i) a BEINE 2 | Me Kükenthal Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. Dr. Willy Kükenthal, Professor in Jena. Mit Tafel I-V und 47 Abbildungen im Text. ZuIiHSC NIAN kFR 2 6 1993 LIBRARIES REMINGTON RELLOGG WIBRARY OF | MAINE MAMMALOGY SMITHSONIAN INSTITUTION | Jenaische Denkschriften VII. l Semon, Zooleg. Forschungsreisen. IV Einleitung. Die Studien über Bau und Entwickelung von Walthieren, welche ich im dritten Bande dieser Denkschriften niedergelegt habe, liessen es mir sehr wünschenswerth erscheinen, auch die Ordnung der Sirenen, welche ja bis in die neueste Zeit hinein als „pflanzenfressende Wale“ den Cetaceen angereiht worden sind, in den Kreis meiner Untersuchungen zu ziehen, und demgemäss habe ich mich seit Jahren bemüht, mir Material zu verschaffen. Leider ist dies nicht annähernd in dem Maasse gelungen wie bei den Walen, und ich stand vor der Alternative, noch Jahre lang zu warten, bis mir ein günstiges Geschick weiteres Material zur Verfügung stellen würde, oder die Arbeit schon jetzt zu beginnen. Aus leicht be- greiflichen Gründen wählte ich das Letztere, hatte sich doch immerhin eine Sammlung von Embryonen in meiner Hand vereinigt, wie sie vordem wohl keinem Forscher zur Verfügung gestanden hat. Die erste Erwerbung war ein relativ sehr kleiner Embryo von Manatus latirostris von nur 6,85 cm directer Körperlänge, den ich im Tausch vom British Museum erhielt. Eine sehr wesentliche Bereicherung erhielt das mir zur Verfügung stehende Material durch 3 Embryonen von Halicore dugong, welche aus der Reiseausbeute von Herrn Prof. SEMon stammen. Wenn auch diese Embryonen wegen ihrer beträchtlichen Grösse nicht mehr für entwickelungsgeschichtliche Fragen in Betracht kommen konnten, so war ihr Erhaltungszustand innerhalb der Eihüllen doch ein so vorzüglicher, dass ihre Untersuchung noch vieles Neue und Interessante erwarten liess. Einen vierten, etwas kleineren Embryo von Halicore verdanke ich der Güte des Herrn Geh. Rath Prof. Hasse in Breslau. Auch in der Erwerbung von Manatus-Stadien war ich glücklich, indem ich von Herrn Geh. Rath Prof. v. KOELLIKER einen prachtvoll conservirten Embryo zur Bearbeitung erhielt, der sich in seinem Baue als so abweichend herausstellte, dass er zu keiner der 3 bis jetzt bekannten Arten von Manatus in Beziehung gebracht werden konnte. Nicht weniger als drei verschiedene Entwickelungsstadien von Manatus senegalensis verdanke ich Herrn Prof. R. HERTwIG in München, 2 Embryonen von 94 und 24 cm directer Länge, und einen Neonatus. Diese 3 Exemplare sind von Herrn Gouverneur v. ZIMMERER in Kamerun erbeutet worden. Endlich konnte ich auch noch den eviscerirten Embryo von Manatus inunguis untersuchen, welcher von SPIx und MARTIUS gesammelt und dem zoologischen Museum in München einverleibt worden- ist. So standen mir denn insgesammt 4 Stadien von Halicore, 6 von Manatus zur Verfügung. Für die Ueberlassung dieses so kostbaren Materiales spreche ich allen den genannten Herren meinen tiefgefühltesten Dank aus. A Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 4 Der Plan der vorliegenden Arbeit läuft parallel mit dem meiner Walarbeit zu Grunde liegenden, wenn ich auch die Reihenfolge der einzelnen Kapitel etwas verändern werde. Auch gedenke ich hier einzelne Organsysteme, wie Athmungsorgane, Darmtractus etc. zu behandeln, welche ich bei den Walen nicht selbst bearbeitet, sondern einigen, in dem unter meiner Leitung stehenden Laboratorium arbeitenden Herren übergeben habe, deren Publicationen demnächst in der Jenaischen Zeitschrift für Medicin und Natur- wissenschaften erscheinen werden. Wie die Untersuchungen an Cetaceen, so sollen auch die an den Sirenen an der Hand von Ent- wickelungsgeschichte und vergleichender Anatomie die Herausbildung und den Bau der einzelnen Organ- systeme schildern und die Beziehungen zwischen Form und Function aufzudecken versuchen. Wie bei den Cetaceen, will ich auch bei den Sirenen zu zeigen versuchen, welche Rolle die Anpassung an das Leben im Wasser bei der Umformung der Organe gespielt hat, und hoffe auch für dıe Beurtheilung der Stammes- geschichte dieser interessanten, im Aussterben begriffenen Säugethierordnung einige Anhaltspunkte liefern zu können. Jena, im April 1897. Willy Kükenthal. KAPITEL 1. Bau und Entwiekelung der äusseren Körperform der Sirenen. Die erste Aufgabe, welche ich mir stellte, war eine Untersuchung der Entwickelung der äusseren Körperform der Sirenen, soweit das mir zur Verfügung stehende Material eine solche Untersuchung zuliess. Sehr bald drängte sich mir die Ueberzeugung auf, dass eine solche entwickelungsgeschichtliche Forschung nur dann Aussicht auf einigen Erfolg haben kann, wenn zuvor der äussere Körperbau der erwachsenen Thiere festgestellt ist. Eine Durchsicht der gesammten Literatur ergab mir aber, dass letzteres durchaus noch nicht der Fall ist, es fehlt sowohl an genügenden Beschreibungen, wie an guten Abbildungen der erwachsenen Thiere, und der letzte Bearbeiter, Cr. HarTLauB!), kommt zu dem Schlusse (p. 11): „Die äussere Gestalt der Manaten scheint nur wenig Anhaltspunkte zur Unterscheidung zu bieten. Die Schilde- rungen, die wir in dieser Hinsicht namentlich über die afrikanische Form besitzen, sind zu spärlicher Art, und dabei die Beschaffung eines grösseren Materiales zu beschwerlich, als dass man auf Grund äusserer, am Balge festgestellter Differenzen die Besonderheit einer jeden Species hätte beweisen können.“ Nur eine einzige Art, Manatus latirostris Harr., macht davon eine Ausnahme, dessen von VROLIK ?), MuRrIE®) und später von GARRoD) gelieferte Beschreibungen und Abbildungen, zumal in den beiden letzten I) CL. HARTLAUB, Beiträge zur Kenntniss der Manatus-Arten. Zool. Jahrb., Bd. I, 1886. 2) W. VROLIK, Bijdrage tot de Natuur- en ontleedkundige Kennis van den Manatus americanus, in Bijdragen tot de Dierkunde. Uitgegeven door het Koninklijk zoologisch Genootschap Natura Artis Magistra, I. Deel, Amsterdam 1848— 54. 3) J. MurIE, On the form and structure of the Manatee. Transact. Zool. Soc. London, Vol. VII, Part 3, 1872. Further observations on the Manatee. Transact. Zool. Soc. London, Vol. XI, Part 2, 1880. 4) A. H. GAarRoD, Notes on the Manatee (Manatus amerieamus) recently living in the society’s gardens. Transact. Zool. Soc. London, Vol. X, Part 3, 1877. 5 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 5 Abhandlungen, einen hohen Grad von Genauigkeit erreichen. Für die anderen Arten dagegen ist man auf spärliche, einander oft widersprechende Bemerkungen älterer Autoren angewiesen. Meine Aufgabe erweiterte sich demgemäss, indem ich versuchen musste, zunächst die Körpermerk- male der einzelnen Arten festzustellen. Für M. senegalensis gelang mir das auf Grund der Untersuchung des Neonatus, die Körpermerkmale von M. inunguis konnte ich einigermaassen feststellen durch die Ver- gleichung der von HumBoLpr!), WAGNER?) und NATTERER?) gegebenen Angaben mit meinen eigenen Befunden an einem grösseren Embryo, und die Art Manatus koellikeri stellte ich auf Grund der Befunde an einem grösseren Embryo auf. Wenn es sich mir auch durch Vergleichung von Embryonen verschiedener Stadien ergeben hat, dass die Wachsthumsvorgänge einzelner Organe, wie z. B. der Brustflossen und der Schwanzflosse, sich auch in späterer embryonaler Zeit noch etwas ändern, so sind doch die wesentlichen Charaktere jeder Art bereits in mittelgrossen embryonalen Stadien festgelegt. Es ist natürlich nicht daran zu zweifeln, dass Forscher, denen reichlicheres Material zur Verfügung steht, eine Charakteristik der einzelnen Arten auf Grund des äusseren Körperbaues eingehender zu geben vermögen, als ich es im Stande war. Immerhin glaubte ich doch eine solche Arbeit unternehmen zu müssen, um eine Grundlage für spätere Forschungen zu liefern, so undankbar diese Aufgabe auch erscheinen mag. Auch über die Entwickelungsgeschichte der äusseren Körperform liess sich einiges eruiren, besonders an der Hand des kleinsten, nur 6,85 cm langen Embryos von Manatus latirostris, wie des 9,4 cm grossen von M. senegalensis. Freilich sind in dieser Beziehung noch sehr grosse Lücken vorhanden, die niemand tiefer empfindet als ich; sollte ich aber die Arbeit deshalb gänzlich unterlassen, in der vagen Hoffnung, noch reichlicheres Material erwerben zu können! Bei der überaus grossen Schwierigkeit, Entwickelungsstadien von Sirenen zu erhalten, hätte sich dadurch die Arbeit im günstigsten Falle um Jahre verzögert, und ich ziehe es daher vor, zunächst das zu geben, was sich an meinem Materiale hat feststellen lassen. Wie in dem entsprechenden Kapitel meiner Walstudien *), so beginne ich auch hier mit einer in Tabellenform angeordneten Angabe der Maasse. Es ist ausserordentlich bedauerlich, dass in Betreff deren Auswahl bei Beschreibung von Embryonen noch immer keine Einheitlichkeit herrscht. In erster Linie kommt es doch darauf an, Maasse zu wählen, welche die Wachsthumsvorgänge am Embryo am charakte- ristischsten zeigen. Nach diesem Principe bin ich auch hier verfahren und dadurch in den Stand gesetzt worden, über einzelne Wachsthumsvorgänge Aufschluss geben zu können, sowie durch Vergleichung specifische Unterschiede innerhalb der einzelnen Arten aufzufinden. Die Maassangaben sind in Centimetern und deren Bruchtheilen erfolgt. ı) A. v. HUMBOLDT, Ueber den Manati des Orinoco. Arch. f. Naturg., Jahrg. 4, I, 1838. 2) J- A. WAGNER, Die Säugthiere von SCHREBER, 7. Theil, 1846. 3) NATTERER, in A. v. PELZELN, Brasilische Säugethiere. Verhandl. der Zool.-bot. Gesellsch. Wien, Bd. XXXII, Beiheft, 1883. 4) Denkschriften der Medic.-naturw. Gesellsch. in Jena, Bd. III, 1893, p. 223. 6 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 6 Bau und Entwickelung der äusseren Körperform von Manatus. | 1% | 2: 3: 4. 58 6. M. lati- | M. sene- | M. sene- | M. sene- M. M. Angabe der Maasse rostris | galensis | galensis | galensis | inunguis | koellikeri ) et 6) 6) ? Pr ee ı| Directe Körperlänge. ee zwischen den beiden entferntesten | Punkten des Körpers . . u a a a 65 | 94 24 54 76 2 Körperlänge über den Rücken essen a6 i a IR KIT | 29 63,3 151 S4 51 3| Länge in der Seitenlinie, von der Sea an gemessen . 93218 51,6 122 78 49 4| Länge in der Bauchlinie . . . ec: 65 | 14 age 77 77 48,5 5‘ Querdurchmesser des Kopfes über a Reh Re er O8 le 12 37 9,1 5,1 27 6| Querdurchmesser über den Brustflossen . . ». 2.2 2 20 0. DE RANG | 8,2 244 19 10,3 7| Querdurchmesser in der Nabelregion . . .. . .. 2... De ee 24,6 20 Hit 8| Querdurchmesser des Schwanzflossenansatzes . . ». 2... - LT 2233 6 17 95 5,5 9| Grösste Breite der Schwanzflosse. . . . i A 9,5 29 17,3 10 1ı0| Oberkieferspitze — Mitte zwischen den äusseren nungen e 0,45 0,9 2,1 4,5 3 3 11.) Oberkieferspitze — Mundwinkel . ! » „ . ..n „Mm nun... 0,67 1,5 5 9 6,2 42 12| Unterkieferspitzze — Mundwinkel. . . . . u 0.072 2209 3,6 7 4,6 1,9 1ı3| Mundwinkel — Vorderrand des nee re Sr Ss MEET 6,5 13 11,7 89 TA elranserder Basıs desuBrustllosser. 2 0. 0 0 een nr | 06 1,1 2,8 6 6 2,5 251" Unterkieferspitze — Kehlfurche . 2 „. u. wm. 0,72 1,2 3 7:3 6,2 37 16| Kehlfurche — Nabelmitte . . . 302 | 3 9.85 23,5; | 21 17\ Nabelmitte — Mitte des Ansatzes es äusseren Ne ae 03. 27709 7 14,6 7:5 ı8| Mitte des Geschlechtsorganes — Mitte des Afters . . ». ».2..| 04 3,2, 1020158 4,8 I 19| After — Schwanzende . . . . ee ea 250 5,5 14,8 32,5 27 (138 25| Mundwinkel — Vorderrand der ee Er So TI > 6,2 40% 2:5 21 | Breite der Augenspalte . . . ER 07 | 02 | 05 1 IT 0,7 22| Mundwinkel — Oeffnung des Crane Aare: ER: 093 | 2 | i 6,2 23| Entfernung der inneren Enden der äusseren en BAER o2=2 2025 27202 0,4 | 0,6 24| Entfernung der äusseren Enden der äusseren Nasenöffnungen . . | 0,2 | O ARE 2.12 2,3 1,8 I 25| Grösster Durchmesser.einer Nasenöffnung . . . : . »....| 003 | 0,32 | 0,5 I 0,6 0,4 26| Länge der freien. Brüstllosse In... . nn nenn. 1,9 41 97 | 2175 18,3 9,2 27\ Grösste Breite des Oberarmes. . . N Or eo 537 3,8 2,2 28 Grösste Breite des Unterarmes am Be de ee ER HEHE O7S a TE 2,9 722 5,5 3,3 29| Grösste Breite der Hand . 0,9 ee 72 57 3,5 Die äussere Körperform von Manatus senegalensis DESM. DESMAREST, Nouv. Dict. Hist. Nat., 2. €d., 1817. (Taf. I, Fig. 4, 5, 6; Taf. II, Fig. 7, 8.) Eine genügende Beschreibung der äusseren Körperform des afrikanischen Lamantins steht noch aus, und die darüber vorhandene Literatur liefert nur spärliche Angaben. So schreibt DAUBENTON !) (p. 431), dass der Kopf von M. senegalensis dem des M. latirostris sehr ähnlich ist „et que par consequent le lamantin du Senegal et celui de l’Amerique font d’espece peu differente, et peut-&tre de m&me espece que le foetus de lamantin d’Amerique“. Diese Zweifel an der Verschiedenheit beider Arten sind auch in neuerer Zeit noch laut geworden (cf. z. B. FLOwEr, Catalogue of the Museum of the Royal College of Surgeons. Pt. 2, London 1884, p. 528). Die Unterscheidung dieser Species als besondere Art wurde fast ausschliesslich auf osteologischer Grundlage durchgeführt, zuerst durch CuviEer?), der im Schädelbau Differenzen nachwies, dann durch BLAINVILLE 3), der auch die Gliedmaassen augenscheinlich kürzer und in allen Theilen robuster findet. 1) DAUBENTON, Description d’une t&te de lamantin du Senegal. Hist. nat., T. XIII, 1765, p. 431. 2) G. CUVIER, Sur l’osteologie du lamantin. Ann. du Mus. d’Hist. nat., T. XIII, 1809. 3) BLAINVILLE, Osteographie des Mammiferes, T. III, 1339—64. 7 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 7 Nur Apanson !) giebt eine, allerdings völlig unzureichende Beschreibung der äusseren Körperform, Die Farbe des Thieres ist nach ihm schwarzgrau, die Haare stehen auf dem ganzen Körper sehr spärlich und sind 9 Linien lang. Der Kopf ist conisch und von mässiger Dicke, die beiden Kiefer sind fast gleich gross, die Lippen fleischig und sehr dick. Die Augen sind rund und klein, die Iris dunkelblau und der Augenstern schwarz. Die Finger jeder Hand besitzen 4 braunrothe und glänzende Nägel. Die Schilderung des Thieres, welche Noack?) liefert, ist leider ebenfalls sehr oberflächlich. Die Färbung der unbehaarten (!) Haut ist tief schwarzgrau, die Unterseite hell fleischroth, während M. latirostris gelblich-graubraun gefärbt ist. Der Schwanz ist an der Basis schmäler als bei M. latirostris, der Einschnitt an der Oberlippe viel tiefer und schärfer. Eine weitere Bereicherung unserer Kenntniss des äusseren Körperbaues brachte eine Arbeit von W. TURNER?®), der einen eviscerirten Fötus von M. senegalensis untersuchen konnte. Der 864 mm lange Embryo war indessen durch die Entfernung der Eingeweide so verändert, dass die gegebenen Maasse nur bedingten Werth haben. Eingehender ist die Schnauzenbildung beschrieben worden, und ein Holzschnitt giebt den vorderen Körpertheil wieder. Zu meinen eigenen Untersuchungen übergehend, will ich bemerken, dass mir an Material von dieser Species zur Verfügung stand: ein in Alkohol conservirter Neonatus von 1510 mm Rückenlänge, sowie zwei ebenfalls in Alkohol conservirte Embryonen von 633 und 290 mm Rückenlänge. Alle 3 Exemplare stammen von Kamerun und sind von Herrn Gouverneur v. ZIMMERER dem Münchener zoologischen Museum übergeben und von Herrn Prof. R. HERTWwIG mir in dankenswerther Weise zur Untersuchung überlassen worden. Es ist von vornherein zu erwarten, dass der gut conservirte Neonatus die Verhältnisse des erwachsenen Thieres am getreuesten wiedergeben wird, und ich beginne daher mit dessen Beschreibung. Die Farbe des Thieres ist dunkel graubraun. Es hat eine halbkreisförmige Krümmung seines Körpers aufzuweisen, und die Schwanzflosse ist nach innen stark ventralwärts eingeschlagen, und ihre Flügel sind etwas nach innen eingerollt. Der vordere Schnauzentheil setzt sich vom Kopfe durch zwei flache Furchen ab, die vom Mund- winkel ein kurzes Stück lateralwärts verlaufen. Diese Furchen verschwinden auf der Dorsalseite völlig. Sie liegen 3,5 cm von der vorderen Schnauzenfläche, 4,5 cm von dem Vorderrand der Augenspalte ent- fernt, also nicht wie bei TURNER’s Exemplare, wo sie ungefähr die Mitte zwischen beiden Punkten ein- nehmen sollen. Die Form der Schnauze ist ziemlich breit und wenig hoch. Was ihre relative Breite betrifft, so steht sie im Verhältniss zum Körperquerdurchmesser, über den Brustflossen gemessen, letzteren gleich I gesetzt, wie 0,42: 1. In ihrem Höhendurchmesser ist die Schnauze sehr niedrig. Setzen wir die Körperhöhe in der Region der Brustflossen gleich 1, so beträgt die Schnauzenhöhe vom Innenrand der vordersten Gaumen- fläche bis zu dem Punkte zwischen beiden Nasenöffnungen nur 0,17; wählen wir als ein anderes Maass die Höhe von der Kehlfurche senkrecht zur Längsaxe nach oben, so erhalten wir in derselben Ver- gleichung 0,44: Diese niedrige Schnauzenbildung bringt es mit sich, dass die Nasenlöcher vollkommen auf der Dorsal- fläche des Kopfes liegen. I) Citirt nach WAGNER, p. 134. 2) Tu. Noack, Lebende Manati. Zool. Garten, 1887, No. 0, p. 293—302. — Beiträge zur Kenntniss der Säugethierfauna von Süd- und Südwestafrika. Zool. Jahrb. SPENGEL, System. IV, 1889, p. IO5—107. 3) W. TURNER, The foetus of Halieore dugong and of Manatus senegalensis. Journ. of Anat. and Physiol, Vol, XXVII, 1894, P. 328— 331. 8 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 8 Die von TURNER (p. 330) gezeichnete horizontale Furche auf der vorderen Schnauzenfläche findet sich bei meinem Exemplar nicht vor, höchstens könnte man eine schwach angedeutete Einsenkung dafür nehmen. Die etwas herabhängenden seitlichen Theile der Oberlippe tragen nach vorn und innen zu eine mit starken Borsten besetzte ovale Prominenz. Der Unterkiefer ist vom übrigen Körper durch eine tiefe Furche abgesetzt und springt stark löffel- förmig vor. Von den äusseren Oeffnungen der Nase ist zu bemerken, dass dieselben zwei stark gebogene Spalten darstellen mit einem grösseren inneren Schenkel. Die Vorderextremitäten sind nicht äusserlich sichtbar in den Körper eingesenkt. An dem vorderen Rande der Ansatzstelle sieht man keine Furche, am hinteren Rande und an der Innenseite nur eine wenig stark ausgeprägte. Der Antheil, welchen der Oberarm an der freien Extremität nimmt, ist verhältnissmässig _ gross, und Oberarm, Unterarm und Hand sind nur wenig zu einander geneigt. In Folge dessen erscheint die gesammte freie Extremität verhältnissmässig lang. Die Breite von Oberarm, Unterarm und Hand verhält sich wie 1: 1,26: 1,26. Von Nägeln finden sich wohl ausgebildet nur 2 an jeder Hand vor, die eine braunrothe Farbe besitzen und dem 3. und 4. Finger zugehören. Am 2. und 5. Finger fehlen die Nägel bereits, doch sind noch die Nagelbetten da. Die Schwanzflosse weist eine spatelartige, aber doch mehr abgerundete Form auf. Ihr Ansatz ist sehr breit, und sein Querdurchmesser beträgt mehr als die Hälfte der grössten Schwanzflossenbreite, genauer 0,6. Das Verhältniss der Breite des Schwanzflossenansatzes zu dem Querdurchmesser des Körpers (über den Brustflossen gemessen) ist 0,71: 1. Von Manatus senegalensis stand mir ferner zur Verfügung ein Embryo von 63,3 cm Rückenlänge. Der Kopf bildet mit dem Rumpfe einen Winkel von etwas mehr als 90°, die Schwanzflosse ist ventralwärts eingebogen. Die Schnauze vom Kopf trennende Furchen fehlen durchaus, und der Kopf geht continuirlich in die Schnauze über. Die Schnauze weist zwei stark entwickelte, seitlich herabhängende Oberlippen auf, die nach innen jederseits mit einem Wulste vorspringen, der mit kräftigen Borsten besetzt ist. Die Breite der Schnauze verhält sich zum Querdurchmesser des Körpers (über den Vorderextremitäten gemessen) wie 0,4:1. Ebenso wenig wie beim Neonatus konnte ich auch hier beim Embryo die von TURNER an seinem Embryo beschriebene transversale Furche auffinden, welche die Vorderfläche der Schnauze durchziehen soll, und möchte sie daher für ein gelegentliches Schrumpfungsproduct halten. Die Schnauzenhöhe ist sehr gering. Nehmen wir die Höhe der Schnauze von der Mitte zwischen beiden Nasenöffnungen, so verhält sich diese zur Körperhöhe (in der Region der Brustilossen gemessen) wie 0,18:1. Es ist ungefähr das gleiche Verhältniss wie beim Neonatus. Das Verhältniss der Körper- höhe in der Gegend der Kehlfurche und der Gegend der Brustflossen ist dagegen wie 0,5: 1. Wie beim Neonatus liegen auch hier die Nasenlöcher noch vollkommen dorsal und zeigen auch hier die gleiche Form als stark gebogene Schlitze, deren innerer, etwas längerer Ast jederseits nach vorn zu etwas convergirt. Der Unterkiefer gleicht in seiner Form dem des Neonatus. An den Vorderextremitäten fällt gegenüber dem Neonatus auf, dass sie viel stärker abgeplattet sind; auch hier sind die drei Theile Oberarm, Unterarm und Hand stark gestreckt, ihr Breitenverhältniss ist 1,4:1,5. Im Verhältniss zur Länge Kehlfurche — After ergiebt sich eine Flossenlänge von 0,53. zu eh ee re 9 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 9 Nägel finden sich am 2.—5. Finger vor, am stärksten ausgebildet am 3. und 4., an den beiden anderen schwächer, aber doch deutlich vorhanden. Die Schwanzflosse zeigt die gleiche spatelartige, aber etwas abgerundete Form wie beim Neonatus. Die Breite des Schwanzflossenansatzes verhält sich zur grössten Schwanzflossenbreite wie 0,62:1. Zum Querdurchmesser des Körpers (über den Brustflossen gemessen) verhält sich die Schwanzflossenansatzbreite wie 0,73:1. Die grösste Breite der Schwanzflosse liegt im hinteren Drittel der Länge Schwanzende bis After. Eine mediane Einkerbung des Schwanzflossenrandes fehlt vollkommen. Ihre Länge (After bis medianer Randpunkt) ist, die Länge Kehlfurche bis After gleich I gesetzt, 0,8. Ein weiterer Embryo von Manatus senegalensis war bedeutend kleiner und maass in der Rückenlänge 29 cm. Der Erhaltungszustand war nicht besonders, da starke Schrumpfungen eingetreten waren, doch konnten die meisten Maasse mit einiger Sicherheit genommen werden. Auffällig ist an vorliegendem Embryo zunächst die starke Fötalkrümmung des Rückens; der Kopf ist vom Rumpfe in einem Winkel von etwa 80° abgesetzt. Es entsteht dadurch eine tiefe Einknickung auf der Ventralseite, welche den Kopf vom Rumpfe deutlich trennt (Tafel I, Fig. 4). Ein ferneres embryonales Verhalten zeigt sich in der Abgrenzung des Gesichtstheiles vom Schädel- theile durch die Bildung einer steileren Stirn. Die Schnauze wird nicht durch ein Furchenpaar vom Kopfe abgesetzt, sie gleicht in ihrer Bildung durchaus der des grösseren Embryos. Starke Schrumpfungen haben eine Einsenkung in der Mitte der vorderen Schnauzenfläche erzeugt. Die Schnauzenhöhe verhält sich zur Brusthöhe wie 0,2:1. Das Verhältniss der Körperhöhe in der Gegend der Kehlfurche verhält sich zur Brusthöhe wie 0,53: 1. Die Nasenlöcher liegen durchaus dorsal, der innere Ast des stark gekrümmten Bogens ist sehr viel länger als der äussere. Die Vorderextremitäten sind auffallend gestreckt. Ihre Grösse beträgt im Verhältniss zur Länge Kehlfurche bis After 0,58. Ferner ist die umkleidende Schwimmhaut sehr dünn, so dass die einzelnen Finger wie auch die Carpalien deutlich hervortreten. Das Breitenverhältniss ist für Oberarm, Unterarm und Hand 1:1,4: 1,5. Nägel sind 4 vorhanden, und zwar am 2.—5. Finger, an letzterem sehr klein. Setzen wir den Brustdurchmesser gleich I, so ist der Querdurchmesser über der Ansatzstelle der Schwanzflosse 0,5. Die Schwanzflosse ist löffelförmig eingekrümmt, an den Rändern sehr dünn und ohne jede Spur einer medianen Einkerbung. Die grösste Breite liegt im Verhältniss von 0,35 vom Schwanzflossenende, die Länge vom After zum Schwanzflossenende gleich I gesetzt, und es resultirt daraus eine etwas grössere Abrundung des hinteren Schwanzflossenrandes. Die Breite des Schwanzflossenansatzes verhält sich zur grössten Breite der Schwanzflosse wie 0,6: 1, zur Körperbreite in der Gegend der Brustflossen wie 0,55: 1. Die Länge der Schwanzflosse verhält sich zur Länge Kehlfurche bis After wie 0,8:1. Vergleichen wir nunmehr die Beschreibung dieser drei Entwickelungsstadien von Manatus senegalensis mit einander, so können wir einmal das Gemeinsame herausgreifen und für die Beschreibung der äusseren Körperform der Art verwenden, dann aber auch durch Vergleichung der Maasse in den drei Stadien ent- wickelungsgeschichtliche Thatsachen feststellen. Am meisten Aehnlichkeit hat Manatus senegalensis mit Manatus latirostris, und es ist daher gut, zu- nächst die specifischen Unterschiede aufzustellen, durch welche sich beide Arten von einander trennen lassen. Jenaische Denkschriften. VII, 2 Semon, Zoolog. Forschungsreisen. IV. Io Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen, Io Die Furche, welche jederseits die Schnauze abgrenzt, ist bei M. senegalensis nicht so stark ausgeprägt wie bei M. latirostris, reicht auch nicht so weit dorsalwärts wie bei letzterem und liegt weiter nach vorn. Bei M. latirostris liegt sie dem Augenspalt näher als der Vorderfläche der Schnauze, bei M. senegalensis findet das umgekehrte Verhalten statt. Das Verhältniss der Schnauzenbreite zum Querdurchmesser des Körpers (über den Brustflossen gemessen) scheint bei beiden Arten ungefähr das gleiche zu sein, dagegen ist sehr charakteristisch der geringe Höhendurchmesser der Schnauze, der bei M. senegalensis nur 0,17 im Vergleich zum Höhendurch- messer des Körpers (in der Region der Brustflossen gemessen) beträgt, bei M. latirostris dagegen 0,62, also mehr als das Dreifache. Ebenso ergiebt der Vergleich der Höhe, von der Kehlfurche an gemessen, bei M. senegalensis im Verhältniss weniger als bei M. latirostris; bei M. senegalensis 0,44:1, bei M. latirostris 0,62 und mehr zu 1. Es ist also zwischen M. senegalensis und M. latirostris der charakteristische Unterschied ausgeprägt, dass bei M. senegalensis die Schnauze sehr viel niedriger im Vergleich zur Brusthöhe ist als bei der ameri- kanischen Art. Bei letzterer ist in Folge dessen die Lage der äusseren Nasenöffnungen eine andere als bei M. sene- galensis, indem sie auf der Umbiegung zur vorderen Schnauzenfläche liegen, während sie sich bei M. senegalensis noch rein dorsal befinden. Wie bei M. latirostris, so hängen auch bei M..senegalensis die seitlichen Theile der Oberlippe über, den schmalen Unterkiefer umfassend, und tragen auch hier auf einem jederseitigen ovalen Felde eine Anzahl besonders starrer Borsten. Der Unterkiefer springt bei M. senegalensis etwas stärker löffelförmig vor und ist etwas höher als bei M. latirostris. Die Nasenöffnungen sind bei beiden Species verschieden. Bei M. latirostris stellen sie flach gebogene Spalte dar, bei M. senegalensis dagegen ist die Biegung eine viel stärkere und der innere Ast jedes Bogens bedeutend länger als der äussere. Die freie Vorderextremität ist bei M. senegalensis grösser als bei M. latirostris; es participirt an ihr ein grösserer Theil des Oberarmes, und Oberarm, Unterarm und Hand haben zu einander eine gestrecktere Lage. Ferner findet sich ein wichtiger Unterschied in der viel grösseren relativen Breite von Oberarm, Unterarm und Hand im Verhältniss zur Brustflosse. Bei M. senegalensis ist dasselbe 1:1,26:1,26, bei M. latirostris 1:1,4: 1,55. Ein anderer Unterschied betrifft die Schwanzflosse. Der Ansatz der Schwanzflosse ist bei M. sene- galensis relativ viel breiter als bei M. latirostris, er beträgt bei ersterem 0,6 der grössten Schwanzflossenbreite, bei letzterem nur 0,48. Dieser Befund steht in geradem Gegensatze zu Noack’s Angaben. Ferner findet sich auch die bei M. latirostris vorhandene mediane Einkerbung bei M. senegalensis nicht vor. Auch im Verhältniss zum Querdurchmesser des Körpers (über den Brustflossen gemessen) ist der Schwanzflossenansatz bei M. senegalensis breiter als bei M. latirostris, er beträgt im ersteren Falle 0,71, im letzteren 0,64 des Querdurchmessers des Körpers. Ferner ist die Schwanzflosse abgerundeter als bei M. latirostris, bei letzterem liegt die grösste Breite im hinteren Fünftel der Entfernung vom After zum Schwanzflossenende, bei M. senegalensis im hinteren Drittel. Was die entwickelungsgeschichtlichen Resultate anbetrifft, so ergiebt sich Folgendes. Bezeichnen wir das kleinste Stadium mit I, das darauf folgende mit II und den Neonatus mit III, so ergiebt sich zu- nächst, dass bei I noch eine starke Fötalkrümmung auftritt, die bei II schon zu schwinden anfängt, indem II Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. II der Kopf sich streckt. Dadurch geht auch die Bildung des Halses, die bei I noch zu sehen ist, verloren. Bei I finden wir noch eine äusserlich ausgeprägte Scheidung von Gesichts- und Schädeltheil durch eine steil abfallende Stirn, die bei II und III verloren gegangen ist. Die Schnauzendicke wächst nicht in dem Verhältniss wie die Körperdicke. Die Vorderextremitäten nehmen im Laufe der Entwickelung an Länge relativ ab. Die Schwimmhaut bildet sich allmählich und ziemlich spät vollkommen aus, ein stärkeres Dickenwachsthum findet erst zwischen Stadium II und III statt. Auch die Breite der freien Extremität verändert sich im Laufe der späteren embryonalen Entwickelung, indem die Schwimmhaut sich erst zwischen Stadium II und III in der Region des Oberarmes stärker entwickelt; die äussere Umbildung der Vordergliedmaassen zur Schwimmflosse schreitet also distal-proximalwärts fort. Die Schwanzflosse nimmt an Dicke zwischen Stadium II und III ebenfalls verhältnissmässig viel mehr zu als zwischen I und II. Die ursprünglich mehr abgerundete Form des hinteren Schwanzflossenrandes verliert sich im Laufe der Weiterentwickelung etwas, indem der proximale Theil der Schwanzflosse schneller in die Länge wächst als der distale, und dadurch eine mehr spatelartige Form erzielt wird. Der Schwanz- flossenansatz verbreitert sich in später embryonaler Zeit sehr stark, bei Stadium I ist das Verhältniss zum Querdurchmesser des Körpers 0,55, bei Stadium II 0,73 und bei Stadium III 0,71. Das schnellere Breiten- wachsthum erfolgt also zwischen Stadium I und Il. Ich hatte nun erwartet, dass auch die grösste Schwanzflossenbreite erst allmählich sich herausbilden werde, war aber sehr überrascht, zu sehen, dass das kleinste Stadium im Verhältniss zum Körperquerdurch- messer die grösste Schwanzflossenbreite hat, und dass letztere allmählich abnimmt. Folgendes sind die Ver- hältnisszahlen, die Körperbreite (in der Region der Brustflossen gemessen) gleich I gesetzt: Stadium I: ı,ı, Stadium II: 0,86, Stadium III: 0,83. Eine auf äussere Körpermerkmale begründete kurze Diagnose des Manatus senegalensis würde lauten: „Schnauze nicht scharf vom Kopfe abgegrenzt, ihre Höhe gering. Nasenlöcher rein dorsal gelegen. Oeffnungen der Nasenlöcher stark gebogen mit längeren, conver- girenden Innenästen. Die verhältnissmässig grossen Vorderextremitäten (0,55 der Länge Kehlfurche bis After) gestreckt, auch die Region des Oberarmes stark in die Flossenbildung einbezogen. Oberarm, Unterarm und Handbreite im Verhältniss von 1:126:1,26. Rauhigkeiten auf der Unterseite der Brustflossen fehlen. 4 Nägel am 2.—5. Finger jeder Hand. Schwanzflossenansatz mehr als die Hälfte breiter als die swösste Schwanzflossenbreite. Die. grösste Breite ‚lest “im hinteren Drittel, der Schwanzflossenlänge Eine mediane Einkerbung des hinteren Schwanzflossenrandes fehlt“. Die äussere Körperform von Manatus latirostris HARLAN. R. HARLAN, On a species of lamantin, in: Journ. Acad. Nat. Sc. Philadelphia, Vol. III, 1824, p. 394. (aka Eıas7,22523%) Ein annähernd vollständiges Literaturverzeichniss mit Angabe der Synonyme findet sich bei HART- LAuUB (Zool. Jahrbücher, 1886, p. 9), auf welches ich, um Wiederholungen zu vermeiden, verweise. Mit HARTLAUB halte ich den Namen M. latirostris für richtiger, weil die anderen Bezeichnungen M. australis TıLEsıus und M. americanus DESMAREST von ihren Autoren nicht ausschliesslich für diese eine Art gebraucht worden sind. Von den drei bis jetzt bekannten Lamantinarten ist M. latirostris auch in seiner äusseren Körperform am eingehendsten studirt worden, und besonders die Beschreibungen und Abbildungen Murie’s und GARROD’S 2* 12 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 12 lassen seine wesentlichsten Eigenschaften wohl erkennen. Aus diesen Angaben lässt sich für eine kurze Diagnose Folgendes entnehmen: „Schnauze durch zwei laterale Furchen scharf vom Kopfe abgesetzt, ihre Höhe beträchtlich. Nasenlöcher ander Umbiegungsfläche zur Schnauze gelegen, also nicht rein dorsal, ihre Oeffnungen flach-halbmondförmig. Die freie, ver- hältnissmässig kleine, sehr breite Extremität nicht gestreckt, sondern der Oberarm mit dem Unterarm einen stumpfen Winkel bildend; Hand und Unterarm wesentlich breiter als die Region des Oberarmes. 