Se; N er ren int gente EN es re sou er ra PS EE ö vd Seo RT à > TA at À LAN AS MER ME MORE +) rn LE } Aue AMC = VERHANDLUNGEN © NATURFORSCHENDEN GESELLSCHAFT IN BASEL. DRITTER THEIL, IN VIER HEFTEN. MIT FÜNF TAFELN. an CES CS — BASEL. SCHWEIGHAUSERISCHE VERLAGS- BUCHHANDLUNG. 1563. INHALT. Anatomie. Prof. W. Hıs: Ueber den Bau der Lymphdrüsen, 3. Prof. Dr. Cu. Arsy: Bemerkungen über die Bildung des Schädels und der Extremitäten im Menschengeschlechte. 535. Palæontologie. Prof. L. RüTımEver : Beiträge zur miocenen Fauna der Schweiz. 12. Beiträge zur Kenntniss der fossilen Pferde und zur vergleichenden Odontographie der Hufthiere überhaupi. 558. Mathematik. Hermann KınkeLin: Ueber harmonische Reihen. 18. Zur Theorie des Prismoides. 50%. Das Buch der drei Brüder. 511. Physik. Dr. Fr. BurcknarDT : Die Empfindlichkeit des Augenpaares für Dop- pelbilder. 33. Ueber Contrastfarben. 445.. Meteorologie. Rathsherr P. Merıan: Meteorologische Uebersicht des Jahres 1860. 45. Meteorologische Uebersicht des Jahres 1861. 463. Geologie. Rathsherr P. Merıan: Verschiedene Mittheilungen. 48. Pfarrer R. CArTIer: Der obere Jura zu Oberbuchsiten; eine geologische Skizze. 48. Prof. Arsr. Mürrer: Vorlegung der geognostischen Karte des Kantons Ba- sel und der angrenzenden Gebiete. 65. Ueber die Wiesenbergkette im Bas- ler Jura, 490, Chemie. Prof, C. F. Schensein: Ueber den freien positiv-activen Sauerstoff oder das Antozon. 155. Ueber das Vorkommen des freien positiv-activen Sauerstoffes in dem Wölsendorfer Flussspath. 165. Ueber die Nitrifica- tion. 177, Ueber die empfindlichsten Reagentien auf die salpetrichte Säure - und Salpetersäure, die Nitrite und Nitrate. 178. Ueber das Verhalten der drei Modificationen des Sauerstoffes zu den Nitriten. 181. Ueber die Um- wandlung der alkalischen Nitrate in Nitrite. 188. Ueber das Verhalten des Sauerstoffes zum Ammoniak unter dem Berührungseinflusse der Oxide des Kupfers und des Nickels. 195. Ueber die Bildung des salpetrichtsauren Ammoniakes aus Luft und Wasser. 202. Ueber die Bildung der Salpeter- säure und der Nitrate aus gewöhnlichem Sauerstoff und Stickstoff unter dem Einfluss der Electricität. 209. Notiz über das Vorkommen von Nitri- ten in der Natur. 216. Beiträge zur nähern Kenntniss des Sauerstofies und der einfachen Salzbildner. 220. Ueber das Verhalten des Chlores, Bromes und Jodes zu dem wässrigen Ammoniak und den alkalischen Oxiden. 220. # Ueber das Vermögen des Jodkaliums, freies Jod gegen die Einwirkung 2SY SL freien Kalis zu schützen. 230. Ueber das Verhalten der Superoxide des Wasserstoffes und Bariums zum Jod und Jodstickstoff. 233. Ueber das Verhalten des Jodes zum Stärkekleister und reinem Wasser bei höherer Temperatur. 240. Ueber das Verhalten des Weingeistaldehydes zum Sauer- stoff. 244. Ueber einige durch die Haarröhrchenanziehung des Papieres hervorgebrachten Trennungswirkungen. 249. Ueber die allotropen Zustände des Sauerstoffes. 299. Ueber die Darstellung des Ozons auf chemischem Wege. 305. Ueber die Veränderlichkeit der allotropen Zustände des Sauer- stoffès. 317. Ueber das Verhalten des Bleiessigs zum Wasserstoffsuper- oxid. 336. Ueber einige neuen höchst empfindlichen Reagentien auf das Wasserstoffsuperoxid. 339. Ueber die Bildung des salpetrichtsauren Am- moniakes aus Wasser und atmosphärischer Luft. 342. Ueber das Vorkom- men des salpetrichtsauren Ammoniakes in thierischen Flüssigkeiten. 364, Nachträgliche Angaben über die Bildung alkalischer Nitrite. 367. Ueber das Vorkommen salpetricht- und salpetersaurer Salze in der Pflanzenwelt. 371. Weitere Beiträge zur nähern Kenntniss des Jodes, Bromes und Chlo- res. 382. Ueber die Veränderung der Farbe der Indigolösung, durch die löslichen Quecksilberoxidsalze verursacht, 397. Einige Notizen über das Chlorbrom. 398. Ueber den Einfluss der schweflichten Säure auf das Bleich- vermögen der Eisenoxidsalze, der Chlor-, Ueberchlor-, Salpeter-, Chrom- säure und deren Salze. 401. Ueber den muthmasslichen Zusammenhang der - Antozonhaltigkeit des Wölsendorfer Flussspathes mit dem darin enthaltenen blauen Farbstoffe. 408. Ueber die Bildung des Wasserstoffsuperoxides bei höhern Temperaturen. 416. Ueber das Verhalten des Blutes zum Sauer- stoff. 516. Ueber die katalytische Wirksamkeit organischer Matérien und deren Verbreitung in der Pflanzen- und Thierwelt. 697. Dr. FRIEDR. GoPPELSREDER: Beiträge zum Studium der Salpeterbildungen. 259. Ueber ein Verfahren, die Farbstoffe in ihren Gemischen zu erkennen, 268. Vorläufige Notiz über ein neues Reagens auf alkalisch reagirende Flüssig- keiten und auf salpetrigsaure Salze. 426. Vorläufige Notiz über eine die Jodstärke-Reaktion maskirende Eigenschaft gewisser unorganischer Sub- stanzen. 437. Dr. Frückıser: Ueber die Koprolithen des Bonebed. 275. Botanik. Dr. Paun Reınscn: Die Kryptogamenflora des baslerischen, sowie ei- nes Theiles des angrenzenden bernischen und solothurnischen Jura. 469. Dr. H. Curıst: Uebersicht der Europäischen Abietineen (Pinus Linn.) 5#{. Geschenke an das naturwissenschaftliche Museum. 281. 722, Verzeichniss der Mitglieder der naturforschenden Gesellschaft in Basel im Jahr 1863. 740, en VERHANDLUNGEN NATURFORSCHENDEN GESELLSCHAFT BASEL. DRITTER THEIL. ERSTES HEFT. BASEL. SCHWEIGHAUSERISCHE VERLAGS-BUCHHANDLUNG. 1861. “M - NE CPE Autor: Den | KIN Baer € ie > 3 (Re À he, er ANATOMIE. Ueber den Bau der Lymphdrüsen. Von Prof. W. Hıs. Die Lymphdrüsen erscheinen als kleine Körper meist von Erbsen- bis Bohnengrösse, welche gruppenweise bei- sammen liegend an den verschiedensten Punkten des Kör- pers vorgefunden werden. Dieselben sind dem Verlauf der Lymphgefässe in der Weise eingeschaltet, dass eine jede Drüse an ihrer Oberfläche einige solche Gefässe aufnimmt und dafür an einer bestimmten Stelle aus ihrem Innern ein oder . mehrere Stämmchen wieder abgiebt, die nun häufig genug zu fernern Drüsen hintreten. Die typische Form der Drü- sen pflegt eine bohnenförmige zu sein; die zuführenden Ge- fässe treten an die convexe Oberfläche der kleinen Organe, während die ausführenden Gefässe an der eingezogenen Stelle am sogenannten Drüsenhilus oder der Drüsenpforte aus dem Innern derselben hervortreten; an diesem Drüsen- hilus geschieht auch der Eintritt der arteriellen und venö- sen Blutgefässe in das Innere des Organes. Soweit man nun an injicierten Objecten von blossem Auge das Verhal- ten der zuführenden Lymphgefässe verfolgen kann, so zeigt 1* % sich, dass diese letztern, noch bevor sie die Drüsen erreicht haben, anfangen sich zu theilen; diese Theilung setzt sich auch fort, wenn die Gefässe auf der Oberfläche der Drüse angelangt sind, und es zerfälit so jedes einzelne Stämmchen in ein Büschel von Zweigen, die nun, ohne mit einander in netzförmige Verbindung zu treten, in das In- nere der Drüse sich einsenken. Jedes zuführende Lymph- gefäss hat seinen kleinen Oberflächenbezirk, den es auf die genannte Weise mit Zweigen versieht. Was die ausfüh- renden Lymphgefässe betrifft, so sieht man, dass diese an der Drüsenpforte aus einem Netzwerke kleinerer Gefässe hervorgehn. Es fragt sich nun zunächst, wie verhalten sich die Lymphgefässe im Innern der Drüsen und welches ist der Bau dieses Drüsen-Innern. Die Methode, deren man sich in älteren Zeiten bediente, um diese Frage zu entscheiden, war vorzugsweise die Quecksilberinjection. Hat man unter einem gehörigen Druck die zuführenden Gefässe angefüllt, so dass die Theilung wieder durch die ausführenden ab- läuft, so pflegt man die Drüsenoberfläche mit einer Anzahl von kleinen halbkugligen Vortreibungen versehen zu finden, die durch Quecksilber ausgedehnt sind. Dieses Bild deu- tete man verschieden. Nach dem Vorgang von Malpighi glaubten manche Autoren, es deuteten die fraglichen Vor- treibungen auf kleine Hohlräume oder Zellen, die den Drüsenkörnern absondernder Drüsen analog seien; diese sollten sich dann in die zwischen ihnen hindurchtretenden Lymphgefässe öffnen. Andere Anatomen dagegen liessen die ganze Drüse nur aus einem Convolut vielfach gewun- dener Lymphgefässe bestehen und nahmen an, die Malpighi- schen Zellen seien blosse Umbiegungen der aufgewickelten Gefässe. Es ist nun klar, dass die Methode der Queck- silberinjection eine verhältnissmässig sehr rohe ist und dass man mittelst ihr nur unvollkommene Resultate erzielen kann. > In neuerer Zeit hat man daher angefangen, mittelst des Mikroscopes an feinen Durchschnitten den Drüsenbau zu studieren, und man ist durch die Bemühungen von Noll und Ludwig, von Brücke, Donders und Kölliker zu ÄAnschauun- sen gelangt, die jedenfalls um ein Wesentliches der Sache näher sind als die Vorstellangen der älteren Anatomen. Bevor wir aber die in neuerer Zeit zur Geltung gebrach- ten Ansichten mittheilen, müssen wir erst sehen, was das biosse Auge über die Beschaffenheit des Drüsen-Innern lehrt. Schneidet man eine Lymphdrüse mitten durch, so erkennt man an ihr, abgesehen von einer äussern fibrösen Hülle, mindestens zwei, in manchen Fällen aber drei verschieden aussehende Substanzen. Wir nennen diese von anssen nach innen gerechnet: die Rindensubstanz, die Marksubstanz, das Bindegewebslager der Drüsenpforte oder das Hi- lusstroma. Letztere Substanz besteht aus den stärkern zur Drüse hintretenden Biutgefässen, sowie aus den Wurzeln der Lympbgefässe, welche Theile durch ein fibrôses mehr oder minder fettreiches Gewebe zusammengehalten sind. Wich- tiger als diese Substanz sind die Rinden- und die Mark- substanz der Drüsen. Die Färbung der Rindensubstanz ist grauröthlich; dünne Scheidewände, die von der allgemei- nen Drüsenhülle nach innen abgehen, bringen dieselbe in kleine rundliche Abtheilungen, die man mit dem Namen der Alveolen bezeichnet hat. Die Marksubstanz zeigt ein mehr schwammiges Aussehen, sie ist wegen der Anwesenheit der stärkern Gefässe röther gefärbt als die Rinde, häufig auch ist sie bräunlich oder selbst schwärzlich pigmentiert. In der Marksubstanz nirımt man von blossem Auge keine al- veolären Abtheilungen wahr, dagegen zeigt sich allerdings bei der mikroscopischen Untersuchung, dass Fortsetzungen 6 der fibrôsen Balken, die die Abtheilung der Rindensubstanz bewerkstelligen, auch in die Marksubstanz hinein sich fort- setzen und hier ein Gerüste bilden, das weit engmaschiger ist als das an der Peripherie. im Ganzen also haben wir sowohl in Rinde als im Mark ein Fachwerk fibröser Bal- ken, in dessen Maschen eine weiche pulpige Masse einge- lagert ist. Man weiss nun längst, dass die fragliche weiche Masse grösstentheils aus kleinen runden Körpern besteht, die in ihren wesentlichen Eigenschaften mit den Lymphkörperchen übereinstimmen, und ebenso hat man sich seit den Arbeiten von Donders und von Kölliker überzeugt, dass in den Ma- schenräumen des oben beschriebenen Fachwerkes ein Gerüste von Blutgefässen sich findet, an das ein weiteres Gerüste sehr fein verzweigter Fäden sich anlagert. Dieses feinere Fachwerk von Blutgefässen und angelagerten Fäden er- kennt man erst, nachdem man die eingelagerten Lymphkör- perchen aus seinen Maschenräumen herausgespült hat, eine Operation, die am leichtesten mittelst eines Tuschpinsels sich bewerkstelligen lässt. Die Ansicht, die man nun im Verlauf des letzten Jahr- zehntes über den Lymphdrüsenbau sich gebildet hatte, war folgende: Man liess die durch die Drüsenhülle durchgetre- tenen Lymphgefässzweige in die peripherischen Alveolen frei einmünden, und nun sollte die Lymphe, durch das grö- bere und feinere Fachwerk hindurch filtrierend, sich ihren Weg bahnen bis in die innersten Alveolen und von da in die ausführenden Lymphgefässe. Die Körperchen würden dabei so im Vorbeigehen mitgenommen. Es soilte also je- weilen die ganzen Alvevien, d.h. die ganzen von den fibrö- sen Balken umschlossenen Räume von der Lymphe durch- strömt werden urd Lymphbahn und eigentliche Drüsensub- stanz räumlich zusammen fallen. Diese Vorstellung von dem Hindurchfiltrieren der Lym- 7 phe durch die Drüsenräume ist nun ungenau und es lässt sich zeigen, dass sowohl in der Rinden- als in der Mark- substanz überall zweierlei Elemente aus einander zu halten sind. Das eine dieser Elemente ist die Bahn für die Lym- phe, das andere die eigentliche Drüsensubstanz. Die Lymphbahnen oder Lymphsinus sind überall vor- gezeichnet durch das fibröse Gerüste, es folgen die Lymph- bahnen den Balken dieses Gerüstes und sie schieben sich allenthalben zwischen diese Balken und zwischen die ei- gentliche Drüsensubstanz ein. Von der Vertheilung der ei- gentlichen Drüsensubstanz aber können wir uns am besten eine Vorstellung machen, wenn wir annehmen, es seien die Zwischenräume der fibrösen Balken von einer erstarrenden Masse ausgegossen worden und diese habe sich so zu- sammengezogen, dass sie allenthalben um ?=3%/00° von den Balken absteht. Entsprechend der verschiedenen Verthei- lung der Balken gestaltet sich auch die Vertheilung der Drüsensubstanz im Mark und in der Rinde etwas anders. In der Rinde finden sich rundliche unter einander zusam- menhängende Abtheilungen, die wir als Drüsenampullen der Cortikalsubstanz oder einfach Cortikalampullen nennen können, im Drüsenmark dagegen besteht die Drüsensubstanz aus netzförmig verbundenen kurzen Röhrenstücken, die wir die Drüsenschläuche der Marksubstanz oder einfach die Mark- schläuche nennen. An den Balken des fibrösen Gerüstes sind die Cortikalampullen sowohl als die Markschläuche durch feine Fasern (meist verzweigte Zellen) angeheftet, welche somit die Lymphsinus durchsetzen. Die Begränzung der Drüsensubstanz gegen die Lymphsinus hin geschieht durch eine Membran, welche zwar für das Auge scharf sich absetzt, die aber gleichwohl nicht undurchdringlich ist, son- dern aus feinen Netzfasern gewoben und daher von vielen Lücken durchsetzt ist, die gross genug sind, um Lymph- | körperchen durchzulassen Der wichtigste anatomische Un- 8 terschied der Drüsensubstanz und der Lymphsinus wird nun dadurch begründet, dass während die Lymphbahnen völlig blutgefässfrei sind, die Drüsensubstanz ein reiches Netz- werk von Gefässen enthält, das bis an die Begränzungs- membran hinreicht. Die Vertheilung und Ausbreitung die- ser Blutgefässe ist nicht uninteressant; wie wir eben ge- - sehen haben, treten die Blutgefässstämmchen vom Hilus in das Innere der Drüsen und sie erleiden ihre gröbere Ver- theilung im Hilusstroma, nun treten die Stämmchen theils in die fibrösen Balken ein, theilweise aber gelangen sie sofort in das Innere der Markschläuche und lösen sich hier in ein Capillarnetz auf, das seine Hauptausbreitung unmittelbar an der Gränzmembran des Schlauches findet. Die Cortikal- ampullen erhalten ihre Gefässe ebenfalls vom Innern her, sei es, dass sie ihnen von den Markschläuchen zugeführt werden, oder dass sie von den innern Balken in sie ein- treten. Auch hier findet die reichlichste Capillarausbrei- tung unmittelbar an dem Begränzungsrand selbst statt. Diese Einrichtung, wonach die arterielle Stromesrichtung sowohl bei den Drüsen als Ganzem als auch bei den Abschnitten der eigentlichen Drüsensubstanz eine von innen nach aus- sen hin gerichtete ist, ist für die Functionirung der Theile keineswegs ohne Bedeutung; es wird nämlich zunächst da- durch erreicht, dass nicht allein die ganze Drüse während des Lebens stets eine gewisse Fülle und Ausdehnung be- wahrt, sondern auch das, dass der Begränzungsrand der Drüsensubstanz gegen die Lymphsinus hin stets gespannt erhalten bleibt, so lange als überhaupt Blut in den Gefässen strömt. Eine ähnliche Einrichtung treffen wir ja auch für die aufsaugenden Zotten des Darms, die wir nach dem Tode immer nur im collabierten Zustande über einander liegend finden, während sie zu Zeiten der Cirkulation strotzend ins Innere des Darmrohrs hinein ragen. Ausser dem bisher Gesagten ist wenig über den Bau 9 der eigentlichen Drüsensubstanz zu sagen; an das Gerüste der Blutgefässe schliesst sich, wie schon oben erwähnt, ein feines Fasernetz an, in dessen Maschenräumen die Lymph- körperchen liegen. Kigenthümlich sind gewisse durch ein lockeres Gefüge ausgezeichnete Lückenräume in den Corti- kalampullen, die ich Vacuolen nenne, über deren physiolo- gische Bedeutung ich aber nichts anzugeben weiss. Was nun den Mechanismus der Drüsenthätigkeit be- trifft, so mache ich mir darüber folgende Vorstellung: Die Lymphe strömt im Allgemeinen unter nur geringem Drucke in die Lymphsinus ein, indem die feineren Zweige der Vasa afferentia in dieselbe sich eröffnen. Sie wird nun langsam durch diese hindurch strömen in der Richtung gegen den Hilus hin und wird im Allgemeinen keine Veranlassung fin- den, aus den Sinus in die eigentliche Drüsensubstanz ein- zudringen. Im Gegentheil wird Flüssigkeit aus der Drüsen- substanz in die Sinus getrieben werden, da wegen des Gefässreichthums der erstern und der Gefässlosigkeit der letztern der Druck, unter dem die Flüssigkeit steht, dort eher etwas grösser sein wird, als hier. Schon die perio- dischen Druckschwankungen, die vom Pulsieren der Gefässe abhängig sind, müssen ein Strömen von Flüssigkeiten in der angegebenen Richtung unterstützen. In die eigentliche Drü- sensubstanz ist nun der Sitz der Blutkôrperlildung zu ver- legen, und es werden die hier gebildeten Körperchen je- weilen mit dem Flüssigkeitsstrom aus der Drüsensubstanz in die Sinus hinein getrieben werden. { Sehr wichtig ist wahrscheinlich auch die Function des fihrösen Gerüstes. Dieses nämlich sowohl als die Hülle der Drüse enthält einen reichlichen Antheil von glatten Muskelzellen. Wäre es nun erlaubt anzunehmen, dass die fraglichen Muskeln periodisch sich contrahiren, etwa nach der Art der Muskeln des Blutherzens oder der Lymphher- zen der Amphibien, so würde man damit ein wesentliches 10 Unterstützungsmittel für den Lymphstrom gefunden haben. Ziehn sich nämlich die Muskeln der fibrôsen Hülle und der Septa zusammen, so muss die ganze Drüse verkleinert wer- den; es wird auf den Inhalt ein Druck ausgeübt, in Folge dessen die Lymphsinus zunächst sich entleeren, und zwar geschieht diese Entleerung in die Vasa efferentia, da ein Zurückströmen in der Vasa afferentia nicht möglich ist, wegen der hier vorhandenen Klappen. In der Drüsensub- stanz selbst wird der Druck der Muskeln theilweise erst eine Entleerung der venösen Blutgefässe zur Folge haben, theilweise wird auch von der vorhandenen extra vasa be- findlichen Flüssigkeit ein Theil in die Lymphsinus und von da in die Vasa efferentia gepresst werden. Sowie nun der Muskeldruck nachlässt, nimmt die Drüse schon wegen der in ihren Frabekeln verlaufenden Gefässe wieder ihre frü- here Grösse und Form an. Durch ein vermehrtes Einströ- men von Blut und Ausschwitzen aus den Gefässen erreicht auch die Drüsensubstanz wieder ihren frühern Umfang und es müssen nun nothwendig die Lymphsinus wieder sich füllen; diese Anfüllung kann nun einmal von den Vasa afferentia aus geschehen, zweitens aber von der Drüsen- substanz her, und es wird nun von den jeweiligen Um- ständen abhängen, ob von da oder von dort mehr Flüssig- keit zuströmt. Findet gar kein Zuströmen durch die Vasa afferentia statt, so müssen die Lymphsinus ganz von der Drüsensubstanz aus sich füllen, und so wird eine oft wie- derholte Contraction der Drüsenmuskeln nothwendig zur vermehrten Lymphbildung führen müssen. Wir besitzen auch einen Versuch von Ludwig und Krause, wonach Reizung gewisser Nerven eine vermehrte Lymphbildung zur Folge hat. Dieser Versuch würde sich sehr einfach auf dem an- gegebenen Weg erklären. ist die Contraction der Drüsenmuskeln nicht eine ryth- 11 misch wiederkehrende, sondern eine tonische, eine Mög- lichkeit, die natürlich auch ins Auge zu fassen ist, so wird ihr Einfluss auf ein Mehr oder Weniger des dem Lymphstrom gesetzten Widerstandes sich beschränken. Der experimentellen Untersuchung bleibt es vorbehalten zu ent- scheiden, welcher Contractionsmodus in Wirklichkeit an den Lymphdrüsen vorkommt. PAL /ÉON'TOLOGUEE. Beiträge zur miocenen Fauna der Schweiz. Von Prof. L. Rürimever. (Den 7. März 1860 und 5. Juni 1861.) ‘Zu der leider noch nirgends vereinigten Liste von Wir- belthieren des schweizerischen Tertiär-Terrains, welche von Jahr zu Jahr, und in der Regel durch Privatfleiss mehr zunimmt als durch öffentliche Sammlungen, füge ich in Folgendem eine Anzahl vor meist neuen Fossilien, wel- che zum grössten Theil durch den unermüdlichen Fleiss von Herrn Pfarrer Cartier in Ober-Buchsiten in der Umgebung dieses Ortes gesammelt worden und theils in seiner Privat- sammlung, theils im Museum von Bern niedergelegt sind; von letzterm Ort sind sie mir bereitwilligst durch Herrn von Fischer-Ooster zugestellt worden. Die weitaus grössere Anzahl derselben stammt aus der seit längerer Zeit durch ihren Blätterreichthum und durch schöne Wirbelthier-Ueber- reste bekannt gewordenen Localität von Aarwangen am rech- ten Aar-Ufer, ein Theil von nahe gelegenen Stellen, theils Molasse, theils Süsswasserkalk, am linken Aar-Ufer, und überdies habe ich dazu noch eine Anzahl von Fossilien aus dem nämlichen Terrain gefügt, welche mir von verschiede- nen Orten gelegentlich zu Gesicht gekommen sind. | 13 | Obschon meist in sehr fragmentarem Zustand, haben doch die Fossilien von Aarwangen eine Menge für die Schweiz neuer Arten kennen gelehrt; um so mehr sind wir dem sorgfältigen Beobachter, der sie aufgefunden, zu Dank verpflichtet. 1. Untere Süsswasser-Molasse. Fleischfresser. Amphicyon Lartet. Ein nicht näher zu bestimmender oberer Eckzahn, ziemlich comprimirt, auf der Innenseite flacher, hinten gekielt, von der Grösse des entsprechenden Zahnes beim Wolf. Aarwangen. Cartier. Hufthiere. Tapirus Zahnstücke, welche nach der Grösse leicht zu T. helveticus gehören könnten. Aarwangen. Cartier. Lophiodon minimus Cuv. (Argenton) Eine untere Mo- lar-Reihe vom Hohen-Rhonen. Mus. Basel. Rhinoceros (Aceratherium) minutus Cuv. Ein Unterkiefer- ast mit allen Molaren in Aarwangen, Cartier; ein noch voli- ständigerer in einem braunen Süsswasserkalk bei Oensingen, Cartier; zerstreute Zähne in der Blättermolasse von Ober- Buchsiten, Cartier, in Braunkohle am Speer, Mus. Basel, in der Molasse von Bucheckberg, Mus. Solothurn: Rhinoceros (Aceratherium) incisivus Cuv. Sehr vollstän- dige obere Molaren in der Braunkohle von Rufi bei Schän- nis. Mus. Basel. Untere Süsswassermolasse von Schangnau. Mus. Bern. Rhinoceros (Aceratherium) Gannatensis Duv. (Gannat, Al- lier). Ein vollständiger Kopf, den ich einlässlich anderswo beschrieben habe ‘), und sehr ansehnliche Unterkieferstücke 1) Neue Fundorte von Rhinoceros in der Schweiz. Mitth. d. Na- turforschenden Ges. in Bern 1860, No. 455 —453. 14% von % fernern Individuen an der Engehalde bei Bern. Mus. Bern. Rhinoceros sansaniensis Lartet (Sansan), ein vollständi- ger Unterkiefer und ein Symphysenstück eines zweiten an der Engehalde bei Bern. Mus. Bern. Diese Stücke sind mit dem vorigen a. a. O. beschrieben. Hyotherium Meisneri H. v. Meyer (Sus Meisneri Kaup) Bucheckberg. Mus. Solothurn. Palaeochoerus Typus Gerv. (Anthracotherium gergovia- num Croiz. Saint-Gérand-le-Puy, Allier.) Eine Schädel- hälfte mit den zwei vordern Molaren (der letzte Backzahn ist noch nicht ausgetreten), den zwei hintersten Prämola- ren und den Alveolen der zwei vordern Prämolaren. Mit der Originalabbildung von Pomel (Bulletin Soc. géol., de France. 1847. B. p. 381, fig. 1, Pl. 4.) vollständig überein- stimmend. Die beiden vordern Höcker der Molaren sind durch ein schiefes schwaches Querjoch vereinigt. Prämo- lare 4 hat eine starke äussere Hauptzacke mit blos schwach angedeuteter Theilungsfurche und eine sehr starke Innen- zacke, Prämolare 3 eine ganz einfache Hauptzacke und einen innern Talon. Die Molaren besitzen an der Innenseite keinen Basalwulst. (Die Gervaissche Abbildung, Paléontol. Pl. 33, Fig. 1, obschon nach Pomel copirt, ist in dieser Beziehung unrichtig). Aarwangen. Mus. Bern. Zu derselben Species rechne ich auch einen isolirten untern seitlichen Schneidezahn von 26 Mm. voller Länge, von Aarwangen (Cartier), dessen Krone=mit dem analogen Zahn von Anthracoth. magnum (Gastaldi, Cenni sui vertebrati fossili del Piemonte fig. 8—16, Pl. VD der Form nach am meisten übereinstimmt, obschon der unsere noch schiefer gebildet ist und eine sehr unregelmässige, fast lappige Usur- fläche trägt. 5 Ebenso scheint eine Anzahl von Skeletstücken aus Aar- wangen, in beiden genannten Sammlungen befindlich, zum 15 Theil dieser Species, zum Theil den später zu nennenden Anthracotherien anzugehören. Es sind sehr unvollstän- dige Extremitäten-Knochen von Pachydermen verschiedener Grösse. Interessant ist überdies ein im Besitz von Herrn Pfar- rer Cartier befindliches Stück, ebenfalls aus Aarwangen, das einen theilweise noch von Knochensubstanz, namentlich von den Siebbeinen umgebenen Steinkern eines Säugethier- schädels darstellt, der nach Grösse und nach der Beschaf- fenheit des Gehirnes leicht zu Palaeochoerus, und zwar der obigen Art, gehören könnte. Vom hintern Umfang des Ge- hirns bis zum Ansatz der Nasenbeine ist eine Distanz von 79 Mm. Die Gehirnoberfläche zeigt noch ganz deutlich die Gyri des Gehirns, welche im Allgemeinen wie bei Carni- voren angeordnet sind, allein doch etwas faltiger, fast wie beim Schwein. Ueber die Stirnfläche hin verlaufen noch die Eindrücke der Schädelnäthe. . Hyopotamus borbonicus Gerv. (Allier), ein einzelner obe- rer Backzahn. Aarwangen. Mus. Bern. Anthracotherium hippoideum Rütim. Zu dem seit einiger Zeit bekannten vollständigen Unterkiefer von Aarwangen !) fand sich noch ein oberer rechter äusserer Schneidezahn, abgesehen von der Grösse vollständig ähnlich demjenigen, den Gastaldi a. a. O. Tab. IV und IX für Anthracoth. mag- num abbildet, und nur durch die der seitlichen Stellung entsprechende schiefere Form der Krone verschieden von Incis. 2, welche Bayle?), und von Incis. 1, welche ich für Anthrac. magnum abgebildet habe.?) Die Spitze der Krone ist durch Usur stark abgetragen; volle noch erhaltene Länge 66 Mm., Kronlänge 20. Aarwangen. Cartier. 1) Ueber Anthracoth. magnum und hippoideum. N. Denkschr. d. _ schweiz. Ges. für Naturwiss. Tom. XV. 1857. 2) Bullet. Soc. géol. Tom. XII. 1855. Fig. 3, Pl. XXII. 3) A. a. O. Fig. 4, Pl. I. 16 Anthracotherium minus Cuv.? Ein unterer zweiter Prä- molarzahn, dem entsprechenden Zahn von Anthracoth. hip- poideum in der Form gleich, allein um die Hälfte kleiner. Länge 12 Mm., Höhe 9. Aarwangen. Cartier. Cainotheriun Courtoisi Gerv. (Microtherium Cartieri H. v. Meyer). (La Debruge bei Apt) Ein Unterkiefer nebst einzelnen Oberkieferzähnen. Aarwangen. Cartier. Von H. v. Meyer seit längerer Zeit angegeben aus dem Bohnerz bei Egerkingen, allein dahin wohl nur aus der Molasse ver- schleppt. Anoplotherium grande Lartet (Chalicotherium antiquum Kaup) S. dessen Beiträge zur Kenntniss der urweltl. Säuge- thiere Heft IV, 1859, p. 3. Ein letzter oberer Backzahn vom Hohen-Rhonen. Mus. Basel. | Palaeomeryx. Scheuchzeri H. v. Meyer. Eine Anzahl von Zähnen, worunter auch Milchzähne, in Aarwangen. Cartier. Andere Fundorte dieses in der Molasse so reichlich ver- breiteten Thieres sind Bucheckberg, Mus. Solothurn; Enge- halde bei Bern, Mus. Bern. Palaeomeryx minimus? Zähne aus der Braunkohle von Rufi bei Schännis, im Besitz von Hrn. Dr. Zschokke in Aarau. Nager. Archaeomys chinchilloides Gerv. (Issoire) Nicht selten in Aarwangen. Cartier und Mus. Bern. Archaeomys Laurillardi Gerv. ae Zwei Unterkiefer von Aarwangen. Cartier. in Das Gebiss von Archaeomys stimmt mit demjenigen der lebenden Viscachen (Lagostomus und Lagidium) so sehr überein, dass eine Abtrennung davon aus diesem Grunde unberechtigt schiene. Dagegen ist der Unterkiefer der letz- teren, und besonders dessen zahnloser Theil zwischen Back- zähnen und Schneidezähnen um das Doppelte länger als bei Archaeomys. Lagidium hat dabei die Zahnprismen weniger 2 , 17 schief gestellt als Lagostomus, das insofern Archaeomys näher steht. Chinchillen konnte ich nicht vergleichen. Theridomys Blainvillei Gerv. (lssoire) Einzelne Zähne in Aarwangen. Cartier. Issiodoromys pseudanoema Croiz. (Issoire) Einzelne Zähne in Aarwangen. Mus. Bern. Reptilien. Bruchstücke von Emys und Trionyx in Aarwangen. Cartier. :2. Anhangsweise erwähne ich noch aus dem Eocen: Lophiotherium cervulus Gerv. (Alais) im Bohnerz von . Egerkingen. Cartier. Durch H. v. Meyer sind bekanntlich aus dieser Localität seit längerer Zeit angegeben: Lophio- don isselense und medium. Anoplotherium commune. Pa- laeotherium magnum. Tapirotherium Gresslyi. Microtherium Cartieri, also Species von der Pariser- bis zur Mainzer-Stufe. Lophiotherium cervulus ist aus der Lophiodontengruppe der einzige Begleiter der Palaeotherien. MATHEMA TIR. Ueber harmonische Reihen. Von HERMANN KINKELIN. $. L Der Satz, welchen Fourier in seiner Théorie de la cha- leur entwickelt und Dirichlet ') zuerst streng bewiesen hat, dass nämlich jede Funktion von x sich nach Sinussen und Cosinussen der Vielfachen von x zwischen gewissen Gren- zen entwickeln lasse, ist bis jetzt in analytischer Hinsicht insoweit von Bedeutung gewesen, als man ihn auf die be- kannten analytischen Funktionen angewandt hat. Als be- sondere Fälle sind meist nur diejenigen für x — x und TT ; TS als von Interesse angesehen worden. Ich habe nun versucht, die Anwendungen auszudehnen auf alle Fälle, wo . x ein rational ächt gebrochener Theil von 2 x ist, und dies namentlich an einer Klasse von Reihen ausgeführt, welche man harmonische nennt. Die sich ergebenden Resultate schei- nen interessant genug, Ihnen, wenigstens theilweise, mitge- 1) Crelle, Journal für Math. Band 4. 19 theilt zu werden, da sie einen eigenthümlichen Zusammen- hang solcher Reihen mit gewissen Gegenständen der Zah- lentheorie hervortreten lassen. Die Literatur der bereits bekannten Sätze habe ich jedesmal an den betreffenden Stel- len mitgetheilt. Unter einer harmonischen Reihe versteht man eine Reihe, welche nach Potenzen der natürlichen Zahlen fort- schreitet, wobei die Glieder sowohl positiv als negativ ge- nommen werden können. Ist die Reihe eine unendliche, so ist sie nur dann konvergent, wenn der Exponent negativ ist; und zwar muss derselbe, wenn alle Glieder positiv sind, der Grösse nach > 1 sein. Soll die Reihe noch konvergi- ren, wenn der Exponent zwar negativ, aber der Grösse nach < 1, so müssen die Zeichen der Glieder in regelmäs- sigen Perioden wechseln. Im gegenwärtigen Aufsatz kom- men nur Reihen der letzten Art vor. Nimmt man den Exponent s < 1 an, so habe ich früher gezeigt‘), dass jede harmonische Reihe der erwähnten Art zurückgeführt werden kann auf die für alle von Null ver- schiedenen Werthe von x endlich bleibende Funktion Ki—s 1 1 1 ; CF Lun nel Hiebei bedeutet K eine unendlich wachsende ganze positive Zahl, und cs eine von s abhängige Konstante, wel- che durch die Gleichung RN 1 1 1 1 Ki—s AS end sn ne ne cEoiiie cal definirt ist. Die Konstanten cs habe ich auf einem Weg, den ich hier nicht weiter beschreibe, folgenderweise be- stimmt: 1) Mitth. der Berner Naturforsch. Ges. No. 419. 2* 20 É S C6, 7 N 04 | 0,508 0736 | 0,7 | 0,55% 9449 a 1 er 0,500 0000 | 0,6 | 0,547 3386 0,2 | 0,516 0791 | 0,8 | 0,562 4616 | 0,3 | 0,524 0122 ! 0,9 | 0,569 8860 0,4 | 0,531 8689 | 1,0 | 0,577 2157 s 0,5 | 0,539 6455 Die zwischenliegenden Werthe sind daraus durch Interpo- lation bestimmbar. Indem ich für die übrigen Eigenschaften der Funktion o (x) auf den angeführten Aufsatz verweise, führe ich nur folgende zwei Gleichungen an, welche die Grundlage der gegenwärtigen Untersuchung bilden. Setzt man zur Ab- kürzung s s IN: ee _ Ga en : S7L Ts sin = Is cos 5 su hat man die Bestimmungen sin 27x one sin 67x 6(@)—06(1--x)=A | 7 et EE nb COs27x oe s671x o(x)+6(1—x)—265=B | 7 Tr D cie I + 3] (I) welche gelten, so lange x und s innerhalb der Grenzen 0 und 1 liegen. Aus der Zahlentheorie entlehne ich folgendes Bekannte: _ Quadratischen Rest oder einfach Rest einer Zahl n nennt man den Rest, welcher bei der Division einer Quadratzahl durch n übrig bleibt. Es gibt, wenn n eine Primzahl ist, — verschiedene Reste, die << n sind. Bezeichnet man einen solchen mit a, so ist a vermehrt um ein Vielfaches . von n ebenfalls ein Rest. Alle übrigen Zahlen sind Nicht- 21 reste von n. Das Produkt zweier Reste oder zweier Nicht- reste ist ein Rest, das Produkt eines Rests mit einem Nicht- rest ein Nichtrest. ') Ex. Reste von 7 sind 1, 2, %, Nichtreste 3, 5, 6. Reste von 13 sind 1, 3, 4, 9, 10, 12, Nichtreste 2, 5, 6,:7,:8, 11. Bei Primzahlen von der Form 4m + 3 ergänzen die Reste die Nichtreste je zun; bei Primzahlen von der Form 4 m + 1 dagegen ergänzen sich die Reste selbst je zu n, ebenso die Nichtreste. | RS $ IL. Setzen wir in der Gleichung (I) x = — und lassen r . und n ganze positive Zahlen und zwarr < n bedeuten, so seht dieselbe, wenn wir für sin 2 die abkürzende Be- zeichnung [r] gebrauchen, über in I) rt Man hat aber allgemein, wenn alle Buchstaben ganze positive Zahlen bedeuten: [par] = 0, [por + r]=[r], [por — r] = - fl. Ist also n eine ungerade Zahl, so hat man im Ganzen PE — 1 = verschiedene Zähler [1], [2], ... En | Es ist dem- 1 T rene. i nach — (o > -5C)) gleich fr] GDS a rl RE cel is T 91-5 2 (n_2)—s (n—1lis oder gleich + +... 1) Gauss. Disqu. arithm. Sect. IV. 22 1 Ji [r] G=- s ee tt ar (n+1)1-s On t + ) 1 1 1 + [2r] G= a (Bo de (n+2)1-s (2n—2)1-s nr ) ee ue worin das letzte Glied den Koeffizient ES hat. Braucht man nun allgemein die Abkürzung 1 1 1 1 ps @pist Gps (np so heisst die vorige Gleichung +... inf. —p,_, (ID —rs=[r] 11-s+[2r] 4-s+ [3r] 4-s+.. (IV) Setzt man jetzt in dieser für r nach und nach alle gan- iq zen Zahlen 1, 2, 3, Sr so erhält man folgendes Sy- stem von Gleichungen: | LE Z 4s—< [1] 11-s + [2] 4-s+.-... [1 CI: n—1 2 —=[2]u-+[4]4-s+.... [I] —1)ı-; (V) — 1 deren Anzahl = —, und deren Repräsentant die Glei- chung (IV) ist. Man erhält hieraus den Lehrsatz: Die Reihen ps, deren Definition in Gleichung (III) gegeben ist, hängen linear von den Reihen pı-s ab. Setzt man in (V) s = %,, so wird, weil I, = Vn, A = —2, und dann geht das System über in De, (EIER +. Vi Pit, (ne D 23 n—1 Diese 5 nil Gleichungen enthalten — Unbekamnte 1:,, n—1 2 h) a0: Ga und können daher nur bestehen, wenn die Determinante 1-5, F1. 131, . pe = po és) = or vo dv) a/n [3], (61, 1-5, . ist, welche Gleichung einen neuen Zusammenhang der Funk- 1 tionen [1], [2], . - - A darbietet. Setzt man dann die Grössen [1], [2], ... als be- kannt voraus, so können aus dem vorigen System von Glei- chungen die Quotienten je zweier der Ausdrücke 1:,, 2:,, n—1 3 (7)'. bestimmt werden, so dass, wenn der Werth eines solchen Ausdruckes bekannt ist, auch alle übrigen als bekannt anzusehen sind. Diese Ausdrücke aber stellen die Reihen dar 1 } 1 IT Pa eg a en u U VE 4/1 1 1 / 1 NUE SE ae | AS NE ES + 1/2 Via x vıB V/2n-2 Ganz analoge Bestimmungen ergeben sich aus der Glei- chung (II), welche leicht zu finden sind und daher über- gangen werden mögen. $. I. Indem wir zum System (V) zurückkehren, machen wir über n folgende Voraussetzungen. Es sei erstens n eine Primzahl von der Form 4 m + 3. 24 Bezeichnen wir ihre Reste mit R und die Nichtreste mit N, so ist jedesmal n — N=R. Geben wir daher beiden Seiten der das System (V) repräsentirenden Gleichung (IV) das positive Vorzeichen, wenn r ein R ist, dagegen das negative, wenn r ein N ist, und addiren alle Gleichungen (V), so ist die Summe links — (IR; — SN). Auf der rechten Seite haben wir als Summe der ersten vertikalen Glieder- reihe 11-s (S[IR] — ZIN]). Für die übrigen Glieder lie- fert folgende einfache Betrachtung zum Ziel. Nehmen wir von jeder Reihe das p'* Glied, so ist die Summe aller pe" Glieder gleich pics pi = ee EC ni Das allgemeine Glied — [rp| in der Klammer hat das positive Zeichen, wenn r ein Rist, und das negative, wenn r ein N ist. Sind aber p und r beide Reste oder beide Nichtreste, so ist rp ein R; und ist p oder r ein Rest, die andere Zahl aber ein Nichtrest, so ist rp ein N. Somit, wenn p ein R, so ist |rp] entweder gleich + [R] oder + [N] = — [RER], je nachdem r ein R oder N ist; folglich ist das Glied + [rp] = + [R] jedesmal, sobald p ein R ist. Ist aber p ein N, so ist dieses Glied gleich — [R], und demnach ist die ganze Summe rechterhand gleich n—1 5 [R] Ris — SNi), und wir haben sonach die Gleichung n—1 — DR SN) — N [R] (ZRı-s — ZN1-s), n—1 in welcher nur noch © [R] zu bestimmen übrig bleibt, Setzt 1 man zu diesem Zweck s = Y,, so wird À = — 2, und folglich n—1 S[R]J = —. (VIT) 4 25 Löst man endlich noch die Summen auf, so erhält nun die vorige Gleichung BERNIE Form — Ss _ (2m)° n? OO 1 1 Se >” (-— —-——-) (VD Ss Ns 1— 1— R° 2] s sin = ne N Die ne (VII) verdanken wir Gauss, welcher sie zuerst aus der Theorie der Gleichung x" — 1 = 0 ablei- tete ‘) und später direkt bewies ?). Indessen halte ich auch den obigen indirekten Beweis der Aufinerksamkeit nicht unwerth, da er ohne Hülfe imaginärer Grössen geleistet wurde. Ex. Für n = 7 wird aus (VII) SL eye 7 und aus (Vill) Mouse AC Pline ) 9 3 | Für n=3 wird aus (VII) sin = — We und aus (VII) Bee - u 3 1 1 — + — tr — A+.) Ist zweitens n eine Primzahl von der Form % m +1, soistn -— N=N,n— R=R. Es ist sogleich klar, n—1 n—1 dass alsdann X [R] = 0, ZX [N] = 0, und dass somit 1 1 keine der Gleichung (VIII) analoge Bestimmungen erhalten werden. 1) Disqu. arithm. pag. 636. ?) Summatio quarund. serierum (Comm. Gott. Tom. I.) $. IV. Es sei n das Produkt zweier ungeraden Primzahlen n’ und n‘‘, so kann man alle Zahlen von 1 bis n — 1 in 8 Gruppen ordnen, nämlich 1. Reste von n° und n‘ zugleich, R. 2. Nichtreste von n° und n‘‘ zugleich, N. 3. Reste von n° und zugleich Nichtreste von n‘, R.. %. Nichtreste von n° und zugleich Reste von n‘, R,. 5 Vielfache von n’ und zugleich Reste von n‘‘, R”. 6. Vielfache von n‘ und zugleich Reste von n‘, R’. 7. Vielfache von n’ und zugleich Nichtreste von n‘, R;‘. 8. Vielfache von n°’ und zugleich Nichtreste von n‘, R,”. Es ist unschwer zu zeigen, dass die Anzahlen der R, N, R,, R, einander gleich sind. Man bringe nun die Ver- tikalreihen rechterhand im System der Gleichungen (V) in folgendes Schema: r R N R, Ro R‘’ R’ BR,‘ ill 4 Ro, R NUAÛR : RS RE HR ne NN RR RR BR RU RR Berne RAA eyeRbag Ro N RS (mer BER BR Re Nom RO nen wobei alle Gleichungen ausgeschlossen wurden, deren Ar- gument r ein Vielfaches von n° oder n°’ ist Unter der Voraussetzung, dass der eine Faktor n° von der Form % m + 3, der andere n‘' von der Form «m +1 ‘sei, wird nn RB = R, und n,, N RB. Nehmen wir daher im Schema (IX) die Reihen, in denen r ein R oder N ist, mit positivem, die Reihen aber, in de- nen r ein R, oder R; ist, mit negativem Zeichen und ad- diren, so erhalten wir auf gleiche Weise wie in $. II 27 1 ( i! 1 1 1 } As GQr}sn? 5 2Ts sin — 2 ©, 1 1 1 1 ACTE mn) wo die Glieder der unendlichen Reihen der Grösse nach zu ordnen sind. Ich mache hiebei noch aufmerksam, dass man auf diesem Weg zu der Gaussischen Bestimmung (VI) auch für das, wie angegeben, zusammengesetzte n gelan- gen kann. | Ex. n=15 = 3.5. Die Reste von 3 sind 1, 4, 7, 10, 13, die Reste von 5 sind 1, 4, 6, 9, i1, 14, also R=1,4,N=2338R — 7, 13, R — 11, 14, somit 1 ENG! 1 1 1 1 1 1 ts Mass 14 À je (X) 1 LG ar m; STE 2 Is sin — 7 Ein ganz gleiches Resultat wie in (X) findet man, wenn mann —%, n° — 4m +1 annimmt und alle Gleichun- gen, deren Argument r ein Vielfaches von 2 ist, weglässt. Ex. n = 20 — 4.5. Die Reste von 4 sind 1, 5, 9, 13, 17, die Reste von 5 sind 1, 4, 6, 9, 11, 1%, 16, 19, also Br 41 Nr oi EAN VIRE — FI, 19, Soit 1 1 1 1 1 1 1 DE en a + 3 = le = 115 15: 1.78 1% sa 1 ——S (277)520 ? 1 — er) ; Se 21 ssin = SV. Es sei n eine Potenz von 2, so findet man fürn = 4 unmittelbar aus der ersten Gleichung in (V) die Bestimmung 28 Wale T° 1 1 . ST 2 T's sin 5 Diese zuerst von Prof. Malmsten ') aufgestellte Glei- chung wurde ebenfalls, unabhängig von jenem, von Prof. Schlömilch ?) angegeben und später auf einfache Art be- wiesen). Der Beweis von Malmsten gründet sich auf Ei- genschaften bestimmter Integrale, und ebenso ein späterer Beweis von Hofr. Clausen ?). Die Annahme n = 8 gibt eben so leicht für die bei- den Gleichungen r = 1 und r = 3 die Bestimmung | 1 1 1 1 I EE + == D Cuve ur > 1.) bu, STE 85 Ts sin 5 Höhere Potenzen von 2 ergeben keinerlei neue Re- sultate. $. VI. Zur analogen Behandlung der Gleichung (II) überge- hend, kann ich mich kürzer fassen und werde nur die Re- sultate angeben, indem ich für deren Herleitung auf die in den $. IL bis V angewandten Methoden verweise. Es sei n eine Primzahl von der Form 4 m + 1. Man ; À i Zur | Le i bezeichne die Grösse cos „ mit (r), so stellt die Summe ei n—1 E 2 (R) + Z (N) die Hälfte der Summe (1) + (2) +... 1 1) Theoremata nova de integr. def. Upsal. 1842. 2) Grunert, Archiv f. Math. Bd. XII, Nr. XXXV. 3) Schlömilch, Zeitschr. f. Math. Jahrg. II. #) Gr. Arch. f. Math. Bd. XXX, Nr. XX. 29 (n — 1) dar und ist also nach einem bekannten Satz gleich 1 74h Nr bi > EUR Setzt man aber in (Il) x = — und nimmt für r alle —1 , addirt alsdann die ganzen Z Reihen, in denen r ein R von n ist, und subtrahirt von ih- nen die Reihen, in denen r ein N ist, so erhält man sofort N n—1 Ë “52 ; Bil Ita]. = 5 =): 1 Aus diesem de uns — = 3 [@ — (NE —- ee Diese Struts mit der obigen a gibt die Gaussischen Bestimmungen n—1 nl 1 w 5 = + + vn > m=-1- VE. Gun und ferner die Reihenanalogie | = == 1 1 _ (2r)'n ? x, 1 Sl —— — 2 36 XIV 1 RS Tem at Rs NI- =) on 2 welche der für die Primzahlen der Form 4 m + 3 angege- benen Gleichung (VIII) entspricht. Ex. n = 5 gibt R = 1, 4, N — 2, 3, also N __(èm)5 an ln —..) 21—S 21 cos 7 di It + Es sei ferner n das Produkt zweier Primzahlen n’ und n“, und zwar seien entweder beide von der Form 4 m + 3 30 oder beide von der Form 4 m + 1 oder endlich n° = 4 und n‘ von der Form 4 m + 3. Behält man die in $. IV angenommene Bezeichnung bei, so ist im ersten Fall n— RN, n N Ren ne und demnach fi co US POP < tr R;s Rs Eh S7T = 21scos = entsprechend der Gleichung (X). Das gleiche Resultat hat +.) XV) . man in den beiden andern Fällen. Ex. 1. n = 21 — 3. 7. Die Reste von 3 sind 4, #4, 7, 10, 13, 16, 19, die. Reste. von 7 sind 1,2 48,937 15, 16, 18, also B= 1,216 N 5, 12020, mi 13,149 R 2380 woraus die Anwendung auf (XV) leicht zu machen ist. Ex. 2. .n.=.12 —=.4.3 ‚gibt diewReste van 474,5,9 und die Reste von 3: 1,4, 7, 10, also R = 1, N = 14, Rı = 5 BR, = 7, somit 1 MR ee M en | NAT ARE 1e RS 5 E SE 21sc0s— welche Gleichung neuerlich von Prof. Scheibner !) ohne Beweis mitgetheilt wurde. Ist endlich n eine Potenz von 2, so erhält man unmit- telbar aus der Gleichung Er für D dites À (PE SE 1 25 35 235 — Lors 208 = D1—sS 31-5 welche unter Beachtung der in $. I gegebenen Definition . L] von cs auch so geschrieben werden kann 1) Schlömilch, Zeitschr. £. Math. Jahrg. V, H. 4. | 31 BEN rl 2 Rue ST 215 cos 7 Die Annahme n = 8 gibt für r — 1 und r — 3 die ähnliche Relation ci—s 1 1 1 1 ai sl -Taanobos Ener se 2 di, 3 dpi an MOSS ab er 21's cos a 3 2 entsprechend der Gleichung (XM). $. VIT. Wird in gleicher Weise fortgefahren unter der Vor- aussetzung, dass n eine aus mehr als 2 ungeraden Prim- zahlen zusammengesetzte Zahl ist, so gelangt man auf fol- gende zwei Lehrsätze. Lehrsatz 1. Es sein — n’n”...n(m) eine aus den ungeraden Primzahlen n', n°, ... nm) zusammengesetzte Zahl und es bezeichnen Rm, Rm—1, ... Rı, R, Zahlen, welche be- züglich Reste von m, m—1, ... 1, 0 aus jenen Primfak- toren und durch keinen von ihnen theilbar sind. Setzt man als- dann ©, 1 1 1 1 1 PS ne, CG RSm—1 RE RSm—1 R;: De m (8), so ist ——s Sn 2 2Ts COS ou sin Ÿ 2 wobei man cos oder sin zu nehmen hat, je nachdem n von der Form 4 p + 1 oder 4 p + 3 ist. Lehrsatz II. Zahlen, welche nicht nur aus den ersten, 32 sondern aus höhern Potenzen der Primzahlen n°, n”, ... nm) zusammengeselzi sind, geben keinen vom vorigen verschiede- nen Salz. | Indem ich die Konsequenzen, welche sich aus diesen beiden Sätzen für die Theorie der Kreistheilung ergeben, übergehe und hier abschliesse, bemerke ich nur noch, dass wenn man die Operationen, welche im Vorstehenden mit der Entwicklung der harmonischen Reihen vorgenommen wurden, auf die allgemeine Fourier'sche Reihe überträgt, Theoreme erhalten werden, die eine neue Verbindung der Funktionenlehre mit der Theorie der Zahlen zeigen. Ich verspare aber die vollständige Bekanntmachung dieses Ge- genstandes auf eine andere Gelegenheit. PHYSIR. Bie Empfindlichkeit des Augenpaars für Boppelbilder. Von Dr. Fr. BurCKHARDT. Als Wheatstone die Einrichtung des nunmehr allbekann- ten, in theoretischer wie praktischer Hinsicht gleich in- teressanten Instrumentes, des Stereoskopes, zuerst bekannt machte, benützte er einige fundamentale Beobachtungen, um - die Lehre von den identischen Netzhautstellen anzugreifen. Seine Einwendungen sind von den verschiedensten Seiten widerlegt worden. Aehnliche Einwürfe wurden von Rogers in seinen Observations on binocular vision in Silliman J. (2) XXI. 80—95, 173—189 und 439 gemacht. Dr. P. L. Pa- num hat in seiner vortrefflichen Abhandlung: „Physiologische Untersuchungen über das Sehen mit zwei Augen, Kiel 1858,“ ein besonderes Kapitel den Bedingungen und Ursachen des Einfachsehens von Contouren, welche nicht correspondie- rende Netzhautpunkte beider Augen treffen, gewidmet. Er geht dabei von einer einfachen Beobachtung aus, über wel- che er Folgendes sagt: | „Zeichnet man auf ein Blatt Papier zwei Parallellinien, die von einander etwa 3 Millimeter entfernt sind, für das linke, und in passender Entfernung zwei andre, welche etwa 3 34 2 Millimeter von einander entfernt sind, für das rechte Auge, alle senkrecht zur Visierebene, und combiniert die beiden Linienpaare mittelst des Stereoskops oder irgend . einer andern, gleiche Dienste leistenden Vorrichtung, so zeigt das Sammelbild zwei Linien, von denen die rechte vorn, die linke aber schräg hinten liegt. Nach der Mit- theilung verschiedener Beobachter ist dieses Bild der Tie- fendimension ganz rein und ohne Nebenbilder; man sieht nach ihnen entschieden und unzweifelhaft nur zwei Linien, obgleich nur eine Linie des linken Feldes mit einer der Linien des rechten Feldes gleichzeitig auf wirktich und voll- ständig identische Netzhautstellen fallen kann.“ Nun liegt die Frage nahe, wie gross kann der Ünter- schied der Entfernungen zwischen den Parallelen werden, ohne dass das Augenpaar aufhört, ein einfaches Sammel- bild wahrzunehmen? Darauf antwortet Panum Tolgender- massen: „Bei Anwendung gewöhnlicher Linsenstereoskope finde ich, dass zwei Doppellinien, deren Abstände um 2 Milli- meter von einander differieren, leicht und unfehlbar im ge- meinschaftlichen Gesichtsfelde beim binoculären Sehen mit einander verschmelzen. Beträgt der Unterschied der Ab- stände 2 Millimeter, so ist das Verschmelzen auch noch vollkommen möglich; bei einer Differenz von 3 Millimetern sehe ich aber schon immer Doppelbilder. Professor Karsten gelang ein vollständiges Verschmelzen noch bei dieser Dif- ferenz der Abstände; bei einem Unterschiede von #4 Milli- metern aber traten die Doppelbilder entschieden auf.“ „Berechnet man hienach die entsprechenden Grössen- verhältnisse im Netzhautbilde; den Abstand der vereinigt gedachten Knotenpunkte des Auges von der Retina gleich 12 Millimetern gesetzt, so beträgt diese für eine Differenz von 2 Millimetern im Objecte 0,052 Millimeter im Netz- hautbilde, für eine Differenz von 3 Millimetern im Objecte 39 0,078 Millimeter im Netzhautbilde, und für eine Differenz von % Millimetern im Objeete 0,104 Millimeter im Netz- .hautbilde: (Der Abstand des Objects von den vereinigt ge- dachten Knotenpunkten des jederseitigen Auges betrug 460 Millimeter.) Da nun die Breite der Zapfen der Netzhaut zwischen 0,0045 und 0,0067 Millimetern schwankt, die der Stäbchen aber 0,0018 Millimeter beträgt, so scheint der Grenzwerth der Breite von 15—20 Zapfen einigermassen zu entsprechen und für verschiedene Individuen scheint der Unterschied der Grösse, bei welcher die Doppelbilder das Verschmelzen zum einfachen Bilde ablösen, 0,026. Millime- ter im Netzhautbilde nicht zu übersteigen.“ — „Für hori- zontale Linien scheinen die Grenzwerthe etwas geringere Grösse zu haben.“ — „Beim Sehen mit zwei Augen vermittelt also eine Netzhautparthie (von dem Durchmesser von reich- lich 15 Zapfenbreiten) mit einem entsprechenden Netzhaut- punkte des andern Auges noch eine einheitliche Empfindung, während jedes Auge für sich schon die Distanz senkrechter paralleler Linien von weniger als einer Zapfenbreite im Netzhautbilde gesondert zu erkennen vermag.“ „Es kann also eine einfache Ortsempfindung nicht nur durch je zwei Punkte beider Netzhäute, die man identische oder correspondierende zu nennen pflegt, vermittelt werden, sondern ein jeder empfindende Punkt der einen Retina kann mit einer gewissen Anzahl zusammenliegender Punkte der andern Retina eine einfache Ortsempfindung geben. Wenn man also diejenigen Netzhautpunkte beider Augen, die zu- sammen eine einfache Empfindung geben, correspondierende nennen will, so muss man sagen, dass jeder Netzhautpunkt mehrere correspondierende Punkte oder einen correspondie- renden Empfindungskreis im andern Auge habe.“ Panum betont in einer neuern Arbeit'), dass die ein- 1) Arch. f. Anat. u. Phys. 1861. I. 63—111. 3* 36 fache Ortsempfindung in diesen Netzhautparthieen vermit- telt werden kann, nicht muss, wie er es selbst durch zahl- reiche Versuche nachgewiesen habe, und weist damit die Bedenken und Einwendungen ab, welche ihm von Seiten Hasners ') und Volkmanns ?) gemacht worden, welche aber allerdings dadurch noch nicht beseitigt sind. Es giebt allerdings Fälle, in welchen man einfach sieht, obwohl differente Netzhautstellen getroffen werden, und ebenso ist sicher, dass die Differenz ein nach den Indivi- : duen verschiedenes, immerhin aber nicht sehr bedeutendes Mass nicht überschreiten darf, ohne die Wahrnehmung von Doppelbildern zu vermitteln. Panum will nun das Vermögen des Sehapparates, trotz der Affection differenter Stellen einfache Bilder wahrzu- nehmen, der Physiologie erobern, d.h. er will das Vermö- gen als Nerventhätigkeit ansehen und nicht als das Resultat der Erziehung des Sehapparats, als Angewöhnung. Dieser Theorie möchte ich mich auch widersetzen, wozu mich mein für Doppelbilder sehr empfindiiches Auge be- rechtigt. Ich will deshalb zuerst den Grad der Empfind- lichkeit meiner Augen für Doppelbilder bestimmen. Wenn beide Augen einen kleinen, scharfen Punkt, oder aber eine scharfe, aber dünne Linie, einen feinen schwar- zen Faden, welcher senkrecht auf der Visierebene steht, fixieren, und man bewegt vor oder hinter dem fixierten Punkte eine feine Nadel hin und her, so erscheint sie im Doppelbilde, und zwar ist das Doppelbild um so divergen- ter, je weiter sich die Nadel vom fixierten Punkt, bezie- hungsweise vom Horopter entfernt, und um so weniger di- vergent, je näher sich die Nadel dem Horopter befindet, wie diess allgemein bekannt ist. Bewegt man die Nadel 1) Abh. der Böhm. Gesellschaft (V). 10. 25—34. 2) Græfe Archiv. V. 2. 1—100. 87 so, dass sie, immerhin senkrecht auf die Visierebene, auf der Axe des einen Auges bleibt, so fällt auch der eine Theil des Doppelbildes mit dem fixierten Faden zusammen, der andre aber fällt daneben. Nun kann man die Nadel dem fixierten Faden so nähern, dass man eben noch oder eben nicht mehr ein Doppelbild wahrzunehmen im Stande ist, und aus der Entfernung des Auges und der Nadel vom fixierten Faden den Winkel, unter welchem das Doppelbild erscheint, und daraus die Entfernung der beiden Retina- punkte berechnen, welche noch die Empfindung eines Dop- pelbildes hervorrufen können. Es ist hiebei klar, dass man die Nadel eben so gut an einer andern Stelle beobachten könnte, als gerade auf der Augenaxe, und die Beobachtung müsste dasselbe ergeben. Immerhin aber sind, wie schon die anatomische Anordnung der Netzhauttheile erwarten lässt und wie zahlreiche Be- obachtungen ergeben, die Doppelbilder genau am Pole des Auges am deutlichsten wahrzunehmen, und da es sich ge- rade darum handelt, mit möglichster Genauigkeit den Grad der Empfindlichkeit für Doppelbilder zu bestimmen, so muss ich auch solche Doppelbilder wählen, welche auf möglichst empfindlichen Stellen der beiden Netzhäute hervorgebracht werden. Die beiden Augen A und B richten sich bei aufrech- ter Haltung des Kopfes auf einen scharfen Strich, der in © die Visierebene senkrecht durchschneidet, wobei angenom- men wird, © sei von A und B gleich weit entfernt. Auf der Axe BÜ, deren Länge 300 Millimeter beträgt, befindet sich die Nadel\ i Millimeter von C entfernt, dem Auge nä- her in D. Bei dieser Stellung der zu beobachtenden Ge- genstände war es mir noch möglich, ein Doppelbild wahr- zunehmen. Das eine der beiden Bilder deckt den Strich. Die Entfernung der beiden Augenmittelpunkte für mein Au- genpaar beträgt, wie ich in den Verhandi. der naturf. Ge- 33 "sellschaft in Basel I, 1. 142 nachgewiesen habe, 64,55 Mil- limeter. Aus diesen Grössen lässt sich nun berechnen, dass die beiden Punkte, welche noch die Wahrnehmung eines Doppelbildes gestatten und von denen natürlich jeder einem Auge angehört, um einen Winkel von einander abstehen, der nicht grösser als 2}, Minuten ist. Setzt man nun, mit Panum, den Abstand der vereinigt gedachten Knotenpurkte des Auges von der Retina gleich 12 Millimetern, so ergiebt sich als Entfernung der beiden Punkte 0,00873 Millimeter. | Diese so geringe Entfernung ist aber, meiner Ansicht nach, noch kein Grenzwerth. Vielleicht vermöchte das Auge seine Empfindlichkeit noch einigermassen zu üben. Die beobachteten Gegenstände selbst “sind nicht so «dünn, dass nicht sie selbst auf der Retina.eine bestimmte Breite einnähmen. Die feine Nadel, deren ich mich bediente, misst gegen die Spitze hin wohl 0,1 Millim., der feine Strich wohl 0,067 Millim. in der Breite; dieselben nehmen daher selbst schon Sehwinkel von 45 Sekunden und von 1 Minute ein oder auf der Retina eine Breite von 0,09252 und 0,00349 Millimeter, als Zwischenraum zwischen den beiden Doppelbildern er- hielte man sonach 0,00262 + 0,00349 nd 0,00873 — ( ) = 0,00567 Millim. Es ist also mein Augenpaar im Stande, dann noch ein Doppelbild wahrzunehmen, wenn der Winkelabstand der beiden Retinapunkte etwa 1 Minute, der absoluten Grösse nach 0,00567 Millimeter beträgt. Wer sich im Sehen von Doppelbildern üben will, der wird es ganz gewiss noch weiter bringen; denn ich seibst habe, wie gesagt, bei den angegebenen Entfernungen noch nicht die Empfindung, die Grenze erreicht zu haben. Aber gesetzt auch, die Grenze wäre erreicht, so hätte der Empfindungskreis des Einen 39. Auges, welcher einem Punkt des andern Auges entspricht, einen nur sehr kleinen Durchmesser, bei welchem jeden- falls von 15 Zapfen keine itede ist. ' Wenn ich nun mit Hilfe des Stereoskopes zwei Bil- der, z.B. parallele Linien, weiche einen etwas verschiede- denen Abstand haben und zwar nur einen so grossen, dass die Sehwinkeldifferenz nur 1 Minute beträgt, so sehe ich . die Linien immer combiniert. Daraus folgt nun mit Be- stimmtheit, dass der Punkt a des einen Auges mit dem Punkt b des andern bald die Empfindung eines Doppelbil- des, ba!d die eines einfachen einleiten kann. Man kann die beiden Augen in selche Verhältnisse bringen, dass die Em- pfindlichkeit für Doppelbilder eine sehr hohe ist, dass das Augenpaar eine Schärfe in der Wahrnehmung der Doppel- bilder besitzt, ähnlich oder gleich der, welche einem Auge allein im Unterscheiden zweier naher Punkte zukommt, oder | auch in solehe Verhältnisse, bei welchen sehr differente Punkte einfach empfinden. Sind.nun beide einander entge- gengesetzten Wahrnehmungen einfache Nerventhätigkeit? Oder tritt nicht bei der Wahrnehmung der Einzeibiider trotz der Affection differenter Stellen ein neues, nicht in dem Sehapparate liegendes Moment hinzu? Werden diese verschiedenen Empfindungsweisen einfacher und ungezwun- gener erklärt durch die Annahme, dass beide Möglichkei- ten im Sehapparate selbst sich befinden, oder dadurch, dass man sich nach einem ausserhalb desselben liegenden Erklä- rungsgrunde umsieht? Die Verschmelzung der Eindrücke differenter Netzhautstellen beruht auf einer geistigen Thä- tigkeit. | Die Versuche, welche ich zur Bestätigung. dieser That- sache angestellt habe, sind von der einfachsten Art und von Jedem leicht zu wiederholen. Zwar ziehe ich im All- gemeinen vor, binoculare Versuche ohne irgend welche an- dere Vorrichtung zu machen, indessen, da sie sich an die * 40 Panum’s anschliessen, und diese mit einer stereoskopischen Vorrichtung gemacht sind, so bediente auch ich mich des gewöhnlichen Linsenstereoskopes. (Ich kann hiebei nicht umhin, den Wunsch auszusprechen, dass bei der Publika- tion stereoskopischer Zeichnungen die beiden Figuren möch- ten in etwas geringern Abstand gezeichnet werden, äls die Entfernung der beiden Augen beträgt, indem dadurch die Beobachtung mit dem Stereoskop nicht wesentlich erschwert, die Beobachtung ohne Stereoskop aber wesentlich erleich- tert wird.) Ich theile einige der angestellten Versuche mit: 1) Ich zeichne zwei parallele Linien, die für das linke Auge einen Abstand von 3, für das rechte einen Abstand von 4 Millimetern haben. Bei der Combination sehe ich entweder a) beide Bilder zusammenfalien, natürlich nicht in der- selben Entfernung vom Auge; oder bei aufmerksamer Be- obachtung b) erscheinen 3 Linien, dieses jedoch seliener, wenn beide Linien schwarz und gleich stark gezeichnet sind. 2) Eine der % Linien wird nan roth gezeichnet. Da treten immer oder beinahe immer 3 Linien auf, und zwar eine rothe und eine schwarze in unmittelbarer Nähe, und in grösserer Entfernung davon eine schwarze. 3) Ich zeichne für das linke Auge einen Kreis, des- sen Radius 12 Millimeter, und einen zweiten für das rechte Auge mit einem Radius von 13 Millimeter, beide schwarz. Fixiere ich nun den Mittelpunkt, so combinieren sich beide Kreise, fixiere ich einen Punkt, wo der horizontale Durch- messer den Kreis durchschneidet, so erscheint mir der Theil des Kreises, welcher diametral entgegengesetzt ist, doppelt, also selbst auf einem seitlichen Theile des Ge- sichtsfeldes. 4) Ist aber der grössere Kreis roth und ich fixiere den Mittelpunkt, so sehe ich einen von rothem Rand um- 41 säumten schwarzen Kreis. Und noch deutlicher doppelt er- scheint ein Theil des combinierten Bildes, wenn ich den Endpunkt des horizontalen Diameters fixiere. 5) Zeichne ich einen Kreisbogen, dessen Radius 6% Millimeter, einen andern, dessen Radius 55 Millimeter und deren Sehnen 43 Millimeter lang sind, so werden sie, wenn beide schwarz sind, vollkommen combiniert, nicht mehr, wenn der eine davon roth gezeichnet ist. Erhält jeder der beiden Bogen seine Schne, so sehe ich bald die Sehne, bald den Bogen doppelt, je nach dem fixierten Punkt. 6) Zwei gerade Linien, von welchen die eine für das rechte, die andere für das linke Auge gezeichnet ist. wei- chen von der Senkrechten zur Visierebene jede um 34° die eine rechts, die andere links ab. Sind beide schwarz, so lassen sie sich zur Noth combinieren, ist eine davon roth, so lassen sie sich nicht mehr combinieren. 7) Wenn ich die Projectionen einer stark abgestumpf- ten Pyramide so zeichne, dass den schwarzen Projections- linien der einen, rothe in der andern und umgekehrt ent- sprechen, so erscheint die Grundfläche mit coppelten Seiten (senkrecht zur Visierebene), wenn die Abstumpfungsfläche, und letztere doppelt, wenn dig Grundfläche einfach gese- hen wird. 8) Hieran reiht sich eine anders gedeutete und zur Erklärung der Glanzerscheinung von Dove!) mitgetheilte Beobachtung. Statt nämlich in der oben angegebenen Weise die Linien verschiedenfarbig zu sehen, kann man sich mit Erfolg auch farbiger Gläser bedienen. Bevor das Stereo- skop Salonspielzeug war, und die Phetographien, welche allerdings ausserordentliche Hlusion hervorzubringen ver- mögen, verbreitet waren, bediente man sich fast ausschliess- lich weisser Zeichnungen auf schwarzem Grunde. betragt 1) Pogg. Annal. I. XXXII, 169 ff. 42 tet man das rechte Bild durch ein blaues, das linke durch ein rothes Glas, so wird nicht ein mit violetten Linien be- grenztes Sammelbild gesehen, sondern die rothen und blauen Linien liegen neben einander, auch bei solchen Figuren, bei welchen ohne Anwendung farbiger Gläser nur ein Relief mit einfachen Linien erscheint. Wer nie geglaubt hat, dass er eigentlich zwei verschiedene Bilder combiniere, der wird sich der Verschiedenheit auf diesem Wege bewusst. Wird aber nur eine einfache weisse Linie auf schwarzem Grunde in dieser Weise betrachtet, so erscheint sie nicht etwa als aus zwei neben einander liegenden Linien zusammengesetzt, sondern man sieht die Linie, wenn die Farben sehr ver- schieden sind, bald in der einen, bald in der andern, in- dem eine Farbe die andere in der Richtung der Linie ver- drängt. ‘ Aus allen beschriebenen Versuchen geht nun unzwei- deutig hervor, dass verschiedene Färbung der Linien we- sentlich dazu beiträgt, das wirkliche Vorhandensein der Doppelbilder deutlich zu machen in zahlreichen Fällen, wo gleichfarbige Linien zu einem einfachen Bilde verschmelzen können. Sollten diese Versuche mit Panum’s Annahme ver- einigt werden, so müsste ferners angenommen werden, dass die Empfindungskreise für blos räumlich verschiedene, der Farbe nach aber gleiche Eindrücke grösser seien, als für Eindrücke, welche sowohl räumlich als qualitativ verschie- den sind. Allein nicht in Uebereinstimmung damit zu bringen ist die Thatsache, die weder mir allein, noch zuerst aufgefal- len ist, die mir aber bei allen und jeden binocularen Ver- suchen folgt, dass es ganz in meiner Willkühr steht, lineare Figuren unter dem Stereoskop zu combinieren oder als Dop- pelbilder zu sehen. Selbst bei vortrefflichen Photographien, bei welchen die meisten Beobachter kaum Doppelbilder wahrnehmen, sehe ich oft beim Fixieren entfernter Gegen- 43 x stände die nähern doppelt und ebenso umgekehrt. Dazu aber habe ich meinem Sehapparat keine Gewalt angethan, son- dern ich habe ihn in einer Richtung, welche der des täg- lichen Lebens genau entgegengesetzt ist, geübt. Durch diese Uebung habe ich zwar nicht das Körpersehen verlernt, da es noch mif vieien andern Verhältnissen zusammenhängt, allein sie befähigt mich, mich von einer Gewohnneit los- zusagen, die begreiflicherweise den meisten Menschen so sehr eingewurzelt ist, dass Panum sie selhst für angeboren hält. Was ich mir aber durch Uebung und sorgfältige Be- obachtung abgewöhnen kann, das darf ich auch als durch Angewöhnung erworben betrachten. Einer angebornen Ner- venfunktion kann ich mich nicht entäussern. Umgekehrt aber ist es namentlich für scharfsichtige Augen anfangs nicht möglich oder schwer, im Stereoskop lineare Figuren zu combinieren und die dritte Dimension wahrzunehmen; es gelingt erst nach einigen Versuchen. Auch bleibt dann nicht selten eine eigenthünrliche Anstren- gung beim Stereoskopieren übrig. Die Wahrnehmung der Differenz nicht correspondierender Netzhauteindrücke ist die ursprüngliche, die Combination derselben aber die sekun- däre Erscheinung. Wenn nun der Ausdruck, dass ein Empfindungs- kreis des einen Auges mit einem Punkt des andern eine einfache Empfindung vermitteln könne, eine andere Bedeu- tung haben soll, als die, dass ein in gewöhnlicher und na- türlicher Weise erzogenes Auge beim Stereoskcpieren die Doppelbilder erst wahrnehme, wenn sie cine gewisse Di- vergenz erreicht haben, so stimmt er nicht mit zahlreichen Erfahrungen. Hat er aber nur diese Bedeutung, so ist die Wahrnehmung der Tiefendimension, als auf einem psychi- schen Acte beruhend, für die Physiologie nicht erobert. Wie nun die Wahrnehmung der dritten Dimension ent- steht, kann ich wohl übergehen, da es von Volkmann besser gesagt worden ist, als ich es zu sagen vermöchte. v 4% Im Zusammenhang mit dem Gesagten steht folgender Versuch: 9) Ich zeichne die Projectionen einer regelmässigen sechsseitigen Pyramide für beide Augen und ziehe in bei- den Projectionen die Durchmesser des Secksecks, alle Li- nien gleich stark, so dass keine von der andern. ausgezeich- net ist. Combiniere ich diese beiden Bilder, so kann ich zweierlei Körperbilder erhalten, je nachdem ich die Augen- achsen sich etwas weiter oder näher kreuzen lasse. Wer- den nämlich die Durchmesser der linken Figur mit den Seitenkanten der rechten vereinigt und die Seitenkanten der linken mit den Durchmessern der rechten, so erscheint nicht mehr die einfache Pyramide, welche man deshalb erwarten sollte, weil man deren Projectionen gezeichnet hat, sondern man sieht eine Doppelpyramide, d. h. eine hohle und eine erhöhte über demselben Sechseck, eine Pyramide, deren Achse schief, nicht rechtwinklig die Bildebene durchschnei- det. Der Versuch gelingt für etwas geübte Augen ganz leicht, wenn man die Spitze der Pyramide nicht zu sehr von dem Mittelpunkt des Sechseckes entfernt. Für ganz ungeübte Augen aber gelingt er beinahe un- fehlbar, wenn man irgend zwei Liniengruppen, also z. B. die Durchmesser der linken und die Kanten der andern Fi- gur durch irgend etwas auszeichnet, indem man sie in an- derer Farbe, oder punktiert, oder in anderer, nicht einmal sehr verschiedener Stärke zeichnet. Die geringfügigsten Unterschiede in den geometrisch absolut gleichen Projec- rionen können sonach hald zur Wahrnehmung des einen, bald zur Wahrnehmung des andern Reliefs Veranlassung geben. Liegen der Mittelpunkt des Sechseckes und die Spitze der Pyramide weit aus einander, so kann die einfache ge- rade Pyramide gar nicht mehr wahrgenommen werden, son- dern es erscheint immer die schiefe Doppelpyramide. % METEOROLOGIE. Meteorologische Uebersicht des Jahres 1869. Von Hrn. Rathsherr Peter MERIAN. (Den 27. Februar 1861.) Die aus den täglichen höchsten und niedrigsten Ther- mometerständen abgeleiteten Mitteltemperaturen sind fol- gende: Januar + 2°, 8R. Februar — 0,9 März + 2,3 April + 6,1 Mai 7 Juni + 12,9 Juli + 13,3 x August + 13,2 September + 10,9 October + 7,8 November + 2,3 December + 1,9 Jahr + 7,0 R. Die Vergleichung mit der S. 338 des IL Bandes der Verhandlungen mitgetheilten dreissigjährigen Uebersicht er- 46 z zeigt vorerst den Monat Januar als ungewöhnlich warm, ‘um 3,3 das allgemeine Mittel übersteisend. Wir finden in der Reihe nur bei dem Januar 1833 mit 3°,0 und bei dem höchst ungewöhnlichen- Januar 183% mit 59,1 eine höhere Mitteltemperatur. Februar, März und April sind hingegen kalt, indem der erstere um 29,1, der März, diessmal gerade gleich warm wie der Januar, um 699, der April um 19,4 hinter dem allgemeinen Mittel zurückbleibt. Im Mai erhebt sich die Temperatur wieder um 0°,7 über das dreissigjäh- rige Mittel. Die folgenden Nionate vom Juni bis zum No- vember bleiben aber sämmtlich zurück. Juni um 1°,1, be- sonders stark der Juli um 1°. In der dreissigjährigen Reihe finden wir nur den Juli 1841 eben so kalt, und den Juli 1840 mit 13°,0 noch kälter. August, 10,5 tiefer stehend als das allgemeine Mittel, ist ebenfalls verhältnissmässig sehr kalt. September bleibt um 1°,0 zurück, October um 0°,3 und November um 1°,3. Der December endlich ist et- was wärmer als das dreissigjährige Mittel. Die mittlere Temperatur für das ganze Jahr 7°,0 bleibt um 0°6 hinter der allgemeinen Mittelzahl zurück. Der höchs!e Thermometerstand wurde beobachtet den 26. Juni mit 24",6, der niedrigste den 11. März mit — 99,2. Es sind das beides keine bedeutenden Extreme. Regen ist gefallen an 162 Tagen, Schnee an 39. Zieht man von der Summe die 14 Tage ab, an welchen Regen und Schnee zugleich gefallen ist, so erhalten wir 187 Tage mit atmosphärischen Niederschlägen, eine unverhältnissmäs- sig hohe Zahl, welche in den letzten 30 Jahren niemals erreicht worden ist. Das allgemeine Mittel der Tage mit atmosphärischen Niederschlägen ist blos 148. Man hat sich also nicht mit Unrecht über die regnerische Witterung von 1860 beklagt. Ungeachtet des so häufigen Regens weicht die Anzahl der fast ganz bedeckten Tage 128 nur unbe- deutend von der allgemeinen Mitteizahl 134 ab. Gefrorner 47 Regen wurde an 2 Tagen, Riesel ebenfalls an 2, Hagel an 3, Gewitter an 12 Tagen beobachtet. Die letzte Zahl ist ge- ringer als die 17 Gewittertage, welche im Mittel eintreten. Der mittlere Rheinstand am Pegel der Rheinbrücke be- trug 7,45 Schweizer Fuss, ein höherer Stand als alle, welche seit dem mittlern Stand von 1831, der 8°,10 betragen hat, beobachtet worden sind. Der allgemeine Wassermangel und die Abnahme der Quellen, worüber in den letzten Jahren namentlich während 1857 und 58 Klagen erhoben worden sind, hat auch zusehends abgenommen. Der höchste Rhein- stand trat ein den 12. September mit 14/5; der niedrigste den 26. Februar mit 27,7. Der mittlere Barometerstand um 1 Uhr Nachmittags, auf 0° R. und den Standpunkt der frühern Beobachtungen reduzirt, ist 27,289 Pariser Mass, um 0,65 niedriger als das allgemeine Mittel. Seit 1829 weist bloss das Jahr 1853 mit 27,2’ 61 einen noch niedrigern mittlern Baro- meterstand auf. Der höchste Barometerstand mit 27',9',%5 wurde beobachtet den 8. Januar um 8%, Uhr Vormittags, der niedrigste mit 26’,5',07 den 9. December um 7 Uhr Vormittags. Beides sind keine ungewöhnliche Extreme. Das barometrische Mittel um 9 Uhr Morgens steht um 0,35 höher als dasjenige von 3 Uhr Nachmittags. Dieser Unter- schied ist geringer als gewöhnlich, da er im Mittel auf 0/38 ansteigt. Es steht das im Zusammenhange mit dem regnerischen Charakter des Jahrs. GEOLOGIE. Den 15. Mai 1861. Herr Rathsherr Peter Merran zeigt ein neulich für die naiurhistorische Sammlung erworbenes schönes Exemplar von Andrias Scheuchzeri, Tschudi, aus den Kalkschiefern von Oeningen vor. Den 5. Juni 1861. Derselbe legt einen wohlerhaltenen Backzahn vor von Haliherium Studeri, H. v. Mey. aus dem Muschelsandstein der Gegend von Lenzburg, welchen un- sere Sammlung, nebst verschiedenen andern Versteinerun- gen aus jener Gegend, von Hrn. Nationalrath Rud. Ringier zum Geschenk erhalten hat. Rippen und Wirbel jenes Wall- thiers der Tertiärzeit werden viel häufiger angetroffen als die Zähne. Der obere Jura zu Gberbuchsiten; eine geologische Skizze. Von Herrn Pfarrer R. Cartier. (Den 15. Mai 1861.) Wir beanspruchen für diese Abtheilung jenen Theil unseres Jura, wo mit Quenstedt zu reden eine lichtere Farbe der Gebirgsmassen beginnt; wir rechnen daher Alles 49 dahin, was in hiesiger Gegend unten durch den Callovien und oben durch das Terrain siderolithique begränzt wird. Es dürften wohl wenige Gegenden im Jura sich zei- gen, die wie die hiesige, wenn auch nicht in grossen Pro- filen aufgeschlossen, doch so schön in ununterbrochenem Zusammenhange uns die verschiedenen Etagen des obern oder weissen Jura entfalten und somit ein sicheres Bild von der wahren Aufeinanderfolge der Schichten desselben geben. Ein Punkt, wo die Regelmässigkeit ihrer Bänke un- terbrochen ist, dürfte zur Berichtigung irriger Ansichten beitragen. Zwei Abtheilungen, weithin durch ihre obern Bänke dem prüfenden Auge blosgelegt und meistens durch spär- lichen Pflanzenwuchs nur stellenweise bedeckt, dienen, be- quem sich dabei zu orientiren und die andern Abtheilungen dieser Juraparthie, welche nur wenig und da, fast nur wie zufällig durch die Bergwasser u. s. w. aufgeschlossen sind, herauszufinden. Es bilden sich dadurch zwei Hauptabtheilungen unse- res obern Jura, wie auch an andern Orten: eine graue, thonige und eine weisse, kalkige, entsprechend der Einthei- lung Thurmanns — Oxfordthone und Portland. Wenn wir so tief als möglich in diesen Schichten- komplex eindringen wollen, so folgen wir einem Berg- bache, der sich seit Jahrhunderten sein Bett immer tiefer in die grauen Schichten eingegraben hat, und wir haben unsere tiefste oder ; erste Parthie. Das enge Bett enthüllt etwa bis 20° dieser Abtheilung wohlgeschichteter Bänke, von 1—1Y;5‘ Dicke; die Farbe ist grau und spricht für ihren starken Thongehalt. Nur eine Bank gegen oben ist weiss und thonfrei. In der Tiefe sind die einzelnen Bänke durch 1—2” dicke Bänkchen % 50 schwarzen Mergels getrennt, oben aber liegen sie fest auf einander. Wegen der Unzugänglichkeit dieser Stelle hält es schwer, sich eine reiche Ausbeute ihrer Einschlüsse zu sammeln, doch findet sich nie eine Spur, die auf den Callovien hin- deutete. Pecten velatus, Quenstedt und Pecten ähnlich den pecten lens; Terebrateln, eine gestreifte und eine biplikate; Pentacrinites subteres; Quenstedt. Rhabdocidaris Cartieri; Desor, und besonders Ammonites biplex; Quenstedt. Alle diese kommen nur verkalkt vor, oft mit gut er- haltener Schale. Ueber diesen festen Bänken erscheint an einer aufge- deckten Stelle ein thoniger Mergel, der an der Luft gelb- licht anläuft, auf seinen Eisengehalt hinweisend, doch ist ein Stückchen Schwefelkies selten, fast alles ist durch Oxy- dation in Brauneisenstein umgewandelt. So erscheinen auch die Petrefakten dieses Mergels, nur schade, dass sie oft durch diese Verrostung bis zur Unkenntlichkeit entstellt sind. Es sind folgende: Therebratula impressa. Quenstedt. Ammon. alternans. Quenst. » complanatus. Quenst. I convolutus Quenst. à flexuosus. Quenst. crenatus. Quenst. Ballapdra rostrata. Quenst. Muricida semicarinata. Quenst. Rostellaria bicarinata. Quenst., nebst andern Schnecken. Dann Cucullæen, Nuculæen, Astarten und Isocardien; fer- ner: Turbinolia impressæ. Quenstedt. Apiocrinites impressæ. Quenst. 91 Pentacrinites subteres. Quenst. Asterias impressæ. Quenst. Dysaster granulosus. Quenst. Fischzähne und Bruchstücke von Krebsen. Darüber liest die Bank mit Quenstedts Fucoides Hechin- gensis. Die darüber folgende . zweite Parthie ist fast gänzlich durch die Vegetation bedeckt und wir wä- ren darüber unklar, würde nicht der Rand des Weges, der durch diese Schichten führt, uns Aufschluss geben. Am Rande desselben, den die Erosion immerfort bearbeitet, zei- sen sich oft festere Blöcke, grau und bräunlich gefleckt, leicht der Luft und dem Wasser ausgesetzt zerbröckelnd. Die Petrefakten sind durchweg verkalkt, nie verkieselt. Bisher fanden sich darin: Ammon. virgulatus. Quenst. x canaliculatus. Quenst. 2 flexuosus. Quenst. » lingulatus lævis. Quenst. = perarmatus. Quenst. & polyplocus. Quenst. Aptychus lamellosus. Quenst. Belemnites hastatus. Quenst. Eine gestreifte Terebratel. : . Im Ganzen scheint jedoch diese Parthie nicht sehr mäch- tig zu sein und allmählig in die - dritte Parthie überzugehen, in welcher der Kalkgehalt bedeutender zu sein scheint. Die Farbe der Schichten ist weisslich- und gelblich-grau. Wo sie entblösst sind, zerfällt die Masse in ‚ einen gelblichten Grus, voll der schönsten Sachen. Die Be 52 Bänke, oft mehr als 1—?’ dick, ziehen sich oft auf einige Zolle zusammen. Sie enthalten: Manon impressum; Spongites Lochensis; » eircumseptus; Scyphia obliqua; 5 verrucosa; » rotula; Ceriopora radiciformis ; » stricata; 3 clavata; Alecto dichotoma; Crania suevica; » porosa und andere noch unbestimmte Serpula planorbiformis; » prolifera; > delphinula; » Cingulata; » Deshayesii und subrugulosa. Solacrinites asper und | > serobiculatus; Plicatocrinus hexagonus; Eugeniacrinites caryophyllatus; 5 nutans; - compressus und » Hoferi; Pentacrinites subteres und 1 À AN » cingulatus; Petracrinus moniliformis; Sphærites punctatus und 5 tabulatus; Asterias y alba; Cidaris coronata; Desor, und zwar nicht nur Schalen und Stacheln, sondern. auch Pyramidenknochen, Balken etc. LEE Cidaris filograna; Des. propinqua; Des. Parandieri; Des. histricoides; Des. cervicalis; Des. » tuberculosa; Des. » Cartieri; Des. nova species. semiaspera; Des. nova species. leeviuscula; Des. D Dar princeps; Des. Hemicidaris Hugii; Des. nova species. Terebratula pectunculus in allen Formen; 3 bisuffaricinata; ” guta ; » orbis; » lacunosa; 5 strioplicata; ; coarctata; N loricata; ; reticulata ; . senticosa und 5 triloboides; Isoarca Lochensis; Pecten textorius albus und s Subpunctatus; Ostrea gregaria und » ungula; Exogyra spiralis; Pleurotomaria suprajurensis und einige kleine Schnecken; Belemnites unicanaliculatus; Hartm. Aptychus lævis; 5 lamellosus und andere Arten; Ammon. planulatus parabolis; : polyplocus; Ammon. perarmatus ; ” anceps albus; ; dentatus ; 7 corona; 5 falcula; 5 flexuosus nudus; ‘A lingulatus; 7. alternans; 5 striolaris und einige noch unbestimmte; mithin findet sich ein Fischzahn oder das Bruchstück eines Krebses. Darüber werden die Bänke thoniger und fester, wir kommen an unsere vierte Parthie, die eigentlichen Spongiten-Kalke mit festen und wohlge- schichteten Bänken von 5‘ bis 2’ Dicke, von aschgrauer Farbe, im Bruche flach und erdig, oft von Spongiten auf der Oberfläche wie von einem Rasen überzogen. Mit Sicherheit konnte aus diesen Bänken blos von Schnecken und Muscheln eine Terebratula insignis, diese aber in Menge gefunden werden. Zwar gleicht sie ihrer äussern Erscheinung nach mehr der Terebr. bisuffa- ricinata, wie sie Quenstedt auf Tab. 79, Fig. 17 seines Jura zeichnet; die Breite ist bedeutender als sonst bei Ter. in- signis und der Schnabel so stark umgebogen, dass kaum etwas vom Deltidium wahrgenommen werden kann, und zwar bei allen Exemplaren, nur lässt sich bei gut erhalte- nen Exemplaren die Längsstreifung deutlich erkennen. Häufiger sind die Spongiten u. s. w., aus deren Menge ich bestimmen konnte: | Spongites tenturatus ; = clathratus; 35 Spongites lamellosus; » ramosus; r articulatus; a lopas; , rugosus und 5 vagans; Scyphia milleporata; Tragos rugosum und » patella; Cnemidium rimulosum. Diese Petrefakten, wie die der dritten Parthie, wo nicht ein besonderer Auktor genannt ist, sind nach den Zeich- nungen und Beschreibungen Quenstedts in seinem Jura be- stimmt. Fünfte Parthie. Es ist diese eine mächtige Schichtenfolge von Mer- geln, die der Wunsch einiger tüchtigen Landwirthe, für ihre Gefilde einen guten Mergel zu finden, blosgelegt hat. Schade nur, dass dabei nicht die ganze Masse bis auf ihre Unter- lage enthüllt wurde! Die Gesammtmächtigkeit der so ans Tageslicht getretenen Schichten beträgt etwa 20°, sie geht aber nicht bis auf das Liegende. Nach ihren petrographi- schen Eigenthümlichkeiten sowohl, als nach den darin ent- haltenen Versteinerungen kann diese Masse in drei beson- dere Abtheilungen gebracht werden. a) Die untern Bänke, ein sandiger Mergel von sehr harten sandigen Schnüren durchzogen, die oft wahre Zopf- platten bilden. Die Zöpfe darauf sind zwar nicht so gut erhalten, dass sie eine genaue Bestimmung zulassen, doch tragen sie deutlich Zeichen, dass sie Crinoiden sind. Auf- fallend sind alsdann in den andern Bänken die Masse klei- ner sandig-mergeliger Knollen, die Astarten, Nukuläen u. s. w. einschliessen. Häufig zeigen sich auch kugelige Knöllchen 56 krystallisirten Schwefelkieses, der einige Zeit der Luft aus- gesetzt in den schönsten Farben schillert. Ohngeachtet der Menge dieses Schwefelkieses zeigt sich keine Spur davon bei den bisher daraus erhaltenen Petrefakten, nur eine grosse darin vorkommende Auster hat bisweilen Spuren davon. Die Farbe dieser Mergel ist schwärzlich. Als charakteristisch für diese Abtheilung, weil sie hier in Menge vorkommen und in den andern Abtheilungen nicht mehr oder nur höchst selten, sind: Pentacrinites Sigmaringensis; Quenst. Asterias jurensis; Quenst. Cidaris Parandieri; Des. » Blumenbachii; Des. » histricoides; Des. » propinqua; Des. » Cervicalis; Des. Serpula philastarte; Thurm. Exogyra spiralis; Quenst. „ auricularis; Quenst. à denticulata; Roem. Nebst diesen kommen darin vor: Pentacrinites astralis; Quenst. 5 eingulata; Apiocriniten-Glieder; Ophiura n. sp. Asterias stellifera; Quenst. Sphærites punctatus und 5 scutatus; Quenst. Muricida, noch unbestimmt; Ostrea, vielleicht caprina; Merian. Cucullæa concinna; Quenst. Nucula variabilis; Quenst., und andere Species davon. Pecten mehrere Arten; Serpula tricristata; Roem. 57 Serpula gordialis und „ lumbricalis; Quenst. Alecto dichotoma; Quenst. Cellepora orbiculata; Quenst. Bruchstücke von Krebsen. Zwei Species von Fucoiden. b) Die mittlere Abtheilung besteht aus reinen Mer- geln von schwärzlich-grauer Farbe. Der Luft und dem Re- gen ausgesetzt, zerfallen sie leicht. Bisher fand sich darin noch keine Versteinerung vor. c) So einfach die mittlere Abtheilung ist, so kompli- zirt die obere, wo wieder reiche Ablagerungen von Petre- fakten vorkommen und sich durch die ganze Reihe der obern Bänke fortsetzen. Zuerst ist es derselbe schwärzlich-graue Mergel; dann erscheint derselbe Mergel mit schwarzen Ro- genkörnern abwechselnd mit Bänken, wo die Masse und die Körner gelb sind oder roth, oft werden diese Bänke dünn und bilden dann feine Sandplättchen. Darüber nehmen ab- wechselnd die Bänke eine gelblichte Farbe an und enthal- ten viel Kalk, bis sie in mergelige Kalksteine übergehen, womit sich alsdann eine neue Parthie unseres weissen Jura ankündet. Die Bänke dieser Abtheilung sind oft 3—4 mächtig. Eine Menge der darin enthaltenen Petrefakten konnten in Ermangelung der nothwendigen Hülfsmittel noch nicht bestimmt werden. Drei Genera zeigen sich hier besonders heimisch, als: Hemicidaris crenularis. Des. Terebratula inconstans. Quenst. und Corimya tenera. Ag. Erstere zwei meist prachtvoll erhalten. Nebst diesen findet sich bestimmt aus diesen Schichten: Cidaris Parandieri; Des. » histricoides; Des. 58 Cidaris semispinosa; Des. Hemicidaris intermedia; Des. „. > Loundulata; Ay Acrocidaris formosa; Des. Pseudodiadema placenta; Des. ï complanatum; Des. Diplopodia subangulare; Des. B Anonii; Des. Echinobrissus-Nucleol. scutatus suevicus-Quenst. | Hypodiadema rotula; Bes. Stomechinus serialis; Des. Acrosalenia angularis; Des. Asterias jurensis; Quenst., selten. Apiocrinites Meriani; Des. Pentacrinites n. Sp. Serpula lumbricalis; Quenst. 2 sordialis; Quenst. Nerinea tenera; Quenst. Natica hemisphærica ; Roem. Nerita, Pleurotomaria und Turbo noch unbestimmt. Robulina unbestimmte Species. Belemnit. hastatus; Quenst. Ammonites, zwei Bruchstücke. Fissurella unbestimmte Species. Fistulana ebenfalls noch unbestimmt. Terebratula humeralis; Thurm. - senticosa; Quenst. s indentata; Quenst. ; orbiculata; Roem. | : unbestimmte Species. Pholadomya Cor. Ag. 2 scutata. Ag. | 5 Eumida. Ag. | n tenera. Ag. | 59 Pholadomya noch unbestimmt. Pleuromya tenera. Ag. Goniomya litterata. Ag. Mætromya rugosa. Roem. Trigonia clavellata. Ag. Modiola pectinata. Roem. y tenuistriata. Roem. Cucullæa concinna. Quenst. Gervillea tetragona. Roem. Cardium bannesianum. Thurm. A Hillanum. Sow. » striatulum. Quenst. Trichites Saussuri. Thurm. Tellina incerta. Thurm. ? Ostrea Caprina. Merian? Perna plana. Thurm. Pecten atavus. Roem. Nebst andern Pecten, Nuculeen, Astarten u. s. w. Drei verschiedene Species Fucoiden. Sechste Parthie. Ueber diesen Mergeln erst lagert sich der eigentliche weisse Kalk des Jura ab, hier um 200° mächtig, in ge- waltigen Bänken oft von 7—8’ Dicke, aber äusserst ver- schieden in Bezug anf Festigkeit, Zusammensetzung, Farbe u.s.w. Unmittelbar liegt Bank auf Bank, höchst selten ein mergeliges Zwischenlager. Die Farbe ist oft die der weis- sen Kreide, dann gelblicht, dann gräulich. Die Härte ist fast durchweg bedeutend, nur wo Mergel im Kalk ist, wird sie geringer. Von unten bis oben wechseln die Bänke_in . Ihrer Struktur, bald ist es eine homogene Masse ohne Spur von krystallinischem Korne; oder von krystallinischem Korne, zuckerkörniger Kalk, und dann jedesmal sich gerne in Platten spaltend; oder es sind Rogensteine mit krystal- 60 linischem Teige. Die Rogenkörner erscheinen unter der Lupe stets schalig, bald klein, wie feines Gesäme, und dann immer kugelrund, bald werden die Körner grösser und dann nicht blos kugelig, sondern mehr walzenförmig und oft un- geformt. Die grössten Rogen umschliessen als Hüllen kleine Cerithieen, Pecten u. s. w. Die Grundmasse, der Teig, ist bald glashell, bald milchweiss oder gelb oder röthlich. Ge- sen die Mitte der ganzen Abtheilung verschwinden die ro- genkörnigen Bänke und es schleicht sich mithin ein schief- riger Bank hinein. In der untern Abtheilung sind die Schichten häufig durch die Schichtenflächen fast senkrecht durchschreidende Sprünge gespalten und oft zudem zer- klüftet. In den untern Bänken hält es meist schwer Petrefak- ten und besonders ordentlich erhaltene zu bekommen. Mit Sicherheit gestatteten folgende eine genaue Bestimmung: Isocardia striata. Roem. K excentrica. Roem. Cercomya spatula. Ag. Mactromya rugosa. Ag. Trigonia suevica. Quenst. Cardium banesianum. Thurm. Astarte supracoralina. Thurm. - roduntata. Roem. Placuna jurensis. Roem. Pecten demissus und „ velatus. Quenst. Exogyra noch unbestimmt, doch so häufig, dass sie ei- nen dünnen Bank bildet, Nerinea turitella. Quenst. Melania striata. Sow. Ammon. biplex. Zudem finden sich noch Bruchstücke von andern Ne- rineen, Pecten u. s. w. Würden sie gebrochen, so würde 61 \ \ wohl noch Manches ans Tageslicht gefördert, das zur ge- nauen Bestimmung dieser Bänke Vieles beitragen könnte. Reicher ist die Ausbeute aus den obern Bänken, welche durch Steinbrüche aufgeschlossen sind. Einige dieser obern Bänke sind auf ihrer Oberfläche von einer kräftigen Fukoide ganz überzogen. Solche Petrefakten, deren Species oder wenigstens Genus bestimmt ist, sind folgende: Nerinea sp. unbestimmt. Natica silicea. Quenst. » macrostoma. Roem. Belemn. planohastatus. Quenst. Ammon. bispinosus. Oppel. 5 cymodoce. d’Orb. » Hector. d’Orb. und einige andere noch unbestimmte und besonders sehr grosse. Unter den zweischaligen Muscheln zeichnen sich beson- ders die Pecten aus durch ihre Mannigfaltigkeit, als: Pecten subspinosus. Quenst. » Subpunctatus. Quenst. » æquatus. Quenst. „ octocostatus. Roem. » anuulatus. » articulatus. Quenst. »y Subarmatus. Quenst. » fibrosus. Roem. und andere mehr. Plagiostoma zwei Species. Arca texata. Quenst. Isoarca cordiformis. Quenst. Opis carinata. Quenst. Isocardia excentrica Roem. Diese zeichnet sich in die- ser Region durch ihre ungewöhnliche Grösse aus. + Venus Brognarti. Roem. Terebratula inconstans. Quenst. 62 Terebratula indentata. Quenst. und noch einige unbestimmte Species. Pholodomya scutata. Ag. Frigonia suevica. Quenst. A suprajurensis. Quenst. r muricata. Rocm. Mytilus amplus. Sow. Pinna noch unbestimmt. Gervillea tetragona. Rocm. Exogyra noch unbestimmt. Ostrea caprina? Merian. „ rastellata. Quenst. 5 gregaria. Quenst. Crinoideen noch unbestimmt. Asterias jurensis. Quenst. Cidaris Parandieri. Des. » Cervicalis. Des. » philastarte? Des. = spinosa. Des. »„ monilifera. Des. Rhabdocidaris princeps. Des. = cristata. Des. 5 caprimontana. Des. Echinobrissus suevicus. Des. Pygurus tenuis. Des. » Blumenbachii. Des. Stomechinus asper. Des. Holectypus Meriani. Des. x Argoviensis. Des. Acrosalenia angularis. Des. Dysaster granulosus. Des. Serpula gordialis. Quenst. n flaccida. Quenst. 2 subrugulosa. Quenst. 63 Dann noch andere, noch unbestimmte. Ferner Bruch- stücke von Krebsen Von Fischen: Sphærodus gigas. Quenst. Strophodus reticulatus. Quenst. Gyrodus umbilicus. Quenst. Teleosaurus lacunosæ. Quenst. Mit diesen Petrefakten aber ist ihr Inhalt nicht abge- schlossen, immer findet sich wieder etwas Neues. Was die beigefügten Namen der angeführten Auktoren betrifft, so wurden die Echiniden gütigst von Herrn Pro- fessor E. Desor selbst bestimmt, die andern Petrefakten wurden nach den Abbildungen und Beschreibungen der Ge- nannten von mir selbst zumeist bestimmt. | Alle Schichten fallen südlich unter dem gleichen Win- kel, der zwischen einigen wenigen Graden bis auf 20 Grade wechselt, ein, während der Gebirgszug, dem dieser Theil angehört, von Ost nach Westen streicht. Sowohl in mineralogischer Beziehung als in Bezug der eingeschlossenen Petrefakten charakterisirt sich die erste, zweite, dritte und vierte Parthie als Oxford, und zwar am ähnlichsten dem des schwäbischen Jura, wie ihn Herr Pro- fessor Quenstedt so schön dargestellt hat. Unsere erste Parthie entspricht seinem «@; wenn auch bisher noch nicht alle jene Petrefakten gefunden worden, so doch die charakteristischen, als Ter. impressa, Turbino- lia impress&, die braunen Ammoniten und andere Schnecken, sowie unten der Amm. biplex Quenst. und oben der Fuc. Hechingensis. Auch derselben Erscheinung in ‚ihrer Verzer- rung ist dieselbe. Ebenso verhält es sich mit unserer zweiten Parthie oder dem Quenstedt'schen £. Sein y könnte wohl nirgends esser nachgewiesen wer- 64 den, als gerade hier, indem sich die ganze Masse der Ver- steinerungen seines y hier nachweisen lässt bis zu den ge- ringsten Sachen und meist so gut erhalten, dass sich Stück für Stück durch seine Abbildungen und Beschreibungen sicher bestimmen lässt. Die vierte Parthie entspricht, obschon weniger deut- lich ausgesprochen, seinem 0. Nur scheint entgegen dem schwäbischen Jura die Gesteinsmasse sich gleichförmiger zu bleiben. Weniger sicher lässt sich dessen & hier erkennen, da nicht nur die massigen, plumpen Felsenkalke zu fehlen scheinen, sondern auch die ganze Masse der Sternkorallen u. s. w.; dafür aber scheint doch unsere fünfte Parthie mit ihren Mergeln den Mergeln des obern Theiles des Quen- stedt'schen & vielfach ähnlich zu sein, woraufhin besonders die schönen kleinen Sachen weisen, wie: Pentacr. Sigma- ringensis und Sigm. cingulatus; Pent. astralis; die Solanocri- niten; der seltene Asterias stellifera; Ophiura; die meist- gleichen Echiniden, besonders Quenstedt's Nucleolites scu- tatus suevicus; dann: Terebr. inconstans, Exogyra spiralis u. s. w. Gehen wir dann auf unsere sechste Parthie über, so will es scheinen, dass wir auch diese noch zu dessen & zu rechnen hätten, wie nebst den meisten andern Erschei- nungen besonders die Fischzähne dafür sprechen. Es darf diese Aehnlichkeit um so weniger befremden, da ein Blick auf den weissen Jura uns auf die gleichzei- tige Erhebung der ganzen Masse aufmerksam macht, wo- nach mit geringen Abweichungen die Lager desselben sich mehr oder weniger gleichen müssen. VORLEGUNG DER GEOGNOSTISCHEN KARTE DES KAN- TONS BASEL UND DER ANGRENZENDEN GEBIETE. Von Ars. Mürrer. (Sitzung vom 8. Februar und 26. December 1860.) Schon vor vierzig Jahren hat Herr Rathsherr Peter Merian seiner Beschreibung des Kantons Basel eine kleine geognostisch illuminirte Karte beigegeben, von deren ge- nauer und sorgfältiger Ausführung sich Jeder überzeugen konnte, der sie als Führer bei seinen Wanderungen be- nutzte. Jeder wird aber eingesehen haben, dass der to- pographische Theil dieser Karte sich lange nicht dieser Genauigkeit erfreut, wie der geologische, weil eben damals noch keine ordentliche Karte vom ganzen Kanton existirte. Es ist anerkannt, dass für den damaligen jugendlichen Zu- stand der Geologie auf dieser Karte das Mögliche geleistet wurde und dass mit dieser Arbeit die Geologie selbst einen guten Schritt vorwärts that. Sie leistet desshalb heute noch fast eben so gute Dienste, wie vor vierzig Jahren, und sind es nur wenige untergeordnete Punkte, die der Verbesse- rung bedurften, die übrigens Hr. Merian längst selbst cor- rigirt hat. Bei diesen grossen und anerkannten Vorzügen der äl- tern Karte möchte es, trotz dem langen Zeitraum von vier- zig Jahren, als gewagt erscheinen, mit einer neuen Karte hervorzutreten, da diese den Vorzügen der alten unmög- lich viel Neues und Besseres hinzufügen kann. Wenn ich es dennoch unternahm, so glaube ich die Gründe hiefür angeben zu müssen. Einmal ist die Merian’- 5 66 sche Karte längst vergriffen und dann ist ihr Format so klein, dass es unmöglich wäre, alles geologische Detail, wie es der heutige Stand der Wissenschaft erfordert, dar- auf einzutragen. Nur die grössern Schichtengruppen konn- ten darauf unterschieden werden. Der Gedanke lag dess- halb nahe, die in dem bedeutend grössern Massstab von 1 : 50,000 ausgeführte Karte von Hrn. Ingenieur Andreas . Kündig geognostisch zu illuminiren, da sie bei allen ihren Mängeln und trotz dem, dass die Ausführung des Details der Grösse des Massstabes lange nicht entspricht, doch das Relief unseres Kantons ungleich getreuer wiedergiebt, als die ältere kleinere Karte. Eine grosse Karte lässt sich leicht ins Kleine ziehen, nicht aber eine kleine ins Grosse. Es handelte sich demnach um eine ganz neue, selbststän- dige geologische Aufnahme des Kantons, um aus der di- recten eigenen Beobachtung das Material zu einer neuen Karte sammeln und eintragen zu können. In der That fin- det sich auf der vorliegenden Karte, so weit es den Kan- ton Basel betrifft, auch nicht Ein Fleck, der nicht auf ei- gener Beobachtung beruhte. Auch von den angrenzenden fremden Kantonstheilen habe ich das Meiste nach eigener Anschauung aufgenommen und das übrige den wohl ausge- führten geologischen Karten der Herren Gressly und Lang für den Kanton Solothurn, Thurmann und Greppin für das ehemalige Bisthum, und Casimir Mösch für den Kanton Aar- gau entnommen. Gressly hat zwar schon vor Jahren die Kündig'sche Karte geologisch illuminirt, aber sehr mangel- haft und ungenau, so dass darauf nicht zu fussen war. Als ich meine geognostischen Wanderungen begann, hatte ich noch nicht die Absicht, darüber Mittheilungen zu machen oder gar eine geognostische Karte herzustellen. Mein einziger Zweck war, mich selbst mit unsern Umge- bungen ein wenig vertraut zu machen. Erst als ich im Ver- laufe dieser Wanderungen hie und da einiges fand, was 67 mir neu oder wenig bekannt schien, fand ich mich zu Mit- theilungen veranlasst, und so kam mir der Gedanke, meine Beobachtungen auf der Karte von Kündig einzutragen und allmählig zu einem Ganzen zu vereinigen. Während der Arbeit wurde mir meine Aufgabe selbst immer klarer, näm- lich die geologische Aufnahme unseres Gebietes mit der Sorgfalt auszuführen und darzustellen, mit welcher wir auf einer guten Generalstabskarte das topographische Detail dargestellt finden, so dass Jeder mit der Karte in der Hand an irgend einer beliebigen Stelle ihres Gebietes durch ei- gene Anschauung und Vergleichung sich von der Richtig- keit der Aufzeichnungen überzeugen kann. Topographische und geologische Darstellung müssen mit einander harmoni- ren und sich gegenseitig ergänzen und erläutern Wenn wir einmal eine genauere topographische Karte des Kan- tons Basel besitzen, wozu Aussicht vorhanden, so wird auch die Arbeit des Geologen wesentlich dadurch erleich- tert und gefördert werden. Die vorliegende Karte unseres Kantons ist bloss ein erster Schritt diesem Ziel entgegen. Denn auf allen meinen Wanderungen tritt mir bei jedem neuen Fund von Neuem wieder die Uebcrzeugung entgegen, dass selbst in dem engen Umkreis unseres vorliegenden Gebietes noch Vieles zu erforschen bleibt, und unsere Nach- folger noch lange genug Neues finden werden. In der vorliegenden Karte des Kantons Basel sind vom Bünten Sandstein an bis zu den Diluvialablagerungen 22 Formationsabtheilungen unterschieden worden, Bei der Wahl der Farben habe ich mich der bereits von Herrn Rathsh. P. Merian eingeführten, und auch von den Herren Thur- mann, Gressly, Greppin, Lang u. a. befolgten Methode, die sich so gut bewährt hat, angeschlossen. Die Unterabthei- lungen der einzelnen Formationen, so des Lias, des Brau- nen Jura u. s. w. wurden bei gleicher Färbung durch ver- schiedene Punktirung unterschieden, so dass trotz dieser 5* 68 Unterscheidung das Zusammengehörige unter derselben Farbe vereint erscheint und hiedurch der Ueherblick wesentlich erleichtert wird. Relief des Kantons Basel. (Hiezu acht Durchschnitte auf Taf. I.) Der Kanton Basel zerfällt in drei topographisch wohl charakterisirte und deutlich geschiedene Gebiete, die sich als drei grosse Stufen von Norden nach Süden über einander erheben, und in ihrer schönen Gliederung den hohen Reiz unserer Landschaft ausmachen Als tiefste und nördlichste Stufe erscheint die mit Di- luvialgeröllen bedeckte Ebene des Rheinthales, 250 bis 300 Meter über dem Meer gelegen. Ueber dieser erhebt sich gegen Süden als mittlere Stufe, den grössten Theil des Kantons Basel ausmachend, das 200 bis 300 Meter hö- her gelegene, durch zahlreiche Spaltenthäler zerstückelte Plateaugebiet mit horizontalem oder durchschnittlich sanft südlich geneigtem Schichtenbau. Als dritte und höchste Stufe steigt endlich ganz im Süden, 300 bis 500 Meter über die durchschnittliche Höhe des Plateaugebietes, das ei- gentliche Juragebirge empor, das aus einer Anzahl parallel von Südwest nach Nordost laufender lang gestreck- ter, meist scharfer Gräte mit steilem Schichtenfall, besteht und östlich in den Aargauer-Jura, westlich in den Solo- thurner- und Berner-Jura fortsetzt. Diese drei grossen Stufen, das Rheinthal, das Pla- ‘teaugebiet und das Juragebirg erscheinen als drei von West nach Ost ziehende Streifen, von denen der mitt- lere der ausgedehnteste und breiteste ist. In Band I, Taf. Hi und Band II, Taf. IV der Verhandlungen der naturforschen- den Gesellschaft habe ich bereits eine Anzahl von Durch- schnitten durch das Plateaugebiet und die Ketten des Kan- 69 tons Basel veröffentlicht, worunter der in Fig. 8, Taf. IV dargestellte, vom Schwarzwald bis nach Olten unser gan- zes Gebiet durchziehende Generaldurchsehnitt diese drei- theilige Gliederung von Tiefebene, Plateau und Hoch- ketten veranschaulicht, Wie das Plateau, so sind auch die Ketten durch zahlreiche Querspalten (Klusen, Pässe) zer- stückelt. Es liegt nicht in meiner Absicht, hier eine detaillirte geognostische Beschreibung unserer Landschaft zu liefern, indem ich mich auf die mehrerwähnten Publikationen des Herrn Rathsh. P. Merian (Beiträge zur Geognosie Band 1, Basel 1821), sowie auf seine Mittheilungen in den schwei- zerischen Denkschriften (Bd. D) und in den Berichten und Verhandlungen der hiesigen naturforschenden Gesellschaft berufe. Ebenso habe ich bereits einige Beiträge zur Geo- gnosie unseres Kantons, insbesondere über das Plateauge- biet und die anormale Stellung der Vorketten zu jenem in den genannten Verhandlungen Bd. T, S. 438, und Bd. II, S. 348, nebst Durchschnitten geliefert. Es mag jedoch nicht überflüssig erscheinen, der vorliegenden geognostischen Karte einige erläuternde Bemerkungen beizufügen, wodurch ihr Gebrauch erleichtert wird.!) Es soll demnach auf die Verbreitung der einzelnen Formationen kurz hingewiesen werden, wobei ich das Rheinthal mit dem angrenzenden Plateaugebiet gemeinschaftlich behandle. 1) Das Originalexemplar habe ich als Geschenk an die hiesige na- turforschende Gesellschaft zur Benützung des Publikums im mi- neralogischen Saale des Museums aufgehängt und zugleich eine Reihe von Durchschnitten mit einer Sammlung der wichtigsten Versteinerungen, geologisch gruppirt, unter Glas daselbst aufge- stellt. Weitere Exemplare der Karte werden auf Bestellung durch den Verfasser geliefert. 70 A. Plateaugebiet. (Tafel I. Durchschnitt VIII.) Die Abhängigkeit oder Zugehörigkeit des Plateaugebie- tes zum Schwarzwald, als dessen äussern südlich anliegen- den Mantels von Sedimentgesteinen, mit vorherrschendem sanft südlichem Schichtenfall, habe ich in den vorhin citirten Abhandlungen bereits des nähern nachgewiesen. Ein Blick auf die Karte und auf die Durchschnitte wird diese Ansicht, welche über viele Einzelheiten des Schichtenbaues dieses Gebietes Aufschluss giebt, bestätigen. Daher das Vorherrschen der ältern Formationen im Norden und Osten, der jüngern im Süden und Westen. I. Triasformation. 1. Bunter Sandstein. Als tiefste Formation tritt, wenn wir von dem bereits dem Schwarzwald angehörigen Granit- und Gneissgebirg absehen, auf unserer Karte der bunte Sandstein auf, wel- cher die unterste Stufe der Triasformation bildet Er ist auf der Karte carmoisinroth angegeben. Er tritt nur ganz im Norden, in der Nähe des Rheines, in wenigen schmalen Streifen oder Fiecken zu Tage, so bei Richen, der einzi- gen Stelle im Kanton Basel, ferner am Rheinufer bei Warm- bach, Rheinfelden, Mumpf und Säckingen, und in geringer Entfernung nördlich vom Rhein bei Degerfelden. Nur an - wenigen Stellen des Aargauer-Plateaus kommt er, südwärts vordringend, in einiger Entfernung südlich vom. Rhein im Grunde der Thäler zum Vorschein, so bei Mumpf, Zeinin- gen und Zuzgen, wo er an der westlichen Thalwand noch zu einer ziemlich ansehnlichen Höhe ansteigt. Auf baselland- schaftlichem Boden kommt er meines Wissens nirgends her- ‚a vor. Organische Reste sind bei uns äusserst selten. Es sind Calamiten, Fische, Saurier. Die festen Bänke des bun- ten Sandsteines liefern ein treffliches, bei uns sehr gesuch- tes Baumaterial. Wie alle Formationen des Plateaugebie- tes, erscheint er mit geringen Schwankungen horizontal gelagert. 2. Muschelkalk. Ueber dem bunten Sandstein lagert der auf der Karte braun bemalte Muschelkalk, in grösster Ausdehnung eben- falls zu beiden Seiten des Rheins zwischen Basel und Säckin- gen zu Tage tretend, einerseits das lange Hochfeld des Dinkelberges zwischen Rheinthal und Wiesenthal, andrer- seits, südlich vom Rhein, den Nordrand des Basler- und Aargauer-Plateaus bildend. Augenscheinlich gehörten beide Muschelkalkstreifen ursprünglich Einem Gesammtplateau an, das später durch die weite Spalte des Rheinthales (wahr- scheinlich eine Doppelspalte) getrennt wurde. Je weiter wir von Basel-Augst ostwärts rücken, desto weiter dringt der Muschelkalk dieses Nordplateaus, als Hauptmasse die- ser Hochflächen, gegen Süden vor. Er verliert sich all- mählig, dann nur noch in den Thalspalten zum Vorschein kommend, unter die jüngern Formationen des Keupers und des Lias, die gegen Süden sich darüber anlagern. Bei Rhein- felden erblickt man quer durch das Rheinbett eine starke ‚Verwerfung zwischen Muschelkalk und Buntsandstein. Eine bedeutende Senkung des Muschelkalkes hat im Rheinthal zwischen Basel und Augst auf der südlichen Seite stattge- funden. Daher kommt am Nordrand des Basler-Plateaus, von Augst an westwärts bis zur Birs, der Muschelkalk nicht mehr ans Tageslicht, nur an der nordwestlichsten Ecke in unmittelbarer Nähe der Birs, bei der Rüttehardt und dem Asphef, tritt er nicht-nur an den Thalgehängen, sondern auch auf der Höhe auf eine kleine Strecke zu Tage, wird e 72 aber bald von Keuper und Diluvialgeröllen überdeckt. Sonst kommt in der westlichen Hälfte des Baselbietes, d. h. west- lich von der Ergolz, selbst in den Thalgründen, der Mu- scheikalk nirgends hervor. Wohl mag er auch von den nach der Tiefe heruntergerutschten weichen Keuper- und Liasmassen später stellweise, wie gerade im Rheinthal, wie- der bedeckt worden sein. Ausserdem erscheint noch der Muschelkalk am linken Rheinufer bei der Saline Schwei- zerhall. Von den verschiedenen Abtheilungen des Muschelkal- kes dominirt überall auf unserm Plateaugebiet die sehr mächtige Abtheilung des dichten rauchgrauen Kalksteines oder sogen. Hauptmuschelkalkes, der aber an den meisten Orten überaus arm an Versteinerungen ist. £r bil- det die grössere obere Hälfte der Formation und ist in verschiedenen Höhen durch Zwischenlager ven Eneriniten- kalk (Encrinus lilüformis), besonders aber durch Bänke von hellgelben, bald dichten thonigen, bald mehr körnigen oder löcherigen Dolomiten unterbrochen. Solche hellgeibe Do- lomite der letztgenannten Varietät, besonders durch ihr lö- cherig körniges Gefüge ausgezeichnet und zahlreiche Stein- kerne kleiner Gasteropoden enthaltend, bilden in Begleitung 'unzähliger milchblauer Chalzedon-Knauer fast ailenthalben die Decke unserer Muschelkalk-Plateaus, sowohl auf den Hochflächen des Dinkeiberges nordwärts, als auch auf den- jenigen im Norden der Kantone Basel und Aargau, südwärts vom Rhein. Die Chalzedontrümmer sind sehr charakteri- stisch für diese Abtheilung. In tiefern Lagen kommen auch - Hornsteingeoden vor. Quarzdrusen sind nicht selten. Die unterste Abtheilung des Muschelkalkes, den Wellenkalk und Wellendolomit, habe ich erst an wenigen Stellen un- seres Gebietes deutlich aufgeschlossen gefunden; so bei Mumpf und bei Zuzgen (Aargau), wo er unmittelbar über dem bunten Sandstein an der Strasse nach Buus mit zahl- 73 reichen Petrefacten, worunter besonders Lima lineata und Gervillia socialis, zum Vorschein kommt. Ebenso ist die darüber folgende Anhydritgruppe, welche wegen ihres Salz- gehaltes in den Salinen am Rhein (Schweizerhall, Rhein- felden, Ryburg) eine so grosse Wichtigkeit erlangt hat, nur . . an wenigen Punkten unseres Gebietes deutlich aufgeschlos- sen, dann aber an den grauen Thonen und den weissen Gypsflötzen (auf der Karte zinnoberroth angezeichnet), die da und dort abgebaut werden, erkennbar. Anhydrit, der so leicht sich in Gyps umsetzt, sowie Steinsalz, habe ich nir- gends zu Tage angetroffen. Die Flächen und obern Thal- gehänge des Muschelkalkgebietes sind sanft gerundef, nur im Thalgrund erblickt man hie und da steile Abstürze. 3. Keuper. Ueber dem Muschelkalk lagern die grauen Schiefer- letten, heilgelben Dolomite, die Gypse, die besonders mäch- tigen und überall durch ihre rothen, grünen und weissen Streifen leicht erkennbaren bunten Mergel, und die grün- lich-grauen calimitenreichen Sandsteine des Keupers. Die weichen Thone und Mergel bilden das vorherrschende Ge- stein. Sie bieten wegen ihrer leichten Zerstörbarkeit keine scharfen Contouren dar, sondern nur sanfte wellige Gehänge und abgerundete Hügel, die sich im Süden und Westen des Basler- und Aargauer-Plateaus allmählig über den obern Dolomiten des Muschelkalkes anlagern. Von der Neuen Welt!) an, wo ein Fetzen von der Muschelkalkhöhe der Rüttehardt in das Birsthal hinuntergerutscht ist, bildet der Keuper (auf der Karte grasgrün angegeben) am Nordrand unserer Hochebenen ein schmales, vielfach gewundenes und 1) Die dortigen grauen Schieferletten sind schon längst durch ihre schönen Pflanzenreste bekannt. Auch Strahlkies und Eisenkies kommen hier und andern Ortes in diesen Schichten vor. LA 7 zerrissenes Band, das sich ostwärts über Muttenz, Pratteln, Schönthal, Giebenach, Arisdorf, Olsberg, Magden bis Mai- sprach, dann von Wintersingen über Buus, Hemmiken, We- genstetten und Schupfart ins Aargau fortzieht, überall sich dem Muschelkalk anlagernd, und seinerseits im Süden von einem eben so schmalen Band der darüber folgenden Lias- schichten begleitet. Auf den meisten Punkten dieser nörd- lichen Linie bedeckt der Keuper die Hochflächen, und steigt schon südlich von Muttenz, noch mehr aber im Osten des Kantons Basel oberhalb Hemmiken zu sehr beträchtlicher Höhe, gegen 600 Meter, (Schlegel, Erfenmatt) an. Südlich von der genannten Linie tritt der Keuper nur noch im Er- golzthal und den angrenzenden Seitenthälern, so bei Sis- sach, Gelterkinden und Rickenbach zu Tage, steigt aber auch hier noch zu ansehnlicher Höhe an den Thalwänden hinauf. Doch kommt der Muschelkalk am Fuss dieser Ge- hänge nirgends mehr zum Vorschein. Der Keupersandstein mit Calamiten und andern Pflanzenresten ist bei Hemmiken in einem ansehnlichen Steinbruch schön entblösst. Nörd- lich vom Rhein, auf den Hochflächen und an den Thalge- hängen des Dinkelberges kommt der Keuper nur in weni- gen zerstreuten Fetzen zu Tage, so zwischen Grenzacher- Horn und Wenkenhof, bei Grenzach, Wiehlen, Minseln, Adelhausen u. s. w. ; Als oberste Schicht der Keuperablagerungen und ge- wöhnlich noch zu dieser Formation gerechnet, erscheint das oft nur wenige Zoll mächtige, in Mergelkalk eingebettete sogenannte Bone-Bed, das sich durch seinen Reichthum an Knochen, Schildern und Zähnen von Reptilien und Fi- schen auszeichnet, und das von Ilerrn Rathsh. P. Merian an verschiedenen Stellen unseres Kantons nachgewiesen wurde. Das Bone-Bed zeigt eine weite Verbreitung in Europa. In den östlichen Alpen treten als Aequivalente sehr mächtige Ablagerungen auf, wie die sogenannten St. Cassian- und 75 die Kössenerschichten, worüber in den letzten Jahren die Herren P. Merian, Arnold Escher von der Linth, sowie die österreichischen Geologen uns überraschende Aufschlüsse gebracht haben. Die berühmteste Stätte des Bone-Beds in unserm Kanton bleibt noch immer das linke Ergolzufer im Schönthal bei Liestal, wo Gressly die riesigen Gebeine des Gresslyosaurus herausgegraben hat, der keineswegs, wie angenommen wurde, mit dem Belodon Plieningeri des schwäbischen Bone-Beds identisch ist, sondern, wie ich mich aus eigener Anschauung überzeugt habe, und wie auch Prof. Fraas bestätigt, die schwäbische Species an Grösse weit übertrifft. Die grauen und bunten Mergel des Keupers zeigen sich dem Wieswachs günstig. Sie enthalten Zwischenlager von Gyps (körniger Gyps, häufig Fasergyps), gewöhnlich in zahlreichen dünnen Schichten, die merkwürdig gewunden und geknickt sind. An zahlreichen Orten werden diese Gypsflötze (auf der Karte zinnoberroth angegeben) ausge- beutet. Auch Bittersalz und Glaubersalz kommen hie und da mit vor, so in der Nähe von Mönchenstein. An fossilen Resten ist der Keuper sehr arm, das Bone- Bed und die grauen sandigen Schieferletten und Sandsteine ausgenommen, welche die bekannten Pflanzen (Equiseten, Calamiten, Pterophyllen u. s. w.) einschliessen, und wegen ihrer schwachen Kohlentrümmer schon mehrmals zu ver- geblichen Grabarbeiten verleitet haben. In unserm Jura wird man vergeblich nach ergiebigen Steinkohlenla- gern suchen. Reste von Bisalven finden sich südlich hinter dem Wartenberg, sind aber schwer bestimmbar. Auch eine sehr kleine Posidonomya (P. minuta Goldf.) kommt in den grauen Letten nicht selten vor. Keupersandstein wurde durch Punktirung, Bone-Bed durch horizontale Schraffirung noch besonders unterschieden. Die Triasformation ist also vorzugsweise im Norden 76 und Osten unseres Plateaugebietes entwickelt, wo sie die Decke der Hochflächen bildet; sie senkt sich dann gegen Süden und Westen, überlagert vom Hauptrogenstein, allmählig in die Thalgehänge hernieder, die sich hügelig gegen ‘den Thalgrund abflachen, und verliert sich noch. weiter gegen Süden und Westen auch im Grunde der Thäler unter den tiefern Schichten der Juraformation, während auf den Hö- hen die ziemlich mächtigen Massen der Oxfordkalke und des Korallenkalkes hinzutreten. Das Vorherrschen der Trias- formation im Norden und Osten macht sich auch schon im Relief der Landschaft durch die abgerundeten Hochflächen und Thalseiten bemerklich gegenüber dem südlichen und westlichen Plateaugebiet, wo durch das Hinzutreten des Unteroolithes, Rogensteins und Korallenkalkes die Thal- wände steile Abstürze darbieten, welche gegen Süden, wie z.B. im Eithal, bis in den Thalgrund hinunterreichen. Hie- durch wird der landschaftliche Charakter des westlichen Plateaugebietes weit mannigfaltiger, malerischer, als der des östlichen. EE Juraformation. A. Lias (unterer Jura, schwarzer Jura). Die zahlreichen Unterabtheilungen des Lias (auf der Karte violett angegeben) wurden in drei natürliche, in un- serm Gebiet überall leicht erkennbare Gruppen zusammen- gefasst, die ich schon früher nach ihren vorwiegenden Ver- steinerungen folgendermassen benannt habe: | a) Unterer Lias oder Gryphitenkalk (Lias « und £ Quenst.) mit Gryphea arcuata, Ammonites Bucklandi etc. b) Mittlerer Lias oder Belemnitenkalk (Lias y und d Quenst.) mit Belemnites pazıllosus ete. | c) Oberer Lias oder Posidonienschiefer (Lias e und & 77 Quenst.) mit Posidonomya Bronni und darüber mit Ammonites radians, jurensis etc. | Im Allgemeinen ist der Lias bei uns nicht so schön entwickelt, wie im schwäbischen Jura, obgleich sich mit der Zeit noch die meisten der von Quenstedt und Oppel aufgestellten Unterabtheilungen werden nachweisen lassen. Doch haben wir sicher nicht den Reichthum an Species, und namentlich fehlen die andern Ortes im obern Lias so reichlich vorkommenden Fisch- und Saurierreste bis auf wenige Spuren ganz. Als ein schmales, ebenfalls vielfach gewundenes Band sehliessen sich die vorherrschend dunkelgrau gefärbten Thone und thonigen Kalke des Lias südlich allenthalben unter denselben Reliefformen dem nördlich vorliegenden Keuperstreifen des nördlichen Plateaugebietes parallel an. Im Norden und Osten bildet der Lias gleichfalls die Decke unserer Hochflächen, senkt sich aber gegen Süden und We- sten allmählig in die Thäler hinunter. Wie der Keuper, beginnt der Lias im Westen schon bei Mönchenstein, von wo er am Fusse des mächtigen Rogenstein-Plateaus ost- wärts über Muttenz, Pratteln, Frenkendorf, Giebenach, Aris- dorf, Olsberg und Magden bis gegen Zeiningen, dann wie- der von Wintersingen über Hemmiken, Wegenstetten gegen Oberfrick, und in ähnlicher Weise durch das nördliche Aar- gau fortzieht. Von dieser nördlichen Linie. senkt er sich südlich in das Ergolzthal und dessen zahlreiche Seitenthä- ler hinunter, und dringt, südlich vom Ergolzthal, die Thal- böden bildend, noch beträchtlich weiter als der Keuper ge- gen Süden vor, im Westen bis gegen Bubendorf, im Osten bis Zunzgen, Diepflingen, Tecknau u. s. w., alimählig den darüber gelagerten Thonen und eisenreichen Thonkalken des untern Oolithes weichend, die im Grunde der Thäler fast bis zu den Ketten südwärts sich erstrecken. Aus diesen mit Keuper und Lias bedeckten Thalgründen ragen (siehe 78 die Karte), namentlich im Osten und Norden der Ergolz, die mächtigen Plateaustücke des Hauptrogensteins, durch Spaltenthäler vielfach zerstückelt, wie Inseln heraus. Unter den ergiebigsten Fundorten für Liasversteine- rungen, besonders für Gryphitenkalk, sind noch immer die kleinen Steinbrücke südlich oberhalb Pratteln und die Bänke im Bett der Ergolz nördlich vom Schönthal (daselbst mit prächtigen Cölestin- und Bitterspathkrystallen in den Am- monitenkammern), sowie die Anhöhen bei Arisdorf zu nen- nen. Auch Gypsspath, Kalkspath, Eisenkies und Zinkblende kommen hie und da im Lias vor. Quarz ist ziemlich sel- ten. Schwache Kohlentrümmer scheinen hie und da sich vorzufinden, aber durchaus von keinem Belang, so wenig wie die im Keuper. Auch der Bitumengehalt der, in Schwa- ben so ölreichen, obern und untern Liasschiefer hat sich noch nirgends bei uns ergiebig erwiesen. Der Belemniten- kalk ist sehr schön angebrochen durch die Strasse zwi- schen Rickenbach und Buus, am südlichen Absturz des Staufenberges, eben so auf den Höhen östlich von Hemmi- ken und an andern Orten. Die Posidonienschiefer sind un- ter anderm am nordöstlichen Abhang des Farnsberges schön zum Vorschein gekommen. Die meist thonigen Schichten des Lias geben einen fruchtbaren Wiesenboden und findet man die darin angebrochenen Lettgruben, wenn man nicht gleich nach einem frischen Anschurf dazu kommt, bald wieder mit Vegetation bedeckt. Es hängt daher von einem günstigen Zufall ab, wenn man auf seinen Wanderungen auf frisch entblösste Stellen stösst. Die gemeinsten Ver- steinerungen des Gryphitenkalkes hingegen liegen überall auf den Wegen und den Feldern herum, ebenso die paxil- losen Belemniten. 7% B. Mittlerer oder brauner Jura. (Auf der Karte rothbraun bezeichnet.) 1. Unterer Oolith. (Unterer Eisenrogenstein Merian, Bajocien d’Orb., Brauner Jura & bis 0 Quenst.) Die Trennung zwischen den obersten Schichten des Lias und den üntersten des braunen Jura ist schwierig. Daher herrscht unter den Gcologen hierin einiger Zwie- 'spalt, der bei der Colorirung der geognostischen Karten zu Irrihümern Anlass geben kann, besonders wenn man die Specialkarten verschiedener Geologen zu einer grössern all- gemeinern Karte verwenden will. Nach dem Vorgange Quen- stedts ist auf vorliegender Karte alles über den Jurensis- mergeln (als obersten Lias) Liegende zum Unteroolith, also zu der untersten Abtheilung des braunen Jura gezählt wor- den. Auch hier habe ich, der leichtern Uebersichtlichkeit halben, die verschieden von Quenstedt und Oppel festge- stellten Unterabtheilungen, die sich auch in unserm Gebiete grösstentheils nachweisen lassen, in Eine Gruppe vereinigt, welche dann alle die thonigen dunkelgrauen, graubraunen und rothbraunen Schichten zwischen Lias und Hauptrogen- stein vereinigt, und auf der Karte, theilweise der natürli- chen Farbe entsprechend, dunkelrostbraun angegeben. a) Opalinusthone. Ganz unten treten mächtige dunkel- graue, dünnschieferige, fette Letten auf, die wohl den schwä- bischen Opalinusthonen (mit Amm. opalinus) entsprechen, aber — ein wahres Kreuz für die Petrefactensucher — aus- ser hie und da zerstreuten winzigen Posidonomyen und Schwefelkiesknollen kaum andere Einschlüsse enthalten. (Br. J. & Quenst.) b) Murchisonæ- Schichten. Darüber lagern ähnliche graue, schieferige, oft sandige Letten, gleichfalls ziemlich 80 mächtig, die ungemein reich an Thoneisensteinknollen, von Nuss- bis Faustgrösse, sind, und zahlreiche Exemplare von Ammoniles Murchisonæ Sow., Pecten demissus Goldf., Trigonia eostellata Ag. und andere Versteinerungen, oft mit verkies- ter Schale, enthalten. Auch die dünnen sandigen Zopfplat- ten Quenstedts, deren merkwürdige Abdrücke noch nicht enträthselt sind, fehlen in den untern Schichten nicht ganz. Eisenoolithe treten hier schon auf. c) Harte blaue Kalke (Quenstedt) kommen gleichfalls ungefähr in dem von Quenstedt angegebenen Niveau an man- chen Stellen vor, bedürfen aber, namentlich in Bezug auf ihre organischen Éinschlüsse, noch der genauern Untersu- chung. Sie würden dem Br. J. y Quenst. entsprechen. d) Giganteus-Schichten (Br. J. d Quenst.), als Haupt- abtheilung des Unteroolithes den eigentlichen untern Eisen- rogenstein einschliessend, der immer thonig, oft sandig, graubraun oder rothbraun aussieht und zahlreiche kleine schalige Brauneisensteinkügelchen enthält. Diese Oolithe sind oft so reich an Eisenerz, dass sie früher an mehrern Orten, so beim Bubendörferbad, zur Eisengewinnung aus- gebeutet wurden. Durch ihren Reichthum an wohlerhalte- nen Versteinerungen sind sie bei den Petrefactensammlern schon im vorigen Jahrhundert in Ansehen gestanden. Unter den häufigsten Versteinerungen will ich nur an die aller- wärts bekannten Belemnites giganteus, Ammonites Blagdeni, Amm. Humphriesianus, Terebratula perovalis, Ter. Meriani, Pec- ten disciformis, Ostrea Marshii und Cidariles maximus erin- nern. Mit diesen Schichten wechseln grauliche oder bräun- liche, rauhe sandig-thonige Kalke, die nach oben vorherr- schen, dünnschieferig werden und weniger Versteinerun- gen enthalten. Darauf folgen erst die festen Bänke des Hauptrogensteins. Zu den ergiebigsten Fundstellen dieses eigentlichen Eisenrogensteins gehören die Station Sommerau, die Tennikerfluh, eine Stelle an der Strasse zwischen Ten-. 81 niken und Diegten, die Sissacherfluh und Rickenbacherfluh, überhaupt die ganze östliche Thalseite des Ergolzthales vom Schönthal bis Ormalingen, das Rösernthal u. s. w. Der untere Oolith schiebt sich allenthalben am Fusse unserer Rogenstein- Plateaus in mächtiger Schichtenfolge zwischen Lias und Hauptrogenstein ein, und sticht durch seine dünnen, selten. fussmächtigen, grauen oder braunen, thonigen Schichten, leicht erkennbar von den darüber ge- lagerten hellgelben oder weissen festen Rogensteinbänken ab. Unteroolith und Hauptrogenstein vereint, bilden in den Thalrissen steile Abstürze, die wohl eine Höhe von 200 Meter und mehr erreichen mögen. Fast nirgends tritt der Unteroolith in erheblicher horizontaler Verbreitung auf. Bloss die Trümmer rutschen über die sanften untern Ge- hänge des Lias und Keuper etwas weiter hinunter. Nur bei Gelterkinden, nordwärts gegen den Farnsberg zu, bildet er die Decke der dortigen Hügel. 2. Hauptrogenstein. (Bathoniep d’Orb., fehlt im schwäbischen Jura und würde dort zwischen Br. J. d und € Quenst. fallen.) Der Hauptrogenstein verdient seinen Namen mit Recht, denn er bildet die Hauptmasse unseres ganzen Plateauge- bietes, das durch zahlreiche Spaltenthäler in eine Anzahl mächtiger Hochplatten, den Steinen eines Schachbrettes ähn- lich, zerstückelt ist. Von allen Formationen erlangt er die grösste horizontale Verbreitung auf unserm Gebiet, wie schon ein flüchtiger Blick auf die Karte lehrt, wo er, im Gegensatz zu dem dunklern untern Eisenoolith, hellrost- braun (oder hellorange) angegeben ist. Die durchschnitt- liche Mächtigkeit des Hauptrogensteins beträgt gegen 150 Meter, nach Süden mehr, nach Norden weniger. Die Farbe geht vom Weissen ins Gelbliche und Bräunliche, besonders: 6 82 treten die letztern Nuancen durch Verwitterung hervor. Die Structur ist oft eine ausgezeichnet fein oolithische, so dass auf den Bruchflächen die einzelnen Kalkkügelchen (aus con- centrischen Schalen bestehend) deutlich hervorspringen. Bisweilen geht die Structur ins undeutlich oolitische, fein- körnige oder compacte über, oder die isolirten Kalkkügel- chen liegen in einem Teig von klarem Kalkspath einge- bettet und treten auf den ebenen Bruchflächen nicht mehr im Relief hervor. Auch dichte Kalksteine, ähnlich dem Korallenkalk, kommen vor. Die mittlern Bänke erreichen eine Mächtigkeit von 3 bis 5 Fuss, und sehen dann an den steilen Thalgehängen, so z. B. im Eithal bei Wenslingen, in Folge der Abrundung durch die atmosphärischen Gewässer, wie über einander gelagerte Wollsäcke aus. Hier finden sich auch ansehnliche Höhlen im Rogenstein. In den Thal- spalten bei Zeglingen und Rüneburg springen hübsche Was- serfälle über die abgebrochenen Rogensteinbänke hinunter. Sowohl am Nordrand unserer Hochflächen, als auch in den innern Spaltenthälern bildet der Hauptrogenstein senkrechte hohe Abstürze (Fluhen), die durch ihre hellgelbe Farbe von Weitem sichtbar sind und den malerischen Reiz unse- rer Landschaft nicht wenig erhöhen. Die obern Schichten sind gewöhnlich schwächer, die obersten nur 1—3 Zoll dick, plattenförmig. In der Regel sind die Schichten nur wenig geneigt, doch herrscht, besonders gegen Süden, ein schwach südliches Einfallen entschieden vor. Nur wo ein- zelne Randstücke sich abgelöst haben, in die benachbarten Thalspalten hinuntergerutscht sind und nun abnorm gela- gerte Vorhügel bilden, findet ein steilerer Schichtenfall statt, wie ich das in den oben erwähnten frühern Arbeiten des Nähern nachgewiesen habe. An deutlichen Versteinerungen ') 1) Die fein gestreifte kleine Lima modesta Merian zeigt sich aus- nahmsweise nicht selten vortrefflich erhalten, so z. B. am War- tenberg. 83 ist der Hauptrogenstein arm, obgleich einzelne Bänke wah- ren oolithischen Muschelbreccien gleichen, die aber nur aus kleinen abgerollten Schalentrümmern bestehen. Jedoch fin- den sich hübsche Korallenstöcke (Astr&een) hie und da ein- gewachsen. Desto häufiger kummen schöne Kalkspathdru- sen vor, besonders tritt das gewöhnliche Scalenoeder R3 auf, oft noch in Combination mit dem ersten stumpfen Rhom- boeder — Y, R oder mit dem ähnlich gelegenen stumpfen Sealenoeder {4 R 3. Am Wartenberg kommen noch schöne selbe Flussspathwürfel hinzu. Der Rogenstein wird in zahl- reichen Steingruben als Baumaterial ausgebeutet, obgleich immer nur wenige Bänke einen soliden, den Wechsel der Witterung aushaltenden Baustein liefern. Die meisten lei- den durch den Frost. Der Rogensteinzug unseres Plateaugebietes, gleichfalls von West nach Ost streichend und allenthalben begleitet von den parallel laufenden schmalen Streifen des Unter- oolithes, Lias und Keupers (siehe die Karte), die sich ir welligen Hügeln an seinem Fuss anlegen, erhebt sich in schroffen, nach Norden schauenden Abstürzen durchschnitt-- lich nahezu 200 Meter über dem nördlich vorliegenden Muschelkalk-Plateau. Er verdankt aber diese Höhe über dem Muschelkalk nicht einer besondern Erhebung — von einer Hebungsspalte ist nirgends eine Spur — son- dern bloss der Mächtigkeit seiner eigenen und der darunter liegenden Schichten des Unteroolithes, Lias und Keupers, was leicht durch Rechnung nachzuweisen ist. Er bildet mit den weiter südwärts darüber gelagerten jün- gern Juraschichten und den Tertiärgebilden nur die wei- tere Folge von Sedimentgesteinen, die sich südlich über dem Muschelkalk-Plateau abgelagert haben. Diese ganze südlich vom Rhein von West nach Ost hinziehende For- mationsfolge, vom Muschelkalk bis Oberjura, habe ich in meiner frühern Arbeit (Bd. II, S. 357) den Rheinzug ge- 6* 84 nannt und seine Abhängigkeit vom Massiv des Schwarz- waldes, dessen Vorkette er ist, dargethan. Im Westen des Kantons Basel an der Birs beginnend, als Plateaugebiet den nördlichen und mittlern Theil des Kantons Basel durch- ziehend, setzt er im Thiersteinberg u. s. w. mit immer ent- schiedenerm Kettencharakter und durchgreifendem südli- chen oder südöstlichen Schichtenfall durch das nördliche Aargau in den Randen und in den schwäbischen und frän- kischen Jura im Osten des Schwarzwaldes und Odenwal- des fort.!) Der Rheinzug darf desshalb nicht, wie schon öfter geschehen, mit dem eigentlichen Juragebirge zusammengesteilt werden, das im Süden des Kantons Basel an unser Plateaugebiet anstreift, aber einem ganz andern, jüngern Gebirgssystem angehört. Nur in Folge der lokalen Berührung, weil zufällig auf unserm Kartengebiet zwei verschiedenartige Gebirgssysteme, Schwarzwald, von Nord nach Süd, und Jura, von Südwest nach Nordost strei- chend, zusammenstossen, konnte die Verwechslung ent- stehen. Wie im Innern unseres Plateaugebietes, in den Spal- tenthälern, so haben auch am Nordrand des Rogenstein- zuges mächtige Randstücke sich abgelöst und sind gegen das Rheinthal hinuntergerutscht, wie ich das schon früher am Wartenberg und Adlerberg gezeigt habe und wie sich das auch vom Oehnsberg und insbesondere vom Sonnen- berg (629 Meter) an der Ostgrenze des Kantons Basel ‚(siehe Durchschnitt VIII) nachweisen lässt. Der Sonnen- 1) Zu den bemerkenswerthesten Höhen dieses Rogensteinzuges ge- hören aufBasler schem Gebiete, von Westen gegen Osten ge- nommen, die Winterhalde (622 M.), das Pratteler-Horn, das Hochfeld von Munien, der Siegmund bei Liestal, der Domberg bei Hersberg, die Sissacherfluh (703 Meter), der Hühnersedel (731 M.), der Staufenberg, der Farnsberg (750 M.). der Wisch- berg (684 M.). der Thiersteinberg (707 M.). i | N | 85 berg ist auf diese Weise stark nordwärts gegen das Rhein- thal vorgeschoben worden, so dass er jetzt weit über die allgemeine nördliche Rogensteinlinie hinausragt. Merkwür- diger Weise fallen seine Schichten gleichfalls südlich ein. Südlich über ihm erhebt sich das 600 Meter hohe Muschel- kalkplateau zwischen Buus und Zuzgen. Ausserdem fanden und finden noch fortwährend in Folge der Verwitterung kleine Abbröckelungen an den Abstürzen unserer Rogensteinplatten statt, die sich an deren Fusse zu Schutthalden anhäufen, welche durch Kalksinter oft wieder zu festen, selbst als Bausteine dienlichen Rogensteinbrec- cien zusammenbacken. Auf der Karte sind sie ausser der Rogensteinfarbe noch mit einem rothen Kreuz unterschie- den. An den mittlern und untern Gehängen bedecken sie gewöhnlich die Lias- und Keuperschichten, die sonst bier zum Vorschein kommen würden. 3. Bradfordschickten. (Etage Bathonien d’Orbigny, Terrain Vesoulien Marcou, Brauner Jura & Quenstedt.) Unter dem bei uns gebräuchlichen und auch von Fromm- herz für den Breisgauer Jura benützten Namen Bradford fasse ich alle über dem Hauptrogenstein liegenden, durch ihre zahlreichen Versteinerungen, namentlich durch unzäh- lige Exemplare. von Rhynchonella varians (von den Bauern - „Rebhühnli“ genannt), Terebratula intermedia Sow. (T. anse- rina Merian) und Ter. emarginata Quenst. allen Sammlern „wohlbekannten Schichten zusammen, von dem grobkörnigen Oolith mit Ammonites Parkimoni, Clypeus patella und andern Seeigeln bis zu den Schichten mit Ammonites macrocephalus, diese inbegriffen. Die ganze Gruppe, insbesondere die mitt- 86 leren, vorzugsweise verbreiteten und charakteristischen Schichten, entspricht‘weit eher dem Cornbrash der Eng- länder, als dem Bradford, und sollte demnach eigentlich Cornbrash genannt werden. Doch habe ich zum leich- tern Verständniss hier noch die herkömmliche Benennung beibehalten. Auf der Karte wurden die Bradforäschichten von dem sonst gleich bemalten Hauptrogenstein, dessen dünne obere Decke sie fast allenthalben bilden, durch ro- the Punctation unterschieden. Eigentliche Thone treten sel- ten auf. Ueber dem fast nirgends fehlenden, unmittelbar dem Hauptrogenstein aufgelagerten, ausgezeichnet grobkör- nigen Oolith, der nur wenige Fuss mächtig ist, kommen braune oder rothe eisenschüssige, rauhe, oft sandige Kalke mit Seeigeln und in körnigen Kalkspath umgewandelten Bi- valven, dann erst die grauen oder hellgelben dichten thon- reichen Kalke mit den zahlreichen wohlerhaltenen Verstei- nerungen, auf welche dann noch die eisenschüssigen Ma- crocephalusschichten folgen. Obwohl die Mächtigkeit dieser Gruppe nur gering ist (selten über 10 Meter), so bildet sie doch wegen ihres Reichthumes an Petrefacten einen wichtigen Horizont für unsern mittlern Jura. In Band I (S. 452) dieser Verhandlungen habe ich die Unterabthei- lungen dieser Gruppe mit den charakteristischen Verstei- nerungen näher angegeben. Auf mehrern Rogenstein-Pla- teaus nördlich von der Ergolz, sowie auf dem über eine Stunde langen Thiersteinberg im Osten unseres Kantons habe ich jedoch noch keine Bradfordschichten gefunden, hie und da sind sie ohne Zweifel von ihren Höhen in die Thäler hinuntergerutscht. Schöne Kalkspathkrystalle werden häufig in den Brad-. fordschichten angetroffen, auch Eisenkies und Zinkblende kommen hie und da vor. Quarz scheint sehr selten zu sein. 4. Kelloway-Schichten. (Callovien d’Orbigny, Oxfordien infér.; Ornatenthone oder Brauner Jura { Quenstedt.) Diese oberste Abtheilung des braunen Jura tritt auf unsern Plateaugebiet weit spärlicher auf, als die vorige. In der Form von gelben und rothen Eisenoolithen (oberer Eisenrogenstein) erscheint sie im Osten des Kantons Basel nur an wenigen Stellen, in kleinen zerstreuten Fetzen, so bei Anwyl, Oltingen, Wenslingen. im Westen treten graue Letten an ihre Stelle, die durch ihren Reichthum an klei- nen verkiesten Ammoniten (Amm. Lamberti, hecticus, convo- lutus, annulatus u. a.), sowie durch zahlreiche Stücke von Belemnites semihastatus unsern Sammlern längst bekannt sind und gewöhnlich schon zum Oxford gerechnet werden. Diese sogenannten Oxfordletten beginnen gerade da gegen We- sten sich einzustellen, wo darüber das Terrain à Chaille und der sogenannte Korallenkalk sich zu entfalten anfängt, so besonders längs dem östlichen Absturz des Gempen-Pla- teaus von Schauenburg an bis Seewen, sie zeigen sich aber auch schon östlich von Seltisberg, hier mit schön goldgelb isisirenden kleinen Ammoniten, und an andern Orten. Da die Kelloway-Schichten schon auf unserm kleinen Gebiet bald als eisenreiche braune Kalke, bald als graue schief- rige Letten auftreten, die sich von den darüber folgenden der höhern Formation kaum abtrennen lassen, so kann man schwanken, ob man sie zum obersten braunen oder unter- sten weissen Jura stellen will, und sind desshalb Differen- zen unter den Geologen über die Stellung sehr natürlich. 8s €. Oberer oder weisser Jura. 1. Unterer Korallenkalk oder Oxfordkalk. (Etage oxfordien d’Orb., Argovien Marcou z. Th., Weisser Jura & bis y Quenstedt.) (Auf der Karte hellblau bezeichnet.) An der Basis treten über den obersten Schichten des braunen Jura graue, an Petrefacten arme, Letten auf, die nach oben in schiefrige und dann plattenförmige hellgelbe oder graulichgelbe dichte Thonkalke übergehen mit Ammo- nites biplex Quenst., Amm. polygyratus Rein. und andern Ver- steinerungen. Die Letten dürften den Mergeln mit Terebra- tula impressa (Weisser Jura & Quenst.) entsprechen, obgleich diese Species, oder eine ihr sehr nahe stehende (Ter. Man- delslohi Oppel) bei uns nur in den Eisenoolithen der tiefer liegenden Kelloway-Schichten vorkommt. Pie plattenför- migen oder nur in kaum fussdicken Bänken abgesetzten dichten Thonkalke mit Amsm. biplex, die ich desshalb Biplex- kalke genannt habe, mögen, theilweise wenigstens, die Ana- loga der „wohlgeschichteten Kalkbänke (W. J. 8 Quenst.)“ sein, zum Theil aber, namentlich in den obern Lagen, dem weissen Jura y Quenst. entsprechen. ich habe auch hier die schon in meinen frühern Arbeiten gebrauchte Benen- nung „unterer Korallenkalk“ neben Oxfordkalk beibehalten, weil die obern thonfreiern Schichten grosse Uebereinstim- mung mit unserm hellgelben dichten sogenannten Koralien- kalk zeigen und im Centrum, sowie im Osten unseres Pla- . teaugebietes denselben auch zu ersetzen scheinen. Ich war desshalb manchmal in Verlegenheit, ob ich diese obern dichten Kalksteine mit der blauen Farbe der Oxfordkalke oder der gelben unseres sogenannten Korallenkalkes be- zeichnen sollte. Die Oxfordkalke mögen eine Mächtigkeit von 50 Me- 89 tern und mehr erlangen und bilden auf unsern Rogenstein- höhen, so bei Seltisberg, Bubendorf, Hersberg, Zunzgen, Lampenberg, Höllstein, Wittisburg u. s. w. bald vereinzelte Kuppen, bald lang gestreckte Terrassen, die sich, von Wei- tem sichtbar, merklich über das durchschnittliche. Niveau unserer Hochflächen erheben. Weit häufiger aber sind diese isolirten Oxfordstücke von ihren ursprünglichen Höhen in die benachbarten Thäler hinuntergerutscht, wo sie nun ab- norm gelagerte Vorhügel bilden, wie ich das in meinen frühern Abhandlungen (Bd. I und ii) gezeigt habe. Diese Oxfordkalke, als Bausteine weniger dauerhaft, dürften mit der Zeit wegen ihres Thongehaltes für hydrau- lischen Mörtel eine "grössere Verwendung finden, als bis jetzt geschehen ist. Die stark gablig gerippten planulaten Ammoniten sind äusserst bezeichnend für diese Gruppe. Sie erreichen bisweilen einen Durchmesser von 1—2 Fuss. Auch Bivalven, namentlich Pholadomyen, kleine Pleuromyen und dergleichen fehlen nicht. Disaster granulosus ist nicht gar häufig und oft undeutlich. Ueber den wasserdichten lettigen Schichten sowohl der Oxfordgruppe am Fusse des Korallenkalkes, als auch des Keupers, Lias und Unteroolithes am Fuss der Rogenstein- berge brechen vorzugsweise die Quellen hervor, welche von den atmosphärischen Niederschlägen gespiesen werden und nicht wenig zur Fruchtbarkeit der Thäler unseres Jura beitragen. 2. Terrain à Chailles und Seyphienkalke. (Oxfordien supérieur d'Orb, Argovien Marcou z. Th., Spon- gitenkalke, Weisser Jura y und 0 Quenst.) (Beide auf der Karte gleichfalls hellblau bezeichnet, das Terrain & Chailles überdiess durch dunkelblaue Punktation unterschieden.) Terrain à Chailles und Scyphienkalk scheinen, wie das Herr Rathsh. P. Merian schon vor Jahren ausgesprochen 90 hat, als verschiedene Facies ungefähr gleichzeitiger Bil- dungen einander zu entsprechen. Im Osten unseres Kantons sind vorzugsweise die Scyphienkalke, im Westen die Schich- ten der Chaille entwickelt. Eine Linie von Augst am Rhein, längs der Ergolz, über Liestal und Bubendorf nach Süden gezogen, bezeichnet so ziemlich die Grenze beider Bildun- gen. Es ist das, wie wir oben gesehen haben, dieselbe Grenzlinie, welche die östliche eisenoolithische Facies der Kelloway-Schichten von der westlichen lettigen, eisen- kiesreichen scheidet, dieselbe Linie, die noch weiter süd- lich. durch die Ketten gezogen den östlichen Jura mit vor- waltend südlichem Schichtenfall und über das Plateau nörd- lich übergeschobenen Vorketten von dem westlichen Jura mit deutlicher Gewölbfaltung, also abwechselnd nord- und südfallenden Gräten, trennt. Oestlich von dieser Scheide- linie herrscht immer mehr der schwäbische Typus, west- lich davon der französische Typus der jurassischen Fauna vor. Die Abhängigkeit dieser jurassischen Ablagerungen und ihrer Fauna von dem Massiv des Schwarzwaldes, der hier an seinem südwestlichen Ende gegen Norden umbiegt, ist augenfällig, wie das schon oben und früher (Band Il, S. 380) von mir auseinandergesetzt wurde. Die Uferlinien der einstigen Trias- und Jurameere, welche die südwest- liche Ecke der damaligen Schwarzwaldinsel umspülten, zo- gen mitten durch unsere jetzige Landschaft, woraus sich so vieles in Bezug auf Schichtenbau und Fauna erklärt. Gressly hat bereits in seiner Arbeit über den Solothurner-Jura auf diese Uferlinien hingewiesen. a) Das Terrain à Chailles (auf der Karte blau punktirt) erscheint unten, an der Basis der Bildung, in grauen, dünnschiefrigen, oft rauhen, sandigen Kalkmergeln, mit denen nach oben Lager von regelmässig an einander gereihten, oft auch mit einander zusammenfliessenden kopf- grossen kieselreichen Kalkknoten (Chailles) wechsellagern, 91 worin bisweilen die Kieselerde in Form hübscher Quarz- drusen ausgeschieden ist. Nach oben trifit man nicht sel- ten auch eigentliche bald dichte, bald körnige, rauhe, po- röse, oder gar oolithische Kalke, die dann den Uebergang zu dem sogenannten Korallenkalk bilden. Die Fauna, so reich in den Ketten des Berner- und Solothurner-Jura (in unserer Nähe besonders bei Pfeffingen und Flühen) entwickelt, ist auf unserm Plateaugebiet be- deutend ärmer, doch sind auch hier die Schaalen gewöhn- lich verkieselt, mit schön gebildeten concentrischen Chal- zedonringen. Unter den gewöhnlichsten Vorkommnissen will ich bloss einige herausheben: Terebratula Delmontana Oppel (sehr ähnlich der Ter. lagenalis), T. bucculenta Sow., Rhyn- chonella Thurmanni Voltz, Pholadomya exaltata Ag., Dysaster ovalis Ag., Glypticus hieroglyphicus Ag. Cidaris Blumenbachü Goldf. (meist nur Stacheln), Millericrinus echinatus Desor, Millericrinus rosaceus Desor (von diesen beiden Stielstücke), Anthophyllum obconicum Mstr. Zahlreiche Astræen, Tham- nastreen, Mæandrinen und andere Korallen. Das Terrain à Chailles kommt, wie schon bemerkt, nur an der Westgrenze unseres Kantons zur Entwicklung, längs dem östlichen und westlichen Fuss des grossen Korallen- kalk-Plateaus von Hobel und Gempen, sowie auf der Höhe selbst längs der Faille, die in der Verbindungslinie dieser beiden Dörfer streicht. Oestlich davon verliert es sich bald. b) Die Scyphienkalke (Spongitenkalke), durch ih- ren Reichthum an Scyphien und andern Schwämmen aus- gezeichnet, treten deutlicher erst in der Nähe der Ketten auf und erscheinen mit den Oxfordkalken (Biplexkalken) enge verbunden, so dass sie vielleicht gegen Süden die obern Schichten derselben theilweise vertreten. Es sind hell- gelbe, thonreiche, dichte oder feinerdige Kalke, die bis- weilen wie Kreide abfärben. Im Plateaugebiet lassen sich nur vereinzelte Spuren derselben auffinden. Desto schöner 92 sind sie in den südlichen Ketten, namentlich am Buxiberg entwickelt, worüber uns die reichhaltige von Herrn Pfarrer Cartier in Oberbuchsiten unserer naturforschenden Gesell- schaft eingesandte Abkandlung (Band HE, Heft I) nähern Aufschluss giebt. Von den überaus zahlreichen Versteinerungen will ieh nur einige der gemeinsten nennen: Planulate Ammoniten, wie Amm. polyplocus und polygyratus kommen auch hier vor mit einer Anzahl anderer Arten. Ferner: Terebratula bisuf- farcinata Zt., Ter. reticulata Schl. (Quenst.), Scyphia obliqua Goldf., Scyphia clathrata Gf., Tragos rugosum Münst., Tragos patella und viele andere Spongiten, bisweilen von Telier- grösse. 3. Korallenkalk. (Oxfordien super. d’Orb., Weisser Jura & Quenst). Ueber dem Terrain à Chailles lagert noch, in deutli- cher Entwicklung erst an der Westgrenze unseres Kantons, westlich von der vorhin genannten Scheidelinie, der soge- nannte Korallenkalk, ein sehr reiner, weisser oder gelb- licher, dichter oder durch die zahlreich eingemengten Ko- rallen zuckerkôrniger, bisweilen, besonders in den obern Lagen, oolithischer Kalkstein '), dessen Versteinerungen grossentheils mit denen des Terrain à Chailles übereinstim- men. In neuester Zeit wird daher ziemlich allgemein unser sogenannte Korallenkalk der Oxfordgruppe beigezählt, ent- sprechend der obersten Abtheilung der Etage oxfordien . d’Orbigny. Doch habe ich für diese so deutlich gesonderte durch ihren Reichthum an Korallen, besonders Astræen, ausgezeichnete Abtheilung den noch allgemein bei uns üb- lichen Namen Korallenkalk, der eigentlich einer jün- 1} Eisenkies findet sich hie und da eingesprengt. 93 gern Ablagerung entspricht, beibehalten, um so mehr, als die obersten Lager wahrscheinlich bereits in dieses Niveau gehören. Der eigentliche Korallenkalk oder Diceratenkalk, mit Diceras arietina, kommt erst im Südwesten von unserer Karte, in der Gegend von Delsberg, zur Entwicklung. Um die Uebereinstimmung mit den Karten von Merian, Thur- mann, Gressly, Lang etc. zu erhalten, habe ich, wie diese, unsern sogenannten Korallenkalk hellgelb gehalten, obgleich er, consequenter Weise, mit der allgemeinen Farbe der Oxfordgruppe (hellblau) hätte bezeichnet und nur durch besondere Punktirung unterschieden werden sollen. Jeder, der sich bis dahin mit der Geologie unseres Jura abgege- ben, wird sofort wissen, was er unter der gelben Farbe zu verstehen hat. Unser Korallenkalk ist seiner Hauptmasse nach so viel wie ungeschichtet, massig (entsprechend den plumpen Felsenkalken Quenstedts), dagegen regellos in ver- ticaler Richtung zerklüftet, wodurch malerische Felspar- thien entstehen. Besonders sind in dieser Hinsicht ausge- zeichnet die steilen mächtigen Abstürze des weit ausge- dehnten Gempen-Plateau, die bei einer Höhe von 60% bis 700 Meter weit ins Land hinaus schauen. Die lange von Nord nach Süd, von Schauenburg bis Seewen hinziehende Fluh am Ostrand dieses Plateaus, die stattliche Felsenreihe längs dem Westrand am Birsthal, worunter vor allen der Gempenstollen (Schartenfluh) mit 760 Metern über ihre Um- gebungen hervorragt, sind allen unsern Naturfreunden wohl bekannt. Diese Fluhen von Korallenkalk und von Haupt- rogenstein sind es wesentlich, welche den landschaftlichen Charakter des westlichen Baselbietes vor dem weit ein- förmigern östlichen Plateaugebiet auszeichnen. Das ganze Plateau von Hobel und Gempen ist augen- scheinlich der Rest eines ehemaligen Korallenriffes des Jurameeres, das sich von hier aus noch weit gegen West und Südwest zog, und dessen ôstliches Ende mit der lan- 94 sen von Schauenburg bis Seewen sich erstreckenden Fluh am Ostrand zusammenfällt.e Weiter östlich kommen nur noch spärliche vereinzelte Reste vor, die zu dieser Bildung gezählt werden können, so die stattlichen Höhen südöstlich von Lupsingen und Zyfen, Arboltswyl zu. Die östliche Hälfte des Gempen-Plateau hat längs einer verborgenen, von Nord nach Süd, über Gempen und Hobel streichenden Spalte eine Senkung gegen Westen erlitten, so dass da- durch auf der Hochfläche selbst längs dieser Spalte in der Nähe der genannten Dörfer die tiefern Schichten der Chaille und zum Theil die Oxfordthone zum Vorschein gekommen sind. Daher überragt die stehengebliebene schmälere, west- liche Hälfte (mit den Höhen der Gempenfluh und der Her- renmatte) die östliche, welche von der Senkungsspalte aus wieder merklich gegen Osten ansteigt. Ebenso hat sich am Westrand ein mächtiges Stück, der Dornacherberg, west- wärts gegen das Birsthal hinuntergesenkt. Hiezu gehört auch die Anhöhe beim Schloss Angenstein. Dessgleichen . hat die Schauenburger-Fluh eine beträchtliche Senkung er- litten. Dass auch kleinere Randstücke von Korallenkalk, oft weit abwärts, hinuntergefallen sind und nun die Schloss- hügel von Dornach, Birseck, Reichenstein, Mönchenstein und Schauenburg bilden, habe ich bereits in meinen beiden frü- hern Arbeiten (Bd. I und ID erwähnt. Kleinere Massen dieser Art sind noch an verschiedenen Orten zu finden, so beim Wartenberg, bei der Neuen Welt, und sehr zahlreich in der Nähe des Schauenburgerbades. An mehrern Stellen des Gempen-Plateaus kommen überdies Ablagerungen vor, - so bei Hobel Oolithe und Cidaritenkalke, bei Seewen Thon- kalke, die noch jüngern jurassischen Schichten, zum Theil dem sogenannten Sequanien oder untern Kimmeridge, zu ent- sprechen scheinen. Als Absenkung des Schwarzwaldes dringt auf badischem Gebiet der Korallenkalk bei Istein bis an den Rhein vor. 95 EEE. Tertiärformatieoen. Die Tertiärgebilde unserer Landschaft (auf der Karte rosaroth bemalt) gehören der mittlern oder miocenen Ter- tiärformation an. Da Herr Rathsherr Peter Merian diese Ablagerungen bereits in den „Beiträgen zur Geognosie“ (Bd. 1. 1821 und Bd. 2. 