsbefund. Nach Eröffnung der Bauchdecken — die Sec- tion wurde gleich !/, Stunde nach dem Tode vorgenommen — befanden sich alle Darmschlingen in der lebhaftesten peristaltischen Bewegung, die selbst noch andauerte, als der ganze, zum "Theil schon eröffnete -Darm aus dem Körper entfernt war. Der Magen zeigte keine Bewe- gung. — Vor der Untersuchung des Darmkanals wurde zuerst die Luft- röhre am Halse blossgelegt und durchschnitten, alsdann von der Bauch- höhle aus ein Einstich in's Diaphragma gemacht. Die hiernach aus der Luftröhre hervordringende Luft roch stark nach Kakodyl. — Die Schleimhaut des Diekdarms war stark geröthet durch Injection in die 187 feinern Gefässe. Das Reetum zeigte normale Färbung. — Die Röthung der Schleimhaut des Diekdarms nahm gegen den Dünndarm hin immer mehr zu, und im Dünndarme selbst hatte sich schon Entzündung mit Exsudation ausgebildet. Die Wandungen des Dünn- und Dickdarmes waren auffallend mürbe, so dass sie leicht mit dem Finger aufgeschlitzt werden konnten. Das Epithel des Dünndarms hatte sich an mehreren Stellen in.ziemlich grossen Flocken abgestossen. — Der Magen bot alle Zeichen einer enormen Entzündung mit massenhafter Exsudat- bildung dar. — Die Schleimhaut war dunkel scharlachroth gefärbt und zeigte an einzelnen Stellen linien- und fleckenförmige, diffuse Eechy- mosen. Das Epithel war ganz zerstört, Zwischen, zum Theil auch in, der dadurch verdickten Schleimhaut selbst und der tunica muscularis fand sich eine circa 3/, Zoll dicke, homogene, gelbliche, gallertartige, durchscheinende Exsudatmasse. — In der portio cardiaca und am un- teren Ende des Oesophagus fanden sich noch lebende, fest anhaf- tende Larven des Oestrus equi. !) — Sowohl der Magen als der Darm waren mit flüssigen, stark nach Kakodyl riechenden Faeces erfüllt. — Der untere Theil des Oesophagus war stark geröthet, das Epithel zum Theil von der Schleimhaut abgestossen, unter welcher sich eine geringe Menge eines eben solchen Exsudates fand, wie wir es bei dem Magen fanden. Die Muskelhaut des Oesophagus war ebensowenig verdickt als die des Magens. Der obere Theil des Öesophagus, der Pharynx und die Maulhöhle zeigten nichts Bemerkenswerthes. — Die Leber war blutarm, lehmfarbig, mürbe; die Milz normal; die Nieren blut- reich; das Nierenbecken etwas injieirt; die Blase contrahirt; die in ihr vorgefundene geringe, trübe, nicht fremdartig riechende Harnmenge wurde zur Untersuchung aufgehoben. Im Uterus fand sich ein Foetus, der gleich nach der Tödtung der Stutenoch zu leben schien. Der lig. amnii und allantoidis wurde getrennt zur Untersuchung auf- gehoben. Beide Flüssigkeiten zeigten einen geringen Kakodylgeruch. — In den Lungen liess sich ausser einer leichten Röthung der Bronchial- schleimhaut, nichts Abnormes wahrnehmen. Bei Eröffnung des Schädels ') 8. Anmerkung 5. Moukscuorr, Untersuchungen. VI. 10 138 trat aus demselbem ein starker Kakodylgeruch hervor. — Die Blut- leiter der harten Hirnhaut, sowie auch die feinen Gefässe derselben waren mit dickem, schwarzem Blute stark erfüllt. Die Gefässe der Pia mater zeigten ebenfalls starke Injection. Das Hirnmark hatte nor- mal Consistenz und Farbe. In den Ventrikeln war keine über die Norm hinausgehende Menge Flüssigkeit enthalten. Chemische Untersuchung. Sowohl in den Harnportionen, welche während des Lebens des Thieres entleert worden waren, als in der bei der Section in der Blase vorgefundenen Portion liess sich durch die oft erwähnte Methode mit CIH und Zn deutlich Kakodylsäure nachweisen. An sich hatte der Harn keinen fremdartigen Geruch. — In dem wässerigen Extracte des Blutes liess sich in gleicher Weise Kakodylsäure nachweisen. Bei Untersuchungen des lig. amnii und allantoidis nach derselben Methode konnten wir nur einen sehr schwa- chen Kakodylgeruch bemerken. 9. Versuch. Einer Stute, deren physiologische Functionen nur insoweit von der Norm abwichen, als die Athemfrequenz = 20 (statt 10—12) und die Pulsfrequenz = 42 (statt 25>—30) war, wurden 0,5 Grm. 10%/, Uhr. Kakodyloxyd in die linke Jugularvene injieirt. Nach kaum einer Minute roch der Athem nach Kakodyl, während er sich gleichzeitig zu be- schleunigen anfing, so dass nach 4 Minuten schon 42 Athemzüge in 10 Uhr25° der Minute gezählt wurden. — 10 Minuten nach der Injection konnte wegen des beschleunigten und angestrengten Athmens der Puls an der a. maxillar. nicht gefühlt werden. An der aorta abdominalis per anum gezählt fanden sich 56 Schläge in der Minute. — !/, Stunde nach der Injection war die Athemfrequenz bis auf 66 gestiegen; gleichzeitig nahm der Kakodylgeruch des Athems an Stärke zu, und es zeigten sich Symptome von Betäubung: das Thier nahm den dargebotenen Hafer, machte aber im Kauen längere Pausen und liess den Kopf hängen. Die Pupillen contrahirten sich auf Lichtreiz nur sehr langsam. Diese Symptome dauerten jedoch nur kurze Zeit. In den folgenden abi bis 21/, Stunden wurden 52 Pulsschläge in der Minute gezählt, während 113/, Uhr. die Respirationsfrequenz rascher bis auf 22 gefallen war. — 1 Stunde nach der Injection wurde mittels Katheters Urin entleert und ebenso 139 2 Stunden hierauf. — 2 Stunden nach der Injection war im Athem der 1'/, Uhr Kakodylgeruch nur noch sehr unbedeutend bemerkbar. — Während des folgenden Tages behielt der Puls 52 Schläge in einer Minute, der Athem war Morgens —=24, Abends —=29. Am zweiten Tage nach der Injection war sowohl Puls- als Athemfrequenz zur ursprünglichen Norm zurückgekehrt. — Chem. Untersuchung. Sowohl der 1 Stunde (um 11!/, Uhr) als der 3 Stunden (um 1!/, Uhr) nach der Injection entleerte Harn zeigten für sich keinen fremdartigen Geruch. Beide Portionen waren trübe und reagirten sauer. — Von jeder Portion wurde die Hälfte abdestillirt und das klare Destillat mit rothem Quecksilberoxyd digerirt. Es erfolgte keine Reduction desselben. Der Rückstand in den Destillationsretorten wurde hierauf so lange mit Bleiessig behandelt, als sich ein Nieder- schlag bildete, dann der Niederschlag durch Filtriren von der Flüssig- keit getrennt, das klare hellgelbe Filtrat bis zur Oeldicke auf dem Dampfbade abgedampft, dann mit PO, in einem Ballon mit Gaslei- tungsrohr erwärmt, dessen Ende auf frisch geschlämmtes Quecksilber- oxyd führte. Es wurde das Quecksilberoxyd nicht reducirt; auch liess sich sonst kein Kakodylgeruch wahrnehmen. Der Inhalt des Ballons wurde nun nochmals mit PO, einer Destillation unterworfen. Das Destillat roch und reagirte sauer, zeigte aber keinen Kakodylgeruch. Der Rückstand in der Retorte zeigte, auch beim Erkalten, ebenso keinen Kakodylgeruch. Der eben mitgetheilte Versuch war der letzte, den wir anstellten. Es wäre freilich noch übrig geblieben, die Haut als Applicationsorgan für Kakodyloxyd und Kakodylsäure zu wählen, doch schienen solche Versuche unnöthig, da sich der Erfolg für beide Substanzen schon nach den andern Versuchen mit Sicherheit vorhersagen liess. Für das Kakodyloxyd ist der Versuch Bunsen’s schon oben (8. S. 122) er- wähnt worden, nach dem Kakodyloxyd bei mangelndem oder wenig- stens sehr spärlichem Luftzutritte, wie z. B. unter Wasser, keine 10% 140 andere Wirkung erzeugt, als eine ganz oberflächliche leichte Reizung der Haut, die sich als leichtes Jucken manifestirt, indem das Kakodyl- oxyd den Hautcapillaren etwas Sauerstoff entzieht, und so einen ver- mehrten Blutzufluss zur Peripherie, höchstens eine ganz oberfläch- liche, leichte Entzündung erzeugt. Tritt aber zum Kakodyloxyde die Luft frei hinzu, so entzündet es sich durch rapide Sauerstoffaufnahme und verbrennt zu AsO,, CO, und HO. Unter solchen Umständen würden wir also eine Brandwunde erhalten, die nur dadurch gefährlich werden könnte, dass sie durch AsO, vergiftet worden. Was die Kako- dylsäure betrifft, so übt sie, wie wir uns davon an uns selbst überzeugt haben, auf der unverletzten Haut gar keine Wirkungen aus. Dasselbe lässt sich auch erwarten, wenn sie in eine frische Hautwunde gebracht würde, da sie in solchen keine Bedingungen findet, reducirt zu werden, denn nur dadurch kommt sie, was sogleich näher betrachtet werden soll, zur Wirkung. — In alten, jauchigen Wunden würde sie bei län- gerer Einwirkung allerdings redueirt werden und wirklich reizend wirken, da sie, wie das oben (s. 8. 128, 12) gezeigt wurde, durch in Zersetzung begriffene organische Substanz einer Reduction unter- liegt. — Aus frischen Hautwunden würde sie ihrer leichten Löslichkeit wegen bald ins Blut übergehen, aus alten Wunden würde aber nur vielleicht ein kleiner Theil derselben unzersetzt vom Blute aufge- nommen werden, während der grössere Theil, zu kakodylsaurem Ka- kodyloxyde reducirt, theils als solches in’s Blut treten, um in demselben sich wieder als Kakodylsäure zu oxydiren und dann ausgeschieden zu werden, theils von der Wunde verdampft würde. — Zur Bestätigung eines solchen Verhaltens der Kakodylsäure in alten Wunden bot sich uns leider kein passendes Versuchsobject dar. Dritter Theil. Resultate. Fassen wir jetzt die Ergebnisse der von uns angestellten Experi- mente zusammen, so hat sich als wichtigstes Resultat ergeben, dass 141 das Radikal Kakodyl (C; H,; As oder ;[C,;H;], As-Kd.) in den Sauer- stoffverbindungen, dem Kakodyloxyde (KdO) und der Kakodylsäure (KdO,) im Organismus keine Spaltung erleidet, sondern nur eine Ver- mehrung oder Verminderung seiner Sauerstoffaequivalente erfährt und in den betreffenden Ausscheidungen sich stets eine Kakodylverbindung nachweisen lässt, dass das im Radikale enthaltene Arsen, obgleich es im KdO circa 67°/,, im der KdO, 58°/, beträgt, von gar keinem Einflusse auf ihre Wirkung ist, sondern dass diese lediglich von den diesen Ver- bindungen als solchen zukommenden von ihren nähern Bestandtheilen ganz unabhängigen Eigenschaften abhängig ist. Betrachten wir das Verhalten der einzelnen Substanzen näher, so ergiebt sich der Grund der schädlichen Wirkung des KdO auf den Organismus nur aus der vehementen Oxydirbarkeit desselben. In den Magen gebracht, oxydirt es sich theils durch die in demselben stets ent- haltene, niedergeschluckte atmosphärische Luft, theils und namentlich bei grössern eingeführten Mengen geschieht die Oxydation auf Kosten der organischen Substanz selbst, mit welcher es in Berührung kommt, wodurch diese zerstört wird. Die Oxydation geht ebenso wie ausserhalb des Organismus, anfangs rascher vor sich, indem sich KAO+KdO; bildet neben KdO,. Letztere geht ihrer leichten Löslichkeit wegen ins Blut über, während das KdO, KdO, sich langsam weiter oxydirt, vielleicht auch in das dem Kakodyloxyde isomere Parakakodyloxyd und KdO zerfällt.) Ein Theil des gebildeten KdO, KdO, und viel- leicht auch das Parakakodyloxyd geht direct ins Blut über, um dort zu KdO, oxydirt zu werden, wobei ein Theil in den Lungen durch den Athem ausgeschieden wird (s. Vers. 5. Seite 133; Vers. 8. 8. 136). Die gebildete KdO, wird durch die Nieren ausgeschieden. Bei grösseren Mengen in den Magen gebrachten KdO wird durch den durch Entzün- dung hervorgerufenen Durchfall ein grosser Theil des gebildeten KdO, KdO, vielleicht auch der KdO, ausgeschieden, zumal wenn die Resorb- tion durch die mehr oder weniger zerstörten Darmzotten gehindert ist (s. Vers. 5. 8. 133). — Durch die Oxydation des ins Blut direct getre- 1) 8. Anmerk. 6. 142 tenen KdO, KdO, (und Parakakodyloxydes) erklären sich die beobach- teten Betäubungserscheinungen, die vermehrte Herzaction, der beschleu- nigte Athem ; ebenso waren wohl auch die beobachteten lähmungsartigen Erscheinungen (Vers. 8. 8.136) erzeugt durch die Einwirkung des ent- mischten Blutes auf die Nervencentren, wir meinen die beobachtete läh- mungsartige Steifheitderhinteren Extremitätenund die LähmungderIris. — Diese Erscheinungen treten natürlich mit grösserer Heftigkeit auf, wenn KdO direct ins Blut gebracht wird (Vers.9. S.138) und hier mani- festiren sich die Lungen besonders als Ausscheidungsorgane. Die Um- wandlungen die das KdO erleidet, wenn es direet ins Blut injieirt wird, sind ganz dieselben, wie die bei dem in den Magen gebrachten Oxyde. — Wir haben in dem betreffenden Versuche (Vers. 9) absichtlich eine kleine Quantität des Oxydes injieirt, um die Gefässwandungen wo- möglich zu schonen. Liess sich auch eben der kleinen injieirten Quan- tität wegen die gebildete KdO, im Harn nicht ganz sicher nachweisen, zumal da wie schon bemerkt ein Theil des angewandten Oxydes als KaO, KdO, (und Parakakodyloxyd) durch die Lungen ausgeschieden worden war, so unterliegt es nach Analogie der andern Versuche kei- nem Zweifel, dass die gebildete KdO, durch den Harn dennoch aus- geschieden wird. — Was die Wirkung der Kakodyldämpfe anlangt, so müssen wir gestehen, dass wir an uns selbst keine Symptome von Brustbeklem- mung, Uebelkeit ete. verspürt haben, obgleich wir uns den Dämpfen län- gere Zeit auszusetzen oft genöthigt waren und einmal sogar durch einen unglücklichen Zufall eine sehr beträchtliche Quantität einathmeten. — Es erfolgte auch hier nur bei Einem von uns ein leichter bald vorüber- gehender Kopfschmerz, während der Andere gar keine Wirkung ver- spürte. — Der Versuch jedoch mit der Katze (s. Vers. 4. S. 132) zeigt allerdings, dass das Einathmen grösserer Quantitäten der Dämpfe während längerer Zeit die Schleimhäute der Respirationsorgane, Nase, Augen, Mundhöhle, zu vermehrter Secretion anreizt und Symptome von Benommenheit erzeugt. Diese Erscheinungen erklären sich durch die Sauerstoffabsorbtion von Seiten der Kakodyloxyddämpfe aus der eingeathmeten Luft und von den Schleimhäuten, mit welchen sie in 143 Berührung kommen und die sie dadurch zu vermehrter Secretion anreizen. Was die KdO, betrifft, so äussert sie nur dann eine wahrnehmbare Wirkung, wenn sie, wie esim Darme der Fall ist, unter Verhältnisse kommt, durch welche sie eine Desoxydation erfährt. — Ein grosser Theil der in den Darm gebrachten KdO, wird gleich ins Blut über- geführt, woselbst sie keine weitere Veränderung erleidet, es sei denn, dass sie an ein Alkali gebunden werde.) Aus dem Blute wird sie dann durch die Nieren ausgeschieden. — Ein anderer Theil erfährt jedoch im Darme eine theilweise Reduction, d. h. es bildet sich KdO, KdO,, welches weiter durch Wasser in KdO, und Parakakodyloxyd zerfällt. Letzteres mag namentlich den beobachteten Durchfall und das häufige Erbrechen durch Reizung der Darm- und Magenwandungen erzeugen. Sowohl durch das Erbrechen als den Durchfall wird die KdO, zum Theil entfernt, da aber nur die Darmentleerungen einen Kakodylgeruch zeigten (s. Vers. 3. S. 131), so erfolgt wohl die Reduc- tion erst in den untern Theilen des Darmes. — Bei direeter Injection einer Kakodylsäurelösung in’s Blut er- folgt gar keine wahrnehmbare ihr zuzuschreibende Wirkung, da sie im Blute, als nicht weiter oxydirbar, denn von einer Oxydation kann ja nur im Blute die Rede sein, nicht verändert wird, es sei denn, dass sie, was sehr wahrscheinlich ist (s. Anm. 7) an ein Alkali gebunden wird. Aus dem Blute wird sie rasch durch die Nieren ausgeschieden. — Ob das KdO und die KdO, namentlich im Darme noch anderen Veränderungen, als den erwähnten unterliegen, ob sie etwa Verbindun- gen mit Cl oder S eingehen, darüber lässt sich vorläufig nichts Be- stimmtes aussagen, da eine genaue qualitative Analyse der Kakodyl- verbindungen ebenso, wie die quantitative namentlich mit kleinen Quantitäten, schwer ausführbar ist. !) 8. Anm. 7. Anmerkungen. Anm.1. Ein kleiner Theil des Kakodyloxydes hatte sich bei derRectification in der Woulfschen Flasche verdichtet, die mit dem Tubulus der Retorte durch ein vulkanisirtes Kautschukrohr in Verbindung stand. Dies Rohr war durch die durchstreichenden Kakodyloxyddämpfe gänzlich erweicht worden, z. Th. wohl durch gebildetes Schwefelkakodyl. — Anm.2. Das Kakodyloxyd riecht wohl nur im Oxydationsmomente. Beim Ausschluss von Sauerstoff z. B. in einer Kohlensäureatmosphäre dampft es weder, noch riecht es. Der Geruch rührt daher wahrscheinlich von dem gebildeten ka- kodylsauren Kakodyloxyde ber, das bei weiterer Oxydation endlich in die ge- ruchlose Kakodylsäure übergeht. Anm.3. Die durch diese Reaction nachgewiesene Kakodylsäure hatte sich wahrscheinlich zum grössten Theile durch spätere Oxydation an der Luft in den stark nach Kakodyl riechenden Faeces gebildet. Dass jedoch ein Theil der Ka- kodylsäure in den untersuchten Massen schon als solche vorhanden war, wird dadurch höchst wahrscheinlich, dass sich in jenen Entleerungen auch Harn be- fand, und im Harn bei Eingabe 'von Kakodyloxyd, wie esaus den folgenden Ver- suchen hervorgeht, stets Kakodylsäure gefunden wurde. Anm.4. Die Reaction von PO, erwies sich wegen des störenden penetranten Geruches des Pferdeharnes als unzweckmässig. Dieser Geruch trat bei der er- wähnten Methode ganz zurück, während der Kakodylgeruch hervortrat. Die an- fangs tiefbraune Flüssigkeit wurde dabei gleichzeitig fastganz entfärbt und setzte fast reine Kristalle von Hippursäure ab. Anm. 5. Das die Larven des Oestrus equi, obgleich sie ganz von dem sehr stark nach Kakodyl riechenden Mageninhalte umspült wurden, doch noch lebend gefunden wurden, ist ebenso merkwürdig, als wenigstens uns unerklärlich. Dass sie sich übrigens im Magen nicht wohlbefunden haben, zeigt ihre Anwesenheit im Oesophagus, woselbst sie sonst nicht vorkommen sollen und wohin sie sich also geflüchtet hatten. — Anm.6. Die im Magen gefundenen Veränderungen (Vers. 5 und 8) erklären sich leicht aus der anfangs raschen, dann langsameren Oxydation des Kakodyl- oxydes. Durch die erstere werden die zunächst betroffenen Partien (das Epithel) zerstört, durch letztere die entstandene Entzündung unterhalten, wodurch dann 145 die enorme Exsudatbildung zu Stande kommt, wie sie in den genannten Versuchen beobachtet wurde. — Anm.7. Liesse sich die unsichere Wahrnehmung, unsicher, weil sie durch den so leicht täuschenden Geruch gemacht wurde, durch eine quantitative Unter- suchung bestätigen (zu der uns noch die Mittel fehlen), dass, wie es uns schien, im Blutkuchen ein grösserer Gehalt von Kakodylsäure vorhanden war, als im Serum (s. Vers. 6. S.134), so läge natürlich die Annahme nahe, dass die Kakodyl- säure vorzüglich in den Blutkörperchen als Kalisalz sich befände. — Fig. I. Fig. III. Fig. IV. esse Vo. Beiträge zur Lehre von den Arsenikwirkungen. Von Professor Dr. C. Schmidt und Dr. E. Bretschneider in Dorpat. I. Ueber die Wirkung des metallischen Arsens. Die nachfolgenden Untersuchungen wurden durch die in neuerer Zeit von Prof. Schroff veröffentlichten Resultate seiner Versuche über die Wirkung des metallischen Arsens!) angeregt. Schroff behauptet nämlich gefunden zu haben, dass Scherbenkobalt und ebenso auch voll- kommen reines metallisches Arsen, in den Thierkörper gebracht, gif- tige Wirkungen äussern. Beim Scherbenkobalt kann es nicht befrem- den, da derselbe bekanntlich kein reines metallisches Arsen ist, son- dern immer grössere oder geringere Mengen arseniger Säure beige- mengt enthält. Gegen die Giftigkeit des reinen Arsenmetalles jedoch, welche Schroff von einer Oxydation des Metalles im Verdauungs- kanale ableitet, erhoben sich uns einige Zweifel, weshalb wir beschlos- sen, die von Schroff damit angestellten Versuche zu wiederholen. Das metallische Arsen, welches wir zu unsern Versuchen ange- wandt haben, wurde durch Reduction der arsenigen Säure mittelst Kohle im Verbrennungsrohr dargestellt. In dem nicht erhitzten Theile des Rohres sublimirte das metallische Arsen an den Wänden mit glän- zendem Metallspiegel und wurde nach dem vollständigen Erkalten der Röhre abgekratzt und fein gepulvert. Da dieses Pulver, wie die che- 1) Zeitschr. der Wiener Aerzte. 1858. Heft1. S.4. 147 mische Untersuchung ergab, kein reines Metall war, sondern an der atmosphärischen Luft wieder eine theilweise Oxydation zu arseniger Säure erlitten hatte, so wurde es so lange mit heissem Wasser, dem einige Tropfen Kalilösung zugesetzt, ausgewaschen, bis das Filtrat, durch etwas Salzsäure angesäuert, von Schwefelwasserstoff nicht ge- trübt wurde. Das jetzt vollkommen reine Arsenmetall wurde rasch getrocknet und einerjungen Katze 0,8 Grm., einem jungen Huhn 0,5 Grm. davon mit Brod zusammengeknetet eingegeben. Die Thiere, welche darauf länger als eine Woche beobachtet wurden, zeigten beide nicht das geringste Zeichen einer Gesundheitsstörung und erfreuten sich eines sehr guten Appetites. Am Tage nach der Eingabe des metal- lischen Arsens konnten Faeces und Harn dieser Thiere untersucht werden. Schon mit blossem Auge liess sich darin metallisches Arsen erkennen. Bei der chemischen Untersuchung der Mischung von Faeces und Harn beider Thiere fand sich arsenige Säure darin, was nicht be- fremden konnte, da die Faeces einige Zeit an der Luft gelegen. In den Faeces der Katze, welche 36 Stunden nach dem Einführen des Metalles entleert wurden, fand sich auch noch metallisches Arsen. Demnach glauben wir uns zu dem Schlusse berechtigt, dass das reine Arsenmetall im Verdauungskanale nicht oxydirt werde, selbst nicht wenn es längere Zeit in demselben verweilt, und deshalb auch nicht giftig ist. Die Resultate unserer Untersuchungen stimmen mit den schon zu Anfang dieses Jahrhunderts von Bayen über die Wirkungs- losigkeit des metallischen Arsens gemachten Erfahrungen überein. Bayen hat Hunden, ohne ihr Wohlbefinden zu stören, bis 4 Grmm. davon gegeben. !) Die Differenzen zwischen unseren Erfahrungen und denen Schroff’s bezüglich des metallischen Arsens scheinen ihren Grund darin zu haben, dass Schroff kein reines Metall angewandt hat. Bei der leichten Oxydirbarkeit desselben an der Luft kann ein Irrthum leicht vorkommen. ’) Orfila, Traitd de toricologie 4, Edition. Tom. I. p. 304, 148 II. Ueber die Wirkung des arsenigsauren und arsensauren Kalkes. Zu diesen Untersuchungen wurden wir gleichfalls durch eine von Schroff ausgesprochene Ansicht veranlasst, die wir mit des Autors eigenen Worten anführen wollen. !) „Wenn manche Thiere, wie die Pferde und Schafe, grössere Men- gen arseniger Säure vertragen, wenn, wie die Sage in den Alpengegen- den verkündet und Tschudi einige auffallende Beispiele mittheilt, selbst der Mensch nach und nach sich an grössere Mengen gewöhnen kann, so scheint in beiden Fällen die arsenige Säure im Magen und Darmcanale durch gleichzeitig genossene etwa kalkhaltige Substanzen in einen unlöslichen Zustand übergeführt zu werden. Dafür spricht der Umstand, dass es uns nicht gelingen wollte, aus einer grossen Menge Blut, das wir einem Pferde entnommen hatten, welches durch sehr grosse Dosen arseniger Säure getödtet worden, trotz der sorg- fältigsten Untersuchungen, eine Spur von arseniger Säure zu finden.“ Das von uns angewandte Präparat wurde dargestellt durch Zu- giessen einer wässrigen Lösung von arseniger Säure zu Kalkwasser. Das in überschüssigem Kalkwasser gebildete Präeipitat von arsenig- saurem Kalk wurde unter Abschluss der Luft abfiltrirt und rasch ge- trocknet. Von diesem wurden einem erwachsenen Kater 2 Grm. in Pillen aus Weissbrod eingegeben. Nach 10 Minuten wurden sämmtliche Pillen ganz heil ausgebrochen. Da wir bezweifelten, ob der arsenig- saure Kalk zur Wirkung gekommen, so brachten wir dem Thiere mit- telst eines Guttapercharohres von neuem ein Grm. davon, mit Wasser zu einem dünnen Brei angerührt, in den Magen. Nach einer Viertel- stunde wurde durch heftiges Erbrechen der grösste Theil dieses Breies, mit einzelnen Blutstreifen gemischt, entleert. Bald zeigte das Thier Vergiftungssymptome. Es schien starke Schmerzen zu haben, athmete rasch. Es trat grosse Schwäche ein. 6 Stunden nach Einführung 1) Schroff’s Lehrbuch der Pharmacologie. 1856. p. 318. 149 des Giftes erfolgte unter heftigen Krämpfen der Tod. Durchfälle waren nicht eingetreten. Bei der Section zeigten sich einige hämorr- hagische Erosionen im unteren Theile des Oesophagus, die Magen- schleimhaut am Fundus namentlich ausserordentlich stark entzündet, an einigen Stellen auch erodirt, ausserdem mit einer dieken Exsudat- schicht bedeckt. Der Dünndarm zeigte an verschiedenen Stellen um- schriebene Entzündungen, war von einer gelblichen Flüssigkeit erfüllt. Der Diekdarm enthielt Faeces von normaler Consistenz, war gar nicht entzündet. Die übrigen Organe zeigten nichts Bemerkenswerthes. Es kann also darüber kein Zweifel obwalten, dass der arsenigsaure Kalk in den Verdauungssäften löslich und folglich auch giftig. ist. Die Giftigkeit des arsensauren Kalkes haben schon Wöhler und Frerichs!) durch Versuche dargethan, die mit den von uns mit diesem Präparate angestellten congruiren. 0,2 Grm. arsensauren Kal- kes, durch Zugiessen von gelöstem arsensauren Natron zu Kalkwasser, Abfiltriren des Präcipitats von dem überschüssigen Kalkwasser unter Luftabschluss und rasches Trocknen des Präparates dargestellt, wur- den mit Wasser zu Brei angerührt, mittels einer Guttapercharöhre einem jungen Kaninchen in den Magen gebracht. Nach einigen Stun- den zeigten sich Vergiftungssymptome; beschleunigtes Athmen, Durch- ‚fälle, Krämpfe. Nach 18 Stunden starb das Thier. Die Section er- gab eine ziemlich bedeutende Entzündung der Magenschleimhaut, die ganze Darmschleimhaut stellenweise injieirt, weniger im Diekdarme. Auch in den Lungen stellweise Infarcte. HI. Ueber das Verhalten der arsenigen Säure im Blute und Harneundihre Wirkung im thierischen Organismus. Bei den Untersuchungen, die wir über die Wirkung der arseni- gen Säure angestellt haben, schien es uns vor allen Dingen wichtig festzustellen, ob dieselbe, in den Körper gebracht, als solche im Blute und Harne wiederzufinden sei, oder eine Veränderung erleide. Man %) Annalen der Pharmacie und Chemie. LXV. p. 345. 150 hat zwar längst im Blute und Harne von Thieren, denen man arsenige Säure eingegeben, Arsen nachgewiesen, doch sich zu diesem Nach- weise des Marsh’schen Apparates bedient, der es zweifelhaft lässt, mit welcher Oxydationsstufe des Arsens man es zu thun hatte. Da es nicht unmöglich erscheint, dass die arsenige Säure im Blute zu Arsen- säure oxydirt werden könnte, so haben wir unsere Untersuchungen zuerst auf die Lösung dieser Frage gerichtet. Zu diesen Versuchen nahmen wir Pferde, da sie eine gewisse Immu- nität vor arseniger Säure haben, und grössere Dosen ohne Nachtheil vertragen sollen. Ein Bauernpferd von mittlerer Grösse bekam einige Zeit hindurch grössere Dosen arseniger Säure, erst in Substanz, dar- auf in Lösung. Am 13. October, ebenso am 19. und 20. wurden dem Thiere Morgens und Abends 0,6 Grm. ungelöste arsenige Säure mit Hafer vermischt eingegeben, an den 4 folgenden Tagen in derselben Weise 1 Grm. Morgens und Abends, darauf 4 Tage lang 2,5 Grm. täg- lich, endlich vom 29. October an 4 Tage 3,75 Grm. Das Thier befand sich dabei vollkommen wohl und frass mit dem besten Appetite. Am 2. November Morgens erhielt das Thier zum ersten Mal 2 Grm. arseni- ger Säure in wässriger Lösung. Es hörte bald auf zu fressen und es stellten sich Durchfälle ein. Am Abende desselben Tages wurde dieselbe Dosis in Lösung eingegeben, ebenso am Morgen und am Abende des folgenden Tages. Zum letzten Male erhielt es dieselbe Dosis gelöst am Morgen des 4. Nov. Es hatten sich unterdessen hef- tige Intoxicationserscheinungen entwickelt, grosse Schwäche, beschleu- nigte Respiration, starke Durchfälle. In der folgenden Nacht starb das Thier. Bei der Section fand sich eine sehr starke Entzündung der Magenschleimhaut, an einzelnen Stellen perforirende Anätzungen. Starke Injectionen und Erosionen fanden sich auch zerstreut im übri- gen Theile des Verdauungskanales, namentlich im Coecum. Leber und Nieren hyperämisch. Auf dem Herzbeutel eine Menge eechymoti- scher Flecken. Von diesem Pferde haben wir, während es noch lebte, zweimal das Blut und den Harn untersucht. Am 29. Oct., wo es also bereits 2,5 Grm. arseniger Säure täglich in Substanz erhielt, nahmen wir 151 ungefähr 500 Grm. Blut und ungefähr 500 Grm. Harn zur Unter- suchung. Der Harn war, wie es bei Pferdeharn immer der Fall ist, von,al- kalischer Reaction, durch viel Sediment getrübt. Er wurde zum Sieden erhitzt, filtrirt, in das Filtrat nach Zusatz einiger Tropfen Salzsäure einige Zeit hindurch ein Strom von Schwefelwasserstoff geleitet. Es entstand ein, wenn auch nicht sehr bedeutender, so doch deutlicher Niederschlag, der nach dem Filtriren der Flüssigkeit als schmutzig- braunes Pulver auf dem Filter zurückblieb. Dieser Niederschlag wurde durch Ammoniak gelöst und nachdem die Lösung verdampft, mit Salpetersäure und darauf mit Schwefelsäure behandelt, damit die organischen Beimengungen zerstört und zugleich, wenn in dem Nieder- schlage Schwefelarsen, dieses zersetzt werde. Nachdem nun noch etwas Wasser zugesetzt worden, wurde die Flüssigkeit solange ver- dampft, bis alle Salpetersäure entwichen und darauf nach Zusatz einiger Tropfen Salzsäure wiederum ein Strom von Schwefelwasser- stoff durchgeleitet, wodurch ein gelber Niederschlag von Schwefel- arsen entstand. Bei der Untersuchung des Blutes wurden Blutkuchen und Serum getrennt untersucht. Der in kleine Stücke zerrissene und zerquetschte Blutkuchen wurde mit Wasser gekocht bis zur Coagulation aller Albu- minate. Ebenso wurde im Serum das Eiweiss durch Kochen coagulirt. Nachdem beide Flüssigkeiten filtrirt und die Filtrate auf ein kleines Volumen eingedampft worden, wurden diese ganz ebenso behandelt wie der Harn. In der vom Blutkuchen herrührenden Flüssigkeit wurde durch eingeleitetes Schwefelwasserstoffgas Schwefelarsen präcipitirt. "Das Blutserum zeigte nach Einleiten von Schwefelwasserstoff durch- aus gar keine Trübung. Es muss noch bemerkt werden, dass die aus dem Harne gewonnene Menge von Schwefelarsen verhältnissmässig grösser war als die aus dem Blute dargestellte. Die oben angeführten Untersuchungen wurden eigentlich nur zu dem Zwecke angestellt, um auszumachen, ob die nach Einführen von arseniger Säure in den Körper im Blute und Harne nachweisbaren Mengen von Arsen gross genug seien, um andere Reagentien als den 152 Marsh’schen Apparat mit Erfolg anwenden zu können. Denn, ob wir es mit arseniger Säure oder Arsensäure zu thun gehabt, blieb immer noch unentschieden. Zur Entscheidung der letzteren Frage nahmen wir am 3. Nov. wie- derum ungefähr 900 Grm. Blut und ungefähr 200 Grm. Harn von dem- selben Pferde, nachdem es also 3,75 Grm. arseniger Säure in Lösung bekommen, zur Untersuchung. ArsenigeSäure und Arsensäure lassen sich, wenn sie in einer Flüssig- keit gelöst vorkommen, bekanntlich dadurch unterscheiden, dass die er- stere durch einMagnesiasalz gefälltwird, die letztere aber erstdann, wenn ‚die Flüssigkeit einen Ueberschuss von Ammoniak enthält. Ferner hat die arsenige Säure die Eigenschaft, mit Kali und einem Kupferoxyd- salze erwärmt, das letztere zu Kupferoxydul zu reduciren, was die Arsensäure nicht vermag. Auf diese Unterscheidungsmerkmale ba- sirten wir unsere Untersuchungen. Der Harn war vollkommen klar, reagirte sauer, was, da das Thier einige Zeit hindurch alle Nahrung verschmäht, leicht erklärlich. Er wurde zum Sieden erhitzt, auf ein kleines Volumen eingedampft, filtrirt, , dem Filtrate eine Lösung von schwefelsaurer Magnesia zugesetzt. Nachdem dasselbe einige Zeit in Ruhe gestanden und sich ein weiss- licher Niederschlag gebildet, wurde dieser abfiltrirt und mit Kalilösung gekocht. Nach Zusatz von Weinsäure und schwefelsaurem Kupfer- oxyd und Erhitzen der Flüssigkeit fand eine deutliche Reduction des Kupferoxydsalzes zu rothem Kupferoxydul statt. Durch den Marsh’- schen Apparat liess sich in der Flüssigkeit Arsen nachweisen. Das Filtrat, von obigem Präcipitate abfiltrirt, mit Kali, Weinsäure und schwefelsaurem Kupferoxyd erhitzt, erzeugte keine Reduction. Blutkuchen und Serum wurden wiederum gesondert geprüft. Das Serum gab im Marsh’schen Apparate keine Spur von Arsen. Der zerrissene und zerquetschte Blutkuchen wurde mit Wasser gekocht, das coagulirte Eiweis durch Filtriren entfernt. Das Filtrat wurde, nach- dem schwefelsaure Magnesia, Salmiak und Ammoniak zugesetzt, zu- gedeckt einige Zeit sich selbst überlassen. Es bildete sich ein weisser Niederschlag, der abfiltrirt, mit Kali gekocht und dann im Marsh’- 153 schen Apparate geprüft wurde. Er enthielt kein Arsen. Im Filtrate hin- gegen liess sich Arsen nachweisen. Es war also auch im Blutkuchen arsenige Säure enthalten, und schien die Menge verhältnissmässig geringer als im Harn. Auch die Leber des Pferdes wurde untersucht. Nachdem sie in kleine Stücke zerschnitten, wurde sie mit Wasser gekocht und in der- selben Weise behandelt, wie der Blutkuchen. Auch hier liess sich arsenige Säure nachweisen und zwar schien die Leber grössere Men- gen derselben zu enthalten, da ein Theil des Leberdeeoctes im Marsh- schen Apparate bereits einen Metallspiegel gab. — Es scheint demnach, dass die arsenige Säure im Blute nicht ver- ändert werde und an die Alkalien gebunden daselbst existire. Der Umstand, dass sie nur im Blutkuchen nachzuweisen war, lässt ver- muthen, dass sie an Kali gebunden sei. Die Frage über das Zustandekommen der intensiven giftigen Wirkungen, welche die arsenige Säure auf die lebenden Organismen ausübt!), ist in älterer und neuerer. Zeit durch die mannigfach- sten Hypothesen beantwortet worden. Keine konnte jedoch die That- sache erklären, dass die arsenige Säure im lebenden Körper entschie- den die Wirkung eines corrosiven Giftes äussere, während es doch nicht gelingen will an todten Körperbestandtheilen irgend eine Ver- änderung durch arsenige Säure herzugerufen. Eiweiss, das mehrere Tage lang bei der Körpertemperatur mit-einer wässrigen Lösung von arseniger Säure vermischt steht, zeigt keinerlei Veränderungen seiner physikalischen oder chemischen Eigenschaften. Ebensowenig ist es Kindall und Edwards?) und Herapath?°) gelungen, durch Kochen °) Auch für die Pflanzen soll die arsenige Säure ein Gift sein. Doch scheint sie dem Gedeihen gewisser niedrig organisirter Pflanzen wieder gerade günstig zu sein, zu welcher Beobachtung uns zufällig eine Gelegenheit sich bot. Ein mit einer Lösung von arseniger Säure gefülltes Glas, auf dessen Boden sich ausserdem Schwefelarsen befand, hatte mehrere Wochen unbedeckt im warmen Zimmer gestanden. Während dieser Zeit hatte sich sowohl auf der Oberfläche der Flüssigkeit, als auf dem Schwefelarsen eine reichliche Schimmelpilzenflora entwickelt. ?) Lond. pharm. Journ, IX, 1850. ®) Lond. Edinb, and Dubl, Phil, Magazine 1851. p. 345. MoL»schoTT, Untersuchungen VI. 11 154 von arseniger Säure mit Eiweiss eine chemische Verbindung beider zu erzeugen. Der Umstand, dass sich bei den angeführten Untersuchungen die arsenige Säure nur im Blutkuchen, nicht aber im Serum nachweisen liess, brachte uns auf die Vermuthung, dass vielleicht die Blutkörper- chen irgendwie sichtbar durch dieselbe verändert würden, weshalb wir ihr Verhalten zu frischen Blutzellen untersuchten. Ein Tropfen frischen Froschblutes wurde mit einer möglichst eoncentrirten wässrigen Lö- sung von arseniger Säure behandelt unter das Mikroskop gebracht. Gleichzeitig wurden mit Wasser behandelte Blutkörperchen beobach- tet. Das Resultat dieser Untersuchungen war, dass die mit arseniger Säure behandelten Blutzellen sich länger in ihrer ursprünglichen Form erhielten, als die mit Wasser behandelten und erst viel später als diese anfingen undeutlich zu werden. — Endlich machten wir noch einen Versuch über das Verhalten der arsenigen Säure zu einem todten Darmstücke. Zwei Stücke, vom Dickdarme eines eben getüdteten Hundes wurden, das eine in eine Schale mit möglichst concentrirter wässriger Lösung von arseniger Säure, das andere in eine Schale mit Wasser gelegt und beide. 24 Stunden lang einer Temperatur, die der Körperwärme glich, ausge- setzt. In dieser Zeit war das in Wasser geweichte Stück bereits stark in Verwesung übergegangen, roch faulig, das Wasser hatte eine grün- liche Färbung angenommen. Das in arseniger Säure geweichte Stück hingegen zeigte keine Spur von Verwesungsgeruch und durchaus gar keine wahrnehmbaren Veränderungen in der Structur, wie solche durch Behandlung eines todten Darmstückes mit irgend einem anderen cor- rosiven Gifte gleich deutlich hervortreten. Es wird durch diesen Versuch auch die von vielen Schriftstellern behauptete Thatsache, dass die Leichen der durch Arsenvergiftung Gestorbenen nicht in Ver- wesung übergehen, bestätigt. Wenn wir zu diesen Erfahrungen noch die von Savitsch!) ge- machten, dass arsenige Säure die Gährung unterbreche, dass sie ferner 1) Meletemata de acidi arsenicosi efficacia. Dorpat. 1854. 155 das Sauerwerden der Milch verhindere, hinzufügen, so scheint es, als wenn die arsenige Säure die Eigenschaft habe, die Oxydation or- ganischer Substanzen zu hindern. Dieses gab uns zu der Vermuthung Veranlassung, dass in dieser Eigenschaft vielleicht auch ihre giftige Wirkung im Organismus zu suchen sei, indem sie den Verbrennungs- process im Körper störe. Wir versuchten solches durch das Experi- ment zu entscheiden, indem wir die Menge der in einer bestimmten Zeit exhalirten Kohlensäure erst bei einem gesunden Thiere und dann bei demselben, nachdem es mit arseniger Säure vergiftet worden, bestimmten. An einem Kaninchen von 720 Grm. Gewicht wurde viermal an verschiedenen Tagen und zu verschiedenen Tageszeiten die während einer Stunde exhalirte Kohlensäuremenge gemessen. Das Thier er- hielt während der ganzen Zeit seine gewöhnliche Nahrung in gewohn- ter Menge. Die Resultate der Versuche waren folgende: 1. Vers.am21.Nov.von 3% 16‘—4" 16’ Nachm. ergab 1,1506 Grm. CO, 2. Vers.am22.Nov.von 5 —6b Abendsergab 1,1614 Grm. CO, 3. Vers. am24.Nov.von 12% 6°—-1% 6‘ Mittagsergab 1,1497 Grm. CO, 4. Vers.am25.Nov.von dt 27’—6" 27° Abends ergab 1,1829 Grm. CO, Beim ersten und dritten Versuche stimmten also die in einer Stunde exhalirten Kohlensäuremengen ziemlich genau überein. Der zweite und vierte Versuch gaben etwas grössere Zahlen, wahrschein- lich wohl, weil sie am Abende angestellt worden, wo bekanntlich mehr Kohlensäure exhalirt wird. Der vierte Versuch gab wohl auch deshalb eine grössere Zahl, weil das Thier am Vormittage zufällig gehungert und dafür am Nachmittage eine reichlichere Mahlzeit gehalten als ge- wöhnlich. Am 27. Nov. um 12 Uhr Mittags wurden dem Thiere 0,1 Grm. arseniger Säure in Lösung eingegeben. Nach einigen Minuten schon zeigte sich beschleunigte Respiration. Der Versuch begann um 12% 5, dauerte aber nur 54‘, weil das Thier starb. Der Tod erfolgte unter heftigen Krämpfen. Diese traten jedoch erst 10 Minuten vor dem Tode ein, und waren von Athembeschwerden begleitet. Bis dahin war der Athen beschleunigt. Die Section des Thieres ergab ausser 118 156 einer schwachen Röthung der Magenschleimhaut keine pathologischen Veränderungen. Die in 54° ausgeathmete Kohlensäuremenge betrug 0,5900 Grm. CO,, was für eine Stunde 0,6552 Grm. beträgt. Obgleich sich bei diesem Versuche eine bedeutende Verminderung der ausgeathmeten Kohlensäure nach der Vergiftung herausgestellt, so wollen wir doch nicht wagen aus dem Resultate eines einzigen Ver- suches mit Bestimmtheit eine Störung des Verbrennungsprocesses im Körper bei Arsenvergiftung zu folgern. Weitere Versuche mit klei- nern Gaben müssen darüber entscheiden. IV. Untersuchung über die Schädlichkeitder arsenhaltigen Tapeten. Endlich stellten wir uns noch die Entscheidung der bereits viel- fach ventilirten Frage zur Aufgabe, ob die mit arsenhaltigen Tapeten ausgekleideten Zimmer auf die Bewohnenden irgend welche schädliche Einflüsse ausüben können ? In den letzten Decennien haben sich viele Autoren für die Schäd- lichkeit der arsenhaltigen Tapeten entschieden. Man wollte dieselbe bald von sich entwickelndem Arsenwasserstoff in feuchten Wohnzim- mern, bald von Kakodyl, bald von dem Farbenstaube ableiten.!) Doch soviel man sich bemühete Hypothesen über die schädlichen Emanatio- nen von arsenhaltigen Tapeten aufzustellen, so wenig versuchte man die Sache durch directe Versuche zu entscheiden. Krahmer?) war unseres Wissens der Erste, welcher auf Grundlage experimenteller Untersuchungen die Schädlichheit der arsenhaltigen Tapeten läugnete. Wir stellten Untersuchungen in der Weise an, dass wir einen dünnen Brei aus Schweinfurter Grün, Roggenmehl und Wasser, welches die Bestandtheile der arsenhaltigen Tapeten in feuchten Wohn- Zimmern sind, in einem Ballon zusammenrührten und aus diesem durch den gutschliessenden Kork eine zweifach gebogene Glasröhre in ein !) Annalen der St. A.K. X. p. 407. — Basedow, Arsendunst in Wohnzimmern. Preuss. medic. Zeitschrift. 1846. No. 10, 2) Kramer, Gegen die Furcht vor arsenhaltigen Tapeten. Deutsche Klinik IV. S. 481 157 vor dem Einflusse des Lichtes geschütztes Gefäss leiteten, welches eine Lösung von salpetersaurem Silberoxyd enthielt. Von diesem Gefässe führte eine Glasröhre nach aussen. — In einem zweiten ebenso eingerichteten Apparate wurde dem Brei aus Schweinfurter Grün, Roggenmehl und Wasser noch faulender Käse, in einem dritten faulen- des Blut, in einem vierten Bierhefe zugesetzt. Alle diese Apparate liessen wir 6 Wochen lang bei einer Temperatur von ungefähr 329 C. stehen. Nach Ablauf dieser Zeit fand sich in allen Gefässen mit sal- petersaurem Silberoxyd ein geringer schwarzer Niederschlag. Da jedoch in der Flüssigkeit durch den Marsh’schen Apparat keine Spur von Arsen nachzuweisen war, so konnte die Reduction des Silber- oxydes nicht durch Arsenwasserstoff bewirkt worden sein. Der Inhalt der verschiedenen Ballons verbreitete bis auf die Mi- schung von Schweinfurter Grün, Roggenmehl und faulendem Blute, welche schimmelig roch, durchaus gar keinen Geruch. Es schie- nen auch hier Fäulniss und Gährung durch die arsenige Säure vollkommen sistirt worden zu sein. Kakodyl hatte sich ebenso- wenig entwickelt, jede Spur hätte sich sofort durch den characteristi- schen Geruch manifestirt. Da nicht einmal faulende Substanzen im Stande sind die arsenige Säure zu zersetzen und schädliche Emanationen zu bewirken, so glau- ben wir, dass die arsenhaltigen Tapeten in feuchten Wohnzimmern der Gesundheit nicht nachtheilig werden können. Eher könnten die trockenen arsenhaltigen Tapeten durch Schwängerung der Luft mit dem Farbenstaube schädlich werden, doch ist auch dieses kaum zu befürchten, wenn nur die Farbe durch ein gutes Bindemittel mit dem Papier fest genug verbunden ist. VoL Beitrag zur Geschichte der Physik der elektrischen Fische. Von Dr. med. W. Keferstein. Privatdocenten und Assistenten am physiologischen Institut in Göttingen.1) Der Königl. Societät am 13. Jan. 1859 durch Herrn Hofrath Wagner vorgelegt. Dasjenige, was die Alten von den elektrischen Fischen wussten, übergehe ich hier, da sich an verschiedenen Orten?) hinlängliche Dar- stellungen davon finden, und beginne mit der Zeit, wo mit dem Wie- deraufblühen der Wissenschaften auch die Naturwissenschaften in ein neues Leben treten. E Die grossen Zoologen dieser Periode wie Rondelet, Gesner, Aldrovandi u. A. handeln alle sehr genau vom Zitterrochen in natur- historischer Beziehung, ohne jedoch seiner wunderbaren Kraft eine weitere Berücksichtigung zu widmen: ihre Schriften sind uns aber 1) Aus den Nachrichten der G. A. Universität und der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen 1859. Jan. 31. pag 17”—34 vom Herrn Verfasser mit einigen späteren Zusätzen mitgetheilt. 2) Soz.B. Frenzel (praeside G. A. Langguth), Diss. inaug. med. de Torpedine veterum genere Raja. Wittenbergae 1777. 4.; J. Pringle, A Discourse on the Torpedo delivered at the anniversary meeting of the Royal Soeiety Nov. 30, 1774, London 1775. 4. von dessen erstem Theil Langguth eine lateinische Uebersetzung giebt in Progr. acad. Wittenberg 1779. 4.; E. du Bois, Quae apud veteres de piscibus electrieis exstant argumenta. Diss. med. Berolin. 1843. 8.; G. Wilson, On the Elect. Fishes as the earliest Elect. Machines employed by Mankind. Read at the Brit. Assoe. Dublin 1857. Aug. 27. (Edinb. new phil. Journ. [N. S.] VI. Oct. 1857. p. p. 267—287.); gute Darstellungen der ganzen Geschichte in: Gehler, Physikal. Wörterb. Bd. IV. 1. pag. 275—332. 1827. Art. Elektrische Fische von Pfaff; Fr. Tiedemann, Plıysiologie des Menschen. Bd. I. pag. 522—536. Darmst. 1830. 159 deshalb noch wichtig, weil in ihnen alle Stellen der alten Schriftsteller, wo sie des Zitterrochens erwähnen, aufs Gewissenhafteste gesammelt sind. Der erste Schritt zur genaueren Kenntniss dieses wunderbaren Fisches geschah erst, nachdem die eigene Beobachtung und der Ver- such als die wahre Methode der inductiven Wissenschaften erkannt war, in Italien, wo diese Richtung der Forschung in der Academia del Cimento ihren Ausdruck fand, durch ein Mitglied dieser Körper- schaft, Franeise. Redi aus ÄArezzo, der überhaupt als der früheste Beobachter in der vergleichenden Anatomie angesehen werden muss. Redi!) stellte 1666 mit dem Zitterrochen Versuche an: er beschreibt das Gefühl beim Schlage sehr genau, erläutert die Anatomie des Fisches und führt zuerst die elektrischen Organe an, deren gröbere Verhältnisse er gut darstellt und denen allein er die betäubende Kraft zuschreibt: er nennt sie meistens museul falcatı, ein Name, der in der Wissenschaft lange beibehalten ist. Dass es kein geringes Verdienst war, diese Organe entdeckt und die betäubende Kraft auf sie be- schränkt zu haben, sieht man sehr auffallend daraus, dass der so genaue Engelbr. Kämpfer?), obwohl er eine sehr umständliche Ana- tomie des Zitterrochens liefert und sich weitläufig über seine Kraft verbreitet, doch diese so in die Augen fallenden Organe durchaus nicht erwähnt. Noch genauer als Redi beschreibt sein Schüler Stefan Lorenzini®) die elektrischen Organe in seiner sehr ausführlichen anatomischen Monographie der Torpedo und bei ihm findet man zuerst eine Theorie über ihre wunderbare Kraft. Beim Schlage, sagt er näm- lich, verkürzten sich die musceuli falcati, trieben dadurch feinste Kör- perchen aus sich aus, die sich in die Haut und Muskeln des berührenden Gliedes einbohrten und dasselbe betäubten, grade wie vom Feuer feinste Körperchen ausstrahlten und die umgebenden Gegenstände erwärmten: die Verkürzung jener Organe sähe man, als die jedem ), Esperienze intorno a diverse eose naturali ete. Firenze 1671. 4. p. 47—54. ?) Amoenitatum exoticarum politico-physieo-mediearum Fascieuli V. Lemgo 1772. 4. Torpedo sinus Persici p. 509—515. 9) Osservationi intorno alle Torpedini. Firenze 1678. 4, mit 5 Taf. pag. 30 und pag. 113—116 160 Schlage vorhergehende Abflachung des Rückens des Fisches. Ueber- haupt sah man zu jener Zeit die elektrischen Organe, als von rein muskulöser Natur an, so nannte Nik. Steno!) die Säulchen derselben schlechtweg fibras motrices und Borelli?2), der Jatromathematiker, gründet darauf seine rein mechanische Theorie des Schlages. Er nimmt an, jene Organe zögen sich mehrere Male schnell hintereinander zusammen und gäben so dem berührenden Gliede eine Reihe von hef- tigen Stössen, die den Krampf zu Folge hätten, gleich dem der von einem Stoss an dem Ellbogen herrührte. Dieser mechanischen Theorie gegenüber stand die, welche die Kraft des Zitterrochens einem Ausfluss von Gift zuschrieb, die u. A. Cl. Perault vertheidigt und die so volksthümlich war, dass der Zitterrochen, wie Linn&®) erzählt, auf dem Markt von Venedig, als giftig, nicht verkauft werden durfte. Zur alleinigen Herrschaft kam die mechanische Anschauungsweise, als Reaumur®) sich derselben zuwandte. Dieser grosse Naturforscher experimentirte an der Küste von Poitou mit dem Zitterrochen, wider- legt die früher aufgestellten Theorien und kommt endlich zum Resul- tate, dass beim Schlage jene beiden merkwürdigen sichelförmigen Muskeln sich langsam zusammenzögen, wie man an der Abflachung des Rückens des Fisches sähe, und dann mit einem Male, mit einer für's Auge unsichtbaren Schnelligkeit, in ihre frühere Form zurück- sprängen und durch diesen schnellen Schlag das betäubende Gefühl hervorbrächten. Linne, Haller und viele Andere schlossen sich der Reaumur'schen Theorie an, die von keiner Seite auf Widerspruch stiess. !) Nach Olig. Jacobaeus Anatome piseis Torpedinis motusque tremuli examen in Th. Bartholin Acta medica et philos. Hafniensia. Tom. V. Ann. 1677—79. Hafniae 1680. 4. p.253—259. Mit 3 Taf. 2) De Motu animalium. Ed. Altera Lugd. Bat. 1685. 4. Part. II. Cap. XXI. Propos. 219. Torpedinis vis stupefactiva. 3) Amoenitat. academ. Holmiae et Lips. 1749. 8. Vol. I. p. 308. *) Des Effets que produit le Poisson appele en frangais Torpille ou Tremble, sur ceux qui le touchent, et de la cause dont ils dependent, en Hist. de l’Ac. roy. des Sciences. Annee 1714. Paris. 1717. 4. Histoire p. 19—22, Memoires p. 344—360. Pl. 12 und 13. (lu 14. Nov. 1714.) 161 Während so die Wirkung des Zitterrochens auf rein mechanische Momente zurückgeführt schien, öffneten sich mit’ der Bekanntschaft mit den übrigen elektrischen Fischen, ganz neue Bahnen der An- schauung, ganz neue Theorien, nachdem vorher die Physik in der Elektrieitätslehre ausserordentliche Fortschritte gemacht hatte. Die sogenannte Leydener Flasche wurde nämlich 1745 von Kleist und wohl unabhängig davon im folgenden Jahre, zu seinem eigenen grössten Schrecken von Musschenbroek entdeckt, und mit ausser- ordentlicher Schnelligkeit durcheilte diese glänzende Entdeckung die Welt, überall wurden die Versuche damit wiederholt und allgemein hatte man das Streben geheimnissvoll erschütternde Kraftäusserungen ähnlichen Anordnungen zuzuschreiben: zu hoch darf man es deshalb nicht anschlagen, wenn der um die Conchyliologie und Botanik so ver- diente Adanson!), als er 1751 am Senegal die Bekanntschaft des Zitterwelses machte, dessen Schlag sofort mit dem der Leydener Flasche vergleicht und bemerkt, derselbe pflanzte sich ebenso wie dieser durch einen 5—6‘ langen Eisendraht fort, er hatte ja Paris grade in der Zeit verlassen als die Leydener Flasche, als wunder- barstes Instrument, in den Händen Jedermanns war. Der erste, der den Zitterwels kennen lehrte, warübrigensnicht Adanson, sondern der englische Schiffscapitän Rich. Jobson2), der 1620 den Gambia befuhr: er beschreibt den Fisch und erzählt von seiner wunderbar betäubenden Kraft; Adanson aber ist der Erste, der diese mit der Elektrieität vergleicht. Der französiche Astronom Richer®), der 1672 auf der Insel Cayenne die Verkürzung des Secundenpendels unter dem Aequator beobachtete, giebt auch beiläufig einige Nachrichten, und das sind die ersten, welche darüber bekannt werden, von einem in den Flüssen ") Histoire naturelle du Senegal (Voyage fait de 1749—1753). Paris 1757. 4. p. 135 (Sept. 1751). ?) Sammlung aller Reisebeschreibungen ... Bd. IH. Leipzig 1748. 4. pag. 42 und Purchas Pilgrimes in five books. P. II. London 1625 fol. p. 1568. #) Histoire de l’Acad. des Sciences, Vol. I. Annde 1666— 1686. Paris (reimpr.) 1733, 4. Annde 1674, p. 176. 177, 162 Guiana’s vorkommenden aalartigen Fisch, der den berührenden Arm auf eine wunderbare höchst kraftvolle Weise betäubte.1) Aehnliche unbestimmte Angaben gelangten bald noch mehrere nach Europa: Artedi?) beschrieb diesen Fisch als Gymnotus und Gaubius bildete das Exemplar, das Allamand in Leyden geschickt erhielt, in seiner Ausgabe von Seba’s Thesaurus ab. Genauere Nachrichten gab aber erst, auf eine Anfrage Allamand’s, ’s Gravesande?), der damals Gonverneur zu Rio Essequebo war; 1754 schrieb er: „der Aal bringt dieselbe Wirkung hervor wie die Elektricität, wie ich sie bei Euch von jener elektrischen Flasche gefühlt habe.“*) Aehnliche, aber noch ge- nauere Angaben, macht unterm 7. Juni 1761 Frans van der LottÖ), Chirurg in holländischen Diensten zu Rio Essequebo, an die Haarlemer Gesellschaft. Derselbe leitet den Schlag des Gymnotus durch fünf Personen, erfährt, dass die Conductoren der Elektricität ihn durch- lassen, während man mit Isolatoren ungestraft den Fisch berühren kann, und findet so, dass seine Kraft mit der Elektrieität die grösste Aehnlichkeit hat. Aehnliche Versuche stellte der Schwede Forskäl®) 1762 an, als er den Zitterwels im Nil fand: „Nichts, sagt er, gleicht seinem Schlage mehr als die Elektrieität, und wenn man den Fisch an seidenen Fäden aufgehängt hat, theilt sich sein Schlag, wie die Elektri- eität, durch Eisen mit.“ So war also zugleich mit der Bekanntschaft mit den beiden neuen !) Ueber die ersten Kenntnisse von dem Zitteraal findet man die Nachrichten zusam- mengestellt in Garn (praeside G. A. Langguth) Diss. inaug. med. de Torpedine recen- tiorum genere Anguillula. Wittenbergae 1778. 4. 2) P. Artedi Ichthyologia s. opera omnia de Piscibus. Op. post. ed. Linne. Lugd. Batav. 1738. 8. Pt. II. Genera pise. 'p. 25. 9) Allamand Van de uitwerkz@len, welke een Americaanse Vis veroorzaakt op de- geenen, die hem anraken. Verhand. v. d. Haarlem. Maatsch. II. Haarl. 1758. 8. p. 374. 4) Auch L. Th. Gronov berichtet über einige Versuche, die in Amerika mit dem Gyimnotus angestellt waren; u. A. dass Metalle den Schlag leiten, Siegellack ihn hin- dert. $. dessen Gymnoti tremuli descriptio atque experimenta cum eo instituta in Acta helvetica physico .... medica. Basiliae, IV. 1760. 4. pag. 26—35. Tab. IH. 5) Kort Bericht van den Conger Aal. ibid IV. 2. Haarl. 1762. p. 87—95. 6) Descriptio animal. quae in itin. orient. observavit. ed. ©. Niebuhr. Hauniae 1775. 4. p- 16. Observ. 2. 163 elektrischen Fischen mit einem Male die Wirkung der Elektricität mit ins Spiel gezogen, und die Streitfrage nach der Ursache jener merk- würdigen Kraft trat in ein neues Stadium. Schon der berühmte Kämpfer!), als er in den 1680ger Jahren den Orient so aufmerksam durchforschte, vergleicht die Kraft der Wirkung der Persischen Tor- pedo der eines kalten Blitzschlages, worin'ein etwas phantastischer Geschichtsschreiber also den frühesten Vergleich mit der Elektrieität zu finden glauben könnte. Aber noch hielten die meisten Vertreter der Wissenschaft fest an der Theorie Reaumur’s, und als Musschenbroek, einer der ersten, welche die elektrische Theorie annahmen?), seine Meinung über die Elektrieitätsentwickelung beim Zitteraal in einem Briefe an Nollet der französischen Akademie mittheilt, meint der Referent?) über diese Nachricht, beim Gymnotus dürfte es wohl ebenso sein, wie bei der Torpedo, wo auch erst nach langer Mühe Reaumur den Schlag auf mechanische Weise erklärt hätte. Die Versuche der Holländer warten aber zusprechend und Haller, der zuerst*) der Reaumur’schen Ansieht angehangen hatte, nimmt besonders nach van der Lott's Experimenten die Elektrieitätsentwickelung beim Gymnotus und der Torpedo an?). Aber es gebührt unbedingt dem Engländer John Walsh das Ver- dienst 1772 an der Torpedo®) und dann 1776 am Gymnotus’), von denen er mehrere lebend nach London bringen lassen, die Entwicklung der gewöhnlichen nun schon so bekannten Elektrieität zur unbestreit- ’) Amoenitat. exotie. Lemgo. 1772. 4. p. 514. ®) Pet. van Musschenbroek Introductio ad philos. natur. Lugd. Batav. 1762. 4. Vol. I. 8. 901— 909, ®) Histoire de l’Acad. roy. des Se. Annde 1760. Paris 1766. 4. Histoire p. 21—23. #) Elementa physiologiae. Vol. IV. Lausanne 1762. 4. p. 485. °) Ibid. Vol, VII. Bernae 1766. 4. Addenda D, D. Bernae 20, Jun. 1765. p. 176. %) Walsh, On the eleetrie Property of the Torpedo. Philos. Transact. Vol. 63. Pt. 2. 1773. London 1774. 4. p. 461—481 mit Tab, 19, (Letter to B. Franklin read 1, July 1773.) ?) Walsh selbst hat über seine Versuche am Gymnotus nichts veröffentlicht, es be- richtet aber darüber Le Roy Lettre AM. Rozier sur l’&tincelle &leetrique de l’Anguille de Surinam in Rozier Observat. et M&m. », ]. Physique ete. Octob. 1776. P. VII. 4, p- 331—336. 164 baren Thatsache erhoben zu haben!). Walsh fand nämlich, dass der Schlag sieh durch mehrere, beim Gymnotus bis 27 Personen fort- pflanzte, wenn sie sich mit nassen Händen anfassten und bei der Tor- pedo um Rücken und Bauch, beim Gymnotus um Kopf und Schwanz eine Kette bildeten, dass ferner die Leiter der Elektricität den Schlag leiteten, wie die Isolatoren seine Mittheilung hinderten und dass man mit dem Gymnotus deutliche elektrische Funken erhalten könnte. Ferner entdeckte er, und das ist vielleicht der wichtigste Fortschritt in seinen Versuchen, dass bei der Torpedo sich Rücken und Bauch in einem elektrisch differenten Zustand zu einander befänden, dass wie bei der Leydener Flasche, die eine Seite des Organs positiv, die andere negativ elektrisch sei, während ihm die genaueren Verhältnisse der elektrischen Vertheilung noch unbekannt blieben; Walsh sah die elektrischen Organe also zuerst als elektrische Maschinen in einem bestimmten Sinne an, die nach dem Willen des Thieres in Thätigkeit gesetzt würden. Der zweite grosse Schritt zur Erkenntniss der wunderbaren Wir- kung der elektrischen Fische wurde durch Spallanzani2) 1783, be- sonders aber Galvani?) 1797 und den englischen Arzt Todd) 1812 gethan, indem sie den Einfluss des Nervensystems auf die Elektrici- tätsentwicklung bewiesen, ein Verhältniss, was schon John Hunter) geahnt hatte: nach Durchschneidung der Nerven der elektrischen 1) Die Royal Society erkannte das Verdienst ihres Mitgliedes durch die Ueberreichung der Copley-Medaillean, bei der der Präsident John Pringle seine Eingangs ange- führte Rede hielt. 2) Lettera sopra la Torpedine. 23 Feb. 1783. in Opuscoli scelti sulle Seienze. T. VI. Milano 1783. 4. p. 73—104, dann Lettera prima relativa a diverse produzioni marine. 15 Gennajo 1784 in Memorie di Matematica e Fisica della societä Italiana T. II. Pt. 2. Verona 1784. 4. p. 648—657. $. 15. Torpedini. (übersetzt in (Gehler) Sammlungen zur Physik und Naturgesch. Bd. 4. St. 3. Leipzig 1789. 8. S. 3383—348) wo die museuli fal- cati zuerst „elektrische Organe‘ genannt werden. 3) Mitgetheilt von seinem Neffen Giov. Aldini Essai theorique et experim. s.1. Galvanisme. Bd. II. Paris 1804. 8. p. 68. 69. 4) Some observations and experiments made on the Torpedo at the Cape of Good Hope 1812. in Philos. Transact. 1816. I. p. 120—127 (read 15 Feb. 1815). 5) Anatom. Observat. on the Torpedo. Phil. Transact Vol, 63. 1773. London 1774, p- 487. 165 Organe an der Torpedo, befanden sich zwar die Fische noch ganz wohl, allein zu elektrischen Schlägen konnten sie nicht mehr veran- lasst werden und ebenso hörten diese auf, wenn nur das Gehirn allein zerstört war. Später wurde durch Jacopi!) und Tiede- mann?) diese Abhängigkeit der Elektrieitätserregung vom Nerven- system noch genauer dahin bestimmt, dass bei der Torpedo ein besonderer Theil im Gehirn, die lodi electriei diese Wirkung allein be- herrschten. Beim Gymnotus liegen diese Nervencentren im Rücken- mark, und beim Malapterurus hat in der neuesten Zeit Th. Bilharz®) im oberen Theil des Rückenmarks jederseits eine grosse Ganglienzelle aufgefunden, aus welcher die einfache Nervenfaser des elektrischen Organs entspringt. Ein bedeutendes Interesse gewinnen die elektrischen Fische durch die besondere Aufmerksamkeit, die ihnen einer der grössten Physiker, Alex. Volta, widmete, indem er ihre Wirkung auf die seiner Säule zurückführen wollte und diese sogar im Gegensatz zum elektrischen Organ der Torpedo, „Organe lectrique artificiel“ nannte). Volta meinte durch den Einfluss der Nerven würden die Plättchen des Organs ein- ander genähert, die richtige Menge Flüssigkeit zwischen sie gedrängt und auf diese Weise eine Säule dritter Classe d. h. eine nur aus feuchten Leitern bestehende hergestellt und schlug zur Bestätigung dieser An- sicht dem Physiker Configliaechi, der in Gemeinschaft des Physio- logen Jacopi sich mit dem Zitterrochen beschäftigte, eine Reihe von Versuchen vor°), die, wie man denken kann, nicht gelangen®). Ferner %) Elementi di Fisiologia et Notomia comparata 1810. *) Ueber das Hirn und die fingerfr. Fortsätze der Trigeln in Meckel’s Archiv 1816 p- 109. ®) Das elektrische Organ des Zitterwelses. Leipzig 1857. fol. #) Volta, On the Electrieity exeited by the mere Contaet of condueting Substances of different kinds. Letter to Jos. Banks d. D. Cöme 20 Mars 1800. in Phil. Transaet. 1800. II. 403—431. °) Volta Sopra Esperienze ed Osservationi da intraprendersi sulle Torpedini. Lettera al P. Congfigliacchi d. D. Como 15 Jul. 1805 in Brugnatelli Annal, d. Chim. e Storia nat. 1805. T. 22. p. 223—248 (mit bedeutungsvollen Anmerkungen übersetzt von J. W. Ritter in Gehlen Journ. f. d. Chem. Phys. u. Min. IV. 1807. p. 612—647). %) Configliacchi’s Antwort auf diesen Brief d. D. 6. Aug. 1805. a, e. a. O. (Brug- natelli p. 249—256 und Gehlen p. 647—659). 166 gab Volta höchst geistreiche Versuche an, um das Dasein der galva- nischen Rlektrieität darzuthun und die Richtung des vom Fische aus- gehenden Stroms durch dessen physiologische Wirkung zu bestimmen. Bevor ich jedoch auf die Bestätigung der Entwicklung galvanischer Elektricität bei den Zitterfischen eingehe, muss ich auf eine Arbeit über die Elektrieitätsentwicklung überhaupt bei diesen Fischen zurück- kommen, die, weil sie ihre Zeit so weit überragte, nur von geringem Einfluss auf den allgemeinen Fortschritt in diesem Felde gewesen ist und erst viel später in ihrem wahren Werthe hervortrat: ich meine Cavendish’ Versuch, die Wirkung der Torpedo durch gemeine Elektrieität nachzuahmen!). Dieser grosse Physiker bestätigte durch das Experiment die Möglichkeit der Walsh’schen Anschauungsweise der Torpedo. Eine Scheibe von Holz oder Leder, die jederseits mit einer Stanniolscheibe als Nachahmung der elektrischen Organe beklebt war, diente ihm zum Modell des Zitterrochens, das er in ein Gefäss mit Wasser setzte, die beiden Stanniolscheiben mit den beiden Be- legungen einer aus 49 Flaschen bestehenden Leydener Batterie in Ver- bindung setzte und so alle Erscheinungen, die man bis dahin am Zitter- rochen beobachtet hatte, auf völlig genügende Art darstellte. Bis auf Cavendish hatte man meistens gemeint, die Elektrieität ginge den besten und kürzesten Weg, Cavendish zeigte nun, wie ungereimt dieses sei und wie die Elektrieität alle ihr dargebotenen Wege ginge, durch den besseren Leiter strömte nur mehr, als durch den schlechteren. Eine Torpedo erfüllte also das ganze Wasser bei ihrer Entladung mit elektrischen Strömungscurven (von denen Cayen- dish a.a. ©. Tab. 3. Fig. 1. eine Abbildung giebt) und die eingetauchte Hand würde überall von der Elektrieität durchflossen, um so fühlbarer, je näher dem Fisch und überhaupt nur von wenig, da das Wasser so eminent viel besser die Elektriecität leite, wie sie. Man sieht also, dass Cavendish bereits im Besitz der Grundzüge der von Ohm 1827 aufgestellten Gesetze war, die auch da nur noch langsam Eingang zu finden vermochten, und wie ausserordentlich gross 1) An Account of some Attempts to imitate the effects of the Torpedo by Electriecity. Philos. Transact. Vol. 66. 1776. I. p. 196—225. Mit Tab. 3. (read 18 Jan. 1775). 167 diese Entdeckung der Elektrieitätsvertheilung war, erhellt wohl daraus zur Genüge, dass bis auf die neueste Zeit ein grosser Theil der Ex- perimentatoren mit den elektrischen Fischen, sich dieselbe nicht zu eigen gemacht haben und viele Versuche höchst wunderbar fanden, die man mit Hülfe von Cavendish’ Princip für selbstverständlich halten muss. Die Beweise, dass es wahre galvanische Elektricität sei, welche die elektrischen Fische erzeugen, wurden erst 1830 auf Anregung seines Bruders Sir Humphry Davy vollständig von John Davy !) an der Torpedo gegeben: Er beobachtete die Ablenkung des Mul, tiplicators, die Magnetisirung eines Stahlstabes in einer Drahtspirale- deutliche Funken, die Walsh bereits am Gymnotus erlangt hatte, die Zersetzung des Wassers und salpetersauren Silbers und bestimmte zuerst die Richtung des von der Torpedo erzeugten Elektrieitäts- stroms dahin, dass die positive Elektricität im Wasser vom Rücken zum Bauche des Fisches strömte. Später?) fügte er zu diesen Ver- suchen noch die Reduction von Jod aus Jodkaliumkleister und die Wärmeentwickelung in einer Thermokette durch die Elektrieität der Torpedo hinzu. Viele dieser Versuche hatte bereits 1805 Volta in seinem o. a. Briefe an Configliacchi vorgeschlagen. Für den Gym- notus wurden die entsprechenden Versuche 1838 von Faraday °) und 1839 von Schönbein®) für den Malapterurus 1855 von Ranzi°) ’) An Account on some Experiments and Obsery. onthe Torpedo. d. D. Malta 30 Sept. 1830. Phil. Transact. 1832. II. p. 259—265. (read. 22 März 1832). 2) Observat. on the Torpedo ete. ibid, 1834. II. p. 542— 549. (read. 19 Jun. 1834). ®) On the character and direction of the elec. force of the Gymnotus. Exper. Research. Ser. XV.$. 23. Nr. 1749—1795. in Phil. Transact. 1839. I. p. 1—12 (read. 6 Dee. 1838). (Deutsch in Pogg. Ann. Ergänz. Bd. I. 1840. 385—405). *) Beobachtung über die elektr. Wirkung des Zitteraals. Einladungssch. zur Promo- tionsfeier des Pädagog. Basel 1841. 4. ®) Il nuovo Cimento. Giornale di Fisica ete. T. 1. April 1855. p. 297. und ibid. T. II. December 1846. p. 447. Diese Beobachtungen, die Ranzi aus Florenz in Cairo anstellte, sind in der Wissenschaft wenig beachtet und von Matteucei aufınerksam gemacht, theilte sie du Bois Reymond erst vor Kurzem der deutschen Literatur mit. 8. du Bois Reymond zur Geschichte der Entdeckungen am Zitterwels im Archiv f, Anat, u, Physiol. 1859. März. p. 209—212. 168 und unabhängig davon: 1857 von (du Bois Reymond!) ausgeführt, und dabei gefunden, dass beim Zitteraal der Strom im Wasser vom Kopf zum Schwanz, beim Zitterwels aber vom Schwanz zum Kopf geht. Walsh hat sich jeder Hypothese über die Entstehungsart der Elektrieität bei den Zitterfischen enthalten, Galvani?) aber, dann Beec- querel) und in seiner ersten Zeit auch Matteucei nahmen an, dass die Elektrieität sich im Gehirn der Torpedo bildete, durch die Nerven in die elektrischen Organe flösse und dort frei würde, eine Meinung, die der Letztere aber bald selbst völlig widerlegte, die man jedoch wunderbarer Weise in den neuesten Werken der Becquerels) fest- gehalten findet. Lange Zeit herrschte Volta’s Ansicht, dass die elektrischen Organe Volta’sche Säulen wären, die nur aus feuchten Leitern beständen, während sie I. W. Ritter) auf nicht ganz klare Weise mit seiner secundären (Ladungs-) Säule vergleicht. Valentin®) sieht die elektrischen Organe als Volta’sche Säulen an, die jedoch durch den Nerveneinfluss gleichsam erst zusammengeordnet würden und in Wirksamkeit träten, während Pacini”), der entdeckte, dass in jedem Septum die Nervensubstanz und das stützende Bindegewebe in zwei Lagen gesondert sind, in jedem Septum die Elemente einer Ther- 1) Nachricht von einem nach Berlin gelangten lebenden Zitterwels in Monatsber Berl. Akad. 13. Aug. 1857. p. 424—429. Auch in Moleschott’s Untersuchungen zur Naturlehre etc. 1858. IV. p. 91—96, . 2) Bei Aldinia.a. 0. 3) Traite experiment. de l’Electrie. et du Magnet. Vol. IV. Paris 1836 8. p. 290. 4) Beequerel et Edm. Beequerel Traite d’Electric. et du Magnet. Vol. I. Paris 1855. 8. p. 267. und dieselben Resum& de l’hist, de l’Electrie. et du Magnet. Paris 1858. 8. p. 176. 5) Beiträge zur nähern Kenntniss des Galvanismus. Bd. II. Stück 3 u. 4. Jena 1805. 8. p. 243 Note p. 245 Note und s. in Bemerk. zu Volta’s o. a. Brief in Gehlen Journ. f. d. Chem., Phys und Min. IV. 1807. p. 644. Note. 6) Elektrieität der Thiere in Wagner Handwörterbuch der Physiol. Bd. I. 1842. p- 176. 277. 7) Sulla struct. intima dell’ organo elett. del Gymnoto ete. (Gaz. medica italian. fede- rat. Firenze 1852.) 169 mokette, in dem Nerveneinfluss ein Analogon der Wärme findet, und so die Elektrieität entstehen lässt. Seit Redi hat man die elektrischen Organe vielfach mit Muskeln verglichen und theilweise geradezu als solche angesehen, aber erst G. Carus!) und jedoch viel unklarer, H. Steffens?) trieben diesen Vergleich weiter und Carus sagt mit einfachen Worten, „wie der Mus- kel sich eontrahirt, giebt das elektrische Organ eine Entladung“. Fast alle vergleichenden Anatomen nach ihm handeln die elektrischen Organe bei den Bewegungsapparaten ab, oder auch in Verbindung mit den Leuchtorganen der Lampyris, eine Annäherung, die durch Kölliker’s schöne Entdeckungen darüber völlig gerechtfertigt ist. Weiterer Werth wurde jedoch auf diese Analogie nicht gelegt und das Verdienst die Tragweite dieses Vergleiches in ihrem vollen Maasse erkannt zu haben, gebührt unstreitig Matteuceci. Matteucci?) zeigte, dass alle Einflüsse, die bei einem Muskel Contraction, beim elektrischen Organ eine Entladung zur Folge haben, und dass das elektrische Organ dabei ebensowenig wie der Muskel bei seiner Contraction eine Volumsveränderung erleidet. An mit Strych- nin vergifteten Zitterrochen legt er die Analogie am klarsten dar, denn in derselben Zeit, wo die Muskeln des Rochens in den heftigsten Te- tanus fallen, geben die elektrischen Organe die kräftigsten Entladun- gen und ebenso wie die Muskeln durch solche Gifte ins Stadium der leichten Auslösung der Reflexe gerathen, geben dann die elektrischen Organe Reflexentladungen auf leichte Reize. Auch ausgeschnittene elektrische Organe lassen sich von ihren Nerven leicht zu Entladungen reizen, am leichtesten treten diese aber ein bei Berührung der elektri- schen Lappen des Gehirns. 50 scheint die Analogie zwischen Muskel und electrischem Organ ) Lehrbuch der Zootomie. Leipzig 1818. 8. p. 298. 299. #) Ueber die elektrischen Fische in L. Wachler Philomathie von Freunden der Wissensch. und Kunst, Bd.I. Frankf. a.M. 1818. 8. p. 143 fl. (Gelesen 3. Dec. 1817.) Schon Ritter a. a. O. Beiträge p. 247. Note hatte ähnliche Ansichten ausgesprochen. Traitd ». I. phenom&ues &leetrophysiolog. des Animaux, suivi d’Etudes anat. 8.1. Syst. nerv. et #. l’org. &lec. d. |. Torpille par P. Savi. Paris 1844. 8. p. 145—181. MoLzscuort, Untersuchungen VI. 12 170 in Bezug auf ihre Innervirung hinreichend bewiesen und R. Wagner), der 1846 in Pisa Matteucci’s Versuche bestätigte, erkennt sie als treffend an und du Bois Reymond?) hat neuerdings gezeigt, dass, wenn man auf den Nerven des elektrischen Organs des Zitterwelses einentetanisirenden Strom wirkenlässt, dieses eine Reihe dichtgedrängter Schläge giebt, gerade wie unter denselben Verhältnissen ein Muskel, nach seinen Entdeckungen, auch eine dichtgedrängte Reihe von Con- tractionen macht und nur für unser Auge sich stetig zusammenzuziehen scheint. Auf der andern Seite zeigt aber Eckhard 3) bei der Torpedo und du Bois Reymond?) am Malapterurus, dass den elektrischen Orga- nen das dem Muskelstrome analoge "elektrische Verhalten abgeht, während es dagegen wieder von Alters her bekannt ist, dass die elektrischen Fische nach häufigem Gebrauche ihrer Kraft ermüden und erst Ruhe und Nahrung ihnen das Vermögen zu neuen kräftigen Ent- ladungen wiedergeben, gerade wie Muskeln durch Ruhe und Nahrung zu neuer Arbeit sich stärken. Wie nun neuerdings Haller’s Lehre von der Irritabilität der Muskelsubstanz besonders durch Cl. Bernard’s und Kölliker’s Wuralivergiftungen und durch W. Kühne’s directe Reizung der Muskeln durch chemische Agentien wieder kraftvoll ins Leben getreten ist, so darf man auch vielleicht vermuthen, dass auch die elektrischen Organe ohne Vermittlung der Nerven zu elektrischen Entladungen im Stande sein werden, eine Meinung für die sich auch Goodsir°) bereits aus- gesprochen hat. 1) Sympat. Nerv., Ganglienstruet. und Nervenend. in s. Handwörterbuch der Physiol. Bd. III. 1. 1846, p. 379—381. 2) Ueber lebend nach Berlin gelangte Zitterwelse aus Westafrika in Monatsber. der Berl. Akad. 1858. Jan. 28. (p. 84—111) p. 106. Auch in Moleschott’s Untersuchungen etc. Bd. V. 109—137. 1858. 3) Zur Physiologie des elektrischen Organs beim Zitterrochen, in seinen Beiträgen zur Anat. und Physiol. Heft U. Giessen. 1858. 4. p. 161. 162, 4) A. a. O.p. 105. 5) Review of the present state of organic Eleetrieity in Edinburgh new Philos. Journ. New Series. Vol. H. 1855. p. 376. 171 Bei allem Licht, das auf diese Weise in die Anschauung der Zit- terfische gebracht ist, bleibt dennoch ein bislang gänzlich unlösliches Räthsel bei ihnen übrig. Durch die Versuche Humb.oldt’s, Matteuc- eis, R. Wagner’s u. A. erhellt auf’s Bestimmteste, dass die Muskeln und Nerven der Zitterfische grade wie diese Theile anderer Thiere auf die gewöhnliche Art durch Elektrieität reizbar sind und Matteueci’s Versuche zeigen sogar, dass für die elektrischen Organe auch Nobili’s Gesetz der Zuckungen Geltung hat, ferner weiss man seit Galvani, dass die Elektrieität der Zitterfische sich gerade wie die gewöhnliche Elektrieität zum Froschpräparat verhält, und du Bois Reymond!) hat durch direeten Versuch bewiesen, dass der Zitterwels im Augen- blick des Schlages vom elektrischen Strome durchflossen wird — und dennoch lehren alle Beobachtungen, dass der Fisch durch seinen eigenen Schlag zu keiner Muskelbewegung veranlasst wird, und dass dieser (wohl nur bis zu einer bestimmten Grenze) auch für Seinesglei- chen nicht fühlbar ist, wie Humboldt’s?) und Colladon’s3) Versuche beweisen, ferner fand du Bois Reymond%), dass, wenn er elektrische Ströme durchs Wasser leitete, welche die andern Fische darin völlig lähmten, seine Zitterwelse darin unbelästigt blieben, bis sie ausseror- dentlich verstärkt wurden, wo sie die Ströme zu merken schienen, und Fahlberg5) sah seinen Zitteraal, der in elektrisirtem Wasser schwamm, nur dann zusammenfahren, wenn er seinen Kopf aus dem Wasser hob und man ihm dann einen elektrischen Funken herauszog, wo er also durch einen sehr starken Strom gereizt wurde. Aus Allem geht demnach hervor, dass die Zitterfische, wie du Bois es nennt, eine !) a. a. O. p. 107, 2) Observ. s. l’Anguille &l&e. lu & l’inst. de Fr. 20. Oct. 1806 in Humboldt et Bonpland Observ. de Zool. et d’Anat. comp. I. Paris 1811. 4. p. 79. 80. ®) Experiences s. |. Torpille in Compt. Rend. 24. Oct. 1836. III. 490 (Pogg. Ann. Bd. 39. 1836, p. 413). %) a. a. O. p. 107. ®) Beskrifning ofver Electriske Aalen in Vetensk. Akad. Nya Handl. T. 22. 1801. Stoekholm 1801. 8. p. 122—156 mit Taf. 2. (Gilb. Ann. der Phys. Bd. 14. 1803. p- 416 —422. Auszug). 12* 172 Immunität gegen den elektrischen Strom besitzen, die es ihnen ja auch allein ermöglicht, ihre wunderbare Kraft als Waffe zu gebrauchen. Mit Hülfe Cavendish’ Princip übersieht man wie ausserordentlich stark der Strom des Zitteraals sein muss, wenn er Pferde zu Boden werfen soll, und jene Immunität tritt als wunderbarste Thatsache un- erklärt entgegen. IX. Ueber Gallenfarbstoffe und ihre Auffindung. Von E. Brücke. (Aus dem XXXV. Bande, $. 13 des Jahrganges 1859 der Sitzungsberichte der matbem.- naturw. Classe der kaiserl. Akademie der Wissenschaften vom Herrn Verfasser mitgetheilt.) Im December vorigen Jahres machte Dr. Valentiner in Günz- burg's Zeitschrift bekannt, dass sich aus Gallensteinen, aus der Galle, ferner aus den Lebern der Icterischen, oft auch aus anderen Geweben derselben mittelst Chloroform eine krystallinische Substanz erhalten lasse, welche verschieden von den bisher bekannten Gallenfarbstoffen sei und in allen ihren Eigenschaften mit dem Hämatoidin überein- stimme. Die chloroformige Lösung gab mit Salpetersäure in besonders schöner Weise die bekannte Farbenfolge der Gmelin’schen Gallen- probe; dagegen „enthielt nach Entfernung der in Chloroform löslichen Farbstöffe die immer noch stark dunkelgrün pigmenfrte Galle kein Substrat der Gallenpigmentreaction mehr“. Dr. Valentiner schlägt deshalb vor, da, wo es sich darum handelt, kleine Mengen von Gallen- farbstoff in einer Flüssigkeit nachzuweisen, diese mit Chloroform an- haltend zu schütteln und letzteres nach wieder erfolgter Trennung direct mit Salpetersäure zu prüfen. Da ich in meinen Vorlesungen gerade von der Galle handelte, so machte ich mich sogleich, als jene interessanten Beobachtungen zu meiner Kenntniss gelangten, daran, die Krystalle darzustellen, theils 174 um zu meiner eigenen Belehrung Dr. Valentiner’'s Versuche mit denselben zu wiederholen. Ich schüttelte den Inhalt von einer Anzahl menschlicher Gallenblasen mit Chloroform, goss nach erfolgter Tren- nung die Galle von dem speeifisch schwereren, nun gelb gefärbten Menstruum so vollständig als möglich ab, und filtrirte letzteres dann durch ein doppeltes Papierfiltrum, welches den Rest der Galle zurück- hielt. Das Filtrat wurde in eine Retorte gegossen und das Chloroform langsam, ohne es sieden zu lassen, im Wasserbade abdestillirt. Der Rückstand wurde nach dem Erkalten mit Weingeist von 94 Volum- procent Alkohol übergossen; die Krystalle hafteten theils an der Innen- seite der Retorte, theils senkten sie sich nach dem Umschütteln mit Weingeist wie rothes Ziegelmehl herab. Der Weingeist wurde abge- gossen, die Krystalle so vollständig wie möglich herausbefördert und durch Dekantiren mit Alkohol und Aether gereinigt. Die mikroskopische Untersuchung zeigte darauf, dass ihnen keine fremdartige Substanz mehr beigemengt sei. Abgesehen von einigen von Dr. Valentiner angegebenen Ver- suchen, welche ich mit den Krystallen anstellte, richtete ich meine Auf- merksamkeit zunächst darauf, ob in der That die durch Chloroform erschöpfte Galle die Farbenveränderungen mit Salpetersäure nicht mehr zeige. Ich dampfte einen Theil der von Chloroform abgegossenen Galle im Wasserbade zum Trocknen ab, pulverte sie, extrahirte sie mit Chloroform, filtrirte dasselbe ab, leerte den Filterrückstand wieder in eine Flasche, übergoss ihn mit neuem Chloroform und fügte dann wieder so viel Wasser hinzu, dass sich die trockene Galle darin löste. Nun extrahirtesich durch Schütteln weiter, indem ich das Chloroform von Zeit zu Zeit erneuerte; es nahm immer weniger Farbstoff auf, die Farbenveränderungen, welche es mit Salpetersäure zeigte, wurden immer schwächer und zuletzt unmerklich. Von der nun abgegossenen Galle wurde eine kleine Quantität mit vielem Wasser verdünnt, der Gmelin’schen Probe unterworfen und zeigte den Farbenwechsel sehr schön. Ich habe den Versuch mehrmals wiederholt und ihn theils in der ursprünglichen von Gmelin angegebenen Form ange- stellt, theils mit der Modification, welche ich vor zehn Jahren an dieser 175 Probe angebracht habe und welche darin besteht, dass nur verdünnte Salpetersäure hinzugesetzt wird und dann concentrirte Schwefelsäure, welche sich zu Boden senkt und von unten her den Zersetzungsprocess einleitet, so dass man sämmtliche Farben gleichzeitig in über einander liegenden Schichten beobachten kann. Stets erhielt ich dasselbe posi- tive Resultat. Diese Thatsache war in offenem Widerspruche mit Dr. Valen- tiner's Angabe, und es fragte sich, wie ich sie erklären sollte. Die durch Chloroform erschöpfte Galle bildete mit Wasser grüne Lösungen, dieselben wurden auch durch Zusatz von Kali nicht gelb, sondern nur ein wenig mehr gelbgrün, durch Salzsäure mehr blaugrün. Ich ver- muthete deshalb, dass vielleicht von den beiden, als Biliphäin und Biliveridin bekannten Farbstoffen, welche Objeet der Gmelin’schen Probe sind, der eine, das Biliphäin, in Chloroform löslich sei, der andere nicht, und es lag deshalb nahe, zu untersuchen, ob nicht die aus dem Chloroform erhaltenen Krystalle krystallisirtes Biliphäin oder doch eine krystallisirte Verbindung des Biliphäins seien. Es würde dies ihre von Dr. Valentiner vertheidigte Identität mit dem Häma- toidin keineswegs ausschliessen. Virchow hat schon vor eilf Jahren auf die Analogien mit dem Biliphäin (Cholepyrrhin) aufmerksam ge- macht, welche ihm sein Hämatoidin bei Einwirkung gewisser Reagen- tien darbot.!) Ich stellte desshalb zunächst eine neue Quantität von Krystallen dar, löste sie, nachdem sie gereinigt waren, in Ammoniak, und fügte dann so viel verdünnte Chlorwasserstoffsäure hinzu, dass die Flüssig- keit sauer reagirte. Sie trübte sich, und beim Umschütteln sammelte sich die Trübung in gelb-bräunlichen Flocken, von denen beim Filtriren ı) Virchow kommt zu dem Resultate, dass sein Hämatoidin vom Biliphäin ver- schieden sei; indessen sagt er, dass die Unterschiede zwar nach dem jetzigen Stande der Chemie schon zu einer Unterscheidung genligen; aber dass sie keine absoluten sind, son- dern mehr auf Verschiedenheit in der Cohäsion zurückführen, ja dass sogar eine ausser- ordentlich grosse Achnlichkeit zwischen beiden Farbstoflfen nicht weggeläugnet werden kann. Er findet es schliesslich aın wahrscheinlichsten, dass der Blutfarbstoff sich all- mälig in Gallenfarbstoff umwandele, und das Hiümatoidin ein Glied in der Reihe diesor Umwandlungs-Produkte sei. (Arch. f. path. Anat. Bd. 1, 8. 421 ff.) 176 die Flüssigkeit vollkommen farblos abtropfte. Diese Flocken erschienen unter dem Mikroskope mit gelber Farbe durchscheinend und vollständig amorph. Rasch mit destillirtem Wasser ausgewaschen, zeigten sie in ihrem Verhalten gegen Reagentien die Eigenschaften des Biliphäins, wie dieselben seit langer Zeit und am genauesten durch die Unter- suchungen von Heintz bekannt sind. ') Ingleichen absorbirten ihre alkalischen Lösungen Sauerstoff aus der Luft und färbten sich grün von gebildetem Biliverdin. Es handelte sich nun darum, zu untersuchen, ob die Krystalle durch das Auflösen in Ammoniak und das Fällen mittelst Salzsäure eine chemische Veränderung erlitten hatten, oder ob sie sich durch blosses Auflösen des Biliphäins in Chloroform und Abdampfen des- selben wieder gewinnen liesen. Gleich der erste Versuch entschied für das letztere. Da das amorphe Bilipphäin verbraucht worden war, um sein Verhalten gegen Reagentien zu prüfen, so löste ich eine neue, grössere Quantität von Krystallen in Ammoniak, fällte mit Chlorwasser- stoffsäure, filtrirte und wusch aus. Es hatte sich während der Opera- tion ein Theil des Biliphäins in Biliverdin umgewandelt, so dass der Filterrückstand grünlich gefärbt war. Ich brachte ihn unmittelbar nach dem Auswaschen und noch feucht in Chloroform, worin ich ihn unter Schütteln und gelindem Erwärmen auflöste. Die Flüssigkeit war gelb- grün gefärbt, als ich sie aber filtrirte, wurde sie gelb. Auf dem Grunde des Filtrums blieb ein grüner Beschlag zurück, während der Rand desselben, in den sich die chloroformige Lösung unter Verdunsten des 1) Ein Unterschied zeigte sich darin, dass sie beim Kochen mit Alkohol denselben viel weniger tief färbten, als dies frühere Beobachter beschreiben; da sie sich aber gegen kaustische und kohlensaure Alkalien, gegen Chlorbaryum, gegen Salpetersäure, gegen Chlorwasserstoffsäure, gegen den Sauerstoff der Atmosphäre ete. ganz wie Biliphäin ver- hielten, so muss man wohl annehmen, dass das früher dargestellte Biliphäin irgend eine Beimischung enthielt, welche entweder selbst färbende Kraft besass, oder die an sich geringe Löslichkeit des Biliphäins in kochendem Alkohol vermehrte. Ich muss hiezu be- merken, dass der nach dem Abdestiliren des Chloroforms auf den Retortenrückstand ge- gossene Weingeist sich immer tief braun färbte und beim langsamen Verdampfen an der Luft ausser Cholesterin und wenig Biliphäin schwarzbraune Massen ausschied. Hier war also durch den Weingeist ein mit dunkelbrauner Farbe löslicher Stoff entfernt worden, der vielleicht bei früheren Versuchen ganz oder theilweise mit dem Biliphäin gemengt blieb. 177 Menstruums infiltrirt hatte, orangegelb gefärbt war. Also nur das Biliphäin war im Chloroform gelöst, das Biliverdin mechanisch darin vertheilt gewesen. Von der gelben Lösung wurde das Chloroform abdestillirt, den Rückstand fand ich fast seiner ganzen Masse nach wieder krystallinisch, nur ein sehr kleiner Theil des Biliphäins war amorph geblieben. Kehren wir zu dem Ausgangspunkte unserer Versuche, zur Gme- lin’schen Gallenfarbstoffprobe zurück, so sehen wir aus dem obigen, dass das vom Dr. Valentiner empfohlene Chloroform zwar ein vor- treflliches Mittel ist, um das eine ihrer Objecte, das Biliphäin, zu extrahiren, dass dagegen das andere, das Biliverdin, nicht durch Chloroform erlangt wird, weil es sich in demselben nicht auflöst. Aber eben dadurch besitzen wir nunmehr im Chloroform ein Mittel nicht nur mit Leichtigkeit das Biliphäin rein darzustellen, sondern auch aus einem Gemenge von Biliphäin und Biliverdin das erstere auszuziehen und so das letztere zu reinigen. Umgekehrt kann man dem Biliphäin einen Gehalt an Biliverdin durch Weingeist entziehen, in dem letzteres sich leicht löst, während das Biliphäin darin schwerlöslich ist. Man kann auch reines Biliverdin so aus den rothen Krystallen darstellen, dass man sie in wässerigem kohlensauren Natron löst und die Lösung an der Luft Sauerstoff absorbiren lässt, wie dies Heintz bei seiner Dar- stellung des Biliverdins mit der Lösung des aus Gallensteinen gewon- nenen amorphen Biliphäins gethan hatte, endlich mit Salzsäure fällt, das Filtrat auswäscht und einen etwaigen Rest von Biliphäin mittelst Chloroform auszieht. B Zur Würdigung der physiologischen Wirkung der Sitzbäder. Entgegnung von Dr. L. Lehmann, Arzt am Bade Oeynhausen (Rehme). Im sechsten Bande dieser Zeitschrift (S. 5 u. f.) befindet sich eine längere Abhandlung des Herrn Dr. Böcker über Wirkung der Sitzbäder, der Brause u. s. w. nach Versuchen, welche er an sich und einem seiner Schüler, dem Herrn Lampe, angestellt hat. Den Anfang zu dieser Abhandlung macht der aus meiner Abhandlung über diesen Gegenstand (1853, Archiv des Vereins z. Förd. d. wiss. Heilk. v. Vog. Nasse und Ben.) wörtlich angeführte, resumirende Theil, welcher nun revidirt und einer scharfen, theilweise verurtheilenden Kritik unterworfen wird. Es geht Autoren wie Vätern. Einige Kinder sind ihnen, oft frei- lich unbewusst, besonders lieb. Meine Sitzbäderarbeit ist ein solches Lieblingskind von mir, und zwar dieses Mal bewusster Weise, da ich die durch dieselbe erhaltenen Resultate auch jetzt noch nach Prüfung der Böcker’schen Kritik für wahr halte. Dieses zu beweisen ist das Ziel der folgenden Blätter. Der Gang bei diesem Beweise soll folgender sein. Zuerst werde ich einige Ausstellungen Böck er’s an der Methode meiner Untersuchungen und den daraus gezogenen Schlüssen, zweitens meinen eigenen Stand punkt bei Beurtheilung des Einflusses, welchen die Mathematik auf die medieinische Statistik haben kann, drittens den Böcker’schen Standpunkt überhaupt, insbesondere aber in Beziehung aufmeine Arbeit 179 und schliesslich die von Böcker meinen Schlüssen gemachten Zuge- ständnisse und was daraus mit Nothwendigkeit folge, beurtheilen. S.63 a. a. ©. bedauert B., dass ich meine Versuche ‚in zu weit von einander abgelegenen Tagen angestellt“ habe. Ich halte dieser Ansicht gegenüber die getadelte Seite meiner Ver- suche für eine Tugend derselben. Wenn man aus einer unbekannten Vielheit von Zahlen-Möglichkeiten die Schwankungen derselben durch willkürliches, nicht der Reihe folgendes Herausgreifen zu erkennen sucht, wird diese Methode ein wahrscheinlich richtigeres Resultat gewähren, als wollte man der Reihe folgen. Wenn aus einer Urne, welche 20 von der Einheit anfangende, der Reihe nach aufwärtsstei- gende Zahlen enthält, die einzelnen ohne Wahl achtmal herausgenom- men werden, so habe ich mehr Aussicht unter diesen 8 Ziehungen auch die Zahl 20 zu bekommen, als wenn ich der Reihe folgen müsste. Ein nicht wahrscheinlicher Zufall könnte allerdings mir 8 Minima reichen, welche beim Folgen der Reihe sicherlich’ zum Vorschein kämen. Verlassen wir dieses Bild und kehren zur Wirklichkeit, so ist es mir wahrscheinlicher, dass ich die distantesten Möglichkeiten der Maxima und Minima der in Frage kommenden Körperausscheidungen erhalten werde, wenn ich durch Wochen und Monate getrennte Ver- suchstage unter gleichbleibenden Bedingungen beobachte, als wenn unmittelbar auf einander folgende Tage gewählt werden. Ich schliesse so von der Liste ungünstiger Zufälligkeiten besser die Möglichkeit aus, einseitige Maxima, Minima oder Mittelgrössen zu finden, welche die nachfolgende Vergleichung unsicher und irrig machen. — Bei der von mir eingehaltenen Methode giebt es nur folgende Möglichkeiten der zu findenden Resultate. Entweder erhalte ich, die extremsten Eventualitäten übergehend, als die meine Ausscheidungsgrössen be- zeiehnenden Ziffern nur Minima, nur Mittelgrössen und diese beiden; oder ich erhalte unter diesen, wenn auch nur vereinzelt auch ein Maxi- mum; oder auch ich erhalte vorwaltend und ausschliesslich Maxima ; im günstigsten und mir wahrscheinlichsten Falle aber diese alle unter- 180 mischt.. Nur der erste Fall dieser Annahme würde die folgende Ver- gleichung beirren, und dieses auch dann nur, wenn die Reihe mit ab- geänderter Bedingung — ein höchst unwahrscheinliches Schicksal — gerade auf die durch Maxima charakterisirten Tage verlegt worden wäre. In allen übrigen, genannten Fällen — und sie sind doch die wahrscheinlicheren — muss die von mir gewählte Methode am besten zum Ziele führen. Wie aber wäre es, wenn die sogenannten normalen 8 Tage un- mittelbar auf einander folgten? Ich habe bei meinen nun schon nicht wenigen Untersuchungen, welche eine ganze Reihe von unmittelbar sich folgenden, auf die 24stündige Periode sich ausdehnenden Beob- achtungen umfassen, nicht selten viele Maxima und eben so häufig viele Minima nach einander kommen gesehen. Diesen Fall auch bei den hier besprochenen Untersuchungen vorausgesetzt, so ergebe der- selbe einen störenden, durch Nichts auszugleichenden Irrthum. Es bleibt dabei der Einwand übrig, dass mein Organismus in den zwischen den Versuchstagen liegenden Intervallen möglicherweise ver- ändert, und dass durch die bekannten und unbekannten, ausserhalb und innerhalb des Körpers liegenden störenden Einflüsse die erfolgten Ausscheidungen wesentlich nach der höchsten oder niedrigsten Grenze hin verändert werden mussten. Indessen hat die Vergleichung der in diesen, auf die getadelte Weise angestellten Beobachtungen erhaltenen Zahlen einerseits, die später noch oft für ähnliche (Archiv des Vereins II. 1) und andere Fragen („die Sooltherme zu Bad Oeynhausen und das gewöhnliche Wasser‘ Göttingen 1856) wiederholten Versuche anderseits bewiesen, dass dieser Einwand nicht statthaft ist. Mein Körpergewicht schwankt in allen diesen Beobachtungen, welche in die Zeiträume von 1853 — 1859 fallen, zwischen 57 und 59 Kilogramme. Wesentliche, mir be- wusste Störungen hat mein Körper nicht erfahren. Es ist daher auch für die Leser dieser Zeitschrift interessant, zu sehen, wie gross unter gleicher Lebensweise die Urinausscheidungen meines Körpers bei vollständiger Inanition an Tagen, welche durch Jahre lange Intervalle getrennt waren, ausfielen. Man wird dann ein Urtheil gewinnen darüber, 181 ob meine oben aufgestellte Ansicht begründet ist. Die Zahlen bedeu- ten Grammen, die darüberstehende ( ) das Jahr. (1853 Rolandseck.) 6 Morgenstunden: 201. 274. 226. 364. 194. 282. 290. 341. 231. (1855 Rehme.) 6 N: 170 (1856 Rehme.) 5 ne 166. 136. 115. 272. 170. 120. 168. 4 y 170. 111. 3 5 97. 111. 80. 102. Damit die Leser diese 5-, 4- und 3stündigen Uringrössen bei Fasten mit meinen Östündigen vergleichen können, lasse ich hier einige aus meiner Arbeit (Archiv 11. 1. S. 2) entlehnte Zeilen abdrucken: „Sobald die Summe zweier, auf einander folgender Stunden (bei Fasten) mit 3 multiplieirt worden ist, darf man erwarten, der in Wirk- lichkeit während 6 Stunden entleerten Menge sehr nahe gekommen zu sein. Nehmen wir an, in der ersten Stunde seien 50 Grm., in der zweiten 45 Grm. entleert worden, so wird man ganz sicherlich nicht bedeutend irren, wenn man die nach 6 Stunden entleerte Gesammt- quantität des Urins auf 3>X75=225 Grm. schätzt. Der Rechnungs- fehler, welcher hier entstehen kann, wird so unbedeutend sein, dass er für unsere Feststellungen ganz vernachlässigt werden darf. Denn in den meisten Fällen finden wir bei den Badeversuchen 150. s. w. Grm. Mehrergebniss, als die obige Rechnung erwartet.“ Ausser dieser thatsächlich gestützten Beweisführung, erledigt sich B’s Einwand noch durch folgende Betrachtung. Wollte man — wie es bei der 24stündigen Periode allerdings wünschenswerth sein mag — auch bei den 6stündigen Fastversuchen die Tage auf einander folgen lassen, so müsste diese anstrengende und consumirende Lebensweise nach 8 Tagen — und diese Zahl genügt ja B. noch nicht einmal — den Organismus abnorm abändern. Das Ergebniss würde ohne Zweifel abnorm klein ausfallen. Die dann fol- gende Versuchsreihe mit abgeänderter Bedingung, welche wieder Fasten erfordert, würde fortschreitend den Organismus angreifen, und 182 die aus Vergleichung der Resultate folgenden Schlüsse unkenntlich machen. | Nach diesen Betrachtungen glaube ich den gedachten TadelB.'s, die Methode meiner Versuche betreffend, abweisen zu dürfen. — Ich würde vielmehr Jedem, der diese oder ähnliche Fastversuche macht, den Rath geben, im Interesse seiner Arbeit ähnlich wie ich dabei zu ver- fahren. — Was ferner, um auf eine zweite B.’sche Bemerkung einzugehen, die Kleinheit der von mir aufgestellten Reihe (8 Versuche auf jeder Seite) betrifft, so ist dieselbe doch doppelt so gross, als die von B. auf- geführte Lampe’sche Reihe. Dieser auch von B. für die gedachte Reihe selbst anerkannte Uebelstand würde nun allerdings die meinige nicht verbessern. Indessen kann ich doch nachweisen, dass meine Reihe besser ist als die Lampe’sche, woraus, wenn ich den Beweis ge- führt haben werde, sich ergeben muss, dass die aus meiner Reihe zu ziehenden Schlüsse nicht so zweifelhaft sind, als die aus dieser, was doch B. (a. a. ©. 5. 62) behauptet. Zieht man nämlich aus den in 8 von mir mitgetheilten Normalfastversuchen erhaltenen Urinmengen das successive Mittel, so ergeben sich folgende Zahlen, Gramme bedeutend: 238. 234. 266. 252. 257. 262. 272. oder fängt man mit der letzten Stelle zur ersten fortschreitend an: 316. 238. 227. 254. 250. 253. 247. Wir sehen, dass von oben an die Ziffer der ersten Ordnung (= 2) gleichbleibt. Die 5 letzten Zahlen unterscheiden sich nicht mehr we- sentlich. Denn setzt man die Zahlen in der Ordnung der Einer (— 0 oder = 10), jenachdem dieselben die Höhe 5 nicht oder wohl errei- chen, so heissen die 5 letzten successiven Mittel: 270. 250. 260. 260. 270. oder in umgekehrter Richtung: 230.250. 250. 250. 250. Bei Urinmengen, wo wir unsere Schlüsse nur, wenn die 100 Stelle sich vermehrt zeigt, zu bilden wagen, ist eine, eine solche Folge von successiven Mitteln gebende Reihe gewiss keine gerade zu tadelnde. Ziehe ich aber aus derLampe’schen Reihe derNormal-Urinmengen 183 die successiven Mittel, so resultiren folgende Ziffern, U. e. m. bedeu- tend: a. a. 0. 8.57 V. Tab.: 1544. 1470. 1374. Hier sind dieOrdnungen der Hundert nichteinmal gleich geblieben, folg- lich ist die Reihe der Zehner noch nicht so weit, sich irgend einem Mittel zu nähern. Aus dieser Betrachtung dürfte sich meine Reihe besser als die Lampe’sche erweisen und demgemäss müsste der B.'sche Ausspruch (a. a. O.): „und es erweisen sich, weun man das Verhalten des Körpergewichts ausschliesst, die Lehmann’schen Versuche ebenso unentschieden, wie die von Lampe und mir“ modificirt werden. — Nimmt man nun die oben bereits mitgetheilten, in späterer Zeit bei Fasten in Morgenstunden excernirten Harnmengen zu dieser, also betrachteten Reihe hinzu, so dürfte wohl ein Zweifel daran, dass mein Körper bei Inanition wesentlich grössere Mengen Harnes in der Mor- genzeit aüszuscheiden befähigt gewesen, gerechtfertigt sein. — Es bleibt mir nun übrig, die die Allgemeinheit der von mir ge- zogenen Schlüsse betreffende Kritik noch mit einigen Worten zu besprechen. — Ich habe die von Anderen und mir angestellten Ver- suche immer nur als Beispiele aufgefasst wie irgend ein Agens den Stoffwechsel des Menschen beeinflusse. Aus solehem Beispiele fol- gerte ich, dass auch viele andere, mir ähnlich sich verhaltende Organis- men ähnlicher Weise, wie ich, afficirt würden. Nie aber ist es mir eingefallen, aus diesen, einen Organismus betreffenden, Erfahrungen, alle Menschen betreffende Schlüsse zu ziehen. Wenn meine, von B. mitgetheilten Theses, diesen Zusatz nicht immer enthalten, so dürfte das des schleppenden Stiles wegen, der daraus hätte hervorgehen müssen, wohl zu entschuldigen sein. Ich hätte allerdings sagen müs- sen (Arch. I, 4) Thes. 2. Solche Sitzbäder machen bei mir und ähn- lich sich verhaltenden Menschen den Puls seltener u. s. w. Indessen habe ich damals beim Niederschreiben das daraus her- vorgehende Missverständniss nicht vor Augen gehabt. — 154 Inder Fortsetzung der Arbeit, welcheim nächstfolgenden Archivhefte (I, 1) steht, findet sich aber eine Stelle, aus welcher hervorgeht, dass ich für die auf die höheren oder niederen Temperaturen des Bade- wassers zu beziehende Einwirkung individuelle Unterschiede vorher- gesehen habe. Ich halte mich für berechtigt, meine Sitzbäderarbeit (Archiv I. 4und II. 1) nicht auseinander betrachten zu lassen, da die später gefundenen Resultate auf meine Erfahrungen, die ich bei kalten Sitzbädern gewonnen hatte, nothwendig Einfluss üben mussten. Da aber, um diese Seite der B.’schen Kritik möglichst rasch zu verlassen, ein Missverständniss meiner Arbeit möglich gewesen sein kann, so muss ich dafür dankbar sein, dass dasselbe öffentlich aufge- klärt werden konnte. Ich erkläre also, dass ich unsere physiologisch- chemischen Versuche immer nur als Beispiele betrachtet habe, durch welche eine mir unbekannte Anzahl anderer Menschen in ihrem Ver- halten zu irgend einem Agens ebenfalls charakterisirt würde. Dass diese Anzahl alle Menschen seien, habe ich nie zu denken den Muth gehabt. Für unsern fraglichen Fall ausgedrückt, war mein Schluss so: Da verschieden warme Sitzbäder auf meinen Stoffwechsel ein- wirkten, so wird diesesauch bei Herrn B.— vorausgesetzt, dass derselbe fastet und sich nicht bewegt — bei irgend welchen Temperaturen der Fall sein. Sobald B. den Gegenbeweis geliefert haben wird, dass meine Voraussetzung auf ihn nicht passe, vorausgesetzt, dass er fastet und sich nicht bewegt, werde ich seinen Organismus aus der Zahl der mir ähnlich sich verhaltenden löschen. Die B’schen Versuche sind bis heute mir kein Beweis, dass kalte Sitzbäder unter ähnlichem Ver- halten, wie ich es beschrieben habe, bei ihm Körpergewichtsver- luste und die Urinausscheidungen nicht steigere. Ich habe den leb- haften Wunsch, derselbe möge sich veranlasst sehen, in seinen nächstens fortzusetzenden Versuchen auch nur 4 Morgenstunden zum Fasten und Experimentiren zu verwenden, wodurch dann die Folge für seinen Körper deutlich hervortreten müsste. Zwischen der von mir und von ihm bei unseren Beobachtungen eingehaltenen Lebensweise ergeben sich folgende Differenzen: 185 Böcker. Lehmann. 1. Fahren auf der Eisenbahn . . nicht 2. Bewegung auf die Höhe . . . nicht 3. Trinken von 700 C. C. Wasser . nicht 4. Trinken von 300 C.C. Milch . nicht 5. Brod und Butter zum Frühstück nicht (Anmerk. Die Tage 15. und 18. October müssen, weil ungleichmässig stär- kere Bewegung einwirkte, wol besser gänzlich ausgeschieden werden.) Möge nun der Leser urtheilen, ob ich im Rechte bin, wenn ich die B’schen Versuche mit den meinigen, die ich vollständig fastend, ohne alle Bewegung, nicht selten frierend (um nur den unbekannten Ein- fluss der Bewegung aus dem Versuche fern zu halten) anstellte, un- vergleichbar finde. Nach diesen vorläufigen Bemerkungen, welche für die Beurthei- lung der Sache erspriesslich schienen, gehe ich auf Auseinandersetzung meiner Ansicht über die Frage ein: welchen Einfluss kann und soll die Mathematik auf die Statistik überhaupt und auf die medieinische Statistik insbesondere haben ? Die Statistik, deren Aufgabe darin besteht, irgend welche unter bekannten oder unbekannten Verhältnissen sich wiederholende Er- scheinungen, Vorgänge und Existenzen zu zählen, um entweder schlechthin die Summe derselben genau kennen zu lernen, oder im weiteren Verfolg diese so kennen gelernte mit einer anderen, in ähn- licher Weise aber doch unter irgend bekannter Abänderung erhaltenen Summe zu vergleichen, — die Statistik, sage ich, bedient sich zu ihrer sichereren Leitung der Mathematik als Hülfswissenschaft. Von dieser holt sie sich die Gesetze, unter welchen aus der anzustellenden Ver- gleichung sichere Resultate folgen können. Die Mathematik verhält sich dabei zur Statistik wie die Logik zum Denken. Denn auch diese lehrt die Bedingungen, die Form, unter welchen anderweitig gegebene Begriffe detinirt, Urtheile gebildet, Schlüsse gezogen werden können. Statistik ist in ihrem ganzen Umfange das durch Zahlen getragene MouLescuorr, Untersuchungen VI. 18 186 Denken, und die Mathematik ist die Logik dieser bestimmten Aeus- serung des Denkens. Jeder Mann weiss, dass der beste Logiker ein schlechter Denker sein kann, und in demselben Verhältnisse kann der beste Mathematiker der schlechteste Statistiker sein. Erst wenn die Prämissen geprüft und unumstösslich richtig gegeben; wenn ferner die Folgesätze ebenso richtig formulirt worden sind; erst dann zeigt sich der Weg zur Bildung des richtigen Schlusses. Genau so müssen erst die Zahlen auf die verschiedene Art der menschlichen Erfahrung gesammelt, dieselben müssen erst in ihrer relativen oder absoluten, in ihrer individuellen oder generellen, in ihrer einmaligen oder ewigen Richtigkeit gegeben seim, bevor die Mathematik das Geschäft der Ver- gleichung leiten kann. Die Erfahrung ist nun eine einfache, d. h. durch Prüfung irgend welcher gegebenen Objecte vermittelst unserer Sinne, oder eine com- plieirte und künstliche, d. h. Prüfung einer durch’Absicht und die für diese angewandten, künstlichen Mittel erst hervorgerufenen Erschei- nung vermittelst unserer Sinne. — Manche Erfahrungen sind flüchtig, nicht wieder zu machen, und dahin gehören viele der letztgenannten Art; andere Erfahrungen sind constante, immer neu zu machende. Es ist einleuchtend, dass diese eine viel sicherere Bedeutung und einen viel constanteren Werth haben müssen als jene, weil die ersteren will- kürlich häufig gemessen, gewogen und gezählt werden können. Die der Statistik vorgelegten Zahlen werden alle entweder den Werth der einen oder andern Ursprungsquelle haben. Dieselbe be- sitzt aber kein Mittel, diesen constanten oder weniger constanten Werth mit in Rechnung zu bringen. Es wird bei solcher Sachlage der Dinge nicht selten vorkommen müssen, dass die Mathematik die von ihr behufs Vergleichung der Zahlen aufgestellten Gesetze nicht erfüllt sieht und ihre Hülfe bei der anzustellenden Vergleichung verweigert. Diese Möglichkeit interessirt uns bei der vorliegenden Untersu- chung. Physiologisch-chemische Versuche sind — genau mathematisch aufgefasst — niemals von wahren Zahlenwerthen gefolgt, da der ver- rinnende Tag mit der ihm gehörenden Beschaffenheit nicht wieder- 187 kehrt, das Versuchsobjecet morgen nicht mehr wie heute ist. Es würde sich nun fragen, ob es besser ist, die auf diesem Wege zu findenden Zahlen gar nicht zu haben, oder sie mit dem ihnen eigenthümlichen Werthe hinzunehmen und zu benutzen. Ich trage kein Bedenken, mich für die letztere Hälfte der Frage zu entscheiden. Es istabereinleuchtend, dass dannmitdengegebenenZahlen ein nichtin Rechnung zu bringender Werth verbunden ist, die der Mathe- mathiker verständlicher Weise gar nicht beachten kann, der aber für eine richtige Folgerung als wesentlich für das Facit beachtet werden muss. Daraus folgt mit Nothwendigkeit, dass derjenige, welcher die durch physiologisch-chemische Versuche erhaltenen Zahlen deuten will, nicht allein die Mathematik, sondern auch die Physiologie, d. h. den nur durch diese Wissenschaft zu schätzenden Nebenwerth der Zahlen — mit zu Rathe ziehen muss. Aber man missverstehe mich nicht. Ich will nicht etwa die Mathe- matik und ihre Dienste für die Statistik unserer Versuche gering- schätzen. Vielmehr erkenne ich dieselbe in ihrem ganzen und erhabenen Werthe an. Es ist nicht ihr Fehler, dass Zahlen, welche mit gewissen, nicht in Rechnung zu bringenden Fehlern behaftet sind, von ihr allein nicht richtig gedeutet werden. Was ich von unseren Versuchen und dem Verhältniss der Mathe- matik zu ihnen behauptete, das gilt auch noch auf vielen anderen Ge- bieten. Es sei mir erlaubt, dies durch ein, wenn auch noch so trivia- les Beispiel zu erläutern. Ich bitte den Leser, die B.’sche Arbeit (a. a. OÖ. 8. 