3—4 Nägel an jeder Hand. Unterseite der Brustflosse etwas stärker behaart. Schwanzflossenansatz weniger als die halbe grösste Schwanz- flossenbreite messend. Die grösste Breite liegt im hinteren Fünftel der Schwanz- flossenlänge. Eine mediane Einkerbung des hinteren Schwanzflossenrandes vor- handen“!). Von Manatus latirostris stand mir ein verhältnissmässig sehr kleiner Embryo zur Verfügung von 13,6 cm Rückenlänge, der sich für entwickelungsgeschichtliche Fragen als sehr werthvoll erwies. Dieser kleine, aus Jamaica stammende Embryo war mir von der Direction des British Museum in dankenswerthester Weise zur Bearbeitung überlassen worden. Wie ein Blick auf die ihn darstellenden Abbildungen (Taf. I, Fig. ı, 2 und 3) erkennen lässt, nähert er sich in seiner Gestalt noch dem allgemeinen Säugethiertypus, weist dabei aber auch bereits viele Sirenencharaktere auf. Der ausgewachsene Manatus latirostris hat eine durchaus langgestreckte Form, der Kopf geht ohne jede äussere Andeutung eines Halses in den spindelförmigen Rumpf über, und seine Längsaxe fällt mit der des Rumpfes annähernd zusammen. Bei vorliegendem Embryo dagegen ist der Kopf noch deutlich vom Rumpfe abgesetzt und bildet ferner mit ihm einen Winkel von ca. 70°. Auch der hintere Theil des Körpers, der beim erwachsenen Thiere gerade nach hinten verläuft und sich zur Schwanzflosse verbreitert, ist bei dem kleinen Embryo stark nach innen gekrümmt und die Schwanzflosse selbst verläuft ungefähr parallel zur Rumpfaxe wieder nach aufwärts.' Beim Erwachsenen fehlt ferner jede äussere Abgrenzung des Gesichtstheiles von dem Schädeltheile, beim Embryo ist sie deutlich vorhanden (siehe Taf. I, Fig. 2). Ferner ist beim Erwachsenen der vordere Theil der Schnauze abgerundet, beim Embryo dagegen flacher. Hingegen ist die eigentliche Schnauze beim erwachsenen Manatus latirostris deutlich durch eine tiefe Furche vom übrigen Gesichtstheil abgetrennt, während der Embryo erst die seitliche Andeutung einer solchen Furche besitzt. Die besten Abbildungen über den Gesichtstheil von Manatus latirostris hat GARROD (l. c. Taf. XXVIII) gegeben. Hier findet sich etwa in der Mitte zwischen Nasenöffnungen und Schnauzenspitze eine flache hori- zontale Furche, welche die Oberlippe von dem hinteren Schnauzentheil trennt. Bei vorliegendem Embryo ist sie nicht vorhanden. Dagegen zeigt sich deutlich schon die Dreitheilung der Oberlippe in einen mittleren und zwei seit- liche Theile, und wie die Abbildung (Fig. 3) ohne weiteres zeigt, passt der Unterkiefer genau in die von den beiden seitlichen Oberlippen gebildete Höhlung hinein. So gleicht der Embryo ziemlich genau der ı) In einer späteren Arbeit (Further observations on the Manatee, Transact. Zool. Society London, 1880, p. 19) hat MURIE ein ausgewachsenes Exemplar aus dem Essiquibo zur Untersuchung gehabt, welches einige recht auffällige Eigenthümlichkeiten darbot. So war die Schnauze weniger breit und hoch, ferner waren die mit 3 Nägeln versehenen Brustflossen nicht unbeträchtlich grösser, dafür aber schmäler, und endlich zeigte die Schwanzflosse eine abweichende Form, indem ihr hinterer Rand nicht abge- rundet war, sondern spitz zulief, ferner, indem auch die mediane Einkerbung, welche sonst für Manatus latirostris charakteristisch ist, fehlte: „On the contrary, there was rather an extension or bulging on this part“. Es sind das zum Theil Charaktere, wie sie Embryonen dieser Art zukommen. 13 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 13 von Murıe (l. c. Taf. XX, Fig. 7) gegebenen Abbildung, die freilich nach GARRoD die Verhältnisse nicht genau wiedergiebt, sondern eine Erscheinung post mortem darstellen soll. Wie beim Erwachsenen, so liegen auch beim Embryo die Nasenlöcher am oberen Rande der vorderen Schnauzenfläche, sind aber hier ovale, nach unten spitz zulaufende Oeffnungen, deren Längsdurchmesser in einem rechten Winkel zu einander stehen, während die Nasenlöcher des Erwachsenen flacher sind und durch die untere, als Klappe fungirende Begrenzung zu Halbmonden werden. Das etwas geöffnete Maul des Embryos zeigt oben den etwas wulstig vorspringenden vorderen Theil des Gaumens, dem im Unterkiefer eine Einsackung entspricht, die halbmondförmig von dem durch eine tiefe Rinne von der Unterlippe abgesetzten, wulstigen Unterkieferbogen begrenzt wird. Schon hier beim Embryo weist dieser Unterkieferbogen eine Besetzung mit starken Haaranlagen auf, die beim Erwachsenen zu kurzen Borsten werden. Einen merkwürdigen Anblick gewähren die Vorderextremitäten des Embryos, die über die Brust zusammengefaltet sind. Zuerst ist ihre beträchtliche Grösse auffallend. Wenn wir sie zahlenmässig aus- drücken wollen, so ist es am besten, wir vergleichen die Länge der freien Flosse mit einem beim Embryo wie beim Erwachsenen gleichen Abschnitt (die gesammte Länge des Thieres lässt sich als tertium compara- tionis, der Krümmung des Embryos wegen, nicht heranziehen). Als Maassstab habe ich daher die Entfernung vom hinteren Ende des Unterkiefers bis zum After gewählt und für das erwachsene Thier die Murie’schen Angaben (besonders die nach einer Photographie hergestellte Zeichnung, Taf. XVII, Fig. 2) zu Grunde gelegt. Daraus ergiebt sich, wenn wir die Länge Kehlfurche bis After gleich I setzen, dass beim Erwachsenen die Länge der freien Flosse 0,325 beträgt, beim Embryo dagegen 0,51. Die freie Vorderextremität ist also beim Embryo ganz beträchtlich grösser als beim Erwachsenen. Wir können daraus schliessen, dass im Laufe der Entwickelung eine Reduction in der Länge der Vorderextremität eintritt, und dass diese Reduction, die, wie wir später sehen werden, beim Erwachsenen zu einer Verschmelzung der Endphalangen mit den vorhergehenden führen kann, in verhältnissmässig später embryonaler Zeit stattfindet. Eine eingehendere diesbezügliche Erörterung wird das Kapitel über die Vorderextremität bringen. Bleiben wir bei der Be- schreibung der äusseren Merkmale, so sehen wir, dass die Vorderextremitäten des Embryos auch noch nicht von einer so starken Schwimmhaut umkleidet sind, wie die des Erwachsenen. Deutlich treten die einzelnen Theile der Hand, besonders die Finger, aus der dünnen umhüllenden Haut heraus. Auch zeigt die Schwimmhaut noch am Rande zwischen den einzelnen Fingern Einbiegungen, welche die Fingerstrahlen noch deutlicher machen. Sehr charakteristisch ist ferner die schon äusserlich gekennzeichnete Differenzirung der Vorder- extremität in Oberarm, Unterarm und Hand. Beim erwachsenen Thiere umhüllt die dicke Haut vollkommen diese drei Theile, bei unserem Embryo sehen wir sie dagegen recht distinct. Es rührt dies einmal daher, weil die drei Theile beim Embryo scharf winkelig zu einander stehen, während dies beim Erwachsenen nicht mehr in dem Maasse der Fall ist. Wir sehen beim Embryo einen kurzen, fast cylindrischen Oberarm (siehe Taf.I, Fig. I), der etwas nach vorn und unten zu von der Körperoberfläche abgeht. An diesen Ober- arm setzt sich ventral und mehr nach oben zu gerichtet, der Unterarm, der von der Bauchfläche aus gesehen, mit dem Oberarm einen Winkel von gegen 50° bildet; etwas abwärts gerichtet ist dagegen wieder die Hand, etwa im Winkel von 40°. Ferner zeigt die Vorderextremität des Embryos auch andere Breitenverhältnisse. Der Breitendurch- messer des Oberarmes beträgt beim Embryo 5 mm, des Unterarmes, über den Carpalien, 7 mm, die grösste Breite der Hand 9 mm. Wenn wir die erste Zahl gleich ı setzen, erhalten wir folgendes Verhältniss: 14 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. IA 1:1,4:1,8. Beim Erwachsenen ist dasselbe Verhältniss 1:1,4:1,5. Daraus folgert, dass die Hand des Embryos viel breiter ist wie die des Erwachsenen gegenüber der Breite des Unterarmes. Der Unterarm ist also beim Erwachsenen fast so breit wie die Hand, oder mit anderen Worten, die Schwimmflosse bildet sich im Laufe der Entwickelung, proximalwärts fortschreitend, mehr aus, indem sie nicht nur die Hand, sondern auch den Unterarm ergreift. Das Verhältniss der grössten Breite zur Länge der freien Extremität bleibt übrigens beim Embryo wie beim Erwachsenen gleich, es beträgt bei ersterem 0,47, bei letzterem 0,46, die Länge gleich ı gesetzt. So lässt sich aus diesen Verhältnisszahlen mit Sicherheit erkennen, dass bei dem Embryo der Process der Umbildung der typischen Säugethierextremität in eine Schwimmflosse noch nicht zum Abschluss ge- kommen ist, sondern dass sich aus den Differenzen zwischen ihm und dem erwachsenen Thiere ergiebt, dass auch noch in der dazwischen liegenden Entwickelungszeit der Process der Umbildung in proximaler Richtung fortschreitet. Deutliche Anlagen von Nägeln hatte der Embryo noch nicht aufzuweisen. Von äusseren Anlagen der Hinterextremitäten war auf diesem Stadium nichts zu sehen, doch zweifle ich nicht daran, dass sie auf noch früheren Stadien ebenso in Erscheinung treten, wie es auch bei den Cetaceen der Fall ist *). Der Rumpf hat bereits die Spindelform wie das ausgewachsene Thier, nur ist er nach hinten zu bedeutend verjüngt. In der Nabelhöhe übertrifft sein Umfang nur um Weniges den Brustumfang (oberhalb der Brustflossenansätze gemessen), während beim Erwachsenen eine beträchtliche Zunahme des Umfanges über dem Nabel eintritt. An der Ansatzstelle der Schwanzflosse dagegen beträgt der Breitendurchmesser des Körpers nur 0,52, beim Erwachsenen 0,66, den jedesmaligen Brustdurchmesser gleich I gesetzt. Es erhellt daraus, dass also im Laufe der Entwickelung die Breite des Schwanzflossenansatzes relativ noch recht beträchtlich zunimmt. Ebenso steht es mit dem Höhendurchmesser jener Körperregion. Beim Embryo ist die Höhe am Schwanzflossenansatz sehr gering, sie beträgt, die Höhe in der Brustregion gleich I gesetzt, 0,35, beim Erwachsenen 0,65, ist also relativ um das Doppelte gewachsen. Sehr schön zeigt sich auch die allmähliche Entwickelung der Schwanzflosse. Hier beim Embryo sind es noch zwei, dem mittleren, deutlich hervortretenden Schwanztheile breit ansitzende Flügel, die auch *) Anmerkung. Bei dieser Gelegenheit möchte ich darauf hinweisen, dass conservirte Embryonen nur dann deutliche Anlagen von Hinterextremitäten zeigen werden, wenn sie sehr klein sind. Wie ich in meinen Walstudien') nachwies, sind die Hinterextremitätenanlagen bei kleinen Embryonen deutlich sichtbar als zwei flache Erhebungen, welche zu beiden Seiten des Körpers seitlich vom Geschlechtsorgane liegen. Ich habe bereits Gelegenheit genommen, die von GULDBERG ?) geäusserte Ansicht zurückzuweisen ?), welcher als. Hinterextremitäten die auch von mir bereits aufgefundenen und beschriebenen ersten Anlagen der Mammarorgane auffasste, und betont, dass aus der von GULDBERG bei seinem kleinsten Embryo gefundenen zweifellosen äusseren Anlage der Hinterextremität durch allmähliche Verflachung die von mir bereits früher beschriebenen Hügel entstehen, die ich für Rudimente der Hinterflosse halte. In Besprechungen über das GULDBERG-NANSEN’sche Werk fand ich eine so schiefe Darstellung dieser Frage zu meinen Ungunsten, dass ich hier Gelegenheit nehme, nochmals darauf zurückzukommen. Vor kurzem hatte ich Gelegenheit, einen verhältnissmässig grossen Embryo von Phocaena, den ich selbst dem Mutterleibe entnehmen konnte, und der einen tadellosen Zustand seiner Plastik aufwies, in frischem Zustande genauer daraufhin untersuchen zu können, und fand die bereits von mir beschriebenen Hügel aufs Deutlichste an ihm auf. Diese beiden ansehnlichen, flachen, aber doch circumscripten Hügel lagen zu beiden Seiten der Medianlinie des 35 cm grossen Embryos, 2,2 cm vom After entfernt und in ihren höchsten Punkten 2 cm aus einander. Das ist genau die Lage, in welcher sie sich nach der Lage der Beckenrudimente zu befinden haben. Es scheint demnach, als ob sich diese letzten Andeutungen der freien Hinterextremitäten gelegentlich verhältnissmässig lange er- hielten, und es wäre sehr wünschenswerth, wenn Forscher, die Gelegenheit haben, frische Embryonen von Cetaceen untersuchen zu können, auf diesen Punkt ihr Augenmerk richten würden. An conservirtem Material wird man wohl danach vergeblich suchen, da die fast unvermeidlichen Schrumpfungen das Bild verwischen. ; u — 1) Denkschriften der Medic.-naturwiss. Ges. Jena, 1893, p. 233. 2) Verhandl. der Anat. Ges., 1894. GULDBERG, Ueber temporäre äussere Hinterflossen bei Delphin-Embryonen, sowie GULDBERG and NANSEN, On the development and structure of the whale. Pt. I, 1894. 3) Ueber Rudimente von Hinterflossen bei Embryonen von Walen. Anat. Anz., 1895, p. 534. } ‘ 15 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 15 das Ende der Wirbelsäule vollkommen umgeben, ohne die geringste Andeutung einer mittleren Einkerbung. Während beim Erwachsenen die Schwanzflosse spatelförmig ist, erweist sie sich beim Embryo als lanzett- förmig, indem die grösste Breite noch nicht ans Ende der Schwanzflosse gerückt ist. Die Länge der embryonalen Schwanzflosse, vom After an gemessen, ist, die Länge des Afters zum Unterkieferhinterende gleich I gesetzt, gleich 0,7, beim Erwachsenen 0,67; sie ist also beim Embryo relativ ein wenig grösser. Die grösste Breite der Schwanzflosse ist beim Embryo, die Entfernung vom After zum Schwanzflossenende gleich I gesetzt, 0,54, beim Erwachsenen 0,66. Es ist daraus der Schluss zu ziehen, dass die Schwanz- flosse von dieser Embryonalzeit an immer noch beträchtlich in die Breite wächst. Die grösste Breite liegt beim Embryo, die Länge vom After bis zum Schwanzflossenende gleich I gesetzt, im Verhältniss von 0,23 vom Schwanzflossenende, beim Erwachsenen nur im Verhältniss von 0,18. Das weitere Wachsthum der Schwanzflosse erfolgt also in der Weise, dass sich die grösste Breite weiter nach hinten zu verschiebt. Ferner wird aus den beigegebenen Abbildungen klar, dass beim Embryo die Schwanzflossenflügel nach innen umbiegen und eine Art Hohlraum darstellen, bei mittelgrossen Embryonen wie beim Erwachsenen dagegen gestreckt sind. Dagegen erscheint mir eine nochmalige Einrollung der Schwanzflossenflügel, nach den Befunden am Neonatus, bei dicht vor der Geburt stehenden Embryonen wie dem neugeborenem Thier wahrscheinlich. Noch ist zu erwähnen, dass beim Embryo die Mündung des Geschlechtsorganes (in diesem Falle die Mitte des Penisansatzes) sehr viel näher dem After liegt als beim Erwachsenen, indem diese Ent- fernung beim Erwachsenen relativ um das Dreifache gewachsen ist. Eine Anzahl anderer, kleinerer äusserer Merkmale, wie Augen- und Ohröffnung etc., übergehe ich hier, da ich sie in den betreffenden speciellen Kapiteln ausführlicher behandeln werde. Der allgemeine Schluss, der sich aus vorliegender Vergleichung des Embryos mit dem erwachsenen Thiere ergiebt, ist der, dass die wesentlichen Manatus-Merkmale wohl beim Embryo bereits angelegt sind, dass sie sich aber noch in der auf dieses Stadium folgenden Embryonalzeit beträchtlich weiter entwickeln. So hat sich also dieser Embryo als ein Stadium der Manatus-Entwickelung gegeben, welches uns zwar nicht die Verhältnisse vorführt, wie sie bei den landlebenden Vorfahren der Manati existirten, wohl aber Hinweise in dieser Richtung giebt. Noch beträchtlich kleinere Embryonen würden zur Lösung dieser Frage viel mehr beitragen können. Manatus inunguis NATT. NATTERER, 1830, siehe v. PELZELN, Brasilische Säugethiere, Zool.-bot. Gesellsch. Wien, Beiheft zu Bd. XXXII, 1883, p. 89. (Taf. II Eie. 9, Io, IT, und, Taf.” V, Rig.-1S.) Die Existenz einer zweiten amerikanischen Species steht ausser Frage und ist erst neuerdings durch HARTLAUB’s sorgfältige osteologische Untersuchungen bestätigt worden. Doch fehlen genügende Angaben, um eine Artunterscheidung auf Grund des äusseren Körperbaues durchführen zu können. In Betracht kommen nur die bereits citirten Arbeiten von A. v. HUMBOLDT, NATTERER und A. WAGNER. Aus den Beschreibungen und Abbildungen lässt sich für den äusseren Körperbau von Manatus inunguis entnehmen, dass das Thier eine sehr viel zugespitztere Schnauze besitzt als die anderen Arten, ferner ragt die quadratisch abgestutzte rüsselartige Oberlippe beträchtlich über die Unterlippe hervor. Die freie Vorder- extremität scheint etwas grösser und schmäler zu sein. (Das Breitenlängenverhältniss ist nach HumBoLpr 1:2,76, nach NATTERER 1:2,54, bei Manatus latirostris nur 1:2,1.) Ein ferneres wichtiges äusseres Art- merkmal ist der gänzliche Mangel an Nägeln. HARTLAUB (p. 48 u. 49) schreibt: „Die WAGNER’schen Mit- theilungen sind vor allem dadurch werthvoll, dass sie die für unsere Species grundlegende Eigenschaft, den gänzlichen Mangel an Nägeln, bestätigen.‘ 16 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 16 In der That fand sich sowohl an den 3 von WAGNER untersuchten erwachsenen Exemplaren, wie einem 2'/, Fuss langen Embryo keine Spur von Nägeln vor. HumBoLpr (Voyage etc., T. VI, p. 235) schreibt indessen: „Nous n’avons pas trouv& des vestiges d’ongles sur la face exterieure et le bord des nageoires, qui sont entierement lisses; mais de petits rudimens d’ongles paroissoient A la troisieme phalange, lorsqu’on öte la peau des nageoires.“ NATTERER (p. 9I) dagegen findet „keine Spur von Nägeln in keinem Alter“. Verfolgen wir die Angaben über das Vorkommen von Nägeln bei Manatus latirostris, so geben zwar alle Autoren übereinstimmend an, dass solche vorkommen [SCHLEGEL’s!) beide Exemplare, an denen sich keine fanden, waren ausgestopfte Thiere], sie weichen indessen in den Angaben der Zahl von einander ab, bald sind es 3, bald 4 Nägel an jeder Hand, Stannıus ?) (p. 2) findet sogar an seinem sehr jungen Manatus von 26'/, Zoll Länge nur je einen einzigen Nagel an der Spitze des zweiten Fingers. ALBERS?®) fand bei einem Thiere rechts 4, links nur 3 Nägel. Ein Variiren in der Zahl ist also ziemlich sicher und auch ver- ständlich, da die Nägel der Manati rudimentäre Gebilde darstellen, die bekanntlich immer grösseren Varia- tionen unterworfen sind. STAnnIUs schreibt sogar: „Schwerlich möchten also Ab- und Anwesenheit und Zahl der Nägel specifische Unterschiede sein“. Letzterem Ausspruche möchte ich nicht beistimmen, andernfalls aber den Unterschied zwischen M. inunguis und M. latirostris in Bezug auf die Anwesenheit der Nägel nicht so schroff ausdrücken, dass ersterem die Nägel durchaus fehlen, letzterem nicht, sondern ihn folgendermaassen formuliren: Bei M. inunguis ist die Nagelbildung ganz rudimentär geworden und fast stets völlig verschwunden, bei M. latirostris in viel geringerem Maasse, und Nägel treten stets noch auf. Die Länge des Schwanzes vom After bis zum Rande im Verhältniss zur gesammten Körperlänge ist ungefähr die gleiche wie bei M. latirostris, 0,32:1 (nach NATTERER’S Angaben [p. 93] berechnet). Dagegen erhalten wir sehr verschiedene Verhältnisszahlen für Breite und Länge des Schwanzes. Während dieselben bei M. latirostris wie M. senegalensis 1:1,5 resp. 1,51 betragen, stellt sich bei M. inunguis (berechnet nach NATTERER [p. 93]) das Verhältniss auf 1:1,23. Setzen wir die Schwanzlänge gleich I, so erhalten wir für M. latirostris wie M. senegalensis eine grösste Breite von 0,67, bei M. inunguis von 0,81. Schliesslich ist noch zu bemerken, dass eine mediane Einkerbung des Schwanzflossenrandes vollkommen fehlt. So viel lässt sich aus den Literaturangaben für die äussere Körperform von M. inunguis entnehmen. Manche dieser Angaben widersprechen sich indessen, einige für die Diagnose wichtige Maasse fehlen ganz, und es war für meine Untersuchung daher von grosser Wichtigkeit, dass ich durch die Güte des Herrn Prof. HErTwIG einen Embryo dieser interessanten Art untersuchen konnte. Es ist das derselbe Embryo, den Spıx und MaArTIıVs von ihrer südamerikanischen Reise vom Amazonenstrome mitgebracht haben. WAGNER in SCHREBER’s Säugethieren (p. 108) hat bereits eine kurze Beschreibung dieses Embryos geliefert, die ich anbei folgen lasse. „Der Körper ist mit zerstreuten kleinen Papillen besetzt, doch ohne Haare. Der Kopf ist hinten breit gerundet, vorn abgestumpft. Die Oberlippe ist sehr fleischig, dick, nicht gespalten, vorn breit abgestutzt und zu beiden Seiten lippenartig herabhängend, in solcher Weise den Unterkiefer zwischen sich fassend, der auch vorn von ihr überragt wird. Ober- und Unterlippe sind mit vielen kurzen Härchen besetzt, die aus ebenso viel Grübchen hervorkommen. Im Gaumen findet sich vorn ein grosses fleischiges Polster. Die Unterlippe ist sehr dick, stumpf, durch eine Falte vom fleischigen wulstigen Untertheil abgesondert. Die Mundfläche ist zuerst glatt und ausgefüllt, dann folgt ein längliches Polster, das aber über dieselbe nicht vorragt und von einer tiefen Längsfurche durchschnitten wird. Die ı) H. SCHLEGEL, Abhandlungen aus dem Gebiete der Zoologie und vergleichenden Anatomie, 1841, Heft ı. 2) H. STannıus, Beiträge zur Kenntniss des amerikanischen Manatus. Rostock 1846. 3) J. A. ALBERS, Icones ad illustr. anatomen comparatam. Leipzig 1822. ee HE ee ie ei ee en Meer ee ee 17 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 17 Vertiefungen sind noch nicht ausgebildet; die Zunge wie sie oben beschrieben. Die Nasenlöcher liegen als halbmondförmige Schlitze gleich hinter den Grübchen der Oberlippe. Die Augen sind klein und weit aus- einandergerückt, was noch mehr von den Öhrlöchern gilt.“ An einer anderen Stelle giebt WAGNER noch einige Maasse dieses Embryos (p. 122). Zu meinen eigenen Untersuchungen jübergehend, will ich vorerst bemerken, dass der Embryo evis- cerirt war und daher nicht alle Maasse genau gegeben werden konnten. Der spitz zulaufende Vorderkopf weist vorn eine Schnauzenbildung auf, die im Allgemeinen der von M. senegalensis ähnlich ist. Zum Unterschiede von letzterer Form sind aber jederseits lateral tiefe Furchen vorhanden, welche sich, dorsalwärts in stumpfem Winkel zusammenstossend, vereinigen. Das die eigentliche Schnauze bildende, mit grossen Borsten besetzte Feld ist in keiner Weise wulstig äufgetrieben, sondern geht gleichmässig in den dahinter liegenden Kopftheil über. Die Vorderfläche der Schnauze ist in sehr deut- licher Weise durch 2 laterale Einkerbungen in einen medianen Theil und 2 laterale, tief herabhängende Oberlippen geschieden. Ein kleines ovales, mit stärkeren Borsten besetztes Feld findet sich auch hier, noch an der Innenseite jeder Oberlippe zu gelegen, vor. Die Breite der Schnauze ist im Verhältniss zu ihrer Höhe beträchtlich, im Verhältniss zum Körperdurchmesser dagegen sehr gering. Das Verhältniss der Schnauzenbreite zum Querdurchmesser des Kopfes in der Augenregion, wie des Körpers in der Brustflossen- region ist 1: 1,5:2,8. Bei M. senegalensis (Neonatus) ist das gleiche Verhältniss 1: 1,36: 2,41, bei M. latirostris (nach MurıeE’s Zeichnungen) 1:1,1:2,1. Sehr charakteristisch ist die geringe Höhe der vorderen Schnauzenfläche. Sie steht zur Brusthöhe im Verhältniss von 0,1: I, während wir bei M. senegalensis 0,17, bei M. latirostris gar 0,62 haben. Die Nasenlöcher liegen durchaus dorsal und sind nicht halbmondförmig, wie WAGNER angiebt, sondern viel stärker gebogen, mit nach vorn convergirenden, längeren Innenästen (siehe Taf. V, Fig. 18). Der Unterkiefer ist durch eine tiefe Kehlfurche scharf abgesetzt und springt stark vor. Er ist zwar kürzer als der Oberkiefer und wird von den 3 Theilen der Oberlippe überdeckt, jedoch nicht in erheb- lichem Maasse, so dass ich darin keinen principiellen Unterschied zu dem Verhalten bei M. latirostris und M. senegalensis zu finden vermag. An den Brustflossen vermag ich recht tiefgreifende Unterschiede zu finden. In ihrer relativen Grösse steht die Flosse von M. inungwis in der Mitte zwischen der kleineren von M. latirostris und der grösseren von M. senegalensis. Genauer lässt sich das Verhältniss ausdrücken, wenn wir die Länge Kehlfurche bis After gleich ı setzen, dann steht die Länge der freien Vorderextremität bei M. inunguis im Verhältniss von 0,42, bei M. senegalensis im Verhältniss von durchschnittlich 0,55, bei M. latirostris dagegen nur von 0,323. Schon an Humsorpr’s Abbildungen fiel mir die eigenthümliche keulenföürmige Form der Vorder- flosse auf. Die Untersuchung an vorliegendem Embryo ergab, dass in der That die Region des Oberarmes im Vergleich zu Unterarm und Hand sehr schmal ist; wir erhalten für diese 3 Regionen ein Verhältniss von 1:1,806:1,9, bei M. latirostris war dasselbe 1:1,4:1,55, bei M. senegalensis dagegen (Neonatus) 1: 1,26: 1,26. Der Oberarm ist also bei M. inunguis noch fast gar nicht in die Flossenbildung einbezogen (s. Taf. II, Fig. 10). Ferner zeigt es sich, dass bei M. inunguis die 3 Componenten der freien Extremität noch in deut- lichen Winkeln zu einander gestellt sind. Es findet sich aber noch ein weiteres Merkmal von hoher systematischer Bedeutung an der Hand dieses Embryos. Trotzdem die Vorderextremitäten an vorliegendem Embryo tadellos erhalten sind, lässt sich an ihnen keine Spur von Nägeln bemerken, während sich schon bei jüngeren Stadien von M. latirostris und M. sene- galensis deutliche Nagelanlagen vorfinden. Jenaische Denkschriften. VII. 3 Semon, Zoolog, Forschungsreisen. IV. 18 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 18 Dieser Unterschied, welcher bekanntlich der Species den Namen gegeben hat, ist in der That höchst auffällig und wichtig. Wenn auch die Nägel der Manati rudimentäre Organe sind und demzufolge in ihrer Ausbildung grösseren Schwankungen unterliegen, so ist doch noch kein Fall bekannt geworden, dass bei den beiden mit Nägeln versehenen Species, zu denen sich noch Manatus koellikeri n. sp. gesellt, diese Nägel gefehlt hätten. Setzen wir den Brustdurchmesser gleich I, so erhalten wir für die Breite des Schwanzflossenansatzes 0,55. Beim Neonatus von M. senegalensis betrug die relative Breite 0,83, bei M. latirostris (junges Thier) 0,66. Obwohl wir gesehen haben, dass die Schwanzflossenbreite in späterer embryonaler Zeit noch zunimmt, so können wir doch die 3 herangezogenen Stadien deshalb vergleichen, weil auch der Embryo von M. inunguis bereits eine beträchtliche Grösse erreicht hat, und das Verhältniss der Schwanzflossenbreite wohl nur wenig von dem des erwachsenen Thieres abweichen dürfte. Immerhin müssen Untersuchungen an weiterem Material angestellt werden, um diese Vergleiche sicher zu stellen. Es ist also die Breite des Schwanzflossenansatzes bei M. inunguis am geringsten, grösser bei M. latirostris und am grössten bei M. senegalensis. Im Verhältniss zur grössten Schwanzflossenbreite ist die Breite des Schwanzflossenansatzes bei M. inunguis 0,55, bei M. senegalensis 0,6 (beim Embryo von 63 cm Länge 0,63), bei M. latirostris (junges Thier) 0,47. Der Schwanzflossenansatz misst also in der Breite wenig mehr als die Hälfte der grössten Schwanzflossenbreite. Die grösste Schwanzflossenbreite ist im Verhältniss zum Querdurchmesser des Körpers (Brustflossenregion), letztere gleich I gesetzt, 0,9, bei M. senegalensis (Neonatus) 1,2, bei M. latirostris (junges Ehren)e1,25: Danach hat M. inunguis unter allen 3 Arten die geringste Schwanzflossenbreite (siehe Taf. II, Fig. 9). Im Verhältniss zur Länge (After bis Medianpunkt des hinteren Randes) ist die grösste Schwanz- flossenbreite 0,64, bei M. senegalensis (Embryo von 63 cm Länge) ebenfalls 0,64 (beim Neonatus dagegen beträchtlich mehr: 0,9), bei M. latirostris (junges Thier) 0,66. Es lassen sich, wie gesagt, diese Zahlen nur mit Vorsicht verwenden, wenn man daran denkt, dass das relative Breitenwachsthum der Schwanzflosse bei diesem Embryo noch nicht abgeschlossen ist. Diese Verhältnisse lassen sich auch nicht in Uebereinstimmung bringen mit den Angaben der Literatur. Wichtig ist dagegen, dass bei dem vorliegenden Embryo die grösste Schwanzflossenbreite im hinteren Fünftel (genauer 1:0,22) der Schwanzflossenlänge (After bis Medianpunkt des Schwanzflossenrandes) liegt, und dass am Medianpunkt des Schwanzflossenrandes eine Einkerbung, wie sie M. latirostris aufzuweisen hat, fehlt, dafür dorsalwärts eine kleine mediane Furche erscheint. Vergleichen wir die für M. inunguis gewonnenen Körpermerkmale, so steht zunächst fest, dass sich eine Anzahl wesentlicher Unterschiede gegenüber den beiden anderen Arten finden. In der Schnauzenbildung, wie in der Form und Lage der Nasenöffnungen nähert sich M. inunguis dem M. senegalensis, weicht indessen in der Form der Vorderextremitäten, besonders der geringen relativen Breite des Oberarmes von M. senegalensis wie M. latirostris erheblich ab. Ferner unterscheidet sich M. inunguis scharf von beiden Formen durch den Mangel an Nägeln. Dann ist auch der Ansatz der Schwanzflosse viel schmäler als bei den beiden anderen Arten, während sich in der spatelförmigen Form der Schwanz- flosse M. inunguis mehr dem M. latirostris nähert. Ein scharfer Unterschied gegenüber letzterer Form findet sich aber in dem Mangel einer Einkerbung am Medianpunkte des Schwanzflossenrandes. Für eine auf äussere Körpermerkmale begründete Diagnose lässt sich aus diesen Befunden Folgendes entnehmen: „Schnauze durch eine schwache, zusammenhängende Furche vom Kopfe abgegrenzt, aber nicht vorgewulstet, Höhe der vorderen Schnauzenfläche nur ein Zehntel der Brusthöhe. Die seitlichen herabhängenden Oberlippentheile stark ent- } - 19 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 19 wickelt und vom medianen Theile durch 2 deutliche Einkerbungen abgegrenzt. Die Oberlippe beim Erwachsenen über den Unterkiefer vorragend. Nasenlöcher rein dorsal gelegen, stark gebogen, mit längeren convergirenden Innenästen. Die Brustflosse 0,42 der Länge Kehlfurche — After, ihre Breite sehr gering (0,31 ihrer Länge). Der Oberarm bildet einen deutlichen Winkel mit dem Unterarm und ist sehr wenig in die Flossenbildung mit einbezogen, so dass sein Querdurchmesser relativ sehr gering ist (1:1,86:1,2). Nägel fehlen bei Erwachsenen wie Embryonen. Brustflosse auf der Unter- seite am radialen Rande mit Rauhigkeiten versehen. Schwanzflossenansatz wenig mehr als die Hälfte breiter als die grösste Schwanzflossenbreite. Die grösste Breite liegt im hinteren Fünftel der Schwanzflossenlänge. Eine mediane Einkerbung des hinteren Schwanzflossenrandes fehlt, dafür findet sich auf der dorsalen Seite eine mediame Furche.“ Ein kleiner Fötus von 5,5 cm Länge, der von WILDER) beschrieben und abgebildet worden ist, scheint mir zu dieser Species zu gehören. Leider sind die wenigen Maasse, sowie auch die etwas schema- tisch gehaltenen Abbildungen für sichere Schlüsse nicht ausreichend. WILDER selbst erwähnt über die Species gar nichts, dass wir aber M. inunguis vor uns haben, wird wahrscheinlich einmal aus der lang- gestreckten Kopfform, wie durch das Fehlen einer medianen Einkerbung des hinteren Schwanzflossenrandes, dann aber auch durch seine Provenienz von einem der Nebenflüsse des Amazonas, dem Maraüon. Manatus koellikeri n. sp. (Taf. III und IV). Diese neue Art begründe ich auf die Untersuchung eines grösseren Manatus-Embryos von 5I cm Rückenlänge, der aus Surinam stammen soll, und mir von Herrn Geh. Rath v. KoELLIKER zur Bearbeitung überlassen worden ist. In seiner äusseren Körperform weist der vorliegende, in vorzüglichem Erhaltungszustand befindliche Embryo so eigenthümliche Eigenschaften auf, dass es unmöglich ist, ihn einer der 3 bisher bekannten Species einzureihen. Zuvörderst ist die Frage zu erörtern, ob es überhaupt gestattet ist, die Körperform eines Embryos zur specifischen Unterscheidung heranzuziehen. Die Untersuchung des äusseren Körperbaues von M. sene- galensis hatte mir bereits ergeben, dass nicht nur bei dem grösseren, sondern auch bei dem kleinsten Embryo sich schon die einzelnen Speciescharaktere vorfinden; um so mehr wird dies bei dem vorliegenden ansehn- lichen Embryo der Fall sein. Ferner erscheint es mir auch undenkbar, dass die so eigenthümlich ausge- prägten Charaktere dieses Embryos später noch wesentliche Abänderungen erfahren sollten. Selbstverständlich bin ich mir aber bewusst, dass die Aufstellung einer neuen Art auf ein einziges, noch dazu sehr junges Exemplar hin nur einen durchaus provisorischen Charakter haben kann und nur aus Zweckmässigkeitsgründen erfolgen musste, da dieses Thier in keine der bekannten Species unter- zubringen war. Hoffentlich wird es, wenn erst einmal das Augenmerk darauf hin gerichtet ist, bald gelingen, auch ein erwachsenes Thier wissenschaftlicher Untersuchung zugänglich zu machen und die am Embryo ge- wonnenen Befunde zu bestätigen und zu erweitern. I) WILDER, On a foetal Manatee and Cetacean, with remarks upon the affinities and ancetry of the Sirenia. American Journ. Science, 3. Ser., Vol, X, 1875. 3*+ 20 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 20 Was an dem Thiere zunächst in die Augen fällt, ist die eigenthümliche Form des Kopfes und der Schnauze. Der Kopf ist sehr langgestreckt, spitz zulaufend und trägt ganz vorn eine durch eine tiefe Furche abgeschnürte rundliche, fast knopfförmige Schnauze. Folgende Maasse werden die Kopfform näher erläutern: Breite des Körpers in der Brustflossenregion 10,8, Scheitelbreite 7,5, Breite in der Augenregion 5,6, Breite in der Schnauzenfurche 1,8, grösste Schnauzenbreite 2,8 cm. Das sind Verhältnisse, wie sie bei keiner anderen Art auch nur annähernd sich vorfinden. Es könnte nur das Bedenken aufgeworfen werden, dass hier eine künstliche Deformität vorläge, etwa hervorgerufen durch eine Einschnürung mittelst eines Bandes oder einer Schnur hinter der Schnauze. Das erscheint mir deshalb unwahrscheinlich, weil der eingeschnürte Theil vollkommen mit Epidermis bedeckt ist, und auf der hinteren umgeschlagenen Schnauzenfläche, die bei derartiger Behandlung in Mitleidenschaft gezogen sein müsste, die zarten seidigen Haare vollkommen intact sind. Auch müsste eine solche künst- liche Einschnürung der Schnauze auf ihrer Unterseite merkliche Spuren hinterlassen haben, was nicht der Fall ist, wie ein Blick auf Taf. IV, Fig. 17 zeigt. Nehmen wir aber selbst den Fall an, dass eine solche Einschnürung stattgehabt habe, und recon- struiren wir uns das Bild vom Kopfe, wie er ohne einen derartigen Eingriff ausgeschaut haben würde, so würde nur die starke Furche hinter der Schnauze schwinden, die Schnauze selbst aber das gleiche rundliche Gebilde von gleicher Breite sein, und auch am hinteren Theile des Kopfes würden die Breitenverhältnisse die gleichen sein. Die wesentlichen Eigenthümlichkeiten dieser Kopfform würden sich nicht durch eine künstliche Deformität erklären lassen, und wir sind daher berechtigt, sie als specifische Artcharaktere anzu- sehen, mag nun eine künstliche Einschnürung stattgefunden haben oder nicht. Eine fernere Eigenthümlichkeit ist der starke Abfall der Stirnregion. Die Höhe im Scheitel beträgt 6,9 cm, in der Region der Kehlfurche nur 5 cm. Schauen wir die Schnauze von vorn an (siehe Fig. 17), so macht das ganze Gebilde den durchaus natürlichen Eindruck eines etwas nach oben aufgerichteten Rüssels. Ein fundamentaler Unterschied gegen- über den Schnauzenverhältnissen der 3 anderen Arten findet sich in der Thatsache, dass der mediane Theil der Oberlippe gar nicht an der Begrenzung der oberen Mundhöhlenfläche theilnimmt, sondern aus- schliesslich jenen knopfartigen Rüssel bildet, während die lateralen Theile der Oberlippe, sich nach vorn hin convergirend, in spitzem Winkel vereinigen und den medianen Oberlippentheil dadurch völlig ausschliessen. Die beiden lateralen Theile der Oberlippe sind nicht annähernd so stark entwickelt wie bei den 3 anderen Arten, sie hängen auch nicht herab, sondern sind ins Innere der Mundhöhle eingeschlagen. Der knopfförmige Rüssel ist vollkommen abgerundet und weist bei einem Breitendurchmesser von 2,8 cm einen Längsdurchmesser von 2,4 cm und einen Höhendurchmesser von 1,5 cm auf. Eigenthümlich ist die Lage der Nasenlöcher, die auf der hinteren umgeklappten Seite des Rüssels liegen. Auch die Form der Nasenlöcher ist durchaus von der der anderen Arten verschieden. Bei M. lati- rostris sind die Nasenlöcher flach-halbmondförmig, bei M. senegalensis und M. inunguis stärker gebogen mit längerem Innenschenkel, bei vorliegender Form bilden sie dagegen jederseits einen scharfen, spitzen Winkel mit 2 gleichlangen Schenkeln, von denen die inneren etwas convergiren. Eine weitere fundamentale Verschiedenheit gegenüber den 3 anderen Arten findet sich in dem Um- stande, dass der Unterkiefer sehr viel kürzer ist als der Oberkiefer, und dass letzterer nicht weniger als 3,1 cm über den Unterkiefer vorspriigt. Es wird dadurch ein Einblick in den Bau der Mundhöhle gewährt. Wie bei den 3 anderen Arten, so findet sich auch hier auf der oberen Innenfläche eine rundliche An- schwellung von 1 cm Längsdurchmesser, die sich besonders nach hinten zu vom Gaumen scharf absetzt und hier eine mediane, ziemlich tiefe Spalte aufweist, die sich etwa bis zur Mitte des Organes hinzieht. 