1831), sowie in den Berichten und Verhandlungen der naturforschenden Gesellschaft, nach ih- rem Vorkommen und ihren organischen Einschlüssen an mehrern Orten näher beschrieben hat, so kann ich mich um so kürzer fassen, wobei ich noch einige eigenen Beob- achtungen beifüge. Im Ganzen sind sie, sowohl nach Ver- breitung und Mächtigkeit, als auch in Bezug auf organische Einschlüsse, von untergeordneter Bedeutung und tragen zu dem Relief unserer Landschaft wenig bei. A. Bohnerzgebilde. (Terrain sidérolithique.) Als oberste Ablagerungen aus der jurassischen Periode erscheinen auf unserm Plateaugebiet die dem untern weis- sen Jura angehörenden Oxfordkalke und der ebenfalls gröss- tentheils zur Oxfordgruppe gehörende Korallenkalk. An zahlreichen Stellen sind diese Kalke an der sehr unebenen Oberfläche und in den Spalten gleichsam benagt, mit zahl- reichen Rinnen und Vertiefungen, welche augenscheinlich die Wirkung corrodirender kohlensäurereicher Gewässer sind. Gewöhnlich ist auch die Oberfläche stark geröthet oder roth gefleckt, rothe Thone finden sich öfter, nament- lich in den Spalten; hiezu gesellen sich bald vereinzelte, bald zahlreich gehäufte Bohnerzkörner, die aber nirgends in bauwürdiger Menge, wie im Delsbergerthal, angetroffen werden. Hiebei finden sich noch rothgefleckte bröckelige 96 Kalke, die gewöhnlich sehr thonig und ohne Zweifel aus der Umwandlung der Oxfordkalke hervorgegangen sind. We- gen ihrer rothen Farbe sind sie von Weitem sichtbar, so die Anhöhen östlich von Oltingen. Auch Kalkbreccien kom- men, vermengt mit Bohnerzkörnern, als siderolitische Neu- gebilde vor. Ebenso trifft man hie und da auf unsern Ox- fordkalken einzelne faust- bis kopfgrosse Stücke von dich- tem Brauneisenstein an. Bei Ober-Diegten am Fuss des Hasenhubels sind alte, im vorigen Jahrhundert betriebene, nun verschüttete Gruben, in die ein Stollen führt. Ueber das Vorkommen und die Entstehung der Bohnerzgebilde aus eisenhaltigen kohlensäurereichen Mineralquellen der mio- cenen Tertiärzeit habe ich schon in einer frühern Abhand- lung (Bd. 1, S. 93 dieser Verhandlungen) nähern Aufschluss zu geben versucht. Die Spuren siderolithischer Bildungen, namentlich ge- röthete Kalke und Thone, treten, wenn nicht tertiäre Con- glomerate darüber lagern, fast überall auf, wo die Oxford- kalke die Decke unserer Hochflächen bilden (ebenso in den Ketten), sie sind desshalb auf der Karte nicht besonders bezeichnet worden. Spärlicher finden sie sich selbst beim Hauptrogenstein, dessen Klüfte nicht selten geröthet oder mit rothen Thonen besetzt sind. Die Klufiflächen sind häufig striemig, mit feinen parallelen Furchen oder Rinnen, wel- . che die Wirkung herabfliessender kohlensäurehaltiger Ge- wässer und nicht die an einander reibenden Gesteinflächen sind. Diese striemigen Kluftflächen oder Gesteinsabsonde- rungen haben oft grosse Aehnlichkeit mit den sogenannten Stylolithen, die wohl ähnlichen Ursachen ihr parallel ge- streiftes Aussehen verdanken. Auf dem Korallenkalk des Gempen-Plateaus sind siderolithische Bildungen seltener. Dai, B. Marine Ablagerungen. (Falunien inférieur ou Tongrien d’Orbigny.) (Auf der Karte roth punktirt.) Als gleichzeitig gelten die marinen Schichten des Main- zer Beckens. Vorwaltend treten bei uns Conglomerate auf, mit Geröllen von Jurakalk, insbesondere aber von-Muschel- kalk, die bisweilen fast ausschliesslich vorhanden sind, während Gerölle von Quarz, Granit, Sandstein und andern kieseligen Gesteinen nur sehr spärlich sich einmengen. Diese Conglomerate bedecken an manchen Stellen unmittelbar die gerötheten und zerfressenen Oxfordkalke und nehmen an ihrer Basis rothe Thone und Bohnerzkörner in sich auf. Sie zeigen die grösste Verbreitung und Mächtigkeit auf der südlichen, den Ketten genäherten Hälfte unserer Hochebe- nen, so zwischen Niederdorf und Lampenberg, auf der Zunz- gerhöhe von Itingen bis Benwyl, auf den Höhen von Wit- tisburg, Mettenberg und Rüneburg, ferner am Fusse der nördlichen Vorketten des Jura von Niederdorf ostwärts über Benwyl, Diegten, Buckten, Läufelfingen bis gegen Zeglin- gen sich erstreckend. Hie und da stellen sich Zwischen- schichten von gelbem Sand oder kalkreichem Sandstein ein, worin jedoch nur wenige deutliche Versteinerungen, vor- nehmlich Balanus delphinus Defr. (z. B. bei Rüneburg) ge- funden werden. In den Conglomeraten selbst habe ich noch keine tertiären Reste gesehen. Auf mehrern Punkten, vor- züglich bei Diepflingen, Tenniken, Wittisburg gehen die Ge- röllconglomerate in ein ausgezeichnetes roth und weisses Muschelconglomerat über, voll Schalentrümmer von Bival- ven und Schnecken, besonders Turritella und ähnliche For- men, die in schönen körnigen Kalkspath umgewandelt sind. Kleine glänzende und wohlabgerundete Kiesel, sowie einzelne Bohnerzkörner, mengen sich nicht selten bei. Ganze Schalen u ‘ 98 sind nicht häufig. Einzelne Bänke sind so fest, dass sie einen’ guten Baustein liefern (Tenniker Fluh). Sehr bemerkenswerth sind die runden, oft recht tiefen Eindrücke, welche die Kalkgerölle der tertiären Con- glomerate gegenseitig unter sich hervorbringen, wobei die Wirkung corrodirender, kohlensäurehaltiger Gewässer an der striemigen und benagten Oberfläche dieser Eindrücke noch gut ersichtlich ist. Der Druck hat hier gewiss nur eine untergeordnete Rolle gespielt. Es sind das noch die Nachwirkungen der Säuerlinge, welche die Bohnerzgebilde abgesetzt haben. Desshalb findet man auch rothe Thone diesen Geröllmassen an solchen Stellen beigemengt. Die Entstehungsfrage dieser Geschiebe mit Eindrücken ist schon vielfältig discutirt worden, so von A. Escher von der Linth, Blum, Cotta, Nöggerath u. a. Auch wenn sich an andern Orten Eindrücke in kieseligen Geschieben finden sollten, wie mehrfach behauptet worden ist, würde ich doch der chemischen Erklärungsweise vor der mechanischen den Vor- zug geben, indem Lösungen von alkalischen Karbonaten ohne Zweifel auch den Quarz angreifen. Dass der Quarz nicht unangreifbar ist, beweisen die Umwandlungen in Speck- stein. An mehrern Stellen unseres Gebietes, so bei Tenni- ken, Benwyl und Höllstein, sind die tertiären Kalkgerölle mit solchen runden Eindrücken versehen. Aehnliche, wahrscheinlich etwas ältere, marine Kalk- sandsteine, wie auf unsern Hochflächen, finden sich an meh- rern Stellen in den Niederungen, so bei Dornach und recht ausgezeichnet bei Aesch und Stetten (letzteres nördlich vom Rhein, schon auf badischem Gebiet), an welchen beiden Orten neben kleinen Cerithien, Corbula, Pecten und Hai- fischzähnen auch zahlreiche Exemplare der fast kupigros- sen Ostrea Collini vorkommen. Bei Lörrach trifft man die- selben Schichten. Die tertiären Letten bei Therwyl, Bott- mingen und Binningen im Birsigthal mit Cerithien (Cer. 99 plicatum), Ostrea crispata u. Ss. w. gehören ungefähr in das- selbe Niveau. ©. Süsswassergebilde. Sie scheinen im Allgemeinen jüngern Ursprungs als unsere marinen Ablagerungen zu sein. a. Süsswassermolasse. (Auf der Karte durch rothe horizontale Striche unterschieden.) Hellgraue, oft sandige, schiefrige Letten mit Pflanzen- abdrücken kommen im Birsigthal zwischen Binningen und Basel am Bette des Birsigs hervor und ziehen sich auf bei- den Thalseiten durch die Stadt hindurch bis an den Rhein. Auf diesen wenig geneigten Tertiärletten sammeln sich die durch das Diluvialgeröll sickernden atmosphärischen Ge- wässer, welche zahlreiche Brunnen zu beiden Seiten des Birsigs speisen. | Weiterhin bildet die Süsswassermolasse, in der Form von sandigen Letten, von gelben Sanden und Sandsteinen, die Basis der Hügelreihe, die sich südlich von Basel, zwi- schen dem Rheinthal und dem Jura (Blauenkette) vom Bru- derholz an westwärts, oder nordwestlich über Schönebuch, Hagenthal u. s. w. hinzieht und von Biiuvialgeröllen und Löss bedeckt ist. Unten am Fusse der Hügel kommen diese Letten und Sandsteine an verschiedenen Stellen zum Vor- schein, so bei St. Margarethen und beim Hollee, wo sie schwach südlich einzufallen scheinen, ferner bei Binningen, Bottmingen, Neuweiler, Biel-Benken u. s. w. Ebenso lagern sie sich an den Nordfuss der Blauenkette bei Ettingen, Flühen u. s. w. an. Bei Dornachbruck treten sie in statt- _lichen Bänken, worin sich unter andern auch Palmenblätter vorfinden, im Bette der Birs unter dem Diluvial- und Allu- vialgeröll hervor. Bei Therwyl wurden Stücke von ver- TE 100 steinertem Holz vun Palmen und Coniferen gefunden. Auch im Rheinbett bei der Fähre oberhalb der kleinen Stadt kommen bei niedrigem Wasserstand Bänke eines solchen gelblichen Sandsteins zum Vorschein, die sanft östlich ein- fallen. Es sind das dieselben Schichten, in welche die Joche unserer Rheinbrücke eingetrieben sind. Diese tertiären Sande und Sandsteine sind oft von den darüber gelagerten dilu- vialen kaum zu unterscheiden. Reste ähnlicher Bildungen habe ich neulich bei dem Ziegelhof auf dem Gempen-Pla- teau angetroffen. b. Süsswasserkalk. (Auf der Karte durch rothe verticale Striche angedeutet.) An verschiedenen Stellen unseres Plateaugebietes fin- det man über dem Oxfordkalk oder Korallenkalk, auf der Tennickerfluh über dem tertiären Muschelconglomerat, weisse oder graue, oft auch siderolitisch geröthete Süsswasser- kalke, die sich vorzüglich durch zahlreiche Exemplare von Helix auszeichnen, worunter Formen wie Helix Ramondi und Helix moguntina die vorherrschenden sind. Es sind das nur kleine einzeln zerstreute Fetzen, so bei Oltingen, Auwyl, Kilchberg, Reigoldswyl, ferner am Abhang des Sagenwal- des bei Benwyl, hier stark geröthet und ohne Zweifel gleichzeitig mit den dortigen Bohnerzbildungen. Wahr- scheinlich haben diese Schnecken (Helix Ramondi?) in der Nähe der damaligen Mineralquellen gelebt und wurden von ihren Kalkabsätzen eingehüllt. Auf dem Gempen-Plateau bei Hobel sollen gleichfalls Süsswasserkalke vorkommen. Planorben von diesem Fundort sind in der Sammlung des hiesigen Museums aufbewahrt. Der Süsswasserkalk enthält oft feine Löcher oder kleine Höhlungen. Die dichten weissen Varietäten sind von man- chen hellen Oxfordkalken, die hellen kreideartigen von weissen Dolomiten des Muschelkalkes bisweilen kaum zu 101 unterscheiden und gewiss auch schon verwechselt worden. Wo Versteinerungen fehlen, hat man in der mineralogi- schen Beschaffenheit des Gesteines keinen sichern Anhalts- punkt. Auch in den Niederungen sind Süsswasserkalke oder entsprechende Bildungen an mehrern Stellen aufgefunden worden, oft erst durch zufällige Grabarbeiten, so Süsswas- serkalk und Mergel hei St. Jakob, beim Bau der Eisenbahn und beim Graben eines Kellers, im St. Albanthal ein Süss- wasserletten mit wohl erhaltenen Exemplaren von Helix moguntina (nach den Bestimmungen F. Sandberger's) beim Graben eines Brunnens, und an andern Orten. Süsswasser- kiesel (brauner Hornstein oder Feuerstein) mit Planorben, Lymnäen und Paludinen trifft man zu beiden Seiten des Birsigs von Bottmingen bis Benken, und wurden neulich bei der Klosterfiechten (Bruderholz) ausgegraben. In grösster Entwicklung erscheint der Süsswasserkalk im Norden unserer Stadt, bereits auf badischem Gebiete, nämlich am Tüllingerberg, wo er verschiedene Arten von Planorben, Lymnäen und Helix, sowie von Chara-Samen enthält. Weiter abwärts am Rhein ist Klein-Kems bei Istein ein ergiebiger Fundort, aber bereits ausserhalb unseres Kartengebietes. Jüngere, als miocene, Tertiärbildungen sind auf unserm Gebiet bisher noch nicht nachgewiesen worden. Ob ein Theil der sogenannten Diluvialgerölle dazu gehört, müssen spätere Beobachtungen entscheiden. : EIE. @uaternäre Bildungen. A. Diluvium. (Auf der Karte blassgrau angegeben.) Als jüngste geologische Bildungen erscheinen auf un- serer Karte die besonders im Rheinthal und dessen an- 102 srenzenden Höhen entwickelten, ziemlich mächtigen und ausgedehnten Diluvialablagerungen. Meist sind es Gerölle, die, stellweise zu fester Nagelfluh verkittet, mit lockern Sand- und Sandsteinschichten wechseln und oftmals schwer von den gleichartigen darunter liegenden Tertiärbildungen zu unterscheiden sind. Ueber den Geröllen lagert, vorzüg- lich im Süden von Basel auf den Höhen östlich und west- lich vom Birsigthal und das ganze Rheinthal entlang, der hellgelbe, fein sandig-thonige Löss, welcher die Decke die- ser welligen Hügelreihe bildet und sich gegen 100 Meter über die angrenzende mit Diluvialgeröllen gefüllte Ebene des Rheinthales erhebt. Diese selbst ist in mehrern pa- rallel laufenden Terrassen abgestuft, welche von dem Fuss jener Hügelreihe gegen das Rheinbett hinunter steigen und besonders schön im Westen unserer Stadt zum Vorschein kommen. Die Felsarten der Diluvialgeschiebe des Rhein- thals scheinen vorherrschend dem Schwarzwald und den Alpen zu entstammen, während die der Seitenthäler, -also in unserm Plateaugebiet, vorzüglich aus hellem Jurakalk bestehen und am Ausgang dieser Thäler, so beim Ruchfeld, über den Diluvialgeschieben des Rheinthals gelagert er- scheinen. Herr Rathsherr P. Merian hat in seinen „Beiträ- gen zur Geognosie“, sowie in den Berichten der hiesigen naturforschenden Gesellschaft (Heft 3 und 6) und in der Eröffnungsrede bei der Versammlung der schweizerischen Gesellschaft in Basel im Jahr 1856 nähere Mittheilungen über das Diluvialgebirge gemacht, ebenso einige Jahre spä- ter Herr Jos. Köchlin-Schlumberger in Mülhausen ‘), wor- auf ich hiemit verweise. Knochen, namentlich aber Zähne (Stoss- und Backzähne) des Mammuthelephanten (Elephas primigenius Blum.) sind nicht nur im Rheinthal, selbst im Innern unserer Stadt, sondern auch in den Thälern des 1) Bulletin de la Société géol. de France Bd. 16, S. 297. “ 103 mittlern und obern Baselbietes zu verschiedenen Zeiten ge- funden worden. Unser Museum beherbergt die meisten die- ser Schätze. Vor wenigen Jahren wurde bei Grellingen ein Stosszahn von ganz enormer Grösse ausgegraben, wovon stattliche Bruchstücke in der Petrefactensammlung des Hrn. L. Dizerens hier sich befinden. Die Reste des Diluvial- pferdes, des Riesenhirschen, des Höhlenbärs und der Höh- lenhyäne sind weit seltener. Der Löss, dessen kartoffelähnliche Kalkconcretionen (die sogenannten Lössmännchen) allgemein bekannt sind, enthält, nach Herrn Merian, fast nur Landschnecken, und - zwar jetzt noch lebende Arten, worunter besonders die jetzt seltene Succinea oblonga. Auch Helix arbustorum ist sehr häufig, während die jetzt so gemeinen Helix pomatia, hor- tensis und nemoralis gänzlich fehlen. Mit dem Löss kom- men in unsern Umgebungen viel benützte Lager von gelbem Lehm vor. Löss und Lehm stehen in nahen Beziehungen zu einander, wie Herr J. Köchlin nachgewiesen hat. Nicht nur die Hügelreihen südlich und westlich von Basel, auch den Nordrand unserer Plateaus, von Mönchen- stein an über Muttenz, Pratteln, Frenkendorf, Arisdorf, Gie- benach, Olsberg, Magden, Zeiningen und noch weiter rhein- aufwärts, bedecken Diluvialgerölle und darüber Löss bis zu einer ansehnlichen, nicht selten 100 Meter über dem Rheinthal erreichenden Höhe. Südlich von Giehenach, Ols- berg und Magden bilden sie die Decke der dortigen Mu- schelkalk-Plateaus, bei Muttenz und Pratteln bedecken sie den Keuper. Ausserdem sind einzelne, oft kopfgrosse, Geschiebe von Buntsandstein, auch von Quarz und quarzigen oder gra- nitischen Gesteinen des Schwarzwaldes, die offenbar nicht den tertiären Conglomeraten entstammen, allenthalben auf unsern Hochflächen zerstreut, und steigen noch, allmählig durch alpinische Geschiebe und Blöcke ersetzt, an den Vor- 104 ketten, so am Wiesenberg und ar der Hohen Stelle (hier 900 Meter) zu bedeutender Höhe hinauf, ja finden sich als deutlich erratische Blöcke allenthalben innert den höchsten Ketten und am Südabhange des Jura wieder. Den errati- schen, aus den Alpen stammenden Blöcken an den Abhän- gen und innert den Hochthälern unseres Juragebirges, wel- che, aus unserm Jura durchaus fremden, Gesteinen bestehen, wird allgemein glacialer Ursprung zugeschrieben, wonach sie die Ablagerungen alpinischer, in der spätern Diluvial- periode bis an den Jura vorgerückter Gletscher wären. Die zerstreuten Quarzgeschiebe auf unsern Plateaus stammen aber sicher grösstentheils aus dem benachbarten Schwarz- wald, wahrscheinlich aus einer Zeit, wo das am Schwarz- wald anliegende Plateaugebiet noch nicht durch Spalten- thäler zerrissen und ebensowenig durch das Rheinthal von jenem Gebirg abgetrennt war. Glaciale und diluviale Ab- lagerungen, ohnehin derselben Periode angehörend, sind überhaupt oft schwer zu unterscheiden. Die grossen ecki- gen Blöcke werden unbedenklich für glacial gehalten. Die grosse Höhe dieser Ablagerungen, schon auf unsern Hoch- flächen, noch mehr aber innert den Ketten, nöthigt uns zur Annahme von beträchtlichen Hebungen, überhaupt Niveau- veränderungen, noch am Schluss der Diluvialperiode. Es ist diess immerhin wahrscheinlicher, als die Annahme, dass die frühern, Gletscher oder gar die Fluthen der Diluvial- periode eine so grosse Höhe erreicht hätten. B. Alluvium. (Jüngste Bildungen, der jetzigen Periode angehörend.) ) jeizig (Auf der Karte weiss gelassen.) Die Thalböden unseres Kantons sind mit ältern und aenern Flussanschwemmungen, Geröllen, Sand und Lehm, 105 ausgeebnet, deren jetziges Niveau der jüngsten geologischen Periode und wohl zum Theil der historischen Zeit ent- stammt. Was zum Diluvium, was zum Alluvium in den Thälern gehört, ist oft unmöglich zu entscheiden, indem die leicht beweglichen Diluvialgerölle, wie man an den in den Diluvialschutt des Rheinthales eingeschnittenen Terrassen sehen kann, in den Niederungen durch jüngere Fluthen öf- tere Dislocationen erlitten haben. Als jüngere, theils der Diluvialzeit, theils der jetzigen Periode angehörende und noch immer fortdauernde Bildun- gen sind die allenthalben am Fusse unserer Plateaus in den Thälern vorkommenden Kalktufflager, die Absätze kalkrei- cher Quellen zu nennen. Vorzugsweise finden sie sich am Fusse des Korallenkalkes, so bei Tuggingen im Birsthal, bei Schauenburg (Dugmatt) und bei Büren im Oristhal, wo sehr kohlensäurereiche Quellen über die moosigen Abhänge herabrieseln und fortwährend frische Sinterbildungen er- zeugen. Aber auch am Fusse der Rogenstein- und Muschel- kalk-Plateaus sind solche Tufflager nicht selten und in den Klüften und Höhlen dieser sämmtlichen Gesteine sind sie, zum Theil in schönen Stalaktiten und traubenförmigen Ge- Stalten, allenthalben anzutreffen. Diese Tuffe schliessen Holzstücke, Blätter, Moos, Schnecken, Knochen u. s. w., alle von jetzt noch lebenden Species ein. Legt man Gegen- stände, Blätter, Eier, Käfer und dergleichen, in solche kalk- reichen Quellen, so werden sie in kurzer Zeit mit Kalk- sinter überzogen, oder wie man zu sagen pflegt, versteinert. In ähnlicher Weise sind auch die Schutthalden am Fusse unserer Hochplatten, besonders des Rogensteins, durch Kalksinter wieder verkittet, wodurch sehr feste, felsharte, Rogensteinbreccien entstehen, welche bisweilen ansehnliche Hügel bilden und auf der Karte durch rothe Kreuze von den festen Bänken des Hauptrogensteines unterschieden worden sind. Ebenso sind unsere tertiären und besonders 106 die diluvialen Geröllmassen stellweise zu festen Nagelfluh- bänken durch Kalksinter verkittet. — Ein Verzeichniss der in unserm Kartengebiet vorkommenden Versteinerungen, welche theils in der öffentlichen Sammlung des Museums, theils in meiner eigenen Sammlung aufgestellt sind, nach den soeben be- schriebenen Formationsabtheilungen zusammengestellt, füge ich am Schlusse dieser Arbeit hinzu. Eine kleinere Samm- lung der charakteristischen Versteinerungen unseres Ge- bietes habe ich, ebenfalls geologisch geordnet, im minera- logischen Saale des Museums unter Glas nebst den Durch- schnittszeichnungen aufgestellt. B. Juraketten. (Tafel I. Durchschnitt I— VII.) An der Südgrenze des Kantons Basel streifen die bis zu einer Höhe von 900 bis 1200 Meter emporsteigenden Ketten des Juragebirges, mit steil aufgerichteten, vorwal- tend südlich einfallenden Schichten an das Plateaugebiet, über dessen Südrand sie mit ihren tiefern Schichten längs einer Aufrissspalte hoch emporgehoben und theilweise hin- übergeschoben wurden. | Was den Bau des Juragebirges betrifft, darf ich nur auf die allgemein bekannten, wichtigen Arbeiten der Herren P. Merian, Thurmann, Gressly, Desor u. a. hinwei- sen. Die anormalen Lagerungsverhältnisse des Basler Jura. habe ich seit eier Reihe von Jahren näher untersucht und die Resultate meiner Beobachtungen, namentlich die anor- 107 malen Ueberschiebungen der Vorderketten über das Plateau und das Aufhören der gewölbartigen Bildung der Ketten im östlichen Basler Jura der natur- forschenden Gesellschaft mitgetheilt, und in Band II (Seite 348—389) der Verhandlungen nebst Profilen veröffentlicht. Indem ich mich auf diese verschiedenen Detailarbeiten be- ziehe, beschränke ich mich darauf, einige Erläuterungen der Karte beizufügen und die Hauptzüge der einzelnen Forma- tionen in den Ketten anzugeben. Wir können auf unserm Kartengebiet sechs Haupt- ketten oder Hebungslinien des Jura unterscheiden, deren jede wieder aus mehrern parallel neben einander laufenden Gräten oder Höhenzügen besteht, welche derselben Hebung angehören. Von Norden nach Süden sind es folgende: 1. Die Blauenkette, die nördlichste, westlich von der Birs bei Pfeffingen und. Grellingen beginnend, gegen Westen ziehend. 2. Die Hasenhübel-Sagenwaldkette oder Vorkette des Jura, welche über den Südrand des Plateaus hinüber- geschoben erscheint. 3. Die Wiesenberg-Montterriblekette, die bedeutendste von allen, man kann sagen die Haupterhebung des ganzen Juragebirges, in ziemlich genau ost-westlicher Richtung von Regensberg im Kanton Zürich bis ses gen Besançon sich erstreckend. 4. Die Passwangkette, westlich von Eptingen beginnend. 5. Die Hauensteinkette, von der Südgrenze des Kantons Basel noch weit ostwärts in den Aargauer, und west- wärts in den Solotkurner und Berner Jura fort- setzend, nächst der. Wiesenbergkette die bedeutendste für unser Gebiet. 6. Die Weissensteinkette, erst westlich von Hägendorf beginnend und im Kanton Solothurn mächtig ent- wickelt. 108 Diesen kann man noch beifügen, im Norden die kleine Kette von Mariastein, im Süden die des Born, südlich von Olten, welche schon ziemlich isolirt vom eigentlichen Jura- gebirg südwärts in die Ebene der Schweiz hinausgerückt erscheint. Die Ketten bestehen aus langgestreckten, durch Quer- spalten (Pässe, Klusen) abgetheilten, kettenartig gereihten Höhenzügen, theils mit gerundetem Rücken und gewölbar- tigem Schichtenbau, theils aber, weit häufiger, als lange scharfe Gräte mit steil einfallenden Schichten, welche ge- wöhnlich aus den festen Massen und Bänken des Korallen- kalkes und des Hauptrogensteines bestehen. Zwischen die- sen parallel ziehenden hohen, steilen Gräten bilden die weichen, thonigen Schichten des Oxfords, Lias und Keupers in den schmalen Hochthälern niedrigere gerundete Hügel- züge, die gegen die Querthäler zu sogenannten Comben (Combe oxfordienne, Combe liasique u. s. w.) oft ziemlich tief ausgewaschen sind. Ob die Juraketten durch plutoni- sche Wirkung gehoben, oder aus Faltungen durch Seiten- druck entstanden sind, ist noch nicht entschieden. Vielleicht haben beide Ursachen, die plutonische als die ursprüng- liche, die seitliche Faltung als die secundäre, zusammen gewirkt. Für den grössten Theil des Basler Jura we- nigstens scheint mir die Annahme mehrmals wiederholter plutonischer Hebungen längs Aufrissspalten uner- lässlich, wie ich das in meiner oben eitirten Arbeit nach- zuweisen versucht habe. Erst westlich vom untern Hauen- stein beginnen gewölbartige Biegungen.‘) Selten sind die des Korallenkalkes, häufiger die des Hauptrogensteins, 1) Im Hauensteintunnel kommen nach Gressly, ausser Verwerfun- gen, noch gewölbartige Zusammenfaltungen der Muschelkalk- schichten vor, ähnliche Krümmungen zeigen auch bekanntlich die aufgerissenen Rogensteinschichten in der Nähe dieser Pas- sage, so gegen die Frohburg zu. 109 so am Blauen, gewöhnlich aber sind die Gewölbe der Länge nach aufgerissen, zu zwei den beiden Gewölbhälften ent- sprechenden Gräten von Korallenkalk oder von Hauptro- genstein, mit steilen Abstürzen (Fluhen), von denen jewei- len die südliche Flanke südlichen, die nördliche nördlichen Schichtenfall zeigt. Es entstehen dann vier parallele Gräte, zwei äussere von Korallenkalk und zwei innere von Haupt- rogenstein, diese durch eine Lias- und Keuper-Combe, jene durch Oxford-Comben abgetrennt. Die Südflanke des Ro- gensteins oder des Korallenkalkes der einen Kette bildet mit der Nordflanke der südlich nächst darauf folgenden eine Mulde (Muldenthal, Längsthal) mit abwärts gewölbten Schichten, welche innert den südwestlichen Ketten gewöhn- lich noch Tertiärschichten enthält. Wo solche Muldenthä- ler mit Gewölben (ganzen und aufgerissenen) alterniren, da gewinnt das Gebirge das Ansehen von parallelen Falten, als ob solche durch einen mächtigen Seitendruck zusam- mengestaut worden wären. In der Wiesenberg-Montter- rible-Kette sind die Flanken des Korallenkalkes und des Hauptrogensteins durch das Heraufdrängen des Muschel- kalkes, der dann den centralen Höhenzug der Kette bildet, noch weiter seitlich aus einander getrieben worden. Der Muschelkalkzug ist gewöhnlich auch in mehrere Parallel- sräte zerspalten, doch kommt nirgends im Jura der bunte Sandstein ans Tageslicht. (Siehe die Durchschnitte). In den Ketten kehren dieselben Formationen und Un- terabtheilungen mit denselben Gesteinen und Petrefacten, vom Muschelkalk an bis zum Tertiärgebirg (incl.), mit ge- ringen Variationen wieder, wie im Plateaugebiet, bedürfen demnach keiner abermaligen Beschreibung. Abweichendes soll am betreffenden Orte angegeben werden. Im Allge- meinen erlangen die einzelnen Formationen, so besonders die des Hauptrogensteins und obern Jurakalkes grössere Mächtigkeit als im Plateau. 110 3. Muschelkalk. Mitten in der südlichen Hälfte unserer Karte gewah- ren wir einen zweiten, aber bedeutend schmälern, braunen Streifen von Muschelkalk, der in der ganzen Länge von West nach Ost sich hindurchzieht. Es ist diess, wenn wir von der mehrfach unterbrochenen Hasenhubelkette absehen, die vorderste und zugleich auch die bedeutendste Kette unseres Jura, die Kette des Wiesenberges und Mont- terrible,') deren mächtige Muschelkalkgräte längs einer tie- fen Erhebungsspalte über den Südrand unseres Plateauge- hietes erhoben und über dessen oberste Schichten. (Ox- fordkalk oder Tertiärgebilde) theilweise hinübergeschoben wurden. Zu dieser Muschelkalklinie gehören unter andern der Burgberg (auf Burg) bei Kienberg an der Ostgrenze unseres Kantons, dann als: westliche Fortsetzung. der Sieg- berg bei Oltingen, der über 1000 Meter hohe, mehrmalige Ueberschiebung zeigende Wiesenberg, der Waltenberg (917 Meter), die Hohe Stelle (917 M.), der Dielenberg (798 M.), sowie die Gräte südlich von Titterten, Reigoldswyl und Bretzwyl, wo der Muschelkalk sich in den Thalgrund hin- untersenkt. Wir können in diesem Muschelkalkzug drei bis vier parallel neben einander streichende Rücken oder Gräte (mit fast ausschliesslichem Südfall der Schichten) unter- scheiden, worin zwei Hauptzüge deutlich hervortreten, die ohne Zweifel zwei verschiedenen Hebungslinien, also eigentlich zwei Ketten entsprechen, und zwischen denen schmale Streifen von Lias und Keuper eingeklemmt sind. Ein zweiter ähnlicher Streifen von Lias und Keuper, wozu bisweilen auch Unteroolith kommt, tritt am Nordfuss 1) In dieser Kette entspringen eine Anzahl bekannter Heilquellen, wovon ich nur die von Baden, Schinznach, Eptingen und Mel- tingen nennen will. | 111 des nördlichen Hauptzuges fast allenthalben unter dem Mu- schelkalk hervor und überlagert die obern jurassischen Schichten des übergeschobenen und eingeklemmten Plateau- randes.!) Von den andern Ketten ist nur noch die des Hauensteins an einigen Stellen bis zum Muschelkalk aufge- rissen, der aber nur an den untern Thalwänden zum Vor- schein kommt, so südlich von der Geissfluh und südlich vom Belchen, wo er ganz im Thalgrund steckt. In der Passwangkette tritt er nur auf einer kurzen Strecke beim Bilstein zu Tage. In den mittlern Schichten des Muschel- kalkes kommt allenthalben der Gyps, bisweilen, wie bei Zeglingen, in sehr ansehnlichen, von weitem sichtbaren, schneeweissen Stöcken hervor und wird in zahlreichen Gru- ben (auf der Karte zinnoberroth angegeben) abgebrochen. Beim Waltenberg kommen im Chalcedon Hohlabdrücke von Bitterspathrhomboedern vor. In den Dolomiten trifft man bisweilen hübsche Krystalle von Bitterspath und Kalkspath. Gyps und Anhydrit (der Anhydritgruppe angehörend) wur- den beim Durchbohren des Hauensteintunnels, der grössten- theils durch den Muschelkalk setzt, ausgegraben. Das Stein- salz scheint in den Ketten zu fehlen. Wahrscheinlich wurde es bei der starken Hebung und Zerreissung der Schichten durch die Gewässer allmählig ausgewaschen. 2. Keuper. Wie im Plateaugebiet, so lagern sich auch in den Ket- ten die bunten und grauen gypsreichen Mergel und Dolo- mite des Keupers in schmalen (auf der Karte grasgrünen) Bändern allenthalben über dem Muschelkalk, indem sie die 1) Bei Titterten kommen direct unter dem schwach südlich einfal- lenden Muschelkalk graue Keuperletten mit den hekannten Pflan- zenresten nebst Gypsflötzen hervor. Auch der Lias steht ganz in der Nähe an. 112 untern hügeligen, grasreichen Thalgehänge am Fuss der Rogensteinfluhen bilden, oder in schmalen Hochthälern, wie im Innerh der Hauenstein- und Wiesenbergkette, z.B. süd- lich von Ifenthal und von Zeglingen und nôrdlich vom Dorf Mauenstein, zu hohen Bergrücken oder Kuppen emporstei- gen. Die vorherrschend weiche, thonige Beschaffenheit der Keuperschichten lässt es nicht zu, dass deutlich gesonderte scharfe Gräte auftreten. Eisenkies in Knollen und Drusen findet sich häufig in den grauen Letten, so bei Bretzwyl. Sandsteine treten z. B. beim Waldburgstuhl (bei Eptingen) und in der Nähe des Bilsteins zu Tage. 3. Lias. Die dunkelgrauen Letten und thonigen, wenig mächti- gen Kalke des Lias begleiten, gleichfalls in schmalen (auf der Karte violetten) Bändern, unter denselben Reliefformen, allerorts den Keuper, dem sie aufgelagert sind, und gehen nach oben in die dunkelgrauen mächtig entwickelten Schie- ferletten ünd Kalke des Unteroolithes über. Lias und Keu- per zusammen bilden in Hochthälern zwischen Muschelkalk und Rogenstein, oder auch zwischen den beiden Flanken der aufgerissenen Rogensteingewölbe mit herrlichen Wai- den bedeckte sogenannte Lias- und Keuper-Comben. An verschiedenen Stellen, so beim Neuhäusli und bei Murren (über dem Eisenbahntunnel) ist der Gryphitenkalk in einen ausgezeichneten körnigen Dolomit umgewandelt worden, wobei die Gryphiten ihre Schale eingebüsst haben. An ih- rer Stelle erscheinen vereinzelte Bitterspath- und Quarz- krystalle. Die verschiedenen Umwandlungsstadien lassen sich gut verfolgen. Unter den Abtheilungen des Lias tritt überall der Gryphitenkalk am deutlichsten hervor, während die Posidonienschiefer seltener sich mit Bestimmtheit nach- weisen lassen. Die schwarzen Letten des Br. J. « schlies- sen sich eng an den obern Lias an. 4. Unteroolith. Die Schichten des Unteroolithes, unten dunkle, schief- rige und sandige Thone, oben graubraune, dünn geschichtete, . mit eisenoolithischen Bänken wechselnde Thonkalke, folgen in schmalen (auf der Karte dunkel-braunrothen) Bändern eben so allgemein auf diejenigen des Lias, als letztere auf die des Keupers, und bilden die untern steil abgebrochenen - Abstürze am Fuss der Rogensteinfluhen, die sich von jenen durch die heliere, gelbliche oder grauliche Farbe schon von Weitem unterscheiden lassen. Die Trümmer der leicht ab- bröckelnden Gesteine des Unteroolithes sammeln sich am untern Abhang dieser Abstürze zu ansehnlichen Schutthal- den an, die bald mit Kräutern und Strauchwerk bedeckt werden. Für den Petrefactensammler bieten die eisenooli- thischen Schichten, weniger die Murchisonæ-Thone, reiche Ausbeute. 3 Hauptirogenstein. Das Relief unserer Juraketten wird in seinen Haupt- zügen eigentlich nur von drei Formationen gebildet, von dem Muschelkalk, dem Hauptrogensiein und dem Korallenkalk, die übrigen bilden nur die Gehänge und Böden der Zwischenthäler. Von allen ist der Hauptro- genstein, wie schon im Plateaugebiet, die wichtigste, derselbe Hauptrogenstein, der sich in der östlichen Fort- setzung unseres Juragebirges, schon im östlichen Aargau, so schnell verliert und im schwäbischen Jura ganz fehlt. Er bildet in unsern Bergen malerische Felswände, soge- nannte Fluhen, die von Weitem erkennbar sind. Wir müs- sen ihn in seinen Haupizügen längs den einzelnen Ketten verfoigen, wobei wir im Norden beginnen. 114 a) Blauenkette. 4 Der Hauptrogenstein bildet hier ein hohes und langes Gewölbe, den sogenannten Blauen, an das sich im Norden und Süden in gleichlaufenden Hügelzügen die oberjurassi- schen (Korallenkalk) und tertiären Formationen anlehnen. Ein hübsches Profil ist am östlichen Ende bei Grellingen entblösst. b) Hasenhubel-Sagenwaldkette. Der Rogenstein tritt hier nur in vereinzelten Gräten und Kuppen einer sehr zerstückelten Kette auf, unmittelbar an den Südrand des Plateaugebietes anstossend und theil- weise mit den darunter liegenden tiefern Formationen des Unteroolithes, Lias und bisweilen auch des Keupers über denselben nach Norden hinübergeschoben, so dass nun jene tiefern Schichten den Oxfordkalken und Tertiärgebilden des Plateaus auflagern. An einzeinen Stellen, wie am Hasen- hubel und Sagenwald, scheint das auf diese Weise einge- klemmte Plateaustück abermals längs dieser Hebungsspalte abgebrochen und über den jetzigen Plateaurand merklich erhoben worden zu sein. Diese Vorkette des Jura lässt sich vom äussersten Osten bis zum äussersten Westen unseres Kantons in ihren abgebrochenen Gliedern verfolgen: von der Heidegg (bei Kienberg), wo der Rogenstein, ohne Zweifel als ein auf- sestautes, der Ueberschiebung entgangenes, Randstück des Plateaus, ausnahmsweise steil nördlich fällt, über den Homburgerberg, Hasenhubel, Sagenwald, wo überall die Schichten südlich fallen, über den Grat westlich ober- halb Niederdorf, die Castelenfluh, die weit nordwärts über das anliegende Plateau hinübergeschoben erscheint, bis in den Holzenberg, der mit den Schichten des Unteroolithes und vielleicht auch des Lias an seinem nordwestlichen Fuss 115 über dem östlichen Ausläufer des Korallenkalkes des Gem- . pen-Plateaus lagert. Zwischen Oltingen und Zeglingen und wieder zwischen Benwyl und Niederdorf sind lange Lücken, wo statt des Hauptrogensteins der Muschelkalk der Mont- terriblekette in die vorderste Reihe getreten ist. An sei- nem Fusse kommen aber noch Lias- und Keuperschichten hervor, welche darauf hindeuten, dass bier der Rogenstein wieder in die Tiefe der Hebungsspalte gedrängt worden ist. Dass die ganze Vorkette aus emporgehobenen Randstücken des einstigen ausgedehntern Plateaus besteht, habe ich schon früher gezeigt. Die einzelnen Gräte mit ihren gegen Norden gekehrten Fluhen bieten einen herrlichen Blick über die nördliche Landschaft. An den südlichen Abhängen dieser Rogensteinkette la- gern sich die jüngern Juraformationen und Tertiärgebilde an, über welchen dann südlich, wahrscheinlich gleichfalls überlagernd, die steilen Muschelkalkfluhen des oben be- schriebenen nördlichen Hauptzuges der Wiesenberg-Mont- terrible-Kette empor steigen. c) Wiesenberg-Montterrible-Kette. Hiezu rechnen wir die lange Kette von Rogenstein- gräten, die sich an den südlichen Muschelkalkzug jener Kette im Süden, gleichfalls mit durchgreifendem Südfall, anlagern, und natürlich überall von Lias und Keuper, als Basis, unterteuft sind. Sie beginnt im Osten, aus dem Aar- sau fortsetzend, mit der Geissfluh (963 Meter), deren Rogenstein, ganz aussergewöhnlich für eine sulche Höhe, mit wenig geneigten Schichten Plateaucharakter trägt und ringsum an seiner Basis von Lias und Keuper umge- ben ist, wohl in Folge der Muschelkalkerhebung der näch- sten von Süden stark andringenden Hauensteinkette. Von der Rogensteinmasse der Geissfluh haben sich einige mäch- tige Randstücke abgelöst und sind südwärts gegen den Thal- 8* 116 grund abgerutscht. Man sollte die westliche Fortsetzung des Rogensteins der Geissfluh in dem nächstfolgenden in gleicher Linie liegenden Lôschberg erwarten, der aber trotz seiner bedeutenden Höhe aus Muschelkalk besteht. Wir müssen die Fortsetzung des Rogensteins in dem südlich vom Löschberg liegenden langen Rücken des Bann suchen, der am Westende mit der weithin sichtbaren Wiesenfluh abbricht. Die Rogensteinkette hat also in der Geissfluh länss der Thalspalte von Oltingen eine starke Verschiebung nach Norden erlitten, worauf auch die ganz abnormen La- gerungsverhältnisse des Plateaus und der Vorketten bei Ol- tingen hindeuten. Zwischen Löschberg und Geissfluh geht der bekannte Fussweg über die Schafmatt nach Aarau hin- durch. Weiter westlich müssen die Rogensteingräte, nörd- lich zu beiden Seiten des Dorfes Hauenstein, als Fortsetzung gelten, die im Westen abermals mit einer Fluh, der Kal- lenfluh, abbrechen. Man könnte versucht sein, den östlichen Ausläufer der Bölchenfluh als nächste Fortsetzung zu neh- men. Dieser Rogensteingrat gehört aber zur südlichen Flanke der Passwangkette, die hier ihren östlichen Anfang nimmt. Die westliche Fortsetzung der Rogensteinkette der Kallenfluh müssen wir in der südlich vom Kilchzimmer an- steigenden hohen Geissfluh aufnehmen, welche von jener durch den weiten romantischen Circus von Eptingen ge- trennt ist, in dem nur die tiefern Formationen des Lias, Keupers und Muscheikalkes zum Vorschein kommen. Längs der Thalspalte von Eptingen hat abermals eine merkliche Verschiebung der Rogensteinkette stattgefunden, eine ähn- “ liche zeigt der Rogenstein der Hawensteinkette bei der Froh- burg am Hauenstein und wieder östlich von Bärschwyl, hier wahrscheinlich durch den Beginn der Hauensteinkette im Süden bewirkt. Alles das deutet, gleich den Ueberschie- bungen der Vorkette über das Plateau, auf einen mächti- gen, von Süden wirkenden Seitendruck, Die Geissfluh 147% des Kilchzimmers setzt westlich mit einer kleinen Verschie- bung in die Eauchfluh und in den Rehag fort, welche ihre hohen malerischen Felsabstürze gegen Norden kehren. Die Schichten fallen hier stellweise sehr steil gegen Süden ein. Die Rogensteinkette des Rehag setzt westlich von Walden- burg in die Stüdifluh und in eine Anzahl noch weiter west- lich an einander gereihter Gräte und Fluhen, südlich ob Liedertswyl, Lauwy!, Nunningen und so weiter in den So- lothurner Jura, als Südflanke der Wiesenberg-Moniter- rible-Kette fort” Westlich von Reigoldswyl gegen Bretz- wyl zu, und von da weiter gegen Westen, beginnt auch die nördliche Rogensteinflanke, mit deutlich nördlichem Schichtenfall, sich zu entwickeln, wie die Rogensteingräte nördlich von Bretzwy! und Nunningen zeigen, an deren Nordabhängen sich die Schichten des Oxford- und Koral- lenkalkes arlagern. Unmittelbar nordwestlich von Reigolds- wyl kann man aber noch die Ueberschiebung des Haupt- rogensteins mit Unteroolith und Lias über den Oxford- und Korallenkalk des bis zum Dorf südlich vordringenden Pla- teaus deutlich verfolgen. Ebenso zeigt sie sich sehr schön im Rogensteingrat des Reifensteins (nordöstlich von Rei- goldswyl) und in der benachbarten Castelenfluh, und setzt von da, wie wir gesehen haben, weiter östlich längs der Hasenhubelkette fort. Man kann also die westlich von Rei- goldswyl, von der Marchmatt nordwärts bis Seewen hin- ziehende Depression einstweilen als die Westgrenze unserer Ueberschiebungslinie bezeichnen.') Hart östlich von dieser Grenze erhebt sich auch die 75% Meter hohe süd- lich einfallende, mächtige Rogensteinmasse des Holzenber- 9) Auf die Beziehungen dieser Westgrenze, die sich weiter nord- wärts längs dem Ostrand des Gempen-Plateaus hinzieht, zum Plateaugebiet und zum Schwarzwald habe ich schon in meiner frühern Arbeit (Bd. II, S. 386 dieser Verhandlungen) aufmerk- sam gemacht. | 113 ges, die gleichfalis noch zur Hasenhubelkeite gehört und mit ihren unterjurassischen Schichten nordwärts an den Ko- rallenkalk des Plateaus anstösst. Die westliche Fortsetzung dieses Rogensteins jenseits jener Westgrenze trägt bereits den Charakter des westlichen Jura, als gebrochenes Ge- wölbe mit einer nördlichen und südlichen Rogensteinflanke und dazwischen liegender Lias-Combe. Sie setzt noch in einem hohen Grat gegen Westen fort und verliert sich dann südlich von Himmelried unter den Korallenkalk, womit die Hasenhubelketie ihr westliches Ende erreicht. Die süd- liche Korallenkalkfianke der Montterrible-Kette beginnt schon am Rehag (weiter ostwärts fehlt sie) im Hummel und setzt dann gegen Westen in den Schaufelberg (1016 @ Meter), Geyiengrat, Nunninger- und Meltingerberg und wei- ter durch den Solothurner und Berner Jura fort. — Die von Norden nach Süden aus dem Plateaugebiet in das Hochge- birg fortsetzenden Thalspalten haben augenscheinlich die Zerstückelung der vordern, nördiichen, Juraketten bewirkt. Einige dieser Thalspalten, wie die von Reigoldswyl, Wal- denburg (Pass des obern Hauensteins), Eptingen, Läufel- fingen (Pass des untern Hauensteins), Oltingen u. s. w. las- sen sich durch alle Ketten bis zum Südrand des Jura ver- folgen. Auf die Verschiebungen der Ketten längs diesen Querspalten habe ich oben hingewiesen. P2 d) Passwangkette. Der Rogenstein dieser Kette beginnt, wie wir gesehen haben, im Osten südlich von Eptingen mit dem Ausläufer - der Bölchenfluh (1100 Meter), deren Schichten fast senk- recht stehen. Sowohl am Nord- als am Südfuss dieses öst- lichen Ausläufers des Bölchengrates kommen die Schichten des Unteroolithes, Lias und Keupers (am Südfuss bereits der Hauensteinkette angehörend) hervor. Der Bölchengrat bildet die südliche Rogensteinflanke der Passwangkette 119 . (im rauhen Bölchen nimmt er bereits sanftern Südfall an), setzt in den Leitschenberg, und westlich vom obern Hauen- stein in den Helfenberg, Hauberg, die Hohe Winde (1213 Meter), wo die beiden Flanken zu einem Gewölbe vereinigt sind, u. s. w. fort. An diese Südflanke lehnt sich der Ko- rallenkalk schon bei Langenbruck an und läuft dann nörd- lich von Mümliswyl, Ramiswy! und vom Guldenthal in theil- weise scharfen, steilen Gräten gegen Westen fort. Die nördliche Rogensteinflanke beginnt nördlich vom Kilch- zimmer (Ankenballe), senkt sich im Spitzflühli gegen die Depression des obern Hauensteins, erhebt sich wieder nörd- lich vom Bilstein und in dem über eine Stunde langen steil nördlich einfallenden Grat des Passwanges, in welchem der Rogenstein, und unser Basler Jura überhaupt, seine grösste Höhe erreicht (1208 Meter), und setzt südlich vom Bein- wylthal in den Solothurner Jura fort. Zwischen der nörd- lichen und südlichen Rogensteinfianke der Passwangkette, die einem längs aufgerissenen Gewölbe entsprechen, liegen die mit Keuper und Lias gefüllten und mit trefflichen Wai- den bedeckten, durch die Querthäler wellig getheilten Hoch- thälchen, worin ansehnliche Sennhöfe, wie das Kilchzimmer, das Schönthal, die Limmern u. s. w. zerstreut sind. Die nördliche Korallenkalkflanke beginnt beim Hummel, hat bei den Bilsteinen eine beträchtliche Senkung erlitten, erreicht im Kellenberg und Vogelberg, nördlich vom Passwang, eine bedeutende Höhe (über 1100 Meter) und ist, wie die süd- liche Flanke, durch Hochthälchen, sogenarnte Oxford-Com- ben, von den Rogensteingräten getrennt. e) Hauensteinkette. Wie die Wiesenberg-Montterrible-Kette, so erscheint auch die Hauensteinkette in der östlichen Hälfte unserer Karte nicht mit dem, im westlichen Jura so deutlich aus- gesprochenen, gewölbartigen Schichtenbau, sondern als eine 120 Hebung längs einer von Südost nach Nordwest streichen- den Aufrissspalte, mit fast durchgängigem südli- chen Schichtenfall. Wir haben hier also nur von einer südlichen Rogensteinflanke zu reden, die sich über dem Keuper und Lias des Aufrissthales mit gegen Norden ge- kehrten Felsabstürzen gegen Süden erhebt. Wir können diese südliche, in zahlreiche Gräte abgetheilte Rogenstein- linie ostwärts im Brunnenberg, Achenberg, Eckberg, Gysli- fluh u. s. w. weit durchs Aargau bis über die Aare hinaus verfolgen (siehe die schöne geologische Karte von Casimir Mösch). Im Brunnenberg tritt sie von Osten aus dem Aar- gau auf unser Kartengebiet herein, setzt dann, wie alle unsere Ketten durch Querthälchen (Klusen) zerschnitten, westwärts in den Gugenberg, die Rebenfluh und den Dot- tenberg fort, an dessen westlichen Ende die bekannte Froh- burg ein herrliches Panorama der innern Schweiz darbietet. Hier, gerade südlich vom Wiesenberg, der grössten Erhe- bung des Muschelkalkes, macht die Rogensteinlinie eine starke Südbiegung, wendet sich aber bei Trimbach sofort wieder westwärts, den langen hohen Grat des Hohenberges bildend, an den sich gegen Westen einige kleinere Gräte bei Langenbruck anreihen. An diese südliche Rogenstein- linie der Hauensteinkette lagern sich die sanft gegen Süden abfallenden mächtigen Massen des Oxfordkalkes und soge- nannten Korallenkaikes an, die wir, aus dem Aargau in unser Kartengebiet fortsetzend, vom äussersten Osten über Gösgen, Winznau und Ölten, dann nördlich von Wangen, Rickenbach, Bärenwyl, Holderbank und Balstall weiter west- wärts im Solothurner Jura verfolgen können. Die obern thonigen Kalksteine dieser unter dem Namen Korallen- kalk hier zusammengefassten und auch auf der Karte so bezeichneten jüngern Formation, wie sie namentlich bei Wangen, Olten und Aarau, dessgleichen am Born auftreten, und durch eigenthümliche Seeigel, Pholadomyen u. Ss. w. . _ 121 sich auszeichnen, entsprechen nach Herrn Rathsh. Merian den Geissbergschichten, die nach dem trefflichen Kenner dieser aargauischen Juragebilde, Herrn Casimir Mösch, noch zum Oxford gehören sollen. Die dem Rogenstein angehörende Nordflanke der Hauensteinkette beginnt erst im Westen der untern Hauen- steinpassage, wo einige ansehnliche Randstücke der Süd- flanke nordwärts in die Thalspalte gerutscht sind und nun nach Norden einfallen. Diese kann man bereits als der Nordlinie entsprechend ansehen. Deutlich aber, das heisst in langen geschlossenen Gräten von ansehnlicher Höhe, entwickelt sie sich erst südlich von der Bölchenfluh, unter dem gleichen Meridian, wo die Nordflanke der Passwang- kette, nördlich vom Kilchzimmer, beginnt, beide also west- lich von dem grossen Circus von Eptingen, welcher der Spalte des Diegterthales entspricht. Die nördliche Hauen- steinflanke setzt hier in langen, scharfen, ziemlich steil nordfallenden Gräten südlich vom Dürstel bis Langenbruck fort, wo sie sich westlich von der Hauensteinstrasse in dem prächtigen Circus der Wannenfluh mit der südlichen Flanke zu einem geschlossenen Rogensteingewölbe verei- nigt, das nun südlich von Mümliswyl (hier mit einer Kluse) im Laupersdörfer Stierenberg, Langetei u. s. w. (siehe Gressly „Jura soleurois“ 1838) noch weit westwärts im Solothurner Jura sich fortzieht, und an das sich auf der Süd- wie auf der Nordseite die vielfach zerstückelten, oft recht steilen und scharfen Gräte von Korallenkalk als Süd- und Nordflanke anschliessen. Zwischen den beiden Rogen- steinlinien der Hauensteinkette zieht sich gleichfalls ein schmales Band von Lias- und Keuper-Comben bis zur Wan- nefluh durch, wo sie, wie auch in der Schwengi, von Ko- rallenkalktrümmern theilweise bedeckt sind. f) Weissens:einkette. Von dieser südlichsten Jurakette, die erst westlich von Hägendorf beginnt, fällt nur noch der östliche Anfang in das Gebiet unserer Karte. Der Rogenstein tritt hier als steil zusammengedrücktes, grösstentheils von Cornbrash- und Keliowayschichten bedecktes gratähnliches Gewölbe (nördlich von Egerkingen, in der Schlosshöhe) auf, das durch die schöne Klus von Balstall quer durchschnitten wird. Gleichzeitig sondert sich im Osten auch der Oxford- und Ko- rallenkalk in zwei deutliche Flanken ab, die Nordflanke mit der Egerkingerfluh, der Bechburg und den westlich anstos- senden Gräten, die Südflanke mit den stattlichen Höhen ob Egerkingen und Öberbuchsiten, worüber wir von Herrn Pfarrer Cartier in Oberbuchsiten, dem gründlichen Kenner seiner Umgebungen, soeben nähern Aufschluss erhalten ha- ben. Berühmt sind die Steinbrüche von Egerkingen, aus deren Spalten Herr Cartier eine Anzahl eocener Säuge- thierreste gesammelt hat. Was in den Höhen von Eger- kingen zum Oxfordkalk, und was zum Korallenkalk oder zu jüngern jurassischen Kalksteinen gehört, darüber müssen fernere Untersuchungen entscheiden. Die eigentlichen Ox- fordkalke mit Amm. bipiexr und polygyratus, wozu auch Scy- phien kommen, treten deutlich an der Basis des hellgelben dichten sogenannten Korallenkalkes über den eisenreichen Kellowaykalken zu Tage, wie ich mich durch eigenen An- blick überzeugt habe. In der kleinen, vom eigentlichen Jura südlich abge- trennten Kette des Born, kommt der Hauptrogenstein mei- nes Wissens nicht mehr ans Tageslicht, sondern bloss der Oxford- und sogenante Korallenkalk mit den thonigen Kal- ken, welhhe den Geissbergerschichten parallelisirt werden. 123 6. Bradfordschichten (Cornbrash). Die weichen thonigen, meist hellgelben, an Versteine- rungen so reichen Kalke des Bradford legen sich, wenig mächtig, auch in den Ketten fast allenthalben als obere Decke über die Rogensteingehänge. Nur wo diese zu steil sind, wurden diese leicht zerstörbaren Schichten abgespült. Die Discoideenschichten fehlen so wenig als die darüber liegenden eigentlichen Bradfordkalke mit Terebratula varians, Ostrea Knorrü u. s. w. Für das Relief unserer Ketten ist diese, paläontologisch so wichtige, Formation von keiner Bedeutung. Auf der Karte habe ich bloss einige günstige Fundorte im Basler Jura durch rothe Punktation vom Haupt- rogenstein unterschieden. %. Kellowayschichten. Gleichfalls wenig mächtig, treten sie nur untergeordnet auf. Als eisenschüssige Kalke sieht man sie besonders in den Umgebungen von Langenbruck, nördlich vom Schön- thal, auf der Schlosshöhe und an andern Orten. Als graue Letten (sogenannte Oxfordletten, besonders im westlichen Jura entwickelt) sind sie, wo die charakteristischen Ver- steinerungen fehlen, schwer von den darüber gelagerten eigentlichen Oxfordthonen und thonigen Oxfordkalken zu unterscheiden und desshalb auf der Karte (unter heilblauer Farbe) damit vereinigt worden, um Uebereinstimmung mit den geologischen Karten des Solothurner und Berner Jura zu erzielen. Ebenso sind die im Osten entwickelten Scy- phienkalke und die im Westen ihnen entsprechenden Schich- ten der Chaille, welche die Basis der mächtigen weissen Massen des sogenannten Korallenkalkes bilden, unter der- selben blauen Farbe vereinigt worden. Alle diese thonigen, leicht zerbröckelnden, weichen Schichten bilden zusammen in den schmalen Hochthälchen zwischen den Rogenstein- 12% und Korallenkalkkämmen die sogenannten Oxford-Comben, die oft reich an Versteinerungen sind. Sie entsprechen den Lias- und Keuper-Comben. S. ®xfordschichten. Das Nöthige wurde bereits im vorhergehenden Ab- schnitt erwähnt. Die wohlgeschichteten, thonigen, dichten Biplexkalke (Oxfordkalke) bilden bisweilen kleine Hügel oder Gräte in den Oxfordthälchen. Erst am Südabfall der Hauensteinkette, so insbesondere bei Ober-Buchsiten, er- langt diese Abtheilung die grosse Mächtigkeit und reiche Gliederung, womit uns die sorgfältige Arbeit des Herrn Pfarrer Cartier näher bekannt gemacht hat. 9, Korallenkalk. Mit diesem Namen bezeichne ich die weissen, massi- sen, stellweise korallenreichen Kalke, welche über den ge- nannten Oxfordbildungen, in meistens steil gestellten, viel- fach zerstückelten Gräten die beiden äussern Flanken, gleich- sam die Vorwerke, der einzelnen Juraketten bilden. Sie sind gewöhnlich bedeutend niedriger als die Gräte der bei- den innern aus Hauptrogenstein bestehenden Flanken, welche in der Regel den Kern der Ketten bilden. Auf der Karte wurden sie, wie die entsprechende Masse des Gempen- Plateau, hellgelb bemalt. Was davon zu den Oxfordkalken und was zum eigentlichen Korallenkalk gehört, vermag ich nicht zu unterscheiden. Es bedarf diess noch genauerer Untersuchungen. Manche Versteinerungen scheinen mit de- nen der Chaille übereinzustimmen. Die horizontale Ver- breitung des Korallenkalkes nach den einzelnen Ketter wurde bereits bei den Rogensteinlinien angegeben. !) Jüngere jurassische Schichten (Kimmeridge) sind im 1) Gewölbe von Korallenkalk beginnen erst im äussersten Westen unseres Kartengebietes. H 125 Aargauer und Basier Jura und den nächst westlich fort- setzenden Ketten, vielleicht einige Stellen am Südabfall der Hauensteinkette bei Egerkingen, Wangen etc. ausgenommen, noch nicht mit Sicherheit ermittelt worden. Nach Gressly gehört der sogenannte Korallenkalk bei Laufen schon zum untern Kimmeridge (Astartien). - 10. Tertiärgebilde. Wir haben tertiäre Congiomerate und Süsswasserkalke am Nordrand und an den südlichen Abhängen der Hasen- hubel-Sagenwaldkette, also längs der Vorkette, an verschie- denen Stellen auftreten sehen. In den innern Ketten kom- men sie jedenfalls nur sehr spärlich vor, so Süsswasserkalk auf grosser Höhe (über 909 Meter) beim Hummel, so eine Blättermolasse im Längsthal (Muidenthal) von Holderbank, südlich Langenbruck, welche dann westlich über Balstall, Matzendorf u. s. w. im Kanton Solothurn fortsetzt. Aehn- liche Tertiärablagerungen, gewöhnlich lockere Sandsteine, füllen die lange Thalmulde von Mümliswyl. In den Spalten und Mulden und an den Gehängen des Korallenkalks sind auch die Bohnerzgebilde, ofi mit erheblichen Bohnerz- lagern, wie namentlich in den genannten Längsthälern, wo die Molasse darüber liegt, allenithalben in unsern Ket- ten überaus häufig. Wahrscheinlich wurden sie vor der letzten Hebung der Juraketten abgesetzt. 11. Diluvium. Innert den Ketten finden sich nirgends Geschiebabla- gerungen oder einzelne Geschiebe, die man diluvialen Fluthen zuschreiben könnte. Dagegen aber sind an den südlichen sanft abfallenden Korallenkalkgehängen der Hauen- steinkette, insbesondere östlich von Olten, mächtige Geröll- massen angelagert. Aehnliche umgeben auch die kleine Kette des Born. 126 12. Glacialablagerungen. Der eben erwähnte südliche Abfall des Koralienkalks der Hauensteinkette ist, besonders westlich von Olten, mit srössern und kleinern Blöcken verschiedener alpinischen Gesteine hesät, welche, nach der jetzt allgemein herrschen- den Ansicht, durch die am Ende der Diluvialperiode weit nach Norden vorgerückten alpinischen Gletscher abgesetzt wurden. Ein schöner Block von Chloritgneiss steht schon innert der Kora]lenkalkkette nördlich Rickenbach. Einzelne Blöcke finden sich noch in den Hochthälern innert den höch- sten Ketten, so mehrere in der Nähe des Schönthals bei Langenbruck (Granit oder Gneiss), beim Dürstel sah ich einen Serpentinblock. Einen Chloritgneiss mit Granaten fand ich auf dem hohen Muschelkalkrücken der Hohen Stelle, und am Nordfuss der Vorkette, wie am Wiesenberg, stei- gen solche alpinischen Geschiebe zu grosser Höhe über dem Plateau empor, wie ich schon bei der Behandlung des Plateaugebietes angedeutet habe. Verzeichniss der Petrefacten. (Die Leitmuscheln sind mit einem * bezeichnet.) Nachfolgendes Verzeichniss enthält die auf unserm Kartengebiet (Kanton Basel und angrenzende Gebiete) vor- kommenden, theils in der Sammlung des Museums, theils in meiner eigenen Sammlung aufgestellten Versteinerungen nach den im Text aufgeführten Formationsabtheilungen ge- ordnet. Die meisten der darin aufgeführten Species habe ich selbst an Ort und Stelle aufgefunden und auf ihre geo- logische Stellung genau Obacht gegeben. Die Bestimmun- sen rühren grösstentheils von Herrn Rathsherrn Peter Me- 127 rian her und verdienen daher alles Zutrauen. Die charak- teristischen, allenthalben vorkommenden und durch ihre Menge oder Form ausgezeichneten Versteinerungen, die sogenannten Leitmuscheln, habe ich bei jeder Abthei- lung obenan gestellt und mit einem Stern (*) bezeichnet, unterhalb des Striches folgen dann jeweilen die minder häufigen Arten. Man wird in diesem noch sehr unvollstär- digen Verzeichniss manche, in andern Gegenden sehr häufig vorkommende oder charakteristische, Arten vermissen, die theilweise vielleicht noch sich finden werden und nur zu- fällig noch nicht in unsern Besitz gelangt sind. Auch harrt noch ein zahlreiches Material der nähern Bestimmung. In wenigen Jahren hoffe ich einen ansehnlichen Nachtrag zu dem nachfolgenden Verzeichniss liefern zu können. Man- che Arten aber scheinen in der That nur selten oder gar nicht bei uns vorzukommen, die andern Ortes häufig sind, während andere, wie Clypeopyqus Hugiü Ag. vorzugsweise nur in unserer Gegend zu Hause sind. Auf den Unterschied zwischen ôstlichem und westlichem (schwähischem und französischem) Jura auch in Bezug auf die Fauna der ein- zelnen Formationen, habe ich schon früher aufmerksam ge- macht und gezeigt, dass die Grenze zwischen beiden so ziemlich mitten in unser Kartengebiet fällt. Die charakteri- stischen Faunen des östlichen und westlichen Jura kommen daher erst in einiger Entfernung von dieser Grenze recht zur Entwicklung. In den Abtheilungen des Muschelkalkes, Keupers, Lias und Unteroolithes treten diese Unterschiede zwischen östlichem und westlichem Jura noch wenig her- vor, desto deutlicher aber im obern Jura, wo auch, wie wir ‚gesehen haben, die petrographischen Unterschiede der ver- schiedenen Facies recht bemerkbar werden. Die an Ver- steinerungen reichen Fundorte sind auf der Karte mit einer rothen Spirale (Schneckenzeichen) angedeutet. 128 I. Triasformation. 1. Bunter Sandstein. Calamites arenaceus Brogn. Rheinfelden. 2 Fische (Paleoniscus?). Degerfelden und Riehen. 1 Reptil: Sclerosaurus armatus H. v. Meyer. Warmbach. Jede Art jeweilen nur in Einem Exemplar. 2. Muschelkalk. *Enerinus liliiformis Lam. Stielglieier. Kronen sehr selten. *Avicula (Gervillia) socialis Bronn. *Lima striata Schloth. #L, lineata Schloth. *Pecten vestitus Goldf. *Myophoria vulgaris Goldf. *Terebratula vulgaris Schloth. *Pemphix Sueurii H. v. Mey. Gresslya ventricosa Ag. Myophoria elegans Dunker. M. levigata Goldf. Ostrea subanomia Münst. Serpula valvata Goldf. S. Alberti Mer. S. Burckhardti Mer. Lingula tenuissima Bronn. Nautilus bidorsatus Schloth. Ceratites nodosus de Haan. Nerita prisca Mer. Nothosaurus mirabilis Mü. Schweizerhalle. Hybodus major? Ag. (Flossenstachel). Schweizerhalle. Nucula. Turbo, Natica u. dgl. als Steinkerne im obersten Dolomit. Zähne, Kno- chen und Schuppen von Fischen (Gyrolepis etc.) und von Sau- riern: Riehen, Grenzacher-Horn, Schweizerhalle etc. 3. Keuper. Pecopteris Meriani Brogn. P. mit Samen. Asp bei Mönchenstein. 129 #Pterophyllum longifolium Brogn. Pt. Meriani Brogn. Neuropteris Gaillardoti Brogn. N. mehrere andere Sp. *Equisetum columnare Brogn. E. mit Blüthenkolben. Neue Welt. Calamites arenaceus Brogn. Täniopteris. Posidonomya minuta Goldf. Einige kleine Bivalven. Saurierzähne, am Südfuss des Wartenberges. Bekannte Fundorte: Neue Welt, Asp, Meyenfels, Moderhalde ob Prat- teln, Hemmiken etc. 4. Bone-Bed. Knochen, Schilder, Schuppen, Zähne und Koprolithen (Excremente) von Fischen und Sauriern. | Gresslyosaurus ingens, Knochen eines Reptils von riesigen Dimensio- nen, von Herrn Gressly am Ufer der Ergolz im Schönthal auf- gefunden. Die Koprolithen sind nach der ete des Herrn Dr. Flückiger sehr reich an Phosphorsäure. II. Juraformation. A. Schwarzer Jura (Lias). 1. Unterer Lias (Gryphitenkalk etc.). *Pentacrinus crassus Desor. Stielglieder. *Terebratula vicinalis arietis Quenst. (T. marsupialis? Ziet.) *Spirifer tumidus v. Buch. *Sp. Walcotti Sow. *Rhynchonella variabilis Schloth. *Lima gigantea Sow. Drome gig.) *L. duplicata Sow. *Pecten textorius Schloth. *P. calvus Goldf. (P. glaber Ziet.) *Gryphæa arcuata Lam. *Pholadomya glabra Ag. 130 *Pleuromya (Unio) liasina Schübl. *P]. striatula Ag. #Pleurotomaria anglica d’Orb. (Pl. gyrata Mer.) *Ammonites Bucklandi Sow. *Nautilus intermedius Sow. (N. aratus Schl.) *Belemnites acutus Miller. (B. brevis Blainv.) Terebratula Rehmanni v. Buch. T. marsupialis Ziet. T. arietis Quenst. Rhynchonella plicatissima Quenst. Spirifer rostratus v. Buch. Unicardium cardioides d’Orb. Pinna Hartmanni Ziet. Avicula sinemuriensis d’Orb. Modiola psilonoti Quenst. Lima Hermanni Voltz. L. antiquata Münst. L. punctata Sow. L. div. Spec. Plicatula ventricosa Münst. Ostrea ungula Münst. Pholadomya ambigua Ag. Pleuromya crassa Ag. Cardinia lavis Ag. C. sulcata Ag. C. similis Ag. C. securiformis Ag. Pleurotomaria rotellaformis Dunk. Ammonites Huberi Mer. . Leigneleti d’Orb. . angulatus Schl. . Conybeari Quenst. . Kridion Hehl. . multicostatus Sow. . stellaris Sow. . Brooki Sow. PPbbP,»» d 131 Ammonites obtusus Sow. (A. Turneri Quenst.) A. bifer Quenst. A. Birchii Sow. A. capricornus Schl. Hybodus reticulatus Ag. | Versteinerte und verkohlte Hölzer, nicht häufig. Saurierknochen, bei Pratteln. 2. Mittlerer «Lias (Belemnitenkalk etc.). *Spirifer rostratus Schl. *Gryphæa cymbium Lam. *Ammonites planicosta Sow. *Belemnites paxillosus Schl. Terebratula numismalis Lam., bei uns keineswegs häufig. T. punctata Sow. Rhynchonella tetraedra Sow. Pecten disciformis d’Orb. Ostrea irregularis Münst. Pleurotomaria expansa Sow. Ammonites Davoei Sow. A. Amaltheus Schloth., bei uns selten. A. costatus Rim. A. fimbriatus Sow. A. Henleyi Sow. Belemnites umbilicatus Blainv. B. Fournelianus d’Orb. (B. compressus Stahl.) 3. Oberer Lias (Posidonienschiefer und Jurensismergel). *Posidonomya Bronni Goldf. *Ammonites jurensis Ziet., selten ganze Stücke. *A. radians Rein. *A. capellinus Schl. *A. Lythensis v. Buch. Plicatula spinosa Sow., sonst vorzugsweise im mittleren Lias. Discina papyracea Quenst. Lucina Burckhardti Mer. 9* 132 Pecten æquivalvis Sow. Aptychus sanguinolarius? Quenst. Nautilus semistriatus d’Orb. Belemnites acuarius Schl. B. exilis d’Orb. B. clavatus Blainv. B. compressus Blainv. Die fischreichen Schichten des schwäbischen Jura (Lias €) sind bei uns, meines Wissens, noch nirgends gefunden worden. Die Schieferletten des obern Lias trifft man selten bei uns entblösst. | B. Brauner Jura. ( 1. Unterster brauner Jura (Br. J. & und £ Quenst., Murchi- son&-Schichten etc.). *Inoceramus secundus Mer. *Trigonia costellata Ag. *Nucula Hammeri Defr. | *Posidonomya exigua Mer. (P. Suessi? Oppel). *Pholadomya reticulata Ag. *Ammonites Murchisonæ Sow., geht auch bis ins d, wo aber seltener. ‘Am. variabilis d’Orb. A. opalinus Rein. (Br. J. «), bei uns nicht häufig. A. mucronatus d’Orb. Trigonia tuberculata Ag. Avicula substriata Bronn. Gervillia Hartmanni Münst. Pecten textilis Münst. Pleuromya donaciformis Goldf. Pleurotomaria, Nautilus. Zopfplatten (sandige Schiefer mit langen zopfartigen Erhabenheiten von zweifelhafter Natur. Siehe Quenst. Jura Taf. 46, Fig. 1.) 2. Unterer Eisenrogenstein (Br. J. y und 0 Quenst., Bajo- cien d’Orb.). *Rhabdocidaris horrida Mer. (Rh. maxima Desor). Stacheln und ein- zelne Platten des Leibes. 133 *Terebratula Meriani Oppel. (T. impressa d’Orb.) *“T, perovalis Sow. *Rhynchonella intermedia Lam. *Rh. spinosa Dav. *Trigonia costata Lam. *Tr. signata Ag. *Mytilus (Modiola) cuneatus Sow. *M. elatior Mer., 6 Zoll lang. *Avicula Münsteri Bronn. *Lima proboscidea Sow. (L. pectiniformis Schl.) *L. propinqua Mer. *Pecten disciformis Schübler. *P. personatus Goldf. *Ostrea Marshii Goldf. (O. cristagalli.) *O. explanata Goldf. *Pholadomya media Ag. *Ph. Zieteni Ag. (Ph. fidicula? Sow.) _ *Lyonsia (Gresslya) abducta Ag. * ‚*Pleuromya elongata Ag. *P]. tenuistria Ag. | *Ammonites Humphriesianus Sow. *A. Blagdeni Sow. *Belemnites giganteus Schl. *B. canaliculatus Schl. *Serpula socialis Goldf. *S. lumbricalis Schl. (S. limax Goldf.) Ceriopora tuberosa Mer. Terebratula curvifrons Oppel. T. Würtembergica Oppel, über 2 Zoll lang. T. omalogastyr Hehl. T. intermedia Ziet. Rhynchonella subtetraedra Dav. Rh. quadriplicata Ziet. Lingula Beani Phill. Ostrea acuminata Sow. O. calceola Ziet. - Cypricardia acutangula? Phill. 134 Trigonia striata Sow. Mytilus Sowerbyanus d’Orb. M. (Modiola) plicatus Sow. Pinna semiplicata Mer. P. crassa Mer. Avicula hemisphærica Mer. A. (Monotis) echinata Sow. Lima tenuistriata Münst. . Annonii Mer. . concinna Mer. . excavata Mer. . pectinoides Sow. SERRES SES . semicircularis Goldf. Pecten dentatus Sow. P. vimineus Goldf. (P. tegularis Mer.) P. exsculptus Mer. P. cingulatus? Goldf. Hinnites tuberculosus d’Orb. Homomya obtusa Ag. * Gresslya lunulata Ag. Isocardia minima Sow. Pleurotomaria excelsa Mer. PL ornata Defr. Pl. ähnlich der PI. alimena d’Orb., sehr grosse Steinkerne. Turbo ornatus Sow. T. quadricinctus Ziet. Rhyncholites acuminatus Mer., ein Prachtexemplar von Bubendorf. Ammonites discus Quenst. . subradiatus Sow. . Sowerbyi Miller. . Braikenridgii Sow. . Sauzei d’Orb. . Bernoullii Mer. . Brogniarti Sow. PP» » . Gervillii Sow. Nautilus clausus? d’Orb. Serpula flaccida Goldf. S. conformis Goldf. 135 Serpula grandis Goldf. Verschiedene Bryozoen. Korallen selten. Goniomya, Pronoe, Cardium, Ostrea. Gervillia, Pleuromya, Trichites. Cidaris (Leib, 1 Ex.) Hemicidaris (Stacheln). Pentacrinus, 2 Spec. Krebse. Fische (Zähne und Wirbel). Ichthyosaurus? Kinnladenstücke und andere Knochen, einem Thier von grossen Dimensionen angehörend, vom Fuss des Hasenhubels bei-Bukten, aus der Nähe der Murchisonæschichten. 3. Hauptrogenstein (zwischen Br. J. d und a). *Avicula tegulata Goldf. *Lima modesta Mer., trefflich erhalten. *L. Annonii Mer. Isocrinus Andreæ Desor, schön bei Liestal. Cidaris antiqua Ag., Stacheln. C. Stacheln, verschiedenen Spec. angehörend. Terebratula intermedia Sow. T. glatte oder nur schwach zweigefaltete Sp. Trigonia Meriani Ag. T. geographica? Ag. Patella oolithica Mer. Serpula socialis Goldf. Seeigel und Stacheln von Seeigeln, wahrscheinlich denselben Arten, wie die des Bradford angehörend, gewöhnlich fest mit dem Ge- stein verwachsen, daher schwer bestimmbar: Clypeus, Dysaster und dergleichen. Venerupis, Mytilus, Lima (grosse Species), Pinna. Cerithium, wahrscheinlich mehrere Species. Strophodus (grosse flache Fischzähne, fein gerunzelt). Kleine Austern (Ostrea), sehr häufig. Astarte. Oberste Schicht am Wartenberg bei Muttenz: *Nerinea Bruckneri Thurm. Lucina lyrata phill. Buccinum. 136 4. Bradfordschichten (Cornbrash, Br. J. z Quenst.). #Montlivaltia caryophyllata Lam. *Fungia lævis Goldf. *Cyclolites Langii Quenst. *Holectypus (Discoidea) depressus Desor. *Echinobrissus clunicularis Luid. (Nucleolites Ag.). *Clypeopygus (Clypeus) Hugii Ag. *Clypeus sinuatus Leske (Clypeus patella Ag.), im grobkörnigen Oo- lith, unmittelbar über dem Hauptrogenstein. *Collyrites ovalis Leske (Disaster analis Ag). *Terebratula intermedia Sow. (T. anserina Mer.). *T. emarginata Quenst. *Rhynchonella varians Schl. *Rh. concinna Sow. *Rh. spinosa Sow. *Goniomya proboscidea Ag. *Gresslya lunulata Ag. a‘ *Pleuromya elongata Ag. *Lucina jurensis d’Orb. *Isocardia tenera Sow. (Ceromya Ag.) *Trigonia costata Lam. *Mytilus (Modiola) bipartitus Lam. *M. striolaris Mer. (Mod. pulcherrima Röm.). #M. gibbosus Sow. *Gervillia Andreæ Thurm. *Lima gibbosa Goldf. (L. helvetica Oppel). *L. proboseidea Sow. (L. pectiniformis Schl.). *Pecten demissus Phill. *P. squamosus Mer. *Ostrea Knorrii Voltz (O. costata Sow.). *Pholadomya Bucardium Ag. *Ammonites Parkinsoni Sow., in dem grobkörnigen Oolith, unmittel- bar über dem Hauptrogenstein. *A. macrocephalus Schl., in den obersten Bradfordschichten, von Op- pel schon ins Kelloway gestellt. *A. triplicatus Quenst. Desgl. *A, canaliculatus fuseus Quenst. 137 *Belemnites canaliculatus Schl. *Serpula arata Mer. Cidaris antiqua Ag. Stacheln. Pygurus Michelini Cotteau. Clypeus rostratus Ag., selten. Acrosalenia spinosa Ag. A. exilis Desor. A. granulata Mer. A. lens Desor. A. Meriani Ag. Hyboclypus gibberulus Ag. Collyrites ringens? Ag., Diplopodia pentagona Mc. Coy. Rhynchonella Badensis? Oppel. z Terebratula corvina Sow. T. lagenalis Schl. Wurde nicht zu den Leitmuscheln gestellt, da sie in unserm Jura keineswegs häufig ist. Mactromya littoralis Ag. Cercomya pinguis Ag. Corimya elongata Ag. C. lens Ag. Homomya gibbosa Ag.? Astarte modiolaris Lam. Mytilus signatus Mer. M. cuneatus Sow. Avicula affinis Mer. Lima Bernoullii Mer. Pecten lens Sow. P. subspinosus Schloth. P. (ähnlich P. articulatus Schl., aber feiner gerippt). Ostrea acuminata? Sow., bei uns selten. O. Marshii Sow., im Bradford ziemlich selten. Kilchberg. Pholadomya ovulum Ag. Pleurotomaria Bruckneri Mer.? Pl. (grosse, nicht hohe, Species). Ammonites discus d’Orb, A. Brogniarti Quenst. \ 138 Ammonites Bernoullii Mer. Serpula vertebralis Goldf. S. tricarinata Goldf. Clytia ventrosa H. v. Meyer. (Krebs). Verschiedene andere Krebse. Cardium. Lima. Trochus. Cerithium. Nautilus, sehr grosse Species mit breitem Rücken, ähnlich N. inflatus d’Orb., aus d. Kimmr. Astræa, Fungia und andere Korallen. Pentacrinus. 5. Kelloway-Schichten (Br. J. Ê Quenst., Callovien d’Orh.). a. Thonige Facies (sogenannter Oxfordthon) mit verkiesten Petrefacten. *Ammonites Lamberti Sow. #A. hecticus Rein. *A., hecticus var. lunula Quenst. *A. hecticus var. compressus Quenst, *A. athleta Phill. *A. annularis Rein. *A. convolutus Schl. *Belemnites hastatus Blainv. Pentacrinus pentagonalis Goldf. Stiele. Pseudodiadema superbum Ag. Unicardium. Nucula compressa Mer. N. Hordeum Mer. Cucullæa parvula Ziet. Plicatula Pedum d’Orb. Rostellaria Danielis Thurm. R. Gagnebini Thurm. R. verschiedene Species. Trochus simplex Mer. Tr. hieroglyphicus Mer. ? Tr. bicingulatus Mer. ? Ammonites Leachi Sow. 139 Ammonites cordatus Sow. . tartricus Pusch. . tortisulcatus d’Orb. . scaphitoides Coq. Galdryanus d’Orb. . crenatus Brug. . bipartitus Ziet. . Goliathus d’Orb. . caprinus Schl. . Constantii d’Orb. Aptychus hectici Quenst. A. heteropora Voltz. Nautilus aganticus? Schl. : Pbbb>bbbbbP | b. Eisenoolithische Facies (Oberer Eisenrogenstein). *Pleuromya gregaria Mer. *Terebratula impressa Quenst. (T. Mandelslohi Oppel). *Ammonites Jason Rein. *A. macrocephalus Schl., steht an der Grenze zwischen Bradford und Kelloway. ; *A. triplicatus Quenst., desgleichen. *A. anceps Rein. *A. anceps ornati Quenst. *Belemnites hastatus Blainv. *B. semihastatus Quenst. (B. Calloviensis Opp. z. Th.). *Lima proboscidea Sow., setzt aus dem Bradford fort. Pecten, ähnlich P. demissus Phill. Gryphæa dilatata? Sow.' Pleurotomaria conoidea? Sow. PI. constricta Mer. Pl. pileata Mer. Pl. speciosa Mer. Terebratula Trigeri Dav. Terebratula, mehrere Species, worunter eine kleine biplicate. Holectypus arenatus Desor. H. depressus? Desor. Collyrites elliptica Lam. 140 , Rostellaria bispinosa ? Phill. Ammonites coronatus Brug. . Herweyi Sow. . platystomus Rein. . hecticus lunula Quenst. . hecticus compressus Quenst. . convolutus Schl. . ornatus Quenst., selten. . Lamberti Sow. Ischryodon Meriani H. v. Mey. Konischer Zahn, scharf längsgerippt, ein Prachtexemplar, 4 Par.-Zoll lang, 2 Zoll Durchmesser an phpbb > der Basis. C. Weisser Jura. 1. Oxfordgruppe (W. J. «& bis d Quenst., Oxfordien supe- rieur d’Orb.) &. Oxfordkalke und Scyphienkalke (Unterer Korallenkalk). (Die verschiedenen Unterabtheilungen, bei uns weniger entwickelt, sind hier zu- sammengestellt worden.) *Scyphia obliqua Goldf. *S. reticulata Goldf. *S. clathrata Goldf. *Tragos patella Goldf. *T, rugosum Goldf. *Cnemidium lamellosum Goldf. *Cidaris coronata Goldf. Leib und Stacheln. *Dysaster granulosus Ag. *Terebratula bisuffarcinata Ziet. *T. reticularis Schl. *Pholadomya pelagica Ag. *Ammonites biplex Quenst. Dessgl. *A. biplex Sow., d’Orb. *A. polygyratus Rein. Ceriopora radieiformis Goldf. C. striata Goldf. Aulopora intermedia Münst. Scyphia Buchii Goldf. en À 1#1 Eugeniacrinus caryophyllatus Goldf. E. moniliformis Münst. E. nutans Goldf. Pentacrinus pentagonalis Goldf. Stiele. P. cingulatus Münst. Stiele. Cidaris leviuscula Ag. Leib und Stacheln. C. propinqua Münst. Collyrites elliptica Lam. Holectypus. Terebratula impressa Bronn, im Basler Jura selten. Rhynchonella striocincta Quenst. Rh. expansa Mer. Corimya pinguis Ag. Nucula mediojurensis Thurm. Ostrea unguis Mer. Pholadomya parcicosta Ag. Ph. cardissoides Ag. Ph. læviuscula Ag. Pleuromya. Turbo gyratus Mer. Melania Heddingtonensis Sow. ï Natica Pomum Mer. N. gigas Mer. Ammonites oculatus Bean. A. polyplocus Rein. A. crenatus Rein. A. div. Species. Belemnites hastatus Blainv. Serpula prolifera Goldf. S. planorbiformis Münst. Araucarites. (Ein wohlerhaltener Zweig von Bubendorf.) Nodosaria und Cristellaria in Jaspiskugeln. Verschiedene kleinere Bivalven, selten mit Schale. Buccinum, Pleurotomaria, Trochus, Melania. Grosse Mannigfaltigkeit von Spongiten, die wohl fast durchweg mit den von Quenstedt aus dem schwäbischen Jura abgebildeten übereinstimmen. 142 b. Terrain à Chailles. *Millericrinus rosaceus Desor. Krone, Stiele und Wurzeln. *M. echinatus d’Orb. Stiele. *Cidaris Blumenbachi Münst. (C. florigemma Phill.). Leib u. Stacheln.- *Glypticus hieroglyphicus Desor. *Stomechinus perlatus Desm. *Collyrites bicordata Leske. (Disaster ovalis Ag.) *Anthophyllum obconicum Münst. *Astræa helianthoides Goldf. *A. microconos Goldf. *Agaricia foliacea Quenst. *Cnemidium rotula Goldf. *Terebratula bucculenta Sow. *T. Galienni d’Orb. *T. Delmontana Opp. (T. lagenalis? d’Orb.). *T. nutans Mer. *T. reticulata Schl. *Rhynchonella Thurmanni Voltz. *Rh. helvetica Schl. *Pholadomya exaltata Ag. *Pecten Verdati Thurm. (P. globosus Mer.). *P. articulatus Schl. *Ostrea duriuscula Bean. (O. explanaria Mer.) *O. rastellaris Münst. *O. gregaria d’Orb. „Ammonites cordatus Sow. *A. perarmatus Sow. *Serpula gordialis Goldf. *S. filaria Goldf. Ceriocrinus Milleri König. Krone und Stiele. Millericrinus Hoferi Mer. Krone. M. Milleri d’Orb. Krone. Apiocrinus polycyphus Desor. Stiele und Wurzeln. Pentacrinus scalaris Goldf. Stiele. P. tuberculatus Desor. Stiele. Asterias jurensis Münst. Cidaris oculata Ag. Leib. 143 Cidaris mammifera Mer. Leib. C. Parandieri Ag. Leib. C. aspera Ag. (Stacheln von C. Parandieri). C. conifera Ag. Stacheln. C. cervicalis Ag. Leib und Stacheln. C. elegans Quenst. Leib. C. authentica Desor. Stacheln. Rhabdocidaris cyphacantha Ag. Stacheln. Diplocidaris gigantea Ag. Stacheln. Hemicidaris crenularis Ag. Leib. Hypodiadema florescens Ag. Pseudodiadema Placenta Ag. Ps. spinosum Ag. Diplopodia subangularis Goldf. Pedina aspera Ag.? Stromatopora concentrica Goldf. Str. condensata Mer. Str. mehrere andere Species. Hemithyris senticosa Schloth. Terebratula reticularis Schloth. T. impressa? Bronn, selten. Gresslya sulcosa Ag. Unicardium globosum d’Orb. Trigonia perlata Ag. T. monilifera Ag. Mytilus subpectiuatus d’Orb. M. (Modiola) tegularis Mer. M., äusserst ähnlich M. jurensis Mer. des Kimmeridge. Trichites fibrosus Mer. Gervillia Andreæ Thurm. Lima proboscidea Sow. Pecten lens Sow. P. intertextus Röm. P. didymus Mer. P. semibarbatus Mer. P. subtextorius Münst. Hinnites velatus Goldf. Ostrea colubrina Goldf. 14% Ostrea strigosa Goldf. O. scabrosa Mer. Gryphæa dilatata Sow. Exogyra uniformis Goldf. Pholadomya parcicosta Ag. Ph. pelagica Ag. Ph. flabellata Ag. Ph. concinna Ag. Ph. læviuscula Ag. Ph. cardissoides Ag. Pleuromya varians Ag. Pleurotomaria concinna Mer. Pl. rotundata Mer. Melania Heddingtonensis Sow. 2 Neritopsis cancellata Ziet. Ammonites polygyratus Rein. A. Goliathus d’Orb. A. verschiedene andere Spec. Belemnites hastatus Blainv. Serpula spiralis Münst. . flagellum Münst. . duplicata Mer. . quinqueangularis Goldf. . angulata Mer. tn tn Mn . puncturata Mer. Cardium. Arca. Cerithium. Dentalium. Pentacrinus. Holectypus. Hypodiadema. Lamna. Vielerlei Korallen: Astræa, Thamnastræa, Mæandrina, Anthophyllum, Lithodendron u. a. Verschiedene Spongiten, doch in geringerer Zahl. Die Schale der meisten Chaille-Petrefacten ist verkieselt, d. h. durch concentrische Chalzedonringe ersetzt. c. Geissberg-Schichten. Collyrites pinguis Desor. Rhynchonella inconstans Sow. Terebratula bicornis Mer. z Pleuromya donacina Ag. 145 Pleuromya cardium Ag. Pholadomya cor.- Ag. Ph. antica Ag. Ph. Protei Brogn. Ph. tumida Ag. Arcomya helvetica Ag. Corymya tenera Ag. Pinna. Collyrites capistrata Goldf. liegt etwas höher. 2. Korallenkalk (W. J. y bis & Quenst., Oxfordien supérieur und Corallien d'Orb. z. Th.). (Gehört grössern Theils noch zur Oxfordgruppe. Manche Species setzen aus der Chaille hier fort.) Cidaris Blumenbachi? Münst. Leib. C. Parandieri Ag. Leib. C. cervicalis Ag. Stacheln. C. Stacheln verschiedener Spec. Asterias jurensis Münst. *Terebratula insignis Ziet. T. lagenalis d’Orb. T. nutans Mer. T. Galienni d’Orb. Rhynchonella helvetica Schl. Rh. inconstans Sow. Cardium cucullatum Mer. Trigonia geographica Ag. Tr. Meriani Ag. Cucullea expansa Mer. Lithodomus Gresslyanus Mer. L. abbreviatus Mer. Aucella Solodurensis Mer. Lima, grosse Species. Pecten octocostatus Röm. P. incequicostatus Röm. P. placunoides Gressly. P. ziemlich grob gerippte Species. P. ganz glatte Species. 10 146 Nerinea Gosæ Röm. N. suprajurensis Voltz. Melania Heddingtonensis Sow. Goniomya, Venerupis. Astarte. Cardium. Arca. Nerinea. Cerithium. Trochus. Melania. Oberste Schichten (Uebergang zum Sequanien). Neritopsis cancellata Ziet. Seewen. Natica grandis Münster. Hobel. Ammonites, grosse Species. Laufen. Pygurus Blumenbachi Dunk. Desgl. Acrocidaris tuberosa Ag. Hobel. Acropeltis coneinna Mer. Desgl. Hemicidaris Cartieri Desor. Desgl. Pseudodiadema hemisphæricum Ag. Desgl. Ps. Orbignyanum Cotteau. Desgl. 3. Untere Kimmeridge-Schichten (Sequanien-Marcou). Hieher gehörige Schichten kommen bei Seewen vor, auch gehören die oben beim Korallenkalk angeführten obersten Schichten von Hobel und Laufen wahrscheinlich bereits in dieses Niveau. Der Hauptfund- ort des Séquanien aus unserer Umgegend, Rädersdorf bei Pfirt, fällt zwar schon ausserhalb unseres Kartengebietes, ist aber nur wenige Stunden von unserer Stadt entfernt, wesshalb die wichtigsten dortigen Vorkommnisse wohl eine Stelle hier verdienen. Cristellaria sequana Mer. *Pomatocrinus Hoferi Mer. Leib. *Apiocrinus Meriani Desor. Stiele und Wurzeln. Leib. *Solanocrinus sequanus Mer. Armglieder. Cidaris bacculifera Ag. Leib und Stacheln. Hemicidaris stramonium Ag. Leib und Stacheln. Pygurus tenuis Desor. Pygaster Gresslyi Desor. *Terebratula humeralis Thurm. Rhynchonella inconstans Sow. Pholadomya cancellata Ag. Pleuromya donacina Ag. Patella sequana Mer. Turbo subfunatus d’Orb. . 147 Serpula sequana Mer. Ostrea mehrere Species. Versteinertes Holz (stammt vielleicht von benachbarten Tertiärschich- ten). Ausserdem noch viele andere Versteinerungen. III. Tertiärformation. Nur mittel-tertiäre (miocene) Schichten kommen vor. 1. Marine Molasse (Falunien infer. ou Tongrien d’Orb.). *Ostrea crassissima Lam. *O. Collini Mer. (O. caïlifera Lam.). Stetten, Aesch. *O. crispata Goldf. Bottmingen, Therwyl. *Balanus delphinus Defr. *Cerithium plicatum Lam. Bottmingen. *C. Lima Desh. Stetten. *Turritella Brocchii Bronn. *Lamna contortidens Ag. *L. cuspidata Ag. Terebratula grandis Blumenb. Mytilus sericeus Bronn. M. rhombeus Mer. Pecten helveticus? Mer. Ostrea tegulata Goldf. Pholadomya Meriani Meyer. Natica gigantea Al. Braun. Notidanus primigenius Ag. Manatus? Knochen. Carcharias. Zähne, verschiedene Species. Quinqueloculina. Pholas, Löcher im Hauptrogenstein und Korallenkalk. Tellina. Cardium. Pectunculus. Cytherea. Lima. Pecten, grob gerippte Spec. häufig. Aesch. Calyptræa, Trochus und andere Schnecken, besonders im Muschelcon- glomerat. Manches Andere, das noch der nähern Bestimmung bedarf. 2. Süsswasser-Molasse. *Cinnamomum (Daphnogene) polymorphum Heer. Binningen. Blätter und Stengel verschiedener anderer Pflanzen, meist undeutlich. Flabellaria. 148 Blätter von zwei Palmenarten (Fächerpalme). Dornach. Versteinerte Hölzer: Coniferen, Palmen. Therwyl. 3. Süsswasserkalk und Süsswasserkiesel. Chara Escheri Al. Braun. Ch. inconspieua A. Br. #*Ch. Meriani A..Br. Unio flabelloides Mer. ‘ähnl. U. flabellatus Goldf.).. Kilchberg. Helix moguntina Desh. H. Ramondi Al. Brogn. H. lunula? Thom. H. verschiedene Species, meist Steinkerne. Limnæus palustris Drap. L. elatus Mer. Hummel. Melania Escheri wurde im Kanton Basel noch nicht gefunden. Planorbis corneus Müll. Pl. pseudoammonius Schl. Aesch, Hobel, Hummel, Wildenstein. Planorbis. Paludina. Limnæus. Cerithium. Versteinertes Holz (Coniferen). Planorbis, Paludina, Helix u. a. im Süsswasserkiesel des Birsigthales und der Klosterfiéchten (Bruderholz). IV. Quaternäre Bildungen. 1. Diluvialschutt. (Nach Hrn. Rathsh. Merian ) Elephas primigenius Blumb., häufig. — Ursus spelæus Rosenm. Cervus euryceros Aldrow. Equus adamiticus Schl. Hyæna spelæa Goldf. Bos priscus Boj. Cervus priscus Kaup. Rhinoceros tichorhinus Cuv. 2. Löss. *Succinea oblonga Drap. *Helix hispida Müll. H. pulchella Müll. H. arbustorum Lin. Pupa secale Drap. Ciausilia, Pupa, Bulimus in verschiedenen Species. 149 Erklärung der Burchschnitte. (Siehe Tafel I, Figur I— VIII.) In den betreffenden Sitzungen habe ich der naturfor- schenden Gesellschaft mit der geognostischen Karte zugleich 13 Durchschnitte durch das Plateaugebiet und die Ketten des Kantons Basel und der angrenzenden Kantone vorge- legt, die, nebst der Karte, seitdem im mineralogischen Saale des Museums unter Glas ausgestellt sind. Von diesen 18 Durchschnitten habe ich 8 ausgewählt (7 durch die Ketten und 1 durch das Plateaugebiet, sämmtliche von Nord nach Süd gehend) und in beiliegender Tafel zusammengestellt. Sie bilden die Ergänzung der schon früher in Band I, Ta- fel III und Band IT, Tafel IV der Verhandlungen der natur- forschenden Gesellschaft von mir veröffentlichten Durch- schnitte durch das Plateaugebiet und die Vorketten unseres Kantons und geben zugleich ein Bild der charakteristischen Reliefverhältnisse unserer Landschaft und ihres Schichten- baues. Ich werde den Verlauf der einzelnen Durchschnitte Jeweilen nur in den markantesten Kettengliedern, vornehm- lich den Hauptrogensteingräten, bezeichnen. I. Titterten-Oberbuchsiten. Beginnt östlich von Titterten, am Nordfuss des Rank- berges (Muschelkalk), geht über die Rogensteingräte der Stüdifluh (Wiesenbergkette), des Helfenberges (Passwang- kette), der Wanne (Hauensieinkette) und der Schlosshöhe (Weissensteinkette). II. Niederdorf-Egerkingen. Beginnt östlich von Niederdorf am Nordfuss des Die- . lenberges (Muschelkalk), geht durch die Rogensteingräte des Rehag (Wiesenbergkette), des Schönthal bei Langenbruck (Passwangkette), der Schwengi (Hauensteinkette) und durch den östlichen Ausläufer der Schlosshöhe (Weissenstein- 150 kette). Die beiden Rogensteinflanken (Nord- und Südflanke) der Passwang- und der Hauensteinkette mit dazwischen lie- “enden Keuper-Lias-Comben sind gut entwickelt, ebenso die beiden Korallenkalkflanken der Weissensteinkette. Bären- wyl und der Dürstel liegen in Muldenthälern, in denen die Schichten auf beiden Thalseiten gegen den Thalgrund ein- fallen. III. Bennwyl-Hägendorf. Beginnt östlich von Bennwyl am Nordfuss des Sagen- waldes (Hasenhubelkette), geht über die Rogensteingräte des Rehag (Wiesenbergkette), des Kilchzimmers mit dem Bölchen (Passwangkette), des Spahlen-Hofes (Hauenstein- kette) und endigt mit dem südlichen Abfall des Korallen- kalkes der hier beginnenden Weissensteinkette, westlich von Hägendorf. Die beiden Rogensteinflanken der Passwang- und Hauensteinkette mit dem dazwischen liegenden Mulden- thal des Quidam sind auch hier noch deutlich entwickelt. IV. Diegten-Rickenbach. Beginnt westlich von Diegten, gleichfalls am Nordfuss des Sagenwaldes, geht durch den Circus südlich von Ep- tingen und durch den Rogenstein des östlichen Ausläufers des Bölchengrates, wo die Südflanke der beginnenden Pass- wangkette mit der Nordfianke der Hauensteinkette auf einem kleinen Raum zusammenstösst, und setzt dann durch den südlich fallenden Rogenstein des Homberges (Südflanke der . Hauensteinkette) und den gleichfalls südlich fallenden Ko- rallenkalk bis Rickenbach fort. Die Nordfianke der Pass- wangkette kommt hier nicht zum Vorschein, sondern beginnt erst weiter westlich beim Kilchzimmer. V. Anwyl-Stüsslingen. Beginnt südlich von Anwyl, geht über die Rogenstein- höhen der Heidegg (Hasenhubelkette), hier nordfallend, der 151 Geissfluh, hier ausnahmsweise mit Plateaucharakter (Wie- senbergkette) und durch den südfallenden Rogensteingrat des Gngenberges (Hauensteinkette). VI. Oltingen-Losdorf. Beginnt westlich von Oltingen am Nordfuss des Sieg- berges (Muschelkalk), geht durch den bedeutend hohen Löschberg (gleichfalls Muschelkalk) und den südfallenden Hauptrogenstein des Bann (Wiesenbergkette), dann durch den des Dottenberges gleichfalls südfallend {Hauenstein- kette) nach den Niederungen bei Losdorf, nördlich der Aare. Die beiden Hauptzüge des Muschelkalkes der Wiesenberg- kette treten hier in den mächtigen Höhen des Siegberges und des Löschberges am entschiedensten hervor. Sie ent- sprechen ohne Zweifel zwei verschiedenen Erhebun- gen, also zwei Ketten, wovon eigentlich nur die nördli- che zur Wiesenbergkette gehört, die südliche daher einen besondern Namen (Löschbergkette) erhalten sollte. Doch wurden hier noch beide unter dem gemeinschaftlichen Na- men der Wiesenbergkette vereinigt. VII. Seewen-Balstall. Beginnt südöstlich von Seewen am Nordfuss der süd- lich fallenden Rogensteinmasse des Holzenberges, den ich auch noch als ein stark nordwärts über das Korallenkalk- Plateau bei Seewen vorgeschobenes Glied der Hasenhubel- kette betrachte, setzt durch die derselben Kette angehörende gleichfalls über das Plateau übergeschobene Rogensteinhöhe nördlich von Reigoldswy! fort und durch die Gräte südlich von Lauwyl (Wiesenbergkette), und geht dann durch die beiden mächtigen Rogensteinflanken der Limmern (Pass- “ wangkette) mit dem Passwang als Nordflanke, und durch die Rogensteingewölbe südlich von Mümliswyl (Hauenstein- kette) und südlich Balstall (Weissensteinkette). An alle ‘ ps 152 r diese Rogensteinketten schliessen sich zu beiden Seiten Ko- rallenkalkflanken an. Mümliswyl und Balstall liegen in Mul- denthälern, deren Grund mit Tertiärgebilden bedeckt ist. VII. Zeiningen-Läufelfingen. Zeigt die Schichtungsverhältnisse des östlichen Pla- teaugebietes (die des westlichen wurden bereits in ‘den frühern Durchschnitten veranschaulicht), auf dessen Nord- seite die tiefern Formationen des Muschelkalkes, Keupers und Lias in der Regel vorherrschen, wesshalb mehr im Süden der Hauptrogenstein darüber zu grosser Höhe an- > steigt. Beginnt im Rheinthal, westlich von Zeiningen, am Nord- fuss der weit nach Norden abnorm vorgeschobenen Rogen- steinmasse des Sonnenberges, geht über das hohe Muschel- kalk-Plateau des Sehöneberges, die 750 Meter hohe Rogen- steinplatte des Farnsberges, und die Plateaus von Rüneburg und Mettenberg, über den Rogensteingrat des Homburger- berges (Hasenhubelkette), um gegen den Wiesenberg an- zusteigen. Die weitere Fortsetzung würde die Muschelkalk- gräte der Wiesenbergkette und den Hauptrogenstein der derselben Kette angehörigen Wiesenfluh, sowie den des Dottenberges (Hauensteinkette) durchschneiden. Abkürzungen. TT = Tertiär. K= Korallenkalk. UK = Unterer Ko- rallenkalk (Oxfordkalk). Br = Bradfordkalk. HR = Haupt- rogenstein. UR == Unterer Eisenrogenstein. L = Lias. Kp = Keuper. Mk = Muschelkalk. V = Vorkette (Ha-. senhubelkette). M == Montterrible- Wiesenbergkette. P = Passwangkette. H == Hauensteinkette W = Weissen- steinkette. A Hochketten und Plateaugebiet des Basler Jura. = I. Titterten — Oberhuchsiten R PAU Diüstein Titterlen Jiankberg Heifenberg Pa SR? N x H Wannen _ Kp Ostt.vOberbuchsiten\ I. Benwyl -Hägendorf. w \ 2 Hohe Stelle Holderbank, _schlosshöhe Sageivald. À % a P Belchengrat „ Küch. / N gear JA Zimmer A — N/D HR BEN 17 \ Spañlen / Taf. TI. Oestlv. Egerkingen H 2 me \ um IL. Niederdorf-Eserkingen. N Behag N Hummel y Dielenberg BEN Wald_ sx Nieder. >. dorf‘, H Belchengrat Schmenge Dürstel 7 N V À Schönthal À S SD > à HR > EN IN Diesten -Rickenbach.. Egerkingerfluch | M Barenmyl | | Sagewald | Westl.v Fi _ Danger Diegten Eerkingen 27 K | Belchengrat NiederBelchen fe % N 3 TEN Kp TN 7 2% Spitalberg Homberg Rickenbadhı 4 = V. Anwyl- Stüsslinéen . V I | Heidegg Anmpl sw - Süsswasserkalk H Gugenberg VI. Oltingen- Losdorf. Se Stegberg Westlich v. | Oltingen Stüsslingen 2 Pass Vogelberg / Loschberg # Rebenfluh Losdorf VII. Seewen -Balstall. v Holsenberg Plateau 4 Graben _- Ch - Chaille Eichen Ik eigoldsrorl Bürten 7 Westlv: à. Klus Höhe der Strasse Oestl.v. d.Klus 2 4 2 = geht Klus Strasse VL Zeiningen- Häfelfingen.. Sonnenberg Schöneberg Westlv: Zeiningen Il Foi LU? Humberg Gelterkinden VE Wiesenberg Homburg VERHANDLUNGEN NATURFORSCHENDEN GESELLSCHART DRITTER THEIL. ZWEITES HEFT. nn BASEL. SCHW EIGHAUSERISCHE VERLAGS-BUCHHANDLUNG. 1861. De N CHEMIE. E Im Laufe des verflossenen Jahres hat Professor Scuön- BEIN folgende Mittheilungen gemacht. I. Ueber den freien positiv-activen Sauerstoff oder das Antozon. In frühern Mittheilungen habe ich darzuthun versucht, dass es zwei einander entgegengesetzt thätige Zustände des Sauerstoffes gebe: ©) und &) oder Ozon und Antozon und ‚dieselben in denjenigen Verbindungen enthalten seien, wel- che unter Entbindung neutralen Sauerstoffgases sich gegen- seitig desoxidiren. Ich nannte der Kürze halber diese bei- den Gruppen von Oxiden: Ozonide und Antozonide und zeiste, dass das Wasserstoffsuperoxid das Vorbild der Letz- tern sei und zu denselben namentlich die Superoxide der alkalischen Metalle gehören. Bis jetzt haben wir nur den negativ-activen Sauerstoff (das Ozon) im freien Zustande gekannt; es liegen nun aber Thatsachen vor, aus ' welchen nach meinem Dafürhalten geschlossen werden darf, dass auch der positiv-active Sauerstoff (das Antozon) ungebun- den zu bestehen vermöge. Vom Bariumsuperoxid, für mich BaO + &), weiss jeder Chemiker, dass es, mit einer kräf- 11° 156 tigen wasserhaltigen Säure zusammengebracht, in ein Baryt- salz und Wasserstoffsuperoxid (HO + ©) sich umsetzt und in gleicher Weise auch alle Superoxide der alkalischen Me- talle sich verhalten. Schon früher ist von mir angegeben worden, und auch Herr Houzeau hat die gleiche Beobach- tung gemacht, dass beim Eintragen feingepulverten Barium- superoxides in das kalte erste Hydrat der Schwefelsäure Sauerstoffgas sich entbinde, welches einen eigenthümlichen, an Ozon erinnernden Geruch besitzt und überdiess auch feuchtes Jodkaliumstärkepapier zu bläuen vermag, wesshalb man wohl zu der Annahme geneigt sein konnte, dass in dem besagten Gas Ozon enthalten sei. Ich habe diess auch selbst geglaubt, so lange ich nur einen thätigen Zustand des Sauerstoffes kannte; nachdem aber von mir ermittelt war, dass der freie wie der gebundene ozonisirte Sauer- stoff durch die Superoxide des Wasserstoffes, Bariums u. s. w. zerstört, d. h. in neutralen Sauerstoff umgewandelt werde und diese und andere Versuche mich zu der Annahme zweier entgegengesetzt thätigen Sauerstofizustände geführt hatten, musste ich natürlich daran zweifeln, dass aus BO + © negativ-activer Sauerstoff entbunden werden könne. Ich bemühete mich desshalb, zwischen dem aus dem Bariumsuperoxid durch Schwefelsäure abgeschiedenen rie- chenden Sauerstoff und dem Ozon einen scharf kennzeich- nenden Unterschied aufzufinden, was mir, wie ich glaube, auch vollkommen gelungen ist. Ehe ich jedoch die Ergebnisse meiner über diesen Ge- genstand angestellten Versuche näher beschreibe, sei be- merkt, dass ich mich bei denselben eines Bariumsuperoxi- des bediente, von dem ich sicher sein durfte, dass es auch keine Spur von Nitrit enthalte, durch welches Salz jedes BaO: mehr oder weniger verunreiniget sein könnte, zu des- sen Darstellung Baryt angewendet wird, der durch Glühen aus Barytnitrat erhalten worden. 15% Man sieht aber leicht ein, dass ein so beschaffenes Superoxid, falls es für nitritfrei angesehen würde, zu fal- schen Schlüssen führen könnte, weil, übergossen mit Schwe- felsäurehydrat es ein mit Untersalpetersäure mehr oder minder verunreinigtes Sauerstoffgas liefern müsste, welches NO, bekanntlich, wie das Ozon, schon in den geringsten Mengen das feuchte Jodkaliumstärkepapier tief bläut und auch dem Ozon nicht ganz unähnlich riecht. Das von mir angewendete Bariumsuperoxid wurde durch Auflösen des gewöhnlichen (mittelst erhitzten Barytes und Sauerstoffes erhalten) Superoxides in verdünnter Salzsäure, Vermischen dieser Flüssigkeit mit gelöstem Baryt und Aus- waschen des gefällten BaO; mit Wasser dargestellt, auf welchem Wege man ein blendend weisses, äusserst fein zertheiltes Superoxidhydrat erhält, dem sich das Wasser durch mässiges Erwärmen entziehen lässt. Uebrigens kann man auch schon durch wiederholtes Auswaschen des ge- wöhnlichen Bariumsuperoxides mit Wasser ein Ba0s er- halten, welches zu den im Nachstehenden beschriebenen Versuchen angewendet werden kann. Führt man so gereinigtes Bariumsuperoxid in das erste, vollkommen chemisch reine, Hydrat der Schwefelsäure ein, so findet eine lebhafte Entwickelung von Sauerstoffgas statt, welches einen Geruch zeigt, der erwähntermassen an den- jenigen des Ozones erinnert, sich jedoch davon noch merk- lich unterscheidet. Athme ich diesen Sauerstoff wiederholt durch die Nase ein, so erregt er in mir die Empfindung von Ekel, welche Wirkung das Ozon auf mich nicht her- vorbringt. Besagtes Gas hat überdiess auch doch das Ver- mögen, einen darin aufgehangenen Streifen feuchten Jod- kaliumstärkepapieres ziemlich rasch zu bläuen. Lässt man mittelst einer hiezu geeigneten Vorrichtung das aus Ba0, entbundene Gas durch eine niedere Wasser- säule strömen und hängt man während dieses Vorganges 158 einen feuchten Streifen des eben erwähnten Reagenspapie- res über der Flüssigkeit auf, so wird derselbe allmählig sich bläuen und das austretende Gas auch noch ein wenig riechen. Ist solcher Sauerstoff längere Zeit durch eine verhält- nissmässig sehr kleine Menge Wassers gegangen, so wird diese Flüssigkeit für sich allein zugefügten verdünnten Jod- kaliumkleister nicht bläuen, diess aber beim Vermischen mit einigen Tropfen verdünnter Eisenvitriollösung sofort thun. Ebenso wird das gleiche Wasser die mit SO; ange- säuerte Kalipermanganatlösung entfärben, das bräunliche Gemisch verdünnter Kaliumeisencyaniä- und Eisenoxidsalz- : lösung bläuen, kurz alle die oxidirenden und reducirenden Wirkungen hervorbringen, welche das Wasserstoffsuperoxid so bestimmt und scharf kennzeichnen. Lässt man den riechenden Sauerstoff in eine trockene Flasche treten und wird er nur kurze Zeit mit einer ver- hältnissmässig kleinen Menge Wassers geschüttelt, so ver- schwindet der ozonähnliche Geruch des Gases vollständig, wie es auch die Fähigkeit verliert, feuchtes Jodkalium- stärkepapier zu bläuen, und kaum wird nöthig sein beizu- fügen, dass auch dieses Wasser die charakteristischen Wir- kungen des Wasserstoffsuperoxides nachzuahmen vermag. Durch wiederholtes Schütteln des gleichen Wassers mit grössern Mengen des riechenden Sauerstoffes werden natürlich seine Wasserstoffsuperoxidreactionen immer stär- ker und gelangt man dahin, eine Flüssigkeit zu erhalten, welche mit einigen Tropfen SO;-haltiger verdünnter Chrom- säurelösung vermischt, sich lasurblau färbt und die gleiche Färbung dem damit geschüttelten Aether unter Entbläuung des Wassers ertheilt, eine Reaction, welche für HO: so charakteristisch ist. Am bequemsten bereitet man sich solches oxidirende und reducirende Wasser auf folgende Weise. Man bedeckt 159 den Boden eines grössern und an seinem obern Rande ab- - geschliffenen Glascylinders einige Linien hoch mit destil- lirtem Wasser, stellt in dieses Gefäss einen kleinen und niedrigen Cylinder, zum Theil mit Schwefelsäuremonohydrat gefüllt, führt nun vermittelst eines Glasrohres in diese Flüs- sigkeit fein zertheiltes Bariumsuperoxid ein, je auf einmal nur kleine Mengen, und bedeckt sofort den grössern Cy- linder mit einer geschliffenen Glasplatte. Hat der Sauer- stoff im Gefässe seinen Geruch und die Fähigkeit verloren, das feuchte Jodkaliumstärkepapier zu bläuen, so wird aufs Neue Ba0O; in die Säure gebracht und diese Operation je- weilen wiederholt. Nachdem das Wasser einige Zeit sich unter diesen Umständen befunden, wird es alle die Reac- tionen hervorbringen, welche das Wasserstoffsuperoxid kenn- zeichnen. Voranstehende Angaben lassen daher nicht im Minde- sten daran zweifeln, dass der in Rede stehende riechende Sauerstoff es sei, welcher bei seinem Zusammentreffen mit Wasser HO: erzeuge und eben darin der Grund liege, wess- halb dieses Gas beim Schütteln mit Wasser seinen eigen- thümlichen Geruch verliert. "Da aber die Menge des selbst mit verhältnissmässig srossen Quantitäten riechenden Sauerstoffes erhaltenen Was- serstoffsuperoxides eine so kleine ist, dass sie nur mit Hilfe der empfindlichsten Reagentien nachgewiesen werden kann, so erhellt hieraus, dass das aus BaO, entbundene Gas auch nur eine äusserst kleine Menge solchen Sauerstoffes ent- hält, welcher der chemischen Verbindung mit HO fähig ist. Der Rest verhält sich wie gewöhnlicher Sauerstoff, welcher nach meinen Erfahrungen als solcher mit Wasser durchaus kein HO, zu erzeugen vermag. Wesshalb das aus Ba0, entwickelte Gas dem grössten Theile nach aus neu- tralem oder geruchlosem Sauerstoff besteht, wird später angegeben werden. 160 Da obigen Angaben gemäss unser riechender Sauer- stoff auch die Fähigkeit besitzt, schon bei gewöhnlicher Temperatur Jod aus dem Jodkalium frei zu machen, so er- sieht man hieraus, dass dieser Sauerstoff in einem thätigen Zustande sich befindet, und es fragt sich nun, ob derselbe ©) oder &, Ozon oder Antozon sei. Ich will hier auf den Geruch als chemisches Erken- nungsmittel keinen besondern Werth legen, obwohl er in manchen Fällen gewiss Beachtung verdient, aber ein um so grösseres Gewicht auf das eigenthümliche Verhalten des in Rede stehenden riechenden Sauerstoffes zum Wasser, aus welchem allein schon, wie ich glaube, die Verschie- denheit dieses Gases vom Ozon auf die zweifelloseste Weise hervorgeht. Lässt man ozonisirten Sauerstoff auch noch so lange durch Wasser strömen oder wird derselbe mit dieser Flüs- sigkeit längere Zeit geschüttelt, so erzeugt sich nach mei- nen ältern und neuesten Versuchen selbst nicht die schwächste Spur von Wasserstoffsuperoxid: ©) verharrt in seinem iso- lirten riechenden Zustand, wie auch das Wasser völlig un- verändert bleibt. | Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Ozon und dem aus BaO, entwickelten riechenden Sauerstoff besteht somit darin, dass letzterer unmittelbar und bereitwilligst mit HO zu Wasserstoffsuperoxid sich vereiniget, während dem Ozon diese Fähigkeit abgeht; wir werden aber später noch einige andere Mittel kennen lernen, durch welche die beiden thätigen Sauerstoffarten sich leicht von einander un- terscheiden lassen. Das Wasserstofisuperoxid als HO + @ betrachtend, muss ich es ganz natürlich finden, dass nur @), nicht aber auch © oder © als solche mit Wasser sich chemisch ver- binden, und eben aus der Thatsache, dass ein Theil des aus BaO, entbundenen Sauerstoffes mit Wasser HO, er- 161 zeugt, glaube ich auch schliessen zu dürfen, dass dieses Gas positiv-activen Sauerstoff enthalte und diesem &-Ge- halte seinen ozonähnlichen Geruch wie auch die Fähigkeit verdanke, das feuchte Jodkaliumstärkepapier zu bläuen. Da im Verhältniss zu der Menge des aus BaO, erhal- tenen und mit HO behandelten Sauerstoffes nur sehr kleine Quantitäten HO; gebildet werden, so erhellt hieraus, dass der besagte Sauerstoff auch nur zum kleinsten Theil aus bestehe, und es fragt sich desshalb, warum nicht die ganze Menge des abgeschiedenen Gases im &-Zustande sich be- finde, da doch meiner Annahme gemäss das Bariumsuper- oxid BaO + ©) sein soll. Von © wissen wir, dass es schon bei einer mässig hohen Temperatur in OÖ umgewandelt wird, und ich habe allen Grund anzunehmen, dass durch Erhitzung auch &) in O sich überführen lässt. Nun beim Zusammentreffen des Bariumsuperoxides mit dem Schwefelsäurehydrat findet eine starke Erhitzung statt, und wenn auch durch SO; aus BaO; das @) als solches abgetrennt wird, so muss dasselbe doch sofort eine Zustandsveränderung erleiden, d. h. aus © O werden und entgeht hierbei nur ein kleiner Bruchtheil des entbundenen Sauerstoffes dieser durch die Wärme be- werkstelligten Umwandlung. . Ich finde in der That, und es ist von mir schen früher auf diesen Umstand aufmerksam gemacht worden, dass der aus BaO, entwickelte Sauerstoff um so stärker riecht, oder mit Wasser um so mehr HO: erzeugt, also um so reicher an &) ist, je sorgfältiger bei seiner Abscheidung die Er- hitzung vermieden wird, was einfach schon dadurch ge- schehen kann, dass man je auf einmal nur kleine Quanti- täten fein zertheilten BaO; mit verhältnissmässig grossen Mengen möglichst kalten Schwefelsäurehydrates in Berüh- rung setzt. Es ist daher für mich sehr wahrscheinlich, dass das ganze zweite Sauerstoffäquivalent des Bariumsuperoxi- 162 des im &)-Zustand erhalten und gar kein O auftreten würde, falls es möglich wäre, seine Abtrennung von BaO ohne Erhitzung zu bewerkstelligen. Diese Bedingung habe ich so zu erfüllen gesucht, dass ich anstatt des Schwefelsäurehydrates das feste Kalibisul- fat in Anwendung brachte und innig mit Bariumsuperoxid _mengte. Aus einem solchen Gemeng entbindet sich aller- dings bei gewöhnlicher Temperatur einiges freie &), wie daraus zu schliessen, dass feuchtes Jodkaliumstärkepapier, in einem verschlossenen Gefäss aufgehangen, dessen Boden mit dem besagten Gemeng bedeckt ist, nach und nach auf das Tiefste sich bläut oder trockenes sich bräunt; es geht jedoch diese Entwicklung so langsam von Statten, dass ein solches Verfahren nicht praktisch ist. Da schon das an HO, BaO u. s. w. gebundene © nicht - nur mit dem freien — sondern auch gebundenen © zu O sich auszugleichen vermag, so stand zu erwarten, dass auch das freie &) einen desoxidirenden Einfluss auf die Q)-hal- tigen Verbindungen ausüben werde. Und dem ist auch so, wie diess die nachstehenden Angaben zeigen werden. Aus einem Gemische verdünnter Kaliumeisencyanid- und Eisenoxidsalzlösung wird meinen Versuchen gemäss durch Wasserstoffsuperoxid u. s. w. Berlinerblau ausge- schieden in Folge der durch &) unter diesen Umständen bewerkstelligten Reduction des Eisenoxides zu Oxidul. Um nun in bequemster Weise zu zeigen, dass auch das freie @ diese Reduction bewirke, führe man einen mit dem besag- ten Gemische getränkten Streifen weissen Filtrirpapieres in den aus BaO, eben sich entbindenden Sauerstoff ein und man wird sehen, dass das Papier um so rascher sich bläut, je stärker der besagte Sauerstoff ozonartig riecht. Ein glei- cher Streifen in ozonisirtem Sauerstoff aufgehangen, zeigt diese rasche Bläuung durchaus nicht und verhält sich darin wie in gewöhnlichem Sauerstoff oder in atmosphärischer Luft. 163 Da die meisten organischen Materien und namentlich auch das Papier reducirend auf die gelösten Eisenoxidsalze einwirken, so bläut sich allerdings ein mit dem erwähnten Gemisch getränkter Papierstreifen nach und nach von selbst; dass aber die Bläuung des Reagenspapieres in @ nur zum kleinsten Theile von dieser Ursache herrühre, beweist die viel grössere Raschheit, mit der die Färbung des Papieres in dem besagten Gas erfolgt, wie man sich hievon leicht dadurch überzeugt, dass man ein Ende des getränkten Strei- fens in das &)-haltige Gefäss bringt, während man das an- dere Ende ausserhalb d. h. in der atmosphärischen Luft hängen lässt. Der eingeschlossene Theil des Papieres wird in der gleichen Zeit ungleich tiefer sich bläuen, als diess der freie thut. Da dieses Reagenspapier im ozonisirten Sauerstoff nicht schneller als im gewöhnlichen sich bläut, so lässt sich auch dasselbe benützen, um das Ozon vom Antezon, die sich in mancher Beziehung doch sehr ähnlich sind, leicht von einander zu unterscheiden. Mir vorbehaltend, in einer künftigen Mittheilung über die Verschiedenheit des electromotorischen Verhaltens bei- der thätigen Sauerstoffarten Näheres zu sagen, will ich mich heute auf die Angabe beschränken, dass wie © so auch @&) das Platin negativ polarisirt, letzteres jedoch gegen ® ‚positiv sich verhält. | Da ich es für wahrscheinlich halte, dass freies &) mit freiem ©) eben so zu O sich ausgleichen werde, wie diess das gebundene & und © in den Antozoniden und Ozoni- den thun, so vermuthe ich auch, dass die beiden thätigen Sauerstoffarten bei ihrem Zusammentreffen geruchlos wer- den, worüber ich demnächst Versuche anzustellen gedenke. Kaum werde ich zu sagen brauchen, dass ich das Be- . stehen des freien positiv-activen Sauerstoffes als einen wei- tern Beweis für die Richtigkeit meiner Annahme betrachte, dass der gewöhnliche Sauerstoff der chemischen Polarisa- 164 tion fähig sei, obwohl ich der Ansicht bin, dass die schon früher von mir ermittelten Thatsachen zu diesem Schlusse vollkommen berechtigten. Wenn nun unlängst die Behaup- tung ausgesprochen worden ist, dass die heutige Typen- theorie meine Annahme überfiüssig mache und alle die un- gewöhnlichen, den Sauerstoff betreffenden Thatsachen, mit welchen ich die Gesellschaft seit einigen Jahren unterhalten habe, genügend zu erklären vermöge, so will ich die Ent- scheidung hierüber der Zeit überlassen. Was mich betrifft, so bin ich der Meinung, dass meine Annahme ungleich we- niger hypothetisch, als die Theorie sei, durch welche jene beseitiget sein soll. Wie räthselhaft die nächste Ursache der von mir an- genommenen Verschiedenheit der Zustände des Sauerstoffes- uns dermalen auch noch erscheinen muss, so kann dieser Umstand selbst doch wohl kein Grund sein, wesshalb diese Zustände nicht in Wirklichkeit zu bestehen vermöchten. Sollte es aber mit dieser dreifachen Zuständlichkeit des Sauerstoffes denn doch seine Richtigkeit haben, so sieht man leicht ein, dass eine solche Thatsache für die theo- retische Chemie nichts weniger als ganz gleichgültig sein könnte. Und wolite man durch eine Hypothese, die selbst wieder auf Hypothesen gebaut ist, die chemische Polari- sation des Sauerstoffes wegerklären, so würde dadurch, fürchte ich, der Wissenschaft, welche es doch vor Allem mit Wirklichkeiten zu thun hat, kein sehr grosser Vorschub seleistet werden. ë t Alles, was ich bei der Beurtheilung meiner Ansicht gethan wünsche, ist einfach diess: dass nicht nur diese oder jene, sondern die sämmtlichen Thatsachen, aus wel- chen ich glaubte, die chemische Polarisation des Sauer- stoffes folgern zu dürfen, mit Unbefangenheit gewürdiget werden. Findet man dann für alle diese Thatsachen eine Deutung besser und gegründeter, als die Meinige ist, so 165 werde ich sicherlich der Erste sein, der seinen Irrthum unumwunden anerkennt. Da aber zur Zeit eine solche Er- klärung noch nicht vorliegt, so wird man mir es wohl auch nicht verübeln, wenn ich einstweilen noch bei meiner bis- herigen Ansicht verbleibe. IL. Ueber das Vorkommen des freien positiv-activen Sauerstoffes in dem Wölsendorfer Flussspaih. Im Jahre 1842 machte Herr Schafhäutl die Chemiker auf dieses so merkwürdige Mineral durch eine Arbeit auf- merksam, in welcher er zu zeigen suchte, dass es eine kleine Menge unterchlorichtsauren Kalkes enthalte und von diesem Salze der eigenthümliche Geruch herrühre, welcher sich beim Reiben des Wölsendorfer Flussspathes in so auf- fallender Weise entwickelt. Vor mehreren Jahren stellte ich mit einer sehr kleinen und von fremdartiger Materie stark durchsetzten Menge dieses Spathes einige Versuche an, die unzweifelhaft zeigten, dass das Mineral ein oxidi- rendes Agens enthält, indem es das Vermögen besass, Jod- kaliumstärkepapier zu bläuen, Indigolösung zu zerstören u. s. w. Diese und noch einige andere, das Verhalten des Spathes betreffenden Angaben theilte ich der hiesigen na- turforschenden Gesellschaft in einer Notiz mit, welche sich auch in Erdmann’s Journal abgedruckt findet und in der ich mich dahin aussprach, dass der eigenthümliche Geruch, die oxidirenden Wirkungen u. s. w. des fraglichen Flussspathes durch die Annahme des Hrn. Schafhäutl noch am genügend- sten sich erklären lassen. Herr Schrötter machte unlängst die Ergebnisse seiner mit dem gleichen Mineral angestellten Versuche bekannt, 166 welche den Wiener Chemiker zu dem Schlusse führten, dass es Ozon enthalte und dieser Materie seinen eigen- thümlichen Geruch, oxidirende Wirkungen u. s. w. ver- danke. Der Schrötter'sche Aufsatz veranlasste Herrn Schaf- häutl, mir einige hundert Gramme des Wölsendorfer Fluss- spathes gütigst mit dem Gesuche zu übersenden, denselben einer sorgfältigen Untersuchung zu unterwerfen, um wo möglich die bis dahin zweifelhaft gebliebene Natur der in dem Mineral enthaltenen riechenden und oxidirenden Mate- rie zu ermitteln. Diesem Wunsche entsprach ich sofort um so bereit- williger, als mich der Gegenstand selbst aus mehr als ei- nem Grunde nicht wenig interessiren musste, Herrn Schröt- ter’s Angaben aller Beachtung werth waren und mir durch die Freigebigkeit des Herrn Schafhäutl endlich ein Material zur Verfügung gestellt wurde, so vortrefllich, wie ich es bis dahin nie gesehen hatte und für die gewünschte Unter- suchung nicht besser hätte sein können. Der mir überschickte Flussspath von tief schwarzblauer Färbung zeigt durch seine ganze Masse hindurch beinahe keine fremdartige Beimengung, sehr ungleich den früher von mir untersuchten Stückchen, und entwickelt beim Reiben einen ganz ungewöhnlich starken Geruch. Ich erlaube mir nun die Ergebnisse meiner mit diesem Material in neuester Zeit angestellten Untersuchungen der Gesellschaft mitzutheilen, von denen ich glaube, dass sie in mehr als einer Hinsicht ein ungewöhnliches interesse be- sitzen und dem Wölsendorfer Flussspath eine ganz eigen- thümliche Bedeutung verleihen. Was nun zunächst den eigenthümlichen Geruch betriftt, welchen unser Spath schon beim Ritzen mit dem Messer und noch stärker beim Reiben entwickelt, so ähnelt er un- streitig demjenigen des Ozones, ist aber von diesem den- A ER Ba A a re N nr 167 noch unverkennbar verschieden, wie ich mich hievon durch zahlreiche Vergleichungen überzeugt habe. Zerreibe ich rasch ein grösseres Stück des Minerales, d. h. kommt der Spathgeruch mit möglichster Stärke in die Nase, so erregt er mir Ekel, welche Wirkung, wie schon bemerkt, das von mir durch die Nase eingeathmete Ozon durchaus nicht her- vorbringt. Wie untergeordneten Werth ich nun auch auf die wahr- genommene Verschiedenheit beider Gerüche lege, so liess sie mich doch an der Richtigkeit der Schrôtter schen An- nahme zweifeln, dass im Wölsendorfer Flussspath Ozon enthalten sei, wie sehr auch einige der von dem Wiener Chemiker vorgebrachten Gründe zu Gunsten seiner Ansicht sprechen mochten. Dieser Zweifel wurde noch dadurch ver- stärkt, dass ich nicht umhin konnte, zwischen dem Geruche des aus BaO, entwickelten Sauerstoffes und demjenigen un- seres Flussspathes eine grosse Aehnlichkeit wahrzunehmen. Ich musste es daher für möglich halten, dass in diesem Mineral freies Antozon oder positiv-activer Sauerstoff ein- geschlossen sei, und dass ich richtig vermuthete, werden die nachstehenden Angaben ausser Zweifel stellen. Reibt man 20 Grm. des Spathes mit 60 Grm. destillir- ten Wassers 10—15 Minuten lang lebhaft zusammen, so _ wird auch unter diesen Umständen der eigenthümliche Ge- ruch, besonders im Anfange der Operation, noch deutlich wahrgenommen und bringt die vom Mineral abfiltrirte Flüs- sigkeit folgende Wirkungen hervor: 1. Sie wird durch Silbernitratlösung nicht, äusserst schwach durch kleesaures Ammoniak und eben so durch verdünnte Schwefelsäure getrübt. 2. Sie bläut für sich allein den verdünnten Jodkalium- kleister gar nicht oder nur äusserst schwach, thut diess aber augenblicklich und auf das allerstärkste beim Zufügen einiger Tropfen verdünnter Eisenvitriollösung. Es darf je- 168 doch hier der Umstand nicht unerwähnt bleiben, dass das Wasser, nachdem es nur kurze Zeit, z. B. eine halbe Mi- nute mit dem Spathe zusammen gerieben und dann abfiltrirt worden, für sich allein den Jodkaliumkleister auf das Tief- ste bläut, diess aber nach kurzem Stehen nur unter Mit- wirkung der erwähnten Eisenoxidulsalzlösung thut. 3. Sie entfärbt sofort eine schon merklich stark ge- röthete und mit SO; angesäuerte Lösung des Kaliperman- ganates unter Entbindung von Gasbläschen. 4. Sie bläut ziemlich rasch das bräunliche Gemisch verdünnter Kaliumeisencyanid- und Eisenoxidsalzlösung un- ter allmähliger Fällung von Berlinerbiau. 5. Gebläut durch indigotinctur, zerstört sie für sich allein den ihr beigemischten Farbstoff nur langsam, bei Zu- satz einiger Tropfen verdünnter Eisenvitriollösung aber bei- nahe augenblicklich. 6. Sie bläut für sich allein die Guajaktinetur nicht, wohl aber unter der Mitwirkung gelöster Blutkörperchen. ee 7. Mit einigen Tropfen verdünnter SO;-haltiger Chrom- säurelösung vermischt, färbt sie sich merklich blau, welche Färbung aber bald verschwindet unter noch sichtlicher Gas- entbindung und Bildung von Chromoxidsulfat. 8. Mit dem gleichen Volumen reinen Aethers und ei- nigen Tropfen SO;-haltiger Chromsäurelösung zusammen ge- sehüttelt, färbt sie jenen merklich stark lasurblau. 9. Mit Platinmohr oder Bleisuperoxid nur kurze Zeit zusammen geschüttelt, verliert sie unter noch wahrnehm- barer Gasentbindung das Vermögen, die unter $$. 2—8. be- schriebenen Wirkungen hervorzubringen. | Aus $.1. erhellt, dass unsere Flüssigkeit keine erkenn- bare Menge Chlores, und nur schwache Spuren einer Sub- stanz enthalte, fällbar durch kleesaures Ammoniak und Schwefelsäure. Ob dieselbe Kalk oder Baryt, ob beides oder etwas Anderes sei, und an welche Säure oder Säuren 169 diese nur spurweise vorhandene Base oder Basen gebun- den, kann nur an grösseren Mengen unseres Flussspathes ermittelt werden. Was dagegen die unter $$. 2—9. erwähnten Reactio- nen betrifft, so lassen sie keinem Zweifel Raum, dass die besagte Flüssigkeit in schon merklicher Menge Wasserstofl- superoxid enthalte, und es fragt sich nun, wie das Auftre- ten dieser Verbindung in dem mit unserem Flussspathe be- handelten Wasser zu erklären sei. Selbstverstanden ist die Annahme, dass HO: bereits fertig gebildet in dem Mineral vorkomme, eine durchaus unzulässige, einfach schon desshalb, weil das Wasserstofl- superoxid geruchlos ist und bei gewöhnlicher Temperatur sich leicht zersetzt. Da das in unsern Laboratorien berei- tete concentrirte HO; — und in diesem Zustande müsste es doch wohl im Spathe vorhanden sein — so rasch in Was- ser und Sauerstoff zerfällt, so wäre die Annahme, dass diese lockere Verbindung in dem Wölsendorfer Mineral seit Jahr- tausenden unzerlegt sich erhalten hätte, eine ziemlich kühne Voraussetzung. Reibt man den Spath so lange trocken, bis er in das feinste Pulver verwandelt ist, d. h. so lange, bis weiteres Reiben keinen Geruch mehr aus ihm entwickelt, so hat er auch das Vermögen eingebüsst, mit Wasser zusammen ge- rieben, HO: zu erzeugen. Wird das Mineral gehörig lange mit Wasser zusammen gerieben, unter mehrmaliger Er- neuerung dieser Flüssigkeit, so geht ihm auch unter diesen Umständen die Fähigkeit verloren, mit weiterem Wasser -wie immer lange behandelt, selbst nur die kleinste Spur von HO, zu bilden, oder im trockenen Zustande gerieben, irgend welchen Geruch zu entwickeln. Rieb ich 10 Grm. Spathes mit 20 Grm. Wassers 10 Minuten lang lebhaft zu- sammen, wurde dann das Wasser entfernt und das Mineral abermals mit neuen 20 Grm. Wassers 10 Minuten zusammen 12 170 gerieben, so vermochte die abfiltrirte Flüssigkeit unter Mit- hilfe der Eisenvitrio!lösung den Jodkaliumkleister noch stark zu bläuen, wie auch die übrigen Reactionen des Wasser- stoffsuperoxides noch sehr augenfällig hervorzubringen, und doch war das Vermögen des Spathes, HO, zu erzeugen, noch nicht erschöpft. Um zu diesem Ziele zu gelangen, musste ich die gleiche Operation fünfmal wiederholen und dabei 190 Grm. Wassers verwenden. Ebenso verliert durch kurze Erhitzung unser Flussspath die Fähigkeit, beim Rei- ben einen Geruch zu entwickeln und damit auch das Ver- mögen, mit Wasser HO; hervorzubringen. ' | Ausser dem Wölsendorfer Mineral untersuchte ich auch einige andere Flussspäthe verschiedener Fundorte, fand jedoch keinen, der Wasserstofisuperoxid auch nur spur- weise erzeugt hätte, es ging aber auch allen diesen Späther die Bigenschaft ab, beim Reiben einen Geruch von sich zu seben. In unserer öffentlichen Mineraliensammlung befindet sich indessen ein blauer Flussspathsand, die sogenannte „Flusserde“, welcher beim Reiben einen sehr schwachen Geruch zeigt, und mit verhältnissmässig wenig Wasser zu- sammen gerieben, eine Flüssigkeit liefert, welche die Reac- tionen des Wasserstoffsuperoxides hervorbringt, zwar in einem schwachen, aber doch noch augenfälligen Grade. Als Fundort dieser Flusserde ist „Wasendorf“ angegeben, was vermuthen lässt, dass es Wölsendorf heissen sollte. Alle diese Thatsachen, denke ich, beweisen zur Ge- nüge, dass die Fähigkeit des Wölsendorfer Flussspathes, während seiner mechanischen Zertheilung eine eigenthüm- lich riechende Materie zu entwickeln, auf das Innigste zu- sammenhängt mit dem so merkwürdigen Vermögen, beim Zusammenreiben mit Wasser HO, zu erzeugen, dass mit andern Worten die in dem Mineral eingeschlossene rie- chende Materie es ist, welche mit HO das Wasserstoff- superoxid hervorbringt. sé re ad 171 In dem voranstehenden Aufsatz ist gezeigt worden, dass freies &) mit HO unmittelbar zu HO: zusammentrete, das freie Ozon oder ©) aber vollkommen gleichgültig ge- gen das Wasser sich verhalte. Da nun erfahrungsgemäss die riechende Materie des Wölsendorfer Flussspathes mit HO ebenfalls HO, erzeugt, so sind wir, denke ich, voll- kommen zu dem Schlusse berechtigt, dass sie nichts ande- res als positiv-activer Sauerstoff oder Antozon sei. Die Anwesenheit des freien & in dem besagten Spathe erklärt auf die einfachste Weise die Eigenthünilichkeiten des Minerales: beim Zerreiben desselben wird das darin eingeschlossene Antozon seiner Gasförmigkeit halber ent- weichen und den eigenthümlichen Geruch verursachen; beim Zusammenreiben des Spathes mit Wasser tritt der grössere Theil des Antozones an HO, um Wasserstoffsuperoxid zu erzeugen, während der kleinere Theil in die Luft geht, und durch Erhitzung verliert das Mineral seine Eigenschaften einfach desshalb, weil unter diesen Umständen © in O übergeführt wird. Für die @&-haltigkeit des Wölsendorfer Flussspathes kann noch ein anderer Beweis sehr schlagender Art ge- führt werden, welcher. auf der Thatsache beruhet, dass © und ©) zu © sich ausgleichen. Ist in diesem Mineral wirk- lich © vorhanden, so kann dasselbe mit einem Ozonid und Wasser zusammen gerieben, kein Wasserstoffsuperoxid mehr erzeugen, desshalb nämlich, weil der negativ-active Sauer- stoff des Ozonides mit dem (5 des Spathes zu O sich neu- tralisirt und dieses als solches der chemischen Verbindung mit Wasser. unfähig ist. Reibt man gleiche Theile des Spa- thes und Bleisuperoxides (PbO + ©) auch noch so lange zusammen, so wird das Wasser dennoch keine Spur von HO, enthalten, eben so wenig als meinen früheren Versu- chen gemäss diese Verbindung aus einem mit einer wäss- rigen Säure behandelten Gemeng von BaO + (©) und PbO + 12* 172 erhalten werden. kann. Ich will beifügen, dass auch die übrigen (-haltigen Verbindungen wie das Bleisuperoxid sich verhalten, in welcher Hinsicht namentlich die Ueber- mangansäure erwähnt zu werden verdient, die unter geeig- neten Umständen durch unsern Spath zu Manganoxidul re- ducirt wird. Reibt man eine gehörige Menge dieses Minerals mit stark verdünnter, aber doch noch deutlich gerötheter und durch SO, angesäuerter Lösung des Kalipermanganates zusammen, so wird die abfiltrirte Flüssigkeit entfärbt er- scheinen, was die stattgefundene Reduction der Ueberman- gansäure beweist, welche selbstverständlich durch das & des Spathes bewerkstelliget wird. Dass die Flüssigkeit kein HO, enthalte, ist kaum nothwendig ausdrücklich zu bemerken. Es ist weiter oben der sonderbaren Thatsache erwähnt worden, dass das frisch mit dem Spath abgeriebene Was- ser für sich allein den Jodkaliumkleister augenblicklich tief zu bläuen vermöge, diese Eigenschaft aber schon nach kur- zer Zeit nicht mehr zeige, um dann nur unter Mithilfe einer Eisenoxidulsalzlösung die gleiche Wirkung in noch augenfälligerer Weise hervorzubringen. Diese Thatsache hat höchst wahrscheinlich darin ihren Grund, dass anfäng- lich noch ein Theil des Antozones im Wasser bloss gelöst und eben dieses noch freie & es ist, welches das Jod aus dem Jodkalium des Kleisters frei macht. Bald vereiniget sich jedoch dieses Antozon mit dem Wasser zu HO:, wel- ches nach meinen Erfahrungen im stark verdünnten Zustand den Jodkaliumkleister nur bei Anwesenheit eines Eisen- oxidulsalzes augenblicklich zu bläuen vermag. Ueber die Menge des im Wölsendorfer Flussspath ent- haltenen Antozones habe ich ebenfalls einige Versuche an- gestellt, welche ich indessen nur als vorläufige angesehen wissen möchte. Da bekanntlich die Uebermangansäure der SO;-haltigen Lösung des Kalipermanganates durch HO; unter 173 Entbindung von O, Bildung von Manganoxiduisulfat und Entfärbung der Flüssigkeit zu Manganoxidul reducirt wird und angenommen werden darf, dass der in Mn: O2 + 1e enthaltene negativ-active Sauerstoff die gleiche Menge po- sitiv-activen Sauerstoff zur Ueberführung in OÖ erfordere, so habe ich hierauf zur Bestimmung des (&-Gehaltes des Wölsendorfer Flussspathes eine Titrirmethode zu gründen versucht. Fünf Gramme dieses Spathes wurden erst 40 Mi- nuten lang mit 50 Grm. Wassers, welches 1 % Schwefel- säure !) enthielt, lebhaft zusammen gerieben; hatten sich die gröblichern Theile des Minerales aus der Flüssigkeit abgesetzt, so wurde diese auf ein Filtrum gegossen, der rückständige Spath noch zweimal mit je 25 Grm. angesäuer- ten Wassers abgerieben und Alles auf das Filter gebracht. Nachdem die Flüssigkeit vollständig abgefröpfelt war, wusch ich den Rückstand mit noch weitern 25 Grm. sauren Was- sers aus, in der Absicht, auch noch die letzten Spuren des darin vorhandenen HO; wegzunehmen. Da das zurückge- bliebene Spathpulver, aufs Neue mit Wasser zusammen ge- rieben, keine nachweisbare Spur von Wasserstoffsuperoxid mehr zu erzeugen vermochte, so konnte der &-gehalt des Minerales als vollkommen erschöpft betrachtet werden. ‘Zu dem gesammten, mit dem Spath erhaltenen HO;-hal- tigen Wasser tröpfelte ich so lange ebenfalls angesäuerte Kalipermanganatlösung, als diese noch entfärbt wurde, und ich füge bei, dass die besagte Lösung so titrirt war, dass ein Gramm derselben ein Milligramm negativ-activen Sauer- stoffes (auf 99,6 Grm. Wassers 0,4 Grm. reinsten Kaliper- manganates) enthielt, also ein Grm. dieser Lösung auch ein 1) Ich wählte SO;-haltiges Wasser in der Absicht, durch die An- wesenheit einer kräftigen Säure das unter diesen Umständen sich bildende Wasserstoffsuperoxid möglichst vor Zersetzung zu schützen. 174 Milligrm. positiv-activen Sauerstoffes zur vollständigen Ent- färbung erforderte. Ich fand nun, dass ein Grm. der titrir- ten Kalipermanganatlösung durch das mit 5 Grm. Fluss- spathes erhaltene Wasserstoffsuperoxid entfärbt wurde, was also auf ein Miiligrm Antozongehaltes des von mir unter- suchten Minerales schliessen liess, unter der Voraussetzung nämlich, dass alles im Spathe vorhandene &) zur Bildung von Wasserstoffsuperoxid verwendet und auch kein HO: während der Behandlung des Minerales mit Wasser zer- setzt worden sei. Während dieser Operation aber, nament- lich im Anfange derselben, wird ein ziemlich starker Ge- ruch währgenommen, was zeigt, dass einiges Antozon selbst durch das Wasser in die Luft tritt und daher für die Bil- dung von HO: verloren geht; es dürfte jedoch dieser Ver- lust nur ein kleiner und ein noch unbedeutenderer derjenige sein, welcher zersetztem HO, beizumessen ist. Von diesem gedoppelten Verlust abgesehen, würde also dem vorläufigen Versuche zufoige der von mir untersuchte Wölsendorfer Flussspath oo seines Gewichtes freies An- tozon eingeschlossen halten oder wären fünf Grm. dessel- ben im Stande, mit Wasser 2,125 Milligr. Wasserstoffsuper- oxides zu erzeugen. Man siehet jedoch leicht ein, dass grössere Mengen unseres Spathes in Untersuchung genom- men werden müssen, damit eine möglichst genaue Bestim- mung seines &)-gehaites möglich sei, und da mir gegen- wärtig nur noch eine kleine Menge dieses Minerales zu Gebot steht und ich noch eine Reihe anderartiger Versuche damit anzustellen gedenke, so muss ich weitere analyti- sche Versuche noch auf so lange verschieben, bis ich gün- stiger beumständet bin. So viel geht aber jetzt schon aus dem erhaltenen Ergebniss hervor, dass die Mengen des in dem Minerale enthaltenen &) keinesweges verschwindend kleine sind. Auf die Frage, wie das Antozon in den Wölsendorfer + 175 Flussspath gekommen, weiss ich dermalen noch keine Ant- wort zu geben und ich fürchte, es dürfie eine solche nech lange auf sich warten lassen; jeden Falles beweist aber die Anwesenheit desselben in dem Mineral, dass dieses seit seinem jetzigen Bestande keiner höhern Temperatur ausgesetzt sein konnte. Ob &) schon bei der ursprünglichen Bildung des Spathes vorhanden gewesen oder ob es erst später in denseiben gekommen sei, und ob das blaue Pig- ment des Materiales in irgend einer Beziehung zu seinem (D-gehalt stehe, auf diese Fragen weiss ich ebenfalls Nichts zu erwidern. Zur Lösung dieser Räthsel scheint mir vor Allem noth- wendig zu sein, dass die Flussspätke aller Fundorte und namentlich die tiefgebläueten einer sorgiältigen Untersu- chung unterworfen werden, um sich zu vergewissern, ob das Wölsendorfer Mineral durch seinen &-Gehalt einzig dastehe, oder ob es auch noch Ähnliche Späthe anderwärts gebe, was ich nicht für unwahrscheinlich halten möchte. !) _Da im Interesse der Wissenschaft zu wünschen ist, dass eine derartige Untersuchung der verschiedenen Fluss- späthe von den Mineralogen möglichst bald’ unternommen werde, so will ich denselben einige einfache Mittel ange- ben, welche es ihnen möglich machen, in wenigen Minuten zu entscheiden, ob ein Fiussspath @-haltig sei oder nicht. Zu diesem Behufe reibe man einige Gramme des zu prü- fenden Minerales mit etwa 10 Grammen Wassers einige Minuten lang lebhaft zusammen, filtrire die Flüssigkeit vom Spathe ab, theile dieselbe in zwei Hälften, füge zu der Einen mehrere Tropfen verdünnten Jodkaliumkleisters 1) Wie mir scheint, dürfte es passend sein, den @&)-haltigen von dem gewöhnlichen Flussspathe durch einen eigenen Namen zu unterscheiden, was füglich durch das Wort „Antozonit“ gesche- hen könnte. 176 und dann einen oder zwei Tropfen verdünnter Eisenvitriol- lösung. Bläut sich dieses Gemisch sofort, so lässt sich schon mit grosser Wahrscheinlichkeit auf die @&)-haltigkeit des Minerales schliessen. Versetzt man die andere Hälfte der Flüssigkeit mit einer kleinen Menge des bräunlichen, aus verdünnter Kaliumeisencyanid- und Eisenoxidsalzlösung be- stehenden Gemisches und tritt bald eine Bläuung dieses Gemenges ein, so ist nicht im geringsten daran zu zwei- feln, dass der untersuchte Spath @&-haltig sei. Auf diese Weise lassen sich noch ausnehmend kleine Mengen Anto- zones nachweisen. Bei Späthen, welche durch &-Reichthum demjenigen von Wölsendorf gleichen sollten, lässt sich der &-Gehalt noch rascher ermitteln. Man lege in ein Agatschälchen ein erbsengrosses Stückchen solchen Spathes, darauf ein Blätt- chen Filtrirpapieres, auf dieses einen Streifen trockenen Ozonpapieres und zerdrücke rasch mit einem Pistille das Mineral. Sind darin nur einigermaassen merkliche Mengen von &) enthalten, so wird der Theil des Reagenspapieres, welcher dem zerdrückten Spath am nächsten gelegen, deut- lich gebräunt und beim Befeuchten mit Wasser stark ge- bläut. Diese Reaction beruht auf einer oxidirenden Wirkung des Minerales; nun vermag aber auch der positiv-active Sauerstoff reducirende Wirkungen hervorzubringen, wie diess bereits in dem voranstehenden Aufsatze bemerkt worden ist. Um in einfachster Weise auch durch eine solche Re- action sich von der Anwesenheit des Antozones im Mineral zu überzeugen, wende man anstatt des Jodkaliumstärkepa- pieres einen mit verdünnter Kaliumeisencyanid- und Eisen- oxidsalzlösung getränkten Streifen weissen Filtrirpapieres an und verfahre im Uebrigen, wie vorhin angegeben. Im Falle der Spath eine merkliche Menge Antozones enthält, 17% wird das besagte Reagenspapier rasch gebläut, in Folge der Bildung von Berlinerblau, und ich brauche kaum zu sagen, dass der Wölsendorfer Flussspath diese so charak- teristische Reaction in augenfälligster Weise hervorzubrin- gen vermag. x Dass das Vorkommen freien Antozones im Wölsendor- fer Flussspath ungleich interessanter sei als dasjenige eines Hypochlorites diess wäre, springt in die Augen, und Herr Schafhäutl hat jedenfalls wesentlich zur Entdeckung dieser ausserordentlichen Thatsache dadurch beigetragen, dass er früh schon und wiederholt auf das so ungewöhnliche Mi- neral die wissenschaftliche Welt aufmerksem machte und das geeignete Material zur genauen Untersuchung mir in die Hände gab. Aber auch der Schrötter’schen Arbeit, ob- wohl sie nicht ganz das Richtige getroffen, kommt das Ver- dienst zu nachgewiesen zu haben, dass der Geruch und die oxidirenden Wirkungen des Wölsendorfer Flussspathes nicht von Kalkhypochlorit, sondern von activem Sauerstoffe her- rühren, der nun freilich nicht als das eigentliche Ozon, son- dern als dessen Gegenfüssler sich herausgestellt hat. Ueber die Nitrifieation. Es wird wohl kein Chemiker in Abrede stellen, dass die Oxidationsstufen des Stickstoffes zu den wichtigsten Verbindungen der Chemie gehören und desshalb eine ge- naue Kenntniss ihrer Bildungsweisen höchst erwünscht sei. Der ausgedehnten Anwendung halber, welche man von der Salpetersäure und einigen ihrer Salze macht, bietet nament- lich die Nitrification noch ein hohes praktisches Interesse dar, wesshalb dieselbe auch schon seit lange Gegenstand zahlreicher Untersuchungen gewesen ist. Und man darf wohl 178 sagen, dass eine nicht kleine Zahl wichtiger hierauf sich beziehender Thatsachen ermittelt worden ist, von Priest- leys und Cavendish’s Zeiten an bis auf unsere Tage herab. Aber immer noch, denke ich, haben wir den merkwürdigen Vorgang der Salpeterbildung nicht vollständig erkannt und lassen daher unsere Erklärungen darüber auch noch Vieles zu wünschen übrig. Diese Lückenhaftigkeit hat mich veranlasst, in neuester Zeit eine Reihe von Versuchen über die Nitrification anzu- stellen, und da ich glaube, dass die dabei gewonnenen Er- gebnisse zur genauern Kenntniss dieses chemischen Vor- ganges Einiges beitragen dürften, so erlaube ich mir, die- selben der Gesellschaft vorzulegen, um so eher, als sie sich, zum Theile wenigstens, an meine bisherigen Arbeiten über den Sauerstoff eng anschliessen. Zum bessern Ver- ständniss der von mir ermittelten neuen Thatsachen wird es zweckdienlich sein, zuerst die Mittel anzugeben, deren ich mich bei meinen Untersuchungen bedient habe und wel- che es möglich gemacht, einige wichtige mit der Nitrifica- tion zusammenhängende Vorgänge kennen zu lernen. 1. Ueber die empfindlichsien Beagentien auf die sal- petrichte Säure und Salpetersäure, die Niträte und Nitrate. Die salpetrichte Säure, oder was man-sonst so nennt, wie auch die Untersalpetersäure mit Wasser gemischt, lie- fert eine Flüssigkeit, welche meinen Versuchen gemäss ein oxidirendes Vermögen besitzt, viel grösser, als dasjenige, das einem gleich wasserreichen Salpetersäuregemisch zu- kommt, so dass das letztere auf manche oxidirbaren Sub- 179 . stanzen gar nicht mehr einwirkt, weiche von Ersterem noch auf das Lebhafteste oxidirt werden. Eine Materie dieser Art ist das Jodkalium, wesshalb dasselbe auch in Verbin- dung mit Stärkekleister als höchst empfndliches Reagens auf NO, und NO, dienen kann. Wasser mit einem Zehntausendstel NO, oder NO, ver- mischt, färbt für sich allein den Jodkaliumkleister augen- blicklich klauschwarz; Wasser mit einem Hunderttausend- stel Säure ebenso, bei Anwesenheit von etwas Schwefel- säure; ja SO;-haltiges Wasser, dem nur ein Milliontel einer jener Säuren zugefügt worden, vermag den besagten Klei- ster, wenn auch nicht mehr augenblicklich, doch bald noch deutlich zu bläuen. Die grössere Empfindlichkeit, welche der Jodkaliumkleister bei Anwesenheit von SO; gegen die stark verdünnten Säuregemische zeigt, rührt ohne Zweifel davon her, dass die Schwefelsäure die Bildung von Kali- nitrit verhindert und desshalb das in ihnen enthaltene .oxi- dirende Agens gänzlich zur Zersetzung des im Kleister vor- handenen Jodkaliums dienen kann. Salpetersäure von 1,35 und völlig frei von NO,, auch nur mit wenigen Raumtheilen Wassers vermischt, ver- mag für sich allein (bei gewöhnlicher Temperatur) das Jod- ‚kalium schon nicht mehr sofort zu zersetzen und daher auch den mit diesem Salze versetzten Kleister nicht mehr zu bläuen. Die gleiche Säure, mit dem hunderifachen Volumen Wassers verdünut, welche also für sich allein den Jodka- liumkleister noch weniger bläut, thut diess jedoch augen- blicklich, wenn in das Gemisch ein Zinkstäbehen eingeführt wird. Tausendfach verdünnte SO;-haltige Säure bläut unter den gleichen Umständen den Kleister noch sehr rasch und selbst Wasser, das nur ein Zehntausendstel unserer Säure enthält und mit einiger Schwefelsäure versetzt ist, färbt unter Beihülfe des Zinkes den Kleister ziemlich bald violett und in 17, Stunden tiefblau, während der gleiche Kleister 180 blos mit SO:-haltigem Wasser vermischt, im Laufe dieser Zeit nur schwach violett gefärbt erscheint. Der Einfluss der Schwefelsäure beruhet auch in dem vorliegenden Falle wohl darauf, dass sie die Bildung eines Nitrites und Ni- trates verhindert und somit nach und nach alle vorhandene Salpetersäure durch das Zink auf diejenige Oxidationsstufe des Stickstoffes zurückgeführt wird, welche aus dem Jod- kalium selbst bei Anwesenheit von viel Wasser Jod abzu- scheiden vermag. Da die obigen Angaben auf eine Säure von 1,35 sich beziehen und eine solche nur etwa 44% NO; enthält, so ersieht man hieraus, dass mit Hülfe unseres Reagens we- nigstens noch ein Zwanzigtausendstel Salpetersäure im Was- ser sich erkennen lässt. Kaum wird es der ausdrücklichen Bemerkung bedürfen, dass der bei solchen Versuchen an- zuwendende Jodkaliumkleister durch verdünnte Schwefel- säure durchaus nicht gebläut werden darf. Nitrite. Wasser, das nur ein Zehntausendstel Kali- nitrites enthält und mit SO, schwach angesäuert ist, färbt den Jodkaliumkleister augenblicklich bis zur Undurchsich- tigkeit blau; gleich gesäuertes Wasser mit einem Hundert- tausendstel Nitrites thut diess in wenigen Sekunden und selbst Wasser, welches neben SO; nur ein Milliontel Ni- trites enthält, vermag den besagten Kleister im Laufe we- niger Minuten noch augenfälligst zu bläuen, aus welchen Angaben hervorgeht, dass es wohl kein anderes Reagens auf die Nitrite geben dürfte, das an Empfindlichkeit dem durch SO; angesäuerten Jodkaliumkleister gleich käme. Nitrate. Das mit chemisch reinem Kalisalpeter bei sewöhnlicher Temperatur gesättigte und durch verdünnte SO, angesäuerte Wasser bläut den Jodkaliumkleister nicht im Mindesten, wohl aber augenblicklich und bis zur Un- durchsichtigkeit tief beim Umrühren des Gemenges mit ei- nem Zinkstäbchen. SO;-haltiges Wasser mit einem Hun- 151 dertstel Salpetergehaltes thut diess in wenigen Sekunden, Wasser von einem Fünfhundertstel in einer halben Minute, Wasser von einem Tausendstel in einer Minute, und Was- ser von einem Fünftausendstel Salpetergehaltes in fünf bis sechs Minuten, natürlich immer unter Beihülfe eines Zink- stäbchens. Selbst ein Zehntausendstel Kalisalpeters lässt sich auf diese Weise im Wasser noch deutlich erkennen, und kaum ist nöthig beizufügen, dass wie dieses Salz, so auch die übrigen Nitrate sich verhalten. Selbstverständlich beruht die Wirksamkeit des Zinkes auf der durch dieses Metall bewerkstelligten theilweisen Desoxidation der Sal- petersäure, welche mittelst SO, aus den Nitraten in Frei- heit gesetzt wird. In einem folgenden Abschnitte wird ge- zeigt werden, dass sich noch viel kleinere Mengen eines Nitrates im Wasser sicher nachweisen lassen. 11. Ueber das Verhalten der drei Modificationen des Sauerstoffes zu den Nitriten. Ozonisirter Sauerstoff (©). Wird eine ver- dünnte wässrige Lösung des Kalinitrites mit ozonisirtem Sauerstoff in Berührung gesetzt, so verschwindet Letzterer ziemlich rasch und verwandelt sich das salpetrichtsaure Salz in Nitrat, was daran leicht erkannt wird, dass die be- sagte Lösung den durch SO; angesäuerten Jodkaliumkleister nicht mehr zu bläuen vermag. Die gleiche Lösung durch Ein- dampfen auf ein kleineres Volumen gebracht, färbt den an- gesäuerten Kleister tiefblau, falls man dieses Gemeng mit einem Zinkstäbchen umrührt, welche Reaction obigen An- gaben gemäss die Anwesenheit eines Nitrates anzeigt. Um von dieser oxidirenden Wirkung des ozonisirten 182 | 2 Sauerstoffes sich möglichst rasch und bequem zu überzeu- gen, hänge man einen Streifen Filtrirpapieres, getränkt mit einer Nitritlösung, die nur ein Hundertstel Salzes enthält, in ozonisirter Luft auf. Ist diese so stark mit Ozon bela- den, dass darin ein feuchter Streifen Jodkaliumstärkepapie- res augenblicklich sich schwarzblau färbt, so wird das ni- trithaltige Papier, nachdem es nur 10—15 Minuten in der Ozonatmosphäre verweilt hat, den mit SO, angesäuerten Jodkaliumkleister nicht mehr bläuen, was zur Genüge be- weist, dass in dem Papier auch keine Spur Nitrites mehr enthalten, d. h. dieses Salz vollkommen in Nitrat verwan- delt worden ist. Positiv-activer Sauerstoff (®). Meinen neue- sten Versuchen gemäss ist eine merkliche Menge freien positiv-activen Sauerstoffes im Wölsendorfer Flussspath ET Ba TE ee NE euthalten, und ich habe mich desshalb dieses merkwürdigen Minerales zunächst bedient, um das Verhalten des Antozo- nes gegen die Nitrite kennen zu lernen. Wird eine verhältnissmässig sehr kleine Menge einer stark verdünnten Kalinitritlösung, die aber den SQ;-haltigen Jodkaliumkleister noch tief zu bläuen vermag, mit dem ge- nannten Flussspathe ziemlich lange zusammen gerieben, so enthält die abfiltrirte Flüssigkeit immer noch Nitrit, wie man sich hievon mittelst des angesäuerten Kleisters leicht überzeugen kann, und diess ist selbst dann noch der Fall, wenn die gleiche Nitritlösung wiederholt mit neuen Portio- nen des Minerales in der besagten Weise behandelt wird. Diese Lösung enthält nun aber nachweisbare Mengen Was- serstoffsuperoxides, d. h. verhält sich wie reines mit ‘dem Spathe zusammen geriebenes Wasser, welche Thatsache beweist, dass das (P des Minerales, trotz der Anwesenheit des Nitrites, auf das vorhandene Wasser sich wirft und jenes Salz unoxidirt lässt. Eben so wenig wird das gelöste salpetrichtsaure Kali durch den mittelst conzentrirter Schwe- 183 felsäure aus dem Bariumsuperoxid entbundenen Sauerstof in Nitrat verwandelt, unter welchen Umständen ebenfalls Wasserstofisuperoxid entsteht. Ich glaube daher aus die- sen Thatsachen den Schluss ziehen zu dürfen, dass der freie positiv-active Sauerstoff als solcher gegen die Nitrite gleich- gültig sich verhalte. ’ Gewöhnlicher Sauerstoff (0). So weit meine Versuche bis jetzt gehen, berechtigen sie zu der Annahme, dass der gewöhnliche Sauerstoff als solcher die Nitrite nicht in Nitrate überzuführen vermöge. In einer geräumigen O-haltigen Flasche befinden sich sehon seit einigen Mona- ten 50 Gramme einer wässrigen Kalinitritlösung, die nur ein Tausendstel Salzes enthält, und obwohl dieselbe täglich zu wiederholten Malen mit dem überstehenden O lebhaft zusammen geschüttelt wird, so besitzt sie doch immer noch das. Vermögen, den angesäuerten Jodkalinmkleister auf das Tiefste zu bläuen. Streifen ungeleimten Papieres mit der gleichen Nitrit- lösung getränkt und getrocknet, hängen ebenfalls scho Mo- nate lang in gewöhnlichem Sauerstoff, enihalten aber immer noch Nitrit. Wenn nun diese so kleine Menge Nitrites in Monaten nicht in Nitrat übergeführt wurde, so ist wenig Wahrscheinlichkeit vorhanden, dass diess in den nächsten Monaten geschehen, d.h. der gewöhnliche Sauerstoff über- haupt sowohl auf gelöste als feste Nitrite eine oxidirende Wirkung hervorbringen werde. Wird dagegen ein solches Papier der Einwirkung der frei strömenden atmosphärischen Luft ausgesetzt, so ver- wandelt sich allerdings das im Streifen enthaltene Nitrit in . Nitrat, wie ich mich hievon durch zahlreiche Versuche zur Genüge überzeugt habe, während diese Umwandlung in ein- geschlossener Luft durchaus nicht stattfindet. Die unter den erwähnten Umständen stattfindende Ueber- führung eines Nitrites in Nitrat schreibe ich ohne Bedenken 184 dem atmosphärischen Ozon zu, welches selbstverständlich auf das Nitritsalz wie der künstlich ozonisirte Sauerstoff einwirkt. Ist auch die absolute Menge des jeweilen in der Atmosphäre vorhandenen Ozones nur eine äusserst kleine, selbst wenn sie hievon das Maximum enthält, so muss doch bei dem fortwährend um das nitrithaltige Papier stattfin- denden Wechsel einer solchen Luft deren oxidirender Einfluss auf das salpetrichtsaure Salz mit der Zeit sich bemerklich machen, wie wir diess auch an dem Jodkalium- stärkepapier sehen, welches in eingeschlossener Luft nie- malen, wohl aber in reiner und frei strömender sich bläut. In kalten Wintertagen ist bekanntlich die Luft nicht selten so ozonreich, dass das ihr ausgesetzte Jodkaliumstärkepa- pier (bei einiger Luftbewegung) schon im Laufe weniger Stunden tief gebläut wird. in solcher Luft habe ich ver- flossenen Winter zahlreiche vergleichende Versuche mit kalinitrit- und jodkaliumstärkehaltigen Papierstreifen ange- stellt und immer gefunden, dass die Schnelligkeit der Bläuung der letztern gleichen Schritt halte mit der Raschheit der Umwandlung des am Papiere haftenden Nitrites in Nitrat, welches Zusammengehen beider Wirkungen für mich keinen Zweifel darüber übrig lässt, dass sie eine gemeinschaftliche Ursache haben, d. h. die eine und andere Wirkung durch das atmosphärische Ozon hervorgebracht werde. Besagte Versuche wurden so angesteilt, dass ich in eine geräumige lufthaltise Flasche die eine Hälfte eines jodkaliumstärkehaltigen Papierstreifens steckte, die andere Hälfte in die freie Luft ragen liess und das Gefäss dicht verschlossen hielt. In einer andern gleich beschaffenen Fla- sche wurde ein nitrithaltiger Papierstreifen aufgehangen und dessen freie Hälfte der gleichen Luft ausgesetzt, wel- che das Jodkaliumstärkepapier umströmte. Natürlich blieben die eingeschlossenen Hälften völlig unverändert, während die freien Enden die vorhin erwähnten Veränderungen er- 185 litten, rascher oder langsamer, je nach der Beschaffenheit der Atmosphäre. Bläuete sich das Jodkaliumstärkepapier verhältnissmässig rasch, so dass dasselbe schon nach we- nigen Stunden ziemlich tief gefärbt erschien, so war das Nitrit nach vierundzwanzigstündiger Aussetzung völlig ver- schwunden, falls der Papierstreifen mit einer Lösung ge- tränkt worden, die nur ein Tausendstel Nitrites enthielt. Bei langsamerer Bläuung des Ozonpapieres bedurfte auch das andere Papier einer längern Einwirküng der freien Luft, damit das darin enthaltene Nitritsalz völlig in Nitrat ver- wandelt wurde. Dass dem atmosphärischen Ozon auch noch anderwei- tige Oxidationswirkungen zuzuschreiben seien, ist kaum zu bezweifeln, für gewiss darf aber angenommen werden, dass Nitrite, mögen sie künstlich oder anderartig gebildet wor- den sein, in der freien Luft nicht bestehen können, ohne allmählig in Nitrate verwandelt zu werden, eine Thatsache, welche für die Theorie der Nitrification nicht ohne Bedeu- tung ist und desshalb die Beachtung der Chemiker verdient. Gebundener ozonisirter Sauerstoff. Dass un- ter geeigneten Umständen gleich dem freien auch der ge- bundene ozonisirte Sauerstoff NO; in NO, überzuführen ver- mag, werden die nachstehenden Angaben zeigen. Die Su- peroxide des Mangans und des Bleies (für mich Mn0 +© und PbO + ©) lassen zwar selbst in der Siedhitze das gelöste Kalinitrit unverändert, säuert man aber die Salz- lösung mit verdünnter NO; u. s. w. an, so wird die Säure des Nitrites zu NO, oxidirt unter Bildung von Manganoxi- dul- oder Bleivxidnitrat. Das Silbersuperoxid wird bekannt- lich von der kalten Salpetersäure anfänglich als solches aufgenommen, indem sie sich tiefbraun färbt; tröpfelt man zu einer solchen Lösung gelöstes Kalinitrit, so entfärbt sie sich rasch unter Bildung von Silberoxid- und Kalinitrat, wobei das NO; des Nitrites zu NO, oxidirt wird. Gelöste 13 186 Uebermangansäure (Mn: O0: + 5©)) oder die Lösung ihres Kalisalzes verhält sich gegen eine Nitritlösung ebenfalls gleichgültig, wird aber das Gemisch mit verdünnter Salpe- tersäure versetzt, so tritt selbst bei gewöhnlicher Tempe- ratur Entfärbung der Uebermangansäure oder des Perman- ganates ein unter Bildung von Manganoxidul- und Kalinitrat. Wie man sieht, gehören alie die genannten Superoxide u. s. w. zu der Gruppe der Sauerstoffverbindungen, welche durch das Wasserstoffsuperoxid desoxidirt werden oder zu den Ozoniden zu zählen sind. Gebundener positiv-activer Sauerstoff. Wenn obigen Angaben gemäss selbst das freie &) es nicht ver- mag, als solches die Nitrite zu Nitraten zu oxidiren, so ist es wenig wahrscheinlich, dass das gebundene &) eine sol- che Wirkung hervor bringe. Bekanntlich ist für mich das Wasserstoffsuperoxid HO + ©, und meine frühern Versuche schon haben ge- zeigt, dass diese Sauerstoffverbindung trotz ihres Rufes, ein eminent oxidirendes Agens zu sein, dennoch mit man- chen höchst oxidirbaren Materien, z. B. mit Aether, Pyro- gallussäure u. s. w. in Berührung stehen kann, ohne auf dieselben merklich oxidirend einzuwirken. Ich finde nun, dass HO, auch gegen die alkalischen Nitrite chemisch gleich- gültig sich verhält, wie daraus hervorgeht, dass in einem Gemisch von HO; und einer verdünnten Nitritlösung selbst nach wochenlangem Zusammenstehen doch immer noch die beiden Verbindungen sich nachweisen lassen. Besagtes Ge- misch mit einigen Tropfen verdünnter SO;-haltiger Chrom- säurelösung vermischt, färbt den damit geschüttelten Aether lasurblau, welche Reaction die Anwesenheit von HO: dar- thut, wie das gleiche Gemisch auch den angesäuerten Jod- kaliumkleister auf das Tiefste bläut, welche Wirkung das Vorhandensein eines Nitrites beurkundet. Anders verhält sich HO: unter Mitwirkung des Platinmohres. Ist eine hin- 187 reichende Menge Wasserstoffsuperoxides zur Nitritlösung gefügt worden und wird ein solches Gemisch mit dem be- sagten Metallpulver geschüttelt, so entwickelt sich hierbei allerdings eine merkliche Menge gewöhnlichen Sauerstoff- gases, es wird aber auch gleichzeitig das vorhandene sal- petrichtsaure Salz in Nitrat verwandelt, wie daraus abzu- nehmen ist, dass die Flüssigkeit den mit SO; angesäuerten Jodkaliumkleister nun nicht mehr zu bläuen vermag. Die unter diesen Umständen bewerkstelligte Umwand- lung eines Nitrites in Nitrat zeigt, dass unter dem Berüh- rungseinflusse des Platins der positiv-active Sauerstoff ge- gen gelöste Nitrite gerade so wie der negativ-active Sauer- stoff sich verhält, wesshalb ich auch diese Thatsache als einen weitern Beweis für die Richtigkeit meiner alten An- nahme betrachte, gemäss welcher dem Platin das merk- würdige Vermögen zukommt, das &) des Wasserstoffsuper- oxides in ©) umzukehren. Nach meiner Annahme befindet sich das zweite Sauerstoffäquivalent des Bariumsuperoxides im positiv-activen Zustand, und wenn nun ©) als solches NO; nicht zu Salpetersäure zu oxidiren vermag, so sollte sich auch BaO + ©), mit einer Nitritlösung und verdünn- ter Salpetersäure u. s. w. zusammen gebracht, anders sich verhalten, als diess MnO + ©, PbO + © u. s. w. unter den gleichen Umständen thun. Die Erfahrung lehrt nun, dass dem auch so ist. Trägt man in ein Gemisch verdünn- ter Salpetersäure und Nitritlösung Bariumsuperoxid ein, so bildet sich Wasserstoffsuperoxid und bleibt das vorhandene salpetrichtsaure Salz unverändert, wie aus folgenden That- sachen erhellt. Aether, mit diesem Gemische geschüttelt, wird durch Chromsäurelösung lasurblau gefärbt, was be- weist, dass er HO: enthält und es vermag die mit Aether geschüttelte Flüssigkeit den angesäuerten Jodkaliumkleister noch auf das Tiefste zu bläuen, woraus die Anwesenheit eines Nitrites hervorgeht. Wie sich BaO, verhält, so auch 13* 188 die Superoxide des Kaliums und Natriums, d. h. diejenigen Sauerstoffverbindungen, welche ich Antozonide nenne. Es wird wohl kaum nôthig sein, hier ausdrücklich zu bemer- ken, dass ich das erwähnte so ungleiche Verhalten ver- schiedener Superoxide gegen NO; als einen weitern Beweis für die Richtigkeit meiner Annahme betrachte, gemäss wel- cher der in ihnen enthaltene Sauerstoff in verschiedenen Zuständen sich befindet. IL. Ueber die Umwandlung der alkalischen Nitrate in Nitrite. Schon längst weiss man, dass die alkalischen Nitrate bei höherer Temperatur unter Sauerstoffverlust in Nitrite übergeführt werden; unbekannt ist aber meines Wissens bis jetzt die Thatsache gewesen, dass die gleichen salpe- tersauren Salze auch auf nassem Wege und selbst bei ge- wöhnlicher Temperatur in Nitrite umgewandelt werden kön- nen, unter welchen das Ammoniaknitrat sich ganz besonders auszeichnet. Rührt man die kalte Lösung dieses Salzes nur wenige Augenblicke mit einem Kadmiumstäbchen um, so hat sie bereits das Vermögen erlangt, SO;-haltigen Jodkaliumklei- ster auf das Tiefste zu bläuen, und setzt man das Umrüh- ren einige Minuten lang fort, so fällt HS aus der Flüssig- keit schon merkiiche Mengen Schwefelkadmiums und Kali- -oder Natronlösung Kadmiumoxidhydrat, wie dieselbe auch den widrigen Geschmack der Kadmiumsalze zeigt und das Curcumapapier bräunt. Hat man zertheiltes Kadmium einige Tage lang auf die Nitratlösung einwirken lassen, und wird Letztere nun bei mässiger Temperatur zur Trockniss abge- dampft, so entbindet sich während dieses Vorganges Am- 189 moniak unter reichlicher Ausscheidung von Kadmiumoxid- hydrat, und zieht man den erhaltenen Rückstand mit Wasser aus, so wird eine Lösung erhalten, die von dem genannten Oxid abfñltrirt und langsam eingedampft ein farbeloses Salz zurück lässt, welches höchst widrig schmeckt, in Wasser sich löst, mit HS Schwefelkadmium erzeugt, beim Zufügen von Kalilösung einen Niederschlag von Kadmiumoxidhydrat gibt und dessen verdünnteste Lösung den durch SO, ange- säuerten Jodkaliumkleister auf das Tiefste bläut. Beim Uebergiessen des Salzes mit cenzentrirter Schwefelsäure findet ein heftiges Aufbrausen statt und entwickeln sich dicke Dämpfe von Untersalpetersäure. Alle diese Reactio- nen lassen keinen Zweifel darüber walten, dass dieses Salz salpetrichtsaures Kadmiumoxid sei, und zeigen somit, dass das Kadmium dem Ammoniaknitrate Sauerstoff entzieht und ein Theil des hierdurch gebildeten Metalloxides mit NO;, ein anderer Theil mit Ammoniak zu löslichen Verbindungen zusammentritt. Aehnlich dem Kadmium, nur etwas langsamer, wirkt das Zink auf gelöstes salpetersaures Ammoniumoxid ein, wie schon daraus erhellt, dass die mit einem reinen Zink- stäbchen einige Minuten lang umgerührte Salzlösung den SO;-haltigen Jodkaliumkleister auf das Tiefste bläut. Um diese reducirende Wirkung des Metalles in augenfälligster Weise hervorzubringen, übergiesse man amalgamirte Zink- spähne mit einer etwas concentrirten Lösung unseres Ni- trates und lasse bei gewöhnlicher Temperatur das Ganze einige Tage lang unter jeweiligem Schütteln zusammen ste- hen. Während dieser Zeit bildet sich eine reichliche Menge Zinkoxides und zeigt sich im verschlossenen Gefäss ein ‚deutlicher Ammoniakgeruch, wie auch die vom Amalgam abgegossene Flüssigkeit das Curcumapapier stark bräunt. Kaum brauche ich zu sagen, dass dieselbe den angesäuer- ten Jodkaliumkleister auf das Stärkste bläut, welche Reac- 190: | : tion die Anwesenheit eines Nitrites sicher genug anzeigt. Die vom Amalgam abfiltrirte Flüssigkeit entbindet beim Abdampfen fortwährend Ammoniak, unter Ausscheidung von Zinkoxid. Bei der sonstigen zwischen Zink und Kadmium beste- henden Aehnlichkeit sollte man vermuthen, dass auch bei der Einwirkung des erstern Metalles auf das gelöste Nitrat Zinknitrit entstehen würde, was aber nicht der Fall ist; ich wenigstens habe bis jetzt dieses Salz noch nicht auf- finden können und es rühren die Nitritreactionen der mit dem Zinkamalgam behandelten Nitratlösung von salpetricht- saurem Ammoniak her. Auch die übrigen in Wasser gelösten alkalischen Ni- trate werden schon bei gewöhnlicher Temperatur durch Kadmium und Zink unter Bildung der Oxide dieser Metalle zu Nitriten redueirt. Lässt man die Lösungen salpetersau- ren Kali’s, Natron’s, Lithon’s, Barytes, Strantians, Kalkes und der Bittererde in Probegläschen mit Kadmium- oder Zinkstäbchen einige Zeit zusammen stehen, so werden sie alle den angesäuerten Jodkaliumkleister auf das Tiefste bläuen, wie überhaupt alle Nitritreactionen hervorbringen. Selbstverständlich erfolgt diese Reduction der Nitrate zu Nitriten bei erhöheter Temperatur rascher als bei ge- wöhnlicher. Lässt man gelösten Kalisalpeter mit amalga- mirten Zinkspähnen unter jeweiliger Ergänzung des ver- dampften Wassers einige Stunden zusammen sieden, so wird derselbe zum grössten Theile in Nitrit verwandelt sein, wie daraus erhellt, dass er mit Silberlösung einen reichlichen Niederschlag salpetersauren Silberoxides liefert. Was die reducirende Wirksamkeit der übrigen Metalle betrifit, so habe ich bis jetzt nur das Blei, Kalium und Natrium näher darauf geprüft und gefunden, dass auch sie die Nitrate in Nitrite überzuführen vermögen. Lässt man ein Bleistäbchen mit gelöstem Ammoniaknitrat einige Zeit 191 in Berührung stehen, so zeigt die Flüssigkeit das Vermö- gen, den angesäuerten Jodkaliumkleister zu bläuen, und wirft man auf eine Salpeterlösung Stückchen von Kalium oder Natrium, so wird während der Oxidation dieser Metalle ebenfalls Nitrit gebildet. Am Eisen, Zinn und Aluminium habe ich keine solche reducirende Wirksamkeit wahrneh- men können. Dass auch die gelösten Nitrate noch anderer als der alkalischen Oxide, z. B. diejenigen des Zinkes und Kad- miums, durch diese Metalle in Nitrite verwandelt werden, bedarf kaum ausdrücklicher Erwähnung, und eben so wenig die Thatsache, dass diese Reductionen, alles Uebrige sonst gleich, noch rascher als diejenige der alkalischen Nitrate - erfolgen. Die Lösung des salpetersauren Zinkes z.B. braucht nur einige Sekunden mit einem Stäbchen dieses Metalles umgerührt zu werden, um schon die Nitritreaction in au- senfälligster Weise ‘-hervorzubringen, und wie man leicht einsieht, ist eine Folge hievon, dass bei der Einwirkung des Zinkes oder Kadmiums auf die Salpetersäure neben den Nitraten immer auch noch Nitrite entstehen, falls nämlich die Metalle bei dieser Reaction im Ueberschuss vorhan- den sind. Bei dieser Gelegenheit darf ich nicht unerwähnt las- sen, dass mit Hülfe des Zinkes oder Kadmiums die klein- sten Mengen eines Nitrates in Wasser nachgewiesen wer- den können, dadurch nämlich, dass ein solches Salz mittelst der genannten Metalle zu Nitrit redueirt wird. Enthält ein Wasser auch nur ein Tausendstel Procent oder noch we- niger irgend eines Nitrates und schüttelt man ein solches Wasser einige Minuten lang mit einer gehörigen Menge amalgamirter Zinkspähne zusammen, so wird dasselbe den SO;-haltigen Jodkaliumkleister schon merklich stark bläuen. Aufkochen des Wassers mit dem Amalgam führt noch ra- scher zum Ziel. 192 Das Wasser meines Laboratoriums wird aus den eine halbe Stunde von der Stadt entfernten Bergen hergeleitet, enthält die gewöhnlichen Bestandtheile der aus Kalkgebir- gen entspringenden Quellen und hat bis jetzt für nitratfrei gegolten. Schüttle ich nun eine verhältnissmässig kleine Menge desselben nur fünf Minuten lang mit Zinkamalgam zusammen, so wird es schon den angesäuerten Jodkalium- kleister merklich stark bläuen, welche Reaction selbstver- ständlich von dem Nitrit herrührt, welches durch die re- ducirende Wirkung des Zinkes aus dem im Wasser ent- haltenen Nitrat entsteht. Ich zweiflle keinen Augenblick, dass bei Anwendung des erwähnten Verfahrens in einer grossen Anzahl von Quellen, wo nicht in allen, Nitrate sich werden auffinden lassen, in welchen bis jetzt keine solche vermuthet worden sind, wesshalb dasselbe die Beachtung der analytischen Chemiker wohl verdienen dürfte. Mir wenigstens ist kein anderes Mittel bekannt, durch welches so kleine Mengen eines Nitrates mit gleicher Leichtigkeit sich entdecken lassen. Zu seiner Zeit ist von mir gezeigt worden, dass beim Schütteln des Zinkamalgames u. s. w. mit Wasser und ge- wöhnlichem Sauerstoff neben Zinkoxid auch Wasserstoff- superoxid gebildet werde. Ich finde nun, dass die Anwe- senheit eines Nitrates im Wasser die Bildung von HO: nicht verhindert und somit gleichzeitig und neben einander Oxi- dations- und Reductionsvorgänge stattfinden. Wasser wird zu Wasserstoffsuperoxid oxidirt und Nitrat zu Nitrit redu- cirt, wie schon daraus erhellt, dass das mit gewöhnlichem Sauerstoff und Zinkamalgam nur kurze Zeit zusammen ge- schüttelte nitrathaltige Wasser den reinen Jodkaliumkleister beim Zufügen einiger Tropfen verdünnter Eisenvitriollösung aufs Tiefste bläut, und dasselbe Wasser mit dem besagten Kleister vermischt, unter Mithülfe verdünnter Schwefelsäure die gleiche Reaction hervorbringt. Dass Wasserstoffsuper- 193 oxid neben Nitrit sich bildet, kann nicht mehr auffallend erscheinen, nachdem ich weiter oben der Thatsache erwähnt habe, dass HO: gegen die gelösten Nitrite chemisch gleich- gültig sich verhalte. Aber nicht nur metallische Substanzen vermögen die gelösten Nitrate in Nitrite zu verwandeln, es kann diese Reduction auch durch nichtmetallische Materien bewerk- stelliget werden und namentlich durch den Wasserstoff im nascirenden Zustande. Um hievon in einfachster Weise sich zu überzeugen, stelle man eine mit Kalisalpeterlösung ge- füllte und unten mit Blase verschlossene Röhre in ein Be- cherglas, das SO:-haltiges Wasser oder ebenfalls gelösten Salpeter enthält, und führe in die Röhre die negative — in das äussere Gefäss die positive Electrode einer Säule ein. Ist der Strom derselben auch nur kurze Zeit durch diese Flüssigkeiten gegangen, so besitzt die mit der nega- tiven Electrode in Berührung gestandene Nitratlösung die Fähigkeit, den angesäuerten Jodkaliumkleister bis zur Un- durchsichtigkeit tief zu bläuen, woraus erhelit, dass der electrolytisch ausgeschiedene Wasserstoff das Kalinitrat mit Leichtigkeit zu Nitrit reducirt. Selbstverständlich verhalten sich die übrigen Nitrate in gleicher Weise und bemerken will ich noch, dass selbst der luftförmige Wasserstoff, ob- wohl ungleich langsamer, diese Reduction zu bewerkstel- ligen vermag, wie daraus abzunehmen, dass Salpeterlösung, längere Zeit mit dem erwähnten Gas in Berührung gestan- den, den SO;-haltigen Jodkaliumkleister merklich stark bläut, was bekanntlich die reine Nitratlösung nicht thut. Mir vorbehaltend, später mit grösserer Einlässlichkeit auf den Gegenstand zurück zu kommen, will ich hier nur vorläufig bemerken, dass eine nicht kleine Zahl organischer Substanzen die gelösten alkalischen Nitrate zu Nitriten re- dueiren und in diesem Falle sämmtliche pflanzlichen und thierischen Albuminate, Leim und die meisten Kehlenhydrate 194 sind, unter welchen namentlich die Stärke, der Milch- und Stärkezucker sich auszeichnen, während der Rohrzucker so gut als unthätig sich verhält. Um sich von der Richtigkeit dieser Angaben zu überzeugen, braucht man nur die ge- nannten Substanzen mit gelöstem Kalisalpeter zusammen zu bringen und das Gemeng bei gewöhnlicher Temperatur sich selbst zu überlassen und man wird finden, dass nach Ta- sen oder Wochen eine so beumständete Nitratlösung den angesäuerten Jodkaliumkleister auf das Tiefste bläut und die anderweitigen Nitritreactionen hervorbringt. Am besten eignen sich zu diesen Versuchen der Leim und die Stärke. Mit dieser reducirenden Wirksamkeit der Stärke hängt eine von mir häufig beobachtete und für mich lange uner- klärbar gebliebene Erscheinung zusammen. Verdünnter jod- kaliumhaltiger Kleister mit vollkommen reinem Wasser dar- gestellt, wird durch verdünnte Schwefelsäure durchaus nicht gebläut werden, wie alt er auch sein mag. Bediene ich mich aber zur Bereitung dieses Reagens meines Brunnen- wassers, so bläut sich ein solcher Kleister oft schon nach einem Tage, manchmal erst später, bei seiner Vermischung mit verdünnter Salpetersäure. So lange ich nicht wusste, dass besagtes Brunnenwasser kleine Mengen eines Nitrates enthalte und die Stärke allmählig reducirend auf dieses Salz einwirke, war es unmöglich, von erwähnter Bläuung mir Rechenschaft zu geben. Da in vielen Fällen der Jodkalium- kleister ein so wichtiges Prüfungsmittel ist, so ergibt sich aus dem Gesagten, dass derselbe immer mit reinstem Was- ser zu bereiten ist, wenn seine Reactionen nicht zu irrigen Schlüssen führen sollen. Aus voranstehenden Angaben geht hervor, dass wie die alkalischen Nitrite leicht in Nitrate, ebenso diese Salze in Nitrite sich überführen lassen, die Einen dadurch, dass man ihnen verbindungsfähigen Sauerstoff? zuführt, die Andern, dass man ihnen dieses Element wieder entzieht, was deut- 195 lich genug zeigt, dass zwei Sauerstoffäquivalente der alka- lischen Nitrate in einem Zustande sich befinden, verschie- den von demjenigen, in welchem der Rest des Sauerstoff- gehaltes dieser Salze darin existirt. IV. Veber das Verhalten des Sauerstoäes zum Ammoniak unter dem Berührungseinflusse der ©xide des Hupfers und des Nickels. Der gewöhnliche Sauerstoff verhält sich bei gewöhn- licher Temperatur völlig gleichgültig gegen das Ammoniak, während unter den gleichen Umständen der ozonisirte Sauer- stoff nicht nur auf den Wasserstoff, sondern auch den Stick- stoff der besagten Verbindung oxidirend einwirkt und mit demselben Salpetersäure bildet, woher es kommt, dass Ozon mit wässrigem Ammoniak Ammoniaknitrat liefert. - Meinen frühern Versuchen gemäss wird unter dem Ein- flusse des Platinmohres auch der gewöhnliche Sauerstoff befähiget, die Elemente des Ammoniakes schon in der Kälte zu oxidiren und mit dessen Stickstoff salpetrichte Säure zu erzeugen, wie ich auch vor einigen Jahren zeigte, dass fein zertheiltes Kupfer in einem noch höhern Grade das Ver- mögen besitze, schon bei gewöhnlicher Temperatur O zur Oxidation des Ammoniakes, d. h. zur Bildung der letzige- nannten Säure anzuregen (man sehe hierüber die Verhand- lungen der naturforschenden Gesellschaft von Basel I. Vol. pag. 482. 1857). Aus nachstehenden Angaben wird erhel- len, dass die beiden Oxide des Kupfers wie das Metall selbst sich verhalten, d. h. auch sie es vermögen, den ge- _ wöhnlichen Sauerstoff gegenüber dem Ammoniak thätig zu machen. 