61.IX. Tabelle) aufzuschlagen. Ich lasse die Zahlen unverändert, nur sollen sie andere Objecte bezeichnen. Es sei von einem kaufmännischen Geschäfte die Rede. Die normale, durch Erfahrung bekannte Geschäftsführung vertrete die Stelle der einen Reihe „ohne Sitzbad“; die durch eine bekannte Abänderung alterirte Geschäftsführung die Stelle der andern Reihe, „mit Sitzbad.“ Man fragt: „Welche Art der Geschäftsführung war die kostspieligste ?“ Ich lasse die durchB.'s Fleiss mathematisch verwerthete, statistische Antwort folgen. Die erste Reihe a, — die zweite 5, die Zahlen be- deuten Thaler. 18% 188 Es wurde ausgegeben: a. b. 201. 275. 227. 364. 334. 674. 280. 200. 194. 283. 291. 342. 601. 364. 583. 668. Die von B. berechneten Mittelschwankungen in beiden Reihen sind beziehungsweise 58 und 176, die Mitteldifferenzen 191; und daher schliesst er nominibus mutandis S. 62 folgendermaassen: „Man könne aus dieser Tabelle sehen, dass überall die Mittelunter- schiede erheblich geringer ausfallen, als die Summe der mittleren Schwankungen, und dass man daher den Schluss auf vermehrte Aus- gabe bei 5 nicht als sicherstehend betrachten dürfe.“ — Man sieht nun aber leicht ein, dass das Missverhältniss zwischen der Summe der Mittelschwankungen und Differenzen noch ungünsti- ger wird, wenn man die 4 letzten Zahlen bei 4 noch mehr erhöht, wäh- rend die ersten 4 unverändert bleiben. Die Ausgabe könnte auf diese Weise sehr ansehnlich vergrössert werden. Um so unsicherer würde der zu ziehende Schluss. Bei aller Achtung vor der Mathe- matik würde der Kaufmann bei einem fortgesetzten Versuch zu Scha- den kommen und mit den gegebenen Zahlen sich begnügen, den Ver- such einzustellen. Wo also die Mathematik mit dem praktischen Verstande so in Widerspruch tritt, wie in diesem Falle, muss es Ursachen geben, welche diese Collision erzeugen. Bei meinen Sitzbädern wirkten in den letzten 4 Versuchen die abgeänderte Bedingung 2 mal und 3 mal ein. Deshalb musste die letzte Hälfte der Zahlen in besonders auf- fälliger Weise wachsen. Es scheint mir demnach angemessener, zu den von Radicke (Archiv f. ph. Heilk. v. Roser, Gr. u. W. 1858 zw. Hft. S. 145 anfangend) entwickelten Methoden noch folgende hinzuzufügen, durch welche die Mathematik noch besser im Stande ist, unsern Schlüs- sen zu Hülfe zu kommen. Man bildet eine möglichst vollständige Normalreihe, deren Güte durch das successive Mittel von oben nach unten und umgekehrt ge- prüft wird. Handelt es sich um Urinmengen, so würde die Reihe 189 genügen, wenn die Zehnerstelle sich auszugleichen beginnt. Das arithmetische Mittel aus dieser Reihe nennen wir mit Radicke M. Wir berechnen ferner mit ihm die mittlere Schwankung — u. Nun aber halte ich es nicht für nothwendig, im abgeänderten Ver- suche eine ebenso vollsändige Reihe zu bilden. Denn die Mathematik setzt die Grenzen für das Normale fest. Dieselben liegen M+ ubis M— u. Die zwischen diesen Grenzen liegenden Grössen auf Seite der Abänderung berechtigen zu dem Schlusse keines, die ausserhalb nach oben oder unten liegenden Zah- len aber zum Schlusse eines Einflusses der Abänderung. Nehmen wir nun den Fall, dass in einer gefundenen Normalreihe, deren Grenzen wir abstecken konnten, 20 Zahlen, auf der anderen Seite jedoch nur 5 ständen, so würden 3 ausserhalb der abgesteckten Grenzen, natürlich nach einer Richtung liegende Zahlen zu einem Schlusse berechtigen. In der That ist nicht einzusehen, was diese Art des Schlusses hindern könnte, da folgender Satz dazu berechtigt. Entweder lehrt die Wahrscheinlichkeitsrechnung die Grenzen einer Reihe nicht oder wohl kennen. Wäre das Erstere der Fall, so wäre sie unnütz. Ist aber das Andere der Fall, so müssen mit Wahrscheinlich- keit von 5 Zahlen 3 zwischen dieselben fallen. Wende ich die hier mitgetheilten Ansichten auf meine Zahlen (Uringrösse) an, so ist im Normalen vonM + u bis M — u die Distanz 330 bis 214. Unter allen 8 Zahlen beim Sitzbade liegen nur 2 innerhalb, 6 dahingegen ausser- halb, und unter diesen wieder 4 sehr weit ausserhalb der Grenzen. “ Aus dieser Anschauung halte ich meinen Schluss, dass das Sitz- bad meinen Urin vermehrt habe, aufrecht. Dieser meiner Anschauung gegenüber stelle ich nun die Böcker'- sche, wie sie sich aus seinen Schlussfolgeruungen dedueiren lässt. Vor- her bemerke ich, dass ich aus mehreren Gründen die Lampe’sche und die B’sche Versuchsreihen aus einander betrachten werde. Die Gründe sind: 1. Beide Reihen sind ungleich vollständig der Zahl nach. 2. Beide Reihen sind unter sehr verschiedener Lebensweise erhalten worden. 190 3. Die L’’sche, nicht die B.’sche, lässt sich, da sie auch unter theil- weiser Inanition erhalten worden ist, mit der meinigen vergleichen. B. schliesst aus der L.’schen Versuchsreihe (a. a. ©. 8. 60): „Dass die L.’schen Versuche keineswegs irgend welche Sicherheit dafür gewähren, dass die Sitzbäder bei Herrn L. die Körpergewichts- verluste verändert haben.“ Hier wird also erklärt, dass die Sitzbäder bei Herrn L. die Ge- wichtsversuche verändert haben können, dass aber eben so gut das Gegentheil möglich sein könne. Mit andern Worten: Die Versuche lehren nicht mehr, als vor Anstellung derselben bekannt war; da es sicher ist, dass die Sitzbäder das Gewicht eines Badenden entweder verändern, oder aber es nicht verändern. Ist aber B. in den oben an- geführten Worten so zu verstehen, dass er die Nichtveränderung des Körpergewichts erschliesst, so gehört diese Art zu schliessen in das Folgende und wird daselbst besprochen werden. Der zweite Schluss B!s lautet a. a. O. 8. 60: „Dass bei Herrn L. weder die Menge des Harns, noch die des Harnstoffs, noch u. s. w. in entschiedener Weise durch das Sitzbad ver- ändert, weder vermehrt, noch vermindert worden sind.“ Die hier ausgedrückte, sicherer als oben ausgesprochene Erkennt- niss B.s findet in dem bald folgenden Passus seinen vollkommenen Ausdruck. Es heisst daselbst: „Hieraus folgt, dass bei Herrn L. (und mir) eine, die obenge- nannten Ausscheidungen verändernde Wirkung der Sitzbäder sich weder in den ersten drei, noch auch in den ersten sechs Stunden nach dem Sitzbade bemerklich macht.“ Hier ist mir ein Zapsus calamı anzunehmem um so weniger wahr- scheinlich, als dieselbe Auffassung durch die ganze Abhandlung geht, nämlich die Annahme einer Berechtigung, ein begründetes Resultat mit Hülfe der Mathematik aus den L.’schen Versuchen zu nehmen, und zwar heisse dieses Resultat: Nichtvermehrung. Es giebt leichtverständlich folgende Möglichkeiten für die Resul- tate eines gelingenden Versuches: 1. Das Resultat ist positiv. 2. Dasselbe ist no 3. Dasselbe 191 ist indifferent oder auch neutral, d. h. die erste und zweite Möglichkeit ausschliessend. — Ein anderes Resultat ist nur in dem unvollständigen oder auch in dem nıisslungenen Versuche möglich, das des Unentschie- denseins. In diesem Falle lehrt der Versuch Nichts, da alle drei Mög- lichkeiten, von denen nur eine in Wahrheit ist, für unsere Erkenntniss noch gleiche Berechtigung behalten. B. hat also für L’'s fastenden Körper in Beziehung auf die unter- suchten Ausscheidungen das Resultat eines Sitzbades als indifferent, als weder vermehrend, noch vermindernd, annehmen zu dürfen geglaubt. Wo aber die zu mathematischen Folgerungen erforderlichen Be- dingungen fehlen, ist die erste Regel, von der Mathematik keine Er- wartungen zu hegen. Die B.’sche Reihe entbehrt aber jeglicher Be- dingung für eine mathematische Verwerthung. Radicke sagt (a.a. O. 5.179): „Wollte man nun nach den in dem Vorstehenden entwickelten Grundsätzen und Bemerkungen die in der neuern Zeit veröffentlichten Beobachtungen revidiren, um die daraus abgeleiteten Resultate zu be- richtigen, so würde man zunächst in Anbetracht der durchgehends sehr beträchtlichen Schwankungen Alles unbesehen fortwerfen müssen, was auf Beobachtungen von nicht mehr als 5 oder 4 Tagen beruht. Selbst 5—lÜtägige Gruppen würde ich meist bei Seite legen, wenn die Diffe- renzen zwischen den einzelnen Zahlen 10 Procent des Mittels über- treffen“ u. s. w. Würde, nach dieser Aeusserung zu urtheilen, Radicke die Lam- pe'sche Reihe beurtheilen sollen, so würde er dieselbe „unbesehen“ fortwerfen müssen. Er würde damit ausdrücken: Ich kann aus den mir vorgelegten Zahlen weder ein Mehr noch ein Minder, noch ein Gleich schliessen. B. muss aus dieser Bemerkung einräumen, dass, will er die L.sche Reihe mathematisch verwerthen, unsere Erkenntniss nach der- selben, auch selbst nur auf den untersuchten Körper bezogen, um nichts klarer geworden ist, als vor derselben. Denn auch vor Aufstellung derselben wussten wir sicher, dass das Sitzbad den Herrn L. entweder afficire, oder nicht affieire. Und mehr lernen wir aus diesen Versuchen auch jetzt nicht. —- Der B.’sche Schluss aus der L.’schen Reihe muss also nicht durch Kleinersein der Mitteldifferenzen, verglichen mit der 192 Summe der mittleren Schwankungen motivirt werden — wo diese Ver- gleichung stattfinden kann, entscheidet die Mathematik sich für ein definitives Resultat —, sondern derselbe muss so formulirt werden, dass die Mathematik mit dieser Reihe vorläufig Niehts machen und ein an Wahrscheinlichkeit grenzendes Resultat von ihr nicht erwartet wer- den könne. Wenn nun der Schluss B.’s von seinem eigenen Standpunkte cor- rigirt worden ist, dann drängt sich uns die Frage auf, ob diese L.’sche Reihe unsere Erkenntniss in irgend welcher Hinsicht gefördert habe. Die Frage muss nach dem Vorstehenden unbedenklich verneint werden. Wenn B. meine Reihe unsicher und unvollständig fand, so konnte er dies aus ihr selbst zu beweisen suchen. Es frommte aber weder ihm, noch der Wissenschaft, unsichere Reihe auf unsichere Reihe zu legen und aus nicht hinreichenden Reihen mathematisch unzulässige, mathe- matische Schlüsse des Nichtvermehrtseins jener genannten Ausschei- dungen zu erschliessen. Bei dieser Gelegenheit fühle ich mich abermals veranlasst, meinen Dank dafür B. auszudrücken, dass er neuerdings wieder bestrebt ge- wesen ist, auf mehr Zuverlässigkeit im Verwerthen der Zahlen zu dringen. Gleichzeitig aber warne ich davor, auch in dieser Richtung einseitig und zu enthusiastisch vorzugehen, weil es beim besten Willen sich sonst ereignet, dass Jemand das Unsichere, welches bisher wenig- stens des Stempels der Mathematik entbehrte, dona fide mathematisch besiegelt. Verzichtet man bei der Lampe’schen Versuchsreihe auf mathe- matische Schlussfolgerung — und diese ist nach Vorstehendem ganz und gar unzulässig — so ist das Resultat der Vergleichung, dass das Sitzbad wahrscheinlich mehr Körpergewichtverlust beim Fasten, mehr Urin, mehr Harnstoff und mehr CINa hervorgerufen hat. Ohne Sitzbad verliert Herr L. (dem Werthe nach geordnet) ohne Sitzbad: 750 1000 1083 1483 mit Sitzbad: 983 1333 1475 1500 Vom Minimum zum Maximum in jeder Reihe fortschreitend und vergleichend, ist jede Grösse beim Sitzbade grösser, als ohne dasselbe. 193 Dieses Ergebniss ist noch auffälliger beim Harn. Ohne Sitzbad exeernirt Lampe an Harn in 6 Morgenstunden (nach der Grösse geordnet) ©. C. ohne Sitzbad: 354 429 724 1109 mit Sitzbad: 495 125 1043 1091. Hier ist in den Maximis ein plus von 18 C. ©. auf Seiten des Nor- malen; und man könnte darin einen Zweifel an dem Vermehrtsein des Urins begründet erkennen. — Dieser Zweifel wird vollständig ver- schwinden, wenn wir die Zugabe zur Tabelle V der B.'schen Arbeit einsehen. Aus meinen Sitzbad- Versuchen ist bekannt, dass die dem Bade folgende Urinvermehrung unmittelbar nach dem Bade und bis etwa eine Stunde nach dem Bade auftritt. B. hat daher die Entleerungen des Urins bei L. von je 2 zu 2 Stunden notirt, indessen bei den vier Sitzbad-Versuchen nur drei mal, während das vierte Mal (16. Septbr.) nur die sechsstündige Quantität insgesammt notirt worden ist. Ohne Sitzbad entleerte L. in den ersten zwei Morgenstunden Urin C. C.: ohne Sitzbad: 156 397 190 560 mit Sitzbad: 641 536 759. Wenn wir das Minimum beim Sitzbade 536 gleich dem Maximum des Normalen 560 setzen, so liegen alle Badeergebnisse ausserhalb der normalen Grenzen und zwar einmal um 200 über das normale Maximum hinaus. Herr L. entleert ferner Harnstoff in 6 Morgenstunden: Ohne Sitzbad: 10,2. 14,8. 12,7. 16,7 Mit Sitzbad: 13,5. 18. 13,9. 17,2. Auch hier lässt sich bei den Sitzbädern ein grösseres Minimum, grössere Mittelgrössen und grösseres Maximum erkennen. Ferner scheidet L. von Chlor-Natrium aus — wenn wir 1, 9 beim Sitzbade, als von allen übrigen Ergebnissen sich durch seine Kleinheit auffällig unterscheidend, wegwerfen, da diese Zahl nur !/; vom Klein- sten des Normalen beträgt und mit Wahrscheinlichkeit irgend einer unbekannten Störung z.B. zufällig verminderter Einfuhr, zugeschrieben werden muss — 194 ohne Sitzbad: 3,6. 6,1. 5,0. 6,6. mit Sitzbad: (1,9.) 7,3. 5,1. 10,5. Also lässt sich auch hier durch grössere Mittelzahlen und ein grösseres Maximum wahrscheinliche Zunahme beim Sitzbade erkeunen. Dasselbe ist der Full bei PO5, bei welcher man wieder die abnorme Zahl 0,25 ausscheiden muss. Ohne Sitzbad: 0,40. 0,41. 0,45. 0,49. Mit Sitzbad: 0,50. 0,54. 0,41. (0,25.) Dasselbe bei den Erdphosphaten: Ohne Sitzbad: 0,13. 0,17. 0,14. 0,13. Mit Sitzbad: 0,12. 0,22. 0,17. 0,17. Nur bei der Schwefelsäure ist keine Vermehrung bemerklich. £ Ich glaube demnach, dass Herr L., wenn er seine Versuche hin- reichend vervielfältigen würde, zu einem positiven Resultate in dem von mir vertretenen Sinne kommen müsste. Ich würde mich aber keineswegs zu einem solchen Urtheil veranlasst sehen, wenn nicht die oben gegebenen Zahlen der zweistündigen Urinmengen in so sichtlicher Weise mit dem von mir 1853 Gefundenen übereinstimmten. Bei mir war dies noch um so schlagender, als ich an einem und demselben Morgen den normalen und den abgeänderten Versuch an- stellen konnte, meinem Versuche also nicht der Einwand entgegen- gestellt werden kann, dass der eine Morgen, verglichen mit dem andern, ungleiche Bedingungen mit in den Versuch trage. Auch haben diese Versuche den Vorzug, ihre Resultate durch schlichtes Nebeneinander- halten vergleichen zu können und keine Rechnung behufs der Ver- gleichung, zu erfordern. Es verhält sich meine Urinausscheidung 1853, als ich fastete, weder ass noch trank, so: I. 20. October. II. 29. October. 1II. 1. November. lte Stunde: 59,7 Gramm. 64 1/, St. Sitzbad 7,70 R. (!/, St. Sitzbad 8° R.) 2te Stunde: 42,5 Gramm. 88 lte Stunde 96,7 1!/, St. Sitzbad 8,5° R. warn 2te Stunde 146,6 195 I. 20. October. II. 29. October. IlI. 1. November. 3te Stunde: 90,3 Gramm. 113 öte Stunde 95,5 (Sitzbad.) (Zweites Sitzbad.) dte Stunde: 62 Gramm. 101,7 4te Stunde 107,5 1, St. Sitzbad 8,50R. (Sitzbad.) öte Stunde 153 öte Stunde: 69 Gramm. 117 (Drittes Sitzbad.) 6te Stunde: 40 Gramm. 99,5 6te Stunde 68,9. Diese Versuche enthalten Alles, was zum Schlusse berechtigt. Der einzige Einwand, dass auch ohne Sitzbad vielleicht die stündliche Urin- entleerung in Versuch I. sich auf 90 oder in III. auf 153 gehoben haben könne, wird durch meine zahlreichen Versuche, welehe man in fol- genden Arbeiten nachzusehen beliebe: (Arch. des Vereins I. 4. Il. 1. IV. I, ferner meine Schrift: „Die Sooltherme zu Bad Oeynhausen und das gewöhnliche Wasser.“ Göttingen 1856) widerlegt. Nicht ein einziges Mal erreichte meine stündliche Urinentleerung bei Fasten eine grössere Höhe als 67 und blieb meistens selbst bei Essen und Trinken in den Morgenstunden unter 90. Ich komme jetzt zum Nachweis, dass auch die B.’sche, schon au- sehnlichere Versuchsreihe, die Urinmengen betreffend, die Attribute entbehrt, welche jene dazu berechtigen, auf mathematische Weise ver- werthet zu werden. Radicke sagt a. a. O. S. 180: „Selbst 5—10tägige Gruppen würde ich meist bei Seite legen, wenn die Differenzen zwischen den einzelnen Zahlen 10 Proc. des Mittels übertreffen und die Mittel der verglichenen Gruppen nicht sehr stark von einander abweichen“ u. s. w. Die B!sche Reihe (Urinmengen) ist: 485. 520, 430. 260. 290. 360. 715. 720. 750. 685. Das Mittel = 522. 100), dess. — 52. Differenz zwischen 260 und 750 = 490, folglich unterscheiden sich hier Zahlen der 10gliedrigen Reihe nicht nur um 10, sondern um mehr, als 90 Proc. Weiter sagt Radicke a. a. O. 8. 180: 196 „Man sucht zuerst aus dem Anblick der beobachteten Zahlen zu erkennen, ob eine auffallende Störung obgewaltet hat, welche ein illuso- risches Resultat befürchten lässt. Will man dafür ein leichtes, wenn auch indirectes Merkmal haben, so mag man die Doppelreiie der successiven Mittel berechnen, die eine von der ersten zur letzten Be- obachtung, die andere von der letzten zur ersten fortschreitend und zusehen, ob in einer dieser Reihen die letzte Hälfte merklich grössere Schwankungen zeigt, als die erste. Nur wenn dies nicht der Fall ist, wird man die Zahlenreihen weiter benutzen dürfen.“ Die successiven Mittel aus der B.’schen Normalreihe (Urinmengen) von oben nach unten sind folgende: 502. 478. 423. 397. 390. 437. 472. 503.. 521. Schwankung in den ersten 5 Stellen = 112. Schwankung in den letzten 4 Stellen— 84. Diese Ungleichheit wollten wir nicht beachten, wenn nicht in umge- kehrter Ordnung grössere Differenzen hervorträten. Die successiven Mittel aus der B.'schen Normalreihe (Urinmengen) von unten nach oben fortschreitend, sind folgende: 717. 718. 717. 646. 502. 540. 526. 525. 521. Schwankung in den ersten 5 Stellen —215. Schwankung in den letzten 4 Stellen = 19. Man sieht, dass auch der zweiten, oben angeführten Bedingung nicht genügt wird, diese Reihe also auf mathematische Verwerthung keinen Anspruch hat. Die Reihe mit Sitzbad zeigt diese Ungleichmässigkeit auch; nur nicht so intensiv, wenigstens nicht in der einen Ordnung. Successive Mittel von oben nach unten (Sitzbad): 569. 492. 488. 503. 465. 464. 468. 465. 470. Schwankung der ersten 5 —= 104. Schwankung der letzten 4 = 6. Successive Mittel von unten nach oben: 478. 484. 477. 437. 458. 460. 45. 481. 470. Schwankung der ersten 5 = 47. Schwankung der letzten 4 = 21. 197 Diese letzte Ungleichmässigkeit könnte man gewiss übersehen, wäre die grosse in der ersten Reihenfolge dieser Reihe nicht. — Es würde aber auch keinen Unterschied machen, wenn die zweite (Sitzbad-) Reihe den mathematischen Forderungen entspräche, da ja die genügende normale Vergleichsgrösse fehlte. Die Körpergewichtsverluste in dem Böcker'schen Versuche zeigen solch beträchtliche Schwankungen (zwischen 7,5 und 45 Loth), dass sie gar keinen Anhaltspunkt zur Vergleichung bieten. Ueberdies wurde Nahrung zugeführt, und sind aus dem Grunde die Gewichtsverluste mit den Beobachtungen von mir und Lampe gar nicht zu vergleichen. Ziemlich übereinstimmende Zahlen geben die Harnstoff- und Koch- salzzahlen. Aber auch sie erfüllen nicht die Forderung Radicke's insofern die einzelnen Zahlen um mehr als 10 Proc. des arithmetischen Mittels von einander bleiben. Vom mathematischen Standpunkte aus berechtigt also auch die B.'sche Reihe zu keinem Schlusse. Der praktische Verstand könnte sich vielleicht mit dem B.’schen Schlusse aus dieser zufrieden geben. Indessen muss ich durchaus bestreiten, dass sich die bei mir gewon- nenen Resultate, der ganz veränderten Lebensweise wegen, mit den B.schen in eine Kategorie bringen lassen. — Es bleibt nun noch übrig, einer Concession zu erwähnen, welche B. meinen Schlussfolgerungen gemacht hat, und dann zu sehen, was aus derselben mit Nothwendigkeit folgen müsse. Er giebt von seinem ausschliesslich mathematischen Standpunkte zu, dass meine Körpergewichtsverluste beim Gebrauche der Sitzbäder grösser ausgefallen seien. Es ist mir nicht klar geworden, warum er an einer Stelle (S. 64) neben dieser Concession gleichzeitig zur Vor- sicht mahnt, da doch die Mathematik seine Concession erfordert. Wer indessen die bei mir verzeichneten Körpergewichtsverluste sich ansieht, wird mit Ausnahme einer einzigen Grösse alle übrigen über das Maxi- mum des Normalen hinaus liegen sehen. Aber B. hat ja sich auch die Mühe gegeben, die Rechnung anzustellen und räumt noch dieser ein, 198 dass die Gewichtsabnahme bei mir unter Gebrauch des Sitzbades wahr- scheinlich sei. Ist also festgestellt, dass ich mehr Gewicht beim Baden verloren habe, so ist dieser grössere Verlust durch irgend eine oder mehrere Ausscheidungen entstanden. Ausscheidungen, welche in den 6 Fast- stunden stattgefunden haben, waren möglicherweise Darm-, Urin- und die gasige Ausscheidung. — Nun aber fand nur unbedeutende Defäca- tion (5 mal unter 16 Versuchen a. a. O. S. 534) statt, und lässt diese sich bei den grösseren Gewichtsverlusten nicht als Ursache ansehen. Die gasige, aus der Differenz der bekannten Ausscheidungen und den Gesammt-Gewichtsverlust berechnete Ausscheidung ist, wie meine Tabelle B. (a. a. O. S. 534) lehrt, nur unbedeutend höher stehend, als beim Nichtbaden. Auch wird jeder Arzt es für unwahrscheinlich halten, dass die gasige Ausscheidung nach einem kalten Sitzbade, wenn man sich nicht bewegt, frierend im Zimmer sitzen bleibt und fastet, beson- ders hoch ausfallen sollte. Habe ich also auch (a. a. O.) die gasige Ausscheidung höher, als die normale zu finden geglaubt, so kann, wie die Zahlen selbst lehren, der grössere Körpergewichtsverlust nicht durch sie motivirt werden. Ist dieses aber, so bleibt nur die Urinausscheidung als Ursache des grösseren Gewichtsverlustes über. Und wüsste man aus meinen Versuchen nur, dass ich fastend gesitzbadet, in einer bestimmten Zeit dabei mehr Körpergewicht verloren hätte, als ohne die Sitzbäder, mich nach genommenen Sitzbädern nicht bewegt habe, so könnte man durch Ausschluss der übrigen Ausscheidungen, als Ursachen des Verlustes, die grössere Urinentleerung mit Gewissheit erschliessen. — Aus dieser Betrachtung sieht man, dass, wenn an der einen Seite die Mathematik (?) zu einer Concession drängt, für die andere bedrohte Seite die Logik als Bundesgenossin auftritt. Was B. über meine Pulsbestimmungen vermerkt hat, dass ich z. B. durch Gang ins Badehaus die Frequenz desselben hoch gefunden haben müsse, so beruht diese Annahme auf einer Meinung, welche ich um so mehr übergehen darf, als in seinen eigenen Beobachtungen sich eine meinen eigenen Wahrnehmungen ähnlich verhaltende Versuchsperson 199 gezeigt hat. Das Badehaus, in welchem ich sitzbadete, lag ungefähr 20 Schritte von meinem Wohnzimmer. Ueberdies habe ich häufig in diesem selbst gebadet. Hiermit darf ich vom Leser Abschied nehmen, ihm die Beurthei- lung überlassend, ob das kalte Sitzbad wirklich so indifferent ist, wie die B’schen Schlüsse — nach meiner Ansicht aber nicht die B.’schen Beobachtungen — dasselbe machen. — DRK 2. A Er ac ! Res «r wue “: ee { $ i Ne BE In, BB ne 19) W: PER a Ach Ir Ur a2: ee Tod ? eher wi free der haste. vn DR; Mu i ‚Pre Vehare ut Inu Ai Ans Wei 3 7, nr IB 4 Id „u en: Kar a Aa a ER, FREE RA je a I 0: Kr % FE Ash er Aneeidg arch Fahr Kahtagı von An 5. Kinehi, IBiahsrd uRıpz 6 of er Vorder heise aan wie Hl See Cr Pr ie Kata de ia ua Kalk Eu Be velnnt hs ae u. a, „ seh ale abe Pr , u Kt Mrsoi aber See va Ur Ver Ben a \ ‘ . PV A ren IT. Ps Ph 2 s Ahern Bra are N Mi Minrübet wor Erz eb Saar ae En en DE cher Br DENE Mer; E a2 Huke; rw are per = rein. anf hi [a werke bene bolan 2 N i Me dur bs den Ye, rs Soa Be gr { mthrag 3007 Khan ir. 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Eine Erwiederung an Dr. Eduard Pflüge r in Berlin. Von J. M. Schiff. „Du weisst wohl nicht, mein Freund, wie grob du bist ?* n„Im Deutschen lügt man, wenn man höflich ist.“* Göthe. Eine Reihe von Versuchen, welehe ich in den Jahren 1847—49 über die Innervation des Herzens unternommen hatte, führte mich zu dem Schlusse, dass die soge qualitativ von den übrise motorischen Nerven verschieden seien, und dass ihre Eigenthümlichkeit nur darauf beruhe, dass Reize, welche in der Regel noch erregend wirken, in diesen Nerven schon einen ho- hen Grad von Erschöpfung hervorrufen. Die Erschöpfbarkeit der im Vagus verlaufenden motorischen Nerven des Herzens ist in der That so gross, dass selbst jede normale momentane Thätigkeit derselben ‚ihre Erregbarkeit für einige Zeit so sehr herabsetzt, dass das Herz ‚auch adäquate Reize nur durch eine wunterbrochene Reihe neuro- en Hemmungsnerven durchaus nicht muskulärer Zusammenziehungen beantwortet, dass es jeder tetanischen ‚Oontraetion unfähig ist; und hierin ist die Ursache seiner stets rhyth- mischen Pulsationen zu suchen. Diese Ansichten, welche spätere Untersuchungen, sowie die Ver- folgung der von Pflüger entdeckten angeblichen Hemmungswirkung der Nerv. splanchniei immer mehr und mehr in mir befestigten, habe ich MOLESCHOTT , Untersuehungen. VI. 14 202 nun auch neuerdings in meinem Lehrbuch der Physiologie des Ner- vensystems (Lahr 1858) in Zusammenhang mit der Lehre von der Thätigkeit und der Erschöpfung der motorischen Nerven vorgetragen, indem ich mir vorbehielt, bei Besprechung der Herz- und. Darmner- ven noch die einzelnen Data spezieller zu begründen. Die Darstellung im zweiten Hefte meines Lehrbuchs hat nun von Seiten Pflüger's eine Entgegnung hervorgerufen (Müller's Archiv, 1859, pag. 13),,in welcher der Verfasser meine Schlüsse als irrig zu erweisen und die frühere Theorie von der Existenz wirk- licher Hemmungsnerven zu stützen sucht. Pflüger beginnt damit, ehe er zur „Widerlegung“ meiner Gründe übergehe, zunächst diejenigen Momente zusammenzustellen, welche nach seiner Meinung ausreichen, das Prinzip einer bewegungshem- menden Nerventhätigkeit „über allen Zweifel zu erheben.“ Das erste allgemeine Gesetz, auf welches unser Verfasser zur Begründung der Hemmungshypothese verweist, definirt derselbe so, dass ein Nerv stets auf gleiche Weise reagire, wie verschieden auch die Qualität der Reize sein möge, welche man auf denselben wirken lässt, und dass verschiedene Nerven auch völlig gleiche Reize stets in verschiedener Weise beantworten. Der erste Theil dieses Satzes könnte einstweilen nur insofern zugegeben werden, als der Ausdruck Qualität sich auf den verschiedenen Ursprung der Reize bezieht, nicht aber auf die viel wichtigeren inneren Verschiedenheiten, welche, zunächst von der Quantität des reizenden Agens abhängig, ebenfalls zu qualitativen umschlagen. Und dieser Punkt war esja gerade, durch dessen Nichtbeachtung man bei Aufstellung der Hemmungsnerven ge- fehlt, indem man, wie ich gezeigt habe, in einer durch ihre Quanti- tät schon erschöpfenden und darum qualitativ lihmend wirkenden Erregung noch eine Bethätigung der specifischen Energie gewisser Nerven sah. Setzt auch Pflüger später hinzu, dass man die Reize „nach der gebräuchlichen Methode“ anzuwenden habe, so ist damit die Verwechselung der Erschöpfung mit der Wirkung der Anregung keineswegs vermieden, denn gerade „die gebräuchliche Methode“ ist es, welche für die sogenannten „Hemmungsnerven“ schon übermäch- tige Eingriffe setzt. 203 Ich übergehe einige andere Bemerkungen mehr theoretischer Natur, welche sich im Interesse einer gesunden Logik an diese vor- läufigen Deductionen Pflüger’s knüpfen liessen; der wesentliche Inhalt seiner Erörterung ist: da es sich ergeben habe, dass alle Reize, die überhaupt noch quantitativ wirksam seien, von gewissen Nerven aus Verlangsamung oder Aufhören der Bewegung erzeugten, so sei damit der „absolut strenge Beweis geführt“, dass die Thätigkeit des Hemmungsnerven die umgekehrte von der des motorischen Nerven sei und er den Muskel zur Ruhe bestimme. Das heisst also, um das Punktum saliens des ganzen „Beweises“ zu resumiren: Wenn Hem- mungsnerven ezistiren, so giebt es auch Hemmungsnerven. Dieses erste der beiden Momente, welche nach Pflüger „ausreichen“, das aufgestellte Prinzip „über allen Zweifel zu erheben“, ist wirklich hier mit einer solchen Schärfe und, wie sich der Verfasser selbst aus- drückt, so „absolut streng“ bewiesen, dass ich in der That nichts dagegen einzuwenden vermag, und um mich ganz aus dem Felde zu schlagen, bleibt meinem Gegner jetzt nur noch übrig, den Nach- weis zu führen, dass die Hemmungsnerven wirklich existiren. Diesen Nachweis glaubt der Verfasser nun in seiner folgenden Erörterung geliefert zu haben. „Das zweite allgemeine Gesetz,“ sagt er, „auf welches sich die „Wirklichkeit des neuen Prinzipes stützt, ist die Thatsache, dass der „peripherischen Nervenfaser niemals Automatie zukommt, oder mit „andern Worten, dass eine solche Faser in ewiger Ruhe verharren „würde, wenn sie nicht von aussen her, oder überhaupt durch irgend „eine nicht primär in ihr entwickelte Kraft zur Thätigkeit bestimmt „wird.“ Auch gegen dieses Gesetz vermag ich nichts einzuwenden, ja ich glaube im Interesse der logischen Consequenz noch weiter zu gehen und es sogar auch für die Nervencentra zugeben zu müssen, wie ich diess in meiner Physiologie bereits durchgeführt habe. Es fragt sich nur, wie viel, trotz meines erweiternden Zugeständnisses, mein Gegner eigentlich damit gewonnen hat. Ich bekenne, dass mir dies nicht recht klar geworden ist. Die eigentliche Beweisführung, auf die es Pflüger hier abgesehen hat, ist diese. Wenn nach Durch- schneidung eines Nerven sofort gewisse dauernde Veränderungen in 1aoR 204 den Leistungen des „Endorganes“ auftreten, „so dürfen wir mit „Sicherheit behaupten, dass diese Aenderungen durch den Wegfall „des Nerveneinflusses erzeugt worden seien. Es hat sich nun nach „Durchschneidung der Nerv. vagi herausgestellt, dass sich augen- „blicklich die Bewegung des Herzens in ausserordentlicher Weise „vermehrt, so zwar, dass die Pulsfrequenz die zwei- bis dreifache „Höhe erreicht. Hieraus müssen wir also schliessen, dass während „des Zusammenhangs der Vagi mit den ÜCentralorganen dieselben „fortwährend die Greschwindigkeit des Rhythmus beherrschen, d. h. „mit wachsender Energie die Bewegung herabsetzen, mit abnehmen- „der also vermehren. Wie also ein gelähmter motorischer Nerv das „Organ zu ewiger Ruhe verurtheilt (hierüber vergleiche man meine „Physiologie, pag. 177, Schiff), in welchem er sich verbreitet, ein „erregter zu fortwährender Thätigkeit, so bestimmt umgekehrt der „erregte Hemmungsnerv die Ruhe, der gelähmte aber die grösste „Thätigkeit des Organes. Es handelt sich also hier um einen Nerven- „antagonismus.“ „Das“, fährt Pflüger fort, ist so einfach, so natürlich, dass „es unbegreiflich ist, wie ein Physiologe nunmehr noch gegen das „Prinzip der Hemmungsnerven auch nur eimen leisen Zweifel aus- „zusprechen vermag.“ m Die hier berührten Thatsachen scheinen Pflüger so wichtig und überzeugend, dass er noch einmal an einer späteren Stelle sei- nes Aufsatzes auf dieselben zurückkommt. „Wenn wirklich“, sagt er S. 20, „wie Schiff meint, der Vagus, d. h. seine rami cardiaci, die „motorischen Nerven des Herzens wären, also die Bewegungen wäh- „rend des Lebens anregten, ........... wie sollte es in aller Welt „möglich sein, dass diejenige Wirkung, welche sie während seines „Unversehrtseins im Leben hervorbringen, bei seiner Lähmung „nur um so mächtiger hervortritt, da die Herzbewegung nach der „Lähmung doch so sehr zugenommen hat.“ „Das heisst doch in „der That nichts anders,“ ruft Pflüger triumphirend aus, als „dass durch Wegnahme der Ursache die Wirkung nicht allein nicht „verschwinde, sondern noch zunehme! Das würde, meiner Ansicht „nach vollständig ausreichen, das Prinzip der Hemmungsnerven über ; 205 „jeden Zweifel erhaben zu stellen, und es würde nieht nothwendig „sein, noch einen Versuch zu besprechen, den Schiff zur Begrün- „dung seiner Ansicht vorbringt. .. ...... .4 Aber halt! ehe ich meinen siegesgewissen Gegner ausreden lasse, ehe er mich mit seiner letzten Folgerung zu Boden schmet- tert, will ich doch untersuchen, ob ich mich wirklich in dem Grade, wie er es meint, gegen alle Gesetze der Logik und des gesunden Menschenverstandes vergangen habe. Und hier bin ieh nicht nur so verstockt zu glauben, dass ich dennoch Recht habe; sondern ich er- kühne mich sogar, die Richtigkeit von Pflüger's Vordersätzen vor- ausgeseizt, die Schärfe seiner Schlüsse gegen ihn selber zu kehren, und aus ihnen eine Waffe gegen die Hemmungsnerven und für meine Ansicht za schmieden. Nach Pflüger’s obiger Darstellung des einfachen NVervenanta- gonismus wird ein wahrer Hemmungsnerv immer auf Reizung die Bewegung seines Endorgans verlangsamen oder verhindern, und seine Lähmung wird die Bewegung beschleunigen. Hieraus folgt nun of- fenbar, dass ein Nerv, dessen Durchschneidung nicht die Bewegung beschleunigt, und dessen Reizung nicht zugleich die Bewegung ver- langsamt, auch unmöglich als ein bewegungshemmender Nerv ange- sehen werden darf. Hiergegen wird wohl Pflüger durchaus nichts einzuwenden haben, denn es ist ja ganz seine eigene Behauptung; ebensowenig wird dieser Satz bei denjenigen Schriftstellern Wider- spruch finden, welche es für „plausibel“, „nothwendig“, oder „sehr zusagend“ hielten, im Interesse ihrer Theorie meiner früheren An- gabe zu widersprechen, dass bei den Fröschen die Durchschneidung beider Vagi keine Vermehrung der Pulsfrequenz bewirke, obschon man durch Galvanisirung dieser Nerven bekanntlich den Herzschlag hemmen kann, Halten wir uns aber jetzt speciell an die Säugethiere, so glaube ich auch für diese meinen früheren Ausspruch rechffertigen zu kön- nen, dass die Pulsvermehrung nach Durchschneidung der Vagi durch- aus nicht in Zusammenhang mit der angeblichen Hemmungsfunktion derselben steht. Ziehen wir nämlich einer Katze oder einer Ziege auf beiden Seiten den Nerv. accessorius ganz vollständig aus, so zeigt 206 sich, auch wenn die Operation ganz vollkommen gelungen ist, keine Vermehrung des Herzschlages. Auch noch nach 4,8 oder 12 Tagen bleibt der Puls ganz normal. Nach dieser Zeit sind aber die im Halsstamm des Vagus verlaufenden Accessoriusfäden entartet und un- erregbar geworden. Galvanisiren wir jetzt diesen Halsstamm beider- seits mit ziemlich starken oder mässigen Inductionsströmen, so wer- den wir keinen Herzstillstand mehr erzielen können. Durchschneiden wir aber den Halsstamm der Vagi, so erlangt der vorher normale Puls sogleich die bekannte grosse Frequenz, wie nach der Vagus- durchschneidung beim vorher unverletzten Thiere. Hieraus geht also unläugbar hervor: a) der Accessorius ist es, dessen Galvanisirung den bekannten Herzstillstand erregt. b) Die Lähmung des Accessorius bewirkt keine Vermehrung des Herzschlags. c) Der Vagus kann für sich allein auf starke Reizung keinen Herzstillstand bewirken. d) Aber die Trennung des Vagus am Halse ruft die häufig beobachtete Pulsvermehrung hervor, Und daraus schliesse ich in zweiter Linie: a) Die Erhöhung der Pulsfrequenz, die bei Säugethieren nach Durehschneidung der Vagi am Halse auftritt, steht, wie schon die Versuche an Fröschen lehren, nicht in innerem Zusam- menhang mit der Eigenschaft dieser Nerven, nach relativ starken Reizungen den Herzschlag zu verlangsamen. b) Der Vagus ist kein Hemmungsnerv des Herzens, sonst würde, wie Pflüger mit Recht verlangt, seine Durchschneidung nicht nur den Puls vermehren, sondern seine Reizung müsste auch den Herzschlag verlangsamen oder aufheben. ce) Der Accessorius ist kein Hemmungsnerv, sonst würde, nach Pflüger’s scharfsinniger Bemerkung, seine Reizung nicht nur den Herzschlag verlangsamen, sondern seine Durchschnei- dung oder Zerstörung müsste auch den Puls auf's Höchste vermehren, 207 d) Die Beobachtung, dass ein gewisser Grad von galvanischer Reizung eines Nerven die Bewegung im Endorgan_ dessel- ben beschränkt, genügt nicht, die Behauptung zu rechtferti- gen, dass diesem Nerven im Leben eine bewegungshemmende Function zukomme. Dies also ist, nach Pflüger's eigener Darstellung (siehe 1. ec. pag. 15), „so einfach, so natürlich,“ dass es unbegreiflich ist, wie ein Physiologe nunmehr noch für die Lehre von den Hemmungs- nerven des Herzens auch nur die leiseste Sympathie auszusprechen vermag. Und wir — wir haben gewiss nichts gegen dieses Urtheil einzuwenden, und wollen nur noch bemerken, dass auch die angeb- liche Hemmung durch den Nerv. splanchnicus bei genauerer Betrach- tung der Thatsachen demselben Urtheil verfallen muss. Was einige andere Bemerkungen betriftt, die Pflüger bei Ge- legenheit dieser Darstellung entschlüpft sind, und die seinen neuro- physiologischen Standpunkt in einem sehr eigenthümlichen Lichte erscheinen lassen, so glaube ich dieselben hier übergehen zu dürfen. Ich meine hier besonders die Stellen, in denen er in den motorischen Nerven „die Ursache“ der Herzbewegung sieht, deren Wegnahme die Wirkung verschwinden lassen sollte, Die Lectüre meiner Arbei- ten über die Herznerven und des zweiten Heftes meiner Physiologie wird ihn wohl das Ungeeignete dieser Auffassung erkennen lassen. Ueberhaupt hätte sich mein verehrter Gegner das komische Sebick- sal ersparen können, auf die angegebene Art zum kritischen Bileam zu werden, wenn er auch die Erscheinung des Schlussheftes meiner Nervenphysiologie abgewartet hätte, wo er wohl hoflen durfte, noch nähere thatsächliche Angaben über das Verhältniss des Vagus zur Herzbewegung zu finden. Selbst wenn er nur meine früheren aus- führlichen Herzarbeiten ein wenig aufmerksam durchblättert hätte, wäre es ihm gewiss klar geworden, dass mir die von ihm als so sehr wichtig und für seine Ansicht beweisend hervorgehobenen Ver- hältnisse keineswegs entgangen sind, und dass ich also meine beson- deren Gründe haben musste, sie nicht in der von Pflüger vorge- schlagenen, sich gleichsam ohne alles weitere Nachdenken unmittel- bar von selbst darbietenden Weise zu benutzen. 208 Dies wären also die Momente, welche nach Pflüger ausreichen, das Princip der Hemmungsnerven über allen Zweifel zu erheben! Nachdem er dieselben in einer Weise erörtert, der sein wissen- schaftlicher Gegner sicher seinen Beifall nicht versagen darf, will er nunmehr die Einwürfe „beleuchten,“ die mich so weit verleitet haben, in meinem „Lehrbuche der Physiologie“ die Lehre von den Hemmungsnerven in einer vollkommen irrigen Weise zu behandeln. Es seien, sagt Pflüger, besonders zweierlei von mir ermittelte That- sachen, welche ich zur Begründung angebe, von denen die eine falsch, die andere aber unrichtig gedeutet sei. Dies ist wirklich eine scharfe, strenge und fatale Olassifikation meiner Angaben. So gerne ich mich dafür gerächt und Pflüger's Argumente auf ähnliche Art unter die beiden erwähnten Rubriken untergebracht hätte, so muss ieh aufrichtig gestehen, dass mir dies nicht gut möglich war. Eine gewissenhafte Ueberlegung zeigt näm- lich, dass Pflüger’s Beweisgründe alle mehr oder weniger die Cha- raktere der beiden Klassen so sehr in sich vereinigen, dass ihre sy- stematische Stellung sehr zweifelhaft wird. Es geht mir in dieser Beziehung mit den Pflüger’schen Beweisen, wie den alten Zoologen mit den Fledermäusen; oder den ersten Fastenpredigern mit den Fröschen, die ihnen sowohl Vierfüssler als Fische zu sein schienen, bis sie sich damit aus der Verlegenheit halfen, dieselben seien eine so fade und magere Speise, dass man sie an Fasttagen wohl erlauben dürfe; oder später dem berühmten Geoffroy mit den Schnabelthieren, die zwar den breiten platten Schnabel der Enten, aber doch keine Flügel haben und die, wie die Vögel, Koth und Harn aus derselben Oeffnung entleeren. Lassen wir darum die Systematik bei Seite und halten wir uns an die Thatsachen. Falsch sei, so meint Pflüger, meine Angabe, dass eine äusserst abgeschwächte Reizung der Vagi den Herzschlag nicht ver- mindere, sondern vermehre. Er selbst habe in einer eigens zu die- sem Zweck angestellten Versuchsreihe von den schwächsten noch wirksamen Strömen stets Verminderung gesehen. Mein hochgeehr- ter Kritiker möge mir die Bemerkung erlauben, dass allerdings nach der Art, in welcher er seine Versuche anstellte, kein anderer Erfolg 209 erwartet werden konnte, dass aber schon ein oberflächlicher Blick auf meine früheren Arbeiten über die Herznerven ihn hätte belehren können, wie äusserst vorsichtig und langsam man mit dem Reize steigen muss, um gerade die sehr beschränkte Stärke zu treffen, in- nerhalb welcher er anregend wirkt. Sobald man nur ein Minimum weiter geht, hat man statt der gesuchten Vermehrung des Pulsus eine Verminderung. Schon vor vielen Jahren habe ich gezeigt, dass, entsprechend der galvanischen Reizempfänglichkeit der Nerven, der auf die Vagi erregend wirkende Strom ganz unmittelbar nach dem Tode des Thieres an Stärke abnehmen und von einem bestimmten Momente an stetig zunehmen muss, weil die Nerven sogleich, wie ich auch in meinem Lehrbuch ausdrücklich angegeben, und wie es seitdem bestätigt worden ist, vor der stetigen Abnahme ihrer Erreg- barkeit eine Zunahme zeigen, während welcher sie zwar reizbarer, aber auch leichter erschöpfbar sind, als im Leben. Pflüger führt zwei Reihen von je zwei Versuchen an. Bei der ersten wird zwi- schen einer Vagusreizung und der andern die secundäre Rolle des Schlittenapparates der primären immer plötzlich um ganze 10 Centi- meter genähert. Es ist kaum denkbar, dass auf solehe Weise die rich- tige Reizgrösse unter 1000 Versuchen auch nur Einmal getroffen wird, da hier Differenzen im Abstand von 1 Millimeter, wie wir sogleich sehen werden, von grossem Einfluss sind. In der andern Versuchs- reihe nähert er während des Tetanisirens allmälig um 10 Oenti- meter, so aber, dass ebenfalls auf eine solche Strecke, statt vieler verschiedener Pulszählungen, nur eine einzige kommt. Es ist hiermit natürlich nichts gewonnen. Bedenken wir nun ferner, dass Pflüger wenigstens in seiner zweiten Versuchsreihe in einem Zeitraum von 15 Minuten die 20 Zählungen machte, auf die er sich überhaupt be- schränkte, von denen abwechselnd immer eine mit und eine ohne Reizung der Nerven unternommen wurde, so wird es klar, dass selbst dann, wenn etwa die Reizung wirklich zufälligerweise zu einer Ver- mehrung der Pulse geführt hätte, diese gar nicht bestimmt von einer Vermehrung aus anderer Ursache zu unterscheiden gewesen wäre, Es folgt nämlich, wie ich in meiner Herzarbeit gezeigt habe, dem Tode unmittelbar eine Periode grösserer Schwankungen des Herz- 210 schlags, die ich dort genauer beschrieben und während deren man nicht reizen darf. Erst wenn eine Reihe fortgesetzter Zählun- gen in den Zwischenzeiten der Reizung oder vor derselben eine ge- wisse Konstanz nachgewiesen, kann einer Vermehrung während des Galvanisirens eine bestimmte Bedeutung zugemessen werden. Blei- ben dennoch Zweifel, so galvanisirt man längere Zeit und die Ver- mehrung muss sich eben so lange konstant erhalten, um nach dem Aufhören der Reizung sogleich wieder auf oder unzer die frühere Zahl herabzusinken. Die Vermehrung der Herzschläge kann näm- lich, wie ich ausführlich nachgewiesen habe, auch bei der günstigsten Reizung der Nerven nur eine sehr geringe und scheinbar unbedeu- tende sein, da während des bei weitem grössten Theiles der nor- malen diastolischen Zeit die Herznerven von der vorhergegangenen Thätigkeit erschöpft und gar nicht erregbar sind, so dass die Diastole vielleicht nur um ,, bis Y/,, durch den Reiz abgekürzt werden kann. Die Cautelen, welehe uns auf diese Weise geboten sind, machen solche Versuche allerdings höchst einförmig, zeitraubend und lang- weilig; der Vernachlässigung dieser Vorschriften ist es aber beizu- messen, wenn es nicht möglich ist, ein Urtheil über den Werth der Pulsvermehrung auszusprechen, welche Pflüger in 2 von seinen 4 mit- getheilten Versuchen während der Reizung der Vagi je einmal wirklich beobachtete. Einmal nämlich zählte er während der Ruhe des Vagus 48 Pulsationen, dann beim Tetanisiren 52 und sogleich darauf bei der Ruhe wieder 48. Ein anderesmal zählte er in der Ruhe 52, dann beim Tetanisiren 53 und dann wieder in der Ruhe 52. Hier- aus ist allerdings nichts zu entnehmen; aber im Hinblick auf meine vielfachen Versuche hätte hierin vielleicht für Pflüger ein Wink liegen können, nicht so unbedenklich zu behaupten, dass man durch Galvanisiren der Vagi niemals eine Vermehrung des Pulses erlange. Ich theile nun einige meiner neueren Versuchsreihen. mit, bei denen ich mich eines Schlittenapparates bediente, bei welchem der Ab- stand der beiden Spiralen nach Wiener Zollen, in ',, getheilt, ge- messen wurde. Ich nehme die Versuche ohne Auswahl auf’s Gerade- wohl aus meinem Diarium, damit der Leser alle Zufälligkeiten des Experimentes kennen lerne. 211 Wo die erste Rubrik nicht ausgefüllt ist, war der Nerv ohne Reizung '). Abstand beider Rollen. Einer Rana temporaria im Juni. Censtralnervensystem zerstört und bald darauf ein Vagus blossgelegt. 4 Uhr er 7,8 Zeit. Pulse in 30 Secunden. Abstand beider Rollen. 6,9 6,8 Pulse Zeit. in 30 Secunden. 102 Min, 44 103 ,„ 44 104 „ 44 0a, 5 44 106 „ 50 106'/,, 52 107 , 44 10877 5 44 109 „ 45 110 „, 44 111 - 50 tee 44 11345 44 1132), 50 11975 44 119% 44 11 44 Ecke 48 119% 5 50 1207 , 44 127 49 1225; 45 123 „ 44 124. ; 44 125% } 40 126. „, 44 la & 48 128 ; 44 129. , 44 130 „ 46 131% 5 42 132% 42 33-5, 42 134. , 42 135.2 5; 44 ') Der Abstand beider Rollen ist vom vorderen Rande einer jeden angemessen. Der Eisenkern ist aus der primären Rolle stets entfernt. Das erregende Element ist möglichst schwach gewählt, so dass es eben noch hinreicht, die Feder in Be- wegung zu setzen, 212 Abstand Pulse beider Zeit. in 30 Rollen. Secunden. Rana temporaria. Hirnlappen ge- trennt. Rückenmark zerstört. Eine Elektrode an das verl. Mark, die an- dere an den linken Vagus. Abstand Pulse beider Zeit in 30 Rollen. Secunden. 81Min 31%, 827, 3l/, 10,6 — eRleepr= 37 34 „ 32 Sbyr, 31, 90... 31 n 12 Uhr. 31Min. 31 Dane al 34 „ 31 40 „ 31 + 3 5 31 12,0 Haren 35 Happ 32 54 „ 311% 11,9 55 ,„ 36 De 33 DO» 32 Don 3 9,7 DO» 36% DDr, 3l 60 „ 31 6 311%, 9,7 62, 36 62%,, 33 bar, 31 9,7 64 „ 36 66 „ 31 9,5 6a 34 68 „ 31 Ga 31, 9,6 20; 35"), 9,6 109, 35, Ta 32 er de 31", [er 31',, 9,6 ar 36',, Ze 3%, 11,5 liege 34 Ti: 31), 11,4 LOyN , 34 11,4 79, 34 807 317% Kleine Rana den Vagi nach in Schlingen aufgehängt. ohne Die bei- eber's Methode ‚ 2 Uhr. 16 Min 34 Ay, 34 8 ,„ | 3 ie" 34 20 „| 3 ot. „II. 34 9, —1 1 #000 36 23.,1| 4 Dad. 34 9L—|225",1| 36 26 „ | 3 EEE 5 LE u Pre u Be?! 293 „| 34 30 „ 34 Su Pe al 36 33,118 33% „1184 SA 11=s2,, 39 84 11*350, 40 36 , 34 37.1, 34 80, 24 2, | 4 3, | 4 84 1, BA u 85.15. 84 — | 854,, | 30 86%, 24 Abstand beider Rollen. 8,4 82 S 3333338 8:38.88 SS S8 BUS yE3 Ba USED RE Zeit. 87 Min. 88 89 90 91 92 93 94 95 96 97 98 99 100 101 102 103 104 105 106 107 108 109 110 111 112 113Y%, 114... 115 116 117 118 119 120 4 3 SESESEy S SSNSMNSNSGHHTYYHSN HUN SBUNTS N IE REN N Pulse in 30 Secunden. Abstand beider Rollen. Rana temporaria je ein Drath an den Abgang eines Vagus neben dem ver]. Mark. / 213 Zeit. 9 Uhr. 14 Min. 15 Pulse in 30 Secunden. 26 26 214 zz Sy ee Is Abstand Pulse Abstand Pulse beider Zeit. in 30 beider Zeit. in 30 Rollen. Secunden. | Rollen. Secunden. 56 Min. 18 77 Min. 26 De 18 10,1 TOR, 29 HB IN 10,1 19,5% 28 Rana temporaria. Ein Vagus ne- er 4 = ben dem Abgang aus dem Schädel 82 % 24 zwischen die Dräthe. 83 £ D4 40 Min, 32 10,0 Bam 27 u ER 32 88 „ 23 42:|. 32 sen 2317, 43 „ 32 90 a 4 , | 3 110° ,|1 % 45“, 321), 1 0 La 26 46 „ 33 12a, 26 a7), 34 Iulan 26 48 „ 331/, 114 „ 26 Age. 34 9,9 115% 0 50 34 116 , 26 51°, | 33%, 17,5 96 Das, 34 AS 26 53. 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Secunden. | Rollen. Secunden. 81 250 Min. 22 11,3 48Min, 231), 25108, 20 49 „ 21 >52. | 20 5074 | 21 260 „ 204 Del 4 21 261“, 19 11,0 521 | 221% DGZDE, 19 11,0 HB8)l } 221), DGBNE 19 10,9 54 „ 23 2 y) Rana temporaria. Ein Vagus zwi- = Ä an hen den Däithen ng” B au Hal 21(',.) 4 Uhr. Haar, 21',, 15 Min. 22 GOMT „ 21 1218, 221, 10,8 6l „ 23 IHRE. 22 10,8 62, 221, 1662, 22 64i|, 21 IMee_ 22 65:1, WR TERS 291), 66, 21%) 1) 221, 6, 22 DSME. 23 68 „ 22 Dacl, 23 6981, 22 Ds | 23 zei 1.22 DREH, 22 ER 1, 22 38lE, 2 7281, 22 298, 21°, 10,0 7481, 25 SuhE, 21°), T5#1, 22 3lus, 21%, T6rl, 22 Base: 21, 9,8 Tal, 24 3aue| | DH, 78-1, | 21% Bl) 0 21%, TORI, Ale 12,5 BoHE, 2, 9,8 80, 24'r 12,5 37, | 22 81, | 22 12,5 38rL, 21 82 k 22 12,0 39, 3 110%, | 8 11,8 391,, | 23%, 1) 5 21 112#1,, 21 AphS, 21 I13HL, 2. Ashl, 21 ITART,, 21 11,8 431), 23 11561, 21 11,8 L 3 231, 7,8 116 „ 24 11,5 ABhT, 22 118 21. 11,4 46 „ 21 118983 21 11,2 ANKG, 22 119 „eile 21 217 [3 ai Abstand Pulse Abstand Pulse beider Zeit. in 30 beider Zeit. in 30 Rollen. Secunden.| Rollen. Secunden. 7,6 120 Min.| 0 55 Min.| 30',, N 121} 21 10,9 D6sEL 33 71,8 12, | 3 57%,, | 30 al Ele 4, 2 SEA 30 7,8 1235 , | 4 64 „| 300%) 77 126. 0 66, | 30° LaTEB, 21 67, 30 128.41 21 10,9 69°, | 31 10,9 691) 3 Rana oxyrrhina. Beide Vagi in Pr 70, En . . ’ (29 mE Schlingen. 10,6 Tas, 31%, 12 Uhr. T41,,, 30 25 „ ı 3% 75 ,„ | 30% 26, | 3% TE, 30%, 2 ,| 3% wa 30%, 30 ig 32 19-1, 30%, || -31,, 10,5 81’, | 33 Sal, 31 34 „ 30 33 31 %6 „ 30% Mechanische| 34°” | 33%, 87 . | 301, Reizung B4),, 34 8 „ 30(',) der Vagi. | 35%,, | 31 9% . | 30 36. | 31 10,4 92 , | 321, am“, 31 10,4 gas 321, sB2ıh 3 10,3 93%,. | 29 02l|a 37 | ET gun), 2 Aue 31 9, | 9 s jr. 4 31 100 „ 29 12,7 Di; 3 100, 29 123,0 ei 3 10,4 103 31%, 119 daR; 32 10,4 1031, 31°/ 11,0 Ab, 33 10,4 104%, 30%, 10,9 AN, BE WA 106 „ 30 48 „ 301, 108 „, 291%, 4 . 301, 110.19 50, 30%, IT), 29 BRL, 3047, 118% 29 2, 30%), 114 „ 29 10,9 3,132 115 , 29 54 , | 30%, 116 „ | 9 u Fi v1. i 15 218 a a Abstand Pulse Abstand Pulse beider Zeit. in 30 beider Zeit. in 30 Rollen. Seceunden.| Rollen. Secunden. 117 Min.| 29 182 Min.] 25 TSG, 29 183185 25 L9TOr 29 1840, 25 120006, 29) TEHNGE 25 210%, 29.) 8,9 187.04 31 DA. 29 8,9 188 ,„ 31% 1264, 29 190 25 9,0 128 „ 30"/, TIISSH 25 130% 29 19248% 25 134 „ 281, er 25 BD, 28", 192m 25 1309 „ 28%, NED“. 25 jan, 281, 19955 25 133.7, 28, 200 „ 25 8,9 1391,, | 32%, 201°. | |- 85 8,9 140, , „ 33 DO02E: 25 141 , 28 203°, 25 14219, 28 20508 241), 143, 28 DU TEE. 24), 8,8 145 „ 30%, 8,4 20 Sl 1A: 27 3,4 210°, 33 148 „ 27 2121); 24, 1497, 27 Al 241, 154, 26% 21, 241), 1 26%, 8,3 ZIG, 291, DB, 26'% 21.80; 241, 8,9 IGOmE- 30 DIS 241), 8,9 oil 1 30%, 220%, 241), 8,9 162 „ 301/, 225, 24), 164 , 25 226, 24, 165105 25 DIE, 241), 166 „ 25 Du, 24), 168 „ 25 240 „ 24 1200 25 241, 24 8,8 171%, 2 24 „ 24 IRB, 25 83 DAR, 27 1741), 25 DUTY, 23%, 8,9 LT6rHE 29 248, 23), 8,9 IL, 30% 249, 231% 178/,, 26 18048, 25 181 1% 25 219 Abstand Pulse Abstand Pulse beider Zeit in 30 beider Zeit.. in 30 Rollen. Seeunden.|| Rollen. Secunden. Rana temporaria. 2 Vagi frei an 66 Min.| 45%, die Dräthe. ÜCentralnervensystem OR 451, zerstört. 10 Uhr. 1083 451, 2 Min.( 37 DlSES 45(Y,) el: | 3 Bes 32%, 76 , | 46W, 10 38 130% 45), a2] || 2 151, , 40 er 451), 197; 40%, SB 5 45", 1&,, | 41 834, | 45, 191), , 42 Som 48), 2 43 88 „ ABH1/, 234 1,43 gr Ası,, 25°, 43 8,1 Suha Er 50 2% - 43 92,3 50 993 29°, 48 gay 49 1.| 4 9%, | 4% 33 45 79 35 2 z Alte Rana esculenta. Wie die 351, 39 vorige präparirt. 3 g 2 re Plse in 60 Se. i “ 45 25 Min.| 55 ART 45 2a 55 42 „ 45 26 , 55 4 , 45 ZB 55 ddr: , 45 30 „ 55 47 „ 45", EN bu 55 9,5 4 > 48 11,5 32, 57 9,4 500 ; 48), DORA „ 55 Hlmız 451) 11,3 34, 57 52 „ 45%, ale Er; 55 3 „ 45%, 11,0 38 „ 57 DD“ 451), 40 „ 55 Sr 451, 4 „ 55 Dur; 4, 4 10,9 42' , 55 60 ; 45", Ak‘, 55 614, | 5% 46 , | 55 7,7 62) % 49%), 10,5 Are 5 57 15,14% 9,155 A * 220 i Abstand Pulse ] Abstand Pulse beider Zeit in 60 beider Zeit. in 30 Rollen. Secunden.| Rollen. Seeunden. 50 Min.| 55 20 Min.| 19 10,0 Darle., 57 ZN, 19 54 „ 55 22, 194% 95 559, SL, DER, 19), 8,5 Du, 57 24 ,„ 19 8,2 Hör, 57 2 > 1917, 3,0 DT, 58 26) , 1917, 7,8 6047 , 60 20M, 191, 614, 58 3er, 191, 63195 55 331, 191), 64), 54V, 34, 19%, 65 54 Sal, 19 7,4 6A, 0 36il , 18%, 68 „ 45 AU « 17 100, 45 AG, 17 %, 45 aa 17 7,8 Tee: 47 43, 17 16 „ 35 4 , 17 ya, 35 AD. 17 LEER 35 11,0 46 „ 17 80 „ 34 10,0 47 „ 17 7,5 81%, 3 9,0 48 „ 18 3 „ 34 AIR, 17 4 „ 34 DO 17 dt So 38 8,5 5; 19, 102 48 2, 17 104 „ 48 Dale, 17 F T 3,3 HA , 20 Rana temporaria. Ein Vagus prä- 8,3 55, 19%, arirt. Centralnervensystem ausser BON - 19%, em verl. Mark zerstört. 50%, 17 12 Uhr. Pise in 30 Sk. Hal, 17 10 Min.| 19 SE 17 I, 19 62€ „ 17 120 19 ba, 16‘, 13a, 19 66m, 161), 1, [>19 6=,\| 16%, Tale: 19 s . 68 „ 16%, 1625 19 * 6 16", Ip > 19 TONER 16',, 12,0 IS; 212, 720, 16%, ke, Sn 19 Ta, 16 Abstand beider Rollen. 7,5 In der 100ten Minute wird dem Frosche das verl.Mark mit der Kno- chenzange blossgelegt (mechanische Reizung). 8,3 8,2 8,1 8,0 8,0 105 Min. 106 106%, 107 108 109 110 14H 112 113 114 115 116 117 118 119% 120 Fe 122 123 124 125 1251), 126 SISS SESNSIS SS DS WHY NS BUY yY SI STISIBSISINSNDSSZSENDNSZS n n Pulse in 30 Seeunden. 22 22 22 221 Abstand Pulse beider Zeit. in 30 Rollen. Secunden. 127 Min.| 15 128%. ; 157, 129" „ 15 7,8 130.1 9 133% | 15 132), | 14 3a 14 134 „ 14 135 „ | 14 DR 1368 % 16%, 13% 5 14 138 „ 13 7,6 139%, 15% Dräthe an’s verlängerte Mark. 141 Min.| 10 142 „ 10%), 143 „ 10 7,4 14 „ 152%, 146 „ 10',, 147 „ 10°, 148 °, 10°,, 7,3 149 „ 15 12 10%, 152% 10%, Rana eseulenta. Hirn und Rücken- Verl, Mark erhalten, Ein Drath an dessen vordere, der andere an dessen hintere Schnitt- mark zerstört. fläche. 11 Uhr. 30 Min. sl 32 33 34 35 36 37 38 39 S SS SS N 16 16 16 16 16 15%/, 15", 151, 151, 15 222 Abstand Pulse "Abstand Pulse beider Zeit. in 30 beider Zeit. in 30 Rollen. Secunden.| Rollen. Secunden. 40 Min 15 38 Min.] 30 a8e 1.15 10,5 397 I | 32 42 N, 15 10,5 391), 32 3,1% e) 4, | 15 442 >| 1,30 Abuse 15 42: , | 30 46 „ | 14, 10,5 13: "U 1»82 Au 1 44, | 30 AB | 14 45: ,, | 30 49 „ 14 nBe 5 32 1,9 HURF, 14 55, 32 5b ,, 14 HbR ., 32 52 ı„ 14 DUB - 32 3, 14 Deu 32 DES 14 Se 32 BdL Il, 14 10,3 60 „ 36 56, 14 blWn 32 DIPL; 14 62° > 32 DEr,, 14 627%, 32 7,8 59, 19 63 32 7,5 60LL, 17 63, 32 601%, | 14, 65 32 63°, | 14%, 6y,, | 32 64 „ 14), 10,3 66 „ | 34 15 GOR! . 16), 66',,, 32 Bo 14%, 10,3 68 „ 34 bunt, 141), 69ER, 32 68 „| 14% Tobi 1 1232 69 „ 14), 10,3 TALK, 32 710423 14% 10,0 UN, 32 TAIEE 143), 9,9 HoRN , 341), 7 78 73, 32 Rana temporaria wie der vorher- 74 32 gehende. Der vordere Schnitt aber 9,9 5. 34 vor dem Vierhügel. Dräthe an den 76 3 34 Vaguswurzeln. ; 77 5 34 1, Uhr, TS, 34 33 Min. OR Pe, 34 34- , 0 ,„ 341% 35 „ SR A 34 36 „ 8 „ | 34, Sa, 8 „ 34), 223 Abstand P : - ulse |) Abst: ur Zeit. in 30 || Be Zei Pulse Apr Ted: Secunden.| Rollen er 00 30 56 Min.] 34, 5, Seabaden: 873 „ Su . tempor.; nur d. Rückenm 99 FEN . K ark 2 E 5 Hart a Mark und Hirn blos- B Sg . "ithean’s verl. Mark 99 i 35%, Thier athmet ei, Dis 93. „ 351), beginnt es wieder zu athmen 'b mn 9 „ 36 27 mechanische Reizung, enEBene H £ 36 gung des Vorderkörpers. 974, 2 öB 6 Uhr. am E 7 Mi 98 E 36 ın. 12 En Ka | ea 22 $) 00 38 | e >) 12") 9,9 100%, , 39 | 103 „ 127, 101! £ 11 12! 102°. Er 193 - fi id £ 34%, > =“ 12% 08, | 34% | 2 104: |, 34 1a 131% 9,9 1081} „ 3 Yan 13%, 9,0 106 „ 36 91 D5 ; 13! 107 Ä 3 ’ 16 5 16 9,0 108 I 36 10) „| 94 109. | 32 18) „4 da, 110 „ 32 19 » 14 111 32 | E) 141), 9,0 18:1 | 34 22 „ 16 114 3 23) „ | 16 130.1. 32 40 „ 16 131 1 B 8,0 Al) 4 2 132 133 7, 134 , 8,9 36.3 b) EB 138 , 139 „ 8,9 140 „ 141 , 142” 143 ', 224 Abstand Pulse beider Zeit. in 30 Rollen. Secunden. Rana oxyırhina im Winter. Hirn- lappen und Rückenmark zerstört. Dräthe an die Vaguswurzeln, an Zim- die Seite des verl. Markes. mer anfangs kühl. 7 Uhr Mrgns. 45 Min. > {en} S 8,8 KR) [erXe ) Qu [0'.) 1 PR = BER TR DR.» BOR: DB: HL: DS DRS BR ES DL: DER: BB u Dr N: De De nn} 8,7 8,5 Abstand Pulse beider Zeit in 30 Rollen. Secunden. 82 Min 15%, 85 3 „ 16, SIm Sy; 800, 15 84 86%, 17°, SZ, 16 88%, 151, 8,4 sgyr, 17Y, Pause, während welcher das Zim- mer sehr warm wird (19°)- 105 Min.] 32 100% , 32 10387, 32 8,2 11007, 36% 11408, 34 112U8 7 34 119, 34 1197, 34 160 34 11er, 34 LER 38%, 991. 37 19197, 36 123 „ 36 1241), 41 126 „ 36 128 „ 36 129 , 36 1350 „ 0 30:31 5 132 „ 36 133 „ 36 134 „ 0 135 , „ 0 137, , | 30 Mil) 30°/, 140 ,„ 32 ‚142 ,, 32 144 „ 33 146 „ | 33 147 „ 30 148 „ 33%, Abstand beider Rollen. 7,9 7,9 7,7 mark zerstört. Verl. Mark erhalten. 225 Beide Vagi an Schlingen. 11,0 12,0 11,8 11,6 Pulse Abstand Pulse Zeit. in 30 beider Zeit. in 30 Secunden.|' Rollen. Secunden. 149 Min.| 33", 69 Min.| 24 150... | 36 woer,| 10-24 ISO, 33, 11,6 TE ; 24 152. | 33 11,5 2,1% 15401, 33 11,3 Tall, 27 19661, 33 741, 24 19, 33 Ton 24), 15801, 38 v6Ll;, 24'/, 159 , | 36,, as) | 2A 160 „ 34 78-1, 24"), 1677, 33 TON , 25 632)" 33 Sort, 25", 164 „ 39 SlBl , 26 165'%,, 37), spät, 26 1ER 33 Sarr \ 26 168, 33 84 „ 26 169 „ 33 11,3 8b! , 29 170, „„ 33 86:1 „ 26 171%, | 40 za. | 123) ', 35 8 „ 27'/a 3 35 “= Sal, 26% 126% «, 35 90. , 26", IyL,.; 26'% R. temporaria. Hirn u. Rücken 11,0 2, 28% 93. | 26% 94.\, 26% 951% a1 8 Uhr. I6HT „| 27 55 Min.| 24 IH 27 Hp, 24 gen } a7"; Da 24 99,7 5 27 Das 24 Mechanische] 100 „ 30 59. 231% Reizung der| 101 „ 28 60 „ 23/%, med, oblong.| 102 „ 28 61, | 24 18, | 7 62 „ 24 104 „ 26, 6°, 22 10597 } 26°), 64 „ 24 106 „ 262), 65, | 107°, | u 108.) | 7 N 25 109 „ 26 68 „ | 23%, 110 ,„ | %6 11,5 226 a nn 2 on Don nn Sn nr n nz nu 72 nz nn Abstand Pulse Abstand Pulse beider Zeit. in 30 beider Zeit. in 80 Rollen. Seeunden.| Rollen. Secunden. 10,9 111 Min.| 27 8,4 153 Min.] 22 10,0 105; 29 153%, 21 9,8 MIO 29 154 „ 20", 114 „ 27%, 1Ha@r, 20 Mor > 27 8,3 156, 22), as | 27%, 8,3 152.1,0.1 122 ala 27 158€1, 19 9,5 Lege 27), 159, 18%, 9,3 OR > 29%, 160 „ 18'% 120. „ 271), 16188, 19 1240, 26'%, - 9,3 1228, 98 Rana tempor., sehr matt und, wie 9,0 1938 99 es scheint, dem Tode nahe. Medulla 124 27 oblong. blossgelegt. Hirnlappen zer- 125 k 96 YA stört. Dräthe an die Vaguswurzeln. 1262 „ 26 9 Uhr. 1278, 25%, 31 Min.| 40 128: „ 25/, 311, 39 1297 , 24), Bpil. 38 130 „ 24%, 33, 37 8,6 Ya, 29 34 ,„ 37 132) „ 25 BDUE „; 36 133 ” 24 Ya 3 » 35 134 „ 24 Blieiy 35 1999, 24 Be 35 136 23%, 39, 5 35 ae 23"), 8,5 40, 3) 8,4 138 „ 28 8,5 Aldr,> 35 139 „ | 233%, 8,5 a u) 140 „ 23%, 43 „ 31 141 „ 233, 4 „ 31 143 „ 24 45 „ 31 144 „ 24 7,9 46 „ 29 145 „ 24 40 5 29 146 23 48 „ 29 146), 221 49 „ 28 TamE, 22 Du) a7), 148 „ 22 N, 271, 8,5 149.1 „ 3 ae DL» | 2Uy, 150) | 201% in Ha 28 1918 20%, Ba \ 28 8,5 15217 5 21’), 5 28 227 Abstand Pulse Abstand Pulse beider Zeit. in 30 beider Zeit. in 30 Rollen. Seeunden. | Rollen. Secunden. 56 Min.| 27 Eine sehr kräftige Rana tempo- DON > 26 raria. Hirn und Rückenmark zer- DER, 25 stört. Verl, Mark erhalten. Dräthe 9, 24 an dessen Seitenflächen. Das Thier 690, 24 athmet fort. GROL, 23, 10 Uhr. 7,2 6201, 27 24 Min.| 48 6301; 24 ZI 48 64 „ 23 269 , 48 651, 23 20 , 47 66 „ 23 280, 47 7,0 Ro. 9,| 4 68 „ 22", 307 ,; 47 69H, 221, Si, 47 0. | 2 31, | 47 1. | 2 337 111. Ar T2Lr, 22 337% 46 Tall, 22 347, 46 6,7 14 „ 25 3 46 TSIT, 21’, 11,7 36 „ 50 Tor | 21 7,| 4 RR), 21 38T „ 44 TS1 }., 21 38, 44 1911, 21 39 , 43 6,3 80 „ 24 40) „ 42 6,3 80, 24 419", 42 6,3 8lT- 24 42 „ 41 2” | 200, 437211 >41 8 „ 20 11,6 44, 41 84 „ 20 11,0 45 „ 45 85 |, 20 46 „ 41 86 „ 20 Au; 41 6,0 27.123 11,0 48: , | 4 88 „ 20 49 ,„ 40) 89 „ 19'/, 504% 40 90.08 20 10,6 51%, 45 en 7) 53°” | 39 92) 1, 19 54 „ 39 TS. ;| DD} „ 39 10,6 508 . 45 57.” |*39 DBIl „ 39 228 Abstand Pulse Abstand Pulse beider Zeit. in 30 beider Zeit, in 30 Rollen. Seeunden.| Rollen. Secunden. 59 Min.]| 38 95 Min.| 33 60 „ 38 IE, 33 (ee 38 gAn-, 32, 10,5 62 „ 42 9,6 gr, 40 63). , 38 9907, 33 64 „ 37 100 „ 33 10,5 69°, 37 10197, 33 10,1 66*., 41 101%,, 33 bs, 36%, 9,6 102955 39 68 „ 36 103 „ 33 69, 36 104 „ 33 10,1 70, 40 9,6 1058, 39 71, | 36 106 „ | 33 Tale, 36 10005 = 73, | 36 TS 10,0 74 , 42 109 „ 32 10,0 74), 42 9,5 11095 39 16%, 361, RE 313, ns, 36 11285, 31 at, 36 NaN 31 78), , 36 9,5 1145 5 37 9,8 796, 44 1133-; 30 80 „ 371% 116 + 30 80%, , 36 1105. 30 ser 36 9,2 1188 38 32 „ 36 119R 5 31 830 „, 36 120 „ 31 83), 36 1218 ;, 30 9,8 84 „ 43 9,2 122) „ 34 9,8 841), 43 9,2 123 „ 38 85, 36 124 „ 30 6 „ 36 2BU 30 8, 35 1268 5 30 88 „ 35 IDTER 29 89 „ 34 9,2 198) , 29',, 9,8 905, , 40 9,0 129 „ 29 ge >,, 35 8,83 a0, 29 92 „ 34 8,5 1310, 37 99, 34 [| 132°, 29 9,6 985, 41 1332 5 29 9,6 93%, 41), 134 4 29 9a, | 3% | 8 15. 1 3 229 Abstand Pulse Abstand Pulse beider Zeit. in 30 beider Zeit. in 30 Rollen. Secunden.| Rollen. Secunden. 8,0 135'4Mn.| 29 21 Mm.| .25',, 7,5 1360.41 29 29, 25, 7,0 1304 .. 3 20, 25%, 138 4 25 ala), 25% 19 | 3 3a | 25%, 140%. , 25 33, 25% TAI 4 [7525 11,0 Bar, 28 6,8 142 25 11,0 34, 28 65 (124% }| 3 35%, | 3 6,0 1435, 27 Bla 25 jJA8T sl 3 anu, 25 las 2,0 17725 38 „ 25 14098 „11525 10,5 ag, 28 1 Op 24 0) ER 25 AN , 35 Rana oxyrrhina mit glühender x 42 » 25 Scheere geköpft, um Blutverlust 10,3 = 2 5 zu vermeiden. Der Schnitt geht 10,3 43, 28 durch die 4 Hügel. Das Thier 44), 24 ist kräftig. Dräthe an die Seite 2, 24 des verlängerten Markes. 46 ” 24 ; 10,3 47 , 26 12 Uhr. 48 „ 24 4 Min.| 29 Age, 23 59, 28 508, 99! o.; 28 Dias, 29 Ball 3% 2.18% 13%, 27 10,3 53 24 3, 27 10,0 PEI/AR 23% g0., 26'% 54, 21 19%, 26, Do. 21 me, 26, 10,0 Ho „ 21 12,4 12%, 28 9,5 56%, , 22 13% „ 36'% 9,0 57% , 23 14 „ 35) 5a. 20"), 12,4 19) „ 29 5, 201/, 12,4 15%, 28"), 60 „ 20%, 18W, 36 a 201 Le), 25", 8,5 6, 23 180%, 25 64 „ 20%, 1927, 25, 60V, 20 12,1 2081, 29%, 66 „ 20 230 Abstand Pulse Abstand Pulse beider Zeit. in 30 beider Zeit. in 30 Rollen. Secunden.|| Rollen. Secunden. Rana eseulenta. Vagiin Schlingen. Bei der 9,0 64 Min.] 33 Präparation ziemlicher Blutverlust. Hirn u. 9.0 65 L 33 verl. Mark bis zum Vagusursprung zerstört. 1 66 „ 30 12 Uhr. 67 301), 30 Min.| 22 ea a1 „| 2 9,0 6a Is 3, 24 9,0 70 „ 33 34 „ 25 7I8EE 30%, 3 , 25 79apr 30 36, 25", 734 30 37 » 26 9,0 74 „ 32 = » 26 THeh 30 Dr n 26 76 30%, a0, || 2 Tl] 30. 40%, | 28 8,8 ss. | 3 I, 28 79 41, 30 42 „| 28 8 „ | 30 5 28 8,8 Bllans 33 44 28 Ede 30", Au, 29 Sn 30 48'.,, 29 8,8 34 „ 33 46 29 85, 30 46',,, 239 85%, 30 pi » 2 8,8 6 „ 33 Van 29 8% 30% 48, | 29 88 „ 30% 48'/,,, 29 En. 30%), I, 29 8,5 90, 35 10,5 50, 32 In. 30 Ole, 30 92 ,„ 30 Va, 30 95H, 30 Bla | 28 94, | 32 54, | 31 |» 10,0 5) sl 96 n 30 vo, al 97, 30 I, 31 8,5 gar, 32 SI; DONE, BE SIR 9, 30 9,5 58", 34 100) 30 | 59, 30 8,4 TO 32 60, 30 109, 30 blu, 30 10308, 30 | 9,9 62, 30 104%, 30 63 5 30 8,4 1050 321 231 Abstand Pulse Abstand Pulse beider Zeit. in 30 beider Zeit. in 30 Rollen. Seeunden.| Rollen. Secunden. 106 Min.] 30 47 Min.| 7 1070 30 4EM 70 8,4 108, 341), 85 49 , 80 109} 30 & 509% 69 Rana temporaria. Kräftiges Thier. Pole al » 70 an den beiden Vaguswurzeln. Ei ) (0 12 Uhr. Plsein 60 8e. Dose 71 1 Min.| 65 DB „ 7 Dr 65 BDA, 1 3. > LBYA DREH 71 4., 65%, DR ‘1 DmmS 651, 59, 71 (Ha 65%, (ul 1 N; 651%, EE 71 SE 65%, 6 „ 7l Eidg 65%, 66 „ {il 1013 651, 8,4 Bam sl u, 65% 8,0 BB s6 19: 6D9R EEE 73 Tame> 65'%, Dos 71 14 „ 65, Zul an i 719, 165 65%, 8,0 Tan, 91 10,0 Dia, 65%, 73 10, ilyE 9,3 La 69 Tele: cal 19 , 651), eng 71 DOHN5 65%, TOR zul Plan, 651% 8,0 The 83 2 PARIGE 651% 7,5 Te 74 9,3 23 691% a 67 8,7 24 69 80 , 66 8,4 dh 60 slan, 66 ER 65 7,7 82, „ 70!) 387, 65, eg 63 29 „| 65% a A 8,7 300, 0) gas 63 30. ..] , Go, 100 „| 56 85 2 „ 70 Ol > 56 8,4 33 71 0 8,3 34 „ 61%, 1036 ,, 56 Ba | 61:, 7,8 104 „. 1..62 jpg 66"), LG? 52 45 „ 70 INne, 52 46 „ 70 7,8 108-0 59 232 Schon im Januar 1851 habe ich in Frorieps Tagesberichten einen ähnlichen Versuch mittelst des Schlittenapparats veröffentlicht, der aber durch einen Druckfehler entstellt ist. Die Zählung um 10 Uhr 30 Minuten war nämlich, was nicht angegeben ist, bei gal- vanischer Reizung mit 9,8 Entfernung vorgenommen. Die Verdächtigung, dass” in meinen Versuchen der galva- nische Strom das Herz selbst erreicht und so Vermehrung der Pulse erzeugt habe, wird besser als durch Angabe vieler Vorsichts- massregeln einerseits dadurch widerlegt, dass, wie wir in obigen Zahlenreihen sehen, der Strom nur bei ganz bestimmtem Grad der Schwächung einen rascheren Herzschlag erzeugt, während unipolare Wirkungen und Stromschleifen durch stärkere Ströme mehr. begün- stigt werden, dass aber die erforderliche Schwächung mit der Dauer der Zeit nach dem Tode auf so ganz regelmässige Weise abnehmen muss, wenn noch Wirkung erzielt werden soll. Längst habe ich auch schon darauf aufmerksam gemacht, dass auch schwache chemische und mechanische Reizung der Vagi und des verl. Markes bei Fröschen und Säugethieren den Herzschlag vermehren können. Pflüger versichert, dass er auch bei Säugethieren meine An- gaben geprüft und nicht bestätigt gefunden habe. Wahrscheinlich ist er dabei nicht zweckmässiger als bei Fröschen zu Werke gegangen. Er bediente sich bei diesen Versuchen der Explorationsnadel, die er in's Herz lebender Thiere einsenkte und welche er die Middel- dorpf’sche Nadel nennt. Es ist zu bemerken, dass Middeldorpf seine Versuche erst etwa im Jahre 1853 anstellte, wogegen ich schon 1849 in meinem ersten Herzaufsatz eine Versuchsreihe bekannt machte, die während des Lebens nach derselben Methode ausgeführt ist. (Vergl. Tübing. Arch. VIII, pag. 174.) In Betreff des Splanchnieus habe ich nicht so viele Versuche gemacht wie über den Vagus, aber es ist bekannt, dass jetzt seit Brachet und Müller eine grosse Anzahl von ‚Experimentatoren durch Reizung dieses Nerven Vermehrung der Darmbewegung ent- stehen sahen. Diese Versuche waren in der Regel nach dem Tode des Thieres angestellt, wo dieselben leichter gelingen, weil mit der Abnahme der Erregbarkeit des Nerven stärkere Ströme, die im 233 Leben schon ersehöpfend (vulgo „hemmend“) einwirken, als eigent- liche Reize auftreten, ganz wie wir dies beim Vagus gesehen haben. Die Abnahme der Erregbarkeit dieser Nerven erfolgt so schnell, dass in der Regel der Pflügersche Versuch der ‚sogen. Hemmung der peristaltischen Bewegung nur während des Lebens gelingt, dass sogar bei tiefem Aether- oder Chloroformrausche nur bedeu- tende Stromeskräfte in dieser Hinsicht mit Erfolg angewendet werden können. Doch habe ich durch starke Ströme auch noch manchmal bald nach dem Tode die von Pflüger angegebene Wirkung eızielt. Zwei Male ist es mir gleich nach dem Tode vorgekommen, dass wäh- rend vor der Reizung der ganze Dünndarm eines Kaninchens sich mässig stark bewegte, die Galvanisirung der Nerv. splanchniei einzelne Darm- schlingen noch zur Ruhe brachte, während gleichzeitig in mehreren anderen die Bewegung sich verstärkte '). Während des Lebens habe ich bei Katzen mehrfach gesehen, dass der ruhige Darm durch sehr schwache galvanische Reizung der splanchniei oder deren Wurzel in Bewegung gerieth. Leichter bewirkt man dies durch chemische oder mechanische Reizung der Wurzeln des Ganglion eoeliacum. Hat man mittelst schwa- cher Inductionsströme auf den Splanehnieus Bewegung hervorgerufen, so setzt sich diese noch kurze Zeit fort, wenn man die Reizung unter- bricht, sie steht aber sogleich still, wenn man den Reiz gehörig ver- stärkt. Es ist übrigens bei diesen Versuchen zu beachten, dass die Erregbarkeit der spinalen Darmnerven (Splanchniei) eine periodische ist. Die Erregung der Darmnerven gelingt daher oft gar nicht und in den glücklichen Fällen nur für bestimmte Stellen des Darmrohres, deren Nerven sich gerade im erregbaren Stadium befinden. Die Enthirnung, welche ich vor dem Versuche anwende, stört den nor- malen Erfolg nicht im geringsten, wenn das verl. Mark nicht mitge- litten hat, ich, experimentirte daher fast stets an enthirnten Thieren. Ist hingegen die Cireulation gestört, so tritt bekanntlich spontane Bewegung ein, welche die Schärfe des Versuches beeinträchtigt. Diese vorläufigen Angaben werden genügen, um manche anscheinen- *) Und hier waren die nöthigen Cautelen gegen unipolare Zuckungen nicht versäumt. F MOLESCHOTT, Untersuchungen. VI, 10 234 den Widersprüche in den Angaben verschiedener Experimentatoren zu versöhnen. Die angebliche Hemmungswirkung der Splanchniei erlangt man bekanntlich auch wenn man den Dorsaltheil des Rückenmarkes gal- vanisirt, aus welchem die Wurzeln des Ganglion coeliacum ent- springen. Wäre hier ein wirklicher bewegungshemmender Apparat vorhanden, so müsste, wie auch Pflüger fordert, die Durchschnei- dung der Splanchniei oder die Zerstörung des angegebenen Rücken- marktheiles eine Vermehrung der Darmbewegung zur Folge haben. Diese wurde bis jetzt mehrfach nach der erstgenannten Operation vermisst, da aber hier die Thiere dem Versuche sehr bald erlagen, so vermuthete man, dass eine zeitweilig eintretende lebhaftere Peri- staltik der Beobachtung entgangen sein konnte, Ich habe nun Ratten mehrere Wochen lang nach Zerstörung der spinalen Wurzeln der Splanchniei lebend und kräftig erhalten, ohne irgend ein Anzeichen einer lebhafteren Darmbewegung wahrzunehmen. ° Hierüber gelegent- lich mehr. An dieser Stelle genüge es darauf hingewiesen zu haben, dass auch hier der von Pflüger für die Hemmungsnerven geforderte Antagonismus fehlte. In Betreff des andern Versuches, den Pflüger als „unrichtig gedeutet“ bezeichnet, herrscht bei meinem Kritiker ein eigenes Missverständniss, da wir weder in Bezug auf die Thatsachen, noch wie ich zeigen werde, in Bezug auf die unmittelbare Deutung der- selben von einander abweichen. „Nachdem ich schon früher den Nachweis geliefert, dass während der Diastole des Herzens die Nerven desselben nicht oder kaum er- regbar sind, nachdem ich für die Darmnerven während der vollkom- menen Ruhe einer Darmschlinge dasselbe Verhalten gefunden, stellte ich die Ansicht auf, dass die Nerven dieser Organe im hohen Grade erschöpfbar seien, dass diese Erschöpfbarkeit nicht nur die Ursache der rhythmischen Thätigkeit bilde, sondern dass sie auch bei den Nerven der genannten Organe während einer relativ kräftigen Reizung die Erscheinungen der sogenannten Hemmung bedinge. Alle bekannten hierher gehörigen Thatsachen liessen sich nach dieser Auffassung sehr gut erklären. Es musste aber auch der Nachweis geführt werden, 235 dass die Bewegungsnerven der übrigen freien Skelettmuskeln, wenn man sie bis zu demselben Grade erschöpft hatte, den ich bei dem Herzvagus als normal voraussetzte, ebenfalls durch stärkere Reize ganz in der Weise der Hemmungsnerven verändert, d. h. während der Dauer eines stärkeren Reizes im ganzen peripherischen Verlauf in dem Grade ermüdet würden, dass ein schwächerer Reiz, wie wir ihn als im Herzen beständig vorhanden voraussetzen müssen, seine erregende Wirkung verlöre, um sie, analog wie beim Herzen, nach Aufliören oder nach allzulanger Anwendung des stärkeren (hemmen- den) Reizes wieder zu erlangen, - Als Vorbereitung zu diesem Versuche hatte ich die Erscheinungen der Erschöpfung motorischer Nerven näher zu studiren. Die Resul- tate dieser Studien, die Unterschiede zwischen der bisher fast allein berücksichtigten Erschöpfung durch den Reiz und die Erschöpfung durch die Thätigkeit, die Verbreitung des Einflusses der letzteren durch die ganze peripherische Strecke des Nerven, habe ich daher auch in meiner Physiologie (pag. 183) gleichsam als Einleitung zur Besprechung des gleich zu erwähnenden Versuches mitgetheilt, wie ich schon früher (1847) in meinem im 8. Bande des Tübinger Archivs erschienenen Aufsatz über die Herznerven in demselben Sinne auf sie aufmerksam gemacht hatte. Mit der Wahrnehmung, dass bei dem vorletzten Grade der Fr- schöpfbarkeit des Schenkelnerven auch die von ihm versorgten Mus- keln nieht mehr wie gewöhnlich dauernde Reizung durch eine anhal- tende, sondern durch eine unterbrochene rAythmische Zusammenziehung ihrer Muskelbündel beantworten, mit dem Nachweise, dass in diesem Stadium eine noch intensivere Einwirkung des Reizes auf eine be- stimmte Stelle eine temporäre Unthätigkeit des Muskels und eine Unempfänglichkeit des Nerven bedingt, welche sich nicht bloss auf den gereizten Punkt, sondern in geringerem Grade auf den ganzen peripherischen Theil des Nerven evstreckt, hatte ich den wesentlichen Theil meiner Aufgabe erfüllt. Ich wollte zeigen, dass es nur die anderweitig schon hervorgetretene grosse Erschöpfbarkeit der moto- rischen Herznerven ist, welche bei mässig starker dauernder Rei- zung ihre Peripherie gegen die normale daselbst vorhandene Erre- 10 236 gung unempfänglich macht, und ihnen, durch den auf diese Weise erfol enden Stillstand der Pulsationen, den ‚Schein von Hemmungs- nerven verleiht. Ich erreichte meinen Zweck, indem ieh den Schen- kelnerven ebenfalls unter die geforderten Bedingungen der Erschöpf- barkeit yersetzte und dann zeigte, dass verhältnissmässig verstärkte Reize nicht nur selbst jetzt keine Bewegung bedingen, sondern auch während ihrer Dauer den Einfluss peröpherischer Bewegungsantriebe schwächen oder aufheben. Während der Gedankengang, welcher diesen Versuchen zu Grunde lag, sich schon in meiner ersten Abhandlung dargelegt findet, konnten die Experimente selbst zuerst nur ziemlich roh ausgeführt werden, da mir nur unzureichende Instrumente zur Verstärkung und Abschwächung der reizenden und erschöpfenden Ströme zu Gebote standen. In den letzten Jahren aber gelang es mir, die Form der im Wesentlichen schon früher mitgetheilten Versuche zu verbessern und auf diese Weise die frappante Uebereinstimmung in der Wirkung starker Reize auf die von Natur sehr erschöpfbaren Herznerven und auf die künstlich zu demselben Erschöpfungsgrade herabgestimmten Nerven der Fussmuskeln immer deutlicher hervortreten zu lassen. So gestaltete sich der pag. 188 meiner Physiologie mitgetheilte, von Pflüger weitläufig besprochene Versuch, in welchem ich zeigte, wie bei einem bestimmten Grad der Erschöpfbarkeit auch der Ischia- dicus von einem gewöhnlichen Induetionsstrome augenblicklich er- schöpft und so zum „Hemmungsnerven“ für den beständig angeregten Muse. gastroenemius wird. An den Lendenplexus des frei präparirten Ischiadieus eines Frosches werden zwei isolirte Drähte befestigt, die ihm den starken, unterbrochenen, gleichgerichteten oder abwechselnden Strom eines Elektromotors so lange zuleiten, bis der Nerv den erforderlichen Grad der Erschöpfung erlangt hat, d. h. bis beim jedesmaligen Ein- tritt des Stromes nur eine schwache Zuckung der Muskeln erfolgt, die darauf ruhig bleiben, so lange auch der unterbrochene Strom den Plexus ischiadieus durchkreist. Die Muskeln müssen während dieser Zeit ganz schlaff daliegen. Nun werden in der Nähe des Musc. gastroenemius zwei andere 237 Drähte an den Nerven gebracht, die ihm den ‘Strom einer einfachen Kette zuführen, welche durch ein Uhrwerk in regelmässigen Pausen geöffnet und geschlossen wird. Ist die Reizung am Plexus ischiadieus unterbrochen, so bringt das Spiel der unteren Kette den Muse. gast- roenemius zu regelmässigen periodischen Zuckungen, er ahmt darin die Pulsationen des Herzens nach. Sobald man aber die obere Keite des Elektromotors schliesst, so erfolgt nach dem ersten Erzittern des Fusses eine vollkommene Ruhe des Gastroenemius, seine Pulsationen sind trotz des abwechselnden Spieles der untern reizenden Kette an- haltend gehemmt, aber sie beginnen wieder, sobald man die obere Elektromotorkette öffne. Man kann dies schr oft wiederholen und stets wirkt die Reizung des Schenkelplexus „hemmend“, also ähnlich wie der Vagus bei gleicher Reizung auf die Bewegung des Herzens. Der Reiz der im Herzen normal die Bewegung anregt, wird hier durch die beständig fortdauernden periodischen Schliessungen des schwüchern untern Elementes mittelst des Uhrwerkes ersetzt. Auch mehrere Einzelnheiten, welche die Hemmung der Herz- thätigkeit vom Vagus aus darbietet, finden sich hier bei der künstlich bewirkten Hemmung des Gastroenemius von seinem Bewegungsnerven aus wieder, wie dies ausführlicher in meiner Nervenphysiologie er- örtert ist. Dass der hier beschriebene Erfolg nur als eine Wirkung der Erschöpfung betrachtet werden kann, ist an und für sich klar. Dass ich die ganze Erscheinungsreihe als eine notwendige und constante Folge der Erschöpfung ansah, erhellt aus dem ganzen Zusammenhang, erhellt aus der Identifieirung mit der Hemmungswirkung, die ich nur als Folge erschöpfender Reizung auf sehr erschöpfbare Bewe- gungsnerven erklärte, erhellt aus den Worten mit denen ich den Versuch zum ersten Male einführte und aus vielen Stellen meiner Physiologie. Hiermit war aber nur ein allgemeines Verhältniss functioneller Art bezeichnet. Es blieb immer noch die Frage, welche Verände- rungen in den chemischen oder physikalischen Eigenschaften des Nerven sind es, welche bei diesem Grad der Erschöpfung durch Thätigkeit, in welchem der motorische Nerv „hemmend“ auftreten 238 kann, seine Unempfindlichkeit gegen Reize bewirken. Früher hatte ich die ‚Erschöpfung durch Thätigkeit bezeichnet, als hervorgerufen durch den. Stoffverbrauch im Nerven, der eine längere Ruhe nöthig mache, aber es ist klar, dass hiermit noch nichts Positives gewonnen ist, so lange wir nicht wissen, welche Stoffe hier eigentlich eines Wiederersatzes bedürfen Die Analogie mehrerer Thätigkeitsäusserungen des erschöpften Nerven mit denjenigen eines Nerven der von einem starken constan- ten Strome anhaltend durchflossen ist, lenkte meine Aufmerksamkeit auf die Frage, ob nicht die gesuchte physikalische Veränderung, welche die Erschöpfung begleitet, theilweise auch in den jetzt am meisten zugänglichen elektrischen Eigenschaften des Nerven zu suchen sei. Die Untersuchung zeigte mir, dass in der That im Nerven, der durch Erschöpfung bis zur Hemmungswirkung herabgekommen ist, während der elektrischen Reizung durch abwechselnde Ströme der Elektrotonus bei unmerklicher negativer Schwankung frei hervortrat, wie dies auch schon theoretisch nach Du Bois Angaben zu erwarten war. Sind nun die Wirkungen des constanten Stromes „vermuthlich“ (wie ich mich in meiner Schrift ausdrückte) durch den Elektrotonus bedingt, so wird letzterer auch hier, wo er frei hervortritt, nicht ohne Einfluss auf den Erfolg der einwirkenden Reizungen bleiben können. Unter der Voraussetzung (die mit Unrecht von Pflüger be- stritten wird), dass auch ein sehr starker constanter Strom auf der Seite des negativen Poles die Wirkung schwacher Reize aufheben oder schwächen könne, erläuterte ich nun, dass „möglicherweise der „Elektrotonus der Schlüssel zum Erfolg der Versuchsreihen liegen „dürfte.“ Ich fügte aber hinzu, dass, wo mechanische Reizung er- schöpfend wirkt (also kein Elektrotonus zu erwarten ist), vielleicht andere Unregelmässigkeiten des Nervenstromes, die bereits Du Bois beobachtet hat, als elektrophysiologischer „4usdruck“ der „hemmen- den“ Wirkung auftreten könnten. Man sieht, dass diese letzten nur sehr zweifelnd und hypothetisch hingestellten Bemerkungen auf das Wesen meiner Erklärung, der 239 sogen. „Hemmungswirkung“ und auf die Bedeutung, die ich dem hieraus hervorgegangenen Versuche am Ischiadieus beilegte, von keinem oder sehr untergeordnetem Einfluss sind. Am wenigsten aber darf behauptet werden, dass ich durch die Anerkennung der zuletzt ausgesprochenen Möglichkeit eines elektrophysiologischen Ausdruckes der letzten Stufe der Erschöpfbarkeit, die Erschöpfung selbst als Ursache derselben ausgeschlossen hätte, da in diesem Falle meine letzte Versuchsreihe alle Bedeutung eingebüsst, allen Zusammenhang mit dem Früheren verloren und sich in Widerspruch mit meinem ganzen oben entwickelten Gedankengang gesetzt hätte. Pflüger bestätigt nun in seiner angeführten Arbeit die That- sachen, wie ich sie gesehen. Er giebt auch an, wovon ich mich schon vor 1’, Jahren mehrfach überzeugt habe, dass gleichgerichtete In- duetionsströme, gleichviel ob auf- oder absteigende, ebenfalls vom Ischiadieus aus die Bewegungen des Gastroenemius hemmen können, und fügt hinzu, was mir bis jetzt wegen der grossen Stärke der Ströme, die ich in den meisten Fällen anwendete, entgangen war, dass aufsteigende Schläge die hemmende Wirkung früher und leichter entwickeln als absteigende. Aber fast unglaublich erscheint es, dass Pflüger behaupten konnte, ich suche die ganze Deutung und die speeielle Erklärung meines Versuches in dem Einflusse des Elektrotonus. Er aber müsse diese Deutung verwerfen und eine andere an deren Stelle setzen. Diese andere aber ist — dass die Erschöpfung des Nerven durch den starken Strom die ganze Erscheinung auf sehr einfache Weise bedinge. Offenbar, sagt er, habe ich vergessen, dass ich einige Seiten vorber behauptete, die Erregbarkeit werde durch die Reizung nicht nur local an der vom Strom betroffenen Stelle, sondern auch in dem gesammten Nerven herabgesetzt, was Pflüger selbst ebenfalls bestätigt. Aber wenn ich das wirklich vergessen hätte, wo liegt dann der ganze Sinn meines Versuches? Zu welchem Zwecke hätte ich den- selben angestellt ? m Pflüger schliesst seine hierauf bezügliche Erörterung mit fol- genden unterstriehenen Worten: 240 „Schiff’s Versuch ist also der: dass ein Nerv, welcher auf „starke Inductionsschläge keine Reactionen mehr zeigt, dies auch auf „schwache Reize nicht mehr thut, doch können diese wieder wirksanı „werden, wenn man dem Nerven Zeit lässt zur Frholung.“ So sehr trivial ist die Sache denn doch nicht. Wenn ich nur dieses hätte beweisen wollen, so hätte ich allerdings am besten ge- than, was auch Pflüger mir zu empfehlen keinen Austand nimmt, den schwächern Reiz zwischen die beiden Elektroden der starken unterbrochenen Kette einzuschalten. Dann wäre allerdings, wie Pflüger bemerkt, diese Deutung klar daraus hervorgegangen. Vor- läufig aber musste ich den ingeniösen Rath meines Kritikers unbe- nutzt lassen, da ich im Gegentheil zeigen wollte, dass eine periphe- rischer gelegene Nervenstrecke, welche auf starke Reize noch reagirt, selbst wenn diese noch lange nicht die Kraft des erschöpfenden Stromes erreichen, dies auf sehr schwache so Zange nicht mehr thut, als der hemmende Strom den obern Theil des Ischiadieus durch- kreist. Aber noch eine Reihe anderer Analogien zwischen dem durch starke Ströme gereizten Ischiadieus und der in den gewöhn- lichen Versuchen beobachteten Wirkungsweise des Vagus aufs Herz sind wie bemerkt aus meinem Versuche hervorgegangen. Hier will ich nur auf einige derselben aufmerksam machen. Weber fand schon, dass wenn man die elektromagnetische Reizung des Vagus zu lange fortsetzt, das Herz wieder zu schlagen beginnt, und er glaubt, dass dies von der anfangenden Erschöpfung des „hemmenden“ Nerven herrühre. Ich habe schon vor Jahren ge- zeigt, dass diese Deutung nicht richtig ist, dass vielmehr der Wieder- beginn der Pulsationen daher rühre, dass der peripherische Theil des Vagus aus dem Stadium der Erschöpfung heraustrete und seine Functionen wieder beginne, weil der 2wischen den Polen liegende Theil des Nerven jetzt so weit verändert ist, dass er als unwirksamer Leiter die Kette schliesst, und keine Erschöpfung mehr nach. der Peripherie verbreiten kann. Ganz analog beginnen in meinem Ischia- dieusversuch die Zuckungen des Gastroenemius wieder, wenn man den oberen „hemmenden“ unterbrochenen Strom zu lange einwirken lässt. Für den Ischiadieus ist aber, wie Pflüger selbst zugiebt, die 241 eigentliche Erschöpfung dadurch bezeichnet, dass der Muskel während der Wirksamkeit des oberen Stromes ruht und auch durch die Schwankungen eines schwächeren mehr peripkerischen Stromes nicht in Bewegung gesetzt wird. Wäre nun wirklich, wie mein Gegner mit vielen Schriftstellern annimmt, der Vagus ein specifisch „hemmen- der“ Nerv, so müsste seine Erschöpfung gerade das Gegentheil von derjenigen des Ischiadieus bewirken. Die Pulsationen müssten sehr beschleunigt wieder anfangen und dürften durch schwächere mehr peripherische Reizung des Nervenstammes im Anfang nicht mehr zu hemmen sein. Dieser mehr peripherische Reiz müsste aber hemmen, sobald man den stärkeren oberen unterbrieht, die Hemmung müsste wieder aufhören, wenn die obere Reizung wieder beginnt. Aber gerade das Gegentheil tritt ein. Sobald bei fortdauernder starker Reizung einer Vagusstrecke das Herz wieder schlägt, verhält sich der peripherische Theil des Vagus zum gereizten, ganz wie die analogen Theile des Ischiadieus, wenn die Erschöpfung des Nerven schon vorüber und das obere gereizte Stück momentan destruirt ist. Dies habe ich schon vor Jahren durch Verschiebung des unteren Poles gezeigt, und selbst Hoffa hat es bestätigen müssen. Wenn aber beim Vagus, wie immer beim Ischiadieus, der Desorganisation des erregten Stückes eine Erschöpfung des Nerven vorhergeht, so fällt sie nothwendig in die Periode, in welcher das Herz noch szill- steht. Dies ist genau was meine Anschauung fordert, nach welcher der Vagus kein specifisch hemmender, sondern ein bewegender Herz- nerv ist. Es wäre aber ein grosser Widerspruch anzunehmen, dass die Ruhe des Herzens, welche meine Gegner als das Produkt der höchsten T'hätigkeit des Herzvagus betrachten, sich auch noch un- verändert durch die ganze Periode der Erschöpfung des letzteren fortsetzen sollte. Diejenigen unter den Modephysiologen, welche in der Energie der Vagusfasern allein das Agens erkennen, welches dem im Herzen enthaltenen Bewegungsantrieb entgegen, die zeitweilige Diastole bewirkt, müssten sogar einen Grad der Erschöpfung des Vagus aufweisen können, welchen eine permanente Systole begleitet. Aber schon lange habe ich, einer zur Zeit als schr ingeniös ange- 242 staunten Deutung gegenüber, ganz im Einklang mit meinen übrigen Ansichten über die Physiologie der Herznerven, nachgewiesen, dass es eine solche tetanische Zusammenziehung des Herzens nicht giebt. Es zeugt nur von der erstaunlichen Inconsequenz mancher Sehrift- steller, wenn heute dieser Satz endlich von einer Seite wiederholt wird, welche die Deduction desselben und seinen Zusammenhang mit meinen übrigen Ansichten noch nicht anerkennt. Sehr auffallend ist unter Andern folgende Beobachtung: Hat man dem Ischiadieus mittelst eines starken Stromes den erforderlichen Grad der Erschöpfung ertheilt und den Hemmungsversuch mehrmals so ausgeführt, dass man in den Zwischenzeiten die Grösse der Zuk- kungen des Gastroenemius durch eine in denselben eingestochene Nadel registrirt, so schwäche man den hemmenden Inductionsstrom immer mehr ab. Er wird sehr bald die Pulsationen des Muskels nicht mehr vollständig hemmen, sondern nur verringern, bis endlich bei einem gewissen Grad der Schwächung des Inductionsstromes derselbe nicht mehr hemmend, sondern im Gegentheil verstärkend auf die Muskelzuckungen wirkt. Wird die untere Kette nur jede Seceunde ein Mal durch das Uhrwerk geschlossen, so sieht man in der Zwischenzeit, in welcher der Induetionsstrom fortwirkt, den Muskel ganz ruhig verharren. Dies dient zum Beweise, dass der obere Strom an und für sich gar keine Muskelzuckung bewirkt, dass er aber schwach genug ist, im erschöpften Nerven noch einen Reiz- zustand hervorzurufen, der nur dadurch hervortritt, dass er sich zu dem periodisch eintretenden Reize von der untern einfachen Kette sunmirt. Ich benierke, dass ich bei dem Versuche jedesmal, wenn ich um den Inductionsstrom zu schwächen, die beiden Spiralen auseinander rückte, den Hammer des Instrumentes anhielt. Diese Verstärkung der Pulsationen des Gastrocnemius findet ihr Analogon in der Vermehrung des Herzschlags, der nur durch sehr schwache und nicht mehr durch stärkere auf den Vagus wirkende Induetions- ströme hervorgebracht wird. Würde im Versuche am Ischiadicus der peripherische Reiz nicht p/ötzäch und in einem bestimmten Momente, sondern wie beim Herzen ganz allmälig wirksam werden, so würden wir hier ebenfalls eine Vermehrung der Pulsationen des ı I 243 Gastroenemiusbeobachten müssen, denn eswürde jedesmal eine Pulsation erfolgen, sobald die beiden hier auf den Nerven wirkenden Reize sich gemeinschaftlich zu der Grösse summirt haben, welche im nor- malen Zustande der peripherische Reiz allein erreichen muss, um wirksam zu werden. Diese Pause wäre also verkürzt, mithin die Zahl der Zuckungen vermehrt. Ich habe hier hypothetisch einen latenten Reiz durch die obere Kette angenommen, richtiger hätte ich wahrscheinlich von einer Vermehrung der Reizbarkeit sprechen sollen. Für das hier hervor- gehobene Resultat bedingt dies aber keinen Unterschied. Hat man den Herzschlag vom Vagus aus gehemmt, so zeigt es sich oft, dass unmittelbar nach Unterbrechung der Tetanisirung des Nerven das Herz nicht, wie früher allgemein angegeben wurde, nur allmälig zu seiner früheren Kraft und Frequenz zurückkehrt, sondern dass der Herzschlag zuerst etwas frequenter und viel kräftiger als vor dem Versuche erscheint. Ich hatte dies bereits in meinen ersten Versuchen nach Erregung eines Vagus bei einem Hund und mehre- ren Kaninchen gesehen und im 8. Bande des Tübinger Archivs pag. 183 mitgetheilt. Später haben Ludwig und Bidder dieselbe Nachwirkung der Vagusreizung beobachtet. Ganz analog sah ich an der zeichnenden Nadel, dass die ersten Pulsationen des Gastro- enemius, welche nach einer Hemmung folgen, auffallend kräftiger und energischer sind, als die Pulsationen vor der Hemmung. Diese Beobachtung hat nun bei Pflüger so grosse Bedenklichkeit erregt, dass er sich so weit verleiten lässt zu behaupten, ich hätte diese Angabe nur gemacht (also gleichsam erfunden) um die Analogie meines Ischiadieusversuches mit den „ächten“ Hemmungserscheinun- gen zu vervollständigen. Pflüger geht in seinem Eifer für die Hemmungsnerven sicher viel zu weit, wenn er bis zu dieser Art von Polemik sich hinreissen lässt. Die von mir beobachtete Verstärkung ist eine Thatsache, die ich zum Ueberfluss sogar durch die von der Nadel gezeichneten Curven belegen kann, und wenn einmal ein solcher Beweis, wenn einmal eine Curve nichts mehr gilt, was ist dann den deutschen Physiologen noch heilig? Ich würde darum meine Curven mit diesem Aufsatz schon veröffentlicht haben, wenn 244 sie nicht durch die starke Reibung, welche die starre Nadel auf dem Glase bedingt, in manchen andern Einzelnheiten gelitten hätten. Ich will deshalb erst neue mit einem weieheren Zeicheninstrumente anfertigen lassen und zwar mit — einem Haare aus dem Schwanz eines Esels. Denn dieses ist, wie ich meinen Collegen schon jetzt nicht vorenthalten will, zu physiologischen Curven wie geschaffen, wenn auch die Pinsel, deren man sich früher in manchen berühmten Laboratorien zu diesem Zwecke bediente, ebenfalls ihre besonderen Vorzüge haben mögen, nur dass sie etwas gar zu beugsam sind und durch ihre Knixe öfters die wahren Formen verhüllen. Doch dies nur gelegentlich, und mit Vorbehalt weiterer Mittheilungen hierüber kehre ich zu Pflüger zurück, welcher der zuletzt besprochenen Thatsache besonders deshalb so gram ist, weil sie sich, wie er glaubt, der von ihm adoptirten „einfachsten Weise der Erklärung“ meines Ischiadieusversuchs nicht zu fügen scheint. Aber Thatsachen lassen sich nun einmal nicht wegdisputiren. Umsonst will Pflüger seine Leser glauben machen, sie ständen mit meinen eigenen früheren Resultaten in Widerspruch, umsonst sogar strengt er sich an, einige neue Experimente dagegen zu erfinden, die ich freilich bereits in meiner ersten Herzarbeit pag, 180 fast in derselben Form angestellt, alles das führt ihn zu nichts als zu der Behauptung, unmittelbar nach der Unterbrechung eines erschöpften Reizes sei die Erregbarkeit des peripherischen Nervenstückes noch verringert, sie erhebe sich aber äusserst rasch wieder. Dies ist eben was ich in meiner Physiologie bereits unter dem Namen der „gleichartigen Nachwirkung“ des er- schöpfenden Reizes beschrieben. Und damit muss sich denn Pflüger begnügen, um seinen kategorischen Schluss zu stützen: „Aus alledem „folgt also doch jedenfalls, dass Schiff’s Behauptung unrichtig sein „muss, welche vorgiebt, dass die Reizung des erschöpften Nerven, den „so eben die gewaltigen Inductionsschläge ruhig liessen, wirksamer „sei, als die des nicht erschöpften. Die Pulsationen, welche nach „Unterbrechung des Inductionsstromes wieder beginnen, sind also „schwächer als. vorher, während die durch die ächten Hemmungs- „nerven zur Ruhe gebrachten, nachher kräftiger erscheinen“ (Pflüger l, e. pag. 27 und 28). 245 Aber gerade dies Letztere ist, wie man weiss, durchaus keine ausnahmlose Regel, auch die Reizung der „ächten Hemmungsnerven“ hat sehr oft eine beträchtlich lange gleichartige Nachwirkung, auf die zunächst sehr geschwächte Pulsationen folgen, welche ganz all- mälig zunehmen. Warum habe ich mich nicht an diese Fälle ge- halten, die mir doch erspart hätten, eine Verstärkung der Zuckungen des Gastroenemius nach der Erschöpfung zu erfinden (?) Warum gebe ich vielmehr Seite 190 an, dass mir das Analogon dieser Fälle bis jetzt beim Gastroenemius fehlt? Dies hätte Pflüger wohl über- legen sollen, dann wäre er vielleicht auf die rechte Spur gekommen und hätte sich die Nöthigung erspart, mir durch seinen Ausdruck „wirksamer“ einen mir fremden Doppelsinn unterzuschieben, der ihm dann Gelegenheit zu einer nichts weniger als treffenden Kritik giebt. Ich habe nämlich, wie man sich pag. 189 meiner Physiologie leicht überzeugen kann, gar nicht behauptet, der Nerv sei nach der Er- schöpfung reizbarer, sondern unter den von mir eingehaltenen Be- dingungen (d. h. wenn ein Secundenpendel die reizende Kette schliesst) seien die zuerst wieder erscheinenden Contraetionen des Muskels verstärkt, und deutete darauf hin, dass dies wahrscheinlich seinen Grund im Muskel selbst und zwar in seiner Kräftigung durch. die vorhergehende längere Ruhe habe. Vom Nerven wird dabei höchstens verlangt, dass er wieder nahezu normal erregbar sei, und dies wird er doch oft, wie Pflüger selbst zugiebt, in äusserst kurzer Zeit, in einer Sceunde, Wäre mein Gegner in Berlin nicht durch seinen patriotischen Eifer für die Hemmung der Bewegung, für die speeifisch beruhigenden Nerven, ganz verblendet gewesen, so hätte er einsehen müssen, dass die von mir eruirte Thatsache gar nicht in Widerspruch mit den Gesetzen der Erschöpfung der Nerven steht; und dass ich sie noch weniger erfinden konnte, um durch diesen vermeintlichen Widerspruch die Annahme einer Erschöpfung bei der Hemmung auszuschliessen (!) und so für eine andere Hypothese Raum zu ge- winnen; dass demnach hier sein ganzes Lamento umsonst, sein ex- perimenteller Scharfsinn verloren war. Wenn aber Pflüger auf den so eben erschöpften Nerven einen erregenden Reiz applieirt hätte, der nicht schon, wie in dem von 246 ihm beschriebenen Versuch, an und für sich den Schenkel tetanisirt, d. h. bis zum Maximum seiner Muskelwirkung gebracht hätte, so würde er im Momente der Erholung nach der Erschöpfung wohl be- achtet haben, dass die Muskeleontractionen energischer ausfallen als vor der Erschöpfung. Dass hier aber bis zum Moment der Erholung Uebergangsstadien vorkommen, habe ich pag. 190 meiner Nerven- physiologie schon angedeutet, diese konnten aber bei einer Reizung in Seeundenintervallen kaum zur Beobachtung kommen. Sind aber auch alle Thatsachen mit meiner Annahme einer Er- schöpfung als Ursache der Hemmungswirkung in vollkommenstem Einklang, so sind wir dadurch der Nöthigung nicht überhoben, nach den materiellen Veränderungen im Nerven selbst zu fragen, mit de- nen die Eigenthümlichkeiten der sogen. Erschöpfung zusammenhän- gen. In diesem Sinne habe ich, wie bereits oben erwähnt, gleich- sam frageweise darauf aufmerksam gemacht, dass wenigstens für die durch elektrische Ströme erschöpften Nerven das Vorherrschen des Elektrotonus möglicherweise etwas erklären dürfte. Bei dieser An- deutung glaube ich aber auch jetzt noch ganz unverändert beharren zu müssen, obschon Pflüger dreierlei dagegen einzuwenden hat. Zuerst behauptet er in seinen zahlreichen Versuchen niemals beobachtet zu haben, dass auf der Seite des negativen Poles die Er- regbarkeit herabgesetzt gewesen sei. Es ist wahr, Pflüger hat viel gesehen und in seinem Werke über den Elektrotonus sehr fleissige Untersuchungen mitgetheilt, aber sein Ausspruch zeigt, dass er auch manche einfache Thatsache übersehen hat. Ich kann, auch »ach dem Erscheinen des Pflüger’schen Buches, von den in meiner Nerven- physiologie enthaltenen Angaben über die Wirkung elektrischer Er- regung keineswegs abgehen. Meine Versuche über die normalen Zuckungsgesetze sind seitdem in Berlin selbst bestätigt worden, und was den Einfluss constanter Ströme betrifit, muss ich nach späteren eigenen Untersuchungen meine frühern Resultate nur noch um so bestimmter formuliren. Sehr starke absteigende Ströme verhindern die Wirkungen sehr schwacher Stromesschwankungen in der nächsten Nachbarschaft des negativen Poles, Hier hat eben Eekhard Recht, quand meme! Es giebt hier sogar eine Zwischenstufe, von der ich 247 in meiner Schrift noch nicht gesprochen. In der Uebergangsstürke zwischen förderndem und hemmendem constantem absteigendem Strom sieht man nämlich auch, dass wenn der reizende schwache, absteigende Strom vorher Oeffnungs- und Schliessungszuckung erzeugte, bei ge- schlossener oberer Kette nur die Oeffnungszuckung der unteren Kette wegfällt und die Schliessungszuckung noch erhalten, ja, wie mir schien, verstärkt sein kann '). Pflüger macht ferner darauf aufmerksam, dass ich genöthigt gewesen sei, für mechanische und chemische hemmende Reize nicht den Elektrotonus, sondern andere „Unregelmässigkeiten des Nerven- stroms“ als Begleiter der Erschöpfung in Anspruch zu nehmen, wie sie von Du Bois nach heftigen Misshandlungen der Nerven beobachtet sind. „Schiff,“ sagt er, „bedenkt also nicht, dass die Qualität des „Reizes für die Qualität des Erfolges ganz gleichgültig’ ist, nicht „allein wenn der Reiz den Nerven in seinen Lebenseigenschaften „alterirt, sondern wenn er ihn sogar zerstört (l. e. pag. 23).* Aller- dings habe ich auch diesen Punkt bedacht, bin aber in Betreff dessel- ben gerade zu der entgegengesetzten subjectiven Deberzeugung geführt worden. Auf logische Betrachtungen und Analogieen mit dem Er- folg subjeetiv wahrnehmbarer Reizungen gestützt, wage ich zu ver- muthen, dass auch hier, wie überall, verschiedenen Bedingungen ver- schiedene Resultate entsprechen, dass die primären Veränderungen, welehe verschiedenartige Reize im Nerven selbst bewirkten, nicht ganz identisch sein können, wenn auch die secundär dadurch her- vorgerufene Veränderung in der Wirkung des Nerven nach aussen kaum oder nicht die Spur dieser Verschiedenheit trägt. Wie so ergreifen starke Reize dieselben sensibeln Nerven bald angenehm, bald unangenehm, woher überhaupt die Verschiedenheit der Gefühle, wenn der (ualität des Reizes für die Qualität des Erfolges gleich- gültig ist? Man wende mir nicht ein, jene Verschiedenheit sei eine Funktion der Centraltheile, und nicht des Nerven, denn damit die ') Constante Ströme können, wie ich bemerkt, selbst dann noch auf die ange- gegebene Weise die Erregbarkeit eines mehr peripherischen Nervenstückes verändern, wenn die von ihnen direct durchflossene Strecke schon aufgehört hat, Zuckungen beim Schliessen und Oeflnen des constanten oberen Stromes zu geben. 248 Centra anders funetioniren, müssen sie anders angeregt sein, und dies setzt eine Verschiedenheit in der Veränderung der Nerven voraus. Wird man ein analoges Verhältniss für den motorischen Nerven läugnen wollen, weil der Enderfolg, wie er einseitig hervor- tritt, unserm Auge diese Verschiedenheit nicht verräth? Um so mehr sind wir genöthigt, sie in der innern Veränderung des Nerven zu suchen, und glücklich, wenn durch einen Beitrag zur Lösung dieser Aufgabe es der Elektrophysiologie gelingt, aus ihrer immer noch mehr abstract physikalischen Haltung näher an die eigentliche Phy- siologie heranzutreten. Endlich glaubt Pflüger andeuten zu müssen, dass ich mir eine Inconsequenz erlaube, hier die Veränderungen im Nervenstrom in Anspruch zu nehmen, nachdem ich vorher „die Behauptung aufge- „stellt, der Nervenstrom habe mit der Function nichts zu schaffen, sondern rühre von den Hüllen des Nerven her.