Vibrarp of tbe Museum OF COMPARATIVE ZOÖLOGY, AT HARVARD COLLEGE, CAMBRIDGE, MASS, Dounded bn private subscription, in 1861. Deposited by Louis Agassiz. No.h 34. VERHANDLUNGEN DER NATURFORSCHENDEN GESELLSCHAFT IN BASEL. ERSTER THEIL. 1—4. HEFT. MIT VIER TAFELN. LITT CNN BABIT AIR BASEL. SCHWEIGHAUSER’SCHE VERLAGS-BUCHHANDLUNG. 1857, vw en siw : CHEGAT # INHALT. Physik. Frıeor. BurcknarpT: Binocularsehen. 123. Zur irradiation. 15%. Ueber den Gang der Lichtstrahlen im Auge. 269. Prof. G. WıEDemann: Ueber die Fortpflanzung der Wärme in den Metal- len. 257. y Meteorologie. Rathsherr P. Merıan: Meteorologische Uebersicht des Jahres 1852. 68. Der Jahre 1853 und 1854. 296. Des Jahres 1855. #404. Des Jahres 1856. 587. Tiefer Barometerstand vom Februar 1853. 70. Schnee- reiche Winter in Basel. 299. Chemie. Prof. GC. F. SchensEin: Erregung des Sauerstoffs durch Eisenoxidul- salze. 3. Färbung der Jodverbindungen und Eisenoxidulsalze durch schwef- lichte Säure. 4 Entfärbender Einfluss der schweflichten Säure, der Sul- fite u. s. f. auf Indigoblau, 5. Entfärbung des gallussauren Eisenoxids durch Erkältung. 8. Entfärbung der Lakmustinctur. 8. Ein Unterschied zwischen gewöhnlichem und amorphem Phosphor. 9. Einwirkung der Sul- fite auf Pflanzenpigmente. 11. Einfluss der Temperatur auf die Färbung gewisser Substanzen. 13. Wirkung des Stärkekleisters auf Jodstärke. 16. Chemische Wirkungen der Electrieität, der Wärme und des Lichts. 18. Ueber einige Berührungswirkungen. 229. Entfärbung der Indigoauflösung und der Lakmustinctur durch Wasserstoffschwefel. 234. Verhalten des ozonisirten Terpentinöls und Aethers zum Arsen und Antimon. 237. Ueber ’ ein eigenthümliches Verhalten der Kleesäure zum Eisenoxid. 239. Ge- winnung des ozonisirten Sauerstoffes aus Silbersuperoxid. 246. Ueber ozonisirten Sauerstoff. 252. Ueber die Selbstbläuung einiger Pilze und das Vorkommen von Sauerstofferregern und Sauerstoffträgern in der Pflanzen- welt. 339. Ueber den Einfluss der Wärme auf die chemische Thätigkeit des Sauerstoffs. 355. Ueber die verschiedenartigen Zersetzungen, welche die alkalischen Jodate, Bromate und Chlorate in der Hitze erleiden. 367. Ueber chemische Berührungswirkungen. 467. Ueber eine eigenthümliche Bildungsweise der salpetrichten Säure. 482. Ueber die Verbindbarkeit metallischer Superoxide mit Säuren. 487. Ueber Mennigebildung auf nas- sem Wege. 496. Ueber das Verhalten des Bittermandelöls zum Sauer- stoffe 501. Mineralogie. Dr. Ars. Mürrer: Manganerze im Jura. 95. Entstehung . der Eisen- und Manganerze im Jura. 98. Chlorkalium am Vesuv. 113. Ei- nige Pseudomorphosen vom Teufelsgrund im Münsterthal. 283. Ueber ei- nige Pseudomorphosen und Umwandlungen. 568. Heise. Merran-VospenMöntr : Coelestin bei Frohburg. 295. Geologie. Rathsherr P. MrrıAn : Flötzformationen v. Mendrisio. 71. Muschel- # kalkversteinerungen des M. Salvadore bei Lugano. 84. Petrefacten von La Presta. 90. Blüthenkolben im Keuper, 91. Tertiärformation im Jura. 94. Durchschnitt durch den Hauensteintunnel von Gressly. 92. Poma- tocrinus mespiliformis und Hoferi, Ceriocrinus Milleri, Ananchytes. 93. Süsswasserformation in Basel. 94. Nautilus Aturi in der Schweizer Mo- lasse. 9%. St. Cassianformation in Vorarlberg und dem nördlichen Ty- rol. 30%. Ueber versehiedene Petrefacten aus der Stockhornkette, den italiänischen Alpen und der Umgegend von Lugano. 314. Zahn von Ursus spelaeus von Massmünster. 320. Astartien bei Seewen und Hobel. 407. Versteinertes Holz im Terrain à Chailles. 408. Versteinerungen aus dem Eisenbahndurchschnitt bei Liestal. 408. Belemnit auf Scesa plana. 410. Fossile Fische in buntem Sandstein. 410. Ueber das sogenannte Bone- bed. 581. Dr. Arsr. Mürrer: Ueber die Kupferminen am Obern See im Staate Michi- gan. 411. Geognostische Beobachtungen über das mittlere Baselbiet. 438. G. Dorrrus: Wirkung des Erdbebens vom 25. Juli 1855 an der Sitterbrücke bei St. Gallen. 579. Palaeontologie. Prof. L. Rürimeyer: Ueber schweizerische Anthracotherien. 385. Ueber lebende und fossile Schweine. 517. Ueber Encheizyphius. 555. Botanik. Pfr. Cmristıan Münch: Ueber Fragaria Hagenbachiana. 590. Zoologie und Physiologie. Prof. C. BrucH; Farbenunterschied des arte- riellen und venösen Blutes. 163. Ueber Blutkrystalle und organische Kry- stalle überhaupt. 173. Ueber die Chylusgefässe und die Resorption des Fettes. 186. Regeneration durchschnittener Nerven. 198. Ueber die Exi- stenz einer thierischen Mykropyle. 219. Prof. G. Meıssner: Ueber die Befruchtung des Eies von Echinus esculen- tus. 374. Ueber Filaria medinensis. 376. Prof. L. Rüvimryer: Ueber menschliche Anencephalie. 376. Dr. Imnorr : Neue Gattung der Scolopendriden. 120. Medicin. Dr. Avc. Burcknarpr, Augenspiegel. 158. Geschenke an das naturwissenschaftliche Museum. 321. 457. 591. Verzeichniss der Mitglieder. 600. 17 Da die frische Guajaktinctur wenigstens ein eben so empfindliches Reagens auf ozonisirten Sauerstoff ist, als die Stärke auf Jod,’so hat man desshalb darauf zu sehen, bei feinen die verschiedenen Zustände des Sauerstoffes betref- fenden Untersuchungen nicht nur ganz frische, sondern auch stark verdünnte Guajaktinctur und ebenfalls in kleinen Mengen anzuwenden. 18 Ueber die chemischen Wirkungen der Electricität, | der Wärme und des Lichtes. Vorgetragen den 15, Februar und 3. Mai 1854. Von C. F. ScHŒNBENx. Unter allen chemischen Erscheinungen scheinen mir am meisten Aufmerksamkeit diejenigen zu verdienen, welche durch rein physikalische Ursachen: durch die Electricität, die Wärme und das Licht hervorgerufen werden. Diese Agentien veranlassen bekanntlich manche Stoffe zur chemischen Verbindung oder Trennung, wie sie auch höchst auffallende Veränderungen der chemischen und phy- sikalischen Eigenschaften einiger einfachen Körper verur- sachen (Allotropien). Noch ist aber völlig unbekannt, wie sie diese Wir- kungen hervorbringen; denn Alles, was hierüber bis jetzt gesagt worden, reicht nicht über die Grenzen des Hypo- thetischen hinaus. So lange aber die angedeuteten, einfachern Erschei- nungen für uns unerklärlich sind, dürfen wir nicht hoffen, zum Verständniss der verwickeltern chemischen Phänomene zu gelangen, von welcher Art offenbar diejenigen sind, welche aus dem gleichzeitigen Zusammenwirken von Elec- trieität, Wärme, Licht und gewichtigen Materien entspringen. Einen nicht ganz kleinen Theil der Schuld an dieser un- serer Unwissenheit dürften einige Annahmen tragen, welche beinahe das Ansehen erwiesener Wahrheiten erlangt haben, th. LE nt hi 19 und desshalb auch zur Erklärung aller möglichen chemi- schen Thatsachen benützt werden. Eine solche Annahme ist die Hypothese, welche das Bestehen unveränderlicher Körperatome voraussetzt und in der chemischen Verbindung nichts Anderes, als ein Zusam- menfügen (juxtapositio) von Atomen verschiedenartiger Ur- stoffe, und in der chemischen Zersetzung ein blosses Aus- einanderreissen dieser Atome sieht. Gemäss den herrschenden Ansichten ist überhaupt das gesammte Erscheinungsgebiet der Chemie, wie dasselbe in den Phänomenen der Allotropie, Isomerie, Polymerie, Me- tamerie, Substitution, Synthese, Analyse u. s. w. vor uns liegt, nichts Anderes, als ein Verbindungs- oder Trennungs- spiel der Atome gleichartiger oder verschiedener Elemente, bei welchem man die Natur der letzteren völlig unverän- dert bleiben lässt. Es versteht sich von selbst, dass diejenigen, welche den Chemismus als eine Art von Mechanismus auffassen, nicht umhin können, auch die Einwirkung der Electricität, der Wärme und des Lichtes auf die chemische Thätigkeit der Stoffe sich mechanisch vorzustellen, d. h. aus einer durch diese Agentien verursachten Annäherung oder Ent- fernung, Anziehung oder Abstossung gleichartiger oder he- terogener Körperatome abzuleiten. Und man kann nicht leugnen, dass eine solche mecha- nische Betrachtung der chemischen Erscheinungen unserer Einbildungskraft zusagt; denn Nichts leichter für sie, als die Vorstellung von kleinen Theilchen, ihrer Bewegung, Ver- bindung und Trennung. Ob aber desshalb diesen Vorstellungen die Wirklich- _ keit entspreche, ob sie auch nur wahrscheinlich seien, ist eine andere Frage, in deren Erörterung wir jedoch nicht eintreten wollen; für jetzt genüge die Bemerkung, dass wir weit entfernt sind, den Chemismus für ein blosses Zusam- 2% 20 men-Durcheinander- und Auseinanderschieben von Atomen anzusehen. Was mit der vorliegenden Arbeit bezweckt werden soll, ist die Entwickelung und Begründung einiger Ansich- ten, welche ich schon längere Zeit über die nächste Ur- sache der durch die Electricität, die Wärme und das Licht bewerkstelligten Zersetzungen und Verbindungen hege und bereits auch da und dort angedeutet habe. Sie weichen, wie man sehen wird, von den herrschenden Vorstellungen sehr stark ab, ich hoffe jedoch, dass man ihnen desshalb nicht alle Beachtung versagen wird. Zuerst sollen die Zersetzungen besprochen werden, welche die Electricität, die Wärme und das Licht bewerk- stelliget. 1. Electrolyse. Unter diesem Worte verstehe ich jede chemische Zersetzung, welche durch electrische Ent- ladung erzielt wird. Ehe von dieser Zersetzungsweise die Rede sein kann, muss ich vorher den chemischen Einfluss erörtern, den die Electricität auf die einfachen Stoffe ausübt; denn eben auf diesen Einfluss, wie man später sehen wird, stützen sich auch meine Ansichten über die nächste Ursache der Elec- trolyse. | Gemäss den Vorstellungen, welche man bis jetzt von den Elementarkörpern gehegt, hätte man nicht vermuthen sollen, dass die electrische Entladung die chemischen Eigen- schaften eines einfachen Stoffes irgendwie zu verändern im Stande wären. Und doch haben die neuern Erfahrungen hie- von das Gegentheil gelehrt, namentlich diejenigen, welche am Sauerstoff. gemacht worden. Wenn es irgend einen Körper gibt, welchen man für einfach zu halten geneigt sein möchte, so ist es sicherlich der Sauerstoff. Nun diese gasförmige Substanz, von der Hy- pothese des Tages für ein Haufwerk an und für sich un- 21 wandelbarer Atome einer gewissen Art angesehen, die man mit Wärmeatmosphäre umgeben und dieserwegen sich ge- genseitig abstossen lässt, welche chemische Veränderung soll in ihr durch electrische Entladung herbeigeführt wer- den? Vor Kurzem noch hätte jeder Chemiker das Ein- treten irgend welcher Veränderung für eine Unmöglichkeit erklärt. | Nichts destoweniger findet in der Wirklichkeit eine der ausserordentlichsten Eigenschaftsveränderungen statt, welche wir bis jetzt kennen gelernt haben und die einer Stoffsver- wandlung sehr ähnlich sieht. 4 Der Sauerstoff, nachdem er den Einfluss der electri- schen Entladung erfahren, ist in eine Materie übergeführt mit Eigenschaften begabt, die er ursprünglich nicht beses- sen, in diejenige luftförmige Substanz nemlich, welche ich ihres Geruches halber Ozon oder ozonisirten Sauerstoff ge- nannt habe. | Da ich vor einiger Zeit in einer eigenen Arbeit alle hauptsächlichen Unterschiede, welche zwischen dem ge- wöhnlichen und ozonisirten Sauerstoffe bestehen, hervor- gehoben habe, so will ich dieselben hier als bekannt vor- aussetzen und auf besagte Abhandlung verweisen. Treten wir nun der Electrolyse näher und besprechen wir zuerst diejenige des Wassers. Dass der im Wasser enthaltene Sauerstoff in einem "Zustande sich befindet, wesentlich verschieden von dem- jenigen, in welchem der freie ozonisirte Sauerstofl existirt, liegt am Tage; auch wird man gerne zugeben, dass kein Grund vorhanden sei, wesshalb der Sauerstoff aus seiner Verbindung mit dem Wasserstoff heraustrete, so lange jener in dem ihm im Wasser zukommenden Zustande verharrt. Würde aber der an Wasserstoff gebundene Sauerstoff mit dem freien gewöhnlichen Sauerstoff die Fähigkeit thei- len, unter gegebenen Umständen seinen Zustand zu verän- 22 dern und einen solchen anzunehmen, in welchem seine (des Sauerstoffes) Beziehungen zu dem mit ihm vergesellschaf- teten Wasserstoff ganz andere als diejenigen wären, welche er in seinem vorangegangenen Zustande zu dem letztge- nannten Elemente zeigte, so könnte das Wasser wohl nicht mehr Wasser, d. h. vermöchte der veränderte Sauerstoff nicht länger mit dem Wasserstoff verbunden bleiben. Es müsste eine solche Allotropie des Sauerstoffes zur nächsten Folge die Wasserzersetzung haben, ohne dass hierbei irgend eine Anziehung oder Abstossung statt zu finden brauchte. Wie bereits bemerkt, ist der freie gewöhnliche Sauer- stoff fähig, unter dem Einflusse der electrischen Entladung, eine auffallende Zustandsveränderung zu erleiden. Sollte es nun nicht möglich sein, dass auch der an Wasserstoff gebundene Sauerstoff durch electrische Entla- dung ozonisirt würde, und eben hierin die nächste Ursache der Wasserelectrolyse läge? Wäre diese Annahme gegründet, so müsste der Sauer- stoff im Augenblicke, wo er durch den voltaschen Strom, welcher nichts anderes als eine electrische Entladung ist, aus dem Wasser abgeschieden wird, chemische Eigenschaf- ten besitzen gleich denen, welche dem durch den electri- schen Funken ozonisirten Sauerstoff zukommen. Es müsste somit der electrolytische Sauerstoff in sei- nem Entbindungsmomente eine grosse Zahl mit ihm in Be- rührung gesetzter Materien schon bei gewöhnlicher Tem- peratur oxidiren, mit welchen Materien unter sonst gleichen Umständen der gewöhnliche Sauerstoff sich nicht verbände. Die Erfahrung lehrt, dass der electrolytisch aus dem Wasser geschiedene Sauerstoff in der That alle diejenigen Oxidationswirkungen verursacht, welche der ozonisirte Sauerstofl hervorbringt. Letzterer zerstört, bekanntlich die Indigolösung, bläut die frische Guajaktinetur, oxidirt mit Ausnahme des Platins und Goldes alle übrigen Metalle, 23 scheidet aus den Manganoxidulsalzen Superoxid aus u. s. w., und genau so verhält sich der electrolytische Sauerstoff im Augenblicke seiner Ausscheidung. Die Chemiker haben das grosse oxidirende Vermögen des electrolytischen Sauerstoffes aus seinem Statu nascenti zu erklären gesucht, indem sie glauben, die Gasförmigkeit der Stoffe als einen physikalischen Umstand betrachten zu dürfen, welcher ihren sogenannten Affinitäten entgegen wirke. Dass es aber die Gasförmigkeit an und für sich selbst nicht ist, welche die chemische Indifferenz des gewöhn- lichen Sauerstoffes bestimmt, sehen wir am ozonisirten Sauerstoff, welcher trotz seiner luftförmigen Beschaffenheit eben so kräftig oxidirt, als diess der electrolytisch nasci- rende Sauerstoff zu thun vermag. Wenn aber das ausserordentliche Oxidationsvermögen des ozonisirten Sauerstoffes von etwas Anderem als seinen Cohärenzverhältnissen abhängig ist, so muss es auch als möglich erscheinen, dass die eminent oxidirenden Eigen- schaften des electrolytischen Sauerstoffes auf etwas An- derem als seinem nascirenden Zustande beruhen, nemlich auf einer unter electrischem Einfluss erlittenen Allotropie oder Ozonisation. | . In Bezug auf die vorliegende Frage ist die von mir zu- erst beobachtete Thaisache höchst bemerkenswerth, dass nemlich das bei der Wasserelectrolyse sich entbindende Sauerstoffgas, wenn auch kleine, doch noch wahrnehmbare Mengen ozonisirten Sauerstoffes enthält, wie der Geruch und die ungewöhnlich oxidirenden Wirkungen jenes Sauer- stoffgases zur Genüge zeigen. Nach Herr Baumerts Annahme ist zwar die diesem Sauerstoff beigemengte riechende und oxidirende Materie nicht reiner ozonisirter Sauerstoff, sondern ein Hydrat des- 0 selben, und zwar HO +20 (ich gebe dem ozonisirten 24 Sauerstoff das Zeichen 0, dem gewöhnlichen Sauerstoff das von O) oder allgemein HO°; man sieht aber leicht ein, dass selbst im Falle der Richtigkeit dieser Annahme die Bedeu- tung der bezeichneten Thatsache für die vorliegende Frage um Nichts vermindert würde. Wenn bei der Electrolyse des 0 0 Wassers O inmitten dieser Flüssigkeit auftritt und O mit Wasser eine chemische Verbindung eingehen kann, so hat die Erzeugung von HO + 2 0 unter solchen Umständen nichts Ausserordentliches an sich und steht mit der An- nahme, dass der Sauerstoff im ozonisirten Zustand bei der Wasserelectrolyse ausgeschieden werde, nicht nur nicht im Widerspruch, sondern im Einklang. Das Thenard’sche Wasserstoffsuperoxid darf jedenfalls :als ein Hydrat des ozonisirten Sauerstoffes, nemlich als 0 HO + O angesehen werden, weil die chemischen Wirkungen desselben denen des reinen ozonisirten Sauerstoffes gleichen. Die schöne, unlängst von Herrn Meidinger im Labora- torium des Herrn Buff in Giessen ausgeführte Arbeit hat überzeugend dargethan, dass bei der Wasserelectrolyse eine merkliche Menge HO +0 um die positive Electrode sich bildet, was ich und Andere schon längst aus der Thatsache vermutheten, dass immer bei der Electrolyse des Wassers auf ein Volumen Sauerstoffes etwas mehr als zwei Volu- mina Wasserstoffes erhalten werden, und Wasser, welches mit der positiven Electrode einige Zeit in Berührung ge- standen, die Eigenschaft besitzt, den J RSS augen- blicklich tief zu bläuen. { Es scheint mir daher auch diese Thatsache zu Gunsten der Annahme zu sprechen, dass der Sauerstoff im Augen- blicke seiner electrolytischen Entbindung im ozonisirten Zu- 25 stande sich befinde, um so mehr, als gewöhnlicher Sauer- stoff mit HO nicht zu Superoxid sich verbinden lässt. Es fragt sich aber, woher es komme, dass weitaus der grösste Theil des bei der Wasserelectrolyse auftretenden Sauerstoffes im gewöhnlichen Zustande, d. h. als O erhal- ten wird. Vom Thenard’schen Wasserstoffsuperoxid ist bekannt, dass es bei der Berührung mit einer Anzahl von Materien, namentlich mit Gold und Platin, in gewöhnliches Sauer- stoffgas und Wasser zerfällt in Folge einer Einwirkung die- ser Metalle, deren Natur uns noch gänzlich unbekannt ist. Würde nun bei der Electrolyse des Wassers auch aller an der positiven Electrode ausgeschiedene ozonisirte Sauer- 0 stoff mit dem dort befindlichen HO zu HO + O sich ver- binden, so sieht man leicht ein, dass die Materie dieser Electrode, falls sie Gold oder Platin wäre, sofort wieder 0 allotropisirend auf das O des Superoxides einwirken, d. h. das letztere in HO und O zerfallen müsste. Der kleinere Theil des um die positive Electrode ge- bildeten HO + 0 entgeht jedoch dieser Einwirkung des Me- talles, weil derselbe im Augenblicke seiner Entstehung durch das angrenzende Wasser von der Electrode. entfernt und dadurch auch ihrem allotropisirenden Einflusse entzogen wird. Aber wie Herr Meidinger gezeigt hat und wie sich diess von selbst versteht, lässt sich dieser Rest von Wasserstoff- superoxid durch Platin oder Gold von reiner Oberfläche in Wasser und gewöhnliches Sauerstoffgas zerlegen, ohne alle Mithülfe eines voltaschen Stromes. Da das auf diese Weise entwickelte Sauerstoffgas demjenigen völlig gleich ist, wel- ches während der Electrolyse erhalten wird, so sehe ich nicht ein, warum Letzteres nicht wie das Erstere durch den 26 allotropisirenden Einfluss der Platin- oder Goldelectrode aus HO +0 sollte entbunden worden sein. Einer solchen Annahme kann man um so weniger aus- weichen, als es sonst schwer wäre, einzusehen, warum denn nur ein kleiner Theil des electrolytisch ausgeschie- denen Sauerstoffes mit HO zu HO? sich verbände und der grössere frei würde. Betrachten wir nun auch die Electrolyse anderer zu- sammengesetzten Materien. fi Es ist eine wohl bekannte Thatsache, dass unter den electrolytischen Körpern eine grosse Zahl sauerstoffhaltiger Verbindungen sich befindet, und betrachtet man, wie ich es thue, die sogenannten Salzbildner: Chlor, Brom, Jod und Fluor der ältern Theorie gemäss als oxidirte Materien, so gehören alle eigentlichen Electrolyten der Klasse der Sauer- stoffverbindungen an. Dieser Umstand scheint mir von grosser Bedeutung zu sein und zu zeigen, dass der Sauerstoff bei der Electrolyse im engern Sinne eine Hauptrolle spiele, d. h. die electro- lytische Zersetzung wesentlich bedinge. Unter die einfachern oxyelectrolytischen Verbindungen gehören die Oxide nach der Formel RO zusammengesetzt: HO, KO, NaO, PbO u. s. w., und wie es sich von selhst versteht, muss jede Theorie die Klectrolyse dieser Oxide gerade so wie diejenige des Wassers erklären. Wäre das Kali, Natron, Bleioxid u. s. w. bei gewöhn- licher Temperatur schon flüssig, wie es das Wasser ist, so würden bei ihrer Electrolyse ganz ähnliche secundäre Er- scheinungen wie bei derjenigen des Wassers stattfinden: es bildeten sich an der positiven Electrode die Superoxide des Kaliums, Natriums, Bleies u. s. w., wie bei der Wasser- electrolyse HO?. Bei der verhältnissmässig hohen Temperatur aber, welche zur Schmelzung der genannten Oxide erforderlich 27 ist, können sich diese Superoxide eben so wenig bilden als HO? beim Siedpuncte des Wassers, weil unter diesen Umständen die Wärme das electrolytisch ausgeschiedene 0 in O überführt. Ehe wir die Electrolyse der zusammengesetztern Oxy- electrolyten in nähere Betrachtung ziehen können, müssen wir erst eine höchst merkwürdige Erscheinung erörtern, die Thatsache nemlich, dass bei der gewöhnlichen Electro- lyse die Bestandtheile des Electrolyten nicht neben einan- der, sondern an getrennten Orten auftreten, was bekannt- lich bei keiner andern chemischen Zersetzungsweise der Fall ist. Dieses auffallende Phänomen hat daher auch, seit es zuerst wahrgenommen worden, immer die Verwunderung der Beobachter erregt und zu sehr verschiedenen, zum Theil höchst sonderbaren Erklärungsversuchen‘ geführt, un- ter welchen der Grotthus-Faraday’'sche noch als der genü- gendste gelten kann. Diesem gemäss stellt man sich vor, dass z. B. bei der Electrolyse von HO der Wasserstoff des unmittelbar an der positiven Electrode liegenden Wassertheilchens im Augen- blicke seiner Zerlegung mit dem Sauerstoff des nächsten, der negativen Electrode zu gelegenen Wassertheilchens sich wieder zu Wasser verbinde, und der hierdurch frei gewordene Wasserstoff dieses Wassertheilchens mit dem Sauerstoff des benachbarten Wassertheilchens sich verge- sellschafte und so die Wasserzersetzung und Wasserbil- dung sich fortsetze bis zn der negativen Electrode hin, wo der Wasserstoff des dort liegenden Wassertheilchens frei werde. a Warum der Wasserstoff eines zwischen den Eleetroden liegenden Wassertheilchens seinen Sauerstoff verlässt, um mit dem gleichbeschaffenen Sauerstoff des ihm unmittelbar benachbarten, der negativen Electrode zugelegenen Wasser- 28 theilchens sich zu verbinden, oder warum umgekehrt der Sauerstoff eines solchen Wassertheilchens von seinem Was- serstoff sich entfernt, um mit dem gleichbeschaffenen Wasser- stoff des nächsten der positiven Electrode zu liegenden Was- sertheilchens wieder zu Wasser zusammenzutreten, darüber gibt uns, wie mir vorkommt, selbst die Faraday’sche Theorie keine genügende Auskunft: denn die Annahme, dass der voltasche Strom eine Kraftachse (Axis ofpower) sei, welche nach ihren entgegengesetzten Richtungen hin entgegenge- setzte chemische Wirkungen hervorbringe, also nach der negativen Electrode hin die Affinität des Wasserstoffes zum Sauerstoffe vermehre, nach der positiven Electrode hin aber vermindere, dürfte eher ein umschreibender Ausdruck für die Thatsache als eine Erklärung der letztern sein. Mir scheint es möglich, dass dieses Fortrücken oder Wandern des Wasserstoffes von der positiven gegen die negative Electrode hin, oder die vorhin erwähnte abwech- selnde, zwischen den Electroden stattfindende Wasserzer- setzung und Wasserbildung im Zusammenhange stehe mit einer Stromwirkung, welche mechanischer Art ist. Bekanntlich können selbst die Theilchen fester Körper, z. B. der Kohle, des Platins u. s. w. vermittelst kräftiger voltascher Säulen vom positiven zum negativen Pole der- selben getrieben werden, auf welcher Ueberführung der so- genannte voltasche Lichtbogen beruht. Die Versuche Armstrongs und Anderer, vor allem aber die schöne Arbeit des Herrn Wiedemann, haben gezeigt, dass der voltasche Strom nicht nur electrolysirt, sondern auch die electrolytische Fähigkeit von der positiven nach der negativen Electrode hin, d. h. in seiner eigenen Rich- tung fortbewegt, und dass die übergeführten Mengen des Electrolyten den Stromstärken proportional sind. Die erwähnten Thatsachen lassen vermuthen, dass unter geeigneten Umständen allen Materien, welche sich auf der 29 Bahn des Stromes befinden, diese Bewegung von der posi- tiven nach der negativen Electrode hin mitgetheilt werde, und desshalb dürfen wir vielleicht auch annehmen, dass die- selbe das Kation eines Electrolyten bei seiner Electrolyse erhalte. Nehmen wir an: Durch die electrische Entladung werde der Sauerstoff des an der positiven Electrode liegenden Was- sertheilchens ozonisirt und in Folge hievon dessen Verbin- dung mit dem Wasserstoff aufgehoben ; und setzen wir fer- ner voraus: dieser Wasserstoff werde im Augenblicke seiner Abtrennung durch die besagte mechanische Stromwirkung gegen die negative Electrode hin getrieben, so muss besagter Wasserstoff zunächst dem Sauerstoff des angrenzenden Was- sertheilchens begegnen, insofern wir die Sauerstoffseiten aller zwischen den Electroden liegenden Wassertheilchen der positiven Electrode zu gerichtet uns denken müssen. Dieser Sauerstoff aber, in Folge der von ihm erfah- renen Einwirkung der electrischen Entladung muss meiner Hypothese gemäss, wie der Sauerstoff aller übrigen zwi- schen den Electroden gelegenen Wassertheilchen im 0z0- nisirten Zustande sich befinden. Warum, kann man hier mit Recht fragen, verbindet sich dieser ozonisirte Sauerstoff mit dem Wasserstoff des an der positiven Electrode liegenden Wassertheilchens; warum ver- einiget sich überhaupt der ozonisirte Sauerstoff irgend eines zwischen den Electroden liegenden Wassertheilchens mit dem Wasserstoff des der positiven Electrode zu gelegenen Nachbartheilchens; warum wird nicht der Sauerstoff aller Wassertheilchen und damit auch deren Wasserstoff frei ? Man sieht leicht ein, dass eine genügende Antwort auf diese Frage einen wesentlichen Theil des Räthsels der Elec- trolyse des Wassers lösen, namentlich aber die Erklärung der Zersetzung und Bildung des zwischen den Electroden liegenden Wassers enthalten würde. Le 80 Zum Behufe der Beantwortung der gestellten Frage scheint mir vor allem die sunderbare Thatsache in Betracht gezogen werden zu müssen, dass ein und eben dasselbe Agens in vielen Fällen gleichzeitig entgegengesetzte Wir- kungen hervorbringt. So z. B. vermag die electrische Ent- 0 0 . ladung zur gleichen Zeit O in O und O in O überzuführen. Es vermag der electrische Funken Wasser in seine Bestand- theile zu zerlegen und.aus diesen zu bilden; salzsaures Gas ‘in seine Bestandtheile zu zersetzen und aus Chlor und Was- serstoff zu erzeugen. Dieses gleichzeitige Hervorbringen entgegengesetzter Wirkungen durch ein und dasselbe Agens ist nach meinem Dafürhalten desshalb eine so wichtige Thatsache, weil sie uns zeigt, dass die Bedingungen für das Stattfinden z. B. der Ozonisation und Desozonisation des Sauerstofles, der Zersetzung und Bildung des Wassers u. s. w. sich so ähn- lich sind, dasssie sich vollkommen gleichen und es daher auch nur von einem Haar abhängen, d. h. der kleinste Un- terschied in den obwaltenden Umständen entscheiden muss, ob die eine oder die andere Wirkung, ob z.B. die Ozoni- sation oder Desozonisation, Wasserzersetzung oder Wasser- bildung erfolgt. Der Wichtigkeit der vorliegenden Frage halber muss ich hier noch an etwas Anderes erinnern, an die Thatsachen nem- lich, durch welche ich schon zu wiederholten Malen zu zei- gen gesucht habe, dass der gewöhnliche Sauerstoff als solcher unvermögend sei, mit irgend einem Körper eine chemische Verbindung einzugehen, dass jeder Oxidation die Ozonisa- tion oder chemische Erregung des gewöhnlichen Sauerstoffes vorangehen müsse, und dass diese Zustandsveränderung be- werkstelliget werde entweder durch die oxidirbare Substanz selbst, wie diess z. B. durch den gewöhnlichen Phosphor bei seiner langsamen Verbrennung in verdünntem Sauerstoff oder atmosphärischer Luft geschieht; oder durch den allo- 31 tropisirenden Einfluss eines dritten Körpers, welcher Fall z. B. bei der langsamen Verbrennung des Wasserstoffes in atm. Luft unter Beisein des Platins stattfindet; oder durch die Vermittelung des Lichts, der Wärme und der Electri- eität, wie wir derartige Beispiele in allen Oxidationen ha- ben, welche der gewöhnliche Sauerstoff unter dem Einflusse der eben genannten Agentien bewerkstelliget, z. B. in der Umwandelung des Schwefelbleies in Sulfat durch beleuch- teten Sauerstoff, in der Oxidation vieler Elementarstoffe bei höherer Temperatur, in der Erzeugung der Salpetersäure aus Stickstoff und Sauerstoff durch den electrischen Funken. Die Annahme, dass der Oxidation eines Stoffes durch gewöhnlichen Sauerstoff die Ozonisation des letztern vor- angehen müsse, ist keineswegs eine so willkührliche, wie sie manchem Chemiker vielleicht erscheinen dürfte; denn sie wird, nach meinem Dafürhalten wenigstens, durch eine Reihe von Thatsachen zu einem hohen Grad von Wahr- scheinlichkeit erhoben. Eine dieser Thatsachen, und zwar nicht die unwich- tigste, ist die, dass bei der ‚Berührung des Phosphors mit atm. Luft oder gehörig verdünntem gewöhnlichem Sauer- stoffgas zwar ein grosser Theil des unter diesen Umständen 0 entstehenden O sofort zur Oxidation oder langsamen Ver- brennung des Phosphors verwendet wird, aber doch, wie meine Versuche gezeigt haben, ein anderer, nicht ganz klei- ner Theil dieses 0 unverbunden bleibt,"worauf eben die Ge- winnung des Ozons mittelst gewöhnlichen Phosphors und atm. Luft beruht. Auch bei der Verbrennung des Knallgases entgehen nach meinen Beobachtungen und nach denen anderer Che- miker einige (durch feuchtes Jodkaliumstärkepapier nach- weisbare) Spuren ozonisirten Sauerstoffes der Verbindung mit Wasserstoff; eben so bei der Bildung von Salpetersäure 32 vermittelst electrischer Funken, die man durch ein Gemeng von Stick- und gewöhnlichem Sauerstoffgas schlagen lässt, woher der sogenannte electrische Geruch rührt, welcher immer bei den in atm. Luft stattfindenden electrischen Ent- ladungen zum Vorschein kommt. Meine Versuche haben ferner gezeigt, dass gewöhn- licher Sauerstoff in Berührung mit Camphenölen oder Aether und unter den Einfluss des Lichtes gesetzt, erst ozonisirt wird, hierauf mit besagten Oelen u. s. w. als 0 sich ver- gesellschaftet und dann erst die Oxidationen zu bewerk- stelligen beginnt, in Folge deren sich Harze u. s. w. bilden. Durch den unter den erwähnten Umständen auftreten- den und nachweisbaren ozonisirten Sauerstoff wird uns, wie ich glaube, die wesentlichste Bedingung der Oxidation, welche durch gewühnlichen Sauerstoff bewerkstelliget wird, ziemlich klar enthüllt, d. h. gezeigt, dass jeder Oxidation durch O die Ozonisation dieses Körpers vorausgehen muss. Ist aber diese Bedingung für die Oxidation eine uner- lässliche und beruht die Electrolyse des Wassers oder ir- gend eines andern Oxyelectrolyten auf einer Ueberführung von O in 0, so muss man zu der auffallenden Annahme kommen, dass die Bedingungen für die Zersetzung und Bil- dung des Wassers u. s. w. wesentlich die gleichen sind. Und in der That tritt die Gleichheit dieser Bedingun- gen für die Analyse und Synthese des Wassers nirgends augenfälliger auf, als gerade in der Electrolyse dieser Ver- bindung; denn gewiss ist, dass die gleichzeitig erfolgende Zersetzung und Bildung des zwischen den Electroden lie- genden Wassers von einer und eben derselben Ursache, nemlich von dem voltaschen Strom oder der electrischen Entladung bewerkstelliget wird. Dass das Anion jedes Theilchens dieses Wassers in dem Augenblick, wo Sauerstoff an der positiven Electrode 33 auftritt, d. h. wo die Vereinigung des Wasserstoffes mit dem Sauerstoff eines Wassertheilchens mit dem Sauerstoff des nächsten der negativen Electrode zu gelegenen Wassertheil- chens zu Wasser erfolgt, im ozonisirten Zustande sich be- findet, zeigt man leicht durch die Unterbrechung der Stetig- keit des zwischen den Electroden befindlichen Wassers vermittelst eines leitenden und schwierig oxidirbaren Kör- pers, z. B. des Platins. An der der negativen Electrode zugekehrten Seite des eingeschobenen Metalles wird Sauerstoff auftreten, weil die- ser, durch das Platin verhindert, nicht mit dem Wasserstoff des nächsten der positiven Electrode zu gelegenen Wasser- theilchens sich verbinden kann; und da dieser Sauerstoff im Augenblicke seiner Entbindung die gleichen eminent oxi- direnden Eigenschaften besitzt, welche dem an der posi- tiven Electrode auftretenden Sauerstoff zukommen, so dürfen wir auch den Schluss ziehen, dass beide Sauerstofftheile im gleichen, d. h. ozonisirten Zustande sich befinden. Was aber von diesen zwei Sauerstofftheilen gilt, gilt auch vom Sauerstoff aller übrigen Wassertheilchen. Wenn jetzt für gewiss zu erachten ist, dass der Sauer- stoff aller zwischen den Electroden liegenden Wassertheilen gleichzeitig in einem und demselben Zustande sich befindet, d. h. in dem Zustande, der diesen Elementarstoff eben so geschickt macht, mit Wasserstoff sich zu verbinden, als sich von letzterem Körper abzutrennen, so ist dieser Zustand einem instablen Gleichgewichte zu vergleichen, welches durch den geringfügigsten Umstand gestört werden kann. Nehmen wir nun an: der Wasserstoff des der positiven Electrode zunächst gelegenen Wassertheilchens werde im Augenblicke der Ozonisation des in besagtem Wassértheil- chen enthaltenen Sauerstoffes vermöge der oben erwähnten mechanischen Stromwirkung gegen die negative Electrode hingerückt, so ist es denkbar, dass dieser, auch dem Wasser- 3 3% stoff aller übrigen zwischen den Eleetroden liegenden Was- sertheilchen gleichzeitig ertheilte Bewegungsanstoss den vor- hin erwähnten instablen Gleichgewichtszustand des ozonisir- ten Sauerstoffes zu stören, d. h. die zwischen den Electroden gelegenen Wassertheilchen zu zerlegen und wieder zu bil- den vermöge. Und mit diesem gleichzeitig erfolgenden Rücken des Wasserstoffes aller Wassertheilchen gegen die negative Electrode hin dürfte auch das in der gleichen Richtung stattfindende Weiterrücken der neugebildeten Wassertheil- chen in unmittelbarem Zusammenhange stehen, wie auch das von Herrn Wiedemann ermittelte Gesetz, welchem ge- mäss die Menge des der negativen Electrode zugeführten Wassers eben so, wie die Menge des electrolysirten nn sers selbst der Stromstärke proportional ist. Nach den entwickelten Ansichten würde somit die ge- wöhnliche Electrolyse eines Oxyelectrolyten bestimmt wer- den einerseits durch die Ozonisation seines Sauerstoffes, an- dererseits durch die Bewegung, welche der ozonisirende Strom in seiner eigenen Richtung dem Kation des Electro- lyten ertheilt, und hätte man nicht nöthig anzunehmen, dass der Strom auch dem Sauerstoff des Electrolyten eine Be- wegung ertheile in einer Richtung entgegengesetzt der- jenigen, nach welcher das Kation getrieben wird. Das Wandern des Sauerstofles gegen die positive Elec- trode hin würde demnach nur ein scheinbares oder relati- ves, d. h. ein Zurückbleiben sein, veranlasst durch das wirk- liche Wandern des Kations gegen die negative Electrode hin. Die Frage, warum der Strom unter gegebenen Umstän- den Materien in seiner eigenen Richtung mit sich fortführe, weiss ich eben so wenig zu beantworten als den Grund an- zugeben, wesshalb die electrische Entladung sleiihgeilig ozonisire und desozonisire, bei der Wasserbildung 0 in O 35 übergeführt werde und bei der Wasserzersetzung das Um- gekehrte geschehe. — Für jetzt handelt es sich vorerst mehr um die Ermittelung der thatsächlichen Bedingungen, unter welchen die Bildung und Zersetzung des Wassers und anderer Electrolyten stattfindet, als um das Begreifen dieser Bedingungen selbst, d. h. der allotropischen Modificationen u. Ss. w., welche der Sauerstoff bei der Synthese und Ana- lyse des Wassers u. s. w. erleidet. — Wenden wir uns nun zur Electrolyse der zusammengesetztern Electrolyten. Es ist bekannt, dass alle Sauerstoffsalze, insofern sie geschmolzen oder in Wasser gelöst sind, durch den volta- schen Strom zerlegt werden, gleichgültig, welches ihre stö- chiometrische Zusammensetzung sei. Manche Physiker betrachten diese Salze als Electroly- ten, in welchen die Basis das Kation, die Säure das Anion sei und nehmen desshalb an, dass der voltasche Strom wie das Wasser in Sauerstoff und Wasserstoff, so die Salze in Säure und Basis zerlege. Da nun bei der Electrolyse eines in Wasser gelösten Sauerstoflsalzes an der positiven Electrode neben der Säure auch noch Sauerstoff, an der negativen Electrode neben der Basis Wasserstoff erscheint, so müssen diese Physiker an- nehmen, dass ausser dem Salze auch noch Wasser zersetzt werde. In dem Falle, wo an der negativen Electrode nicht die Basis, sondern deren metallisches Radikal und kein Wasserstoff auftritt, müssen die gleichen Physiker anneh- men, dass das basische Kation des Salzes im Augenblicke seiner electrolytischen Abtrennung durch das gleichzeitig abgeschiedene Kation des Wassers (Wasserstoff) reduzirt werde und somit das auftretende Metall ein sekundärer Ausscheidling sei. Von dieser Annahme ist mit Recht be-- hauptet worden, dass sie mit dem Gesetz der feststehenden electrolytischen Action des Stromes im Widerspruche stehe. Was nemlich diesen Punkt betrifft, so ist es Thatsache, 3 * 36 dass derselbe Strom, welcher ein Equivalent Wassers zer- setzt, durch eine Lösung von Natronsulfat u. s. w. geleitet ebenfalls ein Equiv. Wassers, aber überdiess auch noch ein Equiv. Salzes zerlegt. In der Salzlösung würde also der Strom das Doppelte der Arbeit verrichten, welche er in dem blossen Wasser vollbringt, eine Annahme, die eben so unstatthaft erscheinen muss als die Behauptung, dass eine und eben dieselbe Kraft- einheit das eine Mal eine einfache, das andere Mal eine doppelte Wirkung hervorzubringen vermöge. Der verstorbene englische Chemiker Daniell hat es be- kanntlich versucht, den hervorgehobenen Widerspruch zu beseitigen und die mit Sauerstoffsalzen erhaltenen electro- lytischen Ergebnisse mit dem vorhin erwähnten Gesetz in Einklang zu bringen. | Humphry Davy, um seine Ansicht über die chemische Natur der oxidirten Salzsäure der ältern Chemiker mit der Analogie in Uebereinstimmung zu setzen, welche so offen- bar zwischen den Sauerstoff- und sogenannten Haloidsalzen besteht, hat sich genöthiget gesehen, eine ins Weite gehende Hypothese zu ersinnen, sowohl über die Constitution der Säuren als über die Zusammensetzung der Sauerstoflsalze. Alle Sauerstoffsäuren mussten Wasserstoffsäuren, alle Sauerstoffsalze Haloidsalze: Schwefelsäurehydrat Oxysul- phionwasserstoffsäure, schwefelsaures Kali Oxysulphionka- lium werden, wie das Muriumsäurehydrat und muriumsaure Kali zur Chlorwasserstoffsäure und zum Chlorkalium ge- macht wurden. Die fruchtbare Einbildungskraft des britischen Chemi- kers schuf Hunderte zusammengesetzter Salzbildner , d. h. eben so viele, als es Säuren gab, und diese so verschie- denartigen Halogenia mussten zu dem Wasserstoff und den Metallen in demselben Verhältnisse stehen, in welches er sein Chlor zu diesen Körpern setzte. Um einige wenige 37 hypothetischen Stoffe aus der Chemie zu verbannen, stand der Urheber der Chlortheorie nicht an, Legionen Neuer in die “Wissenschaft einzuführen. Daniell nun hat sich bemüht zu zeigen, dass die Elec- trolyse der Sauerstoffsalze einen thatsächlichen Beweis für die Richtigkeit der Hypothesen seines berühmten Lands- mannes liefere. Daniell sagte: weil z. B. einfach schwefelsaures Natron nach der Davyschen Salztheorie = Na, SO! und Na das Ka- tion und SO? des Anion dieses Electrolyten sei, so müsse der Strom gemäss dem erwähnten Gesetz auf ein Equiv. Natriums an der negativen Electrode ein Equiv. Oxysulphions (SO?!) an der positiven Electrode ausscheiden. Da aber das letztere nicht für sich bestehen könne, so nehme es im Mo- mente seiner electrolytischen Abscheidung ein Equiv. Was- serstoffes vom anwesenden Wasser auf um HSO? zu bil- den und mache dadurch ein Equiv. Sauerstoffes an der positiven Electrode frei. Das an der negativen Electrode ausgeschiedene Natrium zersetze ebenfalls Wasser und ent- binde, indem es sich zu NaO oxidire, ein Equiv. Wasser- stoffes. Nach Daniell sind somit das Equiv. Sauerstoffes an der positiven Electrode und das Equiv. Wasserstoffes an der negativen Electrode entbunden, gewöhnliche chemische Aus- scheidlinge, und die an den Electroden aufgetretene Säure und Basis ebenfalls sekundäre Erzeugnisse, so dass in die- sem Falle von Electrolyse gar keine wirklichen Jone zum Vorschein kämen und alle an den Electroden auftretenden Materien einen abgeleiteten Ursprung hätten. Nur bei der Electrolyse derjenigen Sauerstoffsalze, die ein weniger leicht oxidirbares Metall, z. B. Blei, Kupfer u. s. w. enthalten, kommt nach Daniell ein wirliches Jon, nemlich das metallische Kation : Blei, Kupfer u. s. w. zum Vorschein, weil dasselbe das Wasser nicht zerlegen kann. 38 Es muss zugegeben werden, dass die Ergebnisse der Electrolyse der Sauerstoffsalze mit der Davyschen Salz- theorie nicht im Widerspruch stehen, die Behauptung Da- niells aber, dass dieselben allein durch besagte Hypothese in Einklang mit dem Gesetz der feststehenden electrolyti- schen Action des Stromes gebracht werden können, muss ich entschieden in Abrede stellen und ihnen desshalb auch die spezifische Beweiskraft absprechen, welche der verstor- bene Chemiker darin gesehen. Da ich aus schon ander- wärts entwickelten Gründen die Chlorhypothese Davys für unbegründet halte, so kann ich natürlich auch dessen An- sichten über die Constitution der Säuren, Salze u. s. w. nicht beipflichten und muss sonach die Electrolyse der Sauerstoffsalze anders erklären, als diess Daniell gethan hat, so aber jedoch, dass meine Theorie mit dem erwähn- ten Gesetz nicht in Widerspruch treten darf; weil ich selbst der Meinung bin, dass jede Erklärungsweise, die demselben entgegenläuft, nicht die richtige sein kann, Ich gehe einfach von der Annahme aus, dass wie in allen Sauerstoffsalzen so auch z.B. im schwefelsauren Na- tron der Strom nur auf den Sauerstoff der Basis wirke und mit der Säure nichts zu thun habe, oder was das Gleiche sagen will, dass der electrolysirende Einfluss des Stromes nur auf die Basis des Salzes, im gewählten Beispiel also auf das Natriumoxid sich beschränke und somit bei der Electrolyse des Natronsulfates das Natrium allein von der positiven gegen die negative Electrode hin wandere. Veranschaulichen wir das Gesagte durch folgendes Schema: A B C + en E ONa.ONa ONa E SO SO? SO? et. Sind EE die Electroden, A, B, € drei in Wasser ge- 39 löste Theilchen einfach schwefelsauren Natrons, so wird bei der Electrolyse dieses Salzes das Na des A nach B, das Na des B nach C wandern, das Na des C an E und das + O des A an E auftreten. Wenn aber das O des A an E ausgeschieden und das Na des gleichen A nach B gewandert ist, so wird noth- wendiger Weise das SO° des A an Ë ebenfalls frei gewor- den sein, ohne dass der Strom auf dieses SO3 irgend einen Einfluss auszuüben brauchte. Was das an der negativen Electrode ausgeschiedene Na betrifft, so wird es dort Wasser zersetzen, Wasserstoff ausscheiden und zu Natron oxidirt werden müssen, und leicht sieht man auch ein, dass auf ein an der positiven Electrode entwickeltes Equiv. Sauerstoffes dort ein Equiv. Schwefelsäure und an der negativen Electrode ein Equiv. Natrons und ein Equiv. Wasserstoffes auftreten, ohne dass man zur Erklärung dieser Thatsache der Annahme bedürfte, dass der Strom ein Equiv. Natronsulfates und ein Equiv. Wassers electrolysirt hätte. Dass bei der Electrolyse eines Kupfer-, Bleisalzes u.s. w. auch nach meiner Theorie kein Wasserstoff, sondern nur me- tallisches Kupfer, Blei u. s. w. auftreten muss, ist überflüssig zu bemerken. Wenn nun, wie ich glaube, meine Erklärung dem mehrfach erwähnten Gesetz eben so gut genügt, als diess die Daniellsche thut, und wenn jene die Annahme so vieler hypothetischen Salzbildner oder zusammengesetzter Anione überflüssig macht, deren Existenz von Daniell vor- ausgesetzt werden muss, so erachte ich diess als einen nicht ganz geringen Vorzug, den meine Theorie vor derjenigen des englischen Chemikers zum voraus hat; denn man darf mit Recht fordern, dass in der Wissenschaft keine Verschwen- dung mit Erklärungsgründen und Hypothesen getrieben werde. 40 Wie schon bemerkt, lassen sich alle flüssigen Sauer- stoffsalze electrolysiren, welche stöchiometrische Zusam- mensetzung dieselben nur immer haben mögen. Ich bin da- her sehr geneigt zu glauben, dass auch diese auffallende Thatsache dahin deutet, dass bei der Electrolyse der Sauer- stoffsalze die Säuren derselben in keiner unmittelbaren Be- ziehung zum Strome stehen, d. h. nicht die Rolle des Anions spielen und nur die Basen electrolysirt werden. Da für mich die sogenannten Haloidverbindungen, ge- mäss den Lehren der ältern Chemie, sauerstoffhaltige Ma- terien sind, so muss ich auch die Electrolyse der Ersteren, wie diejenige der Letzteren erklären. Die trockene Chlorwasserstoffsäure, das Chlorkalium u. s. w. sind Muriumsäurehydrat, muriumsaures Kali u. s. w., es wird bei der Electrolyse des Erstern das Wasser, bei derjenigen des Andern das Kali zerlegt, und ist in beiden Fällen das. an der positiven Electrode auftretende Chlor oder Muriumsuperoxid als sekundäres Erzeugniss zu betrach- ten, hervorgegangen aus der Vereinigung des dort ausge- schiedenen ozonisirten Sauerstoffes mit der daselbst eben- falls frei gewordenen Muriumsäure. Den im ersten Falle an der negativen Electrode ie wickelten Wasserstoff sehe ich als das Kation des electro- lysirten Wassers, das im zweiten Falle an der gleichen Electrode auftretende Kali und Wasserstoffgas, ersteres als sekundäres Gebilde, das letztere als Ausscheidling an, ent- standen durch Wasserzersetzung, welche das dort frei ge- wordene Kalium bewerkstelliget. Vermag das Metall eines Haloidsalzes das Wasser nicht zu zersetzen, so scheidet sich jenes aus der wässrigen Lö- sung im metallischen Zustande ab, wie diess z. B. bei der Electrolyse des gelösten muriumsauren Kupferoxides (Chlor- kupfers) geschieht. Es ist eine wohlbekannte Thatsache, dass auch ver- 41 mittelst electrischer Funken viele chemischen Verbindungen aufgehoben werden kônnen, wobei der flüssige Zustand der- selben nicht wie bei der gewöhnlichen Electrolyse eine we- sentliche Bedingung der Zersetzung ist, wie daraus erhellt, dass sich auf diesem Wege auch feste und luftige Körper zerlegen lassen. Ziemlich allgemein wird angenommen, dass diese Art electrischer Zersetzung ihrer nächsten Ursache nach von der gewöhnlichen Electrolyse verschieden, d. h. nicht als unmittelbar durch Electrizität bewerkstelliget, sondern als eine Wirkung der Wärme zu betrachten sei, welche wie bei jeder, so auch bei derjenigen electrischen Entladung, welche wir im Funken haben, zum Vorschein kommt. Und es sind hauptsächlich zwei Gründe für diese An- nahme geltend gemacht worden: Die Thatsache, dass manche zusammengesetzten Körper durch die Wärme gerade so wie durch den electrischen Funken zerlegt werden, und der Um- stand, dass bei der gewöhnlichen Electrolyse die Bestand- theile der zerlegten Materie von einander getrennt auftreten, während sie bei der durch den Funken bewerkstelligten Zersetzung nebeneinander zum Vorschein kommen. Es ist allerdings wahr, dass häufig die gleichen Kör- per, welche durch den electrischen Funken zersetzt werden, sich auch durch Erhitzung zerlegen lassen; allein immer ist diess doch nicht der Fall. Wie heftig man z. B. salz- saures Gas auch erhitzen mag, nie wird dasselbe selbst nur spurenweise in Wasserstoff und Chlor, und ebensowenig die Kohlensäure in Sauerstoff und Kohlenoxidgas zerlegt wer- den, während der electrische Funken beide Gase in der an- gegebenen Weise wenigstens theilweise zersetzt. Was die Zerlegung des Wassers mittelst glühender Platindrähte be- trifft, wie sie Herr Grove bewerkstelliget hat, so lässt sich noch fragen, ob bei derselben ausser der Wärme nicht auch die Natur des Metalles eine Rolle spiele; denn meines Wis- 42 sens ist das Wasser bis jetzt noch durch keinen andern glühenden Körper als durch Platin in Sauerstoff- und Was- serstoffgas zersetzt worden. Wenn ich nun auch nicht in Abrede stellen will, dass in manchen Fällen die Funkenelectrizität desshalb zerlegend wirke, weil sie Wärme erzeugt, so sehe ich doch nicht ein, warum diese Electrizität nicht auch unmittelbar chemische Zersetzungswirkungen soll hervorbringen können. Alle Physiker nehmen mit gutem Grunde an, dass die gewöhnliche Electrolyse eine‘ unmittelbare Stromwirkung und die Wärme dabei nicht wesentlich betheiliget sei. Da nun der Strom nichts anderes als ein electrischer Entla- dungsakt ist, wie der electrische Funken, warum sollte denn durch diesen nicht eben so gut als durch jenen ein zusammengesetzter Körper in seine Bestandtheile zerlegt werden können ? Ich bin desshalb auch geneigt zu glauben, dass zwi- schen der durch den voltaschen Strom und den electri- schen Funken bewerkstelligten chemischen Zersetzung einer zusammengesetzten Materie, z. B. des Wassers, kein wesent- licher Unterschied bestehe, mit Bezug nemlich auf die nächste Ursache beider Arten von Zersetzung. Der Versuch ist meines Wissens zwar noch nicht an- gestellt worden, aber ich zweifle nicht daran, dass beim Durchschlagen electrischer Funken durch vollkommen reinen Wasserdampf einiger Sauerstoff und Wasserstoff zum Vor- schein kämen, gerade so, wie unter den gleichen Umstän- den aus salzsaurem Gas Chlor und Wasserstoff frei werden.‘ Dass flüssiges Wasser durch Funkenelectrizität zerlegt wird, haben mehrere Physiker und namentlich der genaue Wollaston dargethan, und wie wohl bekannt, treten in die- sem Falle die Bestandtheile des Wassers nebeneinander auf, wodurch sich diese electrische Zersetzung von der Wasser- electrolyse allerdings auffallend genug unterscheidet. 43 Der oben entwickelten Ansicht gemäss bin ich geneigt zu vermuthen, dass auch die durch den electrischen Funken bewerkstelligte Wasserzersetzung auf einer Allotropie be- ruhe, welche der Sauerstoff des Wassers unter dem Ein- flusse der electrischen Entladung erleidet. Dieser Sauerstoff müsste also nach meiner Hypothese im Augenblick seiner Abtrennung vom Wasserstoff im ozonisirten Zustande sich befinden, und ich zweifle nicht, dass feuchtes Jodkalium- stärkepapier in Wasserdampf aufgehangen, der lebhaft elec- trisirt worden wäre, sich bläuen würde. Da aber, wie schon mehrfach erwähnt worden, der electrische Funken den Sauerstoff eben so gut desozonisirt als ozonisirt, Wasser zerlegt und bildet, so ist es unmög- lich, auch eine noch so kleine Menge Wasserdampfes durch ein wie lange nur immer dauerndes Funkenspiel vollständig in ozonisirten Sauerstoff und Wasserstoff zu zerlegen, und muss auch unter diesen Umständen, wie bei der gewöhn- lichen Electrolyse gleichzeitig Ozonisation und Desozoni- sation des Sauerstoffes, Wasserzersetzung und Wasserbil- dung stattfinden. Vollkommen trockenes salzsaures Gas lässt sich erfah- rungsgemäss ziemlich leicht, wenn auch nur theilweise in Chlor und Wasserstoff zerlegen. Da für mich das Chlor Muriumsuperoxid und das trockene salzsaure Gas Muriumsäurehydrat ist, so muss ich, wie bei der gewöhnlichen Electrolyse der Salzsäure annehmen, dass der Sauerstoff des Wassers dieses gasförmigen Säurehydra- tes, durch den electrischen Funken ozonisirt, mit der ihres Wassers beraubten Muriumsäure zu dem sogenannten Chlor sich verbinde und der Wasserstoff des zerlegten Hydrat- wassers frei auftrete. Was diesen Wasserstoff betrifft, so kann er aus leicht ersichtlichen physikalischen Gründen nicht wie bei der ge- wöhnlichen Electrolyse des Wassers oder der Salzsäure ge- 44 schieht, wandern, sondern muss an der gleichen Stelle auf- treten, wo er den mit ihm früher verbundenen Sauerstoff verlässt, oder, was dasselbe ist, da, wo das Chlor gebil- det wird. Dass auch beim Electrisiren des salzsauren Gases letzte- res sich zersetzt und wieder bildet, hat unstreitig denselben Grund, wesshalb unter den gleichen Umständen das reine dampfförmige Wasser in seine Bestandtheile zerfällt und aus diesen wieder entsteht. Versteht sich von selbst, dass ich mir die durch elec- trische Funken bewirkte Zerlegung der gasförmigen Brom- und Jodwasserstoffsäure, des festen Jodkaliums u. s. w. wie die oben erwähnten Zersetzungen des Wassers und der Chlorwasserstoffsäure erkläre, d. h. von der Ozonisation des Sauerstoffes des in ihnen enthaltenen Wassers, Kalis u. s. w. ableite. Bekanntlich werden durch den electrischen Funken manche chemischen Verbindungen zerlegt, die weder ver- mittelst des voltaschen Stromes noch mit Hülfe der stärk- sten Hitze sich zersetzen lassen, wie z. B. die Kohlensäure, deren Gas, wie schon bemerkt, unter dem Einfluss electri- scher Funken in Sauerstoff- und Kohlenoxidgas zerfällt. In Uebereinstimmung mit meiner Hypothese betrachte ich auch diese Zersetzung als einen Akt der Ozonisation der Hälfte des in der Kohlensäure enthaltenen Sauerstoffes. Der Grund, wesshalb der voltasche Strom nicht wie der Funken auf diese Säure zerlegend einwirkt, dürfte zu- nächst in dem grossen Unterschied, welcher zwischen der Intensität beider Arten von electrischer Entladung besteht, zu suchen sein, oder, um die Sache anders auszudrücken, in dem Umstande, dass bei Anwendung des Funkens während eines gegebenen Zeitmomentes in einem Kohlensäuretheil- chen grössere Mengen der entgegengesetzten Electrizitäten sich ausgleichen, als diess bei der Einwirkung der kräftig- 45 sten voltaschen Säule auf ein gieiches Säuretheilchen der Fall ist, was natürlich auch mit dem schlechten Leitungs- vermögen von CO? zusammenhängt. ” Es wird wohl kaum nöthig sein zu sagen, dass ich meine Ansichten über die nächste Ursache der durch den electrischen Funken bewerkstelligten Zersetzungen sauer- stoffhaltiger Verbindungen auch auf die electrischen Zer- legungen anderweitig zusammengesetzter Materien übertra- gen, d.h. diese Zersetzungen von der Allotropie eines oder des andern Bestandtheiles solcher nicht sauerstoffhaltigen Substanzen ableiten möchte. Ausser dem Sauerstoff kennen wir bereits einige an- dere für Elemente gehaltene Stoffe, welche in verschiede- nen allotropischen Zuständen existiren können, wie z. B. den Kohlenstoff, Schwefel, Selen, Phosphor. Diese That- sachen geben der Vermuthung Raum, dass noch viele an- dere, vielleicht alle einfachen Körper solcher verschiedenen Modificationen fähig sind. Es ist nun ein bemerkenswerther Umstand, dass die gasförmigen Verbindungen der oben ge- nannten Materien mit Wasserstoff durch den electrischen Funken unter Ausscheidung von Kohlenstoff, Phosphor u.s. w. zerlegt werden. Möglicher Weise könnten diese Zersetzun- gen darauf beruhen, dass die genannten Elemente aus ihrer Verbindung mit Wasserstoff sich ausscheiden in Folge einer Allotropie, welche in ihnen die electrische Entladung ver- ursacht entweder unmittelbar oder auf sekundärem Wege, d.h. durch die hierbei erzeugte Wärme; denn nehmen wir an, dass Kohlenstoff, Phosphor u. s. w. nur in einem be- stimmten allotropischen Zustande mit Wasserstoff vorbun- den sein könnten, so müssten die besagten Stoffe aus einer solchen Verbindung austreten, sobald durch irgend eine Ur- sache dieser bestimmte Zustand des Kohlenstoffes u. s. w. in einen andern übergeführt würde. 46 Ÿ 2. Thermolyse. Mit diesem Wort soll jede chemische Zersetzung bezeichnet sein, welche durch die Wärme be- werkstelliget Wird. Es ist gewiss eine bemerkenswerthe Thatsache, dass die grössere Zahl der unorganischen Verbindungen, welche unter dem Einflusse der Wärme zerlegt werden, sauerstoff- haltige Materien sind, wie z. B. die Oxide der edlen Me- talle, alle Superoxide, die Säuren des Chlores, Bromes, Jodes, Stickstoffes, Mangans, Chromes u. s. w. Die meisten dieser Verbindungen haben mit dem freien ozonisirten Sauerstoll die Eigenschaft gemein, die Guajak- tinctur zu bläuen, Indigolösung zu zerstören und sonstige Oxidationswirkungen hervorzubringen, deren der gewöhn- liche Sauerstoff unfähig ist. Hieraus zu schliessen, wie ich diess gethan, dass der Sauerstoff, welcher diese Reactionen verursacht, im ozoni- sirten Zustande sich befinde, dürfte daher keine sehr ge- wagte Folgerung sein. ‚Wenn aber die Oxide des Platins, Goldes, Silbers, Quecksilbers u. s. w. als Verbindungen dieser Metalle mit 0 angesehen werden dürfen und es gestattet ist, die Super- oxide des Mangans, Bleies u. s. w. als Verbindungen zu betrachten, deren Sauerstoff theilweise im gewöhnlichen, theilweise im ozonisirten Zustande existirt, und wenn es 0 Thatsache ist, dass das freie O bei einer gewissen Tempe- ratur in O übergeführt wird, so könnte möglicher Weise die nächste Ursache der Sauerstoffausscheidung, welche bei der Erhitzung der erwähnten Verbindungen stattfindet, in 0 der Umwandelung des O in O liegen, Sind die Oxide des Goldes, Platins u. s. w. wirklich 0 0 AuO3 Pt0? u. s. w., die Superoxide des Mangans, Bleies 47 0 0 u. Ss. w. MnO + 0, PbO + O u. s. w., und können jene Me- talle oder MnO, PhO mit gewöhnlichem Sauerstoff als sol- chem keine Verbindungen eingehen, so müsste die Ueber- führung des 0 der genannten Oxide und Superoxide in ©, durch welche Mittel auch eine solche Zustandsveränderung herbeigeführt werden möchte, eine Zerlegung derselben in Gold, Platin und gewöhnlichen Sauerstoff, oder in Bleioxid u. s. w. und O zur Folge haben. ‘Würde die Materie, welche mit dem ozonisirten Sauer- stoff vergesellschaftet ist, auf diesen selbst keinen Ein- fluss ausüben bezüglich des Hitzgrades, bei welchem er in O 0 übergeht, so müsste das gebundene wie das freie O bei der gleichen Temperatur in O verwandelt werden. Gienge 0 also das freie O z.B. bei 250° in O über, so müssten un- 0 ter der eben erwähnten Voraussetzung alle Materien, die O enthalten, auch bei 250° gewöhnliches Sauerstoffgas ent- binden lassen, also z.B. Ag 0, PbO + 0 u. s. w. bei dieser Temperatur in Ag und O oder in PbO und O zerfallen. Eine solche Einflusslosigkeit dürfte schon a priori we- nig wahrscheinlich sein ; wenn aber diese Materien auf ir- gend eine Weise den Hitzgrad verändern, bei welchem das 0 5 mit ihnen verbundene O desozonisirt wird, d. h. wenn dieser Grad bald höher, bald niedriger liegt, als derjenige, bei L 0 welchem freies O in O übergeht, so werden verschieden- artige Ohaltize Substanzen auch verschiedene Temperaturen bedürfen, um O aus sich entwickeln zu lassen, und in der That lehrt die Erfahrung, dass dem so sei. Wird aber wirklich das mit verschiedenen Materien 0 vergesellschaftete O bei sehr verschiedenen Temperaturen 48 in O übergeführt, so muss auch der Fall möglich sein, dass eine solche Desozonisation selbst bei den höchsten Hitz- graden, welche wir hervorbringen können, noch nicht statt- findet. Die Superoxide des Muriums, Bromiums und Jodiums 0 (Chlor, Brom und Jod) wie auch das Eisenoxid (2Fe0 + 0) können bekanntlich die heftigste Glühhitze aushalten, ohne sich zu zersetzen, ja selbst die Untersalpetersäure (NO?+ 03 muss stark erhitzt werden, bevor sie O entwickelt. . Findet sich jedoch mit den drei erstgenannten Super- oxiden ein Körper in Berührung, welcher eine starke Nei- gung hat, mit der niedrigsten Oxidationsstufe ihrer Radi- kale sich zu verbinden, so wird unter dem Einfluss der Wärme das 0 jener Superoxide in O verwandelt und ent- bunden. Muriumsuperoxid und Wasser setzen sich bei hö- herer Temperatur in Muriumsäurehydrat und O, Murium- superoxid und Kali in muriumsaures Kali und O um. Wie aus Voranstehendem erhellt, geht also meine Ab- sicht dahin, dass die vollständige oder theilweise Thermo- lyse sauerstoffhaltiger Verbindungen auf einer durch die Wärme bewerkstelligten Desozonisation des in ihnen ent- 0 haltenen O beruhe. Es ist kaum nöthig zu sagen, dass ich geneigt bin, auch die Thermolyse nichtsauerstoffhaltiger Verbindungen, z. B. derjenigen des Kohlenstoffes u. s. w. mit Wasserstoff von allotropischen Modificationen abzuleiten, die der eine oder andere Bestandtheil derselben unter dem Einflusse der Wärme erleidet. Wählen wir als Beispiel das Terpentinöl. Es ist wenig wahrscheinlich, dass in dieser farblosen Flüssigkeit der Kohlenstoff so existirt, wie wir ihn in der Kohle haben. Faraday und andere Physiker haben dargethan, dass der durchsichtige farbelose Kohlenstoff, wie er im Demant er- D Ep WEDER N 49 scheint, bei starker Erhitzung schwarz und undurchsichtig, d. h. allotropisirt wird, und somit ein Verhalten zeigt ganz ähnlich dem durchsichtigen und farblosen Phosphor, wel- cher mit Hülfe der Wärme sich ebenfalls in einen undurch- sichtigen und dunkel gefärbten Körper überführen lässt. Befände sich nun der Kohlenstoff des Terpentinöles in einem demantartigen Zustand, wäre dieser Zustand eine wesentliche Bedingung seiner Verbindbarkeit mit Wasser- stoff und vermöchte die Wärme wie den farbelosen freien, so auch den ähnlich beschaffenen an Wasserstoff gebun- denen Kohlenstoff zu allotropisiren, so müsste dieser bei einem gehörigen Hitzgrade als schwarzer Kohlenstoff aus- geschieden werden, was bekanntlich geschieht. Und mit Bezug auf die Temperatur, bei welcher der gebundene farbe- lose Kohlenstoff in den gewöhnlichen schwarzen übergeht, könnte die mit jenem vergesellschaftete Materie ebenfalls einen Einfluss ausüben, so dass der demantartige Kohlen- stoff verschiedener Verbindungen auch bei verschiedenen Temperaturen allotropisirt würde, also auch bei einer nie- dern als diejenige ist, bei welcher der freie durchsichtige Kohlenstoff in undurchsichtigen sich verwandelt. Die merkwürdige Thatsache, dass alle organischen Ver- bindungen bei höherer Temperatur unter Kohlenausschei- dung sich zersetzen, dürfte vielleicht in Beziehung stehen zu der Fähigkeit des Kohlenstoffes in verschiedenen allo- tropischen Zuständen zu existiren. 3. Photolyse. Unter Photolyse verstehen wir jede chemische Zersetzung, welche durch das Licht bewerk- stelliget wird. Die Zahl der bis jetzt bekannt gewordenen reinen Pho- tolysen ist eine schr kleine, der gemischten aber, d. h. sol- cher, welche durch die gemeinschaftliche Wirksamkeit des Lichtes und gewichtiger Materien zu Stande gebracht wer- den, eine merklich grössere. % 50 £ Wie bei der Electrolyse und Thermolyse muss auch bei der Photolyse wieder der Umstand hervorgehoben wer- den, dass alle durch das Licht zersetzbaren Substanzen zu der Klasse der Sauerstoffverbindungen gehören, falls wir nemlich der ältern Lehre der Chemie folgend das Chlor, Brom und Jod für oxidirte Substanzen ansehen. Bei den Verbindungen, welche für alle Chemiker sauer- stoffhaltige Materien sind und unter dem Einflusse des Lich- tes gewöhnlichen Sauerstoff entwickeln, sehen wir abermals, . dass sie ozonisirten Sauerstoff enthalten, wie z.B. das Gold-, Silber-, Quecksilberoxid, Bleisuperoxid u. s. w. Mir vorbehaltend später die Ergebnisse von Versuchen mitzutheilen, mit welchen ich eben beschäftiget bin in der Absicht, die Wirkungen des Lichtes auf alle Verbindungen, die nach meiner Ansicht 0 enthalten, zu ermitteln, will ich einstweilen nur so viel sagen, dass aller Grund vorhanden ist, die Zahl derartiger durch Licht zersetzbarer sauerstoff- haltiger Materien für grösser zu halten, als man sie bis jetzt genommen hat, und es mir sehr wahrscheinlich ge- worden, dass in der Regel das Licht aus derselben Ver- bindung O entwickelt, aus welcher die Wärme diese Ma- terie frei macht. Es bedarf jedoch kaum ausdrücklicher Erwähnung, dass die durch Licht bewirkte Zersetzung viel langsamer, als die durch Wärme verursachte vor sich geht. | Meine Ansicht über die nächste Ursache der reinen Photolyse ist, wie man sieht, ganz übereinstimmend mit der- jenigen, nach welcher ich mir die Electrolyse und Thermo- lyse erkläre. Ich nehme nemlich an, dass wie die Electricität und Wärme, so auch das Licht entgegengesetzte Wirkungen hervorzubringen vermöge: ozonisirende und desozonisirende, welche gedoppelte Wirksamkeit wir sogar bei gewichti- gen Materien antreffen, wie z. B. am Gold, Platin, Silber 51 | 0 0 und Quecksilber, welche Metalle das O des HO + O in O verwandeln, aber auch O bestimmen Oxidationen ähnlich denen des 0 zu veranlassen. Wie wenig wir auch dermalen noch diese Doppelwirk- samkeit eines und ebendesselben Agens begreifen, so dür- fen wir, wie schon bemerkt, doch für sicher halten, dass dieselbe keine Zufälligkeit sei und beide Thätigkeiten in einem solchen innigen Zusammenhange stehen, dass die eine ohne die andere gar nicht vorhanden sein könnte. Dass das Licht einen merklich starken Einfluss auf die chemische Thätigkeit des gewöhnlichen Sauerstoffes ausübt und diesen befähiget, Oxidationswirkungen hervorzubringen ähnlich denjenigen, welche das 0 bewerkstelliget, ist jetzt bekannt genug. Mit Bezug auf chemisches Verhalten ist da- her der beleuchtete Sauerstoff dem durch Electricität 0zo- nisirten ähnlich, wenn auch an Wirksamkeit untergeordnet. Wenn aber das Licht eine solche Wirkung hervor- bringt, so lässt sich aus den oben angeführten Gründen vermuthen, dass es unter gegebenen Umständen auch das 0 Entgegengesetzte bewerkstelligen, d.h. O in O überführen könne. Ob das freie 0 durch blossen Lichteinfluss in O ver- wandelt werde, darüber haben mir meine Versuche noch keine vollkommen genügende Gewissheit gewährt; einige Ergebnisse scheinen jedoch der Vermuthung Raum zu ge- ben, dass das Licht allerdings, wenn auch sehr langsam, diese Zustandsveränderung bewerkstellige. Ich habe bereits erwähnt, dass z. B. das Gold- und £ 0 0 - Silberoxid als Au0? und AgO angesehen werden dürften, insofern sie eine Reihe Oxidationswirkungen verursachen 0 gleich denen, welche das freie O hervorbringt. à 24 4* 52 Da wir nun, wie oben bemerkt, kein Gold- oder Silber- oxid kennen, in welchem der Sauerstoff anders als im 0z0- nisirten Zustande existirt, so dürfen wir auch annehmen, dass gewöhnlicher Sauerstoff als solcher mit diesen Me- tallen gar keine Verbindung eingehen kann "und folglich 0 diese Oxide zersetzt werden müssten, wenn das O dersel- ben durch irgend eine Ursache in O übergeführt würde. Besitzt nun auch das Licht wie die Wärme das Ver- mögen 0 zu desozonisiren, so müssen besagte Oxide Pho- tolyten sein, d. h. unter dem Einflusse des Lichtes wie unter demjenigen der Wärme in Metall und O zerfallen. Es würde somit die Photolyse dieser Verbindungen wie die Thermolyse derselben oder die Electrolyse des Was- sers auf einer Zustandsveränderung des in ihnen enthaltenen Sauerstoffes beruhen; nur wäre die in den beiden ersten Fällen bewirkte Allotropie die entgegengesetzte von der- jenigen, welche in dem letztern Falle stattfände, da in je- no An in“ areken Dino übergeführt würde. Wie bei der Electrolyse häufig sekundäre Erzeugnisse entstehen in Folge der chemischen Einwirkung der ausge- schiedenen Jone auf die electrolytische Materie selbst, so auch bisweilen bei der Photolyse. Bei der Electrolyse des Wassers, des muriumsauren Kalis (Chlorkaliums) u. s. w. entsteht an der positiven Elec- trode Wasserstoffsuperoxid, Muriumsuperoxid (Chlor) u. s. w., bei der Photolyse des muriumsauren Silberoxides (Chlor- silbers) ebenfalls Muriumsuperoxid; denn es wird unter die- sen Umständen der aus dem Oxid durch das Licht abgetrennte Sauerstoffnicht frei, sondern tritt mit der Muriumsäure, welche an das zersetzte Oxid gebunden war, zu Chlor zusammen. — Von Photolysen gemischter Art, d. h. von solchen Zersetzun- gen, welche durch die gemeinschaftliche Wirksamkeit des 93 Lichtes und einer gewichtigen Substanz bewerkstelliget werden, gibt es mehrere, und ein schlagendes Beispiel lie- fert uns das Verhalten des Muriumsuperoxides zum Wasser. So lange beide Substanzen bei gewöhnlicher Temperatur in der Dunkelheit sich befinden, wirken sie nicht aufeinander ein, thun diess aber wohl unter Lichteinfluss, wobei O sich entbindet und Muriumsäurehydrat gebildet wird. Nach meinem Dafürhalten bewirkt der desozonisirende 0 Einfluss des Lichtes auf das O des Muriumsuperoxides in Verbindung mit der grossen Neigung des Wassers mit Mu- 0 riumsäure ein Hydrat zu bilden, die Umwandelung von O in O, d. h. die Zersetzung des Muriumsuperoxides. Wenn ich in Voranstehendem versucht habe es wahr- scheinlich zu machen, dass die nächste Ursache der Elec- trolyse, Thermolyse und Photolyse in allotropischen Mo- dificationen liege, welche der eine oder andere Bestandtheil der zerlegten Verbindung unter dem Einflusse der Electri- cität, Wärme und des Lichtes erleide, dass also eine elec- trolytische, thermolytische und photolytische Verbindung diejenige sei, deren einer Bestandtheil wenigstens durch das eine oder das andere der genannten Agentien allotro- pisirt werden kann, so muss ich natürlich bei einer solchen Ansicht vermuthen, dass auch die Verbindungen von Ele- mentarstoffen, welche durch die Vermittelung der Electri- cität der Wärme und des Lichtes zu Stande gebracht wer- den, auf Allotropien beruhen möchten und ich erlaube mir nun diese Vermuthung etwas einlässlicher- zu entwickeln. 1. Electrosynthese. Darunter soll jede chemische Verbindung verstanden sein, welche unter dem Einflusse der electrischen Entladung zwischen einfachen Körpern ge- schlossen wird. Vorerst sei bemerkt, dass in den meisten, wo nicht in allen Fällen von Electrosynthese der Sauerstoff der eine 9% Bestandtheil ist, welcher in die Verbindung eingeht, ein Umstand, der nach meinem Dafürhalten alle Beachtung ver- dient. Wenn die Erfahrung lehrt, dass kein einziger Ele- mentarstoff fähig ist mit gewöhnlichem Sauerstoff bei ge- wöhnlicher Temperatur eine Verbindung einzugehen und ausser Zweifel steht, dass der durch die electrische Ent- ladung ozonisirte Sauerstoff mit der Mehrzahl der ein- fachen Körper, z. B. selbst mit Silber schon in der Kälte sich vereiniget, ja unter gegebenen Umständen sogar das chemisch indifferenteste aller Elemente den Stickstoff zu Salpetersäure oxidirt, so scheint es mir so gut als gewiss zu Sein, dass die nächste Ursache der Oxidationen, welche der gewöhnliche Sauerstoff unter electrischem Einflusse -bewerkstelliget, in einer Ueberführung von O in 0 liege. In dieser Beziehung scheint mir der Cavendish’sche Versuch hinsichtlich der Salpetersäurebildung aus N und O mittelst des electrischen Funkens höchst lehrreich zu sein. Gewöhnliches Sauerstoff- und Stickgas, wie lange man sie auch bei gewöhnlicher oder höherer Temperatur, selbst in Berührung mit den kräftigsten Salzbasen zusammen sein lässt, werden sich nie chemisch verbinden, während der electrische Funken dieselben bei Anwesenheit von Wasser oder einer alkalischen Basis zu Salpetersäure vereiniget. Es wäre nun möglich, dass die electrische Entladung diese Wirkung hervorbrächte, indem sie sowohl auf N als 0 irgendwie verändernd einwirkte; es lässt sich aber, glaube ich, genügend beweisen, dass die besagte Säurebildung einzig und allein durch den allotropisirenden Einfluss be- stimmt wird, welchen der Funken auf O ausübt, d. h. da- 0 durch, dass mittelst des Funkens O in O übergeführt wird. Nach meinen Versuchen bildet sich ein Nitrat, z. B. 0 salpetersaurer Kalk, wenn ein Gemenge von O und N mit 55 einer alkalischen Lösung, z. B. mit Kalkwasser geschüttelt 0 wird, wobei O verschwindet. 0 Diese Thatsache beweist, dass O mit N ohne Mithülfe der Electricität zu NO° zusammentreten kann und da der electrische Funken O in 0 überführt, so reicht diese Ein- wirkung desselben auf O hin, um daraus die im Cavendish’- schen Versuche stattfindende Salpetersäurebildung genügend zu erklären. Ich habe zu seiner Zeit gezeigt, dass die bei der langsamen Verbrennung des Phosphors in atmosphäri- scher Luft sich bildende sogenannte phosphatische Säure nachweisbare Mengen von Salpetersäure enthalte, und da unter diesen Umständen ozonisirter Sauerstoff auftritt, so stehe ich nicht an die Bildung dieser Salpetersäure der 0 durch O bewerkstelligten Oxidation des atmosphärischen Stickstoffes zuzuschreiben. Die von Davy zuerst ermittelte Thatsache, dass sich bei der Electrolyse von Wasser, welches einigen Stickstoff gelöst enthält, Salpetersäure an der positiven Electrode bildet, ist wie ich glaube, ein wei- terer Beweis der Richtigkeit meiner Annahme, dass beim Zusammentreffen von 0, N, HO oder einer kräftigen Salz- basis NO5 entstehe. Im Cavendish’schen Versuch ist es der electrische Funken, bei der langsamen Verbrennung des Phosphors in atmosphärischer Luft der vorletztgenannte Körper und bei dem Davy’schen Versuch der volta’sche Strom, welcher O 0 in O überführt und damit mittelbar auch die Salpetersäure- bildung bewerkstelliget. Nach meinen Erfahrungen vermag der ozonisirte Sauer- stoff schon bei gewöhnlicher Temperatur mit den meisten metallischen Substanzen und so namentlich auch mit dem Arsen sich zu verbinden. 56 Lässt man auf dünne, mit Hülfe der Marsh’schen Me- thode auf Porzellan gebrachte Flecken dieses Metalles in- nerhalb der atmosphärischen Luft oder reinen Sauerstoff- gases electrische Funken schlagen, so verschwindet das Arsen ziemlich rasch unter Bildung von Arsensäure, wäh- rend, wie wohl bekannt, diese Oxidation in nicht electri- sirtem Sauerstoffgas unterbleibt. Es waltet für mich daher kein Zweifel, dass auch diese Electrosynthese zunächst da- durch bewerkstelliget wird, dass der electrische Funken 0 O in © verwandelt. Ebenso erkläre ich mir alle die übrigen oxidirenden Wir- kungen, welche der reine gewöhnliche Sauerstoff oder die atmosphärische Luft unter dem Einflusse electrischer Fun- ken hervorbringt: die Verwandlung des Bleies oder Blei- oxids in Superoxid, die Ausscheidung von Jod aus Jodme- tallen, die Ueberführung des gelben Blutlaugensalzes in das Rothe u. s. w. Was die vermittelst eines electrischen Funkens be- werkstelligte Verbindung des Sauerstoffes mit dem Wasser- stoff betrifft, so wird dieselbe von den Chemikern nur als eine mittelbare Wirkung der Electricität angesehen, d. h. als eine Thermosynthese betrachtet. Es mag dem so sein, allein möglicher Weise könnte diese Wasserbildung doch im Zusammenhang stehen mit der Ozonisation des Sauer- stoffes, unmittelbar herbeigeführt durch die electrische Ent- ladung. Jedenfalls scheint mir gewiss zu sein, dass die meisten Oxidationen, welche der gewöhnliche Sauerstoff unter elec- trischem Einfluss verursacht, von der Ozonisation dieses Körpers zunächst bedingt werden. 2. Thermosynthese. Darunter soll jede chemische Verbindung verstanden’sein, welche elementare Stoffe unter dem Einflusse der Wärme miteinander eingehen. 97 Dass die Wärme häufig chemische Verbindungen da- durch einleitet, dass jenes Agens die Cohäsion der Stoffe vermindert oder aufhebt, kann wohl nicht bezweifelt wer- den; eben so gewiss ist es aber auch, dass in einer grossen Anzahl von Fällen die Wärme noch auf eine andere Weise wirkt da nämlich, wo die schon flüssigen oder luftigen Elemente noch erhitzt werden müssen, damit sie die Fähig- keit zur chemischen Verbindung erlangen. Wasserstoff und Sauerstoff, obgleich gasförmig, vereinigen sich bei gewöhn- licher Temperatur nicht zu Wasser, eben so wenig das Quecksilber und Schwefel von 110° zu Zinnober, obwohl der Schwefel bei dieser Temperatur am dünnflüssigsten er- scheint. Die Vereinigung von Sauerstoff und Wasserstoff erfolgt erst bei der Rothgluth und diejenige des Queck- silbers mit dem Schwefel bei einem Hitzgrade, wobei der letztgenannte Körper zäh ist. Wie in den angeführten und noch vielen andern Fäl- len die chemische Verbindung durch die Wärme bestimmt wird, darüber wissen wir durchaus nichts, Gemäss der gewöhnlichen Annahme, nach welcher die Gasförmigkeit der Stoffe deren Affinität entgegen wirkt, sollte man er- warten, dass die Erhitzung die chemische Verbindung der Wasserelemente eher erschwere, als begünstige. Bei der Dunkelheit, in welche die angedeutete Wir- kungsweise der Wärme nach gehüllt ist, sei es mir ge- stattet einige Ansichten über die nächste Ursache derjeni- gen Thermosynthesen zu äussern, welche in einer directen Oxidation bestehen. | Als Ausgangspunkt dieser Erörterung wähle ich den durch seine Oxidationsverhältnisse so höchst merkwürdigen Phosphor, weil ich geneigt bin zu vermuthen, dass dessen Thermosynthese mit dem Sauerstoff das Vorbild der direc- ten mittelst Wärme bewerkstelligten Oxidation aller übri- gen Stoffe sei. 58 Dieser Körper oxidirt sich nach meinen Beobachtungen bei gewöhnlicher Temperatur in stagnirendem Sauerstoff nicht im Mindesten, fängt aber an diess zu thun bei 24° und wie diess schon anderwärts angegeben worden, beginnt eben bei dieser Temperatur die Ozonisation des Sauerstof- fes, welche immer lebhafter wird, je höher der Erwär- mungsgrad geht, wie auch damit die Schnelligkeit der Oxi- dation des Phosphors wächst. Bei 60°, und je nach Um- ständen noch merklich unter dieser Temperatur tritt die rasche Verbrennung ein. Wir können wohl kaum mehr daran zweifeln, dass die langsame Verbrennung des Phosphors in Sauerstoffgas von der Ozonisation des letztgenannten Körpers bedingt ist und diese Zustandsveränderung unter dem gedoppelten Einflusse des Phosphors selbst und der Wärme zu Stande kommt, oder, was dasselbe besagen will, dass diese Verbrennung durch ozonisirten und nicht gewöhnlichen Sauerstoff be- werkstelliget wird. ‚Wenn nun bei 60° der Phosphor rasch in gewöhnli- chem Sauerstoffgas sich oxidirt, wenn die Erfahrung lehrt, dass jener Körper in reichliche mit ozonisirtem Sauer- stoff beladenen Gasgemengen schon bei gewöhnlicher Tem- peratur sich entflammen kann und es Thatsache ist, dass der Phosphor um so rascher O in 0 überführt, je mehr sich seine Temperatur derjenigen von 60° nähert, sollte hieraus nicht sehr wahrscheinlich werden, dass die bei diesem Wärmegrad erfolgende rasche Verbrennung des Phosphors in gewöhnlichem Sauerstoffgas zunächst veran- lasst werde in Folge der raschen Ozonisation, welche die- ses Gas unter dem gedoppelten Einfluss des Phosphors und der Wärme erleidet, dass also der raschen Verbrennung dieses Körpers die Ozonisation vorausgehe, d. h. die rasche Oxidation des Phosphors eben so gut als die langsame durch _ozonisirten Sauerstoff bewerkstelliget werde? 59 Nach meinen Untersuchungen ist der amorphe Phosphor als solcher durchaus unfähig bei irgend einer Temperatur den gewöhnlichen Sauerstoff zu ozonisiren, bekanntlich zeigt jene Snbstanz aber auch nicht die Erscheinung der lang- samen Verbrennung und findet die rasche Oxidation der- selben keineswegs schon bei 60° statt, sondern tritt erst bei einer Temperatur ein, bei welcher sie in ihren gewöhn- lichen Zustand übergeht, so dass also nie der amorphe, son- dern immer der gewöhnliche Phosphor verbrennt. Dieses so auffailende Verhalten des Schrötter’schen Phosphors scheint mir in Bezug auf die vorliegende Frage von eigenthümlicher Bedeutung zu sein und ebenfalls zu Gunsten der Annahme zu sprechen, dass die nächste Ur- sache der Thermosynthese des Phosphors und Sauerstoffes in einer gemeinschaftlich von jenem Körper und der Wärme auf das gewöhnliche Sauerstoffgas hervorgebrachten ozoni- sirenden Wirkung liege. Zu den vielen chemischen Aehnlichkeiten, welche zwi- schen Phosphor und Arsen bestehen, gehört auch die, dass letzterer Körper die Erscheinung der langsamen Verbren- nung zeigt, freilich erst bei einer Temperatur, bei welcher dessen Verdampfung beginnt, nemlich bei 180—200°, wäh- rend die Jangsame Verbrennung des Phosphors schon bei einem viel niedrigern Wärmegrad eintritt. Geht nun, wie wir glauben annehmen zu dürfen, der lang- samen Verbrennung des letzt erwähnten Körpers die Ozoni- nisation des Sauerstofies voraus und wird der Phosphor nur 0 durch © oxidirt, so scheint mir die Vermuthung nicht eine allzugewagte zu sein, dass auch die langsame Verbrennung des Arsens, welche derjenigen des Phosphors bis zur Ver- wechslung ähnlich ist, durch 0 bewerkstelliget werde und somit die nächste Ursache der Thermosynthese des Arsens und Sauerstoffes ebenfalls in dem ozonisirenden Einflusse liege, den das Metall und die Wärme auf O ausübt. 60 ‘ Versteht sich von selbst, dass man sich auch die rasche Verbrennung des Arsens in gewöhnlichem Sauerstoffgas wie diejenige des Phosphors zu deuten hätte. Wie wohl bekannt, besitzt der Dampf des gewühnli- chen Aethers die Eigenschaft bei einer Temperatur von 140°, die langsame Verbrennung zw erleiden und meine Versuche haben dargethan, dass auch hierbei O in 0 über- geführt wird, wie aus den eminent oxidirenden Wirkungen erhellt, welche der in langsamer Verbrennung begriffene Aetherdampf hervorbringt. Feuchtes Jodkaliumstärkepapier wird darin augenblicklich, wie in ozonisirtem Sauerstoffgas aufs Tiefste gebläut, Schwefelblei rasch zu Sulfat oxidirt,- mit Indigolösung gefärbte Leinwand gebleicht, durch schwef- dichte Säure gebleichte Blumen wieder gefärbt, u. s. w. Und wie ich des ferneren gezeigt, finden sich noch merkliche Men- gen ozonisirten Sauerstoffes in den Erzeugnissen der lang- samen Verbrennung des Aethers vor. Ja selbst schon bei gewöhnlicher Temperatur übt der Aether einen, wenn auch schwachen, doch noch merklichen ozonisirenden Einfluss auf O aus, was von mir anderwärts mitgetheilt worden. Es ist mir daher wahrscheinlich, dass die langsame Verbrennung des Aethers gerade so wie diejenige des Phosphors zu Stande komme. Stibmethyl, Stibæthyl, Kakodyl und ähnliche Verbin- dungen entflammen sich schon bei gewöhnlicher Temperatur in gewöhnlichem Sauerstoffgas oder atmosphärischer Luft, zeigen also, um die gewöhnliche Sprache der Chemiker zu reden, einen noch viel höhern Grad von Oxidirbarkeit, als der Phosphor selbst; meine mit Herr Löwig angestellten Versuche haben aber auch dargethan, dass Stibmethyl u. s. w. O in 0 überführen, wie diess die Thatsache beweist, dass die Indigolösung mit grosser Energie zerstört wird, wenn man sie mit Stibmethyl u. s. w. und gewöhnlichem Sauer- stoffgas oder atmosphärischer Luft zusammenschüttelt. Die 61 genannten Verbindungen verhalten sich daher in dieser Be- ziehung gerade so wie der gewöhnliche Phosphor, von welchem meine Versuche gezeigt haben, dass er die Indigo- lösung beim Schütteln mit gewöhnlichem Sauerstoff oder atmosphärischer Luft rasch zerstört und diess in Folge der von ihm auf O ausgeübten ozonisirenden Einfluss thut. Stibmethyl, Stibäthyl u. s. w. unterscheiden sich vom Phosphor nur dadurch, dass die Wirksamkeit der erstern diejenige des letztern noch übertrifft. Die angeführten Thatsachen machen mich desshalb ge- neigt zu vermuthen, dass die nächste Ursache der ausser- ordentlichen Oxidirbarkeit des Stibmethyls, Kakodyls u. s. w. in dem ausgezeichneten Ozonisationsvermügen liege, wel- ches diese Materien schon bei gewöhnlicher Temperatur besitzen. Es wäre nach meinem Dafürhalten sehr interessant - das Verhalten zu ermitteln, welches die eben erwähnten Substanzen bei möglichst niedern Temperatursgraden gegen das gewöhnliche Sauerstoffgas zeigen; denn es ist nicht unwahrscheinlich, dass dieselben z. B. schon bei 60—80° unter Null die Erscheinung der langsamen Verbrennung und der damit zusammenhängenden Ozonisation des Sauer- stoffes in ähnlicher Weise verursachen, wie diess der Phos- phor erst bei 24° über Null thut. | Die Thatsache, dass bei der raschen Verbrennung des Wasserstoffes in gewühnlichem Sauerstoffgas oder atmos- phärischen Luft deutliche Spuren ozonisirten Sauerstoflgases sich nachweisen lassen, deutet, wie ich glaube, darauf hin, dass der Sauerstoff unmittelbar vor seiner Verbindung mit Wasserstoff im ozonisirten Zustande sich befindet. Lässt man z. B. Wasserstoffgas in atmosphärischer Luft so ver- brennen, dass eine mehrere Zoll lange Flamme entsteht und führt man durch die äusserste Spitze derselben einen stark mit Wasser benetzten (zum Behufe des Schutzes vor Ver- 62 brennung) Streifen Jodkaliumstärkepapiers, so wird letzteres stark blau gefärbt und ich habe früher schon nachgewie- sen, dass darin bei angemessener Versuchsweise noch an- dere dem ozonisirten Sauerstoff zukommende Oxidations- wirkungen hervorgebracht werden, wie z. B. die Umwan- delung des gelben Blutlaugensalzes in das Rothe, die Zer- störung der Indigotinetur u. s. w. 2 Wenn es aber auch nur von einer einzigen oxidirba- ren Materie mit Sicherheit sich erweisen liesse, dass sie im Verein mit der Wärme ozonisirend auf den gewöhnli- chen Sauerstoff einwirkte und dadurch ihre Oxidation ein- geleitet würde, was nach meiner Meinung vom Phosphor behauptet werden kann, so gäbe diese Thatsache der Ver- muthung Raum, dass auch noch anderen, vielleicht allen oxidirbaren Substanzen dieses Vermögen zukomme und bei jeder sogenannten directen, unter dem Einflusse der Wärme bewerkstelligten Oxidation das Gleiche geschähe, was bei derjenigen des Phosphors stattfindet. 