196 Kupferoxidul. Schon längst weiss man, dass das Kupferoxidul in kaustischem Ammoniak sich löse und diese Flüssigkeit, mit gewöhnlichem Sauerstoffe zusammen ge- bracht, sich rasch bläue, welche Farbenveränderung man natürlich der Oxidation des gelösten Oxidules zu Oxid zu- schrieb und wesshalb die unter diesen Umständen erhaltene blaue Flüssigkeit als eine Lösung von Kupferoxidammoniak angesehen wurde. Berzelius schon erwähnt, dass abgeschlossen von der Luft das reine Kupferoxid in kaustischem Ammoniak un- löslich sei, beim Zufügen eines Ammoniaksalzes aber so- fort eine tiefblaue Flüssigkeit entstehe, aus welcher That- sache der schwedische Chemiker den Schluss zog, dass das, was man bis dahin als gelöstes Kupferoxidammoniak be- trachtet hatte, Auflösungen basischer Kupferdoppelsalze in Ammoniak seien. Gibt es aber nach dieser Annahme kein Kupferoxid- ammoniak, so kann diese Verbindung auch nicht aus dem selösten Kupferosidulammoniak und reinem Sauerstoff ent- stehen. Da jedoch die Erfahrung lehrt, dass das Kupfer- oxidulammoniak in Berührung mit reinstem O sehr rasch tief lasurblau sich färbt, so fragt es sich, welcher Kupfer- verbindung die besagte Flüssigkeit ihre blaue Färbung ver- danke. Die Sache verhält sich einfach so: während der Umwandlung des Kupferoxidules in Oxid wird auch ein Theil des Ammoniakes zu Wasser und salpetrichter Säure oxidirt, welche letztere mit anderem Ammoniak und dem gebildeten Kupferoxid zu einem in kaustischem Ammoniak löslichen Doppelsalze sich verbindet. Ehe ich über diese Nitritbildung näheres angebe, bringe ich in Erinnerung, dass nach meinen Erfahrungen es kein empfindlicheres Reagens auf die salpetrichtsauren Salze gibt, als den mit verdünnter SO; angesäuerten Jodkalium- kleister, welcher durch die Nitrite augenblicklich auf das 197 Tiefste gebläuet wird, auch wenn sie nur spurweise vor- handen sind. Ich füge noch bei, dass zu den sehr empfindlichen Rea- gentien auf die Nitrite auch die wässrige Uebermargansäure oder die Lösung ihres Kalisalzes gehört. Für sich allein wirken zwar diese Substanzen nicht auf einander ein, wohl ‘ aber augenblicklich bei Anwesenheit einer freien Säure, z. B. von SO;, unter welchen Umständen die Uebermangan- säure entfärbt, d. h. zu Manganoxidul redueirt und NO, zu NO, oxidirt wird. Selbst sehr kleine Mengen eines Nitrites in einer mit SO; angesäuerten Lösung enthalten, lassen sich noch an der sofort eintretenden Entfärbung der gelösten Uebermangansäure erkennen. Schüttelt man in einer litergrossen O-haltigen Flasche einige Gramme fein geriebenen Kupferoxidules mit 30 bis 40 Grammen kaustischen Ammoniakes zusammen, so färbt sich die Flüssigkeit rasch blau und hat die Einwirkung der erwähnten Substanzen auf einander nur wenige Minuten ge- dauert, so lässt sich mit Hilfe unseres Reagens schon das Vorhandensein eines Nitrites nachweisen: die blaue Flüs- sigkeit nämlich, mit verdünnter SO; übersäuert, bläut den zugefügten Jodkaliumkleister merklich stark. Lässt man unter jeweiligem Schütteln die genannten Materien einige Tage lang auf einander einwirken und er- hitzt man dann die bis zur Undurchsichtigkeit tief gebläuete Flüssigkeit mit einigem Kali oder Natron so lange, bis alles Ammoniak verflüchtiget ist, so liefert die durch Filtration vom ausgeschiedenen Kupferoxid getrennte farblose und bis zur Trockniss abgedampfte Flüssigkeit einen Rückstand, welcher folgende Reactionen zeigt: 1. Mit Kohlenpulver vermengt und erhitzt, verpufft er. « 2. Mit Schwefelsäure übergossen entbindet er roth- braune Dämpfe, welche Untersalpetersäure sind. 3. Gelöst in Wasser und durch SO, übersäuert, ent- 198 färbt er zugefügte Uebermangansäure- oder Kalipermanga- nat-Lösung augenblicklich. %. Seine wässrige und durch SO, übersäuerte Lösung zerstört rasch und reichlichst die Indigotinetur. 5. Die gleiche angesäuerte Lösung bläut augenblicklich den Jodkaliumkleister auf das Allertiefste. 6. Die gleiche Lösung vermischt mit einer Eisenoxidul- lösung färbt sich sofort tiefbraun. Diese Reactionen lassen nicht im mindesten daran zwei- feln, dass unser Rückstand ein salpetrichtsaures Salz ent- halte, und beweisen somit auch, dass unter dem Einflusse des Kupferoxidules der neutrale Sauerstoff bestimmt wird, schon bei gewöhnlicher Temperatur die Elemente des Am- moniakes zu Wasser und salpetrichter Säure zu oxidiren, oder was dasselbe besagt, dass bei der Einwirkung des sewöhnlichen Sauerstoffes auf das in Ammoniak gelöste Ku- pferoxidul salpetrichtsaures Kupferoxidammoniak entstehe. Leicht kann man sfch von der unter den erwähnten Umständen erfolgenden Nitritbildung auf folgende Weise überzeugen. | Man feuchte Kupferoxidul mit kaustischem Ammoniak auf einem Uhrschälchen an und bedecke letzteres mit einem andern gleichen Schälchen, dessen concave und nach unten gerichtete Seite vorher mit Wasser benetzt worden. Hat man das obere Schälchen auf dem untern nur 10—12 Mi- nuten liegen lassen, so enthält jenes auf seiner befeuchte- ten Seite schon so viel Ammoniaknitrit, dass einige darauf sebrachte Tropfen verdünnten Jodkaliumkleisters beim Zu- fügen verdünnter SO, augenblicklich auf das Tiefste gebläut werden. Noch einfacher ist folgendes Verfahren, welches dess- halb auch zu einem Collegienversuch benützt werden kann. Man benetze einige Gramme Kupferoxidules mit kaustischem Ammoniak in einem O-haltigen kleinen Fläschchen, hänge 199 darin einen mit Wasser befeuchteten Streifen Ozonpapieres auf und verschliesse das Gefäss. Unter diesen Umständen wird der Papierstreifen schon nach 8 — 10 Minuten mit so viel Ammoniaknitrit behaftet sein, dass er, in stark mit Wasser verdünnte SO; getaucht, sofort auf das Tiefste sich : bläuet. Befeuchtet man grössere Mengen Kupferoxidules mit starkem kaustischem Ammoniak in einem O-haltigen Gefässe, so tritt bald eine schwache Erwärmung des Gemenges ein und kommen weissliche Nebel zum Vorschein, welche von verflüchtigtem Ammoniaknitrit herrühren, wie man sich hie- von leicht dadurch überzeugt, dass ein vorher mit verdünn- ter SO; getränkter Streifen Ozonpapieres in einer solchen Flasche sofort sich bläuet. Kupferoxid. Wie wohl bekannt, nimmt kaustisches Ammoniak bei vollkommenem Ausschluss von O oder at- mosphärischer Luft kein Kupferoxid auf, wie lange auch beide Materien mit einander in Berührung stehen mögen. Anders verhält sich die Sache bei Anwesenheit von Sauer- - stoff, unter welchen Umständen die Flüssigkeit immer tiefer lasurblau sich färbt. ; Lässt man die wässrige Ammoniaklösung unter jewei- ligem Schüttein mit dem Kupferoxid und O längere Zeit, z. B. eine Woche hindurch, zusammen stehen, so enthält die Flüssigkeit schon merkliche Menge Nitrites, färbt sie also, wenn mit verdünnter SO; übersäuert, den Jodkalium- kleister sofort auf das Tiefste blau und liefert, mit Kali erhitzt und bis zur Trockniss abgedampft, einen Rückstand, der gerade so reagirt, wie der vorhin erwähnte mittelst Kupferoxidul erhaltene. Diese Thatsachen zeigen, dass die allmählige Bläuung des mit Kupferoxid und gewöhnlichem Sauerstoff in Be- rührung stehenden Ammoniakes mit der Bildung eines Ni- trites auf das Innigste zusammenhängt und beweisen somit, 200 dass auch das Kupferoxid diesen Sauerstoff zur Oxidation des Ammoniakes zu bestimmen: vermöge. Nicht unbemerkt will ich jedoch lassen, dass die besagte Nitritbildung un- gleich langsamer als diejenige von Statten geht, welche unter sonst ganz gleichen Umständen durch das Kupferoxi- dul bewerkstelliget wird. Kohlensaures Kupferoxid. Dieses Salz löst sich bekanntlich auch bei völliger Abwesenheit von Sauerstoff oder atmosphärischer Luft ziemlich leicht in kaustischem Ammoniak auf, damit eine tief lasurblau gefärbte Flüssig- keit bildend, welche, mit verdünnter SO; übersäuert, selbst- verständlich den Jodkaliumkleister nicht zu bläuen vermag. Schüttelt man aber die blaue Lösung nur kurze Zeit mit reinem oder atmosphärischem Sauerstoff zusammen, so ent- hält dieselbe schon so viel Nitrit, dass sie, wenn mit SO; übersäuert, den besagten Kleister sofort deutlich bläuet. Bei längerer Berührung mit O wird die Flüssigkeit immer rei- cher an Nitrit, so dass sie hievon im Laufe einiger Tage schon sehr merkliche Mengen enthält, falls man dieselbe häufig mit O zusammen schüttelt. Aus voranstehenden Angaben erhellt, dass selbst das im kohlensauren Doppelsalze gebundene Kupferoxid noch das Vermögen besitzt, den gewöhnlichen Sauerstoff zur Oxi- dation des Ammoniakes anzuregen, und zwar in einem noch höhern Grade, als es dem freien Kupferoxide zukommt, wie daraus abzunehmen ist, dass die Lösung des kohlensauren Kupferoxides in kaustischem Ammoniak unter sonst glei- chen Umständen mit gewöhnlichem Sauerstoff merklich ra- scher Nitrit erzeugt, als diess das mit Ammoniak in Be- rührung stehende freie Kupferoxid thut. Möglicher Weise beruht dieser Wirkungsunterschied auf dem einfachen Um- stande, dass das gebundene Oxid im flüssigen, das freie Oxid im festen Zustande dem vorhandenen Sauerstoff und Ammoniak dargeboten wird. À 201 Aehnlich dem Kupfer, seinem Oxide u. s. w. vermag auch das Nickel den gewöhnlichen Sauerstoff zur Oxidation der Ammoniakbestandtheile zu bestimmen und dadurch die Bildung eines Nitrites zu veranlassen, es wirkt jedoch das Metall: weniger kräftig als das Kupfer u. s. w. Uebergiesst man poröses Nickel mit wässrigem Ammoniak in der Weise, dass diese beiden Substanzen gleichzeitig mit reinem Sauer- stoffgas oder atmosphärischer Luft in Berührung zu stehen kommen, so färbt sich die ammoniakalische Flüssigkeit all- mählig lasurblau und erlangt damit die Eigenschaft, mit SO; übersäuert, den Jodkaliumkleister auf das Tiefste zu bläuen, wie auch die sonstigen Nitritreactionen hervorzubringen, und ich will beifügen, dass die lasurblaue Flüssigkeit schon bei gewöhnlicher Temperatur allmählig, bei der Siedhitze rasch das in ihr enthaltene Nickeloxid unter Entfärbung fallen lässt. Eben so wird Letzteres in der Kälte sofort durch Kali- oder Natronlösung ausgeschieden. Die Ergebnisse der bisherigen Untersuchungen über die in voranstehender Mittheilung besprochenen Gegenstände zeigen somit, dass das metallische Kupfer, dessen beide Oxide, das kohlensaure Kupferoxid wie auch das Nickel das Vermögen besitzen, den neutralen Sauerstoff schon bei gewöhnlicher Temperatur zur Oxidation der Elemente des Ammoniakes zu bestimmen und dadurch die Bildung von salpetrichter Säure, d. h. eines Nitritsalzes zu veranlassen, wobei auffallend erscheinen muss, dass unter den erwähn- ten Umständen der Stickstoff des Ammoniakes immer nur bis zu NO; und nicht bis zu NO, oxidirt wird. Diese That- sache, für welche ich bis jetzt noch keinen Grund anzuge- ben wüsste, dürfte für eine künftige Erklärung der soge- ‚ nannten spontanen Nitrification nicht ohne alle Bedeutung sein und darauf hindeuten, dass unter gegebenen Umstän- den der Bildung eines Nitrates diejenige eines Nitrites vor- aus gehe. 14 202 Wenn die Ergebnisse der neuern Untersuchungen es auch in hohem Grade wahrscheinlich gemacht haben, dass das Ammoniak bei der freiwilligen Salpeterbildung eine wesentliche Rolle spiele und der Stickstoff desselben haupt- sächlich zur Erzeugung der Salpetersäure diene, so sind doch meines Erachtens die nähern Vorgänge, welche bei dieser Nitrification stattfinden, bei weitem noch nicht genau genug erforscht, wesshalb es schon längst in meiner Ab- sicht liegt, die Ermittelung derselben zur Aufgabe einer einlässlichen Untersuchung zu machen, was auch demnächst geschehen soll. 1 Pc Ueber die Bildung des salpetrichtsauren Ammonia- kes aus Luft und Wasser. Vor Jahren schon habe ich dargethan, dass bei der langsamen Verbrennung des Phosphors in atmosphärischer Lufi, wenn auch sehr kleine, doch noch nachweisbare Men- gen von Salpetersäure erzeugt werden, welche Thatsache mich veranlasste, die Umstände, unter denen diese so merk- würdige Säurebildung stattfindet, aufs Neue einer möglichst genauen Untersuchung zu unterwerfen, und dieselbe hat zu Ergebnissen geführt, welche nach meinem Dafürhalten nicht nur an und für sich interessant sind, sondern auch noch eine ganz besondere Bedeutung für die Theorie der Nitrification haben dürften. Seit der Phosphor bekannt ist, ‘weiss man auch, dass derselbe, sobald er bei gewöhnlicher Temperatur mit der atmosphärischen Luft in Berührung gesetzt wird, weisse Nebel um sich bildet, welche die Chemiker bis jetzt für phosphorichte Säure gehalten haben. Ich will sofort be- merken, dass meinen Beobachtungen zufolge diese Nebel 203 nur in wasserhaltiger und durchaus nicht in vollkommen trockener Luft entstehen, wovon man sich durch den ein- fachen Versuch überzeugen kann, dass man ein völlig tro- ckenes Stück Phosphor an einem Platindraht in eine luft- haltige Flasche einführt, deren Boden mit Vitriolöl bedeckt ist, unter welchen Umständen um den Phosphor keine Spur von Nebel auftritt. Die Annahme, dass die besagten Nebel von phos- phorichter Säure herrühren, hätte schon desshalb bezwei- felt werden sollen, weil dieselbe so leicht in Wasser sich löst und die Qualme auch dann noch auftreten, wenn der mit der Luft in Berührung stehende Phosphor, an dem sich doch die Säure bilden muss, reichlichst von Wasser um- spült ist. Dass dieselben wirklich keine phosphorichte Säure sind, geht zunächst aus der Thatsache hervor, dass sie keine Wirkung auf das befeuchtete blaue Lakmuspapier hervor- bringen. Bringt man in eine grössere lufthaltige Flasche ein Stück Phosphor, bedeckt diesen zur Hälfte mit Wasser und wartet ab, bis das Gefäss mit dichten Nebeln erfüllt ist, so wird ein Streifen feuchten Lakmuspapieres, in die- sen Qualmen aufgehangen, sich nicht röthen, wohl aber bald durch das vorhandene Ozon gebleicht werden. | Lässt man in den gleichen Nebeln selbst stundenlang mit destillirtem Wasser getränkte Badeschwämme verwei- len, so wird die aus ihnen gepresste Flüssigkeit nicht sauer schmecken oder das Lakmuspapier verändern. Aus diesen Thatsachen darf wohl geschlossen werden, dass die in Rede stehenden Nebel nicht das sind, wofür sie bis jetzt gehal- ten worden. Was dieselben seien, wird aus nachstehenden Angaben erhellen. Hat man bei gewöhnlicher Temperatur ein zur Hälfte mit Wasser bedecktes Stück Phosphor in einer lufthaltigen Flasche so lange liegen lassen, bis diese mit einem dicken Qualme erfüllt ist, entfernt man dann den Phosphor nebst dem säuerlich gewordenen Wasser aus dem 14* 204 Gefässe, spült dieses zum Behufe der Entfernung jeder Spur von Säure zu wiederholten Malen mit Wasser aus und führt nun eine verhältnissmässig kleine Menge reinsten Wassers in die Flasche ein, so verschwinden die noch vorhandenen Nebel allmählig, d. h. werden dieselben vom Wasser auf- senommen. Dieses Wasser reagirt nicht im Mindesten sauer, hat aber das Vermögen, den mit SO, angesäuerten Jodka- liumkleister augenfälligst zu bläuen. Um Wasser zu erhalten, welches diesen Kleister au- genblicklich bis zur Undurchsichtigkeit tief färbt, dienen am bequemsten reine, mit destillirtem Wasser getränkte Badeschwämme, welche man in grossen Ballonen aufhängt, in denen durch Phosphor, von Wasser zum Theile bedeckt, fortwährend reichliche Nebel erzeugt werden. Wird ein Schwamm, der 6 bis 8 Stunden in einem solchen Qualme gehangen hat, ausgedrückt, so zeigt das erhaltene Wasser die erwähnte Eigenschaft in einem hohen Grade. | Diese Reaction des mit den Phosphornebeln in Berührung gestandenen Wassers beweist, dass darin eine oxidirende Materie vorhanden sei, welche ihre Wirksamkeit unter den- selben Bedingungen äussert, unter welchen die Nitrite diess thun. Von der Annahme ausgehend, das besagte Wasser ent- halte ein Nitrit, so könnte den Umständen nach, unter wel- chen dasselbe sich gebildet, die Basis des Salzes keine andere, als das Ammoniak sein. Wird eine grössere Menge solchen Wassers mit ein wenig verdünnter Salpetersäure _ vermischt und abgedampft, so erhält man einen Rückstand, der, obwohl sehr winzig, dennoch gross genug ist, um da- mit entscheidende Versuche anstellen zu können. Mit con- zentrirter Kalilösung übergossen, entwickelt der besagte Rückstand Ammoniak, das sich schon durch den Geruch erkennen lässt und natürlich durch die vorübergehende Bräunung des Curcumapapieres, Erzeugung starker bläulich 205 weisser Nebel um ein mit Salzsäure benetztes Glasstäbchen u. s. w. sich zu erkennen gibt. Um eine deutliche Ammoniakreaction zu erhalten, ist die Anwendung des eben erwähnten Verfahrens nicht ein- mal nothwendig. Hat man einen mit reinem Wasser ge- tränkten kleinen Schwamm etwa zwölf Stunden in den be- sagten Nebeln verweilen lassen, so wird die daraus gepresste Flüssigkeit schon genug NH; enthalten, damit es durch Kali- hydrat in Freiheit gesetzt, einen in dem Versuchsgefäss aufgehangenen feuchten Streifen Curcumapapieres merklich stark bräune. Diese Thatsachen beweisen somit, dass unser Wasser an irgend eine Säure gebundenes Ammoniak enthält. Was nun die Natur dieser Säure selbst betrifft, so kann auch darüber kein Zweifel walten, dass sie die salpetrichte Säure sei, da unser Wasser alle die charakteristischen Reactionen der Nitrite hervorbringt: augenblickliche Bläuung des an- gesäuerten Jodkaliumkleisters, rasche Entfärbung der er- wärmten SO;-haltigen Kalipermanganatlösung u. s. w. Aus den gesammten im Voranstehenden erwähnten That- sachen sind wir daher nach meinem Dafürhalten vollkom- men berechtiget, den Schluss zu ziehen, das die in feuchter Luft um den Phosphor bei gewöhnlicher Temperatur sich bildenden Nebel salpetrichtsaures Ammoniak seien, eine Thatsache, die eben so auffallend erscheinen muss, als sie in theoretischer Hinsicht wichtig ist. Besagte Nebel ent- halten indessen auch einiges salpetersaure Ammoniak, wie daraus erhellt, dass unser Wasser für sich allein bei 100° verdampft, einen kleinen Rückstand lässt, aus welchem Kali u.s. w. noch erkennbare Mengen von Ammoniak entbindet. Enthielte unser Wasser nur das salpetrichtsaure Salz die- ser Basis, so müsste dasselbe unter diesen Umständen in Wasser und Stickstoff zerfallen und dürfte somit kein am- moniakhaltiger Rückstand bleiben. Die Anwesenheit eines 206 Nitrates in dem erwähnten Nebei oder in dem Wasser der Schwämme erklärt sich ganz einfach aus der anderwärts angeführten Thatsache, dass der ozonisirte Sauerstoff die Nitrite in Nitrate überzuführen vermag, und da bekanntlich bei der Einwirkung des Phosphors auf die feuchte at- mosphärische Luft diese Sauerstoffmodification zum Vor- schein kommt, so muss dieselbe auch wenigstens einen Theil des vorhandenen Nitrites in Nitrat verwandeln. Es erhebt sich nun die Frage, wie das bei der lang- samen Verbrennung des Phosphors in atmosphärischer Luft auftretende salpetrichtsaure Ammoniak gebildet werde. Se viel ist zum Voraus gewiss, dass der in diesem Salz ent- haltene Stickstoff einzig und allein aus der Luft stammen kann und der Wasserstoff aus dem Wasser; ohne dessen Gegenwart, wie schon früher bemerkt, das Nitrit sich nicht bildet. Was den Sauerstoffgehalt unseres Salzes betrifft, so kann er ebenfalls aus der Luft, möglicher Weise aber auch vom Wasser herrühren. Die einfachste Bildungsweise des Nitrites wäre sicher- lich die unmittelbare, d. h. diejenige, welche in der Ver- bindung zweier Aequivalente Stickstoffes mit drei Aequi- valenten Wassers bestünde, in welche zwei Materien be- kanntlich das besagte Salz schon bei mässiger Erwärmung zerfällt, und ich stehe auch nicht an, diese Bildungsweise als die wahrscheinlichste zu betrachten. Liebig hat vor einigen Jahren gezeigt, dass das Wasser durch blossen Berührungseinfluss zur chemischen Verbindung mit einer andern Materie bestimmt werden kann. Bei Anwesenheit ‘von Aldehyd tritt das Wasser mit Cyan zu Oxamid zu- sammen, ohne dass ersteres bei diesem chemischen Vor- gang in stoffliche Mitleidenschaft gezogen würde. Der Al- dehyd wirkt durch seine blosse Gegenwart. Wie uner- klärlich für uns dermalen auch noch derartige Wirkungen sind, so ist an ihrer Thatsächlichkeit doch nicht zu zwei- 207 feln, und wenn nun der Aldehyd eine unmittelbare Ver- bindung des Wassers mit dem Cyan einzuleiten vermag, warum sollte nicht auch dem Phosphor, welcher erfahrungs- gemäss den Sauerstoff zur chemischen Thätigkeit erregt, das Vermögen zukommen können, unter gegebenen Umständen die chemische Vergesellschaftung des Stickstoffes mit dem Wasser zu bewerkstelligen? Wird aber ein solcher Vor- gang für unwahrscheinlich erklärt, so ist man, um den zur Bildung des Ammoniakes nöthigen Wasserstoff zu erhalten, zu der Annahme gezwungen, dass durch den Phosphor das Wasser zersetzt werde und das daraus frei gemachte H mit atmosphärischem Stickstoff zu Ammoniak sich vereinige. Ueberdiess muss man noch die salpetrichte Säure unseres Salzes aus atmosphärischem Sauer- und Stickstoff entstehen lassen, alles Voraussetzungen, welche mir wenigstens un- gleich unwahrscheinlicher vorkommen, als die Annahme, welcher gemäss das salpetrichtsaure Ammoniak aus der unmittelbaren Verbindung des Stickstoffes mit dem Wasser entspränge. Welche dieser Annahmen aber auch die rich- tige sein mag, jedenfalls ist die unter den oben erwähnten Umständen statt findende Erzeugung des Ammoniaknitrites eine Thatsache, welche für die Theorie der Nitrification von Bedeutung ist, weil sie beweist, dass unter geeigneten Um- ständen Ammoniak und salpetrichte Säure aus Wasser und atmosphärischer Luft gebildet werden können. Nach den voranstehenden Angaben wird es nun nicht mehr schwierig sein, sich Rechenschaft von einigen Reac- tionen des Wassers zu geben, das einige Zeit in unmittel- barer Berührung mit Phosphor gestanden, der in atmosphä- rischer Luft die langsame Verbrennung erleidet. Bringt man bei einer Temperatur von 16 bis 20° in eine geräumige lufthaltige Flasche ein zolllanges Stück Phosphores von reiner Oberfläche, zur Hälfte mit Wasser bedeckt, so wird diese Flüssigkeit schon nach einer halben Stunde des Ver- 208 mögen besitzen, für sich allein den Jodkaliumkleister stark und nach einigen Stunden bis zur Undurchsichtigkeit zu bläuen. Da unter diesen Umständen um den Phosphor unter anderem auch Ammoniaknitrit entsteht, so. wird letzteres natürlich wie die gleichzeitig entstehenden Phosphorsäuren vom Wasser aufgenommen und dadurch die Säure des Ni- trites in Freiheit gesetzt, woher es kommt, dass das be- sagte Wasser schon für sich allein den Jodkaliumkleister zu bläuen vermag. Wird Wasser, das einige Tage mit langsam verbrennendem Phosphor in Berührung gestanden hat und daher stark sauer geworden, in einem kleinen Ge- fäss mit Kalilösung übersättiget und darin ein befeuchtetes Stück Curcumapapier aufgehangen, so bräunt sich dieses, wie sich auch darin um ein mit Salzsäure benetztes Glas- stäbchen bläuliche Nebel bilden; welche Reactionen natür- lich vom entbundenen Ammoniak herrühren, welches durch das besagte Nitrit in das Wasser gelangte. Dass das saure Wasser auch Salpetersäure enthält, lässt sich auf folgende Weise zeigen. Es wird eine grös- sere Menge der sogenannten phosphatischen Säure mit Kalk- milch gesättiget, die Flüssigkeit durch Auspressen und Fil- tration von dem entstandenen Phosphit und Phosphat ge- trennt, dieselbe durch Abdampfen auf ein kleines Volumen zurückgeführt und mit kohlensaurem Kali versetzt. Die von dem entstandenen kohlensauren Kalke abfiltrirte Flüssigkeit liefert bei weiterer Conzentration Krystalle von Kalisalpe- ter. Ich will nicht unterlassen hier zu bemerken, dass aus der phosphatischen Säure, welche ich nach und nach aus “einigen Pfunden Phosphores gewonnen hatte, nur wenige Gramme Kalisalpeters erhielt, was beweist, dass bei der langsamen Verbrennung des Phosphors in atmosphärischer Luft nur winzige Mengen von Salpetersäure sich erzeugen. Da obigen Angaben gemäss die um den Phosphor sich bil- denden Nebel ausser dem Ammoniaknitrit auch einiges Ni- 209 trat enthalten, so zweifle ich kaum daran, dass durch dieses Salz die Salpetersäure in die phosphatische Säure einge- führt wird. Ich kann diese Mittheilung nicht schliessen, ohne der- selben noch einige Bemerkungen über den so merkwürdigen Vorgang der langsamen Verbrennung des Phosphores in atmosphärischer Luft beizufügen. Anfangs glaubte man, die- selbe bestehe in einer einfachen Oxidation des Phosphors zu Phosphorsäure, und als PO; entdeckt war, fand man, dass dabei auch phosphorichte Säure gebildet werde. Spä- ter zeigte ich, dass der atmosphärische Sauerstoff ozonisirt und eine kleine Menge Salpetersäure gebildet werde. In neuester Zeit habe ich nachgewiesen, dass bei der besag- ten Verbrennung merkliche Mengen von Wasserstoffsuper- oxid entstehen, und nun wissen wir, dass dabei gleichzei- tig auch salpetrichte Säure und Ammoniak gebildet werden, so dass die Erscheinung, welche man anfänglich für eine ganz einfache Oxidation des Phosphors ansah, aus einer Reihe gleichzeitig stattfindender Vorgänge sich zusammen- setzt, in Folge deren nicht weniger als sechs verschiedene Verbindungen entstehen: PO;, PO;, NO;, NO;, NH; und HO. VI. Ueber die Bildung der Salpetersäure und der Nitrate aus gewöhnlichem Sauerstoff und Stickstoff unter dem Einfluss der Electricität. Obwohl schon bald ein Jahrhundert verflossen ist, seit Cavendish die wichtige Entdeckung machte, dass freier Sauerstoff und Stickstoff unter eleetrischem Einflusse und bei Anwesenheit von Wasser oder einer alkalischen Salz- basis zu Salpetersäure sich vereinigen, so hat man doch dieser Thatsache seither nicht die verdiente Aufmerksam- keit geschenkt und sich damit begnügt, sie Jahr für Jahr 210 aus einem Lehrbuch in ein anderes überzutragen, ohne ihr wesentlich Neues beizufügen. So ist namentlich meines Wissens noch von keinem Chemiker festgestellt worden, ob in dem Cavendish’schen Versuche die Salpetersäure mit einem Schlage entstehe oder der Erzeugung dieser Substanz die Bildung anderer Oxidationsstufen des Stickstoffes vor- ausgehe. Ich habe es desshalb nicht für überflüssig erachtet, etwas genauer, als bisher geschehen, die Vorgänge kennen zu lernen, welche bei der Einwirkung electrischer Funken auf ein trockenes Gemeng gewöhnlichen Sauerstoff- und Stickgases sowohl, als auch auf das gleiche, aber mit Was- ser oder Kalilösung in Berührung stehende Gasgemeng statt finden, und da die aus meinen Versuchen gewonnenen Er- gebnisse einigen Aufschluss über den in Frage liegenden Gegenstand gewähren, so dürften sie wohl der. Veröffent- lichung nicht ganz unwerth sein. = Lässt man mit Hülfe eines kräftigen Inductionsappära- tes durch ein trockenes Gasgemeng, in welchem auf ein Maass Stickstoffes 4—5 Maasse Sauerstoffes kommen, elec- trische Funken schlagen, so treten bald im Versuchsgefässe Dämpfe auf, welche schon durch Farbe und Geruch deut- lich genug als Untersalpetersäure sich zu erkennen geben und die nicht wieder verschwinden, wie lange auch darin das Funkenspiel andauern mag; aus welcher Thatsache her- vorzugehen scheint, dass unter dem Einflusse der Electri- cität Sauerstoff und Stickstoff nur zu Untersalpetersäure sich vereinigen, trotz des Umstandes, dass in dem Gasge- ‘meng mehr als genug Sauerstoff enthalten ist, um den darin vorhandenen Stickstoff zu Salpetersäure zu oxidiren. Da aber bekanntermaassen die wasserfreie Salpeter- säure unter dem Einflusse der Wärme so leicht in NO; und O zerfällt, so wäre es nicht unmöglich, dass gleich anfänglich NO, sich erzeugte, deren Dämpfe aber durch 211 die Hitze der durchschlagenden Funken immer wieder in Untersalpetersäure und Sauerstoff zerlegt würden. Es lässt sich desshalb aus dem Ergebniss dieses Versuches auch nicht mit Sicherheit abnehmen, ob das dabei zum Vorschein kommende NO, ein ursprüngliches . oder abgeleitetes Er- zeugniss Sel. Wie sich zum Voraus erwarten lässt, fallen die Er- gebnisse des Versuches anders aus, falls das Gasgemeng mit Wasser in Berührung gesetzt ist. Hat unter diesen Umständen das Durchschlagen der Funken nur wenige Mi- nuten lang gedauert und erhält man die Flüssigkeit wäh- rend dieses Vorganges in Bewegung, so wird das Wasser schon deutlich sauer reagiren, überdiess aber auch noch die Eigenschaft besitzen, den Jodkaliumkleister augenfäl- ligst zu bläuen. Es verhält sich somit unsere Flüssigkeit wie ein aus verhältnissmässig viel Wasser und wenig Unter- salpetersäure erhaltenes Gemisch. Bei fortgesetztem Electrisiren des Gasgemenges nimmt die Menge der oxidirenden (das Jodkalium zersetzenden) Materie zu, um jedoch allmählig wieder sich zu vermindern und bei hinreichend langem Funkenspiel gänzlich zu ver- schwinden, so dass nun das Wasser nichts anderes mehr als Salpetersäure enthält. Diese Thatsachen machen es mir wahrscheinlich, dass bei der Einwirkung der Electricität auf sauerstoffhaltiges Stickgas ursprünglich nicht die Salpetersäure, sondern nur Untersalpetersäure !) entstehe und NO; zunächst in Folge des Zusammentreffens von NO; mit Wasser gebildet werde. Denn würde jene Säure unmittelbar aus der unter electri- schem Einflusse bewerkstelligten Verbindung des Sauer- stoffes mit dem Stickstoffe hervorgehen, so sieht man nicht ein, wesshalb das Wasser zu Anfang des Versuches noch 1) Möglicher Weise könnte ursprünglich auch nur Stickoxidgas ge- bildet werden. 212 etwas Anderes als Salpetersäure, d. h. eine niedrigere Oxi- dationsstufe des Stickstoffes enthalten und warum erst. bei längerem Electrisiren des Gasgemenges die Flüssigkeit wie reine Salpetersäure sich verhalten sollte. Da nämlich diese Säure im Augenblicke ihrer Bildung einen Ueberfluss von Wasser vorfände, so könnte sie von demselben auch sofort aufgenommen und dadurch der zersetzenden Wirkung der electrischen Funken entzogen werden. Meinen frühern Versuchen gemäss liefert die Unter- salpetersäure, mit welcher Menge Wassers sie auch ver- setzt werden mag, niemaien ein Gemisch, welches blos Salpetersäure enthielte: immer findet sich darin noch eine Stickstoffverbindung, welche unter Entbindung von NO, Jod aus dem Jodkalium abscheidet, eine Wirkung, welche die reine verdünnte Salpetersäure nicht hervorbringt, wesshalb diese auch den Jodkaliumkleister ungebläut lässt. Ich halte diese oxidirende Verbindung für NO, + HOQ), welche man indessen auch für NO; + HO ansehen mag. Sei sie aber was nur immer, so viel ist gewiss, dass dieselbe durch den ozonisirten Sauerstoff leicht in Salpetersäure verwandelt wird, wie ich mich hievon durch zahlreiche Versuche über- zeugt habe. Diess vorausgeschickt, lassen sich nun die bei dem Cavendish’schen Versuche stattfindenden Vorgänge unschwer begreifen, für den Fall nämlich, dass dabei eine gehörige Menge Wassers und ein Gasgemeng angewendet werde, in welchem auf zwei Maasse Stickstoffes wenigstens sieben Maasse Sauerstoffes kommen. Unter diesen Umständen fin- ‘det zunächst die Bildung von NO, statt, welches mit dem vorhandenen Wasser unverweilt in NO,- und NO;-hydrat (oder NO, + HOO) sich umsetzt, und da zur Bildung von NO; und NO; der im Gasgemeng vorhandene Sauerstoff nicht aufgebraucht wird, so verwandelt sich unter dem Einflusse der Electricität der Rest dieses Gases in Ozon, 213 durch welches das anwesende NO; nach und nach zu NO, oxidirt wird. Es würde somit die während des Cavendish- schen Versuches gebildete Salpetersäure einen gedoppelten und zwar abgeleiteten Ursprung haben: einmal entstünde sie durch die Umsetzung des ursprünglich erzeugten NO, in NO, und NO, und dann auch durch die Oxidation der letztern Verbindung mittelst ozonisirten Sauerstoffes. Es wird hier wohl kaum noch der Bemerkung bedürfen, dass während des Cavendish’schen Versuches alle diese Vor- gänge gleichzeitig statt finden und so lange fortdauern wer- den, bis aller vorhandene Stickstoff zu Salpetersäure oxi- dirt ist. Wendet man bei diesem Versuch anstatt des Wassers Kali- oder Natronlösung an, so werden Ergebnisse erhal- ten, die zu den gleichen Schlüssen führen, welche wir aus den vorhin erwähnten Thatsachen gezogen haben. Hat das Funkenspiel in dem Gasgemeng nur kurze Zeit angedauert, so wird die alkalische Flüssigkeit, wenn mit SO, übersäuert, den Jodkaliumkleister schon merklich stark bläuen, welche Reaction die Anwesenheit eines Nitrites ausser Zweifel stellt. Lässt man die Einwirkung der Electricität lange genug fortdauern, und schüttelt man die alkalische Lösung jeweilen mit dem Luftgehalte des Versuchsgefässes zusam- men, so verschwindet allmählig das salpetrichtsaure Salz wieder und enthält nun die Flüssigkeit blos Nitrat. Entsteht nach meiner Annahme bei der Einwirkung der Electricität auf unser Gasgemeng nur Untersalpetersäure, SO wird sich dieselbe mit dem gelösten Alkali sofort in Nitrat und Nitrit umsetzen, und da meinen obigen Angaben ge- mäss das salpetrichtsaure Kali u. s. w. durch den ozoni- sirten Sauerstoff ziemlich rasch in Nitrat verwandelt wird, so muss auch bei unserem Versuche diese oxidirende Wir- kung durch das dabei (aus dem noch vorhandenen O0) ent- stehende Ozon hervorgebracht, d. h. das gebildete Nitrit 214 allmählig zu Nitrat oxidirt werden, so dass wir dem er- haltenen salpetersauren Salz ebenfalls einen gedoppelten sekundären Ursprung beizumessen hätten. Die Frage, auf welche Weise die Electricität den Sauer- stoff und Stickstoff zur chemischen Vergesellschaftung be- stimme, ist zwar schon oft aufgeworfen, bis zur Stunde aber noch nicht beantwortet worden, so dass diese That- sache als eine noch durchaus unverstandene bezeichnet wer- den muss. Aber gerade weil sie diess ist, muss sie auch die wissenschaftliche Neugierde reizen und die Chemiker anspornen, sich alle Mühe zu geben, um dieselbe endlich zum Verständniss zu bringen. Ich wenigstens betrachte derartige Thatsachen als Marksteine neuer Forschungsge- biete und Fingerzeige, welche demjenigen, der sie beachtet, versprechen, auf noch unbetretene Bahnen von Entdeckun- gen zu leiten, und glaube desshalb auch, dass der Forscher, welcher die Lösung des vorliegenden Räthsels zur Aufgabe sich stellte und zum erstrebten Ziele gelangte, um die Er- weiterung der theoretischen Chemie ein nicht kleines Ver- dienst sich erwerben würde. Es liegen übrigens bereits einige Thatsachen vor, wel- che sicherlich auf die erwähnte Aufgabe sich beziehen und bei dem Versuch einer Lösung derselben in Betracht ge- zogen werden müssen. Wir wissen nämlich, dass unter dem Einflusse der Electricität der gewöhnliche Sauerstoff 0zo- nisirt wird, in welchem Zustande derselbe erfahrungsge- mäss mit einer grossen Anzahl einfacher und zusammenge- setzter Materien sich zu verbinden vermag, gegen welche der gewöhnliche Sauerstoff unter sonst gleichen Umständen vollkommen unthätig sich verhält. Der ozonisirte Sauerstoff wirkt zwar für sich allein auf den freien Stickstoff nicht im Mindesten oxidirend ein, wohl aber thut er diess bei Anwesenheit eines gelösten Alkali, wie aus meinen frühern Angaben zu eptnehmen ist, während dagegen auch unter 215 diesen Umständen der gewöhnliche Sauerstoff in seiner che- mischen Unthätigkeit verharrt. Dass bei dem Cavendish’schen Versuche O in © um- seändert werde, kann wohl keinem Zweifel mehr unter- worfen sein, und eben so wenig die Thatsache, dass diese Zustandsveränderung, worauf sie auch immer beruhen möge, den Sauerstoff zur chemischen Verbindung mit dem Stick- stoffe geneigter mache. Sollte etwa auch dieser Körper unter dem Einflusse der Electrieität allotropisirt, d. h. so verändert werden, dass derselbe ohne Mitwirkung eines andern Stoffes mit ©) zu NO; sich vereinigen könnte? Ich selbst habe bis jetzt noch keine Versuche in der Absicht angestellt, um zu ermitteln, ob das der Einwirkung der Funkenelectricität unterworfene Stickgas irgend welche al- lotrope Veränderung erleide. Sollte aber eine solche auch nicht statt finden, so würde hieraus noch keinesweges fol- gen, dass bei Anwesenheit von Sauerstoff N unverändert bleibe. Da uns noch des Gänzlichen unbekannt ist, worauf die allotropen Zustände der einfachen Körper beruhen, so wis- sen wir auch nicht, ob die Anwesenheit von Sauerstoff im Stickgas, welches der Einwirkung. der Electricität ausge- setzt ist, einen oder keinen Einfluss auf die Zuständlichkeit dieses Elementes ausübe, und es darf daher bei dieser Lückenhaftigkeit unseres Wissens wohl zu den Möglich- keiten gerechnet werden, dass unter dem zwiefachen Ein- flusse der Electricität und des Sauerstoffes der passive Stickstoff in thätigen übergeführt werde und derselbe, so verändert, nur desshalb nicht im freien Zustande auftrete, weil er sofort mit dem gleichzeitig thätig =» Sauer- stoff sich chemisch vergesellschaftete. Der im Ammoniak enthaltene Stickstoff scheint in der That seinem allotropen Zustande nach von dem gewöhn- lichen freien Stickstoffe wesentlich verschieden zu sein, 216 desshalb nämlich, weil Jener trotz seiner chemischen Ge- bundenheit durch den ozonisirten Sauerstoff so leicht sich oxidiren lässt. Fänden wir nun Mittel, den Stickstoff aus seiner Verbindung mit dem Wasserstoff ohne Zustandsver- änderung abzutrennen, so dürfte derselbe zu dem ozonisir- ten Sauerstoff wie das im Ammoniak gebundene N sich ver- halten, wie ja auch in zahlreichen Fällen das gebundene gleich dem freien (©) zu wirken vermag. VIL. Notiz über das Vorkommen von Nitriten in der Natur. Meines Wissens wird angenommen, dass in der Natur keine salpetrichtsauren Salze vorkommen, eine Annahme, die unrichtig ist, wie aus nachstehenden Angaben erhellen wird. Meine Vermuthung, dass in manchen Fällen der Bil- dung der Nitrate diejenige der Nitrite vorausgehe, und diess namentlich bei der spontanen Nitrification der Fall sei, wie dieselbe z. B. in Ställen u. s. w. stattfindet, veranlasste mich, derartig gebildete salpetersaure Salze auf Nitrite zu prüfen, weil es mir möglich erschien, dass von Letztern noch kleine Reste in jenen Salzen vorhanden seien. Ich untersuchte zunächst sowohl rohen als gereinigten Chili- salpeter und fand, dass die conzentrirtere wässrige Lösung desselben den durch verdünnte SO, angesäuerten Jodka- “ liumkleister immer merklich stark bläut, welche Reaction ein reines Nitrat nicht zeigt und die im vorliegenden Falle unstreitig von einer kleinen Menge Nitrites herrührt. Ein erwähnenswerther Umstand ist die weitere Thatsache, dass aus dem besagten Salpeter das Kali noch eine erkennbare, obwohl äusserst kleine Menge Ammoniakes entbindet, wie 217 daraus hervorgeht, dass feuchtes Curcumapapier, in einem kleinen Gefäss aufgehangen, worin das Salz mit conzentrir- ter Kalilösung übergossen worden, sich bald bräunt, um in freier Luft wieder gelb zu werden. Verschiedene von mir geprüfte Chilisalpeterproben zeigten diese Ammoniakreac- tion in verschiedener Stärke: die Einen färbten das Rea- genspapier in wenigen Minuten tiefbraun, während Andere unter sonst gleichen Umständen diese Färbung nur in einem schwachen Grade und langsamer verursachten. Das regelmässige Vorkommen, wenn auch sehr kleiner Mengen von NH; und NO; in dem Ühilisalpeter scheint mir auf die Bildungsweise dieses Salzes hinzudeuten und wahr- scheinlich zu machen, dass es aus stickstofhaltigen Mate- rien organischen Ursprunges (vielleicht Guano) und kohlen- saurem Natron unter Mitwirkung des atmosphärischen Sauer- stoffes entstanden sei, durch die Bildung von Ammoniak und Nitrit hindurch gehend. Dieser Vermuthung gemäss würden das im Chilisalpeter noch vorhandene NH; und NO; gleichsam die noch überlebenden Zeugen der Vorgänge sein, welche der eigentlichen Nitrification voraus giengen. Bei meiner Ansicht über die stadienweise erfolgende Bildung des Salpeters musste ich vermuthen, dass auch die an Mauern und in Ställen entstehenden salpetersauren Salze Ammoniak und salpetrichte Säure enthalten, wesshalb ich Herrn Dr. Goppelsröder ersuchte, die geeigneten Versuche über diesen Gegenstand anzustellen. Die von ihm erhalte- nen Ergebnisse waren so, dass sie über die Richtigkeit meiner Vermuthung keinen Zweifel übrig liessen. Der Güte des genannten Chemikers verdanke ich Mauer- salpeter, von zwei verschiedenen Oertlichkeiten stammend, dessen wässriger Auszug den schwefelsäurehaltigen Jod- kaliumkleister sofort stark bläut und aus welchem Salpe- ter Kali, Natron u. s. w. so viel Ammoniak entwickeln, dass dadurch feuchtes‘ Curcumapapier rasch gebräunt wird 15 218 und um ein mit Salzsäure benetztes Glasstäbchen die wohl- bekannten Nebel in augenfälligster Weise sich bilden. Dass in dem Regenwasser kleine Mengen salpetersau- ren Ammoniakes enthalten sind, hat schon Priestley gefun- den und ist später von mehr als einem Chemiker, nament- lich von Liebig bestätiget worden. Meine neuern Unter- suchungen zeigen, dass das aus der Atmosphäre gefallene Wasser immer auch Nitrit enthält. Seit einem Jahre habe ich das Wasser aller während dieser Zeit hier erfolgten Regen- und Schneefälle sorgfältigst auf einen Nitritgehalt geprüft und gefunden, dass derselbe nie fehlte, aber bald grösser, bald kleiner war. Die Anwesenheit dieses Salzes wurde mit Hülfe des durch SO; angesäuerten Jodkaliumkleisters ermittelt, welchen das reine Wasser unverändert lässt, der aber, obigen Angaben gemäss, durch äusserst kleine Men- gen Nitrites noch sichtlich gebläut wird. Manche Regen- fälle lieferten ein Wasser, durch welches der angesäuerte Kleister schon nach einer halben Minute bis zur Undurch- sichtigkeit gebläut erschien; so verhielt sich in der Regel das anfänglich aus einer Gewitterwolke gefallene Wasser, aber auch das Wasser aus Schnee erhalten zeigte biswei- len eine solche starke Reaction. Anderes Regenwasser brauchte eine Viertelstunde und mehr, um den damit ver- mischten angesäuerten Jodkaliumkleister merklich zu bläuen. Es versteht sich von selbst, dass unter sonst gleichen Um- ständen destillirtes Wasser keine solche Wirkung hervor- bringt, auch dürfte es überflüssig sein zu bemerken, dass das von mir geprüfte atmosphärische Wasser mit grösster Sorgfalt bei seinem Falle aufgesammelt wurde. Die einfachste Erklärung des Vorkommens von Am- moniaknitrit und Nitrat in atmosphärischem Wasser be- stünde wohl in der Annahme, dass, wie bei dem Cavendish’- schen Versuche, so auch, in Folge der unaufhörlich in der Atmosphäre stattfindenden electrischen Entladungen, NO; 219 sich bildet, welches mit dem von der Erde in die Luft ge- tretenen Ammoniak in Nitrit und Nitrat sich umsetzt. In der That erhält man diese Salze, wenn man auch nur kurze Zeit durch ein mit Wasser- und Ammoniak-haltiger atmo- sphärischer Luft gefülltes Gefäss electrische Funken schla- sen lässt. Es wird nämlich ein solches Wasser, mit verdünnter Schwefelsäure versetzt, den Jodkaliumkleister augenblicklich bläuen, in Folge des darin enthaltenen Am- moniaknitrites. Möglich ist aber auch und für mich sogar höchst wahrscheinlich, dass das im atmosphärischen Was- ser enthaltene salpetrichtsaure Ammoniak noch eine andere, als die bezeichnete Quelle habe, und ich hoffe, demnächst thatsächliche Beweise für die Richtigkeit dieser Vermuthung beibringen zu können. Woher aber auch dieses Ammoniak- salz stammen mag, jedenfalls scheint mir die regelmässige Anwesenheit desselben im atmosphärischen Wasser eine bedeutungsvolle Thatsache zu sein, namentlich so in Be- zug auf die Versorgung der Pflanzen mit assimilbarem Stickstoff. Schliesslich will ich noch bemerken, dass Grund zu der Annahme vorhanden ist, dass auch in pflanzlichen Gebilden Nitrite vorkommen. Meinen frühern Versuchen gemäss ent- hält der Hut und Stiel des frischen Boletus luridus eine harzige (in Weingeist lösliche) Materie, welche durch ihre Beziehungen zum Sauerstoff das Guajak vollkommen nach- ahmt: nur ozonisirter Sauerstoff (O) vermag sich als sol- cher mit ihr zu einer grünblauen Verbindung zu vergesell- schaften, welche dem ozonisirten Guajak in jeder Beziehung gleicht. Ueberdiess habe ich zu seiner Zeit gezeigt, dass in dem besagten Boletus auch noch eine andere Substanz vorkomme mit dem Vermögen begabt, den gewöhnlichen Sauerstoff zu ozonisiren, d. h. zu befähigen, mit dem Pilz- harze die blaue Verbindung zu bilden, worauf eben die wohlbekannte Eigenschaft des Pilzes beruht, sich sofort zu 15* 220 bläuen, wenn man dessen Hut oder Stiel in atmosphärischer Luft oder reinem gewöhnlichen Sauerstoffgas zerbricht. Be- merkenswerth ist nun die Thatsache, dass der zerbrochene Hut des frischen Boletus, mit einigem Wasser ausgezogen, eine neutrale Flüssigkeit liefert, welche den mit SO; ange- säuerten Jodkaliumkleister sofort merklich stark bläut, und in einem ‚verschlossenen Gefäss mit Kali in Berührung ge- setzt, darüber aufgehangenes Cureumapapier deutlich bräunt. Wie mir scheint, dürften diese Reactionen zu der Annahme berechtigen, dass sie von salpetrichtsaurem Ammoniak her- rühren. Ob dieses Salz schon fertig gebildet in der frischen und noch unverletzten Pflanze enthalten sei, oder erst bei Zutritt der Luft in ihr Inneres und unter dem Einflusse der ozonisirenden im Pilze vorhandenen Materie entstehe, dürfte nicht so leicht zu ermitteln sein. Letzteres kann jedoch nicht mehr als unmöglich erscheinen, seit wir wissen, dass bei der langsamen Verbrennung des Phosphors in atmosphä- rischer Luft salpetrichtsaures Ammoniak gebildet wird, was wohl vermuthen lässt, dass auf eine ähnliche Weise auch noch in andern Fällen und namentlich bei der Verwesung mancher organischen Materien dieses Salz entstehen werde. Beiträge zur nähern Kenntniss des Sauerstoffes und der einfachen Salzbildner. I. Ueber das Verhalten des Chlores, Bromes und Jodes zu dem wässrigen Ammoniak und den alkalischen Oxiden. Allgemein wird angenommen, dass das Chlor dem wäss- rigen Ammoniak Wasserstoff entziehe und dadurch den. 221 Stickstoff aus dieser Verbindung frei mache unter Bildung von Chlorammonium. Nach meinen Beobachtungen finden jedoch hierbei noch einige andere Vorgänge statt, welche ich nirgends erwähnt finde. Fügt man zu Chlorwasser so viel wässriges Ammoniak, dass das Gemisch das Curcumapapier merklich stark bräunt, so vermag es für sich allein doch noch die Indigolösung zu zerstören, den Jodkaliumkleister auf das Tiefste zu bläuen und im Ueberschuss angewendet wieder zu entfärben, die frische Guajaktinctur aufs Stärkste zu bläuen, überhaupt alle Wirkungen der alkalischen Hypochlorite hervorzubrin- gen, wie sie auch, falls kein merklicher Ueberschuss von Ammoniak vorhanden ist, den Geruch und Geschmack die- ser Salze zeigt. Sich selbst überlassen, verliert die Flüs- sigkeit unter noch merklicher Entbindung von Stickgas diese Eigenschaften, langsamer in der Kälte, rascher bei erhöhe- ter Temperatur. Diese Thatsachen allein schon machen es in hohem Grade wahrscheinlich, dass unter den erwähnten Umstän- den ein Hypochlorit entstehe; dazu kommt aber noch Fol- gendes. Wird die frisch bereitete Flüssigkeit mit Wasser- stoffsuperoxid vermischt, so tritt sofort eine merklich starke Entwickelung von Sauerstoffgas ein und hat nun das Ge- misch die Fähigkeit verloren, die Indigolösung zu zerstören, den Jodkaliumkleister zu bläuen u. s. w. Meinen frühern Versuchen gemäss werden die Hypochlorite durch das Was- serstoffsuperoxid unter stürmischer Sauerstoffentwickelung zu Chlormetallen reducirt, wesshalb sie auch augenblicklich ihre Bleichkraft u. s. w. einbüssen; da sich nun unsere Flüssigkeit auch in dieser Beziehung wie Kalihypochlorit u. s. w. verhält, so zweifle ich nicht daran, dass bei der Einwirkung des Chlores auf wässriges Ammoniak auch un- terchlorichtsaures Ammoniak gebildet werde. Da zur Er- zeugung der Säure dieses Salzes Sauerstoff nöthig ist, so 222 muss derselbe nach den heutigen Vorstellungen aus dem Wasser stammen und desshalb angenommen werden, dass gleiche Aequivalente von Chlor, Ammoniak und Wasser in Chlorammonium und unterchlorichtsaures Ammoniumoxid sich umsetzen. Dass ich mir den Vorgang anders deute, ist unnöthig zu sagen. Es lässt sich nun fragen, wie es komme, dass ein an- derer Theil von Chlor und Ammoniak in Stickgas, Chlor- ammonium und Salzsäure umgesetzt werde. Hierauf ist zu, antworten: Da die wässrige Lösung des direct dargestell- ten unterchlorichtsauren Ammoniumoxides in Stickgas, Chlor- ammonium und freie Salzsäure zerfällt gemäss der Gleichung 3 NH,O, CIO = 2N + NH,CI + 2 HCl + 6 HO und die in Rede stehende Flüssigkeit sich ebenso verhält, so wird hieraus wahrscheinlich, dass die Entwickelung des Stick- gases, welche beim Vermischen des Chlores mit wässrigem Ammoniak stattfindet, eine sekundäre sei, d. h. dieser Stick- stoff nicht unmittelbar durch das Chlor aus dem Ammoniak entbunden werde, sondern in Folge der Umsetzung unter- chlorichtsauren Ammoniumoxides auftrete, welche um so rascher erfolgt, je höher die Temperatur der Flüssigkeit ist. Dass sich bei der Einwirkung des Chlores auf das wässrige Ammoniak auch noch einiges Chlorat bildet, geht aus der. Thatsache hervor, dass das aus wässrigem Chlor und Ammoniak erhaltene Gemisch, so lange sich selbst über- lassen, bis es sein Bleichvermögen eingebüsst hat, noch die Fähigkeit besitzt, mit Salzsäure versetzte Indigolösung zu zerstören. Fügt man zu Bromwasser so viel wässriges Ammo- niak, dass das Gemisch deutlich alkalisch reagirt, so zeigt dasselbe alle die Eigenschaften der mit Chlor erhaltenen Flüssigkeit: Bleichvermögen u. s. w., und ich wiil nicht un- terlassen beizufügen, dass dieselben beim Vermischen mit Wasserstoffsuperoxid ebenfalls verloren gehen unter Ent- 223 bindung von Sauerstoffgas. Hieraus erhellt, dass beim Zu- sammentreffen des Bromes mit wässrigem Ammoniak Vor- _ gänge stattfinden, ganz analog denen, welche bei der Ein- wirkung des Chlores auf Ammoniak Platz greifen. Das Verhalten des Jodwassers zum Ammoniak gleicht durchaus demjenigen des Chlores oder Bromes. Bringt man zu Jodwasser so viel wässriges Ammoniak, dass die ent- färbte Flüssigkeit das Curcumapapier merklich stark bräunt, so besitzt dieses Gemisch anfänglich die Fähigkeit, Indigo- lösung zu zerstören, den Jodkaliumkleister auf das Tiefste, ja sogar den reinen Kleister stark zu bläuen. Sich selbst überlassen, verliert die Flüssigkeit diese Eigenschaften, und zwar bei höherer Temperatur rascher als bei niederer, in der Siedhitze beinahe augenblicklich. Ebenso zerstört Was- serstofisuperoxid dieses oxidirende Vermögen unter noch sichtlicher Entbindung von Sauerstoffbläschen. Vermag das Gemisch für sich allein weder den reinen noch jodkalium- haltigen Kleister mehr zu bläuen, so thut es diess noch bei Zusatz verdünnter Schwefelsäure, was die Anwesenheit ei- nes Jodates anzeigt. Auf die nähern bei der Einwirkung des Jodwassers auf das wässrige Ammoniak stattfindenden Vorgänge werde ich zurückkommen, nachdem wir das Verhalten des Jodes zum gelösten Kali kennen gelernt haben, und einstweilen sei hier nur so viel bemerkt, dass bei Anwendung einer möglichst conzentrirten wässrigen Jodlösung auch kleine Mengen des sogenannten Jodstickstoffes gebildet werden. Alle chemischen Lehrbücher besagen, dass gleiche Ae- quivalente Jodes und gelösten Kalis sofort in Jodkalium und Kalijodat sich umsetzen; die nachstehenden Angaben werden jedoch zeigen, dass bei der Einwirkung jener Sub- stanzen auf einander Vorgänge stattfinden, welche meines Wissens bis jetzt der Beachtung der Chemiker entgangen, und, wie man sofort sehen wird, denen durchaus ähnlich 224 sind, die bei der Reaction des gelösten Jodes auf das Am- moniak Platz greifen. Tröpfelt man zu einer möglichst conzentrirten wässri- sen Jodlösung so viel gelösten Kalis, dass dieselbe nicht nur vollständig entfärbt erscheint, sondern auch noch deut- lich alkalisch reagirt, also noch weiteres Jodwasser au- genblicklich entfärben würde, so besitzt sie nichts desto weniger noch das Vermögen, für sich allein den reinen Kleister merklich stark und noch tiefer den jodkaliumhal- tigen zu bläuen, wie sie auch die Jodkaliumlösung zu bräu- nen, die Indigotinctur zu zerstören und überhaupt alle die Wirkungen des mit Ammoniak entfärbten Jodwassers nach- zuahmen vermag. Je niedriger die Temperatur der besag- ten Flüssigkeit ist, um so langsamer büsst sie diese Eigen- schaften ein, während dieselben in der Siedhitze rasch verloren gehen. Bemerkenswerth ist auch noch der eigen- thümliche Geruch der frisch bereiteten Flüssigkeit, welcher von demjenigen des Jodes sich unterscheidet, etwas Safran- ähnliches hat und langsamer in der Kälte, rascher bei hö- herer Temperatur verschwindet. Führt man in sehr conzentrirte Kalilösung merklich weniger fein zertheiltes Jod ein, als davon zur Umsetzung beider Substanzen in Jodkalium und Jodat erforderlich ist, z. B. auf zwei Aequivalente Kalis nur ein Aequivalent Jo- des, waltet also Ersteres noch so stark vor, dass die Lö- sung weitere Mengen Jodes rasch aufnehmen würde, so wird sie anfänglich doch nicht ganz farblos, sondern gelb sein und den erwähnten safranähnlichen Geruch zeigen. In . diesem Zustande besitzt die Flüssigkeit in verstärktem Grade alle die Eigenschaften, welche dem mit Ammoniak oder Kali versetzten Jodwasser zukommen: sie bläut für sich allein den reinen und noch stärker den jodkaliumhaltigen Kleister, zerstört die Indigotinctur u. s. w. Sich selbsten überlassen, entfärbt sie sich unter Ausscheidung von Kali- 5 225 jodat, und zwar um so langsamer, je niedriger die Tempe- ratur, in der Siedhitze beinahe augenblicklich, wobei der Safrangeruch verschwindet, wie auch die übrigen oxidiren- den Eigensahaften des frisch bereiteten Gemisches. Wird letzterem in gehöriger Menge Wasserstoffsuperoxid beige- mischt, so findet eine stürmische Entwickelung von Sauer- stoffgas statt unter augenblicklicher Entfärbung der Flüs- sigkeit, wie dieselbe auch sofort ihre Bleichkraft u. s. w. einbüsst. Sie verhält sich nun so, als ob sie längere Zeit sich selbst überlassen oder erhitzt worden wäre, mit dem einzigen aber wichtigen Unterschiede, dass dieselbe, alles Uebrige sonst gleich, weniger Kalijodat oder mehr Jodka- lium enthält, als das spontan oder durch Erhitzung verän- derte Gemisch. Aus diesen Thatsachen erhellt, dass beim Zusammen- treffen des Jodes mit gelöstem Kali ausser einem Jodmetali und Jodat noch eine andere und zwar kräftig oxidirende Jodverbindung entsteht. Für die Beantwortung der Frage, was diese Verbindung sei, scheint mir das Verhalten des Chlores zum gelösten Kali einen sichern Anhaltspunkt zu gewähren; denn man hat allen Grund anzunehmen, dass bei der Einwirkung beider Substanzen auf einander erst Chlor- kalium und Kalihypochlorit entstehe und letzteres Salz, je nach Umständen, rascher oder langsamer in Chlormetall und Kalichlorat sich umsetze, gemäss der Gleichung 3 KO, CIO = 2 KCI + KO, CIO,, was selbstverständlich zu dem End- ergebniss führt, dass aus 6 Aeq. Chlores und 6 Aeq. Ka- lis 5 Aeq. Chlorkaliums und ein Aeq. Kalichlorates gebil- det werden. | Bei der sonstigen Aehnlichkeit des Jodes mit dem Chlor ist es daher nicht unwahrscheinlich, dass es, wie eine unterchlorichte, so auch eine unterjodichte Säure, somit Hypojodite gebe, und diesen Salzen, wie den entsprechenden Hypochloriten, ein ausgezeichnetes oxidirendes Vermögen 226 zukomme, dass jene Salze aber unter sonst gleichen Um- ständen . viel rascher in Jodmetalle und Jodate sich um- setzen, als die Hypochlorite in die entsprechenden Chlor- verbindungen, und eben in dieser raschen Umsetzung der Grund liege, wesshalb bis jetzt noch keine unterjodicht- sauren Salze haben dargestellt werden können. Gehen wir von dieser Annahme aus, so würde beim Zusammentreffen des Jodes mit gelöstem Kali u. s. w. erst Jodkalium und Kalihypojodit sich bilden, Letzteres aber dem grössern Theile nach schon bei gewöhnlicher Tempe- ratur rasch in Jodmetall und Jodat sich umsetzen. Von dem Hypojodit würde die erwähnte gelbe Färbung, wie auch der eigenthümliche Geruch der in Rede stehenden Flüssig- keit herrühren, und ebenso wäre dem gleichen Salze auch das oxidirende Vermögen: Bleichkraft u. s. w. zuzuschrei- ben. Die in der Kälte langsamer, in der Wärme rascher erfolgende Entfärbung der gleichen Flüssigkeit, wie auch der Verlust ihres Geruches, Bleichvermögens u. s. w.- be- ruhte natürlich auf der Umsetzung des Hypojodites in Jod- metall und Jodat, welche Salze farblos und geruchlos sind, wie sie auch für sich allein keine Bleichkraft besitzen. Die Vermuthung, dass unter den erwähnten Umständen Kalihypojodit gebildet werde, wird für mich durch das Verhalten des Wasserstoffsuperoxides zu dem frisch aus Jod und Kalilösung erhaltenen Gemisch zur Gewissheit er- hoben. Wie bereits erwähnt, werden die Hypochlorite durch HO: unter Entbindung gewöhnlichen Sauerstoffgases augen- blicklich zu Chlormetallen reducirt, und da die mit Jod . versetzte Kalilösung gerade so sich verhält, so ist kaum daran zu zweifeln, dass in ihr ein dem Kalihypochlorit ent- sprechendes Salz vorhanden sei, welches durch HO: zu Jodkalium reducirt wird. Ich will hier nicht unbemerkt lassen, dass nach meinen Versuchen das Wasserstoffsuper- 227 oxid gegen die gelösten Chlorate, Bromate und Jodate voll- kommen gleichgültig sich verhält. ‚Schon Balard hat gefunden, dass ähnlich dem Chlor auch das Brom mit gelösten Alkalien Bleichflüssigkeiten hervorbringt, und vermuthete desshalb, dass es unterbro- michtsaure Salze gebe. Meine Versuche zeigen, dass be- sagie Flüssigkeiten, vermischt mit Wasserstoffsuperoxid, sofort ihre Bleichkraft verlieren unter stürmischer Entbin- dung gewöhnlichen Sauerstoflgases, welche Thatsache durch- aus zu Gunsten der Balard’schen Annahme spricht. Einige der oben erwähnten Eigenschaften der frisch mit Jod versetzten Kalilösung sind allerdings höchst son- derbar, zu welchen vor allen ihre Fähigkeit gehört, schon für sich allein den reinen Kleister zu bläuen. | Nach der Annahme der Chemiker kann neben freiem gelösten Kali u. s. w. kein freies Jod bestehen, und in der That vermag obigen Angaben zufolge unsere alkalische Flüssigkeit noch weiteres Jod aufzunehmen, z. B. tief gelb- braunes Jodwasser augenblicklich zu entfärben. Nichts de- sto weniger besitzt sie aber im frischen Zustande das Ver- mögen, den Stärkekleister zu bläuen. Woher soll nun das zu dieser Färbung nöthige freie Jod kommen? Eben so schwierig scheint mir die Erklärung der Thatsache zu sein, dass die frisch bereitete alkalische Flüssigkeit gelöstes Jod- kalium bräunt und desshalb den mit diesem Salze versetz- ten Kleister noch tiefer als den reinen bläut. Diese Bräu- nung der Jodkaliumlösung oder die tiefere Bläuung des Jodkaliumkleisters müsste doch, sollte man meinen, von ei- ner Jodausscheidung herrühren. Wie kann aber Jod neben freiem gelösten Kali ausgeschieden und wodurch soll diese Abtrennung bewerkstelliget werden? Dazu kommt noch, dass man annehmen muss, es sei in der alkalischen Flüs- sigkeit schon Jodkalium enthalten, wesshalb sich fragen lässt, warum das von aussen kommende Jodmetall eher, 228 als das gleiche bereits in der Flüssigkeit vorhandene Salz zersetzt werden soll. Diese Fragen vermag ich jetzt noch nicht zu beantworten; es dürften jedoch die Thatsachen, von welchen in einem folgenden Abschnitte die Rede sein wird, zur Lösung dieser chemischen Räthsel Einiges bei- tragen. So viel ist jedenfalls jetzt schon sicher, dass das bei der Einwirkung des Jodes auf Kalilösung entstehende eminent oxidirende Salz (Kalihypojodit) bei den erwähn- ten so paradox erscheinenden Reactionen die Hauptrolle spielt. Kommen wir nun auf das Verhalten des Jodes zum wässrigen Ammoniak zurück, das, wie wir gesehen haben, demjenigen des gleichen Stoffes zum gelösten Kali durch- aus gleicht. Wenn es daher ein Kalihypojodit gibt, so be- steht auch ein ihm entsprechendes Ammoniaksalz, welches in Jodammonium und ein Jodat sich umzusetzen vermag, in Folge dessen es sein Bleichvermögen u. s. w. einbüsst. Wie bereits erwähnt, wirkt auf das frisch aus Jodwasser und Ammoniak bereitete Gemisch zugefügtes Wasserstoff- superoxid augenblicklich desoxidirend ein unter noch sicht- licher Entbindung von Sauerstoffgas. Um diese Reaction augenfälliger zu machen, füge man zu verdünnter, durch Jod tief gefärbter Jodkaliumlösung so viel wässriges Am- moniak, dass sie noch nach Letzterm riecht. Es wird die von dem entstandenen Jodstickstoff abfiltrirte gelb gefärbte Flüssigkeit ein starkes Bleichvermögen, wie auch alle die Eigenschaften des mit Ammoniak entfärbten Jodwassers in einem ausgezeichneten Grade besitzen. Beim Vermischen ‚derselben mit Wasserstoffsuperoxid tritt sofort eine stür- mische Entbindung von Sauerstoffgas ein, welche eine au- genblickliche Zerstörung der Bleichkraft u. s. w. zur Folge hat. Die hierdurch farblos gewordene Flüssigkeit, für sich allein gegen den reinen Kleister unwirksam, bläut densel- ben bei Zusatz verdünnter Schwefelsäure auf das Tiefste, 229 was deutlich genug die Anwesenheit von Jodmetall und Jodat beurkundet. Die Aehnlichkeit des Verhaltens des Jodes zum Ammoniak und Kali ist somit auch in dieser Be- ziehung so vollständig, dass an dem Bestehen eines unter- jodichtsauren Ammoniumoxides kaum gezweifelt werden dürfte. Es wird aber wohl überhaupt angenommen werden können, dass beim Zusammentreffen des Chlores, Bromes und Jodes mit irgend einer alkalischen Lösung Chlormetall u. s. w. und Hypochlorit u. s. w. entstehen, und die Chlo- rate u. s. w. erst aus der Umsetzung der Hypochlorite u. s. w. entspringen, jene Salze also immer sekundäre Bil- dungen sind. Schliesslich will ich noch bemerken, dass nach meinem Dafürhalten die Entstehung des sogenannten Jodstickstoffes mit der Bildung des unterjodichtsauren Ammoniumoxides zusammenhängt, in der Weise nämlich, dass jene fulmini- rende Verbindung aus der Umsetzung des letztgenannten Salzes hervorgeht. Nimmt man an, der sogenannte Jod- stickstoff sei NJ; + NH;, so würden 3NH?0,J0 in NJ;, NH; + NB; + 6 HO umsetzen; da sich aber bei der Einwirkung des Jodes auf wässriges Ammoniak immer auch Jodat bil- det und wir dieses Salz ebenfalls als aus Hypojodit ent- standen betrachten, so müssen wir annehmen, dass Letzte- res eine gedoppelte Umsetzung erleide, die eben erwähnte und diejenige, bei welcher aus 3 NH?O, JO ein Aequivalent NH'O, JO; und 2 Aeq. NH,J entstünden. Den Grund, wess- halb das genannte unterjodichtsaure Salz zum Theil auf die eine, zum Theil auf die andere Weise sich umsetzt, wüsste ich freilich nicht anzugeben; indessen gibt es in der Che- mie eine Menge Umsetzungsfälle ähnlicher Art, worüber man auch noch keine Erklärung zu geben vermag. 230 11. Ueber das Vermögen des Jodkaliums, freies Jod gegen die Einwirkung freien Kalis zu schützen. Man sollte glauben, dass gleiche Mengen in Wasser ge- lösten Jodes auch gleiche Mengen Kalis zur Entfärbung erforderten, ob die Jodlösung rein, ob mit Stärkekleister oder Jodkalium versetzt sei; nachstehende Angaben wer- deh jedoch zeigen, dass die Sache anders sich verhalte. Vor der Beschreibung meiner dessfallsigen Versuche will ich bemerken, dass die dabei angewendete Jodlösung mit Jod gesättigtes Wasser war, der Kleister 1 %, Stärke und die Kalilösung 10 % KO enthielt. Ein Tropfen Kalilösung zu 10 Grammen des gelbbraunen Jodwassers gesetzt, ent- färbt diese Flüssigkeit nicht nur vollständig, sondern macht sie auch alkalisch reagirend. Zehn Gramme der Jodlösung mit der gleichen Menge Kleisters versetzt, liefert ein bis zur Undurchsichtigkeit tief gebläuetes Gemisch, welches zu seiner vollständigen Entfärbung vier Tropfen unserer Kali- lösung erheischt. Ein Gemisch von zehn Grammen Jod- wassers und eben so viel Kleisters, dem ein Decigramm Jodkaliums beigefügt worden, braucht zu seiner Entbläuung 40 Tropfen Kalilösung, das gleiche Gemisch mit fünf Deci- grammen Jodkaliums 80, das mit einem Gramm dieses Sal- zes versetzte 130 Tropfen und das hievon zwei Gramme enthaltende Gemisch nicht weniger als 160 Tropfen der besagten Kalilösung, um vollständig entfärbt zu werden. Diese Thatsachen zeigen, dass schon der Kleister, noch mehr aber das Jodkalium einen Einfluss auf das Verhalten des Jodes gegen freies Kali ausübt, welcher darin besteht, dass Ersteres innerhalb gewisser Grenzen gegen die Ein- wirkung des Alkalis geschützt wird. | Eine andere Reihe nicht minder auffallender Thatsa- chen, die aber mit den eben erwähnten eng zusammenhän- 231 gen, ist folgende. Ein aus zehn Grammen Jodwassers und eben so viel Kleister bestehendes Gemisch, welches durch vier Tropfen Kalilösung vollständig entfärbt worden, bläut sich beim Zufügen von Jodkalium wieder auf das Tiefste, und entfärbt man nun das Gemisch abermals mittelst Kali- lösung, so ist hievon um so mehr nothwendig, je grösser die Menge des zugefügten Jodsalzes. Hat man z. B. in das Gemisch ein Decigramm Jodkaliums eingeführt, so sind zur vollständigen Wiederentbläuung 40 Tropfen Kalilösung, bei einem Salzgehalt von fünf Decigrammen 80, bei einem Ge- halte von einem Gramm 130, und bei einem von zwei Gram- men 160 Tropfen erforderlich. Entsprechende Ergebnisse werden erhalten, wenn erst zehn Gramme Jodwassers durch einen Tropfen Kalilösung entfärbt, ihnen verschiedene Mengen Jodkaliums zugefügt und dann mit zehn Grammen unseres verdünnten Kleisters vermischt werden. Je grösser die Mengen des in dem Ge- misch enthaltenen Jodsalzes, um so mehr Kalilösung wird zu seiner vollständigen Entbläuung erfordert. Noch will ich hier der Thatsache erwähnen, dass Jod- wasser, mit so viel Kalilösung versetzt, dass dasselbe für sich allein den ihm zugemischten Jodkaliumkleister nicht mehr zu bläuen vermag, diess noch thut, sobald man in dieses Gemisch Kohlensäure einführt (z. B. durch Einblasen ausgeathmeter Luft) oder dasselbe mit kohlensäurehaltigem Wasser vermischt. Da das mittelst Kalilösung entfärbte Jodwasser, nachdem es längere Zeit gestanden oder erhitzt worden, diese Reaction nicht mehr hervorbringt, so ersieht man hieraus, dass das in der besagten Flüssigkeit enthal- tene Kalijodat keinen Theil an der erwähnten Bläuung hat. Nachstehende Angaben stehen mit dem besprochenen Gegenstande ebenfalls im Zusammenhange. Da bekanntlich die Hypochlorite freies Jod so leicht zu Jodsäure oxidiren, so sollte man vermuthen, dass diese Salze aus den alkali- \ 232 schen Jodmetallen kein Jod ausscheiden, sondern dieselben sofort in Jodate verwandeln würden. Nun lehrt aber die Erfahrung, dass beim Eintröpfeln irgend eines gelösten Hypochlorites in Jodkaliumlösung diese sich bräunt oder bei Anwesenheit von Kleister gebläut wird, um bei weite- rem Zufügen von Hypochloritlösung sich wieder_zu ent- färben. Ob die besagte Reaction überhaupt und in welchem Grade sie stattfinde, hängt gänzlich von dem Verhältniss ab, in welchem bei dem Versuche die Mengen der auf einander wirkenden Salze angewendet werden, so dass nur bei vorwaltendem Jodkalium freies Jod zum Vorschein kommt. Selbstverständlich kann die Ausscheidung dieses Körpers nicht stattfinden ohne gleichzeitige Bildung von Kali. Noch auffallender ist die Thatsache, dass selbst kali- haltige Jodkaliumlösung durch Hypochlorit noch gebräunt oder bei Anwesenheit von Kleister aufs Tiefste gebläut wird, was offenbar mit dem vorhin erwähnten Umstande zusammenhängt, dass bei Anwesenheit von Jodkalium freies Jod und Kali neben einander bestehen können. Kaum ist nöthig zu bemerken, dass die Hypobromite wie die unter- chlorichtsauren Salze sich verhalten, und was nun die Hypojodite betrifft, so könnte es wohl sein, ja ich halte diess für wahrscheinlich, dass sie bei Anwesenheit einer merklichen Menge Jodkaliums einen Theil dieses Salzes zer- setzen unter Ausscheidung von Jod und Bildung von Kali, indem sie selbst zu Jodmetallen reducirt werden. Was nun den Schutz betrifft, welchen den erwähnten Versuchen gemäss das Jodkalium dem Jod gegen das Kali ‘zu gewähren scheint, so könnte möglicher Weise derselbe darauf beruhen, dass das Jod mit dem genannten Salze eine Art chemischer Verbindung einginge, in welchem Zustande es zwar noch den Stärkekleister zu bläuen vermöchte, aber nicht mehr so leicht als das völlig freie Jod auf das Kali einwirkte. 233 Ich will jedoch offen gestehen, dass mir die in Rede stehenden Reactionen noch so räthselhaft erscheinen, dass ich nicht wage, über deren Ursache irgend welche Ansicht zu äussern. Sie beweisen jedenfalis, dass sie auf Vorgän- gen beruhen, welche der Kenntniss der Chemiker bis jetzt entgangen sind, wesshalb es am Ort ist, auf dieselben auf- merksam zu machen, um so eher, als sie auch alle Beach- tung des Analytikers verdienen. Kaum brauche ich noch zu bemerken, dass die Aus- scheidung von Jod aus Jodkalium oder die Bläuung des Jodkaliumkieisters, durch ozonisirten Sauerstoff bewerkstel- liget, mit den oben erwähnten Thatsachen aufs Engste zu- sammenhängt, welche Reaction bei der Annahme auffallen musste, dass Jod und Kali als solche nicht neben einander zu bestehen vermögen. Wirken kleine Mengen Ozones auf verhältnissmässig grosse Quantitäten Jodkaliums, wie diess in der Wirklichkeit immer der Fall ist, so kann allerdings Jod frei und zu gleicher Zeit Kali gebildet werden; bei hinreichend langer Einwirkung des Ozons auf Jodkalium entsteht jedoch Kalijodat, wie auch dieses Salz durch Hypo- chlorite u. s. w. erzeugt werden kann. ii. Ueber das Verhalten der Superoxide des Wasser- stoffes und Bariums zum Jod und Jodstickstoff. Von der Vorstellung der ältern Chemiker geleitet, wel- cher gemäss die sogenannten einfachen Salzbildner sauer- stoffhaltige Körper sind, wie auch von der Annahme aus- gehend, dass es zwei entgegengesetzt thätige und desshalb gegenseitig sich aufhebende Zustände des freien ‚und ge- bundenen Sauerstoffes gebe, und endlich unter der Voraus- 16 23% setzung, dass das Jod eine Q-, das Wasserstoffsuperoxid oder dasjenige des Bariums eine &)-haltige Verbindung sei, habe ich mit diesen Substanzen eine Reihe von Versu- chen angestellt, deren Ergebnisse im Nachstehenden mit- setheilt sind. Meines Wissens nimmt man an, dass Jod und Wasser- stoffsuperoxid sich gleichgültig zu einander verhalten; dem ist aber nicht so, wie aus folgenden Angaben erhellen wird. Wässrige Jodlösung mit einer gehörigen Menge Wasser- stoffsuperoxides vermischt, entfärbt sich sofort auf das Vollständigste, und conzentrirt man dieses Gemisch durch Abdampfen, so röthet es deutlich das Lakmuspapier, fällt aus einer Lösung des salpetersauren Quecksilberoxidules das Jodür dieses Metalles noch in erkennbarer Menge und ver- mag für sich allein den Stärkekleister nicht mehr zu bläuen, diess aber wohl unter Mithülfe von Chlorwasser u. s. w. zu thun. Uebergiesst man fein zertheiltes Jod mit Wasserstoff- superoxid, so treten an jenem Körper kleine aber noch be- merkbare Gasbläschen auf und färbt sich die Flüssigkeit allmählig gelbbraun, welche, durch Kochen entfärbt, eben- falls alle Reactionen der Jodwasserstoffsäure noch deutlich hervorbringt. Die unter den erwähnten Umständen statt- findende Bildung dieser Säure muss schon desshalb auffal- lend erscheinen, weil bekanntlich HJ und HO: unter Jod- ausscheidung sich gegenseitig zersetzen. Meinen Erfahrungen semäss findet diess jedoch nicht mehr statt, falls beide Verbindungen stark mit Wasser verdünnt sind, welcher Um- stand es möglich macht, dass Jodwasserstoff neben Wasser- stoffsuperoxid sich bilde. ” Da das Jod bei gewöhnlicher Temperatur gegen HO sich gleichgültig verhält, so muss man nach den heutigen Lehren der Chemie annehmen, dass in den erwähnten Fäl- len die Jodwasserstoffsäure auf Kosten des H von HO; ge- 23 bildet werde. Warum aber dieser Verbindung eher als dem Wasser durch das Jod Wasserstoff entzogen werden soll, dürfte der herrschenden Thecrie zu erklären etwas schwer fallen; ich wenigstens wüsste hiefür keinen trifti- gen Grund anzugeben. Führt man in kali-, natron- oder ammoniakhaltiges Wasserstoffsuperoxid fein zertheiltes Jod ein, so erfolgt augenblicklich eine stürmische Entwickelung gewöhnlichen Sauerstoffgases und wird auch sofort eine durchaus farb- und geruchlose Flüssigkeit erhaiten, welche nicht die ge- ringste Bleichkraft besitzt, d. h. keine Spur des von mir angenommenen Hypojodites enthält und daher für sich al- lein weder den reinen noch jodkaliumhaltigen Stärkeklei- ster zu bläuen vermag, Reactionen, welche frühern Angaben semäss (siehe die voranstehende Mittheilung) die mit Jod versetzte wässrige Kalilösung u. s. w. in so augenfälliger Weise hervorbringt. Selbstverständlich zeigt das in wäss- rigem Jodkalium oder Weingeist gelöste Jod ein gleiches Verhalten gegen kalihaltiges Wasserstoffsuperoxid: stürmi- sehe Entbindung gewöhnlichen Sauerstofigases u. s. w. Es fragt sich nun, ob unter diesen Umständen ausser dem Jodkalium auch Kalijodat entstehe. Wie man leicht einsieht, ist es eine einfache Folge der oben erwähnten Annahmen, dass bei der Einwirkung des Kalis u. s. w. auf Jod keine Jodsäure, d. h. kein Jodat gebildet werde, falls überall da, wo jene Materien im gelösten Zustande zusam- men treffen, hinreichende Mengen von Wasserstoffsuperoxid vorhanden sind. Obgleich aus leicht ersichtlichen Gründen die strenge Erfüllung dieser Bedingung kaum möglich ist, so kann ihr doch nahezu dadurch genügt werden, dass man je auf einmal verhältnissmässig nur kleine Mengen gelösten Jodes zu viel kalihaltigem Wasserstoffsuperoxid bringt. Werden z. B. tropfenweise fünf ’Gramme einer wässrigen Lösung von 2% Jod- und 4%, Jodkaliumgehalt mit dreis- 16° 236 sig Grammen kalihaltigen Wasserstoffsuperoxides vermischt, so wird unter Sauerstoffentwickelung eine farblose Flüs- sigkeit erhalten, welche, nachdem sie erst (zum Behufe der Zersetzung des noch vorhandenen HO) einige Minuten lang aufgekocht und dann abgekühlt worden, mit einigem Klei- ster versetzt, bei Zusatz verdünnter Schwefelsäure nur eine schwach violette Färbung annimmt und bei Abwesenheit von Stärke farblos erscheint. Dass durch Chlorwasser u. s. w. aus der gleichen Flüssigkeit reichlichst Jod ausge- schieden wird, bedarf kaum der ausdrücklichen Erwähnung. Wird die erwähnte Jodlösung durch blosses wässriges Kali u. s. w. entfärbt und das erhaltene Gemisch ebenfalls auf- gekocht, so erhält man eine Flüssigkeit, aus welcher ver- dünnte Schwefelsäure reichlichst Jod fällt. Aus diesen Thatsachen erhellt zur Genüge, dass die An- oder Abwesenheit des Wasserstoffsuperoxides auf den Erfolg der Einwirkung des Jodes auf Kali, Natron u. s. w. einen entscheidenden Einfluss ausübt, so dass sich hierbei kein Jodat bildet, falls eine hinreichende-Menge von HO: vorhanden ist. Man könnte vielleicht geneigt sein, diese Thatsache durch die Annahme zu erklären, dass im ersten Augenblick der Reaction des Jodes auf das Kali u. s. w. Jodkalium und Kalihypojodit entstehe, letzteres Salz aber durch das vorhandene Wasserstoffsuperoxid unter Entbin- dung gewöhnlichen Sauerstofigases sofort wieder zu Jod- metall reducirt werde. Mich will jedoch bedünken, dass diess ein wenig wahrscheinlicher Vorgang sei; denn warum sollte der zur Bildung der unterjodichten Säure erforder- liche Sauerstoff, woher derselbe auch immer kommen mag, erst zu Jod treten, um sofort wieder von diesem Stoffe durch HO: abgetrennt und entbunden zu werden. Da obi- gen Angaben gemäss die Hypojodite wie die unterchloricht- sauren Salze durch Wasserstoffsuperoxid augenblicklich zer- setzt werden, so scheint es mir eine chemische Unmöglich- 237 keit zu sein, dass ein unterjodichtsaures Salz neben HO; entstehe. Ist aber die Annahme der Bildung eines solchen Salzes unter diesen Umständen unzulässig, so Kann die heu- tige Theorie nicht umhin, das Kali u. s. w. durch das Was- serstoffsuperoxid reducirt werden und dessen Metall mit ‘Jod sich verbinden zu lassen, eine Annahme, deren Rich- tigkeit ich stark bezweifle. Betrachtet man dagegen mit den ältern Chemikern das Jod als eine sauerstoffhaltige Verbindung und nimmt man an, dass ein Theil ihres O-Gehaltes im negativ-activen Zu- stande sich befinde, so erklärt sich der Vorgang einfach so: Durch das &) des Wasserstoffsuperoxides wird das © dem Jod entzogen, indem sich beide Sauerstoffmodificatio- nen zu O ausgleichen und so verändert aus ihren respec- tiven Verbindungen austreten. Das Jod selbst wird dadurch zu einem Oxide reducirt, welches mit dem vorhandenen Kali u. s. w. sich verbindend, dasjenige bildet, was die heutige Theorie für Jodkalium u. s. w. ansieht und dem salzsauren Kali der ältern Chemiker analog ist. Die gegenseitige Des- oxidation des Wasserstoffsuperoxides und Jodes wird durch die Anwesenheit alkalischer Oxide aus ähnlichen Gründen begünstiget, wesshalb z. B. die Superoxide des Wasser- stoffes und Manganes bei Gegenwart kräftiger Säuren: der Schwefelsäure u. s. w. einander so lebhaft zersetzen. In dem einen Falle wird durch den Verlust des © ein saures, im andern ein basisches Oxid erzeugt, wesshalb im erstern Falle die Anwesenheit stark basischer Oxide und im zwei- ten Falle diejenige kräftiger Säuren den Vorgang gegen- seitiger Desoxidation so wesentlich beschieuniget. Mag es sich aber mit der Richtigkeit dieser Annahme verhalten, wie da will, so viel ist gewiss, dass sie zur Ermittelung von Thatsachen geführt haben, welche unabhängig von ih- rem hypothetischen Ursprung für die theoretische Chemie nicht ohne Bedeutung sind, und zu deren Auffindung die 238 heutigen Vorstellungen über die Natur des Jodes kaum ge- leitet haben dürften. Das Bariumsuperoxid für BaO + &) nehmend, musste ich erwarten, dass unter geeigneten Umständen dasselbe mit Jod in Jodbarium und gewöhnliches Sauerstofigas sich um- setzen werde, ohne dass gleichzeitig sich Jodat bilde, und so verhält sich auch die Sache. Führt man fein zertheiltes Jod in Bariumsuperoxid ein, das frei von Baryt und in Wasser zertheilt ist, so verschwindet dasselbe rasch unter lebhafter Entbindung gewöhnlichen Sauerstoffgases und Bil- dung von Jodbarium, welches kein Jodat enthält, wie dar- aus hervorgeht, dass die reine verdünnte Salpeter- oder Salzsäure aus der unter den erwähnten Umständen erhal- tenen Salzlösung kein Jod ausscheidet, was bei Anwesen- heit von Jodat geschehen müsste. Enthält das angewendete Superoxid noch Baryt, so bildei sich um so mehr von dem letztgenannten Salze, je grösser die Menge des vorhandenen BaO ist. Dass man auf ein Aeq. Jodes und ein Aeq. BaO; ein Aeq. Jodbariums und zwei Aeq. Sauerstofies erhält, ist kaum nöthig ausdrücklich zu bemerken. Wenn nun die erwähnten Thatsachen einfache Conse- quenzen meiner Ansicht über die Natur des Jodes und Ba- riumsuperoxides sind, so sehe ich vom Standpunkt der herr- schenden Theorie nicht ein, warum nicht eher drei Aeg. Jodes mit drei Aeq. Bariumsuperoxides in zwei Aeq. Jod- bariums und ein Aeq. Barytjodates sich umsetzen, und eben so wenig begreife ich, wesshalb das Jod nicht eben so gut aus BaO ein Aeq. Sauerstoffes austreiben soll, als es zwei - Aeq. dieses Elementes (gemäss der heutigen Theorie) aus BaQ, abzuscheiden vermag. Man soilte doch wohl meinen, eine einfache Arbeit sei leichter als die doppelte zu ver- richten, d. h. die zweifache Menge Sauerstofles aus einer Verbindung abzutrennen müsste schwieriger sein, als nur die einfache auszuscheiden. Die Verschiedenheit der Ver- 239 haltens zwischen Baryt und Bariumsuperoxid zum Jod durch die sogenannte prädisponirende Verwandtschaft, d. h. durch die Basicität von BaO erklären zu wollen, dürfte nicht viel besagen. Noch habe ich einer hieher gehörigen Thatsache zu erwähnen, welche sich auf das Verhalten des sogenannten Jodstickstoffes zum Wasserstoffsuperoxid bezieht und inte- ressant genug ist, um mitgetheilt zu werden. Setzt man die wohl ausgewaschene fulminirende Sub- stanz mit wässrigem HO; in Berührung, so tritt augenblick- lich eine stürmische Gasentwickelung ein, verschwindet bei genugsamem Wasserstofisuperoxid rasch der Jodstickstoff und wird eine gelbbraune Flüssigkeit erhalten, welche den Stärkekleister auf das Tiefste bläut und durch Erhitzung entfärbt, das Lakmuspapier röthet, aus gelöstem salpeter- sauren Quecksilberoxidul das Jodür dieses Metalles fällt, beim Zufügen von Chlorwasser sich bräunt oder bei An- wesenheit von Kleister auf das Tiefste gebläut wird, mit letzterem vermischt bei Zusatz verdünnter Schwefelsäure nur äusserst schwach violett sich färbt und mit kaustischem Kali zusammengebracht Ammoniak entbindet. N Das bei dem erwähnten Vorgang entbundene geruch- lose Gas entzündet sofort einen glimmenden Spahn und wird von kalihaltiger Pyrogallussäurelösung rasch verschluckt unter Zurücklassung eines kleinen Restes von Luft, in wel- cher ein brennendes Hölzchen augenblicklich erlischt. _ Aus diesen Thatsachen erhellt, dass das bei der Ein- wirkung des Wasserstoffsuperoxides auf den Jodstickstoff sich entbindende Gas dem grössten Theile nach gewöhnli- cher Sauerstoff ist, gemengt mit kleinen Mengen einer Luft- ‚art, welche sich wie Stickgas verhält, und ergibt sich des Fernern, dass Jodwasserstoffsäure nebst Jodammonium und einer Spur von Jodsäure gebildet, wie auch Jod frei wird, welches sich in der Flüssigkeit löst. 240 Von der Annahme ausgehend, dass der sogenannte Jod- stickstoff eine Verbindung von eigentlichem Jodstickstoff mit Ammoniak sei, wird das Verhalten dieser fulminirenden Substanz zum Wasserstoffsuperoxid leicht erklärlich. Es ist oben erwähnt worden, dass beim Zusammenbringen am- moniakhaltigen Wasserstoffsuperoxides mit Jod eine stür- mische Entbindung-von Sauerstoffgas eintrete unter Bildung von Jodammonium, und HO: für sich allein schon kleine Mengen von Jodwasserstoffsäure erzeuge. Man kann sich desshalb nicht wundern, dass das Wasserstoffsuperoxid auf den NH;-haltigen Jodstickstoff kräftiger als auf das reine Jod einwirkt, wie es sich ebenfalls leicht begreift, dass unter diesen Umständen Jodammonium nebst einiger Jod- wasserstoffsäure sich bildet und Sauerstoff, Stickgas und Jod frei werden. Wie mir scheint, könnte das Verhalten des Wasserstoffsuperoxides zum Jodstickstoff zu einer eben so genauen als gefahrlosen Analyse dieser fulminirenden Verbindung benützt werden. IV. Veber das Verhalten des Jodes zum Stärkekleister und reinem Wasser bei höherer Temperatur. Seit lange gilt es als Thatsache, dass die wässrige Jodstärke durch Erhitzung farblos werde, um bei der Ab- kühlung sich wieder zu bläuen; Herr Baudrimont suchte ‘aber unlängst der Pariser Akademie zu zeigen, dass dem nicht so sei und die besagte Entfärbung von der durch die Hitze bewerkstelligten Verflüchtigung des Jodes herrühre. Dass der französische Chemiker sich geirrt habe, wird aus nachstehenden Angaben zur Genüge erhellen. Beim Ver- mischen gleicher Raumtheile gelbbraunen Jodwassers und wi stark verdünnten Kleisters, jede dieser Flüssigkeiten auf 100° erwärmt, tritt durchaus keine Bläuung ein und er- scheint das Gemisch bräunlich, so lange dasselbe nicht ab- gekühlt wird. Giesst man es in ein ebenfalls auf 100° er- hitztes Becherglas, so behält natürlich die Flüssigkeit ihre bräunliche Färbung bei, während sie, in ein kaltes grös- seres Gefäss gegossen, sich augenblicklich auf das Tiefste bläut. Erhitzt man umgekehrt ein kaltes und somit tief- blaues Gemisch von Jodwasser und Kleister, so wird das- selbe bei einer dem Siedpunkte des Wassers nahen Tem- peratur entbläut, nun durch seine ganze Masse hindurch eine bräunliche Färbung zeigend, was die Anwesenheit des Jodes in der Flüssigkeit augenfällig genug darthut. Ver- steht sich von selbst, dass bei seiner Abkühlung das Ge- misch wieder blau wird, und zwar eben so gut oben als unten. ; Diese Thatsachen reichen schon vollkommen hin, die Irrigkeit der Behauptung des Herrn Baudrimont darzuthun; ich will aber denselben noch einige weitere beifügen, die eben so schlagend die Richtigkeit der bisherigen Annahme der Chemiker beweisen. Zwanzig Gramme der zu den erwähnten Versuchen an- sewendeten wässrigen Jodlösung, in einem offenen Probe- gläschen in siedendes Wasser gestellt, erforderten volle zwei Stunden, bis sie gänzlich entfärbt waren und den kal- ten Kleister nicht mehr zu bläuen vermochten, woraus er- hellt, dass das Jod gar nicht so schnell, wie der franzö- sische Chemiker glaubt, aus dem Wasser verdampft. Nun lehrt aber der Versuch, dass kleinere Mengen solchen durch Kleister aufs Tiefste gebläueten Jodwassers schon in we- niger als einer Minute durch Erwärmung entbläut werden können, in welcher kurzen Zeit offenbar nur ein äusserst kleiner Bruchtheil des vorhandenen Jodes verdampft. Schon oft hat man die Frage aufgeworfen, ob die blaue 242 Jodstärke eine chemische Verbindung oder ein blosses Ge- meng sei; da es aber zwischen beiden einen scharfen Un- terschied nicht gibt, so ist dieselbe auch immer in entge- gengesetztem Sinne beantwortet worden. Was mich betriftt, so halte ich die fragliche Materie eher für eine chemische Verbindung als für ein Gemeng, und zwar einfach desshalb, weil es mir unwahrscheinlich vorkommt, dass Jod und Stärke durch blosse Mengung eine Färbung annehmen könn- ten, so stark abweichend von der Mischfarbe, welche sie zeigen müssten, falls sie nur mechanisch vereiniget wären. Wenn wir z. B. beim Zusammenreiben des Quecksilbers mit Jod anstatt einer grauschwarzen eine rothe Materie erhalten, so schliessen wir schon aus diesem optischen Ver- halten, dass jene Körper chemisch verbunden seien, und so in hundert andern Fällen. Nimmt man nun innigere und lockere chemische Verbindungen an, wie diess in Wirk- lichkeit geschieht, so sehe ich nicht ein, . warum die Jod- stärke nicht von letzterer Art sein sollte; zerfallen doch manche Substanzen, die unbestritten als chemische Verbin- dung gelten, eben so leicht, als das Jod von der Stärke sich abtrennt. Man denke nur an die Leichtigkeit, mit wel- cher einige Salze ihr Krystallwasser verlieren. Die Ent- färbung der wässrigen Jodstärke, durch Erwärmung be- werkstelliget, dürfte desshalb einfach darauf beruhen, dass bei einer gewissen Temperatur Stärke und Jod von einan- der sich trennen und dann ein blosses Gemeng bilden, wel- ches in der Kälte wieder zu einem chemischen Gemisch wird und desshalb seine blaue Färbung wieder annimmt. Erhält man in einem Wasserbad ein Gemisch wässri- ger Jodiösung und verdünnten Kleisters in einem verschlos- senen Gefäss stundenlang auf einer Temperatur von 100°, so verliert es die Eigenschaft, bei seiner Abkühlung sich wieder zu bläuen und reagirt schwach sauer. Versetzt mit verdünnter Schwefelsäure und einigen Tropfen einer alkali- X 243 schen Nitritlösung, färbt sich dasselbe tiefblau, wie das reine Gemisch auch noch erkennbare Mengen Quecksilber- jodüres aus gelöstem salpetersauren Quecksilberoxidul fällt. Diese Reactionen lassen nicht daran zweifeln, dass sie von Jodwasserstofisäure herrühren und berichtigen die Annahme Duroy’s, welcher gemäss es ein farbloses Stärkejodür ge- ben soll. ® Lässt man wässrige Jodlösung, in engen Röhren ein- geschlossen, einige Stunden lang in kochendem Wasser ver- weilen, so wird sie farblos und hat die Fähigkeit verloren, für sich allein den Stärkekleister zu bläuen, reagirt schwach sauer und fällt aus gelöstem salpetersauren Quecksilber- oxidul gelbgrünes Quecksilberjodür. Den Stärkekleister bläut sie auf das Stärkste beim Zufügen verdünnter Schwefel- säure u. s. w., auch bringt Chlorwasser die gleiche Färbung hervor. Die Thatsache, dass die durch Erhitzung entfärbte wässrige Jodlösung für sich allein den Stärkekleister nicht mehr bläut, diess aber bei Anwesenheit verdünnter Schwe- felsäure thut, beweist, dass in der Flüssigkeit kein freies Jod, wohl aber eine Materie enthalten ist, welche unter den erwähnten Umständen jenen Körper auszuscheiden ver- mag. Jod und Wasser können aber keine andere Verbin- dungen bilden, als Jodwasserstoffsäure und Jodsäure. Wie sollen aber diese Säuren sich erzeugen können, da diesel- ben so leicht in Wasser und Jod sich umsetzen? Nach meinen Erfahrungen thun sie diess nur, wenn ihre wässri- gen Lösungen in einem gehörigen Conzentrationsgrade zu- sammen gebracht werden, nicht aber bei sehr starker Ver- dünnung, in welchem Zustande sie nicht im Mindesten zer- setzend auf einander einwirken und desshalb auch nicht den Kleister zu bläuen vermögen. Ein solches Gemisch beider Säuren thut diess jedoch augenblicklich, wenn dasselbe selbst durch stark verdünnte Schwefelsäure, Salzsäure u.s.w. 24% angesäuert wird.') Da sich nun ein solches Gemisch genau so verhält, wie das durch längere Erhitzung entfärbte Jod- wasser, so ist nicht daran zu zweifeln, dass letzteres kleine Mengen von Jodwasserstoffsäure und Jodsäure enthalte und somit, dass schon bei 100° Jod und Wasser in beide Säu- ren umgesetzt werden. Dass Jodwasser, längere Zeit der Einwirkung des Sonnenlichtes aüsgesetzt, sich entfärbt und HJ und JO, gebildet werden, ist längst bekannt, und meine eigenen Versuche lassen an der Richtigkeit dieser 'That- sache nicht zweifeln. | Nachträglich sei noch bemerkt, dass das mit Kleister in der Hitze entfärbte Jodwasser nur HJ und keine Jod- säure enthält, wie daraus erhellt, dass dasselbe, durch ver- dünnte SO, angesäuert, den Kleister nicht bläut, diess aber sofort beim Zufügen verdünntester Jodsäurelösung thut. Der Sauerstoff des Wassers, welcher in Folge dieser Bildung von HJ frei wird, muss also in einem kleinen Theil der vorhandenen Stärke durch Oxidation irgend eine chemische Veränderung bewerkstelligen. Ueber das Verhalten des Weingeistaldehydes zum Sauerstofi. In der Leichtigkeit, mit welcher der Weingeistaldehyd und das Bittermandeiël, scheinbar von dem gewöhnlichen Sauerstoff, Ersterer zu Essigsäure, Letzteres zu Benzoe- säure oxidirt wird, zeigt sich zwischen beiden Materien eine ‘grosse Aehnlichkeit, und bekanntlich wird auch das ge- 1) Warum die stark verdünnte SO; die Jodsäure bestimmt, oxidi- rend auf den Jodwasserstoff einzuwirken, weiss ich nicht zu sagen. 245 nannte Oel zu der Gruppe der Aldehyde gezählt, welche sämmtlich durch ihre Oxidirbarkeit sich auszeichnen. Der gewöhnliche Sauerstoff als solcher besitzt nach meiner Annahme kein oxidirendes Vermögen und muss im- mer erst, bevor er mit irgend einem Körper chemisch sich vergesellschaften kann, diejenige Zustandsveränderung er- leiden, welche ich Ozonisation zu nennen pflege. Dass das Bittermandelöl auf den Sauerstoff einen ozonisirenden Ein- fluss ausübe, d. h. bei seiner Umwandelung in Benzoesäure ozonisirter Sauerstoff aufirete, habe ich früher schon ge- zeigt; es war daher für mich zum voraus so gut als ge- wiss, dass der Weingeistaldehyd ähnlich dem Benzoyl- wasserstoff sich verhalten werde, und ich denke, dass über die Richtigkeit dieser Vermuthung die nachstehenden An- saben keinen Zweifel übrig lassen. Bevor ich-jedoch die Ergebnisse meiner über diesen Gegenstand angesteilten Ver- suche mittheile, muss ich bemerken, dass ich den zu den- selben verwendeten Aldehyd der Güte des Herrn von Liebig und Dr. Seekamp verdanke, eben so das Aldehydammoniak, welches ich zur Bereitung frischen Aldehydes benützte, welche Substanzen eigens zum Zwecke meiner Versuche dargestellt wurden. Da bekanntlich selbst der in zugeschmolzenen Röhren aufbewahrte Aldehyd allmählig gewisse Veränderungen er- leidet, so hielt ich es für angemessen, meine Versuche zu- nächst mit frisch bereitetem Aldehyd anzustellen, ich will aber jetzt schon bemerken, dass die mit dem im Liebig- schen Laboratorium dargestellten und einige Monate alten Aldehyd gewonnenen Ergebnisse vollkommen übereinstimm- ten mit denjenigen, welche ich mit frisch bereitetem erhal- ten habe. Das empfindlichste und bequemste Reagens auf den ozonisirten Sauerstoff ist bekanntlich jodkaliumstärkehalti- ges Papier, welches durch denselben gebläut wird, während 246 es der gewöhnliche unverändert lässt, und kaum wird es der ausdrücklichen Bemerkung bedürfen, dass weder dampf- förmiger noch flüssiger Aldehyd für sich allein ein solches Papier zu bläuen vermag. Lässt man in eine mit gewöhn- lichem reinem Sauerstoffgas oder atmosphärischer Luft ge- füllte, etwa halblitergrosse weisse Glasflasche einige Tro- pfen Aldehydes fallen oder führt man den mittelst ver- dünnter Schwefelsäure aus einem Gramm Aldehydammoniakes frisch entbundenen Aldehyddampf in das sauerstofthaltige Gefäss ein und hängt man in diesem Luftgemeng einen feuchten Streifen des besagten Reagenspapieres auf, so wird derselbe rascher oder langsamer gebläut werden, je nach- dem der aldehydhaltige Sauerstoff der Einwirkung eines stärkern oder schwächern Lichtes ausgesetzt ist. Im kräf- tigen unmittelbaren Sonnenlichte zur Mittagszeit erscheint das Papier schon nach einer Minute schwarzblau, während unter sonst gleichen Umständen im zerstreuten Lichte diese Färbung langsamer erfolgt. Allem Anschein nach verhalten sich Sauerstoff und Aldehyd in der Dunkelheit völlig gleich- gültig gegen einander; denn in dem so beumständeten Luft- gemeng kann ein feuchter Streifen Jodkaliumstärkepapieres oder ein gleich beschaffenes Stück blauen Lakmuspapieres Tage lang verweilen, ohne dass Jener nur im Mindesten gebläut oder Dieses geröthet würde. Diese Unveränderlich- keit beider Reagenspapiere scheint mir auf das Augen- scheinlichste zu zeigen, dass in der Dunkelheit weder Sauer- stoff ozonisirt noch Aldehyd zu Essigsäure oxidirt wird. Warum der Aldehyd für sich allein den Sauerstoff nicht zu _ ozonisiren vermag und hierzu der Mithülfe des Lichtes be- darf, kann ich eben so wenig sagen, als ich weiss, worauf überhaupt die chemischen Wirkungen dieses Agens beruhen. Kaum wird nöthig sein zu bemerken, dass in dem beson- neten aldehydhaltigen Sauerstoffgas die Bläuung des Ozon- papieres mit der Röthung des Lakmuspapieres Hand in Hand 247 geht, aus welcher Thatsache wohl geschlossen werden darf, dass der Oxidation des Aldehydes die Ozonisation des Sauerstoffes vorangehe, d. h. die besagte Oxidation nicht durch gewöhnlichen, sondern ozonisirten Sauerstoff bewerk- stelliget werde. | Der mit Schwefelsäure vergesellschaftete Indigo wird durch den gewöhnlichen Sauerstoff nicht zerstört, wohl aber durch den ozonisirten zu Isatin oxidirt, wie diese thä- tige Sauerstoffmodification überhaupt chlorähnlich auf die sämmtlichen organischen Farbstoffe einwirkt. Durch indigo- tinctur ziemlich tief gebläuete und noch feuchte Papier- streifen in kräftigst beleuchtetem und aldehydhaltigem Sauer- stoffgas aufgehangen, bleichen sich im Laufe einer Viertel- stunde vollständigst aus, welche Thatsache einen weitern Beweis dafür liefert, dass unter den erwähnten Umständen der gewöhnliche Sauerstoff ozonisirt werde. Wie das Jod- kalium und der Indigo, erleiden in dem beleuchteten und aldehydhaltigen Sauerstoff auch noch anderweitige Materien eine rasche Oxidation, zu welchen namentlich einige Me- talle gehören. Lässt man z. B. ein mit Wasser benetztes Kadmiumstäbchen von reiner Oberfläche nur wenige Minu- ten in stark besonnetem aldehydhaltigen Sauerstoff oder atmosphärischer Luft verweilen und spült man das Metall mit einigem Wasser ab, so werden durch HS aus dieser Flüssigkeit schon bemerkliche Mengen gelben Schwefel- kadmiums gefällt, woraus erhellt, dass unter diesen Um- ständen ein in Wasser lösliches Kadmiumsalz (Acetat) sich bildet. Ich will bemerken, dass ein solches Salz um das Metall auch dann noch sich erzeugt, wenn Letzteres unbe- feuchtet der Einwirkung des beleuchteten Luftgemenges ausgesetzt wird, in welchem Falle jedoch die Bildung des Salzes langsamer erfolgt. In ähnlicher Weise wird selbst das Silber von dem aldehydhaltigen Sauerstoff oxidirt, wie aus folgender Angabe erhellt. Hängt man ein befeuchtetes 248 Blech chemisch reinen Silbers in dem besagten Gasgemeng auf, so wird es schon nach einer Viertelstunde so verän- dert sein, dass dessen Öberfläche beim Uebergiessen mit wässrigem Schwefelwasserstoff merklich stark sich bräunt, welche Färbung offenbar von Schwefelsilber herrührt und beweist, dass unter den erwähnten Umständen ein Silber- salz gebildet und somit dieses Metall gleichzeitig mit dem Aldehyd oxidirt wird. Meine frühern Versuche haben dargethan, dass eine Anzahl von Schwefeimetallen durch den ozonisirten Sauer- stoff rasch in Sulfate verwandelt werden und in diesem Falle namentlich das Schwefelblei sei. Setzt man einen feuchten Streifen durch PbS stark gebräunten Papieres der Einwirkung aldehydbaltigen und kräftig besonneten Sauer- stoffgases aus, so wird derselbe schon nach 15—20 Minu- ten vollkommen weiss erscheinen, welche Entfärbüung selbst- verständlich der Umänderung des gefärbten Schwefelbleies in weisses Sulfat zuzuschreiben ist. Zwar wird das schwe- felbleihaltige Papier, wie ich diess zu seiner Zeit gezeigt habe, durch den besonneten Sauerstoff allein schon gebleicht, jedoch ohne alle Vergleichung langsamer, als in dem alde- hydhaltigen Gas. Das durch Schwefelkupfer gebräunte Pa- pier verhält sich in gleicher Weise, mit dem Unterschiede jedoch, dass unter sonst gleichen Umständen dessen Blei- chung langsamer von Statten geht. Voranstehende Angaben zeigen zur Genüge, dass unter dem gedoppelten Einflusse des Weingeistaldehydes und des Sonnenlichtes der gewöhnliche Sauerstoff ozonisirt wird ‘und von dieser Zustandsveränderung auch die Oxidation des Aldehydes bedingt ist. Vergleicht man diese Thatsa- chen mit den Ergebnissen, zu welchen mich meine Ver- suche über das Verhalten des Bittermandelöles zum ge- wöhnlichen Sauerstoff geführt haben, so zeigt sich zwischen denselben im Wesentlichen die vollkommenste Ueberein- 249 stimmung, und ich zweifle desshalb nicht, dass Versuche mit andern Aldehyden ganz ähnliche: Ergebnisse liefern werden. Ueber einige durch die Haarröhrchenanziehung des Papieres hervorgebrachten Trennungswirkungen. Um die Beschreibung der Ergebnisse meiner über die- sen Gegenstand angestellten Versuche möglichst kurz zu machen, sei zuvörderst bemerkt, dass dabei 8” lange und 1” breite Streifen weissen ungeleimten und stark capillaren Papieres angewendet wurden, welche man, senkreckt auf- gehangen, an ihrem untern Ende eine Linie tief in die Ver- suchsflüssigkeit so lang eintauchen liess, bis sie einen Zoll hoch capillar benetzt waren. Als Versuchsflüssigkeiten dienten verdünnte wässrige Lösungen von Alkalien, Säu- ren, Salzen, Farbstoffen u. s. w. Wirkungen auf gelöste Alkalien. Kalilösung mit 1% KO-Gehaltes. Beim Ein- tauchen des capillar benetzten Feldes in Curcumatinctur werden nur die untern sieben Zehntel des Papieres braun- roth gefärbt, während die drei obern Zehntel vollkommen gelb bleiben. Ein übereinstimmendes Ergebniss wird mit gelbem Curcuma- oder geröthetem Lakmuspapier erhalten: die höhern benetzten Stellen dieser Papiere bleiben gelb oder roth und werden nur die untern gebräunt oder ge- bläut. Da der gelbe Farbstoff der Curcuma oder das Lakmus- roth gegen Kali so äusserst empfindlich ist, so kann da, wo das Papier benetzt, nicht aber gebräunt oder gebläut erscheint, auch kein Kali sich befinden: woraus folgt, dass der obere Theil des Papieres durch blosses Wasser benetzt 17 250 ist und somit auch, dass durch die Haarröhrchenanziehung des Papieres Wasser von dem mit dieser Flüssigkeit ver gesellschafteten Kali auf das Vollständigste getrennt wird. Natronlösung mit 1% NaO-Gehaltes verhält sich ähnlich der Vorigen, doch werden 8%; Theile des be- netzten Feldes durch Curcumatinctur gebräunt und bleiben nur die obern anderthalb Theile gelb. Lithonlösung mit 1% LO-Gehaltes wie Na- tronlösung. Gesättigte Barytlösung. Nur die drei untern Zehntel des benetzten Feldes werden durch Curcumatinc- tur gebräunt und färben sich die übrigen sieben Zehntel rein gelb. Gesättigte Strontian- und Kalklösungen. Kaum der unterste zehnte Theil des benetzten Feldes bräunt sich in Curcumatinctur und werden volle neun Zehntel rein gelb gefärbt. Wirkungen auf gelöste Säuren. Schwefelsäurelösung mit 1% SO; -Gehal- tes. Die untern acht Zehntel des benetzten Feldes färben die mittelst eines Pinselchen aufgetragene blaue Lakmus- tinctur roth, während das obere Fünftel keine Wirkung auf dasselbe hervorbringt. Bei Anwendung eines blauen Lak- musstreifens erhält man ein gleiches Ergebniss: das obere Fünftel des benetzten Feldes erscheint blau, der Rest roth. Oxalsäurelösung mit 1% Säuregehaltes. Die . untern sieben Zehntel des benetzten Feldes röthen die auf- getragene blaue Lakmustinctur, die drei obern lassen die- selbe unverändert. Zitronen- und Weinsäurelösung mit 1% Säu- regehaltes, wie Schwefelsäure. Gallusgerbsäurelösung mit 1% Säuregehal- tes. Eingetaucht in eine verdünnte Eisenoxidsalzlösung, 251 färben sich nur die drei untern Zehntel des benetzten Fel- des blauschwarz und bleiben die obern sieben Zehntel farblos. Aehnlich verhalten sich die wässrigen Lösungen der Gallus- und Pyrogallussäure. Was die Letztere be- trifft, so stelle ich mit ihr den Versuch auf zweierlei Weise an, entweder so, dass das von ihr capillar benetzte Feld erst in Kalilösung getaucht und dann der Einwirkung. des atmosphärischen Sauerstoffes ausgesetzt wird, wobei nur das untere Drittel des Feldes sich schwarzbraun färbt und die obern zwei Drittel farblos bleiben; oder dass das be- netzte Feld in eine Ozonatmosphäre eingeführt wird, in welchem Falle nur der untere Theil gefärbt wird, während der obere farblos bleibt. Wirkungen auf gelöste Salze. Eisenoxidsalzlösung mit 1% Salzgehaltes. Ich wendete bei meinen Versuchen gewöhnlich das salz- saure Eisenoxid an, will aber bemerken, dass auch die übrigen löslichen Eisenoxidsalze ein gleiches Verhalten zei- ‘gen. Beim Eintauchen des benetzten Feldes in Gallusgerb- säure- oder Kaliumeisencyanürlösung färbt sich nur die un- tere Hälfte blauschwarz oder blau und bleibt die obere farblos. | Bleinitratlösung mit 1% Salzgehaltes. Beim Einführen des benetzten Feldes in Schwefelwasserstoffgas bräunen sich nur die untern drei Fünftel, während die obern zwei völlig farblos bleiben. Silbernitratlösung mit 1 °%, Salzgehaltes. Sieben Zehntel des benetzten Feldes färben sich in HS braun, die drei obern Zehntel bleiben farblos. Kupfervitriollösung mit 1% Salzgehaltes verhält sich nahezu wie die Silberlösung. 17* 252 si Kadmiumnitritlösung mit 1% Salzgehaltes. Untere Hälfte des benetzten Feldes in HS gelb gefärbt, obere Hälfte farblos. Brechweinsteinlösung mit 1 % Salzgehal- tes macht eine Ausnahme, da in Schwefelwasserstoffsas das ganze benetzte Feld gelb wird. Verdünnte Lösung des unterchlorichtsau- ren Kalkes. Nur die untern vier Fünftel des benetzten Feldes bläuen den aufgetragenen verdünnten Jodkaliumklei- ster, während das oberste Fünftel denselben ungefärbt lässt. Jodkaliumlösung mit 1% Salzgehaltes. Jod- kalium und Wasser wandern nahezu gleich schnell durch das Papier; es eilt jedoch letzteres um ein Weniges vor- aus, wie daraus erhellt, dass beim Einführen des benetzten Feldes in ozonisirte Luft das oberste Zwanzigstel farblos bleibt, während der Rest sofort gebräunt wird. Kalihaltige Jodkaliumlösung mit 2% KJ und 1% KO-Gehaltes. Ein mit dieser Lösung durch Ein- tauchen getränkter Papierstreifen wird in ozonisirter Luft an keiner Stelle gebräunt, lässt man aber in der oben an- gegebenen Weise einen Papierstreifen über der besagten Flüssigkeit so lange hängen, bis sie auf capillarem Weg einen halben Zoll im Papier aufgestiegan ist, so wird beim Einführen des benetzten Feldes in ozonisirte Luft nur un- gefähr die untere Hälfte desselben farblos bleiben, während die obere Hälfte sich augenblicklich bräunt; es erscheint jedoch auch in diesem Falle ganz zu oberst ein schmaler . benetzter Streifen, welcher völlig farblos ist. Dieser Ver- such zeigt, dass das Kali, Jodkalium und Wasser ungleich schnell das Papier capillar durchdringen: das Wasser eilt voraus, das Jodkalium folgt und dem Salze rückt das Kali nach. Jodhaltige Jodkaliumlösung. Lässt man auf capillarem Weg in einen Papierstreifen zollhoch eine Lö- 253 sung dringen, welche /; % Jodkaliums enthält und durch Jod braunroth gefärbt ist, so werden die vollen zwei obern Drittel des benetzten Feldes farblos erscheinen und nur das untere Drittel gebräunt sein. Führt man das so beschaffene Papier in ozonisirte Luft ein, so bräunt sich natürlich auch sofort der weisse Theil des Feldes, jedoch mit Ausnahme der obersten Stelle, welche farblos bleibt. Man sieht hier- aus, dass auch in diesem Falle die drei in der Versuchs- flüssigkeit vorhandenen Materien mit verschiedener Ge- schwindigkeit durch das capillare Papier sich verbreiten und eben dadurch von einander theilweise getrennt werden. Wirkungen auf gelöste Farbstojfe. Indigolösung. Lässt man über Wasser, durch In- digotinctur so tief gefärbt, dass weisses darin eingetauchtes Papier noch ziemlich stark gebläut wird, einen Papierstrei- fen so lange hängen, bis dieser einen Zoll hoch capillar benetzt ist, so erscheint die untere Hälfte des benetzten Feldes gebläut, die obere Hälfte völlig farblos. Da die ge- wöhnliche Indigolösung immer freie Schwefelsäure enthält, so kann auch der farblose Theil unseres benetzten Feldes nicht gleichartig befeuchtet sein. Untersucht man denselben von oben nach unten, indem man ihn mittelst eines in blaue Lakmustinctur getauchten Pinselchens bestreicht, so zeigt sich, dass die obersten zwei Fünftel den Färbstoff unver- ändert lassen, während die drei untern Fünftel ihn röthen. Hämatoxylinlösung. Das von einer frisch berei- teten und beinahe farblosen wässrigen Lösung dieses Chromo- genes benetzte und ebenfalls farblos erscheinende Feld, in Ammoniakgas oder verdünnte Kalilösung eingeführt, wird nur zu einem Drittel gebläut, während die zwei obern Drit- tel vollkommen farblos bleiben. Wendet man den braun- rothen Absud des Blauholzes zum Versuch an, so wird nur etwa ein Fünftel des benetzten Feldes gefärbt und sind die 254 Gin obern vier Fünftel weiss. In Ammoniakgas färbt sich das untere Viertel der farblos gebliebenen Abtheilung des be- netzten Feldes noch ziemlich stark violett, was beweist, dass sich dort noch das farblose Chromogen des Blauhol- zes befindet, welches dem schon veränderten oder oxidirten Färbstoff vorauseilt. | Fernambukabsud. Das von dieser Färbstofflösung ‚benetzte Feld, in Ammoniakgas eingeführt, wird nur dem kleinsten Theile nach geröthet, indem die obern neun Zehn- tel farblos bleiben. Lakmustinctur. Der in dieser Lösung enthaltene Farbstoff wandert beinahe eben so schnell durch das Pa- pier, als das Wasser; das obere Zwölftel des benetzten Feldes erscheint jedoch anstatt blau licht violett gefärbt, was ein Vorauseilen des Wassers anzudeuten scheint. Wesentlich anders verhält sich die durch Salzsäure u. Ss. w. geröthete Tinctur; enthält dieselbe einen merkli- chen Ueberschuss an Säure, so erscheint kaum ein Drittel des von ihr benetzten Feldes geröthet, während die obern zwei Drittel völlig farblos sind, und untersucht man diese von oben nach unten mittelst blauer Lakmustinctur, so er- weist sich der obere kleinere Theil als durchaus säurefrei, wogegen der untere grössere Theil das Lakmus blau röthet. Ist die Tinctur zwar noch vollkommen geröthet, aber weniger stark gesäuert, so wandert dem Farbstoff nur Was- ser voraus, wie daraus erhellt, dass der farblose Theil des benetzten Feldes die blaue Lakmustinetur an keiner Stelle mehr röthet. Wenn die Tinctur noch weniger Säure ent- - hält, aber so ist, dass sie eingetauchtes Papier noch roth färbt, so zeigt der capillar benetzte Papiertheil zwei ge- färbte Felder, von welchen das untere und kleinere roth, das obere schwach gebläut erscheint und durch Säure ge- röthet wird. Hieraus erhellt, dass die schwach gesäuerte Lakmustinctur eine Mischung von rother und blauer: ist 259 und die eine von der andern durch Capillaranziehung ge- trennt wird. | Die im Voranstehenden beschriebenen Thatsachen zei- gen, dass mit wenigen Ausnahmen das Wasser den in ihm gelösten Substanzen auf capillarem Wege mehr oder we- niger schnell vorauseilt, wesshalb kaum daran zu zweifeln ist, dass diess überhaupt Regel sei. Wie man sieht, ist bei meinen Versuchen noch keine Rücksicht genommen auf den etwaigen Einfluss der Temperatur, des Conzentrationsgra- des der Versuchsflüssigkeiten u. s. w., wie auch die capil- laren Wanderungsverhältnisse der von mir untersuchten Substanzen nur ganz allgemein angegeben sind. Ich glaube aber, dass trotz dieser Lückenhaftigkeit die erhaltenen Er- gebnisse einigen Werth haben und namentlich auch dem analytischen Chemiker als qualitatives Untersuchungsmittel in solehen Fällen dienen können, wo ihn andere Reagentien im Stiche lassen, wie z. B. bei Gemischen gelöster organi- scher Farbstoffe. Beiträge zum Studium der Salpeterbildungen. Von Dr. Friepr. GOPPELSRÜDER. 1) In unseren gemässigten Zonen sind zwar keine so mächtigen Lager von salpetersauren Salzen wie in den heis- sen Climaten vorhanden, aber dennoch findet unter unseren Augen fortwährend eine Salpeterbildung statt und können wir beobachten wie stickstoffhaltige Materien, thierische Abfälle und Flüssigkeiten, Excremente, Urin, Blut, Pflanzen- theile u. s. w., in Berührung mit starken Basen wie Kali, Kalk u. s. w., vermöge. der Gegenwart und Thätigkeit des atmosphärischen Sauerstoffes, während ihres Zerfallens durch 256 den Fäulnissprozess jene Basen in salpetersaure Salze um- wandeln. Neben den Salpeterplantagen, jenen eigentlichen Salpeterfabriken , liefert die Erde unter dem Boden der Ställe, um Miststätten herum, und wo: immer Ueberreste or- ganischer Materien der Fäulniss :preisgegeben ‘sein mögen, ein brauchbares Material zur Salpetergewinnung. Am besten bekannt und: von jedem beobachtet sind aber diejenigen Nitratbildungen, welche jene Erscheinung verursachen, die man mit dem Namen Salpeterfrass bezeich- net hat, und welche’sich durch schneeartige weisse cristal- linische Ausblühungen ‘an den Mauern der Wohnhäuser, vor Allem aber an den Mauern der Ställe: kundgibt. So klein auch diese Mengen salpetersaurer ‘Salze im Vergleich zu jenen mächtigen Lagern in den heissen Zonen sind, so interessant ist doch das Studium dieser Produkte und der verschiedenen Verhältnisse ihres Vorkommens. :Er- kennen wir in der Bildung der Nitrate an den Mauern un- serer Häuser und Viehställe auch nur ein Schattenbild je- nes grossartigen Prozesses, welcher die Chilisalpeterlager zu erzeugen vermochte und in den Salpeterplantagen statt- findet, so dürfen wir doch die Bildung der Nitrate hier wie dort derselben Ursache zuschreiben und dürfte ein Weiter- dringen in dem Studium des so verwickelten Prozesses der Nitratbildungen hier wie dort zu besserem Verständnisse der Gesammterscheinung führen. Es wurde mir in den verflossenen Monaten Gelegenheit seboten den Salpeterfrass an Stallmauern zu beobachten, und ergriff ich desshalb diese Gelegenheit, eine Reihe von "Versuchen mit dem Mauerfrass anheimgefallenen Mauerkal- ken vorzunehmen. Auf einen Punkt namentlich richtete ich vorläufig mein Augenmerk. Wie bekannt, hat Schôünbem die höchst interessante Beobachtung gemacht, dass das metallische Kupfer, das Kupferoxydul und das Oxyd, fer- ners das kohlensaure Kupferoxyd, das Vermögen besitzen, 257 den neutralen Sauerstoff schon bei gewöhnlicher Tempera- tur’ zur Oxydation der Elemente des Ammoniaks zu be- stimmen und dadurch die Bildung von salpetriger Säure, das heisst eines Nitritkupferdoppelsalzes zu veranlassen. Es zeigte sich hier die höchst auffallende Erscheinung, dass der Stickstoff des Ammoniaks nur bis zu salpetriger Säure und nicht bis zu Salpetersäure oxydirt wird. In anderen Fällen geht die Bildung eines Nitrites der eines Nitrates voraus, wie Schönbein auch deutlich durch einige Ver- suche bewiesen hat. Wenn zum Beispiel in Luft, deren Sauerstoff durch erhitztes Platin oder auf andere Weise ozonisirt worden ist, Ammoniak’ verdunstet, so verwandelt sich dieses zunächst in salpetrigsaures und nicht sogleich ig salpetersaures Ammoniak. | Schönbein hat in Folge seiner Beobachtungen bereits - darauf aufmerksam gemacht, dass unter gegebenen Umstän- den der Bildung eines Nitrates diejenige eines Nitrites vor- ausgehe ‘und dass sicherlich auch die näheren Vorgänge des Nitrificationsprozesses noch nicht genau erforscht seien. Durch Schönbeins Versuche‘ aufmerksam gemacht, schöpfte ich die Muthmassung, dass bei dem Prozesse der Nitrification salpetrige Säure gebildet werde, und hoffte ich in diesem ‚Prozesse eine weitere Stütze für die von Schön- bein ausgesprochene Ansicht: „es gehe die Nitratbildung durch die Nitritbildung hindurch“ zu finden. Ich untersuchte bis dahin 2% verschiedene Mauerkaike, sowohl von der inneren als auch äusseren Seite der Mauer verschiedener Kuh- und Pferdeställe, und prüfte dieselben alle auf Nitrite und Nitrate. Die Methode, welche ich zur Prüfung auf Nitrite anwandte, ist die von Schönbein be- kannt gemachte, welche darauf beruht, dass die Lösungen der Nitrite mit Jodkaliumkleister und Schwefelsäure ver- setzt die Entstehung der blauen Jodstärke verursachen. Zur Prüfung; auf -Nitrate benützte ich die ebenfalls bekannte 258 Methode Schönbeins, welche darauf beruht, dass Zink und namentlich amalgamirtes Zink (das auf 100 Gewichtstheile Zink 50 Gewichtstheile Quecksilber enthält) die Nitrate zu Nitriten reduziert und somit die Gegenwart der Nitrate in einer Substanz durch die bekannte Reaction auf die Nitrite, deren Derivate, nachgewiesen werden kann. Die verschiedenen Mauerkalke wurden mit Wasser aus- ‚gekocht und das wässerige Decoct in zwei gleiche Theile getheilt. Den einen Theil stellte ich bei Seiten, den ande- ren Theil aber behandelte ich mit Zink. — Um die in Lö- sung sich befindenden Nitrate in Nitrite umzuwandeln kann man entweder die Lösung während längerer Zeit mit amal- gamirtem Zink zusammenstehen lassen, wobei jedoch, wenn eine annähernd quantitative Reduction der Nitrate zu Ni- triten bewerkstelliget werden soll, mindestens eine Zeit von 8 Stunden von Nöthen ist, während die Reduction in Zeit von 5 Minuten oder noch weniger von Statten geht, wenn man die Nitratlösungen mit Zink bei Kochhitze behandelt. Beide Theile, sowohl der mit Zink reduzierte als auch der nicht reduzierte, wurden dann mit einer gleich grossen ge- nau abgemessenen Menge Jodkaliumkleisterlösung und ver- dünnter Schwefelsäure versetzt, und zwar wurde so viel von beiden Reagentien zugesetzt, dass von beiden ein Ueber- schuss vorhanden war. Entstund dann in beiden Hälften eine gleich schwache oder starke Färbung, so durfte an- genommen werden, dass nur Nitrite in der ursprünglichen Lösung und folglich in dem Mauerkalke vorhanden gewe- sen seien. War die blaue Färbung in den beiden Flüssig- keiten so stark, dass dem Auge eine relative Beurtheilung der Stärke beider Farbennüancen unmöglich war, so wurde die nicht mit Zink behandelte Lösung auf das Doppelte oder noch mehr verdünnt. Vor. Beginn der Versuche wurden alle Reagentien, das Wasser sowohl als auch der Jodkaliumkleister und die 259 Schwefelsäure, sorgfältig auf ihre Reinheit geprüft. Das Zink wurde vor jedem Reductionsprozesse sorgfältig ge- reiniget. In Betreff der Schwefelsäure bemerke ich, dass nicht jede Schwefelsäure zu den vorliegenden Versuchen geeignet ist; so habe ich aus einer hiesigen Materialhand- lung eine durch organische Substanzen ganz schwach gelb- lich gefärbte Schwefelsäure bezogen, welche für sich al- lein schon nach einigen Minuten eine schwache Bläuung mit Jodkaliumkleister erkennen liess. Steht einem keine chemisch reine gewöhnliche Schwefelsäure zu Gebote, so thut man am besten die sogenannte rauchende Schwe- felsäure, natürlich auch nur mit vielem Wasser verdünnt, anzuwenden. Mit verdünnter rauchender Schwefelsäure konnte ich bis dahin noch niemals mit Jodkaliumkleister eine Bläuung erhalten. Der erste Mauerkalk, welcher mir unter die Hände kam, zeichnete sich durch die merkwürdige Eigenschaft aus, dass derselbe eine grosse Menge von Nitriten und keine, oder, da die angewandte Prüfungsmethode nur annähernd genau ist, nur Spuren von Nitraten enthielt. Da ich etwas miss- trauisch in mein erhaltenes Resultat war, namentlich weil sich der Mauerkalk an einer sehr luftigen Stelle der äus- seren Seite der Kuhstallmauer befand, so repetierte ich meinen Versuch drei Male. Ich machte mir jedes Mal ein wässriges Decoct des Mauerkalkes, theilte dasselbe in zwei gleiche Hälften, kochte die eine Hälfte mit Zink, setzte dann zu beiden Hälften eine gleiche Menge Jodkaliumkleister und Schwefelsäure, wornach ich mit der durch Zink reduzier- ten Hälfte keine stärkere Reaction auf Nitrite als mit der anderen erhielt, ein deutlicher Beweis, dass keine oder wenigstens nur sehr geringe Spuren von salpetersauren Sal- zen in dem Mauerkalke vorhanden waren. Das zweite Exemplar Mauerkalk, welches ich unter- suchte, befand sich erst seit einem Jahre an der Aussen- 260 seite derselben Mauer und enthielt bereits neben einer gros- sen Menge von Nitriten ebenfalls Nitrate. Um die relativen Mengen der Nitrate und Nitrite zu bestimmen wurden nach Herstellung der Bläuung in den beiden Lösungen dieselben in solchem Maasse verdünnt, dass das Auge die Farben- nüance der nicht reduzierten Lösung scharf. beurtheilen konnte, dann aber verdünnte ich die reduzierte Lösung, welche dunkler aussah, so weit mit einer genau abgemes- senen Menge Wassers, dass nun beide Lösungen gleich stark gefärbt erschienen. Das Maass der Verdünnung der reduzierten Lösung, worin sich also nicht nur die Nitrite, sondern auch die zu Nitrit reduzierten Nitrate befanden, musste nothwendigerweise ein Mittel abgeben, um unge- fähr die relative Menge der Nitrate zu den Nitriten zu be- rechnen. Das Nähere über die beschriebene Methode der Be- stimmung, sowie über die Berechnung der relativen Mengen der Nitrite und Nitrate in ihrem gemeinsamen Gemische werde ich in einer Fortsetzung dieser Arbeit mittheilen. Ich deute hier bloss darauf hin, dass sich mir bei Anwen- dung obiger Methode hie und da noch kleine mir bis jetzt noch unerklärliche Schwierigkeiten darbieten, welche aber durch ein fortgesetztes Studium hoffentlich zu überwinden sein werden. Auch lässt sich hoffen, dass in nicht ferner Zeit auf obiges Verhalten der Nitrite sowohl eine Titrir- methode für Nitrite, als auch für Nitrate wird gegründet werden können. Auf einen Punkt habe ich noch aufmerksam zu machen, welcher in näheren Betracht gezogen zu werden verdient. Die Mauerkalke enthalten nämlich alle etwas Ammoniak oder ammoniakalische Salze, welche nach Schönbein durch Kochen mit Zink auch in Nitrite übergeführt werden und also die Bläuung in derjenigen Lösung vermehren sollten, welche mit Zink gekocht wurde. Ich überzeugte mich je- 261 doch, dass die Menge ammoniakalischer Salze im Vergleiche zu der Menge von Nitriten und Nitraten so gering ist, dass ihre Anwesenheit und Wirkungsweise bei Anwendung vor- liegender provisorischer Bestimmungsweise durchaus keinen Fehler in der Berechnung verursacht. Nach der Reduction der Lösungen in der Kälte, wo das Zinkamalgam auf das Ammoniak nicht in obiger Weise zu wirken vermag, er- hielt ich nach Zusatz von Jodkaliumkleister und Schwefel- säure durchaus. dieselbe Stärke der Bläuung wie nach fünf Minuten langem Kochen. Gleich wie mit dem zweiten Mauerkalk verhielt es sich mit einem dritten von einer anderen Stelle der Aussenseite einer zweiten Mauer desselben Kuhstalles. Hier fand ich sowohl Nitrite als auch Nitrate vor; doch überwog hier die Menge der Nitrate bedeutend diejenige der Nitrite. Dampfie man die eine Hälfte des wässrigen Auszuges ab, glühte man den Rückstand und löste ihn wieder zu derselben Menge Flüssigkeit auf, so erhielt man mit dieser Hälfte eine weit dunklere blaue Reaction auf Nitrite als mit der anderen, ein Beweis, dass in dem fraglichen Mauerkalke neben den Nitriten noch Nitrate enthalten sind. In 7 anderen Mauer- kalken fand ich eine sehr grosse Menge von Nitriten und eine nur. sehr geringe Menge von Nitraten vor. Wiederum in-5 anderen Mustern fand ich das umgekehrte Verhältniss, indem sie eine grössere Menge Nitrate als Nitrite enthiel- ten. Bei 4 Mauerkalken hielten sich die Mengen der Ni- trite und Nitrate so ziemlich das Gleichgewicht. Endlich fand ich unter den 24 Mauerkalken nur 5 vor, welche bloss Nitrate und keine Nitrite enthielten. Nachdem ich so verschiedenartige Zusammensetzung in Bezug auf Nitrat- und Nitritgehalt bei den Mauerkalken selbst einer und derselben Lokalität, ja sogar einer und derselben Mauer, gefunden hatte, suchte ich vergebens nach einer bestimmten Erklärung der Umstände, in welchen die _ 262 Nitrification bei der Bildung von Nitriten stehen bleibt oder bis zu derjenigen von Nitraten fortschreitet. Dort fand ich an den verschiedenartigsten Stellen der Aussenseite der Mauer eine sehr grosse Menge Nitrite und nur wenige Ni- trate, hier wieder an der Innenseite der Mauer, wo der Luftwechsel lange nicht so regelmässig stattfindet, nur Ni- trate und keine Nitrite, oder wenigstens nur wenige Nitrite. Es müssen nothwendigerweise ausser dem Sauerstoff noch andere Momente das Maass der Oxydation des freien oder gebundenen Stickstoffes beherrschen. Am allernäch- sten liegt die Idee, dass das verschiedene Verhalten der Mauerkalke nicht allein in der äusseren Umgebung dersel- ben sondern in ihrer eigenen chemischen Zusammensetzung zu suchen sei. Darüber können uns allerdings nur die ge- nauesten quantitativen Analysen der Mauerkalke der ver- schiedenartigsten Lokalitäten Aufschluss ertheilen, und na- mentlich möchte es von besonderem Interesse sein den quantitativen Gehalt der Mauerkalke an organischen Sub- stanzen, Eisenoxydul- und oxydsalzen, ammoniakalischen Salzen und Feuchtigkeit zu prüfen, an welcher Arbeit ich bereits begonnen habe und worüber ich später Mittheilun- sen machen werde. Die vielen bloss qualitativen Versuche, welche ich mit Mauerkalken angestellt habe, leiteten mich zu keinem Schlusse über den Einfluss der verschiedenartigen Bestandtheile der Mauerkalke auf die Nitrit- und Nitratbildung. Ich begnüge mich daher einstweilen damit darauf aufmerksam gemacht zu haben wie unvollkommen bis dahin der Mauerfrass und die Nitrification überhaupt studiert war. Man hatte sich damit begnügt das Endresultat, nämlich die salpetersauren Salze, nachgewiesen zu haben; der Gegenwart der salpet- rigsauren Salze hatte man aber nicht nachgeforscht. Und doch ist es vom grössten Interesse alle die verschiedenen Mittelstadien zu erforschen, als deren Endresultat erst wir 263 den Salpeter oder die salpetersauren Salze überhaupt zu betrachten haben. Ueberraschend ist es in welcher kurzen Zeit in der blossen Atmosphäre der Kuhställe die Nitrite und Nitrate gebildet werden. Am 29. Juli dieses Jahres stellte ich in einem Kuhstalle auf einen erhöhten Schaft einen Teller, auf welchem sich gewöhnlicher Mauerkalk befand, der durch wiederholtes Auskochen mit destilliertem Wasser von jeg- licher Spur von Nitriten und Nitraten befreit worden war. Der Mauerkalk war vor Staub u. s. w. vollständig geschützt. Am 1. August fand ich noch keine Spur von Nitriten und von Nitraten in dem Mauerkalke, aber am 19. August, also kaum nach Verfluss eines Monates, konnte ich bereits in dem beinahe trockenen Mauerkalke reichliche Mengen von Nitriten und noch weit mehr Nitrate nachweisen. Dieser Versuch beweist auf das: Deutlichste, dass die in den Kuhställen, sei es nun durch alleinige Ausdünstung der Excremente der Thiere, sei es durch die natürliche Aus- dünstung der Kühe selbst, entstandene und an Ammoniak so reiche Atmosphäre die Fähigkeit besitzt in Berührung mit den Mauerkalken in diesen Nitrite und Nitrate zu er- zeugen. 2) Dass bei der Bildung des Mauerfrasses der Pro- zess der Nitratbildung durch den der Nitritbildung hindurch- geht, kann ich noch nicht mit mathematischer Sicherheit beweisen. Ich habe jedoch eine Reihe von Versuchen an- derer Richtung angestellt, welche so wie Schönbeins Ver- suche auch auf das Deutlichste darthun, dass der Bildung der Nitrate diejenige der Nitrite vorangehe. Frischer normaler Menschenharn giebt durchaus keine Reaction weder auf Nitrite noch auf Nitrate, während er schwach alkalisch reagiert und eine schwache Reaction auf Ammoniak giebt. Nach Verfluss von etwa 6 Stunden be- merkt man noch keine Spur einer Reaction auf Nitrite. Am 264 26. Juli gelassener Harn gab am 27. Morgens 8 Uhr noch keine Reaction auf Nitrite, um 12 Uhr Mittags fand ich je- doch. bereits eine ziemliche Menge Nitrite darin vor: Lässt man solchen Harn dann noch länger der Einwirkung. des atmosphärischen Sauerstofes ausgesetzt, so beobachtet man nach ‚längerer Zeit einen Punkt, wo derselbe keine Spur mehr von: Nitriten, aber eine reichliche Menge von: Niträten enthält. Die Nitratbildung geht hier sichtbar durch die Ni- tritbildung hindurch. Schliesst man aber denselben Harn in ganz frischem Zustande in ein wohl verschliessbares Gefäss ‘ein, worer vor Luftzutritt völlig geschützt ist, so reagiert er selbst nach vielen Monaten nicht auf Nitrite :und Nitrate, wohl aber ‚stark auf Ammoniak. Bringt man ihn alsdann ‚an die ‚Luft, so braucht er viel längere Zeit zur Bildung von Ni- triten, als der im frischen Zustande sogleich an die Luft hingestellte. adı Wie der Urin, so verhalten sich auch die festen Ex-. cremente; frische Excremente reagieren weder auf Nitrite noch auf Nitrate; während ihrem Verwesungsprozesse ‚geht aber nach und nach eine reichliche Bildung von Nitriten und hernach diejenige von Nitraten vor sich. Während verweste Excremente aus einem Ställe, wo Jahre lang Ka- ninchen sich befunden hatten, eine starke Reaction auf-Ni- trite und eine ‚schwache Reaction auf Nitrate gaben, rea- gierten andere mehr der Verwesung anheimgefallene »Ex- cremente nur sehr wenig auf Nitrite und sehr’ stark auf . Nitrate. Ein merkwürdiges Verhalten zeigte mir eine Sorte ge- wöhnlichen käuflichen Guanos; bei einem Reichthum an Ammoniak von etwa 6 % und einem grossen 'Gehalte an organischen Substanzen "enthielt derselbe auch nicht die leiseste Spur von Nitriten und Nitraten. Sobald ich ihn aber mit Wasser befeuchtet der Luft aussetzte, bemerkte 265 ich schon nach kurzer Zeit (einigen Stunden) in dem fil- trierten Wasser eine reichliche Menge von Nitriten, wäh- rend noch keine Nitrate nachzuweisen waren. Am Ende von drei Wochen aber waren lauter Nitrate in. dem wässrigen Auszuge enthalten, wiederum ein Beispiel dafür, dass die Nitratbildung durch die Nitritbildung hindurchgeht, und dass sicherlich das Wasser eine wichtige Rolle bei der Nitrat- bildung spielt. 3) In den obigen Mittheilungen habe ich gezeigt, wie beim Mauerfrass neben den salpetersauren Salzen eine reich- liche Menge salpetrigsaurer Salze nachzuweisen ist, wie ferners die Bildung der Nitrate durch diejenige der Nitrite hindurchgeht. Durch nachfolgende vorläufige Notizen möchte ich schliesslich noch darauf hinweisen, von welcher Be- deutung die genaue Erforschung des Nitrificationsprozesses, vor Allem aber derjenigen Produkte, deren Bildung derje- nigen der Nitrate vorangeht, für die Agriculturchemie und Pflanzenchemie , für die Physiologie überhaupt werden dürfte. Mehrere Ackererden wurden auf einen Gehalt an Ni- triten und Nitraten geprüft; in einigen konnte ich weder Nitrite noch Nitrate nachweisen, für andere aber stellte sich ein kleiner Gehalt an Nitraten heraus. Sehr interessant scheint mir der Umstand zu sein, dass viele Ackererden und namentlich solche, welche reich an Humussubstanzen sind, in eminentem Grade die Eigenschaft besitzen, salpetersaure Salze in salpetrigsaure umzuwandeln. Ich befeuchtete eine humusreiche Ackererde mit Salpeter- lösung und konnte schon nach 18 Stunden eine sehr grosse Menge von Nitriten in dem wässrigen Auszuge erkennen, während eine andere Ackererde in viel längerer Zeit mit einer gleich grossen Menge Salpeterlösung unter denselben Umständen und bei gewöhnlicher Temperatur keine Spur des Kalinitrites zu reduzieren vermochte. 18 266 - Die Ackererde eines kleineren Runkelrübenfeldes hie- siger Gegend zeigte auch in eminentem Maassstabe diese reduzierende Eigenschaft: stund dieselbe auch nur einen Tag lang mit einer Salpeterlösung zusammen, so war der srösste Theil des Salpeters in Nitrit umgewandelt. Sie selbst aber enthielt in ihrem unveränderten Zustande, wie sie dem Felde entnommen war, nicht die leiseste Spur von Nitriten, aber eine grosse Menge von Nitraten. Wie reimt sich nun aber die Abwesenheit von Nitriten und Anwesen- heit von Nitraten in der Ackererde mit deren reduzieren- dem Vermögen? Ich habe noch keine Erklärung für dieses sonderbare Verhalten finden können. Was die Runkelrübe anbetrifft, so lässt sich eine grosse Menge salpetersaurer Salze, aber keine Spur von salpetrig- sauren Salzen nachweisen, und zwar sowohl in den Wur- zeln, als auch in der eigentlichen Rübe und in den Blättern. Die Runkelrübe besitzt in eminentem Grade die Eigen- schaft, die Nitrite in Nitrate umzuwandeln. Zieht man eine junge Runkelrübe in einer Ackererde auf, welche vorher ganz von Nitraten durch Auskochen mit Wasser befreit worden war, welcher man aber alle diejenigen Salze wie- der zugesetzt hatte, die durchs Wasser daraus entfernt worden waren, und begiesst man während dem Wachsthum der Rübe die Erde von Zeit zu Zeit mit einer schwachen Lösung von salpetrigsaurem Kali, so kann man nach gehö- riger Entwickelung der Pflanze auch nicht in einem einzi- sen ihrer Organe salpetrigsaure Salze nachweisen, während eine reichliche Menge von Nitraten darin vorhanden ist. In dem wässrigen Decoct der Erde lässt sich eine starke Reac- tion auf Nitrite erhalten. Den Würzelchen, welche weit ausgebreitet in der Erde sich verzweigen, verdankt sicherlich die Runkelrübe ihre Kraft der Ueberführung der Nitrite der Erde in Nitrate und 267 somit auch die Gegenwart dieser in ihren verschiedenen Organen. Bei obigem Versuche muss man wohl Sorge tragen, dass der Ackererde nicht eine zu grosse Menge Nitrite zu- segeben werde, weil sonst die Pflanze darin vollkommen abstirbt, ohne dass aber in ihren Organen auch nur die leisesten Spuren von Nitriten vorgefunden werden könnten. Hat nun die Runkelrübe während ihrer Lebzeit das Vermögen, die Nitrite in Nitrate umzuwandeln, und die Ei- senthümlichkeit, nur diese in sich aufnehmen zu können, so schwindet nach ihrem Tode mit ihren Lebensfunctionen auch jene überführende Eigenschaft und wirken nunmehr die ein- zelnen Theile wie gewöhnliche organische Substanzen. Zer- schneidet man die Rübe in einzelne kleine Scheibchen und lässt man diese an der Luft austrocknen, bis sie schwärz- lich aussehen, so bemerkt man, wie nach und nach der Nitratgehalt verschwindet und allmälig die Nitrite auftreten, bis endlich nur solche in ihnen zu finden sind. Was das Vermögen mancher Ackererden anbetrifft, die Nitrate in Nitrite umzuwandeln, so muss es in einem ge- wissen Verhältnisse zu deren Gehalt an Humussubstanzen stehen. Befreit man die Ackererde von ihrem Gehalt an Nitriten und Nitraten durch kochendes Wasser, giesst man nach und nach unter tüchtigem Umschütteln so viel über- mangansaure Kalilösung hinzu, bis die überstehende Flüs- sigkeit schwach röthlich gefärbt bleibt, wascht man alsdann die Ackererde mit reinem und dann mit schwach ange- säuertem Wasser aus, um alles Manganoxyd aus der Erde zu entfernen, entfernt man vollends jede Spur von Schwe- felsäure, so sind die Humussubstanzen so weit oxydirt, dass das salpetersaure Kali, welches ja nicht so leicht wie das übermangansaure Kali seinen Sauerstoff abgiebt, keine Wir- kung mehr darauf ausüben kann. Lässt man die so behan- delte Ackererde mit Salpeterlösung stehen, so kann man 18* 268 selbst nach langer Zeit auch nicht die leiseste Spur von Nitriten darin erkennen. Sind auch die organischen (Humus-) Substanzen nicht die einzigen Bestandtheile der Ackererde, welche die sal- petersauren Salze und überhaupt diejenigen Körper zu des- oxydieren vermögen, welche ihren Sauerstoff leicht abge- ben, das heisst in ozonisirtem Zustande enthalten, so ver- dienen doch gewiss sie vor allen anderen unsere besondere Aufmerksamkeit. Ueber ein Verfahren, die Farbstoffe in ihren Ge- mischen zu erkennen. Von Dr. FriEpr. GOPPELSRÖDER. Eine Reihe höchst interessanter Versuche Schönbein’s haben auf das Deutlichste bewiesen, welches ungleich grosse Wanderungsvermögen in porösen Medien die verschiedenen Körper zeigen, und müssen Jedermann zu der festen Ueber- zeugung leiten, dass auf dem angebahnten Versuchsfelde noch ein reicher Schatz interessanter Thatsachen zu finden sei. Ich meinestheiles wurde sogleich von der Ansicht be- seelt, dass wir es hier in nicht ferner Zeit mit einer Art von Analyse zu thun haben würden. So habe ich mit Schönbein’s Einverständniss seit kur- zer Zeit begonnen, das Verhalten der Farbstoffe nach die- ser Richtung zu studieren, und theile ich hier bereits das Resultat einiger gewiss sicht uninteressanter Versuche mit. Unter denjenigen Stoffen, welche ich bis dahin unter- sucht habe, zeichnet sich ganz besonders die Pikrinsäure aus; sie wandert in dem Filtrierpapier mit der grössten Leichtigkeit. Dieses Vermögen giebt uns das Mittel an die Hand, die Pikrinsäure überall in ihren Mischungen mit an- 269 dern Farbstoffen, die nicht so schnell wie sie wandern, zu erkennen. Mischt man eine wässrige Lösung der Pikrinsäure mit einer solchen des ebenfalls gelben Curcumafarbstofies zu- sammen, so kann man durch jenes einfache Mittel, durch das Eintauchen eines Streifens Fiitrierpapieres in die Lö- sung beider Farbstoffe, diese neben einander erkennen. Man erhält auf dem Filtrierpapier drei Schichten oder Zonen: eine oberste ganz schmale Zone, welche bloss Wasser ent- hält, eine grosse mittlere Zone, welche die Farbe der Pi- krinsäure trägt, und eine dritte unterste von curcumagelbem Aussehen. Schon durch das blosse Ansehen des Papier- streifens lässt sich genügend erkennen, dass hier beide Farbstoffe zum grössten Theile von einander getrennt wor- den sind; um sich aber noch vollends zu überzeugen, braucht man den Streifen bloss in verdünnte Kalilauge einz@tauchen; es verschwindet darin die Pikrinsäureschichte, während sich die Curcumaschichte braun färbt. Natürlich scheiden sich die Pikrinsäure und der Cur- cumafarbstoff, oder überhaupt die Farbstoffe, nicht vollkom- men von einander ab; es sind in den unteren Schichten immer geringe Mengen derjenigen Farbstoffe, welche wei- ters wanderen, enthalten. Falls wir z. B. vier Schichten ab c d beobachten, so sind in der Schichte d auch alle diejenigen Stoffe, welche bis nach ce b a wandern, enthal- ten, aber allerdings nur in kleiner Menge. Man sieht dieses sehr leicht ein, wenn man die bei letzterem Versuche er- haltene unterste cureumagelbe Schichte für sich allein mit Weingeist behandelt. Sie löst sich darin mit gelber Farbe auf, und taucht man dann in die weingeistige Lösung ein Filtrierpapier einige Linien weit hinein, so bemerkt man bald drei Schichten. Die oberste Schichte enthält nur Wein- geist und die unterste Curcumafarbstoff; die mittlere Schichte ist nur einige Linien breit und nur höchst schwach durch 270 Pikrinsäure gelb gefärbt. Als Pikrinsäure giebt sie sich zu erkennen, indem sie durch Eintauchen in eine Ammoniak- atmosphäre nicht braun, durch schwache alkalische Lösun- Sen aber abgelöst wird. Ein zweiter Versuch mit Pikrinsäure ist folgender: Mischt man eine wässrige Lösung derselben mit der inten- siv blau gefärbten Lösung des Indigos in Schwefelsäure zusammen, So. erhält man eine schöne grüne Flüssigkeit. Taucht man in diese Flüssigkeit Filtrierpapier ein, so er- hält man je nachdem 4 oder 3 Zonen. Vier Zonen erhält man, wenn man solche Mengen von Pikrinsäure und Indigo- schwefelsäure zusammengemischt hat, dass die Flüssigkeit eine reine grüne Farbe von weder vorherrschendem blauem noch gelbem Tone besitzt. Es bildet sich eine unterste grosse grünliche Schichte, dann darüber eine viel kleinere von reinggelber Farbe, alsdann eine dritte, worin sich ver- dünnte Schwefelsäure (leicht nachweisbar durch einen da- rauf fallenden Tropfen blauer Lakmustinctur) befindet; die vierte und oberste Schichte enthält nur reines Wasser. Hat man hingegen wenig Pikrinsäurelösung mit viel Indigoschwefelsäurelösung zusammengemischt, so erhält man nur drei Schichten: eine untere Schichte von stark blau- grüner Farbe und von ziemlicher Ausdehnung, eine mittlere Schichte von rein gelber Farbe und eine dritte Schichte, worin verdünnte Schwefelsäure sich befindet. Dadurch, dass in dem bei letzterem Versuche angewandten blaugrünen Gemische das Verhältniss der Schwefelsäure zum Wasser grösser war wie in dem ersten Versuche, trennte sich die ‘bedeutendere Menge Schwefelsäure viel weniger gerne von dem Wasser ab. 2 Ein weiterer Beweis dafür, dass die Pikrinsäure neben anderen selbst sehr intensiv gefärbten Substanzen auf die besprochene Weise noch nachweisbar ist, finden wir in den folgenden Versuchen: Ein Gemisch von Murexid- und 271 Pikrinsäurelösung lässt sich auf die leichteste Weise als solche erkennen. Enthält die Lösung des Gemisches nur sehr wenig Pikrinsäure im Verhältniss zum Murexid, so erscheint eine grosse unterste purpurrothe und eine kleine mittlere gelbe Schichte; über dieser Pikrinsäureschichte steht wiederum eine farblose Schichte, welche nur Wasser enthält. Bei Anwendung aber eines Gemisches, worin wenig Murexid und sehr viel Pikrinsäure enthalten ist, erhält man zwar wiederum drei Schichten, die Pikrinsäureschichte ist jedoch etwas grösser wie bei vorigem Versuche, und die untere grosse Schichte trägt nicht mehr eine purpurrothe. sondern eine stark gelbröthliche Farbe. Wie in ihrem Gemische mit Murexid, lässt sich die Pikrinsäure auch in ihrem Gemische mit Fuchsin erkennen. So wie das Fuchsin aus dem Anilin gewonnen wird, gleicht es wie bekannt einem harzartigen Körper und löst sich in gewissen Flüssigkeiten mit rosenrother Farbe auf. Seine Lösung zeigt aber in mancher Hinsicht lange nicht so aus- gezeichnete Eigenschaften, wie diejenigen sind, welche der Lösung des cristallisirten Fuchsins zukommen. Abgesehen davon, dass das rohe Fuchsin neben dem eigentlichen ro- senrothen Farbstoff noch harzige Substanzen enthält, wäh- rend das cristallinische Fuchsin nur aus chemisch reinem rosenrothem Farbstoff besteht, zeigte sich dem Färber bei der Benützung beider noch der wesentliche Unterschied, dass das rohe Fuchsin lange nicht so schöne rein rosen- rothe Farbennüancen lieferte, wie das cristallisirte Fuchsin. Ein jeder Chemiker musste, im Hinblick auf die Quelle und Darstellungsweise des Fuchsins, zu der Idee gelangt sein, dass sich bei seiner Darstellung noch andere Farbstoffe mit- bildeten, welche hernach die mit dem Fuchsin erhaltenen rosenrothen Nüancen zum Theil ihrer Schönheit heraubten, ist es doch bereits gelungen, aus ein und demselben Ma- 272 terial, dem Steinkohlentheer, ja aus ein und demselben Be- standtheil desselben, dem Anilin, einen rosenrothen, vio- leten, blauen, gelben, grünen und braunen Farbstoff durch verwandte Prozesse darzustellen. Am meisten unterschied sich die rosenrothe Farbe des gewöhnlichen harzartigen Fuchsins von derjenigen des cri- stallisierten Fuchsins durch einen etwas geiblichen Ton, welehen man nothwendig von der Gegenwart eines gelben Farbstoffes herleiten musste. Der einzige gelbe Farbstoff aber, der bis dahin aus dem Steinkohlentheer dargestellt wurde, ist die Pikrinsäure. Dass diese sich bei der Dar- stellung des Fuchsins mitbilden kann, wird keinen Chemi- ker befremden, sobald er weiss, dass sowohl das Fuchsin als auch die Pikrinsäure Produkte der Oxydation des Ani- lins sind. Nachgewiesen wurde zwar die Pikrinsäure in dem Fuchsin noch niemals, denn die chemische Trennung der organischen Farbstoffe und namentlich dieser neuen, noch weniger studierten, ist mit den allergrössten Schwie- rigkeiten verknüpft. Es lässt sich aber die Pikrinsäure in dem rohen Fuch- sin des Handels mittelst der neuen analytischen Methode sehr leicht nachweisen. Löst man das cristallisierte chemisch reine Fuchsin in Alkohol auf und taucht man ein Filtrierpapier in der alko- holischen Lösung einige Linien weit ein, so saugt das Pa- pier mit der grössten Schnelligkeit die rothe Flüssigkeit in sich auf. Nach wenigen Minuten erblickt man vier Schich- ten; die oberste farblose Schichte des Filtrierpapieres ent- "hält reinen Alkohol, die anderen drei Schichten bestehen aus drei verschieden stark gefärbten reinen fuchsinrothen Nüancen, vom helleren Rosa durch’s Dunkelrosa hindurch bis zum beinahe schwarz aussehenden Dunkelroth, welches letztere die mittlere Schichte bildet. Löst man aber in der Lösung des cristallinischen chemisch reinen Fuchsins auch 273 nur eine Spur von Pikrinsäure auf, so erhält man mittelst eines Streifens Papier in eben derselben Zeit ein Farben- bild ganz anderen Aussehens. Es bilden sich dreierlei Ar- ten von Schichten: 1) rosenrothe und dunkelroth gefärbte, 2) farblose Schichten und 3) eine schmale schön pikringelb gefärbte. Je mehr Pikrinsäure man dem Fuchsin beimischt, desto grösser wird die gelbe Pikrinsäure- und desto klei- ner die braunroth aussehende Fuchsinschichte. Ganz so wie ein künstliches Gemisch von Pikrinsäure und chemisch reinem Fuchsin verhalten sich nun auch die verschiedenen rohen ordinären Fuchsinsorten des Handels. Löst man dieselben in Alkohol auf und prüft man sie mit einem Filtrierpapier, so bemerkt man, wie dieselben alle zusammen, die einen mehr, die anderen weniger, ausser der rothen Schichte noch eine gelbe bilden. — Um diese gelbe Schichte so recht hervortreten zu lassen und von gehöri- ser Intensität der Nüancen zu erhalten, ist es am besten, wenn man die alkoholischen Fuchsinlösungen sehr concen- triert anwendet und das Filtrierpapier so lange eingetaucht lässt, bis das Fuchsin sich mit dunkelbraunrother Farbe auf dem Papier abgelagert hat. Der Unterschied zwischen dem cristallisierten Fuchsin und dem rohen Fuchsin des Handels ist also künftighin nicht nur dahin auszulegen, dass das rohe Fuchsin ausser dem eigentlichen rosenrothen Farbstoffe noch harzartige Substanzen, sondern auch noch einen gelben Farbstoff (Pi- krinsäure) enthalte. Fernere Versuche wurden mit dem vor noch nicht lan- ger Zeit entdeckten und aus dem Steinkohlentheer darge- stellten blauen Farbstoff, dem sogenannten Azuline, ange- stell. — Wie ich im rohen Fuchsin des Handels einen gelben Farbstoff nachwies, so konnte ich im Azuline einen rosenrothen Farbstoff, wahrscheinlich Fuchsin, nachweisen. Das erhaltene Resultat stimmt vollkommen mit der prakti- 274 schen Erfahrung der Seidenfärber überein, nach welcher alle mit Azuline gefärbte blaue Seide einen violeiten Stich besitzt, welchen wegzubringen die Seidenfärber trotz aller Anstrengungen nur durch die langwierigsten Operationen und auch dann nur theilweise im Stande gewesen sind. Taucht man in eine alkoholische Lösung des Azulins ein Filtrierpapier ein, so erscheinen bald vier Schichten: eine blaue, eine violette, eine rosenrothe und eine farblose Schichte, welche letztere nur Alkohol enthält. Löst man die rosenrothe Zone für sich in Weingeist auf, so erhält man eine rosenrothe Flüssigkeit, während die beiden blauen Schichten, in Alkohol gelöst, zwei blaue Flüssigkeiten bil- den, in welchen sich Seide viel reiner blau färbt, als in dem gewöhnlichen Azuline des Handels. Durch diese, al- lerdings unpraktische, Methode lässt sich das Azuline rei- nigen von seinem violetten Stich, namentlich wenn man die Operation einige Male hinter einander repetiert. Taucht man abwechselnd ein grösseres Stück Filtrierpapier längere Zeit in eine alkoholische Azulinelösung einige Linien weit ein und löst man dann die einzelnen Schichten für sich allein in Alkohol auf, um wiederum in die entstandenen Lösungen ein Filtrierpapier einzutauchen und die verschiedenen Schich- ten hernach in Alkohol zu lösen u. s. w., so gelangt man endlich dahin, sowohl von der blauen als auch rosenrothen Farbe so viel zu erhalten, dass man damit kleine Seiden- strangen zu färben im Stande ist. Die auf diesen erhaltene rosenrothe Nüance ist rein rosenroth, die blauen Nüancen sind sehr schön blau (ohne violetten Stich). Ich habe bereits noch eine grössere Reihe von Ver- suchen, sowohl mit den Lösungen isolirter reiner Farbstoffe, als auch mit gemischten Farbstofflôsungen angestellt, und darf ich mit Hinblick auf meine Versuche die Ueberzeugung aussprechen, dass das neue Verfahren, verbunden mit einer passenden Anwendung ausgewählter charakteristischer Reactio- 275 nen auf die, verschiedene Schichten bildenden, Farbstoffe, uns ein Mittel an die Hand geben wird, in manchen Fällen ein rasches Ürtheil über die Natur zusammengesetzter Farb- stofflosungen zu gewinnen. Auch in sanitarischer Hinsicht, mit Bezug auf Verfäl- schungen der Biere mit Pikrinsäure, der Weine mit den verschiedenen Farbstoffen u. s. w. lässt sich ein Nutzen aus dem neuen Verfahren ziehen, wofür ich später mitzuthei- lende Beweise habe. Ueber die Koprolithen des Bonebed. Von Dr. FLückiger. Ueber die chemische Zusammensetzung der Koprolithe des Bonebed aus der seit längerer Zeit bekannten Locali- tät am Ufer der Ergolz bei Nieder-Schönihal verdanken wir Herrn Dr. Flückiger in Bern folgende Mittheilung, welche der Verfasser in der Schweiz. Zeitschr. f. Pharmacie 1858, No. 11, publicirt hat, und deren Resultate auch hier pas- send eine Stelle finden. Die geologischen Beziehungen der genannten Schicht sind durch Herrn Rathsh. P. Merian’), die Details des Profiles, nach den Angaben des Herrn Gressly, und ein Theil der Petrefacten von Prof. Rütimeyer?) be- sprochen worden. Die Koprolithen liegen in Menge, an sich schon kleine Schichten bildend, in einer etwa 2 Fuss starken dolomiti- schen Mergelschicht, welche ihrerseits nach oben und unten von andern Mergelschichten umgeben ist, so dass die Kô- 1) Verhandl. d. Naturforsch. Ges. in Basel, Heft IV, 1857, p. 581. ?) Leonhard u. Bronn, N. Jahrb. f. Mineral. 1857, p. 141. 276 prolithen recht wohl gegen Auslaugung oder Auflösung ge- schützt liegen. Sie sind von sehr verschiedener Grösse und Gestalt, im Allgemeinen rundliche dichte homogene Mas- sen von wenigen Linien bis zwei Zollen Durchmesser. Die Farbe wechselt von bräunlichgrau bis glänzend dunkel- schwarz, und bald ist die Masse völlig gleichförmig, bald sind kleine Mineralpartikelchen, Schwefelkies, Quarz, Cöle- stein, Kalkspath eingesprengt. Das specifische Gewicht. der einzelnen Stücke ist verschieden; es wurde z. B. 1,17 und 2,50 gefunden. Es folgt hieraus von selbst, dass die Ko- prolithen Verschiedenheiten auch in der Zusammensetzung darbieten müssen. Sie sind in dem Mergel von abgerunde- ten Knochenresten, Fischschuppen und Fischzähnen beglei- tet, zwar in sehr reichlicher Menge vorhanden; doch ist der Mergel immerhin noch vorherrschend. Es kommen in der Koprolithschicht viele bis kopfgrosse harte Knauer vor, in deren unmittelbarer Nähe die organischen Reste vor- zugsweise angehäuft zu sein scheinen. Diese sämmtlichen Petrefacten sind sehr bröcklig, erhärten zwar an der Luft bald, bleiben aber immerhin sehr leicht zerreiblich. Es ist desshalb nicht ganz leicht, vollkommen unverletzte Stücke herauszulösen. ; Zur Analyse wählte ich eines der dichtesten, ganz tief- schwarzen, von fremden Mineralien freien Stücke. Das Pul- ver wird durch das Abreiben ziemlich hellgrau: Wasser entzieht ihm Gyps, aber weder Magnesia- noch Alkalisalze. Beim Glühen entsteht ein Verlust von nicht ganz 1 %, der zum Theil von Kohlensäure herrührt. Ein geringer Gehalt ‘an organischen Stoffen gibt sich durch einen äusserst dün- nen schwärzlichen Anflug am Platintiegel zu erkennen und kann auch dadurch nachgewiesen werden, dass, man die Substanz mit chromsaurem Kali und Schwefelsäure !) er- 1) Nach Brunner, Liebig und Kopp, Jahresbericht 1855, 773. 277 wärmt. Es entweicht alsdann etwas Kohlensäure (wobei es sich versteht, dass zuvor die als Carbonat vorhandene Kohlensäure entfernt werde). Dieser geringe organische Bestandtheil ist stickstofffrei; denn glüht man mit etwas Natrium, löst in Wasser und fügt Salzsäure und Eisenoxyd- salz hinzu, so erhält man kein Berlinerblau. Die Analyse ergab nun in 100 Theilen: Glühverlust (Wasser, organische Substanz, etwas Kohlensäure) 0,89 Kohlensaurer Kalk 3,16 Eisenoxyd (mit etwas Thonerde) 8,59 Schwefelsaurer Kalk 8,43 Phosphorsaure Magnesia 5,48 » Eisenoxyd 16,13 ni Kalk 51,31 In Salzsäure und Schwefelsäure Unlösliches (Quarz) 4,83 Mangan, nicht unbeträchtliche Spur 98,32 Alkalien fehlten; die Bestimmung der Kohlensäure geschah direkt, im Fresenius-Will’schen Apparat, mit Salzsäure. Im Uebrigen wurde der in Wolff „Anleitung z. Unters. land- wirthschaftl. wichtiger Stoffe“, Stuttgart 1857, 20, angege- bene Gang befolgt, welcher sich hierzu durchaus eignet. Zur näheren Untersuchung der Phosphorsäure wurde eine Portion Koprolithen mit Schwefelsäure aufgeschlossen, das Filtrat genau neutralisirt und mit salpetersaurem Sil- beroxyd versetzt. Es entstand der gewöhnliche gelbe Nie- derschlag, so dass also die Säure die gewöhnliche dreibasi- sche Modifikation der Phosphorsäure ist, was zu erwarten war, da Boussingault ‘) selbst in plutonischen Gesteinen nicht Pyrophosphate gefunden hat. 1) Bischof. Chem. u. physikal. Geologie I, 701. 278 Fluor ist in unsern Koprolithen nicht nachzuweisen, so- fern man die Reaktion mit den von Nickles ‘) empfohlenen Cautelen anstellt. Bei der offenbaren Verschiedenheit der einzelnen Ko- prolithen in Beziehung auf Dichtigkeit und Reinheit war zur Gewinnung eines mittleren Resultates eine Bauschana- lyse erforderlich, um wenigstens den Durchschnittsgehalt an Phosphorsäure, der uns hier allein interessirt, kennen zu lernen. Zu diesem Zwecke wurden mit der grössten Sorgfalt die reinsten Stücke in grösserer Menge ausge- sucht, etwas abgewaschen, zusammengestossen, gut ge- mischt und daraus eine Probe von 0,4613 Gramm gezogen. Diese wurde successive dreimal, das heisst bis zu ganz vollständiger Aufschliessung, mit der vier- bis sechsfachen Menge kohlensaurem Kali und kohlensaurem Natron ge- schmolzen, und die Auflösung mit Magnesialösung gefällt. So wurden im Ganzen 0,2255 pyrophosphorsaure Magnesia erhalten, entsprechend 0,143 Phosphorsäure oder 30,07 %. Eine Vergleichung dieser Resultate mit Analysen an- derer Koprolithe ist nun schwierig, weil es sich nicht im- mer entscheiden lässt, ob die untersuchten Fossilien wirk- lich Koprolithe oder nicht vielleicht Knochenreste waren. Zieht man z. B. etwa ein Dutzend älterer und neuerer Ana- lysen in Betracht?), so findet man, dass der Gehalt an Kalkphosphat zwischen 9 und 83 % schwankt, unsere Ko- prolithen also daran reich zu nennen sind. Magnesiaphos- phat enthalten manche gar nicht, andere einige wenige Procente, keine der erwähnten Analysen aber gibt so viel an wie die vorliegende. Der Gehalt an kohlensaurem Kalk wechselt ausserordentlich; nirgends findet sich aber so we- 1) Journ. de Chim. et de Pharm. Mai 1857, 334. 2) Sie stehen in Bischof l. c. II, 1758. — Liebig, Handwörterbuch, Art. Coprolith. — Liebig und Kopp, Jahresb. 1856, 907. 279 nig angegeben, wie in unserer Analyse. Es ist dies sehr begreiflich. Phosphorsaures Eisenoxyd fehlt in vielen Ko- prolithen und findet sich nirgends so reichlich wie hier. Ebenso Gyps, was durch die Natur des Lagergesteins und spätere Infiltration erklärlich wird. Der Gehalt fossiler Exeremente an organischer Sub- stanz muss schon nach der Natur der betreffenden Thiere sehr wechseln, und die Analysen zeigen darin auch grosse Unterschiede. So waren die von Buckland zuerst erkann- ten, von Hyänen abstammenden frei davon (wie übrigens auch die ihrer heutigen Verwandten), die hier in Frage stehenden, welche nach Professor Rütimeyer Sauriern zu- zuschreiben sind, enthalten nur eine Spur organischer Be- standtheile, während Koprolithen aus dem rothen Sandsteine in Böhmen!) zu 4 aus organischer Substanz bestehen, so dass sie an der Lichtflamme schmelzen und brennen. Fassen wir schliesslich das Resultat dieser Untersu- chung zusammen, so ergibt sich, dass die Koprolithen von Nieder-Schönthal an Phosphorsäure reich sind, und dass letztere sich durch Schwefelsäure leicht in lösliche Form überführen lässt. Bei der hohen Bedeutung, welche die heutige rationelle Landwirthschaft künstlichen Düngemitteln zugesteht, konnte es nicht ausbleiben, dass auch reiche _ Phosphorsäurequellen nutzbar gemacht werden. So der Phosphorit von Amberg ?), welcher 35,7%, Phosphorsäure enthält, Koprolithen von Rothenburg ?) in Würtembers, welche weniger reich an Phosphaten sind, als die von Nieder-Schönthal. Diese letzteren würden sich daher als treffliches Düngemittel verwerthen lassen, wenn es die Lo- 1) Stanck und Payr in Liebig und Kopp. Jahresb. 1856, 906. 2) W. Mayer. Ann. d Chem. u. Pharm. CI, 281. $) Dingler., Polyt. Journ. 142. 320, 280 kalität zuliesse. Die Koprolithschicht ist aber nur auf kurze Strecke am Ufer der Ergolz blosgelegt und sonst von aus- gezeichnetem Kulturland bedeckt, und zudem ist sie da- selbst nur wenig mächtig. Möglich, dass sich anderswo im Verlaufe derselben Schicht günstigere Verhältnisse auf- finden liessen. x GESCHENRE an das naturwissenschaftliche Museum in den Jahren 1859 und 1860. 