21 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 21 Der dahinter liegende Gaumen ist mit Papillen besetzt und von einigen flachen Furchen durchzogen ; er ist ein wenig ausgehöhlt, um eine auf der Unterkieferseite liegende wulstige Verdickung aufzunehmen. Die seitlich eingeschlagenen Oberlippen, welche die innere Fläche des Oberkiefers zum Theil über- decken, werden nach hinten zu breiter und sind mit starken, kammförmig nach innen zu vorspringenden Borsten bedeckt. Der sehr kurze Unterkiefer ist vom Körper sehr scharf durch eine tiefe halbkreisförmige Furche abgesetzt. Er springt löffelförmig vor und hat eine grösste Länge von 3,2 cm, eine grösste Breite von 2,I cm und eine grösste Höhe von 2,5 cm. Nach den Mundwinkeln zu ist der Unterkiefer jederseits stark eingedrückt, so dass seine, die Mundhöhle begrenzende Fläche an dieser Stelle ziemlich schmal ist. Eine sehr tiefe, halbkreisförmige Furche, die aber etwas vor den Mundwinkeln endigt, trennt die Unterlippe ab. Ihre Oberfläche ist mit tiefen Löchern und daraus entspringenden, kurzen Borsten besetzt. Auch auf der Innenseite wird die Unterlippe durch eine tiefe Furche begrenzt. Nach innen, und von der Unterlippe umschlossen, erhebt sich ein an der Oberfläche glatter, durch eine mediane Furche getheilter Wulst, der bei geschlossenem Maule in eine Vertiefung des Oberkiefers passt. Ganz hinten sieht man die kurze Zunge. Zur Betrachtung der Vorderflossen übergehend, ergiebt sich zunächst bezüglich ihrer Länge, dass sie verhältnissmässig klein sind. Das Verhältniss der Länge der freien Vorderextremität zur Länge Kehl- furche bis After ist 0,3 (Taf III, Fig. 14). Das Verhältniss von grösster Breite zur Länge der Flosse lässt sich folgendermaassen ausdrücken, wenn wir die Flossenlänge gleich ı setzen: M. koellikeri 0,38 M. inunguis 0,31 M. senegalensis M. latirostris Stadium I 0,39 kleiner Embryo 0,5 „ II 0,35 junges Thier 0,47 er III 0,41 Danach hat M. latirostris die breiteste, M. inunguis die schmalste Flosse, während die relative Flossen- breite bei M. senegalensis und M. koellikeri zwischen beiden Vergleichsmaassen steht. Die von den 3 verschiedenen Stadien von M. senegalensis gewonnenen Maasse weisen indessen darauf hin, dass sich die relative Flossenbreite in ziemlich weiten Grenzen bewegt (0,35—0,41), und es können sowohl Veränderungen im Laufe der Entwickelung, wie auch individuelle Variationen die Ursache dieser Verschiedenheit sein. Indessen bleiben diese doch innerhalb gewisser Grenzen, und die Unterschiede zwischen der relativen Flossenbreite von M. inunguis und M. latirostris sind doch so bedeutend, dass sie als Speciescharaktere verwandt werden können. Die Breite von Oberarm, Unterarm und Hand ist, erstere gleich I gesetzt: bei M. koellikeri 127,556:21,75 bei M. inunguis T.:51,80:.:01,9 M. senegalensis Stadium I 1:14 :15 „ MM. latirostris a a kleiner Embryo 1:1,4 :1,8 SE IET2720:07720 junges Thier 1:14 :1,55. Wir können diese Zahlen benutzen, wenn wir dabei nicht ausser Acht lassen, dass die Breite des Oberarmes im Laufe des embryonalen Lebens noch stark wächst (siehe M. latirostris), und wenn wir nur die grösseren Stadien heranziehen. Alsdann finden wir, dass den breitesten Oberarm M. senegalensis hat, es folgt dann M. latirostris, hierauf M. koellikeri und endlich M. inunguis. Wie bei letzterem, so hat auch bei M. koellikeri die Umbildung zur Flosse den Oberarm erst in geringem Maasse ergriffen. 22 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 22 Mit dieser Umbildung scheint im Zusammenhang zu stehen der grössere oder geringere Winkel, den der Oberarm mit dem Unterarm bildet. Bei M. senegalensis ist der Winkel ein fast gestreckter, bei M. lati- rostris weniger gestreckt, und noch deutlicher ausgebildet bei M. koellikeri und .M. inunguis. Charakteristisch für die Vorderflosse von M. koellikeri ist ferner der Besitz wohl ausgebildeter Nägel, und zwar sind es 3, welche am 2., 3. und 4. Finger sitzen. Dadurch unterscheidet sich diese Species fundamental von M. inunguis. ; Die Nägel befinden sich durchaus auf der dorsalen Seite der Hand, und die darunter liegende Schwimmhaut ragt besonders am 4., dem längsten Finger, ein Stück weit vor. Zwischen den Spitzen der Finger weist die umhüllende Schwimmhaut deutliche Einbuchtungen auf, am stärksten ausgeprägt zwischen dem 3. und 4. Finger (siehe Taf. III, Fig. 14). Während die Oberseite wie die übrige Körperhaut annähernd glatt ist und nur vereinzelte, auf kleinen Tuberkeln stehende Haare trägt, besitzt die Unterseite ein rauheres Ansehen, hervorgerufen durch zahlreiche dicht gestellte Grübchen. An der Unterseite der Endphalangen des 2., 3. und 4. Fingers finden sich gröbere Papillen an circumscripten Feldern, die der Haut ein besonders rauhes Aussehen geben. Stärker noch .aus- geprägt fand ich diese Rauhigkeiten an der Unterseite der Brustflossen des Embryos von M. inunguis, hier liegen sie nicht nur an der Unterseite der Endphalangen, sondern ziehen sich auch als schmales Feld auf der unteren Seite des radialen Flossenrandes hin (Taf. II, Fig. 11). Von M. latirostris wird ein solches Ver- halten von keinem Autor beschrieben !), und auch bei beiden Embryonen von M. senegalensis vermag ich diese Rauhigkeiten nicht aufzufinden. Die Schwanzflosse ist kleiner als bei M. latirostris und M. inunguis, wo sie im Verhältniss zur Körper- länge in der Bauchlinie 0,32 cm Länge hat. Bei M. koellikeri ist das Verhältniss 0,28: I, bei M. senegalensis dagegen in den 3 vorhandenen Stadien 0,39, 0,45 und 0,42 (Neonatus). M. senegalensis hat also die grösste Schwanzflossenlänge, geringer ist diese bei M. latirostris und M. inungwis und sehr klein bei M. koellikeri. Die Verhältnisszahlen sind zu auffallend verschieden, als dass individuelle Schwankungen ihren Werth beeinflussen könnten. Die Breite des Schwanzflossenansatzes ist bei M. koellikeri 0,53 des Brustquerdurchmessers, also ungefähr die gleiche wie bei M. inunguis, dagegen verschieden von M. latirostris (0,66) und M. senegalensis (Neonatus 0,85). Zur grössten Schwanzflossenbreite steht die Breite des Ansatzes im Verhältniss von 0,55:I, genau so wie bei M. inunguis, dagegen ist die Form der Schwanzflosse eine sehr abweichende, inso- fern als bei M. koellikeri der hintere Schwanzflossenrand fast kreisrund ist. Die grösste Breite der Schwanz- flosse liegt demgemäss auch viel weiter vom Medianpunkte des Flossenrandes entfernt. In Verhältnisszahlen ausgedrückt, liegt die grösste Breite in einer Entfernung vom hinteren Medianpunkte der Schwanzflosse, die Länge After bis hinterer Medianpunkt gleich I gesetzt, von 0,32, also ungefähr im hinteren Drittel wie bei M. senegalensis, während sie bei M. latirostris und M. inunguis im hinteren Fünftel liegt. Eine mediane Einkerbung des hinteren Schwanzflossenrandes fehlt, dafür findet sich aber an dieser Stelle auf der ventralen Seite eine kreisförmige flache Erhebung von 6 mm Durchmesser, der auf der dorsalen Seite eine kleine mediane Längsfurche entspricht (Taf. II, Fig. 15). Auffällig ist ferner die geringe Dicke der Schwanzflosse, die nach den Rändern zu blattartig dünn wird. Ueberblicken wir nochmals vergleichend die an diesem Thiere constatirten äusseren Körpermerkmale, so sehen wir eine grosse Anzahl tiefgreifender Verschiedenheiten gegenüber den anderen Species und können ı) Bei STAnNIUS finde ich folgende Bemerkung (p.2): „An der Vorderfläche der beiden Brustflossen bildet die Epidermis sehr kurze, dicht stehende, spitzige Stacheln, wodurch sie rauh wird, ähnlich wie dies an der Oberhaut mancher südamerikanischen Hypostoma-Arten der Fall ist.“ NATTERER (p- 90) giebt in seiner Aufzählung der Unterschiede von M. latirostris und M. inungwis ausdrücklich an, dass bei ersterem die Hinterseite (i. e. Unterseite) bloss meht behaart, bei letzterem dagegen nach aussen zu hart und rauh zum Fortbewegen sei. 23 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 23 die Speciesdiagnose folgendermaassen aufstellen: „Kopf sehr spitz zulaufend, der mittlere Theil der Oberlippe nach oben gerichtet und eine kleine rundliche Schnauze bildend, seit- liche Oberlippen wenig entwickelt und nach innen eingeschlagen, nach der Schnauze zu in spitzem Winkel zusammentretend. Unterkiefer sehr viel kürzer als die Schnauze, stark vorspringend, inder Gegend der Mundwinkel seitlich stark comprimirt. Nasen- löcher auf der Rückseite der umgebogenen Schnauze, jede ihrer Oeffnungen einen spitzen Winkel mit gleich langen Schenkeln bildend. Brustflossen kleiner als bei den anderen Arten. Brustflossenbreite 0,38 der Länge der freien Extremität. Oberarm sehr wenig in die Flossenbildung einbezogen, daher schmal und in scharfem Winkel zum Unterarm. 3 rein dorsal liegende Nägel an dem 2, 3. und 4. Finger jeder Hand. Schwanzflossenansatz wenig mehr als die Hälfte der grössten Schwanzflossenbreite messend. Schwanzflosse kürzer als bei den anderen Arten, der Hinterrand fast kreis- förmig abgerundet, die grösste Breite im hinteren Drittel der Schwanzflossenlänge liegend. Eine mediane Einkerbung des hinteren Schwanzrandes fehlend, dafür auf der ventralen Seite eine kreisförmige flache Erhebung, auf der dorsalen eine kleine mediane Längsfurche vorhanden.“ Bau und Entwickelung der äusseren Körperform von Halicore dugong Iruıc. Der Beschreibung der äusseren Körperform lasse ich eine Angabe der Maasse voraufgehen. An Material standen mir 4 Embryonen zur Verfügung, von denen mir der kleinste von Herrn Geh. Rath Prof. Hasse überlassen wurde, während die 3 anderen von Herrn Prof. SEMon von seiner australischen Reise mitgebracht worden sind!). Der kleinste Embryo von 42 cm directer Länge war in Folge stärker Schrumpfungen nicht für genauere Messungen brauchbar, um so besser waren aber dafür die grösseren Embryonen geeignet, deren Maasse ich anbei folgen lasse: nn — — —— | = |E IB 4 [A |E | E |s_|8 SEI N-TN = | Angabe der Maasse 3ro| s0+| 30 Angabe der Maasse .Sro | 30+| 3ro Ss |5 |8 ee iS s |8 3 S Ss | a |a. |a 2 |a |a ı Directe Körperlänge. Entfernung zwischen | 15 | Unterkieferspitze — Kehlfurche. . . . .| 45 5,61 6,5 den beiden entferntesten Punkten des | | 16 | Kehlfurche — Nabelmitte . . . . . . .|1I2,0 |20 28 NIS OTDETS SE A2AG | 62 17 ' Nabelmitte — Mitte des Ansatzes des äusse- 2 Körperlänge über den Rücken gemessen . 72 |99 162 ren Geschlechtsorganes . . -» - -» -» -| 47 |I2 4 3 EangelınrdenSeitenlimier na a. 2 el 751108 18 | Mitte des Geschlechtsorganes — After. . | 7,8| I 14 4| Länge in der Bauchlinie N NASE 55,062 58%:5 19 | After — Schwanzende . . . .....),19 |17_|29 5, Querdurchmesser des Kopfes über den 26 Mundwinkel — Vorderrand der Augenspalte | 3,8 | 58 | 9 Kieferwinkeln nn DRITT NG er. | 2520| 6 9 21|Breite der Augenspalte . . . . » . ..| 08|07| I 6| Querdurchmesser über den Brustflossen . 12,4 |14 18 22 | Mundwinkel — Oetfnung des Gehörorganes |, 7,5 | 91 15 7\ Querdurchmesser in der Nabelregion . . [10,7 12,5 | 16 23 | Entfernung der inneren Enden der äusseren 8| Querdurchmesser des Schwanzflossen- [DENasenöfnungen 22.08 20 21. 20222 9,5 oe 113 ansatzes » © 2 220. en...) 341 61 | 10,2 | 24 | Entfernung der äusseren Enden der äusseren | | 9 Grösste Breite der Schwanzflosse . . . . 20,5 |26 46 | Nasenöfnungen A a 22 07721230 10 Oberkieferspitze — Mitte zwischen den | 253 | Grösster Durchmesser einer Nasenöffnung | 9,4 0,6 0,9 äusseren Nasenöffnungen ; 5,5 | 77 | ı2,5 | 26| Länge der freien Brustflosse . 2... [10,7 |149 | 22,2 II | Oberkieferspitze — Mundwinkel 5 6519 27 Grösste Breite an der Basis des Oberarmes | 3,7 6171| 8 12 | Unterkieferspitze — Mundwinkel RA 5,5 | 72 | 28| Grösste Breite des Unterarmes am Beginn 13 Mundwinkel — Vorderrand des Brustflossen- | | desaCarpus ee re 7,4200 10,8 AHSALZESSC RES ee . |-6,8.| 6,3 | ı1,5 | 29.| Grösste Breite der Hand .. . .. - „| 45 | 59] 10,3 14 | Länge der Basis der Brustflosse 38| 61 | 8 | | I) In einer verdienstlichen Arbeit über die geographische Verbreitung der Sirenen (Zool. Garten, 1897, Heft 2, p. 51) führt C. GREVE von Halicore 2 Varietäten, 1) Halicore tabernaculi Rüpp. (Halicore hemprichi EHRENB.) und 2) Halicore australis OWEN an. Für die Aufstellung dieser Varietäten fehlen indessen die morphologischen Grundlagen. Erwähnen möchte ich noch, dass in derselben Zeitschrift kurz vorher eine ausführliche Zusammenfassung der über den Dugong handelnden Literatur gegeben worden ist. (R. LANGKAVEL, Der Dugong. Zool. Garten, 1896, No. II, p. 337-) 24 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 24 Ueber die äussere Körperform des Dugong finden wir in der Literatur eine Fülle von Angaben. Ich will hier nicht einen eingehenden Literaturnachweis geben, besonders da die älteren Schriften bereits in der Arbeit WAGNER’S (SCHREBER’S Säugethiere, 7. Theil, 1846, p. 135 ff.) in späterer Zeit von BRANDT Symbolae sirenologicae P. III, M&m. de ’Academie imper. des sciences de St. Petersbourg, Ser. VII, Tome XII, 1869, p. 257 ff.) zusammengefasst sind. Dagegen lassen die Abbildungen vieles zu wünschen übrig. Wir finden solche bei LEGuAT!) und RENARD?), P. CAMPER °), CUVIER ?), Quoy et GAIMARD?°), RÜPPELL 6), bei Rapp”) die Abbildung eines Fötus, WAGNER ®). HarrTına ?) bildete ebenfalls einen Fötus ab. In neuester Zeit wurden von TURNER !°) Abbildungen von einem kleinen Embryo, wie von Köpfen zweier grösserer Föten und eines erwachsenen Thieres gegeben. Indessen ein Blick auf alle diese Abbil- dungen wird zeigen, dass es durchaus nicht überflüssig ist, eine neue exacte Zeichnung der äusseren Körper- form von Halicore zu liefern, wie ich das Taf. V unternommen habe. Wenn auch das abgebildete Thier noch auf dem Embryonalstadium steht, so sind doch bei der relativen Grösse von 7Io mm Rückenlänge bereits alle Charaktere so rein ausgebildet, dass man sich nur die geringe fötale Krümmung wegzudenken hat, um ein Bild von einer erwachsenen Halicore zu erhalten. Die Längsaxe des Kopfes des vorliegenden Embryos weist gegenüber der des Körpers einen Neigungs- winkel von 135 ° auf. Bei dem beträchtlich kleineren, von Harrına abgebildeten Embryo (27,8 cm directe Körperlänge) ist diese Kopfkrümmung noch beträchtlicher (90°), und noch stärker ist sie ausgeprägt bei dem sehr kleinen, von TURNER beschriebenen und abgebildeten Embryo von 14 cm Rückenlänge, hier beträgt sie 60°. Diese Kopfkrümmung ist also bei kleinen Embryonen viel stärker als bei grösseren, aber auch bei letzteren vorhanden. Rapp’s Zeichnung von einem 13 Zoll langen Embryo, dessen Kopf fast gestreckt er- scheint, kann daher unmöglich exact sein. Sehr viel geringer ist dagegen bei vorliegendem Embryo die Krümmung des Schwanzes, während die beiden kleineren Embryonen Harrına’s und TURNER’s diese Krümmung viel stärker aufweisen. Nur auf der ventralen Seite ist der Kopf durch eine tiefe Kehlfurche vom Rumpfe abgesetzt, sonst ist keine Grenze zwischen Gesichtstheil und Schädel zu finden. Anders ist das bei. den kleineren Embryonen, besonders der TURNER’sche zeigt eine deutlich abfallende Stirn und damit die Abgrenzung des Gesichts- theiles vom Kopfe. Die Schnauzenregion zeigt an unserem Embryo folgende Verhältnisse. Die eigentliche Schnauze ist ein flach abgestumpftes Gebilde, welches von dem dahinter liegenden Gesichtstheil durch 2 laterale Furchen getrennt ist, die sich aber dorsalwärts nicht vereinigen. Ueber diese 2 lateralen Furchen wölbt sich die Schnauze etwas nach hinten hinweg. Die vordere Schnauzenfläche ist annähernd eben und hat den Umriss eines rechtwinkligen Dreiecks mit 2 gleichen Schenkeln. Eine kurze, aber tiefe mediane Furche theilt die Schnauzenfläche, wenigstens in ihrem unteren Theile, in 2 gleiche Hälften, sie zieht sich bis etwa zum Mittelpunkte des Schnauzenfeldes und gabelt sich dann in 2 seicht auslaufende Furchen. Eine darüber I) Voyag. et avent., 1720, p. 93. 2) Poissons des Indes, 1759, tab. 34, fig. 180. 3) Oeuvres II, p. 479, Taf. 7, fig. 2—4. 4) G. CUVIER, Le rögne animal, Mammiferes. Atlas, pl. 96, fig. 2. 5) Quoy et GAIMARD, Voyage de l’Astrolabe. Paris 1830. 6) Beschreibung des im Rothen Meere vorkommenden Dagong (Halicore). Mus. Senckenb., Bd. I, 1832, Taf. 6. 7) Rapp, Die Cetaceen zoologisch-anatomisch dargestellt. Stuttgart 1837, Taf. I. 8) SCHREBER’s Säugethiere, 7. Theil, 1846, Taf. 382. 9) Het Ei en de Placenta van Halicore dugong. Utrecht 1878, Taf. 1. 10) TURNER, The foetus of Halicore dugong and of Manatus senegalensis. Journ. of Anat. and Physiol., 1894, p. 3135 ff. WERTE 25 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 25 liegende transversale Furche, wie sie TURNER abbildet, fehlt an meinem Exemplare, und ich möchte bezüg- lich der Plastik meinem Embryo grösseres Vertrauen schenken, da ich ihn selbst in tadellosem Zustande aus den Eihüllen herausgenommen habe. Noch 2 weitere Furchen finden sich auf der Vorderfläche, die parallel und nahe den beiden lateralen Kanten verlaufen und sich taschenartig tief einsenken. Die Vorderfläche ist von sich kreuzenden Furchen durchzogen, welche sie in eine grosse Anzahl ziemlich gleich grosser Felder zerlegen. Aus der Mitte eines jeden Feldes sprosst aus einer Einsenkung heraus ein helles Haar. Die Nasenlöcher liegen 3 cm von der Vorderfläche der Schnauze entfernt und werden gebildet von schmalen Schlitzen von annähernd hufeisenförmiger Gestalt. Wir kommen nunmehr zur Beschreibung des Unterkiefers. Der Unterkiefer ist etwas kürzer als der Oberkiefer, hebt sich vom Körper durch eine tiefe Kehlfurche ab, springt dann stark vor und verflacht sich allmählich nach der Spitze zu. Auch seine Breite nimmt hier stark ab und beträgt nur 2,5 cm gegenüber einer Breite in den Mund’ winkeln von 5,4 cm. Eine wenig tiefe Furche trennt die Lippen (von MurıE bei Manatus „innere Lippe“ genannt), von dem darunter liegenden Theile, und zwar verläuft diese Furche nur auf der frontalen Fläche des Unterkiefers äusserlich sichtbar, während sie zu beiden Seiten sich in der Mundhöhle verliert. Eine zweite, in der Mundhöhle verlaufende Furche trennt diese Lippenbildungen vom Kiefer. Der in der Mund- höhle liegende Theil der Unterlippe ist vorn etwas aufgewulstet und mit kurzen steifen Borsten versehen, eine mediane Furche theilt diese Region in 2 Erhebungen. Die Mundhöhlenbildung ist folgende: Im Oberkiefer sehen wir, wie die beiden lateralen Oberlippen, nach innen umbiegend, einen wesentlichen Antheil an der Begrenzung der Mundhöhle nehmen. Auch diese im Inneren der Mundhöhle liegenden Flächen sind mit zahlreichen Haaren besetzt, in gleicher Weise wie ihre Aussenflächen. An dem Innenrand der Lippen stehen die Haare kammförmig nach innen, ähnlich wie bei Manatus. Eine sehr tiefe Furche, die sich am Grunde in eine Rinne erweitert, trennt die Lippen vom Gaumen ab. Hinten ist der Gaumen leicht concav gebogen, vorn dagegen bildet er eine Erhebung. An den eigent- lichen Gaumen schliesst sich nach vorn zu, durch eine seichte Furche geschieden, ein Körper an, der gewissermaassen als eine Fortsetzung des Gaumens erscheinen kann. Auf der Innenfläche ist das Gebilde fast glatt, vorn rundet es sich ab und stellt so einen rundlichen, medianen Körper dar, dessen Höhe am vorderen freien Ende 6 mm, seine Breite I9 mm beträgt. Ein ganz ähnliches Organ haben wir schon bei Manetus kennen gelernt. Vom Gaumen unterscheidet es sich auf den ersten Blick durch seine Pigmentirung. Das Relief des Mundhöhlenbodens entspricht dem des Daches, in der Weise, dass, wenn sich Ober- und Unterkiefer schliessen, Boden und Decke so vollkommen auf einander passen, dass sich kein Zwischen- raum bilden kann. Der von der vorn breiten Unterlippe umfasste Mundhöhlenboden weist vorn eine flache aus einer Vertiefung aufragende Anschwellung von 6 mm Durchmesser auf, die in die Furche passt, welche den Gaumen von dem vorderen medianen Fortsatz trennt. Von dieser Anschwellung zieht sich eine flache, aber deutliche mediane Furche nach hinten. Zu beiden Seiten stehen in geschwungenem, nach vorn hin convergirendem Bogen Reihen kleiner Papillen. Ich werde in einem späteren Kapitel auf die Verhältnisse der Mundhöhle eingehender zurück- zukommen haben. Die freie Vorderextremität von Halicore ist in den Körper etwas eingesunken und wird schon beim Embryo von einer Hautfalte umgeben. Unterarm und Hand sind vollkommen gestreckt und bilden mit Jenaische Denkschriften. VII, 4 Semon, Zoolog. Forschungsreisen. IV. 26 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 26 einander keinen Winkel. Diese Erscheinung steht im Zusammenhang mit der stärkeren Umbildung zur Flosse. Auch der Unterarm ist von dieser Umgestaltung stark ergriffen worden, und die Schwimmflosse ist an diesen Stellen fast ebenso breit wie an der Hand. Nur eine scharfe Einkerbung am vorderen Rande der Flosse im Ellenbogengelenk deutet an, dass die Verbreiterung zur Flosse noch nicht völlig vollzogen ist. "Gegenüber den Verhältnissen bei Manatus lässt sich aber feststellen, dass die Umbildung zur Flosse bei Halicore bedeutend weiter vorangeschritten ist. Zwischen 4. und 5. Fingerstrahl weist der Flossenrand eine deutliche Einkerbung auf, von der die Zeichnungen erwachsener Thiere nichts angeben. Dass die Entwickelung der Flosse ganz ähnlich wie bei Manatus verläuft, zeigt ein Vergleich mit der Abbildung des 14 cm langen Embryos bei TURNER, aus der sich ergiebt, dass der Unterarm noch sehr viel schmäler ist als die Hand, dass also die Heranziehung zur Flossenbildung noch nicht soweit voran- geschritten ist. Auch die Thatsache, dass bei Halicore der Oberarm nicht mehr an der Bildung der freien Vorder- extremität theilnimmt, während dies bei Manatus noch der Fall ist, spricht für eine Weiterbildung der Flosse. Eingehender werde ich diese Frage erst im Kapitel über die Brustflosse ‚behandeln. Der radiale Flossen- rand ist viel stärker als der ulnare. Auf der Unterseite der Flosse finden wir nach der Spitze zu, und besonders am radialen Rande ausgeprägt, jene dicht stehenden tiefen Papillen und Gruben in der Haut, welche wir schon bei M. inunguis und M. koellikeri kennen gelernt hatten. Von weiteren Eigenthümlichkeiten im äusseren Körperbau dieses Embryos ist noch zu erwähnen die starke Verjüngung des Körpers nach hinten zu. Bis zur Nabelregion etwa zeigt der Körper eine gleichmässige Dicke, dann aber nimmt sein Durch- messer ganz rapid ab. Auf der Bauchseite des vorliegenden Embryos zeigen sich, etwas vor dem äusseren Geschlechtsorgan beginnend, eine Anzahl kurzer, aber tiefer Falten. Bekanntlich unterscheidet sich die Schwanzflosse des Dugong sehr stark von der des Manatus da- durch, dass sie sich, wie bei Cetaceen, in 2 Flügel auszieht. Wie bei den Cetaceen, so ist auch hier die Schwanzflossenbildung nicht der ganzen Länge des Schwanzes angesetzt, sondern lässt ein vorderes Stück frei, das, wie bei den Walen auch, sehr schmal ist. Zum Querdurchmesser in der Brustregion verhält sich die Breite des Schwanzflossenansatzes, erstere gleich I gesetzt, wie 0,27. Dabei ist die Höhe des Schwanz- flossenansatzes ebenso gross als ihre Breite, und besonders auf der ventralen Seite wird ein deutlicher Kiel gebildet. Das ist beim Manatus auch ganz anders, wo der Schwanzflossenansatz breit, aber flach ist. Die grösste Breite der Schwanzflosse fällt mit ihrem Hinterrande zusammen, der nur leichte Wellenlinien auf- weist, im Allgemeinen aber gerade verläuft. Hierin findet sich ein Unterschied gegenüber der Cetaceen- flosse, welche in ihrem Hinterrande eine sehr deutliche mediane Ausbuchtung besitzt. Die Breite der Schwanzflosse dieses Embryos steht zum Körperquerdurchmesser im Verhältniss von 17:1. Der nächstgrössere Embryo von Halicore (Stadium III), der mir zur Verfügung stand, hat eine Rücken- länge von 99 cm. Die Körperkrümmung ist etwa die gleiche wie beim vorigen Stadium, nur der Schwanz ist sehr viel stärker eingerollt, indem er einmal ventralwärts eingebogen ist und ferner, indem seine Flügel vollkommen nach innen eingeschlagen sind. Die fötale Kopfkrümmung ist dieselbe wie beim vorigen Embryo. In der Bildung ‘der vorderen Schnauzenfläche fällt mir die grössere Abrundung des beim vorigen Stadium dreieckigen Umrisses auf. In Folge dessen convergiren auch die beiden tiefen Seitenfurchen der vorderen Schnauzenfläche nicht so stark nach oben. Die Entfernung der Nasenlöcher von dieser Fläche beträgt 3 cm. er ses Se Meere 27, Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 27 Auch die Gestalt der Brustflosse ist fast die gleiche, nur erscheint die Einkerbung des vorderen ulnaren Flossenrandes etwas weniger stark ausgesprochen. Die grösste Breite, welche beim vorigen Embryo noch über der Mitte der Hand lag, hat sich etwas proximalwärts verschoben und liegt jetzt über dem Carpus. Die Rauhigkeiten auf dem radialen Theile der Unterseite sind in starker Ausbildung vorhanden, am deutlichsten am vorderen Ende. Die relative Länge der Flosse ist die gleiche wie im vorigen Stadium, etwa !/, der Körperlänge in der Seitenlinie, ihre relative Breite dagegen hat zugenommen, indem sich Länge zu Breite wie I: 0,43 verhalten. Am Ende des dritten Fingers sieht man jederseits eine kleine knopfartige Erhebung des Integumentes, die vielleicht den letzten Rest eines Nagelrudimentes anzeigt. Doch werde ich mir eine ausführlichere Dar- stellung auf das Kapitel über die Brustflosse versparen. Der Querdurchmesser des Schwanzflossenansatzes ist bei diesem Embryo stark gewachsen, indem sich der Brustquerdurchmesser zu ihm verhält wie 1 :0,44. Auch die grösste Schwanzflossenbreite hat zugenommen, sie verhält sich zum Brustquerdurchmesser wie 1,9: 1. Wir kommen nunmehr zu dem grössten mir zur Verfügung stehenden Embryo, den ich aus seinen Eihüllen in tadellosem Erhaltungszustande herausnehmen konnte. Er mass bereits 162 cm Rückenlänge, muss also dicht vor der Geburt gestanden haben. Sehr auffällig war mir die starke Krümmung dieses Embryos, sowohl über den Rücken, wie besonders im caudalen Theile. Der Kopf dagegen hatte sich schon mehr zur Körperaxe gestreckt. Die Krümmung der hinteren Körperregion ist eine so starke, dass die Schwanzflügel, die vollkommen nach innen eingerollt sind, der Bauchseite bis zur Region des Geschlechtsorganes an- liegen. Eine Erklärung für diese starke Einrollung, welche in dem vorhergehenden Stadium sich nur auf den Schwanz selbst er- streckte, in dem Stadium II und I dagegen fast völlig fehlte, sich indessen bei kleinen Embryonen wieder in stärkerem Maasse vorfindet, ist wohl darin zu suchen, dass die hintere Körperregion, speciell auch die Schwanzflosse selbst in später embryonaler Zeit relativ viel stärker wächst wie der übrige Körper, und nur dadurch in den Eihüllen Platz findet, dass sie sich einrollt. Wir haben hier ein ganz gleiches Verhalten vor uns, wie es uns grössere Embryonen von Cetaceen zeigen. In der Schnauzenregion finden sich folgende Verhältnisse vor. Während der kleinere Embryo (II) eine dreieckige vordere Schnauzenfläche aufwies, die bei Stadium III in ihren Contouren etwas abgerundeter war, zeigt der vorliegende grosse Embryo Fig. 1. Vordere Schnauzenfläche eines Emhryo von Halicore dugong von 162 cm Rückenlänge. !/, nat. Grösse. indem die beiden Seiten zuerst steil nach aufwärts gehen, um eine Schnauzenfläche von der Form eines Fünfeckes (siehe Fig. I), dann flacher einzubiegen. In Folge dessen haben auch die beiden tiefen Seitenfurchen einen etwas anderen Verlauf; sie con- vergiren viel weniger nach oben und laufen fast parallel. Die mediane Furche, welche den unteren Theil der Schnauzenfläche in 2 Hälften theilt, ist auch hier vorhanden, ist aber weniger tief und besonders an der Einmündung in die Mundbegrenzung so seicht, dass sie fast verschwindet. Vergleicht man damit die kleineren Stadien, so sieht man, dass bei letzteren die Furche an dieser Stelle viel tiefer war. 4* 28 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 28 Auch diesem Embryo, wie allen anderen von mir untersuchten, fehlte die von TURNER angegebene transversale Furche, die oberhalb des Endes der medianen liegen soll, dagegen fand sich eine andere trans- versale Furche vor, die, nur 1,2 cm von der vorderen Mundbegrenzung entfernt, mit dieser parallel läuft. Da sich am Kopfe des erwachsenen Thieres nach Turnxer’s Zeichnung (p. 325) ganz die gleiche Furche vor- findet, den kleineren Embryonen aber fehlt, so ist anzunehmen, dass sie sich in später embryonaler Zeitaus bildet. Im Uebrigen weist die vordere Schnauzenfläche dieselbe Felderung und Behaarung auf wie die der kleineren Embryonen. Die Nasenlöcher, von hufeisenförmiger Gestalt, liegen 5 cm hinter der Schnauzenfläche entfernt. Von sonstigen Eigenthümlichkeiten am Kopfe ist noch zu erwähnen, dass das eigenthümliche, als Fortsetzung des Gaumens erscheinende Gebilde hier relativ viel breiter ist als bei den früheren Stadien, es misst vorn 3,6 cm in der Breite, bei 0,9 cm Höhe. Die Stelle der äusseren Ohröffnung ist dadurch leicht aufzufinden, dass sich hier eine Depression vorfindet, in die einige kurze, scharfe Hautfurchen sich einsenken. Die Stosszähne waren noch nicht durchgebrochen. Der Unterkiefer ist in der vorderen Mundhöhlenbegrenzung etwas stärker eingebogen als in den früheren Stadien, und die Unterlippe erscheint relativ schmal. In der Form der Vorderextremität fällt die ‚starke Breitenzunahme auf. Die grösste Breite liegt nicht, wie im Stadium II, über der Mitte der Hand, sondern, wie bereits in Stadium III, über dem-Carpus. Die Einkerbung des Flossenrandes zwischen 4. und 5. Flossenstrahl zeigt sich auch hier deutlich. Auf der Unterseite der Flosse sind die schon erwähnten Rauhigkeiten am radialen Rande sehr stark ausgebildet. Die starke Breitenzunahme der Flosse erhellt aus dem Verhältniss zu ihrer Länge, welches, erstere gleich I gesetzt, 1: 0,49 ist. In Folge der starken Einkrümmung des hinteren Körpertheiles haben sich eine Anzahl tiefer ventraler Furchen ausgebildet, in deren einer der After zu liegen kommt. Ausserordentlich stark ist die Breite des Schwanzflossenansatzes gewachsen, sie verhält sich zum Brustquerdurchmesser wie 0,57:1. Ebenso hat auch die grösste Breite der Schwanzflosse zugenommen, die 2,5 mal grösser ist als der Brustquerdurchmesser. Wir ersehen daraus, dass sich noch in später embryonaler Zeit Weiterbildungen constatiren lassen, und wollen nunmehr zu einer Vergleichung der an den Embryonen gewonnenen Befunde schreiten. Es ist eine auffallende Erscheinung, dass eine Vergleichung der zur Verfügung stehenden Stadien, trotzdem das kleinste derselben schon weit in der Entwickelung vorangeschritten war, eine Reihe von Um- bildungen gezeigt hat, die noch im Laufe der späten Embryonalentwickelung erfolgte. Was die äussere Gestalt des Embryos anbetrifft, so ist Folgendes zu constatiren: In jungen Stadien, wie dem von TURNER abgebildeten von I4 cm. Rückenlänge, ähnelt der Embryo in der starken Krümmung des Kopfes, Trennung von Gesichts- und Schädeltheil, und der ventralen Um- biegung des Schwanzes durchaus allen anderen Säugethierembryonen. Auch bei Zahn- wie Bartenwalen habe ich das gleiche Verhalten angegeben und abgebildet. Allmählich streckt sich der Kopf mehr und mehr und auch die caudale Krümmung nimmt etwas ab, wie wir das an dem Embryo Stadium I und II beobachten können. Während sich nun im Laufe der Weiterentwickelung der Kopf noch mehr streckt, wird in Folge der starken Entwickelung der Schwanzflosse in Länge und Breite aufs Neue eine Einkrümmung auf der ventralen Seite, und zugleich eine vollkommene Einrollung bewirkt, und diese Einrollung wird um so stärker, je grösser der Embryo wird. Bei dem kurz vor der Geburt stehenden Stadium IV sehen wir, dass die Rückenlänge 2 !