3. Photosynthese. Darunter verstehe ich chemi- sche Verbindungen, welche durch den Einfluss des Lichtes bewirkt werden. Mir ist keine einzige directe Verbindung von Elemen- tarstoffen bekannt, die durch die Vermittelung des Lichtes zu Stande gebracht würde; denn die Photosynthese des Wasserstoffes und Chlores kann ich, bei meiner Ansicht über die Natur des letzt erwähnten Körpers, nicht für einen solchen Fall ansehen. Ob unter dem Einflusse des Lichtes die leicht oxidirbaren metallischen Stoffe sich in Sauerstofigas allmähllg oxidiren. ist meines Wissens noch nicht näher untersucht worden, Was das Arsen betrifft, so sah ich dünne, mit Hülfe der Marsh’schen Methode auf Porzellanscherben angebrachte Flecken dieses Metalles in stark beleuchtetem Sauerstoff nach und nach verschwinden, während ich nicht bemerken 63 konnte, dass unter sonst gleichen Umständen aber im Dun- keln gehaltene Flecken derselben Art eine ähnliche Ver- änderung erlitten hätten. Ich möchte jedoch aus dieser vereinzelten Thatsache noch keine bestimmte Folgerung ziehen. Anders verhalten sich viele zusammengesetzten Ma- terien oxidirbarer Natur, wie z. B. manche Schwefelver- bindungen HS, SO? S Pb, S* As, Camphenœæle, Aether, In- digoblau, Guajak u. s. w. Bekannt ist, dass Schwefelwasserstoff- und Sauerstofi- gas im Sonnenlichte rascher als in der Dunkelheit in Schwefel und Wasser sich umsetzen. Aehnlich verhalten sich Gemenge von Selen- Arsen- und Antimonwasserstoff mit Sauerstoffgas. Vor einigen Jahren habe ich gezeigt, dass mit Schwe- felblei oder Schwefelarsen gefärbtes Papier, dem Sonnen- licht und Sauerstoffgas oder atmosphärischen Luft ausgesetzt, sich ziemlich rasch bleicht, wobei das Schwefelblei zu Sul- fat, das Schwefelarsen zu arsenigter Säure und Schwefel- säure oxidirt wird. Wässrige schweflichte Säure in Berüh- rung mit gewöhnlichem Sauerstoffgas oxidirt sich im Sonnen- lichte etwas rascher zu Schwefelsäure, als sie diess in der Dunkelheit thut. Durch Indigolösung gebläutesWasser mit be- leuchtetem Sauerstoffgas geschüttelt, wird allmählig gebleicht, was auf einer Oxidation des Indigoblaues zu Isatin beruht, während unter sonst gleichen Umständen in der Dunkelheit eine solche Wirkung nicht hervorgebracht wird, wenigstens nicht in bemerklichem Grade. Frisch bereitete und stark ver- dünnte Guajaktinktur in starkem Sonnenlicht mit gewöhn- lichem Sauerstoffgas geschüttelt, bläut sich merklich, was in der Dunkelheit nicht geschieht. Meine Versuche haben ferner dargethan, dass unter dem Einflusse des Lichtes die Camphenæle, Aether u. s. w. ungleich schneller Sauerstoff aufnehmen, als diess in der Dunkelheit erfolgt, dass der aufgenommene Sauerstoff 0z0- 64 nisirt und anfänglich als solcher im Terpentinöl u. s. w. vorhanden ist, wie aus der Thatsache erhellt, dass er auf andere oxidirbaren Materien, selbst auf Silber z. B. über- getragen werden kann. Die erwähnten Oxidationswirkungen gleichen vollkom- men denen, welche der freie ozonisirte Sauerstoff auch bei vollkommenster Abwesenheit des Lichtes hervorbringt und unterscheiden sich von letztern nur durch die grössre Lang- samkeit, mit der sie bewerkstelliget werden. Diese Thatsachen beweisen, dass das Licht auf das gewöhnliche Sauerstofigas chemisch erregend, d. h. ähnlich einwirkt, wie diess die Electrieität und die Wärme thut und geben der Vermuthung Raum, dass der wirklichen Oxi- dation der vorher erwähnten Materien die Ozonisation des gewöhnlichen Sauerstoffgases vorausgehe. Diese Vermuthung scheint mir durch das so merkwür- dige Vermögen der Camphenöle und des Aethers unter dem Einflusse des Lichtes eine merklich grosse Menge Sauer- stoffes in sich anhäufen zu lassen und demselben die oxi- direnden Eigenschaften des freien ozonisirten Sauerstof- fes zu ertheilen, zur Gewissheit erhoben zu werden. In. der Dunkelheit findet nach meinen Versuchen die Aufnahme und die damit so innig zusammenhängende Ozonisation des Sauerstoffes höchst langsam statt; eine solche erfolgt jedoch, was zu beweisen scheint, dass das Terpentinöl, Aether u. s. w. wie der Phosphor auch in der Dunkelheit einen ozonisirenden Einfluss auf gewöhnliches Sauerstoffgas aus- üben; kommt zu diesem Einfluss noch derjenige des Lich- tes, so tritt besagte Wirkung ungleich schneller ein. Hier- aus dürfte wahrscheinlich werden, dass letztere das Pro- duct zweier Factoren ist, des Terpentinöles u. s. w. selbst und des Lichtes in ähnlicher Weise, in der die oxidirbaren Materien im Verein mit der Wärme den gewöhnlichen Sauer- stoff zu ozonisiren vermögen, wie wir diess weiter oben 65 bei der Besprechung der Thermosynthese des Phosphors und Sauerstofles zu zeigen gesucht haben. Dieser Ansicht gemäss würde also das Terpentinöl u. s. w. und das Licht erst eine Ozonisation des Sauerstof- fes veranlassen und erfolgten die eigentlichen Oxidations- wirkungen erst nach stattgefundener Zustandsveränderung dieses Elementes. Bei grosser Kälte und starker Beleuchtung habe ich, Terpentinöl so stark ozonisirt, dass das darin angehäufte 0 O im Stande war 2/4 Mal so viel Indigolösung zu zerstören, als diess ein gleiches Gewicht des besten käuflichen Chlor- kalkes zu thun vermochte. Liess ich ein so beschaffenes Öl abgeschlossen von der atmosphärischen Luft sechs Wochen lang bei gewöhnlicher Temperatur stehen, so hatte es schon die Hälfte seiner indigozerstörenden Kraft, d. h. seines ozoni- sirten Sauerstoffes verloren, welcher letztere ofienbar zur Bil- dung von Colophonium, Ameisensäure u. s. w. verwendet wurde. Versteht sich von selbst, dass bei erhöhter Temperatur die Bleichkraft des ozonisirten Öles viel rascher abnahm. — Die Bläuung der frischen Guajaktinktur beruht, wie ich diess anderwärts darzuthun versucht habe, auf der Verbindung des ozonisirten Sauerstoffes mit dem Harz, einer Verbin- dung, derjenigen ähnlich, welche das Jod mit der Stärke eingeht. Die Richtigkeit dieser Annahme erhellt aus der einfachen 'Thatsache, dass die frische Guajaklösung durch ozonisirten Sauerstoff gebläut, durch alle Substanzen, welche letzteren aufnehmen, wieder entfärbt werden kann. | Der Sauerstoff befindet sich somit im blauen Harze ganz in dem gleichen Zustand, worin dieser Elementarkörper im ozonisirten Terpintinöl, Aether u. s. w. existirt. Und wie où 44 das mit diesen Flüssigkeiten vergesellschaftete O nach und nach auf deren constituirenden Bestandtheile oxidirend ein- wirkt und die Zusammensetzung derselben verändert, so 5 66 auch der an das Guajak gebundene ozonisirte Sauerstoff auf das Harz, woher es kommt, dass die durch 0 gebläute Guajaktinktur von selbsten sich wieder entfärbt und durch hinreichend oft wiederholte Ozonisationen das Vermögen einbüsst, sich weiter bläuen zu lassen. Da gewöhnliches Sauerstoffgas in der Dunkelheit die Guajaktinctur nicht färbt, diese Wirkung aber im kräftigen Sonnenlichte hervorbringt, (freilich nur in einem schwachen Grade), so dürfen wir wohl schliessen, dass unter den letzt 0 erwähnten Umständen O in O übergeführt werde und dieses 0 O als solches erst eine lockere Verbindung mit dem Harze eingehe, dann aber sofort beginne eigentliche Oxidations- wirkungen auf das Guajak hervorzubringen. Ich kann nicht umhin hier noch die Thatsache in Er- innerung zubringen, dass eine grosse Zahl oxidirbarer Ma- terien unorganischer und organischer Art unter dem Ein- flusse des Lichtes in einem ziemlich ausgezeichneten Grade das Vermögen erlangen, den gewöhnlichen Sauerstoff zu einer oxidirenden Wirksamkeit zu bestimmen ähnlich der- jenigen, welche dem ozonisirten Sauerstoff zukommt. Wie schon erwähnt, vermag zwar das beleuchtete Sauerstoffgas schon für sich allein das in Schwefelsäure gelöste Indigoblau zu Isatin zu oxidiren, fügt man aber dem Sauerstoff schweflichte Säure zu, so bringt er nach meinen Versuchen ungleich rascher diese oxidirende Wirkung auf den Farbstoff hervor; woraus erhellt, dass das Licht im Verein mit SO? einen stark erregenden oder ozonisirenden Einfluss auf O ausübt und eben dieser Einfluss die nächste Ursache der erwähnten Oxidation des Indigos ist. Wie die schweflichte Säure, verhalten sich deren lösliche Salze, wie auch viele organischen Materien, z. B. Terpintinöl, Aether, Weinsäure u. S. w. pi 2 BAER 67 Die angeführten Thatsachen machen mich daher geneigt zu vermuthen, dass die nächste Ursache der unter dem Ein- flusse des Lichtes mit Hülfe des gewöhnlichen Sauerstoffes bewerkstelligten Oxidationen in einer allotropischen Modifi- cation dieses O liege. Aus der voranstehenden Arbeit erhellt überhaupt, dass ich den nächsten Grund der Electrolyse, Thermolyse, Pho- tolyse, Electrosynthese, Thermosynthese und Photosynthese in der Fähigkeit der Elementarkörper und namentlich des Sauerstoffes suche unter dem Einfluss der Electricität, der Wärme und des Lichtes allotropisirt zu werden. Ich bin jedoch weit entfernt die dargelegten Ansichten für etwas Anderes anzusehen, als für Das, was sie sind, für einen Versuch nemlich bekannte Erscheinungsgebiete unter einen neuen Gesichtspunkt zu stellen. Welchen Werth nun auch diese meine Arbeit haben mag, das Verdienst der Eigenthümlichkeit wenigstens dürfte ihr nicht abzusprechen sein; und eine neue Betrachtungs- weise bekannter Thatsachen nützt der Wissenschaft häufig mehr, als sie ihr schadet, weil sie zu weiteren Forschun- gen dessen anzuregen pflegt, was man genau zu kennen glaubt. Hat der in diesem Aufsatz entwickelte Hauptgedanke nur einigen Grund, d. h. beruhen gewisse chemische Ver- bindungen und Trennungen zunächst auf allotropischen Mo- dificationen der dabei betheiligten Elementarstoffe, so ist er, denke ich, des Aussprechens werth gewesen und sieht man leicht ein, dass manche jetzt herrschenden Vorstellun- gen über chemische Affinität u. s. w. dadurch eine wesent- liche Veränderung erleiden müssten. | 5 * 68 METEOROLOGIE. Herr Rathsherr Perer Merıan: Meteorologische Ue- bersicht des Jahres 1852. Vorgelegt den 13. April 1853. Die Mitteltemperaturen der einzelnen Monate, aus dem Mittel der täglichen höchsten und niedrigsten Thermometer- stände abgeleitet, sind nachstehende: Jan. + 2% 3 KR. Febr. + 2,4 März + 2,8 April + 6,7 Mai +11,% Juni +13,5 Juli +16,7 Aug. + 14,6 Sept. + 12,1 DENISE UD Nov. + 7,0 Dec, +18,8 1 Jahresmittel + 8°, Vor allem fällt das hohe Jahresmittel auf, welches die durchschnittliche Mittelzahl von 7°, 6 R um 0°, 8 übersteigt, und im Laufe der letzten 2% Jahre nur im J. 1834, welches die Mitteltemperatur von 9°, 2 aufgewiesen hat, überstiegen worden ist. Es rührt dieses hohe Jakresmittel indess haupt- sächlich von der Wärme der Wintermonate her. So war namentlich der Monat Januar ein sehr warmer Monat 3°, 3 wärmer als das allgemeine Mittel, im gedachten Zeitraum nur vom Januar 1834, der 5°, 1 gezeigt hat, übertroffen. ES 69 Auch der Februar übersteigt noch das allgemeine Mittel um 1°, 2. Der März hingegen blieb um eben so viel zurück, indem der Winter sich in die Länge gezogen hat. April, Mai und Juni stehen unter den allgemeinen Mitteln dieser Monate. Hingegen war der Juli ein verhältnissmässig war- mer Monat, um 1°, 6 die allgemeine Mitteltemperatur über- steigend. In den letzten 24 Jahren übertreffen ihn bloss der Juli v. 183% und 1835. August und September kommen dem allgemeinen Mittel sehr nahe; dennoch fiel die Wein- lese, wegen des regnerischen Wetters sehr mässig aus. Der October blieb noch etwas gegen das allgemeine Mittel zurück. Hingegen zeichnete sich der November durch die sehr hohe Mitteltemperatur von 7°, 0 aus, welche um 3°, 6 die durchschnittliche Mittelzahl übersteigt, und in den letz- ten 2% Jahren niemals erreicht worden ist. Der wärmste November in diesem Zeitraum war derjenige von 1840 mit 5°% 3. Auch der December, mit 3°, 8 Mitteltemperatur, 39, 1 höher als die durchschnittliche, wird im gedachten Zeit- raum nur vom December 1833, mit 5°, 3 übertroffen. Den höchsten Stand zeigte der Thermometer den 17. Juli mit 26°, 8. Der niedrigste Stand mit bloss — 6°, 5 trat am 1. Januar ein. Der mittlere Barometerstand des Jahrs, auf 0°, Rund den Standpunkt von 67 Par. Fuss über dem Nullpunkt des Rhein- messers reduzirt, betrug um 1 Uhr Nachmittags 27’ 3°, 31 Par. Mass. Der höchste Stand wurde beobachtet den 6. März um 9 Uhr Nachmittags mit 27 10°, 75, der nied- rigste am 22. Nov. um 9 U. 20° Nachmittags mit 26° 6°, 63. Das Jahresmittel des Barometers um 9 Uhr Vormittags betrug 0°, 41 und dasjenige um 9 Uhr Nachmittags 0‘ 3% mehr, als dasjenige von 3 Uhr. Wir zählen im Jahr 1852: Regentage 130, Schneetage 13; zählt man von der Summe 3 Tage ab, an welchen Regen 70 und Schnee zugleich gefallen sind, so ergeben sich atmos- phärische Niederschläge an 140 Tagen. Riesel fiel an 3 Ta- gen, Hagel an 2, Gewittertage waren 21, und fast ganz be- deckte Tage 116. Den 11. November Abends wurde ein schönes Nordlicht wahrgenommen, welches auch an andern Orten, z. B. in Lausanne beobachtet worden ist. Der mittlere Stand des Rheins, am Pegel der Rhein- brücke gemessen betrug 6’, 78 Schweizerfuss. Bekanntlich erreichte der Rhein am 18. September die noch niemals beobachtete Wasserhöhe von 22’, 1, welche den höchsten bis jetzt bezeichneten Stand vom 31. Dec. 1801 noch um 0, 3 übertroffen hat. Der niedrigste Rheinstand im Jahr wurde beobachtet am 3. Januar mit 2’, 4. Der Unterschied des höchsten und niedrigsten Wasserstandes im Laufe des Jahrs betrug folglich 19° 7. Herr Rathsherr Prrer Merıan: Ueber den tiefen Ba- rometerstand im Februar 1853, (vorgelegt den 23. Febr. 1853.) Auf 0° R und dem Standpunkt von 67 Par. Fuss über dem Nullpunkt des Rheinmessers reducirt, wurden in Basel folgende Barometerstände beobachtet. Februar. Barometerstand. Entsprechende Lufttemperatur. Ga LUN... 11.27% 0/83 + 2%, 5 R. er, 26 11 , 02 +43 8 Lyyn " 7 ‚69 re DA dl pa u %, 92 + 3:58 n 3m 1 5 , 00 Fr DOS ADN, +, : A 0% —0,4 48.7, M v 4 ,48 — 0,4 nr Bu (2 4 ‚12 — 0,5 „ 1U.N. 7 5 , 36 | piuge ‚Oft dadnors -f 61 +3,0 „8,50 N „ 6 , 52 0,0 71 Februar. Barometerstand. Entsprechende Lufttemperatur. bas Na +3,0R. eh, à PAP EE +1,7 Mis 5 are dr AE +1,1 Nee VRR sisi 80 ERA M is ré 70 0" Der tiefste Barometerstand ist demnach den 10ten um 7 Uhr Morgens mit 27“ 4, 48 beobachtet worden; offen- bar muss er aber vorher in der Nacht noch tiefer gewesen sein. Es ist dieser Stand an sich ein tiefer, obschon wir schon mehrmals einen tiefern gesehen haben; am 23. Dec. 1846 fiel der Barometer sogar bis 26‘ 2‘, 89. Aussergewöhn- lich war aber der sehr allmählige Gang der Abnahme, und, nach erreichtem Minimum, die Zunahme des Luftdrucks, ohne dass während der ganzen Veränderung eine stärkere Luftbewegung eingetreten ist. Der Himmel war meist be- deckt, die Windfahne zeigte verschiedene Windesrichtungen an, am meisten aus Ost. Es fiel hin und wieder schwacher bald wieder verschwindender Schnee. Erst am 15ten be- deckte sich die Erde für längere Zeit, und zwar für das erste Mal im Laufe dieses Winters, mit einer bleibenden Schneedecke. GEOGNOSIE. Herr Rathsherr Peter Merian: Ueber die Flötzfor- mationen der Umgegend von Mendrisio. (Vorgelegt den 13. April 1853.) Die Ufer des Luganer Sees haben durch die denkwür- digen Forschungen Leopolds von Buchs über das Auf- treten der rothen und schwarzen Porphyer und die Dolo- mitisirung der aufliegenden Kalklager eine grosse geolo- gische Berühmtheit erlangt. Mit dem Studium der daselbst 72 auftretenden Flötzbildungen hat sich Hr. Prof. Carl Brunner Sohn befasst, und die Ergebnisse seiner Forschungen in einer klaren Uebersicht in dem 11ten Bande der schwei- zerischen Denkschriften zusammengestellt. Im verwichenen Sommer habe ich die Gegend im Süden des Luganer Sees, wo die Flötzbildungen sich vornehmlich ausbreiten, unter der sachkundigen Führung des Herrn Staatsraths Laviz- zari genauer untersucht. Es hatte derselbe die Gefällig- keit, die von ihm in jener Gegend gesammelten Fossilien zur genauern Bestimmung mir anzuvertrauen. Die Resultate, wozu ich gelangt bin, welche übrigens die von Hrn. Brun- ner erhaltenen grossentheils bestätigen und vervollständi- gen, will ich versuchen in der nachstehenden Uebersicht zusammenzustellen, in der Hofinung, dass sie einen kleinen Beitrag liefern zur nähern Kenntniss des Baues des italiä- nischen Abhangs der Alpen. Die unterste Abtheilung des Flötzgebirges am Luganer See bildet ein rother, oft in ein Konglomerat übergehender Sandstein. Es bedeckt derselbe unmittelbar den Glimmer- schiefer, oder die rothen und schwarzen Porphyre, mit welchen er in naher genetischer Verbindung steht. Aehn- liche Bildungen, die dem Alter nach, offenbar mit diesen Sandsteinen und Konglomerarten zusammengehören, treten in verschiedenen Gegenden der Alpenkette auf. Man hat sie häufig mit unserm bunten Sandstein parallelisirt, der auch im südlichen Deutschland das krystallische Gebirge von dem aufliegenden Flötzgebirge zu trennen pflegt. Sie scheinen offenbar nicht jüngern Alters als der bunte Sandstein, möglich aber wäre es, dass sie nebst demselben noch ältere Formationen umfassten. Die rothen Sandsteine von Lugano verbreiten sich gegen Osten an dem obern Theil des Comersees. Hr. Escher und ich haben in deren ober- sten Lagern gegen das Val Sassina zu (nördlich von Esino und auch am nördlichen Abhang der Dolomitkette des $. en ae 73 Defendente) Pflanzenabdrücke gefunden. Die Exemplare sind zwar nicht sehr ausgezeichnet, doch erkannte darunter Hr. Prof. Heer Voltzia heterophylla, Brogn. und Aethophyl- lum speciosum, Schimp. was unzweifelhaft auf bunten Sandstein hindeutet. (S. Escher geol. Bemerkungen über Vorarlberg u. s. w. in der Schweiz. Denkschr. B. 13. S. 130.) Auf dem rothen Sandstein liegt der Dolomit des Monte S. Salvadore auf der Halbinsel von Lugano, und des Monte S. Giorgio, in der südlichen Einbuchtung des Luganer Sees. Von Buch hat bereits darauf hingewiesen, dass bei der Do- lomitisirung des Gesteins die Versteinerungen fast durch- gängig verschwunden sind. indess werden doch- zuweilen, obgleich sehr selten, welche angetroffen. Herr Brunner erwähnt einen von Hrn. Lavizzari ihm mitgetheilten Stein- kern von einer kleinen Avicula, Avicula salvata, Brunn. aus der Familie der Avicula socialis des Muschelkalks, was die Vermuthung begründet den Bolomit, der das Fossil um- schliesst, zur Formation des Muschelkalks zu zählen. Der Schluss erheischt indess nähere Bestätigung, da diese Avicula einer neuen, im deutschen Muschelkalk noch nicht aufgefundenen, italiänischen Art angehört. Diese Bestäti- gung ist durch einen neuen Fund des Hrn. Lavizzari erfolgt. In den am Fusse des M. S. Georgio, in dem kleinen Thale * Battuta oberhalb Riva S. Vitale angehäuften Dolomit-Bruch- “stücken fand derselbe wohlerhaltene Steinkerne von Chem- nitiza scalata (Strombus scalatus, Schloth) und von Myo- phoria vulgaris, Bronn, beides bekannte characteristische Fossilien des Muschelkalks, so dass über die Zugehörigkeit jener Dolomite zur Muschelkalkformation kein Zweifel mehr obwalten kann. Der Muschelkalk der Umgebung des Luganer Sees setzt gegen Osten an den Comer See fort. Hr. Brunner führt an, dass Hr. Balsamo die Avicula salvata auch in den Dolo- miten von Nobiallo, an dem westliehen Ufer dieses Sees, 74 gefunden habe. In einer mergeligen Schicht zwischen dem Dorfe Esino superiore und dem Bergrücken des S. Defen- dente haben Escher und ich zahlreiche Exemplare der Avi- cula bipartita M. aufgefunden, eine characterische italiäni- sche Form, welche in den Bergamasker Alpen im Begleit anerkannter Muschelkalkfossilien in Menge vorkömmt. (8. Bericht X. S. 148.) Es ist mir nicht gelungen, eine deutliche Nachweisung von dem Auftreten der Keuperformation in der Umge- gend von Mendrisio aufzufinden. Die Gypslager von Me- ride bei Tremona dürften vielleicht dieser Formation unter- zuordnen sein; wenigstens würde die Lagerung, soweit sie sich erkennen lässt, der Annahme nicht widersprechen. Ferner könnten die bituminösen Schiefer von Meride und andern Localitäten die Hr: Lavizzari in seiner Istruzione popolare sulle principali Rocce del C. Ticino S. 92 erwähnt, hieher gehören. Es ist möglich, dass der grösste Theil der in dieser Gegend dem Keuper angehörigen Schichten in Dolomiten besteht, die von den Dolomiten des Muschelkalks schwer zu unterscheiden sind. Die Formation von S. Cassian, welche in den Um- gebungen des Comer Sees, und selbst bei Porlezza, am öst- lichen Ende des Luganer Sees, so ausgezeichnet auftritt (S. Bericht X. S. 156) ist bis jetzt bei Mendrisio nicht be- kannt. Es ist indess sehr wahrscheinlich, dass bei genauerer Durchforschung der Gegend sie ebenfalls wird angetroffen werden. Die verschiedenen Abtheilungen des Lias sind hingegen ungemein entwickelt, und zeigen zum Theil, innerhalb mäs- siger Entfernungen, sehr bedeutende Abweichungen hin- sichtlich ihrer mineralogischen Beschaffenheit. Vor Allem gehört dieser Formation der bituminöse schwärzliche Kalkstein an, der die hauptsächlichsten Ge- birgsmassen der Umgebungen von Mendrisio bildet. Es setzt 75 dieser Kalkstein, in freilich zum Theil gestörter Schichten- lage, die Hauptmasse des Monie generoso vom Fusse bis zum Gipfel zusammen. Es erhebt sich dieser Berg nach Lavizzari 4492 Par. Fuss über den See, oder 5355’ über dem Meeresspiegel. (Giornale della soc. Ticinesi d’Utilita publ. Jan. 1845.) Der Kalkstein enthält oft in sehr grosser Menge, Knauer und Trümmer eines schwärzlichen Horn- steins. An einigen Stellen, namentlich auf der Höhe des Berges, wechseln Kalk und Hornstein in dünnen Lagern, wie die Blätter eines Buchs. Gewöhnlich ist in diesem dunkeln Kalkstein keine Spur von Versteinerungen zu bemerken. In der Nähe der ober- sten Alp (Alpe Generoso) und auf dem Gipfel des Berges zeigen sich jedoch auf der Oberfläche des daselbst dünn geschichteten Kalksteins in ziemlicher Menge verkieselte Brachiopoden ausgewittert, zum Theil in sehr vollkommenen Exemplaren. Es sind Spirifer rostratus, v. Buch. Spirifer tumidus, v. Buch. Spirifer Walcotii, Sow. Terebratula tetraedra, Sow. Es weisen diese Fossilien auf die untere Abtheilung des Lias hin, ungeachtet die dünnschiefrigen Bänke, in wel- chen sie vorkommen, die obersten Parthien der dunkeln kie- selreichen Kalksteine bilden. Die ganze in dickere Bänke getrennte mächtige Masse des tiefer liegenden dunkeln Kalksteins, in welcher noch keine organische Ueberreste an- ‚getroffen worden sind, muss folglich auch noch dem unter- sten Lias beigezählt werden. An einer andern Localität der Gebirgsmasse des Monte Generoso, die Hr. Brunner erwähnt, die ich aber nicht be- sucht habe, am westlichen Fusse oberhalb Rovio, kommen nebst jenen Brachiopoden noch Stielglieder von Penta- criniten vor. / 76 Der Gebirgsstock zwischen dem Luganer See und dem Comer See besteht ebenfalls zum grössten Theil aus mäch- tigen Massen schwärzlichen Kalksteins, aus dem aber die am M. Generoso so häufigen Kieseleinschlüsse fast ganz verschwunden sind. Mächtige weit sichtbare Kalkfluhen, die aus diesem Kalksteine zusammengesetzt sind, ziehen sich an den Gebirgen die beiderseits den untern Comer See einfassen, hin. Sie gehören offenbar auch der untersten Abtheilung des Lias an. An ihrem Fusse geht an verschie- denen Stellen die St. Cassianformation zu Tage aus. Unter einer eigenthümlichen Gestalt erscheint der Lias in den grossen Steinbrüchen von Arzo bei Mendrisio. Es ist ein rother mit weisslichen Parthien durchzogener Mar- mor, der eine schöne Politur annimmt und unter dem Na- men Brocatello d’Arzo zu mannigfaltigem Gebrauch verar- beitet wird. Die Schichtung ist in dem vielfach von Dolomitparthien durchsetzten Gestein grösstentheils ver- schwunden. Offenbar hat der ursprünglich schwärzliche Kalkstein eine Metamorphisirung erlitten. Versteinerungen, namentlich Brachiopoden, werden häufig angetroffen. Es sind folgende Arten, Terebratula vicinalis, Schloth. das häufigste Fossil. Terebratula tetraedra, Sow. Spirifer rostratus, v. Buch. Spirifer tumidus, v. Buch. Pecten textorius, Schloth. Pecten Hehlii, d’Orb. Lima antiquata, Sow. Lima mit feinen Streifen. Pentacrinus. Millericrinus. $ Ammonites, selten. Diese Versteinerungen weisen ebenfalls auf die untere Abtheilung des Lias hin. 77 Westlich von Arzo, bereits auf lombardischem Gebiete, sind grosse Steinbrüche bei Saltrio eröfinet. Der Kalkstein in schöne etwa 40° nach S.S.W. einfallende Bänke abge- theilt, ist von grauer, sogar schwärzlicher Farbe, in ein- zelnen Parthien gelb und röthlich. Er ist überdeckt von Schichten, die in eine gelbliche in Gruss zerfallende Rauh- wacke übergehen. Der grösste Theil der Bänke enthält keine Versteinerungen, einzelne Parthien eines hellgel- ben Kalksteins von muscheligem Bruche sind aber ganz da- von erfüllt. Die Substanz einiger dickschaliger Conchylien, z. B. der Pleurotemarien und Cardinien ist in Kalkspath- masse übergegangen und mit einer grünlichen talkartigen Rinde bekleidet. Unter den von Hrn. Lavizzari von dieser Localität mir mitgetheilten, zum Theil sehr gut erhaltenen Petrefacten konnte ich nachstehende Arten unterscheiden: Nautilus intermedius, Sow (N. aratus, Schloth.) Ammonites stellaris, Sow. Amm. Bucklandi, Sow. Pleurotomaria anglica, d’Orb. Pleurotomaria, ohne Knoten mit feiner Reifung. Pleurotomaria. Steinkern einer etwas flachern Art. Turbo. Cardinia. Mytilus od. Gervillia. Avicula inaequivalvis, Sow. Lima antiquata, Sow. Lima mit feinen Streifen. Pecten Hehlii, d’Orb. Pecten textorius, Schloth. Pecten andere gerippte Art. Ostrea od. grosse Art von Plicatula. Terebratula vicinalis, Schloth. Terebratula tetraedra, Sow. Terebratula variabilis, Schloth. 78 Spirifer rostratus, v. Buch. Spirifer tumidus, v. Buch. Alle diese Versteinerungen sind für die unterste Ab- theilung des Lias bezeichnend. Unter den Exemplaren des Hrn. Lavizzari waren jedoch ausserdem noch einige wenige, die auf höhere Bänke hinweisen. Dazu gehört: Ammonites radians, Schloth. in einem gelben schiefrigen Kalkstein von einem abweichenden Aussehen von der Ver- steinerungsmasse der übrigen Petrefacten. Es ist demnach wahrscheinlich, dass die nähere Untersuchung der ÿenauen Lagerung dieser Kalksteinabänderung an Ort und Stelle, auf das Vorkommen noch einer höhern Abtheilung der Lias- formation bei Saltrio führen wird, welche die untere Ab- theilung, aus welcher die Mehrzahl der Versteinerungen herrührt, überdeckt. Unter den mit dem Fundort Saltrio bezeichneten Ver- steinerungen fand sich noch eine ziemlich grosse Schaale eines Aptychus vor, aus der Abtheilung der Lamellosi, ein für die untern Abtheilungen des Lias fremdartiges Petrefact. Die Versteinerungsmasse ist ein röthlicher Kalkstein von : muschligem Bruche, von abweichendem Aussehen von dem die übrigen Petrefacten einschliessenden Gesteine. Es sind mir daher Zweifel aufgestossen über die Richtigkeit des angegebenen Fundorts; jedenfalls verdient die Erforschung des genauern Vorkommens dieser Kalksteinabänderung noch nähere Untersuchung. Westlich von Saltrio liegen die Steinbrüche von Vigiu. Sie sind eröffnet auf einem graulich gelben feinkörnigen oolitischem Kalkstein, von sehr gleichförmiger Beschaffen- heit, aus welchem allerlei feine Bildhauerarbeiten gefertigt werden. Er ist in deutliche südlich einfallende Schichten abgetheilt, und scheint bedeckt von einem in der Nähe an- stehenden, ebenfalls südlich einfallenden grauen Dolomit. Indess ist die Schichtenstellung dieses Dolomits innerhalb 79 kurzer Erstreckung beträchtlichen Störungen unterworfen. Es sind bis jetzt noch keinerlei Versteinerungen angetroffen worden, die Aufschluss geben könnten, ob auch dieser ei- genthümliche Kalkstein ebenfalls dem Lias angehört. Bei den Cantine von Tremona, nordöstlich von Arzo finden sich aufgelagert auf Dolomit, und umgewandelt in Kieselmasse, ausgewitterte Petrefacten in ansehnlicher Menge. Die von mir aufgefundenen sind folgende: Ammonites aus der Abtheilung der Arietes, Bruchstück. Terebratula numismalis, Schl. Besitzt den Schnabel der gewöhnlichen Art, die Schale ist aber länglich. Terebratula, gefaltet. Spirifer tumidus, v. Buch. Sp. Walcotii, Sow. Pentacrinus, Stielstücke, das häufigste Petrefact dieser Localität. Stielstücke einer andern Crinoidee viell. v. Millericrinus ? Cidaris. Dünne mit kleinen Dornen versehene Stacheln. Kleine birnförmige Spongiten, häufig. Es dürfte diese Schicht ihren Petrefacten zufolge einer etwas höhern Abtheilung des Lias angehören, als die vor- hin erwähnten. Westlich vom Dorfe Arzo, auf der Seite gegen Saltrio, offenbar aufliegend auf dem Marmor der grossen Stein- brüche, steht in schwach südlich einfallenden Bänken ein deutlich geschichteter graulicher, zuweilen von röthlichen Parthien durchzogener Kalkstein an, in welchem ebenfalls Steinbrüche eröflnet sind. Es kommen darin nicht selten Ammoniten vor, unter welchen zu unterscheiden waren: Ammonites planicosta, Sow. A. Valdani, d’Orb. A. Loscombi, d’Orb. mit noch anderen undeutlichen Ammoniten. 80 Diese Versteinerungen gehören der mittlern Abtheilung des Lias an, was mit der ‘angegebenen Lagerung nicht im Widerspruche ist. Dieser mittlere Lias hat freilich nur eine geringe Mächtigkeit im Vergleich zu derjenigen, die der untere schwarze Kalk an vielen Punkten zeigt. Der schwarze Kalk wird an vielen Stellen bedeckt von einem rothen mergeligen Kalkstein, der zuweilen reich an Versteinerungen, namentlich an Ammoniten ist. Er ent- hält nicht selten Knauer eines rothen Hornsteins. Ich be- obachtete diesen rothen Kalk auf der Gebirgsmasse des M. Generoso an der Alpe di Salorino, und bei der Alpe Baldovana; dann am Südrande dieser Gebirgsmasse bei Lo- vergniagno und Castello, und namentlich im schönen Durch- schnitte des Thales der Breggia. Sodann im Westen von Mendrisio auf dem Wege von Arzo nach Clivio und in dem Bette des Baches bei der Brücke von Clivio. Die Aufla- gerung auf dem schwarzen Kalk liegt gemeiniglich klar am Tage, denn die ganze Schicht besizt keine bedeutende Mächtigkeit. Es ist dieser rothe Kalk übereinstimmend mit dem’ bekannten Lager von Erba in der Brianza. Die Ver- steinerungen, die ich in der nachstehenden Liste aufzähle, sind, wo nicht ein besonderer Fundort angegeben ist, bei der Alpe Baldovana am Monte Generoso gesammelt. Belemnites v. Lovergniano, kommen nur selten vor. Nautilus toarcensis ? d’Orb. Prodr. (N. Latidorsatus. d’Orb. Terr. jur.) Ammonites thouarcensis. d’Orb. A. comensis, v. Buch. A. pedemontanus, M. Dem comensis genähert, aber mit schief abfallendem, kerbenlosen innern Theile der Windungen (wahrsch. die Art welche d'Orb. als A. bifrons aufführt). Die Loben aller dieser drei Arten sind übereinstimmend. Es mögen alle drei blosse Variatäten ein und derselben Art sein. 81 A. Levesquei, d’Orb. A.n. sp. dem vorigen verwandt. Viereckige Windungen mit dem Kiel der Arieten, mit Einschnürungen und einzelnen Knoten auf einigen der Rippen. A. Raquinianus, d’Orb. A. mucronatus? d’Orb. Nicht die sämmtlichen Rippen, sondern immer nur abwechselnd eine ist mit einer Erhabenheit versehen. A. mit Davoei Sow. verwandt; offenbar aber eine ver- schiedene Art. A. communis, Sow. . sternalis, v. Buch. . insignis? Schübl. . discoides, Ziet. . heterophyllus, d’Orb. . Calypso, d’Orb. . Mimatensis, d’Orb. u. verschiedene Arten unbestimmter Ammoniten. Aptychus v. Clivio, ob ganz die gleiche Schicht? Turbo. Unbestimmte Bivalve. Terebratula? n. sp. s, grosse breite Art v. Castello. Pentacrinus. Fucoiden, häufig Die Uebersicht lässt wohl kaum einen Zweifel, dass die Schicht, welche diese Versteinerungen enthält, zum ober- sten Lias, dem Terrain toarcien von d’Orbigny gezählt wer- den muss. Es ist das bekanntlich auch die Ansicht des Hrn. d’Orbigny selbst hinsichtlich der mit unserer Schicht ganz übereinstimmenden Lager von Erba, die auch in den Umgebungen des untern Comer Sees anzutreffen sind.*) Leopold v. Buch war hingegen der Ansicht, sie mit dem Oxford Kalke zu parallelisiren, namentlich mit den Lagern PP>>>>b *) Seither ist auch Hr. Renevier zu derselben Ansicht gelangt S. Bull de la soc. vaudoise des sc. nat. T. III. S, 211. 6 8 von Chatel St. Denis im Kanton Freiburg. Er wurde dazu verleitet, durch den Ammonites Calypso, den er mit dem bei Chatel St. Denis häufig vorkommenden Ammonites Ta- tricus, Pusch identificirte. Ammoniten aus der Familie der heterophyllen, sehr ähnlich dem A. Calypso, d’Orb. und Ta- tricus reichen aber durch die ganze untere und mittlere Liasformation hindurch, und sind daher kaum geeignet, eine bestimmte Abtheilung des Jura zu bezeichnen. Die übrigen Ammoniten, und die andern Petrefacten, die mit dem A. Tatricus bei Chatel St. Denis vorkommen, sind durchaus verschieden von denjenigen unserer rothen Kalke von Men- drisio, Allerdings besitzen diese letztern in ihrer Gesammt- heit einen eigenthümlichen italiänischen Typus; das häufige Vorkommen von Arten mit doppelter Rinne neben dem Sipho, die bei Chatel St. Denis durchaus fehlen, weist aber auf Lias hin. Es sind allerdings Verwirrungen daraus entstanden, dass man jede rothe Ammoniten führende Kalksteinschicht unter dem Namen Calcareo ammonitifero rosso in frühern Jahren als durchgängig derselben Etage des Jura angehörig anzu- sehen geneigt war, Man ist aber schon längst von diesem Irrthum zurückgekommen, und kennt jetzt in den östllichen und südlichen Alpen rothe Kalksteine, die sehr verschie- denen Abtheilungen angehören. Unserer dem Terrain toar- cien oder dem obersten Lias einzuordnende rothe merge- lige Kalkstein von Mendrisio und von Erba scheint aber in den italiänischen Gebirgen eine sehr verbreitete Schicht. Wir besitzen in unserer Sammlung den A. pedemontanus, M. aus der Umgebung von Vercelli in Piemont, und die Ammoniten aus dem rothen Kalkstein der Apenninen von Cantiano in der Delegation von Urbino im Kirchenstaate, die in der 1719 von Lancisius herausgegebenen Metallotheca vaticana v. Mercati S. 310 ganz gut abgebildet sind, stim- men offenbar mit den Arten v. Erba und Mendrisio überein. I 83 Auf dem mergeligen Ammonitenführenden rothen Kalk, liegt ein weisser, mit grauen Hornsteinnieren erfüllter Kalk- stein, von muschligem Bruch, der sogenannte Marmo Ma- jolica. Er ist in der Regel bedeutend mächtiger als der rothe Kalk, scheint indess enge mit letzterm verbunden. Bis jetzt sind keinerlei Versteinerungen in ihm gefunden worden, die Ansicht des Hrn. Brunner, der ihn dem Neo- comien unterordnet, beruht daher vorerst noch auf einer blossen Vermuthung. Unterhalb der Alpe Baldovana sind die horinzontalen Schichten des rothen Kalks von ebenfalls horizontalen Schichten eines schwärzlichen, mit schwarzen Hornsteinieren erfüllten Kalks, ganz ähnlich dem gewöhn- lichen schwarzen Kalk des Monte Generoso überlagert. Man muss annehmen, entweder dass daselbst die Majo- lica ausnahmsweise eine schwarze Farbe besitzt, oder was wahrscheinlicher ist, dass trotz der horizontalen Lagerung an dieser Stelle eine Ueberstürzung der ursprünglich tie- fern schwarzen Lager über die rothen stattfindet. Die Majolica wird unmittelbar bedeckt von Fucoiden führenden Flyschmergeln, die eine grosse Mächtigkeit ge- winnen. Man beobachtet diese Auflagerungsverhältnisse besonders deutlich in dem tief eingerissenen Thale der Breggia zwischen Castello und Balerna. Die unter einem sehr steilen Winkel südlich einfallenden, fast senkrecht stehenden Schichten des schwarzen Kalkes, werden von rothem Kalk und dieser von der Majolica bedeckt. Auf die Majolica folgen mit gleichmässiger Lagerung Bänke von rothen, grauen und grünen, viele Fucoiden einschlies- sende Flyschmergel. Auch bituminöse Lager kommen in den letztern vor. Mehr gegen Süden nehmen diese Mergel eine mannigfaltig gewundene Schichtenstellung an. Sie werden bei der Brücke von Balerna bedeckt von einem feinkörnigen Sandsteine, der derselben Formation angehört. In Mendrisio selbst, im Bette des Baches bemerkt man 6* 84 denselben Sandstein, unter einem sehr steilen Winkel nach N. einfallend, unmittelbar an den schwarzen Kalk des Ge- birgsstockes des Monte Generoso sich anlegend. Noch mehr gegen Süden bei Chiasso, und an den Hügeln, die von da gegen W. fortsetzend das Thal von Mendrisio im Süden begrenzen, erscheint ein Conglomerat, welches auf dem erwähnten Sandstein aufliegt, und ebenfalls noch der Flyschformation angehören dürfte. Die mächtigen Kalksteinmassen, welche in den Um- gebungen des Luganer- und des Comersees auf den Dolo- miten der Trias und auf der St. Cassianformation aufliegen, gehören demnach fast gänzlich dem Lias, und zwar zum grössten Theil dessen untersten Abtheilungen an. Die höhern Abtheilungen der Juraformation und die Kreide- formation fehlt in diesen Gegenden der Alpenkette gänz- lich, wenn nicht in der Folge die Majolica als ein schwacher Vertreter irgend einer zu dieser Reihe von Bildungen zu- gehörigen Unterabtheilung sich ergibt. Herrn Rathsherr Prrer Merıan. Muschelkalk-Ver- steinerungen im Dolomite des Monte S, Salva- dore bei Lugano. (Vorgel. d, 3. Mai 1854.) Hr. Abbate Joseph Stabile in Lugano hat mir zur Bestimmung eine Anzahl von Fossilien übersandt, die er neuerlich in dem berühmten Dolomite des Monte S. Sal- vadore bei der St. Martins Kapelle, zwischen Lugano und Melide gefunden hat. Obgleich die Exemplare zum grössten Theil ziemlich unvollständig sind, so besitzen sie doch den Vorzug, dass an vielen die Schale noch erhalten ist. Sie widerlegen aufs Gründlichste die Meinung, dass bei der Dolomitisirung des Gesteins die enthaltenen Ueberreste or- ganisirter Wesen durchaus verschwunden sind, und geben für die Bestimmung des geologischen Alters der Gebirgs- masse, welche sie umschliesst, einen wichtigen Anhalts- 85 punkt. Die Arten, deren Bestimmung mir gelungen ist, sind nachstehende. Terebratula vulgaris, Schloth. Häufig. Viele Exemplare zeigen auf der Schale die braun gefärbten radialen Streifen, die man z. B. an den Exemplaren von Luneville so schön wahrnimmt. Terebratula angusta, Schloth. In einem einzigen, aber ziemlich guten Exemplare vorhanden, welches gut übereinstimmt mit dieser bis jetzt nur im Muschelkalk von Tarnowitz bekannten Form. Spirifer fragilis, Schloth. Nur in unvollständigen Exemplaren, die aber bestimmt dieser Art anzugehören scheinen. Ostrea difformis, Goldf. Bruchstück einer grossen, mit Goldf. tab. 72, fig. 1. a gut übereinstimmenden Schale. Ostrea spondyloides, Schloth. Ziemlich unvollkommene Bruchstücke, Pecten inaequistriatus, Münst. Monotis Al- bertii, Goldf. Scheint sehr häufig zu sein. Pecten laevigatus, Schloth. P. vestitus, Goldf. Vollständige kleinere Schalen und Bruchstücke von grössern. Lima striata? Schloth. Zu unvollständige Bruchstücke, um der Bestimmung sicher zu sein. Lima Stabilei. n. sp. Bruchstücke einer Lima, die grösser zu werden scheint, als striata. Rippen stärker. Die Lunula ist glatt, und senkt sich fast unter einem rechten Winkel unter den übrigen Theil der Schale ein. 86 N Lima. Sehr gutes Exemplar, welches ich unbedenklich zu L. longissima, Voltz. Chamites striatus Schloth. tab. 34. fig. 3 zählen würde, wenn nicht die feinen Rippen sich mehrfach gabelten, was die Schlotheim’sche Figur nicht zeigt. Da jedoch Schlotheim die Art mit einer offen- bar jurassischen zusammengeworfen hat, und es zweifel- haft ist, woher das Original zu seiner Abbildung stammt, so wage ich es nicht einen neuen Namen zu geben. Ein Exemplar von der L. longissima aus dem deutschen oder französischen Muschelkalk, wo sie nur selten vorkömmt, liegt mir zur Vergleichung nicht vor. Posidonomya n. sp. mit der sog. Halo bia verwandt. Unter den beschriebenen Muschelkalkconchylien ist mir keine ähnliche Form bekannt. Gervillia. In zahlreichen Bruchstücken von Formen, die mit ge- wissen noch unbeschriebenen Arten aus dem obern bunten Sandstein von Ruaux bei Plombières Aehnlichkeit haben. Zur genauen Charakterisirung einer neuen Art, sind aber die Exemplare zu unvollkommen. Nucula? Eine Schale ähnlich N. elliptica, Goldf. tab. 124. fig. 6. Das Schloss ist nicht sichtbar. Myophoria elegans, Dunk. Lyriodon curvi- rostre, Goldf. Sehr deutliches Exemplar mit erhaltener Schale. Myophoria Goldfussii, Alberti. Die verschiedenen vorhandenen Exemplare sind nicht vollständig genug, um die ganze Form der Muschel deut- lich zu erkennen. Die Rippen sind mit Knoten versehen, was auf den Figuren von Goldfuss tab. 136. fig. 3, Zieten tab. 71. fig. 1 u. Bronn Lethaea tab. 11. fig. 7 nicht an- gedeutet ist, wohl aber bei Quenstedt Petref. tab. 43. fig. 18. 87 Die Knoten liegen indess bei unsern Exemplaren, die viel kleiner sind, als die Quenstedt'sche Figur, merklich weiter auseinander. Auch zeigt sich zwischen den eigentlichen Rippen die Andeutung einer schwachen Zwischenrippe, die auf allen erwähnten Figuren fehlt. Es könnte das jedoch von der bessern Erhaltung der Schalensubstanz an unsern Exemplaren herrühren. Venus ventricosa? Dunker Palaeontogr. I. p. 301 tab. 3%. fig. 26 u. tab. 35. fig. 8. Es kommt ziemlich häufig eine Muschel vor, die diesen Abbildungen und ähnlichen Steinkernen, welche hin und wieder im Muschelkalk sich finden, gleicht. Die syste- matische Stellung dieser Formen ist ohnehin noch sehr ungewiss. Astarte? Sehr unvollkommenes Bruchstück. Natica incerta, Dunk. Turbo Helicites? Münst. Chemnitzia sp. Aehnlich der Figur bei Dunker 1. c. t. 35. f. 2. 3, aber weit grösser. Scheint häufig. Chemnitzia, ähnlich Turbonilla parvula. Dunk. 1. e. t. 35. fig. 23. 24. Chemnitzia, ähnlich Turbonilla nodulifera. Dunk. p- 306. t. 35. f. 22. Das einzige vorhandene gut erhaltene Exemplar ist grösser, als die in vergrössertem Massstab ausgeführte Zeichnung von Dunker. Die Längsfalten sind zahlreicher, als auf der Zeichnung, die übrigens nur nach einem sehr unvollkommenen Bruchstücke gemacht ist. . Von Ammoniten liegen zwei neue, ausgezeichnete Arten vor, jede nur in einem einzigen Exemplare. Sie haben beide im Aeussern eher den Habitus von Arten aus der Kreide, als von den Ammoniten des deutschen Muschel- kalks. Die Lobenzeichnungen sind an keinem von beiden 88 sichtbar, es ist daher nicht zu entscheiden, ob sie der Abtheilung der Ceratiten angehören. Ein drittes Bruch- stück zeigt bloss den Durchschnitt eng an einander liegen- der Kammern. Ich nenne sie: Ammonites luganensis n. sp. verwandt mit A. binodosus v. Hauer. Denkschr. der Wiener Akad. II. S. 114. tab. 19. fig. 1—4, vielleicht noch näher mit A. spiniferus Catullo, den Girard in Leonh. Jahrb. 1843, p. 473 nur kurz erwähnt. Entfernt ähnlich den flachern Varietäten von A. va- rians, Sow. aus dem Cenomanien. Ein hervorstehender Kiel auf dem Rücken, und die beiden Seiten des Rückens mit scharfen Knoten besetzt, wie bei varians. Auf der innern Seite der Windungen, etwa halb so weit von der Nath entfernt, als vom Rücken, einzelne grössere scharfe Knoten, in geringerer Zahl, je einen auf etwa 3 Rand- knoten. Breite, flache, wenig scharf begrenzte Rippen, schwach konvex gegen den Mund, laufen von den Rücken- knoten gegen die Nath, zum Theil ununterbrochen, zum Theil vereinigen sich je zwei an einem der innern Knoten. Nur ein Theil einer Kammerwand sichtbar. Schale theil- _ weise erhalten. Ammonites Pemphix. n. sp. Entfernt ähnlich dem A. Denarius, Sow. aus dem Gault, wie solchen d’Orbigny Terr. cret. tab. 62 abbildet, doch etwas weniger involut, als diese Figuren. Auf dem eckigen Rücken endigen sich starke Rippen in hervor- stehende Knoten. Je zwei dieser Rippen vereinigen sich nahe an der Nath zu einem stärker hervorstehenden Knoten. Encrinites liliiformis, Schloth. Stielstücke von Crinoideen kommen häufig im Gestein eingeschlossen vor; an verschiedenen lässt sich die für den Muschelkalk-Enkriniten so bezeichnende grobe Kerbung des Randes der Stielglieder erkennen. Bei mehreren Nach- 89 suchen dürfte es leicht gelingen, besser vom Nebengestein entblösste Ueberreste aufzufinden. Ferner findet sich eine schöne Art von Corallen vor, deren Mangel für den deutschen Muschelkalk so bezeich- nend ist. Diese Aufzählung bestätigt also vollkommen die Ein- ordnung des Dolomits des Monte S. Salvadore in die Formation des Muschelkalkes, welche durch die von Herrn Lavizzari an der südlichen Fortsetzung des Berges, am M. S. Giorgio bei Riva aufgefundenen Chemnitzia scalata und Myophoria vulgaris bereits entschieden nachgewiesen war. Neben einer Anzahl von Arten, die mit charakteri- stischen deutschen Arten identisch sind, treten freilich eine Anzahl neue italiänische Formen auf. Es wird uns das jedoch nicht wundern, wenn wir uns einmal mit der Un- richtigkeit der häufig in Lehrbüchern wiederholten Be- hauptung vertraut gemacht haben, dass die Fauna älterer geologischer Bildungen über die ganze Oberfläche der Erde eine weit grössere Gleichförmigkeit zeige, als die lebende Fauna. Die Fauna des italiänischen Lias und des italiäni- schen Muschelkalks zeigt von derjenigen der entsprechen- den deutschen Formationen ganz ähnliche Abweichungen, wie die Thierwelt, die gegenwärtig die Länder und Meere von Italien und Deutschland bewohnt. Es ist jedoch immerhin auffallend, dass der allgemeine Habitus der Muschelkalkpetrefacten der Umgebungen von Lugano ziemliche Abweichungen zeigt von demjenigen eini- ger anderer Fundstätten am südlichen Abhang der Alpen. Es bezieht sich das nicht allein auf das verschiedene Aus- sehen des die Petrefacten umschliessenden Gesteins, son- dern die an den verschiedenen Orten vorkommenden Ueberreste von organischen Geschöpfen scheinen selbst theilweise verschieden. Die grosse Gleichförmigkeit der Muschelkalkformation in Nord- und Süd-Deutschland und 90 im östlichen Frankreich, scheint am Südabhange der Alpen nicht in demselben Masse hervorzutreten. Geologische und paläontologische Notizen von Herrn Rathsh. Perer Merıan. D. 29. Dec. 1852. Von Hrn. Dr. Eman. Meyer in Travers hat unsere Sammlung eine Zusendung einer grossen Anzahl von Petrefacten von la Presta im Val Tra- vers erhalten, wo die bekannten Asphaltlager ausgebeutet werden. Es weisen diese Petrefacten, worunter z. B. Exo- gyra Couloni, Defr. Pterocera Pelagi, Brongn. Requienia ammonia, d’Orb. Toxaster oblongus, Ag. Plicatula pla- cunea, Lam. sich befinden, nach, dass an dem dortigen Gebirgsabhang die sämmtlichen Lager des Neocomien, von den blauen Mergeln bis in den Aptien hinauf, zu Tage ausgehen. Selbst der Gault scheint noch vertreten zu sein. Interessant ist eine Hemicidaris, welche die Schale zu sein scheint, welcher die von Agassiz als Cidaris clunifera (Echin. suiss. II. p. 68. tab. 21. fig. 19 —22) aufgeführten Stacheln anzugehören scheinen. Die Stacheln werden bei la Presta ebenfalls häufig gefunden und die einzelnen As- seln, welche Agassiz 1. c. als den Stacheln zugehörend abbildet, und die ich unter der Führung des verstorbenen Dubois am Merdasson bei Neuchatel ebenfalls gesammelt habe, stimmen mit den Asseln unserer Hemicidaris voll- kommen überein. Es hat unsere Schale grosse Aehnlich- keit mit Hemicidaris Thurmanni, welcher bekanntlich die früher Cidaris pyrifera benannten birnförmigen Stacheln angehören, Stacheln, welchen diejenigen von C. clunifera ebenfalls zunächst verwandt sind. Cidaris clunifera wäre folglich im System demnächst als Hemicidaris clunifera aufzuführen. Es führt diese Entdeckung zur Vermuthung, dass alle birnförmigen sogenannten Cidaritenstacheln, wie Cidaris glandifera, Goldf. und ähnlich gebildete, von wel- 91 chen man zur Zeit die Schalen noch nicht kennt, der Gattung Hemicidaris angehören dürften. D. 3. Febr. 1853. Unsere Sammlung hat neulich von ‚Hrn. Stud. Herm. Christ einen Blüthenkolben er- halten, welcher derselbe in dem Keuper der Neuen Welt bei Basel, der bekannten Fundstätte schöner Keuperpflanzen, gefunden hat. Derselbe dürfte einem Equisetum angehören, welches daselbst häufig vorkommt. Es zeigt indess einige Verschiedenheit von dem in Hemmiken gefundenen Blüthen- kolben, welcher in unserm Bericht IV. S. 77 vermuthungs- weise dem Equisetum columnare zugeschrieben worden ist. D. 13. April 1853. Mittheilung über die Tertiär- formation im Jura. Die genaue Untersuchung der Tertiärpetrefacten aus den Umgebungen von Pruntrut, die man neuerlich als identisch mit denjenigen des Pariser Grobkalks hat erklären wollen, lehrt, dass sie am besten in Dumont’s Système Ruppelien sich einreihen lassen, wel- ches auf der Grenze des sogenannten Eocän- und Miocän- Gebirges steht, und von d’Orbigny in seinem Falunien A. begriffen wird. Diese Pruntruter Schichten sind von dem- selben Alter mit denjenigen, die bei Aesch, Dornach, Stetten u. a. O. in den nächsten Umgebungen von Basel anstehen, und die mit viel besser erhaltenen organischen Ueberresten im Mainzer Becken, bei Weinheim unfern Al- zey u. a. O. vorkommen. Die nähern Angaben sind in den Mittheilungen der naturf. Gesellsch. in Bern v. 1853. S. 107 abgedruckt. . Die eigentliche Eocänformation scheint sich im Jura auf die Knochenablagerungen zu beschränken, die in Spalten des ältern Gebirges eingeschlossen, in der Schweiz bei Egerkingen im Kant. Solothurn, und in neuerer Zeit am Maurimont bei Lassaraz, und auf der Württembergischen 92 Alb an vielen Stellen gefunden worden sind. Es ist das ein Vorkommen, welches viele Aehnlichkeit besitzt mit demjenigen der Knochenablagerungen im Diluvialgebilde. Es scheinen diese Thatsachen darauf hinzudeuten, dass zur Eocänzeit, während welcher im Gebiete der Alpen die mächtigen Nummulitbildungen sich abgesetzt haben, von welchen im nahen Jura bis jetzt keine Spur sich vor- gefunden hat, dieser letztere bereits als Festland aus dem Meere hervorragte. Nur Bildungen, ähnlich den Festland- bildungen der Diluvialzeit, konnten daher damals im Jura sich ablagern. D. 2. Nov. 1853. Ref. legt den von Hrn. A. Gressly im Auftrag der Direction der schweizerischen Centralbahn entworfenen geologischen Durchschnitt durch den Hauensteintunnel vor. Nach demselben ist der pro- jectirte Tunnel an seinem tiefern Südende in den obersten Liasmergeln angesetzt. Da an dieser Stelle das Einfallen nördlich ist, so werden vorerst immer höhere Schichten, namentlich die verschiedenen Abtheilungen des untern Rogensteins angetroffen werden, doch nur bis auf eine mässige Strecke, indem die nördliche Einsenkung sich bald in eine südliche umsetzt, die in der Hauptmasse des Ge- birgsstockes die allgemein vorherrschende ist. Die jüngsten Lager, die von dem Tunnel durchsetzt werden, gehören derjenigen Abtheilung des untern Rogensteins an, die Hr. Gressly mit dem Laedonien von Marcou identificirt. Dann folgen mit regelmässigem südlichem Einfallen wieder die verschiedenen Abtheilungen des Lias, des Keupers, des Muschelkalks und der Anhydritgruppe der untern Muschel- kalkformation. Eine auf der Nordseite des Gebirgsstockes befindliche Verwerfung veranlasst, dass der Tunnel die ganze Folge der Anhydritgruppe, in welcher er an seinem Nordende an den Tag tritt, zweimal durchsetzt. OT 7 93 D. 2. Nov. 1853. Vorzeigung eines Exemplars des Encrinites mespiliformis, Schloth. Pomatocrinus mespiliformis, Desor. aus dem Oerlinger Thal bei Ulm, und zwar aus der Schicht, die Quenstedt zu seinem weissen Jura eg. rechnet. Die beste Abbildung dieser Crinoidee hat Goldfuss tab. 57. fig. 1 gegeben. Sie ist nahe verwandt mit dem in Bericht VII. S. 23 erwähnten. dem sogenann- ten Sequanien angehörenden P. Hoferi, M., welcher seit- dem bei Rädersdorf in mehrfachen Exemplaren gefunden worden ist, doch spezifisch verschieden. Die Krone des letztern ist gegen oben weit weniger verengt, als diejenige des mespiliformis. Die untern Beckenglieder von Hoferi sind kürzer, und der Winkel, in den sie nach oben aus- laufen, ist schärfer. Die zweiten Beckenglieder sind ver- hältnissmässig breiter und grösser, daher die weitere Ver- breiterung der Krone nach oben. Encrinites Milleri, Schloth., Ceriocrinus Mil- leri, Koen., welcher auf derselben Tafel von Goldfuss, tab. 37, fig. 2, abgebildet ist, und in denselben Schichten, nämlich dem schwäbischen weissen Jura &. vorkommt, scheint hingegen nicht verschieden von der in unserm Terrain a Chailles vorkommenden Art, die schon mehrfach abgebildet worden ist, so namentlich schon bei Bourguet fig. 407, 408, bei Bruckner Merkw. tab. 7, fig. q u. tab. 20. fig. 35, 39, bei Hofer Act. helv. IV. tab. 8. fig. 3, #, 16, bei Knorr Suppl. tab. VII. e. fig. 4 und in Andreä’s Briefen tab. 3. fig. c, d. Bei dieser Gelegenheit erwähnen wir noch, dass das in Bericht VII. S. 29 angeführte Vorkommen der Gattung Ananchytes im Corallenkalk des Jura auf einem Irrthum beruht. Nähere Nachforschungen haben gezeigt, dass das fragliche Stück nicht von Istein, sondern aus der Kreide herrührt. 94 D. 1. März 1854 Süsswasserformation in der Stadt Basel. Bei dem Graben eines Brunnens im Hause des Hrn. Freyvogel im St. Albanthal, am östlichen Ende der Stadt, ist eine feinkörnige, grünlich graue, mergelige Mollasse zu Tage gefördert worden, welche schöne kalzi- nirte Schalen einer Helix, wahrscheinlich Helix rugulosa, v. Martens in Menge umschliesst. Sparsam kommen einige andere Ueberreste von Landconchylien mit vor. Es liegt diese Mollasse wahrscheinlich auf den Mergeln, an deren Ober- fläche die starken Quellen im St. Albanthal hervorkommen, die gegenwärtig durch ein Pumpwerk in der Stadt ver- theilt werden. Die Spuren von Versteinerungen, die man bis jetzt in den tertiären Mergeln, die in Basel die Unter- lage der Diluvialgerölle bilden, angetroffen hat, gehörten Seethieren an. So die Serpula, welche im Bericht VI. S. 68 erwähnt ist. D. 15. März 1854. Nautilus Aturi, Bast. in der Schweizer Mollasse. Hr. Escher von der Linth hat kürzlich zur Bestimmung ein Bruchstück eines Nau- tilus eingesandt, welches von Hrn. Casimir Mösch in den Muschelsandsteinbrüchen von Würenlos bei Baden im . Aargau gefunden worden ist, und welches offenbar der obgenannten Art angehört. Drei der so merkwürdig ge- bogenen Kammerwände sind deutlich sichtbar, so wie der am Bauche liegende Sipho. Das Bruchstück gehört einem sehr grossen Exemplare an. Es ist das wohl der erste Nautilus, der in der Schweizer Mollasse gefunden worden ist. Die so characteristische Art bildet ein neues bezeich- nendes Verbindungsglied zwischen der Mollasse und dem mittlern Tertiärgebirge der Umgebungen von Bordeaux. 95 MINERALOGIE. Mittheilungen von Hrn. Dr. Ars. Müter. 21. September 1853. Ueber das Vorkommen von Manganerzen im Jura. So allgemein auch das Mangan in den jurassischen Gesteinen verbreitet ist, so tritt es doch fast überall nur in minimen, für das Auge gewöhn- lich nur in den zarten dendritischen Bildungen bemerk- baren, Spuren auf und gehört ein Vorkommen in grössern, schon beim ersten Blick auffallenden Massen, zu den Sel- tenheiten. Namentlich tritt das Mangan den mächtigen Ab- lagerungen der Eisenerze gegenüber sehr zurück. Da aber das Auffinden von Manganerzen in unsern Bergen nicht nur von wissenschaftlichem, sondern auch von industriel- lem Interesse ist, so glaube ich, dass solche seltenen und nur wenig bekannten Fundorte, die jene Erze in grössern Mengen liefern, allgemeiner bekannt zu werden verdienen. Von Hrn. Gressly wurde ich diesen Sommer auf eine solche Lokalität aufmerksam gemacht, die sich ganz in der Nähe des nur wenige Stunden von Pruntrut liegenden Dorfes Mié- court befindet. Am Fusse eines Hügels zeigen sich in dem dortigen Portlandkalk zahlreiche, mehre Zoll breite Spal- ten, die mit einer theils grauschwarzen, theils schwarz- braunen, feinerdigen bis dichten Masse ausgefüllt sind. Auf den ersten Anblick musste man in dieser schwärz- lichen Ausfüllungsmasse Manganerze erkennen. Auch die nächsten Umgebungen dieser Spalten zeigten stellweise schwärzliche Ueberzüge und Incrustationen, die offenbar aus Gewässern abgesetzt waren, welche über die Kalk- steinwände einst herabflossen. In jener schwärzlichen, 96 feinerdigen, bisweilen thonigen Masse der Spalten kom- men plattenförmige, seitlich unregelmässig abgerundete, dichtere Stücke vor, die das Manganerz in faserigem oder feinkörnigen Zustande, und zwar in ziemlicher Reinheit, enthalten. Bisweilen sollen sich auch deutliche kleine Krystalle vorfinden. Ich untersuchte diese reinern Stücke näher und fand, dass sie aus einem Gemenge von Manga- nit und Pyrolusit bestehen. Das Strichpulver war bräun- lich schwarz, die Härte ungefähr die des Pyrolusites, im Kolben erhielt ich eine merkliche Menge Wassers und durch Erhitzung mit Chlorwasserstoffsäure fand eine be- - trächtliche Chlorentwicklung statt. Andere Parthieen, die mehr bräunlich und erdig aussahen, gaben weniger Chlor und mehr Wasser, zeigten sich aber gleichfalls fast frei von Eisen. Ebenso zeigten Proben, aus verschiedenen Spalten entnommen, durch Glühen eine verschieden starke _ Sauerstoffentwicklung. Bekanntlich kommen Pseudomor- phosen von Pyrolusit nach Manganit nicht selten vor, bis- weilen finden sich Manganitkrystalle erst theilweise in Pyrolusit umgewandelt, auch die zur Sauerstoflgasbereitung verwandten und auf Halden geschütteten Manganerze neh- men allmählig wieder Sauerstoff aus der Luft auf und gehen in Pyrolusit über. Das Schwankende in der Zu- sammensetzung der Manganerze von Miécourt ist also durch eine ähnliche mehr oder weniger fortgeschrittene Um- wandlung hinlänglich erklärt, ohne dass man zur Annahme von mechanischen Gemengen seine Zuflucht zu nehmen braucht. Wie in den Eisenerzen häufig kleine Mengen von Mangan, so sind in den Manganerzen meist auch mehr oder minder beträchtliche Antheile von Eisen enthalten. Unsere Man- ganerze zeigten sich jedoch im Vergleich zu andern Vor- kommnissen und in Betracht der eisenreichen Umgebungen wider Vermuthen in manchen Stücken sehr rein und liessen nur Spuren von Eisen wahrnehmen. Einige Proben jedoch 97 aus entferntern Spalten gaben einen grössern Eisengehalt. In der That, wenn wir längs dem Fusse des Portland- hügels diese erzhaltigen Spalten weiter verfolgen, so wer- den die Manganerze unreiner, seltener, und an ihre Stelle treten analoge Spaltenausfüllungen, die sich aber durch ihre braune Farbe theils als erdige, theils als dichte und knollige Massen vor Brauneisenstein erweisen. Manche dieser Brauneisenerze verrathen vor dem Löthrohr einen sehr bemerkbaren Mangangehalt, man würde vielleicht fin- den, dass dieser steigt in denjenigen Spalten, welche den reinern Manganablagerungen zunächst liegen. Zerschlägt man die unregelmässigen Stücke des dichten Brauneisen- steins, so erscheint das Innere von einer Menge feiner Spalten durchzogen, die mit reinem, vollkommen weissen Quarzsand, unter der Loupe als kleine Krystalle erschei- nend, angefüllt sind. Hie und da häuft sich dieser kry- stallisirte Quarzsand mehr an. Wir hätten hier wieder einen Fall, welcher zu Gunsten der Behauptung Bischofs spricht, dass nicht aller in Sedimentgesteinen vorkom- mende Quarzsand bloss durch den mechanischen Detritus quarziger Gesteinsmassen entstanden ist, sondern in ein- zelnen Fällen unmittelbar auf chemischem Wege durch Ausscheidungen kieselsäurehaltiger Quellen entstehen kann. Wenn wir in derselben Richtung unsern Portlandhügel . weiter verfolgen, so werden jene Brauneisensteine immer poröser und quarzreicher. Kleine wohlgebildete Quarz- kryställchen, mehrfach lose übereinanderhäuft, bilden die drusige Auskleidung der zahlreichen Zwischenräume jenes porösen Brauneisensteines, der immer mehr von diesen Quarzbildungen verdrängt wird. Nicht weit von der Stelle der Manganerze, in einem Karrweg, der augenscheinlich bei Regenwetter als Bett eines Baches dient, finden sich grosse, wenig abgerollte, dunkelgraue, dem Alpenkalk, ähnliche Kalksteine, deren 7 98 Farbe mitten in den Umgebungen des fast weissen Port- landgebirges, mir auffiel. Beim Zerschlagen dieser Steine fand sich, dass nur die Oberfläche schwarz gefärbt war. Innen kam der hellgelbe Portlandkalk zum Vorschein. Der schwarze sehr dünne Ueberzug gab, wie ich vermuthete, vor dem Löthrohr deutliche Manganreaction. Ohne Zwei- fel ist derselbe eine chemische Ausscheidung von man- gancarbonathaltigen Gewässern, die ihren Gehalt aus dem- selben Gebirge zogen, wie die Quellen, aus denen sich in einer frühern geologischen Periode die oben beschriebenen Mangan-, Eisen- und Quarzablagerungen abgesetzt hatten. 12. October 1853. Ueber die Entstehung der Eisen- und Manganerze im Jura. Wir besitzen bereits eine Anzahl trefflicher Arbeiten über das Vor- kommen der Bohnerze im Jura, wie die von Merian, Thurmann, Thirria, Gressly, Quiquerez, Alberti und andern bewährten Geologen, von denen die meisten sich noch in neuester Zeit mit diesem Gegenstand beschäftigt haben. Das Thatsächliche dieser Vorkommnisse ist darin bereits so genau und sorgfältig festgestellt worden, und auch mehr- mals im Schoosse unserer Gesellschaft zu Sprache gekom- men, dass ich auf dasselbe nicht näher eingehen werde, als es zum Zwecke der vorliegenden Untersuchung dient. Die meisten der genannten Beobachter haben sich mit der Ermittlung des Thatsächlichen und mit der Untersuchung über das geologische Alter jener Ablagerungen begnügt, und nur beiläufig einzelne, wenn auch oft sehr schätzens- werthe Winke über deren Entstehung gegeben. Unter den neuesten Arbeiten sind besonders diejenigen von Thirria und von Quiquerez zu erwähnen, welchem letztern wir eine sehr sorgfältige Untersuchung über das Terrain si- dérolitique im Berner Jura verdanken, deren Resultate in den Denkschriften der schweizerischen Gesellschaft nieder- je Sc. GG TES 99 gelegt sind. Doch sind in allen diesen Arbeiten die so wichtigen chemischen Beziehungen zwischen den Erzabla- gerungen und den umgebenden Gebirgsgesteinen meines Erachtens noch nicht hinlänglich berücksichtigt worden, so dass weitere Untersuchungen in dieser Richtung nicht ganz überflüssig erscheinen werden. Dass jene Erz- und Thonablagerungen in unserm Jura nicht wie die umgebenden Kalksteinfelsen Sedimente aus marinischen oder andern grossen stehenden Gewässern sind, sondern vielmehr aus der Tiefe hervofsprudelnden Mineralquellen ihre Entstehung verdanken, darüber sind wohl jetzt die meisten Beobachter einig, und namentlich hat diess Quiquerez in seiner schönen Arbeit über die Bohnerzgebilde an zahlreichen Stellen in überzeugender Weise dargethan. Gressly war einer der ersten, welcher das Bohnerzgebilde vulkanischen Emanationen zuschrieb, ohne sich jedoch über die Art und Weise derselben näher auszudrücken. Quiquerez bezeichnet dieselben näher, in- dem er die Entstehung dieser Ablagerungen ähnlichen Schlammquellen und Thermen zuschrieb, wie sie jetzt noch in der Nähe mancher Vulkane vorkommen. Diese Quellen enthielten Gase und Säuren aufgelöst, aus ‘deren corrodi- render Wirkung er den zerfressenen Zustand der Kalk- steine erklärt, die das Bohnerzgebilde umschliessen. Er wagt jedoch nicht diese Säuren näher zu bezeichnen, scheint jedoch eher an die in der Nähe unserer Vulkane öfters vorkommenden Schwefelsäure, schweflichte Säure oder Salzsäure, als an die Kohlensäure gedacht zu haben. Einige neuere Geologen, wie Thirria, Alberti, Jäger und andere haben die Kohlensäure als das Hauptagens in jenen Quellen bezeichnet, das die später abgesetzten Erze als Carbonate aufgelöst enthielt und die Auswaschung der benachbarten Kalksteinwände bewirkte. Schon früher hatte Gustav Bischof die corrodirenden Wirkungen der kohlen- 7 + 100 sauren Gewässer auf die Felsgesteine, namentlich auf die krystallinischen, in seinem Lehrbuch der chemischen und physikalischen Geologie nachgewiesen und auf diesem Wege den Ursprung mancher Erzablagerungen’ erklärt. Dass die Kohlensäure auch in jenen Mineralquellen, welche die Bohnerze absetzten, die Hauptrolle spielte, diese - Annahme scheint in der That alle bisher beobachteten Vor- kommnisse am natürlichsten zu erklären und hat desshalb auch den nachfolgenden Untersuchungen, die zu ihrer Be- stätigung beitragen sollen, als Ausgangspunkt gedient. Die Kohlensäure findet sich allenthalben in der Luft und in unsern gewöhnlichen Gewässern verbreitet. Sie entströmt auch an vielen Orten, theils gasförmig, theils in Mineralquellen, namentlich in den Säuerlingen, in grosser Menge der Erde. Die corrodirenden Wirkungen dieser Quellen auf die umgebenden Gesteine sind bekannt. Wir finden desshalb fast alle Alkalien, Erden und Oxyde, welche in diesen enthalten waren, in jenen als Carbonate aufgelöst vor, und zwar in um so reichlicherer Menge, je grösser der Gehalt an Kohlensäure ist. Ein grosser Theil dieser Carbonate wird an der Mündung der Queilen, bei vermindertem Druck ihres Lösungsmittels, des entweichen- den Kohlensäuregases, beraubt; wieder abgesetzt, die schwerlöslichen zuerst, die leichter löslichen im weitern Verlaufe der zu Tage fortfliessenden Gewässer. Die Schei- dung der Carbonate wird noch mehr durch den Zutritt des Sauerstoffes der Luft begünstigt, welcher die Carbonate des Eisen- und Manganoxydules zersetzt und in Oxyde und Superoxyde verwandelt, die in Wasser gänzlich un- löslich sind. So entsteht aus dem kohlensauren Eisen- oxydul durch Aufnahme von Sauerstoff und Wasser Eisen- oxydhydrat, meist in Form von dichtem Brauneisenstein, oder bei höherer Temperatur oder bei Anwesenheit ver- schiedener Salze das wasserfreie Oxyd als Rotheisenstein, 101 und ebenso wird aus dem kohlensauren Manganoxydul durch denselben Process Manganoxydhydrat oder bei. höherer Oxydation Manganhyperoxyd, als Braunstein, ausgeschie- den. Die theilweise oder völlige Trennung der Manganerze von den Eisenerzen ‚beruht ebenfalls theils auf der ver- schiedenen Löslichkeit ihrer Carbonate, theils auf der ver- schiedenen Oxydirbarkeit ihrer basischen Bestandtheile. Nach den Untersuchungen von G. Bischof wird bei solchen Quellen das Eisenoxydhydrat früher abgesetzt, als die Manganoxyde. Der gleichfalls aufgelöste kohlensaure Kalk erfährt keinen solchen Oxydationsprocess. Auch sonst leichter löslich, kann er sich in den zu Tage getretenen, noch nicht aller Kohlensäure beraubten, Gewässern längere Zeit aufgelöst erhalten, um sich erst im weitern Verlaufe, wenn Wasser und Kohlensäure allmählig verdunsten, zu sinterartigen Bildungen niederzuschlagen. Aehnlich geht es mit der kohlensauren Magnesia, die sich gewöhnlich fast gleichzeitig mit dem kohlensauren Kalk ausscheidet und so zur Entstehung dolomitischer Kalkabsätze Veran- lassung geben kann. Dass die Absätze dieser verschiede- nen Carbonate und Oxyde selten sehr rein sein werden, sondern sich gegenseitig an zahlreichen Stellen vermengen werden, ist bei der nahen chemischen Uebereinstimmung dieser Stoffe leicht begreiflich. Die grössere oder gerin- gere Reinheit dieser Absätze hängt natürlich sehr von der Oertlichkeit der einzelnen Quellen ab, von ihrer Tempera- tur, ihrer Mächtigkeit, von ihrem grössern oder geringern Gehalt an Kohlensäure und andern mineralischen Bestand- theilen, von der Art des Ausflusses, und von der Art und Lage der umgebenden Gesteine, über welche die Quell- wasser abfliessen. Von allen diesen Umständen wird auch die mineralogische Beschaffenheit der Quellabsätze ab- hängen, ob sie dicht, faserig, blätterig, körnig, oolitisch, in kugeligen, stalaktitischen oder unregelmässigen Massen 102 vorkommen. Die oolitischen oder pisolitischen Bildungen, wie z.B. die zu Carlsbad, scheinen vorzugsweise bei war- men, an Carbonaten reichen Quellen vorzukommen, wobei das starke Hervorsprudeln des Wassers und dessen wir- belnde Bewegung, welche die um einen fremdartigen Kern, z. B. ein Quarzkörnchen oder ein Thonpartikelchen, sich schaalig anlegenden Kalkkugeln lange suspensirt erhält, bei starker Verdampfung wohl hauptsächlich jene Bildungen begünstigen. Unsere Säuerlinge und Thermen bringen ausser den gelösten Bestandtheilen, gewöhnlich noch, und zwar zu verschiedenen Zeiten in sehr ungleicher Menge, mechanisch suspensirte Theile, sogenannten Sand und Schlamm an die Oberfläche, um so gröbere Theile, je stärker sie hervor- sprudeln, um so feinere, je langsamer und ruhiger sie zu Tage abfliessen. Der Schlamm besteht meist aus thonigen, oft eisenhaltigen Bestandtheilen, der Sand ist gewöhnlich Quarzsand. Die mechanisch suspensirten thonigen und quarzigen Theilchen werden, zu Tage getreten, mechani- schen Gesetzen folgend, je nach ihrer Schwere sich überall an den ruhigern Stellen in der Nähe des Ausflus- ses niederschlagen und die verschiedenen chemischen Ab- sätze stellweise verunreinigen. Daher kommt es, dass die Absätze der Mangan- und Eisenerze oft thonig, und hie und da auch sandig sind. Die Kalkablagerungen, die sich meistens zuletzt, also am entferntesten vom Ausfluss der Quelle ausscheiden, werden in der Regel, wie auch die Erfahrung bestätigt, am wenigsten von Thon und Sand verunreinigt sein. Nur in den seltenern Fällen, wo die Mineralquellen sehr reich an suspensirtem Schlamme sind, werden sich besondere Sand- und Thonlager bilden, ge- wöhnlich werden sich diese Theile, als untergeordnet, mit den chemischen Ablagerungen vermengen. 103 Dieselben Absätze von Kalk- und Magnesiacarbonat, von ’Brauneisenstein und manganhaltigen Eisenerzen, die wir in der Nähe der Thermen und Säuerlinge antreffen, liefern, wenngleich in viel geringerm Masse, viele unserer gewöhnlichen Quellen, die sich nur durch einen etwas grössern Kohlensäuregehalt vor andern auszeichnen, wie wir an zahlreichen Stellen in unserm Jura beobachten können. Die bei unsern heutigen Quellen beobachteten mi- neralischen Absätze geben uns den Schlüssel zu der Ent- stehungsgeschichte jener, der Art nach so verwandten, nur durch ihre Mächtigkeit sich unterscheidenden Ablage- rungen aus einer frühern geologischen Perivde, wie wir sie in den Bohnerzgebilden des Jura erblicken. Die Ana- logie zwischen beiden ist nach allen Seiten hin augen- fällig. Mit Recht dürfen wir bei so übereinstimmenden Vorkommnissen auf einen ähnlichen Ursprung schliessen. Was daher zur Erklärung der Absätze unserer heutigen Mineralquellen gesagt worden ist, wird sich auch auf jene Produkte einer frühern Erdthätigkeit anwenden lassen. Es genügt desshalb die Hauptvorkommnisse der Bohnerzge- bilde, wie sie aus den obenerwähnten Arbeiten, namentlich aus derjenigen des Herrn Quiquerez bekannt geworden sind, dessen Güte unser Museum die vorliegende hübsche Sammlung von Bohnerzmineralien verdankt, kurz aufzu- führen. Wir finden in diesem, die Mulden und Spalten des Portland- und Korallenkalkes unseres Jura füllenden Ge- - bilde hauptsächlich folgende Mineralmassen: 1. Das eigentliche Bohnerz, .den Hauptbestandtheil bildend, in den bekannten mehr oder weniger runden le- berbraunen, concentrisch schaaligen Körnern, theils lose, meistens in Bolus, in Thone, Kalksteine oder Kalkconglo- merate eingebettet und durchschnittlich 66 ©, Eisenoxyd, 104 10 % Kieselerde, 100% Thonerde und 14% Wasser, oft auch kleine Mengen von Mangan- und Chromoxyd, so wie Spuren von Zink, Blei, Titan, Vanad, Phosphor und Schwe- fel enthaltend. - 2. Unregelmässige Massen, Nester, Ueberzüge, Spalt- ausfüllungen von dichtem oder ocherigem, oft thonigem Brauneisenstein. 3. Dichten und ocherigen, bisweilen auch pisolitischen Rotheisenstein, im Ganzen selten vorkommend und immer sehr untergeordnet. %. Manganerze, und zwar als Manganit und Pyrolusit, meist dicht, auf ähnliche Weise wie der Brauneisenstein, seltener krystallinisch, gleichfalls nur selten und sparsam für sich vorkommend, oft aber die Eisenerze verunrei- nigend. 5. Bolus und Thone, theils farblos, theils durch die Oxyde des Eisens und Mangans gefärbt, oft mit kalkigen und sandigen Theilen verunreinigt, ferner thonige Umwand- lungen der benachbarten Kalksteine. 6. Quarzsand, oft farblos, bisweilen eisenschüssig. 7. Jaspisähnliche Kieselbildungen, verkieselte Kalk- steine und kleine Quarzdrusen. 8. Sekundäre Kalk- und Dolomitablagerungen, kry- stallinisch, körnig, oolithisch, dicht, bisweilen thonig oder sandig, oft Bohnerzkörner und Bruchstücke verschiedener Kalksteine zu einer Breccie zusammenbackend. 9. Gyps, Eisenkies u. dgl. scheinen nur vereinzelt und untergeordnet vorzukommen und sind vielleicht spä- terer Entstehung. Das Bohnerzgebilde scheint an den meisten Orten, un- bedeutende Dislocationen ausgenommen, sich noch an der- selben Stelle zu befinden, wo es entstanden ist. Ueber das Alter desselben sind die Meinungen der Geologen noch ge- theilt. Viele stellen dasselbe in die Tertiärzeit, es ist mir 105 aber kein Grund bekannt, warum die Entstehung nicht auf die Kreideperiode zurückgeführt werden könnte, wie gleich- falls Herr Rathsherr Peter Merian vermuthet. Gressly reiht sie sogar der Epoche des Néocomien ein. Weitere Unter- suchungen müssen hier entscheiden. So viel ist gewiss, dass die bisweilen im Bohnerz vorkommenden Versteine- rungen und Knochen, da sie sehr verschiedenen Formationen angehören, nicht zur Altersbestimmung dieses Gebildes die- nen können. Dass alle diese zum Bohnerzgebilde gehörigen Mineral- massen ähnlichen mechanischen und chemischen Ausschei- dungen von mehr oder minder warmen kohlensäurereichen Mineralquellen ihre Entstehung verdanken, wie die Absätze unserer jetzigen Thermen, Säuerlinge und Stahlquellen, be- darf nach dem bereits gesagten keiner weitern Aus- führung. Eine andere Frage ist die, woher jene in einer frü- hern geologischen Periode thätigen Mineralquellen ihre Bestandtheile zur Bildung jener Absätze entnommen haben. Es ist schon längst dargethan worden, dass die Tuff- ablagerungen und andere Kalksintergebilde am Fusse un- serer Kalkgebirge, namentlich des Korallenkalkes, nichts anders als die Auslaugungsprodukte dieser durch kohlen- saure Gewässer beständig angegriffenen Felsgesteine sind. Wir geben dieser Thatsache nur eine grössere Ausdeh- nung, wenn wir nachzuweisen versuchen, dass die Minera- lien der Bohnerzlager die chemischen und mechanischen Auslaugungs- und Abscheidungsprodukte der umgebenden Juragesteine sind. Ich habe mich im verwichenen Frühjahr viel mit der chemischen Untersuchung der Kalksteine aus unsern be- nachbarten jurassischen Etagen abgegeben und bei der Auflösung jener in Säuren so oft, mit und neben einander, die im Bohnerzgebiet vorkommenden Stoffe erhalten, dass 106 mir über die engen Beziehungen zwischen diesen letztern Produkten und den in den jurassischen Kalksteinen ent- haltenen Nebenbestandtheilen kein Zweifel mehr blieb. Es wurde mir klar, dass die in den Mineralquellen enthaltene Kohlensäure, die Kalksteine im Grossen und im langen Lauf der Zeiten ganz ebenso auflöst, wie die Salzsäure in unsern Laboratorien im Kleinen es in kurzer Zeit thut, und dass daher in beiden Fällen dieselben Stoffe gelöst werden und dieselben Residua von Thon und Sand zurück- bleiben. Ich habe mich durch vielfache Versuche über- zeugt, dass es wenige jurassische Kalksteine, selbst unter den weissen, giebt, die völlig eisenfrei wären. Wo das Eisen als Carbonat beigemengt ist, lässt sich seine An- wesenheit erst bei der Verwitterung der Gesteine, wobei das Carbonat in Oxyd oder Oxydhydrat umgewandelt wird, an der Farbe erkennen. Daher kommt es, dass bisweilen fast farblose Oolithe, wie sie z. B. im Hauptrogenstein vorkommen, durch Verwitterung intensiv gelbbraun oder rothbraun werden. Manche jurassischen Schichten, wie die des Gryphitenkalkes, und namentlich diejenigen des untern und obern Eisenrogensteines, sind bekanntlich so eisen- reich, dass sie bisweilen als Erz verschmolzen werden und 12—18 ©, Roheisen geben. In unserm weissen Korallen- kalk fand ich jedoch keine Spur Eisen. Von der Voraus- setzung ausgehend, die im Bohnerzgebilde vorkommenden Stoffe in den umgebenden Kalksteinschichten, woraus sie stammten, wiederfinden zu müssen, prüfte ich Kalksteine aus allen jurassischen Etagen auch auf einen Gehalt an Mangan und fand auch in der That fast in allen mehr oder minder starke Spuren dieses Elementes, im allgemei- nen um so stärkere, je eisenreicher der Kalkstein sich zeigte. Auch der Portlandkalk, auf dem das Bohnerz ge- wöhnlich aufliegt, gab in den aus dem Pterocérien bei Pruntrut entnommenen Steinkernen, sehr deutliche Spuren. 107 Die stärkste Manganreaction gab der in unserer Nähe vor- kommenden Gryphitenkalk. Im Ganzen ist das Mangan in diesen jurassischen Gesteinen nur in minimen Mengen vor- handen und tritt gegenüber dem Eisengehalt ebenso unter- geordnet auf, wie in den siderolithischen Lagern gegenüber dem Bohnerz. Das Mangan ist bekanntlich in vielen Erzen, so namentlich in den Carbonaten, Phosphaten, Silicaten und Tungstaten des Eisens, ein treuer Begleiter dieses Ele- mentes, es kann desshalb nicht befremden, dass im All- gemeinen der Mangangehalt mit dem Eisengehalt in den Kalksteinen wächst. Unter was für einer Form das Mangan in den Kalk- steinen, in denen keine dendritischen Ausscheidungen sicht- bar sind, auftritt, ob als Carbonat oder Oxyd, konnte ich nicht ermitteln. Die Beimengung ist viel zu unbedeutend, als dass sie auf das äussere Aussehen des Gesteines, z. B. seine Färbung, irgend einen Einfluss ausüben könnte. Die grauliche oder schwärzliche Färbung mancher bitumen- freien Kalksteine, wie z. B. einzelner Lager im Haupt- rogenstein, rührt nicht von Mangan, sondern von einem Eisengehalt, wahrscheinlich von Magneteisen, bisweilen auch von Schwefeleisen her. Der Magnesiagehalt geht gleichfalls fast allgemein durch alle jurassischen Schichten und tritt oft als ein be- trächtlicher Mischungstheil in einzelnen Kalksteinen auf. So wichtig dieser Gehalt in anderer Beziehung, zur Er- klärung mancher geognostischen und mineralogischen Er- scheinungen ist, so kommt er doch hier, im Bohnerzgebilde, wo Dolomite nur spärlich auftreten, weniger in Betracht. Die Kieselerde als solche, d. h. nicht an Basen ge- bunden, findet sich nicht nur als Sand in den Kalksteinen .und Mergeln sehr häufig mechanisch eingelagert vor, sie erscheint auch als spätere chemische Ausscheidungen in den bekannten Varietäten des Hornsteines, Jaspis und kry- 108 stallisirten Quarzes in manchen jurassischen Kalkschichten. Wenn auch die meisten dieser Kieselvarietäten für sich im Wasser fast unlöslich sind, so werden sie doch durch Mi- neralwasser, welche alkalische Carbonate enthalten, all-' mählig aufgelöst und später wird aus den in diesen Quell- wassern aufgelösten alkalischen Silicaten im Contact mit Carbonaten oder Kohlensäure die Kieselsäure wieder aus- geschieden. Ebenso leicht lässt sich der Ursprung der in den Bohnerzlagern vorkommenden, oft sehr reinen Thonmassen erklären: sie sind, gleich den Sandmassen, das Residuum der durch die kohlensauren Quellen aufgelösten jurassischen Kalksteine und Mergel, die bekanntlich fast immer mehr oder minder thonhaltig sind. Das ausgewaschene und zer- fressene Aussehen der Kalksteine, in deren Spalten und Vertiefungen die Bohnerze abgesetzt sind, zeigt dass sie in der That durch säurehalige Gewässer angegriffen wor- den sind, und welche Säure möchte diess wohl eher be- wirkt haben, als die auch in frühern geologischen Perioden allgemein verbreitete Kohlensäure, deren analoge Wirkun- gen wir in unsern heutigen Quellen noch wahrnehmen. Wir finden also in den Bohnerzlagern dieselben Be- standtheile, ja meistens dieselben chemischen Verbindungen, aber gesichtet und gesondert, das Gleichartige zu grössern Massen vereinigt, wieder, dieselben, welche wir als die Bestandtheile der umgebenden Sedimentgesteine erkannt haben. Es kann daher kaum mehr bezweifelt werden, dass die Mineralmassen der Bohnerzlager die, theils auf chemi- schem, theils auf mechanischem Wege gesonderten Aus- laugungsprodukte jener Sedimentgesteine sind, deren zahl- reiche Spalten die corrodirenden aus der Ticfe aufsteigenden kohlensauren Gewässer durchzogen haben. L Es wäre ein Leichtes, nach dieser Theorie, alle die verschiedenen Vorkommnisse, die Herr Quiquerez so genau DR 7 = LA à AS TS 109 in seiner schönen Arbeit über das Terrain sidérolitique be- schrieben hat, wie z. B. die grosse Reinheit einzelner Sand-, Thon- oder Erzmassen, oder die stellweise Verun- reinigung anderer, zu erklären, wenn diese Nachweisungen einen grössern Raum in diesen „Berichten“ in Anspruch nehmen dürften. Doch werden die wenigen gegebenen An- deutungen genügen, um den unternommenen Erklärungs- versuch zu rechtfertigen. Was die pisolitische Form der Bohnerze selbst be- trifft, so verdankt wohl diese ähnlichen günstigen Umstän- den ihre Entstehung, wie wir sie oben bei der Bildung der kalkigen Carlsbader-Pisolite dargestellt haben. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass man noch, dem Bohnerz ganz ähn- liche, pisolitische Eisenerzablagerungen, so gut wie Kalk- „Ppisolite, als Absätze unserer jetzigen Säuerlinge auffinden wird, wenn dies nicht schon geschehen ist. Man sollte in der Nähe der Bohnerzlager, in Folge der Auflösung der kalkigen Sedimentgesteine durch die kohlen- sauren Gewässer, bedeutende sekundäre Ablagerungen von kohlensaurer Kalk- und Talkerde erwarten. Solche finden sich aber, meines Wissens, in der Regel nicht vor. Ohne Zweifel wurden diese beiden, in kohlensäurehaltigen Ge- wässern so leicht löslichen Carbonate, grösstentheils, gleich den noch löslichern alkalischen Salzen, durch die Bäche und Flüsse bis in die benachbarten See- oder Meeresbecken geführt, um da zur Bildung von Süsswasserkalken oder ma- rinischen Sedimenten beizutragen. Die Absätze unserer heutigen Mineralquellen mögen uns als geringfügig erscheinen, gegenüber jenen mächtigen Ab- 'lagerungen, wie wir sie in den Bohnerzlagern, älterer Erz- lager nicht zu gedenken, vor uns haben. Wir dürfen je- doch nicht ausser Acht lassen, dass ohne Zweifel unsere Thermen und Säuerlinge, nur noch die schwachen Nach- klänge einer weit intensivern und allgemeiner verbreiteten 110 plutonischen Thätigkeit sind, die in jenen frühern geologi- schen. Perioden nicht nur die Spaltung und Aufrichtung der Felsschichten zu Gebirgen und das Hervortreten basaltischer, trachytischer und anderer Eruptivgesteine bewirkte, sondern auch aus zahllosen Quellen, welche die Gebirge auslaugten, ungeheure Massen von Kohlensäure an die Erdoberfläche sandte, ein Process, der vielleicht Jahrtausende währte, Wir haben in den fossilen Pflanzen- und Thiergeschlechtern zahlreiche Beweise, dass bis in die Tertiärzeit hinein die innere Erdwärme die jetzigen den verschiedenen Breite- graden entsprechenden Temperaturunterschiede grössten- theils ausglich. Die Mineralquellen und namentlich die Thermen und Säuerlinge mussten damals viel verbreiteter, reichhaltiger und im allgemeinen wärmer, mithin alle che- mischen Wirkungen intensiver und die Absätze reichlicher, massenhafter, als heutzutage, gewesen sein. à Die Kohlensäure, selbst ein Product jener hôhern plutonischen Thätigkeit, welche die glühenden Eruptivmas- sen im Erdinnern in Contact mit den nächstliegenden kal- kigen Sedimentgesteinen brachte, erscheint, wie wir oben gesehen haben, in Verbindung mit den Gewässern als die _ hauptsächlichste Vermittlerin jener chemischen Processe. Ihre Aufgabe scheint zu der Zeit, in welcher sie die Bil- dung der Bohnerzlager veranlasste — eine Thätigkeit, die viel- leicht schon beim Beginn der Kreideperiode ihren Anfang genommen hat, und wahrscheinlich noch den grössten Theil der Tertiärzeit hindurch fortdauerte — eine mehrfache ge- wesen zu sein. Ohne Zweifel hat sie da, wo sie sich in der Tiefe massenhaft in Gasform ansammelte, ohne einen. Ausweg zu finden, gleich den gespannten Wasserdämpfen, zeitweise Erderschütterungen, und in deren Folge Spaltun- gen und Hebungen der Felsschichten verursacht, oder wo sie mit Hülfe der Gewässer die untern Schichten durch- wühlte, zu Rutschungen und Senkungen der daraufliegenden 111 + Veranlassung gegeben. Sie hat die in den jurassischen und triasischen Schichten weit zerstreuten Eisen- und Mcengan,- Thon- und Sandtheilchen gesammelt, und theils mechanisch suspensirt, theils gelöst, mit dem gleichfalls gelösten Kalk- und Magnesiacarbonat, in den heraufquellenden Gewässern aus der Tiefe an die Oberfläche gebracht, und hier mit Hülfe des Sauerstoffes und des Wassers chemisch und me- chanisch gesondert und das Gleichartige in concentrirtem Zustande zusammengehäuft. Sie hat dadurch das Geschäft des Berg- und Hüttenmannes wesentlich erleichtert, man könnte sagen, ein bestimmtes Quantum industrieller Arbeit verrichtet. Sie hat dem Hüttenmann die Erze, dem Geschirr- fabrikantenten den Thon, dem Tuchmacher die Walkererde, dem Maurer und Glasfabrikanten den Sand geliefert. Sie hat auch der Wissenschaft Dienste erwiesen, indem sie in grosser Menge den Kalk in den Gewässern aufgelöst erhielt, der sich später in den Seen und Meeresbuchten in feinen und reichlichen Niederschlägen wieder absetzte, und so nicht wenig zur Conservation der zahlreichen Thier- und Pflanzenreste beitrug, wie wir sie bei Oeningen, Aix, Ra- doboj, am Monte Bolca.und ähnlichen Localitäten finden. Ferner hat die Kohlensäure ohne Zweifel schon damals die in den Sandsteinschichten vorhandenen Reste von alkali- schen und erdigen Silicaten zersetzt und in lösliche Carbo- nate umgewandelt. Ein grosser Theil dieser Carbonate wurde durch die Flüsse in das Meer geführt, so namentlich das häufig vorkommende Natroncarbonat, und daselbst im Austausch mit dem bereits im Meerwasser enthaltenen Chlorcalcium und Chlormagnesium, in Chlornatrium oder Kochsalz, unter Ausscheidung von Kalk- und Magnesiacar- bonat, umgesetzt. Ein anderer Theil der in den Gewässern gelösten alkalischen Carbonate, namentlich das Kalicarbonat «wurde schon unterwegs von den Pflanzen absorbirt, oder, besonders das Natroncarbonat, als natürliche Soda, bis- 112 weilen auch in Folge einer Umwandlung desselben durch Sulfate und Chlorüre, als Glaubersalz und Kochsalz, an trockenen Orten, besonders in wärmern regenarmen Ge- genden, krystallinisch ausgeschieden. Auf ähnliche Weise hat die Kohlensäure die Kieselsäure der Silicate freige- macht und in ihrer löslichen Modification in die Gewässer eingeführt. Aus letztern wurde die Kieselsäure wieder in der Form von Jaspis-, Hornstein- oder Feuersteinkugeln, von Quarzen, Achaten oder Chalcedonen ausgeschieden, oder zur kieseligen Umwandlung anderer Mineralien, sowie von Thier- und Pfianzenresten verwandt. Manche Infusorien- gattungen haben den Stoff für ihre Kieselpanzer solchen Gewässern entnommen. Endlich hat die Kohlensäure, in Folge der vulkanischen Einwirkungen in der Tertiärzeit in grosser Menge den Spalten der Erdrinde entsteigend, ge- wiss mit zur Entwicklung einer üppigen Braunkohlenflora beigetragen, die in der reichlichern Menge der frei gewor- denen Alkalien und löslichen Kieselsäure auch von anderer Seite eine förderliche Nahrung fand. Mit dieser üppigen Vegetation der Tertiärzeit entfaltete sich eine reiche viel- gestaltige Fauna von Landthieren, namentlich von Insekten und Säugethieren, deren wachsender Ueberschuss vielleicht stellweise wieder durch die Kohlensäureexhalationen selbst auf eine schmerzlose Weise getilgt wurde. Diesen Betrachtungen zufolge erscheint das Bohnerz- gebilde nur als ein einzelnes Glied einer langen Kette von Erscheinungen, die alle direct oder indirect von dem massen- haften Auftreten der Kohlensäure abhiengen, welches Auf- treten, wie wir gesehen haben mit der periodisch erhöhten Reaction des glühenden Erdinnern gegen die äussere starre Rinde und mit der Erhebung der Gebirge in engem Zu- sammenhange steht. Dass diese Gasexhalationen, die gegen die Mitte def Tertiärzeit ihren Höhepunkt erreicht zu haben scheinen, 113 schon lange vorher ihren Anfang nahmen, und noch lange nachher, nur langsam abnehmend, durch die ganze Tertiär- periode, an zahlreichen Punkten der Erdoberfläche, bis auf unsere Tage, obgleich schwächer und vereinzelter, ihre Thätigkeit fortsetzten, wird wohl von Niemanden in Zweifel gestellt werden. Wir werden demnach nicht nur im Jura, sondern in vielen andern Gebirgen Erzlagern aus sehr ver- schiedenen Zeiten herstammend begegnen, welche, gleich dem Bohnerzgebilde, wesentlich den Kohlensäureexhalatio- nen ihre Entstehung verdanken. . 29. März 1854. Ueber das Vorkommen von rei- nem Chlorkalium am Vesuv. Unser Museum wurde in den letzten Jahren von mehrern Seiten, namentlich von Hrn. Debary-Sarasin dahier und von Hrn. Köchlin, Maire von Mülhausen, mit einer Anzahl Vesuver Mineralien be- schenkt. Darunter befanden sich auch verschiedene Laven, worunter mir ein poröses Stück auffiel, welches mit einer schneeweissen krystallinischen Masse krustenartig überzo- gen war, die ich beim ersten Anblick für eine Kochsalz- - oder Salmiaksublimation, bekanntlich nicht selten am Vesuv, hielt. Eine genauere chemische Untersuchung, sowohl auf nassem Wege, als auf trockenem, vor dem Löthrohr, zeigte, dass diese Masse fast reines Chlorkalium, und we sich aus der deutlich violetten, nur schwach gelblich gefärbten Löthrohrflamme ergab, fast ganz frei von Natron ist. Alle Eigenschaften, das Aussehen, die Krystallform, die Löslich- keit, der Geschmack, die Schmelzbarkeit nnd Sublimirbar- keit zeigten die vollkommenste Uebereinstimmung mit dem in unsern Laboratorien dargestellten Chlorkalium. Da ich in keinem der neuern mineralogischen Lehr- bücher, die mir zu Gebote stehen, das selbstständige ‚natürliche Vorkommen des Chlorkaliums, als Mineral, auf- geführt finde, so glaube ich diese Substanz als eine selbst- 8 114 ständige Species in die Mineralogie einführen zu dürfen. Leider hatte ich nicht genug Material, um eine genaue quantitative Analyse veranstalten zu lassen. Von Kalk-, Talk- und Thonerde zeigte sich keine Spur, von Natron ist jedenfalls nur ein Minimum vorhanden. Ich bin überzeugt, dass dieses Mineral künftighin noch hie und da gefunden werden wird, wenn man nur danach sucht. In der That habe ich seit dieser Untersuchung, welche im Februar des vorigen Jahres ausgeführt wurde, in Bischofs Geologie, neuester Band (Bd. 2, Abth. 6) eine Angabe gefunden, worin das Vorkommen von sehr kali- reichem (50 % und mehr Chlorkalium enthaltenden) Koch- salz gemeldet wird, ein Vorkommen, das offenbar nur Uebergänge zu dem reinen Mineral anzeigt, das mir zufällig in die Hände fiel. Auch wenn ich nicht in den Stand gesetzt worden wäre, durch diese zufällige Acquisition das Vorkommen des Chlorkaliums thatsächlich nachzuweisen, oder wenn keine weitern bestätigenden Beobachtungen über das Vor- kommen von chlorkaliumreichen Kochsalz vom Vesuv be- kannt geworden wären, so liessen sich doch Gründe genug anführen, welche das natürliche Vorkommen von Chlorkalium in der Nähe von Vulkanen wahrscheinlich machen. Jedermann weiss, das Ausströmungen von heissen Wasserdämpfen, von Kohlensäure, Salzsäure, schweflichter Säure und Schwefelwasserstoff, welche beiden letztern un- ter günstigen Umständen zu Schwefelsäure oxydirt werden können, zu den gewöhnlichen Erzcheinungen vulkanischer 'Thätigkeit gehören. Andrerseits wissen wir, dass die nähern wesentlichen Bestandtheile der Laven aus Augit, Olivin, Magneteisen und einem labradorähnlichen Feldspath, der aber bisweilen durch Leuzit vertreten ist, bestehen. Die 115 entferntern wesentlichen Bestandtheile sind: Kieselerde, Kali, Natron, Kalk-, Talk- und Thonerde, Eisenoxyd und Eisenoxydul, wozu bisweilen noch kleine Mengen von Kupfer-,- Mangan- und Chromoxyd kommen. Die corrodi- renden Wirkungen jener Säuren und Dämpfe auf die be- nachbarten vulkanischen Gesteine, sehr oft noch unterstützt durch hohe Temperaturen und starken Druck, sind gleich- falls allenthalben ersichtlich. Vor uns liegen eine Reihe mehr oder minder zersetzter Laven, von denen einige, die Endglieder dieser Zersetzung, nach meinen Untersuchungen nur noch aus einem Skelett von Kieselerde bestehen und durch ihre gelblich weisse Farbe gewissen Kalk- oder Schwefelsintern täuschend ähnlich sehen. Ebenso müssen wir in der Nähe der Vulkane die durch den Angriff jener Säuren und Dämpfe auf die benachbarten Gesteine entstehenden Zersetzungsprodukte wiederfinden. Diese letztern müssen natürlich alle diejenigen Bestand- theile wieder enthalten, aus denen die ursprünglichen Ge- steine, so wie die Gase und Dämpfe zusammengesetzt sind. Aus dem Contact dieser Zersetzungsprodukte unter sich oder mit andern Gasen und Dämpfen werden neue Ver- bindungen hervorgehen, die oft einer abermaligen Zer- setzung unterliegen. Wenn nicht so häufig solche secundäre Zersetzungen stattfinden würden, so könnten wir, Obigem zufolge, mit ziemlicher Sicherheit a priori die Arten von Zersetzungs- produkten bestimmen, die wir bei einem gegebenen Vulkan, dessen Exhalationen und Gesteine wir kennen, vorfinden werden. Manche dieser Salze sind nicht nur sehr leicht zersetzbar, sondern meistens auch in Wasser sehr löslich, so dass sie bald nach ihrer Entstehung grösstentheils wie- der durch die atmosphärischen Gewässer fortgeführt werden s* 116 und nur an einzelnen, vor Feuchtigkeit geschützten Stellen sich erhalten können. Einer solchen günstigen Oertlickeit verdankte ohne Zweifel auch unser Chlorkalium seine Erhaltung. Nichts desto weniger kommen manche ‘dieser Salze bei Vulkanen ziemlich häufig vor, wie kohlensaures und schwefelsaures Natron, schwefelsaures Kali, schwefelsaure Thonerde, Kali- und Natronalaun, Salmiak und andere, wovon gleichfalls eine Reihe von Belegstücken hier vorliegt. Andere mög- licher oder wahrscheinlicher Weise noch vorkommende Verbindungen sind wohl desshalb bisher selten oder nie gefunden worden, weil sie mit andern häufiger vorkom- menden Salzen verwechselt wurden. Bekanntlich sind die meisten dieser Salze, wo sie als Sublimations- und Incru- stationsprodukte in undeutlich krystallinischen Massen auf- treten, einander sehr ähnlich. Auch vernachlässigen aus leicht begreiflichen Gründen die meisten Geologen und Mineralogen, welche Vulkane besteigen, die nähere Unter- suchung dieser unscheinbaren Substanzen. Jedenfalls lässt sich, was die bisher wirklich ge- fundenen Salze betriflt, die Art ihres Vorkommens,_ ihre chemische und mineralogische Beschaffenheit, ihre grössere oder geringere Reinheit, aus der chemischen Constitution der vorhandenen Gase, Dämpfe und Gesteine und ihrer ge- genseitigen Einwirkung, bis ins Einzelne erklären. Es ist jedoch hier nicht der Ort, die Erklärung aller jener Zer- setzungsprodukte im Einzelnen auszuführen, ich beschränke mich darauf, diess beispielsweise bloss an dem von mir aufgefundenen Chlorkalium zu versuchen. Da in den Laven die verschiedenen alkalischen, er- digen und metallischen Oxyde zusammen vorkommen, so erklärt sich auch daraus die öftere Vermengung der im Contact mit den sauren Dämpfen und Gasen aus denselben 117 hervorgehenden Chlorüre, Carbonate und Sulfate. Die Sul- fate und Carbonate sind wenig oder gar nicht flüchtig, wohl aber in höhern Hitzgraden, wie sie nahe über dem vulkanischen Heerde wohl vorkommen können, die alkali- schen Chlorüre, während die erdigen Chlorüre eher zersetzt werden, als sich verflüchtigen lassen. Hieraus erklärt sich die öftere Reinheit der alkalischen Chlorüre oder der aus ihrer Zersetzung hervorgehenden Sulfate in Bezug auf er- dige Bestandtheile. Das gleichfalls flüchtige Eisenchlorid _ wird. von jenen dadurch abgeschieden, dass es sich bei Anwesenheit von Luft und Wasserdämpfen — Bedingungen die selten fehlen — in Eisenoxyd umwandelt*). Chlor- kalium und Chlornatrium werden, da beide ungefähr in denselben Hitzgraden verdampfen, und beide alkalische Basen gemengt in den, von salzsauren Dämpfen angegriffe- nen Laven enthalten sind, gewöhnlich auch gemengt mit einander vorkommen. Ich habe jedoch ermittelt, dass Chlor- kalium leichter zu verflüchtigen ist, als Chlornatrium, ein Umstand der die Trennung beider Chlorüre in der Nähe des vulkanischen Heerdes gleichfalls erleichtert. Ebenso wird die leichtere Zersetzbarkeit der kalk- und natronhaltigen Feldspathe, wo solche gleichzeitig mit kalihaltigen auftre- ten, die Scheidung der beiden Alkalien einleiten. Ueberdiess giebt es auch bekanntlich vesuvische Laven, wie den so- genannten Leucitporphyr, dessen feldspathartiger Gemeng- theil, nämlich der Leucit, als alkalische Basis nur Kali und kein Natron enthält. Aus der Zersetzung solcher Leucit- porphyre mittelst salzsaurer Dämpfe könnte also ein sehr reines Chlorkalium hervorgehen. Wir sehen hieraus, dass Chlorkalium und Chlornatrium wohl getrennt auftreten kön- ®) Auf ähnliche Weise sind vielleicht das am Vesuv vorkommende Rothkupfer- erz und der Periklas (reine Magnesia) aus den Chlorüren des Kupfers und Magnesiums hervorgegangen. 118 nen, wenn sie auch wegen ihres gemeinsamen Ursprunges und ihrer so nahe übereinstimmenden Eigenschaften oft genug mit einander gemengt auftreten werden. Das Meersalz enthält bekanntlich, nach den von G. Bi- schof zusammengestellten zahlreichen Analysen, höchstens 3 %, dasjenige des Mittelmeeres an der westlichen italiä- nischen Küste sogar nur 1 % Chlorkalium; alles vesuvische Kochsalz, das also mehr als 3 % Chlorkalium enthält, kann : ebensowenig, als unser reines Chlorkalium, durch directe Sublimation des Meersalzes in der Nähe des vulkanischen Heerdes entstanden sein, wie öfters behauptet wurde. Ja es wird hiedurch sogar sehr wahrscheinlich, dass auch das reinere, von Chlorkalium fast freie, vulkanische Kochsalz, grösstentheils erst aus der Zersetzung der natronreichen Feldspathe der Laven mittelst salzsaurer Dämpfe entstan- den ist. Es wird desshalb das vulkanische Kochsalz in die Reihe der übrigen aus der Zersetzung der vulkanischen Gesteine hervorgegangenen Chlorüre, Sulfate, Carbonate und Oxyde einzuordnen sein. Schliesslich bleibt noch ein Wort über die Kiesel- säure zu sagen übrig, die, als ein Hauptbestandtheil fast aller Eruptivgesteine, und so auch der Laven, bei der Zer- setzung dieser Silicate gleichfalls unter irgend einer Form zum Vorschein kommen muss. Wir haben gesehen, wie die vorgewiesenen Vesuvlaven in der Weise corrodirt und ausgelaugt werden, dass zuletzt nur noch ein lockeres Kieselskelett übrig blieb. Nicht immer, ja selten, nimmt die Zersetzung der vulkanischen Gesteine diese Richtung. In allen Gesteinen, welche sich nicht in der Nähe des vulkanischen Heerdes befinden, und mehr dem Zutritt von sauren Flüssigkeiten, als von sauren Dämpfen ausge- setzt sind, tritt, bei der Zersetzung der Silicate, mit den ausscheidenden Alkalien, Erden und Metalloxyden, die 119 Kieselsäure in ihrer löslichen Modification mit aus, und giebt so zur Bildung der mannigfachen Varietäten des Quarzes Veranlassung, wie Chalzedon, Achat, Hyalith, Hornstein, Kieselsinter u. dgl. Bei unsern zerfressenen Vesuvlaven hingegen verwandelte die vom nahen glühen- den Heerd ausströmende Hitze die bei der Zersetzung ausscheidende Kieselsäure sofort in die unlösliche Modi- fication, die als nicht weiter angreifbar nach Ausscheidung aller übrigen löslichen Bestandtheile als ein Kieselskelett zurückbleiben müsste. 120 ; ENTOMOLOGIE. Hr. Dr. L. Imuorr: Ueber eine neue Gattung der Scolopendriden von der afrikanischen Gold- küste: Alipes multicostis Imh. (Vorgetragen den 16. Nov. 1853.) Das Thier, welches ich hier beschreibe, glaube ich für neu nach Gattung und Art halten zu müssen. Es ist wenigstens dem Verfasser der im Jahr 1845 (in dem 19. Bande der Transactions of the Linnean Society) heraus- gegebenen vortrefflichen Monographie der Myriapoden, Newport, unbekannt gewesen. Ich gebe in Folgendem zu- nächst die auszeichnenden Merkmale der Gattung und Art: Alipes nov. gen. Scolopendridarum. Pedum postremorum articulis primo & secundo elonga- tis, inermibus, reliquis membranaceo-dilatatis, alam tri- articulatam, perpendicularem exhibentibus. | Adnotatio. Alipes cognomen Mercurii apud Ovidium. Alip. multicostis. Segmentis corporis, anterioribus exceptis, in dorso carinatis, carinis septem, posteriorum paucioribus; pedum postremorum ala sub-elliptica, lobis basali et apicali quam intermedio minoribus. Der Körper misst vom Kopf bis zum hintersten Seg- mente nahe an 3 Zoll; er ist schlank zu nennen, insofern manche der grössern Segmente nicht breiter als lang, das viertletzte sogar länger als breit ist. Auf der Rückenseite sind das 5. und alle folgenden beinetragenden Segmente durch unregelmässige Runzeln rauh, ausserdem noch von Längskielen durchzogen; es liegt deren je einer am Seiten- 121 rande, zwischen diesen zählt man noch 5, auf den zwei hintersten nur 3; der mittlere Kiel ist ferner mehr oder weniger undeutlich auf den vordern Segmenten. Wie es bei den Scolopendriden gewöhnlich ist, folgt sich ab- wechselnd ein grösseres und kleineres Segment. An der vordern Seitenecke zeigen sich besonders manche der grössern niedergedrückt, wodurch eine mässige Einschnü- rung entsteht. Die allervordersten Segmente sind wie der Kopf völlig glatt; dieser hat zusammengedrückte, nach dem Ende allmälig verdünnte, wenigstens 17gliedrige Fühler. Athemlöcher von kreisrundem Umfange finden sich über dem 3., 5., 8., 10., 12., 14., 16., 18., 20. der 21 Beinpaare. Von diesen zeichnet sich das letzte durch Grösse und Ge- stalt sehr aus. Es beträgt au Länge mehr als einen Dritt- theil des eigentlichen Körpers. Man kann es flügeltragend nennen oder mit einem gestielten Blatte vergleichen, dessen Stiel als zweigliedrig zu bezeichnen wäre. Die zwei ersten Glieder dieser Beine zeigen sich nicht dicker als irgend eins der vorhergehenden Beine an seinen Anfangsgliedern, sie sind ferner langgezogen und völlig unbewehrt. Das Blatt nun oder der Flügel zeigt sich als dünne Haut, ist senkrecht gestellt, im Umriss ziemlich elliptisch und drei- gliedrig, bietet somit 3 Lappen dar, von denen der mittlere der grösste, der endständige der kleinste ist. Der erste ist etwas herzförmig, der zweite und dritte sind zusammen- genommen im Umfange eirund mit zugespitztem Ende; durch alle drei zieht sich eine etwas geschwungene Mittelrippe, welche gegen die Endspitze allmälig schwächer wird. Die Färbung des Thieres mag durch den Ted Veränderungen erlitten haben. Sie zeigt sich olivenbraun auf der Rücken-, blasser auf der Bauchseite der Segmente, braunröthlich am Kopfe und dem Kopfsegmente, bräunlichgelb an Fühlern, Mundtheilen und Beinen und blassrosenroth an den Flügel- beinen. 122 Das einzige, nicht vollständige, Exemplar, welches na- mentlich keine genauere Untersuchung der Mundtheile und der Athemlöcher erlaubt, stammt von der Goldküste Gui- neas und befand sich unter verschiedenen in Rum auf- bewahrten Insecten, die mir Hr. Professor Dr. Streckeisen mitgetheilt hat. Diese Gattung bietet in den hintersten Beinen eine höchst überraschende Bildung dar und weicht sehr von allen übrigen der Scolopendridae Newp. ab; am ehesten könnte dem Thiere etwa noch wegen der ebenfalls statt- findenden Unbewehrtheit der hintersten Beine Branchiostoma nuda Newp. (loc. eit. p. 412) genähert werden. Sie macht auch eine Aenderung der von Newport in seiner Diagnose der Scolopendridae gegebenen Bestimmung „pedes poste- riores incrassati; articulo primo vel secundo spinoso“ nöthig. Die Abbildung stellt die Art in natürlicher Grösse von der Seite gesehen dar (die fehlenden Beine sind durch punk- tirte Linien angedeutet); vergrössert in a. die 8 letzten Körpersegmente von der Rückenseite, in b. eins der hinter- sten Beine. 123 PHYSIR. Herr Fripr. Burcxnarpr: Ueber Binocularsehen. (Vorgelesen d. 12. Jan. und 9. März 1853.) Die Erscheinungen des binocularen Sehens beschäftigen seit einigen Jahrzehnden manche Physiologen und Physiker, seitdem durch J. Müllers Gründlichkeit die vielfachen, verschiedenartigen und höchst zerstreuten Beobachtungen eine wissenschaftliche Bearbeitung gefunden haben. Zu der Beantwortung der Frage: Wie kann und wann muss ein objectives Einzelbild auch subjectiv als solches, wann nicht als solches empfunden werden? ist seit Müller wenig Durchgreifendes mehr in die Lehre vom Sehen mit beiden Augen eingeführt worden. Seine auf die Annahme identi- scher Netzhautstellen begründete Theorie vom Einfach- und Doppeltsehen eines einfachen Körpers wurde von den Phy- siologen fast ebenso allgemein angenommen, als von den Physikern bekämpft, und man ist auch gegenwärtig noch lange nicht über diesen Hauptpunkt einig. Durch diesen Kampf hat sich eine ziemlich bedeutende Litteratur gesam- melt, so dass es mir hier nicht möglich ist, auf alles darin Behandelte näher einzutreten; ich werde mich an Einzel- nes, das besonders hervorzuheben ist, halten müssen. Die Lehre von den identischen Netzhautstellen ist nach J. Müller kurz zusammengefasst folgende: Jeder Punkt in dem Einen Auge hat im andern einen entsprechenden, iden- tischen; alle andern Punkte des zweiten Auges verhalten sich gegen ihn different. Denkt man sich die Augen- achsen verlängert, bis sie die Netzhäute schneiden, und heisst man die Schnittpunkte Pole der Augen, umgiebt man 124 ferner die Augen mit Längen- und Breitenkreisen um diese Pole, so heissen zwei Punkte, welche gleiche Länge und Breite haben, identisch, solche, die verschiedene Länge und Breite haben, different. Identische Punkte liegen also in den beiden Augen gleich und unsymmetrisch. Sendet ein Punkt ausserhalb des Auges Strahlen in jedes Auge, welche identische Stellen treffen, so wird er einfach gesehen, treffen dieselben differente Stellen, so wird er doppelt gesehen. Kreuzen sich die Sehachsen in einem Punkte, so sieht man diesen Punkt einfach, weil die Pole der Augen (die jedenfalls entsprechend sind) getroffen werden. Durch eine einfache geometrische Betrachtung hat Müller nachgewiesen, dass nicht nur der Convergenz- punkt der Augenachsen bei einer bestimmten Stellung der- selben einfach gesehen wird, sondern dass alle Punkte, welche auf einem Kreise liegen, der durch den Convergenz- punkt und durch die Augenmittelpunkte gelegt werden kann, ebenfalls einfach erscheinen. Durch die beiden Augenachsen wird eine Ebene bestimmt, und kein Punkt der Ebene weder ausserhalb, noch innerhalb des genannten Kreises, des Ho- ropters, genügt der Bedingung identische Netzhautpunkte zu affıciren. Es darf natürlich diese aus einer geometrischen Betrachtung hervorgehende Kreislinie in der Wirklichkeit nicht als genau richtig betrachtet werden. Sie ist nur die- jenige Linie, welche für alle Augenpaare, alle Augenstel- lungen und Refractionszustände der Bedingung am nächsten entspricht. An dieser Horopterlinie ist viel gerüttelt worden. Heermann hat eine Verbesserung zu geben versucht mit Berücksichtigung der verschiedenen Refractionszustände für verschieden gerichtete Strahlen und glaubt, „den ungefähri- gen Horizontaldurchschnitt des Horopters gegeben zu haben.“ Mathematische Unrichtigkeitsn machen die Ableitung höchst unklar. 125 Volkmann erwähnt eine Verallgemeinerung des Hor- opters für den Raum und findet eine Kugel, deren Aequator der Horopter ist*). Auch die Identitätsfläche Tourtuals entspricht der Bedingung nicht. Es lässt sich aber er- weisen, und diess ist zuerst von Prévost geschehen, dass die räumliche Horopterfigur nichts anderes ist, als der Müller'sche Horopterkreis und eine im Convergenzpunkt der Augenachsen auf den Horopter errichtete Senkrechte. Ich habe diese Figur unabhängig von Prevost auf ganz anderm Wege auch erhalten, will aber nicht in die ge- nauere Auseinandersetzung eintreten, sondern nur den Gang des Beweises andeuten. Die Augen müssen als Kugeln angenommen werden. Die Mittelpunkte derselben als Kreuzungspunkte der Strah- len. Uebrigens gilt der Beweis, es mag irgend ein Punkt der Augenachsen als Kreuzungspunkt angenommen werden. Die Horopterebene schneidet die Augen in grössten Kreisen A und A,, welche nur identische Punkte enthalten. Denkt man sich durch die Sehachsen Ebenen gelegt, senk- recht zu der Horopterebene, so schneiden diese wieder die Augen in grössten Kreisen B und B,, welche senkrecht auf die ersten stehen und nur identische Punkte enthalten; die beiden Ebenen schneiden sich aber in einer Linie, welche im Achsenconvergenzpunkte senkrecht auf den Horopter steht. 3 Werden ferner durch den Punkt, welche dem Con- vergenzpunkt auf dem Horopterkreise diametral gegenüber- steht und durch die Augenmittelpunkte Ebenen senkrecht auf den Horopter gerichtet, so schneiden sich dieselben in einer Senkrechten, die Augen aber in grössten Kreisen C und C;, welche wiederum nur identische Punkte enthalten. Gehen von irgend einem Punkte des Horopterkreises oder #) Auch in Ludwigs Physiologie ist noch von dieser Kugel die Rede. 126 der beiden Senkrechten Strahlen nach den Augen, so wer- den gleichliegende, identische Punkte getroffen und zwar entsprechen den drei Theilen des räumlichen Horopters drei Paare identischer Kreise. Diese drei Kreise, von de- nen in Wirklichkeit aus einem leicht ersichtlichem Grunde nur zwei in Betracht kommen können, möchte ich Haupt- kreise nennen, sie sind constant und entsprechen den beiden Theilen des räumlichen Horopters, die Kreise A’ und A, dem Müllerschen Horopter, die Kreise B und B; der Senkrechten im Achsenschnittpunkte. Denkt man sich von irgend zwei identischen Punkten aus, welche nicht auf den Hauptkreisen liegen, Strahlen nach aussen gezogen, so werden sich dieselben zwar in einer horizontalen Projection schneiden; legt man aber die Raumfigur in die Horopterebene um, so sieht man leicht, dass es unmöglich ist, dass sich die Strahlen schneiden. Es geht daraus umgekehrt hervor, dass es im Raume ausser den, beiden Hauptkreisepaaren entsprechenden Linien keinen Ort giebt, von dem’Strahlen nach identischen Netzhautpunkten gelangen können. Alle Punkte aber im Raume, welche nicht einfach ge- sehen werden können, weil sie differente Stellen treffen, werden doppelt gesehen, und zwar lässt sich eine ver- schiedenartige Verschiebung denken. Horizontal doppelt erscheinen alle Punkte, welche 1) in der Horopterebene, 2) in einer Ebene liegen, welche senkrecht auf die Mitte der Verbindungslinie beider Augenmittelpunkte steht. Vertical doppelt erscheinen alle Punkte, welche auf einem Cylinder liegen, dessen Erzeugungskreis der Horopter, und dessen Achse senkrecht auf denselben steht. Für alle andern Punkte des Raumes tritt zugleich eine horizontale und seitliche Verschiebung ein. Die horizon- 127 talen Doppelbilder erscheinen um so divergenter, je weiter der gesehene Punkt sich vom Horopterkreise entfernt, die verticalen Doppelbilder, je weiter sich der Punkt von der Senkrechten im Convergenzpunkte der Augenachsen entfernt. Die beiden genannten Ebenen, in welchen sich alle horizontal doppelt gesehenen Punkte befinden, und der Cy- linder, welcher alle vertical doppelt gesehenen enthält, schneiden sich aber in dem Müllerschen Horopterkreise und den beiden dazu senkrechten Linien, welche oben sind construirt worden. Die Bestätigung der angeführten Thatsachen, welche aus der Annahme identischer Netzhautstellen mit Noth- wendigkeit hervorgehen, lässt sich leicht durch das Ex- periment geben, vorausgesetzt, dass das beobachtende Auge eine gewisse Empfindlichkeit für Doppelbilder hat. Meine Augen sehen eine Nadel, welche in der Entfernung von 8— 10” eine Linie vor einen Punkt auf weissem Papier gehalten wird, noch deutlich doppelt, so dass ich denselben wohl einige Schärfe in Bezug auf Wahrnehmung von Dop- pelbildern zuschreiben darf. Werden die beiden Augen in möglichst fester Lage in die Richtung einer Ebene gebracht, und wird zugleich ein Punkt fixirt, so lassen sich durch Hin- und Herbewegen einer Nadel leicht noch viele andere Punkte finden, welche bei dieser fixirten Augenstellung einfach gesehen werden. Zieht man durch alle diese Punkte’ einen Bogen, so gehört dieser höchst annähernd einem Kreise an, der durch die Augenmittelpunkte geht. Es wird hiedurch erwiesen, dass selbst bei Berücksichtigung der verschiedenen Refraction für seitlich einfallende Strahlen, der Horopter nahezu die Gestalt eines Kreises hat. Es braucht nicht weiter erwähnt zu werden, dass die verticalen Doppelbilder, so wie die zugleich seitlich und vertical verschobenen mit einiger Uebung leicht können 128 wahrgenommen werden, alle natürlich bloss in einem ver- hältnissmässig kleinen Bogen, da der Nasenvorsprum, der Beobachtung von Doppelbildern ein unübersteigliches Hin- derniss in den Weg legt, und so gerade die divergentesten Doppelbilder beseitigt. Das Sehen einfacher Körper sollte der Lehre von den identischen Netzhautpunkten einen harten Stoss bei- bringen, und zwar knüpft sich der Angriff zunächst an die Erfindung des Stereoscops. Werden etwas nahe Gegenstände in ruhiger Lage der Augen von jedem Auge gesondert betrachtet, so ist leicht eine Verschiedenheit der Bilder in beiden Augen wahr- zunehmen. Wir sehen überhaupt nur dann ein Körperbild, wenn die beiden Retinabilder ver- schieden sind. Porterfield vergleicht unser Augen- paar zwei Standpunkten, von denen aus wir die Gegen- stände aufnehmen. Wir dürfen, wenn wir einen Körper in seinen Dimensionen und seiner Entfernung vom Auge wollen richtig erkennen, denselben nicht bloss mit Einem Auge, einseitig, betrachten. Wheatstone zog daraus den ein- fachen Schluss, dass das Augenpaar, wenn jedem Auge besonders ein getreues Abbild des Körpers vom richtigen Standpunkt aus aufgenommen, dargeboten würde, nicht ein Flächenbild, sondern ein Körperbild wahrnehmen müsste. Projieirt man den Körper für zwei Augenpunkte so, dass als Augendistanz die Weite des deutlichen Sehens, als Abstand der beiden Verschwindpunkte die Entfernung beider Augenmittelpunkte angenommen wird, so erhält man zwei Bilder desselben Körpers; welche vollkom- men so beschaffen sind, dass sie auf den beiden Netz- häuten dieselben Contouren entwerfen, wie sie der Körper selbst hervorbringen würde. Da aber Ungenauigkeit der Ausführung den Erfolg stören könnte, kann man den besten Zeichner, das Licht, auf die jodirte Silberplatte zeichnen 129 lassen; alsdann entstehen, wenn die beiden Stellungen, unter denen die Bilder eines Körpers aufgenommen wer- den, ungefähr eine Neigung von 18° haben, ein Winkel, den die Augenachsen ungefähr bei einer Convergenz in 8‘ Entfernung bilden, so vollkommen entsprechende Projectio- nen des Körpers, wie sie von Hand nicht können nach- geahmt werden. Die Vereinigung von Bildern, welche auf diese Art sind erhalten worden, bewerkstelligte Wheat- stone*) so, dass er dieselben an zwei parallelen Wänden aufstellte und mittelst zweier, ungefähr rechtwinklig zu einander geneigten Spiegel in die Augen projicirte; das Instrument hiess er Stereoscop. Brewster erreichte den- selben Zweck mittelst zweier Linsen, welche auf einem Durchmesser aus einer grössern Linse symmetrisch heraus- geschnitten wurden. Die brechenden Winkel werden gegen einander gestellt und dadurch die Lichtstrahlen, welche von den beiden neben einander liegenden Projectionen nach den entsprechenden Augen gelangen sollen, so gebrochen, dass sich die Bilder in der Focaldistanz der Linsen decken. In diesem Stereoscope zeigen sich die Bilder am deutlichsten und raschesten, daher es denn auch die grösste Verbreitung gefunden hat und nunmehr zu einem interressanten Salon- spielzeuge geworden ist. Die bei weissen Figuren auf- tretenden prismatischen Farben, welche durch eine kost- spielige achromatisirende Vorrichtung wegzuschaffen wären, sind oft etwas unangenehm. | Auf Brechung in rechtwinkligen Prismen und Reflexion an deren Hypotenusenflächen gründete Dove eine Reihe sinn- reicher Stereoscope, welche vor allen andern eine gleich- mässige Beleuchtung gestatten und keine Farben zeigen. #) Bei der Beschreibung dieses und der folgenden Stereoscope habe ich mich äusserst kurz gefasst, da die Details in den Originalaufsätzen nachzulesen sind und mich hier viel zu weit führen würden. 9 + 130 Die neuesten Methoden stereoscopischer Combination von E. Wilde und Rollmann bieten zwar einiges In- teresse dar, können aber hier bloss erwähnt werden. Die Wirkung aller dieser Stereoscope ist nun einfach die: man glaubt statt zwei ebener Bilder ein Körperbild wahrzunehmen. Wie wir dieselbe Wirkung auch ohne weiteres Instrument hervorbringen können, darüber werde ich später das weitere erwähnen. Wheatstone griff mit dem Stereoscope die Lehre der identischen Netzhautpunkte an und zwar folgender- massen: Ist die Annahme richtig, so können nur Punkte des Horopters einfach gesehen werden, indem nur dann identi- sche Punkte afficiert werden; nun aber lehrt uns das Ste- reoscop und das Körpersehen überhaupt, dass auch Punkte ausserhalb des Horopters können einfach gesehen werden, indem doch nicht alle Punkte eines Körpers mit dem Hor- opter zusammenfallen können. Wheatstone glaubt sogar nachweisen zu können, dass selbst in dem Falle, wenn evident identische Netzhautstellen afficirt werden, Doppelt- sehen eintreten könne. Seine Gründe sind mit vieler Um- sicht von Tourtual und mit nicht weniger Schärfe, wahrscheinlich unabhängig von demselben, wie wohl nach ihm von Prévost widerlegt worden. Wer zum ersten Male in ein Stereoscop sieht, dem wird es unmöglich, gewisse Figuren, und zwar gerade diejenigen, von denen einzelne Theile höchst differente Stellen der beiden Netzhäute afficiren, sogleich zu com- biniren. Es wird unter zehn kaum Einem gelingen, einen gegen die Augen stehenden Pfeil in seiner richtigen Lage zu erkennen, so wenig als ein normales Augenpaar einen senkrecht gegen die Verbindungslinie beider Augen aus- gespannten Faden einfach sehen wird. Sind hingegen die ee 131 Zeichnungen von der Art, dass ihre Bilder nur höchst we- nig differente Stellen treffen, so werden die Doppelbilder wenig divergirend, und für den Ungeübten schwer oder gar nicht wahrnehmbar sein. Sollen wir uns wundern, wenn in einem solchen Falle das Augenpaar glaubt, ein einfaches Bild zu sehen und zwar das Bild desjenigen Körpers, welches in seinem Auge ganz dasselbe Bild würde erzeugt haben? Warum wir überhaupt Körper sehen, wieviel die Gewohnheit dazu beiträgt, das weiss ich nicht genau an- zugeben; dass aber die Gewohnheit bedeutend mit im Spiele ist, beweist einfach der Umstand, dass man sich das Körpersehen zwar nicht in allen Fällen, doch in vielen abgewöhnen kann. In gewissen Zeiten, wo ich mich viel mit Doppeltsehen und dem Stereoscop abgegeben habe, war’s mir ein Leichtes, beinahe nichts als Ebenen zu sehen, wenigstens wenn ich Körper betrachtete, welche nicht sehr weit von den Augen entfernt waren; und wie zum Beispiel J. Müller im Stereoscop nur neben einander liegende Flächen sehen kann, so ist es mir auch möglich, alle er- scheinenden und zwar mir jetzt gewöhnlich beim ersten Blicke erscheinenden Körperbilder, in die beiden Bestand- theile aufzulösen. Der Versuch gelingt mir nicht bei Da- guerrotypen von solchen Gegenständen, deren einzelne Theile auf wenig differenten Stellen sich abbilden. Eine Statue, ein’ Relief photographisch für das Stereoscop auf- genommen und mit demselben combinirt, gibt Bilder, welche sich auf sehr entsprechenden Netzhautstellen abbilden, und es bedürfte allerdings einer ungemeinen Empfindlichkeit für Doppelbilder, um in solchen Fällen wirklich solche wahr- zunehmen. Ein hervorstehender Arm oder irgend ein Ge- genstand, welcher auf etwas differentern Stellen sich ab- bildet, wird aber immer doppelt gesehen. Differente Stellen empfinden zwar immer doppelt, können aber einfach sehen, wenn man unter Sehen die durch die (wahr- 9* 132 scheinlich angewöhnte) Vorstellung vermittelte Empfindung begreift. Wheatstone glaubte sogar durch einen Versuch zu zeigen, dass selbst identische Punkte zugleich afficirt dop- pelt sehen können. Diess wäre allerdings für die Lehre ein harter Schlag. Allein es geht aus der Beschreibung des Versuches hervor, dass Wheatstone zwar richtig gesehen oder geschaut hat, nicht aber richtig beobachtet. Man darf bei solchen Versuchen nicht auf den ersten Eindrgck hin Schlüsse und Folgerungen ziehen, sondern sich Zeit und Musse gönnen, der angewöhnten Vorstellung sich zu be- geben; dadurch sieht man nicht mit einem Vorurtheil die Sache an, sondern gerade ohne ein solches, das uns überall da begleitet, wo wir unser Augenpaar seiner Gewohnheit überlassen. Der Versuch ist folgender: Wird dem rechten Auge eine verticale, dem linken eine von der senkrechten Richtung etwas abweichende Linie in dem Stereoscop dargeboten, so sieht man eine Linie, deren Extremitäten sich in verschiedenen Entfernun- gen vor den Augen zu befinden scheinen. Es werde nun auf das Blatt für das linke Auge eine schwächere verticale gezogen, welche der auf dem Blatte für das rechte Auge befindlichen Linie in Stellung und Länge genau entspricht. Betrachtet man die beiden Blätter im Stereoscope, so wer- den die beiden stärkern Linien, von denen jede mit Einem Auge gesehen wird, sich decken, und die daraus resulti- rende einfache Linie wird in derselben perspectivischen Linie erscheinen, als vorher der Fall war, die schwache Linie aber, welche auf Netzhautpunkte des linken Auges fällt, die mit denen des rechten correspondiren (identisch sind), auf denen sich die starke verticale Linie darstellt, erscheint an einem verschiedenen Orte. Es hat dieser Versuch beim Lesen etwas Ueberraschen- des, was aber beim Anstellen desselben ganz und gar weg- SO 133 fällt. Es ist von drei Linien die Rede, einer verticalen starken für das eine Auge, einer schiefen starken und einer verticalen schwachen für das andere Auge. Heisse ich die erste ab, die zweite cd, und die dritte ef, so lassen sich drei Fälle denken: 1) die Augenachsen kreuzen sich so, dass a und c zusammenfallen, dann liegen 5 und d neben- einander, und da die beiden verticalen Linien sich auf differenten Stellen abbilden, auch diese; 2) die Punkte 5 und d fallen zusammen, dann liegen @ und c neben einander, und die verticalen auch, aus demselben Grunde; oder 3) die Augenachsen kreuzen sich in den Mitten der Linien, dann werden sich die verticalen decken, die Endpunkte der schiefen Linie aber werden neben den Endpunkten des Deckbildes sich befinden. Es sind gerade in diesem Falle die beiden Linien, die stark verticale und die schiefe, die Projectionen einer schief gegen das Auge gestellten Linie; wird diese Linie etwas stark schief, so dass die Entfernungen der Endpunkte in bedeutend verschiedenen Abständen vom Auge sich befinden, so kann kein Mensch mehr die beiden Bilder vereinigen, wie man denn auch beim Beobachten eines Körpers in einer solchen Lage denselben in zwei Bilder sich auflösen sieht. Gewisse richtig gezeichnete stereoscopische Figuren können unter keinen Umständen vollständig combinirt wer- den, weil auch die Körper, deren Projectionen sie sind, in Wirklichkeit auch nie in allen Theilen können einfach ge- sehen werden, sondern, wenn ein Theil derselben fixirt wird, der grössere übrige Theil doppelt erscheint. Dove beschreibt ein Beispiel solcher Art: „Ich zeich- nete auf weissen Grund mit rothen Linien die Projection einer Pyramide, welche ein convexes Relief darstellte und über derselben Grundfläche mit blauen Linien, die Pro- jection einer gleichen Pyramide, welche bei stereoscopi- scher Combination hohl erscheint. Das zweite Blatt enthielt 134 die entsprechenden Projectionen mit denselben Farben. Hätten sich die Eindrücke in gleicher Weise combiniren lassen, als ihre beiden Componenten, so hätte die senk- rechte Achse der convexen rothen Pyramide die Verlän- gerung gebildet der ebenfalls senkrechten Achse der con- caven blauen Pyramide. Es ist aber hier unmöglich, ein Relief zu erhalten, man sieht stets einen von einem Sechs- seit umschlossenen sechsseitigen Stern, dessen sämmtliche Linien aus nebeneinanderliegenden blauen und rothen Linien gebildet sind.“ Nach der Originalzeichnung habe ich mir eine Copie dieser Projection gezeichnet, und habe auch auf den ersten Blick dasselbe gefunden. Nun aber ist es möglich, durch Veränderung der Achsenconvergenz, sowohl die erhabene als die vertiefte Pyramide im Relief zu sehen, freilich nicht beide zugleich, was selbst dann unmöglich ist, wenn man den Körper selbst, aus Draht verfertigt, beobachtet. Ja man kann sogar dadurch, dass man den Mittelpunkt des ganzen Körpers oder besser des Drahtgerippes fixirt, eben- falls den von einem Sechsseit umschlossenen sechsseitigen Stern wahrnehmen, wobei man ganz alles Urtheil über die verticale Dimension des Körpers verliert. Es giebt noch eine andere Art stereoscopische Bilder zu sehen, und zwar sind hiezu keine Apparate nöthig, man kann es durch Doppeltsehen, und zwar ist diess schon von Verschiedenen beobachtet, aber als so angreifend für die Augen dargestellt worden, dass das häufige Anstellen von Versuchen nicht anzurathen ist. Es verhält sich damit folgendermassen: Wird ein Gegenstand fixirt, so fallen von dem fixirten Punkte Strahlen auf identische Netzhautstellen, die Pole, er wird demnach einfach gesehen. Befindet sich in der Richtung des einen Strahles ein Punkt, so fällt sein Bild mit dem ersten zusammen, ebenso verhält es sich, wenn 135 ein Punkt sich in der Richtungslinie des andern Auges befindet. Es können also zwei getrennte Punkte einfach gesehen werden. Die Punkte aber, von welchen jeder in einem Auge ein Bild im Pole hervorbringt, bilden sich auch im andern Auge, nur aber auf differenten Stellen ab, werden also nicht mehr einfach gesehen. Man erhält also drei Bilder oder anders: Jeder Punkt bringt in jedem Auge ein Bild hervor, im Ganzen sind also deren vier vorhanden, zwei fallen auf die Pole, werden also combinirt, im Ganzen sieht man drei Punkte, Ersetzt man die Punkte durch stereoscopische Projectionen, so wird an der Vereinigungs- stelle ein Körperbild erscheinen, während die beiden an- dern, nicht combinirten, ebene Bilder bleiben. Bei der Beobachtung dieser stereoscopischen Combinationen, welche ich sehr oft angestellt und abgeändert habe, bediene ich mich besonders der Projectionen eines abgestumpften Ke- gels, wegen ihrer Einfachheit. Zwei Paare nicht concen- trischer Kreise bilden die ganze stereoscopische Zeichnung. Wenn in der Abbildung für das rechte Auge, der Mittel- punkt des Abstumpfungskreises links vom Mittelpunkt der Grundfläche und umgekehrt für das linke Auge der Mittel- punkt des kleineu Kreises rechts von dem des grössern liegt, so erscheint der Kegel erhaben, im umgekehrten Falle aber vertieft. Ich werde den Namen Relief uneigent- lich immer dann gebrauchen, wenn sich ein Bild von drei Dimensionen darstellt. Unser Urtheil über die Grösse gesehener Gegenstände ist besonders von zwei Umständen abhängig: 1) Von der Grösse des auf der Retina erzeugten Bildes, und 2) von der Convergenz, welche die Augenachsen haben. Zu diesen beiden sind diejenigen zu nennen, welche ältere Forscher, De la Hire und Porterfield, hinzufügen, nämlich der erfor- derliche Accommodationszustand, die Lebhaftigkeit der Farbe, das verschiedene Aussehen der kleinsten Theile des 136 Gegenstandes, die Betrachtung der Gegenstände, welche den Hauptgegenstand umgeben. Diese vier genannten Um- stände sind aber alle nicht so einflussreich, als die beiden ersten. Wheatstone ging darauf aus, die Grösse der Re- tinabilder und die Convergenz der Augenachsen unabhängig von einander zu verändern, und erreichte den Zweck durch eine Vorrichtung an seinem Spiegelstereoscope. Die parallelen Wände, an denen die Bilder aufgestellt sind, sind auf Schlitten verschiebbar, die beiden Arme des Stereoscops drehbar um einen Punkt in der Mitte zwischen den beiden Spiegeln. Je näher bei feststehenden Spiegeln die Bilder derselben gebracht werden, desto grösser wer- den bei unveränderter Achsenconvergenz die beiden Retina- bilder und umgekehrt. Werden aber die Arme um den festen Mittelpunkt ge- dreht, während die beiden parallelen Wände feststehen, so wird dadurch der Winkel der Augenachsen geändert, während die Retinabilder gleich gross bleiben. Wheatstone fand mit diesem veränderten Stereo- scope folgende Sätze: Bei gleichbleibender Achsenconvergenz und veränder- lichem Retinabilde, ändert sich die Grösse des gesehenen Bildes so, dass es mit der Abnahme des Retinabildes klei- ner, mit der Zunahme grösser wird. Bei gleichbleibendem Retinabilde und veränderlicher Achsenconvergenz ändert sich die Grösse des wahrgenom- menen Bildes so, dass es mit stärker werdender Convergenz kleiner, mit schwächer werdender grösser wird. Beim gewöhnlichen Sehen arbeiten sich die beiden Veränderungen entgegen, daher wir den gleichen Ge- genstand in verschiedenen Entfernungen für gleich gross halten. | 137 Hätten mich nicht die Versuche, welche ich zur Er- mittlung dieser Sätze anstellte, auch noch zu andern Re- sultaten geführt, betreffend die Accommodation des Auges, so würde ich sie mit Stillschweigen übergehen. Das Blatt, auf welches ich die Zeichnungen bringe, welche durch Doppeltsehen sollen vereinigt werden, steht immer parallel den Augen, senkrecht zur Horopterebene; eigentlich sollte das Blatt gekrümmt werden nach der Horopterlinie, allein der Einfluss nicht eintretenden Zu- sammenfallens der Bilder, weil differente Stellen getroffen werden, ist hier durchaus von keinem Belang, zudem aber auch die Abweichung der Geraden, auf welcher die Fi- guren gezeichnet werden, von dem Kreise, auf welchen sie sollten aufgestellt sein, besonders bei etwas grösserer Entfernung vom Auge, nur höchst gering. Zeichnet man die beiden stereoscopischen Projectionen eines abgestumpften Kegels auf ein Blatt neben einander, so kann man diese Figuren auf höchst verschiedene Weise betrachten. Die drei besondern Fälle, welche hiebei kön- nen eintreten, sind folgende: 1) Die Augenachsen kreuzen sich so, dass sie die beiden Projectionen durchschneiden, man erhält einen Hochkegel und daneben jederseits eine nicht combinirte Projection desselben. 2) Die Achsen kreuzen sich auf dem Papier; diess ist das gewöhnliche Sehen, man sieht die beiden Projectionen neben einander. 3) Die Achsen kreuzen sich so vor dem Blatte, dass sie die beiden Bilder wiederum durchschneiden, man er- hält einen Hohlkegel, da dem linken Auge die Pro- jection des rechten und umgekehrt dargeboten wird. (Hiebei erlaube ich mir eine Zwischenbemerkung: Es ist klar, dass bei allen Fällen, in welchen die beiden ste- reoscopischen Projectionen zu einander symmetrisch liegen, 138 die Dimension von Höhe und Tiefe sich dann umkehrt, wenn die Bilder der Augen vertauscht werden, dass zum Beispiel die Projectionen einer Pyramide vertauscht eine ausgehöhlte Pyramide, die eines Kegels einen Hohlkegel hervorbringen, da man eben dem Auge alsdann jedesmal die entsprechende Projection der ausgehöhlten Pyramide, des Hohlkegels zeigt. Unter den Prismenstereoscopen Dove’s, welche durchweg blos für symmetrische stereo- scopische Projectionen anwendbar sind, befindet sich eines, bestehend aus zwei rechtwinkligen Prismen, deren Hypo- tenusenflächen nahezu parallel sind. Dieses zeigt die Um- kehrungserscheinungen am auffallendsten. Wheatstone hatte den sonderbaren Gedanken, dieses Instrument noch einmal zu erfinden und demselben, was ihm wohl als ein- ziges Verdienst an der Erfindung wird vindicirt werden können, den Namen Pseudoscop zu verleihen. Mit diesem Instrument will Wheatstone auch an ganz unsymmetrischen Figuren Erhabenes und Vertieftes vertauscht haben. Mir ist es nicht gelungen, ausser an den angeführten Körpern, deren Projectionen symmetrisch sind.) Da in allen drei oben erwähnten Beobachtungsweisen das Blatt in derselben Entfernung vom Auge bleibt, so dürfte man glauben, die stereoscopischen und ebenen Bil- der würden in allen Fällen gleich gross erscheinen, allein der Brewster’sche Versuch mit dem Rohrgeflechte der Stühle lehrt schon, wie Wheatstone’s Veränderung der Achsenconvergenz, dass im ersten Falle das Bild am grössten, im letzten am kleinsten erscheinen wird, der Hochkegel ist grösser als der Hohlkegel. Nimmt man statt zwei Bildern deren drei, von denen für Kreuzung hinter dem Blatte 1 und 2 einen Hochkegel, 2 und 3 aber einen Hohlkegel bilden, so kann man von den 3 Bildern jedes Auges je zwei combiniren und erhält im Ganzen #4, von denen 2 stereoscopisch combinirt sind, 139 oder es kann auch nur je eines combinirt werden, wobei man 5 Bilder erhält, von denen nur 1 stereoscopisch ist. Je mehr Bilder genommen und je näher sie zusam- mengestellt werden, um so leichter kann man die Ver- änderungen in der Grösse der gesehenen Bilder wahrneh- men, da sich die Achsenconvergenz in immer kleineren Sprüngen ändert. Um sich der stetigen Veränderungen des Augenachsenwinkels noch mehr zu nähern, kann man die Bilder pyramidal über einander stellen. Es lässt sich auf diese Weise für Einen, der einigermassen gewohnt ist, Doppelbilder zu sehen, am einfachsten der ersten Wheatstone sche Satz demonstriren, dass sich die Grösse des wahrgenommenen Bildes in umgekehrtem Sinne verändere, als die Winkel der Augenachsen. Da aber zu der Combination der Doppelbilder einige Uebung vorausgesetzt werden muss, so kann man sich mit einem von Loke angegebenen höchst wenig complicirten Apparate, den er Phantascop nennt, und zu manchen Spie- lereien benützt, leicht von der Richtigkeit des Satzes auch ohne Uebung überzeugen. Es besteht aus zwei Schirmen, welche beide durch- brochen sind; der eine, dem Auge näher gehaltene, hat eine Spalte, länger als der Abstand der beiden Augen, der andere, vom Auge entferntere, eine kleine quadratische Oefinung. Werden beide Schirme, der erste unmittelbar vor das Augenpaar, der andere in einige Entfernung, pa- rallel mit einem Blatte Papier gehalten, so kommen von verschiedenen Stellen des Papieres Strahlen in die beiden Augen, und befinden sich an diesen Stellen stereoscopische Projectionen, so sieht man ein Relief. Die Wahrnehmung geschieht am einfachsten, wenn die Mitte des kleinen Loches durch einen .Nadelknopf bezeichnet wird, der muss fest betrachtet werden. Wird bei gleichbleibender Ent- fernung der Augen von den Zeichnungen der mit dem 140 kleinen Loch versehene Schirm bewegt, so ändert sich die Convergenz der Augenachsen beständig, vorausgesetzt, der Knopf werde beständig im Auge behalten, und man kann bei allmähligem Grösserwerden des :Achsenwinkels sehr auffallend das Kleinerwerden der Bilder beobachten. Als die Wheatstone’sche Arbeit noch nicht publicirt war, hatte ich öfters versucht, eine Veränderung des Re- tinabildes ohne Veränderung der Achsenconvergenz zu er- reichen und kam denn darauf, ein Prisma von nicht sehr stark brechendem Winkel senkrecht zu verschieben. Auf dem Tische liege ein stereoscopisches Bild, bestehend aus den Projectionen A für das linke, B für das rechte Auge. Vor das rechte Auge halte ich das Prisma und entferne mich so weit vom Bilde, bis sich B und A decken; in dieser Lage bilden die beiden Augenachsen einen bestimm- ten Winkel, der constant bleibt, wenn ich mich allmählig von den Bildern entferne und das combinirte Bild im Auge behalte. Dabei nimmt lediglich bloss das Retinabild an Grösse ab, und es ist wirklich im höchsten Grade auffal- lend, wie rasch die Abnahme der Grösse des gesehenen Bildes eintritt. Bedient man sich hiebei solcher Zeich- nungen, die nach Daguerreotypen abgezeichnet sind, und die immer noch bei gewöhnlicher stereoscopischer Com- bination mangelhaft genug erscheinen, so werden auch die Fehler immer kleiner, und das immer kleiner werdende Relief wird dabei so schön, dass es selbst dem Daguerreo- type wenig mehr nachsteht. Da alle Punkte, welche auf den Augenachsen liegen, sich decken ‘müssen, so geht unmittelbar daraus hervor, dass Bilder, welche man vereinigen will, nicht gerade in gleicher Entfernung von den Augen sich befinden müssen. Nur müssen die Bilder im Verhältniss ihrer Entfernungen vergrössert oder verkleinert gezeichnet werden. Es treten 141 hiebei namentlich in Bezug auf Grösse des gesehenen com- binirten Bildes verschiedene Fälle ein: 1) Das eine Bild ist vor, das andere hinter der Kreuzungsstelle; das Relief erscheint grösser als das klei- nere, aber kleiner als das grössere Flächenbild. 2) Die beiden Bilder sind in verschiedenen Entfernun- gen hinter der Kreuzungsstelle; das Relief erscheint kleiner als beide Flächenbilder. 3) Die beiden Bilder sind in verschiedenen Entfernun- gen vor der Kreuzungsstelle; das Relief erscheint grösser als beide Flächenbilder. %) Die Kreuzungsstelle fällt auf das eine der beiden Bilder, und das Relief erscheint in der Grösse desselben. Lässt man zwei zu combinirende Bilder immer weiter auseinandertreter, so kommt ein Moment, in welchem statt Kreuzung hinter dem Papier, Parallelität der Augen- achsen eintritt; dann sind natürlich die Bilder gleich weit von einander entfernt, wie die beiden Augen; wüsste man den Moment genau, in welchem diess eintritt, so könnte man auf diese Weise den Abstand der beiden Augen messen. Auf diese Weise kann es nun zwar nicht ge- schehen, wohl aber durch eine kleine Modification dieses Versuches. Betrachte ich mich auf die gewöhnliche Weise in einem Spiegel, indem ich ein Auge des Bildes ansehe, so sind die beiden Achsen nicht parallel. Gelingt es mir aber mit jedem Auge in sein Spiegelbild zu sehen, so stel- len sich dieselben genau parallel. Ich fixire daher einen fernen Punkt und bringe in dieser Lage der Augen den Spie- gel vor dieselben. Alsdann sehe ich mich eigenthümlich por- traitirt. Zwischen zwei parallelen Nasen befindet sich ein symmetrisches, auf der äussern Seite jeder Nase ein un- symmetrisches Auge. Das ganze Gesicht wird in die Breite gezogen ; die Augen erscheinen natürlich vergrössert, wegen des kleinen Winkels der Augenachsen, der hier 0° beträgt. 142 (Cyclopisches Sehen.) Bringe ich in dieser Lage einen ge- öffneten Zirkel vor die Augen, so werden sich die beiden Spitzen in dem Momente decken, wo jeder vor einem Auge sich befindet, und beide in Eine zusammenfallen. Die Ent- fernung der Spitzen gibt dann genau die der beiden Pupil- len an. Nicht weil es gerade besonders interessant wäre, den Abstand meiner beiden Augen zu kennen, sondern weil ich für den folgenden Versuch denselben nöthig habe, ° will ich bemerken, dass aus 18 Messungen sich für mein Auge die Entfernung von 6,455 Centimeter ergeben hat, und dass die Abweichungen in den Messungen so gering sind, dass die grösste 1,1 Millimeter zu gross, die kleinste nur 0,5 Millimeter zu klein ist. Ich füge hier bei, dass man in einem Spiegel, den man nicht zu sehr von den Augen entfernt hält, sich ebenfalls, wie oben beschrieben, sieht, wenn man einen Punkt des Spiegels vor der Mitte beider Augen betrachtet. In beiden Fällen durchkreuzt jede Augenachse ein Bild, im ersten das eigne, im zweiten das andere des Paares, und die bei- den. Bilder combiniren sich ganz so, wie wir es oben an zwei stereoscopischen Projectionen gesehen haben. Entfernt man die beiden zu combinirenden Bilder mehr von einander, als der Abstand beider Augen beträgt, so kann eine Combination nur mit divergirenden Augen statt- finden. Dieser Versuch, welcher mir gelingt, gehört nicht gerade zu denjenigen, welche ich gerne oft wiederhole, indessen habe ich zwei Kreise, welche einen Abstand hat- ten, von 7,23 Centimeter noch combiniren können, aller- dings haben dabei meine Augen eine ganz ungewöhnliche Anstrengung gespürt, daher ich denn aus leicht ersicht- lichen Gründen den Versuch nicht sehr oft variirt habe. Es ist in dem Vorhergehenden viel die Rede gewesen von Vergrössern und Verkleinern, ohne dass über das Mass dieser Veränderungen etwas wäre angeführt worden. 143 Wenn bei gleichbleibender Achsenconvergenz und ver- änderlichem Retinabilde die Grösse des Reliefs sich mit diesem letztern ändert, so liegt dieses eben in der Natur der Sache und niemand wird sich darüber wundern, wenn ein halb so grosses Retinabild uns den Körper auch nur halb so gross erscheinen macht. Bei gleichbleibendem Retinabilde und veränderlicher Achsenconvergenz halten wir bloss das Bild für kleiner, obgleich die Projectionen im Auge gleich gross sind. Würde sich die Veränderung des gesehenen Bildes in di- rectem Verhältnisse stehen zur Veränderung in der Kreu- zungsstelle der Sehachse, so müsste in doppelter Entfernung das Relief doppelt, in dreifacher dreimal so gross erschei- nen und endlich bei unendlicher Entfernung auch unendlich gross; bei paralleler Stellung der Augen ist aber von un- endlicher Grösse des gesehenen Bildes keine Rede, und was sollte wohl bei divergirenden Augenachsen stattfinden ? Wenn wir hingegen, jedenfalls ohne grossen Irrthum an- nehmen, die Veränderungen in der Grösse des gesehenen Bildes stehen in geradem Verhältniss zu den Veränderungen desjenigen Winkels, welchen die Augenachsen mit der Ver- bindungslinie der Augenmittelpunkte bilden, so sind wir dem Wahren jedenfalls näher. Es würde sich hieraus be- sonders erklären, warum bei immer näher sich kreuzenden Augenachsen die Abnahme der Grösse viel auflallender ist, als dann, wenn der Convergenzpunkt der Achsen weiter entfernt ist. Indessen lässt sich noch fragen, ob sich über- haupt ein solches Gesetz kann aufstellen lassen, oder ob nicht dem Einen die Veränderungen wirklich viel bedeu- tender erscheinen, als dem Andern. Es ist mir oft vor- gekommen, als ob grosse Verschiedenheiten hierin statt- fänden. Bei allen Versuchen über Combination von Figuren durch Doppeltsehen verdient besondere Beobachtung und 144 Beachtung der Accommodationszustand des Auges, besonders desswegen, weil es interessant ist, die Ac- commodationserscheinungen, deren vollständige Erklärung wahrscheinlich noch nicht gegeben ist, in ihrer Wech- selwirkung mit andern Erscheinungen, die Thätigkeit der Accommodation in ihrer Abhängigkeit und Verbindung mit andern Thätigkeiten des gleichen Organes kennen zu lernen. Die Accommodation des Auges ist das Vermögen, fer- nere und nähere Gegenstände deutlich (d. h. hier wie in der Folge immer ohne Farbenränder und Zer- streuungskreise) zu sehen. Im Augenblicke und im Zustand der Accommodation erreicht das Auge sein Maxi- mum von Achromasie. Es ist früher allgemein angenommen worden, zwischen der Sehachsenstellung und der Accommodation bestehe ein enges causales Verhältniss, so dass alle Veränderungen der Einen, Veränderungen der Andern nach sich ziehen müssen. Müller giebt den Versuch an: Während sich Ein Auge a auf einen Punkt x accommodirt, accommodirt und richtet sich auch das verdeckte auf denselben, so dass beim Weg- nehmen des Schirmes der Punkt x einfach erscheint. Unter einer Reihe interessanter Versuche hat Volkmann auch diesen angestellt, aber gerade das Gegentheil gefunden, nämlich, dass beim Oeffnen des zweiten Auges der Punkt æ immer doppelt erscheint, zum Beweise, dass sich die Achsen nicht in demselben kreuzen, trotzdem dass ein Auge auf ihn accommodirt ist. Mir erscheint der Versuch wie ihn Volkmann sieht, ausgenommen dann, wenn ich vor dem Verdecken des Einen Auges dasselbe schon auf den Punkt gerichtet hatte. Volkmann schliesst daraus auf ein Causalverhältniss zweiten Grades, das wohl in der Angewöhnung seinen Grund haben möge. Auch Müller lässt später die Wahl, die Accommodation als Mitbewegung der | { 145 Augenmuskeln oder als durch Gewohnheit eingetreten zu betrachten. Volkmann hat jedenfalls überzeugend dargethan, dass sich unwillkührlich die Kreuzungsstelle der Sehachsen von der Stelle, wohin das Auge accommodirt ist, trennen lässt, dass es aber auch willkührlich geschehen könne, dar- über habe ich eine einzige Angabe, citirt in Müllers Physiologie IL 337, finden können. Er berichtet dort, dass Plateau beobachtet habe, dass es auch einigen geringen Einfluss des Willens auf die Accommodation gebe, indem man ohne ein Doppelbild zu erhalten, einen Punkt deutlich oder undeutlich sehen kann; demnach könnte man den Re- fractionszustand des Auges ohne die Achsenstellung zu ändern, willkührlich etwas modificiren. Es ist Müller mit grosser Uebung gelungen, den Versuch Plateau’s zu be- stätigen. Es ist mir nicht bekannt, dass diese Erscheinung ver- folgt worden wäre, und da sie mich bei fast allen Ver- suchen, welche ich oben angeführt habe, begleitete, so wird es mir erlaubt sein, noch etwas dabei zu verweilen. Ich werde versuchen, diesen geringen Einfluss des Willens auf die Accommodationsthätigkeit we- nigstens meines Auges als einen so grossen dar- zustellen, dass jedes Auge unbekümmert um seine Stellung ebenso weit hin auf einen be- sondern Punkt accommodiren kann, als es das Augenpaar vereint auf Einen Punkt vermag. Es gilt dabei allerdings eine Verbindung aufzuheben, welche so fest eingetreten ist, dass selbst scharfsinnige Beobachter sie für organisch halten konnten, während man denn doch jetzt ihren Grund in der Angewöhnung findet. 1) Lasse ich meine Achsen sich hinter dem Papiere kreuzen, so dass beide durch die Eine beider Projectionen eines Körpers gehen, so ist im Allgemeinen und im ge-. 10 146 wöhnlichen Falle das Auge auf die Kreuzungsstelle ac- commodirt, das Relief erscheint also undeutlich und farbig. Es gelingt mir aber leicht, das Relief ganz deutlich wahr- zunehmen. 2) Kreuzen sich die Achsen vor dem Papiere, so kann ebenfalls willkührlich die Kreuzungsstelle oder das Relief deutlich gesehen werden; besonders auffallend ist es, wenn man die Kreuzungsstelle durch einen Stift bezeichnet, wo- bei man abwechselnd den (einfach gesehenen) Stift oder das Relief kann deutlich sehen. 3) Aendert sich auf die oben angegebene Weise die Convergenz der Augenachsen, so kann für jede neue Com- bination das Auge auf das Relief combinirt werden, am leichtesten, wenn die Veränderungen der Kreuzungsstelle vor dem Blatte geschehen. %) Wenn ich durch Refraction in dem Prisma die bei- den Bilder combinire und bei veränderlicher Entfernung und unveränderlicher Achsenconvergenz betrachte, so kann ich das Relief beständig nach Willkühr scharf oder un- deutlich sehen. Wir sehen nun ein Relief nur durch Combination zweier Projectionen, ein deutliches natürlich nur dann, wenn beide Projectionen deutlich erscheinen. Da die beiden Projectio- nen ausser einander liegen, so können sie nicht mit der Kreuzungsstelle der Achsen zusammenfallen; in dem Mo- ınente aber, in welchem ein deutliches Relief durch Dop- peltsehen auftritt; accommodirt sich jedes Auge auf die entsprechende Projection, und thut és desshalb nicht auf die Kreuzungsstelle der Sehachsen. Im ersten Falle liegen die Bilder vor dem Punkt, also dem Auge näher, im zweiten hinter demselben. In beiden aber ist es möglich, Accommodationsstelle und Kreuzungs- stelle zu trennen, wobei jedes Auge auf einen be- ‚sondern Punkt sich accommodirt. Die Punkte 147 können sogar sehr weit von einander entfernt sein. Be- stimmtes über die Grenzen dieser etwas ungewöhnlichen Accommodationsthätigkeit kann ich nicht angeben, nur scheint mir, dass sie sich ungefähr in denselben Grenzen bewegt, wie die gewöhnliche; bei sehr nahen und sehr fernen Gegenständen ist sie etwas schwerer. Es hinge sonach vollkommen von meiner Willkühr ab, einen Punkt, den ich einfach sehe, deutlich oder undeutlich wahrzunehmen. Sehe ich denselben undeutlich, so ist er immer farbig gerandet. Während ich schreibe ist es mir ein Leichtes, alle Buchstaben abwechselnd gelb und blau oder nicht farbig gerandet zu sehen Sind auf einem Blatte mehrere starke schwarze Linien parallel und nahe neben einander gezeichnet, so kann ich dieselben, je nach Belieben, deutlich oder mit einer Reihe Spectren versehen erblicken. Es ist mir nicht bekannt, dass irgendwo von einer Ac- commodation der Augen auf zwei verschiedene Punkte ge- redet wäre; indessen mag diess andern schon längst bekannt sein; man möchte versucht sein diess zu glauben, wenn genaue Beobachter in ganzen Versuchsreihen wirklich auf zwei verschiedene Punkte accommodiren und doch gar nichts davon erwähnen. Wenn man die Versuche betrachtet, welche W heat- stone mit seinem veränderten Stereoscope anstelite, so ist leicht einzusehen, dass die Reliefs, welche er erhielt, nur in einem ganz bestimmten Falle mit der Kreuzungs- stelle der Sehachsen zusammenfallen konnten, und da er nun in allen andern Fällen dennoch deutlich sah, so hatte er nichts anderes, als zwei Projectionen, welche er durch eine bestimmte Achsenconvergenz vereinigte, ohne dass der Convergenzpunkt mit den Projectionen zusammenfiel. Kreuzungsstelle und Accommodationsstelle waren also still- 10 * 148 schweigend in seinen Versuchen ebenfalls als unabhängig von einander erwiesen, nicht aber als willkührlich trennbar. Auf ähnliche Weise, wie Wheatstone die Ver- änderungen der Achsenconvergenz herstellt, hat es auch H. Meier gethan, nur hat er, statt die Arme am Stereo- scope zu drehen, die Bilder längs den parallelen Wänden verschoben und so den Winkel der einfallenden Strahlen verändert. Obgleich nun bei diesen Versuchen die Ver- änderungen so wenig als in den meinen, oben angeführten, konnten allmählig sein, so finde ich doch nirgends bemerkt, dass die Bilder undeutlich erschienen seien, und darf also annehmen, dass jener Beobachter auch auf zwei getrennte Bilder accommodirt habe. Es lässt sich denken, dass bei verschiedenen Achsen- stellungen die willkührliche Trennung der Accommodation von der Kreuzungsstelle mit verschiedener Leichtigkeit vor sich gehe. Ich habe indessen wenig mehr Schwierigkeit, bei paralleler Stellung der Augen auf die Weite des deut- lichen Sehens zu accommodiren, als bei einer Convergenz von einer grossen Anzahl von Graden. Diese Willkührlichkeit in den Veränderungen des Ac- commodationszustandes meines Auges könnte natürlich von einem Andern an mir nicht beobachtet werden, träte nicht eine objectiv sichtbare Erscheinung dabei auf, die Iris- bewegungen. Wenn die Veränderungen der Pupillenöffnung mit den Accommodationsveränderungen in den meisten Fällen Hand in Hand gehen, so ist klar, dass ich bei willkühr- licher Veränderung der Accommodation auch die Oeffnung der Iris beliebig erweitern oder verengen kann. Die Grenzen der Bewegungen sind indessen abhängig von der Intensität des Lichtes, welches das Auge trifftt Wenn Jemand bei unveränderter Helligkeit der Umgebung die Stellung meiner beiden Augen und die Oeffnung der Pupille 149 beobachtet, so kann ich bei ganz unveränderter Stellung der Achsen demselben nach Belieben zeigen, dass sich die Pupille öffnet oder schliesst, wie ich es angebe. Es sind meine Augen von Verschiedenen beobachtet worden, welche sich durchaus von der Willkührlichkeit in den Irisbewe- gungen überzeugt haben. Gewöhnlich zeigen sich die Veränderungen in der Pu- pillenweite dann am deutlichsten, wenn man die Achsen- convergenz verändert, ohne dass die beiden Veränderungen in unmittelbar causalem Verhältnisse stünden. Mit der Achsenconvergenz ändert sich der Accommodationszustand, mit diesem die Weite der Pupille. Wäre es vielleicht möglich, die Achsenconvergenz zu verändern, ohne Einfluss auf den Accommodationszustand, ohne Veränderung der Pupillenweite? Das Um- gekehrte kann, wie gezeigt worden, stattfinden. Folgender Versuch mag die Frage beantworten: Wenn ich eine Lichtflamme betrachte, die in einiger Entfernung, z. B. 30 Fuss sich befindet, so sehe ich dieselbe irradiirend, als beleuchtete Scheibe. Die Grösse der Scheibe ist von der Weite der Iris abhängig. Verdecke ich ein Auge, so öffnet sich die Iris des Andern, und die Scheibe wird grösser. Lasse ich das Bild der Flamme durch Dop- peltsehen, hier durch Fixiren eines nähern Punktes, auseinandertreten, so finden starke Schwankungen der Iris statt. Der Grund mag in der ungewöhnlichen Augen- stellung zu suchen sein. Lasse ich nun allmählig die Bilder sich wieder vereinigen, so kann ich auch keine Spur von Irisschwankungen wahrnehmen. Es treten also mit den Veränderungen der Achsenconvergenz keine Irisbewegungen und der weitere Schluss wird doch wohl erlaubt sein, auch keine Accommodationsveränderungen ein, Schliesslich erlaube ich mir noch Einiges beizufügen über Combination quantitativ und qualitativ verschiedener 150 Lichteindrücke. Wenn identische Stellen beider Netzhäute von verschieden intensiven Strahlen getroffen werden, so ist der Eindruck den man erhält, ein Mitteleindruck, stär- ker als die schwächern, schwächer als die stärkern Strahlen ihn würden für sich allein hervorgebracht haben. Diess findet indessen nur dann vollkommen statt, wenn die Intensitäten nicht gar zu sehr verschieden sind. Wird dem einen Auge weiss, dem andern schwarz geboten, so gleichen sich die beiden Eindrücke nach Dove zu einem graphitähnlichen Grau aus; indessen findet doch ein Schwan- ken statt, indem bald das Weisse die Oberhand erhält, bald das Schwarze überwiegt. Zwei gleiche, nur in der Intensität verschiedne Farben bringen ebenfalls einen Mitteleindruck hervor. Wie aber verhält es sich, wenn den beiden Augen qualitativ verschiedene Strahlen, verschiedene Farben zur Combination dargeboten werden? Ueber diese Fragen herrschen zwei vollständig divergirende unvermittelte An- sichten; die eine leugnet die Möglichkeit der Combination, die andere aber behauptet dieselbe. Die Beantwortung ist schwer, weil sich überall da, wo es sich um Farben handelt, viele subjective Elemente in der Beobachtung mischen. Denn abgesehen davon, dass vielleicht nicht zwei Individuen von einer und derselben Farbe vollkommen den- selben Eindruck erhalten, sowohl in Bezug auf Helligkeit, als in Bezug auf Nüance, findet auch bei den verschiedenen Augen das Auftreten von Nachbildern und hiemit die Ver- änderung im Farbenton verschieden schnell statt; und rech- nen wir dazu, dass alle Augenpaare, aber in verschiedenem Masse, einem sogenannten Wettstreite unterworfen sind, nicht bloss da, wo es sich um Combination verschiedener Farben, sondern auch verschiedener Figuren handelt, so ist leicht einzusehen, dass alle Aussagen , wenn nicht 151 vollständig subjectiv, doch in einem subjectiven Mantel ein- gehüllt sind. Wenn man die Versuche, welche zur Beantwortung dieser Frage sind angestellt worden, nachmacht (alle darf man einem Augenpaare nicht zumuthen), so muss man un- bedenklich bald der einen, bald der andern Ansicht bei- pflichten und dennoch scheint zwischen Combination und nicht Combination kaum ein Mittelding zu existiren. So viel aber scheint mir aus allen Beobachtungen hervor- zugehen, dass die identischen Punkte der Netz- häute das Vermögen haben, verschiedene Farben zu combiniren. Ich sage, das Vermögen haben, ohne zu behaupten, dass unter allen Umständen dasselbe in seine Rechte treten könne. Wird dem einen Auge bloss rothes, dem andern bloss gelbes (und zwar am besten dunkelgelbes) Licht geboten, so erhält man einen Mitteleindruck; derselbe fin- det statt für Gelb und Grün, Grün und Blau, Blau und Violett. Wird unter dem Stereoscope eine Fläche hellroth, die andere blassblau bemalt, so sieht man weder das Rothe, noch das Blaue rein. Wenn man durch ein rein rothes Glas verschiedene gefärbte Gegenstände, Häuser, Bäume u. s. w. betrachtet, so werden nur die rothen Strahlen durchgelassen, man sieht alles roth, schwarzroth und schwarz. Betrachtet man dieselben Gegenstände durch ein grünes Glas, welches zu dem ersten complementär ist, so gehen alle Strahlen durch, welche durch das erste nicht durchgehen. Wären die beiden Farben genau com- plementär, so würde man, wenn durchgelassenes Licht auf einen Punkt fällt, weiss, wenn man Licht durch beide zugleich durchlassen wollte, schwarz sehen. Zwei mei- ner Gläser besitzen annähernd diese Eigenschaft. Halte ich das eine vor das rechte, das andere vor das linke 152 : Auge, so sind beinahe alle natürlichen Farben der Gegen- stände, freilich etwas getrübt zu erkennen. Hier müssen sich also die beiden Gesichtseindrücke nothwendig grossen- theils ausgleichen. Die Fälle, welche Seebeck beschreibt, stimmen mit dem Gesagten überein; nicht so die anderen Auctoren, da im Allgemeinen Farben der entgegengesetztesten Art und namentlich der verschiedensten Intensität sich combiniren sollten. Volkmann, auf den man sich hierin oft bezieht, wandte sich sogar an prismatische Farben, um reine Ver- suche anzustellen. Er lässt durch eine Oeffnung das’ Gelb des Spectrums, durch eine andere das Blau, jedes in Ein Auge fallen. Sollen wir uns wundern, wenn er als- dann kein Grün wahrnimmt? Nach Fraunhofer verhalten sich die Intensitäten des Gelb und Blau ungefähr wie 10:1, so dass selbst dann, wenn gleiche Flächen dieser Farben gemischt werden, nimmermehr grün entsteht. Wenn aber durch tausend Versuche nachgewiesen wird, dass unter gewissen Umständen keine Combination ein- tritt, so ist damit noch lange nicht die Möglichkeit einer solchen, oder die Unfähigkeit der Netzhäute, eine solche zu bewerkstelligen, erwiesen; nur das, dass die Fähigkeit durch andere Verhältnisse bedeutend kann beein- trächtigt werden. Finden sich doch selbst bei der Com- bination rein localverschiedener Eindrücke, Verhältnisse, welche beinahe jede Combination aufheben, oder wenig- stens stören. Natürlich müssen bei den Versuchen diese sorgfältigst vermieden werden, wofern man nicht gerade sie aufsucht und studirt. Ich glaube also, dass die identischen Netzhaut- punkte auch in Hinsicht auf qualitativ verschie- dene Eindrücke sich identisch verhalten. 153 Wie die Combination vermittelt wird, das weiss ich nicht; interessant wäre es, wenn sich die Geometrie des Auges, wenn ich es so nennen darf, oder die geometrische Anordnung der empfindenden Elemente auch anatomisch erwahren, wenn die neueren Untersuchungen über den Sitz der Empfindung, diese nach den fast mathematisch genau an einander gereihten Stäbchen, die senkrecht auf die Fläche der Retina, in der Richtung der einfallenden Strah- len stehen, und die bisher jedenfalls in ihrer Bedeutung nicht genau erkannt worden sind, verlegen würden. In dem Vorhergehenden habe ich nur Namen und keine Stellen erwähnt; daher will ich hier noch die wichtigsten Schriften anführen, die in diesem genannt sind. J. Müller. Zur vergleichenden Physiologie des Ge- sichtssinnes. 1826. J. Müller. Handbuch der Physiologie. Volkmann. Neue Beiträge zur Physiologie des Ge- sichtssinnes. Volkmann. Artikel Sehen in Wagners Handwörter- buch der Physiologie. Tourtual. Die Dimension der Tiefe im freien Sehen und im stereoscopischen Bilde. Tourtual. Die Sinne des Menschen. Bartels. Beiträge zur Physiologie des Gesichts- sinnes. Heermann. Ueber die Bildung der Gesichtsvorstel- lungen aus den Gesichtsempfindungen. Wheatstone. Ueber einige merkwürdige und bisher unbeobachtete Erscheinungen beim Sehen mit beiden Au- gen. Poggendorf Annalen, Ergänzungsband I., 1842; die zweite Abtheilung des Aufsatzes in Philos. Transact. Part. I. 1852. 15% Dove. Ueber die Ursachen des Glanzes u. s. w. Berl. Monatsber. 1852. Dove. Berl. Ber. 1841. Dove. Beschreibung mehrerer Prismenstereoscope etc. Pogg. Ann. LXXXIIL. Seebeck. Beiträge zur Physiol. des Gehör- und Gesichtssinnes. Pogg. Ann. LXVIIL Prévost. Essay sur la théorie de la vision binoculaire. Priestley. Geschichte der Optik. | Wilde. Pogg. Ann. LXXXV. * Rollmann. Pogg. Ann. LXXXIX und LXXXX. Meyer. Pogg. Ann. LXXXV. Brücke. Wien. Ber. 1853. XI. 213. Herr Frıeor. Burcxnarpr. Zur Irradiation (d. 2. Nov. 1853). j Die Erscheinungen der Irradiation sind auf zwei Wei- sen gedeutet worden. Der einen, älteren Ansicht, welche dieselbe unmittelbar aus dem Accommodationszustande des Auges ableitet, und mit demselben in die engste Verbin- dung setzt, steht Plateau’s Theorie entgegen, welche, wenn auch nicht allgemein angenommen, die andere so sehr in den Hintergrund gedrängt hat, dass kein Lehrbuch mehr die ältere anzunehmen wagt. Plateau definirt die Irradiation als Ausbreitung der Lichtempfindung über den Lichteindruck. Trifft weisses oder überhaupt inten- sives Licht nur gewisse Stellen der Retina, so pflanzt sich die Bewegung, welche die Empfindung des Lichtes hervor- ruft, über die unmittelbar getroffenen Stellen hinaus fort, und wir nehmen eine &rössere Stelle beleuchtet wahr, als das Bild selbst im Auge uns würde wahrnehmen lassen. Diese hie und da in neuerer Zeit angegriffene Theorie ist mit vieler Umsicht und Schärfe von Welker wider- legt in einem Aufsatze „Ueber Irradiation und 155 einige andere Erscheinungen des Sehens. Giessen 1852.“ Ich habe dieser interessanten Arbeit nur Weniges beizufügen Es kommt darauf an, ein Grund- phänomen aufzusuchen und vollständig zu erklären und dieses wird sich als sehr einfach darstellen; die vielen oft complicirten Experimente werden sich als Folgen der- selben ableiten lassen; und dieser Grundversuch ist das Beobachten eines hellen Punktes auf dunk- ler Fläche; die Reinheit des Versuches hängt ab von der Helligkeit des Punktes und von der Dunkelheit der Fläche. Zur theoretischen Betrachtung müssen wir uns zuerst ein Auge denken, das sich für jede beliebige Distanz leicht accommodirt. Dieses betrachtet einen hellen Punkt, und wird denselben immer wieder als Punkt sehen, aus welcher Entfernung auch die Strahlen in dasselbe gelangen mögen. Hat das beobachtende Auge aber gar keine Accom- modationsfähigkeit, so werden nur diejenigen Strahlen, welche von einer ganz bestimmten Entfernung in das Auge gelangen, so gebrochen, dass sie sich in Einem Punkte vereinigen. Nähert sich der Punkt dem Auge, so wird der Strah- lenkegel, dessen Spitze der leuchtende Punkt, dessen Basis die Pupille ist, erst hinter der Netzhaut sich vereinigen. Die Netzhaut durchschneidet den Kegel und der Durch- schnitt ist eine beleuchtete Fläche. Entfernt sich der Punkt über die bestimmte Stelle, so wird der helle Strahlenkegel schon vor der Netzhaut vereinigt, und die wieder divergirenden Strahlen bilden auf der Netzhaut eine beleuchtete Fläche. Wir erhalten also für alle Punkte, ausser dem Einen ganz bestimmten, eine beleuchtete Fläche. Wahrschein- ich hat nun in Wirklichkeit kein Auge unbegrenztes Ac- commodationsvermögen, und keinem geht es ganz ab. 156 Wird daher von verschiedenen Augen ein ferner leuch- tender Punkt betrachtet, so wird das eine denselben scharf begrenzt, das andere statt dessen eine beleuchtete Scheibe sehen. Von dieser und allen daraus hervorgehenden Erscheinun- gen kann also der Grund nur in der Brechung der Licht- strahlen und nicht in einem sich ausbreitenden Stosse der Lichtwellen zu suchen sein. Durch Verändern der Strah- lenbrechung mittelst Linsen wird auch die beleuchtete Scheibe vergrössert oder verkleinert. Verfolgt man auch die Dispersion der Strahlen im Auge, so müssen dann, wenn der Punkt als Fläche er- scheint wegen zu kleiner Entfernung derselben vom Auge, die rothen Strahlen im Auge den Rand der beleuchteten Scheibe bilden, da der Mantel des Kegels aus rothen Strahlen besteht; erscheint aber der Punkt als Fläche wegen zu grosser Entfernung, so fallen an den Rand der Scheibe die blauen Strahlen. Für denjenigen Punkt oder diejenigen Punkte, auf welche sich das Auge accommodirt, achromatisirt es sich auch, der Punkt erscheint als Punkt ohne Farbenrand. Die Versuche mit fernen Lichtflammen im Dunkel der Nacht bestätigen alles Gesagte vollkommen. Wird aber statt einer gewöhnlichen Lichtflamme das homogene Licht einer Weingeistkochsalzflamme betrachtet, so ist natürlich von Farbenrand keine Rede mehr. Was von einem Punkte gilt, gilt ebenso von einer Linie, von einer Fläche. Wenn man eine Flamme mittelst eines Cylinders spiegelt, so erhält man eine Lichtlinie; diese erscheint, je nach dem Accommodationszustand scharf begrenzt oder zerstreut, und zwar r oth gerandet für zu ferne Accommodation, blau gerandet für zu nahe. Ich weiss nun nicht, ob ein Unterschied besteht zwi- schen diesen Erscheinungen und den eigentlichen und ge- 157 wöhnlich so genannten Irradiationserscheinungen; es ist höchstens ein Unterschied des Grades, indem man bei diesen bloss weiss auf schwarz, oder hell auf dunkel, selten wohl aber leuchtend auf dunkel beobachtet. Es bleibt auch gar keine von allen bisher wenigstens mir bekannten Er- scheinungen, welche in der Irradiation ihren Grund haben, unerklärt: wohl aber bei der Annahme einer Verbreitung der Lichtempfindung über den Lichteindruck hinaus; na- mentlich kann ich mir das mechanische Verhältniss nicht denken, nach welchem bei abnehmender Kraft (d. h. bei Entfernung der Lichtquelle) die Wirkung sich gieich bleibt oder vergrössert wird. Ich kann nicht umhin, Irradiationserscheinungen und Erscheinungen hervorgerufen durch mangelhafte Acommoda- tion, woher dieselben auch rühren, für identisch anzusehen. Hier habe ich noch eine kleine Beobachtung anzu- schliessen. Dove hat gezeigt, dass durch Combination von Weiss und Schwarz im Stereoscop auf die ein- fachste Weise ein Eindruck hervorgerufen wird, der uns zunächst an Graphitglanz erinnert und ich habe mich oft von der Richtigkeit der Beobachtung überzeugt. Statt Weiss und Schwarz auf diese Weise zu combiniren, kann es der Kurzsichtige auch durch Uebereinanderlagerung der Beiden. Und so erscheinen mir und Andern Zeuge, welche so weiss und schwarz gesireift sind, dass das Schwarze vorherrscht, vollständig glänzend und erinnern an graue Seidenzeuge. Bei der Beobachtung anderer Farben auf diese Weise gelingt es mir nicht, Glanz wahrzunehmen. 158 MEDICIN. Herr Dr. Aueusr Burckuarpr hielt am 3..Nov. 1853 einen Vortrag über den Augenspiegel, dessen Con- struction und Anwendungsweise erklärt wurde, wie sie von Helmholtz, Coccius und van Trigt gelehrt werden. Die Anschauung des innern Augengrundes, der Netzhaut und ihrer Gefässe, der Sehnervenwarze und der vasa vor- ticosa der Gefässhaut wird vorerst durch eine Abbildung versinnlicht, und hierauf mittels des Coccius’schen Instru- ments an einem gesunden Auge jedermann gezeigt. Schliess- lich wird die Wichtigkeit dieses Instruments für den Pa- thologen hervorgehoben, um bei Krankheiten der Linse, des Glaskörpers und der Netzhaut, die oft so schwierige Diagnose zu sichern. DRUCKFEHLER. Seite 20 Linie 28 lies wäre, anstatt wären. 21 28 33 48 52 58 2 29 2 17 18 21 Wärmeatmosphären umgeben sein, anstatt Wär- meatmosphäre umgeben. Flüssigkeit, anstatt Fähigkeit. nach dem Worte „Wasserstoffes“ sind die Worte „mit dem Sauerstoff“ auszulassen. Ansicht, anstatt Absicht. 0 0 in diesem © in O, anstatt O in O. reichlich, anstatt reichliche. 1 3 Li v \ : Ve ‘ + te Y 2 / 7 | Fa. | 17, La 2 ‚ o e ÿ ds A s 7 ri > Li £ 0 3 h7 on ie à Ê an A ae 4 N, H er, EU ES" ß va ni rent TUR KA ti \n Zur 3 x u s MURS ag Ti Aasnanı M os IE = ’ fin 2 u se Y AT Hajétn “re aol ? Toy Hoterte. rie mcogrerts umehdaqgot jenst Luis - Lots dtutés bit DUNCAN UT uit L : GLEN CDS ou No re GMAO ee AVE Gb hat aaa #6 W ti sai | ed remeludeg tehrtosré et tof) item ALT NE RES evo dde ee ker A de tr sus Dai, Le gta e. DEN Cine CO AP CE isao Da TE RP IR IRRE tintenp „dolldaisr: VERHANDLUNGEN NATURFORSCHENDEN GESELLSCHAFT BASEL. Zweites Heft. BASEL. SCHWEIGHAUSERSCHE VERLAGS-BUCHHANDLUNG. 