1. Geldbeiträge. Von Il. Gemeinnützigen Gesellschaft, Jahres- beitrag für 1859 Von 1. Museums-Verein, desgl. Von Hrn. Rathsh. P. Merian zur Verw a für die Bibliothek Ferner: Von I. Gemeinnützigen Gesellschaft, Jahres- beitras Wir 48600 2m rein pe Von 1. Museums-Verein, desgl. Von Hrn. Rathsh. P. Merian für die Bibliothek . Fr. 300. — » 350. — » 300. — Fr. 1450, — . Fr. 300. — np 890. — „300. — Fr. 1450. — 282 2. Für die zoologische Sammlung. Von Hrn. Stadtrath F. Hagenbach: Stosszahn eines Narwall. Sägen vom Sägefisch. Steinbockhorn. Grosse Perlmuscheln und andere Muscheln. Von Hrn. Riggenbach-Stehlin: Eine Sammlung inländischer Schmetterlinge. Von einem ungenannten Geber: 20 Stück südamerikanischer Vögel. Von Hrn. F. VonderMühll-Vischer: Ein Hase. Von Hrn. Karl Euler in Bom Valle in Canto Gallo in Bra- silien: Ein Jabiru-Storch. Von Hrn. Karl Beck in Santa Fe, argentinische Republik: 2 südamerikanische Flamingo. | Von Hrn. Professor J. J. Mieg: Picus tridactylus in 2 Exemplaren. Haubenlerche (Alauda cristata) Z und 2. Von Hrn. Alfred Merian: Ein schwarzer Storch, bei Basel geschossen. Von Hrn. W. Rappart in Wabern bei Bern: 32 mikroscopische Präparate in Etuis. Grosse Exemplare von Vermetus intortus aus dem Mit- telmeer, und von Tubipora musica. ‘Von Hrn. Stud. Med. Zahn in Göttingen: Straussen-Ei und einige Conchylien v. der Cap-Colonie. Von Hrn. Wilh. Wackernagel, Sohn, in Jerusalem: Kopf des Steinbocks vom Sinai (Capra sinaitica). Von Hrn. Rud. Merian-Iselin: Schleiereule. 283 Von Hrn. Oswald-Falkner : Fasanen-Ente (Dafila acuta) 4. Silber-Fasan. Von Frau Ecklin: Weibchen eines Pfau. Von Herren Gebrüder Bischof: Calurus resplendens aus Guatemala in 2 Exemplaren. Von Hrn. Stud. Med. Weber: Wespen-Bussard (Pernis apivora) À. Von Hrn. Forcart-Respinger : Platycerus Pennanti aus Neu-Holland. 3. Für die Mineralien- und Petrefacten- Sammlung. Von Hrn. Lieblin in St. Louis: Fossile Saurier-Wirbel aus dem Dep. du Jura. Von Hrn. Dr. Rud. Burckhardt-Burckhardt: Versteinerte Zähne und Knochen aus der Keuperfor- mation des Kantons Basel. Von Hrn. Rathsh. Peter Merian: Versteinerungen aus den Schweizer-Alpen, von Kres- senberg und aus der Gegend von Lyon u. s. f. Desgl. aus Nord-Italien und aus der Gegend v. Berlin. Geognostisches Relief des Laufenthals von A. Gressly. Von Hrn. Inspector M. Birmann: Relief von Palästina. Von Hrn. Architect F. Frey: Pygurus Blumenbachii aus dem Steinbruche von Laufen. Von Hrn. J. J. Handmann, Vater: Eine Stufe von gediegenem Silber aus Kalifornien. Von Hrn. Bauführer C. Wartner: Pflanzen-Versteinerungen aus dem bunten Sandstein von Pfalzburg. 19* 284 Von Hirn. Geheimerath v. Braun in Gotha: Trematosaurus Braunii, Capitosaurus, Pleuromoia, aus d. bunten Sandstein von Bernburg im Anhaltischen. Von Hrn. Dr. F. Goppelsröder: Bruchstück der obern Kinnlade von Acerotherium in- cisivum aus der Braunkohle von Schännis, Kanton St. Gallen. Von Hrn. Dr. Albr. Müller: Versteinerungen aus der Umgegend von Basel. Von Hrn. G. Burckhardt-Alioth: Abdruck einer Fieder-Palme und andere Pflanzen-Ab- drücke im Molasse-Sandstein von Dornach-Bruck. %. Für die physicalische und chemische Sammlung. Von Hrn. H. Sainte-Claire-Deviile in Paris: 1 Kilogr. Natrium, 1 Kilogr. Barytsuperoxyd. Ein Stängelchen Aluminium Von Hrn. Dr. Kerner in Frankfurt a. M.: Eine Reihe von Chinin-Präparaten. Von Hrn. Stadtrath F. Hagenbach: Ein Platintiegel und verschiedene chemische Geräth- schaften. 5. Für die naturwissenschaftliche Bibliothek. Von der Societe des Sciences naturelles in Neuchatel: Bulletin II, 3. IL IV. V, 1. 2. Von der Universität Christiania: Arndsen, Physikalske Meddedelser. Hörbye, Observations sur le phénomène d'érosion en Norvège. — — Forsatte Jagttagelser over de erratiske Phaeno- mener. Norman, Quelques observations de morphologie végétale. 285 Voss, Inversio Vesicae urinariae. Sars, Bidrag til Kundskaben om Middelhavets Littoral- Fauna. FE. Kjerulf, das Christiania-Silurbecken. Forhandlingar ved de Skandinaviske Naturforskeres de Möde. Von der Schlesischen Gesellschaft für vaterländ. Kultur. 35r, 36r und 37r Jahresbericht. Galle, Grundzüge der Schlesischen Klimatoiogie. Lelzner, die entomolog. Section der Schles. Gesellsch. Lebert, Klinik des acuten Gelenkrheumatismus. Von dem Württembergischen naturwissenschaftl. Verein: Jahreshefte XV. XVI. Von der katholischen Universität in frland: Atlantis. No. IE IV. Von der K. Baierischen Akademie der Wissenschaften in München: Gelehrte Anzeigen Bd. 46—49. 4°. Bischoff, über Joh. Müller. Schönbein, Beitr. zur nähern Kenntniss des Sauerstoffs. Vogel, Beiträge zur Beurtheilung der hygrometrischen Methoden. Harless, Molekuläre Vorgänge in der Nervensubstanz. J. IL IM. Wagner, Andr. Neue Beitr. zur Kenntniss der urweltl. Fauna des lithographischen Schiefers. I. — — Die fossilen Ueberreste v. nackten Dintenfischen. Lamont, Untersuchungen über den Erdmagnetismus im westlichen Europa. — — Untersuchungen üb. d. Erdmagnetismus in Nord- deutschland u. s. f. Almanach für 1859. Seidel, Untersuchungen über die Lichtstärken der Pla- neten. 286 Martius, Erinnerungen an Mitglieder der mathematisch- physical. Classe. — — Denkrede an Alex. v. Humboldt. Liebig, Rede 1860. Müller, Worte zur Feier des Geburtsfestes K. Maxi- milians IL. Vogel, Zusammensetzung eines Gletscherschlamms vom Hallstätter-See. Fischer, Beiträge zur Kenntniss der Entomostraceen. Sitzungsberichte 1860. Von der allgem. Schweizerischen naturf. Gesellschaft: Dufour, topographische Karte der Schweiz. Titel und Blatt 11. 14. 19. 24. Von der Société des Sciences naturelles de Strasbourg: Memoires V, 1. Von der naturforschenden Gesellschaft in Bern: Mittheilungen No 408—439. ' Von dem zoologisch-mineralogischen Verein in Regensburg: Correspondenzblatt. XII. XII. Abhandlungen. VI. Von dem physicalischen Verein in Frankfurt a. M.: Jahresbericht für 1857—58 und 58—59. ' Von der Akademie der Wissenschaften‘in St. Petersburg: Bulletin de la Classe physico-mathem. XVII. No. 15—36. Bulletin de l'Académie. I. II, 1—3. Mémoires. 6e Serie. Sciences naturelles VIII. Sciences mathem. VII. Mémoires. Te Série. I. 1. Mém. des Savants étrangers. VIIL IX. Von der geologischen Reichsanstalt in Wien: Jahrbuch IX—XI, 1. Haidinger, Ansprache. Hörnes, die fossilen Mollusken d. Wiener Tertiärbeckens. II, 1. Bivalven. 287 Von der Société des Sciences naturelles in Cherbourg : Mémoires. V. VI. Von der K. Gesellsch. der Wissensch. zu Göttingen: Nachrichten. 1858 und 59. Von der Oberhessischen Gesellschaft für Natur und Heil- kunde in Giessen: “r und 8r Bericht. Von der Académie des Sciences et belles Lettres de Dijon: Mémoires. 2e Ser. VI. VI. Von dem geognostisch-montanist. Verein für Steiermark: 8r und 9r Bericht. v. Pichler, die Umgebung von Turrach. Rolle, Geologische Untersuchungen in der Gegend zwi- schen Weitenstein u. s. w. Zollikofer, Geolog. Verhältnisse von Unter-Steiermark. Von der physical.-medicin. Gesellschaft in Würzburg: Verhandlungen. IX. X. Naturwissenschaftliche Zeitschrift. I, 1. Von der Chemical Society in London: Quarterly Journal. XII. XII, 1. 2. Von der Akademie der Wissenschaften in Berlin: Monatsberichte. Juli bis December 1858. 1859. Uebersicht der Witterung im nördl. Deutschland. Von dem naturwissenschaftl. Verein für Sachsen und Thü- ringen in Halle: Zeitschrift. XII—XIV. Von dem naturwissensch. Verein d. preussisch. Rheinlande: Verhandlungen. XIV, 3. XV. XVI. | Von dem Ferdinandeum in Innsbruck: Zeitschrift. 3te Folge. V. VI. VIII. IX. 48r Bericht. Von der Société Vaudoise des Sciences naturelles: Bulletin. No. 44—47. Reglements. 288 Von der Smithsonian Institution in Washington: Smithsonian Contributions to Knowledge. X. XI. Annual Report for 1857 und for 1858. Von der Academy of Nat. Sciences in Philadelphia: Proceedings. 1858. Mai bis Dec. 1859. 1860 Anfang. Fischer, the Mosaic account of the Creation. Von dem Verein für Naturkunde zu Pressburg: Verhandlungen. III, 1. 2. & Fuchs, naturwissenschaftliche Vorträge. Kornhuber, Beiträge zur Kenntniss der klimat. Verhält- nisse Pressburgs. Von dem naturhistorischen Verein in Augsburg: 12r und 13r Bericht. Von der naturforschenden Gesellschaft zu Görlitz: Abhandlungen. IX. X. Von der K. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften in Leipzig: Abhandlungen. IV. V. Berichte über die Verhandlungen der mathem.-phys. Classe. 1858. 1859. | Von der naturforschenden Gesellschaft Graubündens: Jahresbericht. Neue Folge IV. V. Von dem zoologisch-botanischen Verein in Wien: Verhandlungen. VIH. IX. Von der Société des Naturalistes de Moscou: Bulletin. 1858, 1:—IV. 1859. 1860, I. Nouveaux Mémoires. XI. XIL XEH, 1. - Von dem Mannheimer Verein für Naturkunde: 25r und 26r Jahresbericht. Von der deutschen geologischen Gesellschaft in Berlin: Zeitschrift. X. XI. Von der Societe industrielle in Mülhausen: Bulletin. No. 146 —159. 289 Von der naturferschenden Gesellschaft in Bamberg: Ar Bericht. Von der naturforschenden Gesellschaft in Emden: A4r und 45r Jahresbericht. Kleine Schriften. VI. VD. Von der Gesellschaft der Naturforscher in Neu-Granada: Estatutos. Bolletin. 1860. Von der K. Akademie der Wissenschaften in Wien: Sitzungsberichte. XXVIH, 2. XXX, 16. 17. XXXI bis REN 13.19. Register zu Band 21—30. Kreil, Anleitung zu den magnetischen Beobachtungen. Almanach. IX. X. Von der Royal Institution in London: Notices and Proceedings. II und HI. Von der Société de Physique et d'histoire naturelle de Genève: Mémoires. XV. Von der naturforsch. Gesellschaft zu Freiburg i. B.: Berichte. II, 1. 2. Von dem naturwissenschaftlichen Verein des Harzes : Bericht für 1857 und 1858. Von der naturhistorischen Gesellschaft zu Hannover: Sr Jahresbericht. Von dem Britischen Museum in London: Vollständige Sammlung der von 1850—1859 erschiene- nen Cataloge der zoologischen Sammlung. 97 Bände und Hefte. Von der K. Schwedischen Akademie der Wissenschaften in Stockholm: Öfversigt af Förhandlingar. XV. XVI. Fregatten Eugenies Resa omkring Jorden. Zoologi II. IV. 290 Edtund, Meteorologiska Jagttagelser. I. Lars og Kjerulf, over den glaciale Formation i sydlige Norge. Von der Zoological Society in London: Proceedings. XXV, No. 339—346. XXVI und XXVI. XXVIIE, 1. 2. Von dem Verein für Naturkunde des Herzogth. Nassau: Jahrbücher. XIL XIH. Kirschbaum, die Athysanus-Arten. Von der Senckenbergischen naturforschenden Gesellschaft in Frankfurt a. M.: Abhandlungen. 11, 1. Von der natuurkundigen Vereeniging in Batavia: Acta Societatis Indo-Neerlandicae. III. IV. Natuurkundig Tijdschrift. XIV, 4—6. XV— XV. Von der American Association for the advancement of Seience: Proceedings. XII. XI. Von dem Staats-Ackerbaurath von Ohio: 12r und 13r Jahresbericht. Von dem Staate Arkansas: Owen, Report of a geological Reconnaissance of the Northern Counties of Arkansas. Von dem Vorsteher der Nordamerik. Coast Survey, Hrn. A. D. Bache: | | Report of the Coast Survey for 1857 and for 1858. Von dem Lyceum of Natural history in New-York: Annals VIS, No. 1—3. . Von der Academy of Science in St. Louis: Transactions. 1, No. 3. Swallow, Geolog. Report of the country along the line of the SW Branch of the Pacific Railroad. Von dem Patent Office in Washington: Report of the Commissioner of Patents for 1857. Agri- culture and for 1858 und 1859. 291 Von der zoologischen Gesellschaft in Frankfurt a. M.: Weinland, der zoologische Garten. I. Von der Gesellschaft Pollichia : 16r und 17r Jahresbericht. Von der K. Akademie der Wissenschaften in Amsterdam: Verhandelingen. Vil. | Jaarboek for 1858 u. for 1859. Verslagen en Mededeelingen. VIIL IX. X. Catalogus van de Boekerij. I, 2. Von dem naturhist. medicinischen Verein in Heidelberg: Verhandlungen. I, 1. Von der Linnean Society in London: Transactions. XII, 3. 4. Journal Zoology and Botany. H—IV. Adress of Th. Bell. Von der Royal Society in London: Proceedings. X, No. 37—39. Von dem Offenbacher Verein für Naturkunde: ir Bericht. Von dem R. Istituto Lombardo in Mailand: Memorie. VII. VII, 1. 2. Atti. I. IL 1—3. Von der Académie des Sciences in Lyon: Mémoires. Classe des Sciences. VII. IX. — — Classe des Lettres. Nouv. Série. VI. Von der Società Italiana di Scienze naturali in Mailand: Attı L'IE "1:02 Von der naturforschenden Gesellschaft in St. Gallen: Bericht 1853—1860. 292 Von Hrn. Prof. Friedr. Miescher: Cuvier, le Règne animal accompagé de Planches gravées. Mollusques p. Deshayes. Livr. 1—2%. Arachnides p. Dugès. 1—5. Crustacés p. Milne-Edwards. 1—16. Annelides p. Milne-Edwards. 1—3. Zoophytes p. Milne-Edwards. 1—19. Von Hrn. Dr. Christoph Burckhardt: Sartorius v. Waltershausen, Atlas des Aetna. 7. Lief. Von L Lesegesellschaft: 421 Bände Reisen, landwirthschaftliche und Schriften verschiedenen Inhalts. Von Hrn. Rector F. Autenheimer: Bernoulli, Vademecum des Mechanikers. 10te Auflage . unter Mitwirkung von F. Autenheimer. Von Hrn. Dr. Albr. Müller: Richers, der Magnetismus. Deffner, zur Erklärung der Bohnerzgebilde. Von dem Hrn. Verfasser: A. Perrey, Documents sur les Tremblements de terre au Perou. 1858. Von Hrn. Dr. B. A. Gould: Defense of Dr. Gould by the Council of the Dudley Observatory. Gould, Reply to the statement of the Trustees of the Dudley Observatory. . Von dem Hrn. Verfasser: P. A. Bolley, Beiträge zur Theorie der Färberei. Von dem Hrn. Verfasser: T. H. Barker, On the relative value of the Ozonometers. — — On Cystic Entozoa. — — Meteorological Observations at Bedford 1858 and 1859. 293 Von dem Hrn. Verfasser: R. Lachlan, Uniform system of Meteorological Obser- "vations throughout the American Continent. Ven dem Hrn. Verfasser: K. L. Schwab, die Ostraciden. Von dem Hrn. Verfasser: R. Wolf, Biographien zur Kulturgeschichte der Schweiz. IT. II. Von dem Hrn. Verfasser: M. Paic, Pasigraphie mittels arabischer Zahlzeichen. Von dem Hrn. Verfasser: B. Studer, über die natürliche Lage von Bern. Von den Herren Herausgebern: Eisenlohr und Volz, Amtlicher Bericht über die 34ste Versammlung Deutscher Naturforscher und Aerzte. Von dem Hrn. Verfasser: J. Wislicenus, Theorie der gemischten Typen. Von Hrn. Alt-Oberschreiber Andr. Laroche: 182 Bände landwirthschaftliche Schriften. Von dem Hrn. Verfasser: W. Von der Mark, Chem. Untersuchung der Hermanns- bronner Stahl- und Sauerquellen. Von dem Hrn. Verfasser: L. Rütimeyer, Untersuchung der Thierreste in den Pfahl- bauten der Schweiz. Von dem Hrn. Verfasser: ' A. Quiquerez, Plan des travaux d’exploitation des mines de fer dans la vallée de Delémont. Von den Herren Herausgebern : . B. Silliman, B. Silliman jr. and J. D. Dana, The Ameri- can Journal of Science and Arts. XXVI—XXIX. Von dem Hrn. Herausgeber: A. Erlenmeyer, Verhandlungen der deutschen Gesellsch. für Psychiatrie zu Wien. 29% Correspondenzblatt der deutschen Gesellsch. für Psy- chiatrie. 3r und 5r. Jahrg. Archiv derselben Gesellschaft. I. 1—4. Von dem Hrn. Verfasser: Aug. De la Rive, les Aurores boréales. Von Hrn. Dr. C. H. Schultz: C. H. et F. W. Schultz, Commentationes botanicae. Von dem Hrn. Verfasser: L. R. v. Fellenberg, Analysen von antiken Bronzen. Von dem Hrn. Verfasser: Ed. Hagenbach, über die Bestimmung der Zähigkeit einer Flüssigkeit durch Ausfluss aus Röhren. Von L Staatskanzlei: Desor et Gressly, Etudes geelogiques sur le Jura Neu- chatelois. Von dem Hrn. Verfasser, P. A. Hansen, Tables de la Lune. Von dem Hrn. Verfasser: L. Natani, Materie, Aether und lebendige Kraft. Von dem Hrn. Verfasser: J. A. C. Roeper, der Frieden in der Schöpfung. Von dem Hrn. Verfasser: S. Fenicia, Ode sulle Comete. Von dem Hrn. Verfasser: Daubree, Etudes et Experiences sur le Hötahkerphisine des Roches. Von dem Hrn. Verfasser: J. Uhlmann, Geologisch-archäologische Verhältnisse am Moosseedorfsee. Von Hrn. Prof. C. F. Schönbein: Abhandlungen der naturwissensch. technischen Commis- sion bei der K. bayer. Akad. der. Wissensch. IT. Gorup-Besancenez, Lehrbuch der Chemie. I. * Brandt, Symbolae ad Polypos hyalochaetides spectantes. N 295 Weltzien, Systematische Zusammenstellung der organi- schen Verbindungen. Und eine Anzahl kleinerer Schriften. Von Hrn. Rathsh. P. Merian: Eine Anzahl Schriften vorzüglich mineralogischen, geo- logischen und paläontologischen Inhalts. rd 52. 159niplat in? se ARTE retro M Æ , NE HE or raitirdo@ los añl & q ba _ VERHANDLUNGEN NATURFORSCHENDEN GESELLSCHAFT IN . BASE. DRITTER THEIL. DRITTES HEFT. BASEL. SCHWEIGHAUSERISCAE VERLAGSeBUCH4ANDLUNG. 1862. MAC AE 3 mA. Be, ral La ‘or AMF” RAR Le | \ $ ven 4 Ni LR NE CHEMIE. Mittheilungen von C. F. Schönbein vom Juli 1861 bis April 1862. I. Veber die allotropen Zustände des Sauerstoffes. Die Annahme dreier verschiedener allotropen Zustände des Sauerstoffes ist eine so ungewöhnliche, dass die that- sächlichen Beweise für die Richtigkeit derselben nicht ge- nug gehäuft werden können, wesshalb ich im Nachstehen- den einige weitere Ergebnisse meiner Untersuchungen über diesen Gegenstand mittheilen will, welehe nach meinem Dafürhalten so sind, dass sie über diese dreifache Zuständ- lichkeit keinen Zweifel walten lassen dürften. Da die beiden von mir angenommenen thätigen und ein- ander entgegengesetzten Modificationen des Sauerstoffes: das Ozon und Äntozon in einigen ihrer Eigenschaften einander bis zur Verwechslung sich gleichen, wie z. B. in ihrem Geruch und der Fähigkeit, das feuchte Jodkaliumstärke- ‚papier zü bläuen so sei auch zunächst von denjenigen Eigen- schaften die Rede, durch welehe & und © auf das Schärfste von einander sich unterscheiden. Meine frühern Versuche 30* 300 haben dargethan, dass die Basis der Manganoxiduisalze ein- zig und allein durch den ozonisirten Sauerstoff (©) zum Superoxid unter Abscheidung der Säuren oxidirt werde, woher es kommt, dass trockne oder feuchte z. B. mit Man- gansulfat behaftete Papierstreifen in ozonisirter Luft ziem- lich rasch sich bräunen und daher als spezifisches Reagens auf ©) dienen können. Bekanntlich nehme ich an, dass das Bariumsuperoxid ein Antozonid — Ba0 + &) sei und der aus ihm mittelst des ersten Hydrates der Schwefelsäure in der Kälte ent- bundene Sauerstoff neben O auch noch kleine Mengen von &) enthalte, dessen Anwesenheit der besagte Sauerstoff sowohl seinen ozonartigen Geruch als auch die Fähigkeit verdankt, feuchtes Jodkaliumstärkepapier zu bläuen und mit HO Wasserstoffsuperoxid zu erzeugen. Wie lange man nun mangansulfathaltiges Papier der Einwirkung solehen Sauer- stoffes aussetzen mag, nie wird ‘dasselbe auch nur spur- weise gebräunt werden, welches negative Verhalten allein schon beweist, dass besagter Sauerstoff kein ©) enthalte. Es unterscheidet sich jedoch letzterer vom ozonisirten Sauer-. stoff auch noch durch die positive Eigenschaft, dass Jener das durch Ozon gebräunte Mangansulfatpapier wieder ent- färbt. Um sich hievon in einfachster Weise zu überzeugen, verfahre man folgendermassen. Man bräune einen mit Man- gansulfatlösung getränkten Papierstreifen in ozonisirter Luft deutlich, aber nicht zu stark und hänge denselben in einem Gefäss auf, in welchem mit Hülfe reinen Vitriolöles aus gleich beschaffenem Bariumsuperoxid Sauerstoff entbunden worden. Nach kürzerem oder längerem Verweilen des Papiers (je nach der Stärke seiner Färbung) in dem Gase wird die Entfärbung desselben mehr oder minder rasch er- folgen und ich will nicht unbemerkt lassen, dass dieses Bleichen wesentlich dadurch beschleunigt wird, dass man den gebräunten Streifen im feuchten Zustande der Einwir- 301 kung des @-haltigen Gases aussetzt und noch mehr so, wenn das hiezu dienende Wasser durch SO; schwach an- gesäuert ist. ? Noch ganz deutlich in der oben angegebenen Weise gebräuntes Papier bleichte ich in wenigen Minuten voll- ständigst aus und hat man eine mit stark ozonisirter Luft gefüllte Flasche zur Hand, so lässt sich der gleiche Strei- fen in kurzer Zeit zu wiederholten Malen bräunen und ent- färben dadurch, dass man denselben bald in eine Ozonat- mosphäre bald in das aus Ba0; entbundene Sauerstoffgas einführt. Kaum möchte es der ausdrücklichen Bemerkung bedürfen, dass das unter den erwähnten Umständen erfol- sende Bleichen des gebräunten Papieres auf der Bildung des farblosen Mangansulfates beruht. | Aus diesen Angaben erhellt, dass der aus BaO, ent- bundene, ozonartig riechende Sauerstoff geges das Mangan- sulfat völlig unthätig sich verhält, während der ozonisirte Sauerstoff selbst das an die stärksten Säuren gebundene Manganoxidul rasch in Superoxid verwandelt, weiches sei- nerseits durch den riechenden Theil des aus BaO, abge- schiedenen Sauerstoffes wieder zu Oxidul reducirt wird.‘ Es sind diess aber offenbar einander genau entgegenge- setzte Wirkungen nemlich oxidirende und reducirende, welche unmöglich von einer und eben derselben Sauerstofl- modification hervorgebracht werden können und desshalb auch zu dem Schlusse berechtigen, dass der aus Ba0; stammende, riechende und thätige Sauerstoff vom Ozon nicht bloss verschieden, sondern Letzterem seiner Wirk- samkeit nach geradezu entgegengesetzt d. h. Antozon sei, welche Folgerung ich übrigens schon früher aus einer An- zahl anderartiger Thatsachen gezogen habe.*) *) Da die französischen Chemiker, wenn sie thätigen Sauerstoff bezeichnen wollen, noch häufig von „Oxigene à l’état naissant“ zu 302 Wir entnehmen ferner aus obigen Argaben, dass die beiden entgegengesetzt thätigen Sauerstoffarten mit Hülfe des mangansulfathaltigen und durch Mangansuperoxid ge- bräunten PapiereS beinahe ebenso leicht von einander sich unterscheiden lassen, als mittelst blauen und gerötheten Lakmuspapieres eine Säure von «einem Alkali. Es gibt indessen noch einige andere Mittel, durch welche der Unterschied zwischen Ozon und Antozon gleich leicht aufgefunden werden kann und zu denselben gehört in erster Linie die Uebermangansäure. Lässt man ein klei- nes Stück Bimssteines*), setränkt mit der durch SO; schwach angesäuerten Lösung der genannten Säure oder ihres Kali- salzes einige Zeit in dem aus BaO entbundenen Sanerstoffe verweilen, so erscheint es völlig entfärbt und setzt man das so gebleichte Bimssteinstück der Einwirkung des 020- nisirten Sauerstoffes aus, so bräunt sich derselbe in Folge des unter diesen Umständen aus dem schwefelsauren Man- ganoxidul entstandenen Mangansuperoxidhydrates. Aehnlich dem Mangansulfat u. s. w. kann auch das basisch essigsaure Bleioxid zur Unterscheidung des Ozons vom Antozon dienen. Meinen Versuchen gemäss wandelt Ersteres das genannte Salz in Bleizucker und Bleisuper- oxid um, wesshalb ein mit Bleiessig getränkter Papierstrei- fen längere Zeit der Einwirkung des ozonisirten Sauerstof- / reden pflegen, dieser Ausdruck aber irrthümlichen Vorstellungen über die nächste Ursache der Wirksamkeit dieses Elements Raum gibt und wir nun wissen, dass auch der freie gasförmige Sauerstoff in thätigen Zuständen existiren kann, so dürfte es zeit- und sachgemäss sein, ‚jenseits des Rheines in diesen Fällen einer richtigern Sprachweise sich zu bedienen. #) Anstatt der Papierstreifen wende ich dieses porose Mineral an, um die reducirende Einwirkung der Cellulose auf die gelöste Uebermangansäure zu vermeiden. r A 303 fes ausgesetzt, auf das Tiefste gebräunt wird, wobei indes- sen noch zu bemerken ist, dass anfänglich die Färbung des Papieres eine gelbe ist, welche von einer mennigeähnlichen, aus Superoxid und Oxid bestehenden Verbindung herrührt, die aber allmählig gänzlich zu PbO: oxidirt wird. Diese Wirkung bringt der riechende aus BaO, erhaltene Sauer- stoff nicht nur nicht hervor, sondern er besitzt umgekehrt das Vermögen das durch PbO, gebräunte Papier wieder zu entfärben. Um ein solches Reagenspapier sich zu bereiten, lasse man einen mit Bleiessig getränkten Papierstreifen- in stark ozonisirter Luft so lange verweilen, bis er deutlich gelb geworden; man tauche ihn dann in stark verdünnte NO,-freie Salpetersäure, wodurch er gebräunt wird und bringe denselben hierauf in ein Gefäss, in dem aus Ba0, Sauerstoff entbunden worden, unter welchen Umständen das Papier bald weiss erscheint, falls es nur schwach gebräunt war. Aus diesen Thatsachen geht hervor, dass auch das Bleisuperoxid durch den riechenden Theil des aus BaO, ab- seschiedenen Sauerstoffes zu Oxid reducirt wird. . Das Ozon verhält sich gegen die gelöste Chromsäure durchaus unthätig, während dieselbe unter geeigneten Um- ständen durch den aus Ba0, abgetrennten Sauerstoff zu Chromoxid reducirt, wird. Setzt man ein kleines Stück Bimssteines, getränkt mit einer stark verdünnten SO;-hal- tigen Chromsäurelösung, die aber das Mineral doch noch deutlich gelb färbt, längere Zeit der Einwirkung des besagten Sauerstoffes aus, in der Weise, dass man das- selbe an einem dünnen Platindraht in einer mit diesem rie- chenden Gase gefüllten Flasche aufhängt, so verschwindet allmählig die gelbe Färbung des Bimssteines und wird der- selbe grün in Foige des unter diesen Umständen gebildeten schwefelsauren Chromoxides. Was nun die desoxidirenden Wirkungen betrifft, welche. der riechende Theil des aus BaO, entbundenen Sauerstoffes 30% auf die Superoxide des Manganes und Bleies, wie auch auf die Uekermangan- und Chromsäure hervorbringt, so erklä- ren sie sich nach meinem Dafürhalten einfach in folgender Weise. Die genannten reducirbaren Saverstoffverbindungen ge- hören der Klasse der Ozonide an, d. h. enthalten ©) oder sind =MnO +), Pb0O+Q), Mn:0, +50 und Cr,0; +30. Der aus Ba0 + ©) mittelst Vitriolöles abgeschiedene Sauer- stoff enthält neben O (in Folge der bei der Abscheidung stattfindenden Erhitzung aus &) hervorgegangen) auch noch kleine Mengen von &), und trifft nun dieses freie Antozon mit dem gebundenen ©) der genannten Ozonide zusammen, so gleichen sich beide (in äquivalenten Verhältnissen) zu neutralem Sauerstoff oder O aus, welcher als solcher nicht mehr in gebundenem Zustande verbleiben kann, wesshalb den Ozoniden ihr Ö-Gehalt durch &) eben so gut, als durch eine leicht oxidirbare Substanz entzogen werden kann. Dass die gleichen Ozonide unter geeigneten Umständen auch durch chemisch gebundenes ©), d.h. durch die Antozonide HO+ ©), Ba0O + © u. s. w. unter Entbindung neutralen Sauerstoffes leicht reducirt werden, ist nun eine wohl bekannte That- sache und ich sollte desshalb denken, es lägen jetzt That- sachen genug vor, welche beweisen, dass es zwei einander entgegengesetzt thätige Zustände des Sauerstoffes gebe, wie unmöglich es uns dermalen auch noch ist, den nächsten Grund dieser Zweispältigkeit einzusehen. Schliesslich dürfte noch folgende Angabe am Orte sein. ‚Unlängst habe ich gezeigt, dass das freie Antozon, wie es im Wölsendorfer Flussspath angetroffen wird und auch mit- telst Schwefelsäure in kleinen Mengen aus Bariumsuperoxid erhalten werden kann, die Fähigkeit besitze, mit Wasser sofort zu HO, sich zu verbinden, ein Verhalten, welches weder dem ozonisirten noch gewöhnlichen Sauerstoff zu- ‘ kommt. Von dieser Verbindbarkeit des Antozones mit Was- 305 ser kann man sich rasch und einfach in folgender Weise überzeugen, welches Yerfahren desshalb auch zu einem Vor- lesungsversuche sich eignen dürfte. Man trage in ein etwa 100 CC: fassendes und mit einem eingeriebenen Stöpsel ver- sehenes Fläschchen, dessen Boden einige Linien hoch mit dem ersten Hydrate chemisch reiner Schwefelsäure bedeckt ist, etwa ein Gramm reinsten Bariumsuperoxides nach und nach ein, hänge im Gefäss einen mit Wasser getränkten Streifen Filtrirpapieres auf und lasse denselben darin einige Minuten lang verweilen. Unter diesen Umständen wird nun schon so viel HO, im benetzten Papier sich gebildet haben, dass es mit Hülfe empfindlicher Reagentien augenfälligst sich nachweisen lässt. Zu diesem Behufe ziehe man be- sagten Streifen mit einigen Grammen Wassers aus, füge dem Auszug erst einige Tropfen stark verdünnten jedkaliumhal- tigen Kleisters, dann einen Tropfen ebenfalls stark verdünn- ter Eisenvitriollösung zu und man wird finden, dass das Gemeng sich sofort bläut, welche Färbung, meinen frühern Versuchen gemäss, über die Anwesenheit von HO; keinen Zweifel übrig lässt. Bei diesem Versuche kann man anstatt des befeuchteten Papieres auch ein reines mit Wasser ge- tränktes Badeschwämmehen anwenden. il. Ueber die Barstellung des @zons auf chemischem Wege. Nach vieljährigem vergeblichen Bemühen ist es mir endlich gelungen, auf chemischem Wege den ozonisirten Sauerstoff aus einem Ozonid abzutrennen, ein Erfolg, wel- cher der Hoffnung Raum geben dürfte, dass wir dahin ge- langen werden, diesen merkwürdigen Körper nicht nur reich- 306 licher als bisher darzustellen, sondern ihn vollkommen rein zu erhalten. Jedenfalls wird aber diese neue Bereitungs- weise zu einer genauern Kenntniss der in mancher Bezie- hung immer noch räthselhaften Natur des Ozons führen, wesshalb ich geneigt bin, den gethanen Fund als einen Fortschritt in der Erforschung dieses so schwierigen und für die theoretische Chemie keinesweges unwichtigen Ge- genstandes anzusehen. Die blaurothe Lösung des übermangansauren Kalis in verdünnter Schwefelsäure wird meinen frühern Mittheilun- gen zufolge durch alle Antozonide, und daher auch durch das Bariumsuperoxid, unter lebhafter Entbindung geruch- losen d. h. gewöhnlichen Sauerstoffgases und Bildung schwe- felsauren Manganoxidules und Barytes zersetzt. Anders verhält sich die olivengrüne Lösung des be- sagten Permanganates in dem ersten Hydrate der Schwefel- säure gegenüber dem Bariumsuperoxide; denn trägt man Letzteres in die erwähnte Lösung ein, so findet zwar auch eine Gasentwickelung statt, es besitzt aber die auftretende Luftart einen äusserst starken Geruch, der demjenigen des Ozones nicht nur sehr ähnlich, sondern ganz und gar gleich ist. Ueberdiess bringt das fragliche Gas auch noch alle übrigen Wirkungen des ozonisirten Sauerstoffes in ausge- zeichnetster Weise hervor, wie diess die nachstehenden Angaben zur Genüge zeigen werden. Ehe ich jedoch die Eigenschaften unseres Gases näher beschreibe, wird es sachdienlich sein, die von mir befoigte Darstellungsart desselben kurz anzugeben. In chemisch rei- ner Schwefelsäure von 1,35 spezifischem Gewicht löse ich in der Kälte chemisch reines und fein gepulvertes Kali- permanrganat so reichlich auf, dass die erhaltene Flüssig- keit bis zur Undurchsichtigkeit tief olivengrün gefärbt er- scheint. Diese Lösung wird in eine Flasche mit doppeltem Halse gebracht, an der man Vorrichtungen anbringt, welche 307 es gestatten, durch die eine Mündung des Gefässes fein ge- pulvertes Bariumsuperoxid in die Flüssigkeit nach Belieben einzuführen und durch die andere (mittelst einer eingefüg- ten-und gebogenen Röhre) die unter diesen Umständen sich entbindende Luft über Wasser aufzufangen. Das so erhal- tene Gas besitzt folgende Eigenschaften. Physiologische Eigenschaften. Wie schon vor- hin bemerkt, riecht das Gas vollkommen gleich dem auf electrischem und Volta’schem Wege oder bei der langsamen Verbrennung des Phosphors erhaltene Ozon. Dasselbe auch nur in geringen Mengen in die Lungen eingeführt, verur- sacht sofort eine Art von Engbrüstigkeit, und wiederholt eingeathmet eine Entzündung der Schleimhäute, d. h. Ca- tarrh. Wie ich mir bei meinen ersten Arbeiten über das Ozon durch ôfteres Riechen an Gefässen, welche diese Ma- terie in merklichen Mengen enthielten, einen heftigen Husten Zuz0g, so auch neulich wieder, als ich zum ersten Male das in Rede stehende Gas darstellte. Ich habe noch nicht die nöthige Zeit gefunden, auch an Thieren Versuche damit an- zustellen, es lassen aber die weiter unten erwähnten That- sachen nicht im Mindesten daran zweifeln, dass unser Gas völlig gleich dem Ozon auf den Organismus einwirken werde. Volta’sche Eigenschaften. Ich habe zu seiner Zeit gezeigt, dass ein in ozonisirtem Sauerstoffe nur kurze Zeit verweilender Platinstreifen kräftigst negativ polarisirt werde und finde, dass unser Gas die gleiche Volta’sche Wirkung hervorbringe, welche Polarisation, wie die durch das Ozon verursachte, durch mässige Erhitzung des Metall- streifens sofort aufgehoben wird Unlängst erwähnte ich der Thatsache, dass in Volta’scher Hinsicht das Ozon ne- gativ zum Antozon sich verhalte, und in der gleiehen Be- ziehung steht auch das fragliche Gas zu ©. Chemische Eigenschaften. Man kann das Gas 308 ganz allgemein als eine äusserst kräftig oxidirende Materie bezeichnen, wie aus den nachstehenden Einzelahgaben er- hellen wird. 1. = Es zerstört schon bei gewöhnlicher Temperatur alle organischen Farbstoffe mit der grössten Energie, so dass es z. B. einen mit indigo- oder Lakmustinctur gebläueter Papierstreifen rasch bleicht. | Bei hinreichend langer Einwirkung auf die feste oder gelöste Pyrogallussäure verbrennt es dieselbe voll- ständig zu Kohlensäure und Wasser, sie erst durch sefärbte Huminsubstanzen und Kleesäure hindurch führend; woher es kommt, dass ein mit Brenzgallus- säurelösung benetzter Papierstreifen in dem Gase sofort sich färbt, bald aber wieder gebleicht wird. Dasselbe wirkt in ähnlicher Weise auf die Gallus- und Gerbgallussäure ein. Es oxidirt rasch und kräftigst das Anilin, wesshalb ein mit dieser farblosen Flüssigkeit benetzter Papier- streifen in dem Gase unverweilt sich tief bräunt, durch gelbroth hindurch gehend. Auch auf das Hä- matoxylin wirkt es rasch oxidirend ein, wie daraus erhellt, dass Papierstreifen, getränkt mit der geisti- gen Lösung dieses Chromogens und beinahe trocken der Einwirkung des Gases ausgesetzt, erst schnell auf das Tiefste sich braunroth färben und dann sich bleichen. Das Gas ist unfähig, mit Wasser zu HO, sich zu verbinden, vermag dagegen das Letztere zu Wasser zu redueiren, indem es selbst, wie seinen Geruch, so auch sein oxidirendes Vermögen verliert. Es oxidirt schon in der Kälte das Silber zu Super- oxid mit der grössten Schnelligkeit, wie aus der Thatsache hervorgeht, dass ein polirtes Blech che- misch reinen Silbers selbst bei einer Temperatur von Pr QU 10. 11. 12. 309 20° unter Null sofort mit einer schwarzen Hülle von Silbersuperoxid sich überzieht. Es oxidirt das metallische Blei zu Superoxid, wie daraus erhellt, dass ein polirtes Stäbchen dieses Me- tailes im Gase braun anläuft, was von PbO, her- rührt; es ist jedoch erwähnenswerth, dass das Blei ungleich langsamer als das Silber oxidirt wird. Bei Anwesenheit von Feuchtigkeit wird das Arsen durch unser Gas ziemlicih rasch zu Arsensäure oxi- dirt, woher es kommt, dass dünne, um eine Glas- röhre gelegte Arsenflecken: in demselben rasch ver- schwinden unter Zurücklassung einer farblosen Sub- stanz, weiche befeuchtetes Lakmuspapier stark rôthet. Es zersetzt augenblicklich die Jodmetalle unter Aus- scheidung von Jod und bläut daher augenblicklich den jodkaliumhaltigen Stärkekleister auf das Tiefste. Es oxidirt die Basis der Manganoxidulsalze zu Super- oxid, wesshalb z. B. mangansulfathaltige Papierstrei- fen in dem Gase rasch sich bräunen. Es oxidirt die Hälfte der Basis des basisch essig- sauren Bleioxides anfänglich zu einer Art von Men- nige und dann völlig zu Superoxid, wesshalb mit Bleiessig getränkte Papierstreifen in dem Gase an- fänglich gelb und später tief braun werden.- Es wandelt rasch eine Reihe von Schwefelmetallen in Sulfate um, woher es kommt, dass z. B. durch Schwefelblei gebräunte Papierstreifen in unserem Gase sich schnell ausbleichen. Es verwandelt selbst das feste gelbe Blutlaugensalz in das rothe Cyanid unter Bildung von Kali und Ausscheidung von Wasser, wesshalb ein in dem Gas aufgehangener Krystall des gelben Cyanüres allmäh- lg von aussen nach innen roth, alkalisch und nass wird. 310 13. Mit Kohlenpulver in Berührung gesetzt, verliert das Gas augenblicklich seinen Geruch wie auch alle die oben erwähnten Eigenschaften. 1%. Die gleiche Veränderung erleidet das Gas unter dem Einflusse der Wärme, wie daraus abzunehmen, dass es, durch eine enge auf 150° erhitzte Glasröhre strö- mend, vollkommen geruchlos und aller seiner sonsti- sen Eigenschaften verlustig austritt. Vergleicht man die Eigenschaften des in Rede stehen- den Gases mit denjenigen des Ozons, so ergibt sich, dass zwischen denselben die vollkommenste Gleichheit besteht, wesshalb ich auch nicht im Geringsten daran zweifle, dass unser Gas seine Eigenschaften dem Ozon verdanke. Ehe ich weiter gehe, sei es mir gestattet, noch einmal auf das Verhalten des Ozons zu den Manganoxidulsalzen aufmerksam zu machen, deren Basis erwähntermassen durch ©) zu Mangansuperoxid oxidirt und desshalb ein mit diesen ‘Salzen behafteter Papierstreifen dadurch rasch gebräunt wird. Es ist diese Oxidationswirkung eine so scharf kenn- zeichnende Eigenschaft des Ozons, dass es dadurch mit vollkommenster Sicherheit nicht nur vom Antozon und ge- wöhnlichen Sauerstoffe, sondern auch von solchen Substan- zen unterschieden werden kann, welche viele andern Ozon- wirkungen hervorbringen, wie z. B. das Chlor, Brom, die Untersalpetersäure u. s. w. diess thun; wesshalb mangan- sulfathaltiges Papier, wenn auch nicht als das empfindlich- ste, doch als das sicherste und charakteristischste Reagens auf den ozonisirten Sauerstoff bezeichnet werden darf. Und wie aus obigen Angaben erhellt, bräunt unser Gas das be- sagte Reagenspapier ziemlich rasch, welche Thatsache da- her allein schon heweist, dass dasselbe ozonhaltig sei. Die meisten der oben erwähnten Reactionen des Gases. lassen sich in einfachster Weise hervorbringen und daher auch bei Vorlesungen ganz bequem zeigen. Man bedecke 311 den Boden eines Fläschchens, das nicht grösser als ein Däumling zu sein braucht, einige Linien hoeh mit dem er- sten Hydrate der Schwefelsäure, führe in dasselbe so viel gepulvertes Kalipermanganat ein, bis die Flüssigkeit tief olivengrün erscheint und streue nun eine kleine Prise fein gepulverten Bariumsuperoxides in die Salzlösung ein. Un- ter diesen Umständen wird sofort der so charakteristische Ozongeruch der Nase bemerklich werden, und führt man in das Fläschchen einen feuchten mangansulfathaltigen Papier- streifen ein, so bräunt sich derselbe deutlich in kurzer Zeit, und kaum ist nöthig beizufügen, dass befeuchtetes Jodka- liumstärkepapier augenblicklich auf das Tiefste gebläut wird. Hieraus ersieht man, dass schon mit einer winzigen Menge von Material einige der schlagendsten Versuche über- die ‚chemische Darstellung des Ozons in kürzester Zeit sich ausführen lassen. | | Wenn nun auch die voranstehenden Angaben es aus- ser Zweifel stellen, dass das aus der grünen Lösung des Kalipermanganates in Vitriolöl mittelst BaO, entbundene Gas © enthält, so ist es doch kein reines Ozon, sondern ein Gemeng desselben mit neutralem Sauerstoff. Mir vorbe- haltend, späterhin das Verhältniss genauer anzugeben, in welchem O und ©) in diesem Gemeng auftreten, will ich vorläufig nur so viel bemerken, dass dasselbe trotz seines starken Ozongeruches und oxidirenden Vermögens nur zum kleinern Theile vom Silber oder gelösten Jodkalium aufge- nommen wird und das rückständige und geruchlos gewor- dene Gas wie gewöhnlicher Sauerstoff sich verhält, was beweist, dass nur ein kleiner Bruchtheil des besagten Ge- menges aus Ozon besteht. Es ist zwar schon im Eingange dieser Mittheilung be- merkt worden, dass nur mit Hülfe des Bariumsuperoxides aus der Lösung des Kalipermanganates in conzentrirter Schwefelsäure Ozon entwickelt werden könne, ich muss aber 312 noch einmal auf diese Thatsache zurückkommen und noch einige andere Umstände besprechen, welche auf die che- mische Darstellung des Ozons Bezug haben. Zunächst sei bemerkt, dass bei der Auflösung des Kali- permanganates in kaltem Vitriolöl keine Gasentwickelung wahrgenommen wird und es den Anschein hat, ais ob diese Säure bei gewöhnlicher Temperatur keine Wirkung auf das Salz ausübe. Dem ist jedoch nicht ganz so, wie daraus erhellt, dass ein weisser Payierstreifen, in einiger Entfer- nung über der besagten Lösung aufgehangen, sich erst nach und nach röthet und dann bräunt. Wird der Boden eines etwa 6“ hohen und 2“ weiten Glascylinders mit der glei- chen Lösung bedeckt, so bemerkt man nach einiger Zeit an den obern Wandungen des Gefässes einen gefärbten An- flug, der mit der Zeit immer stärker wird, so dass die hö- hern Stellen des Cylinders sich verdunkeln. Zu gleicher Zeit lässt sich ein schwacher eigenthümlicher Geruch wahr- nehmen, der jedoch von demjenigen des Ozons verschieden ist, und hängt man in dem Gefäss einen feuchten Streifen Jodkaliumstörkepapieres auf, so bläut sich derselbe allmäh- lig auf das Tiefste. Was nun den besagten Anflug betrifft, so ist derselbe anfänglich roth und mit der gleichen Farbe in Wasser löslich; er wird jedoch nach und nach braun und unlöslich, sich nun wie Mangansuperoxid verhaltend. Bemerken will ich noch, dass die Lösung des Kaliperman- ganates in verdünnterer Schwefelsäure, welche roth anstatt grün ist, weder riecht, noch den darüber aufgehangenen Jodkaliumkleister bläut, noch auch den erwähnten Anflug erzeugt. Aus diesen Angaben erhellt, dass die conzentrirte Schwefelsäure aus dem Kalipermanganat kleine Mengen ei- ner oxidirenden manganhaltigen Materie schon bei gewöhn- licher Temperatur dampfförmig entbindet, und es fragt sich nun, was diese Materie sei. Da das bei meinen Versuchen & R 313 angewendete Kalipermanganat und Schwefelsäurehydrat che- misch rein waren und darin namentlich keine Spur von Chlor sich nachweisen liess, so kann die fragliche Materie auch nicht das flüchtige (Dumas’sche) Manganchlorid sein, welches allerdings Wirkungen ähnlich den beschriebenen hervorbringt und auch dureh Vitriolöl aus dem mit alkali- schen Chlormetallen verunreinigten Kalipermanganat entbun- den wird. : Zur Erklärung der erwähnten Erscheinungen wird man ‘ wohl annehmen müssen, dass die Uebermangansäure schon bei gewöhnlicher Temperatur einen gewissen Grad von F üchtigkeit besitze und sie es sei, welche aus der grünen Lösung (die man als ein Gemeng von freier Mn:0; und dop- pelt schwefelsaurem Kali in Vitriolöl ansehen darf‘) lang- sam verdampfend den beschriebenen Anflug bilde, anfänglich als Uebermangansäure bestehend, später aber in Superoxid und gewöhnlichen Sauerstoff zerfallend. Der schwache ei- genthümliche Geruch, welcher sich aus der grünen Lösung entwickelt, wie auch die Bläuung des über ihr hängenden Jodkaliumkleisters würde selbstverständlich ebenfalls von dampfförmiger Uebermangansäure herrühren. Es ist bereits erwähnt worden, dass beim Zusammen- treffen des Bariumsuperoxides mit der Lösung des Kali- permanganates in verdünnter Schwefelsäure gewöhnlicher Sauerstoff entbunden werde, der auch keine Spur von Ozon und Antozon enthält, wie schon die Geruchlosigkeit des Gases und die Unfähigkeit desselben, den Jodkaliumkleister zu bläuen, diess zur Genüge beweist. Wie geschieht es nun aber, dass bei Anwendung der Lösung des gleichen Salzes in conzentrirter Schwefelsäure neben dem gewöhnlichen auch noch ozonisirter Sauerstoff und zwar in merklichen Mengen zum Vorschein kommt, oder die-Frage anders gestellt, warum neutralisirt in dem letz- tern Falle das &) des Bariumsuperoxides das © der Ueber- 21 314 is / mangansäure nicht eben so vollständig, als diess im Erstern geschieht? Wenn es mir dermalen auch noch unmöglich ist, diese Frage genügend zu beantworten, so kann ich doch nicht umhin, hier einige Bemerkungen zu machen, welche vielleicht zum Verständniss der noch unbegriffenen That- sache Einiges beitragen könnten. Zunächst will ich daran erinnern, dass das Kaliper- manganat nur dann mit grüner Farbe in der Schwefelsäure sich löst, wenn der Wassergehalt derselben eine gewisse Grenze nicht überschreitet. Ist diess der Fall, so zeigt die Lösung eine braune oder rothe Färbung, woher es kommt, dass bei allmähligem Wasserzusatz die Farbe der Lösung des Salzes in Vitriolöl 'sich verändert und von grün erst in braun und bei weiterer Verdünnung in roth übergeht. Merk- würdig ist nun die Thatsache, dass das Bariumsuperoxid aus der sauren Lösung nur so lange Ozon zu entbinden vermag, als diese noch grün gefärbt ist, aber keine Spur mehr, sobald dieselbe entweder braun oder roth gefärbt erscheint. *) *) Vielleicht wäre es so schwer nicht, die oben gestellte Frage zu beantworten, wüssten wir, warum das übermangansaure Kali in eonzentrirter Schwefelsäure mit grüner, in der verdünntern Säure mit brauner oder rother Farbe sich löst, da ohne Zweifel dieser Farben- unterschied auch einen chemischen Grund hat und irgendwie mit der Thatsache zusammenhängt, dass wir in dem einen Falle Ozon, im an- dern aber keines erhalten. Die optischen und chemischen Eigenschaf- ten eines Körpers sind sicherlich auf eine ganz andere Weise unter einander verknüpft, als etwa der Inhalt zufällig neben einander auf- geklebter Maueranschläge, und man wird wohl nicht stark in der An- nahme irren, dass die einen Eigenschaften nur ein veränderter Aus- druck oder eine Folge der andern seien. Noch ist uns aber der zwi- schen dem optischen und chemischen Verhalten der Stoffe bestehende Zusammenhang ein um und um versiegeltes Buch, wesshalb uns der- selbe als eine Zufälligkeit erscheint; es kommt jedoch sicherlich die Zeit, wo die Einsicht in den Zusammenhang beider Arten von Eigen- 315 Vor allem scheint mir gewiss zu sein, dass das unter den erwähnten Umständen zum Vorschein kommende Ozon aus der Ucbermangansäure stammt, welche ich der schon anderwärts von mir angegebenen Gründe halber zu der Gruppe der Ozonide zählen muss, während das Barium- superoxid ein Antozonid ist. Nimmt man nun an, die be- sagte Säure sei zunächst aus zwei Aequivalenten Mangan- oxidules und fünf Aequivalenten ozonisirten Sauerstoffes zu- sammengesetzt, so ist es denkbar, dass die chemisciie \ er- - gesellschaftung dieser beiden Materien (Andere würden vielleicht das Wort „Atomeomplexe“ gebrauchen, um damit meine Ansicht auszudrücken) schon dadurch aufgehoben werden könnte, dass nur ein Theil des ozonisirten Sauer- stoffes der Uebermangansäure durch das &) des Barium- superoxides zu O neutralisirt würde und der Rest von ©) unverändert in Freiheit gesetzt würde. Die Thatsache, dass beim Zusammentreffen von Ba0; mit der grünen Permanganatlösung neben ©) auch O und zwar letzteres in vorwaltender Menge entbunden wird, zeigt augenscheinlich, dass auch unter diesen Umständen die ent- gegengesetzt thätigen Sauerstoffantheile des in Wechsel- wirkung tretenden Ozonides und Antozonides dem grössern Theile nack zu neutralem Sauerstoff sich ausgleichen oder die Uebermangansäure und das Bariumsuperoxid unter Ent- bindung von O sich gegenseitig desoxidiren. Welchem Um- stande soll man es aber beimessen, dass in dem einen Falle nur eine theilweise, im andern Falle dagegen die vollstän- digste Neutralisation des ozonisirten Sauerstoffes der Ueber- mangansäure bewerkstelliget wird? Möglicher Weise könnte schaften das emsigst angestrebte Ziel chemisch-physikalischer For- schungen sein und man auf dieses Verständniss wenigstens eben so. grossen Werth legen wird, als heutigen Tages auf die Ermittelung der Zusammensetzungsformel einer chemischen Verbindung. 21* LE bi 316 die vollständige Neutralisation des besagten ©) durch eine einfache physikalische Ursache verhindert und eben dadurch das Auftreten von Ozon bedingt werden. Die Lösung- des Kalipermanganates in Vitriolöl ist ungleich zäher, als die- jenige des gleichen Salzes in der verdünntern Säure; es muss daher in der grünen Lösung die Beweglichkeit der Massentheile der darin auf einander wirkenden Materien seringer sein, als es diejenige der gleichen Theile in der rothen Lösung ist, wesshalb auch der Ausgleichung des in. dem Ozonid und Antozonid vorhandenen ©) und © die zähere Flüssigkeit einen Widerstand entgegensetzt, grösser als derjenige ist, welchen die dünnflüssigere oder rothe ” sung zu leisten vermag. Ich wiederhole jedoch, dass ich weit entfernt bin, die geäusserte Ansicht für mehr als eine Môglichkeit zu halten; denn gar wohl kann es sein, dass .das Auftreten von Ozon unter den oben erwähnten Um- ständen auf einer Ursache beruht, von der wir bis jetzt noch gar keine Ahnung haben. 7 Schliesslich verdient noch bemerkt zu werden, dass bei der Einwirkung des Bariumsuperoxides auf die grüne Per- manganatlösung anfänglich nicht schwefelsaures Mangan- oxidul, sondern Oxidsulfat entsteht, welches durch weiteres Ba0, zu Oxidulsalz reducirt wird. Löst man nicht mehr Kalipermanganat in Vitriolöl auf, als nöthig ist, diese Flüs- sigkeit mässig stark zu grünen, und führt man in dieselbe -Ba02 ein, so wird sie bald geröthet, welche Färbung von schwefelsaurem Manganoxid herrührt und bei erneuertem Zufügen von Ba0, verschwindet in Folge der eingetretenen Reduction des Oxides zu Oxidul. Bemerkun g zu 5, Seite 308. Das chemisch reine Anilin, wie ich ein solches der Güte des Herrn Dr. Bulacher verdanke, verhält sich gegen O völlig gleichgültig und bräunt sich daher auch bei län- gerem Stehen an der Luft nicht im Mindesten. > nn 317 IM. Ueber die Veränderlichkeit der allotropen Zustände | des Sauerstoffes. ‘ Worauf auch immer die allotropen Zustände eines ein» fachen Stoffes beruhen mögen, gewiss ist, dass die Ueber- führung derselben in einander einen in theoretischer Hin- sicht äusserst wichtigen Gegenstand chemischer Forschung bildet, und bei der hohen Bedeutung des Sauerstoffes für die gesammte Chemie sind sicherlich die allotropen Ver- änderungen, welche dieser elementare Körper unter gewis- sen Umständen erleidet, noch von einem ganz besondern Interesse, wesshalb ich mir auch erlauben will, diesen Ge- senstand in dem nachstehenden Aufsatz etwas einlässlich zu behandeln. | Dass das freie Ozon und Antozen schon bei mässiger Erhitzung in gewöhnlichen Sauerstoff übergeführt werden, darf ich als bekannt voraussetzen, und eng hiemit verknüpft scheint mir die Thatsache zu sein, dass auch die Ozonide und Antozonide unter dem Einflusse der Wärme ihren thä- tisen Sauerstoff verlieren, welcher Sauerstoff aber nicht als © oder &), sondern als G von diesen Verbindungen sich abtrennt. Dieser Umstand macht es wahrscheinlich, dass der nächste Grund einer solchen Zersetzung in der durch die Wärme bewerkstelligten Ueberführung des gebundenen &) oder © in © liege und Letzteres sich ausscheide, weil _es, gleichsam etwas Anderes geworden, in seinem frühern Verbindungszustande nicht mehr verbleiben kann. Da nach meiner Annahme das Silbersuperoxid — AgQ), ist und aus irgend einem Grund es kein AgO, gibt, so muss jene Ver- bindung zerlest werden, sobald deren © durch die Wärme oder irgendwie sonst in O verwandelt ist, und kann auch Ag nie durch O als solches zu Ag): oxidirt werden, wohl aber, wie die Erfahrung lehrt, sehr leicht durch ©. { Gleich der Wärme besitzt auch die Kohle das Vermö- gen, schon in der Kälte das freie Ozon und Antozon in neutralen Sauerstoff überzuführen, ohne selbst oxidirt zu werden, und unter geeigneten Umständen vermag die gleiche Kohle auch Ozonide und Antozonide zu zersetzen, ohne da- bei eine Oxidation zu erleiden. Von der wässrigen Cebermangansäure ist bekannt, dass sie bei der Berührung mit Kohle entfärbt, d. h. zerlegt wird, und meine Versuche zeigen, dass beim Schütteln der SO,;- haltigen Säurelösung mit Kohlenpulver ziemlich rasch schwe- felsaures Manganoxidul gebildet wird. Reinstes Bleisuper- oxid mit stark verdünnter NO4-freier Salpetersäure und reinster gepulverter Kohle behandelt, wird allmählig zum basischen Oxide reducirt, welches mit der vorhandenen Säure zu Nitrat sich verbindet. Auch führt die Kohle die gelösten Eisenoxid- in Oxidulsalze, die Hypochlorite in Chlormetalle über u. s. w., ohne sich dabei zu oxidiren. Wie man sieht, gehören diese durch die Kohle reducirba- ren Sauerstoffverbindungen der Gruppe der Ozonide an. Vom Wasserstofisuperoxide, dem Vorbilde der Antozonide, wis- sen wir, dass es ebenfalls unter dem Berührungseinflusse der Kohle in Wasser und gewöhnliches Sauerstoffgas zer- fällt, ohne dass dieselbe dabei im Mindesten oxidirt würde. Zu den merkwürdigsten Zustandsveränderungen des Sauerstoffes gehört sicherlich diejenige, welche ich chemi- sche Depolarisation genannt habe und die darin besteht, dass unter geeigneten Umständen & und ©) schon bei ge- wöhnlicher Temperatur zu O sich ausgleichen, auf welchem Vorgange eben die in einem der voranstehenden Abschnitte dieser Mittheilung beschriebenen Desoxidationen der Super- oxide des Mangans und Bleies, der Uebermangan- und Chrom- säure durch das aus BaO, entbundene freie & beruhen, wie auch die reducirenden Wirkungen, welehe die Ozonide und Antozonide gegenseitig auf einander hervorbringen. 319 _ 27 . Dass umgekehrt aus O gleichzeitig & und © hervor- gehen können, zeigen die langsamen Öxidationen, welche viele Materien unorganischer und organischer Natur bei An- wesenheit von Wasser und gewöhnlichem Sauerstoff erlei- den und von denen uns die unter diesen Umständen erfol- sende langsame Verbrennung des Phosphors das Vorbild liefert. Ich habe diese gedoppelte Zustandsveränderung des neutralen Sauerstoffes mit dem Worte „chemische Polari- sation“ bezeichnet. | | Ein ganz eigenthümliches Interesse bietet auch dieje- nige Zustandsveränderung des Sauerstoffes dar, die in der Umkehr des Antozons in Ozon besteht und von sehr ver- schiedenen Materien bewerkstelliget wird, in welcher Hin- sicht das Verhalten des basisch-essigsauren Bleioxides zum Wasserstoffsuperoxid ein äusserst lehrreiches Beispiel liefert. Lässt man einen oder zwei Tropfen Bleiessigs in einige Gramme nicht allzu verdünnten HO; fallen, so entsteht so- fort ein brauner Niederschlag, der Bleisuperoxid ist und findet im ersten Augenblicke des Zusammentreffens beider Flüssigkeiten noch keine Gasentbindung statt. Kaum ist aber PbO, gebildet, so beginnt dasselbe in bekannter Weise auf das noch vorhandene Wasserstoffsuperoxid zurück zu wir- ken: es entwickelt sich lebhaft gewöhnliches Sauerstoffgas und wird das gebildete Bleisuperoxid wieder zu basischem Oxide reducirt, woher es kommt, dass der braune Nieder- schlag erst gelb und später völlig weiss wird, vorausge- setzt, es sei noch die zu dieser Reduction nöthige Menge von HO, vorhanden. Hiemit hängt auch ohne Zweifel die weitere Thatsache zusammen, dass die HO;-haltige Guajak- tinetur wie auch das nicht allzu verdünnte farblose Gemisch von Wasserstofisuperoxid und -Jodkaliumkleister durch ei- nige Tropfen Bleiessigs bald gebläut wird. Diese Thatsachen, glaube ich, berechtigen zu dem 320 Schlusse, dass das basisch-essigsaure Bleioxid das &) dés Wasserstoffsuperoxides in © umkehre, und zeigen über- diess, dass in dem vorliegenden Falle nach einander meh- rere Zustandsveränderungen des Sauerstoffes stattfinden: erst wird das &) eines Theiles von HO, in © übergeführt und auf einen Theil der Basis des Salzes geworfen, um PbO + © zu bilden, und dann gleicht sich dieses gebun- ‚dene © mit dem @ eines andern Theiles von HO, zu O aus. Es beruhen somit die beim Zusammentreffen des Blei- essigs mit dem antozonidischen Wasserstoffsuperoxid Platz greifenden Vorgänge auf einer zweimaligen Zustandsver- änderung, welche das in HO: enthaltene @ unter diesen Umständen erleidet. Vom Platin wissen wir längst, dass es in eigenthüm- lichen Beziehungen zum Sauerstoife stehe und auf die che- mische Wirksamkeit dieses Körpers einen grossen Einfluss ausübe. Meine eigenen Versuche haben gezeigt, dass das besagte Metall dem mit ihm in Berührung stehenden Was- serstoffsuperoxid die Wirksamkeit eines Ozonides ertheilt. HO, verhält sich bekanntlich gegen die Guajaktinetur völ- lig gleichgültig, d.h. lässt sie ungefärbt, während die glei- che Harzlösung von den Ozoniden, z. B. der Uebermangan- säure, dem Bleisuperoxid u. s. w. augenblicklich tief ge- bläut wird. | Aus der Thatsache, dass kleine Mengen Platinmohres in die HO;-haltige Guajaktinetur eingeführt, sofort eine Bläuung dieser Flüssigkeit verursachen, erhellt augenschein- ‚lich, dass unter dem Berührungseinfiusse des Metalles das antozonidische Wasserstoffsuperoxid gerade so wirkt wie die ozonidische Uebermangansäure, das Bleisuperoxid u.S. W:, welches Verhalten mir die stattgefundene Umkehr des in HO, enthaltenen (D in ©) zu beweisen scheint. Ich bin ge- neigt, eine gleiche Folgerung aus der Thatsache zu ziehen, dass die gelösten Nitrite, welche meinen Beobachtungen 321 gemäss nur durch © zu Nitraten sich oxidiren lassen und daher auch gegen das Wasserstoffsuperoxid gleichgültig sich verhalten, von Letzterem bei Anwesenheit zertheilten Platins in salpetersaure Salze verwandelt werden können- Ich habe vor einiger Zeit schon die Fähigkeit dieses Metalles, HO, in Wasser und gewöhnlichen Sauerstoff’ zu zerlegen, auf den allotropisirenden Einfluss zurück zu füh- ren gesucht, welchen dasselbe auf das Œ des besagten Superoxides ausübt und halte dafür, dass die durch das Platin bewerkstelligte Zersetzung digser Verbindung die gleiche nächste Ursache habe, durch welehe die Zerlegung von HO, mittelst des Bleiessigs bewirkt wird. Das genannte Metall wie das Bleisalz führen das &) eines Theiles von HO» in © über, welches sofort auf das & des benachbar- ten und noch unzersetzten Wasserstoffsuperoxides neutrali- sirend zurück wirkt, in Folge- dessen Letzteres zerlegt und unthätiger Sauerstoff entbunden wird. Der Unterschied zwi- schen dem Platin und dem Bleiessig besteht in dem vor- liegenden Falle nur darin, dass das Metall vorher keine eigentliche chemische Verbindung mit dem aus & entstan- denen ©) eingeht, sondern Letzteres sofort mit dem &) des benachbarten HO, zu O sich ausgleicht, während die Hälfte der Basis des Bleisalzes erst in ein ozonidisches Super- oxid (PbO + ©) sich verwandelt, welches dann durch das noch vorhandene Antozonid (HO + &) zu PLO reducirt wird. Die Erfahrung lehrt, dass nicht nur das an Wasser, sondern selbst an die stärksten Mineralsäuren gebundene Eisenoxidul durch das Wasserstoffsuperoxid scheinbar eben so rasch als durch freies (=) oder die Ozonide in Eisenoxid übergeführt wird. Dass der dritte Theil des Sauerstoffge- haltes dieses Oxides im O-Zustande sich befinde oder Letz- teres Fe,0: + © sei, beweisen schon die vielfachen oxi- direnden Wirkungen der gelösten Eisenoxidsalze: die Bläuung \ 322 der Guajaktinctur, Zerstörung der Indigolösung, Oxidation selbst des Silbers, Ausscheidung des Jodes aus Jodkalium, namentlich aber die Thatsache, dass aus dem braunen Ge- misch einer Eisenoxidsalz- und Kaliumeiseneyanidlösung das Wasserstoffsuperoxid Berlinerblau niederschlägt unter Entbindung gewöhnlichen Sauerstoffgases, woraus erhellt, dass unter diesen Umständen das Eisenoxidsalz zu Oxidul- salz reducirt wird, welche Desoxidation auf der Ausglei- chung des im Eisenoxid enthaltenen ©) mit dem &) des Wasserstoffsuperoxides zu O beruhet. | Als weitere Beweise für die Richtigkeit der Annahme, dass das Eisenoxidul das Œ von HO, in © umkehre, be- trachte ich auch folgende Thatsachen. Die HO;-haltige Guajaktinetur wird beim Zufügen kleinster Mengen eines seiösten Eisenoxidulsalzes augenblicklich auf das Tiefste gebläut, die HO,-haltige Indigotinctur unter Mitwirkung der gleichen Salzlösung rasch entfärbt. Ferner ist nach meinen Beobachtungen stark verdünntes Wasserstoffsuperoxid ohne Wirkung auf den Jodkaliumkleister: setzt man aber diesem Gemeng einige Tropfen verdünnter Eisenvitriollösung zu, so tritt sofort die tiefste Bläuung ein, gerade so, als ob man auf den jodkaliumhaltigen Kleister freies Ozon oder ein Ozonid: Uebermangansäure, Hypochlorit u. s. w. hätte einwirken lassen. | Gegen das an Säuren gebundene Manganoxidul verhält sich das Wasserstoffsuperoxid vollkommen wirkungslos, während das Manganoxidulhydrat selbst von dem verdünn- testen BHO, unverweilt in Mangansuperoxid übergeführt wird,*) welches bekanntlich ein Ozonid = Mn0 +0 ist. *) Dieses Verhalten des Wasserstoffsuperoxides macht dasselbe zu einem höchst empfindlichen Reagens auf Manganoxidulsalze. Ent- hält z. B. Wasser nur '/3o0000 Krystallisirten Manganoxidulsulfates, so wird diese Flüssigkeit, wenn erst mit einigem HO» versetzt und dann 323 Es wird somit auch unter diesen Umständen das &) von HO; in © verwandelt, woher es kommt, dass unmittelbar nach der Bildung dieses Ozonides dasselbe schon für sich allein auf das noch vorhandene HO + &) zersetzend ein- wirkt und bei Anwesenheit von SO; u.s. w. sofort zu Oxi- dul redueirt wird. Ich will hier noch die Thatsache in Erinnerung bringen, dass das freie Ozon nicht blos das an Wasser, sondern auch an die stärksten Mineralsäuren ge- bundene Manganoxidul in Superoxid verwandelt, und auch nicht unerwähnt lassen, dass die gelösten Blutkörperchen die HO,-haltige Guajaktinctur und den mit dem verdünnten Wasserstoffsuperoxid vermischten Jodkaliumkleister, wenn auch mit geringerer Energie, doch ähnlich den Eisenoxidul- salzlösungen bläuen, woraus ich schliesse, dass auch die Blutkörperchen & in ©) umzukehren vermögen. Es kommt jedoch dem Platin, dem Eisenoxidul und sei- nen Salzen wie auch dem Manganoxidulbydrat das Vermö- gen zu, nicht blos &) sondern auch O in ©) überzuführen. Was das Platin betrifft, so ist wohl bekannf, dass un- ter dem Berührungseinflusse dieses Metalles der gewöhn- liche Sauerstoff eine Reihe von Oxidationswirkungen her- vorbringt, welche ‚denen des Ozones oder der Ozonide gleich sind, wie z. B. die Bläuung der Guajaktinetur oder des SO;-haltigen Jodkaliumkleisters u. s. w. Vom Eisen- oxidul, sei es an Wasser oder Säuren gebunden, wissen wir, dass es in Berührung mit O allmählig in #0: + © übergeht, wie auch das Manganoxidulhydrat ein gleiches Verhalten zeigt, das bekanntlich durch O nach und nach zu Oxid = Mn,0, + © oxidirt wird. Unter allen Sub- mit einem Tropfen Kalilösung vermischt, noch eine deutlich wahr- nehmbare bräunliche Färbung annehmen, welche unter sonst gleichen Umständen bei Abwesenheit von HO> nicht mehr zum Vorschein kommt. 32% stanzen jedoch, welche O in ©) überzuführen "vermögen, ist sicherlich das Stikoxid die wirksamste, wie daraus hervor- geht, dass dieses Gas mit O augenblicklich Untersalpeter- säure erzeugt, welche wohl als NO, + :©) betrachtet wer- den darf, aus Gründen, die von mir schon anderwärts gel- tend gemacht worden sind. Manche Materien, welche in der Kälte keinen allotro- pisirenden Einfluss auf O ausüben, thun diess bei höherer Temperatur und verwandeln dasselbe in & oder ©), wo- durch sie selbst entweder Antozonide oder Ozonide werden. Zu den Materien der ersten Art gehören die Oxide der meisten alkalischen Metalle: des Kaliums, Natriums, Bariums s. u. w., welche gehörig in O erhitzt, zu antozonidischen Superoxiden oxidirt werden. Unter ähnlichen Umständen seht das Bleioxid in Mennige über, eine aus PbO und PbO +- © bestehende Verbindung, aus welcher bekanntlich das Oxid mittelst Salpetersäure leicht entfernt werden kann. Zu den theoretisch wichtigsten, den “auerstoff betreffenden Fragen gehört sicherlich die, ob eine der Aufnahme dieses Elementes fähige Materie mit ihm in jedem seiner drei Zu- stände chemisch sich verbinden könne oder nur mit einer be- stimmter Modification desselben. Ich halte es schon an und für sich für wahrscheinlich, dass zur Oxidation der (glei- chen Materie auch immer eine und eben dieselbe Sauer- stoffart erforderlich sei und ven mehrern Substanzen glaube ich bereits nachgewiesen zu haben, dass sie nur von © oxidirt werden. Zu diesen gehört unter den unorganischen . Körpern das Silber, welches nach meinen Beobachtungen schon in der Kälte rasch zu Superoxid sich verbindet und ebenso das an Mineralsäure gebundene Manganoxidul, wel- ches erwähntermassen durch © Neicht in Superoxid ver- wandelt wird. Auch müssen die Nitrite zu den nur durch ©) oxidirbaren Materien gerechnet werden, wie diess meine neuern Versuche gezeigt haben. Die Pyrogallussäure wird 325 von, freiem und gebundenem ©) raschoxidirt, während ge- gen dieselbe die Antozonide z. B. HO, unthätig sich ver- halten und ebenso &) und 0, falls die Säure fest ist, welche nach meinem Versuche auch in diesem Zustand von © kräftigst angegriffen wird. Ein gleiches Verhalten zeigt das Indigoweiss, welches durch freies ©) und die Ozonide augenblicklich, nicht aber durch HO; oder © im wasser- freien Zustande zu Indigoblau oxidirt wird. Den Grund, wesshalb das an ein Alkali gebundene und in Wasser ge- löste Indigoweiss oder die gleich beumständete Pyrogallus- säure scheinbar durch O so rasch sich oxidirt, beruht, wie ich diess anderwärts zu zeigen gesucht habe, auf der un- ter diesen Umständen erfolgenden chemischen Polarisation des neutralen Sauerstoffes, wie daraus erhellt, dass bei die- sen Oxidationen Wasserstoffsuperoxid gebildet wird. Allerdings hat es den Anschein, als ob viele Substanzen durch 0, © und © als solche oxidirt würden, wie z. B. die vorhin erwähnten Hydrate des Eisen- und Manganoxi- dules; ich habe jedoch schon bei Besprechung dieser Oxi- dationsfälle zu zeigen versucht, dass O und ©) ehe sie diese Wirkung hervorbringen, erst in (©) übergeführt wer- den und Letzteres es sei, welches die Oxidation der be- sagten Oxidule bewerkstellige. Es gibt jedoch noch andere ähnliche Fälle, welche zu beweisen scheinen, dass alle drei Sauerstoffmodificationen als solche auf eine und eben die- selbe Materie oxidirend einzuwirken vermöchten und einen solchen Fall bietet uns die conzentrirtere wässrige Lösung der Jodwasserstoffsäure dar, welche augenblicklich durch freies ©) oder ein Ozonid, noch ziemlich rasch durch &) oder HO + © und auch durch freies O, obwohl viel langsamer unter Jodausscheidung zersetzt wird. Wenn obigen Anga- ben gemäss es Materien gibt, mit dem Vermögen begabt, O und & in ©) zu verwandeln und durch diese Zustands- veränderung eine Reihe von Oxidationen einzuleiten, welche 326 ohne die Gegenwart jener Materien nicht stattfänden, so ist es recht wohl gecenkbar, dass auch HJ einen gleichen allotropisirenden Einfluss auf D und O auszuüben vermöge, so dass also möglicher Weise auch in dem vorliegenden Falle die stattfindende Oxidation nur durch das aus OÖ oder &) hervorgegangene ©) bewerkstelligt würde. Und dass : dem wirklich so sei, scheint mir aus folgenden Thatsachen zu erhellen. Freies © oder ein Ozonid z. B. die gelöste Uebermangansäure, selbst mit äusserst stark verdünnter kleisterhaltigen Jodwasserstofisäure zusammengebracht, ver- ursacht augenblicklich die tiefste Bläuung des Gemisches, während das Wasserstoffsuperoxid, auch wenn schon ziem- lich conzentrirt, die kleisterhaltige wässrige Jodwasserstoff- säure keineswegs mehr augenblickliah bläut. Bei gehörig starker Verdünnung von HO: und HJ wirken die beiden Ver- bindungen gar nicht mehr zersetzend auf einander ein, wesshalb mit einem solchen Gemisch versetzter Kleister ungefärbt bleibt, während die schwächste Uebermangan- säurelösung u. s. w. die noch so stark verdünnte kleister- haltige Jodwasserstoffsäure unverweilt bläut. Ein Gemisch von HO; und HJ, so stark mit Wasser verdünnt, dass es den damit vermengten Kleister nicht mehr bläut, thut diess augenblicklich beim Zufügen einiger Tropfen verdünnter Eisenvitriollösung. Dass selbst das conzentrirtere Wasser- stoffsuperoxid einige Zeit braucht, um Jod aus HJ frei zu machen, muss wohl irgend einen Grund haben und beweist jedenfalls, dass das & des HO, eine gewisse Veränderung _ erleiden muss, bevor dassselbe Jod auszuscheiden, d. h. zu oxidiren vermag; denn wäre dieses &) schon als solches befähiget, auf HJ oxidirend einzuwirken, so sieht man nicht ein, warum diese Wirkung nicht ebenso augenblicklich als durch freies Ozon oder durch ein Ozonid z. B. die Ueber- mangansäure hervorgebracht werden sollte. Ich halte da- 327 für, dass die stattfindende Veränderung von &) auf seiner Ueberführung in ©) beruhe. Die Materien, welche fähig sind, &) oder O in © über- zuführen, besitzen diese Eigenschaft in sehr ungleichem Grade: Die Einen wirken rascher, Andere langsamer, und zu den Letztern ist die Jodwasserstoffsäure zu rechnen, welche durch ‘gehörig starke Verdünnung mit Wasser ihr allotropisirendes Vermögen sogar gänzlich einbüsst, wie daraus erhellt, dass eine solche Säure durch HO, nicht mehr zersetzt wird. Da die gelösten Eisenoxidulsalze da- gegen das &) des Wasserstoffsuperoxides sehr schnell in ©) überzuführen vermögen, so verursachen dieselben auch in dem verdünntesten Gemisch von HO, und HJ sofort die tiefste Bläuung des beigemengten Kleisters. Wenn nun die conzentrirtere Jodwasserstoffsäure durch den gewöhnlichen Sauerstoff unter Jodausscheidung zer- setzt zu werden scheint, so schreibe ich diese Oxidations- wirkung wieder nicht dem O als solchem zu, sondern nehme an, dass dasselbe unter dem allotropisirenden Einflusse von HJ erst in ©) übergeführt und durch Letzteres die Zer- setzung der Säure bewerkstelliget werde. Bekanntlich fin- det diese Zerlegung nur langsam statt, aus welcher That- sache deutlich hervorgeht, dass O nicht als solches auf HJ oxidirend einwirke; denn sonst würde trotz seiner Luft- förmigkeit von ihm das Oxidationswerk eben so rasch als durch das gasförmige Ozon vollbracht werden. Es dürfte hier noch die Bemerkung am Orte sein, dass auf die Jod- wasserstoffsäure, welche so stark verdünnt ist, um nicht mehr von HO, zersetzt zu werden, auch O nicht mehr oxi- dirend wirkt. Was das Jodkalium betrifft, so ist wohl bekannt, dass es schon im festen Zustande von freiem (©) augenblicklich unter Jodausscheidung zerlegt wird; etwas weniger rasch wirkt nach meinen Beobachtungen das Antozon und gar 325 nicht mehr der gewöhnliche Sauerstoff, von welchem ver- _schiedenartigen Verhalten man sich mit Hülfe des jodkalium- haltigen Papieres leicht überzeugen kanfl. Führt man einen feuchten Streifen solchen Papieres in eine Flasche ein, welche auch nur sehr kleine Mengen Ozones enthält, so wird derselbe nichtsdestoweniger sich bläuen. In dem &- haltigen (mittelst reinen Vitriolöles aus BaO, entbundenen) Sauerstoff findet zwar auch noch eine ziemlich rasche aber doch nicht mehr augenblickiiche Bläuung des Papieres statt und in gewöhnlichem Sauerstoff, wie lange man es auch in diesem Gase verweilen lässt, erleidet das Papier nicht die- seringste Veränderung. Die löslichen Ozonide, wie z. B. die Uebermangansäure, die Hypochlorite u. s. w. zersetzen, wenn auch in sehr viel Wasser gelöst, ebenfalls augenblicklich das Jodsalz und färben daher dessen verdünnteste kleisterhaltige Lö- sungen sofort tiefblau. Gelöstes Jodkalium wird zwar von dem etwas conzentrirten HO, zersetzt, aber auch nicht au- genblicklich, und auf eine sehr stark verdünnte Lösung dieses Salzes wirkt verdünntes HO; gar nicht mehr ein, wesshalb ein solches Gemisch für sich allein die Stärke ungebläut lässt. Fügt man aber demselben einige Tropfen verdünnter Eisenoxidulsalzlösung zu, so tritt augenblicklich die tiefste Bläuung ein. | Alle diese Thatsachen scheinen mir zu Gunsten der An- nahme zu sprechen, dass nur © als solches und keine an- dere Sauerstoffmodification oxidirend auf die Jodwasserstofi- säure, das Jodkalium und andere Jodverbindungen einzu- wirken vermöge, und da so viele Materien durch den freien wie gebundenen ozonisirten Sauerstoff unter Umständen oxi- dirt werden, unter welchen der gewöhnliche völlig unthä- tig gegen die gleichen. Substanzen sich verhält, so erachte ich es für wahrscheinlich, dass die Oxidation der meisten u 329 Körper durch den negativ-activen Sauerstoff bewerkstel- liget werde. | Die besprochene Ueberführbarkeit der verschiedenen Zustände des Sauerstoffes in einander, scheint mir eine Thatsache von nicht geringer wissenschaftlichen Bedeutung und desshalb auch aller Aufmerksamkeit des theoretischen Chemikers werth zu sein; denn es ist offenbar, dass die- jenigen chemischen Erscheinungen, welche auf Zustandsver- änderungen des Sauerstoffes beruhen (und deren Zahl ist . nach meinem Dafürhalten nicht klein), für uns auch so lange unverständlich bleiben müssen, als wir die verschiedenen Zustände dieses Elementes und deren Wandelbarkeit un- berücksichtiget lassen und fortfahren, wie bisher anzuneh- men, der Sauerstoff sei eine an und für sich völlig unver- änderliche Materie. Die neuesten so höchst interessanten Arbeiten Graham’s über die verschiedenen Zustände, in welchen eine Anzahl von Substanzen, bezüglich ihrer Co- härenz, ihres Verhaltens zum Wasser, ihrer Diffusionsfähig- keit u. s. w. zu bestehen vermögen, zeigen augenfälligst, wie leicht diese Zustände ineinander sich überführen lassen. Auch erhellt aus ihnen, dass häufig in Folge sekundärer Umstände die gleichen Substanzen bei ihrer chemischen Ab- trennung von andern Materien in einem Zustand erhalten werden, verschieden von demjenigen, in welchem sie in der Verbindung enthalten waren, und dass umgekehrt auch Substanzen, indem sie unter geeigneten Umständen mit ge- wissen Materien chemisch vergesellschaftet werden, in einem andern Zustand in die Verbindung eintreten, als derjenige war, in welchem sie sich vorher befunden. So kann ein Krystalloid ein Colloid, eine in Wasser lösliche Substanz eine unlösliche werden u. s. w. und es lassen, wie ich glaube, die von dem britischen Forscher erhaltenen Ergeb- nisse keinen Zweifel darüber walten, dass in nicht wenigen Fällen chemische Verbindungen und Trennungen durch blosse 22 330 | Zustandsveränderungen der dabei betheiligten Materien ver- ursacht werden. Wenn nun auch diese verschiedenen Zustände und deren Veränderlichkeit auf zusammengesetzte Materien sich beziehen, so sind dieselben desshalb um nichts Weniger auffallend als diejenigen, welche wir an einfachen Kôrpern und namentlich am Sauerstoff kennen gelernt haben und es ist sogar möglich, wo nicht wahrscheinlich, dass die an beiden Klassen von Materien wahrgenommenen Zustands- veränderungen in einem gewissen Zusammenhange mit ein- ander stehen, welche Verknüpfung einzusehen freilich die Zeit noch nicht gekommen ist. Wie dem aber auch sei, so viel scheint mir heute schon gewiss zu sein, dass die Fähigkeit einfacher und zu- sammengesetzter Körper bei gleichbleibender stofflicher Be- schaffenheit so ganz verschiedenartige, ja sogar einander ge- nau entgegengesetzte Zustände anzunehmen, für die gesammte Chemie eine weit und tief greifende Bedeutung habe; denn es kann nicht fehlen, dass die Entdeckung der nächsten Ursache dieser für uns noch so unerklärlichen Zustands- veränderungen nicht nur die Grenzen der theoretischen Chemie namhaft erweitern, sondern auch über eine Reihe dermalen noch dunkler geologischer, physiologischer und physikalischer Erscheinungen ein helles Licht verbreiten werde. Zum Schlusse dieser Mittheilung möge es mir gestattet sein, an einigen Beispielen zu zeigen, von welcher theore- tischen Bedeutung die Kenntniss der Verschiedenheit der - allotropen Zustände eines Elementes und der Veränderlich- keit derselben sei. ÿ ; Warum durch die Wärme z. B. die Oxide und edlen Metalle zerlegt werden, nicht aber auch das Wasser, Kali und viele andere Sauerstoffverbindungen, darüber vermag eine Theorie, welche auf eine Verschiedenheit und Wandel- 331 barkeit der allotropen Zustände des Sauerstoffes keine Rücksicht nimmt, nichts Weiteres zu sagen, als dass dem eben so sei; denn sagen, dass der Grund der Verschieden- heit dieses Verhaltens in der verschiedenen Grösse der Ver- wandtschaft verschiedener Körper zum Sauerstoff liege, ist offenbar nur eine Umschreibung, aber keine Erklärung der Thatsache. Von dem Erfahrungssatz ausgehend, dass sowohl der freie als chemisch gebundene Sauerstoff in ver- schiedenen, ineinander überführbaren Zuständen bestehen kann, vermögen wir wenigstens den nächsten Grund der Zer- legbarkeit der einen Oxide und der Unzersetzbarkeit der Andern durch die Wärme anzugeben. Dieses Agens, wie es freies & oder ©) in O überführt, vermag auch in den meisten Fällen die gleichen thätigen Sauerstoffmodifikatio- nen im gebundenen Zustande in O zu verwandeln, und da nun aus irgend einem Grunde dieses O als solches mit ge- wissen Materien, z. B. mit Silber, Gold u. s. w. nicht ver- bunden sein kann, so müssen die Oxide derselben, welche Ozonide sind, bei gehöriger Erhitzung in Metalle und ge- wöhnlichen Sauerstoff zerfallen. Die Thatsache, dass bei bestimmten Temperaturen z. B. Ba0 + &, PbO + © u. s. w. unter Entbindung von O zu basischen Oxiden reducirt wer- den, findet selbstverständlich ihre Erklärung ebenfalls in der unter diesen Umständen bewerkstelligten Ueberführung von &) oder © in O0. Das Wasser, Kali u. s. w. werden durch die Wärme desshalb nicht zerlegt, weil sie den Sauerstoff im O-Zustand enthalten, und dieser auch bei ho- her Temperatur unverändert fortbesteht. Ebenso wenig wissen wir irgend einen Grund für die durch das Platin den Bleiessig u. s. w. bewirkte Umsetzung des Wasser- _ stoffsuperoxides in Wasser und gewöhnlichen Sauerstoff anzugeben, wenn wir dieses Element als völlig unveränder- lich betrachten; während obigen Auseinandersetzungen zu- folge die nächste Ursache dieser Zersetzungserscheinung 22* 332 in den verschiedenen Zuständen des Sauerstoffes und ihrer Ueberführung in einander zu suchen ist. Ein Beispiel entgegengesetzter Art liefert uns die Oxi- dation des Silbers zu Superoxid. Bekannt ist, dass dieses Metall vollkommen gleichgültig gegen den gewöhnlichen Sauerstoff sich verhält, während dasselbe meinen Versuchen gemäss durch das Ozon schon in der Kälte äusserst rasch oxidirt wird. In dem atmosphärischen Sauerstoffe, der sich im O-Zustande befindet, bleibt desshalb das Silber so lange unangegriffen, als derselbe keine allotrope Zustandgverän- derung erleidet; bringen wir aber mit diesem Sauerstoff gleichzeitig Phosphor und Wasser in Berührung, so wird sich unter diesen Umständen das Metall bald zu Superoxid oxidiren, ohne dass jenes mit dem gleichzeitig sich oxi- direnden Phosphor in unmittelbarer Berührung zu stehen brauchte. Und ich denke, wir wissen nun auch, wesshalb diess geschieht. Unter dem gedoppelten Einflusse des Phosphors und des Wassers wird der mit diesen Substan- zen in Berührung stehende neutrale Sauerstoff chemisch polarisirt. Das in Folge hievon zum Vorschein kommende @) tritt mit dem Wasser zu dem antozonidischen Wasser- stoffsuperoxid zusammen, während ein Theil des gleichzei- tig auftretenden ©) zur Oxidation des vorhandenen Phos- phors verbraucht wird, und ein anderer Theil in die um- gebende Luft sich zerstreut, wodurch dieselbe ozonisirt wird und die Fähigkeit erlangt, eine zahlreiche Reihe von - Körpern und namentlich auch das Silber schon bei gewöhn- licher Temperatur zu oxidiren. Eine der merkwürdigsten WERE, des Volta’schen Stromes ist sicherlich die von ihm bewerkstelligte Zer- setzung einer grossen Zahl von Sauerstoffverbindungen, von welchen wir das Wasser als Vorbild betrachten können; aber trotz aller der über diese Zerlegung versuchten Er- klärungen, wissen wir, fürchte ich, über die nächste Ursache 333 der Electrolyse doch so gut als nichts, wesshalb ich auch nicht anstehe, diese so fundamentale Thatsache als eine noch durchaus unverständliche zu bezeichnen. Und sie wird nach meinem Dafürhalten auch noch so lange unverstanden blei- ben, als die Physiker und Chemiker von der Verschiedenheit und Veränderlichkeit der allotropen Zustände des Sauer- stoffes, welche nach meiner Vermuthung bei der Electrolyse des Wassers und anderer electrolytischer Sauerstoffver- bindungen eine massgebende Rolle spielen, keine Kenntniss nehmen. Obwohl ich diese Ansicht schon vor Jahren aus- gesprochen habe, so dürfte es doch zeit- und sachgemäss sein, wiederholt darauf zurück zu kommen, da sie sich auf einen Gegenstand von höchster wissenschaftlicher Bedeutung bezieht. Und ich will den Typus der Oxyelectrolyten: das Wasser als Beispiel wählen, um daran meine Ansichten "über die nächste Ursache der Electrolyse Samen aloe Verbindungen zu erläutern. Dass der im Wasser gebundene Sauerstoff, bezüglich seines Verhaltens zu der Mehrzahl oxidirbarer Materien in einem Zustande sich befindet wesentlich verschieden von demjenigen, in welchem z. B. die Hälfte des Sauerstoffge- _ haltes der Superoxide des Wasserstoffes, Bariums, Man- ganes, Bleies u. s. w. existirt, kann keinem Zweifel unter worfen sein. Es ist der Sauerstoff des Wassers ebenso unthätig, als das freie O, wesshalb wir wohl auch diese Verbindung als HO betrachten dürfen. So lange nun in dem Zustande dieses gebundenen O keine Veränderung ein- tritt, wird auch die chemische Vergesellschaftung desselben mit dem Wasserstoffe fortdauern, d. h. keine Zersetzung des Wassers stattfinden. Da nur O mit H verkunden das sein kann, was wir Wasser nennen, so sieht man leicht ein, dass jede Einwirkung auf den Sauerstoff dieser Ver- bindung, durch welche derselbe in & oder ©) oder gleich- zeitig in diese beiden Modificationen übergeführt würde 334 auch eine Zersetzung des Wassers zur Folge haben müsste. Wie die Erfahrung lehrt, wird der freie gewöhnliche Sauerstoff’ durch electrische Entladungen ozonisirt, wesshalb es keine gewagte Voraussetzung sein dürfte, wenn man an- nimmt, dass der voltasche Strom auch auf das an Was- serstoff gebundene O allotropisirend einzuwirken vermöge. Dass eine solche Zustandsveränderung des Sauerstoffes bei der Electrolyse des Wassers stattfinde, ist aber nicht bloss eine Voraussetzung, sondern eine Thatsache, Die Ergeb- nisse meiner Untersuchungen zeigen nemlich, dass bei der besagten Electrolyse beide thätigen Sauerstoffarten auftreten: ©) gemengt mit dem an der positiven Electrode sich ent- bindenden O als Ozon und (© gebunden an Wasser als Was- serstoffsuperoxid, welches an der gleichen Electrode sich vorfindet. Allerdings sind die unter diesen Umständen auf- tretenden Mengen von & und ©) im Verhältnisse zu der- jenigen des gleichzeitig entbundenen O nur sehr klein; es kann aber keinem Zweifel unterworfen sein, dass sie ihren Ursprung aus dem O des Wassers nehmen und sômit wenig- stens ein Theil dieses neutralen Sauerstoffes durch den Strom polarisirt werde. Da sich nun nicht einsehen lässt, warum diese Wirksamkeit des Stromes, worauf sie auch immer beruhen mag, nur auf eine so geringe Menge von O und nicht auf den ganzen Sauerstoffgehalt des electroly- sirten Wassers sich erstrecken sollte, so ist, wie ich dafür halte, Grund zu der Vermuthung vorhanden, dass unter dem Einflusse des Stromes aller Sauerstoff des Wassers pola- risirt werde und nur sekundäre Umstände es seien, in Folge deren hiebei so wenig & und ©) und "hauptsächlich O zum Vorschein kommt. In der That vermögen wir die Umstände so einzurichten, dass bei der Wasser-Electrolyse entweder gar kein & und ©) oder mehr oder weniger von beiden auftritt. Wenden wir eine grossflächige positive Electrode ‚und schwache Ströme an, so wird weder Ozon 339 noch Wasserstoilsuperoxid erhalten; geben wir dagegen der besagten Electrode eine sehr kleine Oberfläche, be- nützen wir als solche z. B. einen Platindraht anstatt eines Bleches, so wird, alles Uebrige sonst gleich, das sich ent- wickelnde O nachweisbare Mengen von ©) und das die positive Electrode umgebende Wasser auch HO: enthalten. Vermischt man die angesäuerte electrolytische Flüssigkeit mit einem löslichen Ozonid z. B. mit Chromsäure oder noch besser mit Uebermangansäure, so wird noch mehr ©), aber aus leicht einsehbaren Gründen kein HO: erhalten. Diese Thatsachen machen es mir mehr als nur wahr- scheinlich, dass der ganze Sauerstoffgehalt des Wassers durch den Strom in & und ©) übergeführt werde und das bei der Electrolyse dieser Verbindung auftretende O aus Œ) und © entstehe, welche unmittelbar nach ihrer electro- lytischen Abtrennung vom Wasserstoff an der Ausschei- dungsstelle, d. h. an der positiven Electrode wieder zu neutralem Sauerstoff sich ausgleichen. Je nach mechani- schen und chemischen Umständen wird diese Ausgleichung entweder vollständig oder mehr oder weniger unvollstän- dig stattfinden, d. h. nur neutraler Sauerstoff und gar kein Ozon und Wasserstoffsuperoxid, oder von beiden letztern mehr oder weniger erhalten werden. Ein solcher mecha- nischer Umstand ist die Flächengrösse der positiven Elec- trode, welche, wenn verhältnissmässig bedeutend, die Aus- gleichung des an ihr auftretenden &) und © zu O aus leicht einsehbaren Gründen mehr begünstigen muss, als diess eine kleinere thun kann. Enthält das zu electrolysirende Wasser überdiess noch ein Ozonid, z. B. Mn: O +5 ©} so wird das ©) dieser Säure mit einem Theile des auftretenden ©) zu O sich ausgleichend, bewirken, dass ein äquivalenter Theil von ©), ebenfalls aus dem electrolysirten Wasser stammend, der Neutralisation entgeht, wodurch selbstver- - ständlich die Menge des an der positiven Electrode frei 336 werdenden Ozons vermehrt werden muss. Voranstehender Auseinandersetzung gemäss geht somit meine Annahme da- hin, dass die nächste Ursache der durch den volta’schen Strom bewerkstelligten Zersetzung des Wassers auf einer allotropen Zustandsveränderung seines Sauerstoffes beruhe, welche darin besteht, dass dieses gebundene O in © und © übergeführt wird, welche Sauerstoffmodificationen als ‚solche nicht mehr fortfahren können mit H Wasser zu bil- den und desshalb von diesem Elemente sich abtrennen, ge- rade so, wie der Sauerstoff vom Quecksilber oder Bleioxid sich scheidet, wenn das ©) von HgQ) oder von PbO + © durch die Wärme in O verwandelt ist u. s. w. IV. Ueber das Verhalten des Bleiessigs zum Wasser- stoffsuperoxid. Da das Verhalten des Bleiessigs zum Wasserstoffsu- peroxid mir ganz besonders geeignet zu sein scheint, uns Aufschluss über die nächste Ursache einer Erscheinung zu geben, welche bis jetzt zu den unerklärlichsten Thatsachen der Chemie gehört und hauptsächlich es war, welche Berzelius veranlasst hat, eine neue Erklärungshypothese über eine ganze Klasse chemischer Phänomene aufzustellen (die Annahme einer _ katalytischen Kraft), so kann ich nicht umhin, noch einmal auf diesen Gegenstand zurückzukommen. Diese Erscheinung ist die durch die edeln Metalle bewerkstelligte Umsetzung des Wasserstoffsuperoxides in Wasser und gewöhnlichen Sauerstoff. In der Abhandlung ‚Ueber die Veränderlichkeit der allotropen Zustände des Sauertsoffes“ ist bereits an- gegeben worden, dass beim ersten Zusammentreffen des Bleiessigs mit Wasserstoffsuperoxid PbO, entstehe und kein 337 O sich entbinde, das Bleisuperoxid aber unmittelbar nach seiner Bildung zersetzend auf das noch vorhandene HO, in der. Weise zurückwirke, dass beide Superoxide die Hälfte ihres thätigen Sauerstoffes verlieren und O entbunden werde. Dass dieser frei werdende Sauerstoff ursprünglich ganz allein von HO, herkomme, kann keinem Zweifel unterworfen sein und es lässt sich desshalb mit Bezug auf das Endergeb- niss dieser Einwirkung sagen, dass der Bleiessig das Was- serstoffsuperoxid in Wasser und gewöhnlichen Sauerstoff umsetze. Würde nun diese Umsetzung so rasch stattfinden, dass es unmöglich wäre, die ihr vorausgehenden und sie bedingenden Vorgänge wahrzunehmen, so hätte es das Aus- sehen, als ob der Bleiessig auf eine sogenannte katalystische Weise HO, zerlegte, so nemlich, wie diess vom Platin Gold u. s. w. angenommen zu werden pflegt. Ich möchte sagen, glücklicher Weise erfordert aber wenigstens ein der fraglichen Zersetzung vorausgehender Vorgang eine gewisse Zeit, welche gross genug ist, um denselben wahrnehmen zu können nemlich die Entstehung des ozonidischen Blei- superoxides und dessen allmählige Reduction zum basischen Oxide. Beim Zusammentreffen des Bleiessigs mit HO: er- folgt erwähntermassen die Bildung von PbO; augenblicklich, während die vollständige Desoxidation desselben, selbst bei einem noch so grossen Ueberschuss von HO, eine merklich lange Zeit erheischt. So lange nun der unter den erwähn- ten Umständen gebildete braune Niederschlag nicht voll- kommen entfärbt ist, dauert auch die Entbindung von OÖ fort, es hört aber dieselbe auf, so bald der Niederschlag weiss geworden. Diese Thatsachen zeigen augenscheinlich, dass die Zer- setzung des Wasserstoffsuperoxides nicht durch den Blei- essig als solchen, sondern durch das aus ihm entsandene ozonidische Bleisuperoxid bewerkstelliget wird und da Letz- teres auf Kosten des &) eines Theiles von HO, sich bil- 338 det, so erhellt hieraus des Weitern, dass dieses &) erst in © umgekehrt wird, bevor es mit einem Theile der Basis des Bleiessigs das ozonidische PbO, zu bilden vermag. Wenn nun auch das Endergebniss der Einwirkung des Blei- essigs auf HO, die Umsetzung dieser Verbindung in Was- ser und gewöhnlichen Sauerstoff ist, so sieht man doch aus voranstehender Erörterung, dass diese Zersetzung so zu sagen nur der Schluss eines aus mehreren Acten zusammen- gesetzten chemischen Dramas bildet: erst Umkehr von & in ©, dann Bildung von PbO + ©), wodurch schon ein Theil des vorhandenen HO, zerlegt wird, schliesslich Aus- gleichung des ©), enthalten im PbO;, mit dem &) des noch übrig gebliebenen HO;, was sowohl die Entbindung von O als auch die Reduction der beiden entgegengesetzten Su- peroxide zur Folge hat. Und da zur vollständigen Des- oxidation von PbO: und HO: gleiche Aequivalente dieser Superoxide erforderlich sind, so folgt hieraus, dass von.dem in unserm Versuche zersetzten HO, die eine Hälfte zur Bildnng von PbO;, die andeze Hälfte zur Reduction dieses Superoxides verbraucht wird. Bei Anwendung eines leichten Kunskeritfes erfolgen die eben erwähnten, bei der Einwirkung des Bleiessigs auf HO, stattfindenden Vorgänge so rasch auf einander, das sie der Zeit nach beinahe zusammen fallen. Zu diesem Be- hufe braucht man nur HO: erst schwach mit verdünnter reiner Salpetersäure anzusäuern, bevor Bleiessig zugefügt wird, unter welchen Umständen im Augenblick des Zusam- . mentreffens beider Flüssigkeiten ebenfalls ein Nieder- schlag von PbO2 entsteht, welcher jedoch unmittelbar nach seinem Auftreten wieder verschwindet, selbtverständlich unter Entbindung gewöhnlichen Sauerstoffgases und Bildung von Bleinitrat. Die Anwesenheit der Salpetersäure be- schleuniget unter den erwähnten Umständen die Umsetzung von HO; in Wasser und gewöhnlichen Sauerstoff aus dem- 339 selben Grunde, wesshalb sich PbO; und HO: unter Beisein von NO, ungleich rascher sich gegenseitig desoxidiren, als sie diess für sich allein zu thun vermögen. V. Ueber einige neuen höchst empfindlichen Reagentien auf das Wasserstoffsuperoxid. Das Wasserstoffsuperoxid hat durch den Umstand, dass _es sich bei der langsamen Oxidation so vieler unorganischer r und organischer Materien in feuchter atmosphärischer Luft bildet, ein eigenthümliches theoretisches Interesse gewon- nen und diese so unerwartete Thatsache hätte sicherlich ohne sehr empfindliche Reagentien nicht ermittelt werden können, weil in der Regel die Mengen der so entstandenen Verbindung äusserst klein sind. Wenn nun auch die uns jetzt zu Gebot stehenden Reagentien auf HO: einen Grad von Empfindlichkeit besitzen, welcher kaum etwas zu wün- schen übrig lässt, so kann es doch Fälle geben, wo sie nicht mehr ausreichen, der verschwindend kleinen Menge halber, in welcher die Verbindung auftritt, es aber aus theoretischen Gründen höchst wünschenswerth wäre, das- selbe nachzuweisen. Wie bedeutungsvoll für die Physiologie müsste z.B. das Auffinden winzigster Mengen Wasserstoft- superoxides in irgend einer thierischen Flüssigkeit sein? Von der Wichtigkeit derartiger Reagentien für Forschungen der angedeuteten Art überzeugt, trachte ich schon seit Jah- ren, sie von möglichst grosser Empfindlichkeit und Zuver- lässigkeit zu erhalten und es ist mir auch in neuester Zeit gelungen Eines aufzufinden, welches alle bisher Gekannten um Vieles übertrifft. Selbst das verdünnteste a ecneroard besitzt 340 nach meinen Versuchen das Vermögen, die Hälfte der Ba- sis des Bleiessigs in das ozonidische Bieisuperoxid zu ver- wandeln, welches als solches für sich allein schon den Jodkaliumkleister zu bläuen vermag, viei schneller und stärker aber noch diese Wirkung unter Mithülfe einer auch noch so stark verdünnien Säure, z.B. der Essigsäure, Salpe- tersäure u. s. w. hervorbringt. Auf diesem Verhalten des Wasserstoffsuperoxides zu der Lösung des basisch essig- sauren Bleioxides beruht nun eben mein neues Reagens auf HO. 4 Lässt man in etwa 20 Gramme Wassers, das ein Mil- liontel HO: enthält, einen oder zwei Tropfen verdünnten Bleiessigs fallen und fügt man diesem Gemisch einige Tro- pfen verdünnten Jodkaliumkleisters zu, so wird es sich, wenn nicht sofort, doch bald deutlich bläuen, augenblick- lich aber und viel stärker beim Vermischen mit verdünnter Essig- oder Salpetersäure (letztere frei von jeder Spur NO,). Das gleiche HO;-haltige Wasser vermag zwar den Jodka- liumkleister unter Mithülfe einiger Tropfen einer verdünn- ten Eisenoxidulsalzlösung auch noch zu bläuen, jedoch un- gleich schwächer, als diess der Bleiessig in Verbindung mit Essigsäure u. s. w. thut. Mittelst des neuen Reagens lässt sich daher in Wasser, welches nur ein Dreimilliontel HO; enthält, diese Verbindung noch deutlich nachweisen, wäh- rend der Jodkaliumkleister unter Mitwirkung einer Eisen- oxidulsalzlösung von einem solchen Wasser nicht mehr gebläut wird. Aus diesen Angaben erhellt, dass der Blei- essig in Verbindung mit einer verdünnten Säure und Jod- kaliumkleister als Reagens auf HO: wenigstens dreimal empfindlicher ist, als die Eisenoxidulsalzlôsung. Wie gross diese Empfindlichkeit sei, lässt sich aus der Thatsache ab- nehmen, dass z. B. 50 Gramme destillirten Wassers mit eben so viel amalgamirten Zinkspähnen und atmosphärischer Luft nur einige Augenblicke zusammen geschüttelt, durch 341 unser Reagens schon deutlich gebläut werden, während die Eisenvitriollösung in solchem Wasser noch keine wahr- nehmbare Färbung veranlasst. Ein anderes Reagens auf HO;, von hoher Empfindlich- keit, obwohl nicht gleich derjenigen des Bleiessigs, ist der aus den Lösungen eines reinen Eisenoxidulsalzes und des gelben Blutlaugensalzes erhaltene weisse Niederschlag, von dem bekannt ist, dass er durch gewöhnlichen Sauerstoff allmählig, durch eine Anzahl sauerstoffhaltiger Verbindun- gen aber sofort auf das Tiefste gebläut wird. Zu diesen rasch oxidirenden Agentien gehört nun auch das Wasser- stoffsuperoxid, welches Verhaltens wegen auch der besagte Niederschlag dazu dienen kann, noch sehr kleine Mengen von HO; mit Sicherheit nachzuweisen. Enthält Wasser z.B. auch nur ein Halbmilliontel des fraglichen Superoxides, so wenig also, dass es selbst nicht mehr durch die sonst so empfindliche Chromsäure sich erkennen lässt, und versetzt man einige Raumtheile solchen Wassers mit einem Raum- theile destillirten Wassers, welches durch das weisse Fer- rocyaneisenkalium nur leicht getrübt ist, so färbt sich das Gemisch sofort noch augenfälligst blau; ja Wasser selbst, welches nicht mehr als ein Milliontel HO; enthält, bringt noch eine deutlich erkennbare bläuende Wirkung hervor. Ich habe zu seiner Zeit gezeigt, dass wie das Wasser- stoffsuperoxid, so auch das sogenannte ozonisirte Terpentinöl positiv-activen Sauerstoff (Antozon) enthalte und die Er- fahrung lehrt, dass dieser Sauerstoff gierigst von unserm - weissen Niederschlag aufgenommen wird, wesshalb der- selbe beim Schütteln mit dem besagten &-haltigen Oele sofort auf das Tiefste sich bläut. Es ist daher nicht daran zu zweifeln, dass auch alle übrigen ozonisirten Oele die gleiche Oxidationswirkung auf das Ferrocyaneisenkalium ‘hervorbringen werden, wesshalb Letzteres dazu dienen kann, das Vorhandensein selbst sehr kleiner Mengen solchen über- 342 tragbaren Sauerstoffes in den Camphenölen u. s, w. nach- zuweisen. VI. Ueber die Bildung des salpetrichtsauren Ammonia- kes aus Wasser und atmosphärischer Luft. Zu Anfang des vorigen Jahres theilte ich der Gesell- ‚schaft die Thatsache mit (siehe Bd. Il, Heft II, pag. 202, 1861), dass bei der langsamen Verbrennung des Phosphors in wasserhaltiger atmosphärischer Luft salpetrichtsaures Ammoniak entstehe und es wurde hieraus der Schluss ge- ‘zogen, dass unter diesen Umständen das besagte Salz aus Wasser und atmosphärischem Stickstoff gebildet werde. Zu gleicher Zeit machte ich die Gesellschaft mit der Thatsache bekannt, dass meinen zahlreichen Beobachtungen gemäss alles aus der Atmosphäre gefallene Wasser kleine Mengen Ammoniaknitrites enthalte, an diese Mittheilung die Bemerkung knüpfend, dass thatsächliche Gründe vorlägen, die mich zu der Annahme berechtigten: es habe das in der Luft fortwährend angetroffene Ammoniaksalz noch eine an- dere Quelle als das bei der Fäulniss stickstoffhaltiger or- ganischer Materien sich bildende Ammoniak und ‘die unter electrischem Einfluss aus atmosphärischem Stick- und Sauer- stoff entstehende salpetrichte Säure. Nachstehende Angaben werden die Richtigkeit meiner damaligen Andeutungen darthun und zeigen, dass es eine allgemeine, höchst merkwürdige und bisher gänzlich unbe- kannt gebliebene Entstehungsweise des Ammoniaknitrites gebe. Da dieses Salz unter dem Einflusse der Wärme so leicht in Wasser und Stickgas sich umsetzt, so hielt ich es 343 schon längst für wahrscheinlich, dass dasselbe unter ge- eigneten Umständen auch aus den beiden letztgenannten Materien gebildet werden könne, und in dieser Vermuthung musste mich die Entdeckung der Thatsache bestärken, dass bei der langsamen Verbrennung des Phosphors in wasser- haltiger Luft auf diese Weise wirklich Ammoniaknitrit ent- steht. Und die weitere Thatsache, dass nicht selten unter anscheinend gleichen Umständen dieselben Verbindungen wie zersetzt, so auch gebildet werden, liess mir nicht un- möglich erscheinen, dass unter dem Einflusse der Wärme aus 2N und 3 HO eben so gut NH:, NO, entstehen könne, als dieses Salz in Wasser und Stickgas zerfällt. Ob nun das, was nach den gewöhnlichen Vorstellungen für eine chemische Unmöglichkeit angesehen werden dürfte, dennoch eine Wirklichkeit sei, wird aus den nachstehenden Angaben erhellen und es dürfte wohl passend sein, wenn ich meine Versuche in der Ordnung beschreibe, in welcher sie ange- stellt worden. Ich erhitzte einen offenen Platintiegel gerade so stark, dass ein auf den Boden des Gefässes gefallener Wasser- tropfen sofort verdampfte, ohne noch das Leidenfrost'sche Phänomen zu zeigen, und liess nun tropfenweise reinstes Wasser in den Tiegel fallen und zwar so, dass immer die vollständige Verdampfung abgewartet wurde, bevor ich neues Wasser in das erhitzte Gefäss einführte. Ueber den so erzeugten Dampf hielt ich die Mündung einer kalten Flasche so lange, bis darin einige Gramme Wassers sich gesammelt hatten. Versetzte ich nun diese Flüssigkeit mit einigen Tropfen verdünnter chemisch reiner Schwefelsäure und ‘jodkaliumhaltigen Stärkekleisters, so färbte sich das Gemisch rasch tiefblau. Ich darf hier je- doch nicht unbemerkt lassen, dass unter anscheinend voll- kommen gleichen Umständen nicht immer ganz ‚gleiche Er- gebnisse erhalten wurden. Bei einem Versuche war das / 344 aus der Verdichtung des Dampfes gewonnene Wasser so, dass es unter Mithülfe verdünnter Schwefelsäure den Jod- kaliumkleister augenblicklich tief bläute, bei einem andern Versuch erhielt ich ein Wasser, welches die besagte Wir- kung in merklich schwächerem Grade hervor brachte und jeweilen trat sogar der Fall ein, dass das Wasser keine merkliche Bläuung verursachte. Den Grund der Ungleich- heit dieser Ergebnisse weiss ich noch nicht anzugeben, ich vermuthe jedoch, dass sie mit Temperatursverschiedenheiten zusammenhänge, da kaum daran sich zweifeln lässt, dass es einen bestimmten Wärmegrad gebe, welcher der Bildung unserer den Jodkaliumkleister bläuenden Materie am gün- stigsten ist. Hat man es getroffen ein Wasser zu erhalten, welches diesen Kleister sofort tief zu bläuen vermag, so entbindet dasselbe auch, in einem kleinen Gefässe mit Kalihydrat zu- sammen gebracht, so viel Ammoniak, dass dadurch feuch- tes Curcumapapier noch deutlich gebräunt wird oder um ein mit Salzsäure benetztes Glasstäbchen wahrnehmbare Nebel gebildet werden. Man ersieht hieraus, dass die bei- den Reactionen: Bläuung des angesäuerten Jodkaliumklei- sters und Bräunung des Curcumapapieres schon deutlich genug auf das Vorhandensein kleiner Mengen Ammoniak- nitrites in dem fraglichen Wasser hindeuten. Wir werden jedoch bald noch andere Thatsachen kennen lernen, welche keinen Zweifel darüber walten lassen, dass unter den er- wähnten Umständen das besagte Salz entstehe. Man könnte vielleicht vermuthen, dass das Platin als solches mit dieser Nitritbildung etwas zu thun habe; dem ist aber nicht so, wie aus der Thatsache hervorgeht, dass unter sonst gleichen Umständen die nämlichen Ergebnisse erhalten werden: ob man einen Platintiegel oder silberne, kupferne, eiserne, thönerne Gefässe u. s. w. zur Verdam- 345 pfung des Wassers anwende, wie ich mich hievon durch zahlreiche Versuche zur Genüge überzeugt habe. Von der erwähnten Nitritbildung kann man sich sehr rasch durch folgenden Versuch überzeugen. Ist ein mit Wasser benetzter Streifen jodkaliumstärkehaltigen Papieres nur wenige Minuten über den auf die beschriebene Weise erzeugten Dampf gehalten worden, so wird er schon so viel Nitrit enthalten, dass er, in verdünnte Schwefelsäure getaucht, sich merklich stark bläut, was das gleiche Rea- genspapier, ohne diese Behandlung selbstverständlich nicht thut. Auch lässt sich der Versuch so anstellen, dass man einen mit reinem Wasser getränkten Streifen Filtrirpapie- res einige Minuten lang in den besagten Dampf hält und dann mit einigen Tropfen SO;:-haltigen Jodkaliumkleisters | übergiesst, unter welchen Umständen letzteres mehr oder weniger stark gebläut wird. Zur Darstellung grösserer Mengen solchen nitrithalti- gen Wassers dient am besten eine geräumige kupferne Blase, wie man sie in Laboratorien zur Darstellung des de- stillirten Wassers zu haben pilegt, mit deren Hülfe die be- sagte Flüssigkeit in kurzer Zeit maassweise sich bereiten lässt. Zu diesem Behufe erhitze ich die leere, d. h. mit atmosphärischer Luft gefüllte Blase, durch ihren Helm mit der Röhre des Kühlfasses verbunden, so stark, dass ein- gespritztes/Wasser rasch aufdampft. Giesst man nun durch das auf den Boden der so beumständeten Blase gehende Rohr je auf einmal nur kleine Mengen reinen Wassers und wartet man, bevor neues Wasser in das Gefäss eingeführt wird, jedesmal ab, bis das alte vollständig verdampft, d.h. überdestillirt ist, so erhält man in kurzer Zeit merkliche Mengen einer farblosen und vollkommen neutralen Flüssig- keit, welche folgende Eigenschaften besitzt: 1. Mit verdünnter Schwefelsäure versetzt, färbt sie 23 346 den Jodkaliumkleister augenblicklich auf das Tiefste blau. 2. Mit SO; angesäuert und erwärmt, entfärbt sie rasch gelöstes Kalipermanganat. i 3. In einer verschliessbaren Flasche mit Kalihydrat zu- sammen gebracht, entbindet sie Ammoniak, wie dar- aus erhellt, dass ein in diesem Gefäss aufgehangener feuchter Streifen gelben Curcumapapieres bald auf das Deutlichste sich bräunt, und um ein mit Salz- säure benetztes und in die Flasche eingeführtes Glas- stäbchen die bekannten Nebel sich bilden. Werden grössere Mengen unseres Wassers mit einigem Kali versetzt und bis zur Trockniss eingedampft, so lassen sie einen kleinen Rückstand, welcher alle Eigenschaften ei- nes Nitrites besitzt: Entwickelung braunrother Dämpfe beim Uebergiessen mit Vitriolöl, kräftigste Entfärbung der mit SO; angesäuerten Kalipermanganatlösung u. s. w. Dampft man grössere Mengen unseres mit einiger SO; oder HCI versetzten Wassers ein, so bleibt ein Rückstand, aus wel- chem Kalihydrat so viel Ammoniak entwickelt, dass das- selbe schon durch den Geruch auf das Deutlichste erkannt wird. Alle diese Thatsachen beweisen nach meinem Dafür- halten auf das Genügendste, dass das in Rede stehende Wasser salpetrichtsaures Ammoniak enthält; ich darf aber auch hier nicht unbemerkt lassen, dass das unter den er- wähnten und anscheinend gleichen Umständen erhaltene Destillat durch seinen Nitritgehalt keineswegs immer sich gleich bleibt. Das eine Mäl ist es so reich daran, dass z. B. ein Theil der Flüssigkeit mit 500 Theilen reinen Wassers vermischt und durch SO; schwach angesäuert, den Jod- kaliumkleister noch bis zur Grenze der Undurchsichtigkeit tief bläut, während ein ander Mal ein Destillat erhalten wird, das nur Spuren von Nitrit enthält und bisweilen selbst 347 diese nicht. Wie schon weiter oben bemerki worden, bin ich geneigt, diese Verschiedenheit der Ergebnisse Tempe- ratursdifferenzen beizumessen, welche bei den besagten Ver- suchen unvermeidlich sind. Bringt man reinstes Wasser in einem offenen Gefässe, 2. B. einer Porcellanschaale, zum Sieden und verdichtet man einige Gramme des hierbei sich bildenden Dampfes in einer über ihm gehaltenen kalten Flasche zu Wasser, so wird dieses, mit SO; angesäuert, den Jodkaliumkleister, wenn auch nicht stark, doch noch deutlich bläuen. Auch bringen mit reinem Wasser getränkte und einige Zeit dem gleichen Dampf ausgesetzte Streifen Filtrirpapieres die vor- hin erwähnte Reaction hervor, was beweist, dass auch un- ter diesen Umständen kleine Mengen von A moniaknil zu sich bilden. Da dieses Salz schon seiner Flüchtigkeit halber unter den erwähnten Umständen nur in geringen Mengen sich anhäufen lässt, so wende ich in der Absicht, grössere Quan- titäten eines Nitrites zu erhalten, den Kunstgriff an, die Papierstreifen mit kalihaltigem Wasser zu tränken, welches die salpetrichte Säure des Ammoniaksalzes bindet, um da- mit Kalinitrit zu bilden, der im Papiere verbleibt. Lässt man so beschaffene Streifen nur eine Viertelstunde über dem ofien siedenden Wasser hängen, so werden sie den angesäuerten Jodkaliumkleister schon merklich stark und noch tiefer bläuen, nachdem sie längere Zeit, z. B. einige Stunden, der Einwirkung des Dampfes ausgesetzt gewesen. Um das Ammoniak des kei der Verdampfung des Wassers sich bildenden Nitrites in grösserer Menge anzuhäufen, hänge ich Papier- oder Leinwandstreifen, getränkt mit stark ver- dünnter Schwefel- oder Salzsäure längere Zeit über dem Siedgefäss auf und ziehe dieselben dann mit Wasser aus, welches bis zur Trockniss eingedampft einen kleinen Rück- * 23* - l 343 stand lässt, aus welchem Kalihydrat auf das Deutlichste Ammoniak entbindet. Lässt man Wasser bei niedrigern Temperaturen, z. B. bei 40 bis 70°, in offener Luft verdampfen, so werden ganz ähnliche Ergebnisse erhalten: die über diesem Wasser auf- gehangenen kalihaltigen Papierstreifen erlangen schon in kurzer Zeit das Vermögen, den angesäuerten Jodkalium- kleister auf das Tiefste zu bläuen u. s. w. Um sich von der unter diesen Umständen erfolgenden Nitritbildung zu überzeugen, ist es nicht einmal nöthig, über dem verdampfenden Wasser befeuchtete Papiere aufzuhän- gen. Lässt man in einer offenen Porcellanschaale reines Wasser bei 40 bis 50° einen halben Tag lang verdampfen, so wird die rückständige Flüssigkeit, mit verdünnter Schwe- felsäure versetzt, den Jodkaliumkleister schon merklich bläuen, welche Reaction von kleinen Mengen Ammoniak- nitrites herrührt, das, auf der Verdampfungsfläche sich bil- dend, vom Wasser der Schaale, wie vom Wasser der über ihr hängenden Papierstreifen aufgenommen wird. Wendet man zum Behufe der Verdampfung anstatt des _ reinen Wassers kalihaltiges an und lässt man dasselbe un- ter den erwähnten Umständen Tage lang verdampfen, den Verlust der Flüssigkeit jeweilen wieder ergänzend, so wird das rückständige Wasser die Nitritreactionen in ae ligster Weise hervor bringen. Die Thatsache, dass während der bei so verschiedenen Temperaturen bewerkstelligten Verdampfung des Wassers . in atmosphärischer Luft salpetrichtsaures Ammoniak sich bildet, liess vermuthen, dass dieses Salz auch noch bei ge- ringern Wärmegraden, also selbst bei gewöhnlicher Tem- peratur entstehe und ich denke, dass die nachstehenden Angaben über die Richtigkeit dieser Vermuthung keinen Zweifel walten lassen. ; Lässt man einen mit reinstem Wasser getränkten Bo- 349 sen Filtrirpapieres in einem verschlossenen oder offenen Zimmer bei gewöhnlicher Temperatur trocknen und zieht man denselben mit verhältnissmässig wenig Wasser aus so wird Letzteres, mit verdünnter SO; angesäuert, den Jod- kaliumkleister in kurzer Zeit merklich stark bläuen. Selbst- verständlich wird das gleiche Ergebniss mit benetzter Lein- wand erhalten, welche man in der Luft bei gewöhnlicher Temperatur trocknen lässt und ich wende in der Regel die- ses Mittel an, um mir rasch grössere Mengen nitrithaltigen - ‚Wassers zu verschaffen. Daher kommt es auch, dass nach meinen Untersuchungen alles gewaschene Linnenzeug: Hem- den, Sack- und Tischtücher u. s. w., mit wenig Wasser aus- gezogen, eine Flüssigkeit liefern, welche den angesäuerten Jodkaliumkleister noch augenfälligst bläut und somit Nitrit enthält. Dass auch in dem Filtrirpapier Spuren dieses Sal- zes sich vorfinden, bedarf kaum der ausdrücklichen Erwäh- nung. Eben. so selbstverständiich ist, dass (mit Wasser) angenetzter reiner Sand, den man an der Luft hat trocknen lassen, mit reinem Wasser ausgezogen eine Flüssigkeit lie- fert, welche den angesäuerten Jodkaliumkleister bläut. Um sich zu überzeugen, dass die unter diesen Umstän- . den erfolgende Nitritbildung von der Natur der Substanzen, an welchen das Wasser verdampft, z. B. also von ihrer Porosität völlig unabhängig ist, lasse man bei gewöhnlicher Temperatur Wasser auf Wasser verdunsten und man wird finden, dass die rückständige Flüssigkeit nach einiger Zeit die Nitritreactionen augenfälligst zeigt. Hat man unter den erwähnten Umständen z. B. ein Pfund destillirten Wassers an einer vor jeder Verunreinigung schützenden Oertlichkeit bis zur Hälfte verdampfen lassen, so wird der Rest, mit SO; angesäuert, wenn auch nicht stark, doch noch deutlich den Jodkaliumkleister bläuen. Natürlich wächst der Nitrit- gehalt der Flüssigkeit mit der Menge des‘ verdunsteten Wassers, weil in Folge fortdauernder Verdampfung immer 350 - neues Salz sich bildet und die Nitritbildung immer concen- trirter wird. Lässt man daher von 100 Theilen Wassers z. B. 99 Theile freiwillig an offener Luft verdampfen, so besitzt der mit SO, angesäuerte Rest das Vermögen, den Jodkaliumkleister auf das Tiefste zu bläuen und entbindet aus dem gleichen Reste Kalihydrat nachweisbare Mengen von Ammoniak. Wendet man bei einem solchen Versuche kalihaltiges Wasser anstatt des reinen an, so werden aus den weiter oben angedeuteten Gründen die Nitritreactionen noch stär- ker ausfallen, und in einfachster Weise wird derselbe so angestellt, dass man mit solchem Wasser getränktes Fil- trirpapier in der Luft einige Tage hängen lässt. Wird es nun mit angesäuertem Jodkaliumkleister übergossen, so färbt sich dieser auf das Tiefste blau, welche Reaction selbstverständlich von Kalinitrit herrührt. Daher kommt es auch, dass mit kalihaltigem Wasser benetztes jodkalium- haltiges Stärkepapier, das man einige Tage in einem ver- schlossenen Zimmer hat, in der Luft hängen lässt, durch verdünnte Schwefelsäure augenblicklich auf das Tiefste ge- bläut wird. Leicht begreift sich auch aus den voranste- henden Angaben die Thatsache, dass kalkhaltiges Quell- wasser, freiwilliger Verdunstung überlassen, unter sonst gleichen Umständen etwas nitritreicher als das reine Was- ser wird. Eine weitere hieher gehörige Thatsache ist die Nitrit- haltigkeit der Oberfläche des längere Zeit in stagnirender Luft gestandenen Glases. In einer Vorrathskammer entfernt vom Laboratorium, wo ich meine Glasgeräthschaften aufbe- wahre, liegen schon seit manchen Jahren Deckplatten böh- mischen Kaliglases, die noch nie gebraucht worden, über- einandergeschichtet und ich finde, dass vorzugsweise die matt geschliffenen Seiten derselben, wenn erst mit verdünn- ter SO, angenetzt, den Jodkaliumkleister auf das Augen- 391 fälligste bläuen. Versteht sich von selbst, dass die Platten mit verhältnissmässig wenig Wasser abgewaschen, eine Flüssigkeit liefern, die mit dem angesäuerten Jodkalium- kleister die gleiche Reaction verursacht. Anderes unge- brauchtes Glass, wie Röhren, Retorten u. s. w. verhalten sich auf eine ähnliche Weise mit dem Unterschiede jedoch, dass sie an Nitrit ärmer sind, als die rauhen Seiten der - besagten Deckplatten. N Dieses auf den ersten Anschein so unerklärliche Vor- kommen des salpetrichtsauren Kalis ist nun, wie ich glaube, eine leicht zu deutende Thatsache. Da in Folge der ohne Unterlass in der atmosphärischen Luft stattfindenden Was- serverdampfung auch unaufhörlich Ammoniaknitrit ent- steht, so muss dieses Salz, wenn auch in winzigen Mengen doch überall verbreitet sein und im Laufe der Zeit mit dem Kali des Glases zunächst nachweisbare Mengen salpetricht- sauren Kali erzeugen, welches in einer stagnirenden d. h. ozonleeren Atmosphäre, gemäss meinen frühern Versuchen, sich nicht zu Nitrit oxidirt, diess aber wohl iin der frei strömenden Luft thut, welche fortwährend kleine Mengen ozonisirten Sauerstoffes. mit sich führt. Dadurch, dass man auf einer frisch abgewaschenen Glasplatte kalihaltiges Was- ser verdampfen lässt, macht man sie in wenigen Tagen schon ebenso nitrithaltig, als sie, sich selbst überlassen, erst in viel grössern Zeiträumen es wird. Auf die Frage, wie oder aus was unter den erw ähnten Umständen das salpetrichtsaure Ammoniak sich bilde, weiss ich keine andere Antwort zu geben als diejenige, welche schon oben angedeutet worden. Ich halte nemlich dafür, dass atmosphärischer Stickstoff mit verdampfendem Was- ser unmittelbar zu diesem Salze sich vereinige und bin der Meinung, dass diese Nitritbildung, nur auf diese und keine andere Weise denkbar sei. Gegenüber einer bes- sern Erklärung werde ich jedoch meine jetzige Ansicht 332 gerne fallen lassen. Möglich ist zwar, dass der atmosphä- riche Sauerstoff dabei eine Rolle spiele, obgleich schwer einzusehen ist, welche. Würde diess.nicht der Fall sein, so müsste bei der Verdampfung des Wassers in reinem Stickgas ebenfalls Ammoniak entstehen, worüber spätere Versuche Aufklärung geben werden. Ob dieses Salz auch bei der blossen Berührung des flüssigen Wassers mit atmos- phärischer Luft gebildet werde oder diess nicht geschehe, und die Verdampfung jener Flüssigkeit eine Conditio sine quo non der Nitriterzeugung sei, darüber wage ich noch nicht zu entscheiden. Thatsache ist, dass kleine Mengen Wassers, welche ich schon seit Wochen in verschlossenen Gefässen und bei merklich gleichbleibender Temperatur mit viel atmosphärischer Luft habe zusammen stehen lassen, noch kein Nitrit in sich entdecken lassen. Auch über diesen. theoretiseh nicht unwichtigen Punkt werden spätere Unter- suchungen den wünschbaren Aufschluss gewähren. Wenn nun obigen Angaben gemäss nicht daran zu zwei- feln ist, dass unter dem Einflusse der Wärme aus Wasser und atmosphärischer Luft salpetrichtsaures Ammoniak ge- bildet wird, so versteht es sich von selbst, dass auch bei der Verbrennung der Körper in der gewöhnlichen Atmos- phäre dieses Salz entstehe, weil bei derselben alle Bedin- sungen für eine solche Nitriterzeugung erfüllt sind. Vor- handensein von Wasser, atmosphärischer Luft und Wärme. Schon der fein beobachtende Theodor von Saussüre fand, dass bei der Verbrennung des Wasserstoffes in stick- gashaltigem Sauerstoff ausser der salpetrichten Säure, welche der Genfer Chemiker für Salpetersäure hielt, auch Ammo- niak sich erzeuge und in einer im Jahre 1845 von mir veröffentlichten akademischen Festschrift „Ueber die lang- same und rasche Verbrennung der Körper in atmosphäri- scher Luft“ zeigte ich, dass bei der Verhrennung der Koh- lenwasserstoffe, Fette u. s. w. eine oxidirende Materie ent- 353 stehe, welche unter geeigneten Umständen die indigolüsung zerstören, aus dem Jodkalium Jod abzuscheiden und noch andere Oxidationswirkungen hervorzubringen vermöge. Da ich zu jener Zeit die so empfindlichen Reagentien auf die Nitrite noch nicht gefunden hatte, welche mir jetzt zu Ge- bote stehen, so musste ich damals auch unentschieden las- sen, ob die fragliche oxidirende Materie salpetrichte Säure, was ich für möglich erklärte, oder etwas anderes sei. Heute, da wir in dieser Hinsicht so feine und zuverlässige Unter- suchungsmittel besitzen, ist es leicht, die bei der besagten Verbrennung stattfindende Nitribitldung auf das Ueberzeu- genste nachzuweisen und nach meinen Erfahrungen eignet sich hiefür am besten dieHolzkohle. Zu diesem Behufe bediene ich mich eines cylindrischen, aus Eisenblech verfertigten Ofens von etwa 2’ Höhe und 9” Breite, unten mit einem Roste und mehrern Oeffnungen versehen, durch welche die äussere Luft in den Brennraum strömen kann. Das obere Ende des Ofens ist mit einem Deckel verschliessbar und etwa 2” unterhalb desselben befindet sich ein 4“ langes und 1” weites, wagrecht eingesetztes Rohr, duren welches der erhitzte Luftstrom austritt. Leitet man Letztern in eine geräumige Vorlage, etwa 100 Gramm Wassers enthaltend, so wird diese Klüssigkeit schon nach einer Viertelstunde so viel Ammoniaknitrit auf- genommen haben, dass sie, mit SO; angesäuert, den Jod- kaliumkleister sofort deutlich bläut, wie auch die übrigen Reactionen dieses Salzes hervorbringt. Lässt man den er- hitzten Luftstrom einige Stunden lang in die kühl gehal- tene Vorlage treten, so wird das darin enthaltene Wasser mit dem besagten Ammoniaksalze so stark beladen sein, dass es die Nitrit-Reactionen in augenfälligster Weise ver- ursacht: tiefste Bläuung des angesäuerten Jodkaliumkleisters, deutlichste Entbindung von Ammoniak durch: Kalihydrat u. Ss. w. Ich muss jedoch beifügen, dass, um ein solches 354 I 5 Ergebniss zu erhalten, das Kohlenfeuer nicht zu heftig, d. h. der obere Theil des Ofens nicht zu stark erhizt sein darf, weil sonst das gebildete Ammoniaknitrit wieder zum grössten Theile, wo nicht gänzlich zerstört würde. Man darf desshalb nicht mehr Kohlen auf einmal anwenden, als nöthig die Verbrennung derseiben zu unterhalten und mit dem bezeichneten Umstande hangt ohne Zweifel auch die von mir beobachtete Thatsache zusammen, dass anfänglich, wo der obere Theil des Ofens noch wenig erhizt ist, mehr Nitrit erhalten wird als später. - - Um sich in einfachster “Veise zu überzeugen, dass auch bei der Verbrennung der Fette, des Leuchtgases u. s. w. salpetrichtsaures Ammoniak gebildet wird, hänge man ein reines, mit destilirtem Wasser getränktes Badeschwämmchen in gehöriger Entfernung über der Flamme solcher ver- brennenden Materien z. B. über den Zylinder einer ge- wöhnlichen Zimmerlampe auf. Hat sich das Schwämmchen nur eine Viertelstunde unter diesen Umständen befunden, so wird das aus ihm gepresste Wasser den angesäuerten Jodkalium schon auf das Deutlichste bläuen u. s. w. Dass bei der Verbrennung des Holzes ebenfalls Am- moniaknitrit entstehe, versteht sich von selbst und es gehen in. der That nicht geringe Mengen dieses Salzes durch die Schornsteine, welche den von der Verbrennung dieses Ma- teriales herrührenden Rauch abführen. Um mich hievon zu überzeugen, liess ich einen grossen, mit destillirtem Wasser getränkten Schwamm zwölf Stunden lang in dem höhern Theile des Rauchfanges unseres Museums hängen, wo nur Hoiz als Brennmaterial benützt wird; derselbe hierauf aus- gepresst, lieferte eine neutrale bräunlich gefärbte‘ Flüssig- keit, welche die Reactionen des Ammoniaknitrites in einem ausgezeichneten Grade hervorbrachte. Auch bei der Verbrennung der Steinkohlen bildet sich das besagte Salz; da dieselben aber immer Schwefelkies nn 309 einschliessen, so tritt dabei schweflichte Säure auf, welche mit dem salpetrichtsauren Ammoniak nicht zusammen be- stehen kann. Es bildet sich unter diesen Umständen Schwe- felsäure, welche mit dem Ammoniak verbunden durch den Sehornstein geht. Je nachdem die Steinkohlen mehr oder weniger Schwefeleisen führen, je nachdem wird auch der bei ihrer Verbrennung erzeugte Rauch entweder gar kein Ammoniaknitrit, oder davon weniger oder mehr, immer aber schwefelsaures Ammoniak enthalten. In einem Schornstein, durch welchen der Rauch eines Steinkohlenfeuers abgeführt wird, liess ich ebenfalls einen mit destillirtem Wasser ge- tränkten Schwamm einen halben Tag lang hängen und fand, dass das aus ihm gepresste Wasser merkliche Mengen Ammoniaksuifates, aber auch noch einiges Ammoniaknitrit enthielt. i " Unschwer begreift sich, dass bei der Verbrennung ge- wisser Körper kein salpetrichtsaures Ammoniak zum Vor- schein kommen kann, auch wenn das Salz dabei gebildet würde und dieser Fall eintreten muss, wenn das brennbare Element mit dem Sauerstoff eine kräftige Säure erzeugt; denn unter solchen Umständen wird die Letztere mit dem Ammoniak des gleichzeitig entstehenden Nitrites sich ver- binden und aus diesem Salze die salpetrichte Säure aus- treiben. Einen Körper dieser Art haben wir im Phosphor, wel- cher bekanntlich bei seiner Verbrennung in atmosphärischer Luft zu Phosphorsäure oxidirt wird. Bildet sich nun bei der Verbrennung dieses Stoffes in wasserhaltiger atmosphä- rischer Luft wirklich einiges Ammoniaknitrit, so wird die unter diesen Umständen entstehende Phosphorsäure auch etwas Ammoniak enthalten müssen und die Erfahrung lehrt, dass dem wirklich so ist. Verbrennt man je auf einmal ein kleines Stückchen Phospbors innerhalb einer grossen mit atmosphärischer Luft gefüllten Glasglocke, die auf einem 356 mit reinem Wasser bedeckten Porcellanteller steht und wird diese Verbrennung so oft wiederholt, bis das Wasser des Tellers stark sauer geworden, so entbindet aus dieser Flüssigkeit das Kalihydrat noch deutlich nachweisbare Men- sen von Ammoniak. Rührt aber dieses an PO, gebundene Ammoniak von dem bei der Verbrennung aus wasserhalti- ger Luft gebildeten Ammoniaknitrit her, so wird NO; durch die Phosphorsäure als NO: und NO, ausgeschieden werden, spurweise wenigstens in der Glocke sich verbreitend. Und dem ist auch so, wie ich aus der Thatsache schliesse, dass ein mit Wasser benetzter Streifen Ozonpapieres, in dem obern Theile der Glocke aufgehangen, sich deutlich bläut, nachdem in derselben mehrere Male kleine Stückchen Phos- phor verbrannt worden sind. Wie man aber leicht ein- sieht, kann auch einem "Theile der unter diesen Umständen gebildeten salpetrichten Säure sein Sauerstofigehalt von dem in Verbrennung begriffenen Phosphor entzogen werden. Dass bei der langsamen Verbrennung des Phosphors in wasserhaltiger atmosphärischer Luft nicht nur ammoniak- haltige Phosphorsäure (man sehe meine frühern Mittheilun- gen), sondern auch unzersetztes Ammoniaknitrit erhalten wird, scheint mir eine leicht erklärliche Thatsache zu sein. Indem das Wasser, welches den in langsamer Verbrennung begriffenen Phosphor benetzt, als Dampf in die umgebende Luft tritt, findet wie bei jeder in der Atmosphäre erfolgenden Wasserverdampfung die Bildung des salpetrichtsauren Am- moniakes statt, welches Salz theils als weisser Qualm in dem Verbrennungsgefäss sich verbreitet und desshalb auch hier durch wasserhaltige Schwämme sich auffangen lässt, theils von dem den Phosphor umspülenden Wasser aufge- nommen wird, um aber sofort durch die in dieser Flüssig- keit vorhandene Phosphorsäure unter Ausscheidung von NO; wieder zersetzt zu werden, wie diess die Thatsache be- weist, dass die besagte Flüssigkeit, nachdem sie einige Zeit 397 mit dem langsam verbrennenden Phosphor in Berührung gestanden, den Jodkaliumkleister augenblicklich auf das Tiefste bläut und durch Kalihydrat nachweisbare Mengen von Ammoniak aus sich entbinden lässt. Auch ist klar, dass ein Theil der bei der raschen Verbrennung des Phosphors gebildeten Ammoniaknitrites durch die hiebei entstehende Hitze wieder zerstört werden muss, welcher ungünstige Umstand bei der langsamen Verbrennung nicht obwaltet. Bekanntlich fängt das in mancher Beziehung dem Phos- phor so ähnliche Arsen an, bei einer Temperatur von 200° in der atmosphärischen Luft langsam zu verbrennen und im Dunkeln zu leuchten. Meine Versuche zeigen nun, dass bei dieser Verbrennung merkliche Mengen Ammoniakes ge- bildet werden, wie aus folgenden Angaben erhellen wird Hat man ein haselnussgrosses Stück Arsens so stark erhitzt, dass es zu rauchen beginnt und den bekannten knoblauch- ähnlichen Geruch entwickelt, so bringe man dasselbe unter eine geräumige, mit atmosphärischer Luft gefüllte Glas- glocke, welche auf einen mit Wasser bedeckten Porcellan- teller gestellt wird. Da nach einiger Zeit diese Verbrennung ‚aufhört, so fache man dieselbe durch Erhitzung des Arsens immer wieder an und hat man sie auf diese Weise einige Stunden unterhalten, so wird das nun’ sauer reagirende Was- ser nicht nur arsenichte Säure nebst einiger Arsensäure, sondern auch noch nachweisbare Mengen Ammoniakes ent- halten, wie daraus erhellt, dass feuchtes Curcumapapier, in einem kleinen Fläschchen aufgehangen, in welchem das hesagte Wasser mit Kalihydrat zusammengebracht worden, bald auf das Stärkste sich bräunt, um beim Trocknen wie- der gelb zu werden u.s. w. NO; ist in dieser Flüssigkeit nicht enthalten, wie ich auch kein solches in der Verbren- nungsglocke auffinden konnte, woraus wahrscheinlich wird, dass dasselbe unmittelbar nach seiner Entstehung, sei es durch das verbrennende Metall selbst oder die entstandene 358 arsenichte Säure sofort wieder zerstört werde, womit auch die Bildung der kleinen Menge von Arsensäure zusammen- hängen dürfte, welche sich in der besagten Flüssigkeit vor- findet. Selbst der Schwefel scheint keine Ausnahme von der Regel zu machen; denn ich. finde in dem Wasser, über welchem derselbe in atmosphärischer Luft verbrannt wor- den, ausser SO, und kleinen Mengen SO; auch noch erkenn- bare Spuren von Ammoniak, wie ich letzteres auch spur- weise in aller englischen Schwefelsäure angetroffen, welche ich bis jetzt untersucht habe. Wenn nun den voranstehenden Angaben gemäss bei der Verbrennung so verschiedenartiger Materien in wasser- haltiger atmosphärischer Luft salpetrichtsaures Ammoniak entsteht, so wird es wohl kaum einem Zweifel unterworfen sein können, dass dieses Salz bei jeder Verbrennung, die unter den erwähnten Umständen stattfindet, erzeugt werde, wenn auch in manchen Fällen aus Nebengründen nur die Basis desselben zum Vorschein kommt. ich wiederhole jedoch, dass nach meinem Dafürhalten diese Nitritbildung mit der Verbrennung als solcher nichts zu thun habe und und jene nur durch die Verbrennungswärme begünstigt werde. Am Schlusse dieser Mittheilung dürfte es am Orte sein, noch einige chemischen Vorgänge zu besprechen, welche mir in engster Verknüpfung mit den oben beschriebenen Thatsachen zu stehen scheinen, wie auch aus den Letztern einige allgemeinen Folgerungen zu ziehen. Vor allem dürfte die sogenannte spontane Nitrification hieher gehören, wel- cher Vorgang noch weit davon entfernt ist, vollständig ver- standen zu sein. Die heutige Meinung der Chemiker geht bekanntlich dahin, dass die Salpetersäure der in der Natur vorkommenden Nitrate vorzugsweise aus der durch den at- mosphärischen Sauerstoff bewerkstelligten Oxidation des 399 “ von stickstoffhaltigen organischen Materien herrührenden Ammoniakes hervorgegangen sei und der Stickstoff der At- mosphäre mit der Nitrification nichts zu thun habe. Wenn es nun auch gewiss ist, dass aus Ammoniak salpetrichte Säure und Salpetersäure entstehen und dasselbe somit zur spontanen Nitrification beitragen kann, so berech- tiget die von mir ermittelte Thatsache, dass bei jeder in der atmosphärischen Luft stattfindenden Wasserverdampfung salpetrichtsaures Ammoniak entsteht, zu der Annahme, dass das in dieser Weise entstandene Salz bei der freiwilligen Salpeterbildung eine grosse — wohl die Hauptrolle spiele und dieser chemische Vorgang viel häufiger und umfangs- reicher sei, als man bisher geglaubt hat. Da es wohl keine Stelle auf der Erde gibt, wo nicht fortwährend Wasser in die atmosphärische Luft verdampfte, so muss den oben erwähnten Thatsachen zufolge auch über- all auf der Oberfläche der Erde salpetrichtsaures Ammo- niak gebildet werden, und trifft dieses Salz mit alkalischen Basen: Kali, Natron u. s. w. zusammen, so entsteht zunächst‘ Kalinitrit*) u. s. w., welche, der fortwährend ozonhaltigen Luft ausgesetzt, allmählig in Nitrate sich verwandeln. In unsern regenreichen Gegenden können natürlich diese Salze ihrer leichten Löslichkeit halber im Freien nicht merk- *) Ich finde das käufliche Kalihydrat, selbst wenn es für che- misch rein ausgegeben wird, in der Regel mit noch nachweisbaren Mengen Nitrites verunreiniget, eine Thatsache, welche ihren Grund ohne Zweifel in dem salpetrichtsauren Ammoniak hat, das sich immer bei der Verdampfung der Kalilösung an der Luft bildet. Um diesen Nitritgehalt nachzuweisen, löse man das zu prüfende Kalihydrat in Wasser auf, übersäuere dasselbe mit verdünnter chemisch reiner Schwe- felsäure und füge einige Tropfen Stärkekleisters zu. Sind in dem Kali auch nur Spuren von Nitrit enthalten, so wird sich das Gemisch noch deutlich bläuen, im Falle der Abwesenheit dieses Salzes aber farblos bleiben. 360 lich sich anhäufen, da sie nach Massgabe ibrer Bildung immer wieder vom atmosphärischen Wasser weggewaschen werden, woher es auch kommt, dass kaum ein Quell-, Fluss-, Seewasser u. s. w. angetroffen wird, in welchem nicht Spu- ‘ren eines Nitrates sich nachweisen liessen. Anders verhält es sich hiemit in tropischen Ländern, wie z. B. in einigen Theilen Ostindiens, wo Monate lang ununterbrochen trocke- nes Wetter herrscht und grosse Strecken eines lockern kalihaltigen Bodens sich befinden, mit welchen die rauhen Seiten der oben erwähnten aus Kaliglas bestehenden Deck- platten verglichen werden könnten. Desshalb ist es auch möglich, dass daselbst merkliche Mengen Salpeters, in der vorhin erwähnten Weise gebildet, so stark sich anhäufen, dass das Salz sich ausbeuten lässt, wie diess auch in Wirk- lichkeit geschieht. Versteht sich von selbst, dass unter ge- eigneten Umständen das bei der Wasserverdampfung gleich- zeitig mit der salpetrichten Säure entstehende Ammoniak ebenfalls zur Salpeterbildung beitragen und desshalb die Säure spontan gebildeter Nitrate einen doppelten Ursprung haben kann. Aus voranstehender Erörterung geht somit hervor, dass zer Bildung salpetersayrer Salze das Vorhandensein ammo- niakerzeugender Materien keineswegs eine „Conditio sine qua non“ sei, was mit der Thatsache im Einklange steht, - dass an gewissen Oertlichkeiten, wie z. B. in einigen Thei- len Bengalens, beträchtliche Mengen Kalisalpeters unter Umständen entstehen, welche die Annahme: es verdanke die Säure dieses Salzes ihren Ursprung stickstoffhaltigen organischen Substanzen, nach meinem Dafürhalten unzuläs- sig machen. D Die Frage, ob die Nitritbildung, welche bei der in at- mosphärischer Luft erfoigenden Verdampfung des Wassers stattfindet, eine praktische Anwendung zum Behufe der Sal- petererzeugung im Grossen gestatte, will ich vorerst noch 361 unerörtert lassen; bei der Wichtigkeit, welche namentlich die Salpetersäure und deren Kalisalz erlangt haben und in Betracht des Umstandes, dass Wasser und Luft, diese Quel- len jener Säure, nichts kosten, dürfte man aber wohl frü- her oder später ernsthaft daran denken, auf dem Wege der "Kunst ein Salz darzustellen, dessen Erzeugung man bisher der Natur überlassen musste und auf welchem ein wesent- licher Theil der heutigen Kriegsführung beruht. Ich kann nicht umhin, bei diesem Anlasse einer andern Thatsache zu gedenken, die bis jetzt noch ein chemisches Räthsel geblieben ist, sich aber nun nach meinem Ermessen leicht erklären lässt. Bekannt ist, dass in der Nähe von Vulkanen jeweilen Salmiak vorkommt unter Umständen, welche die Annahme ausschliessen, dass das Ammoniak . dieses Salzes” von organischen stickstoffhaltigen Materien abstamme, und beim letzten Ausbruch des Vesuvs hat Herr Deville an einigen Oertlichkeiten des besagten Berges wie- der Chlorammonium angetroffen. Wie ich glaube, enthalten die oben besprochenen That- sachen den Schlüssel zum Verständnisse des Vorkommens dieses Salzes in vulkanischer Nachbarschaft. Dass an man- chen Stellen des Vesuvs salzsaures Gas in merklicher Menge sich entwickelt, ist eine neuerdings wieder von dem vorhin genannten französischen . Gelehrten bestätigte Thatsache; auch fehlt es im Vulkan nicht an Wasser, das dampfförmig in die Luft tritt, wesshalb unter diesen Umständen salpet- richtsaures Ammoniak entstehen muss. Trifft nun mit die- sem Salze gasförmige Chlorwasserstoffsäure zusammen, ıso bildet sich selbstverständlich der Salmiak gerade so, wie er in Papierstreifen entsteht, welche, mit salzsäurehaltigem Wasser getränkt, einige Zeit über dem Dampfe gehangen, den man in einem offenen Gefässe durch Erhitzung des Wassers entwickelt. Eine gewiss nicht unwichtige Beziehung bietet die be- 24 362 sprochene Nitritbildung zur Pflanzenwelt dar. Es wird von den Chemikern jetzt wohl allgemein angenommen, dass der freie Stickstoff von den Pflanzen nicht aufgenommen wer- den könne und dieses Element in einem bestimmten Verbin- dungszustande sich befinden müsse, um aneignungsfähig zu sein und wie bekannt, betrachtet man vorzugsweise das Am- moniakals eine solche Stickstofiverbindung, zu welcher Manche auch noch die an eine Basis gebundene salpetrichte Säure und Salpetersäure zählen. Wenn nun dem wirklich so ist, so würde das bei der Wasserverdampfung entstehende Ammoniaknitrit durch seine Säure und Basis der Pflanze assimilirbaren Stickstoff darbieten. Da nun aus jedem le- benden Gewächs fortwährend Wasser in Berührung mit der atmosphärischen Luft verdampft, so ist dasselbe schon an und für sich ein Nitritbilder, d. h. bereitet sich selbst. wenig- stens einen Theil seiner Stickstoffaahrung, wozu noch kommt, dass auch der Boden, auf welchem die Pfianze steht, eine Bildungsstätte des Ammoniaksalzes ist. Ueberdiess wird ihr dasselbe noch durch das Regenwasser zugeführt, so dass es mir scheint, als ob jede Pflanze auf den bezeichneten Wegen mehr als genug aneignungsfähigen Stickstoff erhalte. Desshalb bin ich auch stark geneigt, meinem Freunde Lie- big Recht zu geben, wenn er behauptet, dass das Düngen nur der mineralischen Bestandtheile halber, welche die Cul- turpflanzen zu ihrer möglichst vollkommenen Ausbildung be- dürfen, nothwendig sei, nicht aber um dieselben auch noch mit Stickstoff zu versorgen. — Obgleich mir kein Urtheil über chemisch-physiologische Fragen zukommt, so will ich es doch wagen, eine Vermuthung über die Stickstoffnahrung der Pflanzen hier auszusprechen. Die Thatsache, dass das salpetrichtsaure Ammoniak eben so leicht’in Stickstoff und Wasser sich umsetzt, als es aus diesen beiden Materien gebildet wird, dürfte es wahrscheinlich machen, dass die Pflanzen den für sie nöthigen Stickstoff nur aus einer Quelle 363 nämlich aus dem Ammoniaknitrit schöpfen, welches Salz obigen Angaben gemäss unaufhörlich auf ihnen selbst, wie auch in ihrer unmittelbarer Nähe in Folge der Wasser- verdampfung erzeugt wird. Zur Umsetzung dieser Verbin- dung in N und HO, oder was auf das Gleiche hinausläuft, zur Entziehung des Stickstoffes des Salzes bedarf es einer Kraft geringer als diejenige, welche zur Zersetzung irgend eines andern Nitrites oder Nitrates, oder überhaupt einer stickstoffhaltigen Materie, welche bei der Ernährung der Pflanzen in Betracht kommen kann, erfordert wird. Um bildlich zu reden, haben dieselben desshalb im Ammoniak- nitrite die verdaulichste Stickstoffspeise, welche ihnen ge- boten werden kann oder brauchen sie sich am wenigsten anzustrengen, um aus dem genannten Salze das für sie nö- thige Element sich anzueignen. Ueberdiess ist bei der vorliegenden Frage auch hdch der Umstand der Berücksichtigung werth, dass nur Wasser als Rest bliebe, wenn die Pflanze dem salpetrichsauren Salze seinen Stickstoffgehalt entzöge, welches Wasser für sie völlig unschädlich oder selbst zur stofflichen Aneignung verwendbar sein würde. Es wäre somit auch in dieser Hin- sicht keine andere Stickstoffverbindung mit dem Ammoniak- nitrit als Stickstoffnahrung für die Pflanzenwelt vergleichbar. Wenn es nun mit der allgemeinen Annahme der Che- miker, dass die Pflanzen ihren Kohlenstoff nur aus der Kohlensäure und keiner andern kohlenstoffhaltigen Verbin- dung ziehen können, seine Richtigkeit hat, und ich sollte denken, dass sich nicht viel dagegen sagen liesse, so scheint es mir schon an und für sich wahrscheinlich zu sein, dass auch bezüglich des Stickstoffes eine ähnliche Beschränkung stattfinde, d. h. es auch nur eine einzige Verbindung gebe» welche die Pflanzen mit Stickstoff versorgen und aus den vorhin angegebenen Gründen dürfte diese Verbindung eben das Ammoniaknitrit sein. Da die Natur ihre Zwecke immer 24% 364 mit den einfachsten Mitteln zu erreichen weiss, so ist es auch sehr wohl möglich, dass die drei überall verbreiteten Materien: die Kohlensäure, das Wasser und das salpetricht- saure Ammoniak die einzigen Quellen sind, aus welchen die Pflanzen ihren ganzen Bedarf an Kohlenstoff, Wasser- stoff, Sauerstoff und Stickstoff beziehen. Wie dem aber auch sein möge, höchst wahrscheinlich ist, wo nicht gewiss, dass bei der Pflanzenernährung das Ammoniaknitrit, welches sich in Folge der Wasserverdampfung bildet, eine wichtige Rolle spiele. | VIT. Ueber das Verkommen des salpetrichtsauren Am- moniakes in thierischen Flüssigkeiten. . Meines Wissens ist bis jetzt noch in keiner thierischen Flüssigkeit irgend ein salpetrichtsaures Salz aufgefunden worden, ohne Zweifel schon desshalb, weil man kein sol- ches darin vermuthete, aber auch noch aus dem bisherigen Mangel gehörig empfindlicher und sicherer Reagentien auf die genannten Salze. Die Leichtigkeit, mit der, gemäss den in veranstehen- der Abhandlung‘ enthaltenen Angaben, das Ammoniaknitrit aus Wasser und atmosphärischem Stickstoff sich bildet, gab. der Vermuthung Raum, dass auch im Thierkörper dieses Salz entstehen dürfte und wie die im Nachstehenden be- schriebenen Thatsachen zeigen werden, verhält sich die Sache auch so. Zunächst will ich bemerken, dass bis jetzt-nur der menschliche Speichel und Nasenschleim von mir auf das besagte Ammoniaksalz geprüft worden sind und zunächst- mein eigener Körper das zu diesen Versuchen nöthige Ma- terial geliefert hat. = 365 Einige Gramme meines Speichels, mit einigen Tropfen verdünnter chemisch reiner Schwefelsäure versetzt, bläut in der Regel den Jodkaliumkleister rasch bis zur Undurch- sichtigkeit tief, ich darf aber nicht unerwähnt lassen, dass zu verschiedenen Zeiten diese Reaction verschieden stark ausfällt. So weit bis jetzt meine Beobachtungen reichen, kann ich sagen, dass der des Morgens von wir ergossene Speichel am stärksten und der abendliche am schwächsten sich bläut. Natürlich habe ich auch den Speichel anderer Personen verschiedenen Alters und Geschlechtes untersucht und gefunden, dass derselbe mit Bezug auf die Stärke der Bläuung des angesäuerten Jodkaliumkleisters sehr verschie- den-sich verhalte. Der Speichel der einen Personen brachte eine tiefe Färbung, derjenige anderer nur eine schwache oder auch wohl gar keine Wirkung hervor, so dass es scheint, der Nitritgehalt des Speichels sei nicht nur bei verschiedenen Individuen, sondern auch zu verschiedenen Zeiten bei einer und eben derselben Person verschieden. Da bekanntlich. der menschliche Speichel auch Rhodanka- lium enthält und angenommen wird, es sei darin die Menge dieses Salzes veränderlich, so könnte es sein, dass die be- sagte Verschiedenheit des Nitritgehaltes nur eine scheinbare wäre; denn ich finde, dass gelöstes Rhodankalium die wäss- rige Jodstärke entbläut, oder was das Gleiche ist, dass der Speichel, der den ungesäuerten Jodkaliumkleister für sich auf das Stärkste färbt, diess nicht mehr thut, wenn ihm vorher ein wenig Rhodankaliumlösung zugefügt worden, Möglicher Weise könnte der Gehalt des Speichels an bei- den Salzen in jedem Individuum einer Veränderung unter- worfen sein und also auch der Fall eintreten, dass in die- sem Secret entweder mehr oder gerade so viel Rhodan- kalium enthalten wäre als nöthig, die Wirkung des gleich- zeitig vorhandenen Nitrites auf den angesäuerten Jodkalium- 366 kleister aufzuheben, in welchen Fällen es den Anschein hätte, als ob gar kein Nirtrit im Speichel sich vorfände. Kaum ist nöthig ausdrücklich zu bemerken, dass ich die erwähnte Bläuung als eine Wirkung der salpetrichten Säure betrachte, welche durch die Schwefelsäure aus dem im Speichel enthaltenen Nitrit in Freiheit gesetzt wird. Was nun die Basis betrifft, an welche NO, in dieser Flüs- sigkeit gebunden ist, so kann wohl kaum daran gezweifelt werden, dass sie Ammoniak sei. ‘Wird nämlich ein Strei- fen befeuchteten Curcumapapieres in einem Fläschchen auf- gehangen, dessen Boden mit frischem Speichel und einem Stück Kalihydrates bedeckt ist, so wird er rasch tiefbraun gefärbt, um beim Trocknen wieder gelb zu werden, und führt man ein mit Salzsäure benetztes Glasstäbchen in das gleiche Gefäss ein, so bilden sich in augenfälligster Weise die wohl bekannten das Ammoniak kennzeichnenden Nebel. Aehnlich dem Speichel verhält sich der Nasenschleim, welcher mit angesäuertem Jodkaliumkleister zusammenge- rührt, ein bald tiefgebläutes Gemeng bildet und mit Kali- hydrat in Berührung gesetzt, noch nachweisbare Mengen Amoniakes entbindet. Möglicher Weise könnte auch der Harn schon merkliche Mengen Nitrites enthalten, ohne dass er desshalb den sonst so empfindlichen Jodkaliumkleister zu bläuen vermöchte; denn nach den Beobachtungen des. Herrn Pettenkofer, welche ich vollkommen bestätigen kann, besitzt der frisch gelassene Harn in einem ausgezeichneten Grade das Vermögen, die wässrige Jodstärke zu entfärben.- Mit andern Untersuchungen beschäftiget, habe ich nicht die Zeit gefunden, diesem Gegenstande weiter nachzugehen und darüber nur so viel ermittelt, dass mit einigem Kali ver- setzter Harn beim Eindampfen einen Rückstand liefert, aus welchem Schwefelsäure Dämpfe entwickelt, die den in sie gehaltenen Jodkaliumkleister noch tief bläuen und Indigo- papier bleichen, welche Wirkungen wohl von salpetrichter 367 Säure herrühren könnten. Es ist aber auch möglich, dass dieselben durch einen kleinen Nitratgehalt des Urins ver- anlasst würden, aus welchem Salze bei Anwesenheit alka- lischer Chlormetaile die Schwefelsäure freies Chlor und Un- tersalpetersäure entbindet. Wahrscheinlich findet sich im Schweiss ebenfalls Ammoniaknitrit, vor. Ob das Vorkommen des Ammoniaknitrites in den ge- nannten thierischen Flüssigkeiten irgend welche physiolo- gische Bedeutung habe, darüber sieht mir kein Urtheil zu und eben so wenig darf ich mir die Beantwortung der Frage erlauben, welchen Ursprung dieses salpetrichtsaure Am- moniak habe. Möglich ist, dass das genannte Salz, wie diess in so vielen andern Fällen geschieht, ganz einfach aus Wasser und atmosphärischem Stickstoffe hervorgeht, möglich, dass es in anderer Weise entsteht, obwohl ich ge- neigt bin, das Erstere für das Wahrscheinlichste zu halten. Nachträgliche Angaben über die Bildung alkali- scher Nitrite. In dem voranstehenden Aufsatze „Ueber die Bildung des salpetrichtsauren Ammoniakes u. s. w.“ ist schon er- wähnt worden, dass bei der Verdampfung kalihaltigen Wassers in der atmosphärischen Luft Kalinitrit sich bilde und obwohl die Sache selbstverständlich ist, will ich nach-, träglich doch noch bemerken, dass beim Trocknen ange- feuchteten Kalihydrates oder der Kalkmilch in freier Luft salpetrichtsaur er Kalk entsteht. Selbst in dem gebrannten Kalke, den man in der Luft zerfallen lässt, finden sich - nachweisbare Mengen des genannten Salzes vor und zwar um so grössere, wenn auch an sich sehr klein, je länger derselbe an der freien Luft gestanden hat. Versteht sich von selbst, dass die salpetrichte Säure dieses Nitrites aus dem salpetricltsauren Ammoniak herstammt, welches sich bei der Verdampfung des Wassers gebildet. m gom— Rose aie N | s BA NT 2 Lo AL Ir 7: | Be * 2. rai 1h ty a \ & ic | Kit na in rats +. 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Ueber das Vorkommen salpetricht- und salpeter- saurer Salze in der Pflanzenwelt. Die Ergebnisse meiner Untersuchungen über die Bil- dung der Nitrite und namentlich des salpetrichtsauren Am- moniakes liessen mich vermuthen, dass diese Salze auch in der Pflanzenwelt vorkommen würden, und die darüber an- gestellten Versuche haben die Richtigkeit einer solchen Vermuthung ausser Zweifel gestellt. Unter allen von mir bis jetzt untersuchten Pflanzen zeichnet sich das Leontodon taraxacum durch seinen Nitrit- gehalt ganz besonders aus, wesshalb auch von ihm zuerst die Rede sein soll. Ein Gewichtstheil der frisch gepflück- ten und zerquetschten Blätter dieser Pflanze mit 100 Thei- len reinen Wassers zusammen gestampft, ertheilt dieser Flüs- sigkeit die Eigenschaft, den mit SO; schwach angesäuerten Jodkaliumkleister auf das Tiefste zu bläuen. Auch die frischen 25* 372 Blätter von Lactuca sativa; Senecio vulgaris und erucæfo- lius; Lapsana communis; Sonchus oleraceus; Dactylis glom- merata; Plantago major; Mentha piperita; Thymus serpyl- lum; Echium vulgare; Menispernum canadense; Magnolia obovata, discolor, yulan, glauca, macrophylla; Paulonia; Syringa vulgaris und vieler andern Pflanzen mehr liefern wässrige Auszüge, welche den angesäuerter Jodkaliumklei- ster sofort bläuen. Sehr viele der verschiedenartigsten Gewächse sind so, dass der wässrige Auszug ihrer Blätter den besagten Klei- ster nicht im Mindesten bläut, aber bei längerem Stehen oder Maceriren mit den zerquetschten Blättern diese Eigen- schaft in einem ausgezeichneten Grade erlangt. Als typisch hiefür können die frischen Blätter der Spinatia oleracea gelten, welche, klein zerhackt und mit Wasser 12—24 Stun- den zusammengestellt, einen wässrigen Auszug liefern, wel- cher den gesäuerten Jodkaliumkleister augenblicklich bis zur Undurchsichtigkeit tief bläut. In ähnlicher Weise ver- halten sich die Blätter von Datura stramonium; Hyoscia- mus niger; Conium maculatum; Nicotiana tabacum; Helian- thus annuus; Papaver somniferum; Aristolochia sypho ; Poa annua; Daucus carota; Beta vulgaris (Mangold) und hundert anderer Pflanzen mehr, welche zerquetscht und mit Was- ser 12—24 Stunden bei gewöhnlicher Temperatur macerirt, tief bläuende Auszüge liefern. Eine dritte und ebenfalls zahlreiche Gruppe von Pflan- zen liefert Blätter, deren wässrige Auszüge ohne voraus- gegangene Maceration den angesäuerten Jodkaliumkleister bläuen, diese Eigenschaft aber bald einbüssen, um sie jedoch bei längerer Maceration in einem noch viel höhern Grade wieder zu erlangen. Beispiele hievon sind die Blätter der Urtica dioica: Lactuca sativa; Sonchus oleraceus u. a. m. Stösst man die Blätter der Urtica mit Wasser zusammen ‘und wird der erhaltene Auszug unverweilt mit angesäuer- Î 373 tem Jodkaliumkleister versetzt, so bläut sich das Gemisch augenblicklich; lässt man aber den Saft kaum eine Minute lang mit den zerquetschten Blättern zusammen stehen, so hat er schon sein Bläuungsvermögen verloren, um dasselbe jedoch nach mehrstündiger Maceration abermals zu erlan- sen. Ganz so verhalten sich die Blätter der Lactuca sa- tiva, deren wässriger Auszug die gleichen Veränderungen etwas langsamer erleidet. Was nun das Verhalten der Wurzel, des Stengels, Blattstieles und der Blüthe einer und eben derselben Pflanze betrifft, so ist dasselbe nicht selten gleich demjenigen ihrer Blätter, wovon Leontodon taraxacum als Beispiel gelten kann, deren sämmtliche Pflanzentheile stark bläuende wäss- rige Auszüge liefern. Nicht selten tritt aber auch der Fall ein, dass der eine Pflanzentheil anders als die übrigen sich verhält, wie z. B. Wurzel, Stengel und Blüthe von Origa- num vulgare oder Verbena officinalis bläuende Auszüge liefern und die Blätter dieser Pflanzen es nicht thun, und bei Datura stramonium ist es nur der noch grüne Stech- apfel, von dem ein solcher Auszug erhalten wird. Aehn- liche Verhältnisse zeigen die Pflanzen, deren wässriger Blätterauszug erst durch längere Maceration das Bläuungs- vermögen erlangen, d.h. nitrithaltig werden. Wurzel, Sten- gel u. s. w. von Beta vulgaris sind in diesem Falle. Die getrockneten Blätter mancher Gewächse liefern eben.$o gut bläuende Auszüge, als diess die grünen than, wie z. B. diejenigen von Leontodon, Dactylis glomerata u. a. m.; doch gibt es auch Pflanzen, deren Blätter ihren Nitritgehalt durch das Trocknen verlieren, wie z. B. die- jenigen der Magnolien, Paulonia u. s. w. Frische Pflanzen- theile, welche erst durch Maceration bläuende Auszüge ge- ben, besitzen diese Eigenschaft auch im getrockneten Zu- stande, wie uns hievon wieder Wurzel, Stengel, Blatt u. Ss. w. von Beta vulgaris ein Beispiel liefern. 