/, mal u an ee ee ee ee ee ER VENEN HER NEID «on Wo UNE 29 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 29 grösser ist als die directe Länge, bei Stadium III war sie nur 2 mal so gross und bei Stadium II nicht ganz 1°/, mal. Es unterliegt wohl keinem Zweifel, dass diese in so später embryonaler Zeit auftretende caudale Krümmung ihre Ursache in dem um diese Zeit besonders stark erfolgenden Wachsthum der Schwanzflosse und der Anpassung dieses Gebildes an die Eihüllenform hat. Keiner der von mir untersuchten Embryonen weist noch eine äusserliche Scheidung des Kopfes in Gesichts- und Schädeltheil auf, wohl aber lässt sich das aus der Turner’schen Abbildung des kleinsten Embryos ven I4 cm erkennen. Ueber das Wachsthum der freien Brustflosse gewähren uns die Messungen folgenden Aufschluss. Bei den 3 von mir untersuchten Embryonen (Stadium II, III und IV) ist das Verhältniss der Länge der freien Brustflosse zur Länge in der Seitenlinie 1:0,2 oder 0,21, bei dem Turner’schen kleinen Embryo da- gegen wie 1:0,14. Wir sehen daraus, dass in der Embryonalzeit, welche zwischen diesem Embryo und dem ersten von meinen Stadien liegt, ein starkes relatives Längenwachsthum der Brustflosse eintritt, welches aber von meinem Stadium II an abgeschlossen erscheint. Sehr auffällig ist das Breitenwachsthum der Brustflosse. Während im Turner’schen Stadium sich die grösste Breite über der Mitte der Phalangen befindet und der Unterarm dazu im Verhältniss von I:2 steht, verändert sich das Verhältniss im Laufe der Weiterentwickelung derart, dass die grösste Breiten- zunahme über dem Carpus und dem Unterarm erfolgt. Vergleichen wir die Breite über den Unterarm und über die Hand, erstere gleich I gesetzt, so er- halten wir folgende Zahlen: TURNER’scher Embryo I4 cm I:2 Stadium I L 27,00 a II 1: 1,02 r 1081 I: 0,94 E, IV I : 0,95. Daraus erhellt ohne weiteres, dass das Breitenwachsthum relativ viel stärker in der Region des Unter- armes und Carpus ist, als über der Handmitte. Interessant ist auch der Vergleich des Breitenwachsthums im Vergleich zur Länge der Flosse. Setzen wir letztere gleich I, so erhalten wir für die grösste Breite folgende Verhältnisszahlen: Stadium I 1:0,37 = I 2172.0:42 1] 7 70'423 SEE RVERBLTONAS: Daraus ergiebt sich, dass in der von diesen 4 Stadien vertretenen Embryonalzeit ein sehr erhebliches relatives Breitenwachsthum der Flosse stattfindet. Wir können diese Zahlen deshalb ohne weiteres ver- gleichen, weil, wie wir gesehen haben, das Längenwachsthum in dieser Periode ein durchaus gleich- artiges ist. Fassen wir diese Resultate kurz zusammen, so ergiebt sich, dass noch in später embryonaler Zeit wesentliche Veränderungen in der Form der Flosse vor sich gehen, derart, dass die Schwimmflosse, welche ursprünglich nur die Finger umhüllte (Turner’scher Embryo von I4 cm), nunmehr auch auf den Unterarm übergreift und hier in der Region des Carpusansatzes die grösste Breite erreicht. Das sehr späte entwickelungsgeschichtliche Erscheinen dieser Umbildung zeigt uns, dass auch stammesgeschichtlich diese Umwandlung spät stattgefunden hat. 30 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 30 Eine andere Umbildung, welche erst sehr spät erfolgt, betrifft die vordere Schnauzenfläche. So tritt die transversale Furche, welche parallel der Mundbegrenzung läuft und von TuURNER am Kopfe des er- wachsenen Thieres beschrieben ist, nur bei dem grössten Embryo auf, fehlt aber allen früheren Stadien, so dass sie also eine sehr junge Bildung darstellt. Von grossem Interesse erscheint mir ferner die Beantwortung der Frage, welche von beiden Schnauzen- bildungen, die von Halicore oder die von Manatus, als die ältere zu betrachten ist. Ist die tiefe mediane Furche, welche sich auf der unteren Seite der vorderen Schnauzenfläche bei Halicore hinzieht, der letzte Rest einer vordem durchgehenden Trennung, welche, wie bei Manatus eine Theilung der Oberlippe in zwei laterale und eine mediale bewirkt hat, oder haben wir erst hier die Andeutung einer solchen Trennung zu finden. Die definitive Lösung dieser Frage würde erfolgen, wenn man bei kleinen Embryonen von Halicore würde nachweisen können, ob bei ihnen diese Furche tiefer geht und eine deutlichere Trennung der beiden lateralen Oberlippenportionen bewirkt als bei grösseren Embryonen und beim Erwachsenen. Leider lässt uns die Abbildung, welche TURNER von der Schnauzenpartie seines kleinen Embryos giebt (p. 317), völlig im Stich, indem sie geradezu unverständlich erscheint, und auch aus seiner Darstellung lässt sich nicht deutlich ersehen, dass in der That eine Trennung der beiden Oberlippenportionen durch die Medianfurche vorhanden ist. „At its upper part the muzzle sloped backwards to the nostrils, whilst below it was cleft into two lateral lips, between which a mesial process was seen projecting to the surface of the muzzle, im- mediately above the opening of the mouth, so as to bound it superiorly like a median upper lip. It was separated from each lateral lip by a relatively deep furrow, and its inferior surface was continued behind into the premaxillary part of the palate.“ Sehr tief erscheint mir diese mediane Furche bei meinen Stadien I—III. Stadium IV zeigt dagegen, wie schon beschrieben, ein Seichtwerden, ja fast Verschwinden der Furche da, wo sie in die Mundbegrenzung einmündet. Nehmen wir noch dazu, dass auf TURNER’s Abbildung des Kopfes eines erwachsenen Thieres (p- 325) dieser Theil der medianen Furche überhaupt gänzlich geschwunden ist, so ist der Schluss wohl berechtigt, dass hier eine Verschmelzung zweier ursprünglich getrennter Theile stattgefunden hat, indem die beiden seitlichen Oberlippen sich in der Mitte vereinigt haben. Damit stimmt auch die Beschreibung Rürper’s!) vom Kopfe des erwachsenen Thieres überein: „Der Vorderkopf ist schräg abwärts von vorn nach hinten zu abgestutzt, und diese Abstutzungsfläche, die von weisslicher Farbe ist, hat nach oben zu einen halbelliptischen Rand; in der Mitte eine verticale Ausfurchung, die sich nach unten zu bifurcirt, und so eine Rinne in Gestalt eines umgekehrten Y bildet; durch die Bifurcation wird diese Kopfgegend in 3 Ab- theilungen getrennt, wovon die beiden oberen zur Nase gehören, der untere kleinere dreieckige Theil ist die eigentliche Oberlippe; er ist nach der inneren Fläche des Mundes gerichtet.“ Die diesbezügliche Unter- suchung sehr kleiner Embryonen wird das feststellen können. Ist meine Auffassung richtig, so würde sich daraus ergeben, dass die Vorderfläche der Halicore-Schnauze, die in grösseren Embryonalstadien, wie beim Erwachsenen eine einheitliche Fläche darstellt, in früher Embryonalentwicklung durch die Spaltung in zwei seitliche und eine mediane Partie der Oberlippe mehr Manatus-ähnlich gewesen ist, dass also die Form der Manatus-Schnauze die ältere ist. Unter die spät auftretenden Umformungen gehört auch die Ausbildung der Schwanzflosse. Ver- gleichen wir zunächst die Breite des Schwanzflossenansatzes im Verhältniss zur Körperbreite in der Brust- region, so ergiebt sich Folgendes: _ I) RÜPPELL, Mus. Senckenb., Bd. I, p. 101. 31 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 31 Stadium II 1:0,27 55 I172722:0/43 a IVE#72:70:50. Die Breite des Schwanzflossenansatzes wächst also ganz beträchtlich noch in später embryonaler Zeit. Wie stark in dieser Zeit noch die Schwanzflosse selbst in die Breite wächst, erhellt aus folgenden Vergleichszahlen, den Brustquerdurchmesser gleich I gesetzt. Danach verhält sich dazu die grösste Schwanz- flossenbreite bei: Stadium II wie 1:1,7 ” IE ETR3T8 3; IVEEEREET BOT Die Schwanzflosse wächst also in später embryonaler Zeit noch ganz beträchtlich in die Breite. Vergleichung der äusseren Körperform von Manatus und von Halicore. In diesem Abschnitt will ich mich darauf beschränken, die Aehnlichkeiten und Abweichungen im äusseren Körperbau beider Gattungen anzuführen, um dadurch eine Basis für kurze, auf die äussere Körper- form begründete Diagnosen zu gewinnen. Wenn wir die Schnauzenbildung von Halicore mit der von Manatus vergleichen, so finden wir zu- nächst folgenden Unterschied: bei Halicore ist die Schnauze ein mehr einheitliches Gebilde, bei Manatus dagegen sehen wir sie in 3 Theile sich gliedern, zwei seitliche und einen medianen. Es fragt sich nun, ob wir diese Dreitheilung nicht auch bei Halicore erkennen können. Meiner Ansicht nach zweifellos. Die tiefe mediane Furche, welche den unteren Theil der vorderen Schnauzenfläche durchzieht, halte ich für homolog mit der tiefen und breiten Einkerbung der Manatus-Schnauze, welche die 3 Theile von einander trennt. Während aber bei Manatus eine vollkommene Trennung vorhanden ist, zeigt Halicore in der Medianfurche nur die Andeutung davon. Es würden also bei Halicore die rechts und links von der Medianfurche liegen- den Schnauzenpartien den lateralen Oberlippen der Manaten entsprechen, während der obere, über der Medianfurche gelegene Theil dem medianen Theil der vorderen Schnauzenfläche von Manatus gleichzusetzen ist. Auch das laterale Furchenpaar, welches die gesammte Schnauze von dem Gesichtstheile abtrennt, findet bei Manatus sein Homologon in der ganz ähnlichen Bildung von Furchen, die bei Manatus nur den Mund- winkeln näher stehen. Wie Seite 30 bereits angeführt, giebt auch die Entwickelungsgeschichte einen gewissen Anhalts- punkt für diese Vergleichung der Manatus- und Halicore-Schnauze, indem bei jüngeren Halicore-Embryonen die mediane Furche tiefer ist und in die vordere Mundbegrenzung einschneidet, bei älteren wie beim er- wachsenen Thiere in ihrem untersten Theile dagegen seichter wird und verschwindet. Wir fassen also die Vergleichung der beiden Schnauzenbildungen dahin zusammen, dass bei Manatus eine deutliche Dreitheilung der wulstigen Schnauze in zwei seitliche herabhängende Oberlippen und einen medianen oberen Theil vorhanden ist, bei Halicore dagegen die Schnauze weniger vorgewulstet, mehr flach und einheitlich ist. Die Bildung eines vor dem Gaumen gelegenen abgeplatteten Höckers, der schon von RÜPrPELL als die eigentliche Oberlippe aufgefasst wurde, findet sich bei Manatus wie Halicore vor. STAnNnıus!) ist be- D)1. cp» A. 32 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 32 züglich der Deutung dieses Höckers anderer Meinung: „Die Oberlippe bildet einen beträchtlichen, halb- mondförmigen, wulstigen Halbring, der das von bläulich-grauer Haut bekleidete Vorderende des Zwischen- kiefers oben und seitwärts umgürtet, ohne dass dieser letztere Theil völlig von ihr bedeckt werden könnte.“ Er fasst also den Höcker vor dem Gaumen als den von „unbehaarter, bläulich-grauer Haut bekleideten Vordertheil des Zwischenkiefers“ auf. MURIE!) nennt das fragliche Gebilde „upper inner lip-pad‘“: „This latter is separated by a deep furrow from the true bearded lip and truncated muzzle.“ TURNER?) spricht von einem „mesial process“ oder „premaxillary lip‘“, weist darauf hin, dass diese Bildung sowohl bei Manatus wie Halicore vorkommt, und bringt dann folgende interessante Bemerkung: „In these animals it would seem as if the portion of the upper lip arising from that part of the embryonic fronto-nasal process which W. Hıs has named the processus globulares, and from which the premaxillary region of the hard palate also arises, does not blend with the lateral parts of the lips, which take their origin from the inner ends of the maxillary processes. The stage of separation between the mid-lip and the lateral lips, which in mammalia generally disappears by their fusion with each other, at a comparatively early period of development, remains perma- nent in the Sirenia, and constitutes a condition similar to that occasionally found in Man as an imperfect development, and known by the name of double hare-lip.“ Dieser Auffassung TURNER’s von der Natur der betreffenden Erhebung, welche freilich noch durch die Entwickelungsgeschichte zu bestätigen ist, möchte ich mich anschliessen. Ist diese Bildung Manatus wie Halicore gemeinsam, so findet sich ein grosser Unterschied in.der Lage der Nasenöffnungen, die bei Manatus entweder auf der vorderen Schnauzenfläche, oder doch an deren oberer Umbiegungsstelle liegen, bei Halicore jedoch beträchtlich weiter nach hinten gerückt sind In dieser dorsalen Verlagerung der Nasenöffnungen nähert sich Halicore weit mehr den Cetaceen als Manatus. Die Form der Nasenlöcher. ist bei Manatus wie Halicore annähernd die gleiche, indem sie 2 mehr oder weniger gebogene Schlitze darstellen mit vorwärts gerichteter Concavität. Ebenso fehlt beiden Gattungen ein äusseres Ohr, und die Ohröffnung ist zu einer sehr kleinen Grube reducirt. Ein weiterer Unterschied findet sich in der Kopfform. Bei Manatus ist der Kopf dorsal abgeflacht, bei Halicore dagegen sehen wir einen steileren, dachförmigen Abfall nach beiden Seiten. Der Unterkiefer ist bei beiden Gattungen ungefähr gleichartig gebaut und stets etwas kürzer als der Oberkiefer. Die brustständige Lage der Zitzen unter den Brustflossen ist beiden gemeinsam. Wir kommen nunmehr zur Vorderextremität. Gemeinsam ist beiden die Umwandlung der Vorder- extremität zu einer Flosse, durch allmähliche, in distal-proximaler Richtung fortschreitende Verbreiterung der umhüllenden Schwimmhaut. Ein wesentlicher Unterschied findet sich nun darin, dass bei Halicore die Umbildung zu einer Brust- flosse weiter vorangeschritten ist als bei Manatus. Man erkennt das schon äusserlich daran, dass ersterer die Nägel stets fehlen, während sie bei Manatus (mit einer Ausnahme: M. inunguis) vorhanden sind, ferner, dass sich bei Halicore die Flosse auch in ihrem proximalen Theile stärker verbreitert hat, und endlich darin, dass bei Halicore der Oberarm sich nicht mehr an der freien Extremität betheiligt, während das bei Manatus noch der Fall ist. Auch darin schliesst sich Halicore (natürlich nicht in phylogenetischem Sinne) näher an die Cetaceen an als Manatus. 1) MURIE, On the form and structure of the Manatee. Transact. Zool. Soc. London, 1872, p. 165. 2) Journ. of Anat. and Physiol., 1894, p. 332. 33 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 33 Die interessanten Verhältnisse an den Brustflossen sollen aber in einem eigenen Kapitel ausführlicher unter besonderer Berücksichtigung der Beziehungen zwischen Gestalt und Function besprochen werden, und ich will hier nur auf ein gemeinsames äusseres Merkmal an den Brustflossen von Halicore und zweier Manatus-Arten (inunguis und koellikeri) hinweisen, nämlich auf die Ausbildung von rauhen Papillen und tiefen Gruben am radialen und medianen Rande der Unterseite (siehe Taf. II, Fig. 11). Aehnliche Rauhigkeiten weisen auch die Unterseiten der Endlappen an den Gliedmaassen der Otariden auf, und wenn auch bei letzteren, wie REH!) ausgeführt hat, diese Lappen mit ihrer rauhen Unterseite als Anpassung an das Landleben zu betrachten sind, um ein Ausgleiten zu verhindern, so könnte man bei den Sirenen doch vermuthen, dass sie eine ähnliche Function haben, wenn diese Thiere auch nicht an Land gehen. Da sie sich beim Abweiden von Tangen und anderen Wasserpflanzen auf ihre Vorderflossen stützen, so könnten die Rauhigkeiten wohl beitragen, einen festeren Halt zu gewähren. Die augenfälligste und bekannteste Verschiedenheit zwischen Halicore und Manatus liegt wohl in der Gestalt der Schwanzflosse. Bei Manatus setzt sich die Schwanzflosse breit an und weist eine abgerundete oder spatelförmige Gestalt auf, bei Halicore dagegen ist der Schwanzflossenansatz schmäler und die Schwanz- flosse selbst halbmondförmig, mehr cetaceenähnlich. Auch erreicht sie eine viel grössere Breite bei Halicore, indem sie mindestens 2,5 mal breiter ist als der Brustquerdurchmesser, während sie bei Manatus höchstens 1,25 mal so breit ist (M. latirostris). Das sind die wesentlichsten äusseren Körpermerkmale, welche die Gattungen Halicore und Manatus besitzen, und wir können daraufhin folgende Gattungsdiagnosen aufstellen: 1. Manatus Cuv. „Schnauze vorgewulstet, in zwei seitliche herabhängende Oberlippen und einen medianen oberen Theil getrennt. Nasenlöcher an der Umbıegungsstelle der vorderen Schnauzenfläche in die dorsale Fläche des Kopfes, welche abgeflacht erscheint. Vorderextremität mit Nagelrudimenten versehen (mit einer Ausnahme: M. inunguis). Der Oberarm an der Bildung der freien Extremität betheiligt. Schwanzflosse breit an- gesetzt, rundlich oder spatelförmig, ihre grösste Breite nicht oder wenig den Brust- querdurchmesser übertreffend.“ 2. Halicore IrLıc. „Vordere Schnauzenfläche flacher, weniger vorgewulstet und einheitlicher, mit nur unbedeutend herabhängenden seitlichen Oberlippen. Nasenlöcher rein dorsal ge- legen. Vorderextremität ohne Nagelrudimente. Der Oberarm an der Bildung der freien Extremität nicht (oder doch kaum mehr) betheiligt. Schwanzflosse an der Wurzel etwas schmäler, halbmondförmig, mehr cetaceenähnlich, ihre grösste Breite ca. 2,5mal grösser als der Brustquerdurchmesser.“ Fassen wir das Gemeinsame zusammen, was beide Gattungen an äusseren Körpermerkmalen besitzen, so lässt sich daraus eine Familien- resp. Ordnungsdiagnose aufstellen. Vor Kurzem ist in einer Arbeit von C. GREvE ?) eine solche Diagnose gegeben worden, der ich aber 1) L. REH, Die Gliedmaassen der Robben. Jen. Zeitschr. f. Naturwiss., Bd. 28. 2) C. GREVE, Die geographische Verbreitung der jetzt lebenden Sirenen, nebst einer Uebersicht der ausgestorbenen Arten. Zool. Garten, 1897, No. 2, p. 53. Jenaische Denkschriften. VII. 5 Semon, Zoolog. Forschungsreisen. IV. 34 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 34 nicht zustimmen kann. Sie lautet: ‚Nackte (sehr spärlich behaarte), im Wasser lebende, grosse Säugethiere, mit deutlich vom Rumpfe abgesetztem Kopfe, beborsteten Lippen, Nasenlöchern an der Schnauzenspitze, flossenförmigen Vorder- und zu einer wagerechten Schwanzflosse umgebildeten Hintergliedmaassen, zwei Zitzen an der Brust, einer Nickhaut an den Augen, fehlenden Eck- und breitkronigen Backenzähnen oder hornigen Kauplatten (Rhytine).“ Dagegen habe ich einzuwenden, dass die Nasenlöcher bei Halicore nicht an der Schnauzenfläche, sondern einige Centimeter dorsalwärts davon liegen, dass der Kopf nur auf der ventralen, nicht aber auf der dorsalen Seite vom Rumpfe abgesetzt ist, und dass es eine durch nichts begründete Annahme, meiner Ansicht nach sogar ein fundamentaler Irrthum ist, dass die Hinterextremitäten sich zu einer wagerechten Schwanzflosse umgebildet haben sollen. Ich möchte vielmehr die Diagnose auf Grund der äusseren Körpermerkmale für die Ordnung der jetzt lebenden Sirenen so formuliren: „Im Wasser lebende grosse Säugethiere von plumper, cylindrischer, sich nach hinten verjüngender Form, mit rudimentärem Haarkleid, das am Körper von vereinzelten kurzen Haaren gebildet wird, die vorn am Kopfe dichter stehen und sich theilweise zu festen Borsten umgewandelt haben. Der Kopf ist nur ventral vom Körper durch eine Kehlfurcheabgesetzt und bildet vorn eine abge- stumpfte Schnauze mit gesondertem prämaxillaren Abschnitt der Öberlippe. Aeusseres Ohr fehlend. Augen mit Nickhaut. Nasenlöcher gebogene Schlitze mit vorwärts gerichteter Concavität, an dem oberen Rande der Schnauze oder dorsalwärts davon gelegen. Vorderextremitäten zu Brustflossen umgewandelt. Zwei Zitzen an der ven- tralen Seite der Insertion der Brustflossen. Hintergliedmaassen fehlen. Der Schwanz zu einer horizontal gestellten Flosse verbreitert.“ KABEREEBZIT Das Integument. Wie die Haut der Cetaceen, so weist auch die Haut der Sirenen eigenthümliche Umformungen auf, die auf die Anpassung an das Leben im Wasser zurückzuführen sind, und es kam mir bei meinen Unter- suchungen in erster Linie darauf an, durch das Studium der Entwickelung der Sirenen-Haut festzustellen, ob sich embryologische Beweise für jene stammesgeschichtlichen Umformungen finden lassen. Es sollen daher in diesem Kapitel zuerst Bau und Entwickelung der Manatus-Haut, dann die Haut von Halicore ab- gehandelt werden, und in einer vergleichenden Zusammenfassung versucht werden, den Weg anzugeben, welchen die Haut der Sirenen bei der Anpassung an das Leben im Wasser genommen hat. I. Das Integument von Manatus. Fast alle Autoren, welche sich mit dem Bau von Manatus beschäftigt haben, geben auch eine kurze Beschreibung der äusseren Körperdecke. Für M. latirostris hat zuletzt MurIE (l. c. p. 131) einen eingehen- deren Bericht geliefert. Er lenkt die Aufmerksamkeit auf die Faltenbildungen, welche besonders ausgeprägt a u re 35 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 35 am Kopfe vorkommen. Die tiefste dieser Falten bildet eine Abgrenzung der Schnauze vom vorderen Gesichtstheil, nach den Mundwinkeln zu wird sie geradezu zu einer tiefen Furche. Eine schmälere Parallel- furche läuft zwischen der ersten und dem Auge, dazwischen finden sich noch kleinere. Radienartig strahlen von der Augenspalte kleine Furchen aus. Ferner ist die Brustflosse in eine grosse Schulterfalte eingesunken. Auch weiter nach hinten zu treten rund herum verlaufende Falten auf, so hinter dem Schultergürtel, und ferner zwei besonders deutlich markirte oberhalb und unterhalb des Anus. Zahlreiche kurze transversale Falten zeigen sich, allmählich abnehmend, auf der ventralen Seite der Schwanzwurzel und des Schwanzes. Eine weitere Eigenthümlichkeit der Haut ist das Vorhandensein von kleinen bis linsengrossen scheibenförmigen Erhebungen, die besonders häufig am Kopfe vorkommen. Mit ähnlichen warzenähnlichen Körpern ist auch die Haut der Brustflosse versehen. Der Körper, vom Nacken an, weist sich häufig kreuzende, feine Liniensysteme auf, die der Haut ein sammetiges Aussehen geben. Die Behaarung des erwachsenen Thieres stellt sich nach allen Beobachtern als eine spärliche dar, mit zwei verschiedenen Arten von Haaren, dünnen seidenartigen Haaren und kurzen steifen Borsten. Die ersteren sind durchschnittlich ı Zoll lang und dunkel gefärbt. Auf den Brustflossen sind sie beträchtlich kürzer und enger gestellt, etwas kleiner sind sie auch am Kopfe. Besonders lang und dicht stehen sie innen an den Lippen, besonders der Unterlippe, und Mtkrie stellt die Ansicht auf, sie könnten homolog mit den Barten der Mystacoceten sein. Unter dem Kinn sind die Haare steifer, !/, Zoll lang und Zwischenglieder zwischen den beiden Arten von Haaren. Die echten Borsten sind sehr steif, 0,3—0,4 Zoll lang und stehen an Ober- wie Unter- lippe. Am kleinsten sind sie in der Umgebung der Nasenlöcher, viel stärker weiter abwärts. Besonders ausgeprägt sind sie auf einer umschriebenen ovalen Erhebung an den herabhängenden Partien der Oberlippe (siehe MurıeE, Taf. 20, Fig. 7), wo sich auch stark verästelte Zweige des Nervus infraorbitalis und Nervus facialis hinbegeben, so dass diese Stelle ein besonderes Tastvermögen zu be- sitzen scheint. Was den histologischen Bau der Haut vom Lamantin betrifft, so existiren über denselben nur wenige Mittheilungen. Von einem Fötus berichtet LeyvıG (Lehrbuch der Histologie, 1857, p. 88, Anm.), dass die Haare den Charakter von Wollhaaren haben, dünn und ohne Marksubstanz, die Barthaare zum Theil mit zer- streuten braunen Pigmentklümpchen im Innern versehen sind. „Zu jedem Haar gehören einige Talgdrüsen von geringer Grösse und beutelförmiger Gestalt. Schweissdrüsen fehlen an den untersuchten Gegenden. An der Schnauze verlieren sich die Bündel quergestreifter Muskeln zwischen die Haarbälge.“ Die Abbildung eines Querschnittes durch die getrocknete Haut eines erwachsenen Manatus liefert PAuLsen in Branpr’s Symbolae sirenologicae, Bd. III, p. 252. Conische Papillen treten von der Cutis in die Epidermis ein. Zu meinen eigenen Untersuchungen übergehend, beginne ich mit dem kleinsten, mir zur Verfügung stehenden Embryo, dem von M. latirostris von 13,6 cm Rückenlänge. Von den Falten der Haut, welche für das erwachsene Thier so charakteristisch sind, ist bei diesem Embryo noch wenig zu sehen. Vorhanden ist eine kurze laterale Hautfalte jederseits, welche die Schnauze seitlich abgrenzt. Diese Hautfalte geht nicht so weit nach oben wie beim Erwachsenen. Eine schwächere Falte liegt ungefähr parallel dahinter, sie findet sich auch beim Erwachsenen wieder. Ein paar stärkere Falten ziehen vom Hals zum Gehörorgan; sie sind beim Erwachsenen in Folge der allmählichen Streckung des Körpers nicht so scharf ausgeprägt. Die Falte, in welche die Vorderextremität einsinkt, beginnt sich oben anzulegen. Der übrige Körper ist fast völlig glatt, nur auf der Ventralseite der Schwanzwurzel er- 5* 36 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 6 192] scheinen einige transversale Falten angedeutet. Die Behaarung des Embryos lässt sich schon deutlich erkennen, wenn auch die Haare noch nicht durchgebrochen sind. Am deutlichsten sind die Anlagen zu sehen im Bereiche des Kopfes, besonders an der Schnauze, wo sie sehr dicht stehen. Etwas zerstreuter, aber in annähernd gleichmässigen Abständen finden sie sich auf dem übrigen Körper; auf dem Rücken lässt sich eine gewisse Regelmässigkeit der Anordnung erkennen. Die Haaranlagen stehen hier in Reihen, die von der Mittellinie des Rückens ausgehend, nach hinten in spitzem Winkel divergiren. Auch auf Brust- wie Schwanzflosse erstreckt sich dieser Besatz. Was sonst noch äusserlich vom Bau der Haut zu sehen ist, beschränkt sich auf ein nur bei stärkerer Loupenvergrösserung wahrnehmbares chagrinirtes Aussehen derselben, herrührend von sehr kleinen, dicht an einander liegenden, meist kreisrunden Erhebungen von hellerem Aussehen. Die Anfertigung von Schnittserien durch Hautstücke, die verschiedenen Stellen entnommen waren, ergab mir Folgendes: Die Epidermis ist nur wenige Zellenlagen dick, deren oberste bereits abgeplattete Kerne besitzt, während die unterste Schicht, das Rete Malpighi, ein Cylinderepithel darstellt. Anlagen von Cutispapillen waren nirgends zu erkennen. Die Cutis zeigt noch das typische embryonale Verhalten und weist einen oberen dicht zelligen und einen unteren zellärmeren, aber mit maschigen Bindegewebsfasern reicher durchsetzten Theil auf. Pigmentkörnchen fehlen in den Epidermiszellen durchaus, ebenso vermochte ich keine Pigmentzellen in der Epidermis und nur sehr wenige in der Cutis nachzuweisen. Fig. 2. Längsschnitt durch eine Haupthaaranlage des Embryos von M. latirostris von 13,6 cm Rückenlänge, aus der Scheitelgegend. Vergr. 2490. Ex Epithelzapfen, Hp Anlage der Haarpapille. Fig. 3. Querschnitt durch die Bauchhaut des Embryos von M. latirostris von 13,6 cm Rückenlänge. Vergr. 240. Die Haaranlagen, welche sich schon makroskopisch bemerkbar machten, stehen noch auf einem frühen embryonalen Stadium. Es sind solide Epithelzapfen (siehe Fig. 2), welche in die Cutis eingewuchert sind. Letztere hat sich um diese Zapfen herum stark abgehoben, und weist bereits eine Differenzirung auf, indem gegenüber dem freien Ende des Epithelzapfens eine starke Vermehrung von Bindegewebszellen Platz gegriffen hat, die in Halbmondform auch die Seiten umfassen. Wir haben hier zweifellos die erste Anlage von Haarpapille und Haarbalg vor uns. Etwas weiter vorangeschritten ist die Haarbildung vorn an der Schnauze. Hier beginnt schon die Bildung einer vorgestülpten Haarpapille. Ausser diesen zweifellosen Haaranlagen sieht man noch auf Querschnitten der Haut hier und da schwache Verdickungen der Epidermis (siehe Fig. 3), welche in die Cutis sich einsenken. Was es mit diesen Gebilden für eine Bewandtniss hat, werden wir später sehen. Der nächstgrössere Lamantin-Embryo, der zu meiner Verfügung stand, gehört der Species Manatus senegalensis an, und misst, über den Rücken gemessen, 29 cm. Sein Erhaltungszustand war nicht besonders; nur an einigen Stellen war die Epidermis noch vorhanden, wo sie fehlte, war die Cutis stark hervor- gequollen. 37 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 27 Die Farbe der Epidermis war ein dunkles Aschgrau. Die starken, durch die Conservirung ver- ursachten Schrumpfungen liessen die ursprünglichen Faltenbildungen des Integumentes nicht mehr erkennen. Auf der hinteren Bauchseite zog sich ein System sehr dichter, transversal verlaufender Streifen hin, die sich, allerdings in sehr viel schwächerer Ausbildung, auch bei einem grösseren Embryo derselben Species vorfanden. Wie beim vorigen Embryo, so waren auch bei diesem die Haare noch nicht durchgebrochen, zeigten jedoch ihre Lage an durch kleine Erhebungen, die in ziemlich regelmässigen Abständen den Körper be- deckten, und nach der Schnauze zu immer dichter wurden. Der histologische Bau der Haut weist gegenüber dem vorigen Stadium insofern eine starke Ver- änderung auf, als das Rete Malpighi dicht erfüllt ist mit klumpigen Pigmentzellen, die sich auch in der Cutis zahlreich vorfinden. Auch Pigmentkörnchen sieht man hier und da in den Epithelzellen eingestreut. Die Entwickelung der Haupthaare war am Körper viel weniger vorangeschritten als an der Schnauze. Die Haupthaaranlagen des Körpers zeigen eine breite Einsenkung der Epidermis, umgeben von stark ver- dichtetem Bindegewebe. An der Schnauze dagegen sind die Haare viel weiter entwickelt; hier sehen wir sie schräg eingesenkt. An ihrer Basis ist es zur Anlage der Papillen gekommen, der Haarschaft hat sich angelegt und im Haarbalg kommt es bereits zur Ausbildung der Sinus. Die Haut dieses Embryos zeigt aber noch andere Epidermiseinsenkungen als diejenigen, welche die Anlage von Haupthaaren bilden. Man sieht nämlich epitheliale Wucherungen bis tief in die Cutis vor- dringen, welche stets von der Epidermis aus ihren Ursprung nehmen. Diese Einwucherungen scheinen aber sehr vergänglicher Natur zu sein, denn meistens sieht man die eingesenkten Epidermiszellen schon wieder im Schwunde begriffen und von dem Bindegewebe der Cutis verdrängt, nur am unteren Ende des eingesenkten Epithelzapfens liegen die Zellen desselben noch eng zusammen. Als was sind nun diese Epitheleinsenkungen, von denen Fig. 4 und 5 eine Vorstellung geben mag, aufzufassen? Haupthaaranlagen können es nicht sein, denn diese sind ja bereits aufgefunden worden, Bei- Fig. 4. Querschnitt durch die Haut des Embryos von M. senegalensis. Stad. I. Vergr. 50. Fig. 5. Unteres Ende einer Epitheleinsenkung der vorigen Abbildung. Vergr. 240. A 5 Fig. 6. Querschnitt durch die Bauchhaut des Embryos von M. senegalensis, Stad. II, mit zwei Beihaaranlagen. Vergr. 240. haaranlagen auch nicht, da diese, wie wir sehen werden, erst bei grösseren Embryonen sich anlegen. Möglicherweise sind diese Epithelwucherungen die nur vorübergehend sich anlegenden Rudimente von Schweissdrüsen, die schon auf dem nächst grösseren Embryonalstadium wieder verschwinden. Bereits die vorliegenden Bilder zeigen den Beginn des Verschwindens. Wir sehen, wie die vordringenden Epithel- massen das horizontal geschichtete Bindegewebe vor sich her drängen, andererseits aber auch, wie das Bindegewebe im oberen Theile des Epithelzapfens die Epithelzellen aus ihrem Zusammenhang reisst und verdrängt. 38 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen, 38 Bleiben wir zunächst bei Manatus senegalensis, so ist das nächstgrössere Stadium ein Embryo von 63,3 cm Rückenlänge. Die Haupthaare sind grösstentheils durchgebrochen und ragen als ein paar Millimeter lange, seidige, helle Gebilde aus der dunklen, braunschwarzen Oberfläche heraus. Vorn an der Schnauze stehen die Haare dichter, und hier ist besonders auffällig eine circumscripte, ovale Stelle an jeder Seite der herabhängenden Oberlippe, welche sehr viel stärkere, starre Borsten trägt (siehe Taf. I, Fig. 5). Was den histologischen Bau der Haut betrifft, so sieht man zunächst einen Unterschied der Art, dass das Corium in zwei scharf getrennte Schichten zerfällt, eine an die Epidermis angrenzende sehr dichte und eine darunter liegende lockere Bindegewebsschicht. Die starke Pigmentirung, welche wir schon in der Haut des vorigen Stadiums bemerkt hatten, hat hier noch zugenommen, indem die Pigmentzellen im Rete Malpighi noch viel dichter liegen und dieses fast schwarz färben. Aus dem Bindegewebe der Cutis sind indessen die Pigmentzellen völlig verschwunden, während sie im vorigen Stadium sich massenhaft darin vorfanden. Das legt den Gedanken nahe, dass die Einwanderung von Pigmentzellen in die Epidermis durch die Cutis hindurch sich während der zwischen beiden Stadien liegenden Embryonalzeit vollzogen hat. Ich erinnere hier daran, dass ich auch bei Cetaceen ganz das gleiche Verhalten gefunden habe (siehe Denk- schriften der Med.-naturwiss. Ges. Jena, Bd. III, 1889, p. 17). Die Haupthaare haben sich etwas weiter entwickelt am Körper, beträchtlich weiter an der Schnauze. Die Haupthaare des Körpers sind noch weniger tief eingesenkt, weisen aber doch schon einen deutlichen Haarschaft auf, sehr viel grösser sind dagegen die Haaranlagen der Schnauze, bei denen es zur Ausbildung mit Blut gefüllter Sinus zwischen den Schichten des Haarbalges gekommen ist. Anlagen von Talgdrüsen waren aber an diesen Haaranlagen nicht zu bemerken. Ausser diesen weit vorgeschrittenen Haupthaaranlagen sieht man noch zahlreiche, in regelmässigen Abständen stehende kolbenförmige Einsenkungen der Epidermis, welche sich überall in der Haut vorfinden. Diese Epithelkolben, deren erste Anlage wir schon auf dem kleinsten Stadium in den Verdickungen des Rete Malpighi kennen gelernt haben, stellen, wie sich aus dem nächsten Stadium mit Sicherheit ergeben wird, die erste Anlage eines dichten Haarkleides von Beihaaren vor. Fig. 6 zeigt, wie sie als massige Wucherungen das Rete Malpighi in die Tiefe drängen, das Bindegewebe der Cutis vor sich her schiebend. Von irgend welcher activen Betheiligung der Cutis ist in diesem Stadium noch nichts zu sehen. Schliesslich möchte ich bemerken, dass sich aus Schnitten der Rückenhaut ergab, dass es hier zur Bildung eines Epitrichiums kommt, indem über der Epidermis, theilweise mit ihr noch im Zusammenhang, theilweise aber bereits losgelöst, eine dicke zusammenhängende Schicht, das Stratum corneum, liegt, die nur noch an einzelnen Stellen Zellreste erkennen lässt, aber nicht mit Pigment erfüllt ist. Unter dieser locker aufliegenden Schicht sehen wir ein neues Stratum corneum gebildet. Es reiht sich nunmehr seiner Grösse nach der Embryo von M koellikeri an, der folgende Verhältnisse seines Integumentes darbietet (siehe Taf. III, Fig. 12). Von den Körperfalten ist besonders jene stark ausgeprägt, welche den Schnauzentheil vom übrigen Körper trennt, schwächer ausgebildet sind ein paar andere, ihr parallel verlaufende zwischen Auge und Schnauzenspitze. Sehr scharf ist auch der vorspringende Unterkiefer vom Halstheil geschieden. Ein paar zarte Furchen verlaufen transversal auf der Ventralseite des Halses. Die Brustflossen sind tief in Hautfalten eingesenkt. Ein paar weitere, transversal verlaufende Falten finden sich zwischen Brustflossen und Nabel auf der Bauchseite. In dichter Anordnung stehen die Furchen unterhalb des Nabels, von denen zwei besonders tiefe Geschlechtsorgan wie After umfassen. Die Schwanzflosse ist dorsal wie ventral glatt. 