1855. PR wo An La gr MOUSE TE CES FR PHYSIOLOGIE. I. Ueber den Farbenunterschied des arteriellen und venösen Blutes. Von Prof. C, Brucu. (Vorgetragen den 14. Sept. 1852.) Seit langer Zeit hat man den Farbenwechsel, welchen das Blut der Wirbelthiere beim Durchgang durch die Re- spirationsorgane erleidet, mit den chemischen Vorgängen des Athmungsprocesses in Verbindung gebracht, und durch die mannigfaltigsten Erklärungsversuche ist man immer wie- der zur Annahme einer, nach unseren dermaligen Schul- begriffen freilich räthselhaften Beziehung zwischen Sauer- stoff der Atmosphäre und Blutfarbestoff hingedrängt worden. Räthselhaft deswegen, weil die präsumtive chemische Ver- * bindung, auf welche das Hellrothwerden des Blutes hinzu- deuten scheint, durch blosse Absorption von Kohlensäure, - Wasserstoff oder Stickgas, durch Entfernung des Sauer- ‘2 - stuffs vermittelst der Luftpumpe, ja freiwillig bei längerem if D - 16% Stehen des Blutes (wobei sich Kohlensäure bildet) wieder aufgehoben wird. Unter den zahlreichen physicalischen Erklärungsver- - suchen, die man, um dieser Schwierigkeit zu entgehen, ersonnen hat, war gewiss derjenige der bestechendste, wel- cher die Veränderung der Farbe durch eine Einwirkung der Gase, nicht auf den Farbstoff, sondern auf die Form und Beschaffenheit der Blutkörperchen zu erklären suchte, in ähnlicher Weise, wie man verschiedene Farbennuancen des Blutes durch Verdünnen mit Wasser oder Zusatz con- centrirter Salzlösungen hervorbringen kann, die stets von sehr charakteristischen Formveränderungen der Blutkör- perchen begleitet sind. Eine solche Erklärung musste be- sonders ansprechend erscheinen, nachdem Magnus (Poggend. Ann. 40. S. 583, 66. S. 177) die reichliche Anwesenheit freier Gase in beiden Blutarten experimentell festgestellt und das Absorptionsvermögen sowohl für Sauerstoff als für Kohlensäure bestimmt hatte. Da damit die Lavoisiersche, schon durch andere Versuche erschütterte Lehre, wornach … die Verbrennungen in den Lungen unmittelbar beim Eintritt des atmosphärischen Sauerstoffs stattfinden sollten, definitiv widerlegt, und dargethan war, dass die Oxydationsprocesse während der Circulation stattfinden müssen, so konnte die in den Lungen schon stattfindende, so zu sagen momentane | Farbenveränderung als etwas rein Zufälliges und Unwesent- liches erscheinen und namentlich eine chemische Beziehung zum absorbirten Sauerstoff geläugnet werden. Dass indessen auch diese physicalische Erklärung nicht Stich halte, ist bereits in einer früheren Sitzung (X. Be- - richt S. 199) erörtert worden, und es sind die von mir angestellten Versuche, welche die Einwirkung der Gase auf den freien Blutfarbestoff ausser Zweifel stellten, nunmehr von allen Seiten bestätigt worden. (Ja man ist in neuerer Zeit so weit gegangen, einen Einfluss der Form und Ge- N 165 stalt der Blutkörperchen auf die Farbe des Blutes über- haupt in Abrede zu stellen,*) was mir jedoch nicht gerecht- fertigt scheint). Es ist ferner durch H. Rose, Magnus und Marchand (Erdmanns Journal 35. S. 389) in dem Natron- bicarbonat ein Körper kennen gelehrt worden, der einen Theil seiner chemisch gebundenen Kohlensäure sowohl beim Durchleiten von Wasserstoffgas durch die wässerige Lösung, als im luftleeren Raum verliert, und Liebig hat dieses merkwürdige Verhalten schon vor längerer Zeit (Handwörterbuch S. 900) mit dem des Blutes verglichen. Endlich ist in neuerer Zeit von Lehmann (Lehrbuch der physiol. Chemie II, S. 217) und von Liebig (Annalen der Chemie IH, 1851, S. 112) mit überzeugenden Gründen von neuem die Unabweislichkeit einer chemischen Beziehung zwischen Sauerstoff und Farbestoff des Blutes erörtert wor- den. Liebig stützt sich namentlich auf die von Magnus er- mittelten Zahlen, nach welchen Kalbsblut zwar nicht viel - mehr Kohlensäure (sein 1', Vol.), aber 10—13 Mal mehr Sauerstoff zu absorbiren vermag als reines Wasser; sowie auf die Thatsache, dass die Absorptionsfähigkeit des Was- #) Moleschott (Illustr. mediz. Zeitschr. 1853) schliesst dieses daraus, dass Blut, mit verschiedenen Salzen gemischt, „nach einiger Zeit“, bis 48 Stunden, Fär- bungen zeigte, die dem Grade der Runzelung und Gestaltveränderung der Blutkörperchen nicht entsprachen, und ferner, dass eine sehr verdünnte Salz- lösung ohne Formveränderungen hellroth mache. In den ersteren Fällen ist jedoch die unvermeidliche Zersetzung und Kohlensäureentwicklung, in dem letzten die Verdünnung des Blutes nicht in Anschlag gebracht. Nicht glück- lich scheint mir auch die schon früher (Physiol. des Stoffwechsels S. 483) + versuchte Auskunft, dass die hellere oder dunklere Färbung, als eine Eigen- schaft des arteriellen und venösen Blutes, so wenig einer Erklärung bedürfe, als die Farbe des Chlorophylls, des Carmins u. s. w. Hier scheint mir nicht scharf unterschieden zwischen Eigenschaft und Erscheinung; denn man fragt nicht, warum das Blut roth sei, sondern warum es seine Färbung während der Circulation ändert. Dass übrigens auch die sogen. Eigenschaften und insbesondere die Farben der Körper schlechthin für die Analyse der fort- schreitenden Wissenschaft zugänglich sind, haben Schönbeins Untersuchungen über diese Materie in überraschender -Weise gelehrt, 166 sers für viele Gase durch Zusätze von Materien, die zu dem Gas eine wenn auch noch so geringe chemische Ver- wandtschaft besitzen, beträchtlich erhöht werden kann, so durch 1% phosphorsaures Natron für Kohlensäure um das Doppelte, ‘eine Lösung von Eisenvitriol bis zum vierzig- fachen für Stickoxydgas. Aus beiden Flüssigkeiten entwei- chen die Gase im luftleeren Raum, ja sie lassen sich aus jener Lösung durch blosses Schütteln mit Luft, aus dieser durch - Schütteln mit Kohlensäure austreiben. „Niemand denkt da- ran, sagt Liebig, dieses Verhalten, welches dem des Blutes so ähnlich ist, als einen Beweis anzusehen, dass die Koh- lensäure in der Lösung des phosphorsauren Natrons oder das Stickoxydgas in der des Eisenvitriols nur absorbirt und nicht in einer chemischen Verbindung enthalten sei, weil man weiss, dass das Auflösungsvermögen des Was- sers in diesen Fällen abhängig ist von der Menge des auf- gelösten Salzes.” Ehe mir die zuletzt erwähnten Thatsachen bekannt ge- worden waren, wurde meine Aufinerksamkeit durch Herrn Prof. Schönbein im vergangenen Winter auf das eigenthüm- liche Verhalten der Guajaktinctur gegen ozonisirte Luft hingelenkt, worüber derselbe bereits früher (IX. Bericht S. 1) der Gesellschaft Mittheilung gemacht. Die blaue Fär- bung, welche beim Schütteln mit ozonisirter Luft eintritt, … verschwindet nach einiger Zeit von selbst wieder, kann aber durch abermaliges Schütteln mit ozonhaltiger Luft aufs Neue erzeugt werden und geht erst bei wiederholter Be- handlung mit Ozon, ohne Zweifel in Folge bleibender che- mischer Veränderung des Guajakharzes, gänzlich verloren. Man mag diese Thatsache auf verschiedene Weise erklären und namentlich hervorheben, dass der bei der Respiration eingeathmete Sauerstoff wesentlich nicht ozonisirter, son- dern der gewöhnliche atmosphärische ist, aber man wird zugeben, dass die Aehnlichkeit mit der Einwirkung des 167 Sauerstoffs auf den Blutfarbestoff sehr in die Augen fällt und die Vornahme einer Untersuchungsweise von einem neuen Gesichtspunkte aus rechtfertigen konnte. Es darf übrigens hinzugefügt werden, dass die verhältnissmässig niedrige Temperatur, bei welcher die Verbrennungen im thierischen Körper erfolgen, wie schon Ludwig (Physiol. I, S. 17) hervorgehoben hat, kaum eine andere Annahme ge- statten, als dass hier jener eigenthümliche Zustand des Sauerstoffs, in welchem er ein so ausgezeichnetes Oxyda- tionsvermögen besitzt, eine Rolle spielt; auch halte ich es keineswegs für gewagt, wenn Schönbein glaubt, dass im Blute oder in den Geweben Stoffe vorhanden seien, welche den Sauerstoff zu diesen eigenthümlichen Wirkungen dis- poniren. . Unter den bisherigen Hypothesen über die Wirkung der Gase auf den Farbstoff sind einige gewesen, welche der Kohlensäure einen dunkelmachenden Einfluss zuschrie- ben, der durch den Eintritt des Sauerstoffs gemildert oder aufgehoben würde, wobei die natürliche helle Farbe des Farbstoffs hervorträte. Bei weitem die meisten Schriftsteller glaubten jedoch beiden Gasen eine active und directe Wirkung auf die Farbe zuschreiben zu müssen, welche sich gleichsam bekämpften und gegenseitig ausschlössen; ja Mar- chand glaubte nach einigen Versuchen eine indifferente Mittelfarbe als die natürliche des Farbstoffs annehmen zu müssen, die nach Entziehung aller Gase hervorträte (a. a. O. S. 279). Darnach müsste also mit Sauerstoff imprägnir- tes Blut im leeren Raum dunkler, das mit Kohlensäure ge- schwängerte aber heller werden, was Marchand auch ge- funden zu haben glaubte. Das Letztere habe ich jedoch in einem schon früher angeführten Versuche nicht bestätigt gesehen; das kohlensäurehaltige Blut blieb unter der Luft- pumpe dunkel. Gestützt auf diese Erfahrung, auf die grosse Absorptionsfähigkeit für Sauerstoff und auf das Verhalten 168 der Guajaktinctur, glaubte ich daher damals die Vermuthung | aussprechen zu dürfen, dass nur der Sauerstoff activ auf den Farbstoff einwirke, die Kohlensäure, der Wasserstoff, der leere Raum u. s. w. nur durch Austreibung des absorbirten Sauerstoffs wirke und die dunkelste Farbe die natürliche des Farb- stoffs sei. Entscheidende Versuche hierüber konnten auf verschie- dene Weise angestellt werden. Ich konnte Blut durch durchgeleiteten Wasserstoff oder Stickstoff von den übri- gen Gasen, namentlich von absorbirtem Sauerstoff, befreien und prüfen, ob die erzeugte Farbe durch durchgeleitete Kohlensäure verändert werde; ich konnte einfach arteriel- les und venöses Blut auspumpen und sehen, ob sich durch Entfernung aller Gase die gleiche Farbe (die natürliche des Farbstoffs) erzeugen lasse, wobei zu entscheiden war, ob diese eine Mittelfarbe oder vielmehr eine noch unter die venösen herabsinkende sein würde, oder endlich, ich konnte durch Kohlensäure den vorhandenen Sauerstoff beliebigen Blutes austreiben und prüfen, ob sich durch Auspumpen der Kohlensäure diese tiefste Farbe verändern würde. Aus leicht ersichtlichen Gründen wählte ich den letzieren, ein- fachsten und schlagendsten Versuch, in welchem etwa stö- rende Beimischungen möglichst vermieden werden konnten und eine absolute Befreiung vom Gase, die im leeren Raum nicht zu erzielen ist, nicht erfordert wurde. Herr Prof. Schönbein hatte die Güte, mir die erforderlichen Apparate des physicalischen Cabinets zur Verfügung zu stellen und mich bei einem Theile der Versuche selbst zu unterstützen. Eine Quantität frischen, geschlagenen und defibrinirten Ochsenblutes wurde mit der gleichen Quantität Wasser verdünnt, ein Theil in wohlverschlossenen Flaschen mit atmosphärischer Luft, ein anderer anhaltend und wiederholt mit Kohlensäure geschüttelt, bis sich dort die hellste, hier 169 die tiefste Farbe fixirt hatte. Es wurde dabei wiederholt die bekannte Erfahrung gemacht, dass eine ungleich grös- sere Quantität Kohlensäure zur Austreibung des Sauerstoffs erfordert wird, als umgekehrt, da der Sauerstoff viel fester im Blute haftet und eine einzige Luftblase hinreichend ist, das Resultat einer ganzen Flasche voll Kohlensäure zu stö- ren. Gewiss beruhen auf solchen Verunreinigungen eine grosse Anzahl früherer Versuche, namentlich solcher, in welchen man auch beim Schütteln mit Kohlensäure eine hellere Farbe erhalten haben wollte. Von diesen so bereiteten Blutarten wurden in gleich beschaffenen Gläsern je zwei gleich grosse Quantitäten ab- gemessen, die eine zur Vergleichung zurückgestellt, die an- dere der Luftpumpe ausgesetzt. Das Auspumpen wurde so lange fortgesetzt, als noch eine Gasentwickelung bemerkt wurde. Auch hier zeigte sich der Unterschied des kohlen- säure- und sauerstoffhaltigen Blutes, indem jenes längst zu schäumen aufgehört hatte, als dieses noch fortwährend Gasblasen entwickelte. Das sauerstofige Blut wurde, wie dies von allen Beobachtern übereinstimmend angegeben wird, entschieden dunkler, doch bei weitem nicht so dunkel, als das kohlensaure von Anfang war, obgleich es beträchtlich unter die Farbe gewöhnlichen Körperblutes herabging. Es musste dies nothwendig der Unmöglichkeit zugeschrieben werden, allen vorhandenen Sauerstoff auf diesem Wege zu entfernen. Gänzlich unverändert blieb aber auch in diesen Versuchen das kohlensäurehaltige Blut, obgleich die Gasentwicklung hier viel vollständiger und reichlicher ausfiel; und nur weil über diese Thatsache nicht der mindeste Zweifel blieb, wurde der Controleversuch un- terlassen, es noch einmal mit Kohlensäure zu schütteln und die Indifferenz dieses Gases auch auf diese Weise dar- zuthun. Es war also die dunkelste-Farbe, welche durch Schütteln mit Kohlensäure erhalten worden 170 war, nichts anderes, als die natürliche des Farb- stoffs, bedingt durch die möglichst vollständige Abwesenheit des Sauerstoffs, zu dessen Austrei- bung die Kohlensäure gedient hatte. Durch diese Versuche scheint mir in dem Gewirre sich widersprechender Versuche und Ansichten eine Thatsache gewonnen, welche als ein sicherer Haltpunkt für dies Ver- halten der Blutgase bei ihrem Ein- und Austritt aus dem Blute, sowie während der Circulation, betrachtet werden kann. Dass an die Anwendung des Diffusionsgesetzes bei dem Austausche zwischen Lungenluft und Blutgasen nicht zu denken sei, ist von Vierordt, Ludwig u. A. zur Genüge erörtert worden; die eminente Absorptionsfähigkeit des Blutes für den Sauerstoff, so wie die unzweifelhafte Be- ziehung desselben zum Blutfarbestoff lassen keinen Zweifel über die Unabhängigkeit der Sauerstoffaufnahme von der Kohlensäureausgabe, die sich vielmehr aus der Differenz des Druckes, unter welchem das kohlensauer geschwängerte Blut in den Parenchymen und das der Atmosphäre aus- gesetzte in den Lungen strömt, erklären dürfte. Wohl aber ist es begreiflich, wie die Menge der ausgeschiedenen Koh- lensäure, deren Bildung von der Menge des aufgenommenen Sauerstoffs einer- und der verbrennlichen Stoffe anderer- seits bedingt ist, im einzelnen Falle dem Diffusionsgesetze factisch entsprechen mag. Auch daran kann gedacht wer- den, dass bei der ersten Aufnahme des Sauerstoffs in das Blutserum und ehe er von den Blutkörperchen in Beschlag genommen wird, ein Diffusionsgesetz im Spiele wäre, das jedoch für den Austausch zwischen freien und absorbirten Gasen durch eine feuchte thierische Membran hindurch überhaupt erst zu ermitteln ‚wäre und überdies bei der Respiration durch die eigenthümliche Eigenschaft des Blut- farbestoffs beträchtlich modifieirt würde. PU I U EU — 5 u Zu 171 Interessant wäre es auch, zu untersuchen, ob sich durch verschiedene indifferente Gase, namentlich durch Wasser- stoff und Stickgas, genau dieselbe Farbe (durch Austrei- bung des Sauerstoffs) erzeugen lässt, wie durch die Koh- lensäure, oder ob die Absorption eines Gases an und für sich, wie Magnus für möglich hielt, die Färbung, Durch- sichtigkeit und Lichtbrechung einer Flüssigkeit verändert. Für die Kohlensäure müsste ich das letztere nach meinen Versuchen in Abrede stellen. Was endlich die vorhandenen Angaben über den ent- scheidenden Versuch betrifft, so scheint man sich die Frage, um die es sich handelt, gar nicht bestimmt gestellt, und namentlich nicht mit solchem Blute operirt zu haben, wel- ches vor dem Auspumpen so viel als möglich nur mit einem einzigen Gase gesättigt wurde. Doch finde ich in der drit- ten Auflage der Müller schen Physiologie S. 319 angegeben, dass „Venenblut unter der Luftpumpe nicht merklich heller werde”; auch „das mit Kohlensäure künstlich inprägnirte Blut wurde, in einem Uhrgläschen der Luftpumpe ausge- setzt, nicht hellroth”. Dies ist nach Müller im Widerspruch mit einem Versuche von Magnus (a. a. O. 40. 602), der eine geringe Veränderung der Farbe wahrnahm, „ohne dass jedoch das Blut so hellroth wie arterielles geworden wäre,” und vielleicht sind aus diesem Grunde diese Versuche in der folgenden Auflage weggeblieben. Die Stelle bei Magnus lautet jedoch etwas unbestimmt. Magnus fand die hellere Farbe, wenn die Kohlensäure aus dem venösen Blute mit- telst Wasserstoff ausgeschieden wurde; unter der Luft- - pumpe jedoch, wo der Versuch jedenfalls reiner stattfand, nur in so geringem Maasse, „dass er es nicht mit Bestimmt- heit auszusprechen wage.” Ich führe diese Stelle an, weil es mir zu einer grossen Genugthuung gereicht, mich mit einem so ausgezeichneten Forscher in keinem Widerspruch zu wissen. So bliebe also, als ein direct widersprechender, x 172 nur der Marchand’sche Versuch (a. a.0. S. 278), und auch dieser scheint mir einer Interpretation fähig. Wenn er nämlich das beschriebene Ausgiessen des Blutes in gleich weite, etwa 4 Linien, Reagenzcylinder, zum Behufe der bes- seren Vergleichung bei auffallendem und durchfallendem Licht nach dem Auspumpen vorgenommen haben sollte, so würde ich nicht zweifeln, dass das ausgepumpte Blut, welches mit Begierde Sauerstoff aus der atmosphärischen Luft aufnimmt, in Folge dessen sich wieder etwas geröthet habe. Ich muss daher dringend empfehlen, die ausgepump- ten, wie die zur Vergleichung bereitstehenden, Gläser ent- weder sogleich nach dem Auspumpen zu verschliessen, oder wenigstens in keiner Weise zu rütteln oder lebhaft zu be- wegen, Schaum wegzublasen u. dgl. m. Schliesslich darf ich wohl nach der Mühe, die ich auf diesen Gegenstand verwendet, darauf hinweisen, dass alle meine ersten Versuche (Zeitschr. f. rat. Med. I, S. 440), mit Ausnahme des V., den ich auf Marchands Gründe hin als einen nicht beweisenden und unvollkommenen bereits früher cassirt habe, stehen bleiben; dass aber die daraus zu ziehenden Schlüsse in Bezug auf die Kohlensäure in der oben dargestellten Weise modificirt werden müssen, da sie ohne allen Einfluss auf den Farbstoff und der Sauerstoff auch hier als alleiniger und vorzüglicher Erreger chemischer Vorgänge erscheint. Auf die weitere Rolle des Sauerstoffs, während der Circulation, hier einzugehen, scheint mir nicht am Orte; na- mentlich lasse ich dahingestellt, ob er ähnlich der Guajak- - tinetur freiwillig den Farbstoff verlässt, um sich anderen chemisch Verwandten zuzuwenden, oder cb die gebildete Kohlensäure, wie bei dem geschüttelten Blute, an seiner "Befreiung sich betheiligt. Und eben so wenig will ich eine bestimmte Meinung darüber äussern, ob die Kohlensäure als eine blos absorbirte oder, mit Rücksicht auf die Mehr- 173 aufnahme dem reinen Wasser gegenüber, wenigstens theil- weise als chemisch gebundene im Sinne Liebigs zu betrachten sei. Meine Absicht war nur, eine Thatsache zu constatiren, die meiner Ansicht nach für die Wissenschaft fruchtbar sein wird und auf welche man früher oder später wird zurückkommen müssen. II. Ueber Blutkrystalle und organische Krystalle überhaupt. Von demselben. (Vorgetragen am 15. Sept. und 15. Dec. 1852.) In einer früheren Sitzung (X. Bericht S. 204) habe ich der Gesellschaft die von Zwicky in Zürich entdeckten, von Virchow später genauer beschriebenen und so benannten Hämatoidinkrystalle vorgezeigt, welche man in apo- plectischen und Blutextravasaten überhaupt gefunden hat und welche als ein höchst wahrscheinlich stickstoffhaltiger Bestandtheil des Inhaltes der Blutkörperchen bezeichnet wurden, der noch nicht näher ermittelt sei. Es wurde er- wähnt, dass Kölliker dergleichen Krystalle sogar in den frischen Blutkörpern eines Python unter dem Mikroskope entstehen sah. Es hätten dort auch die von Reichert (Mül- lers Archiv 1849, S. 200) beschriebenen rothen, tetraedri- schen Krystalle von.der Placenta eines Meerschweinchens erwähnt werden sollen, welche derselbe geradezu als Kry- stalle eines eiweissartigen Körpers bezeichnet und mit Schmidt in Dorpat gemeinschaftlich genauer analysirt hat. Dieser Gegenstand hat seitdem ein viel weitgreifende- res Interesse gewonnen, da Funke in Lehmanns Laborato- rium die Entdeckung machte, dass sich das Milzvenenblut 17% des Pferdes, sehr bald auch das anderer Gefässe und an- derer Thiere, willkührlich zur Krystallisation bringen lässt, ein Gegenstand, der seitdem von ihm, Kunde und Lehmann weiter verfolgt worden ist (Zeitschr. für rat. Med. Neue Folge Bd. I. II. Berichte der sächs. Gesellsch. der Wis- senschaften zu Leipzig, Heft I. II. 1853. Teichmann in der Zeitschr. für rat. Med. Bd. ID. Auch an unserer Anstalt sind hierüber im Sommer 1852 Untersuchungen angestellt worden, indem Herr Stud. med. Bisegger, mit einer Unter- suchung über farblose Blutkörperchen beschäftigt und mit der betreffenden Literatur gänzlich unbekannt, in einem ein- trocknenden Blutstropfen aus der untern Hohlvene einer frischgetödteten Ratte zufällig auf eine Menge prismatischer, rothgefärbter Krystalle stiess, und mich, da er sich das Phänomen nicht erklären konnte, zu Rathe zog. Mir waren zu dieser Zeit die ersten Mittheilungen von Funke bereits bekannt, ich sah jedoch das Phänomen bei dieser Gelegen- heit zum erstenmal und forderte Herrn Bisegger auf, das- selbe zu verfolgen, indem ich ihn zugleich mit der Literatur des Gegenstandes, soweit sie uns zugängig war, bekannt machte. (Da die Literatur über diesen Gegenstand, der in- dess von Anderen viel weiter geführt worden ist, als er hier geführt werden konnte, bereits sehr umfangreich ist, so beschränke ich mich darauf, mit Uebergehung des Hi- storischen die wesentlichen von Herrn Bisegger constatirten _ Thatsachen, sowie einige an die Demonstration, die derselbe vor der Gesellschaft vornahm, angeknüpfte, in einem spä- teren Vortrag weiter ausgeführte Bemerkungen über or- ganische Krystalle und Krystallisation hier kurz mitzutheilen.) Es ist uns nur gelungen, mikroskopische Krystalle zu erhalten, und diese nur unter dem Deckglase. Die Methode, welche sich uns als die sicherste erwies, bestand darin, dass man einen beliebigen Tropfen frischen oder älteren 175 Blutes einige Minuten auf dem Objectkörper der Verdün- stung überliess, dann mit einem Deckglase bedeckte und nun einen Tropfen Wasser damit in Berührung brachte, worauf sich sogleich, zwar keineswegs immer, aber in meh- reren Versuchen ziemlich sicher einmal, zahlreiche Krystalle bildeten, deren Existenz, wenn sie in grösserer Menge vor- handen waren, sich schon an der zinnoberrothen Farbe der Ränder des Blutes, dem eindringenden Wasserstrom gegen- über, mit freiem Auge erkennen liess. Bei der mikrosko- pischen Untersuchung des Objectes zeigte sich, dass die Krystalle allerdings nicht unmittelbar im Wasserstrom selbst, sondern in einiger Entfernung davon in einem Medium ent- standen, welches von ausgetretenem Blutfarbestoff röthlich gefärbt war und allmählig in den farblosen Wasserstrom überging. Sehr häufig wurden auch bereits gebildete Kry- stalle von dem Wasserstrom mit fortgerissen, lösten sich dann aber gewöhnlich sehr rasch vor unseren Augen wie- der spurlos auf, wodurch das Wasser eine gelbliche Fär- bung annahm. Hieraus ergab sich sehr bald, dass das Wasser durch Erregung eines endosmotischen Stromes wirkt, wodurch der Blutfarbestoff exosmotisch austritt und zur Krystallisation geschickt wird. Dieses exosmotische Aus- treten des Blutfarbestoffs ist jedoch nur zur Bildung grös- serer Krystalle erforderlich; wir glauben uns nämlich über- zeugt zu haben, dass kleinere Krystalle auch innerhalb der Säugethierblutkörperchen entstehen können, und zwar so, dass der mit scharfen Ecken versehene und von graden Linien begrenzte Krystall das Blutkörperchen ganz ausfüllte und gleichsam von der Membran desselben überzogen war. Letztere gab sich durch Wasserzusatz zu erkennen, wobei der Krystall, der also dem ganzen Zelleninhalt entsprach, sich wieder auflöste und das Ganze die Gestalt eines ge- wöhnlichen, erblassenden Blutkörpers annahm. Täuschungen sind hier begreiflicherweise ausserordentlich leicht möglich, 176 da die Blutkörperchen schon durch die gewöhnlichsten Ver- hältnisse der Endosmose, Aneinanderlegung, Compression u. s. w. die mannigfaltigsten Formen annehmen können. Manchmal schien es auch, als wenn sich solche kleine Kry- stalle zu einem grösseren mit den Flächen an einander gelegt hätten, der dann mit feinen Querstrichen oder Scheidewän- den versehen war, welche der Grenze der einzelnen Blut- körperchen entsprachen. Von den bekannten „Geldrollen” unterschieden sich solche Aggregate durch die regelmäs- sige Krystallform der einzelnen Blutkörper. Sie machten den Eindruck, als wenn die Krystallisation, die in der Regel am exosmotisch ausgetretenen Zelleninhalt stattfindet, unter nicht weiter anzugebenden Umständen, schon innerhalb und gleichsam ohne Rücksicht auf die Anwesenheit der Zellen- membranen erfolgen könne. Manchmal fielen die Krystalle sehr klein, manchmal sehr gross aus; sehr häufig sah man sie unter dem Mikroskope wachsen. Wie andere Beobach- ter, beobachteten auch wir eine regelmässige Krystallisa- tion mit wohl charakterisirten Formen, wenn das Wasser nicht zu rasch und mit der gehörigen Menge einwirkte, und eine präcipitirte in wunderlichen Büscheln, Blättern und Haufen. Ueber die chemischen Verhältnisse dieser Krystalle wurde nur so viel ermittelt, dass sie sich, wie in Wasser, so in Säuren und Alkalien und überhaupt in allen ange- wandten Medien sehr schnell auflösen. Es schien uns je- doch, als erfolge die Auflösung am leichtesten und schnell- sten unmittelbar nach der Bildung, wie man denn auch sehr häufig unter dem Mikroskope soeben entstandene Krystalle im nächsten Moment wieder gänzlich verschwinden sieht. Nach längerem Bestand scheinen sie eine grössere Dauer- haftigkeit zu besitzen; auch waren unter einem Deckglas aufgetrocknete Krystalle auf dem Objectträger noch nach mehreren Monaten zur Demonstration tauglich. 477 Sehr bald überzeugten wir uns, dass das Blut aller Körperregionen krystallisire, doch wurden, namentlich bei Hunden und bei Ratten, die mit Fleisch gefüttert waren, die Krystalle am sichersten und reichlichsten stets aus dem Blute der Milzvene und aus der Milzpulpe erhalten, Es gelang uns ferner, Krystalle aus dem Blute der verschie- denartigsten Thiere aus alien Wirbelthierklassen, mit ein- ziger Ausnahme der Frösche *) (wo sie von Andern indess ebenfalls erhalten wurden), sowie aus dem menschlichen Blute, wiewohl hier am unsichersten, zu erhalten. Was die Krystallformen betrifft, die Herr Dr. A. Müller mit uns stu- dirte, so gehörten diese durchweg dem rhombischen Systeme an, rhombische Tafeln und’ Säulen, nicht selten mit abge- stumpften Ecken und Kanten; nur aus dem Blute des Meer- schweinchens erzielten wir, übereinstimmend mit andern Beobachtern, nur solche, die dem regulären Systeme ange- hörten, und zwar meistens tetraedrische, selten octaedrische Krystalle. Eichhörnchen haben wir nicht untersucht. So unvollständig diese Untersuchungen ausgefallen sind, so lassen sie, in Verbindung mit dem von Andern Ermit- telten, doch keine Zweifel darüber, dass der krystallisir- #) Eine andere Beobachtung, die wir öfter gemacht, mag hier Erwähnung fin- den. Wenn man nämlich Froschblutkörper im Frühjahr mit Wasser behan- delt, so sieht man sie nicht selten mit einem Ruck an einer Stelle bersten und den gefärbten Inhalt in Form eines Tropfens entleeren, worauf die collabirte, vollkommen farblose Zelle mit sehr deutlichem Kerne und einer peripheri- schen Einkerbung, der Rissstelle entsprechend, zurückbleibt. Solche Tropfen _ und entleerte Zellen sieht man oft in Menge herumschwimmen und es dürfen namentlich die ersteren nicht mit durch Wasser kugelig aufgequollenen Blut- körpern, die stets eine blässere Farbe haben, verwechselt werden. Setzt man dann mehr Wasser zu, so zertheilen sich diese freien Tropfen mit einem zweiten Ruck und verschwinden spurlos, wie man dies von mikroskopischen Tropfen überhaupt gewohnt ist, indem sie nur die Flüssigkeit gelblich fär- ben. Das Experiment ist uns immer nur mit frischem Blute von frischge- tödteten Thieren, wenn ich nicht irre, namentlich mit solchen gelungen, welche ohne Nahrung in Behältern überwintert hatten, 12 178 bare Blutbestandtheil dem Inhalte der Blutkörperchen an- gehört; eben so wenig zweifelt Jemand, dass die rothe Färbung von dem Blutfarbestoff herrühre. Nicht so leicht ist es jedoch, nach den ausserordentlich widersprechenden Angaben über die chemischen Charaktere der Krystalle über die krystallisirbare Substanz selbst etwas Zuverläs- siges auszusagen. Die erste Ansicht, die sich wohl jedem aufdrängt, ist die, dass es der Blutfarbestoff selbst ist, wel- cher in dieser Form sich abscheidet. Allein wenn dies schon für die von Zwicky und Virchow beschriebenen -Hä- matoidinkrystalle sehr zweifelhaft ist, so spricht bei den künstlichen Blutkrystallen hauptsächlich die ausserordent- liche Masse der krystallisirenden Substanz dagegen, die zu der des Blutfarbestoffs in gar keinem Verhältniss steht. Es ist uns ferner die sehr verschiedene Intensität der Fär- bung, selbst aus demselben Blute, aufgefallen, die sich nicht blos aus der Dicke und dem Uebereinanderliegen der Kry- stalle ableiten lässt; in den Milzpulpen der Ratte haben wir sogar Krystalle gefunden, die man hätte farblose nennen können, und es fanden sich hier zu gefärbteren alle Ueber- gänge, ohne dass wir über die Bedingungen zur Entstehung der einen oder andern ins Klare gekommen wären. End- lich habe ich schon vor langer Zeit auf die Neigung des Blutfarbestoffs, sich an andere Substanzen und Gewebe an- zuhängen, aufmerksam gemacht, wodurch die Entstehung pigmentirter Körnerhaufen und Pigmentzellen erklärt wird (Unters. z. Kenntniss des körnigen Pigments der Wirbel- thiere in physiol. und pathol. Hins. 1844, S. 47), und den Chemikern ist es eine längst bekannte und unerwünschte Thatsache, wie schwer es ist, den Farbstoff rein darzu- stellen und von dem übrigen Zelleninhalt (dem Globulin der Chemiker) zu trennen. Wenn demnach keine andere Annahme bleibt, als dass _ der krystallisirbare Körper ein anderer sein müsse, als der 179 Blutfarbestoff, mit welchem er entweder chemisch verbun- den oder nur mechanisch verunreinigt sein kann, so wird man zunächst zu fragen versucht sein, ob man es mit or- ganischer oder anorganischer Substanz zu thun habe. Sämmt- liche anorganischen Bestandtheile des Blutes betragen aber bekanntlich zusammen noch nicht ein Prozent der festen Blutbestandtheile, während man unter dem Mikroskop nicht selten so zu sagen den ganzen Blutstropfen krystallisirt findet, so dass nur einige farblose Blutkörper zwischen den Krystallen übrig bleiben, abgesehen davon, dass in den Fällen, wo wir eine endogene Krystallisation beobachtet zu haben glauben, der gebildete Krystall den ganzen Blut- körper ausfüllte und also dem ganzen Zelleninhalte zu ent- sprechen schien. Es ist ferner hervorzuheben, dass dem Zelleninhalte kein anorganischer Bestandtheil eigenthümlich ist, der nicht auch im Blutserum vorkäme; dass es aber uns so wenig als Andern gelungen ist, aus blossem Serum solche Krystalle (ungefärbte natürlich) zu erhalten. Von den in den thierischen Flüssigkeiten vorkommenden mine- ralischen Substanzen, mit einziger Ausnahme des Tripel- phosphats (welches sich jedoch erst bei der Fäulniss bildet und niemals wie die Krystalle im frischen Blute beobachtet wird), krystallisirt ferner kein einziger in jenen beiden, oben genannten Krystallsystemen, in denen die Blutkrystalle vorkommen. Um endlich Aufschluss darüber zu erhalten, inwiefern mineralische Stofle geneigt wären, organische Substanzen, namentlich den Blutfarbestoff, mit sich in die Krystallform zu reissen, haben wir auch directe Versuche mit verschiedenen Salzen, namentlich mit Kochsalz, ange- stellt und dieselben aus einer wässrigen Blutlösung heraus krystallisiren lassen; aber stets haben wir negative Resul- -tate, d.h. die gewöhnlichen farblosen Krystalle dieser Salze . erhalten; auch zeigt sich das Tripelphosphat, das sich in 12* 180 faulendem Blute bildet, stets farblos inmitten der gelblich gefärbten Blutilüssigkeit. Damit soll nicht geläugnet werden, Te ein Mitreis- sen organischer Substanzen durch Krystallisation unorga- nischer Bestandtheile auch im thierischen Kôrper vorkom- men könne, und dass dieses Verhältniss hier vorzugsweise im Auge zu behalten sei. Eine derartige Beobachtung habe ich selbst in meinem Tagebuche verzeichnet. Als ich näm- lich vor einiger Zeit das nicht mehr ganz frische Chorion eines jungen Schaaffötus untersuchte, stiess ich auf eine so grosse Menge grosser, farbloser, meistens paarweise ver- bundener prismatischer Krystalle, dass davon das Sehfeld an allen Stelien und Präparaten bedeckt war. Diese Kry- stalle verschwanden in Essigsäure, Salzsäure und Schwefel- säure spurlos; in Kali aber sowohl als in diluirter Salpe- tersäure schmolzen sie zwar auch von der Peripherie her ein; es biieb aber eine blasse, häutige Grundlage zurück, die etwas einschrumpfte und die Krystallform ein- gebüsst hatte, und nur im Allgemeinen die Grösse, Gestalt und Lage des verschwundenen Krystalls andeutete. Diese Erfahrung, die ich leider nicht weiter verfolgt habe und an gewöhnlichem Tripelphosphat sonst nie gemacht habe, beweist jedenfalls, dass ein Krystall mehrere Substanzen enthalten kann, wovon eine hier kaum etwas anders, als eine organische gewesen sein kann, und sie scheint mir der Erwähnung um so mehr werth, weil Virchow (a. a. 0. I, S. 432) „von einer Art Gerüste” spricht, welche nach dem Verschwinden seiner Hämatoidinkrystalle zurückbleibe. Ich muss jedoch hinzufügen, dass wir an den Blutkrystallen niemals und bei keiner Behandlung etwas der Art beob- achtet haben, dass diese vielmehr immer aus einer einför- migen und gleichförmig gefärbten, vollkommen löslichen Substanz gebildet erschienen. ee "id. … Da ie < _ 181 Wird man so per exclusionem nothwendig zu der An- sicht geführt, dass die krystallisirende Substanz ein aus- schliesslicher Bestandtheil des Zelleninhalts und zwar ein organischer sei, so wird man ebenfalls per exclusionem zu der schon von Reichert und Schmidt aufgestellten An- nahme gelangen müssen, dass dieser zur Gruppe der eiweiss- artigen gehören müsse. Ich will hier nicht darauf ein zu grosses Gewicht legen, dass Reichert und Schmidt den Stick- stoffgehalt direct nachgewiesen haben (denn derselbe konnte auch von dem Farbstoff’ allein herrühren); auch spricht die Verkohlung und Verfiüchtigung der Krystalle nur für die organische Natur überhaupt.*) Aber schon durch die Lös- lichkeit in Alkalien und Säuren, sowie in blossem Was- serüberschuss, sind die andern erheblichen organischen Bestandtheile des Blutes, namentlich alle fetten Körper, ausgeschlossen. Man wird dabei freilich nicht an das Ei- weiss schlechthin, wie es z. B. im Blutserum enthalten ist, denken können; denn dieses krystallisirt eben nicht; auch ist es nicht der gerinnbare Stoff des Blutes, denn die Kry- stalle bilden sich sowohl vor als nach der Gerinnung und nicht selten findet man sie im mikroskopischen Gerinnsel eingeschlossen. Aber die Zahl der eiweissartigen Körper ist eine viel grössere und schon im Globulin der Chemiker, an welches man zuerst denken konnte, haben wir eine Mo- dification derselben. Dass eiweissartige Körper krystallisiren können, scheint . allerdings befremdlich; es fragt sich aber, ob einem aprio- *) Reichert spricht auch von einer Elastieität seiner Krystalle, die einen be- trächtlichen Druck mittelst des Deckglases gestattete und wieder ausglich. An den frischen Blutkrystallen sowohl als an Haematoidinkrystallen, die längere Zeit in Weingeist aufbewahrt waren, haben wir jedoch eine solche Elasticität nicht beobachtet; wir sahen die grösseren, besonders vom Meer- schweinchen, welche der Druck des Deckglases erreichen konute, stets zer- springen und zerbröckeln. 182 ristischen Widerstreben nicht etwas Vorurtheil zur Seite steht, weil man gewohnt ist, mit dem Worte Krystall an sich schon den Begriff des Unorganischen, Mineralischen zu verbinden. Wie käme man dazu, die höchsten Produkte, die Blüthe der organischen Natur sich krystallinisch vor- zustellen? Noch in Naumanns Krystallographie lesen wir: „Krystall ist jeder starre unorganische Körper, welcher eine wesentliche und ursprüngliche polyedrische Gestalt besitzt.” Schon im Jahre 1830 aber war eine hinrei- chende Menge krystallisirbarer organischer Substan- zen bekannt, um eine solche Definition als ‘eine einseitige erscheinen zu lassen. ‚Heutzutage hat sich die Zahl der letzteren so sehr vermehrt, dass die nicht krystallisir- baren vielmehr als seltene, dem dermaligen Stand der Che- mie entsprechende Ausnahmen erscheinen. Es krystallisiren theils bei 0°, theils bei höherer Temperatur mit einer ein- zigen Ausnahme (Milchsäure) die stickstofflosen Säuren, die Fettsäuren, auch die harzigen Säuren der Galle, die meisten Alkaloide, besonders die sauerstoffhaltigen (Krea- tin, Kreatinin, Leucin, Sarcosin, Glycin, Harnstoff, Taurin), die selbst als directe Abkömmlinge der Eiweissstoffe zu betrachten sind, ferner die gepaarten Säuren, die neutralen Fette und andere stickstofflose Körper (Zucker), sowie wahrscheinlich auch Farbstoffe für sich, von vegetabilischen Substanzen nicht zu reden. Es bleiben wie man sieht aus- ser wenigen stickstofflosen Körpern, wie das Gummi, eben nur die histogenetischen eiweissartigen Stoffe als solche übrig, von denen man bisher keine krystallinische Form ge- kannt hat. Sollten diese allein von einem Gesetze ausge- schlossen sein, welches so die organische wie die unorga- nische Natur umfasst? Oder sollte der Grund, der uns ihre Krystallform verborgen hat, derselbe sein, der bisher ver- hindert hat, diese Substanzen rein darzustellen? Sollte man nicht erwarten, dass ein Fortschritt in dieser Beziehung N 183 mit einer solchen Entdeckung zusammenfallen und eingelei- tet werden müsse? Es dürfte sich der Mühe lohnen, sich wenigstens nach einem Anhaltspunkte in dieser Beziehung umzusehen. In einer kürzlich erschienenen Schrift von Franken- heim „über Krystallisation und Amorphie‘ wird die Ansicht durchzuführen gesucht, dass die Krystallform über- haupt diejenige Form der Materie sei, in welcher sie fest werde, wenn ihre Molecüle, frei von allen störenden Einflüssen, im Stande sind, ihrer ge- genseitigen Beziehung zu folgen. Es ist diese De- finition zwar nicht wörtlich dort ausgesprochen, sie scheint mir jedoch die Ansicht des Verfassers in nuce zu ent- halten, und zwar würde dieselbe im weitesten Sinne, sowohl von unorganischen als organischen Substanzen zu gelten haben. Zu den störenden Umständen rechnet Fran- kenheim vor Allen die Gegenwart anderweitiger Stoffe, die zu einander chemische Anziehung haben und daher Gemenge, Mischungen bilden. In vielen Fällen lässt sich mikrosko- pisch an solchen sogenannten amorphen Körpern die Kry- stallform nachweisen, d.h. die Krystalle fallen der gehin- derten Anziehung wegen schr klein aus, und Frankenheim ist geneigt, dies sogar für viele sogenannte amorphe Sub- stanzen anzunehmen, die auch mikroskopisch keine Krystalle mehr erkennen lassen. Durch eine besondere Anziehung zum Wasser bilden sich gallertartige Körper, die selbst durch Auspressen des Wassers nur unvollkommen in den _ festen Zustand übergeführt werden können (a. a. 0. S. 16). In andern Fällen, wo ein anscheinend einfacher Körper vorliegt, soll der feste Zustand mehrere allotropische Mo- dificationen desselben gemengt enthalten (Schwefel, Selen, Phosphor im glasartigen Zustande). Ohne sich ein Urtheil über die spezielle Durchführung dieser Anschauungsweise und der zu Grunde gelegten Thatsachen zu erlauben, wird 184 man zugestehen können, dass die Anwendung derselben auf gewisse organische Körper sehr nahe liegt. Und vor Al- lem sind es hier die eiweissartigen, namentlich das Eiweiss schlechtweg, welches nicht blos constant eine Quantität Fett und Kalkerde enthält, sondern in dem grossen Atomencom- plexe der übrigen Elemente, mit Einschluss des Schwefels und Phosphors, unzweifelhaft eine Gruppe locker verbun- dener, nach Anderen sogar blos innig gemengter, zum Theil ähnlich zusammengesetzter Stoffe enthält. Einer dieser Kör- per könnte es sein, welcher in dem Inhalte der Blutkör- perchen zur Abscheidung kömmt und darnach unter die Bedingungen der Krystallisation versetzt wird; es könnte das sogenannte Globulin der Chemiker vermittelst der Kry- stallisation der Analyse zugänglicher werden, als es bisher gewesen ist, ja man darf die Hoffnung hegen, dass damit ein erster Anfang zu einer genaueren Kenntniss der nä- heren Zusammensetzung der eiweissartigen Körper gege- ben sei. Nahe liegt noch eine andere Betrachtung. Schwann gründete bekanntlich seine Theorie der organischen Kry- stallisation in der Form der Zelle auf die Imbibitionsfähig- keit gewisser Substanzen, und es ist gewiss eine Thatsache von Bedeutung, dass es gerade die nicht imbibitionsfähigen organischen Substanzen sind, die sich durch gewöhnliche Krystallisirbarkeit auszeichnen, wie die Fette, die Zucker- arten, die Alkaloide u. a. Man wird daher einen inneren Zusammenhang zwischen Imbilitionsfähigkeit und dem Man- gel der Krystallform nicht verkennen, und es liegt sehr “nahe, ihn in dem gleichen moleculären Charakter der ge- mengten oder mischbaren Körper zu suchen. Die Zelle ist selbst schon Organismus und bedarf der sämmtlichen ein- fachen Nahrungsstoffe schon bei der ersten Entstehung der Zellenmembran, die in ihrer Zusammensetzung den Eiweiss- körpern am nächsten kömmt. Die Zelle und das Leben be- 185 steht nur, so lange die in den complicirten Atomencomplex eingehenden näheren Bestandtheile vereinigt bleiben; die Krystallisati®n hat freien Spielraum und beginnt, sobald sie aus einander fallen, d. h. wenn die Bewegung, welche sie zusammenhält, stille steht. Zelle und Krystall sind nicht entgegengesetzt in Bezug auf die Materie an sich, wohl aber in Bezug auf den Zustand, worin sie sich befindet. Jene ist die Form der in der eigenthümlichen Bewegung des Lebens begriffenen Materie, dieser die der ruhenden oder todten. Ob Krystallisation und Zellenbildung sich unter dem Gesichtspunkt eines einzigen Naturgesetzes zu- sammenfassen lassen, erscheint dann freilich zweifelhaft; denn sie erscheinen keineswegs als derselbe Process an verschiedenen Materien, sondern im Gegentheil als differente Processe an derselben Materie. Nach diesem Vortrag wurden von Herrn Prof. Schön- bein Zweifel an der Krystallisirbarkeit eiweissartiger Kör- per erhoben, von Herrn Dr. A. Müller Beispiele unorga- nischer Substanzen angeführt, welche grössere Mengen anderer Stoffe, auch organischer, in die Krystallform mit- reissen. Zum Schlusse mag hier erwähnt werden, dass die hier ausgesprochene Vermuthung derjenigen sehr nahe kömmt, welche Lehmann, der diesen Gegenstand durch chemische Untersuchungen am weitesten geführt hat, seitdem aufge- stellt, indem er in dem krystallisirbaren Stoffe einen in der Eiweissformel enthaltenen stickstoffhaltigen Paarling zu er- kennen glaubt. 186 III. Ueber die Chylusgefässe und die Resorption des Fettes. PR Von demselben. (Vorgetragen in der Sitzung vom 14. Sept. 1852.) Bis in die neuere Zeit war unter den Physiologen die Ansicht die verbreitetste, dass der grösste Theil, wenn nicht alle löslichen Bestandtheile des Speisebreies von den Chylusgefässen des Darmes aufgenommen und daher erst nach dem Durchgange durch das ganze Lymphgefässsystem dem Blute beigemischt werden. Auch ist es vollkommen begreiflich, wie die Entdeckung der Lymphgefässe im Me- senterium und die auffallende Betheiligung derselben in der Verdauung, die sich in ihrer Turgescenz und weissen Farbe ausspricht, zu einer solchen Ansicht bestimmen und na- mentlich die Betheiligung der Blutgefässe bei der Resorp- tion ganz in den Hintergrund stellen konnte. Indessen hat doch Niemand geläugnet, dass die Blutgefässe bei der Ver- dauung eine Rolle spielen, und namentlich lässt sich bei der Magenverdauung, die unzweifelhaft schon mit Resorp- tion verbunden ist, bei der Abwesenheit eines entwickelten Zottenapparates und sichtbarer Chylusgefässe, die resorbi- rende Kraft der Blutgefässe nicht abweisen. Es findet sich zwar auch im Magen eine Andeutung von Zöttchen, allein ihre Verbreitung ist sehr inconstant, und obgleich ich sie vielfach und genauer untersucht habe, so habe ich doch nie eine Spur von Chylusgefässen darin wabrnehmen kön- nen (Zeitschr. für rat. Med. Bd. VII, S. 280). Dass na- mentlich ein Theil der eiweissartigen Stoffe, abgesehen von löslichen Salzen, Arzneistoffen u. a., schon im Magen re- ‚sorbirt werden, scheint jetzt ziemlich ailgemein angenom- men. Man beruft sich auf das Strotzen der Pfortader wäh- 187 rend der Verdauung, auf das rasche Verschwinden getrun- kenen Wassers, das nach wenigen Minuten, also viel eher, als es in den Darm gelangen könnte, in den Secretionen erscheint u. a. Der grössere Wassergehalt des Pfortader- blutes ist mit einer Blutgefässresorption im Magen nicht im Widerspruch, sondern die directe Folge derselben und weniger in seinem prozentigen Verhältniss zu den übri- gen Bestandtheilen des Pfortaderblutes, als im Verhältniss zur Vermehrung der Blutmasse aufzufassen. Wasser ist derjenige Bestandtheil des Chymus, der zuerst und am reichlichsten übergeht, allein würde man den Inhalt der Pfortader in einem bestimmten Bezirke vor und nach der Mahlzeit vergleichen, so würde man finden, dass auch die festen Bestandtheile desselben absolut zugenommen haben. Seit den berühmten Versuchen über die Verdauung von Tiedemann und Gmelin hat man auch von einer besonderen Ausschliesslichkeit der Lymphgefässe dem Blutgefässsi- steme gegenüber gesprochen und sich vielfach bemüht, die Stoffe zu sondern, welche von den einen und den andern aufgenommen werden. Es ist jedoch nach den vorgeschrit- tenen Untersuchungen über Endosmose im Thierkörper leicht begreiflich, warum diese Versuche so widersprechend ausgefallen sind, da eine Menge Bedingungen, welche die Constanz der Versuche und der Resultate erfordert, wie namentlich die Concentration der Flüssigkeiten und es Blutes, die Form und Art der Gabe, der Ort der Applica- tion, die Tageszeiten u. s. w. nicht immer berücksichtigt _ worden sind. Bei der ziemlich abweichenden Zusammen- setzung der Blut- und Lymphgefässwände lassen sich er- hebliche Unterschiede in der endosmotischen Funktion von vornherein erwarten; es ist jedoch die Frage, ob diese Unterschiede jemals absolut sind und ob es einen Stoff gebe, der an sich nur auf den einen oder andern Weg an- gewiesen sei. Die ältere Ansicht sah den Zucker als einen 188 Stoff an, der vorwiegend oder ausschliesslich durch die Lymphgefässe aufgenommen werde, und in neuerer Zeit hat man die Fettresorption als Cardinalaufgabe der Chylusge- fässe festgehalten. Dass übrigens der Zucker im Pfort- aderblut fehlt, wird von Bernard nur für Thiere bei Fleisch- diät behauptet, und dass auch der Fettgehalt desselben in der Verdauung zunehme, wird von Seiten der Chemiker neuerdings ziemlich übereinstimmend angegeben (Lehmann I, 237. II, 327) und ist von uns auch mikroskopisch nach- gewiesen. Die Aufnahme der Fette im Darm, die in den letzten Jahren so viele Forscher beschäftigte, kann noch immer als ein ungelöstes Problem betrachtet werden. Es hat sich aus den zum Theil direct widersprechenden Versuchen mit Ausschliessung der Galle und des Bauchspeichels bei der Verdauung nur so viel bestimmt ergeben, dass die Fett- resorption dadurch nicht aufgehoben wird, wenn auch eine Verminderung derselben, die sich jedoch bei der Grösse des operativen Eingriffes schwer quantitativ bestimmen lässt, mehrfach beobachtet wurde. Der Bestimmungsgrund dieser mit grosser Ausdauer fortgesetzten Versuche lag in der Schwierigkeit, den Uebergang des neutralen Fettes durch feuchte Membranen auf endosmotische Gesetze zurückzu- führen; noch grösser würde jedoch die Schwierigkeit sein, die Rückkehr des verseiften Fettes in die neutrale Verbin- dung innerhalb der Chylusgefässe zu erklären, da doch die chemische wie die mikroskopische Untersuchung das neu- trale Fett in den letzteren unzweifelhaft nachweisen. Man ist daher in neuerer Zeit mehrfach von der Verseifungs- theorie zurückgekommen und hat sich einer mechanischen Theorie zugewendet, welche den unmittelbaren Uebergang des feinvertheilten neutralen Fettes durch das Zottenpa- renchym hindurch anerkennt. Diese Theorie ist durch mi- kroskopische Untersuchungen von Goodsir und E. H. Weber De el nn u nn nn U De a Kun < 189 zuerst angebahnt worden, indem sie den Durchgang feiner Fettkörnchen, zunächst durch das Epithelium, weiterhin ‘durch das Parenchym der Darmzotten selbst bis in die Chy- lusgefässe hinein verfolgten. Joh. Müller war schon früher dieser Ansicht nahe, als er die Lymphgefässe des Gekröses durch Ausdehnung der Darmwände mit injicirter Milch sich füllen sah, kam jedoch gleich davon zurück, als er bedachte, wie gering die Zusammenziehungen der Gedärme sind, welche man bei unmittelbarer Oeffnung der Bauchhöhle fin- det, und dass die dünnen Gedärme meistens collabirt er- scheinen. Er leitet diese künstlichen Injectionen von einer Zerreissung des innersten Darmhäutchens ab (Physiologie, IV. Aufl. I, S. 216). Es ist jedoch klar, dass es nur da- rauf ankömmt, wie grob oder fein man sich diese Zerreis- sung der Darmhäute vorstellen will, um auch unter nor- malen Verhältnissen ein Durchdringen fester Partikeln durch dieselben möglich zu finden. Directe Versuche über den Eintritt von unlöslichen Stoffen vom Darmeanal aus in die Blutmasse sind zuerst von Oesterlen, später von Eberhard, Mensonides und Donders mit Kohle, Quecksilber, Schwefel- blumen, Stärke, und zwar mit positivem Erfolge angestellt worden (Zeitschr. f. rat. Med. V. 2te Reihe D. Diese Ver- suche sind von mir schon vor mehreren Jahren wiederholt und die Kohlenfragmente, die Oesterlen vom Darmcanal aus im Blute gefunden hatte, bei einem grossen Hunde auch im Chylus aufgefunden worden. Eberhard hat schon die Fett- resorption damit in Verbindung gebracht und nimmt an, das Fett, welches beinahe so theilbar und schlüpfrig wie Quecksilber ist, werde auf gleiche Weise zwischen den Elementartheilen der Gefässe durchgepresst. Die Schwierigkeiten, die einer mechanischen Theorie entgegenstehen, reduziren sich hauptsächlich auf den man- gelnden Nachweis mikroskopischer Poren im Zottenparem- sym, in Epithalielzellen, Gefässwänden u. dgl. mehr. Wenn 190 man jedoch die Weichheit und Dehnbarkeit dieser Gewebe und der thierischen Gewebe überhaupt, den notorischen und häufigen Austritt von Blutkörperchen unter ganz nor- malen Verhältnissen (Milz, Lungen, Lymphdrüsen), die Wan- derungen zahlreicher Eingeweidewürmer, die Ernährung mund- und magenloser Infusorien u. a. in Betracht zieht, so wird es der oben angeführten directen Versuche kaum bedürfen, um sich eine andere Vorstellung von der Per- meabilität thierischer Gewebe zu bilden, als die mikrosko- pische Wahrnehmung zu gestatten scheint. Wenn man die Turgescenz der lebenden, vom Blut ausgedehnten Darmzot- ten und die, wenn auch noch so unmerklichen und sanften, Bewegungen der Därmwände während der Verdauung in Verbindung bringt, so scheinen hier in der That alle Be- dingungen zu einer feinen Vertheilung des Fettes im Darm- inhalte und zu einer den Uebergang befördernden, aus- dauernden Friction viel vollständiger gegeben, als wenn wir Quecksilber, Fett und Salben überhaupt der äusseren Haut mechanisch einverleiben. : Vollkommen begreiflich ist es bei dieser Ansicht, dass das übergehende Fett sowohl in Blut- als in Lymphgefässe gelangt und warum es in anderen Fällen vielleicht mehr von den Blutgefässen abgewiesen wird. Die Wände der letzteren sind im Allgemeinen viel derber und selbststän- diger als die der feinsten Lymphwege, an denen wir, we- nigstens in den Darmzotten, meistens gar keine gesonderte Wände wahrnehmen konnten. Dieselben machten hie und da den Eindruck von Intercellulargängen, die vielleicht nicht einmal constante sind und nur dadurch entstehen, dass ein Fettkörnchen hinter dem andern her in das Paremsym ein- dringt. Dergleichen scheinbare Lymphgefässe haben wir namentlich an der Basis der Zotten und in der Schleimhaut weiterhin wahrgenommen, während an der Zottenspitze das Fett entweder ganz gleichmässig infiltrirt ist oder einzelne 191 grössere Aggregate von Fettkörnchen oder grosse Fett- tropfen (E. H. Webers Zellen und Blasen) bildet. Was die Ausbreitung der selbstständigen Blut- und Lymphgefässe betrifft, so müssen wir uns nach einer gros- sen Anzahl von Untersuchungen der älteren, Lieberkühnschen Ansicht anschliessen, dass in jeder Zotte ein oder höchst selten zwei centrale, blind, ampullenartig endigende Lymph- gefässe vorhanden sind, die von einem dichten Blutgefäss- netz peripherisch umsponnen sind. Gewöhnlich steigen die Stämmchen des letzteren gestreckt und ungetheilt neben dem Centralcanal und den von Brücke entdeckten glatten Muskelbündeln aufwärts und können im collabirten und blut- leeren Zustand leicht mit dem einen oder andern verwech- selt werden. Wir haben daher, abgesehen von der Ver- _ dauungszeit, welche die Chylusgefässe deutlich macht, eine künstliche Injection der Blutgefässe angewendet, die man am besten durch Unterbindung der Darmschlinge am frisch getödteten Thier erzeugt. Es ist vortheilhaft, die Unter- suchung erst einige Stunden nach dem Tode des Thieres vorzunehmen, da dann das Epithel sich leichter und oft von selbst ablöst, und die erfolgte Gerinnung der Säfte an den abgeschnittenen Zotten die Theile besser gefüllt erscheinen lässt. Unmittelbar nach dem Tode wird man die Zotten, die dann stets contrahirt und undurchsichtig sind, vergeb- lich auf ihre feinere Structur untersuchen, und eben so ver- geblich ist es, an ausgewaschenen Därmen oder unter Was- serzusatz nach Gefässen zu suchen. Bei dieser Methode haben wir uns auf das Bestimm- teste überzeugt, dass auch das peripherische Blutgefässnetz in vielen Fällen von Fettmolecülen strotzt, so dass einzelne Strecken dadurch mikroskopisch eben so weiss erscheinen können, als der centrale Chyluscanal selbst. Wir sahen dies besonders bei Vögeln und Hunden und wundern uns nicht, wenn solche fettführende Capillargefässe von man- 192 chen Beobachtern für netzförmig verzweigte Chylusgefässe gehalten worden sein sollten. Manchmal findet man den Fettgehalt nach Zusatz von Wasser oder verdünnter Essig- säure, welche die Blutkörperchen zerstören und den Farb- stoff auswaschen, der in den Blutgefässen die Fettmolecüle verdeckt; und auf dieselbe Weise haben wir einen reich- lichen Fettgehalt, der übrigens ohne allen Zusatz oft schon deutlich ist, wenn man nur einen Blutstropfen unter das Mikroskop bringt, im Blute der Pfortader, ja im ganzen Kreislauf, namentlich bei saugenden Hunden und Kätzchen nachgewiesen. Die Menge derselben nimmt jedoch während der Circulation, offenbar durch allmählige Verseifung mit- . telst der Blutalkalien, fortwährend ab und ist daher im Venenblute im Allgemeinen geringer. Wenn es sich so immer mehr herausstellt, dass die Chylusgefässe des Darmes keine ihnen ausschliesslich eigene Funktion vollziehen, sondern nur solche Wirkungen haben, welche Lymphgefässe überhaupt unter den gleichen Be- dingungen haben würden, so fällt deswegen ihre Bedeutung bei der Verdauung und Blutbildung doch nicht viel geringer aus, als man bisher anzunehmen pflegte. Es ist allerdings nicht die Masse des Nahrungsmaterials, welche dem Blute durch dieselben zugeführt wird; aber ein beträchtlicher Theil desselben, und zwar nicht blos fette, sondern ohne Zweifel auch eiweissartige Körper und Salze gehen den- noch in die Chylusgefässe ein und kommen, wenn auch auf einem Umwege, dem Blute ebenfalls zu Gute. Die viel län- gere Zeit, welche dazu erfordert wird, diese Bahn zu durchlaufen, der fortwährende Austausch, welcher zwischen Blut- und Lymphgefässen während der Circulation und na- mentlich in den Lymphdrüsen und in der Milz stattfindet, machen es jedoch leicht begreiflich, dass diese Stoffe nicht unverändert in dem Venenherz anlangen werden und schwer- lich bestimmt sind, das für die Gewebe des Körpers » 193 geeignete Nährungsmaterial abzugeben. Ihre Bestimmung und die Hauptbestimmung des Lymphgefässsystems über- haupt dürfte vielmehr eine selbstständigere sein, nämlich die Bildung und Vermehrung der farbigen Blutkörperchen, deren Quelle man bisher im Blute vergeblich gesucht hat. Schon lange weiss man, dass die Menge des Faser- stoffs und des Cruors während des Durchgangs durch das Lymphgefässsystem und namentlich durch die Lymphdrüsen, sowie durch die Milz zunimmt, und wenn man auch die Aufnahme des Faserstoffs durch Endosmose von den Blut- gefässen her erklären kann, so ist dies für die farbigen Blutkörperchen, die in den grösseren Lymphgefässen und Stämmen immer zahlreicher werden, in einer so normalen esetzmässigkeit nicht wohl annehmbar. Die Aufgabe wäre nur, die Stellen und Bezirke genauer zu präcisiren, wo die Bildung der Blutkörperchen beginnt und eingeleitet wird. Auch hierüber haben wir Untersuchungen angestellt, über welche, wie ich hoffe, bei einer späteren Gelegenheit be- richtet werden kann. Um noch einige Einzelheiten anzuführen, worin wir von anderen Beobachtern abweichen, so sei bemerkt, dass wir durchaus keinen Unterschied zwischen den einzelnen Epi- thelialeylindern der Darmschleimhaut gefunden haben, wo- durch es wahrscheinlich würde, dass einige nur Fett, andere nur Eiweiss durchlassen. Wohl aber findet man sie sowohl als das Zottenparenchym bald mit feineren Tröpfchen, bald mit grösseren Fetttropfen angefüllt, wovon wir die erstern namentlich in der über dem Zellenkern gelegenen Hälfte der Zellen angehäuft fanden. Manche Zellen sind mit einer flüssigen Fettmasse ganz ausgefüllt und solche können dann eher für besondere Eiweisszellen gehalten werden. Die Beschaffenheit der Nahrung, die Flüssigkeit des Fettes, die Menge desselben, vielleicht auch die Art der Thiere scheint hier Modificationen zu erzeugen. Im Allgemeinen fanden 13 194 wir bei Pflanzenfressern mehr feinkörniges, bei Fleischfres- sern mehr tropfenförmiges Fett. Eine Abstossung des Epitheliums während der Ver- dauung findet gewiss nicht statt, sondern eine abwechselnde Füllung und Entleerung von Fett, welche letztere im nüch- ternen Zustand ganz absolut sein kann. (Damit soll nicht geläugnet sein, dass in grösseren Zwischenräumen eine pe- riodische oder vielleicht mehr symptomatische Wieder- und Neuerzeugung des Epithels stattfindet, worauf Spuren von Zellentheilung in verschiedenen Bezirken der Epithelial- überzüge hindeuten). Stets löst sich aber das Epithel bald nach dem Tode, oft schon bei leiser Berührung ab, was zu Täuschungen Veranlassung geben kann. Selbstständige Wände der Zottengefässe nimmt man nur an den Blutcapillaren wahr; es trifft sich nicht selten, dass an abgerissenen Zotten ein Gefäss eine Strecke weit frei vorsteht; sie sind stets an den aufsitzenden Kernen kenntlich, die den feineren Lymphgefässen nach unseren Untersuchungen abgehen. Namentlich vermissten wir eigene Wände an dem Centralcanal der Zotten bei sämmtlichen untersuchten Thieren, und vielleicht erklärt sich aus ihrer Dünnheit oder Nichtsonderung das oft totale Verschwinden desselben an entleerten und collabirten Zotten, das die Un- tersuchung ausserhalb der Verdauung so undankbar macht. - Doch haben wir auch, namentlich beim Kalbe, Fälle gese- hen, wo der Centralcanal sich imbibitorisch mit Flüssigkeit gefüllt hatte und so auch an blutleeren und zusammenge- fallenen Zotten sehr in die Augen fiel. In gespaltenen Zotten, die nicht so selten sind, trafen wir einigemal einen gespaltenen, mit zwei Ampullen versehenen Centralcanal. Eine Mündung an der Zottenspitze haben wir niemals wahrnehmen können, auch spricht dagegen das ganze Ver- halten der Fettinfiltration, die zwar constant an der Zotten- spitze am beträchtlichsten, aber ganz gleichmässig und ee rt 195 diffus verbreitet ist. Wohl aber bilden sich im Zottenpa- renchym oft stellenweise grössere Lacunen, die sich mit grösseren Fettansammlungen füllen und eine kugelige Ge- stalt annehmen. Dahin gehören nach unserer Ansicht die erwähnten Weber’schen Blasen und Zellen, und selbst der Centralcanal macht oft den Eindruck, als wenn seine Exi- stenz durch den Gebrauch und die Uebung, d. h. durch das täglich sich wiederholende Eindringen und Fortschreiten der Fettmolekule, nicht durch eine praeformirte Structur bedingt sei; doch haben wir ihn schon bei ganz jungen saugenden Thieren deutlich wahrgenommen. Was die Lymphgefässe der Darmschleimhaut unter den Zotten betrifft, so lassen sich namentlich beim Kalb die netzförmige Anordnung und der Zusammenhang mit dem Centralcanal der Zotten leicht nachweisen, wenn man sorg- fältig abgeschnittene Stückchen derselben oder auch die ganze Schleimhaut bei auffallendem Lichte betrachtet. Von Klappen in denselben haben wir nichts wahrgenommen; zwar deutet das häufig gegliederte Ansehen der feinsten Lymphgefässe darauf hin, allein eigentliche Varicositäten wie an gröberen, injieirten Stämmen sieht man nicht und es scheint daher die Unterbrechung in der Centinuität des Inhaltes von der Gerinnung, wenn nicht von der unver- meidlichen Zerrung bei der Präparation herzurühren. Diese Lymphgefässe sind äusserst fein und in der Regel feiner, als die Capillargefässe, deren Maschen man ebenfalls blut- gefüllt neben und unter den Lymphgefässen wahrnimmt. Endlich ist zu erwähnen, dass wir im Magen zwar keine Chylusgefässe, wohl aber bei saugenden Thieren fett- gefüllte Epithelien wahrgenommen haben, über deren An- theil bei der Resorption wir nicht zum Abschlusse gekom- men sind. LL 13* 196 Nachtrag. Mehrere Monate nachdem dieser Vortrag gehalten und eine vorläufige Mittheilung darüber in der Zeitschr. f. wissenschaftl. Zool. IV, S. 282 erschienen war, wurde mir bekannt, dass ungefähr zu derselben Zeit von Brücke und Donders Untersuchungen über denselben Gegen- stand angestellt worden sind. Die Untersuchungen von Brücke, die mir zuerst aus Schmidts Jahrbüchern bekannt wurden, finden sich in den Sitzungsberichten der Wiener Akademie 1852. IX, S. 900 und wurden der Akademie am 9. Dec. 1852 mitgetheilt: Ich bemerke dies wegen der auf- fallenden Uebereinstimmung, welche sich zwischen man- chen Angaben dieses Forschers und der unsrigen findet. Brücke weicht aber darin ab, dass er sowohl an der Ober- fläche, als an dem zugespitzten Ende der Epithelialeylinder eine präformirte Oeffnung annimmt, welche den Fettmole- cülen den Durchtritt erlaube, wovon wir keine Spur zu entdecken vermochten und an welche ich auch nach neueren Prüfungen nicht glaube. In einer späteren Mittheilung an die Akademie vom 13. Januar 1853 (X, S. 27) beschreibt Brücke die Chyluswege genauer und zwar nach Untersu- chungen am Menschen, Wiesel und Kaninchen, da alle übri- gen Thiere ihm bis dahin keine hinreichend deutlichen Bil- der dargeboten haben. Er findet dort auch Chylusheerde in der Darmschleimhaut zwischen den Lieberkühn’schen Krypten, jedoch nicht in den letzteren selbst, was wir ebenfalls nie beobachtet haben. Ganz anders bei den Ka- ninchen, wo die Hülle der Chylusgefässe, wie bei niederen Wirbelthieren allgemein, Scheiden um die Blutgefässe bilde, in welchen der Chylus fortgeleitet wird. Gerade das ‘ Kaninchen hatten wir nicht untersucht, weil bei diesen Thieren der Magen nie leer gefunden wird und derselbe daher zu Verdauungsversuchen nicht geeignet schien. Bei den übrigen untersuchten Thieren aber (Hund, Katze, Ratte, Kalb, Schaaf, Huhn) haben wir dieses Verhältniss nicht 197 angetroffen. Chylusablagerungen zwischen den Krypten fand Brücke später (ebenda S. 429. Sitz. vom 31. März 1853) auch beim Schweine und der Maus. Die Untersuchungen von Donders, die späteren Datums sind, finden sich mitgetheilt im Jahresbericht des physio- logischen Laboratoriums in Utrecht V, 1852—53. S. 190, wo auch unserer Untersuchungen gedacht wird. Er schliesst sich der Brückeschen Ansicht an, dass die Oberfläche der Zellen auf der Darmschleimhaut nicht durch Membran, son- dern nur durch einen Schleimpfropf geschlossen sei, der das Durchdringen der Fettmolecule erleichtere, und betrachtet daher auch den breiten hellen Saum nicht, wie Kölliker und wir, als durch Wasserimbibition abgehobene Zellen- membran, obgleich er niemals Fettkörnchen darin wahrge- nommen hat, was doch zu erwarten wäre, wenn es nur der aufgequollene Schleimpfropf wäre. Dazu muss ich bemer- ken, dass dieses Abheben der Zellenmembran oft in einem grösseren Umfange stattfindet, wie ich schon früher (Zeit- schrift für rat. Med. IX, S. 176) hervorhob, so dass man genöthigt wäre, eine schleimartige Beschaffenheit der Zellen- membran überhaupt anzunehmen, womit dann die Discussion auf ein anderes Gebiet geführt würde. Ueberhaupt scheint es mir, dass durch die Annahme so künstlicher Vorrich- tungen für das Verständniss des Processes nicht viel ge- wonnen werde, und dass viel weniger die einzelne Zelle activ für sich, als die ganze Zellenlage, das ganze Organ so zu sagen passiv bei der Fettresorption betheiligt sei. In Bezug auf die Anordnung und Endigung der Blut- und Lymphgefässe stimmt Donders mit uns überein; betrachtet jedoch die von Funke in dessen Atlas der physiol. Chemie Taf. VII, F. 1. 2. abgebildeten verzweigten Chylusgefässe nicht mit uns als fettgefüllte Blutgefässe, sondern als Zwi- schenräume zwischen denselben, was mir nicht wohl an- nehmbar scheint, da dann nicht baumförmig verästelte 198 Figuren, sondern eine diffuse Infiltration entstehen müsste, wie man sie in der That häufig wahrnimmt. Eher könnte ich zugeben, dass Funke hier die namentlich von Brücke, aber auch in unserer ersten Mittheilung schon erwähnten wandlosen Chyluswege gezeichnet hat, die die Richtung nach dem Centralcanal nehmen und die wir nicht als prä- formirte ansehen, sondern durch das Vordringen der Fett- körnchen im gegebenen Falle uns entstanden denken. IV. Ueber die Regeneration durchschnittener Nerven. Von Prof. ©. Brucx. (Vorgetragen am 15. November 1854.) Versuche über Regeneration thierischer Gewebe, welche in früheren Epochen der Physiologie zu den beliebtesten gehörten, sind in neuerer Zeit merkwürdigerweise selten geworden, und die betreffenden Kapitel der physiologischen Handbücher gehören ohne Widerrede zu den am dürftigsten ausgestatteten. Die Zeit der Wiederaufnahme scheint aber gekommen zu sein, und wie Aecker, die einige Jaure brach gelegen haben, durch vermehrten Ertrag die Mühe lohnen, so scheint auch hier die Ausbeute zu schönen Hoffnungen zu berechtigen. So hat namentlich das Verhalten. durch- schnittener Nerven, worüber in den Jahren zwischen 1840 und 1850 fast gar nichts beobachtet wurde, durch die Budge- Waller’schen Versuche kürzlich wieder ein neues Interesse gewonnen, indem durch sie auf die fettige Entartung des peripherischen Nervenstückes aufmerksam gemacht wurde, die zwar schon früher bekannt, aber in ihrer wahren Be- deutung noch nicht gewürdigt worden war. Spezieller hat ara ar N anne 199. sich in neuester Zeit Herr Dr. Schiff in Frankfurt mit der Regeneration der Nerven beschäftigt und eine Reihe von Versuchen angestellt, von denen wir jedoch erst am Schlusse der unsrigen Kenntniss erhielten. Letztere wurden im Sommer 1853 begonnen, während des Jahres 1854 ununterbrochen fortgesetzt und dazu eine beträchtliche Anzahl von Hunden, Katzen, Hühnern und Fröschen verwendet. Bei den Säugethieren und Fröschen wurde ohne Ausnahme der nervus isehiadicus, bei den Vö- geln der nervus medianus durchschnitten, in einzelnen Fäl- len auch ein 1 bis mehrere Linien langes Stück des Nerven ausgeschnitten, und die Wunde nach gestillter Blutung, wozu in manchen Fällen Unterbindungen erfordert wurden, durch Knopfnäthe vereinigt, die Thiere im Uebrigen sich selbst überlassen, gut gefüttert und entweder im Freien oder in grösseren Behältern, die hinreichende freie Bewe- gung gestatteten, aufbehalten. Wegen mangelnder Einrich- tungen konnte denselben leider nicht immer die nöthige Pflege und Aufsicht gewidmet werden, welche namentlich bei den Fällen von eintretendem Decubitus nicht hätte feh- len sollen. Mehrere Thiere gingen auf diese Weise vor- zeitig zu Grunde, andere magerten sehr ab und litten an eonsecutiven Eiterungen. Die Frösche namentlich starben in Menge, so dass es nur wenige über 3—4 Wochen am Leben zu erhalten gelang. Am besten hielten sich die Hü- ner, weil der durchschnittene Nerv eine weniger eingrei- _ fende Functionsstörung bedingte und die Wunden dieser Thiere nicht eitern. Doch gelang es auch Hunde und Katzen bis zum siebenten Monat zu erhalten, und bei mehreren war die Restitution der Funktion so voliständig, dass ein Unterschied der gesunden und kranken Seite kaum zu be- merken war; nur blieb nach diesem Zeitraum meistens noch eine hypertrophische Anschwellung der Zehenballen und Nägel der kranken Seite zurück. 200 Ehe ich zur Darlegung der gewonnenen Resultate über- gehe, sei es mir gestattet, mit einigen Worten der Ergeb- nisse früherer Versuche zu gedenken. Fontana, Flourens, Michaelis, Heigthon, Arnemann, in der histologischen Pe- riode aber besonders Steinrück (1838), Nasse (1839), Gün- ther und Schön (1840) haben sich bekanntlich um diese Materie verdient gemacht. Ihre Versuche haben hinreichend festgestellt, dass eine vollständige Wiederherstel- lung der Funktion, sowohl nach einfacher Durchschuei- dung des Nerven, als beim Substanzverlust, möglich ist, dass die Wiederherstellung übrigens desto schwieriger und _ unvollständiger geschieht, je grösser das ausgeschnittene Stück. Dasselbe haben zahlreiche chirurgische Erfahrungen an verwundeten und operirten Menschen gelehrt, wohin namentlich auch die Beobachtungen an transplantirten Haut- stücken (Dieffenbach) gehören; desgleichen die Versuche, welche Heermann in Paris bei Personen mit neugebildeten Nasen anstellte, welche bei verbundenen Augen sehr genau die berührte Stelle der Nase angeben konnten (Bischoff’s Jahresbericht in Müller’s Archiv 1839. CLI). Hinsichtlich des Zeitpunktes, in welchem die ersten Spuren willkühr- licher Bewegung und Empfindung in den gelähmten Gliedern wiederkehren, schwanken die Angaben zwischen 5 bis 8 Wochen; in einigen Fällen sollen jedoch 3 bis 5 Monate erforderlich gewesen, nach dieser Frist aber keine Resti- tution mehr eingetreten sein. In den ersten Tagen nach der Operation schwindet bekanntlich alle Reizbarkeit von dem Stamme gegen die Peripherie hin, und ist nach Sticker nach 8 Tagen völlig erloschen, um erst in 2 bis 3 Monaten wie- der zu erscheinen. Der anatomische Verlauf des Regenerationsprocesses beginnt nach den genannten Autoren damit, dass die Schnitt- enden sich etwas zurückziehen, binnen 8 Tagen aber an- schwellen, sich röthen, einander dadurch mehr nähern und cc x Étoiles 201 durch Exsudat verkleben. Letzteres bildet sammt den an- geschwollenen Nervenenden einen einzigen, gewöhnlich spindelförmigen, oder zwei kürzere, mehr rundliche Knoten, von-denen der obere gewöhnlich der dickere ist (Stein- rück). Diese Knoten verschwinden später wieder, wiewohl nicht immer ganz; desgleichen lösen sich und verschwin- den nach und nach die Adhäsionen an den benachbarten Theilen, so dass man nach einigen Monaten bei gelungener Wiedervereinigung den Nerven meistens wieder frei, oft kaum verändert wiederfindet. Die verschiedensten Nerven, vagus, hypoglossus, infraorbitalis, ischiadicus u. a. verhalten sich hierin vollkommen auf gleiche Weise. Den histologischen Process anlangend, geben alle Au- toren übereinstimmend an, dass die Narbe, welche entwe- der durch den einfachen Knoten dargestellt wird oder zwischen zwei Knoten mitten inne liegt, in späterer Zeit Nervenfasern enthalte. J. Müller bemerkte sie nicht vor der siebenten Woche, Andere auch früher; bei Fröschen entstunden sie, überhaupt die Regeneration, leichter und früher, als bei Säugethieren und Vögeln. Ihre Entstehung dachte man sich, den herrschenden histogenetischen An- sichten entsprechend, allgemein so, dass die Narbensubstanz die Matrix oder das Blastem abgebe, in welchem das Ver- bindungsstück der durchschnittenen Nervenfasern in em- bryonaler Weise aus Reihen von Zellen entstünde, um nach und nach mit den durchschnittenen Faserstümpfen in Com- ‘munication zu treten. Mit Recht haben Mehrere (z. B. Bi- schoff a. a. O0.) diesen Process sehr wunderbar gefunden, namentlich wenn man erwägt, dass die neugebildeten Ner- venfasern meist verworren durch einander liegen und stets weniger zahlreich sind, als die alten (Günther und Schön), daher auch die Restitution selten eine vollkommene sei. Nach den zuletzt genannten Beobachtern soll die Neubildung von beiden Enden ausgehen, und auch Vogel (Handwörter- 202 buch der Physiologie I, 822) lässt die durchschnittenen Nervenenden einander entgegenwachsen, ohne sich über den histologischen Vorgang näher zu erklären. Ganz abweichend davon ist die Beschreibung von Nasse (Müller’s Archiv 1839, S. 405), nach welchem das untere Stück stets eine eigenthümliche Veränderung (Fettmetamor- phose) erleidet, die bei ihm sehr gut beschrieben ist, wäh- rend zugleich neue Fasern entstehen, die bedeutend schmä- ler seien und häufig wie leer aussähen. Nasse muss in . seinen Versuchen nicht glücklich gewesen sein, — da er nie, weder bei Fröschen, noch bei Kaninchen, selbst nicht nach drei Vierteljahren, eine Restitution der Funktion be- obachtet hat; doch kömmt seine Beschreibung der histolo- gischen Verhältnisse der Wahrheit in der Mehrzahl der Fälle am nächsten und es ist sein besonderes Verdienst, zuerst die Aufmerksamkeit auf die Untersuchung des unteren Stückes hin- und von der sonst stereotypen Untersuchung der Narbe abgelenkt zu haben. Den Beobachtungen von Nasse sich anschliessend, wiewohl allgemeiner gehalten, sind die Angaben von Stannius (ebenda 1847, S. 452). Unsere Untersuchungen wurden im Sommer 1853 zuerst von zwei Studirenden, den Herren Müller und Stähelin von Basel, und zwar an Fröschen begonnen, denen der rechte nervus ischiadicus durchschnitten wurde.. Leider führten dieselben nicht über die dritte Woche hinaus und es wurde daher nur beobachtet, dass sich durch gerinnendes Exsu- dat eine Verklebung der Schnittenden unter einander und mit den Nachbartheilen bildet, dass erstere sich beträcht- lich röthen und anschwellen. Eine fettige Entartung des unteren Stückes wurde in dieser Zeit nicht wahrgenommen; es zeigte vielmehr nur diejenige Veränderung, welche man gewöhnlich als Gerinnung des Markes nach dem Tode be- schreibt, und welche sich durch das körnige und krümliche Ansehen des Nervenmarkes äussert, das übrigens oft noch ee à 203 doppelte Contouren zeigte. Eben so wenig wurde eine Neu- bildung von Nervenfasern in der Narbe gesehen, so dass diese Versuche nur als präliminäre und Uebungsversuche betrachtet werden konnten. Einen eben so unglücklichen Ausgang nahmen die er- sten Versuche an Säugethieren und Vögeln, namentlich an Kaninchen, die frühzeitig an Eiterung, Decubitus u. s. w. zu Grunde gingen, anderer Unglücksfälle und Verluste nicht zu gedenken. Ein überraschendes Resultat ergab dagegen eine junge Katze, die von mir noch am Ende des Sommerseme- sters (am 23. Sept. 1853) operirt und am 21. Januar 1854, also nach fast 4 Monaten, getödtet wurde. Hier war die Restitution absolut zu nennen und es gehörte dieser Fall zu, unsern glücklichsten überhaupt. Es ist derselbe, worü- ber eine Notiz in der Zeitschrift für wissenschaftliche Zoo- logie (Band VI, Heft 1) gegeben wurde, auf die ich hiermit verweise. Die Vereinigung der Schnittenden war so voll- ständig, dass mit unbewaffnetem Auge am Nerven gar keine Veränderung, mikroskopisch aber an jeder Nervenfaser eine Narbe kenntlich war, die sich als ringförmige Einschnürung charakterisirte, durch welche der Achsencylinder mitten hindurch ging. Hier schien demnach eine prima reunio der Nervenenden, und zwar der Nervenprimitivfasern stattge- funden zu haben, woraus sich auch die Vollkommenheit der Restitution erklärte. Diese Beobachtung war es, welche mich zu der Frage veranlasste: ob nicht die Nerven- enden einfach einander entgegenwachsen könn- ten und die sogenannte Neubildung eigentlich als Verlängerung der fertigen Nervenfasern zu be- trachten sei? Oder, frug ich weiter, giebt es auch im Nervengewebe einen provisorischen und defi- nitiven Callus, von welchen der erstere von den umliegenden, verletzten Geweben, der letztere vom Nerven selbst geliefert wird? Die Antwort auf 204 diese Fragen sollten weitere, bereits eingeleitete Versuche geben, über welche hiermit berichtet werden soll. Allerdings haben fortgesetzte Untersuchungen uns in dieser Sache eine vollständige Einsicht gewährt und einen Process aufgedeckt, der allein im Stande ist, eine genügende Erklärung der physiologischen Thatsache von der Wieder- herstellung der Funktion in den gelähmten Gliedern zu ge- ben; und der von allem bisher Bekannten und Angenon- menen beträchtlich abweicht. Dieses Resultat, die Frucht zahlreicher, mühsamer und oft verunglückter Einzelversuche, lässt sich in wenigen Worten zusammenfassen: Bei wei- tem in den meisten Fällen geht nämlich das ganze peripherische Stück unterhalb der Schnittstelle bis in- seine Endverzweigungen vollständig und spurlos verloren und es entsteht dafür ein ganz neuer Nerv oder besser eine unbestimmte Summe von Nervenfasern, welche jedoch nicht als Neu- bildungen im Sinne der Exsudattheorie, sondern als Auswüchse und Ausläufer des centralen Ner- venendes und zwar der einzelnen durchschnitte- nen Nervenfasern desselben zu betrachten sind. Die Herstellung der Funktion ist desto vollstän- diger, je länger diese Ausläufer werden und je mehr sie, peripherisch fortwachsend, den Aus- breitungsbezirken des atrophirenden Nerven- stückes folgen. J Dieser Process hat sich bei den verschiedensten Thier- classen, namentlich bei Hunden, Katzen, Hühnern und Frö- schen so übereinstimmend herausgestellt, dass selbst die histologischen Bilder keine erheblichen Abweichungen dar- boten. Selbst die Zeitverhältnisse erscheinen nicht so ver- schieden, als man von der so sehr verschiedenen Energie des vegetativen Processes bei diesen Thieren erwarten sollte, und doch erfolgt die Regeneration stets rascher und voll- ER En LT En a 205 ständiger bei Amphibien, später und seltener ganz vollstän- dig bei Säugern. Eine Vereinigung per primam intentionem, wie in dem zuerst beschriebenen Falle von einer jungen Katze, wobei der Atrophie des peripherischen Stückes vor- gebeugt wurde, muss als ein sehr glücklicher Ausnahmsfall betrachtet werden, und ist uns in grösserem Maassstabe nur noch bei Fröschen spurweise, in Verbindung mit Atro- phie eines Theils des Nerven, aber auch bei Säugethieren und Vögeln wieder aufgestossen, wo sie nach einer soeben erhaltenen brieflichen Mittheilung auch Herr Dr. Schiff in in Frankfurt beobachtet hat, der auch den weiteren Verlauf sowie das Verschwinden der Narben verfolgte. Von welchen Umständen es abhange, auf welche Weise die Regeneration der Nerven zu erfolgen hat, können wir nach unseren bisherigen Erfahrungen noch nicht mit Be- stimmtheit angeben. Doch ist es uns wahrscheinlich, dass das Alter der Thiere einigen Einfluss hat, und dass der Process ein anderer ist, wenn das Thier noch im Wachs- thum und seine Gewebe noch in der Entwicklung begriffen sind, als wenn die histologische Ausbildung derselben voll- endet ist. Von weiterem bestimmendem, aber noch nicht näher bestimmbarem Einflusse ist ohne Zweifel ferner die Gefässvertheilung und der Ursprung der vasa nervorum, worüber später nähere Mittheilungen gemacht werden sol- len, namentlich mit Rücksicht auf die sogenannten Ernäh- rungscentra der Nerven nach, Waller. Was die erwachsenen Thiere betrifft, so stimmen un- sere Erfahrungen, wie erwähnt, mit dem von Nasse und Waller am meisten überein; wenn auch keiner der frühe- ren Autoren den Gesammtprocess übersehen und das Wesen desselben bis in seine Einzelheiten richtig aufgefasst hat. Derselbe ist uns selbst erst klar geworden, als wir die höchst undankbare Untersuchung der Narbe aufgaben und uns der Untersuchung des peripherischen Nervenstückes 206 zuwandten. Der Vorgang bei der Atrophie des letzteren ist am besten, wenn auch nicht erschöpfend, von Nasse ge- schildert worden. Zwischen der ersten und dritten Woche nach der Operation bemerkt man bei den meisten Thieren, bei Amphibien jedoch erst später, dass das peripherische Stück weicher wird und sich gelblich färbt. Unter dem Mikroskop erkennt man die einzelnen Nervenröhren noch sehr deutlich; das Mark beginnt sich in viereckige, grössere Abtheilungen zu sondern, die das Nervenrohr noch voll- ständig ausfüllen. Nach und nach zieht sich das Mark auf einzelnen Strecken mehr zusammen und der Inhalt häuft sich in ziemlich grossen fettigen Tropfen an, zwischen wel- chen andere Strecken der Nervenscheide vollkommen leer erscheinen. Hier hat offenbar schon eine Verminderung des Markinhaltes stattgefunden. Noch später findet man in grös- seren Abständen längliche, in der Mitte breitere, nach den Enden hin sich verzweigende Anhäufungen von Fetttropfen, die sehr ins Auge fallen, aber nach und nach immer spär- licher werden. Die Kugeln zerfallen in immer kleinere Fetttröpfchen, die zuletzt noch reihenweise in einem wei- chen, zerreisslichen Gewebe angetroffen werden, in dem jedoch die leeren Scheiden noch längere Zeit erkennbar sind. Nach 3—4 Monaten ist der Process der Fettumwand- lung, wenn man ihn so nennen darf und wenn er nicht vielmehr einfache Resorption des Nerveninhaltes zu nennen wäre, vollendet, d. h. keine Spur des letzteren mehr anzutreffen. Gleichen Schritt hält damit die gelbe Färbung des Nervenstückes, die dem freien Auge schon auffällt und auf der Höhe der fettigen Entartung am intensivsten ist, nach und nach aber wiederum der früheren weissen Farbe Platz macht. Damit im Zusammenhange ist ferner das emul- sive Ansehen der Zusatzflüssigkeit, in welcher ein solcher ‘Nerv präparirt oder macerirt wird, und welches von nichts lbs ae ce an 207 Anderem als von der Beimischung zahlreicher Fetttröpfchen herrührt. Trotz dieses durchgreifenden Zerstörungsprocesses wird die Continuität der atrophirenden Nerven niemals unter- brochen, da das Neurilem vollständig erhalten bleibt und sogar den Träger und das Vehikel des neuen Nerven abgiebt. Schon während die fettige Entartung auf ihrer Höhe ist (bei Säugethieren und Vögeln zwischen der dritten bis achten Woche) und fortschreitet, und noch ehe die alten Nervenröhren vollständig geschwunden sind, bei Vögeln und Säugethieren zwischen dem ersten bis dritten Monat, findet man nämlich zwischen den atrophirenden Ner- venfasern einzelne ganz wohlerhaltene, glänzende, doppel- contourirte, gewöhnlich aber auffallend schmälere Nerven- röhren, die man am besten darstellt, indem man das frisch herausgenommene Nervenstück oder Bündel mit Essigsäure behandelt und zwischen Glasplatten comprimirt. Die Zahl dieser frischen Nervenröhren wächst mit dem Alter des Processes, so dass man im dritten und vierten Monat ge- wöhnlich schon eine ansehnliche Menge derselben trifft, die füglich einen neuen Nerven repräsentiren dürfen. Diese Vermehrung und das Auftreten dieser frischen Nervenröhren überhaupt geschieht stets vom Cen- trum nach der Peripherie, in der Art, dass man deren zu einer Zeit schon in den Stämmen antrifft, während die peripherischen Aeste noch in reiner Atrophie begriffen sind; ja es scheint, dass die Atrophie selbst vom Centrum nach der Peripherie fortschreitet und in regelmässiger Succes- sion von der nachrückenden