374 Der Nitritgehalt oder, was das gleiche ist, das Bläuungs- vermögen der wässrigen Pflanzenauszüge geht in der Regel ohne äusseres Zuthun verloren, sei es, dass man dieselben sich selbst überlässt oder mit den Pfianzentheilen, aus wel- chen sie erhalten worden, längere Zeit zusammen stehen lässt. Der wässrige Auszug der frischen Blätter von Leon- todon taraxacum, bei gewöhnlicher Temperatur nur wenige Stunden sich selbst überlassen, wird den angesäuerten Jod- kaliumkleister nicht mehr bläuen. In der Siedhitze verliert der Saft sein Bläuungsvermögen beinahe augenblicklich, welche Veränderung auch die stark bläuenden Auszüge vie- ler andern Pflanzen erleiden. Der Saft der Blätter von Spinatia oleracea, durch Maceration biäuend geworden, ver- liert diese Eigenschaft ebenfalls wieder durch längeres Zu- sammenstehen mit der Blattsubstanz, und es ist hier die Bemerkung am Orte, dass durchschnittlich genommen die wässrigen und durch Maceration bläuend gewordenen Blät- terauszüge rascher ihr Bläuungsvermögen einbüssen, als diess die Auszüge anderer Theile der gleichen Pflanze thun. So z. B. wird der wässrige Auszug der Stengel von Hyos- ciamus niger, der schon manche Wochen alt ist, immer noch durch den gesäuerten Jodkaliumkleister gebläut, wäh- rend derjenige der Blätter schon nach wenigen Tagen sein Bläuungsvermögen eingebüsst hatte. Doch gibt es auch Ausnahmen von dieser Regel, wovon uns die Datura stra- monium ein Beispiel liefert, deren Blätter und Stengel durch Maceration Auszüge geben, welche, obwohl einen Monat alt, den gesäuerten Kleister noch immer gleich stark bläuen. Es unterliegt keinem Zweifel, dass die Eigenschaft der erwähnten Pflanzenauszüge den angesäuerten Jodkalium- kleister zu bläuen, einem Nitritgehalte derselben beizumes- sen ist, von dem ich mich durch zahlreiche Versuche auf das Genügendste überzeugt habe. Und aus der Thatsache, dass die Auszüge der einen Pflanzen sofort, diejenigen an- 375 derer erst nach längerer Maceration Bläuungsvermögen zei- gen, darf man schliessen, dass in jenen Pflanzen irgend ein Nitrit schon fertig gebildet vorhanden sei, wie z. B. in den Blättern, Stengeln u. s. w. des Leontodon, in diesen Ge- wächsen aber durch Maceration entstehe, wie uns hiefür die Blätter von Poa annua, Hyosciamus u. s. w. ein Bei- spiel liefern. Woher kommt aber das salpetrichtsaure Salz im letz- tern Falle? Ohne allen Zweifel aus den Nitraten, welche in den Blättern, Stengelu u. s. w. vieler Pflanzen enthalten sind und durch die gleichzeitig vorhandenen organischen Materien während der Maceration zu Nitriten redueirt wer- den, eine Wirkung, die nach meinen frühern Untersuchungen unorganische und organische Stoffe, z. B. Zink, Kadmium, Stärke, Eiweiss, Leim u. s. w. auf die gelösten Nitrate her- vorzubringen vermögen. Die schon etwas zäh gewordenen Stengel der in Saa- men geschossenen Beta vulgaris oder Urtica dioica sind ganz besonders geeignet, über die fragliche Entstehungs- weise der Nitrite uns Aufschluss zu geben, welche Stengel, klein zerschnitten und nur kurze Zeit mit Wasser zusam- men gestanden, einen Auszug liefern, der für sich allein den angesäuerten Jodkaliumkleister nicht im Mindesten bläut, diese Reaction aber hervorbringt, nachdem man ihn bei ge- wöhnlicher Temperatur nur kurze Zeit mit Zink- oder Kad- miumspähnen hat in Berührung stehen lassen. Beinahe au- genblicklich erfolgt die Bläuung des Auszuges durch den Jodkaliumkleister, wenn jener erst angesäuert und mit Zink in Berührung gesetzt wird, auf welche Weise in einer grossen Anzahi von Pflanzen die Anwesenheit von Nitraten sich sehr leicht nachweisen lässt, Kaum dürfte es nöthig sein, ausdrücklich zu bemerken, dass die wässrigen Auszüge der trockenen Stengel u. Ss. w. von Beta vulgaris u. s. w. durch längere Maceration nitrit- 376 haltig werden. Da nach meinen Erfahrungen die genannten Metalle ungleich rascher redueirend auf die gelösten Ni- trate einwirken, als diess organische Materien zu thun ver- mögen, so begreift sich leicht, dass jene so rasch dem Auszuge der Betastengel die Eigenschaft ertheilen, den an- gesäuerten Jodkaliumkleister zu bläuen und eine ungleich längere Zeit erforderlich ist, damit das in dem besagten Auszug enthaltene Nitrat durch die darin vorhandenen or- ganischen Materien zu Nitrit reducirt wird. Wie erklärt sich aber das Verschwinden der Nitrite in den Pflanzensäften bei längerem Stehen? Dass diese Salze durch unorganische und organische Substanzen zer- stört werden, habe ich früher schon angegeben. Da nun in den besagten Säften mancherlei organische Materien ent- halten sind, so werden dieselben auch reducirend auf das vorhandene Nitrit einwirken, und selbstverständlich muss nach vollständiger Zerstörung dieses Salzes auch der Pflan- zensaft die Eigenschaft verloren haben, den angesäuerten Jodkaliumkleister zu bläuen. Ist aber in dem gleichen Safte neben dem schon fertig gebildeten Nitrit auch noch ein Nitrat vorhanden, wie z. B. in den Blättern der Urtica dioica, so verwandelt sich während der Maceration dieses Salz allmählig in Nitrit in Folge der fortdauernd reduci- renden Wirkung der anwesenden organischen Materien, welches Salz bei hinreichend lang fortgesetzter Maceration ebenfalls wieder zerstört wird. In vielen Fällen ist zu diesem Behufe nicht einmal eine längere Maceration der Blattsubstanz u. s. w. mit dem wäss- rigen Auszuge derselben nöthig und enthält diese, auch wenn klar filtrirt, schon so viel reducirende Materie ge- löst, dass dieselbe nicht nur zur Umwandlung des Nitrates in Nitrit, sondern auch zur Zerstörung des letztern voll- kommen hinreicht, in welchem Falle sich z. B. der wäss- rige Auszug der Blätter von Poa annua, Hyosciamus u. S. w. 377 befinden. Es ist weiter oben bemerkt, dass in der Regel die Blätterauszüge rascher als diejenigen der Stengel, Wur- zeln u. s. w. ihren Nitritgehalt verlieren, welche Verschie- denheit des Verhaltens dem Umstande beizumessen ist, dass die erstern durchschnittlich reicher als die letztern an re- ducirenden organischen Materien sind. Mit diesem Unter- schiede hängt ohne Zweifel auch die Thatsache zusammen, dass die Stengelauszüge in der Regel schwächer als die- jenigen der Blätter gefärbt sind und jene mit der Zeit auch weniger stark sich färben und trüben, als es diese thun Es fragt sich nun, an welche Basen NO, oder NO; in den. Pflanzen gebunden ist. Bei der an und für sich ge- ringen Menge der darin vorhandenen Kitrite und Nitrate und den vielartigen organischen Materien und sonstigen Säuren, welche gleichzeitig in den Pflanzensäften vorkem- men, ist die Beantwortung dieser Frage nicht so leicht und bis jetzt weiss ich nur folgendes darüber zu sagen. Alle bis jetzt von mir untersuchten nitrit- oder nitrathaltigen Pflanzenauszüge enthalten noch nachweisbare Mengen von Ammoniak, wie ich daraus schliesse, dass dieselben in ei- nem kleinen Fläschchen mit Kalihydrat zusammen gebracht, darüber aufgehangenes feuchtes Curcumapapier allmählig : bräunen, oder einen mit farbloser Hämatoxylinlösung ge- tränkten Papierstreifen violett färben. Je nach der Pflan- zenart, aus welcher ein solcher Auszug stammt, sind die erwähnten Ammoniakreactionen stärker oder schwächer. So z. B zeigt der wässrige Auszug der Blätter des Leon- todon eine merklich schwächere Reaction, als derjenige der Blätter oder Stengel von Beta vulgaris. Manche nitrit- oder nitrathaltige und klar abfiltrirte ‘ Pflanzensäfte trüben sich mit kleesaurem Ammoniak nicht im mindesten, während andere Säfte damit einen mehr oder minder reichlichen in Salzsäure löslichen Niederschlag ge- ben, woraus erhellt, dass die erstern frei von Kalk sind 378 und die letztern diese Basis enthalten. Der wässrige Aus- zug von Beta vulgaris liefert ein Beispiel der ersten, der- _jenige der Blätter des Leontodon oder der Dactylis glo- merata ein Beispiel der zweiten Art. Es ist daher möglich, dass NO; und NO, sowohl an Ammoniak als an Kalk oder auch noch andere Basen, z. B. an Kali, Natron u. s. w. ge- bunden sind, worüber weitere Untersuchungen uns Auf- schluss geben werden. Mit Bezug auf die vorliegende Frage scheint mir die Thatsache beachtenswerth zu sein, dass die Blätter u. s. w. mancher Pflanzen, welche schon fertiges Nitrit enthalten, d. h. deren wässrige Auszüge ohne vorausgegangene Ma- ceration den angesäuerten Jodkaliumkleister bläuen, auch im getrockneten Zustand einen Auszug liefern, welcher die Nitritreaction noch in augenfälligster Weise hervorbringt, wie es z. B. derjenige der getrockneten Blätter des Leon- todon thut. Ich will jedoch nicht unbemerkt lassen, dass Auszüge aus gleichen Mengen Leontodonblättern (auf deren Gehalt an festen Bestandtheilen bezogen) mit den gleichen Mengen Wassers erhalten, der eine aus frischen, der an- dere aus dürren Blättern, nieht gleich stark durch den an- gesäuerten Jodkaliumkleister gebläut werden: es bringt nem- lich der erstere Auszug diese Nitritreaction stärker hervor, als diess der zweite thut, was anzudeuten scheint, dass während des Trocknens der Blätter ein Theil des darin enthaltenen Nitrites verloren geht, welche Einbusse viel- leicht von verdampftem salpetrichtsauren Ammoniak her- rührt. Nach meinen Beobachtungen verflüchtigt sich dieses Salz schon bei gewöhnlicher Temperatur, wie daraus her- vorgeht, dass ein mit seiner wässrigen Lösung getränkter Papierstreifen nach vollständigem Austrocknen kaum eine Spur von Ammoniaknitrit mehr enthält. Würde also in den grünen Blättern des Leontodon oder irgend einer andern Pflanze dieses Salz enthalten sein, so müsste es sich wäh- 379 rend des Trocknens verflüchtigen, wogegen die Nitrite mit fixer Basis, z. B. Kalk, Kali u. s. w. in den Blättern zu- rück bleiben und desshalb aus den getrockneten Pflanzen- theilen sich ausziehen lassen. Wenn nun obigen Angaben gemäss auch in den Blät- tern, Stengeln u. s. w. vieler äusserst verschiedenartigen Pflanzen Nitrite oder Nitrate, ja nicht selten beide Salzarten gleichzeitig angetroffen werden, so habe ich sie doch in vielen Gewächsen bis jetzt noch nicht auffinden können, was allerdings die Abwesenheit derselben noch nicht be- weist; denn möglicher Weise könnte in derartigen Pflan- zen eine so grosse Menge reducirender Materien enthalten sein, dass dadurch die Reaction des gleichzeitig darin vor- handenen Nitrites gänzlich verhüilt, also ihr Saft den an- gesäuerten Jodkaliumkleister nicht bläuen würde. Zu den vielen von mir untersuchten Pflanzen, deren Blätterauszug keine Nitritreaction hervorbringt, gehört z. B. Cataipa, Can- nabis u.s. w. Weder der frische noch der durch Macera- tion erhaltene wässrige Auszug der grünen Blätter der Catalpa vermag den angesäuerten Jodkaliumkieisier zu bläuen; ja der frische Saft derselben besitzt die Eigen- schaft, wässrige Jodstärke zu entfärben, welches Verhal- ten die Anwesenheit einer merklichen Menge redueirender Substanzen beweist. Von den frischen Blättern des Leon- todon ist weiter oben angegeben worden, dass ein Theii derselben, mit 100 Theilen Wassers zusammen gestossen, einen Auszug liefert, welcher *0:-haltigen Jodkaliumklei- ster noch bis zur Undurchsichtigkeit tief bläue, was also auf einen schon merklichen Nitritgehals dieser Blätter schlies- sen lässt. Wird nun ein Theil derselben mit einem Theile der frischen Blätter von Catalpa und 100 Theilen Wassers zusammen gestampft, so erhält man einen Auszug, welcher die Nitritreaction nicht im mindesten mehr zeigt, zum Be- weise, dass die in dem Catalpablatte vorhandenen reduci- 380 renden Materien hinreichen, die Reaction des Nitrites, ert- halten in einer gleichen Menge Leontodonblättern, völlig aufzuheben. Hieraus ersieht man aber auch, dass die Blät- ter der Catalpa eben so viel Nitrit als diejenigen des Leon- todon enthalten könnten, ohne dass desshalb ihr wässriger Auszug den angesäuerten Jodkaliumkleister zu bläuen ver- möchte. Wie also das Blatt der Catalpa nitrithaltig sein könnte, so auch die Blätter u. s. w. der übrigen Pflanzen, in welchen sich bis jetzt noch kein salpetrichtsaures Salz mit den uns zu Gebot stehenden Mitteln hat nachweisen lassen. £ben so wäre-es recht wohl möglich, dass derartige Pflanzen auch Nitrate enthielten, ohne dass sie selbst durch längere Maceration Auszüge lieferten, in welchen sich Ni- trite erkennen liessen, da es leicht geschehen könnte, dass die durch die Reduction kleiner Mengen von Nitraten ent- stehenden Nitrite in Folge der stark desoxidirenden Ein- wirkung der vorhandenen organischen Materien nach Mass- gabe ihrer Bildung auch sofort wieder zerstört würden. Durch Maceration der frischen Blätter von Solanum tube- rosum habe ich bis jetzt noch keinen nitrithaltigen Auszug erhalten können, wohl aber durch diejenige der Stengel dieser Pflanze, und da in so vielen Fällen die verschiede- nen Theile einer Pflanze, namentlich Blätter und Stengel, sich gleich verhalten, so ist wahrscheinlich, dass wie der Stengel, so auch das Blatt der Kartoffel nitrathaltig sei; welches Salz jedoch, nur in kleiner Menge vorhanden, durch die reichlich im Blattsafte enthaltenen redueirenden Mate- rien sehr rasch zerstört wird, während in dem Auszuge der Stengel, ärmer an desoxidirenden Substanzen, das in Folge ihrer Einwirkung auf das vorhandene Nitrat ent- standene Nitrit durch unser Reagens sich noch nachweisen lässt. In dieser Hinsicht ist auch das Verhalten der Blätter 331 der Paulonia bemerkenswerth, welche erwähntermaassen im frischen Zustand ohne vorausgegangene Maceration ei- nen nitrithaltigen Auszug liefern, der aber, wie so viele andere Säfte, durch längeres Stehen diesen Salzgehalt wie- der verliert, ohne ihn durch fortgesetztes Maceriren mit der Blättersubstanz wieder zu erlangen. Beim Ausziehen der gleichen aber getrockneten Blätter erhält man jedoch eine Flüssigkeit, welche, mit angesäuertem Jodkaliumklei- ster und Zinkspähnen zusammen gebracht, sich bald bläut, was die Anwesenheit eines Nitrates in den besagten Blät- tern beweist. Wie es scheint, werden beim Trocknen die- ses Blattes die in ihm vorhandenen reducirenden Materien so verändert, dass sie weniger leicht auf das vorhandene Nitrat desoxidirend einwirken, wesshalb dasselbe sich mit- telst des Zinkes noch nachweisen lässt. ich bin desshalb geneigt anzunehmen, dass kleine Mengen von Nitriten und Nitraten wohl keiner Landpflanze fehlen dürften und nur der Unvollkommenheit unserer jetzigen Untersuchungsmittel es zuzuschreiben sei, dass wir diese Salze in so vielen Pflanzen noch nicht haben entdecken können. Bei diesem Anlass kann ich nicht umhin noch einer Thatsache zu er- wähnen, welche mir in naher Beziehung zu der eben be- sprochenen Frage zu stehen scheint, die Thatsache nem- lich, dass ich noch keinen Pfianzensaft untersucht habe, in welchem sich nicht noch deutliche Spuren von Ammoniak hätten nachweisen lassen. ! Wie bereits angedeutet worden, halte ich dafür, dass die Anwesenheit von Nitriten und Nitraten in wässrigen Pflanzenauszügen eine Rolle bei den Zersetzungen spiele, welche diese Flüssigkeiten selbst bei gewöhnlicher Tem- peratur erleiden und wohl könnte es sein, dass die ge- nannten Salze als oxidirende Agentien den ersten Anstoss zu diesen Veränderungen geben. Indem nemlich das Nitrit oder Nitrat an diese oder jene im Pfianzensafte vorhandene 382 organische Materie Sauerstoff abgibt, muss auch der che- mische Bestand einer solchen Substanz verändert werden, d. h. müssen neue Verbindungen entstehen, die ihrerseits selbst wieder Anlass zu weitern Zersetzungen der vor- handenen organischen Stoffe geben können. "Dass eine genauere Kenntniss dieser Vorgänge, über welche wir bis jetzt noch so viel als nichts wissen, eine nicht geringe theoretische Wichtigkeit hätte, versteht sich von selbst. Trotz der Lückenhaftigkeit der voranstehenden Arbeit habe ich sie dennoch veröffentlicht, und zwar in der Ab- sicht, jüngere Chemiker, die zugleich Botaniker sind und denen ein grosses Pflanzenmaterial zu Gebot steht, dadurch zu einer umfangsreichern Untersuchung über das Vorkom- men von Nitriten und Nitraten zu veranlassen, und im In- teresse der Wissenschaft wünsche ich sehr, dass bald eine bernfene Hand zu einer solchen Arbeit sich finde. IL. Weitere Beiträge zur nähern Kenntniss des Jodes, Bromes und Chlores. Wie vollständig auch unsere Kenntnisse über das Ver- halten der genannten Stoffe zu den übrigen einfachen und zusammengesetzten, namentlich unorganischen Körpern zu sein scheinen, so dürfen sie doch noch keineswegs als er- schöpfend betrachtet werden. Schon vor einiger Zeit (siehe das letzte Heft dieser Verhandlungen) habe ich eine Reihe diese Salzbildner betreffender neuen, zum Theil sehr räth- selhaften Thatsachen ermittelt, und in nachstehenden Mit- theilungen wird von weitern Reactionen derselben die Rede sein, welche nicht minder sonderbar und beachtenswerth sind. 383 Jod. Hundert Raumtheile gesättister wässrigen Jod- lösung mit drei Raumtheilen (bei gewöhnlicher Temperatur) gesättigter Sublimatlösung versetzt, liefern ein Gemisch, welches noch merklich stark gelbbraun gefärbt ist, deut- lich nach Jod riecht und aus dem dieser Körper auch schon bei gewöhnlicher Temperatur verdampft, wie aus der ziem- lich rasch erfolgenden Bläuung eines mit Stärkekleister be- hafteten Papierstreifens erhellt, den man in einem Gefäss über dem besagten Gemisch aufhängt. Ob nun gleich aus einem solchen Verhalten hervorzugehen scheint, dass in unserer Flüssigkeit noch freies Jod vorhanden sei, so ver- mag dieselbe den damit vermischten Kleister doch nicht im mindesten mehr zu bläuen. Fügt man aber dem stärkehal- tigen Gemische Chlor-, Brom- oder Jodwasserstoffsäure zu, so erfolgt augenblicklich tiefste Bläuung desselben, wie auch eine gleiche Wirkung die löslichen Haloidsalze des Chlores, Bromes und Jodes hervorbringen, z. B. diejenigen des Ammoniums, Kaliums, Natriums, Calciums, Zinkes, Ei- sens u. s. w. Die Sauerstoffsäuren und deren Salze, z. B. Schwefelsäure, Salpetersäure oder Natronsulfat oder Kali- nitrat lassen das kleisterhaltige Gemisch ungebläut. Schon 1—2%, Sublimatlösung derjenigen des Jodes beigefügt, be- rauben die letztere der Fähigkeit, den Kleister zu bläuen, obwohl bei diesen Mischungsverhältnissen das stärkehaltige Gemisch bald eine violette Färbung annimmt. Ich will nicht unerwähnt lassen, dass das Quecksilber- chlorid auf die Jodlösung einen entfärbenden Einfluss aus- übt, obwohl in einem schwachen Grade, wie daraus zu er- sehen, dass 100 Raumtheile Jodwassers 52 Raumtheile Sublimatlösung zur vollständigen Entfärbung erfordern. Selbstverständlich vermag ein derartiges Gemisch den Stärke- kleister ebenfalls nicht mehr zu bläuen; verhältnissmässig viel festes Chlorkalium, Kochsalz oder Bromkalium zum kleisterhaltigen Gemisch gefügt, verursachen jedoch bald 384 eine tiefe Bläuung, wie diess auch die Chlor- oder Brom- wasserstoffsäure thut. Wird zu dem mit Jod gesättigten Wasser, welches 3 % Sublimatlösung enthält verhältniss- mässig nur wenig Wasserstoffsuperoxid gefügt, so vermag ein solches Gemisch auch unter Beihülfe der löslichen Chlor- oder Brommetalle den Kleister nicht mehr zu bläuen, wohl aber mittelst der Jodmetalle, z. B. des Jodkaliums. Die Wasserstoffsäuren des Chlores, Bromes und Jodes ver- ursachen jedoch augenblicklich die stärkste Bläuung, nicht aber die Sauerstofisäuren, z. B. SO, für sich allein; sie thun diess aber unter der gleichzeitigen Mitwirkung der löslichen Chlor- und Brommetalle. Auch die gelösten Hy- pochlorite, sowie Chlor- und Bromwasser, bewirken bei Anwesenheit von Chlor- und Brommetallen eine tiefe Bläu- ung, falls jene Substanzen nicht im Ueberschusse angewen- det werden. Noch ist hier zu erwähnen, dass HO; nur in verhältnissmässig kleiner Menge zu der besagten sublimat- haltigen und noch merklich stark gelbbraun gefärbten Jod- lösung gefügt, diese vollständig entfärbt und geruchlos macht. Aehnlich der Sublimatlösung wirkt auch diejenige des salpetersauren Quecksilberoxides auf die wässrige Lösung ein; es bestehen jedoch zwischen dem Verhalten beider Salze einige Unterschiede, welche nicht unerwähnt bleiben dürfen; vorerst sei aber bemerkt, dass die zu meinen Ver- suchen angewendete Quecksilbersalzlösung 20 % HgO ent- hielt. Hundert Gramme der gesättigten Jodlôsung erfordern _ zu ihrer vollständigen Entfärbung nicht mehr als zwei Tro- pfen der besagten Quecksilberlösung, woraus erhellt, dass dieselbe ungleich stärker entfärbend auf das Jodwasser ein- wirkt, als diess die Sublimatlösung thut. Das so erhaltene Gemisch ist anfänglich vollkommen klar; es scheiden sich jedoch aus ihm nach und nach winzige Mengen Quecksilber- 339 jodides aus, bald in der rothen, bald gelben Beschaffenheit und nicht selten ‘auch beide Modifcationen gleichzeitig ne- ben einander auf, so dass man ein Gemeng gelber und ro- ther Kryställchen erhält; wozu ich noch bemerken will, dass das gelbe Jodid nicht von selbsten, sondern nur durch Druck in das rothe übergeführt wird. Die durch das Quecksilberoxidnitrat vollständig ent- färbte Jodlösung bläut für sich den Kleister nicht im min- desten, thut diess jedoch plötzlich und in augenfälligster Weise unter Mitwirkung sowohl der löslichen Haloidsalze des Chlores, Bromes und Jodes, als auch der Wasserstoff-. säuren dieser Salzbildner, während die Sauerstoffsäuren und deren Salze ohne alle Wirkung auf das Gemisch sind, wie z. B. die Schwefelsäure und das Glaubersalz. Bei ge- wöhnlicher Temperatur verliert jedoch das Gemisch nach einigen Stunden, bei der Siedhitze des Wassers schon in wenigen Minuten die Fähigkeit, unter Beihülfe der löslichen Chlormetalle den Kleister zu bläuen, während die Jod- metalle (Jodkalium) im stärksten Grade, die Brommetalle in schwächerm diese Wirkung immer noch hervorbringen, so wie auch noch eine Bläuung durch die Wasserstoffsäu- ren des Chlores, Bromes und Jodes, oder durch die Sauer- stoffsäuren bei Anwesenheit von Chlormetallen, z. B. Koch- salz, verursacht wird. Die durch unser Quecksilbernitrat entfärbte Jodlösung in ihrem frischen Zustande mit Wasserstoffsuperoxid ver- mischt, bläut den Kleister unter Mitwirkung der Chlor- und Brommetalle ebenfalls nicht mehr, thut diess aber wohl noch mit Hülfe der Jodmetalle und derjenigen Mittel, durch welche die HgCI- und HO,-haltige Jodlösung wieder be- fähiget wird, den Stärkekleister zu bläuen. Noch muss ich bemerken, dass die Lösung des essigsauren Quecksilber- oxides durchaus wie diejenige des Nitrates sich verhält, d. h. gleiche Mengen der Lösungen beider Salze von glei- 26 386 chem Procentgehalt an HgO auch die gleichen Mengen ge- sättigter Jodlösung entfärben. Auch verdient noch erwähnt zu werden, dass das Am- moniak aus der durch diese Salze entfärbten Jodlösung eine rothbraune Substanz niederschlägt, welche ich noch nicht weiter untersucht habe und von der ich glaube, dass sie aus einem basischen Qaecksilbersalze, Quecksilberamid und Jodquecksilber zusammengesetzt sein dürfte. Wird zu gesättigter Jodlösung so viel gelöstes Kali gefügt, dass jene Flüssigkeit nicht bloss völlig entfärbt er- scheint, sondern auch noch merklich stark alkalisch rea- girt und beigemengten Kleister gänzlich ungefärbt lässt, so tritt dennoch tiefste Bläuung des Gemisches ein, wenn man demselben die löslichen Haloidsalze des Chlores, Bromes und Jodes (natürlich mit Ausnahme derjenigen des Queck- silbers) beifügt, wie z. B. Salmiak, Kochsalz, Brom- oder Jodkalium, wie auch die gleiche Wirkung durch den Rohr- oder Traubenzucker hervorgebracht wird. Die in der an- gegebenen Weise durch Kali entfärbte Jodlösung besitzt jedoch die erwähnten Eigenschaften nur im frischen Zu- stande; sie verliert dieselben nach und nach von selbst, so dass z. B. nach 24 Stunden von ihr keine der beschriebe- nen Reactionen mehr verursacht wird. Bei der Siedhitze des Wassers gehen diese Eigenschaften schon in wenigen Minuten verloren und eben so werden sie beinahe augen- blicklich durch Wasserstoffsuperoxid zerstört. Schon vor einiger Zeit habe ich gezeigt, dass die Jod- metalle überhaupt, namentlich aber das Jodkalium einen schützenden Einfluss gegen die Einwirkung der freien Al- kalien auf das freie Jod auszuüben scheinen, und ich finde, dass auch das Chlorammonium in einem hohen Grade diese Eigenschaft besitze. Wenn 100 Gramme gesättigten Jod- wassers z. B. durch 0,3 Gramme einer Kalilösung nicht nur vollständig entfärbt, sondern auch noch so alkalisch wer- 387 den, dass sie das Curcumapapier sofort bräunen, also kein freies Jod mehr zu enthalten scheinen, und wenn ferner 100 Gramme der gleichen Jodlösung, mit einigem Kleister vermischt, 1,25 Gramme besagter Kalilösung zu vollständi- ger Entbläuung bedürfen, so wird dieselbe Menge Jodwas- sers, in welcher man vorher ein Gramm Salmiakes gelöst und die man mit Kleister vermischt hatte, 20 Gramme Kali- lösung zur Entfärbung der unter diesen Umständen gebil- deten Jodstärke erfordern. Je reicher die mit Kleister ver- mischte Jodlösung an Chlorammonium ist, desto mehr muss auch gelöstes Kali angewendet werden, damit das Gemisch sich völlig entbläue. Hat man z. B. 6 Gramme Salmiakes in 100 Grammen Jodwassers gelöst, so sind zur Entfärbung volle 91 Gramme Kalilösung nöthig, und selbst dieses so stark alkalische Gemisch biäut sich noch etwas beim Zu- fügen weitern Salmiakes und bis zur Undurchsichtigkeit tief bei Anwendung löslicher Jodmetalle, z. B. des Jod- kaliums. | Kaum wird es der Bemerkung bedürfen, dass das Chlor- ammonium diesen schützenden Einfluss nicht nur gegen das Kali, sondern auch noch gegen alle Oxide ähnlicher Art ausübt. Werden z. B. 100 Gramme unserer Jodlösung schon durch einige Trepfen wässrigen Ammoniakes völlig ent- färbt, so bedarf die gleiche Menge Jodwassers, in welcher ein Gramm Salmiakes gelöst und die mit Kleister vermengt worden, zur vollständigen Entbläuung der Jodstärke 20 Gramme des gleichen Ammoniakes und bei reicherm Sal- . miakgehalt der Jodlösung eine noch grössere Menge. Bemerkenswerth ist auch noch die Thatsache, dass der Kleister schon für sich allein in sehr merklichem Grade das freie Jod vor der Einwirkung des Ammoniakes schützt, wie daraus erhellt, dass 100 Gramme kleisterhaltiger Jod- lösung drei Gramme wässrigen Ammoniakes zur gänzlichen Entfärbung erheischen, während erwähntermaassen die 26 * 388 gleiche Menge reiner Jodlösung schon durch eben so viele Tropfen des gleichen Ammoniakes vollständig entfärbt wird. Da alle diese Reactionen (für mich wenigstens) noch durchaus räthselhaft sind, so verdient jede möglicher Weise darauf bezügliche Thatsache Beachtung, wesshalb ich auch hier nicht unerwähnt lassen will, dass die Anwesenheit des Chlorammoniums, wie auch des Jodkaliums u. s. w. eine Veränderung der Farbe des Jodwassers verursacht, denn nicht nur wird dadurch dieselbe heller, sondern sie geht auch aus Rothbraun in Gelb über, wovon man sich bei An- wendung grösserer Mengen von Jodlösung einfach so über- zeugen kann, dass man darin Salmiak oder Jodkalium löst und die Färbung dieses Gemisches mit derjenigen der rei- nen Jodlösung vergleicht. Diese optische Veränderung deu- tet offenbar darauf hin, dass das Chlorammonium oder die löslichen Jodmetalle gegen das in Wasser gelöste Jod auch in chemischer Hinsicht nicht völlig gleichgültig sich ver- halten und diese Materien in irgend einen Verbindungszu- stand treten, welcher mit dem besprochenen schützenden Einflusse der genannien Salze irgendwie zusammenhängen dürfte. Und dieser Zusammenhang ist für mich um so wahr- scheinlicher, als alle Haloidsalze eine ähnliche Farbenver- : änderung der wässrigen Jodlösung bewirken, die gleichen Salze aber auch das Jod gegen die Einwirkung der Alka- lien schützen, obwohl in einem schwächern Grade, als diess die löslichen Jodmetalle und der Salmiak thun. So z. B. erfordern 100 Gramme Jodlösung, mit Kochsalz ge- sättiget und mit Kleister vermischt, zur völligen Entbläuung der entstandenen Jodstärke dreimal so viel Kalilösung, als die gleiche Menge des reinen kleisterhaltigen Jodwassers. Noch ist zu bemerken, dass die Sauerstoffsalze, wie z. B. Salpeter, Glaubersalz u. s. w. eben so wenig als die Chlo- rate, Bromate und Jodate weder eine Veränderung der Farbe des Jodwassers bewirken, noch auch einen schützen- 389 den Einfluss auf das Jod gegen die Einwirkung der Alka- lien ausüben. Brom. Hundert Gramme wässriger Bromlösung (soo Brom enthaltend) mit 0,6 Gramm der vorhin erwähnten sal- petersauren Quecksilberlösung versetzt, liefern ein farb- und beinahe geruchloses Gemisch, welches aber nichts desto weniger noch eine Bleichkraft besitzt, völlig eben so gross als diejenige der reinen Bromlösung, wie man sich hievon - mittelst Indigolösung leicht überzeugen kann. Das farblose Gemisch mit den löslichen Haloidsalzen des Chlores und Bromes (die Quecksilberverbindungen selbsiverständlich wieder aussenomnien ) oder der Wasserstoffsäuren dieser Körper, oder mit Chlorwasser versetzt, färbt sich augen- blicklich braungelb und entwickelt einen starken Geruch nach Brom, während die reinen Sauerstoffsalze, z. B. Kali- nitrat, Natronphosphat, Bittererdesulfat u. s. w. ohne alle Wirkung auf das Gemisch sind. Die freien stärkern Sauer- stoffsäuren, organische wie unorganische, z B. Schwefel- säure, Phosphorsäure, Kleesäure u. s. w. färben jedoch das Gemisch noch deutlich, obwohl in merklich schwächerm Grade, als diess die Haloidsalze thun. Auch das Wasser- stoffsuperoxid verursacht anfänglich eine schwache Bräu- nung, welche jedoch wieder rasch verschwindet unter noch sichtlicher Entwickelung von Sauerstoffgas, und es hat nun das bromhaltige Gemisch die Fähigkeit verloren, durch die vorhin angeführteu Mittel wieder gebräunt zu werden oder die Indigolösung zu zerstören. Gegenüber der wässrigen Bromlösung verhält sich das essigsaure Quecksilberoxid vollkommen gleich dem Nitrate, und was das Quecksilberchlorid betrifft, so wirkt es zwar auch ähnlich beiden Salzen, jedoch namhaft schwächer, wie daraus erhellt, dass ein Raumtheil der erwähnten Brom- lösung zur vollständigen Entfärbung volle drei Raumtheile gesättigter Sublimatlösung erfordert, welches Gemisch in- 390 dessen ebenfalls noch Bleichvermögen besitzt und durch Kochsalz deutlich gebräunt wird. Ammoniak schlägt aus der durch die Quecksilberoxidsalze entfärbten Bromlösung eine schwefelgeilbe Verbindung nieder, die ohne Zweifel analog zusammengesetzt ist derjenigen, welche durch Am- moniak aus der mit den gleichen Salzen entfärbten Jod- lösung gefällt wird, und es dürfte wohl der Mühe werth sein, die Zusammensetzung dieser jod- und bromhaltigen Verbindungen genauer zu ermitteln. Erhitzt man in einer Retorte das durch salpeter- oder essigsaure Quecksilberoxid geruch- und farblos gewordene Bromwasser bis zum Sieden, so destillirt anfänglich eine Flüssigkeit über, welche bräunlich gefärbt ist, nach Brom riecht, die Indigolösung zerstört, den Jodkaliumkleister bläut, kurz alle Reactionen des freien Bromes hervorbringt. Spä- ter geht eine farblose Flüssigkeit über, welche sich wie reines Wasser verhält, nichts desto weniger besitzt aber der flüssige Rückstand in der Retorte immer noch einiges Bleichvermögen. Fügt man zu dem besagten Rückstand ei- nige Tropfen Salzsäure, so färbt er sich schwach gelb und liefert bei seiner Destillation aufs Neue bromhaltiges Was- ser, dem jedoch bald reines folgt. Der nun noch vorhan- dene farblose Rückstand hat jetzt alle Bleichkraft verloren, liefert mit Ammoniak einen weissen Niederschlag und lässt überhaupt durch kein Mittel mehr Brom in sich erkennen. Ich habe auch durch Quecksilbernitrat entfärbte Brom- lösung unter jeweiliger Erneuerung des verdampften Was- sers stundenlang offen im Sieden erhalten, ohne dadurch alles Brom aus der Flüssigkeit entfernen zu können; wie daraus abzunehmen war, dass dieselbe immer noch ein schwaches Bleichvermögen zeigte, mit Ammoniak einen licht- gelben Niederschlag lieferte und mit einigen Tropfen Salz- säure versetzt einen feuchten über ihr aufgehangenen Strei- fen jodkaliumhaltigen Stärkepapieres allmählig bläute. \ 391 Chlor. Hundert Gramme gesättigter wässrigen Chlor- lösung mit fünf Grammen Quecksilbernitratlösung von 20 %, HgO-Gehalt versetzt, liefern ein völlig farb- und beinahe geruchloses Gemisch, welches durch die festen löslichen Chlormetalle, z. B. Kochsalz oder auch durch die Chlor- wasserstoffsäure wieder gelblich gefärbt wird und gleich- zeitig einen äusserst starken Geruch nach Chlor entwickelt, eine Wirkung, die in merklichem Grade weder die Sauer- stoffsäuren noch deren Salze hervorbringen. Die quecksil- bersalzhaltige Chlorlösung besitzt ein Bleichvermögen, wel- ches auffallender Weise dasjenige des reinen Chlorwassers noch um ein Namhaftes übertrifit. Wenn z. B. bei meinen Versuchen 10 Gramme reinen Chlorwassers 180 Gramme einer titrirten Indigolösung zerstörten, so vermochte die- selbe Menge Chlorwassers, mit 0,5 Gramm der erwähnten Quecksilberlösung vermischt, 270 Gramme der gleichen In- digotinctur zu entbläuen. Zwischen der reinen und queck- silberhaltigen Chloriösung besteht auch noch der bemer- kenswerthe Unterschied, dass die erstere etwas rascher als die letztere die Indigolösung zerstört. Vermischt man auf einmal 40 Gramme reiner Uhlorlösung, z. B. mit 150 Grammen der titrirten Indigotinctur, so wird diese beinah augenblicklich zerstört sein, während eine gleiche Menge derseiben mit 10,5 Grammen der nitrathaltigen C'hlorlösung vermischt, einige Minuten zur vollständigen Entbläuung er- fordert. Führt man aber in dieses noch blaue Gemisch Salzsäure, Kochsalz oder andere lösliche Chlormetalle ein, so erfolgt beinah augenblickliche Zerstörung der Indigo- lösung, gerade so, ais ob reines Chlorwasser angewendet worden wäre. | Werden !0,5 Gramme der quecksilberhaltigen Chlor- lösung, die also für sich allein 270 Gramme Indigotinctur zu zerstören vermöchten, erst mit Kochsalz in Berührung 392 gesetzt, so wird zwar zugefügte Indigolösung sofort ent- bläut, davon aber nicht mehr als 180 Gramme zerstört. Ich darf diese Mittheilungen nicht schliessen, ohne vor- her noch einiger weitern, das 'hlor, Brom und Jod betref- fenden Thatsachen zu erwähnen, welche, wie man sehen wird, auffallend und räthselhaft genug sind. Man pflegt anzunehmen, dass die Indigolösung vom Chlorwasser sofort zerstört werde; diess ist jedech nur dann der Fall, wenn letzteres in grossem Ueberschusse an- sewendet wird. Wie nachstehende Angaben zeigen, übt das Wasser auf die Kräftigkeit, mit der das in ihm gelöste Chlor auf den Indigo zerstörend einwirkt, einen grossen und zwar hemmenden Einfluss aus, welcher jedoch durch das Einführen gewisser Substanzen in die wässrige Chlor- lösung nicht nur aufgehoben werden kann, sondern, was noch auffallender erscheinen muss, es erlangt das Chlor gegenüber der Indigolösung bei Gegenwart von Materien, welche man als chemisch gleichgültig gegen diesen Salz- biidner zu betrachten pflegt, ein Bleichvermögen, dasjenige der reinen wässrigen Chlorlösung um ein Namhaftes über- treffend, wovon wir übrigens schon weiter oben ein Bei- spiel kennen gelernt haben. Hat man Indigolösung so titrirt, dass 100 Gramme der- selben durch fünf Gramme gesättigten Chlorwassers im Laufe einiger Sekunden entbläut werden, so würde die An- nahme, dass nun alles angewendete Chlor zur Zerstörung des Indigos verbraucht sei, eine sehr irrige sein, wie diess aus folgenden Angaben erhellen wird. Wendet man auf 100 Gramme der titrirten Indigolösung nur ein Gramm un- seres Chlorwassers an, so werden dieselben auch durch diese kleinere Chlormenge noch zerstört, welche Bleich- wirkung freilich nur allmählig, d.h. im Laufe einer halben Stunde erfolgt. Ein Gramm des gleichen Chlorwassers ver- mag selbst 200 Gramme unserer Indigolösung zu zerstören, “ 3 393 worüber jedoch einige Stunden vergehen: werden aber die- sen Gemischen nur wenige Tropfen Salzsäure zugefügt, so erfolgt die Entbläuung beinahe augenblicklich. Versetzt man t000 Gramme der titrirten Indigolösung mit einem Gramm Salzsäure, so wird dieses Gemisch durch ein Gramm Chlor- lösung im Laufe von 15—20 Sekunden entbläut. Fügt man zu 600 Grammen Indigolösung ein Gramm Chlorwassers, so wird jene allerdings etwas heller, aber bei noch so lan- gem Stehen doch nicht mehr völlig entbläut werden, noch weniger daher Gemische, die noch reicher an Indigolösung sind, z. B. ein solches, welches auf ein Gramm Chlorwas- sers 1009 Gramme Indigolösung enthält. Und hat man sol- che Gemische in offenen oder verschlossenen &efässen, im Lichte oder in der Dunkelheit auch nur wenige Stunden stehen lassen, so werden sie selbst bei Zusatz von “alz- säure sich nicht mehr entbläuen, während dieselben, wie bereits erwähnt, im frisch bereiteten Zustand diess beinah augenblicklich thun. Das Vermögen, die Bleichwirkungen des Chlorwassers gegenüber der Indigolösung nicht nur zu beschleunigen, sondern auch noch zu steigern, kommt in- dessen nicht bloss der Salzsäure, sondern auch den kräf- tigern Sauerstoffsäuren unorganischer und organischer Art zu, wie z. B. der Schwefelsäure, Salpeter-, Phosphor-, Klee-, Wein-, Essigsäure u. s. w., obwohl die Salzsäure etwas kräftiger als alle die übrigen wirkt. Mit dieser Wirkungsweise der bezeichneten Säuren dürfte vielleicht auch folgende Thatsache zusammenhängen. Ein Theil gesättigter Chlorlösung mit tausend Theilen Was- sers verdünnt, liefert ein Gemisch, welches selbstverständ- lich kaum nach Chlor riecht oder schmeckt. Bedeckt man den Boden einer Fiasche mit etwa 50 Grammen dieser Flüssigkeit, so wird ein darüber aufgehangener Streifen jodkaliumhaltigen Stärkepapieres erst nach 15—20 Minuten an seinen Rändern schwach violett gefärbt erscheinen; lässt 394 man aber in die verdünnte Chlorlösung vorher nur. einige Tropfen Salzsäure fallen, so wird die Färbung des erwähn- ten Papieres schon nach eben so viel Sekunden beginnen und dasselbe bereits merklich gebläut sein, wenn der über dem ungesäuerten Chlorwasser hängende Streifen noch weiss ist. Gegenüber der Indigolösung besitzt auch das Jod ein Bleichvermögen und ich finde, dass 10 Gramme gesättigter wässrigen Jodlüsung 100 Gramme meiner titrirten Indigo- tinctur im Laufe von 3—4 Minuten vollständig entbläuen. Bei den vielen sonstigen zwischen dem Chlor und Jod be- stehenden Aehnlichkeiten sollte man vermuthen, dass die Salzsäure u. s. w. auch das Bleichvermögen des Jodes er- höhen würde. Dem ist aber keineswegs so; denn nicht nur wird von der besagten Säure kein solcher Einfluss ausge- übt, sondern es vermindert dieselbe die Bleichkraft des Jo- des so sehr, dass sie so gut als vernichtet wird, wie diess folgende Angaben zeigen werden. 100 Gramme der er- wähnten Indigolösung werden, wie schon bemerkt, durch 10 Gramme gesättigter Jodlösung in wenigen Minuten zer- stört, die gleiche Menge Indigotinctur aber, nur mit eini- gen Tropfen Salzsäure versetzt, kann tagelang mit 10 Gram- men Jodlösung zusammengemischt sein, ohne in merklichem Grade entbläut zu werden, obwohl mittelst Stärkekleisters die Anwesenheit freien Jodes in einem solchen Gemische noch leicht sich nachweisen lässt. 10 Gramme Indigolösung mit einem Tropfen Salzsäure und 10 Grammen Jodwassers vermischt, erscheinen erst im Laufe einiger Stunden völlig entbläut, und beifügen will ich noch, dass auch die kräf- tigern unorganischen und organischen Sauerstoffsäuren ähn- lich der Salzsäure wirken. Aus diesen Thatsachen geht daher hervor, dass schon kleine Mengen freier Säuren die Bleichkraft der wässrigen Jodlösung gegenüber der Indigo- tinctur wo nicht völlig, doch beinahe gänzlich aufheben. 5 395 Ich darf hier nicht unerwähnt lassen, dass mit der be- schriebenen Wirkungsweise auch die von mir beobachtete Thatsache zusammenhängt, dass das Ergebniss der oben er- wähnten Versuche verschieden ausfällt, je nachdem die da- bei angewendete Indigotinctur (wie gewöhnlich) noch sehr sauer ist oder aber (durch Alkalien) abgestumpft ist. Wie man leicht einsieht, wird im erstern Falle das Chlorwasser rascher zerstörend auf die zugefügte Indigolösung einwir- ken, als diess im letztern geschieht, und umgekehrt wird auf eine noch merklich saure Indigolösung das Jodwasser keine merkliche Bleichwirkung mehr hervorbringen, wäh- rend es die abgestumpfte Tinctur leicht zerstört. Wer da- her die oben erwähnten Versuche wiederholen und bestä- tiget finden will, der muss sich einer Indigolösung bedienen, die keine freie Schwefelsäure mehr enthält. Noch ist zu erwähnen, dass auch die löslichen Jod- metalle und namentlich das Jodkalium auf das Bleichver- mögen des in Wasser gelösten Jodes einen hemmenden Einfluss ausüben, der jedoch weniger stark als derjenige der Säuren ist. Werden z. B. 160 Gramme der titrirten Indigolösung mit 0,5 Gramm Jodkaliums versetzt, so dauert es 3—4 Stunden, ehe 10 Gramme Jodlösung diejenige des Indigos völlig zerstört haben, während erwähntermaassen bei Abwesenheit des Jodsalzes diese Wirkung in eben so viel Minuten hervorgebracht wird Was das Verhalten des Bromes betrifft, so steht das- selbe nahezu in der Mitte zwischen demjenigen des Chlo- res und Jodes, wie diess in so vielen’ andern Beziehungen der Fall ist. Hat man es mit einer wässrigen Bromlösung zu thun, die so ist, dass ein Gramm derselben eben hin- reicht, um 100 Gramme der titrirten Indigolösung zu zer- stören, so wird ein Gramm solchen Bromwassers nur wenig mehr als 100 Gramme der gleichen Indigolösung entbläuen, selbst wenn diese auch vorher stark mit Salzsäure u. S. w. 396 versetzt worden, woraus erhellt, dass die Anwesenheit der Säuren das Bleichvermögen des Bromes nur in einem so schwachen Grade steigert, dass dasselbe beinahe unverän- dert bleibt; wobei jedoch nicht unerwähnt bleiben darf, dass die angesäuerte Indigolösung doch etwas rascher als die ungesäuerte durch das Bromwasser entbläut wird. Was die besprochenen Beziehungen der drei Salzbild- ner zu den Säuren betrifft, so könnte man das Brom als neutral bezeichnen, während vom Chlor und Jod sich sagen lässt, dass das Verhalten des einen genau das Gegentheil von demjenigen des andern ist. Chlorkalk. Dass die unterchlorichtsauren Salze ein ausgezeichnetes Bleichvermögen besitzen, ist eine der be- kanntesten Thatsachen der Chemie; nach meinen Beobach- tungen äussert sich aber dasselbe je nach Umständen auf verschiedenartige Weise und man kann sagen, dass die Hypochlorite gegenüber der !ndigolösung ganz ähnlich dem freien Chlor sich verhalten, d. h. die Anwesenheit freier Salzsäure u. s. w. die Bleichkraft der genannten Salze er- höht. Enthält die Versuchsindigolösuug keine freie Schwe- felsäure, so wird dieselbe von den gelösten Hypochloriten, z. B. vom Chlorkalk, wie von dem reinen Chlorwasser, nicht so rasch als die angesäuerte Tinctur zerstört. Brau- chen z. B. 150 Gramme einer abgestumpften Indigelösung eine Stunde Zeit, um durch ein Gramm einer bestimmten Chlorkalklösung völlig zerstört zu werden, so wird eine gleiche Menge dieser Hypochloritlösung 250 Gramme unse- rer Indigotinctur in wenigen Sekunden zu entbläuen ver- mögen, falls letztere vorher mit HÜl u. s. w. angesäuert worden. 250 Gramme angesäuerter Tinctur, ebenfalls mit einem Gramm unserer Chlorkalklösung vermischt, können stundenlang stehen, ohne sich völlig zu entbläuen, und thun nun diess nicht mehr selbst bei Zusatz von Salzsäure, was 397 beweist, dass in dem Gemisch kein Chlorkalk mehr ent- halten ist. Wenn nun obigen Angaben gemäss die freien Säuren das Bleichvermögen des Chlorkalkes erhöhen, so erklärt sich diese Thatsache leicht ans dem Einflusse, den die glei- chen Säuren auf die Bleichkraft des reinen Chlorwassers ausüben, worauf auch immer ein solcher Einfluss beruhen mag. Da die Chlorkalklösung neben einem Hypochlorit auch noch Chlorcalcium enthält, so wird durch die Einwirkung der Säuren auf diese beiden Salze das in ihnen enthaltene Chlor entbunden, dessen Bleichkraft dann unter dem Ein- flusse der vorhandenen freien Säure gesteigert wird, SO dass es im Grunde die gleiche Sache ist, ob man durch reines Chlorwasser oder durch Chlorkalk die gehörig an- sesäuerte Indigolösung zerstört. Schlussbemerkung. Nach Darlegung der sonder- baren, die Salzbildner betreffenden Thatsachen wird man vielleicht erwarten, dass ich eine Erklärung derselben ver- suche; aus nahe liegenden Gründen thue ich diess nicht und beschränke mich auf die einzige Bemerkung, dass die Mehr- zahl der oben beschriebenen Reactionen auf Verbindungs- zustände des Chlores, Bromes und Jodes hindeutet, über welche wir dermalen noch wenig Sicheres zu sagen ver- mögen. ME. Ueber die Veränderung der Farbe der Indigolösung, durch die löslichen @uecksilberoxidsalze ver- ursacht. Obwohl die nachstehenden Angaben von keiner beson- dern Bedeutung zu sein scheinen, so glaube ich sie doch an die obigen Mittheilungen reihen zu sollen, weil diesel- 398 ben nach meinem Dafürhalten Bezug auf einige der vorhin besprochenen Thatsachen haben und daher später zur Er- klärung der bis jetzt noch so räthselhaften Erscheinungen Einiges beitragen können. Lässt man in 100 Gramme Was- sers, durch Indigolösung nicht ganz bis zur Undurchsichtig- keit gebläut, einige Tropfen einer concentrirten Lösung sal- peter- oder essigsauren Quecksilberoxides fallen, so erhält man ein Gemisch, welches grün gefärbt und auch heller als das reine Indigowasser ist. Die grüne Färbung dieser Flüssigkeit wird aber sofort wieder in die ursprünglich rein blaue übergeführt durch die löslichen Haloidsalze des Chlores, Bromes und Jodes, wie auch durch die Wasser- stoffsäuren dieser Stoffe und eben so durch die stärkern unorganischen oder organischen Säuren, nicht aber durch die reinen Sauerstoffsalze, z. B. durch Kalisalpeter u. s. w. Beifügen will ich noch, dass das gelöste Quecksilberchlorid zwar auch in ähnlicher Weise farbenverändernd auf die Indigolösung einwirkt, aber in einem viel schwächern Grade, als diess die beiden andern Quecksilberoxidsalze thun. IV. Einige Notizen über das Chlorbrem. Gleiche Raumtheile stark braunroth gefärbter wässri- ger Bromlösung von 1%, Br-Gehalt und mit Chlor gesät- tigten Wassers liefern ein hellgelbes Gemisch, dem man durch eine Reihe von Mitteln das Chlor entziehen und eben dadurch die ursprüngliche Färbung der Bromlösung wieder hervorrufen kann. Fein zertheilter Schwefel (Lac Sulphuris) oder Phos- phor, Zink- oder Eisenfeile mit unserm Gemische nur kurze Zeit geschüttelt, färben dasselbe wieder braunroth 399 oder machen es bei längerm Schütteln gänzlich farblos. Eben so verhalten sich das Stickoxid, die Untersalpeter- säure, die schweflichte, unterphosphorige, phosphorige-ar- senige, Klee- und Ameisensäure, das Wasserstoffsuperoxid, Ammoniak, wie auch die wässrigen Lösungen der Eisen- und Zinnoxidulsalze. Die durch die erwähnten Substanzen bewirkte Bräu- nung der gelben Chlorbromlösung beruht selbstverständlich auf einer Chlorentziehung: der Phosphor, das Zink u. s. w. verbinden sich zuerst mit dem Chlor und machen dadurch das Brom frei, in Folge dessen das Gemisch sich bräunt. Bei längerer Einwirkung jener Materien gehen dieselben auch eine Verbindung mit dem Brom ein, was die voll- ständige Entfärbung unserer Flüssigkeit nach sich zieht. Die Bräunung des Gemisches, durch NO, oder NO; verur- sacht, beruht auf der Oxidation dieser Stickstoffverbindun- gen zu Salpetersäure, zu welchem Vorgang die heutige Theorie den hiefür nöthigen Sauerstofi aus dem vorhande- nen Wasser beziehen muss, dessen H sie zunächst mit dem Chlor zu Salzsäure sich verbinden lässt. Bei weiter ge- hender Einwirkung von NO, und NO, auf die besagte Lö- sung werden diese ebenfalls zu NO; oxidirt unter gleich- zeitiger Bildung von Bromwasserstoffsäure, wesshalb die anfänglich eingetretene Bräunung unseres Gemisches ver- schwindet. Kaum ist nöthig zu bemerken, dass durch S0:, PO, PO; u. s. w. das in der gelben Flüssigkeit enthaltene Brom desshalb in Freiheit gesetzt wird, weil die schweflichte Säure u. s. w. den heutigen Ansichten gemäss durch den Sauerstoff des Wassers zu Schwefelsäure u. s. w. oxidirt wird und das H dieses Wassers zunächst mit dem Chlor sich verbindet, wobei es sich von selbst versteht, dass bei Anwendung eines Ueberschusses von SO; u. s. w. auch diese zu SO; sich oxidirt unter Bildung von HBr. 400 Eben so leicht erklärt sich die durch Ammoniak her- _ vorgebrachte Wirkung. Wird hievon nicht zu viel zu der Chlorbromlösung gefügt, so wirkt in bekannter Weise nur das Chlor auf das Ammoniak ein, bei einem Ueberschusse des letztern erleidet auch dieses von Seite des Bromes eine ähnliche Zersetzung, was natürlich die gänzliche Entfärbung unseres Gemisches zur Folge haben muss. Von der Oxalsäure wissen wir, dass sie in Chlorwas- ser zu Kohlensäure oxidirt wird unter Bildung von HCl, während jene Säure unter sonst gleichen Umständen in der wässrigen Bromlösung so gut als unverändert bleibt; wess- halb sie auch die gelbe Chlorbromlösung unter Entbindung von Kohlensäure nur bräunt, selbst wenn dieselbe im Ueber- schusse angewendet wird. Auch die Ameisensäure wird schon bei gewöhnlicher Temperatur vom wässrigen Chlor zu Kohlensäure und Wasser oxidirt, welche Zersetzung sie übrigens auch durch das Bromwasser erleidet; da aber das Chlor zuerst auf die Ameisensäure einwirkt, so wird durch letztere die gelbe Chlorbromlösung nur gebräunt, falls man von der Säure nicht mehr anwendet, als das vorhandene Chlor zu zerstören vermag. Durch einen Ueberschuss der Ameisensäure wird die besagte Lösung bald gänzlich ent- färbt. Was das Wasserstoffsuperoxid betrifft, welches gegen- über dem Chlorbrom die Rolle einer oxidirbaren Materie spielt, so erklärt sich dieses sonderbare Verhalten aus der früher schon von mir ermittelten Thatsache, dass HO, mit dem Chlor und Brom in die Wasserstoffsäuren dieser Kör- per und frei werdenden gewöhnlichen Sauerstoff sich um- setzt. Das der Chlorbromlösung beigemischte Wasserstoff- superoxid wirkt in der angegebenen Weise zuerst auf das vorhandene Chlor ein, wodurch das Brom in Freiheit ge- setzt wird, weiches dann seinerseits mit weiterem HO, in Bromwasserstoffsäure und Sauerstoff sich umsetzt, was die 401 gänzliche Entfärbung der anfänglich gebräunten Flüssigkeit zur Folge hat. Gewöhnlicher reiner Aether zu gleichen Raumtheilen mit der lichtgelben Chlorbromlösung zusammen geschüttelt, entzieht derselben sofort ihren ganzen Gehalt an Chlorbrom und wird unter Entfärbung jener Flüssigkeit selbst licht- gelb gefärbt. Schüttelt man nun den chlorbromhaltigen Aether mit wässriger schweflichten oder arsenichten Säure, Wasserstoffsuperoxid u. s. w. zusammen, so färbt sich der- selbe stark gelbbraun, vorausgesetzt, die genannten Sub- stanzen werden nicht im Ueberschusse dem Aether zuge- fügt, in welchem Falle er selbstverständlich gänzlich entfärbt wird. Wie man leicht einsieht, hängen mit den erwähnten Reactionen auch die folgenden zusammen. So wenig als das Chlorjod den Stärkekleister bläut, vermag das Chlor- brom denselben gelbroth zu färben; wenn man daher den durch reines Brom gefärbten Kleister mit Chlorwasser zu- sammen mischt, so wird er augenblicklich beinahe farblos; um aber seine rothgelbe Färbung wieder anzunehmen durch alle die Mittel, welche die gelbe Chlorbromlösung bräunen, wie z. B. durch die schweflichte Säure u. s. w., wobei es sich wieder von selbst versteht, dass diese Mittel nicht im Ueberschuss angewendet werden dürfen. Ueber den Einfluss der schweflichten Säure auf das Bleichvermögen der Eisenoxidsalze, der Chlor-, Ueberchlor-, Salpeter-, Chromsäure und deren . Salze. Eisenoxidsalze. Vor manchen Jahren schon machte ich eine Reihe von Thatsachen bekannt, welche zeigten, 27 402 dass sehr viele unorganische und organische Materien selbst bei gewöhnlicher Temperatur auf die gelösten Eisenoxid- salze reducirend einwirken, d.h. die letztern in Oxidulsalze überführen, worauf selbstverständlich auch das Vermögen jener Salze beruht, die Indigolösung allmählig zu Zer- stören. Die sonderbaren Ergebnisse meiner neulichen Unter- suchungen über den Einfluss, welchen viele Säuren, nament- lich die Salzsäure, auf das Bleichvermögen des Chlores und Jodes ausüben, veranlassten mich, auch mit den wässrigen Lösungen der Eisenoxidsalze und der oben genannten Säu- ren und deren Salze vergleichende Versuche anzustellen, welche zur Ermittlung von Thatsachen geführt haben, die mir der Mittheilung nicht unwerth zu sein scheinen: Zunächst sei bemerkt, dass ich zwar mit allen lösli- chen Eisenoxidsalzen Versuche angestellt und damit über- einstimmende Ergebnisse erhalten habe, die folgenden An- gaben aber auf eine wässrige Lösung des Eisenchlorid- hydrates sich beziehen, welche 1%, dieses Salzes enthielt. Die bei den gleichen Versuchen angewendete normale In- digolösung war so stark verdünnt, dass sie in einer damit gefüllten litergrossen Flasche angesehen, noch deutlich durchsichtig erschien oder auf ein Liter Wasser 30 Tro- pfen der nach Berzelius Vorschrift bereiteten conzentrirten Indisotinctur kamen. Ein aus gleichen Raumtheilen beider Versuchsflüssigkeiten bestehendes Gemisch, das grün aus- sieht, musste bei gewöhnlicher Temperatur 3—4 Stunden stehen, bis diese Färbung verschwunden war, ein Gemisch von einem Raumtheil Eiseachloridlösung mit 50 Raumthei- len Indigotinctur 12 Stunden, eines von einem Raumtheil der erstern mit 100 Raumtheilen der letztern Lösung volle 30 Stunden und ein Gemisch von einem Raumtheil der Ei- sensalzlösung mit 500 Raumtheilen Indigotinctur erschien nach wochenlangem Stehen noch merklich stark gebläut, 403 woraus erhellt, dass die gelösten Eisenoxidsalze ziemlich langsam oxidirend auf die Indigolösung einwirken. Und noch mehr verlangsamt, ja so gut als aufgehoben wird diese Bleichwirkung durch die Anwesenheit freier Salz- säure, Schwefelsäure u. s. w., wie aus nachstehenden An- gaben zu ersehen ist. Die grüne Färbung eines Gemisches von 100 Raumtheilen Eisenchlorid- und eben so viel Indigo- lösung mit einem Raumtheil Salzsäure versetzt, ist nach 24 Stunden noch nicht merklich verändert und Gemische, die viel weniger Eisenchloridlösung, z. B. nur 1—2 %, ent- halten, scheinen nach wochenlangem Stehen nichts von der ursprünglichen Stärke ihrer blauen Färbung eingebüsst zu haben, was beweist, dass verhältnissmässig kleine Mengen freier Salzsäure u. s. w. das Bleichvermögen der Eisen- oxidsalze gegenüber der Indigolösung so gut als aufheben. Einen genau entgegengesetzten Einfluss übt die schwef- lichte Säure auf das Bleichvermögen der gelösten Eisen- oxidsalze aus. 1000 Raumtheile unserer normalen Indigo- lösung mit einem Raumtheil wässriger schweflichten Säure und einem Raumtheil Eisenchloridlösung vermischt, werden im Laufe von sechs Minuten vollständig entbläut, und na- türlich erfolgt diese Entfärbung in noch kürzerer Zeit mit Gemischen, welche auf die gleiche Menge Eisenchloridlösung und schweflichter Säure kleinere Quantitäten Indigolösung enthalten, z. B. nur 100 Raumtheile, in welchem Fall die Entbläuung des Gemisches: innerhalb weniger Sekunden, also beinahe augenblicklich erfolgt. Hat ein Theil Eisenchloridlösung unter Mitwirkung der schweflichten Säure 1000 Theile Indigolösung zerstört, so ist damit das Bleichvermögen des vorhandenen Eisensalzes noch nicht völlig erschöpft; denn es lassen sich im Laufe einer Stunde noch weitere 200 Theile Indigolösung ent- bläuen, aus welchen Thatsachen erhellt, dass die schwef- lichte Säure das Bleichvermögen der Eisenoxidsalze in ei- 24 404 nem ausserordentlichen Grade steigert, während die Salz- säure u. s. w. dasselbe aufhebt. Die einander entgegengesetzten Einflüsse, welche die Salzsäure und schweflichte Säure auf die Eisenoxidsalze ausüben, liessen vermuthen, dass die eine dieser Säuren die Wirkung der andern, wenn nicht aufheben, doch ver- langsamen werde, und dem ist auch so. Wenn 1000 Theile der normalen Indigolösung unter Beihülfe eines Theiles wässriger schweflichten Säure durch einen Theil Eisen- chloridlösung im Laufe von sechs Minuten völlig entbläut werden, so erfordert das gleiche Gemisch, das aber über- diess noch einen Theil Salzsäure enthält, zu seiner voll- ständigen Entfärbung eine volle halbe Stunde, woraus er- hellt, dass diese Säure die Wirkung der schweflichten Säure auf die Eisenoxidsalze zwar nicht aufhebt, aber doch merk- lich verlangsamt. Wie man aus den voranstehenden Angaben ersieht, lässt sich ein gelöstes Eisenoxidsalz hinsichtlich der Ver- änderlichkeit seines Bleichvermögens einerseits mit dem Jod-, anderseits mit dem Chlorwasser vergleichen. Was das wässrige Jod betrifft, so haben meine frühern Versuche dargethan, dass sein Bleichvermögen schon durch kleine Mengen Salzsäure, Schwefelsäure u. s. w. so gut als auf- gehoben wird, und aus den obigen Angaben geht hervor, dass die genannten Säuren auch eine gleiche Wirkung auf die gelösten Eisenoxidsalze hervor bringen. Vorhin Gesag- tem zufolge erhöht die schweflichte Säure das Bleichver- mögen der Eisenoxidsalze in ähnlicher Weise, in welcher die Salzsäure u. s. w. dasjenige des Chlorwassers steigert, womit jedoch nicht gesagt sein soll, dass ich in beiden Fällen die nächste Ursache beider Wirkungen als die glei- che betrachte. Bekannt ist, dass die schweflichte Säure die Lösungen aller Eisenoxidsalze tief braunroth färbt, und ich finde, 405 dass eine wässrige Eisenchloridlösung, die nur Yoo00 die- ses Salzes enthält, durch wässrige SO, noch merklich stark sebräunt wird. So lange nun ein solehes Gemisch noch gefärbt erscheint, besitzt es auch die Fähigkeit, zugefügte Indigolösung rasch zu entfärben. Bekanntlich verschwindet aber diese Färbung allmählig von selbst in Folge der Re- duction des Eisenoxides zu Oxidul und der Oxidation der schweflichten Säure zu Schwefelsäure; mit welcher Ent- färbung auch das Bleichvermögen verschwindet. Die durch SO, verursachte rothbraune Färbung einer Eisenoxidsalzlösung wird aber sofort durch kleine Mengen der kräftigern Säuren, z. B. der Salzsäure, Schwefelsäure u. s. w. zum Verschwinden gebracht, mit welcher Entfär- bung auch in diesem Falle die Eigenschaft des Gemisches verloren geht, die Indigolösung rasch zu zerstören, obwohl dessen Bleichkraft dadurch nicht aufgehoben, sondern nur deren Wirkung verlangsamt wird, wie weiter oben schon erwähnt worden. | Nach meinen Beobachtungen bewirkt die Wärme ähn- lich der schweflichten Säure eine noch deutliche Bräunung selbst stark verdünnter Eisenoxidsalzlösungen, z. B. einer solchen, die nur oooo Eisenchlorides enthält und desshalb so gut als farblos ist. Erhitzt man dieselbe nahe bis zu ihrem Siedpunkte, so erscheint sie augenfälligst gefärbt und solche durch die Wärme gebräunten Salzlösungen ent- bläuen auch die Indigotinctur ungleich rascher, als es die kalten, d. h. ungefärbten, tbun. Worauf nun auch die durch Wärme oder schweflichte Säure bewirkte Färbung der Ei- senoxidsalzlösungen beruhen mag, gewiss ist, dass diese optische Veränderung mit der Kräftigkeit des Bleichver- mögens der genannten Lösungen Hand in Hand geht, welche Thatsache desshalb auch der Vermuthung Raum gibt, dass beiden Erscheinungen die gleiche Ursache zu Grunde liege. Durch die Wärme wie durch die schweflichte Säure wird 406 die chemische Thätigkeit des dritten im Eisenoxid enthal- tenen Sauerstoffäquivalentes gesteigert und dadurch auch das lichtauslöschende Vermögen der gelösten Eisenoxid- salze erhöht. Die wohl bekannte Thatsache, dass so viele Sauerstoff- verbindungen und namentlich Metalloxide mit der Erhöhung der Temperatur dunkler und gleichzeitig chemisch thätiger werden, d. h. kräftiger andere Stoffe zu oxidiren vermö- gen, beruht meiner schon früher ausgesprochenen Ansicht gemäss zunächst darauf, dass der Sauerstoff auch um so stärker auf das ihn treffende Licht einwirkt, d. h. um so mehr dasselbe auslöscht, je chemisch erregter derselbe isi, wesshalb ich auch zu vermuthen geneigt bin, dass der 0z0- nisirte Sauerstoff schon in der Kälte ein gefärbtes Gas sei. Chlorsäure und deren Salze. Nach meinen Ver- suchen ist diese Säure im verdünnten Zustand unfähig, die Indigolösung zu zerstören, wie bekanntlich auch deren Salze kein Bleichvermögen besitzen, während die eine und die andern unter Mitwirkung der schweflichten Säure schon bei gewöhnlicher Temperatur die Tinctur rasch zerstören. 500 Gramme unserer normalen Indigolösung mit einem Gramm Kalichloratlösung von 1%, Salzgehalt und einem Gramm wässriger schweflichten Säure vermischt, sind schon in wenigen Minuten zerstört, und ich füge bei, dass in glei- cher Weise auch die Ueberchlorsäure und deren Salze sich verhalten. Chromsäure und deren Salze. Eine conzentrirte Lösung dieser, Säure zerstört die Indigolösung ziemlich rasch, während die stark verdünnte Säure kaum noch Bleich- vermögen besitzt. 500 Gramme der normalen Indigolösung mit einem Gramm Chromsäurelösung vermischt, die 4 % CrO; enthält, erscheint nach wochenlangem Stehen noch eben so stark als anfänglich gebläut; fügt man aber die- sem Gemisch einige Gramme wässriger schweflichten Säure 407 zu, so wird es schon nach wenigen Minuten entbläut sein und es können unter dem Einflusse von SO: durch die gleiche Menge der verdünnten Chromsäurelösung sogar 900 Gramme Indigotinctur zerstört werden. Wie die Lösung der freien Säure, verhält sich auch diejenige der chrom- sauren Salze, z. B. des Kalimono- oder Bichromates. Was die verdünnte und von NO, vollkommen freie Sal- petersäure betrifit, so wirkt sie nach meinen Erfahrungen- in der Kälte nicht im mindesten zerstörend auf die Indigo- lösung ein und es können z. B. 500 Gramme normaler In- digotinctur, mit einem Gramm Salpetersäure von 1,45 ver- setzt, wochenlang stehen, ohne dass eine merkliche Ent- färbung des Gemisches stattfände. Setzt man aber demselben einige Gramme wässriger schweflichten Säure zu, so wird es im Laufe von 24 Stunden völlig entbläut sein. In glei- cher Weise verhalten sich die Nitrate, deren Lösungen unter dem Einflusse von SO, die Indigolösung allmählig zerstören. Kaum wird es der ausdrücklichen Bemerkung bedür- fen, dass in all den besprochenen Fällen die schweflichte Säure keinen unmittelbaren Theil an der hervorgebrachten Bleichwirkung hat und es einzig der Sauerstoff der Eisen- exidsalze, Chlorate, Chromate u. s. w. ist, durch welchen die Zerstörung des Indigos bewerkstelliget wird, wie schon daraus erhellt, dass die Eisenoxidsalze zu Oxidulsalzen, die Chromsäure zu Chromoxid u. s. w. reducirt werden. Der von diesen Verbindungen abgegebene Sauerstoff dient aber nicht nur zur Zerstörung des Indigos, sondern auch zur Oxidation der schweflichten Säure, die in all den erwähn- ten Fällen in Schwefelsäure verwandelt wird, welche zwi- schen dem Indigo und SO, stattfindende Theilung des Sauer- stoffes aus folgender Angabe erhellt. Eine gegebene Menge mit Salzsäure vermischter und bis zum Sieden erhitzter Kalichloratlösung wird eine gewisse Menge Indigotinctur 408 zerstören. Nach meinen Versuchen vermag aber dasselbe Quantum der besagten Chloratlösung unter Mithülfe der schweflichten Säure nur ungefähr die Hälfte der gleichen Indigotinctur zu entbläuen, wodurch die Bleichkraft des angewendeten Chlorates völlig erschöpft ist, wie sich dar- aus ergibt, dass unser durch die Vermittlung von SO, ent- färbtes Gemisch, mit Salzsäure versetzt und bis zum Sieden erhitzt, keine weitere Indigolösung ınehr zu zerstören ver- mag und dass unter diesen Umständen die schweflichte Säure verschwindet und SO; an deren Stelle tritt, ist eine selbstverstandene Sache. Mit dem Vermögen der schweflichten Säure, die oxi- dirende Wirksamkeit der Eisenoxidsalze u. s. w. zu erhö- hen, hängt nach meinem Ermessen die schon längst von mir ermittelte Thatsache zusammen, dass unter dem gleichzei- tigen Einflusse der schweflichten Säure und des Sonnen- lichtes auch der gewöhnliche Sauerstoff die Fähigkeit er- langt, die Indigolösung ziemlich rasch zu zerstören, eine Wirkung, welche er für sich allein entweder gar nicht oder doch in kaum merklichem Grade hervorzubringen vermag. Und dass auch unter diesen Umständen der vorhandene Sauerstoff zwischen dem Indige und der schweflichten Säure sich theilt, ist kaum nöthig ausdrücklich zu bemerken. VI. Ueber den muthmasslichen Zusammenhang der An- tozonhaltigkeit des Wölsendorfer Flussspathes mit dem darin enthaltenen blauen Farbstoffe. Nachdem ich vor zwei Jahren in einem kleinen von Herrn Schafhäutl mir überschickten Handstücke des schwarz- blauen Wölsendorfer Flussspathes die Anwesenheit kleiner 409 Mengen Antozones aufgefunden hatte, wünschte ich zum Behufe weiterer Untersuchungen grössere Massen dieses interessanten Minerales zu erhalten, erfuhr aber zu meinem Bedauern, dass kein solches mehr zu bekommen sei. Bei einem Besuche in München zu Ostern 1861 fand ich dort in den öffentlichen Sammlungen mehrere Stücke Wölsen- dorfer Flussspathes auf, welche antozonhaltig waren, und der damalige Vorstand des K. Bayerschen Bergwesens, Herr Staatsrath von Herrmann, hatte die Güte, auf mein Gesuch Nachforschungen nach weiterem Material an dem Fundorte zu veranlassen, welche ihn zu dem erwünschten Ergebnisse führten, mir davon einen ganzen Zentner zur Verfügung stellen zu können. Bei einer genauen Untersuchung der erhaltenen Spath- stücke fand ich, dass mit Bezug auf deren Antozongehalt nicht nur zwischen ihnen selbst, sondern auch den ver- schiedenen Theilen eines und eben desselben Stückes ein grosser Unterschied bestehe. Manche Stücke, und diess war bei weitem mit dem grössern Theile des mir überschickten Spathes der Fall, enthielten keine Spur von Antozon, d. h. lieferten mit Wasser zusammen gerieben nicht die geringste Menge des jetzt so leicht nachweisbaren Wasserstoffsuper- oxides, und natürlich entwickelten solche Spaththeile auch nieht den allerschwächsten Geruch nach Antozon. Manches Stück war so, dass gewisse Stellen desselben verhältniss- mässig viel Antozon einschlossen, also mit Wasser zusam- men gerieben merkliche Mengen HO: lieferten, oder mit dem Hammer angeschlagen, einen starken Geruch entwickel- ten; während andere Stellen als ontozonarm oder antozon- frei sich erwiesen, aus welchen Angaben erhellt, dass in dem Wölsendorfer Flussspathe das Antozon sehr ungleich vertheilt ist, eine bemerkenswerthe Thatsache, auf welche ich später noch einmal zurückkommen werde. Ich will nicht unerwähnt lassen, dass die antozonrei- 410 chen Stücke von den antozonarmen und antozonfreien schon äusserlich sich unterscheiden. Die erstern sind nemlich ohne Ausnahme tief schwarzblau, haben ein mattes Aus- ‘sehen, lassen sich ziemlich leicht zerreiben und zeigen eine stengelige Absonderung, während die beiden letztern merk- lich stark glänzen, weniger leicht zerreiblich wie auch hel- ler gefärbt sind und eine mehr körnige als stengelige Ab- sonderung zeigen. Ich muss noch beifügen, dass unter den mir zugeschickten Flussspathstücken auch violette und grüne sich befanden, die ebenfalls keine Spur von Antozon ent- hielten. Da es mir unwahrscheinlich vorkam, dass der Wöl- sendorfer Flussspath durch seine Antozonhaltigkeit einzig dastehe, so habe ich diese Mineralart von möglichst vielen Fundorten auf Antozon geprüft: farblosen, gelben, grünen, violetten, blauen Spath, und keinen derselben gefunden, der diese Sauerstofimodification enthalten hätte, mit Ausnahme zweier kleinen tiefblauen Stückchen, als deren Fundort Eng- land angegeben war und die wahrscheinlich von Derbyshire stammen. Wie ich glaube, berechtigen die Ergebnisse meiner Untersuchungen zu der Annahme, dass das Antozon nie in einem andern als tiefblauen Flussspath angetroffen werde, ohne dass aber desshalb in jedem so gefärbten Spath dasselbe vorkäme. Dieses nie fehlende Zusammengehen von Antozon- haltigkeit mit tiefblauer Färbung scheint daher keine blosse Zufälligkeit zu sein, sondern der Vermuthung Raum zu ge- ben, dass beide Eigenschaften in einer nahen Beziehung zu einander stehen, über welchen wahrscheinlichen Zu- sammenhang ich weiter unten meine Ansichten aussprechen werde. | Bekanntlich kommt der Wölsendorfer Flussspath in Gängen vor, welche ein granitisches Gestein durehsetzen, und ich finde, dass durchschnittlich die Theile eines Spath- 411 stückes, welche den Gangwänden zunächst gelegen (was sich an der platten Fläche mancher Stücke noch leicht er- kennen lässt) an Antozon am reichsten wie auch am tief- sten gefärbt sind und der Gehalt des Minerales an @ ein- wärts dieser Stellen immer mehr abnimmt, bis er in einer gewissen Entfernung gänzlich fehlt. Ausnahmsweise habe ich jedoch an einigen Stücken bemerkt, dass Stellen, wei- ter von der Gangwand entfernt als andere, wieder reicher als die letztern an Antozon wurden, so dass bei der Un- tersuchung grösserer Massen des Wôlsendorfer Spathes wohl auch der Fall beobachtet werden dürfte, dass anto- zonreiche Schichten mit antozonarmen und antozonfreien wechseln. Was die chemische Natur des im Wölsendorfer Fluss- spath enthaltenen Färbstoffes betrifft, so ist wohl kaum daran zu zweifeln, dass sie organischer Art sei, und zwar schon aus dem einfachen Grunde, weil derselbe bei höhe- rer Temperatur zerstört, d. h. der blaue Spath weiss wird mit einem leichten Stich ins Rôthliche, welcher von einem kleinen Gehalt an Eisenoxid herrührt. Aus tief schwarz- blauem und möglichst fein gepulvertem Spathe lässt sich allerdings weder durch Wasser, Weingeist, Aether noch irgend ein anderes Lösungsmittel etwas ausziehen, was diese Flüssigkeiten nur im Geringsten zu färben vermöchte, und eben so kann man das blaue Spathpulver mit Chlorwasser, Chlorkalklösung u. s. w. noch so lange behandeln, ohne ‘dass dasselbe entfärbt würde. Diese Unzerstörbarkeit ist indessen nach meinem Dafürhalten nur scheinbar und be- ruht einfach darauf, dass der Farbstoff in einer Materie sich eingeschlossen findet, welche in Chlorwasser u. s. w. unauflöslich ist. Da nun jedes Spathstäubchen, wie klein es auch sein mag, immer noch körperlichen Umfang hat, so kann der in seinem Innern enthaltene Farbstoff durch die besagten Mittel ‘eben so wenig zerstört werden, als 412 diess geschähe, falls er in Glasröhrchen eingeschlossen, mit den gleichen Flüssigkeiten behandelt würde. Ganz anders verhält sich der Spath bei seiner Erwärmung mit Schwefel- säure, wodurch das Mineral aufgeschlossen wird in Folge der Bildung vor Gyps und Fluorwasserstoffsäure, unter wel- chen Umständen auch der blaue Farbstoff des Spathes voll- ständig verschwindet. Was die Menge des in diesem Mineral enthaltenen Pigmentes betrifit, so kann sie als beinahe verschwindend klein angesehen werden, wie daraus erhellt, dass 10 Gramme tief schwarzblauen und scharf getrockneten Spathpulvers nach der Zerstörung des Farbstoffes durch Glühen kaum ein Milligramm an Gewicht einbüssen, welcher Verlust selbst wohl nur zum kleinsten Theile auf Rechnung des Pigmen- tes gesetzt werden dürfte. Hieraus folgt, dass in den hel- ler gefärbten Spathstücken noch weniger Farbstoff enthalten ist, was also auf eine ausserordentlich grosse Farbeninten- sität des fraglichen Pigmentes schliessen lässt, vergleich- bar mit derjenigen, welche die aus dem Anilin bereiteten Pigmente besitzen. | Wenn aber das ausnahmslose Zusammengehen der An- tozonhaltigkeit mit der Färbung des Wölsendorfer Fluss- spathes auf einen genetischen Zusammenhang beider Eigen- schaften hindeutet, so fragt es sich, worin derselbe bestehe. Der dermalige Stand unseres chemischen Wissens gestattet es zwar nicht, diese Frage jetzt schon genügend zu beant- worten, doch aber halte ich dafür, dass bereits mehrere Thatsachen solcher Art vorliegen, dass sie für eine künf- tige Lösung des Räthsels einen sichern Anhaltspunkt ge- währen dürften. Und ich will es nun schliesslich versu- chen, meine Ansichten über diesen Gegenstand kurz zu entwickeln, zu welchem Behufe ich jedoch vorher noch einige chemische Bemerkungen vorausschicken muss. Auf die Ergebnisse zahlreicher Versuche gestützt, nehme 413 ich bekanntlich drei verschiedene allotrope Zustände des Sauerstoftes an: einen neutralen und zwei thätige einander entgegengesetzte Zustände, welche ich mit O, ®& und © bezeichne. In einer Anzahl von Fällen langsamer Oxida- tion treten aus O die beiden thätigen Gegensätze &) und ©) hervor, wie diess z. B. bei der langsamen Verbrennung des Phosphors in wasserhaltigem atmosphärischen Sauer- stoffe geschieht und welche Zustandsveränderung ich die chemische Polarisation dieses Elementes nenne. Die unter dem Einflusse des Phosphors und Wassers aus O hervor- gehenden ©) und (© sind so, dass ersteres mit HO Was- serstoffsuperoxid — HO + ©) bildet, während ©) theil- weise den Phosphor oxidirt, theilweise seiner Gasförmigkeit halber in die umgebende Luft sich zerstreut, worauf be- kanntlich die Ozonisation derselben mittelst Phosphors beruht. à Meine Versuche haben des Fernern dargethan, dass ein ähnlicher Vorgang auch bei der langsamen Oxidation anderer unorganischer wie organischer Substanzen in was- serhaltigem O stattfinde, z. B. der Mehrzahl der Metalle, Gerbsäuren, Pyrogallussäure u. s. w., welche letztere Ma- terie in dieser Beziehung ganz besonders lehrreich ist. Diese unter geeigneten Umständen so leicht oxidirbare Sub-" stanz wird in ihrem festen Zustande von O nicht, eben so wenig von &) oder HO + ©), dagegen kräftigst von © oder seinen Verbindungen: den Ozoniden angegriffen unter Bildung tief gefärbter Materien, der sogenannten Humin- substanzen. In Berührung mit Wasser der Einwirkung von O ausgesetzt, erleidet die Pyrogallussäure eine ähnliche Veränderung, woher es kommi, dass die wässrige, anfäng- lich farblose Lösung derselben an der Luft allmählig sich bräunt, ein Vorgang, welcher bekanntlich durch die Anwe- senheit irgend eines alkalischen Oxides ganz ausserordent- lich beschleuniget wird. Ich habe nun zu seiner Zeit ge- 414 zeigt, dass mit der Bräunung der reinen wässrigen oder kalihaltigen Pyrogallussäurelösung, d. h. mit der Bildung der tiefgefärbten Huminsubstanzen das Auftreten von Was- serstoffsuperoxid Hand in Hand geht, und da nach meiner Annahme diese Verbindung = HO + & ist und dieselbe keine oxidirende Wirkung auf die Pyrogallussäure hervor- bringt, so schliesse ich aus den angegebenen Thatsachen, dass wie O unter dem Zinflusse des Phosphors und Was- sers in &) und ©) übergeführt wird, der neutrale Sauerstoff auch unter demjenigen der Pyrogallussäure und des Was- sers chemisch polarisirt werde, wobei das auftretende © die organische Säure zu Huminsubstanzen oxidirt und © mit Wasser zu HO + (© zusammentritt, welche Verbin- dung erwähntermaassen gegen die Pyrogallussäure gleich- gültig sich verhält. Eine andere in dieser Beziehung merk- würdige organische Substanz ist das Terpentinöl, welches nach meinen Beobachtungen den gewöhnlichen Sauerstoff ebenfalls in & und ©) (Antozon und Ozon) überführt, wo- von das letztere einen Theil des Oeles in Harz verwandelt und ersteres mit einem andern Theile des Oeles als sol- ches sich vergesellschaftet, aus welcher Verbindung es sich bekanntlich auf andere Substanzen, z. B. SO, übertragen lässt. Um nun auf das im Wölsendorfer Flussspath enthal- tene Antozon und Pigment zurück zu kommen, geht meine Vermuthung dahin, dass dieses (© dem in Kristallisation begriffenen Mineral durch HO + & zugeführt und dieses Wasserstoffsuperoxid gerade so entstanden sei, wie es bei der langsamen Oxidation des Phosphors, vieler metallischen und organischen Substanzen, namentlich der Pyrogallussäure gebildet wird, d. h. in Folge der chemischen Polarisation des gewöhnlichen Sauerstoffes, bewerkstelliget unter dem Einfluss einer oxidirbaren organischen Materie und des Was- sers. Das bei diesem Vorgange zum Vorschein gekommene 415 ©) oxidirte die organische Materie zu blauen, violetten, grünen u. s. w. Farbstoffen, welche gleichzeitig mit dem aus &) und HO entstandenen Wasserstoffsuperoxid in den krystallisirenden Spath eintraten und darin, wie in einem hermetischen Verschluss, Jahrtausende lang bis auf den heutigen Tag unverändert sich erhalten haben. Da aber © nicht als HO + ©, sondern frei im Wölsendorfer Spathe vorhanden ist, indem erst beim Zusammenreiben des Mine- rales mit Wasser Wasserstoffsuperoxid entsteht, so muss jenes freie (& durch irgend einen uns noch unbekannten Vorgang von dem ursprünglich mit ihm verbundenen Was- ser abgetrennt worden sein. ! | Wie man leicht einsieht, fordert es die eben aufge- stellte Hypothese, dass in dem Theile des Spathes, wohin das meiste Wasserstoffsuperoxid und mit ihm &) gelangte, auch gleichzeitig die grössere Menge des Farbstoffes sich anhäufen musste, welcher nach meiner Annahme in Folge der oxidirenden Einwirkung von © auf die organische Ma- terie gebildet wurde, und dass eben hierin der genetische Zusammenhang zwischen der Antozonhaltigkeit und der Färbung des Wölsendorfer Flussspathes bestehe. Aus der oben erwähnten Thatsache, dass die den Gang- wänden zunächst gelegenen Theile des Wölsendorfer Fluss- spathes durchschnittlich reicher als die davon entfernteren Stellen an Antozon sind, würde meiner Hypothese gemäss folgen, dass beim Beginne der Bildung dieses Minerales in den Granitspalten des Wölsenberges die organische Mate- rie, durch welche das atmosphärische O chemisch polari- sirt und aus der das blaue Pigment erzeugt wurde, in grös- serer Menge als später vorhanden gewesen sei. Man könnte sich aber vielleicht wundern, nicht sowohl darüber, dass in dem gleichen Gange verschieden tief gebläueter, sondern auch anders gefärbter Flussspath: grüner, violetter u. s. w. vorkomme, welche Farbenverschiedenheit sicherlich auch 416 auf chemische Unterschiede dieser färbenden Stoffe hin- weist. Bedenkt man jedoch, dass aus einer und eben der- selben organischen Materie, wie z.B. aus dem Anilin durch dessen Oxidation verschiedene Farbstoffe: rothe, blaue, gelbe, grüne, ja sogar tief schwarze erhalten werden, so muss es auch als möglich erscheinen, dass alle die ver- schiedenen Farbstoffe, welche in dem Flussspathe des glei- chen Fundortes eingeschiossen sind, einen gemeinsamen Ur- sprung gehabt haben. Da meines Wissens aller Flussspath, welche Färbung er auch haben mag, in der Hitze weiss wird, so lässt sich wohl kaum daran zweifeln, dass dieselbe von einer orga- nischen Materie herrühre und von einer Anzahl anderer Materien, welche sich bei höherer Temperatur entfärben, wie 7. B. der violette Amethyst, lässt sich das gleiche sa- gen. Da es nun nicht unmöglich ist, dass sämmtliche or- ganische, in den Mineralien vorkommende Farbstoffe in ähnlicher Weise entstanden seien, wie ich mir denke, dass das blaue Pigment des Wölsendorfer Flussspathes sich ge- bildet habe, so wäre es im Interesse der Wissenschaft wünschenswerth, durch weitere Versuche zu ermitteln, ob nicht auch in andern, durch organische Materien tief ge- färbte Mineralien Antozon sich nachweisen lasse, wie z. B. in dem bisweilen prachtvoll tiefblau gefärbten Steinsalze. VII Ueber die Bildung des Wasserstoffsuperoxides bei höhern Temperaturen. Das Wasserstoffsuperoxid gilt als eine der lockersten chemischen Verbindungen, weil es schon für sich allein in der Kälte allmählig, bei höherer Temperatur mit stürmischer 417 Heftigkeit in Wasser und gewöhnlichen Sauerstoff zerfällt. Man sollte daher vermuthen, dass HO, bei höhern Wärme- graden, z. B. bei der Siedhitze des Wassers sich nicht bil- den könnte; es werden jedoch die nachstehenden Angaben zeigen, dass die Sache anders sich verhalte. Vorerst will ich bemerken, dass nach meinen Versu- chen stark verdünntes Wasserstoffsuperoxid, welches jedoch unter Mitwirkung einiger Tropfen Eisenvitriollösung den Jodkaliumkleister noch augenblicklich auf das Tiefste bläut oder noch merklich die angesäuerte Lösung des Kaliper- manganates entfärbt, fünf Stunden lang in siedendem Was- ser stehen kann, ohne dadurch das Vermögen zu verlieren, in noch augenfälliger Weise die erwähnten Reactionen her- vorzubringen. Eine solche Flüssigkeit noch länger auf einer Temperatur von 100° erhalten, verliert jedoch endlich diese Eigenschaft, zum Beweise, dass das darin enthaltene Was- serstoffsuperoxid nach und nach gänzlich zersetzt wird. Trägt man in siedendes, mit einiger Fluorsiliciumwas- serstoff- oder Saizsäure versetztes Wasser fein gepulvertes Bariumsuperoxid bis zur Sättigung der Säuren ein, so findet zwar eine lebhafte Entbindung von Sauerstoflgas statt; es besitzt aber nichts desto weniger die abgekühlte Flüssig- keit noch die Eigenschaft, durch Chromsäurelösung tief ge- bläut zu werden, die angesäuerte Kalipermanganatlösung unter noch sichtlicher Entwickelung von Sauerstoflgas zu entfärben und unter Beihülfe gelösten Eisenvitrioles den Jodkaliumkleister auf das Tiefste zu bläuen, Reactionen, welche, wie man sieht, über den HO;-Gehalt unserer Flüs- sigkeit keinen Zweifel übrig lassen und daher auch bewei- sen, dass das Wasserstoffsuperoxid selbst beim Siedpunkte des Wassers gebildet werden kann. Meine frühern Versuche haben gezeigt, dass während der langsamen, bei gewöhnlicher Temperatur und Anwesen- heit von Wasser erfolgenden Oxidation vieler unorganischen 23 418 und organischen Materien in reinem oder atmosphärischem Sauerstoffgas nachweisbare Mengen Wasserstoffsuperoxides entstehen und wie in mancher andern, so auch in dieser Beziehung die langsame Verbrennung des Phosphors in at- mosphärischer Luft typisch sei. Die vorhin erwähnten Thatsachen, wie auch einige theo- retischen Gründe, liessen mich vermuthen, dass unter der Mitwirkung des Phosphors oder anderer leicht oxidirbaren Substanzen der gewöhnliche Sauerstoff bestimmt werden könne, selbst mit siedendem Wasser zu Wasserstoffsuper- oxid sich zu verbinden, und wie man sofort sehen wird, ist die Richtigkeit dieser Vermuthung durch die Ergebnisse meiner Versuche vollkommen bestätiget worden. Erster Versuch mit Phosphor. Ich erhitzte in einem mit atmosphärischer Luft gefüllten litergrössen Kol- ben 100 Gramme reinen Wassers bis zum Sieden, führte dann fünf Gramme Phosphors in die Flüssigkeit ein und schüttelte bei verschlossenem Gefäss das Ganze einige Mi- nuten lang lebhaft zusammen, mehrere Male die Luft des Kolbens erneuernd in der Absicht, eine gehörig sauerstoff- reiche Atmosphäre mit dem Phosphor in Berührung zu er- halten. Das auf diese Weise behandelte und wieder er- kältete Wasser brachte nun alle das Wasserstoffsuperoxid kennzeichnenden Reactionen hervor: es bläuete den Jod- kaliumkleister auf das Tiefste beim Zufügen einiger Tropfen Eisenvitriollösung, entfärbte noch merklich angesäuertes gelöstes Kalipermanganat, wie es auch, wenn durch Indigo- tinctur etwas gebläut, den Farbstoff unter Mithülfe. einiger Tropfen Eisenvitriollösung ziemlich rasch zerstörte. Wie ich schon vor einigen Jahren zeigte, ist die ge- löste Chromsäure in Verbindung mit Aether ein gutes Rea- gens auf das Wasserstoffsuperoxid, obwohl es an Empfind- lichkeit dem Jodkaliumkleister, der angesäuerten Kaliper- manganatlösung u. s. w. weit nachsteht; denn durch erstere 419 lässt sich im Wasser noch ein Milliontel HO: deutlich er- kennen, während davon mittelst Chromsäure und Aether höchstens {4000 nachgewiesen werden kann. Besagtes Was- ser mit dem gleichen Raumtheile Aethers und einigen Tro- pfen Chromsäurelösung. einige Augenblicke zusammen ge- schüttelt, bläute diesen Aether zwar äusserst schwach, wurde derselbe aber zu wiederholten Malen mit neuen Por- tionen unseres Wassers und einiger Chromsäure behandelt, so nahm er eine deutlich lasurblaue Färbung an, welche Thatsachen beweisen, dass beim Schütteln siedenden 4as- sers mit Phosphor und gewöhnlichem Sauerstofigas noch nachweisbare Mengen Wasserstoffsuperoxides gebildet wer- den. Versteht sich von selbst, dass unter diesen Umstän- den phosphorichte und Phosphorsäure entsteht, wie sich auch kleine Mengen Ammoniaknitrites erzeugen, welche dem in Rede stehenden Wasser die Eigenschaft ertheilen, schon für sich allein den Jodkaliumkleister, wenn auch nur schwach, doch noch deutlich zu bläuen. Selbstverständlich wird aus diesem Nitrite durch die gleichzeitig gebildeten Phosphor- säuren, welche vom Wasser aufgenommen werden, NO; in Freiheit gesetzt, wesshalb die Flüssigkeit den Jodkalium- kleister zu bläuen vermag. Diese Färbung verursacht aber das säuerliche Wasser nur im frischen Zustande; nachdem es einige Zeit gestan- den, vermag es dieselbe nur noch unter Mitwirkung einer Eisenoxidulsalzlösung hervorzubringen, welche Veränderung ohne Zweifel ihren Grund darin hat, dass das freie in Was- ser gelöste NO; seinen thätigen Sauerstoff dem vorhande- nen PO, bald überlässt, während bekanntermaassen das Wassersioffsuperoxid mit der bezeichneten Säure längere Zeit gemischt sein kann, ohne an sie Sauerstoff abzugeben. Zweiter Versuch mit Bleiamalgam. Schüttelt man 100 Gramme siedendes Wasser, das 1 %, Schwefel- säure enthält, mit 150 Grammen eines bei gewöhnlicher 28* 420 r Temperatur dickfiüssigen Bleiamalgames 5—6 Minuten lang in einem lufthaltigen litergrossen Kolben lebhaft zusammen, so wird die vom entstandenen Sulfat abfiltrirte und er- kältete Flüssigkeit beim Zusammenschütteln mit einem glei- chen Raumtheile Aethers und einigen Tropfen Chromsäure- lösung den Aether, wenn auch nicht stark, doch noch deut- lich bläuen, welche Reaction allein schon die Anwesenheit einer merklichen Menge von Wasserstoffsuperoxid ausser Zweifel stellt, wesshalb es sich auch von selbst versteht, dass“ die gleiche Flüssigkeit den Jodkaliumkleister unter Mithülfe der Eisenvitriollösung auf das Tiefste bläut, oder die zugetröpfelte Kalipermanganatlösıng unter noch sicht- licher Entbindung von Sauerstoffgasbläschen entfärbt. Ich füge hier noch bei, dass beim Schütteln siedend heissen, durch SO; angesäuerten Wassers mit reinen Ku- pferspähnen und atmosphärischer Luft zwar kleine, aber . mittelst Jodkaliumkleisters u. s. w. immer noch deutlich nachweisbare Mengen von HO: entstehen und eben so beim Schütteln reinen heissen Wassers mit amalgamirten Zink- oder Kadmiumspähnen und Luft. Dritter Versuch mit Galläpfelgerbsäure u. s. w. Schon vor einiger Zeit ist von mir die Thatsache ermittelt worden, dass die genannte Säure, wie auch ihre Abkömmlinge: die Gallus- und Pyrogallussäure, bei ge- wöhnlicher Temperatur mit kalihaltigem Wasser und at- mosphärischem Sauerstoff so lange geschüttelt, bis sie völ- lig zerstört oder in sogenannte Huminsubstanzen umgewan- ‘ delt sind, eine Flüssigkeit liefern, welche merkliche Mengen Wasserstoffsuperoxides enthält. Werden 100 Gramme 2% Kali enthaltendes und bis zum Sieden erhitztes Wasser in einem geräumigen Kolben mit zwei Decigrammen Galläjfel- gerbsäure und atmosphärischer Luft nur wenige Minuten lang lebhaft zusammen geschütielt uni übersäuert man dann diese Flüssigkeit mit SO,, so wird dieselbe, mit dem glei- 421 chen Raumtheile Aethers und einigen Tropfen Chromsäure- lösung geschüttelt, den Aether ganz deutlich bläuen, wie sie sclbstverständlich auch die sonstigen Reactionen des Wasserstoffsuperoxides hervor bringt. Auf die ‚gleiche Weise verhält sich die Gallus- und Pyrogallussäure, falls dieselben gerade so, wie die Gerbsäure behandelt werden, mit dem Unterschiede jedoch, dass man nur ein Decigramm dieser Säure auf 100 Gramme des kalihaltigen Wassers an- wendet. Bekanntlich nimmt das Hämatoxylin ähnlich den ge- nannten Säuren schon bei gewöhnlicher Temperatur und Anwesenheit gelöster Alkalien gierigst Sauerstoff auf, und ich habe zu seiner Zeit gezeist, dass auch bei diesem Oxi- dationsvorgange Wasserstoffsuperoxid gebildet werde. Ich finde nun, dass noch nachweisbare Mengen dieser Verbin- dung beim Schütteln siedend heissen kalihaltisen Wassers mit dem erwähnten Chromogen und atmosphärischer Luft entstehen. Schüttelt man 100 Gramme des besagten Was- sers mit einem Decigramm Hämatoxylins und Luft so lange zusammen, bis die Fiüssigkeit eine schmutzig-braune Farbe angenummen, übersäuert man sie hierauf mit SO; und be- handelt sie dann mit Thierkohle, so wird dieselbe, wenn abfiltrirt mit einigen Tropfen Chromsäurelösung und dem gleichen Ranmtheile Aethers zusammen geschüttelt, diesen noch deutlich bläuen. Die Thierkohle wird in der Absicht angewendet, aus der Flüssigkeit die gefärbten Substanzen zu entfernen, welche, in Aether sich lösend, die schwach blaue Färbung desselben verhüllen würde. Vierter Versuch mit der Indigoküppe. Die merkwürdige Thatsache, dass eine Lösung des reducirten Indigos in wässrigen Alkalien, bei gewöhnlicher Tempera- tur mit gewöhnlichem Sauerstoffgas oder atmosphärischer Luft bis zur völligen Oxidation‘ des vorhandenen Chromo- genes geschüttelt, die Bilduug merklicher Mengen Wasser- / 422 stoflsuperoxides verursacht, ist von mir schon vor einiger Zeit mitgetheilt worden und meine neuern Versuche zei- gen, dass die Erzeugung von HO; auch dann noch statt- findet, wenn man die auf 100° erhitzte Küppe mit Sauer- stoffgas oder Luft schüttelt, obwohl unter diesen Umständen, wie sich diess übrigens von selbst versteht, die Menge des erhaltenen Superoxides nicht so gross ist, als diejenige, welche man, alles übrige sonst gleich, bei gewöhnlicher Temperatur erhält. Denjenigen, welche diese Versuche zu wiederholen beabsichtigen, bringe ich schon anderwärts Be- merktes in Erinnerung, dass wenn ich die Küppe, nachdem aus ihr durch Schütteln mit Luft aller Indigo gefällt ist, sofort mit SO; übersäuert und dann filtrirt werden muss, wenn man mit der Flüssigkeit die Wasserstoffreactionen hervorbringen will. Noch muss ich hier an die von mir schon vor Jahren ermittelte Thatsache erinnern, dass auch bei der langsamen Verbrennung des Aethers, die bei einer Temperatur von 140° angefacht wird und bei welcher eine merklich starke Wärmeentwickelung stattfindet, so viel Wasserstoffsuper- oxid sich bildet, dass dasselbe mittelst Aethers und Chrom- säure!ösung nachgewiesen werden kann. Wenn nun obigen Angaben gemäss in so verschieden- artigen Fällen langsamer Oxidation, finde dieselbe bei ge- wöhnlicher oder höherer Temperatur statt, Wasserstoff- superoxid sich bildet, so lässt sich kaum daran zweifeln, dass auch noch in vielen andern Fällen ein Gleiches ge- -Schehe; ja ich bin geneigt zu glauben, dass überall, wo die Anwesenheit von Wasser nothwendig ist, damit der freie gewöhnliche Sauerstoff auf irgend eine Materie oxidirende Wirkungen hervor bringe, da immer auch Wasserstoff- superoxid erzeugt werde, eine Vermuthung, die mich haupt- sächlich veranlasst hat, die oben beschriebenen Versuche anzustellen. Und da mir dieser Gegenstand von nicht ge- 423 ringer theoretischen Bedeutung zu sein scheint, so will ich mir schliesslich erlauben, über denselben noch einige Be- merkungen zu machen. Bekanntlich nehme ich an, dass der gewöhnliche Sauer- stoff als solcher keine einzige Materie zu oxidiren vermöge und erst eine allotrope Zustandsveränderung erleiden müsse, bevor er zu irgend einem Oxidationswerke geschickt sei. Eben so glaube ich aus einer Änzahl von mir ermittelter Thatsachen den Schluss ziehen zu dürfen, dass es zwei einander entgegengesetzt thätige Modificationen des Sauer- stoffes gebe: & und ©), welche unter geeigneten Umstän- den gleichzeitig aus O hervorgehen. Von ©) (dem Ozon) lehrt die Erfahrung, dass es ohne weitere Vermittlung schon in der Kälte eine grosse Zahl einfacher und zusammenge- setzter Stoffe zu oxidiren vermag und von (D (dem Anto- zon) glaube ich nachgewiesen zu haben, dass es als sol- ches selbst gegen viele leicht oxidirbaren Substanzen, z.B. gegen den Phosphor, reducirten Indigo, die Pyrogallussäure, das Hämatoxylin u. s. w. chemisch gleichgültig sich ver- halte, während es dagegen bereitwilligst mit HO zu Was- serstoffsuperoxid zusammen tritt, mit welchem HO der 0z0- nisirte Sauerstoff sieh nicht chemisch vereinigen lässt. Eines der Mittel, den neutralen Sauerstoff (0) in & und © überzuführen (chemisch zu polarisiren) besteht darin, denselben einerseits mit einer durch © leicht oxidirbaren Materie, andererseits mit Wasser gleichzeitig in Berührung zu setzen, und schon längst halte ich dafür, dass die lang- same Verbrennung des Phosphors in wasserhaltigem Sauer- stoff uns den Hauptvorgang enthülle, von welchem die langsame Oxidation aller Materien in der atmosphärischen Luft bedingt ist. Es wird mir desshalb auch gestattet sein, über die besagte Verbrennung des Phosphors noch einige weitere Worte zu sagen. Bei einer Temperatur von 0° wird der mit Wasser und 42% atmosphärischem Sauerstoff in Berührung stehende Phos- phor so gut als gar nicht oxidirt, wie auch nach meinen Beobachtungen unter diesen Umständen kein Ozon zum Vor- schein kommt noch Wasserstoffsiperoxid sich bildet. Bei 10° findet die Oxidation des Phosphors schon in merkli- chem Grade statt und treten, wenn auch kleine, doch schon nachweisbare Mengen Ozones und Wasserstoffsuperoxides auf, und je höher nun die Temperatur gesteigert wird, um so lebhafter oxidirt sich der Phosphor und um so reich- licher kommen Ozon und Wasserstoffsuperoxid zum Vor- schein. | Wie bereits bemerkt, bildet sich beim Schütteln des Phosphors mit kochend heissem Wasser und atmosphäri- scher Luft im Laufe weniger Minuten schon so viel Was- serstoffsuperoxid, dass man dasselbe mittelst Aethers und Chromsäurelösung nachweisen kann; es tritt aber auch gleich- zeitig so viel Ozon auf, dass ein feuchter Streifen Jodka- liumstärkepapieres, in das Versuchsgefäss eingeführt, bei- nahe augenblicklich blauschwarz sich färbt. Leicht sieht man jedoch ein, dass nicht mehr alles während des Schüttelns gebildete Wasserstoffsuperoxid in der Flüssigkeit angetroffen wird, da ein Theil desselben schon in Folge der obwaltenden hohen Temperatur wieder zersetzt werden muss; und eben so unschwer begreift sich auch, dass in der Luft des Versuchsgefässes nicht die ganze Menge des entstandenen Ozones mehr vorhanden sein kann, weil ein Theil davon zur Oxidation des Phosphors ver- ‚wendet worden. Die Thatsache, dass der czonisirte Sauer- stoff und das Wasserstoffsuperoxid sich gegenseitig zerstö- ren, d. h. in gewöhnlichen Sauerstoff und Wasser sich um- setzen, ist ein weiterer Grund, wesshalb die Mengen des Ozons und Wasserstoffsuperoxides, welehe beim Schütteln des Phosphors mit heissem Wasser und Luft auftreten, ver- mindert werden. om 425 Wenn nun die Erfahrung lehrt, dass um so rascher Ozon und Wasserstoffsuperoxid zum Vorschein kommen, je höher die Temperatur ist, bei welcher gewöhnlicher Sauer- stoff mit Phosphor und Wasser in Berührung gesetzt wird, und wenn nach meinem Dafürhalten dieses Auftreten von €) und HO + © auf einer chemischen Polarisation von O beruht, so muss ich auch annehmen, dass der polarisirende Einfluss des Phosphors und Wassers auf den neutralen Sauerstoff mit der Temperatur gesteigert werde und hierin der nächste Grund liege, wesshalb die Oxidation des Phos- phors u. s. w. durch die Wärme beschleuniget wird. Wie diess von mir schon weiter oben und auch ander- wärts ausgesprochen worden ist, halte ich dafür, dass die nächste Ursache jeder langsamen, scheinbar durch gewöhn- lichen Sauerstoff unter Mitwirkung des Wassers bewerk- stelligten Oxidation in der chemischen Polarisation dieses O zu suchen sei und eben desshalb bei einem solchen Oxi- dationsvorgang auch immer Wasserstoffsuperoxid gebildet werde, ohne dass desshalb auch freies Ozon auftreten müsste. Dass bei der langsamen Verbrennung des Phos- phors neben HO + © auch © zum Vorschein kommt, hängt nach meinem Dafürhalten mit der Verdampfbarkeit des Phos- phors zusammen, für welche Annahme ich in frühern Ab- handlungen meine Gründe angegeben habe. Thatsache ist jedenfalls, dass kein Körper unorganischer oder organischer Art, welcher weder bei gewöhnlicher Temperatur noch beim Siedpunkte des Wassers verdampft, bei seiner lang- samen Oxidation das Auftreten freien Ozones zu veranlas- sen vermag. Schüttelt man z. B. Bleiamalgam mit S0,-hal- tisem Wasser und Sauerstoffsas bei gewöhnlicher oder höherer Temperatur, so wird zwar rasch eine merkliche Menge Wasserstoffsuperoxides gebildet, ohne dass aber da- bei auch nur eine Spur Ozones zum Vorschein käme, nach meiner Meinung einfach desswegen, weil alles am Blei auf- 4.26 tretende ©) sofort zur Oxidation des Metalles verwendet wird, wie diess aus der Bildung des Bleisulfates hervor- seht, welche unter diesen Umständen Platz greift. Ein glei- cher Mangel an freiem Ozon bei Anwesenheit von Wasser- stoffsuperoxid zeigt sich in vielen andern Fällen, z. B. der mit kalihaltisem Wasser und Sauerstoff behandelten Pyro- gallussäure, der mit Luft geschüttelten Küppe u. s. w. Was nun endlich diejenigen zahlreichen Fälle lang- samer Oxidation der Körper betrifft, bei weichen weder freies Ozon noch Wasserstoff zum Vorschein kommt, so werde ich dieselben demnächst in einer eigenen Arbeit be- handeln und darin zu zeigen suchen, dass sie keineswegs im Widerspruch mit meinen Ansichten stehen und es nur sekundäre Umstände sind, welche dabei das Auftreten von | © und HO + © verhindern. Voriäufige Notiz über ein neues BReagens auf alka- isch reagirende Flüssigkeiten und auf salpeirig- saure Salze. Von Dr. Frıeprich GOPPELSRÖDER. Mitgetheilt der schweizerischen Naturforscher-Versammlung in Luzern den 24. September 1862. Bei einer seit zwei Jahren begonnenen Arbeit über Farbstoffe widmete ich unter Anderm meine Aufmerksam- keit den bekannten Malvenblumen (flores malvæ arboreæ). Kocht man die Blumenblätter mit destillirtem Wasser aus, so erhält man eine klare, klebrige Flüssigkeit von nicht schöner violetrother Farbe, welche durch Säuren in kar- 'mesinroth verwandelt wird. Sättigt man die Säuren sorg- fältig mit einem Alkali, so wird die violete Farbe wieder 427 hergestellt, und bei Mehrzusatz von Alkali geht das violet in grün über. Zieht man die Malvenblumen statt mit de- stillirtem Wasser mit Brunn- oder Flusswasser aus, so erhält man keine violetrothe, sondern eine schmutzig grau- srün gefärbte Lösung. In dem mit destillirtem Wasser er- haltenen Auszug färbt sich Papier „Cendre de rose“, in dem mit Säuren versetzten rosa. Das erste Papier reagirt auf Säuren, das rothe Papier auf alkalisch reagirende Substanzen. Ueber die Empfind- liehkeit ersteren Papieres habe ich aus Mangel an Zeit noch keine genügende Versuche angestellt, die folgende Notiz beschränkt sich auf das rothe Papier. Anm. Die Buchstaben: Cp. bedeuten Curcumapapier. RLp. rothes und BLp. blaues Lakmuspapier. RMblp. rothes Malvenblumenpapier. BMblp. Cendre de rose gefärbtes Malvenblumenpapier. 1. Reaction des rothen Papieres in alkalisch reagirenden Flüssigkeiten. Die ersten Versuche wurden mit Quell-, Brunn- und Flusswasser angestellt. In den Wasserstrahl des Brunnens meines Laboratoriums wurden gleichzeitig ein rothes Lak- mus-, ein gelbes Curcuma- und ein rothes Malvenblumen- papier gehangen. Der rothe Lakmusstreif zeigte nach einer Minute einen kaum wahrnehmbaren bläulichen Schein, der Curcumastreif erst nach 5 Minuten einen bräunlichen Schim- mer, der rothe Malvenblumenstreif aber färbte sich schon nach 16 Sekunden schwach, und nach einer Minute sehr stark blauviolet. Eben so verhielten sich die drei Papiere im Wasserstrahle anderer laufenden Brunnen Basels, wel- che in einem Liter durchschnittlich 0,3 bis 9,4 Gr. feste 128 Bestandtheile (hauptsächlich kohlensauren Kalk) enthalten. In geschöpftem Brunnwasser färbte sich Cp. nach 6 Minu- ten leise bräunlich, das RL. leise bläulich, das rothe Mal- venblumenpapier sogleich violetblau und nach 5 Minuten grün. BMblp. verlor seinen violetlichen Ton und ging in grün über. Lag ein rother Malvenblumenstreif wenige Mi- nuten in einem Brunnwasser oder in sonstigen schwach alkalisch reagirenden Flüssigkeiten, se wurden diese nach Entfernung des Streifes und nach Zusatz einer Säure röth- lich gefärbt. Der rothe Farbstoff löst sich in sehr ver- dünnten alkalisch reagirenden Flüssigkeiten zu einer so hellgrünlich gefärbten Lôsung auf, dass man ihre Farbe wahrzunehmen nicht im Stande ist. Nach Zusatz einer Säure aber scheidet er sich aus seiner grün gefärbten Verbindung mit der Basis aus und erscheint mit der ihm eigenthüm- lichen und in höchst verdünnten Lösungen wahrnehmbaren rothen Farbe. Nach dreitägigem Liegen in den vor Luft geschützten Wassern blieb Cp. unverändert, RLp. wurde violetblau und der rothe Malvenblumenstreif grünlichgrau. Nach dreitägisem Liegen in vor Luft geschütztem (bei Ba- sel geschöpftem) Rheinwasser, welches in einem Liter nur 0,1788 Gramme feste Bestandtheile enthielt, färbte sich RL. violetlichblau, Cp. gar nicht und RMblp. grünlichgrau. Im Wiesenwasser, welches in einem Liter nur 0,0742 Gramme feste Bestandtheile enthielt und nur spurenweise auf Kalk reagirte, blieb nach dreitägiger Einwirkung RLp. und €. -völlig unverändert, RMblp. wurde schmutziggrau Nach vier- zehntägigem Liegen in den folgenden in wohl verschlosse- nen Flaschen aufbewahrten Wassern sahen die Streifen auf folgende Weise aus: a. Im Brunnwasser: Cp. hatte eine gelbe Farbe mit schmutzigem Schein. RLp. eine violetbläuliche Farbe. . RMblp. eine schwach graugrüne. Die Brunnwasser zeigten keinen fauligen Geruch. 429 b. Im Rheinwasser: Cp. hatte eine schmutziggelbe Farbe. RLp. war beinahe entfärbt mit blossem schmutzigem Schein. RMblp. verhielt sich wie RL. Das Rheinwasser roch faulig. c. Im Wiesenwasser: Cp. war nur noch schwach gelb. RLp. und RMblp. beinahe entfärbt. Das Wiesenwasser roch faulig. d. In einem Sodwasser: Cp. noch etwas schwach gelb. RLp. bläulichvioletlich. RMblp. schwach graugrünlich. Das Wasser roch nicht faulig und enthielt in einem Liter 1,0694 Gr. feste Bestandtheile, darunter viel kohlensauren Kalk. Diese, sowie alle bis dahin angestellten Versuche, be- weisen die empfindlichere oder rascher wahrnehmbare Reak- tion des rothen Malvenblumenpapieres in alkalisch reagi- renden Flüssigkeiten; die zuletzt erwähnten Versuche deuten hin auf die Anwendbarkeit der gefärbten Papiere, nament- lich des rothen Lakmus- und rothen Malvenblumenpapieres zum Nachweis der in Quell-, Brunn- und Flusswasser ent- haltenen organischen Substanzen. In allen Wassern, welche organische Substanzen enthalten, werden die zwei Papiere nach kürzerer oder längerer Zeit entfärbt, während in sol- &hen Wassern, welche frei davon sind, beide Papiere, die in Folge der Gegenwart alkalischer Substanzen angenom- mene blaue oder grüne Färbung mehr oder weniger voll- ständig beibehalten. Einen lösenden Einfluss üben die al- kalischen Bestandtheile der Wasser für sich allein schon aus, so dass sich die Farben niemals vollständig erhalten. Für den Geologen möchte die Empfindlichkeit des Mal- 430 venblumenpapieres von einigem Interesse sein, indem er sich dadurch auf Excursionen über die Qualität einer Quelle (respektive Kalkgehalt) in kürzerer Zeit, als mit den an- dern Papieren, Aufschluss zu verschaffen vermag. In drei dicht bei einander zu Tage getretenen Quellwassern rea- girten die Reagenspapiere folgendermaassen: In der Quelle Nro. 1 zeigte RLp. erst nach 90 Sekun- den einen schwachen violetlichen Hochschein, in 21, Mi- nuten war es schwach violetlich; noch indifferenter war Cp.; RMblp. aber nahm schen nach 15 Sekunden einen vio- letlichen, nach 20 Sekunden einen blauvioleten Schein an, und nach Verfluss von 30 Sekunden war es ziemlich stark lau gefärbt. Ein geringer Unterschied zeigte sich in Quelle Nro. 2. In der Queile Nro. 3 wurde aber Rothmalvenpapier nach ebenfalls 30 Sekunden weit stärker blau gefärbt, wie in den Quellen Nro. 1 und 2. Die violetliche Färbung, welche RLp. in der beinahe fünffachen Zeit in den drei Quellen zeigte, war für das Auge zu hell, als dass es die feinen Unterschiede wahrzunehmen im Stande gewesen wäre. Rothmalvenblumenpapier allein zeigte somit in Quelle Nro. 3 einen grössern Kalkgehalt wie in Nro. 1 und 2 an; dieses bestätigte sich auch durch die Analyse der drei Quell- wasser: kohlensaurer Quelle feste Bestandtheile Kalk Nro. 1 enthielt in 1000 ec. = 0,256 Gr., darin 0,2439 Gr. „2 n À —; 0,2588 , ser ane » 5 — 0,2960 „ » 0,2621 °% In Natronlösung mit einem Gehalt von '%s0000 Causti- schen Natrens, zeigte Cp. und RLp. nach einer Viertel- stunde kaum einen bräunlichen und bläulichen Schein, RMbip. war aber nach 5 Minuten grauvioletlich gefärbt. Die Em- pfindlichkeit des Papieres geht viel weiter, doch wäre es eine unnütze Aufgabe, deren Grenze eher zu bestimmen, als 431 bis das zur Lösung des Natrons angewandte destillirte Wasser frei von Spuren von salpetrigsaurem Ammoniak dargestellt werden kann. Ein weiterer Beweis für die Empfindlichkeit des Pa- pieres zeigt sich beim freien Aufbewahren desselben in bewohnten Räumen, wo es sich nach kurzer Zeit violetlich bis bläulichvioletlich färbt, während RLp. und Cp. unver- ändert bleiben. Nur in der freien Luft oder in wohl zu- gestöpselten Gläsern lässt sich das Papier aufbewahren. In der Nähe von Abtritten erleidet es rasch eine Veränderung. I. Verhalten des rothen Papieres gegen salpetrigsaure Salze. In jedem destillirten Wasser färbt es sich schwach violet. Es wurde in verschiedenen Destillirblasen und zu wiederholten Malen destillirtes Wasser dargestellt und stets erhielt ich darin, wenn auch Jodkaliumstärkekleister mit Schwefelsäure nur eine sehr schwache Reaction auf Nitrite gaben, das heisst erst nach einer Viertelstunde eine schwa- che bläuliche Färbung verursachten, eine violetliche, nach einigen Minuten bläulichviolette Färbung des Reagenspapie- res. Nicht nur in solchem destillirten Wasser, welches ge- gen RLp. sich indifferent verhält, färbt sich RMblp. violet- lich, sondern auch in schwach saurem. Versetzt man de- stillirtes Wasser mit so viel verdünnter Schwefel-äure, dass darin BLp. eben violetlich wird, so färbt sich darin Roth- malvenblumenpapier schwach violetlich. Bei Mehrzusatz von Schwefelsäure wird der Farbstoff abgelöst, somit die Reaktion verhindert. | Wie das destillirte Wasser verhält sich auch ein jedes Regenwasser, dessen steter Gehalt an salpetrigsaurem Am- moniak genügend dargethan worden ist. Schon nach einer Sekunde färbt sich darin der Streif violetlich bis Llauvio- 432 let. Setzt man auch Schwefelsäure bis zur schwach vio- letlichen Färbung von blauem Lakmuspapier zu, so wird der Streif dennoch violet. Wird ferner ein Quell-, Brunn- oder Flusswasser mit so viel Säure versetzt, dass BLp. eben violetröthlich wird, so färbt sich der Malvenblumen- streif baldigst vioiet bis blauviolet. $ Die Reaktion im Regen-, im destillirten und im schwach angesäuerten Brunnwasser schreibe ich dem in allen diesen Wassern enthaltenen salpetrigsauren Ammoniak zu, wel- ches selbst da noch, wo der Jodkaliumstärkekleister unter Mitwirkung von Schwefelsäure unverändert bleibt, auf den Malvenblumenfarbstoff reagirt. Eine Lösung von chemisch- reinem kristallisirtem salpetersaurem Ammoniak reagirte . weder auf BLp. noch auf RLp. und Cp.; Malvenblumenpa- pier wurde schwach violetlich gefärbt, was nur dem zur Lösung des Salzes angewandten destillirten Wasser zuzu- schreiben ist. Nach Reduktion der Lösung mit Zinkamal- gam wurde darin RLp. blau, BMblp. und RMblp. aber grün. Zur Saturation des durch die zu weit geschrittene Reduk- tion frei gewordenen Ammoniaks wurde die salpetrigsaure Ammoniaklösung mit Schwefelsäure bis zur schwach rothen Färbung des Bip. versetzt, wornach sich RMblp. sogleich violet, alsdann blauviolet und zuletzt beinahe rein blau färbte; BMblp. wurde etwas blässer und nahm einen grün- lichgrauen Schein an. Wurde jedoch so viel Schwefelsäure zugesetzt, dass BLp. und BMblp. stark geröthet wurden, so blieb RMLIp. unverändert roth. Eine salpetersaure Ammoniaklösung, welche sich gegen Reagenspapiere ganz indifferent verhält, reagirte nach zehn- tägigem Zusammenstehen mit Schnitzeln schwedischen Pa- pieres foigendermassen: Nach 11 Minuten langem Liegen in der Lösung färbte sich weder Cp. noch RLp, RMblp. aber wurde schun nach ! Minute rothviolet, nach 2, Minuten 433 blauviolet und nach 11 Minuten beinahe blau. Dasselbe ge- schah auch nach vorsichtigem Ansäuern der Lösung. In einer Lösung von salpetersaurem Kali wird RMbip. blos schwach violet, was ebensowohl dem destillirten Was- ser wie Spuren von salpetrigsaurem Kali zugeschrieben werden kann. Wird jedoch die Lösung mit Zink reduzirt und bei allfällig zu weit geschrittener Reduktion Schwefel- säure bis zur violetlichen Färbung des BLp. zugesetzt, so färbt sich RMblp. blauviolet. Wie die reduzirte Lösung des salpetersauren Kalis verhält sich eine Lösung gewöhnlichen Salpeters; giebt dieselbe nach der bekannten Methode mit Jodkalium u. s. w. selbst nach längerer Zeit erst eine schwache röthliche Fär- bung und färbt sich darin weder RLp. noch Cp., so ver- ändert sich dennoch die Farbe des RMblp. in violetblau. Wie salpetrigsaures Ammoniak und salpetrigsaures Kali verhält sich auch salpetrigsaures Natron. III. Verhalten des rothen Papieres gegen thierische Flüssigkeiten und gegen Pflanzensäfte. Das rothe Papier färbt sich in den thierischen Flüs- sigkeiten und in den Pflanzensäften, sowohl wenn dieselben neutral, als auch schwach angesäuert sind. Zu ungefähr hundert Malen untersuchte ich den zu verschiedenen Zeiten von gesunden und kranken Individuen gelassenen Harn, und stets färbte sich darin das Papier stark blauviolet. Ein . alkalisch reagirender Harn, welcher roth Lakmus bläulich färbt, verändert Malvenpapier zuerst in blauviolet, dann in blau und zuletzt in grün; versetzt man ihn jedoch mit ver- dünnter Schwefelsäure bis zur rothen Färbung von Blp., so 29 43% wird RMblp. nicht mehr grün, sondern blauviolet. Selbst‘ bei starkem Ansäuern färbt sich das Papier noch blauvio- let; geht jedoch die Menge der Säure über eine gewisse Grenze, so übt sie ihre lösende Eigenschaft auf den rothen Farbstoff aus. Rührt man frische feste Excremente mit Wasser an, so erhält man in der filtrirten Lösung eine blauviolette, oft blaue Färbung des Malvenpapieres. Säuert man die Flüs- sigkeit schwach an, so entsteht dennoch die Farbenver- änderung. Wie der Harn und die festen Excremente verhielten sich alle bisher untersuchten thierischen Flüssigkeiten, so namentlich auch das Blut. Die Galle färbt das Papier violet bis dunkelblauviolet; die Galle eines frisch geschlachteten Ochsen, welche RLp. schwach bläulich färbte, wurde bis zur schwach röthlichen Färbung von Blp. mit verdünnter Schwefelsäure versetzt, wornach sich Malvenpapier ziemlich dunkelblauviolet färbte; selust nach Zusatz von so viel Schwefelsäure, dass sich BLp. stark rôthete, wurde das Malvenpapier stark blau- violet gefärbt! Nach und nach aber entfärbte es sich bis zur schwach blauvioletlichen Färbung. Diese Entfärbung beobachtete ich in vielen Pflanzensäften und thierischen Flüssigkeiten, jedoch vermag ich ihre Ursache nicht anzu- geben. Die Milch reagirte folgendermassen: a. Einige Tage alte Milch färbte BL. stark roth, Mal- venpapier blauviolet. b. Gute frische Milch färbte Malvenpapier sogleich blau- violet, dann blau, und nach Zusatz von verdünnter Schwefelsäure bis zur stark rothen Färbung wurde Malvenpapier dennoch blauviolet. 435 Die Pflanzensäfte reagirten eben so. Werden Pflanzen- blätter mit Wasser zerquetscht, so färbt sich Malvenpapier in dem Auszug violet bis blauviolet. Ich traf noch kein einziges Blatt an, welches nicht diese Reaktion gezeigt hätte. Zerstampfte ich z. B. die Blätter von Catalpa sy- ringæfolia mit Wasser, so wurde Malvenpapier hierin vio- let, während sich die übrigen Reagenspapiere nicht ver- änderten. Andere Blätter ertheilten dem Wasser eine schwach saure Reaktion, trotzdem färbte sich Malvenpapier violet bis blauviolet. Wie die Blätter, verhielten sich die andern Pflanzentheile, so die Blumenblätter, die Blüthen, die Stengel und Früchte, wenn auch oft in geringerm Maasse. Steckt man in den in eine Runkelrübe gemachten fri- schen Schnitt die Reagenspapiere, so färbt sich, wenn man beide "Theile der Runkelrübe gegen einander presst, weder RL. noch Cp., BL. färbt sich roth und Malvenpapier wird dunkelblauviolet. Zieht man frische Runkelrübenscheiben mit Wasser aus, so werden in der filtrirten Flüssigkeit RL. und €. nicht verändert, BLp. geröthet und Malvenpapier erst violet, alsdann dunkelblauviolet, um nach und nach heller zu werden. Im wässerigen Decoct der Runkelrüben- blätter färbten sich RL. und €. nicht, BL. wurde hellroth, Malvenpapier erst blauviolet, nach und nach jedoch schmutzig grau. Die Stengel der Rübe ertheilten dem damit gekoch- ten Wasser die Eigenschaft, RMblp. sogleich violet und baldigst blauviolet zu färben, während C. und RL. sich nicht veränderten. Presst man einen Malvenstreifen zwischen zwei durch frischen Schnitt erhaltene Theile einer Birne, so wird er überall, wo der Saft damit in Berührung kommt, stark blauviolet, BMblp. wird röthlicher und BL. stark roth. Im Wasser, womit die Birnenscheiben zerquetscht wurden, färbte sich Malvenpapier blauviolet und Blp. stark roth. 29* 436 Wie die Birnen verhielten sich Aepfel, Pflaumen, Pfrsiche u. s. w. Die Zwiebeln zeigen eine starke Reaktion, indem sie trotz ihres grossen Gehalts an Säure eine starke blau- violette Färbung bewirken. Das Wasser, womit die Zwie- bein ausgezogen werden, färbt BL. stark roth und Malven- papier stark violet; nach einer Stunde aber ist die Farbe bedeutend gebleicht, Ueber die Ursache der Färbung des Malvenpapieres in Pflanzensäften und thierischen Flüssigkeiten eine Ansicht auszusprechen, wäre noch zu sehr verfrüht, obschon wohl eine Möglichkeit vorhanden wäre, dass.auch hier die Ni- trite mitwirken. Wie bekannt erhält man in vielen Pflan- zensäften mit Jodkalium, Stärkekleister und Schwefelsäure eine Reaktion auf Nitrite, in vielen andern üindert aber die Gegenwart gewisser Körper die Erscheinung der Jodreak- tion. Eine Fortsetzung der begonnenen Arbeit wird wohl ermitteln, welcher Substanz oder weichen Substanzen die Färbung des Maivenpapieres in den Pilanzensäften und thie- rischen Flüssigkeiten zuzuschreiben ist. Möchte diese vorläufige Notiz darauf aufmerksam ma- chen, wie viel wir noch im Üapitel der Farbstoffe zu su- chen haben. Die Möglichkeit ist vorhanden und die Aufgabe eine wichtige, nicht nur solche Reagenspapiere für die ana- lytische Chemie zu gewinnen, welche sich durch Säuren oder Basen verändern, sondern auch solche, welche die Gegenwart anderer Substanzen selbst in complicirten Ge- mischen, wie die Pflanzensäfte und thierischen Flüssigkei- ten es sind, zu constatiren im Stande sind, 437 Vorläufige Notiz über eine die Jodstärke-Beaktion maskirende Eigenschafi gewisser unorganischer Substanzen. Von Dr. Frieprıch GOPPELSRÔDER. (Der Versammlung schweizerischer Naturforscher in Luzern mitgc- theilt den 24. September 1862.) Anfangs August beobachtete ich an einigen unorgani- schen Substanzen die Eigenschaft, die Bläuung der Stärke durch Jod zu maskiren; sei es nun, dass die Reaktion blos verlangsamt oder unter Umständen ganz verhindert werde. Meine ersten Versuche geschahen mit schwefelsaurem Kali, -Natron und -Ammoniak, mit der schwefelsauren Magnesia und -Thonerde, sowie mit Kali-Alaun. Anfangs September theilte ich diese Beobachtungen Herrn Professor Schönbein mit und erfuhr zu meiner Ueberraschung und grossen Freude, dass Herr Schönbein zu eben derselben Zeit ähnliche Be- obachtungen gemacht habe. Wenn auch Schönbeins Ver- suche mit freiem Jod und Stärkekleister, die meinigen aber. mit Jodkaliumstärkekleister, Schwefelsäure und Nitritlösun- gen angestellt wurden, so sind doch sicherlich die von uns beiden ermittelten Thatsachen einer und derselben Ursache zuzuschreiben. Meine Versuche wurden auf folgende Weise angestellt: ich nahm einerseits destillirtes Wasser, ander- seits ein gleiches Volum der Lösung des maskirenden Kör- pers, zu beiden Portionen fügte ich gleiche Volumen Stär- kekleister, Jodkaliumlösung und verdünnte Schwefelsäure; und vom Momente an, wo zu beiden Flüssigkeiten noch gleiche Volumen einer sehr verdünnten Nitritlösung (sal- petrigsaure Kali- oder Ammoniaklösung) zugegossen wa- ren, beobachtete ich in beiden Flüssigkeiten erstens die Zeit, weiche bis zum Auftreten der Jodreaktion sowohl in der einen, als auch in der andern Flüssigkeit vergieng, 438 zweitens aber die Dauer der Zeit, in welcher die Bläuung in beiden Flüssigkeiten eine gleich starke wurde. Die bei solchen Versuchen angewandte Nitritlösung muss eine grosse Verdünnung besitzen, da sich die maskirende Eigenschaft der schwefelsauren Salze u. s. w. nur auf eine gewisse Menge frei werdenden Jodes beschränkt; wendet man zu viel Nitritlösung an, so ist kein Unterschied in der Farben- Intensität beider Flüssigkeiten wahrzunehmen. In einer, spä- tern Mittheilung werde ich beweisen, dass auch die ange- wandten Mengen Jodkaliumstärkekleisters und verdünnter Schwefelsäure eine nicht zu übersehende Rolle spielen. Folgende Beispiele entnehme ich einer grössern Reihe von Versuchen: Die Lösung des maskirenden Körpers sei mit M, das destillirte Wasser mit DW bezeichnet. 1. Versuche mit schwefelsaurem Ammoniak. a) mit einer Lösung von 0,066 Gr. chemisch reinem neutralem schwefelsaurem Ammoniak (NH?0, SO?) in 100 ce. Wasser — M und 100 cc. destillirtes Wasser = DW. Zu beiden Flüssigkeiten setzte ich 5 cc. Jodkaliumlösung, 9 ce. verdünnte Schwefelsäure und 4 cc. verdünnte salpetrigsaure Ammoniak- oder Kalilösung; darauf beobachtete ich Fol- gendes: Weder in M noch in DW entstand eine sofortige Färbung. Nach einigen Sekunden aber zeigte sich in DW eine vio- letliche Färbung, in M nichts. Nach 1 Minute in DW eine blaue Färbung, in M 0. Nach 2 Minuten in DW eine dunkelblaue Färbung, inM 0. Nach 2 Minuten 30 Sekunden in beiden eine gleich dunkel- blaue Färbung. (Um eine dunkle Färbung beider Flüssigkeiten relativ zu beurtheilen, verdünnte ich beide mit gleichviel einer 439 solchen Menge destillirten Wassers, dass die kleinsten Far- benunterschiede wahrgenommen werden konnten.) b) Mit einer Lösung von 0,066 Gr. NH?O, SO in 200 cc. Wasser = M und 200 ce. DW. Nach 2 Min. 50 Sek. DW bläulicher Schein, M 0. Nach 5 Min. 35 Sek. DW bläulich, M 0. Nach 7 Min. 50 Sek. DW ordentlich bläulich, M bläulicher ‘ Hochschimmer. Nach 10 Min. 50 Sek. DW ordentlich blau, M bläulich. Nach 12 Min. 50 Sek. DW stark blau, M blau. Nach 22 Min. 50 Sek. beide gleich dunkelblau. c) Mit einer Lösung von 0,00825 Gr. NH!O,SO3 in 100 cc. = M und 100 cc. DW. Nach 1 Min. 10 Sek. DW violetter Schein, M 0. Nach 1 Min. 20 Sek. DW ordentlich blau, M 0. Nach 1 Min. 30 Sek. DW ziemlich dunkelblau, M 0. Nach 4 Min. 10 Sek. DW dunkelblau, M röthlicher Hoch- schimmer. Nach 8 Min. 30 Sek. DW undurchsichtig blau, M hell- bläulich. Nach 29 Min. 30 Sek. DW undurchsichtig blau, M ordent- lich dunkelblau. Nach 6 Stunden 43 Min. DW noch beträchtlich dunkler als M. d) Mit einer Lösung von 0,00825 Gr. NH?O,SO? in 200 cc. = M. und 200 cc. DW. Nach 8 Min. 5 Sek. DW und M 0. Nach 13 Min. 20 Sek. DW röthlicher Hochschimmer, M 0. Nach 17 Min. DW deutlich röthlich, M 0. Nach 19 Min. DW violetlich, M 0. Nach 22 Min. 55 Min. DW deutlich blauviolet, M rôthlicher Hochschein. Nach 79 Min. DW stark blau, M röthlich. Ueber Nacht wurden beide gleich stark blau. 440 Wie das schwefelsaure Ammoniak verhält sich auch das schwefelsaure Kali und Natron. I. Versuche mit schwefelsaurer Magnesia. a) Mit einer Lösung von 6,15 Gr. chemisch reinem Bittersalz (Mgo, SO® + HO + 6agq) in 100 cc. dest. W,=M und 100 ce. DW. Sogleich nichts, weder in DW noch M. Nach 7 Min. DW. leiser schmutziger Hochschein, M 0. Nach 8 Min. 30 Sek. DW gelbröthlicher Schein, M 0. Nach 9 Min. DW sehr hellröthlich, M schmutziger Schein. Nach 10 Min. DW hellröthlieh, M röthlicher Schein. Nach 18 Min. DW rothvioletlich, M röthlich hell. Nach 23 Min. DW blauviolet, M rothviolet und heller als DW. | Nach 33 Min. DW dunkler blauviolet, M rothviolet. b) Mit einer Lösung von 12,50 Gr. Bittersalz in 200 cc. DW = M und 209 cc. DW. Nach 2 Min. DW schmutzige Färbung, M 0. Nach 2 Min. 30 Sek. DW röthlich, M 0. Nach 3 Min. 30 Sek. DW stärker rôthlich, M schmutziger Schein. Nach 6 Min. DW ziemlich stark blauviolet, M violetröthlich. Nach 9 Min. DW blau mit violetlichem Schein, M blauviolet und heller als DW. IX Versuche mit chemisch reiner cristallisirter schwefelsaurer Thonerde. a) Mit einer Lösung von 12,501 Gr. chemisch reiner cristallisirter schwefelsaurer Thonerde in 300 ce. = M und 300 cc. DW. 441 Sogleich DW und M schmutziger Schimmer. Nach 1 Min. DW röthlichviolet, M röthlich. Nach 3 Min. DW ziemlich lebhaft violetblau, M rothviolet, viel heller als DW. Nach 7 Min. 30 Sek. DW ziemlich dunkelblau, M blauvio- let, viel heller als DW. Nach 1% Min. DW beinahe undurchsichtigblau, M dunkel- blau, heller als DW. Nach mehrern Stunden DW und M gleich stark und un- durchsichtig blau. b) Mit einer Lösung von 8,334 Gr. schwefelsaurer Thonerde in 200 cc. d. Wasser = M und 200 ce. DW. Sogleich DW und M schwach bläulich, DW etwas stärker als M. Nach 1 Min. DW ziemlich stark blau, M erst bläulich. Nach 3 Min. BW ziemlich stark blau, M viel heller ais DW. Nach 13 Min. DW beinahe undurchsichtig blau, M erst dun- kelblau. Nach 29 Min. DW und M undurchsichtig blau. c) Mit einer Lösung von 0,20835 Gr. in 100 cc. = M und 100 ce. DW. Sogleich nichts. Nach 1 Min. 30 Sek. DW röthlicher Schein, M 0. Nach 2 Min. 30 Sek. DW heller violetlich, M schmuiziger Schein. Nach 3 Min. 30 Sek. DW hell violet, M röthlich und hel- ler als DW. Nach % Min. 30 Sek. DW hell blauviolet, M heller röthlich violet. Nach 6 Min. 30 Sek DW ziemlich dunkelblau, M hell bläu- lichviolet. Nach 20 Min. DW und M undurchsichtig blau, M aber et- was heller als DW (nach Verdünnung mit Wasser). 422 IV. Versuche mit chemisch reinem Kali-Alaun. a) Mit einer Lösung von 11,862 Gr. in 100 cc. = M und 100 ce. DW. Nach 30 Sek. DW röthlicher Hochschimmer, M 0. Nach 1 Min. 30 Sek. DW röthlichvioletter Schein, M 0. Nach 2 Min. DW violetlicher Schein, M röthlicher Hoch- schimmer. Nach 3 Min. 30 Sek. DW hellbläulichviolet, M violetlicher Scheiu. Nach 5 Min. 30 Sek. DW ziemlich stark blau, M hell violet. Nach 10 Min. DW stark blau, M hellrothviolet. Nach 11 Min. DW. noch stärker blau, M ziemlich stark blauviolet. Nach 22 Min. DW noch stärker blau, M hellblau. Nach 24 Stunden DW undurchsichtig blau, M erst dunkel- blau. i b) Mit einer Lösung von 47,448 Gr. in 400 cc. = M und 400 cc. DW Nach 2 Min. DW. leiser röthlicher Hochschimmer, M 0. Nach 5 Min. DW deutlich röthlichvioletter Schein, M 0. Nach 7 Min. DW hellrothvioletlich, M 0. Nach 13 Min. DW ziemlich lebhaft violet, M 0. Nach 18 Min. DW. sehr lebhaft blauviolet, M nur schwa- cher gelblicher Schein. Nach 23 Min. DW. ziemlich stark blau mit violetem Schein, M wie oben. Nach 28 Min. DW ziemlich dunkelblau, M leiser röthlicher Schein. Nach 33 Min. DW. dunkelblau, M röthlich. Nach 18 Stunden DW dunkelblau, M nur röthlich. c) Mit einer Lösung von 0,5931 Gr. Alaun in 100 ce. = M und 100 cc. DW. 443 Sogleich nichts. Nach 2 Min. in beiden röthlicher Schein. Nach 6 Min. DW violetlich, M nur röthlich scheinend. Nach 11 Min. DW hellblau, M violet, heller als DW. Nach 34 Min. DW ziemlich stark blau, M bläulichviolet und heller. Nach 49 Min. DW ziemlich dunkelblau, M nur violetblau und heller. Nach 64 Min DW dunkelblau, M nur violetblau. Diese Versuche zeigen deutlich die maskirende Eigen- schaft des schwefelsauren Kalis u. s. w. Auffallend ist es, dass sich die maskirende Eigenschaft nur eine bestimmte Zeit hindurch äussert. Ueber die Aufhebung der Maskirung in Folge Zusatzes anderer Körper werde ich später berich- ten. Durch die bereits angestellten Versuche erweist sich, dass gewisse Substanzen die Reaktion des Jodes auf Stärke entweder blos verzögern, oder total verhindern. Hievon ausgehend, steht eine grosse Versuchsreihe unserer For- schung offen, denn — treu der Aufgabe eines jeden For- schers — müssen wir nach analogen Erfahrungen auf dem Gebiete der Chemie suchen, und sicherlich werden wir zu analogen Resultaten kommen. Maskiren bios die schwefelsauren Salze die Jodreaktion oder besitzen diese Eigenschaft noch andere Substanzen? Hierauf haben bereits Schönbeins gleichzeitig angestellte Versuche geantwortet. Kann allein die Jodreaktion, oder können vielleicht alle chemischen Reaktionen irgend welcher Art durch die Gegenwart gewisser Substanzen maskirt wer- den? Bleiben die maskirenden Substanzen, indem sie ihre Wirkung auf andere Körper ausüben, unzersetzt, oder findet eine chemische Zersetzung ihrer selbst statt, welche wir blos desshalb nicht wahrnehmen, weil sich kein Nieder- schlag bildet oder keine Färbung zeigt? Wir pflegen zwar nur da von Zersetzungen zu sprechen, wo eine den Sinnen 444 wahrnehmbare Veränderung der Materie vor sich geht. Vorliegende Versuche lassen uns jedoch Veränderungen der Materie ahnen, wo das Auge nicht zu sprechen vermag. Ich kann mich nicht enthalten, darauf hinzuweisen, dass nicht nur in der theoretischen, sondern auch in der ange- wandten Chemie, in den verschiedenartigsten Fabrikationen, wie in der Landwirthschaft, die maskirenden Eigenschaften der Körper eine Rolle spielen möchten. Wenn uns ein Praktiker die ernste Versicherung giebt, er habe in seiner langen Praxis bei Anwendung dieser oder jener Substanz einen Vortheil gefunden, wie oft bleiben wir nicht ungläu- big, wie oft aber möchten nicht die vom Praktiker ange- wandten und vom Theoretiker in ihrer Wirkung unter- schätzten Substanzen gerade in die Klasse der maskirenden oder demaskirenden Substanzen gebracht und dadurch ihr Nutzen erklärt werden dürfen! Für die Physiclogie möchten die beobachteten Erschei- nungen ebenfalls von nicht unwichtigem interesse sein, denn oft möchte im Thier- und Pflanzenorganismus durch die Gegenwart einer Substanz die Einwirkung einer zweiten auf eine dritte entweder ganz verhindert oder bedeutend verlangsamt (gemässigt) werden, wie es umgekehrt schon genugsam erwiesen ist, dass die Thätigkeit gewisser Sub- stanzen durch die Gegenwart anderer gesteigert wird. PHYSIR. Ueber Contrastfarben. Von Dr. Fr. BURCKHARDT. Die theoretische Erklärung der unter dem Namen Con- trast verstandenen subjektiven optischen Erscheinungen ist noch nicht so weit gelangt, alle Erscheinungen aus einem Erklärungsgrunde abzuleiten, trotz den verdienstvollen Be- mühungen vieler und ausgezeichneter Beobachter. Sind auch die meisten und sicherlich alle wichtigeren Thatsachen ohne einen besondern Aufwand von äusserm Apparate ermittelt worden, so kann doch der einzelne Beobachter, der für den kostbarsten Apparat, das Auge, Sorge tragen will und muss, nur eine beschränkte Zahl der Beobachtungen Ande- rer wiederholen, und ohne diese Wiederholung ist eine vollständige Einsicht in den ganzen Gang und in die Art der Erscheinung nicht möglich. Noch weniger gross wird die Zahl der Beobachtungen sein, um welche der Einzelne die Reihe der bekannten bereichert. Auch liegt in der individuellen Anlage der einzelnen Augen ein nicht gerin- ges Hinderniss für gemeinschaftliche Beobachtungen, ein Hinderniss, welches noch verstärkt wird durch die ver- 446 änderte Stimmung je eines Auges in verschiedenen Zeiten und nach verschiedener Thätigkeit und Anstrengung. Wenn ich es also versuche, einige auf Contrast zurückzuführende Erscheinungen genauer zu verfolgen, so bin ich zum Vor- aus darauf gefasst, dass nicht jeder Beobachter alle That- sachen, welche ich beobachtete, in gleicher Weise sehen wird. Nichtsdestoweniger möchten einige der mitgetheilten Thatsachen deswegen von Interesse sein, weil sie sich leicht ermitteln lassen, und weil sie bisher noch von jedem Auge, welches ich zu deren Beobachtung aufforderte, in gleicher oder nahe gleicher Weise erkannt wurden, wie von dem meinigen. Wenn nicht alle Erscheinungen von verschiede- nen Beobachtern ganz gleich erkannt werden, so mag ein Theil des Unterschiedes auf verschiedenen Grad der Uebung zurückgeführt werden. Helmholtz taxiert die Wirkung der Uebung so: „So wie ein in der Beurtheilung räumlicher Grössen geübtes Auge sich vor manchen Täuschungen hü- ten wird, in die ein ungeübtes verfällt, wird es auch bei den Farbenbestimmungen geschehen, und ich glaube dess- halb, dass geübte Augen den Contrast im Allgemeinen we- niger lebhaft sehen werden, als ungeübte.“ Er schliesst diess daraus, dass in manchen Büchern Contrasterscheinun- gen beschrieben werden, die andern Beobachtern leichter sichtbar sein müssen als ihm. (Phys. opt. 415.) Beruhten wirklich alle Contrasterscheinungen auf Irrthum und Täu- schung, so wäre das gewiss richtig. Ich habe gewisse Con- trasterscheinungen erst nach einiger Uebung wahrnehmen “können, andere sofort, und es ist mir nicht vorgekommen, als ob die Wahrnehmung irgend welcher Contrasterschei- nung durch mein Auge wegen längerer Uebung abgenommen hätte. Auch behauptet das letztere weder Helmholtz, noch irgend ein anderer Beobachter. Man kann das Raisonnement von Helmholtz auf andere Gebiete der physiologisch-opti- schen Erscheinungen anwenden, z. B auf die Wahrnehmung 447 der Doppelbilder und der Tiefendimension. Durch zahl- reiche Beobachtungen, welche ich früher über binokulares Sehen angestellt habe, bin ich dazu gekommen, ganze Rei- hen von Beobachtungen neuerer Forscher ganz anders zu sehen als sie, d.h. da Doppelbilder zu sehen, wo sie keine sehen; hieher gehören z. B. manche Beobachtungen von Panum und Nagel, worüber zu reden jetzt nicht in meiner Absicht liegt. Wenn nun für die Erklärung sämmtlicher Contrast- erscheinungen noch kein gemeinsamer Ausgangspunkt ge- funden ist, so muss es wünschenswerth sein, sorgfältig be- obachtete Thatsachen zu constatieren und Methoden kennen zu lernen, welche zugleich auf einfache und auf schlagende Weise Contrasterscheinungen hervorrufen. Die Versuche, welche ich mittheilen will, schliessen sich an diejenigen an, welche in Helmholtz physiologischer Optik pag. 404—405 stehen. I. Man richtet die beiden Augen nach einem schwar- zen Fleck auf weissem Grunde und hält vor das eine Auge ein grünes, vor das andere Auge ein rothes Glas, so er- scheint der Fleck schwarz auf einem Grunde, über welchem grün und roth durch einander schwimmen. Lässt man nun das Bild des Fleckes in ein Doppelbild aus einander tre- ten, so sieht man zwei lebhaft gefärbte Bilder, das eine roth, das andere grün. Dieser von S. Newcomb (Sill. J. XXXI, 418—419) zuerst, so viel ich weiss, mitgetheilte Versuch wird von ihm in folgender Weise erklärt: Im er- sten Falle sehen zwei correspondirende Netzhautparthien schwarz; das Combinationsbild muss also schwarz sein. Im zweiten Falle aber sieht die eine Netzhautparthie schwarz, die andere, ihr im andern Auge entsprechende, sieht roth, das Combinationsbild also erscheint roth; die eine Netz- hautparthie sieht schwarz, die ihr im andern Auge ent- sprechende sieht grün, das Combinationsbild muss also grün 448 sein. So sieht man scheinbar durch das rothe Glas den schwarzen Fleck grün, durch das grüne Glas denselben Fleck roth. In dieser Erklärung wird also kein anderes subjektives Moment angenommen, als die Combination zweier verschieden gefärbter Netzhautbilder. An diesen Versuch reiht Newcomb folgenden zweiten an: IH. Entfernt man nun das grüne Glas, während der Fleck im Doppelbilde erscheint, so sollte man erwarten einen schwarzen und einen rothen Fleck zu sehen, man sieht aber einen grünen und einen schwarzen. Umgekehrt: entfernt man das rothe Glas, so sieht man einen rothen und einen schwarzen. Es scheint mir, dieser zweite Versuch zeige die Un- richtigkeit der ersten Erklärung deutlich. Folgende Ver- suche mögen die Unrichtigkeit noch deutlicher ins Licht stellen. IH. Zeichnet man auf ein weisses Blatt einen schwar- zen Fleck und einen rethen, welcher durch das rothe Glas wie die weisse Fläche erscheint, und vereinigt man die beiden Flecke durch Doppelsehen oder durch eine stereosko- pische Vorrichtung, so erscheint, wenn die beiden Flecke sich überhaupt combinieren, eine schwarzrothe Färbung. Gleiches findet mit einem grünen und schwarzen Flecke statt. Diese Farbentöne sind aber bedeutend von den im ersten Versuch gesehenen verschieden; jener Versuch gab einen bläulichrothen und einen bläulichgrünen, dieser Ver- such aber einen schwarzrothen und einen schwarzgrünen Fleck. Man kann diese Farbentöne nicht verwechseln. IV. Käme die Färbung der beiden Fiecke zu Stande durch Combination der Farbentöne beider correspondiren- den Netzhautparthien, so müsste ein Gleiches für irgend zwei Farben stattfinden. Man würde also nothwendig durch . Anwendung eines grünen und eines violetten Glases ein beziehungsweise violettes und grünes Bild erhalten. Allein 449 hievon ist keine Rede, sondern man erhält ein rothes und ein gelbes. Ebenso erhält man durch ein blaues und ein rothes ein gelbrothes und ein biaugrünes Bild u. s. w., überhaupt man erhält jedesmal Bilder, welche complementär sind zu der in das Auge tretenden Lichtart. Untersuche ich z. B. die beiden im ersten Versuche angewandten Glä- ser in Bezug auf das durchfallende Licht, so sehe ich, dass das rothe nur die wenigst brechbaren Strahlen durchlässt und das Spektrum im Orange durchschneidet. Das grüne Glas aber schneidet den roihen Theil des Spektrums ab, um nur stärker brechbare Strahlen durchzulassen. Beide Gläser über einander gelegt zeigen das direkte Sonnenlicht schmutzig gelb. Die complementären Farben dieser beiden Gläser sind also bläulichgrün und bläulichroth und diese sind es eben, welche in dem Versuche auftreten. V. Diese Thatsachen schliessen nun offenbar jene Er- klärung Newcomb’s aus und zeigen auf das Deutlichste, dass wir es hier mit einer Contrasterscheinung zu thun haben, und zwar mit einer Erscheinung des nachfolgenden Con- trastes wenigstens für den Fall, dass die Doppelbilder erst während der Beobachtung aus einander treten. Denn es schiebt sich hiebei jedes Bild des Fleckes über Netzhaut- parthien, welche vorher von farbigem Lichte getroffen waren. k Eine sorgfältige Beobachtung und Vergleichung der Farben bei verschiedenen Combinationen der farbigen Glä- ser hat mir indessen gezeigt, dass die Farbe des in das andere Auge eintretenden Lichtes auch von einigem Einfluss auf die wahrgenommene Farbe des Fleckes ist, nicht zwar so, dass das violette Licht des linken Auges das grüne Contrastbild des durch ein rothes Glas sehenden rechten Auges übertönen könnte, um eine violette Resultante zu geben, aber so, dass in diesem Falle das grüne Contrast- 30 & 450 bild deutlicher blau gestimmt ist, als wenn gelb oder gelb- grün in das andere Auge gelangt. Der Einfluss des objek- tiven Lichtes, welches in das eine Auge gelangt, auf das subjektiv gefärbte des andern Auges ist also erkennbar, aber unbedeutend. VI. Bevor ich weitere Versuche erwähne, welche sich an die bisher besprochenen anreihen, muss ich etwas über den schwarzen Fleck bemerken. Für manche Contrast- erscheinungen ist es vortheilhafter, statt einer schwarzen Fläche eine graue zu wählen. Hier ist es nicht so. Je dunkler der schwarze Fleck, um so reiner, klarer, intensi- ver ist die Färbung. Ordnet man mehrere kleine Streifen von verschieden dunkelm Grau, vom hellsten bis zum dun- kelsten Schwarz, sieht die ganze Reihe im Doppelbilde und hält verschiedenfarbige Gläser in beliebiger Combination vor die beiden Augen, so sieht man sofort eine deutliche Abstufung der verschiedenen subjektiven Färbungen, z. B. vom mattesten Grün zum intensivsten Grün, entsprechend den Abstufungen der grauen Skala, und es liegt nicht ferne die Erklärung darin zu suchen, dass eben das Weiss des srauen Flecks, durch das rothe Glas gesehen, roth erscheint und das Auftreten des subjektiven Grün hindert oder das Grün theilweise neutralisirt. Ja man gelangt für jede Farbe durch Abschwächung des Grau zu einer Nüance, an wel- cher man keine subjektive Färbung mehr erkennen kann. Ein ähnliches Resultat erhält man mit glänzendem schwar- _ zem Papiere, wenn durch das Glas zerstreutes Licht in das Auge gelangt. Es ist daher nôthig , schon auf die Herstellung des schwarzen Fleckes einige Sorgfalt zu verwenden. Ich schwärzte einen mit schwarzem Tusch gemalten Kreis mit weicher schwarzer Zeichenkreide und erhielt so einen Fleck, neben welchem alles käufliche mattschwarze Papier grau erschien. Zwar gab mir letzteres Papier in mancher Hin- (ee $ 451 ‚sicht genügende Resultate, allein bessere noch der noch schwärzere Fleck. Auch über die Dimensionen des schwarzen Fleckes ist ein Wort zu sagen. Schwarze Punkte oder Linien zu wählen, wäre dess- halb unstatthaft, weil bei den Versuchen mit Doppelsehen die Irradiation natürlicherweise in stärkerm Masse auftritt, als im direkten Sehen, und weil also Punkte und Linien leicht gaf nicht wahrgenommen werden könnten, nament- lich aber auch aus dem Grunde, weil die Wahrnehmbarkeit der subjektiven Färbung, wie übrigens jeder Färbung über- haupt, von der Ausdehnung der gefärbten Fläche abhängt. Es ist also zweckmässig, einen deutlichen, markierten Fleck von 2—6 Linien Durchmesser zu wählen. Grössere Flecke haben den Nachtheil, dass entweder cie Doppelbilder sehr weit aus einander treten müssen und also seitliche Theile des Gesichisfeldes mit in die Beobachtung hineingezogen werden, oder dass die beiden Bilder in einander übergrei- fen. Die Erscheinungen, welche unter diesen Verhältnissen entstehen, sind zwar auch der Beachtung werth; allein ich trete hier nicht auf dieselben ein, theils weil sie meinem Zwecke ferner liegen, theils weil ich sie noch nicht genug- sam beobachtet habe. VIL Um ein Urtheil über die Entstehung der subjek- tiven Färbung des schwarzen Fleckes zu erhalten, fand ich es zweckmässig, zuerst die Erscheinungen zu untersuchen, welche sich bei der Betrachtung des schwarzen Fleckes mit einem Auge ergeben, und hiebei ist vor allem noth- wendig, alles zerstreute weisse Licht abzuhalten. Da es nun andererseits wünschenswerth ist, dem andern Auge ir- send eine andere Lichtart zuzuführen, so konnte ich mich nicht leicht eines dunkeln Zimmers bedienen, sondern ich musste jedem Auge seinen dunkeln Raum verschaffen und das geschah durch folgende einfache Vorrichtung: Ein Trich- 30* 452 ter aus Pappendeckel ist am obern weitern Rande so aus- geschnitten, dass er sich vollkommen an ‘den Augenrand anlegt, ohne auf den Augapfel zu drücken. ‘Innen ist er mit mattschwarzem Tuche ausgefüttert, welches über den obern Rand hinaussieht, damit es etwaige Fugen zwischen dem Augenrand und dem Trichter verschliesse. Unten an dem kurzen Trichter ist eine Wand, innen geschwärzt, und mit einem rechteckigen Fenster versehen, vor welches mit zwei Federn farbige Gläser angebracht werden können. Es ist hiebei dafür gesorgt, dass nirgends seitliches Licht ein- treten kann und dass also alles objektive in das Auge tre- tende Licht von der Farbe des angewendeten Glases ist. Für jedes Auge wurde ein solcher Trichter gemacht. VIII. Ich sehe durch den einen Trichter, welcher mit einem rothen Glase versehen ist, nach dem schwarzen Fleck auf weissem Grunde; das andere Auge ist verschlossen und zugedeckt. Anfangs scheint ein leichter röthlicher Anflug die schwarze Fläche zu überziehen, welcher aber bald ei- nem grünen Farbentone Platz macht. Beide Färbungen sind aber nicht zu verwechseln mit den Farbentönen , welche wir in den frühern Versuchen beobachtet haben; diese wa- ren hell, satt, man möchte sagen leuchtend; jene überzie- hen die schwarze Fläche als leichte Schimmer. Die Far- bentöne sind sogar so schwach, dass mancher Beobachter sie kaum wahrnehmen wird, was bei den obigen Versuchen gewiss nie geschieht. Was nun mit dem rothen Glase geschieht, geschieht im Wesentlichen mit jedem anders gefärbten Glase auch; wenigstens habe ich dasselbe eintreten sehen mit einem grünen, blauen, violetten, gelben. Diese Versuche stimmen in ihrer Anordnung einigermassen überein mit den Versu- chen Brücke’s über die Farbeninduktion (Poggend. Annal. LXXXIV, 424 ff). In dem Resultate sind sie einigermassen von ihnen verschieden. Brücke findet nämlich, dass in der 453 Regel von einer gefärbten Fläche über einen dunkeln Fleck die complementäre Färbung induziert werde, dass aber Grün und Violett eine Ausnahme machen, indem sie nicht die complementäre, sondern die gleiche Farbe induzieren, Grün also Grün, Violett Violett. Da die Anordnung meiner Versuche nicht vollkommen mit derjenigen Brücke’s übereinstimmt, so möchte das ab- weichende Resultat in der abweichenden Versuchsart be- gründet sein. Brücke sieht den schwarzen Fleck vor dem farbigen Glase, ich hinter demselben; Brücke hat den Fleck zwischen Glas und Auge und ich habe das Glas zwischen Fleck und Auge. Ein anderer Unierschied besteht nicht. Wenn nun angenommen wird, dass das weisse Licht, wel- ches immer noch in geringer Menge von dem schwarzen Flecke reflektiert wird, durch das farbige Glas in dessen Farbe erscheine, so müsste nur um so eher in meinen Ver- suchen grün grün und violett violett induzieren; diese Far- ben treten aber, wenn es geschieht, nur sehr vorübergehend auf. Bei den Versuchen Brücke's war nun diese Ursache der Entstehung gleicher Farben deshalb ausgeschlossen, weil er im dunkeln Zimmer beobachtete. Man kann daher die wirkliche Ursache eher in der Zerstreuung des Lichtes suchen, welche in den nicht absolut durchsichtigen Augen- medien nie fehlt, und welche auch über den dunkeln Fleck farbiges Licht in geringer Menge verbreitet. So treten zwei entgegengesetzte Einflüsse auf in Bezug auf den dunkeln Fleck, nämlich eine leichte objektive Färbung durch das zerstreute Licht und eine suhjektive Stimmung entgegenge- setzter Art; beide Einflüsse können in verschiedenem Grade auftreten, je nach der Lichtintensität. Je nachdem nun der eine Einfluss den andern überwiegt, wird die dem eintre- tenden Lichte gleiche oder die ihm entgegengesetzte, com- plementäre Farbe wahrgenommen. Brücke braucht zur Erklärung der von einem violetten 454 Glase induzierten Farbe, welche mehr ins Blaue zieht, eine analoge Erklärung. Er erklärt sich diese Farbe ebenfalls aus zwei Erregungszuständen, welche sich bekämpfen, von denen der eine von den rothen Strahlen ausgehend das complementäre grün, der andere von violett ausgehend die- selbe Farbe induziert. Hiebei müsste das roth, welches in violett enthalten ist, zwei entgegengesetzte Wirkungen voll- bringen, was mir nicht einleuchten will. Eine Schwierigkeit steht der ruhigen Beobachtung die- ser Verhältnisse entgegen, das ist die Kürze der Zeit, wäh- rend welcher das Auge vollkommen ruhig kann erhalten werden. Man erkennt die Bewegung des Auges leicht an den rings um den Fieck bald da bald dort auftretenden Nachbildern. So wie diese auftreten, hört, streng genom- men, die Erscheinung des gleichzeitigen (simultanen) Con- trastes oder der Farbeninduktion auf und die Erscheinung fällt unter den nachfolgenden (successiven) Contrast. Man kann auf einfache Weise die Wirkungen verglei- chen, welche der gleichzeitige und der nachfolgende Con- trast hervorbringt, indem man nach einem Momente ruhiger Betrachtung des Fleckes entweder das Auge oder den Fleck verrückt; sofort tritt mit aller Lebhaftigkeit eine subjek- tive Färbung auf, wenn auch bei der ersten, ruhigen Be- tfachtung kaum eine subjektive Färbung zu erkennen war. Ich kann indessen niemals finden, dass die Farbentöne an- ders als dem Grade nach verschieden sind; beim gleich- zeitigen Contrast liegt über dem farbigen Fleck ein leichter Schein, beim nachfolgenden verwandelt sich das ganze Schwarz in die subjektive Farbe. Stellt sich das Auge nach einer Bewegung wieder, so tritt allmählig wieder die stark subjektive Färbung zurück, doch nie vollkommen. IX. Während nun das eine Auge den Fleck in der Nähe (etwa 6” entfernt) durch das rothe Glas betrachtet, und zwar so, dass die Augenachsen nicht auf den Fleck 455 gerichtet sind, sondern in eine grössere Entfernung, öffne ich das zweite Auge, welches mit dem andern Trichter be- waffnet ebenfalls durch ein rothes Glas nach einer weissen Fläche sieht. Der Theil des zweiten Auges, welcher dem dunkein Fleck des andern Auges entspricht, ist nun roth. Beide Farbeneindrücke, der subjektive schwache grüne Schimmer und die intensive rothe Farbe combinieren sich nun und der schwarze Fleck erscheint schwarzroth, denn der schwache grüne Schimmer wird lange von dem rothen Farbeneindruck übertönt. Was hier von dem rothen Glase gesagt ist, gilt in gleicher Weise von jedem andern auch. X. Ganz anders und sehr ausgesprochen gestalten sich die Verhältnisse, wenn man in das zweite Auge weisses Licht eintreten lässt. Statt das zweite Auge ebenfalls mit einem Trichter zu verdecken, Öffnet man dasselbe, während es gegen einen Bogen weissen Papieres gerichtet ist. Mit einem Male verwandelt sich die vorher undeutliche, schwa- che, für manche Augen kaum bemerkbare Färbung in eine deutlich hervortretende, satte Färbung, welche complemen- tär ist zu der durch das Fenster in das andre Auge ein- tretenden Farbe. Und es giebt keine Ausnahme hievon. Das rothe Glas ruft einer grünen Färbung, und umgekehrt; . das orangefarbne Glas einer blauen und umgekehrt. Dass das in das zweite Auge eintretende weisse Licht zur Hervorbringung einer kräftigen subjektiven Färbung nöthig ist, geht auf das Deutlichste daraus hervor, dass sie auftritt und verschwindet, wenn man abwechselnd das andre Auge Öffnet und schliesst. Befindet man sich in solcher Entfernung vom Flecke, dass das zweite Bild des Doppelbildes auch gesehen wird, so kann man die Farben der beiden Bilder vergleichen. Am besten wird diess geschehen können, wenn das Doppelbild wenig divergent ist. Das zweite Bild hat alsdann eine Fär- bung, welche durch Combination von Schwarz und der in 456 das eine Auge eintretenden Farbe entsteht. Ist z. B. die dem einen Auge zugeführte objektive Färbung grün, so er- scheint das subjektive Bild dieses Auges roth und das Bild des andern Auges schwarzgrün. Vergleichen wir unsern Versuch X mit dem obigen von Newcomb, unter II angeführten, so fällt die Ueberein- stimmung sowohl der Versuchsbedingungen als des Resul- tates in die Augen. Zugleich aber erkennen wir, dass nicht blos Farbeninduktion des farbigen Feldes über dem schwar- zen Fleck die intensive subjektive Färbung hervorbringt, sondern dass zum deutlichen Hervortreten der satten Fär- bung das weisse Licht nöthig ist. XL Was entsteht nun aber, wenn das eine Auge durch den Trichter mit einem farbigen Fenster nach dem Flecke sieht, und in das andere Auge eine andere Farbe ein- tritt ? Der Erfolg hängt ganz von der Qualität der beiden Farben ab. Sind die beiden Farben roth und grün, so ruft das rothe Licht des rechten Auges einem grünen Bilde auf dem schwarzen Flecke; das andere Auge erhält aber an derselben Stelle grünes Licht; dieses wird also zur Ver- stärkung des subjektiven Bildes mitwirken; man erhält da- her einen intensiv grünen Fleck. Ist aber das zweite Glas statt grün blau, so hindert zwar das Blau das Auftreten der subjektiven Farbe im an- dern Auge nicht, vermischt sich aber mit demselben und . es entsteht ein blaues oder blaugrünes Bild. Ist das eine Glas gelb, das andre roth, so ruft das gelbe Glas einem blauen Flecke; dieser wird zum Minde- sten durch das rothe Licht nicht verstärkt. Je nachdem das Roth zur Geltung kommt oder nicht, wird daher der Fleck blau oder violett gesehen. Ueberhaupt zeigt jede Farbencombination ihre Eigen- thümlichkeiten. 457 XIT. Wir sind nun bis auf Weniges dem ersten Ver- suche Newcomb’s nahe gekommen. In jenem Versuche wird allein nicht für Abhaltung alles fremden Lichtes vom Auge gesorgt; es tritt dort weisses Licht mit dem farbigen in das Auge und verstärkt die subjektive Färbung des Fleckes. Und wenn wir nun fragen, wie jener erste Versuch am be- sten gelingt, so ergibt sich folgende Antwort: Da zur Her- vorbringung der subjektiven Farbe ein schwarzer Fleck, daneben farbiges Licht, und darüber weisses Licht nöthig sind, so kann das farbige Glas zugleich als Spiegel dienen; man hält also die beiden Gläser so schief vor die Augen, - dass sie von der Seite her, etwa von den Wänden eines Wheatstone’schen Stereoskopes weisses Licht in das Auge spiegeln. Diese Vorrichtung ist also eigentlich nur eine Ver- dopplung der von Ragona-Scina angegebenen Anordnung (s. Helmh. phys. Opt. pag- 405). Einen sehr bedeutenden Einfluss auf die Entstehung der subjektiven Farbe hat die Intensität des farbigen Glases, so zwar, dass die subjektive Färbung nur dann in vollem Glanze auftritt, wenn das Farbenglas satt gefärbt ist, die weisse Fläche also, welche den schwarzen Fleck umgiebt, in kräftiger Färbung erscheint. Vergleiche mit zwei ver- schieden intensiven Gläsern, etwa einem hellgrünen und ei- nem dunkelgrünen, oder einem hellvioletten und dunkel- violetten zeigen diess auf das Unzweideutigste. Während der durch das hellviolette Glas gesehene Fleck fast vol kommen schwarz erscheint, zeigt sich der durch das dunkle Glas gesehene strohgelb. Man kann diese Erscheinung ab- leiten entweder aus der geringern Intensität des durch das dunkle Glas in das Auge tretenden Lichtes, oder aus der grôssern Intensität der eintretenden Färbung; so gehen durch ein hellgrünes Glas grüne Strahlen mit viel weissem Licht, durch ein dunkelgrünes nur die, welche der Farbe des Glases entsprechen und kein weisses Licht; während 458 also ein dunkles Glas im Allgemeinen das durchfallende Licht abschwächt, vermehrt es die Intensität des grünen Lichtes im Vergleich zur Summe des durchfallenden Lichtes. Dass nun die stärker subjektive Färbung nicht von der allgemeinen Abschwächung herrühren kann, kann gezeigt werden durch Einschaltung grauer Gläser vor dem hell- grünen Glase, wodurch zwar eine allgemeine und gleich- mässige Abschwächung eintritt, aber nicht zugleich eine relative Vermehrung des grünen Lichtes erfolgt. Hier tritt keine deutliche subjektive Färbung auf, hingegen eine an- dere Contrasterscheinung, indem nämlich der dunkle Fleck durch einige graye und ein grünes Glas heller erscheint, als durch das grüne Glas allein und heller als mit unbe- waffnetem Auge: So ruft eine objektive Verdunklung des Flecks, welche Verdunklung sich allerdings auch auf das weisse Feld erstreckt, einer subjektiven Erhellung der dun- keln Fläche. XIII. Man ist gewohnt, einen grünen Fleck durch ein rothes Glas schwarz zu sehen, weil die grünen Strahlen nicht durch das rothe Glas gehen. Hält man aber das ro- the Glas schief und sieht den grünen Fleck im Doppelbilde, so sind beide Flecke grün. Ebenso ist das Doppelbild eines durch ein grünes Glas gesehenen rothen Fleckes roth. Ist der grüne Fleck genau complementär zum rothen Glase, so erscheinen die beiden grünen Flecke des Doppelbildes in gleicher Farbe; ist diess aber nicht der fall, so erscheint die subjektive Färbung anders, als die objektive Farbe des -Fieckes. Ein Gleiches findet für das grüne Glas statt. Zeichnet man über einander auf einem weissen Blatte einen schwarzen und einen grünen Fleck und sieht sie im Doppelbilde, während vor das eine Auge ein rothes Glas gehalten wird, so sieht man folgerichtig drei grüne und einen schwarzen Fleck. Man kann diesen Versuch auf viele Weisen abändern. 459 XIV. Man kann die Bedingungen, welche zur Hervor- bringung der Farbe nöthig sind, noch in verschiedener an- derer Weise erfüllen und die Resultate sind, wenn nicht so deutlich und bestimmt, wie in den Versuchen mit den Gläsern, doch unverkennbar von derselben Art. & H. Meyer theilt (Pogg. Ann. XCV, 170—171) folgenden Versuch mit: Legt man einen schmalen Streifen graues Papier auf eine farbige Fläche, so erscheint dieser Streifen mit der Complementärfarbe der Unterlage gefärbt. Dieser Versuch selingt jedoch nicht immer gleich gut, am besten noch bei grüner Unterlage; ist der Papierstreifen weiss und etwas breiter, so nimmt man die Complementärfarbe erst nach längerer Betrachtung oder auch wohl gar nicht wahr. Man kann jedoch die Complementärfarbe sogleich ganz entschie- den und selbst bei so breiten weissen Streifen, dass sie ohne weitere Hilfsmittel die Complementärfarbe nicht zei- sen (mehrere Zoli breit), hervorbringen, indem man über das farbige und weisse Papier einen Bogen feines, durch- sichtiges Briefpapier legt. Der weisse Streifen erscheint sogleich mit einem ziemlich gleichförmigen lichten Tone der Complementärfarbe überzogen. Helmholtz giebt als vortheilhafteste Methode, in dieser Weise Contrastfarben hervorzurufen, an, man solle zwi- schen den farbigen Bogen und das Briefpapier ein graues Papierschnitzelchen legen, welches ungefähr dieselbe Hel- ligkeit, wie die farbige Fläche hat. Es scheint mir das Resultat wesentlich von der Durch- sichtigkeit des Briefpapieres abzuhängen. Bei einem sehr durchsichtigen Papier oder bei feinem Battiste ist ein grauer Fleck günstiger, bei etwas weniger durchsichtigem ist aber ein möglichst schwarzer Fleck am günstigsten. Es sind in diesem Versuche dieselben Bedingungen wie in den obigen erfüllt, nämlich eine farbige Fläche, ein dunkler Fleck, und 460 darüber zerstreutes weisses Licht, und ich kann bei irgend einer Färbung der Unterlage die subjektive Färbung des Fleckes recht deutlich und bestimmt wahrnehmen. Das Briefpapier kann aber noch durch andere Mittel ersetzt werden. Man kann mit einem stehenden möglichst rein weissen Glase eine weisse Fläche über die farbige mit dem schwarzen Flecke spiegeln, sofort tritt die com- plementäre Farbe auf. Dasselbe geschieht, wenn man mit dem Glase das Licht des grauen Himmels spiegelt. Es ist indessen nicht nöthig, dass die weisse Fläche die ganze farbige Fläche überziehe. Man kann die Anord- nung auch so treffen, dass über die farbige Fläche gleich- farbiges Licht und über den schwarzen Fleck weisses Licht gespiegelt wird. Auch dann tritt die complementäre Fär- bung auf. Die verschiedenen Methoden, welche bisher mitge- theilt worden sind, leiden alle an dem Uebelstande, dass sie sich nicht für gleichzeitige Besbachtung durch verschie- dene Augen eignen. Ich nahm daher intensiv gefärbte Farbenscheiben, brachte darauf einen schwarzen Ring an und legte vor die- selbe einen weissen Sektor. Bei rascher Umdrehung er- scheint nun der Ring in complementärer Färbung. Helm- holtz giebt eine ähnliche Methode an (Phys. Opt. 411), wel- che darauf ausgeht, eine mattfarbige Fläche und einen grauen Ring darin darzustellen. Er macht dabei die Be- merkung: „Ist die Breite der farbigen Sektoren gross und dadurch die Farbe des Grundes zu intensiv, so ist die Complementärfarbe des Ringes schwächer oder wenigstens zweifelhafter, als bei schwacher Färbung des Grundes.' , Wenn diese Bemerkung für einzelne Farben, z. B. dun- kelblau, dunkelroth u. s. w., namentlich also sehr dunkle Farben ihre Richtigkeit hat, so lassen sich doch mit vie- a 461 len Farben, wie z. B. Gummigutt, mindestens eben so leb- hafte Contrasterscheinungen wahrnehmen, wenn die weis- sen Sektoren klein sind im Vergleich zu den farbigen, die erstern etwa 60°—120°. Und noch mehr. Wenn man die Farbe des Grundes gar nicht abschwächt, sondern blos den schwarzen Ring, so treten Contrasterscheinungen auf, wel- che, wie mir scheint, an Intensität und Klarheit nichts zu wünschen übrig lassen. Ich habe zu diesem Behufe Schei- ben mit veränderlichen Sektoren gemacht, welche so ein- gerichtet sind, dass sich nur ein weisser Ring über den schwarzen schiebt, im Uebrigen aber die Farbenfläche keine Veränderung erleidet. Ich glaube kaum, dass eine Methode geeigneter ist, vor grösserem Publikum die Contrasterschei- nungen zu zeigen. Sie treten dabei am lebhaftesten auf, wenn der Beobachter sich in einiger Entfernung befindet und wenn die Bewegung noch nicht so rasch ist, dass nicht die abwechselnden weissen und schwarzen Ringstücke, wenn auch unbestimmt, noch wahrgenommen werden können. Legt man vor ein solches Scheibenpaar noch einen Sektor von gleicher Farbe, wie sie der Grund hat, so kann man die Contrastfarbe wieder zu grau neutralisieren. Ueber die nothwendige Grösse dieses Sektors, und über die Breite des Ringes, den ich, auf 5/5 Zoll im Durch- messer haltenden Scheiben, 6 Linien breit angenommen habe, hoffe ich später Näheres mittheilen zu können. Ich werde schliesslich keine Theorie der beschriebe- nen Contrasterscheinungen aufstellen, sondern mich begnügen constatiert zu haben, dass in allen Fällen, wo dem Augen- paare eine farbige Fläche, ein schwarzer Fleck und dar- über weisses Licht zugleich gezeigt werden, die subjektive Färbung des schwarzen Fleckes eintritt, dass diese Fär- bung immer die zur Farbe des Grundes complementäre, nie die gleiche ist, dass die Erscheinungen für gleichzeitigen 462 und nachfolgenden Contrast nur dem Grade nach verschie- den sind, nicht in der Qualität der auftretenden Farbe, und dass es im Wesentlichen gleichgiltig ist, ob das weisse Licht dem einen oder dem andern Auge zugeführt wird, d. h. mit dem Farbigen und dem Fleck in dasselbe Auge oder in das andre Auge gelangt. N METEOROLOGIE. Herr Rathsherr PErer Merian: Meteorologische Uebersicht des Jahres 1861. Die aus den täglichen höchsten und niedrigsten Thermometerständen berechneten Mitteltemperaturen ergeben Folgendes: Januar — 3%, 3 R. Februar + 3,7 März at April + 6,8 Mai + 10,1 Juni + 14,6 Juli + 14,6 August + 16,6 September + 12,2 October + 9,8 November + 4,5 December + 0,5 Jahr + 7,9 Der Monat Januar war demnach, wenn wir die obigen Zahlen mit der in Bd. II, S. 337 mitgetheilten dreissigjäh- rigen Uebersicht vergleichen, ein ungewöhnlicher kalter, der Monat Februar ein ungewöhnlicher warmer Monat, Der März übersteigt ebenfalls noch um 1°, % das dreissigjährige 464 Mittel, da hingegen April und Mai etwas zurück bleiben. Juni und Juli weichen wenig ab. August war hingegen be- sonders warm. In der Beobachtungsreihe seit 1829 wird er nur vom August 1832 mit 16°, 7 Mitteltemperatur und von demjenigen von 1842 mit 16°, 9 übertroffen. Septem- ber übersteigt nur wenig die Mittelzahl, October war ver- hältnissmässig sehr warm, auch noch der November, obwohl in geringerm Mass. Der December endlich kommt dem all- gemeinen Mittel sehr nahe. Die Mitteltemperatur des gan- zen Jahres übersteigt um 0°, 3 die allgemeine 7°, 6 R. be- tragende Jahrestemperatur. Der höchste Thermometerstand wurde den 16. August mit 27°, 5, der niedrigste den 7. Januar mit — 12°,1 be- obachtet. Es sind das beides ziemlich beträchtliche Extreme. Die Anzahl der Regentage war 112, der Schneetage 17, der Tage überhaupt, an welchen Regen oder Schnee gefal- len sind, 121. Fast ganz bedeckte Tage waren 10%, eine verhältnissmässig kleine Zahl. Riesel fiel an 2 Tagen, Ha- gel ebenfalls an 2. Gewitter wurden an 11 Tagen beob- achtet, eine geringere Zahl als das allgemeine Mittel. Nord- lichter wurden zwei wahrgenommen. Der mittlere Rheinstand an dem Pegel der Rheinbrücke betrug 5,41 Schweizerfuss. Der höchste Stand trat ein den. 2. Januar mit 140, der niedrigste den 28. Decbr. mit 27,4. Der mittlere Barometerstand um 1 Uhr Nachmittags, auf dieselbe Weise wie in den frühern Jahren reduzirt, betrug 27,3 91. Das barometrische Mittel von 9 Uhr Morgens ist um 0,39 höher als dasjenige von 3 Uhr Nachmittags. Der höchste Barometerstand wurde ‚beobachtet den 2. Febr. um 9 Uhr Abends mit 27°,10'’,69; der tiefste den 19. März um 3 Uhr Nachmittags mit 26,7 41. -BOTANIR. Die Kryptogamenflora des baslerischen, sowie eines Theiles des angrenzenden bernischen und solo- thurnischen Jura. Von Pauz Reınsch, Mitglied der Naturforschenden Gesellschaft. Der grössere Theil des Florengebietes, welches die nachstehenden Arten beherbergt, gehört seiner Lage und seiner Formation nach zum Jura, den kleineren Theil, die Niederung ober und unter Basel sowie die Hügelzone zwi- schen Birs und Birsig und das dem linken Ufer des letz- teren Baches angrenzende tertiäre Hügelland umfassend, nimmt diluviales Schwemmland und tertiäres Terrain ein. Vom Juragebirge sind dem untersuchten Gebiete der öst- liche Theil der Blauenkette gehörig, ein Theil der Wiesen- bergkette, die Passwangkette zum Theil, ein Theil der Hauensteinkette mit den diese Ketten begrenzenden Haupt- thälern und den dieselben durchschneidenden Klussen.') Es 1) Vergl. hierüber: J. Siegfried, die Schweiz, geologisch, geogra- phisch und physikalisch geschildert. I. Band, der schweizerische Jura. Zürich 1851; und: Andreas Kündig, Karte vom Kanton Basel. Maassstab /50000: 31 466 #7 erreichen die vorderen Ketten mit den dazu gehörigen Hö- hen nicht die obere Grenze der mittleren Bergregion (Biauen- kette, Hauensteinkette), die gegen den Centralknoten des nördlichen Schweizer-Juras zu gelegenen Ketten (Wiesen- bergkette, Passwangkette) erreichen die obere Grenze der mittleren Bergregion, in einzelnen Höhen übersteigen sie dieselbe (Hohe Winde, Passwang, Vogelberg, Belchenfluh, Rehhag). !) Die Unterlage des Florengebietes wird zum grossen Theile von kalkigen, zum kleineren Theile von thonigen Mineralmassen gebildet, die daraus entstehende Erdschicht an den Gehängen und zu oberst des Gebirges ist deswegen kalkiger, thoniger oder thonig-kalkiger Natur; da vorwie- gend aus Kiesel zusammengesetzte Mineralmassen nur an einigen Stellen ‘zu Tage treten (unterer Oolith, brauner Jura), so ist die Verbreitung des Sandbodens im Floren- gebiete nur von sehr untergeordneter Bedeutung.?) Von ziemlicher Verbreitung, namentlich an den felsigen bewal- deten Gehängen des Gebirges, ist die schwarze durch Ver- wesung von Vegetabilien entstehende Humuserde. Der Bo- den des tertiären Hügellandes, der Rheinniederung sowie der Flussthäler der dem Jura entquellenden grössern und kleinern Gewässer ist hauptsächlich thoniger, manchmal auch thonig-kalkiger Natur. Der grössere Theil des Ter- rains des Florengebietes ist der gedeihlichen Entwickelung einer üppigen Kryptogamenwelt günstig. So weit nicht die Kulturen (Acker und Wiesland) den schützenden Wald ver- 1) Vergl. hierüber: Jules Thurmann, Essai phytostatique apliqué à la chaine du Jura et aux contrées voisines. Berne 1849. 