“ Wer sieht ihm nicht das spöttische Nasenrümpfen bei dieser Be- merkung an? Ja ich bin es, bin der Ketzer, der diese Behauptung auszusprechen wagte, und der auch ohne bessere Gründe nicht von ihr lassen wird, wenn Ihr auch alle Eure feurigen Streitschriften zu einem grossen Holzstoss zusammentragt, um mich darauf in effigie zu verbrennen! Ich weiss es, eine solche und manche andere Be- hauptung giebt mich der Verdammung aller „bessern“ Physiologen preis, nie wird ein rothes Band mein noch rötheres Herz bedecken, nie wird mich je der Titel eines Hofraths oder Geheimraths zieren, also rathlos werdet Ihr meinen Namen aussprechen, oder lieber ver- schweigen wie den des Bösen, wenn Ihr ihn nicht in einer frommen Busspredigt zur Abschreekung der Gläubigen von bösen Verirrungen manchmal hervorsucht. Aber Ihr seit nicht vorsichtig genug! Gar manche meiner Ketzereien hat sich in fremdem Gewande und unter fremder Firma schon den Weg in die deutschen Gauen und sogar in die „klassischen“ Lehrbücher der „Priester der Wissenschaft“ gebahnt, und so dürfte es auch einst der eben berührten Lehre gelingen. Hütet Euch vor den Sinnen, sie sind die Pforten der Verführung, durch sie umstricke ich diejenigen, die sich mir nahen. Es ist wahr, der Nervenstrom und eine Art der Umkehr desselben 249 sind mir nur Produkte der Hüllengebilde, aber ich habe stets aner- kannt, dass das, was Du Bois „Bewegungserscheinungen des Ner- venstroms“ nennt, mit der Function im Zusammenbang stehende Ströme eigener Art sind. Ich darf also auch eine Verbindung ihrer Abweichungen mit den Verschiedenheiten der Funetionirung vermuthen. Aus dem Vorhergehenden erhellt aber, dass wenn auch ein solcher hypothetisch hingestellter Zusammenhang nicht bestände, selbst wenn es hier gar keinen Elektrotonus gebe, die eigentliche Deutung meines Hemmungsversuches und seine Begründung in der Erschöpfung der Nerven unangefochten dastehen würde Ja, im Vertrauen will ich dem Leser noch mittheilen, dass ich selbst gar nicht in dem Maasse an den Einfluss des Elektrotonus bei der galvanischen Ueber- reizung glauben mag, wie sich dieser Einfluss als möglich und in allen Analogieen begründet, so sehr aufdrängt, dass ich mich aller- dings verpflichtet fühlte, auf denselben aufmerksam zu machen. Sub- jeetive Antipathien dürfen uns nie von einer objectiven allseitigen Betrachtung des Gegenstandes abhalten; im Grunde aber wollte ich, Pflüger hätte in dieser Beziehung recht. Es gebe aber, meint Pflüger, schliesslich noch einen Versuch, mit dessen Hülfe ich meine Ansicht hätte prüfen können, nämlich die Vagi durch den Einfluss des constanten Stromes zu deprimiren, ihre motorische Kraft zu vernichten. Dann sollte nach meiner An- sicht das Herz stille stehen. Dies ist aber nicht der Fall, das Herz schlägt weiter, wie stark auch der aufsteigende Strom genommen wird; also können die Vagi, meint mein Kritiker, nicht die motori- schen Nerven des Herzens sein. Bei der grossen Kürze der Fasern würde ich nicht einwenden wollen, dass sich der Electrotonus nicht merklich bis in die intramuskulären Zweige des Nerven fortpflanze. — Also das ist die Sache! Aber konnte sich denn Pflüger nicht denken, dass ich wohl meine guten Gründe haben müsse, einen solehen Handschuh nieht aufzuheben, denselben, den mir schon seit einer Reihe von Jahren die ganze jeunesse dorde der physiologischen Reaction einer nach dem andern hingeworfen, um den sie sich zum Theil gegenseitig zankten, den sie sich wechselsweise aus den Händchen % - - BREI - rissen, dass es eine Lust war mit anzusehen, weil ihn jeder mir zuerst MOLESCHOTT, Untersuehungen. VI, 17 250 vor die Füsse schleudern wollte. Wenn ich trotz dieser schlagenden Gründe auf meiner Ansicht beharrte, so mussten sie mir doch nicht so ganz genügend scheinen, so hätte dies wenigstens bei Pflüger einigen Zweifel ervegen dürfen, ob der angeführte Versuch wirklich ein solches Experimentum erueis sei, wie er anzunehmen scheint. Es ist eine alte Geschichte, die Lymphherzen empfangen unläugbar einen Bewegungsnerven aus dem Rückenmark, und wenn man die- sen Nerven freipräparirt und einem starken constanten aufsteigenden Strome aussetzt, so stehen die Lymphherzen während der ganzen Dauer des Stromes angeblich in diastole still, macht man aber das- selbe Eperiment am Vagus, so steht das Herz nicht still. Bei der grossen Analogie der Lymph- und Blutherzenbewegung kann, so schliesst man, der angeführte Unterschied nur darin liegen, dass man bei dem einen den Bewegungsnerven getroffen hat, bei den an- dern nicht; denn wenn sich die Wirkung des Stromes in dem einen Falle lähmend bis in die Nervenenden verbreitet, warum sollte sie es im andern Falle nicht thun ? Untersuchen wir aber die Sache etwas näher, so wird ‚sich gerade aus der ingeniös gewählten Vergleichung mit dem Lymph- herzen zeigen, dass der Elektrotonus sich nicht weit genug auf die Endverzweigungen dieser Nerven verhreitet, um ihre Thätigkeit wirk- lich zu hemmen, und dass der ganze so schön ersonnene Versuch — eben gar nichts bedeutet ’). Die Anregung, welche auf die Nerven der Lympbherzen wirkt, stammt zum grössten Theil nicht aus der Peripherie, sondern aus dem Rückenmark; beim Blutherzen ist aber bekanntlich das Umge- kehrte der Fall. Daher müssen nach der Durchschneidung der mo- torischen Nervenstimme die Lymphherzen eine Zeitlang stillstehen, um erst später wieder in eine oft sehr geschwächte Bewegung zu gerathen, während das Blutherz in diesem Falle ungestört weiter schlägt. Gesetzt, ein starker constanter Strom treffe plötzlich die ‘) Auf die folgenden Versuche bezieht sich übrigens die letzte Bemerkung auf Seite 92 meiner Physiologie, aus der Pflüger schon meine Ansicht hätte entneh- men können. 251 Lymphherzennerven, so würden, selbst wenn sich seine lähmende Wirkung auch nur um ein Minimum weiter, und yar nicht in die Substanz der Lymphherzen hinein verbreitete, letztere vorläufig we- gen einer vorübergehenden Unterbrechung der Continuität ihrer Ner- venleitung, gleichwohl stillestehen müssen. Also ist durch die bisher vorliegenden Versuche nicht bewiesen, dass der constante Strom sich bis zu den Endästen der Lymphherzennerven als Elektrotonus gel- tend mache. Aber damit habe ich noch nichts gewonnen, denn aus anderen Gründen ist eine solche Ausbreitung der Wirkung des an- haltenden Stromes doch wahrscheinlich, wenn nicht der positive Beweis gelingt, dass die lähmende Wirkung sich eben bier nicht bis in die Endäste fortpflanzt. Um hierüber Versuche zu machen, muss man, wie ich diess bereits vor mehreren Jahren in Frankfurt gethan, zuerst den einen Einfluss eliminiren, der, wie wir gesehen, beim Eintritt eines auch ausschliesslich /ocal lähmenden eonstanten Stromes «allein hinreicht, den Schlag der Lymphherzen zu unterbrechen. Man muss an Lymphherzen experimentiren, bei denen die plötzliche Aufhebung der Nervenverbindung mit dem Rückenmark keinen Stillstand mehr bewirkt. Dazu gelangt man einfich, wenn man aus einer Zahl sehr erregbarer Frösche, denen man einige Tage vorher den hinteren Theil des Rückenmarks zerstört hat, diejenigen auswählt, deren Lymphherzen deutlich und kräftig pulsiren. Diesen lege man den hintersten Spinalnerven blos, und um den fortdauernden Ein- fluss seines Stammes auf das Lymphherz zu constatiren, reize man ihn zuerst bei einigen mit mässigen unterbrochenen Strömen, wobei sich das Uaudalbläschen tetanisch zusammenzieht. Wenn ich aber jetzt auch sehr starke constante Ströme auf den Nerven ein- wirken liess, steis klopfte das Bläschen ganz unverändert, manch- mal, wie es schien, sogar etwas lebhafter weiter. Dasselbe fand sich in meinen Versuchen mit schwächeren aufsteigenden constanten Strö- men. Ich hoffe, dass man diesen Versuch nach dieser Methode (der einzig brauchbaren) wiederholen und dieselben Resultate erlangen wird. Oder klopfen etwa, wie es nach manchen Aeusserungen scheint, die Lymphherzen in Norddeutschland nach Zerstörung des Rücken- ı7* 252 marks nicht mehr weiter, seitdem ein Machtspruch Volkmann's einst ihnen Ruhe geboten? Wenn dies der Fall ist, lade ich meine Collegen freundlich ein, hierher zu kommen, wo sie sich gewiss von der Richtigkeit meiner Angabe überzeugen werden. Bis Aierher reicht bekanntlich Volkmann’s Zauber nicht. Da aber der hier getroffene Nerv unzweifelhaft der Bewegungs- nerv des Lymphherzens ist, so schliesse ich hieraus, dass die läh- mende Wirkung constanter Ströme bei manchen Nerven, die im Endnerven sehr vielfache Theilungen eingehen, gar nicht die Ner- venenden zu erreichen vermögen, so kurz auch die freie „apopolare“ Strecke ist, und bei der von meinen Gegnern selbst hervorgehobenen grossen Analogie zwischen Lymph- und Blutherzen ist es wohl er- laubt, was für die erstere erwiesen ist, für das letztere wenigstens als möglich oder sehr wahrscheinlich anzunehmen und den Ver- suchen mit dem constanten Strom in der angeregten Beziehung da- her jede Bedeutung abzusprechen. — Das Herz darf weiter schlagen! Was nun Pflüger ferner noch gegen mein Bedenken vorzu- bringen weiss, dass das Herz, wenn der Vagus nur Hemmungsnerv wäre, doch jeder motorischen Nervenverbindung mit den Centren er- mangele, wird schon zum Theil durch unsere bisherigen Erörterun- gen widerlegt. Pflüger flüchtet hier zu der veralteten ganz ultra- ganglionnären Ansicht, dass das Herz wirklich sein einziges Bewe- gungscentrum in den in seiner Substanz angehäuften Ganglien trage. Ich habe bei anderer Gelegenheit schon gezeigt, dass diese rein hy- pothetische Annahme ganz unhaltbar ist. Dass aber durch Erregung des Hirns die Herzschläge zunehmen können, erklärt Pflüger durch eine Abnahme der Thätigkeit des regulirenden Hemmungsnerven. Dass diese Angabe unrichtig ist, erhellt aus den oben angeführten Versuchen, nach welchen sogar eine völlige Zerstörung der sogenannten „Hem- mungsnerven,“ der Accessorii, keine Vermehrung des Herzschlags herbeiführt. Im Gegentheil habe ich gesehen, dass nach vollkomme- ner Extraetion der Accessorii die Vermehrung des Herzschlags fehlt, welche sonst viele Afteete begleitet. Wenn in dieser Beziehung einige Versuche von Türk ein anderes Resultat gegeben zu haben schei- nen, so kommt dies vermuthlich daher, dass nach der von Türk 253 angewendeten Methode nur ein Theil des Accessorius getrennt wurde, die für das Herz bestimmten Wurzeln aber verschont blieben. Türk giebt nicht an, nach welcher Methode er zu den Nervenwurzeln ge- langte. (Vergl. Zeitschr. der Wiener Aerzte, 1851.) Neuerdings ist mir auch eine Arbeit v. Bezold’s (aus Virchow’s Archiv) über den Herzschlag zu Gesicht gekommen, welche im Ein- gange geradezu verspricht, solche Ansichten, wie ich sie in meiner Physiologie über die Wirkung des Vagus auf das Herz aufgestellt, künftighin unmöglich zu machen. So sehr auch die Versuche dieses strebsamen Mannes unsere Anerkennung, verdienen, so wenig war es mir möglich, irgend eine Beziehung zwischen den letzteren und meinen Ergebnissen über die Hemmungsnerven zu erkennen. Dass v. Bezold mich in den Herzganglien (!) die Centralorgane der Pulsationen suchen lässt, ist für seinen jetzigen Standpunkt sehr be- zeichnend. Man sieht, er hat noch eine zu gute Meinung von der Welt und den Menschen. Dass v. Bezold übrigens gelegentlich den Ansichten seiner Schule das Wort redet, wird ihm gewiss Nie- mand übel nelımen. Es würde mich ausserordentlich freuen, wenn er es für der Mühe werth halten sollte, meiner Einsicht zu Hülfe zu kommen und mir zu zeigen, auf welche Weise seine Versuche mich eigentlich widerlegt haben, und er darf versichert sein, dass ich dann, wenn er dies wirklich gethan, keinen Augenblick anstehen werde, meine Ansichten formell und ausdrücklich zu widerrufen. Magis amica veritas. Das Vorhergehende aber dürfte zu dem Beweise mehr, denn genügen, dass Pflüger’'s Vertheidigung der Existenz specifischer Hemmungsnerven in jeder Beziehung unzureichend und werthlos ist, und dass sie meine Lehre nicht zu erschüttern vermag, welche für dieselben Apparate des T'hierkörpers auch eine stets gleiche Wir- kungsweise in Anspruch nimmt. XI. Der erste Hirnnerv ist der Geruchsnerv. Von J. M. Schiff. Bei der Ausarbeitung des letzten Alschnittes meiner Nerven- physiologie wurde im vorigen Jahre meine Aufmerksamkeit wieder auf die Unsicherheit unserer Kenntnisse in Betreff der Funetionen des ersten Hirnnervenpaares gelenkt. Bereits die ältesten Anatomen, die keinen besonderen Nerven für den Geruchssinn annehmen, läug- neten die nervöse Natur des schon in seinem äusseren Ansehen von den meisten übrigen Nerven abweichenden N. olfaetorius. In der späteren Zeit stützte man sich fast allgemein auf seine immer mehr erkannte Ausbreitung in der Riechschleimhaut, um aus ihm einen dem Opticus und Auditorius analogen Sinnesnerv zu machen, dass aber selbst für den damaligen beschränkten Gesichtskreis diese Ana- logie keinen bindenden Beweis abgeben konnte, bewies die Oppo- sition von Diemerbroek und von Merg. ei Diese Unsicherheit nahm noch zu, als Magendie die Frage aus dem Gebiet der anatomischen in das der eigentlich physiologi- schen Forschung zog. „Die Eigenschaften und der Nutzen der Ge- „ruchsnerven,“ schloss Magendie zuletzt, „sind mir unbekannt. „Diese Nerven stehen für mich in derselben Kategorie, wie die „Glandula pituitaria, pinealis, das Corpus callosum, das Septum luci- „dum, der Fornix und seine Pfeiler und so viele andere Theile des 255 „Gehirns, deren Eigenschaften uns völlig entgehen.“ (Vorles., über- setzt von Krupp, Leipzig 1841, pag. 395.) Magendie’s Versuche, aus welchen ihm hervorzugehen schien, dass Hunde nach Trennung der Geruchsnerven noch ein ungestörtes Riechvermögen besitzen, sind nicht vorwurfsfrei. Sehr oft hat er die Wirkung chemisch reizender Stoffe auf die sensibelen Nerven der Nase mit eigentlichen Geruchsempfindungen verwechselt, aber mit Unrecht wird es häufig so dargestellt, als ob dies immer der Fall gewesen sel. Er hat noch Proben anderer Art vorgeführt, welche diesem Einwurf nicht erliegen, die aber dennoch, wenn sie nicht durch häufige Bestätigung und Wiederholung an verschiedenen Thie- ren bewährt sind, manche Zweifel übrig lassen können, die wir hier nicht weiter auszuführen haben. Der Versuch, der in den Vorlesun- gen über Nervenphysiologie beschrieben ist, würde, wenn er an- ders vorsichtig gemacht wurde, bestimmt für die Anwesenheit des Geruchssinnes bei dem operirten Hunde sprechen; wer aber die Schwierigkeit einer genauen Untersuchung der Schädelportion des Ölfactorius kennt, wird in der beigefügten Randbemerkung des Her- ausgebers, dass man nach dem mehrere Tage später erfoleten Tode die (eruchsnerven vollkommen zerstört gefunden habe, keinen Er- satz für einen genaueren Seetionsbericht sehen. Es ist nicht einmal angegeben, dass Magendie selbst die Section gemacht habe. Bernard, der Magendie’s Versuchen zum Theil beiwohnte, neigt sich noch in neuester Zeit zu der Ansicht hin, dass nicht der Ölfaetorius, sondern der Quintus der eigentliche Geruchsnerv sei; er gesteht indess zu, dass die Schwierigkeit der Versuche und beson- ders des operativen Eingriffes eine ganz bestimmte Entscheidung vorläufig noch nicht gestatten. (Lecons sur le syst. nerveux, Paris 1858, Il, pag. 226.) Er erzählt, dass er gemeinschaftlich mit Ma- gendie bei einer Frau nach dem Tode völlige Abwesenheit der Geruchsnerven beobachtet habe. Erkundigungen, welche man darauf bei den Angehörigen dieser Frau einzog, schienen zu beweisen, dass ihr Geruchsvermögen nicht gestört gewesen sei, Auf ähnliche nach dem Tod eingezogene Erkundigungen glaubte man schon früher in einem von Bernard beobachteten Falle die 256 Ansicht von der Persistenz des Geruchs nach Zerstörung der Ol- factorii bei einem Kranken stützen zu können. Bernard selbst erklärte später, er halte sich überzeugt, dass die auf diese Weise erhaltenen Angaben nicht falsch gewesen seien. Ueberhaupt sind alle pathologischen Data in dieser Hinsicht so unbestimmt und schwankend, dass sie kaum zu einem Schlusse benutzt werden können. Es scheint indessen, dass Zerstörung des Tractus olfactorius öfter Mangel des Geruchssinnes zur Folge hatte, wie man sich durch eine Vergleichung der von Pressat und Longet gesammelten Fälle überzeugen kann. Die bisherige experimentelle Methode konnte aber nur auf sehr unsicherem Wege zur Entscheidung der uns beschäftigenden Frage führen. Wenn man, wie es Magendie und Bernard versuchten, Hunden ein Stück der Schädelwand herausnimmt und dann durch das Gewebe des zerrissenen vorderen Hirnlappens hindurch bis zum Tractus olfactorius vordringt, den man mit einem Scalpellstiele zer- malmt, so wird diese Verletzung, die Blutung und der seröse Erguss im Innern des engen Schädelraumes (bei Hunden enthält der Bulbus tractus olfactorii eine Höhlung, der mit Cerebrospinalflüssigkeit ge- füllt ist) die Thiere auf längere Zeit, bis nach geschehener Verthei- lung und Aufsaugung in einen apathischen Zustand versetzen, der selbst, wenn der Hund frisst und umherläuft, sein Wohlbefinden doch in dem Maasse beeinträchtigt, dass er beständig oder zeitweilig ge- gen die doch jedenfalls nicht sehr heftig angreifenden Eindrücke des Geruchssinnes gleichgültig wird. Negative Resultate, wie sie bei der Prüfung nach Durchschneidung des Olfactorius bisher auftraten, sind daher von keinem Gewichte. Wir können hier nicht, wie beim Schmerzgefühl, vom kranken, missgelaunten Thiere eine Berücksich- tigung der Eindrücke erzwingen, wenn wir keine Substanzen zu Hülfe nehmen, die in der That äfzend wirken und den Trigeminus bethätigen. Eine Wiederherstellung des Thieres bis zur völligen Rückkehr seiner normalen Thätigkeit abzuwarten, war aber bis jetzt nach Durch- schneidung des Olfactorius fruchtlos. Die Thiere gingen alle früher oder später, meistens in den ersten Tagen, an den Folgen der Ver- 257 letzung zu Grunde, nachdem sie häufig vom Momente der Operation an alle Nahrung verweigert. Hätte man aber auch unter den angeführten Umständen bei den bisherigen Versuchen stets positive Resultate erlangt, so wäre damit keineswegs die Entscheidung der Frage sicher gestellt. Nur durch die Beobachtung zahlreicher Fälle von Anosmie wissen wir nämlich beim Menschen, welche Stoffe nur das Sinnes- organ des Geruches, welche auch die Gefählsnerven der Nase afhı- ziren; möglicherweise aber ist beim Hunde die Sensibilität der Na- senzweige des Trigeminus viel ausgebildeter, so dass eine Reihe von Stoffen, die wir nur durch den Geruch erkennen, dort schon che- misch ätzend einwirken. Weil Menschen, die des Geruchssinnes entbehren, den Eindruck faulenden Fleisches nicht wahrnehmen, dürfen wir mit Bestimmtheit dasselbe‘auch von einem geruchslosen Hunde erwarten? Könnte nicht bei letzterem die geringe Menge sich entwickelnden Ammoniakes gerade so wirken, wie beim anos- mischen Menschen eine concentrirtere Ammoniakflüssigkeit? Darf man der Ausdünstung des Käses alle ätzende Wirkung absprechen, weil sie der Mensch nicht empfindet? Ehe es bewiesen ist, dass Mensch und Hund sich in Betreff der »ur den Sinnesnerven und der den Gefühlsnerv erregenden Gegenstände gleich verhalten, kann es’ nicht als ein Zeugniss für die Gegenwart des Geruchssinnes gelten, wenn ein Thier irgend einen verborgenen „riechenden“ Gegenstand, selbst bei jeder angestellten Probe entdeckt oder flieht. Die Versuche sind also nach einem ganz anderen Plane anzu- stellen. Da uns, beim jetzigen Zustande unserer Kenntnisse, positive Resultate zu gar keinem Schlusse führen, so müssen wir durch ge- naue Beobachtung der operirten Thiere zu erkennen suchen, ob be- stimmte Eindrücke, die sie im normalen Zustande affieiren, nach Durchschneidung des Ölfactorius nicht mehr wirken. Um hieraus aber einen Schluss ziehen zu können, muss man eine Öpera- tionsmethode anwenden, welche von den oben erwähnten Uebel- ständen frei ist, die die Empfünglichkeit auf irgend eine Weise beeinträchtigen. Die Thiere müssen sich vor der Untersuchung vollkommen erholt haben, und ihr Zustand darf nicht den gering- 258 sten Zweifel übrig lassen, dass eine wirklich vorhandene Geruchs- erregung auch einen deutlichen Eindruck auf sie gemacht hätte. Dann wird nach der Operation der Mangel dieses Eindruckes um so bedeutungsvoller sein, als der durchschnittene Nerv sicher kein sensibler ist und die eigentliche Sensibilität der Nasenhöhle nicht im geringsten gelitten hat. Es versteht sich von selbst, dass die Beobachtung sich nicht auf die Fälle beschränken darf, in denen man dem Thiere, wie es Magendie that, bestimmte Substanzen vorhält oder eingewickelt vorwirft, da es hier Fehlerquellen ge- nug giebt. Biffi hat in dieser Beziehung den richtigen Weg eingeschla- gen, indem er neugeborenen Hunden, bei denen Schädelwunden so leicht heilen, vom Stirnbein her die Olfaetorii durchschnitt. Die Vernarbung erfolgte sehr bald’und die Thiere genasen vollkommen, so dass sie, nachdem sich die Augen geöffnet hatten, munter um- herliefen und frassen. Biffi bemerkte, dass die kleinen Hunde nach der Operation nicht mehr im Stande waren, die Zitzen der Mutter gehörig aufzufinden; sie krochen überall, mit der Schnauze suchend, am Körper der Mutter umher, und meistens musste man ihnen zum Trinken die Zitzen der Mutter gewaltsam in den Mund stecken, Als sie grösser wurden, bissen sie in die ungeniessbarsten Dinge, welche sie auf dem Boden fanden, und verliessen sie erst, nachdem sie an denselben zu kauen versucht. Sie zeigten ferner keinen Ab- scheu vor Hundefleisch, welches sie im Fressen von anderm Fleisch nicht unterschieden. Nähere Angaben von Biffi über das Benehmen der von ihm operirten Thiere besitzen wir nicht. Es kommt aber auch bei ganz gesunden Hunden in den ersten Monaten vor, dass dieselben das Fleisch ihrer eigenen Art nicht verschmähen, und ich habe in Paris einmal zwei junge etwa 10 Wochen alte Hündchen, denen die Arm- nerven einer Seite durchschnitten waren, über acht Tage lang nur mit Hundefleisch gefüttert, das allerdings von alten Hunden nie berührt wird. Dass ferner junge Hunde mit allen Gegenständen spielen, die sie auf dem Boden finden, ist nicht sehr auffallend. Wie oft sieht 259 man sie Stücke Papier, Schuhe u. dgl. in’s Maul nehmen und hin- und hertragen, Federn in Stücke zerreissen u. s. w. Von grossem Interesse ist es aber, dass die Thiere, so lange sie blind waren, die Zitzen der Mutter nicht mehr von selber fanden. Es ist kaum denk- bar, dass dies von etwas anderem, als vom Verlust des Geruches herrühren könne, so dass diese Versuche ein grosses Gewicht gegen die Ansicht von Magendie und Bernard in die Wag- schale legen. Es musste indessen auch bei diesem Ergebniss noch zweifelhaft bleiben, ob die wahrscheinliche Zerstörung des Geruchssinnes die Folge war, die Verletzung eines centralen Hirntheiles, der unabhän- gig vom „ersten Hirnnerven“ den Geruchssinn, etwa mittelst des Quintus, beherrschte, oder ob der sogenannte Olfactorius selbst dabei unmittelbar in Betracht kam. Letzteres dürfte um so weniger als ganz unbestritten angesehen werden, als noch in neuester Zeit zwei Dorpater Dissertationen dem Olfactorius geradezu alles Nervengewebe absprechen, und denselben im Chaos des Bindegewebes untergehen lassen, während man von einer anderen Seite her den Zusammen- hang sogenannter Primitivfasern mit den Flimmerepithelien der Na- senschleimhaut aufgefunden haben will. Eigene Versuche. Vor einer Reihe von ‚Jahren glaubte ich die Frag® nach der Thätigkeit des Olfactorius durch Versuche an Fröschen entscheiden zu können. Ich hatte nämlich bemerkt, dass, wenn man im Herbste eine Anzahl von Rana temporaria in einem bedeckten Topfe oder in einem Sacke in ein Zimmer bringt und einige Individuen darin frei umherspringen lässt, sich dieselben den Tag über allenthalben ver- bergen, den andern Morgen aber findet man sie in der Regel auf dem Deckel des Topfes oder auf dem Sacke sitzen. Sie scheinen also, wie im Freien zu derselben Jahreszeit, des Abends ihre Ge- sellschafi wieder aufzusuchen. Verwundungen, z. B. der Schädel- decken, die ihrer Munterkeit keinen Eintrag thaten, hinderten sie daran nicht. 260 Nur der Geruch oder das Gehör konnte die entsprungenen Thiere leiten. Das Gesicht oder das Gefühl war es nicht, denn sie unterschieden einen leeren oder bloss mit Wasser gefüllten Topf von demjenigen, in welchem sich ihre Kameraden befanden. Ich durch- schnitt nun einigen Fröschen den Olfactorius, und liess letztere und eine fast gleiche Zahl unverletzter in einem vorher wohl aufgewa- schenen Zimmer umherspringen, in welchem sich ein Topf mit Frö- schen befand. Alle sprangen den Rest des Nachmittages über munter im Zimmer umher, den anderen Morgen vor Tagesanbruch aber fand ich die unverletzten auf dem Topf, die operirten in ver- schiedenen Winkeln des Zimmers zerstreut. Diesen Versuch habe ich im October 1850 und 1851 mehrere Male stets an anderen Frö- schen mit demselben Erfolge wiederholt. Zwei Male aber fand ich von den sieben und sechs operirten Fröschen zwei neben den vier unverletzten auf dem Topfe sitzen, obwohl der Olfaetorius gehörig getrennt war. Es mochte dies nur Zufall sein, aber ich wurde miss- trauisch gegen den Versuch und habe ihn seitdem nicht weiter ver- folgt. Allerdings aber schien die Durchschneidung des Riechnerven dabei eine Rolle zu spielen; denn seine Blosslegung allein hinderte die Frösche nicht, sich zurecht zu finden; wenn ich ihn aber den andern Tag durchschnitten hatte, kamen sie nicht mehr auf den Be- hälter, ohschon ihre Bewegungen bei der zweiten Operation nicht gelitten hätten. Es war aber die Frage, ob die Verletzung des Rieehkolbens nicht etwa das @ehör schwächt. Dies konnte ich nicht entscheiden. Wohl aufgewaschen muss das Zimmer vor diesem Versuche sein, damit sich kein Staub an die umherhüpfenden Frösche hängt, der sie bald durch Wasserentziehung erschöpft. Seit vorigem Herbste habe ich nun eine Reihe von Beobach- tungen an Hunden nach der von Biffi vorgeschlagenen Methode gemacht, welche zu ganz bestimmten Ergebnissen geführt haben. Ich konnte mir bis jetzt zwar nur fünf säugende Hunde mit ihrer Mutter verschaffen, von denen ich bei zweien den Tractus olfactorius durchschnitt, bei einem den Bulbus olfactorius, d. h. die Anschwel- lung am Ende des Tractus und bei einem Männchen endlich war es 261 mir gelungen, wie die vor wenigen Tagen vorgenommene Unter- suchung zeigte, den Bulbus fast ganz zu schonen und nur sein vor- derstes Ende abzulösen, da wo es die einzelnen Nervenzweige durch die Siebbeinlöcher schickt. Dem fünften wurden zum Vergleiche nur die vorderen Hirnlappen so weit durchschnitten, wie dies zur Erreichung des Traetus unvermeidlich ist; ich vermied aber, so weit gegen die Basis cranii zu gehen, dass ich den Nerven selbst hätte verletzen können. Auf diese Weise war es möglich, den etwaigen Einfluss der Blutung, der Schädelwunde, der Hirnverletzung u. s. w. zu eliminiren, Dieser Vergleichshund zeigte in Betreff seiner Sinnesthätigkeiten und seines gewöhnlichen Verhaltens gar nichts Auffallendes. Er war bald wieder anscheinend hergestellt, entwickelte sich normal, wenn nieht, wie mir schien, seine Stimme heiserer war, als gewöhnlich bei jungen Hunden. Er konnte, wenn man ihn nur vorübergehend auch noch so aufmerksam untersuchte, für einen ganz gesunden Hund gelten. Auf einige nur periodisch auftretende Eigenthümlichkeiten in seinem Verhalten, die ich auch bei den vier andern beobachtete, werde ich zurückkommen. Die vier andern Hunde mit getrenntem Ölfactorius wurden ver- schieden lange Zeit beobachtet, aber trotzdem die Verletzungsstelle des Nerven eine verschiedene war, zeigten sie alle in ihrem wesent- lichen Verhalten eine so vollkommene Uebereinstimmung, dass ich die vier Beobachtungsreihen nicht besonders darzustellen brauche, sondern in der Beschreibung vereinigen kann. Es verdient bemerkt zu werden, dass die zwei ältern dieser Hunde von gleichem Wurfe mit dem Vergleichshunde waren, die beiden andern rührten von einem andern Elternpaare her, wurden aber von ihrem dritten Le- benstage an von der Mutter des ersten Paares gesäugt. Bei der unter dem Einfluss des Aethers ausgeführten Operation wurde nur eine schmale in der Quere etwa "4 Zoll messende Wunde in's Stirnbein und durch den engen Sinus frontalis hindurch gemacht, und dann mit einer geraden, schmalen, platten, an den Seiten etwas zugeschärften Nadel der betreffende Theil durchschnitten. Die Blutung stand bald, und kurze Zeit, nachdem die Thhierchen erwacht waren, 262 krochen sie wieder scheinbar ganz gesund im Heu neben ihrer Mutter umher. Die kleine Hautwunde war bald vernarbt. Die Hunde waren aber nun, wie dies schon Biffi bemerkte, nicht mehr im Stande, die Zitzen der Mutter zu finden. Sie suchten - so traf es sich auch manch- zwar überall an derselben umher, um en Mund bekamen, aber dies war doch nur sehr selten der Wenn ich die Nacht den Vergleichshund entfernt hatte, und die übrigen bei ihrer Mutter, resp. Amme, lagen, so hatte letztere doch den andern Morgen ganz geschwellte volle Milehdrüsen und die Jungen waren ausserordentlich mal, dass sie von selbst eine Zitze durstig, was man sogleich an ihrer Unruhe bemerkte. Wenn aber auch eines der Hündchen endlich eine Zitze erwischt hatte, so war ihm damit noch nicht viel geholfen. Denn dann saugte es mit einer solchen Hast, dass es seinen ganzen Körper und beson- ders seinen Kopf stark dabei bewegte; es riss stark an der Zitze, stemmte die Vorderfüsse wider sie, und dabei kam es öfter vor, dass das zahnlose Maul von derselben abglitt. Wenn dies auch gesunden jungen Hunden manchmal passirt, so haben sie sich mit einer einzi- gen Bewegung wieder festgesetzt. Nicht so unsere vier operirten. Wenn sie die Zitze verloren hatten, so geriethen sie oft beim Ver- such, dieselbe wieder zu fassen, mit .der Schnauze neben dieselbe, und machten dann auf’s Geradewohl Bewegungen, die sie eben so häufig von dem gesuchten Objekt wieder ganz entfernten, als dem- selben zuführten, so dass sie oft nach dem ersten Zuge wieder auf's Neue am Bauche schreiend umherirren mussten, und gelegentlich auch eine Zehe oder den ÖOhrlappen der Mutter zu fassen bekamen, Wer weiss, ob nicht das sogenannte „Fahrenlassen“ der Brust bei hirn- kranken Kindern manchmal auf ähnlichen Verhältnissen beruht, und ob nicht die armen Kleinen mit comprimirtem Traetus olfaetorius vor Durst vergehen, während der Minister naturae in ihren unstäten Bewegungen und ihrem Schreien eine höhere Stimme zu erkennen vermeint, die ihnen Mässigkeit und Diät auferlegt. Im vorliegenden Falle wenigstens war hierüber keine Täuschung möglich, die Hunde mussten gefüttert werden, und ich versuchte, ihnen den Mund zu öffnen und die mütterlichen Zitzen hineinzu- =” 263 schieben. In der Regel blieb dies fruchtlos. Sie sträubten sich so sehr gegen die Eröffnung des Mundes und gegen den eindringenden Finger, dass sie die gleichzeitig eingeschobene Zitze in der Regel mit fortstiessen. Es war umsonst, dass ich die Zitze dalhei zusammmen- fen Milch hing; erst nach dem Aus- drückte, so dass vorn ein Trop stossen schmeckten sie die Milch, und es half nichts, dass sie dann schrieen, um mehr zu bekommen. Nur manchmal gelang es ihnen, sich auf diese Weise zu einem kurzen Schluck zu verhelfen, worauf sie dann ihre täppisch ungeduldigen Bewegungen von Neuem losrissen, Um die Hunde nicht Noth leiden zu lassen, fütterte ich sie mittelst einer Spritze, in die entweder Kuhmilch oder die abgemol- kene Milch ihrer eigenen Mutter gefüllt wurde. Merkwürdig war es, dass die vier Hunde an einem alten er- wörmten Schaafpelz, ebenso nach Milch suchend, umherliefen und von Zeit zu Zeit zu saugen versuchten, wie an ihrer Mutter. Der Vergleichshund that dies nicht. Sie unterschieden auch ein fremdes Männchen von ihrer Mutter nicht, aber die Geduld dieser Pseudosäugamme war zu Ende, ehe ich den Vergleichshund in dieser Beziehung prüfen konnte, Die einzige Verschiedenheit, die ich bestimmt in dem Beneh- men meiner vier Hunde wahrnehmen konnte, war ihr Ve«halten zur Mutter, nachdem ihnen die Augen aufgegangen waren. Drei derselben (Weibchen) lernten auch dann kaum besser an den Zitzen trinken. Der vierte aber (ein Männchen) suchte jetzt bald die Zitzen auf, ob- schon es ihm bei weiten nicht so gut gelang, wie dem Vergleichshund. Lagen die Hündehen ruhig in einer Ecke des Kastens, und die Mutter sprang von der andern Seite her hinein, so merkte es der Vergleichshund sogleich und kroch zu ihr hin. Die andern mussten auf eine zufällige Berührung warten. n Die Jungen fingen jetzt an umherzulaufen. Der Vergleichshund fand sich sehr leicht wieder zum Lager zurück, die andern aber ver- irrten sich oft in den Winkeln der Bodenkammer, in der sie erzo- gen wurden; sie liefen dann unruhig auf und ab, und schrieen so lange, bis die Mutter sie mit der Schnauze wieder herbeiwälzte, oder bis man sie wieder in's Lager trug. * 264 Nach und nach lernten die Hunde trinken, nachdem ich ihnen die Schnauze in ein Gefäss mit Milch gebracht hatte, Sie erkannten alle bald ihr weisses Porcellangefäss und kamen schon nach wenigen Tagen von selbst herbei. zog er sichtbar vor, und er drängte sich sogar zu, wenn seine Mutter aus einem andern Gefässe gefüttert wurde. Anders die vier geruch- losen Hunde. Sie soffen die lauwarme Milch; hatte man ihnen aber Brod oder Fleisch in Stücken hineingelegt, so liessen sie es liegen. Wenn die Milch zu Ende war, suchten sie mit der Schnautze im Gefäss hin und her, und warfen dabei die Stücke allmälig alle über den Rand hinaus auf den Boden. Um sie an’s Fressen zu gewöhnen, zerrieb ich Brod in die Milch zu Brei. Derselbe wurde mit der Flüssigkeit aufgeleckt, und indem ich immer grössere Stückchen darunter brachte, gewöhnten sie sich zuletzt an’s Fressen, währenddem die Zähne immer mehr hervor- brachen. Brachte ich jetzt den vier Hunden grössere Stückchen Fleisch neben kleineren Krummen Brod in die Milch, so wurden letztere immer zuerst und später das Fleisch nur /angsam und theilweise verzehrt. Beim Vergleichshund war es gerade umgekehrt. Offenbar war es nur der Anblick des weissen Porcellangefässes, der sie, wenn sie ruhig lagen, zum Fressen einlud. Sie kümmerten sich dann nicht darum, wenn ich ihnen ihre Mahlzeit in einem an- dern grauen Gefässe reichte. Stellte ich neben jenes das leere weisse, so kamen sie herbei, suchten im letzteren mit der Schnauze lange umher und liessen das andere stehen. Auch drängten sie sich nie zur Mahlzeit der Mutter. Häufig kam es vor, dass sie während des Fressens viele Stück- chen Brod.oder Fleisch durch die Bewegungen ihrer Schnauze aus dem Gefiss heraus auf den Boden warfen. Niemals suchten sie diese Stücke auf, sondern leckten, wenn das Gefäss leer war, im Innern desselben umher, wenn auch aussen der Boden mit Stücken ganz “ 265 voll lag. Der Vergleichshund aber verfolgte alle herausgeworfenen Bissen. j Bedeckte man ihnen während des Fressens ihre Schüssel mit einem Stück Papier, so liefen sie leise schreiend davon und konnten sie nicht mehr finden. das Papier wegstiess. natürlich der Vergleichshund, der Sie kamen auch zu weissen Schüsseln, die von ihrer gewöhn- lichen in Gestalt und Grösse abwichen. Zu anders gefärbten musste man sie führen, und sie soften dann selbständig, wenn Milch darin war. Fleischbrühe aber und jede andere Nahrung berührten sie nicht, wenn man nicht erst ihre Schnauze hineingebracht, so dass sie die Nässe fühlten. Liefen sie munter auf dem Boden umher, so erfassten sie nach Hundeart die kleinen Körper mit den Zähnen. War der Körper feucht und lauwarm, später auch nur, wenn er nass war, so ver- suchten sie davon zu fressen. Trockene Körper zerbissen sie nur, aber sie frassen nicht davon. Trockenes Fleisch oder Brod frassen sie nie, es musste denn so oft von ihnen benagt und wieder ausge- spuckt worden sein, dass es von ihrem Speichel durchfeuchtet war. Hier schien es die Empfindung des Nassen zu sein, das sie einlud. Selbst der Hund, der bis zum dritten Monat beobachtet wurde, konnte nie dahin gebracht werden, einen nicht nassen Körper un- mittelbar zu fressen. Feuchte, lauwarme Körper waren ihnen so verlockend, dass sie merkwürdigerweise ihren eigenen Urin jedesmal wieder aufleckten, und ihre eigenen E:weremente gierig verzehrten ! wenn sie sich nach deren Entleerung herumdrehten. So reinigten sie ihr eigenes Zim- mer und sorgten für die Constanz ihres Körpergewichts, Brennendes Holz oder Papier, neben ihre Nahrung gelegt, schreckte sie nicht ab, wenn es nicht schr vielen Rauch entwickelte. Einer kaute ruhig an einem Stück Zunder, das ich auf dem einen Ende benetzt und am andern angezündet hatte. Schweflige Siure ineommodirte sie nicht, Ammoniak und Aether machte sie den Kopf wegwenden und niesen; aber diese Wirkung trat, wie bei geruchlosen Menschen, erst langsam und viel später ein, als MOLESCHOTT, Untersuchungen. VI, 15 x 266 beim Vergleichshund, der diese Stoffe schon aus der Ferne floh. Lingere Einwirkung von Chloroform oder Aether machte Speichel- fluss. Essigsäure erregte nur bei starker Concentration und auch dann nur sehr langsam eine Spur von Widerwillen. Der Geruch meines Laboratoriums, den die ande geruchlosen Thiere, das ich eine gültig. Es lief darin munter umher. Das Mitgetheilte, dem ich noch mehr Detail beifügen könnte, genügt zu zeigen, dass diese vier Hunde ohne allen Geruch waren. Ich füge zu den übrigen Daten, welehe die Wichtigkeit dieses Sin- nes für den Haushalt dieser Thiere beweisen, noch hinzu, dass auch der Hund, den ich am längsten erhielt, im Allgemeinen den Men- schen gerne nachlief, zu ihnen herankam, aber er zeigte gegen mich, der ich ihn stets fütterte und pflegte, durchaus keine Spur von grösserer Zuneigung, als gegen Andere. Es schien mir, dass er die Menschen nach ihrer Grösse schätzte und immer die klein- sten am meisten vorzog, Jedem Kinde war er gewogen. Waren nun auch die Thiere völlig geruchlos, so beschnüffelten sie doch alle Gegenstände, die ihnen im Wege lagen, aber den einen nicht mehr als den andern, Fleisch nicht mehr als Steine. Auch beschnüffelten sie ihr Futter vor dem Fressen. Dies hielt sie aber nicht ab, zuzugreifen, auch wenn der Rand des Gefiässes ganz mit Tabaksjauche beschmiert war, die allen andern Hunden ein Gräuel ist. Bei der Section überzeugte ich mich durch Präparation und Mikroskop, dass die Nasenzweige des Trigeminus sowohl im Verlauf als im Innern der Schleimhaut unversehrt waren. Der Olfactorius war getrennt, die Schnittenden angeschwollen, mit Exsudat erfüllt, aber an seinem peripherischen Theile konnten weder Valentin noch ich irgend eine Degeneration erkennen, was mit der von mir hervorgehobenen Thatsache stimmt, dass nur die Markscheide sichtbar entartet. Auch gegen die gewöhnlichen Reagentien verhalten sich die Olfactoriusfasern wie im normalen Zustande. “ 267 Das Weitere des Leiehenbefundes werde ich bei einer späteren Gelegenheit mittheilen, wo ich die epileptischen Anfälle mit anschei- nender Gefühllosigkeit des Rumpfes und der Extremitäten mit Schwer- bewegliehkeit der Pupille, Sehreien und Schaum vor dem Munde, beschreiben werde, denen’ alle ‚fünf Hunde in enifernten Intervallen ausgesetzt waren. Für diejenigen, welche sich für den angeblichen Zusammen- hang des Riechnerven mit den Flimmerzellen interessiren, noch die Bemerkung, dass letztere bis lange nach dem Tode stets unge- stört forfflimmerten. Das habe ich bei den vier Thieren gesehen. Das Verhalten des Männchens zeigt, dass nicht nur der Tractus olfactorius, sondern dass auch speciell dessen peripherischen Nasen- äste dem Geruch dienen. Der Olfactorius ist also ein Nerv ! 18 * XM. Untersuchungen über den Bau des Rückenmarkes der Fische. Eine vorläufige Mittheilung von Ludwig Mauthner. [Aus dem physiologischen Institute der Wiener Universität. ")] Das grosse Interesse, welches die mikroskopischen Untersuchun- gen von Bidder's Schüler, Owsjannikow ?), über das Rücken- mark der Fische allgemein ervegten, war um so gegründeter, als das für den Bau des Rückenmarkes dieser Thiere aufgestellte Schema an Schönheit, Klarheit und Einfachheit Nichts zu wünschen übrig liess und für die Physiologie des Rückenmarkes überhaupt vom grössten Belange zu werden schien. Zu jenen Forschern, welche seit Owsjannikow das Rücken- mark dieser Thierklasse nochmals einer näheren Untersuchung unter- zogen haben, gehören vorzugsweise Stilling, der in seinen „neuen Untersuchungen über den Bau des Rückenmarkes“ %) auch auf das Fischrückenmark Rücksicht nimmt und bereits viele der Behauptun- gen Owsjannikows in Frage stellt, und Kölliker ®), der den !) Aus dem XXXIV. Bande der Sitzungsberiehte der mathem.-naturw. Classe der kais. Akademie der Wissenschaften, vom Herrn Verfasser mitgetheilt. ®) Disquisitiones mieroseopicae de medullae spinalis textura, imprimis in pisei- bus factitatae. Dorpati 1854. ’) Neue Untersuchungen über den Bau des Rückenmarkes, 1856—1858. 4 Lie- ferungen. ‘) v. Siebold und Kölliker, Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, 9. Band, 1. Heft. 269 Ansichten Owsjannikow’s in Bezug auf das Fehlen echter, d. i. aus „dunkelrandigen“ Fasern bestehender Commissuren im Rücken- marke der Fische entgegentritt. Eine wiederholte gründliche Untersuchung des Fischrückenmarkes schien dennoch sehr wünschenswerth, und so unternahm ich unter Anleitung meines hochverehrten Lehrers, Herrn Professors Brücke, diese Arbeit. Ich wählte zu meinen bisherigen Untersuchungen hauptsächlich einen Fisch, der sich wegen der Grösse seiner Ele- mentartheile als besonders geeignet erwies, den Hecht. Meine Untersuchungen an dem Rückenmarke dieses Thieres nun sind bereits so weit gediehen, dass ich im Stande bin, die Unrich- tigkeit der Grundprineipien, nach welchen das Rückenmark aller Fische nach Owsjannikow gebaut sein soll, wenigstens für das Rückenmark des Hechtes nachzuweisen ). Der Zweck dieser Zeilen ist es, die Resultate meiner bisherigen Beobachtungen, sowohl derjenigen, welche sich auf die Angaben Owsjannikow'’s beziehen, als auch anderer, durch welche bisher noch nicht erörterte Punkte der Anatomie des Fischrückenmarkes erläutert werden, vorläufig mitzutheilen. Ich fand Folgendes: I. In den Vordersträngen der weissen Substanz des Rücken- marks findet sich jederseits, nach vorn und aussen vom Oentralkanale gelegen, eine colossale markhaltige Nervenfaser, welche sich durch den ganzen Verlauf des Rückenmarkes erstreckt, und deren Durch- messer an ihrem breitesten Theile im Rückenmarke ’/,, Millimeter beträgt ?). ') Unter jenen Fischen, welche Owsjannikow untersuchte, und die er aus- drücklich anführt, findet sich auch der Hecht, pag. 27., 1. c.: „Imvestigationibus adhibiti sunt hi pisces: Lucioperca sandra, Esox lueius etc.“ Ich will hierbei gleich erwähnen, dass ich die einzelnen betreffenden Stellen aus Owsjannikow's Schrift im weiteren Verlaufe nicht eitire, da sie obnehin leicht zu finden sind. *) Diese colossalen Fasern haben vielleicht einige Achnlichkeit mit den im Rückenmarke von Ammocoetes und Petromyzon vorkommenden bekannten, soge- nannten Müller’schen Fasern, welche seit Müller (Abhandlungen der Berliner Akademie, 1638: Vergleichende Neurologie der Myxinoiden) auch Stannius (Nach- riehten von der Georg-August-Universität und der königlichen Gesellschaft der Wis- 270 I. 1. Die graue Substanz bildet nicht bloss die nächste Umge- bung des Centralkanales, sondern sie erstreckt sich flügelartig zu beiden Seiten desselben nach vorn und aussen, ein dichtes Netzwerk von Fasern mit eingestreuten Ganglienkugeln darstellend '). 2. Von diesen seitlichen Flügeln der grauen Substanz geht ein Fasernetz aus, dessen Fasern die weisse Substanz in allen Richtun- gen durchbrechen, sich mit einander in verschiedenster Weise kreu- zen und zur Peripherie des Rückenmarkes gelangen. Im obersten Theile des Rückenmarkes erreicht dieses Fasernetz eine ausserordentliche Entwickelung. 3. Die Fasern, welche sowohl die Flügel der grauen Substanz, als auch das aus denselben hervorgehende Fasernetz bilden, sind zum grossen Theile A.wencylinder. III. Commissuren finden sich im Rückenmarke des Hechtes drei. Nur eine von ihnen kennt Owsjannikow; er bezeichnet sie als Commissur der grossen Ganglienkugeln. Nach ihm wird diese Commissur, welche in der Mitte zwischen vorderem Suleus und dem Centralkanale liegt, durch einige Axeneylinder gebildet, welche je eine Ganglienkugel der einen Seite mit je einer der anderen Seite in offenbare Verbindung setzen. Dieses ist aber nicht der Fall. Es besteht diese Commissur vielmehr aus weissen Nervenfa- sern, welche als gesammelter Strang von einer Seite zur andern ziehen ?). Im obersten Theile des Rückenmarkes erreicht diese Commissur eine eigenthümliche Entwickelung. Sie wird da von zwei, in einem höheren Theile des Rückenmarkes sogar von drei Nervensträngen gebildet, welche, von einer Seite zur anderen ziehend, sich alle an senschaften zu Göttingen, 1850, pag. 93) erwähnt, und über die Owsjannikow (l. e.) und Stilling (l. ec. pag. 702) Näheres anführen. Das Rückenmark von Ammvcoetes und Petromyzun aber kenne ich noch nicht, da ich mir diese beiden Fische bis jetzt noch nicht im frischen Zustande ver- schaffen konnte. !) Hiebei sehe ich von der sogenannten substantia gelatinosa Rolandi ab. ?) Siehe Stilling Il. c. pag. 91 und Kölliker I. ce. pag. 10. 271 Einer Stelle des medianen Faserzuges durchkreuzen, welcher vom vorderen Suleus bis zur centralen grauen Substanz verläuft. Geht man noch weiter im Rückenmarke nach aufwärts bis da- hin, wo der Centralkanal bereits weit nach rückwärts getreten, und von seiner Eröffnung nach hinten nicht mehr fern ist, so zeigt sich da, so wie in der medulla oblongata diese vordere Commissur wieder anders gestaltet. Sie wird hier nämlich durch mehrere kleinere Fa- serzüge gebildet, welche jederseits in den medianen Faserzug hinein-, oder durch denselben hindurchgehen. Von den beiden anderen Commissuren findet sich die eine unmit- telbar vor, die andere unmittelbar hinter dem Centralkanale. Letz- tere Commissur führen bereits Stilling !) und Kölliker ?) an. Diese beiden Commissuren stellen Kreuzungen von Fasern dar, welche auf Anwendung eines das Bindegewebe zerstörenden 'Rea- gens besonders deutlich hervortreten, also gewiss nicht aus Binde- gewebe bestehen. IV. Die vorderen und hinteren Nervenwurzeln zeigen durchaus das Verhalten nicht, welches Owsjannikow für sie angiebt. Nach Owsjannikow sollten die nach vorne und aussen gehenden Fortsätze der Ganglienkugeln die vorderen, die nach hinten und aussen gehenden die hinteren Nervenwurzeln constituiren. Auf dem Querschnitte des Rückenmarkes sollten demnach, wie es Ows- jannikow auch abbildet, vordere und hintere Spinalnerven- wurzeln, als aus einigen Axeneylindern bestehend, sich darstellen, die man von den in gleicher Ebene liegenden Ganglienkugeln aus- gehen sieht, Auf einem in die Bahn der vorderen Wurzel gelegten Quer- schnitie des Rückenmarkes sieht man jedoch, dass sie unmittelbar vor der vor dem Üentralkanale gelegene Commissur als gesammelter Nervenstrang auftritt. Sie verläuft als solcher in der Richtung nach vorne und etwas nach aussen durch die weisse Substanz des Rücken- ’) 1. ce. pag. 122, ’) l. ce. pag. 10, 272 markes, wobei sie die Flügel der grauen Substanz mit den in ihnen enthaltenen Ganglienkugeln nach aussen liegen lässt. Sie besteht gleich bei ihrem Auftauchen vor jener Commissur aus markhaltigen Nervenfasern und nicht aus nackten Axeneylindern. Inwiefern sie von den Fortsätzen der mit ihr in einer Ebene gelegenen Ganglienkugeln verstärkt wird, werde ich weiter unten angeben. Die hintere Nervenwurzel zeigt dieses Verhalten der vorderen nicht. Sie stellt vielmehr auf dem Rückenmarksquerschnitte ein Netz von Fasern dar, die sich erst bei ihrem Austritte aus dem Rücken- marke sammeln. V. Die Angaben, welche Owsjannikow über die Ganglien- kugeln und deren Fortsätze macht, passen auf das Rückenmark. des Hechtes nicht. 1. Sie liegen nicht, wie es Owsjannikow angiebt und zeich- net, zwischen den Längsfasern der weissen Substanz, sondern sie sind zwischen den Fasern der unter II. 1. angeführten flügelartigen Fortsetzungen der grauen Substanz eingebettet. Sie erfüllen diese Flügel gleichmässig, vom Centralkanale angefangen bis an deren Peripherie, also sehr weit nach aussen reichend. Im obersten Theile des Rückenmarkes tritt eine eigenthümliche Lagerungsstelle grosser Ganglienkugeln auf. Es findet sich da näm- lich auch in der sogenannten substantia gelatinosa centralis jeder- seits neben und hinter dem Oentralkanale eine Gruppe solcher Gang- lienkugeln vor. 2. Die Anzahl der Ganglienkugeln ist auf dem Querschnitte des Rückenmarkes eine viel grössere, als es Owsjannikow wenigstens bei andern Fischen (Gadus lota, Salmo salar, Aecipenser sturio) abbildet. Ich habe auf einem Querschnitte aus der Mitte des Hecht- rückenmarkes jederseits 15—18 Ganglienkugeln gezählt. Im obersten Theile des Rückenmarkes nimmt ihre Zahl bedeu- tend zu. 3. Sie sind ferner keineswegs, wie Owsjannikow angiebt, sämmtlich gleich gross, sondeın es liegen Ganglienkugeln neben 973 einander, von denen die einen die anderen bis auf das Vierfache an Grösse übertreffen. 4. Die Zahl ihrer Fortsätze ist durchaus nicht auf drei in einer Ebene abgehende beschränkt, sondern meine Präparate zeigen auch Ganglienkugeln mit 4—7 in einer Ebene abgehenden Fortsätzen. 5. Ihre Form auf dem Querschnitte des Rückenmarkes ist nur selten eine dreieckige; sie erscheinen vielmehr je nach der Anzahl der Fortsätze, die sie absenden, als vieleckig, spindelförmig, bim- förmig u. s. w. 6. Ebensowenig passen die Angaben, welche Owsjannikow über die Richtung der Fortsätze der Ganglienkugeln macht, auf das Rückenmark des Hechtes. | Schon aus dem Verlaufe der vorderen Nervenwurzel, welche nach innen von der Gruppe der Ganglienkugeln gelegen ist, geht es klar hervor, dass die von den Ganglienkugeln nach vorn und aussen verlaufenden Fortsätze zur Bildung der vorderen Nervenwur- zel nichts beitragen können. An unzweifelhaften Präparaten sehe ich vielmehr, dass nach innen gehende Fortsätze der Ganglien- kugeln nicht zur vorderen Commissur verlaufen, sondern sich an die vordere Nervenmwurzel anlegen, und, in markhaltige Fasern über- gehend, dieselbe verstärken. Die Fortsätze der Ganglienkugeln, welche nach vorne und aussen, und jene, die in querer Richtung nach aussen verlaufen (die Gang- lienkugeln schicken bald einen, bald mehrere Fortsätze in dieser Richtung ab), gehen in jenem unter II. 2. angeführten Fasernetze, zu dessen Bildung sie eben beitragen, gegen die Peripherie des Rückenmarkes und erreichen dieselbe, Die Fortsätze, die nach rück- und auswärts verlaufen, geben in jenes Fasernetz über, aus dem sich die hinteren Nervenwurzeln sammeln. VI. Die sogenannte substantia gelatinosa Rolandi hängt mit den Faserzügen der hinteren Commissur zusammen. Echte grosse Nervenzellen, wie sie Stilling ') bei Fischen im Allgemeinen an- nimmt, finden sich in ihr beim Hechte nicht, "1. e. pag. 200. 274 _ Indem ich hiermit die hauptsächlichsten von mir bis jetzt in Be- zug auf das Fischrückenmark gewonnenen Resultate mittheile, füge "ich noch hinzu, dass ich manche der Verhältnisse, wie sie im Rücken- marke des Hechtes vorkommen, bereits auch an den anderen von mir untersuchten Fischen vorgefunden habe. Es gilt dieses namentlich von den unter I]. angeführten zwei colossalen Fasern der weissen Vorderstränge, die ich in analoger Weise auch bei anderen Fischen vorfinde (Salmo fario, Lucivperca sandra, Lota vulgaris); von dem Vorkommen dreier Commissuren; von dem Verhalten der vor- deren und hinteren Nervenwurzeln. Eine nähere Darstellung der gewonnenen Resultate, sowie der Ergebnisse weiterer Untersuchungen werde ich in einer grösseren Arbeit in Kürze niederlegen. AIV. Ueber die Sprache bei luftdichter Verschliessung des Kehlkopfes. Von Professor J. Czermak in Pesth '). Die Untersuchung der Leistungen abnormer Sprachorgane_ ist in mehrfacher Hinsicht interessant, indem pathologische Veränderun- gen derselben zuweilen nicht nur Aufschluss geben über die Bedeu- tung mancher Theile für die Hervorbringung gewisser Sprachlaute, sondern auch über das eigentliche Wesen mancher Laute, so wie über die Art und Weise, in welcher unmöglich gewordene Laute unter Zuhilfenahme ungewöhnlicher Mittel mehr oder weniger erfolg- reich ersetzt werden können. Ich erinnere in dieser Beziehung an Brücke’s Beschreibung der Sprache eines Mädchens, welches den weichen Gaumen durch Syphilis vollständig verloren hatte, ohne sonstige Zerstörungen und Veränderungen der Sprachorgane erlitten zu haben ?), ferner an das von mir beschriebene Gegenstück dieses Falles bei einem Mädchen, dessen Gaumensegel mit der Rachenwand vollständig, d. h. luftdicht verwachsen war °). ') Aus dem XXXV. Bande der Sitzungsberichte der mathem.-naturw. Classe der kaiserl. Akademie der Wissenschaften, vom Herrn Verfasser mitgetheilt. ?) Brücke, „Nachschrift zu Professor Kudelka’s Abhandlung.“ Sitzungs- berichte der kaiserl. Akademie der Wissenschaften in Wien, 1858, und diese Zeit- schrift, Bd. IV, 8. 302. ’) Sirzungsberichte, Märzheft 1858, und Band V der von Moleschott her- wusgegebenen Untersuchungen zur Naturlehre des Menschen und der Thiere, 1858, „Bemerkungen über die Bildungen einiger Sprachlaute.“ 276 Im Folgenden theile ich einen neuen hierher gehörigen Fall mit '), in welchem bei voZ/szändiger Verschliessung des Larynx unmittelbar unterhalb der Glottis, also bei gänzlichem Mangel an Stimme und In- so wie Exspirationsluftstrom in den Sprachorganen eine, wenn auch unvollkommene, doch hinreichend verständliche, Sprachlautbildung zu Stande gebracht wird. Es versteht sich von selbst, dass die Respiration des betreffenden Individuums durch eine künstlich angelegte Oeffnung (Laryngotomie) unterhalb der Ver- schlussstelle des Larynx gesichert ist. Dass die Sprache unter so bewandten Umständen in einem völlig lautlosen Lispeln besteht, war natürlich sicherer zu erwarten, als dass sie überhaupt möglich ist, und sogar noch aus einiger Ent- fernung recht gut wahrgenommen wird. Die Möglichkeit einer Sprachlautbildung beruht hier, im Allgemeinen, selbstverständlich nur auf der geschickten Benützung (Verdünnung und Verdichtung) der geringen Menge der in Pharynx und Mundhöhle eingeschlosse- nen atmosphärischen Luft und jener Geräusche, welche bei den blossen Articulationsbewegungen der Sprachorgane entstehen, in Folge der Verschiebung, Berührung und Trennung der in Contact kommenden mit zäher Flüssigkeit befeuchteten Schleimhautoberflächen. Aus letzterem Grunde wird es auch begreiflich, warum gewisse Laute, welche in diesem Falle für sich allein ganz oder fast ganz unmöglich geworden sind, im Flusse der Artieulationsbewegungen mehr oder weniger deutlich zum Vorschein kommen, oder doch durch ähnliche Laute ersetzt werden. Ich lasse nun die Beobachtungen und Bemerkungen über die einzelnen Sprachlaute folgen, wobei ich Brücke’s klassische „Grund- ‘) Dieser Fall betrifit ein 18jähriges intelligentes Mädchen, an welchem Herr Professor v. Balassa im October 1858 in Folge der Aufforderung des ordinirenden Arztes Dr. Porges die dringend indieirte Laryngotomie mit glänzendem Erfolge ausgeführt hatte. Später habe ich die Patientin mit dem Kehlkopfspiegel, sowohl durch den Rachen, als nach einem neuen Verfahren durch die laryngotomische Oefl- nung hindurcht untersucht und den Sitz und die Art des Larynxverschlusses ermit- telt. Vergleiche Wiener Med. Wochenschrift: „Beiträge zur Laryngoskopie.“ 1859. Nr. 10 u. £. 277 züge der Physiologie und Systematik der Sprachlaute“, Wien, Gerold, 1856, zu Grunde lege. I. Kehlkopflaute und Vocale. Da, wie bereits erwähnt, der Larynx unserer Patientin unmittel- bar unterhalb der Glottis luftdicht verschlossen ist, so kann dieselbe weder einen lauten Ton, noch die eigentliche Flüsterstiimme hervor- bringen, ja überhaupt keine Spur von Luft durch den Kehlkopf hindurehtreiben, wie ich mich vermittelst der Spiegelprobe !) über- zeugt habe. Es sind für die Patientin daher auch die verschiedenen A-Laute eben so unmöglich geworden, wie die Vocale, wenn dieselben für sich allein hervorgebracht werden sollen. Nur der “Laut macht hier insofern eine Ausnahme, als er passend durch das Reibungs- geräusch des 7 ersetzt wird. Im Flusse der Artieulationsbewegungen jedoch kommen ver- schiedene Geräusche, in Folge der Durchbreehung, Lösung und Herstellung eines Verschlusses oder in Folge der Reibung der durch Verdichtung oder Verdünnung in Bewegung versetzten Luft an ver- engten Stellen des Mundkanals, zu Stande, von denen die einen (besonders schwache, unentschiedene Reibungsgeräusche im hinter- sten Artieulationsgebiete) die 4-Laute ersetzen, die underen aber den eigenthümlichen Charakter der einzelnen Vocale ganz deutlich an sich tragen, Für die Theorie der Vocale scheint es mir nicht unwichtig, dass bei unserer Patientin fast jedwedes im Mundkanal erzeugte Ge- räusch — je nach der Stellung der Sprachorgane für einen bestimm- ten Vocal — den speeifischen Charakter dieses Vocals sofort unver- kennbar annimmt. Dass dies übrigens keine ausnahmsweise Erscheinung sei, davon überzeugt man sich leicht an sich selbst, wenn man bei angehaltenem Athem und festverschlossenem Larynx, also nur unter Mitwirkung )) Czermak: „Ueber reine und nasalirte Vocale“. Diese Sitzungsberichte, Februarlieft 1858. 278 der im Mund enthaltenen Luft, z. B. pa, pe, pi, po, pu, — Ta, te, fi, to, fu, — SQ, Se, si, so, su... etc. zu sprechen versucht. Man wird finden, dass das nachhallende Geräusch der Verschlusslaute, Rei- bungslaute etc. das Timbre der intendirten Vocale vollkommen deut- lich annimmt. Ja es gelingt sogar, dem Schalle, welchen man durch Klopfen mit einem festen Körper auf die Zühne hervorbringt, bei geeigneter Mundstellung einen mehr oder weniger deutlichen vocalischen Cha- rakter aufzudrücken. Es sei mir erlaubt, eine beiläufige Bemerkung über die Natur der Vocale hier einzuschalten. Bekanntlich hat R. Willis zuerst einen wichtigen Beitrag zur theoretischen Lösung des Problems der Vocalbildung gegeben, welcher im Wesentlichen darauf hinausläuft, dass mit lauter Stimme hervor- gebrachte Vocale durch Combination primärer und secundärer Pul- sationen oder Schwingungen entstehen, von denen die ersteren die musikalische Höhe des Tones, die letzteren — indem ihre Zahl von i bis zum z immer geringer wird — die Qualität des Vocals veran- lassen. Im menschlichen Sprachorgan ist die Schwingungszahl der ersteren wesentlich durch die Spannungsverhältnisse der Stimmbän- der, die Periode der letzteren durch die Verlängerung, Verkürzung und durch die anderweitigen Gestaltveränderungen des Ansatzrohres (Rachen und Mundhöhle) gegeben und bedingt. Aus dieser Theorie erklärt es sich, weshalb beim Erhöhen des Tones die Vocale, von # angefangen, nach einander unmöglich wer- den (indem die Periode der primären Pulsationen für die Vocalreihe von « aufwärts zu kurz wird im Vergleiche zur Periode der secun- dären Pulsationen). Es erklärt sich auch, wesshalb in der gewöhn- lichen Sprache der Ton, mit dem die Stimme beim ö tönt, etwas höher ist, als der, womit sie beim « tönt. Vergleiche Brücke „Grundzüge“ pag. 14. u. f. Brücke, welcher die Fundamentalversuche von Willis mit der Uhrfeder und dem Savart'schen Rad und mit dem Zungen- werk, an welchem ein ausziehbares Ansatzrohr angebracht ist, mit theilweise günstigem Erfolge wiederholt hat, glaubt mit Recht, „dass 279 Willis einen wesentlichen Punkt der Sache getroffen hat“, und vertheidigt dessen Theorie gegen den nahe liegenden Einwand, dass zur Hervorbringung der Vocale gar kein Ton nothwendig sei, indem man sie ja eben so gut mit der Flüsterstimme hervorbringen könne. Brücke ') sagt: „Beim Geräusche sind so gut Impulse vor- handen, wie beim Ton, sie folgen nur nicht, wie bei diesem in gleiehmässigen Intervallen, ja überhaupt nicht nach einer bestimmten Periode auf einander. Von dieser Periode der primären Impulse ist aber auch nach Willis nur die Tonhöhe abhängig, nicht die Natur des Vocals. Für diese letztere ist es also auch ganz gleichgültig, ob überhaupt ein Rhythmus in den primären Pulsationen ist oder nicht; sie hängt lediglich ab von dem Echo, welches die primären Pulsa- tionen in der Mundhöhle finden, von der Periode der secundären Pulsationen, die von jeder einzelnen primären Pulsation nach un- wandelbaren Gesetzen hervorgerufen werden und von dem Vorhan- densein einer Periodieität in den primären Pulsationen vollkommen unabhängig sind.“ Sen 117 So richtig dies auch'im Ganzen ist, so scheint mir aus der Würdigung jenes Einwandes und der oben mitgetheilten Thatsachen denn doch hervorzugehen, dass die Theorie von Willis nicht die eigentliche Natur der Vocale aufklärt, sondern das Problem in die sogenannten secundären Pulsationen nur zurückverlegt. Die seceundären Pulsationen haben aber gewiss nicht bloss eine einfache Periode, sondern sie setzen offenbar höchst ceomplieirte Geräusche zusammen, welche für sich allein schon die einzelnen Vocale voll- kommen charakterisiren und das eigenthümliche Timbre derselben aus- machen, zu welchem der Ton der Stimme nur äusserlich hinzukommt. Schon Donders ?) hat hervorgehoben, dass das die Vocale charakterisirende Geräusch beim lauten Sprechen nur vom Ton der Stimme überdeckt wird, und sich bemüht, die Natur dieses Geräu- sches für jeden Vocal näher zu bestimmen. ") Grundzüge p. 16. ) „Ueber die Natur der Vocale.* Archiv für die holl. Beiträge zur Natur- und Heilkunde. Bd. I, 1857. 280 Nach meinen Beobachtungen an mir selbst und an dem stimm- losen Mädchen muss ich mich den in der vorläufigen Mittheilung am angeführten Orte ausgesprochenen Ansichten von Donders anschliessen. | Die Diphthonge, welche nach Brücke bekanntlich dann ent- stehen, wenn man aus der Stellung für einen Vocal in die für einen anderen übergeht, und während der Bewegung und nur während derselben die Stimme lauten lässt, kann unsere Patientin in so weit deutlich aussprechen, als die Geräusche der Articulationsbewegungen hinreichend lange und stark nachrauschen, um im Wechsel der Stellungen nicht völlig zu verklingen. Il. Consonanten. a) Verschlusslaute. Da sich, wie Brücke gegenüber den im- mer wieder auftauchenden gegentheiligen. Ansichten bis zur Evidenz dargethan hat, die sogenannten Mediae‘ von, den Tenues wesentlich nur durch das Mittönen der Stimme unterscheiden, so war voraus- zusehen, dass unter den eigenthümlichen’ Verhältnissen des vorlie- genden Falles keine deutliche Verschiedenheit zwischen 6 und p», d und 7, g und # bemerklich sein würde, Bei dem erfolglosen Be- mühen, diese Laute auf gewöhnlichem Wege deutlicher zu unter- scheiden, musste sich die Patientin in der That darauf beschränken, die Trennung oder Herstellung des Verschlusses für die Tenues plötzlicher und kräftiger vorzunehmen, für die Mediae hingegen langsam und ‚gewissermaassen durch Abwicklung der Berührungs- flächen einzuleiten, wobei jedoch meist ein kaum mehr hörbarer Laut entstand. Etwas besser gelang es, einen Unterschied hervorzubringen, wenn der Verschluss für die intendirten Mediae durch die atmosphä- rische Luft von aussen nach innen in Folge einer Verdünnung der hinter der Verschlussstelle eingeschlossenen Luft bewerkstelligt wurde, während die Tenues durch Compression dieser Luft — wie gewöhn- lich — explosiv erzeugt wurden. b) Reibungslaute können in allen drei Artieulationsgebieten durch Compression der, wenn auch geringen Luftmenge in dem Raume 281 hinter der „Enge“, sehr deutlich hervorgebracht werden, nur erschöpft sich der Luftvorrath natürlich sehr bald. Hinsichtlich der kaum deutlichen Unterscheidung der tönenden und nichttönenden Reibungslaute gilt Aebnliches, wie von den Mediae und Tenues, obschon, wie Donders a. a. O. andeutete, die Höhe der Geräusche an sich für tönende und tonlose Reibungslaute in der That etwas verschieden zu sein scheint. Auch die an die Reibungslaute sich anschliessenden Z-Laute sind für die Patientin aussprechbar. e) Von den Zitterlauten bringt die Patientin das Zungenspitzen-R mit überraschender Deutlichkeit hervor, indem sie die Zungenspitze so gegen den harten Gaumen emporschnellt, dass die Luft — bei geschlossener Graumenklappe — in dem hinteren Abschnitte der Mund- höhle und in dem Pharynx plötzlich eomprimirt wird und, indem sie stossweise hervorbrieht, die Zungenspitze in Vibrationen versetzt. d) Die Bildung der Resonanten geht aus leicht begreiflichen Gründen am unvollkommensten vor sich. Das m wird daher meist durch ein 5 ersetzt, für das » vicariirt ein d, wobei zugleich das Geräusch benützt wird, welches entsteht, wenn die Gaumenklappe plötzlich schliesst, oder wenn dieser Verschluss (besonders von aussen nach innen) durchbrochen wird — an den Resonanten betheiligt sich dann also ein Verschlusslaut ganz eigener Art. Schliesslich erlaube ich mir, zur Wahrung der Priorität, hier die Nachricht niederzulegen, dass ich damit beschäftigt bin, der be- sprochenen Patientin, welche wohl nicht sobald — wenn überhaupt jemals — eine wegsame und tönende Glottis wieder zurückerhalten wird, auf künstlichem Wege zu einer lauteren Sprache zu verhelfen. Ich beabsichtige nämlich, durch eine dünne passend gekrümmte Röhre, welche die Artieulationsbewegungen nicht erheblich geniren darf, und in welcher ein Zungenwerk eingeschaltet ist, Luft und Ton in den Raum hinter den Zungengrund zu blasen. Bei den vorläufigen, aufmunternden Versuchen, welche ich in dieser Richtung an der Patientin und an mir selbst — während ich den Larynx fest verschlossen hielt — anstellte, bediente ich mich eines Blasbalges zur Hervorbringung des Luftstromes. MOLESCHOTT, Untersuchungen. VI, 19 282 Ich halte es jedoch für möglich, bei der Patientin die eigene aus der Athmungscanüle hervorströmende Exspirationsluft hierzu zu benützen, wodurch der grosse Vortheil erwüchse, dass die Patientin die Handhabung des Gebläses nicht erst zu lernen brauchte. Die Hoffnung, in diesem und in ähnlichen Fällen die absolute Aphonie auf die angedeutete Weise künstlich zu heben oder zu bes- sern, wird wohl Niemand als eine zu sanguinische bezeichnen, der einigermaasen mit den Gesetzen der Sprachlautbildung vertraut ist, und die Faber'sche Sprachmaschine sprechen gehört hat. Die Organe der besprochenen Patientin stellen nämlich offenbar eine vollendete Sprachmaschine vor, wie sie nie ein Mechaniker zu Stande bringen kann. Es fehlt nur noch Luft und Ton, zwei Be- dingungen, die weit leichter herzustellen sind, als die artieulirenden Vorrichtungen ! Ich kann daher auch an dem endlichen Erfolg meiner Bemühun- gen nicht zweifeln, vorausgesetzt, dass die Ausführung meiner an und für sich sehr einfachen Idee nicht an der vielleicht nieht aus- reichenden Geschicklichkeit der hiesigen, mir bis jetzt bekannten, mechanischen Arbeiter oder an der Gleichgültigkeit der Patientin, welehe sich mit ihrer Umgebung trotz der lautlosen Sprache hin- reichend gut und leicht verständigen kann, scheitert. Für aphonische, sonst gesunde Männer, welche den Verlust der lauten Sprache im geselligen und geschäftlichen Verkehr viel härter empfinden, dürfte mein angedeuteter Vorschlag allerdings werthvoller sein, als für ein krankes Mädchen, dessen ganze Welt sich auf den engen Familienkreis beschränkt, in dem es aufgewachsen ist. | | XV. Ueber den Einfluss der arsenigen Säure auf den Stolfwechsel. Von Prof. Dr. C. Schmidt und Dr. L. Stürzwage in Dorpat. Nachstehende Versuchsreihe bezweckt die experimentale Fest- stellung des Einflusses direet oder indireet in den Kreislauf gebrachter arseniger Säure auf den Oxydationsprocess im Thierkörper. Zu den Respirationsversuchen dienten 2 Glasglocken, eine kleinere von 6,9 Litres Capaeität für Hühner und Tauben und eine grössere von 18,1 Litres für Katzen. Während der Versuchsdauer von 1 Stunde wurden 30 bis 35 Litres Zimmerluft mittelst des Aspirators durch den Apparat gesogen, deren Kohlensäuregehalt vor jedem Versuche direct bestimmt und vom Gesammtresultat in Abzug gebracht wurde. Die Tubulatur der Glocke enthielt ausser dem Zu- und Ableitungsrohr ein in 4, Oentigrade getheiltes Normalthermometer; der Versuch begann mit dem Moment des Umstülpens der Glocke über das auf die matte Glastafel gestellte Thier. Zwei U-Röhren mit Schwefelsäure im- prägnirtem Bimsstein und ein dergleichen mit Chlorealeiumstücken dienten zur Absorption des Wassers, zwei Kaliapparate mit Kalilauge von 1,42 spec. Gew., ein U-Rohr mit in letztere getauchten Bims- steinstücken und ein weiteres mit festem Kalihydrat durch vulkani- sirte Oautschuckröhren zum System verbunden und zusammen gewo- gen, zur Absorption der 00,. Der Kohlensäuregehalt der im Mo- ment des Versuchsschlusses rückständigen Glockenluft wurde mittelst eines zwischen Glocke und Schwefelsäure U-Röhren eingeschalteten 0,9 Metre langen graduirten und queeksilbergefüllten Eudiometerrohrs 19 * 284 durch Oeffnen des obern Stahlhahns und Verdrängen des in die Quecksilberwanne abfliessenden Quecksilbers durch Glockenluft mit grösstmögliehster Präeision volumetrisch bestimmt und auf Gewicht reducirt zur direet gewogenen CO, Menge addirt. Die Harnstoffbestimmungen wurden, nach vorheriger Fällung der Schwefelsäure und Phosphorsäure durch Baryt, nach Liebig’s bekannter Methode mittelst titrirter Lösungen von salpetersaurem Quecksilberoxyd bewerkstelligt. I. Experiment. Ein Huhn, welches 396 Gramm wog, brachten wir zu drei verschiedenen Malen und zu verschiedenen Tageszeiten unter die Glocke, um die im normalen Zustande exspirirte Menge an CO, zu bestimmen. Wir erhielten folgende Resultate: den 20. Febr. von 9'Y, bis 10'/, Uhr Vormittags . . 2,0575 Grm., a NO a rd Abendan?. SER2HIESETE, A AM Wir injieirten nun am 24. Febr, eine Lösung von 0,018 Grm. AsO, vermittelst eines elastischen Catheters in den Kropf des Thieres und brachten es eine halbe Stunde darauf unter die Glocke. Die gewon- nene Menge an CO, betrug 1,8760 Gramm. Der Unterschied von der normalen Quantität war also nicht bedeutend; auch schien das Tbier durch diese Dosis von AsO, keineswegs afheirt zu sein. Wir injieirten daher am folgenden Tage den 27. Febr. 0,027 Gramm und nun trat die Verminderung in bedeutenderem Grade ein. Die ex- halirte Menge an CO, betrug nur 1,3550 Gramm. Zugleich schien das Allgemeinbefinden des Thieres bedeutend gestört zu sein. Ein paar Stunden nach der Injection stellte sich eine profuse Diarrhöe ein, wobei grasgrün-gefärbte dünnflüssige Exeremente entleert wur- den. Die Respiration war beschleunigt, das Thier nahm viel’ Wasser zu sich und zitterte am ganzen Körper. Am folgenden Tage den 28. Febr. hatten diese Erscheinungen abgenommen und wir inji- eirten 0,035 Grm. AsO,. Eine Stunde nach der Injection war die Quantität an CO, 1,2975 Gramm, und zwei Stunden darauf, wo wir das Tbier zum zweiten Male unter die Glocke brachten, 1,2962 Grm. Am folgenden Tage war das Thier todt. Bei der Section ergab sich eine bedeutende Injection der Mesenterialgefässe. Die Schleim- 285 haut des Magens und des übrigen Tractus intestinalis, besonders in seinem oberen Theile, war stark geröthet und mit Ekehymosen be- deckt. Das Blut in den Venen und im Herzen befand sich durch- weg im flüssigen Zustande. Das Thier und seine Umhüllungen wa- ren mässig injicirt. II. Experiment. Die normale in einer Stunde exspirirte Quan- tität an CO, bei einem Huhn, dessen Gewicht 910 Gramm betrug, fanden wir zu drei verschiedenen Tageszeiten : den 3. März 20 Min. über 10 bis 20 Min. über 11 Uhr 2,0788, „ 4 „ von 4 bis 5 Uhr Nachmittags ......... 2,1100, Be ro 1205 MER Mittags. 8 2 2,0675. Den 8. März eine Injection von (0,032 Gramm AsO, gemacht, und eine Stunde darauf die Menge der exspirirten CO, bestimmt, betrug sie 1,7491 Gramm. Die Verminderung war also hier nicht so be- deutend, wie bei dem ersten Versuche, was wohl daher rühren mochte, dass der Respirationsversuch zu früh angestellt worden war, bevor die ganze Dosis von AsO, resorbirt worden war. — Was die Wirkung der AsO, anlangt, so äusserte sie sich in diesem Falle ebenso, wie bei dem zuerst beschriebenen Experimente, nämlich dureh flüs- sige grüngefärbte Excremente, beschleunigte Respiration, heftiges Zittern,‘ lebhaften Durst. Der Tod erfolgte ungefähr 10 Stunden nach der Injeetion. Die durch die Section gelieferten Resultate wa- ren dieselben, wie in dem vorhergehenden Falle, wenn gleich nicht so deutlich ausgeprägt. IH. Experiment. Ein Huhn, dessen Gewicht 1400 Grm. be- trug, lieferte zu zwei verschiedenen Malen unter die Glocke gebracht, folgende Mengen an CO, für eine Stunde: den 10. März von 9 bis 10 Uhr Morgens . .. . 2,3526, ige. »„ Dan 6% „» Nachmittags . . 2,3936. Am 13. März um 8 Uhr Morgens injieirten wir dem Thiere. auf die früher angegebene Weise 0,035 Grm. AsO, und brachten es 1'/, Stunde darauf unter die Glocke. Die Menge der gewonnenen CO, betrug 1,9167 Grm. Am Abend desselben Tages stellten wir einen zweiten Respirationsversuch an, wobei sich eine viel bedeu- tendere Verminderung an CO, ergab, indem die Quantität derselben 286 nur 1,3737 Grm. betrug. Die schon früher angeführten Symptome der Arsenikvergiftung hatten sich einige Stunden nach der Injection eingestellt, und dauerten auch noch am folgenden Tage fort. Am dritten Tage, den 15. März, zeigten die Exeremente eine 'festere Be- schaffenheit, der Durst war geringer geworden, das Thier fing an, einige Nahrung zu sich zu nehmen. Wir brachten es jetzt unter die Glocke, worin es von 11, bis 12'/, Uhr blieb. Die Menge der exhalirten CO, betrug 2,0918 und war am folgenden Tage, den 16. März, wo wir den Versuch am Nachmittage von 3,bis 4 Uhr an- stellten, noch bedeutender, nämlich 2,1115 Gramm. Am fünften Tage nach der Injection war die Menge der exhalirten CO, zur Norm zurückgekehrt und betrug 2,3763 Gramm. Am folgenden Tage, den 18. März, machten wir eine Injection von derselben Dosis, wie das erste Mal und brachten das Thier einige Stunden später unter die Glocke. Es war jetzt die CO,menge auf 1,2707 Gramm gefallen. Trotz dieser bedeutenden Dosen der AsO, und den hierdurch hervorgerufenen heftigen Eıscheinungen erholte sich das Thier nach einigen Tagen vollkommen und wir beschlossen, von weiteren Experimenten abzustehen, um so mehr, als wir in Bezug auf die gewünschten Resultate unseren Zweck vollkommen. erreicht hatten. — IV. Experiment. Die Respinationgezösse einer Ile die 440 Gramm wog, war folgende: den 20. März von 9—10 Uhr een: „1,0126 Bee YA tn „.: 10%, —11Y, Uhr „0... ..1,0142, um ZB. fe »„ 5-6 Uhr Nachmittags ... 1,0295 ',- Am 24. März um 9, Uhr injieirten wir, 0,015°Grm. AsO, und brachten das Thier '/, Stunde darauf unter die Glocke. Jedoch kurz vor dem Versuch gab es einen Theil. der injieirten Flüssigkeit von sich. Zwar trat auch hier eine Verminderung an CO, ein; der Unterschied von der normalen Menge war jedoch nicht bedeutend, nämlich 0,8116 Gramm. Am folgenden Tage, den 25. März, wieder- holten wir die Injection, jedoch aueh dieses Mal wurde ein Theil der Flüssigkeit entleert, und die Menge der exspirirten CO, betrug 0,7850 Gramm, war also auch nach der zweiten Dosis von AsO, 287 nicht bedeutend gefallen. Dieser Umstand nöthigte uns, unsere Ver- suche einzustellen, da in jedem Falle nur ein schr kleiner 'Theil von AsO, zur Wirkung gelangen konnte. V. Experiment. Wir stellten dasselbe an einer Katze an, deren Gewicht 2,610 Kilogramm betrug. Sie lieferte in einer Stunde bei einer Fleischfütterung, von 130, Grm. täglich folgende Mengen an 0O,: den 26. März von 3%,—4), Uhr Nachmittags 3,0835 Grm, ern PR) u 017 N 3,0884 „ a 2.010142)... 5 3,0763 n. Am 1. April machten wir um 10%, Uhr Vormittags, ungefähr 2 Stunden nach der Fütterung, eine Injection von 0,025 Grm. AsO, in die Jugularvene. Eine halbe Stunde nach der Operation, die ohne Störung verlaufen war, und wobei das Thier nur ein paar Tropfen Blut verloren hatte, stellten wir einen Respirationsversuch an. Die gewonnene Menge an CO, betrug 2,3011 Grm. Gleich nach der Operation zeigte sich eine bedeutende Vermehrung der Athemfre- quenz, zugleich traten heftige Würgbewegungen auf, die aber Nichts von der genossenen Nahrung zu Tage förderten; sie hörten auch bald wieder auf. Zwei Stunden nach der Injection stellte sich ein eigenthümlieher Zustand von Somnolenz ein, wobei alle Bewegungen unsicher wurden. Besonders auffallend war die Schwäche der hinte- ren Extremitäten, so dass das Thier sich vergebens auf den Beinen zu erhalten versuchte. Bald darauf konnte keine Bewegung ausge- führt werden, und die früher beschleunigte Respiration wurde lang- sam und mühsam. Der Tod erfolgte 8 Stunden nach der Injection. Da das Thier so kurze Zeit gelebt hatte, konnten wir in diesem Falle nieht beobachten, welchen Einfluss die AsO, auf die Menge des ausgeschiedenen Harnstoffs ausübte, — Bei der Section fand sich eine bedeutende Hyperämie des grossen und kleinen Hirnes, sowie aueli der Hirnhäute. Die Venen, welche wir von der Injections- stelle bis zum Herzen verfolgten, strotzten von schwärzlichem dünn- flüssigem Blute. Dieses erfüllte auch beide Herzhälften. Ein Fibrin- coagulum war weder in den grossen Gefässen noch im Herzen anzutreffen. r VI. Experiment. Die Menge der exspirirten CO, bei einer Katze, 288 deren Gewicht 2,380 Kilogr. betrug und täglich 120 Grm. Fleisch erhielt, war in drei Versuchen folgende: den 3. April von 9%/,—10%/,. Uhr Kr Fo gleich nach der Fütterung, . Eee TEN. „’ 4 April von 121 Uhr Mittags ee AA ER An—5Y 5 Nachmittags ELIAS Die 6 Tage ren beobachtete Menge an. Harnstoff betrug: o/\ E Dat. Harnmenge. | nee FirmaiEhangei April 3 170 Ce. 86 % 14,76 Grm. 4 00 9,9% 6:92, 5 955 965, RI 6 120 , 8,60, 1032507, 7 85, 9,9 SAliug, 8 100 „ gi6, 9:60.10 Am 9. April um 10%, Uhr Morgens machten wir eine Injection von 9,010 Gramm AsO, in die Jugularvene und bestimmten 45 Min. nach der Injeetion die Menge der ausgeschiedenen CO,. Sie betrug 1,9880 Gtm. Die Respirationsgrösse am folgenden Tage nach der Injection war 1,9982 und am dritten Tage 2,0534 Gramm, Die Menge des in diesen drei Tagen ausgeschiedenen Harnstofis betrug: %-Gehalt Absolute Dat. Harnmenge. | an Harnstofl Harnstoffmenge. April 10 60 Ce. 6,6 % 3,96 Grm. 11 al Or 2, 59aer 12 65 „ Bas 429, Was die Symptome anlangt, so trat gleich nach der Injeetion ein heftiges Erbrechen ein, welches sich mehrmals wiederholte, am folgenden Tage aber nicht mehr stattfand. Auch eine Beschleuni- gung der Athemfrequenz wurde beobachtet, dagegen waren die Läh- mungserscheinungen nicht vorhanden. Am dritten Tage nach der u 289 Injection hatte sich das Thier soweit erholt, dass es einige Nahrung zu sich nahm. ai Am 13. April 11 Uhr Vormittags injieirten wir 0,015 Gramm AsO, in die Jugularvene der anderen Seite und brachten das Thier um 11'/, Uhr, also eine halbe Stunde darauf unter die Glocke. Die Menge der exspirirten CO, betrug. 1,9489 Gramm, ‚Jetzt traten auch dieselben Erscheinungen ein, wie in dem vorhergehenden Falle. Hef- tige Würgbewegungen, die bald nachliessen, beschleunigtes , später verlangsamtes und ersch wertes Athmen, Lähmung der hinteren Ex- tremitäten. Der Tod erfolgte ungefähr 6 Stunden nach der In- jeetion. — Die Section lieferte dieselben Resultate, wie wir sie in dem vorhergehenden Falle angegeben haben. — ! VII. Experiment. Die Respirationsgrösse einer Katze, die 2,563 Kilogramm wog, betrug, an drei verschiedenen Tagen und zu drei verschiedenen Tageszeiten unter die Glocke gebracht, bei einer Fleisch- fütterung von 130 Gramm täglich : den 14. April von 10%,—11'/, Uhr Vormittags 3,3016 Grm. erdr=D » Nachmittags 3,3170 ,„ in Yu Mittags 3,3021 „. Wir entzogen nun dem Thiere drei Tage hindurch jede Nahrung, um zu ermitteln, um wie viel die Menge der exhalirten CO, sich in den ersten Inanitionstagen verringern würde. Fiel dieselbe auch am vierten Inanitionstage nach der Injection von AsO,, so konnte dieses nur der Einwirkung dieser Substanz zugeschrieben werden, da sich nach den Untersuchungen, die in Dorpat angestellt worden sind '), herausgestellt hat, dass die tägliche Respirationsgrösse bei hungern- den Thieren und in den ersten 48 Stunden eine Verminderung er- leidet, später aber trotz des Sinkens des Körpergewichts bis zum 16. Tage constant bleibt, Die Resultate waren folgende: ') Dr. F. Bidder und Dr, €. Schmidt, die Verdauungssäfte und der Stofl- wechsel. Mitau und Leipzig, pag. 311. 290 ’ am ersten Inanitionstage, den 18. April, 25°%/,—26°/, Stunden nach der letzten Fütterung 2,4505 Gramm, am zweiten Inanitionstage, den 19. April, 491/,—50'% Stunden nach der Fütterung 2,2302 Gramm, am dritten Inanitionstage, den 20. April, 70—71 den nach der Fütterung 2,2380 Gramm. Am 21. April wurde dem Thier um 10%, Uhr Vormittags eine In- jeetion von 0,018 Gramm arseniger Säure im die Jugularvene ge- macht und 25 Min. nach 11 Uhr etwa Y, Stunde darauf ein Respi- rationsversuch angestellt, Die Menge an CO, betrug jetzt nur 1,9016 Gramm, — Was die Symptome anlangt, so traten gleich nach der Injection ein heftiges Erbrechen und eine bedeutende Be- schleunigung der Athemfrequenz ein. Merkwürdig war auch die Verminderung der Action des Herzens, indem die Zahl der Herz- schläge, die im normalen Zustande zwischen 145—155 in der Mi- nute schwankte, auf 90 gefallen war. Die ebengenannten Erschei- nungen dauerten bis gegen 3 Uhr Nachmittags fort, wo sich die Symptome der Lähmung einstellten. Das Erbrechen hörte auf, die Respiration wurde mühsam und langsam, während das Herz tumul- tuarisch agirte, so dass es unmöglich war, die Zahl der Herzschläge zu zählen. Der Tod erfolgte 6 Stunden nach der Injection. — Auch hier fand sich bei der Section eine bedeutende Hyperämie der Cen- tralorgane, in den grösseren Gefässen und im Herzen schwärzliches nicht geronnenes Blut. Die Magenschleimhaut zeigte am Fundus eine schwache Röthe, an den übrigen Theilen des Darmeanals konnte keine pathologische Veränderung entdeckt werden. VIII. Experiment. Wir beobachteten einige Tage hindurch die Respirationsgrösse einer Katze, sowie die in 24 Stunden ausge- schiedene Menge an Harnstoff bei einer Fütterung von 150 Gramm Fleisch täglich und die Verminderung dieser Ausscheidungen wäh- rend 4 Tagen, wo dem Thiere jede Nahrung entzogen wurde, und es eine genau zugemessene Quantität an Wasser erhielt. Zugleich bestimmten wir während aller dieser Tage das Körpergewicht, um das Verhältniss desselben nach der Einwirkung von AsO, zu ermit- teln. Die Resultate haben wir der besseren Uebersicht wegen in 291 der nachfolgenden Tabelle zusammengestellt. Bemerken müssen wir noch, dass bei derselben die Tagesstunden von Mitternacht zu Mitter- nacht gezählt worden sind, so dass 0 und 24 Mitternacht, 12 Mittag, 18 6 Uhr Nachmittags bedeutet u. s. w. Tab. I D 1 Fi 5 © .1Io . f=| F & Me 4 a5» [E3fa8[83[55 |8.|:®: | 88 |8#38 |3# |E3F fee | 35 | 5|3=® =] Wa a:5 |@2l&2s |Sclıe. |2"|8 548 aid EB El 1 Ir a a April 25 10%, — 150| — — |, —, | — | — 11y,—12,| 13,—23,, 3,310 3,4212] — | — 26 10 241 — — = = 3911951 9,12 11 = ker 6) Peg In Ren] I EBEN I _ 112,— 13%, IV, ln ia sr 15309 1% 1 — 97 ) 22) = »_ — — 80 | 9,60 9, N ze 16%, — 174,1 69,73, — | - [3,322 [3,4863 | — 28 93, 248), —| — — 193 | 8,63 10 = 150 _ 17—18 7—8 3,312 13.4657 | — | — 29 15% 291,, _ — — — [140 | 16,36 16 En 150 e 16,17, Ya m — 13,416 [3,4538 | — 773 30 10 18 — _ —_ —_ 59 | 7,08 E 16%, —173/,1243/,,— 25%, | — | - — [3,300 2,7558 | — | — al N 91, 4 —B1.0,. 1 = 1.52.1590 10%, — 111,418, —435,, 3,260 12,7491 | — | — 2 11 66, TE 5508 11,,—127,| 6768 3,152 9,5061 1 — | — 3 8%), 88", — 1295| — — [40 | 3,04 14—15 193,,—94'/, 3,019 [2,5410 1 — — Am 4. Mai injieirten wir 0,005 Gramm AsO, in die Jugular- vene und fütterten darauf das Thier mit der früher angegebenen 292 RR Menge von Fleisch, welche auch mit grossem Appetit verzehrt wurde. Wir hatten dabei die Absicht, zu ermitteln, ob trotz der eingenommenen Nahrung die Quantität der exspirirten CO, und des ausgeschiedenen Harnstoffs unter die an den vorangegangenen Ina- nitionstagen beobachtete fallen, das Körpergewicht dagegen rasch steigen würde. Das Experiment hatte insofern nicht den erwünsch- ten Erfolg, als 4 Stunden nach der Injection ein dreimaliges Er- brechen eintrat, wodurch unverdaute Fleichstücke entleert wurden, deren Gewicht 126 Gramm betrug. Es waren also nur 24 Gramm zurückgeblieben. Am folgenden Tage (5. Mai) weigerte sich das Thier, einige Nahrung zu sich zu nehmen, während es sich am 3. Tage nach der Injeetion (6. Mai) vollkommen wohl zu fühlen schien und das dargereichte Fleisch begierig verzehrt. Auch in diesem Falle wurde eine Verminderung der Herzaction beobachtet, indem die Zahl der Herzschläge von 120 in der Minute auf 92 sank. — Durch die nachstehende Tabelle haben wir das Verhältniss des Körpergewichts zu der exspirirten CO, und der in 24 Stunden ausgeschiedenen Harnstoffmenge zu veranschaulichen gesucht. 293 Tab. II. = [) al oO . © = a „ & ISSIEE& = 8 2 ee ee ee EI RE ES ERIC Eu Bl u Er Zee SE en Ne! Mai Eine Stunde Grm. vor der 4 9, Injection. 113 22, 1 |» | 11'/, Ya == | ae 57 En 161, —17Y,| 6—7 Sy 2-6y, 2,8809, 29151, 5 21", 20%) — 1[2,900| — | 89 | 5,43 15, — 161,128, —29%,,87°,—28',,| — | — [2,2452 — 6 9), 46%/, 451, 1 — B,900| — 134 | 2,72 95% 471, —_ 1501 — —s le — 7 70%, 23Y, 1.—.P.970| -— | 60 1 6,60 93), 2127, — 150 | — — I— | — eye} B5882l [| — 8 10%), 96 248/, | — ][2,993| — | 90 [11,60 10%, | 96%, er I ar Rd u 12,,—131/,1973,—983,, 12,1] — 957] —| — 9 11 120',, 241), — 13,010]| — [120 | 9,70 111), 121 Zr Be re _ 118,—19/,[126%,—1273/, | 6%, —7%, | — | — 123,9995| — | — 10 11V, 1445/, 23%, | — 13,022] — 124 415,62 11%, 145 u 501-1 - I—|— 15—16 [uası,—1a9, | 3% 4%, 1 — | — BO114 — | — Aus dieser tabellarischen Uebersicht ergiebt sich also, dass trotz der, wenn auch geringen, (Quantität an Nahrung, die das Thier nach der Injeetion bei sich behalten hatte, die Menge der exspirirten CO, um ein Bedeutendes gesunken, das Körpergewicht dagegen, wie sich aus der am Tage darauf angestellten Wägung herausstellte, gestie- gen war, und bis zum dritten Tage nach der Injection, wo das Thier jede Nahrung zurückwies, keine Verminderung erlitt. Diese Erscheinung fällt um so mehr in die Augen, da, wie aus Tabelle I erhellt, in der früheren Inanitionsperiode ein 24stündiges Fasten ge- nügte, um einen sehr bemerkbaren Schwund der Körpersubstanz hervorzurufen. Auffallend ist auch der Umstand, dass die Menge 294 des Harnstoffs erst 46 Stunden nach der Injection ihr Minimum er- reichte, um darauf rasch zugleich mit der allmäligen Zunahme des Körpergewichts und der CO, zur normalen Höhe zu steigen. Wir injieirten nun am 19. Mai in die Jugularvene der anderen Seite 0,009 Gramm AsO,. Auffallende Symptome folgten nicht der Ope- ration, ausgenommen eine Beschleunigung der Respiration und eine Verlangsamung der Herzaction, indem die Herzschläge von 120—125 auf 90—85 in der Minute sanken. Erbrechen trat nicht ein. Wir entzogen nun dem Thiere in den folgenden Tagen jede Nahrung, um zu beobachten, ob die bei der vorhergehenden Injeetion ge- machte Erfahrung, dass das Körpergewicht trotz der Inanition keine Verminderung erleide, auch in diesem Falle ihre Bestätigung finden würde, Die Resultate waren folgende : Tab. III. . & u ar [>] x R m oo „" 2 IS sole AI 5 Tan = il ss |328]88 85 [S2[82|8: Jsglss B = Fe = a |S215= = Is ZB: i|8: l28221|1288 [5729 |85 |E.s|5S ” na 9 8 an sr lea]lo;eils ST - 5 E 2194 10.5 Hs Mai Zwei Stunden vor der 11 Rgay Injeetion. 21%, — [2,900 —_ w.| | A 3—14 13/,,—2%/, 125Y,—26%,| — | — 1,9563] — | — 12 10'/, ö 23 46%, 150,0] — _ 60 16,60 = nn 28%, 29%, 5237 v SD — u 2,0618] — | — > « 1 46 69%, — 2,922 = = = 11 473), 12%, — | — — | 13 [1,31 123/,— 133/,49 1, — 501,174 /,—75/,|71,3 | — [1,9450| — | — 14 12 723), 9m 43,5] — — 1 60 12,67 13%, — 148), 74,15), 98,,—991/,| — 13,885|1,5772] — | — 15 10 943), 119%, 33,1, — — | 36 12,74 10%, — 113,95, —96!/,[1203,— 1213, | — [2,740[1,7183] — | — 16 Shin 118 1423,, 35,0 [2,700| — 1 33 1,64 Nach dieser sechstägigen Beobachtung schlossen wir diese letzte Versuchsreihe, da wir aus dem raschen Schwund der Körpersubstanz 295 und aus den stets constanten Mengen an CO, und Harnstoff ent- nahmen, dass das normale Verhältniss zwischen dem Körpergewicht und den genannten Ausscheidungen, wie sie bei gesunden Thieren beobachtet wird, eingetreten und somit aller Arsenik aus dem Kör- per ausgeschieden sei. — Um uns aber auch durch die chemische Analyse von der Abwesenheit der AsO, zu überzeugen, tödteten wir das Thier am siebenten Tage nach der Injeetion und unter- suchten die Leber und das Blut. Wir schlugen hierbei folgendes Verfahren ein: Die Leber und das geronnene Blut wurden geson- dert, mit destillirtem Wasser zu einem dünnflüssigen Brei zerrieben, demselben etwas Salzsäure und ein paar Crystalle chlorsaures Kali hinzugesetzt. Beide Portionen wurden im Dampfbade erwärmt und darauf filtiir. Das Filtrat, welches etwa 175 Ce. betragen moechte, wurde auf ein Volumen von 25 Ce. abgedampft und in die auf diese Weise concentrirte ganz klare Flüssigkeit sechs Stunden lang ein Strom von Schwefelwasserstoffgas hineingeleitet. Es trat ein be- deutender Niederschlag ein, der sich jedoch, mit siedendem Aleohol behandelt, vollkommen löste. Hierdurch war also der Beweis ge- liefert, dass in der Flüssigkeit keine Spur einer Arsenikverbindung vorhanden war, und somit wurde auch der a priori gestellte Schluss in Bezug auf die Abwesenheit von AsO, im Körper des Thieres be- stätigt. — Die Trübung rührte wahrscheinlich von Gallenbestand- theilen her, die sich nach dem Erkalten ausgeschieden hatten. Sowohl aus den beiden letzten Beobachtungen, wie auch aus dem Experiment III, wo am fünften Tage nach der Einführung von AsO, in den Körper, die Respirationsgrösse ihre normale Höhe erreicht hatte, ergiebt sich, dass das Gift rasch aus dem Organismus ausge- schieden wird. Arsenige Säure in den Kreislauf gebracht, veranlasst demnach eine bedeutende Verminderung des Stoffwechsels. Sie beträgt 20 bis 40 pÜt., erfolgt schon nach schr kleinen Gaben, und zwar rascher, wenn die Säure direct in die Venen gespritzt, langsamer, jedoeh nicht minder intensiv, wenn die Aufnahme dureh Resorption 296 im Darmrohr stattfindet. Sie ist bei Hühnern, die nach der In- jection weder erbrechen, noch das gewohnte Futter zurückweisen, am eclatantesten, beträgt jedoch selbst bei Katzen, die hinterher leicht erbrechen und als hungernd zu betrachten sind, nach Elimina- tion der durch blosse Inanition bewirkten Verringerung noch eirca 20 pCt. Diese Thatsache erklärt das Fettwerden der Pferde nach kleinen Gaben arseniger Säure, eine den Rosstäuschern bekannte Er- scheinung, in befriedigender Weise. Die der Kohlensäure- und Harnstoff-Depression äquivalente Fett- und Eiweissmenge bleibt im Körper und vermehrt bei hinreichender Nahrungsmenge das Ge- wicht desselben. Bei grösseın Gaben von arseniger Säure treten Nervenerschei- nungen auf, die sich in zwei Symptomgruppen sondern lassen: die der Spinalirritation und der Lähmung. Zu ersterer gehört das Er- brechen, die beschleunigte Respiration, der verlangsamte Herzschlag, zu letzerer die Somnolenz, Muskelschwäche und das verlangsamte und mühsame Athmen. Beide lassen sich aus der bedeutenden Hy- perämie der Centralorgane herleiten, die constant bei der Section nachweisbar war. ——— —— XV. Ueber die Gefühllosigkeit des Rückenmarkes für fremde Einflüsse. Von I, van Deen. Schon im Jahre 1841 habe ich durch Versuche vollkommen bewiesen, dass das Rückenmark ganz gefühllos ist; dass man es durchscheiden kann, ohne dass das Thier (die Versuche wurden an Fröschen gemacht) den geringsten Schmerz dabei fühlt; ja, dass selbst Experimente an Thieren, welche mit Strychnin vergiftet wa- ren, dieselben Resultate gaben (cf. van der Hoeven's en de Vriese’s Tydschrift voor natuurlyke geschiedenis en Physiologie, Di. XI, Stuk I, und insbesondere Heije’s Archief voor Genees- kunde, Deel II, S. 414; Froriep’s Neue Notizen, Band XXV, S. 323—327; wie auch Oppenheim’s Zeitschrift f. d. ges. Me- diein, 1843, T. XXI). Obschon ich von der Wahrheit des hier Mitgetheilten ganz über- zeugt war, und die Versuche, wodurch sie unzweifelhaft an den Tag gelegt wurde, nicht allein bei meinen Vorlesungen, sondern auch sowohl in früheren, wie in späteren Jahren in der Gegenwart von verschiedenen Gelehrten ") wiederholt wurden, konnte diese ") Schon im September macht, in Gegenwart meine damals in Zwolle besuchte, ländischen als deutschen 6 MOLESCHOTT, Untersuchungen. VL 20 841 habe ich die Versuche über diesen Gegenstand ge- 298 Wahrheit doch nirgends Eingang finden; ja, die Resultate wurden selbst, ohne dass man durch eigene Untersuchung im Stande’ war, darüber zu urtheilen, von verschiedenen Seiten in Zweifel gezogen '). In dem vortreffliehen Handbuche der Physiologie von Schiff, vor einigen Monaten erschienen, findet man einen Versuch erwähnt, welcher beweist, dass man jetzt endlich auf dem Wege ist, diese Thatsache zu erkennen. Schiff sagt nämlich S. 238: dass es ihm oft gelungen ist, die Hinterstränge des Rückenmarkes eines leben- den wachenden Kaninchens zwischen zwei Nervenwurzeln quer zu durchschneiden, ohne irgend Zeichen von Sehmerz zu erregen, und fügt hinzu, dass ich ihm mitgetheilt hätte, dass mir manchmal das- selbe an Fröschen, selbst an mit Strychnin vergifteten, gelun- gen sei. Dieser Bericht von Schiff beruht auf einem Missverständniss; ich habe mich vielleicht nieht deutlich genug ausgedrückt, als ich mit ihm über diese Sache sprach (bei meinem Aufenthalte in Bern im vorigen Jahre), denn meine Erfahrung erstreckt sich nicht allein auf die Hinterstränge des Rückenmarkes, sondern auf das ganze Rückenmark. Und diese Resultate wurden nicht manchmal erlangt, sondern önmer, wenn der Versuch gut gemacht war; alles, so wie es in den oben citirten Abhandlungen von mir publieirt wurde ?). Ausserdem habe ich darin bewiesen, dass kein mechanischer Reiz auf das Rückenmark selbst angebracht, wenn dieser mit Vorsicht ').Wie von Th. L. W. H. Bischoff in seinem Berichte über die Fortschritte der Physiologie im Jahre 1843, in Müller’s „Srehiv, Jahrgang 1844, S. 122. Es heisst dort: „Dieses Resultat scheint mir unerklärlich , selbst wenn ich an keine „mechanische Fortpflanzung eines Reizes als solchen glaube, es sei denn, dass „laraus hervorgeht, dass nicht gerade die heftigsten Reize diejenigen‘ sind, welche „die Reaction eines Nerven am intensivesten erregen.“ Aus diesem Urtheile Bi- schoff’s geht hervor, dass er die Wirkung eines Reizes, an dem Rückenmark an- gebracht, damals gleichstellte mit dem auf die Nerven, und dabei zu glauben schien, dass auch ich dies that. ?) In einem Briefe, den ich voriges Spätjahr von Schiff empfing, schrieb er mir, dass er später durch das Lesen meiner obe irten Abhandlungen gesehen hat, mit welcher Bestimmtheit ich schon vor ach en die Gefühllosigkeit des 'Rückenmarkes erkannt habe. 299 ohne Erschütterung (Commotio) angewendet wurde, sich auf die Bewegungsnerven fortpflanzt; — so dass man das Rückenmark durchschneiden kann, ohne dass das Thier den geringsten Schmerz davon fühlt, und ohne dass die geringste Bewegung wahrzuneh- men ist. Um diesen Versuch anschaulich zu machen, füge ich einen Holz- schnitt hier bei. Man sieht hier, wie der unterste Theil von dem Rückenmark, welches einige M.M. unter dem Ursprung der Nerven für die Vor- derpfoten durehschnitten ist. zwischen den zwei Schneideflächen der Scheere liegt. Durchschneidet man nun vorsichtig das Rückenmark, so entsteht nicht die geringste Bewegung in den Hinterpfoten, und auch kein Zeichen nerz. Ueber das letztere, die Gefühllo- sigkeit, darf man wundern, da die Durchschneidung statt- 20 Ki 4. _ >? 300 findet an dem Theil des Rückenmarkes, das mıt den fühlenden Thei- len der Medulla oblongata und des Gehirns nieht mehr in Verbin- dung steht. Das Bemerkenswertheste dieses Experiments dagegen ist, dass beim Durchschneiden in den Hinterpfoten keine Bewegung entsteht, obgleich die Bewegungs- sowohl als die Gefühlsnerven mit ihren respectiven peripherischen Theilen und dem Rückenmark in normaler Verbindung geblieben sind und von ihrer Energie nichts verloren haben, so dass beim geringsten Reiz der Hinterpfoten Re- flexbewegungen in diesen entstehen. Wird der andere, der vordere Theil des durehschnittenen Rücken- markes — nämlich das Unterende davon (siehe obenstehende Figur) zwischen die Scheere gebracht und diese hinreichend entfernt von den Nerven gehalten (hier die Nerven der Vorderpfoten) und dar- nach die Scheere vorsichtig zugedrückt, dann wird das Thier unbe- weglich liegen bleiben, ohne das mindeste Zeichen von Schmerz zu geben, ohne einige Bewegung weder mit den Vorderpfoten, mit dem Kopfe oder den Augen zu machen. Aus diesen Experimenten habe ich damals Schlüsse gezogen, die ich wörtlich hier wiedergebe, nämlich : 1) Dass die hinteren Nervenwurzeln ihr Gefühl nicht erhalten können aus ihrer Verbindung mit der hinteren grauen Rücken- markssubstanz ; 2) dass die hinteren Stränge nicht empfindlich sind ; 3) dass man von keinem Theile des Rückenmarkes sagen kann, er sei empfindlich, oder mit andern Worten, dass kein mecha- nischer, örtlicher Reiz, dem Rückenmarke mitgetheilt, direct Gefühl oder Schmerz verursachen kann ; 4) dass kein mechanischer Reiz, dem Rückenmarke zugefügt, unmittelbar auf die Bewegungsnerven wirken kann, wenn die- ser Reiz sich nicht auf die Bewegungsnerven erstreckt; 5) dass das Rückenmark nur ein Leiter f organische, nicht für ” ” ” „C mechanische Reize ist; 301 6) dass die Bewegungs- und Empfindungsnerven in dem Rücken- marke endigen, und nicht — wie man damals glaubte — durch das Rückenmark hindurch bis zum Gehirne laufen '). Von der Wahrheit aller dieser Sätze bin ich bis jetzt eben so überzeugt, wie damals, als ich sie niederschrieb, und indem ich nichts davon zurückzunehmen brauche, will ich sie wieder hier zur Sprache bringen, um die Anerkennung einer bedeutenden physiolo- gischen Thatsache, die endlich Eingang findet, so viel wie möglich zu fördern. Ich will dieses auch darum besonders thun, weil ich jetzt die Gelegenheit habe, einige Versuche mittheilen zu können, die ich später gemacht habe, und die, wie ich meine, nicht unwichtig sind, indem sie unmittelbar in Verbindung stehen mit den früher mitgetheilten Sätzen, und die Gefühllosigkeit des Rückenmarkes auch ersichtlich machen in Bezug auf chemische Reize. Wie bekannt, sind verschiedene chemische Reize, auf einen mit Muskeln noch verbundenen Nerven angebracht, im Stande, Zusam- menziehungen in den Muskeln zu erwecken. Wir erinnern hier an die Versuche von Eekhard und Kölliker ?). Bringt man nämlich den Nervus ischiadicus eines frisch getödte- ten Frosches, indem dieser Nery noch mit den Hinterpfoten in Ver- bindung ist, in eine nicht zu schwache Chlornatrium-Lösung, dann entstehen in dieser Pfote Bewegungen von verschiedener Art, wie dieses besonders ersichtlich ist aus den durch Kölliker gemachten Versuchen. Diese Experimente veranlassten mich, auch den wirkenden Ein- fluss des Chlornatriums auf das Rückenmark zu untersuchen. Ich schnitt zu diesem Zweck einem Frosch hinter dem Trom- melfell den Kopf ab, so dass die Medulla oblongata beim Abschnei- .? ’ ') Dies war der erste gültige Beweis, wie ich meine, welcher zur Zeit geliefert ist für die Endigung der Nerven in dem Rückenmarke. ) 08. ©. Eckhard, die chemische Reizung der motorischen Froschnerven, in Henle’s und Pfeufer’s Zeitschrift für rationelle Mediein, Neue Folge, II, 5. 308, und Grundzüge der Physiologie des Nervensystems, Giessen, 1854, 8.82, Kölliker, uber die Vitalität der Nervenröhren der Frösche, in den Würzburger Verhandl., Bd. VIL, 8.145. Zeitschrift f. w. Zoologie, B. IX, 8. 417, [7 > 302 den des Kopfes zugleich entfernt wurde. Danach schnitt ich alle Theile bis an die Columna vertebralis weg, so dass auch alle Ner- ven bei ihrem Austreten aus den Foramina intervertebralia wegge- schnitten wurden; indem die Nerven, welche den Plexus ischiadicus bilden, unverletzt blieben. — Ich hatte daher ein Präparat, beste- hend aus der Columna vertebralis mit dem darin liegenden Rücken- marke, den Nerven für die Hinterpfoten, mit diesen Pfoten und mit dem Rückenmarke noch in Verbindung. Wenn man nun den Vordertheil dieser Wirbelsäule in eine Lö- sung von Chlornatrium (z. B. von 10 %) bringt, dann wird keine Bewegung in den Hinterpfoten entstehen, indem diese Bewegung entsteht, wenn man diese Lösung auf die Nerven selbst anwendet, besonders wenn man diese erst durchgeschnitten hat ?). Obschon es unzweifelhaft ist, dass bei diesem Versuche das Rückenmark mit der Chlornatrium-Lösung in Berührung kommen muss, habe ich dieses Experiment auch noch auf eine andere Art gemacht, indem ich den oberen Theil des Rückenmarkes entblösste und dieses dann in die Auflösung brachte. Auch hierdurch entstand keine Bewegung. Indem nun diese Versuche deutlich zeigen, dass das Fortpflan- zungsvermögen des Rückenmarkes für die Bewegung durch einen chemischen Reiz nicht hervorgerufen wird, habe ich gleichartige Versuche gemacht, um den chemischen Einfluss auf das Fortpflan- zungsvermögen des Rückenmarkes für das Gefühl kennen zu lernen. Ich habe nämlich bei einem Frosche den untern Theil des Rückenmarkes blossgelegt, danach das Thier so bereitet, dass davon nur übrig blieb der vordere Körpertheil mit den zwei Vorderpfoten, die Wirbelsäule und das sich darin befindende, von unten blossge- legte Rückenmark; indem alle Nerven (mit Ausnahme derer der Vorderpfoten und der höherliegenden) dicht an der’ Wirbelsäule weggeschnitten wurden ?). !) Das Neurolemma hält die Einwirkung der Kochsalzlösung längere Zeit zurück; darum .ist es zweckmässig, die Schnittfläche selbst in die Lösung zu bringen. 2) Siehe den Schluss dieses Aufsatzes. 