39 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 39 Die Behaarung ist gegenüber den früheren Stadien wesentlich vorangeschritten, und die Haupthaare sind überall zum Durchbruch gelangt. Die durchgebrochenen Haupthaare sind durchschnittlich etwa 4 mm lang, seidenartig glänzend und auf kleinen Hervorragungen inserirt. Es lässt sich eine regelmässige Anordnung nicht verkennen, und zwar in Längsreihen, die von der Mittellinie des Rückens schräg nach hinten verlaufen. Sehr dicht stehen die Haaranlagen auf dem knopfartigen Schnauzentheile.. Auf dem dorsalen Theile des Kopfes sind sie in Ab- ständen von etwa 4 mm von einander angeordnet; zu einem dichteren Kranze schliessen sie sich um die Augenspalte. Auch auf dem mittleren Theile des Rückens werden sie etwas dichter und stehen hier durch- schnittlich 3 mm aus einander. Etwas schwächer entwickelt und etwas weiter auseinander stehend finden sich die Haaranlagen auf der ventralen Seite vor. Sowohl die Brustflossen, wie auch die Schwanzflosse sind dorsal wie ventral mit ziemlich regelmässig angeordneten Haaranlagen versehen. Interessant ist das Vorkommen eines dichten Haarbesatzes an der Mundhöhle, und zwar stehen hier die Haare an den sich umbiegenden Rändern des hinteren Theiles von Ober- wie Unterlippe. Sie ragen in das Lumen des Maules vor, einen dichten, horizontal stehenden Besatz bildend. An der Aussenseite des Unterkiefers sitzen sie in tiefen Gruben (siehe Taf. IV, Fig. 16 u. 17). Ausser diesen Haaranlagen kommen auch hier die bereits von MurIE bei M. latirostris erwähnten Borsten vor, die sowohl im vorderen Theil der Innenfläche der Unterlippe vorhanden sind, wie auch am vordersten Theile des Oberkiefers, da, wo beide Öberlippen zusammenstossen. Hier im Innern der schmalen Rinne sitzen dicht gedrängt die goldgelben starken Borsten, welche 4-5 mm Länge besitzen. Ich gehe nun zur Beschreibung einer weiteren Eigenthümlichkeit des Integumentes über. Schon bei oberflächlicher Betrachtung macht die Haut einen sammetartigen Eindruck. Dieser rührt davon her, dass sich auf der gesammten Oberfläche in regelmässiger Anordnung kleine Gruben finden, zwischen denen die Haut papillenartig vorspringt. Diese Gruben liegen in Abständen von 0,2—0,3 mm von einander. Beson- ders stark ausgebildet sind sie an der Unterseite des Schwanzes und der Brustflossen. Was sie für eine Bedeutung haben, ergiebt sich aus der histologischen Untersuchung der Haut, zu der ich nunmehr übergehe. Schon Levyvıc (l. c. p. 88) führt an, dass er bei seinem Embryo eine Menge von Gruben gesehen habe, die die Stellen anzukündigen scheinen, wo die Haare bereits ausgefallen sind. Schnittserien durch die Haut des vorliegenden Embryos ergaben mir Folgendes: Zunächst wählte ich ein Stück der Bauch- haut. Auf die Musculatur des Körpers folgt das Integument in einer Dicke von 5 mm. Der Musculatur liegt eine 1,7 mm dicke Schicht mit elastischen Fasern auf, die im Allgemeinen eine horizontale Lagerung einnehmen, darüber liegt eine fast doppelt so dicke Schicht von Bindegewebe mit sehr viel dichterer An- ordnung von Zellen, die nach der Oberfläche zu wieder etwas lockerer werden. Die Epidermis ist auf den Erhabenheiten sehr dünn, in den Gruben dagegen viel stärker entwickelt. Am Grunde setzt sich jede Grube in einen soliden Epithelzapfen fort. Als was sind nun diese Epitheleinsenkungen aufzufassen ? Die Lösung giebt ein Blick auf beistehende Fig. 7. Auf sämmtliehen Schnitten sieht man nämlich, dass auch die Cutis sich an dieser Bildung betheiligt, und dass am Grunde des Epithelzapfens eine ganz scharf umschriebene halbmondförmige Papille sich anlegt. Diese active Betheiligung der Cutis stellt es ausser Frage, dass wir etwas Anderes als Haaranlagen vor uns haben, und zwar sind diese fraglichen Gebilde Anlagen der Beihaare, welche eine dichte Körperbedeckung geliefert haben müssen. Sie gleichen in ihrer Anlage vollkommen den ersten Anlagen der Haupthaare auf früheren Stadien (siehe Fig. 2). Die Entwickelungsgeschichte zeigt uns also, dass es in grösseren Embryonalstadien zur Anlage eines dichten Haarkleides kommt, ausser der schon vorher angelegten spärlichen Bedeckung mit einzelnen in Reihen angelegten Haupthaaren. Wenn auch das dichte Haarkleid niemals zur Entfaltung kommt, so 40 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 40 müssen wir doch aus seiner Anlage bei Embryonen schliessen, dass die Vorfahren von Manatus ausser der spärlichen Bedeckung mit vereinzelt und in Reihen stehenden Haupthaaren ein dichtes Haarkleid besessen haben müssen. Die rudimentären Haaranlagen stehen in etwas weiteren Abständen als die Epitheleinsenkungen, welche wir bei dem Embryo von M. senegalensis (Stadium II) beobachtet haben (siehe Fig. 6), und es erscheint mir zweifellos, dass wir in letzteren nur jüngere Anlagen der rudimentären Haaranlagen vor uns haben. Interessant ist es nun zu sehen, wie diese rudimentären Haaranlagen an verschiedenen Körperstellen des Embryos von M. koellikeri auch eine verschiedene Organisationshöhe zeigen. Am Bauche, dessen Epithel übrigens viel weniger Pigmentzellen aufweist als das des Rückens, sind die kurzen, gedrungenen Epithel- einsenkungen an ihrem freien Ende umgeben von einer halbmondförmigen Masse dicht gelagerter, sich stärker färbender Bindegewebszellen, die als erste Anlage eines Haarbalges wie der Haarpapille anzusehen sind. Am Rücken sieht man ganz das Gleiche, doch ist es nicht selten, dass hier eine Weiter- Fig. 7. Fig. 7. Querschnitt durch die Bauchhaut des Embryos von M. koellikeri mit zwei Beihaaranlagen. Verg. 240. Ex Epithelzapfen. Hp Haarpapille. Fig. 8. Unteres Ende einer Beihaaranlage vom Rücken des Embryos von M. koellikeri. Vergr. 2490. P Pigmentzelle. Hb Haarbalganlage. Ex Epithel- zapfen. Hp Haarpapille. AST I; \ Fig. 9. Rudimentäre Haaranlage vom Kopfe des Embryos von M. koellikerr. N a l|s® Vergr. 192. nalbıili, \N: ! RR | entwickelung in der Weise erfolgt, dass der Halbmond von Bindegewebszellen sich differenzirt hat in eine aus concentrisch gelagerten Zellen bestehende, sich vorstülpende Papilleund in eine die Epitheleinsenkung umhüllende dichtere Schicht von Binde- gewebszellen, die erste Anlage des Haarbalges. Entsprechend der Vorstülpung der Haarpapille hat sich auch das freie Ende des Epithelzapfens eingestülpt (siehe Fig. 8) und wir erhalten somit das typische Bild einer vorgeschrittenen Haaranlage. Eine dritte Modification zeigen dieselben Anlagen am Kopfe (Fig. 9). Hier sind die Einsenkungen in die Oberfläche der Haut viel tiefer, auch hier befindet sich am Grunde einer jeden Finsenkung ein Epithelzapfen von etwa der doppelten Grösse wie an den anderen Körperstellen, es ist aber insofern ein niederer Zustand vorhanden, als eine deutliche Betheiligung der Cutiszellen fehlt. Zwar kann man die den 2 ne Ten EEE WER 4I Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 4l Epithelzapfen concentrisch umgebenden Bindegewebszellen, welche hier zahlreicher vorhanden sind als an anderen Stellen der Cutis, wohl als Rudiment einer Haarbalganlage ansehen, doch fehlt die Anlage der Haarpapille. Dennoch sind wir natürlich gezwungen, diese sonst ganz gleichen Anlagen mit denen des übrigen Körpers zu homologisiren, und müssen sie also ebenfalls als rudimentäre Haaranlagen auffassen, die entweder einen geringeren Grad von Ausbildung aufweisen oder bereits der regressiven Umwandlung unterworfen sind. Sehr viel weiter vorangeschritten sind die Anlagen der Haupthaare. Der Haarschaft hat sich schon völlig differenzirt, die Oberfläche durchbrochen und die Bildung einer Haarpapille hat sich ebenfalls vollzogen. Interessant war mir die Auffindung der bereits von LEyDIG gesehenen Talgdrüsenanlagen (siehe Fig. Io), welche, zu beiden Seiten des Haarschaftes liegend, die Wurzelscheide etwas vorwölben und aus einer Anzahl grosser blasiger Drüsenzellen bestehen. Ich will gleich hinzufügen, dass in späteren Stadien diese Talgdrüsen nicht mehr sichtbar sind, so dass wir in: imentä 7 in ihnen rudimentäre Organe zu sehen haben, welche nur zu BT SLOT . . . . Ba © oO 6,8 N IE 95 DS 3 einer gewissen Embryonalzeit sich anlegen, um kurz darauf : te 202000 —— PyBER wieder zu verschwinden. Viel weiter in der Entwickelung vorangeschritten sind die vorn am Kopfe, an der Ober- wie Unterlippe stehenden Haare, die typischen Sinushaare sind. Im Bindegewebe des Haarbalges finden sich, durch dünne Trabekeln getrennt, ansehnliche Blut- sinus vor. Deutlich lässt sich der seitliche Eintritt zweier starker Ta Hsch Nervenstämme bemerken, die nach oben ziehen. Von den { 3 j % f Fig. 10. Stück eines Längsschnittes durch ein Talgdrüsen ist hier so gut wie nichts zu sehen, nur gelegentlich Haupthaar des Embryos von M. koellikeri. Vergr. 192. findet sich in der äusseren Wurzelscheide eine grössere blasige Huch Hluuschaft. 2 Tee Zelle, die als letzter Rest einer Talgdrüse angesehen werden könnte. Die von der Haut zum Haarbalg ziehenden beiden Muskeln sind deutlich vorhanden. ; Das Stadium, zu welchem wir nunmehr kommen, der Neonatus von M. senegalensis, zeigt im Wesent- lichen bereits Verhältnisse des Integumentes, wie sie auch das erwachsene Thier haben wird. Auffällig war die geringe Ausbildung von Körperfalten. Nur die Kehlfurche, sowie einige transversale Furchen in der Brustregion zwischen Nabel und Schwanzwurzel sind stärker ausgeprägt. Die Brustflosse ist nicht in den Körper eingesunken und daher nur von seichten Furchen abgegrenzt. Die Haupthaare, welche durchschnittlich etwa I cm lang sind, sind seidige, weisse Gebilde, die in Abständen von etwa I,5 cm von einander in undeutlichen Längsreihen angeordnet sind und auf Tuberkeln stehen. Vorn an der Schnauze stehen sie viel dichter, ebenso wie an der Unterseite des Unterkiefers. Auch an der Schwanzflosse wie an der Oberseite und Unterseite der Brustflosse finden sie sich vor. Vorn an der Schnauze stehen ausser den Haupthaaren auch noch kurze starre Borsten von gelb- licher Farbe, die sich auf die beiden ovalen Felder an der Innenseite der herabhängenden Oberlippe, sowie auf den vorderen Rand der Unterlippe beschränken, ganz ähnlich, wie es MurIE von M. latirostris be- schrieben hat. : Auch diese Borsten sind, wie mich Schnittserien belehrt haben, nach dem Typus der Sinushaare gebaut, nur kommt hinzu, dass der massige Haarschaft eine deutliche zellige Markschicht zeigt, welche den übrigen Haupthaaren fehlt. In den ziemlich grossen Zellen der Markschicht finden sich, gewöhnlich an einem Pole angehäuft, Massen sehr feiner dunkler Körnchen und ausserdem bei durchfallendem Lichte Jenaische Denkschriften. VII. 6 Semon, Zoolog. Forschungsreisen. IV. 42 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 42 schwarze, rundlicheckige Körperchen, die vielleicht Luftbläschen sind. Eine colossale Mächtigkeit hat die aus dichtem Bindegewebe bestehende äussere Faserhaut des Haarbalges erlangt. Eine genauere Betrachtung der Oberhaut lässt überall eine feinkörnige Beschaffenheit erkennen, herrührend von zahlreichen feinen Poren, von denen 20—25 auf eine Länge von I cm gehen. Zwischen ihnen liegen kleine, rundliche Erhebungen. Gehen wir nun zur mikroskopischen Untersuchung von Querschnitten der Haut über, so sehen wir Folgendes. Die Cutis besteht aus verschiedenen sich kreuzenden Systemen von Faserbündeln, und zwar sind es zwei sich diagonal kreuzende, von unten schräg nach oben ziehende Systeme, zwischen denen Ep longitudinale Faserbündel verlaufen. In dem der Epi- dermis anliegenden Theil finden wir ausserdem mehr Q S vereinzelt transversale, der Oberfläche parallel laufende, Nr in sowie senkrecht nach oben in die Papillen steigende & ERS 3 Faserzüge. Dieser oberste‘ Theil der Cutis enthält be- U % 2 deutend weniger bindegewebige Faserbündel als der x 5 V ee untere. Die Cutispapillen, welche sich in die Epidermis 3 A “e erstrecken, sind ganz eigener Art, indem sie dadurch ge- bildet werden, dass die Epidermis sich in ziemlich gleich- Ar N mässigen Abständen in die Cutis einsenkt (siehe Fig. 11). Die Epidermis ist also hier das eigentlich Active, und wir haben, wenn wir dieses Stadium mit dem vorher- gehenden, jüngeren vergleichen, dieselben Epithelein- senkungen vor uns, die wir dort als rudimentäre An- Fig. ı1. Querschnitt durch die Rückenhaut des Neonatus von M. sengalensis. Vergr. 40. Ep Rest des Epitrichiums. lagen von Beihaaren beschrieben haben. Dadurch, dass Op Cutispapillen. } j 5 auch die Oberfläche der Epidermis diesen Einsenkungen folgt, erhält die Oberfläche eine den Einsenkungen entsprechende Zahl von Gruben, die, wie bereits be- schrieben, schon bei der äusseren Betrachtung der Haut ins Auge fallen. Die Anlage der Cutispapille unter der Epitheleinsenkung, welche im vorigen Stadium aufgefunden, beschrieben und als Anlage der Haarpapille aufgefasst wurde, ist hier meist geschwunden, nur hier und da sieht man noch Reste derselben, als Bindegewebszellen, die an der Basis stärker angehäuft sind und, die Epitheleinsenkung umfassend, als dünne Umhüllung jederseits nach oben ziehen. Jedenfalls können wir daraus schliessen, dass die Haarpapillen-Anlagen, die wir auf dem vorigen Stadium noch in so schöner Aus- bildung vor uns hatten, in diesem Stadium völlig geschwunden sınd. Sehr auffällig ist das Verhalten des Stratum corneum. Die obersten Schichten desselben haben sich grösstentheils von den darunterliegenden abgelöst und ziehen tief in die Epitheleinsenkung hinein. Aut Querschnitten sieht man sie mitunter tief im Inneren der Epitheleinsenkung liegen, als ein homogen ver- hornter Strang und es wird dadurch das Bild einer rudimentären Haaranlage vorgetäuscht, bei der noch ein Rest des Haarschaftes erhalten ist, während es zur Ausbildung einer Haarpapille nicht mehr kommt. Pigmentzellen finden sich im Rete Malpighi, theilweise auch in dem die Einsenkungen umgebenden Bindegewebe vor. Die Epidermiszellen selbst sind erfüllt mit halbkreisförmigen Kappen von Pigment- körnchen, welche dem-Kern vorwiegend auf dessen der Oberfläche zugekehrter Seite aufgelagert sind. Die Untersuchung des Integumentes des vorliegenden jungen Thieres hat uns also gezeigt, dass die dichte Haarkleidanlage, welche wir auf dem vorigen Stadium constatiren konnten, hier geschwunden ist, oder vielmehr, dass an ihre Stelle die zahlreichen Epitheleinsenkungen treten, welche der Haut eine sammetige 43 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 43 Oberfläche verleihen. Die Anlagen eines dichten Haarkleides wandeln sich also bei Manatus in einfache Epitheleinsenkungen um, welche jedenfalls in erster Linie zur Befestigung der Epidermis in die Cutis dienen. Es sind also eigentlich gar keine Cutispapillen vorhanden, sondern nur Epidermiszapfen. Erst spät scheint auch ein actives Wachsthum der Cutis in die Epidermis einzutreten, indem das Bindegewebe zwischen zwei Epidermiszapfen nach oben wuchert und in die Epidermis eindringt. Am meisten verwischt ist der Charakter der Epidermiszapfen als rudimentäre Haaranlagen vorn am Kopf des Neonatus. Hier beginnen die Epitheleinsenkungen theils zusammen- zufliessen, theils wurzelförmig auseinanderzugehen, oder auch durch das active Einwuchern der Cutis verändert zu werden. Dennoch liegt kein Grund vor, für diese Epitheleinsenkungen eine andere Entstehung anzunehmen als für die des Körpers, nämlich aus Haaranlagen. 2. Das Integument von Halicore. Ueber das Integument von Halicore existiren folgende Mittheilungen. - RüPPELL!) (p. 102) schreibt von einem erwachsenen Thiere: „Die Haut des Körpers ist auf dem Rücken ganz glatt, am Bauch hat sie wenige schmale Längsrunzeln; sie ist durchaus mit ganz kurzen, I Zoll von einander stehenden, dünnen, aber steifen Borstenhaaren besetzt und diese Haare mangeln nur an den vorderen Extremitäten und an der Schwimmflosse des Schwanzes. Die Haut besteht äusserlich aus einer sehr dünnen, durchsichtigen Epidermis, dann kommt eine '/, Linie dicke Lage Zellstoff, welcher das farbige Pigment bildet, und die sich sehr leicht beim getödteten Thier hebt und von der eigentlichen Haut ablöst. Diese Lage besteht aus lauter dicht gedrängten verticalen Lamellen, die nach der Epidermis hin in eine glatte Oberfläche zusammenfliessen, nach innen aber ein ganz feines, zart anzufühlendes, netzförmiges Gewebe von dunkel schwarzgrauer Farbe bilden. Die nun folgende eigentliche Lederhaut besteht aus dicht verwebtem, etwas schwammigem Zellstoff, welcher über dem Rücken eine 9 Linien dicke Lage bildet; am Bauch ist die Haut kaum halb so dick. Dieser Zellstoff ist von milchweisser Farbe, in ihm sitzen die Wurzeln der Borstenhaare. Eine dünne Membran des farbigen Pigmentes umgiebt jedes "einzelne Haar bis zur Hälfte seiner Länge, die in der eigentlichen Haut steckt.“ Diese Beobachtungen hat auch Rapp?) (p. II3) seiner Beschreibung der Haut des Dugong zu Grunde gelegt. Wichtige neue Mittheilungen macht erst TURNER°) (p. 32I u. 325), der sowohl die Vertheilung der Haare am Kopfe eines erwachsenen Thieres beschreibt, wie auch die Haaranordnung an einem Embryo von 162,6 cm Länge. An letzterem fand er zerstreute seidige, 5—-Io mm lange Haare, die am Kopf und Körper zahlreicher waren als an den Brustflossen und am Schwanze. Am Rücken waren diese Haare in longitu- dinalen Reihen angeordnet. Feine schwarze Flecke in den Intervallen deutet TuRNER als Follikel feinerer Haare, die die Epidermis noch nicht durchbrochen haben. Zu meinen eigenen Untersuchungen übergehend, lege ich zunächst die Verhältnisse bei einem Embryo von 72 cm Rückenlänge zu Grunde. 2 Die Epidermis des Embryos ist von sehr dunkler Färbung, am Bauche braun, am Rücken blau- schwarz. Von Körperfalten fallen auf: die mediane Schnauzenfurche, die tiefen Furchenpaare, welche den vorderen Theil der Schnauze jederseits von dem Kopfe abtrennen, die sich aber auf der dorsalen Oberfläche nicht vereinigen, ferner ein paar Kinnfurchen, dann die Furche, welche sich durch Einsenkung der Vorder- ı) RÜPPELL, Beschreibung des im Rothen Meer vorkommenden Dugong (Halicore), Mus. Senckenb. I, 1332. 2) Rapp, Die Cetaceen, Stuttgart 1837. 3) Journ. ot Anat. and Physiol., 1894. 6* 4A Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen .an Sirenen. 44 extremität ausgebildet hat, hierauf eine Anzahl untiefer, transversal verlaufender Furchen auf der Bauchseite, die am Geschlechtsorgan beginnen und sich bis zur Schwanzwurzel hin erstrecken. Die Behaarung ist vorn an der Schnauze eine reichliche, sowohl am Öber- wie am Unterkiefer (siehe Abbild.). Wie bei Manatus, so finden sich auch beim Dugong an der Innenfläche der vorderen Unter- lippe starke, kurze Borsten vor, (und solche Borsten sehen wir auch an der Umbiegungsstelle der flachen vorderen Schnauzenfläche in die Innenseite der Oberlippen auftreten. Wie ich schon bei der Beschreibung der äusseren Körperform angegeben habe, sitzen die dicht gestellten, etwa 5 mm langen Haare der vorderen Schnauzenfläche in Gruben, die in der Mitte kleiner, durch Furchen getrennter Felder liegen. Am Kinn finden sich einzelne bis I cm lange, seidige Haare. Einen starken, nach innen vorspringenden Haarbesatz findet man am inneren Rande der hinteren Oberlippen (siehe Tafel V). Ueber den übrigen Körper sind die Haare ziemlich regelmässig zerstreut, durchschnittlich in Ab- ständen von 4-8 mm, und es macht keine Schwierigkeiten, eine Anordnung der Haare in longitudinale Reihen zu erkennen, besonders deutlich auf dem Rücken. Auch die Schwanzflosse zeigt einen gleichen Haarbesatz, ebenso die Oberseite der Brustflosse, nur deren Unterseiten besitzen eine viel spärlichere Behaarung. Jedes dieser Haare sitzt einem kleinen, aber sehr distincten, runden Tuberkel auf. Ausser diesen grösseren finden sich noch über den ganzen Rücken zerstreut die Anlagen kleinerer, zahlreicherer Haare, die ich als Mittelhaare bezeichnen will. Am Kopfe etwas weiter auseinanderstehend, treten sie am Rumpfe enger zusammen, stehen 0,5—I mm von einander entfernt und sind nur gelegentlich durchgebrochen. Fast durchweg documentiren sie sich als dunkle Punkte auf der Oberfläche. Die histologische Untersuchung ergab, dass wir hier wirklich, wie TURNER bereits vermuthete, Haaranlagen vor uns haben. Auf der Bauchseite fehlen sie fast völlig. Auf Querschnittserien sehe ich nun Folgendes. Die Asch grossen Haaranlagen weisen vorn am Kopfe den Bau von Sinus- haaren auf, mit wohlausgebildetem Schafte und kleinen rudi- mentären Talgdrüsen; die kleineren Mittelhaaranlagen haben bay? ee ganz ähnlichen Bau, auch sie sind tief in das Bindegewebe OREO Fon, BO eingesenkt und weisen eine-deutliche Papille, sowie einen dicken Haarbalg auf; der Haarschaft ist unten sehr distinct ausgebildet, je weiter wir nach oben kommen, um so weniger differenzirt erscheint er aber, wie auch die anderen Theile der Haaranlage undeutlich werden, und schliesslich sehen wir das Haar in einen Epithelzapfen eintreten, der sich von den benachbarten nur durch etwas stärkere Ausbildung auszeichnet (siehe Fig. 12). Je näher wir der Oberfläche kommen, einen um so rudimen- täreren Eindruck macht die Haaranlage. Es entsteht nunmehr die Frage, sind diese Haaranlagen homolog den rudimentären Beihaaranlagen der Manatus-Em- Fig. 12. Querschnitt durch die Rückenhaut eines bryonen? Wir hatten gesehen, dass bei Manatus-Embryonen Embryos von Halicore dugong. Stad. Il, Vergr. 192. chin Es ein ee mudimentären Fäarschaftet sich die rudimentären Beihaaranlagen in Epithelzapfen um- wandelten, solche Epithelzapfen haben wir aber auch bei Halicore und man könnte daher wohl die Epithelzapfen beider Typen als homolog ansehen. Dann würden die Mittelhaaranlagen bei Halicore nicht den Beihaaranlagen von Manatus-Embryonen entsprechen. 45 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 45 Dafür spricht auch die bedeutende Ausbildung, welche die kleineren Haare von Halicore erfahren haben. Sie sind tief in die Cutis eingepflanzt, und zeigen im wesentlichen den Bau der Haupthaare. Ich möchte somit bei Halicore zwei Arten von sich anlegenden Haaren annehmen, grössere, welche beim erwachsenen Thiere persistiren, und kleinere, zahlreichere, welche nicht durchbrechen. Ob bei Halicore auch noch ein dichtes Kleid von Beihaaren sich anlegt, das lässt sich an meinem Material nicht entscheiden. Wenn wir annehmen, dass auch bei Halicore jener Process der Umbildung der Beihaaranlagen in Epithelzapfen (und damit Pseudocutispapillen) stattgefunden hat, den wir bei Manatus gefunden haben, so zeigt dann Halicore eine entschiedene Weiterbildung dieses Processes. Sehen wir uns die Halicore-Haut, wie sie der vorliegende Embryo zeigt, näher daraufhin an, so bemerken wir, dass die Oberfläche der Epidermis nicht den Epitheleinsenkungen folgt, wie wir das bei Manatus beobachtet haben. Die Epitheleinsenkungen sind sämmtlich schief eingepflanzt, ihr Rete Malpighi ist von einer dichten Schicht von Pigmentzellen durchsetzt und auch in den höheren Schichten finden sich Pigmentanhäufungen um die Kerne der Zellen vor. Sehr reichlich finden sich stark verästelte Pigmentzellen auch in der Cutis vor, und zwar bilden sie etwas unter der Epidermis eine dünne Schicht und sind ferner noch besonders zahlreich an den Wandungen der Blutgefässe zu finden. Irgend welche Anhaltspunkte, dass die Epitheleinstülpungen umgewandelte Anlagen von Beihaaren sind, finden sich nicht, und von etwaigen Cutispapillen am Grunde der Einsenkung ist keine Spur zu sehen. Nur die Vergleichung mit der Haut von Manatus macht es uns wahrscheinlich, dass wir auch in den Epithel- zapfen von Halicore umgewandelte Anlagen von Haaren zu sehen haben. Vielleicht würden kleinere Embryonalstadien endgültige Aufschlüsse darüber bringen. Ueber den Bau der persistirenden grösseren Haare ist nichts Besonderes mitzutheilen, sie gleichen durchaus denen von Manatus. In gleicher Weise untersuchte ich auch die Haut der beiden grösseren Embryonen von Halicore von 99 und 162 cm Rückenlänge. Der Embryo von 99 cm Rückenlänge (Stadium III) zeigte ganz die gleiche Färbung wie der vorige Embryo, auch bei ihm ist die Unterseite braun, die Oberseite blauschwarz. Auch die Furchen wie die Anordnung der Haare sind die gleichen. Die durchgebrochenen Haupthaare erreichen die bedeutende Länge von 1,5 cm. Die dazwischen stehenden kleineren Mittelhaaranlagen sind nicht durch- gebrochen und documentiren sich äusserlich nur durch kleine, mit einer Grube versehene Papillen. Die Epidermis hat sich in weitem Umfange abgelöst und umgiebt besonders auf dem Rücken den Körper als lose Hülle. Dass wir hier ein durch die Conservirung erzeugtes Kunstproduct vor uns haben, ergiebt ohne weiteres die histologische Untersuchung, welche zeigt, dass die gesammte Epidermis inclusive Rete Malpighi sich abgehoben hat und nicht etwa nur die obere Schicht des Stratum corneum. An der Unterseite der abgelösten Epidermis sieht man die daran hängenden Haarbälge der grösseren und kleineren Haare, die eine Länge bis zu 2 mm haben. Eine genauere Betrachtung der Oberhaut zeigt uns ferner ein System von Furchen, die besonders an den Seiten in der Transversalrichtung verlaufen. Am hinteren Theile des Rückens finden sich daneben auch noch kurze longitudinale Furchen vor, und es entsteht dadurch der Anblick einer Felderung in kleine rechteckige oder quadratische Stücke, in deren Mitte sich jedesmal die Haarpapille erhebt. Bei Lupen- vergrösserung sieht man eine sehr feine, transversal verlaufende Liniirung der Oberhaut (Fig. TE Schnittserien durch die Haut zeigen keine wesentliche Weiterbildung gegenüber dem vorigen Stadium. Die Epithelzapfen haben etwa die gleiche Grösse, das Rete Malpighi ist mit Pigmentzellen durch- setzt, und verästelte Pigmentzellen finden sich auch zahlreich in der Cutis vor, besonders in der Wandung 46 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 46 von Blutgefässen, die sich etwas unter dem Epithel hinziehen. Ueber den Bau der Haare ist nichts Besonderes zu bemerken. Die Haut des grössten Embryos von 162 cm Rückenlänge überraschte zunächst durch ihre ganz abweichende, helle, blaugraue Färbung, die auf Bauch wie Rücken ungefähr die gleiche war. Diese Färbung stimmt überein mit der des erwachsenen Thieres, die an dem frisch getödteten Exemplare, welches RÜPPELL zur Untersuchung vorlag, als matt-bleigrau beschrieben wird. Damit aber documentirt sich eine auffällige Verschiedenheit gegenüber den kleineren Embryonen, welche eine sehr viel dunklere Hautfarbe aufweisen. Die Oberfläche zeigt in der Anordnung der Haare die gleichen Verhältnisse wie das vorige Stadium (siehe Fig. 14). Die Haupthaare stehen 2—3 cm von einander, sind nach hinten gerichtet und entspringen von Papillen, die etwa 2 mm lang, I mm breit sind. Die dazwischen liegenden kleineren Hautpapillen, welche in Längs- abständen von 3—5 mm stehen, in trans- versalem Abstand von durchschnittlich 3 mm, weisen niemals durchgebrochene Haare auf. Entweder sieht man einen schwarzen Fleck auf dem Gipfel des Tuberkeis, oder es findet sich hier ein Loch vor. Die kurzen Furchen, welche | wir vom vorigen Stadium beschrieben Fig. 13. Haut vom Rücken des Embryos von Halicore dugong von 99 cm Rückenlänge. Vergr. 4. Fig. 14. Haut vom Rücken des Embryos von Halicore dugong von 162 cm und treten als Risse auf, die, in nächster Rückenlänge. Nat. Gr. haben, sind hier viel weiter ausgebildet Nachbarschaft der grossen Haaranlagen gelegen auf dem Rücken longitudinal, an den Seiten transversal verlaufen. Die feine Liniirung der Ober- haut findet sich besonders an den Seiten vor, und ausserdem ist sie besetzt mit unregelmässig liegenden kleinen, körnigen Concretionen, die sich auch in einer den ganzen Körper bedeckenden weichen, schmierigen Masse von brauner Farbe wiederfinden. Sehr auffällig ist ferner die Thatsache, dass die durchgebrochenen Haupthaare sehr beträchtlich kleiner sind als in den jüngeren Embryonalstadien; ihre Länge schwankt zwischen 0,5 und I cm, während im vorhergehenden, sehr viel kleineren Stadium die Haare durchschnittlich 1,5 cm lang sind. Diese That- sache zusammen mit der anderen, dass die Pigmentirung der Haut bei kleineren Embryonen sehr stark, in vorliegendem Stadium aber sehr schwach ist, lassen den Schluss berechtigt erscheinen, dass es im Embryonal- leben zur theilweisen Abstossung der obersten Epidermisschichten und einem Wechsel der Haupthaare kommt, wenn ich auch directe Beweise dafür nicht zu erbringen vermag. Eine wesentliche Weiterentwickelung weisen die secundären Cutispapillen auf. Die Epidermis ist sehr viel dicker geworden. Während sie z. B. auf dem Rücken in Stadium II 0,19 mm dick war und in Stadium III ebenso, ist sie in vorliegendem Stadium um mehr als das Zehnfache gewachsen und hat eine Dicke von 1,I9 mm erreicht. Dieses Dickenwachsthum der Epidermis wird natürlich in erster Linie durch die Länge der Cutispapillen bedingt, die aber auch ein zweifelloses actives Wachsthum nach der Oberfläche zu aufweisen. Das ergiebt sich zunächst schon aus folgenden Maassen: Die Entfernung der Spitze der Cutispapille von der Oberfläche der Epidermis beträgt in Stadium II durchschnittlich 0,08 mm, in Stadium III 0,04 mm, in Stadium IV aber nur 0,02 mm, so dass also hier die Papillenspitze nicht nur relativ, sondern auch absolut näher an die Oberfläche gerückt ist als in den jüngeren Stadien. Ferner sieht man aber auch 47 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 47 das active Wachsthum der Papillenspitze daran, dass die umgebenden Epithelzellen in die Höhe geschoben sind und vielfach Ausbuchtungen an der Oberfläche zeigen (siehe Fig. 15). In die Cutispapillen hinein begeben sich bindegewebige Längsfaserzüge, die sich besonders an die Wände des Epithels anlegen, während die Mitte von hinaufziehenden Blutgefässen eingenommen wird. Die Pigmentirung des Epithels Fig. 15. ist-sehr viel weniger stark als in den jüngeren Stadien. Nur ganz ver- einzelt sieht man noch einzelne Pig- mentzellen zwischen den Zellen des Rete Malpighi, und zwar nur am unteren Ende der Epitheleinsenkun- gen liegen. Meist findet sich um den Kern der Retezellen herum ein Belag von Pigmentkörnchen, die auf der oberen Seite des Kernes eine Fig. 15. Querschnitt durch die Rücken- haut eines Embryos von Halicore dugong von 162 cm Rückenlänge. Vergr. 40. Kappe bilden. Das Stratum corneum i F 13 £ : i 4 al F stellt eine sehr dünne, aus nur wenigen Zellenlagen bestehende Fig. 16. Querschnitt durch die Rücken- haut eines Embryos von Halicore dugong von 162 cm Rückenlänge. Spitze einer Cutispapille. RK, Vergr. 240. Schicht dar. Die Hauptmasse der Epithelzellen wird von polygonalen Zellen gebildet, deren länglicher Kern mit seiner Längsaxe senkrecht 5 m zur Oberfläche steht. Bei stärkerer Vergrösserung sieht man die benachbarten Zellen durch fädige Gebilde verbunden und erhält einen ganz ähnlichen Anblick, wie ich ihn von der Epidermis von Cetaceen, besonders von Hyperoodon beschrieben habe (siehe Fig. 16). Ueberhaupt hat die Haut von Halicore in ihrem feineren Bau sehr grosse Aehnlichkeit mit der Cetaceen-Haut, besonders durch die ganz ähnliche Ausbildung der langen secundären Papillen. 