Neubildung ersetzt wird. Ob dabei die in Auflösung begriffene Materie des alten Nerven als Ernährungs- und Bildungsmaterial der Neubildung be- nützt wird, lässt sich durch directe Beobachtung nicht ent- scheiden, ist mir jedoch nicht ganz unwahrscheinlich, da der Gefässreichthum des Neurilems nicht allzu gross ist 208 und eine Zunahme desselben nur an der Schnittstelle evi- dent vor Augen tritt. Eine fortgesetzte Untersuchung in dieser Richtung führt schliesslich natürlich zur Narbe zurück, in welcher überhaupt die ersten neuen Nervenfasern ange- troffen werden, die sich in allen Fällen als Fort- setzungen und Verlängerungen des oberen Schnittendes ausweisen. Die Präparation ist hier aber, namentlich in der ersten Zeit, ausserordentlich schwierig, und man wird sich mit der directen Untersuchung des frisch herausgenommenen Knotens stets vergeblich bemühen. Das Narbengewebe ist zu fest und undehnbar, um eine scho- nende Zerfaserung zu gestatten, es ist Bindegewebe auf jenem Stadium der Entwicklung, wo es aus einem festen, formlosen Blasteme (Intercellularsubstanz) und zahlreichen eingestreuten spindelförmigen, kernartigen Körpern besteht, an welchen letztern eine Zellenmembran in der Regel nicht dargestellt werden kann. In dieses Gewebe herein, durch dasselbe hindurch und schliesslich im peripherischen Ner- venstück wachsen aber nichts desto weniger die durch- schnittenen Nervenfaserenden fort; es wird dadurch an vielen Stellen getrennt, nimmt selbst eine längsfaserige Structur an und wird schliesslich, wie alle Narben, an Vo- lum sehr vermindert, so dass es nach vollständig gelungener Regeneration bis auf die Spur schwinden kann und voll- ständig durch Nervengewebe ersetzt scheint. In den mei- sten Fällen bleibt allerdings eine mehr oder minder be- trächtliche Anschwellung zurück, in noch anderen erscheint die Narbe später, offenbar-durch Dehnung verschmälert und als die dünnste Stelle des Nerven, und namentlich scheint dies bei Substanzverlust das schliessliche Resultat zu sein. Sehr allgemein verlaufen die neuen Nervenfasern in der Narbe verworren, bündelartig sich vielfach durchkreuzend, während sie im peripherischen Stück wieder die parallele z 209 Richtung einschlagen und so, wenn auch verwirrt, doch ihre isolirte Leitungsfähigkeit bewahren. Einzelne Fasern sind dabei den andern voraus und wie es scheint, gehört eine Regeneration aller Fasern oder selbst der Mehrzahl zu den glücklichsten Fällen. Die Verwirrung der Fasern in der Narbe scheint desto grösser zu sein, je massenhafter die letztere ausgefallen ist und je schlechter die durchschnit- tenen Nervenenden in ihrer natürlichen Lage erhalten wur- den, und namentlich scheint die mangelhafte Verbindung der Nervenstümpfe Ursache zu sein, dass die neuen Röhren falsche Bahnen einschlagen und die Herstellung der Funk- tion vereitelt wird. Das Neurilem des alten Nerven scheint also auch den Leiter für die Richtung des neuen abzugeben und wo diese Leitung fehlte, haben wir niemals eine Her- stellung der Funktion beobachtet. Die Verbindung der neugebildeten Nervenfasern mit den centralen Enden lässt sich meistens noch über der Narbe oder an der Grenze derselben nachweisen, wenn man vom Nervenstamme her präparirt und eine kurze Strecke in die Narbe einzudringen sucht. Man kann sich jedoch auch der Methode von Reil bedienen (Hildebrand-Weber I, 293), welcher die Narbe 1—2 Tage in Salzsäure oder Salpetersäure macerirte, „welche das Zellgewebe auflöst, das Nervenwerk aber ungelöst zurücklässt;” doch werden die Nervenfasern dadurch stets sehr verändert. Am lehr- reichsten sind feine Schnitte in kohlensaurer Kalilösung erhärteter oder blos getrockneter Präparate. Man sieht dann die alten Fasern sich ziemlich plötzlich ver- schmälern, blässer werden und in eine feine, va- ricöse, deutlich mit Kernanschwellungen verse- hene Fasern übergehen, wie sich die neugebildeten Nervenfasern anfangs überall darstellen. Ich kann das Ver- hältniss mit nichts besser vergleichen, als mit den Endi- 14 210 gungen mancher sensibeln Nerven, wie ich sie in meiner Abhandlung über Bindegewebe a. a. O., z. B. vom Mesen- terium des Frosches, beschrieben habe. Sie sind dort so fein, dass sie den sogenannten Kernfasern sehr ähnlich werden und von ihnen oft nur durch den deutlichen Ur- sprung aus doppelt gerandeten Nervenfasern zu unterschei- den sind. Die Kernanschwellungen deuten offenbar auf einen unentwickelteren Zustand, und obgleich ich den Gegenstand bei der Entwicklung des Embryo noch nicht verfolgt habe, so ist es mir doch kaum zweifelhaft, dass dieselbe einen ähnlichen Gang nimmt, wie ich ihn ebenda vom Gefäss- system nachgewiesen habe, — indem nämlich allerdings die Stämme aus verschmelzenden Zellen entstehen, die peri- pherischen Endigungen aber durch Auswachsen der peri- pherischen Zellen, Zellentheilung und Aneinanderreihung einzelner, selbst schon spindelförmig gewordener Zellen zu Stande kommen. Dass Letzteres der normale Vorgang bei der Neubil- dung und Regeneration der Nerven sei, steht für mich fest. Man überzeugt sich aufs Bestimmteste, dass die anfänglich feinen, ja fadenförmigen Verlängerungen der Nervenröhren allmählig breiter werden, doppelte Contouren und mithin lichtbrechendes Mark zeigen, und zwar rückt auch dieser Vorgang vom Centrum nach der Peripherie vor, so dass man an den äussersten Enden stets die jüngsten Entwick- lungsstufen antrifft. Die Scheide der neuen Röhren ist an- fangs äusserst zart, daher sie, selbst noch bei ziemlicher Breite, ungewöhnlich gekräuselte und gezackte Contouren darbieten, die erst später, nach vollendetem Wachsthum, sich mehr ebnen und ausgleichen. Nie scheinen indess, wenigstens in den Terminen, in welchen wir die Sache ver- folgten, die neuen Röhren die volle Breite der alten zu erlangen und ihre Schmalheit macht sie unter den letzteren ebenfalls leicht kenntlich. Br an à à 0 211 Wenn noch ein Punkt einer völligeren Aufklärung be- darf, so ist es meiner Ansicht nach nur die Herkunft der zahlreichen Kerne, welche in den neugebildeten Nerven- fasern enthalten sind und aus deren Aneinanderreihung ihre äussersten Enden entstanden zu sein scheinen. Die Fäden, welche dieselben verbinden, sind namentlich an der Peri- pherie oft so fein, dass man glauben könnte, sie seien eben erst entstanden und die kernhaltigen Stellen einen Moment vorher noch getrennt gewesen. Vergleicht man das Neu- rilem der kranken und der gesunden Seite, so stellt sich ferner ein überwiegender Kernreichthum auf der kranken Seite heraus, auch an den Stellen, wo von neugebildeten Nervenfasern noch nichts zu sehen ist. Allein auch dieser Kernreichthum scheint im Zusammenhang mit der Entwick- lung der Nervenfasern und denselben nur eine Strecke weit vorauszueilen, gleichsam als würde ihre Entwicklung und Vermehrung vom centralen Ende aus angeregt. Es sind hier nur zwei Möglichkeiten. Entweder sucht das periphe- rische Wachsthum der durchschnittenen Nervenfasern die auf ihrer Bahn liegenden „Bindegewebskörperchen” der Reihe nach auf und rekrutirt gewissermassen mit ihnen den entstandenen Ausfall, d. h. die neue Nervenfaser entsteht durch weiteres Wachsthum und Aneinanderfügung bereits vorhandener Elemente; oder diese scheinbaren Bindege- webskörperchen sind durch peripherische Theilung entstan- dene Ausläufer und Producte der alten Nervenfasern, und ihre feinsten Verbindungsfäden werden nur anfangs über- sehen. Ich gestche, dass ich mir diese Alternative oft ge- stellt, aber nach directen Beobachtungen noch nicht wage, mich für die eine oder andere Möglichkeit zu erklären. Gewiss ist, dass eine Vermehrung der vorhandenen „Binde- gewebskörperchen” stattfindet, dass die neugebildeten Ele- mente der Art von den im Neurilem normal vorkommenden „Bindegewebskörperchen“” nicht verschieden sind und dass à 14* 212 man öfter zwei derselben in der Art verbunden und hinter- einandergestellt antrifft, dass der Schluss auf eine Theilung derselben gerechtfertigt scheint. Alle diese kernartigen Ele- mente, die man bis vor Kurzem unbedenklich den sogenann- ten Kernfasern zugezählt haben würde, haben die gewöhn- liche Spindelform mit oft sehr fein zugespitzten Enden. Eigenthümlich ist nur ein frühzeitig auftretender spiegelnder Glanz, der das Auftreten des Ner- venmarkes im Innern anzudeuten scheint und die- jenigen Körperchen sogleich kenntlich macht, welche zu einer Nervenfaser gehören und in der Regel auch durch feine Ausläufer unter einander in Verbindung stehen. Diese Ausläufer sind stets bi- polare nach der Länge des Nerven und niemals sah ich seitliche Anastomassen. Die weitere Ausbildung der Nervenröhre geschieht einfach durch Verbreiterung, womit sogleich auch in der Regel die Anwesenheit des Markes gegeben ist. Es braucht nicht hervorgehoben zu werden, in welcher nahen Beziehung diese Beobachtungen zu den in diesem Jahre publicirten Beobachtungen von Jos. Meyer über Ge- fässneubildung stehen, von welchen jedoch zur Zeit, wo wir unsere Versuche begannen, nichts bekannt war, und eben so einleuchtend ist die Bestätigung oder vielmehr die thatsächliche Begründung, welche dadurch der Ansicht der- jenigen geliefert wird, welche alle Gewebebildung, embryo- nale und accidentelle, auf Vermehrung und Prolification vorhandener Elementartheile zurückführen wollen, und eine Neubildung im Sinne der Exsudattheorie oder eine freie Zellenbildung im Schwann’schen Sinne überhaupt nicht zu- lassen. Dieses Axiom ist bekanntlich von jeher von Rei- chert festgehalten, neuerdings, namentlich für pathologische Gewebe, von Remak wieder ausgesprochen und bereits von Virchow u. A. adoptirt worden. Begründende Thatsachen 213 sind bis jetzt noch sehr spärlich vorhanden. Doch hat der Verfasser selbst früher gezeigt, dass die Gerüste der After- bildungen, namentlich die sogenannten alveolären und der alveoläre Gewebstypus überhaupt keine eigentlichen Neu- bildungen sind, sondern nur die hypertrophirte und ausge- dehnte Bindegewebsformation der betreffenden Organe dar- stellen. Eben so haben sich zahlreiche Fälle sogenannter Magenkrebse als einfache Hypertrophie und Vermehrung normaler Elementartheile herausgestellt. Dasselbe habe ich in einer anderen, schon vor zwei Jahren eingereichten, aber erst jetzt zum Abdruck gekommenen Abhandlung von den Epithelial- und Zottengeschwülsten anschaulich gemacht. Das oft genannte Gesetz der „analogen Bildung”, welches Vogel auf.Anregung des Verfassers bereits vor einer Reihe von Jahren aufstellte, würde demgemäss ganz einfach als „Gesetz der gleichen Abstammung” zu definiren sein und damit seine längst gesuchte Erklärung pro tempore gefunden haben. Ehe man jedoch so weit geht, wird es gut sein, sich auch die Schwierigkeiten zu vergegenwärtigen, die derma- len noch einer solchen Generalisirung entgegen stehen. Man kennt eine Vermehrung durch Theilung oder Endogenese bis jetzt noch nicht von allen Geweben, und die Fälle von Haar- und Zahnbildungen im Eierstock z. B. würden sich : vorläufig schwerlich unter den normalen Bestandtheilen der Graafschen Follikel unterbringen lassen. Die gangbare Exsudattheorie hat eine unverkennbare Einbusse erlitten, aber es würde ein grosser Fehler sein, wenn man nun von einem organisirbaren Exsudat nichts mehr wissen wollte. Das Auftreten von Pseudomembranen, Narben und After- bildungen in der Form eines gerinnbaren Exsudats steht _ fest. Wie viel oder wie wenig davon in die Consti- tution des bleibenden Gewebes übergehe oder durch herein- wachsende Elementartheile normaler Gewebe ersetzt werde, 214 ist bis jetzt noch sehr wenig untersucht. Reinhardt hat meines Wissens zuerst den Gedanken ausgesprochen und durch Beobachtungen gestützt, dass diese gerinnbaren Ex- sudate keine definitiven Gewebe bilden, sondern nur die transitorischen Träger derselben abgeben. Bestätigungen dafür liefern die Untersuchungen von Jos. Meyer über Ge- fässneubildung und die unsrigen über die Regeneration der Nerven; und in diesem Sinne wurde oben die Frage auf- geworfen, ob es auch im Bereiche des Nervengewebes ei- nen provisorischen und definitiven Callus gebe, an welchen ich in diesem Sinne beim Knochengewebe nach eigenen und fremden Erfahrungen entschieden glaube. Wir wenden uns zur physiologischen Frage des Ex- perimentes. Es ist uns leider nicht möglich gewesen, die Wiederkehr der Funktion bei allen operirten Thieren in regelmässigen Zwischenräumen zu verfolgen, auch wäre da- bei schwerlich Neues zu erwarten gewesen, da die That- sache der Restitution, so wie die ungefähren Zeitmomente wenigstens für die höheren Thiere und den Menschen be- reits von Andern hinreichend festgestellt sind. Wir be- schränken uns daher in den meisten Fällen darauf, die Thiere vor der Tödtung darauf zu prüfen, ob und in wel- chem Grade die Funktion sich wiederhergestellt hatte; dies geschah theils durch mechanische Reizung der gelähmt gewesenen Glieder, Zehen u. s. w., theils durch mechani- sche und elektrische Reizung der blosgelegten Nerven ober und unterhalb der Narben; in manchen Fällen auch der ge- naueren Verfolgung wegen an den pr&parirten Nerven des amputirten oder exarticulirten Gliedes. Namentlich bei Vö- geln wird die Exarticulation eines Flügels so gut vertragen, dass wir erst nach Verwerthung des Thieres zu mehreren Versuchen zur Tödtung desselben zu schreiten pflegen. Es stellte sich bei diesen Versuchen heraus, dass die Restitution bei Fröschen die rascheste und schon in | | 1 1 215 8 Wochen eine vollständige zu nennen sein kann, so dass wir von den Zehen der kranken Seite aus ausgezeichnete Reflexbewegungen erzielen konnten. Nach ihnen gaben Hühner die besten Resultate, indem mehrere nach 16 Wo- chen (wo sie untersucht wurden) nicht nur- vollständig fliegen konnten, sondern auch durch Reizung des cen- tralen Nervenstammes alle Muskeln bis an die äusserste Peripherie in Bewegung gesetzt wurden. Die fettige Dege- neration fand sich in diesen Fällen bereits vollständig resor- birt und neue varicöse Nervenfasern bis zu den feinsten Nervenzweigen herab. Bei Hunden sahen wir nach 8 Wo- chen bis 3 Monaten noch keine Empfindlichkeit der Füsse nach Durchschneidung des ischiadicus, in einzelnen Fällen jedoch nach 4 Monaten vollständige Restitution; ebenso bei Katzen; in andern Fällen aber auch nach 6 bis 7 Monaten noch nicht, in Fällen offenbar, wo der locale Process einen abnormen Verlauf genommen hatte. Wie schon Andere ge- funden, nehmen die Changen für einen günstigen Erfolg mit der Dignität des Thieres ab; der raschere Lebensprocess, die grössere Erregbarkeit, die Neigung zur Entzündung und Eiterung scheinen die Operation zu compliciren und den normalen Heilungsprocess zu erschweren. Sehr deutlich zeigt sich auch der Grad der Geschicklichkeit, mit der die Operation gemacht wurde; aber auch ganz allgemein scheinen die Erfolge am menschlichen Körper selbst die schlechtesten zu sein, da wenigstens chirurgische Erfah- rungen fast nur von unvollkommener Herstellung der Funk- tion reden. (Siehe Beispiele glücklicher Erfolge bei J. Mül- ler, Physiol. I. 410). Günstiger scheinen auch hier ruhig gehaltene Glieder, transplantirte Nasen, Hautstücke u. s. w. sich zu verhalten, wie schon im Eingange erwähnt wurde. Dass in den letzteren Fällen an kein Zusammenheilen zu- fällig sich berührender Nervenenden zu denken sein kann, 216 liegt auf der Hand. Ich glaube, dass für sie unsere Be- obachtungen die einzige zureichende Erklärung gaben. Wie man sich die allmählige Herstellung des Orts- sinnes und eine geregelte Funktion überhaupt zu denken habe, habe ich in der oben erwähnten Notiz in der Zeit- schrift für wissenschaftliche Zoologie bereits mit kurzen Worten angedeutet. Die Nervenfasern wachsen nach ei- nem peripherischen Ziele hin, welches allerdings in den seltensten Fällen mikroskopisch genau der frühern Localität entsprechen mag. Allein eine solche Congruenz wird keineswegs erfordert; es handelt sich vielmehr nur um eine neue Gewöhnung, wie sie in der ersten Lebensperiode, freilich viel umständlicher, weil an allen Orten und zum ersten Male, schon einmal durchgemacht wurde. Jede Faser funktionirt ferner für ihre neue peri- pherische Localität und was das Kind für seine ganze Pe- ripherie in Jahren lernt, das holt der Erwachsene für ein einzelnes Organ in Monaten nach. Die Erfahrungen über Transplantation liefern Beweis genug hiefür. Etwas An- deres ist es, wenn man fragt was das daraus werden solle, wenn auf den Abwegen, die viele Nervenfasern einschla-, gen müssen, eine sensitive Faser zu einem Muskel, eine mo- torische zur Haut gelange, oder wenn etwa ein sensitives Ende mit einem motorischen sich verbände. Man hat bekannt- lich diese Frage auf experimentellem Wege zu lösen gesucht (Flourens, Bidder, Schiff), aber nur negative Resultate erhalten, d. h. die differenten Nervenenden verbanden sich wohl, aber von einer Funktion wurde wenig bemerkt. Man muss sich dabei genaue Rechenschaft geben, was eigentlich gefragt werden solle. Die Funktion einer Nervenfaser ist verschie- den von dem Effect ihrer Thätigkeit, welcher letztere nur von der Beschaffenheit und Thätigkeit des centralen oder des peripherischen Organes bedingt sein kann, mit dem sie in Verbindung steht. Muskeln geben in der Regel nur sehr u ns u 217 dunkle und schwache Empfindungen; soll man erwarten, dass eine sensitive Faser, die künstlich mit einem Muskel oder Muskelnerven in Verbindung gesetzt wird, stärkere Empfindungen gebe? oder soll das empfindende Centralor- gan, das gewohnt ist auf Eindrücke von aussen sich in Thätigkeit zu setzen, nun plötzlich die Initiative ergreifen und einem peripherischen Muskel Befehle ertheilen? Soll umgekehrt ein motorisches Centralorgan, mit einem Haut- stücke in Verbindung gesetzt, nun zu einem empfindenden werden, oder soll es gar ein Hautstück bewegen, wo keine Muskeln sind? Dass dagegen ein empfindendes Centralor- gan für jede Hautstelle und ein motorisches für jeden Muskel, mit dem es in Verbindung gesetzt wird, thätig werden kann, das scheint mir aus den vorliegenden chirurgischen und experimentellen Erscheinungen hinreichend erwiesen. Die Frage, die man sich stellen konnte und bewussterweise auch gestellt hat (Bidder in Müller's Archiv 1842. 102) war wohl nur die, ob eine Nervenfaser überhaupt nach zwei Richtungen leite; allein wenn man in einem Gebiete, das so dunkel ist, wie das Wesen der Nerventhätigkeit, Schlüsse aus der Analogie gelten lässt, wird man nicht mehr fragen, ob ein Conductor nur nach einer Richtung leite. Das Experiment bekömmt begreiflicherweise eine ganz andere Bedeutung, wenn wir nun wissen, dass die Ver- wachsung getrennter Nervenenden eine trügeri- sche ist und nur inden seltensten Fällen eine Ver- einigung getrennter Nervenfasern erfolgt, sonst überall aber das centrale Ende, gleichviel ob ei- - nem sensiblen oder motorischen Centralorgan angehörend, sich seinen Weg auf Kosten des un- tergehenden peripherischen Stückes zu den peri- pherischen Organen undbisins feinste Detail des- selben hinein — wenn auch nicht immer mit demselben Geschicke und Erfolge — bahnt. Hier hätte demnach ’ 218 das Mikroskop wieder einen Dienst geleistet, den weder die Präparation noch das Experiment jemals hätte geben können und ohne welchen wir wahrscheinlich immer in ei- nem vollkommenen Irrthum über einen so merkwürdigen Akt der Lebensthätigkeit geblieben wären. Schliesslich noch einige Worte über die Veränderun- gen der peripherischen Organe in den paralytischen Glie- dern, namentlich in den Fällen, wo die Funktion dauernd verloren geht, wo also die neugebildeten Nerven entweder falsche Bahnen eingeschlagen haben oder aus irgend einem Grunde in der Ausbildung zurückgeblieben sind. Es konnten hierüber nur wenige Untersuchungen angestellt werden, wenn wir nicht die schon erwähnte und mitunter sehr auf- fallende Hypertrophie der Haut und Epidermisgebilde (Haare und Nägel) hieherziehen wollen, die auch nach wiederher- gestellter Funktion oft noch sehr bemerklich ist, aber wohl hauptsächlich auf Rechnung des entzündlichen Zustandes kömmt, in welcher die paralytischen Glieder während der Dauer der Empfindungslosigkeit durch den verkehrten und schonungslosen Gebrauch derselben versetzt werden. Ei- genthümlich dürfte dagegen das Verhalten der atrophischen Muskeln sein, das bei einer Katze beobachtet wurde, welche am 22. August 185% untersucht wurde, und bei der sich in . 7 Monaten keine Empfindung in dem gelähmten Beine her- gestellt hatte. Die Nervenenden waren hier, nach Aus- schneidung eines beträchtlichen Stückes, nicht wieder in Verbindung getreten, sondern nur an eine unförmliche Cal- lusmasse, die besonders dem obern Ende angehörte, ange- löthet. Es war starker Decubitus an dem Fusse und trotz aller Verbände Necrose der Knochen eingetreten, an welcher das Thier starb. Die Muskeln des Unterschenkels zeigten sich sehr weich und bloss; die Primitivbündel hatten noch Querstreifen, wurden durch Essigsäure sehr durchsichtig und zeigten sehr zahlreiche länglich ovale Kerne mit ab- gestumpften Enden, wie sie den glatten Muskelfasern eigen u Zr a 219 sind, welche theils dem Inhalt, theils der Scheide ange- hörten und mitunter offenbar in Theilung begriffen waren. Dieser Inhalt quoll beim Drucke sehr leicht in einzelnen kurzen Fragmentenaus der Scheide der Primitivbündel heraus und behielt auch ausserhalb derselben seine Querstreifen. Die structurlose Scheide selbst veränderte dabei ihr Lumen nicht wahrnehmbar. Von ei- ner fettigen Entartung war Nichts zu sehen. In der Cal- lusmasse fanden sich zahlreiche, verworrene Nervenfasern von ziemlicher Breite, wiewohl schmäler als normale, und von sehr ungleicher Breite. Sie waren deutlich mit denen des centralen Endes in Verbindung und liefen, sich rasch verjüngend, in die oben beschriebenen feinen, varicosen und kernhaltigen Ausläufer aus. Der Process war hier offen- bar ein längst und zwar sehr unglücklich abgelaufener. _ Bei einer gleichzeitig untersuchten, vor 6 Monaten ope- rirten Katze, welcher der ischiadicus einfach durchschnitten worden war, hatte sich eine schöne Narbe von ungefähr 3 Linien Länge gebildet, auch liessen sich zahlreiche Ner- venfasern bis weit herab in den atrophischen Nerven ver- folgen, in welchem von der fettigen Metamorphose keine Spur mehr übrig war; doch war hier die Funktion der pe- ripherischen Theile nicht wieder eingetreten, obgleich das Thier ziemlich gut lief, sich sonst wohl befand und sogar wäh- rend dieser Zeit Junge geworfen Matte. Offenbar hatten hier die neuen Nervenfasern die peripherischen Organe verfehlt oder noch nicht erreicht. Von der erwähnten Veränderung der Muskeln wurde in diesem Falle nichts bemerkt. V. Ueber die Existenz einer thierischen Mikropyle. Von Prof. C. Bruca. (Vorgetragen den 7. Februar 1855.) Als ich mich im November des letztvergangenen Jahres mit Untersuchungen über die Entwicklung der Forelleneier 220 beschäftigte, welche ich jede Woche von Herrn Fischer Glaser, der der Hüninger Fischzüchterei ein reiches Mate- rial liefert, frischbefruchtet erhalten konnte, machte ich eine Beobachtung, welche mit der gegenwärtig schweben- den Discussion über die Befruchtung der Thiere und na- mentlich mit der Frage über das Eindringen der Spermato- zoen in das Ei in Beziehung steht und die mir namentlich desshalb der Mittheilung werth scheint weil sie die erste ihrer Art ist, die mit Sicherheit bei einem Wirbelthiere gemacht wurde. Als ich nämlich die frischbefruchteten, noch hellen und durchscheinenden Eier des Salmo fario zum Behufe der Un- tersuchung der Eihaut bei verschiedener Beleuchtung mit freiem Auge und mit der Lupe betrachtete, fiel mir ein punktförmiger Fleck, gleich einer seichten, leicht- beschatteten Vertiefung, auf welcher sich an jedem Ei und zwar in der Nähe des röthlichen Embryonalfleckes bemerklich machte. Gelingt es das nicht vollkommen runde, sondern mehr länglichte und an beiden Polen abgestumpfte Ei der Forelle, auf flacher Hand so zu richten, dass der Embryonalfleck dem Beobachter zugekehrt ist, und betrachtet man nun bei durchfallendem Lichte, so ist es meistens sehr leicht jenen Eindruck schon mit freiem Auge zu erkennen. Sicherer gelingt es mit einer schwachen Lupe, während stärkere Vergrösserungei® weniger geeignet sind, da sie die Schattentöne, an denen derselbe erkennt wird, auflösen. Stets befindet sich diese Bildung in einer Entfernung von 1—2 Linien neben dem Embryonalfleck, nie sah ich sie auf oder über demselben, wiewohl öfter dicht an seinem Rande. Sie befindet sich an jedem Ei nur einmal. Sie befindet sich ferner auch an dem unbefruchteten Eie, obgleich sie hier schwerer zu sehen ist, da die Eihaut dort viel dünner und | durchscheinender ist. Legt man aber unbefruchtete Eier in Wasser, so quillt die Eihaut wie bei der befruchteten 221 auf, wird dicker und derber und die Vertiefung zeigt sich wie an den befruchteten. Sie verschwindet endlich auch nicht an Eiern, die längere Zeit, Tage und Wochen im Was- ser gelegen haben, und selbst die Entwicklung des Eies hat darauf, so weit ich sie verfolgt habe, keinen Einfluss. Gegen das Ende des Eilebens verdünnt sich allerdings die Eihaut sehr, dehiscirt an mehreren Stellen und erhält grös- sere Löcher, die man aber nicht mit jener charakteristi- schen und constanten Bildung des unentwickelten Eies ver- gleichen kann. Meine Vermuthung, dass es sich hier um eine Oeffnung in der Eihaut handle, wurde durch die mikroskopische Un- tersuchung bald bestätigt. Ich öffnete die Eier durch ei- nen Einstich oder schnitt mit einer scharfen Scheere ein Stück Eihaut hinweg, in welchem sich jene Bildung befand. Es mussten dann noch die anhängenden Theile des Inhaltes durch Abpinseln und Abwaschen entfernt werden, wobei die durch die Berührung mit dem Wasser erfolgende Gerinnung des Inhaltes besonders störend wird. Hat man jedoch das Eihautstück im Wasser vollständig abgespült und zwischen zwei Glasplatten gebracht, so gewahrt man mit freiem Auge nun schon leicht, dass sich hier eine Oeffnung befindet, welche sich schon durch eine Verdünnung der Eihaut im Umkreis verräth. Mikroskopisch erscheint diese Oeffnung jedoch nicht etwa als ein einfaches Loch, sondern der Dicke der Ei- haut entsprechend, die wohl %—1‘' beträgt, als ein ziemlich langer Canal, der die Eihaut senkrecht von aussen nach innen durchbohrt. Dieser Canal ist an seinen beiden Mündungen am breitesten und jene Vertiefung, die man mit freiem Auge gewahrt, ist in der That nur der Eingang desselben. Weiter in der Dicke der Haut verengert er sich bedeutend, so dass seine engste Stelle bei 50maliger Vergrösserung kaum als Oeffnung, son- 222 dern meistens nur als schwarzer, beschatteter, Punkt er- scheint. Das eigentliche Lumen des Canals wird erst bei 300maliger Vergrösserung anschaulich, und auch hier nur, wenn man durch successive Veränderung der Fokaldistanz von einem Ende des Canals zum andern fortschreitet. Manch- mal verlauft derselbe etwas schräg und dann ist es be- greiflicherweise schwerer, sich von einem Lumen zu über- zeugen, da seine Wände überall gleichmässig beschattet erscheinen und durch die Compression des Deckglases ver- lieren. Verläuft er senkrechter, so fällt gemeinlich hinrei- chendes Licht hindurch, um an allen Stellen deutlich er- kannt zu werden. Seine Weite beträgt an der engsten Stelle nicht über 0,002—3°’, oft weniger; er kann daher im strengsten Sinne des Wortes capillär genannt werden und es erklärt sich daraus vielleicht warum im Leben kein Wasser eindringt und den Inhalt gerinnen macht. Es ist bemerkenswerth, dass stets, wenn Forelleneier ins Wasser gelangen, unter einer grössern Anzahl einzelne sind, welche sogleich bei der Berührung mit dem Wasser oder kurz da- rauf von einem peripherischen Punkte der Eihaut aus zu gerinnen pflegen und daher eine weisse Hemisphäre zeigen, während der übrige Theil des Eies seine Durchsichtigkeit behält. Hier scheint der Canal abnorm weit oder verletzt zu sein und das Eindringen des Wassers. zu gestatten, das durch die erfolgende Gerinnung des zunächst liegenden In- haltes von den entfernteren Theilen desselben abgesperrt wird. Ich bemerke dies desshalb, weil die in Folge des Absterbens der Eier später häufig eintretende Trübung der- selben stets den ganzen Inhalt ergreift. Um noch einiges Nähere anzugeben, erwähne ich, dass die äussere Eingangsöffnung von der innern ziemlich ver- | schieden und daher, leicht zu erkennen ist. Die äussere . ist weiter und geschweift trichterförmig, die innere auch trichterförmig, endet jedoch auf der innern Fläche der Ei- 223 haut mit einem sehr scharf ausgeschnittenen Rande, so dass der Eingang in den Canal hier schroffer und plötzlicher erscheint. Die Eihaut hat aussen und innen dasselbe cha- grinartige Anzehen, das nach Einigen von kleinen Erhaben- heiten, nach Andern aber von feinen Poren herrühren soll, die an allen Seiten dieselbe durchbohren und von welchen einige die Imbibitionsfähigkeit derselben hergeleitet haben, die sich übrigens nicht plötzlich, sondern nur sehr allmäh- lig äussert und jedenfalls mehrere Stunden verlangt, ehe die Eihaut ihr grösstes Volumen erreicht hat. Dieselbe Beobachtung, die ich zuerst bei der gemeinen Forelle gemacht, machte ich später auch beim Lachse, doch ist der Nachweis der Oeffnung hier mühsamer, da der Ca- nal zwar von derselben Weite, sein Eingang aber mit freiem Auge schlechterdings nicht zu finden ist, sondern an der zerschnittenen Eihaut stückweise bei schwächeren Vergrös- serungen gesucht werden muss. Die Schwierigkeit schien mir weniger in der Form des Canals als in der Transparenz der Eihaut zu liegen, die durch die zahlreichen röthlichen Fetttröpfchen des Inhaltes gestört wird. Das mikroskopi- sche Bild unterscheidet sich von dem bei der Forelle in nichts. Andere Fischeier haben mir bis jetzt nicht zu Ge- bot gestanden *), doch zweifle ich nicht, dass sich bei wei- terem Nachforschen ein verbreiteteres Vorkommen dieser Bildung herausstellen wird, und schon jetzt dürften einige Worte über die physiologische Bedeutung dieser Bildung gerechtfertigt sein. = Nachdem nämlich schon seit längerer Zeit wiederholt das Eindringen der Spermatozoen in die Eier der Thiere zum Zwecke der Befruchtung behauptet und vor vier Jahren von Joh. Müller zuerst an den Eiern der Holothu- *) Neuerdings habe ich auch den Hecht und Cyprinus nasus untersucht und dieselbe Beobachtung auch hier constatirt. 224 : rien ein der pflanzlichen Mikropyle ähnlicher, die äussere Eihaut durchbohrender Canal nachgewiesen worden war, erschien zu Anfang des Jahres 1853 die Schrift des Herrn Dr. Keber in Insterburg, worin derselbe nicht nur eine ähn- liche Bildung an den Eierstockseiern mehrerer Muscheln beschrieb, sondern auch an Kanincheneiern entsprechende Beobachtungen gemacht, ja den Befruchtungsakt selbst und das weitere Schicksal der eintretenden Spermatozoen im Innern der Eier verfolgt haben wollte. Diese Schrift war die Veranlassung einer Reihe theils bestätigender, theils widerlegender Beobachtungen und Erörterungen, die bereits einen ziemlichen Umfang gewonnen haben. Wir haben uns hier selbst während des Jahres 1853 mit dahin gehörigen Untersuchungen, und zwar an Unio pictorum, beschäftigt und Herrn Keber am Ende des Jahres unsere negativen Resultate auf seinen Wunsch in einem Schreiben mitgetheilt, welches derselbe in seiner zweiten Schrift „über Porosität der Körper u. s. w.” auszugsweise veröffentlicht hat. Da diese Mittheilung nur eine sehr summarische war, so möge hier angegeben werden, was wir gesehen haben. Herr Stud. Aichner beobachtete die Eier von Unio pic- torum vom Mai bis zum November jenes Jahres unausge- setzt und erhielt in dieser ganzen Zeit stets die nämlichen Bilder, so dass schon deswegen von einem Entwicklungs- vorgange füglich keine Rede sein konnte. Grosse und kleine Eier unterschieden sich nur durch die Grössenverhältnisse der einzelnen Eitheile, namentlich der Eihaut und des Dot- ters, nicht durch erhebliche Veränderungen derselben. Alle abgelösten Eier hatten den eigenthümlichen Stiel, die klein- sten wie die grössten, und er war an den ersteren nur leichter zu sehen und zu finden. Eine zweite Dotterhaut, welche sich durch die Höhlung dieses Stieles nach aussen stülpen soll, wurde nicht mit Bestimmtheit beobachtet, ohne dass wir deswegen die gestielte Eihaut als Dotterhaut | 225 ansprechen wollen. Auch am Dotter selbst, der nur bei den kleineren Eiern das Ei ausfüllte und hier diffuser erschien, war eine umhüllende Membran nicht zu erkennen; er er- schien vielmehr als ein zwar sehr scharf contourirter und abgerundeter, aber nur durch ein zähes Bindemittel geform- ter Klumpen feiner Körnchen, der durch Druck, Eintrocknen u. s. w. leicht seine Form änderte und öfter in mehrere Klumpen zerborst, die wieder zusammenflossen, durch die Oeffnung theilweise ausflossen u. s. w. Aus demselben Grunde musste man sich hüten, die Fälle, wo zwei oder mehrere runde Kugeln in einem Ei vorhanden waren, für natürliche und für den Anfang einer Dotterfurchung zu halten, was auch deswegen nicht annehmbar war, da stets nur einer der Klumpen, gewöhnlich der grössere, das überall einfache Keimbläschen enthielt. Aehnliches gilt von den Bewegun- gen des Keimbläschens, der Ausstülpung der Dotterhaut und anderen durch die Manipulation erzeugten künstlichen Ver- änderungen der Eier, auf die Keber ein Gewicht legte. Das Keimbläschen, welches keinem Ei fehlte, an den grössten Eiern der Dunkelheit des Dotters wegen jedoch oft schwer zu finden war, stellte stets ein wasserhelles Bläschen mit zarter Membran und einem oder. mehreren runden, etwas opaken Keimflecken dar. Die Veränderungen der letzteren, welche auf eine Vermehrung durch Theilung hindeuten, können wir nicht als Befruchtungsphänomen gel- ten lassen, da sie sich an den kleinsten und grössten Eiern zeigten. Oft waren nämlich zwei Keimflecke vorhanden, die offenbar in Verbindung standen (Biscuit- oder Achter- form), und zwar war gewöhnlich der eine kleiner als der andere; desgleichen drei Keimflecke, wie Gährungspilze, in eine Reihe gestellt und successive an Grösse abnehmend; ferner zwei getrennte, wovon der eine eine ganz kleine Sprosse getrieben hatte; oder endlich mehrere kleine, un- gleich grosse Keimflecke, welche das Keimbläschen anfüll- 15 226 ten, dieses letztere Verhältniss jedoch nur in den grösseren Eiern. Alles dies kann wohl nur auf die Entwicklung der unbefruchteten Eierstockseier bezogen werden, wenn man die mehrfachen Keimflecken bei anderen Thieren, nament- lich bei Fischen, Amphibien und Vögeln in Vergleich zieht. Nur in seltenen Fällen bemerkten wir, und zwar im Juli, Eier, welche kein Keimbläschen und statt dessen eine Menge im Dotter zerstreuter Keimflecke zu enthalten schienen; von einer Dotterfurchung war aber auch hier keine Spur. Hinsichtlich des angeblichen Spermatozoon war es uns auffallend, dass es nur immer an derselben Stelle, nämlich im Halse des Stieles querstehend gefunden wurde und von dieser Stelle nicht zu entfernen war. Eine Veränderung desselben zeigte sich in dieser ganzen Zeit nicht, und so konnte nur die allerdings grosse optische Aehnlichkeit mit dem Spermatozoenkörper der Unionen, sowie der Umstand, dass es an manchen Eiern zu fehlen schien, unseren Zwei- feln entgegenstehen. Bemerkenswerth schien es uns end- lich, dass im Frühjahr fast nur weibliche, im Spätjahr da- gegen fast im umgekehrten Verhältniss, nämlich 1 : 6, männliche Thiere zur Untersuchung kamen. In gleichem Sinne sprachen sich bald darauf Hessling und Bischoff Herrn Keber gegenüber aus, und wenn es nach ihren Untersuchungen als ausgemacht anzusehen ist, dass das angebliche Spermatozoon nur ein von der Seite gese- hener ringförmiger Wulst im Eingange des Eistieles und der letztere in der That die -abgerissene Befestigung des Eies im Eierstocke darstellt, so scheint allerdings zur Stütze einer neuen Befruchtungstheorie von der Keber’schen Ent- deckung wenig übrig zu bleiben. Allein man darf nicht übersehen, dass jener Eistiel hohl ist, dass derselbe mit der Eihöhle communicirt und auf den Dotter selbst führt, dass er weit genug ist, einem oder selbst mehreren Spermatozoen den Durchgang zu gestatten | ER RE PET ee 227 und dass sich also diese Beobachtung, die überdies gleich- zeitig auch von Leukart gemacht wurde, der Müller’schen vom Holothurienei und den schon länger bekannten Wahr- nehmungen von gestielten Insecteneiern in erwünschter Weise anschliesst. Es ist ferner nicht zu übersehen, dass der eigentliche Akt des Eindringens der Spermatozoen bis jetzt von keinem einzigen Beobachter und an keinem Thiere con- statirt ist, auch da nicht, wo man dieselben im Innern des Eies beobachtet hat. Newport und Bischoff, welche den Vorgang beim Froscheie verfolgt haben, geben ausdrück- lich an, dass die Spermatozoen sich nur in die Eiweisshülle einbohren und an der eigentlichen Dotterhaut stets stille halten, und erwägt man die grosse Menge derselben, welche sich auf diese Weise einbohrt und auch in der Eiweiss- schicht des Säugethieres schon längst beobachtet und na- mentlich von Bischoff abgebildet wurde, im Vergleich mit der geringen Anzahl, welche stets im Innern des Eies wahrgenommen wurde, so müssen wohl noch Zweifel übrig bleiben, ob dieses Einbohren der wahre Modus der Be- fruchtung sei. Der Gedanke, dass vorgebildete Oeffnungen am thieri- schen Eie zum Eintritt der Sammenelemente dienen müssen, scheint auch trotz der Ungunst, welche sich dieser Theorie nach der Widerlegung Kebers zuwandte, bereits wieder Boden gefasst zu haben. Joh. Müller hat schon vor über- eiltem Absprechen gewarnt und Remak hat sogar ver- sucht, die von Ersterem beim Fischei entdeckten zahlrei- ‘chen Porencanäle zu diesem Behufe zu benützen. Remak verhehlt sich nicht, dass diese zahlreichen Canäle zu eng seien, um einem ganzen Spermatozoon den Durchtritt zu ge- statten; er glaubt jedoch, dass sie die Träger einer sar- codeartigen befruchtenden Substanz sein könnten, welche durch die Porencanäle eindringe. Ich halte diese Hypo- these nicht für eine glückliche, auch wenn das Vorkommen Ih> 228 dieser Porencanäle ein allgemein verbreitetes sein sollte, wie die radiäre Streifung, welche derselbe an der Zona pellu- cida des Säugethier- und Meckel an der des Vogeleies, so wie Dujardin bei Tänieneiern wahrnahmen, anzudeuten scheint. Das Vorkommen der Spermatozoen im Eie selbst ist bis jetzt der einzige Beweis für das Eindringen dersel- ben, und wenn man sie in toto darin gefunden hat, wird man auch Wege annehmen müssen, die ihnen persönlich, wenn ich so sagen darf, den Eintritt gestatten. Auch in dieser Beziehung scheint mir die Existenz eines einzigen Canals beim Fischei, welcher für das Durchtreten eines Spermatozoons gerade weit genug ist, von entscheidendem Werthe. Ja die Enge dieses Canals gewinnt eine besondere Bedeutung, wenn man erwägt, dass nur naheverwandte Thiere sich fruchtbar begatten können, indem die Propor- tion und Figuration der Genitalien sich hier in mikros- kopischer Weise in dem Verhältniss der Spermatozoen des männlichen Thieres zur Mikropyle der weiblichen Eier wiederholt. 229 CHEMIE. Ueber einige Bertihrungswirkungen. Von Prof. €. F. Scu&nseın. (Den 14. Juni 1854.) Der freie Sauerstoff wie der chemisch gebundene kann, nach meiner Annahme wenigstens, in zwei verschiedenen Zuständen existiren: im gewöhnlichen und ozonisirten, als 0 O und O, und es ist Thatsache, dass freies und gebunde- nes 0 durch blosse Erhitzung in O sich überführen lässt. Auch unterliegt es keinem Zweifel, dass gewisse gewich- tige Materien gerade so, wie die Wärme, das Licht und die Electricität allotropisirend auf mehrere Substanzen, nament- lich auf den Sauerstoff einwirken, wie dies z. B. der Phos- phor thut, welcher durch blosse Berührung den gewöhnlichen Sauerstoff eben su gut ozonisirt, als dies der electrische - Funken thut. Es stand deshalb zu vermuthen, dass es auch Materien gebe, welche umgekehrt wirken, d. h. wie die Wärme z.B. 0 das freie und gebundene O in O verwandeln oder desozo- nisiren. Für mich ist das Thenard’sche Wasserstoffsuperoxid 0 HO+0, und jeder Chemiker weiss, dass dasselbe nicht nur 230 unter dem Einfluss der Wärme, sondern auch mittelst einer Anzahi einfacher und zusammengesetzter Körper schon bei gewöhnlicher Temperatur in HO und O zerlegt wird, ohne dass sie selbst Sauerstoff aufnehmen. Liegt nun, wie ich dies vor einiger Zeit (siehe das erste Heft unserer Verhandlungen, neue Peihe) darzuthun versucht habe, diese Zersetzung zunächst in der durch die angedeuteten Stoffe bewerkstelligten Ueherführung des ge- 0 bundenen O in O begründet, so muss es als möglich er- 0 scheinen, dass auch das freie O unter dem Berührungsein- flusse besagter Substanzen allotropisirt, d. h. in O verwan- delt wird. Unter den zusammengesetzten Körpern, welche schon in der Kälte das Wasserstoffsuperoxid in gewöhnlichen Sauerstoff und Wasser zerfällen, befinden sich solche oxi- dirte Materien, deren Sauerstoffgehalt selbst entweder gänz- lich oder theilweise als 0 existirt und ein Metall zum Radikal haben, eine Thatsache, die mir eben so sonderbar als bedeutungsvoll erscheint. Zu den ersten gehören die sämmtlichen Oxide der edeln Metalle, zu den letztern die Superoxide des Bariums, Mangans, Bleies, Kobaltes, Nickels und so weiter, wie auch die Oxide des Eisens und Kupfers. Schüttelt man Luft, (durch Phosphor) so stark ozoni- sirt, dass ein in sie gehaltener Streifen feuchten Jodkalium- stärkepapieres augenblicklich sich schwarzblau färbt, mit verhältnissmässig sehr kleinen Mengen der genannten Oxide und Superoxide, so verschwindet der ozonisirte Sauerstoff beinahe augenblicklich, wie sowohl aus der Geruchlosigkeit der so behandelten Luft, als auch aus deren Wirkungs- losigkeit auf das erwähnte Reagenspapier erhellt. Dieses Verschwinden des ozonisirten Sauerstoffes lässt sich nicht aus der Annahme erklären, dass derselbe mit den fragli- 231 chen Oxiden und Superoxiden sich verbunden habe; denn das Silbersuperoxid (in dem beschriebenen Versuche von grösster Wirksamkeit), Bleisuperoxid, Eisenoxid, Kupfer- oxid u. s. w. vermögen keinen weitern Sauerstoff aufzu- nehmen, weshalb wir kaum umhin können, anzunehmen, 0 dass dieselben einen desozonisirenden Einfluss auf O aus- 0 0 üben, d. h. O in O überführen, wie sie auch das O des HO+O in O verwandeln. Von der Kohle haben meine früheren Versuche dar- gethan, dass sie ein ausgezeichnetes desozonisirendes Ver- mögen besitzt; denn leitet man einen Strom möglichst stark ozonisirter Luft durch eine mit reinstem (aus krystallisir- tem Zucker bereitetem) Kohlenpulver gefüllte Röhre, so tritt er geruch- und wirkungslos gegen das oben erwähnte Rea- genspapier aus, ohne dass hierbei eine nachweisbare Menge von Kohlensäure entstünde. Bekannt ist auch, dass die gleiche Kohle das Wasserstoffsuperoxid ebenfalls ohne Koh- lensäurebildung in Wasser und O zerlegt. Wie die vegetabilische Kohle verhält sich auch der Graphit. Verhältnissmässig kleine Mengen dieser sorgfältig -gereinigten und fein gepulverten Materie mit stark ozoni- sirter Luft geschüttelt, zerstören rasch das in ihr enthal- tene 0, und da unter diesen Umständen von Oxidation des Graphites ebenfalls keine Rede ist, so dürfen wir wohl ver- muthen, dass auch diese Art von Kohle einen desozonisi- renden Einfluss auf 0 ausübe. Das Kalichlorat betrachte ich der älteren Ansicht ge- mäss als muriumsaures Kali (Chlorkalium) mit sechs “22 valenten 0 vergesellschaftet, und wie wohl bekannt zerfällt jenes Salz unter dem Einfluss der Wärme in muriumsaures . 0 Kali und sechs Equiv. O, wie HO+O in Wasser und O. 232 Wenn nun die vorhin erwähnten Oxide und Superoxide 0 4 das freie wie das an HO gebundene O gerade so desozo- nisiren, wie dies die Wärme für sich allein thut, so könnte es nicht auffallen, wenn sie die gleiche Wirkung auch auf das 0 des geschmolzenen Chlorates hervorbrächten, ja auch gegen einander selbst desozonisirend sich verhielten. Mei- nes Wissens hat der treffliche Döbereiner, dem die Wis- senschaft so manche feine Beobachtung verdankt, zuerst die Thatsache ermittelt, dass die Anwesenheit von Braun- stein in dem geschmolzenen Kalichlorat die Zersetzung die- ses Salzes sehr wesentlich beschleunige, und Herr Mitscher- lich machte später auf die Aehnlichkeit der Umstände aufmerksam, unter welchen das Wasserstoffsuperoxid und das geschmolzene Kalichlorat, das eine in Wasser und 0, das andere in muriumsaures Kali und ebenfalls in O zerfalle. Ich habe mich durch eigene Versuche überzeugt, dass alle die oben genannten Oxide und Superoxide in einem auffallenden Grade die Zersetzung des Chlorates begünsti- gen, wobei es sich von selbst versteht, dass die so leicht reducirbaren Oxide des Silbers, Goldes u. s. w. selbst eine Zersetzung erleiden, während dies mit dem Eisen- und Kupferoxid nicht der Fall ist. Auch braucht kaum bemerkt zu werden, dass unter diesen Umständen kein Perchlorat sich bildet und das chlor- saure Kali unmittelbar in muriumsaures Kali und O zerfällt, wie dies schon Herr Mitscherlich gezeigt hat. Von ganz ausserordentlicher Wirksamkeit ist das Eisen- oxid, wie daraus erhellt, dass schon ein Tausendstel des- selben, dem geschmolzenen Chlorat beigemengt, beim Schmelzpunkt des Salzes, wobei sich bekanntlich noch kein Sauerstoff entbindet, eine merklich starke Gasentwickelung verursacht, weshalb ich auch bei der Sauerstoffbereitung mittelst chlorsauren Kalis demselben nur sehr kleine Mengen 233 besagten Oxides beimenge. Unter denselben Umständen, d. h. eben beim Schmelzpunkt des Chlorates bewirkt /,5 Eisenoxides eine schon stürmische Gasentwickelung, wobei man bald die ganze Masse zum Erglühen gelangen sieht und welche Erscheinung immer der Beendigung der Zer- setzung des Salzes vorausgeht. Nicht unerwähnt will ich lassen, dass ein solches Erglühen, obwohl in schwächerem Grade, selbst dann noch stattfindet, wenn nur ein Tausend- stel des Oxides im Chlorat vorhanden ist. Wird ein sehr inniges Gemeng aus einem Theil Eisen- oxides und dreissig Theilen Chlorates nur an ‘einer mässig grossen Stelle bis zum Schmelzpunkte des Salzes erhitzt, so setzt sich von hier aus die Zersetzung desselben bei- nahe von selbst durch die ganze Masse hindurch fort (in Folge der die Zersetzung begleitenden Wärmeentwickelung) unter so heftiger Gasentbindung, dass dieselbe an Explo- sion grenzt, und erfolgt die Zerlegung des Salzes so rasch, dass dasselbe kaum Zeit zum Schmelzen hat, wobei natür- lich die Masse ebenfalls zum starken Erglühen kommt. Bemerkenswerth ist die Thatsache, dass bei diesen ra- schen Zersetzungen des Chlorates dem entbundenen Sauer- stoff immer merkliche Mengen von Chlor beigemengt sind. Es ist kaum nöthig zu bemerken, dass unter sonst glei- chen Umständen das Eisenoxid die Zersetzung des Chlor- ates um so rascher bewerkstelliget, je feiner zertheilt jenes ist; woher es kommt, dass noch so fein gepulvertes kry- stallinisches Eisenoxid (Eisenglanz oder Glaskopf) merklich weniger lebhaft wirkt, als solches, welches durch Füllung aus einer Eisenoxidsalzlösung bereitet worden, und ebenso versteht es sich von selbst, dass das Eisenoxid sein Zer- setzungsvermögen nicht einbüsst, wie oft man es auch zur Zerlegung des Chlorates anwenden mag. Wie wohl bekannt, bleibt die gewöhnliche Kohle nicht unoxidirt, wenn sie in geschmolzenes Kalichlorat gebracht 234 wird, und findet unter diesen Umständen eine bis zur Ex- plosion gehende rasche Kohlensäurebildung statt. Anders jedoch verhält sich der Graphit, welcher mit eben ge- schmolzenem Chlorat vermengt werden kann, ohne dass hiedurch eine Explosion verursacht würde, aber die Zer- legung des Salzes auffallend begünstiget. Zehn Theile Chlo- rates mit einem Theil Graphitpulver bis zum Schmelzen erhitzt, entwickeln mit stürmischer Lebhaftigkeit Sauerstoff, ja selbst ';. Graphites bringt noch eine merkliche Wirkung hervor; ich darf jedoch nicht unerwähnt lassen, dass dem Sauerstoffgas immer eine merkliche Menge Kohlensäure bei- gemengt ist. In welchem Verhältniss ich auch Chlorat und Graphit bis zum Schmelzen erhitzte und wie lebhaft die dabei stattfindende Gasentwickelung sein mochte, nie hat eine Explosion stattgefunden. Aus den gemachten Angaben erhellt somit, dass die Graphitkohle auf das geschmolzene chlorsaure Kali wie auf das Wasserstoffsuperoxid einwirkt. Aus der Gesammtheit der mitgetheilten Thatsachen bin ich geneigt zu schliessen, dass die durch die erwähnten Substanzen bewerkstelligte Zersetzung des Wasserstoffsuper- oxides und Kalichlorates zunächst auf einer Ueberführung 0 des darin enthaltenen O in O beruht. Ueber die Entfärbung der Indigolösung und der Lakmustinktur durch Wasserstofschwefel. Von Prof. C. F. Scaængen. (Den 27. December 1854.) In frühern Mittheilungen ist gezeigt worden, dass schweflichte Säure und schweflichtsaure Salze in schwa- chem Grade die Indigolösung und indigoschwefelsaure Salze 235 entfärben, diese Farbenveränderung aber nicht auf einer Zer- störung oder Desoxidation des Farbstoffes beruhe, insofern die Färbung des Indigos sehon durch blosse Temperaturs- erhöhung wieder zum Vorschein kommt, wie überhaupt durch alle Mittel sich herstellen lässt, durch welche die schweflichte Säure zerstört oder oxidirt wird. Schwefel- wasserstoff bläut die durch SO? entfärbte Indigolösung eben so gut, als ozonisirter Sauerstoff oder Chlor. Ich habe ferner gezeigt, dass in gleicher, nur in viel kräftigerer Weise auf die Indigolösung eine Säure einwirke, welche beim Durchgang eines Stromes durch wässrige schweflichte Säure an der negativen Electrode, bei der Ein- wirkung der phosphorichten Säure oder des Zinkes auf SO? entsteht. Da jene so kräftig entfärbende Säure unbe- ständig ist, bei gewöhnlicher Temperatur langsamer, bei erhöhter rascher sich zersetzt, so bläut sich die durch sie entfärbte Indigolösung ohne alle Mithülfe des freien Sauer- stoffes oder anderer oxidirenden Agentien, langsamer bei gewöhnlicher — rascher bei höherer Temperatur; die Fär- bung der Indigolösung wird aber auch hergestellt sowohl durch Schwefelwasserstoff, als oxidirende Mittel, weil diese Agentien die bleichende Säure rasch zersetzen. Nach meinen Beobachtungen verhält sich der Wasser- stoffschwefel HS’ ähnlich der letzterwähnten Säure, nur aber bei weitem nicht so energisch wie diese. Schüttelt man einige Unzen Wasser, durch Indigolösung stark blau gefärbt, mit einigen Tropfen Wasserstoffsch wefel, so entfärbt sich die Flüssigkeit ziemlich rasch, erhält aber ihre blaue Farbe wieder unter folgenden Umständen: 1. Von selbsten. Ueberlässt man bei völligem Aus- schluss der atmosphärischen Luft die gebleichte Flüssigkeit ‘ sich selbst, so bläut sie sich allmählig wieder unter Aus- scheidung von Schwefel, was bei erhöhter Temperatur sehr rasch geschieht. 236 2. Durch oxidirende Agentien. Ozonisirter Sauerstoff, ozonisirter Aether, ozonisirtes Terpentinöl, Untersalpeter- säure, Bleisuperoxid, Chromsäure, Uebermangansäure, die Lösungen von Eisenoxidsalzen, Chlor, Brom, Hypochlorite nicht im Ueberschuss angewendet, stellen die blaue Farbe augenblicklich her. 3. Durch Kali, Natron, Ammoniak oder die kohlen- sauren Salze dieser Basen. Aus diesen Thatsachen erhellt, dass unter allen Um- ständen, unter welchen der Wasserstoffschwefel zerlegt wird, auch die durch ihn entfärbte Indigolösung sich wie- der bläut. HS’ zersetzt sich bekanntlich von selbsten, lang- samer bei gewöhnlicher — rascher bei erhöhter Temperatur; die unter $. 2 erwähnten oxidirenden Agentien entziehen dem Wasserstoffschwefel Wasserstoff und die Alkalien oder deren kohlensaure Salze Schwefelwasserstoff. Wie HS° die Farbe des gelösten Indigoblaues aufhebt, ist schwer zu sagen; kaum dürfte aber anzunehmen sein, dass beide Substanzen eine chemische Verbindung mit einan- der eingehen, denn der Wasserstoffschwefel verhält sich in der entfärbten Indigolösung mit Bezug auf seine Zer- setzung gerade so, als ob er frei wäre. Es gehört diese von HS bewerkstelligte Entfärbung des Indigos wahrschein- scheinlich zu den noch so wenig begriffenen Contactsphe- nomenen, welche sich genau anschliesst an diejenige, welche die oben erwähnte, die Indigolösung so energisch ent- bläuende eigenthümliche Säure des Schwefels verursacht. Schliesslich bemerke ich noch, dass auch die Lakmus- tinktur von dem Wasserstoffschwefel gebleicht wird; sie nimmt aber nicht freiwillig wieder ihre ursprüngliche Fär- bung an, weder bei gewöhnlicher noch erhöhter Tempera- tur, wohl aber durch die oben erwähnten oxidirenden Agentien, wie auch durch den atmosphärischen Sauerstoff, Ib a ut = 237 was der Vermuthung Raum giebt, dass der Farbstoff durch den Wasserstoffschwefel desoxidirt werde. Ueber das Verhalten des ezonisirten Terpentinöls und Aethers zum Arsen und Antimon. Von Prof. C. F. Scu&nsEem. (Den 16. Mai 1855.) : Schon vor Jahren wurde von mir gezeigt, dass der ozonisirte Sauerstoff das Arsen und Antimon bei gewöhn- licher Temperatur zu den Säuren dieser Metalle oxidire, das Arsen diese Oxidation aber viel rascher als das Anti- mon erleide, welcher Unterschied deshalb auch zur Unter- scheidung beider Körper von einander dienen kann. Vom Terpentinöl, wie von den Camphenölen überhaupt, ist nun bekannt, dass sie namentlich unter Lichteinfluss Sauerstoff aufnehmen und denselben nach meinen Versuchen so enthalten können, dass er sich wieder auf’andere oxi- dirbaren Materien übertragen lässt; weshalb so beschaffene Oele als kräftig oxidirende Agentien, d. h. so wie der 0z0- nisirte Sauerstoff selbst sich verhalten, aus welchem Grunde ich dieselben auch ozonisirte Oele genannt habe. Es liess sich daher zum Voraus vermuthen, dass das ozonisirte Terpentinöl sich wie der freie ozonisirte Sauer- stoff gegen die beiden genannten Metalle verhalten werde, und meine darüber angestellten Versuche haben auch diese Vermuthung vollkommen bestätiget. Beschlägt man eine Stelle der concaven Seite eines Porzellanschälchens mittelst der Marsh’schen Methode mit einem Arsenflecken, eine an- dere Stelle mit einem Antimonflecken, und übergiesst man beide Metallspiegel mit merklich stark ozonisirtem Terpen- tinöl (das von mir bei diesen Versuchen angewendete ent- hielt ein halbes Prozent ozonisirten Sauerstoffes), so wird 238 der Arsenflecken, wenn er dünn war, schon nach 10—15 Minuten verschwunden sein, während der gleich beschaffene Antimonflecken noch nicht im Mindesten verändert erscheint, ja nach Tagelangem Zusammenstehen mit ozonisirtem Ter- pentinöl noch sein metallisches Aussehen zeigt. Kaum ist nöthig zu bemerken, dass das reine Terpen- tinöl eben so wenig Arsenflecken zum Verschwinden bringt, als es Indigolösung zu zerstören oder irgend eine andere Oxidationswirkung hervorzubringen vermag. Die Zerstörung des Arsenfleckens beruht ganz einfach auf der Umwand- lung des Metalles in Arsensäure, bewerkstelligt durch den im Oele vorhandenen freien Sauerstoff, der, wie von mir gezeigt worden ist, im chemisch erregten Zustand sich be- findet. Es ist daher die in Rede stehende Thatsache nur eine der vielen Oxidationen, welche mittelst ozonisirten Terpentinöles bei gewöhnlicher Temperatur bewerkstelligt werden können. Aus voranstehenden Angaben erhellt dem- nach, dass zur Unterscheidung des Arsens vom Antimon das ozonisirte Terpentinöl recht gut dienen kann und dieses Mittel, wenn es zur Hand ist, eine ganz einfache und sichere Anwendung zulässt. Wie die Camphenöle, kann nach meinen Beobachtungen auch der Aether, obgleich nicht in einem so hohen Grade, ozonisirt werden, und so beschaffener Aether vermag In- digolösung zu bleichen, Jodkaliumstärkepapier zu bläuen u.s. w. und er besitzt natürlich auch das Vermögen, Arsen zu Arsensäure zu oxidiren, wie schon aus der Thatsache erhellt, dass Arsenflecken, an die innere Wandung einer Flasche gelegt, verschwinden, wenn diese mit ozonisirtem Aether gefüllt wird. Wegen des kleinen Gehaltes an dis- ponibelm Sauerstoff, den der Aether enthalten kann, findet jedoch die Zerstörung der Arsenflecken etwas langsam statt. Dass auch bei der langsamen Verbrennung des Aethers, wie man sie leicht durch eine erwärmte Platindrahtspirale + 239 in einer lufthaltigen Flasche bewerkstelligen kann, ein emi- nent kn 1 Agens auftrete im Stande, unter geeigne- ten Umständen eine Reihe von Körpern zu oxidiren, z. B. das Indigoblau zu Isatin, SO? zu SO°, PbS zu PS, das gelbe Blutlaugensalz zu rothem, die Hydrate der Oxide des Bleies, Nickels, Kobaltes zu Superoxid u. s. w., auch aus dem Jod- kalium Jod abzuscheiden und deshalb das Jodkaliumstärke- papier zu bläuen, kurz den ozonisirten Sauerstoff nachzu- ahmen, davon habe ich mich durch vielfache Versuche zur Genüge überzeugt. Das nämliche Agens wirkt in gleicher Weise auch auf das Arsen ein, d. h, verwandelt dasselbe in Arsensäure. In einfachster Weise lässt sich diese Reaction folgen- dermaassen zeigen: Man giesse in eine litergrosse lufthaltige Flasche mit etwas weiter Mündung einige Drachmen reinen Aethers nebst einigem Wasser, führe eine erhitzte aber nicht glühende Platindrahtspirale bis in die Mitte des Ge- fässes zum Behufe der Anfachung der langsamen Verbren- nung ein, und bringe gleichzeitig eine mit einem Arsenringe behaftete Röhre in die Flasche. Unter diesen Umständen wird der Metallspiegel, falls er dünn ist, rasch verschwun- den sein, während ein gleich beschaffener Antimonflecken noch keine merkliche Veränderung zeigt. Ueber ein eigenthümliches Verhalten der Kleesäure zum Eisenoxid. Von Prof. C. F. Scu@&nsBein. (Den 16. Mai 1855.) Bekanntlich giebt es kleesaures Eisenoxidkali, Eisen- oxidnatron und Eisenoxidammoniak, welche sich durch die ihnen zukommende grüne Farbe von den übrigen Eisen- oxidsalzen auffallend unterscheiden und darin gewissen Eisenoxidulsalzen, z. B. dem Eisenvitriol gleichen. Wie aus Nachstehendem erhellen wird, zeigen jene drei Salze nicht blos in optischer Hinsicht, sondern auch noch in ander- weitigen und namentlich chemischen Beziehungen mancher- lei Aehnlichkeiten mit den löslichen Eisenoxidulsalzen, z. B. dem Eisenvitriol. Schon der Geschmack der erwähnten Doppelsalze gleicht mehr demjenigen des Vitriols, als dem eines löslichen Oxid- salzes, jener ist etwas süsslich, dieser herb zusammen- ziehend. Die Eisenoxidulsalze sind noch merklich paramagne- tisch, die Eisenoxidsalze dagegen nach Faraday magnetisch indifferent; gemäss den auf mein Gesuch von meinem Col- legen Herrn Wiedemann angestellten Versuchen ist das klee- saure Eisenoxidkali paramagnetisch und verhält sich der Magnetismus dieses Salzes zu dem des Eisenvitrioles un- gefähr wie 4 : 5 für gleiche Gewichte der krystallisirten Salze. Wie die Eisenvitriollösung, so ist auch diejenige des kleesauren Eisenoxidkali in voltascher Beziehung positiv gegen alle Eisenoxidsalzlösungen. Während alle Eisenoxid- salzlösungen die frische Guajaktinktur augenblicklich auf das Tiefste bläuen, lässt die Lösung des kleesauren Eisen- oxidkali besagte Tinktur völlig unverändert, wie diess auch die Lösung des Eisenvitriols thut; und wie die durch irgend ein Mittel gebläute Harzlösung mittelst gelösten Eisenvi- triols wieder entfärbt wird, so auch durch die Lösung un- seres Doppeloxalates. Gelöste Eisenoxidsalze werden durch Schwefelcyan- wasserstoflsäure blutroth gefärbt, die Eisenoxidulsalze nicht und eben so wenig die Lösung des kleesauren Eisenoxid- kali u. s. w. 240 x EE 241 Schweflichte Säure und Sulfite färben die Eisenoxid-. salzlösungen ebenfalls braunroth, nicht aber diejenigen der Eisenoxidulsalze und der Doppeloxalate. Eisenoxidsalzlösungen zerstören die Indigolüsung lang- samer bei gewöhnlicher — rascher bei höherer Temperatur unter Bildung eines Oxidulsalzes, die Lösungen unserer Oxalate besitzen dieses Vermögen eben so wenig, als die der Oxidulsalze; man kann gelöstes und durch Indigotinktur nur schwach gebläutes kleesaures Eisenoxidkali bis zunı Sieden erhitzen, ohne dass hierdurch die Farbe der Flüs- sigkeit zerstört oder Eisenoxid zu Oxidul reducirt würde. Kalte und stark verdünnte Eisenoxidsalzlösungen zerstören die Indigotinktur sehr langsam, aber meinen frühern Mit- theilungen zufolge bei Anwesenheit selbst kleiner Mengen von schweflichter Säure augenblicklich, nicht so die mit SO? versetzten Lösungen der Oxalate. Zwar ist die An- wesenheit der schweflichten Säure nicht ohne alle Wirkung, aber diese erfolgt sehr langsam. Gerbestoff- und Gallussäure färben bekanntlich selbst sehr verdünnte Eisenoxidsalzlösungen bis zur Undurchsich- tigkeit schwarzblau, nicht diejenigen der Eisenoxidulsalze und die Lösungen der Doppeloxalate nur schwach violett, d. h. gerade so, wie gelöstes schwefelsaures Eisenoxidul, das Spuren von Eisenoxid enthält. Man kann daher mit jenen Säuren und unsern kleesauren Doppelsalzen keine Dinte erhalten. ! Die oxidirbaren Metalle, ja selbst das Silber mit Eisen- oxidsalzlösungen erhitzt, führen ziemlich rasch das Oxid auf Oxidul zurück; diese Reduction wird zwar auch in der Lösung unserer Oxalate durch solche Metalle bewerkstel- ‚liget, aber ungleich langsamer, als bei jedem andern Eisen- oxidsalz. Etwas conzentrirtere Eisenoxidsalzlösungen färben das Jodkaliumstärkepapier augenblicklich tiefblau, nicht die gleich 16 242 / beschaffenen Lösungen der Oxalate, so wenig als die der Eisenoxidulsalze. | Eisenoxidsalzlösungen fällen aus der wässrigen Schwe- felwasserstoflsäure beinahe augenblicklich den Schwefel aus, beim Vermischen des gelösten kleesauren Eisenoxidkalis mit HS tritt nicht sofort die Schwefelausscheidung ein; sie erfolgt jedoch später, findet aber mit grosser Langsam- keit statt. Aus voranstehenden Angaben erhellt, dass das optische, magnetische, volta’sche und chemische Verhalten der klee- sauren Eisenoxidalkalien stark abweicht von demjenigen der übrigen Eisenoxidsalze und jene den Eisenoxidulsalzen in mancherlei Hinsicht gleichen. Den Herren Haidinger und Scheerer ist die optische Aehnlichkeit dieser Oxalate mit den Eisenoxidulsalzen nicht entgangen, und ersterer hat neulich versucht die Ansicht geltend zu machen, gemäss welcher bei der Vereinigung der Kleesäure mit Eisenoxid ein Equivalent Sauerstoff dieser Basis zu 0?0* herüber träte und hierdurch eine Atomengruppirung entstünde, die sich optisch wenigstens als kohlensaures Eisenoxidul be- trachten lasse. Wie sinnreich auch diese Ansicht ist, so vermag ich. sie doch nicht zu theilen, und zwar nicht blos desshalb, weil ich überhaupt nicht den atomistischen Hypothesen huldige, sondern noch aus besondern thatsächlichen Grün- den. Wenn man den chemischen Einfluss der Kleesäure auf das Eisenoxid der besprochenen Doppeloxalate allgemein ausdrücken will, so kann man sagen, dass er in einer Ver- minderung des oxidirenden Vermögens dieser Basis bestehe und da letzteres nur einem der drei Sauerstoffequivalente zukommt, welche im Eisenoxide vorhanden sind, so liesse sich auch sagen, dass die Kleesäure dieses oxidirende Sauer- stoffequivalent inniger an das Eisen der Basis binde. Selbst verdünnte Lösungen von schwefelsaurem, salpetersaurem _ 243 und salzsaurem Eisenoxid sind noch merklich stark gefärbt und wohlbekannt ist, dass diese Farbe viel heller wird oder gänzlich verschwindet beim Zufügen von Salzsäure, Schwe- felsäure, Salpetersäure u. s. w. Dieser Säurezusatz führt aber nicht nur die erwähnte optische Veränderung herbei, sondern verursacht auch eine Abänderung des chemischen Verhaltens dieser Salze, die im Allgemeinen in der Ver- minderung ihres oxidirenden Vermögens besteht. Eine ge- färbte Eisenoxidsalzlösung zerstört die Indigotinktur viel rascher, als dieselbe Lösung, welche durch Zusatz von Salzsäure, Schwefelsäure u. s. w. entfärbt worden; aus Schwefelwasserstoff wird durch erstere der Schwefel ra- scher ausgeschieden, als durch letztere; Gallussäure und Gerbesäure färben die ungesäuerte blauschwarz, die ge- säuerte nicht; frische Guajaktinktur wird durch die unge- säuerte Salzlösung tiefblau gefärbt, nicht so durch die stark gesäuerte. Hieraus erhellt, dass die Salzsäure, Schwefel- säure u. S. w. wie die Färbung, so auch das oxidirende Vermögen der Eisenoxidsalze vermindere. Da das dreifach schwefelsaure und das saure krystallisirbare salpetersaure Eisenoxid farblose Salze sind, so lässt sich fragen, wie es komme, dass in ihnen die Farbe der Basis gänzlich ver- hüllt sei. Die Hypothese des Herrn Haidinger lässt sich nicht ‚anwenden, um die Farblosigkeit der letztgenannten Salze oder das Hellerwerden der Eisenoxidsalzlösungen überhaupt durch Säuren u. s. w. zu erklären; denn Schwefelsäure, Sal- petersäure u. s. w. sind Sauerstoffverbindurgen bis zum Ma- - ximum oxidirt, und es ist daher schwer einzusehen, in welche Gruppirung die Sauerstoffatome des Eisenoxides mit besagten Säuren treten sollten, damit man kein Eisenoxid mehr in dem farblosen Salz anzunehmen braucht. Würde die schweflichte Säure eine Wirkung auf das Eisenoxid hervorbringen ähnlich derjenigen der Kleesäure, so möchte 16* 244 dies zu Gunsten der erwähnten Hypothese sprechen, und könnte man annehmen, dass ein Sauerstoffequivalent des Eisenoxides sich eben so zu SO? geselle, wie sich Herr Haidinger denkt, dass es zu O°’O° herantrete; die Erfahrung zeigt aber, dass SO? genau entgegengesetzt wirkt optisch und chemisch, dass es die Färbung und das oxidirende Vermögen der gelösten Eisenoxidsalze ausserordentlich ver- stärkt. Allmählig entfärbt sich freilich die Lösung, weil durch einen Theil des Sauerstoffes der Basis SO? in SO? übergeführt und das Eisenoxid zu Oxidul reducirt wird. Es sei mir erlaubt, über die nächste Ursache besagter Farbenveränderungen meine eigene Ansicht auszusprechen. Schon vor einigen Jahren suchte ich darzuthun, dass der Sauerstoff sowohl im gebundenen als freien Zustand in der Regel um so mehr Licht auslösche, je chemisch erregter derselbe sei, und ich führte zu Gunsten dieser Annahme unter andern Thatsachen die tiefe Färbung einer Anzahl von Sauerstoffverbindungen an, welche sich durch ihr emi- nentes oxidirendes Vermögen auszeichnen, wie z. B. die Untersalpetersäure, Chromsäure, Uebermangansäure, die me- tallischen Superoxide, die Oxide der edeln Metalle, des Kupfers, Eisens u. s. w., womit ich auch die allgemeine Thatsache in Verbindung brachte, dass die genannten und andere Sauerstoffverbindungen um so dunkler sich färben, je höher ihre Temperatur geht, und um so heller werden, je mehr man sie abkühlt, weil diese Temperaturverschieden- heiten wesentlich auf die chemische Thätigkeit des Sauer- stoffes dieser Verbindungen einwirken. Einige dieser schon bei gewöhnlicher Temperatur stark gefärbten Verbindungen lassen sich durch gehörige Erkältung gänzlich farblos machen, wie z. B. die Untersalpetersäure, die bei 45° unter Null . eine weisse krystallinische Substanz ist. Bei 60° unter Null erscheint das rothe Quecksilberoxid schwachgelb; Wasser durch gallussaures Eisenoxid bis zur Undurchsichtigkeit 245 . gefärbt, liefert bei sehr niedrigen Temperatursgraden ein völlig farbeloses Eis u. s. w. Es waltet für mich daher kein Zweifel, dass jede Sauerstoffverbindung, welche bei steigender Temperatur sich dunkler färbt, auch bei einem gewissen Kältegrad farbelos erscheinen würde, und hiezu rechne ich namentlich das Eisenoxid und alle seine schon bei gewöhnlicher Temperatur stark gefärbten Salze. Wenn nun das optische Verhalten einer Substanz durch blossen Temperaturswechsel so sehr verändert werden kann, dass dieselbe bald weiss, gelb, roth, braun, schwarz erscheint, ohne dass hierbei die chemische Zusammensetzung der Ma- terie eine Veränderung erleidet, wenn also z. B. das Eisen- oxid bei extremen Kältegraden farbelos, bei hoher Tempera- tur schwarz ist, bei jeder Temperatur seine eigene Färbung hat, so kann man allerdings sagen, dass diese verschiedenen Färbungen von verschiedenen Lagerungsweisen der in Eisen- oxid vereinigten Atome herrühre; ich fürchte aber, dass mit einer solchen vagen Annahme wenig erklärt sei. Färbung und Farbenveränderung vieler oxidirten Ver- bindungen gehen so häufig Hand in Hand mit dem Zustand und der Zu- oder Abnahme der chemischen Thätigkeit des in ihnen enthaltenen Sauerstoffes, dass man kaum umhin kann, einen innigen Zusammenhang zwischen beiden anzu- nehmen. Warum der chemisch thätigere Sauerstoff das Licht ‘ kräftiger auslöscht, als dies der minder thätige thut, dar- über weiss ich freilich auch nichts zu sagen. Mit Bezug auf die oben erwähnten Doppeloxalate geht meine Ansicht dahin, dass die darin enthaltene Kleesäure die chemische Thätigkeit des dritten im Eisenoxid enthal- tenen Sauerstoffequivalentes vermindere und hierin der nächste Grund liege, weshalb besagte Eisenoxidsalze in so . manchen Beziehungen den Eisenoxidulsalzen gleichen. 246 Notiz über die Gewinnung ozonisirten Sauerstoffes | aus Silbersuperoxid. Von Prof. C. F. Scu@&neeın. (Den 16. Mai 1855.) Von der Ansicht ausgehend, dass nicht nur der freie, sondern auch der chemisch gebundene Sauerstoff in zwei Zuständen als O und als 0 zu bestehen vermöge und in einer nicht kleinen Zahl oxidirter Materien dieses Element entweder blos in dem einen oder in dem andern Zustand, in manchen andern aber nur ein Theil desselben als O ein anderer als 0 vorhanden sei, gebe ich auch seit geraumer Zeit den Sauerstofiverbindungen Zusammensetzungsformeln, welche von den gewöhnlichen abweichen und wodurch ich die Zustände des chemisch gebundenen Sauerstoffes zu be- zeichnen suche. Wasser, Kali, Zinkoxid u. s. w. ist HO, KO, ZnO u. s. w.; die sämmtlichen Oxide der edeln Metalle, d. h. alle dieje- nigen, welche durch blosse Hitze völlig reducirt werden, 0 sind für mich R+nO; die Superoxide des Wasserstoffes, Stickstoffes, Bariums, Mangans, Bleies u. s. w. betrachte ich 0 0 0 0 0 als HO+0, NO2+20, Ba0+0, Mn0+0, PbO+O u. s. w, Durch diese Annahme geleitet, habe ich im Laufe der letz- ten sechs Jahre eine grosse Zahl von Versuchen in der 0 Absicht angestellt, aus einer Ohaltigen Verbindung ozoni- sirten Sauerstoff abzutrennen, ohne dass mir aber dies bis jetzt gelungen wäre. Der aus solchen Verbindungen abge- schiedene Sauerstoff verhielt sich immer als O, hatte also . nach meiner Ansicht während seiner Abscheidung eine Zu- . standsveränderung erlitten aus Gründen, von denen einer AR tee 2 À LL 247 wenigstens nahe genug liegt. Nach meinen eigenen und nach den Beobachtungen anderer Chemiker wird der freie ozonisirte Sauerstoff bei erhöhter Temperatur in gewöhn- lichen übergeführt. Nun gibt es meines Wissens keine oxidirte Materie, aus welcher sich in der Kälte Sauerstoff durch chemische Mittel abtrennen lässt; es muss zu diesem Behufe in der Regel die Wärme zu Hülfe gerufen werden, 9 also gerade das Agens, welches auch das freie O sogleich in © überführt. 0 Wollen wir z. B. aus dem Bleisuperoxid sein O ab- trennen, so müssen wir Wärme anwenden, ob wir es für sich allein oder mit Schwefelsäure behandeln; und ähnlich verhalten sich alle übrigen Ohaltigen Materien. Allerdings macht das Bariumsuperoxid dadurch eine Ausnahme von der Regel, dass manche Säuren schon bei gewöhnlicher Temperatur die Hälfte seines Sauerstoffes 0 austreiben; es vergesellschaftet sich aber dieses O mit Wasser zu H0+0 und dieses Ô wird wie wohl bekannt durch die Wärme sowohl als durch eine Anzahl von Ma- terien, wie Superoxide u. s. w. in O verwandelt, auf wel- cher Zustandsveränderung eben nach meinem Dafürhalten diese Zersetzung des Wasserstoffsuperoxides beruht. Herr Houzeau hat unlängst der Pariser Akademie eine Mittheilung gemacht, in welcher er über die verschiedenen Zustände des in chemischen Verbindungen enthaltenen Sauer- _stoffes Ansichten entwickelt, die den von mir schon längst ausgesprochenen vollständig gleichen und zur Unterstützung derselben führt der französische Chemiker die Thatsache an, dass Bariumsuperoxid mit dem ersten Hydrate der Schwefelsäure zusammengebracht einen Sauerstoff liefere, der alle Reactionen des ozonisirten Sauerstoffes zeige. Ich habe zwar diesen Versuch noch nicht wiederholt, halte aber 248 die Angabe des Herrn Houzeau nicht für unwahscheinlich, obwohl ich so ziemlich sicher bin, dass der auf die ange- gebene Weise aus dem Bariumsuperoxid erhaltene Sauer- stoff nur dem allerkleinsten Theile nach ozonisirt gewesen ist. Höchst wahrscheinlich enthält er nur Spuren des lez- teren und waren es diese, welche sich durch den Geruch und die Wirkung auf das Jodkaliumstärkepapier noch zu erkennen gaben. Die Angaben des französischen Chemikers veranlassten mich meine frühern Versuche über die metallischen Super- oxide, Chromsäure, Uebermangansäure u. s. w. wieder auf- zunehmen und ich erlaube mir unter Vorbehalt späterer Mittheilungen über diesen Gegenstand einstweilen ein Er- gebniss mitzutheilen, von dem ich glaube. dass es nicht ohne Interesse sei. ' Bekanntlich vermag nach meinen Erfahrungen der 0z0- nisirte Sauerstoff das Silber schon in der Kälte in Super- oxid zu verwandeln und ich stellte mir zu seiner Zeit auf diesem Wege gegen 20 Gramme besagter Verbindung dar, von der ich jedoch nur noch einen kleinen Rest besitze, da der grössere Theil an wissenschaftliche Freunde ver- schenkt wurde. Mit dieser winzigen Menge wurden die Resultate gewonnen, die im Nachstehenden mitgetheilt sind und wenn dieselben noch so lückenhaft erscheinen, so muss diess mit der Kleinheit des Materiales entschuldigt werden, mit dem ich sie erhalten. Später hoffe ich Vollständigeres mittheilen zu können. Wird Silbersuperoxid mit Hülfe der Wärme reducirt, so erhält man aus ihm gewöhnlichen Sauerstoff, solchen also, der geruchlos ist, das Jodkaliumstärkepapier unverändert lässt, die frische Guajaktinktur nicht bläut u. s. w., ganz anders aber das Ergebniss, wenn mittelst Schwefelsäure aus dem Superoxid die Hälfte seines Sauerstoffes abgetrie- ben wird. | 249 Beim Zusammenbringen des ersten Hydrates der Schwe- felsäure mit besagtem Superoxid findet schon in der Kälte eine eben so lebhafte Gasentwickelung statt als die ist, welche kräftige Säuren mit Carbonaten veranlassen; es bil- det sich unter diesen Umständen natürlich schwefelsaures Silberoxid und ist das entbundene Gas Sauerstoff, aber Sauerstoff, der sich theilweise im ozonisirten Zustand be- findet, wie dessen Geruch und chemische wie auch die vol- taschen Reactionen beweisen. ; 1. Physiologisches Verhalten. Was den Geruch betrifft, so ist er demjenigen des durch electrische Fun- ken, oder Phosphor ozonisirten Sauerstoffes ähnlich und erinnert an Chlor. Kleine Mengen davon eingeathmet verursachen eine Art von Engbrüstigkeit (Asthma) ganz so, wie dies auch die (durch Phosphor) ozonisirte Luft thut. | . +2. Volta’sches Verhalten. Platin — oder Gold- streifen nur kurze Zeit in diesen Sauerstoff gehalten wer- den negativ polarisirt, wie durch den mittelst electrischen Funken oder Phosphors ozonisirten Sauerstoff. 3. Chemisches Verhalten. Papierstreifen mitfrisch- bereiteter Guajaktinctur bereitet oder feuchtes Jodkalium- stärkepapier, färben sich in diesem Sauerstoff blau, wie in ozonisirter Luft, und wie in dieser von Indigolösung, Lak- mustinctur oder Schwefelbei durchdrungenes Papier sich bleicht, so auch in dem fraglichen Sauerstoffe. Bekannt- lich wird selbst das krystallisirte gelbe Blutlaugensalz durch ozonisirten Sauerstoff in das rothe verwandelt, ganz so verhält sich auch unser Sauerstoff gegen besagtes Salz. Diese Reactionen beweisen zur Genüge, dass der aus dem Silbersuperoxid mittelst Schwefelsäurehydrat entbun- dene Sauerstoff Eigenschaften hat, die der gewöhnliche nicht besitzt und welche alle dem durch Electricität oder -Phosphor modificirten Sauerstoff zukommen, man darf da- 250 her auch schliesen, dass jener Sauerstoff entweder ganz oder theilweise im ozonisirten Zustande existire. Würde ersteres der Fall sein, so müsste er durch eine Lösung z. B. von Jodkalium oder gelbem Blutlaugensalz geleitet gänz- lich verschluckt werden ähnlich dem Chlor, weil das Ka- lium dieser Salze, das 0 augenblicklich aufnimmt. So weit nun meine in so kleinem Massstab angestellten Versuche über diesen Punkt ein Urtheil gestatten, wird nur eine un- merkliche Menge des fraglichen Sauerstoffes von Jodkalium verschluckt und tritt derselbe als O aus der Salzlösung. . Aus dieser Thatsache scheint zu erhellen, dass das.aus dem Silbersuperoxid abgeschiedene Gas ein Gemeng von ozoni- sirtem und gewöhnlichem Sauerstoff ist, in welchem letz- terer so stark vorwaltet, dass durch die gänzliche Entfer- nung von 0 das Volumen von O nicht merklich vermindert wird. Es würden somit in dem fraglichen Gase nur Spu- ren von ozonisirtem Sauerstoff vorhanden sein, die aber hinreichen, um noch deutlich das Geruchsorgan zu affi- ciren und alle die volta'schen und chemischen Reactionen zu veranlassen, welche weiter oben mitgetheilt. worden sind. Aber selbst diese kleinen Spuren ozonisirten Sauer- stoffes, die man unter den erwähnten Umständen erhält, scheinen mir zu Gunsten der Ansicht zu sprechen, gemäss welcher der aus dem Superoxid entbundene Sauerstoff in dieser Verbindung im Ô Zustand existirte; denn wenn dies nicht der Fall wäre, so sieht man nicht ein, warum auch nur die kleinste Menge ozonisirten Sauerstoffes auftreten sollte, warum nicht sämmtlicher entbundene Sauerstoff O sei. Andererseits darf man aber auch fragen, warum denn 0 nicht aller erhaltene Sauerstoff als O sich verhalte, wenn er doch als solcher im Superoxid vorhanden gewesen sein 251 sollte. Auf diese Frage lässt sich folgendes antworten. Freies 0 wird leicht unter dem Einfluss der Wärme und auch gewisser Contactssubstanzen, namentlich der metalli- schen Superoxide in O übergeführt, und es zeichnet sich, wie oben angegeben worden, in dieser Hinsicht gerade das Silbersuperoxid ganz besonders aus. In unserem Versuche nun wirken nach meinem Dafürhalten die beiden bezeich- neten Ursachen zusammen, um das entbundene 0 dem grös- sern Theile nach zu desozonisiren. Da, wo ein Theilchen Schwefelsäure mit einem Theilchen Superoxides zusammen trifft, muss in Folge der eintretenden Bildung von Silber- sulfat Wärme entbunden werden;, diese Wärme verbreitet sich nun zwar rasch in die umgebende Flüssigkeit und wenn diese im Verhältniss zum Superoxid in grosser Menge vorhanden ist, so kann die Temperatur des Ganzen nicht merklich erhöhet werden Allein das an der Reactions- 0 stelle entbundene O erfährt den Einfluss dieser Wärme bervor sie sich weiter verbreitet hat, allerdings nur einen kurzen Moment aber doch lang genug, damit ein Theil 0 dieses O in O übergeführt werden kann. Trifft nun im Au- 0 genblick seiner Entbindung O mit noch unzersetzt geblie- benem Silbersuperoxid zusammen, so übt auch dieses wie die Wärme auf Ô einen desozonisirenden Einfluss aus; denn die ganze Masse des mit Schwefelsäure behandelten Super- oxides wird nicht in einem und demselben ungetheilten Au- genblick, sondern in, wenn auch schnell aufeinanderfolgen- den Zeittheilen zersetzt, so dass freies 0 nothwendig mit einigem Superoxid in Berührung gerathen muss. In der That haben mir meine Versuche, klein und we- nig zahlreich wie sie noch sind, doch schon gezeigt, dass man um so mehr ozonisirten Sauerstoff aus derselben Menge 252 Superoxides erhält, je feiner gepulvert dieses ist, je mehr man es durch das zu seiner Zersetzung angewendete Schwe- felsäurehydrat verbreitet und je niedriger die Temperatur ist, bei welcher die Zerlegung des Superoxides bewerkstelliget wird; will man daher aus einer gegebenen Menge von Ag0: möglichst viel ozonisirten Sauerstoff erhalten, so wende man das Superoxid in möglichst fein zertheiltem Zustande an und bringe es mit verhältnissmässig viel Schwefelsäure- hydrat zusammen. Ich würde es für einen nicht ganz kleinen wissen- schaftlichen Gewinn halten, wenn es einmal auf diese oder jene Weise gelänge reinen ozonisirten Sauerstoff darzu- stellen, ein Ziel, das ich ‚schon seit fünfzehn Jahren unab- lässig verfolge; denn so lange dies nicht der Fall ist, können sehr wichtige auf diesen sonderbaren Körper sich beziehende und auf der Hand liegende Fragen nicht be- antwortet werden. Das im Obigen mitgetheilte von mir erhaltene Ergeb- niss lässt hoffen, dass ein solches Ziel erreichbar sei, ver- hehlen darf man sich jedoch nicht, dass die Lösung der bezeichneten Aufgabe nicht leicht ist, eben der grossen Leichtigkeit wegen, mit der die Zustände des Sauerstoffes sich verändern, wie auch der Schwierigkeit halber die Ein- 0 flüsse zu beseitigen, unter welchen O in O übergeführt wird. Ueber ozonisirten Sauerstoff. Von Prof. C. F. Scaænsen. (Den 12. Sept. 1855.) Zu den oxidirten Materien, deren Sauerstoffgehalt ent- weder ganz oder nur theilweise im ozonisirten Zustand sich . 