303 Bringt man nun den untersten hlossgelegten Rückenmarkstheil in eine Chlornatrium-Lösung, dann entsteht in den vordern Körper- theilen nicht das geringste Zeichen von Schmerz oder von einem an- gewandten Reiz; — dies findet auch nieht Statt, wenn man den hintern Theil des Rückenmarkes in Schwefelsäure oder in andere Säuren bringt. Um die Gefühllosigkeit des Rückenmarkes noch deutlicher her- vortreten zu lassen, kann man das letzterwähnte Experiment auch machen, nachdem man von dem Präparate auch noch den Kopf bis hinter das Trommelfell weggeschnitten hat. Es wird dann durch das Eintauchen des Rückenmarkes in eine der erwähnten Flüssig- keiten keine Reflexbewegung entstehen. Hieraus folgt deutlich, dass das Rückenmark auch für chemi- sche Reize gefühllos ist, so dass man sagen kann: 1) dass weder mechanische noch chemische Reize auf das Rücken- mark allein angewendet (mit Vermeidung der Nerven, die noch in Verbindung mit den peripherischen Theilen geblieben sind) im Stande sind, die Wirkung des Rückenmarkes zu erwecken ; 2) dass diese Wirkung allein hervorgerufen wird durch organi- sche Reize, welche das Rückenmark empfängt von dem Willen und den Gefühlsnerven. Der erste der genannten Reize, der Wille nämlich, verursacht willkübrliche Bewegungen, der zweite dagegen wirkliches Gefühl oder Reflexbewegungen; — (die sogenannten automatischen Bewegungen muss man betrachten als Reflexbewegungen durch einen inneren im Körper selbst entstandenen Reiz). Man wird vielleicht gegen den bier aufgestellten ersten Satz an- führen wollen, dass die Berührung des Rückenmarkes, wie leise auch, Bewegung und Schmerz verursacht, indem auch so viele verschie- dene Arzneimittel durch ihre chemische Kraft unzweifelhaft Einfluss auf das Rückenmark ausüben, wie z, B. das Strychnin. In Bezug auf den ersten Punkt, nämlich dass mechanische Reize einen so starken Einfluss auf das Rückenmark haben, so ist dieses dann nur der Fall, wie ich mehrmals sagte, wenn der Reiz auf die 304 im Rückenmark endigenden Nerven unmittelbar angebracht wird, und diese Nerven noch mit der Peripherie in natürlicher Verbindung ste- hen, oder, wenn er mittelbar darauf fortgepflanzt wird, wie bei Erschütterung (Commotio). Eben desshalb habe ich immer darauf aufmerksam gemacht, dass die Durchschneidıng des Rückenmarkes mit der grösstmöglichen Vorsicht geschehen muss, damit keine Commotion stattfindet. Was den chemischen Einfluss von einigen Stoffen auf das Rücken- mark betrifft, so ist dieser nicht von der Art, dass er die Leitung verursacht, wohl aber, dass er die Leitung, wenn diese erregt ist, wie auch die Wirkung davon, modifteirt. Wenn man einem Thiere Strychnin giebt, dann erweckt dieses Gift nicht die Wirkung des Rückenmarkes, keinesweges; aber durch die besondere (chemische) Wirkung dieses Mittels werden die Bewegungen, welche durch die Leitung vom Rückenmark auf die Bewegungsnerven zu Stande kom- men, tetanisch. Das Strychnin macht das Rückenmark sehr empfind- lich, so dass durch den geringsten Reiz Bewegungen hervorgerufen werden, und zwar tetanische, aber es weckt selbst das Rückenmark nicht auf. Dazu wird etwas anderes erfordert, nämlich die organischen Reize für das Rückenmark, die des Willens und die der @efühls- nerven. Ein Rückenmark, welches diese organischen Reize entbehrt, wird durch Strychnin nicht zum Tetanus angeregt werden '). ') Cf. Müller’s Archiv für Anat. u. Phys., 1837, p. 231. Stannius legte das Rückenmark eines Frosches von hinten bloss, durchschnitt die hinteren Nervenwnrzeln der Hinterpfoten, und schnitt darauf das Rückenmark über dem Ur- sprung dieser Wurzeln quer durch. Darauf bekam das Thier Strychnin, ohne dass Tetanus in den Hinterpfoten zum Vorschein trat. — Ich bin zur Zeit in meinem Traite des 'decouvertes sur la Physiologie de la moelle epiniere. Leide 1841, pag. 122—123, Stannius entgegengetreten, und zwar, weil Stannius meinte, dass ohne Gefühlsnerven Tetanus nicht zu Stande kommen kann durch ein mit Stryehnin vergiftetes Rückenmark; aber das ist nicht der Fall; denn durch Erschütte- rungen oder andere mechanische Bewegungen, welche auf die im Rückenmarke endi- genden Bewegungswurzeln fortgepflanzt werden, tritt in den Hinterpfoten von Stan- nius’s Präparat in der That Tetanus zum Vorschein. — Auf dem natürlichen Wege aber kann ohne die Gefühlsnerven und ohne den Einfluss des Willens der Tetanus nicht entstehen — wie sehr das Rückenmark auch durch Stryehnin vergiftet sei, — und in dieser Beziehung ist der Satz von Stannius sehr richtig, wie ich dieses auch damals erkannt habe. 305 Ich werde hier einstweilen einen. Versuch beschreiben, dessen Resultat von der Art ist, dass man glauben sollte, dass ohne den Einfluss des Willens und der Gefühlsnerven tetanische Bewegungen bei Strychnin-Vergiftungen zu Stande kommen können. Wenn man nämlich einem Frosch den Kopf hinter den Ohren abschneidet, so dass das Thier keine willkührliche Bewegungen mehr machen kann, und es dann auf den Bauch niederlegt, darauf einige Tropfen Strychnin-Auflösung auf den Rücken bringt (z. B. 2 bis 3 Tropfen einer 1%, haltenden Lösung), das Thier dann ruhig liegen lässt und dafür sorgt, dass nieht die allergeringste Berührung, Erschütte- rung oder andere Reizung des Thieres stattfindet, dann wird nach Ver- lauf von etwa einer halben Stunde — während das Thier gar keine Bewegung machte — plötzlich Tetanus zum Vorschein treten; bei welchem es geschehen kann, dass der Frosch sich umdreht und auf den Rücken zu liegen kommt. In dieser Lage bekommt das Thier wiederholt tonische Krämpfe, die einige Secunden anhalten. Ich habe diesen Versuch sehr oft gemacht, und er ist auch be- schrieben in einer Dissertation von Dr. Jest, einem meiner ehema- ligen Schüler, welcher die von ihm beschriebenen Versuche unter meiner Leitung gemacht hat *). ) Dr. J. Jest, Jels over de werking der Strychnine, Groningen, 1858, 8, 45. In dem Resultate dieses Versuches findet man, wie ich meine, einigermaassen den Schlüssel zur Erklärung der automatischen Bewegungen. Es sind nämlich Be- wegungen, die sich insofern von den Reflexbewegungen unterscheiden, dass sie nicht, wie diese, zu Stande kommen durch Einflüsse, die auf die peripherischen Enden der Gefühlsnerven des Cerebrospinal-Nervensystems wirken, sondern durch Einflüsse, die erst in dem Blute entstehen müssen, und diess entweder regelmässig, mit mehr oder weniger bestimmten Perioden, sowie bei dem nörmalen Stoffwechsel — natür- liche automatische Bewegungen — oder zufällig, indem fremde Einflüsse die Zusam- mensetzung des Blutes und den Stoffwechsel darin modifieirt haben, sowie bei ge- wissen Krämpfen. Dass für das Zustandekommen der normalen, für das Leben so nothwendigen automatischen Bewegungen auch gewisse Theile des Nervensystems und der Muskeln besonders eingerichtet und gruppirt sein müssen, bedarf wohl keiner näheren Erwäh- nung; aber davon allein sind diese automatischen Bewegungen, wie Einige wollen, nicht abhängig; der zur gewissen Höhe gelangte Stoffwechsel im Blute muss den Anstoss dazu geben. 306 Dass ohne Cireulation des Blutes dieser eigentliche automatische Tetanus nicht zu Stande kommt, ist schon a priori anzunehmen, und habe ich dieses auch durch Versuche bewiesen. Denn wenn das Herz einem durch Strychnin vergifteten und auf oben gedachte Weise enthaupteten Frosche genommen war, kam der Tetanus nicht anders als durch äussere Reize zum Vorschein. Da nun aber dieser Te- tanus auch nicht erweckt wird, wenn die Gefühlsnerven entfernt sind, so kann das Erscheinen des sogenannten automatischen Teta- nus nicht anders erklärt werden, als durch den Einfluss des Blutes auf die Centraltheile der Gefühlsnerven, oder durch Reflex von einem durch Strychnin ergriffenen Organe, bei welchem Reflex die Gefühlsnerven natürlich die Hauptrolle spielen. — Hieraus ist ersicht- lich, dass bei diesem Zustandekommen des Tetanus die Gefühlsner- ' ven nicht ausser Spiel sind, und nach meiner Meinung sind sie dies auch nie bei automatischen Bewegungen, ebensowenig bei denen, welche normal sind und zum Leben gehören, wie bei den abnormen, krankhaften, so wie hier. Wir wiederholen es daher, dass die Function des Rückenmarkes nur durch den Einfluss des Willens oder durch den der Gefühlsnerven unmittelbar erweckt werden kann, nicht durch andere Einflüsse, Was hier für das Rückenmark gilt, kann auch in Bezug auf das Gehirn behauptet werden, jedoch hierüber, wie auch über das Leitungs- und Aufweckungsvermögen der Gefühlsnerven werde ich in einem folgenden Aufsatz sprechen, indem ich hier nur daran er- innern will, dass dieses Vermögen entweder vernichtet, oder sehr vermindert und modifieirt wird, wenn die Haut, worin die Gefühls- nerven peripherisch endigen, entfernt oder krankhaft angegriffen ist. XVII Notiz über die Herleitung physiologischer und pharmakodyna- mischer Wahrheiten aus coordinirten Beobachtungsreihen. Von Prof. Radieke aus Bonn. (Entgegnung auf Aeusserungen, die auf Missverständnissen des vom Verfasser im Roser’schen Archiv veröffentlichten Aufsatzes: „Ueber arithmetische Mittel“ beruhen.) Mein Aufsatz über arithmetische Mittel im Roser’schen Archiv (1858, pag. 145) hat von Seiten mehrerer medieinischen Statistiker Anfechtung erfahren. Es war natürlich, vorauszusetzen, dass Männer, welche sehr mühevolle und zeitraubende Versuche angestellt haben, es ungern sehen mussten, wenn die Bündigkeit des Resultats ihrer Arbeit angezweifelt wurde, zumal wenn der angeregte Zweifel eine mathematische Grundlage hatte; allein ich glaube, dass der Antrieb zu ihrer Opposition zumeist weniger aus diesem Missmuth stammte, als daher, dass sie stutzten, hin und wieder die Bündigkeit ihrer Schlüsse durch die von mir aufgestellte Regel abgeläugnet zu schen, trotzdem dass sie in der einen ihrer Beobachtungsreihen überwiegend grössere Zahlen erblickten '),. Man würde an diesem Umstande in- dess weniger Anstoss genommen haben, wenn man den Sinn der ') Bei H. Beneke scheint allerdings jener Missmuth vorgewaltet zu haben, da er sich in seiner Entgegnung zu falschen, respeetive unbegründeten Anschuldigungen verstiegen hat, zu deren Abfertigung ich schon vor längerer Zeit eine Replik an das Boser’sche Journal abgesandt habe, deren Abdruck hoffentlich nahe bevorsteht, 308 Regel vollstindiger und vollkommener aufgefasst hätte. Aus Scheu vor mathematisch Deducirtem wurde die Regel selber nicht ange- griffen, sondern man wollte nur das Feld ihrer Anwendung einschrän- ken, namentlich ihre Anwendbarkeit gerade auf medieinische Unter- suchungen bestreiten. Und um diesen Einspruch zu begründen und sich den vermeintlichen Widerspruch zwischen dem (sogenannten) augenscheinlichen und dem mathematischen Resultat zu erklären,, glaubte man bald, dass zur Aufstellung einer mathematischen Regel für den vorliegenden Fall zugleich eine gewisse Summe von Kennt- nissen aus der Physiologie gehöre, bald dass ausser der Logik, auf der das Gebäude der Mathematik ruht, noch eine zweite Logik exi- stire (die man Logik der Thatsachen zu nennen beliebt hat). In Betreff des ersten Grundes fragte man aber gar nicht, ob ich nieht völlig ausreichende Kenntnisse in der Physiologie besitze "), denn ebensogut, wie es jetzt Physiologen giebt, die zugleich sehr tüchtige mathematische Kenntnisse haben, kann es auch, und zwar sehr vie] leichter Mathematiker geben, die gute physiologische Kennt- nisse haben. Aber darauf kommt es gar nicht an. Käme es darauf an, so könnte man mit gleichem Rechte die allgemeine Anwendbar- keit der Regeldetii bestreiten, weil ihr Erfinder unmöglich zugleich in der Physik, Chemie, Forstwissenschaft, in den Kaufmanns- und Banquier-Geschäften, so wie in den tausend anderen Dingen, auf welche man sie anzuwenden pflegt, wird gut Bescheid gewusst haben. In der That hat man für die Aufstellung einer Regel über die Ver- gleichung zweier Beobachtungsreihen nur das zu wissen nöthig, was man aus den Reihen selber ablesen kann, nämlich dass Schwankun- gen in jeder Reihe vorhanden sind, und wie gross dieselben sind; dagegen ist es ganz gleichgültig zu wissen, welche Ursachen diese Schwankungen gehabt haben — man müsste denn diese Ursachen nicht bloss genau anzugeben wissen, sondern auch das Gesetz ihrer physiologischen Wirkung kennen, Bis jetzt steht aber über das Ge- setz noch keiner der unvermeidlichen Schwankungsursachen etwas Sicheres fest, nicht einmal über die Wirkung der Temperatur trotz ') In der That habe ich mich in Mussestunden viel mit der Physiologie beschäftigt. 309 der interessanten auf S7 Tage sich erstreckenden Beobachtungsreihe von Kaupp. Und wäre wirklich das genaue Gesetz für die eine oder die andere Störungsursache bekannt, so würde die Mathematik die Anleitung geben, dieselbe gehörig zu berücksichtigen. Es ist da- her Dr. Lehmann im Irrthum, wenn er behauptet (s. dessen „Zur Würdigung der physiologischen Wirkung der Sitzbüder“ im VI. Bd. dieser Zeitschrift 1859, Seite 186), dass die unregelmässigen Wirkun- gen unbekannter Störungsursachen ein Hinderungsgrund seien für die Anwendung einer auf mathematische Betrachtungen beruhenden Regel. Er hätte nur mit Aufmerksamkeit meinen Aufsatz über die arithmetischen Mittel nachlesen dürfen, um zu sehen, dass bei der Auf- stellung der Regel gerade die Betrachtung solcher unbekannter Stö- rungen die Hauptrolle gespielt hat. Was aber den zweiten Erklärungsgrund, die Idee von den zweier- lei Logiken betrifft, so möchte dieselbe wohl nicht viele Anhänger finden. Der Widerspruch, der, wie Dr. Lehmann a. a. OÖ. sich aus- drückt, zuweilen zwischen der Mathematik und dem praktischen Ver- stande Statt zu finden scheint, erhält seine einfache Erklärung, wenn genauer man auf den Sinn der von mir gegebenen Regel achtet. Diesen Sinn möglichst klar hinzustellen, ist die Absicht dieser Zeilen. Ich werde bei dieser Gelegenheit meinen Gegnern sogar bessere Waffen als sie bisher gegen mich gebraucht haben, in die Hand geben, indem ich ihre Scheu vor der mathematischen Ent- stehung der Regel mildere und darauf aufmerksam mache, dass deren Herleitung keine rein mathematische ist, sondern ein willkührliches Element enthalte. Die Willkührlichkeit dieses Elementes hat aber keine andere Wirkung, als dass die in der aufgestellten Regel an- gegebene Grenze der Brauchbarkeit des aus den Mittelzahlen gezo- genen Resultats einer kleinen Verschiebung vor- oder rückwärts Raum lässt. Darauf, dass mein Endausspruch nicht von absoluter Gültigkeit sein solle und könne, sondern innerhalb gewisser Grenzen eine Abänderung zulasse, hatte ich übrigens von vorn herein in $ 1 meines Aufsatzes hingedeutet. Die Sache ist nämlich folgende: Bei keiner von den bisher gelieferten Beobachtungsreihen der 310 Physiologen und Pharmakologen ist die Zahl der Beobachtungen gross genug, um annehmen zu dürfen, dass sich die unvermeidlichen Stö- rungen ausgleichen werden, wenn man das arithmetische Mittel nimmt. Es wird also fast gewiss ein Theil der Störungen unausgeglichen bleiben, dessen Betrag sich nicht, auch nicht mittels der Mathematik, bestimmen lässt. Giebt nun von zwei Beobachtungsreihen A und B die erste ein höheres arithmetisches Mittel als die zweite, so bleibt unbekannt, ob der Mehrbetrag des Mittels von der Verschiedenheit der unausgeglichenen Theile der Störungen herstamme, oder ob das Agens, dessen Wirksamkeit erforscht werden soll, daran Antheil habe, und man hat daher keine absolute Gewissheit, ob das Agens ver- mehrend oder vermindernd wirkt. Wenn man aber auch keine absolute Gewissheit darüber haben kann, so kann doch eine grössere oder geringere MWahrscheinlichkeit dafür sein. Je grösser nämlich der Abstand der beiden Mittel ist in Vergleichung mit der Grösse der Störungen, die sich in den Schwankungen der Beobachtungen innerhalb einer und derselben Reihe zu erkennen geben — desto wahrscheinlicher wird es, dass die Wirkung ganz oder theilweise dem Agens zuzuschreiben ist, und es fragt sich daher: Wie gross muss mindestens der Mittelunsterchied im Vergleich mit den Schwankun- gen sein, wenn man mit hinreichender Sicherheit soll annehmen dür- fen, dass das Agens an der grösseren Höhe des Mittels von A An- theil hatte. Sind die Beobachtungen zahlreich genug, um voraussetzen zu können, dass nicht in einer der Reihen die Störungen sämmtlich oder mit grossem Uebergewicht nach derselben Richtung hin gewirkt ha- ben, oder dass die Störungen nicht in beiden Reihen im Uebergewicht nach entgegengesetzten Richtungen ausgeschlagen seien: so wird man die Störungen nach den Schwankungen bemessen und behaupten können, dass das Agens an dem Plus des Mittels von A Antheil habe — menn der Mittelunterschied die grössten Schwankungen übertrifft. — Da dieser Fall aber sehr selten, und daher das Merkmal wenig praktisch sein wird, so stellt sich die Frage, ob nicht schon ein kleinerer — und welcher — Unterschied der Mittel die Wirksanıkeit des Agens zu Gun- sten von A hinreichend wahrscheinlich mache. sl Eine solche Grenze in unbestreitbarer Bündigkeit hinzustellen ist aber selbst mit allem mathematischen Wissen unmöglich — weil der wahre Betrag der Störungen unerforschbar ist, und weil (was in dem unbestimmten Ausdruck „hinreichend wahrscheinlich“ liegt) der eine eine grössere Bürgschaft für die Sicherheit des Schlusses verlangen kann, als der andere. — Will man daher ein gewisses Minimum als Norm feststellen, so wird man (in gewissen Grenzen wenigstens) nicht ohne Willkür verfahren können. In der That war es eine solche Willkür von mir, als ich festsetzte, es solle im Minimum der Mittelunterschied (statt die vollen Schwankungen) die (merklich geringeren) mittleren Schwankungen übertreffen, Ein Anderer hätte sich vielleicht damit begnügt, dass der Mit- telunterschied die Akalbe Summe der mittleren Schwankungen über- treffe. Dr. Lehmann z. B. hält sich schon von der Mitwirkung des Agens überzeugt, wenn der Unterschied grösser ist, als die mittlere Schwankung einer einzigen der beiden Reihen (wenigstens kommt seine Meinung nahezu darauf hinaus). Noch ein Anderer hätte aber dagegen einen noch grösseren Mittelunterschied verlangen können. Es ist nun wahr, dass ich sehr streng verfahren bin, und dass ich einen ziemlich bedeutenden Betrag des Mittelunterschiedes in meiner Regel gefordert habe, und dies ist der Grund des obenerwähnten so- genannten Widerspruchs der Mathematik mit dem praktischen Ver- stande, d. h. der Grund des Umstandes, dass die Regel zuweilen die genügende Sicherheit des Schlusses abläugnet, obgleich die Reihe A vorwiegend grössere Zahlen aufweist. Dennoch bleibe ich für meine Person auf meiner strengen, vielfordernden Regel bestehen, weil ich einen ziemlich hohen Grad von Sicherheit verlange, und zwar deswe- gen, weil auf den Schlüssen in der Physiologie und Pharmakologie weiter fortgebaut werden soll, weil man darauf weitere Thheorieen, viel- leicht neue Heilmethoden gründen will, die um so hemmender in Wissen- schaft und Praxis wirken, als man sie für streng begründet hält, indem man gar zu leicht vergisst, dass nicht /este, sondern nur mehr oder weniger wahrscheinliche Data zum Grunde liegen. Wenn H,. Dr. Lehmann mit geringerer Bürgschaft vorlieb nimmt, und sich schon von der Wirksamkeit des Agens überzeugt 312 hält, wenn der Mittelunterschied einfach die mittlere Schwankung der einen Reihe übertrifft, so lässt sich ihm das Recht dazu nicht bestrei- ten, und man darf gelten lassen, dass alsdann noch ein ziemlicher Grad von Wahrscheinlie eit für seine Entscheidung vorhanden ist; allein dieser Grad ist hr, a nicht bedeutend genug, um darauf mit einer Sicherheit weiter zu bauen, welche der Wichtigkeit der daraus zu ziehenden Consequenzen angemessen ist. In Missverständniss und Irrthum ist aber Dr. H. Lehmann, wenn er pag. 187 die Frage stellt: „ob es in dem Falle, wo meine Regel keine Entscheidung biete, besser sei, die aus den Beobachtun- gen gezogenen Zahlen gar nicht zu haben, oder sie mit dem ihnen eigen- thümlichen Werthe hinzunehmen und zu benutzen“, mit dem Hinzufügen, dass er kein Bedenken trage, sich für das Letztere zu entscheiden. Der Sinn meiner Regel ist nicht, wie Dr. H. Lehmann zu glauben scheint '), dass die Beobachtungen zu verwerfen seien, wenn !) An verschiedenen Stellen spricht Dr. H. Lehmann in irriger Auffassung aus, dass, wo meine Regel keine Entscheidung gebe, die Mathematik nichts mit den Zah- len zu machen wisse, und dass dann andere Betrachtungen einzutreten hätten, um zu einem Resultat zu gelangen. — Dass in dem Falle, wo meine Regel nicht erfüllt ist, die Mathematik ihre Stimme nicht verliere, geht aus dem Obigen sattsam hervor; sie spricht namentlich aus, dass von da ab der Schluss an Sicherheit verliere, ohne eben schon sofort unter die bürgerliche Wahrscheinlichkeit (d. h. unter den Punkt, wo die mathematische Wahrscheinlichkeit kleiner als '/, wird) herabzusinken. Unter den „an- deren Betrachtungen“ versteht Dr. H. Lehmann zumeist die Herbeiziehung sehr un- bestimmter und ungewisser Merkmale der bürgerlichen Wahrscheinlichkeit. So z. B. führt er pag. 188 eine solehe Betrachtung an, wo er eine Böcker’sche Doppel- reihe von je 8 Zahlen zu vermeintlicher Verdeutlichung einem Bilde unterlegt. Er betrachtet nämlich die Zahlen als die Ausgaben in einem kaufmännischen Geschäft in zwei verschiedenen Geschäftsweisen. Die Mitteldifferenz ist 191, die Summe der mittleren Schwankung 234 — also lässt die Mathematik das Resultat unentschieden und es wird hinzugefügt: „Bei aller Achtung vor der Mathematik würde der Kaufmann bei einem fortgesetzten Versuch zu Schaden kommen und mit den gegebenen Zahlen sich begnügen, den Versuch der neuen Geschäftsweise einzustellen.“ — Wenn das Bild hinlänglich passen soll, so müssen jene 8 Zahlen die Ausgaben von irgend her- ausgegriffenen 8 einzelnen Tagen vorstellen, (wir wollen selbst zugestehen — von 8 herausgegriffenen einzemen Wurken!), und ich würde daher den Kaufmann für ziem- I re halten, wenn er auf 8 solche Zıhlen hin, bei denen man gar nicht beurtheilen kann, wieviel von zufälligen Conjuncturen abgehangen habe, die neue Ge- schäftsweise Be; daran geben wollte. — Die „andere Betrachtung“ besteht hier bloss in einem 0 en Anschauen der Zahlen. 313 sie keine bejahende Antwort auf die Frage nach der Wirksamkeit des Agens erlaubt, sondern nur: dass dann die Wirksamkeit als keine hinreichend feststehende angesehen werden solle. Einen gewissen Grad von Wahrscheinlichkeit kann hierbei die Wirksamkeit immer noch haben, und man wird gut thun, in solchem Falle das Resultat unter der Rubrik „wahrscheinlich, aber noch nicht genügend gesichert“ aufzubewahren, um sich möglicher Weise durch gleichlautende Resul- tate bei später wiederholten Versuchen die Vervollständigung der Sicherheit offen zu halten. Um dem schon früher hervorgetretenen Missverständnisse zu be- gegnen, als ob die Beobachtungen, wenn sie der Bedingung meiner Regel nicht genügen, die Frage, um derentwillen sie angestellt sind, stets vollständig unentschieden liessen, d. h. ebensostark für wie ge- gen den Einfluss des Agens sprächen — habe ich vor einiger Zeit an H. Dr. Böcker eine Notiz geschickt, welche derselbe in seinem Aufsatze „über die Einwirkung des Fettes auf die Ausscheidungen “ in Oesterlen’s Zeitschrift für Hygieine, medieinische Statistik und Sanitätspolizei, Tübingen 1859, Bd. I, Heft 1, S. 92 bis 95, mit auf- genommen hat. In dieser Notiz habe ich empfohlen, in den Fällen in welchen der Mittelunterschied zwar kleiner als die Summe der mittleren Schwankungen, aber grösser als die Hälfte derselben ist, das aus den Mittelzahlen gezogene Resultat als ein „bedingt brauch- ares‘“ aufzunehmen, und zwar seinen Gebrauch zu suspendiren, bis ndere auf dasselbe Agens bezügliche Versuche übereinstimmende ultate von wenigstens gleichfalls bedingter Brauchbarkeit die Be- ktätigung gegeben haben. Die hier angegebene Grenze der bedingten Brauchbarkeit kommt er Lehmann'schen Grenze der (vollen) Brauchbarkeit — nämlich ss der Mittelunterschied die mittlere Schwankung der einen Reihe bertreffe — numerisch um so näher, je gleicher die beiden Reihen en Schwankungsverhältnissen nach einander stehen; sie ist dersel- nen aber entschieden vorzuziehen, weil sie dem Verhalten nicht bloss einen, sondern beider Beobachtungsreihen Rechnung trägt. Oben hob ich das willkürliche Element in meiner Entscheidungs- ] für die Brauchbarkeitsgrenze hervor, Soll ich für diejenigen, MOLESCHOTT, Untersuchungen. VI, PT 34 welehe meine Abhandlung im Roser'schen Archiv nicht durchgelesen haben, auch das nicht willkürliche (mathematische) Element wenig- stens allgemein hin andeuten, so bemerke ich, dass die ihrem Wesen nach willkürliche Wahl jener Grenze geleitet worden ist 1) durch Betrachtungen, die auf mathmatischen Begriffen beruhen, namentlich auf den Begriffen des wahrscheinlichen und mittleren Fehlers, und 2) durch den Grundsatz, dass man die Grenze eher zu weit als zu eng stecken müsse, um den in die Wissenschaft einzuführenden Resultaten eine der Wichtigkeit der Sache entsprechende Sicherheit zu geben. Ob jene Betrachtungen, die in meinem Aufsatze über die arith- metischen Mittel ausgeführt sind, überzeugend genug sind, hat der sachverständige Leser zu beurtheilen. Jedenfalls habe ich mit jenem Aufsatze keine grössere Ansprüche gemacht, aber auch nicht weniger gehalten, als ich in dessen Ein- gange pag. 146 ausgesprochen habe, indem ich die Worte gebrauchte: „Weil ein feststehender genau und absolut gültiger Maassstab „für die Richtigkeit der aus den Beobachtungen gezogenen Resultate „unmöglich ist, so kann ich nur angeben, welchen Massstab ich für „meine Person als genügend ansehen würde, und dabei meine An- „forderungen begründen. “ XV. Antikritik, zur Würdigung der physiologischen Wirkung der Sitzbäder, auf die Entgegnung von Hrn. Dr. L. Lehmann (im VI. Bande der von Moleschott herausgegeb. Untersuchungen zur Natur- lehre des Menschen und der Thiere, gegen meine Arbeit: „über die Wirkung der Sitzbäder ete.“ in dieser Zeitschrift Bd. VI, Heft 1, S. 51 ff.), von Dr. Böcker, Kreisphysikus etc. in Bonn, Die Ungenauigkeit der Verwerthung der Zahlen, um aus ihnen, die durch das physiologische Experiment gewonnen wurden, physio- logische Schlüsse zu ziehen, hat durch den auf meinen Antrieb von Herrn Prof. Radicke geschriebenen Aufsatz: „die Bedeutung und der Werth arithmetischer Mittel@ in Wunderlich’s Archiv 1858, S. 145 ff., einen bedeutenden Stoss erlitten. Radicke hatsich ein unbestrittenes Verdienst erworben, indem er die Veranlassung gab, dass die neuere Mediein, namentlich die Physiologie und Pharmako- logie, sich von unzähligen Irrthümern zu reinigen beginnt. Leider hat aber auch der Erfolg gelehrt, dass die von Radicke entwickel- ten Regeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung nicht von allen For- schern auf beiden Gebieten richtig verstanden worden sind. In mei- ner Arbeit „über die Wirkung der Sitzbäder, der Brause und der nassen Einwickelung auf den Ausscheidungsprocess # (s. d. Zeitschr. Bd. VL, Heft 1, S. 51 fi.) habe ich die Radicke’schen Regeln strenge befolgt und auch die frühern Versuche von Dr. Lehmann in Oeynhausen mit demselben Maassstabe gemessen, den ich an meine eignen legte. Ich gelangte zu andern Schlüssen als Lehmann, der 21* 316 in seiner Entgegnung die seinigen aufrecht zu erhalten suchte. Ich werde untersuchen, mit welchem Rechte. Die hauptsächlichsten Ausstellungen des Dr. Lehmann gegen meine Schrift sind folgende: I. Lehmann sagt, ich hätte mit Unrecht getadelt, dass seine Versuche an zu weit von einander gelegenen Tagen angestellt seien; es sei dies vielmehr zu loben, weil wegen der mit den Versuchen verbundenen Inanition krankhafte Störungen zu befürchten gewesen seien, wenn die Versuche hintereinander angestellt worden wären, und weil weit getrennte Tage eine bessere Compensation der unregel- mässigen Störungen versprächen, als nahe aneinander liegende, wenn nur der Körperzustand selber sich nicht während der Zeit ändere. Dies sei aber bei ihm nicht der Fall gewesen, .da er sich keiner Aen- derung bewusst geworden, und da die Vergleichung seiner Ausschei- dungen, die er in den Jahren 1853 und 1856 beobachtet, eine grosse Uebereinstimmung nachwiese, Dass bei beobachteter strenger Inanition Versuche an mehreren, unmittelbar auf einander folgenden Tagen ihr Bedenkliches haben, will ich gern zugeben, auch habe ich nicht getadelt, dass die Ver- suche nicht an unmittelbar aufeinander folgenden, sondern dass sie an zu weit von einander liegenden Tagen angestellt worden seien. Dagegen muss ich in Abrede stellen, dass die Compensation der un- vermeidlichen Störungen vollkommner sei bei weit von einander ge- trennten, als bei unmittelbar auf einander. folgenden Tagen, selbst wenn man den Körperzustand als ungeändert voraussetzt. Die von Hrn. Dr. Lehmann angeführte Vergleichung mit den 20 numerirten Kugeln passt in mehrfacher Beziehung nicht, und brauche ich mich wohl nicht damit abzumühen, das Ungehörige dieses Vergleichs hier näher zu zeigen. Bei Combination von Beobachtungen an aufeinan- der folgenden Tagen gleichen sich die Störungen von kurzer Periode aus; bei Combination von Beobachtungen an getrennten kann es nur auf Ausgleichung von Störungen mit langer Periode abgesehen sein. Im ersten Falle ist die Ausgleichung der Störungen kurzer Perioden eine, so weit es möglich ist, vollständige, weil die vollen Perioden in’die Rechnung eingehen; im zweiten Falle dagegen ist die Aus- 317 gleichung kaum anders als unvollständig, wo nicht überhaupt fraglich, weil nicht die vollen Perivden in Wirksamkeit treten, sondern nur einzelne Beobachtungen aus den Maximaltheilen der Perioden mil einzelnen aus den Minimaltheilen vereinigt werden, weil ferner 2 in grossen Zeiträumen auf einander folgende Beobachtungen nicht der- selben Periode angehören werden, sondern mer weiss wie viel Perio- den zwischen sich liegen haben, und weil bei geringer Zahl der Beobachtungen nicht abzusehen ist, warum nicht z. B. weit mehr von ühmen in Maximaltheilen als in Minimaltheilen liegen. Dazu kommt endlich, dass sich die behauptete Unveränderlichkeit der Körperbe- schaffenheit sehr bezweifeln lässt, und namentlich die verschiedene Temperaturbeschaffenheit der Luft, in welcher die Versuche angestellt worden, wesentliche Unterschiede in den Ausscheidungen bedingen müssen. Wenn man bedenkt, wie in nahe auf einander folgenden Tagen die Urinausscheidungen auch bei möglichst gleichem Verhalten oft so ungleich sind, so kann man nicht umhin anzunehmen, dass auch ganz unmerkliche Aenderungen in der physischen Körperbe- schaffenheit schr merkliche Differenzen hervorbringen, und doch will Hr. Dr. Lehmann behaupten, dass bei ihm daher rührende merk- liehe Differenzen selbst in sehr grossen Zeiträumen unwahrscheinlich seien, weil er sich keiner Aenderungen im Körperbefinden bewusst geworden! Meine Versuche über die Wirkung. der Phosphorsäure z.B. weisen nach, dass bei gänzlich fehlender Aenderung meines Kör- perbefindens die Ausscheidungen im Urin wesentlich verändert waren. Die Zahlen endlich, die Hr. Dr. Lehmann anführt, sprechen eher für das Gegentheil. Diese Zahlen beziehen sich auf die Urinquanta bei vollständiger Inanition, und sind auf eine Stunde redueirt, folgende: im Jahre 1853 33, 46, 38, 61, 32,47, 48, 57, 39, im Jahre 1855: 28, „m. 1856: 33, 27,23, 54, 34, 24,34, 42, 28,,32,.37, 27,.34, Diese Zahlen sprechen, wie man sieht, weit eher für eine. Abnahme vom Jahre 1853 zum Jahre 1855 und 1856 als für ein Gleichbleiben. Il, In meiner Schrift findet sich folgende Resultatsangabe.: „und es erweisen sich, wenn man das Verhalten ‚des Körpergewichts aus- schliesst, die Lehmann ’schen Versuche ebenso unentschieden, wie die von Lampe und mir. Dies legt Hr. Dr, Lehmann. so. aus, 318 als hätte ich gesagt, die Versuche von ihm, (welche in 2 Reihen von je 8 Beobachtungen bestehen), seien nicht mehr werth als die von Lampe (welche aus 2 Reihen von 4 Beobachtungen bestehen)! Ein- mal seien aber 8 Versuche jedenfalls besser als 4, und zweitens näher- ten sich bei ihm die successiven Mittel entschiedener einer festen Grenze als bei Lampe. — Ich habe aber in jenen Worten keines- weges die Beweiskraft der Lehmann’schen und Lamp e’schen Versuche vergleichen wollen, sondern nur behauptet, dass weder die einen, noch die andern einen sicher stehenden Schluss auf eine Ab- änderung in den Ausscheidungen erlaubten. Uebrigens beweisen auch die angeführten successiven Mittel durchaus nicht, was Hr. Dr. Leh- mann damit beweisen will. Er sagt nämlich: in seiner Normalreihe seien die successiven Mittel 238, 234, 266, 252, 257, 262, 272, oder von der letzten Beobachtung zur ersten fortschreitend: 316, 238, 227, 254, 250, 253, 247, und es wichen daher jedesmal die 5 letzten Mittel nur in den 2 letzten Ziffern von einander ab, während die successi- ven Mittel bei Lampe 1344, 1470, 1374 in den 3 letzten Ziffern von einander abwichen. Wer in der Welt vergleicht aber die Ge- nauigkeit von sehr ungleichen Zahlen nach der Anzahl der unsichern Endziffern! Man beurtheilt die Genauigkeit vielmehr nach der An- zahl der sichern Anfangsziffern, oder — wenn man genauer ver- fahren will, nach dem Verhältniss des geltenden Werths der sichern Ziffern zu den vollständigen Zahlen. Nehmen wir nun die beiden ersten der fünf bezeichneten Mittel aus den ersten Reihen, und ver- gleichen sie mit den beiden ersten der Lampe’schen Reihe, weil selbige die stärkste Ungleichheit aufweisen, so haben wir respective 252:266 = 1344: 1419 und 227:254 = 1344: 1504. Hätte die Ge- nauigkeit gleich sein sollen, so hätte das 4. Proportionsglied 1470 sein müssen, allein die erste Proportion giebt eine etwas zu geringe, die zweite eine etwas zu grosse Zahl, also findet kein nennenswerther Unterschied in der Genauigkeit statt, und dabei ist zu bedenken, dass der praeter propter übereinstimmende Grad der Genauigkeit bei Lampe schon im Verhältniss des ersten und zweiten Mittels, bei Lehmann erst im Verhältniss des dritten und vierten Mittels stattfindet. Wäre aber auch die Vergleichung anders ausgefallen: es kommt hier nichts 319 darauf an, weil nicht die Güte der Beobachtungen hat verglichen werden sollen, sondern nur die aus ihnen abzuleitenden Schlüsse auf feststehende, oder auf zweifelhafte Wirkung; es hat nur, wie be- merkt, constatirt werden sollen, dass weder die eine, noch die andere Reihe einen sichern Schluss zulässt. IH. Lehmann führt öfter tadelnd an, dass wenn ich nach Anleitung von Radicke’s Regel leugne, dass etwelche Beobachtun- gen ein entschiedenes Resultat lieferten, die Versuche nutzlos gewe- sen wären, weil man nach ihrer Anstellung eben so klug sei, wie vorher. Dies ist aber nicht der Fall. Man erfährt aus den Versuchen positiv, dass die etwaige Wirkung des geprüften Mittels nicht sehr bedeutend die Wirkung der unvermeidlichen Störungsursächen über- treffe. Es findet dann von 2 Fällen einer statt. "Entweder weicht der Mittelunterschied nicht allzu erheblich von der mittlern Schwan- kungssumme ab, oder die Abweichung ist bedeutend. Im ersteren Falle fordern die Versuche zu ihrer Wiederholung auf, um die Frage direkt zu entscheiden oder durch Versuche von ähnlich geringer Sicherheit des Resultats das halbsichere erste Resultat zu bestätigen oder zu schwächen. Im zweiten Falle erfährt man, dass neue Ver- suche wenig Aussicht auf Entscheidung bieten werden, bevor man nicht so weit gekommen, besser die störenden Schwankungen ver- meiden zu können. Es wird also die Frage entschieden, ob es sich voraussichtlich der Mühe verlohnen würde, neue Versuche über den Gegenstand anzustellen. Lehmann scheint mit vielen Andern der Ansicht zu sein, dass aus einer oder mehreren Versuchsreihen immer ein Schluss auf Vermehrung oder Verminderung der Ausscheidun- gen durch irgend eine äussere Bedingung, gezogen werden müsse, um klüger zu sein, als zwor. Es hat freilich immer etwas Verdriess- liches, wenn man sich endlose Mühe gegeben, und gefunden hat, dass man zu keinem festen Resultate kommt; allein der gewissenhafte For- scher darf sich dadurch nicht verleiten lassen, das unsichere Resultat als ein sicheres anzuschen. IV. Dr. L. Lehmann führt aus meiner Schrift an, dass ich in Bezug auf die Lampe’schen Versuche zuerst schlösse: „dass sie keine Sicherheit gewähren, dass die Sitzbäder auf das Körpergewicht 320 eingewirkt haben“, und „dass die Menge des Harns, Harnstoffs ete. nicht in entscheidender Weise verändert worden sei“, dass ich aber nachher erklärte, dass bei H., Lampe und mir eine die genannten Ausscheidungen verändernde Wirkung der Sitzbäder sich weder in den ersten 3, noch auch in den ersten 6 Stunden nach dem Sitzbade bemerklich macht!“ Dem letzten Ausspruch legt Hr. Dr. Lehmann den Sinn unter, dass ich in Bezug auf die gedachten Ausscheidungen die Sitzbäder als indifferent, als weder vermehrend noch vermindernd erkläre. Darin liege ein Widerspruch mit den ersten Behauptungen, und, sich dann dafür entscheidend, dass der letzte Ausspruch meine wahre Mei- nung sei, kämpft Hr.Dr. Lehmann gegen meinen Schluss an, Wel- cher Unbefangene wird aber meinen dritten Ausspruch auf die eben angegebene Weise auslegen? Wird Jemand mir zutrauen, dass ich vergessen haben sollte, was ich eine Seite vorher niedergeschrieben hatte? Wenn ich nach den vorangegangenen Aeusserungen sage, dass sich eine Wirkung nicht bemerklich gemacht habe, so kann das nur heissen, dass die etwaige Wirkung nicht so stark gewesen sei, dass sie sich vor den Wirkungen anderer Einflüsse bemerklich ge- macht habe, oder mit andern Worten, dass sie die Wirkungen der andern unvermeidlichen Einflüsse in bemerkbarer Weise nicht über- mogen habe. V. Hr. Dr. Lehmann sagt: die (Lampe’sche und) Böcker'- sche Reihe entbehre jeglicher Bedingung für eine mathematische Ver- werthung; denn Radicke erkläre in seiner Schrift, dass man in Anbetracht der durchgchends sehr beträchtlichen Schwankungen Alles unbesehen verwerfen müsse, was auf Beobachtungen von nicht mehr als 3 oder 4 Tagen beruhe. Selbst 5 bis 10tägige Gruppen würde er meist bei Seite legen, wenn die Differenzen zwischen den einzelnen Zahlen 10 Procent des Mittels überträfen. Man beachte zunächst, dassRadieke bei den Reihen von 3 oder 4 Beobachtungen von einem „müssen“ spricht, während er bei den Reihen von 5 bis 10 Beobachtungen das beschränkende Wort „meist“ und die mildernde Form „ich würde“ gebraucht, was hinlänglich be- weist, dass er viel weniger streng darauf sehen würde, dass die 321 Beobachter die letzte, als dass sie die erste Bedingung genau ein- hielten. — Dr. L. Lehmann würde Recht haben, wenn ich z. B. die Lampe’schen Versuche isolirt hingestellt hätte. Das Mangel- hafte, welches in der geringen Zahl von Beobachtungen liegt, habe ich auch in meiner Schrift sattsam anerkannt; aber ich habe die Ver- suche nur als Hülfs- und Bestätigungs-Versuche für andere Beobach- tungsreihen (ganz im Radicke’schen Sinne) benutzt. Auch wird der Schluss, dass diese Versuche keine Berechtigung geben, einen Ein- fluss auf den Stoffwechsel anzunehmen, selbst von Kritikern, die noch strengere Anforderungen als Radieke machen, keine Anfechtung “erfahren. Anders wäre es, wenn die auf die unvollständigeren Reihen angewendete mathematische Regel ein positives (bejahendes) Resultat geliefert hätte. Alsdann würde ich aber auch nieht unterlassen haben, die erforderlichen Restriktionen zuzufügen. Ueberdies äusserte Radieke später, dass er bei den angeführ- ten Ansprüchen nur isolirte Beobachtungsreihen im Auge gehabt habe, In einer Notiz, die ich in meinem Aufsatze „über die Wirkung des Fettes auf den Ausscheidungsprocess“ in Oesterlen's Zeitschrift für Hygieine ete., Heft 1, habe abdrucken lassen, fügt derselbe bezüglich des Falles, wo mehrere Versuchsreihen, welche zur Lösung derselben Frage angestellt worden sind, vorliegen, eine Ergänzung hinzu. Er erklärt dort nämlich, dass er in diesem Falle auch einen Schluss auf positive Wirkung für zulässig halte, wenn die Versuchsreihen ent- weder aus einer geringern Zahl von Beobachtungen beständen, oder die Bedingung für die Grösse der Mitteldifferenz nicht erfüllten, wo- fern nur diese nicht geringer, als die halbe Summe der mittleren Schwankungen ausfalle, vorausgesetzt, dass alle Versuchsreihen ein gleichmässiges Resultat geben. Bei sehr zahlreichen coneurrirenden Versuchsreihen wird sich auch wohl die zuletzt angegebene Grenze für die Mitteldifferenz noch weiter zurückdrücken lassen. VL Dr L. Lehmann ist der irrigen Ansicht, dass, wo die Radicke’sche Forderung über die Grösse der Mitteldifferenz nicht erfüllt sei, die Bedingungen für die Anwendung der Mathematik fehl- ten, und dass dann andere Betrachtungsweisen der Zahlenreihen an die Stelle treten müssten! — — Wenn aber jene Forderung nicht erfüllt 322 wird, so hört die Anwendbarkeit der Mathematik nicht auf, sondern der Mathematiker sagt alsdann: dass die zu erforschende Wirkung mehr oder weniger zweifelhaft se. Wo aber die Natur der Reihen die fragliche Wirkung zweifelhaft lässt, kann man aus ihnen den Zweifel nicht wieder wegdisputiren. Das dabei angewendete Ver- fahren kann dann nur in der Befolgung von Regeln bestehen, die milder sind, als die von mir nach Radicke’s Angabe benutzte, und daher auch viel weniger sichere Resultate liefern als diese. Jener Irrthum ist denn nun auch die Ursache, dass Dr. L. Lehmann, nach- dem er mir vorgeworfen, ich habe dadurch gegen die mathematischen Anforderungen gesündigt, dass ich die 4zahligen Lampe’schen Be- obachtungen überhaupt berücksichtigt habe, — nachweisen will, es bestätigten die Lampe’schen Versuche vollkommen alle Resultate, die er aus seinen Beobachtungen gezogen habe. Weil uns bei der Verwerthung dieser Beobachtungen (wie er ver- meint) die Mathematik im Stiche lasse, so wendet er folgende Ent- scheidungsmethode an: Er ordnet die beiden zu vergleichenden Reihen nach der Grösse der Zahlen an, und findet, dass zumeist die Zahlen der einen Reihe die correspondirenden Zahlen der andern übertreffen, und schliesst dann auf eine Vermehrung zu Gunsten der zweiten Reihe. Dr.L. Lehmann denke sich aber einmal z. B. eine erste Reihe dreizifferiger Zahlen, von denen die letzte die erste dedeutend über- trifft; ferner die zweite Reihe aus Zahlen bestehend, welche die cor- respondirenden der ersten Reihe je um eine Einheit übertrifft. Wird er daraus auf eine durch das fragliche Agens hervorgebrachte Ver- änderung (Vermehrung oder Verminderung) schliessen ? Gewiss nicht. Er wird es auch nicht thun, wenn die eorrespondirenden Zahlen der 2. Reihe um 2, 3 oder 4 Einheiten grösser sind. Wo ist nun die Grenze, d. h. bei welcher Erhöhung darf man anfangen eine Verän- derung durch das Agens als unbedenklich anzunehmen ? — Es gehört also noch eine besondere Regel dazu, aus jener Betrachtung eine Ent- scheidung herbeizuführen, und soll die Entscheidung eine hinreichende sein, so wird gewiss die Regel in ihrem Endergebniss von der von Radicke angegebenen und von mir überall streng befolgten, nicht 323 sehr entfernt liegen. Grösseres Minimum, grösseres Maximum und grösseres Mittel können aber, wie man sieht, für sich allein ein Ent- scheidungsgrund nicht sein. Je näher indess Maximum und Minimum einander liegen, (also, je kleiner die Schwankungen sind) und je mehr die Zahlen der einen Reihe die der andern übertreffen, (d. h. je grösser die Mitteldifferenzen sind), desto eher wird die Bedingung der Ra- dicke’chen Regel erfüllt sein, und desto eher darf man ein sicheres positives Resultat erwarten. Sehr günstig für eine Vermehrung der Urinmenge fällt aus diesen Gründen die Lehmann’sche Betrach- tung der Lampe’schen Beobachtungen da aus, wo nur auf die ersten 2 Morgenstunden gesehen wird. Allein, was wird dadurch höchstens bewiesen oder wahrscheinlich gemacht? Offenbar nicht, dass das Sitzbad die Ausscheidung vermehre, sondern wahrscheinlich nur eine vollständigere Entleerung des in der Blase sehon befindlichen , aus- geschiedenen Uvins bewirkt; denn bei Hinzunahme der spätern Ent- leerungen fangen die Ungleichheiten wieder an sich zu verwischen. Ich habe bei mir selbst und bei Anderen oft beobachtet, dass wenn unmittelbar nach einer, dem Gefühle nach, vo/lständigen Urinentleerung ein Sitzbad genommen wurde, gleich nach dem Einsitzen ins kalte Wasser Drang zur Urinentleerung erfolgte, wobei oft über 100 0. ©. Urin entleert wurden. Ich kann mir nicht denken, dass ein Sitzbad von 2 Minuten etwa, die Nieren zu solch grosser Thätigkeit anrege, glaube vielmehr, dass es uns in der Regel nicht gelingt die Harn- blase vollständig zu entleeren, was eher und vollkommner durch den Reiz des kalten Wassers geschehen möchte. Meines Wissens liegen jedoch noch keine Versuche vor, auf Grund derer man sich für die eine oder die andere Ansicht entscheiden dürfte, und ich bin in die- sem Augenblicke mit Versuchen beschäftigt, welche vielleicht nähere Aufschlüsse geben könnten. Webrigens erfolgte, wie Dr. L. Lehmann selbst bemerkte, bei seinen Versuchen eine Entleerung sofort nach dem Bade, VII. Dr. L. Lehmann wirft mir ferner einen Verstoss gegen die Radieke’schen Vorschriften bei der Verwerthung meiner eignen Versuche über den Einfluss des Sitzbades auf die Urinmenge vor, Zu jenen Vorschriften gehöre, dass man Beobachtungsreihen als mit 324 zu auffallenden Störungen behaftet verwerfen müsse, wenn eine der beiden Reihen successiver Mittel, die man erhält, wenn von der ersten Beobachtung zur letzten, und von der letzten zur ersten fortschreitet, in der letzten Hälfte grössere Schwankungen zeigt, als in der ersten. Dass ich nun gegen diese Vorschrift gefehlt habe, wollte Dr. L. Leh- mann durch die Ausrechnung dieser Mittelreihen vor Augen füh- ren, — und was sieht man aus den gefundenen Zahlen ? Nicht, was man meinen sollte, dass die letzten, sondern dass die ersten Hälften viel grössere Schwankungen ergeben, — also, dass der Vorschrift von mir vollkommen genügt ist, und dass Dr. L. Lehmann sich über- eilt und das Versehen gemacht hat, die richlig angegebene Regel bei der Anwendung umzukehren !! VIII. Dr. L. Lehmann findet den Vergleich seiner Versuche mit den meinigen deshalb unzulässig, weil ich nicht bei strenger Abstinenz und ohne Bewegung, wie er, meine Versuche angestellt habe. Wenn ich die S. 185 von Lehmann's „Entgegnung“ ange führten 5 Bedingungen constant und gleichmässig einwirken liess, Lehmann aber sich einer beständigen strengen Abstinenz unterzog, so darf, meines Erachtens, die Vermuthung Raum haben, dass in der einen Reihe, die Zusatzbedingung, das Sitzbad nämlich, auch ihre Wirkung werde geltend gemacht haben, in gleicher Weise, wie bei Lehmann’s Inanitionsversuchen. Die Inanition wirkt auf die Aus- scheidungen keinesweges immer gleichmässig, und wenn durch meine 5 Zusatzbedingungen der normale Gang meines Lebensprocesses er- halten wurde, so war meines Erachtens eine reinere Wirkung der Sitzbäder zu erwarten gewesen, als bei Inanition, von deren längerer Fortsetzung und häufigerer sich folgenden Wiederholungen Lehmann selbst unberechenbare Störungen fürchtete. Eine Variation der Be- dingungen, unter welchen man experimentirt, lässt einen vermutheten oder behaupteten Erfolg um so besser erkennen, vorausgesetzt, dass jene, wie es bei meinen Versuchen der Fall war, immer dieselben sind. Dass ich die beiden Versuche, in welchen ich mir stärkere Bewegungen nach dem Sitzbade machte, nicht ausgeschieden habe, beruht darauf, dass wir, nach den bisherigen, wenn zwar nicht ent- scheidenden Versuchen, Ursache haben eine die Ausscheidungen ver- 325 mehrende Wirkung der stärkern Körperbewegung anzunehmen. Die Nichtausscheidung der beiden Versuche geschah also nur zu Gunsten der Lehmann’schen Annahme, die ich trotzdem nicht billigen kann, Hätte ich die grössere Körperbewegung in der Versuchsreihe ohne Sitzbad machen müssen, so würde ich die beiden Versuche sicher ausgeschieden haben. Es kommt bei der Versuchsanstellung Alles auf die Frage an, die man sich stellt. Die von mir zu entscheidende Frage war nicht die: „wirkt das Sitzbad bei Inanition vermehrend auf die Ausscheidungen“, sondern: „wirkt es auf die Ausscheidungen (resp. in den ersten 3 Stunden) oder nicht?“ Aber auch abgesehen hiervon, so halten in Betreff der Harnausscheidungen die Lehmann'- schen Schlüsse eine strenge, mathematische Prüfung nicht aus. Leh- mann hat die Regeln derselben nicht richtig aufgefasst, wie sein Bei- spiel von der kaufmännischen Geschäftsführung S. 187 ete. sattsam be- weist. Kein Mensch wird behaupten, dass Lehmann in seinen Ver- suchen mit Sitzbad nicht mehr Urin ete. ausgeschieden habe, als ohne dasselbe; allein, er bleibt den Beweis schuldig, dass diese Mehrausgabe dem Sitzbade zugeschrieben werden müsse. Solche, von Lehmann an- geführte, scheinbar praktische Vergleiche bestechen zwar den Praktiker mit eingeschränkten Gesichtskreise, aber nicht den, mathematische Ge- wissheit oder möglichst Aohe, jedenfalls aber wissenschaftlich begründete Wahrscheinlichkeit fordernden Forscher. Beansprucht Hr. Lehmann diese nicht, so hat er es einfach zu erklären, und da ich sie verlange, so würden wir wissen, dass wir uns nimmermehr verständigen werden. Alle Entgegnungen sind dann freilich überflüssig. Ist Lehmann im Stande, andere, als die von Radicke entwickelten Gesetze der Wahrscheinlichkeit aufzustellen und zu beweisen, so hat er meine Schlüsse widerlegt. Andere, von mir befragte, berühmte Mathema- tiker haben mir die Versicherung gegeben, dass die von Radicke aufgestellten Regeln unumstösslich seien, und ich begnüge mich da- mit, sie zu befolgen, bis sie widerlegt sind. IX, Hr. Lehmann sucht die Vermehrung der Urinmenge durch die beim Sitzbade gefundene, von mir nicht bestrittenen grös- seren Körpergewichtsverluste zu beweisen (S. 198). Hätte er den immer gleichen Einfluss der Inanition auf seine Körperausgaben, die 326 immer gleiche Menge der gasigen Ausscheidungen und der Defäka- tion, die immer gleiche Einfuhr des Sauerstoffs bewiesen, so möchte sein Schluss eine gewisse Unterlage gewinnen, allein jene Anforderun- gen sind von ihm bis jetzt nicht erfüllt, noch auch nach dem gegen- wärtigen Stande der Wissenschaft und des Könnens zu erfüllen. Ge- rade weil der Einfluss so vieler störenden, äussern und innern Be- dingungen, welche das Resultat beeinflussen, noch so schlecht und unvollständig, gekannt ist, darf man den Schlüssen durch Ausschlies- sung nur ein beschränktes Feld einräumen, und muss sich der mathe- matischen Regeln der Wahrscheinlichkeitsrechnung um so sorgfältiger bedienen. Seine Ansicht, dass in seinen Inanitionsversuchen das Sitz- bad die Urinmenge vermehrt habe, kamn recht sein; allein er hat seine Schlüsse weder beniiesen, noch auch hinreichend wahrscheinlich gemacht. Ueberdies glaube ich annehmen zu dürfen, dass er jetzt selber nicht mehr glaube, dass das Sitzbad die von ihm untersuchten ein- zelnen Harnbestandtheile (Harnstoff’ete.) vermehre, denn sonst würde er wohl in seiner „Entgegnung“ die von ihm früher aufgestellten Schlüsse zu befestigen gesucht haben. — Nachdem Herr Professor Radieke in der vorstehenden Notiz in der populärsten und verständlichsten Weise die Missverständnisse, welche aus seiner frühern Arbeit hervorgegangen waren, zu beseitigen gesucht hat, nachdem ich die Einwürfe, welche Hr. Dr. Lehmann gegen meine Schlüsse gemacht hat, so kurz und bündig wie möglich beseitigt, und Missverständnisse aufzuklären mich bemüht habe, hofte ich, dass aus dem Streite zwischen meinem verehrten Freunde Leh- mann und mir nicht allein wir Beide Gewinn ziehen, sondern auch viele Andere reiche Ausbeute gewinnen werden, um Irrthümern in der Wissenschaft vorzubeugen, und, wo sie sich eingenistet haben, oder sich festzusetzen drohen, sie zu beseitigen. — XIX. Neue Untersuchungen über die Entwicklung, das Wachsthum die Neubildung und den feineren Bau der Muskelfasern. Angestellt von Dr. Theodor Margo, Docenten der Histologie und suppl. Prof. an der k. k. Universität in Pesth 1). I. Ueber die Entwickelung der Muskelfasern. Lebert ?) beschreibt eigenthümliche eylindrische, parallelran- dige unregelmässige, mit abgerundeten Spitzen versehene Körperchen (eorps myog@niques), aus welchen nach seiner Annahme die quer- gestreiften Muskelfasern durch einfache Verlängerung derselben her- vorgehen sollen. Doch giebt derselbe keine Auskunft über das erste Entstehen dieser Körperchen, noch scheint derselbe in so früher Pe- riode irgend eine Spur von Querstreifen an ihnen beobachtet zu haben. Remak °) stimmt in seiner Ansicht über die Entwickelungs- weise der Muskelfasern mit Lebert ziemlich überein. Seinen Un- tersuchungen zufolge sollen diese nicht durch Verschmelzung, son- ’) Aus dem XXXVI. Bande der Sitzungsberichte der mathem.-naturw. Klasse der kaiserl. Akademie der Wissenschaften, vom Herrn Verfasser mitgetheilt. ?) Recherches sur la formation des muscles dans les animaux vert£brös ete. Annales des sc. nat. Tome XI. 1849. ’) Ueber die Entwicklung der Muskelprimitivbündel, in Froriep’s „Neuen Notizen“ , 1845, Nr. 768, 328 dern durch Verlängerung von Dotterzellen, in welchen sich die Zahl der Kerne vermehrt, entstehen. Doch gesteht derselbe, er habe durch direete Beobachtung nicht ermitteln können, ob die mit 2—4 Kernen versehenen Dotterzellen der Verschmelzung von einkernigen Zellen, oder der Verlängerung der letzteren mit Vervielfältigung ihrer Kerne das Dasein verdanken. Auch hat derselbe über das Verhalten des Sareolemma zur eontractilen Substanz keine directen Beobachtun- gen gemacht. In neuester Zeit fand sich endlich auch Kölliker bewogen, nachdem er diesen Gegenstand an Krötenlarven, Jungen von Rana temporaria, so wie bei einem zweimonatlichen menschlichen Embryo studirt hatte, sich Lebert und namentlich Remak in Allem anzu- schliessen. Kölliker ') sagt, er habe nichts gefunden, was für eine Verschmelzung embryonaler Fasern oder Zellen sprechen würde. Alles hingegen spreche dafür, dass die ursprünglichen Zellen durch Längen- und Dickenzunahme zu dem werden, was sie später sind, woraus er schliessen zu müssen glaubt, dass die quergestreiften Mus- kelfasern den Werth einfacher, ungemein gewucherter musculöser Faserzellen haben. Zur definitiven Entscheidung dieses Gegenstandes habe ich im Sommer und Herbst vorigen Jahres, wie auch im Laufe dieses Win- ters eine Reihe von vergleichenden Untersuchungen angestellt, und zwar nicht nur an Larven und Jungen von Fröschen und Kröten, sondern an fast allen mit quergestreiften Muskelfasern versehenen Thieren (Jungen von Perca fluviatilis), Hühnerembryonen und jun- gen Sperlingen, Embryonen von Mus decumanus, Embryonen des Schweins, des Rindes, des Kaninchens, des Pferdes und des Men- schen, Jungen von Jstacus flwwiatilis, Puppen von Salurnia piri u. A.), deren Ergebnisse der neuesten Ansicht Kölliker’s nichts weniger als günstig zu sein scheinen. Ich war so glücklich, die Bildung von Muskelelementen in ihrer frühesten Entwiekelungsperiode zu beobachten, und fand als erste Anlage derselben eigenthümliche Zellen, welche durch Theilung !) Zeitschrift f. wissenschaftl. Zoologie, IX. Bd., 8., S. 141 folg. 329 ihrer Kerne und Endogenese sich vermehren, und in denen sehr früh schon eine eigenthümliche Differenzirung des Inhalts einzutre- ten scheint, so dass dieser allmälig in zwei physikalisch, optisch und chemisch verschiedene Substanzen, die doppelt liehtbrechenden geformten Fleischkörnchen oder sarcous elements und die homogene einfach lichtbrechende Grundsubstanz zerfällt. Ich finde diese diffe- renzirte contractile Substanz anfangs an der inneren Zellenwand abgelagert, bis allmälig das Innere der Zelle dadurch ganz ausge- füllt wird. Auf diese Weise sah ich eigenthümliche quergestreifte, eylindrische oder spindelförmige Körperchen entstehen, meist mit einem oder zwei lichten Kernbläschen. Diese Körperchen, die ich „Sarcoplasten“ nenne, sind entweder einfach, oder auch mit 2—3 zackenförmigen Fortsätzen oder Ausläufern versehen. Ihre Grösse ist bei verschiedenen Thieren verschieden. Was die Entstehungsweise und die weiteren Metamorphosen der Sarcoplasten anlangt, so glaube ich durch meine Beobachtungen sowohl ihr allgemeines Vorkommen als ihre wahre Bedeutung bei den mei- sten Thieren nachgewiesen zu haben. Man hat zwar früher schon bei der Entwickelung der Muskelfasern Zellen, sogenannte Muskel- zellen beobachtet, jedoch ihre Bedeutung, so wie den ganzen Ver- lauf des Fleischbildungsprocesses, wie ich glaube, nicht richtig erfasst. Aus den Sarcoplasten sah ich nie Fibrillen entstehen, noch Röhren, noch weniger verlängern sich diese je zu einer ganzen Muskelfaser, sondern sie gehen in bestimmter Richtung und nach gewissen Ge- setzen eine eigenthümliche Metamorphose ein, wodurch sie sich von allen anderen histologischen Elementen unterscheiden. Die Sarcoplasten sind die Bildungsstätten der Fleischsubstanz, das ist: der Fleischkörnchen oder sogenannten sarcous elements und ihrer einzelnen doppelt brechenden Bestandtheile, der von Professor E. Brücke sogenannten Disdiaklasten, oder Doppelbrecher, und der contractile Inhalt des Sarcolemma geht aus der Verschmelzung der Sarcoplasten hervor. Man wird mich daher entschuldigen, wenn ich diese, ihrer wichtigen physiologischen Bedeutung wegen ‚‚Sarco- plasten“ (Fleischbildner) genannt habe. Die ersten Anlagen der Sareoplasten habe ich bereits oben als MOLESCHOTT , Untersuchungen. VI, 22 330 Zellen geschildert, die in einem homogenen Blastem neben zahl- reichen Kernen eingelagert sind. Diese Kerne und das Blastem scheinen ein Product der Embryonalzellen zu sein. Der Inhalt jener Zellen, aus welchem sich die Sareoplasten her- anbilden, erscheint anfangs ganz homogen und durchsichtig, doch unterscheidet er sich bald von dem Inhalte anderer Zellen, nament- lich von den übrigen eiweissartigen Substanzen durch eine grössere lichtbrechende Kraft, von Fettstoffen aber dadurch, dass er weniger lichtbrechend als diese und in Aether unlöslich ist. Ausser diesem der Sarcode ähnlichen Inhalte lässt sich gleich anfangs in jeder Zelle ein bläschenartiger Kern wahrnehmen, der in seinem Innern häufig 1—2 glänzende Bläschen (Vxeleoli) birgt. Die weitere Metamor- phose dieser Zellen besteht nun darin, dass sich in dem Inhalte, und zwar zunächst an der einen Wandseite oder längs der ganzen inneren Zellenwand sehr kleine, selbst mit den stärksten Vergrösserungen nur in Gestalt von Pünktchen, glänzende, stark lichtbrechende Kör- perchen ablagern. Diese scheinen anfangs längs der Zellenwand gleichmässig in dem homogenen Inhalte vertheilt, bald aber erschei- nen sie regelmässig gruppirt in Gestalt der sarcous elements, durch kleine Zwischenräume von weniger lichtbrechender Substanz von einander getrennt, wodurch an solchen Stellen deutliche Querstreifen sichtbar werden. Diese eigenthümliche Differenzirung des Inhalts schreitet allmälig gegen die Mitte oder die andere Seite der Zelle fort, bis der ganze Inhalt sich endlich in zwei, physikalisch, optisch und chemisch verschiedene Substanzen sondert, nämlich in die sar- cous elements — Fleischkörnchen oder Fleischprismen — und die homogene Grundsubstanz, in welcher die ersteren durch regelmässige Lagerung die Querstreifung bedingen. | Was die Kerne der Sarcoplasten betrifft, so scheinen diese in manchen Fällen allmälig zu schwinden, so dass dann auch an fer- tigen Muskelfasern im Innern keine Spur von Kernen zu finden ist, Bei den Batrachiern und Fischen hingegen, dann im Herzfleische und im weissen Fleisch der Hühnerbrust lassen sich auch in fertigen Muskelfasern dieselben noch deutlich erkennen. Durch Essigsäure quellen die jüngeren Sarcoplasten auf, der 331 Inhalt wird lichter, die Querstreifen anfangs deutlicher, und es erscheinen bald in einer homogenen flüssigen, zühen Masse kleine rundliche oder längliche, prismatische, eylindrische Körperchen (sar- cous elements), die gelblich, und nach Einwirkung von doppelt chromsaurem Kali grünlich gelb gefärbt sind. Später bilden sich, wahrscheinlich durch Endosmose, im Inhalte kleine, rundliche, oft mit einander verschmelzende Vacuolen, die Ränder der Sareoplasten bekommen Einkerbungen, und es bleibt endlich eine durch unregel- mässige Hohlräume zerklüftete Masse zurück, in der sich jedoch noch immer die optisch verschiedenen Substanzen theilweise erkennen lassen. Bei mehr entwickelten Sarcoplasten behalten die gelblichen stark liehtbrechenden Körnchen auch nach dem Aufquellen durch Was- ser oder Essigsäure, mehr oder weniger ihre regelmässige Lagerung; später aber scheinen sie ihre Gleichgewichtslage zu verlieren, wo- durch in der contractilen Masse wellenförmig oder spiralig gekrümmte, stark lichtbrechende Linien hervorgerufen werden. Letztere stellen in solchem Falle oft ein unregelmässiges Gewirr von wellig und spiralig verlaufenden Fäden dar, welche Erscheinung wohl darin ihre Erklärung findet, dass die in einer Richtung mehr zusammenhängen- den lichtbrechenden Fleischkörnehen durch das Aufquellen und Ein- dringen von Wasser oder Essigsäure aus ihrer ursprünglichen regel- mässigen Lage gebracht und seitlich verschoben werden. Was die Zellenmembran betrifft, so ist diese an Sarcoplasten in frühester Periode deutlich als solehe wahrzunehmen. Im weiteren Verlaufe der Metamorphose jedoch wird es äusserst schwierig, sich von der Existenz einer wirklichen Zellenhülle zu überzeugen. Bei reifen, in Verschmelzung bereits begriffenen Sarcoplasten habe ich nur durch Reagentien und Wasser hie und da einen lichteren Saum um den angequollenen Inhalt gesehen, was jedoch zur Oonstatirung einer wirklichen Zellmembran kaum genügend ist. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die Zellmembran und der contractile Inhalt allmälig in Eins sich vereinigen und innig mit einander verwachsen, Die Bildung der quergestreiften Muskelfaser anlangend, ge- schieht diese durch Verschmelzung von mehreren Sarcoplasten, nicht aber durch einfache Verlängerung eines einzigen. In dieser Hinsicht 237 332 stehen also meine Beobachtungen mit Lebert's, Remak’s und Kölliker’s Ansicht im Widerspruch. Auch kann ich nicht uner- wähnt lassen, dass die Grösse meiner bei Rana temporaria gefun- denen Sarcoplasten wenigstens viermal geringer ist, als die von Kölliker angegebene Grösse seiner bei demselben Thiere beobach- teten Bildungszellen der Muskelfasern. Ebenso stimmen meine Beobachtungen nicht überein mit der von Schwann '), Valentin ?) und früher auch von Kölliker®) angenommenen Bildungsweise. Die quergestreifte Muskelfaser geht zwar aus der Verschmelzung von Sarcoplasten hervor, aber diese Verschmelzung unterscheidet sich von der durch Schwann angege- benen darin: 1) dass nicht die homogenen Bildungszellen, sondern die be- reits metamorphosirten Zellen oder Sarcoplasten mit einander ver- schmelzen ; 2) dass diese Verschmelzung somohl in einfachen als in mehr- fachen Reihen geschehen kann, jedoch nie nach dem Schwann’- schen Typus, sondern so, dass die Sarcoplasten sich schief mit ih- ren Spüzen nach Art der muskulösen Faserzellen über einan- der legen ; ’ 3) dass die ursprünglichen Zellmembranen mit dem differen- zirten contractilen Inhalte verschmelzen und somit auch zur Bildung des Sarcolemma nichts beitragen, dieses vielmehr aus dem umgeben- den Blastem durch eine Art Verdichtung entsteht; endlich 4) dass durch die Metamorphose und Verschmelzung der Sar- coplasten nicht Fibrillen entstehen, sondern eine continuirliche quer- gestreifie Masse, zusammengesetzt aus zwei physikalisch, chemisch und optisch verschiedenen Substanzen, der einfach lichtbrechenden Grundsubstanz und den darin eingebetteten Fleischkörnchen oder sarcous elements. !) Mikroskopische Untersuchungen über die Uebereinstimmung ete., 1839, S. 156 folg. 2) Entwicklungsgeschichte, S. 166. — Müller’s Archiv, 1840, S. 198, 3) Annales des. sc. nat., 1846, p. 93. — Mikroskop. Anat., II. Bd., 1. Hältte, 8. 252 folg. | 333 Reichert !) und v. Holst ?) lassen jede Fibrille aus je einer Zelle hervorgehen, welche sich allmälig verlängern soll, und meh- rere solehe zu Fibrillen verlängerte Zellen sollen ihrer Annahme zu- folge ein Muskelprimitivbündel bilden. Die Sarcoplasten zeigen aber schon vor ihrer Verschmelzung ganz deutliche Querstreifen, und aus ihrer Verschmelzung entsteht nie ein Bündel von Fibrillen, sondern eine mehr oder minder continuirliche contractile Substanz, der In- halt des Sarcolemma. Dieses selbst glaube ich nicht einfach aus Bindesubstanz zu bestehen, sondern aus einer elastischen, mit Kernen und häufig auch mit Fasern versehenen Membran, die in Gestalt eines Schlauches um die Sarcoplasten sich verdichtet. Auch die Ansicht Leydig’s °) kann mich nicht völlig befrie- digen. Seine sogenannten Primitiveylinder oder ursprünglich umge- wandelten Muskelzellen sollen nämlich nur seitlich mit ihren Rän- dern verschmelzen, und so ein Muskelprimitivbündel herstellen. Mei- nen Beobachtungen zufolge verschmelzen die bereits differenzirten quergestreiften Sarcoplasten nicht allein mit ihren seitlichen Rändern, sondern auch, indem sie sich gegenseitig mit ihren Spitzen berühren, nach Art der contractilen Faserzellen, und es bleibt nach dieser Ver- schmelzung keinerlei Zwischensubstanz zurück, wie sie Leydig in der Form eines anastomosirenden Lückensystems oder in Gestalt von Bindegewebskörperchen annehmen zu müssen glaubt. Was die ramificirien und netzförmig verwachsenen Muskel- fasern anlangt, so entstehen erstere durch Auswachsen der Fort- sätze von Sarcoplasten, letztere aber durch das Verwachsen mehrerer mit Fortsätzen versehenen Sarcoplasten mit einander. Wenn ich nun sämmtliche auf die Entstehung und Ummand- lung der Sarcoplasten sich beziehenden Thatsachen zusammenfasse, so sehen wir zunächst kleine, runde oder ovale, kernhaltige, eigen- thümliche Zellen in einem homogenen gallertigen oder feinfaserigen Blastem entstehen; diese Zellen vermehren sich durch Theilung der ') Müller’s Archiv, 1847, Jahresbericht, 8. 17. *) De structura museuli T. ete., 1846. ') Lehrbuch der Histologie ete., 1867, 8. 46 folg. 334 Kerne und Endogenese und unterscheiden sich von allen anderen Gewebseinheiten dadurch, dass ihr Inhalt sich allmälig in con- tractile Substanz umwandelt, die anfangs homogen oder fein granulirt, sareodeartig ist, bald aber sich in zweierlei Substanzen von verschie- dener optischen, chemischen und physikalischen Eigenschaft sondert, nämlich wie E. Brücke zuerst nachgewiesen hat, in die einfach lichtbrechende oder isotrope Substanz und in die anisotropen oder doppelbrechenden sarcous elements, wobei die Differenzirung stets längs der inneren Zellenwand beginnt und allmälig gegen die Mitte der Bildungszelle fortschreitet, bis der ganze Zellenraum mit der differenzirten contractilen Substanz ausgefüllt ist, und die Zell- membran innig mit dieser verwächst. Die auf solche Weise gebil- deten Sarcoplasten lagern sich seitlich neben und hinter einander und verschmelzen endlich zu einer continuirlichen Muskelsubstanz, dem Inhalte des Sarcolemma. Aus den Untersuchungen, die ich nicht nur an Amphibien, son- dern auch an Säugethieren, Menschen- und Vogelembryonen, Fischen, Crustaceen und Insekten über diesen Gegenstand angestellt hatte, lässt sich schliessen, dass die oben beschriebene Bildungsweise eine für die meisten Thierklassen allgemein gültige ist. Aus dieser Bildungsweise, die ich auf unzählige Thatsachen glaube gestützt zu haben, folgt jedoch von selbst, dass das Sarco- lemma durchaus nicht als Zellenmembran betrachtet werden darf. Folgende Beobachtungen bestätigen überdies die Wahrheit die- ser Aussage. Untersucht man die embryonalen Muskelelemente im frühesten Stadium, so bemerkt man in der Bildung begriffene Sarcoplasten in einem homogenen, mit kleinen durchsichtigen, matt eontourirten Ker- nen reichlich versehenen gallertigen Blastem eingebettet. Dieses Blastem hüllt auch die in Gruppen, sowie die neben einander lie- genden Sarcoplasten ein, und es erscheint dieses dann häufig als eine faltige mit Kernen versehene Membran, an deren innerer Fläche die Sarcoplasten anliegen. Zwischen diesen, sowie an der inneren Seite des Sarcolemma sieht man ganz feine Fasern gestreckt oder geschlängelt verlaufen. Die Sarcoplasten, als Träger der activen 335 contractilen Substanz, sind durch ihre charakteristischen Eigenschaf- ten vom Sarcolemma und den ihm zugehörigen Kernen und Fasern deutlich zu unterscheiden. Nicht selten fand ich zwischen den Faserzügen des Sehnenbün- dels vollkommen ausgebildete Sarcoplasten einzeln oder gruppen- weise liegen. Ueberdies sieht man auch die Sehnensubstanz häufig direct in das Sarcolemma übergehen, sowie man einzelne feine Fa- sern, die auf der inneren Fläche des Sarcolemma verlaufen, bis in die Sehnensubstanz verfolgen kann. Diese Thatsachen, in Vereine mit der von mir erwiesenen. Bil- dungsweise der contractilen Substanz, sind, wie ich glaube, schlagend genug, und sprechen offenbar gegen die gewöhnliche Annahme der Entstehung des Sarcolemma aus verschmolzenen Zellenmembranen, oder überhaupt aus einer Zellmembran. Es bleiben somit nur zwei Möglichkeiten für die Bildung des Sarcolemma. Entweder entsteht dasselbe durch eine Art Verdich- tung aus der homogenen oder fibrillären Bindesubstanz in Gestalt eines elastischen Häutchens, oder das Sarcolemma ist ein Ausschei- dungsprodukt der mit einander verschmelzenden Sarcoplasten. Da das Sareolemma in vielen Fällen vor der eontractilen Sub- stanz entsteht und bei embryonalen Muskelfasern, wie ich mich bei starker Vergrösserung überzeugte, ausser den bekannten Kernen auch feine Fasern führt, die häufig mit den Sarcoplasten in Verbin- dung treten, so kann auch die Entstehung desselben keineswegs dem direeten Einfluss der Sarcoplasten zugeschrieben werden. Doch liegt wohl darin kein zwingender Grund, letzteren bei der Bildung des Sarcolemma jedweden Einfluss abzusprechen. Möglich, dass sie nur mittelbar, modifieirend auf die chemische Constitution der sie ein- hüllenden Bindesubstanz einwirken. Alle meine Beobachtungen hingegen zwingen mich anzunehmen, dass bei der Consolidirung des Sarcolemma die oft in Theilung be- griffenen Kerne desselben die Hauptrolle spielen. Demnach wäre zwischen der contractilen Substanz und dem elastischen Umhüllungsgebilde — dem Sarcolemma — nicht nur ein 336 physiologischer, physikalischer und chemischer, sondern auch ein be- deutender genetischer Unterschied ‚erwiesen. Meine Untersuchungen liefern feıner eine weitere Stütze dafür, dass zwischen den quergestreiften und glatten Muskelfasern in ge- netischer Beziehung kein wesentlicher Unterschied besteht. Beide Arten von Muskelfasern entstehen aus Sarcoplasten. Die einzigen Unterschiede, die aber nicht von Belang sind, dürften fol- gende sein: 1. Dass bei der Bildung der glatten Muskelfasern die Sarco- plasten nicht so innig mit einander verschmelzen, wie bei den quer- gestreiften Muskelfasern. Es dürfen jedoch auch in dieser Bezie- hung zwischen Beiden nicht so scharfe Grenzen gezogen werden; denn ich überzeugte mich von der Thatsache, dass manche glatte Muskelfasern aus vollkommener Verschmelzung der Sarcoplasten her- vorgehen, sowie es andererseits quergestreifte Muskelfasern giebt, an deren Oberfläche die Grenzlinien zwischen den einzelnen nicht völlig mit einander verschmolzenen Sarcoplasten als dunkle einander nicht eorrespondirende Längsstreifen wahrgenommen werden. 2. Ein weiterer Unterschied wäre der geringere Grad der Differenzirung des Inhalts bei den Sarcoplasten der glatten Muskel- fasern. Doch scheint auch dieser Unterschied nicht allgemein, seit- dem bei vielen muskulösen Faserzellen durch G. Meissner !) die Gegenwart von Querstreifen constatirt wurde, und wie sich aus mei- nen Untersuchungen ergiebt, diese durch dieselbe Ursache, wie bei animalen Muskelfasern, nämlich durch regelmässige Anordnung der sarcous elements in homogener Grundsubstanz erzeugt werden. 3. Dass gewöhnlich bei glatten Muskelfasern die-Bindesubstanz sich nicht zu einem wahren Sarcolemmaschlauch consolidirt. II. Ueber das Wachsthum und die Neubildung der Muskelfasern. Was zunächst das Längenwachsthum der quergestreiften Muskel- fasern betrifft, so habe ich hierüber an den Repräsentanten der ver- !) Zeitschrift für rationelle Mediein, II, Bd,, 1858, S. 316. 337 schiedenen Thierklassen directe Beobachtungen aufzuweisen, die mich zu dem Resultate führten, dass die Muskelfaser, indem sich an ihren Enden neue Sarcoplasten bilden, und diese allmälig mit einander und mit der übrigen Muskelsubstanz verschmelzen, an Länge zuneh- men. Während sich jedoch auf solche Weise die contractile Sub- stanz an beiden Enden der Muskelfaser vermehrt, scheint sich auch das Sareolemma durch Vervielfältigung der Kerne und Verdichtung der die Sarcoplasten umgebenden nächsten Schiehte der Bindesub- stanz zu verlängern. .„ Äuf eine ganz ähnliche Weise scheint das Wachsthum der Muskelfaser nach der Breite oder Dicke stattzufinden. Es ist mir gelungen, an verschiedenen Thieren Muskelfasern zu beobachten, die zwischen dem Sarcolemma und dem contractilen Inhalt einzelne oder gruppenweise neben einander liegende Sarcoplasten enthielten. Diese befanden sich oft auf verschiedener Entwickelungsstufe und hatten nach verschiedenem Grade ihrer Entwickelung theils einen homoge- nen, theils quergestreiften Inhalt. Durch die allmälige Verschmel- zung der Sarcoplasten mit dem übrigen continuirlichen contractilen In- halt erfolgt eine Vergrösserung des Muskelfaserdurchschnittes. Nicht selten begegnet man solchen Muskelfasern, die bei gleich grossen Abständen der Querstreifen stellenweise verdickt erscheinen, was darin seine Erklärung findet, dass die neugebildeten Sarcoplasten an manchen Stellen sich in grösserer Anzahl und gruppenweise entwickeln. Was die physiologische und pathologische Zunahme der Mus- keln anbelangt, so sind die Meinungen hierüber sehr verschieden. G. Viner Ellis °) und Deiters ?) wollen diese Zunahme bloss durch die Vergrösserung der schon vorhandenen Muskelfasern erklären, und leugnen jede Neubildung von musculösen Elementen, Budge?°) hingegen beweist durch seine Zählungen der Muskelfasern an dem M. gastrocnemius von drei jungen und zwei alten Fröschen, ") Proc. of the Royal Society, 1856, Vol. VII, Nr. 22, p- 212. ”) De ineremento musculorum observationes anatomico-physiologieae Dissert, inaug. Bonnae. 1856, ’) Archiv f, physiolog. Heilkunde, 1858, II. Bd., 1. Heft, S. 72. 338 dass bei erwachsenen Fröschen derselbe Muskel eine beträchtlich grössere Anzahl von Fasern enthält, als bei jungen. Ueberdies sind bereits mehrere Fälle pathologisch neugebildeter Muskelfasern beschrieben worden, und zwar von Rokitansky') bei einer Hodengeschwulst, von Weber ?) bei Macroglossie, wie auch von Virchow ®), Billroth *) und Senftleben >). Kölliker ®) hat ferner im schwangeren Uterus des Menschen, Kilian ?) in dem der Säugethiere sowohl eine Vergrösserung der schon vorhandenen museulösen Elemente, als auch eine wahre Neu- bildung von solchen beobachtet. = Diese vereinzelten Beobachtungen finden nun in den Resultaten meiner, an zahlreichen jungen und noch im Wachsthum begriffenen Thieren verschiedener Olassen angestellten Untersuchungen eine fer- nere Stütze. Man findet nämlich bei noch wachsenden Thieren,- ausser den oben bereits geschilderten Sarcoplasten unter dem Sarco- lemma, und an den Enden der schon gebildeten Muskelfasern auch solche, die in den Zwischenräumen der schon fertigen Muskelfasern, also ausserhalb des Sarcolemma liegen, und zwar theils isolirt, theils gruppenweise beisammen und in verschiedener Entwiekelungsstufe, manche sogar im Begriff zu einer Muskelfaser zusammenzuschmelzen. Während ich bei einzelnen Thieren nur hie und da einzelne Sarco- plasten zwischen den übrigen Muskelfasern fand, wurde ich bei anderen Individuen und in gewissen Muskeln durch die grosse Menge derselben sehr freudig überrascht. In solchen Fällen gelang es mir nicht selten an einem und demselben Gegenstande sämmtliche Ent- wiekelungsstufen der sich neubildenden Muskelfasern zu beobachten. Die Frage somit bezüglich der physiologischen und pathologi- schen Zunahme der Muskeln dürfte derart zu beantworten sein, dass !) Zeitschrift d. Wiener Aerzte, 1849, S. 331. 2) Virchow’s Archiv, 1854. %) Virchow’s Archiv, 1854, S. 126. “) Virchow’s Archiv, VIII. Bd. ®) Virehow’s Archiv, XV. Bd. %) Mikrosk. Anat., II. Bd., 2. Hälfte, S. 448 folg. ’) Zeitschr. f. rat. Mediein, VII. und IX. Bd. 339 man dieselbe theils der Wolumzunahme der schon vorhandenen Mus- kelfasern, theils aber einer wirklichen Neubildung der Muskel- kelfusern zuschreiben müsse, besonders aber in solehen Fällen, wo das Wachsthum mit einer gewissen Intensität und Raschheit auftritt. Eine andere Frage ist die, ob eine fortdauernde Neubildung von Muskelelementen staftfinde, während durch die Thätigkeit der Mus- keln die alten resorbirt würden. Meine zahlreichen Beobachtungen geben mir einigermaassen die Berechtigung über diesen Gegenstand, meine Meinung dahin auszu- sprechen, dass zwar eine Neubildung von Muskelelementen während des Wachsthums der Thiere unzweifelhaft sei, dass aber deshalb eine fortwährende Neubildung an Stelle der durch Thätigkeit ver- loren gegangenen Muskelfasern doch nicht statuirt werden kann. Ich glaube vielmehr annehmen zu müssen, dass der gewöhnliche Stoff- wechsel einer schon fertigen Muskelfaser ein moleeularer sei und sich bloss auf den Ersatz der durch die Thätigkeit höchst wahrschein- lieh verloren gegangenen Muskelmolekeln beschränke, Ill. Ueber den feineren Bau der Muskelfasern. Die Resultate meiner Beobachtungen über die Genese der Mus- kelfasern sprechen entschieden gegen die Präexistenz der Muskel- fibrillen, Vhatsache ist es dagegen, dass die Fleischkörnchen oder Fleischprismen (sarcous elements) als ein Product der Differenzirung aus dem Inhalte eigenthümlicher Zellen der sogenannten Sarco- plasten entstehen. An diesen erkennt man ganz deutlich die Quer- streifen bedingt durch die regelmässige Lagerung der doppelt brechen- den Fleischkörnchen in einem sonst homogenen einfach lichtbrechen- den Inhalte. Von Fasern oder Fibrillen, sowohl geraden und vari- eösen, als spiralig gewundenen, ist innerhalb der Sarcoplasten keine Spur vorhanden. Die Resultate dieser Beobachtungen stimmen sowohl mit E. Brücke’s !) Theorie, als mit Dubois-Reymond’s bekannten ') Untersuchungen fiber den Bau der Muskelfasern ete, im XV. Bd. der Denk- schriften der mathem.-naturw, Olarse der kaiserl. Akadernie der Wissenschaften, 340 Gesetzen vollkommen überem, wie sich denn auch alle meine übri- gen Beobachtungen über die Structur der Muskelfasern, sowohl der quergestreiften als der glatten, zur Annahme dieser Ansicht vereinen. Die Grösse und die Gestalt der sarcous elements ist nicht nur bei verschiedenen Thieren, sondern auch bei einem und demselben Muskel eines Thieres verschieden ; ja es können dieselben mitunter innerhalb einer Muskelfaser differiren, Die Gestalt ist meist eine kugelrunde, ellipsoidische oder eylindrisch-prismatische. Aus der Verschiedenheit der Form und Grösse der sarcous elements folgt jedoch von selbst, dass dieselben, wie E. Brücke ganz richtig an- nimmt, nicht selbst feste oder bläschenartige Körperchen von con- stanter Grösse und Gestalt sein können, wie dies Munk ') in neue- ster Zeit behauptet, sondern dass sie nur durch Gruppirung sehr kleiner, fester, doppelt brechender Körperchen, der sogenannten Disdiaklasten, gebildet werden. Ihre Zagerung in der homogenen einfach lichtbrechenden Grund- substanz ist eine derartige, dass sie in gewissen Abständen, die sehr variiren können, sowohl nach der Länge, als nach der Quere der Muskelfaser neben- und über einander gelagert durch ihre regel- mässige Anordnung die Querstreifung erzeugen. Betrachtet man eine quergestreifte Muskelfaser (die des Frosches z. B.) bei starker Vergrösserung, so erscheinen bei hoher Einstellung des Mikroskopes anfangs die kleinsten optischen Segmente der dop- pelt brechenden Querschichte, in welcher die sarcous elements lie- gen, als kürzere Querreihen; jemehr aber das Rohr gesenkt wird, desto grössere Segmente rücken auch in den Focus, so dass bei mittlerer Einstellung die Querreihen der sarcous elements das Maxi- mum ihrer Länge erreichen; bei noch tieferer Einstellung nimmt die Länge derselben wieder in dem Maasse ab, als die unteren kleineren Segmente dadurch in den Focus gelangen. Daraus lässt sich nun schliessen, dass die sarcous elements nicht etwa bloss an der Ober- fläche in einfachen Reihen sich befinden, wie dies Berlin ?) in ") Göttinger Nachrichten, Februar, 1858. 2) Archiv für holländ, Beiträge zur Natur- und Heilkunde, Utrecht, I. Bd., 5. Hft., 8. 445. 341 heuester Zeit irrig behauptet, sondern die ganze Breite des Quer- schnittes einnehmen. Die Untersuchung des ceontractilen Inhaltes an Querschnitten unterliegt manchen Schwierigkeiten, welche wohl die Ursachen sind, dass in neuester Zeit bei einem Theil der Histologen in Bezug auf die Deutung der Querschnitte von Muskelfasern eine so grosse Mei- nungsverschiedenheit herrscht, und dass von einigen Forschern histo- logische Elemente in die Anatomie der quergestreiften Muskelfaser eingeführt wurden, die als solche gar nicht existiren. Hat man eine grosse Anzahl von Muskelquerschnitten genau durchstudirt, so kommt man bald zu der Ueberzeugung, dass wohl die wenigsten Durchschnitte von Muskelfasern an ein und demselben Präparate den Inhalt des Sarcolemma ganz unversehrt und in der natürlichen Lagerung zeigen. Die Ursachen hiervon liegen erstens darin, dass die contractile Substanz durch das Eintrocknen und die nachherige Anfeuchtung Veränderungen erleidet, wodurch Risse, Spalten oder Klüftungen entstehen, die durch ihren Lichtreflex und die zugespitzten Enden, oder auch durch die gezackten Ränder das täuschende Bild von Bindegewebskörperchen geben können; zweitens, dass viele Schnitte nicht senkrecht zur Axe der Muskelfasern aus- fallen, manche derselben auch zu dünn oder zu dick sind, als dass man daraus die wahre Structur erkennen könnte; ferner müssen wohl auch alle jene Formen berücksichtigt werden, welche durch die mechanischen Eingriffe des Messers entstehen, wodurch nament- lich die Fleischkörnchen leicht aus ihrer regelmässigen Lage gebracht, verschoben, gequetscht oder zerdrückt werden können. Ueberdies können bei noch in der Bildung begriffenen Muskelfasern im Quer- schnitte einzelne mit der übrigen Substanz nicht ganz verschmolzene Sarcoplasten vorkommen. An ganz gelungenen Durchschnitten habe ich innerhalb des Sareolemma, ausser den theils nur an der Oberfläche, theils aber auch im Innern der contraetilen Substanz vorkommenden Kernen stets nur kleine runde Körnchen in der homogenen Masse eingela- gert gefunden, ohne irgend eine Spur von Spalten oder Lücken. Die Fleischkörnchen lagen dann meist in regelmässig verlaufenden 342 / eoncentrischen Reihen in der homogenen Grundsubstanz durch die ganze Breite des Durchschnittes eingebettet. Solche Querschnitte können allein für maassgebend zur Beurtheilung der eigenthümlichen inneren Anordnung der Fleischkörnchen betrachtet werden. Alle jene Bilder, die für Bindegewebskörperchen u. s. w. ge- halten werden, redueiren sich entweder auf Spalten und Risse in der contractilen Substanz, oder auf verschobene und zerdrückte sar- cous elements, oder endlich auf Sarcoplasten. Alle meine zahlreichen Beobachtungen an Qiuetschnilien ver- schiedener Thiere sprechen entschieden somohl gegen die Existenz von Bindegenebskörperchen oder Muskelkörperchen (Leydig, Welcker) als gegen die sogenannten plasmatischen Canäle (Weleker) innerhalb der contractilen Substanz der Muskelfaser. In Betreff des Sarcolemma wurde schon oben bemerkt, dass dasselbe im embryonalen Zustande nicht ganz structurlos sei, sondern feine Fasern enthalte, die auf der inneren Fläche desselben verlau- fen und häufig mit Sarcoplasten in direeter Verbindung stehen. Ich untersuchte später an ganz gebildeten Muskelfasern das Sarcolemma bei verschiedenen Thieren und mit starken Vergrösserungen und fand, dass auch hier an der inneren Fläche des Sarcolemma ganz feine Fäden verlaufen und häufig in Kerne anzuschwellen scheinen, Was die Anheftung der Muskelfasern an die Sehnen anbelangt, so habe ich, ebenso wie neuerer Zeit Fick ”) nur eine Art des Ansatzes gefunden. Eine seitliche Verklebung der Muskelelemente, wie sie Kölliker bei schiefem Ansatz beschreibt und in seiner mikrosk. Anatomie (Il. Bd., 1. Hälfte, S. 219, Fig. 63) abbildet, habe ich nie geschen. Das Sarcolemma bildet einen direct in die Sehne übergehenden Schlauch, in welchem die contractile Substanz enthalten ist. Huch sehe ich zwischen dem Sarcolemma und dem contractilen Inhalt feine Fäden verlaufen, die sich oft bis in die Sehnensubstanz ver- folgen lassen, und zwar nicht nur bei Wirbelthieren, sondern auch ’) Müller’s Archiv, 1856, S. 425 folg. 343 bei Aıtieulaten. Deberdies treten noch innere Fäden des Sehnen- bündels mit dem Ende der Muskelfaser in Verbindung; es ist aber höchst wahrscheinlich, dass dieselben bei ganz gebildeten Muskelfa- sern nicht in das Innere hineindringen. Schliesslich muss noch über die Structur der musculösen Faser- zellen bemerkt werden, dass ich ebenso, wie Meissner '), wahre Querstreifen an denselben gesehen habe ; doch waren dieselben nicht so scharf gezeichnet, wie sie dieser Forscher abbildet Die Quer- streifen erschienen mir nämlich (bei 525maliger Vergrösserung eines Powel- und Laland’schen sehr ausgezeichneten Mikroskopes) nicht als zarte Linien, noch weniger als Runzeln oder Faltungen der Ober- fläche, sondern als Reihen ganz kleiner, lichter, glänzender Pünkt- chen, oder auch deutlich eontourirter Körnchen, welche rechtwinklig zur Lüngsaxe der Faserzelle und parallel neben einander verliefen. Auch waren diese Querreihen, so wie bei den übrigen quergestreif- ten Muskelfasern, durch kleine Zwischenräume von einander getrennt. Diese Körnchen, die allen ihren Eigenschaften nach, bis auf ihre geringere Grösse, den Fleischkörnchen der übrigen Muskel- fasern entsprechen, sind bei manchen Zellen in geringerer Anzahl vorhanden; auch giebt es Faserzellen, in denen die Fleischkörnchen mehr zerstreut und ohne besondere Ordnung in der homogenen Grundsubstanz eingelagert sind. Man ersieht hieraus, dass die Querstreifen auch bei den Ble- menten der glatten Muskelfasern vorkommen, und dass diese, wie bei den quergestreiften Muskelfasern, durch die regelmässige Anord- nung der Fleischkörnchen oder sarcous elements in einer homogenen, optisch und chemisch differenten Grundsubstanz - bedingt werden. Sie fehlen bei allen jenen Muskelelementen, bei welchen die Fleisch- körnehen entweder nicht regelmässig geordnet, oder wegen ihrer Kleinheit nicht wahrnehmbar sind. ') Zeitschrift für rationelle Mediein, 1858, II. Band, 8. 316 folg.; Taf. V, 344 In der Regel besitzen die musculösen Faserzellen einen rund- lich-ovalen, bläschenartigen oder auch linearen, stäbchenförmigen Kern, doch begegnet man hie und da Faserzellen mit ganz ge- schwundenem Kern, an denen nach Zusatz von Essigsäure keine Spur eines solchen zu erkennen ist. Zum Schlusse will ich noch die Hauptergebnisse meiner Beobach- tungen in Kürze zusammenfassen. I. Bildung der quergestreiften Muskelfasern. 1) Die Bildung des Sarcolemma ist von der Entwickelung der eontractilen Substanz genau zu unterscheiden. 2) Das Sarcolemma ist keine Zellenmembran und ist auch nicht durch Verschmelzung von Zellenmembranen entstanden. 3) Dasselbe bildet sich durch eine Art Verdichtung aus der homogenen oder fibrillären Bindesubstanz in Gestalt eines elastischen Begrenzungshäutchens und unter Mitwirkung der Kerne. 4) Die contractile Substanz ist das Product eigenthümlicher Zellen — sogenannter Sarcoplasten — welche im Blastem und längs der Fasern des Sarcolemma entstehen und sich anfangs durch Thei- lung der Kerne und Endogenese vermehren. 5) Diese Zellen gehen eine eigenthümliche Metamorphose durch, indem sich ihr Inhalt in Fleischsubstanz umwandelt. 6) Die Metamorphose besteht darin, dass sich in dem homoge- nen Inhalte der Zelle anfangs sehr kleine, stark lichtbrechende, gelbliche Körperchen von verschiedener Gestalt und Grösse bei ver- schiedenen Thieren und Muskeln differenziren und allmälig in Quer- reihen oder Querschichten längs der Zellenwand ablagern. 7) Die Ablagerung dieser Fleischkörnchen oder sareous elements schreitet von der Peripherie der Sarcoplasten gegen die Mitte oder von der einen Seitenwand zur anderen hin, bis der ganze Zellenraum mit differenzirter Fleischsubstanz ausgefüllt ist. 8) Die auf diese Art differenzivten Sarcoplasten stellen rund- lich-ovale, eylindrische, mehr oder weniger spindelförmige Körper 345 dar, mit deutlicher Querstreifung, und enthalten ausser der con- traetilen Substanz oft 1—2 lichte Bläschen (Kernbläschen). Die Zellenmembran ist innig mit dem Inhalte verwachsen und kann an vollkommen gebildeten Sarcoplasten direct nicht nachgewiesen werden. 9) Die Sarcoplasten können Fortsätze treiben, 2—3 oder meh- rere, wobei stets eine Theilung der Kernbläschen vorangeht. Die Bildung dieser Fortsätze scheint durch eine Art Anospung zu ge- schehen. 10) Die Sarcoplasten, die gewöhnlich längs der feinen Fasern des embryonalen Sareolemma entstehen, lagern sich neben und hin- ter einander und verschmelzen allmälig mit einander. 11) Die Verschmelzung kann sowohl in einfachen als in mehr- fachen Reihen geschehen, immer jedoch so, dass sich die Sarco- plasten dabei nicht mit breiter Basis berühren, sondern mit ihren Spitzen nach Art der musculösen Faserzellen schief an einander legen. 12) Der contractile Inhalt des Sarcolemma ist daher ein Pro- dukt der Verschmelzung mehrerer Sareoplasten, die anfangs mit den Fasern des Sareolemma in Verbindung stehen, und von den letzte- ren in Gestalt eines Schlauches umschlossen werden. 13) Die quergestreifte Muskelfaser geht somit weder aus der Verschmelzung einer einfachen Zellenreihe (nach Sch wann’schem Typus), noch aus der Verlängerung einer einzigen Embryonalzelle hervor (Lebert, Remak, Kölliker). 14) Ebenso muss die von Reichert, wie auch die von Ley- dig gegebene Darstellung der Bildungsweise der Muskelfasern als unrichtig betrachtet werden. 15) Die Sarcoplasten sind die Bildungsstätten der Fleischsub- stanz, nämlich der in homogener Grundsubstanz eingelagerten Fleisch- körnchen — sareous elements — und ihrer doppelt brechenden Be- standtheile, der von E. Brücke genannten Disdiaklasten, und der eontractile Inhalt des Sarcolemma geht aus der Verschmelzung der Sareoplasten hervor. 16) Derselbe Bildungsmodus wurde nicht nur an Wirbelthieren und an Menschen, sondern auch an Inseeten und Decapoden beobach- tet, kann also als allgemein gültig betrachtet werden. MOLESCHOTT, Untersuchungen. VL 23 346 17) Die Herzmuskelfasern bilden sich ebenfalls aus Sarcoplasten heran, welehe netzförmig mit ihren Fortsätzen verschmelzen. II. Bildung der glatten Muskelfasern. 18) Die Elemente der glatten Muskelfasern sind Sareoplasten, bei denen der Inhalt dieselbe Metamorphose durchläuft, mit dem Unterschiede allein, dass die doppelt brechenden Fleischkörnehen vie] kleiner sind und sich in geringerer Menge differenziren. Auch ist die regelmässige Anordnung derselben viel seltener; doch findet man ‚auch bei glatten Muskelfasern Sarcoplasten mit Querstreifen, bedingt durch die regelmässige Lagerung der Fleischkörnehen in. der homogenen Grundsubstanz. 19) Die glatte Muskelfaser entsteht dadurch, dass sich mehrere neben und hinter einander gelagerte und mittelst Bindesubstanz und elastischer Fasern mit einander zusammenhängende Sareoplasten: zu einem Bande vereinen, dessen Elemente in der Regel nicht so voll- ständig, wie bei quergestreiften Muskelfasern mit einander ver- schmelzen. II. Wachsthum und Neubildung der Muskelfasern, 20) Das Längenwachsthum der quergestreiften Muskelfaser ge- schieht durch Vermehrung von Sarcoplasten innerhalb des Sarco- lemma an den Enden der Muskelfaser, wobei auch letzteres durch Vermehrung der Kerne an Länge zunimmt. 21) Das Diekenwachsthum erfolgt durch Sarcoplasten, welche sich an der inneren Wand des Sarcolemmaschlauches bilden und allmälig mit einander und mit der übrigen Muskelsubstanz; ver- schmelzen. 22) Die physiologische wie pathologische Volumzunahme_ ge- schieht theils durch Diekenzunahme der schon fertigen, theils durch Bildung neuer Muskelfasern zwischen den bereits gebildeten. 23) Während des Wachsthums der Thiere und ihrer einzelnen musculösen Apparate findet eine Neubildung von musculösen: Ele- menten Statt, welche denselben Gesetzen folgt, wie die erste Ent- wickelung der Muskelfasern aus Sareoplasten. 347 24) Eine fortdauernde Neubildung von Muskelelementen, wäh- rend im Leben durch die Thätigkeit derselben die alten resorbirt würden, wird durch die Erfahrung nicht bestätigt. Der Stoffwech- sel in den Muskeln scheint ein bloss molecularer zu sein, und grün- det sich nicht auf den Wechsel seiner histologischen Elemente. IV. Structur der Muskelfasern. 25) Das Sarcolemma scheint nicht ganz structurlos zu sein. Dasselbe besteht aus einem elastischen Begrenzungshäutchen, welches mit Kernen und feinen Fasern an der inneren Fläche versehen ist. 26) Das Sarcolemma bildet einen direet in die Sehne überge- henden Schlauch, worin die ceontractile Substanz enthalten ist. 27) Zwischen dem Sareolemma und dem contraetilen Inhalt des- selben verlaufen eigentbümliche feine Fasern, die sich bis in die Sehne verfolgen lassen, und zwar nicht nur bei Wirbelthieren, son- dern auch bei Articulaten. 28) Es treten überdiess noch innere Sehnenfäden mit dem Ende der Muskelfaser in Verbindung; es ist aber höchst wahrscheinlich, dass dieselben bei ganz gebildeten Muskelfasern in das Innere nicht hineindringen. 29) Der contraclile Inhalt des Sarcolemma ist das Product der Verschmelzung von Sarcoplasten, und besteht, wie diese, aus kleinen geformten Partikelehen (Fleischkörnchen oder sarcous_ ele- ments) und einer homogenen Grundsubstanz, in welcher erstere ein- gebettet sind. Beide Substanzen unterscheiden sich physikalisch, chemisch und optisch von einander. 30) E. Brücke’s Theorie über den feineren Bau der Muskel- fasern beruht auf Thatsachen, die durch meine histogenetischen und vergleichenden Beobachtungen bestätigt werden, 31) Die Grösse und die Gestalt der Fleischkörneben ist nicht nur bei verschiedenen Thieren, sondern auch bei ein und demsel- ben Muskel eines Thieres verschieden; ja es können dieselben sogar innerhalb einer Muskelfaser differiren. Auch die Abstände der Fleisch- 23 * 348 körnchen von einander können sowohl nach der Länge als nach der Breite der Muskelfaser varüiren. 32) Die Fleischkörnchen finden sich nicht allein an der Ober- fläche, sondern in der ganzen Dicke der Muskelfaser. 33) Die Querstreifung wird durch die regelmässige Anordnung der Fleischkörnchen in parallelen Querschichten, die durch die ho- mogene einfach lichtbrechende Grundsubstanz von einander getrennt werden, erzeugt. 34) In der lebenden Muskelfaser existiren weder Fibrillen noch Scheiben ; diese sind bloss das Product der Längs- oder Querspal- tung, welche bei todten und macerirten Muskelfasern unter gewissen Umständen eintreten kann. 35) Im Innern der contractilen Substanz existiren bei querge- streiften Muskelfasern nieder Bindegewebskörperchen, noch plasma- führende Canäle (Leydig, Welcker). 36) Die im Innern oder an der Oberfläche der eontraetilen Sub- stanz vorkommenden Kerne sind ihrem Ursprung und ihrer Bedeu- tung nach von den Kernen im Sareolemma zu unterscheiden. Er- stere sind die Kerne jener Sarcoplasten, aus deren Verschmel- zung die Muskelfaser hervorgegangen ist; letztere gehören dem Sarcolemma zu. 37) Die an Querschnitten als Bindegewebskörperchen oder so- genannte Muskelkörperehen und als Durchschnitte von Canälen gedeuteten Bilder reduciren sich entweder auf Spalten in der ge- trockneten eontractilen Substanz, oder auf zerdrückte Fleischkörnchen, oder auf einzelne mit der übrigen Substanz nicht ganz verschmolzene Sarcoplasten. 38) Die längs der Oberfläche der Muskelfasern nicht selten vor- kommenden, dunkeln, einander nicht correspondirenden, unter- brochenen Längslinien sind die Grenzlinien zwischen den einzelnen Sarcoplasten, die oft auch später noch bei ganz gebildeten Muskel- fasern sichtbar bleiben. 349 39) Die contractilen Faserzellen oder Sarcoplasten der glatten Muskelfasern bestehen aus einer homogenen Grundsubstanz und den stark lichtbrechenden Fleischkörnchen. Diese können hier ebenso, wie bei quergestreiften Mulkelfasern, durch ihre regelmässige An- ordnung eine deutliche Querstreifung hervorrufen. Bei allen jenen Faserzellen, die keine deutliche Querstreifung zeigen, sind die Fleisch- körnchen entweder unregelmässig in der homogenen Grundsubstanz eingelagert, oder wegen ihrer Kleinheit nicht sichtbar. 40) Musculöse Faserzellen besitzen in der Regel einen rund- lich-ovalen, bläschenartigen, oder linearem stäbchenförmigen Kern; doch ist auch das Fehlen des Kernes bei manchen Faserzellen nicht selten. ” - XX. Untersuchungen über das chylopoetische und uropoelische System der Blatta orientalis. (Angestellt im physiologischen Institute der Wiener Universität.) Von Samuel Basch !). (Mit 13 Abbildungen.) Die Angaben, welche wir über das chylopoetische System der Insecten besitzen, gehören grösstentheils einer älteren Zeit an und man konnte hoffen, mit den Hülfsmitteln, die uns heute zu Gebote stehen, unsere Kenntniss des Gegenstandes zu erweitern. Deshalb unternahm ich unter der gütigen Anleitung meines hochverehrten Lehrers, Herrn Professors E. Brücke, nachstehende Arbeit, die vor- züglich zum Zwecke hat, die morphologischen Verhältnisse des Darm- kanals und der in denselben einmündenden Drüsen von Blatta orientalis näher zu beleuchten, aber auch zugleich die Funetion der einzelnen Theile, so weit es bis jetzt möglich ist, zu erörtern. Theile des Darmkanals, Zunächst hinter dem Mundkauapparat, also noch in der Kopfhöhle eingeschlossen, findet man den weiten trichterförmigen Schlund (faux) (Fig. laa). Er liegt nicht wie der übrige Darm frei, sondern ist !) Aus den Sitzungsberichten der mathematisch naturwissenschaftlichen Qlasse der kaiserlichen Akademie der Wissenschaften vom Herrn Verfasser mitgetheilt. 351 durch Muskeln und Bindegewebe an seine Umgebung angeheftet. An seinem unteren, vorderen Ende münden die Speicheldrüsen. Diese scheint weder Ramdohr'), noch Marcel de Serres?) gekannt zu haben, denn in ihrer Beschreibung von Blatta orientalis geschieht davon nirgends Erwähnung. Burmeister°) beschreibt bei Blabera Zrapezoidea eonglomerirte, aus 8—10 Gruppen von Drüsenbalgen bestehende Speicheldrüsen, deren einzelne Drüsenkörperchen sich nach und nach zu zwei Ausführungsgängen verbinden, die ihrerseits wieder zu einem Stamme sich vereinen, der in den Mund unter der Zunge einmündet. Diese Form giebt er auch überdies als bei allen Orthopteren im Allgemeinen vorkommend an. Auch Leon Dufour‘) beschreibt dieselben, unterscheidet aber schon an ihnen zwei Hauptbe- standtheile, und zwar die eigentlichen Speicheldrüsen und das Speichel- reservoir. Doch kennt er das Verhältniss der Ausführungsgänge der beiden Bestandtheile zu einander nicht genau. Folgendes beobachtete ich bloss mit einfacher Loupe: Die Speicheldrüsen liegen zwei an der Zahl an der unteren Wand des Oesophagus. Die von den Tho- raxstigmen kommenden Tracheen, welche zunächst den Oesophagus vielfach umspinnen, geben auch sehr viele Aeste an die Speicheldrüsen ab, und bewirken dadurch, dass diese ziemlich fest an den Oesophagus angeheftet werden. Man kann deutlich an ihnen zwei Hauptbestand- theile wahrnehmen: 1. einen eigentlich drüsigen (Fig. lc) und 2, einen blasigen (Fig. Id), den, wie schon bemerkt, Leon Dufour Speichelreservoir nennt. Ersterer besteht aus vielen kleinen theils rundlichen, theils drei- eckigen Läppchen, deren Ausführungsgänge, nachdem sie sich zuvor vielfach dichotomisch verästelt haben , jederseits zu einem Ausfüh- rungsgang (Fig. 1.c’) sich vereinen. Diese beiden grösseren Ausfüh- ') Ramdohr’s Abhandlung über die Verdauungsorgane der Insecten. Halle 1811. Taf. I, Fig. 2. ”) Marcel de Serres observations sur les Insectes ete. Paris 1813, 4, pl. II. f. 1. und in Annales du Museum d’histoire naturelle. Observations sur les usages de diverses parties des Insectes. Tom. XX. pl. 15. f. 1. ») Burmeister, Handbuch der Entomologie, IL. Band, 2. Abtheil. S. 473. *) Leon Dufour, Recherches sur les Orthopteres ete. 336. 352 rungsgänge vereinigen sich ebenfalls, um einen grossen gemeinsamen Stamm (Fig. 1 c”) zu bilden. Der zweite, die Speichelblase (Fig. 1 d), besteht aus einem äusserst zartwandigen birnförmigen Säckehen mit oberen schmalen und unteren erweiterten Enden, liegt gleichsam im Drüsenparenchym eingebettet, ragt nur mit seinem ‘unteren Ende frei hervor, und die vorderen schmalen und röhrigen Enden desselben treten ebenfalls in einen gemeinschaftlichen Ausführungsgang (Fig. 1 d‘) zusammen, der, nachdem er den Hauptausführungsgang der eigentlichen Speicheldrüsen aufgenommen, in den Schlund einmündet. Dem Schlunde folgt nun jene Partie des Darmkanals, die die Brust- und Bauchhöhle grösstentheils erfüllt, deren erster Abschnitt der Oesophagus ist (Fig. 1 a). Diesen kann man in zwei Theile trennen, einen oberen röhrigen mit dem Schlunde in Verbindung stehenden, den Oesophagus (Fig. 1a) im engeren Sinne des Wortes, und einen unteren an den Magen grenzenden erweiterten Theil, den Kropf (inglwvies), (Fig. 1 5). Der erstere reicht vom Kopf bis in die Gegend des Metathorax, der zweite von da bis in die obere Hälfte des Abdomen, Beide Theile gehen unmerklich in einander über, obwohl es Fälle giebt, in denen der ganze Oesophagus durch eine mittlere Einschnürung in zwei Theile geschieden ist. Diese Einschnürung nimmt Ramdohr') als constant vorkommend an und zeichnet sie auch als solche. Doch bei der grossen Anzahl von Individuen, die ich anatomirte, sind mir im Ganzen nur äusserst wenige Fälle dieser Art vorgekommen, und ich muss daher in dieser Hinsicht auch vollkommen der Aussage Leon Dufour’s ?) beipflichten, der dieses Vorkommniss ebenfalls als sehr selten bezeichnet. Die Gestalt und Consistenz des Oesophagus ist, wie schon Leon Dufour®) angiebt, nicht constant, sondern sie wechselt je nach der Menge und Beschaffenheit des Inhalts, Im mässig gefüllten Zustande sind seine Wände dick und zusammengezogen und es zeigen sich an ') L. c. Tab. I, fig. 2. »)L. c. 367, %) L. c. 369. 353 seiner Oberfläche deutliche Längsfalten; dünn und beinahe durch- sichtig sind aber jene Wände, wenn sie von Speisen überfüllt, oder von Luft ausgedehnt werden. In einem solehen Zustande ist keine Längs-, sondern eine leichte Querstreifung sichtlich. Der nächstfolgende Abschnitt ist der Kaumagen ’) (proventri- eulus) (Fig. 1 ©). Dieser hat die Form eines abgestutzten Kegels, der jedoch an der Abstutzungsfläche abgerundet erscheint. Er ist so zwischen dem Oesophagus und dem ihm folgenden Darmabschnitt, dem Chylusmagen (Fig. 10) eingeschaltet, dass seine Basis mit dem Oesophagus und die Abstutzungsfläche mit dem Chylusmagen in Ver- bindung steht. Die Wände desselben sind im Vergleiche mit denen des übrigen Darms auffallend dick und von einer sehr derben und festen Consistenz. Trennt man ihn an der Verbindungsstelle mit dem Kropfe, und beobachtet man ihn an der dem letzteren zugekehrten Fläche, so er- hält man das Bild ‚einer sechseckigen und rothbraunen Rosette, deren Radien, wenn man den Kaumagen öffnet und in der Fläche aus- breitet, als sechs zahnartige Vorsprünge (Fig. 2 a) erscheinen. Mit ihrer breiten Basis sind dieselben an die Innenwand angeheftet, wäh- rend die schnabelartig zugespitzten Enden die mit einander conver- giren, frei in die Höhle des Kaumagen-Lumens hineinragen ?). Diese sechs Zähne sind durch eben so viele Zwischenräume von einander getrennt, die von zwölf leistenartigen Vorsprüngen in folgender Anord- nung besetzt sind (Fig. 2). In der Mitte eines jeden Zwischenraumes befindet sich eine grosse breite Leiste (Fig. 2 5), die so lang als der Zahn ist und in ein abgerundetes löffelförmig erweitertes Ende ausgeht. Zu beiden Seiten derselben befinden sich fünf kleinere (Fig. 2 ec), die mit ihren Enden sich der erwähnten grossen Leiste zuneigen. Ausserdem laufen noch zu beiden Seiten des Zahnes Längsleisten (Fig. 2 f) herab, die mit demselben convergiren, und an welche sich ') Cardia nach Posselt, Faltenmagen nach Ramdohr, G£sier nach Leon Dufour, Laeordaire und überhaupt allen Franzosen. ”) Burmeister, II. Bd. 8. 47, beschreibt in ähnlicher Weise den Kaumagen von Blabera trapezoidea, 354 unterhalb der Zähne gelegene Taschen anheften. Diese Taschen (Fig. 2 d und e) stehen kreisförmig je zu sechsen in zwei unter ein- ander liegenden parallelen Reihen. Die der ersten, zunächst unter den Zähnen liegenden Reihe angehörigen Taschen (Fig. 2 d) sind ziemlich gross, beinahe mit freiem Auge sichtbar und an die er- wähnten Leisten angeheftet. Die der zweiten Reihe dagegen sind viel kleiner und stehen mit keinen Leisten im Zusammenhange. Beide sind mit braunen Härchen von 0,01 — 0,02 Millim. Länge besetzt. Diesen Zahnapparat beschreiben schonRamdohr'), Leon Dufour‘) und Menzel), doch was die Taschen betrifft, so kannte Ramdohr selbe gar nicht, Leon Dufour und Menzel hingegen nur die erste Reihe derselben. Vom Kaumagen geht eine in mannigfache Längsfalten gelegte Einstülpung in den Anfang des Chylusmagens, die, wenn man den Kaumagen vorsichtig vom Chylusmagen zu entfernen sucht, als eine dünne zarte Röhre aus dem letzteren hervorgezogen wird, wobei man deutlich die scharfe Grenze zwischen dieser Einstülpung und dem Chylusmagen wahrnehmen kann, Der Chylusmagen *) (ventrieulus) (Fig. 1 0), bildet eine gleich- mässig eylindrische Röhre, deren Wandungen nicht, wie Ramdohr®) angiebt, undurchsichtig, sondern vielmehr stark durchscheinend sind, was man aus der Farbe, die sich genau nach der der Darmeontenta richtet, ersehen kann. In sein vorderes Ende münden acht Blinddärmchen ®) (Fig. 1f). Diese sind kurze, an ihrem vorderen in den Magen einmündenden Ende offene, an ihrem hinteren Ende geschlossene röhrige Schläuche, ) L. e. p. 74, Taf. I, Fig. 9, 10, 11. 