3. Vergleichende Zusammenfassung. Durch die Anpassung an das Leben im Wasser hat die Haut der Sirenen viele und tiefgreifende Veränderungen erlitten. Am auffälligsten ist der Verlust des Haarkleides bis auf vereinzelt in Längsreihen stehende grössere, auf Tuberkeln sitzende Haupthaare. Im erwachsenen Zustande weisen Manatus und Halicore eine gleichmässige spärliche Behaarung auf bei grösseren Embryonen von Halicore sieht man zwischen diesen grösseren Haaren zahlreichere Anlagen kleinerer, die aber nicht zum Durchbruch kommen. Die Befestigung der Epidermis an das Corium geschieht durch sehr dicht stehende, hohe Cutis- papillen, ganz ebenso, wie wir das, nur in noch höherem Maasse, bei der Haut der Cetaceen sehen können. Die dadurch geschaffene sehr innige Verbindung von Epidermis und Cutis lässt sich als nothwendig be- greifen, wenn wir daran denken, dass durch die schnelle Vorwärtsbewegung im Wasser eine starke Reibung erzeugt wird, der eine nur locker mit der Cutis verbundene Epidermis nicht zu widerstehen vermöchte. Diese starke Reibung ist jedenfalls auch das äussere mechanische Moment, welches die Haare, bis auf wenige 48 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 48 besonders starke, zum Verschwinden gebracht hat. Das Verschwinden des dichten Haarkleides konnte bei den Sirenen wie bei den Walen um so eher erfolgen, als zum Ersatz für den dadurch mangelnden Wärme- schutz eine starke Speckschicht unter dem Corium zur Ausbildung kam. Die Cutispapillen, welche die Epidermis befestigen, sind nicht zu homologisiren mit den Cutis- papillen anderer Säugethiere, sondern secundäre Bildungen. Die Entwickelungsgeschichte der Manatus-Haut hat uns über deren Entstehung aufgeklärt. Danach erfolgt der erste Anstoss zu diesen Bildungen von der Epidermis aus. Die Epidermis verdickt sich zuerst durch äusserst zahlreiche locale Einwucherungen des Rete Malpighi in die Cutis. Diese Einwucherungen werden länger, und eine ihrem unteren Ende entgegenstrebende kleine Cutispapille, die seitlich in eine bindegewebige Umhüllung des Epidermiszapfens übergeht, zeigt deutlich, dass wir hier die Anlagen von Haaren vor uns haben. Wir erfahren also durch die Entwickelungsgeschichte der Manatus-Haut, dass es in der Embryonal- zeit ausser den später persistirenden Haupthaaren zur Anlage eines dichten Kleides von Beihaaren kommt, von denen ältere Stadien nichts mehr zeigen. Dennoch gehen diese rudimentären Haaranlagen nicht ver- loren, sondern wandeln sich um in dicht gedrängte Epithelzapfen, welche eine innige Verbindung mit der Cutis bewirken (siehe Fig. IT vom Neonatus von M. senegalensis). Erst jetzt beginnt auch an der Spitze der von dem Cutisgewebe angefüllten Zwischenräume ein actives Einwachsen in das Epithel, und damit die ' Bildung secundärer Cutispapillen. Die embryologischen Befunde an Manatus machen auch den Bau der Halicore-Haut verständlich, und wenn wir die bei Halicore vorhandenen Einwucherungen des Epithels in die Cutis mit den gleichen Einwucherungen bei Manatus homologisiren, so müssen wir auch für erstere die Herkunft aus einem ehe- maligen dichten Haarkleid annehmen. Vielleicht wird sich auch dereinst für Halicore der embryologische Beweis erbringen lassen. Die Verbindung von Epidermis und Cutis erfolgt also bei den Sirenen durch Epidermiseinwuche- rungen, für welche die letzten Reste eines ehemaligen dichten Haarkleides die Grundlage abgeben. Obgleich es mir an directen Beweisen fehlt, möchte ich aus vergleichend -anatomischen Gründen für die zahlreichen und hohen Einsenkungen der Cetaceen-Epidermis die gleiche Entstehung annehmen. Die innige Verbindung von Epidermis und Cutis durch gegenseitige Einwucherungen bei den stationären Wassersäugethieren wäre danach auf die Umwandlung des rudimentär werdenden dichten Haar- kleides in sich weiter fortbildende Epithelzapfen zurückzuführen. Diese Annahme erklärt auch die relativ späte Ausbildung der secundären Papillen. Was den Bau der persistirenden Haare anbetrifft, so sind dieselben sämmtlich als Haupthaare zu bezeichnen, die vorn am Kopfe zu typischen Sinushaaren werden. In allen Stadien der Entwickelung sieht man die Haaranlagen der Schnauze weiter ausgebildet als die des Rumpfes. Die Sirenen zeigen damit den Weg an, den auch die Rückbildung der Behaarung bei Bartenwalen und Zahnwalen genommen hat. Zuerst schwindet das dichte Haarkleid der Beihaare und wandelt sich in Epithelzapfen um, während die Haupthaare in grösserer (Halicore) oder geringerer (Manatus) Anzahl bestehen bleiben. Dann schwinden auch die Haupthaare allmählich und beschränken sich auf den Kopf (Barten- wale), dann auf die Oberlippe (Zahnwale), wo sie bei Erwachsenen vorkommen (Inia), oder nur noch embryonal (die grosse Mehrzahl der Odontoceten) oder endlich auch ganz fehlen (Beluya, Monodon). Ein ferneres charakteristisches Merkmal für das Integument der Sirenen ist das Fehlen der Schweissdrüsen. Bei erwachsenen Thieren fehlen sie völlig, und auch bei grösseren Embryonen habe ich nichts davon wahrgenommen. Nur bei einem kleineren Embryo von M. senegalensis fand ich ziemlich 49 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 49 tief herabgehende Wucherungen des Rete Malpighi in die Cutis hinein, die vielleicht als die rudimentären Anlagen von Schweissdrüsen zu deuten sind. Bei Bartenwalen wie Zahnwalen finden wir ebenfalls keine Spur von Schweissdrüsen, auch nicht in embryonalen Stadien, und diese Thatsache, dass bei diesen drei, phylogenetisch sicher nicht zusammenhängenden Gruppen stationärer Wasserthiere, den Sirenen, Barten- walen und Zahnwalen die Schweissdrüsen fehlen, lässt den Schluss berechtigt erscheinen, dass diese Convergenzerscheinung auf der gleichen Anpassung an das Leben im Wasser beruht. Talgdrüsen finden sich noch an den Sinushaaren von Embryonen, wenn auch in sehr schwacher Ausbildung vor, sie schwinden aber allem Anschein nach völlig, da der von mir untersuchte Neonatus von M. senegalensis kaum noch Spuren davon aufwies. Auch in dieser Hinsicht ist also die Haut der Sirenen noch nicht so weit rückgebildet wie die der Cetaceen, wo Talgdrüsen völlig fehlen. Dasselbe gilt für die Arrectores pili, die an den Sinushaaren der Cetaceen fehlen, bei den Sirenen aber noch deutlich vorhanden sind. Ueber die Pigmentirung der Sirenen-Haut ist zu bemerken, dass dieselbe auf dem Rücken stärker ist als auf dem Bauche. Bei den kleineren Embryonen lagen die theilweise verästelten Pigmentzellen im Rete Malpighi, sowie sehr zahlreich in der Cutis, besonders um die Wandungen der Blutgefässe herum; bei den grösseren waren sie aus der Cutis fast völlig verschwunden. Ausserdem trat schon bei grösseren Embryonen Pigment in den Epidermiszellen selbst auf, und zwar in Form kleiner Körnchen, welche kappen- förmig den Kern umgeben. Während die kleineren Embryonen sehr dunkel gefärbt sind, ist die Färbung bei grösseren, wie beim Erwachsenen heller, und dementsprechend sind auch die Pigmentzellen an Zahl zurückgetreten, und die Pigmentirung wird fast ausschliesslich durch die den Kern umgebenden Kappen von Körnchen bewirkt. Vergleichen wir die an der Haut der Sirenen gewonnenen Befunde mit denen der Cetaceen-Haut, so fällt uns die grosse Aehnlichkeit im Bau beider auf. Diese Aehnlichkeit gründet sich aber im Wesent- lichen auf negative Merkmale, Fehlen von Haaren und Drüsen, und nur die Ausbildung zahlreicher secun- därer Papillen ist beiden gemeinsam. Dass diese Papillen secundär sind, hat die Entwickelungsgeschichte gezeigt. Da an einen phylogenetischen Zusammenhang der Sirenen und der Cetaceen nicht zu denken ist, so haben wir im Bau der Haut weitgehende Convergenzerscheinungen zu sehen, die auf der gleichartigen Anpassung beruhen. Bei den Cetaceen sind aber die Umbildungen der Haut bereits weiter vorangeschritten als bei den Sirenen, und es liegt daher der Schluss nahe, in den Sirenen verhältnissmässig jüngere stationäre Wassersäugethiere zu erblicken, die sich zu einer Zeit ausbildeten, als bereits Bartenwale und die noch älteren Zahnwale existirten. KAPITEL IN. Die Entwickelung des Gebisses. Die Bezahnung der Sirenen ist schon oft Gegenstand eingehender Untersuchungen gewesen, und den Beschreibungen des fertigen Gebisses ist daher kaum noch etwas Neues hinzuzufügen. Von der Ent- wickelung des Sirenengebisses wissen wir aber noch fast gar nichts, und ich will daher in Nachfolgendem versuchen, diese Lücke, so weit es mein Material erlaubt, auszufüllen. Jenaische Denkschriften. VII. 7 Semon, Zoolog. Forschungsreisen. IV. 50 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 9, [®) I. Die Entwickelung des Gebisses von Manatus. Unter allen Säugethiergebissen nimmt das von Manatus eine Sonderstellung ein. Einmal besteht das Gebiss beim erwachsenen Thiere ausschliesslich aus Molaren, dann aber findet sich auch ein Process der Bildung immer neuer Zähne, unter Entfernung der unbrauchbar gewordenen, der in der Säugethierreihe einzig dasteht. Wie schon von Krauss!) richtig erkannt worden ist, findet eine unbegrenzte Vermehrung der Backzähne am hintersten Ende jeder Zahnreihe statt, und Hand in Hand damit geht eine Bewegung der Zahnreihen von vorn nach hinten derart, dass durch einen von hinten erfolgenden Druck auf der dem Drucke zugewandten Seite eine Resorption, auf der ihm abgewandten eine entsprechende Neubildung der Alveolarsepten erfolgt, und dass der jedesmalige vorderste Zahn nach einiger Zeit verdrängt wird und ausfällt. Auch beim Elephanten haben wir ja eine derartige Ausbildung von Backzähnen am hinteren Ende und Verschiebung nach vorn, doch ist in diesem Falle die Zahnzahl eine begrenzte, während bei Manatus die Zahl der sich neu anlegenden Zähne eine unbegrenzte ist, und ja auch schon die Zahl der gleich- zeitig functionirenden Backzähne eine sehr hohe ist und bis Io steigen kann. An erwachsenen Thieren sind diese Verhältnisse, wie auch die Form der Molaren bereits gründlich studirt worden; ich nenne nur die Arbeiten von CUVIEr ?), BLAINVILLE ?), STAannıust), BRANDT5), Krauss $), Lersıus?) und in neuerer Zeit die ausgezeichnete Bearbeitung, welche HARTLAUB®) gegeben hat. Deshalb sehe ich von einer erneuten Darstellung des fertigen Manatus-Gebisses ab, unter besonderem Hinweis auf die letzterwähnten Arbeiten. Die Frage dagegen, wie man sich die Herausbildung eines so sonderbaren Gebisses zu erklären hat, ist noch kaum berührt worden, und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen, welche diese Frage zu lösen geeignet sind, stehen noch aus. Was bis jetzt von der Entwickelung des Manatus- Gebisses bekannt ist, beschränkt sich fast ausschliesslich auf die Untersuchung an jungen Thieren. Immerhin ist auch dadurch bereits einiges erreicht worden. Es; ist von vornherein anzunehmen, dass die Untersuchung jüngerer Thiere uns mit Resten des beim Erwachsenen fehlenden vorderen Gebisses, der Schneidezähne, Eckzähne und Prämolaren bekannt machen wird, um so mehr, als sich ja beim Erwachsenen im Ober-, aber besonders im Unterkiefer Reste von Alveolen erkennen lassen. Namentlich an Schädeln von M. inunguis hat man diese Vertiefungen deutlich ausgeprägt gefunden, die im Unterkiefer zu 6 auf jeder Seite vorhanden sind. BLAINVILLE war der Erste, welcher Schneidezahnrudimente bei einem Manatenfötus auffand und zwar im Os intermaxillare. Diesen Zahn hat auch Srtannıus wieder aufgefunden und beschrieben. Er vergleicht ihn mit dem Milchstosszahn des Dugong, homologisirt ihn damit und schreibt dann weiter (p. 14): „Ausser diesem Zahne fand ich beim neugeborenen Manati noch einen zweiten, der kaum !/, Linie lang ist; er besitzt keine deutliche Wurzel, und seine Krone bildet 2 Zacken, eine längere und eine kürzere. Dieser kleine Zahn liegt an der vorderen Grenze des Zwischenkiefers und seines randartigen Saumes, in und durch letzteren versteckt, so dass er äusserst leicht übersehen werden oder verloren gehen kann.“ I) Krauss. Beiträge zur Osteologie des surinamischen Manatus. Archiv f. Anat. u. Phys., 1858, p. 4ıı u. f.; ibid. 1862, p. 422. 2) G. CUVIER, Sur l’osteologie du lamantin. Ann. du Mus. d’Hist. nat., T. XIII, 1809. 3) BLAINVILLE, Osteographie des Mammiferes, T. III, 1839—64. 4) W. STANNIUS, Beiträge zur Kenntniss des amerikanischen Manatus. Rostock 1840. 5) J. F. BRANDT, Symbolae Sirenologicae. M&m. Acad. Imp. St. Petersbourg, (Ser. 6) Scienc. natur., T. V, 1849; (Ser. 7) T. XII, 1869. 6) Krauss, Beiträge zur Osteologie des surin. Manatus. Arch. f. Anat. u. Physiol., 1858 u. 1862. 7) R. LEPSIUS, Halitherium Schinzi. Darmstadt 1882. 8) Cl. HARTLAUB, Beiträge zur Kenntniss der Manatus-Arten. Zool. Jahrb., 1886. 51 Vergleichend-anatomische und entwickelnngsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. SI Im Unterkiefer fand Stannıus bei seinem neugeborenen Manatus jederseits 5 ganz symmetrische Zahnlücken ohne Spuren von Zähnen, „eine 6. und hinterste jeder Seite enthält aber noch einen kleinen Schneidezahn, der aber vom Zahnfleische vollständig bedeckt wird und nie dasselbe zu durchbrechen scheint. Die Länge seiner Wurzel entspricht derjenigen der Krone; diese letztere ist von kegelförmiger Gestalt“ (p. 15). STANNIUS schliesst daraus, dass ursprünglich der Manatus in jedem Unterkieferaste 6 Schneidezähne besitzt, die das Zahnfleisch nicht durchbohren und früh verschwinden, am längsten soll sich das 6. Paar halten. Owen!) fand ein Paar Schneidezähne im Zwischenkiefer, VROLIK ?) (p. 71) dagegen nur einen ganz minimalen. Denselben Embryo hatte später MuRIE ?) zur Untersuchung vor und bestätigt VroLır’s Befund: „a tiny orifice indicated a premaxillary incisor“. Bei den beiden jungen Thieren, welche dieser Autor zu untersuchen Gelegenheit hatte, fand er ein Paar kleiner Zähnchen sowohl im Ober- wie Unterkiefer. Einen wesentlichen Fortschritt bildet die Untersuchung SPENGEL’s®), der an der rechten, bisher noch nicht untersuchten Kieferhälfte des Stannıus’schen Exemplares ausser dem bereits von STAnnıus beschriebenen grösseren hintersten Zahn 3 weitere Zähnchen entdeckte; nur in (resp. über) der ersten und dritten Alveole fehlten Zahngebilde, und SPENGEL führte dies darauf zurück, dass die zu den entsprechenden Alveolen gehörigen Hauttheile weggeschnitten waren. HARTLAUB, in dessen Arbeit die SPEnGEL’sche Mittheilung enthalten ist, fügt dem hinzu, dass die Zahl für die Schneidezähne eine ausserordentlich hohe wäre, und dass es vielleicht richtiger sei, den letzten Zahn als einen Caninus zu betrachten, um so mehr, als er einem imaginären Zahne des Oberkiefers und nicht des Zwischenkiefers gegenüberstehen würde. Schliesslich machen noch Howes und HARRISON) eine kurze Mittheilung, dass sie bei Manatus im Unterkiefer 5 Zähne gefunden hatten, von denen sie den letzten als Caninus ansehen. Zu meinen eigenen Untersuchungen übergehend, will ich mit der Beschreibung der Befunde an dem kleinsten Embryo von Manatus latirostris von 13,6 cm Rückenlänge beginnen. Der Kopf wurde in eine lückenlose Serie von Frontalschnitten zerlegt, so dass auch das gegenseitige Verhältniss der Zähne des Öber- wie Unterkiefers untersucht werden konnte. Eine kurze Darstellung habe ich bereits im Anat. An- zeiger ®) gegeben. Beginnen wir mit der Bezahnung des Oberkiefers, so sehen wir, dass mit dem Beginn des Erscheinens der Zwischenkieferanlagen auch die erste Zahnanlage auftritt. Diese, den ersten Incisivus des Oberkiefers repräsentirende Zahnanlage steht auf dem kappenförmigen Stadium und weist eine deutliche Einbuchtung ihres inneren Schmelzepithels auf, dem eine Vermehrung der Cutiszellen als erste Anlage einer Zahnpapille entspricht. Eine beginnende concentrische Lagerung der umgebenden Bindegewebszellen ist als erste Anlage des Zahnsäckchens aufzufassen. Ausser dieser die Zahnanlage bildenden Epithelmasse sieht man noch auf den vorhergehenden Schnitten eine nach innen von ihr verlaufende dicke Zahnleiste, die in das Mundhöhlenepithel einmündet; die Zahnanlage gehört demzufolge zur ersten Dentition. (In meiner kurzen Darstellung im Anat. Anz. steht irrthümlich, dass das freie Ende der Zahnleiste nach aussen von der Zahnanlage liegt, es muss selbstverständlich heissen: nach innen.) ı) Owen, Odontography, 1840°—45, p. 371, Plate 96, Fig. ra. A I j 2) W. VROLIK, Bijdrage tot de Natuur- en Ontleedkundige Kennis van den Manatus americanus. Bijdr. tot de Dierk., Ba. I, 1851. 3) J. MuRIE, On the form and structure of the Manatee. Transact. Zool. Soc. London, Vol. VII, Part III, 1572, p. 143. 4) In HARTLAUB, Zool. Jahrb. 1886, p. 68. ; A 5) HowEs and HARRISON, On the skeleton and teeth of the Australian Dugong. Rep. Brit. Assoc. Adv. of Science, 1892, pP. 790. 6) Zur Entwickelungsgeschichte des Gebisses von Manatus. Anat. Anz., 1890. 7* 52 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 52 Ferner findet sich auch noch eine in der Auflösung begriffene Epithelmasse (siehe Fig. 17 Pza.) labialwärts von der Zahnanlage, die durch einen kurzen Strang ebenfalls mit dem obersten Theile der Zahnleiste verbunden ist. So rudimentär das Gebilde ist, so lässt es sich seiner Lage nach doch nur als letzter Rest einer prälactealen Anlage auffassen. Zwei Einkerbungen sind es, welche das Mundhöhlenepithel bildet, eine äussere, die Lippenfurche, und eine innere, die Zahnfurche. Nach der Bildung der Anlage des ersten Incisivus ist von einer Zahnleiste nichts mehr zu sehen, und die Anlage des zweiten Incisivus entspringt direct von dem Mund- höhlenepithel in der Tiefe der Zahnfurche. Diese Anlage ist viel kleiner als die vorhergehende und beschränkt sich auf eine kolbenförmige Epitheleinsenkung (siehe Fig. 18), ebenso wie die kurz darauf erscheinende Anlage des dritten Incisivus (siehe Fig. 19). FT En en Zar SER: Fig. 17. Querschnitt durch die Anlage des ersten Schneidezahns im Oberkiefer des Embryos von Manatus latirostris von 13,6 cm Rückenlänge. Vergr. 240. Za Zahnanlage. Zp Zahnpapille. Pxa prälacteale Epithelmasse. Fig. 18. Querschnitt durch die erste Anlage des zweiten Schneidezahnes im Oberkiefer des Embryos von M. latirostris von 13,6 cm Rückenlänge. Vergr. 50. Za Zahnanlage. Zf Zahnfurche. L/ Lippenfurche. Fig. 19. Querschnitt durch die erste Anlage des dritten Schneidezahnes vom Oberkiefer desselben Embryos. Vergr. 50. Es legen sich also im Öberkiefer und zwar in der Region des Zwischenkiefers 3 Zahnanlagen an, von denen die erste die relativ grösste ist. In beiden Kieferhälften fand sich das gleiche Verhalten vor. Hinter der Anlage des dritten Incisivus ist nun auf eine weite Strecke hin nichts mehr zu bemerken, weder von Zahnanlagen noch von einer Zahnleiste, bis zur Region der Backzahnanlagen. Bevor wir nun zur Schilderung dieser übergehen, wird es vortheilhafter sein, auch noch den Unter- kiefer in Bezug auf seine vorderen Zahnanlagen zu untersuchen. Kurz hinter der ersten Schneidezahnanlage des Oberkiefers tritt auch im Unterkiefer die erste Zahnanlage auf. Zuerst wird eine sich schräg nach innen einsenkende, starke Zahnleiste sichtbar, dann tritt labialwärts und unter ihr die Zahnanlage auf: eine compacte Epithelmasse von ansehnlicher Grösse. Durch seitliche labiale Sprossen steht die Zahnleiste mit ihr in Zusammenhang (siehe Fig. 20). Auf dem abgebildeten Querschnitt ist noch nichts von einer Zahnpapille zu sehen, diese findet sich erst weiter hinten vor, und dringt von hinten nach vorn in den Schmelzkeim ein, so dass also schon aus dieser allerersten Anlage hervorgeht, dass der fertige Zahn schräg nach vorn gerichtet sein wird. Interessant war es mir, dass, wie bei der gleichen Zahnanlage im Oberkiefer, so auch hier sich von der Zahnleiste ein kurzer, compacter Epithelstrang abzweigt, der labialwärts von der Zahnanlage liegt und einen prälactealen Rest darstellt. Die Zahnleiste persistirt nunmehr bis zur nächsten Zahnanlage als kurzer, massiger Strang, im Gegensatz zu der gleichen Strecke des Oberkiefers, wo sie völlig geschwunden war. Die Anlage des zweiten Ineisivus liegt labial von ihr, gehört also wie die vorige Anlage der ersten Dentition an. Ein wenig kleiner 53 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 53 in ihrer Anlage, weist sie doch die gleiche Organisationshöhe auf, auch hier findet sich eine von hinten nach vorn sich einstülpende Zahnpapille vor, so dass auf dem Querschnitt (Fig. 21) die Zahnpapille mitten im Schmelzkeim liest. EEE ER Fig. 20. Erste Schneidezahnanlage des Unterkiefers vom gleichen Embryo. Vergr. 50. Za Zahnanlage. ZI! Zahnleiste. Sy Fig. 21. Zweite Schneidezahnanlage des Unterkiefers vom gleichen Embryo. Vergr. 50. Fig. 22. Dritte Schneidezahnanlage des Unterkiefers vom gleichen Embryo. Vergr. 50. Auch auf der folgenden Strecke persistirt die Zahnleiste, wenn auch beträchtlich schwächer, und liefert auf ihrer labialen Seite die Anlage des dritten Incisivus. Diese ist beträchtlich zurückgeblieben (siehe Fig. 22) und liegt dicht unter dem hier etwas verdickten Mundhöhlenepithel, als eine schräg nach innen gelagerte Epithelmasse, in der es noch nicht zur Ausbildung des kappenförmigen Stadiums ge- kommen ist. Diese 3 soeben beschriebenen Zahnanlagen des Unterkiefers entsprechen ihrer Lage nach den 3 Schneidezahnanlagen des Oberkiefers und liegen nur wenig weiter nach hinten verschoben. Sie sind also ebenfalls wie die oberen als Schneidezahnanlagen aufzufassen. Während sich nun im Oberkiefer auf der weiten Strecke bis zu dem ersten Molaren keinerlei Zahn- anlagen vorfanden, ja sogar die Zahnleiste vollkommen geschwunden war, sehen wir im Unterkiefer auf der gleichen Strecke weitere Zahnanlagen auftreten. Auf den dritten Incisivus folgt zunächst ein grösserer Zwischenraum. Die sehr schmale und kurze Zahnleiste liegt dicht unter dem Mundhöhlenepithel als ein continuirlicher Strang. Die nunmehr erscheinende Zahnanlage weist in ihrem Bau mancherlei Unterschiede von den vorher- gehenden auf. Wie diese, liegt sie auch dicht unter dem Mundhöhlenepithel, mit der Spitze der Papille nach vorn und innen gerichtet. Ihre Ausbildung ist höher als die der vorhergehenden Anlagen. Das innere Schmelzepithel ist zu einem hohen Cylinderepithel geworden, und die Form der Zahnpapille ist sehr eigenthümlich, indem sie in der Mitte eingeschnürt wird, und in eine feine Spitze ausgezogen erscheint, welche auf dem breiteren, glockenförmigen unteren Theile aufsitzt. Das äussere Schmelzepithel besteht aus cubischen Zellen mit sich stark färbenden Kernen. Eine Lockerung der zwischen innerem und äusserem Schmelzepithel liegenden Zellen ist der erste Beginn zur Ausbildung einer Schmelzpulpa. Dass diese Zahnanlage der ersten Dentition zugehört, lässt sich daraus erkennen, dass lingual von ihr die Zahnleiste mit einem kurzen, kolbig angeschwollenen Ende liegt (Fig. 23 ZI.). Diese Zahnanlage fasse ich auf als die Anlage des unteren Eckzahnes und stütze mich dabei nicht nur auf die eigenthümliche eckzahnähnliche Form, sondern besonders auf die Thatsache, dass im Oberkiefer kurz hinter der dieser Zahnanlage entsprechenden Stelle der Zwischenkiefer an der Mundhöhlen- begrenzung durch das Os maxillare verdrängt wird. 54 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 54 Erwähnenswerth ist noch, dass das über dieser Zahnanlage liegende Mundhöhlenepithel nur 2 Zellen- lagen des Stratum corneum aufzuweisen hat, also sehr dünn geworden ist, während es etwas labialwärts davon zu einer ansehnlichen Verdickung anschwillt. Die bestehen bleibende Zahnleiste sendet labialwärts kurze Ausläufer aus, und bald hinter der Eck- zahnanlage kommt es zur Anlage des ersten Prämolaren (Fig. 24). Auch hier ist lingualwärts die Zahnleiste mit einem kurzen, freien Ende sichtbar. Die Anlage steht auf dem glockenförmigen Stadium, die Zahn- papille ist ziemlich breit, zur Differenzirung in einzelne Höcker ist es aber nicht gekommen. Auf der nun folgenden Strecke sendet die kräftig bestehen bleibende Zahnleiste labialwärts zahlreiche sich netzförmig auflösende Ausläufer aus und bildet dann an ihrer labialen Seite den zweiten Prä- molaren. Wir sehen das freie Zahnleistenende kurze Zeit lingual von der Zahnanlage bestehen und dann in deren linguale Wand eintreten. Dass wir hier wirklich einen Prämolaren vor uns haben, zeigt unwider- leglich die Anlage zweier Zahnpapillen, einer kleineren labialen (Zpla in Fig. 25) und einer grösseren lingualen (Zpli). Ausserdem findet sich noch labial von der Zahnanlage und in Folge ihrer schräg nach vorn und innen gehenden Lagerung nach oben von ihr ein vom oberen Theil der Zahnleiste abgehender Strang, der von mir als prälactealer Strang (Pza) bezeichnet worden ist. Fig. 23. et Fig. 25. Zpla Zpli RE Fr - Es : - ‚3 REN a ine 7 Sy Nnoden,; - ” K/7PE "em {D w FISRER BR ne es ade LT So Rat 902 Fig. 23. Frontalschnitt durch den Eckzahn des Unterkiefers. Vergr. 130. Seha Aeusseres Schmelzepithel. Schp Schmelz- pulpa. Schi Inneres Schmelzepithel. Fig. 24. Erster Prämolar des Unterkiefers von demselben Embryo. Vergr. 50. Fig. 25. Frontalschnitt durch den zweiten Prämolaren der anderen Unterkieferseite. Vergr. 50. Aus dieser von mir als zweiter Prämolar gedeuteten Anlage geht jedenfalls der rudimentäre Zahn hervor, den STANNIUS bei seinem jungen Thiere als sechsten Schneidezahn beschrieben hat, und der sich auch nach SPENGEL’s Untersuchung vor den vor ihm liegenden durch seine bedeutende Grösse auszeichnet. Weitere Zahnanlagen finden sich auf eine längere Strecke hin nicht vor. Die Zahnleiste lässt sich aber deutlich als ununterbrochener, kurzer Strang weiter nach hinten verfolgen. An einer Stelle schwillt sie nochmals zu einer kleinen, rudimentären Zahnanlage, dem dritten Prämolaren, an (Fig. 26). Ueberblicken wir die sämmtlichen bis jetzt gefundenen Zahnanlagen noch einmal, so ergiebt sich, dass die drei Schneidezahnanlagen des Oberkiefers sehr schwach und rudimentär entwickelt sind, die des Unterkiefers dagegen stärker. Es finden sich im Unterkiefer nicht, wie man bis dahin annahm, 6 (nach HARTLAUB 5) Schneide- zahnanlagen vor, sondern nur 3. Die beiden Anlagen 5 und 6 sind ihrer Lage, wie ihrem Bau nach als Prämolaren zu bezeichnen, der merkwürdige spitze Zahn 4 als eine Eckzahnanlage. 55 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 55 Aus diesen entwickelungsgeschichtlichen Thatsachen ergiebt sich, dass die Vorfahren von Manatus, ausser den bleibenden Backzähnen, ein Gebiss gehabt haben, welches im Unterkiefer 3 Schneidezähne, ı Eckzahn und mindestens 3 Prämolaren besass. Aus der Reihenfolge des Verschwindens in der embryonalen Entwickelung lässt sich schliessen, dass stammesgeschichtlich zuerst Eckzahn und Prämolaren des Oberkiefers reducirt worden sind, und dass dann die Incisiven folgten, dass es also unter den Vorfahren von Manatus solche gegeben hat, deren vorderes Gebiss nur im Unterkiefer vorhanden, im Oberkiefer geschwunden war. Im Unterkiefer wurde zuerst der dritte Prämolar rudimentär (ob weitere Prämolaren existirt haben, davon giebt die Entwickelungsgeschichte keine Kunde), dann folgten die anderen vorderen Zähne, am längsten erhielt sich, der Grösse des Rudimentes nach zu urtheilen, der Eckzahn und der zweite Prämolar. Die aus dieser entwickelungsgeschichtlichen Untersuchung gewonnenen Resultate stehen in bestem Einklang mit den Thatsachen der Paläontologie. So nimmt ZırTeL (Handb. d. Paläontologie, Bd. IV, p. 202) an, dass die Lamantine möglicherweise aus Prorastomus ähnlichen Vorläufern hervorgegangen seien, diese alte, aus dem Eocän bekannte Gattung hat aber ein Gebiss besessen mit 3 Incisiven, I Caninus und 4 oder 5 Prämolaren ausser 3 oder 4 Molaren, auf jeder Seite des Oberkiefers wie Unterkiefers. Das würde ungefähr den embryologischen Befunden entsprechen, besonders im Unterkiefer, während im Oberkiefer Caninen und Prämolaren auch auf so frühen Stadien der Entwickelung nicht mehr angelegt werden. Der Entwickelung der Backzähne, soweit sie sich aus dem vorliegenden frühen Stadium ergründen lässt, möchte ich einen eigenen Abschnitt widmen, da wir hier ein Verhalten antreffen, welches für die Auffassung der Säugethierbackzähne überhaupt von grosser Bedeutung ist. Der Befund ist folgender: Auf die Anlage des dritten Schneidezahnes folgt im Oberkiefer eine I,;5 mm lange, zahnlose Strecke. Auch die Zahnleiste fehlt an der vorderen Hälfte dieser Strecke, Fig. 26. Anlage des dritten Prämolaren im Unter- kiefer desselben Embryos. Vergr. 50. scheinen und, allmählich kräftiger werdend, dem ersten Fig. 27. Erste Backzahnanlage im Oberkiefer des gleichen Embryos. Vergr. 50. um alsdann schwach in. netzförmiger Auflösung zu er- Backzahn den Ursprung zu geben. Die Anlage steht auf dem kappenförmigen Stadium, das innere Schmelzepithel weist bereits höhere cylindrische Zellen auf, und die intermediären Zellen beginnen zur Bildung der Schmelzpulpa auseinanderzuweichen. Die breite Papille sitzt einem halbkreisförmig angelegten, verdichteten Bindegewebe, der ersten Anlage des Zahn- säckchens, auf, hat aber noch kein Dentin aufzuweisen, wie auch der Schmelz noch fehlt. Die Zahnleiste endigt auf einer Strecke hin in einem freien, kolbig abgerundeten Ende, welches lingualwärts von der Zahnanlage liegt, so dass letztere der ersten Dentition zugerechnet werden muss. Labialwärts geht von der Zahnleiste ein kurzer prälactealer Strang ab (Fig. 27). Auf der nächstfolgenden Strecke persistirt die Zahnleiste und giebt labialwärts kurze Ausläufer ab. Die zweite Backzahnanlage ist bedeutend grösser und weiter entwickelt. Die Entwickelung der Schmelzpulpa ist weit vorangeschritten, die Papille ist oben breit, und aus dem Contour des inneren Schmelz- epithels lässt sich erkennen, dass sich bereits 2 Höcker anzulegen beginnen. 56 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 56 Die Zahnleiste besitzt auf der ganzen Breite der Zahnanlage ein freies, kolbenförmiges Ende, welches lingual von der Zahnanlage gelegen und durch eine schmale bindegewebige Brücke von ihr getrennt ist. Am hinteren Zahnende sieht man, wie das Zahnleistenende durch eine Aussprossung sich gabelt. Die Zahn- anlage gehört demnach zur ersten Dentition. Eine sehr auffällige Erscheinung ist ein Epithelstrang, der kurz unter dem Mundhöhlenepithel sich labialwärts von der Zahnleiste abzweigt und sich durch das Bindegewebe zur labialen Seite der Zahnanlage hinzieht. Fig. 28 zeigt aufs deutlichste, wie dieser Epithelstrang in die labiale Wand der Zahnanlage eintritt, und wie er einen kleinen Vorsprung bildet (Pza). Dass die Verschmelzung der Zellen dieses Stranges mit den Zellen der Zahnanlage nicht vollkommen vollzogen ist, erkennt man daraus, dass sich zwischen ihm und der Zahnanlage eine Lücke befindet. Noch deutlicher wird dies in Fig. 29 an einem etwas dahinter gelegenen Frontalschnitt, hier zeigt sich der labiale Epithelstrang noch der Wandung der Zahnanlage angelagert, ohne irgend welche Verschmelzung. Fig. 28. Fig. 29. Pxa nn, TEE IT re PER ER Er - Fu Fig. 28. Frontalschnitt durch die labiale Seite des zweiten Backzahnes des Oberkiefers. Vergr. 40. Fig. 29. Frontalschnitt durch den zweiten Back- zahn des Oberkiefers. Vergr. 40. Als was ist nun dieser Epithelstrang aufzufassen ? Wir können ihn nur als die Anlage einer prälactealen Dentition ansehen, die aber mit der zur ersten Dentition gehörigen Zahnanlage zu verschmelzen im Begriffe steht. Wir haben also hier eine Back- zahnanlage vor uns, die aus zwei verschmelzenden Dentitionen besteht, der prälactealen und ersten, von denen die erstere die labiale Wand des Schmelzkeimes der Zahnanlage zu bilden im Begriffe ist. Ausdrücklich möchte ich schon hier betonen, dass ich die Frage noch offen lasse, ob das freie Zahn- leistenende die Elemente zur Bildung der zweiten oder nicht schon vielmehr der dritten Dentition in sich enthält, und nur erwähnen, dass sich an einer Stelle von der Zahnleiste ein Strang abzweigt, der in die linguale Wand der Zahnanlage eintritt. Die Berechtigung zu letzterer Auffassung wird sich später ergeben. Auf der nun folgenden Strecke erscheint die Zahnleiste sehr kräftig entwickelt und giebt eine grössere Anzahl kurzer seitlicher Sprossen ab, die sämmtlich labial liegen (Fig. 30). Kein einziger dieser Sprossen geht merkwürdigerweise zur lingualen Seite. Man könnte die Zahnleiste auf dieser Strecke mit der Selachier-Zahnleiste vergleichen, an der sich eine Anzahl von Zähnen angelegt hat. 57 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 57 Die Anlage des dritten Backzahnes ist kleiner als die vorhergehende (Fig. 31). Die Zahnleiste tritt bald vollkommen in die mediane Wand der Zahnanlage ein, ohne die Spur eines freien Endes zu zeigen. Wie in der Anlage des zweiten Backzahnes, so tritt auch hier labialwärts zu der eigentlichen Zahnanlage noch eine Epithelmasse hinzu, deren Verbindung mit der Zahnleiste nur im oberen Theile noch erhalten ist. Auch hier haben wir es also mit einer prälactealen Zahnanlage zu thun, die mit der Anlage der ersten Dentition zu einem einheitlichen Zahngebilde verschmilzt. Die Verschmelzung ist hier viel weiter voran- geschritten, doch zeigt sich die prälacteale Anlage noch als kolbenförmige Auftreibung auf der labialen Seite des inneren Schmelzepithels. Zwischen dieser Epithelmasse und der Zahnanlage erster Dentition liegt also eine Einkerbung, die spitz zuläuft. Das innere Schmelzepithel hat im Bereiche dieser Einkerbung eine Veränderung erfahren, indem sich hier ein hohes Cylinderepithel gebildet hat, indem es also zur Ausbildung von Schmelzzellen gekommen ist. Es zeigt sich nun, dass neben der grossen Papille, lateralwärts von ihr, eine kleinere entstanden ist, die in eben diese Einkerbung eindringt (siehe Fig. 31). Schon aus der Form der Einkerbung ergiebt sich, dass sie nur entstanden sein kann aus dem An- einanderlegen und theilweisen Verschmelzen zweier kolbenförmigen Epithelmassen, und dass sie nicht etwa ihr Dasein einer Einstülpung verdanken kann, hervorgerufen durch die eindringende kleine Papille. Hier haben wir einen schönen Beweis vor uns, dass das eigentlich Active bei der Bildung einer Zahnanlage nicht die Papille, sondern das Epithel ist, welches vorwuchert und die Papille umwächst. Ich bemerke noch, dass ich genau die gleichen Ver- Fig. 30. Fig. 31. hältnisse an der anderen Kieferhälfte auffand. Eine weitere Backzahnanlage findet sich nicht vor. Die Zahnleiste setzt sich als sehr compacter Strang noch weiter nach hinten fort, löst sich bald vom Mundhöhlenepithel vollständig los und verschwindet bald darauf. Wir gehen nun zur Betrachtung der Backzahnanlagen des Unterkiefers über: Die erste Backzahnanlage, welche bedeutend vor der ersten des Oberkiefers liegt, ist weniger weit entwickelt als die folgende, immerhin aber schon von beträchtlicher Grösse. Die Schmelzpulpa fängt an sich zu differenziren. Ein kurzes f ; : & freies Zahnleistenende ist lingual von der Zahnanlage deut- Fig. 30. Querschnitt durch die SE ö } 2 3 Zahnleiste des Oberkiefers zwischen A lich sichtbar, letztere gehört also zur ersten Dentition. Von „und 3. Molar. Vergr. 40. eh N den Resten einer prälactealen Dentition lassen sich noch _,Fig.31. Frontalschnitt durch den S;. z dritten Backzahn des OÖberkiefers. SEH % Spuren verfolgen in einem stark verästelten Epithelstrang, Vergr. 