253 befindet, zähle ich die Oxide und Superoxide aller edeln Metalle, die Superoxide und einige Säuren der unedeln Me- talle und eine Anzahl von Oxidationstufen nicht metalli- scher Elementarstoffe, z. B. das Wasserstoffsuperoxid, die verschiedenen Säuren des Stickstoffes, Chlores, Bromes und Jodes, oder ganz allgemein ausgedrückt alle diejenigen Sub- stanzen, welche unter dem Einfluss der Wärme Sauerstoff aus sich entwickeln lassen; denn wie früher schon ange- geben, betrachte ich die durch Wärme bewerkstelligte Umänderung des in den fraglichen Verbindungen enthaltenen Ô in O als die nächste Ursache der Zersetzung besagter sauerstoffhaltiger Verbindungen. Bisher hat man geglaubt, aller hiebei erhaltene Sauer- stoff befinde sich in dem gewöhnlichen Zustande; meine neuesten Untersuchungen haben aber gezeigt, dass dem- selben, wenn auch nur sehr kleine, doch aber noch nach- weisbare Mengen ozonisirten Sauerstoffs beigemengt sind, wie aus nachstehenden Angaben zur Genüge erhellen wird. Und ich will gleich hier der allgemeinen Thatsache erwäh- nen, dass die Menge des unter diesen Umständen auftre- tenden ozonisirten Sauerstoffes um so geringer ausfällt, je höher die Temperatur ist, welche die oxidirte Materie zur Sauerstoffentwickelung erfordert. Die Oxide des Goldes, Platins und Silbers liefern desselben daher mehr, als die des Quecksilbers, letzere mehr als die des Mangans u. S. w. Ehe ich die Ergebnisse meiner Versuche näher angebe, will ich in Erinnerung bringen, dass gewöhnlicher Sauer- stoff die Guajaktinctur und das feuchte Jodkaliumstärke- papier durchaus unverändert lässt, der ozonisirte Sauerstoff dagegen sofort bläut. Da die genannten Reagentien unter allen mir bekannten Substanzen bei weitem die grösste Em- 4 0 pfindlichkeit gegen O zeigen, so eignen sie sich nicht nur am besten die Anwesenheit kleiner Mengen desselben in 254 gewöhnlichen Sauerstoffgas nachzuweisen, sondern sie sind wohl auch die einzigen chemischen Mittel, wodurch die Spuren des ozonisirten Sauerstoffes, welche der durch Er- hitzung oxidirter Materien gewonnene Sauerstoff enthält, überhaupt nachgewiesen werden können. Nach meinen Beobachtungen übertrifft die frischberei- tete Guajaktinctur an Empfindlichkeit noch das feuchte Jod- kaliumstärkepapier und desshalb habe ich mich auch ihrer bei den unten erwähnten Versuchen vorzugsweise bedient. Für diejenigen, welche dieselben wiederholen wollen, be- merke ich, dass die gebrauchte Tinctur auf 100 Theile Weingeistes einen Theil möglichst unveränderten, d.h. braun- gelben durchsichtigen Harzes enthielt, immer frisch bereitet wurde und ich meine Prüfungen in folgender Weise an- stellte. Es wurde in ein etwa 5—6 Zoll langes und einen halben Zoll weites Probeglas erst eine kleine Menge. der Substanz gebracht, aus welcher mittelst Erhitzung Sauer- stoff entbunden werden sollte, dann in das Gefäss ein ge- hörig langer mit frischer Guajaktinctur (am eingeschobenen Ende) getränkter Streifen weissen Filtrirpapieres einge- geführt, oder an dessen Stelle ein befeuchteter Streifen Jodkaliumstärkepapieres und hierauf die sauerstoffliefernde Substanz über der Weingeistlampe erhitzt, wobei man na- türlich darauf achtete, dass die Reagenspapiere nicht bis zu den erhitzten Stellen des Probeglases reichten. Sobald die Zersetzung der oxidirten Materie beginnt, fängt auch das Guajakpapier an sich zu bläuen und zwar um so ra- scher und tiefer, je niedriger die Temperatur, bei welcher sich aus der behandelten Substanz Sauerstoffgas entbindet. Bis jetzt ist mir noch keine in der Hitze Sauerstoff abgebende Materie vorgekommen, welche bei ihrer Zerse- tzung nicht die erwähnte Reaction auf das Guajakpapier hervorgebracht hätte und ich habe, wo nicht alle doch die allermeisten Substanzen dieser Art geprüft; ich stehe daher \ 255 auch nicht an anzunehmen, dass sie alle ohne Ausnahme bei ihrer Zersetzung neben gewöhnlichem Sauerstoff O frei werden lassen, mehr oder weniger, je nach der zur Zer- legung einer solchen Verbindung erforderlichen Tempera- tur, aber wie gesagt, selbst im günstigsten Falle nur einen beinahe verschwindend kleinen Bruchtheil des gleichzeitig entbundenen gewöhnlichen Sauerstofles. Da zum Behuf der Darstellung der erwähnten oxidir- ten Verbindungen bisweilen Salpetersäure angewendet zu werden pflegt, wie z. B. bei der Bereitung des Bleisuper- oxides aus Mennige, des Quecksilber- und Silberoxides aus den Nitraten dieser Metalle und somit möglicher Weise in be- sagtem Superoxid u. s. w. noch Spuren eines Nitrates ent- halten sein könnten, dieses aber bei der Erhitzung NO! er- zeugen würde, welches das Guajakpapier ebenfalls zu bläuen vermag, so habe ich, um mich vor Täuschung sicher zu stellen, mir zu meinen Versuchen das Bleisuperoxid aus der Mennige mittelst Essigsäure, das Quecksilberoxid aus Su- blimat, das Silberoxid aus Silbersulfat u. s w. dargestellt. So bereitete Sauerstoffverbindungen konnten bei ihrer Er- hitzung keine Untersalpetersäure liefern und doch bläute der aus ihnen entbundene Sauerstoff das Guajakpapier. Kaum brauche ich zu sagen, dass der aus erhitzten Chloraten, Bromaten und Jodaten entwickelte Sauerstoff die gleiche Reaction hervorbrachte; da nun hiebei nach Angabe meh- rerer Chemiker sich auch Spuren von Chlor, Brom und Jod entbinden und diese Körper auf das gelöste Harz ge- rade so wie der ozonisirte Sauerstoff wirken, so würde man die in dem eben erwähnten Fall eintretende Bläuung theilweise wenigstens auf Rechnung des Chlores u. s. w. zu setzen haben. Was die Wirkung des aus oxidirten Materien durch die Hitze entbundenen Sauerstoffes auf das befeuchtete Jod- 256 kaliumstärkepapier betrifft, so zeigt dieselbe der aus den Oxiden der edlen Metalle gewonnene Sauerstoff in sehr merklicher Weise; der aus Silbersuperoxid (mittelst Sil- bers und ozonisirten Sauerstoffes direct dargestellt) oder gewöhnlichem Silberoxid abgetriebene Sauerstoff bläut das Reagenspapier in wenigen Secunden stark blau, während der aus Mangansuperoxid erhaltene nur sehr schwach wirkt. Dass bei der Erhitzung Ohaltiger Substanzen ein Theil des ausgeschiedenen Sauerstoffes der desozonisirenden Wir- kung der Wärme entgeht, ist eine auffallende Thatsache, die ich nicht zu erklären vermag. Ze nl rn in PHYSIR. Ueber die Fortpflanzung der Wärme in den Metallen. Von Prof. G. WIEDEMANN. (Vorgetragen den 30. Mai 1855.) 1. Leitungsfähigkeit des Zinks. 2. Uebergang der Wärme von einem Metall zum andern. Durch eine von mir in Gemeinschaft mit Herrn Dr. Franz angestellte Untersuchung wurde das Resultat gewonnen, dass die Werthe der relativen Leitungsfähigkeiten verschiede- ner Metalle für Wärme und Electricität einander sehr nahe stehen. . Es sei mir gestattet, den im Bericht über jene Unter- suchung erwähnten Zahlenwerthen noch die Bestimmung der Wärmeleitungsfähigkeit des Zinkes hinzuzufügen, welche ich neuerdings mit demselben Apparat unternommen habe, welcher auch schon zu den früheren Versuchen diente. *) Poggendorffs Annalen, Band LXXXIX, pag. 497. 17 258 Es wurde ein Zinkdrath von 4"", 4 Dicke verwendet; seine Oberfläche war sorgfältig gereinigt, aber nicht ver- silbert. Der Drath wurde im lufterfüllten Raum unter- sucht. — Die Temperaturen desselben an Punkten, welche von der wärmsten Stelle (dem Nullpunkt) bis zu dem käl- testen Theil des Draths in Abständen von je 2 Zoll auf- einander folgten, ergaben sich in Angaben des Spiegelgalva- nometers, welches im Bericht über die erwähnte Untersuchung beschrieben ist, wie folgt: I. IL. IH. x fr CARE u 0 | 205 160,5 129,5 2| 1155 | 2361| 90, | 2355| 75, 2,319 a | 67,7 | 2301| 515| 2340| 4425| 2,317 6| 4025| 23031 305) 2311| 27,6 8 | 25 19 | 2,290! — 10 en 13 2,322 2,324 2,318 In dieser Tabelle sind unter x die Abstände der ein- zelnen Punkte der Stange, an denen die Temperaturen be- obachtet wurden, vom Nullpunkt an, unter t die entspre- ‘chenden Ausschläge des Spiegels am Galvanometer bei Anlegen des die Temperaturen messenden Thermoelements an jene Punkte der Stange, unter q die Quotienten verzeichnet, welche man erhält, wenn man mit der neben dem entspre- chenden q stehenden Temperatur t in der Summe der da- rüber und darunterstehenden Temperatur dividirt. Setzt man die bei jeder Reihe beobachtete höchste Temperatur gleich 100, so regelen sich die übrigen Tem- peraturen folgendermassen: I. IL. IH. x t t t | Mittel. 0 | 100 | 100 | 100 | 100 2 | 563| 56,7| 579| 57 259 À | IL. | IT. t t t | Mittel FSU St) 362) 334 6 | 196| 19,0| 21,3| 20 8.1.4123) 118) — 12 a — au 7,2 Aus dem mittleren Werth der Quotienten 4—2,321 be- rechnet sich die relative Leitungsfähigkeit der Zinkstange zu 20,3 wenn die Leitungsfähigkeit einer gleich dicken Silberstange gleich 100 gesetzt wird. Reducirt man die in der ersten Tabelle verzeichneten Anschläge des Spiegels am Galvano- meter auf wirkliche Temperaturüberschüsse der einzelnen Punkte der Stange über die umgebende Luft, so ergiebt sich die relative Leitungsfähigkeit des Zinks gegen die des Silbers = 100 zu 19,0. Die Leitungsfähigkeit des Zinks zur Electricität ist von Becquerel (Silber = 100) zu 2% gefunden. Es nimmt dem- nach auch das Zink in der Reihe der Metalle sowohl in Bezug auf seine Leitungsfähigkeit zur Wärme wie zur Elec- tricität nahezu dieselbe Stelle ein. Eine Frage, welche sich der Betrachtung der relativen Leitungsfähigkeit der verschiedenen Metalle zur Wärme unmittelbar anschliesst, ist die, welche Vorgänge beim Ueber- gang der Wärme von einem Metall in ein anderes statt haben. Ausser den alten Versuchen von Fourier*) mit Hülfe des Contactthermometers, welche indess durchaus keine sichern Schlüsse zulassen, ist diese Frage schon früher von Herrn Despretz,**) neuerdings von Herrn Angström***) in _ der Kürze behandelt. *) Poggendorffs Annalen, Band XIII, p. 327. **) Poggendorffs Annalen, Band XLVI, p. 484. ***) Poggendorffs Annalen, Band LXXXVIII, p. 165. 17* / 260 Herr Despretz presste einen Kupfer- und einen Zinn- stab mit ihren Querschnitten aneinander, und erwärmte so- dann das Ende des auf diese Weise mit dem Zinnstab com- binirten Kupferstabes. Aus den an verschiedenen Stellen der Stäbe durch eingesenkte Thermometer beobachteten Tem- peraturen berechnete Herr Despretz die Temperaturen der Stäbe an ihrer Berührungsstelle, und fand den Kupferstab dort um 19,47 c wärmer, als den Zinnstab. Wurde zwi- schen die Stäbe ein Blatt Papier gepresst, so stieg die Dif- ferenz auf 5°%,5 c. Hieraus schliesst Herr Despretz, dass die Wärme bei ihrem Uebergang aus einem Metall in ein anderes einen Widerstand erleide. Leider sind ausser den erwähnten Zahlen in der Abhandlung des Herrn Despretz gar keine weiteren Zahlenwerthe angegeben, welche über den ganzen Gang der Versuche eine Uebersicht gestatteten. | Auch Herr Angström hat nur einen vereinzelten Ver- such angestellt. Er erhitzte einen aus Blei-Kupfer-Zinn - zusammengesetzten Stab an dem einen oder andern Ende und beobachtete seine Temperaturen an verschiedenen Stel- « len durch eingesenkte Thermometer. Bestimmte Herr Ang- * ström das Verhältniss der Temperaturen zweier Stellen des Stabes, welche zu beiden Seiten eines Berührungspunktes « der in ihm vereinten Metallstäbe liegen, so war dasselbe grösser, wenn die Wärme vom schlechteren zum besseren Leiter ging, als umgekehrt. — Jedenfalls ist diese letztere Art des Versuches viel zu verwickelt, um wirklich daraus über die verschiedene Leichtigkeit des Ueberganges der Wärme in der einen oder anderen Richtung directe Schlüsse ziehen zu können. Dadurch, dass die Stäbe verhältniss- mässig kurz sind, und daher die in äquidistanten Punkten beobachteten Temperaturen in keinem Stab sich einer geo- metrischen Reihe anschliessen ist auch die mathematische Betrachtung des Gegenstandes nicht ganz einfach. 261 Auch die Versuche des Herrn Gore gaben über das Fortschreiten der Wärme von einem Metall zum anderen keine sicheren Resultate. Der Verfasser bemühte sich durch die folgenden Ver- suche den in Frage gestellten Punkt zu erledigen, und zu erforschen, ob wirklich die Wärme beim Uebergang einen Widerstand erleide. Zuerst wurde hiezu derselbe Apparat benutzt, welcher zur Bestimmung der relativen Wärmeleitungsfähigkeit der Metalle construirt worden war. Je zwei Metallstangen von 5mm Dicke, deren Leitungsfähigkeit früher bestimmt war, wurden halb durchgeschnitten, mit ihren Querschnitten ge- nau auf einander gepasst, fest aneinander gepresst, und durch eine äusserst dünne Schicht Loth sorgfältig mit ei- nander verbunden, die so combinirten Stangen wurden in den Apparat eingelegt und erwärmt. Die Versuche wur- den im lufterfüllten Raum angestellt und die Temperaturen der Stangen durch Anlegen eines Thermoelementes, genau wie bei den früheren Beobachtungen in Abständen von je 2” abgelesen, wobei stets vom kälteren zum wärmeren Theil der Stangen vorgeschritten wurde. In einer zweiten Be- obachtungsreihe wurden nach einiger Zeit noch die Tem- peraturen der Stangen bestimmt, welche in der Mitte der zuerst auf ihre Temperatur untersuchten Punkte lagen. Durch wiederholte Beobachtungen erhielt man so die Temperatur der einzelnen Stangen von Zoll zu Zoll. Von den mannigfachen in dieser Weise ausgeführten Bestimmungen genüge es einige Wenige auszulesen. — In der folgenden Tabelle sind unter x die Abstände der ein- zelnen Punkte der Stangen von der Löthstelle als Nullpunkt, “unter t die entsprechenden Temperaturen in Graden des Spiegelgalvanometers aufgeführt. Dabei sind die Punkte “der wärmeren, in der Ueberschrift zuerst genannten Stange mit +, die der kälteren mit — bezeichnet. Kupfer- | Kupfer- | Silber- | Kupfer- | Messing- Neusilber.| Eisen. Eisen. | Kupfer. | Silber. x t t t t t +4 | 130,75 | 155 154,5 | 146 — +3 | 117 140,5 | 140,75 | 124 138 +2 | 108,5 | 129 131,5 | 110,7 | 102 +1 | 103 118,2 | 124,75 | 97 71,1 0 87,5 —1. 1. 52,75 |. 715| 78,05 | 775-124 —2 31,75 | 52,5 95,6 67 39 + 72e Li 37,9 40,5 59,5 31 — 27,5 | 28,8 49,2 27,1 —) u & 5 20 20 — 23,8 —6 A 15 15,1 — = less a 10,75 = — An der Lôthstelle selbst ändert sich bei geringer Ver- schiebung des Thermoelementes (mit Ausnahme der zwei | zuletzt genannten Stangen) der Ausschlag am Galvanometer | sehr bedeutend. | ù . | Bei allen Reihen schliessen sich die Temperaturen der « kälteren Stangen mehr einer geometrischen Reihe an, die Stangen können also als unendlich lang betrachtet werden. Wenn die Wärme aus einer Metallstange in eine zweite gleich dicke unendlich lange Stange überströmt, so müssen | an der Berührungsstelle beide Stangen einen Temperatur- : Unterschied zeigen, falls die Wärme einen Uebergangswi- derstand erleidet.*) *) Man vergleiche Poisson, théorie mathématique de la chaleur. Bezeich- nen y u. y, die Temperaturen der wärmeren und kälteren Stange an ihrer Berührungsstelle, und ist r eine für verschiedene Metalle verschiedene Constante des Uebergangswiderstandes, so strömt in der Zeiteinheit durch die Berührungsstelle die Wärmemenge 1» v= en (v-yı) 263 Berechnet man die Temperatur y; der kälteren Stange an der Löthstelle, indem man den unter —1 verzeichneten Werth t mit dem mittleren Quotienten der geometrischen Reihe multiplieirt, welche die Temperaturen der kälteren Stange bilden, setzt denselben gleich 100 und bestimmt danach die übrigen Temperaturen der Stange, so kann man durch möglichst genaue Zeichnung der der wärmeren Stange entsprechende Wärmecurve den zu dem Werth yı=100 gehörigen Werth y der Temperatur der wärmeren Stange an der Löthstelle finden. Dann ergibt sich als Mittel der vorliegenden und an- deren Versuchsreihen, ME y- Silber-Eisen 100 441,5 Kupfer-Neusilber 100 115,5 Kupfer-Eisen 100 107,5 Kupfer-Kupfer 100 100 Messing-Silber 100 99 | Hiernach war nur beim Uebergang der Wärme aus ei- nem besser in ein schlechter leitendes Metall eine Tempe- raturdifferenz vorhanden und ein Uebergangswiderstand be- merkbar. Es zeigte sich ein solcher aber nicht beim Uebergang der Wärme vom schlechten zum besserleiten- den Metall, ebenso wenig, wie beim Uebergang zwischen zwei Metallstangen aus gleichem Material, welche beide nur durch eine dünne Löthschicht von einander getrennt waren. Diese Widersprüche in den Resultaten liessen einen Mangel in der Beobachtungsmethode vermuthen. Ist die Differenz der Temperaturen y—y, — 0, oder 2 = Yın so muss, wenn überhaupt Wärme durch die Berührungsstelle hindurchgehen soll, auch r—:d sein. In diesem Fall ist also kein Uebergangswiderstand vorhanden. 264 Wird das Thermoelement an gleich warmen Punkten zweier verschieden gut leitenden erwärmten Stangen gelegt, so theilt sich zunächst die Wärme des berührten Punktes dem Thermoelement mit. Abgesehen von der Differenz, welche hiebei die Verschiedenheit der specifischen Wärmen beider Stangen hervorruft, wird ausserdem dem durch das Anlegen des Elementes erkälteten Berührungspunkt in der besser leitenden Stange von allen Seiten schneller und mehr Wärme zuströmen, wie in der schlechter leitenden. Die erstere Stange wird daher verhältnissmässig wärmer er- scheinen. Dieser Fehler kann die in der obigen Tabelle verzeichneten Temperaturdifferenzen an der Löthstelle be- dingen, welche auch um so mehr hervortreten, je grösser der Unterschied der Leitungsfähigkeiten der an einander gelötheten Stangen ist. Sie zeigen sich um so mehr, je heisser die Löthstelle überhaupt wird, wesshalb sie beim Uebergang der Wärme aus den schlechter in die besser leitenden Stangen, wo eigentlich die letzteren an der Löth- stelle wärmer erscheinen müssten, als die ersteren, kaum hervortreten. Auf die Bestimmung der relativen Leitungsfähigkeiten der Stange selbst, und auf die früher hiezu angestellten Beobachtungen kann indess der Fehler keinen störenden Einfluss ausüben, da bei der Voraussetzung, dass die Lei- tungsfähigkeiten der Stangen in den verschiedenen Tempera- turen nicht variiren, stets die beim Anlegen des Thermoele- mentes erzeugte Aenderung der Temperaturen der einzelnen Punkte derselben Stange proportional jenen Temperaturen selbst sein muss. Daher bleibt das bei der Berechnung der relativen Leitungsfähigkeiten allein maassgebende relative Verhältniss der an den verschiedenen Stellen der Stangen beobachteten Temperaturen ungeändert. Um in Betreff des Uebergangs der Wärme zuverlässi- gere Resultate zu erhalten, war es nöthig, den Wärmever- 265 lust der Stangen beim Anlegen des Thermoelementes mög- lichst klein zu machen. Es wurde deshalb die folgende Anordnung der Versuche gewählt. Aus verschiedenen Metallen wurden 13""92 dicke und 157m Jange runde Stäbe gedreht und diese auf einer Seite genau ebengeschliffen. Ebenso wurde ein gleichfalls 13"m,2 dicker, aber 666" langer Eisenstab und ein eben solcher Kupferstab, auch ein gleich dieker 265"m langer Wismuth- stab am einen Ende plan geschliffen. — Die ersten kürzeren Stäbe wurden mit einem der drei letztgenannten Stäbe mit ihren ebnen Flächen in einem Holzgestell frei schwebend vermittelst einer Schraube stark an einander gepresst. Je 2um1 von der Berührungsstelle und von da ab in Abstän- den von je 21"m,%4 waren Löcher von 0"m,9 Weite und sum Tiefe gebohrt. Diese Löcher wurden mit Oel gefüllt. Auf das Ende der kürzeren Stäbe war eine Hülse von Blech geschoben, durch welche längere Zeit Dämpfe von kochen- dem Wasser geleitet wurden. Ein Schirm schützte den übrigen Apparat vor den Strahlen der Wärme. Ausserdem war der Apparat in einen von Wasser umgebenen Blech- kasten gesetzt, so dass auch von den Seiten während des Versuchs die Wärmeabgabe möglichst gleichförmig werde. Nachdem durch zwei- bis dreistündiges Erwärmen in den eombinirten Stangen constante Wärmevertheilung eingetre- ten, wurden die Temperaturen derselben durch Einsenken eines Thermoelementes in die einzelnen Löcher derselben bestimmt. Das Thermoelement war nadelförmig und bestand aus zwei neben einander liegenden 0"”,3 dicken Dräthen von Eisen oder Neusilber, die nur an einer sehr kleinen Strecke an dem in die Löcher eintauchenden Ende mit einan- der verlöthet waren. An den hinteren Enden der Dräthe des Thermoelementes waren Kupferdräthe angelöthet, welche zu den Windungen des in einer früheren Abhandlung (Pog- gendorfs Annalen LXXXIX, pag. 504) beschriebenen Spie- 266 gei-Galvanometers führten. Das ganze Thermoelement bis auf die in die Löcher der Stangen tauchende Spitze war in eine Glasröhre eingeschlossen, welche überdies, um die hinteren Enden des Elementes auf gleichmässiger Tempera- tur zu erhalten, in ein Glasgefäss voll Wasser eingekit- tet war. Im Folgenden sind einige der mit diesem Apparat er- haltenen Resultate verzeichnet. Unter x sind dabei die einzelnen Löcher der Stangen, von dem der Löthstelle zu- nächst liegenden gezählt, angegeben. Die den wärmeren in der Ueberschrift zuerst genannten Stangen entsprechen- den Löcher sind mit +, die der kälteren mit — bezeichnet. Unter t stehen die correspondirenden Temperaturen. Jede Reihe enthält die Mittel mehrerer auf einander folgender Beobachtungen. Kupfer- | Zink- | Kupfer-Eisen | Zinn - Eisen. Eisen- | Eisen- Wismuth. |Wismuth. | I Il I I Eisen. | Kupfer. x N ODA a a ee +4 .| 368,7 | 274,7 | 246,5| 255,5, 184,5, 196, 6 193 | 185 +3 | 261,2 | 252,5 | 235,7| 243,7 ne ‚» 161 | 158 >= +2 | 256 236, 7 | 226 | 234 0 | 133,6 132 | 111,3 +1 | 252 226,7 | 218 | 226 a +1 | 252 | 226,7 | 218 |226 |107 |110 | 110 108 81,5 —1 | 236 | 212 |214,5| 221. | 102,5| 105 | 103,2] 78,7 —2 | 120 |108 |178 |181,2| 845) 86,81 85 | 747 23 | 5872| 5275| 149,51 153 | 72 | 3,8]. 70,2) 24 —4 32,2 | 33,5 | 126 | 130 61 63,5! 59 67,5 —5 — 21,2 | 106 — 51,2| 53,1| — — Berechnet man aus diesen Zahlenangaben die Tempera- turen y und y; der Stangen an der Berührungsstelle, so - erhält man: | y a u Kupfer-Wismuth 252 252 0 Zink-Wismuth 226 226 0 267 3 Yi À aan à Kupfer-Eisen I 23177 217,5 0,2 : II 225,5 225 0,5 Zinn-Eisen 5.4.105 104,5.:-..0,5 ir IL 108 107,1 0,9 Eisen-Eisen 20555 7105; 17704 Eisen-Kupfer Aa. N'a OU Die Differenz der Temperaturen der an einander geleg- ten Stangen an der Berührungsstelle ist also sehr gering; sie ist bei zwei Stangen von verschiedenem Metall, mögen sie nun die Wärme in der Richtung von besser leitenden zum schlechter leitenden Medium oder umgekehrt fortfüh- ren, nicht grösser als bei Anwendung von zwei Stangen aus demselben Metall (Eisen-Eisen). Demnach ist ein Uebergangswiderstand, welchen die Wärme an den Berührungsstellen erfährt, innerhalb der Gren- zen der vorliegenden Beobachtungen nicht nachzuweisen.*) - Berühren sich die an einander gelegten Stangen nicht vollständig, so tritt dann an der Berührungsstelle ein stär- kerer Temperaturabfall ein. Dasselbe geschieht, wenn die Stangen durch eine dünne Schicht eines schlechten Leiters von einander getrennt sind. Versuche, die in dieser Weise angestellt wurden, er- gaben die folgenden Beobachtungsreihen: -*) Zu einer genauen Berechnung der relativen Leitungsfähigkeiten der ver- schiedenen Metalle würden die vorliegenden Zahlen nicht gut geeignet sein, da die Quotienten q der Summe der Temperaturen zweier Punkte, dividirt durch die Temperatur des mittleren Punktes, zu wenig von 2 abweichen, daher ein sehr geringer Beobachtungsfehler schon bedeutende Aenderungen der berechneten Resultate hervorruft. 268 I u II IV. Zink-Eisen |Eisen + Kupfer Kupfer - Eisen | Zink-Wismuth nicht gut an nicht gut an |durch ein dünnes |durch ein dünnes einander einander Blatt Papier Blatt Papier geschliffen. geschliffen. getrennt. getrennt, x t t 4 t +4 174,5 155,9 262 267 +3 153,5 125 253,7 245 | +2 133,7 97 246 230 | +1 125 71,7 239 220 | | 120 | 655 189,2 197 Tr —2 BT) abs 157,2 100 | —3 84,7 58 132,5 52 — a tea Jon,d 113 29 à —5 64 | — 95,2 18 Bei Berechnung der den Berührungssteilen entsprechen- den Temperaturen y und y, der wärmeren und kälteren Stange ergibt sich: Ÿ Yı SIT Zink-Eisen (nicht gut an einand. geschl.) 123,5 122,2 1,3 Eisen-Kupfer m Pr n 68,4 66,1 93 Kupfer-Eisen (durch Papier getrennt) 238,5 192,5 46 Zink-Wismuth y é ” 2497244 8 Aus diesen Differenzen ist indessen nicht ein Ueber- gangswiderstand der Wärme zu folgern.. Wenn an der Berührungsstelle die Leitungsfähigkeit der vereinten Stangen wie in den vorliegenden Versuchen durch mangelhafte Be- rührung oder Einschaltung von Papier sehr stark vermin- dert wird, so tritt schon dadurch ein sehr starker Abfall der Temperatur an jenen Stellen hervor, durch welche leicht die Differenz der Temperaturen der zwei Stangen an der Berührungsstelle erklärt werden kann. _ ! 269 Ueber den Gang der Lichtstrahlen im Auge. Von Fr. BurckHARDT. (Vorgetragen den 24. Januar 1855.) Das genaue Studium des Auges bietet ganz besondere Schwierigkeiten, und doch ist es gerade dieses Organ, durch welches die mannigfaltigsten und wichtigsten Be- ziehungen unseres inneren Wesens zur Aussenwelt vermit- telt werden, mithin ist die genaue Kenntniss desselben von besonderem Interesse. Meine schwachen Kräfte und die mir nur sehr karg zugemessene Zeit erlauben mir leider nur sehr wenig zu dieser Kenntniss beizutragen. Mögen Sie daher der kurzen Untersuchung, über welche Sie mir heute zu berichten gestatten, die den Umständen entspre- chende Nachsicht angedeihen lassen. Das Interesse, das Sie meinen bescheidenen frühern Versuchen haben zu Theil werden lassen, ermuthigt mich, Ihre Güte noch einmal in Anspruch zu nehmen. Der Gang der Lichtstrahlen im Auge ist abhängig von der Natur der Oberflächen und der Mittel, durch welche die Strahlen gehen müssen. Sie müssen für ein normales Auge so beschaffen sein, dass die auf dem empfindenden Theile der Netzhaut sich abspiegelnden Bilder, deutlich und scharf begrenzt sind; und da die Gegenstände, welche ge- sehen werden sollen, sich in verschiedenen Entfernungen vom Auge befinden, so ist irgend eine Vorrichtung nöthig, welche Strahlen, die aus grösserer oder geringerer Ferne in das Auge gelangen, auf der Netzhaut wieder vereinigt. Diese Anpassungsvorrichtung ist natürlich mit der Brech- kraft der Medien und mit ihrer Gestaltung in dem engsten Zusammenhange. Die Brechkraft der Medien ist aber nicht wie bei ho- mogenen Substanzen, z. B. dem Wasser, in allen Theilen 270 der Masse gleich. So bricht der Kern der Linse stärker, als der Rand derselben, und auch der Glaskörper möchte nicht in allen seinen Theilen gleich stark brechen. Sollte man für irgend ein Auge den Gang der Lichtstrahlen ganz genau verzeichnen, so müssten alle Brechungsindices ganz genau bekannt sein. Wir kennen dieselben ungefähr für verschiedene Theile des Auges, wir kennen im Mittel aus vielen Messungen die Brechkraft so weit, dass man sich an einem idealen Auge, wie ein solches angegeben worden, den Gang der Strahlen einigermassen vergegenwärtigen kann. Sie ist für die einzelnen Medien nicht sehr ver- schieden und wechselt, wie die mit aller möglichen Sorg- falt angestellten Beobachtungen zur Genüge zeigen, von Auge zu Auge, indem die Verschiedenheiten, welche sich ergeben, die Grenzen der Beobachtungsfehler überschreiten. Ein zweites Moment, offenbar von grösserer Wichtig- keit, als die verschiedene Brechkraft der Medien, ist die Form der Oberflächen, an welchen die Lichtstrahlen ge- brochen werden. Die geringsten Veränderungen einzelner Krümmungen bringen grosse Veränderungen im Gange der Lichtstrahlen hervor. Hier üben aber nicht die Verände- rungen aller Oberflächen die gleiche Wirkung aus, die Gestalt der Linsenflächen nicht die gleiche, wie die der Corneafläche. Denn da die Strahlen, welche aus der Luft in das Auge treten, von einem sehr schwach brechenden Medium in ein relativ stark brechendes, die Cornea gehen, so werden sie von ihrer Richtung mehr abgelenkt, als wenn sie aus der stark brechenden wässrigen Flüssigkeit in die etwas stärker brechende Linse gelangen. Geringe Form- verschiedenheiten der Cornea bringen also eine Wirkung hervor, welche nur durch relativ bedeutende Veränderungen der Linsenoberfläche zu Stande kommen könnten. Im Gan- zen aber ist der Gang der Lichtstrahlen abhängig von der Krümmung jeder einzelnen von den vielen Oberflächen. Es 271 ist also nöthig, die Krümmungshälbmesser genau zu kennen. Wir sind aber hier nicht besser bestellt, als in der Kennt- niss der verschiedenen Brechungsindices. Wohl sind durch scharfe und scharfsinnige Methoden viele Krümmungshalb- messer bestimmt worden; der Untersuchung stehen aber bedeutende Schwierigkeiten entgegen. Es ist zu bezweifeln, dass man genaue Resultate am todten Auge wird erlangen können. Denn da das Auge im lebenden Zustande einem fortwährenden Drucke ausgesetzt ist, so muss wohl die Gestalt der Oberflächen mit dem Tode sich modificiren. Aber die meisten Messungen, welche wir besitzen, sind nicht einmal am ganzen, sondern am durchschnittenen Auge gemacht worden, und somit nur mit Vorsicht zu gebrau- chen. Die Verschiedenheiten, welche sich aus der Messung der einzelnen Augen ergeben, sind verhältnissmässig so bedeutend, dass es nicht erlaubt ist, die Dimensionen eines auch noch so genau gemessenen Auges auf ein anderes zu übertragen; selbst die beiden Augen eines Paares zei- gen oft nicht unbeträchtliche Verschiedenheiten. Allein wir sind mit der Mannigfaltigkeit der Schwie- rigkeiten noch nicht zu Ende Vielleicht hat keine einzige Oberfläche nur Einen Krümmungshalbmesser, vielleicht ist keine einzige Oberfläche in verschiedenen sonst normalen Augen nach demselben Gesetze gekrümmt. An dieser Klippe scheitert die Untersuchung am leichtesten. Ich führe als Beispiel die Beschreibung der Cornea an, wie sie von einem bedeutenden Ophthalmologen, gestützt auf die sichersten Resultate, gegeben wird, nicht gerade als Muster klarer Ausdrucksweise, sondern als Beweis, wie viel zur genauen Kenntniss dieses so wichtigen Theiles noch fehlt: „Die beiden Oberflächen der Cornea gehören Rotations- körpern an; es sind die bezüglichen Curven noch nicht hinlänglich bekannt, nur so viel weiss man, dass die Vor- derfläche das Scheitelsegment eines durch Umdrehung um 272 die kürzere Axe entstandenen Rotationsellipsoides, die Hin- terfläche das Scheitelsegment eines Revolutionsparaboloides vorstelle. Die Mittelpunkte beider Krümmungen fallen über einander, doch nicht über das mathematische Centrum eines durch den Ursprung der Cornea gelegten Kreises; ihre Lage weicht nach unten und innen um einige Grade ab. Nur die rings um dieses Centrum gelegenen Theile der Corneaflächen sind regelmässig gekrümmt, die Curve wird eine um so unregelmässigere, je mehr die bezüglichen Abscissen 1“ überschreiten; überdies variiren die bestimmten Abscissen zugehörigen Ordinaten noch sehr bedeutend nach den In- dividuen, ohne dass sich für diese Verschiedenheit bisher ein bestimmtes Gesetz aufstellen liess; die Axe des Corneal- ellipsoides und der Parameter des Centraltheils der hinteren Fläche sind individuell verschieden.” Da diese Beschreibung auf noch nicht publicirten, münd- lichen Mittheilungen beruht, so ist ès nicht möglich, Zweifel dagegen geltend zu machen. . Während sich die Krümmungshalbmesser Einer Ober- fläche in bestimmtem Sinne verändern, verändern sich die einer andern gerade in entgegengesetztem, und da hiedurch die Ablenkung, welche durch Eine Oberfläche hervorge- bracht, durch eine andere wieder aufgehoben wird, so ist hierin die Möglichkeit einer Compensation aller Unregel- mässigkeiten gegeben. Allein die vollständige Compensation darf nur als Ausnahmsfall (vielleicht als nicht vorkommend) betrachtet werden. Sicher scheint mir daher blos, dass das ganze höchst zusammengesetzte System der Oberflächen und der Brech- kräfte der Medien nach der Einen Richtung eine andere Brechung hervorbringt, als nach der anderen, und der ein- fachste Fall ist der, dass Maximum und Minimum der Bre- chung in zu einander senkrechten Ebenen stattfindet. 273 Da jedes Medium für sich allein die weissen Licht- strahlen, welche nicht gerade in der optischen Axe ein- fallen, in Farben zerstreut, die Bilder aber, welche auf diese Weise auf der Retina entstünden, alle farbig gerandet, mithin undeutlich erscheinen müssten, so ist vermöge der verschiedenen Brechkraft der auf einander folgenden Me- dien dafür gesorgt, dass die von dem einen Medium zer- streuten Strahlen von den andern wieder gesammelt werden: das Auge ist achromatisch; doch dies nur in beschränktem Maasse. Es ist auf verschiedene Weisen und zu verschie- denen Zeiten gezeigt worden, dass das Auge kein vollkom- men achromatisirendes Organ ist, obgleich vollkommener als alle künstlichen achromatisirenden Vorrichtungen. Die Zerstreuung ist nur in den meisten Fällen so gering, dass sie das gewöhnliche Sehen nicht stört. Was entsteht nun aus der Combination der Farbenzer- streuung und der als einfachsten Fall angenommenen Bre- ehung der Strahlen im Auge? Man könnte sich das Resultat construiren. Allein ist dasselbe einmal construirt, so ist der Blick nicht mehr unbefangen, die Beobachtung gestört, weil man das geo- metrisch Gewonnene auch gerne durch das Experiment fin- den möchte. Es muss daher zuerst beobachtet werden, und diesen Weg habe ich eingeschlagen. Verschiedene getrennte Beobachtungen veranlassten mich den Faden zu suchen, und von demselben geleitet fortzuschreiten. Ich werde mir daher erlauben, zuerst einige Beobach- tungen, welche ich für die wichtigeren halte, mitzutheilen und die Erscheinung in ihrer allereinfachsten Gestalt zu verfolgen. In einer früheren Mittheilung über die Irradiationser- scheinungen habe ich angegeben, dass der Fundamentalver- such darauf antworten müsse, wie ein leuchtender Punkt | 18 274 auf dunklem Grunde in verschiedenen Entfernungen vom Auge, oder bei verschiedenen Accommodationszuständen erscheine. Die Antwort habe ich in Kürze gegeben, näm- lich, dass der Punkt in der Accomodationsweite in seiner wirklichen Gestalt, innerhalb derselben als leuchtende roth berandete, ausserhalb derselben als leuchtende blau beran- dete Scheibe sich darstelle. Ich habe dieselbe damals, doch vorsichtigerweise ohne es zu behaupten noch anzugeben, für kreisrund gehalten; doch damals schon stiessen mich oft beobachtete Unregelmässigkeiten. Der leuchtende Punkt wird entweder durch Reflexion an einem innen geschwärzten Uhrglase oder an einer klei- nen Thermometerkugel hervorgebracht, und man muss bei den Versuchen darauf sehen, dass nur zerstreutes und zwar kein grelles Licht zugleich mit den vom leuchtenden Punkte ausgehenden Strahlen in das Auge gelangt, dass ferner jedenfalls nur Ein Auge beim Versuche betheiligt ist. Da das Auftreten von Farbenrändern nur beobachtet werden kann, wenn der Punkt eine gewisse Intensität hat, diese aber mit seiner Kleinheit abnimmt, so muss man sich etwas mehr vom mathematischen Punkt entfernen, als man sonst wünschen möchte. Wird ein solcher leuchtender Punkt dem Auge, das eine bestimmte Accommodation festzuhalten sucht, sehr ge- nähert, so erscheint er als beleuchtete roth gerandete Scheibe und zwar für mein Auge in horizontalem Sinne mehr aus- gebreitet, als in verticalem, von elliptischer Gestalt. Ent- fernt man denselben allmählig, so wird die Ellipse (oder ellipsenähnliche Figur) immer deutlicher und man erreicht einen Punkt, wo der obere Theil des rothen Randes ver- schwindet und nur die seitlichen übrig bleiben, welche bei geringer Bewegung ebenfalls verschwinden, indem bei ihrem Abnehmen der obere Rand sich blau säumt. Man sieht beide Farben zu gleicher Zeit. 279 Nun tritt allmählig der rothe Rand ganz zurück und wird durch einen blauen verdrängt. Hiebei aber hat sich die Form der beleuchteten Fläche verändert, man erhält eine Ellipse, deren grosse Axe eine Lage hat, senkrecht zur grossen Axe der roth gerandeten Figur. Entfernt sich der leuchtende Punkt immer mehr, so nähert sich die Figur immer mehr einem Kreise, dessen Grösse, wie ich früher schon bemerkt, abhängig ist von der Pupillenweite. Es sind in dieser Reihe von Versuchen verschiedene Stadien der Beobachtung zu unterscheiden. . 1. Die Figur ist roth gerandet. 2. Sie ist in der verticalen Axe nicht mit einem Far- bensaum versehen, in der horizontalen aber roth gerandet. 3. Sie ist vertical blau, horizontal roth gerandet. 4. Sie ist vertical blau gerandet. 5. Sie ist ganz blau gerandet. In den beiden ersten Stadien ist die Figur zu beiden Seiten der horizontalen Axe erweitert, in den beiden letz- ten aber zu beiden Seiten der verticalen Axe. In der Mitte liegt eine Figur, welche zu beiden Seiten beider Axen er- weitert ist. Es fehlt in dieser Reihe offenbar der Punkt vollkommener Accommodation und ich weiss nicht, ob ich mich irre, indem ich einen etwas hellen Punkt niemals ohne Farbenrand sehen kann. Es gäbe sonach gar keinen Punkt vollkommener Accomodation für mein Auge. Ich kenne zwar die Schwierigkeit sehr wohl, welche einer solchen Behauptung entgegensteht, allein verschiedene Gründe unter- stützen dieselbe. Die Farbenränder sind äusserst unbedeu- tend, oft beinahe nicht wahrnehmbar, namentlich für ein etwas ungeübtes Auge. In gewöhnlichen Fällen aber wird gar kein leuchtender Punkt betrachtet, das Auge muss also, um seine Bestimmung zu erfüllen, gar nicht darauf einge- richtet sein, einen solchen ganz deutlich zu sehen, und wenn die Intensität des leuchtenden Punktes abnimmt, so ver- 18* 276 schwinden auch die Ränder so vollkommen, dass es mir wenigstens nicht mehr möglich ist, bei einem weissen Punkte auf dunklem Grunde dann Farben wahrzunehmen, wenn ich denselben so deutlich als möglich sehe. Dieselben Erscheinungen, wie ich sie eben beschrieben habe, lassen sich noch auf eine etwas veränderte Weise wahrnehmen. Anstatt die Entfernung des leuchtenden Punk- tes zu verändern und den Accomodationszustand so con- stant zu erhalten, als es eben’ möglich ist, kann man die Lichtquelle an ihrem Orte lassen und den Accomodations- zustand verändern. Dies kann jedes Auge hervorbringen, indem die gegenseitige Stellung der beiden Axen sich än- dert. Wird der Winkel grösser, so accommodirt sich das Auge auf einen nähern, wird er kleiner, auf einen fernern Punkt. Meine Augen können die gleiche Veränderung auch ohne Verstellung der Augenaxen hervorbringen. Da die einzelnen Stadien ganz in der gleichen Weise beobachtet werden können, wie oben schon angegeben wor- den ist, so führe ich die einzelnen Beobachtungen nicht hier noch einmal auf. Die Veränderungen des Accommodations- zustandes geschehen nicht so allmählig, als die Veränderun- gen der Entfernung bewerkstelligt werden können, und es ist daher nicht so leicht, die verschiedenen Stadien suc- cessive zu beobachten. Mit einiger Geduld indessen lässt sich die ganze Erscheinungsreihe combiniren. Gehen wir von der Beobachtung zur Erklärung über. Wären alle Augenmedien sphärisch gekrümmt, so wäre durchaus kein Grund vorhanden, warum die Strahlen auf gewissen Seiten der optischen Axe einen andern Verlauf nehmen sollten, als auf andern, wie die genannten Beob- achtungen zur Genüge lehren. Es muss also der Haupt- grund der Erscheinung liegen in der Abweichung von der Kugelgestalt, oder allgemeiner in der Abweichung von der ; Form eines Körpers, dessen Oberfläche durch Rotation einer | | 277 Curve um die optische Axe entstanden ist. Und solcher Abweichungen, die sich, wie oben angeführt, compensiren, giebt es zur Genüge. Ist die Compensation sehr unvoll- kommen, so entsteht von jedem Punkte kein Brennpunkt, sondern eine Reihe von solchen, eine Linie, eine Brenn- strecke. Nach vielen verschiedenen Beobachtungen ist die Existenz einer solchen Brennstrecke eine allgemeine That- sache, und das Nichtvorhandensein als Ausnahmsfall zu betrachten. Die Kleinheit der Brennstrecke bewirkt beim ganz normalen Auge, dass deutlich gesehen werden kann. Von dem Einfluss einer grössern Brennstrecke führe ich nur Ein Beispiel an, das auch anderweitig angeführt ist: Airy’s linkes Auge war so beschaffen, dass er mit ihm allein nicht sehen konnte. Er konnte z. B. Buchstaben nicht unterscheiden, in welche Entfernung er dieselben auch bringen mochte. Das Bild einer entfernten Kerzenflamme war in seinem Auge nicht kreisrund, sondern elliptisch. Ein biconcaves Fernrohr machte aus der Ellipse eine Linie, welche der grossen Axe entsprach. Er fand auch, dass wenn er zwei schwarze, sich rechtwinklig schneidende Li- nien auf Papier zog, und dieses Papier in zweckmässiger Stellung in eine gewisse Entfernung vom Auge brachte, die Eine dieser Linien sehr deutlich, die andere dagegen kaum sichtbar war. Als er das Papier dem Auge näherte, ver- schwand die Linie, die deutlich gewesen, und die andere wurde mit Schärfe sichtbar. Man kennt eine Reihe von Uebergängen von der äus- sersten Grenze der Unvollkommenheit bis zum schärfsten Auge. Auch sind die Richtungen für die Axen der erschei- nenden grössern oder kleinern Ellipse höchst verschieden, ja oft gerade der entgegengesetzt, welche sich in meinem Auge ergiebt. Als Beispiel eines ganz vorzüglichen Auges möge das _ vielgeprüfte und schwergeprüfte Auge Brücke’s angeführt 278 werden, welcher behauptet, er sehe von 6” bis in unend- liche Entfernung gleich deutlich; wären seine übrigen op- tischen Beobachtungen nicht so überaus sicher und zuver- lässig, man könnte die Unbescheidenheit haben, an dieser Einen zu zweifeln. Will man den Gang der Lichtstrahlen nach dem Voraus- geschickten für ein Auge zeichnen, so muss man sich der Einfachheit wegen das ganze System brechender Medien in Eines vereinigt denken, und zwar so, dass nach der Einen Seite hin die Brechung stärker stattfindet, als nach der an- dern, wobei angenommen wird, das Auge sei eine nicht ganz vollständig achromatische Vorrichtung, das Licht also werde einigermassen zerstreut. Dies wird dargestellt durch die Figur I. Es sind in derselben natürlich nur die Randstrahlen, der rothe und der blaue angedeutet, so wie der mittlere, der ungefähr mit dem grünen zusammenfallen mag. Zwischen den einzelnen Brennpunkten liegt die Brennstrecke. ‘ Wir wissen noch nicht bestimmt, durch was für Ver- änderungen die Accommodation des Auges für verschiedene Entfernungen hergestellt wird. Jedenfalls muss, wenn ich mich ohne Missverständniss so ausdrücken darf, der Schwer- punkt des ganzen Systems der einzelnen Brechkräfte sich von der Retina entfernen oder sich nähern, geschehe nun blos eine Veränderung eines Theiles oder des ganzen Aug- apfels. Wie gross die Veränderung ist, weiss ich nicht, jedenfalls muss man, um durch eine Figur sich deutlich zu machen, die Verhältnisse bedeutend übertreiben. Nimmt man an, die kegelähnliche Figur, zu welcher ein Strahlencylinder oder ein Strahlenkegel mit entfernter Spitze gebrochen wird, werde successive in AB, CD, EF, GH, IK, LM, NO in der verticalen Projection, und in der horizontalen in A,B,, C,D,, E,F, u. s. w. geschnitten, so 279 entstehen in den einzelnen Stadien folgende Bilder auf der schneidenden Fläche: 1. In AB, A,B, eine Ellipse mit liegender grosser Axe und rothem Rande. 2. In CD, C,D, eine eben solche, in welcher jedoch die elliptische Gestalt auffallender ist. 3. In EF kreuzen sich die beiden äussersten Strahlen, in E,F, liegen die rothen am Rande, d. h. die Figur ist an den Enden der horizontalen Axe allein und zwar roth gerandet. 4. In GH liegen die blauen, in G,H, die rothen Strahlen am Rande; die Figur ist an den Enden der verti- calen blau, der horizontalen roth. gerandet. 5. InIK liegen die blauen Strahlen am Rande, in LK; durchkreuzen sich roth und blau; die Figur ist daher an den Enden der verticalen blau gerandet. 6. In LM, L,M, liegen die blauen Strahlen überall am Rande, es erscheint eine Ellipse mit stehender grosser Axe und blauem Rande. Diese Ellipse wird 7. in NO, N,0, weiter, bleibt aber blau gerandet und würde in grösseren Entfernungen sich immer mehr einem Kreise nähern. Sie erkennen in dieser Reihe von Figuren gewiss wie- der diejenigen, welche ich Ihnen oben in der Beobachtungs- reihe angeführt habe, und die ganz vollständige Ueberein- stimmung spricht für die Richtigkeit der Erklärung. Ueberträgt man die Erklärung vom Punkte auf die Li- nie, so wird man zwar nicht alle diese Stadien beobachten können, indessen stimmen die drei leicht wahrnehmbaren mit den genannten überein. Man sieht die Linie ungerandet in der Accommodationsweite, roth gerandet innerhalb, blau gerandet ausserhalb derselben. Und gehen wir end- lich von der Linie zur Fläche über, so treten wir in das grosse, weite, vielbesprochene Gebiet der Irradiations- 280 erscheinungen. Freilich muss dabei Eines aufgegeben werden, die Intensität der Beleuchtung, und damit ver- schwinden auch die Farben. Die Farbenbilder, welche un- ter allen Umständen keine grossen Dimensionen einnehmen, gehen nun in den verwischten Rändern auf, welche um so grösser werden, je grösser die Abweichung von der Accomodationsweite ist. Diese verwischten ausgebreiteten Ränder einer schwarzen Figur auf einem weissen Grunde. und die Ränder des weissen Grundes greifen über einander, wobei natürlich die weissen dominiren, daher Vergrösserung der weissen Figur auf Kosten der schwarzen. Je nachdem aber die Ränder nach der Einen Richtung stärker verwischt sind (um mich dieses nicht ganz präcisen Ausdruckes zu bedienen), wird die Figur nach der einen oder andern Rich- tung hin mehr ausgebreitet erscheinen. Da wir es aber hier mit Flächen zu thun haben, so wird die Ausbreitung, welche im Verhältniss zur ganzen Figur nur schr klein ist, auch nicht immer leicht beobachtet werden können. Indessen giebt es Erscheinungen, welche jedes Auge leicht beobach- ten kann, und in welchen sich deutliche Verschiedenheiten des Sehens in horizontalem und verticalem Sinne erkennen lassen. Ueber dieses, man möchte bald sagen, durch Beobach- tungen erschöpfte Gebiet habe ich nichts Neues beizufü- gen. Einige Versuche und Resultate aber möchten hier am Platze sein. Wenn man eine kreisförmige Scheibe, auf welcher gleich starke Durchmesser nach verschiedenen Richtungen gezogen sind, dem Auge nähert oder von demselben entfernt, so sieht man gewisse Durchmesser noch deutlich, während andere verschwinden; und zwar stehen die für die Nähe deutlichen gewöhnlich senkrecht auf denen, welche zuletzt in der Ferne undeutlich werden. Betrachtet man einen weissen Kreis, oder einen weis- sen Ring auf schwarzem Grunde, so erscheint dieser, da 281 - die Ausbreitung nach verschiedenen Richtungen verschieden stark ist, nicht mehr als kreisförmig, sondern elliptisch; ein Quadrat'als Oblongum, ein Oblongum unter gegebenen Um- ständen als Quadrat. Ein Beobachter beschreibt, er sehe von einem mehrere hundert Fuss entfernten Blitzableiter bei gewöhnlicher Au- genstellung vorzüglich den horizontalen Leitungsdraht, kaum den verticalen Blitzfänger und die parallelen Träger; bei der um 90° abgeänderten Augenstellung aber erblickt er Träger und Fänger deutlich, und nimmt den Leitungsdraht kaum eben noch wahr. Er bringt sogar mit diesem und ähnlichen Versuchen in Zusammenhang den eigenthümlichen Eindruck, den uns Landschaften machen, wenn wir diesel- ben zwischen den Beinen oder unter einem Arme durch beobachten. Bei einem weissen Kreuz auf dunklem Grunde erscheint den meisten Beobachtern der horizontale Streifen breiter, als der verticale. In vielen Versuchen differiren die Beob- achter, trotzdem, dass Jeder mit einer Menge Individuen versucht hat; man kennt diese Art massenhafter Beobach- tungen und weiss auch, was man von dem Gelingen oder Nichtgelingen derselben zu halten hat; in vielen andern aber finden sich wesentliche Verschiedenheiten, welche eben in der Natur der Sache liegen. Es ist z. B. sehr wohl möglich, dass zwei Beobachter Recht haben, wenn der Eine behauptet, ihm verschwinde eine horizontale Linie vor einer gleich entfernten verticalen, der Andere aber gerade das Gegentheil findet; wenn dem Einen ein horizontaler Strei- fen, dem andern ein verticaler breiter erscheint, als ein dazu senkrechter u. s. f. | Alles spricht nur dafür, dass eben unsere Augen nicht _ alle in der gleichen Form gegossen sind, sondern dass jedes Auge von dem andern vielfach verschieden sein kann. Da wir zur Erklärung aller Irradiationserscheinungen von der 282 Beobachtung eines leuchtenden Punktes auf dunklem Grunde ausgehen müssen, so glaube ich den Grund derselben fol- gendermassen am einfachsten angeben zu können: Die Strahlen, welche von einem Punkte aus- gehen, auf welchen das Auge nicht accommodirt ist, erzeugen auf der Netzhaut eine beleuchtete Fläche. Wegen der nicht vollständigen Achro- masie des Auges ist die Fläche farbig gerandet, wenn die Intensität des leuchtenden Punktes die Wahrnehmung der Farben gestattet. Da aber die Augenmedien nicht Oberflächen von Rotations- körpern bilden, deren Axe die optische Axe des Auges, sondern nach verschiedenen Richtungen verschieden gekrümmt sind, soistim Allgemeinen die im Auge entstehende beleuchtete Fläche nicht kreisförmig, sondern hat eine von den jeweiligen Krümmungen abhängige Gestalt. Mit dieser Ge- stalt wechselt auch die Farbe des Randes. DieEr- scheinungen, wie sie an Linie und Fläche beob- achtet werden, können aus der des Punktes durch Aneinanderreihung abgeleitet werden. … MINERALOGIE. Ueber einige Pseudomorphosen vom Teufelsgrund im Münsterthal i.B. Von Dr. Aısr. MÜLLER. (Den 29. November 1854.) Die Erzgruben des Münsterthales im Breisgau, nament- lich die des sogen. Teufelsgrundes und des Schindlerganges, sind den Sammlern wegen ihrer hübschen Flussspathe, Kalk- spathe und anderer Mineralien längst bekannt. Die Erz- gänge der dortigen Gegend setzen bekanntlich im Gneiss auf und werden vorzüglich auf Blei und Silber exploitirt, die aus dem in reichlicher Menge brechenden Bleiglanz gewonnen werden. Ausserdem kommt auch dort, nebst Ei- senkies und Strahlkies, viel Zinkblende vor, die aber ver- nachlässigt wird. Kupfererze sind dort weit seltener. Die Gruben werden, wie noch andere Bergwerke des Schwarz- waldes, von einer englischen Actiengesellschaft ausgebeutet, welche ziemliche Anstrengungen für einen schwunghafteren Betrieb zu machen scheint. Ich machte diesen Sommer mit Hrn. Weber von Mül- hausen, einem eifrigen und kenntnissreichen Sammler, einen 284 Ausflug zu diesen Gruben, wobei ich jedoch, abweichend - von den meisten Besuchern, welche nur nach schönen Kry- stalldrusen ausgehen, mein Hauptaugenmerk auf die in Um- wandlung begrifienen Mineralien und auf die Pseudomor- phosen richtete, welche in den dortigen Gängen in grosser Menge und Mannigfaltigkeit auftreten. So viel besucht auch diese Lokalität ist, so glaube ich doch, indem ich das reichliche Material in den Hütten und ° Halden mit meinem Begleiter untersuchte, einige Stücke gefunden zu haben, welche als seltenere oder weniger be- kannte Vorkommnisse der Erwähnung nicht ganz unwerth sein möchten. Ich erlaube mir daraus folgende Pseudo- morphosen hervorzuheben: 1. Körniger Quarz nach Barytspath. In der be- kannten hahnenkammförmigen Gruppirung dünntafeliger In- dividuen der Combination der vorherrschenden Endfläche mit einem Quer- und Längsprisma (P e'a’, Dufrenoy). Die Ecken sind durch allmählige Ausschärfung abgerundet. Die Tafeln sind im Grossen glatt, im Kleinen aber durch einen braungelben Ueberzug von Eisensinter und Eisenocker etwas rauh und matt. Stellweise haben sich auch kleine Gruppen von mikroskopischen Strahlkieskrystallen darauf angesiedelt. Der Quarz ist farblos, körnig-krystallinisch und in kleinen Spalten auch wirklich auskrystallisirt. Einige dieser pseudo- morphen Tafeln bestehen aber nicht aus blossem Quarz, sondern aus einem grosskörnigen Gemeng von Quarz und blättrigem Bleiglanz (letzterer oft wie im Quarz einge- sprengt), das sich von der Gangmasse nicht unterscheidet und auch nach unten unmerklich in dieselbe übergeht. Wir hätten also hier, wenigstens stellweise, ein gangartiges Ge- meng von zwei Mineralien, Quarz und Bleiglanz, welches | die Stelle des frühern Barytspathes einnimmt. 2. Körniger Quarz und Strahlkies nach Baryt- spath. Ganz in denselben Formen wie Nr. 1. Während 285 aber dort nur einzelne Gruppen von kleinen Strahlkieskry- stallen sporadisch, gleichsam als Vorposten, die Tafeln be- decken, ist hier die ganze pseudomorphe Druse von letz- term Mineral dicht überwuchert, ja der Strahlkies ist, besonders an den seitlichen kürzern Rändern der rectangu- lären Tafeln bereits ziemlich tief in die Masse eingedrungen, so dass einige derselben fast bloss aus Strahlkies bestehen, der also hier den pseudomorphen Quarz abermals verdrängt hat. An einem andern ähnlichen Stücke erscheint der Quarz ganz durch Strahlkies ersetzt und dieser selbst ist schon wieder theilweise in ocherigen Brauneisenstein umgewan- delt. Wir hätten also hier folgende Umwandlungsreihe: Barytspath, Quarz, Strahlkies, Brauneisenerz. Diese Pseudo- morphose Nr. 2 zeigt auch darin Aehnlichkeit mit Nr. 1, dass mehrere Tafeln ausser Quarz noch ein zweites Mi- neral, jedoch nicht Bleiglanz, sondern schwarze, blättrige Zinkblende, enthalten, wodurch gleichfalls ein gangartiges, körnig-krystallinisches Gemenge entsteht. Auf der Mitte der hahnenkammförmigen Pseudomorphose hat sich, einen breiten Querstreif bildend, eine neue Generation in gleicher Richtung liegender kleiner Barytspathkrystalle von abwei- chender Form (P M b a? Dufr.) angesiedelt. An einer seitlich liegenden Stelle ist die ganze pseudomorphe Masse quer von einer zwei Linien mächtigen Ader, aus Blende und Flussspath bestehend, gangförmig durchschnitten. Diese Ader setzt sich dann als ein schmaler aber hoher Wall von stattlichen Flussspathwürfeln auf einer plattenartigen Basis von Strahlkies und Zinkblende fort, welche, allen Vertiefungen der hahnenkammförmigen Oberfläche folgend, ‘jedoch dieselbe nur an wenigen Punkten leicht berührend, quer darüber hinzieht. Zu beiden Seiten der durchbrechen- den Ader setzen die Tafeln in gleicher Richtung fort, wie wenn keine Unterbrechung stattgefunden hätte. Es ist klar, dass diese Mineralien, welche die Pseudomorphose theils 286 gangartig durchsetzen, theils überlagern, jüngerer Entste- hung sein müssen. 3. Flussspath nach Barytspath. Bicsokbeh For- men wie Nr. 1 und Nr. 2. Aussen drusig, aus lauter kleinen bräunlichen Flussspathwürfeln von circa 1 Linie Kanten- länge bestehend, innen körnig-krystallinisch. Auch hier erscheint bei manchen Tafeln, ähnlich wie bei den obigen Stücken, Blende gangartig eingesprengt. Auf dem Quer- schnitt zeigt ein bräunlicher Streif die ursprüngliche An- satzfläche an, von der aus nach beiden Seiten hin die Verdrängung des Barytspathes durch den Flussspath be- gonnen hat. 4. Flussspath nach Barytspath. Ein dem obigen ähnliches Stück, die pseudomorphen Formen zeigen aber nicht wie oben die bekannte hahnenkammförmige Gruppi- rung rectangulärer Tafeln, sondern erscheinen als einzeln stehende rhombische Tafeln, meist mit Abstumpfung der scharfen Seitenkanten (PM oder PMg', Dufrenoy), die ohne Ordnung auf grossen zu einer stattlichen Druse grup- pirten Flussspathwürfeln sitzen. Die Tafeln erscheinen als regelmässige Gruppirungen von lauter kleinen, bräunlichen Flussspathwürfeln von ungefähr % Linie Kantenlänge. Hie und da drängen sich auch einzelne Bleiglanzwürfel dazwi- schen, als ob sich ein ähnliches körniges Gemenge zweier Mineralien bilden wollte, wie bei den vorigen Nummern. Im Innern der Tafeln ist gleichfalls bisweilen eine der Lage der ursprünglichen Barytspathkrystalle entsprechende bräun- liche Ansatzfläche wahrnehmbar, welche, parallel der Basis, jede Tafel gewissermassen in zwei Hälften theilt. 5. Zinkblende nach Kalkspath. Wir haben in dieser Pseudomorphose das gewöhnliche Skalenöder des Kalkspathes vor uns, dessen Scheitel durch die Flächen des Grundrhomböders abgestumpft sind (d? P, Dufr.). Die Masse besteht aus der in den dortigen Gruben in Menge vorkom- 287 menden schwarzen Zinkblende, die ein körniges Aggregat bildet. An einigen Krystallen sind kleine Parthien von Braunspath eingedrungen. Diese die Formen des Kalkspathes scharf wiedergebenden Blendekerne sind mit einer dünnen sehr egalen, fein drusigen Braunspathhaut überzogen, be- stehend aus mikroskopischen Rhombödern, die so regel- mässig an einander gereiht sind, dass die analogen Flächen derselben alle gleichzeitig das Licht reflectiren und der ganze pseudomorphe Ueberzug für jedes Skalenöder, nach den glatten, durchgehenden Spaltungsflächen zu urtheilen, gleichsam nur aus einem einzigen Braunspathindividuum zu bestehen scheint, in ähnlicher Weise, wie diess gewöhn- lich bei den zu Kalkspath versteinerten Echinitenstacheln oder Encrinitengliedern vorzukommen pflegt. Dieser dünne, fein drusige Braunspathüberzug liegt aber nicht dicht an dem Blendekern an, sondern es findet sich zwischen beiden trotz der Schärfe ihrer Formen ein kleiner Zwischenraum, so dass man leicht mit einer dünnen Messerspitze dazwi- schen eindringen und die äussere Haut abheben kann. Der Blendekern selbst erscheint bereits, stellweise wenigstens, in einem mehr oder minder angegriffenen Zustande und ist wahrscheinlich in einem langsamen Rückzuge begriffen. Die meisten dieser Skalenöder sind überdiess von einer Seite her bis zur Hälfte und darüber, über der Baumspathhaut, mit einer dickern und gröber drusigen Quarzkruste über- zogen, die augenscheinlich bei weiterm Vorrücken eine Quarzpseudomorphose in derselben Form gebildet hätte. Nach der untern Fläche des Stückes zu verläuft die Kern- masse in ein körniges Gemeng von Quarz und Blende, wel- ches unmittelbar in völlig scharfer Abgrenzung auf dem Nebengestein, dem Gneiss, auflagert. Auch gehen von un- ten, jedoch mehr seitlich, beträchtliche Höhlungen in die Kernmasse einiger dieser Skalenöder hinein, die mit Fluss- spathwürfeln ausgekleidet sind. Ja, wenn wir die äussere 288 Oberfläche dieser Blendekerne mit einer scharfen Loupe sorgfältig betrachten, so finden wir, dass sich bereits auch auf der Aussenseite hie und da auf der im Rückzug be- griffenen Masse ein Flussspathwürfelchen angesiedelt hat, gleichsam als Vorposten, ehe eine vollständige Besetzung dieses Terrains durch Flussspath stattfand. 6. Braunspath nach Kalkspath. Formen wie Nr. 5, völlig hohl, die Wände aussen und innen glatt, bräunlich, dünner als Postpapier, daher sehr zerbrechlich. '%. Flussspath nach Kalkspath. Formen gleich- falls wie Nr. 5, die Flächen des Grundrhomböders aber „mehr zurückgedrängt. Die Aussenseite dieser Pseudomor- phosen besteht aus kleinen bräunlichen Flussspathwürfeln von circa eine halbe Linie Kantenlänge, ist also drusig, das Innere ist bei den einen hohl und dann mit ähnlichen Würfeln drusig ausgekleidet, bei den andern aber mit einer weissen erdigen, unter der Loupe körnig-krystallinischen, Masse erfüllt, die sich vor dem Löthrohr ganz wie Fluss- spath verhält. Merkwürdigerweise ist jedoch die äussere drusige Bekleidung von der innern der hohlen oder von der Ausfüllungsmasse der soliden Pseudomorphosen durch eine sehr egale postpapierdünne Zwischenwand scharf ge- trennt, welche die Contouren der ursprünglichen Kalkspath- skalenöder augenscheinlich aufs schärfste abgrenzt und sich durch die gelbbraune Farbe sehr hübsch und deutlich von der innern und äussern Bekleidung dieser Afterkrystalle unter- scheidet. Diese rostbraune Haut schimmert durch die farblo- sen kleinen Flussspathkrystalle der äussern Bekleidung bräun- lich hindurch, besteht augenscheinlich aus Braunspath und zeigt dieselben durchgehenden glatten Spaltungsrichtun- gen für jedes Skalenöder, wie der Braunspathüberzug bei Nr. 5. Die Pseudomorphosen stehen mehr oder weniger vereinzelt, gleich den Pyramiden in der Wüste, auf einem ziemlich ebenen Feld von kleinen Flussspathwürfeln, welche 289 die unmittelbar auf dem Gneiss aufsitzende Quarzkruste überziehen. 8. Flussspath nach Kalkspath. Ganz. dieselben Formen wie Nr. 7 und gleichfalls mehr oder weniger ver- einzelt stehend auf einem ebenen mit kleinen Flussspath- würfeln übersäten Felde, das wesentlich aus einer undeutlich krystallisirten Barytspathmasse besteht. Diese Pseudomor- phosen sind jedoch alle hohl und ohne jene Scheidewand von Braunspath, welche bei Nr. 7 die innere und äussere Ablagerung des Flussspathes so scharf abgrenzt. Die Seiten- wände der Skalenöder bestehen aus kleinen Flussspathwür- feln, aussen im Grossen glatt und eben, innen aber durch drusige Anhäufungen ähnlicher Würfel uneben, und zeigen stellweise ansehnliche Lücken, durch die man in das In- nere dieser hohlen Formen sieht. Auf diese Weise ma- chen sie den Eindruck von Ruinen. Die Lücken sind jedoch nicht durch ınechanische Gewalt entstanden. Die kleinen Flussspathwürfel scheinen, stellweise, bereits in einer be- ‘ ginnenden Zersetzung begriffen zu sein. 9. Schwarze Zinkblende nach Braunspath. Pri- mitivrhomböder aus der bekannten Gruppirung kleinerer solcher Rhomböder bestehend, auf der hohlen Innenseite sehr deutlich, auf der Aussenseite jedoch durch einen Ueber- zug von grobdrusigem Quarz entstellt. Die Vermuthung liegt nahe, dass wie die Nummern 1 bis 3 eine in ihrer Bildungsweise nahverwandte Gruppe formiren, so auch die Nummern 5 bis 8 in Bezug auf ihre Entstehung in einem engen Causalzusammenhang stehen und nur die verschiedenen Entwicklungsstufen eines und dessel- ben Processes darstellen, der mit der Zersetzung und Um- wandlung der einstigen Kalkspathkrystalle begonnen und mit der Bildung der hohlen ruinenartigen Flussspathpseu- domorphosen geendet hat. Zuerst wurde der Kalkspath dieser dreifach entscheitelten Skalenöder durch Zinkblende | 19 290 verdrängt. Wahrscheinlich fand diese Umwandlung nicht direct statt, sondern durch Zwischenstufen, wovon uns je- doch keine Belege in die Hände gekommen sind. Die pseu- domorphosen Zinkblendeformen wurden mit einer Haut von Braunspath überzogen und es entstand die Stufe Nr. 5. Doch beginnt, wie wir aus dem angegriffenen Zustand und aus andern Umständen schliessen können, bereits der Rück- zug der Zinkblende. Dieser ist bei Nr. 6 vollendet, wo wir den Braunspathüberzug in den vollkommen hohlen Kalk- spathformen erblicken. Dass sich diese Braunspathhülle direct über den Kalkspathskalenödern gebildet habe und unter dieser Hülle die Verdrängung des Kalkspathes durch Zinkblende vor sich gegangen sei, ist weniger wahrschein- lich. Aber auch diese hohlen Braunspathformen, die nach der Zerstörung der Zinkblende übrig geblieben sind, blei- ben nicht unberührt. Aussen und innen siedeln sich kleine Flussspathkrystalle an und wir erhalten das Vorkommen Nr. 7, bei welchem die papierdünnen hohlen Braunspath- formen als Scheidewand zwischen den innern und äussern Flussspathablagerungen noch trefflich erhalten sind. Ein ähnlicher Angriff des Flussspathes hatte schon bei der Stufe Nr. 5 begonnen, wo sich sowohl auf der Innen- als auf der Aussenfläche der Blendekerne einzelne Flussspathwürfel als Vorposten festgesetzt hatten, während an andern Stellen, wie sich aus der Stufe Nr. 6 schliessen lässt, die Ansied- lung des Flussspathes erst dann begonnen zu haben scheint, nachdem die Zinkblende das Feld völlig geräumt hatte. Endlich in Nr. 8 ist die Umwandlung in Flussspath vollen- det, die Scheidewand von Braunspath ist verschwunden, ja die Pseudomorphose hat bereits ihren Culminationspunkt überschritten, indem Lücken in den hohlen aus Flussspath- würfeln gebildeten Seitenwänden entstanden sind und letz- tere schon etwas angegriffen erscheinen. Wir hätten hiemit . 291 für diese Gruppe folgende Umwandlungsreihe: Kalkspath, Zinkblende, Braunspath, Flussspath. Die Stufe Nr. 4 gehört wahrscheinlich in die erste, die Stufe Nr. 9 in die zweite der aufgeführten beiden Grup- pen, doch ist der Zusammenhang mit den einzelnen Glie- dern nicht so augenfällig, um eine Einreihung zu versuchen, Sehr viele Mineralien vom Teufelsgrund zeigen, wie allen Sammlern wohl bekannt ist, eine mehr oder minder vorgeschrittene Zersetzung oder Umwandlung. Besonders sind es die Flussspathwürfel, die häufig von drusigen In- erustationen von Barytspath, Braunspath, Quarz oder Strahl- kies überwuchert sind. Diese Mineralien dringen allmählig mehr und mehr in die Masse des Flussspathes ein, bis sie endlich letztere ganz verdrängen. Vollständige Pseudomor- phosen von Barytspath oder Braunspath nach Flussspath habe ich jedoch noch nicht gefunden. Ein ähnliches Schick- sal erleidet der Barytspath von den andern Mineralien, na- mentlich von Strahlkies, Quarz und Flussspath, bis zuletzt vollständige Pseudomorphosen entstehen. Merkwürdiger- weise verdrängt das eine Mal das Mineral A das Mineral B, das andere Mal B: A. Sehr oft kann man an Einem Handstück mehrere — ihrer Entstehung nach wahrschein- lich durch lange Zeiträume getrennte, lokal aber fast sich berührende — Generationen eines und desselben Minerals, im Teufelsgrund namentlich solche von Quarz, Kalkspath, Flussspath, oder Barytspath, unterscheiden. So erscheint Kalkspath als eine der ältesten Bildungen und gewöhnlich wieder als die jüngste. Beide haben dann gewöhnlich ver- schiedene Krystallform. So zeigen die oben beschriebenen Pseudomorphosen die Form des gewöhnlichen Skalenöders, entscheitelt durch das primitive Rhomböder, die jüngsten vollkommen frischen Krystalle aber die Combination des ersten stumpfern Rhomböders mit dem ersten sechsseitigen Prisma. Es stimmt diese Beobachtung ganz überein, mit 19* 292 anderwärtigen ausgezeichnetern Vorkommnissen, so z. B. bei den Kalkspathkrystallen von Andreasberg und andern Orten, bei denen zwei, ja sogar drei, verschiedene Formen und Generationen von Kalkspathindividuen in einander ein- geschachtelt sind, welche, wie Breithaupt gezeigt hat, auch kleine physicalische Unterschiede wahrnehmen lassen.*) Es unterliegt keinem Zweifel, dass ausser den oben angeführten, zufälliger Weise, von uns aufgefundenen Stü- cken, welche die lange Entwicklungsreihe blos andeuten, noch eine Menge von Uebergangsstufen und weiter fortlau- fenden Gliedern einreihen liessen (vielleicht ist die Reihe Nr. 5—8 nur die Fortsetzung der Reihe Nr. 1—4 oder um- gekehrt), wenn man alle von den Bergleuten während meh- ren Jahren aus demselben Gang herausgeschafften Stücke untersuchen und das Verwandte zusammenstellen könnte. So aber werden eine Menge wichtiger Belegstücke solcher Umwandlungsreihen um anderer Vorzüge willen, die sie darbieten, in hundert Sammlungen zerstreut, oder schon an Ort. und Stelle von den Arbeitern zertrümmert. Im gün- stigsten Falle könnte man wohl im Erzgange selbst, wenn derselbe in gewissen Richtungen angebrochen ist, nicht nur die verschiedenen Zwischenstufen solcher Um- wandlungsprocesse, sondern auch die Mineralien, welche das Material dazu geliefert haben, sowie. die daraus her- vorgegangenen Zersetzungsproducte, in nicht gar weiten Ab- ständen neben einander finden. Wir könnten also in den hinterlassenen Spuren räumlich neben einander das Bild jener Vorgänge erblicken, die eigentlich zeitlich nach ei- nander, während vielleicht sehr langer und entfernter Zeit- räume, stattgefunden haben. Der Umstand, dass wir nicht bloss die Endglieder solcher Umwandlungsreihen antreffen, sondern dass hie und da solche Uebergangsstufen, wie die *) Ein reiches Material ähnlicher Beobachtungen findet sich in Breithaupt’s „Pa- ragenesis der Mineralien.“ Freiberg 1849. 293 oben beschriebenen, stehen geblieben sind, lässt sich aus der günstigen Lagerung einzelner Partien des Erzganges, aus schützenden Ueberzügen und dergleichen wohl erklä- ren. Bekanntlich ist es schon hin und wieder gelungen, solche Beobachtungen an Ort und Stelle zu machen, und es wäre nur zu wünschen, dass solche von den Bergbe- amten, denen sich hiezu die beste Gelegenheit darbietet, recht oft angestellt würden. Dass die beschriebenen Bildungen und Umwandlungen, wie überhaupt fast alle Pseudomorphosen, und wohl auch die meisten Mineralien der Erzgänge, ihre Entstehung gröss- tentheils Gewässern verdanken, ähnlich unsern heutigen Mi- neralquellen, worin Gase, Mineralstoffe und auch organische Substanzen gelöst sind, diese in neuerer Zeit mehr und mehr wieder sich geltend machende Ansicht, für welche namentlich Gustav Bischof in seinem Lehrbuch der physi- kalischen und chemischen Geologie in die Schranken ge- treten ist, scheint mir in der That auch die oben bespro- chenen Vorkommnisse am natürlichsten zu erklären. Diese Gewässer sind es, welche theils aus der Tiefe, theils aus den höher gelegenen Theilen des Gebirges kommend, so- wohl aus den Gangmassen, als aus dem Nebengestein Stoffe aufgelöst oder zersetzt und an andern Stellen wieder ab- gelagert oder in Folge chemischer Affinitaten im Contact mit schon vorhandenen Mineralien Stoffe ausgetauscht ha- ben, und so mit einem veränderten mineralischen Gehalt an einer dritten Stelle wieder andere Ablagerungen oder Umbildungen verursachen. So löst ein Process den andern ab: Dieselben Stoffe, die einst verdrängt haben, werden später selbst wieder von andern verdrängt, denen es mit der Zeit ebenso geht. So hat in den oben betrachteten Pseudomorphosen der Quarz den Barytspath, der Strahlkies den Quarz, der Brauneisenstein den Strahlkies verdrängt, und ohne Zweifel hat der Brauneisenstein selbst wieder, 29% theilweise, das Material zu spätern eisenhaltigen Mineral- ablagerungen geliefert. So ist durch einen ähnlichen Pro- .cess die durch die Stufen Nr. 5—8 angedeutete Umwand- lungsreihe entstanden. Generation drängt auf Generation, eine von der andern lebend, gerade wie in der organischen Schöpfung. Ja wenn man diese vielfältigen Umwandlungen und Zerstörungen in den Erzgängen betrachtet, so könnte es uns vorkommen, als herrsche ein ewiger Krieg unter der Erde so gut als über der Erde. Jedenfalls sehen wir, dass auch hier nicht Alles starr und todt ist, dass auch hier, in den Tiefen der Erde, ein fortdauernder, wenn auch langsamer Stoffumsatz stattfindet und aus der Zerstörung der vorhandenen, immer wieder neue Bildungen hervor- gehen. | Die nachgewiesenen Umwandlungen setzen einen im Lauf der Zeiten mehrmals verhinderten chemischen Gehalt der die Gangspalten erfüllenden oder durchfliessenden Ge- wässer (bisweilen auch Dämpfe oder Gase) voraus; Ver- änderungen, die theilweise aus der allmähligen Auflösung der einzelnen Mineralablagerungen, theilweise aus mecha- nischen Dislocationen, seien sie nun durch Senkungen und Rutschungen, oder durch eigentliche Erderschütterungen verursacht, erklärt werden könnten. Dass Erdbeben schon öfter den Lauf, die Stärke, die Temperatur und den Gehalt einzelner Quellen geändert ha- ben, ist hinlänglich bekannt. Von allen diesen Umständen wird aber die Art und Lagerungsweise der von jenen Quel- len abgesetzten oder umgewandelten Mineralien abhängen. Wir dürfen wohl, auch im vorliegenden Falle, von dem was gleichsam unter unsern Augen geschieht, auf frühere Vorgänge schliessen, welche ähnliche Wirkungen zur Folge hatten. In noch stärkerm Grade: werden sich die Epochen einer gesteigerten Reaction des glühenden Erdinnern ge- gen die äussere starre Rinde, also einer gesteigerten plu- 295 tonischen Thätigkeit in ihren Wirkungen auf Stärke, Lauf und Qualität der unterirdischen Gewässer bemerkbar ge- macht haben, und so möchte denn auch in den verschie- denartigen aufeinanderfolgenden Ablagerungen der Erzgänge und deren Umwandlungen, in ähnlicher Weise, wie in den durch verschiedene organische Schöpfungen characterisir- ten oder durch verschiedenartige Stratification und Gesteins- beschaffenheit gesonderten Sedimentformationen, das, wenn gleich sehr getrübte, Abbild jener Katastrophen sich wie- ‘derspiegeln. - Den 18. Oct. 1854 legt Herr Heinr. Merian-Von- derMühll Exemplare von Cölestin vor, welcher westlich von Frohburg, Kant. Solothurn gefunden worden sind. Sie kommen daselbst in Kalkknauern im obern Lias vor, ganz auf ähnliche Weise wie am bekannten Fundort an der Staf- felegg bei Aarau. METEOROLOGIE. Hr. Rathshr. Perer Merian: Meteorologische Ueber- sicht des Jahres 1853. Vorgelegt den 7. März 1855. Die aus den höchsten und niedrigsten täglichen Ther- mometerständen abgeleiteten Mitteltemperaturen der einzel- nen Monate sind folgende: u Jan. + 3%, OR. Febr. — 0,3 März + 0,5 April + 6,1 Mai +10,4 Juni +13, 4 Jul +15,6 Aug. +15,9 Sept. + 12,0 Oct. + 8,7 Nov. + 3,5 Dec. — 3,6 Jahresmittel + 70,1 Vergleichen wir diese Zahlen mit der in unserm 9ten Bericht gegebenen 20jährigen Uebersicht der Jahre 1829 bis 1848, so bemerken wir allervorderst, dass die mittlere 297 Jahrestemperatur hinter der allgemeinen von 7°, 6 R. um 0°, 5 zurückgeblieben ist. Der Januar war ein verhältniss- mässig sehr warmer Monat. Er übersteigt um etwa 4° die allgemeine Mittelwärme dieses Monats und wird bloss von dem Januar des Jahres 1834, welcher + 5°, 1 Mittelwärme gezeigt hat, übertroffen. Der eigentliche Winter stellte sich erst später ein, indem die Monate Februar und März weit kälter waren, als der Januar; der Februar blieb nämlich 1°, 5, der März vollends 4°, 5 hinter dem allgemeinen Mit- tel zurück. Wir finden seit 1829 keinen Monat März von eben so niedriger Mitteltemperatur. Der März 1840 mit + 0°, 8 ist in dieser Zeit der kälteste. Auch der April bleibt noch um mehr als 1° unter der allgemeinen Tem- peratur dieses Monats, der Mai um 0°, 9, der Juni um 0°, 5. Juli und August waren hingegen wärmer als gewöhnlich, namentlich übersteigt die Temperatur des letzten Monats das allgemeine Mittel um 1°, 2. Die Wärme des Monats September war ungefähr die gewöhnliche; diejenige des Octobers stand um 0°, 7 höher, die des Novembers um 0°, 5 niedriger. Hingegen war der December ungewöhnlich kalt, denn seine Temperatur steht um 4°, 3 gegen das allgemeine Monatsmittel zurück. Wir finden in der Reihe unserer Be- obachtungen bloss in dem Jahr 1840 einen kältern Decem- ber mit — 4°, 0 Mitteltemperatur. Der im Laufe des Jahres beobachtete tiefste Thermo- meterstand fiel auch in den December, nämlich auf den 30. mit — 140,0 R., der höchste auf den 22. August mit 27°, 8. Der Unterschied dieser beiden Extreme betrug demnach 41%, 8. Regentage waren 116, Schneetage 39. Werden von der Summe 2 Tage abgezogen, an welchen Regen und Schnee zugleich gefallen ist, so ergeben sich atmosphärische Nieder- schläge an 157 Tagen, was. mit der allgemeinen Mittelzahl ziemlich genau übereinstimmt. Die Zahl der fast ganz be- deckten Tage 141 ist hingegen stärker als das allgemeine 298 Mittel, welches nur 124 beträgt. Gewitter ereigneten sich an 13 Tagen, Riesel an 3, Hagel an 1. Der mittlere Rheinstand am Rheinmesser der Rhein- brücke betrug 6,60 Schweizerfuss zu 0,3 Meter. Der höchste Rheinstand 14,5 wurde den 3. Juli, der niedrigste 1,7 am 27. und am 29.—31. December beobachtet. Der mittlere Barometerstand um 1 Uhr Nachmittags auf 0° R. und den Standpunkt der frühern Jahre reduzirt, betrug 27" 2 60 Pariser Mass. Es ist das der tiefste Mittelstand in der ganzen mit dem Jahr 1827 beginnenden Beobachtungsreihe. Der höchste Barometerstand, auf gleiche Weise reduzirt, trat ein den 9. Nov. um 9 Uhr Abends mit 237 9// 1%; der tiefste den 10. Febr. um 7 Uhr Vormittags mit 26 4, 48. Der mittlere Unterschied des Barometerstandes um 9 Uhr Morgens und 3 Uhr Nachmittags betrug 0’, 37, dem allgemeinen Mittel dieses Unterschieds ziemlich gleich- kommend. Meteorologische Uebersicht des Jahres 1854. Es ergeben sich folgende Mitteltemperaturen: Jan. + 0% 2R. Febr. — 0,9 März + 4,4 April + 8,3 Mai + 11,5 Jun +13,3 Juli + 15,4 Aug. + 1%, 4 Sept. + 12, 7 Oct. + 8,5 Nov. + 2,1 Dec. + 2,5 Jahresmittel + 79%, 7 #5 2 299 Die jährliche Mitteltemperatur ist demnach nur 0°, 1 höher als das allgemeine Jahresmittel. Trotz des voraus- gegangenen kalten Decembers ist der Januar 1°, 1 R. wär- mer als die allgemeine mittlere Wärme dieses Monats. Der Februar hingegen war ein sehr kalter Monat, indem er 2°, 1 hinter dem allgemeinen Mittel zurückblieb. Vom März bis zum September zeigen sich keine bedeutenden Abweichun- gen von den Mittelzahlen. Die Unterschiede steigen nie bis zu 1°. Der November mit 2°, 1 war hingegen kalt, 1°, 9 unter dem allgemeinen Mittel; der December verhältniss- mässig warm, indem er um 1°, 6 das allgemeine Mittel übersteigt. ; . Die Temperaturextreme waren 26°, 9 am 25. Juli und — 13°, 6 am 15. Februar. Anzahl der Regentage 148, der Schneetage 24, und der atmosphärischen Niederschläge überhaupt 165. Riesel trat ein an 2, Hagel an 4, Gewitter an 18 Tagen, und fast ganz bedeckte Tage wurden 121 gezählt. Mittlerer Rheinstand 5‘, 31, höchster den 9. Juli 13, 2, niedrigster den 21. und 25.—29. Januar 1‘, 3. Der reduzirte mittlere Barometerstand um 1 Uhr Nach- mittags ist verhältnissmässig ein hoher 27 4°, 05. Höch- ster Stand den 27. Januar um 9 Uhr Morgens 28‘ 0’, 24, nächst demjenigen vom 11. Februar 1849, welcher 23” 0‘ 64 betrug, der höchste von mir beobachtete. Tiefster Baro- meterstand am 28. December um 7'; Uhr Nachm. 26” 4‘, 39. Unterschied der mittlern Barometerstände um 9 Uhr Mor- gens und 3 Uhr Nachmittags 0’, 47, eine verhältnissmässig starke Zahl. Herr Rathshr. Perer Merıan: Ueber schneereiche Winter in Basel. Vorgelegt den 7. März 1855. In dem gegenwärtigen Monat Februar ist eine Schneemasse in Basel gefallen, wie man sie seit Menschengedenken nicht 300 mehr gesehen hat, Ihre Wegschaffung im Innern der Stadt und in den Bahnhöfen hat zu umfassenden ausserordentli- chen Massregeln von Seite der Behörden Veranlassung ge- geben. | Im Laufe des Monats Januar und im ersten Dritttheil des Februars gab es wohl an einzelnen Tagen Schnee, doch nicht in bedeutender Menge. Starker Schneefall stellte sich erst den 8. Februar und an den folgenden Tagen ein, und dauerte bis zum 18. Morgens, wo er bei stärker eintreten- der Kälte aufhôürte. Am 17. war die herunterfallende Schneemasse besonders gross. Es war den Tag über meist gefrorner Regen der herabfiel, was auf eine höhere Tem- peratur der obern Luftschichten hindeutet. Den 13. um 107 Uhr Abends will man Donner gehört haben. Am 20. fiel wieder gefrorner Regen, der aber zur weitern Anhäu- fung des Schnees nicht mehr wesentlich beigetragen hat. An freien Orten, wo übrigens kein Zusammenwehen des Schnees statt gefunden hat, wie z. B. im botanischen Garten, betrug dessen Tiefe 27; Schweizer Fuss, oder 0,75 Meter. Ris Die hôchste und niedrigste Lufttemperatur war in den ersten 20 Tagen des Februars folgende: Min. Max. 1 — 00,3 R + 40. 6 2 — 3.2 —0.2 BLUE 9 UT + 2.3 Kk— 1.1 + 4.4 5 + 1.0 +4.0 6.14". 0% 40" 8.0 4 + 0.5 +4*.0 8 — 1.9 +1.5 In are" I 40 — 1.1 <+2.5 EPP PS | + 1.2 301 Min Max 12 — 1.7 — 0.3 13% 8:95 +1.6 14 — 3.0 +0.8 15 — 5.1 — 1.5 16 FEB ET 17 — 6.4 — 4.8 18 — 7.4 — 6.8 19 — 10.4 — 3.9 20 — 7.3 — 1.0 In Mülhausen und nordwestwärts soll nach den einge- gekommenen Nachrichten der herabgefallene Schnee noch stärker gewesen sein als in Basel. Rheinabwärts war sie nördlich von Freiburg gegen Karlsruhe weit geringer. Eben so war sie weit geringer schon in Liestal und mehr auf- wärts im Kanton Basel-Landschaft und in den Thälern des Berner Jura, wie namentlich in Sonceboz. Trotz der starken allgemeinen Schneedecke sind die ersten Störche dennoch am 22. gesehen worden, allerdings solche die nur durchgewandert und nicht bei uns geblie- ben sind. Die unten an der Pfalz beim Wegräumen des Winter- schnees angehäuften Schneemassen waren erst am 25. Mai vollständig zusammengeschmolzen. Wir müssen bis auf die Jahre 1784 und 1731 zurück- gehen um Schneefälle zu finden, die mit dem eben erwähn- ten verglichen werden können. 1731 den 9. Februar fiel ein ausserordentlich starker Schnee. Tags darauf wurde vom Rath eine eigene Com- mission niedergesetzt, welche die Massregeln zu dessen Wegschaffung zu leiten hatten. Den nächstgelegenen Dorf- schaften wurde anbefohlen die Strassen gegen die Stadt zu öffnen. Die Commission berichtete den 14. und 17. Fe- bruar über die getroffenen Anstalten, rieth aber am letztern 302 Tage an keine ausserordentlichen Arbeiten mehr vorzuneh- men „da viel hiesige Partikularen, als sie gesehen, dass die Regierung zu Wegräumung des Schnees Eines und das Andere veranstaltet, an ihrem Orte lau und träge worden.“ Es ergiengen noch am 28. Februar und am 4. März Be- schlüsse, dass der zurückgebliebene Schnee vor den Häusern durch die Hauseigenthümer und von den öffentlichen Plä- tzen durch die obrigkeitlichen Lohnamtsarbeiter vollends weggeschafft werden sollte. Eine Verfügung wegen Eröfl- nung der Strasse über den obern Hauenstein wurde den 21. Februar getroffen, woraus hervorgeht, dass der ausser- ordentliche Schneefall über den ganzen Kanton Basel sich ausgedehnt hatte. Vom Jahr 1784 besagt eine Notiz von Professor W er- ner DelaChenal „Jan. 30. Der Schnee dauert fort, _ wiewohl etwas schwächer und liegt bei 2 französ. Schuh, welches seit 1731 hier nicht mehr beobachtet worden.” In der handschriftlichen Sammlung der meteorologi- schen Beobachtungen von Daniel Meyer in dem nahe ge- legenen Mülhausen sind über diesen Schneefall nachstehende nähere Angaben enthalten. „Im Monat Januar 1784 fiel zum ersten Mal Schnee am 17. Nachmittags und den 19. fand er sich in genugsamer Menge vor um in Schlitten fahren zu können, ein Vergnü- gen, welches man während der drei vorhergehenden Jahre hatte entbehren müssen. Dieser Schnee erhielt sich die ganze Woche hindurch durch denjenigen, der von Zeit zu Zeit wieder herabfiel, jedoch am 25. schmolz er in den von der Sonne beschienenen Strassen zusammen. Am 27. fiel wiederum Schnee, in bedeutender Menge jedoch erst vom Morgen des 28. an, so dass die Tiefe der Schneedecke, welche 3 bis 4 Zoll betragen hatte, um 5 Uhr Abends be- reits 9", Zoll mass. Am 29. um 8 Uhr Morgens fand ich, da es immer zu schneien fortfuhr, 17 Zoll und den 30.um - 303 9 Uhr Morgens 23 Zoll Schneetiefe. Diese Schneemasse ist grösser gewesen als alle seit 1731 niedergefallene und nach der Aussage bejahrter Leute hat diese letztere dieje- nige von 1784 nur wenig übertroffen.” „Es hat sich übrigens der Winter von 1783 auf 1784 durch seine lange Dauer ausgezeichnet. Vom November bis zum 20. April, wo die Kälte sich brach, zählte man in Mülhausen 107 Tage, an welchen das Thermometer unter den Gefrierpunkt gesunken ist, während ein mittlerer Winter solcher Tage nur etwa 70 zu haben pflegt.” In Basel wurden aus den umliegenden Dörfern Leute in die Stadt beordert um den Schnee aus den Strassen wegzuräumen. Am 3. Februar wurden diese ausserordent- lichen Arbeiter wieder verabschiedet und die mit der Be- aufsichtigung des Geschäftes beauftragten Rathsdeputirten bemerkten „es hätten sich so wie Anno 1731 die Ursachen hervorgethan, warum die Hülfe des Landvolks bald wieder eingestellt worden, indem viele Bürger auf die Gedanken gefallen, dass, je mehr obrigkeitlich gethan werde, desto weniger nöthig sei selbst beizutragen.” Am 14. Februar berichtete der Landvogt von Wallen- burg, dass er von dem einen Dorfe zum andern zu bahnen befohlen, so wie auch bei den Bächen Alles wegzuräumen, was bei eintretendem Thauwetter den freien Lauf des Was- sers hindern könnte. Im kalten Winter von 1788 auf 1789 wurden ebenfalls ausserordentliche Massregeln, ähnlich den in den Jahren 1731 und 178% angeordneten, getroffen, doch bemerkt das Raths- protokoll ausdrücklich es sei nicht so viel Schnee gefallen als 1784. Die Wegschaffung des Eises an den durch die Stadt fliessenden Bächen und Canälen veranlasste die meiste Arbeit. 304 GEOGNOSIE. Herr Rathsherr Peter Merıan: Ueber die St. Cas- sian-Formationin Vorarlbergunddemnördlichen Tyrol. (Vorgelegt den 18. October 1854.*) Referent hat der Gesellschaft schon mehrfach Mitthei- lungen gemacht über die eigenthümlichen geologischen Bil- dungen, welche im Vorarlberg, in den Umgebungen des Co- mer Sees und an mehrern andern Punkten der Alpen das Liasgebilde unterteufen. (S. Bericht X. S. 147 u. ff) Es sind diese Bildungen in einem Aufsatze des Herrn Arn. Escher im 13. Bande der Denkschriften der schweizeri- schen naturforschenden Gesellschaft ausführlich beschrieben worden. Im Laufe des Sommers 1854 hat Referent, in Be- gleitung der Herren Arn. Escher und Ed. Suess von Wien, die Verbreitung dieser Gebirgsschichten im Vorarl- berg sowohl als im nördlichen Tyrol verfolgt und verschie- dene neue Aufschlüsse erhalten. Unter dem Vorarlberger Lias, der an manchen Stellen reich ist an Versteinerungen, und mit den entsprechenden Gebirgsschichten des west- lichen Europa’s sich gut parallelisiren lässt, können von oben nach unten nachstehende Bildungen unterschieden werden: 1. Der Dachsteinkalk der österreichischen Geologen. Ein dichter Kalkstein, der stellenweise eine grosse Mäch- tigkeit gewinnt, an andern Orten aber mehr zurückzutreten scheint. Er ist reich an Corallen und verschiedenen Con- chylien, worunter die zuweilen bis zu Kopfgrösse anwach- sende sogenannte Dachsteinbivalve (Megalodon scutatus, Schafh.) sich, als besonders characteristisch, auszeichnet. *) Vergl. die Notiz von Escher im VI. Bd. S, 519 der Zeitschrift der deutschen geolog. Gesellsch. und den Auszug meines in der mineralog. Section der Na- turforscher-Versammlung zu Göttingen gehaltenen Vortrags $. 642 Heft des- selben Bandes SG a 305 2. Die Kössener Schichten der Oesterreicher. Es sind das meist dünnschiefrige, dunkel gefärbte mergelige Kalksteine, häufig erfüllt mit eigenthümlichen Versteinerun- gen. Als einige der bezeichnendsten können genannt wer- den: Gervillia inflata, Schafh. Avicula Escheri, M. u. A spe- ciosa, M. Plicatula intusstriata, Emmr. Cardium austriacum, Hauer. Diese schon von Leopold von Buch wahrge- nommene Bildung ist von Herren Emmerich mit dem Na- men Gervillienschichten bezeichnet worden. Die Kössener Schichten stehen mit dem Dachsteinkalke in naher Verbindung. In beiden fehlen die Belemniten, und auch Ammoniten habe ich aus diesen Bildungen noch keine zu Gesicht bekommen. 3. Weiter unten folgt eine mächtige Dolomitbildung, meist ohne Versteinerungen. Es gehören dahin der graue Dolomit, welcher einen Hauptbestandtheil der Vorarlberger Kalkalpen bildet, und die Dolomite, welche längs dem Inn- thal durch das nördliche Tyrol nach Osten fortsetzen. 