2) L. ce. p. 368. 3) Menzel, Die Chitingebilde im Thierkreise der Arthropoden. “) Ventricule chylifique, nach Leon Dufour, duodenum nach J. Müller, Chylusbildner nach Burmeister. De: *) Marcel de Serres. Observations etc. nennt sie „vaisseaux hepatiques superieurs.“ 355 die nicht alle gleich lang sind, und deren Grösse als solche, je nach den verschiedenen Resorptionszuständen, in denen das Thier sich gerade befindet, einem vielfachen Wechsel unterworfen ist. So sieht man oft Blinddärme, die beinahe so lang sind als der Magen, während sie gewöhnlich nur den dritten bis vierten Theil der Länge desselben betragen. Nach hinten grenzt der Ohylusmagen an ein kurzes und dünnes Darmstück (Fig. 1%), welches Leon Dufour') zuerst beobachtete und Dünndarm (intestinum tenue) nannte. Ram- dohr?), der den Magen spitz zulaufen lässt, begreift wahrscheinlich unter diesem schmalen Darmstücke die Spitze des Chylusmagens, doch gehört es aus später anzuführenden Gründen durchaus nicht dazu. Es ist vollkommen eylindrisch und zugleich viel dünner als die beiden Darmabschnitte (Chylusmagen und Dickdarm), zwischen denen es gleichsam eingeschoben ist, daher sich Leon Dufour°) veranlasst fand, es als eine Art Einschnürung zu bezeichnen; doch ist es durchaus nicht als solche, sondern als ein vollkommen anderer Darmabschnitt zu betrachten, Sein oberes Ende umgeben die Malpighischen Gefässe (Fig. 19), die in grosser Anzahl *) im Kreise darum gelagert sind. Sie sind sehr dünn von grünlichgelber Farbe, und verlaufen fadenförmig. ge- schlängelt mit ihren vorderen Enden theils frei flottirend, theils im Fettkörper eingebettet. Die hinteren Enden derselben münden, nach- dem sie sich zuvor zu drei Gruppen vereinigt haben, in den Anfang des Dünndarms ein. An seinem hinteren Ende ist derselbe von einem kaum benierk- baren wulstigen Reifen (Fig. 1 s) umgeben °). Diesem entsprechend liegt nach Innen eine in das Lumen des Darms weit vorspringende kreisförmige Klappe °), die jedoch nur bei ziemlich starker Vergrös- ») L. e. p. 369. 20: ») L. c. p. 369. *) Ramdohr, ]. ce. giebt deren 100, Leon Dufour, |. c. nur 60 an, ») Leon Dufour,.c. ‘) Burmeister (Handbuch den Entomologie, II. Bd., S. 472) nennt sie den Chymusleiter. 356 serung wahrgenommen werden kann, daher ich sie erst unten be- schreiben will. Durch den erwähnten Reif ist der Dünndarm von dem folgenden Darmabschnitte, dem Diekdarm ?) (intestinum erassum) (Fig. 1:), nach aussen und durch die Klappe nach innen scharf ab- gegrenzt. Er ist etwas länger als der Chylusmagen, verläuft aber nicht wie dieser gerade, sondern macht eine Windung um sich selbst. Was seine Gestalt betrifft, so ist diese theils gleichmässig eylindrisch, theils in der Mitte erweitert; sehr oft sind auch an seiner Oberfläche Querfalten wahrzunehmen. Der Dickdarm geht gewöhnlich bloss unmerklich in das letzte Darmstück, den Mastdarm (reetum), über. In sehr vielen Fällen ist er aber deutlich von ihm abgegrenzt, ja man sieht oft den Diekdarm bei seinem Uebergange in das Rectum eine Art Coecum (Fig. 1 k) bilden. Der Mastdarm (F'g. 17) verläuft ganz gerade ohne irgend eine Windung zu machen und bildet unmittelbar vor dem Anus ein aufgetriebenes Ende (Fig. 1m), an welchem sechs Längswülste herablaufen. Soviel über die Anatomie des Darmkanals von Blatta orientalis, so weit man sie mit freiem oder nur schwach bewaffnetem Auge verfolgen und studiren kann. Es erübrigt nun noch den Bau und die Gewebsbestandtheile genau zu erörtern. Bevor ich jedoch in die Histologie der einzelnen Darmabschnitte näher eingehe, will ich erst einen kurzen Ueberblick von dem geben, was über den Bau derselben bei den Insecten im Allgemeinen bekannt ist. Swammerdam ?) giebt Folgendes über die Structur des Darmkanals an: ventriculus autem Tribus Tumicis constat, prima nimirum Tlenuissima in qua decurrunt fistulae pulmonales, altera musculosa, tandemque tertia iterum sublilissima ingestos cibos proxime ambiente. Nach Ramdohr 3) besteht der Darmkanal aus zwei Häuten, einer inneren und einer äusseren, zwischen denen die „flockige Lage“ 1) Leon Dufour nannte diese Klappe, die aber blos erwähnt ohne sie zu be- schreiben, valvule veo-coecal, Treviranus (vermischte Schriften, S. 105) ent- deckte dieselbe zuerst. 2) Swammerdam biblia naturae, tom. II, p. 576. BEMOENS TE 357 befindlich sein soll. Marcel de Serres '), Straus-Dürkheim ?) und nach ihm Lacordaire®) und Burmeister*) nehmen drei Häute an und nennen die innere analog der innersten Darmhaut der Wirbelthiere die Schleimhaut (membrana mucosa, membrane mu- queuse), die mittlere membrana propria und die äusserste funica seu membrana muscularis. v. Siebold5) beschreibt vier Hautschichten: 1. eine äussere structurlose Peritonealhaut, 2. eine Muskelhaut, 3. eine Zellenschicht, die oft drüsige Beschaffenheit annimmt und 4. eine chitinhältige homogene Epithelauskleidung, die sich durch den ganzen Darmcanal fortzieht und nur im mittleren Theile desselben äusserst zarthäutig erscheint. Menzel ®) nimmt vier Hautlagen an: 1. ein der Epidermis ana- loges Epithel, 2. eine Schleimhaut, 3. eine Muskelhaut, welche nach aussen 4. eine faserige Hülle als /unica serosa oder Peritoneal- haut umgiebt. Doch giebt er auch zu, dass an verschiedenen Stellen des Darmkanals noch eine fünfte Schicht, die Zellen oder Drüsen- schicht, auftritt. Morawetz?) beschreibt vier Schichten im Darmcanal von Blatta germanica: 1. tumica vitrea interna, 2. Epithelium, 3. tunica muscularis, 4. tunica vilrea externa. Nach Frey, Leuekart®) und Leydig°) sind die Verhältnisse der Schichtung im Darmkanal der Inseeten folgende: Zuerst liegt eine zarte durchsichtige Epithelialhaut, zZunica intima, dieser folgt NL... p. 61. ’) Straus-Dürkheim, Considerations generales sur l’anatomie com- paree des animauz articules. ») Lacordaire introduction a lentomologie, Paris 1858, p. 6. %) Ic. Bd. I, p. 142. ’) Siebold, Lehrbuch der vergleichenden Anatomie. AL. co ’) Quaedem ad anatumiam blatlae germanicae pertinentia. Disserlatio. Dor- Pat, 1853, *) Lehrbuch der Zootomie der wirbellosen Thiere. *) Leydig, Lehrbuch der vergleichenden Histologie. 358 eine Zellenschicht, und als Trägerin derselben eine structurlose mem- brana propria, ferner eine die membran propria verstärkende Muskel- schicht und endlich eine nicht immer als vollständige Membran zu verfolgende Peritonealschicht. Bau des Darmkanals, Oesophagus, Ingluvies. Die Wandungen dieser beiden Darmabschnitte sind mit einander übereinstimmend, aus vier (Fig. 3) über einander liegenden Schichten zusammengesetzt, und zwar: 1. einer Muskelhaut, 2. einer membrana propria. 3. einer Zellenschieht und 4. einer Chitinschicht. Die erstere, nämlich die Muskelhaut, besteht aus zwei Lagen, einer äusseren aus Ringsfasern und einer inneren aus Längsfasern zusammengesetzten. In beiden liegen die einzelnen Muskelfasern nicht eng neben einander, sondern sie lassen zwischen sich Zwischenräume übrig; ausserdem verzweigen sie sich, -anastomosiren vielfältig mit einander und bilden auf diese Weise ein maschenartiges Gewebe, wie dies schon Ramdohr, Lacordaire, Stein bei anderen In- seeten und in anderen Organen beschrieben haben. Bei Blatta germanica beschreibt Morawetz!) Fetttröpfchen, die in den erwähnten Intervallen liegen sollen, die zu sehen mir aber nicht gelungen ist. Was den morphologischen Charakter der Muskeln betriffi, so sind dieselben wie im ganzen Darm, und bei den Inseeten durchwegs quergestreift, und tragen in ihre Substanz eingeschaltete Kerne und kernhaltige Zellen. Der Muskelhaut folgt eine membrana propria. Diese ist eine structurlose, hyaline Membran, die der Muskelhaut eng anliegt und so fest mit ihr verbunden ist, dass man sie für sich nur sehr schwer darstellen kann. Auf dieser sitzt ein Epithelium, bestehend aus bloss einer Lage von Zellen. Diese Zellenlage ist ebenfalls sehr eng mit der mem- brana propria verbunden, so zwar, dass man beim Präpariren die drei schon erwähnten Schichten, Muskelmembran, membrana propria 2) EEE: 359 und die Zellenschicht, meistens nur als einzige, gemeinschaftliche und sehr schwer in ihre weiteren Bestandtheile zu zerlegende Membran darstellen kann. Diese bei den Arthropoden allgemein %) vorkommende Schicht, die immer da besteht, wo ihr eine Cuticula folgt, bezeichnet Häckel) beim Flusskrebse, weil er annimmt, dass die chitinhaltige Cuticula ein Absonderungsprodukt der Zellen sei, als Chitinogengewebe. Wir wollen später untersuchen, in wie weit nach meinen Untersuchungen diese Bezeichnung richtig ist. Die Zellen dieser Schicht sind hell, theils rundlich, theils oval, haben einen deutlichen Nucleus und ein oder mehrere Nucleoli und betragen im Durchmesser 0,009—0,01 Millim. Ihre Wandungen liegen nicht an einander, sondern sie sind durch schmale Zwischen- räume geschieden, die mit. einander zusammenfliessende polygonale Felder einschliessen. In die Zwischenräume selbst ist die memdrana propria faltenartig ausgestülpt (Fig. 5). Viele Autoren beschreiben die beiden eben beschriebenen Schich- ten, die membrana propria und die Zellenschicht, als eine einzige. So Ramdohr°), der sie als „flockige Lage“ bezeichnet, worunter er Alles begreift, was zwischen Muskelhaut und Intima liegt. Straus- Dürkheim) und Burmeister?) erwähnen zwar einer glatten, in der Regel dünnen, häufig stueturlosen, mitunter gezeichneten mem- brana propria, verstehen aber nichts anderes darunter, als Ramdohr unter seiner „flockigen Lage.“ Lacordaire*) nemt sie „membrane papillaire et celluleuse“ und giebt über ihre Structur folgendes an: „la membrane papillaire est mince, ordinairement blanche et quoi- que d’une nature spongieuse ne presente presque jamais des fibres. Observce avec de forts verres amplifiants elle offre quelquefois dans ’) Nur Leydig (Lehrbuch der vergl. Hist. $. 299) läugnet sie im Oesophagus. ’) Häckel (Müller’s Archiv, 1857) über die Gewebe des Flusskrebses. )L. c.p.6, 87. %) L. c. p. 246. NL. c. NL. « p.7. 360 son tissu des globules ou granulations d’une extreme petitesse“ Aus dieser Beschreibung ist leicht zu ersehen, dass Lacordaire schon zwei Schichten beschreibt, ohne jedoch die eine derselben, nämlich die Zellenschicht, die er nicht als eine besondere beschreibt, sondern nur in seinen „globules et granulations“ andeutet, ihrer Structur nach als eine besondere erkannt zu haben. v. Siebold') erwähnt nichts von einer membrana propria sondern führt nur eine aus dicht gedrängten Zellen bestehende Zellen- schicht an. Ebenso, wie Siebold, führt Morawetz keine membrana pro- pria, sondeın auch nur eine aus hellen kernlosen Zellen bestehende Zellenschicht an. Menzel ?) beschreibt unter dem Namen Schleimhaut eine glas- helle structurlose Haut, über welcher an verschiedenen Stellen die Zellenschicht auftritt. Die die Zellenschicht nach innen begrenzende und mit dem Darm- inhalt in unmittelbaren Contact kommende Membran ist die Cuticula oder Intima, die man ihres Chitingehaltes wegen auch Chitinmembran nennen kann (Fig. 3 e). Sie bildet nach Burmeister bei Inseeten und nach Häckel bei Krebsen eine continuirliche Fortsetzung der äusseren, ebenfalls ehitinisirten Körperhülle und ist ihrem histologischen Charakter nach eine zarte structurlose hyaline, völlig durchsichtige Membran, die in der Ausdehnung des ganzen Oesophagus und Kropfes mit Erhöhungen (Stacheln, Borsten, Härchen, Fig. 6, 7) von folgender Beschaffenheit und in folgender Anordnung besetzt ist. Im vorderen Theile, dem eigentlichen Oesophagus, sind die Staeheln braun, mit runder brei- terer Basis; im Durchmesser von 0,002 Millim. und scharfspitzig zu- laufendem Ende. Die Länge derselben beträgt im Mittel 0,04 Millim. Sie sind mit ihren Basen auf flach wellenförmigen Linien (Fig. 7), die so beschaffen sind, dass die Wellenberge einander gegenüber stehen, zu 4—8 neben einander (Fig. 6) gestellt. Ihre Enden con- )L. e. )L.o. 361 vergiren mit einander und die Stacheln selbst sind nach hinten zu umgeschlagen, daher die Ansicht Laceordaire's, dass sie das Zu- rücktreten der Speisen verhindern. Weiter nach hinten, gegen den Oesophagus und im Kropf selbst nehmen die Stacheln immer an Grösse ab, werden immer weniger eonvergent und endlich parallel, die Wellenberge und Wellenthäler werden tiefer und höher, sind aber nieht bogenförmig gekrümmt, sondern bilden stumpfe Winkel, die immer kleiner werden, so dass die Wellenberge sich einander immer mehr nähern, in einander zu- sammenfliessen und auf diese Weise das Zustandekommen von poly- gonalen Feldern, deren vordere und hintere Seiten von Stacheln, die 0,005—0,006 Millim. lang, besetzt sind, veranlasst wird. Sowohl unter den durch das Gegenüberstehen der Wellenberge und Wellenthäler entstehenden, nicht völlig abgeschlossenen, als unter den durch das Zusammenfliessen der Wellenberge entstandenen, völlig abgeschlossenen Feldern der Chitinmembran, sitzen die Zellen der Zellenmembran. Die früher ') erwähnten, von den zwischen den Zellen vorkommenden Zwischenräumen begrenzten Felder (Fig. 5) haben, wie man beobachten kann, genau die Gestalt der Felder auf der Chitinmembran (Fig. 2 9). Durch diese Beobachtung gelangt man zur Ueberzeugung, dass letztere nicht der Abdruck der Zellen ?), denn diese sind rund, sondern der erwähnten Felder, oder was das- selbe ist, der membrana propria seien, da diese es doch eigentlich ist, die, indem .sie sich in die zwischen den Zellen bestehenden Zwischenräume einstülpt, die Felder begrenzt. Die Chitinmembran beschreibt schon Ramdohr °) als eine per- gamentartige, zarte, durchsichtige, mit Härchen und Borsten be- setzte Haut. 1) 8. 8. 367. ”) Leydig spricht an zwei Orten, in seinem Lehrbuch der vergleichenden Histo- logie und in Müller’s Archiv 1856, die Ansicht aus, dass die bei den Insekten, Orustaceen ete. auf der Intima des Darmes vorkommenden Zeichnungen der Abdruck der darunter gelegenen Zellen seien. )L. ec. $. 16. MOLESCHOTT Untersuchungen. VI 24 362 Burmeister und Lacordaire beschreiben sie bei den Insek- ten im Allgemeinen als memdrana mucosa (membrane muqueuse) auf dieselbe Weise. H. Meckel hält die Intima für ein Pflasterepithel, das oft aus zackig in einander greifenden Zellen besteht. Auch Menzel!) be- trachtet sie als ein sehr oft aus Zellen zusammengesetztes Epithelium von äussert complieirtem Bau; ebenso Siebold, der sie als ein Epi- thelium (also aus Zellen zusammengesetzt), das durch. Chitingehalt eine sehr feste Beschaffenheit erhält, beschreibt; nur Frey, Leuckart und Leydig beschreiben sie als homogene structurlose Intima, vor allen aber tritt Leydig der Ansicht, dieselbe für ein Epithelium gelten zu lassen, entgegen. Kaumagen (Proventrieulus), Fig. 2. Dieser tritt uns als ein vollkommen abgeschlossenes Gebilde ent- gegen, indem er durch seinen äusserst complieirten Bau von dem übrigen Darm sich wesentlich unterscheidet. Von innen nach aussen gehend, bemerken wir an demselben folgende Schichten (Fig. 8): 1. eine stark entwickelte Chitinschicht, 2. eine Zellenschieht (Chitino- genschicht), 3. eine membrana propria, 4. eine Muskellage und 5. eine Peritonealschicht. Die erste derselben, nämlich die Chitinschicht, haben wir schon bei der Formbeschreibung des Kaumagens kennen gelernt, denn sie ist es, welche die zahnartigen Vorsprungs- Leisten bildet. Ueber die feinere Structur kann man Folgendes sagen. Der Chitinüberzug. bil- det eine Fortsetzung der im Oesophagus und im Kropfe beschriebenen Chitinmembran, die in dieselbe unmittelbar mit Bildung von bogen- förmigen, zwischen den Leisten und Zähnen ausgespannten Falten übergeht, und ist wie diese vollkommen homogen und strueturlos. Die zahnartigen Vorsprünge und Leisten, die Morawetz bei Blatta germanica lamina rostrata nennt, sind so wie gewöhnlich jedes diekere chitinhaltige Gewebe von brauner Farbe, während die dazwischen ausgespannte Membran farblos und durchsichtig, ist. 0: 363 An ihrer äusseren Fläche sind die zahnartigen Vorsprünge (rostra) glatt, an der Innenseite dagegen bieten sie das Ansehen einer in lauter polygonale Felder getheilten, gleichsam facettirten Fläche dar, Die Leisten hingegen sind durchweg an ihrer Oberfläche mit Schüppehen und nur die Hauptleiste noch ausserdem an ihrem hin- teren Ende mit Härchen besetzt (Fig. 2 3 und e). Was nun die Taschen der beiden Reihen, deren äussere Um- hüllung ebenfalls die allgemeine Ohitinmembran ist, betrifft, so sind dieselben dicht mit braunen Härchen besetzt, daher auch die braune Farbe. Die Härchen an den Taschen der ersten Reihe sind 0,02—0,03 Millim., an denen der zweiten Reihe 0,01—0,02 Millim. lang. Wenn der Kaumagen einen Tag in verdünntem Alkohol gelegen ist, so kann man leicht nachdem man ihn zuvor aufgeschnitten und in die Fläche ausgebreitet hat, die ganze Chitinhülle abziehen, wor- auf dann Wülste, die genau die Form und Grösse der sie umklei- denden Vorsprünge (Zähne, Leisten und Taschen) haben, zum Vor- schein kommen. Diese zwischen Chitinschicht und membrana propria gelegene Masse ist bloss eine stärker entwickelte Zellenschicht, die wir schon im Oesophagus und Kropf kennen gelernt haben (Fig. 8 e). Dieselbe zeigt aber hier in der der Chitinsubstanz anliegenden und der äusse- ren auf der membrana propria vuhenden Schicht eine verschiedene Beschaffenheit. In der ersteren nämlich sind die Zellen viel näher an einander gerückt und mit einander verschmolzen, die zweite da- gegen besteht aus einer Schicht von mehrfach über und neben ein- ander gelagerten kernhaltigen Zellen, die ebenfalls nicht einander berühren, sondern Zwischenräume zurücklassen, die von einer struc- turlosen hyalinen Bindesubstanz (Fortsätze der membrana propria) ausgefüllt werden, und es verhält sich demnach die erste Schicht zur zweiten wie die Epidermis zur malpighischen Schicht. Die membrana propria ist so wie im ganzen Darm eine struc- turlose, aus homogenem hyalinem Bindegewebe bestehende Membran, die sich in die Zellenschicht hinein fortsetzt und dort als Stütz- und Bindegewebe fungirt. 24% 364 Ihr folgt die Muskelschicht '). Die Fasern derselben sind nicht so einfach angeordnet, wie im übrigen Darme, sondern sie nehmen verschiedene Richtungen an und dienen, indem sie sich unmittelbar an die Wand der Wülste, also mittelbar an die Zähne selbst anhef- ten, zur Bewegung eines Mechanismus, der in der Form eines Zahn- apparates das Zerkleinern der Speisen bewerkstelligt. Es sind ihrer fogende: Ein starker, aus mehreren parallel über einander liegenden Muskelfaserlagen bestehender, ziemlich dicker Ringsmuskel (Fig. 8 a), der, eine Fortsetzung der Ringsmuskelfaser- schicht im Oesophagus, nach vorn am breitesten ist und nach hinten gegen den Chylusmagen immer schmäler wird. Die nach aussen liegenden Fasern desselben sind vollkommen kreisförmig und in sich abgeschlossen, an der Innenfläche dagegen lösen sich ganze Faserzüge ab, die bogenförmig gekrümmt und je zwei mit einander convergirend sich an den Seiten der Basis der Zahnwülste und der diesen zunächst anliegenden Leistenwülste, und zwar an die membrana propria mit stumpfen Enden inseriren. Diese Muskeln sind als Radialmuskeln aufzufassen, als welehe ich sie auch bezeichnen will (Fig. 8 ). Den Rings- und Radialmuskeln folgt nach innen eine andere Muskellage, die ebenfalls eine Fortsetzung der Lingsmuskelfaserschicht im Oesophagus ist °). Diese bildet eine im Allgemeinen weniger dicke Lage, doch gehen von derselben mehrere Muskeln ab, und zwar entspringen am hinteren Ende der Kaumagenwand, dort wo die Zahn- wülste aufsitzen, 6 Muskeln, die von unten und hinten nach vorn und oben verlaufen und sich an die vordere obere Wand der Zahnwulst inseriren (Fig. $c) Etwas tiefer, aber noch an derselben Stelle, entspringen noch sechs Muskeln, die bogenförmig gekrümmt, mit ihrer Convexität nach aussen und der Concavität nach innen verlaufen, und sich an die untere und vordere Wand der Taschenwülste ebenfalls an die membrana propria mit stumpfen Enden inseriren (Fig. 8d). Die ") Burmeister, Handbuch der Entom. Bd. II, Fig. 3, spricht ebenfalls von zur Bewegung der Zähne dienenden, der äusseren Darmhaut angehörenden Muskeln, die er aber nicht näher beschreibt. ?) Siehe Fig, 4. 365 Wirkungen der genannten Muskeln werden folgende sein: Die Rings- muskelfasern verengern, indem sie sich zusammenziehen, das Lumen des Kaumagens, zu gleicher Zeit verkürzen sich aber auch die in die Taschen und Zähne gehenden Längsmuskeln, und dadurch werden die ersteren nach unten, die letzteren nach oben gezogen. Durch Zusammenziehung aller dieser Muskeln wird also folgender Effect hervorgebracht. Die Zähne bewegen sich nach innen und unten, wirken daher reibend; die Taschen dagegen bewegen sich nach innen und oben und bewerkstelligen auf diese Weise einen ihrer Form vollkommen entsprechenden Klappenverschluss, durch welchen zeitweilig die Com- munication der Höhle des Kaumagens mit der des folgenden Darm- absehnittes unterbrochen werden kann. Was die Radialmuskeln betrifft, so haben dieselben eine der früheren entgegengesetzte Bestimmung, nämlich die, die Zähne nach aussen zurückzuziehen, auf diese Weise die Höhle des Kaumagens zu erweitern und den Speisen einen freien Durchgang zu verschaffen. Was die Structur des vom Kaumagen abgehenden und in den Chylusmagen eingestülpten Darmstückes betrifft, so ist darüber fol- gendes zu bemerken. Es fehlt die äusserste, nämlich die Muskellage, und es sind demnach nur folgende Schichten vorhanden: Eine structurlose membrana propria als äusserste Begrenzung, ferner eine Zellenschieht und eine Chitin- membran. Die Charaktere derselben stimmen in Wesentlichen mit den früher angeführten überein. Die Zellen der Zellenschicht sind rundlich-oval, haben einen deutlichen Kern und einen fein granulirten Inhalt. Nur ist zu bemerken, dass nach vorn die Zellenschicht zarter, heller und durchsichtiger ist, während nach hinten, gegen den Chylus- magen, die Wände der Zellen an Dicke zunehmen, und zugleich der Inhalt ein gröberer wird. Von der Chitinmembran ist zu bemerken, dass dieselbe in der oberen Hälfte mit Stacheln, die 0,004 Millim. lang sind, besetzt ist, die aber nicht wie im Oesophagus nach einem bestimmten Plane angeordnet, sondern unregelmässig zerstreut aufsitzen. Das oben erwähnte Verhalten der Zellenschicht steht mit dem der Chitinmembran im verkehrten Verhältnisse, indem diese nämlich vorn viel dichter ist, nach hinten hingegen an Dieke abnimmt und zarter wird, 366 Zudem ist sie in sehr viele Längsfalten gelegt. Das Ende derselben konnte ieh nieht mit Bestimnitheit nachweisen, doch sieht man unter dem Mikroskope den Chylusmagen von dem eingestülpten Theile des Kaumagens durch eine scharfe Contour abgegrenzt. Chylusmagen, Den Chylusmagen beschreiben die Autoren ganz so wie den übri- gen Darmkanal, nur mit der Ausnahme, dass sie die mittlere Schicht als mehr entwickelt annehmen. So Ramdohr '), der die flockige Lage im Chylusmagen als eine besondere Haut bestehen lässt, die mit sehr kleinen hellen Kügelchen besetzt und von hellen quer- und längslaufenden Furchen durchzogen ist. Die schon oben erwähnte von Lacordaire und Straus-Dürkheim so benannte memdrane papillaire mit ihren granulations und globules soll ebenfalls, nach Ersterem besonders, in der „portion estomacale“ entschiedener ausge- sprochen sein. Straus-Dürkheim nennt die granulations in diesem Darmabschnitt „glandes gastriques destinees ä seereter quelque liqueur gastrigue.“ So sprechen auch Frey und Leuckart ?) von drüsenarti- gen Gebilden, die aus einer Aggregation von Zellen bestehen, und auch Siebold®) beschreibt in dem ganzen mittleren Darmabschnitt des Ver- dauungskanals der Insekten eine aus diehtgedrängten Zellen bestehende Schicht, an der eine drüsige Beschaffenheit deutlich wahrgenommen werden kann. Auch Leydig*) erwähnt an der Innenfliche des Darms bei wirbellosen Thieren als Drüsen anzusprechende Vertiefungen, Eine membrana intima wird von Allen als im Chylusmagen vorkommend an- genommen. So spricht sich Ramdohr, obgleich er, wie er selbst sagt, sie nicht immer auffinden konnte, dennoch dahin aus, dass er eher an seiner Geschicklichkeit, als an ihrem Vorkommen zweifle, Eben so be- schreiben sie Siebold und Morawetz, nur Frey und Leuckart°) erwähnen ausdrücklich, dass es nicht unwahrscheinlich sei, dass eben Y) L. c. $. 32, 2) Lehrbuch der Zootomie von Wagner. II. Band. )L. co *) L. e. 8. 307. 5, L. e. p. 61. 367 diese innere Haut einigen anderen Darmabsechnitten, besonders dem Chylusmagen fehle. Um den histologischen Bau des Chylusmagens genau studiren zu können und zugleich über die Topographie seiner Elemente in’s Klare zu kommen, ist eine gewöhnliche Präparation mit der Nadel nicht ausreichend; ich habe daher nach vielen Versuchen folgendes zweckmiissige Verfahren ermittelt. Man lege den Darm kurze Zeit, etwa 1—2 Stunden, in Holzessig, nachdem man ihn jedoch nicht aufgeschnitten, sondern bloss seines Inhalts vorsichtig entleert hat, von den getrockneten Präparaten mache man dann Quer- und Längs- durelischnitte. Die feineren histologischen Verhältnisse müssen zwar am Frischen studirt werden, doch ist auch hier zum besseren Ver- ständnisse eine kurze Behandlung mit Holzessig und Chromsäure sehr dienlich. Auf diese Weise bin ich belehrt worden, dass der Chylusmagen nach dem allgemeinen Grundplan ') des Insektendarms gebaut sei und demnach aus einer homogenen membrana propria bestehe, der nach Innen ein Epithel, das jedoch hier sehr starke Veränderungen erlitten hat, aufsitzt und die nach aussen durch Auflagerung einer muscularis verstärkt wird. Die Muskelhaut, die, wie wir gesehen haben, dem in den Chylus- magen eingestülpten Theil des Kaumagens abging, ist wieder im Chylusmagen vorhanden und besteht bier ebenfalls aus zwei Schichten (Fig. 9 a), einer äusseren Längsfaser- und einer innern Querfaserschicht Die Fasern der ersten liegen dicht an einander und bilden eine dicht geschlossene Membran, während die der zweiten durch anastomotische Verzweigungen, wie dies schon im Oesophagus beschrieben wurde, ein netzartiges Gewebe bilden, dessen einzelne Maschen jedoch grösser sind als im Oesophagus. Die der museularis folgende membrana propria ist leichter isolirbar und auf ihrer Innenseite in Falten ausgestülpt, die wabenartige Vertiefungen einschliessen. Von der Fläche angesehen haben diese Falten das Aussehen eines faserigen Maschengewebes, ') Leydig, 1. e. 8. 298, 368 doch überzeugt man sich leicht an Durchschnitten von Falten und Wabenbildung. Das der membrana propria aufsitzende Epithelium zeigt eine zweifache Beschaffenheit, Erstens findet man unregelmässige Zellen, welche, das Enchym napflörmiger Gruben der membrana propria darstellend, wahrscheinlich die Bildner des hier abgesonderten alkalischen Secretes sind (Fig. 9c). Ich will sie mit dem Namen der Krypten belegen. Unter dem einfachen Mikroskope sieht man, wie schon Ramdohr angiebt, helle quer und längslaufende Furchen, die, wie leicht einzuse- hen, nichts anderes sind, als die zwischen den drüsenartigen Gebilden bestehenden, von den Falten der membrana propria ausgefüllten Zwichenräume. Morawetz, der, sowie im ganzen Darm, auch im Chylusmagen keine membrana propria beschreibt, spricht nur von durch die Muskel- fasern gebildeten viereckigen Feldern, über deren Inhalt er Folgendes angiebt: massam invenimus peculiarem subtilissime granulatam globulis coacervatis constantem peripheria irrequlari et circulata. Diese eigen- thümliche Masse, welche wahrscheinlich mit den von mir beschriebenen Gebilden übereinstimmt, erklärt er, da er keine Structur an ihr wahrnehmen kann, mit Ramdohr für Chylus. Zweitens finden wir zwischen den Krypten wurzelnd und sich über dem Inhalte derselben zusammenschliessend lange bis zur membrana propria herabreichende Oylinderzellen (Fig. 9 d). Ihre Länge beträgt 0,04 Millim. und die Breite ihres oberen Endes 0,004 Millim. An ihrem oberen Ende tragen sie einen Saum (Fig. 9 e) von !,005—-0,004 Millim. Breite, der eine leichte Querstreifung zeigt. Bei starker, 500—600maliger Vergrösserung sieht man, dass diese Streifung wie an dem Epithelium der Darmzotten der Wirbelthiere von dem hier von Brettauer und Steinach beschriebenen Stäbchenorgan herrührt. Es ist dasselbe schon an frischen Präparaten deutlich, behandelt man aber den Darm mit Holzessig, so tritt es besonders klar und deutlich hervor, denn es kommen dadurch Formen (Fig. 10) zur Anschauung, die im Stande sind jede andere Ansicht über die Ursachen der Streifung des Zellen- saumes zu annulliren, 369 Leydig.') und in neuester Zeit Kölliker beobachteten ebenfalls am Magenepithel verschiedener Insekten einen Saum, dessen Streifung doch von genannten Autoren mit Unrecht für den Ausdruck von Porenkanälen, die die Cutieula durchbohren, angegeben wird, wie sie ja bekanntlich auch den gestreiften Saum an den Cylinderzellen der Darmzotten der Wirbelthiere für poröse Zellendeckel halten. Dieses so eigenthümlich charakterisirte Epithel, dessen Zellen ich oft derart von vielen Fetttröpfehen erfüllt sah, dass ich wirklich eine Resorption derselben anzunehmen im Stande sein konnte, das bei Säugethieren nur im Dünndarm vorkommt, und dort ebenfalls die Fettresorption zu besorgen hat, kommt bei D/atta orientalis wur im Chylusmagen vor, Durch diese Thatsache gelangt man zur Ansicht, dass besonders hier die Resorption, zum allerwenigsten Fettresorption zu Stande kommen müsse, und in dieser Ansicht wird man um so mehr bestärkt, wenn man bedenkt, dass die Auskleidung des ganzen übrigen Darms eine Chitinmembran ist, also eine Membran, die ihrer bedeutenden Resistenz und geringen Permeabilität wegen, wohl nicht im Stande sein wird Fetttröpfehen hindurch zu lassen, aber leicht fähig sein kann, thierischen Flüssigkeiten den Durchtritt zu gestatten. Blinddärme. Die Blinddärme stimmen in ihrem Bau ganz mit dem des Chylus- magens überein, bilden also, wie dies schon Leon Dufour ganz richtig bemerkt, eine unmittelbare Ausstülpung desselben und dienen dazu, die Resorptions- und Seeretionsflüche zu vergrössern. Ihre Wände sind im Allgemeinen dünner und zarter als die des Chylusmagens ; die Grössenverhältnisse der Drüsen und Epithelzellen weichen jedoch nicht viel ab und sind folgende: Länge der Epithelzellen 0,03—0,04 Millim., Breite des Saumes 0,002 Millim., Durchmesser der Drüsen 0,02 Millim, Dünndarm, Diekdarm, Reetum. Die Struetur der Darmabschnitte, die hinter dem Chylusmagen liegen, ist der der vor demselben gelegenen ganz gleich. Wir begegnen nn ") Lo 8. 505. 370 also hier ebenfalls zwei Muskellagen, einer membrana propria, einer ehitinogenen Zellensehieht und einer innersten Chitinmembran. Letztere ist vorzüglich in dem so von Leon Dufour benannten Dünndarm entwickelt, dicht mit Härchen von der Länge von 0,005—0,008 Millim. besetzt, und in gegen das Darmlumen vorspringende Falten gelegt. Eine noch grössere Ausbildung erhält sie am hinteren Ende, wo sie, ähnlich wieim Kaumagen, eine Klappe bildet (Fig. 13). Der Bau derselben ist dem des Kaumagens ähnlich, aber nicht so complieirt, da dieselbe auch einer einfachen Function, nämlich der der Bildung eines Verschlusses zwischen dem Diünn- und Dickdarm vorsteht. Wir finden also bei derselben folgende Schichten: 1. Eine äussere Ringsmuskel-, 2. eine Längsmuskelschicht (beide Fortsetzungen der Muskelschicht im Chy- lusmagen). Von der letzteren lösen sich ebenfalls Muskelfasern ab, die in die Klappe hineingehen und sich in derselben inseriren. Die Verriehtung dieser Muskelfasern ist klar, nämlich ein blosses Ausdehnen und Zusammenziehen der Klappe und demzufolge eine Erweiterung und Verengerung des Darmlumens. Der Muskellage folgt wie. immer eine structurlose membrana propria, und dieser die chitinogene Zellen- schicht, die auch hier nicht einfach ist und sich in die Klappe fortsetzt. Die nun folgende Chitinmembran ist es, welche die Klappe selbst bildet. Diese ist eine ziemlich weit in das Darmlumen hineinragende Ringsfalte (Fig. 13 2), die auf ihrer vorderen Fläche sechs Zipfel (Fig. 13 a) trägt, deren jeder mit braunen Stacheln von 0,008—-0,02 Millim. Länge besetzt ist, so zwar, dass die an der Spitze befindlichen am grössten sind. Vom Bau des Dickdarms ist nichts Wesentliches zu bemerken, als dass die Chitinmembran ebenfalls in sehr ausgesprochene Längsfalten gelegt und mit zerstreut liegenden Stacheln besetzt ist, die eine Länge von 0,01—0,02 Millim. haben. Die Zellen der Zellenschicht sind rund- lich oval, liegen ziemlich dicht aneinander und betragen im Durchmesser 0,008—0,01 Mm. Das dem Dickdarm folgende Rectum ist ebenso ge- baut, wie jener, doch verdient sein hinteres birnförmig erweitertes Ende eine nähere Beachtung. Es laufen nämlich in der Wand desselben parallel mit der Längenachse sechs Wülste herab, die auch in das Lumen des Rectums hineinragen. Der Bau derselben ist klar. Man 371 findet nämlich auch hier zuäusserst die Muskellagen, dann die membrana propria, einen hohen Grad von Entwicklung erreicht aber besonders die Zellenschicht, die es auch vornehmlich ist, welche das Material zur Bildung der Wülste abgiebt. Die Zellen in derselben sind rundlich, gekörnt und betragen 0,009 Mm. im Durchmesser. Solche Wülste sind bei den Insekten schon lange bekannt und schon Swammerdam !), Sukow ?) und andere haben dieselben ihrer Form nach beschrieben. Leon Dufour) bezeichnet sie als rubans museuleux und lässt sie eine wichtige Rolle beim Hinausschaffen der Excremente übernehmen. Morawetz*) will auch hier eine Ansammlung von Chylus gesehen haben, was ich aber nicht bestätigen kann, so wie überhaupt die Function dieser Organe noch gänzlich im Unklaren ist. Adnese Drüsen des Intestinal- Traetus. 1. Speicheldrüsen. (Fig. 11). Zu den adnexen Drüsen des Darmkanals, solchen nämlich die ihr Seeret in seine Höhlen ergiessen, gehören vor allem die Speicheldrüsen (glandulae salivales). Von dem Gewebe derselben im Allgemeinen gilt ganz dasselbe, was Häckel°) über das Drüsengewebe des Flusskrebses angiebt, nämlich dass es von dem allgemeinen Ueberzugsgewebe der äusseren und inneren Decken nieht zu trennen ist, mit demselben in ununterbrochener Continuität steht, und eigentlich nur Einstülpungen in das darunter gelegene Körperparenchym darstellt. An den Ausführungsgängen, sowohl den der eigentlichen Drüsen, als des Speichelreservoirs wiederholen sich nämlich mit Ausnahme der Muskeln genau dieselben Gewebe wie im Darmkanal; sie bestehen demnach aus einer äusseren, aus homogenem Bindegewebe bestehenden, structurlosen hyalinen membrana propria (Fig. 11a), auf welcher ein Epithelium (Fig. 11 2), bestehend aus rundlichen, ovalen, kernhaltigen Zellen, aufsitzt. Dieses Epithelium ’) Bihlia naturae. ”) Heusinger’s Zeitschrift für organische Physik. Bd. III. #») Recherches ete. NL o ») L. c. p. 523. 372 gehört jedenfalls, so wie das im Darmkanale auf der membrana propria sitzende, in die Klasse der Ohitinogengewebe, und in der That sitzt auch auf derselben eine chitinhaltige Cutieula (Fig. 11 e). Diese ist quergestreift und hat ganz das Aussehen von Tracheen, von denen man es an Präparaten, bei denen das Epithel durch Behandlung mit Reagentien zerstört wurde, nicht leicht unterscheiden kann. Sie erreicht einen desto grösseren Grad von Entwicklung, je mehr die Ausführungs- gänge sich den Einmündungsstellen in den Darmkanal nähern, während sie nach hinten zu in den feineren Ausführungsgängen immer zarter und feiner wird, und endlich gar nicht-mehr zu beobachten ist. Das Epithelium in den Ausführungsgängen setzt sich als Enchym in den Drüsen fort und bildet dort die rundlichen kernhaltigen, mit gekörntem Inhalte versehenen Secretionszellen (Fig. 11 e). Auch die membrana propria setzt sich von den Ausführungsgängen über die einzelnen Acini, zwischen denen sie brückenartig ausgespannt ist, als eine rn structurlose Bindegewebshülle fort. Was nun die Structur des Speichelsackes betrifft, den Morawetz als aus Vereinigung der hinteren Acini entstanden beschreibt, den ich aber sowohl bei Blatta germanica als bei Blatta orientalis als ein vollkommen isolirtes Organ kennen lernte, so ist darüber zu bemerken, dass wir auch hier drei, die Wände desselben constituirende Schichten unterscheiden, nämlich die schon 'so oft charakterisirte membrana propria, die Zellenschicht und die Chitinmembran. Letztere bietet keine besonderen Charaktere dar, sondern ist nur am Halse des Speichel- sackes wie in den oberen Ausführungsgängen der eigentlichen Drüsen tracheenartig quergestreift. Schon Ramdohr, Laeordaire u. A. erwähnen bei den Insekten Speicheldrüsen. Cuvier giebt an, dass sie immer röhrig gebaut sind, erst Meckel:) und Leydig:) geben den neueren Hülfsmitteln ent- sprechend die morphologischen Charaktere derselben genauer an. 2. Malpighische Gefässe. (Fig. 12). Diese bilden lange fadenförmige, an ihrem oberen Ende blind geschlossene mit ihrem ') Müller’s Archiv 1846, Mikrographie einiger Drüsenapparate. )L. eo. - 373 unteren offenen Ende in den Dünndarm einmündende Röhrchen, deren Durchmesser 0,05—0,06 Millim. beträgt. Die äusserste Begrenzung der- selben bildet eine aus homogenem Bindegewebe bestehende membrana propria. Das Lumen selbst ist von kernhaltigen Zellen, in der Grösse von 0,009—0,01 Mm. Durchmesser angefüllt, deren Inhalt aus kleinen stark lichtbrechenden Körnchen besteht. Ausserdem sah ich noch folgende Substanzen in der Höhle derselben: 1. Kleine stark licht- brechende gelbliche Kügelchen, deren chemische Charaktere unbestimmt sind; 2. helle weisse Kugeln, die Kölliker') (in neuester Zeit) so wie die gelblichen bei den malpighischen Gefässen der Insekten angiebt, 3. nadelförmige in Kugeln angehäufte harnsaure Krystalle. ‘Wenn die kleinen starkbrechenden gelblichen Kügelchen in grosser Menge vorhanden sind, so erscheinen die malpighischen Gefässe unter dem Mikroskope schwarzbraun und undurchsichtig, während sie sonst ganz hell und durchsichtig sind, und schwach gelblichgrün erscheinen. Nichtsdestoweniger konnte ich nie zweierlei malpighische Gefässe, die nach Leydig bei den Insekten vorkommen sollen, und von denen er die einen als Gallen-, die anderen als Harngefässe betrachtet, unterscheiden. Dieselbe Behauptung hat schon Kölliker gegen Leydig ausgesprochen. Nach meinen Untersuchungen bestimmen mich vorzüglich zwei Gründe die malpighischen Gefässe nur für Harn- gefässe zu halten: 1. bemerkte ich oft (wenn man schon die hellen und dunklen malpighischen Gefässe als zwei verschiedene Formen gelten lassen wollte) beide Arten in einander übergehen; ich sah nämlich solche, deren unteres Ende mit den stark lichtbrechenden Kügelchen erfüllt, also dunkel erschien, während im oberen Ende bloss die Secretionszellen und die erwähnten hellen Kugeln sich vorfanden "und die malpighischen (Gefässe daher auch dort durchsichtig und hell waren; 2. haben alle malpighischen Gefässe dieselbe Einmündungsstelle, d. h. sie münden sämmtlich unterhalb des Chylusmagens ein, was mit den bei anderen Arthropoden sicher als gallenbereitend erkannten Organen, so viel ich weiss, niemals der Fall ist; es steht dagegen nichts der Ansicht entgegen, dass die malpighischen Gefässe (wie dies ’) Würzburger Verhandlungen. 374 en schon Rengger, Wurzer u. A. vor einer Reihe von Jahren dargethan haben) Harngefässe seien, und um dies zur Genüge zu bestätigen, war Professor Brücke so gütig dieselben auf Harnsäure chemisch zu prüfen, welche er auch und zwar in grosser Menge darin fand. Physiologisches über die Verdannt Unsere bisherigen Kenntnisse über die Verdauung bei den In- sekten beschränken sich in Wesentlichen auf Vermuthungen, die man aus der Analogie derselben mit den Wirbelthieren schöpfte. So nahm man an, dass die Verdauung der Speisen bloss in dem Abschnitt statffinde, den wir mit Chylusmagen bezeichnet haben, und auch Ramdohr erwähnt, dass die Verrichtung des Magens in der Ver- dauung der Speisen und der Absonderung der nährenden Säfte (?) bestehe. Nach Burmeister ist der Ventrikel der eigentliche chylo- poötische Darm und vereinigt demnach die Function eines Magens und Dünndarms der Säugethiere: Kropf und Kaumagen hingegen sind dem Kropfe der Vögel analog. Die Zellenschicht im Kropfe betrachtet er zudem als Drüsen, deren Secret die Function eines zu- bereitenden Saftes übernimmt. Auch Leydig!) giebt über die Phy- siologie der Verdauung einige Andeutungen, in denen er vorzüglich dem Secrete der Speicheldrüsen eine grössere physiologische Bedeu- tung als die einer blossen Erweichung der Speisen zuschreibt, und im Darm (ventrieulus) den Speisebrei noch mancherlei Umän.lerun- gen erfıhren, hauptsächlich aber die Aufsaugung der gelösten Stoffe in die Blut- und Chylusgefässe (?) vor sich gehen lässt. Alle diese Angaben sind bloss aufgestellte Vermuthungen, und entbehren jeder physiologischen experimentellen Begründung. Von der Ansicht ausgehend, dass in jenen Darmabschnitten, in denen eine Chitinmembran vorkommt, die darunter gelegenen Zellen bloss eine chitinogene Bedeutung haben, durchaus aber nicht als einen Verdauungssaft absondernde Drüsen zu betrachten seien, muss sich vor Allem der Gedanke Einem aufdrängen, ob nicht vielleicht etwa NL. ce. 8. 333. = 375 it = andere Organe da seien, deren Secret eine verdauende Wirkung aus- zuüben im Stande wäre. Da waren es nun vor Allem die Speichel- drüsen, die mir wegen ihrer verhältnissmässig bedeutenden Grösse und Entwicklung auffielen. Die Untersuchung des Secretes derselben und des Inhaltes des Oesophagus, Kropfes und Uhylusmagens zeigte nun, dass das Secret der Speicheldrüssen, so wie der Oesophagus- und Kropfinhalt sauer, während der des Chylusmagens im oberen Theile gewöhnlich neutral und im unteren alkalisch war. Die morphologische Untersuchung hatte aber gezeigt, dass im Ohylusma- gen gewisse drüsenartige Gebilde vorkommen; man muss daher, wenn man weiss, dass im Oesophagus der Inhalt ein saurer ist und im Chylusmagen neutral oder alkalisch wird, doch daraus schliessen, dass, da keine anderen Organe mehr vorhanden sind, die beschriebenen Gebilde Drüsen seien, die eine alkalische Flüssigkeit absondern. Durch diese Thatsachen war nun erwiesen, dass schon im Kropfe möglicherweise ein Act der Verdauung vor sich gehen könne, und dass dieser auf Rechnung des Speicheldrüsen - Secrets gesetzt werden müsse; ferner dass auch im Chylusmagen ausser der Resorption, wie schon früher erwähnt, auch verdaut werden könne. Um diese An- nahme zu prüfen, stellte ich nach Angabe Herrn Prof. Brücke’s eine Reihe von Versuchen an. Es sind ihrer folgende: [ch nahm vorerst von zwei Thieren die isolirten Speicheldrüsen und legte sie in eine derartig verdünnte Lösung von Chlorwasserstoffsäure, dass 1000 Theile Wasser auf einen Theil CIH kamen, und füllte damit eine mässig grosse Eprouvette beinahe zur Hälfte. In eine solche Lösung legte ich ein Stück reines Blutfibrin und da zeigte sich, dass am anderen Tage das Fibrin bei gewöhnlicher Zimmertemperatur von + 16°R. im Durchschnitt gänzlich verschwunden, also verdaut war; die, ange- Ilten Gegenversuche stellten die Richtigkeit dieser Thatsache ausser weifel, indem Proben desselben Fibrins in der verdünnten “äure binnen 24 Stunden nur in der bekannten Weise aufgequollen ie zweite Versuchsreihe war folgende: In eine ‚schwache Lö- sung von gekochtem Amylum gab ich das erste Mal die Chylusmagen und Blinddärme, die ich zuvor ihres Inhaltes sorgfältig entleert hatte, 376 » von fünf, das zweite Mal von einem, und das dritte Mal von sechs Thieren, und liess das Ganze bei dem ersten Versuche sechs, beim zweiten vier und beim dritten bloss drei Stunden ebenfalls bei ge- wöhnlicher Zimmertemperatur und ungehemmtem Luftzutritt stehen. Nach Verlauf dieser Zeit zog ich mit Alkohol aus, dampfte diesen dann ab und die durch Güte des Herrn Professor Brücke mit dem Rückstande angestellten Proben erwiesen Folgendes: In jedem Rück- stande war Zucker nachweisbar, im zweiten zwar nur in geringeren aber sicheren Spuren, im ersten und dritten aber in beträchtlicher Menge. Man thut also gut, wenn man zu diesem Versuch immer eine grössere Menge von Chylusmagen nimmt. Die angestellten Ge- genversuche bestanden darin, dass ich eine gleich grosse Menge Stärkekleister bei derselben Temperatur eben so lange stehen liess, um zu sehen ob nieht etwa durch freiwillige Zersetzung sich Zucker bilde, was aber nicht geschah. Auf dieselbe Weise wie mit dem Chylusmagen verfuhr ich mit den Speicheldrüsen, bei denen auch ganz so wie früher Gegenver- suche angestellt und auch dieselben Resultate erzielt wurden. Aus diesen Versuchen gehen nun folgende Thatsachen mit Sicherheit her- vor: Das Secret der sogenanten Speicheldrüsen verdaut geronnenes Fibrin nach Art der Magensaftdrüsen der Wirbelthiere, es kann aber auch zur Verdauung des Stärkemehles mitwirken, so dass sich nicht entscheiden lässt, in wie weit die letztere sein Werk oder das Werk des alkalischen Secretes des Chylusmagens sei. Fassen wir nun alle wichtigen Ergebnisse im Allgemeinen zu- sammen, so sind diese folgende: 1. Die Chitinmembran ist im ganzen Darm mit Ausnahme des Chylusmagens vorhanden. 2. Die Zellenschicht unter der Chitinmembran ist nicht drüsiger Natur. j 3. Das Epithel des Chylusmagens ist ein resorbirendes, nur die an der Wand des Chylusmagens sitzenden Gebilde sind ein alkali- sches Secret absondernde Drüsen. I Fig.6® Fig 1 Fig 3 fig. 7 INN A hl IN | || 7 kig.12 ID BaaaLBULUU LEE U 22 EINEED 23237777 77° PPTRTSTTUITTTTATTITTITLEETLEITT 0 . 377 4. Es gieht nur einerlei Art malpighischer Gefässe und diese sind Harngefässe '). 5. Das Secret der Speicheldrüsen verdaut Stärke, und in mit CIH angesäuertem Wasser auch Fibrin. 6. Durch den Chylusmagen kann man gleichfalls Stärkekleister in Zucker umwandeln. ") Um zu sehen, ob sich nieht in irgend einem Theile des chylopoetischen Sy- stems gallenbereitende Organe auffinden liessen, befeuchtete ich einen ganzen Darm- kanal mit seinen Anhängen mit verdünnter Salpetersäure und liess ihn längere Zeit an der Luft liegen, um abzuwarten, ob sich etwa die eine oder die andere Partie grün färben würde, aber es geschah nicht. MOLESCHOTT Untersuchungen. VI. 25 “ 378 Fig. 1. ® w v 4. Erklärung der Abbildungen. Der ganze Intestinal-Traetus. aa Schlund (faux), a Oesophagus, b Kropf, c eigentliche Speicheldrüsen, d Speichelreservoir, e Kaumagen, f Blinddärme, o Chylusmagen, g Malpighische Gefässe, h Dünndarm, i Diekdarm, k Coecum, l Rectum, m birnförmige Auftreibung desselben, n Wülste, s Ringswulst am Dünndarm, a Ausführungsgänge der Speicheldrüsen und des Speichelreservoirs, c' Ausführungsgänge der Speicheldrüsen , d n des Speichelreservoirs. . Stück des Kaumagens, aufgeschnitten und stark vergrössert, von innen an- gesehen, a Zähne, 5 Hauptleiste, ec Nebenleisten, d Taschen der ersten Reihe, e n „ Zweiten „ f Leisten, die sich an die Taschen inseriren, g Felder der Chitinmembran der Ingluvies, von kleineren Stacheln begrenzt. . Durchschnitt vom Oesophagus senkrecht auf die Längsachse geführt. a Eine Trachea, 5 Durchschnitt vom Quer- und Längsmuskel, c Membrana propria, d Zellenschicht, e Chitinmembran, f Stacheln. Muskelhaut des Oesophagus, bestehend aus zwei über einander liegenden Schichten, 379 Fig. 5. Zellenschieht des Oesophagus mit der dazwischen und darunter liegenden : @-ım Membrana propria. . a u. 5 Stacheln im Oesophagus, sehr stark ‘vergrössert. . Zwei wellenförmige Linien mit den darauf sitzenden Stacheln. . Durchschnitt eines Zahnes vom Kaumagen, nachdem die Chitinhülle abgelöst worden ist. a Ringsmuskel, b Radialmuskel, ce Längenmuskeln, die sich an den Zahn inseriren, d = » » » die Tasche inseriren, e Zellenschicht. . Durchschnitt des Chylusmagens. a Muskelschicht, b Membrana propria, c Drüsen, d Cylinderepithel, e Stäbchen. . Eine isolirte Zelle aus dem Cylinderepithel des Chylusmagens. . Ein sich theilender Ausführungsgang einer Speicheldrüse mit mehreren Aecinis a Membrana propria db Epithelium c Chitinmembran, d Membrana propria e Zellen des Ausführungsganges, | der Acini. . Malpighisches Gefäss. - Klappe zwischen Dünn- und Dickdarm. a Klappenzipfel , b eigentliche Klappe. 25 * XXI. Ein Beitrag zur Kenntniss der glatten Muskeln. Von Jac. Moleschott. 1. Methode der Untersuchung. Ein Jeder, der öfters im Falle gewesen ist, glatte Muskelfasern zu präpariren, weiss, dass die zu überwindende Schwierigkeit darin besteht, die von Kölliker zuerst richtig erkannte Faserzelle mit ihren beiden zugespitzten Enden isolirt so darzustellen, dass man zu- gleich den stäbehenförmigen Kern und die Faser deutlich sieht. Wendet man, wie das von Anfang an am häufigsten geschehen ist, Essigsäure an, um zum Ziel zu gelangen, dann läuft man am leich- testen Gefahr, dieselbe zu stark zu nehmen, so dass man zwar auf der Stelle die Kerne sehr deutlich hervortreten sieht, die Fasern dagegen entweder so stark aufquellen, dass man ihre Grenzen nicht erkennt, oder geradezu sich auflösen. Aber man kann sich auch umgekehrt einer zu schwachen Essigsäure bedienen, und dieser Fehlgriff bringt zweierlei Uebelstände mit sich. Es lassen sich nun die Fasern nicht als isolirte Einheiten darstellen oder doch nur sehr schwierig, weil der Zwi- schenstoff, welcher die Fasern zusammenkittet, in der zu stark verdünnten X 381 Essigsäure schwer löslich ist, und ausserdem sind die Kerne nicht sichtbar. Ich habe daher, gestützt auf meinen Lieblingssatz, dass das beste Messer in der Hand des Mikroskopikers ein richtig gewähltes chemi- sches Reagens ist '), mit Hülfe der Herren Jenni von Glarus und Hirt von Solothurn, die Frage beantwortet, wie stark die Essigsäure sein muss, wenn man Beides erzielen will, dass nämlich die Faser- zellen als solche deutlich seien und zugleich die Kerne. Auf die Leichtigkeit der Isolirung der Fasern wäre allerdings auch ein Nach- druck zu legen, da das Gewebe der glatten Muskelfasern, in der Mus- kelhaut des Darmkanals z. B., einen so hohen Grad von Elastieität besitzt, dass es die arbeitenden Nadeln, wenn ich so sagen darf, ver- spottet. Ich unterlasse es aber, diese Aufgabe zu betonen, weil ich gleich nachher ein Mittel angeben kann, welches in dieser Beziehung die Essigsäure weit hinter sich lässt. £ Wenn man es mit Geweben zu tihun hat, die sehr vorherrschend aus glatten Muskelfasern bestehen, dann ist die Mischung von 1 Raum- theil starker Essigsäure (1,070 spec. Gew.) mit 99 Raumtheilen destil- lirten Wassers ein Mittel, das sicher zum Ziele führt. Taucht man z. B. Abschnitte der Muskelhaut des Magens oder Darms der Säugethiere 5 bis 10 Minuten bei einer Zimmerwärme von etwa 20° ©. in die bezeichnete Flüssigkeit, dann findet man, dass die oberflächlichen Schichten es gestatten, die Muskelfasern zu isoliren, und man erhält leicht mikroskopische Bilder von Faser und Kern, die nichts zu wünschen übrig lassen. Am besten gelingt dies, wenn die Muskelhaut nicht ganz frisch, sondern, von Schleimhaut und Serosa getrennt, einen Tag lang aufbewahrt wurde. Nicht nur, dass die Fasern sich dann leichter in ihrer ganzen Länge isoliren lassen, sondern sie treten auch deutlicher hervor, weil sie nicht ganz homogen und durchsichtig, sondern mehr oder minder undurchsichtig und schwach körnig werden. Trotzdem erscheinen dann die stäbehenförmigen Kerne deutlich. ") Vergl. diese Zeitschrift Bd. IV, 8. 106. Ich erlaube mir hier das obige Motto von mir selber zu citiren, nicht weil es dem Inhalte nach neu ist, sondern weil es den Ausgangspunkt zu einer Reihe von Studien bildet, über welche ich in dieser Zeitschrift noch öfter zu berichten hoffe. 382 Aber, ich muss es betonen, sicher geht man nur, wenn man alle die oben angegebenen Vorsichtsmaassregeln beachtet: die richtige Concentration, die Zeit und den Wärmegrad, was allerdings eine leichte Sache ist. Ueber die Concentration der Säure ist das Nöthige bereits gesagt. Die Dauer der Maceration muss um so länger sein, je kühler das Zimmer ist; im Sommer bedarf es oft keiner fünf Minuten, ist die Zimmerwärme nur 17° ©. oder darunter, dann muss häufig die Einwirkung der einprocentigen Essigsäure eine Viertelstunde und gar noch länger dauern, denn der individuelle Zustand der Muskelhaut ist auch nicht ohne Einfluss. Hält man sich an diese Bemerkungen, dann braucht man durchaus kein Nadelkünstler zu sein, um für eine Colleg-Vorweisung die lehrreichsten Präparate zu im- provisiren, i Dauert jedoch die Einwirkung der einprocentigen Essigsäure zu lange, dann werden die Fasern so durchsichtig, dass man sie nicht mehr erkennen kann. Zur rechten Zeit, d. h. noch etwa nach- einer halben Stunde, lässt sich dieser Schaden ausgleichen, wenn man unter das Deckgläschen wenig Alkohol oder gesättigte Kochsalzlösung zufliessen lässt. Sowie man aber zu viel von diesen Mitteln nimmt, un den Fasern wieder den hinlänglichen Grad von Undurchsichtigkeit zu ertheilen, dann schrumpfen diese in der Richtung des Querdurch- messers so stark zusammen, dass die Kerne undeutlich und zuletzt gar völlig unsichtbar werden. Durch noch längere Maceration in einprocentiger Essigsäure werden die Fasern gelöst, so dass man unter dem Mikroskop nur noch die Kerne sieht. Ausdrücklich sei hier bemerkt, dass ich mich zu allen diesen Macerationen kleiner Schälehen mit flachem Boden bediene, die etwa 6 Mm. tief sind und einen Durchmesser von 5 ©. M. haben, und dafür sorge, dass die zu macerirenden Theile ganz in der Flüssigkeit untergetaucht sind. Eine Essigsäure von 1,5 % wende ich in neuerer Zeit nur dann an, wennich es mit Greweben zu thun habe, in welchen, wie in der mittleren Haut grosser Arterien oder im Lungengewebe, die glatten Muskeln mit zahlreichen elastischen Elementen vermischt sind. Allein in den meisten dieser Fälle ist es noch vorzuziehen, wenn man mehre Tage oder Wochen lang die Gewebstheile in meiner starken Essigsäuremischung 383 liegen lässt, natürlich in geschlossenen Gläsern '). Darin kann man auch Muskelhäute Monate lang aufbewahren, und wenn man sie nachher in eine Mischung von 1 Raumtheil starker Essigsäure (1,070 spec. Gew.) 25 Raumtheilen Alkohol (0,815 spee. Gew.) und 50 ” destillirten Wassers legt, die ich als schwache Essigsäuremischung bezeichne, dann hält sich das Gewebe, so viel ich jetzt schon weiss, mindestens anderthalb Jahr in einem zur Untersuchung sehr geeigneten Zustande. Die Fasern lassen sich namentlich in ihrer ganzen Länge verhältnissmässig leicht isoliren. Die Essigsäuremischungen haben aber den Fehler, dass sie bei einer Einwirkung von vielen Monaten schliesslich die Kerne auflösen, ein Vorgang, den man ziemlich leicht in seinen einzelnen Uebergangsstadien, vom körnigen Zerfallen bis zu dem gänzlichen Verschwinden des Kerns beobachten kann. Ein souveränes Mittel, um die glatten Muskelfasern in Muskelhäuten nicht zu 4 oder 5 oder Dutzenden, sondern zu Hunderten zu isoliren, ist, wie ich mit meinem sehr eifrigen Assistenten, Herrn Hufschmid von Nesselnbach (Aargau), genauer ermittelt habe, eine Kalilauge von 32,5 %, die so angefertigt ward, dass 32,5 Gewichtstheile käufliches Kali ceaustieum in baculis in 67,5 Gewichtstheilen destillirten Wassers gelöst wurden. Das Kali, dessen ich mich bediente, enthielt, wie die alkalimetrische Untersuchung lehrte, 79 %, Kalihydrat, und 1,06 %, Kohlensäure. Den günstigen Einfluss einer Kalilauge von der ange- gebenen Stärke habe ich zuerst in Erfahrung gebracht, als ich die von mir zur Untersuchung der verhornten Theile des menschlichen Körpers empfohlenen Kalilaugen in etwas stärkerer Concentration auf das Darmepithel des Frosches anwenden wollte. Eine 30 %, Kalilösung leistete für die kegelförmigen Epithelzellen nichts; das ganze Darm- stück wurde nach kurzer Maceration ausserordentlich weich, unter dem Mikroskop zeigten sich aber neben anderen Gebilden unzählige schön isolirte, in der Mitte bauchige, an beiden Enden zugespitzte, dunkel- ') Vergl. meine Angaben in dieser Zeitschrift, Bd. IV, S 99, wo die Vorschrift zur Bereitung der starken Essigsäuremischung mitgetheilt ist, 384 randige, unregelmässig wellenförmig geschlängelte Fasern mit Andeu- tungen von stäbchenförmigen Kernen, die ich für nichts Anderes als glatte Muskelfasern halten konnte. Sie waren es in der That. Denn als ich die Muskelhaut vom Ochsenmagen auf gleiche Weise behandelte, zeigte sich zwischen den von dieser herrührenden Bildern und jenen, welche der Froschdarm geliefert hatte, kein Unterschied. Ich habe nun mit Herrn Hufschmid Kalilaugen von 30 %,, 32,5%, und 35°, mit einander verglichen, und wir sahen keine Ver- anlassung die Vergleichung weiter auszudehnen, da sich die mittlere Concentration am besten bewährte. Nach einer 20—30 Minuten bei mittlerer Zimmerwärme fortgesetzten Maceration zerfallen die an glatten Muskelfasern reichen Gewebe mit der grössten Leichtigkeit in isolirte Fasern, welche Anfangs in ziemlicher Anzahl noch charakteristisch genug die stäbehenförmigen Kerne wahrnehmen lassen, obgleich in letzterer Beziehung Essigsäure und Essigsäuremischungen bei Weitem vorzüglicher wirken als Kalilauge. In dieser quellen nämlich die Kerne bald auf, nehmen eine rundliche Gestalt an und werden schliesslich gelöst. Es bestätigt sich also für die Faserzelle der glatten Muskeln das so allgemein an Zellen und deren Derivaten beobachtete Verhalten, dass nämlich die Zellenwand den Alkalien, der Zellenkern der Essigsäure besser widersteht. Ich fasse die mikrochemischen Vorschriften zur Präparation der glatten Muskelfasern in folgenden Sätzen kurz zusammen, Will man die glatte Muskelfaser aus Muskelhäuten isolirt darstellen, so dass man den stäbchenförmigen Kern und die Faser gleich deutlich sieht, dann macerire man kleine Abschnitte des be- treffenden Gewebes bei mittlerer Zimmerwärme 5 bis 10 Minuten in einprocentiger Essigsäure. Gilt es die glatten Muskelfasern in grosser Anzahl mit der geringsten Mühe zu isoliren, ohne dass ein Nachdruck auf‘ die Demonstration des Kerns gelegt wird, so wende man eine bei mittlerer Zimmerwärme 20 bis 30 Minuten lang fortgesetzte Maceration des Gewebes in Kalilauge 32,5 °/, an. Um endlich die Muskelfasern Monate lang mit ihren Kernen in einem vortrefflichen und leicht isolirbaren Zustande zu erhalten, lege 385 man das Gemebe erst einige Wochen in meine starke Essigsäure- mischung, um es nachher in meiner schwachen Essigsäuremischung zu bewahren. Nach diesen methodologischen Erfahrungen lag es für mich sehr nahe, sie zur Beantwortung einiger Fragen, das glatte Muskelgewebe betreffend, anzuwenden, und über diese Anwendung soll in den fol- genden Blättern Bericht erstattet werden. 2. Darmmuskeln, Lässt man ein frisches Darmstück vom Menschen oder von einem Säugethier drei Wochen in meiner schwachen und darauf sechs Wochen in meiner starken Essigsäuremischung liegen, dann findet man den serö- sen Ueberzug des Darms ganz oder beinahe ganz gelöst, und man kann nun mit Leichtigkeit die Muskelhaut in ihre äussere Längsschicht und ibre innere Kreisfaserschicht zerlegen. Das Verfahren ist sehr em- pfehlenswerth, um anatomische Präparate von der Muskelhaut des Darms und ihren beiden Schichten anzufertigen. Ich habe es dazu benützt, die Längenmaasse der Muskelfasern und ihrer Kerne in den beiden Schichten zu vergleichen. Zu dem Ende liess ich Abschnitte der in ihre beiden Schichten zerlegten Muskelhaut des Menschen ®, bis 1 ganze Stunde in 30pro- centiger Kalilauge liegen, dafür sorgend, dass die Präparate aus beiden Schichten nach gleich lange fortgesetzter Maceration dargestellt wurden, wobei mich Herr Hufschmid unterstützte. Die Fasern liessen sich dann leicht isoliren. Die Länge der Fasern der Längsschicht schwankte zwischen 0,123 und 0,333 Mm., das Mittel aus zehn Messungen war 0,219 Mm, Die Länge der Elemente der Kreisfaserschicht war 0,117 bis 0,380 Mm,., die mittlere Länge nach zehn Messungen: 0,214 Mm. Um die Länge der Kerne in beiden Schichten zu bestimmen wurden Präparate benützt, auf welche die Essigsäuremischungen gleich lange eingewirkt hatten, ohne nachherigen Zusatz von Kali. Die Länge der Kerne in der Längsfaserschicht war 0,015 bis 0,025 Mm., durchschnittlich, nach zehn Messungen: 0,020 Mm, 386 Die Länge der Kerne in der Kreisfaserschicht schwankte zwischen 0,017 und 0,027 Mm; das Mittel von zehn Messungen war 0,020. Ich habe solche Messungen auch am Hundedarm vorgenommen und fand hier die Fasern beider Schichten nach mehrwöchiger Ein- wirkung meiner starken Essigsäure so leicht isolirbar, dass ich keine Kalilauge anzuwenden brauchte, um gut messbare Objecte in hinläng- licher Anzahl zu gewinnen. Bei diesen Messungen half Herr Hirt. Die Fasern der Längsschicht massen 0,17 bis 0,32 Mm., das Mittel aus zehn Messungen ergab 0,250 Mm, In der Kreisfaserschicht.mass die kleinste Faser 0,200, die grösste 0,405 Mm., die mittlere Länge betrug nach zehn Messungen 0,249 Mm. Die Länge der Kerne war in der Längsschicht 0,022 bis 0,028 Mm., Mittel aus zehn Messungen 0,024 Mm. Die Länge der Kerne in der Kreisfaserschicht schwankte zwischen 0,020 und 0,032, das Mittel aus zehn Messungen ergab 0,024 Mm. Hieraus ergiebt sich, dass die glatten Muskelfasern in den beiden Schichten der Muskelhaut im Darm des Menschen wie in dem des Hun- des wesentlich dieselbe Länge haben. Das Gleiche gilt von den Kernen. In der Muskelhaut des Hundedarms sind die Kerne etwa %, länger als in der des Menschendarms, obgleich beide nur in Essig- säuremischung macerirt wurden; hiernach dürfte es nicht bloss von der verschiedenen Behandlung herrühren, dass auch die Fasern der Darm- muskeln beim Hunde ungefähr '/, länger gefunden wurden als beim Menschen. Zwischen der Länge der Kerne und der Fasern findet somit beim Menschen und beim Hunde nahezu dasselbe Verhältniss Statt. Die Längsmuskeln des Hundedarms sind in Bündeln geordnet, die auf dem Querschnitt unregelmässigen Kreisabschnitten gleichen, deren Sehnen 0,48 bis 0,77 Mm., durchschnittlich 0,60 Mm. messen. Wenn man die Muskelhaut eines längere Zeit in starker Essig- säuremischung macerirten Hundedarms in die Längsschicht und Kreis- faserschicht spaltet, dann kann man schon mit blossem Auge wahr- nehmen, dass ganze Muskelbündel der Längsschicht in die Querschicht eindringen. Betrachtet man nun Abschnitte der Querschicht unter dem Mikroskop, dann sieht man einzelne Bündel von Längsfasern, welche die Hauptrichtung der Fasern senkrecht kreuzen. Und umge- 387 kehrt, wenn man einzelne Abschnitte der Längsschicht untersucht, findet man stellenweise dünne, bisweilen nur aus zwei Fasern beste- hende Bündel von Querfasern. Hat man bei starker Essigsäuremischung macerirte Abschnitte des Hundedarms getrocknet, dann lassen sich schr leicht feine Schnitte der Muskelhaut darstellen, die durch nachheriges Einweichen in dersel- ben Essigsäuremischung sehr schön durchsichtig werden. Hat man sich auf diese Weise Tangentialschnitte der Längsmuskelschicht verschafft, dann findet man an manchen Stellen, in Abständen von 0,3 bis 1,5 Mm. Querfasern, welche senkrecht die Längsfasern kreuzen. Auf gleiche Weise gewonnene Radialschnitte der Längsmuskelschicht zeigen nicht selten Reihen der unregelmässig vieleckigen Querschnitte von quer- läufigen Fasern, welche der Breite nach 2, 4, 6 und mehr Querschnitte zählen, der Länge nach bisweilen von der Serosa bis zur Querschicht reichen, gewöhnlich aber Bündel darstellen, welche Y,, "a, °, von der Dieke der Längsschicht lang sind. In ganz ähnlicher Weise finden sich Bündel von Längsfasern in der Ringfaserschicht. In der Kreisfaserschicht eines Kalbsdarms fand ich die Längsbündel, welche 0,07 bis 0,13 Mm. breit waren 0,7 bis 1.3 Mm. von einander entfernt; der Abstand zwischen den Längsbündeln war also zehnmal so gross als deren eigene Breite. Hiernach ist die herkömmliche Lehre, als wenn die Längsschicht in der Muskelhaut des Darms nur Fasern enthielte, die der Achse des Darmrohrs gleichläufig sind, und die Kreisfaserschicht nur querläufige Fasern, zu berichtigen. Beide Schichten verdienen allerdings ihre bisherigen Namen, aber nur deshalb, weil diese die Hauptrichtung der Fasern richtig bezeichnen. An manchen Stellen findet man auch Muskelfasern, die dem Radius des Darmrohrs gleich gerichtet sind. Längsschnitte der in starker Essig- säuremischung eingeweichten und dann getrockneten Muskelhaut des Hundedarms zeigen nicht selten, wenn sie in der Essigsäuremischung gehörig wieder aufgeweicht sind, aussen Längsfasern, in der Mitte Fa- sern, deren Richtung, wenn auch im Allgemeinen etwas schräge, dem Radius des Darmrohrs entspricht, und innen Querschnitte von den Fa- sern der Kreisschicht herrührend. In einem Falle fand ich die Dicke 388 der äusseren Längsschichtt = 0,35 Mm., der mittleren Radialschichtt = 0,21 „ der inneren Kreisschichtt = 0,42 „ also der ganzen Muskelhaut = 0,98 „ Ich fand die Radialschicht inniger mit der Kreisschieht als mit der Längsschicht verbunden, so dass nach obiger Messung, wenn man die Radialschicht mit der Kreisschicht zusammennimmt, diese beinahe doppelt so dick wäre wie die Längsschicht, Jene schrägen Radialfasern verlaufen in vertikaler Richtung von der Längsschicht zur Kreisfaserschicht; deshalb sieht man sie vorzüglich schön an Längsschnitten der Muskelhaut des Darms, während Quer- schnitte nur mehr oder minder verlängerte schiefe Durchschnitte der Muskelfasern zwischen den Längs- und Ringfasern wahrnehmen lassen. An vielen Stellen fehlen diese Uebergangsfasern indessen ganz. Die bindegewebigen Elemente, welche die glatten Muskeln zu Bündeln vereinigen, sind der Hauptriehtung nach mit ihren Fältchen und Zellen radial, jedenfalls immer senkrecht auf die Hauptrichtung der Muskelfasern geordnet. In der Muskelhaut des menschlichen Darms kommen Fasern vor, welche sich dichotomisch spalten. Aus einem Präparat, das 3 Wochen in schwacher, 6 Wochen in starker Essigsäuremischung und 1 Stunde in 30procentiger Kalilauge gelegen hatte, sah ich eine Faser, deren längstes ungetheiltes Ende . . . 0,20 Mm., » kürzeres Ende jenseits der Theilung 0,12 „ » längeres „ r » 5 (keh Er mass, Die beiden äussersten Enden der Faser waren also 0,38 Mm. von einander entfernt. Eine andere Faser, welche von einem Prä- parate stammte, das 14 Wochen in starker Essigsäuremischung und dann 1 Stunde in 30procentiger Kalilauge gelegen hatte, war vor der Theilung . . . . . 0,08 Mm., der eine Ast nach der Theilung 0,03 „ „ andere, „ = y 0,05 „ lang. Kurz vor der Theilung war die Faser ein wenig dicker als in ihrem übrigen Verlauf. 389 Meine starke Essigsäuremischung gewährt auch ein vortreffliches Mittel, um die von Brücke entdeckte Muskulatur der Darmschleim- haut zu studiren. Auch bier ist die äussere Längsschicht dünner als die innere Kreisfaserschicht. Aus Präparaten vom Dünndarm des Hun- des, der über ein Jahr in starker Essigsäuremischung gelegen hatte, schnitt ich schmale Riemen, die getrocknet feine Längsschnitte lie- ferten, und durch Wiedereinweichen in der Essigsäuremischung aus- gezeichnete Objeete darstellten. Die Dicke der äusseren Längsschicht betrug 0,067 Mm., ei » » Inneren Kreisschicht „ O,1LO7h 3 Demnach ist also die Kreisschicht der Schleimhautmuskeln des Darms elwa um ein Drittel ihres eigenen Durchmessers dicker als die Längs- schicht. Die Länge der isolirten Muskelfasern ist hier viel kleiner als in der Muskelhaut des Darms. In der Längsschicht der Schleimhautmus- keln des Hundedarms misst sie 0,067 Mm., also nur reichlich '/, von der Länge der Fasern in der Muskelhaut. Wie Kölliker ') habe ich auch zwischen den Lieberkühn’schen Drüsen glatte Muskelfasern gesehen, und zwar nicht bloss um die blinden Köpfchen derselben, sondern auch um die Körper der Röhren. Eine solche Faser, welche parallel der Längsachse einer Lieberkühn’schen Drüse verlief, mass 0,063 Mm., ihr Kern 0,015 Mm. Die Länge der Kerne der die Ober- fläche Lieberkühn’scher Drüsen dicht umspinnenden Haargefässe ist geringer, ich fand sie 0,005 bis 0,010 Mm., im Mittel 0,0076 Mm. In den Zotten des Dünndarms reichen die Muskelfasern beim Menschen sowohl, wie beim Hunde, bis dicht an die Oberfläche. Ich habe mich hiervon an Präparaten überzeugt, die 14 Wochen in starker Essigsäuremischung gelegen hatten. Auch sind die Zotten des menschlichen Dünndarms sowohl, wie die des Hundes ziemlich reich an Muskelfasern, welche senkrecht zur Achse der Zotten ge- richtet sind, ja es sind diese Querfasern beim Menschen häufig nicht über 0,003 Mm. von einander entfernt. Die Länge der Muskelfasern in den Zotten schwankt beim Men- ') Kölliker, Handbuch der Gewebelehre des Menschen, 3. Aufl., 1859, 5. 420. ” 390 schen zwischen 0.033 und 0,047 Mm., durchschnittlich misst sie 0,04 Mm., also beinahe ®/, von der Länge der Fasern in der zu- sammenhängenden Muskelschicht der Schleimhaut. Die Kerne da- gegen sind in den Zotten eben so gross, wie am letztgenannten Orte, ihre Länge beträgt nämlich 0,016 bis 0,018 Mm Für die Untersuchung der Zottenmuskeln darf ich wohl meiner Essigsäuremischung einen besonderen Werth beilegen, da Donders und Kölliker angeben, dass dieselben beim Menschen schwerer als bei Thieren zu beobachten sind. Donders sagt: „beim Men- schen sind diese Kerne (der glatten Muskelfasern nämlich) viel klei- ner als beim Hunde, auch sparsamer und manchmal gar nicht wahr- zunehmen, zumal in Leichen, die nicht frisch sind“ "). 3. Muskeln der Lungenbläschen. Durch die Angaben von Schröder van der Kolk ?) und von mir ®) weiss man, dass die Wand der Lungenbläschen vorzugs- weise aus elastischen Fasern besteht. Allein schon in meiner Disser- tation *) hatte ich von der Anwesenheit von Muskelfasern in der Wand der Lungenbläschen gesprochen und wenig später, nachdem ich mit den bahnbrechenden mikrochemischen Untersuchungen von Donders und Mulder bekannt geworden war, riehtigere und ge- nauere Angaben darüber gemacht, indem ich namentlich die glatten Muskelfasern den elastischen Elementen unterordnete °). Heute, nach 13 Jahren, habe ieh darüber nichts zu berichtigen, als dass ich diese Unterordnung der muskulösen Elemente unter die elastischen nach- drücklicher hätte betonen sollen. Indess die Existenz der Muskelfasern in den Lungenbläs- chen ist nicht anerkannt. Zwar wurde von Kölliker sehr bald ') Donders, Physiologie des Menschen, 2. Auflage, Bd. I, S. 319. Vergl. Kölliker, Würzburger Verhandlungen, 21. Mai, 1853. 2) Schröder van der Kolk, Nederlandsch lancet, 2e Serie, Deel I, p. 428. ») Jac. Moleschott, ebendaselbst, pag. 446. und folg. *) Jac, Moleschott, de Malpighianis pulmonum vesiculis, 1845. p. 37, 38. ») Jac. Moleschott, Holländische Beiträge, herausgegeben von van Deen, Donders und Moleschott,. Bd. I, S. 17, 18, und Nederlandsch lancet, Deel I, p. 447, 391 meine erste Angabe bestätigt '), allein später die Bestätigung wi- derrufen, zuerst in dem ersten Bande seiner mit Siebold heraus- gegebenen Zeitschrift, zuletzt in seinem Handbuch der Gewebe- lehre ?), nachdem zuvor Rossignol ®) und Adriani, der unter der Leitung von Schröder van der Kolk und Harting gear- beitet hat, die Anwesenheit von Muskelfasern in der Wand der Lun- genbläschen geläugnet hatten *). Da es keine Ehre bringt, einem Gegenstand, der vorhanden ist und auf den schon von verschiedenen Seiten aufmerksam gemacht war, die Existenz abzusprechen, so werde ich mich weiterer Citate enthalten und nur bemerken, dass mit einer einzigen Ausnahme alle diejenigen, die sich mit der Untersuchung der Lungen selbst befasst haben, für die Wand der Lungenbläschen die Anwesenheit glatter Muskelfasern in Abrede stellen. Nur Ger- lach hat sich im Jahre 1849 für ihre Existenz ausgesprochen ®). Ich berufe mich auf sein seitdem nachdrücklich wiederholtes Zeug- niss im gleichen bejahenden Sinne um so lieber, da Gerlach es ablegt, ohne meine früheren Angaben zu berühren. Im Jahre 1854 schrieb Gerlach: „Auch glatte Muskelfasern, welche denselben Anblick, wie die in den Bronchialästehen vorkommenden, gewähren, konnte ich mit grösster Bestimmtheit in den Wandungen der Lun- genbläschen des Schaafes unterscheiden; auch in der Lunge eines zweijährigen Kindes fand ich dieselben ..... Durch ihr helles schleimiges Ansehen entziehen sich die glatten Muskelfasern hier allerdings häufig der Beobachtung, allein noch ganz vor Kurzem habe ich an frisch gekochten Lungenparthieen eines Erwachsenen die- selben mit der grössten Bestimmtheit wahrgenommen“®). Aber, wie gesagt, ich stehe in dieser Beziehung mit Gerlach allein, und ') Mittheilungen der naturforschenden Gesellschaft in Zürich, Bd. I, S. 21. ?) Kölliker, Handbuch der Gewebelehre, 3. Aufl., S. 479, ») Rossignol, Recherches sur la structure intime du poumon, Bruxelles 1846, p- 68. *) A. Adriani, Dissersatio anatomica inauguralis de subtiliori pulmonum structura, Trajecti ad Rhenum 1847, p. 63. ’) Gerlach, Handbuch der allgemeinen und speciellen Gewebelehre, S. 248, 249, *) Gerlach, in der zweiten Auflage seines Handbuchs, 8.277, 278, 392 wenn so ansehnliche Mikroskopiker, wie Harting, Kölliker, Donders !), Reichert °), ihre Stimmen in die entgegengesetzte Wagschale legen, dann ist es nicht zu verwundern, wenn die negative Angabe eine Art von Bürgerrecht erworben hat in den Handbüchern, deren Verfasser nur allzu oft lieber die Stimmen zählen und wägen, als sich über Streitpunkte durch eigene Unter- suchung ein Urtheil zu bilden, bevor sie sich in dem einen oder dem anderen Sinne entschieden aussprechen. Bei so bewandten Um- ständen schien es mir nicht nur gerechtfertigt, sondern Pflicht, seit- dem ich im Besitz von Untersuchungsmethoden bin, welche die glatten Muskelfasern auch an zweifelhaften Orten leichter zugänglich machen, den Gegenstand noch einmal aufzunehmen und meinen Befund nicht bloss gelegentlich, sondern mit einigem Nachdruck öffentlich mit- zutheilen. Ich habe mich in letzterer Zeit zu dem in Rede stehenden Zweck vorzüglich an die Lungen des Schweins, des Ochsen und des erwach- senen Menschen gehalten und empfehle denen, welche die Muskel- fasern in der Wand der Lungenbläschen noch nie gesehen haben, am meisten die Schweinelungen, und im Allgemeinen erwachsene vor jugendlichen Individuen, ganz besonders die Ochsenlungen vor denen des Kalbs. Um nun die glatten Muskelfasern in der Wand der Lungen- bläschen sichtbar zu machen, haben sich folgende Verfahrungsweisen als die vortheilbaftesten herausgestellt. Entweder man legt kleine Stückchen der frischen Lunge, etwa Würfelchen von 4 bis 6 Mm. Höhe in meine starke Essigsäuremischung und lässt sie längere Zeit darin liegen. Die Ochsenlungen, welche mir die schönsten Bilder gegeben haben, hatten über ein Jahr in der Essigsäuremischung ge- legen. Darauf macerirt man die aus der Essigsäuremischung ge- nommenen Stückchen etwa 24 Stunden in einer ziemlich reichlichen Menge distillirten Wassers, wodurch namentlich viel Epitheliendetritus 1) Donders, Physiologie des Menschen, Bd. I. (zweite Auflage), S. 364. 2) Ernestus Schultz, Disquisitiones de structura et textura canalium aeri- ferorum, Dorpati Livonorum 1850, p. 27—30. 393 abgespült werden kann, zerzupft die Stückchen und versetzt die Prä- parate behufs der mikroskopischen Untersuchung auf dem Öbjeetträ- ger mit 1,öprocentiger Essigsäure. Auf diese Weise angefertigte Prä- parate zeigen sehr deutliche glatte Muskelfasern in der Wand der Lungenbläschen, mit charakteristischen stäbchenförmigen, etwas gelb- lichen Kernen. Das zweite Verfahren besteht darin, dass man die Lun- gen aufbläst, kleine Stücke (nach den verschiedenen. Dimensionen 4 bis 6 Centim. messend) davon mit einem breiten Bande abschnürt, trocknet, und nachdem sie trocken genug sind, um feine Schnitte davon anzuferti- gen, diese etwa drei Stunden in einprocentiger Essigsäure einweicht. Wünscht man zu einem besonderen Zwecke, etwa zur Messung, die glatten Muskelfasern der Lungenbläschenwand vollständig zu iso- liren, dann ist es sehr zweckmässig, dünne Schnitte der getrockneten Lunge in 35procentiger Kalilauge eine halbe bis ganze Stunde zu maceriren. Untersucht man auf die angegebene Weise die Wand der Lun- genbläschen, dann findet man, dass die Muskelfasern in der Schweine- lunge am häufigsten, weniger häufig in der Ochsenlunge und am sel- tensten in der Menschenlunge sind, aber sie finden sich in allen dreien. Je seltener nun die Muskelfasern sind, desto zahlreicher sind die elastischen Fasern, so dass letztere in der Schweinelunge ein viel weniger entwickeltes Netz darstellen, als in der Lunge des Menschen und Ochsen. Man hat also hier ein ähnliches Beispiel der Vertretung von Muskelfasern durch elastische Elemente und umgekehrt, wie sie für den Musculus glosso@piglotticus der Thiere in dem elastischen Li- gamentum glosso@piglottieum des Menschen gegeben ist; letzteres be- steht der Regel nach aus elastischen Fasern und Bindegewebe, kann aber auch muskulös sein '). Die zahlreichen Fälle, in welchen ela- stische Bänder als Antagonisten von Muskeln’ auftreten, brauchen dem Leser dieser Zeitschrift nicht in’s Gedächtniss gerufen zu werden 2). Aus diesen Angaben erklärt sich nun, dass die Schweinelunge zum Aufsuchen der glatten Muskelfasern in der Wand der Lungen- ") Vergl. Henle, Allgemeine Anatomie, 8. 407. %) Vergl. unter Anderen Hyrtl, Lehrbuch der Anatomie, 2. Aufl., S. 61. MOLESCHOTT, Untersuchungen. VA, 26 394 bläschen einen doppelten Vortheil gewährt. Denn die Muskelfasern sind nicht bloss zahlreicher darin, sondern auch weniger inmitten von elastischen Fasern verborgen. Deshalb ist das zweite Verfahren, das ich oben angab '), nämlich etwa dreistündige Maceration getrockneter Lungenschnitte in einprocentiger Essigsäure, besonders für die Schweine- lunge anwendbar, während für die Lungen des Menschen und des Ochsen das ersterwähnte Verfahren den Vorzug verdient, viele Monate fortgesetzte Maceration in starker Essigsäuremischung, nachheriges Ausspülen in. Wasser und Zusatz von 1,öprocentiger Essigsäure ?). Indem ich dies schreibe, liegt ein Präparat vor mir, das die glatten Muskelfasern in menschlichen Lungenbläschen sehr deutlich zeigt; es wurde aus aufgeblasenen und getrockneten Lungen gewonnen, von welchen feine Schnitte 4 Monate lang in starker Essigsäuremischung und nachher 3 Tage lang in 2procentiger Essigsäure gelegen hatten. Es kommt eben darauf an, das Gewebe der Menschen- und Öchsen- lungen in Flüssigkeiten, welche die Muskelfasern nieht angreifen, so lange zu maceriren, bis die elastischen Fasern so viel auseinander ge- wichen sind, dass man die Muskelfasern wahrnehmen kann. Deshalb muss man die Essigsäure entweder im richtigen Verdünnungsgrade oder in Begleitung von Alkohol anwenden, welcher dem schädlichen Einflusse zu reichlich zugesetzter Essigsäure entgegenwirkt. Eine Verwechslung der glatten Muskelfasern mit Gefässepithelien. namentlich mit dem spindelförmigen Epithel kleiner Arterien, die, wo es sich, wie in den Lungen, um kleine Muskelfasern handelt, denkbar wäre, ist seit dem genauen Studium der chemischen Merk- male beider Formbestandtheile nicht mehr zu fürchten. Abgesehen davon, dass jene spindelförmigen Epithelzellen viel steifer, nicht so zierlich wellenförmig berandet sind, und wenn auch längliche, doch nicht die charakteristich stäbehenförmigen Kerne der glatten Muskel- fasern haben, lösen sich letztere in starker Essigsäure und in ver- dünnter Kalilauge (1 bis 2 %,) viel rascher auf, als dies mit Epithe- liumzellen der Fall ist. Ich habe die rasche Auflösung von glatten B 2) S. 393, SR ?) Siehe oben S. 392. 395 Muskelfasern der Lungenbläschen in starker Essigsäure oder in ein- procentiger Kalilauge sehr häufig beobachtet. Ausserdem könnte bei einer flüchtigen Betrachtung von einer Ver- wechslung glatter Muskelfasern mit spindelförmigem Epithel nur dann die Rede sen, wenn man die betreffenden Gebilde ganz isolirt vor sich hat. Die charakteristische Lage in der Wand der Lungenbläs- chen wird Jedem, der sie einmal gesehen hat, jenen Verdacht beneh- men. Am häufigsten sieht man die glatten Muskelfasern in der Wand der Lungenbläschen nach aussen von einer oder mehreren elastischen Fasern, bisweilen aber auch nach innen von den elastischen Elementen, unmittelbar an das Epithel grenzend. Dieses Epithel bietet, wo es gut erhalten ist, ein wichtiges Kennzeichen, um sich zu versichern, dass man Lungenbläschen und nieht Bronchialästehen vor sich hat, da es in diesen Flimmerepithel ist, das aus kegelförmigen Zellen be- steht, in jenen ein äusserst zierliches Pflasterepithel von rundlich viel- eckigen Zellen mit deutlichen, verhältnissmässig grossen, rundlichen Kernen. Hier mag die Bemerkung Raum finden, dass diejenigen, die noch immer die Anwesenheit des Epithels in den Lungenbläs- chen läugnen '), nur nöthig haben, kleine Würfelehen irgend einer frischen Menschenlunge in meiner starken Essigsäuremischung einige Wochen lang zu maceriren und dann für die mikroskopische Unter- suchung zu zerzupfen, um mit leichter Mühe für immer ihren Irrthum aufzugeben. Eine andere Verwechslung, von der gelegentlich die Rede war, ist die der glatten Muskelfasern mit denjenigen Gebilden, welche ich mit Donders und Virchow als Bildungszellen elastischer Fasern ansehe. Allein die glatten Muskelfasern, und namentlich die kleinen, welche in der Lungenbläschenwand auftreten, sind niemals in solche feine Spitzen ausgezogen, wie die Bindegewebskörperchen, sie sind, vorausgesetzt, dass sie nicht mit Kalilaugen von 30 bis 35 %, behan- ’) Vergl. Kölliker, Handbuch der Gewebelehre, 3. Aufl., $. 481, wo die Na- men der Zweifler zu lesen sind. Kölliker’s Zeichnung ist durchaus richtig und macht eigentlich jede Bestätigung überflüssig. Meine obige Bemerkung soll denn auch nicht bestätigen, sie soll belehren. ’ 396 delt wurden, nie so dunkel contourirt, überhaupt durchsichtiger; ihre Kerne sind nicht so bauchig und immer beträchtlich schmäler als die Faserzellen, während die Kerne in den Bildungszellen der elasti- schen Fasern der Zellenwand so dicht anzuliegen pflegen, dass sie gerade deshalb so lange übersehen worden sind. Schliesslich unter- scheiden sich diese Bildungszellen elastischer Fasern, wie das spin- delförmige Epithel der Arterien, durch den bedeutend grösseren Wi- derstand, den sie verdünnter (1 bis 2 %,) Kalilauge entgegensetzen, auch in chemischer Hinsicht von den glatten Muskelfasern. Wer seine Diagnose, wie das in ähnlichen Fällen aus Noth wohl hier und da geschehen ist, bloss auf die Kerne stützen wollte, der würde selbst ohne Isolirung der Faser, die, wo dieselbe erhalten ist, natürlich das Experimentum cerucis bleibt, vor einer Verwechslung ziemlich sicher sein, wenn er nicht vergisst, dass die Kerne der Haargefässe, vor denen man gewarnt hat, mehr ellipsoidisch als stäbchenförmig, im Verhältniss zu ihrer Länge dicker und mit Kernkörperchen versehen zu sein pflegen, während letztere den stäbchenförmigen Kernen der glatten Muskelfasern fehlen '). Am häufigsten sind die Muskelfasern in der Wand der Lungen- bläschen gekrümmt, der Wölbung der Bläschen entsprechend, in anderen Fällen sind sie so kurz, dass sie ziemlich gestreckt in der Wand der Bläschen Platz haben. Bisweilen verlaufen sie zwischen zwei Bläschen, und ausnahmsweise habe ich beobachtet, dass Eine Faser, obwohl nicht verästelt, zweien Bläschen angehörte, ein Fall, der für die vielfach verästelten elastischen Fasern sehr häufig ist. Während ich in der Lungenbläschenwand des Ochsen und nament- lich des Schweins nicht selten Bündel von 2, 4 und mehr neben einander herlaufenden glatten Muskelfasern beobachtet habe, ist es beim Menschen schon sehr selten, dass man zwei Muskelfasern neben einander antrifft. Mehr als zwei neben einander habe ich bisher in der Wand der Lungen- bläschen beim Menschen nie gesehen. Die Kerne der glatten Muskelfasern in den Lungenbläschen sind fast immer an den Enden abgerundet, selten zugespitzt; sie erscheinen häufig ı) Kölliker, Zeitschrift für wissenschaftliche Zoologie, Bd. I. S. 49. 397 sehr feinkörnig. Ich fand sie gelegentlich in der charakteristischen Weise geschlängelt, wie Kölliker es für die Muskelfaserzellen aus dem Warzenhof des Weibes abgebildet hat '). Die glatten Muskelfasern in der Wand der Lungenbläschen des Schweins massen 0,027 bis 0,05 Mm., durchschnittlich 0,036 Mm. ; ihre Kerne 0,013 bis. 0,017, im Mittel 0,014 Mm. In den Lungenbläschen des Ochsen massen die glatten Muskel- fasern 0,043 bis 0,087, im Mittel 0,064 Mm. An der dicksten Stelle sind die Fasern 0,005 bis 0,007 Mm. breit. Die Länge der Kerne schwankt von 0,013 bis 0,023 Mm. ; durchschnittlich misst ihre Länge 0,016 Mm. Was nun die glatten Muskelfasern aus der Bläschenwand der Menschenlungen betrifft, so muss ich mir angesichts der oben erörterten Controverse erlauben, alle Messungen hierher zu schreiben, die in meinem Tagebuch verzeichnet sind. Länge der Muskelfasern. Länge der Kerne ?). 0,053 Mm. 0,017 Mm. 0,047 „ 0,018 „ 0,040 , 002, 0.0335 00 0,050 „ 0,019 0,0531, 0,013 5 0,060 , 0,012 , 0,0350 „ 0,015 „ 0,037 , 001 5 0,040 , 0,013 , 0,057 , 0,00 , 0,070 „ 0,013 „ 0,030 , 0,017 , 0,053 „ 0,043 „ 0,040 „ 0,057 „ ') Kölliker, a. a. O., Tafel VII, Fig. 26 b. ’) Es beziehen sich nicht etwa die neben einander stehenden Zahlen auf dasselbe Faserindividuum, 398 Länge der Muskelfasern. 0,030 Mm. 0053, 0,080 „ 0,047 „ 0,057 „ Demnach mass die kürzeste Muskelfaser in der Wand der Lungen- bläschen beim Menschen 0,03, die längste 0,07 Mm., und das Mittel der beobachteten Faserlängen ist 0,046 Mm. Die Länge der Kerne schwankt zwischen 0,012 und 0,020 Mi, durchschnittlich ist sie 0,015 Mm. 4. Muskeln der Arterien. Wenn meine Essigsäuremischungen irgendwo Vorzügliches leisten, so ist es zur Präparation der Gefässe für mikroskopische Untersuchung. Lässt man z. B. die Basilararterie mit ihren Aesten einige Wochen in schwacher Essigsäuremischung liegen, so hat man an den kleinen Aesten die schönste Gelegenheit ohne jede Präparation die elastische Bindehaut, die muskulösen und elastischen Elemente zu beobachten. Um die glatten Muskelfasern der mittleren Arterienhaut zu isoliren, reicht es hin, wenn man die Arterie 8 bis 14 Tage in starker Essigsäure- mischung liegen lässt. Ich bin zu diesem Zweck zuerst auf die bezeich- nete Essigsäuremischung gekommen, indem ich erwartete, der Alkohol würde sich als ein Gegengift gegen die Essigsäure erweisen, deren schädliche Wirkung auf die Faser verhüten, ohne ihren vortheilhaften Einfluss auf den Kern aufzuheben. Und in der That das Mittel hat alle meine Erwartungen übertroffen. Seit jener Zeit habe ich die beiden oft erwähnten Essigsäuremischungen zur Herstellung einer ganzen histologi- schen Sammlung benützt. Drüsen, Muskeln, Nerven, Ganglien, Häute werden durch dieselben in einen Zustand versetzt, der sie leicht zerlegbar und, wenn die Einwirkung lange genug gedauert hat, so durchsichtig macht, dass auch schwierigere Gegenstände leicht vorgewiesen werden können. Gegenstände, von denen man Durchschnitte anfertigen muss, lassen sich, wenn man sie nach Maceration in einer der Essigsäure- mischungen trocknet, mit grosser Leichtigkeit schneiden. Ich lege 399 dann die Schnitte wieder in die Essigsäuremischung, die für den betreffenden Theil am nützlichsten ist, und hebe sie nicht auf Objeect- trägern unter Deckglas, sondern in kleinen, gut schliessenden Pulver- gläsern auf. Auch aus den Arterien kann man die Muskelfasern in grosser Anzahl am leichtesten isoliren, wenn man sie, frisch aus der Leiche genommen, 20 bis 30 Minuten in 30 bis 35äprocentiger Kalilauge macerirt. Ebenso führt dieses Verfahren zum Ziel bei Arterien, die vorher über ein ‚Jahr in schwacher Essigsäuremischung gelegen haben. Mit Rücksicht auf die kleinen Maasse, welche ich für die glatten Muskelfasern in der Wand der Lungenbläschen beim Menschen und namentlich beim Schwein gefunden habe, interessirte es mich, die Grösse der kleinsten Muskelfasern in den Arterien damit zu vergleichen. Zu dem Ende habe ich kleine Arterien aus der Pia Mater des Kalbes, die über ein Jahr in schwacher Essigsäuremischung gelegen hatten, in 32Y,procentiger Kalilauge eine Viertelstunde macerirt. Ich mass die Muskelfasern einer Arterie, deren Durchmesser nieht über 0,1 Mm. betrug und fand die Grösse der Muskelfasern hier durchschnittlich nur 0,017 Mm.; diekleinste unter zehn in der natürlichen Lage gemessenen mass 0,011, die grösste 0,023 Mm. Die Muskelfasern in Arterien von Yo Mm. im Durchmesser sind also kaum halb so gross wie die in der Lumgenbläschenwand des Schnseins vorkommenden. 5. Accommodationsmuskeln des Auges. Die glatten Muskelfasern in dem Tensor chorioideae des Menschen, Monate lang in starker Essigsäure macerirt und dann behufs des leich- teren Zerfaserns eine Stunde lang in Kali 30 % eingeweicht, massen 0,053 Mm., beim Ochsen 0,140 Mm. Das Auge des Ochsen hatte 4 Monate in schwacher Essigsäuremischung gelegen, dann das sogenannte Oiliarband eine Stunde in Kali 50 %%. Also auch hier waren die Muskel- fasern beim Ochsen grösser als beim Menschen (2,6: 1), wie in der Wand der Lungenbläschen (1,4: 1). In der Iris eines Ochsen, welche 4 Monate in starker Essigsäure- mischung gelegen hatte und dann behufs der Isolirung der Fasern 4 Stunden lang in 30procentiger Kalilauge macerirt ward, verglich ich 400 die Kreisfasern mit den radialen. Jene massen 0,093 bis 0,143 Mm., das Mittel aus 7 Messungen war 0,114. Die kleinste radiale Faser, die ich gemessen habe, war 0,093, die grösste 0,190 Mm. lang; Mittel aus 7 Messungen 0,123. Es ergiebt sich, dass auch zwischen den radialen und eireulairen Muskelfasern der Iris kein wesentlicher Grössenunterschied besteht. Beim Menschen fand Kölliker') die Kreisfasern der Iris 0,045 bis 0,067 Mm. lang; also wären auch hier die muskulösen Faserzellen des Menschen kürzer als die des Ochsen. 6. Gänschautmuskeln. Riemen der Lederhaut Monate lang in starker Essigsäuremischung eingeweicht, dann so weit getrocknet, dass sie sich leicht schneiden lassen, die Durchschnitte wiederum Wochen oder Monate lang in starker Essigsäuremischung aufgeweicht, liefern eine Auswahl von Präparaten über den Haarbalg, die Talg- und Schweissdrüsen, die nichts zu wün- schen übrig lässt. Solche Präparate, der Kopfhaut des Menschen entnommen, habe ich zu einigen Studien über die von Kölliker entdeckten Gänsehaut- muskeln benutzt. Ich ziehe einstweilen diesen Namen der Bezeichnung Haarbalgmuskeln vor, weil es noch nicht sicher ausgemacht ist, ob nicht die mittlere Schicht des Haarbalgs gleichfalls muskulös ist. Ich muss nämlich die noch in der jüngsten Zeit von Kölliker ?) vorge- brachten Zweifel über die langen, querliegenden Kerne in der mittle- ren Schicht des Haarbalgs auch nach einer vorläufigen Anwendung meiner Untersuchungsmethoden theilen. Die Kerne erinnern zwar sehr an die Kerne der glatten Muskeln, allein sie sind nicht so ausgezeichnet stäbchenförmig, viel häufiger etwas pfriemlich zuge- spitzt, oder spindelförmig,, dem Epithel kleiner Arterien in der Form zu vergleichen. Was aber die Hauptsache ist, auch mir hat es bisher nieht gelingen wollen, Fasern um jene Kerne zu isoliren oder auch nur deren Grenzen in der zusammenhängenden Schicht zu erkennen. !) Handbuch der Gewebelehre, 3. Aufl., S. 626. 3) A. a. 0. $. 138, 139. 401 Die Grösse jener Kerne schwankt zwischen 0,012 und 0,022 Mm., das Mittel aus zehn Messungen war ‘0,014 Mm.; es stimmt überein mit der mittleren Grösse der Muskelkerne in der Lungenbläschenwand des Schweins. \ Die Gänsehautmuskeln entspringen in.der Kopfhaut des Menschen, wo ich sie allein untersucht habe, von der Oberhaut, bald mit einem einfachen, bald mit 2, 3, auch 4 Zipfeln, und wo mehr Zipfel vorhanden sind, anastomosiren sie häufig mit einander, um schliesslich ein einziges diekeres Bündel zu bilden, in -welehem nicht selten -die Grenzen der ursprünglich getrennten Zipfel noch zu sehen sind. Am dicksten sind die Bündel kurz bevor sie die Talgdrüsen erreichen, welche sie bogen- förmig umkreisen, und zwar so dicht der Drüsenoberfläche anliegend, dass Contraction der Gänsehautmuskeln nothwendiger Weise die Ent- leerung der Hautschmiere in den Haarbalg befördern muss. Unterhalb der Talgdrüsen, wo sich der Muskel an den Haarbalg ansetzt, ist er der Regel nach wieder etwas verjüngt. Von der Oberhaut gehen die Muskeln, wenn sie mit einem Zipfel entspringen, anfangs ziemlich senk- recht in die Tiefe, dann schlängeln sie sich mehr oder weniger, um sich endlich unter Winkeln von 20°, 30°, 40° dem Haarbalg anzuheften. Schon Lister hat richtig bemerkt, dass die Gänsehautmuskeln an der Seite des Haarbalgs liegen, wo dessen Achse mit der Oberfläche der Oberhaut einen stumpfen Winkel bildet. Daraus folgt, dass die Gänsehautmuskeln durch ihre Verkürzung die Haarbälge nicht bloss über die Oberhaut erheben, sondern auch aus der zur Oberhaut schiefen Richtung in die senkrechte überführen müssen. Das: „die Haare steigen zu Berge“ hat demnach einen doppelten Sinn. An der breitesten Stelle messen die Gänsehautmuskeln der Kopfhaut 0,04 bis 0,1 Mm., durehsehnittlich 0,06 Mm. Die Länge derselben ist 1,5 bis 2 Mm. Einzelne Fasern der Gänsehautmuskeln, durch Kali 35 %, isolirt, messen 0,14 bis 0,26 Mm., im Mittel 0,18 Mm.; sie gehören demnach schon zu den grösseren unter den glatten Muskelfasern. 7. Uebersicht einiger Maasse von glatten Muskelfasern. Folgende Zusammenstellung verdient deshalb vielleicht einiges Interesse, weil meine Messungen von den kleinsten bis zu den grossen MOLESCHOTT, Untersuchungen. VI 27 402 glatten Muskelfasern umfassen. Die Fasern der schwangeren Gebär, mutter habe ich allerdings nicht gemessen, und diese ‘sind meines Wissens die allergrössten. Ihnen zunächst dürften aber die Fasern der Muskelhaut des Hundedarms stehen, und die kleinsten sind ohne Zweifel die in Arterien von 0,1 Mm. Durchmesser. Es sind in dieser Tabelle nur die Mittelwerthe verzeichnet, mit alleiniger Ausnahme der für den Tensor chorioideae angegebenen Zahlen, die nur auf je Einer Messung beruhen. Länge der | Länge der Ort, woher die Muskelfasern Tagen SE FDIDTLENEEREN? Millimeter. | Millimeter. s \ Längsschicht 0,250 0,024 LEE as | Kıreisfaserschieht 0,249 0,024 .„|Längsschicht 0,219. „.,..0.020 » © „Menschendarms /Kreßfaxerschicht 0214 | 0.020 Gänsehautmuskeln der Kopfhaut des Menschen 0,180 | u Tensor ehorioideae des Ochsen . . .. . 0,140 = Radialfasern der Iris des Ochsen . . . . 0,123 _ Kreisfasern „ 0,114 — Schleimhautmuskeln des Hundedarms, Längs- schicht . . ; 0,067 0,015 Wand der Lungenbläschen des! Ochsen... 0,064 0,016 Tensor chorioideae des Menschen . . . . 0,053 — Wand der Lungenbläschen des Menschen . 0,046 0,015 Darmzötten' des Metischen ' - 0,040 0,017 ‘Wand ‚der Lungenbläschen des Schweihs . 0,036 0,014 Arterien der Pia Mater des Kalbes von 0,1 Mm. Durchmesser .. . 0,017 — dus dieser Uebersicht erhellt, dass die Grösse der Kerne in den glatten Muskelfasern, viel langsamer abnimmt als die der Fasern. Während in der Muskelhaut des Darmes die Länge der Kerne kaum '/,. von der Länge der glatten Muskelfasern ausmacht, ist das Verhältniss °/% und darüber in, der Wand der Lungenbläschen des Schweins und in den Darmzotten des Menschen. Zürich, 26. October 1859. XXI. Neue Vergleichung der Becken - und Brust - Glieder des Menschen und der Säugethiere, von der Drehung des Oberarmbeines hergeleitet. Von Charles Martins, Professor der Naturgeschichte an der medicinischen Facultät von Montpellier. Mit 1 Tafel, „Man versteht gewöhnlich unter vergleichender Anatomie sagte C on- dorcet in seinem Bericht über eine Denkschrift von Vieq-d’Azyr, die wir noch oft in dieser Arbeit eitiren werden, die Beobachtung der Aehnlichkeit und der Unterschiede, welche zwischen den analogen Thei- len der Menschen und der Thiere, oder allgemeiner, der verschiedenen Thierarten bestehen. Vieq-d’Azyr giebt hier einen Versuch einer an- dern Art von vergleichender Anatomie die bisher wenig gepflegt worden ist und über die man bei den Anatomen nur einige vereinzelte Beob- achtungen findet; es ist dies die Untersuchung der Beziehungen in denen die verschiedenen Theile eines und desselben Individuums zu einander stehen .... So beobachtet man sagt Vieq-d’Azyr in dieser neuen Art vergleichender Anatomie wie in der gewöhnlichen verglei- chenden Anatomie jene beiden Charaktere, welche die Natur allen Wesen aufgedrückt zu haben scheint, den der Beharrlichkeit im Typus und des Wechsels in den Modificationen. Sie scheint die verschiedenen MOLESCHOTT Untersuchungen. VI 27 404 Arten und ihre entsprechenden Theile nach einem und demselben Plan gebilbet zu haben, den sie in’s Unendliche zu modifieiren weiss“ 1). Diese Stelle hatte mich lebhaft frappirt, und seit dem Beginn meiner medieinischen Studien erregte die Vergleichung der verschiedenen Theile des menschlichen Skeletts meine Neugierde. Namentlich schien mir der Vergleich der oberen mit den unteren Gliedmassen an Folgerun- gen für die philosophische Anatomie fruchtbar sein zu müssen; er beschäf- tigte mich einige Zeit hindurch im Jahr 1827 in Gemeinschaft mit meinem Freund dem Dr. Ch. Coindet von Genf. Wir lasen alle davon gege- benen Erklärungen, aber keine derselben konnte uns befriedigen. Ich kam auf diesen Gegenstand 1837 wieder zurück als ich Goethe's naturwis- senschaftliche Arbeiten in’s Französische übertrug und in einer Note 2) setzte ich die Schwierigkeiten der Vergleichung auseinander und sprach mich zu Gunsten der Hypothese von Bourgery und Cruveilhier 3) aus, welche eine Kreuzung der Knochen des Beines annehmen, wornach der Kopf des Schienbeins den des Ellbogens repräsentirte, während sein Knöchelende dem Handwurzelende der Speiche entspräche. Als ich neulich die Ehre hatte den Vorsitz zu führen bei einer von Herrn Paul@Gervais Prof. der Zoologie an der Facultät der Wissenschaften in Montpellier, der medie. Facultät derselben Universität überreichten These %), wurde meine Aufmerksamkeit abermals auf diesen Gegenstand gelenkt. Ich glaube eine befriedigendere Erklärung als die bisher gegebene gefunden zu haben und lege sie dem urtheilsfähigen Publieum vor; vorerst aber muss ich zeigen, worin die andern mir ungenügend erscheinen, das giebt gleichzeitig die Geschichte einer Frage, die alle Schriftsteller in menschlicher oder vergleichender Anatomie so sehr beschäftigt hat. 1) Histoire de l’acadömie des sciences pour l’annee 1774; p. 12, 1778, und oeuvres de Vieq-d’Azyr, veröffentlicht durch Moreau (de la Sarthe), t. IV, p. 313; 1803. 2) Oeuvres d’histoire naturelle de Goethe p. 440. 3) Anatomie descriptive, Tiere &dit., t. I, p. 315. 4) Theorie du squelette humain fondee sur la comparaison osteologique de I’homme et des animaux vertebres (Theses de Montpellier, 1856, N. 64). 405 I. Geschichtliches. Ich will nieht von den Analogieen reden, welche Aristoteles und Galen zwischen den Becken- und Brust-Gliedern aufgezeigt haben; sie fallen Jedermann in die Augen. Unter den Neuern findet man da und dort etwas genauere Angaben und weniger einleuchtende Verglei- chungen. So hatte z. Be Winslow die Analogie zwischen dem Ole- eranon und der Kniescheibe vollständig begriffen „ich sche, sagt er 1) die Kniescheibe als ein dem Schienbein eigenthümliches und besonderes Stück an, das ihm ebenso gut angehört wie das Oleeranon dem Ellen- bogen-Bein; die Kniescheibe dient zum Theil mit Beziehung auf das Schienbein zu demselben Gebrauch wie das ÖOleeranon in Beziehung auf das Armbein. Beide Stücke sollen die Action der Streckmuskeln erleichtern, indem sie ihre Richtung vom Bewegungs -Centrum des Gelenkes entfernen.“ Die alten Anatomen beschränkten sich, wie Winslow, auf theil- weise und unvollständige Vergleichungen. Vergleichung von Vicq - d’Azyr. Vieq-dAzyr hat zuerst das Problem des Vergleichs der Extremitäten beim Menschen und bei den Thieren ernsthaft vor- genommen und genau erörtert ?. Er legte das obere Glied Fig. 2.) eines Skeletts neben das untere entsprechende Glied (Fig. I.) und sah, dass die beiden Hälse, 5b’, welche die Gelenkköpfe aa tragen umgekehrt gerichtet waren, daher die unglückselige Idee das untere rechte Glied (Fig. 1.) dem obern linken Glied (Fig. 3.) zu vergleichen. Bei dieser Vergleichung sind die beiden Hälse gleich gerichtet. Vieqg-d’Azyr vergleicht sodann im Einzelnen das Schenkel- bein (f) dem Oberarmbein (k) und erklärt die Structur-Verschiedenheiten des Vorderarms und des Beins durch die Anpassung für verschiedene 1) Exposition anatomique de la structure du corps humain, nouvelle &dition in—12, t. I, p. 285; 1775. 2) M&moire sur les rapports qui se trouvent entre les usages et la structure des quatre extr&mites dans l’'homme et dans les animaux. (M&moires de l’Acad&mie royale des sciences, annte 1778, p. 254, et Oeuvres recueillies par Moreau (de la Sarthe) t. IV. p. 315; 1805. 27* 406 Funetionen; für ihn stellt das Schienbein (ft) das Ellenbogen-Bein (ce) vor, das Wadenbein (p) die Speiche (r), die Kniescheibe (l) das Ole- cranon (o). Sonderbar! nachdem. er die Analogie der Speiche und des Schienbeins beim Menschen verkannt hat, macht er sie für die Wiederkäuer geltend, bei denen wie er (p. 263) sagt „das Ellenbogen- bein der kürzere der Vorderarm-Knochen ein wahrer Styloidknochen ist, der in einer starken Apophyse endigt, das Wadenbein fügt er hinzu , gleicht genau einem Styloid-Knochen ; der Vorderarm und das Bein werden durch zwei sehr beträchtliche Knochen gebildet, nämlich die Speiche und das Schienbein.