40. der auf der labialen Seite der Zahnanlage in dieselbe eintritt. Weiter entwickelt und grösser ist der zweite Backzahn. Was den Aufbau seines Schmelzorganes betrifft, so ist auf der labialen Seite die prälacteale Dentition in dasselbe mit einbezogen. Auf den vorderen Frontalschnitten kann man nämlich den netzartig aufgelösten prälactealen Strang verfolgen, wie er in die labiale Seite der eigentlichen Zahnanlage eintritt und wie sein Ende noch nicht völlig mit der letzteren verschmolzen ist, sondern sich sogar auf eine kurze Strecke noch als freier Strang erhält (siehe Fig. 32 und 33). Ebenso wie auf der labialen Seite sich der prälacteale Epithelstrang am Aufbau des Zahnes betheiligt, so auf der lingualen Seite die Zahnleiste. Jenaische Denkschriften. VII. 8 Semon, Zoolog. Forschungsreisen. IV. 58 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 58 Von vorn nach hinten fortschreitend, gewahren wir folgende Beziehungen von Zahnleiste und Zahn- anlage. Vorn zieht sich die Zahnleiste ganz frei parallel der lingualen Seite der Zahnanlage hin, um bald darauf auf der inneren Seite eine grössere Anzahl sich netzförmig verzweigender Aeste abzugeben, die mit der Zahnanlage in Verbindung treten. Das freie Zahnleistenende ist hier vorhanden, aber sehr kurz. Die Zahnleiste ist also hier mit der Zahnanlage in Verschmelzung begriffen. Fig. 32. Fig. 33. Das nächstfolgende Bild zeigt uns, wie die von der Zahnleiste stammende Epithel- masse (ZI,) sich wieder von der Zahnanlage zu trennen beginnt. man, SR = Re; Es tritt nämlich ein bald tiefer ES I” N S S_ Ss : werdender Spalt am unteren =] CAT es FIR lingualen Ende des Schmelz- - kernes auf, da, wo das äussere Schmelzepithel sich zu dem inneren umzuschlagen im Be- griffe steht. Deutlich sieht man nr noch die obere Masse des Zahn- Fig. 32 und 33. Frontalschnitte durch den zweiten Backzahn des Unterkiefers leistenepithels in Verband mit desselben Embryos. Vergr. 40. der Zahnanlage (Fig. 34). Gleichzeitig mit dieser Spaltung tritt auch seitlich lingualwärts von der Zahnpapille, aus ihrer Seite heraus- sprossend, eine kleine Papille auf, die ihrer Lage nach nur in den besprochenen Spalt gepasst haben kann, wenn auch in Folge der Conservirung zwischen Bindegewebe und Schmelzkeim ein bedeutender Zwischen- raum entstanden ist. Dass wir es hier nicht mit einer secundären Einbuchtung des Schmelzkeimes zu thun haben, sondern dass es in der That die Zahnleiste ist, welche sich hier an der Bildung des Zahnes betheiligt, ersehen wir aus den nächsten Abbildungen. Auf Fig. 35 ist der Spalt viel- tiefer gegangen, und die Zahnleistennatur der äusseren Zahnwandung tritt deutlich zu Tage. Fig. 34. Fig. 35. Fig. 36. Fig. 34, 35 und 36. Drei Frontalschnitte durch die lin- guale Seite der zweiten Back- zahnanlage. Vergr. 40. Auf dieser Abbildung sehen wir aber noch etwas anderes. Wir sehen lingualwärts ein zweites langes Zahnleistenende (Zl,) auftreten, das von dem zur Zahnanlage getretenen durch einen schmalen bindegewebigen Streifen getrennt ist. Dass beide Zahnleistenenden gemeinsamen Ursprungs sind, beweist Fig. 36. Mit dem Verschwinden der Zahnanlage tritt auch wieder nur eine einfache Zahnleiste auf. 59 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 59 Diese höchst merkwürdigen Beziehungen zwischen Zahnleiste und Zahnanlage treten auf beiden Seiten des Unterkiefers mit gleicher Deutlichkeit auf. Die Schlüsse, die wir daraus ziehen können, sind folgende: Es kommt zu einer Art Spaltung der Zahnleiste, derart, dass der der Zahnanlage genäherte Ast Zi, mit zur Bildung des Zahnes herangezogen wird. Vorliegendes Stadium ist insofern besonders günstig, als es zeigt, dass die Verschmelzung dieses Zahnleistenendes mit der Zahnanlage erst theilweise erfolgt ist. Eine vollkommene Verschmelzung tritt am unteren Ende gar nicht ein, sondern es bleibt zwischen Zahnleistenende und lingualem Rande der eigentlichen Zahnanlage eine Einkerbung, in welche eine seitliche, von der grossen Zahnpapille aussprossende kleinere Papille eintritt. | Was hat es aber nun mit dem inneren Aste der Zahnleiste für eine Bewandtniss? Wir haben gesehen, wie Reste der prälactealen Dentition in die labiale Wand der Zahnanlage eintreten; die eigent- liche Zahnanlage entspricht ihrer Beziehung zur Zahnleiste nach der ersten Dentition, dann kann aber der Zahnleistenfortsatz, der die mediane Wand der Zahnanlage zu bilden im Begriffe ist, nur den Epithelstrang für die zweite Dentition vorstellen, und das lingual gelegene freie Zahnleistenende würde eine dritte Dentition in potentia enthalten. Ich nehme demnach an, dass nicht weniger als drei auf einander folgende Dentitionen sich am Aufbau dieses Backzahnes betheiligen, und zwar wird die Hauptmasse von der ersten Dentition geliefert, mit deren labialer Wand die prälacteale verschmilzt, während die zweite Dentition keine vollkommene Verschmelzung eingeht, sondern durch Freilassen einer Spalte die Anlage einer lingualen Papille ermöglicht. Ausserdem findet sich noch ein freies Zahnleistenende und damit die Möglichkeit einer ferneren Dentition vor, Während im Oberkiefer durch das nur theilweise Verschmelzen der prälactealen Dentition mit der labialen Wand der ersten eine Einbuchtung des Schmelzorganes zu Stande kommt, welche die Ausbildung eines labialen Höckers veranlasst, ist umgekehrt im Unterkiefer die theilweise Verschmelzung des Zahn- leistenendes zweiter Dentition die Ursache der Bildung eines lingualen Höckers. Im Oberkiefer verschmilzt die Zahnleiste zweiter Dentition vollständiger, im Unterkiefer der Schmelzkeim der prälactealen Dentition. Auf die principielle Bedeutung dieser Befunde werde ich später zurückkommen. Nach Bildung des zweiten Unterkieferbackzahns persistirt die Zahnleiste als ansehnlicher, kurze labiale Aeste aussendender Strang, um kurz darauf dem dritten Backzahne den Ursprung zu geben. Die Anlage ist noch wenig differenzirt, die Schmelzpulpa noch nicht ausgebildet, und auch die Einbuchtungen zu 2 Papillen sind erst angedeutet. Die Zahnleiste weist hier kein freies Ende auf. Nun bleibt die Zahnleiste noch als ein mächtiges Gebilde bestehen und zieht sich, in stetem Zusammenhang mit dem Mundhöhlen- epithel, weiter nach hinten, um allmählich abzunehmen und endlich zu verschwinden. Die Zahnformel für den Embryo würde also lauten: > = Ein etwas vorgeschritteneres Stadium war der Embryo I von Manatus senegalensis von 29 cm Rückenlänge, dessen Gebissentwickelung ich gleichfalls studirte. Rechter Ober- und Unterkiefer wurden herausgeschnitten und in Serien von Querschnitten zerlegt. Im Oberkiefer lässt sich die Zahnleiste noch in der vor den Backzähnen gelegenen Region wahr- nehmen, jedoch in sehr rückgebildetem Zustande, als ein dünner, hier und da netzförmig aufgelöster Epithel- strang, dicht unter dem Kieferepithel gelegen. Von Schneidezahnanlagen habe ich nur eine auf dem kolbenförmigen Stadium stehende bemerkt, die dem bereits von STAannıus gesehenen, mit dem Milchstoss- zahn des Dugong verglichenen Zähnchen den Ursprung geben dürfte. In der hinteren, dem ersten Backzahn genäherten Hälfte sind 3 leichte Anschwellungen zu sehen, von denen die beiden hinteren zu Epithel- perlen umgewandelt sind. Ob wir hier die Reste dreier Prämolaranlagen haben, lässt sich natürlich nicht mit Sicherheit sagen, höchstens vermuthen. + 60 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 60 Die erste Backzahnanlage des Oberkiefers zeigt folgendes Verhalten. Die grosse Anlage des Schmelzkeimes besitzt eine wohlausgebildete Schmelzpulpa. Die einzelnen Höcker der Zahnpulpa sind in der Ausbildung begriffen, und zwar sind es ein etwas höherer mittlerer, ein flacherer lingualer und ein kleinerer labialer Höcker. Auch die transversale Furche, welche beim Backzahn des erwachsenen Thieres die Kronenoberfläche durchläuft, ist bereits angedeutet. Die Zahnleiste setzt sich lingualwärts und etwas oberhalb der Zahnanlage fort, unter sehr starker Verästelung und Anschwellung der freien Enden. Doch ist irgend welche Anlage eines Ersatzzahnes nicht zu bemerken. Die Verbindung mit dem Schmelzkeim erfolgt im Scheitel desselben, durch breite Epithel- massen. An dieser Stelle wuchert das äussere Epithel des Schmelzkeims in vielen kurzen Fortsätzen nach aussen, ein Verhalten, das eine kurze Strecke weit auch auf der labialen Seite des Schmelzkeimes beobachtet werden kann. Auf der zwischen erster und zweiter Backzahnanlage folgenden Strecke nimmt die Intensität der Zahnleistenentwickelung stark ab, um aber in der Region der zweiten Backzahnlage wieder zuzunehmen. Diese Anlage steht auf einer höheren Stufe der Ausbildung als die vorhergehende. Auf den Gipfeln der eine gleiche Anordnung wie beim vorhergehenden Zahn einnehmenden Höcker haben sich Dentinscherbchen abgelagert, Schmelz ist ebenfalls zur Ausbildung gekommen, und Schmelzpulpa wie äusseres Schmelz- epithel zeigen sich bereits in Rückbildung begriffen. Auch hier findet sich lingualwärts die freie, stark netzförmig aufgelöste Zahnleiste vor. Gehen wir zu den Verhältnissen des Unterkiefers über, so sehen wir Folgendes: Die Zahn- leiste beginnt als ein flacher, unverzweigter Strang, der sich ziemlich dicht unter dem Kieferepithel nach hinten zieht. Die Anlage des ersten Schneidezahnes ist wohl ausgebildet (Fig. 37). Sie charakterisirt sich besonders dadurch, dass der Schmelz- keim die bindegewebige Papille vollkommen umwachsen und damit ein- geschlossen hat. Dieser Process weist darauf hin, dass eine normale Entwickelung des Zahnes nicht mehr stattfinden kann. Auf dem Querschnitt erscheint das Schmelzorgan als ein Ring, gebildet von gleichmässig dichten Epithelzellen, ringsherum an seiner äusseren ee Peripherie kurze Ausläufer aussendend und mit der Zahnleiste durch Fig. 37. Anlage des ersten Schneide- einen kräftigen Epithelstrang in Verbindung stehend. zahns im Unterkiefer des Embryos von Mamatus senegalensis (Stad. D. Vergr. 50. Lingualwärts von dieser Zahnanlage erstreckt sich die Zahn- leiste als ein ziemlich compacter Strang nach innen, und ihr freies Ende erscheint kolbig angeschwollen, so dass kein Zweifel darüber besteht, dass die Zahnanlage der ersten Dentition zugehört. Sehr viel kleiner ist die bald darauf folgende zweite Zahnanlage, deren Schmelzkeim eine flache Kappe darstellt, die durch einen ansehnlichen Epithelstrang mit der Zahnleiste in Verbindung steht. Die dritte Zahnanlage entspricht in ihrer Grösse und Gestalt wieder der ersten. Es folgt nun eine Strecke, auf der die Zahnleiste als compacte Lamelle ohne Zusammenhang mit dem Kieferepithel unter diesem liegt. Die nunmehr auftretende Zahnanlage, die vierte von vorn gerechnet, ist durchaus verschieden von den vorhergehenden. Ihre Ausbildung ist sehr viel weiter vorangeschritten, sie zeigt aber andererseits aufs deutlichste, dass sie einem regressiven Processe unterliegt. Wie Fig. 38 lehrt, liegt sie labial von der am Ende etwas kolbig angeschwollenen Zahnleiste, gehört also, wie die vorhergehenden, auch der ersten Den- 61 Vergleichend-anatomısche und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 61 tition an. Vom Schmelzorgan ist nicht mehr viel zu sehen, nur über dem Scheitel der Zahnanlage finden sich noch einzelne Schmelzzellen vor, während rings um den Zahn herum eine Umhüllung von faserigem Gewebe existirt (Fig. 39). Sehr weit vorangeschritten ist die Ausbildung des Dentins, welches in seinem Inneren nur noch schmale, mit Odontoblasten erfüllte Lücken übrig gelassen hat, die in ihrer Gesammtheit die Zahnpulpa darstellen. Die Form des Dentinkörpers ist eiförmig mit einem aufgesetzten abgerundeten oberen Theil; es entspricht diese Form im Grossen und Ganzen der des gleichen Zahnes, welchen ich bei Manatus latirostris als Eckzahn aufgefasst habe. Schon aus diesem Grunde möchte ich das vorliegende Zahngebilde auch als Eckzahn ansehen. Auch Schmelz ist zur Ausbildung gekommen, er liegt in dünner, etwas verschieden dicker Lage dem Dentin auf. FEH Sch - "= ın Fig. 38. Eckzahnanlage im Unterkiefer des Em- bryos von Manatus senegalensis (Stad. I). Vergr. 50. Fig. 39. Dieselbe Anlage wie Fig. 38. Vergr. 240. D Dentin. Scho Reste des Schmelzorgans. Seh Schmelz. Zp Zahnpulpa. Das ganze Zahngebilde macht den Eindruck, als ob seine Ausbildung im Wesentlichen abgeschlossen sei, und es einer regressiven Umbildung unterliege. Hinter dieser Eckzahnanlage erstreckt sich die Zahnleiste als plattenförmiger Epithelstrang weiter nach hinten. Zweimal noch geräth sie in lebhaftere Wucherung, und an beiden Stellen findet man labial- wärts von ihr und mit ihr zusammenhängend stark entwickelte Epithelperlen. Hinter diesen treten dann in etwa den gleichen Abständen zwei Zahnlagen auf, die eine ganz klein, mit einem flach-becherförmigen Schmelzkeim, die andere grösser, mit einem die Pulpa völlig umschliessenden Schmelzorgan. Die stark entwickelte Zahnleiste liegt lingualwärts von der Zahnanlage, so dass diese der ersten Dentition zugehört. Wir haben hier die Anlage von Prämolaren vor uns, und zwar würden wir, wenn wir die Epithelperlen als letzte Reste rudimentär gewordener Zahnanlagen auffassen, in der letzten Zahnanlage einen vierten Prämolar zu sehen haben. Lässt man indes die etwas vage Deutung der Epithel- perlen als Zahnrudimente nicht gelten, so wäre die letzte Zahnanlage ein zweiter Prämolar. Nach Bildung dieser letzten Zahnanlage nimmt die bis dahin plattenförmige Zahnleiste sehr schnell an Volumen ab und stellt sich bis zum ersten Backzahn nur noch als ein fadendünner Strang dar. Die Anlage des ersten Backzahnes weist ein Schmelzorgan von vollkommener Ausbildung auf. Die Schmelzpulpa ist im Inneren stark entwickelt. Es entstand nun die Frage, ob sich hier Bestandtheile des prälactealen Schmelzorganes vorfinden. Ein Blick auf Fig. 40 wird zeigen, dass das in der That der Fall ist. Auf der labialen Seite des grossen Schmelzorganes sehen wir nämlich eine aus Epithelzellen bestehende, 62 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 62 ziemlich ansehnliche Anschwellung, die nur zum Theil mit der grossen Anlage verschmolzen ist. Erst an einer kleinen Stelle beginnt die Umwandlung der ihr Inneres erfüllenden Zellen in Schmelzpulpazellen, bei weitem die überwiegende Masse zeigt noch den indifferenteren Zustand dicht an einander gelagerter, inter- stitieller Epithelzellen. Diese seitlich labial aufgelagerte Epithelmasse fasse ich auf als den noch unver- schmolzenen Theil des prälactealen Schmelzorganes. Sein Zusammenhang mit der Zahnleiste durch einen vielfach gewundenen Epithelstrang, der der labialen Wand der Zahnanlage aufliegt, lässt sich leicht verfolgen. Auf der lingualen Seite lagern dem äusseren Schmelzepithel des grossen Schmelzkeimes ebenfalls Reste starker Epithelstränge auf, die ich in ihrer Ge- sammtheit als Reste der weiter veränderten freien Zahn- leiste auffasse, die beim Embryo von Manatus lati- rostris die in Fig. 34 abgebildete Verschmelzung in die linguale Wand des Schmelzkeimes eingeht. Nur zeigt sich hier die Verschmelzung bedeutend weiter gediehen. Dass auch ausserdem noch eine freie Zahn- leiste existirt, beweist Fig. 40 ebenfalls. Die lingual- wärts von der Zahnanlage liegenden Stränge sind stark verästelt, und der am weitesten nach innen sich er- streckende Zweig ist an seinem freien Ende etwas kolbig angeschwollen. Wir sehen also in vorliegender Zahnanlage ein Fortschreiten des Verschmelzungsprocesses zwischen Fig. 40. Erste Backzahnanlage im Unterkiefer von Mana- dem Schmelzkeim der ersten Dentition, der prälac- tus senegalensis (Stad. I). Pxa Prälactealer Schmelzkeim. ZZ, ZI, die beiden Theile der Schmelzleiste. Zp Zahnpapille. tealen Detition und lingualwärts der freien Zahn- leiste, welche in potentia die zweite Dentition enthält, eintreten und erhalten damit einen neuen Beweis für meine Auffassung, dass die Backzähne im Wesentlichen der ersten Dentition zugehören, dass sich aber an dem Aufbau ihres Schmelzorganes prälacteale und zweite Dentition betheiligen. Zwischen erstem und zweitem Backzahn nimmt die Zahnleiste stark ab, um erst wieder lingualwärts von der Anlage des zweiten Backzahnes stark zu wuchern. Diese Anlage steht auf einer etwas vorge- schritteneren Stufe der Ausbildung. Die Odontoblasten der in die einzelnen Höcker differenzirten Pulpa haben bereits eine dünne continuirliche Schicht von Schmelz abgeschieden, und auch die Schmelzproduction bereitet sich vor. Am Schmelzorgan lässt sich nicht mehr mit Sicherheit das Eintreten der prälactealen Schmelzkeim- masse verfolgen, so dass wir eine vollkommene Verschmelzung annehmen müssen. Das Gleiche ist mit dem lingualen Zahnleistenende der Fall. Das Schmelzorgan weist bereits eine beginnende Reduction seiner Schmelzpulpa auf, rings um die Papille herum setzt es sich in dünner Lamelle bis zu deren Basis fort, so eine HErTwIG’sche Epithelscheide bildend. Mit dem Verschwinden dieser Zahnanlage tritt gleichzeitig darunter die Anlage des dritten Backzahnes auf, deren Grösse und Ausbildung hinter der vorhergehenden beträchtlich zurückbleibt. Auch bei dieser lässt-sich aufs deutlichste der Eintritt und das beginnende Verschmelzen der Epithelmassen von prälactealem Schmelzkeim und zweiter Dentition mit der labialen und lingualen Seite des grossen Schmelzkeimes verfolgen. Dicht dahinter liegt eine vierte, noch kleinere Zahnanlage, deren Schmelzkeim auf dem kappenförmigen Stadium steht, aber noch keine Schmelzpulpa gebildet hat. Die Zahnleiste setzt sich nur noch ein kurzes Stück weiter nach hinten fort, um dann zu verschwinden. 63 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 63 Ueberblicken wir die gewonnenen Resultate, so sehen wir in der Bildung der Backzähne eine Be- stätigung der am kleineren Embryo von Manatus latirostris gewonnenen Befunde. Auch hier erweist sich die Backzahnanlage als ein Verschmelzungsproduct dreier Dentitionen, von denen die mittlere dominirt. Im Oberkiefer waren unzweifelhafte Anlagen von Schneidezähnen, Eckzahn oder Prämolaren nicht zu bemerken. Im Unterkiefer dagegen fanden sich 3 Incisiven, I Caninus und mindestens 2 Prämolaren vor. Von Backzahnanlagen waren 4 vorhanden. Ferner liefert uns die Entwickelungsgeschichte den Nachweis, dass die grosse Anzahl von Molaren, welche wir beim erwachsenen Thiere finden, eine secundäre Erscheinung ist; beim kleinsten Embryo fanden wir nur 3 Molaren angelegt, beim nächst grösseren 4. Die angelegten Molaren sind bis auf den letzten so weit ausgebildet, sie liegen so nahe bei einander, und die Zahnleiste zwischen ihnen ist so rückgebildet, dass es ausgeschlossen ist, dass die ferneren Molaren sich zwischen ihnen bilden könnten. Die geringe Grösse und der tiefere Grad der Ausbildung des letzten Molaren zeigt uns, auf welche Weise allein die Zahnvermehrung zu Stande kommt, nämlich durch Ausbildung immer neuer Anlagen am Ende der Zahnleiste. Es ist dies ein Process, der schon aus der Vergleichung jüngerer und älterer Thiere erschlossen worden ist, und welcher hiermit seine Bestätigung auf Grund der Entwickelungsgeschichte erlangt. Fassen wir die über die Entstehung der Backzähne gemachten Beobachtungen zusammen, so ergiebt sich folgendes. An beiden Entwickelungsstadien hatten wir gesehen, dass die Backzähne in der Weise entstehen, dass die Hauptmasse des Schmelzorganes von der ersten Dentition geliefert wird, derselben, welche den Prämolaren den Ursprung giebt. Bei der Bildung der Molaren kommt aber noch hinzu, dass sowohl das Schmelzorgan der prälactealen Dentition wie die Epithelmasse der die zweite Dentition repräsentirenden freien Zahnleiste an die labiale resp. linguale Wandung herantreten und ganz oder theilweise mit dem Schmelzorgan erster Dentition verschmelzen. Wir hatten bei der Entwickelung der Molaren von Manatus gesehen, wie im Oberkiefer der prälacteale Schmelzkeim zur Ausbildung einer kleinen seitlichen Zahnpapille Veranlassung gab, im Unterkiefer dagegen das Zahnleistenende zweiter Dentition. Es liegt hier ein Bildungsmodus von Säugethierbackzähnen ganz klar vor uns. Drei Dentitionen nehmen daran Theil, die Hauptmasse wird von dem Schmelzkeim erster Dentition gebildet, an beiden Seiten betheiligt sich das Material für die prälacteale und die zweite Dentition. Ausserdem findet sich in einer freien, unverschmolzenen Zahnleiste das Material zu einer weiteren Dentition vor. Die Molaren gehören also dem Material ihres Schmelzkeimes nach zur selben Dentition wie die Prämolaren, also zur ersten, unterscheiden sich aber von ihnen dadurch, dass das Material für die zweite Dentition, welches bei den Prämolaren gesondert bleibt und dem Ersatzzahn den Ursprung giebt, bei den Molaren durch Verschmelzung mit dem Schmelzkeim erster Dentition mit in die Zahnanlage ein- bezogen wird; ebenso wie esin vorliegendem Falle mit den prälactealen Zahnanlagen der Fall ist. Damit scheint mir ein einwandsfreier Beweis für meine schon in früheren Publicationen ver- fochtene Ansicht geliefert zu sein, dass die Molaren der Säugethiere nicht ausschliesslich der ersten Dentition angehören, sondern auch noch durch Verschmelzung das Material der zweiten aufnehmen. In vorliegendem Falle tritt als weitere Componente auch noch der Schmelzkeim der prälactealen Dentition hinzu. Ferner erscheint es mir in vorliegendem Falle erwiesen, dass durch die theilweise Verschmelzung zunächst Einbuchtungen auf der Innenseite des Schmelzkeims entstehen, Einbuchtungen, in welche von der Zahnpapille aus neue Höcker hineinwachsen. 64 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 64 Hiermit scheint mir die Forderung erfüllt zu sein, welche LEcHeE stellte, dass eine Zahnanlage, aus mehreren ursprünglich getrennten Schmelzkeimen entstehend, nachgewiesen werden muss, wenn die Ver- schmelzungshypothese angenommen werden soll, wenn ich auch nicht verkenne, dass diese Schmelzkeime auf sehr verschiedener Höhe ihrer Organisation stehen. Gleichzeitig finden damit auch die von WıILson und Hırı') (Obs. upon the Development and Succession of teeth in Perameles etc., Quart. Journ. Micr. Science, Vol. 39, 1897, p. 572 u. f) gemachten Einwände ihre Erledigung. Wie in früheren Publicationen, so möchte ich auch hier wieder betonen, dass ich durchaus nicht die Verschmelzung als einzigen Factor für das Entstehen von Säugethierbackzähnen gelten lassen will, niemals habe ich daran gezweifelt, dass auch der Process der Differenzirung eine grosse Rolle bei der Ausbildung des Backzahnes spielt, und mit FÜRBRINGER?) bin ich der Ansicht, dass es erst durch weitere gründliche entwickelungsgeschichtliche und vergleichend-anatomische Forschungen in jedem einzelnen Falle entschieden werden muss, welche Rolle die Concrescenz und welche die Differenzirung gespielt hat. Nach wie vor stehe ich aber auf dem Standpunkte, dass in der Verschmelzung eines der wesent- lichsten Momente zur Bildung der Säugethierbackzähne existirt, und ich hoffe, dass ich, auch wenn ich das Wörtchen „wesentlichst“ nicht streiche, mich mit LECHE?) in Bezug auf die Auffassung der Entstehung der Säugethiermolaren werde einigen können. Auch den Embryo Stadium II von Manatus senegalensis untersuchte ich auf die Entwickelung seines Gebisses hin. Rechter Ober- wie Unterkiefer wurden herausgenommen und in Serien von Querschnitten zerlegt. RE Im Oberkiefer ist die Zahnleiste bis zu den Backzähnen hin N geschwunden, nur ganz vorn im Zwischenkiefer tritt sie auf eine kurze Strecke hin auf, und hier giebt sie einem wohl ausgebildeten Zahne den Ursprung. Von allen anderen vorderen Zahnanlagen der Lamantine unterscheidet sich die vorliegende durch ihre durchaus normale Aus- bildung. Dentin wie Schmelz sind bereits zur Ausbildung gekommen. Der Zahn hat eine spitz-conische Form und zeigt aufs deutlichste eine Differenzirung in Krone und Wurzel. Die Gestalt des Zahnes ist im Längsschnitt etwa die einer Pfeilspitze, indem die Krone der Wurzel sehr breit aufsitzt, sich scharf umschlagend. Der Schmelz folgt dieser Einbiegung ein Stück weit nach innen, und demgemäss sehen wir auch das Schmelzorgan, welches in seinem oberen Theile bereits rudimentär Fig. 41. Incisivus im Unterkiefer von geworden ist, sich nach innen umschlagen (siehe Fig. 41). Das gesammte a aereyatensis; Sad I. Verer 52. Zahngebilde hat etwa die Länge von !/, mm erreicht. ı) Es würde mir ganz unerfindlich sein, wie WILSON und HırL dazu kommen, die Existenz von prälactealen Anlagen bei Placentaliern in Abrede zu stellen, wenn nicht die von ihnen aufgestellte Theorie sie dazu nöthigte. Nach ihnen sind die prälac- tealen Anlagen bei den Marsupialiern nicht dieser, sondern der Milchdentition angehörig, das bleibende Gebiss also der zweiten Dentition. Diese Annahme ist natürlich unhaltbar in den Augen aller derjenigen Forscher, welche auch bei Placentaliern prälac- teale Anlagen nachgewiesen haben. 2) Morphol. Jahrb., 1895, p. 598. 3) Es sei mir hier gestattet, die irrthümliche Beurtheilung einer früher von mir gemachten Bemerkung, hoffentlich ein- für allemal, zurückzuweisen. In einer früheren Arbeit (Ueber den Ursprung und die Entwickelung der Säugethierzähne, Jen. Zeitschr., 1892, p. 477) hatte ich bei Besprechung des Robbengebisses angeführt, dass bei Phoca barbata durch starkes Abkauen der Zahn- kronen zahlreiche einhöckerige Stiftchen entstehen, die dem Gebiss ein homodontes Ansehen geben. THOMAS in seiner Be- sprechung dieser Arbeit (Notes on Dr. KÜKENTHAL’S discoveries in Mammalian dentition, Ann. and Magaz. of Nat. Hist., 1892, p- 308) fasste diese Bemerkung in dem Sinne auf, dass ich damit einen Beweis für die Entstehung homodonter Gebisse geben wollte, und in LECHE’s grossem Werke (Zur Entwickelungsgeschichte des Zahnsystems der Säugethiere, 1895, p. 155) wird dieselbe Bemerkung wieder aufgegriffen und mit dem wenig schmeichelhaften Zusatz erledigt, dass sich ein solcher Beweis ernsthafter Discussion entziehe. Da bekanntermaassen ein solcher Irrthum, einmal festgewurzelt, nur schwer wieder auszurotten ist, und zu erwarten ist, dass dieser vermeintliche Beweis für die Concrescenztheorie noch öfter todtgeschlagen wird, so möchte ich ausdrücklich constatiren, dass ich in dem fraglichen Falle nur ein Beispiel geben wollte, wie ein homodontes Aussehen eines Gebisses vor- getäuscht werden kann, und dass ich niemals damit habe etwas beweisen wollen. 65 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 65 Es ist kein Zweifel, dass wir hier denselben Zahn vor uns haben, den wir bereits in seiner aller- ersten Anlage auf Stadium I kennen gelernt haben, und welcher dem schon von STAnNIUS bei einem neu- geborenen Manatus latirostris aufgefundenen Zahne entspricht. STtannıvs berichtet darüber, dass sich nach Entfernung der häutigen Bedeckungen im Zwischen- kiefer ein in einer tiefen Alveole steckender Schneidezahn vorfand, der eine Länge von 5 Linien besass und in Wurzel und Krone zerfiel. Die Krone ist ein kleines perlfarbenes Höckerchen von !/, Linie Länge, während die längliche, etwas gekrümmte, ganz solide Wurzel beinahe 4'/, Linien lang ist. „Diese Zwischenkieferzähne sind offenbar dieselben, welche BraımvirLE beim Manati-Fötus entdeckt hat und deren die Brüder CuviEr in ihren Schriften gedenken.“ „Vergleicht man diesen Schneidezahn mit dem Milchstosszahne des Dugong — wie ihn z. B. Braın- viLLE abgebildet hat — so stellt sich eine frappante Aehnlichkeit beider heraus. Der männliche Manatus besitzt also wenigstens die Milchstosszähne des Dugong in verkleinertem Maassstabe; ob an ihre Stelle jemals bleibende Stosszähne treten, wie beim Dugong, bleibt vorläufig unentschieden.“ Lersıus!) (p. IIO) macht darauf aufmerksam, dass man von einem Milchstosszahn beim Dugong nicht sprechen könne, es sei das vielmehr ein rudimentärer, früh resorbirter Schneidezahn, der vor den grossen Stosszähnen liege. HArTLAUB hält daher die Vergleichung des von STannıus bei Manatus ge- fundenen Schneidezahnes mit dem Milchstosszahn des Dugong für ungerechtfertigt und hält ihn vielmehr für homolog für den bleibenden Stosszahn der Halicore. HARTLAUB (p. 68) fährt dann fort: „Man wird daher die besprochenen Incisiven des Manati richtiger den bleibenden Stosszähnen des Dugong gleichstellen müssen, den sog. „Milchstosszähnen‘ desselben aber das von Stannıus gefundene, weiter vorn gelegene ganz winzige Schneidezähnchen.“ Von diesem winzigen Schneidezahn habe ich auf vorliegendem Stadium nichts finden können, und ich halte es deshalb für wahrscheinlich, dass es in seinem Auftreten, wie ja viele stark rudimentäre Organe, variabel ist. Auf einen Irrthum der früheren Beobachter möchte ich an dieser Stelle aufmerksam machen. Als Krone dieses Zahnes wird nämlich ein kleiner rundlicher Höcker angesehen, der auf der langgestreckten Wurzel sitzen soll. Ein Blick auf die Abbildung (Fig. 4I) zeigt, dass diese Auffassung nicht richtig ist, hier ist die Krone sehr schön und gross ausgebildet und scharf von der viel kleineren Wurzel abgesetzt. Was von den früheren Autoren als Krone angesehen worden ist, ist eine kleine kolbige Auftreibung der Kronenspitze, die sich in vorliegendem Falle erst angelegt hat. Die Pulpa erweitert sich vorn zu einem knopfartigen Gebilde, und dadurch kommt jene kleine perlartige, fälschlich als Krone angesehene Auf- treibung zu Stande. Von weiteren Zahnanlagen im vorderen Theile des Oberkiefers vermag ich nicht das Geringste zu sehen. Von Backzahnanlagen finden sich im Oberkiefer 5 vor. Nur der letzten kleinsten fehlen noch Dentin und Schmelz, die bei den anderen bereits zur reichlichen Ablagerung gekommen sind. Die grösste Zahnanlage ist die zweite. Bei allen finden wir das Schmelzorgan in Reduction. In die Schmelzpulpa sind von aussen Blutgefässe eingedrungen, welche den Zusammenhang der Sternzellen vielfach unterbrechen. Von der Zahnleiste haben sich nur hier und da noch Spuren erhalten. Im Unterkiefer finden sich folgende Zahnanlagen vor. Der erste Incisivus ist ein kugeliges, zackiges Dentingebilde, mit etwas darauf liegendem Schmelz. Auf der darauf folgenden Strecke sieht man Reste der Zahnleiste in stark netzförmiger Auflösung, und es folgt alsdann eine weitere kleine Zahnanlage, 1) G. R. Lepsıus, Halitherium Sehinxi, die fossile Sirene des Mainzer Beckens, Darmstadt 1881 und 1882. Jenaische Denkschriften. VII. &) Semon, Zoolog. Forschungsreisen. IV. 66 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 66 der zweite Incisivus, der aus einer völlig compacten Dentinmasse besteht. Die vollkommen netzförmig auf- gelöste Zahnleiste wird bald compacter und stellt eine parallel zum Mundhöhlenepithel verlaufende einheitliche Platte dar, in deren Umgebung vereinzelte Epithelperlen liegen. Das grösste dieser Gebilde hat die Grösse des zweiten Incisivus, nämlich 0,2 mm, zeigt aber keine Dentinbildung. Aus seinem Bau lässt sich aber ersehen, dass wir es hier mit einer degenerirten Zahnanlage zu thun haben. Wir finden nämlich eine rundliche, von Faserzügen umgebene Masse, in der sich keinerlei distinete Zellen unterscheiden lassen, die theilweise von einer Epithelkappe umgeben ist. Diese Epithelkappe, welche mit der Zahnleiste in Verbindung steht, ist als Schmelzorgan aufzufassen, während die theilweise davon umfasste Masse die degenerirte Papille darstellt. Wir haben es also hier mit der Anlage des Incisivus 3 zu thun, womit auch die Lagebeziehung des fraglichen Gebildes zu den beiden benachbarten Zahnanlagen übereinstimmt. Die nun folgende Zahnanlage, die vierte von vorn gerechnet, ist viel grösser, als die vorhergehenden, und misst 0,5 mm in der Länge. Das Dentin umgiebt die Papille vollkommen, und das ganze Gebilde hat eine kegelförmige Gestalt, mit schräg nach aussen gerichteter Spitze. Diese Zahnanlage ist homolog der vierten Unterkieferzahnanlage des kleinen Embryos von Manatus latirostris, die ich als Eckzahnanlage aufgefasst habe. Auf der nun folgenden Strecke bleibt die Zahnleiste bestehen als langgestreckte, unter dem Kieferepithel und parallel mit ihm verlaufende Platte mit geringen Verästelungen. In der Region, in welcher die Anlage des ersten Prämolaren zu suchen ist, zeigen sich eine Anzahl von Epithelperlen, darunter eine sehr grosse, ähnlich im Bau der vorhin beschriebenen, welche ich als degenerirten Incisivus 3 angesehen habe. Vielleicht haben wir hier die ebenfalls stark degenerirte Anlage des ersten Prämolaren vor uns. Es folgt darauf eine labial von der Zahnleiste gelegene, verkalkte Zahnanlage von 0,36 mm Durch- messer, von rundlicher Form, die alsdann dem Prämolaren 2 entsprechen würde. Auch hier umschliesst der Dentinmantel vollkommen die Zahnpulpa. Bis zu dem ersten Backzahn hin lässt sich die jetzt kleinere, aber compactere Zahnleiste verfolgen, an deren labialer Seite mehrere grosse Epithelperlen liegen. Dann tritt die Anlage des ersten Backzahnes auf. Die Backzähne des Unterkiefers zeigen die gleiche Entwickelung wie die des Oberkiefers. Wie im Oberkiefer, so sind auch hier 5 Backzahnanlagen vorhanden, von denen die zweite die grösste ist, während die hinter der vierten gelegene letzte noch sehr klein ist und weder Dentin noch Schmelz ent- wickelt hat. Die Zahl der Molaren vergrössert sich also schon frühzeitig im Embryonalleben. Während das kleinste Stadium von Manatus latirostris nur 3 Backzähne oben und unten aufwies, fanden wir bei dem etwas grösseren Stadium I von Manatus senegalensis bereits 4, und in vorliegendem Stadium II derselben Art schon 5 Back- zähne jederseits in Ober- wie Unterkiefer angelegt. Der Neonatus von Manatus senegalensis bot hinsichtlich seiner Bezahnung schon im Wesent- lichen die Verhältnisse des erwachsenen Thieres dar. Die Freilegung der Vorderfläche des Zwischenkiefers ergab das Vorhandensein zweier Alveolen, einer kleineren hinteren, in der ich aber ein Zahngebilde nicht auffinden konnte, und einer grösseren, zum grösseren Theil offenen. In dieser lag ein langgestrecktes Zahngebilde von I cm Länge, mit seiner Spitze nach vorn und etwas nach unten gerichtet. Es ist das zweifellos der von BLamviLLE entdeckte, von STANNIUS genauer beschriebene Stosszahn, den ich auch bereits im vorigen Stadium II aufgefunden habe. Die Form dieses Stosszahnes ist recht verschieden von der, wie ich sie vom vorigen Stadium beschrieben habe, und diese Verschiedenheit rührt von einem sehr starken Wachsthum der Wurzel her. Dennoch lässt 67 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 67 sich auch an vorliegendem Zahne noch deutlich die 3,5 mm lange, breitere Krone von der schmäleren Wurzel unterscheiden (s. Fig. 42). An ihrem unteren Ende ist die Wurzel winkelig eingebogen. Die Backzähne sind zum Theil bereits durchgebrochen, und zwar sind es die 3 ersten, welche zum Vorschein gekommen sind. Der grösste von diesen ist der zweite. Die beiden hinteren Backzähne sind bereits angelegt und verkalkt, liegen aber noch tief in einem sackartigen Fortsatz des Alveolartheiles. Im Unterkiefer sind vorn 2 vordere und 2 hintere kleine Alveolen bemerkbar, doch liess sich an dem stark macerirtem Materiale nicht entscheiden, ob sich in der darüber liegenden Haut noch Rudimente kleiner Zähnchen vorfanden. Von den Backzähnen ist der zweite am höchsten vorgeschoben, dann folgt der etwas kleinere erste, hierauf der dritte, dessen Spitzen gerade das Kieferepithel durchbrochen haben, während der vierte und fünfte noch tief im hinteren Alveolarsack liegen. Die Form der Zähne, welche bei älteren Exemplaren durch Abkauen stark verändert wird, ist bei vorliegendem Neonatus noch völlig erhalten, und beifolgende Abbildung wird besser, als es eine lange Beschreibung vermag, darüber orientiren (Fig. 43). Fig. 42. Incisivus des Oberkiefers von Neo- natus von Manatus senegalensis. Fig. 43. Rechter Unterkiefer des Neonatus von Manatus senegalensis. Nat. Grösse. Schliesslich habe ich noch die vordere Strecke des Unterkiefers von Manatus koellikeri, von der Spitze bis zum ersten Molaren einer Untersuchung auf Querschnitten unterworfen und Folgendes gefunden. Die Zahl der Zahnanlagen ist geringer als bei den anderen Arten, und nur 2 Zähne sind verkalkt. Die Schmelz- keime des ersten und zweiten Incisivus stehen auf dem kappenförmigen Stadium. Der dritte Incisivus ist dagegen vollkommen verkalkt, und nur an einer Stelle findet sich der Rest der Zahnpapille in einer Ein- buchtung der rundlichen soliden Dentinmasse. Seitlich lingualwärts von dieser in ihrer Entwickelung bereits fast abgeschlossenen Zahnanlage zieht sich die Zahnleiste nach unten und schwillt zur kappenförmigen An- lage eines kleinen Ersatzzahnes an. Dicht dahinter und etwas unterhalb von dem dritten Incisivus liegt die grosse Anlage des Eckzahnes. Während der Incisivus 3 nur 0,4 mm in der Länge misst, ist der Eckzahn 2,2 mm lang. Er läuft spitz zu und ist an seinem Ende in einen kleinen Knopf angeschwollen, zeigt also ganz das gleiche Verhalten wie die Caninen der vordem beschriebenen Embryonen. Im Inneren der reichlich abgelagerten Dentinmasse findet sich eine rings umschlossene kleine Zahnpulpa. Schmelz ist ebenfalls an der Spitze zur Ablagerung gekommen. Weitere Zahnanlagen finden sich nicht vor. Wohl ist die Zahnleiste noch deutlich als stark ver- ästelter Epithelstrang bis zum ersten Molaren hin verfolgbar, und hier und da sieht man auch Epithelperlen, 32 68 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 68 Zahnanlagen fehlen indessen vollkommen, und Manatus koellikeri weicht also auch in der Hinsicht von den anderen Species ab, dass es bei ihm nur zur Ausbildung zweier verkalkter Zahnrudimente im vorderen Unter- kiefer kommt, während bei den anderen Species sich 6 solcher vorfinden. 