4. Diese Dolomite werden unterteuft von einem grün- lich grauen oft sehr dichten Sandstein, welcher nicht selten mit Pflanzenüberresten erfüllt ist, die da, wo sie sich deutlich erkennen lassen, übereinstimmen mit Arten der schwäbischen Lettenkohle, wie z. B. Equisetum colum- nare, Sternb. Pterophyllum Jaegeri od. longifolium, Brgn. u. a. m. Im Vorarlberg, wie z. B. im Galgentobel bei Bludenz, enthält dieser Sandstein häufig Bivalven, welche Unionen oder Cardinien ähnlich sehen; in seiner östlichen Fortse- tzung bei Telfs, am Haller Salzberg, im Lafatscher Thal u. a. O., wechselt er mit Kalkbänken, die erfüllt sind mit ei- gentlichen St. Cassian-Petrefacten wie Cardita crenata, Münst. Ammonites Johannis Austriae, Klipst., verschiedenen Arten von Myophorien u. a. m. Der längst bekannte opa- _ lisirende Muschelmarmor des im Norden von Hall gelege- nen Lafatscher Thals gehört diesen Kalkeinlagerungen an. 20 306 Bereits früher schon hatte Hr. Escher in einem Kalk- stein, welcher mit den schwarzen Schiefern vorkömmt, die den Lettenkohlensandstein am Triesner Kulm begleiten, die Halobia Lommelii, Wissm. aufgefunden, (a. a. 0. S 41.) Wir sahen dieselbe Muschel in schwarzem Kalkstein vom Haller Salzberg in der Sammlung des Hrn. Schichtmeister Prinzinger, welcher uns zu den Fundorten der St. Cas- sianer Petrefacten hingeführt hatte. Sie war in einem lo- sen Block gefunden worden, so dass die eigentliche Lage- rung dieses Petrefacts zu den übrigen St. Cassianpetrefacten noch unsicher ist. 5. Nach unten folgt nun der Gyps und die übrigen Felsarten des Haller Salzgebirges. Früher haben verschiedene abweichende Meinungen über die Lagerungsverhältnisse der angeführten geologischen Bildungen bestanden. Der Dachsteinkalk wurde als unterer Muschelkalk betrachtet, und die Kössener Schichten wurden in den braunen Jura versetzt. Es haben solche Ansichten natürlicher Weise viele Verwirrung in die Deutung der in den östlichen Alpen beobachteten Schichtenprofile gebracht. Gegenwärtig sind aber die österreichischen Geologen mit den schweizerischen über die Lagerung der genannten Gebilde vollkommen einverstanden. Seitdem man sich vergewissert hat, dass der Dachsteinkalk und namentlich die Kössener Schichten unter dem Lias liegen, hat man an ihnen einen sehr guten geologischen Horizont gewonnen, der zu einer klaren Erkenntniss des geologischen Baues der Ostalpen sehr wesentlich beigetragen hat Wenn wir aber über die Lagerungsfolge der Bildungen mit den Oesterreichern vollkommen einverstanden sind, so besteht gegenwärtig noch eine Verschiedenheit über die mehr untergeordnete Frage der genauen Parallelisirung der geologischen Bildungen in den Ostalpen mit der im west- lichen Europa erkannten Formationsreihe, und der Benen- en ed 307 nung die wir den verschiedenen Abtheilungen geben. Die Beobachtungen in der Umgegend von Hall scheinen uns den evidenten Beweis zu liefern, dass die eigentlichen St. Cas- sian Bildungen, deren nahe palaentologische Uebereinstim- mung mit den bekannten Hallstätter Kalken von Hrn. Franz von Hauer schon längst ist nachgewiesen worden, in den untern Keuper einzuordnen sind. Dachsteinkalk und Kösse- ner Schichten, die im westlichen Europa gänzlich fehlen, erst im Süden allmälig sich zu entwickeln anfangen, und in den Ostalpen zu mächtigen Gebilden sich entwickeln, betrachten wir, unter der Benennung der obern St. Cas- sian Formation, als ein rein marinisches Aequivalent, der obern Abtheilungen der im westlichen Europa mehr als Land- und Litoralbildung sich darstellenden Keuperforma- tion. Der Mangel an Belemniten, die erst im überliegen- den Lias aufzutreten anfangen, wäre für diese Bildungen besonders bezeichnend. Die mächtigen Dolomitmassen von Vorarlberg und Nordtyrol wären demnach eine grössere Entwicklung der im Vergleich freilich sehr wenig bedeu- tenden dolomitischen Schichten des mittlern Keupers von West-Europa. Die österreichischen Geologen hingegen betrachten Dach- steinkalk und Kössener Schichten noch als untere Abthei- lung der Liasformation des Westens. Es findet sich diese Ansicht in den sehr sorgfältigen Arbeiten des Herrn Franz von Hauer über die Gliederung der 'Trias-, Lias- und Juragebilde in den nordöstlichen Alpen (Jahrbuch der geo- log. Reichsanstalt IV. S. 715) und von Hrn. Ed. Suess über die Brachiopoden der Kössener Schichten (Denkschrif- ten der mathemat. naturwissenschaftl. Klasse der Wiener Akademie, B. VII) näher entwickelt. Sie stützt sich zu- nächst auf das Vorkommen einer Anzahl anerkannter Lias- petrefacten in den Kössener Schichten. 20* 308 Wir müssen nun bekennen, dass nach unserer Ansicht, die Nachweisung dieses Vorkommens erheblichen Zweifeln unterliegt. Vorerst möchten wir die Grestner Schichten des Hrn. von Hauer von der Betrachtung ausschliesen, die in einem von den Kössener Schichten geographisch abge- schiedenen Gebiete vorkommen, und nach Herrn von Hauer selbst einen von denselben wesentlich verschiedenen Cha- racter tragen. Die Parallelisirung der Grestner Kalksteine mit dem eigentlichen Lias scheint vollkommen richtig. Wir halten uns also an die Tabelle der Fossilien der eigentlichen Kössener Schichten, welche Hr. von Hauer in der oben angeführten Arbeit mittheilt. In dieser Tabelle, welche die Verbreitung der Kössener Fossilien an 36 ver- schiedenen Fundorten aufzählt, fällt vorerst auf, dass Be- lemniten und Ammoniten ausschliesslich auf den Fundort Enzesfeld beschränkt sind. Nur ein einziger Ammonit wird noch vom nahe gelegenen Fundorte Hörnstein angegeben. Die Vermuthung liegt daher nahe es möchten bei Enzes- feld noch Lager inbegriffen worden sein, die nicht zu den wahren Kössener Schichten gehören. Wir haben bereits angeführt, dass wir in den Kössener Schichten des Vorarl- bergs bis jetzt keine Spur von Belemniten und keine Am- moniten haben finden können. Lassen wir aber die Fossi- lien von Enzesfeld und Hörnstein weg, und halten uns blos an diejenigen der 34 übrigen Fundorte, so fallen die we- sentlichsten characteristischen liassischen Arten aus, und die Fauna erweist sich als eine den Kössener Schichten fast durchaus eigenthümliche. Es bleiben nämlich blos noch von Zweischalern: Nucula complanata, Phill. dem Toarcien von d’Orbigny angehörend. ; 'Pinna folium, Y. u. B. aus dem Sinon ie Lima gigantea, Sow. aus dem Toarcien. Pecten liasinus, Nyst aus dem Liasien, ' 309 wovon Hr. von Hauer die nach unvollkommenen Exempla- ren vorgenommene Bestimmung der drei letztern Arten selbst für unsicher erklärt, die daher hier kaum von Ge- wicht erscheinen können. Von. Brachiopoden wären mit dem Lias gemeinschaftlich: Terebratula cornuta, Sow. Spirifer Münsteri, Davids. = S. uncinatus, Schafh. Spirifer rostratus, Schloth. Es sind also diese drei Brachiopoden, von denen wir die beiden erstern in den Kössener Schichten des Vorarlbergs selbst öfter gefunden haben, worauf die Parallelisirung mit dem Lias beruht. Nun erlauben wir uns aber die Bemerkung, dass trotz der anerkannten Autorität des Hrn. Suess für die Kenntniss der Brachiopoden, die von ihm vorgenommene Identifizirung des für die fraglichen Schichten sehr charakteristischen Spirifer uncinatus, Schafh., mit dem liassischen S. Münsteri, Davids., uns noch zweifelhaft scheint. S. uncinatus ist viel weniger in die Breite gezogen, als S. Münsteri aus unzwei- felhaftem Lias. Wir besitzen in unserer öffentlichen Samm- lung eine vor Jahren zusammengestellte ganze Reihe von Exemplaren dieses letzteren aus dem Lias unserer Umge- gend und der angrenzenden Länder (darunter auch das Originalexemplar von .d’Annone, der von Hrn. Suess belob- ten ältesten Abbildungen in den Actis helvet. und in dem Knorr’schen Versteinerungswerke), und so sehr man geneigt ist, abweichende Formen in solche Reihen aufzunehmen, ergibt sich sehr anschaulich die durchgängig, breitere Form von S. Münsteri gegen die schmälere von S. uncinatus, wie wir letztere kennen, wie er auch durchgängig in den Ab- bildungen von Schafhäutl, Falger und in den schönen Ta- feln der Suess’schen Abhandlung dargestellt ist. Es scheint uns das zu berechtigen, den S. uncinatus der Kössener 310 Schichten als eigenthümliche, von S. Münsteri des Lias ver- schiedene Art zu betrachten. Terebratula cornuta, Sow. = T. vicinalis, v. Buch, in den Kössener Schichten überall häufig, gehört den wenig entschiedenen Gestalten glatter Terebrateln an, welche für eine Entscheidung? über Identität von Formationen etwas misslich sind. Spirifer rostratus Schl., den wir in den fraglichen Schichten noch nicht gefunden haben, von welchen aber Herr Suess eine Anzahl von Localitäten aus unzweifelhaf- ten Kössener Schichten angibt, gehört zwar zu den mehr entschiedenen Formen. Er geht aber bekanntlich durch sehr verschiedene Abtheilungen des Lias hindurch, möchte daher für Fixirung einer geologischen Bildung eine wenig ge- eignete Art sein. Betrachtet man dabei, dass mit den erwähnten Bra- chiopoden, die liassischen Arten nahe stehen, andere dem Lias ganz fremde Gestalten auftreten, wie namentlich Spi- rigera oxycolpos, Emmr., so erscheint die Aehnlichkeit der Kössener Brachiopoden Fauna mit derjenigen des Lias sehr schwach begründet. Hingegen sind hinwiederum die Berichtigungen, welche Herr von Hauer an einigen meiner frühern Bestimmungen von Petrefacten der Kössener Schichten vornimmt, die ich identisch gehalten habe mit Arten der eigentlichen untern St. Cassianformation, vollkommen richtig. So ist Cardium austriacum, Hau. der Kössener Schich- ten eine zwar nahe verwandte, aber allerdings verschiedene Art von Cardita crenata, Münst, welche letztere auch in den Umgebüngen von Hall, wie bei St. Cassian selbst, die bei Weitem vorwaltende Hauptleitmuschel der untern St. Cassianformation bildet. Ich habe mich von dieser Ver- schiedenheit, durch Hrn. von Hauer’s Einsprache veranlasst, vermittelst einer genauern Vergleichung der besten von ua a 31i Hrn. Escher in den Kössener Schichten des Vorarlbergs ge- sammelten Exemplare überzeugt. Die Anzahl der Rippen und deren Skulptur ist bei bei- den Arten fast übereinstimmend. Auch die Convexität der Schalen ist ungefähr dieselbe, wenn man Exemplare von C. austriacum vergleicht, die in einer dichtern Kalkmasse eingeschlossen sind, und nicht, wie das häufiger der Fall ist, in einem schiefrigen Gestein, wo dann die Muschel durch Zerdrückung mehr abgeplattet erscheint. Auch die Beschaffenheit des Schlosses möchte keine generischen Verschiedenheiten zeigen, wie denn schon d’Orbigny in seinem Prodrome die Münster’sche Cardita crenata als Car- dium crenatum aufführt. Hingegen besitzt Cardita crenata eine deutliche Lunula, welche bei Cardium austriacum fast ganz fehlt. Dadurch wird veranlasst, dass die Rippen an der Vorderseite der Muschel bei C. austriacum die Con- vexität nach vorn richten, bei C. crenata nach hinten. Die Hinterseite der Muschel ist bei C. crenata, durch gerade Fortsetzung des obern Randes, von mehr viereckiger Ge- stalt, bei C. austriacum, wo der obere Rand sich nicht so weit verlängert, mehr zugerundet. Die mit der angedeu- teten Gestalt zusammenhängende, mehr oder weniger deut- lich ausgeprägte, glatte, durch einen scharfen Winkel von dem gerippten Theile der Muschel gesonderte Area von Cardita crenata fehlt bei Cardium austriacum fast gänzlich. Es hat sich übrigens bei der Bestimmung dieser Mu- schel ein ganz eigener Fall zugetragen, dessen Erzählung man mir zu gut halten möge. Als Freund Escher im Win- ter 1851 die von ihm bei Gazzaniga im Val Seriana und an der Scesa plana eingesammelten Kössener Petrefacten zur Bestimmung übersandte, suchte ich vergeblich nach irgend einer Etage des Jura oder des Lias, in welche sie eingeordnet werden könnten; ihr Gesammthabitus war mir ein durchaus fremdartiger. Aufmerksam geworden auf die 312 St. Cassianformation durch die ebenfalls beigelegte Halobia Lommelii aus Val Trompia, schienen mir die Aviculae aus der Abtheilung der gryphaeatae, die kleinen Cerithierarti- gen Schnecken, und die übrigen ziemlich zahlreichen, obwohl schlecht erhaltenen kleinen Einschaler und Zweischaler auf eine grössere Aehnlichkeit dieser Petrefactenfauna mit der- jenigen von St. Cassian, als irgend einer jurassischen Schicht hinzudeuten, und ich hatte diese Vermuthung in dem Ant- wortschreiben an Escher bereits ausgesprochen und darauf hingedeutet, es wäre wünschenswerth, wenn auch die St. Cassianer Hauptleitmuschel, die Cardita crenata, aufgefunden werden könnte, als ich beim Zusammenpacken der Petre- facten ein sehr unvollständiges kleines Exemplar von Car- dium austriacum auffand, in welchem ich die gewünschte Cardita crenata zu erkennen glaubte. Einige bessere Exem- plare dieser Muschel, die Escher zufälliger Weise zurück- behalten hatte, sandte er mir auf meine Bemerkung sogleich nach, und ich hielt dann das Vorkommen der charakteri-- stischen Cardita erenata für gesichert. Gegenwärtig ergibt sich nun freilich, dass der errathene Fündling nicht die wahre Leitmuschel von St. Cassian, sondern nur ihr Doppel- gänger ist. Eben so hat Herr von Hauer vollkommen Recht, die Plicatula intusstriata, Emmr., der Kössener Schichten für verschieden zu halten von Spondylus obliquus, Münst., mit welchem ich sie zusammengestellt habe. Ich konnte hier kein Originalexemplar von St. Cassian zur Vergleichung benutzen, sondern nur die ziemlich unvollkommene Abbil- dung in den Münster’schen Beiträgen. Es ist das eine sehr unscheinbare kleine Muschel, auf die wir erst recht auf- merksam geworden sind, als sie sich bei der spätern Bereisung des Vorarlbergs und der Umgebungen des Comer- sees, trotz ihrer Unscheinbarkeit, als eine häufig vorkom- mende sehr bezeichnende Leitmuschel der Kössener Schich- 313 ten ergab. Wir haben seither in den eigentlichen St. Cassianschichten beim Haller Salzberg eine ähnliche, von intusstriata aber verschiedene, kleine Plicatula gefunden, welche wahrscheinlich mit dem eigentlichen Spondylus ob- liquus von Münster übereinstimmt. Es scheint aus diesen, vielleicht nur zu weitläufig ge- führten, Erörterungen hervorzugehen, dass wenn auch die Fauna der Kössener Schichten eine eigenthümliche, von derjenigen von St. Cassian verschiedene ist, sie mit der- selben eine gewisse Aehnlichkeit in ihrem Totalhabitus be- sitzt, und zwar eine weit grössere, als mit der Fauna irgend einer Abtheilung des Lias, und dass dadurch die Benennung obere St. Cassianformation, unter welcher wir den Dachsteinkalk und die Kössener Schichten zusammenfassen, bis auf einen gewissen Grad ihre Berechtigung findet. Ist aber, wie wir dafür halten, unsere obere und untere St. Cassianformation der rein marinische Vertreter der ver- schiedenen Etagen der Keuperformation des westlichen Europa, der erst im Osten sich entwickelt, so möchte da- mit die weit grössere Mächtigkeit, in welcher diese For- mationen, im Vergleich zum westeuropäischen Keuper auf- treten, im Zusammenhange stehen. Die Aehnlichkeit ihrer Bildungsweise mit derjenigen des aufgelagerten Lias und Jura’s würde erklären, wie die grosse Lücke, die wir in der petregraphischen Beschaffenheit der Gebirgsarten so- wohl, als in derjenigen der eingeschlossenen Fauna zwi- schen Lias und Keuper in Westeuropa vorfinden, sich im Osten ausfüllt, und der Uebergang vom Lias zum Muschel- kalk sich vermittelt. Es wäre das eine geognostisch nach- gewiesene Vermittlung zwischen Lias und Muschelkalk, wie sie die Herren Elie de Beaumont und d’Orbigny, von der blossen zoologischen Eigenthümlichkeit der Bildungen von St. Cassian geleitet, schon längst angenommen haben. 314 Herr Rathshr. Pérer Merian: Ueber verschiedene Petrefacten aus der Stockhornkette, den italiäni- schen Alpen und der Umgegend von Lugano. Vor- gelegt den 4. Juli 1855. Es sind dem Referenten von verschiedenen Seiten Ver- steinerungen zur Bestimmung zugesandt worden, die einige Beiträge zur nähern Kenntniss alpinischer Formationen lie- fern, von welchen er Einiges der Gesellschaft vorlegt. Von Herrn Professor C. Brunner-vonWattewyl in Bern erhielt er zur Einsicht die von demselben gesam- melten Fossilien, welche in den Gebirgsschichten vorkom- men, die an der Stockhornkette die Liasformation unter- teufen, und von welchen bereits im Bericht X, S. 157 eine vorläufige Notiz mitgetheilt worden ist. In dem Lias der Stockhornkette hat man in neuerer Zeit, namentlich durch _ die Bemühungen der Herren Gebrüder Meyrat, eine grosse Zahl wohlerhaltener Versteinerungen aufgefunden, deren genaue Aufzählung Herr Brunner in einem nächstens in den Denkschriften der schweizerischen naturforschenden Gesell- schaft erscheinenden Aufsatze geben wird. Darunter kommt namentlich auch, mit den Ammoniten des untersten Lias, die Grypha arcuata, Lam., vor. Es ist das die östlichste Stelle in den Alpen, wo diese im untern Lias von West- europa so allgemein bekannte Leitmuschel angetroffen wor- den ist. In den östlichern Alpen, namentlich in den untersten Liasschichten von Vorarlberg, hat man bis jetzt vergeblich nach ihr gesucht. Unter dem ältesten Lias der Stockhornkette gehen an verschiedenen Stellen dichte Kalksteine und Kalkschiefer zu Tage aus, welche Petrefacten unserer obern St. Cas- sianformation umschliessen. Die Fundorte sind der Hügel zwischen der Kirche von Blumenstein und dem Fallbach, Oberbach am Ostfusse des Stockhorns, und die Nünenenalp 315 unterhalb des Gürbefalls. Diese Versteinerungen sind nach- stehende: Corallen, wie es scheint in grossen Stöcken. Hemicidaris florida, M., eine neue Art ungefähr von der Grösse von H. crenularis, Ag. Nebst Bruchstücken der Schale kommen auch ziemlich dünne cylind- rische Stacheln vor, mit ganz feinen der Länge nach gereihten Granulationen und mit einem stark hervorstehenden Ringe am untern Ende. Wahr- scheinlich gehören diese Stacheln zu den mit vor- kommenden Schalenüberresten. Pentacrinus Sp. Spirifer uncinatus, Schafh. Terebratula, offenbar zu der Art gehörend, welche Hr. Suess mit T. cornuta, Som., vereinigt. Scheint sehr häufig zu sein. Ostrea Haidingeriana, Emmr. Die in ziemlicher Anzahl vorhandenen Exemplare sind jedoch alle kleiner als diejenigen aus Vorarlberg. Plicatula intusstriata, Emmr. In schönen Exemplaren. Avicula Escheri, M Pholadomya Trunculus, M. Eine Art, die auch bei Bel- lagio am Comersee vorkömmt und im Prodrome von d’Orbigny 9. Nr. 152 P. subangulata benannt wird. Pecten Falgeri, M. Ausserdem unbestimmbare Bruchstücke von Pinna, Ger- villia, Lima und Chemnitzia. Es sind das offenbar Arten, die für die sogenannten Kössener Schichten bezeichnend sind. Die Corallen lassen auch auf das Vorkommen von Dachsteinkalk schliessen. Herr Theob. Zollikofer sandte Petrefacten aus den Umgebungen des Comersees und den Bergamaskeralpen ein. Unter denselben sind besonders bemerkenswerth: 316 1. Ein schwarzes, schieferiges Gestein aus dem Val di Scalve, Provinz Bergamo, welches deutliche Bruchstücke enthält von Halobia Lommelii, Wissm., Ammonites Aon, Münst., und sehr unvollkommene Reste eines globosen Am- moniten mit Einschnürungen, welche dem A. galeiformis, Hau., angehören können. Die Gebirgsart stimmt ganz überein mit derjenigen des Val Trompia, in welcher Escher Halobia Lommelii und Am. Aon gefunden hat, und in deren Nähe auch Am. ga- leatus, Hau., liegt (s. den oben angeführten Aufsatz S. 110). Das von demselben nachgewiesene Vorkommen der untern St. Cassianformation in den Bergamaskeralpen scheint sich folglich auf eine ziemlich weite Erstreckung auszu- dehnen. 2. Eine Anzahl zum Theil sehr schöner Petrefacten aus dem obern St. Cassian oder den Kössener Schichten der Umgebungen des Comersees. Die Fundorte, grössten- theils bereits schon durch die Escher’sche Arbeit bekannt, sind Selino im Val Imagna, Torrente di Guggiate und Barmi bei Bellagio, und Andrara di S. Rocco. Unter den hier vorkommenden Versteinerungen erwähnen wir Pholadomya Trunculus, M., und zwei kleine Cardien, wahrscheinlich C. Collegni, d’Orb., und C. subtruncatum, d’Orb., Nucula sp. u. a. m. Ferner in guten Exemplaren, vorzüglich aus Val Imagna, verschiedene noch unbeschriebene neue Arten. Wir erwähnen bei dieser Gelegenheit, dass Hr. d’Or- bigny in seinem Prodrome die Kössener Schichten von Bellagio, unbekannt mit ihrer nunmehr wohl ausgemittelten Lagerung, in seinen Toarcien, oder obersten Lias, versetzt. Die von diesem Fundorte von ihm aufgezählten Verstei- nerungen sind nachstehende: Nr. 128. Cerithium Hemes, n. sp., wahrscheinlich das kleine Cerithium, welches Escher und ich bei Bene 317 gefunden haben, und welches auch bei Gaz- zaniga vorkömmt. Nr. 152. Pholadomya subangulata, d’Orb. P. Trunculus, M. von d’Orb. mit Homomya angulata, Ag., aus dem Toarcien von Gundershofen verwechselt. „ 174. Leda rostralis, d’Orb. Nucula claviformis, Sow. „ 176. Leda Rosalia, d’Orb. Nucula striata, Roem. » 200. Unicardium uniforme, d’Orb. Corbis uniformis, Phill. „ 202. Cardium subtruncatum, d’Orb. C. truncatum, Roem. „ 203. Cardium Collegni, n. sp. „» 204. Cardium Erosne, n.sp. wahrscheinlich €. austria- cum, Hau. „ 216. Mytilus Fidia, n. sp. Die übrigens auch in Toar- cien bei St. Amand vorkommen soll. „ 249. Pecten textilis, Münst. Es ist das wohl ein Beweis, wie selbst der beste Petrefactenkenner sich irren kann, wenn unvollkommene Exemplare von nicht sehr bezeichnenden Arten vorliegen, deren Lagerung unbekannt ist. 3. Lagen der Zollikofer’schen Sendung bei: Ammonites Comensis, Buch., und einige andere Ammoniten, welche mit ihm vorzukommen pflegen, im rothen Ammonitenkalk (Toar- cien, d’Orb.) von Entratico bei Bergamo. Es sind das über- einstimmende Schichten mit den bekannten von Erba in der Brianza. Ferner von Entratico: Terebratula triangulus, Lam., welche von Vielen als Varietät der T. diphya ange- sehen wird. Von Trescorre, Provinz Bergamo, und von S. Martino im Val d’Andrara glatte und imbricate Apty- chus, Es wäre wünschenswerth die genaue gegenseitige Lagerung der Aptychus und der T. triangulus zu den Am- moniten des rothen Kalkes mit Bestimmtheit zu ermitteln. Hr. Zollikofer schreibt, dass bei Entratico die Ammoniten sich in einer obern Schicht, die Aptychus, Belemniten und 318 Terebrateln in einer untern sich befänden, was noch eine genaue Untersuchung verdient. Herr Abbate Joseph Stabile hat die von ihm neu gefundenen Petrefacten aus dem Dolomite des Monte Sal- vatore zugeschickt. Sie gehören zum Theil den gleichen Ar- ten an, welche die frühere Sendung enthalten hat (Ver- handlungen 1. Heft, S. 84), auf die wir daher nicht mehr zurückkommen, zum Theil aber neuen. Darunter erwähnen wir, als im deutschen Muschelkalk bereits bekannt: Ger- villia (Avicula) Bronnii, Albert. Das Exemplar stimmt ganz gut, die Flügel sind jedoch nicht hinreichend entblösst, um der Bestimmung ganz sicher zu sein. Ein kleiner fla- cher Ammonit, von etwa %%,“ Durchmesser, mit etwas sichelförmig gebogenen, nur sehr wenig erhabenen Rippen auf der erhaltenen Schale und deutlichen Ceratiten-Loben, ist vielleicht die jugendliche Gestalt von A. luganensis, M. Unter den vielen Bruchstücken, die durchaus neuen, auch im Muschelkalk bisher unbekannten Arten angehören, zeich- net sich namentlich aus: eine Avicula, entfernt ähnlich der A. tessellata, Phill. (aus Kohlenkalk), eine gerippte Mo- diola, mit wohl erhaltener Sculptur der Schale, und eine Pleurotomaria oder Phasianella. Herr Stabile wird wahr- scheinlich für Bekanntmachung von Abbildungen dieser Ar- ten besorgt sein. Im Ganzen enthielt diese zweite Sendung weniger schon bekannte Muschelkalkformen, als die frü- here, und eine verhältnissmässig grössere Anzahl unbekann- ter Arten. Sehr bemerkenswerth ist namentlich das Vorkommen von Halobia Lommelii, Wissm. Herr von Hauer, wel- cher auf Herrn Stabile’s Ansuchen die Gefälligkeit hatte, einige der neuen am Monte Salvatore vorkommenden Petre- facten abbilden zu lassen und genauer zu beschreiben (Sitzungsberichte der Wiener Akademie Bd. XV, S. 407), hat die von mir (1. Heft, S. 86) erwähnte Posidonomya, 319 die auf seiner Fig. 6 abgebildet ist, und die ich nicht zu bestimmen wagte, für Halobia Lommelii erklärt. Verschie- dene neue Bruchstücke, welche der zweiten Sendung des Herrn Stabile beigelegen sind, lassen über die Richtigkeit dieser Bestimmung nicht mehr zweifeln. Das Vorkommen der Halobia Lommelii, welche bis jetzt als charakteristisch für die untersten Schichten der eigentlichen oder üntern St. Cassianformation angesehen wird, begründet allerdings die von Herrn von Hauer auf- gestellte Vermuthung, dass am Monte Salvatore unterer St. Cassian und Muschelkalk sich berühren. Ob es gelingen wird, die Schichten mit Halobia von denjenigen zu trennen, welche anerkannte Muschelkalkpetrefacten enthalten, muss allerdings eine genauere Ermittlung der Lagerstätten der verschiedenen, his jetzt grossentheils nur im Schutte auf- gefundenen Petrefacten lehren. Herr Stabile gibt uns viel- leicht in nächster Zukunft darüber Aufschluss. Bereits ist darauf aufmerksam gemacht worden (1. Heft, S. 89), dass der petregraphische und zoologische Charakter der Schich- ten des Monte Salvatore auffallende Abweichungen zeigt, von demjenigen anderer nicht entfernter Vorkommnisse des italiänischen Muschelkalks im Val Seriana und am Fusse des S. Defendente oberhalb Varenna am Comersee. Jeden- falls möchten sie daher verschiedenen Abtheilungen der Muschelkalkformation angehören. . Wird man einst, und hoffentlich wird das nicht lange andauern, im Reinen sein über die genauen Beziehungen der Hallstätter oder St. Cassian Schichten und der Halobia zum eigentlichen Muschelkalk, so werden auch Aufschlüsse sich ergeben über die genaue Lagerstätte der schönen Petre- facten von Esino, da Herr Escher in deren Begleitung die Halobia Lommelii ebenfalls aufgefunden hat. (S. 94 der mehrerwähnten Abhandlung.) 320 Den 4. Juli 1855 legt Herr Rathsherr Peter Me- rian einen Eckzahn von Ursus spelaeus, Biumb., vor, welcher in Höhlungen eines Kalksteins bei Massmünster im oberrheinischen Departement in Begleitung von andern Knochenüberresten ist aufgefunden worden. GESCHENRE an das naturwissenschaftliche Museum in den Jahren 1853 und 1854, 1. Geldbeiträge. Von löbl. gemeinnützigen Gesellschaft Jahres- beitrag für 1853 . Von löbl. Museums-Verein desgl. Von Ebendemselben zu bestimmter Verwen- dung ar Von einem Freunde der Anatät Von Hrn. Rathsh. Peter Merian, zur Verwen- dung für die Bibliothek Ferner: Von löbl. gemeinnützigen Gesellschaft Jahres- beitrag für 185% . Von löbl. Museums-Verein desgl. Antheil an dem Geschenke eines bejahrten | Freundes des Museums Von Hrn. Rathsh. Peter Merian, für die Bi- bliothek . Fr. 300. — EE mr 350. — nm 1000. — " 300. TES Fr. 2740. — Fr. 300. — u 829. 50 Pat 72 300. Te, Fr. 2229. 50 21 322 2. Geschenke an die zoologische Sammlung. Von Hrn. Eman. Hübscher-VonSpeyr: Ein weisser Iltis. Von Hrn. Adolf Burckhardt-Iselin: Eine Sammlung von Coleoptern aus Nordamerika und Cuba. Von Hrn. Prof. J. J. Mieg: Einige Schlangen in Weingeist aus Brasilien. Von Hrn. Eduard Sarasin in Rio de Janeiro: 30 Stück brasilianische Vögel. Von Hrn. Rud. Merian-Iselin: 12 Stück europäische Vögel. $ 4 Von Hrn. Prof. W. Wackernagel: Biologie der Insecten von J. J. Bremi, eine Sammlung von Arbeiten der Insecten an Blättern u. s. f. in ei= nem Band in 8°. Von Hrn. Rud. Geigy, Sohn: 100 Stück ostindischer Vögel. 5 Eine Sammlung ostindischer Käfer und Schmetterlinge: Von Hrn. Heinr. Merian-VonderMühll: x Phoca barbata. a Falco islandicus. Falco arcticus, sämmtlich aus Grönland. Von Hrn. Ben. Stähelin-Bischoff: Larus eburneus aus Grönland. Re Von Hrn. A. Socin-Legrand: Eine wilde Katze, im Breisgau geschossen. 3. Für die Mineralien- und Petrefacten-Sammlung 2 | Von Hrn. Turnlehrer Adolf Spiess in Darmstadt: . =... Cyprina rotundata, Braun, aus Rheinhessen. Si Re 323 Von Hrn. Dr. Eman. Meyer-Steiger in Travers: Versteinerungen aus dem Val Travers und von St. Croix, Kant. Waadt. Von Hrn. Christoph Merian-Burckhardt: Grosses Bruchstück eines Stosszahns des Mammuth- Elephanten, beim Dreispitz gefunden. Von Hrn. Architect Friederich: Grosse Steinplatte von buntem Sandstein von Herten, den Wellenschlag zeigend. Von Hrn. Aug. Riggenbach, Turnlehrer: Eine Anzahl Versteinerungen aus dem Kant. Basel und aus der Umgegend von Neuchatel. Von Hrn. Joseph Köchlin-Schlumberger in Mülhausen: Versteinerungen und Gebirgsarten aus dem südlichen Frankreich und Italien, von St. Cassian in Tyrol und andern Gegenden. Von Hrn. Prof. Ed. Desor in Neuchatel: Verschiedene fossile Echiniden und Crinoideen. Von Hrn. Bonanomi in Delsberg: Blätterabdrücke von Develiers dessus im Delsberger Thal. Von Hrn. Prof. Osw. Heer in Zürich: Sammlung von Pflanzenabdrücken von Rivaz bei Lau- sanne. - Von Hrn. Rud. Blanchet in Lausanne: Pflanzenabdrücke von Rivaz. - Von Hrn. Heinr. Merian-VonderMühll: Versteinerungen aus der Umgegend von Frohburg, Kant. Solothurn. Von Hrn. Friedr. Becker, Lehrer an der Gewerbschule: Versteinerungen aus der Gegend von Basel. Von Hrn. Dr. Rud. Burckhardt-Burckhardt: Verschiedene Versteinerungen aus dem Kant. Basel. 21* er 32% ER kg) Von Hrn. Rathsh. Peter Merian: | TS Versteinerungen aus dem Berner Jura, dem Sundgau und Schwaben, ferner Versteinerungen und Minera- lien vom Harz und aus Norddeutschland. HAE ONE Von Hrn. Dr. Albrecht Müller: Versteinerungen aus der Umgegend von Basel, Mine- ralien aus verschiedenen Gegenden. Von Hrn. Dr. Christoph Burckhardt: Eine Anzahl von Versteinerungen aus verschiedenen Gegenden. 4. Für die naturwissenschaftliche Bibliothek, im Jahr 1853. Von der K. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig: 4 Drobisch, über musikalische Tonbestimmung. 1852. 4 Hofmeister, Beiträge zur Kenntniss der Gefässkrypto- gamen. 1852. a Hansen, Entwicklung einer Potenz des Radiusvectors. 1853. ” Be Bericht über die Verhandlungen der K. Sächs. Gesell- 2 schaft der Wissenschaften. 1852. I. IL 1853. 1. = Von dem Württembergischen naturwissenschaftl. Verein: Württembergische naturwissenschaftl. Jahreshefte. 1853. III. 1854. 1. Von der naturforschenden Gesellschaft zu Görlitz: "à Abhandlungen der naturf. Gesellsch. zu Görlitz. IM. 1. 2. IV. 1 u. VI. 1. 18401851. Be Von der naturforschenden Gesellschaft in Bern: Br. Mittheilungen der naturf. Gesellschaft in Bern, Nr. 258— 299. 1852—1853. 4 Von der Société Vaudoise des sciences naturelles: Le Bulletin de la Société Vaudoise, Nr. 26—30. 18521855. 325 Von der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur: Neunundzwanzigster und dreissigster Jahresbericht der Schles. Gesellschaft für 1851 u. 1852, Von dem zoologisch-botanischen Verein in Wien: Verhandlungen des zoolog.-botan. Vereins. 1853. Von der K. Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg: Bulletin de la Classe physico-mathématique de l’Acad. imp. des sciences. XI. 3—24. XII. 1—8. Mémoires de l’Academie des Sciences de St. Petersh. VI. série. Sciences mathém. et phys. V. 5e et 6e Livr. 1853. | Von der physicalisch-medicinischen Gesellschaft zu Würz- burg: Verhandlungen der phys.-medic. Gesellsch. II. 3. IV. 1.: 1853. Von der deutschen geologischen Gesellschaft in Berlin : . = Zeitschrift der deutschen geolog. Gesellsch. IV. 3. 4. 1852. V. 1—3. 1853. Von dem zoologisch-mineralogischen Verein in Regensburg: Correspondenzblatt des zool.-mineral. Vereins VI. 1852. Abhandlungen des zool.-mineral. Vereins, 3. Heft. 1853. Wineberger, Geognost. Beschreibung des Bayerischen und Neuburger Waldes. 1851. Von der K. Akademie der Wissenschaften in Wien: Sitzungsberichte der K. Akademie. VII. 4. 5. IX. 1—5. 1852. X. 1—5. XI, 1. 2. 1853. Die feierliche Sitzung der K. Akademie. 1852. Almanach der K. Akademie f. 1853 u. 1854. Von der Gesellschaft zur Beförderung der Naturwissen- schaften zu Freiburg i. B. Beiträge zur rheinischen Naturgeschichte. 3. Heft. 1853. Von der naturforschenden Gesellschaft in Zürich: Mittheilungen der naturf. Gesellsch. in Zürich, Nr. 66— 78. 1852. 326 | Von dem Mannheimer Verein für Naturkunde : Achtzehnteru.neunzehnter Jahresberichtd. Vereins. 1853. Von der K. geologischen Reichsanstalt in Wien: Jahrbuch der K. geolog. Reichsanstalt. III. 3. 4. IV. 1. 1852 — 1853. Abhandlungen der K. geolog. Reichsanstalt. I. 1852. 4°. Ettingshausen, die Tertiärflora der Oesterreichischen Monarchie. I. 1851. 4°. Hörnes, die fossilen Mollusken des Tertiärbeckens von Wien. I—IV. 1851—1852. 4°. Kenngott, Uebersicht der mineralog. Forschungen in den Jahren 1844—1849. 1852. 4°. Partsch, Katalog der Bibliothek des K. K. Hof-Mine- ralien-Cabinets. 1851. 4°. Allgemeine Uebersicht der Wirksamkeit der geolog. Reichsanstalt. 1852. Von der Linnean Society in London: Proceedings of the Linnean Society, Nr. 43—50. 185%. Von. der Société industrielle in Mülhausen: Se Bulletin de la Société industrielle, Nr. 120. 121. 1853. Von der Société Jurassienne d’emulation: Coup d’eil sur les travaux de la Société jurassienne. 1852. Von der naturforschenden Gesellschaft in Danzig: é Neueste Schriften der naturf. Gesellschaft in Danzig. NE 11855. E Von der Société des Sciences naturelles de Neuchatel. Bulletin. IH. S. 1—94. Von der Smithsonian Institution in Washington: Smithsonian Contributions to Knowledge. V. 1853. 4°. 6th annual Report of the Smithsonian Institution. 1852. | Stanley, Portraits of North-American Indians. 1852. Ë Foster and Whitney Report on the Geology of 4 Lake superior. IL 1851. Cadw. Ringgold, Charts of California. 1852. 327 Maury, Explanations to the Wind and Current Charts. 1852. Baird and Girard, Catalogue of the North American Rep- tiles. I. 1853. Baird and Girard, Characteristics on some new Reptiles. IL. III. 1852. Von dem Nassauischen Verein für Naturkunde: „Jahrbücher des Vereins. IX. 1853. Von der naturforschenden Gesellschaft in Halle: Jahresbericht der naturforsch. Gesellschaft in Halle. V. 3. 4. 1852. Von Hrn. Prof. Christoph Bernoulli: Neue Encyclopädie der Wissenschaften und Künste. I. 1. Wedekind, Forstwissenschaft. Fraas, Landwirth- schaftslehre. 1847. I. 1. Zamminer, Physik. 1852. I. 4. 5. Lamont, Astronomie und Erdmagnetismus. 1851. II. 1. a. Bronn, allgemeine Zoologie. 1850. II. a. c. Blum, Mineralogie und Geognosie. 1850. III. 2. Arneth, Geschichte der reinen Mathematik. 1852. Von Hrn. Prof. Alex. Ecker in Freiburg i. B. Wagner, Icones physiologiae, herausg. v. A. Ecker. Il. 1852. fol. Ecker, Entwicklungsgeschichte des grünen Armpoly- pen. 1853. Von Hrn. Dr. Heinr. Iselin: Schinz, Monographien der Säugethiere. 28. u 29. Heft. 1853. 40, Von Hrn. Rod. Blanchet in Lausanne: Blanchet, Mémoire sur l'orage qui a ravagé le Cant. de Vaud, le 23 Août 1850. Par 1852 et Notice. Laus. 1853. Von Hrn. Prof. C. Bruch: Remack, Untersuchungen über die Entwickelung der Wirbelthiere. I. 1851. fol. 328 Kölliker, zweiter Bericht von der zootomischen Anstalt in Würzburg. 1849. Von Hrn. Prof. J. G. Fischer in Hamburg: | Fischer, die Einheit in der organischen Natur. Hamb. 1853. — — Leitfaden zum Unterrichte in der Elementar- Geometrie. Jb. 1853. | Von löbl. Lesegesellschaft: ut Froriep, Notizen aus dem Gebiete der Natur und Hel- kunde. B. 35—50. 4°. Froriep, neue Notizen. B. 1—40. 4°. Schleiden und Froriep Notizen, 3. Reihe. B. 1 40, Froriep, Tagesberichte über die Fortschritte der Natur und Heilkunde. 1850—1852. 8°. Oken, Isis. 1817—1828 und 1843—1848. 40. _ Jameson, Edinburgh new philosophical Journal. B. 34—49. Silliman American Journal of Science and Arts. Jahrg. 1843—1853. 4°. Von Hrn. Dr. J. Drew: Drew, on the present state of metorological Science in England. 1851. Drew, on the adjustment of the Transit Circle and Equatorial. 1852. Von Hrn. Dr. Albr. Müller: - Uffenbach, de quadratura Cireuli. 1653. ‘ Die Bergakademie zu Freiberg. 1850. - Von Hrn. Pfarrer J. Huber: Manuscript eines unbekannten Verfassers über Vieh- zucht und Jagd, 2 Bde. fol. Von Hrn. Prof. C. F. Meisner: = Drew, Remarks on the Climate of Southampton. 1852. Von Hrn. Ch. Girard in Washington: Girard, Revision of the North-American Astaci. 1852. — On the classification of Mammalia. 329 Von den Herren Herausgebern: Silliman and Dana, The American Journal of Scieuce and Arts. 2d Ser. Jahrgang 1852 und 1853. Von Hrn. James D. Dana in Newhaven: ; Dana, on certain laws of cohesive attraction. 1847. — on the Humite of Monte Somma. 1852. und 12 Abhandlungen über Crustaceen. Von Hrn. Prof. F. C. Schönbein: Müller, Bericht über die neuesten Fortschritte der Phy- sik. VII—X. 1851. Faraday, Experimental Researches in Electricity. 28 and 29 Series. 1852. Lamont, Jahresbericht der K. Sternwarte bei München für 1852. Volger, Studien zur Entwicklungsgeschichte der Mine- ralien. 1854. : Krönig, Journal für Physik und physikal. Chemie des Auslandes. I—II. 1851, nebst einer Anzahl kleiner physikal. und chemischen Schriften. Von Hrn. Stud. Geissmann: Cuvier le Regne animal distribué d'après son organi- sation. I—III. 1817. Von Hrn. Rathsh. P. Merian: | Eine Anzahl kleiner, vorzüglich mineralogischer Schriften. Im Jahr 1854. - Von der K. Schwedischen Akademie der Wissenschaften: Öfversigt af K. Vetenskaps-Akademiens Förhandlingar. 1852. Von der Chemical Society in London: Quarterly Journal of the Chemical Society. Nr. 22— 25. 1854. - Von dem zoologisch-mineralogischen Verein in Regensburg: Correspondenzblatt des Vereins. VII. 1853. Abhandlungen. IV. 1854. 330 A eher u 41 zus un ne Von der naturforschenden Gesellschaft zu Görlitz: Abhandlungen der Gesellschaft. VI. 2. 1853. Von der Societe industrielle in Mülhausen: Bulletin Nr. 122—127. 1854. Von der Societe des Siences naturelles de Cherbourg: Memoires de la Societe. I. 1853. Von der deutschen geologischen Gesellschaft in Berlin: Zeitschrift der Gesellschaft. V. 3. 4. 1853. VI. 1. 2. 1855. Von der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Cultur: Denkschrift zur Feier ihres 50jährigen Bestehens. 1853. Bericht von 1853. Von der naturforschenden Gesellschaft in Danzig: 4 Neueste Schriften der Gesellschaft. III. 4. 1842. 3 Von der Gesellschaft zur Beförderung der Naturwissen- schaften zu Freiburg i. B: Berichte über die Verhandlungen der Gesellschaft. Nr. 1—5. 1853—1854. Von der K. Akademie der Wissenschaften in München: ‚Bülletin der Akademie. J. 1847—1853. Vogel, über den Chemismus der Vegetation. 1852. Martius, Denkrede auf Link. 1851. h _ Denkrede auf Zuccarini. 1848. — Wegweiser für die Besucher des botanischen … + Gartens in München. 1852 . En — Ueber die botanische Erforschung des Kurier | Bayern. 1850. 4 Liste der in der deutschen Flora enthaltenen Gofässe À pflanzen. 1850. x Schafhäutl, die Geologie in ihrem Verhältnisse zu den übrigen Naturwissenschaften. 1843. XL. Wagner, Andeutungen zur Characteristik des organ. Lebens. 1845. 4 Pruner, die Ueberbleibsel der altägyptischen Menschen- | race. 1846. 331 Pettenkofer, die Chemie in ihrem Verhältnisse zur Physiologie. . . . 1848. Buchner, über den Antheil der Pharmacie an der Ent- wicklung der Chemie. 1849. Roth, Schilderung der Naturverhältnisse in Süd-Abys- sinien. 1851. Vogel, das chemische Laboratorium des K. General- Conservatoriums. 1851. Lamont, magnetische Ortsbestimmungen in Bayern. I. 1854. Hermann, über die Bewegung der Bevölkerung im Kö- nigreich Bayern. 1854. Von der naturforschenden Gesellschaft in Zürich: Mittheilungen der Gesellschaft. Nr. 79—91. 1853. Von der naturforschenden Gesellschaft in Bern: - Mittheilungen. Nr 300—316. 1853—1854. Vonderphysicalisch-medicinischen Gesellschaft in Würzburg: Verhandlungen. IV. 2. 3. V. 1. 2. 1854. Verzeichniss der Bibliothek. 1853 und Nachtrag 1854. Von demgeognostisch-montanistischen Verein für Steiermark: 1—3. Bericht des Vereins. 1853—1854. Von dem zoologisch-botanischen Verein in Wien: Verhandlungen des Vereins. III. 1853. Von der K. Akademie der Wissenschaften in Wien: Sitzungsberichte XI. 3—5. 1853. XIL 1—5. XI. 1. 2. 1854 und Register zu Bd. I—X. Auer, Tafeln zum polygraphischen Apparat. 1853. Von der K. gevologischen Reichsanstalt in Wien: Jahrbuch IV. 2—4. V. 1. 2. 1853—1854. Hörnes, die fossilen Mollusken des Tertiärbeckens von Wien. V. VI. Von der K. Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg: Bulletin de la Classe physico-mathem. de l’Académie. XII 9—24. XIIL 1—8. 1854. 332 Von dem naturwissenschaftlichen Verein in Württemberg Württembergische naturwissenschaftliche Jahreshefte. VI. 3 und X. 2. 1854. Von dem naturwissenchaftlichen Verein für Sachsen und Thüringen in Halle: Zeitschrift für die gesammten Naturwissenschaften. Herausgegeben von dem Verein. I. II. 1853. Von dem physikalischen Verein zu Frankfurt am Main: Jahresbericht für 1852—1853. Von der Société Vaudoise des Sciences naturelles : Bulletin Nr. 31—33. 1854. Von der Linnean Society in London: Transactions. XXI. 2. 1853. Procedings. Nr. 51. Von der Société du Museum d'histoire naturelle de Stras- bourg: Mémoires. IV. 2. 3. 1853. Von der K. Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig: r Me Hansen, Entwickelung der ‚negativen und ungeraden 4 Potenzen u. s. f. Schlöhmilch, über die Bestimmung der Massen und R Trägheitsmomente. — — über einige allgemeine Reihenentwicke- 24 lungen. Berichte über die Verhandlungen der mathem. phys. Classe. 1853. II. II. 1 Von der Fürstl. Jablonowskischen Gesellschaft zu Leipzig: … _Zech, astronomische Untersuchungen über die wichtig- 4 sten Finsternisse des Alterthums. 1853. Von der Académie de Dijon: Mémoires. 1852—1853. ci SE Von der K. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen: Nachrichten. 1853. Nr. 1—17. “ Di : ï 2 £ 333 Von dem Mannheimer Verein für Naturkunde: Zwanzigster Jahresbericht. 1854. Von der Wetterauischen Gesellschaft für die gesammte Naturkunde: Jahresbericht 1850—1853. Von der Gesellschaft Pollichia in der Pfalz: Eilfter und zwölfter Jahresbericht. 1853—1854. Von dem naturhistorischen Verein der Preussischen Rhein- lande: Verhandlungen VI—XI. 1—3. Von dem naturforschenden Verein in Bamberg: Zweiter Bericht. 1854. Von der Société d'Agriculture etc. in Lyon: Annales. 2e Série. IH. 1. 2. IV. V. 1850—1853. Von der Académie des Sciences in Lyon: Mémoires. II. 1852—1853. - Von der Smithsonian Institution in Washington: ag er ras | _Smithsonian Contributions to Knowledge. VI. 1854. 7th annual Report. 1853. Directions for collecting specimens of natural history. 1854. Melsheimer Catalogue of Coleoptera of the U.S. 1853. Natural history of the Red River of Louisiana. 1853. Baird, on the serpents of New York. 1854. — — Description of new North American Frogs. 1854. — — and Girard, Description of new Fishes in Texas. Girard, Description of new Reptiles. The annular Eclipse of May 26. 1854, und verschie- dene kleinere Schriften. Von der naturforschenden Gesellschaft in Emden: Jahresbericht für 1853. Von der Société des Sciences naturelles de Neuchatel: Bulletin III. S. 95—182. 1853 —1854. 334 Von Herrn Dr. Christoph Burckhardt: 3 Sartorius von Waltershausen, Atlas des Aetna. 4. Lie- ferung. 1853. Von dem Herrn Verfasser: Braun, Monographie des eaux minerales de Wiesba- den. I, 1853. Von Hrn. Prof. Chr. Bernoulli: ‘Zamminer, die Physik der Erdrinde und der Atmo- sphäre. 1853. Von dem Herrn Verfasser: Aug. Le Jolis, Mémoire sur une espèce de Lin de la nouvelle Zelande. Cherbourg 1848. _ — Quelques reflexions sur l’étude de la Botanique. 1852. — — Observations sur les Ulex des environs de Cherbourg. 1853. Von dem Herrn Verfasser: Jäger, über die Identität des europäischen und nord- amerikanischen Bison. 1854. Von Herrn Prof. Rud. Merian, Bloch, Ichtyologie. 6 Bde. 3°. 1796. Gronovius, Museum ichtyologicum. I. IT. 1754—1756. fol. Kundmann, Seltenheiten der Natur. 1737. fol. Swammerdamm, Bibel der Natur. 1752. fol. Kämpfer, hist. naturelle du Japon. I. If. 1729. fol. C. Gesner, Opera botanica. I. I. 1753—1771. fol. Klein, Ova Avium. 1766. 4°. Von Herrn A. Werthemann-VonderMühll: Küster, die Käfer Europas. I-XX. 1844—1850. Von Fräulein E. Linder: Bernatz, Scenes in Ethiopia. 1852. fol. Von dem Herrn Verfasser: Reslhuber, über das magnetische Observatorium in Kremsmünster. 1854. 4°. ® 335 Von Herrn Prof. A. Perrey in Dijon: Perrey, Note sur les tremblements de terre en 1852, und 5 kleine Schriften über Erdbeben. Von dem Herrn Verfasser: Fäsch, Aufgaben zum Zifferrechnen. I—III. 1854. Von dem Herrn Verfasser: Erlenmeyer, die Gehirnatrophie der Erwachsenen. 1854. — — über die abnormen Sensationen. 1854. — — Bericht über die Fortschritte im Gebiete der Krankheiten des Nervensystems. 1854. — — Verhandlungen der deutschen Gesellschaft für Psychiatrie. 1854. Von Herrn J. Thurmann in Pruntrut: Preavis de la Commission speciale des mines du Jura relativement aux éventualités d’epuisement des mi- nerais de fer. 1854. Contejean, Enumeration des Plantes vasculaires des environs de Montbeillard. 1854. Von dem Herrn Verfasser: Gümbel, Momente zur Ergründung des Wesens der > Trauben- und Kartoffelkrankheit. 1854. Von dem Herrn Verfasser: E. Mulsant, Notice sur Marie Wachanru. — — Notice sur Boyer de Fonscolombe. 1853. | — — Notice sur H. F. Donzel. 1853. Von Herrn Prof. C. F. Schönbein: Schönbein, über verschiedene Zustände des Sauerstoffs. 1854. _ Galloway, Vorschule zur chemischen Analyse. 1853. Gregory, organische Chemie, bearb. von Gerding. 1854, und eine Anzahl kleiner chemischer und physicali- scher Abhandlungen. Von Herrn Prof. A. Ecker in Freiburg i. B.: Wagner, Icones physiologicae, bearbeitet von Ecker. 3. Lieferung. 1854. fol. 336 \ Ecker, anatom. Beschreibung des Gehirns von Mormy- rus cyprinoides. 1854. 4°. Von Hrn. Prof. W. Vischer: Schönfeld, Nova Elementa Thetidis. 1854. Förster, de altitudine Poli Bonnensi. 1854. Zirkel, ein Supplement zum Tactionen-Problem. 1849. Krueger, de Ascensionibus rectis a Flamstedio obser- vatis. 1854. Von dem Herrn Verfasser: Girard, Researches upon Nemerteans and Planarians. I. 1854. Girard, Bibliographia Americana historico -naturalis for 1851. Von den Herren Herausgebern: Silliman and Dana, the American Journal of Seience and Arts. 2d ser. Nr. 46--51. 1853 — 1854. Von dem Herrn Verfasser: Dana, Contributions to chemical Mineralogy. II. 1854. — On the Homaeomorphism of mineral species of the Trimetric system. 1854. Von Hrn. Dr. Albr. Müller: Müller, einige neuere Richtungen und Ergebnisse der Forschungen auf dem Gebiete der Mineralogie. 1854, | und verschiedene mineralogische Abhandlungen. Von dem Herrn Verfasser: ; h S. Fenicia, sulle mallatie delle viti e degli olivi. Nap. 1854. 4 Von dem Herrn Verfasser: Be R. Blanchet, Apperçu de la distribution du terrain ter- : tiaire dans le Cant. de Vaud. 1854. Br Von Hrn. Rathsh. Peter Merian: Eine Anzahl naturhistorischer, vorzüglich mineralogi- scher Schriften. Se VERHANDLUNGEN NATURFORSCHENDEN GESELLSCHAFT Drittes Heft. "BASEL. SCHWEIGHAUSERSCHE VERLAGS-BUCHHANDLUNG. 1856. a a a 1% BRACRL CHEMIE. Ueber die Selbstbläuung einiger Pilze und das Vor- kommen von Sauerstofferregern und Sauerstoff- | trägern in der Pflanzenwelt. Von C. F. Sch&nßein. (Den 24. October und 14. November 1855.) Es ist eine wohlbekannte Thatsache, dass die Stiele und Hüte einiger Pilze ziemlich rasch blaugrün werden, wenn man sie zerbricht und der Einwirkung der atmosphä- rischen Luft aussetzt. So viel ich weiss, ist die Ursache dieser Färbung noch nicht erkannt und sind darüber nur „unbestimmte, zum Theil ganz ungegründete Vermuthungen aufgestellt worden. Zufälliger Weise in den Besitz eines Boletus luridus gesetzt, der die erwähnte Erscheinung in sehr augenfälliger Weise zeigt, habe ich mit demselben 7 einige Versuche angestellt in der Absicht, die nächste Ur- sache der Farbenveränderung dieses Pilzes zu ermitteln, und bin zu einigen Ergebnissen gelangt, von denen ich 7 ‚glaube, dass sie zum Verständniss des in Rede stehenden PDT, -TTA wi SEE _Phänomenes wesentlich beitragen werden und als sichere "Anhaltspunkte für die künftigen Untersuchungen dieses kei- ‚neswegs uninteressanten Gegenstandes dienen können. 22* 340 Dass die fragliche Erscheinung von der Sauerstoffauf- nahme einer in dem Pilze vorhandenen Materie herrühre, ist eine sehr nahe liegende Vermuthung und von ihr aus- gehend, wie auch der von mir zu seiner Zeit ermittelten Thatsache eingedenk, dass manche organische Substanzen mit Sauerstoff so sich vergesellschaften können, dass sie anfänglich mit diesem Elemente keine eigentliche chemische - Verbindung eingehen, dasselbe leicht auf andere oxidirba- ren Materien sich übertragen lässt, wie diess z. B. mit dem an das Guajak gebundenen Sauerstoff der Fall ist, so hielt di ich es für möglich, dass die Selbstbläuung mancher Pilze den gleichen Grund habe, wesshalb das Guajakharz durch eine Anzahl oxidirender Agentien gebläut wird. Nachste- hende Angaben werden zeigen, in wie weit diese Vermu- thungen gegründet waren. Wird der Stiel oder Hut des Boletus luridus in ein- zelne Stücke zerbrochen, so färben sich diese rasch grün- blau, und bringt man ein so verändertes Pilzstück in eine Atmosphäre von Schwefelwasserstoffgas oder schweflichter Säure, so entbläut es sich beinahe augenblicklich, um sich jedoch wieder grünblau zu färben, wenn in eine schwache Atmosphäre von Chlor, Brom, Jod oder Untersalpetersäure gebracht. Lässt man die an der Luft blau gewordenen Pilzstücke längere Zeit liegen, so entfärben sie sich von selbsten, werden schmutzig braun und haben nun die Fä- higkeit verloren, durch irgend ein Mittel sich wieder bläuen zu lassen. Diess waren die ersten Versuche und Ergeb- nisse, welche ich mit dem Boletus luridus erhielt. FA Zerquetscht man den frischen Pilz unter Weingeist, 80 färbt sich dieser sofort gelbgrün, nimmt jedoch bald eine blassgelbe Farbe an. Lässt man den zertrümmerten Pilz % 2% Stunden mit dem Weingeist zusammen stehen und presst man das breiartige Gemeng durch Leinwand, das Durchge- gangene filtrirend, so wird eine klare, tief braungelbe Flüs- 3 2 us: > 24 M Let \ à 2 341 sigkeit erhalten, welche ich künftighin der Kürze wegen Pilztinctur nennen will. Diese Tinctur verändert ihre Farbe an der Luft durchaus nicht, bringt man aber mit ihr eine Anzahl oxidirender Agentien zusammen, so wird sie sofort grünblau, und ich will hier gleich bemerken, dass alle Substanzen, welche die Pilztinctur so färben, es auch wie- der sind, die das in Weingeist frisch gelöste Guajak bläuen. Schwache wässrige Lösungen von Chlor, Brom, Jod, Ueber- mangansäure und Hypochloriten, wie auch die Superoxide des Mangans, Bleies, Kobaltes, Nickels, Wismuthes, die Oxide des Silbers, Goldes und Platins verursachen augen- blicklich eine grünblaue Färbung der Pilztinctur. Benetzt man die Innenseite einer Porzellanschaale mit Pilztinetur und lässt man Untersalpetersäuredampf hinzutreten, so kommt augenblicklich eine grünblaue Färbung zum Vor- schein. Auch die Schalen roher Kartoffeln, in Berührung mit atmosphärischer Luft gesetzt, färben unsere Tinctur in gleicher Weise. Es ist nun wohl bekannt, dass die frisch bereitete Guajaktinctur durch alle die genannten und na- mentlich auch durch das letztgenannte Mittel gebläut wird. Als bequemstes Mittel zur Färbung der Pilztinetur dient das Bleisuperoxid, welches nur in geringer Menge zugefügt und kurze Zeit mit ihr geschüttelt zu werden braucht, um sie bis zur Undurchsichtigkeit zu färben. Durch welches "Mittel aber auch die Pilztinctur grünblau gemacht worden sein mag, immer verliert sie ihre Färbung wieder unter folgenden Umständen. 1. Von selbsten. Ueberlässt man die grünblaue Tinc- tur ab- oder unausgeschlossen von der Luft bei gewöhn- licher Temperatur sich selbst, so verliert sie allmählig, d.h. im Laufe weniger Stunden, ihre Farbe und wird wie- der braungelb, welche Entfärbung im Sonnenlichte jedoch rascher als in der Dunkelheit unter sonst gleichen Umstän- den erfolgt. Eben so verhält sich die gebläuete Guajak- 342 tinetur. Bei ihrem Siedpunkte entfärbt sich die grünblaue Pilztinetur in wenigen Sekunden, was die blaue Guajak- lösung bei weitem nicht so schnell thut. KR 2. Durch desoxidirende Materien. Mit gasförmiger oder in Wasser gelöster Schwefelwasserstoff- oder schweflichter Säure zusammengebracht, entfärbt sich die grünblaue Tinc-. tur augenblicklich, etwas langsamer beim Schütteln mit Arsenwasserstoffgas, beinahe augenblicklich beim Vermi- schen mit wenig Gerbestoff- oder Gallussäurelösung. Die gebläuete Guajaktinctur wird durch die gleichen Mittel ent- färbt. 3. Durch unorganische Säuren und Alkalien. Kleine Mengen verdünnter Schwefelsäure, Phosphorsäure, Salpeter- säure, Arsensäure, Salzsäure, Kali-, Natron- und Ammoniak- lösung bewirken augenblickliche Entfärbung der grünblauen Pilztinctur, durch welche Mittel die gebläuete Guajaklösung ebenfalls sofort entfärbt wird. Färbt man die Pilztinctur z. B. mittelst Bleisuperoxides oder. Uebermangansäurelösung grünblau und wartet man ab, bis sie von selbsten sich entfärbt hat, so kann sie durch SU wiederholte Behandlung mit den erwähnten Substanzen aufs Neue gebläuet werden, um natürlich abermals diese Fär- } 3 bung von selbsten zu verlieren; nach mehrern solcher Ope- ‘4 rationen büsst jedoch die Pilztinetur das Vermögen ein durch irgend ein Mittel sich wieder grünblau färben ZU... lassen, und ganz so verhält sich auch die Guajaklösung. > Was die grünblaue Färbung betrifft, welche die Pilz- = tinctur unter dem Einflusse der erwähnten oxidirenden Agentien annimmt, so entsteht sie unstreitig aus der Ver- mischung einer gelber in der Tinctur schon enthaltenen Materie mit der reinblauen Substanz, welche aus der Ver- einigung des eigenthümlichen im Boletus farbelos vorhan- denen Stoffes mit Sauerstoff hervorgeht. iD, 343 Aus voranstehenden Angaben erhellt, dass in dem Bo- letus luridus eine Substanz enthalten ist, welche hinsichtlich ihres Verhaltens zum Sauerstoff mit dem Guajakharz eine so grosse Aehnlichkeit hat, dass nicht leicht zwei andere Materien gefunden werden dürften, welche sich mehr als die beiden besprochenen Substanzen gleichen, wesshalb mir auch die Annahme nicht gewagt zu. sein scheint, dass die nächste Ursache der Färbung besagter Materien eine und eben dieselbe sei. Was nun das durch verschiedene oxidirende Agentien gebläuete Guajak betrifft, so glaube ich, dass meine viel- fältigen mit diesem Körper angestellten Versuche zu dem Schlusse berechtigen: es sei dasselbe eine lockere Verbin- dung des Harzes mit ozonisirtem Sauerstoff, durchaus ver- gleichbar mit derjenigen, welche die Stärke mit dem Jod eingeht. Es ist nämlich in dem blauen Guajakharz oder in dessen geistiger Lösung dieser Sauerstoff so enthalten, dass er sich auf eine Anzahl oxidirbarer Materien eben so leicht > übertragen lässt, als das Jod aus der blauen Jodstärke auf eine Reihe von Substanzen, wesshalb auch gewisse Körper die blaue Guajaktinktur in gleicher Weise entfärben, wie sie die wässrige Jodstärke entbläuen. - Gründe der Analogie, den oben mitgetheilten Thatsa- chen entnommen, lassen mich daher vermuthen, dass im Boletus luridus eine eigenthümliche Materie enthalten sei, welche mit 0 eine lockere blaugefärbte Verbindung einzu- gehen vermag, in ihrem chemischen Verhalten dem ozoni- sirten Guajak so ähnlich als möglich. Da überdiess die fragliche Materie nicht mit Wasser, wohl aber mit Wein- geist aus dem Pilze sich ausziehen lässt, so gibt diese That- sache der weitern Vermuthung Raum, dass sie mit dem 'Guajak auch die harzartige Natur theile. So lange freilich die im Boletus luridus enthaltene bläuungsfähige Materie 344 ’ nicht isolirt ist, lässt sich über ihren chemischen Bestand nichts Sicheres sagen; ihrer merkwürdigen Eigenschaften halber ist es aber wohl der Mühe werth, sie im Zustande der Reinheit darzustellen, was ich auch gethan hätte, wenn mir das hiezu nöthige Pilzmaterial zu Gebot gestanden wäre. u Ich habe früher erwähnt, dass in Berührung mit at- mosphärischer Luft die Pilztinctur eben so wenig als die Guajaklösung sich bläut, was auffallen muss, wenn damit die Raschheit verglichen wird, mit welcher der zerbrochene Boletus an der Luft selbst in der Dunkelheit sich färbt. Dieses indifferente Verhalten der Pilztinctur gegen den at- mosphärischen Sauerstoff zusammengenommen mit der selbst in der Dunkelheit so rasch erfolgenden Bläuung des zer- stückten Boletus liess mich vermuthen, dass in diesem noch eine andere Substanz enthalten sei mit dem Vermögen be- gabt, gerade so erregend auf den atmosphärischen Sauer- - stoff einzuwirken, wie diess die Materie oder die Materien _thun, welche in der Schale roher Kartoffeln und in gewis- sen Theilen noch vieler andern Pflanzen sich vorfinden und die Eigenschaft besitzen, an der Luft die Guajaklösung zu bläuen. Ich vermuthete mit andern Worten, dass in dem Boletus luridus eine Substanz vorhanden sei, fähig den at- mosphärischen Sauerstoff zu ozonisiren und dann mit ihm 0 d als O eine Verbindung einzugehen, aus welcher er sich leicht wieder auf das Guajak, das Pilzharz und andere der Sauerstoffaufnahme fähigen Materien übertragen lässt. Da das Vorkommen organischer Stoffe, welche das Re : 1 Vermögen besässen, den atmosphärischen Sauerstoff in O überzuführen und mit diesem in der Weise sich zu verge- sellschaften, dass derselbe wieder auf andere oxidirbaren “3 Substanzen übertragbar wäre, eine Thatsache sein würde gleichwichtig für Chemie und Physiologie, so bemühete ich 4 345 mich einen derartigen Stoff in den Pilzen aufzufinden und wie aus den nachstehenden Angaben erhellen wird, sind meine dessfallsigen Nachforschungen nicht ganz vergeblich gewesen. In die Unmöglichkeit versetzt, mir das zu solchen Un- tersuchungen nöthige Material von Boletus luridus zu ver- schaffen, benützte ich einige andere dieser Pilzgattung an- gehörigen, der Selbstbläuung jedoch unfähigen Arten und überzeugte mich, dass das Parenchym ihrer Hüte und Stiele, mit frischer Guajaktinctur benetzt, mehr oder minder stark und rasch an der Luft sich bläuete. Am ausgezeichnetsten verhielten sich einige Arten von Agaricus, namentlich Agaricus sanguineus, wie sich daraus ersehen lässt, dass das Parenchym des besagten Pilzes mit frisch bereiteter Guajaklösung betröpfelt, augenblicklich auf das Tiefste sich bläuete, und kaum wird nöthig sein aus- drücklich zu bemerken, dass auch der geistige Auszug des Boletus luridus das Parenchym des genannten Agaricus so- fort grünblau färbte, so nämlich, wie ein zerbrochener Bo- letus luridus sich in der Luft von selbsten färbt. Presst man das Parenchym des Agaricus sanguineus oder irgend eines andern Pilzes, dessen zerbrochener Hut oder Stiel durch die Guajak- oder Pilztinctur gefärbt wird, in Leinwand aus und filtrirt man den gewonnenen Saft durch Papier, so erhält man eine klare gelblich gefärbte Flüssig- keit, welche weder sauer noch alkalisch reagirt, aber die Fähigkeit besitzt, die Guajaklösung rein tiefblau, die Pilz- tinctur grünblau zu färben, d. h. beide Tincturen gerade so zu verändern, wie diess schwaches Chlor- oder Bromwas- ser, Untersalpetersäure, Uebermangansäure, schwache Lö- sungen von Hypochloriten, Bleisuperoxid und eine Anzahl anderer oxidirender Agentien thun würden. EL Je nach der Natur des Pilzes oder auch nach dem _ Stadium der Entwickelung einer und eben derselben Pilzart \ 346 | | Re wird der daraus gepresste Saft die Guajaktinetur entweder auf das Tiefste, oder nur schwach, oder aber auch gar nicht bläuen und in letzterem Falle die Färbung erst dann zum Vorschein kommen, nachdem das aus Guajaktinctur und _ Pilzsaft bestehende Gemisch einige Zeit mit atmosphärischer | Luft geschüttelt oder durch dasselbe ein Luft- oder Sauer- stoffgasstrom geleitet worden. Auch dadurch, dass man den frisch ausgepressten und die Guajaktinetur noch nicht bläuenden Pilzsaft mit atmosphärischer Luft oder Sauer- stoffgas gehörig lange schüttelt, kann ihm die Fähigkeit ertheilt werden, die Guajaklösung oder die Pilztinctur zu bläuen. Ich muss jedoch hier bemerken, dass die Bläuung der Guajaktinctur zwar ziemlich rasch, aber doch nicht augen- blicklich eintritt, indem immer einige Zeit vergeht, bis das | Gemisch den tiefsten Grad der Färbung angenommen, den der angewendete Pilzsaft der mit ihm vermischten Tinctur ertheilen kann: erst wird das Gemisch violett, dann hell- blau, endlich tiefblau und diess in der Rälte merklich lang- «1 samer, als bei gehobener Temperatur. Es wird wohl nicht nöthig sein ausdrücklich zu sagen, dass hier von einem Pilzsaft die Rede ist, der nicht mehr mit Luft oder Sauer- stoffgas behandelt zu werden braucht, um die Guajaktinetur bläuen zu können. Da die Bläuung der Guajak- oder Pilzharzlösung nur durch Ô bewerkstelliget zu werden vermag, so erhellt aus den eben mitgetheilten Thatsachen, dass der aus Agarieus = sanguineus oder andern Pilzen gezogene Saft ‚entweder À schon 0 in grösserer oder kleinerer Menge enthält, oder doch die Fähigkeit besitzt, den gewöhnlichen Sauerstoff aus 4 der Atmosphäre aufzunehmen, zu ozonisiren und nt 1 eine Verbindung einzugehen, aus welcher er sich auf das in "Weingeist gelöste Guajak oder Pilzharz übertragen lässt. 347 Die Richtigkeit der Annahme, dass der die Guajak= tinctur auch bei ausgeschlossener Luft bläuende Pilzsaft Sauerstoff enthalte, befähiget auch auf oxidirbare Substan- zen anderer Art sich zu werfen, scheint mir aus folgenden Thatsachen zur Genüge hervorzugehen. Lässt man Pilzsaft, der ohne weitere Vermittelung der Luft die Guajaktinctur auf das Tiefste zu bläuen vermag, mit feiner Zinkfeile einige Zeit zusammenstehen, das Ganze jeweilen schüttelnd, oder fügt man kleine Mengen wässri- gen Schwefelwasserstoffes zu dem Pilzsaft, so verliert die- ser das Vermögen, die Guajaktinctur zu bläuen, erhält aber dasselbe wieder dadurch, dass man durch ihn gehörig lang einen Luft- oder Sauerstoilgasstrom gehen lässt. Ganz besonderer Erwähnung verdient die Thatsache, dass der Pilzsaft sein Bläuungsvermögen durch Erhitzung vollständig einbüsst und zwar so, dass ihm dasselbe durch kein Mittel wieder gegeben werden kann. Pilzsaft, der für sich allein die Guajaktinetur auf das Tiefste zu bläuen ver- mag, färbt, nachdem er nur wenige Sekunden lang im Sie- den erhalten worden, diese Harzlösung nicht mehr, und wie lange man auch den so durch Erhitzung veränderten Pilz- ‚saft mit atmosphärischer Luft oder Sanerstoffgas in Berüh- rung lassen mag, nie erlangt er sein Bläuungsvermögen wieder, ; = Eben so verliert auch durch Erhitzung der mittelst si 0 Zinkes, Schwefelwasserstoffes u. s. w. seines O beraubte Pilzsaft_ die Fähigkeit, in Berührung mit atmosphärischer Luft oder Sauerstoffgas die Guajaktinctur wieder zu bläuen. Nach meinen Erfahrungen kann zwar bei gewöhnlicher Temperatur der mit der Pilzmaterie vergesellschaftete 0z0- nisirte Sauerstoff längere Zeit als solcher in dieser Ver- bindung existiren, wie diess auch mit dem gleichbeschaffe- nen an die Camphenöle gebundenen Sauerstoff der Fall ist; 348 allein nach und nach wirkt er selbst in der Kälte oxidirend und daher chemisch verändernd auf den Pilzstoff ein, so dass dieser nicht nur die Fähigkeit verliert, die Guajak- tinetur zu bläuen, sondern auch das Vermögen einbüsst, selbst beim Zutritte der Luft diese Färbung zu Stande zu bringen. Von dem im Terpentinöl enthaltenen ozonisirten Sauer- stoff ist ebenfalls bekannt, dass er allmählig dasselbe zu Harz u. s. w. oxidirt, bei gewöhnlicher Temperatur lang- samer als bei höherer, und von dem im Weingeist gelösten Guajak und Pilzharze habe ich nachgewiesen, dass nach wiederholten Bläuungen und spontanen Entfärbungen die- ser Tincturen dieselben die Fähigkeit verlieren, mit 0z0- nisirtem Sauerstoff blaue Verbindungen einzugehen, was deutlich genug eine stattgefundene chemische Veränderung des Guajakes und Pilzharzes anzeigt und darauf hindeutet, dass während der Selbstentbläuung der Guajaktinctur u. s. w. der darin enthaltene ozonisirte Sauerstoff zum Hervorbrin- gen eigentlicher Oxidationswirkungen verbraucht wird. Warum die im Pilzsaft enthaltene eigenthümliche Ma- | terie, auch wenn sie nicht mit ozonisirtem Sauerstoff be- haftet ist, in der Siedhitze dennoch das Vermögen einbüsst, den gewöhnlichen Sauerstoff zu ozonisiren und mit ihmals solchem sich zu vergesellschaften, weiss ich dermalen noch | nicht zu sagen. Was die chemische Zusammensetzung unserer sauer- - # stofferregenden und sauerstofftragenden Pilzmaterie betrifft, so vermag ich darüber ebenfalls noch nichts Näheres an- zugeben; denn aller mir zu Gebot stehende Pilzsaft reichte … eben nur zur Ermittelung der vorhin mitgetheilten That- À sachen hin; wie sie aber auch zusammengesetzt sein mag, jedenfalls ist die oben besprochene chemische Function bei weitem das Interessanteste und Wichtigste an ihr. Bei meinen Untersuchungen über den besagten Pilzsaft 349 drängte sich mir die Frage auf, ob wohl die organischen Materien, welche fähig sind, mit ozonisirtem Sauerstoff als solchem sich zu vergesellschaften, eine Verschiedenheit in der Grösse ihrer Verwandtschaft zu diesem Sauerstoffe zei- 0 gen, d. h. ob es möglich sei, O als solches von einer or- ganischen Substanz A auf eine andere B u. s. w. überzu- tragen. Dass die in dem Pilzsaft enthaltene organische Materie den mit ihr vergesellschafteten ozonisirten Sauerstoff an die Guajak- oder Pilzharztinctur abtreten kann und besagter Sauerstoff auch in diesen Verbindungen noch im Ö-Zustande sich befindet, ist wiederholt bemerkt worden, und es ergibt sich schon aus dieser Thatsache, dass das Guajak wie. das Pilzharz zum ozonisirten Sauerstoff eine Affinität besitzt grösser als die ist, welche zu ihm die im Pilzsaft vorhan- dene organische Materie zeigt. Was nun die Verwandtschaft des Guajakes zu Ö be- trifft, so ist dieselbe kleiner als diejenige des Pilzharzes zum gleichen Stoff, wie aus folgenden Angaben erhellt. Wird zu der durch Bleisuperoxid oder irgend ein anderes Mittel gebläuten Guajaktinctur die ungebläuete geistige Lö- sung des Pilzharzes in gehöriger Menge gefügt, so erhält man sofort ein grünblaues Gemisch, welches bei erhöheter "Temperatur in wenigen Augenblicken sich entfärbt, demnach sich gerade so verhält wie die durch unsern sauerstoffhal- tigen Pilzsaft, durch Bleisuperoxid u. s. w. grünblau ge- färbte Pilzharzlösung, während die blaue Guajaktinctur für sich allein unter den gleichen Umständen sich noch nicht entfärbt hätte; denn man kann dieselbe Minuten lang im Sieden erhalten, ohne dass sie merklich in ihrer Färbung verändert würde. Eben so entfärbt sich auch bei gewühn- licher Temperatur das aus gebläueter-Guajaktinctur und un- 350 gefärbter Pilzharzlösung erhaltene Gemisch ungleich rascher, als es unter sonst gleichen Umständen die blaue Guajak- tinctur für sich allein thut, d. h. das fragliche Gemisch entfärbt sich gerade so schnell, als die mittelst Pilzsaft u. s. w. gebläuete Pilzharzlösung. Hieraus, glaube ich, ersieht man, dass die ungefärbfe Pilzharzlösung der gebläueten Guajaktinctur Ô entzicht und erhellt ferner, dass unter den drei genannten Substanzen das Pilzharz die stärkste — und die im Agaricussaft ent- haltene Materie die schwächste Verwandtschaft zu dem ozonisirten Sauerstoff besitzt, insofern sich letzterer von dem Pilzsaft auf die Guajaktinctur und von dieser auf die Pilzharzlösung übertragen lässt, ohne dass er desshalb sei- nen 0- Zustand verlöre. Dass es ausser den drei erwähnten Materien und den. Camphenölen noch manche andere organischen Stoffe gibt, fähig mit ozonisirtem Sauerstoff als so!chem sich zu ver- gesellschaften, ist in hohem Grade wahrscheinlich und ion‘ weiter fortgesetzten Untersuchungen wird.es sich zweifels- 0 La E ohne herausstellen, dass derartige Materien O mit verschie- dener Stärke anziehen, d. h. in der Grösse ihrer Affinität PR =! % Yi: zu diesem O eben solche Unterschiede zeigen,, wie diess ‚bei den Metallen der Fall ist. Auch lässt sich leicht ein- sehen, dass eine genaue Kenntniss dieser eigenthümlichen cel Art von Verwandtschaftsverhältnissen für eine künftige physiologische Chemie eben so nothwendig sein wird, als - einem Chemiker unserer Tage die genaue Bekanntschaft, me den chemischen Beziehungen der einfachen Körper zum j Sauerstoff. Kr ps | Noch, muss ich einiger Thatsachen gedenken, weiche mir hieher zu gehören und die Beachtung des Physiologen > 0 5 : 08 zu verdienen scheinen. Wird der Ohaltige Pilzsaft mit - 351 einer verdünnten Eiweisslösung vermischt, so verhalten sich in der Kälte beide Flüssigkeiten ziemlich wirkungslos ge- gen einander, wie daraus erhellt, dass selbst nach einigen Stunden das Gemisch noch die Fähigkeit besitzt, die Gua- jaktinetur zu bläuen. Anders schon bei einer Temperatur, die noch nicht derjenigen gleich kommt, bei welcher das gelöste Eiweiss gerinnt. Unter diesen Umständen verliert das Gemisch bald sein Bläuungsvermögen, während ein sol- ches der gleich beumständete aber eiweissfreie Pilzsaft noch zeigt. Lässt man hesagtes Gemisch, nachdem es die Eigenschaft, Guajaktinctur zu bläuen, verloren hat, wieder bis zur gewöhnlichen Temperatur abkühlen und nun durch dasselbe längere Zeit einen Luftstrom gehen, so erlangt es - wieder die Fähigkeit, die Guajaktinctur zu bläuen. Aus dieser Thatsache ersieht man, dass bei Anwesen- heit von Eiweiss und einer die Blutwärme nicht weit über- steigenden ‚Temperatur der ozonisirte Sauerstoff des Pilz- saftes verschwindet, die Materie aber, mit welcher er vergesellschaftet gewesen, das Vermögen noch nicht ver- liert, den atmosphärischen Sauerstoff zu ozonisiren. Da unter sonst gleichen Umständen der reine Pilzsaft seinen 0 O-Gehalt nicht eingebüsst haben würde, so wird wahr- scheinlich, dass das Eiweiss es gewesen, welches bei etwas | 0 erhöhter Temperatur dem Pilzsafte sein O entzogen. Verdünnte Eiweisslösung mit so viel tief gebläueter Guajaktinetur versetzt, dass das dadurch erhaltene Gemisch noch merklich stark gefärbt erscheint, kann bei gewöhnli- cher Temperatur Stunden lang stehen, bevor die. Färbung völlig verschwunden ist, während das gleiche Gemisch bei 300 R. über Null schon nach 20 Minuten und bei 40° nach sieben Minuten sich gänzlich entbläut zeigt. . Da, wie wir gesehen haben, die blaue Ga | 352 ? : ihre Färbung der Anwesenheit von O verdankt und deren Entbläuung immer das Verschwinden dieses Ô anzeigt, die à eiweissfreie blaue Guajaktinctur aber ihre Färbung unter den angeführten Umständen noch nicht so schnell verlieren würde, so wird auch hieraus wieder wahrscheinlich, dass der Eiweissstoff die Entbläuung der Harzlösung bewerk- stellige, also deren ozonisirten Sauerstoff aufnehme. Welche Veränderungen dadurch im Eiweiss selbst ver- ursacht werden: ob darin dieser Sauerstoff eigentliche Oxi- dationswirkungen hervorbringe und den Proteinkörper che- misch verändere, oder in diesem noch als activer Sauerstoff vorhanden sei, müssen spätere Untersuchungen zeigen. Da das Eiweiss einen wesentlichen Bestandtheil des Blutes bildet und ich die Vermuthung hege, dass in dieser thierischen Flüssigkeit eine Substanz enthalten sei analog der mit activem Sauerstoff behafteten Pilzmaterie, so schien- es mir nicht ganz unwichtig zu sein zu ermitteln, ob Ei- weiss es vermöge, ozonisirten Sauerstoff einer damit ver- gesellschafteten organischen Materie zu entziehen. Schliesslich noch einige Bemerkungen allgemeiner Art. Es kann nicht oft genug in Erinnerung gebracht wer- den, dass für die Chemie und Physiologie eine möglichst erschöpfende Kenntniss der organischen Materien, welche die gedoppelte Eigenschaft besitzen, den gewöhnlichen Sauer- stoff zu ozonisiren und mit 0 als solchem einige Zeit ver- gesellschaftet zu bleiben, von der grössten theoretischen Wichtigkeit ist; denn unschwer sieht man ein, dass ohne den Besitz einer solchen Kenntniss auch nicht entfernt da- ran gedacht werden kann, die so mannigfaltigen Verände- rungen, welche pflanzliche und thierische Substanzen bezüg- lich ihres chemischen Bestandes durch den atmosphärischen Sauerstoff schon bei gewöhnlicher Temperatur erleiden, 353 auch ‘nur ihrer allernächsten Ursache nach zu begreifen, ünd'es wird ‘wohl nicht zu viel gesagt sein, wenn man be hauptet, dass auf diesem Forschungsgebiet ‘der Chemie noch alles zu'thun sei, die Grundlagen zu einer physiologischen Chemie des’ Sauerstoffes erst noch gelegt werden müssen. "Dass diess bis jetzt noch nicht geschehen, daran tra- gen sicherlich die einzelnen Chemiker und Physiologen nicht die Schuld, sondern der dermalige in manchen Beziehungen noch so äusserst lückenhafte Stand unseres chemischen Wissens im Allgemeinen, und so lange dieses "Wissen nicht durch die Entdeckung fundamentaler Thatsachen wesentlich erweitert ist, lässt sich auch nicht auf grosse und weitge- hende Fortschritte in der physiologischen Chemie hofen. Wir werden zwar auf dem bis jetzt begangenen Wege je länger Je mehr die Zahl der organischen Verbindungen ver- grössern, aber, wie ich fürchte, desshalb nicht in demsel- ben Verhältnisse über die einfachsten a gischen Erscheinungen klüger werden. y mia Gibt es,,;wie, nach den vorliegenden Thnkacke, Nisne länger. daran gezweifelt werden kann, in der Pflanzenwelt, Substanzen, welche den an und für sich unthätigen Sauer-, stoff, der Atmosphäre zur chemischen Thätigkeit anzuregen und mit O als solchem sich zu vergesellschaften vermögen und spielen dieselben eben desshalb eine so wichtige Rolle in den Oxidationsprocessen vegetabilischer Materien, an wel-' chen der ‘atmosphärische Sauerstoff Theil nimmt, so liegt die Vermuthung 'sehr’ nahe, dass auch‘ in der ' Thierwelt Stoffe organischer Art vorhanden séien, mit dem Doppel- vermögen begabt, den atmosphärischen Sauerstoff schon'beï . gewöhnlichen Temperaturverhältnissen zu 'ozonisiren) "d.h. Sauerstofferreger und’Sauerstoffträger zu sein und dadurch den EUBABUOnSBFORENS anderer animalischen ech kr zuleiten. | ‚hasribi ü 354 Die grosse physiologische Bedeutung des atmosphäri- schen Sauerstoffes beim Athmen der Thiere ist bald nach der Entdeckung dieses wichtigsten aller Grundstoffe erkannt worden und es gilt längst als zweifellose Thatsache, dass defselbe oxidirende Wirkungen auf das Blut hervorbringe. Wie aber dieser Sauerstoff unter den gewöhnlichen Wärme- verhältnissen dem Blute und den Organen Kohlenstoff ent- ziehe und Kohlensäure bilde, das hat weder ein Chemiker noch Physiolog bis jetzt uns zu sagen vermocht und es sind über diese Wirkungsweise blosse Vermuthungen aus- gesprochen worden. Ich selbst, denn welcher Chemiker könnte dem so be- deutungsvollen Respirationswerke seine Aufmerksamkeit versagen, habe die Zahl derselben um Eine vermehrt und schon vor Jahren wahrscheinlich zu machen gesucht, dass im Blute eine organische Materie vorhanden sei, fähig, den | atmosphärischen Sauerstoff in ähnlicher Weise zu verän- dern, wie diess der Phosphor schon bei gewöhnlicher Tem- peratur thut; wesshalb ich auch zu seiner Zeit so kühn war, diesen Körper in Bezug auf sein Verhalten zum at- mosphärischen Sauerstoff mit einem athmenden Thiere zu vergleichen. ; Seither ist von mir an den Camphenölen und andern organischen Substanzen das merkwürdige Vermögen, den atmosphärischen Sauerstoff zu erregen und mit ihm in sei- nem activen Zustande sich zu vergesellschaften, ermittelt worden, welche Thatsachen mich in meiner Vermuthung von der Anwesenheit einer sauerstofferregenden und sauer- stofftragenden organischen Materie im Blute nur bestärken ; konnten. Und jetzt, nachdem in den Pilzen eine organische Be Substanz aufgefunden ist, welcher die Fähigkeit zukommt, selbst in völliger Dunkelheit den Sauerstoff zu erregen und 4 ein Träger des activen Sauerstoffes zu sein, d. h. als ein '4 oxidirendes Agens sich zu verhalten, wird es mir beinahR - À L AT ENS NUE ML SNS RAT 355 zur Gewissheit, dass auch im Blute eine solche Materie vorhanden und sie es sei, durch deren Vermittelung die Oxidation sowohl des Blutes selbst als auch thierischer Organe bewerkstelliget wird. Welcher Blutbestandtheil diese wichtige Rolle spielt, ist allerdings noch zu ermitteln, ich zweifle aber kaum da- ran, dass diess bald gelingen werde, und wem es beschie- den ist diesen schönen Fund zu thun, der erwirbt sich sicherlich kein geringes Verdienst und dem wird als Preis die Anerkennung der ganzen physiologischen Welt zu Theil. Ueber den Einfluss der Wärme auf die chemische Thätigkeit des Sauerstoffes. Von €. F. Scu@&nsBeın. (Den 30. Jan. 1856.) Es ist eine der. bekanntesten Thatsachen der Chemie, dass der gewöhnliche Sauerstoff als ein chemisch unthäti- ger Körper sich verhält und desshalb der Einwirkung ge- wisser ungewichtiger oder gewichtiger Agentien bedarf, um die Fähigkeit zu erlangen, chemische Verbindungen ein- zugehen. Unter den inponderabeln Agentien, welche einen sol- chen Einfluss ausüben, zeichnet sich die Electricität ganz besonders aus, indem ihr allein das Vermögen zukommt, den gewöhnlichen Sauerstoff nicht nur während der Dauer ihrer Einwirkung in den Zustand chemischer Wirksamkeit zu versetzen, sondern so zu verändern, dass derselbe in diesem erregten Zustand sich erhält, nachdem er dem elec- trischen Einfluss entzogen worden. - Auch vom Lichte wissen wir, dass es den Sauerstoff 23* 356 chemisch 'erregt und ich habe zu seiner Zeit gezeigt, dass der besonnete Sauerstoff manche Oxidationswirkungen.her- vorbringt, welche unter sonst gleichen Umständen der dunkle nicht zu bewerkstelligen vermag und ähnlich sind. denjeni- gen, die der durch’ Electricität) veränderte Sauerstoff’ ver- ursacht, wie z. B. die Umwandelung des Schwefelbleies in PRE | ch ner " Wie lange aber auch der séirühnliche Sent of unter dem Einflusse selbst des allerstärksten Sonnenlichtes., ge- standen ‘haben mag, immer fällt derselbe sofort: wieder in den Zustand seiner ursprünglichen Unthätigkeit zurück, wenn er in die Dunkelheit gebracht wird. Welch grossen Einfluss die Wärme auf das chemische Verhalten’ des Sauerstoffes ausübt, : erhellt aus «der allge= meinen Thatsache, dass "dieser Körper, 'wenn mehr oder weniger erhitzt, die Mehrzahl der einfachen Stoffe zu oxi- diren vermag. Diese chemische Wirksamkeit dauert aber nur so lange, als der, Sauerstoff unter dem Einflusse der Wärme steht und hört mit der Abkühlung auf. Mir we- nigstens ist es nicht gelungen, irgend einen Wirkungsunter- schied zu entdecken zwischen Sauerstoff, der längere Zeit erhitzt und ‘wieder abgekühlt worden und solchem;' der den Einfluss einer hohen’ Temperatur nieht erfahren... 11211 "> Der 'mittelst Electricität erregte oder ozonisirte Sauer- stoff scheidet bekanntlich schon in der Kälte Jod aus!dem Jodkalium ab, während ‘der kalte ‘gewöhnliche Sauerstoff öhne alle "Wirkung auf dieses Salz ist, wesshalb'auchrein Gemeng des letztern mit Stärke als ein ebenso -empfind- liches als bequemes Mittel dient, den‘ chemisch‘ erregten à Zustand des Sauerstoffes zu erkennen, "sei dieser: Zustand ein daüerhafter oder vorübergehender. 240 nstoe0 us '" "Gewöhnlich wird angenommen, dass erhitzter Sauerstoff gegen das Jodkalium unwirksam sich 'verhalte;'/d.h! aus diesem Salze kein Jod abzuscheiden vermöge;' diese An- 357 nahme: aber ist iind, wie aus nachstehenden ss ben erhellen wird. | fi ‘Bringt man gepulvertes Guben in ein Probagläschen und führt man in dieses: einen mit Stärkekleister behafteten Papierstreifen: ein, so wird sich dieser schon stark bläuen bei einer Temperatur, die noch tief unter dem- Sehmelz- punkte des Salzes liegt, woraus: erhellt, dass: schon) mässig stark 'erhitzter gewöhnlicher Sauerstoff auf das Jodkalium so wirkt, wie diess der kalte : ozonisirte, Sauerstoff thut. In dem:besehriebenen Versuche findet aber ‚offenbar‘, zwi- schen dem Jodsalz und atmosphärischen Sauerstoff; nur eine sehr unvollkommene: Berührung statt,;»wesshalb auch nur Spuren von :Jod zum Vorschein kommen können! und es muss daher durch Vermehrung: der Berührungspunkte' zwi- ‚schen erhitztem Sauerstoff und Jodkalium eine reichlichere Jodentbindung 'bewerkstelliget: werden, ‘was man ‚einfach dadurch erzielt, dass man das. Salz ‚innig mengt «mit ‚einem gegen dasselbe ‚chemisch gleichgültigen: festen, in der‘Roth- gluth: noch: nicht ‚schmelzbaren Körper und:über:ein solches ‚Gemeng gehörig: stark: erhitztes Sauerstoffgas. strömen lässt. In..der..'That - liefert auch ein, Gemeng zu ‚einem: .Theil: aus Jodkalium, zu.zwei oder drei Theilen aus Graphit, Eisen- oxid; schwefelsaurem Baryt, Feldspath, Bimsstein,, Glaspul- ver: u. 8. w.. bestehend und in einer Glasröhre : noch nicht bis: zum Schmelzpunkte: des: Salzes erhitzt, merkliche Men- gen: Jodes; wenn man.darüber einen Strom von Sauerstoff- Be oder atmosphärischer Luft gehen lässt. rails Abot ‘Da die -meisten, wo nicht alle der genannten dem Jod- kalium beigemengten Substanzen gegen dieses Salz chemisch indifferent sind und nicht durch ihre, Verwandtschaft zum Kali-die Jodausscheidung begünstigen können, so ist wahr- scheinlich; dass sie'nur mechanisch, d. h. dadurch die Jod- . entbindung:; befördern, dass ‘sie die: Zahl der. Berührungs- pünkte zwischen Sauerstoff und Jodkalium vermehren helfen. 358 Kaum brauche ich zu sagen, dass innige Gemenge von Jodkalium und Kieselsäure oder Alaunerde, über welche erhitztes Sauerstoffgas strömt, ebenfalls ziemlich reichliche Joddämpfe entwickeln unter Bildung von Silicat oder Alu- minat; ob aber die Kieselsäure oder Alaunerde durch ihre Verwandtschaft zum Kali die Jodausscheidung wesentlich begünstiget, ist eine Frage, die ich noch unbeantwortet lassen will; denn Graphit, schwefelsaures Baryt, Eisenoxid u. s. w. scheinen mir unter sonst gleichen Umständen aus dem Jodkalium nicht weniger Jod als die Kieselsäure u. 8. w. zu entbinden. Doch ist aber zu ermitteln, ob die Natur der dem Jod- kalium beigemengten Substanzen auf die Temperatur, bei welcher die Jodausscheidung beginnt, .einen merklichen Ein- fluss ausübe, so nemlich, dass je nach der chemischen Be- schaffenheit des Mengungkörpers das Jod bei verschiedenen Hitzgraden frei zu werden anfange. Diese Frage läuft auf die andere hinaus, ob nenne gewisse Substanzen durch blosse Berührung nicht selbst auch einen Einfluss auf das chemische Verhalten des Sauer- stoffes ausüben, entweder im positiven oder negativen Sinne. Obwohl ich über diesen Gegenstand bis jetzt nur wenige Versuche angestellt habe, so ist von mir doch eine That- sache ernñttelt worden, welche zu beweisen scheint, dass ein solcher Einfluss statt finde und zwar im negativen Sinne. Lässt man über ein inniges Gemeng von einem Theile Jodkaliums und drei Theilen fein gepulverter Holzkohle Sauerstoffgas strömen, so entwickelt sich aus demselben kein Jod unter Umständen, unter welchen diese Materie in nachweisbarer Menge’ schon aus dem blossen Jodkalium abgeschieden, wird. Erst bei starker Rothgluth kommen schwache Spuren zum Vorschein. Auch ein Gemeng von Jodkalium und Graphit, schwefelsaurem Baryt u. sw, as welchem erhitzter Sauerstoff merklich viel Jod frei macht, ar, ET er AE 359 liefert keines, falls dem Gemeng eine gehörige Menge Kohle beigemischt ist. Nach meinen Beobachtungen zeichnet sich 0 unter den Materien, welche freies O schon in der Kälte in O überführen, die Pflanzenkohle ganz besonders aus; denn lässt man selbst bei 0° ozonisirten Sauerstoff durch “eine mit Kohlenpulver gefüllte Röhre gehen, so verliert er sein Vermögen, Jodkalium zu zersetzen oder andere Oxi- dationswirkungen hervorzubringen, ohne dass hierbei Koh- lensäure gebildet würde. Diese Tkatsache zeigt, dass die 0 Kohle desozonisirend auf freies O einwirkt und wohl be- 0 kannt ist, dass sie auch das Wasserstoffsuperoxid (HO+0) mit grosser Energie in HO und O umsetzt. Sollte nun die Eigenschaft der Kohle den erhitzten Sauerstoff an der Jodkaliumzersetzung zu verhindern, im Zusammenhange stehen mit dem Vermögen der gleichen Kohle, schon in der Kälte den ozonisirten Sauerstoff in ge- wöhnlichen überzuführen ? 