“ Vieqg-d’Azyr macht dann ferner darauf aufmerksam, dass alle entsprechenden Theile einander entgegengesetzt sind, wenn man die obere Extremität mit der unteren vergleicht, so ist die Hohlhand nach vorwärts gekehrt, die Fusssohle nach unten; die Kniescheibe nach vorn, das Oleeranon nach hinten; die Beugung des Beines geschieht nach hinten, die des Vorderarms nach vorn. Er bemerkt ganz richtig, dass die gezwungene Pronation des Vorderarms sehr unvollständig den Parallelismus wieder herstellt und gelangt endlich zu dem Schluss, dass das Brustglied der Einen Seite dem Bauchglied der entgegen- gesetzten Seite entspreche — d. h. das rechte Brustglied ist das Analogon des linken Beckenglieds. Um die Unzulässigkeit der Vieq-d’Azyr'schen Erklärung zu zeigen, machen wir von einem Skelett ein linkes oberes Glied (Fig. 3.) los und legen es neben ein rechtes unteres Glied (Fig. 1). Sehen wir nun, welche Theile übereinstimmen und welche nicht. Uebereinstimmende Theile. — Die beiden Hälse bb‘, und die beiden Gelenkköpfe aa des Schenkelbeins und des Oberarmbeins sind beide in gleichem Sinn gerichtet; die eondyli mm des Schenkelbeins und die Rolle m des Oberarmbeins sind nach hinten gewund en; das Ole- eranon (c) und die Kniescheibe (l) beide nach vorn gelegen. Der Parallelismus der beiden Knochen des Beins und der des Vorderarms ist beibehalten. Nicht übereinstimmende Theile. — Das Schienbein (t) entspricht nach Vieg-d’Azyr dem Ellenbogenbein (ce) und das Wadenbein (p) der Speiche (r); daraus folgt, dass der kleine Finger der Hand « innen 407 und der Daumen d‘ aussen sich befindet. Nun ist für Jedermann ein- leuchtend, dass der Daumen d‘ das Analogon der grossen Zehe d ist, die kleine Zehe © das des kleinen Fingers ’‘. Die analogen Finger und Zehen sollten gleich gestellt sein; sie sind es nicht in der sonder- baren Hypothese Vieq-d’Azyr's; welche einen Theil der Schwierig- keiten löst, die andern bestehen lässt, und Niemand hat vollständig die Erklärung dieses berühmten Anatomen angenommen. Sein Verdienst ist darum nicht vermindert; er hat zuerst das Problem angefasst und mit sicherer Hand die Methode und die Untersuchungen angedeutet die zu einer Lösung führen mussten. Soemmerring verwendet einen kleinen Paragraphen seiner grossen Anatomie!) darauf, aphoristisch die Analogien und die Unter- schiede der unteren und oberen Glieder im Allgemeinen zu zeigen, sodann, diejenigen des Schenkelbeins und des Oberarm-Beins, des Schienbeins und des Wadenbeins, des Ellenbogenbens und der Speiche, der Kniescheibe und des Olecranons; aber er giebt nichts (renaueres an, lässt sich in keine Erörterung der Schwierigkeiten ein und beschränkt sich darauf, materielle, in die Augen springende und unbestrittene Achnlichkeiten herauszuheben. Goethe in seinen wundervollen Studien über philosophische Ana- tomie hat die vorderen Glieder den hintern Gliedern nicht geradezu verglichen; doch zeigen einige Stellen, dass er ihre Analogie erkannte. Für ihn ist die Speiche der Repräsentant des Schienbeins, des Haupt- knochens des Beines; Wadenbein und Ellenbogenbein sind nur acces- sorische Knochen 2). Diese Ideen, wurden von ihm schon im Jahre 1795 niedergeschrieben, aber erst 1817 und 1820 veröffentlicht. Meckel3) vergleicht das Öleeranon der Kniescheibe, das Ellen- bogenbein dem Schienbein, die Speiche dem Wadenbein und macht darauf aufmerksam, dass die Pronation der Normalzustand des vorderen Gliedes bei den Thieren ist, ohne zu sagen ob er das Beckenglied des Menschen als ein Brustglied in Pronation ansieht. mL u) De 'sorporis humani fabrica, t. I, p. 430; 1794. ?) Siehe meine Uebersetzung der naturhistorischen Werke von Goethe p. 58 und 117; 1857. #) Handbuch der menschlichen Anatomie; 1816, übersetzt von Jourdan, unter dem Titel: manuel d’anatomie, p. 774; 1825. 408 Zwei Jahre später kommt de Blainville !) und beschränkt sich darauf in einer sehr kurzen Parallele nachzuweisen, dass die Speiche das Analogon des Schienbeins ist und die Kniescheibe so zu sagen das Olecranon vorstellt. 1824 erkennt ein englischer Anatom, Dr. Barclay 2), gleich- falls, dass das Schienbein das Analogon der Speiche ist, das Ellen- bogenbein das des Wadenbeins, eines gleichsam veränderlichen Knochens bald gross, bald klein; zuweilen bildet das Wadenbein einen Theil des Kniegelenkes, während das Ellenbogenbein nieht an dem Ellenbogengelenk Theil nimmt, oder auch artieulirt, wie im Menschen, das Wadenbein nicht mit dem Schenkelbein, während das Ellenbogenbein mit dem Oberarmbein artieulirt. 1829 machte sich Gerdy an diese Frage, aber ohne sich um seine Vorgänger darin zu bekümmern, denn er erwähnt weder die Abhandlung Vieq-d’Azyr's, noch die Andeutungen vonMeckel, Blainville, Barelay ete. — Gerdy) stellt als Grundsatz auf, dass man bei der Vergleichung der Theile eines Thieres immer von der Mitte oder der Achse des Körpers ausgehen müsse, gerade als wenn man die Iden- tität der beiden symmetrischen Hälften eines Gebäudes nachweisen wollte. Nach dieser Regel stellt er eine Parallele des Oberarmbeins und des Schenkelbeins auf, indem er die zur Achse des Körpers, zum Kopf oder zum Schwanz des Thieres gleich gelegenen Flächen vergleicht. Bei der zweiten Gliederabtheilung findet er die Speiche in dem Schienbein wieder, gesteht aber, dass der Kopf des Schienbeins keineswegs dem der Speiche gleicht. Er erklärt diesen Unterschied durch den Unter- schied der Functionen. Für Gerdy entspricht das Wadenbein dem Ellenbogenbein; er findet dass in den Thieren dieser Knochen der Hauptknochen des Ellenbogengelenkes ist und erklärt es ebenfalls aus dem 1) Nouveau dictionnaire d’histoire naturelle de D&terville, article Mammi- f&res (Organisation), t. XIX, p. 91; 1818. Siehe auch dessen Osteographie, Primates. t. I, p. 26; 1841. 2) The bones of the human body represented in a Series of Engravings, Erklärung der Tafel 24, in 4. 1824. 3) Note sur la parallele des os. (Bulletin universel de Ferussac, sciences medicales, t. XVI, p. 369; 1829). 409 “ Unterschied der funetionellen Anpassungen, warum der Kopf des Ellenbogenbeins in Nichts an den des Wadenbeins erinnert, welches, sagt er, bei der Mehrzahl der Säugethiere nicht einmal mit dem Schenkelbein articulirt. Auch Gerdy sieht in der Kniescheibe das Analogon des Ole- cranons, betrachtet aber seine Verbindung mit dem Schienbein als eine Anomalie. Bei seinem Vergleich „nimmt er (Seite 375) den Vorderarm in seiner Lage, nämlich in der Pronation an, in der er sich befindet, wenn wir auf den Händen gehen, in der er sich bei allen Thieren befindet.“ Aber diese theilweisen Vergleiche werden durch keine allgemeine Zusammenfassung vervollständigt, in welcher der Verfasser klar nachwiese, wie er die Lage des dem Bauchgliede assimilirten Brustgliedes versteht. Kurz er löst keine der Schwierigkeiten, welche die Anatomen aufgehalten haben. Neun Jahre später kommt Fr@d&rie Blandin!) noch einmal auf die Erklärung Vieg-d’Azyr’s zurück und sucht sie durch neue Beweise zu rechtfertigen; er bemüht sich zu beweisen, dass das Schienbein das Ellenbogenbein repräsentirt:: 1) weil sein Kopf mit dem Schenkelbein artieulirt wie der Ellenbogenbeinkopf mit dem Oberarmbein ; 2) weil das Ellenbogenbein nach unten dem dreiseitigen Bein correspon- dirt, welches nach ihm das Analogon des Sprungbeins ist; 3) weil sich der triceps eruralis (dreiköpfige Schenkelmuskel) an die Kniescheibe anheftet wie der dreiköpfige Armmuskel an das Ellenbogenbein; der gemeinschaftliche Fingerbeuger an denselben Knochen, wie der gemein- schaftliche Zehenbeuger an das Schienbein. Nachdem er bewiesen, dass das Ellenbogenbein das Analogon des Schienbeins ist, findet es Blandin unnöthig darzuthun, dass der Speiche das Wadenbein reprä- sentirt; doch bemerkt er; dass der zweiköpfige Armmuskel sich an die Speiche anheftet, wie der zweiköpfige Schenkelmuskel an das Wadenbein, der lange Beuger des Daumens an die Speiche, wie der lange Beuger der grossen Zehe an das Wadenbein. Wie Gerdy erklärt er die Verschiedenheiten der beiden Glieder aus verschiedenen functionellen Anpassungen. %) Nouveaux @l&ments d’anatomie deseriptive, t. I, p. 202; 1838. 410 Vergleichung von Bourgery und von Cruveilhier. Bourgery, welcher der menschlichen Anatomie in Frankreich ein wahres Denkmal errichtet hat, war es vorbehalten, die Frage um einen Schritt weiter zu bringen. Er unternimmt in seinem Werke 1) eine genaue Vergleichung der Gliedmassen, und stützt sich dabei vorzugsweise auf deren Functionen. Sehr scharfsinnig bemerkt er, dass die hintere Fläche des Öberarmbeins der vorderen Fläche des Schenkelbeins entspricht ; aber wie Vieg-d’Azyr vergleicht er (S.133) das obere Armbein der einen Seite dem Schenkelbein der andern. Er hat zuerst erkannt, dass die Charaktere des Ellenbogenbeins in der Schenkelartieulation des Schienbeins und der Fusswurzel-Artieulation des Wadenbeins vorherrschen, während das obere Ende des Wadenbeins an den Kopf der Speiche erinnert. Andrerseits bestätigt er mit allen andern Schriftstellern die schlagende Aehnlichkeit, welche zwischen dem Handwurzelende der Speiche und dem Fusswurzelende des Schien- beins besteht. Spricht er sich gleich nicht ganz unumwunden aus, so geht es doch aus seiner Ausdrucksweise (pag. 135) bei seiner Vergleichung der Hand mit dem Fusse, klar hervor, dass er sich den Vorderarm in der Pronation denkt, wenn er ihn mit dem Beine vergleicht. Bourgery hat die verschiedenen Elemente des Problems nicht gehörig zusammengeordnet, seine Vergleichungen sind voller Widersprüche, aber er hat zuerst die Ellenbogenbein-Charaktere des Schenkelbein-Kopfes des Schienbeins und die Speichen-Charaktere seines Fusswurzelendes klar hervorgehoben. Er hat auch gezeigt, dass, wenn das obere Ende des Wadenbeins wenig Analogie hat mit der cupula der Speiche, der äussere Knöchel des Beines im Gegentheil genau dem processus styloideus des Ellenbogenbeins entspricht. Ich sagte, der Vergleich Bourgery’s sei nicht recht zusammen- geordnet und in der That vergleicht er zuerst das Oberarmbein Einer Seite dem Schenkelbein der Andern, damit die Achsen der beiden Hälse in gleicher Richtung sich befinden; dann aber vergisst er seinen Aus- gangspunkt, nimmt den Vorderarm in Pronation an, wodurch sich 1) TraitE complet de l’anatomie de l’homme, t. I, p. 133; 1832, 411 die Handfläche nach oben drehen würde, während die Fusssohle sich auf den Boden stützt; überdies kreuzen sich in dieser Lage die Speiche und das Ellenbogenbein; Schienbein und Wadenbein aber sind einander parallel. Endlich widerspricht es allen Verwachsungs- gesetzen in der Anatomie sich einen langen Knochen durch die Ver- schmelzung der beiden Hälften zweier verschiedener Knochen Ende gegen Ende vorzustellen. j In seiner beschreibenden Anatomie !) vergleicht Cruveilhier sehr sorgfältig das Schenkelbein mit dem Öberarmbein, geht dann zur Untersuchung des Vorderarms über und schliesst folgendermaassen : 1) Kein Knochen des Beins repräsentirt für sich allein einen Knochen des Vorderarms. 2) In jedem der Knochen des Beines findet man Charaktere, wovon die einen dem Ellenbogenbein, die andern der Speiche angehören. 3) Da die natürliche Lage des Vorderarms die Pronation ist, und das Bein sich in beständiger Pronation befindet, so soll man den Vorderarm nicht in der Supination dem Beine vergleichen, das in der entgegengesetzten Lage ist. Das ist, wie man sieht die Hypothese Bourgery’s von einem scharfen und positiven Kopf formulirt. So schreiben denn auch die meisten Schriftsteller diese Erklärung Herrn Cruveilhier zu, und bezeichnen sie mit dem Namen, der Kreuzungshypothese; aber die wissenschaftliche Billigkeit nöthigt mich zu sagen, dass sie zuerst im Jahre 1832 von Bourgery aufgestellt worden ist. Trotz der Autorität von Buffon, Vieq-d’Azyr, Condorcet und Goethe, wollte der grosse geniale Cuvier etwas befangen durch die Lehre von den Endursachen kaum die Rechtmässigkeit solcher Vergleichungen wie die vorliegende zulassen. Ihm fielen die Ver- schiedenheiten weit mehr auf als die Aehnlichkeiten, welche letztern, wie er sagt?) „ebenfalls nicht durch das Gesetz der Wiederholung, sondern durch das grosse und allgemeine Gesetz der physiologischen Uebereinstimmungen, der Uebereinstimmungen der Mittel mit dem 1) Deuxiöme £dition t. I, p. 339; 1843. 2) Legons d’anatomie comparde, 2ieme Edition, t. I, p. 313; 1835. 412 Zweck bedingt sind.“ So kam er durch seinen Antagonismus gegen E. Geoffroy Saint-Hilaire zu einer systematischen Verwer- fung eines Zweigs der Anatomie, welchen sein Gegner nach dem Vorgange vonOken demspäter Carus und Duges folgten, in einer Weise gefördert hatte, welche nicht mehr erlaubte sein Dasein zu läugnen. Der letzte Schriftsteller welcher in diesem System das obere Glied dem unteren Gliede des Menschen verglichen hat, ist Dr. Auzias Turenne t). Er stellt mit Recht als Grundsatz auf, dass diese Art von Vergleichung auf den organischen Analogieen und nicht auf den functionellen Anpassungen beruhen müsse; dann bringt er unter einer andern Form die Erklärungen von Vieq-d’Azyrund Bourgery wieder vor. Er legt ein linkes Brustglied (Fig. 3.) neben ein rechtes Bauchglied (Fig. 1). Auf diese Weise sind die Gelenkköpfe des Oberarmbeins und des Schenkelbeins nach derselben Seite gerichtet, die hintere oder trieipitale Fläche des Oberarmbeins sieht nach vom wie die vordere oder trieipitale Fläche des Schenkelbeins.. Das Ole- eranon o befindet sich gleichfalls vom wie die Kniescheibe !, sodann substituirt der Verfasser das untere Dritttheil und die Hand des rechten Vorderarms (Fig. 2.) dem unteren Dritttheil des linken oberen Gliedes, welches er vorher betrachtete. In Folge dieser Substitution schliesst, sich nun die Handwurzelhälfte des rechten Ellenbogenbeins an die Oberarmbeinhälfte der linken Speiehe und entspricht dem unteren Dritttheil des Wadenbeins; der untere Theil der rechten Speiche schliesst sich gleichfalls an den obern Theil des linken Ellenbogenbeins und wird so das Analogon des unteren Dritttheils des Schienbeins. Die Vertretung der linken Hand durch die rechte hat gleichfalls zur Folge den Daumen wie die grosse Zehe nach innen zu bringen, den kleinen Finger nach aussen wie die kleine Zehe. Das ist wie man sieht die Hypothese Vieq-d’Azyr's mit der Kreuzungshypothese verbunden, unter einer andern Form wiederholt, bei der man aber nichtsdesto- weniger auf die schon bezeichneten Schwierigkeiten stösst. 1) Sur les analogies des membres sup6rieurs avec les inferieurs. Comptes rendus de l'acad&mie des sciences de Paris, t. XXIII, p. 1148; 28. Decbr. 1846. 413 Wir nahen einer neuen Wendung der Frage. Weder die Erklärung Vieg-d’Azyr’s noch die Kreuzungshypothese können sich den ein- stimmigen Beifall der Gelehrten erobern. Beide lassen in ihrem Geist Zweifel zurück, welche der Fortschritt der Wissenschaft eher vermehrt als vermindert. Vergleichung von Flourens. Im Jahre 1838 stellte dieser berühmte Physiologe folgende Paral- lele auf): das obere Glied einer Seite (Fig. 4.), wird dem untern Glied derselben Seite (Fig. 1.) verglichen, und der Vorderarm ist in Pronation. Sehen wir uns diese Hypothese genauer an, so finden wir bei ihr folgende Uebereinstimmungen und Nichtübereinstimmungen : Uebereinstimmumgen. — Der Hals des Oberarmbeins b‘ und der des Schenkelbeins 5 sind beide gegen die Wirbelsäule hingerichtet; die Hand ist gestellt wie der Fuss, nämlich: die grosse Zehe d und der Daumen d nach innen, der kleine Finger ;’ und die kleine Zehe i beide nach aussen. Nichtübereinstimmungen. — Die Rolle m’ des Öberarmbeins (Fig. 4.) ist nach vorn gedreht, die condyli mm des Schenkelbeins (Fig. 1.) nach hinten; das Olecranon bleibt gleichfalls hinten, während die Kniescheibe / vorn ist. Der Vorderarm biegt sich also auch nach vorn und das Bein nach hinten. Die beiden Knochen des Vorderarms ce und ” sind gekreuzt, so, dass das obere oder OÖberarmbeinende der Speiche » aussen und sein unteres oder Handwurzelende innen sich befindet. Die Zoologen, welche die Erklärung annehmen, vergleichen unwillkührlich nicht das Brustglied des Menschen mit seinem Beckenglied, sondern das Brust- glied des Menschen mit dem Brustglied der Vierfüsser, wo in der That der Vorderarm, in fester und beständiger Pronation ist; auch führt uns die Logik der Thatsache dahin, diese Parallele zu verwerfen , trotz der Autorität des Namens dessen der sie vorgeschlagen hat. 1) Nouvelles observations sur la paralldle des extr&mites dans l'homme et les quadrupedes. (Annales des sciences naturelles, t. X. p. 35, 1838; et Me&moireg Wanatomie et de physiologie compardes, p. 94; 1844). 414 In einem über die Natur der Glieder von dem Professor R. O wen !) gehaltenen Vortrag beschäftigt sich dieser gelehrte Zoologe mit den Verwandtschaften ihrer Knochen, mit denen des Skeletts im Allgemeinen und der Rippen im Besondern. Er hält sich nicht bei der Vergleichung der vordern mit den hinteren Extremitäten weiter auf und beschränkt sich auf eine historische Darlegung der Frage. Jedoch beweist er dass in einigen Beutelthieren das Wadenbein mit der Kniescheibe oben darauf das ganze Ellenbogenbein repräsentirt, aber er schliesst daraus nieht auf die Verwachsung der oberen Theile der Speiche und des Ellenbogenbeins um den Schienbein-Kopf der monodelphen Säuger zu bilden; wir werden weiterhin versuchen die Wirklichkeit dieser Verschmelzung darzuthun. Eine kurze Notiz 2) des Herrn Ph. Rigaud, Prof. an der medi- einischen Facultät zu Strassburg, sucht festzustellen, dass man bei dieser Art von Vergleichung, von der Peripherie nach dem Centrum vorzu- schreiten und der Reihenfolge organo-genetischer Entwicklung folgen müsse, weil die analogen Theile die zuerst gebildet werden und im Verlauf der Zeit weniger Entwicklungen erfahren, die einfachsten und folglich die am vollkommensten identischen sind. Die Professoren Jolyu. Lavocat?) schliessen sich der Pronations- theorie an, wie sie von Gerdy und Flourens aufgestellt worden. Endlich vergleicht ein Thierarzt Dr. Chauveau in einer kürzlich erschienenen Abhandlung *), wie Vieq-d’Azyr, das linke obere Glied dem rechten unteren, Um sie zusammenzufassen, so beschränken sich die Parallelen die man zwischen den obern und untern Extremitäten des Menschen gezogen hat, auf folgende drei: 4) Die Hypothese Vieg-d’Azyr’s, welcher das obere Glied einer 1) On the nature of Limbs, a diseourse delivered at an Evening Meeting of the Royal Institution of Great Britain; 1849, 2) Sur I’homologie des membres superieurs et inferieurs de l’homme. Comptes rendus de l’Acad&mie des Sciences de Paris, t. XXIX, p. 630; 26. November 1849. 3) Etudes d’anatomie philosophique sur le pied et la main de P’homme. (ME£- moires de l’Academie de Toulouse; 1853). 4) Trait& d’anatomie comparde des animaux domestiques, p. 103; 1857. 415 Seite, dem untern Glied der entgegengesetzten Seite vergleicht. (Fig. 1. und 3.). 2) Die ausführliche Parallele Bourgery’s, welche die Hypothese von Vieg-d’Azyr mit einer Kreuzung verbindet, kraft welcher der Schienbeinkopf das Ellenbogenbein, seine untere Hälfte die Speiche repräsentiren würde, während das Schenkelbeinende des Wadenbeins der Speiche, sein Fusswurzelende dem Ellenbogenbein entspräche. 3) Die Erklärung von Flourens, wo das Beckenglied dem ent- sprechenden Brustglied gleichgestellt wird; der Vorderarm in Pronation (Fig. 1 und 4). Wir haben gesehn, wie sich gegen jede dieser Vergleichungen sehr wichtige Einwürfe erheben lassen, und wie bis in die letzte Zeit die Anatomen zwischen ihnen geschwankt haben, ohne über den wesentlichsten Punkt einig werden zu können, nämlich die Identifi- eation der beiden Knochen des Beines mit den beiden Knochen des Vorderarmes. II. Vergleichung des Verfassers. I. Vergleichung des Schenkelbeins mit dem Oberarmbein. Die Drehung des Oberarmbeins. Das Oberarmbein des Menschen ist ein um hundertachtzig Grade um seine Achse gedrehter Knochen. Das Schenkelbein ist ein grader Knochen ohne Drehung. Da das Oberarmbein ein gedrehtes Schenkel- bein ist, so muss man vor Allem das Öberarmbein aus der Dre- hung bringen; die Folge davon wird sein, dass die Nebenrolle e (Fig. 5) nach aussen, und der Nebenknopf f nach innen zu stehen kommt. Alsdann bietet die Vergleichung der Beeken- und Brust- Extremitäten keine Schwierigkeiten mehr; in der That bleibt der Hals des Oberarmbeins b’ unbeweglich und wie der des Schenkelbeins nach innen gerichtet. Die Körper der beiden Knochen haben ihre Gräten ihrer Achse parallel; der convexe trieipitale Theil des Armknochens befin- det sich vorn, gleichwie der vordere convexe oder trieipitale Theil des Schenkelknochens. Die beiden Knochen sind also einander ähnlich; ihre 416 Gelenkköpfe winden sich nach hinten; der innere Rand zum äussern geworden und mehr hervorspringend als der andere, entspricht dem Wadenbeinkopf des Schenkelbeines der gleichfalls ınehr hervor- springt; das Oleeranon o ist vorn wie die Kniescheibe !; zudem ist sie an dem vordern und äussern Theil des Schienbeinkopfes angeheftet, der, wie ich weiter unten beweisen werde, die verschmolzenen Köpfe des Ellenbogenbeins und der Speiche vorstellt. Für das Bein und den Vorderarm scheinen mir die Schwierigkeiten gleichmässig gelöst; das Glied befindet sich in Supination und die Aufhebung der Drehung des Oberarmbeins hat den Vorderarm eine Rotationsbewegung von einem halben Unikreis machen lassen, was zur Folge gehabt hat, die Ebene des Beines die der Beugung correspondirt nach vorn, die der Streckung correspondirende nach hinten zu bringen; folglich wird sich die Speiche r (Fig. 5), das Analogon des Schienbeins t (Fig. 1), innen befinden; das Ellenbogenbein e das Analogon des Waden- beins c, aussen. Der Daumen d' und die grosse Zehe d, werden alle Beide innen, der kleine Finger und die kleine Zehe aussen sein !). 1) Ich möchte die Anatomen bitten diese Parallele mit einem Skelett vor Augen durchzulesen. Man vergleicht die Glieder derselben Seite und die hintere Fläche des Brustgliedes der vorderen Fläche des Beekengliedes. Man braucht sich nur zu erinnern, dass in der so ohne Aufhebung der Drehung des Oberarmbeins angestellten Parallele, der Kopf dieses Knochens nach der entgegengesetzten Seite wie der des Schenkelbeins sieht. Will man die Drehung nur in ganz grober Weise aufheben, so durchsägt man das Oberarmbein in seinem oberen Dritttheil, befestigt in dem Markkanal des untern Stücks ein eylindrisches Holz, welches man bis in den Markkanal des obern Stücks eintreibt; dann lässt man das untere Stück eine Rotationsbewegung von 180 Graden ausführen, welche die Nebenrolle nach aussen, den Nebenknopf nach innen wendet; die Analogie des Brustglieds und des Bauchglieds ist alsdann vollständig. Man kann aber auch die Aufhebung der Drehung viel vollkommener ausführen. Zu diesem Zweck taucht man ein Oberarmbein senkrecht in ein cylindrisches Gefäss, welches man mit Wasser anfüllt das etwa 1/; Chlorwasserstoffsäure enthält. Die Flüssigkeit muss bis an den Knochenhals gehen, der Kopf selbst darf nicht in die Mischung tauchen. Um eine zu energische Wirkung der Säure auf die Rolle zu verhüten, überzieht man sie mit Wachs, geschmolzenem Kautschuk oder einer Lösung von Gutta-Percha in Benzin; je nach dem Alter des Knochens und dem Grade der Säurung lässt man ihn 6—10 Tage in der Flüssigkeit liegen; er wird dann hinlänglich von seinem phosphorsauren Kalk befreit sein, damit man ihn umdrehen kann. Dies 417 Ich habe nun die Wahrheit meiner Behauptung und die Recht- mässigkeit der daraus gezogenen Folgerungen zu beweisen. Evidenz des Drehung des Oberarmbeins. Um sich davon zu überzeugen, braucht man nur an einem mensch- lichen oder irgend einem Säuger-Öberarmbein die rauhe Linie zu verfolgen, die von dem Nebenknopf e (Fig. 10) ausgeht, sich schief gegen die hintere Fläche wendet, um sie herum der Drehungsrinne des Speichennerven nachgeht, sich in die Anheftungsfläche des innern Theils des Trieeps fortsetzt und bei b an dem hervorstehendsten Theil des Halses unterhalb des Oberarmbeinkopfes endigt in einem an dem andern Ende des transversalen Knochendiameters gelegenen Punkte. Die Drehung beträgt also 180 Grad oder !/, Kreis. Diese Drehung ist von den meisten Menschenzergliederern beobachtet worden 1). geschieht, indem man den Oberarmbeinkopf mit der linken Hand hält tnd dann die Nebenrolle zuerst nach unten dann nach aussen bringt, bis dass der Nebenknopf gerade über dem Knochenhals sich befindet. Der Knochen ist alsdann aus seiner Drehung gebracht. (Siehe das Oberarmbein A, Fig. 5). Doch würde man sich täuschen, wenn man erwartete, alle Ränder, die Flächen und die Muskelan- heftungen parallele, gerade Linien bilden zu sehen, denn die Drehung des Oberarmbeins ist nicht das Resultat einer mechanischen Einwirkung auf einen ursprünglich graden Knochen, mit der Achse parallelen Linien, wie das Schenkelbein, und es kann also davon nicht die Rede sein. Der Körper des Oberarmbeins ist von Anfang an gedreht; indem wir ihn entdrehen, stellen wir nur seine äussere Aehnlichkeit mit dem Schenkelbein, dessen Brust-Repräsentant er ist, wieder her. Diese Thatsache beweist sogar, dass das Becken-Glied das typische Glied ist; das Brustglied nur eine Wieder- holung, bei welcher die Drehung des Oberarmbeins die Hauptrolle spielt, denn sie verändert die Richtung der Beugung die von einer hinteren, wie sie es im Bauchglied war, zu einer vorderen wird. 1) Bertin trait& d’ost@ologie, t. II, p. 283; 1754. — Lecat, Cours abreg& d’ost£ologie, p. 135; 1768. — Winslov, Exposition anatomique de la structure du eorps humain, t. I, p. 207; 1775. — Sabatier, Traitd d’anatomie (1774), 2ieme edit, t.I, p. 175; 1791. — Soemmerring, de corporis humani fabrica, t. I, p. 319; 1794. — Bichat, Anatomie descriptive (1801), nouvelle &dition, t. I, p. 287; 1823. — Boyer, trait d’anatomie, 2ieme &dit., t. I, p. 303; 1803. — Barclay, the anatomy of the bones of the human body represented in a Series of Engravings, 1824, expla- nation of Plate 19, letter D. — Meckel, Manuel d’Anatomie (1816), übersetzt von Jourdan und Breschet, t. 1, p. 708; 1825. — J. Cloquet, Manuel d’anatomie descriptive, texte, p. 78; 1825. — H. Cloquet, trait d’anatomie deseriptive, t. I, p- 199; 1828. — Lauth, Nouveau manuel de l'anatomiste, p. 54; 1829. — Blandin, Nouveau el&ments d’anatomie deseriptive, t. I, p. 153; 1838. — O. Ward, Fat % 418 Sabatier und Boyer sind am Ausführlichsten in dieser Bezie- hung. „Am Körper des Oberarmbeins“, sagt der Erstere, „ist weiter Nichts bemerklich als eine schiefe Eindrückung, die von innen nach aussen heruntergeht und die mir wie die Folge einer Drehung vor- kommt, welche es erlitten hätte, wenn Jemand, während es noch weich gewesen, versucht hätte, seinen Kopf nach innen und sein unteres Ende nach aussen zu bringen.“ Boyer drückt sich ebenso aus. Dagegen ist sie den Zootomen gar nicht aufgefallen, obschon sie bei vielen Thieren noch deutlicher ist als beim Menschen; denn weder Meckel, noch Cuvier, noch Carus, noch Blainville, noch Owen er- wähnen sie, sei es in ihren allgemeinen Betrachtungen über das Ober- armbein, sei es in der Beschreibung des Armknochens bei den ver- schiedenen Wirbelthierklassen. Die Menschenzergliederer, welche die Thatsache bestätigt haben 1), haben nicht die gehörigen Folgerungen daraus gezogen. Man braucht sich nicht zu wundern, dass sie von einem Botaniker bemerkt wurde. Die Drehung ist eine sehr gewöhn- liche Erscheinung bei den Pflanzenstengeln; man muss fortwährend darauf Rücksicht nehmen, weil sie die symmetrische Lage der An- hangsorgane, wie Knospen, Blätter, Blumen u. s. w., stört. Wenn nun aber die Drehung des Oberarmbeins eine unbestreit- bare Thatsache ist, so leuchtet ein, dass man diesen Knochen logischer Weise nicht mit dem Schenkelbein vergleichen konnte, dessen Brust- wiederholung: er ist, ohne ihn zurückzudrehen und daraus einen graden Outlines of human Östeology, p. 292; 1838. — Estor, Cours d’anatomie medicale, t. I, p- 648; 1840. — Cruveilhier, Trait& d’anatomie deseriptive, 2ieme &dit., t. I, p- 245; 1843. — Holmes Coote, The homologies of the human skeleton, p. 87; 1849. — Jamain, Nouveau trait6 &l&mentaire d’anatomie deseriptive p. 70; 1853. — Sappey, trait€ d’anatomie descriptive, t. I, p. 79; 1853. — Henle, Handbuch der systematischen Anatomie des Menschen, t. I, p. 219; 1855. 1) Herr Lavocat allein läugnet förmlich die Drehung des Oberarmbeins, nach ihm ist sie nur scheinbar und Nichts spricht für sie als die entgegengesetzte Lage der Kniescheibe und des Olecranons, welche er durch das Gesetz der Zweckmässigkeit erklärt. Ich werde mich nicht dabei aufhalten den gelehrten Toulouser Zootomen zu widerlegen, da diese ganze Arbeit zum Zwecke hat, die Wirklichkeit und die Folgen der Oberarmbeindrehung zu zeigen. (Siehe die: Considerations d’anatomie philosophique dieses Schriftstellers sur la torsion de l’humerus (Comptes rendus de l’Acad&mie des seiences de Paris, t. XXXIX, p. 29; 3 Juillet 1854) ! 419 Knochen wie den des Schenkels zu machen; denn eben die Drehung ändert den Sinn der Beugung, weil der Vorderarm sich nach vorn biegt, das Bein aber nach hinten. Holmes Coote 1) ist, so viel ich weiss, der einzige Ana- tom, der diese Folge der Drehung eingesehen hat. „The os humeri“, sagt er, „when viewed in its totality, appears twisted upon itself; the flat distal extremity being curved forwards, whilst the inwardly direeted head maintains its normal connection with the shaft. The hand therefore is supine instead of prone, as is the case with the foot; the pronator radii teres musele is said to arise from the inner and not from the outer condyle, as does its homotype in the leg, the popliteus, et.“ Herr Maelise, in seinem Artikel Skeleton 2), hat die ganze Wichtigkeit der Holmes Ooote’schen Ansicht für die Vergleiehung der Becken- und Brustglieder herausgehoben. Die Arbei- ten der beiden englischen Anatomen waren mir unbekannt als ich die meinige redigirte, und ich freue mich unserer Uebereinstimmune. Aber alle Beide sind bei dieser Fundamentalbemerkung stehen geblie- ben; sie haben nicht daran gedacht, den Drehungswinkel des Ober- armbeins bei den verschiedenen Wirbelthierklassen zu messen, die Ver- schiedenheiten zu schätzen, die daraus für die Bewegungsweise der ‚nenschenähnlichen Thiere, der Vierfüsser, der Fledermäuse, der Vögel und der Reptilien folgen, seine Virtualität festzustellen, und eben- sowenig daran, alle Folgerungen zu ziehen, welche daraus für das Muskel-, Cireulations- und Nervensystem der untereinander vergliche- nen Glieder, hervorgehen. Die Drehung ist keine dem menschlichen Oberarmbein eigenthüm- liche Anordnung; sie findet sich allgemein bei den ersten Abtheilungen der Wirbelthiere, den lebenden oder fossilen Säugethieren, Vögeln und Reptilien, beträgt 180 Grad beim Menschen und den Land- oder Was- sersäugethieren,, 90 Grad bei den Fledermäusen, den Vögeln und den Reptilien. Die Drehung des Oberarmbeins beim Menschen und den Land- 1) The homologies of the human Skeleton, p. 87; 1849. ?) Todd’s Cyclopaedia of Anatomy and Physiology, t. IV, 665—682. MOLESCHOTT, Untersuchungen VI. 23 . v Br 420 oder Wassersäugethieren !). — Sie beträgt immer 180 Grad; aber die Verhältnisse der Achsen des Halses und der Rolle sind nicht dieselben in der ganzen Reihe. Es giebt zwei Modificationen: Beim Menschen und den menschenähnlichen Affen, dem Orang-Utang, dem Chimpanse, dem Troglodytes-Tschego, den Gorillas und den Gibbons sind die Achsen des Schenkel- und Oberarmbein-Halses (Fig. 10a) parallel und beide gegen die Wirbelsäule gerichtet, nämlich von aussen nach innen und von unten nach oben. Beide, sowie auch die Achsen der beiden Kno- chenkörper, liegen in derselben im Wesentlichen vertiealen und auf der Vertebro-sternal-Ebene senkrechten Ebene. Diese Achsenrichtung ist die mechanische Bedingung der Herumführungsbewegungen des Ar- mes und jdes Schenkels, welche um diese ideale Achse einen Kegel beschreiben. Bei dieser Thiergruppe und beim Menschen ist die Achse der Ober- armbeinrolle by ebenfalls parallel der Ebene, welche die Achse des Halses und die des Knochenkörpers enthält; auch kann man, wenn das Thier aufrecht auf seinen Füssen steht, geradezu physisch sagen, dass die Achsen des Oberarmbeinhalses, seines Knochenkörpers, seiner Rolle, so- wie diejenigen des Schenkelhalses, des Körpers dieses Knochens und seiner condyli merklich in einer und derselben verticalen Ebene liegen, die auf der Ebene der zweiseitigen Symmetrie senkrecht steht. . Bei den Landvierfüssern wie bei den Amphibien ist die Achse des Schenkelhalses wie beim Menschen gerichtet, und die Ebene, welche die Achse des Schenkelknochens und die des Schenkelhalses enthält, ist ebenfalls senkrecht zu der Ebene der zweiseitigen Symmetrie. Aber nicht ebenso verhält es sich beim vorderen Gliede: Die Achse des 1) Diese Drehung ist wenig sichtbar an den langen und dünnen Knochen der wesentlich kletternden Vierhänder, aber sehr deutlich beim Orang-Utang, dem Chim- panse, dem Troglodytes-Tschego, dem Gorilla, den Papions, den Pavianen, den Bären, den Hunden, den Katzen, den Fischottern, den Igeln, den Eichhörnchen, den Murmel- thieren, den Bibern, dem Kameel, dem Ochsen, dem Pferd, dem Elephanten, den Sariguen und den Känguruhs: vollkommen sichtbar an den Oberarmbeinen der Seehunde, der Seekühe, der Lamantine und der Dugonge; sie ist es nicht mehr an den glatten Knochen der Narwale, der Wallfische, des Hyperodons und der Delphine. Da bei diesen letzten Thieren das Oberarmbein hinter der Speiche eingelenkt ist, so liegen die beiden Knochen in einer der Vertebro-sternal-Ebene parallelen Ebene. Ban gr I 421 ÖOberarmbeinhalses ist von vorn nach hinten und von unten nach oben gerichtet 1); diese Achse und die Achse des Oberarmbeinkörpers liegen in derselben mit der Vertebro-sternal-Ebene parallelen Ebene. Daraus folgt, dass die Ebene, welche die Achse des Knochens und die des Halses ax (Fig. 6 und 7) enthält, senkrecht ist zu der Achse der Rolle, welche dargestellt würde durch eine zur Ebene des Papiers normale und durch den Punkt t (Fig. 6 und 7) gehende Linie, wäh- rend beim Menschen diese drei Achsen in derselben Ebene liegen. Wenn wir zum Vergleichungspunkt die Achsenrichtung des Schenkel- halses nehmen, welche bei allen Thieren die gleiche ist, so können wir annehmen, dass beim Menschen und den höheren Affen der Ober- armbeinkopf an der Drehung des Körpers dieses Knochens keinen Theil hat. Dagegen bei den niedern Affen und den Vierfüssern erleidet die untere Extremität des Oberarmbeins gleichfalls eine Umdrehung von 180 Grad; aber die obere Extremität, statt wie beim Menschen fest zu bleiben, wird selber um 90 Grad oder um einen rechten Winkel gedreht. Ein Beweis dafür ist die Lageveränderung der Höcker, welche die bieipitale Rinne begrenzen. Der äussere Höcker beim Menschen (Fig. 10e) wird vorderer Höcker bei den Vierfüssern (Fig. 6 und 7e); der innere des Menschen (Fig. 10:) wird zum hinteren (Fig. 6 und 7%), was eine Drehung von 90 Grad voraussetzt. Man sieht es auf's deutlichste an den gut articeulirten Skeletten der grossen Fleischfresser. Die Folge dieser Anordnungen ist, dass bei den Vier- füssern das vordere Glied sich in einer Ebene bewegt und nur noch sehr unvollkommen die Herumführungsbewegungen ausführt, welche den Menschen und die menschenähnlichen Affen auszeichnen. Drehung des Oberarmbeins bei den Fledermäusen, den Vögeln und den Reptilien. — Sie beträgt nur 90 Grad; die Achsen des Schenkel- und des Oberarmbein-Halses sind wie beim Menschen gerichtet, d. h. die Achse des Knochenkörpers und die Achse des Halses liegen in einer zur Ebene der zweiseitigen Symmetrie senkrechten Ebene. Da aber 1) Siehe Tafel I, Fig. VI und VII die Achse an den Oberarmbeinen des Seehundes und des Hundes. 28* 422 der Körper des Oberarmbeins nur um 90 Grad gedreht ist, so wird die Rolle nach aussen gewendet. Bei diesen Thieren ist also die Ebene, welche die Achse des Knochens und die Achse des Halses (Tafel I., Fig. 8 und 9) ax enthält, senkrecht zu der Achse by der Ober- armbeinrolle; auch geschieht die Beugung des Vorderarmes auf den Arm nach aussen in eimer zur Vertebro-sternal-Ebene senkrechten Ebene. Eine Fledermaus, ein Vogel entfalten ihre Flügel nach aussen, ein Reptil streckt seinen Vorderarm senkrecht zur Achse seines Körpers aus. Die Drehung um 90 Grad ist also eine der osteologischen Be- dingungen des Flugs und des Kriechens. Bei den Fledermäusen muss man die Oberarmbeindrehung studi- ren an den grossen Roussetten, wie den Pteropus vulgaris Et. (Geoft., P. Edwardsii Geoft., P. Keraudrenü Quoy, P. poliocephalus Temmink, und bei dem fliegenden Makı /(Galeopithecus volans). Man wird sehen, 1) dass die Achse des Halses gerichtet ist wie beim Menschen, 2) dass der äussere Höcker nach aussen, der innere nach innen liegt, 3) dass die Achse der Rolle senkrecht zur Ebene ist, welche die Achse des Halses und die des Knochenkörpers enthält. Bei den Vögeln sieht man die Drehung um 90 Grad am Besten an den Oberarm- beinen der grossen Raubvögel, wie der Condor, der Adler (Fig. 9), die Albatrosse und bei den grossen Hühnervögeln. Von Reptilien will ich hier erwähnen: die Crocodile, die Kai- mane, die Warneidechsen (Varanus), die Grammatophoren, die Stellio- nen, die fliegenden Drachen, den Salvator (Salvator Merianae Bibr.), die Ameiva (Ameiva vulgaris Licht.), die grüne Eidechse, den Ple- stiodon Aldrovandi Bib., die Cyelodus und die grossen Saurier im Allgemeinen. Beim Chamäleon ist im Gegentheil das Oberarmbein um 180 Grad gedreht, denn das Chamäleon ist kein kriechendes Reptil 1); es geht wie ein Vierhänder und biegt seinen Arm nach vorn. Es schleppt weder seinen Bauch noch seinen Schwanz auf dem Boden nach. Wenn es klettert, so thut es das nicht nach der Weise der Eidechsen oder Stellionen, die sich mit ihren Klauen festhalten, 1) Siehe meine Note über die Drehung des Oberarmbeins, Comptes rendus de l’Acad&mie des sciences de Paris, t. NLIV, p. 246; 9. fevrier 1847. . 423 sondern nach Art der amerikanischen Affen; wie diese fasst es die Zweige mit seinen vier Händen und rollt seinen Greifschwanz um die Gegenstände die ihm als Stütze dienen. Unter den Schildkröten sieht man die Drehung nur bei den Land- und Fluss-Schildkröten, wie der griechischen Landschildkröte (Testudo graeca L.), der Emys concentrica Gray, Emysaurus serpentinus Bib., der europäischen Landschildkröte (Testudo europaea Gray). Die platten Oberarmbeine der Seeschildkröten weisen ebensowenig eine Spur davon auf, wie die der Walthiere. Bei den Batrachiern ist die Drehung weniger bemerklich als bei den Sauriern, wegen der Zart- heit ihrer Knochen; doch habe ich sie bestätigt bei den Kröten, der gemeinen Kröte (Bufo vulgaris Laur.), bei Pelobates cultripes T'schudi, Alites obstetricans Wagl. (Geburtshelferkröte), bei den Fröschen, bei Hana temporaria L. und Rana esculenta Daud '). Diese Drehung des Oberarmbeins um 90 Grad, welche den Rep- tilien und Vögeln gemein ist, muss als ein neuer Zug zu den zahl- reichen organischen Aehnlichkeiten, welche diese beiden Thierklassen einander nähern, hinzugefügt werden. Wenn man in der Reihe der Wirbelthiere die Achsenrichtung der Schenkelköpfe mit der Achsenrichtung der Oberarmbeinrolle vergleicht, so findet man, dass diese Achsen einander parallel sind bei den Fleder- mäusen und den Reptilien, senkrecht bei den Vögeln. Und in der That biegen eine Fledermaus und ein Reptil ihr Knie nicht nach vorn, sondern nach aussen, so dass die Beugung des Vorderarms und die Beugung des Beines in zwei einander parallelen und zur Symmetrie- 1) Fast alle Skelette von Reptilien, selbst die wo man die natürlichen Bänder erhalten hat, werden wie die der Vierfüsser aufgestellt. Das Knie nach vorn, der Ellenbogen nach hinten gebogen, und die Glieder unter dem Thiere. Man thut dies um das Brett, auf welchem das Thier befestigt ist, schmäler machen zu können und Platz zu gewinnen; aber man fälscht die Haltung eines Reptils und giebt ihm die eines Landsäugethiers. Das Oberarmbein eines Reptils muss eingelenkt werden wie das eines Vogels, die Achse des Halses nach innen und oben gerichtet, die Rolle nach aussen gewunden, das Schenkelbein wird dann dem Oberarmbein parallel gestellt, Knie und Ellenbogen werden sich nach aussen biegen. Das Kriechen, wor- unter man versteht, dass der Bauch auf dem Boden nachschleppt, ist eine Folge dieser Struetur. 424 Ebene senkrechten Ebene geschehen. Bei den Vögeln ist es anders: die Achse der Schenkelköpfe ist zwar auch zur Vertebro-sternal-Ebene senkrecht, aber die Achse der Nebenrolle ist mit dieser Ebene parallel, daher die Beugung des Beines nach hinten und des Flügels nach aussen. ö Kurz, die blosse Ansicht der Schulter und des Oberarmbeins eines Thiers wird künftig über die wichtigsten Punkte seiner Bewe- gungsart entscheiden und ihm seine Stelle in der Abtheilung der Wirbelthiere anweisen können. Ist die Achse der Oberarmbeinrolle, der Ebene, welche die Achse des Knochens und die des Halses enthält, parallel, oder, mit andern Worten, befinden sich diese drei Achsen im Wesentlich in derselben Ebene, so kann der Arm Herumführungsbewe- gungen ausführen und das Thier gehört zur menschenähnlichen Gruppe. Ist aber die Achse der Rolle senkrecht zur gemeinsamen Ebene der Achse des Halses und des Knochenkörpers und gleichzeitig zu, der des Schul- terblattes, so ist das Geschöpf ein Land- oder Wasser-Säugethier. Ist dagegen endlich die Achse der Rolle, indem sie senkrecht bleibt zur gemeinschaftlichen Ebene der Achse des Halses und des Knochenkörpers, nahezu parallel mit der des Schulterblattes, so fliegt oder kriecht das Thier; es ist eine Fledermaus, ein Vogel oder ein Reptil. Man sieht es klar ein, die Natur ist jedes Mal geometrisch ver- fahren, wenn sie die Ebene, in welcher die Thierglieder sich bewegen, änderte. Diese Veränderungen, welche mit denen der Rotationsachse zu- sammenhängen, betragen immer nur einen oder zwei rechte Winkel. Jedoch, wenn wir zu der festgesetzten Rotation von 180 Grad, die aus der Drehung des Oberarmbeins folgt, die 180 Grad hinzufügen, welche der Daumen bei der Pronationsbewegung des Vorderarmes beschreibt, so finden wir, dass in der organischen Umbildung des hin- teren Gliedes in ein vorderes, die Styloidapophyse der Speiche einen ganzen Kreis beschrieben hat, und dies ist auch der Grund warum die Hand, wenn der Vorderarm in Pronation ist, sich wieder in der- selben Lage befindet wie der Fuss. Metaphysische Schwierigkeit. Ich muss nun eine Frage erörtern, die um so kitzlicher ist, als sie in's Gebiet der Metaphysik gehört und die geheimsten Gesetze der 425 Entwicklung organischer Wesen berührt. Untersucht man Skelette von Embryonen zwischen zwei und neun Monaten, so: stellt sich der Körper des Oberarmbeins unter der Form einer flachen und die Grösse ausgenommen der des Schenkelbeins ganz gleichen Platte dar. Man bemerkt daran nicht die geringste Spur von Drehung. Diese Drehung wird sogar erst sichtbar bei einem einjährigen Kinde und erst bei einem zweijährigen ist sie vollkommen charakterisirt. Indessen ewistirt doch schon vom Tag an, wo die Glieder beim Embryo sich zeigen, die Dre- hung, denn die Beugung des Vorderarms geschieht nach vorn. Ja, mein Freund, Professor Vogt, hat mich darauf aufmerksam ge- macht, dass die Folgen der Drehung, d. h. die Beugung nach vorn, existiren ehe noch selbst das Oberarmbein gebildet ist. Und wirklich, wenn man einen Blick auf die embryologischen Tafeln des Erdl’schen Werkes 1) wirft, so sieht man, dass in der dritten Woche (Tafel X., Fig. 2) die Hand an den Seiten des Körpers in halber Pronation sich befindet, die Fingerspitzen nach vorn gekehrt. Der Arm wird durch eine Furche bezeichnet, welche diese Platte vom Rumpfe trennt, aber das Oberarmbein, die Speiche und das Ellenbogenbein existiren noch nicht und werden sich erst in der siebenten Woche nach einander entwickeln. Die Drehung des Oberarmbeins ist also keine mechanische Drehung, die zu einer bestimmten Epoche des Lebens stattfindet, sie ist nur eine virtuelle (der Möglichkeit nach vorhandene) Drehung, die nie mechanisch vollzogen wird; aber diese virtuelle Drehung hat alle Folgen einer wirklichen Drehung. Alles am Arm ist so angeordnet als wenn sie wirklich physisch vollbracht wäre, — die Muskeln, die Arterien, die Nerven haben die Rotationsbewegung der Ellenbogen- Extremität des Oberarmbeins mitgemacht. Die sonstigen Verschie- denheiten zwischen dem Arm und dem Schenkel und selbst zwischen dem Brust- und dem Beckenglied sind einfache Folgen dieser Drehung; und fragt man mich, was denn der Hauptunterschied zwischen dem Arm und dem Schenkel sei, so würde ich ohne Anstand antworten: das Oberarmbein ist gedreht, der Schenkel ist es nicht. Ich hoffe, 1) Die Entwicklung des Menschen und des Hühnchens in 4. Leipzig 1845. 426 der Leser wird meine Ueberzeugung theilen, wenn er diese Abhand- lung zu Ende liest; denn ich werde beweisen, dass die Anordnung, sämmtlicher Weichtheile des Brustgliedes, verglichen mit denen der correspondirenden Theile des Bauchgliedes, sich nur aus der Dre- hung des Öberarmbeines erklären lässt. Es ist der einzige lange Knochen, dessen Körper in dieser Weise schneckenförmig gewunden ist; und indem sie ihm diese Form ertheilt, enthüllt uns die Natur das einfache und rationelle Verfahren, wodurch die Beugung aus einer hinteren zu einer vorderen oder äusseren wird. Uebrigens ist es für den Beobachter völlig gleichgültig, ob diese Drehung wirklich statt- gefunden habe oder ob sie nur virtuell sei, wenn er nur weiss, dass alle ihre Folgen bestehen. Ebensowenig kümmert es mich, wenn ich z. B. den Einfluss der Form auf die Thätigkeit poly@drischer Zellen studire, ob dieselben es von Anfang an waren oder ob sie ursprüng- lich sphärisch gewesen und erst allmälig in Folge ihrer gegenseitigen Zusammendrückung poly&drisch geworden sind. Die Naturgeschichte wimmelt von ähnlichen Thatsachen. _ Bei Missgeburten von doppelten Fischen, die untereinander durch ihre hintere Extremität zusammenhängen, besitzen die vorderen und von einander getrennten Theile der beiden Individuen jede ihre besondere Wirbelsäule; aber in dem hinteren, Beiden gemeinsamen Theile giebt es nur eine einzige Wirbelsäule. Als mir Professor Coste die Zeich- nungen dieser Fische zeigte, fügte er noch hinzu: „Virtuell jedoch sind die beiden Wirbelsäulen im Schwanz des Doppelfisches vorhanden; aber die Oentralsäule hat sich nicht entwickelt, und die beiden äussern Hälften, wovon die eine dem rechten Fische, die andre dem linken Fische angehört, haben sich vereinigt und bilden die einzige Wirbel- säule, die Achse des, beiden 'Thieren gemeinsamen, Schwanzes.“ Bei den Pflanzen findet sich dasselbe. Bei allen Lippenblumen mit doppellippiger Corolle hat die Oberlippe ein oder zwei Lappen, die umtere drei, vier, oder fünf; die Staubfäden convex nach oben befinden sich unter der oberen Lippe. Aber in der Abtheilung der Ocimoideen, bestehend aus den Arten Ocimum, Orthosiphon, Plectranthus, Coleus, Hyptis u. s. w., hat die obere Lippe vier Lappen, die untere 427 nur einen. Die Staubfäden sind nach unten eonvex und befinden sich über der unteren Lippe. Alle Botaniker geben zu, dass die Blumenkrone in dieser Abthei- lung umgedreht worden, und doch hat noch keiner von ihnen den Akt der Umdrehung gesehen. Die Blüthe kommt umgedreht zur Welt, wie das Oberarmbein gedreht. Ich habe mich davon an Blüthenknos- pen von Ocimum carnosum Link überzeugt, die nur einen Millimeter lang waren. In dieser ganzen Pflanzenabtheilung findet also eine der vir- tuellen Drehung des Oberarmbeins bei den Wirbelthieren analoge virtuelle Umdrehung statt. Diesen virtuellen Drehungen begegnet man also in den beiden organischen Naturreichen, und sie können keinen Einwand oder auch nur eine Schwierigkeit bilden, bei welcher sich der Naturforscher oder Philosoph lange aufzuhalten brauchte. II. Vergleichung der beiden Knochen des Beines mit denen des Vorderarmes. Beständigkeit des Ellenbogenbeinkopfes. Der Kopf des Ellenbogenbeines tritt in die Bildung der Articulation des Vorderarmes mit dem Arme von allen Säugethieren ohme Ausnahme ein. — Dies ist der erste Hülfssatz den wir feststellen müssen, ehe wir an die direete Vergleichung der Knochen des Beines mit denen des Vorderarmes gehen. Beim Menschen und den menschenähnlichen Affen umfasst das Ellenbogenbein das Oberarmbein mit einer beinahe halbkreisförmigen Fläche, die nach vorn in den kronenförmigen Fortsatz, nach hinten in das Oleeranon ausläuft. Beide Facetten entsprechen den beiden Vorsprüngen der Rolle. Die Speiche dagegen berührt den Oberarm- beinknopf nur durch eine lose mit ihm verbundene Gelenkgrube (eavitas glenoidea). Studirt man die übrigen Säugethiere in Beziehung auf ihre Ober- armbein-Ellenbogenbein-Artieulation, so kann man sie in drei Gruppen 428 theilen: 4) Diejenigen wo Ellenbogenbein und Speiche vollständig, deutlich getrennt und mehr oder weniger aufeinander beweglich sind; 2) diejenigen, wo die beiden Knochen unterschieden aber unbe- weglich sind; 3) endlich diejenigen, wo Körper und Handwurzelende des Ellenbogenbeins mit der Speiche verschmolzen und mehr oder weniger verkümmert sind. Wir werden sehen, dass in diesen drei Gruppen der Ellenbogenbeinkopf immer Theil nimmt an der Gelenk- verbindung des Armes und des Vorderarmes. 1) Beim Menschen und bei den Vierhändern geschehen die Pro- nations- und Supinations-Bewegungen mit Leichtigkeit, und die Speiche, indem sie sich um das Ellenbogenbein dreht, beschreibt einen Halb- kreis. Die Bewegungen sind geringer, aber doch noch vorhanden, bei den Bären, den Waschbären, den Katzen, den Eichhörnchen, dem Biber, dem Ai und dem Unau !). Bei diesen Vierfüssern ist der An- theil des Ellenbogenbeins am Gelenk fast derselbe wie beim Menschen, nur dass das Oleeranon von aussen nach innen abgeplattet ist. 2) Der Antheil des Ellenbogenbeins wird grösser bei denjenigen Thieren, bei welchen die beiden Knochen vollständig, aber unbeweglich und manchmal sogar aneinander geheftet sind2). Die Entwicklung des Ölecranons trägt zur Vergrösserung der Gelenkfläche bei. Ich will nur die Hunde, die Biber, die Lagotis, die Nilpferde und die Schweine nennen. Am merkwürdigsten aber ist in dieser Beziehung das Ellenbogen- gelenk des Elephanten. Die Gelenkfläche des Ellenbogenbeins besteht aus einem ungeheuren Ölecranon und aus einer Kronenfläche, die sich vorn in zwei Lappen wie ein Spielkartenherz theilt. Zwischen diese beiden Lappen klemmt sich der dreieckige Kopf der Speiche ein, deren Gelenkoberfläche kaum '/, der Ellenbogenbeinoberfläche gleichkommt. Dieser Kopf steht in Berührung mit der ganzen Oberarmbein-Dreh- rolle, die kleine dreieckige Fläche ausgenommen, von der wir eben sprachen. Beim Schweine liegen das Ellenbogenbein und die Speiche 1) Cuvier, Observations sur T'osteologie du Paresseux. (Annales du Museum d’histoire naturelle de Paris, t. V, p. 207; 1804). 2) Beim indianischen Kaninchen, beim Meerschweinchen sind sie durch eine Knochenplatte verbunden. 429 genau aneinander; das Oleeranon ist quer abgeplattet und die Ellen- bogengelenkoberfläche bei weitem grösser als die der Speiche. Bei den Seehunden, den Seekühen, den Lamantinen und den Dügongen sind die beiden Knochen unterschieden, getrennt, und einer hinter dem andern; auf dem Elienbogenbein sitzt ein sehr entwickeltes Öleeranon. Bei den Delphinen, dem Narwal, den Hyperodonten, den Rorquallen und den Wallfischen ist die Anordnung der beiden Knochen des Vorderarms die gleiche, aber das Oleeranon ist nur in seinen An- fängen vorhanden. Dies sind die einzigen Säugethiere, bei denen dieser Fortsatz nicht in die Bildung des Ellenbogengelenks eintritt. Bei den Vögeln ist das Olecranon entweder gar nicht vorhanden oder rudi- mentär. Das Vorhandensein dieses Fortsatzes scheint also unverträglich mit einem vollkommenen Wasser- oder Luftleben. Er hängt mit einem Land- oder Amphibienleben zusammen, denn das Olecranon, das bei den Vierfüssern stets vorhanden ist, findet sich gleichfalls im Ruder des Seehundes und im Arm des fliegenden Maki (Galeopitheeus), welcher den Fallschirm trägt. Der Körper des Ellenbogenbeins scheint eine andere Bedeutung zu haben; er ist rudimentär, fadenförmig oder fehlt ganz bei den Fledermäusen, deren Leben wesentlich Luftleben ist, entwickelt sich dagegen vollständig bei den Walthieren, die aus- schliesslich im Wasser leben. 3) Bei gewissen Insektenfressern, den Einhufern und den Wieder- käuern verschmilzt der Körper des Ellenbogenbeins mit der Speiche oder verliert sich zum Theil oder selbst ganz in dieselbe; dann: er- reicht aber das Olecranon eine um so grössere Entwicklung, je voll- ständiger die Verschmelzung der beiden Knochenkörper ist. Beim Igel sind die beiden unteren Drittel des Ellenbogenbeins mit der Speiche vereinigt, das Oleeranon ist sehr gross. Es wird verhält- mässig noch grösser beim Elenn, wo der schr dünne Körper des Ellenbogenbeins vom Radius getrennt ist; bei der Ziege, der Hirschkuh, dem Dammhirsch, wo die beiden unteren Drittel des Ellen- bogenbeins mit der Speiche vereinigt sind; beim Ochsen, wo die unteren drei Viertel des Ellenbogenbeins mit der Speiche verschmelzen ; beim Kameel, dem Pferd, dem Esel, wo das Oleeranon ein Fortsatz der Speiche scheint und der Körper des Ellenbogenbeins gleich unter 450 dem Ölecranon mit dem der Speiche verschmilzt. Bei der Giraffe ist dieser Körper von der Speiche in seinem obern und untern Viertel getrennt, aber durchaus fadenförmig: — bei all diesen Thieren bildet das ungeheuer entwickelte Olecranon, wie bei den übrigen Landsäuge- thieren, den hintern Theil des Oberarmellenbogenbein-Gelenkes, wäh- rend unterhalb das Oberarmbein nur mit der Speiche artieulirt. Diese Thatsachen veranlassen uns es als eine ausgemachte Wahrheit anzu- sehen, dass bei den Land- und amphibischen Säugethieren das Ellen- bogenbein beständig in die Bildung des Ellenbogengelenkes eintritt, von dem es den der Streckungsebene entsprechenden Theil ausmacht. Ist aber das Ellenbogenbein ein wesentliches Stück des Ellenbogengelenkes bei allen Säugethieren, so muss auch zothwendig sein Becken-Repräsentant in die Bildung des Kniegelenks eingehen. Studiren wir nun unter diesem Gesichtspunkt das Schenkel - Schienbein - Gelenk, so werden wir finden, dass die directe Beobachtung unsere auf inductivem Wege erlangte Voraussicht bestätigt, Bildung des obern Schienbeinkopfes. Wir haben jetzt zu beweisen, dass der Kopf des Schienbeins beim Menschen und bei den meisten Säugethieren durch die Verwachsung der vereinigten Ellenbogenbein - und Speiche - Köpfe gebildet ist. Beim Menschen und bei den höhern Säugethieren sind diese beiden Knochen ungefähr gleich diek; ist der Ellenbogenbeinkopf stärker als der der Speiche, so ist zum Ersatz dafür das Handwurzelende der Speiche grösser als das entsprechende Ende des Ellenbogen- beins. Dagegen ist allen Anatomen das Missverhältniss zwischen Schienbein und Wadenbein aufgefallen. Jenes bildet eine massive oberhalb in einen enormen Kopf endigende Säule; dieses ist lang, schwach, dünn, und wie verkümmert. Die Knochen des Beines beim Menschen und bei den Thieren sind also eines der schönen Beispiele von jenem Gesetz des Gleichgewichts der Organe (Aus- gleichungsgesetz), welches von Goethe !) aufgestellt und seitdem durch 1) Oeuvres d’histoire naturelle, traduites par Ch. Martins, p. 29, 1837, 431 Etienne Geoffroy-Saint-Hilaire !) weiter entwickelt wurde. Es ist als ob die Speiche als sie sich zum Schienbein umbildete sich auf Kosten des Ellenbogenbeins entwickelte oder vielmehr dasselbe sich einverleibt hätte, und so ist es in,der That, denn der Kopf des Schienbeins wird durch die Verwachsung der Ellenbogenbein- und Speiche-Köpfe gebildet. Was beim Oberarmbein Statt findet, welches mit diesen beiden Knochen articulirt, muss auch beim Schenkelbein Statt finden. Dieses scheint aber bloss mit dem Schienbein zu artieuliren. Betrachtet man jedoch das Knie genau, so bemerkt man am Schienbein zwei Gelenkflächen gleich denen des Ellenbogenbeins und der Speiche. Die äussere oder Fibularfläche liegt der Streckungs- ebene näher gleichwie der S förmige Ausschnitt (cavitas sygmoidea) des Ellenbogenbeins, welchen sie repräsentirt. Die innere, der Beugungsebene näher liegende, entspricht der oben etwas vertieften Gelenksfläche der Speiche (cavitas gleonoidea), die gleichfalls der Beugungsebene näher steht. Die Gräte, welehe die beiden Gelenkflächen des Schienbeins trennt, entspricht nicht, wieman gewöhnlich behauptet, der Hervorragung, welche von der Spitze des Olecranons zum kronenförmigen Fortsatz läuft, sondern dem Zwischenraum, welcher den Kopf des Ellenbogen- beins von der oberen Gelenkfläche der Speiche trennt. Ein noch schlagenderer, so zu sagen anschaulicher Beweis hat bereits die Augen mehrerer Menschenzergliederer auf sich gezogen 2). Legt man einen Ellenbogen und ein Knie von eimem Skelett (Fig. 1 und 2) neben einander, und betrachtet sie von der Seite, so kann man unmöglich die wunderbare Aehnlichkeit der vorderen (Grräte des Schienbeins, von der Anheftung des Kniescheiben-Bandes an, bis unter dem oberen Drittel des Knochens, mit der hinteren Gräte 1) Considerations sur les pieces de la tete osseuse des animaux vertebres, et partieulierement sur celles du eräne des Oiseaux (Annales du Museum, t. X, p. 342; 1807). — M&moires sur les rapports naturals des Makis (Magasin eneyelopedique, t. I, p- 20; 1796 et Vie, travaux et doctrines d. Et. Geoffroy Saint-Hilaire, par son fils, p. 134; 1847). - 2) Meckel, Manuel d’anatomie, übersetzt von Jourdan, t. I, p. 775. — Bourgery, trait@ complet de l’anatomie de Phomme, t. I, p. 137. — Cruveilhier, trait& d’anatomie deseriptive, t. I, p. 343. 432 des Ellenbogenbeins verkennen, welche von der Basis des Oleeranons aus sich gleichfalls bis unter das obere Dritttheil des Knochens fortsetzt. Beide sind scharf, beide bieten in ihrer Mitte eine Krümmung in gleichem Sinne d. h. convex gegen die Speiche am Arm und gegen die untere Hälfte des Schienbeins am Beine. Zu dem heftet sich auch noch oben an dieser Gräte das Band an. welches die Kniescheibe: trägt, deren Analogie mit dem Öleeranon unbestreitbar ist. Man nehme nun eine Verwachsung der beiden Köpfe der Speiche und des Ellenbogenbeins an oder man sage nur, die Speiehe habe sich auf Kosten des Ellenbogenbeins entwickelt, um den Kopf des Schienbeins zu bilden, in keinem Fall wird man den Ellenbogenbeincharakter des vorderen Theiles vom oberen Drittel des Schienbeins läugnen können. Von der Einbiegung der Gräte an, von der wir gesprochen, hört die Verwachsung auf. Speiche und Ellenbogenbein statt hintereinander zu stehen, sind nun beide der Streckungsebene merklich parallel und die Gräte des Schienbeins, welches von hier an allmälig- ver- schwindend nach dem innern Knöchel zu läuft, wird am Vorderarm durch den hinteren Rand der Speiche repräsentirt, welcher gleichfalls verschwindend nach dem Knöchel oder dem Styloidfortsatz der Speiche verläuft. Und eben so repräsentirt der vordere Rand des Wadenbeins vollständig die Gräte der unteren 2/;, von der hinteren Fläche des Ellenbogenbeins. Die vergleichende Anatomie bestätigt diesen aus der menschlichen Anatomie gezogenen Schluss. Bei gewissen Beutelthieren, wie den Beutelwölfen (Thylacinus), den Wombaten (Phascolomys), den Dasyuren, den Phalangisten und den Opossa (eigentlichen Beutelthieren), bei denen Schienbein und Wadenbein ge- trennt bleiben, wie Speiche und Ellenbogenbein, ist die vordere Fläche des Schienbeins in ihrem oberen Drittel abgerundet, die Ellenbogen- bein-Gräte des Schienbeins fehlt 1); aber in den zwei unteren Dritteln ist die Gräte vorhanden und stellt dort den hinteren Rand der Speiche vor. Kurz, wenn man von der Ellenbogenbeinseite aus die hintere Fläche eines Vorderarmes, welchen man neben die vordere Fläche 1) Siehe Fig. 11, 12 und 16, wo man zugleich sieht, wie bei diesen Thieren die Kniescheibe am Wadenbein und nicht am Schienbein angeheftet ist. 433 eines Beines gelegt hat im Profil betrachtet, so verdeckt das Ellen- bogenbein die Speiche in ihrem oberen Drittel, das heisst: in dem Theil, dessen Verwachsung den Kopf des Schienbeins bildet. Unterhalb dieses Punktes sieht man zugleich die beiden Knochen, die einander parallel sind und wesentlich in der Streekungsebene liegen; ebenfalls unterhalb dieses Punktes stellen Schienbein und Wadenbein jedes die ganze Speiche und das ganze Ellenbogenbein vor. Ich habe diese anatomische Anschauung durch ein in den Sammlungen der medieini- schen Facultät von Montpellier niedergelegtes Stück verwirklicht (Fig. 5). Ich durchsägte den hinteren und oberen Theil des Ellen- bogenbeins nach einer schiefen Linie vom obern Dritttheil des Knochens bis unter den kronenförmigen Fortsatz und befestigte diesen losgelös- ten Theil p hinter der Speiche ». Die beiden aneinanderliegenden Knochen, auf denen das Oleeranon o sitzt, stellen vollkommen den Kopf des Schienbeins (Fig. 1) mit der Kniescheibe Z darauf vor, und die vordere Hälfte « des gespaltenen Ellenbogenbeins, welche unter- halb der kronenförmigen Gelenkfläche artieulirt, wiederholt genau das obere Drittel des Wadenbeins, welches unterhalb der Gelenkfläche des Schienbeins mit dem Schenkelbein artieulirt. Dazu kommt noch, dass dieser Theil des Ellenbogenbeins als Anheftungsstelle für den vordern Armmuskel dient, gleichwie der Kopf des Wadenbeins für den homo- logen Muskel, den kurzen Theil des zweiköpfigen Sehenkelmuskels; ja der äussere Kniekehlennerv (peroneus) windet sich um den Hals des Wa- denbeinkopfes gleichwie der homologe Ellenbogennerv der rauhen Facette entlang verläuft, wo sich der vordere Armmuskel anheftet. Kurz, der vordere Theil des oberen Drittels vom Schienbein wird durch Hinzu- fügung der unter dem Olecranon befindlichen Portion des Ellenbogen- beins zum oberen Theile der Speiche gebildet, oder, philosophischer aus- gedrückt: wenn man die hintere Extremität als Typus eines Säuge- thierglieds ansieht, so entsprechen die getrennten Köpfe des Ellenbogen- beins und der Speiche dem gespaltenen Kopfe des Schienbeins 1). 1) Auch dies ist eine gewöhnliche Erscheinung bei den Pflanzen. Siehe über diesen Gegenstand Dunal, Considerations sur la nature et les rapports de quelques-ung des organes de la fleur; 1829, 434 Die Pronationsbewegungen beim Menschen, bei den Affen und einigen Fleischfressern, die beständige Pronation der Diekhäuter und der Wiederkäuer sind also eine Folge der Drehung des Oberarmbeins und der Spaltung des Schienbeinkopfes. Die Vergleichung der Knie- scheibe mit dem Öleeranon wird hoffe ich den Leser vollends überzeugen. Kniescheibe und Olecranon. Das Olecranon ist das Analogon der Kmiescheibe: Lage, Ver- bindungen, Muskelansätze, Verrichtungen, Krankheiten, alles gleicht sich; auch haben fast alle Anatomen 1) diese beiden Knochen einander gleich gesetzt. Die Anheftung der Kniescheibe an’s Schienbein gab selbst den Hauptgrund für die Schriftsteller, welche nach dem Vor- gang von Vieg-d’Azyr, Meckel und Bourgery das Schienbein oder wenigstens dessen oberen Theil dem Ellenbogenbein verglichen. Wenn man, wie ich es meine, den Schienbeinkopf als aus der Verwach- sung der Köpfe des Ellenbogenbeins und der Speiche entstanden ansieht, so lässt sich leicht zeigen, dass die Kniescheibe an dem Theil dieses Knochens angeheftet ist, welchen der hintere Rand des Ellenbogen- beins vorstellt. In der That heftet sich das Band an den innern Theil des Schienbeinkopfes an, unmittelbar an das Ende jenes scharfen Randes, welcher so sehr an den der Olecranonfläche des Ellenbogen- beins erinnert. Am Arm wird das Kniescheibenband durch den mus- culus anconeus repräsentirt wie wir weiterhin zeigen werden. 1) Winslow, Exposition anatomique de la structure du corps humain, t. I, p- 285; 1775. — Vieq-d’Azyr, M&moire cite. (Acad@mie royale des sciences de Paris, pour 1774, p. 257; 1778). — Sabatier, Trait d’anatomie, 2e &dit., t. I, p: 218; 1791. — Soemmering, de corporis humani fabrica, t. I, p. 385 und 430; 1794. — Boyer, Traite d’anatomie, 2ieme edit., t. I., p. 389; 1803. — Meckel, Manuel d’anatomie, t. I, p. 755 und 774; 1825. — G@erdy, Note sur la parallele des os. (Bulletin de F@russac, t. XVI, p. 375; 1829). — J. Cloquet, Manuel d’ana- tomie descriptive, texte, p. 94. 1825. — Bourgery, Traite complet de l’anatomie de I’homme, t. I, p. 135; 1832. — Blandin, Nouveaux elements d’anatomie deseriptive, t. I, p. 208; 1838. — O. Ward, Outlines of Human Osteology. p. 510; 1838. — Cruveilhier, Traite d’anatomie deseriptive, 2ieme &dit., t. I, p. 343. 1843. — Jamain, Nouveau trait& el&mentaire d’anatomie descriptive, p. 86; 1853. — Henle, Handbuch der systematischen Anatomie des Menschen, t. I, p. 202 und 205; 1855. 435 Bei allen Thieren sind die Kniescheibe und das Oleeranon einander ähnlich. Von hinten nach vorn abgeplattet beim Menschen und bei den Affen, sind diese beiden Knochen bei den Wiederkäuern und den Einhufern seitwärts zusammengedrückt. Beide dienen zur Anheftung für Muskeln, deren Homologie von allen Anatomen anerkannt worden ist, nämlich für die langen Theile der beiden dreiköpfigen Schenkel- und Arm-Muskeln. Untersucht man diese Anheftung indem man einen Längsschnitt durch ein Oleeranon und eine Kniescheibe macht, so sieht man wie bei Beiden die Sehne sich an den Winkel anheftet, welcher die peripherische, verticale Fläche von dem abgerundeten Kopfe der beiden Knochen trennt. Weder die Kniescheibe, noch das Oleeranon liegen in der Masse der Triceps-Sehnen. Beide sind rings herum dicht, in der Mitte schwammig; bei Beiden ist die Fläche, wo sich der Muskel anheftet, diehter und dicker als die andere. Beide gehören zu einer grossen Artieulation von der sie nur durch eine Gelenkkapsel getrennt sind; endlich bleibt auch nach gewissen Brüchen des Ölecranons dieser Fortsatz vom Ellenbogenbein getrennt und wird eine förmliche Kniescheibe 1). Dieser krankhafte Zustand findet sich bei einigen Thieren als normaler bei mehreren Roussetten, (Pteropus Edwardsii (zeoft., P. vulgaris Geoft., P. poliocephalus Temm. und P. Keraudrenii Quoy). Beim Vampyr und Pinguin 2) ist das Öleeranon vom Ellenbogenbein getrennt und bildet eine wirkliche Kniescheibe. Wenn einer dieser Knochen im Thierreich verschwindet, so findet sich auch der andere selten vor; so fehlen beide zugleich bei den Vögeln und den Reptilen, doch haben die Känguruhs und einige Fledermäuse ein Oleeranon und keine Kniescheibe. Kurz die Kniescheibe ist Nichts als eine Wiederholung des Ole- eranons, ein von dem zugehörigen Knochen getrenntes ÖOleeranon. Beide Knochen sind nach Verbindungen, Gestalt, Bau und Muskelan- heftungen analog. 1) Delachenel, Observationes anatomiae medicae, $. 28. Basileae, 1784. — Camper, Dissertatio de fractura patellae et olecrani; 1789. — Rosenmüller, De ossium varietatibus, p. 62. Lipsiae, 1804. — Capiomont, Essai de chirurgie pratique sur la fracture de l’oleerane. (Thöses de Paris, N.19 1803). — Malgaigne, Traite des fractures et des luxations, t. I, p. 568, et pl. IX, Fig. 2, 3 und 4. 2) Meckel, Trait@ general d’anatomie compar6e, t. III, 2ieme part., p. 165. MOLESCHOTT Untersuchungen. VI. 29 436 Das Studium des hinteren Gliedes der niedersten Säugethiere, wie der Wombate (Phascolomys), der Phalangisten, der Dasyuren, der Opossa unter den Beutelthieren verbunden mit dem der Kloaken- thiere wird den Beweis vollenden, dem die vorhergehenden Betrach- tungen nur einen ungenügenden Grad von Wahrscheinlichkeit verliehen haben, um skeptische Geister, zu befriedigen. Bei diesen Thieren findet die Verwachsung der Ellenbogenbein- und Speiche-Köpfe zur Bildung des Schienbeinkopfes nieht Statt, wie wir weiter oben bewiesen; beide Knochen bleiben am Bein wie am Vorder- arm getrennt: auch heftet sich die Kniescheibe nieht an’s Schienbein sondern an’s Wadenbein an. Beim Wombat (Fig. 12) sehen wir ein Schienbein und ein Wadenbein von gleicher Stärke; das Wadenbein p artieulirt mit dem Schenkelbein f, wie das Ellenbogen- bein ce (Fig. 13) mit dem Oberarmbein A, auf diesem Wadenbein sitzt eine Kniescheibe /, die dieselbe Form hat, wie das Oleeranon o, die vordere und obere Fläche des Schienbeins t ist abgerundet und zeigt nicht jene charakteristische Gräte, welche so auffallend an die hintere Gräte des Ellenbogenbeins erinnert. Wie sollte sie auch vorhanden sein, da bei diesen Tlhieren die beiden Knochen vollständig ge- trennt sind und das Wadenbein seine Kniescheibe trägt, wie das Ellenbogenbein sein Öleeranon? Am Skelett einer grösseren Art von Phascolomys als der Wombat, welcher im Pariser Museum sich befindet, fand ich folgende Anordnungen: das Schienbein war seitlich abgeplattet und besass keine Gräte; dieses schien nebst dem vordern Theil der Gelenkfläche wie abgeschnitten. Ein durchsichtiger, obgleich ziemlich dieker Knorpel war am vordern Rand dieser Fläche befestigt; der Kopf des Wadenbeins, sehr mächtig und mit zwei breiten, seitlichen Fortsätzen versehen, artieulirte mit dem äusseren Knöchel des Schenkelbeins; auf ihm sass eine Wadenbein-Kniescheibe, welche sehr an das Oleeranon des Thiers erinnerte. Ein fleischfressen- des Beutelthier, der langschwänzige Dasyurus (Dasyurus macrourus Geoffr.) (Fig. 16) besitzt ein Wadenbein p von fast gleichem Umfang wie das Schienbein t, welches Wadenbein mit dem Schenkel- bein f artieulirt und auf dem eine Kniescheibe 7 sitzt. Das Schien- bein ist ohne Gräte, vorn abgerundet und trägt keine Kniescheibe. 437 Das Oleeranon des Ellenbogenbeins istsehr deutlich. Bei den Phalangisten herrscht dieselbe Anordnung. Fig. 11 stellt das linke, hintere Glied eines Opossum, des Didelphis Azarae (Beutelratte), in natürlicher Grösse dar. Der Wadenbeinkopf p, so diek wie der des Schienbeins t, artieulirt mit dem letzteren Kopfe und mit dem äusseren condylus des Schenkelbeins f. Oberhalb ist der vordere Rand des Schienbeins ab- gerundet, auf dem Kopfe sitzt eine Gelenkkapsel ohne Kniescheibe ; die letztere Z oder ein sie repräsentirender Knochen ist am Wadenbein befestigt. In den Sälen der vergleichenden Anatomie des Pariser Museums konnte ich die Skelette des rothen Phalangers, des fuchs- artigen Phalangers und des Cookschen Phalangers studiren; sie bieten einen ähnlichen Bau dar; bei der letzten Art ist der Kopf des Waden- beins dieker als der des Schienbeins und geht viel höher hinauf. Es freut mich, in diesem Punkt mit Professor Owen übereinzustimmen und wie Er und nach seinem Vorgang das ein kniescheibenför- miges Sesambeinchen tragende Wadenbein, bei den Phalangisten, den Phaseolomen und den Dasyuren, als allein in der Reihe der Säuge- thiere das ganze Ellenbogenbein repräsentirend anzusehen. Man würde sich jedoch täuschen, wenn man dächte, das Schienbein stellte bei allen Beutelthieren nur die Speiche, und das Wadenbein das ganze Ellenbogenbein vor. Bei den Beuteldachsen Perameles nasuta Geofl. z. B. ist das Wadenbein dünn und nicht mit dem Schenkelbein artieulirt. Am Schienbein findet sich eine Ellerbogenbeingräte, auf der eine Knie- scheibe sitzt. Bei den Känguruhs ist die Schienbeingräte sehr vor- ragend und dünn, das Wadenbein schwach, die Kniescheibe verküm- mert oder durch einen Knorpelkern ersetzt, der durch ein Band auf der Schienbeingräte angeheftet ist. Die Kloakenthiere bestätigen in anderer Weise die Theorie von der Bildung des Schienbeinkopfes durch die Verwachsung der Köpfe der Speiche und des Ellenbogenbeins. Beim Schnabelthier (Ornitho- rhynchus) zeigt das Schienbein t (Fig. 15) vorn eine sehr deutliche Gräte; auf ihr sitzt eine dieke Kniescheibe !. Das Waden- bein p verlängert sich nach oben und endigt in einen ungeheuern Fortsatz a, der der halben Länge des Knochens gleich kommt. So sind also bei diesem Thiere auf dem Schienbein eine Kniescheibe und 29 + 438 auf dem Wadenbein ein Ölecranon angebracht. Da der Kniescheiben- Apparat doppelt ist, so ist es auch der des Öleeranons. Am Arme sehen wir (Fig. 14) auf einem Ellenbogenbein c ein doppeltes Ole- cranon o, oder vielmehr zwei zusammengeschweisste Olecrana; das Eine etwa Z repräsentirt die Schienbeinkniescheibe 2 (Fig. 15); das Andere a (Fig. 14) den grossen Wadenbein-Fortsatz a (Fig. 15). Wirk- lich, denkt man sich das vordere Glied durch die Umdrehung; des Oberarmbeins umgewandt, so wird der Olecranon-Haken ! Fig. 14 nach vorn convex wie die Schienbeinkniescheibe 2 (Fig. 15) und der Olecranon-Haken a (Fig. 14) wird conca» nach vorn wie der Waden- bein-Fortsatz a (Fig. 15). So finden wir denn bei diesem Thiere, dessen Bau schon so viele andere Sonderbarkeiten zeigt, am Ellen- bogenbein zwei ÖOleerana und am Knie zwei Kniescheiben; eine Wadenbeinkniescheibe an den Kopf des Knochens geschweisst, eine Schienbeinkniescheibe durch ein Band befestigt. Beim Ameisenigel (Echidna) findet sich eine ähnliche Anord- nung. Folglich hat bei den Kloakenthieren die Oleeranonportion des Ellenbogenbeins, welche sich mit der durch das Sehienbein reprä- sentirten Speiche verbunden hat, das Eine der Olecrana, welches die Schien- beinkniescheibe bildet, mit sich gezogen; das andere Oleeranon ist am Wadenbein, welches die kronenförmige Portion des Ellenbogenbeins repräsentirt, sitzen geblieben. Wir finden hier abermals die im Pflanzenreich so gewöhnliche Erscheinung, welche von den Botanikern mit dem Namen Spaltung. bezeichnet wird. Ich möchte einige Einwürfe widerlegen. Diejenigen Anatomen, welche das Schienbein für den Repräsentanten der Speiche allein an- sehen, gerathen immer in Verlegenheit durch die Anheftung der Kniescheibe, deren Analogie mit dem Olecranon schwer zu läugnen ist. „Man wird ohne Zweifel fragen, was bei meiner Anschauungs- weise aus der Kniescheibe wird, sagt Flourens 1)? Die Knie- scheibe entspricht nach Vieg-d’Azyr dem Oleeranon ... ., aber 1) Sur le parallele des extr@mites dans l’'homme et les quadrupedes. (Annales des sciences naturelles, t. X, p. 38. 1836; und M&moires d'anatomie et de physiologie compare6es, p. 97; 1844). 439 man bemerke, dass das Olecranon einen wirklichen Theil des Ellenbogen- beins bildet, während für die Kniescheibe keine Beziehung zum Wadenbein möglich ist; die Kniescheibe ist also ein besonderer Kno- chen ohne irgend eine wahrhafte Analogie mit dem Olecranon, ein einfaches Sesambein in der Sehne des dreiköpfigen Schenkelmuskels um das Spiel dieser Sehne auf dem Schenkelbein zu erleichtern; ge- rade wie sich oft an der entgegengesetzten Seite, d. h. am hintern Theil der condyli, solche bilden, und zwar an dem Punkte jeder Zwillingsmuskelsehne, welche den condyli entspricht.“ Prof. Owen!) betrachtet als Analogon des Oleeranons das vom Wadenbein losgelöste Sesambein, welches man bei dem Wombat beobachtet. Herr Paul Gervais wiederholt dieselbe Meinung. „Mit Unrecht, sagt er2), glaubt man, dass die Kniescheibe ur- sprünglich die Epiphyse des Schenkelbeins bildet, und ebenso irrthüm- lich sah man den Ölecranon-Fortsatz des Ellenbogenbeins als ihren Repräsentanten am vorderen Gliede an.“ Nimmt man die Verwachsung der Köpfe des Ellenbogenbeins und der Speiche im Kopf des Schienbeins an, so fällt die Schwierigkeit von selbst, denn das Kniescheiben-Band heftet sich an den Theil des Knochens, weleher das Ellenbogenbein repräsentirt und Nichts steht im Wege, die Kniescheibe wie die meisten Anatomen (siche S. 434), als die homologe Wiederholung des Oleeranons anzusehen. Die Kniescheibe einem Sesambeine assimiliren heisst durchaus nicht deren Analogie mit dem Öleeranon entkräften, welches Letztere, wenn man will, ein bei den meisten Thieren an das Ellenbogenbein gebundenes Sesam- bein sein würde. Betrachtet nicht Blainville 3) alle Sesambeine als freie Fortsätze der Knochen, bei denen sie‘ sich finden, und ist nicht bei verschiedenen Fledermäusen das Oleeranon vom Ellenbogenbein getrennt, d. h. im Zustand einer Kniescheibe, und folglich ein Sesambein in der Meinung der gelehrten Zoologen, welche ich zu überreden trachte ? 1) Prineipes d’ost&ologie comparde, p. 356, und pl. XIV, Fig. 16, und unsere Fig. 12 1, 2) Theorie du squelette humain, p. 63; 1856. #) Ost@ographie des cing elasses d'animaux vertebres, t. I, p. 11; 1841. 440 Man kann also einen so beständigen Knochen wie die Kniescheibe als einen Fortsatz ansehen, der mit dem Knochen, zu dem er gehört, nicht verwachsen ist, und als Homologon des Oleeranons. Was sind in der That die wahren Sesambeine für alle Anatomen? kleine Knochen den Sehnen angelegt, veränderlich nach Zahl, Gestalt, Stärke, selten in der Jugend, häufiger im Alter. Die Entwicklung der Kniescheibe im Verlauf einer Sehne, ist also die einzige Aehnlichkeit, die sie mit den gewöhnlichen Sesambeinen darbietet; denn in der ganzen Klasse der Land- und amphibischen Säugethiere fehlt sie nur bei den Känguruhs und einigen Fledermäusen, und auch hier ist sie noch oft durch einen Knorpel vertreten. Ihre Lage, Gestalt, Stärke sind so beständig, wie die des Ole- eranons, sie ist also ein wesentlicher Knochen des Säugethier-Skeletts, und will man die Kniescheibe den gewöhnlichen Sesambeinen gleich- setzen, ‘so muss man sie ein beständiges Sesambein nennen, oder an- nehmen, dass sie ein mit der Schienbeingräte durch ein Band ver- knüpftes Oleeranon ist, welches wie das Oleeranon des Ellenbogen- beins zu einer grossen Gelenkverbindung gehört und wie dieses an seinem oberen Rand eine Anheftungsstelle darbietet für die Sehne des mächtigsten Streckmuskels der zweiten Gliederbrechung bei allen Monodelphen. Man kann also nicht länger zweifeln und fast alle Anatomen haben sich der letzten Erklärung angeschlossen. Ich fasse meine Meinung in folgendem Satze zusammen: Die Knie- scheibe, dem Olecranon homolog, ist an dem vorderen und äusseren Theil des Schienbeins befestigt, welcher den unter dem Olecranon liegenden Theil des Ellenbogenbeins wiederholt. Bei den Phascolomen, den Phalangisten, den Dasyuren, den Opossa, wo das Schienbein nur die Speiche, das Wadenbein. dagegen das ganze Ellenbogenbein repräsentirt, 'heftet sich die Kniescheibe am Wadenbein an, gleich wie das Olecranon mit dem Ellenbogenbein verbunden. ist. Körper des Ellenbogenbeins und des Wadenbeins. Das Wadenbein des Menschen und der meisten Säugethiere ist der vor- dere Theil des Ellenbogenbeins in seinem oberen Drittel; das ganze Ellen- bogenbein in seinen zwei umteren Dritttheilen. Ich habe bereits oben S. 430 bei Gelegenheit des Schienbeins einige dieser Analogien angedeutet und 441 will den Vergleich nur noch vervollständigen. Auf dem Kopfe des Wadenbeins findet sich nach hinten eine Hervorragung (Styloid-Fort- satz des Wadenbeins), welche vollständig dem kronenförmigen Fortsatz des Ellenbogenbeins entspricht; es heftet sich an sie der kurze Theil des zweiköpfigen Schenkelmuskels, das Homologon des vorderen Arm- muskels, und der äussere Kniekehlnerv, Homologon des Ellenbogen- nerven, windet sich um sie. Bis unterhalb seines oberen Dritttheils ist das Wadenbein schwach, von da an aber, nimmt es an Stärke zu, weil es den ganzen Körper des Ellenbogenbeins vorstellt. Der äussere Knöchel ist der vergrösserte Styloid-Fortsatz des Ellenbogen- beins. Betrachtet man die Streekungsfläche eines Vorderarms bei einem Skelett, so kann man sehr leicht sehen, dass in dem oberen Dritttheil die Speiche und das Ellenbogenbein sich wenig von einander entfer- nen, auch scheinen Knochengräten, die vom innern Rand der Speiche aus- gehen, Spuren einer ursprünglichen Vereinigung der beiden Knochen zu sein; aber in ihren beiden unteren Dritttheilen entfernen sie sich von einander. Auch bemerkt man, wenn man ein Bein neben diesen Vor- derarm legt, dass der Körper des Schienbeins gleichfalls nur in seinen beiden unteren Dritttheilen vollständig die convexe Form der Rückenfläche der Speiche wiederholt; der Speiche-Styloid-Fortsatz ist das treue Abbild des innern Knöchels. Ebenso beim Ellenbogenbein, dessen hinterer Rand an die vordere Gräte des Wadenbeins erinnert. Das Studium der Muskeln wird diese Anschauungsweise bestätigen, wenn wir darthun werden, dass offenbar homologe Muskeln, Beuger und Strecker der Finger und der Zehen, sich nicht immer an den ent- sprechenden Knochen anheften, wenn man nämlich das Schienbein als Repräsentanten der Speiche allein, das Wadenbein als Analogon des ganzen Ellenbogenbeins ansieht. Die vergleichende Anatomie aber wird das Hauptlicht auf diese Frage werfen; sie zeigt uns, dass das Wadenbein ein wesentlich accessorischer Knochen, ein förmlicher Spahn (Schiene) des Schien- beins ist. So verschwindet denn auch oft das Wadenbein ganz oder theilweise, während der Öleeranon-Theil des Ellenbogenbeins wie die Kniescheibe bei der ungeheuern Mehrzahl der Land- oder amphibischen Säugethiere vorkommt. Für jeden denkenden Ana- 442 tomen wäre dies allein schon ein Beweis. In der That kann das obere beständige Ende des Ellenbogenbeins dem oberen nicht bestän- digen Ende des Wadenbeins nicht entsprechen, und jenes entspricht auch wirklich dem oberen Theil des Schienbeins, welches nie fehlt, und entwickelt sich um so mehr, je mehr das Wadenbein verkümmert. Allgemeiner lässt sich sagen, dass bei den Säugern, wo das Ellen- bogenbein vollständig ist 1), das Wadenbein es gleichfalls ist; doch giebt es zahlreiche Ausnahmen und wir werden sehen, dass bei Arten, wo das Ellenbogenbein vollständig bleibt, das Wadenbein verkümmert oder verschwindet. Bei den Affen, den Fleischfressern, den Dick- häutern, Seehunden, den Zahnlosen und den Beutelthieren sind die bei- den Knochen vollständig von einander getrennt; nur nimmt man als beständiges Gesetz wahr, dass das Wadenbein um so schwächer ist, je mehr sich der vordere und obere Theil des Schienbeins entwickelt 2). Aber schon bei den Makis zeigt dieser Knochen ein Streben sich mit dem Schienbein zu verschmelzen. Bei dem Gespenstaffen ( Tarsius spectrum Geoft.) ist es sehr schwach und kommt kaum der oberen Hälfte des Schienbeins gleich, dessen vordere Gräte sehr entwickelt ist. Bei den Roussetten ist das Wadenbein fadenförmig, z. B. bei der Mähnenroussette und der gemeinen Fledermaus (Vespertilio murinus Lin.) >). Es verschwin- det bei der gemeinen Roussette (Pteropus vulgaris Et. Geoff.) und dem Pteropus policephalus Temm., aber erscheint wieder beim Galeopethicus, wo ein Sesambein aufsitzt, obgleich eine kleine Sehienbeinkniescheibe vorhanden ist. P. Gervais hat bei Vespertilio mystacinus Leis]., der weder Ellenbogenbein noch Wadenbein besitzt, gefunden, dass beide während des Fötalzustandes vorhanden sind, wo sie durch einen bandartigen F aden dargestellt werden ?). Diese beiden 1) Siehe S. 429. 2) Beispiele: Bär, Zibethkatze, Löwe, Tiger, Luchs, Tigerwolf, Rhinoceros; Nilpferd, Tapir ete. etc. 3 De Blainville, Osteographie, Cheiroptere, pl. 2. 4) De la comparaison des membres chez les animaux vertebres. (Me&moires de l’Acad&mie de Montpellier, t. II, p. 225; 1853, und Theorie du squelette humain, p. 154; 1856). 443 Knochen sind also immer in dem Plan des Skeletts, verschmelzen aber mehr oder weniger mit der Speiche oder dem Schienbein. Bei den Insektenfressern ist das Wadenbein oft frei, zuweilen aber vereinigt es sich in seinen zwei unteren. Dritttheilen wie beim Igel, oder in seinen drei unteren Viertheilen, Beispiele: der Maul- wurf, der Desman, die indische Spitzmaus, der Makroescelides von Rozet t). Beim Maulwurf ist das Ellenbogenbein getrennt; ver- schmolzen wie das Wadenbein ist es beim Igel, aber hauptsächlich bei den Nagern finden wir alle möglichen Formen und Verbin- dungen. Bei den Murmelthieren und den Eichhörnchen sind das Wadenbein und das Ellenbogenbein beide vollständig und ge- trennt. Der Biber hat ein freies Ellenbogenbein, das Waden- bein aber ist in seinem untern Viertel verschmolzen. Beim Meer- schweinchen sind Speiche und Ellenbogenbein durch eine knochige Platte verbunden; das Wadenbein vereinigt sich in seinem unteren Dritttheil mit dem Schienbein. Bei der Maus ist das Ellenbogenbein getrennt, das Wadenbein in seinen zwei untern Dritttheilen vom Schien- bein absorbirt. In der Springmaus von Oran werden die beiden Knochen des Vorderarms durch eine Knochenplatte vereinigt; das fadenförmige Wadenbein verliert sich auf der Hälfte seiner Länge im Schienbein. Endlich beim Lagotis criniger, den ich im Cabinet der Facultät der Wissenschaften zu Montpellier studiren konnte, ist das Ellenbogenbein vollständig und frei, während das Wadenbein ganz und gar fehlt. Wir haben bei mehreren Insektenfressern und Nagern gesehen, dass das 'Wadenbein eine Tendenz zeigt, sich mit dem Schienbein zu vereinigen und selbst mit ihm zu verschmelzen ; bei allen Einhufern und Wiederkäuern werden wir nun beobachten, wie dieser Knochen noch kürzer wird, mehr und mehr verkümmert und selbst gänzlich wegfällt. Das Ellen- bogenbein im Gegentheil verschwindet niemals gänzlich. Das Ole- eranon bleibt immer bestehen und ist um so entwickelter, je schwächer oder je mehr der Körper des Knochens von der Speiche absorbirt wird. Beim Dammhirsch ist das Wadenbein noch der Hälfte des Schienbeins gleich; beim Pferd und Esel dem Drittel; es ist überdies dünn, ver- 1) De Blainville, Ost&ographie, Insectivores, pl. 2 und 3. 4441 kümmert, zerbrechlich, spitz zulaufend, trägt mit Einem ‘Worte alle Zeichen eines verkümmerten Knochens an sich. Beim Elenn beschränkt sich das Wadenbein auf einen Höcker, bei der Giraffe, dem Lama, dem Dromedar, dem Ochsen, der Ziege, der Hirschkuh, dem Cervus Axis ist es ganz verschwunden. Bei allen diesen Vierfüssern ist das Olecranon ungeheuer entwickelt. Unter den Zoologen, welche das Wadenbein als den Repräsentan- ten des ganzen Ellenbogenbeins ansehen, haben Owen 1) und nach ihm Paul Gervais 2) grossen Nachdruck darauf gelegt, das bei ge- wissen Insektenfressern, Amphibien, Nagern, Zahnlosen, Beutel- und Kloaken-Thieren das Wadenbein mit dem Schenkelbein artieulire 3). Ohne Zweifel ist diese Artieulation ein Zug mehr, den man der Ana- logie der beiden Knochen hinzufügen muss, aber sie erklärt uns nicht die Verbindung der Kniescheibe, des Homologon des Oleeranons, mit dem Schienbein und die ausserordentliche Formähnlichkeit zwischen dem vorderen und oberen Theil des Schienbeins und dem hinteren und oberen des Ellenbogenbeins. Nun braucht man aber nur bei allen Säugethieren, Vögeln und Reptilien das Knie mit dem Ellenbogen zu vergleichen, um sich zu überzeugen, dass man die beiden symmetri- schen Bilder eines ursprünglich identischen Knochenapparats vor sich hat. Spaziert man durch eine Skelettsammlung, so erhebt sich diese Ueberzeugung zur unumstösslichen Gewissheit. Die Gelenkverbindung des Wadenbeins mit dem Schenkelbein, verräth also ein Streben nach einer Spaltung des Schienbeins, welche nur bei den Beutelthieren, die mit einer Wadenbeinkniescheibe versehen sind, vor sich geht; aber diese im Vergleich zu der des Ellenbogenbeins mit dem Oberarmbein immer nur sehr kleine Gelenkverbindung, genügt nicht, den dünnen kniescheibelosen Kopf des Wadenbeins beim Menschen und bei den Monodelphen dem mit einem starken Olecranon versehenen Ellenbogen- 1) Prineips d’osteologie comparee, p. 356. 2) Theorie du squelette humain, p. 153. 3) Beispiele: Maulwurf, Igel, Seehund, Eichhörnchen, Meerschweinchen, Tatu, Opossum, Ornithorrhynchus. 445 bein gleich zu setzen, welches Olecranon das Hauptstück der Ellen- bogengelenk-Verbindung bei allen übrigen Säugethieren bildet. Nach der Analyse der vorigen Thatsachen, halte ich mich für berechtigt, folgende zwei Sätze aufzustellen, welche dieselben ver- knüpfen und zusammenfassen: 1) Der Kopf des Ellenbogenbeins, d. h. das Oleeranon und die im oberen Dritttheil des Knochens auf dasselbe folgende Gräte, sind bei allen Land- und amphibischen Säugethieren vorhanden. Die ihm am Schienbein entsprechenden Theile, nämlich die Kniescheibe und die vordere Gräte des Knochens bis unter das Dritttheil desselben, sind gleichfalls constant. 2) Dagegen sind der Körper des Ellenbogenbeins oder genauer dieser Knochen ohne das Oleeranon und die an dasselbe sich anschliessende Grätenicht beständig; sie verkümmern oder verschmelzen in der Speiche. Das Wadenbein, welches genau diesem Theil des Ellenbogenbein- körpers entspricht, verkümmert nieht nur und wird immer kürzer und dünner, sondern verschwindet sogar vollständig. Die vergleichende Knochenlehre der Insektenfresser, der Nager, der Wiederkäuer und der Einhufer zeigt uns also, dass Olecranon und Ellenbogenbeingräte beständig sind, gleichwie die Kniescheibe und der Kopf des Schien- beins; der Körper des Ellenbogenbeins unbeständig, veränderlich wie das ihm entsprechende Wadenbein. Diese Beweise zusammen mit den bereits so schlagenden, welche uns von den Phascolomen, den Phalan- gisten, den Dasyuren, den Opossa geliefert sind, wo das Schienbein der Speiche allein, das Wadenbein dem ganzen Ellenbogenbein ent- spricht, werden hoffentlich die vollkommene Homologie der Knochen- theile des Vorderarms und des Beines in der Reihe der Säugethiere feststellen. III. Vergleichung des Fusses mit der Hand. Vergleichung der Fusswurzel, Der von Vieq-d’Azyr !) zwischen diesen beiden Theilen des Skeletts aufgestellte Vergleich hat fast alle Gelehrten überzeugt. Ich 1) M&moireeit& dans ceux de l’Acadömie des sciences, de Paris pour 1774, p. 262 und Oeuvres completes, publices par Moreau (de la Sarthe), t. IV, p. 326, 446 gebe ihn hier in tabellarischer Uebersicht, um das Verständniss zu erleichtern. Fusswurzel. Handwurzel. Sprungbein. Mondbein nebst dem Kopf des Kopfbeins. Fersenbein. Pyramidenbein und Erbsenbein zu- sammen. Schiffbein. Kahnbein oder Schiffbein. Erstes oder grosses Keilbein. Trapezbein. Zweites oder kleines Keilbein. Trapezoidbein. Drittes Keilbein. Das Kopfbein ohne den Kopf. Würfelbein. Das Hakenbein. Ich kenne nur zwei Anatomen, welche diese Vergleiche nicht zu- gegeben haben, der Eine davon ist Blainville 1). Ohne seine Gründe anzugeben, vergleicht er das Schiffbein der Handwurzel mit dem Sprungbein der Fusswurzel und das Mondbein nebst Erbsenbein mit dem Fersenbein. Blandin?) hält dafür, dass das Schiffbein der Fusswurzel dem vereinigten Mondbein und Schiffbein der Handwurzel entspreche, das Sprungbein dem Pyramidenbein, weil für ihn das Sehienbein das Ellenbogenbein repräsentirt und also das Pyramiden- bein unter diesem Beine im Handgelenke steht, gleichwie das Sprung- bein im Fussgelenke. Bei seiner Vergleichung der Glieder, bei welcher der Daumen nach aussen, dagegen die grosse Zehe nach inmen sich befindet, denkt er sich eine Drehung der Handwurzel um das Kopfbein, welche den Daumen nach innen bringt und so die Achnlichkeit der Hand mit dem Fuss wiederherstellt. Ich werde mich nicht bemühen, die Ungenauigkeit der Zusammen- stellungen Blainville’s und Blandin’s zu beweisen; der An- bliek einer Hand- und einer Fuss- Wurzel nebst der Assimilation der 1) Artiele Organisation des Mammiferes, du Dictionnaire d’histoire naturelle de Deterville, t. XIX, p. 92; 1818. 2) Nouveaux &l&ments d’anatomie descriptive, t. I, p. 210; 1838. 447 Speiche mit dem Schienbein genügt, um Jeden davon zu über- zeugen 1). Beim ersten Anblick verhindert allerdings die ungeheure Grössen- verschiedenheit, in dem Erbsenbein den hintern Theil des Fersenbeins wieder zu erkennen; betrachtet man aber die Zeichnung, welche die Glieder des Wombat vorstellt, so wird man sehen, dass das Erbsen- beinp (Fig. 13) vollkommen dem Fersenbein e in Fig. 12 gleicht. Pyramidenbein und Erbsenbein der Handwurzel sind nicht die einzigen Knochen, welche bei ihrer Versetzung von der Hand- in die Fusswurzel eine verhältnissmässig so ausserordentliche Entwicklung nehmen, dass man Mühe hat ihre Homologie aufzufassen. Bei dem Tarsius und dem Galago, kleinen insektenfressenden Nachtlemuren, erreicht das Schiffbein Dimensionen, welche denen des Fersenbeins gleichkom- men. Beide sind beinahe so lang wie die Knochen des Beines, so dass der Fuss dieser Thiere einem Vorderarm gleicht, der in eine Hand endigt. Bei den Känguruhs ist es das Würfelbein, welches sich gleich- wie die beiden ihm entsprechenden Finger verlängert 2). Endlich ist auch das Sprungbein des Ameisenigels vielstärker als sein Fersenbein 3). Man erkennt in diesem Fall, wie immer in der vergleichenden Ana- tomie, dass die verhältnissmässige Grösse ähnlicher Theile von keiner Bedeutung ist; die Verbindungen allein bestimmen den Charakter der Organe. Es scheint mir überflüssig, die Knochen der Mittelhand mit denen des Mittelfusses und die Finger mit den Zehen beim Menschen zu ver- gleichen, ohne in gar zu kleine Einzelheiten mich einzulassen, die dem Zweck dieser Abhandlung fremd sind. Die Analogie ist so in die Augen springend, dass man sie allgemein zugiebt und durch das Sprichwort ausdrückt: pes altera manus. IV. Vergleichung des Beckens und der Schulter. Ich hatte anfänglich nicht im Sinn eine Vergleichung des Beckens und der Schulter aufzustellen, denn diese Apparate gehören nicht zu 1) Man wird mit Interesse die vergleichende Studie der Hand- und Fuss-Skelette lesen, welche Herr Dr. Gyraud-Teulon in der Gazette me6dicale von Paris veröffent licht hat, t. IX, p. 67 und 80, 11. Februar 1854. 2) Cuvier, Legons d’anatomie comparde, 2i6me &dit., t. I, p. 529. 9%) Cuvier, Ost6ologie des Monotremes, pl. XII, Fig. 22. 448 den Extremitäten, sondern zu dem knöchernen Gürtel-System des Kör- pers, zum Rippen-System. Schon Alexander Monro 1) beschrieb das Becken: nach dem heiligen Bein, hierauf die Knochen der Schulter und dann erst die Extremitäten. Blainville 2) assimilirt positiv die Schulter und das Becken den Rippen. Owen 3) betrachtet Beide als Rippen-Fortsätze und unterscheidet sie in pleurapophysen, oder Stücke, die der verknöcherten Abtheilung beim Menschen entsprechen, nämlich: das Schulterblatt und das Darmbein, und in hemapophysen oder Stücke, welche der knorpeligen Abtheilung der Rippen entsprechen, nämlich: das Schlüsselbein und das Schambein, den Raben- fortsatz und das Sitzbein. Endlich hat Herr Paul Gervais %) neue Beweise zur Stütze dieser Ansicht beigebracht und gezeigt, dass Darmbein und Schulterblatt jedes wahrscheinlich zweien Ripppen ent- sprechen. So ist denn allerdings festgestellt, dass Schulter und Becken zum Stamme gehören. Da aber die meisten Arm- und Schenkelmuskeln sich an die Schulter anheften und diese Anheftungen ein grosses Licht auf die Homologie der beiden Extremitäten werfen, so glaube ich eine umständlichere Vergleichung der Schulter und des Beckens beim Menschen geben zu müssen, als bisher geschehen. Vieq-d’Azyr 5), seinem System getreu, vergleicht das Darm- bein einer Seite mit der Schulter der entgegengesetzten. Diese Methode führt ihn auf äusserst genaue Zusammenstellungen, wie wir es mathematisch beweisen werden. Ich gebe sie hier in synoptischer Weise wieder. 1) Traite d’ost&ologie traduit par Sue; 1759. ?) Article Mammiferes. (Dietionnaire d’histoire naturelle de Deterville, t. XIX, p- 88; 1818). 3) Principes d’ost@ologie compar&e ou Recherches sur l’Archötype; 1855. 4) Theorie du squelette humain, p. 118; 1856 et Comparaison des membres dans les animaux vertebres. (M&moires de l’Acad&mie de Montpellier, t. II, p 283; 1853). 5) M&moire cite, p. 258. 449 Vergleicehung des Beckens und der Schulter nach Vieg-d'Azyr. Becken. Oberer Ast des Schambeins. Sitzbein. Gelenkpfannengrube. Ausschnitt des Sitzbeins. Oberer Rand (Kamm) des Darm- beins. Vorderer Rand des Darmbeins. Vordere obere Hervorragung (spina anter. super.). Sehulter. Schlüsselbein. Sehulterhaken. Gelenkgrube des Schulterblatts. Schulterhakenausschnitt. Innerer oder Spinalrand des Schul- terblatts. Axillar- oder äusserer Rand. Beeken- oder unterer Winkel des Schulterblatts. Höcker des Sitzbeins. Nacken- oder oberer Winkel des- selben. Aeussere Darmbeingrube. Obere Vertiefung (fossa supra- spinata). Innere Darmbeingrube. Fossa subscapularis. Die übrigen Schriftsteller haben die Schulter mit dem Becken verglichen, ohne von der relativen Lage, in welche sie diese bei- den Knochenapparate versetzten, vollkommene Rechenschaft zu geben. Sie beschränken sich auf theilweise oft sehr richtige Vergleichungen, die aber im Geiste nicht das Bild einer Gesammtvergleichung zurück- lassen. Blainville !) verglich das Schulterblatt mit dem Hüftbein und das Schlüsselbein mit dem Schambein; aber für ihn fand das Sitzbein sein Homologon in dem Vförmigen Beine der Vögel, der Reptilien und einiger ihnen nahe stehenden Säugethiere; doch weiss ich von Dr. Gratiolet, seinem letzten Gehülfen, dass er diese Meinung auf- gegeben hatte. Meckel 2) erkennt das Schulterblatt im Darmbein wieder, aber des der Rabenfort- satz, der innere der Sternaltheil des Schlüsselbeins, während seine nach ihm wäre der äussere Theil Schambeins 1) Manuel d’anatomie, t. I, p. 774. 2) Article eit&, p. 90. 450 Schulterhöhenhälfte dem aufsteigenden Aste des Sitzbeins entspräche. Der Höcker dieses Knochens wäre durch die Schulterhöhe selbst reprä- sentirt. Alle andern Schriftsteller, welche ich zu Rathe gezogen, Gerdy 1), Bourgery 2), Blandin 3), Flourens*) und Oruveilhier 5), stimmen ganz mit Vieq-d’Azyr überein, nur vergleichen sie nicht die Schulter der Einen Seite mit dem Becken der entgegen- gesetzten. Aber wenn sie auch die ähnlichen Theile angaben, ‘haben sie doch nicht strenge genug die Symmetrie der beiden Systeme mit Bezug auf eine auf dem Lendentheil der Wirbelsäule senkrechte Mit- telebene festgestellt, eine Ebene, auf die man idealiter die Kopfhälfte und die Beckenhälfte der Wirbelthiere projieirt. Die Vergleichung, wie ich sie auffasse, muss folgendermassen an- gestellt werden: Ein Säugethier besteht aus zwei symmetrischen, seitlichen Hälften, mit Beziehung auf eine verticale Ebene, welche durch die Wirbelsäule und das Brustbein geht. Diese Symmetrie ist selbst für Laien-Augen einleuchtend. Denken wir uns aber eine andere auf die Wirbelsäule senkrechte Ebene, unterhalb der falschen Rippen, so finden wir, dass bei allen Säugethieren, ausser den Walen, die ober- und unterhalb gelegenen Theile nicht der Form, aber der Lage nach symmetrisch sind. Es ist also eine zweiseitige Symmetrie der Lage und Form in wagerechter Richtung vorhan- den, eine Symmetrie der Lage allein in senkrechter Richtung. Die zweiseitige Symmetrie springt Jedermann in die Augen; damit die Symmetrie oder, besser gesagt, die Wiederholung der Skeletttheile des Menschen von unten nach oben auch den Anatomen ebenso ein- leuchte, muss man die Arme längs des Kopfes vertieal erheben; als- dann sind die oberen Glieder mit Beziehung auf die unteren symme- 1) Note sur le parallele des os. (Bulletin de Förussac, Sciences me&dicales t. XVI, p. 372; 1829). %) Traite complet de l’anatomie de l’homme, t. I, p. 107. 9) Nouveaux @l&ments d’anatomie descriptive, t. I, p. 107. #) Sur le parallele des extr&mites. (Annales des sciences naturelles, 2° Serie t. X, p. 39; 1838). 5) Trait& d’anatomie descriptive, t. I, p. 337. 451 trisch gelegen, — der Hals entspricht dem Schwanz, die Schulter dem Becken. Wenn die Arme vertical erhoben sind, so muss man sie sich natürlich an einer gleichfalls, aber nicht mechanisch, sondern idea- liter redressirten Schulter angeheftet denken; denn wenn man die Schulter wirklich mechanisch redressirt, so kommt die untere Schulter- blattgrube nach aussen, die Gräte und die Schulterhöhe nach innen, was jede Aehnlichkeit aufhebt und alle Verwandtschaften umstürzt. Man muss also die Schulter geometrisch redressiren, und diese Vor- stellungsweise verwirklicht man vollständig, wenn man unter das Schulterblatt eines Skeletts einen Spiegel hält; das Spiegelbild ist dann symmetrisch mit dem wirklichen Schulterblatt. Mit diesem Spiegelbild muss man das Darmbein vergleichen. Dieses Spiegelbild ist die Re- präsentation eines möglichen, idealen Schulterblatts, welches die Natur nicht ausgeführt hat, von welchem aber das wirkliche Schulterblatt die symmetrische Verwirklichung ist. Lässt man bei diesem Experi- ment die Arme des Skeletts an dem Körper herunterhängen, so redres- sirt sie der Spiegel gleichfalls und zeigt sie uns in der idealen Lage eines symmetrischen Säugethiers, bei dem alle Organe oberhalb und unterhalb einer wagerechten Ebene sich wiederholen. Wir sehen nun auch, warum die Gesammtvergleichung Vieq-d’Azyr's ganz genau ist. In der That ist die linke Schulter mit der rechten symme- trisch: wenn er also die linke Schulter dem rechten Darmbein verglich, so verglich er unbewusst dieses Darmbein einem über dem wirklichen Schulterblatt ideal redressirten Schulterblatte, dessen symmetrisches Bild es ist. Hat der Leser das Experiment mit dem Spiegel gemacht, so kann er die Schulter einer Seite und zwar umgekehrt über ein Darmbein der andern Seite halten; oder auch, was auf das Gleiche herauskommt, links vor sich ein Darmbein der rechten Seite, rechts eine umgekehrte Schulter derselben Seite legen: die äusseren Flächen der beiden Knochen werden sich gegenüber stehen und in dieser Lage von dem zwischen ihnen befindlichen Zuschauer betrachtet werden. Die Aehnlich- keiten werden alsdann einleueiten. Die Cavitas glenoidea befindet sich in derselben Riehtung wie die Pfannengrube; der untere Winkel des Schulterblatts ist oben, der Nackenrand unten; der Axillarrand MOLESCHOTT Untersuchungen. VL 30 452 entspricht dem Inguinal- oder vorderen Rand des Beckens, der Spinal- rand der Darmbeincrista, der Üervicalrand dem Sitzbeinausschnitt, welcher durch den Schulterhakenausschnitt repräsentirt wird. Der untere Winkel des Schulterblatts, zum oberen geworden, entspricht der vorderen und oberen Darmbeingräte; sein Cerviealwinkel dem Darmbeinhöcker. Die fovea subscapularis ist das Analogon der innern Darmbeingrube, die obere Vertiefung, das Analogon der äusseren Darmbeingrube. Die untere Vertiefung das Analogon der vorderen Vertiefung, die der kleine Gesässmuskel ausfüllt; der Rabenschnabel- fortsatz ist das Sitzbein; das Schlüsselbein das Schambein. Die Gräte des Schulterblattes und die Schulterhöhe haben keine Repräsentanten im Becken. Wir müssen jetzt diese Deutungen rechtfertigen und verfolgen deshalb zuerst vergleichungsweise von vorn nach hinten die Crista des Darmbeins von der vordern und obern Gräte an, und den Spinalrand des Schulter- blattes vom untern Winkel an, der zum obern dieses Knochens ge- worden ist. Die beiden Ränder sind gekrümmt und entsprechen einer oberflächlichen Vertiefung, welche der kleine Gesässmuskel an der Hüfte und der infraspinatus an der Schulter ausfüllt, dann wird die Crista des Darmbeins dicker und bildet eine Art nach aussen geneigter Fläche; diese Fläche entspricht der dreieckigen Fläche, mit welcher der Schulterkamm am Spinalrand dieses Knochens beginnt: hinter dieser Fläche setzt sich die Crista des Darmbeins fort, wie der Spinal- rand des Schulterblatts; der eine begrenzt die obere Vertiefung (fossa supraspinata), der andere die äussere Darmbeingrube. Endlich ent- spricht der Nackenwinkel des Schulterblatts demjenigen des Darm- beins, welcher mit dem Heiligenbein artieulirt. Man wirft vielleicht ein, dass der supraspinatus, welcher Muskel kleiner ist als der infra- spinatus, besser dem kleinen als dem mittleren Gesässmuskel entspricht. Das Prinzip der Verbindungen lehrt uns das Gegentheil. Der mittlere Gesässmuskel steht zum Darmbeinausschnitt in demselben Verhältniss wie der supraspinatus zum Schulterhakenausschnitt. Indem es zum Darmbein wird, hat sich das Schulterblatt der Quere nach erweitert, und diese Erweiterung findet hauptsächlich an der obern Vertiefung (fossa supraspinata) statt. Bei den Thieren ist die untere Vertiefung 453 nieht immer grösser als die obere. Bei dem Löwen, dem Leoparden, dem Luchse, dem Fuchse, der Zibethkatze, dem Dachse, dem Erdschweine (Oryeteropus) sind die beiden Vertiefungen gleich. Die obere Vertiefung ist merklich grösser als die untere, bei den Seehun- den, bei dem Corsae (Canis corsae. L.), dem Marder (Mustela Martes L.), dem Serval, dem Murmelthier, dem Ai, dem Pangolin, dem Me- gatherium und dem Beuteldachse (Perameles) mit spitziger Schnauze. Bei den Lamantinen ist die obere Vertiefung dreimal grösser als die untere. So ist denn dieser aus der grösseren Entwicklung der unteren Vertiefung (fossa infraspinata) und dem sie ausfüllenden Muskel beim Menschen hergenommene Beweis werthlos, obgleich er die Antro- potomen getäuscht hat, welche sämmtlich den mittleren Gesäss- muskel dem infraspinatus und den kleinen Gesässmuskel dem supra- spinatus vergleichen. Der Kanım des Schulterblattes und die Schulterhöhe beschränken sich beim Darmbein auf jene Erhöhung, welche von der drei- seitigen Fläche, von der wir gesprochen haben, ausgeht, an der Gelenkpfanne endigt und den kleineren vom mittleren Gesässmuskel trennt, gleichwie der Kamm des Schulterblatts bis zur Cavitas glenoi- dea läuft und den infraspinatus vom supraspinatus trennt. Wer mit der vergleichenden Anatomie vertraut ist, wird in dieser Ersetzung eines Kammes durch einen Vorsprung nichts Auffallendes finden; der Muskeleindruck des deltoideus beim Menschen und dem Affen wird ein Kamm am Öberarmbein des Seehunds, des Adlers, des Kaimans (d Fig. 9) und des Ochsen. Uebrigens sind der Kamm des Schul- terblatts und die Schulterhöhe keine beständigen Organe; die Schul- terhöhe ist nicht vorhanden beim Schweine, beim Pekari, beim Pferde und beim Pangolin. Beim Elephanten ist sie kaum angedeutet und wird durch eine dreieckige Verlängerung des Kammes ersetzt, welche bis über die untere Vertiefung hinaufreicht. Beim Seehund und dem Lamantin verschwindet der Kamm nebst dem Schulterhaken- fortsatz beinahe gänzlich; die Schulterhöhe beschränkt sich auf einen wenig vorspringenden Höcker. Endlich, bei den Delphinen, dem Nar- wal, den Wallfischen, dem Rorqual und dem Ilyperodon findet sich 0. 