2) Vergl. hierüber meine chemische Untersuchung der Glieder der Lias- und Juraformation in Franken im neuen Jahrbuch für Mi- _ neralogie, Geologie und Petrefaktenkunde von Bronn und Leon- hard. Jahrg. 1859, p. 385. 467 drängt haben, sind den Kryptogamen in unserem Jurage- birg der günstigen Orte zu deren ruhigem Dasein doch noch viele geblieben, in unserm Juragebirg mit seinem überaus manchfaltig gebildeten Relief, mit seinen vielen steilen ent- legenen, der Kultur nicht leicht zugänglichen Spalten und Schluchten, mit seinen reichhaltig die Gehänge herabrieseln- den tuffabsetzenden Wasseradern, mit seinen noch in fast urwüchsiger Bewirthschaftung stehenden der modernen aus- zehrenden Waldkultur grösstentheils noch unverfallenen Waldungen. Wie viel die Kryptogamenwelt, namentlich die heerdenweise in massenhafter Anzahl von Individuen leben- den grössern Laub- und Lebermoose (Hypnum, Polytri- chum, Leskea, Neckera, Mastigobryum, Plagiochila) zu dem Wasserreichthum und in dessen Gefolge zur Fruchtbarkeit einer Gegend beitragen, wie sehr die Quellbildung beför- dert wird, ist schon lange von den Geologen und Physi- kern erkannt worden. An Kryptogamen besonders reiche Lokalitäten im Flo- rengebiete sind: die Belcheniluh, das Beinwylthal, die Ge- hänge des Passwang, der Blauenberg, welche Lokatitäten dem wandernden Botaniker zu empfehlen sind, auch das Bruderholz, in weichem als neu für das schweizerische Florengebiet Archidium phascoides entdeckt wurde, ist reich namentlich an Phascaceen und Fissidensarten. Ich erlaube mir das nachstehende Verzeichniss als einstweilige und erste Grundlage einer künftigen Kryptogamenflora eines kleinen Striches des schweizerischen Juras zu veröffentli- chen, von welchem letzteren der gegenwärtig in Amerika abwesende Lesquereux von Neuenburg schon vor mehreren Jahren den Neuenburger Jura und auch Herr Prof. Schim- per einzelne namhafte Punkte untersucht haben, für den Basler Jura speciell soll Herr Preiswerk von Basel schon vor mehreren Jahren Einiges gesammelt haben. Ich hege die Hofinung, einen Theil des Gebietes noch genauer un- 31* 468 tersuchen und alsdann dieses einstweilige Verzeichniss ver- vollständigen zu können; die Lückenhaftigkeit einiger arten- reicher Genera muss ich entschuldigen , so namentlich: Bryum, Mnium, Barbula, Orthotrichum, Dicranum, Polytri- chum und zum Theil Hypnum, von welchen Gattungen ge- wiss noch viele Arten dem Florengebiete angehörig sein mögen. Einige zweifelhafte Arten hatte Herr Prof. Schim- per in Strasburg mit bekannter Liberalität und Freundlich- keit festzustellen die Güte gehabt. Die Jungermannien, an denen das Gebiet ebenfalls reich ist, hofe ich noch beson- ders zu untersuchen. LEBERMOOSE. Familie der Ricciaceen. Riccia. Michel. R. glauca. L. feuchte Aecker des Tertiärsandes und des Löss. Allsqhwil, neben der Strasse zwischen Benken und Neuwiler. R. natans. L. In Altwässern und Gräben des Rheines unter- halb Basel (Istein, Kirchen). R. fluitans. L. Mit R. natans in Altwässern des Rheines bei Istein. - Anthoceros. Michel. A. levis. L. Auf feuchten, thonig- sandigen Aeckern des Lôss zwischen Therwil und Reinach. A. punctatus. L. Auf feuchten, sandigen Aeckern bei All- schwil, mit A. lævis zwischen Therwil und Reinach. Familie der Marchantiaceen. Duvalia. Nees v. Esenbeck. D. rupestris. N. v. Esenb. An Felsen .der Juraformation (Korallenkalk und weisser Jurakalk) in Beinwyl an der langen Brücke. 469 Fegatella. Raddi. F. conica. Corda. In beschatteten Schluchten, am Grunde und in Spalten und Höhlungen feuchter, schattiger Fel- sen. Durch das ganze Gebiet verbreitet. Blauenberg ober Ettingen, Kluss bei Aesch, Birseck, am Wasser- fall bei Balsthal, neben der alten Hauensteinstrasse, in der Schlucht am Hohen Kasten bei Grellingen, an vom Rheine bespülten Mauern in Basel (Männerbad, Stütz- mauer des Münsters). Preissia. Corda. Pr. commutata. N. v. Esenb. An feuchten Felsen bei dem Schlosse Birseck findet sich die kleinere Form, mit dem durch Sprossung mehrfach gegliederten Laube. Die grössere Form am Felsen unter der Pfeffinger Ruine. Marchantia. Raddi. M. polymorpha. L. Findet sich im Florengebiete verhält- nissmässig nicht sehr häufig. An sumpfigen Stellen bei Grosshüningen, an Mauern bei Liestal. Familie der Jungermannien. A. Laubige Jungermannien. Metzgeria. Raddi. M. pubescens. Raddi. Blauenberg ober Ettingen (Fürsten- stein und Felswände links), in der Schlucht am Hohen Kasten bei Grellingen, Birseck, Belchenfluh, Schauen- burg, oberhalb Mönchenstein, mit Früchten zwischen Birseck und Gempenstollen. Häufiger als die M. fur- cata, doch selten mit Früchten. Gewöhnlich in Polstern zwischen andern Moosen. M. furcata. Nees v. Esenb. An Baumwurzeln und auf der nackten Erde. Neben der alten Hauensteinstrasse, Birs- eck, Hoher Kasten bei Grellingen. Aneura. Dumortier. 470 An. pinguis. Nees v. Esenb. An feuchten quelligen Abhän- gen, besonders auf Tuff, meistens zwischen Hypnum commutatum und filicinum vertheilt, selten rasig. Am Blauenberg, Hoher Kasten, unter Schauenburg, am War- tenberg bei Muttenz, bei Grellingen. An. palmata. Nees v. Esenb. An feuchten, thonigen Abhän- sen unter Gesträuch, auch auf morschen Baumstrünken. Oberhalb Diegten und am Wasserfall, Bruderholz bei Reinach, Blauenberg (bei der Platte). An. multifida. Dumortier. An feuchten, schattigen Orten auf kalkiger Unterlage. Blauenberg a. m. O., Diegten. Blasia. Michel. Bl. pusilla. Mich. Auf feuchten, lehmigen Aeckern des Löss und des Tertiärsandes. Aecker auf dem Bruderholz bei Therwil, Aecker neben der Strasse nach Bottmingen, Allschwil, Hägenheim. Pellia. Raddi. P. epiphylla. Nees v. Esenb. Auf feuchtem Lehmboden im Schatten der Wälder, an unbetretenen Waldwegen, auch auf nassen Steinen. Bruderholz bei Therwil, bei Allschwil, Diegten. B. Beblätterte Jungermannien. Frullania. Raddi. ; Fr. dilatata. Nees v. Esenb. An Waldbäumen und beschat- teten Felsen (Jurakalk); durch das ganze Gebiet ver- breitet. Fr. Tamarisci. Nees v. Esenb. An Waldbäumen sowohl als auch in Rasen auf nackten Felsen und zwischen andern Moosen. Blauenberg (Ruine Mönchsberg, Für ae Gempenstollen, Schauenburg. Madotheca. Dumortier. M. lævigata. Dumort. An Laubbäumen und Felsen. Blauen- berg, Belchenfluh. 471 M. platyphylla. Nees v. Esenb. An Felsen und Bäumen im sanzen Gebiete der Bergregion verbreitet. Radula. Dumortier. R. complanata. Dumortier. An Baumstämmen in Wäldern, - seltener an Felsen und Blöcken, durch das ganze Ge- biet verbreitet. Mastisobryum. Nees v. Esenbeck. M. deflexum. Nees v. Esenb. An feuchten Felsen. Birseck. M. trilobatum. Nees v. Esenb. An feuchten, schattigen Or- ten; feuchte Abhänge und Schluchten. Birseck, Blauen- berg, Bruderholz bei Therwil, Hoher Kasten. Fast im- mer steril. Lepidozia. Nees v. Esenb. L. reptans. Nees v. Esenb. An feuchten Orten, sowohl in Rasen als auch zwischen andern Moosen zerstreut. Im ganzen Gebiet. Lophocolea. Nees v. Esenb. L. heterophylla. Nees v. Esenh. Auf morschem Holze; Bel- chenfluh. L. bidentala. Nees v. Esenb. Sowohl zwischen andern Moo- sen zerstreut, als auch in Rasen, an feuchten, schatti- gen Orten. Bruderholz bei Therwil, Blauenberg, Gruth bei Mönchenstein und v. a. O. Jungermannia. L. J. setacea. Weber. An morschem Holze. Belchenfluh. 1} trichophylla. L. An morschem Holze und auf Li Erde. Belehenfiuh, Blauenberg, Birseck. J. bicuspidata. L. In Wäldern auf der Erde und an Felsen. Bruderholz, Birseck u. a. v. a. 0. J. Schraderi. Martius. An feuchten Orten zwischen andern Moosen zerstreut. Blauenberg. J. exsecta. Schmidel. An morschem Holze. Belchenfluh. Scapania. Lindenberg. \ Sc. nemorosa. Nees v. Esenb. Am Rande feuchter Wälder 472 und in Schluchten, auch am Fusse schattiger Felsen, gewöhnlich in lockern Rasen. Blauenberg, Schauen- burg, Hoher Kasten. Sc. umbrosa. Nees v. Esenb. Am Fusse feuchter schattiger Felsen. Belchenfluh, Balsthal. Plagiochila. Nees v. Esenbeck. Pl. asplenioides. Nees v. Esenb. In schattigen Wäldern, durch das ganze Gebiet. Obwohl das jurassische Gebiet sehr reich an Junger- mannien ist, so muss ich doch bedauern, diese geringe An- zahl und zwar nur der verbreiteteren Arten anführen zu müssen, indem ich das gesammelte Material noch nicht ge- hörig habe untersuchen und bestimmen können. LAUBMOOSE. Abtheilung der Sphagneen. Sphagneen. Dillen. Sph. acatifolium. Ehrh. An sumpfigen Stellen bei Neudorf und Grosshüningen unter Basel. Von Sphagneen habe ich bis jetzt nur diese einzige Art im Gebiete finden können. Abtheilung der Moose. A. Akrokarpische Moose. Familie der Phascaceen. Ephemerum. Hampe. Eph. serratum. Hampe. Auf feuchtem Lössboden, an Grä- ben, auf Wiesen, entblössten Stellen in Wäldern. Im Bruderholz bei Therwil, an Wiesengräben und Auf- würfen bei Ettingen, Allschwil, Sissach. Eph. cohærens. Hampe. Im Bruderholz zwischen Therwil und Reinach. 473 Phascum, L. Ph. cuspidatum. Schreber. Auf feuchten, Haha Aeckern des Winters, an Wegerändern und Aufwürfen durch das ganze Gebiet. Ph. bryoides. Dicks. Auf feuchtem, thonigem Sandboden bei Allschwil, Ufer der Birs zwischen Aesch und Dor- nachbruck. Ph. crispum. Hedw. Auf thonig-sandigem Boden. Im Bru- derholz bei Therwil, Ufer der Birs unterhalb Aesch, Blauenberg, Anhöhe bei St Margarethen. Familie der Archidiaceen. Archidium. Bridel. Arch. phascoides. Bridel. Auf feuchtem Thonmergelboden des Löss; im Bruderholz bei Therwil. Dieses interes- sante Moos entdeckte ich im Dezember des verflosse- nen Jahres, der Standort bildet eine mehrere hundert Quadratfuss haltende immerwährend eniblösste Wald- stelle, auf welchem Areal das Moos weit verbreitet ist und auf dem Boden intensiv grüne Stellen von meh- reren Quadratzollen Grösse bildet. Es ist dieses Ar- chidium etwas verschieden von dem in der Bryologia europ. tom. !, Taf. I, Fig. 3 abgebildeten Exemplare. Die Exemplare sind ganz unverästelt, an je einem Exem- plar befindet sich nur eine einzige Frucht, der Schopf der Hüllblätter der Frucht ist beinahe sitzend. Der bekannten srossen Sporen befinden sich in der Kapsel etwa 7 bis 9. Die Früchte mit dem umgebenden Schopf befinden sich gewöhnlich nahe oder unter der Erde. Familie der Bruchiaceen. Pleuridium. Bridel. Pl. subulatum. Br. et Schimp. Auf feuchtem, thonigem Sand- boden. Allschwil, Bruderholz, 474 Familie der Weissiaceen. Hymenostomum. R. Brown. H. microstomum. R. Br. Auf lehmigem Sandboden. Blauen- berg, Bruderholz. Weissia. Hedwig. W. viridula. Bridel. Auf feuchter und trockner Erde fast jeder Art. Durch das ganze Gebiet verbreitet. Gymnostomum. Hedwig. G. calcareum. Nees von Esenb. !n Ritzen und Spalten der : Juragesteine. Im Beinwyl, Belchenfluh. Encladium. Bruch et Sch. Encl. verticillatum. Br. et Sch. Auf Tuff neben der Berner Poststrasse hinter Grellingen. Familie der Dieranaceen. Dieranum. Hedwig. D. varium. Hedw. Auf Thonboden. Sissach, Blauenberg, Bruderholz, Mönchenstein. | D. heteromallum. Hedw. Wartenberg bei Muttenz. D. scoparium. Hedwig. In Wäldern, namentlich am Grunde der Föhrenstämme. Bruderholz, Blauenberg, Belchen- fluh. D. undulatum. Turn. In schattigen Wäldern und unter Ge- sträuch. Ruine Mönchsberg ober der Kluss, Belchenfluh. Dieranodontium. Br. et Schimper. | D. longirostre. Br. et Sch. An moderndem Holze in schat- tigen Wäldern. Unter der Belchenfluh, bei Liestal. Familie der Fissideniaceen. Fissidens. Hedwig. F. exilis. Hedw. Auf feuchtem Thonboden des Löss. Bru- derholz bei Therwil, am Diegtener Wasserfall. F. taxifolius Hedw. Auf feuchter Erde im Schatten der 475 Wälder und an Abhängen, meist auf Kalk. Birseck, Mönchenstein, Blauenberg, Gempen. . Fiss. adiantoides. Hedw. Auf feuchter Erde, in Wäldern, durch das ganze Gebiet verbreitet. Familie der Seligeriaceen. Seligeria Br. et Schimper. S. pusilla. Br. et Sch. An schattigen Steinen und Fels- blöcken (Jurakalk). Neben der alten Hauensteinstrasse ober Läufelfingen. S. tristicha. Br. et Sch. An feuchten, schattigen Jurakalk- und Korallenkalkfelsen. In der Schlucht ober Ettingen. S. recurvata. Br. et Sch. Auf Jura- und Korallenkalk. Et- tingen, Gempenstollen. N Familie der Pottiaceen. Pottia. Ehrhardt. P. truncata. Br. et Sch. Auf feuchter, thonig-kalkiger Erde. In der Schlucht ober Ettingen, Gempen, Gruth ober Mönchenstein u. a. a. ©. P. minutula. Br. et Sch. Auf feuchter, thoniger Erde, auf Wiesen, an Grabenrändern. Ettingen, Bruderholz, Sis- sach. Anacalypta. Röhling. An. lanceolata. Röhl. Auf thonigen Aeckern. Ettingen, Bottmingen. Desmatodon. Br. et Schimper. Desm. nervosus Br. et Sch. Am Grunde Robe dre ger Jurakalkfelsen und auf kalkiger Erde. Belchenfluh, neben dem Steig, der auf die Spitze führt. Familie der Trichostomaceen. Barbula. Hedwig. B. unguieulata. Hedw. An Mauern der Ruinen, auf Erde al- ler Art. Durch das ganze Gebiet verbreitet. 476 B. paludosa. Schwægr. Auf morastigem, thonig-kalkigem Boden. Abhang des Blauenberges ober der obern Kluss bei Aesch, mit reichen Früchten. B. fallax. Hedw. Auf feuchtem Boden; Ettingen, Gempen- stollen. B. tortuosa. Web. et Mohr. An beschatteten Jura- und Ko- rallenkalkfelsen, am Rande schattiger Schluchten in dichten Polstern. Belchenfluh, Oensingen bei Balsthal in der Kluss (mit reichen Früchten), Gempenstollen, Blauenberg u. m. a. 0. B. muralis. Timm. An Mauern der Ruinen durch das ganze Gebiet; Stadtmauern von Basel. B. ruralis. Hedw. Auf Kalksteinen, seltener auf der Erde. Blauenberg (mit Trichost. rubellum), Wartenberg. Im Ganzen ist dies gemeine Moos nicht sehr verbreitet. Ceratodon. Bridel. | C. purpureus, Brid. Durch das ganze Gebiet verbreitet und auf jeder Unterlage. Trichostomum. Hedwig. Tr. tophaceum. Bridel. Auf Tuff. Grellingen, Duggingen, an dem Wasserfall bei der untern Kluss bei Aesch. Tr. flexicaule. Br. et Sch. Am Grunde von Jurakalkfelsen, auch auf kalkiger Erde. In der Schlucht ober Ettin- gen, unterer Hauenstein ober Läufelfingen, Belchenfluh, Gempenstollen. Tr. tortile. Schrader. Auf thonigem Kalkboden. Blauenberg. Didymodon. Br. et Sch. | Did. rubelius. Br. et Sch. Auf feuchten Jurakalkblöcken auch auf der nackien Erde. Blauenberg, Gempenstol- len, Diegten. Distychium. Br. et Schimper. D. capillacum. Br. et Sch. An schattigen Jurakalkfelsen, auch auf der Erde. Blauenberg ober Ettingen, Fürsten- MT stein, Gempenstollen, Belchenfluh, Oensingen bei Bals- thal, Hohe Winde im Beinwyl (3390°). | Familie der Tetraphideen. Tetraphis. Hedwig. Tetr. pellucida. Hedw. An moderndem Holze. Belchenfluh. Familie der Encalyptaceen. Encalypta. Schreber. Ene. streptocarpa. Hedwig. An Rändern der Schluchten, an Jurakalkfelsen. Belchenfluh, Birseck , Gempenstollen, reichlich mit Früchten bei Oensingen in der Kluss (Bals- thal), steril im Bruderholz bei Therwil. Enc. vulgaris. Hedw. An Steinen bei Schönthal. Familie der Orthotrichaceen. Orthotrichum. Hedwig. Orth. coarctatum. Beauv. An Eichen und Buchen. Bruder- holz bei Therwyl, Blauenberg, Schauenburg, Gempen- stollen. Orth. crispulum. Bridel. An Waldbäumen. Bruderholz, Blauen- berg. Orth. crispum. Hedw. An Waldbäumen. Bruderholz, Blauen- berg u. a. 0. Orth. anomalum. Hedw. Auf losen Jurakalksteinen. Blauen- berg, Gempenstollen, Winterhalden, Wartenberg, Bel- chenfluh. Orth. cupulatum. Hoffm. Gempenstollen. Orth, obtusifolium. Schrad. An Bäumen. Durch das ganze Gebiet. Orth. speciosum. Nees v.Esenb. An Waldbäumen. Bruderholz. Familie der Grimmiaceen. Grimmia. Ehrhardt. Gr. apocarpa. Hedw. An losen Steinen und Blöcken durch 478 das ganze Gebiet. Es finden sich drei Formen dieses vielgestaltigen Mooses im Gebiet (var. &8 und y rivu- laris. vergl. Bryol. eur. Tom. Il. Schistidium taf. IV, pag. 3). Gr. pulvinata. Dillen. An Steinen und auf Mauern, durch das ganze Gebiet verbreitet, weniger in der Höhe. Gr. obtusa. Schwägr. Auf trocknen Jurakalkfelsen. Blauen- berg. Racomitrium. Bridel. R. aciculare. Brid. Auf feuchten Kalkblöcken. Am Diegte- ner Bache. R. canescens. Brid. Auf sterilem, nacktem Boden. Riehen bei Basel. Familie der Funariaceen. Physcomitrium. Bridel. Ph. pyriforme. Br. et Sch. Auf nassen Aeckern. Bottmingen. Funaria. Schreber. Fun. hygrometrica. Schreb. Auf verlassenen Köhlermeilern, an Mauern, auch auf sandiger Erde. Grellingen, Neuen- häuslein im Beinwyl, Schlatthof u. v. a. ©. Familie der Bartramiaceen. Bartramia. Hedwig * B. Oederi. Swartz. An befeuchteten Felsen (Jura- und Ko- rallenkalk). Am Hohen Kasten bei Grellingen, Nunnin- ser Fluh. B. calcarea. Br. et Sch. An immerwährend nassen Abhän- gen mit tuffabsetzenden Quellen. Grellingen. Familie der Bryaceen. Bryum, Dillen. Br. cæspiticium. L. An Steinen und Felsen. Unterer Hauen- stein, Blauenberg. 479 Br. obconicum. Hornsch. Auf losen Jurakalksteinen neben der alten Hauensteinstrasse ober Läufelfingen. Br. argenteum. L. Auf Kalk- und Thonboden, verlassenen Köhlermeilern. Im ganzen Gebiete sehr verbreitet. Br. roseum. Schreber. An feuchten, schattigen Orten. Bru- derholz, Kluss bei Aesch. Br. capillare. Hedwig. An Baumstrünken, auf Waldboden. Belchenfluh, unterer Hauenstein. Mnium. L. Mn. undulatum. Hedw. In feuchten, schattigen Wäldern. Bruderholz, lange Erlen bei Basel, Blauenberg (fructif). Mn. stellare. Hedw. An Quellen in Wäldern. Bruderholz. Mn. punctatum. Hedw. In feuchten Wäldern. Bruderholz. Aulacomnium. Schwägrichen. Aul, palustre. Schwägr. An nassen Orten. Bruderholz, War- tenberg bei Muttenz, Schlatthof. Familie der Polytrichaceen. Polytrichum. L. -P. juniperinum. Hedw. In Wäldern. Bruderholz, oberhalb Benken. P. formosum. Hedw. In Wäldern. Zwischen: Benken und Neuwiler. à Catharin#a. Ehrhardt. | C. undulata. W. et Mohr. In Wäldern, unter Gesträuch, am Rande von Waldungen. Im ganzen Gebiet verbreitet, in der Niederung verbreiteter als höher. In der Hart- waldung, im Bruderholz das gemeinste Moos. Familie der Buxbaumiaceen. Buxbaumia. Haller. B. indusiata. Bridel. Auf feuchter, moderiger Walderde, an moderndem Holze. Belchenfluh (bei 2900‘), neben dem Fussweg im schattigen Wald, der vom Kilchzimmer auf % 480 die Fluh führt. Dieses interessante Moos entdeckte ich auf einer Exkursion im August in Begleit des wackern Botanikers Dr, Fries in Sissach. B. Pleurokarpische Moose. Familie der Fontinalaceen. Fontinalis. Dillen. Font. antipyretica. L. In Bächen und Flüssen an Steinen und Pfählen. Birs, Birsig, Diegtener Bach, Ergolz, fructifizirend nahe bei der Diegtener Mühle. Cinclidotus. Pal. de Beauv. Cinel. riparius. Walk. Arnott. Ufer der Birs zwischen Grel- lingen und Lauffen. Familie der Neckeraceen. Neckera. Hedwig. N. pennata. Hedw. In Wäldern, an Stämmen, auch an den Aesten von Gesträuch. Blauenberg, Gempenstollen, Birseck. N. crispa. Hedw. An Felswänden, Steinen, am Grunde von Baumstämmen. Durch das ganze Gebiet (in der Berg- region) sehr verbreitet. Sehr reichlich mit Früchten auf dem Blauenberg und auf dem untern Hauenstein. N. complanata. L. An Stämmen. Blauenberg, Kempen nn Omalia. Br. et Schimper. Om. trichomanoides. Br. et Sch. Am Grunde der Stämme, in Wäldern auf thoniger Erde des Löss. Bruderholz, Birseck, Mönchenstein, Blauenberg u. v. a. 0. Familie der Orthotheciaceen. Pylaisæa. Schimper. Pyl. polyantha. Sch. (Leskea). An alten Feldbäumen, sel- tener auf Waldbäumen. Durch das ganze Gebiet ver- breitet. 481 Homalothecium. Schimper. Hom. sericeum. Schimper. (Leskea). An Feldbäumen, auf Mauern. Verbreitet. Orthothecium. Schimper. Orth. rufescens. Schimp. (Hypnum). Am Grunde und in Spal- ten feuchter Jurakalkfelsen. Belchenfluh, Beinwyl {Fels- wand neben der langen Brücke). Platygyrium. Schimper. Pl. repens. Schimper. An Baumstämmen. Belchenfluh (bei circa 3200‘). Pterigynandrum. Bridel. Pt. filiforme. Hedw. Auf Steinen und an Stämmen. Bel- chenfluh. - Cylindrothecium. Schimper._ Cyl. Montagnei. Schimper. An schattigen Abhängen auf Jura- kalk. Ober der obern Kluss bei Aesch (bei der Platte), Nunnioger Fluh; an ersterem Orte mit Frucht beob- achtet. Climacium. Weber et Mohr. Clim. dendroides. W. et M. Auf nassen Wiesen und unter Gesträuch. Unter dem Schlatthof, Grosshüningen. Entodon. Carl Müller. Ent. cladorrhizans. ©. M. Auf schattigen Jurakalkblöcken. Blauenberg ober der obern Kluss bei Aesch. Familie der Leucodontaceen. Leucodon. Schwägr. L. sciuroides. Dillen. An alten Feldbäumen, durch das ganze Gebiet. Mit Früchten bei Arlesheim und auf dem Gempenberg. bites Antitrichia. Bridel. Ant. curtipendula. Dillen. An Bäumen, Felsen. Blauenberg, Belchenfluh, Hauenstein, Birseck u. a. v. a. O. 32 183 Familie der Leskeaceen. Leskea. Hedwig. L. polycarpa. Ehrh. Am Grunde alter Feld- und Wald- bäume. Ettingen, Dornach, Gempenberg, Hofstetten. L. subtilis. Hedw. Am Grunde alter Stämme, auch auf Stei- nen und der blossen Erde. Blauenberg, Gempenberg. L. exilis. Starke. Am Grunde von Baumstämmen. Blauen- berg. Anomodon. Hooker. An. attenuatus. Hedw. An feuchten Abhängen, unter Ge- büsch. Bruderholz, Blauenberg, unterer Hauenstein LU 10. An. viticulosus. Hook. et Taylor. An Bäumen, Felsen, auf Steinen, durch das ganze Gebiet sehr verbreitet; reich- lich mit Früchten bei Birseck, am Blauenberg. | Familie der Hypno-Leskeaceen. Thuidium. Schimper. Th. tamariscinum. Schimper. In feuchten Wäldern. Blauen- berg, Bruderholz, Birseck, zwischen Benken und Neu- wiler. Th. abietinum. Schimper. Auf sterilem Boden, an sonnigen Abhängen. Blauenberg, Gempenstollen u. a. a. O. Pseudoleskea. Schimper. i Ps. catenulata. Schimper. An losen Jurakalkblöcken und an Baumstämmen. Belchenfluh (unter der Spitze). Familie der Hypnaceen. Hypnum. L. A. Plagiothecium. Schimper. H. denticulatum. L. An alten Baumstöcken, an schattigen Orten in Wäldern. Bruderholz, ober Mönchenstein. H. sylvaticum. L. An feuchten, schattigen Orten in Wäl- dern. Bruderholz, Hartwald. 483 B. Rhynchostegium. Schimper. . murale. Hedwig. Auf feuchten, losen Steinen, auch auf der Erde. Kluss bei Aesch, Blauenberg, Birseck. . rusciforme. Brid. An Steinen im Diegtener Bach, Birsig unter Oberwyl. C. Thamnium. Schimper. . Alopecurum. Hedwig. In schattigen Schluchten an Fel- sen. Durch das ganze Gebiet der Bergregion verbrei- tet. Mit Früchten in der Schlucht hinter dem Bade Ettingen, am Fürstenstein und der Felswand links von der Ruine, Ruine Tschäpperlein. D. Eurhynchium. Schimper. . strigosum. Hoffmann. Auf thonigem Boden in Wäldern. Bruderholz, zwischen Gruth und Mönchenstein, Blauen- berg. . prælongum. L. Auf thonigen Aeckern und Wiesen, sel- tener auf Waldboden. Birseck, Arlesheim, Blauenberg. . Schleicheri. Hedw. Auf feuchtem Thonboden oberhalb Arlesheim. . striatum. Schreb. In feuchten Wäldern und an nassen schattigen Orten, Bruderholz, Blauenberg, Hartwald und va" 0: É . crassinervium. Taylor. An feuchten Felswänden (Koral- lenkalk) in dichten, gelblichgrünen, glänzenden Rasen. In der Schlucht hinter dem Bade Ettingen. . myosuroides. L. An schattigen Felswänden. Blauenberg, Ruine Mönchsberg, Belchenfluh. E. Isothecium. Schimper. . curvatum. Swartz. Am Grunde der Baumstämme, auf Steinen. Blauenberg, Bruderholz u. a. a. O. 32* 48% N. F. Brachythecium. Schimper. populeum. Hedwig. Auf nassen, feuchten Steinen, auch auf feuchter Erde. Blauenberg. . velutinum. L. Auf der Erde, an Steinen etc. Bruderholz, Hartwald. . rutabulum. L In Schluchten, an Steinen und Holz. Durch das ganze Gebiet verbreitet. . salebrosum. Hoffmann. Auf Erde, an schattigen Felsen und am Grunde alter Bäume. Blauenberg, Gempenberg, Bruderholz. . rivulare. Bruch in litt. An nassen Korallenkalkfelsen. In der Schlucht hinter dem Bade Ettingen. G. Camptothecium. Schimper. . plumosum. L. An modernden Baumstrünken, auf feuch- ter Walderde. Blauenberg, Bruderholz. . lutescens. Dillen. Auf Erde, an Abhängen, unter Ge- sträuch. Durch das ganze Gebiet sehr verbreitet. . albicans. Neck. Auf trockenem Kalkboden. Blauenberg. H. Amblystegium. Schimper. . subtile. Hoffm. An Stämmen, auch auf Steinen. Blauen- berg, unterer Hauenstein u. a. ©. serpens. Dillen. An losen Jurakalksteinen. Hauenstein, Gempenstollen, Blauenberg. J. Limnobium. Schimper. . palustre. L. An nassen Steinen. Diegtener Bach. K. Hypnum. Schimper. . stellatum. Schreber. An feuchten oder trockneren Ab- hängen auf Jurakalk. Unterer Hauenstein (mit reichli- chen Früchten), Blauenberg, Belchenfluh, Gempenstollen. . Halleri. L. Auf losen Jurakalksteinen. Belchenfluh. . cupressiforme. L. Im ganzen Gebiete in verschiedenen Formen sehr verbreitet. 485 H. molluscum. Dillen. Auf losen Steinen (Jurakalk), an schat- tigen Felsen. In der Bergregion sehr verbreitet. H. Crista castrensis. L. In schattigen, humusreichen Wäl- dern. Belchenfluh, hier im August reichlich mit Fiüch- ten gesammelt. H. fluitans. L. In ausgetrockneten Gräben und Altwässern. Grosshüningen. H. aduncum. Hedw. In dem Moor bei Neudorf und Gross- hüningen. | H. commutatum. Hedwig. An nassen, quelligen Abhängen, besonders auf Tuffunterlage. Grellingen, Duggingen, Blauenberg. | H. filicinum. L. Auf Steinen, in Quellen und Bächlein. Blauenberg, Hoher Kasten bei Grellingen, im Birsig. H. nitens. Schreber. Auf moorigen Wiesen, am Rande sum- pfiger Gräben. Unter dem Schlatthof, Moor bei Neu- dorf. | H. rugosum. Dillen. Auf trocknen, sonnigen Anhöhen, Fel- sen. Blauenberg, Gempenstollen, Sissacher Fluh, ober- halb Biel u. a. a. O.; immer steril. H. cuspidatum. Dillen. Auf nassen Wiesen, in Gräben. Im . ganzen Gebiete sehr verbreitet (weniger in der Berg- region des Juras, wo H. commutatum und filicinum des- sen Stelle einzunehmen scheinen). H. Schreberi. Willden. In Wäldern, an schattigen Abhän- gen. Sehr verbreitet. H. purum. L. In feuchten Wäldern u. s. w. sehr verbreitet. L. Hylocomium. Schimper. H. splendens. Dillen. An feuchten Abhängen, in Wäldern. Verbreitet. H. squarrosum. L. Auf feuchten Wiesen. Wartenberg bei Muttenz. (Wie es scheint nicht allzuhäufig.) H. brevirostrum. Ehrh. Im Schatten unter Gesträuch, am 486 Grunde der Felsen, in der Bergregion verbreitet. Mit Früchten am Blauenberg. H. triquetrum. L. In feuchten Wäldern, sowohl des Juras als auch der niedrigen Hügelzone verbreitet. Mit Früch- ten im Bruderholz, der Hartwaldung und am Blauen- berg. GEFÄSS - KRYPTOGAMEN. Familie der Farren. Polypodium. L. P. vulgare. L. Auf beschatteten Jurakalkfelsen. Blauenberg, unterer Hauenstein, Oensingen bei Balsthal, Hohe Winde, Belchenfluh. P. calcareum. Smith. An steinigen Abhängen des Juras. Verbreitet. Belchenfluh, unterer Hauenstein, Hohe Rede, im Beinwyl u. a. a. O. P. Dryopteris. L. In schattigen Wäldern. Blauenberg. ' Asplenium. L. | Aspl. Ruta muraria. L. An Felsen und Mauern der Ruinen im ganzen Gebiete, Stützmauern des Münsters und Stadt- mauern in Basel. De Aspl. viride. Hudson. An beschatteten Felsen und in Schluch- ten. Gempenstollen, Birseck, Hohe Winde, Felswände an der langen Brücke im Beinwyl, Oensingen, Blauen- berg. Aspl. Trichomanes L. An Kelsen. Hauenstein, Belchenfluh. Aspl. Halleri. R. Brown. An beschatteten Jurakalkfelsen. Dieses seltene Farrenkraut, dessen Verbreitungsbezirk eine kleine Partie des Neuenburger und Genfer Juras, entdeckte ich für die Flora des Basler Juras an Fel- sen neben dem Durchhau der alten Hauensteinstrasse, die von Läufelfingen nach Olten führt, und in Gemein- schaft mit der der Walliser und der Genfer Flora an- 487 gehörigen Arabis muralis Bertoloni an Felsen bei der Ruine Frohburg ober Läufelfingen. In grosser Menge findet sich dies Farrenkraut bei Oensingen in der Kluss unweit des Standortes der auf einige Lokalitäten des Solothurner Juras beschränkten Iberis saxatilis. L. A. filix fœmina. Roth. In Wäldern. In mehrern Formen im Gebiete verbreitet. . Scolopendrium. Smith. Sc. officinarum. Swartz. An humusreichen, steinigen Berg- abhängen und am Grunde schattiger Kalkfelsen. Blauen- berg, Ruine Mönchsberg, Gempenberg, Hoher Kasten bei Grellingen, Belchenfluh, Nunninger Berg, Hohe Winde, Oensingen u. a. (0. Polystichum. Roth. P. Oreopteris. DeC. In schattigen Wäldern. Hohe Winde. P. Filix mas. Roth. In Bergwaldungen. Blauenberg, Hohe Winde, Belchenfluh. P. spinulosum. DeC. In schattigen Wäldern. Blauenberg, Belchenfluh. (Polyst. dilatatum Hoffm. auf der Hohen Winde.) Cystopteris. Bernhard. Cyst. fragilis. Bernh. An schattigen Felsen. In mehreren Formen im Gebiete der Bergregion verbreitet. Cyst. regia. Presl. An feuchten Felsen bei Erschwil. Aspidium. R. Brown. Asp. aculeatum. Döll. In feuchten, schattigen Wäldern, durch das ganze Gebiet der Bergregion sehr verbreitet. Von Formen ist am häufigsten Asp. lobatum. Huds. Familie der Schachtelhalme. Equisetum. DeC. Equis. arvense. L. Auf Aeckern. In der Niederung ver- breitet. Eq. Telmateja. Ehrh. An feuchten, quelligen Abhängen des 488 Juras, im Jura sehr verbreitet, auch im tertiären Hü- gelland, z. B. im Bruderholz und bei Reinach, wo die Pflanze sich bis auf die Aecker verbreitet. Eq. sylvaticum. L. Feuchte Wälder. Blauenberg. Eq. palustre. L. Grosshüningen, Sissach u. a. a. O. Eq. limosum. L. In dem Moor bei Neudorf und Grosshü- ningen. Eg. ramosum. Schleich. Am feuchten Ufer des Rheines un- ter Basel. Eq. variegatum. Schleich. In dem Moor bei Neudorf. Familie der Lycopodiaceen. Lycopodium. L. Lyc. Selago. L. In feuchten Wäldern zwischen Moosen. Belchenfluh, Hohe Winde. Lyc. inundatum. L. Im Moor bei Neudorf unter Basel. Nachträge. Phascum crispum. Hedwig, Am Rande des Bruderholzes zwischen Bottmingen und Binningen, Anhöhe bei St. Margarethen. Barbula rigida. Schultz. 8. mucronulata. Bryolog. europ. (tom. II, p. 12. Barbula). Am Rande des Bruderholzes zwischen Bottmingen und Binningen auf lockerer, lehmiger Erde mit Barbula un- guiculata und fallax, an einer Stelle in Menge. Diese im Flachlande ziemlich seltene Art ist in den Alpen- gegenden allgemein verbreitet. Bei Mülhausen wurde diese Art von Mühlenbeck, bei Zweibrücken von Bruch aufgefunden. Unterschieden ist die an dem Standort vorkommende var. & von der Stammart durch die in ein kurzes, aufwärts gekrümmtes Spitzchen auslaufende Lamina. 489 Trichostomum rubellum. Hoffm. (Didymodon Br. et Sch.). Unter dem Gempenstollen häufig. Bartramia Oederi. Swartz. Auf feuchten Felsen der Ruine Kluss bei Aesch. Entodon eladorrhizans. C. Müller. Pfeffinger Fluh. Hypnum nitens. Bridel. Moorige Wiesen unter dem Schlatthof. Fissidens incurvus. Schwägr. Auf unter Gesträuch liegen- den der Luft exponirten römischen Ziegeln der Augu- sta Rauracorum. Pottia minutula. Br. et Sch. Auf Aeckern auf den Ruinen der Augusta, neben dem Eisenbahndamm bei Pratteln. Anacalypta lanceolata. Rehling. Anhöhe bei St. Margarethen. Hypnum myosuroides. L. Pfeffinger Fluh. GEOLOGIE. Ueber die Wiesenbergkette im Basler Jura. Von Prof. Ars. MÜLLEr. Unter den Ketten, welche das Juragebirge bilden, ist unstreitig die Wiesenberg- oder Montterriblekette, sowohl was die Erhebung, als was die Erstreckung in der Länge betrifit, eine der bedeutendsten und merkwürdigsten, wie das Herr Rathsherr P. Merian schon vor einer Anzahl von Jahren nachgewiesen hat. Bereits in den frühern Heften der Verhandlungen der naturforsch. Ges. (Bd. II, S. 348 und Bd. III, S. 65) habe ich auf die eigenthümlichen Beziehun- sen dieser Kette, sowie der nördlichen Vorketten des Jura- gebirges überhaupt, zum anstossenden Plateaugebiet des Kantons Basel aufmerksam gemacht und durch eine Reihe von Durchschnitten erläutert. Ebenso wurde in meiner kürz- lich auf eidgenössische Kosten erschienenen geognostischen Karte und Skizze des Kantons Basel (Neuchätel 1862) die- ser Gegenstand einlässlicher behandelt. Seitdem fand ich Veranlassung, den Verlauf dieser nördlichen, an das Plateaugebiet anstossenden, oder viel- mehr über dasselbe mit übereinstimmendem Südfall hinüber- geschobenen Vorketten des Juragebirges gegen Westen, na- 491 mentlich in der Gegend von Reigoldswyl und Bretzwyl, weiter zu verfolgen, wodurch die Beziehungen der östli- chen Glieder zu den westlichen, sowie die Bedeutung die- ser nördlichen Reihe im Ganzen in ein helleres Licht trat. Es mag desshalb nicht überflüssig erscheinen, den Ver- lauf dieser für den Basler Jura so wichtigen Wiesenberg- oder Montterriblekette, die ich künftig schlechthin Wiesen- bergkette nennen werde, in ihren Hauptgliedern vom äus- sersten Osten bis zum äussersten Westen unseres Kantons nebst den zugehörigen nördlichen Vorketten zu verfolgen, um so mehr, da gerade in unser Gebiet die wichtigsten Schichtenveränderungen fallen, welche diese Kette auf ih- rem langen ost-westlichen Laufe erleidet. Zugleich benütze ich gerne den Anlass, um den Verhandlungen unserer Ge- sellschaft zu der bereits Bd. III, Heft 1 beigegebenen Ta- fel I auch noch Tafel II meiner Durchschnitte beizufügen, welche in der erwähnten zur Karte gehörigen Skizze (Neu- chätel 1862) erschienen sind. Während jenseits der Westgrenze des Kantons Basel, im Solothurner und Berner Jura, die Wiesenbergkette als ein regelmässiges, zu zwei mächtigen Flanken, einer Süd- flanke mit südlichem und einer Nordflanke mit nördlichem Schichtenfall, bis zum Muschelkalk oder Keuper aufgeris- senes Gewölbe auftritt, sehen wir im Osten des Kantons Basel nur die sehr mächtige bis zu den untern Schichten des Muschelkalkes aufgerissene Südflanke dieser Kette, mit durchgreifendem Südfall sämmtlicher Schichten, aus dem Kan- ton Aargau hereintreten und sich in gleicher Weise, über den Südrand des Plateaugebietes hinübergeschoben, durch den Kanton Basel fortziehen, während auf dieser ganzen Erstreckung die ihr entsprechende Nordflanke mit nördli- chem Schichtenfall zu fehlen scheint. Wir finden jeweilen mehrere parallel hinter einander gestellte südlich fallende Gräte von Muschelkalk, und erst auf dem südlichsten lagert 492 sich dann die Reihe der Juraformationen, mit gleichmässi- gem Südfall, in regelmässiger Weise an. Der Schichtenbau des nördlichen Basler Jura weicht also von dem regelmässigen Gewölbebau des westlichen und südlichen Jura, wie ihn uns die schönen Arbeiten von Thurmann und Gressiy kennen gelernt haben, bedeutend ab. 1. Nehmen wir die geognostische Karte zur Hand, so sehen wir im äussersten Osten des Kantons Basel, östlich von Kienberg, die mächtigen Muschelkalkgräte unserer Wie- senbergkette über den Süsswasserkalk des anstossenden Plateaugebietes, beide mit übereinstimmendem Südfall, hin- übergeschoben und in einem natürlichen Profil aufs Schön- ste dargestellt. 2. Ueberschreiten wir in unserer Wanderung von Osten nach Westen die Thalspalte von Kienberg, so setzen zwar die Gräte des Muschelkalkes mit demselben Südfall fort, erscheinen aber nicht mehr über das Plateau hinüberge- schoben. Statt dessen begegnen wir zwischen diesem und dem Muschelkalk einem steil, fast senkrecht, nordwärts ein- fallenden Rogensteingrat, der von jenem nur durch ein schmales Thälchen mit Lias und Unteroolith, beide den Mu- schelkalk und Rogenstein unterteufend, getrennt ist. Wir müssen diesen, im Vergleich mit den folgenden Gliedern ganz anormal gestellten Rogensteingrat, die Heidegg, als ein beim Anprall des aufgerissenen Muschelkalkes der Wie- senbergkette aufgestülptes Randstück des Plateaus betrach- ten. Siehe Taf. I, Fig. 5. | 3. Weiter westwärts, westlich von Oltingen, sehen wir in dem Siegberg den fortwährend südfallenden Mu- schelkalk der Wiesenbergkette wieder in regelmässiger Weise über die oberjurassischen und tertiären Schichten des Plateaus hinübergeschoben. Südlich hinter Oltingen schieben sich deutliche Bänke von Hauptrogenstein und Cornbrash zwischen Muschelkalk und Plateau ein, und bei 493 Zeglingen kommen sogar Spuren von Lias (und vielleicht auch von Keuper) unter dem Muschelkalk hervor. Taf. I, Fig. 6. 4. Westlich von Zeglingen begegnen wir, als Fort- setzung der Wiesenbergkette, der gleichfalls südfallenden Muschelkalkmasse des mächtigen, über 1000 Meter hohen, Wiesenberges, welcher unserer Kette den Namen gegeben hat. Zwischen den Muschelkalk. der den obern Drittheil des Wiesenberges bildet, und dem anstossenden merklich südfallenden Plateau von Rüneberg, schiebt sich eine ganze Reihenfolge von Formationen vom Lias oder Unteroolith bis zur Tertiärformation, und über dieser eine zweite Folge von Keuper, Lias und Unteroolith ein, die alle schliesslich von dem Muschelkalk überlagert werden, der auf seinem südfallenden Rücken wie gewohnt die südabwärts geglitte- nen höhern Formationen trägt. Es besteht hiemit der Nord- abhang des Wiesenberges aus vier über einander gethürm- ten, viermal wiederholten Formationsreihen, wovon die unterste dem Plateau, die oberste der Wiesenbergkette an- gehört. Aus dieser vierfachen Ueberschiebung erklärt sich die ungewöhnliche Höhe, zu welcher der Muschelkalk im Wiesenberg ansteigt. Siehe Bd. IH, Taf. IV, Fig. 2. 5. Gehen wir etwas weiter westwärts an demselben Abhang des Wiesenberges, so sehen wir bald die oben erwähnte, zwischen Plateau und Muschelkalk eingeschobene Serie von jurassischen und tertiären Schichten, insbeson- dere den Hauptrogenstein, bei Häfelfingen als einen beson- dern Grat aus dem Körper des Wiesenberges an seinem Nordabhang heraustreten. Es ist diess der Grat, der die Homburger Schlossruine trägt. Die Schichten fallen wie immer südlich, darüber lagern die oberjurassischen und ter- tiären Schichten, und über diesen noch Keuper und Lias, welche dann direct von dem südfallenden Muscheikalk des Wiesenberges bedeckt sind. Also durchaus dieselbe Schich- 49% tenfolge, wie am Ostende des Wiesenberges, nur treten die einzelnen Formationen mit dem Hauptrogenstein deutlicher unter dem Muschelkalk hervor. Siehe Taf. I, Fig. 8. Während in der Regel Veränderungen in dem Schich- tenbau einer Kette aus leicht begreiflichen Gründen erst in den folgenden, durch Thalspalten von den vorhergehenden abgetrennten Gliedern auftreten, sehen wir hier ausnahms- weise an einem und demselben Grate eine sehr merkliche; wenn auch nicht qualitative, doch quantitative Modification der Schichtenstellung auftreten. ° 6. Der gleichfalls südlich fallende Rogensteingrat des Hasenhubels, westlich von Buckten, bildet die Fortsetzung des Homburgergrates, und ist in ganz gleicher Weise zwi- schen dem Plateau und dem südfallenden Muschelkalk des Waltenberges, der Fortsetzung der Wiesenbergkette, ein- geklemmt. Von diesem ausgezeichneten Grate habe ich der ganzen Rogensteinlinie den Namen gegeben. Siehe Taf. IE, Fig. 5. 7. Das nächstfolgende Glied dieser Rogensteinlinie, der Sagenwald, westlich Diegten, verhält sich ganz wie die vorhergehenden. Darüber lagert in gleicher Weise der Mu- schelkalk der Wiesenbergkette, die Hohe Stelle. Siehe Taf. II, Fig. 4. Diese beiden Gräte habe ich schon früher näher beschrieben. | 8. Ueberspringen wir die Thalspalte von Benwyl, so sehen wir den Muschelkalk des Dielenberges (Wiesenberg- kette), bloss von Lias und Keuper unterteuft, über den ter- tiären Conglomeraten des Plateaus, alles mit gleichmässi- gem Südfall, gelagert; während hier der Hauptrogenstein der Hasenhubelkette zu fehlen scheint. Siehe Taf. I, Fig. 2. 9. So wie wir aber die nächste Thalspalte bei Nie- derdorf überschritten haben, begegnen wir in dem Grütsch abermals einer ansehnlichen Rogensteinmasse, die aber nicht mehr unter dem Muschelkalk der Wiesenbergkette (dem 495 Tittertergrat) eingeklemmt, sondern von demselben entfernt ziemlich weit nordwärts sammt den darunter liegenden Schichten des Unteroolithes, Lias und Keupers, über die tertiären Conglomerate des Plateaus hinübergeschoben er- scheint. Es ist diess augenscheinlich die westliche Fort- setzung unserer Hasenhubellinie. Unter dem Muschelkalk selbst erscheinen bloss noch Lias und Keuper eingeklemmt. Der Rogenstein hat sich westwärts gegen das benachbarte Thälchen, südlich von Titterten, gesenkt. Ein Südfall der Schichten ist hier nicht zu bemerken. Unteroolith und Lias erscheinen auf diesen Höhen in ansehnlicher Erstreckung entblösst. Siehe Taf. II, Fig. 3. Als westliche Fortsetzung dieser Rogensteinmasse er- scheint jenseits des genannten Thälchens, östlich von Rei- goldswyl, ein ziemlich steil südlich fallender Rogenstein- grat, der augenscheinlich gegen die benachbarte Thalspalte hinuntergerutscht ist und auf einer etwas isolirten, fast vertical stehenden Rogensteinplatte die Ruinen des Reifen- steiner Schlosses trägt. Unten in der Thalspalte kommt der Unteroolith hervor. Die südliche Lippe derselben besteht gleichfalls aus Hauptrogenstein, der hier wieder ziemlich nahe an den Muschelkalk der Wiesenbergkette anstösst. 10. Westlich von Reigoldswyl, unweit vom Röthler, finden wir eine gleichfalls isolirte, vom Muschelkalk der Wiesenbergkette (Gillenfluh) ziemlich entfernte Rogenstein- steinmasse, die offenbar die Fortsetzung der beiden vori- gen bildet und gleichfalls südlich abwärts gegen die breite Thalspalte hinuntergerutscht ist, wodurch der auf der Höhe mit dem Lias auf dem Korallenkalk des Plateaus stehen gebliebene Unteroolith auf eine ziemliche Strecke entblösst wurde und für sich ansehnliche Höhen bildet. Nro. 9 und 10 erscheinen hiemit, zu beiden Seiten des Reigoldswylerthales, als analog gestellte mit Unteroolith, Lias und Keuper über das südfallende Plateau hinüberge- 496 schobene Rogensteinmassen, die aber später wieder theil- weise südwärts gegen die Erhebungsspalte der Wiesen- bergkette sich gesenkt haben. Siehe Taf. I, Fig. 7. Auch hier noch tritt Keuper, und wahrscheinlich auch - Lias unter dem Muschelkalk dieser Kette hervor. 11. Als directe Fortsetzung der genannten isolirten Rogensteinmassen östlich und westlich von Reigoldswyl, welche der Hasenhubellinie angehören, erscheinen Östlich und westlich von Bretzwyl zwei mächtige Rogensteingräte, die aber nun deutlichen Nordfall der Schichten zeigen und sich hier bereits als die der Südflanke der Wiesenberg- kette entsprechende Nordflanke darstellen. Merkwürdiger Weise erscheinen aber diese beiden nordfallenden Rogen- steingräte mit den darunter folgenden Schichten des Unter- oolithes, Lias und Keupers zu beiden Seiten der Thalspalte bei Bretzwyl noch über den südfallenden, dem Plateau ent- sprechenden Korallenkalk hinübergeschoben, in der Art, die wir bei den vorhergehenden östlichen Gliedern dieser Ro- gensteiniinie kennen gelernt haben. Entfernen wir uns aber ostwärts und westwärts von der genannten Thalspalte, so verschwindet bald der hier unter dem Keuper hervortre- tende Korallenkalk und es scheint dann der Keuper direct auf dem Muschelkalk zu liegen. | 12. In der That, gehen wir von Brote nach Nun- ningen, so sehen wir unten im Thale, nun auch zur Rech- ten der Strasse, die nordfallenden Schichten des Muschel- kalkes unter dem Keuper hervortreten, der auf seinem Rücken den schon vorhin erwähnten nordfallenden mächti- gen Rogensteingrat im Westen von Bretzwyl trägt. Die Südflanke der Wiesenbergkette setzt auch hier in der bisherigen regelmässigen Weise fort, nur mit dem Unter- schied, dass der Muschelkalk sich stark in den Thalgrand hinuntersenkt und westlich von Meltingen ganz und für im- mer verschwindet. 497 Von hier an setzt die Wiesenbergkette mit regelmäs- sig entwickelter Nord- und Südjlanke in zwei mächtigen Ro- gensteinlinien und zwei nach aussen daran angelehnten Korallenkalklinien als ein bis zum Keuper aufgerissenes Gewölbe mit demselben regelmässigen Schichtenbau, der die übrigen Ketten des Jura kennzeichnet, noch weit westwärts durch den Solothurner und Berner Jura fort. im Aargauer und Basler Jura fehlt also die Nordflanke der Wiesenbergkette, und erscheint die bis zum untern Muschelkalk aufgerissene Südfianke mit gleichmässigem Süd- fall über das angrenzende Plateau hinübergeschoben. Da- gegen schiebt sich schon im äussersien Osten des Kantons Basel, bei Oltingen, eine neue Formationsserie, insbesondere durch den Hauptrogenstein repräsentirt, zwischen Plateau und Muschelkalk, gleichfalls südfallend, ein. Diese neue Rogensteinlinie, die ich Hasenhubelkette genannt habe, tritt allmählig, wenn wir sie weiter nach Westen verfolgen, unter dem Muschelkalk hervor und erscheint immer mehr nordwärts über das Plateau hinübergeschoben und vom Mu- schelkalk entfernt, bis sie endlich in den Umgebungen von _Bretzwyl deutlichen Nordfall annimmt und in ihrer weitern Fortsetzung als die regelmässig gesteilte Nordflanke der Wiesenbergkette auftritt, womit gleichzeitig die Ueber- schiebungen über die jüngern dem ‘Plateau entsprechenden Formationen aufhören. ') Die im Süden des Basler Plateaus auftretende Hasen- hubellinie ist also nichts anderes als die anormal gestellte Nordflanke der Wiesenbergketie, unter deren Südflanke jene eingeschoben erscheint. 1) Doch kommt noch bei Oberkilch, westlich von Nunningen, eine bedeutende Korallenkalkmasse am Südfusse der Nordflanke ne- ben dem Keuper hervor, die man mit dem Korallenkalk in der Thalspalte von Bretzwyl in Beziehung bringen könnte. Doch be- darf diese Stelle noch genauerer Untersuchung. 39 498 x Ausser den aufgeführten Gliedern der Hasenhubellinie begegnen wir noch einigen andern noch weiter nordwärts über das Plateau hinübergeschobenen. Rogensteinmassen, die nicht in jene Linie eingereiht werden können, sondern unter sich die Glieder einer noch nördlichern Kette bilden. 1. Zu diesen gehört die vollständig isolirte Rogen- steinpyramide der Kastelenfluh bei Arboltswyl, östlich vom Reigoldswylerthal, welche mit Unteroolith, Lias und Keu- per auf dem Korallenkalk des Plateaus lagert, wie ich das bereits in meinen frühern Mittheilungen (Bd. !i, S. 348) näher. beschrieben habe. Siehe Taf. I, Fig. 2. 2. Als westliche Fortsetzung dieser isolirten Rogen- steinmasse, jenseits des Reigoldswylerthales, erscheint der gleichfalls über den Korallenkalk des angrenzenden Pla- teaus bei Lupsingen und Seewen hinübergeschobene, süd- fallende Rogensteingrat des mächtigen Holzenberges, an dessen südlichen Abhang mehrere ansehnliche Gräte von Oxford- und Korallenkalk sich anlagern, die auf ihrem gleichfalls südfallenden Rücken die bereits oben erwähn- ten, der Hasenhubellinie angehörenden, bedeutenden Massen von Urteroolith und Hauptrogenstein tragen. Trümmer von Unteroolith finden sich auch westlich auf den benachbar- ten noch bedeutend höhern Gräten von Korallenkalk. Wir haben also hier eine doppelte Ueberschiebung vor uns, einmal die der Holzenbergkette (wie ich diese nörd- lichere Kette nenne) über das eigentliche Plateau, und dann die der Hasenhubelkette über die Holzenbergkette. + 3. Ueberspringen wir die Thalspalte von Seewen, so sehen wir als westliche Fortsetzung des südfallenden Ro- gensteingrates des Holzenberges statt eines zwei Rogen- steingräte auftreten, einen nördlichen nordfallenden und einen südlichen südfallenden, welche als ein aufgebroche- nes Gewölbe mit Liascombe erscheinen. Eine Ueberschie- bung der nördlichen Flanke über das Plateau findet hier 199 nicht mehr statt. An den Rogenstein lagern sich zu bei- den Seiten in regelmässiger Weise zwei Korallenkalkflan- ken an, eine nördliche, die sich nach dem Seeboden bei Seewen hinuntersenkt, und eine südliche, die in Folge klei- ner Verwerfungen sich in mehrern Parallelgräten südwärts längs der Thalspalte von Seewen bis Bretzwy! verfolgen lässt und hier den Keuper und Lias des westlich anstos- senden Rogensteingrates der Hasenhubellinie oder Nord-. flanke der Wiesenbergkette trägt. Ganz analoge Lagerungs- verhältnisse zeigt auch die andere, östliche Seite der Thal- spalte bei Bretzwyl. Siehe Taf. I, Fig. 1. Die Südflanke dieser kleinen Kette setzt dann noch weiter gegen Westen in einen hohen Rogensteingrat fort, der zu beiden Seiten von Korallenkalkgräten umgeben wird und noch weiter gegen Westen, in der Gegend von Him- melried, sich ganz unter dem Korallenkalk verbirgt. Am Laufenthal bricht die Kette ab. Fassen wir die bisher betrachteten Veränderungen im Schichtenbau der nördlichen Vorkeiten des Basler Jura, insbe- sondere der Wiesenberg-Montterriblekette, im vergleichen- den Ueberblick zusammen, so tritt die bereits in Bd. IE, S. 380 von mir hervorgehobene Abhängigkeit derselben vom Massiv des Schwarzwaldes, das im Osten des Kantons Basel weit nach Süden vordringt, im Westen aber sich nach Nor- den zurückzieht, in ein noch helleres Licht: daher der starke Anprall und die starken Ueberschiebungen der Jura- keiten im Osten, daher die breitere und regelmässige Ent- faltung dieser Ketten im Westen, wo das breite Rheinthal kein Hinderniss in den Weg legte. Ein Blick auf die geo- logische Karte zeigt diese Abhängigkeit deutlicher, als alle Beschreibung. Rs ER ARR L 33° 500 Erklärung der Durchschnitte. Taf. II, Fig. I-VI. Sechs Durchschnitte, von Nord nach Süd, im Rheinthal beginnend, durch das Plateaugebiet, und theilweise noch durch die Ketten des Jura setzend. Sie zeigen den Schich- tenbau des Plateaugebietes und dessen Beziehungen zu den an- und übergeschobenen Vorketten des Jura. Sie sind in der relativen Stellung zu einander gezeichnet, die sie auf der Karte und in der Wirklichkeit unter sich einnehmen, so dass man die allmähligen Veränderungen des Schichten- baues, einerseits gegen Süden, andrerseits gegen Osten ver- folgen und vergleichen kann. Sie bilden gewissermassen eine in Verticaldurchschnitten gezeichnete geognostische Karte unseres “Gebietes. Ziehen wir verticale Linien auf dieser Tafel, von oben nach unten, so liegen alle von der- selben Linie getroffenen Punkte unter demselben Breitegrad. 1. Neue Welt-Bretzwul. Beginnt etwas östlich von der Neuen Welt (nächst der Birs), setzt über die Winterhalde (Hauptrogenstein) und das Gempenplateau (Korallenkalk), äurchschneidet westlich von Seewen eine kleine, isolirte, regelrecht gebaute Vor- kette, als deren unmittelbare östliche Fortsetzung der be- reits anormal gestellte Holzenberg erscheint, läuft längs der Thalspalte von Seewen nach Bretzwyl (Oxford- und Ko- rallenkalk), steigt hier an dem südlich einfallenden Muschei- kalk und Rogenstein ‘} der Montterrible-Wiesenberg-Kette hinauf und stösst beim Ullmet auf eine kleine, wohlgebil- dete Zwischenkette, ehe er zur folgenden Hauptkette, der des Passwanges, übergeht. 1) Statt Hauptrogenstein wurde jeweilen der Kürze halber nur Ro- genstein gesetzt. | 501 IE. Pratteln-Titterten. beginnt bei Pratteln, wo in dem bekannten Steinbruch ein Stück Gryphitenkalk über den Abhang des Keupers nordwärts hinuntergeglitten ist, geht über den Rogenstein- srat und Korallenkalk des Schauenburger Schlosses, über die an Discoideen (Cornbrash) so reichen Hochfelder von Munien, über Nuglar und Pantaleon auf der zum Gempen- plateau gehörenden Rogensteinterrasse, über Lupsingen und Zyfen, wo eine reiche Fundstätte für Cornbrashversteine- rungen sich vorfindet, steigt von Zyfen abermals an über Hauptrogenstein und Oxfordkalk, in denen gegenwärtig eine Actiengesellschaft nach Steinkohlen (!) sucht, und über Ko- rallenkalk nach Arbolt«wyl hinauf, wo die Rogensteinmasse der Castelenfluh mit Lias und Keuper nordwärts über das Plateau hinübergeschoben erscheint. Bei Titterten durch- setzt der Durchschnitt die südliche Fortsetzung jenes über dem Korallenkalk des Plateaus gelagerten Keupers und Lias und steigt dann den unmittelbar darüber liegenden südlich fallenden Muschelkalk und Rogenstein der Mont- terriblekette hinan bis zum Korallenkalk des Kellenköpfli, mit dem bereits die Nordflanke der Passwangkette beginnt. | Die Fortsetzungen dieser und der folgenden Durch- schnitte durch die südlichen Ketten finden sich bereits auf der vorhergekenden Tafel. III. Giebenach-Oberdorf. Beginnt mit dem tiefern Plateau von Muschelkalk und Keuper bei Giebenach, setzt über die mächtigen Hochplat- ten des Eibisbergs und Siegmund bei Liestal (Hauptrogen- stein), über Seltisberg, reich an Cornbrashversteinerungen, den Blomä (Korallenkalk) mit der südöstlich anstossenden Rogensteinterrasse, welche die Engelsburg und den Falken- rain trägt, über den Wildenstein (Rogenstein und Corn- 502 brash), das Grütsch, wo gleichfalls, wie bei, Arboltswyl, eine mächtige Rogensteinmasse mit Unteroolith, Lias und Keuper* über die jüngsten Plateauschichten hinübergescho- ben erscheint, und steigt dann, wie der vorige Durchschnitt, den südlich fallenden Muschelkalk der hier übergeschobe- nen Montterriblekette hinan. IV. Rheinfelden-Diegten. Zeigt im Norden ähnliche Verhältnisse, wie der vo- rige, übersteigt zuerst das niedrige, mit Diluvium bedeckte Muscheikalkplateau bei Olsberg und die mächtigen Rogen- steinhöhen des Domberges und Limberges, läuft dann längs der mit miocenen Tertiärgeröllen bedeckten langen Zunzger Hardt, und steigt westlich Diegten den über das Plateau mit Lias und Keuper nordwärts hinübergeschobenen mäch- tigen Rogensteingrat des Sagenwaldes (Vorkette) und den darüber angelagerten Muschelkalk der Hohen Stelle (Wie- senberg-Moniterriblekette) hinan. Darüber folgt dann der Rogenstein des Rehages. V. Möhlin-Känerkinden. Zeigt analoge Verhältnisse, wie der Durchschnitt VE auf Tafel 1, nur ist der Oehnsberg (Hauptrogenstein) nicht so weit vom Muschelkalkplateau hinuntergeglitten, wie der Sonnenberg. Bemerkenswerth ist die hohe, mächtige Ro- sensteinplatte, welche am östlichen Absturz die Ricken- bacherfiuh, am südlichen und westlichen die wohlbekannte Sissacherfluh trägt, dann das Plateau von Wittisburg mit den ausgezeichneten miocen-tertiären marinen Muschelcon- glomeraten und sanfter südlicher Abdachung bis Käner- kinden, wo der Rogenstein und Unteroolith) des Hasen- hübels { Vorkette) über die Tertiärconglomerate des Plateaus hinübergeschoben erscheint. Südlich über dem Hasenhübel lagert sich wieder der Muschelkalk des Waltenberges (Wie- LA 203 senberg-Montterriblekette), Alles mit Südfall, an. Hierauf folgt der Rogensteingrat der Kallenfluh. VI. Mumpf-Oltingen. Hier steigt im Norden der Muschelkalk (Rigiberg) und der Keuper des Plateaus (Schlegel) bereits zu beträchtli- cher Höhe (gegen 600 Meter) an. Dann folgt auf die schmale Rogensteinplatte des Wischberges das grosse, sanft südlich fallende Rogensteinplateau von Wenslingen, im Sü- den von Oxfordkalken und stellweise von marinen und la- custrischen Tertiärschichten bedeckt, und noch weiter süd- lich von den mächtigen gleichfalls» südlich einfallenden, Muschelkalkgräten, der Wiesenbergkette überlagert. Bei Hemmiken liegen die ansehnlichen Steinbrüche von grün- lichem Keupersandstein mit Calamiten und andern Pflanzen- resten, bei Wenslingen die reichen Fundsiätten des Corn- brash. Auch in diesen sechs Durchschnitten sind die merk- würdigen, anormalen Ueberschiebungen der Vorketten, ins- besondere der stark zerstückelten und verworfenen Glieder der Hasenhübei-Sagenwaldkette, über den Südrand des Pla- teaugebietes gut ersichtlich. Abkürzungen. T = Tertiär (Mittel-Tertiär). K= Korallenkalk. UK — Unterer Korallenkalk (Oxfordkalk). Br = Bradfordkalk (Cornbrasb). HR = Hauptrogenstein. UR = Unterer Eisenrogenstein. L = Lias. Kp = Keuper. Mk = Mu- Schelkalk. V == Vorkette (Hasenhübeikette), M = Mont- terrible- Wiesenbergkette. P = Passwangkette. H = Hauen- steinkette. W = Weissensteinkette. MATHEMATIR. Zur Theerie des Prismoides. Von Hermann KINKELIN. Ë. Denkt man sich im Raum irgend ein System von ste- tig auf einander folgenden Geraden, von denen die letzte sich wieder an die erste anschliesst, so umhüllen dieselben einen unvollkommen begrenzten Raum. Scheidet man die- sen Raum durch zwei unter sich parallele Ebenen, so dass jede Gerade des Systems getroffen wird, so wird von je- nem ein Körper abgeschnitten, den man Prismoid oder Obe- isk genannt hat. Die beiden parallelen Schnittebenen heis- sen die Grundflächen und die von dem System der Geraden eingenommene Fläche (eif® in sich selbst zurückkehrende Regelfläche) die Seitenfläche. Diese Seitenfläche ist im All- gemeinen krumm, kann aber im Besondern aus Ebenen- stücken bestehen. Man darf indessen auch umgekehrt sa- gen, dass die Seitenfläche im Allgemeinen aus Ebenenstücken bestehe, welche im Besondern unendlich klein werden und eine krumme Fläche bilden können. Von diesem. Begriff 305 werden wir im Folgenden ausgehen und die Grundflächen demnach ansehen als beliebige geradlinige Vielecke mit be- züglich parallelen Seiten, und die Seitenfläche als bestehend aus auf einander folgenden Trapezen, welche die parallelen Seiten der Grundflächen unmittelbar verbinden. Besondere Formen des Prismoides sind unter andern: Pyramide und Kegel, Prisma und Zylinder, die abgestutzte Pyramide, das einschalige Hyperboloid, das schief abgeschnittene dreisei- tige Prisma, das Zelt, das Tetraöder u. s. w. Ueberhaupt ist das Prismoid eine der allgemeinsten Körperformen und gewährt theoretisches und praktisches Interesse , letzteres um so mehr, als sich dessen Inhalt durch einen einfachen Ausdruck angeben lässt, den man mit den alierelementar- sten Hülfsmitteln finden kann. Die nachstehenden Eigen- schaften scheinen noch keine Besprechung gefunden zu haben. Sie betreffen die Grössenvergleichung paralleler ebener Schnitte durch das Prismoid. \ch denke mir drei äquidistante ebene Schnitte durch dasselbe, von denen die zwei äusser- sten die Grundflächen seien, der mittlere der Mittelschnitt genannt werden soll. Man bezeichne die Inhalte dieser drei Flächen bezüglich mit &, g, m und den Abstand von G und g, welcher die Höhe genannt wird, mit h, so dass m sowohl von G als von g um %; h entfernt ist. Die Seiten des Mit- telschnittes sind die arithmetischen Mittel zu den paralle- len Seiten der Grundflächen, und die Winkel am Mittel- schnitt sind den Winkeln an den Grundflächen bezüglich gleich (Fig. 1). Die Grösse von m ist im Allgemeinen von G und g unabhängig, dagegen ist sie durch die Seiten und Winkel von G und g ausdrückbar. Nur in einigen beson- dern Fällen, wie z. B. beim Prisma, bei der vollständigen und der abgestutzten Pyramide lässt sich m direkt durch G und g ausdrücken. Dagegen können wir jeden andern mit diesen dreien parallelen Schnitt, dessen Inhalt y sein 306 möge, durch 6, g, m und zeine Abstände von diesen Flä- chen ausdrücken, wie ich nun zeigen will. IL. Betrachten wir zunächst das ebene Trapez ABGH (Fig. 1); JK sei dessen Mittellinie, d. h. die Gerade, wel- che die Mitten der nicht parallelen Seiten AH und BG ver- bindet, QP irgend eine Parallele zu JK. Der Abstand der Grundlinien AB und GH von einander sei 3, der Abstand von AB und OP sei 4, und der von OP und GH sei 2. Man ziehe die Gerade HRST parallel zu BG und setze die Inhalte ABGH = T, JKGH = T!, GHOP =it, BGHT =, so wird > Bar, __P%2 KSGH — -;, GHRP u Aus der Aehnlichkeit der Dreiecke ATH, JSH, QRH folgt sogleich, dass ” & d) P (Ip): 1-5 =: a ae er — 92: 4922. Eliminirt man Eee die Grösse p, so erhält man eine Gleichung, aus der sich t leicht bestimmen lässt, nemlich T2 (TH — 419 ne . D 1 (1) ersetzt man hierin % durch $ — 4, so wird + 4 T— (ST — 47) + QT AT) => = [= woraus an sieht, dass t, d. h. der Inhalt des Trapezes GHOP eine lineare Funkiion der Trapeze ABGH und JKGH, und eine quadratische Funktion des Abstandes 3, seiner Grundlinie OP von AB ist. Dieses festgestellt, denken wir uns ein Prismoid, des- ru sen Grundfläche G auf der Zeichnungsebene aufliegt, und projiziren dasselbe senkrecht auf diese, so sind die Pro- 507 jektionen aller mit & parallelen Schnitte den Schnitten selbst gleich. Es sei ABCDEFGH eine solche Projection eines vierseitigen Prismoids (Fig. 1), und die Inhalte seien ABCD = 6, EFGI — g, JKLM = m, NOPQ = y; ferner seien die Abstände von G und g, von G und Ÿ, von g und 4 bezüglich gleich h, „, n'. Alsdann ist nach (1) d 9 —I)% 4949 ee Ana + ee JKGH oder, da 9, 9, 92 bezüglich mit h, 7, 7' proportional sind 1 are 1 4 1 + cupo— "77 .aBsH + .JKGH (2) Aehnliche Relationen gelten auf den Flächen BCFG, CDEF, ADEH. Es ist aber y-s5 = GHPQ + QNEH — ONEF + POFG G—g = ABGH + ADEH — CDEF + BCFG m—sg — JKGH + JMEH — LMEF + KLFG Durch entsprechende Verbindung der Relation (2) mit ihren RU An man daher sofort ar [on to SL oder ph = G(n®—nn!) + 7) + Ann! (3) oder auch, weil 7! = h—n, y = 6 — (36+4+g—4m) - DEP m). ni welche Bestimmung offenbar auch für jedes andere Pris- moid gilt. | Am Prismoid ist der Inhalt einer den Grundjlächen paral- leien Schuittfläche eine lineare Funktion der Grundflächen und des Mittelschnittes, und eine quadratische Funktion ihres Ab- standes von einer Grundfläche. il. Würde man in einer Ebene die Höhen » als Abszissen und die Inhalte y der Schnittflächen als Ordinaten in einem rechtwinkligen Koordinatensystem auftragen, so erhielte man 508 als Ort der Endpunkte der letztern eine Parabel, deren Axe mit der Ordinatenaxe parallel ist. Diese Parabel kann die Abszissenaxe entweder gar nicht treffen oder in einem Punkt berühren oder in zwei Punkten schneiden. Ersteres findet statt, wenn keine Schnittfläche null ist, wie etwa beim ein- schaligen Hyperboloid. Das Zweite findet statt, wenn nur eine Schnittfläche null ist, wie bei der Pyramide. Das Dritte endlich tritt ein, wenn zwei Schnittflächen null sind, wie dies beim Tetraëder der Fall ist, wenn die Schnitte parallel mit zwei einander gegenüber liegenden Kanten geführt wer- den; in diesem Fall sind die Schnittflächen, welche zwi- schen den beiden verschwindenden Schnittflächen liegen, positiv, wenn die ausserhalb liegenden negativ angenommen werden, oder umgekehrt. Indessen will ich hier nicht wei- ter auf die Untersnchung solcher negativen Flächen ein- treten, da sie ohnehin keinen Schwierigkeiten unterliegt. Der Rauminhalt des Prismoides zwischen den Grund- lächen & und g kann durch verschiedene Methoden gefun- den werden. Derselbe wird z. B. auch durch die Fläche angegeben, welche von den zwischen G und g liegenden Ordinaten der eben besprochenen Parabel bedeckt wird. Sehr elegant ist die Ableitung von Hrn. Prof. Steiner, der das Prismoid von irgend einem Punkt im Mittelschnitt, als Spitze, aus in Pyramiden zerlegt. — Multiplizirt man den zuletzt angegebenen Werth von y mit dy und integrirt zwi- schen den Grenzen o und h, so kommt leicht 3 = Yh(G+g+ im), wie bekannt. Soli der Inhalt, statt durch m, durch irgend einen beliebigen Schnitt y, der von G, g bezüglich um 7, 7' entfernt ist, ausgedrückt werden, so ist aus (3) s Zi a m GE > LD Gr (a welches für J den Ausdruck gibt J = 4h [2(G+g +7) + 2 GG) + 5 (7—8)l M. 509 IV. An das Vorhergehende lassen sich verschiedene wei- tere Betrachtungen anknüpfen, von denen ich einige her- vorbeben will, da sie zu bemerkenswerthen Resultaten füh- ren. Untersuchen wir zunächst, in welcher Beziehung zwei Schnitte zu einander stehen, die in bezüglich gleichen Ab- ständen von den Grundflächen geführt sind. Die beiden Schnitte seien y und y', ihre Abstände von den Grundflächen seien „7 und „', so folgt aus a yh? = 6 (n”’—n!) + 8 (7? - 19m!) + Amy y'h? = 6 (n’—ın ne nn) te db woraus man durch Subtraktion unter Berücksichtigung, dass — y + n', erhält 1 y =" (68) (5) d. h. die Differenz zweier von den Grundflächen bezüglich gleich weit abstehender Schnitte verhält sich zur Differenz der Grund- flächen, wie ihre Entfernung zur ganzen Höhe. Sind z.B. die Grundflächen gleich gross, so sind es auch die gleich weit von ihnen abstehenden Schnittflächen, was übrigens aus der Natur der Parabel sogleich hervorgeht. Theilen die beiden soeben besprochenen Schnitte die Höhe h des Prismoids in 3 gleiche Theile (Fig. 2), so ist n = 23h, n — 3h, also und die inhaltsformel (4) geht über in J = Yh(6+37). (6) Dieser letzte Ausdruck ist dadurch merkwürdig, dass man, um vermittelst desselben den Inhalt des Prismoids an- zugeben, nur zwei parallele Schnitte und die Höhe zu ken- nen braucht, nemlich die untere Grundfläche G und den obern Drittelschnitt y, oder die obere Grundfläche g und den untern Drittelschnitt y‘. Insofern G + 3; als Summe 519 | von vier Grössen aufgefasst wird, kann man die beiden letzten Gleichungen so aussprechen: Der Unterschied der Drittelschnitte ist der dritte Theil vom Unterschied der Grundflächen. Das Prismoid ist gleich gross mit einem Prisma von glei- cher Höhe, dessen Grundfläche das arithmetische Mittel ist zwi- schen der untern Grundfläche und dem dreifachen obern Drit- telschnitt des Prismoids. Figur 1 Figur 2. E F INT IN MA] dl. E ee I N. qu / Be Es - se Se / / / / va | / / \ \ IWW | | \ AT | | M (A | / / / f LA | | 2 MAS OPA LA / B! Kl VA | Je Net Gil | }/ QUE Mot Me) N Ne N \ / a Be Ne | VF ee AN à A u a A\\ ee \ N pese \| EN B LS Bas Buch der drei Brüder. Mitgetheilt durch Hermann Kınkkuin. Von der Schrift, welche mit den Worten beginnt: „Verba filiorum Moysi filii Schir: Manmeti, Hameti et Hason,“ befindet sich nach Chasles’ Angabe (Geschichte der Geo- metrie) ein Manuscript auf der kaiserl. Bibliothek in Paris und ein zweites auf der hiesigen Öffentlichen Bibliothek. Das Letztere, das dem 14. Jahrhundert anzugehören scheint, ist unter der Bezeichnung „Liber trium fratrum“ mit meh- reren andern interessanten Handschriften astronomischen, physikalischen und mathematischen Inhalts in einen Folio- band zusammengebunden. Derselbe kam durch testamenta- rische Verfügung von Jacob Henricpetri J. ©. Equ. Aur. Com. Pal., Civ. Bas. (7 21 Mart. 1641) als Geschenk im Jahr 1641 an die hiesige Anstalt. | Die drei Brüder erklären im Eingang, dass sie ein Buch über nicht allgemein bekannte Sätze der Flächen- und Rauminhaltsbestimmungen zu verfassen gedenken, und setzen daher eine vollständige Bekanntschaft mit den Ele- menten des Euklid voraus. Nach einer Einleitung, worin sie sich über die Dimensionen der Linien, Flächen und Körper und die Maasseinheiten verbreiten, gehen sie über zur Berechnung des Umfangs und Flächeninhalts des Kreises nach Archimedes, worauf der Satz folgt, dass vs (sa) (s—b) (s—c) der Inhalt eines Dreiecks ist, dessen Seiten gleich a, b, c sind, und der halbe Umfang gleich s. Die zweite Abthei- lung enthält die Berechnung des Oberflächen- und Raum- inhalts des Kegels und der Kugel, die dritte Abtheilung Konstruktionen für die Dreitheilung des Winkels. und für die Bestimmung zweier mittlern Proportionalen zwischen gegebenen Grössen und endlich eine Methode zur angenä- herten Berechnung der Kubikwurzel aus Zahlen nach Gan- 312 zen, Minuten (Yo), Sekunden (1500) u. s. f. Obgleich die Schrift des Bemerkenswerthen Vieles bietet, so ist sie doch hauptsächlich und in besonderm Grad ausgezeichnet durch den Beweis des angeführten Satzes vom Dreieck, da dieser, wie Chasles zuerst bemerkt hat, ihr eigenthümlich und von dem bekannten des Hero unabhängig ist. Derselbe soll da- her im Folgenden mitgetheilt werden, mit der einzigen Ab- änderung, dass ich die Schreibfehler verbessert und ausge- lassene Stellen, wo sich seiche vorfanden, ergänzt und in Klammern beigesetzt habe. | Velo ostendere quod, cum accipiatur superflui- tas medietatis omnium jaierum omnis trianguli su- per unumquodque jaterum, tunce si multiplicatur una trium superfiuitatum in aliam earum, deinde multiplicatur illud, (quod) aggregatur, in tertiam, protinus ea multiplicatur, quod aggregatur, in me- dietatem omnium laterum trianguli et illad, quod aggregatur, est æquale multiplicationi embadi figure in se. Verbi gratia sit triangulum abg, dico ergo, quod quum accipiatur superfluitas me- N° dietatis linearum ab, bg, ga RR: conjunetarum super unam- 4 TT quamque linearum ab, bg, Hegel F a, deinde multiplicetur su- ea Papa Re en N perfluitas medietatis linea- 4 all | SCHE RN 3 rum trium aggregatarum su- VEN | | #4 / . . RT At 4 \ per ab in superiluitatem me- # | \ . « Kl \ || % \ dietatis earum super bg, RN \ | / . . . . Er In) YA \ protinus ea multiplicetur il- N | a as 4 lud, quod aggregatur, in su- SS \ 1 # 0 0 4e Ne perfluitatem medietatis ea- È rum super ga, (deinde multi- plicetur, quod aggregatur, in medietatem earum), deinde mul- 513 tiplicatio, quæ aggregatur, est æqualis ei quod fit ex mul- tiplicatione embadi trianguli abg in se; quod sic probatur. Circumvolvam in triangulo abg majorem circulum qui cadit in eo, qui sit circulus dzn, et sit ejus centrum e, et pro- traham a centro lineas ed, en, ex ad puncta, super quæ tan- gunt circulum latera trianguli, et protraham lineam ae. Ostendam ergo, quod da est æqualis az et zb æqualis bn et ng æqualis gd. Quidem quum lineæ contingentes eircu- lum oceurrant super punctum unum, tunc ipsæ sunt æquales ; propterea quod angulus eda est æqualis angulo eza et unus- quisque eorum est rectus, et duæ lineæ de, ea sunt æqua- les duabus lineis ze, ea, ergo linea da est æqualis lineæ az, et per hujusmodi modum scitur, quod dus lineæ zb, bn sunt æquales et quod duæ lineæ ng, gd sunt æquales. Et scien- dum est ex eo, quod narravimus, quod unaquæque duarum linearum da, az est superiluitas medietatis linearum wb, bg, ga aggregatarum super lineam bg, et quod unaquæque dua- rum linearum 25, bn est superfluitas medietatis omnium la- terum trianguli abg super lineam ga, et quod unaquœæœque duarum linearum dg, gn est superfluitas medietatis omnium laterum trianguli abg super lineam da: Deinde elongabimus lineam ae usque ad { et elongabimus iterum lineam ab us- que ad Ah et ponemus ah »qualem medietati omnium late- rum trianguli abg, declaratur ergo ex eo, quod narravimus, quod linea hb est æqualis unicuique duarum linearum dg, gn; et elongabimus ag usque ad Ak et ponemus ak æqualem ah, ergo declaratur, quod linea gk est æqualis unicuique duarum linearum zb, bn. Et protraham ex puncto À lineam ht super angulum rectum lineæ ah, ergo manifestum est, quod linea hi est æqualis lineæ Akt. Et accipiam ex linea dg æquale bh, quod sit bl, et protraham il, ergo manifestum est quod ipsa est perpendicularis super lineam bg. Pro- pterea quod nos protraximus duas lineas bf, fg, ergo mani- festum est quod „angulus quadrati 5f super quadratum iq 3% 514 est æqualis angulo quadrati 5h super quadratum kg; sed kg est æqualis /g et bh æqualis bl, ergo angulus quadrati bl super quadratum /g“ ): propter illud ergo tl est perpendi- cularis super bg et lt æqualis lines th. (Anguli) bit, bht sunt recti, perinde sunt duo anguli /b, bih æquales; et linea hb est continuata secundum rectitudinem, (ergo duo anguli Ibh et zbn sunt æquales duobus angulis) rectis, et duo an- guli /bh et Ith similiter sunt æquales duobus angulis rectis, ergo angulus Uh est æqualis angulo zdn. Sed angulus ebn est medietas anguli zbn, et angulus bfh est medietas anguli Ih, ergo ipsi sunt æquales, et remanet ex triangulo bfh angulus !bh æqualis angulo ben trianguli ben. Ergo trian- gulum ebn est simile triangulo th, ergo proportio en ad nb est sicut proportio hb ad ht, ergo quadratum ez in ht est æquale quadrato 52 in hb. Sed proportio quadrati ez ad quadratum ez in hf est sicut proportio ez ad hf, et propor- tio ez ad ht est sicut az ad ha, ergo proportio az ad ah-est sicut proportio quadrati ez ad quadratum ez in hf, quod est æquale quadrato zb in hd. Ergo proportio quadrati ez ad quadratum 25 in kb est sicut proportio az ad ah, ergo illud, quod fit ex multiplicatione quadrati ez in lineam ah est æquale ei quod fit ex multiplicatione quadrati hb in 5z et, quod aggregatur, per lineam az. Atque lineæ az, zb, bh sunt superfluitates medietatis linearum trianguli aggregata- rum ab, bg, ga (super lineas bg, ag, ab), et linea ez est medietas (diametri majoris circuli cadentis in triangulo et linea ah est medietas) linearum ab, bg, ga aggregatarum. Jam ergo manifestum est, quod multiplicatio superfluitatum medietatis omnium laterum trianguli super unumquodque laterum ejus, unius earum in aliam ef, quod aggregatur, in tertiam est æqualis ei quod fit ex multiplicatione medietatis 1) Diese Stelle ist nicht klar. Es ist wohl damit gemeint, dass bi? — ig? = DR? — kg? — bi? — lg? 515 diametri majoris cireuli cadentis in triangulo in se et ejus, quod aggregatur, in medietatem omnium laterum trianguli. Sed multiplicatio quadrati ez in ah est sicut multiplicatio ak in ez et, quod provenit, in ez, ergo multiplicatio ah in ez et, quod provenit, in ez est sicut multiplicatio hd in bz et, quod aggregatur, in za, (ergo multiplicatio hô in bz et, quod aggregatur, in za) et, quod provenit, in ah est æqua- lis multiplicationi ze in ak et, quod congregatur, in ez et totius, quod provenit, in ah. Sed multiplicatio ez in ah est embadum trianguli, ergo erunt tres quantitates: (embadum) trianguli, ez et ha; ergo multiplicatio trianguli in ez et ejus, quod congregatur, in ah est sicut multiplicatio ah in ez et, quod provenit, in triangulum. Sed multiplicatio ah in ez est triangulum, ergo multiplicatio trianguli in triangulum est æqualis multiplicationi kb in 5z et ejus, quod provenit, in za et totius aggregati in ah, et illud est, quod demonstrare voluimus. In antecendente jam ostensum est, quod multi- plicatio uniuscujusque linearum az, 2b, bh in eo, quod ag- gregatur ex multiplicatione unius earum in alteram, deinde, quod aggregatur, in medietatem omnium laterum est æqualis ei, quod aggregatur ex multiplicatione embadi trianguli in se, et illud est, quod demonstrare voluimus. 34* CHENE. Veber das Verhalten des Blutes zum Sauerstoff. Von C. F. Scuönsein. Dass der von den Thieren eingeathmete Sauerstoff im Innern des Organismus Oxidationen veranlasse, darf als si- cher festgestellte Thatsache gelten, wenn wir dermalen auch noch nicht wissen, wodurch jenes Element dort zur chemischen Thätigkeit angeregt wird. Was diesen letztern Punkt betrifft, so liegt jedoch meines Erachtens eine Reihe von Thatsachen vor, welche der Vermuthung Raum geben, dass die durch den atmosphärischen Sauerstoff im lebenden Thierkörper verursachten Oxidationswirkungen gerade so zu Stande kommen, wie diejenigen, welche durch das glei- che O auch ausserhalb des Organismus auf so viele unor- ganischen und organischen Materien unter Mitwirkung des Wassers selbst bei gewöhnlicher Temperatur hervorgebracht werden. Wie schon in einer frühern Mittheilung bemerkt wor- den, sind einige der letzt erwähnten Oxidationen so, dass dabei freier ozonisirter Sauerstoff und Wasserstoffsuper- oxid gleichzeitig auftreten, wie diess bei der langsamen Verbrennung des Phosphors in wasserhaltiger atmosphäri- 517 schen Luft geschieht; in zahlreichen andern Fällen kommt nur HO, zum Vorschein, wie z.B. bei der langsamen Oxi- dation vieler metallischen Substanzen, der Gerbsäuren, der Pyrogallussäure, Indigoküppe u. s. w.; noch viel häufiger sind aber diejenigen Oxidationsfälle, bei denen weder Ozon noch Wasserstoffsuperoxid auftritt und welche desshalb zu beweisen scheinen, dass auch der neutrale Sauerstoff als solcher derartige Oxidationen zu bewerkstelligen vermöge. Schon längst von der Ansicht ausgehend, dass allen diesen Oxidationen die Ueberführung von O in & und ©) vorausgehe, musste ich annehmen, dass auch der neutrale eingeathmete Sauerstoff eine solche Zustandsveränderung zu erleiden habe, bevor er die Fähigkeit erlangt, im thie- rischen Organismus oxidirende Wirkungen hervor zu brin- gen. Und da mir das ‘Wasserstoffsuperoxid (HO + ©), welches meinen neuern Untersuchungen zufolge bei der langsamen Oxidation vielartigster Körper so häufig aufiritt, allein schon als genügender Beweis für die dabei stattge- fundene chemische Polarisation des neutralen Sauerstoffes gilt, so war es natürlich, dass ich dasselbe wie auch das Ozon im Thierblut aufzufinden mich bemühte; die zu die- sem Behufe zahlreichst von mir angestellten Versuche, bei welchen ich selbstverständlich die empfindlichsten Rea- gentien und alle nur erdenklichen Vorsichtsmassregeln an- wendete, liessen mich aber auch nicht die schwächsten Spuren von Ozon oder Wasserstoffsuperoxid in dem Blute entdecken. Weit entfernt jeduch, diese verneinenden Ergebnisse als einen Widerspruch mit meiner Annahme zu betrachten, schrieb ich dieselben Nebenumständen zu, welche, wie das Auftreten des Ozons, so auch dasjenige des Wasserstofi- superoxides verhindern, und eben diese Umstände sollen nun näher bezeichnet werden. Schon bei meinen ersten Versuchen über das Verhal- 518 ten des Ozons zu den organischen Materien fand ich, dass es vom Blute gierigst aufgenommen werde, diess aber auch für sich allein das Eiweiss, der Blutfaserstoff und die Blut- körperchen thun, wodurch diese Substanzen in ihrem che- mischen Bestande wesentlich verändert werden, wie diess meine eigenen wie auch die interessanten Versuche der Herren Hiss und Gorup dargethan haben. | Was das Verhalten des Wasserstoffsuperoxides zum selösten Eiweiss betrifft, so können nach meinen Beobach- tungen beide Materien bei gewöhnlicher Temperatur lange neben einander bestehen, ohne irgendwie merklich auf einan- der zu wirken, wie daraus erhellt, dass ein Gemisch dieser Substanzen nach mehrmonatlichem Stehen immer noch HO: in sich nachweisen liess, wie auch sein Eiweissgehalt keine Veränderung zeigte. Am geronnenen Blutfaserstoffe hat bekanntlich schon Thenard die merkwürdige Eigenschaft entdeckt, dass der- selbe HO, in Wasser und gewöhnliches Sauerstoffgas um- setze, ohne dabei selbst merklich oxidirt zu werden; ob aber dieses Fibrin, wie es im Blute der Thiere vorhanden ist, ein solches Vermögen besitze, lässt sich mit Sicher- heit desshalb nicht behaupten, weil es meines Wissens bis jetzt noch Niemanden gelungen ist, dasselbe ausserhalb des Organismus im löslichen Zustande zu erhalten. Frisch gelassenes und von seinem Faserstoff sorgfäl- tigst befreites Blut besitzt nach meinen Beobachtungen in einem ausgezeichneten Grade das Vermögen, damit ver- mischtes HO, in Wasser und neutralen Sauerstoff umzu- - setzen, wie schon aus der lebhaften Gasentbindung hervor- geht, welche beim Zusammenbringen beider Flüssigkeiten unverweilt eintritt und eine starke Schaumbildung auf der Oberfläche des Gemisches verursacht. Wird mittelst einer geeigneten Vorrichtung das hierbei sich entwickelnde Gas aufgefangen und näher geprüft, so verhält es sich in jeder 519 Beziehung wie gewöhnlicher Sauerstoff. Hieraus erhellt, dass das entfaserte Blut nach Art des Platins HO; zerlege, d. h. in HO und O umsetze. Fügt man zu einer gegebenen Menge solchen Blutes verhältnissmässig wenig Wasserstoff- superoxid, so lässt sich von Letzterm schon nach wenigen Sekunden auch nicht die geringste Spur mehr im Gemische nachweisen und wird die rückständige Flüssigkeit immer noch das Vermögen besitzen, weiteres HO, unter Entbin- dung von Sauerstofigas sofort zu zerlegen; wartet man ab, bis auch diese zweite Portion Wasserstoffsuperoxides zersetzt ist, was mit Hülfe des Jodkaliumkleisters und verdünnter Eisenvitriollösung jetzt so leicht sich ermitteln lässt, nun abermals HO: beimischend, so wird dasselbe ebenfalls in kurzer Zeit verschwunden sein. Indessen geht diess doch nicht so ins Unbestimmte fort: es wird das Zersetzungs- vermögen des Blutes nach und nach schwächer und mit der Abnahme desselben hält auch das Hellerwerden der Flüs- sigkeit gleichen Schritt, so dass diese endlich völlig ent- färbt erscheint und damit auch unfähig wird, weiteres Wasserstoffsuperoxid in noch merklicher Weise zu zerle- - gen, worüber bald noch nähere Angaben erfolgen werden. Die organischen Hauptbestandtheile des entfaserten Blu- tes sind bekanntlich das Eiweiss und die Blutkörperchen, und da oben gemachten Angaben gemäss Ersteres gleich- gültig gegen das Wasserstoffsuperoxid sich verhält. so darf wohl als gewiss angenommen werden, dass es die Blut- körperchen seien, welchen das erwähnte Zersetzungsver- mögen zukomme, und zwar um so eher, als dieselben, auch wenn möglichst von Eiweiss befreit, selbst im getrockneten Zustand unter lebhafter Entbindung von O das Wasser- stoffsuperoxid noch zerlegen. Aus den voranstehenden Angaben erhellt ferner, dass die Blutkörperchen während des durch sie verursachten Zersetzungsvorganges selbst zerstört werden, zu welchem _ 220 Schlusse nicht nur die vollständige Entfärbung und die mit derselben eintretende Unfähigkeit des entfaserten Blutes, HO; zu zerlegen, sondern auch noch die Thatsache berech- tigt, dass die entfärbte Flüssigkeit die HO;-haltige Guajak- tinetur nicht mehr zu bläuen vermag; welches Färbungs- vermögen eine so charakteristische Eigenschaft der Blut- körperchen ist, dass dieselbe es möglich macht, daran selbst noch winzigste Mengen dieses organischen Gebildes zu er- kennen. Wasser, durch entfasertes Blut nicht stärker ge- färbt, als nöthig ist, um ihm einen für das Auge eben noch wahrnehmbaren Stich ins Röthliche zu ertheilen, vermag die HO;-haltige Guajaktinctur in kurzer Zeit noch merklich zu bläuen, wesshalb ich auch die Letztere als das empfind- lichste mir bekannte Reagens auf die Blutkörperchen den Physiologen und für gerichtliche Untersuchungen wieder- holt empfehlen möchte. Wie gross das Vermögen der Blutkörperchen ist, das Wasserstoffsuperoxid zu zerlegen, kann man aus der That- sache abnehmen, dass durch ein Gramm frischen entfaser- ten Ochsenblutes das aus fünf Grammen Ba0O, erhaltene und von 100 Grammen Wassers aufgenommene HO; im Laufe von 12—15 Minuten bei einer Temperatur von 7 ° vollständig zerstört wurde, ohne dass dadurch die rück- ständige Flüssigkeit das Vermögen, weiteres Wasserstoff- superoxid zu zerlegen, schon völlig eingebüsst hätte oder alle die ursprünglich darin enthaltenen Blutkörperchen zer- stört worden wären. Dass noch solche vorhanden waren, zeigte schon die noch etwas rôthiiche Färbung der Blut- flüssigkeit, gieng aber auf das Bestimmteste daraus hervor, dass dieselbe immer noch deutlich die HO;-haltige Guajak- tinctur zu bläuen vermochte. Um die besagte Flüssigkeit gänzlich der Fähigkeit zu berauben, entweder das Wasser- stoffsuperoxid zu zersetzen oder die HO;-haltige Guajak- lösung zu bläuen, musste ihr noch einmal die gleiehe Menge 21 HO, beigemischt werden; es wird aber kaum nöthig sein, noch ausdrücklich zu bemerken, dass diese zweite Portion HO; zu ihrer vollständigen Zersetzung einer merklich län- sern Zeit bedurfte, als für die erste nöthig war. Wie man sieht, vermochten also im Ganzen die in einem Gramm ent- faserten Ochsenblutes vorhandenen Blutkörperchen zwei volle Gramme reinen Wasserstoffsuperoxides zu zerlegen, eine Menge, die als sehr gross erscheinen muss, wenn man sie mit dem Gewichte der organischen Materie vergleicht, durch welche diese Zersetzung bewerkstelliget wurde. Ich darf hier nicht unterlassen, noch der sehr beach- tenswerthen Thatsache zu erwähnen, dass während der Einwirkung des Wasserstoffsuperoxides auf das entfaserte Blut allmählig eine weisse flockige Materie sich ausschei- det, welcher alle charakteristischen Eigenschaften eines Eiweisskörpers zukommen und die überdiess noch die Fä- higkeit besitzt, in noch merklicher Weise das Wasserstoff- superoxid zu zerlegen, ohne dabei, äusserlich wenigstens, selbst verändert zu werden, welche Thatsache der Ver- muthung Raum geben könnte, dass die fragliche Materie dem geronnenen Blutfaserstoffe nahe verwandt wo nicht gleich sei und ihren Ursprung aus den durch HO, zerstör- ten Blutkörperchen genommen habe, Verhältnisse, deren genauere Ermittlung selbstverständlich den Physiologen überlassen werden muss. Der Anwesenheit dieser Sub- -stanz halber vermag daher auch das durch HO, völlig ent- färbte Blut, obwohl etwas langsam, doch immer noch merk- lich das Wasserstoffsuperoxid zu zerlegen, was jedoch diese Flüssigkeit nicht mehr thut, nachdem sie durch Fil- tration von der in Rede stehenden Materie getrennt wor- den. Ist aber das sonst klare Filtrat nicht vollkommen farblos, zeigt dasselbe z. B. auch nur den allerschwächsten Stich ins Bräunliche oder Gelbliche, so wird es noch wei- teres HO; zerlegen und dabei sichtlich getrübt werden. 22 Beifügen muss ich noch, dass die fibrinähnliche Substanz das Vermögen, HO, zu zerlegen, allmählig verliert und so verändert wird, dass sie tagelang mit dieser Verbindung in Berührung stehen kann, ohne davon eine merkliche Menge zu zersetzen. In diesem Zustande verhält sie sich gegen- über dem Wasserstoffsuperoxid eben so unthätig als ge- löstes oder geronnenes Eiweiss. Nach meinen Versuchen verliert übrigens auch der Blutfaserstoff allmählig sein Ver- mögen, HO: zu zerlegen. Wenn nun in dem athmenden Blute, wo doch sicher- lich ohne Unterbrechung Oxidationen stattfinden, vergleich- bar denjenigen, welche so viele organischen und unorga- nischen Materien schon bei gewöhnlicher Temperatur und Anwesenheit von Wasser durch den atmosphärischen Sauer- stoff erleiden, weder (©) noch an Wasser gebundenes &) (HO;) auch nicht einmal spurweise sich entdecken lässt, so werden die oben erwähnten Thatsachen die Abwesen- heit dieser Substanzen leicht begreiflich machen. Eiweiss, Faserstoff und Blutkörperchen, jedes für sich allein mit ©) in Berührung gesetzt, nehmen letzteres mehr oder minder gierig auf, wesshalb es sich von selbst versteht, dass wenn meiner Annahme gemäss im Blute der neutrale Sauerstoff in & und ©) sich spaltet, dieses © unverweilt zu Oxida- tionszwecken verwendet wird und daher eben so schnell wieder verschwinden muss, als es aufgetreten, wesshalb auch im Blut unmöglich freies Ozon aufgefunden werden kann. Und was das gegensätzliche @ betrifft, so muss auch es beinahe in dem gleichen Augenblicke, wo dasselbe mit dem Wasser des Blutes zu HO, sich verbindet, schon durch die alleinige Einwirkung der vorhandenen Blutkör- perchen wieder zerlegt werden, und sollte auch der im Blute gelöste Faserstoff mit Bezug auf HO, ähnlich dem geronnenen Fibrin sich verhalten, so könnte derselbe eben- falls einigen Theil an der Zersetzung des ohne Unterlass 523 sich bildenden Wasserstoffsuperoxides nehmen, wesshalb es eben so unmöglich ist, im Blute HO; nachzuweisen, als darin freies Ozon aufzufinden, wenn auch diese beiden Sub- stanzen unaufhörlich aus dem eingeathmeten neutralen Sauer- stoff hervorgehen. | Das Vermögen der Blutkörperchen, das Wasserstofl- superoxid in so kräftiger Weise zu zerlegen, zusammen genommen mit der Thatsache, dass jene Körperchen dabei zerstört und in einen fibrinartigen Körper umgewandelt werden, verdient nach meinem Dafürhalten die volle Auf- merksamkeit der Physiologen, welche bekanntlich schon längst vermuthet haben, dass bei der Respiration die be- sagten Körperchen eine massgebende Rolle spielen, ohne dieselbe jedoch bis jetzt genauer bezeichnen zu können. Berücksichtiget man ferner den Umstand, dass unter den bekannten thierischen Materien, ausser dem geronne- nen Blutfaserstoff, es nur die Blutkörperchen sind, welche nach Art des Platins das Wasserstoffsuperoxid zu zerlegen vermögen und neben dem Eiweiss eben diese beiden Sub- stanzen (Faserstoff und Blutkörperchen) auch die organi- schen Hauptbestandtheile des Blutes bilden, so kann man kaum glauben, dass das erwähnte Zersetzungsvermögen nur eine Zufälligkeit sei und in keiner Beziehung stehe zu der physiologischen Rolle, welche die Blutkörperchen im Or- ganismus zu spielen bestimmt sind. Entstünde bei der Respiration im Blute kein Wasser- stoffsuperoxid, so sieht man in der That nicht ein, wozu die Blutkörperchen das Vermögen besitzen sollten, jene Verbindung zu zerlegen; geht man aber mit mir von der durch so viele Analogien unterstützten Annahme aus, dass der neutrale Sauerstoff bei seinem Eintritt in das Blut in © und © übergeführt und in Folge hievon auch Wasser- stoffsuperoxid gebildet werde, so denke ich, lasse sich un- schwer einsehen, zu welchem Behufe die Blutkörperchen 224 mit der Fähigkeit begabt sind, in so kräftiger Weise zer- legend auf HO: einzuwirken. Da erfahrungsgemäss diese Sauerstoffverbindung wie gegen viele organischen Materien, so auch gegen das ge- löste Eiweiss chemisch gleichgültig sich verhält, so müsste derjenige Theil des eingeathmeten O0, welcher in &) über- geführt wird und mit HO Wasserstoffsuperoxid bildet, nutz- los im Organismus vorhanden sein, wäre nicht eine Ver- anstaltung getroffen, durch welche dieses an Wasser ge- bundene © zur Erreichung chemisch-physiologischer Zwe- cke, d. h. zur Bewerkstelligung von Oxidationen sofort wieder brauchbar gemacht würde. Nach meinem Dafür- halten sind es nun eben die Blutkörperchen, welche, wo nicht ausschliesslich, doch vorzugsweise diese so wichtige Rolle zu spielen haben und zu einer solchen Verrichtung gerade durch ihr Vermögen, nach Art des Platins auf das Wasserstoffsuperoxid einzuwirken, allein befähiget werden. Bei der theoretischen Wichtigkeit der vorliegenden Frage und der Ungewöhnlichkeit meiner Ansichten über die Hauptbestimmung der Blutkörperchen wird es mir schon gestattet sein müssen, diesen chemisch-physiologischen Ge- genstand mit derjenigen Einlässlichkeit zu besprechen, wel- che das richtige Verständniss desselben durchaus erheischt; denn eher umständlich aber klar, als kurz und dunkel sein. Aus obigen Angaben erhellt, dass die Blutkörperchen, indem sie das künstlich gebildete Wasserstoffsuperoxid zer- legen, selbst in ihrem chemischen Bestande verändert wer- den, was ohne Zweifel dadurch geschieht, dass dieselben einen Theil des Sauerstoffes jener Verbindung aufnebmen. Wenn nun aber erwähntermaassen das & von HO: keine oxidirende Wirkung auf das gelöste oder geronnene Ei- weiss hervorbringt, so ist es auch wenig wahrscheinlich, dass dieses &) als solches die Blutkörperchen zu oxidiren vermöge. Wodurch soll aber die Oxidation derselben be- 325 werkstelliget werden? Um diese Frage zu beantworten, muss ich auf die Erklärung zurückkommen, welche ich über die durch das metallische Platin bewirkte Umsetzung des Wasserstoffsuperoxides in Wasser und neutralen Sauerstoff schon vor einigen Jahren aufgestellt habe. Bekanntlich geht nicht nur das freie, sondern auch das chemisch gebundene Ozon, wie es z. B. im Bleisuperoxid, Braunstein, in der Uebermangansäure u. s. w. enthalten ist, mit dem gelösten Guajakharze bereitwilligst eine tief blaue Verbindung ein, während das mit Wasser, Terpentinöl u.s. w. vergesellschaftete & gegen die gleiche Harzlösung voll- kommen unthätig sich verhält und desshalb auch dieselbe nicht zu bläuen vermag. Führt man aber in die HO;-hal- tige Guajaktinctur nur kleinste sauerstofffreie und desshalb unter Weingeist gehaltene Mengen Platinmohres ein, so bläut sich das farblose Gemisch ziemlich rasch auf das Allertiefste, gerade so, wie diese Wirkung durch das Blei- superoxid, den Braunstein, die Uebermangansäure oder an- dere Sauerstoffverbindungen, welche ich Ozonide nenne, hervorgebracht wird. Meine Versuche haben ferner gezeigt, dass selbst die feste Pyrogallussäure durch den freien ozonisirten Sauer- stoff schon in der Kälte anfänglich zu tief gefärbten Ma- terien, den sogenannten Huminsubstanzen oxidirt und bei längerer Einwirkung von © ganz und gar verbrannt wird, aus welchem Grunde auch die genannte Säure zu den em- pfindlichsten Reagentien auf Ozon gehört. Eben so erfah- rungsgemäss ist, dass diejenigen Sauerstoffverbindungen, welche die Guajaktinctur bläuen, auch die wässrige Lösung der Pyrogallussäure sofort bräunen. Vom Wasserstoffsuperoxid habe ich nachgewiesen, dass in ihm die Pyrogallussäure sich lösen lässt, ohne dass Je- nes auf diese sonst so leicht oxidirbare Substanz die ge- ringste oxidirende Wirkung hervorbrächte, wie diess schon 526 die andauernde Farblosigkeit der Lösung beweist. Fügt man aber zu diesem Gemische nur geringe Mengen Platin- mohres, so bräunt es sich merklich schnell gerade so, wie diess die reine wässrige Lösung der Pyrogallussäure thut, wenn man sie mit Ozon oder irgend einem Ozonid, z.B. Bleisuperoxid, Uebermangansäure u. s. w. zusammen bringt. Aus diesen Thatsachen glaube ich daher schliessen zu dür- fen, dass unter dem Berührungseinflusse des Platins das & des Wasserstoffsuperoxides in ©) umgekehrt werde und Letzteres es sei, welches sowohl die Bläuung der Guajak- tinetur als auch die Bräunung der gelösten Pyrogallussäure verursache. Wenn nun aber das Platin die Fähigkeit besitzt, dem @ des Wasserstoffsuperoxides die chemische Wirksamkeit des ozonisirten Sauerstoffes zu ertheilen, d. h. dieses & in ©) umzukehren, so muss nothwendiger Weise dem genann- ten Metall auch das Vermögen zukommen, HO + © gerade so in Wasser und neutralen Sauerstoff umzusetzen, wie diess meinen Versuchen gemäss das freie Ozon und die Ozonide, z. B. das Bleisuperoxid, die Uebermangansäure u. s. w. thun; denn da das mit dem Platin in Berührung tretende (D eines Wasserstoffsuperoxidtheilchens in ©) um- gekehrt wird, so muss Letzteres auch sofort mit dem @ des nächst angrenzenden und vom Metall abgelegenen HO;- Theilchens zu O sich ausgleichen, welches als solches nicht länger mit HO verbunden bleiben kann und seiner Gasför- migkeit halber aus der Flüssigkeit treten muss. Da das freie ©) mit dem Platin nicht unmittelbar sich zu verbin- den vermag, so begreift sich leicht, dass das Metall, wäh- rend es in der angegebenen Weise die Zerlegung des Was- serstoffsuperoxides bewerkstelliget, keine Oxidation erlei- den kann und somit stofflich unverändert bleiben muss. Wie oben erwähnt, besitzen gleich dem Platin auch die Blutkörperchen in einem ausgezeichneten Grade die 527 Fähigkeit, die farblose HO;haltige Guaïaktinctur zu bläuen, wie denselben auch nach meinen Versuchen das Vermögen zukommt, die farblose HO;-haltige Lösung der Pyrogallus- säure zu bräunen, aus welchen Thatsachen ich wieder schliesse, dass wie das Platin, so auch die Blutkörperchen befähiget seien, das &) des Wasserstoffsuperoxides in © umzukehren, und da desshalb die Blutkörperchen nach Art dieses Metalles HO: ebenfalls in Wasser und neutralen Sauerstoff umsetzen, so muss ich selbstverständlich diesen Vorgang gerade so erklären, wie die durch das Platin be- wirkte Zerlegung des gleichen Superoxides. Zwischen dem Metall und den Blutkörperchen besteht jedoch der grosse Unterschied, dass Jenes gegen © gleichgültig sich verhält, diese dagegen so leicht durch den ozenisirten Sauerstoff zerstört werden, wesshalb es auch nicht auffallen kann, dass die Blutkörperchen, während sie das Wasserstoffsuper- oxid zerlegen, eine chemische Veränderung erleiden, wor- über man sich um so weniger zu verwundern hat, als diese Blutkörperchen durch ihr Vermögen, das & von HO; in © umzukehren, ausser ihrer eigenen Oxidation auch noch die- jenige anderer vorhandenen organischen Materien, z. B. des Guajakharzes und der Pyrogallussäure, veranlassen können. Dass im thierischen Organismus Blutkörperchen fort- während sich bilden und wieder verschwinden, ist eine be- kannte Sache, und dass die Zerstörung derselben zunächst durch Oxidation bewerkstelliget werde, halte ich für höchst wahrscheinlich. Bildet sich nun meiner Annahme gemäss bei der Respiration im Blute fortwährend Wasserstoffsuper- oxid, so müssen durch dasselbe die Blutkörperchen gerade so wie durch das künstlich gebildete HO, verändert wer- den. Mit andern Worten: die Blutkörperchen, indem sie das &) des im Blute entstehenden Wasserstoffsuperoxides in ©) überführen, bewirken zunächst ihre eigene Oxidation und dadurch ihre Umwandlung in ein anderes Albuminat 528 (Faserstoff?), hiemit wohl ihre wichtigste physiologische Bestimmung erfüllend. Es ist jedoch wahrscheinlich, dass unter Mitwirkung der Blutkörperchen auch noch anderwei- tige Oxidationen verursacht werden, wie z. B. diejenige des Eiweisses, mancher Gewebe u. s. w.; denn wenn die be- sagten Körperchen das &) des Wasserstoffsuperoxides be- stimmen können, oxidirende Wirkungen auf das Guajakharz und die Pyrogallussäure hervorzubringen, so ist kaum an- zunehmen, dass diess Substanzen die einzigen organischen Materien seien, welche unter den erwähnten Umständen eine solche Veränderung erleiden. Und noch auf eine dritte Art könnten möglicher Weise die Blutkörperchen wirksam sein. Würde nämlich nicht alles &) des im Blute vorhandenen Wasserstoffsuperoxides, welches sie in ©) umkehren, zu ihrer eigenen Oxidation und derjenigen anderer organischer Gebilde aufgebraucht werden, so vermöchte der etwaige Rest dieses ©) mit dem @&) des noch unveränderten HO; zu O sich ausgleichen, das nun seinerseits wieder auf die gleiche Weise wie der ursprünglich eingeathmete neutrale Sauerstoff in & und ©) übergeführt und dadurch für Oxi- dationszwecke nutzbar gemacht würde. Da aber die Menge des in einer gegebenen Zeit und an einem bestimmten Ort im Organismus gebildeten Wasserstoffsuperoxides klein sein dürfte im Verhältnisse zu der Menge der daselbst vorhan- denen Blutkörperchen, so möchte wohl eine solche Aus- gleichung zwischen & und ©) entweder gar nicht oder doch nur in geringem Maasse im Organismus stattfinden. Wenn ich nun obigen Auseinandersetzungen zufolge die im Thierkörper Platz greifenden Oxidationen auf die Ueberführung des eingeathmeten neutralen Sauerstoffes in @ und © zurück führe, so fragt es sich, durch welche Bestandtheile des Blutes diese Wirkung hervorgebracht werde. In meiner Abhandlung „Ueber die Bildung des Was- serstoffsuperoxides bei höhern Temperaturen“ und ander- 329 wärts habe ich bemerki, dass die wesentlichste Bedingung der chemischen Polarisation des neutralen Sauerstoffes die Anwesenheit zweier Materien sei, wovon die eine gerne mit &, die andere mit ©) eine Verbindung eingehe. Wie nun so viele meiner neuern Versuche gezeigt haben, ist das Wasser diejenige Substanz, welche sich ganz besonders durch ihre grosse Neigung auszeichnet, unmittelbar mit © zu Wasserstoffsuperoxid sich zu vereinigen, während es erfahrungsgemäss sehr viele unorganische und organische Materien gibt, welche schon in der Kälte gierigst © auf- nehmen und dadurch oxidirt werden, woher es nach mei- nem Dafürhalten eben kommt, dass eine nicht geringe An- zahl dieser Materien bei Anwesenheit von Wasser anschei- nend durch den neutralen Sauerstoff selbst bei gewöhnlicher Temperatur unter gleichzeitiger Bildung von Wasserstoff- superoxid eine Oxidation erleiden. Wie bereits erwähnt worden, gehören die hauptsäch- lichsten organischen Bestandtheile des Blutes: das Eiweiss, der Faserstoff und die Blutkörperchen, zu denjenigen Ma- terien, welche das künstlich erzeugte ©) mehr oder minder gierig aufnehmen, und da es im Blut auch an Wasser nicht fehlt, so sind somit in jener Flüssigkeit alle Hauptbedin- gungen für die Ueberführung des mit ihr in Berührung tre- tenden neutralen Sauerstoffes in & und © erfüllt. Weil nach meinen Versuchen aber die Blutkörperchen © ungleich begieriger aufnehmen und dadurch rascher oxidirt werden, als das Eiweiss und der Faserstoff, so bin ich auch geneigt, dieselben als denjenigen Blutbestandtheil zu betrachten, welcher in Verbindung mit dem Wasser, das so bereit- willig mit © sich vergesellschaftet, vorzugsweise die be- sagte Ueberführung des eingeathmeten neutralen Sauerstof- fes bewerkstelliget. 5 Vor vielen Jahren schon habe ich den in der atmo- sphärischen Luft langsam verbrennenden Phosphor einem 39 530 athmenden Thiere verglichen, mit Bezug nämlich auf die Veränderungen, welche bei diesen Vorgängen der dabei betheiligte Sauerstoff erleidet, und die Ergebnisse meiner neuesten Untersuchungen über die in wasserhaltiger Luft stattfindenden Oxidationen unorganischer und organischer Materien haben mich in dieser alten Ansicht nur bestärken können. Der Phosphor wird bekanntlich durch den ozoni- sirten Sauerstoff schon bei niedrigen Temperaturen auf das Lebhafteste oxidirt, während O als solches unter diesen Umständen mit jenem Körper sich nicht zu verbinden ver- mag. Oder, um dieses Verhalten in der gewöhnlichen che- mischen Sprache zu bezeichnen: es zeigt der Phosphor eine grosse Verwandtschaft zu dem ozonisirten, keine aber zum gewöhnlichen Sauerstoff. Das Wasser, ebenfalls gegen O als solches chemisch gleichgültig, zeichnet sich dagegen durch seine grosse Nei- gung aus, mit (© Wasserstoffsuperoxid zu bilden, wesshalb dasselbe im Verein mit dem (-gierigen Phosphor den neu- tralen Sauerstoff in & und © überführt, oder wenn man lieber will, spaltet, in Folge dessen Ersteres zu dem Was- ser tritt, um Wasserstoffsuperoxid zu erzeugen, und ©) zum Phosphor, um PO; und PO; zu bilden, wobei. bekanntlich auch einiges freie Ozon zum Vorschein kommt. Was die polarisirende Wirksamkeit der oxidirbaren Bestandtheile des Blutes und namentlich der Blutkörperchen betrifft, so dürfen diese Materien daher dem Phosphor ver- glichen werden, und dass ich im Blute das Wasser die gleiche Rolle spielen lasse, welche ich dieser Flüssigkeit bei der langsamen Verbrennung des Phosphors anweise, versteht sich von selbst. Würden nun der letzt genannte Körper oder dessen Säuren in merklichem Grade das Ver- mögen besitzen, das &) des während der langsamen Ver- brennung des Phosphors gebildeten Wasserstoffsuperoxides rasch in ©) umzukehren, wie ein solches dem Platin und 31 den Blutkörperchen zukommt, so vermöchten wir, wie leicht einzusehen, in dem den langsam verbrennenden Phosphor umspülenden Wasser eben so wenig als im Blute HO; auf- zufinden. Sollte es im thierischen Organismus ausser den Blut- körperchen auch noch andere Gebilde, namentlich Gewebe geben, welche nach Art des Platins auf das Wasserstoff- superoxid einwirken, was ich für höchst wahrscheinlich halte, so würde gemäss den obigen Auseinandersetzungen hieraus folgen, dass derartige Gebilde auch die gleichen chemisch-physiologischen Wirkungen hervorzubringen ver- möchten, welche ich den Blutkörperchen beimesse, und dass somit nicht blos im Blute, sondern auch noch in und an andern Theilen des Körpers Oxidationen stattfinden müssen, eine Annahme, zu welcher bekanntlich schon anderweitige Thatsachen berechtigen. Da es mir daran liegt, namentlich die Physiologen durch möglichst viele Thatsachen von der Richtigkeit meiner An- nahme zu überzeugen, dass ein wesentlicher Theil der phy- siologischen Wirksamkeit der Blutkörperchen auf ihrem Vermögen beruhe, dem &) des Wasserstoffsuperoxides die oxidirenden Eigenschaften des Ozones zu ertheilen, oder wie ich diess der Kürze halber auszudrücken pflege: &) in ©) umzukehren, so soll zum Schlusse noch an einige von mir schon früher ermittelten Thatsachen erinnert werden, von welchen ich glaube, dass auch sie zu Gunsten der be- sagten Annahme sprechen. Lässt man einige Tropfen Bleiessigs in verhältnissmäs- sig viel Wasserstoffsuperoxid fallen, so entsteht erst Blei- superoxid, welches aber unmittelbar nach seiner Bildung zersetzend auf das noch vorhandene HO, und zwar so ein- wirkt, dass, indem es selbst zu PbO desoxidirt wird, auch HO; die gleiche Reduction erleidet, was selbstverständlich eine Entbindung gewöhnlichen Sauerstoffgases zur Folge 35* 532 hat. Da für mich das Bleisuperoxid = PbO + © und das Wasserstoffsuperoxid — HO + © ist, so nehme ich an, dass unter den erwähnten Umständen das & eines Thei- les des vorhandenen HO, in © übergeführt werde, wel- ches zunächst mit einem Theile der Basis des Bleisalzes Bleisuperoxid bildet. Da aber Letzteres als Ozonid mit dem antozonidischen Wasserstoffsuperoxid nicht in Berüh- rung stehen kann, ohne dass die in ihnen enthaltenen ent- gegengesetzt thätigen Sauerstoffmodificationen zu O sich ausgleichen, so müssen die beiden Superoxide sich gegen- seitig zu PbO und HO reduciren. Vermag aber der Blei- essig das (© des Wasserstoffsuperoxides in © umzukehren, so folgt von selbst, dass der gleiche Bleiessig auch die Bläuung der HO,-haltigen Guajaktinctur verursache, was in der That geschieht. Dass das freie © oder auch die Ozonide, z.B. PbO+Q,), Mn20> + 59 u. s. w. das in Schwefelsäure gelöste Indigo- blau rasch zu Isatin oxidiren, ist eine wohlbekannte That- sache, wie wir andererseits auch wissen, dass die Indigo- tinctur von HO + & nur langsam zerstört wird. Fügt man aber dem indigohaltigen Wasserstoffsuperoxid kleine Mengen Bleiessigs zu, so wird das Gemisch augenblicklich entbläut. Sehr stark verdünntes Wasserstoffsuperoxid ist unfä- hig, für sich allein den Jodkaliumkleister zu bläuen, wäh- rend der freie ozonisirte Sauerstoff oder die Ozonide, wie z. B. das Bleisuperoxid, die Uebermangansäure u. s. w. diese Wirkung unverweilt und in augenfälligster Weise hervorbringen. Lässt man in farblosen HO,-haltigen Jod- kaliumkleister auch nur einen Tropfen Bleiessigs fallen, so bläut sich das Gemisch sofort auf das Tiefste, wesshalb auch der besagte Kleister in Verbindung mit der Lösung des basisch essigsauren Bleioxides eines der empfindlich- sten Reagentien auf das Wasserstoffsuperoxid ist. 033 Vermischt man die Lösung eines Eisenoxidulsalzes, z.B. des Eisenvitrioles, mit einer hinreichenden Menge Wasser- stoffsuperoxides, so wird die Basis des Salzes sofort in Oxid übergeführt, von dem ein Theil in Form eines basi- schen Salzes niederfällt. Da nun meinen Erfahrungen zu- folge die Eisenoxidsalze zahlreiche Oxidationswirkungen hervorbringen, welche nur durch das freie Ozon oder die Ozonide verursacht werden, wie z. B. die Bläuung der Guajaktinetur, überdiess auch noch das Wasserstofisuper- oxid unter geeigneten Umständen das Eisenoxid zu Oxidul zu reduciren vermag, wie diess geschieht bei der Einwir- kung von HO, auf die gemischte Lösung eines Eisenoxid- salzes und des Kaliumeisencyanides unter Entbindung ge- wöhnlichen Sauerstoffgases und Fällung von Berlinerblau, so schliesse ich aus allen diesen Thatsachen, dass das dritte _ Sauerstoffäquivalent des Eisenoxides ©) sei und folglich auch, dass das selbst an eine Säure gebundene Eisenoxi- . dul das &) des Wasserstoffsuperoxides in © umzukehren vermöge. Die Richtigkeit dieses Schlusses wird nach mei- nem Dafürhalten auch noch dadurch bewiesen, dass die HO:-haltige Guajaktinctur oder der HO.-haltige Jodkalium- kleister durch kleinste Mengen gelösten Eisenvitrioles au- genblicklich gebläut wird, wie auch das mittelst der In- digotinctur gebläuete Wasserstoffsuperoxid unter Mitwirkung der gleichen Salzlösung unverweilt sich entfärbt. Vergleicht man nun die beschriebenen Wirkungen des Bleiessigs und der Eisenoxidulsalze mit denjenigen, welche unter gleichen Umständen die Blutkörperchen hervorbrin- gen, so springt die Uebereinstimmung zwischen denselben von selbst in die Augen, und nachträglich will ich noch beifügen, dass meinen frühern Versuchen gemäss auch die Blutkörperchen ähnlich auf die HO,-haltige Indigotinetur wie auf den HO,-haltigen Jodkaliumkleister einwirken. Schliesslich sei noch bemerkt, dass ich die voranste- 534 hende Arbeit hauptsächlich in der Absicht veröffentliche, die Physiologen für einen Gegenstand zu interessiren, der meines Bedünkens ihnen von einiger Bedeutung sein muss und den ein blosser Chemiker ohne ihre Mitwirkung nicht viel weiter führen kann, schon aus dem einfachen Grunde, weil ihm die für derartige Forschungen nothwendigen phy- siologischen Kenntnisse fehlen, in welchem Falle zu sein ich aufrichtig bekennen will. ANATOMIE. Bemerkungen über die Bildung des Schädels und der Extremitäten im Menschengeschlechte. Von Prof. Dr. Ca. Apr. Als vor einer Reihe von Jahren Retzius mit seinem seither so berühmt gewordenen Systeme hervortrat, da war es wohl die Leichtigkeit, womit das Gewirr der Schädel- formen sich zu lösen schien, welche seiner Dolichocepha- lie und Brachycephalie so rasche und so allgemeine An- erkennung verschaffte. Froh des Gewinnes übersah man gern die anhaftenden Mängel, und nur allmälig erhoben sich Stimmen, welche den sichern Besitz streitig zu machen wag- ten. Es geschah zunächst in der Absicht, mir über die For- men des menschlichen Schädels ein eigenes Urtheil zu bil- den, dass ich eine ausgedehnte Untersuchung derselben unternahm. Besonders hielt ich es für wünschenswerth, zu wissen, auf welchen Momenten die Verschiedenheit der Ver- hältnisszahl zwischen Länge und Breite, worauf das Ein- theilungspriucip von Retzius fusst, beruhe; denn dass hier- bei nur die Entwicklungsgrösse des Hinterhauptes ins Spiel 536 komme, erschien mir von vorrherein unwahrscheinlich. Mei- nen Arbeiten legte ich eine Methode zu Grunde, die, bisher noch nicht befolgt, mir in mehr denn Einer Beziehung Er- folg versprach. Dieselbe wurde bereits der Oeffentlichkeit übergeben ‘), und ich kann mich demnach hier auf die Be- merkung beschränken, dass sie, abgesehen von der beson- dern Messungsweise, wesentlich auf der Reduction sämmt- licher Schädeldurchmesser auf ein und dasselbe Grundmaass beruht, ein Verfahren, welches nicht allein uirect vergleich- bare Grössen, sondern namentlich auch die Möglichkeit giebt, aus dem beobachteten Materiale für jede Art einen Normal- schädel zu berechnen. Aus der Vergleichung solcher gleich- werthiger Normalschädel sind die folgenden Resultate ge- wonnen worden. Ueber die Bedeutung der Schädelform für die natur- wissenschaftliche Grundlage der Anthropologie dürfte unter den Fachmännern unsrer Tage kaum noch eine Meinungs- verschiedenheit obwalten; weniger stimmt man darin über- ein, ob in ihr wesentliche durch Messung zu erfassende Unterschiede auftreten, doch scheint man im Allgemeinen geneigt, diese Frage in bejahendem Sinne zu beantwor- ten. Ich selbst hatte namentlich von der Medianebene Eigenschaften erwartet, die feste Anhaltspunkte für die naturwissenschaftliche Trennung der Menschenracen zu ge- ben vermöchten. Ich war daher nicht wenig überrascht, gerade das Gegentheil zu finden. Wenn die genaue Prüfung von mehr denn 500 Schädeln aus allen Theilen der Erde zu einem irgendwie gesicherten Schlusse berechtigt, so darf ich es mit aller Bestimmtheit aussprechen, dass die Nor- _malschädel sämmtlicher Menschenstämme in ihrer Median- fläche im wesentlichen mit einander übereinstimmen, und dass 1) Ch. Aeby, Eine neue Methode zur Bestimmung der Schädelform von Menschen und Säugethieren. Braunschweig 1862. 537 in dieser Beziehung die extremste Dolicho- und Brachy- cephalie nicht den geringsten Unterschied aufweist. Schwan- kungen, denen besonders das Hinterhaupt hin und wieder un- terliegt, sind so regellos und auch innerhalb der individuellen Grenzen so bedeutend, dass ihnen ein Einfluss auf das allge- meine Gesetz in keiner Weise darf eingeräumt werden. Gegen- über dieser Constanz der Medianfläche sind die Unterschiede in den Frontalflächen um so auffallender. In sehr bestimm- ter Weise trennen sich hier die Schädelformen in schmale und in breite. Auf der Erde haben beide ihren besondern Verbreitungsbezirk in der Weise, dass der südlichen Hälfte die erstern, der nördlichen die letztern angehören. Africa und Polynesien mit Neuholland bieten die schmalsten, Eu- ropa mit Nordasien die breitesten Schädelformen dar. In der Mitte zwischen beiden Abtheilungen liegt das südliche Asien, und zwar nicht allein so, dass seine Bewoh- ner (z. B. Chinesen und Javanesen) im Allgemeinen eine mittlere Schädelbreite besitzen, sondern namentlich auch dadurch, dass einzelne Gebiete den Typus der entschieden- sten Schmalschädel (z. B. Hindu), andere den der Breit- schädel (einige Inseln in der Nähe von Java) wiederholen. Merkwürdig ist es, wie die Grönländer als hochnordisches Volk doch zu den ausgeprägtesten Schmalschädeln gehören, die es giebt. — Wie America sich im übrigen verhält, ver- mag ich nicht mit Bestimmtheit zu sagen, da kein genügen- des Material mir zu Gebote stand. Es scheinen beide Ty- pen vertreten zu sein. Einige brasilianische Völkerschaften wenigstens sind entschieden schmalköpfig, während die Bo- tocuden und die Indianer des Nordens mehr oder weniger be- stimmt breitköpfig sind. — Die Angaben beziehen sich, wie bereits bemerkt, alle auf den reducirten Schädel und sind des- halb unabhängig von der absoluten Grösse. Es ist mir nicht gelungen, für letztere ein bestimmtes Entwicklungsgesetz aufzufinden. 338 Alle Verschiedenheit der menschlichen Schädelform bei den verschiedenen Völkern beruht demnach wesentlich auf der Verschiedenheit in der Breitenentwicklung. Der Platycephalie stelit sich, durch allmälige Uebergänge mit ihr verbunden, die Leptocephalie gegenüber. Die einheit- liche Entwicklung der Medianfläche in dem ganzen Men- schengeschlechte aber ist eine Thatsache, die mir des voll- sten Interesses werth zu sein scheint. Für nicht minder bedeutsam halte ich die von mir gemachte Erfahrung, dass im kindlichen Alter die Racenunterschiede wegzufallen scheinen, wenigstens finde ich bei den von mir untersuch- ten Kinderschädeln von Europäern und won Negern die grösste Uebereinstimmung. Medianflächen und Frontalflä- chen decken sich vollkommen. Eine für die Beurtheilung der Schmal- und Breitschädel wichtige Thatsache. Beide gehen von ein und demselben Punkte aus, doch so, dass während der letztere sein Wachsthum nach allen Richtun- sen gleichmässig fortsetzt, der erstere dasselbe in der Querausdehnung beschränkt. Hierin aber finden wir einen Anklang an den Entwicklungstypus niedrigerer Geschöpfe. Ich habe schon an einer andern Stelle auf die Aehnlichkeit aller fötalen Schädelformen aufmerksam gemacht. Ich kann es jetzt als allgemeines Gesetz aussprechen, dass eine Schä- delform um so höher ist, je mehr sie durch allseitiges Wachsthum aus der fötalen sich hervorbildet, und dass sie um so tiefer herabsinkt, je mehr das Wachsthum auf gewisse Richtungen und Punkte sich einschränkt. Von die- sem Gesichtspunkte aus muss auch der schmale Schädel als der niedrigere bezeichnet werden. Es versteht sich von selbst, dass hieraus noch kein Schluss auf die geistige Stel- lung des Besitzers gezogen werden darf. Wir wollen auch nicht unerwähnt lassen, dass möglicherweise den ausge- prägtesten Breitschädeln eine ähnliche Stellung zukömmt. Wenigstens zeigen einige davon (wie z. B. die Tungusen) 539 eine Tendenz zur verticalen Abfiachung. Darf diess aber als ein Vorwiegen des Breitenwachsthums gedeutet wer- den, so haben wir den umgekehrten Entwicklungstypus des Schmalschädels. Die vollkommenste Form würde demnach in der Mitte liegen und es ist vielleicht nicht bedeutungslos, dass gerade diese das Erbtheil derjenigen Völkerschaften ist, welche auf geistigem Gebiete das Höchste geleistet ha- ben. Leider ist gerade für diese, Seite des Schädelstudiums das vorhandene Material ein äusserst spärliches. Um so mehr möchte ich sie allen denjenigen ans Herz legen, de- nen die Gelegenheit zu derartigen Untersuchungen sich bie- tet. — In dem Gesichtsschädel habe ich keine typischen Formenunterschiede aufzufinden vermocht. Ich will hier nicht unterlassen noch einen andern Punkt zu berühren, der für die vergleichende Anthropologie nicht ohne Bedeutung ist. Wiederholt ist nämlich die Behaup- tung ausgesprochen worden, dass die verschiedenen Men- schenracen mit Hinsicht auf die Entwicklungsverhältnisse ihrer Extremitäten nicht unwesentliche Verschiedenheiten darbieten. Ich hatte im Verlauf einer ausgedehnten Unter- suchung über die Gestaltungsgesetze der Wirbelthierextre- mitäten Gelegenheit, auch hierauf mein Augenmerk zn rich- ten. Ich verfuhr dabei in der Weise, dass die Länge der einzelnen Extremitätenabschnitte (von Gelenkfläche zu Ge- lenkfläche gemessen) auf die Länge der gesammten Extre- mität (mit Ausschluss der Gürtelstücke) bezogen wurde. Ich erreichte dabei den Vortheil, dass nicht allein für alle Geschöpfe direet vergleichbare Zahlenwerthe gewonnen wurden, sondern dass namentlich auch für jede Art eine Normalextremität aus den Mittelzahlen sich berechnen liess. Die Schwankungen, welche sich hierbei für eine grössere Angahl von Völkerschaften herausstellten, sind ohne Be- lang, und namentlich hebe ich hervor, dass bei dem Euro- päer und dem Neger der Längenunterschied des Vorder- Lo 540 armes noch nicht einmal 1 Procent beträgt. Auch dieser möchte vielleicht bei reichlicher zu Gebote stehendem Ma- terial noch sich reduziren, da von den acht von mir unter- suchten Negern die Hälfte sich nicht von dem Europäer unterschied. Die vollkommenste Uebereinstimmung herrschte überall in dem Längenverhältniss zwischen oberer und un- terer Extremität. Nebenbei mag erwähnt werden, dass der vielbespro- chene Gorilla in den Maassverhältnissen seiner obern Glied- maassen vollkommen mit dem Menschen übereinstimmt, wäh- rend alle andern Affen sehr beträchtliche Abweichungen aufweisen. Die ausführliche Darlegung der hier mitgetheilten That- sachen und die weitere Entwicklung der angedeuteten Ideen behalte ich mir für besondere grössere Werke vor. Eine Veröffentlichung in der vorliegenden gedrängten Form er- schien mir indessen aus verschiedenen Gründen nicht ganz ungerechtfertigt. Basel, im März 1863. BOTANIR. Uebersicht der Europäischen Abietineen (Pinus Linn.) Von Dr. H. Carisr. Die nachfolgende Uebersicht theilt die Resultate mit, die sich mir durch eingehende Untersuchung der Pinus- Formen Europas ergeben haben. Da die Ansichten der Schriftsteller über diese Pflanzengruppe immer noch so sehr abweichen, so mag dieser Beitrag den Freunden der Coniferen nicht ganz ohne Interesse sein, um so mehr, da mir die Anschauung eines reichen Materials durch die Güte vieler Botaniker ermöglicht war. Jeder, ‘der sich lange mit diesem Gegenstand beschäftigt und recht zahlreiche Formen vergleichen kann, wird mit mir in einer naturgemässen Ver- einfachung der Arten mehr Heil sehen als in deren künst- licher Zertrennung. Manches, was verschieden scheint, wenn es nur von einer einzigen Localität vorliegt, verbin- det sich wieder mit dem Typus, wenn die Zwischenglieder bekannt werden. Ueber die geographische Verbreitung siehe Hildebrand in den Verhandl. nat. Ver. für Rheinl. und Westphalen, XVIH. Jahrg. | 542 I. Abies Link nach Du Roi. * Bracteis exsertis Endl. syn. 89. E. Pinus Abies Du Roi observ. nach Plin. Verbreitung: zu Hildebr. pg. 258: nach Ledeb. flor. Rossica III, 669. Litthauen im Bialower Wald, Grodno, Warschau, Podolien. (Wohl nicht wild?) Nach C. Koch in Linnæa XXI, 291 beruht die Angabe der Art im Caucasus nur auf Biberst., seither sei sie nie wieder gesehen worden. (Ob von Biberst. mit einer der caucasischen Arten ver- wechselt?) Die sichere Ostgrenze der Species scheint also schon Siebenbürgen und der Rhodope (Griseb. spicileg. 347) zu sein. Westgrenze: Südseite der Pyreneen: Willkomm und Lange prodrom fl. hisp. I: Navarra am Irati. Oberaragon ziemlich häufig. Nordcatalonien selten: Hermani. — Col- meiro catologo metodico 1846 (Madrid 8°): En Monseny, montes de S. Juan del Herm, Urgel, Col de Barata etc. Die Art kommt in folgenden Formen vor: | a. pectinata D. C. Blätter der bloss Laub und männliche Inflorescenz tra- senden, also untern Zweige des Baumes flach, stumpf, meist an der Spitze ausgerandet, oft deutlich zweispitzig, durch Drehung der Blattstiele scheinbar zweizeilig, Blätter der weibliche Inflorescenz tragenden Aeste (also des Wipfels) bei ältern stärkern Bäumen starr, mit dickem Kiel auf der Unterseite und dicken Rändern, Kiel in einen derben Mucro auslaufend, nicht zweizeilig, sondern nach der Ober- seite des Zweigs bogig aufwärts gekrümmt. Je älter der Baum, desto deutlicher zeigt sich dieser Charakter. Es fällt auf, wie wenig dieses Vorkommen der folia 543 mucronata im Wipfel beachtet ist: Bertolon. flor. ital. und Endl. synops. conif. 97 (folia interdum mucronata) erwäh- nen es zwar kurz, aber die Neuern nicht mehr; weder Koch Synops., Grenier u. Godr. flor. franc. IF, 154, Döll Flora des Gr. Baden 1857, pg. 97, noch Kirschleger flore d'Alsace II, pg. 94. — Zapfen cylindrisch. (v. v.) - Dies die Form, wie sie im westlichen und mittlern Verbreitungsgebiet der Art auftritt. b. Regine Amalie Heldreich in Regel Gartenflora 1860, 313. Im Jahr 1856 in Centralarcadien entdeckt, grosse Wäl- der bildend, bei 1—3’ Diam. 55° hoch. Blätter des ganzen Baums an der Spitze nicht ausgerandet, ähnlicher der fol- senden Form c als der Form a, aber stumpfer, weicher als bei c, nach allen Seiten abstehend. Zapfen cylindrisch. Der Baum zeigt an seinen Standorten die Erscheinung der senkrecht aus den ältern Aesten sich entwickelnden Seiten- triebe (18—20° hoch, 1%, Fuss Diam.) sehr stark, was auch bei der Form a (und Pinus Cembra) in der Alpenregion häufig vorkommt, sobald die Hauptaxe verstümmelt wird oder durch Alter zu wachsen aufhört. vulg. „uegov êla- Toy (n. v.) c. Apollinis Link Linnæa XV, 1841. Von niedrigerem Wuchs und rauherer Rinde als a, Blät- ter des ganzen Baums (nicht nur des Wipfels) starr, dick- randig, sehr stark gekielt, Kiei meist, jedoch nicht immer (Heldreich in Regel Gartenfl. 1860) in einen derben Mucro auslaufend, nie ausgerandet, nicht zweizeilig, sondern auf- wärts gekrümmt und nach oben zusammengebogen, Blatt- narben sehr lange sichtbar, weisslich. Der Charakter der Blätter, wie er sich bei a nur im fructifieirenden Wipfel findet, erstreckt sich bei c über die ganze Pflanze. — Za- pfen cylindrisch. — Auch c zeigt zuweilen Seitentriebe. (bei 544 Kastanitza am Malevo im Peloponnes, Heldr. bei Regel cit.) vulg. @ygıov ékaror. Dies die Form des Südostens: siehe Heldreich 1. eit. und Griseb. spicileg. flor. Rumel. — In allen griechischen Gebirgen sehr verbreitet, auch am Hajion Oros und auf Euboia. Die räumlichen Grenzen zwischen a und c sind noch nicht ermittelt. (v. s.) d. Panachaica Heidreichin schedula. Blätter flacher als bei c, allmälig in eine lange Spitze zulaufend. Zapfen nicht genau cylindrisch, sondern nach oben und unten etwas verjüngt. Auf dem Panachaikon (westlichen Kyllene) ob Patras. Steht der Form e local und in den Charakteren ganz nahe. (v. s.) e. Cephalonica Loudon. Von niedrigerem Wuchs als a, mit verlängerten, auf- wärts gebogenen Aesten und dadurch buschiger Krone. Blätter der jungen nicht fructif. Pflanze flach, scheinbar fast zweizeilig, weich, in eine lange Spitze auslaufend; die des ältern Wipfels starrer mit verdicktem Mucro, der Form c und a sehr ähnlich. Strobilus nachoben und unten etwas spin- delförmig verjüngt. — Insel Cephalonia. (v. v. cult. et s.) Die Formen a und c sind Extreme einer Reihe, inner- halb welcher die Unterschiede schwanken, und die Cha- raktere jeder Form sich partiell bei den andern Formen wieder finden, besonders in den entwickeltern obern Thei- len des Baumes. Auch die Gestalt des Strobilus von e lässt sich einzeln bei a nachweisen (im Schwarzwald). Mit: Recht vereinigt daher Grisebach spicileg. cit. und Heldreich bei Regel cit. sämmtliche Formen zu einer Art. | Den europäischen analoge Verhältnisse zeigen die ja- panischen und amerikanischen Abietes: (Endl. 99 u. f.) so- wohl Pin. firma und Pin. homolepis, als Pin. balsamea ha- 545 ben bald folia obtusa, bald acuta, bald bicuspidata, und auch die Pin. bifida scheint nur eine Varietät zu sein. Es bestärkt dies die oben ausgesprochene Ansicht. Immerhin bleibt es interessant, dass unsere Art nur im Südost ihrer Area variirt, während der Westen bloss die Form a kennt. * Bracteis inclusis. Endi. 2, Pinus Sibirica Turcz. bei Ledeb. flor. Ross. Von Perm und Wologda nach Kamtschatka. (v. v. cult.) 3. Pinus Pinasapo Boissier. Ausser Spanien auch in den Bergen von Kabylien (Cosson nach Boissier 1863 in litt.) in einer etwas abwei- chenden Varietät. Die Angabe des Pinsapo für die Pyre- neen (Philippe flore des Pyren.) ist in Folge der völlig ungenügenden Genauigkeit ihres Autors kaum der Berück- sichtigung werth. Theilt mit den griechischen Tannen den Charakter der starken Blattnarben. (v. v. cult. et s. Auch P. Sibirica zeigt, wie Pinsapo, auf der Oberseite der ältern Blätter den bereiften Anflug in zwei weisslichen Streifen. Il, Picea Link nach Du Roi, #1. Pinus Picea Du Roi observ. nach Plin. Vorkommen auf der Südseite der Pyreneen: siehe Will- komm und Lange prodrom. flor. hisp. 1: Cinca am Fuss der Maladetta nach Lap. — A. C. Costa, programa y resumen de las lecciones botan. 1859 (Barcelona 8°) giebt Locali- täten für Catalonien pag. 251. Diese Art ist eine äusserst constante, und zeigt in ih- rem grossen Verbreitungsbezirk keine wesentliche Varietät. Die Zapfen alpiner Standorte (Wengernalp) sind von zar- terer Textur und schwächerer Ausrandung. (v. v.) 36 2, Pinus orientalis. Linn. Spec. 1421. Nach Ledeb. flor. Ross. IT identisch mit Pinus obovata Endl. syn. 119 und also mit P. obovata Ledeb. fl. Alt. Weitere Untersuchungen (erleichtert durch die von Bourgeau im Mai 1862 ob Trapezunt gesammelte P. orien- talis) müssen zeigen, ob die caucasische und sibirische Form dieselbe ist. Die Art nähert sich viel mehr den amerika- nischen Piceen, als der Pinus Picea Du Roi. (v. v. cult. et s.) III, Larix Link. 1. Pinus Larix Linn. nach Plin. (v. v.) Allen neuen Untersuchungen nach heute nur noch eine Art des Alpensystems (und der Carpathen ?) und nicht im Norden (Ledeb. flor. Ross. III.) 2, Pinus Ledebourii Endl. (v. s.) IV, Cedrus Link nach Plin, Die drei Formen des Himalaya, des Taurus und des Atlas zeigen blosse Habitus- und Dimensions-Verschieden- heiten, und bilden eine von der entwickeltern zur verküm- mertern Form absteigende Reihe. Weitere Forschungen zeigen sicher die specifische Identität. Sehr merkwürdig ist der Dimorphismus der Art: forma glauca und forma vi- ridis an denselben Localitäten. (v. v. cult. et s.) V, Cembra Spach. Samen flügellos. Strobili eiförmig, Diameter im Ver- hältniss zur Länge beträchtlich. | 4. Pinus Cembra Linn. nach Matthiol. (Siehe Willkomm in Tharandt. Jahrb. N. F. VIL) Erst im Alter steigen die Zapfen auf die untern Aeste herab. . 947 Vielleicht die schönsten Exemplare der Schweiz ob Luc im Einfischthal. (v. v.) Es ist immer noch nicht gehörig ausgemittelt, ob die Arve des Alpensystems und der Carpathen, die des eis- und transuralischen Russlands, und die arktische Zwerg- arve (Pinus pumila Regel), welche bis nach Amerika hin- über gehen soll (Ledebour. fior. ross. nach Hook. u. Arn.) bestimmte Unterschiede zeigen. VE, Strobus Spach nach Linn. Samen geflügelt. Strobili lang cylindrisch. * Strobili aufrecht, . d.h. auf dem horizontalen Ast senkrecht aufstehend, kaum gestielt. 1. Pinus Peuce Griseb. spicil. flor. Rum. (Herbar. Boissier, von Griseb. 1842 gesammelt.) Es erklärt sich wohl aus der Seltenheit der Exemplare und der fehlenden Autopsie, dass noch Hildebrand cit. pg. 206 diesen Strobus zu Pinus Cembra ziehen konnte. Für mich steht Pin. Peuce durch ihren lang cylindrischen Za- pfen mit längsgefurchten aber glattpolirten grünlichgelben Apoph., ganz glatten Zweige und vor Allem durch den Flü- gelansatz des Samens der Pinus excelsa Wallich näher als der Pin. Cembra. (v. s.) * Strobili gestielt, hängend. Exotische Arten. VII, Taeda, Endl, 156, Mit Pin. Canariensis Chr. Smith und D. C. sich nahe an Europa hinziehend, und mit derselben Art in einer obern Tertiärschicht einst in Europa (Spanien) vorhanden. Endl. 288. (v. v. cult. et s.) 36* 948 VIII, Pinaster, Endl. 4. Pinus Pinaster Soland in Aiton hort. Kew. (Syn. P. maritima Lamarck dict. non Lambert.) Vorkommen: das Indigenat dieses Baumes ist an man- chen Orten Europas, wo er häufig ist, besonders in den Landes, nicht recht festgestellt. Durieu de Maison-neuve in Bordeaux (9. Dec. 1862) schreibt mir hierüber: Notre sud- ouest est bien pauvre en coniferes, et Yon peut même dire que la seule espèce spontanée qu'il possède se borne au Juniperus communis, bien qu'ou puisse considérer comme spontané le Pinus Pinaster dont l'introduction doit être fort ancienne. Cet arbre existe certainement à l’état spontané dans les montagnes de l'Edough, près Bone en Algérie, et en Espagne. Ueber die leiztern Verkommnisse siehe Will- komm und Lange prodrom. flor. hispan. I. — Die Art geht nicht weiter östlich als bis Dalmatien (Hildebr. 221), und bewohnt überall trockene Berge in der Region der immer- grünen Strauchflora. Blätter 4—5 lang, 1’ breit, meist büschelig am Ende der Zweige stehend, aufrecht (parallel dem Zweig). Za- pfen 4—5 lang, 2-—-3° breit, eikegeiförmig, sitzend, ein- zeln oder wirtelig zu 3, schief abwärts abstehend. Apo- physis, auch unreif und getrocknet, glatt polirt, gelbbraun, durch einen scharfen Kiel quer in eine obere und eine un- tere Hälfte getheilt. Umbo sehr stark hervortretend, zwei- schneidig pyramidenförmig, auf der Unterseite flach, oben mit einem als mucro hervortretenden Kiel markirt, grau und glanzlos, leicht abfallend. — Bei der var. obtusisquama Boissier ist der Umbo weniger erhöht, sonst von gleicher Beschaffenheit. Der Unterschied der Entwicklung der Apoph. nach Licht- und Schattenseite ist beim Pinaster-Strobil. ein sehr beträchtlicher. (v. v.) 549 2. Pinus Heldreichii nob. Blätter 21, bis gut 3‘ lang, schmäler als 1‘, die Zweige tief herab sehr dicht bekleidend (5 Jahrgänge), bogig abstehend. Zapfen 2/2" lang, 1” breit, lang konisch, nach oben sehr verschmälert, gezweit (im Herb. Boissier), wagrecht abstehend, sitzend, Apoph. unreif und getrocknet fein gerillt, quergekielt. Umbo von total anderer Beschaf- fenheit als bei Pin. Pinaster: in eine Vertiefung, deren Rand wulstig erhöht, ist von oben herab ein kleiner, glat- ter und scharfer Mucro hackig eingebogen oder eingesenkt. Dies, sowie der Habitus und der Standort, nähert die Art wesentlich der folgenden, von der sie sich durch die Di- mensionen und die Gestalt der Zapfen sofort unterscheidet. Farbe der letziern purpurbraun. Eine höchst interessante Art, welche als Mittelglied zwischen Pin. Pinaster und Pin. montana es durchaus recht- ‚fertigt, dass Endl. 169 beide letztern unmittelbar an einan- der anreiht. Wahre Gebirgspflanze: von Heldreich 31. Juli 1851 auf dem Thessal. Olympos mit Pinus Laricio, Abies Apol- | linis und Fagus sylvatica gefunden, und Herrn Boissier als Pinus Pinaster? Ait. mitgetheilt. vulg. few ayc. (v. s.) 3. Pinus montana Miller im Sinn von Schlechtendal, Linnæa XXIX, 1857, 375 u. f , also sämmtliche P. Pumilio Hnk. Mughus Scop. rotundata Link. obliqua Saut. uliginosa Wimm. uncinata Ram etc. umfassend. Da Heer dem Vernehmen nach in den Verhandi. der schweiz. naturforsch. Gesellsch. in Luzern 1862 eine Ueber- sicht besonders der schweizerischen Formen dieser Art ge- ben wird, so beschränke ich mich auf folgende Notizen: Willkomms Eintheilungsprineip der Formen (Tharandt. Jabrb. N. F. VII, 166 u. f.) nach der gleich- oder einsei- tigen Entwicklung der Apophysen an Licht- und Schatten- 550 seite und die darauf begründete Aufstellung von drei be- sondern Arten ist um so unsicherer, als nicht nur bei allen P. montana, sondern auch bei den andern Arten der Pi- naster-Gruppe: z. B. sylvestris, Halepeusis, Pinaster etc. Exemplare mit fast gleichseitig entwickelten, und solche mit sehr ungleichseitigen Strobili vorkommen. Consequent müsste Willkomm jede dieser Arten in zwei bis drei wei- tere Species zertrennen. Die Pyrenäische P. uncinata ist mit Unrecht wieder von Griseb. Flora (Regensb.) 1861, Nr. 38 als Art aufge- stellt worden. Ausser durch länger gestielte Zapfen und den hohen Stamm ist sie von Exemplaren des Jura durch- aus nicht zu unterscheiden. Südgrenzen der Art: die Angabe Grisebachs spicileg. von Pinus rotundata Link in Macedonien ist durch das Exem- plar des Autors im Herb. Boissier (1842 als Pinus uncinata Ram. im Scardus gesammelt) nicht bestätigt. Dies gehört evident zu Pinus sylvestris. Spanien: Serrania de Cuenca Willkomm. Guadarrama? (Siehe V. Cutanda, Flora compendiada de Madrid 1861, pg. 618 u. f. unter Pin. Pumilio.) Italien: Apennin von Modena: Link in Linnæa XV, pg- 492. Pinus Pumilio des D. C. Herbar. von Corsica ist Pinus _ Laricio Poir. Bemerkungswerth ist das bis Irland hin sehr verbrei- tete fossile Vorkommen der Art im Torf. In der Schweiz z. B. bei Robenhausen, Canton Zürich, während sie heute überall auf dem schweizerischen Plateau nördlich der Al- pen fehlt. (v. v.) 4. Pinus sylvestris Linn- Eine viel constantere, wenigern Modificationen ausge- setzte Art als die vorkergehende. Zu den von Willk. Tha- 551 randt Jahrb. N. F. VII aufgeführten Unterschieden gegen- über Pin. montana ist noch beizufügen, dass bei P. syl- vestris die Pyramide, falls die Apoph. in eine solche aus- läuft, stets einwärts geschweift ist, d. h. mit concav nach der Spitze zulaufenden Seiten, während bei montana die Pyramide in der Regel bauchig-convex sich verjüngt. (v.v.) Die einzige bemerkenswerthe Form ist: a. nevadensis nob. Im Jahr 1861 von Del Campo in der Sierra Nevada de Granada gesammelt, mit breiten, kurzen, starren, dicht weiss bereiften, den Zweig tief abwärts bedeckenden Blät- tern. Zapfen fast ganz sitzend, schief akstehend, Apoph. der Lichtseite hoch und eingeschweift pyramidal, röthlich grau, glanzlos. Weibliche Blüthen purpurn, kurz gestielt, aufrecht. Letzteres Merkmal stellt die Form dem Typus der P. sylvestris bedeutend fern, und zeigt eine Annähe- rung zu Pin. montana, von der übrigens diese forma ne- vadensis sonst total abweicht. (v. s.) Auffallend ist, dass im Westen, in Spanien, die Art bis an den Südrand von Europa geht, während sie im Osten schon südlich vom Scardus (siehe Nro. 3), also in ganz Griechenland völlig fehlt. (Heldreich in litt.) Ueber das merkwürdige Vorkommen der Art im cen- tralen Scheidegebirge Spaniens gebe ich eine Schilderung von Leresche in litt. 1862: A ce col de Navacerrada tout le dos de la chaîne est occupé par de vastes forêts sur les deux versants. Sur le versant sud la forêt descend moins (pas guère plus d'une lieue ou d’une lieue et demie au des- sous du faite de la chaine) et cesse bientôt à l'Est, mais se prolonge d'avantage à l'Ouest. Sur le versant nord une tres-belle forèt descend jusqu'a la base de la chaîne et presque jusqu'aux portes de la Granja. A peu de distance de la Granja sont quelques scieries, les seules que jaie vues dans tout mon voyage. — La forêt est entièrement 552 composée de Pinus sylvestris d’une belle venue et de haute taille, mais pourtant moins élevés me semble-t-il que ceux des forêts des environs de Darmstadt et d’Eberstadt. Les arbres peuvent avoir en général deux pieds de diamétre à leur base, guère plus. — Au dessus de la zone forestière les cimes sont occupées par toute une zone de Genista pur- gans qui le 8 Juillet était en pleine floraison. Les plus hautes cimes s'élèvent encore au dessus de la zone du Ge- nista, sont dépouillées de toute végétation frutescente, et présentent çà et là quelques nevées. — Quelques Genevriers rabougris sont mélés parmi les Genista purgans. — Je re- descends dans la forêt de Pins; le sol est jonché de frag- ments de pellicules jaunätres couleur cire qui se detachent du tronc des Pins Je n'ai pas remarqué cela dans nos fo- rêts de Pinus sylvestris en Suisse. — Quand on longe la base du Guadarrama ayant à sa droite les plaines (champs) de Ségovie et à sa gauche le versant nord du Guadarrama et derrière soi à l'Est la Granja, une ligne de démarcation artificielle descend du haut du Guadarrama jusqu'à sa base, à l'Ouest de laquelle la forêt cesse entièrement. Le flanc nord de la montagne est depuis là entièrement dépouillé de toute forêt et entièrement nu. La même chose s’observe à l'Est de la Granja. — Depuis la cathédrale de Ségovie on doit très bien voir cela. — Je soupçonne que cette vaste forêt qui couvre le flanc nord du Guadarrama à l'Est et à l'Ouest de la Granja appartient à la couronne et que c’est ce qui l’a sauvée de la destruction; tandis que de droite et de gauche s'étendent d’autres propriétés que la cupidité ou l’imprévoyance ont exploitées jusqu'à ruine complete. — On peut tirer de ce fait la conséquence que tout le flanc nord du Guadarrama serait susceptible de produire de très- belles forêts si on prenait les mesures nécessaires pour cela. 999 5. Pinus Laricio Poiret im Sinn von Grenier et Godron flore franc. HI und Griseb. Flora (Regensb.) 1861, Nro. 38. Trotz der vielen verschiedenen Artennamen der Floren lassen sich nur zwei Hauptformen unterscheiden: a. Die feinblättrige. \ Blätter '% breit, auf dem Rücken sehr convex, mit . kleinen (kaum 2 langen) Strobili. Es ist dies die Form der Pyrenäen und Cevennen, dort mit büschelig gehäuften Blättern am Ende der Zweige. Hoher Baum, Aeste pyramidal, Pin. Pyrenaica Lap. (v. s.) Hier mit Blättern, die die Zweige tief herab gleichmäs- sig dicht bekleiden. Kleiner Baum. Krone rundlich. (Gren. Godr.): Pin. Monspeliensis Salzm., Pin. Salzmanni Dunal. (v. s.) | Die Gestalt und Farbe der Strobili Beider ist sehr oft von der folgenden Form nicht zu unterscheiden. b. Die dickblättrige. Blätter /5—1” breit, derb, meist mit grössern Stro- bili (3° lang). Dahin gehören die sämmtlichen übrigen Larieionen Eu- ropas und Vorderasiens, und es ist unmöglich, eine be- stimmte Formenreihe aufzustellen. Sowohl die Farbe der Samenflügel als die braune Markirung der Innenseite der Schuppen (Endl. syn.), die Wölbung oder Flachheit der obern Hälfte der Apoph. (Griseb. spicil.) und die Starrheit oder Schlaffheit der Blätter erweisen sich als durchaus unbeständig. Folgende Modificationen können allenfalls er- wähnt werden, jedoch ohne dass ich sie als constante be- trachtet wissen will: Spanien: (Riopar. leg. Bourgeau) Blätter starr. Strob. klein, Apoph. sehr convex, sattbraun colorirt. (v. s.) 554 | à Corsica: Blätter schlaffer, oft hin und her gebogen. Strob. falbbräunlich. Apoph convex, stark gekielt. Hoher Baum. (v. v. cuit. et s.) , Apennin: wie vorige, nur der Strob. viel kleiner. (v. v.) Griechische Berge: Blätter starr. Strob. hellgelblich, Apoph. convex, stark gekielt. (v. s.) Oesterreich: P. nigricans Host. Blätter sehr stark. Strob. hell, sehr gross. Apoph. flach. Kiel wenig erhaben. Hoher Baum. (v. v. cult. et s.) Krim: P. Pallasiana Lamb. Sehr entwickelte Form. Strob. sehr gross, sehr hell. Unterseite der Schuppen tief schwarz. Mit deutlich (entgegen Endl. syn.) braun markir- ter Innenseite der Schuppen im Herb. Boissier. (v. s.) Pin. Fenzlii Ant. und Kotsch. vom Taurus. (Exempl. v. Balansa in Herb. Boissier) ist eine kleine Form von Laricio (v. s.) Alle Laricionen (nicht nur, wie Endl. angiebt, P. Py- renaica) zeigen hie und da drei Blätter in einer Scheide, welche dann einen scharfen Rückenkiel haben, als ob sie aus je zwei der sonst ungekielten Blätter zusammenge- wachsen wären. Bei allen Laricionen tritt die untere Apo- physen-Hälfte gegen die obere mehr oder minder zurück: letztere ist erhöht und glatt, erstere concav und der Länge nach gefurcht. Bei allen ist der Umbo eine braungelbe, glänzend glatte Warze mit einem oft sehr spitz hervor- tretenden Kiel auf der Oberseite. 8. Pin Halepensis Mill. (inclus. als syn. maritima Lambert.) Der von Lambert aufgestellte, von Link Linnæa XV, 495, Endl. synops., Griseb. spicileg. und Flora (Regensb.) 1861, Nro. 38, Ledeb. flor. ross. festgehaltene, aber von Hildebr, 227 und Heldreich in litt. mit Recht aufgegebene Unterschied von Pin. Halepensis und maritima ist durchaus 299 unstichhaltig. Er ist kein geographischer: denn Link selbst hat seine P. maritima unter Halepensis bei Genua gefunden (Linnæa cit.) und im Herb. Boissier sind aus Griechenland (Kalliskala etc.) sehr stark gekielte Formen. Auch die Charaktere gehen durchaus in einander über. Die erstern cit. Autoren schreiben der P. Halep. scharf ge- kielte, matte und etwas runzelige Apoph., bläuliche mit dem Strobil. gleich lange (2’) Blätter, der P. maritima unge- kielte, glänzend polirte, radial gestreifte Apoph., grüne, den Strobil. um das Doppelte überragende Blätter zu. Al- lein die Glaucesenz oder das dunkle Grün, die Länge der . Blätter resp. der Strobili, die endständig gebüschelten oder weit herab ansitzenden Blätter, die Politur oder Glanz- losigkeit der Apoph., das Hervortreten oder die Depres- sion des aus kleiner weisslicher Area sich erhebenden Umbo, sowie des Querkiels, und vollends der Mangel oder das Dasein der ganz zufälligen strahligen Risse der Apoph.: Alles dies findet sich an der Riviera di ponente und in Griechenland völlig in und durch einander. — Es ist nicht einmal ein Dimorphismus der Art, wie bei der Ceder, wahr- zunehmen. Während P. Pinaster eine westliche Pflanze, so ist das intensive Centrum der P. Halep. der Orient. Z. B. am Li- banon (Herb. Boissier leg. Gaillardot) kommt eine mächtig entwickelte Form vor, wie sie Europa nicht aufweist, mit 4“ langen Blättern und 3%,‘ langen fast cylindrischen Strobili. Ostgrenze der Art: (Ledeb. flor. ross.) nach Ste- ven und Nordmann in Awhasien am Ostufer des schwarzen Meeres bei Pezunda. Eine sehr extreme (einer flachschuppigen P. maritima des Lambert entgegengesetzte) Form ist die von Riopar in Spanien (Bourgeau) mit gewölbt convexen, scharf gekielten Apoph. und breit ovalem Strobil., der an kleine P. Pinaster mahnt, zugleich mit sehr kurzen Blättern, 17 —1?‘. — Dies 556 ist nach Willk. und Lange prodr. fl. hisp. der Pinaster II hispanicus des Clusius. Endl. 180. Alle Formen des Halep. sind durch den sehr starken, t/,! dicken, bogig zurück gekrümmten Stiel des Strobil. aus- gezeichnet, der schon an der weiblichen Blüthe, wie bei Pin. sylvestris, sehr deutlich ist. (v. v.) €. Pinus Brutia Tenore. Diese sehr ausgezeichnete Art verhält sich zur vor- hergehenden wie P. montana zu P. sylvestris, und Griseb. Flora 1861, Nro. 38, irrt völlig, wenn er sie mit P. mari- tima Lamb. vereinigt. | | Beide Arten, Nro. 6 und 7, gleichen sich in der Be- schaffenheit des Umbo: aus einer weiss bereiften, inmitten der braunen Apoph. eingesenkten Area erhebt sich ein stumpfer, oberhalb schwach gekielter Umbo, bei Nro. 6 oft sehr vorspringend, bei Nro. 7 meist nur in der Blüthe wahr- nehmbar und beim reifen Strobil. ganz obliterirt. — Bei Nro. 7 sind die, Strobili fast sitzend, aufrecht abstehend, oft in grosser Zahl geknäuelt, auch die weibliche Blüthe ist aufrecht, ganz kurz gestielt; Stiel mit langen braunen Schuppen bekleidet, während er bei Nro. 6 nur kurze an- sedrückte Schuppen trägt. — Der Strob. ist rundlich eiför- mig oder eikegelförmig, vorn stumpf, die Apoph. leder- oder tief kastanienbraun, deutlich, aber sehr schwach querge- kielt, eigentlich nur querlinirt, ganz leicht radial gestreift, dabei oft glänzend und am Vorderrande noch mehr, als bei - Nro. 6, zugerundet. An den vielen von mir untersuchten Exemplaren zeigte sich (entgegen Endl. 181) kein Unter- schied zwischen der obern und der untern Apoph.-Hälfte in Bezug auf die Streifung, besonders ist die untere nie longitudinaliter rugosa. Es ist vielmehr ein Hauptcharakter von Nro. 6 und 7, dass die Apoph. einen rundlichen Schild bildet, bei dem die Hälfte unterhalb des Querkiels sich in 957 nichts von der obern Hälfte unterscheidet. Auch ist der Umbo von Nro. 7 nie argutissimus, sondern in der einge- senkten, ziemlich grossen, weissen Area kaum wahrnehm- bar. Endl. scheint eine andere Pflanze, etwa einen Laricio, vor sich gehabt zu haben. Viel richtiger beschreibt Link in Linnæa XV, 497. Die Blätter sind bedeutend grösser und länger als-bei Nro. 6, bis 6° und mehr, mit langen braunen Scheiden bekleidet, viel länger als der 2—3° lange Strob., und auf einem viel mehr als bei Nro. 6 hervorra- senden „Stollen“ (Döll Fler. Bad. 97) am Zweige sitzend. Der Baum ist nach Link cit. viel höher und mächtiger als Nro. 6. Auch hier ist der Orient die eigentliche Heimath der Art. Sehr entwickelte Formen sah ich vom Libanon (Kot- schy) und vom Taurus (Boissier, Tchihatcheff). Der nea- politanische Standort (Baum mit viel kleinern Strobili) wird durch die Insel Creta (Heldreich in Herb. Boissier) mit dem Orient verbunden. (v. s.) IX. Pinea Endl. 1. Pinus Pinea Linn. Auch hier sind die verschiedenen Modificationen (Pi- nus maderensis Tenore, P. Dalmatica Visiani etc.), deren specifische Identität übrigens kaum zweifelhaft ist, noch nicht näher verglichen worden. (v. v. PALÆONTOLOGIE. Beiträge zur Kenntniss der fossilen Pferde . und zur vergleichenden Odontographie der Hufthiere überhaupt. Von Prof. L. Rürmeyer. Das Gebiss von Equus und Hipparion hat in neuerer Zeit durch H. v. Meyer, Kaup, A. Wagner, Quenstedt, Gervais und Hensel schon so viele Bearbeitungen erfahren, dass es schwierig scheint, ferneres darüber beizufügen. Nichtsde- stoweniger sind für Hipparion noch einige Lücken, nament- lich in Bezug auf das Milchgebiss stehen geblieben, wel- che ein mir vorliegendes Material auszufüllen gestattet. Aehnliche Notizen über das Gebiss des diluvialen Pferdes ‘ werden sich passend anschliessen lassen; auch letzteres ist bekanntlich schon vielfältig untersucht worden; allein, wie die Litteratur zeigt, ohne diejenigen, die sich damit be- schäftigten, gerade befriedigt zu haben; es galt im Gegen- theil dieser Gegenstand als ein in mancherlei Beziehung missliches Gebiet. Dieser Vorwurf war auch gerechtfertigt, sofern es sich 999 nur darum handelte, das Auftreten und Verschwinden, die Zahl und Grösse jener Schmelzfältchen abzuschätzen und zu notiren, an welchen der Pferdezahn so reich ist, und welche mit einer peinlichen Manchfaltigkeit in den ver- schiedenen Zähnen desselben Thieres, allein noch mehr in dessen verschiedenen Altersstufen, oder gar in verschiede- nen Individuen und Racen — von Species zu geschweigen zu wechseln scheinen. Allein das Unerquickliche und Klein- liche einer solchen Untersuchung schwindet, ja diese ge- winnt geradezu ein spannendes Interesse, sobald es sich ergiebt, dass diese an sich so geringfügigen Fältelungen der Schmelzlinien grösstentheils einem sehr bestimmten Plane folgen, der durch lange Erdperioden hindurch jeweilen in ähnlicher Weise in zahlreichen „Special“-Formen crystal- lisirte, wie etwa die, freilich durch weit längere Zeiträume verfolgbaren Loben der gekammerten Cephalopodenschalen. Eine solche grössere Bedeutung gewinnen aber jene Schmelzfalten im Gebiss der Pferde, sobald man darin den Betrag auszuscheiden sucht, der dem Individuum und wei- ter der Species angehören mag, und denjenigen, welcher dem Genus oder Collectionen noch höheren Ranges ange- hört. Dies fühlten auch Alle, welche diesem Gegenstand ihre Aufmerksamkeit schenkten, denn wir finden fast jeder Arbeit über denselben eine „Analyse“ des Pferdezahnes vorausgeschickt, zu welcher es schwer wäre, etwas neues beizutragen, sobald man sich, wie dies bisher immer ge- schah, innerhalb der Grenzen des Genus oder doch inner- halb der Grenzen der Familie der Einhufer einschränken wollte. | Wenn ich daher hier als Vorbereitung zu der Dar- stellung der kleinen Abänderungen im Gebiet der Species ebenfalls das Bedürfniss fühle, eine solche Analyse vor- auszuschicken, so meine ich nicht die sorgfältigen Angaben von H. v. Meyer, Quenstedt und Hensel in ihren wesentlichen 560 Theilen zu verbessern, allein es scheint mir nothwendig, diese Analyse über die Grenze von Genus und Familie aus- zudehnen. Allein bei dem ersten derartigen Versuch gewahren wir, wie mächtig sich die Grenzen der Gültigkeit für eine derartige Analyse ausbreiten, und entsteht die Frage: wo hört ihre Anwendbarkeit auf? ‘Vor allem zeigt es sich, dass sie den gauzen Umfang des Huflhieres umfassen muss; allein auch dies genügt offenbar nicht; die berühmten De- batten über die Stonesfield-, Purbeck- und Trias-Säuge- thiere zeigen genugsam, wie sehr ein gewisser Grundplan im Gebiss einer sehr grossen Anzahl von Säugethieren ge- meinsam waltet, und lassen selbst die Möglichkeit offen, dass eine in vergleichender Absicht unternommene Analyse eines Zahnes einer einzelnen Species mehr oder minder . ihre Ergebnisse über alle übrigen Species, ja vielleicht über die gesammte Classe der Säugethiere ausdehnen lasse. Die Entwicklung unserer Kenntnisse über das Zahn- system der Säugethiere folgte bisher, und mit Erfolg, ganz den Regeln der Induction, indem man von engern Kreisen, deren Gepräge sich leicht definiren liess, nur sehr allmäh- lig zu weitern aufstieg; der Typus des Fleischfressergebis- ses, den schon Aristoteles so charakteristisch mit dem Na- men Carcharodont bezeichnete, derjenige des Nager-, des Wiederkauergebisses und noch andere waren trotz der zahllosen kleinen Modificationen jedem Beobachter offen dargelegt. | Allein schon einige heute noch reichlich vertretene Säugethiergruppen boten Uebergänge zwischen jenen Haupt- typen, die ein noch weiter zurückliegendes gemeinsames Band vermuthen liessen; so das Gebiss der sogenannten Omnivoren, carcharodont in seinem Præmolartheil, mery- codont (wenn der Ausdruck gestattet ist) in seinem Molar- theil; das Gebiss der Insectivoren konnte zu ähnlichen‘ 561 Schlüssen führen und bot überdies Brücken zu dem weni- ger scharf ausgeprägten Gebiss des Frugivors, das sogar den Menschen einschliesst. Die Entdeckungen fossiler Säugethiere aus älteren Pe- rioden mehrten diese Verbindungsstufen reichlich, und es fehlt in der darauf bezüglichen Litteratur keineswegs an Versuchen, das Verbindende oder also das Ursprüngliche in dem Charakter des Gebisses herauszufinden. Owen hat vor allem an dem ausserordentlich reichen Material, das ihm zu überblicken vergönnt war, häufig gezeigt, wie „Col- lectiv“-Typen fast in gleichem Maasse zunehmen, als wir ältere Faunen untersuchen. Er hat auch in Bezug auf das Budget des Gebisses im ganzen leitende Gesetze aufgestellt, welche durch seitherige Entdeckungen nicht erschüttert worden sind. !) In Bezug auf die Form oder besser auf die Architec- tur des Gebisses ist diese Aufgabe weit schwieriger; allein es wird wohl kein Palæontolog zweifeln, dass sich auch hier morphologische Gesetze herausstellen werden, welche einst die Einleitung zu jeder Odontographie bilden müssen, und welche voraussichtlich unsere bisherigen Gruppirungen der verschiedenen Ordnungen der Säugethiere wesentlich wervollkommnen werden. | Eine solche Morphologie des Säugethiergebisses zu ge- ben, wird jederzeit nur im Bereich jener Männer liegen, welche von den Zinnen der Wissenschaft das alles unter- thänig nennen können, wovon der grossen Mehrzahl der Arbeiter nur kleine Partikeln zur Verfügung stehen; denn nirgends mehr als hier sichert nur die sorgfältigste Unter- suchung und Manipulirung des Materiales selbst die Rich- tigkeit der Beobachtung, zu welcher Abbildungen nur un- vollkommene Anhaltspunkte bieten. Allein die Bruchstücke 1) Artikel ,Teeth in Todd’s Cyclopædia und an andern Orten. 