2. Die Entwickelung des Gebisses von Halicore. Während es mir beim Lamantin möglich war, eine eingehende Untersuchung der Zahnentwickelung vorzunehmen, da mir sehr verschiedene embryonale Stadien zur Verfügung standen, muss ich mich beim Dugong darauf beschränken, das anzugeben, was ich bei den 3 zur Untersuchung geeigneten Embryonen, von denen der kleinste bereits 72 cm Rückenlänge mass, gesehen habe. Ueber das Gebiss des erwachsenen Thieres ist Folgendes bekannt. Im Zwischenkiefer stecken jeder- seits 2 Schneidezähne, von denen der vordere früh resorbirt wird, der hintere dagegen einen Stosszahn bildet, der beim männlichen Geschlecht 6—7 cm aus dem Kiefer vorragt, beim weiblichen in der Alveole verborgen bleibt. Auf eine lange, vollkommen zahnlose Strecke folgen dann 5—6 Backzähne, die in der Jugend denen des Manatus gleichen, später aber durch Abnutzung und Cementumkleidung zu ungefügen, cylindrischen Stiftzähnen werden. Die vorderen, stiftartigen Backzähne fallen frühzeitig aus, und in den Kiefern der alten Thiere functioniren nur noch der dritte und vierte Molar jederseits. Im Unterkiefer wurden bereits von HomE ') merkwürdige, weite, aber nicht tiefe Alveolen beschrieben, in welchen zuweilen noch spitze Zähnchen mit dünner, hohler Wurzel liegen, deren Krone meist durch Resorption angefressen ist. Lersıus schreibt darüber: „In dem untersten Alveolen-Paar stehen diese rudimentären Zähne steil nach unten gerichtet, in den oberen 3 Paaren beliebig gerichtet, zuweilen verkrümmt. Diese Zähnchen sind als verkümmerte Schneidezähne an- zusehen; das unterste Paar würde etwa den Stosszähnen des Dinotherium zu vergleichen sein.“ Zu meinen eigenen Untersuchungen übergehend, möchte ich bemerken, dass ich zunächst den rechten Oberkiefer wie Unterkiefer des kleinsten Halicore-Embryos (Stadium II) in Querschnittserien zerlegt habe, während ich auf der linken Seite die Zähne durch Präparation freilegte. Vorn im Zwischenkiefer finde ich auf der präparirten Seite einen Incisivus, während von jungen Thieren 2 angegeben werden. Dieser Incisivus ist ein stosszahnähnliches Gebilde von 7 mm Länge, 3 mm Durchmesser und cylindrischer Form, vorn in eine etwas abgerundete Spitze endigend. Er liegt ganz vorn im Zwischenkiefer, in seiner Längsaxe parallel mit der Längsaxe dieses Abschnittes des Gesichtsschädels. Dieser Incisivus zeigte eine noch offene Wurzel, war aber in seinem vorderen Theile bereits stark verkalkt. Ueber der Dentinschicht war bereits eine dünne Schmelzschicht abgelagert. Es entsteht nun die Frage: Entspricht diese Zahnanlage dem ersten oder dem zweiten Schneidezahn der grösseren Thiere? Von vornherein ist es auftällig, dass nur eine Zahnanlage statt zweier sich vorfindet, sowie dass diese eine Zahn- anlage in der Entwickelung schon weit vorangeschritten ist, während ich von der anderen nichts bemerken konnte. Die Ansicht, dass beide Zahnanlagen ein und derselben Dentition zugehören, welche Lersıus und HARTLAUB aussprechen, erscheint mir daher wenig wahrscheinlich, und die alte Home’sche und Owen’sche Annahme, nach welcher der vordere Incisivus nur ein Milchvorgänger des Stosszahnes sei, ist mir plau- sibler. Einen Beweis würde man dafür erbringen können, wenn es gelingen würde, die erste Anlage des Stosszahnes und ihre Zugehörigkeit als Ersatzzahn zur vorderen Zahnanlage aufzufinden. Dies ist mir in der That auf der Schnittserie gelungen, und zwar sehe ich Folgendes. Die Zahnleiste hat sich netzförmig aufgelöst und tritt verzweigt in den Scheitel des Schmelzorgans der Zahnanlage ein. Ein Strang sondert 1) E. HOME, On the milk-tusks and organs of hearing in the Dugong. Transact. R. Soc. London, 1820° 69 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 69 sich kurz vor dem Eintritt in das Schmelzorgan ab und begiebt sich nach innen und unten von der Zahn- anlage. Hier schwillt er bald stark an und endigt in einen ganz mächtigen, massiven Epithelkolben von 0,5 mm Durchmesser, der von einem dichten, bindegewebigen Säckchen eingehüllt wird. In diesem Epithel- kolben erblicke ich nun das Material zur Bildung eines Ersatzzahnes, und als solcher kann nur der spätere Stosszahn angesehen werden, da dieser an der bezeichneten Stelle liegt (siehe Owen, Odontography, Tafel 92, sowie p. 366). Es sind also im Oberkiefer von Halicore nicht 2 Incisiven vorhanden, von denen der erste nach einiger Zeit resorbirt wird oder ausfällt, sondern es findet sich nur ein Stosszahn erster Den- tition, und im späteren Embryonalleben sich erst anlegend, dessen Ersatzzahn vor, der sich allmählich zu dem bleibenden Stosszahn ausbildet. Weitere Zähne sind bis zu den Backzähnen hin nicht zu finden, und auch das eingehende Studium der Schnittserien, war in dieser Hinsicht erfolglos. Nur 2 Backzähne waren bei diesem Embryo im Ober- kiefer entwickelt. Davon ist der erstere der grössere und höhere, der zweite der kleinere und tiefere. Der erstere hat eine grösste Länge von 9 mm und war vorn breiter, hinten etwas schmäler, nämlich 7 und 6 mm. Eine transversale tiefe Furche theilt die Krone in 2 Theile (s. Fig. 47 links). Der vordere wird von 2 durch eine seichtere Furche getrennten Höckern gebildet, von denen der äussere der kleinere ist, der hintere ist ein einheitlicher Höcker von gleicher Höhe wie die beiden vorderen. Die Krone ist also dreihöckerig. Die Höcker sind stumpf-konisch, und ihre Oberfläche ist nicht vollkommen glatt, sondern zeigt nach der Spitze zu flache Rillen. Die einheitliche Wurzel ist noch sehr kurz, erst 3 mm lang. Der zweite Backzahn ist noch weniger ausgebildet, weist aber in seiner Krone bereits die gleiche dreihöckerige Form auf. Die Rillen sind tiefer, und vor dem vorderen Aussenhöcker sitzt noch eine kleine Erhebung. Die Wurzelbildung hat bei diesem Backzahn noch nicht begonnen. Zu weiteren verkalkten Zahnanlagen ist es in diesem Stadium noch nicht gekommen. Wir kommen nunmehr zum Unterkiefer. Zunächst interessirte es mich, die Zahnrudimente, welche HomE, Owen und später Lersıus in der vorderen Unterkieferregion erwähnen, näher kennen zu lernen. Die Präparation einer Unterkieferhälfte belehrte mich, dass 4 solcher Zahnanlagen vorhanden sind. Die erste derselben hat die mehrfache Grösse und Dicke der anderen erreicht. Dieser Zahn, welcher schon stark verkalkt ist, hat die gleiche, etwas verkleinerte Form, wie der Milchstosszahn des Oberkiefers und wie dieser eine unten noch offene Pulpa. Auch Schmelz ist bereits zur Ablagerung gekommen. Dass diese Zahnanlage zur ersten Dentition gehört, erhellt aus dem Verhalten der Zahnleiste, welche über und etwas seitlich-lingual vom Schmelzorgan ein compactes freies Ende entwickelt hat. Aus seiner Form, sowie der relativ bedeutenden Grösse ergiebt sich, dass es auch im Unterkiefer von Halicore zur Anlage eines Stosszahnes kommt, welcher der ersten Dentition angehört und sich später nicht erheblich weiter entwickelt. Obwohl vor diesem Zahne keinerlei rudimentäre Anlagen anderer Zähne sich vorfanden, so ist er doch nicht ohne weiteres als Incisivus zu betrachten, da man die Möglichkeit offen halten muss, dass die muthmaasslichen 3 Incisiven völlig geschwunden sein können (die Zahnleiste beginnt bereits ein gutes Stück vor der Stosszahnanlage), wie sie ja auch beim Manatus eine Tendenz zum völligen Verschwinden zeigen. Möglich wäre es also doch, dass wir hier den Caninus vor uns haben, der ja auch bei Manatus-Embryonen eine verhältnissmässig beträchtliche Grösse erreicht. Auf der vorderen, abgeschrägten Fläche des Unterkiefers liegen noch 3 weitere Zahnanlagen, die ich indessen nicht mit den anderen Autoren als Rudimente von Incisiven angesehen wissen möchte (siehe Fig. 44). 70 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 70 Diese 3 Anlagen liegen sehr weit und in gleichen Abständen auseinander. Auf Schnitten ergiebt sich, dass wir es mit stark verkalkten, rundlichen Zahngebilden zu thun haben. Der Bau dieser Zähne ist sehr eigenthümlich. Fig. 45 giebt einen Frontalschnitt durch die Mitte eines solchen Zahnes wieder. Danach besteht der Zahn aus zwei Dentinmassen, von denen die grössere die kleinere, spitzere halbmond- förmig umgiebt. Im hinteren Theil des Zahnes gehen beide in einander über. Das Dentin des grösseren Theiles hat die Zahnpulpa bis auf einzelne zersprengte Reste verdrängt, während die Pulpa des aufgesetzten Höckers noch vollkommener erhalten ist. Dem unteren grösseren Theile kommt eine deutliche Schmelz- schicht zu, die dem kleineren Höcker fehlt. Die Zusammensetzung des Zahnes aus 2 Höckern, einem grösseren labialen und einem kleineren lingualen, macht es höchst unwahrscheinlich, dass wir es mit einem Ineisivus zu thun haben, eher glaube ich, dass hier das Rudiment des ersten Prämolaren vor uns liegt. Auch bei Manatus-Embryonen fanden wir ja die Anlagen der Prämolaren verhältnissmässig weit vorn. Bestärkt werde ich in dieser Auffassung durch die Auffindung deutlicher Ersatzzahnanlagen lingual von den verkalkten Zähnen, deren Schmelzorgan eine deutliche Dreilappung zeigt, so dass also 2 Zahnpapillen gebildet werden (siehe Fig. 45 Ez). Wenn es mir auch nicht wahrscheinlich erscheint, dass diese Anlagen zu definitiven Zähnen werden, so sind sie doch so distinct ausgebildet und so gross, dass an ihrer Natur als Zahnanlagen nicht gezweifelt werden kann. Den gleichen Bau wie diese Zahnanlagen wiesen auch die beiden dahinter liegenden auf, und auch die Ersatzzahnanlagen waren in gleicher Weise vorhanden. Fig. 44. Er 7. 72 m, u 7 RN 3 BER) & t Er Y u ver; x ‚Se Nasen = Pr * r 4 £, EN : 8 ir ur DEF N ’ HE RT Eee \\ F- _. - Rn) ” 3 }) S ‘ TE RL Ä ä PS PR N » Zp Be le ea — 2 Gr ers NE ge % 7 Lug Ei 7 { Er 28 f Bar Fr EI * 2 l 3 . 4 , Re re RR FA ’ } SER % ur / a N / x >” a Er ER BEN vr Fig. 44. Unterkiefer des Embryos von Halieore dugong, Stad. II. Nat. Gr. © Stosszahnanlage. p,—p, Prämolaren. m,—m, Molaren. Fig. 45. Frontalschnitt durch die ersten Prämolaren des Unterkiefers von Halicore dugong, Stad. I. Rechts davon die Ersatzzahnanlage Ex. Die Thatsache, dass der Stosszahn einen Vorgänger hat, sowie dass die Prä- molaren Ersatzzahnkeime anlegen, zeigt unwiderleglich, dass die so oft behauptete Monophyodontie der Sirenen nicht existirt, und dass sie typisch diphyodont sind. Backzahnanlagen fanden sich in diesem embryonalen Unterkiefer 3 vor, von denen die erste sehr klein war, einen grösseren labialen und einen kleineren lingualen Höcker aufwies. Am weitesten aus- gebildet war der zweite Backzahn, an Grösse nur wenig geringer der dritte (siehe Fig. 44). Bemerken will ich noch, dass es zur Ablagerung von Schmelz kommt, sowohl bei den Backzähnen des Oberkiefers wie denen des Unterkiefers, während bei erwachsenen Thieren der Schmelz fehlt. Die Untersuchung des grössten der mir zur Verfügung stehenden Embryonen, des Stadiums IV von 162 cm Rückenlänge ergab hinsichtlich der Bezahnung folgende Resultate. 71 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 71 Die Stosszähne waren noch nicht durchgebrochen. Die Präparation am rechten Zwischenkiefer ergab, dass auch hier wieder wie beim kleinen Embryo nur ein Stosszahn vorhanden war, der nach Lage und Gestalt mit dem Stosszahn des kleinen Embryos übereinstimmt und nur eine viel bedeutendere Grösse besitzt. Er misst in der Länge IQ mm, in der grössten Dicke 5 mm. Seine Spitze ist stumpf-konisch. Dicht unter ihm lag in einer weiten Alveole ein Zahnsäckchen, welches zwar noch keinen verkalkten Zahn, wohl aber einen stark angeschwollenen Schmelzkeim enthielt. Dieser ist natürlich zu homologisiren mit dem Schmelzkeim des kleineren Embryos, den ich als erste Anlage des bleibenden Stosszahnes aufgefasst habe. Hier ist dieser Keim sehr viel weiter ausgebildet, hat aber noch immer keine Hartgebilde abgeschieden, so dass diese jedenfalls erst in der Zeit um die Geburt herum abgelagert werden. So ergiebt sich aus der Untersuchung des grossen Embryos eine Bestätigung der am kleineren ge- wonnenen Befunde, dass der persistirende Stosszahn des Dugong einen der ersten Dentition angehörigen Vorgänger hat. Bis zur Geburt haben also Dugong-Embryonen einen Stosszahn, welcher der ersten Dentition an- gehört, und dessen Ersatzzahn, der persistirende Stosszahn, ist bis dahin nur in seinem Schmelzorgan angelegt und bildet sich erst nach dem Embryonalleben aus. Eine wesentliche Stütze erhält diese Anschauung durch die Abbildung eines jungen Dugong-Schädels in der Arbeit von Home !), die mir von späteren Bearbeitern nicht genügend beachtet erscheint. Hier sehen wir nach innen von dem grossen Stosszahn (erster Dentition) den halbkugeligen Keim des Ersatzzahnes, also des persistirenden Stosszahnes liegen. HoME nennt diesen einen „shallow cup“ und schreibt (p. 146): „at the posterior extremity (des Milchstosszahnes) there was a small shallow cup composed of the same materials, which appeared to be no part of the tusk itself, but, as it were, fixed to the end of it. This was contained in a corresponding cavity adapted to it, in the skull.“ An einer anderen Stelle spricht er sich darüber folgendermaassen aus (p. 147): „Ihe use ofthe shallow cup, which appears to be an appendage pe- culiar to the milk tusk of the dugong, forming no part of the tusk itself, would appear to be for the pur- pose of receiving the point of the permanent tusk, as soon as it is formed.“ Halten wir diese Beschreibung und Abbildung mit den von mir an Embryonen gemachten Be- obachtungen, sowie mit Owen’s Ausführungen und seiner Tafel 92 zusammen, so ergiebt sich daraus die Richtigkeit der Anschauung, dass der permanente Stosszahn sich sehr spät ausbildet und einen Vor- gänger hat. Gehen wir zur Betrachtung der Backzähne des Oberkiefers über, so sehen wir 2 verkalkte Zähne, welche gerade die Kieferepithelhaut durchbrochen haben. Der vordere ist sehr klein und hat eine rundliche, konische Krone von 4 mm Durchmesser. Er lässt sich keinesfalls mit dem ersten Oberkieferbackzahn homologisiren, den wir auf Stadium II angetroffen haben, dagegen finden wir Angaben früherer Autoren, welche derartige stiftartige Backzähne vor den grossen Backzähnen beschreiben. So liegt ein solcher kleiner Stiftzahn auf der rechten Seite des von Home (Pl. XIII) abgebildeten Schädels, fehlt aber auf der linken. Es können auch 2 derartige Stiftzähne vorkommen. So beschreibt Lersivs (p. 113) an einem Dugong-Schädel von 310 mm Länge 2 solcher stark abgekauten Zähne von 4 mm und 6-7 mm Durchmesser, hinter welchen noch 4 Molaren folgen. An einem jungen Schädel von 250 mm Länge fand er dagegen nur 3 Backzähne, die er mit dem dritten, vierten und fünften Backzahn des ersten Schädels homologisirt. Lersrus glaubt nun, dass der erste und zweite Zahn des 310 mm langen Schädels erst nach den 3 folgenden Zähnen hervorbrechen werden, und hält die beiden ersten Zähne für Prämolaren. I) HOME, Philos. Transact. 1820, Plate XII. 72 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 72 Es lässt sich indessen auch eine andere Auffassung vertreten: Man kann nämlich daran denken, dass hier eine ziemlich grosse Variabilität in der Anlage dieser beiden ersten Backzähne vorliegt. Bald sind sie beide vorhanden, bald fehlt einer, bald ist nur auf einer Seite einer vorhanden, oder es fehlen auch beide. Diese Zähne als Prämolaren aufzufassen, fehlt jede Berechtigung, da wir keine Spuren irgend welchen Zahn- wechsels sehen. In den Kiefern alter Thiere functioniren nur noch dritter und vierter Backzahn, die vorderen sind ausgefallen. Da liegt es doch nahe, daran zu denken, dass die beiden vorderen Backzähne rudimentäre Molaren sind, die, dem Untergange geweiht, sich nicht mehr in der Grösse und Ausbildung anlegen, wie die dahinter liegenden Backzähne. Mit dieser Auffassung als rudimentäre Molaren würde auch die That- sache der Variabilität ihres Auftretens im Einklang stehen. Das von Lepsıus betonte Vorkommen von 6 Molaren hat nichts Auffallendes, wenn wir an die immer- hin ziemlich nahe Verwandtschaft von Halicore und Manatus denken. Das Auftreten von mehr als 4 Molaren bei Halicore kann sehr wohl dieselbe Ursache haben, wie das successive Erscheinen der zahlreichen Manatus- Backzähne, da ja auch der gleiche Vorgang des Verlustes der vordersten Backzähne bei beiden eintritt Nur ist dieser Process der Zahnbildung bei Halicore viel mehr eingeschränkt, wie überhaupt das Zahnsystem des Dugong dem Untergang entgegengeht, ein Schicksal, welches die Bezahnung von Rhytina thatsächlich bereits aufzuweisen hat. Wenden wir uns nunmehr der Betrachtung des zweiten Oberkieferbackzahnes zu, der mit dem ersten des Stadiums II zu homologisiren ist, so ist zunächst eine Thatsache zu constatiren, die mir höchst merk- würdig erscheint. Trotzdem der Backzahn einem Embryo angehört und das Kieferepithel kaum durchbrochen hat, ist er doch an seiner Krone nicht unbeträchtlich abgeschliffen. Die transversale Furche, welche die Krone in einen vorderen und einen hinteren Theil trennt, ist vorhanden, der vordere Theil aber ist oben durch 2 in stumpfen Winkeln zusammenstossende Flächen so weit abgeschliffen, dass vorn sich nur eine kleine Vertiefung als letzter Rest der beim kleineren Zahn vorhandenen Längsfurche, welche die beiden vorderen Höcker trennt, erkennen lässt. Auch der hintere Höcker zeigt eine kleinere, ganz ebene Fläche. Ich lasse es vorläufig unentschieden, auf welche Weise diese Flächen entstanden sind, ob im Laufe der weiteren Grössenzunahme des Zahnes oder durch einen Resorptionsprocess, und es mag hier die Fest- stellung genügen, dass die Erscheinung abgeschliffener Backzähne, welche die Backzähne älterer Dugongs in so hohem Maasse zeigen, bereits beim noch nicht ausgetragenen Embryo zu constatiren ist. Auf die principielle Bedeutung dieses Befundes werde ich noch zurückkommen. Die Untersuchung des Unterkiefers des grössten Embryos (Stadium IV) bestätigte zunächst die an dem kleineren Embryo (Stadium II) erhaltenen Resultate. Auf der schrägen Kinnfläche des Unterkiefers fand ich die 8 Zähnchen wieder. Die beiden ersten, die als Unterkieferstosszähne betrachtet wurden, sind stark gewachsen und stehen etwas nach vorn geneigt. Die Länge eines solchen Stosszahnes beträgt 9 mm, bei einer Dicke von 2 mm. Die konische Spitze ist nach der inneren Seite zu etwas abgeschrägt. Merkwürdig weit sind die Alveolen, in denen die kleinen dahinter liegenden 3 Zahnpaare sich be- finden; das Bild gleicht durchaus der bekannten, zuerst von HomE gegebenen Abbildung. In diesen Alveolen liegen nun sehr kleine Zahngebilde von 2 mm grösster Breite, mit der sie transversal zur Längsrichtung des Kiefers stehen. Es sind ovale Körperchen, auf deren nach oben gerichteter Seite sich nur undeutlich eine mittlere Erhebung von 2 niedrigeren, seitlichen unterscheiden lässt. Dafür, dass diese rundlichen Zähne zu schneidezahnähnlichen, schräg nach aussen schauenden Gebilden auswachsen, wie das die Ab- 73 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 73 bildungen von Home (Taf. XIV Fig. 2 und 3) darthun, lieferten die vorliegenden Befunde nicht den ge- ringsten Anhaltspunkt (siehe Fig. 46). Was nun die Backzähne des Unterkiefers anbetrifft, so sind 3 verkalkte vorhanden. Der erste ist klein, mit einfacher, spitz-konischer Krone und von 4 mm Durchmesser. Der zweite ist der grösste, I2 mm lang und durch eine deutliche Transversalfurche getheilt. Der vordere Theil zerfällt durch eine flache, durch eine Abschleifungsfläche unterbrochene Furche in einen inneren und einen äusseren Höcker, dem letzten liegt vorn ein kleinerer und niedrigerer Höcker an. Auch bei diesem Zahngebilde sind deutliche Abschleifungsflächen vorhanden, die wie polirt aussehen, und zwar geht die vordere Fläche etwas schräg nach hinten zur Transversalfurche, während die hintere Fläche nach vorn zu eben dieser Furche geneigt ist. Auch der vordere niedrige Höcker zeigt bereits eine kleine, aber sehr distincte, schräg nach vorn geneigte Abschleifungsfläche auf seiner Spitze. Es folgt darauf noch eine dritte Backzahnanlage von gleicher Grösse, aber den Kieferrand noch nicht überragend. Seine Krone ist noch vom Schmelzorgan überdeckt. Eine tiefe mittlere Transversal- furche scheidet die hinteren unpaaren Höcker von den beiden vorderen. An den hinteren Höcker schliesst sich noch ein niedriger Talon an. Die Oberfläche dieses Zahngebildes ist sehr rauh, in Folge zahlreicher den Spitzen der Höcker zustrebender Falten. Der Zahn lässt noch Platz in der Alveolarrinne für einen vierten Molar, der aber noch keine deutliche Anlage zeigt. Erwähnenswerth erscheint mir noch die mächtige Ausbildung der Wurzel, die beim zweiten Oberkieferzahn eine Grösse von I4 mm erreicht hat und unten eine weite Oeffnung von 6 mm Durchmesser be- sitzt. Jedem Backzahn kommt nur eine solche grosse, unten offene Wurzel zu. Dass wir hier einen secundären Zustand vor uns haben, herrührend von der Verschmelzung mindestens zweier, ursprünglich ge- trennter Wurzeln, ist mir deshalb wahrscheinlich, weil ich beim zweiten unteren Molaren an der inneren Seite der Wurzel eine deutliche Längsrinne verlaufen sehe. Die linke Seite desselben Embryos wies insofern ein abweichen- des Verhalten auf, als der kleine, stiftförmige erste Backzahn des Ober- kiefers, den wir auf der rechten Seite constatiren konnten, hier fehlt. Im Unterkiefer dagegen ist ein solcher Stiftzahn vorhanden. Auch auf dieser Seite fand ich an den am weitesten ausge- 3 : > c 3 Fig. 46. Unterkiefer des Embryo bildeten Zähnen die glatten Flächen wieder, welche die Oberseite der \on dugong, Stad. IV. a Krone abschneiden. Rückenlänge. Nat. Grösse. Es erschien mir nunmehr sehr wichtig, die Frage zu beantworten, in welcher Weise diese glatten Flächen auf der Oberseite der Molaren entstehen. Ein directes Abschleifen ist schon deshalb ausgeschlossen, weil wir ja hier noch Zähne eines Embrıyos vor uns haben. Durch gegenseitigen Druck können sie deshalb nicht entstanden sein, weil, wie mir die Untersuchung zeigte, die Antagonisten sich überhaupt noch nicht berühren. Auch der vordere niedrige Höcker, der unter keinen Umständen von oben her irgend welche Druckwirkung erfahren könnte, zeigt ja bereits eine deutliche, schräg nach vorn geneigte Fläche. Jenaische Denkschriften. IV. 10 Semon, Zoolog. Forschungsreisen. VII. 74 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 74 Gegen die Annahme, dass diese Flächen sich einfach im Laufe des weiteren Wachsthums der Zähne anlegen, spricht ausser einem directen Vergleich der Grösse der Backzähne von Stadium II und Stadium IV der Umstand, dass, wie uns ein Blick auf die glatten Flächen belehrt, in deren Mitte eine tiefere Dentin- schicht zum Vorschein kommt als am Rande. Wir können daher nur an einen Resorptionsprocess denken, der diese Fläche geschaffen hat. Um den Beweis für diese Annahme zu liefern, müssten Embryonen untersucht werden, die etwas kleiner sind als das vorliegende Stadium IV. Leider standen mir solche nicht zur Verfügung, da das zwischen den beiden untersuchten Embryonen II und IV liegende Stadium III von 99 cm Rückenlänge nur um Weniges grösser ist als Stadium II. Immerhin lieferte mir die Untersuchung der Unterkieferbackzähne des Stadium III einen bedeutsamen Fingerzeig. Wir treffen im rechten Unterkiefer dieses Thieres 2 verkalkte Backzähne an. Ein vorderer stiftförmiger Backzahn, wie wir ihn in Stadium II und IV kennen gelernt hatten, fehlt hier und erhebt meine Vermuthung, dass das Auftreten dieser vorderen, stiftförmigen Back- zähne stark variabel ist, zur Gewissheit. Der vorderste rechte Unterkieferbackzahn des Stadiums III ent- | spricht also demnach dem zweiten Backzahn von Stadium II und IV. Dieser Backzahn zeigt nun im Stadium III eine sehr auffällige Verschiedenheit von dem des vorhergehenden Stadiums. Während dieser, wie aus Fig. 47 ersichtlich, eine fast völlig glatte Krone besitzt, die nur an den Spitzen der Höcker etwas ge- furcht erscheint, hat der gleiche Zahn im Stadium III ein ganz anderes Aussehen gewonnen, durch tiefe Gruben und Furchen, die sich von den Höckerspitzen abwärts ziehen. Die Oberfläche der Höcker ist dadurch ganz rauh und uneben 2 geworden. Es scheint mir hier der Beginn eines Resorptions- | nz processes vorzuliegen, derallmählich mit völliger Wegnahme der Höckerspitzen und Ausbildung glatter Flächen endigen wird. P; ; Ein derartiger Resorptionsprocess ist nur möglich, wenn sich zur Ober- [} NE 1 tläche des Zahnes Blutgefässe hinziehen. Die mikroskopische Untersuchung des entkalkten linken zweiten Unterkieferbackzahnes von Stadium Il zeigte mir nun, ee dass das in der That der Fall ist. Von der Pulpa aus’ziehen durch das Dentin von Embryonen von Halicore nach der Oberfläche zu einzelne Blutgefässe, die ein fein verzweigtes Netzwerk dugong. Links von Stad. I. ;m Dentin bilden. Die Dentinröhrchen werden in ihrem Verlauf durch die Rechts von Stad. IV. Blutgefässcapillaren nicht im geringsten beeinflusst und ziehen geradlinig radial zur Oberfläche. Diese Gefässe finden sich nur in dem oberen Theile der Krone da, wo später die Flächen entstehen, fehlen dagegen an den Seiten. Ihr Vorhandensein macht den Vorgang einer Resorption an der Oberfläche sehr wahrscheinlich. Nur bei einem anderen Säugethiere, nämlich dem Lamantin, sind bis jetzt ähnliche verzweigte Blutgefässkanäle in Krone und Wurzel von C. S. TomEs!) aufgefunden worden; nur in der Wurzel der Backzähne kommen sie nach J. Tomes’) spärlich auch beim Tapir vor. Hat somit aller Wahrscheinlichkeit nach ein Resorptionsprocess bei den Backzähnen des Dugong statt, der zuerst die Spitzen der Kronen ergreift und wegnimmt, so ist damit noch nicht die eigenthümliche glatte, wie polirt aussehende Oberfläche der dadurch entstehenden Resorptionsfläche erklärt. Vergegenwärtigen wir uns nochmals das bisher Gefundene. Alle Autoren geben übereinstimmend an, dass die Höcker des jungen Thieres rasch abgekaut werden, und mit zunehmendem Alter die abgeschliffnen Flächen immer grössere Ausdehnung gewinnen. Wir haben nun gefunden, dass bei einem 1) Transact. Zool. Soc., Vol. X, Part. 3, 1877, p. 144. 2) Proc. Zool. Soc., I85I, p. 121. 75 Vergleichend-anatomische und entwickelungsgeschichtliche Untersuchungen an Sirenen. 75 kurz vor der Geburt stehenden Embryo diese Kauflächen schon sehr deutlich angelegt sind, und es ist uns wahrscheinlich geworden, dass den ersten Anlass zur Ausbildung dieser Kauflächen beim Embryo ein Resorptionsprocess in den Spitzen der Höcker gegeben hat. Die bereits beim Embryo erfolgende Bildung der glatten Flächen kann aber, wenn wir nicht eine intensive Kauthätigkeit im intrauterinen Leben an- nehmen wollen, nur durch Vererbung erklärt werden, und wir haben demnach, meiner Meinung nach, hier einen Fall vor uns, in welchem die Vererbung einer Eigenschaft stattfindet, welche das Thier durch functionellen Anpassung im Laufe des inviduelle Lebens erst erworben hat. Wenn es mir auch aus Mangel an geeignetem Material nicht gelungen ist, alle Phasen der embryo- nalen Ausbildung dieser glatten Flächen zu verfolgen, so glaube ich doch, dass die Thatsache, dass sich solche Flächen bereits beim grossen Embryo vorfinden, genügt, um die Schlussfolgerung zu ziehen, dass wir hier einen Fall der Vererbung erworbener Eigenschaften vor uns haben. Frommannsche Buchdruckerei (Hermann Pohle) in Jena. — 1667 a Fu MN ar Far Yu De Pa Bu NR ER REN * ” Per; a errt A FERTR, a N ; ee 67 er a N a: Ri = * “2 = | ‚ j Br 37, re - areler saw» Tafel I. Embryo von Manatus latirostris von 13,3 cm Rückenlänge, von vorn gesehen, natürl. Grösse. Der gleiche Embryo in Seitenansicht. Kopf desselben Embryos von vorn, 2mal vergrössert. Seitenansicht eines Embryos von Manatus senegalensis (Stadium I), natürl. Grösse. Vorderansicht des Kopfes eines Embryos von Manatus senegalensis (Stadium II), natürl. Grösse. Ventralansicht der Schwanzflosse des Embryos von Manatus senegalensis (Stadium I), natürl. Grösse. _Kükenthal,Vergl Anat.u.Entw.d, Sirenen JEN.DENKSCHRIFTEN Bd.VI. Semon,Forschungsreisen, Bd.V. Tat. 1. Verl.v. Gustav Fischer, Jena Kükenthal u Giltsch gez. istelsal: Tafel 11. Brustflosse des Neonatus von Manatus senegalensis (Stadium III), */, natürl. Grösse. Vorderansicht der Schnauze vom Neonatus des Manatus senegalensis (Stadium III), ?/, natürl. Grösse. Ventralansicht der Schwanzflosse des Embryos vom Manatus inunguis, ‘/, natürl. Grösse. Brustflosse des Embryos von Manatus inunguis, von der Oberseite gesehen, °/, natürl. Grösse. Vorderende der Brustflosse des Embryos von Manatus inunguis, von der Unterseite gesehen, natürl. Grösse. Kükenthal, Vergl.Anat.u.Entw.d.Sirenen. JEN -DENKSCHRIFTEN Bd. VI. Semon,Forschungsreisen,Bd.IV.Taf.I. | Kükenthal u. Giltsch gez. Verl. v. Gustav Fischer, Jena. Lith. Anst.v.A Giltsch, Jena, Tafel II. 510% 13 14. 15. Tafel III. Embryo von Manatus koellikeri, '/, natürl. Grösse. Kopf desselben Embryos von oben, natürl. Grösse. Brustflosse desselben Embryos von der Oberseite, natürl. Grösse. Schwanzflosse desselben Embryos von der Ventralseite, natürl. Grösse. _Kükenthal,Vergl.Anat u Entw.d. Sirenen JEN.DENKSCHRIFTEN Bd .VI. Semon,Forschunssreisen,Bd.IV.Taf.II. n —; | Kükenthal u. Giltsch gez. Verl. v. Gustav Fischer, Jena. Lith.Anst.v. A Giltsch Jena. Tatel IV: Tafel IV. Fig. 16. Kopf des Embryos von Manatus koellikeri in der Seitenansicht, natürl. Grösse. „ 17. Kopf desselben Embryos von vorn, natürl. Grösse. Kükenthal, Vergl.Anat.u.Entw.d. Sirener JEN.DENKSCHRIFTEN Ba. VIL S emon, Forschung sreisen, Bd. IV. Taf. IV. = Kükenthalu. Giltsch gez Verl.v. GAustav Fischer, Jena Tafel V. Tafel V. Fig. 18. Schnauze des Embryos von Manatus inunguis von vorn, ?/, natürl. Grösse. „ 19. Embryo von Halicore dugong (Stadium II), ?/, natürl. Grösse. „ 20. Schnauze desselben Embryos von vorn, 2mal vergrössert. Kükenthal EEE __JEN. DENKSCHRIFTEN Ba. VIl u ___Semon,Forschun Bd N Tat. V. ee HE u: 2 Se = = a nz 2 ee, Fo: Te j IINIINNIMNIN I) ; 3 9088 00744 6586 | I Sr 5 a TER - .. x Bu SF de Fra F Bari. nz G Fi Ar ” w = < ee a