454 nieht die geringste Spur mehr von einem Schulterblattkamm, die Ober- fläche des Knochens ist vollkommen glatt. Das Becken und die Schulter der Kloakenthiere gleichen sich dermassen, dass das eine nur eine Wiederholung des andern zu sein scheint. Auch beim Ameisenigel 1) wird der Sehulterblatt- kamm durch einen schwach angedeuteten Vorsprung repräsentirt, wel- cher vom Spinalrand des Knochens aus gegen die cavitas glenoidea streicht. Beim Ormithorrhynehus 2), einem amphibischen 'Thier, ver- schwindet selbst dieser Vorsprung und das Schulterblatt ist vollkommen glatt. Die Verschwindung der Schulterhöhe am Darmbein soll also nicht überraschen ; das Schulterblatt, ein dünner in Fleisch aufgehange- ner Knochen, ist zu einem massigen Gürtel geworden, welcher sich auf Kosten des absorbirten Organs erweitert und verdiekt hat. Ich glaube die übrigen Vergleichungen zwischen Schulter und Becken, welche ich aufgestellt habe, nicht weiter rechtfertigen zu müssen. Sie springen, so zu sagen, in die Augen, wenn man ein Darmbein einer umgekehrten Schulter gegenüber hält. Die Muskelanheftungen bestäti- gen dieselben übrigens in auffallender Weise. Der lange Abschnitt des dreiköpfigen Schenkelmuskels heftet sich äber der Gelenkpfanne an, gleichwie der lange Abschnitt des dreiköpfigen Armmuskels sich dann gleichfalls über der cavitas glenoidea anheftet. Der infrascapu- laris entspricht dem innern Darmbeinmuskel. Der supraspinatus be- deekt den Schulterhakenausschnitt, gleichwie der mittlere Gesässmuskel den Darmbeinausschnitt ete. Der einzige Hauptunterschied zwischen den beiden Knochen ist die Lageveränderung des Schlüsselbeingelenkes. Da die Schulterhöhe verschwunden ist, so wurde das äussere Ende dieses Strebebogens von der Schulterhöhe nach der innern Fläche der Gelenkpfanne verlegt; seme Dieke ist auf Kosten seiner Länge ver- grössert worden und bildet den wagerechten Ast des Schambeins. Bei den Kloakenthieren, wo Becken und Schultern sich viel ') Cuvier, Sur l'osteologie des Monotreines, Recherches sur les ossements fossiles, t. V, 1re part., p. 143, pl. XIII, Fig. 1 und 6. 2) Ibid. pl. XIV, Fig. I und 6. 455 mehr gleichen als bei den übrigen Säugethieren 1), stützt sich das Gabelbein, Analogon des Schlüsselbeins, auf den vorderen Rand des Schulterblattes, welcher sich als zu einem unmittelbar über und innerhalb der ceavitas glenoidea gelegenen Fortsatze verlängert: es ist dies eine der des wagerechten Schambeinastes ähnliche Lage ; ja, indem sich Schulterkamm und Schulterhöhe bein Ameisenigel, wie wir gesehen haben, auf einen wenig bemerkbaren Vorsprung be- schränken, welcher beim Ornithöorrhynehus verschwindet, so ist die Aehn- lichkeit der beiden Knochengürtel einleuehtend. Was Lage und Ge- stalt betrifft, so wiederholt der Sitzbeinhöcker vollständig den Schulter- haken, der Raum zwischen diesem Fortsatz und der cavitas glenoidea entspricht dem foramen obturatorium (Unterschambeinloch, verschlossenes Loch) ; aber beim Becken setzt sich der Schulterhaken bis zum Schambein fort, unter dem Namen des aufsteigenden Sitzbeinastes. Der Knorpel der Schambein-Symphyse ist das Analogon des Beckenbrustbeins, welches bei den Säugethieren verschwindet, beim Krokodil aber und den übrigen Reptilien zur Entwicklung kommt. Kurz, die Homologie der Schulter und des Beekens scheint mir vollständig. Ein massiger Knochengürtel, an die Wirbelsäule angeschweisst, hat sich umgekehrt und in einen leich- ten, beweglichen, in Fleisch aufgehangenen Apparat umgewandelt; einige Theile haben sich verlängert und verdünnt; der wagerechte Schambeinast ist zum Schlüsselbein geworden, die vordere Darmbein- grube zur unteren Vertiefung; die hervorspringende Linie, welche die beiden äussern Darmbeingruben trennt, hat sich zu einem scharfen Knochenkamm entwickelt. Anderseits hat sich, nach dem Gesetz vom Gleichgewicht der Organe, der aufsteigende Sitzbeinast nicht entwickelt; nur der Schulterhaken, der Sitzhöcker im Kleinen, ist geblieben. Im Grunde sind die Materialien, welche die beiden Apparate zusammensetzen, die nämlichen, und für diejenigen Natur- forscher, welche die Verriehtungsanpassungen zulassen, ist die Schulter des Menschen ein leichter gewordenes Becken, beweglich wie das Glied dem es zugehört. ) Cuvier, Sur l'osteologie des Monotremes, p. 143, pl. XIII, Fig. 21, und pl. XIV, Fig. 5. 456 V. Vergleichung der Muskeln des Becken- und des Brustgliedes beim Menschen. Alle Muskeln des Schenkels und des Beines im Arm und im Vorderarm wiederfinden zu wollen, ist ein vergebliches Bemühen. Ihre Zahl ist nicht die gleiche; man zählt deren 21 am Schenkel und nur 13 am Arme. An unläugbar homologen Fortsätzen, wie dem Schulter- haken und dem Sitzbein, findet man, dass am ersteren drei, am zweiten sieben Muskeln sich anheften. Vielleicht gelangt die vergleichende Muskellehre einmal dahin, zu jedem dieser Muskeln seinen Homologen zu entdecken; Theilungen, Verwachsungen, Verkimmerungen ver- hüllen uns wahrscheinlich manche Aehnlichkeiten. Ich begnüge mich, einige davon anzugeben, will aber erst die von den Schriftstellern an- gestellten Vergleichungen besprechen. Ich gebe hier zuerst die Zusammenstellung von Vieq-d’Azyr!). Bei dieser Vergleichung hat er sich mehr mit den Verrichtungen als mit den Verbindungen beschäftigt und ganz unmögliche Versetzungen angenommen. Die Muskeln des Brustgliedes, verglichen mit denen des Bauchgliedes, nach Vieg-d’Azyr. Bauchglied. Brustglied. Schenkel. Arm. Grosser Gesässmuskel. Deltaförmiger Muskel. Psoas- und Darmbeinmuskel. Subscapularis. Mittlerer und kleiner Gesässmuskel. | Infraspinatus. Viereekiger Muskel und Zwillings- | Supraspinatus. muskeln. Die anziehenden Muskeln. Grosser Brustmuskel. Der Kammmuskel. Kleiner Brustmuskel. Der Spannmuskel der fascialata. 1 Grosser Rückenmuskel. 1) Memoire eite, dans ceux de l’Acad&mie des sciences, pour 1774, p. 264. 457 Bein. L Vorderarm. Dreiköpfiger Schenkelmuskel. Dreiköpfiger Armmuskel. Zweiköpfiger. Zweiköpfiger. Halbfeischiger. Durchbohrter Muskel (coraco- brachialis). Schenkelmuskel. [?] Vorderer Armmuskel. [?] Kniekehlmuskel. [?] Anconaeus. |[?] Hinterer Schienbeinmuskel. [?] Vorderer Ellenbogenmuskel. [?] Vorderer Schienbeinmuskel. |?) „ | Hinterer Ellenbogenmuskel. [? ‚Wadenbeinmuskeln. [?] Speichenmuskeln. [?] Langgeschwänzter Muskel (plan- | Langer Spannmuskel der Hand taris). (palmaris longus). Vieq-d’Azyr hatte, wie man sieht, die Analogie einer gewissen Anzahl von Muskeln vollkommen erkannt; aber aus Gründen die jeder Anatom verstehen wird, vermag ich nicht mit Vieq-d’Azyr in dem mittleren und kleinen Gesässmuskel zu- sammen den infraspinatus zu erkennen; ebensowenig; den supraspinatus in dem viereekigen und den Zwillingsmuskeln; „den kleinen Brust- muskel in dem Kammmuskel; den grossen Rückenmuskel in dem Spannmuskel der Schenkelbinde, auch nicht den zweiköpfigen Arm- muskel im zweiköpfigen Schenkelmuskel; der erste heftet sich oberhalb über der cavitas glenoidea am Schulterhakenfortsatz an, der zweite sollte sich unterhalb der Gelenkpfannengrube und am Sitzbein anheften. Nun heftet er sich allerdings mit seinem langen Abschnitt an’s Sitz- bein, aber mit dem kurzen an den untern Theil des Schenkelbems an. Nach unten heftet sich der zweiköpfige Armmuskel an die Speiche, der zweiköpfige Schenkelmuskel an den Wadenbeinkopf, welcher der vom kronenförmigen Fortsatz repräsentirte Theil des Ellenbogen- beins ist; nun heftet sich aber hier der vordere Armmuskel an, welcher das eigentliche Homologon des kurzen Abschnitts des zwei- köpfigen Schenkelmuskels ist. Sein langer Abschnitt entspricht dem durehbohrten Muskel (coraco-brachialis).. Nur mit Zweifel assimilirt Vieq-d’Azyr den vorderen Armmuskel dem vorderen Beinmuskel, den aneonaeus dem Knickehlmuskel, den vorderen Ellenbogenmuskel dem hintern Schienbeinmuskel, und den hintern Ellenbogenmuskel dem 458 vordern Scehienbeinmuskel. Hätte er die Verrichtungen der Muskeln nicht in Anschlag gebracht, so hätten sie ihn nicht irre geführt, wie es Allen gehen wird, welche diesem trügerischen Leitstern folgen. Die Ver- richtungen sind die Folge, nicht der Zweck; die Gesetze, nach welchen sich die Organe entwickeln, beherrschen die functionellen Anpas- sungen, und bestimmen sie; daher die ungleiche Vollkommenheit der Verriehtung, welche mehr oder weniger gut in dem ihr von den Gesetzen des organischen Gleichgewichts gezogenen Kreise vor sich geht. i Die Schriftsteller welche seit Vieq-d’Azyr die Glieder, des menschlichen Skeletts mit einander verglichen haben, haben keine ge- naue Vergleichung der Muskeln angestellt. Als Beweis der Richtigkeit ihrer Vergleiche haben sie sich darauf beschränkt, einige Muskel- anheftungen anzuführen, und dies sind im Allgemeinen Muskeln wie der dreiköpfige, die (Gresässmuskeln ete., deren Analogie auf der Hand liegt. Doch sieht Gerdy !) den Schneidermuskel des Schenkels in dem grösseren rundlichen Muskel der Schulter ohne diese Zusammen- stellung zu rechtfertigen 2. Blandin 3), der das Ellenbogenbein im Sehienbein wiederzuerkennen glaubt, stützt sich darauf, dass der lange Beuger der Finger ein Ellenbogen-Phalangen- und der lange Beuger der Zehen ein Schienbein-Phalangen-Muskel ist; der eigentliche Beuger des Daumens, ein Speiche-Phalangen-, der der grossen Zehe en Wa- denbein-Phalangen-Muskel. Wir werden in unserm Vergleich diese scheinbaren Widersprüche erklären, uns aber mehr als je vom Prineip der Connexionen leiten lassen; für die Muskeln sind diese Connexionen ihre Anheftungsstellen, und diese charakterisiren sie ganz abgesehen von ihren Verrichtungen. Wir werden uns nie darum bekümmern, ob ein Muskel aussen oder innen am Glied liegt, Beuger oder Strecker, Vorwärts- oder Rückwärtsdreher ist; für uns wird der innere Knopf des Schenkelbeins der Schenkel-Schienbein-Knorren sein, welcher dem Speichenknopf des Oberarmbeins entspricht; der äussere Schenkelknopf 1) Note citee, p- 50. 2) Der grössere rundliche Muskel des Schulterplattes entspricht eher dem Tensor Jasciae latae. ®) Nouveaux @l&ments d’anatomie, t. I, p. 208. 459 der Schenkel-Wadenbein-Knorren, welcher der Ellenbogenbeinrolle des Öberarmbeins entspricht. Die folgende Tafel stellt sämmtliche vergleichbare Muskeln der obern und untern Extremitäten einander gegenüber. Die homologen Muskeln (siehe S. 461) sind mit einem Sternchen bezeichnet, und die Anheftungsstellen, die in zwei sonst analogen Muskeln nicht analog sind, mit gesperrter Schrift gedruckt. Tafel der Muskeln des Beckengliedes, verglichen mit denen des Brustgliedes beim Menschen. Schenkel. Grosser Gesässmuskel (ileo-saero- femoral). * Mittlerer Gresässmuskel (ileo-tro- ehanterien). * Kleiner Gesässmuskel (petit il&o- trochanterien). Kammmuskel (pubio-femoral). Kleiner und mittlerer Anzieher (pubio-f@moral). * Der lange Kopf des Zweiköpfigen. * Dreiköpfiger (tri-il&o-femoro-ro- tulien). * Kurzer Kopf des Zweiköpfigen (femoro pe@ronien). Halbhäutiger (ischio-popliti-tibial). , Zweiköpfiger Halbfleehsiger (ischio pretibial). Arm. Deltaförmiger Schulterblattmuskel (sous-acromio-humeral). * Supraspinatus (petit scapulo-tro- ehiterien). * Infraspinatus (scapulo-trochi- terien). Schlüsselbeintheil Brustmuskels. des grossen Brustbeintheil des grossen Brust- muskels (sterno-hum£ral). = Durchbohrter Muskel. * Dreiköpfiger (tri-seapulo-humero- ol@eranien). # Vorderer Armmuskel (humero- eubital). (scapulo-eoraco-bra- chial). Beugungsfläche. Bein. * Kniekehlmuskel tibial). * Aeusserer Zwillingsmuskel (femoro-popliti- (du eondyle p@ronien au calcandum). ? Innerer Zwilling (du condyle ti- bial au ealecandum.). Vorderarm. * Runder Vorwärtsdreher (epitro- chlo-radial). * Vorderer Ellenbogenmuskel (£pi- trochlo-pisien). ? Langer Rückwärtsdreher (£pieon- dylo-radial). 460 * Langgeschwänzter (du condyle peronien au calcandum). Langer, gemeinsamer Beuger der Zehen tien commun). Langer Beuger der grossen Zehe (p @ro.n.&o - sous-phalangettien (tibio-sous-phalanget- commun). Kurzer, gemeinsamer Beuger der Zehen (ealcando-phalanginien- eommun). Hinterer Sehienbeinmuskel (tibio- peroneo-soustarsien). *Langer Spannmuskel der Hand (epitrochlo-palmaire). Langer, gemeinsamer Beuger der Finger (cubito-sous-phalan- gettien commun). Langer Beuger des Daumens (radio-sous-phalangettien du pouce). Kurzer, gemeinsamer Beuger der Finger (€pitrochlo-sous- phalanginien-commun). Innerer Speichemuskel (£pitrochlo- metacarpien). Streckfläche. Kniescheibenband (pre - tibio -rotu- lien). Strecker der Zehen (p&rondo-sus-phalan- Gemeinschaftlicher gettien commun). Strecker ‘der grossen Zehe (p@roneo-sus-phalangettien * Langer du gros orteil). * Kurzer Wadenmuskel (grand pe- roneo-metatarsien). Vorderer Schienbeinmuskel (tibio- sus-metatarsien). Fuss. Anzieher der grossen Zehe (eal- cando-phalangien). * Schiefer Zehe (metatarso-phalangien). Abzieher der grossen Kurzer Beuger der grossen Zehe (eunei-phalangien). ® Azieher der kleinen Zehe (cal- caneo-phalangien), Anconaeus (epieondylo-eubito-ole- eranien). Gemeinschaftlicher Strecker der Finger (&£pieond ylo-sus-pha- langettien commun). * Langer Strecker des Daumens (eubito - sus - phalangettien du pouce). * Hinterer Ellenbogenmuskel (eubi- to-sus-metacarpien). Kurzer, äusserer Speichenmuskel (Epieondylo-sus-metatarsien). Hand. Kurzer Abzieher des Daumens (seapho-phalangien). * Anzieher des Daumens (metacar- po-phalangien). Kurzer Beuger des Daumens (tra- p€zo-phalangien). * Anzieher des kleinen Fingers (pisi-phalangien). 461 Fuss. Hand. Kurzer Beuger der kleinen Zehe Kurzer Beuger des kleinen Fingers (m&tatarso-phalangien). (unci-phalangien). * RegenwurmförmigeMuskeln(plan- * Regenwurmförmige Muskeln (pal- ti-phalangiens). nu-phalangiens). * Zwischenmuskeln (metatarso-pha- * Zwischenmuskeln (metacarpo- langiens). phalangiens). Die Vergleichung der Muskeln der oberen Glieder mit denen des unteren Gliedes beim Menschen, giebt zu einigen interessanten Betrach- tungen Veranlassung. Man erkennt sofort das Vorhandensein einer gewissen Anzahl von Muskeln, die sich wiederholen, dieselben Anhef- tungsstellen haben und folglich Ahomolog 1) im strengen Sinne des Wortes sind. Am Schenkel und am Arm bemerkt man: den mittleren Gasässmuskel und den supraspinatus, den kleinen Gesässmuskel und den infraspinatus, den innern Darmbeinmuskel und den sub-scapularis, den langen Kopf des zweiköpfigen Schenkelmuskels und den durch- bohrten Muskel, die beiden Dreiköpfigen, den kurzen Kopf des zwei- köpfigen Schenkelmuskels und den vorderen Armmuskel; am Bein und am Vorderarm den Kniekehlmuskel und den rundlichen Vorwärts- dreher, den äusseren Zwilling und den vorderen Ellenbogenmuskel, den langgeschwänzten Muskel und den langen Spannmuskel, den kurzen Wadenbeinmuskel und den hintern Ellenbogenmuskel, den langen Strecker der grossen Zehe und den langen Strecker des Daumens; am Fuss und an der Hand, den schiefen Abzieher der grossen Zehe und den Anzieher des Daumens, den Abzieher der kleinen Zehe und den Anzieher des kleinen Fingers, die regenwurmförmigen und die Zwi- schenmuskeln. Diese Muskeln haben gleichzeitig dieselben Anheftungs- stellen und dieselben Verrichtungen am obern und untern Gliede, nur werden die Vorwärts- und Rückwärtsdreher des Vorderarms einfache Beuger am Beine; die Abzieher des Fusses, Anzieher an der Hand, und umgekehrt. Die zweite Klasse von Muskeln sind die analogen, d. h. Muskeln, bei welchen eine der Anheftungen homolog ist, die andere aber nicht. ') Auf der Tafel mit einem * bezeichnet, 462 So der grosse Gesässmuskel und der deltaförmige: die obere Anhef- tung ist nicht homolog, denn der Kamm des Darmbeins entspricht nieht der Gräte und der Höhe des Schulterblattes; aber da diese Gräte verschwunden ist, so ist die Anheftung versetzt. Der Kammmuskel scheint mir dem Sehlüsselbeintheile des grossen Brustmuskels zu ent- sprechen, namentlich dureh seine Schambein-Anheftung. Das Brustbein ist nicht vorhanden und wird durch die Schambein - Symphyse er- setzt; und darum bin ich auch geneigt, den kleinen und den mittleren Anzieher mit dem Brustbeintheile des grossen Brustmuskels zu ver- gleichen. Nur mit Zaudern assimilire ich den halbhäutigen und den halbflechsigen zusammen dem zweiköpfigen Armmuskel; doch heftet sich der lange Kopf des zweiköpfigen Armmuskels an den Theil der cavitas glenoidea, welcher durch die Basis des Sehulterhakenfortsatzes gebildet wird, und der kurze Kopf an das Ende des nämlichen Fort- satzes; der Halbflechsige und der Halbhäutige heften sich beide an den Sitzhöcker. Dies ist also eine Vereinigung der beiden Beckenanhef- tungen des Zweiköpfigen auf der Basis des Knochens, welcher den Schulterhakenfortsatz repräsentirt. Die untern Anheftungen sind homolog. Für den innern Zwillmesmuskel und den langen Rückwärtsdreher sind die beiden oberen Anheftungen ähnlich, die wntern aber nicht; doch halte ieh diese beiden Muskeln für analog. Das Studium der meisten Beuger und Strecker der Finger und Zehen bekräftigt mich in diesem Gedanken; diese offenbar analogen Muskeln haben gleiche Unteranheftungen, aber nicht so die oberen, also umgekehrt wie bei den beiden Muskeln von denen wir reden. Für die Streeker oder Beuger der Finger findet bald eine seitliche Lageveränderung statt, d. h. der Muskel, welcher am Vorderarm sich an das Ellenbogenbein anheftet, wird sich beim Bein am Schienbein befestigen, und umge- kehrt. Das schlagendste Beispiel in dieser Beziehung ist der radio- sous-phalangettien des Daumens, welcher am Beine ein ‚peroneo-sous- phalangettien der grossen Zehe ist. Für diesen Muskel hat eine wirk- liche Versetzung der oberen Anheftung statt. Der gemeinsame, lange Beuger der Zehen, mit seinem Analogon am Arme verglichen, scheint sich in demselben Fall zu befinden, weil er sich an’s Schienbein und der gemeinsame Beuger der Finger an’s Ellenbogenbein heftet. Wir 463 wissen aber, dass das obere Dritttheil der Wadenbeinhälfte des Schien- beins das Ellenbogenbein repräsentirt. Nun heftet sich aber gerade an diesem Stücke der fragliche Muskel an. Die Verschiebung kann aber auch der Länge nach geschehen ; so ist der perondo - sus - phalangettien des Beines der Epicondylo - sus- phalangettien des Vorderarms; der calcaneo - sous - phalanginien des Fusses, der £pitrochlo-sous-phalanginien der Hand. Doch kann man unmöglich die Analogie in Bau und Verriehtungen dieser Muskeln verkennen, welchen auch der gemeine (Gebrauch dieselben Namen bei- gelegt hat. Sie beweisen, dass die Anheftungspunkte nicht unveränder- lich sind, und lehren uns, dass man den Muskelanheftungen keine übertriebene Wichtigkeit für die Bestimmung der entsprechenden Kno- ehentheile beilegen muss, denn wir sehen zwei analoge Muskeln, den oberflächlichen Beuger der Finger und den kurzen Beuger der Zehen, den Einen an der Nebenrolle des Oberarmbeins, den Andern am Fer- senbein sich anheften. Der innere Speichenmuskel und der kürzere, äussere Speichenmuskel scheinen mir am Arm den hintern und vordern Schienbeinmuskel zu wiederholen, obschon die Anheftungen nicht iden- tisch sind. Wird man mir endlich gestatten, das Kniescheibenband dem Anconäus zu assimiliren, ich bin dazu un so mehr geneigt, da sich bei den Thieren Muskel - und Sehnen - Fasern beständig ver- treten, auch heftet sich unterhalb der Anconäus gerade an jenem Ellenbogenkamm an, welcher den Kniescheibenkamm des Schienbeins so deutlich wiederholt; zweitens setzen sich die Muskelfasern des Anconäus in die des dreiköpfigen Armmuskels fort, gerade wie die Sehnenfasern des Bandes in die des dreiköpfigen Schenkelmuskels; drittens ist seine Anheftung am Nebenknorren durch das innere Kniescheibenband ersetzt; welches sich auf dem Schienbeinknorren des Schenkels ausbreitet, gleich- wie die Sehne des Anconäus auf dem Nebenknorren des Oberarmbeins. Zieht man nur das Muskelsysten des Menschen in Betrachtung, so giebt es eine Anzahl von Muskeln, welche ohne offenbare Analoga an den Beeken- und Brust-Extremitäten sind. Am Arm der grosse Rückenmuskel und der grössere, rundliche Muskel; am Schenkel der birnförmige Muskel, die Zwillinge, der viereckige, die verschliessen- den Muskeln, der Schneidermuskel, der Spannmuskel, der Schenkel- 464 binde und der innere, gerade; am Bein der inwendige Wadenmuskel und der lange Wadenbeinmuskel; am Vorderarm der viereckige Vor- wärtsdreher, der erste Speichemuskel, der kurze Rückwärtsdreher, der lange Abzieher des Daumens, der kurze Strecker des Daumens, der Strecker des Zeigefingers und an der Hand einige Muskeln, die zum Daumen oder zu Einem Finger allein gehören. Bleibt man auch nur bei der menschlichen Anatomie stehen, so ist, wie man sieht, die Zahl der Muskeln, die jeder Extremitäten-Abtheilung zukommt, und in der entsprechenden Abtheilung kein Analogon findet, ziemlich beschränkt. Wahrscheinlich liesse uns die vergleichende Ana- tomie die Analoga dieser Muskeln bei den Säugethieren oder selbst in den andern Wirbelthierklassen auffinden. Dr. Gratiolet beschäftigt sich mit dieser Aufgabe und wird ohne Zweifel zu den interessantesten und unerwartetsten Resultaten gelangen. Einfluss der Oberarmbeindrehung auf den Muskel-Apparat des Armes und des Vorderarmes. Ist die Drehung des Oberarmbeins keine Täuschung, ist die Natur in Gedanken virtualiter verfahren, wie ein Arbeiter verfahren würde, wenn er diesen ursprünglich geraden und dem Schenkelbein gleichen Knochen mechanisch gedreht hätte, so leuchtet ein, dass diese Drehung die Weichtheile aus ihrer Lage bringen musste, wie sie es mit den festen Theilen gethan. Wir müssen also im Muskelsysteme analoge Be- weise mit denen finden, die wir im Knochensystem geschöpft haben, und dies ist wirklich der Fall. Wir wissen, dass die Drehung des Oberarmbeins vorzüglich dessen untere Hälfte betrifft. Sie hat so Statt gefunden, als wenn man mit Einer Hand den Kopf des Oberarmbeins festgehalten und mit der Andern das untere Ende nach aussen gedreht hätte, so dass der innere Rand zum äussern wird und umgekehrt. Auch sind die Folgen der Drehung um so sichtbarer, je mehr man vom Knochen- kopf gegen sein Ellenbogenbeinende herabsteigt. Oben hat die Drehung nur der zweiköpfigen Rinne eine etwas schiefe Richtung von aussen nach innen gegeben und darum haben auch die Muskeln, welche sich an der Schulter und am Arm anheften, dieselbe Lage, dieselbe Richtung und dieselben mechanischen Wir- kungen, wie ihre Homologe am Schenkel. Der deltaförmige Schulter- 465 blatt-Muskel ist ein Aufheber und ein Auswärtsdreher, wie der grosse Gesässmuskel; der supraspinatus und infraspinatus Auswärtsdreher, gleichwie der mittlere und kleine Gesässmuskel; der subscapularis der Einwärtsdreher, wie der Darmbeinmuskel. Aber an der Armbiegung hat die Drehung des Oberarmbeins alle Verhältnisse geändert. Die Beuger, die hinten am Schenkel waren, sind am Arm vorn; die Strecker, welehe vor den beiden Knochen des Beines waren, sind hinter denen des Vorderarmes; ebenso sind die äussern Muskeln zu innern geworden und umgekehrt; Alles eine Folge der Umdrehung um 180 Grade, welehe der Vorderarm und die Hand durch die Oberarmbeindrehung erlitten haben. Beispiele: Der äussere Zwillingsmuskel, welcher sich über dem Wadenbein- Knorren des Schenkels anheftet, wird durch den vordern Ellenbogenbeinmuskel repräsentirt, einen Muskel der inneren Seite des Armes, welcher sich an die Nebenrolle anheftet. Ebenso entspricht der Kniekehlmuskel, welcher sich vom äusseren Knorren des Schenkels zum Schienbein erstreckt, dem rundlichen Vorwärtsdreher, (£pitrochlo-radial), welcher sich von innen nach aussen wendet. Geht man die Tabelle der analogen Muskeln des Armes und des Beines durch, so wird man noch andere Beispiele dieser Art finden, nämlich. der kurze Wadenbeinmuskel und der hintere Ellen- bogenmuskel, der lange Strecker der grossen Zehe und der entsprechende Muskel des Daumens. An der Hand bestätigt man dieselben Verände- rungen, weil die grosse Zehe am Fusse nach innen, der Daumen an der Hand nach aussen sich befinde. So hat uns denn das Muskel- system die Wirklichkeit diese Drehung «a posteriori bestätigt, einer Drehung, von der die Natur dem Oberarmbein die Spuren aufgedrückt hat, gleichsam um uns den ebenso einfachen als rationellen Weg zu offenbaren, auf dem sie das Beckenglied in ein Brustglied verwandelh. . VI. Vergleichung der Arterien und der Nerven des Beckengliedes und des Brustgliedes beim Menschen. Vergleichung der Arterien. Vieg-d’Azyr 1) hat eine vortreffliche Vergleiehung der Schulter- und Becken-Arterien gegeben und auf die Analogie der Schenkelarterie 1) M&moire eit& p. 268. 466 innerhalb der Knickehle mit der Armarterie der innern Seite des Ellen- bogens hingewiesen. Aber er meint die Wadenbeinarterie entspreche der Speichenarterie, und die vordemm und hintern Schienbeinarterien, den beiden Ellenbogen- und Zwischenknochen-Arterien des Vorder- arms. Wir können diese Assimilationen nicht annehmen, die nur eine Folge der falschen, osteologischen Analogien sind, welche er zwischen der Speiche und dem Wadenbein, dem Ellenbogenbein und dem Schienbein wahrzunehmen glaubte. Am obern Theile des Armes liegt die Armarterie wie die Schen- kelarterie nach innen und vor dem Kopf des einzigen Knochens, welcher das Gerüste der ersten Brustgliedabtheilung bildet; aber die Schenkelarterie läuft um den Schenkel in dessen unterem Viertheil herum, begiebt sich hinter ihn zwischen seine Knorren, wo sie den Namen Kniekehlarterie annimmt. Da das Oberarmbein ein gedrehtes Schenkelbein ist, so hat seineDrehungsbewegung zur Folge gehabt, die Knorren nach vorn zu bringen und die Arterie mitzunehmen , welche sich nun nach zorn. in der. inneren Seite des Ellenbogens findet, indem ihre Beziehungen zu. den Knochentheilen dieselben bleiben. Die Speichenarterie entspricht der hintern Schienbeinarterie, die Ellenbogen- arterie der Wadenbeinarterie, die Zwischenknochenarterien des Beins denen des Armes. Man könnte diese Analogien in den secundären Aesten studiren, mit Vieqg-d’Azyr die innere Brustarterie mit der innern Bauchdeckenarterie, die Kranzschlagadern des Schenkels mit denen des Armes vergleichen u. s. w. und selbst die entsprechenden Aeste bis in die homologen, analogen oder diejenigen Muskeln ver- folgen, welche am einen oder andern Gliede keinen Repräsentanten haben. (Gewiss eine interessante Untersuehung. Ich will sie aber hier nicht anstellen und drücke nur den Wunsch aus, ses möchte irgend ein junger Anatom sich dazu angespornt fühlen. Vergleichung der Nerven. Vieq-d’Azyr hat zuerst darauf aufmerksam gemacht 1), dass die Hautnerven des Brustgliedes von den oberen Halspaaren entspringen gleichwie der Schenkelnerv, der Hautstamm des Schenkels von den 1) Memoire eite p. 269. 467 Lendennerven entspringt, welche über den Kreuznervenpaaren liegen. Die Muskelnerven entspringen im Gegentheil am Arm aus den letzten Halspaaren und dem ersten Rückenpaar, am Schenkel aus den Lenden- paaren und dem Kreuzlendenast; er vergleicht also den Schenkelnerv und seine Verzweigungen mit den beiden Hautnerven der oberen Extremi- tät und den Hüftnervenstamm mit dem Mittelnerv, dem Ellenbogennerv und dem Speichennerv zusammen. Aber Vieq-d’Azyr hat nicht ver- sucht, die sonderbaren Verschiedenheiten zu erklären, welche die Arm- nerven, verglichen mit den Schenkelnerven, darbieten; wir wollen es thun, und werden so durch einen dritten organischen Apparat den wichtigsten von allen, die Richtigkeit der Umwandlungsweise des untern Glieds in ein oberes, welche die Muskel- und Arterien-Systeme bereits bestätigt haben, bewahrheiten. Der Plexus der tiefen Nerven des Armes liegt zwischen dem Kopf des Oberarmbems und dem Schulterhaken-Fortsatz, gleichwie der Hüftnervenstamm zwischen dem Schenkelkopf und dem Sitzbein; aber am Arm liegt dieser Plexus vor dem Knochenkopf; am Schenkel hinter demselben ; am Arm befindet sich das Hauptnervenbündel nach innen «und vor dem Glied, beim Schenkel hinten. Der Unterschied ist demnach grösser als für die Hauptschlagader, welche am Arm wie am Schenkel sich längs des Knochens von vorn nach innen am obern Theil ihres Verlaufs richtet, dann um den Schenkel nach hinten sich windet um Kniekehl- arterie zu werden und um das Oberarmbein nach vorn und die Arm- biegung zu erreichen. Diese Unterschiede sind nicht die einzigen !). Einer der Nervenstämme, der Hüftnery am Schenkel, der Mittelnerv und der Ellenbogennerv am Arm befinden sich allerdings in der Beu- gungsfläche; die beiden andern Nerven, der vordere Schenkelnerv am Schenkel, der Speichennervr am Arm in der Streckfläche. Aber am Schenkel bleiben alle Hauptnerven in der Fläche wo sie sich ursprüng- lich befanden. Am Arm dagegen befolgen der Mittelnerv und der Ellen- hogennery dieses (fesetz, während der Speichennery die innere Fläche vom obern Viertheil des Glieds an verlässt, sich nach aussen wendet, schneckenförmig um den Knochen läuft, seiner Drehungslinie nach, 1) Es versteht sich, dass ich die kleinen Aeste vernachlässige, welche oben am Schenkel wie oben am Arm zu den benachbarten Muskeln gehen. MOLESCHOTT, Untersuchungen. VI ri 468 dort die Spur seines Wegs zurücklässt und wieder auf der Speichen- fläche des Knochens hervorkommt, um sich an die Muskeln zu ver- theilen, welche sich dort anheften. Allen Anatomen ist dieser sonder- bare Lauf aufgefallen, welcher sich weder aus Gründen der Symmetrie, noch aus functionellen Anpassungen erklären lässt, denn, um zu den Muskeln des äussern Armtheiles zu kommen, war der kürzeste Weg des Nerven zwischen dem zweiköpfigen und dem vordern Armmuskel durchzugehen. Die Drehung des Oberarmbeins giebt vollkommen Rechenschaft von allen Verschiedenheiten, welche zwischen den Nervensystemen des Arms und des Schenkels bestehen. Da diese Drehung am Schultertheil des Oberarmbeins nur gering ist, so wurde auch der Nervenplexus nur wenig aus seiner Lage gebracht; er kam nur von der hintern auf die vordere Fläche zu stehen. Der Ellenbogenkopf des Oberarmbeins hat dagegen um sich selber eime Drehung von 180 Grad gemacht, die Schienbein- oder Speichenhälfte, welche sich innen befand, wurde nach aussen gewandt und der Speichennerv mit den Muskeln, an die er sich vertheilt, fortgezogen, musste sich um das Oberarmbein nach hinten winden. Die Muskeln des innern oder Ellen- bogentheils dagegen empfangen nach wie vor direct die Aeste des Nervenstammes, mit dem sie in Berührung geblieben sind. Es ist mir gelungen, die Umwandlung des Nervenapparats des Schenkels in den Nervenapparat des Armes auf mechanische Weise zu verwirklichen, und zwar folgendermassen: Ich befestige das Ende einer schwarzen Schnur t (Fig. 17) hinter ein Schenkelbein der rechten Seite, zwischen den beiden Rollhügeln. Diese Schnur re- präsentirt den Hüftnervenstamm. Das andre Ende s, welches den innern Kniekehl - Hüftnerven vorstellt, befestige ich zwischen den beiden Schenkelknorren ; von der Mitte m dieser Schnur geht eine an- dere aus, welche sich in p an den äussern oder Wadenbeinknorren an- heftet und den äussern Kniekehlnerv vorstellt. Eine andre Schnur r, innen am inneren oder Schienbeinknorren befestigt, repräsentirt den Schenkelnerv. Ich lege alsdann den, Schenkel auf einen Tisch so, wie es Figur 17 zeigt. Seine Convexität sicht nach oben; der Hüftnerv und seine beiden Aeste sind hinter dem Knochen in ihrer natürlichen, 469 Lage. Ein Gehülfe hält locker in a die den Schenkelnerv vorstellende Schnur, oberhalb des Schenkelkopfs. Jetzt lasse ich den Schenkel und die den Hüftnerv vorstellende Schnur um 180 Grad drehen, so dass der Punkt r an die Stelle des Punktes p zu stehen kommt, und um- gekehrt. Die Folge dieser Rotationsbewegung ist in Figur 18 darge- stell. Der Hüftnerv t, indem er der Rotationsbewegung folgt, kommt vor den Knochen zu liegen, statt hinter demselben zu bleiben; und das untere Ende des Schenkelnerven ar, welches der Gehülfe unbeweglich hielt, wird von der Bewegung des innern, nun äussern gewordenen, Knorrens mitgezogen und windet sich um den Körper des Schenkelbeins. Durch diese Rotationsbewegung von 180 Grad haben wir die Drehung vorgestellt, welche das Schenkelbein in Oberarmbein verwandelt, und eben damit haben wir auch das Nervensystem des Schenkels in's Ner- vensystem des Arms umgewandelt; der Hüftnerv ts der Figur 17 ist der Mittelnerv is der Figur 18 geworden; der äussere Kniekehlnerv mp (Fig. 17) ist zum Ellenbogennerv geworden; endlich wird der Schenkelnerv ar (Fig. 17), welcher sich schneckenförmig um die Streck- fläche des Oberarmbeinkörpers winden musste, zum Speichennerv der Figur 18. Indem wir so das Schenkelbein um 180 Grad um seine Achse sich drehen liessen, haben wir natürlich seinen Darmbeinkopf deplacirt. Bei der Drehung des Knochens fände diese Lageveränderung nicht in gleichem Grade statt, und der Kopf a in der Figur 18, mit punktirter Linie bezeichnet, nähme dieselbe Lage an, wie der in der Figur 17; man muss sich vorstellen, er sei nicht verrückt worden, während die Knorren ihre Umdrehungsbewegung ausführten. Jedoch führt der Schenkelkopf eine Rotationsbewegung aus, wenn er Kopf des Oberarmbeins wird, denn die Achsen der beiden Hälse bilden mit einander einen Winkel von 30 Grad. Man kann den Kopf eines Schenkels, wenn man ihn in ver- dünnte Salzsäure taucht, erweichen und ihn wirklich drehen, wie wir es mit dem Oberarmbein gethan haben (siehe Note, pag. 417); er nimmt dann die Form der Figur 18 an, endigt in den punktirten Hals und Kopf und erinnert folglich an die Gestalt eines Oberarmbeins der rechten Seite, von seinem zugehörigen Nervensystem umgeben. Wenn man an einer Leiche oder auf hübschen Abbildungen, wie 470 z. B. denen von Bourgery und Jacob !), den Hüft- und Schenkel- beinnerv einer Seite, den Armplexus der andern vergleichend betrach- tet, so sieht man am Schenkel zwei ganze Stämme, welche Verästelungen abgehen lassen, die sich unmittelbar an die zugehörigen Muskeln ver- theilen; der Armplexus dagegen trägt die Spuren von Trennung, welehe von der Oberarmbeindrehung herrühren. Die Hauptäste sind von der Achselgrube an getrennt und steigen bis zur Armbiegung. herab, ohne den umgebenden Organen Aeste zu liefern; dies ist namentlich auffallend beim Ellenbogennerven, welcher den Armmuskeln nicht einen einzigen Faden abgiebt 2). Kurz die Drehung, und zwar die Drehung allein giebt von den so bedeutenden und bisher unerklärten Verschiedenheiten Rechenschaft, welche zwischen dem Nervensystem des Schenkels und dem des Armes bestehen; und umgekehrt ist auch diese Umwandlung eines Systems in's andere ein letzter Beweis zu Gunsten dieser bereits durch die Modificationen der Muskel- und Arterien-Systeme bewiesenen Drehung. Ich halte es für unnütz, die Assimilationen der Nerven, wie sie aus der Drehungsidee hervorgehen, zu rechtfertigen; die Anatomen, einzig geleitet von der Vertheilung der Nerven in den Muskeln, hatten sie bereits vollkommen erkannt. Meckel 3), Cruveilhier ?) und Sappey 5) finden die Nerven des Arms in denen des Schenkels wie- der. Sie bestätigen, dass in Folge von Aneinanderklebungen von Ner- venfäden, die aus den benachbarten Stämmen entspringen, jeder der Armnerven einen Theil der Beinnerven repräsentire. So entspricht der Speichennerv dem Muskulartheil des Schenkel- nerven, während der Hauttheil des letztern durch den innern und äussern Hautarmnerven repräsentirt wird. Der innere Kniekehlhüftnerv repräsentirt den Mittelneryv und einen Theil des Ellenbogennerven; doch kann ich nicht mit den beiden zuletzt- 1) Trait& complet de l’anatomie de Phomme, atlas, t. III, p. LIX und LXVII 2) Bourgery, Trait@ de l’anatomie de l’homme, t. III, p. 263; Cruveilhier Traite d’anatomie deseriptive, t. IV, p. 516; Sappey, Trait& d’anatomie descriptive. t. II, p. 348. 3) Manuel d’anatomie, t. III, p. 152. 4) Trait@ d’anatomie descriptive, t. IV, p. 587. 5) Trait@ d’anatomie deseriptive, t. II, p. 383. 471 angeführten Anatomen den äussern Kniekehlnery oder den ganzen Wadenbeinnerv dem Vorderarmtheil des Speichennerven assimiliren. Da für mich das Wadenbein das Ellenbogenbein ist, so ist der Waden- beinnerv für mich ein Theil des Ellenbogennerven. Die Vertheilung der beiden Nerven ist verschieden, weil der Ellen- bogennerv in der Beugungsfläche bleibt, während der Wadenbeinnerv, um den Hals des Wadenbeins herumgehend, sich in der Streckfläche verästelt. Der Ellenbogennerv giebt Rückenseitenäste an die drei letz- ten Finger, den mittleren, den Ring- und den kleinen Finger, Flächen- äste an die beiden letzten. Der Wadenbeinnerv dagegen liefert Rücken- seitenäste für alle Zehen. Trotz dieser Verschiedenheiten glaube ich, dass der Stamm des äusseren Kniekehlhüftnerven vor Allem den des Ellenbogennerven repräsentirt; aber der Vorderarmtheil dieses Nerven und des Speichennerven findet seine Analoge in dem Wadenbein- Saphenus und in dem Muskelhautast; der erstere verläuft längs dem Wadenbein in der Beugungsfläche wie der Ellenbogennerv und endigt am letzten oder an den beiden letzten Wadenbeinzehen; der zweite vertheilt sich an die vier Schienbeinzehen, gleichwie der Speichennerv an die drei Speichenfinger. So ist denn der äussere Kniekehlnerv wie die übrigen, ein aus dem Ellenbogennerven und einem Theil des Speichennerven zusammengesetzter Nerv. Diese Meinung ist auch die von Meckel, welcher den Wadenbein - Saphenus und den äussern Sohlennerv als Analoga des Ellenbogennerven betrachtet. Kurz, keiner der Schenkelnerven repräsentirt vollständig einen ganzen Armnerv; die Nervenfäden, wenn sie die Plexus verlassen, haben sich in einer andern Weise vertheilt, um Nervenstämme zu bil- den. Trotzdem bestehen grosse Achnlichkeiten und das eine Nerven- system ist nur die Wiederholung des andern. Ich will diesen Vergleich nicht weiter verfolgen, da ich Nichts zu sagen wüsste, was nicht schon viel besser in den schon erwähnten Handbüchern gesagt wäre. Allgemeine Folgerungen. Schenkelbein und Oberarmbein. Das Oberarmbein ist ein um seine Achse gedrehter Knochen. Diese 472 Drehung beträgt 180 Grad bei den Land- und Wasser-Säugethieren ; 90 Grad bei den Fledermäusen, Vögeln und Reptilien. Beim Menschen bei und den menschenähnliehen Aften nimmt der Knochenhals nicht Theil an der Drehung des Knochenkörpers. Dieser Hals ist bei den Land- und Wasser-Säugethieren um 90 Grad gedreht. Daraus folgt: bei dem Menschen und den dem Menschen ähnlichen Atten liegen die Achsen des Halses, des Knochenkörpers und der Rolle in derselben Ebene; bei den übrigen Wirbelthieren liegen die Achse des Halses und die des Knochens in einer auf der Rollenachse senkrechten Ebene. Diese Drehung ist virtuell; sie ist niemals mechanisch ausgeführt worden, ebensowenig wie die Umkehrung gewisser Blumenkronen. Um das Oberarmbein mit dem Schenkelbein zu vergleichen, wel- ches letztere ein gerader Knochen ist, muss man das erstere um 180 Grad zurückdrehen:; dadurch allein schon führt man das Brustglied auf seinen Beckengliedtypus zurück. Die Hälse, die condyli beider Knochen haben dieselbe Richtung, Kniescheibe und Ellenbogenfortsatz sind vorn; Schienbein, Speiche, grosse Zeche und Daumen nach innen; Wadenbein, Ellenbogenbein, kleine Zehe und kleiner Finger nach aussen. Schienbein und Wadenbein. Der Schenkelkopf des Schienbeins wird bei den Monodelphen durch die Verwachsung der Oberarmbeinknorren der Speiche und des Ellenbogenbeins gebildet. (Siche Fig. 5.) Die äussere Gelenkfläche des Schienbeins entspricht der des Ellen- bogenbeins, die innere derjenigen der Speiche. Die Kniescheibe, das Homologon des Ellenbogenförtsatzes, ist an dem Kamm des Schienbeins befestigt, welcher das Homologon vom hinteren Kamme des Ellenbogenbeins ist. Das obere Drittel des Wadenbeins wird durch die vordere oder kronenförmige Hälfte des Ellenbogenbeins repräsentirt. Bei einigen Beutelthieren — Beutelwolf, Phascolomys, Phalangista, Dasyurus und Opossum — findet die Verwachsung nicht statt; auch ist die Kniescheibe bei diesen Thieren am Wadenbein befestigt. 473 Bei den Kloakenthieren — Ameisenigel, Ornithorrhynchus — ent- sprechen eine Schienbeinkniescheibe und ein Wadenbein-Oleeranon dem doppelten Oleeranon des Ellenbogenbeins. Bei allen Säugethieren repräsentiren die zwei unteren Dritttheile des Schienbeins den entsprechenden Theil der Speiche, die zwei unteren Dritttheile des Wadenbeins den entsprechenden Theil des Ellenbogen- beins. Das Oleeranon ist ein charakteristischer Fortsatz der Land- und amphibischen Säugethiere; er fehlt fast bei allen ausschliesslich in der Luft oder im Wasser lebenden Säugern. Becken und Schulter. Die menschliche Symmetrie, oder vielmehr die Wiederholung der Skeletttheile mit Beziehung auf eine durch den Nabel gehende, wage- rechte Ebene wird erst einleuchtend, wenn man die beiden Arme längs dem Kopf erhebt. Dann entspricht der Hals dem Schwanz, die Schulter dem Becken, die Brustglieder den Beckengliedern, die Rippen den Einschnitten des graden Muskels u. s. w. Um die Schulter im Becken wiederzufinden, muss man also ein Darmbein mit dem symmetrischen Bilde der Schulter derselben Seite vergleichen, so wie es sich in einem unter die Schulter gehaltenen Spiegel zeigt. Geometrisch heisst das dieses Darmbein der Schulter der entgegengesetzten Seite vergleichen. Der Kamm des Darmbeins entspricht dem Vertebralrand des Schulterblatts, die äussere Darmbeinvertiefung der oberen Vertiefung, die innere der sub scapularis, das Sitzbein dem Schulterhakenfortsatz, das Schambein dem Sehlüsselbein. Der Schulterblattkamm und die Schulterhöhe sind im Becken nicht vorhanden ; sie fehlen gleichfalls am Schulterblatt der Walthiere. Muskeln der Brust- und Bauch-Glieder beim Menschen. Ich unterscheide: 1) die homologen Muskeln, deren zwei Enden sich an homologen Knochenpunkten anheften; 2) die analogen Muskeln, bei denen nur eine, gewöhnlich peripherische Anheftung homolog ist; 3) die Muskeln ohne bis jetzt bekannte Analoga. 474 Da beim Menschen der Kopf des Oberarmbeins nicht an der Dre- hung des Körpers Theil nimmt, so haben die homologen und analogen Muskeln des Beckens und der Schulter dieselbe Lage, Richtung und Verrichtung. Homologe Muskeln: Mittlerer Gesässmuskel und supra- spinatus; kleiner Gesässmuskel und infraspinatus. Analoge Muskeln: Grosser Gesässmuskel und Schulter-Deltoid-Muskel. Am Schenkel hat die Rotation um 180 Grade des Schienbein- knorrens des Schenkelbeins, welcher Speichenellenbogenkopf des Ober- armbeins geworden ist, die Muskeln der vorderen Fläche nach der hinteren gebracht, und umgekehrt. Beispiel: Der Dreiköpfige des Schenkels und der Dreiköpfige des Arms, der kurze Kopf des zwei- köpfigen Schenkelmuskels und der vordere Armmuskel u. s. w. Am Vorderarm erfolgen dieselbenUmkehrungen. Die äusseren Mus- keln des Beins werden innere, die hinteren vordere. Beispiel: Der äussere Zwilling- und vordere Ellenbogen-Muskel, der p@rondo-sus-phalangettien der grossen Zehe und der cubito-sus-phalangettien des Daumens, der kurze, seitliche Wadenbeinmuskel und hintere Ellenbogenmuskel; der Kniekehlmuskel und der rundliche Vorwärtsdreher, u. s. w. Arterien und Nerven. Die Drehung hat gleichfalls die Kniekehlschlagader, welche am obern Glied zur Armschlagader wird, nach vorn geführt: die Ellen- bogenarterie entspricht der Wadenbein-, die Speichenarterie der hintern Schienbein-Arterie. Endlich, wenn man mit Fäden an einem Schenkel- bein (Fig. 17) das Nervensystem des Schenkels vorstellt, nämlieh den Schenkelnerven, den Hüftnerven, den äussern und den innern Kniekehlnerven, und alsdanm dieses Schenkelbein um 180 Grad mit dem Hüftbeinnerven dreht, so kommt das Nervensystem des Arms zum Vorschein (Fig. 18). Der Schenkelnerv, Speichennerv geworden, geht um den Knochen der Streckfläche nach herum; der Hüftnerv und der äussere und innere Kniekehlnerv, welche vordere geworden sind, sind der Ellenbogen- und der Mittel-Nerv. So bestätigen die Muskel-, Arterien- und Nerven - Systeme des Arms und des Vorderarms die Idee einer Drehung des Oberarmbeins, denn 475 Alle sind so angeordnet, wie sie es an einem Schenkelbein sein wür- den, dessen condyli eine Rotationsbewegung um 180 Grad ausgeführt hätten, indem der Kopf unbeweglich in der Pfanne fest bliebe. Die functionellen Anpassungen wären ungenügend, um von den Verschiedenheiten Rechenschaft zu geben, welche wir zwischen den Brust- und Bauch-Gliedern aufgezeigt haben; die Verrichtungen sind das Resultat höherer organischer Gesetze, welche sie beherrschen und bestimmen. 32 476 Fig. I „ ORTE „ Dr Erklärung der Figuren. Unteres oder Beckenglied des Menschen der rechten Seite, von vorn ge- sehen; f, Schenkelbein; b, Hals des Schenkelbeins; a, Schenkelkopf; mm, Schenkelknorren; 1], Kniescheibe; p, Wadenbein; t, Schienbein; d, grosse Zehe; i, kleine Zehe. Oberes oder Brustglied des Menschen, der rechten Seite, von hinten gesehen; h, Oberarmbein; b, Hals des Oberarmbeins; a, Oberarmbeinkopf; o, Oleeranon ; c, Ellenbogenbein; r, Speiche; d, Daumen; ji, kleiner Finger. Oberes Glied des Menschen der linken Seite, von hinten gesehen; m, Nebenkopf. Diese Figur neben die erste gehalten, erklärt die Verglei- chung Vieqg-d’Azyr’s. Oberes Glied des Menschen der rechten Seite von vorn gesehen, die Hand in Pronation. Diese Figur mit der ersten zusammengehalten, er- klärt: den Vergleich des Professor Flourens. » V. Oberes Glied des Menschen der rechten Seite, von hinten gesehen, h das „vi zurückgedrehte Oberarmbein: e, Nebenrolle; f, Nebenknorren; o, das durch- sägte und wie die Kniescheibe vom Schienbein, so vom Ellenbogenbein getrennte Oleeranon; p, hinterer und oberer Theil des durchsägten und mit dem obern Theil der Speiche verbundenen Ellenbogenbeins. Diese beiden verbundenen Theile repräsentiren den Schienbeinkopf. t, Oberarm- beinkopf der Speiche; a, vorderer Theil des Ellenbogenbeins, welcher den obern Theil des Wadenbeins repräsentirt. Diese Figur der ersten gegen- übergestellt, erklärt die Vergleichung des Verfassers. Oberarmbein der rechten Seite des Seehunds (Phoca monachus Gm.) von seiner innern Fläche gesehen; ax, Achse des Halses; d, Deltoidkamm. Oberarmbein der rechten Seite eines jungen Hundes von seiner innern Fläche gesehen; ax, Achse des Halses, der Papierebene parallel, t, Anhef- tungsstelle der Rollenachse senkrecht zur Papierebene; ce, äusserer Höcker, zum vorderen geworden; i, innerer Höcker, zum hinteren geworden. Rechtes Oberarmbein der grünen Eidechse (Zacerta viridis L.) von seiner äusseren Fläche gesehen und drei Mal vergrössert. Oberarmbein der rechten Seite des Adlers, von seiner äusseren Fläche gesehen. » X. Oberarmbein des Menschen der rechten Seite, von vorn gesehen; b, Hals; AHEXT: ax, Halsachse; e, äusserer Höcker ; i, innerer; by, Rollenachse. Beide Achsen sind der Papierebene parallel. Hinteres linkes Glied des Beutelthiers (Didelphis Azarae Temm.): f, Schenkelbein; t, Schienbein ohne Kniescheibenkamm; p, mit dem Schen- kel articulirtes Wadenbein; 1], Wadenbeinkniescheibe. Hinteres Glied vom Phascolomys -Wombat, nach Owen: Principes d’osteologie comparee Tafel 14, Fig. 16: f, Schenkelbein; t, Schienbein ; p, Wadenbein; 1, Kniescheibe; c, Fersenbein. 477 Fig. XIII. Vorderes Glied desselben Beutelthiers; h, Oberarmbein; r, Speiche; ce, Ellenbogenbein; o, Olecranon; p, Erbsenbein. „ XIV. Vorderes linkes Glied von Ornithorrhynchus nach Cuvier; Recherches sur les ossements fossiles. t. V. Tafel 14. Fig. I.: h, Oberarmbein; s, Speiche; c, Ellenbogenbein; o, doppeltes Olecranon; 1, Schienbein-Olecranon ; a, Wadenbein-Olecranon. - » XV. Hinteres linkes Glied desselben Thiers: f, Schenkelbein; t, Schienbein; 1, Schienbeinkniescheibe; p, Wadenbein; o, Oleeranon-Fortsatz des Wadenbeins. „ XVI Schenkel-Waden-Schienbein-Artieulation vom Dasyurus (Dasyurus macrou- rus Et. Geoff.): f, Schenkelbein; t, Schienbein ohne vordern Kamm; p, mit dem Schenkel artieulirtes Wadenbein; 1, Wadenbeinkniescheibe. „ XVII. Menschlicher Schenkel der rechten Seite, von seiner vorderen Fläche ge- sehen; ar, Schenkelnery; tm, Hüftnervenstamm; ms, innerer Kniekehl- Hüftnerv oder Schienbeinnerv; mp, äusserer Kniekehlhüftnerv oder “ Wadenbeinnerv. A - XVII Derselbe Schenkel von seiner hinteren Fläche gesehen, nachdem er eine Rotationsbewegung von 180 Grad beschrieben hat, um die Drehung vor- zustellen, welche ihn zum Oberarmbein verwandelt: a, Lage des Schenkel- kopfes, wenn man den Knochen wirklich gedreht hätte; ar, Speichenerv ; tp, Ellenbogennerv; ts, Mittelnerv. Diese beiden Figuren sollen die Umwandlung des Schenkelsystems in das Arm- nervensystem durch die Drehung erläutern. % Druck der G. D. Brühl’schen Uniy.-Buchdruckerei u. lith. Anstalt in Giessen. Q XXIM. ei Beiträge zur Lehre von der Verdauung. Von Prof. Ernst Brücke !). ERSTE ABTHEILUNG. I. Aufsuchung und Bestimmung des Pepsins. Das Ziel, welches mir vorschwebte als ich meine Versuche über Verdauung begann, heischte zunächst eine Methode, um selbst die kleinsten Mengen von Pepsin mit Sicherheit auffinden zu können. ‘Wenn ich hier von Pepsin spreche, so bitte ich den Leser darunter nieht einen jener nach verschiedenen Methoden dargestellten Körper zu verstehen, welche man bisher mit diesem Namen belegt hat, sondern das seinem Wesen nach unbekannte Agens, welches den Labdrüsen des Magens entstammend in seinen sauren Lösungen die geronnenen Eiweisssubstanzen sowohl im Magen selbst als auch ausserhalb desselben aufzulösen im Stande ist. Nicht alle eiweissartigen Substanzen sind gleich passend, um diese Eigenschaft des Pepsins zu erproben. Aus den Versuchen, die mein zu früh verstorbener junger Freund Knoop Coopmans in meinem Laboratorium angestellt hatte, wusste ich, dass die Eiweisskörper der Pflanzen für meinen Zweck keine Vortheile dar- ’) Aus den Sitzungsberichten der Wiener Akademie der Wissenschaften, vom Herrn Verfasser mitgetheilt. MOLESCHOTT, Untersuchungen, VI. 32 480 boten, ich wendete mich also zu denen der Thiere. Unter diesen schloss ich das rohe und gekochte Muskelfleisch sofort aus. Es ist ein Gemenge von eigentlicher Muskelsubstanz, Bindegewebe, Nerven und Gefässen. Abgesehen davon wirken Säuren und Verdauungsflüssigkeit nicht auf alle Theile der eigentlichen Muskelsubstanz gleicehmässig ein; indem die Zwischensubstanz rascher angegriffen wird 1) als die Disdiaklasten- gruppen 2). Ich schloss ferner das Uasein aus, weil es schon durch die blosse Säure zu bald gelöst wird. Es blieb mir demnach das durch Hitze coagulirte Eiweiss und das Blutfibrin. Von diesen wählte ich zunächst das letztere, weil dadurch die Zeit jedes einzelnen Versuches sehr bedeutend abgekürzt wird. Es ist mehrfach behauptet worden, dass das Blutfibrin schon durch verdünnte Säuren allein gelöst werde, während andere es nur darin aufquelle. Ich muss hier auf diese Frage zurückkommen, weil es sich eben darum handelt, Wirkungen des Pepsins, selbst wenn sie schwach sind, noch von denen der blossen Säure zu unterscheiden. Ich habe sehon früher angeführt 3), dass verdünnte Säuren, mit denen man dureh Schlagen aus dem Blute gewonnenes und wohlgewaschenes Fibrin infundirt, aus demselben einen Eiweisskörper ausziehen; dabei aber behalten die angequollenen Fibrinflocken ihre Gestalt ohne wie ein löslieher Körper, den man in Wasser gelegt hat, an der Ober- fläche abzuschmelzen. So kann man die kleinste Fibrinflocke geraume Zeit in einem Meer von verdünnter Säure liegen lassen, ‚che man in ihrem Ansehen eine Veränderung wahrnimmt. Erst später tritt ein Zerfallen des Fibrins ein, in Folge dessen es sich in der Säure ver- theilt. Dieser Verflüssigungsprocess verläuft dann ziemlich rasch, und zwar wenn viel Fibrin in der Flüssigkeit liegt nicht langsamer, son- dern eher schneller, als wenn nur einzelne Flocken eingelegt waren. Er erscheint danach mehr als die Wirkung secundärer Zersetzung, ') Rollet, Untersuchungen zur näheren Kenntniss des Baues der quergestreiften Muskelfasern; diese Zeitschrift, Bd. VI. 2) E. Brücke, Untersuchungen über den Bau der Muskelfasern mit Hülfe des polarisirten Lichtes angestellt. Denkschriften Bd. XV. 3) Ursache der Gerinnung des Blutes im „British and foreign med. and ehir. quart. rev. Januar 1857.“ — Archiv für pathologische Anatomie, herausgegeben von R. Virchow. Bd. XII. 481 denn als direete Auflösung des Fibrins durch die Säure. Oft wird reichliehe Pilzbildung dabei beobachtet; doch muss ich hinzufügen, dass bei einer Temperatur von 35—38 Grad Üels. die Auflösung viel schneller und ohne Pilzbildung von Statten geht. Bei Anwendung von Salzsäure, deren ich mich bei allen in diesem und dem folgenden Abschnitte beschriebenen Versuchen bedient habe, tritt diese Auflösung bei der Zimmerwärme von 18 bis 20 Grad stets erst nach mehreren Tagen, oft erst nach mehreren Wochen ein und die Geschwindigkeit, mit der selbst kleine Pepsinmengen bei dem rich- tigen Säuregrade das Fibrin auflösen, ist so gross, dass von einer Ver- wechslung mit der blossen Säurewirkung nie die Rede sein kann. Ueberdies habe ich bei allen meinen Versuchen Controleversuche ein- gerichtet, bei denen Fibrin der Einwirkung von Wasser mit einem dem der Pepsinlösung gleichen Salzsäuregehalte ausgesetzt war. Das Fibrin, dessen ich mich bei allen Versuchen bediente, war durch Schlagen von Ochsenblut gewonnen. Die nächste Frage, welche ich mir zu stellen hatte, war die: Welches ist der für die künstliche Verdauung von Fibrin günstigste Säuregrad? Die Angaben früherer Beobachter gingen ziemlich weit aus einander, so dass es nöthig war neue Versuche darüber anzustellen. Ich ermittelte zunächst den Ge- halt einer bestimmten verdünnten Salzsäure durch Fällen mit salpeter- saurem Silberoxyd und Wägen des geschmolzenen Chlorsilbers. Dann mischte ich aus dieser und destillirtem Wasser mittelst Masseylindern und Büretten die Säuren wie ich sie zu meinen Versuchen gebrauchte. Ich werde als Säuregehalt das Gewicht des Chlorwasserstoffes, der in einem Litre Flüssigkeit enthalten war, ausnahmslos in Grammen an- geben. Ich nenne also Flüssigkeit vom Säuregrad 1 solche, welche 1 Gramm CH im Litre enthält, Flüssigkeit vom Säuregrad 2 solche, die 2 Gramm ClH im Litre enthält ete. Die Versuche sind, wo keine besondere Temperaturangabe gemacht ist, in einem den Tag über auf 18—20 Grad Cels. geheizten Zimmer angestellt. Es lag mir daran, erst eine Uebersicht im Grossen und Ganzen über den Einfluss zu haben, den der Säuregrad auf die Verdauungs- zeit ausübt, und ich stellte deshalb zuerst 8 Reagirgläser mit je 20 Kubikeentimeter Verdauungs-Flüssigkeit auf, in deren jedes ich eine 32* 482 Fibrinflocke gelegt hatte. Sie hatten alle gleichen Pepsingehalt aber der Säuregehalt stieg von 1—8 um je 1:15 Gr. CIH im Litre. Die folgende Tabelle stellt die Versuchsreihe übersichtlich dar: Nummer Verdauungszeit des Glases. Sanre-Gehalt. in Stunden. 1:15 2:30 3:45 4-60 575 6:90 8:05 9:20 1 2 3 4 5 6 7 8 Das achte Glas hatte am Abende 14 Stunden nach Beginn des Versuches noch einen kleinen Rest, am anderen Morgen war aber auch dieser verschwunden. Daneben hatten 8 Controlegläser mit denselben Säuregraden aber ohne Pepsin gestanden. In keinem war die Fibrin- flocke gelöst, aber um so stärker aufgequollen, je schwächer die Säure war. Ich stellte nun eine zweite ganz ähnliche Versuchsreihe mit Pep- sinlösungen von noch höheren Säuregraden zusammen, welche die fol- gende Tabelle ersichtlich macht: Nr. des Glases Säuregehalt 1 Aa, ren gl 10:35 11:50 12:65 13:80 14:95 16.10 17:25. oa [how Am 483 Von diesen Gläsern hatte Nr. 1 nach Nr. 18, Nr.2 nach 24 Stun- den verdaut. Nach 41 Stunden fand ich Nr.3 und Nr. 4 verdaut, nach 120 Stunden Nr. 5. Obgleich 6, 7 und 8 noch nach 120 Stunden, ja selbst nach 8 Tagen nicht verdaut hatten, so war doch ihr Säure- grad nur ein solcher, dass er die Wirkung des Pepsins in hohem Grade hemmte, nicht auf die Dauer vernichtete, denn ich habe käufliches Pepsin mit Salzsäure infundirt, welche 0:0224 Gr. CIH im Litre ent- hielt und dann durch Verdünnen der abfiltrirten klaren Flüssigkeit mit dem 29fachen Volum Wasser noch eine gut verdauende Flüssigkeit erhalten, wenn ich es aber mit Salzsäure von 0'224 Gr. CIH im Litre infundirte, so zeigte die mit dem 299fachen ihres Volums Wasser ver- dünnte Flüssigkeit keine Spur von Verdauungsvermögen. Von den acht Controlegläsern zeigte keines sein Fibrin gelöst und es war um so weniger aufgequollen und durchscheinend, je höher der Säurege- halt war. Ich richtete hierauf ganz nach Art der zwei vorherbeschriebenen noch zwei neue Versuchsreihen ein. Die erste derselben stellt sich in folgender Tabelle dar: Nr. des Glases Säuregrad 0:22 0:44 0:86 1:66 2:04 2:90 SR, a a STD Von diesen acht Gläsern hatte Nr. 3 zuerst verdaut, dann Nr. 2, DAS U PpPUOD. 4 und 5, dann 6 und 7, dann 8 und 1. Von den acht Öontrolegläsern, die nur bis zu denselben Graden angesäuertes Wasser enthielten, zeigte Nr. 8 seine Fibrinflocke am wenigsten aufgequollen, am stärksten 3, 2 und 1, aber bei dem letzten war das Aufquellen viel langsamer von Statten gegangen als bei den übrigen. Die zweite der erwähnten Versuchsreihen stellt sich in der folgen- den Tabelle dar: 484 Nr. des Glases Säuregrad 0:23 0-45 0:76 0:88 1:30 1:70 sel une, ae Bin a dann a 2 vie Am schnellsten verdaute Nr. 4, dann 3, dann 2, dann 5, dann die übrigen und zwar zeigte 8 den letzten Rückstand. In den Con- trolegläsern quollen die Fibrinflocken am stärksten auf in Nr. 1, 2, 3 und 4, aber in 1 viel langsamer als in den übrigen. Von 5 bis 8 nahm die Quellung mit dem steigenden Säuregehalte ab. Diese beiden Versuchsreihen zeigten also die schnellste Verdauung bei Säuregraden von 0:86 und 0:88 Gramm im Litre, bei einer Steige- rung auf 1, 3 nahm die Geschwindigkeit schon ab. Beim Sinken des Säuregrades nahm sie anfangs langsam ab bis 0'44 und 045. Bei einem Säuregrade von nur 0:22 und 0'23 Gramm. CIH im Litre war die Verdauung schon bedeutend in die Länge gezogen. Es zeigte sich ferner, dass da am raschesten verdaut wurde, wo das Fibrin am stärksten aufquoll und der Quellungsprocess zugleich noch rasch von Statten ging, bei zu niederen Säuregraden erfolgte die Quellung zu langsam, bei zu hohen war sie weniger stark. Schon Theodor Schwann fand bei seinen Untersuchungen, dass eine Verdauungsmischung, wenn man ihren Säuregehalt mittelst kohlen- sauren Natrons prüfte, zu Ende der Verdauung nicht mehr und nicht weniger Säure ausweise, als zu Anfang, dass es aber doch, wenn viel 1ouPpPo0v-— Eiweiss gelöst werden soll, gut ist, während des Versuchs nachzusäuern, weil sich die Verdauung nach einiger Zeit verlangsamt oder stille steht, aber durch Nachsäuern wieder angeregt werden kann. Man erklärt dies so, dass das gebildete Verdauungsprodukt einen Theil der Säure für sich in Anspruch nimmt, gewissermassen beschäftigt, und dadurch für die weitere Verdauung unwirksam macht. Ohne auf diese Erklä- rung weiter einzugehen schöpfen wir aus der jetzt jedem, der sich mit * - 485 Verdauungsversuchen beschäftigt hat, bekannten Thatsache, zunächst die Lehre, dass es gut sein wird für empfindliche Pepsinproben stets im Verhältniss zur Flüssigkeitsmenge nur schr kleine Fibrinmengen anzuwenden, damit nicht das Verdauungsprodukt selbst störend auf den weiteren Gang der Verdauung einwirke. Auch lösliches Eiweiss, das noch nicht der Einwirkung einer Verdauungsflüssigkeit ausgesetzt war, heischt eine Erhöhung des Säuregrades. Ich neutralisirte mit Wasser verdünntes Hühnereiweiss und fügte dann noch so viel Säure hinzu, dass die Menge des freien CIH ein Gr. im Litre betrug. Dies mischte ich dann zu gleichen Theilen mit einer Pepsinlösung, deren Säuregrad ebenfalls — 1 war, und füllte von der Mischung je 10 Kubikeentimeter in zwei Reagirgläser A und B. Dann mischte ich dieselbe Pepsinlösung zu gleichen Theilen mit verdünnter Salzsäure von dem Säuregrad — 1, und füllte auch von dieser Mischung je 10 Kubikeentimeter in zwei Reagirgläser (und D. Dann legte ich in alle Fibrinflocken. In € und D quollen sie sofort auf, in A und B aber nicht. Ich säuerte nun B vorsichtig so lange nach bis die Fibrin- flocke darin aufquoll. Die Menge der verbrauchten titrirten Säure zeigte, dass ich den Säuregrad auf 2:28 gebracht hatte. Bis auf den- selben Grad erhöhte ich nun auch die Säure von D und beobachtete dann den Gang der Verdauung. ( verdaute am schnellsten, dann, aber viel später, D, dann B. In A quoll das Fibrin nicht auf und zeigte noch keinerlei Veränderung, als es in B schon verdaut war. Man kann sich überhaupt zur Regel machen, wenn die Fibrin- flocke in der zu prüfenden Flüssigkeit bei einem Säuregrade —= 1 ganz unverändert und undurchsichtig bleibt, vorsichtig nachzusäuern, bis auf der Oberfläche und an den Kanten eine durchscheinende Schicht ent- steht, denn so lange diese nicht sichtbar ist, hat man auf keine, oder doch eine unverhältnissmässig langsame Verdauung zu rechnen. Ein zweites Beispiel bietet die folgende Doppelreihe. Die mit 1, 2, 3, 4 und I, II, III, IV bezeichneten Flüssigkeiten correspondirten in Rücksicht auf Pepsinmengen und Säuregrade vollkommen, aber in den mit deutschen Ziffern bezeichneten war etwas lösliches Eiweiss zu- gegen, in den mit römischen Ziffern bezeichneten nicht. 486 A. Nr. des Glases Säuregrad Ammee u Ee _ .n., 047 ci. EB, . 2 0:30 BEE ea 2 love 2 a N B. I 0:47 I 0:90 Ile a a a TA IV 3:23. Am frühesten hatte II verdaut, dann III, dann 3 und I, dann IV und 2, dann 4. 4 verdaute gar nicht. Von den Versuchen ohne Eiweiss hatte also der vom Säuregrad 0'9 am schnellsten verdaut, von den Versuchen mit Eiweiss der vom Säuregrad 1'74. Ebenso gut als dieser hatte bei den Versuchen ohne Eiweiss der Säuregrad 0'47 verdaut, bei den Versuchen mit Eiweiss hatte aber der Säuregrad 0'47 gar nicht verdaut. Als ich den Einfluss solcher Beimischungen näher kennen gelernt hatte, stieg in mir der Verdacht auf, dass durch die oben mitgetheilten vier Versuchsreihen vielleicht der Säuregrad für die möglichst schnelle Verdauung von Ochsenblutfibrin nicht richtig beziffert worden sei. Sie waren mit dem neutralen wässerigen Auszuge eines Präparates ange- stellt, das ich von Herrn Dr. Stefan erhalten hatte, der es im Grossen durch Auspressen des Labdrüsensaftes und Eintrocknen bei einer Tem- peratur unter 40 Grad C. darstellte. Jenen wässerigen Auszug hatte ich in bestimmten Verhältnissen mit Wasser und verdünnter Chlorwasserstoffsäure gemischt und so Verdauungsflüssigkeiten von verschiedenen Säuregraden erzielt. Die anderweitigen Bestandtheile des ausgepressten Saftes konnten also stö- rend eingewirkt haben; ich konnte als den besten einen höheren Säure- grad gefunden haben, als ihn mir eine reinere Pepsinlösung gegeben haben würde. Dem war indessen nicht so. Ich habe geraume Zeit nachher ein Verfahren kennen gelernt, durch das ich mir mit Leichtigkeit und in d 487 - beliebiger Menge eine Pepsinlösung darstellen konnte, so rein wie sie nur jemals erhalten sein mag. Mit dieser wiederholte ich die Versuche, indem ich folgende Reihe zusammenstellte. Nr. des Glases Säuregrad 1:0 0.9 0:8 07 RE REN 7 a HD (DRE RNR URER F. 0 Es EYSIRBRTLO HET $swvm 4 und 2 verdauten am schnellsten, dann folgten der Reihe nach und ziemlich schnell 3, 4 und 5, zuletzt 6. Man findet also in der That, dass eine Menge von 08 bis 1 Gramm freie CIH im Litre für die Blutfibrinverdauung am günstigsten ist, dass sich dies aber gleich bei jenen ersten Versuchen deutlich gezeigt hatte, lag daran, dass ich bei ihnen nur einen schr verdünnten Auszug des oben erwähnten Prä- parats angewendet hatt. Nahm ich denselben concentrirter, so. fiel der passendste Säuregrad höher aus, und als ich sie sehr concentrirt genommen hatte, musste ich eine Verdauungsflüssigkeit von Säuregrad — 1 nachsäuern, um sie überhaupt zur Action zu bringen. Der oben für möglichst reine Pepsinlösung ermittelte Säuregrad gilt deshalb auch keineswegs für natürlichen Magensaft, wie er etwa durch eine Magen- fistel gewonnen wird; dieser kann je nach seiner Zusammensetzung und Concentration einen bedeutend höheren erheischen. Ausserdem wiederhole ich, dass alle diese Versuche (so wie die später mitzutheilenden analogen auf das geronnene Hühnereiweiss be- züglichen) in der Temperatur eines den Tag über auf 18—20 Grad Celsius geheizten Zimmers angestellt sind, so dass ihre für einen ganz speciellen Zweck gewonnenen Resultate nicht ohne weiteres auf die höhere Temperatur des menschlichen Körpers übertragen werden dürfen. Nicht weniger als den Säuregrad muss man bei Pepsinproben, bei denen man Blutfibrin, wenn ich mich so ausdrücken darf, als Reagens anwendet, auf den Cohäsionszustand desselben achten. Man muss die harten Klumpen vermeiden, die sich darin finden, weil sie schlecht auf- 488 quellen und nur weiche und dünne Flocken hineinlegen. Man muss ferner dafür sorgen, dass das Fibrin nicht mechanisch am Aufquellen gehindert sei, weil dies die Verdauung sehr verzögert. Ich hatte ein Bündel Fibrinfloeken mittelst eines Seidenfadens nach Art einer Garbe zusammengebunden und in Verdauungsflüssigkeit gehängt. ‘Der frei aufquellende Theil wurde rasch verdaut, dann hing aber noch geraume Zeit in der Schlinge eine Kugel halb aufgequollenen Fibrins, das sich nur langsam löste. Ein anderes Mal hatte ich Fibrin eng in einen Beutel von Canevas eingeschlossen und dann in Verdauungsflüssigkeit gehängt; es quoll zwischen den Füäden hervor und wurde dann ge- löst, aber der im Beutel zurückbleibende und noch im Quellen behin- derte Rest widerstand hartnäckig, so dass zuletzt auf der Oberfläche Pilzbildung eingetreten war. Anderes Fibrin, welches gleichzeitig in derselben Verdauungsflüssigkeit lose in einem Canevasbeutel lag, hatte sich rasch gelöst. Man hat oft Gelegenheit zu beobachten, dass Flocken, die an der Oberfläche schwimmen, langsamer verdaut werden, als solche, die am Boden liegen, und könnte deshalb glauben, dass die Verdauung in den tieferen Schichten energischer von Statten gehe, als in den oberen, vielleicht weil sich bei der Verdauung wirksame, unsichtbare kleine Theilchen als speeifisch schwerer herabsenkten. Das ist aber nicht der Fall. Ich habe in einem 2 Fuss hohen Cylinder Fibrinfloeken in ver- schiedenen Höhen aufgehängt, sie wurden alle gleich schnell verdaut. Die Fibrinflocken, welche an die Oberfläche steigen, thun dies, weil ihnen Gas adhärirt, und das ist auch der Grund, weshalb sie lang- samer verdaut werden. Endlich bleibt es uns noch übrig, den Einfluss zu untersuchen, den die Menge des Pepsins ausübt, welche in einem bestimmten Volum Verdauungsflüssigkeit enthalten ist. Diese lässt sich zwar vor der Hand nicht absolut aber doch relativ bestimmen. Man mischt aus Büretten eine Pepsinlösung von Säuregehalt = 1 mit bis zu demselben Grade angesäuertem Wasser und stellt sich so Verdauungsflüssigkeiten dar, deren Pepsinmengen sich unter einander verhalten wie az, bx, ex etc. 489 Eine solche Reihe ist die folgende: Nr. des Glases Pepsingehalt . 16x . 32x. oa DD — > Ss Nr. 7 hatte in weniger als 1'/, Stunden verdaut, 6 in 3 Stunden und 5 in 3!/, Stunden, 4 in 7 Stunden; 3 hatte zu dieser Zeit noch einen Rest, 2 einen grösseren. Ich sah dann die Gläser erst 13 Stun- den später, also 20 Stunden nach Beginn des Versuches wieder. Jetzt hatten auch 3 und 2 vollständig verdaut, 1 aber natürlich nicht, da es kein Pepsin, sondern nur Säure enthielt. Eine andere Versuchsreihe war folgende: Nr. des Glases Pepsingehalt ER a EA Le: BUSH Bin Art ARE. 5 £ ara ae), (77:7 Als ich den Versuch nach Verlauf von einer Stunde wieder sah, hatten 4 und 5 bereits vollständig verdaut. Im Verlaufe der zweiten Stunde beendete auch 3 seine Verdauung, nach Ablauf von drei Stun- den war auch die Fibrinflocke in 2 vollständig gelöst, aber 1 hatte noch einen ziemlich beträchtlichen Rest. In diesen Versuchsreihen ist also der Einfluss, der in einem gege- benen Volum Flüssigkeit enthaltenen Menge von Pepsin, sehr auffällig, es giebt aber eine obere Grenze, an der er sich verwischt. Bei Pepsin- lösungen, welche ihre Fibrinfloeken in einer Temperatur von 180 bis 20°C. binnen weniger als 30 Minuten verdauen, ist der Zeitunterschied selbst bei beträchtlicher Verschiedenheit des Pepsingehaltes so gering, 490 dass man die Fibrinflocken kaum gleichmässig genug aussuchen kann, um ihn deutlich hervortreten zu lassen. Dies zeigte sich z. B. bei der folgenden Doppelreihe von Versu- chen, bei denen die der ersten Reihe mit denen der zweiten, so weit es in der Macht des Experimentators lag, an Pepsin und Säuregehalt vollkommen gleich zugerichtet waren und auch bei derselben Tempera- tur angestellt wurden, so dass der Unterschied nur in dem verschie- denen‘ Widerstande der einzelnen Fibrinfloeken gesucht werden kann. Erste Reihe. Nr. des Glases Pepsingehalt Verdauungszeit in Minuten len er SEN 2 N act‘ 3 er 4 END RR" RS REREE IN ZU: Zweite Reihe. Vi here er Fe: abi En Bin an ee reearen ndanseincten\ 20 ES De NENNEN NER 27 ER PRIRLEER | TR 5 F ES f BE rat ee tt Pepsinlösungen, die mit viel fremdartigen Substanzen, Eiweiss- körpern, Salzen ete. geschwängert sind, verdauen oft im concentrirten Zustande ihr Fibrin entschieden langsamer als im verdünnten, weil trotz zweckmässigem Nachsäuerns die relative Menge der fremdartigen Substanzen mehr hindert, als die relative Menge des Pepsins beschleu- nigt. Es erklärt sich hieraus eine Beobachtung von Sehwann, welche er in Müller’s Archiv Jahrgang 1836 auf Seite 100 beschreibt. Er fand bei einer Versuchsreihe, in der er seine Verdauungsflüssigkeit in verschiedenen Graden mit Wasser von demselben Säuregrade vermischte, dass die ursprüngliche Flüssigkeit nicht besser verdaute als das Gemisch, welches nur ein Procent davon enthielt, ja langsamer als die Gemische, die 4 und 8 Procent davon enthielten. Die Pepsinprobe mittelst Fibrin. Hat man irgend einen festen Körper, sei es ein Organ, von dem man vermuthet, dass es eine Verdauungsdrüse sein könne, sei es ein 491 künstliches Präparat, das auf seinen Gehalt an Pepsin untersucht wer- den soll, so übergiesst man dasselbe, nachdem es mechanisch hinrei- chend zerkleinert ist, mit destillirtem Wasser, lässt es damit unter öfterem Umrühren einige Zeit stehen und filtrirt. Ist das Filtrat alka- lisch, so sättigt man mit verdünnter Chlorwasserstoffsäure und fügt dann davon zur neutralen Flüssigkeit noch so viel hinzu, dass sie im Litre ein Gramm freies CIH enthält, wirft eine Fibrinflocke hinein und wartet, wenn dieselbe alsobald aufquillt, den Erfolg ab; quillt sie nicht auf, so setzt man tropfenweise und in Pausen verdünnte Chlorwasserstoffsäure hinzu, bis die Kanten und freien Fäserchen der Flocken durchscheinend werden, ein Zeichen, dass nun das Aufquellen beginnt. War das Filtrat von vornherein sauer, so wirft man die Fibrin- flocke hinein und beobachtet, ob sie aufquillt. Geschieht dies, wie es in der Regel der Fall sein. wird, nicht, so säuert man in der oben be- schriebenen vorsichtigen Weise bis zum beginnenden Aufquellen nach und beobachtet nun bei gewöhnlicher Zimmertemperatur den Gang der Verdauung. Das was auf dem Filtrum zurückgeblieben war, schüttet man in ein Becherglas und übergiesst es mit Salzsäure vom Säuregrad — 1 (d.h. 1 Gramm CIH im Litre); damit lässt man es 24 Stunden unter öfterem Umrühren stehen oder digerirt es 11/, bis 2 Stunden in einer Temperatur von 35 bis 40%, dann filtrirt man und verfährt mit dem Filtrat ganz wie oben mit dem bis zum Säuregrad — 1 angesäuerten wässerigen Auszuge. Die suceessive Prüfung des wässerigen und des salzsauren Aus- zuges schreibe ich deswegen vor, weil es, wie wir in der Folge schen werden, oftmals wesentlich ist, zu unterscheiden zwischen Pepsin, das bereits ausserhalb der Secretionszellen der Labdrüsen und in Wasser leicht löslich ist, und solehem, das sich noch in jenen Zellen befindet und durch Wasser oft schwer, durch verdünnte Chlorwasserstoffsäure aber leichter ausgezogen wird. In Fällen, in denen zugleich lösliche Eiweisskörper in einiger Menge zugegen sind, hat es überdies den Vortheil, dass dieselben mit dem Wasserextracte grösstentheils entfernt werden. 492 Wo solche Rücksichten nicht in das Gewicht fallen, kann man das zerkleinerte Objeet sofort mit verdünnter Salzsäure vom Säuregrad 1 übergiessen, ja kleine Gegenstände, z. B. Speicheldrüsen von Insek- ten (vergl. S. Basch das chylopoetische und uropoetische System der Blatta orientalis. Diese Zeitschrift Bd. VI, S. 375) kann man gleich mit der Fibrinflocke in die verdünnte Salzsäure legen und den Erfolg abwarten. Ist das zu untersuchende Object eine Flüssigkeit, z. B. aus einer Fistelöffnung ausfliessendes Secret, so filtrirt man es und verfährt dann ganz so wie es oben für den wässerigen Auszug vorgeschrieben ist. Den vom Filtrum genommenen Rückstand übergiesst man mit Salzsäure vom Säuregrad — 1, um auch seine verdauenden Eigenschaften in der früher beschriebenen Weise zu untersuchen. Nach den Erfahrungen, welche mehrere Beobachter über den Panereassaft und seine Fähigkeit in schwachsaurem Zustande geronnene Eiweisskörper zu lösen gemacht haben, würde man die wirksame Sub- stanz desselben bei dieser Probe mit dem Pepsin verwechseln können; aber in den meisten Fällen, in denen man die Probe anstellt, wird dies von keiner praktischen Bedeutung sein. Es geschieht dies wesentlich in zwei Fällen: 1. Man hat mit den Labdrüsen oder einer daraus gewonnenen Flüssigkeit irgend eine Procedur vorgenommen und will wissen, ob man nach derselben ein Produet vor sich hat, welches das Pepsin noch als wirksame Substanz enthält. Hier kann von einer Verwechslung der wirksamen Substanz des Pancreassaftes mit dem Pepsin natürlich keine Rede sein. 2. Man will bei einem wirbellosen Thiere die Function irgend einer Drüse untersuchen, welche ihren Inhalt in den Traetus intestinalis er- giesst; d. h. man will wissen, ob ihr Seeret im Stande ist, geronnene Proteinsubstanzen aufzulösen oder nicht. Dieser Zweck wird offenbar erreicht. Giebt die Probe ein positives Resultat und kommt das Drüsen- seeret mit der thierischen Nahrung unter saurer Reaction in Berührung, so können wir sicher sagen, dass die Drüse eine Verdauungdrüse sei, eine nähere Bezeichnung ist aber unstatthaft, weil die anatomischen Analogien des Wirbelthiertypus bei den Wirbellosen nicht mehr gel- 493 tend gemacht werden dürfen, und weil wir nicht wissen, in wie weit ihre Verdauungssäfte mit denen der Säugethiere und des Menschen chemisch übereinstimmen. Die Frage, die uns hier die Probe beant- wortet, ist also von vornherein keine andere, als die, ob etwa das Drüsenseeret Pepsin oder auch eine andere Substanz, die unter ähn- lichen Bedingungen wie das Pepsin verdaut, enthalte, und diese Frage wird sicher und unzweideutig beantwortet. Die Pepsinprobe mittelst Eiweiss. Da Eiweiss in der Regel schneller und leichter zu beschaffen ist als Blutfibrin, so mag es wünschenswerth sein, auch das erstere als Reagens auf Pepsin kennen zu lernen. Die Eiweissprobe liefert aber viel später als die Fibrinprobe ein Resultat, und hat vor ihr, wo es sich nur um qualitative Bestimmung handelt, keinerlei Vorzüge. Es wird bekanntlich von einigen angegeben, dass durch Hitze coagulirtes Eiweiss in verdünnten Säuren ganz unlöslich sei, während andere an- geben, dass es sich langsam darin löse. Uns interessivt hier zunächst nur sein Verhalten zur verdünnten Chlorwasserstoffsäure. In dieser kann man Scheiben des Weissen von hartgekochten Hühnereiern sehr lange Zeit ohne Veränderung ihres Aussehens aufbewahren, aber von dem Niederschlage, den man dureh Erhitzen des mit Wasser verdünnten Hühnereiweisses erhält, löst sie bald einen Theil auf, und in je nach dem Säuregrade und der Temperatur kürzerer oder längerer Zeit zer- fallen die Flöckehen und bilden mit der Säure eine trübe Flüssigkeit. Auf den Zustand, in dem das Eiweiss in derselben enthalten ist, werde ich in einer anderen Abtheilung dieser Beiträge näher eingehen. Hier will ich nur erwähnen, dass dies Zerfallen mit dem Gehalt an freiem Alkali zusammenhängt, der sich in allem Hühnereiweiss findet. Des- halb und weil die Ungleichheit jenes Alkaligehaltes eine genaue Be- messung des Säuregrades hindert, stelle man das geronnene Eiweiss, das zur Pepsinprobe dienen soll, folgendermassen dar. Man setze zu mit Wasser verdünntem Hühnereiweiss so viel Essigsäure, dass es blaues Laeckmuspapier violet, aber nieht sofort roth fürbt, dann filtrire man von dem entstandenen Niederschlage ab, untersuche die Reaction des Filtrats noch einmal und eorrigire sie wenn es nothwendig ist. Dann 494 coagulire man im Wasserbade, und wasche den so erhaltenen Nieder- schlag mit destillirtem Wasser aus. So dargestelltes Eiweiss erhält sich in verdünnter Uhlorwasserstoffsäure so lange, dass die blosse Säurewirkung zu keinerlei Irrthum bei der Pepsinprobe Veranlassung geben kann. Ich gehe nun zu den Versuchen über, welche ich angestellt habe, um den passenden Säuregrad zu ermitteln. Erste Reihe. Nr. des Glases Säuregrad 0:80 Bee 010) | . 64 . 12:82 . 20:04 oupuwde. Zweite Reihe. IE ES SALE.) ARE EEE 0) BELI-3 u Ser eur, 1 TE Va Ange en nat an u 6: Ve ar een 10,80 NS e Eu - 20:04. Beide Reihen waren in Rücksicht auf den Pepsingehalt völlig gleich, aber die erste verdaute allgemein langsamer, weil zu ihr Schnitte des 'Weissen von einem hartgekochten Ei verwendet wurden, die eine grössere zusammenhängende Masse darboten, während zur zweiten Coagulations- flocken von neutralisirter und durch Hitze eoagulirter Eiweisslösung dienten. Am schnellsten verdaute II, dann I, dann LI, dagegen ver- daute in der ersten Reihe zuerst 2, dann 3, dann 1, und zwar wenig schneller als 4. Die übrigen Gläser beider Reihen verdauten um so langsamer, je mehr Säure sie enthielten. Die erste Reihe brauchte also etwas mehr Säure als die zweite, was daher rührte, dass für sie Biweiss benutzt war, dessen freies Alkali ich nicht vorher neutralisirt hatte. 495 Ich riehtete ferner folgende Versuchsreihe ein: Nr. des Glases Säuregrad an te PUT ae u TE 1120] 1:20 1:60 2:00 2.40 . 281 le valeiniktr rt Siltanue keys. ng tr Hier verdaute zuerst 2 dann 3, dann 14 und 4 ohne schr bedeu- tenden Unterschied, dann 5 schon beträchtlich langsamer; die übrigen mit wachsendem Säurezusatz immer langsamer. Der Versuch war wie- der mit Coagulationsfloeken von neutralisirtem Eiweiss angestellt, für diese also finden wir den passenden Säuregrad etwa zwischen 1:2 und 1-6 Grammen ClH im Litre, mithin etwas höher als beim Fibrin. Dass beim Fibrin ein geringerer Säuregrad (0:8 bis 1 Gramm im Litre) rascher verdaut, mag darin seinen Grund haben, dass der Grad der Quellung, der hier so wesentlich auf die Abkürzung der Verdauungs- zeit einwirkt, allmälig abnimmt, wenn man den Säuregehalt von 1 Gramm CIH im Litre überschritten hat. Bei der letzten Versuchsreihe waren 8 Gegenversuche mit blosser Säure den Graden der Verdauungsflüssigkeit entsprechend aufgestellt worden. In ihnen war das Eiweiss noch nach 23 Tagen nicht gelöst. Nur die Flüssigkeit von I, d. h. die mit dem schwächsten Säuregrad (0:8), in der sich auch Pilze gebildet hatten, wurde von Blutlaugensalz getrübt, in dem übrigen brachte nur Tannin eine leichte Trübung hervor. Io VVPWMD Man sieht also, dass auch bei der Pepsinprobe mittelst Eiweiss eine Verwechslung mit der blossen Säurewirkung nicht zu befürchten. Uebrigens verfährt man bei ihr, abgesehen von der Darstellung der Eiweissflocken und dem veränderten Säuregrade, ganz wie bei der Probe mittelst Fibrin. Die quantitative Bestimmung des Pepsins Da das Pepsin niemals rein dargestellt worden ist, so kann es sich natürlich nicht darum handeln, absolute Quantitäten desselben zu be- MOLESCHOTT, Untersuchungen. VI, 33 496 stimmen, sondern nur um Bestimmung relativer Mengen, um ein Ver- fahren, durch das man z. B. ermitteln kann, von zwei gegebenen Flüssig- keiten enthalte eine etwa zwei-, drei-, viermal ete. so viel Pepsin als die andere enthält. Ich sage Lösungen, denn nur das gelöste oder doch leicht lösliche Pepsin lässt sich ohne weiteres quantitativ bestim- men, das noch in den Labzellen abgelagerte ist so schwer vollständig zu extrahiren, dass es nur durch ganze Versuchsreihen und auch dann nur ziemlich ungenau bestimmt werden könnte. Mein Verfahren besteht einfach darin, die Menge des Pepsins aus der Grösse seiner Wirkung zu messen. Es seien zwei Flüssigkeiten gegeben, die ich vergleichend untersuchen soll, so bringe ich sie zu- nächst auf den Säuregrad — 1, fülle jede in eine Bürette und messe von jeder nach einander in verschiedene Reagirgläser 16; 8; 4; 2; 1; 0:5; 0:25 Kubikcentimeter ab; dann giesse ich in dieselben Reagir- gläser noch so viel Salzsäure vom Säuregrad — 1, dass jedes gerade 16 Kubikeentimeter Flüssigkeit enthält und werfe in alle möglichst gleichmässig ausgewählte Fibrinflocken. Ich habe dann eine Versuchs- reihe, die sich in folgender Weise tabellarisch darstellen lässt: Glas pP en vom Wasser vom Säuregrad = 1 Säuregrad = Aun Bas tor 0. 4 .12 D. 14 E. a“ .15 il 0-5 ul | Gr a = äig . 1575 I. a 16. 0) b So 8 x Cränn 12 Wed el 14 el oh re en Er lee OT Tin: 15:5 RINDE Ar 497 Es soll nun die Flüssigkeit Il z. B. viermal so viel Pepsin ent- halten haben wie die Flüssigkeit I, so wird e mit A, d mit B, e mit © f mit D und g mit E bei der Verdauung gleichen Schritt halten und dies wird auf das relative Verhältniss des Pepsingehaltes in beiden Flüssigkeiten schliessen lassen. Man wird indessen oft bemerken, dass zwischen den Angaben der einzelnen Gläser die Uebereinstimmung mangelt, dass z. B. e mit B oder gar a mit A gleichen Schritt hält, während in derselben Versuchsreihe f und D und g und E ziemlich gleich schnell verdauen. In solchen Fällen sind es stets die verdünnteren Lösungen, nach denen man den relativen Pepsingehalt abschätzen muss und zwar aus mehreren Gründen. Erstens nehmen bei verdünnten Lö- sungen mit abnehmendem Pepsingehalte die Verdauungszeiten rascher zu als dies bei concentrirten der Fall ist; ja wir haben oben gesehen, dass bei unreinen Pepsinlösungen die concentrirtere Flüssigkeit oft viel schlechter verdaut als die verdünntere. Zweitens ist der Säuregrad sicher für die verdünnten Lösungen passend, für die concentrirteren aber vielleicht unpassend. Vielleicht enthält die eine Flüssigkeit noch einen Eiweisskörper und verlangt des- halb in den concentrirten Mischungen einen höheren Säuregrad und doch darf man nicht nachsäuern, weil sonst die Vergleichbarkeit der Versuche aufhören würde; Ich verweise hierüber auf das, was im ersten Abschnitte über den Einfluss, den verschiedene Umstände auf die Verdauungszeit ausüben, gesagt worden ist. Findet sich nicht in jeder Versuchsreihe ein Glas, in dem die Fibrinfloeken, obgleich sie rasch und gut aufgequollen, wenigstens einige Stunden liegt, ehe sie zerdaut wird, so muss man neue Versuchsreihen mit verdünnteren Lösungen zusammenstellen. Bei der quantitativen Bestimmung des Pepsins habe ich auch die Probe mittelst Eiweiss beschrieben, aber hinzugefügt, dass sie vor der mittelst Fibrin angestellten keinerlei Vorzüge habe, sondern nur lang- weiliger sei. In Rücksicht auf die quantitative Bestimmung kann ich nieht dasselbe sagen. Wenn ich nicht recht gut geschlagenes Fibrin habe, aus dem sich die Flocken gleichmässig auswählen lassen, so ziehe ich es vor, mir auf die früher beschriebene Weise coagulirtes Hühner- "eiweiss darzustellen oder das Weisse von frischen, hart gekochten Eiern 33 *+ 498 in kleine Würfel oder viereckige Plättchen zu schneiden und mit die- sen unter dem entsprechenden Säurengrade die Bestimmung ganz wie sonst mittelst des Fibrins auszuführen. Für die Wahl des Säuregrades hat man hier einen weiteren Spiel- raum als beim Fibrin, besonders wenn man die Verdauung im Brüt- ofen anstellt, denn bei einer Temperatur von 38 Grad wird Eiweiss, wie ich dies in mehreren Versuchsreihen geschen habe, bei allen Säure- graden von 1—7 nicht nur gut, sondern sogar ziemlich gleich gut ver- daut; erst wenn man 7 überschreitet, nimmt die Verdauungszeit mit dem wachsenden Säuregrade stetig zu. Der Würfel oder Plättchen aus dem Weissen frischer Hühnereier darf man sich bedienen, weil bei ihrer Kleinheit und dem stärkeren Säuregrade etwa 4, den man hier wählen wird, ihr Alkaligehalt als soleher nicht im Betracht kommt, und auch, wenn die Eier frisch und gut sind, während der Zeit, die der Versuch in Anspruch ninımt, sicher kein Zerfallen derselben in blosser verdünnter Salzsäure eintreten würde; denn das gekochte Ei- weiss erhält sich, verschieden vom Fibrin, auch in der Brutwärme in verdünnter Salzsäure sehr lange. Aber eines muss man wohl beach- ten, dass die Stückehen so genau als möglich gleich gross genommen werden. Es ist dies hier viel wichtiger als beim Fibrin. Quillt dies einmal rasch und gleichmässig auf, so beginnt auch die Veränderung in allen Theilen der Flocke und schreitet in ihnen, wenn auch nicht ganz gleichförmig, fort. Die Eiweissstückehen aber werden allmälıg von aussen nach innen verzehrt und ein Grössenunterschied wirkt so- mit hier viel entschiedener auf die Verdauungszeit ein. Ich schneide eine mittelst eines breiten flachen Messers abgeschnittene Eiweissplatte von etwa 1 Millimeter Dicke mittelst paralleler und rechtwinklig auf einander stehender Messerzüge in Plättehen von etwa 2 Millimetern im - Quadrat, und lege je eines ın jedes Probeglas. So kleiner Eiweissstücke bediene ich mich, wenn ich mit kleinen Flüssigkeitsmengen arbeite, damit ihre Zusammensetzung und Wirksamkeit nicht durch das sich auflösende Eiweiss alterirt werden. Sind die Flüssigkeitsmengen grösser, so dass man dies nicht zu befürchten hat, so kann man grössere Ei- weissstücke anwenden, doch bin ich nie über Würfel von drei Millime- ter Seite hinausgegangen. 499 Es ist auch hier bei der Pepsinbestimmung mittelst Eiweiss zu beherzigen, dass die Anzeigen der verdünnteren langsamer verdauen- den Lösungen mehr Werth haben, als die der rascher verdauenden; denn bei gewissen Uoncentrationsgraden zeigt sich kein Unterschied in der Verdauungszeit. Enthält eine Verdauungsflüssigkeit einmal so viel Pepsin, dass sie mit ihrem Eiweisswürfel von 3 Millim. Seite in we- niger als 3 Stunden fertig wird, so thut es ihr auch eine andere nicht nothwendig zuvor, in der drei-, vier- ja 10mal so viel Pepsin auf die- selbe Flüssigkeitsmenge kommt. Ich ziehe zur Bestimmung der rela- tiven Pepsinmenge vergleichende Gläser zu Rathe, in denen die Ver- dauung unter gleichen Umständen 6 und mehr Stunden in Anspruch nimmt, Wird bei der Verdauung Pepsin gebildet? Bekanntlich lehrt die herrschende Theorie der Verdauung, dass das Pepsin ein sogenanntes Ferment sei und dass es als solches die Eiweisskörper auflöse und in Peptone verwandle. Dieser Theorie folgt auch G. J. Mulder in seiner Abhandlung: „Die Peptone“ in Don- ders’ und Berlin’s Archiv für holländische Beiträge ete. 1) und giebt ausserdem an, dass sich unter Umständen bei der Verdauung, ja selbst bei der blossen Digestion gewisser Eiweisskörper mit verdünnter Salz- säure Pepsin bilde. Die Sache ist folgende: Mulder findet, dass die Eiweisskörper, wie dies bekannt, unter der Einwirkung von Verdauungs- flüssigkeit ihr Verhalten gegen gewisse Reagentien verändern, er findet dass sie nach kürzerer oder längerer Zeit von Salpetersäure, kohlen- saurem Ammoniak, essigsaurem Blei, gelbem Blutlaugensalz, Sublimat und schwefelsaurem Natron nicht mehr ausgefällt werden. Nun findet er, dass Legumin nach blosser Digestion mit verdünnter Salzsäure sich auch so verhält; er nimmt ohne Beweis an, dass diese Veränderung nur durch Pepsin hervorgebracht werden konnte und schliesst deshalb, dass sich auf Kosten eines Theiles des Legemins Pepsin gebildet habe. Seine Worte (Seite 21) sind folgende: „Da man nicht berechtigt ist anzunehmen, dass die Wirkung der "20 Band II, Seite 1. 500 Salzsäure sich weiter erstreeke als aufzulösen, so ist man zur Erklä- rung der Peptonbildung durch verdünnte Salzsäure auf die Hypothese hingewiesen, dass ein Theil des zu verändernden Körpers sein eigenes Pepsin werde, ebenso wie bei der Hefenbildung, ohne Hinzufügung von Hefe, ein Theil der gebildeten Hefe zur Entstehung von mehr Hefe und Hefenbildung Veranlassung giebt.“ Ferner heisst es auf Seite 22: „Was von dem Legumin gesagt ist, hat überhaupt mehr allgemeine Geltung: das Legumin hat aber eine bedeutende Verdauungswirkung. Ein Theil eines jeglichen in Pepton übergehenden Eiweisskörpers wirkt auf die übrigen Eiweiss- körper zurück, dass sie ähnlich verwandelt werden. Das eigentliche sogenannte Pepsin leitet die Wirkung ein und regt sie kräftig an; so- bald dies aber einmal geschehen ist, wirkt das in Umwandlung ver- kehrende auf das noch unveränderte so zurück, wie Anfangs das Pep- sin auf die ruhende Masse.“ Endlich auf Seite 27: „Die verdünnte Säure ist also von bedeu- tendem Einfluss auf die Verwandlung von nicht coagulirtem Eiweiss zu Pepton; die sich in Bewegung befindende organische Gruppe (Pep- sin) unterstützt diese Wirkung, vermag sie aber nicht allein ohne Säure zu Stande zu bringen. Was schon früher erwähnt wurde, wie- derholt sich mithin auch in diesem Falle, dass nämlich ein Theil der Eiweisskörper in der sauren Lösung als Pepsin wirkt.“ 3 Die Analyse dieser Theorie muss ich, so wie alle theoretischen Betrachtungen über die Verdauung, auf einen späteren Theil dieser Beiträge verschieben. Ich kann dies deshalb thun, weil es sich für unseren Zweck nicht darum handelt, zu entscheiden, ob sich während der Verdauung ein Körper bildet, der gewisse Veränderungen der ge- lösten Eiweisskörper anregt oder beschleunigt, sondern nur darum, ob sich ein Körper bildet, mittelst dessen salzsaurer Lösung man Eiweiss- körper unter Umständen auflösen kann, unter denen sie sich in der verdünnten Salzsäure allein nicht gelöst haben würden. Ich finde nicht, dass Mulder hierfür irgend welche Erfahrung aufbringt und mir selbst ist es auch nicht gelungen eine solche zu. machen. Die mittelst Digestion von Legumin mit verdünnter Salzsäure er- haltene Flüssigkeit habe ich in dieser Beziehung völlig wirkungslos 501 gefunden. Ich habe den Versuch zu vier verschiedenen Malen bei Säuregraden von 1—3 angestellt. Ich muss hinzufügen, dass es mir gar nicht gelungen ist, eine Flüssigkeit zu erhalten, die die Eigen- schaften von Mulder’s Peptonlösungen zeigte, sie wurde immer noch stark von Blutlaugensalz gefällt, obgleich ich sie länger als Mulder in der Blutwärme erhalten hatte. Wenn ich aber auch eine solche Flüssigkeit erhalten hätte, würde ich, so lange sie nicht Fibrin und Eiweiss löste, nicht geschlossen haben, dass Pepsin gebildet sei, sondern nur, dass sie ohne dasselbe gewisse Veränderungen erlitten habe. Ich stellte ausserdem noch folgenden Versuch an: Ich verdaute Blutfibrin mittelst Pepsinlösung vom Säuregrad — 1, von der so er- haltenen Flüssigkeit goss ich einen Theil in ein zweites Glas, in dem ich vorher Fibrin in verdünnter Salzsäure vom Säuregrade — 1 hatte vollständig anquellen lassen. Nachdem auch dieses Fibrin verdaut war, goss ich von der so erhaltenen Lösung wiederum einen Theil in ein drittes Glas, in welchem ich Fibrin in Salzsäure vom Säuregrad — 1 hatte anquellen lassen. Hätte sich bei der Verdauung Pepsin gebildet, so hätte ich dieses Verfahren begreiflicherweise für unbestimmte Zeit mit Erfolg fortsetzen können, aber das war nicht der Fall; die Ver- dauungszeiten wuchsen schnell und bald erzielte ich keine anderen Wirkungen mehr, als die, welche die-blosse verdünnte Säure auch her- vorbringt. Ich muss deshalb mit der grossen Masse der früheren Beobachter der Ansicht sein, dass kein Theil der verdauten oder zu verdauenden Eiweisskörper in Pepsin umgewandelt wird. Ich habe diesen Punkt hier erörtern müssen, weil man begreiflicherweise das Pepsin aus sei- nen Wirkungen nicht quantitativ würde bestimmen können, wenn sich während der Verdauung neues bildete. II. Ueber die Art wie der Magensaft abgesondert wird. Man nimmt jetzt allgemein an, dass der Magensaft mit saurer Reaction secernirt werde, nicht dass er dieselbe erst im Magen annehme, obgleich man nicht in Abrede stellt, dass er daselbst durch Zersetzung von Kohlenhydraten häufig einen beträchtlichen Zuwachs an Säure 502 erhalte. Die Beweise für die an sich saure Reaction des Magensaftes sind folgende: 1. Es wird ein sauer reagirender Magensaft gewonnen, auch wenn keine solchen Substanzen in den Magen gebracht sind, die zur Säure- bildung das Material liefern können. 2. Bidder und Schmidt haben gefunden, dass die Summe der im Magensafte enthaltenen Basen nicht hinreicht, um die darin enthal- tene Salzsäure zu sättigen, und die Salzsäure kann doch keinenfalls aus den in den Magen gebrachten Kohlenhydraten entstanden sein. 3. Man hat den auf mechanische Reizung der Magenschleimhaut hervordringenden Saft sauer gefunden. Ueber letzteren Punkt sind in- dessen die Autoren nicht einer Meinung, indem einige den durch mecha- nische Reizung enthaltenen Saft als neutral beschreiben. Nichtsdestoweniger ist in neuester Zeit wiederum die Ansicht verfochten worden, der Magensaft werde stets mit neutraler Reaction secernirt. Boudault sagt in seinem Aufsatze über das Pepsin 1): Un grand nombre de savants ont admis que le suc gastrique est neutre, lorsqu’ il etait seorete, d’ autres au contraire ont admis qw il etait scerete acide. Abordant cette question avec les secours combines de la chimie et de la physiologie nous avons cherche & examiner la pre- miere de ces questions. ette partie du suc gastrique est elle secretee acide? Des animauz en pleine digestion ont ete tues; on a separe la muqueuse avec le plus grand soin: nous avons enleve avec um filet d’ eau destillde toutes les matieres solubles jusqgu' a ce que le papier bleu de tournesol ne rougisse plus, alors la caillette a te raclee, les cellules bri- sees et nous avons receuilli en lavant de nouveau avec Ü' eau destillee un liquide parfaitement neutre. Üe liquide a ete mis en contact avec de la fibrine pendant plusieurs heures, & ume temperature de 40°, il n’ y a pas eu digestion. Mais & une autre quantit de ce ligquide mis dans les memes conditions, nous avons ajoute ume petite proportion d’ aci- !) M&m, sur la pepsine Journ. de med. de Bruxelles, Dec. 1856. 503 de lactique et au bout de Feux heures, nous avons obtenu une dige- stion complete. De cette experience repetce un grand nombre de fois, sur des carnivores es sur des herbivores, il est facile & conclure que la Pepsine est scerötde neutre. Er zeigt nun, dass nach seinen Versuchen nicht nur der saure Magensaft, sondern auch der neutrale die Fähig- keit besitze Milchsäuregährung einzuleiten, dass somit derselbe im Stande sei, sich selbst aus den Kohlenhydraten der Nahrung die zur Verdauung nöthige Säure zu bereiten ete. Hätte Boudault das Resultat seines Versuches unbefangen mit den anderweitig wohl constatirten Thatsachen verglichen, so würde er den erwähnten Schluss nicht gezogen haben. Er würde gesagt haben: Mein Erfolg lässt sich auch ohne die Annahme, dass der Magensaft neutral secernirt werde, noch auf zweierlei Art erklären: 1. Der saure Magensaft ist nicht hinreichend ausgewaschen. Die Menge, die davon in der Schleimhaut zurückgeblieben, ist zwar so ge- ring, dass der Auszug blaues Lackmuspapier nicht röthet, aber das noch darin enthaltene Pepsin ist doch noch hinreichend, eine Verdauung einzuleiten. 