37 562 zu solchen Aufgaben müssen von den isolirten Arbeitern gegeben werden, welche auf die sorgfältige Ausbeutung kleinerer Gebiete angewiesen sind. Ein solches Fragment mag die folgende Untersuchung bieten, welche ausgegangen ist von der Absicht, auf einem bisher etwas gemiedenen Theile des Arbeitsfeldes, im Be- reich des Pferdegebisses, die Beträge kennen zu lernen, welche der Species, und diejenigen, welche dem Genus, der Familie und fernern Gruppen noch höherer Ordnung angehören. Jeder, der diesen Versuch unternimmt, sei es von dem genannten, zufällig an „Zahninhalt“ sehr reichen Genus oder von irgend einem andern Ausgangspunkte anhebend, wird sich dabei allmählig immer weiter und weiter fort- gerissen fühlen; dass dies auch schon mancher Beobachter empfunden, zeigt die hieher gehörige Litteratur deutlich; Cuvier, Owen, H. v. Meyer, offenbar die sorgfältigsten Ar- beiter auf diesem Gebiete, haben die der vorliegenden Un- tersuchung zu Grunde liegenden Principien sehr häufig an- gewendet; Belege dafür lassen sich aus den Ossemens fossiles, der Odontography etc. reichlich anführen, ja man darf wohl zugeben, dass jeder Palæontolog sich bei seinen Arbeiten dadurch leiten liess; allein es scheint, dass gewisse Schwie- rigkeiten bald da bald dort von weiterer Ausdehnung die- ser Principien zurückschreckten, uud man könnte in vielen palæontologischen Werken die Steine des Anstosses ‘genau namhaft machen; immer wieder sieht man von einer wahr- ‘haft vergleichenden Odontographie zur blos descriptiven zurückkehren; hieraus erklärt sich auch wohl allein, dass man fast nirgends ein offenes Geständniss der doch ange- wendeten Grundsätze und daher auch nicht eine Durchfüh- rung der anzuwendenden Methode antrifft; nur H. ». Meyer legt dieselbe unverhohlen dar in der Schrift über die fos- silen Zähne von Georgensgmünd , die jedem angehenden 563 Palæontologen als reiche Fundgrube von Rath und als Mu- ster gewissenhafter Untersuchung die trefflichsten Dienste leisten wird. Allein auch dort bleibt H. v. Meyer nach vorzüglicher Vergleichung des Zahntypus von Pachydermen an dieser Gruppe stehen und führt die Vergleichung nicht weiter, weder auf die in derselben Schrift abgehandelten schweineähnlichen Thiere, noch auf die Wiederkauer oder Fleischfresser. Wenn nun auch die vorliegende Arbeit sich zunächst auf das Gebiet der Hufthiere vorzugsweise beschränkt, so hoffe ich doch, dass sie die Einheit des Zahntypus durch eine sehr grosse Reihe von Säugethieren dem sorgfältigen Beobachter zur Evidenz bringen und zur weitern Ausbil- dung einer vergleichenden Odontographie beitragen werde. Nur eine kleine Abtheilung von Säugethieren besitzt die bei den Oviparen vorherrschende einfache Kegel- oder . Cylindergestalt des Zahnes als ausschliessliche Zahnform; es sind dies alle diejenigen, welche sich gleichzeitig auch durch Mangel des Zahnersatzes auszeichnen, die Monophyo- donten Owen’s; man könnte sie gleichzeitig ,Homæodonten* nennen; Linne's Cete und Bruta. Alle Diphyodonten besitzen mehrere Zahnarten, oder sind gleichzeitig „Anisodont“. Allein eine kleine Abthei- lung derselben besitzt nur zwei Zahnarten, indem nicht nur die Backzähne einer Reihe unter sich mehr oder weniger ähnlich sind, sondern auch die Zähne des Oberkiefers den- jenigen des Unterkiefers analog zu sein scheinen, sei es direct, wie wenigstens scheinbar bei dem Elephant, sei es indirect, so dass aussen und vorn an Oberkieferzähnen sich verhält wie innen und hinten an Unterkieferzähnen, wie oft bei Nagern. Bei ihnen sind überdies die Zähne bereits häufig in- 347 964 dividualisirt, so dass nicht nur der vorderste und der hin- terste in der Reihe eine ihnen speciell zukommende Form besitzen, sondern häufig auch die Zwischenzähne. Auch die Architectur des Gebisses ist diesen zwei sonst so weit aus einander stehenden Ordnungen, den Nagern und den Rüssel- trägern, gemeinsam, indem die Backzähne aus einer Anzahl von queren Schmelzriffen bestehen, welche entweder nur an der Wurzel, oder auch am Aussen- oder Innenrand des Zahnes mit einander in loserer oder engerer Verbindung stehen, dergestalt, dass sie ein Zickzackband bilden. Dass diese Querriffe hie und da in quere Höckerreihen zerfallen, wie bei Mastodon, Rattus etc., ändert an dem Typus nichts; auch das nicht, dass einzelne Bänder gelegentlich in Gipfel aufragen, wie etwa bei Arctomys, oder gar durch mehr- fache Verbindung der Bänder Einstülpungen entstehen, wie bei Stachelschweinen. Man könnte daher diesen Typus mit dem Namen der Elasmodonten bezeichnen. ') Alle übrigen Zahnformen bilden einen dritten Typus, der demnach die grosse Mehrzahl der Säugethiere ein- schliesst, Linne’s Primates, Feræ, Belluæ (wenigstens z. gr. Th.) und Pecora. Dieser Typus beruht darauf, dass die Unterkieferzähne von denjenigen des Oberkiefers verschie- den sind. Beide bestehen zwar aus zwei Querjochen, allein dieselben sind an den Oberkieferzähnen durch eine Aussen- wand verbunden, an den Unterkieferzähnen entweder iso- lirt oder aber bandartig verbunden, durch halbmondartige Krümmung der Querjoche nach vorn, wobei dann der hin- 1) Ich zweifie nicht, dass sich der Typus des Nagerzahns einst auf den beim ersten Anblick davon so verschiedenen der übri- gen Säugethiere zurückführen lasse. Das von Hensel beschrie- bene fossile Genus Pseudosciurus (Zeitschr. d. deutschen geol. Ges. 1856) wird dabei eine wichtige Rolle spielen. Dermalen muss ich aber die Nager ganz aus dem Bereich meiner Be- trachtung lassen. 569 tere Halbmond auf der Aussenseite des Zahnes an den vor- dern anstossen kann. Da es schwer ist, in Einem Wort die Verschiedenheit der obern und untern Zähne auszu- drücken, so gebe ich, nach der Architectur des Gebisses, dieser Gruppe den Namen Zygodonten, Jochzähner. Dass hier neben der Differenzierung der Oberkiefer- und der Unterkieferzähne auch deren Individualisirung den höchsten Grad erreicht, drängte sich so sehr auf, dass man früh in jeder Zahnreihe nicht nur Molaren und Præmola- ren, sondern auch einen Reisszahn und so fort unterschied; es geschah dies in ganz berechtigter practischer Absicht, al- lein man schien darüber hier und da zu vergessen, dass ja ur- sprünglich alle Zähne jeder Reihe als Derivate des in den hin- tern Backzähnen in der Regel am treusten bewahrten Ty- pus nachgewiesen werden können. Die Kenntniss des Genus Anoplotherium musste diese Anschauung sogar bis auf sämmtliche Zähne jedes Kiefers ausdehnen; ähnliche Belege lieferten eine ganze Menge erst später bekannt gewordener fossiler Säugethiere (namentlich unter den Anoplotherioiden und Toxodontia). Allein selbst an lebenden Thieren führt das Gebiss mancher Insectivoren, sowie unter den Herbi- voren dasjenige einiger Moschusarten zu derselben Be- trachtung. Trotz der Verschiedenheit der ganzen Architectur kön- nen nun die speciellen Faltungen des Zahnkörpers ähnliche, d. h. parallele Resultate erzielen bei Elasmodonten und Zy- godonten, wie dies Owen schon andeutete, ohne diese zwei Gruppen aus einander zu halten, indem er das Gebiss von Hystrix und Aguti eine Wiederholung des Rhinoceros-Ty- pus nennt, dasjenige von Meriones und Orycteromys mit Hippopotamus, jenes von Dipus mit dem Wiederkäuergebiss vergleicht. ') 1) Odontography p. 408. 566 Diesem angedeuteten allgemeinen Plan der Zygodonten entziehen sich nun auffallender Weise nicht nur einzelne Genera, wie Pteropus, Desmodus unter den Fledermäusen, sondern selbst grössere Gruppen wie die piscivoren Rob- ben; die erstern erscheinen fast als eine Reduction des In- sectivorengebisses zu der Einfachheit der Bruta, die letz- tern als ein Anschluss der Carnivoren an die carnivoren Cetaceen. Allein man darf kaum zweifeln, dass einst ge- rade diese scheinbaren Ausnahmen, die vom physiologischen Standpunkt aus ganz richtig als Anpassungen der Zahnform an die Nahrung betrachtet werden, eher die eben aufge- stellten empirischen “Gesetze bestätigen als widerlegen werden. ‚Alle diese Modificationen des Gebisses im Bereich der placentalen Säugethiere scheinen endlich auf der Linie der Implacentalien ihre besondere Vertretung zu finden. Der leitende Factor bei allen Modificationen des Zahn- baus liegt in dem eben berührten einfachen physiologischen Zwecke, die Form des Gebisses der jeweiligen speciellen Ernährungsweise in engster Weise anzupassen; und diese Absicht sehen wir hauptsächlich erreicht durch die in ver- schiedenem Grade und in verschiedener Weise erzielte Menge der Resistenzpunkte der beiden Kauflächen. Als einfachstes Mittel hiezu dient die Erhebung des Zahnes in Hügel, wodurch nicht nur seine Oberfläche im Allgemeinen vermehrt, sondern namentlich die Ausdehnung der als Resistenzmittel fast allein in Betracht kommenden "Schmelzbänder um bedeutendes vergrössert wird. Bei Fleischfressern, deren obere und untere Zähne grösstentheils wie Scheerenblätter neben einander vorbei gehen, und also die Nahrung zerschneiden oder zerreissen, wirkt dabei stets nur ein kleiner Theil des Zahnes, ja so- gar nur der Molaren, unmitielbar auf den gegenüberstehen- den Zahn, und entstehen daher Usurflächen, für welche eine 567 grosse Ausdehnung des Schmelzbandes von Belang sein könnte, entweder gar nicht oder nur sehr spät. Ausgedehntere Hügelbildung mit reichlicherer Berüh- rung der Kauflächen und daher ausgedehnteren Usurflächen, charakterisirt die Zahnbildung der frugivoren Zygodonten (Primates). Bei Pflanzenfressern, deren obere und untere Zähne durch seitliche Bewegung des Unterkiefers über einander her geführt werden und also in reichlicher gegenseitiger Berührung stehen, ist diese Oberflächenvermehrung von noch grösserem Belang. Allein dazu kömmt hier überdies eine bei dem Fleischfresser durchweg fehlende Rückstülpung des Schmelzüberzuges in den Zahnkörper hinein, durch welche bei Abtragung des Zahnes die Ausdehnung des fast allein resistenten Schmelzbandes auf sehr einfache Weise ver- doppelt wird. Diese Einstülpung, welche an Schneidezähnen des Pfer- des in einfachster Weise verwirklicht scheint, tritt indes an Backenzähnen nicht so direct auf, sondern wird, je nach der Art der Berührung, bei verschiedenen Genera verschie- den, gleichsam nur Schritt für Schritt erzielö durch eine einfache Modification des oben beschriebenen wesentlich aus queren Jochen aufgebauten Zahngerüstes der Ungula- ten; dergestalt, dass die Querjoche mehr oder weniger halbmondförmig sich umbiegen. An obern Backzähnen erfolgt diese Biegung nach rück- wärts und endet damit, dass sich beide Joche hinten wie- der an die Aussenwand des Zahnes anschliessen, von der sie vorn ausgegangen sind; an Unterkieferzähnen biegen sich die Querjoche stets nach vorn um, und rollen sich, da keine Innenwand da ist, schliesslich selbst bis zu auffal- lenden Graden einwärts. Von dem Maasse dieser Umbiegung der Querjoche oder 568 von dem Grade der Hafbmondbiegung hängt auch die Aus- dehnung, der Raum der kauenden Schmelzbänder ab; oder mit andern Worten, es ist jenes Maass gleichzeitig dasjenige des mechanischen Werthes eines Zahns. Unter den Omnivoren ist in der Regel der Typus des Carnivors im vordern, derjenige des Herbivors im hintern Theil der Backzahnreihe ausgeprägt, wobei der zygodonte Typus entweder unverändert festgehalten (Tapire) oder durch Auflösung der Joche in Hügelpaare (ähnlich wie bei Frugivoren) modificirt ist (Schweine). Die letzte Bildung führt dann schon bei Hippopotamus, allein in weit höherem Grade bei Mastodon und Proboscidea überhaupt wieder zum elementarern Elasmodonten-Typus zurück. Beim carnivoren, frugivoren, herbivoren und omnivo- ren Gebiss ist demnach eine und dieselbe Grundform des Zahnes, ein Allen gemeinschaftliches Gerüst nach verschie- denen Weisen modificirt wieder zu erkennen. Der Nach- weis davon ist an obern und untern Molaren von passend gewählten Beispielen nicht schwer; Erinaceus, Didelphys, Procyon wären etwa als solche zu nennen für die erste Gruppe, Lemur für die Primaten, Moschus für den Wieder- käuer, Tapir und Babirussa für den Dickhäuter. Schwieriger ist allerdings die specielle Verfolgung die- ses Grundplans dnrch die grosse Zahl der Einzelformen hindurch, namentlich da, wo der grössere Theil des Ge- bisses nur weit modificirte Partikeln dieses Grundplans auf- weist, wie vor allem bei Carnivoren. Allein die genaue Vergleichung des Zahntypus von Species zu Species lässt jene Grundform nichtsdestoweniger überall erkennen; und die aufmerksame Vergleichung von Zahn zu Zahn im Ge- biss gewisser Genera mit wenig individualisirten Zahnfor- men, wie vor allem Anoplotherium, Dichodon, Pliolophus, allein unter lebenten Thieren auch Moschus, Erinaceus, Dicotyles, zwingt selbst die am weitesten abweichenden 569 x einzelnen Zahnformen als letzte, obschon nur stufenweise erreichte Ableitungen der Grundform anzuerkennen. Für die Beurtheilung der Caninen und Incisiven hat diese Generalisation einen sehr untergeordneten rein ide- ellen Werth. Allein für das Studium der Backzähne trägt diese Anschauung unmittelbare und reichliche Früchte; sie dient als sicherer Wegweiser bei der Untersuchung neuer Formen, als Ausgangspunkt bei deren Vergleichurg mit schon bekannten; würde sie auch nur zu einer gemeinsa- men Diagnostik und Sprache auf diesem Gebiet führen, so wäre schon dieser Gewinn ein nicht geringer. Trotz der ursprünglichen Verschiedenheiten von Ober- kiefer- und Unterkieferzähnen von Zygodonten verfolgen diese Modificationen in beiden Zahnreihen, wie wir sehen werden, denselben Plan; ich durchgehe diesen Plan in sei- nen verschiedenen Stufen weniger nach einer streng sy- stematischen Ordnung, da es sich hier nicht um ein Lehr- buch der vergleichenden Odontographie handelt, als in einer Reihenfolge, die sich für den vorliegenden Zweck empirisch praktisch gefunden hat. Obschon die Belegmittel dazu in jedem guten Kupferwerk gefunden werden, als deren vor- züglichste und vollständigste die Osteographie von Blain- ville und der Atlas von Gervais immer obenan stehen, so citire ich doch jeweilen zu Handen des Lesers auch die vereinzelten guten Abbildungen, welche bei dieser Unter- suchung mit Nutzen untersucht werden können. 210 1, Oberkiefer. A. Hintere Backenzähne. Den Pian des Hufthierzahns in einfachster Form, das mechanische Moment in seinem Minimum bieten die Genera Tapir, Lophiodon') und Coryphodon?); wir finden hier eine mehr oder weniger in Hügel sich erhebende Aussenwand, von welcher zweiquere Joche, dasVorjoch und das Nachjoch, ziemlich rechtwinklig nach innen abgehen; die letztern sind ziemlich gleichwerthig beim Tapir, während bei Lophiodon und noch mehr bei Coryphodon das Vorjoch das vorwiegende ist, das Nachjoch das geringere, ja bei Coryphodon eigentlich nur aus dem Hinterhügel der Aussenwand gebildet scheint. Zwischen beiden Jochen liegt das vordere Querthal, hinter dem Nachjoch die Bucht oder das nach hinten offene hin- tere Querthal. | Der Schmelzbänder sind also drei, wovon das äussere longitudinal, während zwei innere mehr oder weniger recht- winklig davon nach innen treten. Eine zweite Stufe bilden Rhinoceros und Hyraxz, auch Nesodon*); wenn dieses letztere nicht etwa dem elasmo- donten Typus des Nagers eher als dem zygodonten des Hufthiers angehört. Die Querjoche sind hier schief nach hinten gerichtet und gewinnen also an Länge; ja das Nach- joch zeigt in der Jugend bereits eine ganz deutliche Halb- mondbiegung nach hinten; dasselbe Joch sendet überdies verschiedene Seitenzweige aus, wodurch das Schmelzband 1) Blainville Ostéographie. Gervais Paléontol. Ferner meine „Eo- cânen Säugethiere“ (Denkschriften d. schweiz. Gesellschaft für Naturwiss. Band XIX, 1862). 2) Hébert Ann. Sc. nat. 4e Ser. T. VI, 1857. 8) Owen Philos. Transact. 1853. 571 noch mehr ausgedehnt wird, und beide Joche schwellen an ihrem innern Ende in starke Kegel oder Innenpfeiler an, welche bei Chalicotherium dann fast das ganze Querjoch absorbiren (ein Uebergang zu der vollständigen Auflösung der Querjoche in Hügel bei Paridigitata non ruminantia). Noch weiter geht Palæotherium und Titanotherium , in- dem sich hier beide Querjoche haibmondartig nach hinten biegen. S. unten Fig. 1, Tab. I (wo durchgehends A die Aussenwand, B das Vorjoch, C das Nachjoch bezeichnet). Beide Querthäler werden dadurch mehr oder weniger, doch das hintere in stärkerm Grade, abgeschiossen und halb- mondförmig in die Längsrichtung gedrängt. Auf der Höhe der Halbmondkrümmung schwellen beide Joche so sehr an, dass die Verbindung mit der Aussenwand sehr untergeord- net bleibt; namentlich ist dies der Fall beim Nachjoch, das an jungen Zähnen fast ganz von der Aussenwand getrennt ist. Mit Palæotherium hat gewissermassen die Ausdehnung der Schmelzbänder ihr mögliches Ende, die grösste Aus- dehnung erreicht, da die bei Rhinoceros angedeutete Ver- ästlung derselben, so viel wir bis jetzt wissen, auffallend wenig weiter geführt wird. Dafür sehen wir innerhalb des Umfangs des frühern Cuvier schen Genus Palæotherium zwei neue Modificationen des Planes auftreten, von welchen die eine dann weiter verwerthet wird in der Reihe der Wiederkauer, die andere in der Reihe der Pferde. Den Ausgangspunkt für den Typus der Wiederkauer bietet schon Palæotherium curtum und das Subgenus Palo- plotherium Owen dadurch, dass sich der Innenpfeiler b als selbstsiändiger Hügel vom Vorjoch B ablöst '). Diese Ab- trennung ist noch vollständiger bei Anoplotherium (Fig. 2), 1) Unangeschliffene Zähne, welche dies schon deutlich zeigen, habe ich dargestellt in Fig. 58 der Eocänen Säugethiere. 972 wo auch die Halbmondbildang der beiden Joche stärker ausgesprochen ist als bei irgend einer Species von Palæo- therium. Noch vollkommener ist die Halbmondbildung bei Di- chobune und unsern heutigen Wiederkäuern, welche durch Moschus aquaticus sich eng an Dichobune anschliessen. Klei- nere Complicationen des Wiederkauertypus bietet hier die Neigung zur medianen Spaltung der Aussenwand (Alces, Giraffa. Owen Odontogr. PI. 134, Fig. 6. 7.), sowie die Wie- dereinführung der bei Rhinoceros schon erwähnten Veräst- lung der Querjoche (allgemein bei Cervina, selten bei Cavi- cornia). Wichtiger ist das Schicksal des vorderen Innenpfeilers b von Anoplotherium, welcher hier zu der Basalwarze an der Oeffnung des vorderen Querthals reduzirt zu sein scheint, wie dies auch von Owen angenommen worden ist (Odontography p. 532). Doch gilt dies nur für die Bovina, wo diese accessorische Säule fast die ganze Länge des Zahnes einnimmt und deutlich von dem vorderen Halbmond ausgeht. S. unten b, Fig. 4. Eine andere Bedeutung hat dagegen die in seltenen Fällen selbst eine Säule bildende innere Basalwarze der Cervina x, Fig. 3, sowie die ähnlichen Bildungen, welche zerstreut bei Antilope und nur ausnahmsweise auch bei Ziege und Schaf vorkommen, wovon ich Beispiele an dem aus den Pfahlbauten so reichlich mir zugeflossenen Mate- rial sah. Wir sehen nemlich bei Dichobune ‘) zwar den isolir- ten Hügel von Anoplotherium noch sehr deutlich, ja bei einer Species ist selbst eine Trennung des hintern Quer- jochs angedeutet (Eoc. Säugeth. pg. 76), allein diese Tren- 1) Eocäne Säugethiere Fig. 77. 79. Gervais Fig. 12, Pl. 35. 573 nung des Vorjochs wird gleichsam wieder zurückgenommen, indem hier offenbar der Innenhügel wieder zum Halbmond wird. Dafür besitzt Dichobune einen Basalwulst, der in eine Mittelwarze an der Oeffnung des Querthales anschwillt, und diese Mittelwarze bildet sich dann stärker aus bei den er- wähnten Wiederkauern, vornehmlich den Hirschen, wo sie meist deutlich wie mit zwei Wurzeln von beiden Halb- munden entspringt, und daher auch oft zwei getrennte Usur- “flächen trägt (x Fig. 3); sie unterscheidet sich auch durch ihre freie Stellung von dem mit dem vordern Halbmond eng vereinigten Säulchen der Bovina. Ein schwacher Basal- wulst umzieht übrigens, ähnlich wie bei Dichobune, an kräf- tigen Exemplaren von Cervus Elaphus nicht selten den gan- zen Zahn. Dass bei Wiederkauern häufig, besonders an jüngern Zähnen, der hintere Halbmond nur mit dem hintern Horn sich an die Aussenwand anschliesst, während das vordere frei auszugehen scheint, kann die Analogie desselben mit dem Nachjoch von Lophiodon nicht stören, da Palæothe- rium oder auch tiefere Durchschnitte am Wiederkauer selbst das ursprüngliche Verhalten wieder herstellen. Eine zweite Reihe von Zahnbildungen, welche in den Pferden culminirt, ist dadurch eingeleitet, dass das, was bei Anoplotherium am Vorjoch geschah, sich auch am Nach- joch einfindet. Den ersten Anfang davon gewahren wir, ebenfalls innerhalb des alten Genus Palæotherium, bei An- chitherium; beide Querjoche schicken hier auf der Hälfte ihres Verlaufes einen Bogen nach hinten, wodurch beide Innenpfeiler isolirt werden. Wir erwähnten soeben, dass eine Spur dieser Trennung auch bei Dichobune zu finden ist, und ich sah sie selbst an grossen Zähnen von Ano- plotherium commune, wo eine kleine selbstständige Spitze auf der Mitte des Nachjoches stand, allein so vorüber- gehend, dass ihre erst selbstständige Usur bald einschmilzt 974 in das quere Schmelzband. An Anchitherium ist dies Ver- halten von längerer Dauer. ‘) Deutlich ausgesprochen ist dies indes erst bei Pferden, und zwar in nicht sehr verschiedener Art sowohl bei Equus als Hipparion, wobei auffallender Weise Hipparion dem ihm nach jetziger Kenntniss chronologisch näher verwandten Anchitherium ferner steht als Equus. An jungen Pferdezähnen ist deutlich, dass die obern Backzähne sich von denjenigen des Anoplotherium in Wahr- heit nur durch Ablôüsung auch eines hintern Innenpfeilers wesentlich unterscheiden. Der noch unangeschliffene Zahn Fig. 5, sowie sein oberflächlicher Durchschnitt Fig. 9 stel- len dies dar; noch besser der Keim eines Milchzahnes Fig. 11. Wir finden hier wieder den selbstständigen In- nenpfeiler b vom Vorjoch B abgelöst, als Repräsentant des Innenhügels b von Anoplotherium, oder des Innensäulchens b von Bos. Dies wurde auch von frühern Beobachtern an- erkannt (Owen Odontography Pg 573). Allein man über- sah meist, dass eine ganz ähnliche Innensäule c auch vom Nachjoch sich ablöst (s. bes. Fig. 11); dies finde ich nur bei Cuvier bemerkt, der in d. Oss. foss. I, pt. 1, Ed. de 1822, pg. 104 hierüber sagt: Au reste cette forme de cou- ronne, tout en se rapprochant des ruminans, ne s’eloigne pas autant du rhinocéros, qu'ont pourrait le croire; elle peut aussi se réduire à une colline longitudinale externe (Aussenwand) et à deux collines transversales (Querjoche) qui envoient chacune un crochet en arrière. = Die beiden Querthäler, wovon das vordere an jungen Zähnen immer offen ist (Fig. 5. 9. 11, auch an D. 3, Fig. 12), schliessen sich dann in der That zu isolirten Schmelzinseln ab, wie Owen bemerkt (a. a. O. p. 573), allein streng ge- 1) Eocäne Säugeth. Fig. 59. Z. v. Meyer Georgensgmünd Taf. VIII. Leidy Anc. Fauna of Nebraska Pl. 11. 575 nommen liegt der Eingang des hintern Thales unmittelbar hinter der Innensäule c und bleibt bis in hohe Altersstufen als offene Bucht am hintern Zahnrand sichtbar bei £, ähn- lich der ebenfalls bleibenden Oeffnung & des vordern Quer- thals. Der Abschluss der hintern Schmelzinsel erfolgt da- durch, dass von der Aussenwand her eine schwache Falte dem Hinterjoch entgegen kömmt, wie schon bei Palæothe- rium. Wäre dies nicht der Fall, so bliebe das hintere Quer- thal noch an einer zweiten Stelle offen, unmittelbar an der Aussenwand, wie häufig bei Wiederkauern (1. Fig. 3 Cer- vus. — Fig. 3, Pl. 13% Odontography Alces). Führen wir die Analyse des Pferdezahnes zu Ende, so zeist sich die vollkommene Parallele zwischen Vor- und Nachjoch auch an deren schliesslichem Endpunkt. Beide setzen sich nämlich nach Abgabe des Innenpfeilers b. c (Crochet, Cuvier) noch fort und rollen sich dabei nach aussen und vorn um; dadurch entstehen die zwei Schmelz- falten 2. 2, welche in die Tiefe der beiden Schmelzinseln absteigen und selbst noch an ältern Zähnen sichtbar sind (2. Fig. 8. 9. 11. 12). Allein an derselben Stelle, wo diese Umrollung beginnt, geht auch ein Sporn nach aussen ab (3. Fig. 7. 11. 12); am Nachjoch endet derselbe frei, am Vorjoch schliesst er sich an eine ihm vom Nachjoch ent- segenkommende Falte an, wodurch dann das vordere Quer- thal abgesperrt und in zwei Hälften getrennt wird, wobei, wenigstens bei Equus Caballus, dieselbe Falte überdies im- mer noch frei in den so abgesperrten Thalausgang hinein- ragt (3. Fig. 8. 11). Eine vollkommen gleiche Gabelspaltung der hintern Enden beider Querjoche ist an jungen Zähnen von Cervus virginianus, Alces und mehrern fossilen Hirschen vollkom- men deutlich ausgebildet, weniger dagegen bei Cervus Ela- phus; ja bei Cervus virginianus geht diese Verästlung selbst fast so weit, wie bei Hipparion gracile, indem jede der 576 : beiden Endfalten sich noch für sich verästelt. Hipparion mediterraneum bleibt dagegen auf der Stufe von Cervus Elaphus, Capreolus und Equus stehen. Schliesslich finden sich zwei kleine Falten, ebenfalls in den Hintergrund der beiden Thäler oder der beiden Schmelzinseln absteigend, nahe am Ausgangsort der beiden Querjoche; diejenige des Nachjochs ist stets schwach an- gedeutet; weit stärker diejenige des Vorjochs, welche bis in hohe Altersstufen sichtbar bleibt (4. Fig. 7. 8. 9. 11). Auch diese finde ich bei Hirschen wieder, am deutlichsten beim Reh. Es geht hieraus hervor, dass nicht nur die beiden In- nenpfeiler b. ce, sondern auch alle die aufgezählten Schmelz- fältchen 1, 2. 2, 3.3, 4. 4 nicht etwa dem Pferd allein zu- kommen, sondern häufig wiederholte Eigenthümlichkeiten des zygodonten Oberkieferzahnes sind. Nur das darüber noch hinaus gehende ist generisches oder specifisches Ei- genthum der Pferde, und dies reducirt sich bei Equus Ca- ballus auf einen sehr geringen Betrag, auf kleine Kräuse- lungen der Schmelzbänder namentlich an den Hörnern der beiden halbmondartigen Schmelzinseln. Eine Stufe weiter als Equus geht nun endlich Hippa- rion durch weit grössere Isolirung des vordern Innenpfei- lers b, während der hintere Innenpfeiler c sich vollkommen wie beim Pferd verhält. Dann erreicht auch die Kräuse- lung der Schmelzlinien hier höhere Grade als beim Pferd, obschon auch hier wohl zu trennen ist zwischen dem spe- ciellen Eigenthum von Hipparion und dem auch den Hir- schen und andern Wiederkauern zukommenden Antheil; an den genauen Zeichnungen, die Hensel für Hipparion giebt, lässt sich diese Ausscheidung leicht vornehmen; man sieht dabei, dass alle grösseren Falten den oben auch für die Wiederkauer vindicirten entsprechen, und dass der für das Genus Hipparion bleibende Antheil blos in stärkerer Zick- 27% zackfaltung dessen besteht, was auch bei Equus schon angedeutet ist. An sehr abgetragenen Zähnen von Hipparion mediter- raneum reducirt sich dies fast auf Null, indem schliesslich fast nur die auch dem: Wiederkauer zukommenden Falten zurückbleiben. Es liegt nicht in dem Plan dieser Arbeit, den zygo- donten Zahntypus mit gleicher Einlässlichkeit auch durch seine übrigen Modificationsreihen zu verfolgen. Doch bin ich schuldig seine grosse Ausbreitung, weit über Ungulata und Herbivora hinaus, nachzuweisen. Am leichtesten ist dies bei den omnivoren Hufthieren, bei welchen die Oberllächenvermehrung nicht durch Ver- läugerung und Verästlung der Schmelzbänder, sondern durch eine Auflösung des Zahnes in Warzen zu Stande kömmt, welche bei Phacocherus einen kaum zu übertreffenden Gipfel erreicht. Auffallender Weise finden wir hier wieder eine Ano- plotherium-Reihe und eine Anchitherium-Reihe, je nachdem die Auflösung in isolirte Hügel nur das Vorder- oder beide Querjoche betriitt. Hyracotherium ‘und Pliolophus wiederholen die Bildung von Anchitherium, da ihre beiden Querjoche unterbrochen sind. (Owen Trans. Geol. Soc. 2. ‚Ser. Vol. VI. Quart: Jour- nal 1858.) Rhagatherium verbindet .dann diese Gruppe mit der folgenden. (Pictet Vert. du Terr. &ocere.) Hyopotamus entspricht dagegen der Anoplotherium-Reihe durch Unterbrechung des vordern Querjochs bei integrität des hintern. (Eocäne Säugeth. Fizs. 64. 65. Gervais Pl. 12 und 32.) Und in dieselbe Rubrik darf man füglich auch die Genera Cheropotamus, Anthracotherium, . Entelodon und Ar- chæotherium bringen, obschon bei. ihnen auch das Nachjoch an seinem: Ursprung einen kleinen Höcker trägt, doch von so geringer Bedeutung, dass eine besondere Usurstelle nur 38 978 höchst vorübergehend entsteht. (S. darüber die bekannten Tafeln bei Cuvier, Blainville, Gervais, Owen, dann Bayle Bull. Soc. Géol. 1855, Pl. 22. Gastaldi Accad. di Torino 1858, PI. 8. 9. Leidy Anc. Fauna of Nebraska PI. 8. 9). Eine dritte Reihe, die wir bisher vermissten, enthält die Gruppe der Schweine. Sie wird eingeleitet durch Pa- leocherus, welches sich durch Integrität des vordern Quer- jochs und Auflösung des Nachjochs von der vorigen Reihe unterscheidet. Von den vier Hügeln der obern Backzähne entsprechen die zwei äussern der Aussenwand; von ihr gehen zwei quere Joche ab, wovon das vordere, anfänglich mit continuirlichem Usurstreif, etwa wie bei Rhinoceros rasch zu dem vordern Innenpfeiler führt; das hintere, an- hebend in der Mitte der zwei Aussenhügel, ist offenbar unterbrochen und bildet eine niedrige Warze mitten im Zahn, die sich aber schief nach hinten in den hintern Innenhügel fortsetzt. Dies Verhalten finde ich weit deut- licher, als es Fig. 1, PI. 33 bei Gervais und die Original- fisur bei Pomel Bull. Soc. géol. 1847 vermuthen lässt, an einem vortrefflich erhaltenen Oberkiefer von Palæochærus typus aus Aarwangen, den ich in den Verhandl. d. Basler Naturf. Ges. v. Jahr 1861 kurz beschrieben habe. Dasselbe Resultat ergiebt sich für das Gebiss von Sus, Dicotyles, Porcus und offenbar auch für den wenig modifi- cirten Zahn M. 2 von Phacocherus. Die beiden Querjoche sind an den drei erstgenannten Genera noch gut zu ver- . folgen; von der Vorderseite der beiden Aussenhügel ent- springend, ziehen sie sich sehr schief nach hinten und cul- miniren in den zwei Innenhügeln, welche bei den lebenden Species von Sus den Aussenhügeln ziemlich gegenüber ste- hen, dagegen mehr nach hinten gerückt sind bei den ter- tiären Arten; ein leicht davon zu unterscheidender Basal- kranz umzieht den Zahn von vorn an und bildet die ac- cessorische Innenwarze, welche also derjenigen der Hirsche 519 und nicht etwa der accessorischen Schmelzsäule der Bo- vina homolog ist? Von den zwei Querjochen ist nun das vordere offen- bar weit weniger unterbrochen als das hintere, das immer die schon bei Palæochærus erwähnte mehr oder weniger unabhängige Warze mitten im Zahn bildet, welche noch bei hohen Stufen der Abtragung deutlich sichtbar ist. Bei Phacocherus bleibt sogar diese Mittelwarze nebst dem hin- tern Innenhügel am längsten von der übrigen Dentinfläche isolirt. S. Fig. 2, Pl. 141. 142 Odontography. Fig. 4. 6. 9, Pl. 34 Philos. Transact. 1850. il. Ich glaube daher die lebenden Schweine mit Recht in die Reihe von Palæochærus setzen zu dürfen. Bei Hippohyus und Hippopotamus ist die Spur der que- ren Kanten, welche bei den Schweinen die vier noch aus einander stehenden Zahnhügel verbinden, verloren gegan- gen durch dichtes Aneinanderlagern, ja gegenseitige me- diane Abplattung der zwei Hügelpaare, welche nun nicht mehr deutlich in ein äusseres und ein inneres, sondern nur noch in ein vorderes und ein hinteres gruppirt sind. Durch Halitherium und die lebenden Sirenida schliesst sich dann Hippopotamus an die Reihe der homæodonten Cetaceen an. Ich bin ausser Stand zu beurtheilen, inwiefern die Bil- dung von median getrennten queren Kämmen bei Hippopo- tamus vielleicht als Brücke zu den ähnlich gebildeten Back- zähnen von Mastodon zu betrachten ist. Allein es scheint, dass wenigstens die vordern, zweiwurzligen und vertical ersetzten Backzähne von Mastodon, und dann in diesem Fall gewiss auch wenigstens der vorderste, zweiwurzlige Backzahn von Elephas eine Weiterbildung des Typus der Schweine sei; es würden dann nur die wurzellosen und horizontal vorschreitenden hintern Backzähne, ähnlich wie der letzte von Phacochærus, dem Typus der Elasmodonten 38* 9 80 ähnlich, allein noch keineswegs identisch sein. Sogar der letzte Backzahn von Elephas indicus ist von der Grundform, wie sie etwa bei Lophiodon vorliegt, kaum weiter entfernt, als der so sehr carnivore Eckzahn von Lophiodon selbst; und dass letzterer eine Reduction des vierwurzligen und cubischen Backzahnes sei, darüber lässt das Gebiss‘ von Anoplotherium, Dichodon, Rhagatherium ete. keinen Zweifel. Es scheint auf den ersten Blick zu weit gegriffen, wenn man das Zahnsystem der Carnivoren von dem soeben durch- gegangenen Plan, der bei Herbivoren in so mannigfaltiger Weise durchgeführt ist, ableiten will; allein dennoch finden sich der Verbindungsfäden so viele, dass man an einer sol- chen directen Formverwandtschaft nicht zweifeln kann. Owen hat schon auf die Analogien zwischen Cheropotamus und plantigraden Carnivoren hingewiesen (Odontography pg. 554); allein es scheint mir, dass sämmtliche omnivoren Ungulaten eine Mittelstufe bilden zwischen den typischen Herbivoren und den typischen Carnivoren, in weiterer Linie zwischen Ungulata und Unguiculata. Die Bildung der Pr&- molaren, Caninen, Incisiven bei der grossen Abtheilung der Schweine ist ein kräftiger Beleg hiefür. Allein auch die Molaren dieser Thiere lassen sich nicht schwer nach den Höckerzähnen der Fleischfresser hin verfolgen. Den Uebergang vermittelt zunächst, wohl noch besser als die heutigen Omnivoren, die in mehrfacher Beziehung interessante Gruppe von Adapis, Aphelotherium, Rhagathe- rium, Chasmotherium. An Adapis vor allem finden wir be- reits die obern Molaren ausgezeichnet durch sehr bedeu- tende Reduction des hintern Innenpfeilers und durch starke Abtrennung des vordern Innenpfeilers, der sich schliesslich zu der mehr oder minder scharfkantigen Aussenwand ver- hält wie ein innerer stumpfer Talon. Gerade hierin liegt aber der Charakter der oberen Höckerzähne von Carnivo- ren; dieselben besitzen die zweigipflige Aussenwand und 531 den vordern Innenpfeiler des Hufthiers (den abgetrennten Hügel b von Anoplotherium) in wohl ausgebildetem Masse, allein daneben auch noch, nur auf weit geringere Dimen- sionen redueirt, den hintern Innenpfeiler; wie an Procyon, Nasna, allein auch noch am Hund sehr deutlich ist. Bei Vergleichung der obern Backzähne von Procyon und Rhagatherium kann man sich der Parallelisirung der beiden Innenhügel des einen mit denjenigen des andern Genus nicht entziehen; und von Procyon führt dann eine weitere Reduction des hintern Innenhügels und eine Ver- stärkung des Basalwulsts bald zu Canis und übrigen Car- nivoren. Für die Insektenfresser und die insektenfressenden Fle- dermäuse ist derselbe Nachweis etwa an Erinaceus und Ves- pertilio nicht schwer zu leisten, und die letzten führen dann sogleich weiter zu den Makis unter den Primaten und bis zum Mensch; die Backzähne von Lemur sind im We- sentlichen nur durch die zwei Basalansätze der Innenseite von denjenigen von Vespertilio und selbst von Sorex ver- schieden. Dagegen. entbehren sowohl die grabenden, d. h. die Insektenfresser im engern Sinn, als die flatternden, so- wie auch die Makis des bei den frugivoren Affen und beim Mensch erst wieder auftretenden hintern Innenpfeilers. Al- lein wie dieser Zahntheil beim Carnivor überhaupt sehr schwach angedeutet war, so finden wir ihn auch nur als kleinen Anhang der hauptsächlich aus Aussenwand und vor- derm Innenpfeiler bestehenden Zahnkrone bei höhern Affen und beim Mensch. Doch giebt es bekanntlich sowohl platt- als schmalnasige Genera, bei welchen die Zahnkrone aus vier ziemlich symmetrisch ausgebildeten Hügeln aufge- baut ist. 582 B. Vordere Backenzähne. Währenddem die Zähne zweiter Zahnung bei den Na- gern sich nur insofern von denjenigen einmaliger Bildung unterscheiden, als sie, entsprechend ihrer Stellung am vor- dern Ende der Zahnreihe, häufig eine ähnliche Reduction (z. B. Arctomys) oder wenigstens eine keilförmige Verjün- gung des Typus der Mittelzähne darstellen (z. B. Castor), wie dies hier und da der hintere Schlusszahn in umgekehr- ter Weise thut, ist eine Formverschiedenheit zwischen Mo- laren und Ersatz-Præmolaren bei zygodontem Zahnsystem bekanntlich weit häufiger. Cuvier und Owen unterschieden in dieser Beziehung unter den Hufthieren zwei Gruppen, wovon die eine, etwa durch das Pferd belegt, durch Gleichförmigkeit sämmtlicher Kieferzähne des erwachsenen Alters sich auszeichnet, wäh- rend in der andern, wie dies die Wiederkauer zeigen ‘), die Ersatzzähne Hälften ihrer Vorgänger oder auch von Mola- ren darstellen; und schon früh wurde die für die Palæon- tologie so werthvolle Uebereinstimmung bemerkt, welche zwischen diesem Verhalten der Zahnform und der Bildung von Hand und Fuss besteht; die erste Abtheilung schien die Hufthiere mit unpaarigen funktionellen Fingern, die zweite die paarigfingrigen zu enthalten. ?) Dehnen wir nach obiger Betrachtung den zygodonten Zahntypus über die Grenze der Ungulata aus, so muss auch das Verhalten von Molaren zu den Præmolaren berücksich- tigt werden. Eine eben so einlässliche Nachweisung des Schicksals der typischen Constituentien des Backzahns durch die Reihe der Vorderzähne ist hier überflüssig, da uns, wie früher 1) Cuvier Oss. foss. IV, 7. 2) Owen Art. „Teeth“ Todd’s Encyclop. 583 bemerkt wurde, die Analyse des Gebisses bei Anoplothe- rium, Dichodon, Nesodon etc. eine ununterbrochene Modifi- cation eines und desselben Zahntypus von dem hintersten Backzahn bis zum vordersten Schneidezahn in einer Weise vor Augen führt, welche an sich schon den tiefen Eindruck hinterlassen muss, dass auch hier ähnliche Gesetze der Oeconomie und Harmonie walten, wie sie seit dem mor- phologischen Studium der Blattkreise von Blumen in einer grossen Zahl von Fällen nachgewiesen worden sind, wo Organe von identischer Structur — sei nun ihre Form oder Function noch so verschieden — bei grösserer Anzahl auf Einen Organismus sich ausgestreut fanden. Wir können uns daher begnügen, die Gruppen anzu- geben, in welchen die Præmolaren entweder mit den Mo- laren identisch sind, oder durch das Fehlen dieser oder jener Bestandtheile des ursprünglichen Budgets: davon ab- weichen. 1. Eine erste Reihe bilden die Genera mit identi- scher Zusammensetzung von Molaren und Præmo- laren. Besitzt auch dabei immer jeder Zahn kleine indi- viduelle Eigenthümlichkeiten, welche ihm seine bestimmte Stelle in der Zahnreihe zuweisen, so folgen doch alle we- sentlich demselben Typus, und selbst die davon scheinbar entferntesten, wie in den meisten Fällen der vorderste, stellen nur weit gehende Reductionen eines ganzen Back- zahnes dar. Es enthält diese Reihe nur vier noch heute lebende Genera, Tapirus, Hyrax, Rhinoceros, Equus.. Allein nur bei den drei ersten lässt selbst P.4 noch alle wesent- lichen Zahntheile erkennen, während dieser Zahn bei dem Pferd ausserordentlich verkümmert ist. Unter den fossilen Genera gehören hierzu Palæotherium (wahrscheinlich init allen seinen Unterabtheilungen) nebst Hipparion. Da bei den erwähnten lebenden Genera auch die Milch- 58% zähne dem Plan der bleibenden Zähne folgen, und sich nur durch gestrecktere Gestalt und etwas unregelmässigere Bildung, namentlich im vordersten Milchzahn (Reduction am Oberkiefer, grosse Ausdehnung am Unterkiefer) von letztern unterscheiden, so ist wohl der Schluss gerechtfer- tigt, dass dies auch bei den zu dieser Reihe gehörigen fos- silen Geschlechtern der Fall sein werde. Eine auffallende Abweichung zwischen Milchzähnen und bleibenden Zähnen bieten nur die Pferde, indem bei ihnen häufig die Milch- zähne des Unterkiefers Basalwarzen besitzen, welche den Molaren und Præmolaren abgehen. Nichtsdestoweniger gilt im Allgemeinen für diese ganze Reihe der kurze Ausdruck M = | Eine fernere Reihe bilden die Formen mit redueirten Præmolaren. Sie umfasst alle übrigen Zygodonten; al- lein diese Reduetion ist auf sehr verschiedene Weise er- reicht. 2. Bei einer zweiten Gruppe verkümmert nemlich in den Præmolaren das hintere Querjoch der Molaren, und jene bestehen wesentlich nur aus der Aussenwand und dem vordern Innenhügel. Unter den heutigen Genera ist diese Gruppe vertreten durch die Schweine. Hier sehen wir bei Dicotyles am letzten Prämolarzahn die hintere Zahnhälfte noch vollkommen ausgebildet, wenigstens bei Dicotyles la- biatus, schon weniger bei Die. torquatus; allein die vordern Zähne zeigen, namentlich bei letzterer Species, den hintern Zahntheil in seiner Innenhälfte immer mehr reducirt, bis endlich am vordersten Zahn selbst der vordere Innenhügel fast gänzlich fehlt. Dicotyles labiatas nähert sich also mehr der Gruppe von Rhinoceros und Pferd, Picotyles forquatus mehr den Wiederkauern. ') Genauer ausgedrückt bestehen 1) Auf diesen Unterschied zwischen beiden Arten Dicotyles machte ich aufmerksam in dem Aufsatz über lebende u. fossile Schweine 85 also die Præmolaren von Dicotyles aus seitlich comprimir- ten Molaren, wobei indes zuerst der hintere Innenhügel, und erst an P. 3 von Die. torq. auch der vordere Innen- hügel mit der Aussenwand verschmilzt. Bei Sus ist es schwerer zu entscheiden, welcher Zahn- theil den Prämolaren fehlt; allein venn man viele Gebisse in verschiedenen Altersstufen untersucht, so überzeugt man sich, dass der hinterste Præmolarzahn die ganze Aussen- wand besitzt nebst dem vordern Innenhügel. An den wei- ter vorn in der Reihe stehenden Zähnen schwindet dann auch dieser, und ist der hintere Basalwulst dann um so stärker entwickelt. I | Eigenthümlich verhält sich in dieser Beziehung das Schwein von Berkshire, das beiläufig gesagt mit der von Gray und Bartlett aufgestellten japanischen Art, Sus pliei- ceps, identisch zu sein scheint, ') indem hier der letzte Præ- molarzahn auffallend stark verkürzt und die hintere Zahn- hälfte fast ganz unterdrückt ist; noch mehr ist dies der Fall bei Porcus, dessen vorderster Backzahn dann endlich nur noch aus einer comprimirten Zacke besteht, die wesentlich aus der Aussenwand gebildet ist. Auch Phacochærus gehört hieher, wie P. 1 uns zeigt, während an den vordersten Zähnen die Aussenwand in Warzen zu zerfallen scheint. Für Hippopotamus unterliegt dies keinem Zweifel. Unter den fossilen Genera gehört dahin die ganze Gruppe der Lophiodonten, ferner die Genera Ayracotherium,?) Rhagatherium, Plolophus, dann Anfhracolherium, Hyopotamus, Basler Verhandl. 1857, Heft IV. Was ich dort Talon nannte, ‚besteht eben aus. der rudimentären Hinterhälfte des Zahns und dem vordern Innenhügel. 1) Proc. Zool. Soc. London 1861, p. 263. Ann. and Magaz. of Nat. Hist. May 1862, p. 411. 2) Mit Ausschluss von Hyracotherium siderolithicum Pietei Ver- tébrés du Terrain éocène PI. IV, wenn nicht die daselbst ab- 586 Chæropotamus, Paleocherus, Agriochærus, Archæotherium, En- telodon, Adapis, sowie wahrscheinlich noch eine Anzahl mit den vorigen verwandte Genera, deren obere Backzähne noch nicht bekannt sind. m | | Eine höchst auffallende Ausnahme scheint in. dieser langen Reihe nur Coryphodon zu bieten, wo nach der Dar- stellung von Hébert‘) die Præmolaren aus der hintern Hälfte der Molaren aufgebaut sind. Allein es scheint mir nicht unwahrscheinlich, dass auch hier die Pr&molaren doch das vordere Querjoch der Molaren nebst deren Aussenwand enthalten, und also auch Coryphodon in die Rubrik der Lo- phiodonten gehöre. Die Bildung der Milchzähne des Oberkiefers scheint bei der eben besprochenen Gruppe’ in einer sehr .eigen- thümlichen Weise von derjenigen ihrer Ersatzzähne abzu- weichen. Der hinterste Milchzahn ist hier häufig, vielleicht selbst durchgehend, eine Wiederholung von Molaren, so bei den lebenden Schweinen und. beim. Flusspferd,; allein auch unter fossilen Thieren bei Lophiodon (Eocäne Säugeth. Fig. 40. 45— 47), Anchilophus (Gervais Pl. 35, Fig. 18). In den vordern Milchzähnen schwindet, wenigstens beim: Schwein und Flusspferd, zuerst der vordere Innenhügel (an D. 2), dann auch der hintere Innenhügel (an D. 3), und verschmel- zen gleichzeitig die beiden Aussenhügel in eine einzige Zacke, so dass die zwei vordersten Milchzähne der Aus- senwand von Molaren entsprechen. 3. Eine dritte Reihe wird eingeleitet: durch Anoplo- therium. Der hinterste Præmolarzahn bildet hier einen ein- fachen geschlossenen Halbmond (vergleiche unten Fig. 13, P. 1 dextr. mit Fig. 2, M. 1 dextr.); man sollte glauben, gebildeten zwei vordersten Zähne des Oberkiefers Milehzähne sind, was nicht wahrscheinlich scheint. 1) Ann. Sc. nat. 4. Ser. T. VI. 587 dass er dem ähnlich ausgebildeten, d. h. dem hintern Halb- mond seines Nachbars M. 1 entspreche; allein diese Deu- tung wäre offenbar unrichtig. Der Zahn P. 1 entspricht vielmehr hauptsächlich der vordern Zahnhälfte von M. 1, denn er besitzt den abgelösten Innenpfeiler b dieser Hälfte, wenn auch nur in der sehr reducirten Form eines nach vorn und innen absteigenden Sporns oder Schmelzkante b. Fig. 13. Die hintere Hälfte von M. 1 ist an P. 1 unter- drückt bis auf eine ganz geringe Spur, die nur noch eine Art von Basalwulst darstellt. C. Fig. 13. — Weit stärker ist dieser rudimentäre Halbmond ausgebildet an dem zweit- letzten Præmolarzahn (C. Fig. 14), sowie an dem dritt- letzten (Fig. 2, Pl. XLVI der Oss. foss.). Dabei scheint die Aussenwand, wenn auch sehr verkürzt, doch in ihrer Gesammtheit in diesen Zähnen vertreten zu sein, da sonst ihre an allen Præmolaren sichtbare Mittelkante, welche ja in den beiden Hälften der Aussenwand von Molaren voll- ständig fehlt, keine Erklärung fände.') Ein ähnliches Er- gebniss bietet Anoploth. (Chalicotherium) sivalense. (Falco- ner Proc. Geol. Soc. 1856) und Anoploth. grande (Blainville Anopl. PI. IM. Obgleich an Volumen und Form Molarhälften entspre- chend, sind daher die Præmolaren von Anoplotherium nichts- 1) In Pl. XI der Oss. foss. III, Fig. 3 stellt K denselben Zahn dar, wie unsere Fig. 13. Der Sporn b, das Rudiment des iso- lirten Innenpfeilers an M. 1 ist gut dargestellt, wie auch der scheinbare Basalwulst. Allein dazu steigt eine Falte in die Mitte des Zahns hinab, welche ich an Originalien bisher noch nicht gesehen habe. Sie scheint die Anwesenheit eines hintern Halbmonds zu bestätigen; um so mehr wäre also auch in den Præmolaren die ganze Aussenwand repräsentirt. In Fig. 6 der- selben Cuvier’schen Tafel, welche P. 1 sin. darstellt, fehlt indes jene Innenfalte, erscheint aber wieder in Fig. 6, Pl. IX (P. 2 oder 3 sup. dext.) 588 destoweniger wesentlich aus Aussenwand und Vorjoch von Molaren gebildet, mit unterdrücktem Nachjoch; nach vorn hin dominirt dann die Aussenwand fast ausschliesslich, bis endlich im vordersten Backzahn und den davon nur durch Reducirung der einen Wurzel verschiedenen Caninen und Incisiven alle Spuren der beiden Querjoche unterdrückt sind: Noch concentrirter erscheint wenigstens der hinterste Præmolarzahn bei Xiphodon, Amphitragulus, Oreodon, sowie bei einer grossen Zahl unserer heutigen Wiederkauer, na- mentlich den Cavicornia. Allein auch hier wäre eine Vergleichung von Præmo- laren mit Hälften von Molaren unrichtig; den Schlüssel zur richtigen Beurtheilung des gegenseitigen Verhältnisses ge- ben namentlich die Hirsche. | Wie in der grossen Mehrzahl der Hufthiere ist aueh hier der hinterste Ersatzzahn, P. 1, der relativ kürzeste der ganzen Oberkieferreihe, ja in dem vorliegenden und vielen andern Fällen ist dieser Zahn selbst der absolut kürzeste und scheint wirklich einem halben: Molarzahn durchaus gleichwerthig zu sein. Untersuchen wir indes ei- nen solchen Zahn im unverletzten Zustand, bevor er. das Zahnfleisch durchbrochen hat, so sehen wir auch hier, dass er einem vollständigen Molarzahn entspricht, an welchem nur die hintere Hälfte sehr reducirt und mit der vordern verschmolzen ist. ig Ein solcher Zahn, P. 2, ist unten in Fig. 15 darge- stellt, und zwar aus derselben rechten Seite des Oberkie- fers, wie der Anoplotheriumzahn Fig. 13, so dass also die directe Vergleichung möglich ist, sowie auch mit dem Mo- larzabn (M. 2) desselben Thieres, Cervus Elaphus, der in Fig. 3 dargestellt ist. Hier finden wir, dass die Aussen- wand des Prämolarzahns Fig. 15 allerdings zum grössern Theil der vordern Hälfte der Aussenwand von Fig. 3 ent- spricht, und auch deren Mittelkante trägt; allein das hin- Ÿ 589 _ tere Drittheil der Aussenwand in Fig. 15 entspricht der hintern Zahnhälfte von Fig. 3 und besitzt auch, obschon nur sehr schwach angedeutet, eine Mittelkante. Eine vor- stehende Schmelzkante bezeichnet auf der convexen (iu- nern) Seite der Aussenwand genau die Grenze zwischen den beiden ursprünglichen Zahnhälften. Noch deutlicher ist diese Concentrirung der beiden Hälften von Molaren auf der Innenseite des Zahns. Auch hier:ist der vordere Halbmon: von Molaren durch die vor- dern zwei Drittheile des scheinbar einzigen Halbmonds des Vorderbackzahns repräsentirt, während das letzte Drittheil dem hintern Querjoch angehört. Von den zwei Schmelz- falten, welche in die ungetheilte Höhlung des Zahns hin- absteigen, gehört die grössere und hintere dem Nachjoch an, als dessen vorderes Horn, die kleinere und vordere dem Vorjoch; sie entspricht der ähnlichen Falte in der Vorderhälfte des Molarzahns, deren Natur oben erörtert worden ist. Die genaue Grenze zwischen vorderer und hin- terer Hälfte ist auf der Innenseite des Zahns bezeichnet durch eine scharfe Kante, welche den Zahnrand erreicht mitten zwischen den zwei soeben genannten Schmelzfalten. An den noch weiter nach vorn stehenden Præmolar- zähnen der Hirsche findet sich dann an der Stelle, wo die kleine accessorische Schmelzfalte der vordern Zahnhälfte anhebt, der vordere Halbmond eingeknickt und selbst mit der Aussenwand verbunden, so dass der irügerische Ein- druck entsteht, als ob hier die Innenseite des Zahns in einen vordern kleinern und einen hintern grössern Halb- mond zerfalle. So bei Cerphus Elaphus und noch täuschen- der bei Oreodon Culbertsoni (Leidy Fauna of Nebraska PL IN, Fig. 1). Auch das Verhalten der Wurzeln von Præmolaren spricht für die obige_Deutung dieser Zähne. Es gilt also als Resultat für sämmtliche Wiederkauer, dass ihre Præ- 590 molaren nicht etwa ausschliesslich, sondern nur vorzugs- weise den vordern Hälften der Molaren entsprechen, wäh- rend die hintern Hälften der letztern reducirt als undeut- lich abgegrenzter Anhang der Vorderhälften erscheinen. Zur Darlegung dieser Verhältnisse wurde absichtlich ein leicht zugängliches Object, das Gebiss vom Hirsch be- nutzt. Allein einen noch deutlichern Beleg für die obige Anschauung liefert Moschus moschiferus, wo der hinterste Præmolarzahn, obschon im Verhältniss zu Molaren nicht weniger verkürzt als bei Cervus, doch noch weit merkli- cher die gesammte Aussenwand von Molaren enthält, in- dem auch die hintere Mitteikante sehr deutlich ist. Die javanischen Moschusarten, sowie höchst wahr- scheinlich auch das senegambische Moschusthier, dessen Ersatzgebiss ich nicht kenne, weichen dann insofern von der Art des asiatischen Continentes ab, dass nur der hinterste Præmolarzahn noch dem heutigen Wiederkauer- typus folgt; die zwei vordersten Præmolaren bilden schnei- dende Zacken wie bei Anoplotherium und wie bei diesem wesentlich nur aus der Aussenwand von Molaren gebildet, vielleicht mit angeschmolzenen Theilen des Vorjochs; im letzten Fall wären diese Zähne auch den vordern Præmo- laren der Schweine gleich gebildet. Die Uebereinstimmung, welche im Verhalten von Præ- molaren bei Anoplotherien und heutigen Wiederkauern sich ergab, ist in dem Milchgebiss dieser Thiere weit weniger scharf ausgesprochen. Anoplotherium, Dichobune, Moschus aquaticus und Kanchil verhalten sich nemlich in Beziehung auf das Milchgebiss vollkommen wie die Schweine. Das kleine Moschusthier von Sierra Leone bietet hier den Aus- gangspunkt für die Beurtheilung der wenig bekannten Milch- bezahnung von Anoplotherioiden. Der Schädel, der mir von jenem merkwürdigen heutigen Wiederkauer vorliegt, sowie ein Schädel gleichen Alters von Moschus (Tragulus) — 591 Kanchil aus Java, besitzt im Oberkiefer fünf sichtbare Zähne, den hintersten erst im Durchbruch begriffen; im Un- terkiefer ebenfalls fünf, allein oben und unten mit einer schon sichtbaren Alveole eines hintersten sechsten Zahnes. Der drittvorderste Zahn des Unterkiefers erweist sich durch den Besitz zweier Halbmonde sofort als hinterster Milch- zahn und lässt nach seiner Stellung zu der Zahnreihe des Oberkiefers auch mit Sicherheit den hintersten Milchzahn des letztern erkennen; eine Vergleichung mit Hirschschä- deln gleichen Alters sichert die Beurtheilung vollends und zeigt, dass auch Moschus aquaticus an beiden Kiefern drei Milchzähne besitzt. Der hinterste derselben entspricht voll- kommen einem Molarzahn, mit dem kleinen aber höchst wichtigen Unterschied, dass er auf dem vordern Querjoch einen kleinen Zwischenhügel besitzt, der nur um weniges enger mit dem Innenpfeiler dieses Joches verbunden ist, als an dem entsprechenden Zahn im Milchgebiss von Ano- plotherium secundarium (Oss. foss. HI, Pl. LVIIE, Fig. 6. Pl. XLIV, Fig. 5. Pl. XLVII, Fig. 13), der, wie wir sehen werden, im Cuvier'schen Text p. 396 unrichtig als M. 1 be- zeichnet ist. Der zweite Milchzahn von Moschus aquaticus ist von dreieckiger Gestalt und besteht aus einer durchaus norma- len Hinterhälfte eines Molarzahns und aus einer m die Längsachse des Kiefers gestellten Vorderhälfte; er besitzt eine sehr lange schneidende und zweizackige Aussenwand, deren vorderstes Drittheil beurtheilt werden könnte als ein vorderes Querjoch, das statt nach innen, nach vorn gewen- det ist, allein wohl richtiger als eine stärkere Ausbildung der bei Molaren nicht fehlenden vordersten Schmelzfalte der Aussenwand angesehen wird, so dass das vordere Quer- joch diesem Zahn in Wahrheit abgeht, vollkommen wie beim Schwein. Der vorderste Milchzahn besitzt nur eine dreizackige Aussenwand, mit welcher ein rudimentäres 992 \ Nachjoch so eng verbunden ist, dass seine Usurfläche, mit derjenigen der Aussenwand vollständig verschmilzt, wie- derum entsprechend dem analogen Zahn im Milchgebiss des Schweines. Moschus; (Tragulus) re folgt bis ins Einzelste die- ser Darstellung. Durchaus dasselbe Verhalten finden: wir nun in den an- geführten Abbildungen des Milchgebisses von Anoplothe- rium secundarium und in dem von Blainville abgebildeten, aber sehr unrichtig beurtheilten Schädel von Dichobune le- porina (Anoploth. Pl. VI) '), welcher sich in der gleichen Altersstufe befindet, wie unser Schädel von Hyemoschus und Tragulus, und sich von dem letztern lediglich durch den Besitz eines fernern, vordersten Milchzabnes D. 4:un- terscheidet, der noch mehr comprimirt ist, als D. 3 von Hyemoschus. Da nun D. 4 bei Dichobune leporina durch eine kleine Lücke von D. 3 getrennt ist, so lassen die Cu- vierschen Abbildungen von Anoploth. secundarium im Zwei- fel, ob diese Species einen vierten Milchzahn besass; sollte dies nicht der Fall sein, so entspricht das Milchgebiss die- ser Species so vollkommen demjenigen der genannten Mo- schusarten, dass ein Palæontolog durchaus gerechtfertigt wäre, welcher, fände er das letztere fossil, es einer kleinen Anoplotheriumart zuschreiben würde; die erwähnte Cuvier- sche Abbildung Pl. LVHI, Fig. 6 ist in der That eine treue, etwas vergrösserte Darstellung des Milchgebisses von Mo- schus aquaticus. Da nun auch das Milchgebiss des Entenkiefers des se- negambischen Wiederkauers demjenigen. der. verglichenen Species von Anoplotherium durchaus gleich. ist, und über- dies durch Falconer und Cautley bekanut ist, dass auch das 1) Der Text, Anopl. pg. 59, schreibt dies Gebiss einem erwach- senen Thiere zu. 593 Skelet des erstern im Bau der Extremitäten mit Anoplo- therium übereinstimmt,‘) so liegt uns hier in ähnlicher Weise, wie dies mehrere fossile Säugethierformen thun (Merychippus Leidy etc.), unter lebenden Thieren ein Fall, vor, wo Typen, welche sonst nur in historisch weit aus einander stehenden Formen bekannt waren, in dem Ent- wicklungsplan Einer Species vereinigt sind, denn die Mo- laren von Moschus aquaticus entsprechen den Molaren heu- tiger Wiederkauer und nicht denjenigen von Anoplotherium und Dichobune. Agassiz hat solche Typen synthetische ge- nannt, allein während er dieselben theilweise auch gleich- zeitig prophetische nennt, weil sie Combinationen enthal- ten, welche erst später in ihren einzelnen Theilen besonders verwirklicht werden, bieten Moschus aquaticus, Merychip- pus etc. Beispiele von umgekehrtem, nicht prophetischem, 1) Dies bezieht sich indes nur auf den Metacarpus, nicht aber auf den Metatarsus, und noch weniger auf Carpus und Tarsus, welche letztern bei dem erwachsenen Hyemoschus durchaus wie beim Wiederkauer gebaut sind. Allein man sollte glauben, dass in der Periode, welche das beschriebene Milchgebiss uns dar- stellt, auch der Metatarsus und das Os scaphocuboideum ge- trennt waren; um so auffallender ist es, dass dem nicht so ist; an dem Skelet von Tragulus Kanchil, welchem der be- nutzte Schädel mit Milchgebiss angehört, verhält sich Tarsus und Metatarsus schon mehr wiederkauerartig als an der allem Anschein nach erwachsenen Extremität von Hyemoschus, wel- che Blainville abbildet (Anoploth. Pl. IV). Die zwei mittlern Metatarsalknochen sind nur an ihrem untern Ende noch schwach getrennt, ähnlich wie etwa beim Lama, und der Tarsus besteht in Wahrheit nur aus drei Knochen, Calcaneus, Astragalus und einem dritten, der schon jetzt eine vollständige Verschmel- zung von Scaphoideum, Cuboideum und einem oder vielleicht zwei Cuneiformia darstellt, ein Scapho-cubo-cuneiforme, wel- ches überdies alle Lust zeigt, auch mit dem Metatarsus eine unbewegliche Verbindung einzugehen. 39 994 sondern memorativem Charakter, unzweideutige en gen an eine Stammform. Das eben geschilderte Verhalten an Be und .Tragulus lässt nun umgekehrt und, wie mir scheint, mit vollständiger Sicherheit auf die verglichenen Anoplotherium- arten zurück schliessen, und bestätigt die Bezeichnung des hintersten Zahnes in den angeführten Abbildungen bei Cu- vier als D. 1 und nicht als M. 1. Ebenso ist es wohl ge- stattet anzunehmen, dass auch die übrigen Anoplotherium- Arten nebst Xiphodon sich in dieser Beziehung gleich verhalten werden wie Anoplotherium secundarium, wenn überhaupt diese Species nicht, wie mir äusserst wahrschein- lich scheint, nur den Jugendzustand von Anopl. commune darstellt (der Unterschied beruht schliesslich nur in der srossen Annäherung der zwei vordern Innenspitzen an den untern Backzähnen von A. secundar.), eine Annahme, die bekanntlich schon Blainville aufgestellt hat, der auch (in Pl. I, Anoplotherium) den Unterkiefer von Anopl. secun- darium Cuv. nebst dem jugendlichen Unterkiefer von Anopl. comm. Cuvier unter dem gemeinsamen ersten Namen zu- sammensiellt. Die übrigen Wiederkauer der Gegenwart (sowie ohne Zweifel auch die ganze Zahl der ihnen ähnlichen fossilen Wiederkauer) haben anders gebildete Milchzähne. Am deut- lichsten sehen wir hier wieder beim Hirsch, dass seine Milchzähne den Molaren gleich gebildet sind und also aus ‚zwei wohlausgebildeten Zahnhälften bestehen; nur der vor- derste Milchzahn weicht hievon insofern ab, als an ihm die hintere Zahnhälfte etwas verkümmert und mit der ungestört entwickelten vordern inniger verbunden ist, ohne indes da- bei irgend einen ihrer wesentlichen Theile zu verlieren; auch ist diese Verkürzung von D. 3 oder die Verkümme- rung seiner Hinterhälfte weit geringer als etwa an P. 1, selbst geringer als an P. 3, welchem er sonst sehr ähnlich 595 sieht. — Grösser ist dagegen die Verkürzung von D. 3 auf Kosten seiner Hinterhälfte bei Cavicornia; und erreicht ein Maximum bei den Camelidæ, vor allem bei dem Lama, des- sen vorderster Milchzahn demjenigen von Hyrax ähnlich genannt werden kann, wie denn überhaupt also die grosse Mehrzahl der Wiederkauer in Beziehung auf die Bildung der Milchzähne sich den sogenannten Pachydermen oder besser den unpaarigfingrigen Hufthieren durchaus gleich verhält. Kehren wir zur Bildung der Ersatzzähne zurück, so findet das bei den Hufthieren erreichte Ergebniss reichliche Anwendung auf die Præmolaren der Fleischfresser. An Erinaceus ist der Uebergang von vierhöckrigen Mo- laren zu schneidenden oder kegelförmigen Præmolaren und weiterhin zu den noch einfacheren Caninen von Carnivoren eben so allmählig durchgeführt, wie bei Anoplotherium. P. 1 hat noch den vollen Inhalt der Molaren, P. 2 entbehrt des hintern Innenhügels, P. 3 und 4 haben nur noch eine Aussenwand; und ähnliche Verhältnisse finden sich auch bei Fledermaus und Spitzmaus. Unvermittelter ist der Uebergang bei den eigentlichen Feræ, deren Præmolaren nur aus der Aussenwand beste- hen, an welcher dann die zwei Hügel meistens in einer einzigen Zacke vereinigt sind. Doch haben hier noch die Plantigraden den Innenhügel am letzten Præmolarzahn, wie namentlich an Procyon sehr deutlich sichtbar ist. Unter den Primates verhält sich Lemur wie die Insec- tivoren, während den eigentlichen Affen der hintere Innen- hügel langsamer schwindet. Allein noch beim Mensch be- steht der Præmolarzahn aus der ganzen, wenn auch con- centrirten Aussenwand und dem vordern Innenhügel. Es ergiebt sich hieraus der schon oben erreichte Schluss, dass streng genommen nur zwei Reihen von Præ- molaren aufzustellen sind 39* 596 erstlich unverkümmerte Præmolaren, wie etwa bei Rhi- noceros und Pferd, zweitens reducirte Præmolaren bei der grossen Mehr- zahl der Zygodonten, und zwar wird hier unter allen Be- dingungen das hintere Querjoch zuerst von der Reduction betroffen, entweder so, dass es gleich zum grössten Theil aufgegeben wird, während das Vorjoch wenig verändert stehen bleibt (Omnivoren) oder so dass es mit dem Vor- joch verschmilzt (Wiederkauer). Bei Insectivoren und Frugivoren wird erst der hintere und dann oft selbst auch der vordere Innenhügel aufgege- ben. Bei ausschliesslichen Carnivoren erfolgt endlich diese Reduction der Innenhügel fast plötzlich. Die Aussenwand ist somit der einzige constante Theil des Zahns, der durch die gesammte Zahnreihe hindurch erhalten bleibt, allein in den Præmolaren meistens rasch in eine nicht mehr zweilappige Masse verschmilzt. 3, Unterkiefer. A. Hintere Backenzähne. Obschon die Zahnreihe des Unterkiefers, wie jedem Palæontologen aus Erfahrung genug bekannt ist, ihres ein- fachern Typus halber, oder besser ihres beschränktern Bud- gets halber, nicht die gleiche Manchfaltigkeit individueller Bildung darbietet, wie die Oberkieferreihe, so lassen sich doch an ihr ähnliche Modificationen einer gemeinsamen Grundform nachweisen und verfolgen, wie an letzterer; und zwar halten diese Modificationen der Unterkieferreihe Schritt mit derjenigen der Maxillarreihe, obschon dies a priori nicht gerade gefordert werden konnte. Den Grundplan des zygodonten Mandibularzahnes bietet 597 hier wieder der Tapir unter den lebenden, die Lophiodonten unter den fossilen Thieren; er besteht aus zwei mehr oder weniger rechtwinklig auf die Längsaxe des Zahns gestell- ten Querjochen, allein ohne die Aussenwand der Oberkie- ferzähne. Schon an den Molarzähnen des Tapir zeigt indes das vordere Joch, weit weniger das hintere, eine bestimmte Neigung zur Umbiegung seines äussern Endes nach vorn. Diese erst noch kantige Umbiegung geht weiter bei Rhinoceros und Hyrax; sie ist gleichzeitig verbunden mit einer schiefern Stellung der Joche selbst und führt so zum engen Anschluss des hintern an das vordere Joch. Bei Palæotherium finden wir schon vollkommene Halb- mondkrümmung der Querjoche und Anschwellung ihrer In- nenkanten in eigentliche Pfeiler, welche, mit breiter Basis an der Innenseite des Zahnes aufsteigend, die Ausgänge der ursprünglichen zwei Querthäler des Zahnes, welche in Folge der Halbmondkrümmung der Joche sich nur nach innen Öf- nen, mehr oder weniger verengern oder ganz abschliessen; das vordere Thal ist dabei aus einem einfachen Grund im- mer offener als das hintere. Wie am Oberkiefer, so bildet nun auch am Unterkie- fer der Zahntypus von Palæotherium den Ausgangspunkt für zwei Reihen paralleler Bildungen mit scheinbar sehr verschiedenen Endpunkten, nemlich für die Reihe der Wie- derkauer und für diejenige der Pferde. Der Wiederkauertypus, durch den scheinbaren Besitz einer Innenwand am meisten von der Grundform abwei- chend, entwickelt sich aus Anoplotherium; die Molaren die- ses Genus bestehen zwar noch wie bei Palæotherium aus zwei halbmondförmigen Jochen (s. Fig. 18), von welchen das vordere vollständiger ausgebildet ist als das hintere; die beiden ursprünglichen Innenpfeiler der zwei Querjoche (aa. b) sind sehr stark ausgebildet, am hintern Querjoch weit stärker als bei Palæotherium, und erheben sich als 598 hohe Spitzen weit über die übrige Oberfläche des Zahns. Allein dazu kommt noch ein dritter vorderster Gipfel a, der bei Palæotherium nur schwach angedeutet ist; er vertritt das nach vorn eingerollte Horn des vordern Halbmonds oder den ursprünglichen Aussenpfeiler des vordern Joches. Wie bei Palæotherium ist dabei der Mittelgipfel aa schwach zweilappig; allein diese Zweitheilung wird erst recht deut- lich an dem hintersten Præmolarzahn P. 1. (S. Cuvier Oss. foss. IH, PL XI, Fig. 8. Pl. XLVU, Fig. 1.) Wir werden unten sehen, dass P. 1 von Anoplotherium den Wieder- kauertypus schon vollkommeu repräsentirt, während auf- fallender Weise die Molaren noch auf der Stufe von Pa- leeotherium stehen, und P. 2 das wesentliche von P. 1 oder den Wiederkauertypus auch schon verloren hat. Obschon die Oberkieferzähne des Pferdes durch Auf- lösung beider Querjoche sich als eine complicirtere Bildung ausweisen als diejenige des Wiederkauers, so sehe ich mich doch genöthigt, für den Unterkiefer die Analyse des Pferde- zahnes derjenigen des Wiederkauerzahnes vorauszusenden, da die Ableitung des letztern von dem zweijochigen Tapir- zahn schwieriger ist als die Ableitung des Pferdezahnes. Paleotherium liefert den Schlüssel zur Beurtheilung des Pferdezahnes. | Bei allen Species von Palæotherium, sehr deutlich na- mentlich bei Pal. medium, ist der mittlere Pfeiler der In- nenseite, oder genauer gesagt, der innere Pfeiler des vor- dern Halbmondes zweilappig (aa Fig. 16. 17), dergestalt, dass der vordere und höhere Gipfel desselben (der höchste der drei Gipfel an Anoplotheriumzähnen) sich nach vorn zurückrollt, während der kleinere niedrigere Flügel, der auch an gut erhaltenen Anoplotheriumzähnen nicht zu ver- kennen ist, nach hinten gerichtet ist. Der hintere Halbmond lehnt sich wie bei Rhinoceros und Lophiodon einfach an die Aussenseite des vordern Halbmondes an, und biegt sich 599 nicht etwa nach innen; beide Flügel jenes zweitheiligen Innenpfeilers gehören also dem vordern Halbmond an. Dieser zweilappige mittlere Pfeiler von Palæotherium und Anoplotherium wird nun stärker und deutlicher zwei- lappig bei Anchitherium und erreicht ein Maximum in Aus- dehnung und Zweitheilung bei Hipparion und Equus. Allein hiezu kömmt schon bei Anchitherium, aber noch deutlicher bei den eben genannten Pferden, noch eine ähnliche Spal- tung des hintern Innenpfeilers, der bei Palæotherium me- dium nur eine sehr schwache Andeutung zweilappiger Bil- dung zeigt (bb Fig. 16. 17). Bei Anchitherium ist diese Spaltung des hintern Innenpfeilers an einigen Zähnen sehr deutlich, am deutlichsten an M. 1,P.1,P. 2, wie dies H.v. Meyer sehr gut dargestellt hat (Georgensgmünd Tab. VIT. VI), ohne darauf aufmerksam zu machen, während er die Spal- tung des vordern Innenpfeilers sowohl bei Anchitherium als bei Paleotherium wohl bemerkt hat (a. a. O. pag. 82. S. auch Leidy Nebraska Pl. 10. 11). Demzufolge ist der starke zweilappige Innenpfeiler der Innenseite von Pferdezähnen aa auf sämmtlichen Figuren von Tab. I!T und IV in seiner Gesammtheit dem innern Mit- telgipfel des Anoplotheriumzahnes aa Fig. 18 homolog und nur Dependenz des vordern Halbmondes, dessen hinteres oder inneres Horn; so sehr es auch natürlich scheinen könnte, den Pferdezahn in zwei sich ähnliche Hälften zu zerlegen, mit beidseits nach innen gerollten Hörnern, so würde eine solche Anschauung doch dem durch die übri- gen Ungulaten dargelesten Verhältniss zwischen vorderem und hinterem Joch widersprechen. Auch sehen wir an noch nicht durch das Zahnfleisch getretenen Pferdezähnen (D. 3, Fig. 34) zwar immer den ganzen Zahn aus einem continuirlichen Schmelzblech be- stehen, allein die schwächste und kürzeste Brücke zwischen beiden Zahnhälften liegt in der That keineswegs etwa in 600 der Mitte jenes innern Doppellappens aa, sondern auf der Aussenseite desselben, da, wo der hintere Halbmond sich an diesen Doppellappen anlehnt. Ein fernerer und kräftigerer Beweis für diese An- schauung liegt in der Bildung des hinteren Halbmondes; es gehört nemlich zum Typus des Pferdezahnes, dass auch das freie hintere Horn des zweiten Halbmondes dem ent- sprechenden Horn des vordern Halbmondes vollkommen ähnlich gebildet ist; der Zahn endet hinten wieder mit ei- nem nach der Innenseite gerichteten zweilappigen Pfeiler bb, der getreuen Wiederholung von aa. Wie an den Ober- kieferzähnen, spaltet sich also auch an denjenigen des Un- terkiefers das innere Ende der beiden Querjoche in zwei Aeste. An Milchzähnen (s. sämmtliche Figuren von Taf. IH), namentlich dem hintersten derselben, sowie noch an jungen Ersatzzähnen und Molaren (s. Taf. IV), ist dieser hintere Doppellappen bb fast eben so stark entwickelt, wie der vordere aa, allein mit zunehmender Abnutzung wird dann der hintere Ast dieser Doppelschlingung bb fast ganz ab- getragen. (Fig. 33. 35. 37.) An diese hintere Doppelschlinge schliesst sich dann an M. 3 ein ganz rudimentärer dritter Halbmond, in Form eines kleinen Fältchens aussen an der Doppelschlinge. Der Ueberschuss, den M. 3 über den Bestand der übrigen Zähne voraus hat, ist also ganz verschieden von dem Ueberschuss, den der vorderste Zahn der ganzen Reihe, P. 3, zu be- sitzen scheint. M. 3 hat an sich schon einen freier ausge- bildeten Doppellappen bb, und überdies das Rudiment eines dritten Halbmondes; P. 3 besitzt nichts, was nicht alle an- dern Zähne auch hätten, nur ist sein Vorderende a, Fig. 34, freier ausgebildet. Hensel in seiner Monographie von Hip- parion p. 88 hat dies unrichtig beurtheilt. Auch am Unterkiefer lassen sich demnach sämmtliche 601 normale Falten des Pferdezahnes zurückführen auf Theile, welche bei andern Ungulaten auch vorkommen; wie an ‚ Oberkieferzähnen lehrt uns diese Analyse die der Familie der Solipeda zukommenden Theile des Zahnes unterschei- den von den der Ordnung der Ungulata angehörigen. An den einem heutigen Pferde entnommenen Zähnen Fig. 45 ist also z.B. anP. 3 A der vordere Halbmond oder das vordere Querjoch, B der hintere Halbmond; die Stelle, wo sie zusammenstossen, ist an diesem Zahn P. 3 durch eine punktirte Linie angedeutet. a ist das hier ungehemmt entwickelte und nach innen gerollte vordere Horn von A, aa sein zweilappiges Hinterhorn, und zwar entspricht der vordere dieser zwei Lappen dem hohen Mittelgipfel bei Aneplotherium (Fig. 18), der hintere Lappen dem kleinen Flügel, welcher sich sowohl bei Anoplotherium als bei Pa- Iæotherium (Fig. 16. 17) von jenem Mittelgipfel ablöst. b an P. 3, Fig. 45 ist die kleine, am Milchzahn Fig. 3% in ihrer ganzen Erstreckung sichtbare Falte am vordern Ende des hintern Halbmonds B, der schwache Repräsentant von a!. bb ist die nur sehr wenig reducirte Wiederholung von aa, c die. Stelle, wo sich an M. 3 ein Rudiment eines dritten Halbmondes zeigt; 1 ist das vordere, 2 das hintere Querthal der Palæotherium- oder auch der Tapir-Zähne. Noch deutlicher zeigen sich diese Theile an dem Zahn D. 3 eines Pferdefetus, Fig. 34, oder auch noch an jungen Molaren erwachsener Pferde (M. 2, Fig. 43). Allein sie sind auch noch gut sichtbar an den fast ganz abgetragenen Milchzähnen Fig. 33. 35. 37, nur ist hier der hintere Theil des Doppellappens bb durch Abnutzung verloren gegangen und auch die Falte des vordern Horns dieses Halbmonds, b!, fast ganz erloschen. An P. 3, Fig. 45, ist sogar die Doppeltheilung des vor- dersten Horns a, die am Milchzahn Fig. 34 sehr deutlich ist, spurweise erhalten, wie das kleine Schmelzsäulchen 602 lehrt, das in Fig. 45 hinter a, am Ausgang des vordern Querthales liegt. Es unterscheidet sich, wie ein aufmerksamer Leser finden wird, diese vergleichende Analyse des Pferdezahnes sehr wesentlich von den blos descriptiven, die bisher ge- . geben worden sind von Cuvier an bis auf die neuste sehr sorgfältige von Hensel; allein ich denke, dass die oben ge- gebene gerade durch ihre breitere Grundlage auf dem Zahn- typus der Ungulaten überhaupt sich als die richtige be- währt habe; wir erproben ihre Haltbarkeit am besten, in- dem wir sie weiter verwerthen zum Zweck der Analyse des Wiederkauerzahnes, die bisher ebenfalls stets auf die Grenzen der Familie eingeschränkt wurde. Hier muss nun vorerst erinnert werden, dass die Form der Zahnkrone ausschliesslich bedingt wird durch die Art der Faltenbitdung der Schmelzpulpe, und dass daher Ver- schmelzungen von benachbarten Falten der Schmelzcapsel eben so leicht abnormer Weise in einem Zahn, wo sie sonst getrennt sind, vorkommen ‘), als auch für eine Spe- cies oder ein Genus typisch werden können, während sie in einem benachbarten Genus getrennt bleiben. Dies ist eine so natürliche Folge der Eutwicklungsweise des Zah- nes, dass das im Ganzen seltene Vorkommen solcher Ver- schmelzungen ursprünglich getrennter Schmelzblätter uns mehr in Erstaunen setzen muss als die Fälle, wo solche Versehmelzungen wirklich vorkommen. Die Zähne vom Ele- phant, von Phacocherus und wohl auch von vielen Nagern bieten Beispiele von geringer Regelmässigkeit in dem spe- ciellen Verhalten der Schmelzpulpe und von Verwachsungen 1) Es liegen mir höchst merkwürdige Beispiele von weitgehenden derartigen Verschmelzungen, selbst zwischen benachbarten Zäh- nen von Pfefden, eigentliche Zahnknäuel vor, deren Beschrei- bung einstweilen verspart wird. 603 benachbarter Schmelzlamellen dar, die keineswegs ty- pisch sind. | Bei Wiederkauern werden einige solche Verwachsun- gen typisch, und auf ihrer Erkennung beruht die Rück- führung der Unterkieferzähne dieser Gruppe auf den all- semeinen Typus des Hufthieres und weiterhin des zygo- donten Säugethieres, von welchem die Unterkieferzähne des Wiederkauers so sehr durch den scheinbaren Besitz einer Innenwand abweichen. ') Die vergleichende Untersuchung dieser Zähne kann sich daher nicht begnügen mit der Ver- gleichung der verschiedenen äusserlich sichtbaren Theile der Zahnkrone; sie muss wesentlich ausgehen von dem Verlauf der Buchten und Falten der Schmelzpulpe. Man wird daher am sichersten zur Erkennung der den Wieder- kauern zukommenden Modificationen des allgemeinen Typus kommen durch Untersuchung von noch hohlen und wurzel- losen Keimzähnen, und zwar nicht von ihrer Krone, son- dern von ihrer Basis aus, wo der Verlauf des Schmelz- bleches direct verfolgbar ist. Leider ist diese Art der Untersuchung nicht in vielen Fällen anwendbar und auch wenig zur Darztellung geeignet. Ich zog es daher auch vor, die Ergebnisse dieser Analyse nicht durch Zeichnun- gen dieser mæandrinischen Windungen der Schmelzpulpe zu erläutern, sondern durch Darstellungen der Zahnkronen; allein die Belege für die erzielten Ergebnisse liegen eben in jener Art der Untersuchung. Das Material dazu lieferte mir namentlich der reiche und manchfaltige Knocheninhalt der Pfahlbauten. Wie schon am Oberkiefer, so lässt sich auch der Un- terkieferzahn des Wiederkauers am richtigsten ableiten aus dem Zahn von Anoplotherium (nemlich aus dessen letztem 1) Les trois Arriere-Molaires supérieures des ruminans semblent être des inférieures retournées. Cuvier Oss. foss. IV, N- 1: 604 Præmolarzahn). Allein da hohle Keimzähne dieses Genus nicht zu haben sind, so benutzen wir zur Vergleichung pas- sender den Pferdezahn. Die so auffallend späte Wurzelbil- dung der Pferdezähne und der daherige cylindrische Verlauf aller Falten des Schmelzblechs ist bei dieser Vergleichung nicht im mindesten hemmend; die nach unten offenen ein- gestülpten und also hohlen Schmelzröhren am Pferdezahn lassen sich mit Sicherheit parallelisiren mit den am Wie- derkauer ebenfalls anfangs unten offenen, allein weit früher als beim Pferd sich dann unten sackförmig schliessenden Einstülpungen; ja das ganze Schmelzblech vom Pferd lässt sich in allen seinen wesentlichen Falten und Fältchen am Wiederkauer wieder erkennen. Der wesentliche Unterschied besteht, wie aus dieser Untersuchungsweise mit Sicherheit hervorgeht, nur darin, dass vertikale Falten des Schmelzbleches, welche beim Pferdezahn meistens getrennt bleiben, beim Wiederkauer- zahn ohne deutliche Trennungsspur mit einander verschmel- zen. Es schliessen sich nemlich beim Wiederkauer die an der Innenseite des Pferdezahns offen bleibenden Ausgänge der beiden ursprünglichen Querthäler 1 und 2 (Fig. 34. 36 etc.) ganz oder grösstentheils, durch Verwachsung der ein- ander schon beim Pferd fast bis zur Berührung entgegen- gerollten Falten a und aa, sowie, obschon nur theilweise, auch durch Verschmelzung der hintern Falte von aa mit der vordern von bb. Die heim Pferde offenen Buchten oder Querthäler 1. 2 werden hiedurch zu den meist allseits ge- schlossenen halbmondförmigen Marken 1. 2 (Fig. 19) des Wiederkauers, oder mit andern Worten, die beim Pferd an der Innenseite noch wie etwa bei Palæotherium offenen Querthäler 1.2 werden zu blinden und zipfelförmigen Ein- stülpungen beim Wiederkauer. Das Schmelzblech ist also beim Pferd von der Innenseite her eingestülpt, wie ein in starke Zickzackfalten gelegtes Band; beim Wiederkauer er- 605 scheinen durch seitliche Verwachsung jener Falten die Ein- stülpungen als wie von oben her eingedrungen, als einge- stülpte Marken, wie an den Schneidezähnen des Pferdes, deren Marken übrigens vollkommen ähnlicher Entstehung sind; denn diese Zähne sind in Wahrheit nicht von oben, sondern ursprünglich von der Seite her eingestülpt, indem sich die Seitenränder des doppelten Schmelzbandes, vor- nehmlich der vordere, so weit rückwärts rollen, bis sie auf der Rückseite des Zahnes zusammenstossen und also den inneren Hohlraum schliessen, vollkommen ähnlich wie an hohlen Giftzähnen von Schlangen, bei welchen nur die Marke unten offen bleibt, während sie sich am Schneidezahn des Pferdes frühe unten schliesst. Der Beleg für diese Erklärung der „Marken“ des Wie- derkauerzahnes liegt darin, dass auch beim Pferde das vor- dere Querthal 1 durchaus nicht selten theilweise geschlos- sen angetroffen wird, und dass hinwiederum häufig die Marke der Wiederkauer eine spaltförmige Oeffnung nach der In- nenseite des Zahnes behält. Dies ist bei Hirschen sogar Regel für die hintere Marke, welche z.B. bei Cervus Ela- phus nur an der Basis des Zahnes geschlossen, oben aber offen ist; bei Alces und Giraffa bleiben selbst beide Mar- ken offen (s. unten Fig. 19 und Owen Odontogr. Pl. 134, Fig. 6. 7). An den Præmolaren ist dies Verhalten sogar Regel für alle Wiederkauer (Fig. 20. 21. 22. 26. 27). Stellen wir nunmehr die einander homologen Theile der äusserlich sichtbaren Krone von Pferde- und Wieder- kauer-Zähnen neben einander, wie die vorhergehende Un- tersuchung es lehrt, so finden wir, dass wiederum der Un- terkieferzahn des Wiederkauers seiner Wahrheit nach eine vollkommene Parallele bildet zu der Bildung seines Ober- kieferzahns; ein Molarzahn besteht wesentlich aus dem Vorderjoch mit zweiästigem hinterm oder ursprünglich in- nerem Pfeiler, und aus dem sehr reducirten Hinterjoch. 606 Dem Vorderjoch des Tapirzahnes entsprechen nemlich beim Wiederkauer folgende Theile: erstlich der äussere Halbmond A (in M. 2, Fig. 19), der auch bei Palæotherium und Anoplotherium am stärksten entwickelte Theil des Jochs; zweitens sein vorderes, wie bei Anoplotherium und Equus nach einwärts gerolltes oder hier nach einwärts geknicktes Vorderhorn a; drittens sein in zwei starke Lappen, ähnlich wie beim Pferd, allein schon spurweise bei Palæotherium getheiltes Hinterhorn aa. Zwischen dem Vorder- und Hinter- horn bleibt die Marke 1, das frühere Querthal; beide Hör- ner des vordern Halbmondes bilden zusammen die schein- bare Innenwand des Zahnes, welche in zwei ziemlich gleiche und coulissenartig hinter einander stehende Hälften zerfällt; die ganze Hinterhälfte entspricht der hintern Schlinge des Doppellappens aa des Pferdes; die Vorderhälfte ist gebildet aus einer vollständigen Verwachsung der vordern Schlinge des eben genannten Doppellappens und dem vordern ein- gerollten Horn a. ') Der ursprüngliche Ausgang des Tha- les 1 liegt also an irgend einer Stelle der Vorderhälfte der Innenwand, allein in Folge der über die Coulissenstellung noch hinausgehenden Trennung des Doppellappens aa findet sich nun häufig ein neuer Ausgang der Marke in der Tiefe jener Coulisse. Das hintere Joch des Tapirzahnes ist lediglich reprä- sentirt durch den Halbmond B; derselbe entbehrt fast gänz- lich des Doppellappens seines Hinterhorns (bb), der beim 1) Man kann sich auch wohl begnügen, den vordern Theil der Innenwand in seiner Gesammtheit der vordern Schlinge des Doppellappens aa vom Pferd zu vergleichen, so dass also die gesammte Innenwand des Wiederkauers jenen zwei Schlingen aa entspräche. Doch zeigt die Untersuchung von Zahnkeimen we- nigstens beim Hirsch, dass wirklich auch das vordere einge- rollte Horn a vom Pferd hier nicht ganz fehlt, sondern an der Bildung der Innenwand einigen Antheil nimmt. 607 Pferd so sehr ausgebildet war, und dem auch noch bei Anoplotherium der hinterste der drei Gipfel des Zahnes an- gehörte; nur eine schwache Spur einer solchen Gablung des Hinterhorns zeigt sich an Keimzähnen wohl aller Wie- derkauer. Aus einem Pferdezahn leiten wir ebenso den Wie- derkauerzahn ab, indem wir z. B. in Fig. 36 die Schmelz- schlingen a und aa zusammenfliessen lassen und überdies die Schlingen bb unterdrücken; dadurch wird das vordere Querthal 1 in Fig. 36 zur geschlossenen Marke 1 in M. 2, Fig. 19, während das hintere Querthal 2, Fig. 36, dann nach hinten mehr oder weniger offen bleibt, wie in Fig. 19. An stark abgetragenen Hirschzähnen, wo die beiden Cou- lissen der Innenwand Eine gemeinsame Usurstelle darstel- len, wie etwa in P. 2, Fig. 21, ist die Aehnlichkeit mit Pferdezähnen überraschend. Es fehlt solchen Hirschzähnen in der That nichts als der Doppellappen bb des Pferdes und der freie Ausgang des vordern Thales 1. Uebrigens stellt selbst der Præmolarzahn P. 2, Fig. 21, dies Verhält- niss theilweise wieder her; vergleicht man diesen Zahn etwa mit dem alten Milchzahn des Pferdes Fig. 33, so fehlt jenem nichts als der allein noch vorhandene Lappen b des Letztern, und der innigere Anschluss des hintern Halb- monds B an den vordern A. Alte Molaren vom Rennthier und alte Zähne vom Pferd sehen sich auffallend ähnlich und sind auch, wenn bb an letztern ganz abgetragen ist, wirklich in ihrer Zusammensetzung identisch. Der dritte Lappen an M. 3, C Fig. 19, ist in seiner Gesammtheit eine neue Zufügung, nicht nur bei Cervus, wo er an Ausbildung weit hinter den zwei vordern Haupt- theilen des Zahnes, A und B, zurücksteht, sondern auch z. B. an den Milchzähnen von Bos, wo er eben so stark entwickelt ist als A und B, ja eigentlich weit stärker, da er durch Einknickung nach innen ein volles Drittheil der 608 Innenwand bildet, während das Nachjoch B, wie wir oben sahen, an der Innenwand keinen Antheil hat. !) Die Basalwarzen und accessorischen Schmelzsäulchen, die bei Bovina und Cervina so häufig in den Buchten der Aussenseite des Zahnes stehen, finden bei dieser Ableitung des Wiederkauerzahnes keine andere Parallele als etwa in dem Fältchen b an der Aussenseite des Pferdezahnes (Fig. 33—37); sie nehmen auch in der That dieselbe Stelle ein, allein ich bin nicht der Ansicht, dass sie demselben homo- log sind, da jenes Fältchen b bei Pferdezähnen die ganze Zahnhöhe einnimmt und also eine wirkliche kleine Falte des Schmelzbleches darstellt. Bei Bovina und Cervina ste- hen diese accessorischen Schmelzsäulchen an Unterkiefer- zähnen ursprünglich, bei Hirschen selbst zeitlebens frei, als blosse Verstärkungen der Zahnbasis. Sie gehören daher in die Reihe der ähnlichen Verstärkungen, welche als Basal- wulst reichlich ausgestreut sind bei omnivoren Hufthieren, vor allem bei den Schweinen. Sie sind also wohl physio- logische Analoga der ähnlichen Säulchen an den Oberkie- ferzähnen des Wiederkauers, allein keineswegs deren ana- tomische Homologa, ausgenommen bei Hirschen, wo wir auch die Nebensäulchen der Oberkieferzähne in die Rubrik der Basalwarzen verweisen mussten. Eine reichliche Aus- bildung dieser Basalsäulchen werden wir später bei Hippa- rion und selbst beim Pferd einlässlicher zu besprechen haben. 1) Ich will nicht von vornherein läugner‘, dass der zweite Halb- mond B gar keinen Antheil hat an dem hintersten Drittheil der Innenwand an M. 3 von Bovina; es ist nicht unmöglich, dass dieser Theil der Innenwand eben so durch Confluenz des nach vorn zurückgerollten Hinterhorns von © und des Hinterhorns von B entsteht, wie das vordere Drittheil der Innenwand ent- standen ist durch Confluenz des vordern Horns von A und des vordern Astes des Hinterhorns von B. Dies sicher zu entschei- den, fehlt mir dermalen gerade passendes Material. 609 Es ergiebt sich daraus die Lehre für den Zoologen und Palæontologen, bei Ruminantia Cavicornia den accessori- schen Säulchen der Unterkieferzähne nicht zu viel syste- matisches Gewicht beizulegen; sie gehören in viel gerin- -germ Maasse zum Typus des Zahnes, als die freilich ähn- lichen Bildungen an Oberkieferzähnen. Bei Hirschen sind dann beide, Ober- und Unterkiefersäulchen, nur als acces- sorische Bildungen zu betrachten. Blicken wir nach dieser Analyse des \Yiederkauer- zahns nochmals auf das Ergebniss zurück, so ist es über- raschend, die vollkommene Üebereinstimmung wahrzuneh- men, welche im Plan des Oberkiefer- wie des Unterkiefer- gebisses bei den durchgangenen Hufthieren herrscht. Für das Oberkiefergebiss ergab sich früher, dass Pferde und Wiederkauer zwei parallele Reihen bilden, jene anschlies- send an Palæotherium oder zunächst an Anchitherium, diese an Anoplotherium, — jene typisch durch Ablösung eines Innenpfeilers von beiden Querjochen, diese durch Ablösung des Innenpfeilers nur vom Vorjoch. Voilkommen parallel verhalten sich dazu die Mandi- bularzähne, deren Typus beim Pferd auf einer Spaltung des Innenpfeilers beider Querjoche beruht, während bei dem Wiederkauer nur der Innenpfeiler des Vorjochs diese Spal- tung erfährt, welChe dann schliesslich zur Bildung der scheinbaren Innenwand dieser Zähne führt. Den Ausgangs- punkt bildet auch hier für das Pferd vornehmlich M. 1 und P.1 von Anchitherium, für den Wiederkauer P. 1 von Ano- plotherium. Es ergeben sich daraus folgende Analogien zwischen den Theilen oberer und unterer Backzähne beim Pferd: Vorerst entsprechen sich selbstverständlich Vorjoch und Nachjoch an Ober- und an Unterkieferzähnen, sowie auch das vordere und das hintere Querthal; allein überdies ist der vom Vorjoch abgelöste Lappen b in Fig. 11 (der Innen- 40 610 pfeiler von Hipparion) analog dem abgelösten Lappen des Vorjochs, oder der hintern Schlinge des Doppellappens aa bei Fig. 3%; und ebenso ist der vom Nachjoch abgelöste Lappen c, Fig. 11, analog dem vom Nachjoch abgelösten Lappen, oder der hintern Schlinge des Doppellappens bh in Fig 3%. Auch entspricht das Fältchen b im Unterkie- ferzahn dem Fältchen 3 im Oberkieferzahn, und hinwiederum das Fältchen c Fig. 3% dem Fältchen 3 in Fig. 11. Diese Analogien, scheinbar kleinlich, werden nichts- destoweniger &cm Palæontologen häufig weseniliche Dienste leisten können. Für den Wiederkauer ergeben sich neben den Analo- gien der Joche und 'Thäler in Maxillar- und Mandibular- zahn noch folgende speciellere Parallelen, welche, obwohl auf den ersten Blick bizarr scheinend, dennoch durch das Vorhergehende dem aufmerksamen Beobachter sich noth- wendig aufdrängen. Es entspricht der abgelöste Lappen des Vorjochs b Fig. 2 dem abgelösten Lappen des Vor- jochs, oder der hintern Schlinge des Doppellappens aa in Fig. 18; ebenso das Schmelzsäulchen b in Fig. 4 der hin- tern Hälfte der scheinbaren Innenwand aa in Fig. 19. Es wäre daher sehr unrichtig, die Aussenwand des Oberkie- ferzahns vom Wiederkauer der Innenw and des Unterkiefer- zahns vergleichen zu wollen. Die grosse Analogie zwischen den Zähnen von Wie- derkauern und Pferden liess mit Sicherheit erwarten, dass sich, wie dort, so auch hier Basalwarzen an der Aussen- seite von Mandibularzähnen finden möchten, obschon die Bedingungen für solche Bildungen hier in der That etwas anderer Art sind, a!s bei Wiederkauern ; bei diesen letz- tern überragt gemeiniglich die obere Backzahnreihe die un- tere fast um eine volle Zahnbreite ; beide Zahnreihen nützen sich gegenseitig ab in einer von oben und innen nach un- ten und aussen absteigenden Ebene, so dass schliesslich in 611 der That die innern Mittelsäuichen von Maxillarzähnen so- wohl als die äussera von Mandibularzähnen zur Wirkung kommen, doch in Folge der Vorschiebang der untern Zehn- reihe über die obere nicht etwa zur gegenseitigen Wirkung Bei Pferden ist die seitliche Bewegung des Unterkie- fers eine weit beschränktere, und die Oberkieferzahnreihe überragt die untere höchstens um eine halbe Zahnbreite. Allein überdies ist der Zahn heuliger Pferde seiner bedeu- tenden Verlängerung halber für eine lange andauern£e Fanc- tion ausgerüstet; Basalwarzen fehlen daher heutigen Pferden. Um so überraschender ist es, solche Bildungen bei fos- silen Pferden und noch mehr bei Hipparion so stark auf- treten zu sehen, wie bei Cervina. Es mag dies auf Rech- nung der bei fossilen Pferden durchgehends kürzern Zahn- cylinder geseizi werden; aus demselben Grunde zeigen sie sich durchgehends vollständiger ausgebildet in dem Milch- gebiss, dessen Wachsthum weit früher abgeschlossen ist, als im Ersatzgebiss; allein es erinnert dies noch zudem an den von Leidy leider nur schr kurz und ohne alle Abbil- dung mitgetheilten Typus von #erychippus, welches in der Jugend nach seinem Gebiss mit Anchitherium, im erwach- senen Zustand mit Equus übereinstimmen soll. Hipparion bietet freilich eine Analogie anderer Art, denn weder bei Anchitherium noch bei Palæotherium oder Anoplotherium sind solche Basaiwarzen bekannt‘), wohl aber bei heutigen Wiederkauern. Wenn daher Merychippus nach den Angaben Leidys in seinem Milchgebiss gewissermassen Reminiscenzen von Stammformen festzuhalten scheint, wie das oben erwähnte senegambische Moschusthier, so führt uns Hipparion einen Fall vor, wo das Milchgebiss, statt nur den Charakter des Genus zu tragen, gleichzeitig Charaktere einer parallelen i) Schwache Spuren finden sich nur bei Anchith. Bairdii Leidy. 40* 612 Abtheilung derselben Ordnung trägt. Beide, Merychippus und Hipparion, wären, obwohl in etwas verschiedenem Sinn, synthetische Typen nach dem Ausdruck von Agassiz. Man kann über solche Fälle verschieden urtheilen; die realistische Anschauung wird darin nur ein zoologisches Factum constatiren; eine physiologische Richtung kann darin einen Beleg für die Sparsamkeit der Natur in der Auswahl der organischen Hülfsmittel sehen; allein es frägt sich, ob darin nicht noch mehr liegt; wenigstens wäre der Palæon- tolog voreilig zu nennen, welcher der Frage über eine wirk- liche historische Verwandtschaft solcher Formen sein Ohr von vornherein verschliessen wollte. Die specielle Untersuchung dieser Basalwarzen fossiler Pferde verschieben wir, als nicht zum Zahntypus wesent- lich gehörig, auf einen zweiten Theil dieser Arbeit, der sich auf die Genera Equus und Hipparion speciell beschrän- ken wird. Gehen wir nach dieser Erörterung des Pferde- und des Wiederkauerzahnes zu den weitern Modificationen der Mandibularzähne über, so stossen wir, wie schon für den Oberkiefer, auf einen neuen Typus bei den omnivoren Huf{hierem, bei welchen der zygodonte Typus noch mehr als bei den eben besprochenen Gruppen maskirt ist durch die früher erwähnte Auflösung der Querjoche in Hügel und Warzen. | Dieser morphologische Fortschritt zeigt sich indes auch schen in einer andern Beziehung. Während vom Tapir an bis zu Palæotherium die Unterkieferzähne sich durchgehends durch das Fehlen einer Innenwand von den Oberkieferzäh- nen sehr wesentlich unterschieden, entstand eine solche Innenwand, obschon ihrer Natur nach von der Wand der 613 Maxillarzähne sehr verschieden, auf Kosten der beiden oder nur des vordern Querjochs schon beim Pferd und vervoll- ständigte sich noch mehr beim Wiederkauer; die Unter- kieferzähne wurden dadurch den Oberkieferzähnen schon sehr ähnlich. Diese Aehnlichkeit erreicht ihren vollsten Grad bei den Schweinen; die obern Backzähne unterscheiden sich hier von den untern nur durch grössere Dicke und durch anders gebildete Wurzeln, allein in der Krone entsprechen sich zwei Antagonisten bis in die Einzelheiten, doch immerhin so, dass Innen an obern Zähnen gleich Aussen an Unter- kieferzähnen, so dass die Parallele vollkommen wird, wenn man den Oberkieferzahn in gleicher Lage, d. h. mit nach abwärts gerichteten Wurzeln neben seinen Antagonisten’ im Unterkiefer hält. Schon dieses muss uns warnen, den Molarzahn des Schweins etwa direet aus dem Tapirzahn abzuleiten durch Auflösung der zwei. Joche in Hügelpaare. Auch hier leiten die tertiären Formen Anthracotherium, Hyopotamus, Chæropo- tamus etc. besser als die heutigen, indem sie uns direct zu der Ursprungsform oder dem Ausgangspunkt zurückführen, und zwar auf Anoplotherium, das uns schon auf die Wie- derkauerreihe hinwies; die Omnivoren sind also als paral- lele Reihe mit den Wiederkauern zu betrachten, mit ge- meinschaftlichem Ausgangspunkt in Anoplotherium. Vergleicht man einen Molarzahn von Anoplotherium - (z. B. die vortreffliche Zeichnung Fig. 6, Pl. 15 bei Ger- vais) mit analogen Zähnen von Hyepolamus, Anthraco- therium oder einem ähnlichen Genus (für Hyopotamus ver- gleiche Eoc&ne Säugethiere Fig. 66. 67, für Anthracothe- rium Fig. 6, Tab. il in meiner Schrift über dieses Genus in derselben Sammlung wie obige Schrift, Jahrgang 1857 !),) ’) Mit Hyopotamus stimmt auch vollkommen überein die vorzüg- liche Abbildung Fig. 7. 8, Tab. X. von Amphitragulus (?) bei 614 so ist deutlich, dass die letztern von Anoplotherium nur darin abweichen, dass jedem der beiden Halbmonde der Aussenseite ein Innenhügel unmittelbar gegenüber steht, während bei Anoplotherium zwei innenhügel in der vor- dern Zahnhälfte stehen, und der dritte Innenhügel noch als bloses eingerolltes Hinterhorn des Nachjochs erscheint. Der- ken wir uns aber die Gipfel a und aa in Fig. 16, Tah. I, verwachsen zu einem einzigen Gipfel, und den hintersten Gipfel b so viel stärker, bis er dem vordern ebenbürtig ist, so haben wir den Backzahn von Hyopotamus und An- thracotherium, oder in weiterer Linie von unsern heutigen Schweinen. Man kann, bei oberflächlicher Prüfung, dieser Ableitung Willkührlichkeit vorwerfen; allein abgesehen davon, dass wir einen mit der supponirten Verschmelzung der zwei vordern Anoplotheriumgipfel identischen Vorgang mit Mi- kroskop und blosem Auge direct verfolgen können am Pferd (Fusion sowohl zwischen a und aa Fig 34, also gerade das supponirte Verhältniss, als Fusion zwischen aa und bb der- selben Abbildung, über welche beiden Fälle mir Speeimina vorliegen) — kann ich auch auf die wirkliche Uebergangs- form hinweisen, die man postuliren möchte; diese!be ist gegeben durch Diciobune Mülleri aus dem Eocæn von Eger- kingen (Eocæne Säugethiere Fig. 75. 76), sowie durch eine kleinere Dichobune-Art aus derselben Localität (ebendas. Fig. 78). Die Unterkieferzähne beider Arten, allein bei Diche- bune Mülleri vorzüglich deutlich, zeigen wirkliche Ver- wachsung der beiden vordern Gipfel des Anoplotherium- zahnes, indem sich daselbst (Fig. 76 in Eocene Säugeth.) Castaldi Vert. foss. del Piemonte. Die vergrösserte Abbildung der Oberkieferzähne Fib. 4 ebendaselbst ist dagegen offenbar theilweise gekünstelt und unrichtig. 615 ein kleinerer Gipfel (der Gipfel a, Fig. 15 dieser Arbeit) anlehnt an den grössern aa von Anoplotherium. ich machte bei Aufstellung dieser Species (a. a.0. pg. 73) darauf auf- merksam, dass Cuvier denselben Vorgang bereits bei Ano- plotherium secundarium beobachtet und ebenso beurtheilt hatte, wie dies hier geschehen ist. !) In allen spätern Ar- beiten über Dichobune findet sich von diesem Verhalten nichts mehr erwähnt; nicht wissend, ob die nach Cuvier aufgestellten Dichobune-Ärten diesen Charakter auch an sich frügen, schlug ich daher für diejenigen, bei welchen er nachgewiesen ist, A. secundarium Cuv. und die zwei von mir aufgestellten Arten, den Namen Diplobune vor.?) Ein drittes und viertes Beispiel der Art in noch un- mittelbarerer Nachbarschaft der heutigen Suida bieten Ayo- potamus Gresslyi, von welchem ich in Fig. 66 der Eoc&nen Säugethiere nur einen schon alten Backzahn darstellen konnte, sowie Archæotherium. An beiden ist nemlich der vordere Innengipfel deutlich zweitheilig, wie ich für Hyo- potamus an einer Anzahl mir seither zugekommener junger Unterkiefer sehe, und wie Leidy es für Archæotherium in Fig. 2. 3, Tab. X der Nebraska-Fauna deutlich abbildet und hervorhebt. ’) N) „Espece, qui offre cette difference dans ses Arrière-Molaires, que les deux pointes externes du croissant anterieur y sont tres- rapprochées et ne forment à bien dire qu’une seule pointe échancrée, tandis que dans les Molaires inférieures ordinaires (A. commune) ces deux pointes sont profondément séparées VPune de l’autre.* Oss. foss. III, pg. 59. [36] 2 Für die kleinere Species von Egerxingen wird nunmehr eine nähere Bezeichnung wünschbar; ich gebe ihr daher den Namen Dichobune Langii in Erinnerung an den verdienten Jurageolo- gen Prof. Lang in Solothurn. 3) „A remarkable peculiarity of a generic character in these teeth is a transverse division of the apex of the antero-internal co- 616 Man darf auch wohl erwarten, dass unangeschliffene Zähne, von Chœropotamus, Paleocherus und verwandter Genera eine ähnliche Spaltung des vordern Innenhügels noch zeigen werden. Sind demgemäss die Palæochæriden auf Aneplotherium mit Sicherheit zurückgeführt, so bleiben für die lebenden Schweine keine Schwierigkeiten. Sie unterscheiden sieh von Anoplotherium durch Spal- tung des noch mehr als dort zusammengeknickten Vorjochs in einen äussern Hügel und einen (seiner Entstehung nach zweitheiligen) Innenhügel fast ohne Spur von dazwischen liegender Marke, und durch stärkere Ausbildung und theil- weise Auflösung des Nachjochs (welches den hintern Aus- senhügel bildet, sammt der davon immer ab setrennten schie- fen Warze, die in der Mitte zwischen den vier Hügeln steht und offenbar die schiefe Kante repräsentirt, durch welche sich auch bei Anoplotherium und Palæotherium der hintere Halbmond an den mittlern Innenhügel emporzieht). Ich ci- tire hiefür Fig. 2 in meiner Arbeit über Sus penicillatus, Basler Verhandlungen 1857, und die zahlreichen Abbildun- - gen unterer Molaren von Sus in der Fauna der Pfahl- bauten. !) nical lohe, apparently as if this was composed of a confluent pair.“ Leidy a. a. O. p. 64. !% Nur um nicht des Stillschweigens halber der Beistimmung ge- ziehen zu werden, benütze ich hier diesen Anlass, um gegen die in verschiedene Zeitschriften, z. B. auch in den Jahresbe- richt über die Leistungen in der Naturgeschichte für 1860 in Troschels Archiv und in den Bericht der Natural History Re- view übergegangene Reducirung meines Torfschweines auf ein weibliches Wildschwein durch Steenstrup zu protestiren; Steens- trup stützte sich dabei auf meine „Untersuchungen der Thier- reste aus den Pfahlbauten“ vom Jahr 1860, welche in der That noch nicht alle nöthigen Data zur Unterscheidung beider Ge- 617 Von den beiden Innenhügeln der Molaren des Schweins entspricht also der hintere dem hintersten Innengipfel von Anoplotherium b, Fig. 18, der vordere dem verwachsenen Mittel- und Vordergipfel der Innenseite aa und a von Ano- plotherium oder dem Doppelgipfel von Diplobune, Hyopo- tamus und Archæotherium. Zwischen die zwei Gipfel des Nachjochs drängt sich eine starke mittlere Warze, welche an jungen Zähnen frei nach hinten vorsteht, als deutlicher Vertreter der hintern Basalwarze von Archæo- therium. Aus diesem Grunde sind auch die zwei Innengipfel beim Schwein weit stärker von einander getrennt, als etwa die beiden Hälften der Innenwand von untern Wiederkauer- zähnen; diese Innenwand gehört, wie wir uns erinnern, in ihrer Gesammtheit dem Vorjöch an, und der Wiederkauer entbehrt des hintern Innengipfels der Schweine gänzlich. Es ist von grossem Interesse, dass unter den heutigen Schweinen auch das aberrannte Genus Phacocherus diesem Typus folgt. Der Zahn M. 2 in Fig. 5. 10, Pl. 3% von Owens Monographie (Philos. Transact. 1850) zeigt dies deutlich. Es wird uns hiedurch wieder die Frage nahe gelegt, ob nicht schliesslich der scheinbar elasmodonte Elephanten- zahn ebenfalls ein weit gediehenes Derivat dieses Typus sei. Für Hippopotamus ist diese Consequenz unvermeidlich; auch lässt es sich direct von Phacocherus ableiten. Von den vier Haupthügeln der Molaren dieses Thieres entspre- chen wiederum die beiden äussern den Halbmonden A. B schlechter der zwei Formen mittheilten. Allein ich zweifle kei- nen Augenblick, dass die Angaben. welche die „Fauna der Pfahlbauten“ im folgenden Jahr machte, und welche sich seither noch in reichlicherem Maasse bewährten, sowie die dortigen Abbildungen jeden aufmerksamen Leser, Herrn Steenstrup voran, seither von der Richtigkeit meiner Unterscheidung über- zeugten. 615 von Anoplotherium, der vordere Innenhügel dem Doppel- hügel von Diplobune, der hintere Innenhügel dem Schluss- gipfel b von Anoplotherium oder dem einfachen hintern Innenhügel von Diplobunre. Nur ist hier wie auch an Oberkieferzähnen durch en- ges Aneinanderdrängen der Aussen- und Innenhügel jedes Joches und durch Auflösung der beim Schwein noch sehr deutlichen schiefen Verbindung zwischen hinterm Aussen- hügel und vorderm Innenkügel der zweijechige Tapirtypus, von dem wir ausgegangen, auf langem Umweg wieder er- reicht oder wenigstens nachgeahmt, denn das scheinbare Vorjoch von Hippopotamus ist in Wahrheit nicht ein ofe- nes und in die Quere gestellt, wie beim Tapir, sondern der- gestalt zusammengerollt, dass seine beiden Seitenkanten den Innenhügel, das geknickte Knie den Aussenhügel bei Hippopotamus bildet. Alle Omnivoren besitzen dann bekanntlich an M. 3 ein drittes Joch, das sich an das zweite in vollkommen glei- eher Weise anlehnt, wie das Nachjoch B an den Innen- pfeiler des Vorjochs A. Durch Compression der bei Omnivoren noch kegelför- migen Innenhügel unterer Molaren können nun, wie man sich leicht denken kann, Formen hervorgehen, welche sich von Wiederkauern kaum mehr unterscheiden lassen, da auch die bisher noch distinctive Trennung der beiden In- nenhügel aufgegeben werden kann. An Hyopotamus Gresslyi (Eocæne Säugethiere Fig. 66) und Amphitragulus (Gastaldi Vert. foss. del Piemonte PI. 16) ist eine solche Compression schon deutlich; man kann sich leichtlich Fälle denken, wo sie so weit gehen kann, dass es schliesslich, zumal wo nicht vorzüglich erhaltene Keimzähne zur Verfügung ste- hen, unmöglich sein wird, aus dem Charakter des Unter- kiefergebisses zu erkennen, ob ein Genus zum Typus der 619 Wiederkauer oder der Omnivoren gehört. Der Hauptunter- schied zwischen beiden wird immer bestehen in der stär- kern Abtrennung heider Innenhügel bei letztern, in ihrer innigen Verbindung und Coulissenstellung bei erstern. Den Nachweis und die specielle Verfolgung des zygo- donten Zahntypus bei Carnivoren und Primaten kann ich hier füglich übergehen, da dies am Oberkiefer schon geschehen ist. Als wichtige Typen sind in dieser Beziehung wieder zu empfehlen Procyon, Erinaceus, Sorex, Vespertilio, Lemur, und für die Reihe der Beuteithiere Didelphus. Ich wende mich daher sofort zur Untersuchung der Præmolaren des Unterkiefers. B. Vordere Backenzähne. Dieselben unterscheiden sich bekanntlieh an imparidi- gitaten nicht von Molaren, als höchstens durch grössere Länge und seitliche Compression, wie dies der Tapir und das Pferd genügend darlegen. Der vorderste Præmolar- zahn von Tapir ist dadurch den Backzähnen von Rhinoceros ähnlich. Noch gestreckter sind die Præmolaren von Palæothe- rium und Anchitherium, deren vorderster Zahn vollkommen. comprimirt ist und eine schneidende Kante trägt, obschon er seinem noch deutlich in zwei Joche getñeilten Vorgän- ger vollkommen gleichwerthig ist. Alle übrigen Zygodenten besitzen reducirte Præmola- ren, wie am Oberkiefer; und zwar verkümmert wieder, wie schon am Oberkiefer, das Nachjoch bei sämmtlichen Zo- phiodonten,; von P. { an dominirt nemlich das Vorjoch im- mer mehr und schwindet das Nachjoch; dabei wird erste- res ebenfalls comprimirt, indem es sich in die Längsaxe des Zahnes stellt, und bildet endlich an den vordersten Zähnen fast ausschliesslich deren schneidende Längskante, 620 und zwar mit hauptsächlicher Betheiligung seines Innen- pfeilers. So bei Lophiodon (Eoc. Säugeth. Fig. 6—11. 23. 24. 3%. 35. 39. Gervais Pl. 18, Fig. 4), Listriodon (Fig. 1, PI. 20 ebendas.), Coryphodon, wo die geknickte Aussenkante des Vorjochs den Hauptgipfel bildet (Fig. 10. 11. 12, PI. 3, bei Hébert a. a. 0.) Einem andern Plan folgen die Præmolaren der eigent- lichen Omnivoren; dieselben sind wesentlich gebildet aus seitlich comprimirten Molaren, an welchen nur die in- nere Hälfte verkümmert. Pliolophus führt diesen Fall am deutlichsten vor Augen; hier lehnen sich am hintersten, noch mehr am darauffolgenden Præmolarzahn die beiden Innenhügel an die äussern allmählig an und bilden unter allmähligem Schwinden des hintern derselben mit den com- primirten Aussenhügeln die nunmehr fast medianen Zacken der Præmolaren. (Owen Quart Journ. 1858, PL II, Fig. 6.) Genau dasselbe Verhalten beschreibt Pictet an Dichobune Campichii und Rhagatherium,; beim letzten Genus bleibt dann noch eine vorderste Zacke, der äussere und nach vorn ge- richtete Pfeiler des Vorjochs, stehen (Fig. 6. 8. 9, Pl. IE. Fig. 7. 8, Pl. IV. Vert. du Terr. éocène). Eine ganz ähn- liche Bildung bieten die Præmolaren von Lophiotherium (Gervais Pl. 11, Fig. 10), Aphelotherium (Gervais Pl. 34, Fig. 13) und Chasmotherium (Eocæne Säugeth. Fig. 70. 71). Unter den lebenden Omnivoren stimmt Dicotyles damit vollkommen überein; der hinterste Pr&emolarzahn zeigt alle Theile von Molaren noch sehr deutlich; allein an den vor- dern verschmelzen allmählig die zwei Vorderhügel zu einer - einzigen etwas comprimirten Zacke, an welcher indes im- mer der äussere "Theil etwas über den innern dominirt; der hintere Innenhügel verhält sich wie bei Pliolophus; er ver- kümmert und verschmelzt mit dem Aussenhügel. Phacoche- rus Aeliani (OwensPhilos. Trans. 1850) gebt einen Schritt weiter, indem sehon P. 4 sich einigermassen wie P. 3. und 621 P. 2 von Dicotyles verhält, obwohl mit noch deutlicherer Zweitheilung der hintern Hälfte des Zahnes (a. a. 0. Pl. 34, Fig. 10). | Ich bin nicht im Stand, mit gleicher Sicherheit über das Verhalten der Præmolaren bei den zwei übrigen Schwei- nen Sus, Porcus, sowie bei den mit ihnen in dieser Bezie- hung übereinstimmenden fossilen Formen Anfhracotherium, Cheropotamus, Archeotherium zu urtheilen. Doch scheinen mir alle diese Formen auch in Bezug auf die Bedeutung der Præmolaren mit den vorhin genannten Genera in die- selbe Rubrik zu gehören, obschon ihre Præmolaren, zumal bei Sus Scrofa, durch plötzliche Compression und schnei- dende Längskanten der Krone sich sehr von M. 1 unter- scheiden. indessen finden sich in der That auch hier Spuren, welche eine ähnliche Deutung der Præmolaren verlangen, wie bei Dicotyles. So ist P. 1, der hinterste Præmelarzahn von Palæochærus (Fig. 2. a, Pl. 35 bei Gervais) und von Cheropotamus (Fig. 6, Pl. 31 ebendas.), sowie von Anthra- cotherium minimum (Fig. 2, Pl. VIII bei Gastaldi a. a. O.) unzweideutig zweispitzig, und der hintere Theil dieses Zah- nes verhält sich bei Paleochorus ebenfalls sehr ähnlich wie bei Dicotyles; ja ich finde eine Spur dieser Zweithei- lung der Hauptzacke von P. 1 selbst innerhalb des Genus Sus bei den Formen mit etwas compacteren Præmolaren, so bei dem noch heute in Graubünden lebenden Descen- denten des Torfschweins und dem Schwein von Berkshire, (dem sogen. Sus pliciceps von Gray). Man erinnert sich, dass wir die Premolaren des Ober- kiefers sowohl bei Lophiodonten als bei Schweinen gleich Præmolaren mit reducirtem bis geschwundenem hintern In- ‚nenhügel beurtheilten. Ist nun auch an oberen Præmolaren von Sus die Entstehung des Zahnes aud$ einer seitlichen Compression der Molaren in der Weise wie bei Dicotyles 622 kaum annehmbar, so bleibt doch als Gesetz für die Omni- voren die Reduction namentlich des hintern Innenhügels sowehl an ebern als an untern Præmolaren. Die plötzliche Verjüngung von Præmolaren bei Hippopofamus zu einfachen Kegeln lässt eine ähnliche Entstehung aus den Molaren noch schwerer erkennen, als bei Schweinen. Es bleibt uns also unter den Hufthieren nur noch die Untersuchung am Wiederkauer,; wir schen hier wieder am passendsten aus von Anoplofherium. Wir sehen aus den Arbeiten von Cuvier, dass der hir - terste Premolarzahn dieses Genus in Bezug auf das Vor- joch meist noch vollkommener ausgebildet ist als M. 1, in- dem er die den Wiederkauer so wesentlich charakterisi- rende Gablung des mittlern Innenpieilers deutlicher darstellt, als irgend ein Molarzahn (Oss. foss. HI, Pl. XL, Fig. 8). Allein das Nachjoch ist gerade an diesem Zahn schon sehr reducirt, indem es nur durch die letzte Falte in der eben erwähnten Abbildung vertreten ist. in den weiter nach vorn liegenden Præmolaren wird sowohl das Vorjoch ver- -einfacht durch Aufgebung jener Spaltung des Mittelpfeilers, als auch das Nachjoch immer mehr reducirt; so in Fig. 9 derselben Tafel von Cuvier. Dasselbe Verhalten stellen . unsre Figuren 23—25 dar. Wir finden hier an dem hintersten Præmolarzahn Fig. 23 die vordere Zahnhälfte A sehr gut ausgebildet und nur den vordersten Innengipfei a schwächer als an Molaren; allein das Nachjoch B ist höchst reducirt. Noch einfacher -ist dies Verhältuiss in dem Zahn Fig. 2%, den ich als Milch- zahn beurtheile, und der seinem Ersatzzahn Fig. 9, PL Xi bei Cuvier ziemlich ähnlich sieht. An dem zweitvordersten Pr&molarzahn Fig. 25 unten ist endlich der grosse Mittel- gipfel der Molaren aa fast verschwunden und bildet nur noch einen niedrigen Kegel an der Innenseite des Zahnes. Die Ersatzzähne einiger Unterabtheilungen von Mo- 623 schus, nemlich von Tragulus, höchst wahrscheinlich auch von Hyemoschus, folgen demselben Plan, duch ist hier schon am hintersten Præmolarzahn der hintere Halbmond kaum mehr angedeutet. Hieraus ergiebt sich, dass Anoplotherium und einige Moschusarten sich in Bezug auf ihre Pr&molaren ähnlich verhalten wie die Lophiodonten: diese Zähne entsprechen Molaren mit bedeutend reducirtem Nachjoch und in die Längsachse gedehntem Vorjoch. Die Reduction erfolgt also in der Richtung der Längenacüse des Zahnes und ist nicht eine seitliche, wie bei Omnivoren. Allein die reducirte Zahn- hälfte verbindet sich weit inniger mit der vordern, als bei Lophiodonten. Die Wiederkauer verhalten sich hierin genau wie Ano- plotherium. Fig. 20. 21. 22. 26. 27 geben hierüber reich- lichen Aufschluss. Der hinterste Præmolarzahn, P. 1, zeigt beim Elenthier (Fig. 20) und Rennthier (Fig. 21) noch eine Zusammensetzung, die derjenigen der Molarern in aufallen- der Weise entspricht; nur ist der hintere Halbmond oder das Nachjoch B sehr verkümmert und steht eigenthümlich isolirt; beim Edelhirsch (P. 1, Fig. 22) ist es mit dem übri- gen Zahn enger vereinigt und bildet die hinterste Falte der Zahnkrone; am stärksten ist es wieder ausgebildet bei Mo- schus moschiferus, welches die Richtigkeit der soeben beim Hirsch gegebenen Deutung vollkommen belegt. Diesen ge- ringen Antheil behält es durch die ganze Præmolarreihe. Die hintere Coulisse der Innenwand aa von Molaren bildet dann die zweithinterste Falte des Zahnkrone; die vordere Coulisse der Innenwand bildet die dritte Falte, der vordere Halbmond A von Molaren die vorderste oder vierte Falte der Præmolaren; allein die eben genannte dritte Falte oder die vordere Coulisse der Innenwand legt sich häufig brü- ckenförmig an -den vordern Halbmond oder die Aussenwand des Zahnes an (P. 2, Fig. 20.21. P. 1, Fig. 22) oder schmiegt 624 sich selbst derselben in ihrer ganzen Erstreckung so an, dass sie mit ihr verschmilzt, wie dies durch die punktirten Linien in P. 3, Fig. 20 und in Fig. 27 angedeutet ist. Denkt man sich in P. 1, Fig. 20 das innerste Schmelzblatt so an das mittlere angelegt, dass die Marke 1 theilweise oder ganz verschwindet, und gleichzeitig den hintern Halbmond B inniger mit dem Zahnkörper vereinigt, so geht daraus in der That der Typus vorderster Præmolaren hervor, mit scheinbar einfacher Aussenwand und vier davon ausgehen- den, frei nach der Innenseite auslaufenden Schmelzblättern. Immerhin behält also die vordere, beim Wiederkauer ohnehin so auffallend stark ausgebildete Zahnhälfte ihre volle Integrität, während die hintere Zahnhälfte auf einen kleinen Anfang, die Schlussfalte der Zahnkrone reducirt ist. In Bezug auf das Milehgebiss des Unterkiefers sind die wichtigsten Verhältnisse schon erwähnt worden. Die Milchzähne der Imparidigitata unterscheiden sich von den Backzähnen fast durchgehends nur durch längere Form und etwas unregelmässigere Faltung des Schmelzblechs, wie dies schon für den Oberkiefer bemerkt wurde; allein diese Faltungen folgen nichtsdestoweniger so streng dem Plan sowohl von Molaren als von Præmolaren, dass zu Beurthei- lung beider bei unserm heutigen Pferde der junge Milch- zahn Fig. 34 als sicherer Ausgangspunkt dienen konnte. ‘Um so auflallender war es, zu diesem so constanten Plan, den auch die Zahnbildung der fossilen Pferde festhält (s. unten Taf. III), nicht nur bei Hipparion, sondern auch bei dem diluvialen Pferd Basalwarzen treten zu sehen, wie sie in der ganzen Reihe der unpaarigfingrigen Hufthiere sonst nirgends bekannt waren. Den anfänglichen Irrthum von Gervais in Bezug auf Hipparion hätte daher jeder Palæontolog 625 begehen müssen, der nicht Zähne erster und zweiter Zah- nung gleichzeitig in derselben Reihe neben einander sah. Man darf indes vermuthen, dass dasselbe Verhältniss sich auch noch bei dem Genus Anchitherium herausstellen werde, da wenigstens eine Species desselben, Anchitherium Bairdii, selbst im Ersatzgebiss Spuren von Basalwarzen hat, wel- che bei Hipparion gänzlich fehlen (s. Leidy Nebraska Pl. XI, Fig. 7. 8), und es dürfte selbst nicht überraschen, solche . Bildungen auch im Milchgebiss einiger Palæotheriumarten anzutreffen. Allein ähnlich wie Anchitherium ein schon sehr frühes Auftreten dieser Basalwarzen von Hipparion vor- . führt, finden wir innerhalb des Genus Equus dieselbe Bil- dung sich noch bis in die Diluvialzeit fortsetzen. Da der nähern Untersuchung dieser späten Reminiscenzen an Hip- parion der zweite Theil dieser Arbeit gewidmet ist, so ge- nügt hier die Erwähnung dieses Umstandes. Die Formel D — P — M gilt also, unter Beifügung der Basalwarzen beim Pferd, auch für den Unterkiefer von Ungulata imparidigitata. Etwas anders gestalten sich diese Verhältnisse bei Wiederkauern,; D. 1 ist hier bekanntlich M. 3 sehr Ähnlich; doch unterscheidet er sich durch vollständigere Ausbildung einer hintersten oder dritten Zahnhälfte, welche aber von den zwei vordern oder normalen Zahnhälften viel: stärker abgetrennt ist, als der dritte Lappen an M. 3. Allein schon der zweite Milchzahn kann offenbar; nicht mehr einem Mo- larzahn verglichen werden, sondern ist das Vorbild: des, zweiten Præmolarzahnes; noch getreuer ist die Aehnlich- keit zwischen vorderstem Milchzahn und vorderstem Er- satzzahn. Da nun, wie wir oben gesehen haben, der hin- terste Premolarzahn von Wiederkauern alle Elemente von Molaren enthält, allein allerdings den hintern Halbmond in sehr reducirter Form, so ist es wohl richtig, den hintersten Milchzahn des Unterkiefers nicht etwa dem hintersten Back- 41 626 zahn zu vergleichen, sondern dem hintersten Præmolarzahn, dessen hinterer Halbmond B indes vervollständigt wäre und überdies das grosse Anhängsel, einer Zahnhälfte gleich- werthig, erhalten hätte. Es entsprechen sich also bei Wie- derkauern die Milchzähne und Pr&molarzähne. Diese Deu- tung von D. 1 erscheint um so richtiger, als auch D. 2 sich vor P. 2 namentlich durch auffallende Vervollständi- gung der hintern Zahnhälfte auszeichnet; dies bezieht sich vornehmlich auf die vordere der beiden in Fig. 27 mit aa bezeichneten Falten, welche sich so sehr ausbildet, dass sie eine Art Innenwand für die hintere Hälfte des Milch- zahnes darstellt, welche bei dem Ersatzzahn durchaus nicht angedeutet ist. Das Genus Bos stellt diese Analogien wohl am deut- lichsten vor Augen, und führt dann weiter zum Verständ- niss des Milchgebisses von Capra und Ovis, deren mittlerer Milchzahn, in verschiedenen Alterszuständen verglichen, einen sehr evidenten Beleg für die Richtigkeit der früher erzielten Deutung der Præmolaren liefert, indem sich an ihm vielleicht deutlicher als an irgend einem Object aus dem Gebiet der Wiederkauer die allmählige Spaltung des hintern Hornes des Vorjochs in die zwei Lappen aa von Præmolaren (Fig. 22. 27) oder schliesslich in die beiden damit identischen Coulissen aa der Innenwand von Molaren herausstellt. An dem entsprechenden Milchzahn von Cervus ist dieses Verhältniss etwas maskirt durch die eben er- wähnte sehr ungleiche Ausbildung der zwei Schmelzfal- ten aa. Wenn daher bei erster Anschauung die vordern Milch- zähne von Wiederkauern sich leichter mit Præmolaren als mit Molaren vergleichen lassen, so steht dies keineswegs im Widerspruch mit dem am Oberkiefer erzielten Ergeb- niss, wo sich herausstellte, dass die Milchzähne, höchstens etwa mit Ausschluss des vordersten, den Molaren direct 627 vergleichbar waren. Auch am Unterkiefer der Wiederkauer mussten wir ja die Præmolaren gewissermassen als zusam- mengestossene Molaren betrachten, mit sehr reducirtem Nachjoch. Sämmtliche Backenzähne der Wiederkauer sammt den Milchzähnen folgen also dem Plan, der sowohl für den Oberkiefer als für den Unterkiefer am vollständigsten aus- gesprochen ist in den vordern Molaren. Allein während die Præmolaren in beiden Kiefern eine ziemlich gleich weit gehende Reduction des Nachjochs und Verschmelzung des- selben mit dem Verjoch erleiden, erreichte diese Reduction im Milchgebiss des Unterkiefers schon einen höhern Grad (wenigstens für die zwei vordern Milchzähne) als im Ober- kiefer. Diese Verkürzung ist am stärksten durchgeführt bei den Kameelen, welche ausser dem dreilappigen hintersten Milchzahn nur noch Einen vordern besitzen, der so sehr verkürzt ist, wie der vorderste von Hirschen. Die Moschus-Arten und hiemit wohl auch die Anoplo- therien verhalten sich in dieser Beziehung durchaus wie die gewöhnlichen Wiederkauer. Trotz des dreilappigen hinter- sten Milchzahns sind auch hier im Allgemeinen die Milch- zähne gleichwerthig mit Præmolaren. Ich kenne zwar das Milchgebiss von Moschus moschiferus nicht. Allein wir sahen früher, dass die Ersatzzähne dieses Thieres mehr als bei irgend einem andern lebenden Wiederkauer Molaren ähnlich sehen; sie stehen in der That in dieser Beziehung vollkommen auf paralleler Stufe mit den Milchzähnen von Cervus; um so mehr darf ich schliessen, dass die Milch- zähne von Moschus noch gestreckter sein werden. Moschus moschiferus bildet somit einen Ausgangspunkt für die Hir- sche, in ähnlicher Weise wie Anoplotherium dies that für die africanischen und javanischen Moschusarten; wie diese letztern im Milchgebiss noch Anoplotherien darstellen, so vergegenwärtigt die erste Bezahnung der Hirsche noch das 41* 628 Stadium des continental-asiatischen Moschusthieres, welches demnach als Stammform für die Hirsche so gut zu betrach- ten ist, wie Anoplotherium für Hyemoschus und Tragulus. Bei diesen beiden letzten Genera ‘) sind die zwei vor- dern Milchzähne sehr ähnlich ihren Ersatzzähnen; erstere sind nur wenig gestreckter und mehr in getrennte Zacken zertheilt als letztere. Ich habe schon früher (Eoc. Säuge- thiere pg. 71) auf ihre grosse Aehnlichkeit mit den Zähnen von Xiphodon aufmerksam gemacht. .Der letzte Milchzahn gleicht einem dreilappigen letzten Backzahn von Wieder- kauern, allein das vorderste Drittheil des Zahnes ist weit unvollständiger in einen äussern Halbmond und eine Innen- wand getrennt, als die zwei folgenden Portionen des Zah- nes, und als die Molaren; wir vergleichen daher auch hier wieder diesen Zahn weit richtiger mit seinem Ersatzzahn, der zwar vorerst vom dritten Lappen nichts besitzt, allein . auch seitlich comprimirter ist, als sein Milchzahn, indem eine Marke nur schwach in seiner hintern Hälfte angedeu- tet ist; auch hier belehrt uns aber der Milchzahn, dass wir nicht irrten, als wir den Ersatzzahn einem in seiner hin- tern Hälfte reducirten Molarzahn verglichen. Ziehen wir von dem Milchzahn den dritten Lappen ab, der ihm als Schlusszahn zukommt, so bleibt ein Zahn vom Typus des 1} Das Material hierüber liegt mir leider nicht so vollständig vor, wie es wünschbar war; ich besitze nur einen jugendlichen Schä- del von Hyemoschus, einen ähnlichen von Moschus Kanchil, und nur erwachsene von Moschus moschiferus und javanieus. Allein die Abbildungen im Catalog des Brittischen Museums (Ungulata furcipeda Tab. 24. 25) berechtigen mich zur obigen Erweiterung meiner Schlüsse; sie stellen das Milchgebiss von Meminna indica und das erwachsene von Moschus chrysoga- ster, Hyemoschus aquaticus und Tragulus stanleyanus deutlich genug dar, um eine Vergleichung mit den mir vorliegenden Schädeln zu gestatten. i 629 Ersatzzahnes, nur mit einer vollkommen ausgebildeten hin- tern Zahnhälfte. Auf die völlige Uebereinstimmung dieser Milchbezah- nung mit derjenigen von Anoplotherium wurde schon am Oberkiefer hingewiesen. Auch für den Unterkiefer kann die bekannte Abbildung Oss. foss. II, Pl. XLVI, Fig. 4 oder die bessere bei Blainville (Anopl. Pl. II) so ziemlich als vergrösserte Darstellung des Milchgebisses jener Moschus- arten gelten; und dass Xiphodon und Dichobune sich ganz ähnlich verhalten, könnte mit Sicherheit angenommen wer- den auch ohne die wenigen directen Belege, welche we- nigstens für Dichobune leporina die Blainvill'sche Tafel IV liefert. Ich finde hier einen Anlass, eine Bemerkung beizufü- gen über das im Bisherigen nicht berücksichtigte Genus Dichodon. Vergleicht man die hierauf bezügliche Arbeit von Owen (Quart. Journ. IV, 1848), so gewinnt man von vorn- herein den Eindruck, dass die daselbst abgebildeten Ober- und Unterkiefer einem jungen Thiere angehören, das noch das Milchgebiss trug, trotz dem ebenda geleisteten Nach- weis, dass die zu vermuthenden Ersatzzähre über und unter den Milchzähnen nicht aufzufinden waren. Bekanntlich hat Owen später (Quart. Journ. XIII, 1857) dann selbst seine frühere Ansicht zurück genommen und das wirkliche Er- satzgebiss dargestellt, das nur durch dickere massivere Ge- stalt von den Milchzähnen abweicht. Es war kein Genus bisher bekannt geworden, wo Milchgebiss und Ersatzgebiss einander so ähnlich sahen, und Dichodon bot überdies da- bei die merkwürdige Erscheinung, dass die Ersatzzähne of- fenbar später gebildet werden, als bei allen heutigen Huf- thieren, indem noch keine Anlage derselben da ist zur Zeit des Durchbruchs von M. 2 inf. und M. 3 sup. | Dieses sonderbare Verhalten bewog mich, an den mir vorliegenden Schädeln von Tragulus Kanchil und Hyemo- 630 schus aquaticus, an deren jugendlichem Alter ich keinen Augenblick zweifelte (s. oben pag. 591), den Unterkiefer ebenfalls anzusägen, und auch hier fand sich keine Spur von Zahnanlagen für Ersatzzähne, obschon bei beiden M. 2 inferior gebildet, ja bei Kanchil schon durch das Zahn- fleisch getreten war. Es erfolgt also die Anlage der Er- satzzähne hier eben so spät wie bei Dichodon. Wie sich hier das Milchgebiss zum Ersatzgebiss verhält, kann ich leider nicht nach eigenem Material beurtheilen; ich muss daher, nach Angabe, dass an beiden Schädeln die Ersatz- zähne gänzlich fehlten, obschon sie nach Analogie mit Hirsch und Schwein vorhanden sein sollten, fernere Belege für die blos provisorische Natur der Vorderbackzähne an den be- sprochenen Moschusschädeln beibringen. Abgesehen von der soeben berührten vollkommenen Analogie bei Dichodon, zeigt Fig. 2, Pl. XXV in Gray’s Catal. of Mammalia in the British Museum für Hyemoschus, dass dieses Genus in er- wachsenem Alter kürzere Pr&molaren besitzt, etwas ähn- lich denjenigen von Moschus moschiferus, oder vielmehr denjenigen von Moschus javanicus, wovon A. Wagner in Taf. CCXLV, D von Schrebers Säugethieren eine vortreflliche, mit einem hiesigen Schädel ganz übereinstimmende Abbil- dung giebt. Dasselbe Resultat ergiebt sich für Tragulus Kanchil aus Taf. CCXLIV desselben Werkes. Um so auf- fallender ist es, aus Fig. 3, Pl. XXV von Grays Catalog schliessen zu müssen, dass Tragulus Stanleyanus entweder nach Vortreten von M. 3 inf. noch das Milchgebiss besitzt, oder aber, dass sich hier die Milchzähne und Ersatzzähne so sehr gleichen, wie bei Dichodon. Jedenfalls verdient die Vergleichung der Zähne erster und zweiter Bildung bei den verschiedenen Moschusarten eine sehr specielle Untersu- chung, zu der es mir leider an hinreichendem Material ge- bricht. Eine Ausdehnung des für die Wiederkauer gewonne- 631 nen Satzes D = P auf die Schweine wäre ohne Kenntniss des Milchgebisses der so viel genannten Moschusarten sehr gewagt; allein diese letztern bürgen vollständig für eine Ausdehnung jener kurzen Formel auf sämmtliche Ungulata paridigitata. Allerdings sieht bei unserm Schwein der hinterste Milchzahn dem hintersten Molarzahn wieder äusserst ähn- lich, obwohl auch die zwei vordern Milchzähne unbedingt mit ihren Ersatzzähnen zu parallelisiren sind. Allein ob- wohl es auch hier, so gut wie beim Wiederkauer, viel un- gezwungener scheint, die zwei hintern Drittheile von D. 1 mit M. 1 parallel zu stellen und das vorderste Drittheil als Ueberschuss des Milchzahns über den Betrag eines spätern Zahnes zu betrachten, so glaube ich nichtsdestoweniger richtiger zu urtheilen, wenn ich wiederum die zwei vor- dern Drittheile von D. 1 mit dem Ersatzzahn vergleiche und den hintersten Lappen als Ueberschuss betrachte. Auch hierin liest dann eine unerwartete Bestätigung der früher ohne alle Berücksichtigung des Milchgebisses erreichten Beurtheilung der Præmolaren dieser Thiere als - seitlich comprimirte Molaren, indem die Trennung der Haupt- zacke von P. 1 in zwei Hügel, wie sie nur hier und da noch bei fossilen Genera sich zeigte (Palæochærus, Cheropota- mus etc.), im Milchzahn nun nicht nur im Vorjoch, sondern noch deutlicher in dem ungehemmter ausgebildeten Nach- joch sich herausstellt. An einem fetalen Schädel von Di- cotyles torquatus finde ich daher auch, wie erwartet, die Aehnlichkeit zwischen Milchgebiss und Ersatzgebiss grös- ser als bei unserm europäischen Schweine, weil ja dort auch das Ersatzgebiss jene Verschmelzung von äussern und innern Hügeln noch so deutlich an sich trägt. In der That ist das Milchgebiss von Dicotyles torquatus demjenigen von Paleocherus sehr ähnlich; der hinterste Milchzahn gleich 632 M. 3, die zwei vordern gleich P. 1 und 2 von Palæochærus .typus (Anthracother. gergovianum). Ergebnisse. Fassen wir nunmehr zunächst die Resultate zusammen, die aus der Vergleichung des Milchgebisses der Huf- thiere mit dem Gebiss des erwachsenen Alters hervorge- gangen sind, so lassen sie sich in einem sehr einfachen Satz vereinigen, trotzdem dass hier ein Milchzahn einem hintersten Backzahn , dort ein anderer einem vordersten Præmolarzahn zunächst vergleichbar schien. Es führen uns jeweilen die Milchzähne den gemeinsamen Inhalt des spä- tern Gebisses in einer Art vereinigten Budgets vor; das Ersatzgebiss verwerthet dann den Betrag desselben zu spe- cielleren Zwecken; innerhalb sehr enger Grenzen bei Im- paridigitata, wo höchstens die vordersten und die hinter- sten Zähne der Reihe von dem gemeinsamen Plan etwas abweichen; weit mehr bei Paridigitata, wo die Præmolaren fast durchgehends (am wenigsten bei dem in der Mitte stehenden Genus Dicotyles) sich als weit gehende Derivate der Molaren erwiesen. Der analogen Lage entsprechend, bleiben dann die Molaren diesem Grundtypus der Milch- zähne treuer, während die Præmolaren ihn zu differenteren Specialfunctionen umändern, als dies die vordern Milch- ‘zähne thun; in beiden Perioden der Bezahnung nimmt aber diese Differenzirung der Function von hinten nach vorn zu, dergestalt, dass die weitesten Abweichungen von der Grund- form stets im vordersten Theil der Zahnreihe zu finden sind, wie uns dies Anoplotherium in seinem definitiven Ge- biss so schön vorführt. Weit entfernt, in der Zahnreihe dieses Genus einen aberranten Typus zu erkennen, wie 633 _Leidy ihn beurtheilt !), müssen wir darin eine wahre Grund- und Stammform erkennen, welche uns in der durchsichtig- sten Weise in Einem Bild alle die zahlreichen Variations- reihen vor Augen führt, die in verschiedenen Perioden und durch eine sehr grosse Anzahl von Genera verwirklicht worden sind. In jedem Theile des Gebisses erschien Ano- plotherium als ein wahrer Knotenpunkt am Ende einer lan- gen Reihe von homæodonten Thierformen (den Imparidigi- tata), von wo dann rasch eine Anzahl von differenzirten Zahnbildungen in verschiedenen Richtungen ausstrahlten. Wie innerhalb einer einzelnen Species das Milchgebiss die Keimstätte bildet, aus welcher die speciellen Zahnformen hervorsprossen, welche die speciellen Ernährungszwecke während der langen Periode des unabhängigen Lebens aus- führen, so erscheint das Gebiss von Anoplotherium als eine Keimstätte für die grosse Zahl von Zahnformen in der Gruppe der paarigfingrigen Hufthiere, als ein Milchgebiss nicht etwa eines Genus, sondern der gnnzen Ordnung der Artiodactyla. Nichtsdestoweniger ist auch Anoplotherium offenbar kein originaler Typus, wie ihn Owen zu beurtheilen scheint’). Vielmehr liegen hinter ihm eine ganze Reihe anderer För- men, die ohne Zweifel wieder auf einen noch weiter zu- rück liegenden Knotenpunkt zurückweisen; allein ich finde unter den bisher bekannt gewordenen fossilen oder leben- den Formen keine, welche so unbedingt den Charakter eines Centrums auch für Anoplotherium böte, wie dieses Genus es thut in Rücksicht auf die Schaar der paarigfingrigen Hufthiere, vielleicht selbst auf noch weitere Peripherien; doch hat zunächst Dichobune, und noch weiter zurück Cory- phodon ein gewisses Anrecht auf eine solche Rolle. 1) Fauna of Nebraska passim. 2) Odontography pg. 524. 634 Bevor wir vom Milchgebiss scheiden, sei nochmals auf- merksam gemacht auf einen fernern Gesichtspunkt, der sich im Verlauf der vorhergehenden Untersuchung immer von neuem aufdrängte und der in engstem Zusammenhange steht mit seinem Verhältniss zum definitiven Gebiss. Zur Beur- theilung von Unterschieden zwischen den Species, zur Iso- lirung und Analyse der Zahnformen werden wir uns stets an die Formen des definitiven Gebisses halten müssen; al- lein wie Owen schon vielfach es nachgewiesen (Odonto- graphy), wird uns das Milchgebiss hauptsächlich leiten müssen bei der Untersuchung der Beziehungen zwischen benachbarten Genera, der Synthese; es weist uns auf die Centra zurück, welche innerhalb oder überhalb der grossen Peripherie der Specialformen liegen. Suchen wir schliesslich die durchgegangenen speciellen Resultate, welche das definitive Gebiss der Hufthiere betreffen, zusammenzustellen, so ergiebt sich etwa folgen- des Tableau, in welchem nur die mit Sicherheit zu beur- theilenden Genera aufgenommen sind; da sich das Milch- gebiss immer theilweise gleich den Molaren, theilweise gleich den Præmolaren verhält, oder vielmehr diese zwei bei Artiodactyla aus einander weichenden Gruppen von Formen verbindet, so wurde es selbstverständlich bei die- ser Tabelle nicht weiter berücksichtigt. | Es lag dabei nahe, diese Ergebnisse durch schemati- sche Zeichnungen noch zu verdeutlichen; für entferntere Derivate des zygodonten Zahntypus, wie etwa den Wieder- kauer-, Pferd-, Schwein-Typus konnte dies nützlich- sein. Nichtsdestoweniger glaube ich, dass richtige Darstellungen nach der Natur, wie die beiliegenden Tafeln sie geben, schematischen Darstellungen vorzuziehen sind; leistet der Text und die ihm angepasste Bezifferung der Abbildungen das Gewünschte nicht, so werden es Schemata auch nicht thun. Dennoch habe ich zum Ueberfluss in einigen Figuren 635 (3. 10. 20. 27. 37. 45) das Nachjoch einiger Ober- und Unterkiefer-Zähne durch Schraffirung von dem übrigen Zahn- theil abgehoben. Oberkiefer. Molaren. Zwei Querjoche mit Aussenwand. a. Querjoche ungetheilt. Vertikal auf die Aussenwand: Tapirus, Lophiodon, Co- ryphodon etc. Dinotherium. Schief nach hinten gerichtet: Rhinoceros, Hyrax, Ne- sodon etc. | Wenigstens das hintere halbmondförmig zur Aussen- wand zurückkehrend: Paleotherium, Titanotherium. b. Querjoche mit isolirten Innenpfeilern. Nur am Vorjoch: Palæoth. curtum, Paloplotherium, Ano- plotherium, Dichobune etc. Ruminantia partim. (Bo- vina). Innerer isolirter Innenpfeiler geschwunden: Dichodon, Agriocherus, Pebrotherium, Oreodon, meiste Rumi- nantia. An beiden Jochen: Anchitherium, Equus, Hipparion. c. Querjoche und Aussenwand in Warzen aufgelöst. Nur das Vorjoch: Hyopotamus, RN Anthro- cotherium, Archeotherium, Entelodon, Rhagatherium. Nur das Nachjoch: Paleocherus, Dicotyles, Sus, Por- _ cus, Phacocherus. Vorderes und hinteres Hügelpaar wieder in Quer- joche vereinigt: Hippohyus, Hippopotamus, Mastodon? Beide Joche: Hyracotherium, Pliolophus. 636 Præmolaren, Gleich Molaren: Tapirus, Hyraz, Rhinoceros, Equus, Hipparion, Palæotherium etc. Præmolaren reducirt: a. Nachjoch reducirt (und hier und da Innenhügel mit der Aussenwand verschmelzend): Lophiodonten, Hyraco- therium, Pliolophus, Rhagatherium, Paleocheriden, le- bende Suida. b. Hintere Zahnhälfte reducirt und mit der vordern ver- schmolzen: Anoplotherium, Xiphodon etc., Ruminantia. Unterkiefer. Molaren. Zwei Querjoche ohne Aussenwand. a. Querjoche ungetheilt. Vollkommen wie am Oberkiefer: Tapirus, Dinothe- rium, Lophiodonten, Rhinoceros, Paleotherium etc. b. Querjoche mit zweilappigem Innenpfeiler. Nur am Vorjoch: Palæotherium z. Th., Anoplotherium. Beide Seitenpfeiler des Vorjochs verschmolzen zu einer Innenwand: Ruminantia. An beiden Jochen: Anchitherium, Equus, Hipparion. c. Querjochein Warzen aufgelöst und die beiden Seitenpfeiler am Vorjoch verschmol- zen zum vordern Innenhügel: Diplobune, Archæo- therium, Palæochæriden, Suida. Vorderes und hinteres Hügelpaar wieder in Quer- joche vereinigt: Hippopotamus, Mastodon ? 637 Præmolaren. Gleich Molaren. Dieselben Genera wie am Oberkiefer. Præmolaren reducirt: a. Nachjoch reducirt: Lophiodonten. b. Ebenso, allein gleichzeitig die Innenhügel mehr oder weniger mit den Aussenhügeln verschmelzend: Di- chobune z. Th., Pliolophus, Rhagatherium, Lophiothe- rium , Aphelotherium, Chasmotherium , Palæochærida, Suida. c. Ebenso und gleichzeitig hintere Zahnhälfte mit der vor- dern verschmelzend: Anoplotherium, Ruminantia. Blickt man auf diese Zusammenstellung zurück, so ist vorerst die Congruenz in den Factoren der Modificationen oberer und unterer Backzähne bei den verschiedenen Ab- theilungen der Hufthiere grösser, als a priori zu erwarten war; auch mögen vielleicht die wenigen Incongruenzen durch voilständigeres Material sich in Zukunft ausgleichen, wie etwa der dermalen mir unmögliche Nachweis, dass die schneidenden vordern Præmolaren des Oberkiefers von Om- nivoren, wie Rhagatherium, Pliolophus, Schwein nicht nur aus der Aussenwand von Molaren bestehen, sondern auch die damit: verschmolzenen Innenhügel enthalten, wie an un- tern Præmolaren dieser Thiere theilweise deutlich ist. Es scheinen in dieser Beziehung Gradationen vorzukommen, deren vollständige Aufnahme in das vorhergehende Tableau ‚überflüssig war. So ist z. B. die Entstehung der Præmo- laren aus seitlich comprimirten Molaren, immerhin mit haupt- sächlicher Unterdrückung des hintern Innenhügels durch die 638 ganze untere Præmolarreihe sichtbar an Dicotyles labiatus, nur an den hintern Præmolaren bei Dicotyles torquatus; ein starker (vorderer) Innenhügel, der aber eher wegzufallen als in die Aussenwand einzugehen scheint, besteht an hin- tern Præmolaren von Anthracotherium, Palæochærus, Rha- gatherium, Cheropotamus, Entelodon, Archæotherium und der Mehrzahl der lebenden Schweine. Am plötzlichsten er- folgt der Uebergang von vierhügligen Molaren zu einhügli- gen Præmolaren am Unterkiefer vom Flusspferd. Es wären also in Bezug auf die Bildung der Præmola- ren sowohl für Ober- als Unterkiefer genauer mehrere Reihen aufzustellen, von welchen die erste die Lophiodon- ten enthielte, eine andere Dicotyles vielleicht mit einigen fossilen Genera, eine dritte die Mehrzahl der fossilen und lebenden schweinartigen Thiere, eine vierte vielleicht Por- cus, Phacocheerus, Hippopotamus (rasche Unterdrückung der hintern Zahnhälften in den Præmolaren), eine letzte die Wiederkauer. Eine zweite Frage, die sich beim Anblick des gegebe- nen Tableau aufdrängt, ist die, ob diese Gruppirung eine natürliche oder eine künstliche sei. Es lässt sich dies nicht entscheiden, bevor die sehr zahlreichen Lücken im Beob- achtungsmaterial besser ausgefüllt sein werden. Allein wenn auch diese Anordnung zum Theil, und namentlich an ihren nicht zu läugnenden schwachen Stellen eine künst- liche genannt werden muss, so enthält sie doch offenbar Elemente zu einer natürlichen Gruppirung, die nicht zu ver- kennen sind; allein alle diese den Charakter der Natür- lichkeit an sich tragenden Verwandtschaften bilden nicht parallele, sondern convergirende Linien, deren Vereini- gungspunkte wenigstens theilweise schon jetzt als solche durchzuschimmern scheinen; das Tableau würde in Folge dieser Anschauung offenbar eine ganz andere Anordnung gewinnen, wie ja überhaupt alle dichotomischen Tableaux 639 vielleicht von vornherein auf jedem Gebiete der Natur künst- liche zu nennen sind. Es wäre jedenfalls verfrüht, eine solche bessere Grup- pirung jetzt zu versuchen, da die dazu nöthigen Prämissen noch so sehr unvollständig sind. Allein es ist gestattet, einige Linien anzudeuten, die sich schon jetzt als conti- nuirliche und connivirende herauszuheben scheinen. Wie schon beim Milchgebiss angedeutet wurde, kann man sich nicht dem Eindruck entziehen, dass einerseits eine grosse Zahl von Gebisstypen fossiler und lebender Genera sich ohne allen Zwang von gewissen Grund- oder Stammtypen ableiten lassen, ja diese Rückführung auf Centralpunkte zu verlangen scheinen, und dass andrerseits gewisse Formen unmittelbare Uebergangsformen zwischen sonst getrennten Bildungen darzustellen scheinen; ZLophiodon, Paleotherium, Anoplotherium haben sich im Obigen wiederholt als solche Grundformen von selbst aufgedrängt. Diplobune, Archæothe- rium boten gleich bindende Beispiele von Uebergangsformen zwischen Anoplotherium und schweinartigen Thieren, Mo- schus für den Uebergang von Anoplotherium zu vielen Wie- derkauern, Anchitherium ein Beispiel eines Verbindungsglie- des zwischen Palæotherium und Pferden. Aehnliche Beispiele könnten leicht vermehrt werden, doch wäre es gefährlich, der Phantasie zu weiten Raum zu lassen, so lange das Beobachtungsfeld so viele Lücken bie- tet. Ich begnüge mich daher nur mit einer Andeutung, in welcher Weise die fragmentaren Notizen über die meisten besprochenen fossilen Genera den Inhalt obiger Tabelle viel- leicht richtiger gruppiren lassen dürften; das Vorhergehende soll das Verständniss dieses neuen Tableau sichern und na- mentlich besondere Verbindungslinien zwischen abgeleiteten und Stammformen entbehrlich machen; auch sieht man, dass die Gruppirung der Namen in horizontalem und vertikalem Sinn wirksam sein soll. 640 Coryphodon. Lophiodon. Anchilophus? Propaleotherium. Palæotherium. Dichobune. Lophiotherium. Pachynolophus. Pliolophus. = = Cheropotamus. Hyracotherium. Rhagatherium etc. Listriodon. Tapirus. Aceratherium. Rhinoceros etc. Titanotherium. Anchitherium. ; Equina, Hipparion. Oreodon? Camelina. Anoplotherium. Chalicotherium. Cavicornia, Xiphodon. Cervina, Amphitragulus. Dichodon. Microtherium. Moschina. Pwbrotherium etc. Hyopotamus. en Dicotylina. Anthracotherium. Entelodon. ee Suina, Palæochærus. Hippohyus. Hippopotamus. (Mastodon ?) 641 Man wird dieser Gruppirung mit vollstem Recht den Vorwurf grosser Unvollständigkeit machen; sie kann auch wesentliche Fehler enthalten; in weit höherm Grade als bei der Gruppirung lebender Thiere, werden sich bei derarti- gen Versuchen an fossilen Formen persönliche Anschauun- gen und Gesichtspunkte geltend machen, die dem Vorwurf der Willkührlichkeit schwerlich entgehen. Jeder solche Versuch prägt uns tief den Eindruck von der grossen Un- vollständigkeit unserer dermaligen Kenntniss auch nur in Bezug auf die am häufigsten erhaltenen Reste fossiler Thiere, auf ihr Gebiss ein, und nährt in gleichem Maasse die Ge- wissheit, dass die Zahl der noch auizufindenden erlosche- nen Formen eine sehr grosse sein wird; ja er weist selbst auf mancherlei Punkte hin, welche voraussichtlich durch solche fossile Formen einst eingenommen werden mögen. So werden sich unsre heutigen Dispositionen fossiler Säuge- thiere, über welche eine spätere Periode ähnlich urtheilen wird, wie wir oft über zoologische Arbeiten des Alter- thums zu thun pflegen, nur sehr allmählig vervollständigen und berichtigen; ebenso wird die vollständigere Kenntniss früherer Faunen voraussichtlich noch einen wesentlichen Einfluss üben auf die Disposition ihrer heutigen Nachfol- ger, deren Anordnung in Einer verticalen Reihe, wie obi- ges Tableau es grösstentheils thun musste, sich wohl auch als sehr unrichtig herausstellen wird; schon jetzt kann man wohl nicht mit Unrecht gewisse Linien als Linien langsa- merer Entwicklung bezeichnen, denen andere durch rasche Vermehrung des Formenreichthums weit voraus eilten. Es erweisen sich, mit andern Worten, gewisse Glieder der heutigen Fauna als stationäre, andere als progressive Ty- pen, wie dies auch auf andern Gebieten der heutigen or- ganischen Schöpfung längst anerkannt worden ist. Allein eben so scheint hier und da eine Linie, die nur sehr langsam sich entfaltete, plötzlich einen gewaltigen 42 642 Aufschwung zu nehmen, und wieder eine andere nach reich- licher Entfaltung zu verkümmern; die gewaltige Ausbrei- tung der Cavicornia und Cervina in sehr später Periode, die gleichzeitige Verarmung der Moschina im Vergleich zu ihrem frühern Reichthum sind Beispiele der Art, welche indes immer noch durch Vervollständigung unserer offenbar ausserordentlich lückenhaften Kenntnisse ausgelöscht oder durch andere passendere ersetzt werden können. Immerhin ist es nicht ohne grosse Bedeutung, dass je- der Versuch einer natürlichen Zusammenstellung heutiger und erloschener Säugethiere unverkennbar einen gewissen Parallelismus zwischen den sich ergebenden zoologischen Etappen und der historischen Succession herausstellt; der- selbe wird zwar offenbar manchfach durchkreuzt durch die eben berührte langsamere Entwicklung auf dieser, durch rascheren Fortschritt auf jener Reihe; allein diese Ungleich- heit der Entfaltung hindert die Erkenntniss von Wurzel- formen nicht, mögen nun solche weit zurück liegenden hi- storischen Epochen angehören oder noch jetzt vertreten sein. Ob nun solche Wurzelformen — seien sie auf ältere Ablagerungen beschränkt, oder noch Zeitgenossen später Abkömmlinge der selben oder benachbarter Stammformen — den Namen Stammform nur in morphologischem oder auch in physiologischem Sinn verdienen, ob unseren morpholo- gischen Deductionen eine physiologische Wahrheit zu Grunde liegt, kann bestritten werden. Allein um innerhalb des hier besprochenen Gebietes zu bleiben, so muss doch die That- ‘sache, dass durch die grosse Mehrzahl der Säugethiere ein ephemeres Zahnsystem, das in vielen Fällen niemals zur Function gelangt, dem functionellen und bleibenden voraus- seht, und noch mehr der Umstand, dass das erstere den Gesammttypus des Gebisses der Species oder des Genus stets treuer ausdrückt als die Ersatzzähne ; — es muss diese Thatsache den Palæontologen auf einen engen Zusammen- 643 hang der Entwicklungsstadien des Individuums mit denje- nigen der Species aufmerksam machen. Auch hätte die be- kannte, dem Palæontologen oft sehr mühsame Erfahrung, dass die Zähne fast aller Hufthiere ihr specifisches &epräge in gleichem Maasse verlieren, als sie sich in vorgerückte- ren Stadien der Abnutzung befinden, allgemeiner zur Ein- sicht führen können, dass dieses specifische Gepräge nur den oberflächlichen Faltungen der Schmelzpulpe zukömmt, während die Basis der Zahnpulpe eine weit geringere Manchfaltigkeit der Bildung zeigt; die oben dargelegte, fast zur Identität reichende Aehnlichkeit der Schmelzfalten an der Basis der Keimzähne zweier in der Bildung der Zahn- oberfläche so weit aus einander stehender Gruppen wie die Pferde und die Wiederkauer, scheint mir stark für die Richtigkeit der obiger Untersuchung zu Grunde liegenden Methode und also auch zu Gunsten ihrer Resultate zu spre- chen. Allein wenn auch diese Methode leider ihre Anwend- barkeit grossentheils verliert bei Untersuchung von Fossi- lien, so wird sie uns doch über die Beziehungen letzterer zu den heutigen Säugethieren noch manchen Aufschluss ge- ben können. Die möglichen Beziehungen dieser Resultate zu der Darwin’schen Lehre weiter zu besprechen, liegt nicht im Plan dieser Arbeit; dieser Gesichtspunkt lag ihr überhaupt nicht im mindesten zu Grunde. Allein wenn die sorgfäl- tige Untersuchung irgend eines Gebietes so dringend Ab- stractionen weckt, welche auch einem anderweitigen Beob- achtungsfeld entstammen, so denke ich mich nicht darüber zu beklagen; wenn jene seit alter Zeit wiederholt zu Tage getretene und in neuster Zeit mit so viel Geist vertretene Anschauung den Ausdruck wirklicher nicht nur einer frü- hern Zeit angehöriger, sondern auch noch jetzt vor sich gehender Thatsachen bildet, so bedarf es zu ihrem Nach- weis auch auf dem vorliegenden Gebiet einer weit einläss- 42* 64% lichern und minutiosern Untersuchung, als bisher ; allein jede Wissenschaft wird für diese Anregung, sei das Resultat dieses oder jenes, nur dankbar sein können. ich muss es hier auch unterlassen, auf die Schlüsse hinzuweisen, welche aus der Kenntniss des Zahnsystems auf den Bau des Skelets, namentlich der Extremitäten her- vorgehen können. Dass die von Owen und Gervais wieder hergestellte und genauer definirte Ray’sche Gruppe der Im- paridigitata in engerm Sinn in dem Verhältniss von Mola- ren und Pr&molaren sich kenntlich macht, hat sich seit langem bewährt. Allein der Umstand, dass unter äusserlich unverkennbaren Paridigitata die Artiodactylie selbst an der für dieses Verhältniss allein massgebenden hintern Extre- mität bei dem Kameel im Tarsus, bei Dicotyles schon im Metatarsus schwindet, ohne sich in so einfacher Weise im Gebiss abzuspiegeln, andrerseits Pliolophus, Coryphodon und andere, nach den bisher bekannt gewordenen Skelet- theilen zu schliessen, unpaarigfingrige Thiere in dem ge- genseitigen Verhalten von Præmolaren und Molaren des Oberkiefers sich durchaus wie heutige Paridigitata verhal- ten, fordert zu grosser Vorsicht auf, um so mehr; als auch die früher festgehaltenen Unterschiede zwischen Paridigi- tata ruminantia und omnivora keineswegs parallele Etappen im Gebiss und im Bau der Extremitäten festzuhalten schei- nen, indem z. B. das Lama, mit theilweise aufgelöstem Me- tatarsus und ganz getrenntem Os scaphocuboideum noch .einen ansehnlichen Theil des Wiederkauergebisses besitzt. Hiossile Pferde. Die vorangehende Untersuchung erleichtert uns we- sentlich in der Darstellung der kleinen Details, aus wel- chen die Beiträge bestehen, die das mir vorliegende Mate- rial über einige fossile Pferde mir zu der bisherigen Kennt- niss derselben beizufügen gestattet. Seit der ersten Entdeckung von Pferden, welche von den heute lebenden mit einiger Bestimmtheit unterschieden werden konnten, haben sich die Spuren derselben ziemlich rasch vermehrt, so dass man gegenwärtig eine grössere Anzahl fossiler Pferdearten aufführt, als man lebende kennt. Dieselben zerfallen von vornherein in zwei Gruppen, von welchen die eine von den heutigen Pferdearten nicht mehr abzuweichen scheint, als diese unter sich, während eine andere nach der Entdeckung von Kaup durch den Be- sitz von drei functionell ausgebildeten Fingern und durch Eigenthümlichkeiten des Gebisses davon erheblich abweicht. Beide Gruppen sind in der alten und neuen Welt durch eine Anzahl von Arten vertreten, allein während die Pferde und die Hippotherien in Europa geologisch scharf getrennt .zu sein scheinen, wurden sie wenigstens in Asien bis jetzt 646 als in einer und derselben Formation zusammengemengt an- gegeben. !) Es erklärt sich dies vielleicht aus der Schwierigkeit der Unterscheidung einzelner Ueberreste der beiden Grup- pen, indem ausser der Fingerzahl das Skelet nur sehr un- erhebliche Anhaltspunkte zu ihrer Unterscheidung bietet, und auch die Zähne, die am häufigsten erhaltenen Ueber- bleibsel, nicht immer einen Schluss auf den Bau des Fusses gestatten. Noch schwieriger ist die Unterscheidung der Arten in- nerhalb jeder dieser Gruppen für sich, so dass wohl jeder Beitrag zu ihrer Kenntniss erwünscht sein kann, möge er auch, wie der hier gegebene, eher zum Resultat haben, die bisher aufgestellten Formen einander mehr anzunähern, als, wie es wünschbar schien, sie besser aus einander zu halten. 1. Hipparion, Die Kenntniss der dreizehigen Pferde hat durch eine Anzahl neuerer Fundorie derselben seit A. v. Meyer, Kaup, de Christol und Gervais einen bedeutenden Zuwachs erhal- ten; am fruchtbarsten hat sich in dieser Beziehung die be- rühmte Localität von Pikermi bei Athen erwiesen, deren Inhalt an Säugethierüberresten erst durch A. Wagner und Roth, in letzter Zeit durch Gaudry ?) speciell beschrieben worden ist. Das Genus Hipparion hat überdies durch Reinhold Hensel 1) Falconer Catal. of Vertebr. from the Sivalik Hills. Calcutta 1859. 2) Ich muss bedauern, die in Publication befindliche Schrift von Gaudry Oss. foss. de l’Attique noch nicht zu Gesicht bekom- men zu haben. 647 eine Monographie erhalten !), welche zu den sorgfältigsten und schönsten Arbeiten auf diesem Gebiet gehört. Auf dieselbe verweise ich hier auch bezüglich aller litterari- schen Nachweise über diesen Gegenstand. Eine ansehnliche Sammlung von Fossilien von Pikermi, welche das Museum von Basel von Seite des K. Natura- lien-Cabinets in Athen erhalten hat, setzt mich in den Stand, trotz der so ausgedehnten Bearbeitungen von Hip- parion einige nicht unwesentliche Lücken in der Kenntniss dieses Genus auszufüllen, und ich lasse darauf einige da- mit sehr verwandte Beobachtungen über das Diluvialpferd folgen, für welches das hiesige Museum ebenfalls ein ziem- lich ausgedehntes Material enthält. Alle Pferdereste aus unserer Sammlung von Pikermi gehören zu der daselbst vorwiegend vertretenen Species, welche durch Hensel den Namen Hipparion mediterraneum erhalten hat. Von Hipparion brachypus Hensel ?) vermochte ich nichts wahrzunehmen. Ausser einem fast vollständigen Schädel enthält nun obige Sammlung eine ansehnliche Anzahl von mehr oder weniger vollständigen Zahnreihen sowohl des Ober- als des Unterkiefers, welche zum weitaus grössern Theil dem bisher weniger bekannten Milchgebiss angehören. Die übri- gen Skelettheile werde ich, insoweit sie zu Beifügungen zu Hensels sorgfältiger Arbeit Anlass geben, weiter unten be- sprechen. Unsere Bemerkungen beziehen sich aus dem eben an- gegebenen Grund vornehmlich auf das Gebiss des Unter- kiefers, das ja bei dem in Rede stehenden Genus von dem Ersatzgebiss weit mehr abweicht als im Oberkiefer. Doch glaube ich auch für die Zahnreihe des Oberkie- 1) Abhandl. d. Berliner Academie 1860. 2) Berliner Monatsbericht vom 14. August 1862. 648 fers einige, wie mir scheint, nicht unnützliche Beobachtun- gen von allgemeinerer Anwendung, die ich in der bisheri- : gen Litteratur vermisse, in kürzester Weise beifügen zu dürfen. | A. Oberkiefer. * 1° Im Gebiss des erwachsenen Thieres bieten sich bei Hipparion so gut wie bei Equus zwei selten trügliche Hülfs- mittel zur Unterscheidung von Molaren und Præmo- laren, welche bisher übersehen worden zu sein scheinen: Die Schmelzfalten an der Aussenwand oberer Back- zähne sind bei Pr&molaren und Molaren nicht gleich. So- wohl bei Hipparion als bei Equus finde ich durchgehends an Molaren die beiden vertikalen Schmelzfalten der Aus- senwand (sowohl die mittlere als diejenige an der Aussen- vorderkante des Zahnes) ziemlich einfach gebildet. An den Præmolaren sind diese Falten merklich breiter und meistens eingeknickt oder gefurcht, bis fast doppelt, und zwar be- trifft dies beide Falten bei Equus Caballus, so dass die Me- dianfalte sichtlich von hintern nach vordern Zähnen immer breiter wird, dagegen nur die vordere oder die Eckfalte bei Hipparion. Ist auch der Præmolarzahn Fig. 9 unten zu jung, um dies deutlich sehen zu lassen, so wird es schon merk- lich an M. 1, Fig. 8, und wird evident bei der Untersu- chung erwachsener Zahnreihen beider Genera. Für Equus Caballus ist diese Beobachtung leicht zugänglich. Für Hip- 'parion belegen es nicht nur die mir vorliegenden Oberkie- fer, an deren Præmolaren die Eckfalte stets entschieden breiter ist als die Medianfalte, sendern selbst gute Abbil- dungen oberer Zahnreihen, obgleich dieses Verhalten von den Autoren übersehen wurde. So Fig. 1, Tab. Ill bei Hen- sel für Hipparion mediterraneum, und Fig. 1 bei Haup (Acta Acad. Nat. Cur. 183%, Pl. XI. B) für Hipparion gracile, wo 649 der Unterschied zwar nur relativ, allein immerhin an den beiden letzten Præmolaren bemerklich genug ist; der vorderste Pr&molarzahn stellt dann gewissermassen dies Verhalten im Maximum dar. Auch in Fig. 2, Pl. 19 bei Gervais erweist sich hienach der vorderste Zahn als Præ- molare, die beiden hintern sowie auch Fig. 3. # als Mola- ren; der Text dazu zeigt auch eine vollkommen richtige Bezifferung dieser Zäbne. Die mit Fragezeichen bezeich- neten Zähne in Hensels Tafel III können hienach mit Si- cherheit definirt werden. | Die Milchzähne verhalten sich in dieser Beziehung bei beiden Genera wie die Præmolaren, wovon wiederum Hen- sels Fig. 2. 