2. In den Drüsen findet sich zeutrales, durch Wasser ausziehbares Pepsin abgelagert, wenn dasselbe auch während des Lebens und im normalen Zustande nicht neutral in den Magen gelangt, sondern vor- her in den Drüsen selbst von einer sauren Flüssigkeit aufgelöst wird. Ich habe mich nun durch eine Reihe von Versuchen überzeugt, dass das letztere in der That der Fall ist. Ich präparirte von vier Schweinemägen, nachdem dieselben gut ausgewaschen waren, die Drü- senschleimhaut im Zusammenhange ab und wusch sie mit Wasser bis sie darauf gedrücktes Lackmuspapier nicht mehr röthete, dann liess ich sie mit dem Gängelmesser ganz fein zerkleinern, band den so erhal- tenen Brei in ein starkes Leinentuch und knetete ihn unter Wasser, in ähnlicher Weise, wie man Waizenmehl unter Wasser knetet, um Stärke und Kleber von einander zu sondern. Hierbei drängten sich die aus ihrem Zusammenhange gerissenen Zellen durch die Maschen des Tuches und ich erhielt eine trübe Flüssigkeit, die nach längerem Stehen ein flockiges Sediment absetzte. Von diesem wurde sie abge- hoben und durch Wasser ersetzt, dem etwas reines magnesiumfreies Koch- 504 salz beigemischt war, und das nach mehrmaligem Umrühren und Wie- derabsetzen erneuert wurde. Der Zusatz von Kochsalz war gemacht, um die Eiweisskörper besser in Lösung zu erhalten. Nachdem auf „diese Weise einige Male gewaschen worden war, wurde an die Stelle der verdünnten Salzlösung blosses Wasser gesetzt und so das Chlor- natrium wieder herausgewaschen. Das Ganze dauerte zehn Tage lang, während welcher Zeit das Gefäss immer in einer Temperatur zwischen 0 und 500. gehalten wurde. Nun wurde ein Theil des so gewasche- nen Sediments herausgenommen, das Wasser davon abfiltrirt und die eine Hälfte in einem Cylinderglase mit reinem Wasser, die andere mit solehem, welches im Litre 1 Gramm CIH enthielt, übergossen. Bei- des digerirte ich durch zwei Stunden in einer Temperatur von 35—380C. und filtrirte. Nachdem ich das neutrale Filtrat durch Zusatz von verdünnter Chlorwasserstoffsäure gleichfalls auf den Säuregrad — 1 gebracht hatte, warf ich in beide Filtrate Fibrinflocken und beobachtete nun, dass sie Pepsin in sehr ungleiehen Mengen aufgenommen hatten; denn die Flüssigkeit, welche vor der Digestion mit den Labzellen an- gesäuert war, brauchte nur den neunten Theil der Zeit, um seine Fi- brinflocken aufzulösen; die andere, die erst nach der Digestion ange- säuert war, musste in der That sehr wenig aufgenommen haben. Als ich aber dieselben mit Wasser extrahirten Labzellen mit neuem Wasser übergoss und so lange stehen liess, bis sich ein fauliger Geruch ein- stellte, gab das Filtrat angesäuert wieder eine ziemlich wirksame Ver- dauungsflüssigkeit; es hatte im Beginn der fauligen Zersetzung das Wasser auch ohne Säure wieder mehr Pepsin aufgenommen. Hier war also erstens, nachdem alle Säure längst ausgewaschen, noch Pep- sin vorhanden und zweitens war dasselbe unter übrigens gleichen Ver- hältnissen von der sehr verdünnten Chlorwassersäure in viel reichlicherer Menge als vom Wasser extrahirt worden. Das letztere war auch der Fall bei Labzellen, die sehr lange im trockenen Zustande aufbewahrt worden. Ich fand, dass der unlösliche Rückstand, den ein von den Herren Stephan und Lamatsch fabrieirtes, bei mir schon fast drei Jahre aufbewahrtes Pepsin beim Behandeln mit Wasser hinterliess, grossentheils aus Labzellen bestand. Diesen wusch ich erst mit sehr verdünnter Kochsalslösung, dann mit Wasser anhaltend aus und ver- 505 fuhr dann ganz wie beim vorigen Versuche. Schon nach einer Stunde fand ich die Fibrinfloecke in der vor der Digestion mit dem ausge- waschenen Pepsinrückstande angesäuerten Flüssigkeit aufgelöst; die andere, welehe in der erst nach der Digestion angesäuerten Flüssigkeit lag, zeigte noch keine Veränderung: am andern Morgen fand ich sie aber auch verdaut. Bei einem anderen übrigens ganz gleichen Ver- suche vertheilte ich die vor der Digestion mit den Labzellen ange- säuerte Flüssigkeit in mehrere Gläser, in denen sie, wie die folgende Tabelle zeigt, in verschiedenen Verhältnissen mit Wasser verdünnt waren, das 1 Gramm CIH im Litre enthält: E Verdünnte Salz- Pepsinlösung vom u re ——— in Kubikeent. — — 1 Banker‘ 2 1) PETE RTENFEEN PANURETNR | 3 A ae 4 Di Ye a ee eine: In alle Gläser wurden Fibrinfloeken gelegt und ebenso in die erst nach der Digestion mit den Labzellen angesäuerte Flüssigkeit. Die letztere hielt bei der Verdauung nahezu gleichen Schritt mit dem Glase Nr. 4. Sie war um ein Geringes hinter demselben zurück. Ihr Pepsin- gehalt verhielt sich also zu dem der vor der Digestion angesäuerten Flüssigkeit etwa wie 1 zu 8, und doch hatte ich die für beide ver- wendeten Mengen von Flüssigkeit und Pepsinrückstand gleich gross genommen. Man glaube übrigens nicht, dass es sich hier um geringe Reste von Pepsin handelt, welche das Wasser nicht ausgezogen hat, und die nun durch die Säure gewonnen werden. Im Gegentheil, ein solcher vorläufig mit Wasser ausgewaschener Pepsinrückstand ist bis- weilen eine wahre (uelle trefflicher Verdauungsflüssigkeit. Wenn man auf eine gegebene Menge desselben kein zu grosses Volum der verdünnten Salzsäure einwirken lässt und dieselbe dann abfiltrirt, so verzehrt sie eine hineingeworfene Fibrinflocke bei 200 in 10 bis 20 Minuten, sie leistet also fast das Aeuserste, was in dieser Beziehung bis jetzt überhaupt 906 erlangt worden ist). Je öfter man die Extraction wiederholt, um so verdünnter, aber auch um so reiner wird die Pepsinlösung, so dass dies ein schätzbares Hilfsmittel bietet für die Erforschung der chemischen Eigenschaften des Pepins, von denen in einer anderen Abtheilung ge- handelt werden wird. Auffallend ist es wie lange man die Extraetion fortsetzen kann, ohne das Präparat vollständig zu erschöpfen, wenn man ihm nicht auf einmal zu viel Pepsin entzieht. Ich hatte einen solehen mit Wasser ausgewachsenen Rückstand auf dem Filtrum. Ich verstopfte den Trichter unten mit einem Kork und goss verdünnte Salzsäure auf. Nachdem ich dieselbe am andern Tage abgelassen und auf ihre Verdauungskraft geprüft hatte, wusch ich aus bis das Wasch- wasser Lackmuspapier nicht mehr röthete, verstopfte den Triehter, goss wieder Salzsäure auf, und so fort. Auf diese Weise konnte ich durch mehrere Monate immer noch Flüssigkeiten von, wenn gleich schwachen, doch vollkommen deutlichen verdauenden Eigenschaften erhalten. Dieser Versuch zeigt, dass auch unter der Einwirkung der Salzsäure keines- weges alles Pepsin sofort derartig in Lösung übergeht, dass es durch darauf folgendes Auswaschen mit ausgespült werden müsste, sondern dass es nur allmälig angegriffen wird, so dass neue Säureportionen noch immer neues Pepsin vorfinden. Ein ähnlicher Versuch, der mit den Labdrüsen von Kälbermägen angestellt wurde, hatte einen von dem bisher beobachteten verschie- denen Erfolg. Die Schleimhaut im Abomasus der Kälber ist bekanntlich sehr weich und zerreisslich; ich präparirte sie deshalb nicht ab, sondern liess sie mit einem hölzernen Messer von 4 gewaschenen Kalbsmägen ab- schaben, um die so erhaltenen flockigen Massen dann auf die früher beschriebene Weise auszuwaschen. Die Cylinderzellen quollen dabei stark auf, lösten sich von ihrem Mutterboden und wurden nach und nach mit der schleimig trüben, sich schlecht absetzenden Flüssigkeit 1) Ich habe später aus frischen Schweinsmägen Pepsinlösung dargestellt, welche Fibrinflocken bei 20° in noch kürzerer Zeit auflöste, aber ich kann nicht sagen, ob der Unterschied durch die Verdauungsflüssigkeit oder durch das Fibrin bedingt war, indem man beim Schlagen von Ochsenblut bald Fibrin erhält, das rascher, bald solches das langsamer verdaut wird. 507 abgehoben. Die sich rasch senkenden Lappen zeigte die mikroskopische Untersuchung bald als die Membrana propria der Drüsenschleimhaut, mit den Labzellen in den Schläuchen und etwas bindegewebiges Stroma zwischen denselben. Trotzdem, dass ich das Auswaschen bis gegen das Ende der zweiten Woche fortsetzte, zog blosses Wasser noch immer beträchtliche Mengen Pepsin aus, wenn jene Lappen damit in einer Temperatur von 35—38° C. digerirt wurden und zugleich eine Quan- tität Schleim, die sich beim Ansäuern durch die entstehende Trübung zu erkennen gab. Frerichs, der bekanntlich schon vor Jahren Pepsin aus den Labzellen erhalten hat !), giebt an, dass sich dabei die Reaction, ohne dass er Säure zusetzte wochenlang schwach sauer erhalten habe. Ohne dies zu bestreiten, kann ich versichern, dass in meinem Falle jede Spur von saurer Reaction verschwunden war. Ich presste nun eine Portion jener Lappen zwischen Leinwand und Fliesspapier in einer starken Schraubenpresse trocken aus und digerirte dann die eine Hälfte mit Wasser, die andere mit Salzsäure vom Säure- grad — 1. Das Wasser hatte noch wiederum Schleim und Pepsin, wenn auch weniger als die Säure, doch immer noch in beträchtlicher (Juantität aufgenommen, wie die kräftige Verdauung zeigte, die sich mit Fibrin durch Ansäuern der Flüssigkeit einleiten liess. War dieses Resultat hierdurch auch den früheren unähnlich, so zeigte es doch wieder ebenso wie sie, dass man Pepsin in Menge aus den Labzellen extrahiren kann, lange nachdem jede Spur von saurer Reaction ge- schwunden ist. Wenn wir also auf diese Versuche und die anderer Beobachter zurückblicken, so können wir sicher schliessen, die orga- nische Substanz, durch welche die Magenverdauung zu Stande kommt und die wir bis jetzt, ohne etwas Näheres über sie auszusagen, Pepsin nennen, sei in beträchtlichem Vorrathe als neutrale Verbindung in den Labzellen abgelagert. Sie ist durch Wasser, das 1 Gran OIH im Litre enthält, stets leicht daraus zu gewinnen, lässt sich aber durch nicht angesäuertes Wasser nur theilweise mit einiger Leichtigkeit extrahiren. Soll während des Lebens der saure Magensaft abgesondert werden, 1) R. Wagner’s Handwörterbuch d. Physiol. Art Verdauung. 508 so wird sie also wahrscheinlich durch eine saure Flüssigkeit aufgelöst und gelangt so mit dieser als Magensaft aus den Drüsen in die Höhle des Magens selbst. Die nächste Frage ist dann: Woher kommt diese saure Flüssig- keit? Ehe wir aber diese zu beantworten trachten, müssen wir doch untersuchen, ob wir denn jene saure Flüssigkeit, welche in den Drüsen das Pepsin auflösen soll, in denselben nachweisen können. Es wird sich zeigen, dass dies zwar gelingt, dass aber die Gelegenheit dazu keines- weges so häufig ist, als man vermuthen sollte. Versuchen wir es zunächst bei den Vögeln, bei denen die einzelnen Drüsen mit blossen Augen sicht- bare und leicht mittelst Scheere und Messer isolirbare Körper sind. Wenn man eine Taube mit Flügeln und Beinen rücklings auf ein gewöhnliches kleines Vivisectionsbrett bindet, so kann man ihr mit Leichtigkeit und fast ohne einen Tropfen Blut zu verlieren, den Kropf öffnen. Man findet die innere Oberfläche desselben stets alkalisch oder höchstens neutral, niemals sauer 1), der Kropf mag leer sein oder ge- füllt. Ebenso verhält es sich mit dem Oesophagus, in den man leicht von der Kropfwunde aus ein Lackmuspapier mittelst einer stumpfen, dünnschnabligen Schieber-Pincette einführen kann; sobald man aber bis in den Drüsenmagen gelangt, beginnt ganz plötzlich und scharf abgegrenzt stark saure Reaction. Dieselbe hängt nicht ab von Milch- säure, die sich aus der Stärke des Körnerfutters gebildet hat, denn es findet sieh jene saure Reaction, und zwar anscheinend ungeschwächt, noch bei Tauben, die vier, ja fünf Tage lang nur mit reinem getrock- netem Blutfibrm, Kochsalz und Quarzstückchen gefüttert sind und keine Spur von vegetabilischem Futter im Kropf und Magen haben; ja bei solchen, welche dieselbe Zeit hindurch vollständig fasteten. Die Säure stammt also offenbar aus den Drüsen des Drüsenmagens. Man sollte also auch erwarten, sie dort in Menge angehäuft zu finden; das ist aber durchaus nicht der Fall. Man tödte die Taube, öffne sie schnell, löse von einer Stelle des Drüsenmagens die Muskelhaut ab, schneide 1) Man darf sich nicht dadurch täuschen lassen, dass bei getödteten Tauben auch das Innere des Kropfes sauer reagirt. Dies rührt von saurer Flüssigkeit her, die während des Todeskampfes aus dem Magen heraufgestossen worden ist. 509 dann mit der gekrümmten Scheere ein Stück aus den darunter liegenden Drüsenkörpern, ohne die Schleimhaut mitzufassen, und zerquetsche dieses Stück zwischen blauem Lackmuspapier, man wird sehen, dass es neutrale oder doch nur äusserst schwach saure Reaction zeigt. Selbst wenn das Thier in voller Verdauung ist, verhält sich die Sache nicht anders. Wenn also auch Säure in den Drüsen ist, so ist es doch so wenig, dass sie in Vermischung mit den übrigen Elementen des Drüsen- parenchyms ganz oder doch nahezu neutralisirt erscheint. Es ist sicher eine höchst auffallende und überraschende Thatsache, im Innern des Magens eine verhältnissmässig so grosse Säuremenge zu finden, deren Quelle, wie ich oben gezeigt habe, unzweifelhaft die Labdrüsen waren, und in denselben auch während der Verdauung neutrale oder nur sehr schwach saure Reaction. Wenn man freilich den Magen eines Säuge- thieres längere Zeit nach dem Tode untersucht, so findet man das Drüsenparenchym entschieden sauer, aber das rührt nur von Lei- chenimbibition mit Magensaft her, die sich durch die ganze Dicke der Magenwand und bekanntlich oft noch viel weiter fortsezt. Ich muss hier an eine interessante Beobachtung von Bernard erinnern, die sich in den Lecons sur les proprietes physiologiques et les alterations pathologiques des liquides de l’organisme T. II, p. 375 findet. Hier heisst es: Experiences sur le suc gastrique (janvier 1850). Sur un lapin ayant peu mange, on a injectE dans la veine jugulaire une dissolution de lactate de fer, puis une dissolution de prussiate de potasse, les deux dissolutions etaient tiödes. Trois quarts d’heure apres, lanimal a ete sacrifie, et & lautopsie on n’a constate la coloration bleue dans le tissu d’aucum organe. Les urines elles-mömes, qui etaient alcalines et troubles, n’etaient pas bleues, quoiquelles continssent du prussiate de potasse et du sel de fer, car il suffisait d’ajouter quelques gouttes d’acide chlorhydrique ou sulfurique pour faire apparaitre immediatement la coloration du bleu du Prusse. L’instantaneite de la reaction et son intensitE ne permettent pas de confondre cette reaction avec celle qui se produirait lentement par swite de laction de lacide Energique sur le prussiate de potasse lui meme. En owvrant ensuite le canal intestinal, on trowwa une coloration bleue 510 sur la surface muqueuse de lestomac, et partieulierement sur la partie qui repond & la petite courbure de cet organe. Mais cette coloration etait tout & fait superficielle; ce n’etait qu & la surface de la mem- brane muqueuse qu'existaient des parcelles de bleu de Prusse; et !’examen microscopique ne permit pas de constater la presence du bleu de Prusse dans les glandules stomacales. Cette experience avait te institude afın de determiner exactement les glandes qui seeretent le sue gastrique dans Vestomac. On admet, en effet, qw ily a deux especes de glandes dans la membrane muqueuse stomacale, les unes destinees & la seeretion du mucus, les autres & celle dw suc gastrique; mais c'est la une pure suppo- sition anatomique plutöt qu'un fait physiologiquement etabli. Or, voici d’apres quel, raisonmement j'avais institue Vexrperience precedente. L’ob- servation nous ayant montre qu' en injectant dans le sang du lactate de fer et du prussiate de potasse, la combinaison de ces deua: substances ne peut pas s’effectuer dans le sang qui est un milieu alcalin, contenamt en outre des substances albuminotdes qui genent les reactions. (e n’est que lorsque ces deux substances vienment & passer du sang dans une seeretion acide que, trouvant les conditions favorables de la reaction, il y a formation de bleu de Prusse. Or, c’est precisement ce qwi a lieu pour le suc gastrique, qui est constamment acide, et dans lequel le sel de fer et le prussiate de potasse peuvent facılement donmmer du bleu de Prusse apres avoir ete entraines par la seeretion. Si le suc gastrique s’etait forme dans certaines glan- dules avec ses proprietes acides caracteristiques, on devait avoir dans la glande meme un preeipit de bleu de Prusse indiguant par son siege Vorgane seereteur du suc gastrique. Le resultat de lexwperience n’ a pas permis de juger la question, puisque le bleu'de Prusse, que nous anons rencontre n’ewistait pas dans les glandules elles-memes, mais seulement a la surface de la membrane muqueuse stomacale. (ela per- mettrait-il de supposer que le suc gastrique n’acquiert ses proprietes qu'en dehors des glandes par son melange avec les autres liquides de Vestomac? Sans entrer & ce sujet dans aucume hypothese, nous nous bornons a signaler le fait. Es ist für unsern Zweck nicht nöthig, den Versuch in dieser Weise zu wiederholen. Man tödte ein Kaninchen durch einen Schlag 511 in's Genick, öffne es rasch, löse eine Strecke weit die Muskelhaut des Magens ab, und schneide dann vorsichtig mit einer feinen, nach der Fläche gekrümmten Scheere ein Stück des Drüsenparenchyms weg. Ist man dabei nirgends bis zur inneren Oberfläche vorgedrungen, so wird man sich überzeugen, dass man es zwischen blauem Lackmus- papier zerquetschen kann, ohne einen röthen Fleck zu erzeugen, wäh- rend die geringste Spur von eben jener inneren Oberfläche einen solchen hervorruft. Um nun zu untersuchen, ob vielleicht, wie dies Bernard andeutet, der Labdrüsensaft erst durch Vermischung mit einem andern Secret sauer werde, wusch ich den Drüsenmagen einer seit vier Tagen mit Fibrin gefütterten Taube so lange mit Wasser aus, bis er keine saure Reaction mehr zeigte, und steckte ihn dann in eine der Seitentaschen des Kropfes einer lebenden Taube. Die Taube war gefesselt und der Drüsenmagen wurde durch eine künstliche Oeffnung, nachdem ich mich vorher überzeugt, dass im Kropf nirgends saure Reaction sei, in denselben eingebracht. Als ich ihn nach zwei Stun- den herauszog, zeigte er deutlich saure Reaction, und eben so die Stelle des Kropfes, an welcher er gelegen hatte. Ich tödtete nun eine Taube, die seit vier Tagen mit Fibrin gefüt- tert war, und legte den bis zum Verschwinden der sauren Reaction ausgewaschenen Drüsenmagen mit einem Stück des Kropfes in ein Probirglas, übergoss ihn mit so viel Wasser, dass er bedeckt war, digerirte bei 380 ©., und die saure Reaction trat wieder ein. Jetzt machte ich denselben Versuch ohne Kropfstücke mit blossen Drüsen- mägen, von denen ich auch den Oesophagus vollständig getrennt hatte. Das Resultat war dasselbe. Ich musste nun noch den Verdacht ent- fernen, als ob etwa im Innern der Drüsen doch noch freie Säure vor- handen gewesen, die bei der Digestion an die Oberfläche gekommen wäre. Ich zerrieb deshalb Drüsenmägen von Tauben mit Steinschnei- derquarz in einer Achatschale, um die Säurebildung in dem so erhal- tenen Brei zu beobachten; es gelang mir nicht, diesen letzteren in vollkommen neutralem Zustande zu erhalten. Obgleich die einzelnen Drüsenkörper zwischen blauem Dackmuspapier zerquetscht keinen rothen Fleck gaben und obgleich die Oberfläche bis zum Verchwin- MOLESCHOTT, Untersuchungen, VI 34 512 den der sauren Reaction gewaschen war, so röthete der erhaltene Brei doch immer, wenn auch sehr schwach, Lackmuspapier ; wahr- scheinlich weil sich schon während des Verreibens wieder etwas Säure bildete. Diese nahm freilich durch Digestion deutlich zu, aber ich wünschte doch in Besitz eines schlagenderen und netteren Ver- suches zu sein. Zu dem Ende fütterte ich ein Huhn vier Tage lang mit Fibrin, fesselte es, öffnete ihm den Kropf, spritzte ihm durch den Oesophagus gebrannte Magnesia mit, Wasser in den Drüsenmagen und tödtete es noch ehe ich die Spritze wieder herauszog. Dann öffnete ich es schnell,, befreite den Drüsenmagen von den anhängenden Thei- len, löste die Muskelhaut ab und zerrieb nun die Drüsen sammt der Schleimhaut mit Steinschneiderquarz. Der so erhaltene Brei mit den darin vertbeilten noch unzerkleinerten Fetzen zeigte keine Spur saurer Reaction. Ich leerte das Ganze in ein Probirglas und brachte dies in ein Wasserbad, das ich auf 38% ©. erwärmte. Dann liess ich es, da es Abend war und ich das Laboratorium verlassen musste, in der Nähe des Ofens stehen, damit es noch einige Zeit seine erhöhte Tem- peratur behalte. Am andern Morgen reagirte die Masse deutlich und entschieden sauer, indem sie ein hineingetauchtes blaues Lackmuspapier unverkennbar röthete. Bei der äusserst geringen Menge der so gewonnenen Säure konnte ihre Natur begreiflicher Weise nicht direet ermittelt werden.‘ Ich kochte deshalb den Drüsenmagen von Tauben, die durch vier Tage kein anderes Futter als wohlgewaschenes Blutfibrin erhalten hatten, mit verdünnter Schwefelsäure, und sättigte mit reinem kohlensauren Kalk, der durch Fällen von Chlorcaleiumlösung mit kohlensaurem Natron erhalten war. Zu der abfiltrirten Flüssigkeit wurden einige Tropfen kohlensauren Natrons gesetzt und nochmals filtrirt. Das Filtrat, mit Aetzkali versetzt, bräunte sich beim Erwärmen und redueirte schwefelsaures Kupferoxyd und basisch salpetersaures Wismuthoxyd. Da das wässerige Decoct der Drüsensubstanz durchaus keine redueiren- den Eigenschaften besitzt und im Magensaft Milchsäure gefunden ist, so liessen diese Reactionen vermuthen, dass in den Drüsen ein Körper abgelagert sei, der mit Schwefelsäure gekocht Zucker, durch freiwillige Zersetzung in der Drüse bei einer Temperatur von einigen dreissig 513 Graden Milchsäure bilde; die Darstellung eines solehen Körpers aus der Magenschleimhaut oder den Magendrüsen von Tauben und Hühnern ist mir aber bis jetzt nicht gelungen. Immerhin blieb das Factum, dass in den Drüsen selbst die Elemente zur Bildung einer Säure gegeben seien, und ich habe endlich später Gelegenheit gehabt, trotz der vorerwähnten negativen Erfolge, mich unmittelbar zu überzeugen, dass in der That der saure Magensaft als solcher im Innern der Drüsen gebildet wird und dass der Mangel an saurer Reaction, den der Durchschnitt der Drüsen in der Regel zeigt, nur daher rührt, dass dassaureSecret eben sehr vollständig ausgestossen ist. Die zusammengesetzten Drüsen des Hühner- magens sind verhältnissmässig gross und haben in ihrem Innern eine beträchtliche Höhle, in die sämmtliche Tubuli einmünden. Hierin habe ich nun bisweilen stark saure Reaction, wie sie der Magensaft selbst zeigt, beobachtet. Sie war nicht überall gleichmässig verbreitet, sondern zeigte sich nur in einzelnen Gruppen, und die Drüsen, an denen sie beobachtet wurden, zeichneten sich vor den übrigen durch ihren Reichthum an flüssigem Inhalte aus. Ich habe diesen sauren Saft im Innern der Drüsen selbst an einem Huhne beobachtet, das sechs Tage lang nur mit Fibrin gefüttert war und dessen Magen ich unmittelbar vor dem Tode in der oben erwähnten Weise mit Magnesia- milch (Magnesia usta mit Wasser) ausgespritzt hatte, so dass die Schleimhaut-Oberfläche keine saure Reaction zeigte. Es kann also kein Zweifel mehr darüber bestehen, das Secret der Labdrüsen ist sauer schon im Innern der Drüsen noch ehe es mit anderen Flüssigkeiten in Berührung kommt, und wenn das Innere der Drüsen, wie dies allerdings meistens der Fall ist, wenig oder gar nicht sauer gefunden wird, so liegt dies eben nur daran, dass wenig oder gar kein Secret darin enthalten ist. Da wir zugleich gesehen haben, dass sich im Drüsenparenchym eine Substanz befindet, welche auch nach dem Tode und ausserhalb des Organismus zur Säurebildung Veranlassung gibt, so könnte sich die Vorstellung von der Bereitung des Magensaftes auf den ersten Anbliek sehr einfach gestalten. Man könnte denken: In den Labzellen wird Pepsin und säurebildende Substanz abgelagert, die letztere geht 1. 514 eine freiwillige Zersetzung ein, die so gebildete Säure löst einen Theil des Pepsins auf und transsudirt mit ihm in das Lumen der Drüse, von wo sie als suecus gastricus in den Magen gelangt. Bei näherer Betrachtung wird sich aber die Unzulänglichkeit dieser Vorstellung leicht ergeben. Zunächst würde die so gebildete Säure doch nur eine orga- nische, wahrscheinlich Milchsäure, sein können. Schmidt hat aber nachgewiesen, dass im Magensafte, wenigstens bisweilen, so viel Chlor enthalten ist, dass die vorhandenen Metalle nicht ausreichen, um das- selbe vollständig in Chlormetallen zu binden, dass man also hier das Vorhandensein von freier Chlorwasserstoffsäure annehmen muss. Wollten wir diesen Zustand aus der oben erwähnten Vorstellung erklären, so müssten wir annehmen, dass die Milchsäure Chlormetalle zersetzt habe, die so gı bildeten milchsauren Salze ganz oder theilweise resor- birt worden seien, während die freie Chlorwasserstoffsäure im Magen zurückblieb; ein Vorgang, dessen Mechanik sich keineswegs ohne weitere Voraussetzung begreifen lässt. Ein zweiter bedenklicher Punkt ist das Missverhältniss der Säure- menge, welche man durch Digestion der gewaschenen Magenschleim- haut erhält, und derjenigen, welche im Leben abgesondert wird. Erstere ist unverhältnissmässig gering. Im günstigen Falle ist es eben so viel, dass blaues Lackmuspapier deutlich und entschieden geröthet wird, während andererseits bekannt ist, welche Säuremengen im Leben in verhältnissmässig kurzer Zeit von der Magenschleimhaut abgeson- dert werden können. Schreibt man ferner der Säure keine besondere Tendenz zu, an die innere Oberfläche zu gelangen, so wird bei der steten Diffusion mit dem alkalischen Blute, das die Membrana propria der Labdrüsen bespült, offenbar der grösste Theil der gebildeten Säure für die Seeretion verloren gehen und es würde deshalb noch weniger zu begreifen sein, wie eben diese Secretion an Säure so reich sein kann. Unmittelbar nach dem Tode finden wir die zerquetschten Pepsindrüsen in der Regel neutral oder doch sehr schwach sauer, einige Zeit nach dem Tode dagegen ist nicht allein die Schleimhaut, sondern auch die Muskelhaut von Säure durehtränkt, die sich bereits den Nachbargebilden mitgetheilt hat; ja wir kennen Fälle, in denen 515 der ganze Magen und ein Theil der anliegenden Eingeweide verdaüt war. Bernard sah an Thieren, die in der Verdauung getödtet und bei einer Temperatur, die sich der Blutwärme näherte, aufbewahrt waren, die halbe Leber, die Milz und selbst einen Theil des Darm- kanals zerstört. Welche Mengen von Säure müssten hiernach bei der Verdauung gebildet und welche Mengen in das Blut resorbirt werden, wenn im Leben wie nach dem Tode zwischen der Säure und der alkalischen Säftemasse, dem stets in neuen Mengen durch die Schleim- haut strömenden alkalischen Blute, freie Diffusion stattfände, wenn nicht die Säure durch eine besondere Einwirkung nach innen von den Labzellen festgehalten würde, und wie klein ist dagegen die Menge von Säure, welche wir thatsächlich durch Digestion der gewaschenen Schleimhaut erhalten, selbst wenn wir zugeben, dass vielleicht ein Theil derselben durch gleichzeitig gebildete basische Zersetzungsprodukte verdeckt war! Wir sehen uns also genöthigt, der Säure eine besondere Ten- denz nach der Innenseite der Schleimhaut zuzuschreiben, wenn wir uns auch vorläufig keine Rechenschaft geben können, wie dieselbe zu Stande kommt. Wenn wir uns aber einmal dieser unabweisbaren Anforderung der Einführung einer unbekannten Grösse gefügt haben, so sind da- mit auch die wesentlichen Schwierigkeiten überwunden. Es begreift sich dann die Möglichkeit, dass die saure Reaction auf die Innenseite der Drüsen beschränkt bleibt, ohne dass man annimmt, es dringe zwar fortwährend Säure in Menge tiefer in die Gewebe ein, werde aber sofort durch das Blut neutralisirt und ausgewaschen. Man be- greift ferner, wie die zerquetschten Drüsen unmittelbar nach dem Tode neutral oder doch nur ganz schwach sauer sein können. Sie haben ihr Secret entleert und das Gewebe selbst ist nieht mit saurer, vielleicht gar mit alkalischer Flüssigkeit getränkt, so dass durch diese noch ein etwaiger Rest sauren Inhaltes neutralisirt werden kann. Man begreift aber auch, dass die im Mageninhalte des in der Verdauung getödteten Thieres in grosser Menge enthaltene Säure nach dem Tode, wenn eben jener Einfluss, der sie nach der Innenseite der Schleimhaut zu bannte, nicht mehr vorhanden ist, 516 die Gewebe durchdringt und sie unter Mitwirkung des Pepsins zer- stören kann. Es macht dann auch das Vorkommen von freier Chlorwasser- stoffsäure im Magen keine Schwierigkeit mehr, denn wenn wir ein- mal annehmen, dass hier Kräfte wirksam sind, welche die Säuren nach der einen, die Basen nach der anderen Seite treiben, so ist auch die Entstehung der Chlorwasserstoffsäure aus den in Menge vorhandenen Chlormetallen leicht begreiflich 1). Endlich muss noch darauf aufmerksam gemacht werden, dass nicht unwahrscheinlich gerade aus der Anhäufung der Säure an der Innenseite des Labdrüsensystems eine Hülfe für die Secretion als mechanischen Act entsteht, indem dadurch zugleich die Diffusions- verhältnisse wesentlich und vielleicht in dem Sinne geändert werden, dass das in der sauren Flüssigkeit leicht lösliche Pepsin mit dieser als Magensaft reichlich aus der Drüse quillt, dass somit der wirk- same Magensaft reichlicher abgesondert wird, als es unter übrigens gleichen Umständen ohne jene Anhäufung der Säure der Fall sein würde. Aber woher sollen wir die Kräfte ableiten, welche hier trennend wirken ? Wir wissen aus vielfältiger Erfahrung, dass die Seeretion des *) Unter den an sauren Seereten wirbelloser Thiere gemachten Erfahrungen, die meiner Ansicht nach dieselbe Hypothese unabweislich zu ihrer Erklärung erheischen, will ich hier nur eine anführen, die mir besonders schlagend scheint. Als sieh Johannes Müller und Troschel im Herbste 1853 in Messina befanden, sah letzterer, dass der (sogenannte) Speichel, den ein kräftiges Exemplar von Dolium galea Lam. auf die Kalksteinplatten des Estrichs spritzte, auf demselben sofort in Schaum verwandelt wurde. Er sammelte von einer Menge Exemplaren der dort häufigen Schnecke eine ziemliche Quantität Flüssigkeit, die Boedecker analysirte. Sie ergab in 100 Theilen: 0.4 freie wasserfreie Salzsäure (HC]), 2.7 freies Schwefelsäurehydrat (HO.S03) = 2.2 Proc. wasserfreie Schwefelsäure, 1.4 wasserfreie, mit Basen zu neutralem Salze verbundene Schwefelsäure, 1.6 Magnesia, Kali, Natron, etwas Ammoniak, sehr wenig Kalk, nebst organischer Substanz, 93.9 Wasser, 100.0. Poggendorff’s Annalen XCIII. 614. ! 517 Magensaftes unter dem Einflusse des Nervensytems steht, wir wissen, dass die innere Oberfläche des Magens im nüchternen Zustande bei Säugethieren oft neutral und selbst alkalisch reagirt, dass aber sofort saurer Magensaft zufliesst, wenn Speisen eingenommen werden, ja dass derselbe schon durch mechanische Reizmittel erhalten werden kann; wir müssen also jene Einwirkung, deren Quelle wir suchen, zunächst vom Nervensystem ableiten, wenn wir diesem damit nicht etwas zu- muthen, was es keinenfalls zu leisten im Stande ist. Das Letztere scheint mir nicht der Fall zu sein. Wir wissen, dass das Nerven- system im Zusammenhang mit gewissen Structuren, die wir Muskeln nennen, deren elektromotorische Eigenschaften plötzlich und wesent- lich verändert und dabei beträchtliche mechanische Kräfte zur Wirk- samkeit bringt; wir wissen, dass das Nervensystem in Verbindung mit gewissen anderen Structuren: dieselben plötzlich in heftig wirkende elektrische Apparate verwandelt; können wir es hiernach bei dem nahen und unmittelbaren Zusammenhange der elektrischen Erschei- nungen mit denen der chemischen Zersetzung so unwahrscheinlich finden, dass ein Theil des Nervensystems in Verbindung mit den Labdrüsen die Fähigkeit besitze, die Säuren nach deren innerer Ober- fläche, die Basen nach der entgegengesetzten Richtung hin zu dirigiren ? Man kann sich dann, wie oben erwähnt, denken, dass durch diesen Vorgang und durch die Veränderung, die er in den Löslichkeits- und Diffusionsverhältnissen hervorruft, die Absonderung des Magensaftes, wie wir sie im Leben beobachten, vom Nervensystem aus eingeleitet wird. Dies scheint mir die Riehtung zu sein, nach welcher sich unsere Forschung zunächst zu wenden hat; wir müssen nur, ehe wir hier weiter vorzudringen suchen, die Sicherheit haben, dass keine 'Thatsache bekannt ist, welehe sich mit der eben entwickelten Vor- stellung unvereinbar zeigt. Ich kenne keine solche. Man könnte anführen, dass Bidder und Sehmidt Hunde, deren Vagi am Halse durch- schnitten waren, noch sauren Magensaft absondern sahen !), ja dass ') Ich habe mehrere Versuche über den Einfluss der Vagi auf die Secretion von saurem Magensaft an Tauben angestellt und will hier beispielsweise nur einen mit- theilen, dessen Resultat laut genug für sich selber spricht, Ich hatte eine junge aber starke und ausgewachsene Haustaube fünf Tage lang mit gut gewaschenem Blut- 518 r dessen gewogene Menge und durch Sättigen mit Kali bestimmter Säuregehalt grossentheils gar nieht unbeträchtlich war; aber solche Erfahrungen beweisen offenbar nur, dass es die eben hier durch- schnittenen Nervenbahnen nicht waren, auf welchen die Impulse für die Absonderung geleitet werden; man kann sich auf sie nicht stützen, um den Nerveneinfluss im Allgemeinen in Abrede zu stellen, was übrigens von Seiten der genannten Autoren auch keineswegs geschieht. In der That hat Pinkus?) nach Durchschneidung der Vagi im Foramen oesophageum den Magensaft alkalisch gefunden, aber die operativen Eingriffe waren so bedeutend, die beobachteten Erschei- nungen so complieirt und die Thiere erlagen den Versuchen in so kurzer Zeit, dass dieselben für unseren Zweck nicht ohne weiteres verwerthet werden können. III. Ueber die Produkte, welche Hühnereiweiss und Blutflbrin bei der künstlichen Verdauung geben, Ich hatte die Absicht, die Verdauungsprodukte erst in einer späteren Abtheilung dieser Beiträge zu behandeln, aber zwei Publi- fibrin gefüttert; dann durchschnitt ich ihr beide Vagi, die leicht von der Rückseite des Halses von einer median angelegten Hautwunde erreicht werden. Hierauf liess ich sie noch fünf Tage auf Fibrinfutter. Sie war frisch und munter, aber stark abge- magert und als ich sie auf das Vivisectionsbrett band, um eine Kropffistel anzulegen, spie sie eine grosse Menge neutraler trüber Flüssigkeit, mit der ihr Kropf angefüllt gewesen war. Es ist dies eine schon durch Bernard (Syst. nerv. II. 428) bekannte Erscheinung, die daher rührt, dass die Thiere wohl aus dem Schnabel in den Kropf, aber nicht aus dem Kropfe in den Magen schlingen können. Nach Anlegung der Fistel fand sich auch eine beträchtliche Menge von unverdautem Fibrin im Kropfe, das in den Seitentaschen desselben angehäuft war. Als ich ein Lackmuspapier durch die Fistel in den Oesophagus einbrachte, fand ich, dass da, wo der Drüsenmagen anfıng, auch saure Reaction begann. Ich kannte diese Stelle aus früheren Versuchen an gesunden Tauben sehr genau, indem ich den Schnabel einer Frick’schen Pincette mit einem Streifen blauen Lack- muspapiers umwickelte und ihn stets bis zur selben Tiefe einführte. Nun tödtete ich das Thier, öffnete den Drüsen- und Muskelmagen und fand in letzterem auch nicht eine Spur einer verdaulichen Substanz, sondern nur Steine und ausserdem eine sehr grosse Menge einer stark stark sauren durch beigemischte Galle grün gefärbten Flüssigkeit, eine so grosse Menge, wie ich sie bei gesunden Tauben selbst während der vollen Verdauung nie gesehen hatte. Auch bei anderen Tauben, deren Magen ich kürzere oder längere Zeit nach Durchschneidung der Vagi geöffnet, habe ich den Inhalt nie neutral oder alkalisch, sondern immer stark sauer gefunden. 2) Meissner's Bericht über d. Fortschritte der Physiologie im Jahre 1856, 8. 352 ff. % 519 eationen der neueren Zeit bestimmten mich, ihnen schon jetzt ein Capitel zu widmen, wenngleich dadurch die natürliche Reihenfolge der Dinge etwas gestört erscheint. Es waren die Abhandlungen von G. J. Mulder!) über Peptone und die Untersuchungen über die Verdauung der Eiweisskörper von G. Meissner). Letzterer spricht sieh dahin aus, dass die Verdauungsprodukte eines jeden Eiweisskörpers Pepton und Parapepton seien. Als letz- teres bezeichnet er den Körper, der beim Neutralisiren der sauren, die Verdauungsprodukte enthaltenden Flüssigkeit herausfällt, und giebt an, dass durch Zusatz von Chlorkalium zu der (ehlorwasserstoff-) sauren Lösung salzsaures Parapepton gefällt werde. Dass aus den Flüssigkeiten, in denen geronnene Eiweisskörper mittelst künstlicher Verdauung gelöst worden sind, gleich nach erfolgter Lösung durch Neutralisation oder, wieMeissner richtig angiebt, schon vor derselben beim Abstumpfen der Säure ein eiweissartiger Körper gefällt wird, ist sicher und ausser Zweifel. Schon TheodorSchwann stiess auf denselben, als er die Verdauungsprodukte des Fibrins unter- suchte, und bei Mulder finden wir ihn wieder als Niederschlag der durch kohlensaures Ammoniak erzeugt, beim Ueberschuss desselben wieder aufgelöst wird. Aber Meissner schreibt ihm eine neue Eigenschaft zu, nämlich die, dass er von der Verdauungsflüssigkeit zwar aufgelöst, aber nicht weiter verändert werde, indem er sich durch Neutralisation vollständig und unverändert wieder daraus fällen lasse. Er befindet sich hierdurch im Widerspruch mit mehreren älteren An- gaben und insonderheit mit den Resultaten jener neueren Arbeit von Mulder, der angiebt, dass er durch blosse Einwirkung der Ver- dauungsflüssigkeit alle Eiweisskörper so weit verändert habe, dass durch Neutralisation mit kohlensaurem Ammoniak kein Niederschlag mehr erzeugt werden konnte. Dieser Widerspruch muss zuerst gelöst werden. Obgleich mir die progressiven Veränderungen, welche die Eiweiss- körper in der Verdauungstlüssigkeit erleiden, aus früheren Versuchen ") Archiv für die holländischen Beiträge zur Natur- und Heilkunde (1858), Bd. II, 8. I. *) Zeitschrift für rationelle Medicin. Dritte Reihe. Bd. VII, 520 bekannt waren, so wollte ich doch, da Meissner mit französischem Pepsin gearbeitet hatte, was ich in der Regel nicht gethant), da er ferner mit Kali neutralisirt hatte, während ich mich des Ammoniaks bediente ete., noch einen Versuch anstellen. Ich mischte Hühnereiweiss mit Wasser, fügte Chlorwasserstoff- säure hinzu, bis sich blaues Lackmuspapier violet färbte, filtrirte von den Flocken ab, und coagulirte das Filtrat im Wasserbade. Das so gewonnene geronnene Riweiss verdaute ich mittelst französischen Pepsins und Chlorwasserstoffsäure zu 1 Gramm CIH im Litre Wasser. Ich liess die Verdauung nicht in der Wärme, sondern bei gewöhn- licher Lufttemperatur vor sich gehen, weil ich schon aus Erfahrung wusste, dass dann der Körper, den Meissner Parapepton nennt, in grösserer Menge erhalten wird, als beim Digeriren in der Wärme, da in letzterer die weitere Zerlegung rascher fortschreitet. Die filtrirte Flüssigkeit gab denn auch mit Kali ein reichliches Neutralisationsprä- eipitat und wurde durch Chlorkalium und ebenso durch Kochsalz und schwefelsaures Natron gefällt. Nun brachte ich sie in einen Brüt- ofen, in dem sie zwischen 35 und 380 Cels. gehalten wurde. Von Zeit zu Zeit herausgenommene Proben zeigten, dass das Neutrali- sationspräeipitat abnahm. Nach 15 Stunden konnte es nicht mehr erhalten werden, und auch Chlorkalium, Chlornatrium ete. fällten die Flüssigkeit nicht mehr. Das sogenannte Parapepton konnte also weder als solches, noch als salzsaures Parapepton gefällt werden. Ich habe ferner das Neu- tralisationspräeipitat von durch Hitze coagulirtem und mittelst fran- zösischem Pepsin, nach Meissner’s Angabe, verdautem Hühner- eiweiss in neuer Verdauungsflüssigkeit gelöst und durch Digestion mit derselben in der Wärme so weit verändert, dass es weder durch Neutralisation noch durch Chlorkalium mehr gefällt wurde. Meissner’s Angabe über die Unveränderlichkeit des soge- nannten Parapeptons in VerdauungsHüssigkeit rührt wahrscheinlich !) Ich hatte meine Versuche begonnen mit dem unter II. erwähnten Pepsin, das ich von den Herren DD. Stefan und Lamatsch erhalten hatte, und von dem ich je nach Umständen wässerige oder salzsaure Auszüge bereitete, später habe ich mir meine Verdauungsflüssigkeit aus frischen Schweinsmägen dargestellt. u 521 “ daher, dass er seine Versuche bei zu niedriger Temperatur angestellt hat. Bei soleher hält sich allerdings der durch Neutralisation fällbare Eiweisskörper oft lange Zeit in der Verdauungsflüssigkeit. In meinem Tagebuche finde ich unter dem 28. März 1857 einen Verdauungs- versuch mit durch Hitze coagulirtem Hühnereiweiss beschrieben, bei dem es vom Neutralisationspräcipitat heisst: „Dieses Präcipitat erschien noch in einer Portion, die 8 Tage lang am kühlen Orte gestanden hatte.“ Wenn man einerseits die eben besprochene Angabe Meiss- ner's nicht aufrecht erhalten kann, so wird man sich andererseits nicht gedrungen fühlen, Mulder’s Ansicht beizupflichten, dass alle zur Resorption kommenden Eiweisskörper erst in das zerfällt werden, was er Peptone nennt, das heisst m Körper, die aus der sauren Lösung nicht gefällt werden durch: Kochen, Alkohol, Salpetersäure , Carbonas Ammoniae, Acetas plumbi neuter, Gelbes Blutlaugensalz,, Sulphas Sodae 1). Um diese Veränderungen hervorzubringen, setzte Mulder die Eiweisskörper in der Regel 4 Tage der Einwirkung der Verdauungs- flüssigkeit aus, während der sie täglich durch 8 Stunden bei einer Temperatur von 40° Celsius erhalten - wurden. Diejenigen, welche die Lehre von den Peptonen, ihrer ausschliesslichen Resorptionsfähig- keit und ihrer Regeneration oder Reeomposition zu Eiweiss, Fibrin etc. aufgestellt oder angenommen haben, sind in der That mit befremden- der Leichtigkeit hinweggegangen über die Langsamkeit, mit der die Peptonbildung erfolgt, oder, wie wir uns lieber ausdrücken wollen, über die Langsamkeit, mit der die Reactionen der gelösten aber als solcher noch vorhandenen Eiweisskörper verschwinden; denn nur aus diesem Verschwinden schliesst man auf Bildung sogenannter Peptone, ’) Mulder l. ce. p. s. 522 da für sie bekanntlich keine positiven Reactionen existiren. Fragen wir uns, wie lange im Körper des Menschen Zeit zur Peptonbildung gegeben ist? Beaumont giebt nach seinen Beobachtungen an St. Martin für sehr volle Mahlzeiten allerdings die Zeit der Magenverdauung auf 6 und 6%, Stunden an, bei mässigen Mahlzeiten war sie aber geringer, ja es kommen Beobachtungen wie folgende vor: Zweite Reihe, Exp. 43. Um 11%, Uhr zwei gebackene Eier und drei reife Aepfel, nach 40 Minuten anfangende Digestion, um 12, Uhr der Magen leer. Exp. 44. An demselben Tage um 2 Uhr geröstetes Schweinefleisch und Vegetabilien; um 3 Uhr halbe Chymification, um 4 Uhr nichts mehr im Magen. Dass diese Zeiten nicht hinreichen, die Eiweisskörper der gebackenen Eier und des gerösteten Rindfleisches vollständig in sogenannte Peptone überzuführen, wird jedem einleuch- ten, der sich mit Verdauungsversuchen beschäftigt hat, namentlich wird er wissen, dass dies in Versuch 44 nicht um 4 Uhr der Fall sein konnte, wenn um 3 Uhr erst halbe Chymification beobachtet wurde. Hören wir ferner W. Busch in seinem so lehrreichen Beitrage zur Physiologie der Verdauungsorgane '). Er beobachtete die Zeit nach der die genossenen Nahrungsmittel in einem im oberen Theile des Dünndarms befindlichen anus praeternaturalis zum Vorschein kamen. Er sagt: „Wurde ein Nahrungsmittel gegessen, welches leicht wieder zu erkennen war, wie Fleisch, Eier oder ein Gemüse, Brod etc., so sah man durchschnittlich zwischen 15 und 30 Minuten die ersten Nahrungsbrocken zum Vorschein kommen. Um aus der grossen Menge von Beobachtungen Beispiele zu geben, folgen hier einige, in welchen die kürzeste und längste Frist, welche überhaupt beobachtet wurde, enthalten sind. Gekochte Eier nach 26 Minuten, n 2 n 20 2 2 „ » 35 n Kohl: nach ...... 19 5 7 2 1 5 » !) Virchow’s Archiv, Bd. XIV. (1858.) S. 140. 525 Fleisch nach . . 30 Minuten. s 5 u an 122 2 Mohrrüben nach . 12 2 Kartoffeln nach . 15 4 u. s. w. Wenn eine reichliche Mahlzeit genommen war, so dauerte es durch- schnittlich 3—4 Stunden bis alles entfernt war. Einzelne kleine Spür- chen fanden sich zwar auch noch später vor, erschienen dann aber als verirrte Partikeln in der Masse des neugenossenen. Die einzige Aus- nahme bildete hiervon, dass wenn Abends eine grosse Portion von Nah- rungsmitteln verzehrt wurde, diese nur zum Theil des Abends abgin- gen, während der andere Theil erst am frühen Morgen zum Vor- schein kam.“ Wenn Fleisch und Eier in der Fistelöffnung noch als Brocken er- kannt wurden, so konnten sie selbstredend nicht in Peptone umgewan- delt sein, im Gleichen fand schon Gmelin im Dünndarm durch Hitze gerinnbares Eiweiss wieder und Busch hat dies bestätigt. Mulder erkennt selbst an, das die Peptonbildung im Magen nicht vollendet werden könne, aber er meint sie werde im Darmkanal fortgesetzt. Die Versuche über künstliche Verdauung lehren, dass dieselbe mit dem Schwinden der sauren Reaction aufhört und einem ganz anderen Zersetzungsprocesse Platz macht. Im Dünndarm aber nimmt der Speise- brei durch die Zumischung alkalischer Seerete sehr bald neutrale, dann alkalische Reaction an. Versuche über künstliche Verdauung lehren ferner, dass die Galle, in einiger Menge der Verdauungsflüssigkeit zu- gemischt, ihre Wirkung völlig aufhebt, auch wenn das Gemenge sauer reagirt. Die hierüber gemachten Angaben sind vollkommen richtig. Im Duodenum nun wird dem Speisebrei die Galle in reichlicher Menge zugemischt; die Annahme, dass im weiteren Verlaufe des Dünndarms die Peptonbildung noch fortgesetzt werde, wird also durch unsere künst- lichen Verdauungsversuche keineswegs wahrscheinlich gemacht. Es ist kein Zweifel, dass noch weiter und weiter ein Auflösungs- und Um- wandlungsprocess stattfindet, dass aber die Produkte desselben identisch seien mit denen, welche die andauernde Einwirkung des sauren Magen- saftes hervorbringt, diese Annahme ist, wenn man die Verschiedenheit 524 der Reaction und die Verschiedenheit der wirkenden Agentien berück- sichtigt, vor der Hand in so weit ganz willkürlich, als jene Peptone wirklich, wie dies Mulder von den seinen aussagt, Produkte der che- mischen Zersetzung, nicht bloss Produkte der Auflösung und des mecha- nischen Zerfalls sein sollen. L. Corvisart lehrt freilich geradezu, dass der suceus panereatieus die Eiweisskörper in wahre Peptone verwandle; die Gründe, welche er dafür angiebt, sind aber nicht genügend. Prüfen wir sie einzeln: 1. Das Verdauungsprodukt soll bei der Trommer’'schen Zucker- probe die Reduetion des Kupferoxyds zu Oxydul gehindert haben, wie dies nach Longet die aus der Magenverdauung hervorgehenden Kör- per (sogenannte Peptone) thun. Dieser Grund ist schon deshalb ohne alle Bedeutung, weil Longet's Angabe, wie schon Meissner richtig bemerkt, auf einem Irrthum beruht. Die Reduction des Kupferoxyds geht ungestört vor sich, aber das gebildete Oxydul bleibt, wo es nicht in sehr grosser Menge vorhanden ist, in Lösung. Dies kann erfahrungs- mässig durch so viel verschiedene Körper bedingt sein, dass niemand im Ernste daran denken wird, hieraus einen diagnostischen Charakter zu machen. 2. Das Verdauungsprodukt, das aus coagulirtem Eiweiss erhalten war, gerann in der Hitze nicht. — Kennt man denn bis jetzt irgend ein Lösungsmittel, durch das man aus durch Hitze geronnenem Eiweiss eine Flüssigkeit erhielte, die beim Kochen noch einmal gerinnt? 3. Eine Reihe von Reagentien, nämlich: Kali, Essigsäure, Salpeter- säure, Pikrinsäure, schwefelsaure Thonerde, Platinbichlorür brachten in beiden Flüssigkeiten (der, in welcher geronnenes Eiweiss mit Pepsin, und der, in der es mit sogenanntem Pankreatin verdaut war), die übrigens vorher aufgekocht und filtrirt waren, keinen Niederschlag her- vor. Es ist kaum nöthig zu bemerken, dass dergleichen negative Cha- raktere nicht die chemische Identität zweier Lösungen beweisen können, so lange nieht die Verbindungen, welche möglicher Weise darin ent- halten, der Zahl nach begrenzt und einzeln in ihrem Verhalten gegen die erwähnten Reagentien bekannt sind. 4. Quecksilberdeutochlorür, essigsaures Blei- und „salpetersaures Silberoxyd brachten in beiden Flüssigkeiten Fällungen hervor. — Die 525 Niederschläge sind nicht auf ihre Identität untersucht und können: des- halb nichts beweisen. 5. Galle brachte in beiden Flüssigkeiten, wenn sie sauer waren, Trübungen hervor, die in einem Ueberschuss von Galle sich wieder auflösten. Es ist schwer zu begreifen, wie der Verfasser diese Reaction unter denen aufführen kann, welche die Identität beider Verdauungsprodukte beweisen sollen, . da er selbst auf Seite 28 mit voller Berechtigung sagt: Nous avons reconnu preeedemment que le preeipite formed au contact de la bile et du ehyme n’etait point forme par les aliments digerds ou peptones, puisqu "il se forme en leur absence absolue. Liest man endlich, dass schon das Ansehen der. beiden Flüssig- keiten vor der Filtration verschieden war, indem die eine als laiteux, die andere als sirupeux beschrieben wird, so sieht man nicht ein, was ihn bewogen hat, die Identität beider Arten von. Verdauungsprodukten so zuversichtlich zu behaupten. Meissner sagt zwar auch, sie seien einander so ähnlich, dass man sie nicht unterscheiden könne, aber er führt nicht an, dass es ihm gelungen sei, irgend einen positiven Cha- rakter zu entdecken, auf den man einigen ‘Werth legen könnte, Auch erhielt er überhaupt nur Verdauung mit saurem Pancreasinfus, wäh- rend bekanntlich der Chymus im Dünndarm normaler Weise nur kurze Zeit sauer bleibt, dann neutral und später alkalisch. wird. Wenn also wirklich, was keineswegs bewiesen ist, die wirksame Substanz des Panereassaftes bei saurer Reaction dieselben Verdauungsprodukte wie das Pepsin lieferte, so würde damit die Zeit für die Peptonbildung durchaus nicht auf die ganze Dünndarmverdauung ausgedehnt sein, sondern nur auf den Anfang derselben. Wie sollen wir endlich die Identität dieser oder jener Verdauungs- produkte mit den sogenannten Peptonen nachweisen, so lange wir eben jene Peptone selbst nicht besser kennen? Wie es mit. unseren Kennt- nissen von denselben steht, wird auch dem Uneimgeweihten durch eine blosse Vergleichung der Angaben von Lehmann, Corvisart und Mulder klar werden. So wünschenswerth uns nun auch eine genauere Kenntniss dieses Gegenstandes sein würde, so scheint mir doch zugleich aus dem bis- 526 her Gesagten hervorzugehen, dass die Körper, welche sich durch an- dauernde Einwirkung sauerer Pepsinlösungen auf Eiweisskörper bilden» für die Lehre von der Verdauung erst in zweiter Reihe in Betracht kommen und wir uns zunächst mit den Produkten beschäftigen müssen, welche unmittelbar bei der Auflösung der Eiweisskörper durch den sauren Magensaft entstehen, denn diese sind es, welche zunächst und immer im Magen des lebenden Menschen gebildet werden. Wenden wir uns unter diesen zuerst zu dem Neutralisationspräeipitat, welchem Meissner den Namen Parapepton gegeben hat. Dieser Name muss die Vorstellung erwecken, dass das Pepsin bei der Bildung. des sobe- nannten Körpers ein wesentlicher und nothwendiger Factor sei. Das ist aber dureh nichts bewiesen, im Gegentheil man erhält die Erschei- nungen ganz so wie sie Meissner beschreibt auch wenn man frisch ausgewaschenes Blutfibrin in Wasser, das 1 Gramm CIH im Litre ent- hält, zerfallen lässt und filtrirt. Beim Abstumpfen der Säure des Fil- trats wird man die Entstehung eines reichlichen Neutralisationspräci- pitats nicht übersehen können. Man versetze ferner Hühnereiweiss mit Wasser und soviel verdünnter Chlorwasserstoffsäure, dass blaues Lackmus- papier eben violet gefärbt wird, und filtrire dann von der entstandenen flockigen Trübung ab; man wird finden, dass das Filtrat weder durch sehr verdünnte Salzsäure noch durch verdünnte Alkalien gefällt wird. Nun bringe man es aber auf den Säuregrad 1 (1 Gramm CIH im Litre Flüssigkeit) und überlasse es der Digestion ohne Pepsin. Man wird finden, dass nach einiger Zeit bei Abstumpfung der Säure ein reichliches Neutralisationspräcipitat entsteht. Hat man aber vor der Digestion auch noch Pepsin hinzugesetzt, so erhält man kein Neutrali- sationspräcipitat, höchstens eine schwache Trübung. Hier wird also Meissner Parapepton erhalten ohne Pepsin und wenn unter übrigens ganz gleichen Umständen Pepsin mit in Thätigkeit gesetzt worden ist, so erhält man es nicht. Meissner führt unter den wesentlichen Eigenschaften des Para- peptons auf, dass es aus der salzsauren Lösung durch Chlorkalium ge- fällt werde und bezeichnet den so entstandenen in Wasser löslichen Niederschlag als salzsaures Parapepton. Er erwähnt nicht, dass man, wie dies ohnehin allgemein bekannt, auch aus Eiweisslösungen, die gar 527 nicht der Einwirkung von Verdauungsflüssigkeit ausgesetzt worden sind, durch Ansäuern und Zusatz von Chlorkalium oder einem anderen löslichen Chlormetalle oder Neutralsalze einen solchen Niederschlag er- hält. So wird auch die saure Flüssigkeit, welche man durch Zerfallen von Fibrin in verdünnter Salzsäure ohne Mitwirkung von Pepsin er- hält, durch Salzlösungen gefällt, desgleichen die saure Flüssigkeit, welche man erhält, wenn man lösliches Eiweiss mit blosser verdünnter Salzsäure ohne. allen Zusatz von Pepsin digerirt. Ich will hier auf die chemische Constitution dieser Niederschläge nicht näher eingehen, sondern nur die Beziehung erörtern, in der sie zu den Quellungserscheinungen der Eiweisskörper stehen. Man übergiesse zwei frisch ausgewaschene Fibrinproben A und B mit derselben Kochsalzlösung und beachte, dass sie darin etwas schrumpfen, dann füge man zu B Essigsäure oder verdünnte Chlorwasserstoffsäure, wodurch in Wasser aufgeschwemmtes Fibrin bekanntlich aufquillt, und man wird bemerken, dass es hier noch stärker schrumpft. Man lasse andererseits eine Fibrinflocke in verdünnter Salzsäure anquellen und füge dann Kochsalzlösung hinzu, und man wird finden, dass sie schrumpft, weiss und undurchsichtig wird. Man kann durch Anwendung anderer Säuren und anderer Salze die Versuche noch vielfältig variiren und kommt schliesslich zu dem Resultate, dass Chlornatrium, Chlorkalium, Salmiak, Glaubersalz, Salpeter u. s. w. dem in Säuren angequollenen Fibrin stark Wasser entziehen, während das frische Blutfibrin in alka- lischen Salzlösungen bekanntlich trüb durchscheinend wird, nach und nach zerfällt und sich auflöst. Auch dem von mir durch langsame Zersetzung des Lieberkühn’schen Kalialbuminats erhaltenen Eiweiss- körper !) entziehen, wenn er in verdünnten Säuren angequollen ist, Salzlösungen energisch Wasser, so dass er wieder fest, weiss und un- durchsichtig wird. Wenn dabei die Säure etwas von dem Eiweisskörper aufgelöst hat, so wird sie durch die Salzlösung getrübt. Man kann sich also das Entstehen des Präeipitats in saurer Lösung so denken, dass in dersel- ben kleine stark aufgequollene Eiweisspartikeln enthalten sind, denen ') E. Brücke über die Ursache der Gerinnung des Blutes, Virchow's Archiv, XI, (1857.) 8. 193. MOLESCHOTT , Untersuchungen VI, 35 528 durch das Salz Wasser entzogen wird, und die deshalb anfangs die Flüssigkeit trüben, dann sich in Form eines feinflockigen Niederschlages zu Boden setzen. Ich muss übrigens bemerken, dass sich unter den Verdauungspro- dukten der Eiweisskörper auch solche finden, die durch Salze aus der sauren Lösung, aber nicht durch Neutralisation gefällt werden. So dass also die Eiweisskörper, welche Meissner als Parapepton bezeich- net, möglicher Weise verschieden sein können, je nach dem Fällungs- mittel, das er anwendet. Wenn man frisch ausgewaschenes Blutfibrin verdaut, die filtrirte Flüssigkeit neutralisirt, vom Neutralisationspräeipi- tat (Meissner's Parapepton) abfiltrirt, mit Kochsalz oder Chlorkalium versetzt und wieder mit Salzsäure ansäuert, so entsteht ein neuer Nie- derschlag. Hier war also erst durch Neutralisation Meissner’s Para- pepton als solches ausgefällt worden, und dann wurde durch Chlorka- lium und Salzsäure aus dem Filtrat ein neuer Niederschlag erhalten, der nach den Anschauungen von Meissner wieder salzsaures Para- pepton sein müsste, was offenbar nicht sein könnte, wenn anders das Parapepton durch Neutralisation vollständig gefällt wird. Es ist in- dessen in der That ziemlich wahrscheinlich, dass diese beiden Eiweiss- körper, wenn sie auch den Namen Parapepton nicht verdienen, doch identisch sind. Das Neutralisationspräeipitat vom verdauten Blutfibrin ist nämlich in Salzen löslich, und was später durch Chlorkalium und Salzsäure gefällt wird, mag nur der durch die Salze der Flüssigkeit in Lösung erhaltene Rest sein. Stellt man denselben Versuch mit durch Hitze coagulirtem Hühnereiweiss an, so erhält man keinen zweiten Nie- derschlag, höchstens eine unbedeutende Trübung. Meissner sagt ferner von seinem Parapepton: „Es löst sich in Wasser, welehes etwa 3 Procent CIH enthält. Ist aber mehr freie Säure vorhanden (ähnlich ist das Verhalten auch bei Salpetersäure), so wird das Parapepton gefällt, löst sich aber dann wieder bei einem gewissen Ueberschuss in den concentrirten Mineralsäuren.“ Auch hier findet sich eine Analogie zwischen anscheinend gelösten und bloss aufgequollenen Eiweisskörpern. Blutfibrin quillt bekanntlich in verdünnter Chlorwasserstoffsäure auf, setzt man aber dann stärkere hinzu, so schrumpft es, wird weiss und undurchsichtig, quillt aber in 529 eoncentrirter Chlorwasserstoffsäure wieder auf, um sich allmälig darin unter Zersetzung zu lösen. Ebenso verhält sich der oben erwähnte, von mir durch langsame Zersetzung des Lieberkühn’schen Kalialbuminats dargestellte Eiweiss- körper. Es muss übrigens wiederum bemerkt werden, dass dies Ver- halten gegen Salzsäure keineswegs für Meissner's Parapepton cha- rakteristisch ist, dass es sich bei Eiweisskörpern wieder findet, die nie mit Pepsin in Berührung gekommen sind. = So wird die durch Zerfallen von Fibrin in verdünnter Salzsäure erhaltene Flüssigkeit durch Neutralisation gefällt, das Neutralisations- präeipitat durch schwache Salzsäure gelöst, durch concentrirtere wieder gefällt, endlich durch noch concentrirtere wieder gelöst. Ebenso ver- hält sich das Neutralisationspräeipitat, welches man von löslichem Ei- weiss erhält, das nicht mit Verdauungsflüssigkeit, sondern nur mit ver- dünnter Salzsäure ohne Pepsin digerirt worden ist. Meissner sagt: „Nicht eoagulirtes Albumin liefert ganz dieselben Verdauungsprodukte (wie durch Hitze coagulirtes Hühnereiweiss), eig- net sich aber nicht so gut zu Versuchen, weil sich das nicht verdaute schwerer erkennen und trennen läst.“ Dieser Angabe kann ich nicht beitreten. Man verdünne frisches Hühnereiweiss mit Wasser und neu- tralisire es mit sehr verdünnter Chlorwasserstoffsäure, oder besser, man füge davon so viel hinzu, dass die Eiweisslösung gut bereitetes blaues Lackmuspapier eben violet färbt und filtrire von dem entstandenen Niederschlage ab. Die eine Hälfte des Filtrats eoagulire man im Wasserbade, die andere nicht. Dann versetze man jede von beiden mit gleich viel Pepsin, bringe sie beide auf denselben Säuregrad und überlasse sie der Digestion in ein und derselben Temperatur. Nachdem das geronnene Eiweiss gelöst ist, untersuche man beide Flüssigkeiten. Man wird finden, dass die vom geronnenen Eiweiss her- rührende ein Neutralisationspräcipitat (Meissner's Parapepton) giebt, die andere aber nicht, höchstens eine schwache Trübung, die durch einige Tropfen Kochsalzlösung wieder geklärt wird. Nun erhitze man eine Probe dieser zweiten neutralisirten Flüssig- keit, und man wird bemerken, dass sie sich beim Kochen trübt und ein flockiges Präeipitat auscheidet. Sie enthält also. noch lösliches, in * 530 der gewöhnlichen Weise coagulirbares Albumin, das sich unter den Ver- dauungsprodukten des durch Hitze geronnenen Eiweisses nicht nach- weisen lässt. Erhitztman die Verdauungsprodukte des löslichen Eiweisses vor dem Neutralisiren, so tritt keine Gerinnung ein (nur wenn man relativ zu der Verdauungsflüssigkeit sehr viel Eiweiss genommen hat, kann die Flüssigkeit gelatinös werden, indem dann die von Magendie zuerst beobachtete, in der Wärme schmelzende Gallerte entsteht, zu deren Bildung das Eiweiss in sauren Lösungen Veranlassung giebt), aber wenn man die Flüssigkeit erkalten lässt und dann neutralisirt, so er- hält man ein Präcipitat. Also erst verdauen und dann kochen hat zu demselben Resultat geführt, wie erst kochen und dann verdauen. Verdaut man den durch langsame Zersetzung des Lieberkühn'- schen Kalialbuminats erhaltenen Eiweisskörper, den ich in meiner Ab- handlung über die Ursache der Gerinnung des Blutes ') beschrieben habe, so erhält man davon ein reichliches Neutralisationspräeipitat, und die davon abfiltrirte Flüssigkeit bleibt beim Kochen ebenso unverän- dert, wie wir dies beim durch Hitze coagulirten Hühnereiweiss ge- sehen haben. Anders verhält es sich mit dem Blutfibrin, das diesem Eiweisskörper in mancher Beziehung so ähnlich ist. Wenn man frisch ausgewaschenes Blutfibrin verdaut, so giebt die Lösung beim Neutrali- siren auch ein Präcipitat. Ist dasselbe durch Ammoniak hervorge- bracht, so löst es sich, was, wie wir später sehen werden, keineswegs eine allgemeine Eigenschaft der von uns betrachteten Neutralisations- präeipitate ist, bei Zusatz von Kochsalzlösung leicht und vollständig wieder auf, ganz wie der Eiweisskörper, den man aus Blutserum oder Hühnereiweiss durch Neutralisation und Wasserzusatz fällen kann. Löst man das Neutralisationspräeipitat nicht wieder auf, sondern filtrirt von demselben ab, so erhält man eine Flüssigkeit, welche, wie dies schon Theodor Schwann beobachtete, beim Kochen reichliche Flocken von geronnenem Eiweiss ausscheidet. Es ist bekannt, dass das Fibrin in Salpeterlösung oder durch Faulen in Wasser gelöst ebenfalls eine in der Hitze gerinnende Flüssigkeit giebt und ich habe früher gezeigt, dass, wenn man frisches Blutplasma erst ansäuert und später wieder !) Virchow's Archiv, XII. (1857.) S. 193. 531 neutralisirt, das Fibrin darin als in der Hitze_gerinnbares Eiweiss ge- löst bleibt 1). Nach allem diesen kann man wohl nieht zweifeln, dass im Fibrin Albumin von derjenigen Modification enthalten ist, die wir gewöhnlich als lösliches Eiweiss bezeichnen, wenn es sich auch hier nicht ohne weiteres löst. Nicht so in dem durch langsame Zersetzung des Kalialbuminats erhaltenen Eiweisskörper. Dieser hatte beim Ver- dauen kein gewöhnliches Eiweiss gegeben, sondern nur solches, das beim Abstumpfen der Säure gefällt wird, und als ich denselben Kör- per faulen liess, erhielt ich wiederum kein gewöhnliches durch Neu- fralisiren oder Ansäuern nicht fällbares aber in der Hitze gerinnendes Eiweiss, sondern nur solches, das beim Ansäuern der alkalischen Lö- sung gefällt wurde. Ich machte mich nun daran, zu untersuchen, ob sich das Fibrin durch Kochen oder durch Behandlung mit Kali in derselben Weise, wie das Eiweiss modifieiren lasse. Ich kochte zunächst frisch ausgewaschenes Blutfibrin und verdaute es dann mittelst Pepsinlösung. Es war bedeutend schwerer verdaulich als rohes Blutfibrin. Die nach erfolgter Lösung erhaltene Flüssigkeit gab ein reichliches Neutralisationspräeipitat und das davon abfiltrirte gerann beim Kochen nicht. Eben so wenig konnte ich durch Fäul- niss oder Maceration in Salzlösungen aus gekochtem Fibrin eine in der Hitze gerinnbare Flüssigkeit erhalten. Das Eiweiss also war in dem Fibrin in ähnlicher Weise durch die Siedhitze verändert worden, wie es sich verändert, wenn man lösliches Hühnereiweiss durch Hitze eoagulirt. Die Veränderung also, die das Eiweiss durch die Hitze er- leidet, ist, in so weit sie hier erforscht worden, unabhängig vom Pro- cess des Gerinnens, denn vorher sahen wir sie eintreten, ohne dass das gelöste Eiweiss gerann, hier sehen wir sie eintreten nach der frei- willigen bei gewöhnlicher Temperatur erfolgten Gerinnung. Ich löste ferner Fibrin bei gewöhnlicher Temperatur und im ver- schlossenen Gefässe in verdünnter Kalilauge auf und fällte mit ver- dünnter Salzsäure. Den so erhaltenen wohl ausgewaschenen Nieder- schlag, der sich übrigens auch in blosser verdünnter Salzsäure löste, 1) Ueber die Ursache der Gerinnung des Blutes, Virchow's Archiv 1. ce. 532 digerirte ich mit Verdauungsflüssigkeit. Die dadurch erhaltene Lösung gab ein reichliches Neutralisationspräeipitat, und das von demselben abfiltrirte gerann beim Kochen nicht. Ich liess ferner Fibrin in Kalilösung nur anquellen, dann in sehr verdünnter Essigsäure das Kali sich wieder mit dieser verbinden und wusch das Fibrin aus. Der so erhaltene Körper wurde verdaut; die erzielte Flüssigkeit gab ein reiehlieheres Neutralisationspräcipitat, als dies bei frischem Fibrin der Fall ist, und das davon abfiltrirte trübte sich zwar beim Kochen, aber schied doeh ohne Vergleich weniger Eiweiss aus, als man unter übrigens gleichen Umständen von rohem Fibrin erhält, das nicht mit Kali behandelt worden ist. Das Kali wirkte also hier auf das Albumin im Faserstoff in ähnlicher Weise wie bei der Bereitung des Kalialbuminats aufdas Albumin im löslichen Eiweiss. Alles bisher Gesagte zeigt einerseits, dass die in Meissner's Abhandlung aufgestellten Ansichten nicht haltbar sind, andererseits, dass uns die Einwirkung des sauren Magensaftes zunächst Produkte giebt, denen theilweise der Stempel der Muttersubstanzen noch deutlich aufgeprägt ist. Ja wir erkennen einzelne dieser Körper geradezu als Produkte des mechanischen Zerfalls. Meissner sagt mit Recht, dass die Flüssigkeiten, ehe das Para- pepton ausgefällt ist, opalisiren, während die vom Parapepton (Neu- tralisationspräeipitat) abfiltrirte Flüssigkeit vollkommen klar sei. Das Opalisiren ist meiner Erfahrung nach am stärksten in Flüssigkeiten, in denen in der Hitze eoagulirtes Eiweiss verdaut ist, und stärker wenn die Verdauung bei gewöhnlicher Temperatur als wenn sie im Brütofen von Statten gegangen war. Das Opalisiren rührt bekanntlich immer davon her, dass im Inneren der Substanz, die man opalisirend nennt, Licht zerstreut wird. Dies zertreute Licht kann entweder her- rühren von Fluorescenz, dann ist es nicht polarisirt, oder es kann her- rühren von der Reflexion an im Inneren vertheilten Körpern von an- derem Brechungsindex als die Substanz selbst; dann ist das Licht polarisirt. Keine Flüssigkeit kann in ihrem Inneren polarisirtes Licht zerstreuen, wenn nicht in ihr Partikeln einer anders brechenden Sub- stanz vertheilt sind, an deren Oberflächen das Licht reflectirt wird. Bereiten wir nun unsere Flüssigkeit mittelst Verdauung von geronne- 533 nem Eiweiss. Lassen wir die Verdauung bei gewöhnlicher Tempera- tur, nicht im Brütofen vor sich gehen, weil wir aus Erfahrung wissen, dass wir den durch Neutralisation fällbaren Eiweisskörper (Meissner's Parapepton) dann in grösserer Menge erhalten und mithin die Flüssig- keit auch stärker opalisirt. Leiten wir mittelst einer Sammellinse einen Kegel eoneentrirten Sonnenlichtes hinein, er wird sich vermöge des von ihm ausgehenden zerstreuten Lichtes sichtbar machen. Wir unter- suchen dasselbe mittelst eines vor dem Auge sich langsam drehenden Nikol’schen Prisma’s und finden, dass es polarisirt ist. Es miissen also in der Flüssigkeit das Licht reflectirende Partikeln enthalten sein, und diese sind Eiweisspartikeln, die in der verdünnten Säure aufgequollen sind; stumpft man die Säure ab, so schrumpfen sie wie eine in verdünnter Salzsäure aufgequollene Fibrinflocke, die Opa- lescenz geht in stärkere und stärkere Trübung über, endlich setzt sich ein Präcipitat zu Boden und die davon abfiltrirte Flüssigkeit ist nun vollkommen klar und ohne eine Spur von Opalescenz. Ferner bemerkt Mulder mit Recht, dass die Eiweisskörper ihre charakteristischen Eigenschaften bei der Verdauung nicht alle gleichzeitig, sondern eine nach der andern verlieren. Wenn die Verdauungsflüssigkeit schon so lange eingewirkt hat, dass kein Neutralisationspräcipitat mehr entsteht, so kann durch Blutlaugensalz noch Eiweiss erhalten werden, und wenn es durch Blutlaugensalz nicht mehr gefällt wird, so giebt es mit Salpetersäure gekocht noch Xanthoproteinsäure. Wir haben, wenn wir uns der Ampö&re’chen Nomenelatur anschliessen, in dem der Ver- dauung unterliegenden Eiweiss eine Masse, die in Partikeln zerfällt, die Partikeln in Molecule, die Moleeule in Atome, durch deren Aus- tausch oder Lagenveränderung dann die eigentlich chemischen Ver- änderungen hervorgebracht werden. Dies Zerfallen in Partikeln, die als solehe noch die Charaktere der Muttersubstanz an sich tragen, stimmt nicht überein mit der Vor- stellung, dass das Eiweiss als homogene Substanz durch die sogenannte Fermentwirkung des Pepsins unter Veränderung der Anordnung sei- ner kleinsten Theile aufgelöst werde, denn nach dieser Vorstellung müsste die chemische Veränderung gleichen Schritt halten mit der 534 Auflösung, und was einmal aufgelöst ist, müsste die Charaktere dar- bieten, die man den sogenannten Peptonen zuschreibt. Das Zerfallen in Partikeln stimmt ferner auch nicht mit der Vor- stellung, dass das Eiweiss als homogene Substanz durch den Magensaft zunächst einfach gelöst werde, denn eine homogene Substanz zerfällt bei ihrer Lösung nicht in Partikeln, sondern in Molekeln, die als solche mit dem Menstruum eine klare Lösung geben müssen und nicht als in ihr suspendirte Körperchen polarisirtes Licht refleetiren können. Dagegen kann das Verhalten des geronnenen Fiweisses auf zweierlei Art erklärt werden. . 1. Man nimmt an, dass das geronnene Eiweiss ein mechanisches Gemenge von zweierlei chemisch verschiedenen Substanzen sei, wovon die eine leichter, die andere schwerer aufgelöst wird. 2. Man nimmt an, dass das Eiweiss zwar nicht ein Gemenge zweier chemisch verschiedenen Substanzen, dass es aber mechanisch nicht homogen sei, das heisst, dass die Molecule gruppenweise fester unter einander verbunden sind, so dass es bei der Verdauung deshalb zunächst in Partikeln, d. h. Moleculgruppen, zerfällt, die dann erst weiter aufgelöst werden. XXIV. Ueber die Einwirkung des Pfeilgiftes auf die motorischen Nerven. Von v. Bezhold !). 1. Durch die Einwirkung des Pfeilgiftes auf die motorischen Ner- ven des Frosches, wird die Geschwindigkeit, mit welcher die Erregung sich innerhalb derselben fortpflanzt, herabgesetzt. 2. Diese Verlangsamung der Fortpflanzung durch den Einfluss des Giftes tritt sehr früh ein in den intramuscularen Nerven; bedeutend langsamer und später, und nur bei sehr grossen Gaben des Giftes in den motorischen Nervenfasern der Stämme. 3. Die durch den Einfluss des Pfeilgiftes erzeugte Verminderung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung wächst mit fortschrei- tender Vergiftung mehr und mehr; sie ist mit einer stetig zunehmen- den Abschwächung der Erregung während der Fortpflanzung verbun- den; sie geht endlich über in eine totale Unfähigkeit des Nerven, Er- regungen, die innerhalb desselben stattfinden, fortzupflanzen. 4. Als grösste Verminderung der Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung im Nerven habe ich in bisherigen Versuchen die Herab- ") Aus den Sitzungsberichten der physikalisch-mathematischen Klasse der Berliner Akademie der Wissenschaften, vom Herrn Verfasser mitgetheilt, 936 setzung der Schnelligkeit, mit welcher der Reiz sich im N. ischiadieus des Frosches bei 15° C. fortpflanzt, von 26 Meter auf 5,5 Meter in der Secunde beobachtet. 5. Der zeitliche Verlauf der Muskelverkürzung nach direeter Er- regung wird durch die Einwirkung des Pfeilgiftes nicht geändert. 6. Der zeitliche Verlauf der Muskelverkürzung nach Erregung des Nerven wird mit zunehmender Verlangsamung der Fortpflanzungsge- schwindigkeit durch die Einwirkung des Pfeilgiftes bis um das Dop- pelte verzögert. XXV. Ueber Herzreizung und ihr Verhältniss zum Blutdruck. Von Dr. Einbrodt aus Moskau 1). Die Thatsachen, welche über die Folgen der elektrischen Reizung des Herzens und seiner Nerven bekannt geworden sind, bin ich be- fähigt, um einige neue zu vermehren in Folge einer Untersuchung, die ich im Laboratorium des Herın Prof. Ludwig angestellt habe. Zu meinen Versuchen habe ich lebende Kaninchen oder Hunde benutzt, deren Brusthöhle entweder geöffnet wurde oder auch geschlos- sen blieb. Um in dem letzteren Falle die Aenderungen der Herzbe- wegung wahrzunehmen, bediente ich mich theils des Blutdrucks und theils eines vom Herzen in Bewegung gesetzten Fühlhebels. Die Ver- bindung dieses Hebels mit dem Herzen wurde hergestellt durch eine Nadel, die durch die Brustwand hindurch in der von Middeldorpf angegebenen Weise in den Ventrikel eingestossen war. Das freie Ende dieser Nadel führt nun bekanntlich, indem sie aufsteigt, auch rotirende Bewegungen aus. Da es mir nur darauf ankam, die senk- rechte Componente ihrer Bahn aufzufangen, so machte ich die seitlichen Bewegungen des Nadelendes für den Hebel unwirksam, eine Bedingung, ’) Aus den Sitzungsberichten der mathematisch-naturwissenschaftlichen Klasse der Wiener Akademie der Wissenschaften, vom Herrn Verfasser mitgetheilt, 538 die besonders darum erfüllt werden musste, weil ohnedies der Hebel nicht allein einen schleudernden Gang; angenommen, sondern auch kleine Bewegungen des Herzens selbst gehemmt oder wenigstens nicht an- gezeigt hätte. Da die Erhebungen der Nadel aber sehr gering, oft kaum merklich waren, so wurde der Hebel zum Fühlhebel umgestaltet, und weil die vergrösserten Ausschläge auf die Trommel des Kymo- graphions verzeichnet werden söllten, so wurde der bogenförmige Weg, den das freie Ende des langen Arms beschrieb, in einen geradlinigen umgesetzt. — Somit kam der Hebel zu folgenden Einrichtungen. An dem Gestell der rotirenden Trommel wurde das Achsenlager des He- bels befestigt und zwar so, dass es auf- und abgeschoben und in jeder Höhe festgestellt werden konnte. Der Schreibstift, welcher das Ende des langen Hebelarmes bildet, wurde durch eine feine Stahlfeder gegen die Trommelfläche angepresst und zwar so, dass die Stahlfeder am meisten verkürzt war, wenn der Hebel horizontal lag, während sie sich ausdehnte, sowie der Hebel nach oben oder unten aus der genannten Lage wich. Es war also dieselbe Einrichtung in Anwendung gebracht, welche den Physiologen vom Myographion her bekannt ist. Die Ver- bindung des Hebels mit der Herznadel geschah durch ein gebrochenes, aus zwei Stücken zusammengesetztes Stäbchen, das von dem kurzen Hebelarm herabhing. Das untere Stückchen desselben trug an seinem freien Ende eine Klammer, durch die es an die Herznadel befestigt werden konnte, und sein anderes Ende hing beweglich in einer Achse, die in das untere Ende-des oberen Stäbehenstückes eingelassen war; diese Achse stand senkrecht zu der des Hebels; das obere Ende des oberen Stückchens war ebenfalls in einer Achse aufgehängt, die aber natürlich mit der des Hebels gleich lief. Diese Einrichtung, die in ihrer Gesammtheit nur dazu dienen sollte, die Zahl der Herzschläge zu no- tiren, erfüllte ihren Zweck, denn sie ging leicht genug, um selbst ge- ringe Stösse zu empfinden und sie war an das Herz hinreichend be- festigt, um sich nicht unabhängig von ihm bewegen zu können. Der Manometer sollte zunächst den mittleren Blutdruck bestimmen, also die Arbeit, welche das in seinen Bewegungen geänderte Herz in den Blutstrom legte. Man erhielt aus seinen Daten aber auch einen vollkommenen Aufschluss über die Schlagfolge des Herzens; nur dann, 539 wenn die Herzbewegungen zitternd und sehr schwach wurden, prägten sich im Hebel die Herzstösse anders aus als in den Blutimpulsen auf das Manometer; wenn aber die Bewegungen des Herzens auch noch so zahlreich, und der Puls nur nicht fadenförmig war, so gaben Ma- nometer und Hebel immer gleichviel Herzschläge an, zum Beweis, dass nach den von Ludwig !) gegebenen Vorschriften die Trägheit des Quecksilbers wirklich unschädlich gemacht werden kann. Die Reizung wurde auf das Herz übertragen durch zwei Nadeln, die einige Linien von einander entfernt da eingestochen wurden, wo der Herzschlag am lebhaftesten fühlbar war; da mir anderweitig be- kannt war, dass die Wahl des angegriffenen Ortes nicht gleichgiltig ist für den Erfolg der Reizung, so hätte es von vorn hinein nothwen- dig erscheinen können, denselben noch bestimmter festzustellen, als es durch die angegebene Bezeichnungsweise geschehen; die Erfahrung lehrte jedoch, dass sie genügt, denn ich erhielt bei ihrer Befolgung unter sonst gleichen Umständen auch gleiche Resultate. Als reizende Vorrichtung diente entweder ein Element Grove oder ein du Bois’scher Schlitten, der durch ein solches Element in Bewe- gung gesetzt wurde. Mochte der constante Strom oder die Inductions- schläge angewendet werden, immer begann ich den Versuch mit schwachen Einwirkungen, die ich auf bekannte Weise so lange stei- gerte, bis sie merkliche Veränderungen in der Herzbewegung erzeug- ten, erst dann begann die Aufzeichnung auf der Trommel. Der Schliessungsbeginn und die Schliessungsdauer wurden ebenfalls auf der rotirenden Trommel niedergeschrieben durch eine Feder, deren Träger die Kette schloss, wenn sie selbst das Papier berührte. Alle übrigen hier vorkommenden Bestimmungen sind nach be- kannter Angabe genau ausgeführt; die Thhiere wurden durch Opium- tinetur vor dem Versuche betäubt. I. Reizung des Herzens durch Inductionsschläge, Wenn die Induetionsschläge in die Herzkammern eintreffen, so ändert sich die Bewegung derselben dahin, dass die einzelnen Muskel- ') Lehrbuch der Physiologie. 2. Aufl. 2. Bd. p. 155. 540 bündel nicht mehr gleichzeitig zucken, sondern dass das eine erschlafft ist, während sich ein anderes benachbartes verkürzt; dabei hat es je- doch den Anschein, als ob von allen Fasern in gleicher Zeit auch gleichviel Bewegungen ausgeführt würden. — Die Zusammenziehungen jedes einzelnen Bündels folgen sich einander rascher, als dieses vor der Einwirkung der Induetionsströme geschah; unter Berücksichtigung des vorhergehenden Satzes kann man also die Zahl der Herzschläge eine beschleunigte nennen. Aber es ist die Folge der Zusammen- ziehungen niemals eine so rasche, dass der Anschein einer dauernden, durch keinen Nachlass unterbrochenen Zusammenziehung entstände, sondern es ist jede Zuckung von der folgenden und vorhergehenden durch eine merklich andauernde Erschlaffungszeit geschieden. — Mit der steigenden Beschleunigung in der Contractionsfolge nimmt zugleich der Umfang der Verkürzung ab, wie dieses augenscheinlich durch die Ausdehnung der Ventrikel bezeugt wird, die um so grösser ist, je rascher die Vibrationen der Herzoberfläche einander folgen. Wird das Herz dem Einflusse der Inductionsschläge entzogen, so dauert die Bewegung unter der Form, die sie durch den Reiz em- pfing, noch längere Zeit hindurch an, worauf sie meist plötzlich in die gewöhnliche Art der Zusammenziehung übergeht, indem sich alle Ven- trieularfasern gleichzeitig kräftiger und seltener verkürzen. Zu diesen schon durch K. Ludwig und Hoffa ) bekannten Thatsachen füge ich folgende neue. Die Empfänglichkeit des Herzens für Induetionsreize ist eine ausser- ordentlich grosse. Unter Anwendung der von mir benützten Vorrich- tungen wurden die Herzschläge schon sehr beschleunigt, wenn die Drahtwindungen noch 120 Millim. von einander entfernt standen; und nach einer 1'5 Sec. dauernden Reizung trat bei selbst grossen Hunden der Tod ein, wenn die Rollen bis auf 90 Millim. genähert waren. Um einen Begriff von der Stärke der reizenden Ströme in der zuerst ge- nannten Stellung zu erhalten, diene die Angabe, dass die Induetions- schläge kaum im Stande waren, eine Empfindung auf der Zunge zu !) Zeitschrift für rationelle Mediein, IX. Bd. 1849, 541 erregen, wenn sie auf die Oberfläche derselben geleitet wurden durch die gleichweit, wie im Herzen, von einander abstehenden Nadeln. Die Zahl der Herzzusammenziehungen ändert sich mit den Induc- tionsschlägen so, dass sie bei der gleichen Stärke der letzteren um so mehr zunimmt, je länger das Herz unter ihrer Einwirkung steht; diese Erscheinung hängt offenbar mit den Nachwirkungen zusammen, die jeder Schlag zurücklässt. — Was die geringere Stärke der Inductions- schläge bei längerer Einwirkungsdauer leistet, das vermag auch der kräftigere Induetionsstrom in kürzerer Zeit herbeizuführen, d. h. es nimmt die Zahl der Herzschläge bei gleicher Anwendungsdauer zu, wenn die Stärke des reizenden Stromes steigt. Zu dem über die Nachwirkung Bekannten hätte ich noch zuzu- fügen, dass zuweilen der Uebergang der flimmernden in die gewöhn- liche Herzbewegung stossweise geschieht, in der Art, dass der un- gleichzeitige Contractionsmodus von einem Herzschlage mit gleichzei- tiger Zusammenziehung aller Muskelbündel unterbrochen wird, dass dann das Flimmern, wenn auch schwächer, wiederkehrt, dann wieder ein normaler Herzschlag u. s. f., bis endlich die letzteren stetig auf einander folgen. Als Beispiele für die gegebenen Mittheilungen folgen zwei Be- obachtungen an Hunden mit geschlossenem Brustkasten. Dauer der | Entfern. | Zahl der | Verhältnisszahl der Bemerkungen. Reizung | der Rollen | Herzschl. | Herzschl., diejenige in Sec. in Mm. |in 30 See. | vor d. Reizung =1 1. Versuch. Vor der Reizung .... —_ — 73 1:00 Während der Reizung| 3-46 120 112 1:53 Nach der Reizung... _ — 74 1:01 Nach 9“ wieder ge- reizt während ..... 231 120 116 1:58 Nach der Reizung... — — 75 1:02 Nach 14” wieder ger.| 415 120 120 1:64 Nach der Reizung... _ _ 9 1:24 542 Dauer der [Entfernung] Zahl der | Verhältnisszahl der Bemerkungen. Reizung |der Rollen | Herzschl. | Herzschl., diejenige in See. in Mm. |in 30 Sec. ı vor d. Reizung = 1. 2. Versuch. Vor der Reizung.... — - 90 1:00 Während der Reizung | 2:31 116 1:28 95 1:05 Nach der Reizung... — Nach 7“ wieder ger. | 277 171 1:90 Nach der Reizung... — 103 1:14 Nach 11“ wieder ger. | 1:84 194 215 Kurz nachher 172 1:91 Tod der Thieres. Der Seitendruck m der A. Carotis erleidet während der Induc- tionsreizung jedesmal eine Verminderung und zwar eine um so grös- sere, je bedeutender die Wirkungsdauer und die Stärke der Reizungs- schläge war. Ausdrücklich muss ich bemerken, dass es mir nie ge- glückt ist, eine Steigerung des Blutdrucks durch die Inductionsreizung zu erhalten; sobald ihr Einfluss auf das Herz überhaupt merklich war, sank auch der Druck. Das Sinken des Druckes ist in vollkommener Uebereinstimmung mit der Beobachtung, dass sich der mittlere Umfang des Ventrikels in Folge der Inductionsreizung ausdehnte. Zur Zeit der Nachwirkung verhält sich jedoch der Blutdruck so, dass er nach einer so eben vorübergegangenen, ganz schwachen Erre- gung etwas über den Werth steigt, der vor Beginn aller Reizung vorhanden war. War dagegen der einwirkende Inductionsstrom nur einigermassen mächtig gewesen, so blieb auch nach der Einstellung der Schläge ein verminderter Blutdruck zurück. — Es folgen zwei Beispiele an Hunden mit geschlossenem Brustkasten 543 . | : Reizungs- | Abstand |, Mittlerer | Verhältnisszahl des Bemerkungen. dauer in RSllen Seitendruck| Blutdruckes, derjen. Seeunden. I “in Mm. Hg. vor der Reizung = 1. 3. Versuch. Vor der Reizung .... _ Während der Reizung | 18:95 Nach der Reizung... — Nach 28“ wieder ger..| 30:88 Nach der Reizung... —_ Nach 12“ wieder ger... — Tod des Thieres. 4. Versuch. Vor der Reizung..... Während der Reizung Nach der Reizung ... Nach 6“ neue Reizung Nach der Reizung... Nach 10“ neue Reizung: Nach der Reizung ... Nach 8“ neue Reizung Tod des Thieres. Obwohl es schon aus der Uebereinstimmung, das intensive und dauernde Reizung die Zahl der Herzschläge mehrt und zugleich den o Werth des Blutdruckes mindert, klar ist, dass das Sinken des Blut- druckes und die über ein gewisses Maass hinaus gesteigerte Zahl der Herzschläge gleichzeitig bestehen, so halte ich es doch nicht für über- se 8 5 ’ flüssig, auch hiefür noch einen besonderen Beobachtungsbeleg zu ge- 8 5 5 en, der zugleich einen genauen Nachweis über den Gang der er- ben, d gleiel g Nacl ber den G der e scheinenden Nachwirkung enthält. MOLESCHOTT , Untersuchungen VI. 30 544 Dauer der Reizung | Zahl der | Mittlerer) Verhält- | Verhält- *. on |Herzschl.| Blutdr. |nisszahld.| nisszahl d. oder Pause in Sec. |; 30 Sec.|inMmig. Herzschl. | Blutdr. Bemerkungen. 5. Versuch. Vor der Reizung. ... — Während der Reizung 9:58 Nach der Reizung ..|von O0 bis 448 „ 448, 896 „ 896 „13:44 Neue Reizung 12:44 Nach der Reizung ..| „ 0 bis 5:30 5:30 „10:60 10:60 „1590 Die bis dahin mitgetheilten Beobachtungen veranlassen zu folgen- den Bemerkungen. 1. Das Herz geräth unter dem Einflusse der Inductionsschläge nieht in Tetanus, oder wenn man den Wortstreit vermeiden will, die tetanisirende Reizung verleiht den Herzbewegungen einen ganz andern Charakter als den Zusammenziehungen in einem jeden andern quer- gestreiften Muskel, sei es, dass sie diesen selbst oder auch seine Ner- ven trifft. Denn es sind im Herzen die einzelnen Acte der Zusam- menziehung: unterbrochen, durch merkliche Zeiten der Abspannung, und obwohl die beschleunigten Bewegungen hier unter dem Einfluss von sehr schwachen Schlägen auftreten, bedingen sie doch sogleich mit ihrem Eintritt statt einer wachsenden Verminderung des Herzum- fanges während der Oontractionszeit, sogleich eine zunehmende Ver- längerung desselben in jener Zeit. 2. Die Abnahme des Blutdruckes, die während der Inductionsrei- zung beobachtet wird, ist abhängig von einer Abschwächung, welche entweder das gesammte Herz, oder auch nur die Organe der automa- tischen Reizung erfahren, und zwar wahrscheinlich wegen der über ein gewisses Maass beschleunigten Schlagfolge. — Unter Voraussetzung gleicher Dimensionen der Blutgefässe und gleicher Reibungscoäfficien- ten der Wandungen ist bekanntlich der Werth des Blutdruckes nur 545 noch veränderlich mit der Geschwindigkeit des Blutstromes in der Aorta. Dieser ist aber eine Folge der Blutmassen, welche zum Herzen geführt werden, der Kraft, mit welcher sich die Muskeln desselben zu- sammenziehen und des Antheils dieser letzteren, welche dem ausgetrie- benen Herzinhalt zu Gute kommt. Da nun weiter das der Inductions- reizung unterworfene Herz von Blut ausgedehnt ist, so befindet es sich unter solchen Bedingungen, vermöge welcher die von seinen Muskeln entwickelten Kräfte dem reichlich vorhandenen Blut auch vorzugsweise zu Gute kommen müssten. Wenn also trotzdem der Blutdruck ab- sinkt, so kann dieses nur von einer Verminderung der Muskelkräfte überhaupt herrühren. 3. Die vorsichtig geregelte Herzinduetion giebt uns ein Mittel an die Hand, den Blutdruck unterhalb seines gewöhnlichen Maasses in allen möglichen Abstufungen, und zwar dauernd herabzudrücken. Sie tritt damit als ein neues und wichtiges Mittel in die Reihe derjenigen, durch welche gewisse physiologische Vorgänge in ihrer Abhängigkeit vom Blutdruck und von der Blutgeschwindigkeit untersucht werden sollen. 4. Der Tod, der in Folge dieser Art von Herzreizung beobachtet wird, ist abhängig von der Erniedrigung des Druckes und der Ge- schwindigkeit des Blutstromes. Es verdient bemerkt zu werden. dass es auf diese Weise gelingt, den Tod eines Thieres ohne Verletzung seiner Nervencentren und ohne Veränderung seiner Blutmasse bequem herbeizuführen. II. Reizung des Herzens und n. Vagus durch Inductionsschläge. Da es der Vagusreizung nicht gelingt, ein Herz zum Stillstand zu bringen, das durch einen Induetionsreiz aufgeregt war, so schloss man, dass die durch den unmittelbaren Reiz eingeleiteten Bewegungen überhaupt nicht durch den n. Vagus beeinflusst werden könnten. In- dem ich diesen Satz einer weitern Prüfung unterzog, verfuhr ich so, dass ich entweder Herz und Vagus gleichzeitig erregte; oder den Ein- fluss der Reizung des n. Vagus auf die noch vorhandene Nachwirkung der unmittelbaren Herzerregung, oder endlich den Einfluss der Inductions- schläge auf das Herz prüfte, während dieses noch unter der Herrschaft 546 der Nacherregung des n. Vagus stand. Indem ich die Bedeutung der Vaguserregung für die Nachwirkung der unmittelbaren Herzreizung aufsuchte, musste ich so verfahren, dass ich zuerst das Herz, dann den n. Vagus und darauf wieder das Herz reizte; ohne die vorgängige Vagusreizung war das Herz meist zu empfindlich, als dass es die Zu- muthung einer Minuten langen, wenn auch nur einigermassen ausgie- bigen direeten Reizung, wie es der Versuch hier verlangte, hätte er- tragen können. Jede der genannten Versuchsreihen führte zu dem Ergebniss, dass die Erregung des n. Vagus die Wirkungen der unmittelbaren Herz- reizung vermindert, oder zum Verschwinden bringt, respective in ihr Gegentheil umkehrt; im Einzelnen gestaltete sich die Sache folgen- dermassen: a) Bei gleichzeitiger Erregung des n. Vagus und des Herzens konnten die Herzschläge nicht vollkommen zum Stillstand gebracht werden, aber die Zahl derselben erhob sich auch nicht bis zu der Höhe, die vor aller Reizung vorhanden war; dem entsprechend verhielt sich auch der Blutdruck weder so wie bei der alleinigen Vagusreizung, noch auch derartig wie bei ausschliessend unmittelbarer Herzreizung ; gewöhnlich stand er zwar niedriger wie an dem noch unberührten Herzen, zuweilen aber auch höher. Die Erscheinungen die man ge- wahrte, standen mit einem Worte in der Mitte zwischen den beiden Reizungen, und ob sie der einen oder andern Seite mehr genähert waren, hing von dem Verhältniss ab, in dem die beiden Reize zu einander standen. b) Wurde das Herz nach vorgängiger Erregung des n. Vagus ge- reizt, so wurde der Herzschlag weniger beschleunigt und der Blutdruck weniger herabgedrückt, als dieses sonst -durch die Herzreizung zu ge- schehen pflegte; dass man in dieser Beziehung sich nicht täuschte, ging deutlich aus einzelnen Fällen hervor, in welchen während der Herzreizung der Herzschlag seltener und der Blutdruck höher war, als vor der Erregung des n. Vagus. Ausser der Stärke der Reize war es für den Erfolg der unmittelbaren Reizung von Belang, wie bald sie nach der des n. Vagus geschah. Das Entgegenwirken des Vagus und der Herzreizung wird auch 547 noch durch die Beobachtung beleuchtet, dass es in den beiden Ver- suchsreihen a und b möglich war, die Rollen des wie früher geladenen Inductionstromes sich nähern zu lassen, bis auf 30 Millim., während ohne gleichzeitige oder vorgängige Reizung des n. Vagus schon die Annäherung bis auf 90 Millim. tödtlich war. e) Das Herzzittern, welches die unmittelbare Herzerregung zu- rückliess, konnte durch die Vaguserregung wieder zum Stillstand ge- bracht werden, wobei der Blutdruck rasch und tief sank; nach aufge- hobener Reizung auch des n. Vagus stieg der Blutdruck gewöhnlich höher wie vor aller Reizung. Diese Angaben werden durch folgende Beispiele belegt. Dauer der| Zahl der | Mittlerer | Verhältnisszahl | Verhältnisszahl d- Bemerkungen. Reizung |Herzschl.|Blutdr. in| der Herzschl. vor | Blutdruckes vor in Sec. Jin 30Sec | Mm. Hg. | der Reizung = 1. | der Reizung = 1, 6. Versuch (der rechte Vagus und das Herz gereizt). Vor der Reizung ... Vagusreizung Herz- u. Vagusreizung, Vagus allein Nach Schluss der Reiz. (Nach 10 Minuten). Vor der Reizung... . Vagusreizung Herz- u. Vagusreizung Vagusreizung Nach Schluss der Reiz. 7. Versuch (der rechte Vagus und das Herz gereizt). Vor der Reizung... . Vagusreizung Herz- u. Vagusreizung Vagusreizung Nach Sehluss der Reiz. 548 In den folgenden Versuchen wurde erst der Blutdruck genommen, dann der rechte n. Vagus bis zum Verschwinden der Herzschläge ge- reizt, dann wieder in der darauf folgenden Zeit das Herz unmittelbar durch Induetionsschläge behandelt, wie es die Zahlen angeben. Mittlerer Verhältnissz. d. Blutdruck in |Blutdr. vor der Mm. Hg. Reizung = 1. Dauer der Reizung Bemerkungen. TER 8 in Secunden. » 8. Versuch. Vor der Reizung .... — Herzreizung von O0 bis 38 Ohne Reizung 3:8 78 Herzreizung 78 11:6 Ohne Reizung 11:6 17-6 Herzreizung 17-6 23:5 Ohne Reizung 23-5 30-5 Herzreizung 30:5 39:9 Auf Grund der so eben mitgetheilten Beobachtungen lässt sich aussprechen: 1. Die Zustände, welche von der unmittelbaren Herzreizung und der Erregung des n. Vagus erzeugt werden, stehen mit Rücksicht auf die Bewegung des Herzens im geraden Gegensatze; die durch die Be- theiligung beider Erregungen erzeugte Ruhe ist ‘also das Resultat einer inneren, in's Gleichgewicht gekommenen Nerventhätigkeit. Dessenun- geachtet können doch während ihres Bestehens die zuckenden oder Zuckung auslösenden Theile sich von früheren Anstrengungen erholen. Der erste Theil dieses Satzes, der bekanntlich von Ed. Weber zu- erst ausgesprochen wurde, und zwar mit Bezug auf gesteigerte Erre- gungen des n. Vagus und der automatischen Organe in dem Herzen selbst, findet in den mitgetheilten Thatsachen seine Erweiterung auch auf die elektrischen Erregungen der Herzmasse. — Der zweite Theil des Satzes, dass nämlich sich in der Vaguspause auch die Störungen wieder ausgleichen, welche durch vorausgegangene Zuckungen in den Motoren des Herzens erzeugt sind (K. Ludwig), wird durch unsere Versuche ausser Zweifel gesetzt. Hiermit erklärt sich auch die para- 549 doxe Erscheinung, dass zwei Einflüsse, von denen jeder für sich die Herzarbeit herabsetzt, resp. den Blutdruck mindert, gleichzeitig ange- wendet den Blutdruck und den mittleren Umfang der Herzzusammen- ziehung steigern. Denn wenn die rasche Folge der Schläge, welche die unmittelbare Herzreizung für sich allein erzeugt, durch eine Erre- gung der n. Vagi gemässigt wird, so kann in der zuckungsfreien Zeit das Herz die Erregbarkeit wieder gewinnen, und somit Schläge aus- führen, die (je nach der Länge der Pause) kräftiger sind, als sie vor aller Reizung waren. 2. Die Herzlähmung, welche die Inductionsschläge veranlassen, ist bedingt durch die Veränderungen, welche die durch sie eingeleitete Herzbewegung erzeugt; dieses geht einfach aus der Erfahrung. hervor, dass bei bestehender Erregung des n. Vagus verhältnissmässig starke Inductionsschläge ihre lähmende Kraft verlieren; dieser Satz füllt die Lücke aus, welche im Beweise unter I, 2 (p. 9) noch gelassen wurde. Insofern man annimmt, dass die Erregung des n. Vagus nicht un- mittelbar die Muskeln beruhigt, sondern erst vermittelst irgend welcher anderer Organe, z. B. der Ganglien, darf man behaupten, dass auch die Induetionsschläge Bewegungen auslösen durch einen Angriff auf jene Organe, nicht aber durch eine unmittelbare Erregung der Muskeln. Ill. Reizung des Herzens durch den constanten Strom. Indem ich das Herz durch den constanten Strom zu reizen trach- tete, musste ich verzichten auf die Anwendung der schönen Methoden, welche die Berliner elektro-physiologische Schule für die Erregung ‚des Nerven-Muskelpräparates benutzt hat. Die Gründe hierfür sind eliegend. Denn wäre es mir selbst gelungen, was nieht unmöglich r, die unpolarisirbaren Elektroden an das Herz zu legen, so würde dieses doch zwecklos gewesen sein: einmal weil der Widerstand der Lunge, die für das in seiner Lage befindliche Herz als Nebenschlies- sung wirkt, mit den Athembewegungen veränderlich ist, und dann weil sich mit der Herzbewegung sowohl der Abstand der an dem Ventrikel befestigten Elektroden, als auch die Diehtigkeit des Strom- armes, der durch das Herz geht, ändert. Zu den hierher gehörigen Versuchen wurde also ein Strom von nur annähernd gleicher Stärke 990 verwendet. Die aus der Kette hervorgehenden beiden Stromarme hatte ich in je zwei Zweige gespalten, der eine fasste das Herz, der andere einen Rheostaten zwischen sich; ich konnte also die Reizung von ge- ringen zu immer stärkeren Werthen anschwellen lassen. Wenn der reizende Strom bei gleicher Schliessungsdauer von ge- ringerer zu immer grösserer Stärke anwächst, so wird, wie zuerst Eckhard angegeben, die Herzbewegung anfangs eine mehr und mehr beschleunigte, und zugleich steigt hierbei der Seitendruck des Blutes bedeutend; diese Erhöhung des Blutdruckes erreicht jedoch mit der steigenden Stromstärke bald ein Maximum, indem er mit der noch weiter fortwachsenden Stromintensität abnimmt, und zwar so weit, bis endlich das Herz und zwar in Diastole stille steht, in Folge dessen das Thier alsbald stirbt. Eine jede, wenn auch nur kurz dauernde Reizungsperiode hinterlässt nach ihrem Schlusse eine Nachwirkung, in welcher die Herzschläge zwar noch häufiger als vor der Reizung bleiben, der Blutdruck jedoch unter das Maass sinkt, welches er vor dem Eindringen des constanten Stromes besass. Diesem Reizungsrück- stande ist es zuzuschreiben, dass sich mit der dauernden Einwirkung desselben constanten Stromes der Herzschlag mehr und mehr beschleu- nigt, und dass ein Strom, der zu einem Herzen geleitet wird, welches vor Kurzem schon einmal demselben Strome ausgesetzt war, jetzt einen viel häufigeren Herzschlag erzeugt, als er es zum ersten Male that. Beispiele geben die folgenden Tabellen: Dauer der| Zahl der | Verhältnisszahl d.| Mittlerer |Verhältnisszahl d. Bemerkungen. Reizung | Herzschl. |Herzschläge, vor|Blutdr. in|Blutdrucks vor d. in Sec. |in 30 Sec.|der Reizung = 1.| Mm. Hg. | Reizung = 1. 9. Versuch. Vor der Reizung Während der Reizung] 7:62 Nach der Reizung .. Nach 10° neue Reizung| 8:0 Nach der Reizung... .| — Nach 10“ neue Reizung] 7 Nach der Reizung ....| — 3 ARUOHSwo SOSS5S5SS Sl Bemerkungen. Reizung |Herzschl. |Herzschläge, vor |Blutdr. in| Blutdrucks, vor Dauer der| Zahl der |Verhältnisszahl d.| Mittlerer |Verhältnisszahl d, in Sec. [in 30 Sec.|der Reizung = 1.| Mm. Hg. |der Reizung = 1. 10. Versuch. Vor der Reizung ... Während der Reizung Nach der Reizung... Nach 10 neue Reizung Nach der Reizung... Nach 10“ neue Reizung Nach der Reizung... 11. Versuch. Vor der Reizung ... ‚Während der Reizung Nach der Reizung... Nach 10“ neue Reizung Nach der Reizung... Nach 10“ neue Reizung Nach der Reizung... Die bis dahin gewonnenen Erfahrungen genügen natürlich nicht, um eine Hypothese darüber aufzustellen, wie der constante Strom die reizbaren Herztheile verändert; dieses Unternehmen müsste, von allen anderen abgesehen, schon darum scheitern, weil im Herzen zu andern sehon besser bekannten physiologischen Bedingungen eine neue hinzu- u, welche sich aus einem noch unbekannten Grunde periodisch so ändert, dass sie selbst zum Nervenreiz wird. Es liesse sich denken, dass ein constanter Strom den Ablauf dieser Periode beschleunigte, so dass dieser also hier vermöge eines Umstandes wirkte, der bei einem Muskel-Nervenpräparate gar nicht in Betracht käme. Wenn ich nun trotzdem mir noch weitere Bemerkungen erlaube, so geschieht dieses nur in Hinblick auf die Streitfrage, welche sich zwischen Eck- hard und Heidenhain erhoben hat, Der letztere Gelehrte sucht bekanntlich die von dem Ersteren beobachtete Beschleunigung der 552 Herzschläge durch den constanten Strom auf gleiche Linie zu stellen mit der schönen Entdeckung Pflüger's, dass ein sehr schwacher ceonstanter Strom auch das Muskel-Nervenpräparat in Tetanus ver- setzen könne. Dieser Vergleich erscheint mir aber unhaltbar, denn 1) kommt das Herz durch den sogenannten constanten Strom gar nicht in Tetanus; 2) der Strom, welcher das Herz durchzieht, ist aus schon angegebenem Grunde gar kein constanter, und 3) der Strom, welcher das Herz zu beschleunigter Schlagfolge anregte, ist viel stärker als der, welcher den Froschnerven tetanisirt. Wollte man das Herz als eine einfache Zusammenstellung von Muskeln und Nerven ansehen, so schiene es mir am nächsten zu lie- gen, den Grund für die beschleunigenden Kräfte des sogenannten constanten Stromes in der Veränderung desselben zu suchen, die er durch die Herzbewegungen selbst erfährt. Erinnert man sich, dass das Herz sehr empfindlich ist gegen jede elektrische Stromesschwankung und dass ausserdem jede, wenn auch noch so vorübergehende Reizung, das Herz in einem Zustand zurücklässt, der es zu einer rascheren Schlagfolge geschickt macht, so liesse sich der Hergang folgender- massen deuten: Die erste Schliessung der eonstanten Kette bedingt eine Herzreizung und in Folge dessen einen Schlag; diese Bewegung verändert aber selbst wieder den durch das Herz gehenden Strom, und diese neue Reizung, welche ein erregsbar gewordenes Herz trifft, be- dingt eine zweite, schon stärkere Zusammenziehung u. s. f.; hieraus würde zugleich ersichtlich, warum mit der steigenden Einwirkungs- dauer die Zahl der Schläge in der Zeiteinheit zunehmen müsste. Diese Erklärungsweise könnte von zwei Seiten her angegriffen werden. Eekhard, dem sie sich gleich Anfangs aufdrängte, verwarf sie daru wieder, weil es ihm nicht gelang, während der Herzbewegung einen Froschsehenkel zucken zu sehen, dessen Nerv in denselben constanten Strom eingeschaltet war, der auch das Herz aufgenommen hatte; er glaubte daraus beweisen zu können, dass überhaupt keine zur Ner- venreizung genügende Stromesschwankung stattgefunden. Nehmen wir nun auch an, was aber doch selbst noch fraglich ist, dass die Nerven des Herzens keine grössere Erregbarkeit besitzen, als die des Schenkels, so würde jener Beweis immer noch nicht überzeugend sein. Denn es 553 wäre ganz wohl möglich, dass bei der Zusammenziehung des Herzens die Stärke des Gesammtstromes unverändert geblieben wäre und sich dabei doch geändert hätte die Stärke der Partialströmungen, welche durch die einzelnen Abtheilungen des Herzens gehen, und zwar darum, weil sich in einzelnen Stücken desselben die Dimensionen, der Blut- gehalt u. s. w. durch die Zusammenziehung geändert hätte. Einen andern Einwand gegen die Annahme, dass der sogenannte constante Strom nur insoferne reizt, als er zu einem veränderlichen wird, könnte man nehmen wollen aus dem Unterschiede des Blutdruckes (und der Stärke der Herzschläge) bei der Reizung mit dem constanten und der- jenigen mit dem intermittirenden Strome. In der That besteht der- selbe aber nur so lange, als der constante Strom wegen seiner länge- ren Dauer oder seiner geringeren Stärke die Zahl der Herzschläge nicht über ein gewisses Maass steigert; ist dieses überschritten, so decken sich die Erfolge des Inductions- und des constanten Stromes, und es wäre also erst genauer nachzusehen, ob man nicht auch noch durch mancherlei Kunstgriffe mit dem intermittirenden Strome dasselbe er- reichen könnte, was innerhalb derselben Grenzen der ununterbrochene leistet. ci Wichtiger als für die Theorie .der Herzbewegungen sind die mit dem constanten Strome gewonnenen Erfahrungen für die Kreislaufs- änderung; denn sie geben uns ein sicheres und einfaches Mittel an die Hand, um durch die Herzbewegung allein den Blutdruck in nicht unbeträchtlichen Grenzen augenblicklich zu erhöhen. Ge E > - 2 — 4 Druck der G. D. Brühl’schen Univ.-Buchdruckerei u. lith. Anstalt in Giessen. E3 ” 4 1») a) ae Time ind y en; ce ul maulspihrm . F L Li rk, ’ “ daR I om 1 ae Ä l rer fi j “ i a >briabt RE “ A ER HALLE I. Untersuchungen über die Structur des ee Von Dr. A. Rollett. Mit 2 Tafeln . . . I - IL. Ueber die orange de wadeio. Ken Prof. J. Budge. Mit 1 Tafel. ‚40 III. Ueber die Wirkung der Sitzbäder, der Brause und der nassen Einwicke- lung auf den Ausscheidungsprocess. Von Dr. Boecker . ..... 51 IV. Die verschiedenen Formen der quergestreiften Muskelfasern. Von A. v. Biesiadecki und A. Herzig. Mit 3 Tafeln . . ». 2.2.2....105 V. Ueber das Gefüge der Substantia propria corneae. Von Dr. A. Rollett. Mir I Tafel. ns . 110 VI. Untersuchungen über die rblhe Wirkung En Bnanlbxydes und der Kakodylsäure. Von Prof: Dr. C. Schmidt und Dr. O. Chomse. 122 VII. Beiträge zur Lehre von den Arsenikwirkungen. Von Prof. Dr. C. Schmidt und Dr. E. Bretschneider . . Be AG, VIII. Beitrag zur Geschichte der Physik Bi Mekrteclien Fische. Von Dr. W. Keferstein . . . > rn. IX. Ueber Gallenfarbstoffe en ihre Bean. von, E Brüc EB ae vera X. Zur Würdigung der physiologischen Wirkung der Sitzbäder. Entgegnung mon Dr..L. Behmann.ı.v. „I... . 178 XI. Zur Physiologie der sogenannten alone) Eine Eederung an Dr. E. Pflüger in Berlin. Von J. M. Schiff . „2.2... .201 XIL Der erste Hirnnery ist der Geruchsnerv. Von J. M. Schiff . . . .254 XIII. Untersuchungen über den Bau des Rückenmarkes der Fische. Von L. Mauthner. . . ° on .268 XIV. Ueber die Sprache bei Iuftdichter Tarslleeenue- er Behkoptn Von J. Czermak . . . . . en . . 275 XV. Ueber den Einfluss der aroenigen Säure auf a Stoffwechsel. Von Prof. Dr. C. Schmidt und E. Stürzwage . » » 2 2 ve a 0 0 2.283 XVI. Ueber die Gefühllosigkeit des Rückenmarkes für fremde Einflüsse. Von RL a een N’ y Notiz über die Herleitung physiologischer und pharmakodynamischer Wahr- - heiten aus ooordinirten Beobachtungsreihen. Von Prof. Radioke. . . 307 XVIII. Antikritik, zur Würdigung der physiologischen Wirkung der Sitzbäder, auf die Entgegnung von Hrn. L. Lehmann. Von Dr. Boecker . .. 315 XIX. Neue Untersuchungen über die Entwicklung, das Wachsthum, die Neubil- dung und den feineren Bau der Muskelfasern. Von Dr. Ph. Margo. 327 XX. Untersuchungen über das chylopoetische und. uropoetische System der Blatta orientalis. Von J. Basch . . . . en) XXI. Ein Beitrag zur Kenntniss der glatten Nankeii Yo Be. Moldeihare 380 XXII. Neue Vergleichung der Becken- und Brust-Glieder des Menschen und der Säugethiere, von der Drehung des Oberarmbeins Von Prof. Charles Martins . . . . 403 XXIII. Beiträge zur Lehre von der Serdktung. "Yon Prof. Es Brücke . 479 XXIV. Ueber die Einwirkung des FR auf die motorischen Nerven. Von y Bezhold 22... RE OB XXV. Ueber Herzreizung und ihr Verhältnis zum Blutäruck. Von Dr. Eidbes dt. 537 “un “ um In gleichem Verlage sind erschienen : Dornseiff, Dr. R., Beitrag zur Würdigung der Knie-Ellenbogenlage im Gebiete der Geburtshülfe. 15 Sgr. oder 54 kr, Eekhard, C., Beiträge zur Anatomie und Physiologie. II. Band. Mit zwei Steindrucktafen. 4. geh. Thlr. 3. 10 Sgr. oder fi. 6. ) Sg Geschichte der Forschungen über den Geburtsmechanismus, bearbeitet von den DD. C. Stammler, Knoes, Fresenius, G. Bruel ete. I. Band. Cart. Thlr. 3. oder fl. 5. 24 kr. — — — — I. Ites Heft. geh. 25 Sgr. oder fl. 1. 30 kr. Hartmann, Dr. Fr., Beitrag zur Literätur über die Wirkung des Chloroforms. gr. 8. geh. 15 Sgr. oder 54 kr. ' ER ; ‚ \ Hoppe, Dr. J., Anleitung zum Experimentiren mit Arzneimitteln an den thieri- schen Thütigkeiten. gr. 8. geh. 15 Sgr. oder.54 kr, ; Kehrer, Dr. Fr., Das Blut in seinen krankhaften . Verhältnissen. Ein Beitrag zur Pathogenie. gr. 8. geh. Thlr..1. 15 Sgr.. oder fl. 2. 42 kr. Kissel, Dr. C., Die Heilmittel Rademacheik und der naturwissenschaftlichen The- rapie. 16. geh. Thlr. 1. oder fl. 1. 48 kr. Martiny, Dr. E., Naturgeschichte der für die Heilkunde wichtigen Thiere, mit besonderer Rücksicht auf Pharmakologie, Pathologie und Toxikologie. 37 Bo- gen Text mit 30 Kupfertafeln, 222 Abbildungen enthaltend. 2. Auflage. Thlr. 1. 10 Sgr. oder fl. 2. 24 kr. Moleschott, Jac., Physiologie der Nahrungsmittel. Ein Handbuch der Diätetik, 2te völlig umgearbeitete Auflage. gr. 8. geh. Thlr. 4. 15 Sgr. oder fl. 8..6 kr. Schmid, Prof. Dr. L., Grundzüge der Einleitung in die Philosophie, mit einer Beleuchtung der durch K. Ph. Fischer, Sengler und Fortlage ermög- lichten Philosophie der That. gr. 8. geh. Thlr. 2. 15 Sgr. od. fl. 4. 30 kr. Weber, Dr. A., Die neueste Vergötterung des Stofis. Ein Blick in das Leben der Natur und des Geistes für denkende Leser. 2. Auflage. geh. 15 Sgr. oder 54 kr. 3 i ” er PR > ERIETE APUNG, € re De Tr u I > 1 er: j 7 & Pe = 14 [3 & 7 e > 200 20, , Fr wo, - Fi Ei - = B # g ”, ar * % .“” Bd [2 £ ev Yale £ u Sa = Te ı Ton ya M 4 Hr BD. Bi 5 e = = “ n j ı [27 nn 4 uf et, iv - I > Eis We DE vi Da sh 5 br Pi % u “.. 2 2. - ned 1} AI Va 2° ts u a BR Ärt = 5 — Bi» Br te PA u. 3 } ee ee N ae 5 en Se a Lin =“ nyps: > de > 2 wen a A Den a er - re m RR van. Yale % BIRLEN "g 2 ur - er. 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