4, Taf. IE einen treuen Beleg liefern. Um so auffallender ist nun, dass Equus fossilis sich in dieser Beziehung wie Hipparion verhält, und nicht wie Equus Caballus. Unsere Fig. 12 zeigt dies für das Milch- gebiss, und Fig. 6. 7, obwohl noch undeutlich, weil Molar- zähne, für das bleibende Gebiss. | Ueberdies überragt, so weit ich sehe constant, sowohl bei Equus als bei Hipparion die hintere der beiden halb- mondförmigen Marken mit ihrem vordern Horn das Hinter- horn der vordern Marke in den Præmolaren und Milchzäh- nen, während diese einander zugewendeten Hörner der bei- den Marken an Molaren gleicher Alters ziemlich gleich hoch stehen. Mag auch dies Verhältniss nur ein relatives sein !), so ist es doch in den erwähnten Tafeln von Hensel und Kaup, sowie auch in unserer Tafel I unverkennbar aus- gesprochen. 2° Milchzähne des @berkiefers unterscheiden sich von ihren Ersatzzähnen bei Hipparion nicht nur durch ge- 1) In hohem Alter überragt dann allerdings auch an Molaren die hintere Marke die vordere um Bedeutendes. (Hensel Tab. III, Fig. 10 und ebenso bei Equus). 650 strecktere Form und unregelmässigere, auch reichlichere Fältelung rings um die Marken- und im Hintergrund des vordern Querthales, sondern überdies durch weit tieferes Eindringen des hintern Querthales. Auch hiefür verweise ich auf die Abbildungen bei Hen- sel. Der letzte Umstand gilt überdies auch für Equus, wie unsere Tafel I zeigt, wo das vordere Querthal in einigen Figuren mit «, das hintere mit £ bezeichnet ist. Für beide Genera, allein für Equus in weit höherem Grade als für Hipparion, gilt ferner, dass die Milchzähne bekanntlich weit niedrigere Cylinder darstellen, als die Ersatzzähne, und breite, blättrige statt langer, cylindrischer Wurzeln tragen. 3° Ein verderster knopfförmiger Premolarzahn, P. 4, scheint bei Hipparion nach meinen Beobachtungen entweder zu fehlen, oder denn doch sehr früh auszufallen. 4° Um so weniger ist an der constanten Anwesenheit eines analogen Milchzahnes, D. 4, zu zweifeln, wovon mir eine Anzahl Exemplare vorliegen. Hienach beurtheile ich den Knopfzahn in Fig. 4, Tab. III bei Hensel als Milch- zahn, nicht als Ersatzzahn, da ich diesen Zahm in seiner Usur und im Ausfallen stets Schritt halten sehe mit den . übrigen Milchzähnen. Auch finde ich weder bei Bojanus (Acta Nat. Cur. X}, 2), noch bei Owen (Odontogr. p. 572) eder Hensel irgend einen genügenden Grund angegeben, warum dieser Zahn nicht als Milchzahn zu beurtheilen sei; denn der Umstand, dass er keinen Nachfolger hat, ist of- fenbar kein Criterium für einen Præmolarzahn. Rousseau - (Systeme dentaire p. 216, Pl. 23 etc.) scheint mir hier rich- tiger geurtheilt zu haben. 5° Ueber die obern Eck- und Schneidezähne von Hipparion bietet mir ein vortrefflich erhaltenes Stück eines sehr jungen Schädels folgenden Aufschluss. Dasselbe be- steht aus einem Intermaxillartheil, leider ohne beiliegende Backenzähne. Von den 6 Milch-Schneidezähnen sind die 651 zwei äussern Paare noch vorhanden, allein das mittlere ist abgestossen, da die weit breitern Ersatzzähne im Durch- bruch begriffen sind. Nach der Analogie mit dem Pferd müsste also dieses Hipparionfüllen zwei bis drei Jahre alt geworden sein. 40 Millim. hinter dem äussern hinfälligen Schneidezahn ragt, 3 Millim. im Durchmesser haltend, ein kleines, fast kugliges, knopfförmiges Zähnchen aus dem Kie- ferrand hervor, welches ich als den Eckzahn erster Zah- nung beurtheile. Es sieht dem provisorischen Zähnchen 4, das Rousseau (Système dentaire PI 23, Fig. 6) am Unter- kiefer abbildet, sehr gleich. Ein ganz gleiches geknöpftes Eckzähnchen finde ich in einem Pferdefüllen oben und un- ten ausgebildet, allein den Schneidezähnen weit mehr ge- nähert als bei Hipparion. Doch hängt diese Distanz vom Alter wesentlich ab. Von der Præmolarreihe steht dies Zähnchen noch um mehr als 60 Millim. ab, so dass eine Verwechslung mit D. 4 nicht möglich war. > B. Unterkiefer. Es ist nach den Darstellungen von Hensel und seinen Vorgängern, von welchen jedenfalls 7. v. Meyer bisher die besten Abbildungen für Hipparion geliefert, schwer, über das Ersatzgebiss etwas mehreres beizufügen. Auch hier fasse ich daher meine eigenen Beobachtungen in kürzester Weise. In Bezug auf den Unterschied zwischen dem defi- nitiven Gebiss von Hipparien und Equus mache ich hier neben den frühern und allgemein bekannten Angaben hierüber noch auf folgende Punkte aufmerksam. 1° Weit geringere Höhe der Zahnkrone. 1° Geringere Cementbekleidung. 3° Grössere Stärke (Dicke) des Schmelzblechs, was bei den geringern Dimensionen der Zähne von Hipparion nicht ohne Belang ist. 652 4% Durchgehends stärkere Wellenbildung oder min- destens Körnelung des Schmelzbleches. Fig. 39 stellt dies treuer dar als die meisten bisherigen Darstellungen, na- mentlich die etwas zu theoretischen von Hensel. Doch zeichnen sich auch hier, wie immer, die Abbildungen H. v. Meyers durch grosse Treue aus (Acta Nat. Cur. XVI, 2, Tab. XXXD). Auch Quenstedt hat dies wohl bemerkt (Wür- temb. Jahreshefte Jahrg. VI). 5° Symmetrische Ausbildung und rundliche Form der Doppelschlinge aa auf der Innenseite des Zahnes. Hierin liest der wesentlichste Charakter erwachsener Unterkiefer- zähne von Hipparion, der sie von denjenigen des heutigen Pferdes stets am sichersten wird unterscheiden lassen. Die erwachsene Unterkiefer-Zahnreihe Fig. 39 ist zu diesem Zweck in Tab. IV neben eine solche vom heutigen Pferd, Fig. 45, gestellt worden. An Fig. 39 ist dabei auf den er- sten Blick auffallend, dass die beiden grossen Schmelz- schlingen aa der Innenseite, deren Natur früher erörtert worden ist, unter sich fast gleich gebildet, von rund- lichem Umriss und nach beiden Seiten so zurück gelegt sind; dass sie nicht über den Umriss des Zahnes vorragen, während dies in Fig. 45 in so starkem Maasse der Fall ist. 6° In Folge dieser ihrer Richtung in der Längsachse des Zahnes kommen diese Schlingen auch in innigere Be- rührung mit ihren Nachbartheilen. So berührt der hintere Lappen der Doppelschlinge bei Hipparion die analoge Dop- _pelschlinge bb der hintern Zahnhälfte; der Ausgang des hintern Querthales 2, der bei Equus Caballus ziemlich weit offen ist, wird dadurch bei Hipparion ganz zugeschlossen, und derjenige des vordern Querthales 1 mindestens in weit erheblicherm Maasse verengt als bei Caballus. 7°. Grössere G@leichförmigkeit der beiden Querthäler 4. 2 bei Hipparion, während das vordere bei Caballus we- 653 nigstens in seiner vordern Hälfte stets sehr unsymmetrisch ausfällt. 8° Grössere Abplattung (Compression im Sinne der Längsachse) an der Vorderseite des Zahnes bei Hipparion; die vorderste Schmelzschlinge, oder das vordere Horn des Vorjochs legt sich in Foige davon dergestalt in die Quere, dass es sich innen und aussen fast über den Umriss des Zahnes ausbreitet; ähnlich wie dies unter den Wieder- kauern beim Schafe der Fall ist, dessen ÜUnterkieferzähne sich durch dieses Merkmal am besten von benachbarten Genera und vor allem von den Zähnen der Ziege unter- scheiden lassen. Diese Ausbreitung des vordersten Schmelz- blattes in die Quere geht sogar so weit, dass hier und da auf der Aussenseite isolirte Usurflächen entstehen, indem das Cement kleine Partikeln jenes Blattes isoliren kann. Allein es ist dies ein rein zufälliger Umstand, den ich an unsern Zahnreihen wiederholt beobachtet habe. Er kömmt daher auch nicht einer besondern Species zu, sondern bil- det eine Eigenthümlichkeit des Genus; man findet ihn da- her selbst bei sehr vorgerückten Zähnen sowohl bei Hip- parion mediterraneum (P. 2 und M. 1 in unserer Fig. 39), als bei Hipparion gracile (Tab. XXX! bei H. v. Meyer), und zwar sowohl im definitiven als im Milchgebiss (s. unten Fig. 28. 29). Eine Andeutung dieser Bildung findet sich nun sonder- barer Weise selbst am vordersten Zahn der ganzen Reihe, sowohl im provisorischen als im definitiven Gebiss (Fig. 29 und 39), in Form der kleinen vertikalen Schmelzfalte a!, die doch kein Motiv in einer Compression des Zahnes durch einen ihm voranstehenden hat. | Um so auffallender ist es, dieses Fältchen a’ abnormer Weise zu einer ganz übermässigen Grösse anschwellen zu sehen, wie dies im Zahn Fig. 38 der Fall ist, welcher in einem vorzüglich erhaltenen unverletzten Unterkiefer im 654 linken Ast dem analogen der rechtseitigen Zahnreihe Fig. 39 gegenüberstand, allein hier absichtlich der Vergleichung halber ebenfalls rechtseitig dargestellt ist. Es ist hier of- fenbar der mächtige Schmelzpfeiler a! Fig. 38 der Reprä- sentant des Fältchens a! in Fig. 39. Der nämliche Zahn trug überdies einen andern Excess in dem isolirten Schmelz- pfeiler der Innenseite, dessen Erklärung später folgen wird. Die übrigen Zähne der linken Unterkieferreihe waren voll- kommen normal gebildet. 9° Die Eckzähne sind im erwachsenen Alter von den Schneidezähnen nur durch eine sehr geringe Lücke getrennt und den letztern ähnlicher als beim Pferd, selbst an einem Unterkiefer, den ich der starken Ausbildung dieser Zähne halber als männlich ansehen muss. Die Zeichnung Fig. 39 dient auch zur Erläuterung der Unterschiede der Præmolaren und Molaren des Un- terkiefers. | Sowohl bei Hipparion als beim Pferd sind vorerst be- kanntlich Præmolaren stets gestreckter als Molaren. Allein überdies ist ersichtlich, dass in beiden Genera die Mola- ren, und zwar von M.1 nach M. 3 in zunehmendem Grade, stets in ihrem hintern Theil sich ungehemmter ausbilden, dergestalt, dass der Doppellappen bb der hintern Zahn- . hälfte und besonders seine hintere Schlinge immer freier ausgebildet ist, während diese an Præmolaren sich nur un- vollkommen entwickeln kann. Umgekehrt entfaltet sich der vordere Zahntheil freier an Præmolaren, so sehr, dass wie- der der vorderste Zahn P. 3 oder auch D. 3 diesen Theil zur excessiven Entwicklung bringt. | Ferner ist bemerkbar, dass die Abtrennung des Zahnes in eine vordere und eine hintere Hälfte durch die von aus- sen eindringende mediane Falte an Molaren durchgehends stärker ausgesprochen ist als an gleich alten Præmolaren. Das letztere Verhältniss ist zwar bedingt durch die 655 frühere Abtragung der vordern Zähne und folglich von re- lativer Natur, allein es ist nichtsdestoweniger zur Erken- nung der Stellung auch isolirter Zähne sehr dienlich. Alle diese Umstände treten bei sorgfältiger Verglei- chung guter Abbildungen gleich in die Augen. Ich eitire dafür nicht nur die unten beigefügten Figuren 28. 29. 32. 39, sondern auch die Abbildungen bei H. v. Meyer, Kaup, Ger- vais !), Hensel. Eine einlässlichere Besprechung verdient nun vor al- lem das Milchgebiss von Kipparion, Während das Gebiss des Oberkiefers den so auffälli- gen Genus-Charakter sowohl im Milchgebiss als im Ersatz- gebiss an sich trägt, weicht das Milchgebiss des Unterkie- fers so sehr von dem pferdähnlichen Ersatzgebiss ab, dass die zuerst entdeckten Milchzähne mit Præmolaren neuer Species verwechselt wurden, ein Irrthum, vor dem in der That nur der Anblick von Milchzähnen neben den Ersatz- zähnen in einem und demselben Unterkiefer schützen konnte. Und diese Abweichung der Milchzähne ist um so aufallen- der, als der Zuthat, welche ihnen über das Ersatzgebiss hinaus zukömmt, keine Bildung in dem Gebiss des Ober- kiefers zu entsprechen scheint. Man könnte dadurch auf die Vermuthung geführt wer- den, dass das Genus Hipparion uns bereits einen Uebergang von einer noch ältern und uns noch unbekannten Form von pferdeartigen Thieren zu Hipparion und selbst zu Equus vor Augen stellte, eine Form, welche auch im bleibenden Gebiss die sonderbare Zuthat der vorübergehenden Zähne von Hipparion besessen hätte, denn letzteres scheint nur in der Jugend Hipparion zu sein, später aber schon zu Equus heranzuwachsen. 1) Paléontologie Pl. 19, Fig. 6 und Bulletin Soc. géol. de France 1853; PETVINEIS. 5: 656 Es wäre dies eine Parallele zu dem americanischen Genus Merychippus, welches nach den Angaben Leidy’s in der Jugend die Zähne von Anchitherium, im erwachsenen Alter solche von Equus trägt. ') Mag man solche Gedanken auch als in das Bereich der Naturphilosophie gehörig verurtheilen, so würde doch eine solche Naturphilosophie, die sich auf scrupulose Verfolgung des Schicksals einzelner Organ-Eigenthümlichkeiten stützte, mit Recht fordern dürfen, sorgfältig unterschieden zu wer- den von jener, deren Eigenthümlichkeit gerade in der Los- sagung von gewissenhafter Beobachtung bestand. Allein ich glaube selbst einen so gemilderten Vorwurf leerer Specu- lation abweisen zu können durch den unten zu liefernden Nachweis, dass gerade jene Eigenthümlichkeit der Milch- zähne von Hipparion sich mit einer auffallenden Zähigkeit über die Geschichte dieses Genus hinaus bis in die PERRAE des Genus Equus erhalten hat Das Milchgebiss von Hipparion ist bereits abgebildet bei Gervais Paléontologie franç. Pl. 19, Fig. 8. 9. 10, von Cucuron unter dem Namen Hipparion mesostylum und di- plostylum; dann gehört dazu wahrscheinlich der einzelne Zahn Fig. 3 in Quenstedt’s Abhandlung ?), sowie der von H. v. Meyer richtig erkannte Zahn Fig. 1—4, Tab. XXX von Eppelsheim, und endlich die Zahnreihe Fig. 5, Tab. XI von Pikermi bei A. Wagner °). Ich habe von diesem Milchgebiss vier Altersstufen ab- gebildet auf Tab. HT, und zwar in fortschreitender Linie von Fig. 31 zu 29, 32 bis 28. 1° Die Milchzähne unterscheiden sich vorerst von den Ersatzzähnen durch denselben Unterschied in der Form, wie 1) Proceed. Acad. Nat. Sc. Philadelphia 1858, p. 26. 2j Würtemberg. naturw. Jahreshefte VI. Jahrg., Heft 2. $) Bayrische Academie VII, 1855. 657 bei Equus. Sie sind nemlich noch sehr merklich gestreck- ter und comprimirter als selbst Præmolaren, geschweige denn Molaren. Schon hieran lassen sich Milchzähne sehr leicht erkennen; denn diese Schlankheit der Form wieder- holt sich in allen einzelnen Partien des Zahnes. So sind die Doppellappen aa, bb der beiden Halbmonde offenbar weit gestreckter als bei Ersatzzähnen (Fig. 39) und erlan- gen nur in ganz hohen Graden der Abnutzung die rundli- chen Durchschnitte wie an letztern. Diese Bemerkung betrifft in höherm Grade den Dop- pellappen des hintern Halbmondes bb, welcher namentlich sehr in die Länge gestreckt und dabei immer schiefer ver- zerrt ist als die Lappen des vordern Halbmonds. Der hin- tere wird dadurch dem vordern Doppellappen weit ähnli- cher als in Ersatzzähnen, und selbst in alten Milchzähnen ist vor allem die hintere Schlinge des hintern Doppellap- pens bb weit stärker ausgebildet als in jüngern Stadien von Ersatzzähnen oder sogar von Molaren. Vergleiche z.B. in dieser Beziehung D. 1 und M. 1 in Fig. 28 und 32. 2° Eine fernere Folge der gestreckten Form der Milch- zähne besteht darin, dass der Eingang in die zwei Quer- thäler stets offener ist, als an Ersatzzähnen; er schliesst | sich nur in ganz abgenutzten Zähnen (D. 2, Fig. 28). 3° Aus demselben Grunde ist die äussere Bucht zwi- schen den beiden Zahnhälften an Milchzähnen stets offener als an Ersatzzähnen. Alles dieses tritt nicht nur bei Vergleichung der Fi- guren unserer Tafei II mit Fig. 39, Taf. IV an den Tag, sondern auch in den vortrefflichen Zeichnungen bei Gervais (Fig. 6. 7 Ersatzzähne, Fig. 8—10 Milchzähne), der im Text auch darauf aufmerksam macht. 4° Ganz constant und also leitend ist ein fernerer bis- her ganz unbeachteter Unterschied zwischen beiden Gebis- sen. Es fehlen im provisorischen Gebiss durchgehends und 43 658 während seiner ganzen Dauer die starken Schmelzfalten, welche an Ersatzzähnen vor allem in dem Hintergrund des vordern Querthales 1 regelmässig, allein schwächer auch am Vorderrand des hintern Querthales 2 vorkommen, wie denn überhaupt die Fältelung des Schmelzbandes an untern Milchzähnen viel spärlicher ausfällt als an Ersatzzähnen; dies ist um so auffallender, als an den obern Backzähnen das Verhältniss eher umgekehrt ist. Der eben erwähnte kleine Umstand, die Falte im Hin- tergrund des vordern Querthales von Ersatzzähnen, ist so constant, dass er allein schon in weitaus den meisten Fäl- len hinreichen würde, Ersatzzähne von Milchzähnen zu unter- scheiden. In treuen Zeichnungen findet man daher diese Falte auch von dem Zeichner nirgends vernachlässigt. In den Abbildungen von Gervais, von Kaup, von H. v. Meyer, sogar in der sonst nicht gerade empfehlenswerthen, eher einen durchgesägten Zahn darstellenden Zeichnung von Hensel*), ist sie nirgends vergessen, obschon von den Au- toren nirgends erwähnt. Sie mag indes gelegentlich wohl auch fehlen, und zwar scheint mir dies für P. 3 sogar Re- gel zu sein. (S. unten P. 3, Fig. 38 und 39, ferner P. 3, Fig. 3 der Kaup’schen Tafel, ebenso P. 3 in Fig. 19, Tab. XXXI bei H. v. Meyer, selbst in P. 3, Fig. 1, Tab. IV bei Hensel). In dem Unterkiefer von Alcoy (Valencia) mit den vier hintersten Zähnen (nicht vordersten, wie der Text pg. 166 aus Versehen angiebt), den Gervais abbildet (Bullet. Soc. géol. de France a. a. O.), fehlt sie auch an M. i. 1) Hensel’s halbschematische Darstellungen so complieirter Zähne leisten offenbar einen weit geringern Dienst als treue directe Copien der Natur; dieselassen andere Beobachter nachbeobach- ten, jene bieten nur die nicht immer vollständige Beobachtung des Autors. Wie vortheilhaft unterscheiden sich davon namentlich alle, auch die ältesten Zeichnungen von H. v. Meyer, die auf den ersten Anblick unbedingtes Zutrauen abgewinnen. 659 5° Der auffallendste Charakter der Milchzähne von Hipparion liegt indes in der schon erwähnten Ausbildung von Basalsäulen an der Aussenseite. Solcher accessorischen Basalsäulen finden sich schein- bar zwei, d. h. eine mittlere im Milchgebiss, eine vordere im Milch- und im Ersatzgebiss, wo sie schon erwähnt wurde. Die letzte, als die constantere, veranlasste dann Gervais, nach Erkennung der provisorischen Natur des Mit- telsäuichens zur Feststellung der Species Hipp. prostylum. Allein es ist leicht zu zeigen, dass gerade dieses vordere Säulchen weit unwichtiger ist als das hintere oder Mittel- säulchen. Es entspricht auch, wie wir schon gesehen ha- ben, keineswegs dem Mittelsäulchen, sondern es ist analog dem früher beschriebenen Fältchen b an der Aussenseite des Vorderhorns der hintern Zahnhälfte (Taf. III und IV). Es verdient auch den Namen Basalsäule keineswegs, denn es bildet nur an jungen Zähnen, sowohl provisorischen als bleibenden, die oft anfänglich durch Cement eingehüllte und überbrückte Aussenkante des hier ähnlich wie beim Schaf in die Quere gedrückten Vorderhorns der vordern Zahn- hälfte. Man findet es seiner verschiedenen Entwicklung hal- ber in den verschiedenen Altern des Zahnes sehr verschie- den ausgebildet. Sein Anfang, als flügelartige seitliche Er- weiterung des vordersten Halbmondhornes ist sichtbar an dem Keim des hintersten Milchzahnes D. 1 in Fig. 31, so- wie in dem genau gleich alten Zahn von Eppelsheim Fig. 2, Tab. XXX. b. H. v. Meyer; hier reicht es nicht bis an die Oberfläche des Zahnes; später treten eine bis zwei kleine isolirte Usurstellen auf (Fig. 29), noch später verschmel- zen dieselben mit der Usur des übrigen Theiles des Halb- monds (Fig. 28. 32). Da übrigens die eigentliche Spitze dieses Horns sich auch auf der Innenseite bis über den Umriss des Zahnes hinausdrängt, so wäre es leicht mög- 5% 660 ‚ lich, dass auch an der Innenseite der vordern Zahnhälfte sich solche kleine Schmelzinselchen fänden. Aus der Natur dieser angeblichen Basalsäulen ergiebt sich nun von selbst, warum D. 1 sowohl als P. 1 dieses Säulchen entweder gar nicht oder doch kaum angedeutet enthalten, wie dies schon Hensel bemerkte. Der vorderste Zahn besitzt eben ein ungestört entwickeltes, nicht in die Quere gedrücktes Vorderhorn a. Wenn daher Spuren jenes Säulchens sich finden, so sind sie nur äusserst schwach, wie an D. 3 Fig. 29, an P. 3 Fig. 39. Um so auffallender war daher die excessive Entwicklung dieses Fältchens in Fig. 38. Eine eigentliche Basalwarze, analog derjenigen der Hirsche, ist dagegen das Mittelsäulchen x, welches den Milchzähnen ausschliesslich zukömmt; dies ergiebt sich aus seiner Form an Keimzähnen, wo es, durchaus wie bei Hir- schen, vollkommen frei steht, mit zwei Wurzeln aus: bei- den Zahnhälften entspringend (x Fig. 31). Später erhält es eine einfache oder doppelte Usurfläche (Fig. 29); da aber das Säulchen auf breiter und zweiwurzliger Basis auf- sitzt, so wird schliesslich diese Usurstelle breit und lap- pig, selbst doppelt (Fig. 32 und 28 unten und Fig. 8, PI. 19 . bei Gervais). Die Rolle dieser Basalwarzen ist diejenige solcher Bil- dungen überhaupt, nemlich Vergrösserung der Kaufläche in spätern Stadien der Function. Auch entsprechen diese Ba- . salwarzen von Hipparion in jeder Beziehung den ähnlichen Bildungen bei Wiederkauern. Bei Untersuchung zusammengehöriger Ober- und Unter- kieferstücke von Hipparion bemerkt man, dass hier wie beim Pferd die Oberkieferzahnreihe um einen geringen Be- trag, etwa um ‘/, einer Zahnlänge hinter der Zahnreihe des Unterkiefers zunücksteht, etwas weniger als bei Wieder- kauern. Als Antagonist des medianen Schmelzpfeilers an 661 der Innenseite der Oberkieferzähne wirkt dabei die hintere (und jeweilen höhere) Schlinge des Doppellappens aa der Unterkieferzähne. Und hinwiederum wird die mediane Aus- senwarze x der Unterkieferzähne, genau wie bei Hirschen, allmählig abgetragen durch das Vorjoch der Maxillarzähne. - Von Interesse ist schliesslich, dass sich schwache Spu- ren einer solchen Basalwarze sogar in der hintern Furche der Aussenseite zeigen (x! Fig. 31), obschon hier, an D. 1 nicht ein neuer Haibmond beginnt, sondern nur die hintere Schlinge des zweiten innern Doppellappens. Es liegt darin eine sehr merkwürdige Andeutung, dass hier ein dritter Halbmond beginnen sollte, der auffallender Weise den Pfer- den fehlt, während er nicht nur den Wiederkauern, son- dern auch den Anchitherien, den Anoplotherien und Palæo- therien zukömmt. Von einem vordersten Præmolar- oder besser Milch- zahn, D. 4, habe ich an einer grossen Anzahl von Unter- kiefern jeden Alters nur in einem einzigen Fall eine nur linkseitige Spur in Form einer sehr kleinen Alveole gese- hen, welche an dem rechtseitigen Aste gänzlich fehlte. Ich muss daher glauben, dass der Zahn viel unbeständiger ist als sein Antagonist im Oberkiefer. Jener Fali bezieht sich auf einen Unterkiefer, der noch junge Milchzähne trug. Auch hier würde daher für das vorderste Zähnchen die Bezeichnung P. 4 statt D. 4 schlecht passen. C, Skelet. Ausser den schon erwähnten Schädeltheilen enthält unsere Sammlung von Hipparionresten aus Pikermi ‘Stücke von fast allen übrigen Skelettheilen; am reichlichsten sind die Halswirbel und die Extremitätenknochen vertreten, letz- 662 tere zum Theil mit vortrefflich erhaltenen und in ihrer na- türlichen Verbindung gebliebenen Fusswurzeln. Die Knochen des Rumpfes bieten keinen Anlass zu speciellen Bemerkungen. Sie stimmen im Allgemeinen mehr mit denjenigen des Eseis überein als mit denjenigen des Pferdes, und in noch höherm Maasse mit denjenigen des mir nur durch die Blainville’sche Abbildung bekannten Equus Burchelli. | Dies gilt in besonderm Grade für den in unserer Samm- lung mehrfach vertretenen ersten Malswirbei, welcher durch das freie Vorragen der vordern Gelenkfortsätze, die Form des zwischen ihnen befindlichen dorsalen Bogenaus- schnittes, die auffallende Ablösung und schmale Form der Seitenflügel und die geringe Weite der Gefässöffnungen demjenigen von Equus Burchelli sehr ähnlich ist. Oberarm. Wir besitzen von demselben vier Stücke, wovon indes ein einziges vollständig ist, die übrigen aber nur in der untern Hälfte erhalten sind. Der vollständige, einem jungen Thiere angehörig, misst 255 Millim. (bei ei- nem erwachsenen arabischen Pferd 320). Er unterscheidet sich von demjenigen des Pferdes nur in seinem obern Kopf durch höhern steilern Rollhügel und schwächere Ausbil- dung des mittlern Rollfortsatzes. Der ®berschenkel, in einem unversehrten erwachse- nen Exemplar vorhanden, hat so ziemlich dieselbe Länge wie beim Pferd (410 Millim., bei einem arabischen Pferd _ 440), allein er ist bedeutend schlanker, und der grosse Trochanter steigt weit steiler und höher auf als beim Pferd, ein Umstand, der auch bei Equus Burchelli wiederkehrt. Die Abbildung bei Kaup stellt dies für Hipparion gut dar. An dem Vorderarm, der uns fehlt, hat Hensel nach- gewiesen, dass die Ulna, wenn auch mit dem Radius ver- wachsen, doch in ihrer ganzen Länge ununterbrochen vor- handen und namentlich am hintern Kopf des Vorderarms 663 noch so deutlich wahrnehmbar sei, wie beim Pferd, wo zwar die Ulna in der Mitte erlischt. Schon der Vorderarm von Hipparion deutet also auf eine im Verhältniss zum Pferd vollständigere Ausbildung, die dann in noch ausge- dehnterem Maasse den wesentlichen Charakter der Hand ausmacht. Das Verhalten beim Pferd, das keinem sorgfäl- tigen Anatomen entgehen konnte, ist dabei von Hensel vor- trefflich beschrieben. Hensel spricht die Erwartung aus, dass dasselbe Ver- halten auch am Unterschenkel wiederkehren werde, weil auch beim Pferd das Dasein eines untern Köpfchens der Fibula selbst an ganz erwachsenen Unterschenkelknochen leicht nachweisbar ist. Allein er erwog dabei nicht genü- gend, dass die hintere Extremität des Säugethieres durch- gehends eine grössere Reduction namentlich in der Breite zeigt, als die vordere, wie sich dies ja beim Pferd selbst in der Form des Hufes am Vorder- und Hinterfuss bemerk- lich macht.) | In der That finde ich auch die Fibula von Hipparion, wie am Pferd, in der Mitte unterbrochen. Das obere Stück, das in einem Exemplar in unserer Sammlung erhalten ist, ist wie beim Pferd von der Tibia unabhängig und von glei- cher Gestalt wie dort. Gegen die Mitte der Tibia erlischt aber die Fibula, um, mit ersterer verwachsen, nur als äus- serer Knöchel wieder aufzutreten. Diese Verbindung mit der Tibia erfolgt selbst bei Hipparion sehr früh; sie ist schon eingetreten an einem sehr jungen, abgelösten untern Epiphysenstück, welches mir vorliegt und das um ‘/; klei- ner ist als die Epiphyse einer ganz erwachsenen Tibia. Allein während die Furche, welche den Fibularantheil der untern Gelenkfläche von der Tibialportion trennt, noch sehr deutlich ist an jenem jugendlichen Knochen, so ist bei den 1) Owen, On the Nature of Limbs p. 26. : 664 erwachsenen Exemplaren am äussern Knöchel, über wel- chen die tiefe Rinne des Peronæus longus verläuft (ein fernerer Beweis für die Anwesenheit des untern Endes der Fibula), jene Furche nicht stärker angedeutet als beim Pferd. Auch in ihrer Form unterscheidet sich die Tibia von Hipparion nicht merklich vom Pferd. Sie ist.nur in ihrem untern Theil von vorn nach hinten mehr abgeplattet als dort; ferner ist die Tuberosität an der Innenseite des un- tern Kopfs bei Hipparion schwächer ausgeprägt als beim Pferd und die erwähnte Sehnenrinne des äussern Knöchels tiefer. Die volle Länge des Knochens beträgt 345 Millim. (an dem erwähnten Pferdeskelet 380). Den Tarsus von Hipparion besitzen wir in zwei voll- ständigen Partien mit den noch in ihrer natürlichen Ver- bindung gebliebenen Metatarsalknochen, sowie in einer An- zahl einzelner Stücke, namentlich vom Astragalus. Wie Hensel finde ich den Astragalus von Hipparion demjenigen des Pferdes sehr ähnlich; ich muss indes bei- fügen, dass doch das untere oder Naviculargelenk, entspre- chend der Form des Os naviculare selbst, merklich weniger in die Quere gezogen ist, als beim Pferd. Der quere Durch- messer dieser Gelenkfläche (37—41 Millim. an unsern fünf Astragali, also wie bei Hensel} bleibt auch hinter dieser Dimension am Astragalus des Pferdes um einen stärkern Betrag zurück als die übrigen Dimensionen. Am Calcaneus ist die kleine Gelenkfläche für den Astragalus am innern Rand des Processus anterior ausge- dehnter als beim Pferd und verschmilzt mit der obern Ge- lenkfläche für den Astragalus. Das ®s naviculare Tarsi scheint mir, trotz der auch von mir beobachteten Schwankungen der Form, doch durch- gehends eine weniger in die Quere gezogene Gestalt zu 665 besitzen, als beim Pfer&, wie schon beim Astragalus er- wähnt wurde; namentlich finde ich den nach aussen ge- richteten Zipfel, der an das Würfelbein grenzt, kürzer als beim Pferd. An dem ®s cuboideum Tarsi vermag ich nicht so bedeutende Abweichungen vom Pferd wahrzunehmen, wie sie Hensel darstellt, wahrscheinlich weil sein Exemplar die- ses Knochens ein isolirtes und etwas verwittert war. Doch finden sich immerhin einige Abweichungen, und zwar mehr als an irgend einem andern Fusswurzelknochen. Wir besitzen diesen Knochen noch an Ort und Stelle an einer vollständigen Fusswurzel, von der ich nur Astra- galus und Calcaneus abzulösen wagte, während die übrigen Knochen noch durch den bekannten rothen Thon zusam- mengelöthet sind. Die Hauptabweichung vom Pferd scheint mir in der comprimirten Gestalt und relativ grössern Länge (von vorn nach hinten) des Hipparion-Würfelbeines zu liegen. Diese Form rührt theilweise davon her, dass der Metatarsus an sich schon weit comprimirter ist, als beim Pferd, und sich daher auch die beiden Griffelbeine weiter hinten ansetzen, als beim Pferd, namentlich das äussere, — so sehr, dass ja beide in normaler Lage hinten mit den Rändern an einan- der stossen. Diese seitliche Compression der Fusswurzel und des Fusses ist auch in allen Theilen des Tarsus mehr oder weniger bemerkbar, allein am meisten im Würfelbein. Allein dazu kömmt noch der Umstand, dass bei Hip- parion der stumpfe, frei nach hinten vorragende Muskel- fortsatz des Würfelbeins (für die äussere Sehne des Muse. tibialis anticus) sich stark nach hinten verlängert, ähnlich wie dies bei Palæotherium der Fall ist (s. z. B. Cuvier Oss. foss. II, PI. XVII, Fig. 7); das Würfelbein wird hie- durch gewissermassen dem Os pisiforme der Handwurzel 666 ähnlicher, dem es zwar nicht homolog, aber nach seiner Stellung analog ist. Die Gelenkflächen der innern und untern Seite des Würfelbeines wagte ich nicht bloszulegen; allein an einem zweiten Tarsus mit abgelöstem Würfelbein ist sichtbar, dass wirklich, wie Hensel schon angab, die beim Pferd ziemlich deutliche Gelenkfläche zwischen Os naviculare und cuboideum bei Hipparion gänzlich fehlt, indem an der son- stigen Berührungsstelle des Naviculare dessen Aussenseite so schief abgeschnitten ist, dass sie nur mit dem obern Rand das Würfelbein berührt. An den ®ssa cuneiformia konnte ich ebenfalls die schon von Hensel gemachte Beobachtung bestätigen, dass das innere derselben, welches beim Pferd und beim Esel in der Jugend seine Entstehung aus mesocuneiforme und entocuneiforme direct durch Trennung der beiden Knochen an den Tag legt, bei Hipparion auch im erwachsenen Zu- stand deutlicher als beim Pferd abgeschnürt ist in einen vordern Theil (Mesocuneiforme) von unregelmässig würfel- förmiger Gestalt, gelenkend mit Metatarsus und innerem Griffelbein — und in'einen weit grössern innern Theil (En- tocuneiforme), der nach unten das Griffelbein trägt, nach oben das Kahnbein stützt und fast gänzlich quer liegt, d.h. nach der äussern Seite hinüber gedrückt, parallel mit dem vordern Rand des Tarsus, während es beim Pferd viel mehr nach hinten frei steht. Diese quere Lage des Entocunei- forme geht so weit, dass es an der Hinterseite selbst das ‘äussere Griffelbein berührt, von welchem es beim Pferd weit getrennt bleibt. ; Der Tarsus des Hipparion steht in dieser Beziehung in der Mitte zwischen demjenigen des Pferdes mit mehr ver- schmolzenem Keilbein und demjenigen von Palæotherium mit drei getrennten keilförmigen Beinen. Vom Carpus besitzen wir leider kein einziges Stück. 667 Dagegen liegt vom Metacarpus ein vollständiges Exemplar vor, am untern Ende mit dem äussern Griffelbein noch ver- bunden. Dieser Knochen ist von demjenigen des Pferdes sehr deutlich verschieden, namentlich an seinem obern und un- tern Ende; am obern Ende durch weit stärkere Wölbung des Knochens und also weit stärkere Krümmung des Vor- derrandes der obern Gelenkfläche, ferner durch ganz an- dere Anlagerung der Griffelbeine. Beim Pferd sind diesel- ben in den Metacarpus tief eingedrückt, so dass die obere Gelenkfläche desselben zu ihrer Aufnahme tiefe Ausschnitte hat. Bei Hipparion sind diese Ausschnitte seicht, so dass am hintern Rand der mittlere Theil der Gelenkfläche nur wenig über die Seitenränder vorragt. Ueberdies ist der ganze Knochen nicht so symmetrisch gebildet wie beim Pferd, sondern sehr deutlich in seiner Länge so gedreht, dass er in seinem obern Theil auf der äussern Seite stärker ist (was deutlich wird in der von Hensel gut beschriebenen starken Ansteigung der obern Gelenkfläche nach aussen) — in seinem untern Theil da- gegen stärker an der Innenseite. Hiedurch wird der Metacarpus von Hipparion demjeni- gen der übrigen dreizehigen Hufthiere, sowie demjenigen der Wiederkauer ähnlich, wo dieselbe Vertheilung des Vo- lumens in einer die Längsachse des Knochens von oben und aussen nach unten und ‘innen kreuzenden Linie im Vorderarm und im Metacarpus sehr deutlich ist. Schon dieser Umstand würde an sich mit Sicherheit darauf schliessen lassen, dass bei Hipparion so gut als bei Wiederkauern das äussere Griffelbein am obern Ende stär- ker sein werde, als das innere, das innere Griffelbein aber unten stärker und länger als das äussere, wie dies schon an lebenden Pferden unverkennbar der Fall ist (nach Blain- ville Osteographie am stärksten bei Equus Burchelli). Es 668 ist dies auch für Hipparion von Hensel deutlich nachgewie- sen worden. Volle Länge des Metacarpus 246 Millim. Obere Gelenkfläche von innen nach aussen 45 4. von vorn nach hinten 36 5 Untere Rolle von innen nach aussen 39 1 Seitenfläche der Rolle innen 33,78 aussen 26°), Breite der Diaphyse in der Mitte 32 ” Metatarsus. Derselbe ist von Hensel an sehr voll- ständigen Exemplaren abgebildet und beschrieben worden. Wie der Metacarpus ist er weit schlanker und auf der Vorderfläche weit gewölbter als beim Pferd, und die Ver- theilung des Volumens an die Aussenseite des obern und die innere Seite des untern Kopfs ist auch hier bemerkbar. Die Grenzkanten für die Griffelbeine sind unten weit schwä- cher als am Metacarpus. Die Sriffelbeine, welche Hensel theilweise fehlten, haben wir in einem links- und einem rechtseitigen Mittel- fussstücke fast vollständig und in ihrer natürlichen Lage; hier zeigt sich vor allem, dass das äussere Griffelbein in seinem obern Theil um ein Drittheil stärker ist als das in- nere. Der Durchmesser von vorn nach hinten beträgt am äussern Griffelbein 26*/, Millim., am innern 191). Auch ragt das äussere in seinem ganzen Verlauf weit mehr nach hinten vor, als das innere, allein sein unteres Ende über- ragt das innere Griffelbein an Länge nur um weniges (bei den lebenden Pferden ist der Längenunterschied der Griffel- beine des hintern Fusses unmerklich); dagegen ist zu ver- muthen, dass das Köpfchen des innern Griffelbeines an Stärke das äussere übertroffen haben wird (leider fehlt uns dasselbe); mit gleichem Recht darf man erwarten, dass der Finger, den das innere Griffelbein trug, stärker war als 669 der äussere, wie dies ja bei heutigen Multungula und Wie- derkauern immer eintrifft. Damit steht offenbar der von Hensel (pag. 72) gege- bene, äusserst interessante Nachweis im engsten Zusam- menhang, dass in den nicht seltenen Fällen, wo überzählige Phalangen an dem heutigen Pferde auftreten, dieselben im- mer am innern und niemals am äussern Griffelbein er- scheinen. Dies hindert nicht, den vierten Finger als den im Ver- hältniss zum zweiten stärker entwickelten zu betrachten, da die Reduction desselben von unten anfängt und nicht von oben. Wir dürfen daher sicher annehmen, dass bei Geschöpfen mit noch reducirterem Fuss als das Pferd das innere Griffelbein früher schwinden würde als das äussere. Die normale Reihenfolge der Finger, von dem rudimentär- sten zum vollkommensten, ist daher, wie Owen schon angab (Nature of Limbs pg. 33), 1. 5. 2. 4. 3, und nicht 1. 5. 4. 2. 3 (Hensel pg. 75). | Eines der wichtigen und schönen Resultate der Hensel- schen Arbeit besteht in dem Nachweis, dass der Vorder- fuss von Éipparion nicht nur drei, sondern fünf Metacarpal- knochen trägt. Wie verhält sich in dieser Beziehung der Hinterfuss? Ich finde an den zwei vortrefflich erhaltenen Tarsalstücken unserer Sammlung keine Spur von erstem und fünftem Me- tatarsus, weder in dem Thon, der dieselben auf die sorg- fältigste Art umhülit hatte, noch etwa irgend welche Spu- ren von Gelenkberührungen an den übrigen, in vollster In- tegrität erhaltenen Knochen. Man darf daraus schliessen, dass, so gut wie bei un- sern lebenden Ungulaten, ohne Ausnahme der Hinterfuss reducirter ist als der Vorderfuss, so auch bei Hipparion der Hinterfuss nur drei Mittelhandknochen besass, obwohl der vordere deren fünf trug. 670 Accessorische Griffelbeine (dem 2. und 5. Finger ent- sprechend) finden sich ja auch bei unsern Wiederkauern nur am Carpus, wobei immer das äussere (5) selbstständig und grösser, das innere (2) kleiner und verwachsen mit dem Nachbar. Am Tarsus fehlen aber beide vollständig. So beim Rind, Hirsch, Steinbock, Bisor etc. Auch finden sich nach Hensel überzählige Phalangen am Pferd stets am Vorderfuss. - +. Equus fossilis. In einem der vielen interessanten Capitel seiner Schrift spricht Hensel die dem vergleichenden Anatomen so oft sich aufdrängende Ansicht aus, dass wir die Bereicherung oder Verarmung des Skeletes innerhalb einer zoologischen Reihe entweder als Anticipirungen aus der zukünftigen Ge- schichte der Species oder als Wiederholungen früherer Entwicklungszustände aüfzufassen hätten; er fügt auch zu den soeben genannten höchst wichtigen sogenannten „Ab- normitäten des Pferdefusses (welche indes so schön in den historischen Entwicklungsplan des heute in zoologischem Sinne zum „Einhufer“ gewordenen Pferdes sich einreihen, dass ein rückwärts gerichteter Schluss von diesen „Abnor- mitäten“ auf die frühere Conformation des Pferdes keines- wegs ohne Berechtigung gewesen wäre), einzelne Notizen ähnlicher Art aus dem Bereich des Raubthiergebisses; No- tizen von so grossem Interesse, dass man nur bedauert, dass der Verfasser, dem offenbar ein grosses derartiges Material zu Gebote steht, uns nicht reichlicher damit be- schenkte. Es muss in diesem Sinn von Interesse sein, die Zwi- schenpunkte in der Geschichte des Pferdeskeletes, wenn dieser Ausdruck erlaubt ist, zwischen dem Hipparion und 672 dem heutigen Pferd, das also jenem noch hier und da die Hand reicht, kennen zu lernen. Diese Zwischenpunkte sind zu suchen bei den noch so ungenügend bekannten Pferden der Diluvialperiode. Es ist wohl ausser Zweifel, dass in manchen Sammlungen ein weit reicheres Material hierüber vorliegt, als mir zu Gebote stand. Da indes meiner Ansicht nach jede weitere Notiz, welche zur genauern Kenntniss der diluvialen Pferde füh- ren kann, erwünscht sein muss, so füge ich hier das we- nige bei, was ich darüber beobachten konnte.!) Das Material hiezu besteht in einer nicht unerheblichen Anzahl von Skeletstücken und Gebissen vom diluvialen Pferd, welche im Besitz unseres Museums sind. Sie stam- men aus vulkanischem Tuff der Auvergne, von Coupet „entre Langeac et Crespiniac“ in der Nähe von Le Puy (Haute- Loire). Sie sind begleitet von einer weit grössern Anzahl von Ueberresten von Wiederkauern, für welche ich keine bestimmten Speciesnamen anzugeben wage, da die Ueber- reste nur aus einzelnen Zahnreihen und einzelnen Geweih- stücken bestehen. Doch war es möglich, darunter etwa vier Hirscharten und zwei Antilopen zu unterscheiden; die er- stern stimmen im Geweih mit den von Croizet und Jobert aufgestellten Arten (Cervus Etueriarum, Cusanus, arvernensis etc.), welche indes noch gehauere Beobachtungen wünschen lassen, überein; endlich fanden sich dabei spärliche Spuren vom Genus Bos. Wir dürfen also diese Pferdereste mit grösserer Si- ‘cherheit als fossil bezeichnen als diejenigen, welche aus Höhlen oder aus Flussbetten stammen; doch erlaube ich 1) Eine Notiz darüber gab ich schon in meiner Fauna der Pfahl- bauten pg. 123. Daselbst sind indes aus Versehen die H. v. Meyer’schen Figuren seines frühern Equus primigenius als Be- lege für Equus fossilis eitirt. 673 mir über ihren geologischen Horizont kein eigenes Ürtheil; nach Pomel!) würde das Pferd in der Auvergne nur im Di- luvium vorkommen, die eben erwähnten Hirsche aber pliocen sein; in diesem Fall müssten wir die in unserer Sammlung mit Pferd gemengten Hirschreste, da sie aus dem nemlichen Terrain herrühren, als ins Diluvium verschleppt ansehen. Alle diese Pferdereste verdienen den Namen Equus fossilis nicht deshalb, weil sie ein Pferd charakterisiren, das in Skelet, Statur etc. mit dem heutigen #ierde in ho- hem Maasse übereinstimmte, sondern vielmehr deshalb, weil sich dieselben, trotz der Äehnlichkeit mit Equus Uaballus, doch durch constante, wenn auch kleine Eigenthümlichkei- ten davon unterscheiden; dieser Umstand kann auch allein berechtigen, diese Reste nicht mit Equus Caballus zu be- zeichnen. Die so oft geübte Gewohnheit, Pferdezähne aus Höhlen oder Kies, die man nicht vom heutigen unterschei- den kann, nichtsdestoweniger Equus fossilis oder primige- nius oder adamiticus etc. zu nennen, hat der ganzen pa- læontologischen Untersuchung dieses Genus vielen Abbruch gethan. Es darf billig verlangt werden, dass alle solche Ueberreste ihren rechten Namen tragen, Equus Caballus, und erst anders getauft werden, wenn man im Stand ist, einen neuen Namen mit Motiven zu belegen. Unter Equus fossilis verstehe ich daher hier ein Pferd, das mit Bestimmtheit von Equus Caballus unterschieden werden kann, und das ich für identisch halte mit der von Owen unter dem gleichen Namen beschriebenen Art;. was dagegen Cuvier Equus fossilis nannte, verdient nach dessen Angaben diesen Namen nicht, sondern nur den Namen Equus Caballus fossilis. 1) Pomel, Catalogue des Vert. fossiles p. 139. ; "4 674 A, | Skelet. Motive der Abtrennung des Equus fossilis der Limagne vom lebenden Pferd scheinen im Skelet zu fehlen, obschon die meisten Knochen der Extremitäten in ziemlich zahlreichen und srossentheils unverletzten Exemplaren zur Vergleichung vorlagen. So zeigen sich vier ganz vollständige Metacar- palkzmochen aus der Limagne vollkommen ähnlich wie beim Pferd, nur von eher geringerer als Mittelgrösse heu- tiger Pferde, allein mit gleicher oder fast noch bedeuten- derer Abplattung der Vorderfläche, als bei Caballus, also sehr verschieden von Hipparion. Nur die Höcker für die Ligamente auf beiden Seitenflächen des untern Kopfs sind bei dem fossilen Thiere stärker ausgebildet als bei dem heutigen; allein wir müssen uns erinnern, dass jenes wild war und dieses seit Jahrtausenden gezähmt ist. Von der bei Hipparion so auffallenden ungleichen Verstärkung der beiden Köpfe des Metacarpus (aussen am obern, innen am untern Kopf) zeigt das fossile Pferd der Limagne nicht stärkere Andeutung als das heutige. | Von den Knochen der hintern Extremität war eine grössere Auswahl vorhanden, als von der vordern. Allein die Tibia, Astragalus, Naviculare, Phalangen, welche alle in mehrern unverletzten Stücken vorlagen, stimmten so sehr mit denjenigen von Equus Caballus überein, dass sich z.B. die genannten Fusswurzelknochen vortrefflich in dem Tarsus ‚heutiger Pferde den entsprechenden Stücken substituiren liessen, ohne dass die gegenseitigen Berührungen im min- desten beeinträchtigt worden wären. Es geht hieraus her- vor, dass auch die Grösse der fossilen Knochen nicht merk- lich abweicht von lebenden. Es scheint mir daher auch überflüssig, Messungen anzugeben, da ohnehin bei Messun- gen am heutigen Pferd die Auswahl in Bezug auf die Sta- tur fast eben so misslich ist, als beim Hund. 675 Weit reichlicher als das Skelet war indes glücklicher- weise das Gebiss des fossilen Pferdes in unserer Samm- lung vertreten, und erwies sich trotz dem allgemeinen Ge- präge, welches durchaus demjenigen, des Pferdes folgt, in einzelnen kleinen Details so charakteristisch, dass es mir nicht schwer wurde, Zahn für Zahn, sowohl des Oberkie- fers als des Unterkiefers, und ebenso am Milchgebiss wie am bleibenden mit Sicherheit von recenten Pferdezähnen zu unterscheiden. Doch muss ich beifügen, dass für letztere mein Mate- rial sehr gering war, indem es aus nur acht Pferdeschädeln meist unbekannter Herkunft bestand. Dieselben stimmen in- des gerade in den zu erwähnenden Eigenthümlichkeiten un- ter sich überein. Allein zu diesem Material darf ich eine sehr grosse Anzahl von Pferdezähnen aus Flussbetten, Ge- röllablagerungen verschiedenen Alters, sowie aus Pfahl- bauten und römischen Ansiedlungen hinzu zählen, welche mir durch eine Anzahl schweizerischer Museen und Pri- vaten zur Verfügung gestellt worden waren und welche also das heutige Pferd über einen sehr grossen Zeitraum seines historischen Daseins verfolgen liessen; ein werthvol- ler Ersatz für die Spärlichkeit meiner Hülfsmittel in Bezug auf Racen- und individuelle Abweichungen. In Bezug auf die unterscheidenden Merkmale zwischen Molaren und Pr&molaren, sowie zwischen Milchgebiss und Ersatzgebiss verhält sich das fossile Pferd ganz wie das lebende. Ich bespreche daher hier nur die Unterschiede zwischen Equus fossilis und Equus Caballus. B. Oberkiefer, Für die Oberkieferzähne bestehen die Unterschiede zwischen Equus fossilis und Caballus hauptsächlich in der A 676 schwächern Ausbildung des Schmelzcylinders am Innenrand. Derselbe ist ein Renräsentant des ganz isolirten Säulchens von Hipparion, und man findet ihn selbst bei Hipparion an jungen Zähnen, allein wiederum im Alter bei stärkern Gra- den der Abnutzung, durch eine Brücke mit dem übrigen Zahn in Verbindung gesetzt; in solchen Fällen, die mir mehrfach vorliegen, und wovon auch Hensel auf Tab. MI mehrere darstellt, unterscheidet sich der Zahn von Hip- parion nicht mehr merklich von dem Pferdezahn. Bei Equus fossilis ist nun zwar diese Vereinigung der Mittelsäule mit dem Zahn immer vorhanden, so gut wie bei Equus, allein die Mittelsäule selbst hat noch die Form wie bei Hipparion, d. h. sie ist fast rundlich und tritt daher erheblich über den Umriss des übrigen Zahnes nach innen vor. Der tiefe Einschnitt (das vordere Querthal), der diese . Innensäule hinten, sowie der kürzere, der sie vorn von dem übrigen Zahn abtrennt, sind daher auch geräumig und öff- nen sich ergiebig nach dem Innenrand des Zahnes (s. un- ten Fig. 6 und 10). Bei Equus Caballus finde ich diesen Cylinder immer abgeplattet und nach beiden Seiten in mehr oder minder lange Zipfel ausgezogen, die sich dem Umriss des Zahnes mehr anschmiegen; die beidseitigen Einschnitte sind daher auch eng und tief (Fig. 9). An freien Pferdezähnen sieht man nun freilich, dass dieser innere Pfeiler mit dem Alter an Form etwas wech- selt, dass er nemlich nach der Wurzel zu etwas rundlicher wird und sich mehr abhebt von dem übrigen Zahn; sehr alte Zähne von Equus Caballus werden dadurch denjenigen von Equus fossilis etwas ähnlicher; allein der Unterschied ist immer noch so erheblich, dass er zur Erkennung der 7,ähne meistens ausreichen wird. Ferner scheint mir das kleine Schmelzfältchen im Hin- tergrund des vordern Querthales bei Equus fossilis immer 677 einfacher gebildet als bei Caballus; auch schwindet es bei stärkerer Abtragung der Zähne bald gänzlich (Fig. 6. 7. 10). In der Bildung der Schmelzfalten, welche die beiden Marken der obern Backzähne umsäumen, sehe ich keinen wesentlichen Unterschied von Equus Caballus; doch sind die Schmelzbänder namentlich auf den einander zugekehr- ten Seiten der Halbmonde beim fossilen Pferd durchgehend kraus, d.h. kleinwellig und meist gekörnelt (von ungleich- mässiger Dicke), "während sie bei dem Hauspferd einfacher verlaufen. Die tiefern Buchten und Schlingen dieser Halb- monde finde ich bei beiden Arten gleich gebildet. Die Milchzähne von Equus fossilis sind wie Milch- zähne von Pferden überhaupt sehr stark in die Länge ge- dehnt und besitzen einen weit unregelmässigern Verlauf der Schmelzlinien, als die Ersatzzähne, sowie ein stärker ausgebildetes Querthal ß als die Ersatzzähne. (Der Zahn eines fossilen Pferdes, den Owen Brit. foss. Mamm. Fig. 143 abbildet, ist dem zufolge ein Milchzahn.) Dass die Mittel- kante der Aussenwand einfach ist, wie bei Hipparion, und nicht doppelt, wie beim Pferd, wurde schon oben berührt. In jeder Beziehung stehen daher obere Backzähne von Eguus fossilis in der Mitte zwischen denjenigen von Hip- parion und Equus Caballus. €. Unterkiefer, Diesen, intermediären Charakter tragen auch die untern Backzähne von Equus fossilis in vollem Maasse. Frühere Autoren haben darauf hingewiesen, dass die vordern Back- zähne, namentlich P. 2, im Unterkiefer wie im Oberkiefer von gestreckterer Form seien, als beim heutigen Pferd, und haben es daher auch Equus angustidens genannt. Ich habe diesen Charakter auch ziemlich constant gefunden; ebenso 678 bei dem Pferd der Auvergne trifft er zu, während er bei Hipparion fehlt, wie Messungen für alle drei Formen er- gehen. Trotz der Misslichkeit von Messungen an Zähnen des heutigen Pferdes, für welche eine mittlere Grösse anzuge- ben ja fasi unmöglich ist, wiederhole ich hier die schon in der Fauna der Pfahlbauten p. 124 gegebenen Messungen, welche wenigstens auf bedeutende Grösse des Kopfes bei Equus fossilis schliessen lassen, und auch die schlanke Form der untern Præmolaren belegen. Eg. fossilis. Eq. Caballus. Hipparion : (H. v. Meyer). lang. breit. lang. breit. lang. breit. F9: 39 1% 33 16 29 16 A 31 15 28 16 27 18 RE DIR AE 28 : 45 26 18 M. 1. 27 13 25 13 26 18 ie 28 7 26 11 25 17 See 37 14 30 13 27 14 Allein wichtiger als die Form ist der Bau der Zähne, welcher, wie eben gesagt, dieselben in die Mitte zwischen Hipparion und Caballus stellt. Dies zeigt sich vornehmlich in der Stellung der beiden innern Endlappen des vordern Halbmondes. Es sind nem- lich diese beiden Schlingen noch ähnlich beidseits zurück gebogen wie bei Hipparion; nur die hintere derselben ist etwas mehr abgeschnürt und ragt etwas mehr über den Innenrand des Zahnes vor, Fig. 42; der Eingang in die zwei Querthäler 1. 2 ist daher auch schon offener als bei Hip- parion, allein weniger offen als bei Caballus. Die beiden Querthäler selbst sind dabei weniger ge- faltet als bei Hipparion, und das vordere 1 besitzt eine vordere kleine und schief nach aussen ragende Seitenbucht, u 67 ‘ von welcher bei Hipparion nur eine Andeutung da ist, al- lein welche bei Caballus noch ausgedehnter wird und das vordere Querthal allmählig dem hintern ähnlich macht. Diese freiere Entwicklung der vordern Zahnhälfte bei dem Genus Equus macht sich auch dadurch bemerklich, dass das vordere Horn derselben a—a! weniger in die Quere gedrückt ist als bei Hipparion und daher sowohl innen (a) als besonders aussen (a!) weniger vorragt, und hier nicht mehr eine so deutliche Schmelzschlinge bildet wie bei Hip- parion, immer aber noch mehr als bei Caballus. Allein dafür beginnt sich an der Aussenseite der hin- tern Zahnhälfte jene schon früher erwähnte Falie b zu bil- den, welche wir an Fig. 3% als vorderes Horn des Nach- jochs beurtheilten und also mit der Falte a! im Vorjoch parallelisirten. Diese Falte b ist bei Hipparion nur im Milch- gebiss, obschon kaum bemerkbar, angedeutet (Fig. 28. 29. 33), in ältern Ersatzzähnen aber nicht sichtbar (Fig. 39). Bei Equus fossilis (Fig. 42) finden wir sie gut ausgebildet, und noch stärker bei Caballus (Fig. 45). Endlich liegt Equus fossilis auch in Bezug auf die Kräuselung der Schmelzbänder und auf die Länge (Höhe) des Zahnkörpers in der Mitte zwischen Hipparion und Ca- ballus. In jeder Beziehung führt also die diluviale Species die Bildung von Hipparion Schritt für Schritt zum heutigen Pferde über. Die Nebeneinanderstellung der drei Zahnreihen in Fig. 39. 42. 45 lässt dies klar in die Augen treten. Als entfernteste Bildung erscheint in jeder Beziehung Equus Caballus,. wo die Schmelzschlinge aa am meisten nach innen vortritt, namentlich in ihrem hintern Lappen, wo da- her auch die Querthäler den offensten Ausgang haben, wo das vordere Querthal den ausgebildetsten Vorderast be- sitzt, wo ferner die Falte at am schwächsten, die Falte b am stärksten ausgebildet ist und endlich die Kräuselung des. Schmelzblechs am meisten zurücktritt. 680 > Für alle diese Verhältnisse citire ich übrigens ausser den unten stehenden Figuren auch die trefflichen Abbi!- dungen Fig. 144 und 1745 in Owen’s Brit. foss. Mammals. Hiebei mag noch erinnert werden, dass Molaren des heutigen Pferdes gewissermassen den Zähnen von Equus fos- silis noch etwas ähnlicher bleiben als Præmolaren, indem an ihnen die Schmelzlappen aa weniger vorragen, und auch der Seitenast des vordern Querthales 1, sowie die Aussen- falte b der hintern Zahnhälfte schwächer entwickelt sind (s. Fig. #4). Es dient dies sehr gut zur Unterscheidung von vordern und hintern Backzähnen. Von grösstem Interesse ist es nun, dass auch hier das Milchgebiss von Equus fossilis gewissermassen einen stärkern Nachklang an Hipparion bildet als bei Equus Ca- ballus, und dass ebenso das Milchgebiss dieser letztern Species dem Gebiss des fossilen Pferdes näher steht als ihre Ersatzzähne. Fig. 30. 35. 36. 37 stellen Milchzähne des fossilen Pfer- des der Limagne dar. Sie sind, wie Milchzähne überhaupt, vor allem mehr in die Länge gezogen als Ersatzzähne, und daher auch die innern Schmelzlappen aa mehr zurück ge- legt. Allein nichtsdestoweniger ist das vordere Querthal 1 unvollkommener entwickelt als an Ersatzzähnen, und Hip- parion ähnlich; auch die Aussenfalte a! des Vorjechs ist hier noch etwas stärker entwickelt als bei Ersatzzähnen, allein dafür auch schon das gleichnamige Fältchen b des hintern Halbmondes schwächer. Ganz unerwartet ist aber das Auftreten einer kleinen Falte mit mehr oder weniger selbstständiger Schmelzinsel am hintern Aussenrand des Zahnes, bei €, und zwar nicht nur am hintersten Milchzahn, wo wir es schon bei Hippa- rion entstehen sahen (x! in Fig. 31) und als hintere Basal- warze deuteten, sondern an allen Milchzähnen, noch unver- letzt an dem Keimzahn D. 1, Fig. 30, der hiedurch dem 651 entsprechenden Zahn Fig. 31 von Hipparion auffallend ähn- lich wird, bereits angeschliffen an den alten Milchzähnen ce, Fig. 35 —37. Ist dies nun eine Basalwarze oder eine C'ompressions- falte, analog a! und b? Würde D. 1 bei Pferden einen dritten Halbmond besitzen, so wäre die Deutung dieses Fältchens als Basalwarze ganz gerechtfertigt. Allein im- merhin bliebe dann eine solche Bildung an D. 2 und 3 un- erklärt. Wir müssen dies also wohl als Compressionsfalte bezeichnen, analog a! und b, um so mehr, als sie selbst an jungen Molaren sichtbar ist (c Fig. 3%), und man dürfte wohl die ganze Bildung so darstellen, dass bei Hipparion die hintere Hälfte der untern Backzähne ungestört ent- wickelt, dagegen die vordere-wie durch Druck reducirt ist, während sich bei Equus fossilis die vordere Zahnhälfte freier entwickelt und die hintere in ihrer Längsausdehnung beschränkt scheint. Nichtsdestoweniger glaube ich für den kintersten Milchzahn sowohl in Fig. 30 als 31 an der obi- gen Deutung des Fältchens x! als zweite Basalwarze fest- halten, und x! an D. 1 von dem Fältchen c an D. 2 und D. 3 (Fig. 36. #7) unterscheiden zu sollen. Jenes Gesetz der freiern Ausbildung vorderer Zahn- hälften gilt nun wieder in noch höherem Maasse von Equus Caballus, wo das vordere Querthal sich fast bis auf den - Grad des hintern ausbildet und daher auch die vordere Compressionsfalte a! schwindet, allein dafür diejenige der hintern Zahnhälfte, b, um so deutlicher wird. Doch finde ich an dem sehr spärlichen Material, das mir hiefür vor- liegt, nicht, wie ich erwartete, eine noch stärkere Ausbil- dung einer hintersten Compressionsfalte c, denn weder der fœtale, noch der ganz abgetragene Milchzahn des zahmen Pferdes (Fig. 34 33) lassen von einer solchen Felte merk- liche Spuren erkennen. Immerhin scheint mir aus der vorhergehenden Ver- 682 gleichung der drei, verschiedenen Perioden angehôrigen Formen von Pferden hervorzugehen, dass dieselben zu einan- der in näherer Beziehung stehen, als man glauben mochte. An einer sehr nahen Beziehung von Equus Caballus und fossilis zweifelte zwar Niemand, allein es ist von Interesse zu sehen, dass alle Merkmale von Equus fossilis solche sind, welche die Zwischenräume zwischen Hipparion und Equus mehr oder weniger ausfüllen. Es fragt sich nun, inwiefern vielleicht der viel klei- nere Zwischenraum zwischen den beiden, wahrscheinlich in historischer Suecession stehenden Arten von Equus etwa ausgefüllt werden möchte durch historisch weit zurück rei- chende Racen oder irgendwie zu benennende Formen des heutigen Pferdes. Trotzdem, dass mir wohl die in der Schweiz seit Jah- ren so eifrig betriebenen antiquarischen Forschungen in dieser Beziehung ein reicheres oder wenigstens sicherer controllirtes Material boten, als vielleicht an manchem an- dern Orte zu finden ist, indem mir die Pferdereste aus ver- schiedenen Perioden der noch vorhistorisch zu nennenden Zeit der Pfahlbauten, sowie reichliche Pferdereste aus einer Anzahl römischer und späterer Ansiedlungen von bekann- tem Alter zur Verfügung standen, so kann ich hierüber nur weniges mittheilen. Alle solche Reste bestehen aus ein- zelnen Zähnen, und wie misslich es ist, aus solchen einzeln herausgenommenen Exemplaren auf das Gebiss zu schlies- sen, weiss Jeder, der sich mit solchen Arbeiten beschäf- tigt hat. Ich habe in einer frühern Arbeit nachgewiesen, dass das Pferd in der Schweiz nicht zu den ältesten Hausthie- ren gehört, vielmehr in der frühesten bis jetzt erkannten Culturperiode, dem sogenannten Steinalter, fehlt, denn die seltenen in solchen alten Ansiedlungen aufgefundenen Reste von Pferden scheinen nur Einschleppungen aus späterer Zeit 683 zu sein. Allein in allen Ansiedlungen der Bronze- und Eisenperiode erscheint dasselbe häufig, so namentlich in al- len Ansiedlungen in den Seen der westlichen Schweiz. ‘) ‘ Um so auffälliger erscheint es, das Pferd in primitiven Wohnorten auf dem Festland fast durchgehends vertreten zu sehen, wie in den Höhlen von MHenione?) und am Saléve 2). Auch in der von Prof. Claudius in Marburg beschriebenen Ansiedlung aus der Steinperiode am Warteberg in Hessen fehlte das Pferd keineswegs), so wenig als in den be- rühmten Ablagerungen der Somme und in den Knochenhöh- len von Belgien, England und Frankreich >). Fast alle diese Reste aber konnten mit Bestimmtheit von Equus fossilis unterschieden werden und gehören zu Equus Caballus °). 1) Fauna der Pfanlbauten p. 128. ?) Ebendas. p. 158. 3) Ebendas. p. 159. #) Claudius Mittheil. über ein auf dem Warteberg aufgefundenes Knochenlager. Marb. 1861. >) Zyell Antiquity of Man. Lartet Ann. Sc. nat. 4e Ser. XV. Garrigou l'Homme fossile etc. 6) Für die von mir selbst untersuchten Pferdereste aus den in der Fauna der Pfahlbauten besprochenen Localitäten ist dieses Re- sultat sicher. An andern Stellen scheint indes auch das fossile Pferd vorzukommen, so in St. Acheul und Menchecourt (Lyell Antiquity of Man pg. 104 und 125. Für Aurignac giebt dage- gen Lartei das heutige Pferd an (a. a. O. pg. 195). Aus den Höhlen von Maz d’Azil und Bouicheta, Dép. de l’Ariege, erhielt ich eine Reihe von Pferdezähnen durch die Güte von Hrn. Dr. Garrigou, welche ich auch zu Equus Caballus rechnen muss. Sie unterscheiden sich zwar durch sehr bedeutende Grösse und eigenthümliche schiefe Verzerrung der Unterkieferzähne nach hinten von der heutigen Mittelform, allein in geringern Graden kömmt diese Verzerrung auch an unserm Pferd hier und da vor, und auch im übrigen waren diese Zähne von denjenigen “ 68% Dasselbe Resultat konnte mit um so grösserer Sicher- heit von dem Pferde der römischen Ansiedlungen erwartet werden, das mir von sehr verschiedenen Localitäten, am reichlichsten von Vindonissa und Augusta Rauracorum vor- lag. Ich fand indes das Gepräge von Equus Caballus in diesen Zähnen weniger entschieden ausgeprägt als in den- jenigen aus den Pfahlbauten; besassen auch die Oberkiefer- zähne in ihrer Mehrzahl den breiten Innenpfeiler, so waren doch besonders die Unterkieferzähne mit stark zurück ge- legten Schmelzlappen der Innenseite nicht selten, und über- dies eine Tendenz zu starker Fältelung der Schmelzbänder nicht zu verkennen; allein sie ist in einer andern Richtung ausgeführt als bei Equus fossilis und selbst bei Hipparion. Während nemlich bei dem fossilen Pferd der Auvergne eben so wie an den Hipparienzähnen von Pikermi jene Fäl- telung des Schmelzes keineswegs mit einer Verdünnung des Schmelzbleches verbunden ist, ist dies der Fall bei dem römischen Pferde. Auf den Seiten der Halbmondmarken oberer Backzähne, sowie in den Querthälern der untern verdünnt sich das Schmelzblech oft bis auf Papierdicke und macht dann rasch dicht gedrängte und ergiebige Falten, sehr verschieden von den schwerfälligen Kräuselungen des dicken Schmelzblechs bei den genannten fossilen Thieren. Fig. 40 und 41 stellen zwei nicht als extreme, sondern als Mittelformen aus einer grossen Anzahl von Zähnen aus Vindonissa !) heraus gehobene Zähne des Unterkiefers dar. der Auvergne sehr verschieden. — Jedenfalls bedarf die Be- stimmung solcher Reste äusserste Sorgfalt und ein weit grös- seres Material, als dermalen wohl noch irgendwo gesammelt sein mag; die Pferdhändler sind in Beurtheilung von Racen den Palæontologen einstweilen noch weit voraus. 1) Die Sammlung von Thierknochen aus Vindonissa, in dem anti- quarischen Museum von Königsberg aufbewahrt, die mir durch die Gefälligkeit von Hrn. Reg.-Rath Dr. Urech in Brugg zu- ! 685 An M. 1 (Fig. 41; ist die mit Equus fossilis noch ziemlich übereinstimmende, vom heutigen Pferd (vergleiche M. 1. Fig. 44) abweichende Stellung der innern Schmelzlappen aa gut bemerkbar. P. 3 (Fig. 40) giebt ein Beispiel jener eigenthümlichen Art der Fältelung des Schmelzblechs, die immer, wie auch an fossilen Pferden, an obern Backzähnen weit ergiebiger ist als an untern. Ich weiss nicht, ob wir daraus schon schliessen dür- fen, dass das römische Pferd ein fremdes, d. h. anderes war, als das den frühern Bewohnern der Schweiz eigen- thümliche. Ich kann auch wegen Mangel an hinreichendem Material nicht angeben, ob das in der Schweiz jetzt ein- heimische und an gewissen Orten, namentlich im Canton Schwyz (Einsiedeln) seit Jahrhunderten gezogene Pferd sich mehr an das römische oder an das aus früherer Zeit stammende Pferd anschliesst; allein es scheint mir wich- tig, auf diese Verhältnisse aufmerksam zu machen, da sich daran historische Ergebnisse von Interesse knüpfen können. Immerhin wird diese Untersuchung an einer Thierspe- cies, welche so bedeutend an Grösse wechselt, mit bedeu- tenden Schwierigkeiten zu kämpfen haben, da das Skelet einstweilen noch keinerlei Anhaltspunkte zur Unterschei- dung von Racen zu bieten scheint, und grosse Unterschiede in der Statur und in der Bildung des Kopfes schon in den frühesten Perioden des zahmen Pferdes reichlich vorkom- men. So finde ich Reste sowohl von sehr grossen als von gesandt wurde, enthielt als häufigsten Inhalt Reste von Pfer- den, und zwar meist von grossen Thieren (Femur bis 380, Hu- merus bis 300 Millim. lang). Allein überdies Reste von Rind- vieh (Primigenius-Race), vom zahmen Schwein (Race von Sus ferus) und Ziegen. Von wilden Thieren waren vertreten das Wildschwein, der Bär und der Steinbock, letzterer durch einen mächtigen Hornzapfen von etwa 400 Millim. Länge und 235 Millim. Basalumfang. 686 sehr kleinen Pferden in der von Herrn Quiquerez als cel- tisch bezeichneten Ansiedlung auf dem Mont Terrible !). Ebense fanden sich Pferde sowohl mit sehr hohem als mit sehr niedrigem horizontalem Ast des Unterkiefers in den Gräbern der helveto-burgundischen Periode in Echallens ?). Auf ein sehr schlank- und feingliedriges Pferd deuteten die Reste des Pfahlbaues aus der Bronzezeit in Morges. Ein vollständiger Pferdeschädel von sehr auffälliger Bildung wurde mir aus einer durch römische Ueberreste bezeichneten Stelle am Moosseedorfsee durch den Entdecker der dortigen Pfahlbauten, Herrn Dr. Uhlmann, zugesandt. Derselbe zeichnet sich aus durch eine ganz eigenthümliche Abplattung, die ich an unserm heutigen Pferde nicht kenne. Nicht nur waren die Oberkieferknochen auf ihrer ganzen Ausdehnung auffällig niedrig (Höhe der Maxilla vom Al- veolarrand, an M. 3, bis zur Jochleiste nur % Centim., bei einem gleich grossen heutigen Pferd 6 Centim.), sondern, die Abplattung war namentlich an der Unterfläche des Schä- dels dadurch bemerkbar, dass der Gaumen fast ganz in der Ebene des Keilbeins verlief; die Choanenöffnung war daher sehr niedrig und eng, die Pterygoidknochen fast horizontal verlaufend. Das Gebiss verhielt sich dabei vollkommen wie bei unserm jetzigen Pferd. Nachdem in dem Vorhergehenden die Unterschiede zwi- schen Equus fossilis und Equus Caballus festgestellt wor- den, bleibt es mir übrig zu untersuchen, inwiefern die ge- _ wonnenen Merkmale dazu dienen, uns über die geographische ‘Ausbreitung des fossilen Pferdes Aufschluss zu geben; so- wohl die historischen Aufzeichnungen als die Art des Vor- 1) Ueber diese Localität siehe Quigerez, Monumens de l’ancien Evêché de Bâle. Porrentruy 1862. Meine Notiz über die da- selbst gefundenen Thierreste s. ebenda Pg. 243. 7) Fauna der Pfahlbauten p. 172. 637 kommens von Pferderesten in Ablagerungen neuern Datums machen es sehr wahrscheinlich, dass das heutige Pferd nicht nur in historischer Zeit, sondern selbst so weit als Spuren menschlicher Thätigkeit zurück reichen, in West-Europa nicht als wildes Thier einheimisch war, und dass also un- ser jetziges Hausthier importirt ist, vielleicht, wie ange- deutet wurde, von verschiedenen Quellen und weit sicherer in wiederholten Perioden !). Von besonderem Interesse sind daher die ‚Angaben Eichwalds ?) und Nordmanns ?) von dem reichlichen Vorkom- men eines diluvialen Pferdes in den Steppen Süd-Russlands, das nach dem letztern Autor dort in zwei Formen, Equus fossilis und Equus Asinus fossilis sich vorfindet, beide über- dies in einer grossen und einer kleinen Varietät. Den Un- terschied zwischen dem fossilen Pferd und dem lebenden findet Nordmann indes nicht an der Kaufläche, wie dies auch seine Abbildungen belegen { sondern in der grössern Länge (Höhe) des ganzen Zahncylinders bei dem fossilen Thiere, ein Merkmal, das leider schwer zu benutzen ist wegen der Unmöglichkeit, an abgetragenen Zähnen den ver- loren gegangenen Theil zu schätzen. Da nun das fossile Pferd der Auvergne eher niedrigere Zähne besitzt, als das lebende, so muss ich um so eher annehmen, dass dasselbe von dem russischen Diluvialpferd verschieden ist. Anders scheint es sich mit der oben beschriebenen fossilen Art zu verhalten, welche vielleicht einst mit der noch heute im Osten Europas lebenden und davon verschie- denen Art als Ausgangspunkt zahmer Racen erscheinen wird. 1) Notizen wie denjenigen der Benedictiones ad mensas Ekkehardi und ähnlichen ist wohl nicht zu viel Gewicht beizulegen. ?) Eichwald Nova Acta Acad. Nat. Cur. 1835. % Nordmann Palæontologie Süd-Russlands II, p. 169. 688 Jedenfalls lässt die Menge der Ueberreste des fossilen Pferdes in gewissen Theilen Frankreichs und Englands, so- wie die Gesellschaft, in welcher sie vorkommen, eben so wenig daran zweifeln, dass dasselbe dort so gut einhei- misch war, wie seine zahlreichen Genossen aus der Gruppe der Wiederkauer. Für die Schweiz muss man dies sehr bezweifeln. Un- tersucht man mit dem oben dargelegten Maassstab die in unsern Museen aufgehobenen Sammlungen von Pferdezähnen aus Geröllablagerungen verschiedenen Alters, so findet man nur äusserst selten Zähne, welche zu Equus fossilis gezählt werden könnten. Unter den Zähnen aus den Geröllablagerungen des Rheinthales und seiner Zuflüsse, welche das Basler Museum enthält, finde ich keinen einzigen, der dem Pferd der Au- vergne näher stände als dem Hauspferd. Mit einer Samm- lung von Pferdezähnen des Zürcher Museums aus ähnlichen. Terrains der östlichen Schweiz verhielt es sich ebenso; nur ein einzelner Oberkieferzahn von Wiilmau, sowie ein Unterkieferzahn von Mandach liessen darüber Zweifel übrig. Dagegen scheinen Zähne, die Equus fossilis näher stehen, in der westlichen Schweiz vorzukommen; so beurtheile ich wenigstens, ohne hier nochmals auf die obigen Details zu- rückzukehren, die in Fig. 8 dargestellten Zähne; sie stam- men aus einer Kiesgrube von Riez bei Cully und sind mir von Herrn Rod. Blanchei zugesandt worden. Weit misslicher ist eine solche Untersuchung, wenn “man sie auf Abbildungen ausdehnen will, weil hier nur solche Zeichnungen, welche den Stempel der grössten Ge- nauigkeit tragen, einigen Nutzen leisten. Der Atlas von Deveze und Bouillet'; über die Fossilien 1) Deveze et Bouillet Essai sur les Environs d’Issoire. 1827. (Equus Pl. XXXvVM). | 639 der Auvergne ist in dieser Beziehung leider vollkommen unbrauchbar. Auch die Abbildungen von Pferdezähnen der Auvergne bei Croizet und Jobert!) geben keinen Aufschluss. Unter den häufigen Pferderesten der Höhlen des süd- lichen Frankreichs nehmen Marcel de Serres, Dubreuil et Jeanjean?) verschiedene Racen an, die sich durch Unter- schiede der Statur auszeichnen, allein im Gebiss nicht von Equus Caballus abweichen. Die Abbildungen von Zähnen aus den Höhlen von Lunel-Viel, obschon sehr ungenau, ge- nügen doch, um dies hinreichend zu belegen. Auch die Abbildungen zu dem an Material so reichen Werke Jägers über die fossilen Säugethiere von Würtem- berg lassen leider äusserst viel zu wünschen übrig. Ab- gesehen von den daselbst abgebildeten Hipparien (unter welchen indes auch einzelne eigentliche Pferdezähne sich finden), können höchstens die Zähne Fig. 2. 3, Tab. XVI aus dem Diluvium von Cannstatt mit einiger Wahrschein- lichkeit auf Equus fossilis bezogen werden. Nach Fig. 5, Tab. I in Quenstedts oben citirter Ab- handlung über Hippotherium gehören auch die Pferdereste von Sievekenberg bei Quedlinburg zu Equus Caballus; sie liegen dort bekanntlich mit Mammuthresten zusammen. Als besondere Species, verschieden sowohl von Equus Caballus als von Equus fossilis, sind dagegen in neuerer Zeit aufgestellt worden: Equus piscenensis Gervais Paléontol. franç. Pl. 21, ausge- zeichnet durch ungewöhnlich schlanke erste Phalan- gen. Diluvium de Pézenas. 1) Croizet et Jobert Oss. foss. du Dep. du Puy-de-Dôme. 1828. (Equus Pl. III und VI). 2) Marcel de Serres etc. Ossemens humotiles des concernes de Lunel-Viel. 1839. (Equus Pl. XII). 45 690 Equus robustus Pomel Catal. des Vert. foss. p. 80, durch grôssere und plumpere Statur von Eq. Caballus ver- schieden. Diluvium der Auvergne (wohl theilweise zusammenstimmend mit einer der von Bravard auf- gestellten Arten, Eg. magnus und jujillaeus?). Equus plicidens Owen mit starker Faltung der Emailbän- 2 der, als ob noch zwischen Hipparion und Equus fos- silis inne stehend. Ich erlaube mir kein Urtheil über diese drei Species, von welchen ich nur die Abbildung oder die (bei Pomel fehlende) Beschreibung kenne. Doch kann ich beifügen, dass ich an recenten Pferdezähnen (so besonders an sol- chen aus Vindonissa) die Faltenbildung der Schmelzlinien gelegentlich so weit gehen sehe, als in der Zeichnung von Equus plicidens. Auch Nordmann zweifelt an der Selbst- ständigkeit des Eq. plicidens !). Ueber den fossilen Esel enthalte ich mich jeder Be- merkung, da ich darüber kein Material besitze. Auch die Frage in Betreff der verschiedenen Speeies von Hippotherien lasse ich unberührt, da sie von Hensel in sehr einlässlicher und gründlicher Weise besprochen ist; ich wiederhole nur, dass unsere Sammlung von Pikermi nichts enthält, was mit Hensels neuer Species Hipparion brachypus übereinstimmt. Dagegen erwähne ich schliesslich zwei neue einheimi- sche Fundorte von Hipparion gracile Ein nahezu vollstän- - diger Radius, den ich dieser Species beizählen zu dürfen glaube, aus der Muschelmolasse von Schnottwyl im Canton Solothurn, ist im Besitz des Museums letzterer Stadt. Be- kanntlich sind Reste dieser allem Anschein nach cisalpini- schen Hipparionart auch schon in gleichaltrigen andern Lo- 1; Nordmann Palæontologie Süd-Russlands I, p. 174. 691 calitäten der Schweiz gefunden worden, so bei Chaux-de- Fonds und Tour de la Molière, also immer in jurassischer und subjurassischer Molasse; aus einer ähnlichen Localität stammt daher wohl auch ein vortrefflich erhaltener Ma- xillarzahn von Hipparion gracile, den das Museum von Lausanne unter der Etikette Ste. Croix enthält. 45* Erklärung der Tafeln und Inhaltsverzeichniss, Alle abgebildeten Zähne sind nach der Natur und als der rechten Seile angehörig gezeichnet. Die Palæotherium- und Anoplotherium-Zähne stammen aus dem Bohnerz von Ober-Gösgen, Canton Solothurn (s. meine Eocænen Säuge- thiere pg. 20); die Zähne von Hipparion stammen von Pi- kermi bei Athen, diejenigen von Equus fossilis, wo nicht ein besonderer Fundort angegeben ist, von Coupet in der Li- magne (s. pg. 672), alle übrigen Zähne (mit Ausnahme ei- niger Pferdezähne von Vindonissa (Fig. 5. 9. 40. 41) von Skeleten unserer Sammlung oder aus Pfahlbauten. Die Bezifferung der Zähne folgt, wie auch im Text, der von Hensel vorgeschlagenen Methode, wonach der hin- terste Præmolarzahn mit P. 1 und nicht, wie nach Owen, mit P. 4 bezeichnet wird. Für alle Oberkieferzähne gelten folgende specielle Be- zeichnungen: A Aussenwand. B Vorjoch, b sein Innenpfeiler. -© Nachjoch (schraffirt in Fig. 3 und 10), e sein Innen- pfeiler. « vorderes Querthal, £ hinteres Querthal. 4 Schlussfalte des hintern Querthales, 2.2 Endfalte des Vor- und des Nachjochs, 3.3 kleine Aussenfalte (Com- pressionsfalte) des Nachjochs, 4.4 Innenfalten des Ver- und des Nachjochs. x Basalwarze. 693 Ueber das Gebiss der Hufthiere im Allgemeinen, 1.’ Oberkiefer. A. Hintere Backzähne. Pag Baleiteng,’:. D 0, US at nt Wins M0 Tab. EH. Fig. 1. Palæotherium medium M. 1 . . . . . 5% 2 2. Anoplotherium commune M. 2 . . . . 571 Bas: Cervus Elaphus M2. 38 de de tentant HU Bison europeusEn & A #118 . 972 . 5. Equus Coballus P. Vindonissa (vo dee Abnetzne men RS , 6. Equus fossilis Owen, non Cuvier, M. 1 . 676 RN 07. id. id. M. 1 . 676 NS: id.? M. 1. 2 Riez, Canton \ de Nada Lu 6416088 » 9. Equus Caballus P. en ra ROUE 10. Egwmus fossiis ME 2, ..... 574. 676 , 11. Equus Caballus D. 1 ne 574. 610 MON Bouussfossihs DEL à Lu eee ue OU | B. Vordere Backzähne. Entparidimitala..: 4, 2 un nn BRUNS MiehzAhne #40: "1, BORBIENET ONU EAP OSS LEO Re 1: RER hne UP dm SER MR 0. 0 + 40: 0. : CASA IMENMESG Tab. HE. Fig. 13. Anoplotherium commune P.1 . . . . 586 a 1d. | RAT RAS WR, SUR 38% nd, Cemus'Klaphus ERREUR NAPPES LES TRS Milchgebiss und Gebiss der Moschina . . . . . 590 Carnivora und Primates . . . . . . . . , 595 69% 2. Unterkiefer. Auf sämmtliche Unterkieferzähne passen folgende nä- hern Bezeichnungen: A Vorjoch, a sein Vorderhorn, a! Aussenfalte (Compres- sionsfalte) desselben, aa sein Hinterhorn. B Nachjoch (schraffirt in Fig. 20. 27. 37. 45), b sein Vor- derhorn, oder die vordere Aussenfalte (Compressions- falte) desselben, bb sein Hinterhorn, e hintere Aus- senfalte (Compressionsfalte) des Nachjochs. © Schlussjoch an M. 3. 4 vorderes Querthal, 2 hinteres Querthal. x Basaiwarze, x! accessorische Basalwarze an D. 1. A. Hintere Backzähne. Pag. Imparidigitata . . . . ; re ur Fig. 16. Palæotherium en m. 1 von aussen . 998 „ 17. Derselbe Zahn von innen . . . . . 598 „ 18. Anoplotherium commune M.1 . . . . 99% Ruminantia . . . ei. 2.0 Fig. 19. Cervus Does M. JU + CT Parallelen zwischen N und P/erd nes Parallelen zwischen untern und obern Backzähnen 609 Omnivora . . . . Lis OS SN Carnivora und Some LE N a B. Vordere Backzähne Imparidigsitata . . 0 Vo COR ee Omnivora 0.0. 0 00. OO DEN Buminanlia . !. usa wire COINS Bis. 20. "Cervus Alces P. 1-3... - . Ara nee … 21. Cervus Tarandus P.1—3 . : . : 607. 623 » \ 22. Cervus Elaphus P. 1—3 . . . . . «1623 » 23. Anoplofherium commune P.1 . . . : 622 Fig. 24. Anoplotherium commune D. PAPE id. P. 3 von innen „ 26. Cervus Elaphus P. 2 von innen 5:27. id. P. 2 Kaufläche Milchgebiss. Imparidigitata Ruminantia Gebiss der Moschina Omnivora Ergebnisse. Milchgebiss der Hufthiere Definitives Gebiss der Hufthiere EU DIN MRS RN Zaneltem daruber | 3 rn a na WET RN 033. Fossile Pferde, 1. Hipparion. Oberkiefer . Unterkiefer \ Unterschied von Æquus ; Unterschied zwischen P. und M. . Milchgebiss Tab. HEN. Fig. 28. Hipparion mediterraneum M.1. D.1 656. 7 ud 29. id. D.1—3 656. 659 u. f. 32. id. 30. Equus fossilis D. 1. Keimzahn 31. Hipparion mediterraneum D. 1. Keimzahn 656. 659 | M. 1. D.1—3 656. 33. Equus Caballus D. 1, sehr alt 607. 679 34. id. D. 3, Keimzahn 599. 610. 35—37. Equus fossilis D. 1—3, sehr alt 60%. u. f. 659 UE 681 680 696 Pag. (Definitives Gebiss). Tab. IV. Fig. 38. Hipparion mediterraneum P. 3, abnerm 653 653 u. f. REA id. M.1,P.1—3 652. 658 u. f. Skelet . - 2... 0. Le 2. Equus fossilis. Skeleé . . 1.1, 4) ce ONE Oberkiefer . . ..: : : rare ee a (Fig. 6. 7. 8. 10. 12. s. oben). . Unterkiefer : ....::.....2: Serie RE Fig. 40. #1. (Equus Caballus) Vindonissa P.3, M.1 68% » 42. Equus fossilis PR. 1430. RE BE nr id. M. 2, Keimzahn Te , 4% (Equus Caballus) M. 1 7 TOR 685 RS: id. P. 1-3... 00176333673 ‚Milchgebiss (Fig. 30. 35—37)-. . 2 SR 3. Equus Caballus ©; N mr ne (Fig. 5. 9. 11. 33. 34. 40. 41. 44. 45. s. oben). ERRATA. Auf Seite 591, Zeile 6 von oben lies dreier statt zweier. \ CHEMIE. Ueber die katalytische Wirksamkeit organischer Materien und deren Verbreitung in der Pfllanzen- und Thierwelt. Von €. F. ScH@&nsein. | Sicherlich gehören sämmtliche Erscheinungen, welche Berzelius mit dem Namen „katalytische Wirkungen“ be- zeichnete, immer noch zu den unverstandenen Thatsachen der Chemie, und vor allen diejenigen, welche sich auf or- ganische Materien beziehen, wie z. B, das Zerfallen des Traubenzuckers in Weingeist und Kohlensäure unter dem Berührungseinflusse der Hefe, und die Bildung der gleichen Zuckerart aus Stärke und Wasser unter der Mitwirkung der Diastase. Da ich der Ansicht bin, dass diese Gattung von Er- scheinungen ein hohes theoretisches Interesse besitze und an die Entdeckung ihrer nächsten Ursache ein namhafter Fortschritt der wissenschaftlichen Chemie sich knüpfen werde, so habe ich mich im Laufe der letzten Jahre viel- fach mit denselben beschäftiget und namentlich die durch das Platin bewerkstelligte Umsetzung des Wasserstoffsuper- oxides in Wasser und gewöhnliches Sauerstoffgas, wie auch 698 - die unter dem Einflusse des gleichen Metalles eingeleitete Bildung des Wassers aus gewöhnlichem Sauerstoff und Wasserstoff zum Gegenstande meiner Untersuchungen ge- macht, von der Ansicht geleitet, dass diese Vorgänge gleich- sam die Urbilder aller katalytischen Erscheinungen seien und daher deren Verständniss auch zu demjenigen aller übrigen führen werde. | Was nun die erwähnte Umsetzung des Wasserstoff- superoxides betrifft, so suche ich die nächste Ursache hie- von bekanntlich in dem Vermögen des Platins, das mit ihm in Berührung tretende & des HO + ®& in © umzukeh- ren, und in der Fähigkeit dieses ©) mit dem &) des aus- serhalb der Metallberührung liegenden Wasserstoffsuper- oxides zu O sich auszugleichen, welches als solches mit HO nicht chemisch verbunden bleiben kann. Zum bessern Verständniss der nachstehenden Angaben muss ich zuförderst einen der thatsächlichen Gründe, wel- che mich zu dieser Annahme bestimmt haben, hier in Erin- nerung bringen, nemlich das Verhalten des Wasserstofi- superoxides zur Guajaktinetur unter der Mitwirkung des Platins. Bekanntlich verhält sich diese Harzlösung zum ozonisirten Sauerstoff (©)) genau wie der Stärkekleister zum Jod: dieselbe wird nicht nur vom freien, sondern auch ge- bundenen Ozon (PO + u. s. w.) tief gebläut, während das an Wasser gebundene Antozon (&) ohne alle Wirkung auf die besagte Tinctur ist. Führt man aber in die HO,- haltige Harziösung nur kleine Mengen Platinmohres ein, so - färbt sich das Gemisch unverweilt tief blau, gerade so wie die Tinctur für sich allein durch das Bleisuperoxid oder irgend ein anderes Ozonid gebläut wird, welche Thatsache nach meinem Dafürhalten allein schon beweist, dass unter dem Einflusse des Platins das &) des Wasserstoffsuperoxi- des die chemische Wirksamkeit des Ozons erlange, d.h. nach meiner Sprachweise in © umgekehrt werde. 699 Wie sich nun das Platin verhält, so auch die übrigen edlen Metalle, z. B. das Quecksilber, Gold, Silber, Osmium u. s. w., welche alle die HO,-haltige Guajaktinctur rasch bläuen; von den gleichen Metallen wissen wir aber auch, dass sie ähnlich dem Platin das Wasserstoffsuperoxid zer- legen, ohne dabei selbst oxidirt zu werden. Hieraus erhellt, dass das Vermögen dieser Körper, HO, zu katalysiren, mit ihrer Fähigkeit, die HO, -haitige Guajaktinctur zu bläuen, so innig verknüpft sei, um aus dem Einen auf das Andere schliessen und annehmen zu dürfen, dass die beiden Wir- kungen von der gleichen Ursache hervorgebracht werden. Es ist desshalb auch die HO,-haltige Guajaklösung ein äus- serst werthvolles Untersuchungsmittel, wenn es sich darum handelt, in bequemer Weise Stoffe aufzufinden, welche nach Art des Platins das Wasserstoffsuperoxid zerlegen, und aus den nachstehenden Angaben wird man ersehen, dass die Anwendung dieses Mittels mich zur Entdeckung einer gros- sen Anzahl derartiger Materien in der Pflanzen- und Thier- welt geführt hat. Für Diejenigen, weiche an solchen Un- tersuchungen ein Interesse nebmen, sei noch bemerkt, dass ich mich immer einer frisch bereiteten Guajaktinctur be- diene, die etwa i °/, Harz und ebenfalls nur wenig Was- serstoffsuperoxid enthält. Verbreitung katalytisch wirkender Materien in der Pflanzenwelt. Kleber. HO,-haltige Guajaktinetur mit wenig Wei- zenmehl zusammen gerührt, färbt sich bald tiefblau, und das gleiche Mehl in blosses Wasserstoffsuperoxid einge- führt, verursacht eine ziemlich lebhafte Entwicklung ge- wöhnlichen Sauerstoffgases. Da die reine Stärke weder die eine noch die andere dieser Wirkungen hervor zu bringen vermag, so liesse sich schon hieraus vermuthen, dass die- selben von dem im Mehl enthaltenen Kleber herrühren 109 könnten. Beim Zusammenbringen frischen oder alten und von Stärke völlig befreiten Klebers mit Wasserstoffsuper- oxid treten in der That an Jenem bald so viel Luftbläschen auf, dass sie ihn in die Höhe heben, und fängt man das hierbei sich entbindende Gas auf, so verhält es sich bei näherer Untersuchung als gewöhnlicher Sauerstoff. Kaum ist nöthig noch ausdrücklich zu bemerken, dass HO,-hal- tige Guajaktinctur, mit frischem Kleber zusammen gerührt, sich bläue. Diastase. Geschrotetes Gerstenmalz bläut die HO,- haltige Harzlösung ziemlich rasch und tief, wie es auch unter sichtlicher Entbindung von Sauerstoffgas das Was- serstoffsuperoxid zerlegt. Filtrirter wässriger Malzauszug (bei gewöhnlicher Temperatur erhalten) vermag ebenfalls die HO,-haltige Tinctur sofort zu bläuen und aus HO, eine noch bemerkliche Menge Sauerstoffgases zu entwickeln. Mit verhältnissmässig viel Wasserstoffsuperoxid vermischt, trübt sich der besagte Auszug unter Ausscheidung kleiner Men- gen einer weisslichen fein zertheilten Materie, welche so- wohl die HO,-haltige Harzlösung zu bläuen, als auch HO, zu katalysiren vermag. Das erwähnte Gemisch einige Stun- den lang sich selbst überlassen und dann filtrirt, liefert eine Flüssigkeit, welche die HO,-haltige Tinetur nicht ‘mehr bläut und eben so wenig aus HO, Sauerstoff entbindet, während der reine Malzauszug bei gewöhnlicher Tempera- tur diese Fähigkeit beibehält, selbst nachdem er sauer geworden, sie aber in der Siedhitze des Wassers augen- ‘blicklich einbüsst. Da weder das Dextrin noch der Traubenzucker (lös- liche Bestandtheile des Malzes) die erwähnten Wirkungen hervor bringt, so steht zu vermuthen, dass an denselben diejenige im Malz enthaltene Materie Theil habe, welche man Diastase genannt hat. Weiter unten wird man jedoch sehen, dass in jeder auch nicht gekeimten Getreideart eine in Was- 701 ser lösliche Materie enthalten ist, welche katalysirend auf das Wasserstoffsuperoxid einwirkt und die HO,-haltige Gua- jaktinetur zu bläuen vermag. Emulsin. Geschälte süsse Mandeln mit Wasser zu einem Brei angerieben, färben die darüber gegossene HO,- haltige Harzlösung in kurzer Zeit tief blau, wie auch der gleiche Brei, mit Wasserstoffsuperoxid zusammen gebracht, eine noch ziemlich lebhafte Entwicklung von Sauerstoffgas verursacht. Beim Erhitzen der zerstossenen Mandeln mit Wasser auf 100° verlieren sie die erwähnte Wirksamkeit sofort und für immer, welche Thatsachen vermuthen las- sen, dass es das Emulsin sei, welches die besagten Wir- kungen verursache. Myrosin. Wasser, erst mit schwarzem Senf zusam- men gerieben und dann filtrirt, liefert eine Flüssigkeit, wel- che die HO,-haltige Guajaktinctur rasch und auf das Tiefste bläut, und übergiesst man den zerriebenen Senf mit Was- serstoffsuperoxid, so tritt sofort eine lebhafte Entbindung von Sauerstoffsas ein, welche Wirkung aber auch schon die ganzen Saamenkörner hervorbringen, wie aus den zahlrei- chen Gasbläschen abzunehmen ist, die man bald vom Senf aufsteigen sieht. \ Beim Vermischen des Wasserstoffsuperoxides mit dem wässrigen filtrirten Senfauszuge findet zwar eine schwache, doch aber noch sichtliche Gasentwicklung, wie auch eine Trübung des Gemisches statt in Folge der Ausscheidung einer weissen, das Wasserstoffsuperoxid jedoch nicht ka- talysirenden Materie, und vermischt man eine hinrei- chende Menge HO, mit dem erwähnten Auszuge, so ver- mag derselbe die HO,-haltige Harzlösung nicht mehr zu bläuen. Schwarzer Senf in kochendes Wasser geworfen oder dessen wässriger Auszug bis zum Sieden erhitzt, ver- liert die beschriebene Wirksamkeit beinahe augenblicklich. Gelber Senf mit Wasser zerquetscht, verursacht ebenfalls 402 die Bläuung der HO,-haltigen Tinetur, obwohl nicht ganz so rasch, wie diess der schwarze thut, wie auch schon die ganzen Saamenkörner bald und ziemlich lebhaft Sauerstoff- gas aus HO, entbinden, und kaum dürfte es nôthig sein, noch ausdrücklich zu bemerken, dass auch der geibe Senf in der Siedhitze des Wassers sein katalytisches Vermögen einbüsse. Dass die erwähnten Wirkungen von dem im schwarzen und gelben Senf enthaltenen Myrosin hervorge- bracht werden, dürfte um so weniger zu bezweifeln sein, als alle Mittel, durch welche die Wirksamkeit dieses Fer- mentes gegenüber dem myronsauren Kali aufgehoben wird, den Senf auch gegen das Wasserstoffsuperoxid u. s. w. un- _thätig machen. Hefe. Dass die Bierhefe nach Art des Platins das Wasserstoffsuperoxid zerlege, hat schon Schlossberger be- obachtet, und die Ergebnisse meiner eigenen darüber. an- gestellten Versuche bestätigen durchaus die Angaben des verstorbenen Chemikers; ich kann aber noch beifügen, dass die Hefe, nachdem sie einige Zeit das Wasserstoflsuperoxid katalysirt hat, dieses Zersetzungsvermögen verliere, wie ich auch finde, dass Hefe, aufirgend eine Weise ihres Ver- mögens beraubt, die geistige Gährung des Traubenzuckers zu verursachen, des Gänzlichen unfähig ist, das Wasser- stoffsuperoxid zu katalysiren. Merkwürdiger Weise macht die Hefe eine der wenigen Ausnahmen von der Regel, ge- mäss welcher Substanzen, die nach Art des Platins HO, . zerlegen, auch die HO,-haltige Guajaktinctur bläuen, eine Wirkung, welche die Hefe aus einem mir noch unbekann- ten Grunde nicht hervorzubringen vermag. Weit entfernt indessen, dass die Zahl der vegetabili- schen Substanzen, welche das Wasserstoffsuperoxid kata- lysiren, auf die oben genannten fermentartigen Materien sich beschränkten, sind nach meinen Versuchen derartige Stoffe durch das Pflanzenreich so allgemein verbreitet, dass es 703 wohl kaum ein einziges Gewächs geben dürfte, in dem nicht ein solcher vorkäme. Ich habe bereits Hunderte sehr ver- schiedener Pflanzen (natürlich im frischen Zustande): kraut-, strauch-, baumartige u. s. w., gerade wie sie mir der Zu- fall in die Hände gab, wie auch Pilze, Schimmelpflanzen u. s. w. untersucht und bis jetzt noch keine gefunden, in welcher nicht eine das Wasserstoffsuperoxid katalysirende Materie vorhanden gewesen wäre. Vorab fehlte eine sol- che weder dem Saamen noch der Wurzel irgend einer Pflanze, sehr häufig finden sich aber derartige Materien auch in andern Theilen derselben, z. B. in den Stielen, Blät- tern, Knospen, Blüthen, Früchten, der grünen Rinde baum- artiger Gewächse u. s. w. Um die Anwesenheit einer solchen Materie in einem Pflanzentheile zu ermitteln, hat man zunächst nichts ande- res zu thun, als eine kleine Menge desselben ınit einigen Tropfen Wassers in einem Spitzglase mittelst eines Glas- stabes zusammen zu stossen und dann darauf ein wenig HO,-haltige Guajaktinctur zu giessen; färbt sich letztere mehr oder minder rasch blau, so kann man sicher sein, dass der untersuchte Pflanzentheil auch eine Materie ent- halte, welche nach Art des Platins das Wasserstoffsuper- oxid zu zerlegen vermag. Auf diese Art die Saamen oder Wurzeln der Pflanzen behandelt, wird man finden, dass sie sämmtlich die HO,-haltige Guajaktinctur bläuen, wie sie auch, mit Wasserstoffsuperoxid in Berührung gesetzt, diese Verbindung unter ziemlich lebhafter Entwicklung von Sauer- stoffgas zerlegen, zu welchen Versuchen man sich der näch- sten besten Saamen und Wurzeln bedienen kann, z.B. der Gerste, des Hafers, der Hirse, des Mohn- oder Kressesaa- mens, der Wurzel des Leontodon taraxacum, der Lactuca sativa, der rohen Kartoffel und namentlich deren Schalen, die besonders wirksam sind. Auch die in der Kälte gemachten und filtrirten wässrigen Auszüge der Saamen und Wurzeln 70% aller von mir bis jetzt untersuchten Pflanzen bringen die erwähnten Wirkungen hervor, was beweist, dass die in ih- nen enthaltenen das Wasserstoffsuperoxid katalysirenden Materien in Wasser löslich sind. Bemerkenswerth ist noch die Thatsache, dass in der Siedhitze des Wassers die Saa- men, Wurzeln u. s. w. wie deren wässrigen Auszüge rasch und vollständig ihre katalytische Wirksamkeit verlieren- Was die allgemeine chemische Natur der besagten kataly= tisch wirkenden Pfianzenmaterien betrifft, so ist aller Grund zu der Vermuthung vorhanden, dass sie albuminoser Art oder dasjenige seien, was man Pflanzeneiweiss zu nennen pflegt, und wäre diese Annahme richtig, so würde zwischen dem vegetabilischen und thierischen Albumin der grosse Unterschied bestehen, dass Jenes das Wasserstoffsuperoxid zu katalysiren vermag, während diesem nach meinen Ver- suchen eine solche Fähigkeit des Gänzlichen abgeht. Verbreitung katalytisch wirkender Maierien in der Thierwelt. Dass der Blutfaserstoff nach Art des Platins das Was- serstoffsuperoxid zeriege, hat bekanntlich schon Thenard beobachtet, und unlängst ist von mir gezeigt worden, dass in einem ausgezeichneten Grade das gleiche Vermögen auch den Blutkörperchen zukomme. Mir vorbehaltend, später ein vollständigeres Verzeichniss der thierischen Materien mit- zutheilen, welche katalysirend auf HO, einwirken, will ich für jetzt nur einige wenige namhaft machen, an denen man meines Wissens dieses Vermögen noch nicht wahrgenom- men hat. Menschlicher Speichel (am wirksamsten ist der am Morgen ergossene) mit HO,-haltiger Guajaklösung zusam- men gerührt, färbt dieses Gemisch ziemlich bald noch deut- lich blau, wie er auch unter noch merklicher Entbindung 705 von Sauerstoffgas das Wasserstoffsuperoxid zerlegt, welche Wirksamkeit ebenfalls dem Nasenschleim zukommt. Frischer und getrockneter Kälbermagen katalysirt HO, ziemlich lebhaft, macht aber gleich der Hefe dadurch eine Ausnahme von der Regel, dass er die HO,-haltige Guajak- tinctur nicht zu bläuen vermag. Wie der Kälbermagen ver- halten sich alle die von mir bis jetzt untersuchten Schleim- häute, z. B. die Harnblase des Schweines u. s. w. Ehe ich in weitere Erörterungen über die oben mit- getheilten Thatsachen eintrete, muss noch einer eigenthüm- lichen Wirksamkeit katalytischer Art Erwähnung geschehen, welche zwar nicht allen, doch aber vielen derartigen Ma- terien zukommt, die nach Art des Platins das Wasserstofl- superoxid zerlegen. Schon vor vielen Jahren ermittelte ich die Thatsache, dass alle edien Metalle den mit ihnen in Berührung tretenden gewöhnlichen Sauerstoff zu bestimmen vermögen, mit dem in Weingeist gelösten Guajak die glei- che blaue Verbindung zu bilden, welche das freie oder ge- bundene Ozon mit diesem Harz erzeugt, aus welcher That- sache ich den Schluss zog, dass unter dem Berührungs- einflusse besagter Metalle der unthätige Sauerstoff ozonisirt werde. Auch will ich hier noch an die frühere Angabe erinnern, dass seiner Flüssigkeit halber das reine Queck- silber am besten sich dazu eigne, die erwähnte Wirksam- keit augenfällig zu machen, zu welchem Behufe man etwa 50 Gramme des Metalles und eben so viel frisch bereitete Guajaktinctur in einer etwas geräumigen Flasche mit rei- nem oder atmosphärischem Sauerstoff nur kurze Zeit zu- sammen zu schütteln braucht, um die Harzlösung auf das Tiefste zu bläuen. Nach meinen Beobachtungen besitzen das gleiche Ver- mögen nicht wenige derjenigen Pflanzenmaterien , welche nach Art der edlen Metalle das Wasserstoffsuperoxid zer- 46 706 legen, und schon vor langer Zeit machten mehrere Chemi- ker, z. B. Blanche und Taddei, darauf aufmerksam, dass bei Gegenwart von Luft die Guajaktinctur sich bläue, wenn man sie auf die Scheiben der Wurzeln oder Knollen man- cher Pflanzen, z. B. des Leontodon taraxacum, Solanum tu- berosum, Colchicum autumnale u. s. w. tröpfelt, wie sie auch schon der Thatsache erwähnten, dass das Guajakharz beim Zusammenreiben mit frischem Kleber in der Luft sich blau färbe. In einer frühern Abhandlung über die freiwil- lige Bläuung, welche die Hüte und Stiele einiger Pilze, z. B. des Boletus luridus, beim’ Zerbrechen an der, Luft zeigen, habe ich dargethan, dass in diesen Pflanzen ein dem Guajak ähnliches Harz, überdies aber auch eine in Wasser lôsliche Materie enthalten sei, mit der Fähigkeit begabt, gewöhnlichen Sauerstoff aufzunehmen und so zu verändern, dass er wie das Ozon oder die Ozonide die Guajaktinctur zu bläuen vermöge, bei welchem Anlasse noch erwähnt wurde, dass diese Harzlösung auf die zerbrochenen Hüte oder Stiele solcher Pilze gegossen, welche sich an der Luft nicht verändern, rasch gebläut werde. Aus diesen und andern Thatsachen schloss ich damals schon, dass solche Pilze in Wasser lösliche Materien enthalten, welche den gewöhnlichen Sauerstoff zu ozonisiren vermögen. Aus den Ergebnissen meiner neuesten Versuche geht nun hervor, dass in allen Pflanzen, deren feste Theile, Säfte oder wässrige Auszüge bei Anwesenheit von Luft für sich allein die Guajaktinetur bläuen, immer auch Materien vor- handen seien, welche gleich den edlen Metallen das Was- serstoffsuperoxid zu katalysiren vermögen, so dass aus der Fähigkeit eines Pflanzentheiles, an der Luft die Bläuung der reinen Guajaklösung zu verursachen, mit Sicherheit auf die Anwesenheit einer organischen Materie geschlossen werden kann, welche nach Art des Platins HO, zerlegt. In dieser Hinsicht zeichnen sich die Schalen der rohen 707 Kartoffel, die frischen Wurzeln, Stiele, Blätter und Blüthen des Leontodon taraxacum, Senecio vulgaris, Lactuca sativa u. a. m. ganz besonders aus, welche im zerquetschten Zu- stande die darüber gegossene Guajaktinctur sofort auf das Tiefste bläuen. Stampft man die Schalen der Kartoffel oder die Blätter, Stiele u. s. w. des Leontodon mit einigem Was- ser zusammen, so wird der ausgepresste und filtrirte Saft die Guajaklösung ebenfalls stark bläuen, jedoch nach mehr- stündigem Stehen diese Eigenschaft nicht mehr zeigen, wohl aber noch die Fähigkeit besitzen, die HO,-haltige Tinctur zu bläuen, um aber dieselbe nach einiger Zeit eben- falls zu verlieren. Bemerkenswerth hierbei ist die That- sache, dass in der Regel die erwähnten wässrigen Auszüge mit der Abnahme ihres Vermögens, die Guajaktinctur zu bläuen, sich dunkler färben, in welcher Beziehung diejeni- sen der rohen Kartoffelschalen oder der Blätter des Leon- todon sehr aëgenfällige Beispiele liefern. Es kann wohl keinem Zweifel unterworfen sein, dass die Fähigkeit besagter Auszüge, die Guajaktinctur zu bläuen, auf einem Ozongehalte derselben beruhe und mehr als nur wahrscheinlich ist, dass dieses Ozon unter dem Berüh- rungseinflusse derjenigen Materien, welche das Wasser- stoffsuperoxid katalysiren, aus atmosphärischem O seinen Ursprung nehme. Lässt man einen derartigen (D-haltigen Pflanzenauszug, anstatt ihn mit Guajaklösung zu vermischen, sich selbst über, so wirkt das in ihm enthaltene Ozon oxi- dirend zunächst auf die katalysirende Materie selbst ein, in Folge dessen sie zerstört wird, wie daraus erhellt, dass ein solcher Auszug nach längerem Stehen weder das Was- serstoffsuperoxid zu zerlegen, noch selbst die HO,-haltige Guajaktinctur zu bläuen vermag. Wahrscheinlich werden aber auch noch andere vorhandene Substanzen oxidirt und dadurch wie ihr chemischer Bestand, so auch ihr optisches 46* 708 | : Verhalten verändert, wie diess aus dem Dunklerwerden des Auszuges hervor geht.) Wohl bekannt ist, dass die meisten frischen Pflanzen- gebilde, wenn sie mechanisch verletzt, z. B. Aepfel zer- quetscht oder durchschnitten werden, sich an der Luft bald bräunen, welche Färbung ohne Zweifel die Folge der Oxi- dation einer in dieser Frucht enthaltenen Materie ist. Nach meinen Versuchen enthält aber auch das Parenchym fri- scher Aepfel eine das Wasserstoffsuperoxid ziemlich leb- haft katalysirende Substanz, wie das gleiche Parenchym darauf getröpfelte Guajaktinetur zu bläuen vermag. Diese letztere Thatsache zeigt somit, dass die besagte Substanz das mit ihr in Berührung tretende O in ©) überführe und eben dieses ©) es sei, welches die Bräunung des zer- quetschten Apfels dadurch veranlasst, dass es auf diese oder jene in der Frucht enthaltene Materie oxidirend ein- wirkt. ' | ich muss es desshalb für hôchst wahrscheinlich halten, dass die chemischen Veränderungen, welche die mechanisch verletzten Theile so vieler frischen Pflanzen in der Luft ziemlich rasch erleiden, zuallernächst durch diejenigen in ihnen enthaltenen Materien eingeleitet werden, welche nach Art des Platins das Wasserstoffsuperoxid zerlegen und gleich diesem Metall auch das Vermögen besitzen, dem mit ihnen in Berührung tretenden gewöhnlichen Sauerstoff die oxidirende Wirksamkeit des Ozons zu ertheilen. Da voranstehenden Angaben gemäss alle organischen _ Materien, welche das Wasserstoffsuperoxid zu katalysiren vermögen, schon beim Siedpunkte des Wassers diese Fä- !) In einer frühern Mittheilung habe ich gezeigt, dass solche oxi- dirende Wirkungen auch durch die Nitrite und Nitrate hervor gebracht werden können, welche so häufig in den Pflanzen vor- kommen. . 709 higkeit verlieren und mit derselben auch das Vermögen einbüssen, die Guajaktinctur für sich allein zu bläuen, also chemisch erregend auf den unthätigen atmosphärischen Sauerstoff einzuwirken, so macht es diese Thatsache er- klärlich, wesshalb pflanzliche und thierische Gebilde, nach- dem sie erhitzt worden, nicht mehr die gleichen und so rasche Zersetzungserscheinungen zeigen, welche wir an ihnen im frischen und verletzten Zustande schon bei ge- wöhnlicher Temperatur auftreten sehen. Nachdem gezeigt worden, dass durch die ganze Pflan- zen- und Thierwelt Materien verbreitet geien, welche nach Art des Platins das Wasserstoffsuperoxid in Wasser und gewöhnlichen Sauerstoff umzusetzen vermögen, so dürfte es jetzt am Orte sein, die Beziehungen hervorzuheben, in wel- chen diese allgemeine Thatsache zu anderweitigen kataly- tischen Erscheinungen stehe. Von einer Anzahl von Pflanzenstoffen ist wohl be- kannt, dass unter ihrem Berührungseinflusse gewisse orga- nischen Substanzen in anderartige Materien umgesetzt oder gespalten werden, ohne dass die Erstern zur Bildung der Letztern stofflich etwas beitrügen. Die Hefe zerlegt den Traubenzucker in Weingeist und Kohlensäure; das Emul- sin das Amygdalin in Traubenzucker, Bittermandelöl und Blausäure; das Myrosin das myronsaure Kali in das flüch- tige Senföl, Traubenzucker, Kalisulfat und Schwefel, wie uns letzteres die neuesten Untersuchungen Will’s in so schö- ner Weise gezeigt haben. Andere organischen Materien besitzen das entgegengesetzte Vermögen, gewisse Substan- zen zur chemischen Verbindung zu bestimmen, ebenfalls ohne dabei in stoffliche Mitleidenschaft gezogen zu werden. Unter dem Berührungseinflusse der Diastase oder des Spei- chels vereinigen sich Stärke und Wasser zu Traubenzucker, und nach meinen Versuchen bringen auch der Kleber und das Emulsin die gleiche Wirkung hervor. Es scheint mir 710 nun eine höchst beachtenswerthe Thatsache zu sein, dass alle die genannten fermentartig oder katalytisch wirkenden Substanzen auch die Fähigkeit besitzen, nach Art des Pla- tins das Wasserstoffsuperoxid zu zerlegen, ein Zusammen- gehen verschiedener Wirksamkeiten, welches der Vermu- thung Raum geben muss, dass sie auf der gleichen Ursache beruken. Und einer solchen Vermuthung kann man sich um so weniger erwehren, als die Erfahrung lehrt, dass mit der Einen dieser Wirksamkeiten auch die Andere verloren geht. Werden z. B. das Myrosio, Emulsin, die Hefe, Dia- stase u. s. w. bis zum Siedpunkte des Wassers erhitzt, so büssen sie nicht nur das Vermögen ein, die Umsetzung des myronsauren Kalis, Amygdalins, Traubenzuckers oder die Zuckerbildung aus Stärke und Wasser zu bewerkstelligen, sie sind nun auch nicht mehr fähig, das Wasserstoffsuper- oxid zu katalysiren. Wenn aber angenommen werden darf, dass die er- wähnten Umsetzungen u. s. w. durch die gleiche Ursache veranlasst werden, welche die Katalyse des Wasserstofl- superoxides bewirkt, so wird es auch gestattet sein, die Letztere als einen Vorgang zu betrachten zu der gleichen Gattung von Zersetzungserscheinungen gehörig, zu welcher wir z. B. die Umsetzung des Traubenzuckers in Weingeist und Kohlensäure zählen, d. h. als eine ächte Gährung, bei welcher das Wasserstoffsuperoxid die Rolle des Zuckers und das Platin diejenige der Hefe spielt. Bekanntlich hat schon Berzelius die durch die edlen Metalle verursachte ‚Zersetzung des Wasserstoffsuperoxides mit der durch die Hefe veranlassten geistigen Gährung des Traubenzuckers verglichen, ohne jedoch in eine weitere Erklärung dieser Erscheinungen einzutreten. Gehen wir nun von der Annahme aus, dass die besagte Umsetzung des Wasserstoffsuperoxides in Wasser und ge- wöhnliches Sauerstoffgas ein Vorgang sei, seiner nächsten ren! Ursache nach vergleichbar mit der Umsetzung des Trau- benzuckers in Weingeist und Kohlensäure, so dürfte es auch zulässig sein, aus der erlangten Kenntniss der nächsten Ur- sache der Einen dieser Erscheinungen auf diejenige der Andern zu schliessen oder doch Vermuthungen darüber zu schöpfen, und da nach meinem Dafürhalten bis auf diese Stunde das ganze Gebiet der Gährungsphänomene ein noch unaufgelöstes Räthsel für uns ist, so muss jede Andeutung, welche irgendwie verspricht, der Enthüllung dieses Ge- heimnisses uns näher zu führen, dem chemischen Forscher höchst willkommen sein. Die Ergebnisse meiner neuesten Untersuchungen haben mich in meiner alten schon zu wiederholten Malen ausge- sprochenen Vermuthung nur bestärken können, dass die durch das Platin bewerkstelligte Zerlegung des Wasser- stoffsuperoxides das Urbild aller Gährungen sei und dess- halb auch geneigt gemacht, die Deutung, welche ich jenem Vorgange gebe, im Allgemeinen auf sämmtliche katalyti- schen Erscheinungen auszudehnen. Wiederholt habe ich darzuthun versucht, dass die durch das Platin verursachte Katalyse des Wasserstoffsuperoxides auf einer allotropen Zustandsveränderung beruhe, welche dieses Metall im zwei- ten Sauerstoffäquivalent jener Verbindung bewerkstellige. Worauf nun auch immer der eigenthümliche Zustand dieses _Sauerstoffes beruhen mag, sicher ist, dass jede Veränderung desselben das Zerfallen des Superoxides nach sich ziehen müsste, und es kommt also jetzt nur darauf an, ob wohl ermittelte Thatsachen vorliegen, welche zu der Annahme verschiedener Zustände des Sauerstoffes und ihrer Ueber- führbarkeit in einander berechtigen. Ich habe diese Frage schon längst im bejahenden Sinne beantwortet und dess- halb die Zerlegung nicht nur des Wasserstoffsuperoxides, sondern auch noch einer grossen Zahl anderer sauerstof- haltigen Verbindungen, unter dem Einflusse gewichtloser 712° Agentien: der Wärme, des Lichtes und der Electricität (die Thermo-, Photo- und Electrolyse) bewerkstelliget, auf al- lotrope Zustandsveränderungen des Sauerstoffes als die nächste Ursache zurückzuführen gesucht. Wenn ich aber vom Sauerstoff eine solche Verschie- denheit und Veränderlichkeit allotroper Zustände annehme, so muss ich es für möglich halten, dass auch noch andere einfachen Stoffe ein ähnliches Verhalten zeigen, und diess um so eher, als bereits Thatsachen vorliegen, welche die Allotropisirbarkeit des Kohlenstoffes, Phosphors u. s. w. ausser Zweifel stellen und zugleich darthun, dass auch das chemische Verhalten dieser Körper mit ihren allotropen Zuständen mehr oder weniger sich ändere. Könnten nun ein oder mehrere Grundstoffe, welche in die Zusammen- setzung einer organischen Materie eingehen, verschiedene solcher Zustände annehmen und liessen sich dieselben wie diejenigen des Sauerstoffes in einander überführen, so müsste eine derartige Materie entweder eine isomere Modification oder eine Umsetzung in verschiedenartige Substanzen er- leiden, sobald unter dem Einfluss irgend eines Agens auch nur ein elementarer Bestandtheil der besagten Verbindung eine solche Zustandsveränderung erlitte, weil dadurch die ursprünglichen chemischen Beziehungen aller ihrer Elemente zu einander ebenfalls verändert würden. Was diejenigen organischen Materien betrifft, unter deren Berührungseinfluss gewisse Substanzen, z. B. Stärke und Wasser, sich chemisch verbinden, so gleichen sie auch ‘in dieser Hinsicht dem Platin, welches bekanntlich den un- thätigen Sauerstoff zu bestimmen vermag, schon bei ge- wöhnlicher Temperatur mit dem Wasserstoff zu Wasser sich zu vereinigen und noch anderweitige Oxidationswir- kungen hervorzubringen, wie z. B. den Weingeist in Essig- säure zu verwandeln, welche Wirkungen zu verursachen dieser Sauerstoff für sich allein nicht fähig wäre. Dass nun 713 das Vermögen des Platins, HO + & in HO und O0’ umzu- setzen, eng zusammenhänge mit der Fähigkeit des Metalles, H und O zur Wasserbildung zu bestimmen, kann wohl kaum bezweifelt werden, welcher Zusammenhang nach meiner Ansicht auf dem Vermögen des Platins beruht, wie das &) des Wasserstoffsuperoxides, so auch das freie O in ©) über- zuführen, wodurch in dem einen Fall eine Zersetzung, in dem andern eine Verbindung bewirkt wird. Vergleichbar der erwähnten Synthese ist die unter dem Berührungseinflusse der Diastase oder des Speichels be- werkstelliste Bildung des Traubenzuckers aus Stärke und Wasser, welche letztere Materien als solche eben so we- nig fähig sein dürften, sich chemisch mit einander zu ver- binden, als der gewöhnliche Sauerstoff in der Kälte mit dem Wasserstoff sich zu vereinigen vermag, indem es scheint, als ob die Stärke erst in das ihr isomere Dextrin überge- führt werden müsste, ehe sie mit Wasser zu der besagten Zuckerart zusammentreten kann, und desshalb vielleicht anzunehmen wäre, dass die Stärke durch die Diastase u. s. w. in ähnlicher Weise verändert werde, wie der gewöhnliche Sauerstoff durch das Platin. Eine weitere bemerkenswerthe Achnlichkeit zwischen der Wirksamkeit dieses Metalles und derjenigen einer An- zahl organischer Materien besteht darin, dass die Letztern gleich dem Platin sowohl zerlegend als verbindend auf ge- wisse Substanzen einwirken können. Das Emulsin z. B. zer- legt das Amygdalin, bestimmt aber auch nach meinen Ver- suchen die Stärke und das Wasser, sich zu Zucker zu verbinden; die Hefe spaltet den Traubenzucker in Wein- geist und Kohlensäure, wie sie den Rohrzucker anregt, mit Wasser zu Traubenzucker sich zu vereinigen. Den vorangegangenen Auseinandersetzungen gemäss gienge also meine Ansicht dahin, dass alle die besproche- nen Zersetzungen, isomeren Veränderungen und chemischen 714 Verbindungen unorganischer und organischer Materien, wel- che unter dem Berührungseinflusse gewisser Kôrper be- werkstelligt werden, zunächst auf allotropen Modificationen des einen oder des andern dabei betheiligten elementaren Stoffes beruhten, dass also z. B. das Zerfallen des Trau- benzuckers in Weingeist und Kohlensäure herbeigeführt würde in Folge eines allotropisirenden Einflusses, welchen unter geeigneten Umständen die Hefe auf einen oder meh- rere Grundstoffe des Zuckers ausübte, wodurch deren che- mische Beziehungen zu einander so verändert würden, dass sie in ihrem ursprünglichen Verbindungszustand eben so wenig als die Bestandtheile des unter den Berührungsein- fluss des Platins gestellten Wasserstoffsuperoxides verhar- ren könnten. Wie also unter solchen Umständen HO, in Wasser und gewöhnlichen Sauerstoff zerfällt, so der Trau- benzucker in Weingeist und Kohlensäure. Aus dem Gesagten ersieht man, dass die Ansichten, auf welche meine Vermuthung über die nächste Ursache der katalytischen Erscheinungen sich stützt, wesentlich abwei- chen von den heutigen Vorstellungen der Chemiker, für welche die Unveränderlichkeit eines einfachen Stoffes mit dem Begriff eines Elementes zusammenfällt und die dess- halb auch annehmen, dass alle chemischen Vorgänge ent- weder auf einer Verbindung der für unveränderlich gehal- tenen kleinsten Theilchen verschiedenartiger Stoffe mit oder auf einer Trennung derselben von einander beruhen. Die- sen Vorstellungen gemäss muss man daher die Ursache der Bildung oder Zersetzung einer chemischen Verbindung aus- serhalb der- Stofflichkeit ihrer elementaren Bestandtheile suchen: in Anziehungen oder Abstossungen, d. h. in Be- wegungen ihrer kleinsten Theilchen durch die Wärme, das Licht, die Electricität u. s. w. veranlasst und darf man na- türlich nicht daran denken, dass die nächste Ursache che- mischer Verbindungen oder Trennungen auch in Zustands- 715 veränderungen liegen könnte, welche die kleinsten Theil- chen der dabei betheiligten Grundstoffe selbst erleiden. Wenn ich nun in den chemischen Erscheinungen noch et- was Anderes als ein blosses An-, Ueber-, Durch- und Aus- einanderschieben gleich- oder verschiedenartiger Atome sehe und eine gewisse Veränderlichkeit der Stofie, welche wir einfache nennen, für mehr als nur wahrscheinlich halte, so bedarf meines Bedünkens eine solche Abweichung von den herrschenden Vorstellungen des Tages um so weniger einer Entschuldigung, als die heutige chemische Atomistik selbst nichts Weiteres als eine Hypothese und noch weit davon entfernt ist, uns von dem gesammten Erscheinungs- gebiete der Chemie genügende Rechenschaft geben zu können. Schliesslich kann ich nicht umhin, noch einige Bemer- kupgen über die physiologische Bedeutung zu machen, wel- che mir die Thatsache zu haben scheint, dass die ganze Pflanzen und Thierwelt von katalytisch wirkenden Materien im eigentlichsten Sinne des Wortes durchdrungen ist, eine Thatsache, von der kaum anzunehmen sein dürfte, dass sie eine rein zufällige sei. Wenn die Erfahrung lehrt, dass keinem der bekann- tern Fermente das Vermögen fehlt, nach Art des Platins das Wasserstoffsuperoxid zu zerlegen, und es ferner That- sache ist, dass der Verlust ihres Vermögens, Gährungen zu erregen, auch denjenigen ihrer Fähigkeit nach sich zieht, HO, zu katalysiren, so dürfen wir aus dem Zusammengehen und Verschwinden dieser Wirksamkeiten wohl schliessen, dass Beide von der gleichen Ursache herrühren, also z. B. die Hefe aus demselben Grunde den Traubenzucker in Wein- geist und Kohlensäure umsetze, wesshalb sie das Wasser- stoffsuperoxid in Wasser und Sauerstoff zerlegt, worin die- ser Grund auch immer liegen mag. Ueberdiess ist aber noch wahrscheinlich, dass jede organische Materie, welche 716 nach Art des Platins das Wasserstoffsuperoxid zu zerlegen vermag, auch die Fähigkeit besitze, noch anderweitige ka- talytischen Wirkungen auf pflanzliche oder thierische Sub- stanzen hervorzubringen, in ähnlicher Weise, wie das My- rosin, Emulsin u. s. w. diess thun. Die Thatsache, dass durch das ganze Pflanzen- und Thierreich Materien ver- breitet sind, welche das Wasserstoffsuperoxid katalysiren, gibt daher auch der Vermuthung vollen Raum, dass die- selben sämmtlich wirkliche Fermente, d. h. Substanzen seien mit dem Vermögen begabt, auf ‘diese oder jene mit ihnen in Berührung kommende organische Materien katalytisch einzuwirken. Bekanntlich ist sehon öfters die Ansicht ausgespro- chen worden, dass manche in lebenden Pflanzen und Thie- ren stattfindenden chemisch-physiologischen Vorgänge auf ähnlichen Ursachen beruhen dürften, durch welche die s0- genannten Gährungen veranlasst werden, ohne dass aber bis jetzt für die Richtigkeit dieser Vermuthung genügende thatsächliche Beweise beigebracht worden wären. Ich halte nun dafür: die allgemeine Verbreitung katalytisch wirksa- mer Materien durch die Pflanzen- und Thierwelt spreche deutlichst zu Gunsten der Annahme, dass eine grosse Zahl stofflicher Veränderungen, welche im lebenden Organismus Platz greifen, auf eine ganz ähnliche Weise bewerkstelligt werde, wie die Umsetzung des Traubenzuckers in Wein- geist und Kohlensäure durch die Hefe, die Ueberführung der Stärke in Gummi durch die Diastase und die Bildung ‘des Traubenzuckers aus Stärke und Wasser durch den Spei- ehel u. s. w. Von einer ganz besondern chemisch-physiologischen Bedeutung scheint mir die Thatsache zu sein, dass die Saa- men sämmtlicher von mir untersuchten Pflanzen eine Ma- terie enthalten, welche das Wasserstoffsuperoxid zu kata- lysiren vermag, also das allen Fermenten gemeinschaftliche 717 Merkmal besitzt, wesshalb auch die Vermathung sehr nahe liegt, dass eine solche Materie schon bei dem Keimen der Saamen eine einflussreiche Rolle spiele, d. h. die stofflichen Veränderungen einleite, welche den Keimungsvorgang be- gründen. Diese Vermuthung scheint mir durch die That- sache zur Gewissheit erhoben zu werden, dass die Kei- mungsfähigkeit jedes Pflanzensaamens durch alle die Mittel zerstört wird, welche denselben seines Vermögens berau- ben, das Wasserstoffsuperoxid zu katalysiren oder die HO,- haltige Guajaktinctur zu bläuen. Da mir diese Thatsache für die vorliegende Frage von grosser Bedeutung zu sein scheint, so will ich hier nach- holen, was schon weiter oben hätte vorgebracht werden ‚sollen, nemlich die Angabe eines Mittels, durch weiches alle organischen Materien ihr&s Vermögens, das Wasser- stoffsuperoxid zu katalysiren, sofort beraubt werden kön- nen, und dieses Mittel ist der Schwefelwasserstof. Wird zu den frischen wässrigen Auszügen von Pflanzentheilen, z. B. der Kartoffelschalen, der Blätter des Leontodon ta- raxacum, des schwarzen Senfes u. s. w., welche noch sicht- liche Mengen Sauerstoffgases aus dem ihnen beigemischten Wasserstoffsuperoxid zu entbinden und entweder schon die reine oder die HO,-haltige Guajaktinetur zu bläuen vermö- gen, nur eine verhältnissmässig sehr kleine Menge HS-hal- tigen Wassers gefügt, so verlieren sie die erwähnte Wirk- samkeit augenblicklich, gerade so, als ob sie bis zum Sieden erhitzt worden wären. Lässt man den mit einer das Was- serstoffsuperoxid katalysirenden Materie behafteten Pflan- zentheil, z. B. Blätter von Leontodon oder die Schalen roher Kartoffeln in einer HS-haltigen Atmosphäre einige Zeit ver- weilen, so haben sie ihr katalytisches Vermögen einge- büsst: es entwickeln sich an den so behandelten und in Wasserstoffsuperoxid eingeführten Schalen u. s. w. keine Gasbläschen mehr und haben sie namentlich auch die Fähig- 718 keit verloren, den gewöhnlichen Sauerstoff zu ozonisiren, d. h. die blosse Guajaktinctur zu bläuen. Worauf nun auch immer diese Zerstörung der kataly- tischen Wirksamkeit besagter Materien beruhen mag, sicher ist, falls dieselbe nach meiner Annahme eine massgebende Rolle bei der Keimung spielen sollte, dass Saamen, welche der Einwirkung des Schwefelwasserstoffes gehörig lange ausgesetzt gewesen wären, nicht mehr keimen könnten. So verhält sich in der That die Sache auch. Mohnsaamen u. s. w., welchen ich 48 Stunden lang der Einwirkung des Schwefelwasserstoffgases ausgesetzt sein liess, hatte sein Keimungsvermögen gänzlich verloren, wie derselbe im zer- stampften Zustande auch die darüber gegossene HO,-haltige Guajaktinctur nicht mehr zu bläuen vermochte, und eben so wird die Keimkraft der Saamen dadurch zerstört, dass man dieselben einige Zeit in HS-haltigem Wasser verweilen lässt. Aus diesen Angaben erhellt somit, dass ein Pflan- zensaamen mit seinem Vermögen, das Wasserstoffsuperoxid zu katalysiren, auch seine Keimfähigkeit verliert, woraus wohl geschlossen werden dürfte, dass die katalytische Wirksamkeit der Saamen an der Keimung derselben we- sentlich betheiligt sei. Bereits ist erwähnt worden, dass alle organischen Ma- terien mit dem Vermögen begabt, das Wasserstoffsuper- oxid nach Art des Platins zu zerlegen, dasselbe bei der Siedhitze des Wassers verlieren, und wohl bekannt ist, dass unter den gleichen Umständen auch die Keimungs- fähigkeit der Pflanzensaamen aufgehoben wird, eine wei- tere Thatsache, welche zu Gunsten der Annahme spricht, dass die in jedem Saamen vorhandene das Wasserstoffsu- peroxid katalysirende Materie es sei, welche den Vorgang des Keimens einleite. Hieraus scheint mir auch die von Herrn Dr. Fritz Burckhardt gemachte Beobachtung erklär- 19 lich zu werden, dass bei 60° das Keimen der Saamen nicht mehr stattfindet. Es darf wohl als sicher ermittelte Thatsache gelten, dass die Anwesenheit von Sauerstoffgas eine unerlässlich nothwendige Bedingung für das Keimen sei, und da bei diesem physiologischen Vorgange Kohlensäure gebildet wird, so darf man hieraus auch schliessen, dass im ersten Sta- dium der Entwicklung der Pflanzen Oxidationsprocesse in- nerhalb des keimenden Saamens stattfinden. Da aber der den Saamen umgebende atmosphärische Sauerstoff im un- thätigen Zustande sich befindet, so muss derselbe erst zur chemischen Wirksamkeit angeregt werden, bevor er auf irgend einen Bestandtheil des Saamens oxidirend einzuwir- ken vermag, und wie ich vermuthe, ist es gerade eine Hauptbestimmung der keinem Saamen fehlenden katalytisch wirksamen Materie, den mit ihr in Berührung tretenden atmosphärischen Sauerstoff chemisch zu erregen, also auch in dieser Hinsicht platinähnlich zu wirken. Ich habe in der That mehr als eine Saamenart gefunden, welche mit wenig Wasser zusammen gestossen, die darauf gegossene reine Guajaktinctur sofort mehr oder weniger tief bläute, in wel- cher Beziehung der Saamen der sogenannten Schwarzwur- zel (Storzonera hispanica) sich ganz besonders auszeichnet, eine Eigenschaft, welche, wie bereits erwähnt, mit dem Vermögen einer Materie, den gewöhnlichen Sauerstoff zu ozonisiren, eng zusammenhängt. Wenn nun erfahrungsgemäss dem Platin das zweifache Vermögen zukommt, das Wasserstoffsuperoxid zu katalysi- ren und dem unthätigen Sauerstoff die chemische Wirk- samkeit des Ozons zu verleihen, so dürfte jede organische Materie, welche mit dem erstern Vermögen begabt ist, auch das andere in schwächerm oder stärkerm Maasse besitzen, und da nach meinen Versuchen keinem Saamen die Fähig- keit, HO, nach Art des genannten Metalles zu zerlegen, 720 gänzlich abgeht, so dürfte derjenige Saamenbestandtheil, welcher diese Wirkung hervorbringt, es auch sein, der den bei der Keimung stagtfindenden Oxidationsprocess ein- leitet, und zwar durch die von ihm bewerkstelligte Ozoni- sation des atmosphärischen Sauerstoffes. Obigen Angaben gemäss fehlt, wie dem Saamen, so auch der Wurzel keiner Pflanze eine das Wasserstoffsuper- oxid katalysirende Materie, also demjenigen Theile der Pflanze nicht, welcher für ihr Bestehen und Wachsthum so unerlässlich nothwendig ist, und eben so finden sich der- artige Substanzen in andern Organen der Gewächse, wo wichtige Vorrichtungen stattfinden, d. h. die Bildung orga- nischer Materien entweder vorbereitet wird oder wirklich Platz greift, wie z. B. in der frischen Rinde des Stammes und der Zweige von Bäumen, in Blüthen u. s. w., welche Thatsache sicherlich keine Zufälligkeit sein kann und ihre physiologische Bedeutung haben wird. Da nun sowohl in der Pflanzen- als Thierwelt dieje- nigen Materien allgemein verbreitet sind, welche nach Art des Platins auf das Wasserstoffsuperoxid einwirken, so kann es kaum fehlen, dass sie hier wie dort durch ihre kataly- tische Wirksamkeit eine wichtige chemisch-physiologische Rolle spielen, d. h. sehr wesentlich zu den unaufhörlichen und zahireichen Stoffswandlungen beitragen, welche im thie- rischen Organismus stattfinden. In einer meiner letzten Mit- theilungen ist bereits gezeigt worden, dass die Blutkörper- ‚chen ein solches Vermögen in einem ausgezeichneten Grade besitzen, und ich gedenke demnächst auf diesen so merk- würdigen Gegenstand zurück zu kommen, wie überhaupt die katalytische Wirksamkeit thierischer Materien etwas ein- lässlich zu behandeln. Mag nun, um zum Schlusse dieser Mittheilung noch einige Worte zu sagen, die allgemeine Deutung, welche ich den katalytischen Erscheinungen zu geben versucht habe, 121 richtig oder irrig sein, jedenfalls haben nach meinem Da- fürhalten die oben besprochenen Thatsachen ein nicht ge- ringes theoretisches Interesse, indem sie in der That die höchsten Fragen der chemischen Wissenschaft berühren, wesshalb dieselben namentlich der Beachtung der Physio- logen werth sein dürften, und zwar um so eher, als diese es am besten wissen müssen, wie äusserst lückenhaft und unvollkommen unsere Kenntnisse von der nächsten Ursache der stofflichen Umwandlung und Erzeugung organischer Materien und wie wenig begriffen selbst die einfachsten physiologischen Vorgänge der Pflanzen- und Thierwelt der- malen noch sind. Die Ergebnisse der Versuche, welche wir mit organi- schen Stoffen in unsern Laboratorien anstellen, können wohl auf die chemischen Vorgänge, wie sie im lebenden Orga- nism ıs stattfinden, bisweilen einiges Licht werfen; indessen will es mir doch scheinen, als ob in der Regel die Art und Weise, wie der Chemiker mit diesen Materien umgeht, im Vergleich zu den Umständen, unter welchen in Pflanzen und Thieren die Stoffswandelungen zu Stande kommen, so ge- waltsam sei, dass bis jetzt nur in wenigen Fällen vom -Chemismus des Laboratoriums auf denjenigen der lebendi- gen Natur geschlossen werden konnte und man leider von dem Erfolg unserer mühevollsten Arbeiten dieser Art mit dem Dichter nur zu oft sagen muss: „Zum Teufel ist der Spiritus, das Phlegma nur geblieben.“ Es muss desshalb äusserst wünschenswerth erscheinen, Mittel und Wege der Forschung aufzufinden, mehr als die Bisherigen geeignet, uns zum Verständniss der so feinen chemischen Vorgänge zu führen, welche in der lebendigen Thier- und Pflanzen- welt stattfinden. 47? GESCHENRE an das naturwissenschaftliche Museum in den Jahren 1861 und 1862. —_ [202 1. Geldbeiträge. Von I. Gemeinnützigen Gesellschaft, Jahres- beitrası für 1861070070) 7" et. = Von 1. Museums-Verein, ol =. - Von demselben ausserordentlicher Beitrag für Anschaffung von Alpen-Petrefakten . . „ 650. — Von Hrn. Rathsherrn P. Merian zur Verwen- dupe für die Bibliothek :.%.. .-. -...0,2.5007-— Fr. 2300. — Ferner: Von I. Gemeinnützigen Gesellschaft, Jahres- beitras ur 1862 PM NUE ie ERS — Von 1. Museumsverein, este N EE — Von Hrn. Rathsherrn P. Merian für die Bi- | bhothek al... 4... da 000 RSS 1/28 SR Aus E. E. Trauerhause. .. 1... toi NOR Fr. 2650. — 723 2. Für die zoologische Sammlung. Von Hrn. Consu! David-Burckhardt: Einige Seeigel und Seesterne aus Brasilien und dem Rothen Meere. Von Ern. Rathsh. Rud. Merian-Iselin: Mergus merganser jun., bei Basel geschossen. Von Hrn. Dr. Bieder in Langenbruck: Hypudæus terrestris, Var. flava. Von Hrn. Dr. Ludwig Imhof: Sorex Leucodon. Von Hrn. Dr. Christoph Burckhardt: Hypudæus arvalis. Sorex sp. Von Hrn. Prof. J. J. Mieg: À Strix brachyotus. Von Hrn. Dr. Friedr. Burckhardt-Brenner: Ampelis Pompadora. Cacicus sp. Von Hrn. Präparator Gust. Schneider: Insekten und Vögel aus Brasilien. Von Fräulein Emilie Linder: Eine Sammlung von Conchylien und Echinodermen. 3. Für die Mineralien- und Petrefakten- Sammlung. Von Hrn. Nationalrath Rud. Ringier in Lenzburg: Backenzahn von Halitherium Studeri. H. v. Mey. Fischwirbel. Eine Anzahl Versteinerungen, sämmtiich aus der Ge- send von Lenzburg. Von Hrn. Eduard Burckhardt: Schild von Belodon aus dem obern Keuper von Nieder- Schönthal, Kant. Basel. 47% 72% Von Hrn. Karl Meyer in Bolivia: Kupferstufen aus Bolivia. Von Hrn. Edward C. Hartsinck Day in Charmouth, Dorset- shire : Ophiurella Egertoni und eine Anzahl Ammoniten aus dem Lias von Charmouth bei Lyme Regis. Von Hrn. Wolf, amerikanischer Consul: 30 Arten Crinoideen, ein Productus und eine Coralle aus dem Bergkalk von Burlington im Staate Jowa. Von Hrn. Prof. F. Sandberger in Karlsruhe: Versteinerungen aus verschiedenen Gegenden. Von Hrn. Prof. Albr. Müller: Eine Anzahl Versteinerungen, hauptsächlich aus dem Kant. Basel. Von Hrn. Rathsh. P. Merian: | Eine Anzahl Versteinerungen, vorzüglich aus England. Von Hrn. Prof. E. Desor in Neuchatel: Neun Arten fossiler Echiniden. Von Hrn. Wilh. Oser-Iselin: Junger Zahn von Rhinoceros tichorhinus, bei den Ab srabungen im Schutte der Nauenstrasse gefunden. Von Hrn. Architect Josua Tester: Backzahn von Elephas primigenius, im Gerölle an der x Burgstrasse bei Klein-Basel gefunden. : - Von Hrn. Prof. Osw. Heer in Zürich: Diademopsis Heeri. M. Ophiurella. Glyphæa Heeri. Oppel. À Tr 4; Atrimpos liasinus. Opp. und 14 Käferarten, sämmtlich aus dem untersten Lias der Schambelen, Kanton Aargau. 725 Von Hrn. Dr. Christoph Burckhardt: Grosser Schenkelknochen eines Sauriers aus dem obern Keuper des Kantons Basel. Krone von Apiocrinus polycyphus. Ag. Trichites fibrosus. M. aus dem Terrain & Chailles. Grosses Exemplar von Ammonites Becchei, Sow. von Prattelen, und andere Versteinerungen. Von Hrn. Prof. Andreas Heusler: Bergkrystall aus dem Kanton Glarus. Von l. Missionshause: Grosses Stück Laterit von der Westküste Ostindiens. Von Hrn. Prof. F. Miescher: Einige Versteinerungen von der Lenk im Simmenthal. Von Hrn. Prof. W. Vischer: Smirgel von der Insel Samos. Von Hrn. Dr. P. Reinsch, Lehrer in Therwyl: Pflanzenversteinerungen im Süsswasserkalk v. Therwyl. Von Hrn. Jos. Köchlin-Schlumberger in Mülhausen: 22 Handstücke von Gebirgsarten aus den Vogesen. Von Hrn. Friedrich Heusler sel.: Durch sein am 14. Oct. 1862 eröffnetes Testament le- girt derselbe seine hinterlassene Mineraliensammlung in 5 Schränken, 2500 Stücke zählend. Von Fräulein, Emilie Linder: Eine von Herrn Schaffner Dienast sel. hinterlassene Sammlung von Mineralien und Versteinerungen sammt Glasschrank. B 4. Für die chemische Sammlung: rat Von Hrn. Sainte-Claire Deville in Paris: 50 Gramm Platinmohr. EN 726 5. Für die naturwissenschaftliche Bibliothek. Von der physikal.-ökonomischen Gesellschaft in Königsberg: Schriften der Gesellschaft I, 1. 2. I, 1. 2. Elditt, die Metamorphose des Caryoborus gonagra. 1860. Von der Chemical Society in London: Journal. XI, 3. 4 XIV, 1—4 XV, 5. 6—9. Von der Société industrielle in Mülhausen: Bulletin XXX—AXXH. Von der physikalisch-medizinischen Gesellschaft in Würz- burg: Würzburger naturwissenschaftliche Zeitschrift. I, 2—4. 11 1 Es Von dem R. Istituto Lombardo in Mailand: Memorie. VIIL IX, 1. 2 Atti. II, 4—20. IL, 1—4. Von der R. Society etc. in Dublin: Dublin quarterly Journal of Science. L il Von dem naturhistorischen Verein der preussischen Rhein- lande in Bonn: Verhandlungen. XV}. XVIII. Von der Società Italiana di Scienze naturali in Mailand: At. I 3%. ME IV ID | Von dem Gewerbeverein in Bamberg: Bericht von 1858—60. Von der K. Akademie der Wissenschaften in Wien: Sitzungsberichte der mathem.-naturwissensch. Abthei- lung. XLI, Nr. 20. XLiE. XLIE, Abth. Tu... XLIV, I u IE XLV, 1 1—3. OD, 1—. Register zu Band 31—42. Almanach 1361. 1862. Von der zoologisch-botanischen Gesellschaft in Wien: Verhandlungen X. XI. Neilreich, Nachträge zu Maly's Enumeratio Piantarum.- 727 Von der K. Gesellschaft der Wissenschaften in Gôttingen: Nachrichten 1860. 1861. Von dem physikalischen Verein in Frankfurt a. M.: Jahresbericht 1859—60. 1860 —61. Von der zoologischen Gesellschaft in Frankfurt a. M., Weinland, der zoologische Garten II. II, 1—6. Von der Royal Society in London: Abstract of Papers I-VI. 1832—54. Proceedings VII—X1. XII bis No. 51. Von der Wetterauer Gesellschaft für Naturkunde in Hanau: Jahresbericht. August 1858 bis August 1860. 1862. Von der naturforschenden Gesellschaft in Bern: Mittheilungen No. 440—496. Von dem zoologisch-mineralog. Verein in Regensburg: Correspondenzblatt XIV. XV. Von dem Verein für Naturkunde des Herzogth. Nassau: Jahrbücher XIV. XV. Von dem geognost.-montanist. Verein in Steiermark: 10r und 1ir Bericht. Von der k. bayerischen Gesellschaft der Wissenschaften in München: Sitzungsberichte 1860. 1861, L IL. 1862, 1. IL 1. Verzeichniss der Mitglieder 1860. 1861. Andr. Wagner, Denkrede auf Schubert. — Fauna des lithograph. Schiefers If. — Fische des lithograph. Schiefers 1. Harless, Nervensubstanz IV. — Physiologischer Rheoscop. — Grenzen der physiologischen Forschung. — Mechanik der Muskelbewegung. Rathke, Arterien der Verdauungswerkzeuge der Saurier. Liebig, Rede 1861. Siebold, Parthenogenesis. Martius, Denkrede auf Biot. 728 Von der Société des Sciences naturelles de Cherbourg: Mémoires VII. VIF. Von der K. Preussischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin: Monatsberichte 1860. 1861. Register dazu von 1836—1858. Von dem Mannheimer Verein für Naturkunde: 27r und 28r Jahresbericht. Von der naturforschenden Gesellschaft in Zürich: Vierteljahrsschrift EE, 3. 4. IV—VL Von dem naturhistorischen Verein in Würitemhesss Jahreshefte XVII XVII. Von der Académie des Sciences in Dijon: _ Mémoires. 2e Ser. VIII. IX. Von der naturforsch. Gesellschaft zu Freiburg i. Br.: Berichte II, 3. % Von dem Verein für Naturkunde in Cassel: ir bis 11r Bericht. Von der Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg: Mémoires Te Série. IH. IV, 1-9. | Bulletin IH. SIL IV, 1—6. Leonh. Euleri, Opera posthuma. I. I. Von der Schlesischen Gesellschaft für vaterländ. Kultur: 38r und 39r Jahresbericht für 1860 und 1861. Abhandlungen. Abtheilung für Naturwissenschaft 1861. 1862, I. — Philosophisch-histor. Abtheilung 1861. 1862, IT. II. Ferd. Rœmer, die fossile Fauna von Sadewitz. 1861. Von der Société des Naturalistes de Moscou: Bulletin. 1860, II—IV. 1861, I—IV. Nouveaux Mémoires. XIE, 2 Von der naturforschenden Gesellschaft Graubündens: ‚Jahresbericht. Neue Folge. VI. VIT 729 Von der Société Vaudoise des Sciences naturelles: Bulletin No. 48. 49. Von dem naturhistorischen Verein in Augsburg: 14r und 1{5r Bericht. Von der Senkenbergischen naturforschenden Gesellschaft in Frankfurt a. M.: Abhandlungen Ill, 2. IV, f. Von dem naturwissenschaftlichen Verein in Hamburg: Abhandlungen EV, 2. Von der naturforschenden Gesellschaft in Danzig: Neueste Schriften VI, 2. 3. 4. Klinsmann, Clavis Dilleniana. 1856. Von der deutschen geologischen Gesellschaft in Berlin: Zeitschrift XIE XIII. XIV, 1. Von dem K. Hofmineralienkabinet in Wien: H. Dauber, Ermittlung krystallographischer Constan- ten. I—IV. ; Von der Société de Physique et dHistoire naturelle de Genève: Mémoires XVI, 1. 2. Von der Linnean Society in London: Transactions XXHIE, 1. Journal of the Proceedings. Zovlogy IV, No 16. V, No. 17—20. — Botany IV, No. 16. Suppl. V, No. 17—20 und 2 Supplemente. Von der K. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig: Abhandlungen V. VI. Berichte. Mathem.-physikal. Classe. 1860. 1861, I. U. Von der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Görlitz: Neues Lausitzisches Magazin XXXVIN—XL, 1. 730 Von dem naturwissenschaftlichen Verein in Halle: Zeitschrift für die gesammten Naturwissenschaften XV bis XIX. Von der Geological Survey in London: De la Beche, Report on Cornwall. 1839. Memoirs. I. II, 2. 1846—48. Figures and descriptions of British organic remains. Dec. I—IV. Monograph. 1. Records of the School of Mines 1, 1. 3. 4. Mining Records 1853 —1860. The Iron ores of Great Britain. Il. 111. Reports on the Geology etc. 1856 —1861. Von der Smithsonian Institution in Washington: Contributions to Knowledge. XII. Report 1859. 1860. Results of meteorolog. Observations. 1. Smithsonian Miscellaneous Collections. I—IV. Catalogue of Publications. 1862. Von der American Association for the Advancement of Science : | Proceedings. 14. Meeting. Von dem Ohio State Board of Agriculture: 14r und 15r Jahresbericht. Von dem Staate Arcansas: D. D. Owen, 2d Report of a geological reconnaissance. Von dem Lyceum of Natural history in New-York: Annals. VIL 4—12. Von der Academy of Natural Sciences of Philadelphia: Proceedings. 1860. 1861. 1862, No. 1—4. Gill, Catalogue of Fishes. 1861. Von der Academy of Science of St. Louis: Transactions. 1, 4. Von der naturwissenschaftl. Gesellschaft in St Gallen: Bericht 1360 — 61. 1862. 731 Von der naturforschenden Gesellschaft in Emden: 46r und %7r Jahresbericht. Kleine Schriften. 1861. Prestel, Witterungsbeobachtungen. 1860 und 61. Von dem Offenbacher Verein für Naturkunde: 2r und 3r Bericht. Von der Zoological Society in London: Proceedings. XXVil, 3. XXX, 1. 2. Von der K. geologischen Reichsanstalt in Wien: Jahrbuch XI, 2. XII, 1—3. The Imp. Geolog. Istitute of the Austrian Empire at the Exhibition. 1862. Hörnes, foss. Mollusken des Tertiärbeckens von Wien. N. 3.4. re, Von der Schweizerischen naturforsch. Gesellschaft: Dufour, Atlas. Bl. 8:22 23. 25. Von der K. Schwedischen Akademie der Wissenschaften in Stockholm: Öfversigt. XVII. XVII. Fregatten Eugenies Resa. Fysik Il. Physique I. — Zoologi V. Botanik II. Widegren, Om Fisk-Faunan. Meteorologiska Jakttagelser. li. Von der Universität Königsberg: Amtlicher Bericht über die 35. Versammlung deutscher Naturforscher. Von der Société des Sciences naturelles de Neuchâtel: Bulletin V, 3. VI, 1. Von der Gesellschaft Isis in Dresden: Denkschriften. 1860. Von der Sociedad de Naturalistas Neo-Granadinos in Bo- gota: Boletin. Bogen 3 —10. Contribuciones. 1860. 7132 Von der naturkundigen Vereinigung in Batavia: Natuurkundig Tijdschrift. XIX. XXII XXII, 1—6. Acta Societatis. V. VI. Von der naturhistorischen Gesellschaft in Nürnberg: Abhandlungen. II. Von der K. Akademie der Wissenschaften in Amsterdam: Verhandelingen. IX. Verslagen en Mededeelingen. XI. X:H. Jarboek. 1860. Von der zoologischen Gesellschaft in Amsterdam: Bijdragen tot de Dierkunde. VII. Von der Magyar tudomänyos Akademia in Pesth: Györy, A Hangrendser Kiramitasarol. 1858. Margo, A Puhanyok Izomzostjairol. 1861. Magyar Akademiai Ertesitö. I. 1860. Termeszettudomanyi Palyamunkak. I—III. 1837 —44. Mathematicai Palyamunkak. I. 1844. Györy, A Felsöbb Analysis’ Eiemie. I. II. 1836—40. Vallas, Felsöbb Egyenletek. 1842. Mocsi, Elmelkesedek a physiologia. 1839. Sztoczek, Utasitas meteorologiai Eszleletekre. 1861. Mathematikai s termeszettudomanyi Közlemenyek. I. 1861. Szabo, Pest-Buda Környekenek föltdani leirasa. 1858. Von dem naturwissenschaftlichen Verein des Harzes: Aerichte. 1859— 1860. “ Von der naturhistorischen Gesellschaft zu Hannover: 1ir Jahresbericht. Von der Gberhessischen Gesellschaft für Natur- und Heil- kunde zu Giessen: Sr Jahresbericht. Von der naturforschenden Gesellschaft zu Bamberg: sr Bericht. Von der K. geographischen Gesellschaft in Wien: Mittheilungen. I—V. i Von dem Verein für Naturkunde zu Presburg : Verhandlungen. IV. V. Von der Société jurassienne d’Emulation: Actes. XH. Von der Literary and Philosophical Society in Manchester: Memovirs. 4d Ser. 1. Rules. 1861. Von der Gesellschaft der Künste und Wissenschaften in Batavia: Verhandelingen. XXVIE XXVIIE. Tijdschrift voor Indische Taal- en Volkenkunde. VII—X. Von dem Ferdinandeum in Innsbruck: 29r Bericht. Zeitschrift Ste Folge. X. Von der Societe des Sciences naturelles in ge Mémoires. V, 2. 3. Von der K. Gesellschaft für Mineralogie in St. Petersburg: Verhandlungen. 1862. Von 1. Museumsverein: Blainville, Ostéographic. 1839 —1855. Von Hrn. Prof. ©. F. Schönbein: C. F. Schönbein, über die nächste Phase der Entwick- lung der Chemie. 1860. Abhandlungen der phys-mathem. Classe der K. Bayr. Akademie. XI, 1. 2. 1861. Erdmann, über das Studium der Chemie. 1861. Hofmann, Contributions to the history of Phosphorous Bases. I—III. 1861. Avanzini, Geneogenesi [ 1861. Peitenkofer, Respirationsapparat. 1861. Trabalhos do Observatorio meteorologico do Infante D. Luiz. VII. 1862. 73% Trautwein, die Soolquellen von Kreuznach. 1856. Van Oven, De Galvanische Gasbatterij. 1862. Scheurer-Kestner, Principes de le théorie chimique des types. 1562 Daubeny, on the final causes of the sexuality of Plants. 1860. Von Hrn. Prof. L. Rütimeyer : L. Rütimeyer, Neue miocäne Fundorte von Rhinoceros in der Schweiz. 1860. — Beiträge zur miocänen Fauna der Schweiz 1861. — Die Fauna der Pfahlbauten in der Schweiz. 1861. — Eocäne Säugethiere aus dem Gebiet des schweiz. Jura. 1862. Ferrara, Storia naturale della Sicilia. 1813. -— Memoria sopra i Tremuoti della Sicilia in 1823. Sarmatano, Sul monte Erice. 1326. | Gemellaro, Sopra aleuni pezzi di Granito. 1823. — Del nuovo Vulcano sorto dal Mare 1831. — Sopra la varieta di superficie nelle correnti vul- caniche. 1843. Calcara, Ossa di Mastodonte in Palermo. 1839. Ginsberg, Rapport sur les mines de Plomb de la vallée d’Entremont. 1819. Von dem Hrn. Verfasser: P. A. Bolley, Handbuch der technisch-chemischen Un- tersuchungen. 2te Auflage. 1816. Von dem Hrn. Verfasser: G. Omboni, Gita geologica al Lago d’Iseo. 1861. — I Congresso Suizzero in Lugano. 1861. — Cenni sulla Carta geologica della Lombardia. 1861. Von dem Hrn. Verfasser: J. D. Graham, À Lunar Tidal Wave in the North Ame- rican Lakes. 1861. — Report on the improvements of the harbours of Lakes Michigan. 1860. 735 Von Hrn. Prof. G. Wiedemann: G. Wiedemann, die Lehre vom Galvanismus und Elek- tro-Magnetismus. À. II, 1. 1861. Thomson and Joule, On the thermal effect of Fluids in motion. I. il. 1853. 54. Joule, On the thermal effect of Compressing Fluids. 1859. Dubosq, Photographie. 1853. Von Hrn. Prof. Albr. Müller: Albr. Müller, Geognost. Skizze des Kant. Basel. 1861. — Dasselbe. Neuchatel 1262. 40. R. Ludwig, Steinkohlenformation im Gouvernement Parm. 1860. Legat von Hrn. Ludw. Schweizer sel.: A. Delessert, Souvenirs d'un voyage dans l'Inde. 1843. T. Smith, il Gabinetto del giovane Naturalista. I—V. 1326. Domesticated Animals. 1833. Von Hrn. Prof. Andr. Heusler: Gruner, Eisgebirge. I—III. 1768. Werner, Caractères ext. des Fossiles. 1795. Jagemann, Leben von 6. Galilei. 1787. Poggendorff, Lebenslinien. 1853. Redtenbacher, Calorische Maschine. 1853. Zeuner, Schiebersteuerungen. 1858. Amsler, Planimeter. 1856. Clausius, Potentialfunctionen. 1859. Von dem Hrn. Verfasser: R. Caspary, De Abietinarum floris foeminei structura. 1861. — Ueber das Vorkommen der Hydrilla verticillata. 1861. Von dem Hrn. Verfasser: Daubré, Expériences sur la possibilité d'une infiltration capillaire. 1861. 736 Von dem Hrn. Verfasser: A. Morlot, Lecon d’ouverture d’un cours sur la haute antiquite. 1861. — Une date de Chronologie absolue en Géologie. 1862. Von dem Hrn. Verfasser: Osw. Heer, Beiträge zur Kenntniss der sächsisch-thü- ringischen Braunkohlenflora. 1861. — Beiträge zur Insektenfauna Oeningens. 1862. Von den Herren Herausgebern: B. Silliman, B. Silliman jun. and J. D. Dana, American Journal of Science. 2d Ser. XXX—XXXIH. The great Comet of 1861. Von dem Hrn. Verfasser: W. A Ooster, Catalogue des Céphalopodes fossiles des Alpes suisses. I—V. 1861. Von Hrn. Appellationsrath J. Rud. Burckhardt: Müller, Naturaliencabinet J. Chr. Olearii. 1750. Leonhard, Naturgesch. d. Mineralreichs. I. If. 1831—33. Babo und Metzger, Die Wein- und Tafeltrauben. 1336. C. James, Eaux minérales de la Corse. 1854. Von den Herren Verfassern: W. Pressel und J. Kaufmann, Bau des Hauenstemtunnels. 1860. Von Hrn. Prof. Chr. Bernoulli: Marquise de Chastellet, Principes de la Philosophie na- turelle. I. IE 1759. _ Dan. Bernoulli, Hydrodynamica. 1738. S. Gravesande, Physices Elementa. I. IL. 1748. | Desaguiliers, Cours de Physique. LIL 1751. Chladni, Acoustique. 1809. Hoffmann, Bevölkerungs-Verhältnisse im preussischen Staate. 1843. Becher, Statistische Ergebnisse der österreichischen Mo- narchie. 1841. 737 Von. Hrn. Dr. Christoph Burckhardt: Sartorius v. Waltershausen, Atlas des Aetna. Ste Liefg. Von dem Ern. Verfasser: C. Bruch, Vergleichende Osteologie des Rheinlachses. 1861. j — Ueber osteologische Gattungscharaktere beim Kar- pfengeschlecht. — Die Wirbeltheorie des Schädels am Skelette des Lachses geprüft. 1862. Von dem Hrn. Verfasser: | S. Friedmann, Niederländisch Ost- u. Westindien. 1860. Von dem Hrn Verfasser: Ch. B. Norton, Literary Letter No. 4. 1859. New Series No. 1. 1860. | | Von Hrn. Dr. ©. G. Giebel in Halle: C.G. Giebel, Beiträge zur Osteologie der Nagethiere. 1857. — Die Silurische Fauna des Unterharzes. 1858. Irmisch, Ueber einige Arten der Potameen. 1858. Lew, Die Dipteren-Fauna Südafrika’s. I. 1860. Von Hrn. Dr. Friedr. Burckhardt: Bruhns, Leipziger Sternwarte. 1861. Von Hrn. Balth. Stähelin-Bernoulli: _ Mariyn, the Universal Conchologist. I. 1789. Gualtieri, Index Testarum Conchyliorum. 1742. Linckius, de Stellis marinis. 1733. Von Hrn. Prof. Wilh. His: Engel und. Schellbach, darstellende Optik. 1861. Von dem Hrn. Verfasser: P. F. Reinsch, Beiträge zur chemischen Kenntniss der weissen Mistel. 1860. — Ueber einige Bastardformen der Gattung Cirsium. 1861. — Morphologische Mittheilungen. 1860. — Anatomisch-physiologische Fragmente. 1861. 48 738 Von dem Hrn. Verfasser: J. R. v. Fellenberg, Analysen v. antiken Bronzen. II—V. 1861. Von dem Hrn. Verfasser: Chr. Aeby, Ueber die Fortpflanzungsgeschwindigkeit der Reizung in den Muskelfasern. 1862. Von Hrn. Prof. E. Desor in Neuchatel: Lesley, the Iron Manufacturers Guide in the United Sta- tes. 1859. Michelin, Description de quelques nouvelles espèces d’Echinides. 1851. ‘— Notice sur le genre Moera. 1855. Von dem Hrn. Verfasser : C. v. Frauenfeld, Weiterer Beitrag zur Fauna Dalma- tiens. 1860. — Beitrag zur Kenntniss der Insekten-Metamorphose. 1861. — Der Aufenthalt auf Manila. 1862. Von dem Hrn. Verfasser: Herm. Kinkelin, Allgemeine Theorie der harmonischen Reihen. 1862. Von dem Hrn. Verfasser: Rud. Wolf, Biographien zur Kulturgeschichte der Schweiz. IV. 1862. Von dem Hrn. Verfasser: H. Roth, das warme Kochsalzwasser zu Wiesbaden. 1862. Von dem Hrn. Verfasser: Pellegr. Strobel, Molluschi terrestri raccolti da Bellotti in Dalmazia. — Moll. terrestri racc. nella Romagna da Tessinari. — Sulla distribuzione dei Molluschi in Lombardia. 1860. — Cimici dell’agro Pavese. 1861. — Cimici Pavesi. 739 Von dem Hrn. Verfasser: J. Delaharpe, Reflexions sur la question des Glaciers. 1862. Von Hrn. Prof. F. D. Gerlach: E. F. Gersaint, Catalogue de curiosités naturelles. 1736 bis 1744. Von dem Hrn. Verfasser: Alph. Favre, Carte géologique des parties de la Savoie. 1862. — Explication de la Carte. 1862. — Note sur la Carte geol. Par. 1862. — Ligne anticlinale de la Molasse. 1862. Von dem Hrn. Verfasser: W. J. Rhees, Manual of Public Libraries in the United States. 1859. Von dem Hrn. Verfasser: Kettiger, Der 30. Mai 1836. 1862. Von Hrn. Prof. Jos. Eckert: G. Galilei, Dimostrazioni intorno alle Macchie solari. Roma 1613. Apellis post tabulam latentis de Maculis solaribus. ib. 1613. Von Hrn. Stadtrath Leonh. Bernoulli-Bär : Loys de Cheseaux, Trait& de la Comöte. 1744. Moschard, Sur la fièvre adynamique. 1808. Falchner, Ueber die Verhältnisse, wonach die Elemente der Körper gemischt sind. 1819. Lambert, Deutscher gelehrter Briefwechsel. I. 1781. Von‘Hrn. Rathsherr Peter Merian: Eine Anzahl von Schriften, hauptsächlich mineralogi- schen und geologischen Inhalts. Verzeichniss der Mitglieder der Naturforschenden Gesellschaft Herr in Basel im Jahr 1863. — ee —— Ehrenmitglieder. Cuming, Esq. in London (1851). Nic. Fuss, Prof. der Math. in St. Petersburg (1843). John Will. Herschel, Baronet in Slough (1839). Max. Pettenkofer, Prof. in München (1860). Ed. Rüppel in Frankfurt a. M. (1851). Schattenmann in Buxwiller (1851). Wheatstone, Prof. in London (1839). Correspoendirende Mitglieder. Louis Agassiz, Prof. in Cambridge, V. St (1836). Bider, Med. Dr. in Langenbruck (1839). Karl Ludw. Blume, Med. Dr. in Leyden (1842). Charles Bovet in Fleurier, Ct. Neuchâtel (1340) P. A. Bolley, Prof. in Zürich (1861). Alexander Braun, Prof. in Berlin (1836). Ad. Brongniart, Prof. am Jardin d. plantes in Paris (1836). Karl Brunner, Prof. der Chemie in Bern (1835). nice tte ts 741 Herr Heinr. Buff, Prof. der Chemie in Giessen (1830). „ Karl Bruch, Prof. in Giessen (1850). » Ed. Cornaz, Med. Dr. in Neuchâtel (1856). _» Louis Coulon, Dir. des Museums in Neuchâtel (1856). » James D. Dana, Prof. in Newhaven (1860). » À. Daubrée, Mitgl. der Academie in Paris. (1861). „ Ed. Desor, Prof. in Neuchätel (1856) „ Aug. de la Rive, Prof. in Genf (1836). » Adolphe De Lessert in Paris (1839). » Deitwyler, Med. Dr. in Hellertown, V. St. (1836). „ Drew, Dr. in Southampton (1353). „ Alex. Ecker, Prof. in Freiburg i. B. (184%). » Mich. Faraday, Prof. in London (1836). » J. G. Fischer, Dr. in Hamburg (1852). » F. Frey-Herose, Bundesrath in Bern (1835). + Alphonse Cacogne in Lyon (1854). „ Gassiot, Esq. in London (1839). » Thomas Graham, Münzmeister in London (1836). » Grove in London (1839). | » C. F. Gurlt, Prof. in Berlin (1838). + James Hall, Staatsgeolog in New-York (1860). » Rud. Häusler, Med. Dr. in Lenzburg (1351). „ ‚Jäger, Prof. in Stuttgart (1839). + Joule in Manchester (1860). » E. Im Thurm, Dr. in Schaffhausen (1837). + Kerner, Phil. Dr. in Frankfurt a. M. (1858). » J. Kelliger, Seminardirector in Wettingen (1837). » H. Kunze, Prof. der Botanik in Leipzig (1838). „ Lôwig, Prof. in Breslau (1838). » €. F. Ph. von Martius, Prof. in München (1838). » J. J. Matt, Med. Dr. in Bubendorf (1839). » J. B. Melson, Dr. in Birmingham (1839). + Meyer, Phil. Dr. aus Heilbronn (1858). ». Philipp Meyer, Militär-Apotheker in Batavia (1841). 142 Herr Hugo Mohl, Prof. der Botanik in Tübingen (1836). „ Mohr, Dr. in Coblenz (1839). „ Mowait, Med. Dr. in England (1830). » E. Mulsant, Bibliothecar der Stadt Lyon (1851). „ Müller, Prof. in Leyden (1842). » Alexis Perrey, Prof. in Dijon (1842). „ Theod. Plieninger, Prof. in Stuttgart (1838). » Paul Reinsch, Lehrer in Therwyl (1862). » C. G. C. Reinwardt, Prof. in Leyden (1842). » Ris, Missionar (1840). » J. Reper, Prof. in Rostock (1826). » Fried. Ryhiner, Med. Dr. in Nordamerika (1830). » Dan. Schenkel, Prof. in Heidelberg (1839). » W. P. Schimper, Prof. in Strassburg (1861). „ von Schlechtendal, Prof. in Halle (1838). „ Schlegel, Dr., Conservator etc. in Leyden (1842). » J. L. Schönlein, Prof. in Berlin (1839). ; » Schrötter, Prof. der Chemie in Wien (1853). » J. R. Schuttleworth, Dr. in Bern (1836). » von Seckendorff (1838). » €. Th. von Siebold, Prof. in München (1846). » P. F. von Siebold, Prof. in Leyden (1842). » B. Silliman, Vater, Prof. in Newhaven (1860). » Herm. Stannius, Prof. in Rostock (1846). » Bernh. Studer, Prof. in Bern (1835). » Ad. Tschudy, Dr. von Glarus (1839). » F. A. Walchner, Prof. in Carlsruhe (1836). „ Ben. Wölfflin von Basel (1840). » Heinr. Wydler, Med. Dr. in Bern (1830). » Zimmer, Fabrikant in Frankfurt a. M. (1858). Verzeichniss der ordentlichen Mitglieder. Aebi, Med. Dr. u. Prof. (18583). Sigmund Alioth, Med. Dr. (1844). Autenheimer, Rector (1856). J. Ballmer, Ph. Dr. (1847). F. Becker, Lehrer an der Gewerbschule (1853). J. J. Bernoulli, Ph. Dr. (1826). Joh. Bernoulli zur goldenen Münz (1856). Leonh. Bernoulli-Bär (1840). Wilh. Bernoulli, Med. Dr. (1862). Ed. Bischoff (1855). Bischoff-Ehinger (1841). Bischoff-Iselin (1840). Bischoff-Respinger, Stadtrathspräsident (1838). Markus Bölger, Sohn (1839). Friedr. Brenner, Med. Dr. und Prof. (1830). Bulacher, Ph. Dr., Chemiker (1852). Chr. Burckhardt, Med. Dr, App. (1834). Ach. Burckhardt. Med. Dr. (1840). Aug. Burckhardt. Med. Dr. (1834). Dan. Burckhardt-Thurneysen (1863). » J. J. Burckhardt, J. U. D., Bürgermeister (1838). Elias Burckhardt, J. U. D., Stadtrath (1862). Friedr. Burckhardt-Brenner, Ph. Dr. (1853). Gottl. Burckhardt-Alioth (1863). Hier. Burckhardt-Iselin (1838). Rud. Burckhardt-Burckhardt, Med. Dr. (1839). Rud. Burckhardt, J. U. D., Alt-Fiskal (1862). Wilh. Burckhardt-Forcart (1840). L. Burckhardt-Schönauer (1847). Martin Burckhardt, Med. Dr. (1847). Daniel Burckhardt, Stadtrath (1849). Louis Burckhardt-Forcart (1858). rar” Herr Karl Leon Burckhardt (1849). Hermann Christ, 3. U. D. (1857). De Goumois-Lichtenhan (1857). Louis Dizerens (1849). G. Dollfuss, Oberingenieur (1861). K. J. Doswald (1862). Daniel Ecklin, Med. Dr. (1856). R. Forcart-Gentschick (1858). Alfred Frey, Med. Dr. (1845). Geiger, Ph. Dr., Apotheker (1862). W. Geigy, Oberst (1826). F. Goppelsröder, Ph. Dr. (1859). Herm. Hagen, Med. Dr. (1861). Ed. Hagenbach, Prof. (1855). F. Hagenbach, Stadtrath (1829). Mich. Hämmerlin (1840). Andr. Heusler, Prof. (1830). Hindermann-Hauser (1842). Wilh. His, Med. Dr. und Prof. (1854). Th. Hoffmann-Merian (1863). David Holzhalb aus Zürich (1861). J. Hoppe, Rrof. (1852). Aug. Jenny, Lehrer. (1862). L. Imhof, Med. Dr. (1826). J. Iselin-Burckhardt (1817). H. Iselin, Med. Dr. (1833). Hermann Kinkelin (1860). Koller, Ingenieur (1861). Alfred Kümmerlin, Apotheker (1862). Th. Kündig-vonSpeyr, Ph. Dr. (1861). C. G. Jung, Prof. (1825). Andr. Laroche (1840). German Laroche, Deputat (1817). Rud. Maas, Med. Dr. (1856). Herr Friedr. Meissner, Prof. (1828). SE 3.8 Markus Meissner, Apotheker (1863). H. Merian-VonderMühll (1843). Y P. Merian, Rathsherr (1819). \ Rud. Merian, Prof. (1824). Rud. Merian-Iselin, Rathsherr (1844). Rud. Merian-Burckhardt, Ingenieur (1847). F. Miescher, Prof. (1837). J. J. Mieg, Prof. (1819). Albr. Müller, Prof. (1846). Müller, Med. Dr. (1856). Müller-Pack, Fabrikant (1862). Münch, Med. Dr. (1853). Münch, Alt-Pfarrer (1861). Oswald-Hoffmann (1839). Eml. Passavant-Bachofen (1841). Eml. Raillard, Med. Dr. (1830). Rauch, Apotheker (1855). D. Rittmann, Zahnarzt (1858). Rosenburger, Med. Dr. (1862). Bernh. Rumpf, Med. Dr. (1855). - L. Rütimeyer, Prof. (1855). Karl Respinger, Eisenbahndirector (1843). Friedr. Schaffner (1862). Math. Scheuchzer (1859). Schiess, Med. Dr. (1862). Schwarzkopf, Phil. Dr. (185%). C. F. Schönbein, Prof. (1828). Aug. Socin, Med. Dr. und Prof. (1859). Ben. Stähelin-Bischoff (1836). Aug. Stähelin, Ständerath (1837). Chr. Stähelin, Prof. (1830). J. J. Stähelin, Prof. (1830). Alfred Stähelin, Med. Dr. (1858). 745 746 Herr Emil. Stähelin, Med. Dr., (1841). Karl Steffensen, Prof. (1863). J. J. Stehlin, Bürgermeister (1838). Karl Streckeisen, Prof. (1837). J. Sulger-Heussler (1840). Rud. Sulger (1842). E. Thurneysen-Paravicini, Stadtrath (1840). Karl Vischer-Merian, Rathsherr (1843). W. Vischer, Prof. (1838). Kart VonderMühll-Merian (1856). J. J. Uebelin, Bauschreiber (1835). Ch. Weiss, S. M. C. (1843). Andr. Werthemann (183%). L. deWette, Med. Dr. (1838). Widmann, Med. Dr. (1861). Hans Wieland, Oberst (1855). Wimmer, Apotheker (1846). Wybert, Med. Dr. (1838). Ed. Zahn-Rognon (1862). Beamte vom À. Juli 1860 bis 1. Juli 1862. Präsident: Herr Prof. Rütimeyer. Vice-Präsident: „ Prof. G. Wiedemann. Secretär: „ Dr. Alb. Müller. Vice-Secretär: >> DT CH: Christ. Beamte vom 1. Juli 1862 bis 1. Juli 1864. Präsident: Herr Prof. W. His. Vice-Präsident: “+ Prof. Rütimeyer. Secretär: „ Dr. Alb. Müller. Vice-Secretär: „ Dr. Goppelsröder. I Ent À: ANA ES D DH I NET N M 1 Es aus N SUISSOJ sunby 7 O8 L'9 snppegeg unbg IT 6° UOSI ÿ SUAIS) € WNLU}OoUy 7 umtsujogereT 1 PAJXAP ETTLXEH 9a snyderg 42 92°22 supueaeL TZ S20[Y 02 61 umtaayjopgdouy SZ pz ES QI Wuntiaylosefed ‘ZI QT "eI4Xep epngrpuey snAdaN ÇJ umwayjopdouyFj EL PAIXOP PITLXEN snyegen sunbg FE EE SUISSO7 sundbq JE 9€ GE OS IPN voueddig Ze 16 6707 'erjxep epngrpuepy snjpegeg sundbg of FH 0 SUISSO) sunbz Cp 2h arsuıpam LOUE} 6 QE PIIXP EJNATPUEN t \ À N i { Hochketten und Plateaugebiet des Basler Jura. Winterhalde Oestl.von £ Schlass Hirscck Dornacher Berg a8 Castelenfluh M Kellenköpfti rl Schaufelen Berg 5 A E = Ostlxder N'euen Welt L F7 I. Pratteln —Titterten . Munien Jiösern Pratteln Arboltsroyt PEN N Fantaleon „Vuglar FR on ee a TK à — HR EHEN IE Oichenach Liestal Seltisberg Blomd PN AT NW: Rheinfelden — Diesten . Domberg FT Hersberg HR Biheinfelden Vu. Di y Ark WastivWiesele NS Benwyt geg. ee v Hasenhitbel BP: = CAP IIER sen V. Möhlin— Känerkinden. 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