5 Ich wage noch nicht, diese Frage entweder zu bejahen oder zu verneinen; denn auffallend erscheint mir, dass Sub- stanzen, welche mit der Kohle die Eigenschaft theilen, 0 _ freies 0 in O überzuführen oder HO+O in HO und O um- zusetzen, wie z. B. das Eisenoxid, desshalb doch nicht die _ Jodentbindung verhindern, wenn sie mit Jodkalium vermengt - der Einwirkung des erhitzten Sauerstoffes ausgesetzt werden. Eine weitere Frage, deren Beantwortung mir in theo- retischer Hinsicht wichtig zu sein scheint, ist die: ob die U Wärmeeinwirkung allein es sei, welche den gewöhnlichen Sauerstoff befähiget, Jod aus dem Jodkalium abzuscheiden, oder ob auch letzteres zu diesem Ergebniss beitrage. Schon die Thatsache, dass der Sauerstoff bei der Ab- kühlung wieder sein oxidirendes Vermögen einbüsst und 360 nicht beibehält, wie diess der Sauerstoff! thut, welcher die ‚Einwirkung. der. Electrieität erfahren, scheint mir «darauf hinzudeuten, dass die Wärme für sich allein nicht i im Stande sei, im "Sauerstoff diejenige Zustandsveränderung, zu ‚be- werkstelligen, welche nach meinem Dafürhalten jeder Oxi- dation vorausgehen muss. verhältnissmässig DER EE Temperaturen. im Ai Sauerstoff sich oxidiren, die gleichen Materien aber ‚auch das Vermögen besitzen, den Sauerstoff zu ozonisiren, in welcher Hinsicht: uns »der Phosphor das 'lehrreichste'Bei- spiel liefert. Dieser Körper, verhält sich gegen den ‚stag- nirenden Sauerstoff von gewöhnlicher Dichtigkeit, und Tem- peratur völlig gleichgültig, d. h. oxidirt sich nicht einmal spurenweise, er vermag aber auch nicht unter diesen Tin Ständen selbst nur die kleinste Menge ; Sauerstoffes zu 020- nisiren, wie meine frühern Versuche diess zur Genüge ge- zeigt haben. Anders schon bei 24°, bei welcher Temperatur die Oxidation des Phosphors beginnt, wie auch nachweis- bare Mengen ‚ozonisirten Sauerstoffes auftreten; und je,höher von, nun, an die Temperatur ‚gehoben wird, um so, lebhafter die Oxidation, um,s0 reichlicher aber ‚auch das Auftreten von ozonisirtem Sauerstoff, bis endlich bei 60° die raies 7 ue des Phosphors Brig... Yan ‘Da der Phosphor den Sauerstoff in der Kälte unver- "ändert lässt und dieser Körper bei 24° für sich ‚allein auch nicht in den ozonisirten Zustand tritt, so "erhellt, dass ‘die unter den erwähnten Umständen erfolgende Ozonisation des -gewühnlichen Sauerstoffes ‘eine PP de be | eg und’ der Wärme ist. | au Wie’ich diess ‘Schon ‘wiederholt Pr ao betrachten) ich “den erwähnten "Vorgang ‘als typisch, d.h. nehme ich an; dass der ‚Oxidation jedes! Körpers;.\ welche unter dem Einflusse.der Wärme durch gewöhnlichen: Sauer- 361 stoff: bewerkstelliget; wird, eine Zustandsveränderung, d. h. die: Ozonisation der letztgenannten Materie vorausgeht, in- dem ich: dafür: halte, dass dem ozonisirten Sauerstoff allein ein, oxidirendes ‚Vermögen , zukomme. Je nach der Natur eines’ direct oxidirbaren Körpers. wird. diese Ozonisation und was damit auf das Innigste. zusammenhängt, auch die Oxidation eines solchen Körpers bei höherer oder niederer Temperatur erfolgen und ‚merkwürdig genug; sind die mei- sten Elementarstoffe so beschaffen, dass ‚sie erst bei hohen Wärmegraden den ‚Sauerstoff zu ‚ozenisiren,, d. h. sich zu oxidiren vermögen, so dass der. gewöhnliche Phosphor eine ‚grosse Ausnahme: von der Regel bildet. "Manche zusammengesetzte Materien übertreffen jedoch bei Weitem ‚selbst. den Phosphor hinsichtlich des chemisch erregenden Einflusses, den sie auf den gewöhnlichen Sauer- stoff ausüben, und ich will zunächst die selbstentzündliche Phosphorwasserstoffverbindung anführen, welche, wie schon be 77 ‚deren, Benennung, andeutet, bei gewöhnlicher "Temperatur 5 den Sauerstoff zur chemischen Thätigkeit bestimmt, während unter, den gleichen Umständen der, isolirte Phosphor, und Wasserstoff. einen solchen Einfluss. nicht äussert. .… +. Vergleichbar diesem Phosphorwasserstoff sind die merk- würdigen Verbindungen mancher Metalle mit den sogenann- ten, Alkoholradikalen, wie z. B. das Stibmethyl, Stibaethyl, Kakodyl u. s. w., welche schon bei sehr niedrigen _Tempe- raturen rasch Dee. und, wie ich anderwärts erwähnt habe, in ‚einem ganz ausgezeichneten Grade das Vermögen besitzen, die Indigolösung zu zerstören, falls man sie mit dieser Flüssigkeit und gewöhnlichem Sauerstoffgas schüt- telt, Diese Thatsache scheint mir ein sprechender Beweis LR zu. sein, dass unter dem Einflusse des Stibmethyls . 8. W. der al Sauerstoff schon in der Kälte 0Z0- ont ja nur 0 und nicht O-das gelöste: Indigoblau 362 zu oxidiren vermag. Dass beim Schütteln fein zertheilten oder geschmolzenen Phosphors mit gewöhnlichem Sauer- stoffgas und Indigolösung letzterer ziemlich rasch gebleicht und diese Farbenzerstörung durch den unter den erwähn- ten Umständen entstehenden ozonisirten Sauerstoff: bewerk- stelliget wird, ist eine Thatsache, die ich als bekamnt vor- aussetzen darf. | Aus der Richtigkeit der oben ausgesprochenen Ansicht würde nun folgen, dass die Oxidirbarkeit einer Materie wesentlich bedingt ist von dem Wärmegrad, bei welchem sie die Ozonisation des gewöhnlichen Sauerstoffes bewerk- stelliget und zwar so, dass diejenige Substanz als die oxi- dirbarste angesehen werden müsste, welche bei der nied- 0 : rigsten Temperatur O in O überzuführen vermöchte. Wie die Wärme im Verein mit einer Reihe von Sub- stanzen die Ozonisation des gewöhnlichen Sauerstoffes zu Stande bringt und damit auch die Oxidation dieser Materien selbst ermöglicht, so wirkt in vielen Fällen das Licht und als erläuterndes Beispiel möge hier das Terpentinöl dienen. Wie meine Versuche dargethan haben, vermag diese Ma- terie bei gewöhnlicher Temperatur den Sauerstoff zu 020- ä F nisiren und mit O anfänglich eine Verbindung einzugehen, aus welcher er wieder auf andere Substanzen sich über- tragen lässt. Diese Ozonisation geht aber in der Dunkel- heit äusserst langsam von Staiten, während sie selbst bei sehr niedrigen Temperaturen ziemlich rasch erfolgt, falls der mit dem Terpentinöl in Berührung stehende Sauerstoff . durch die Sonne beleuchtet ist. Und wie ich ferner schon ‘4 vor Jahren gezeigt, ist der unter dem Einflusse des Lichtes 54 zu dem Camphenöl getretene Sauerstoff ganz in demselben Zustande, in welchen dieses Element durch die Einwirkung | der Electrieität oder des Phosphors versetzt wird. Dieser Me - 1x 23 an dem Oele haftende Sauerstoff nemlich zeigt'ein eminentes Br 363 Oxidationsvermögen auch dann noch, wenn er dem Einflusse des Lichtes entzogen ist, Von allen bis jetzt bekannten Materien besitzt sicher- lich das Stickoxid das stärkste Ozonisationsvermögen, d.h. bedarf am wenigsten der Beihülfe des Lichtes oder der 3 0 Wärme, um O in O überzuführen; denn schon in der voll- kommensten Dunkelheit und bei den allerniedrigsten Tem- 0 0 peraturen verwandelt es O in O, damit NO, +20 bildend. Wie einzig aber auch das Stickoxid bis jetzt noch dasteht hinsichtlich des Einflusses, welchen es auf den gewöhnli- ‘chen Sauerstoff ausübt, so gibt es doch noch einige andere unorganische Substanzen, die ihm gleichen. Das Eisenoxi- dulhydrat führt in der Dunkelheit und Kälte O ziemlich 0 0 rasch in O über, mit letzterem eine Verbindung (F,0,+0) eingehend, aus welcher dieser Sauerstoff unter gegebenen Umständen sich leicht auf oxidirbare Körper übertragen lässt. Aehnlich verhält sich auch das Manganoxidulhydrat, _ während manche andere Oxide noch der Beihülfe der Wärme ER RES 0 . 0 bedürfen, um O in O zu verwandeln und damit eine Ohal- tige Verbindung zu bilden, wie z. B. BaO, KO u. s. w. Die Materien jedoch, von denen ich glaube, dass sie ‚hinsichtlich ihres Verhaltens zum gewöhnlichen Sauerstofl die grösste Aehnlichkeit mit dem Stickoxide zeigen würden, sind bis jetzt noch nicht im isolirten Zustande bekannt und ‚daher noch hypothesische Körper. Schon vor einiger Zeit ‘habe ich die Untersalpetersäure mit dem Jod, Brom und Chlor verglichen und geglaubt, aus der schlagenden Aehn- lichkeit, welche zwischen den physikalischen und chemischen . Eigenschaften dieser vier Materien besteht, den Schluss zie- , hen:zu, dürfen, dass sie auch ihrer chemischen Natur nach einander nah verwandte Körper seien, wie weit sie auch die heutigen Lehren der Chemie aus einander reissen. 364 ‘Da nun die Untersalpetersäure ‘eine -Sauerstoffverbin- dung und zwar nach meiner Ansicht NO, +20, d.h. "ein Superoxid ist, so bin ich geneigt, der ältern Theorie gemäss anzunehmen, dass auch das Jod, Brom und Chlor Superoxide seien, deren halber Sauerstoffgehalt im ozonisirten Zustande sich befindet. > sr ‚ala We Nach dieser Annahme würde'es ein Murium-;, ‚Bromium- und Jodiumoxid — MuO, BrO und JdO, geben, welche ‚ade wir aber bis jetzt eben so wenig. als deren Radikale, ‚im isolirten Zustande und nur in Verbindung mit Wasser. als die sogenannte Chlor-, Brom- und Jodw asserstoffsäure, oder mit basischen Oxiden als Haloidsalze, oder aber auch, mit LU O vergesellschaftet als Chlor, Brom und Jod, odér'als'die Sauerstoffsäuren dieser vermeintlichen einfachen Körper kennen. lot 19) ‚Die ‚gleiche Aehnlichkeit, welche aachen Unter, n salpetersäure und den Superoxiden des Muriums, ‚Bromiums u. Ss. w. besteht, würde sich nach meinem Dafürhalten auch A zwischen dem Stickoxid und dem Muriumoxid u. s. w. zei- gen hinsichtlich des 'oZonisirenden Einflusses, "welchen sie auf den gewöhnlichen Sauerstoff ausüben. Ich bin desshälb auch geneigt zu vermuthen, ‘dass die Oxide: des Muriums us: wi gleich dem Stickoxid-in)ihrem/ isolirten Zustande | farbelose ‘Gase seien und "beim Zusammentreffen mit: ge- wöhnlichem Sauerstoffgas schon in der Kälte zu gefärbten Verbindungen: zu Murium-; Bromium- und Jodiumsuperoxid (Chlor, Brom und Jod) sich vereinigen würden; ‚gerade:' so, wie das Stickoxid zu dem gefärbten PR à (Unter+ EEE HAE lo Soon : Durch “chemische Yongischhilindinn werden in! (derBik del, die ‚Eigenschaften einer Materie mehr oder weniger A a und de pie so Pi? dose zum‘ Gare 365 demselben verbrennt, MEN das ET Vermögen derselben eine starke Schwächung durch ihre Verbindung mit Wasser, Kali u. 's. w. ‘Kônnte sich das Stickoxid mit Wasser oder, Salzbasen vergesellschaften, so ist kaum da- ran zu zweifeln, dass es in solchen Verbindungszuständen entweder gar nicht mehr oder doch viel schwächer in der Kälte ozonisirend auf den gewöhnlichen Sauerstoff einwir- ken würde, als es diess im ungebundenen Zustande’ that. In der That geht die Ueberführung des an Eisenoxidulsalz- lösungen gebundenen Stickoxides in Untersalpetersäure in Berührung init O langsamer von Statten, als diejenige en freien NO, So verhält es ish mit den von mir angenommenen Hydraten, des Murium-, Bromium- nnd Jodiumoxides (Chlor-, Brom-, Jodwasserstoffsäure). Durch die chemische Verge- sellschaftung mit- Wasser wird das ozonisirende Vermögen zweier ‚dieser Oxide aufgehoben und nur einem bleibt das- selbe noch in einem merklichen Grade, nemlich dem Jo- diumoxidhydrat (Jodwasserstoffsäure). * Von der Jodwasserstoffsäure habe ich ER: dass sie durch‘ ozonisirten Sauerstoff: unter Jodausscheidung und Wasserbildung gemäss der gewöhnlichen Theorie, ‚unter Bildung‘ von Jodiumsuperoxid (Jod) und Ausscheidung von Wasser nach meiner Ansicht ‚augenblicklich zersetzt wird. Bekannt ist nun, dass auch, wiewohl langsam, der gewühn- liche’ Sauerstoff eine solche Zersetzung der Jodwasserstoff- säure zu bewerkstelligen vermag, aus welcher: Thatsache _ ich eben schliesse, dass selbst das Jodiumoxidhydrat noch _ einen’ merklichen ozonisirenden Einfluss auf O ausübe.. Die Hydrate der beiden andern Oxide :(Chlor- und Bromwas- j serstoffsäure), weil ihnen dieses Vermögen abgeht, werden bekanntlich vom gewöhnlichen Sauerstoff nicht, wohl aber 366 1 RR sowohl vom freien als gebundenen 0 zersetzt unter Erzeu- gung von Muriumsuperoxid u. s. w. und AU von Wasser, gemäss den Gleichungen MuO, HO+O = Mu00+HO 0 r oder 2 MuO, 2 HO+Mn00 = Mu00 +Mn0, MuO +2H0. Auch die meisten Verbindungen des Jodiumoxides mit basischen Metalloxiden (Jodmetalle) verhalten sich dem Jodiumoxidhydrat ähnlich. Schon bei gewöhnlicher Tem- peratur scheidet der gewöhnliche Sauerstoff das Metalloxid. aus, indem er das Jodiumoxid zu Superoxid oxidirt, es fin- det aber diese Reaction rascher in der Wärme als in der Kälte statt, weil durch jene das ozonisirende Vermögen des gebundenen Jodiumoxides gesteigert wird, wie ein Gleiches. in so vielen andern Fällen geschieht. Die aus der Verbindung der alkalischen Basen mit Jodiumoxid entspringenden Salze (die alkalischen Jodme- talle) verhalten sich in der Kälte vollkommen gleichgültig. gegen den gewöhnlichen Sauerstoff, woraus erhellt, dass ; das ozonisirende Vermögen des so gebundenen Jodiumoxi- # des gänzlich aufgehoben ist. Die weiter oben gemachten Br, Angaben zeigen aber, dass bei erhöheter Temperatur die "4 gleichen Salze in Berührung mit O sich ganz so verhalten, ‘4 wie diess die übrigen Jodmetalle, z. B. das Jodmagnium, 2. Jodzink, Jodeisen u. s. w. bei gewöhnlicher Temperatur thun, woraus zu ersehen, dass unter dem Einflusse der Be Wärme die gleichsam schlummernde ozonisirende Thätig- à RN keit des alkalisch gebundenen Jodiumoxides wieder geweckt wird. Wer das Jod für einen einfachen Körper ansieht, “4 muss natürlich die besprochenen Erscheinungen anders deu ten und die nächste Ursache derselben in den mit dieser Materie verbundenen alkalischen Metallen suchen. u. IN TRS PL, CEA Den voranstehenden Erörterungen gemäss würde ‘also + 3 meine Meinung dahin gehen, dass der erhitzte gewöhnliche # Ve SAR EN PTS 367 - Sauerstoff an und für sich noch nicht fähig sei, irgend eine _ Materie zu oxidiren, sondern dass letztere selbst auch einen Einfluss auf diesen Sauerstoff auszuüben habe ähnlich dem- jenigen, den z. B. der Phosphor gegen das gleiche Element äussert, dass mit andern Worten die Allotropie oder Ozo- nisation des gewöhnlichen Sauerstoffes, weiche jeder Oxi- dation vorausgehen muss, als die gedoppelte Wirkung der Wärme und der oxidirbaren Materie anzusehen sei. Ueber die verschiedenartigen Zersetzungen, welche die alkalischen Jodate, Bromate und Chlorate in der Hitze erleiden. Von C. F. Scu&nseıin. . (Den 7. Mai 1856.) Es ist bekannt, dass bei höherer Temperatur diese Salze in Jodide, Bromide, Chloride und Sauerstoff zerfallen, hierbei aber auch noch Spuren freien Jodes, Bromes und Chlores zum Vorschein kommen und desshalb die rückstän- digen Haloidsalze kleine Mengen Kalïs u. s. w. enthalten, aus welchen Thatsachen erhellt, dass ein alkalisches Jodat u. s. w. in der Hitze auf zweierlei Weisen zersetzt wird: der grössere Theil des Salzes in Jodkalium u. s. w. und Sauerstoff, der kleinere in Jod u. s. w., Sauerstoff und Alkali. Warum die genannten Salze nicht ihrer "ganzen Masse nach entweder nur auf die eine oder andere Art zerlegt werden, ist meines Wissens bis jetzt noch nicht erklärt worden und ich habe desshalb in der Absicht die nächste Ursache dieser merkwürdigen Doppelzersetzung zu ermit- teln, eine Reihe von Versuchen angestellt, deren Ergebnisse 368 mir nicht ohne alles N. TRDO SEEN zu sein scheinen. | HR SITE Es ist an und für sich wenig wahrscheinlich, dass ver- schiedene Portionen einer der zersetzenden Einwirkung der Wärme unterworfenen Masse eines solchen Salzes, des jod- sauren Kalis z. B., verschiedenartig sich zersetzen, gleich- n zeitig die Eine in Jodkalium und Sauerstoff, die Andere in | Jod, Sauerstoff und Kali zerfalle, insofern anscheinend we nigstens alle Salztheile unter gleichen Umständen sich be- . finden, wesshalb sich auch vermuthen lässt, dass die eine dieser Zersetzungen secundärer Art sei. ib Hadalf Aus. schon 'anderwärts. von mir‘ .angegebenen.. Gründen betrachte ich die Jodsäure, Bromsäure ‚und Chlorsäure als Verbindungen, deren ganzer Sauerstoffgehalt im ozonisirten Zustande sich befindet, wesshalb ich ihnen auch die For- 0 0 0 meln JO;, BrO; und CI0; gebe, wenn ich deren Zusammen- setzung im Sinne der heutigen Lehren über die Natur des Jodes, Bromes und Chlores bezeichnen soll.» = -1 Wie nun erfahrungsgemäss unter dem Einflusse der | > FOTO Wärme;das | freie 0: wieder in. O,sich zurückführen. ls) so auch in den meisten Fällen das gebundene ) und früher | schon habe ich darzuthun versucht, dass die nächste Ur- sache der Zersetzung aller Sauerstoffverbindungen, welche durch die Hitze O aus sich FN lassen, in der Ueber= HO 106 führung des i in ihnen enthaltenen 0 in O zu suchen sei. A Je nachdem Ô mit dieser oder jener Materie “ver e- sellschaftet ist, findet diese Zustandsveränderung, also a eut uch die Ausscheidung des Sauerstoffes bei niedrigern 'oder 'nö- ii bu [abTorr- hen Temperaturen statt; ja: es gibt Ohaltige Verhindnogen; deren 0 durch die Hitze allein nicht in O überführbar ist. 369 Au; zerfällt in Au und O bei einer Temperatur, die um ein Merkliches niedriger ist als diejenige, bei welcher HsO in Metall und gewöhnlichen Sauerstoff oder Mn0+0 in MnO und O zerlegt wird. Eisenoxid — F,0,+0 lässt bei 0 den .allerhöchsten Hitzgraden sein O nicht in O verwan- deln, wesshalb es auch unter diesen Umständen keinen Sauerstoff abgibt. 0 2 Das O der freien Jodsäure, Bromsäure und Chlorsäure geht in O über bei Temperaturen, die niedriger sind als diejenigen, bei welchen dasselbe 0 in O übergeht, falls die besagten Säuren sich an Basen gebunden finden. Und die Natur der Basen selbst übt wieder einen Einfluss auf die Temperatur aus, bei welcher sich diese Säuren zersetzen und zwar einen um so grössern, je kräftiger die Basis, mit der sie vergesellschaftet sind. Wie wohl bekannt, zersetzen sich z. B. die jodsauren Salze, welche kein alkalisches Metalloxid zur Basis haben, in Jod, Sauerstoff und Oxid bei Temperaturen, die niedri- ger sind als diejenigen, bei welchen die Jodate mit alka- lischer Basis zerlegt werden, welche letzteren von den . erstern auch noch wesentlich dadurch sich unterscheiden, dass sie ihrer grössern Masse nach in Jodmetall und Sauer- ‚stoff sich umsetzen. Die Thatsache, dass aus den alkalischen Jodaten u. s. w. ‘in der Hitze wenigstens Spuren von Jod u. s. w. sich ent- binden und im rückständigen Jodmetall u. s. w. einiges freie Alkali angetroffen wird, gibt nach meinem Dafürhal- ten der Vermuthung Raum, dass die Zersetzung dieser Saize nicht anders bewerkstelliget wird als diejenige der übrigen Fr Jodate u. s. w., d. h. dass die Wärme zunächst das Zer- fallen ihrer Säure in Jod u. s. w. und Sauerstoff verursacht: 24 370 Da aber die Zersetzung z. B. der Säure des Kalijodates erst bei einer Temperatur stattfindet, bei welcher freies Jod und Kali sich in Jodkalium und Sauerstoff umsetzen, so muss auch das unter den erwähnten Umständen aus dem Zerfallen der Jodsäure hervorgehende Jod in der angege- benen Weise auf das gleichzeitig frei gewordene Kali ein- wirken, somit auf eine secundäre Art Jodkalium gebildet und Sauerstoff entbunden werden. Die Spuren freien Jodes und Kalis, welche man bei der Zerlegung des Kalijodates erhält, hätte man demnach als kleine Reste der ursprüng- lichen Zersetzungseducte des Salzes anzusehen. Liesse sich nun die an Kali gebundene Jodsäure in Jod und Sauerstoff zerlegen bei einer Temperatur, bei der das Jod noch nicht auf das Kali einwirkte, so müsste auch das jodsaure Kali nach Art der nicht alkalischen Jodate zersetzt werden können, nemlich in Jod, Sauerstoff und Kali. f zen es vermögen, Sauerstoff aus dem Kalichlorat zu ent- binden bei einer Temperatur, wobei das Salz für sich al- lein noch nicht zerlegt wird; auch habe ich beobachtet, dass bei Anwesenheit solcher Contactssubstanzen dem aus dem chlorsauren Kali sich entbindenden Sauerstoff merk- lich mehr Chlor beigemengt ist, als dem gleichen Gase, welches durch die Wärme allein aus besagtem Salze ab- geschieden wird. Da das jodsaure Kali dem chlorsauren in so vielen Beziehungen gleicht, so liess sich vermuthen, dass die Sub- stanzen, welche die Zersetzung des einen Salzes begün- stigen, auch auf das andere einen ähnlichen Einfluss aus- üben werden. Vom Mangansuperoxid ist längst bekannt, dass es schon beim Schmelzpunkte des Kalichlorates mit stürmischer Heftigkeit Sauerstoffgas aus diesem Salze ent- Die Untersuchungen Döbereiner's, Mitscherlich's und meine eigenen haben dargethan, dass nicht wenige Substan- ’ iR 371 _ bindet, bei einer Temperatur also, welche noch merklich tief unter derjenigen liegt, bei welcher das Salz für sich allein zersetzt wird, und ich habe vor einigen Jahren ge- zeigt, dass namentlich auch der Graphit ähnlich dem Man- gansuperoxide wirke. In der Hoffnung, mittelst der beiden genannten Sub- stanzen das Kalijodat gänzlich in Jod, Sauerstoff und Kali zerfällen zu können, stellte ich neuerlichst eine Reihe von Versuchen an, aus deren Ergebnissen man abnehmen kann, in wie weit meine Erwartung gegründet war. Wird ein inniges Gemeng zu einem Theil aus möglichst fein gepul- vertem Kalijodat und zu zwei Theilen aus gleich beschaf- fenem Mangansuperoxid bestehend bis zu einer Temperatur erhitzt, bei welcher das Salz für sich allein noch keine Zersetzung erleidet, so entwickelt sich Jod in so reichli- cher Menge, dass das Zersetzungsgefäss mit tief violetten Dämpfen sich erfüllt, und erhält man das Gemeng hinrei- chend lange auf dieser Temperatur, so hört die Jodentbin- dung auf. Zu wiederholten Malen habe ich die Menge des auf diese Weise aus :400 Milligrammen Kalijodates erhal- tenen Jodes bestimmt und gefunden, dass dieselbe 220—226 Milligramme betrug, woraus erhellt, dass nahezu der ganze Jodgehalt des Salzes im isolirten Zustande gewonnen wurde, da 400 Theile Jodates 236 Theile Jodes enthalten. Es ist daher kaum daran zu zweifeln, dass unter Beobachtung der geeigneten ;Vorsichtsmassregeln hinsichtlich der Pulverung, Mengung und Erhitzung der zum Versuche dienenden Sub- _ stanzen das jodsaure Kali mittelst Mangansuperoxides voll- ständig in freies Jod, Sauerstoff und Kali sich zerfällen lässt, d. h. gerade so zersetzt werden kann, wie jedes an- dere nicht alkalische Jodat. | = Wie schon erwähnt, wirkt der Graphit ähnlich dem - Mangansuperoxid und ich habe mittelst jener Substanz aus 24* 372 dem Kalijodat ebenfalls beinahe den ganzen Jodgehalt des Salzes in Freiheit gesetzt; ich darf aber nicht unbemerkt lassen, dass die Wirksamkeit des Mangansuperoxides die- jenige des Graphites um ein Merkliches übertrifft, wie aus . 23 der Thatsache erhellt, dass MnO, schon bei 100° zwar schwache aber doch noch nachweisbare Spuren von Jod aus dem jodsauren Kali frei macht, während diess der Graphit nicht zu thun vermag. Stellt man ein Probegläs- chen mit einem innigen Gemeng von Kalijodat und Man- gansuperoxid in siedendes Wasser, so wird ein mit Stärke- kleister behafteter in das Gefäss eingeführter Papierstreifen bald deutlich blau, unter welchen Umständen derselbe über einem Gemeng von Kalijodat und Graphit ungefärbt bleibt. Was das Verhalten des Kalichlorates betrifft, so ähnelt es zwar demjenigen des Jodates, doch ist es mir bis jetzt noch nicht gelungen, jenes Salz seinem grössern Theile nach in Chlor, Sauerstoff und Kali zu zerlegen; denn unter welche Umstäude ich es auch versetzen mochte, immer wurde doch nur der kleinere Theil in der angegebenen Weise zersetzt und zerfiel der grössere in Chlorkalium und Sauerstoff. Doch muss ich der interessanten Thatsache er- wähnen, dass unter dem Berührungseinflusse des Mangn- superoxides schon bei einer Temperatur, die noch merklich tief unter dem Schmelzpunkte des Kalichlorates liegt, aus diesem Salze merkliche Mengen Chlores in Freiheit gesetzt werden. Wird ein inniges Gemeng, zur Hälfte aus dem besagten Superoxid, zur Hälfte aus Kalichlorat bestehend, in einem Probeglas bis zu 150-—-160° erhitzt und führt man nun in das Gefäss einen Streifen feuchten Jodkaliumstärke- papieres (wie ich es zu ozonometrischen Zwecken benütze) oder ein mit frischer Guajaktinctur getränktes Stück Fl- trirpapieres ein, so färben sich diese Streifen deutlich blau, 24 \ 373 und wird das Gemeng noch etwas stärker aber nicht bis zum Schmelzpunkte des Salzes erhitzt, so also, dass das Gemeng noch pulverig bleibt, so entbindet sich so viel Chlor, dass man dasselbe deutlich riecht und in das Ge- fäss gehaltene durch Indigotinctur gebläuete oder durch Schwefelblei gebräunte Papierstreifen ziemlich rasch sich - bleichen. 374 ZOOLOGIE und PHYSIOLOGIE. Ueber die Befruchtung des Eies von Echinus esculentus. Von Prof. G. Meissner. (Den 5. Dec. 1855.) Nach einem kurzen Ueberblick über die bei Thieren und Pflanzen in der neuesten Zeit gefundenen Thatsachen, die Physiologie der Zeugung betreffend, beschrieb der Vor- tragende noch Beobachtungen, welche auf Helgoland im Sommer 1855 angestellt wurden, zunächst das Ei und die Spermatozoiden von Echinus esculentus nebst deren Ent- wicklungsgeschichte. Die reifen Eier, aus der Theilung von Mutterzellen, weiblicher Keimzellen, hervorgegangen, be- sitzen alle in ihrer sehr zarten Dotterhaut eine Mikropyle und sind ausserhalb der von Anfang an vorhandenen Dot- terhaut (Zellmembran) von einer zähen Eiweissschicht um- geben. Das Keimbläschen ist in zur Ausstossung reifen Eiern bereits verschwunden; die Dotterkörnchen zeigen eine sehr deutliche radiäre Gruppirung um ein helles Centrum, . welches sich als ein röthlicher, zähflüssiger Tropfen isoli- ren lässt. Eine Randschicht des Dotters geht einen Ver- ns dichtungs- und Verschmelzungsprocess ein, in Folge dessen #5 der Dotter innerhalb der Dotterhaut von einer neuen an- 375 sehnlichen Membran eng umgeben wird. Diese neugebildete Hautschicht, (welche sehr viel Analogie mit neuerdings bei in Algensporen beobachteten (Pringsheim) Vorgängen dar- bietet), umschliesst den Dotter jedoch zuerst nur bis zu der Stelle, wo sich in der Dotterhaut die Mikropyle findet; _ hier lässt jener Verdichtungsprocess zunächst eine der Mi- _ kropyle entsprechende Stelle des Dotters frei und somit nach Aussen offen. Reife Eier wurden mit reifem Samen gemischt und so künstliche Befruchtung eingeleitet, welche in mehren Versuchen vollständig gelang, so dass das Ein- dringen der Spermatozoiden durch die Mikropyle der Dot- terhaut und durch die vor der neugebildeten Hautschicht noch frei gelassene Lücke in den weichen Dotter vielfach beobachtet werden konnte. Nach dem Eindringen einiger Spermatozoiden (von einer ausserordentlich grossen Anzahl derselben, welche sich vor der Mikropyle in dichtem Hau- fen ansammeln) wird der weiche Dotter sammt den einge- drungenen Samenelementen völlig abgeschlossen, indem die Hautschicht jetzt sich auch über die Lücke erstreckt. Die Dotterhaut erleidet gar keine Veränderungen; sie kann ver- loren gehen, ohne dass dadurch die ersten Stadien zur be- ginnenden Embryonalentwicklung gehemmt werden. Diese, der Furchungsprocess nämlich, beginnt sehr bald nach der Befruchtung. Der die Stelle eines Kerns vertretende röth- liche, zähflüssige Tropfen, der oben erwähnt wurde, theilt sich und der Dotter sondert sich in zwei Massen, deren jede sich um ein Centrum wieder radiär gruppirt; und so schreitet der Vorgang fort. Bei der peripherischen Durch- furchung der Dottermasse scheint die Hautschicht eine Rolle zu spielen; es wurden Duplicaturen derselben zwischen die Furchungskugeln hineinwachsend beobachtet. 376 Ueber Filaria medinensis. Von Prof. G. Meissner. (Den 20, Febr. 1856.) Untersuchungen einiger in Berlin aufbewahrter Wein- geistexemplare der Filaria medinensis haben dem Vortra- genden ergeben, dass dieser Wurm der Organisation seines Ernährungsapparats nach in die Ordnung der Gordiaceen gehört. Ein Darmkanal ist nicht vorhanden, statt dessen der den Gordiaceen eigenthümliche Zellkörper; ein After fehlt, und die Oeffnung am Schwanzende, welche für den After gehalten wurde, ist die weibliche Geschlechtsöffnung. Der Kopf fehlte an den untersuchten Exemplaren. Die Filaria medinensis dürfte übrigens nicht mit einem der beiden bisher bekannten Genera der Gordiaceen, Gor- dius und Mermis, vereinigt werden, sondern würde ein be- sonderes drittes Genus bilden, wobei der Name Filaria wo möglich zu vermeiden wäre. Der Vortragende beschrieb dann, im LA mit Jacobson übereinstimmend, die von ihm in grosser Menge im Uterus gefundenen Jungen, deren Larvennatur hervorgehoben wurde; und daran knüpften sich noch einige NX : & Vermuthungen über die Naturgeschichte des merkwürdigen Thieres, so weit die spärlichen und beiläufigen älteren Be- obachtungen Anhaltspunkte lieferten. Ueber menschliche Anencephalie, Von Prof. L. Rürmkyer. (Den 26. März 1856.) Der menschliche Schädel bildet insofern die Spitze der | Schädelbildung unter den Wirbelthieren, als zum Aufbau u n'obci h ee N ee M “ CES NS lg ON EE Le. : et a N De} 4 j x 377 der hier das Maximum relativer Ausdehnung erreichenden Hirnkapsel die grösste Zahl von Knochen verwendet wird, während entgegengesetzt der Facialtheil des Schädels mit einziger Ausnahme der zahntragenden Knochen auffallend verkümmert ist, hauptsächlich deshalb, weil ein grosser Theil der Facialknochen zur Bildung der Hirnkapsel ver- wendet wird. Es kann dies Verhältniss noch gesteigert werden bei pathologischer Ausdehnung der Hirnkapsel durch Hydrocephalus; das entgegengesetzte Resultat aber und da- her gewissermassen retrograde Annäherung an Schädelfor- men unterer Thierclassen lässt sich erwarten bei patholo- gischem Defect des Gehirns. Unter den mit sehr verschiedenen Namen bezeichneten und von verschiedenen Ursachen herrührenden Entleerungen der Hirnkapsel von ihrem Inhalt erreicht wohl jene fälsch- lich Anencephalie genannte Ektopie des Gehirns den höch- sten Grad und übt den grössten Einfluss auf die umgeben- den harten Theile, bei welcher das Gehirn durch sein natürlichstes Abzugsrohr, durch das Hinterhauptsloch nach aussen tritt. Es ist begreiflich, dass diese Fälle von En- _ cephalocele, mögen sie bis zur Anencephalie führen oder _ nicht, fast nie ohne gleichzeitiges Offenbleiben des Hirn- kanals sich finden, und zwar nicht nur Spina bifida, son- dern auch Cranium bifidum. Ein exquisiter Fall eines solchen Cranium bifidum, der in der hiesigen Sammlung aufbewahrt wird, gab den Anlass zur Vergleichung der in der Litteratur verzeichneten Fälle, die sich sämmtlich - durch so ausserordentliche und im Gebiet von Missbildun- gen kaum erwartete Analogie der Resultate auszeichnen, dass die Definirang und der Nachweis der Tragkraft der- selben von Wichtigkeit scheint. Der Oceipitalwirbel warmblütiger Säugethiere charak- - terisirt sich im Allgemeinen durch die grosse Aehnlichkeit mit den Körperwirbeln, wobei indess die Spina ausseror- 378 dentlich vergrössert ist und die Parapophysen nicht selbst- ER ständig, sondern mit den Neurapophysen verwachsen und, \ Be speciell beim Menschen, äusserst reducirt sind. Bei: den Anencephalis bilden die Theile dieses Segmentes keinen 2 geschlossenen Ring, sondern bleiben in Form von Spina Er bifida offen, oft so weit, dass der ganze Ring nach aussen gestülpt wird und das Schädelbein sammt der Innenwand +3 der Schädelkapsel nach aussen tritt. Das Centrum behälé dabei seine Form, allein die Bogen (Neurap. und Parap.) à treten rippenähnlich nach aussen. Schon beim normalen | Fötus sind diese Seitentheile stärker verlängert als beim Erwachsenen, allein dieses strebepfeilerartige Nachaussen- treten findet sich normaler Weise nur bei Fischen und Reptilien, wo es besonders beim Krokodil die grosse Breite der Schädelbasis bewirkt. Die Spina occip. ist bei dn Anencephalis ganz menschlich gebildet, aus vier Theilen, BR (Interpariet. und getheilter Squama); die Missbildung be- schränkt sich hier auf ungeheure Spina bifida. e Die Veränderungen im zweiten Segment beschränken sich nicht mehr auf blosse Spina bifida. Der Keilbeinkörper. ist wieder wenig verändert. Die grossen Flügel treten in. grosser Ausdehnung an der Unterfläche des Schädels u Tage. Allein während sie bei den Säugethieren, vom Men- schen abwärts, einen immer grössern Antheil an der Bl- dung der seitlichen Schädelwand nehmen, sind sie hier von dieser Function gänzlich entfernt und in das Dach der Or- # bita nach vorn gedrängt; For. rot. und ovale verschmelzen, und die Verbindung der Flügel mit den Parietalia kömmt- Ta nicht zu Stande, sondern mit dem Frontale. Die normale #4 Spina dieses Segmentes, das Parietale, ist zwar nicht im- mer mitergriffen von der Spina bifida, allein das Interpa- rietale vermag nur durch stielförmige Verlängerung die ‘4 Verbindung mit dem Parietale einzuhalten. Die pas © 2 u Re t VO Tr Er je PT + tal © TA A RR À 379 hintern wenigstens scheinbaren Rand der Schädelkapsel, _ obschon aus ganz anderm Grund als dort. — Die Parapoph. r dieses Wirbels, das Mastoideum, ist erst in der Entstehung begriffen; an seiner Stelle findet sich eine Lücke, ausge- füllt durch eine Knorpelmasse, in welcher erst die Ossifi- cation beginnt. Die kleine Mastoidplatte ist in engster Ver- bindung mit dem Tympanicum und Petrosum, ohne indess noch damit verwachsen zu sein; sie bleibt horizontal an der Schädelbasis und scheint daher nur die menschliche Beziehung zum Gehörapparat zu haben, noch nicht wie bei Kaltblütigen, die stark ausgesprochene Function einer Mus- kelparapophyse. Von seiner normalen Lage (zwischen Pa- rietale und Ala magna) ist es bekanntlich im Menschen ver- drängt durch das zwischeneingeschobene Parietale. Sehr auffallend ist die enorme Ausdehnung des Petro- sum, das den beträchtlichsten Knochen der Schädelbasis bildet, und nach hinten an die Exoceip., nach vorn an die Alisphen., nach innen an das Sphen. und nach aussen an das Mastoideum stösst. Das Squamosum ist derjenige Knochen, der am ganzen Wirbelthierschädel den grössten Variationen ausgesetzt ist, und durch seine Verbindungen die einzelnen Classen am mei- ‘sten charakterisirt. Bei Fischen und Schlangen fehlend, bei den übrigen Oviparen einem Processus uneinatus ähnlich die Basis des Oberkiefers auf den Aufhängestiel des Unter- kiefers stützend, beginnt es bei den Säugethieren aus einem langen Knochen sich in einen platten zu verwandeln und sich zwischen Unterkiefer und dessen Insertionspunkt ein- zudrängen, bis endlich beim Mensch dieser der Schädelbil- dung ursprünglich durchaus fremde Knochen sich so sehr zwischen die Elemente des Occipital- und Parietalwirbels einschiebt, dass er die ausgedehntesten Verbindungen ein- geht, mit dem Mastoideum, das ebenso von seiner Function } einer Muskelparapophyse an die Schädelbasis herabsteigt, 380 um dem Gehörapparat zu dienen, mit dem Petrosum, das ohnehin mit dem Mastoideum sehr allgemein anchylosirt, mit dem Tympanicum, dem von seiner Stelle gedräng- ten Aufhängestiel der Mandibel, mit dem Styloideum, einem von der Schädelbildung gänzlich unabhängigen Theil des Respirationsskelettes. Wir haben demnach in der allmäh- ligen Reduction des Squamosum von der Function eines Schädelknochens zu dessen ursprünglicher blos zygomati- schen Function als Brücke zwischen Jugale und Tympani- cum den deutlichsten Massstab für die Höhe eines Schädels auf der Thierscala. Der angegebene schneidende Säugethiercharakter des Squamosum ist bei den Anencephalen nicht vollständig ent- wickelt. Es articulirt freilich der Unterkiefer ausschliess- lich mit der Wurzel des Proc. zygomaticus Ossis squamosi, allein das Squamosum selbst ist schwach entwickelt, in die Länge gezogen wie bei Oviparen, obschon immer noch durch eine lange Schuppennath in Verbindung mit dem Pa- rietale; die ausgedehnten Verbindungen im normalen Men- schen sind hier also alle eingehalten worden. Das Tympanicum, das nach Verlust der oviparen Func- tion eines Aufhängestiels des Unterkiefers, bei den Säuge- thieren zur Bergung des mittlern Ohres dient, als Bulla ossea, ist bei dem Menschen auf das Minimum reducirt, in- dem es blos noch als knöcherner Rahmen für das Trom-. melfell dient. Die Anencephali haben noch eine Art Bulla ossea, welche, was wichtig ist, mit einem kleinen vordern Fortsatz an den Proc. condyloideus des Unterkiefers stösst und so die höchst charakteristische Verbindung, . welche zwischen diesen zwei Knochen bei den Oviparen besteht, wiederherstellt, obschon in der That das Squamosum am Unterkiefergelenk den grössten Antheil hat. Im Frontalsegment ist auffallend die ausserordentliche Reduction der Frontalia und das Nachinnentreten der Als 381 magnæ, wodurch diese nach hinten mit dem Squamosum zusammenstossen wie in den Malaischen Racen und den Affen. Im Nasalsegment tritt erstlich die schnauzenartige Ver- längerung der Maxilla an den Tag, besonders merklich an der Gaumenfläche. Von dem Gaumenbein führt beim Fisch ein Stützpfeiler, das Os pterygoideum, nach dem Unterkiefer, ähnlich dem Jochbogen der Vögel und Reptilien. Da wo dieser eigentliche Jochbogen vorhanden ist, stützt sich dann oft das Pteryg. nur auf die Schädelbasis (Keilbein) oder bildet bei Säugethieren blos einen frei endigenden mit der Ala magna verbundenen Fortsatz. Bei den Anencephalis kömmt die Verbindung zwischen Pter. und Sphen. nicht zu Stande, sondern die Pterygoidea richten sich ähnlich wie bei vielen niedern Säugethieren (Edentaten) horizontal di- rect nach hinten, ohne indess die Mandibel zu erreichen. Einfache Folgerungen dieser Verhältnisse sind die Mo- _ dificationen der Höhlen der anencephalischen Schädel. Eine Hirnhöhle existirt eigentlich nicht; nur die hinterste Hirn- grube ist da, allein mit so convexer statt concaver Basis, dass die Hauptmasse des Gehirns auf den Hals- und Rücken- wirbein liegt, deren seitliche Elemente sich dadurch in die Queere ausdehnen und unter sich verwachsen wie bei Ce- taceen. Es ist aufmerksam gemacht worden auf die grosse Constanz, mit welcher diese Veränderungen in allen Fällen dieser Anencephalie durch Cranium bifidum auftreten. Wich- tig und fruchtbar für die vergleichende Anatomie ist dabei besonders die Betrachtung der grossen Constanz der Ab- weichungen vom normalen menschlichen Schädelbau. Dahin gehören die grosse seitliche Ausdehnung der Exoceipitalia, die Verschiebung der Parietalia und Frontalia nach hinten, und _ entsprechendes Nachvorndrängen der Ale magnæ, die Un- terdrückung des Mastoideum und enge Anheftung .an das 382 gigantische Petrosum, die engere Verbindung des Tympa- nicum mit der Mandibel, die nach hinten gestreckte Form der Squamosa und Pterygoidea. Einige dieser Verhältnisse erklären sich aus der fr ühen Zeit, in welcher die Missbildung den Ursprung nahm, so die fehlende Vereinigung von Pariet. und Front. mit ihren entsprechenden Neurapophysen, das Fehlen des immer sehr spät gebildeten Mastoideum. Unerklärt ist dagegen die stete und enorme Ausdehnung des Petrosum, das durchaus nicht etwa einer der früh ossificirenden Theile des Schädels ist. Die Erklärung von Geoffroy durch ungehinderte Ausdehnung in Folge der Befreiung vom Hirndruck genügt nicht, da der Hirnsack doch noch auf dem Petrosum ruht, und da sie der sonst sehr späten Verknöcherung dieses Knochens wider- spricht. Am meisten Interesse bieten die seitliche Ausdehnung der Exoceipitalia, die Verbindung von -Tympanicum und Mandibel, die veränderte Richtung und Form von Squamo- sum und Pterygoideum. Es entsprechen diese Verhältnisse durchaus den normalen Bildungen bei untern Säugethieren, Oviparen etc. und müssen als solche aufgefasst werden. Es ist wohl sicher, dass von den unserer Beobachtung zu- gänglichen Momenten, welche auf die Bildung der Schädel- form einfliessen, die Ausdehnung des von dem Schädel um- schlossenen Gehirnes und die Epoche der Verbindung der dasselbe umhüllenden Knochen, d. h. die Reihenfolge, in welcher die Knochenkerne zusammenfliessen, die wichtig- ‚sten sind, weil die frühsten.*) Erst später treten dann noch % andere Verhältnisse, wie Entwicklung der Sinnesorgane, der Kauorgane und der zudienenden Musculatur in Wirk- samkeit. Es liegt daher in dieser so stark ausgesproche- nen Tendenz des Skelettes höherer Thiere, bei gegebenem *) Vel. Bruch, in den Schweiz. Denkschr. 1852. ö | AVE n + 383 Anlass (in diesem Fall Verkleinerung des intracranialen Hirnvolumens) zu Bildungen zurückzusinken, wie sie nied- rigere Thiere zeigen, einer der stärksten Belege für die Energie des gemeinsamen Planes, welcher der Bildung des Wirbelthierschädels zu Grunde liegt. Wichtig ist überdiess die Stütze, welche durch diese Thatsachen die Resultate der vergleichenden Osteologie er- halten, entgegen der Entwerthung, welche denselben von Seite der bisherigen Untersuchung des Primordialschädels drohte. Die behauptete Unvereinbarkeit der durch die Ent- wicklungsart gewonnenen mit den durch Vergleichung der erwachsenen Knochen erhaltenen Resultaten scheint über- haupt noch durchaus nicht bestätigt zu sein, ja selbst wenig Grund da zu sein, die Vergleichung zwischen Schädel und Wirbelsäule nur zwischen deren primordialen Theilen gel- tend machen zu wollen. Selbst eine fernere Bestätigung der von den Ergebnissen der vergleichenden Osteologie er- wachsener Skelette bisher ganz verschiedenen Resultate der Entwicklungsart der Knochen würde die bisher erreichten Homologien nur in Analogien reduciren, diese letztern aber durchaus nicht zerstören; allein es hat sich schon jetzt ge- zeigt, dass die Wirbelsäule durchaus nicht nur aus primor- dialen Knochen besteht. Erst nach genauerer Scheidung der Elemente sowohl des Schädels als der Wirbelsäule in primordiale und in secundäre Theile wird daher die Frage entstehen, ob die primordialen des einen den primordialen der letztern entsprechen, eine Analogie, gegen welche schon _ jetzt die Beifügung vieler Theile zum Primordialschädel (Sinnesknochen, Lippenknorpel etc. etc.) spricht, für welche in der Wirbelsäule niemals Homologa erwartet werden dürfen. Die Tragkraft obiger Resultate mag sich endlich auch über die Periode des Eintritts oder doch der vorzüglichen Ausbildung der Anencephalie erstrecken. Obschon die Ent- \ 334 wicklung primordialer und secundärer Knochen sich: der Chronologie nach mannigfach durchkreuzt, so dass z. B. der zuerst auftretende Knochen, die Mandibel, ein secundärer ist, so betrifft doch die anencephalische Missbildung haupt- sächlich primordiale Knochen, am fühlbarsten das freilich erst sehr spät sich entwickelnde Petrosum, allein auch die sehr früh gebildete Umgebung des Foramen magnum, ein Beweis, dass die Missbildung eintrat vor der völligen Ent- wicklung derselben, also jedenfalls in einer sehr frühen Embryonalperiode, während die angeborne eigentliche Her- nia cerebri weit später auftritt, erst nach der Vereinigung der zwei seitlichen Hälften der Occipitalspina. 385 PALEONTOLOGIE. Ueber schweizerische Anthracotherien. Von Prof. L. Rürmever. (Den 19. Dec. 1855.) Unter den von Cuvier datirenden, allein bis auf die- neuere Zeit nur unvollständig bekannten Geschlechtern fos- siler Säugethiere hat sich in den letzten Jahren das Genus Anthracotherium einer ganz besondern Aufmerksamkeit zu erfreuen gehabt, indem zu den wenigen und unvollständi- gen Materialien, die Cuvier und selbst noch Blainville zu Gebote standen, die Jahre 1854 und 1855 eine Reihe so vorzüglicher Stücke beigefügt, dass gegenwärtig die voll- ständige Zahnreihe beider Kiefer, freilich noch nicht an einer und derselben Species bekannt ist. Auffallender Weise hat die Schweiz, an drei gänzlich neuen Fundorten, die trefflichsten unter diesen neuen Materialien geliefert, wäh- rend bisher dieses Genus fast nur an der Küste von Genua und in Auvergne Reste seines Daseins gelassen zu haben schien. Im Jahre 1854 fand Herr Dr. Ph. De ia Harpe im Lignit von Rochette bei Lausanne eine Reihe von Zähnen nebst Knochenüberresten, wahrscheinlich alle demselben 25 386 Individuum angehörig, nachdem schon 1852 am nämlichen | ‘Orte ein einzelner Zahn gefunden worden.*) Im nämlichen Jahre 185% zeigten sich ähnliche Zähne nebst solchen von Rhinoceros bei Schangnau (Cant. Bern) und 1855 ein Stück von seltener Schönheit, die rechte Unterkieferhälfte mit fast gänzlich unversehrter vollständiger Zahnreihe und eben so wohl erhaltenem Kieferknochen im nämlichen Canton bei Aarwangen, und gleichzeitig ein wenig unvollständigerer rechter Oberkiefer mit der ganzen Reihe der Backzähne in Frankreich, im Thal der Loire, wo schon früher Zähne von Anthracotherium erhalten worden waren.**) Bis auf diese neuen Entdeckungen war der Stand der Kenntnisse über Anthracotherium folgender: 1820 machte Borson die ersten Zähne bekannt. Mem. Acad. di Torino XXVIL 1822 stellt Cuvier nach den damals vorhandenen Hülfs- mitteln 5—6 Species auf. Ossem. foss. 2e Ed. III. 396 — 405. IV. 500—502. VII. 506, 507. 1. 2. A. magnum und minus von Cadibona. 3. A. alsaticum von Lobsan im Elsass. 4. A. minimum v. Dep. Lot et Garonne. 5. 6. A. Velaunum I und If. Zwei Species von Puy en Velay. | Cuvier kannte mit Bestimmtheit bloss die hintern Back- zähne 1, 2, 3 oben, 2, 3 unten. Den Prémolaires schreibt er carnivore Form zu und hält die zwei vordersten derselben für einwurzlig. Auch kennt er (A. alsat.) die Form des letzten Milchbackzahns. Die Incisiven kennt er gar nicht; als Canine vermuthet er einen Zahn, der sich seither als Incisive erwies. *) De la Harpe, Bulletin de la Soc. Vaudoise d’hist. nat. 1 Novembre 1854. *#*) Bayle, Bulletin de la Soc. géol. de France, 2e Ser. XII. 936. 387 1828 werden beigefügt: 7. A. silistrense aus Bengalen. Pentland. Geol. Trans. 2. IL 393. 8. A. Sandbergeri? aus Steiermark (Sedgw. und Murch. Proceed. geol. Soc.) 181 fügt Blainville (Ostéographie) zu den Cuvier’schen Species: 9. A. minutum, 10. A. gergovianum, beide aus Auvergne. 1851 kömmt hinzu durch H. v. Meyer, Jahrb. der K. K. geol. Reichsanstalt in Wien 1853. IV. 1. 165. Palæon- tographica IV. 2. 1854. 11. A. dalmaticum von M. Promina in Dalmatien. 1848—1852 macht P. Gervais folgende Veränderungen (Zoologie et Paléontologie Françaises): Neu kömmt hinzu: 12. A. onoideum, von dem bisherigen A. magnum ab- gelöst. Dagegen streicht er A. velaunum Cuv. minimum Cuv. gergovianum Blainv. Weitere Beifügungen zu den vorgeschlagenen Ss cies finden sich ferner, ausser den Sammelwerken von Bronn, H. v. Meyer, Pictet, Giebel, Owen etc.: 1829 Croizet et Jobert. (A. magn.) Ann. des Sc. natur. XVII. 1834 H. v. Meyer, Zähne von Georgensgmünd (magn. min. minim. alsat.) 1844 Bravard, Consid. sur la distrib. des Mamm. du Puy- de-Döme 32. (A. lembronicum). 1846 Pomel, Bull. soc. geol. de France 381. Bibl. univ. de Genève. Archives VII. 325. 1851 Leymerie, Compt. rend. Acad. Sc. de Paris XXXI. 942. (A. magn.) 1854 De la Harpe 1. c. (magn.) 1855 E. Bayle I. c. (magn.) 25* 388 Sehen wir ab von dem schon vor längerer Zeit wieder aus der Litteratur verschwundenen A. Sandbergeri und A. lembronicum, so scheint die von Gervais vorgenommene Abtrennung von A. Velaunum genügend gerechtfertigt zu sein durch die ungeheuren Diastemata, zwischen welchen die obere Premol. 1. steht, und eben so durch die sehr starke Trennung der sehr spitzen Höcker der obern Mol., die auch durch den schiefen Umriss von Anthrac. sich un- terscheiden. Gervais bringt daher diese Species zu Hyo- potamus (Bothryodon Aymard. Ancodus Pomel), als Hyo- potamus velaunus, neben 3 andern französischen Species (crispus, porcinus, borbonicus) und 2 englischen von Owen (ovinus und vectianus). Die Vereinigung des kleinen A. gergovianum Blainv., das schon von Pomel als Brachygnathus und Synaphodus, von Croizet und Jobert als Cyclognathus besonders aufge- führt worden, mit dem Palaeochoerus typus Gervais, das jedenfalls mit Anthracoth. äusserst nahe verwandt ist, wage ich nicht zu beurtheilen, da die Blainville'sche Figur von A. gergovian. nicht Anhalt genug giebt. Hauptcharakter für Palaeochoerus typus soll sein das Fehlen der Isolirung der obern Prémol. 1. und die Zweiwurzligkeit der obern Pré- mol. 1. 2, Eigenthümlichkeiten, die indess gerade mit An- thracoth. übereinstimmen. Gehört indess dazu der Unter- kiefer, der von Gervais dazugefügt wird, so genügt die Abwesenheit der Isolirung von Prémol. inf. 1. wirklich zur Abscheidung von Anthr. hinlänglich. Die Vereinigung von Anthracoth. minimum Cuv. mit ER Chaeromorus Lartet als Chaerom. simplex scheint kaum gerechtfertigt, wenn man bedenkt, dass das Genus Chaero- morus nur auf drei hintern untern Mol. beruht, die freilich bei Chaerom. mamillatus sich wesentlich von den entspre- chenden Zähnen von Anthr. unterscheiden, allein mit den- 389 jenigen von Chaerom. simplex eben so wenig Aehnlichkeit haben. Die Abtrennung des Anthr. onoideum von A. magnum beruht blos auf geringen Grössenunterschieden und mag da- her ebenfalls einstweilen billig auf Zweifel stossen. Auffallend ist überdies die Gruppirung der mit Anthra- cotherium verwandten Genera. Gervais bildet nämlich eine Zunft Chaeropotamus mit den Subgenera Hyopotamus, Chae- ropotamus, Anthracotherium, und in die Nähe von Sus ver- legt er dann die Genera Palaeochoerus, Chaeromorus, En- telodon, Adapis. Ich finde nun als gemeinschaftlichen Charakter der 3 1 Zunft Chaeropotamus angegeben: Zahnreihe Inc. = Can. ER , ’ 7 Mol = Obere Mol. aus zwei Queerkämmen mit 3 und 2 Höckern. Ferner die Isolirung der ersten obern Prémol. durch ein kleineres oder grösseres Diastem, ferner die stark& Vorragung des Angulus Maxill. inf. Dieser letztere Cha- rakter ist in der That sehr auffallend bei Chaeropotamus, das sich aber von vornherein dadurch abtrennt, dass es nur 6 untere Backzähne hat, wovon der vorderste sehr stark vorsteht und zwei Wurzeln hat, Eigenschaften, welche dem Thier einen sehr carnivoren Charakter geben. Hyo- potamus hat aber 7 untere Mol., die Form der Mandibel ist unbekannt und daher kein Grund zur Vereinigung mit Chae- ropotamus. Anthracotherium hat ebenfalls nicht die carni- vore Vorragung des Angulus Mandibulae, hat ebenfalls ? untere Backzähne und überdies relativ weit bedeutendere Canines als Hyop. und Chaerop. Die 3 Gencra gehören also durchaus nicht in Eine Gruppe, oder wenn auch Anthracoth. und Hyopot. sich nahe zu stehen scheinen, so hat doch Anthracoth. von allen 3 den entschiedensten pachydermen Charakter, in Bezug auf Form der Mandibel, der Canines 390 und auf Kleinheit des Diastems um die untere vorderste Prémol., während dasselbe gänzlich fehlt am Oberkiefer, Eben so auffallend ist dann die weite Entfernung von Pa- laeochoerus (Anthr. gergovianum) von Anthracoth., auf Bo- den der (auch Anthr. zukommenden) Nichtisolirung von Prem. 1, ferner des starken Talons von Prem. inf. 4, und der schweinähnlichen Erscheinung von seitlichen Warzen an den Backzähnen, und noch auffallender die Annäherung dieses Genus an Entelodon, ein Genus, dem der Talon von Mol. inf. #, ein so sehr wichtiger Charakter, fehlt. Es scheinen demnach zu Anthracotherium zu gehören: . magnum Cuv. . alsaticum Cuv. . minus Cuv. . minimum Cuv. (Chaeromorus Gervais). . gergovianum Blainv.? (Palaeochoerus Gerv.) . dalmaticum H. v. Meyer. A. silistrense Pentl. Zu streichen: A. onoideum Gerv. und Sandbergeri (?), und abgetrennt zu lassen A. velaunum, als Hyopotamus ve- _ launus. »b>>>>> Die er ART el für Anthracotherium ist: = de Inc. 3 Can. —, Mol. +3 Zahnform ist Ka zu geben, da dieselbe nur für einzelne Zähne der verschiedenen Species bekannt ist. Am allge- meinsten bekannt sind die hintern untern Backzähne, sowie auch die entsprechenden obern; daraus ergibt sich als gül- tig für das ganze Genus Anthracoth.: Obere Mol.: mit quadratischem Umriss, mit zwei Queerreihen stumpfer Hö- *), Eine Charakteristik der cker (einer vordern mit 3 und einer hintern mit 2). Un- j 6 *) Unbegreiflicher Weise giebt Giebel allerwärts an Mol. Ex 391 tere Mol.: länglichoval mit zwei Reihen von je 2 stumpfen Höckern und mit starkem Basalwulst. Höcker stumpf-py- ramidenförmig, mit einer einfachen oder zweispaltigen Leiste in das Längsthal der Kronfläche niedersteigend. Die vor- dere und hintere Zahnhälfte sehr stark von einander ab- geschnürt durch das mediane Queerthal, allein doch durch ein Längsjoch verbunden. Hinterste Mol. mit einem sehr starken Talon mit Neigung zur Zweispaltung. Durch Ab- rasion werden erst die äussern Höcker abgetragen und es entstehen halbmondförmige Emailinseln, die unter sich und endlich auch mit den erst viereckigen Emailinseln der in- nern Höcker verschmelzen, bis endlich die Abrasion eine gleichförmige Fläche erzeugt, wie bei Palaeoth., Rhinoce- ros etc. etc. | Unzweifelhaft ist Anthracoth. ein Paridigitatum, zu den omnivoren Pachydermen gehörig, mit vordern carnivoren, hintern omnivoren Zähnen. Mehr als dieses lässt sich wohl einstweilen über An- _ thracotherium als Genus nicht sagen, obwohl über einzelne Species viel mehr bekannt ist. Von mehrern Species ‚sind die Prémolaires theils oben, theils unten bekannt (A. MAGN. alsatic., dalmatic., gergovian.); am wenigsten kennt man die Eck- und Schneidezähne (obere von dalmaticum, und obere und untere von magn. und gergovian. zum Theil). Was die ferner zu erwartenden Aufschlüsse über die Prémol, Ca- nines und Incisives bei den verschiedenen einstweiligen Species von Anthracotherium für Folgen haben werden, ist noch unbekannt, allein jedenfalls wahrscheinlich, dass wohl noch mehrere Species zu selbstständigen Genera möchten ‚ erhoben werden wollen; denn nach dem bisherigen ist wohl sehr wahrscheinlich, dass die einzelnen Species in der Form und Stellung der Prémolaires, besonders 1 oben und unten, allein noch mehr der Canines und sicher am bedeutendsten in Form und Lage oberer und unterer Incisives ziemliche 392 Unterschiede mögen an den Tag treten lassen. Ob dies aber bei der wirklich sehr übereinstimmenden Form der obern und untern Molaires, vor allem von Mol. inf. 3 ge- nügen wird zur Aufstellung neuer Genera, ist eine andere Frage; ist doch schon die Selbstständigkeit von Palaeo- choerus Pomel und Chaeromorus Lartet (wenigstens für simplex und minimus) zweifelhaft genug. Ueberhaupt ist man trotz der vielen Arbeiten über Zähne lebender Thiere noch nicht zu allgemein gültigen Gesetzen gekommen über den Werth der verschiedenen aus den Zähnen entnommenen Merk- male, und es können nicht genug die vortrefflichen Warnungen H. v. Meyers, solche Merkmale zu überschätzen, beherzigt werden (Einleitung zu Georgensgmünd). Meines Erachtens werden auch noch so grosse Unterschiede in den Prémo- laires, Canines und Incisives von Anthracoth. die auf die Molaires gestützte Einheit dieses Genus nicht mehr zerstö- ren können, da bei schweinähnlichen Thieren die grössere oder geringere Entfaltung carnivoren Charakters durch an- dere Gestaltung der Premol., durch verschiedene Entwick- lung der Canines, durch verschiedene Form und Neigung : der Incisives stets nur von relativem Werthe sein können und selbst innerhalb grösserer theilweise lebender Genera wie Sus ziemlichen Schwankungen unterliegen. Nur unter solchen Voraussetzungen betrachte ich daher die sehr unerwarteten und merkwürdigen Aufschlüsse, wel- che die Eingangs genannten. jüngsten Funde vorzüglich in der Schweiz geliefert haben. H. De la Harpe beschreibt die von ihm und H. Gaudin gefundenen zahlreichen und theilweise vortrefflich erhal- tenen Zähne unter der Voraussetzung, dass sie einem und demselben Individuum angehörten, eine Voraussetzung, die wichtig ist, und auf die ich insistire, die übrigens durch die Art, wie die Stücke sich im Steinbruch vorfanden, wirklich sehr wahrscheinlich wird. Doch finden sich unter den ne) ar ehe ae 9 a ns k ETS 393 übrigen Skelettstücken zwei rechte Humerus und zwei rechte _ Radius, also wenigstens zwei Individuen, doch nach De la Harpe von der nämlichen Species. Aus dem Oberkiefer werden beschrieben: Links: Prem. 3, %. Mol. 1, 2, 3. ‚Rechts: Prem. 3, 4 Mol. 1, 2, 3, Diese Stücke sollen mit Anthr. magn. gut übereinstim- men, nur grössere als die bisher davon (hauptsächlich von Cadibona) bekannten Dimensionen und im Ganzen, damit übereinstimmend, rohere, massivere Ausprägung der Details der Krone zeigen. Sie gehören keinem alten Thier an, da die hinterste Mol. noch keine Abnutzung zeigt. Aus dem Unterkiefer fanden sich, noch in normaler Weise vereinigt: Rechte Mol. 1, 2, 3. Linke Mol. 3, mit den nämlichen Eigenthümlichkeiten der Grösse und des Alters. Dazu kommen noch eine Reihe isolirter Zähne, welche ich nebst dem Stück Unterkiefer durch die Gefälligkeit von H. De la Harpe einer genauern Untersuchung unterwerfen konnte. Da meine Bestimmung der Stellung dieser Zähne sehr von derjenigen durch H. De la Harpe*) abweicht, so stelle ich dieselben vergleichungsweise neben einander: De la Harpe: Nach meiner Bestimmung: Nro. 7. Obere rechte Canine. - Untere linke Canine. - 8. Obere linke Canine. an} Untere rechte Canine. Obere rechte Canine. -- 10. Untere rechte Prémol. 1. Obere rechte Prémol. 2. {?) - 11. Obere linke Incisive 2. Obere linke Incisive 1. - 12. Obererechte lneisive 1.{?) - 13. Untere rechte Incisive 2. Untere linke Incisive 2? 3? - 14. Untere?rechtePrémol.1. Obere rechte Incisive 3? "'*) De la Harpe a. a. O. 39% De la Harpe: Nach meiner Bestimmung: Nro.15. Obere rechte Prémol. 2 Obere linke Prémol. 2. . - 16. Untere rechte Prémol. 2. 3 - 17. 18. Obere rechte Mol. 5, 6. Die Stücke 17, 18 konnte ich nicht vergleichen. Ueber 8, 12, 16 wagte ich keine Vermuthung. Meine Bestimmun- gen zu begründen, gestattet mir hier der Raum nicht. Es soll dies in einer spätern Arbeit über die Bernerischen Anthracotherien geschehen, wenn es noch nöthig sein wird. Seither hat indes Herr De la Harpe, der unterdessen die Stücke der Pariser Sammlungen mit den seinigen ver- glichen hat, mit allen meinen Bestimmungen sich einverstanden erklärt, ausgenommen mit 10, das er als obere linke Pre- mol. 3 erklärt. Ueberdies bestimmte er mit denselben Hülfs- mitteln Nro. 8 als untere linke Canine, 12 als obere rechte Ineis. 3, 14 als Milchzahn, von der Stellung, die ich ihm angewiesen, so auch M. Bayle, 16 als untere rechte Pre- mol. 3 (nach M. Bayle Talon von unterer rechter Mol. 3). Was nun aus diesen Materialien nach meiner Bestim- mung Neues für Anthracotherium hervorgeht, ist Folgendes: Erstens, dass die vordern obern Prémolaires, 1 wahr- scheinlich inbegriffen, zweiwurzlig sind. Die comprimirte à conische Form der Krone erstreckt sich wahrscheinlich bis & auf Premol, 1. | Zweitens. Die Caninen sind nun gänzlich bekannt, da wir eine untere linke und eine obere rechte kennen. Obere und untere Canine entsprechen sich in der Form ziemlich _ genau. Sie stehen auf einer ausserordentlich starken Wur- x zel, die am Hals den grössten Umfang zeigt. Der ganze Zahn ist sehr stark gebogen, seine Würzel liegt nahezu. horizontal, seine Krone biegt sich gleich ausserhalb der Alveole stark aufwärts und etwas nach rückwärts und aus- sen. Der Durchschnitt ist fast überall rundlich, nur gegen die Spitze, die sehr früh eine horizontale Usurfläche er- 395 hält, wird die hintere (innere) Fläche fast platt, während -die vordere (äussere) stark convex bleibt. Auch an der Kante zwischen vorderer und innerer Seite des untern Eck- zahns erzeugt sich eine vertikale schwache Schlifffläche, die von der Reibung gegen die obere Incisive 3 herzulei- ten ist. Die wichtigsten Ergebnisse betreffen die Schneidezähne. La Rochette lieferte zwei obere und eine untere Ineisive von Anthr. magnum. Als mittlere linke Incisive (1) be- trachte ich einen mächtigen Zahn, der auf einer sehr lan- gen nach hinten gebogenen Wurzel steht, mit stark convexer vorderer und schwach convexer hinterer Fläche und star- ker horizontaler Usur an der Spitze. Der Zahn schwillt an seinem Hals beträchtlich in die Breite an, und spitzt sich von da an ziemlich rasch nach oben zu. Die Abnu- tzung der Spitze scheint kaum von der Reibung gegen die untern Ineisiven, sondern eher von Usur durch fremde Kör- per, Nahrungsmaterial, hergeleitet werden zn können. Die hintere Seite der eine fast symmetrische, von vorn nach hinten abgeplattete, nach unten sich zuspitzende Palette bildenden Krone zeigt überdies an beiden Seitenrändern zwei starke Längsfurchen, und dazu an der Basis auf einem schwachen Talon eine sehr starke Usur, die sicher nur von der untern Incisive herrühren konnte, so dass die obere bei geschlossenem Munde fast um die ganze Krone über die untere hervorragte. Die glatte vordere Fläche dieses __ nämlichen Zahns zeigt überdies, dass dieselbe von einer x _rüsselähnlichen Hervorragung der Oberlippe bedeckt sein É musste, so dass, abgesehen von der relativen Grösse der +3 obern Incisiven, das Ende der obern Schnauzenhälfte der- _jenigen des Tapir sehr ähnlich und also sehr verschieden 5% vom Schwein gedacht werden muss. Diese nämliche obere _.Incisive 1 scheint identisch zu sein mit dem längst von Borson und Cuvier abgebildeten, allein für eine Canine ge- 396 haltenen Zahn von Cadibona Fig. 6, Pl. LXXX, Tom. II. — Die obere rechte Ineisive 3 wird von M. Bayle als ein Milchzahn betrachtet. Sie ist viermal kleiner als die be- schriebene Mittelineisive, sehr unsymmetrisch, und an der Spitze ebenfalls ganz abgeschliffen, jedenfalls kann sie nicht dem nämlichen Thiere angehört haben wie Nro. 11. — Sehr wichtig ist dagegen Nro. 13 von Lausanne, untere linke Incisive 2 oder 3. La Harpe vergleicht diesen Zahn nicht : unpassend mit einem Entenschnabel, und jedenfalls weicht diese Forın bedeutend ab von allem, was man bisher von Anthr.-Zähnen weiss. Es hatte dieser Zahn unzweifelhaft eine fast ganz horizontale Stellung, ähnlich wie die untern Incisiven des Schweins und des Flusspferds. Eine starke Abplattung am Innenrande zeigt, dass der Zahn sich eng an seinen Nachbar anschloss, die hintere (hier die obere) Fläche zeigt eine starke, etwas nach aussen gerichtete Längsrippe, wie die Incis. 1 und 2 des Schweins sie hat; an seinem Vorderende, wo der Zahn nicht zugespitzt ist, sondern seine ganze Breite beibehält, ist er abgestumpft. Dass dieser Zahn zu dem nämlichen Thiere gehöre, wie Nro. 11, wird wahrscheinlich durch das Grössenverhältniss und die vollkommene Uebereinstimmung in Bezug auf Farbe und andere äussere Eigenschaften. Es ergiebt sich dem- nach das unerwartete Resultat, dass man sich zu Anthra- coth. magnum tapirähnliche obere Incisiven, die indess nicht wie beim Tapir von innen nach aussen an Grösse zuneh- men, und schweinähnlich gerade ausgestreckte untere Inei- - siven denken muss. Neue Belehrung bieten die durch M. Bayle (a. a. 0) bekannt gemachten Stücke von Antbr. magnum. Aus dem Oberkiefer ist eine Canine abgebildet (Fig. 2), die mit der jenigen von Lausanne gut übereinstimmt, eine Incisive, wahrscheinlich 2 links (Fig. 3), die sehr gut zu der Inci- sive 1 links von Lausanne zu passen scheint, allein mit nl a, Re: >, u 397 kurzer dreieckig zugespitzter, etwas schiefer Krone, allein ebenfalls platt nach hinten, convex nach vorn, mit zwei Furchen am Rand und mit abgetragener Spitze. — Dazu kömmt eine untere Incisive 1 (Fig. 4), stark seitlich com- _primirt, mit oben wieder abgetragener Spitze, die wahr- scheinlich vorher symmetrische Palettenform hatte. Die Länge und die Richtung der Wurzel zeigt wieder an, dass die untern Incisiven wie beim Schwein Stosszähne waren. Gleichzeitig mit den Stücken von La Rochette bei Lau- sanne wurden im Canton Bern Zähne aufgefunden bei Schangnau im Tobel des Bumbach-Baches, der von den Habchegg- und Gärtlenalpen nach der Emme sich ergiesst. ‚Unterhalb der Sennhütte von Lochseitli stehen in den hohen Wänden des Tobels blaue Mergel und Sandsteine an, wel- ehe mit Südfallen unter die Kreide- und Nummulitengesteine der Schrattenfluh einfallen und die Basis der Nagelfluhmasse von Lochseite und Steiglen bilden. Die Zähne gehören mei- __ stens zu Rhinoceros, aber gleichzeitig fand sich ein sehr "schöner Zahn, der dem Zahn Nro. 10 von Lausanne sehr ähnlich sieht, allein als linke untere Premol. 3 bestimmt wurde und sicher dem Anthr. magnum angehört. Wohl der vollständigste Ueberrest von Anthracothe- rium, der bisher zu Tage gefördert worden, ist indes eine rechte Unterkieferhälfte, die sowohl im Knochen als in den Zähnen fast tadellos erhalten, die ganze Reihe der Zähne, nämlich 7 Backzähne, Eckzahn und überdies 4 Schneide- “ En ferner Unio flabellatus und überdies in reicher Anzahl Blät- ter, die durch die Güte von Herrn Fischer-Oster bestimmt Br it RUE EEE zähne in ihrer Lage unverändert enthält. Das Stück wurde von H. A. Morlot dem Museum von Bern abgetreten. Der nämliche Fundort, eine Sandsteingrube im Aarthal bei Aar- wangen, lieferte nach Morlot auch Zähne von Hyotherium, wurden als J Daphnogene polymorpha Ett. Sabal major Heer. 398 Salix Lavateri Heer. Carpinus grandis Ung. Planera Ungeri Ett. Cornus Studeri Heer. Quercus Gobati Heer. Es kann hier nicht der Ort sein, weder die La- gerungsverhältnisse der beiden Punkte, Schangnau und Aar- wangen, näher anzugeben, noch auf die Fossilien selber genauer einzugehen. Ich beschränke mich vorläufig auf An- gabe der für das Genus Anthracotherium zunächst wich- tigsten Resultate. Ich schicke nur voraus, dass dieser Unterkiefer nicht zu einer der bisher bekannten Species von Anthracotherium gehören kann. Die starke Abnutzung des hintersten Back- zahns, sowie die fast gänzliche Abtragung der Krone von Mol. 1 zeigt genugsam, dass das Thier, dem der Kiefer an- gehörte, ein vollständig ausgewachsenes war, wobei wich- tig ist, dass Premol. 1 noch vorhanden ist. Die Dimensio- nen bleiben alle bedeutend unter denjenigen von Anthr. magnum, und selbst unter denjenigen von Anthr. alsaticum, stimmen vielleicht mit denjenigen überein, die Gervais für sein A. onoideum vermuthen lässt, sind dagegen bedeuten- der als diejenigen von A. minus, minimum, gergovianum und dalımaticum. (Länge des ganzen Unterkiefers etwas über 0,3 M.)*) Die Zeichnung der Details der Kronen ist durch- wegs schärfer ausgeprägt und zierlicher als bei Anthr. magnum, kleinerer Einzelnheiten nicht zu gedenken. Besondere Erwähnung verdienen vorläufig folgende Er- gebnisse: weniger schneidendem Rand. Ein Talon an der Innenseite #) Also die Grösse eines mittlern Pferdes. on Die Prémolaires sind alle stark seitlich comprimirt, mit Y dreieckiger Krone mit vorderem und hinterem mehr oder we 399 - ist nirgends ausgebildet. Nur Prémol. 4 trägt an der Basis des hintern Randes der Krone einen kurzen Talon. Alle Prémol. sind zweiwurzlig mit Ausnahme der ersten, die einwurzlig ist und durch eine merkliche Lücke sowohl von Prémol. 2 als von dem Eckzahn entfernt ist, während bei A. magnum auch Premol. 1 zweiwurzlig und nach keiner Seite hin isolirt ist. Der Eckzahn zeigt durchaus die Form, dagegen wohl eine etwas bedeutendere relative Grösse, wie der entsprechende Eckzahn bei A. magnum. Am meisten Beachtung verdienen indes die Schneide- zähne. Der vordere Theil des Unterkiefers, dessen Sym- physe eine Ausdehnung von 0,107 M. hat, ist hinter den Alveolen der Schneidezähne stark eingeschnürt und dehnt sich dann rasch beträchtlich in die Breite aus zu Gunsten der Alveole des sehr starken Eckzahns und der Schneide- zähne. Nach vorn ist er daher nicht zugespitzt wie beim Schwein, sondern symmetrisch abgerundet. Incisiven sind vier vorhanden, die noch in ihren Alveoien stecken; die Reihenfolge derselben zu bestimmen, bot eigenthümliche Schwierigkeiten dar, indem dieselben nicht symmetrisch zu ‚stehen schienen. Eine Linie von der scheinbaren Symphyse PR nn le | : - = N be. à. nach vorn fällt nämlich nicht zwischen zwei Schneidezähne : allein die gegenseitige Symmetrie der zwei grössten der _ erhaltenen Incisiven liess diese als die Mittelzähne erken- nen, und demnach sind in dem Kiefer noch vorhanden Inei- siven 1, 1 und 2, 2, wovon aber 2 rechts die Krone ver- loren hat. Besass das Thier nur diese vier? Ich glaube nicht. Es stand, an der mit Steinmasse ausgefüllten Alveole noch mit Mühe erkennbar, zwischen Canine und Incis. 2 noch eine kleine Incis. 3, die zu Incis. 2 das nämliche Verhält- niss bieten mochte, wie Incis. 3:2 beim Schwein. Das Thier besass also 6 untere Incisiven, wovon aber die seit- lichen sehr klein waren. 400 Die erhaltenen Incisiven stehen auf einer langen, ey- : lindrischen, nach hinten gekrümmten Wurzel und tragen eine von vorn nach hinten comprimirte, beidseits schwach‘ convexe Krone, die oben in gleicher Höhe glatt abgeschlif- fen ist. Sie ragen gebogen schief nach vorn, nicht so ho- rizontal und gerade wie beim Schwein, und weniger steil als beim Pferd. Die Form der zwei mittlern Paare ent- spricht in höchst auffallendem Masse derjenigen der Schnei- dezähne des Pferdes. Allein das Verhältniss zwischen Schneide- und Eckzähnen ist gänzlich vom Pferde verschie- den und in sehr hohem Masse den Verhältnissen bei Pa- laeotherium ähnlich. Es giebt kein einziges Thier, das sich . in dieser Beziehung dem 'Thier von Aarwangen so sehr . gleichstellt, wie Palaeotherium; ein Unterschied besteht nur darin, dass die Schneidezähne von Palaeotherium an der hintern Fläche schief abgeschnitten und abgeplattet sind, während bei Anthracoth. von Aarwangen auch die hintere . Fläche convex ist. Auch Listriodon splendens (Lophiodon Lartet) hat ähnliche untere, nur weit plattere Schneide- zähne, während die obern schweinartig sind (en pince). Auch die Form der Mandibel stimmt am besten überein Le mit derjenigen von Palaeotherium durch die enorme Breite des aufsteigenden Astes und Abrundung des etwas vorra- genden Angulus Maxillae, der ziemlich stark verdickt ist. Der Processus coronoideus ist weit weniger hoch als bei _ Anoplotherium und Tapir, und vom Condylus durch ein sehr breites Joch getrennt. Der Condylus steht vollkommen ho- ; | rizontal und ist von cylindrischer Form, Diese Eigenthüm- lichkeiten unterscheiden diesen Unterkiefer auch genügend x r von dem mehr carnivoren des Schweins. heit noch von keinem einzigen Anthracotherium die obern und untern Schneidezähne zu gleicher Zeit kennen. Nach den Angaben von H. De la Harpe ist es freilich äusserst a 2 «A N WESEN Aus dem Gesägten erhellt, dass wir mit völliger Ste) Là 22 Ne I ne 4 hs er » % 401 wahrscheinlich, dass die obere Incisive Nro. 11 und die untere Nro. 13 demselben Thiere, ja selbst dem nämlichen - Individuum angehören mochten; Anthracoth. magnum besässe demnach tapirähnliche, allein von 1 nach 3 an Grösse ab- nehmende (umgekehrt beim Tapir), schwach nach unten ge- bogene Schneidezähne mit langer eylindrischer Wurzel und kurzer, vorn convexer, hinten etwas abgeplatteter Krone, deren Spitze früh sich abnutzt, und platte, ebenfalls von 1—3 abnehmende, doch auch für 3 noch sehr beträchtliche untere Incisiven von fast horizontaler Richtung, ähnlich wie beim Schwein. Die untern Schneidezähne des Anthracotherium von Aarwangen, die, wohl bemerkt, noch in ihren Alveolen stecken, während Nro. 13 von Lausanne isolirt gefunden wurde, unterscheiden sich aber von den für A. magnum wahrscheinlich gemachten in hohem Grade; sie haben eine steilere Richtung, sind mehr gebogen und tragen eine weit kleinere Krone, und nehmen von 1—3 in ganz anderm Ver- _ hältniss ab, indem 1 und 2 fast gänzlich gleich, 3 aber, obwohl unbekannt, doch ohne Zweifel weit kleiner ist. : Oder soll man daraus eine Abtrennung des Thieres von Aarwangen von Anthracotherium folgern? Jedenfalls war nach dem längst bekannten Charakter des hintern Theiles der Zahnreihe von Anthracotherium eine solche Incisivbe- ‚zahnung höchst unerwartet, und sie bestätigt die Richtig- ‚keit der anfangs erwähnten Warnung H. v. Meyer’s, nicht aus einem Theil der Zahnreihe auf einen andern zu früh Schlüsse zu bauen, wie dies so oft geschieht. Scheint auch die in unserm Thiere verwirklichte Vereinigung eines Back- zahnsystems von Anthracotherium mit einem Eck- und Schneidezahngebiss von Palaeotherium nach oberflächlicher Betrachtung genügend Grund zu geben für die Bildung eines neuen Genus, so sträube ich mich doch dagegen aus fol- genden Gründen: 26 402 Principiell ist durchaus kein Motiv vorhanden, in der Gruppe der mit Anthracotherium zunächst verwandten Thiere die Merkmale der Eck- und Schneidezähne zu ge- nerellem Werthe zu erheben, im Gegentheile sind diese gerade in den Suinis beträchtlichen individuellen Wechseln unterworfen, Scheinen auch die Reste von Lausanne für A. magnum stosszahnähnliche untere Incisiven nachzuwei- sen, so ist kein Grund da, warum nicht eine andere Spe- cies desselben Genus mit denselben Backzähnen pferdähn- liche untere Incisiven vereinigen könnte. Gerade im Genus Anthracotherium erhalten sich durch eine beträchtliche An- zahl Species (6—7) die Charakteren der Molar- und Pré- molarreihe mit so grosser Constanz, dass die Ueberordnung derselben über den Werth der Incisivbezahnung für dieses Genus als erste Forderung erscheint. Ueberdies ist diese Incisivbezahnung am Thiere von Aarwangen die einzige, die keinem Zweifel unterliegen kann; die oben aus den Stücken von Lausanne hergeleitete von A. magnum ist noch heute nicht factisch erwiesen, wenn auch scheinbar weit erwarteter als diejenige von Aarwangen, — und von allen andern Species wissen wir über deren Incisivbezahnung noch nichts. Ich stehe daher nicht an, den Unterkiefer von Aarwangen bei Anthracotherium zu belassen und dasselbe unter dem Namen Anthracotherium hippoideum *) den bisherigen Species anzureihen, von denen allen es sich be- stimmt unterscheidet; ob auch von A. onoideum Gerv., ist un= bekannt, da davon nichts als der Name angegeben ist. Der Name bezieht sich auf den schneidendsten und für Anthra- . cotherium gänzlich neuen, allein nicht zu bezweifelnden Charakter unsers Thieres. Die weitern Details verspare *) Noch passender, weil nicht nur auf Incisiven, sondern auf Incis. und Ca- ninen und Kieferform zugleich bezüglich, wäre die Vergleichung mit Pa- laeotherium, wenn dieses Wort die Bildung eines ordentlichen Adjectives zuliesse, tr 403 ich auf eine weitere Arbeit, welche dieses eben so schöne als wichtige Petrefact dem Publikum bekannt machen soll. Nur schliesslich erwähne ich einer zu erwartenden neuen Belehrung über die Incisivbezahnung von Anthraco- therium. Zu den nech unbenutzten Resten dieses Thieres gehört ein in der Sammlung der Ecole des Mines befindli- cher Unterkiefer von Moissac, der von M. Leymerie einge- sandt, nur kurz erwähnt wird 1851 Comptes rendus XXXH, 942, allein doch dem Anthr. magnum zugeschrieben wurde. Eine unvollständige Zeichnung von H. K. Mayer zeigt mir insofern eine bedeutende Abweichung von demjenigen von Aarwangen, als sich derselbe, sofern die Zeichnung richtig ist, nach vorn schweinähnlich zuspitzt, und nicht pferdähn- lich abrundet. Die Länge der Symphyse wird dabei auf 150 Mm. angegeben, während sie bei meinem Stücke nur etwas über 100 beträgt, was indes nicht Beachtung ver- dient, da die übrigen Grössenverhältnisse fast das Doppelte betragen. H. De la Harpe schreibt mir, dass dieser Kiefer in Bezug auf die Form der Zähne sich nicht von demjeni- gen von Aarwangen unterscheide. Unglücklicher Weise sind die Incisiven und Caninen abgebrochen, eine einzige untere Incisive von Decize, Departement de la Nievre, wird von M. Bayle abgebildet, und stimmt wenigstens für - die Wurzel sehr mit denjenigen von Aarwangen überein; höchstens scheint nach den Mittheilungen von De la Harpe und der Zeichnung von M. Bayle diese Wurzel etwas vier- eckig und nicht so cylindrisch zu sein wie die meinen. _ Also ein wichtiger Umstand mehr zu Gunsten der hippoiden Incisiven selbst von Anthr. magnum und zu Ungunsten der Zugehörigkeit von Nro. 13 von Lausanne zu A. magnum. - 26* 404 METEOROLOGIE. Herr Rathsherr Prrer Mentmn: Metevrologische Uebersicht des Jahres 1855. Vorgelegt den 11. Juni 1856. Die aus den täglichen hôchsten und niedrigsten Ther- mometerständen abgeleiteten monatlichen Mitteltemperaturen sind nachstehende: Jan. — 2,9R. Febr. — 0,3 März + 3,7 April + 2 Mi + 9,9 Juni +.13,7 Juli +14,5 Aug. + 15,3 Sept. + 12,1 Oct. + 9,7 Nov. +2, Dec. — 1,9 Jahresmittel + 7°, 0 KR. Die jäbrliche Mitteltemperatur ist folglich eine nied- rige, denn sie seht 0°, 6 hinter dem allgemeinen Mittel zu- rück. Was die einzelnen Monate betrifft, so sind Januar va 405 und Februar verhältnissmässig kalt gewesen. Von der aus- serordentlichen Schneemasse, die im Februar gefallen’ ‘ist, haben wir bereits gesprochen (2. Heft, S. 299). März und April nähern sich sehr der mittlern Temperatur dieser Mo- nate. Der Mai ist aber wieder kalt, er steht 1°, 4 hinter | dem 20jährigen Mittel zurück, während der Juni ein ge- | wöhnlicher ist. Der Juli bleibt in der Wärme zurück, der August gehört aber zu den warmen Monaten, er steht um 1°, 1 höher als das Mittel aus 20 Jahren. Der September übersteigt wenig das allgemeine Mittel, der October hin- gegen ist ein sehr warmer, indem er das allgemeine 20jäh- rige Mittel um 1°, 7 übertrifft, und seit 1829 nur hinter dem October von 1831 zurücksteht. November und December sind wieder sehr kalte Monate. Der erstere bleibt 1°, 3 unter dem 20jährigen Mittel, der letztere vollends um 2°, 6. Der höchste Thermometerstand mit 24°, 5, fällt auf den 2%. August. Es ist das kein hohes Maximum. Der tiefste 4 mit 13°, 8 auf den 28. Januar. ? Wir zählten 145 Regentage, 42 Schneetage, beides hohe Zahlen. Ziehen wir von der Summe die 10 Tage ab, an welchen Regen und Schnee zugleich gefallen sind, so er- halten wir 177 Tage mit atmosphärischen Niederschlägen. Seit 1827 ist das die höchste beobachtete Zahl. Sie kommt ziemlich den beiden regenreichsten Jahren in diesem Zeit- #4 raum gleich, 1851, welches 176, und 1831, welches 175 1 Tage mit atmosphärischen Niederschlägen gezeigt hat. Fast > ganz bedeckte Tage sind 156, ebenfalls eine ungewöhnlich höhe Zahl, die in dem gedachten Zeitraume nur von den 16% des Jahres 1829 überschritten wurde. Gewittertage waren 16, Riesel an 3 und gefrorner Regen an 3 Tagen. Hagel ereignete sich keiner. Mittlerer Rheinstand am Rheinmesser der Rheinbrücke - 6,93 Schweizer Fuss. Höchster Stand den 17. Juni mit 13‘, 3, tiefster den 22. Dec. mit 2, 7. van u D de re To RR à 406 Mittlerer Barometerstand auf 0° R. und den frühern Standpunkt reduzirt 27 3, 01 Pariser Mass. Höchster Barometerstand 27” 10°, 50 den 7. Jan. um 9 Uhr Nachm., tiefster 26° 3”, 53 den 22. März um 1%, Uhr Nachm. Seit 1827 wurde nur im Jahr 1846 ein tieferer Stand mit 26° 2%, 89 beobachtet. Unterschied des mittlern Barome- terstandes zwischen 9 Uhr Morgens und 3 Uhr Nachmit- tags 0”, 36. “ 407 GEOLOGIE. Hr. Rathshr. Perer Merıan: Verschiedene geologi- sche Notizen. Den 24. Oct. 1855. Im Bereich des Kantons Basel ist bis jetzt keine höhere jurassische Schicht angetroffen wor- den als der Corallenkalk, und zwar der Corallenkalk, wie er von Thurmann ist aufgefasst und beschrieben worden. Die Basel zunächst gelegene Stelle, wo eine höhere Schicht” sich zeigt, liegt zunächst an der westlichen Grenze des Kantons Basel, zwischen den Solothurnischen Dörfern See- wen und Hobel. Es sind gelbe, mergelige, in dünne Schich- ten abgetheilte Kalke, welche dem sogenannten Sequanien oder Astartien anzugehören scheinen, welcher bei Rä- I dersdorf im Sundgau und mehr westlich im Jura sich vollkommen entwickelt. Bezeichnende Versteinerungen, die an dieser Stelle vorkommen, sind Cidaris bacculifera, Ag, Pholadomya cancellata, Ag., Natrica grandis, Münst. Höher auf den Feldern bei dem Dorfe Hobel. ist eine Fundstätte ausgezeichneter Echiniden, Hemicidaris Cartieri, Des., Pseudodiadema hemisphaericum, Des., Pseudodiadema _ Orbignyanum, Des., Acrocidaris nobilis, Ag., Acropeltis con- cinna, M. und mehrerer anderer. Die Lagerungsverhältnisse sind nicht deutlich entwickelt. Das gleichzeitige Vorkom- 408 men von Natica grandis, Münst. lässt aber schliessen, dass auch diese Echinidenbank dem Astartien angehören möchte. Den 14. Nov. 1855. Versteinerte Hölzer, welche in dem Lias, und namentlich in unserm Gryphitenkalk sehr häufig vorkommen, erscheinen in den obern Abtheilungen unseres Jura weit seltener. Referent zeigt ein grosses ästi- ges Stück eines theilweise versteinerten, theilweise bloss verkohlten Holzes vor, wahrscheinlich von einer Conifere herrührend, aus dem Terrain à Chailles des bekannten Fundortes Fringeli, Kant. Solothurn. Dasselbe ist mit grossen Serpulen bedeckt, also in das damalige Meer ge- schwemmt worden. Den 7. Mai 1856. Bei den Arbeiten in dem Eisen- bahndurchschnitt unmittelbar hinter Liestal sind Schichten durchsetzt worden, welche man in unsern Ge- genden selten schön entblösst zu beobachten Gelegenheit hat. Sie bestehen in einem mehrmaligen Wechsel von dun- kelgrauen Mergeln und Kalkbänken, von welchen die untern dem obersten Lias (dem braunen Jura & von Quenstedt), die = obern der untersten Abtheilung des untern Ooliths ange- hören. Die Versteinerungen, welche man hier angetroffen hat, sind zum Theil in einem, für unsere Gegenden, sehr vollkommenen Erhaltungszustande, indem viele Arten, die _ man gewöhnlich nur als Steinkerne findet, mit Schalen ver- sehen sind. Das nachstehende Verzeichniss zählt die Arten auf, die sowohl von dem Referenten, als von Herrn Dr. Christoph Burckhardt bei mehrmaligem Besuch der Stelle gesammelt worden sind. Da die meisten Exemplare von den Arbeitern erhalten worden, und nur verhältniss- mässig wenige aus der anstehenden Gebirgsart selbst,her- ausgelöst worden sind, so finden sich die Versteinerungen : der obersten*Schichten des Lias und der sie bedeckenden untersten Schichten des untern Oolits in dem nachstehen- den Verzeichnisse vermengt. | 5 2 u Ne LL eat 1} u; tee LE 3 Zu 409 Nautilus lineatus, Sow. Ammonites Humphriesianus, Sow. . Cornucopiae, Young. oder Eudesianus, d’Orb. . subradiatus, Sow. . Sowerbyi, Mill. . Holandrei, Sow. . Murchisonae, Sow. in verschiedenen Varietäten, na- ‚mentlich auch Murchisonae obtusus, Quenst. Belemnites sp., selten vorkommend. Pleurotomaria. Pholadomya reticulata, Ag., häufig in d. untern Schichten. Ph. decorata, Ziet. Ph. fidicula, Sow. Homomya, schöne der obtusa genäherte Art mit erhal- tener Schale. Wahrscheinlich eine neue Art Goniomya subcarinata, Ag. Pleuromya elongata, Ag. Gresslya conformis, Ag. (Lyonsia abducta, d’Orb.) G. pinguis? Ag. ' Astarte excavata, Sow. > > LE > 2 Trigonia similis, Ag. T. acuticosta, Ag. T. costata, Park. Mytilus Sowerbyanus, d’Orb. (Modiola plicata, Sow.) Modiola, ähnlich Hillana, Ziet. .: Gervillia, ähnlich Hartmanni, Münst., scheint aber ver- schieden. G. sp. _Inoceramus secundus, M., häufig in d. untern Schichten. Lima Annonii, M. L. n. sp., eigenthüml. Form, ähnlich L. exarata, Goldf. Pecten personatus, Goldf. | P. dentatus, Sow. P. disciformis, Schübl. 410 P. cinctus? Sow. P. ähnlich P. Lens, Sow. Hinnites tuberculosus, Goldf. H. oder Plicatula n. Sp. auf Amm. Murchisonae. ‘ Gryphaea Calceola, Quenst. Rhynchonella quadriplicata, Ziet. In dem zweiten, südlich von der Frenke gelegenen Ein- schnitte kommen höhere Schichten des untern Ooliths vor, namentlich die rothen Eisenrogensteine, die mit den Ver- steinerungen erfüllt sind, welche aus diesen Schichten von vielen Localitäten des Kantons Basel längst bekannt sind. Den 26. März 1856. Referent legt einige von Herrn Professor Theobald in Chur ihm zur Bestimmung über- sandte Versteinerungen aus dem Kanton Graubünden vor. Darunter ist bemerkenswerth ein deutlicher Belemnit aus - dem obern St. Cassian oder den Kössner Schichten der Scesa plana. Bis jetzt hatten Hr. Escher von der Linth und Referent noch keine Belemniten in diesen Schichten an der erwähnten Localität, und in Vorarlberg überhaupt, so wenig als an andern Orten auffinden können. Den 11. Juni 1856. Referent legt einen fossilen Fisch vor, der von Herrn Rudolf Kelterborn in dn obern Bänken der Steinbrüche im bunten Sandstein von ‚Riehen bei Basel gefunden und unserm Museum zum Ge- schenk gemacht worden ist. Die Form hat Aehnlichkeit mit der Gattung Palaeoniscus. Einen ähnlichen Fisch aus dem bunten Sandstein von Tägerfelden besitzt unsere Samm- lung seit 1841 durch Herrn Franz Zäslin. AL 411 Ueber die Kupferminen am ®bern See im Staate Michigan, Nordamerika. Von Ars. Müzzer. (Sitzung vom 9. Januar 1856.) In den letzten Jahren sind unserm Museum von ver- schiedenen Seiten her, namentlich von dem im Michigan- Staate angesiedelten Hrn. Dr. Dietrich, Felsarten und Mi- neralien, besonders Kupferstufen, aus dem Kupferdistrict am Obern See in Nordamerika zugekommen. Da die Be- richte über den Reichthum dieser erst seit wenigen Jahren im Aufschwung begriffenen Minen auch in Europa Aufsehen erregt haben, und da sie ein würdiges Seitenstück zu den Goldminen von Californien, zu den Bleigruben in Illinois und zu den Steinkohlenfeldern im Appalachischen Gebirge - bilden, so möchte die Vorlegung der uns aus jenem berühm- ten Districte zugesandten Stufen, begleitet von den nöthi- Br gen Erläuterungen, nicht ganz unerwünscht erscheinen. Das Vorkommen bedeutender Kupfermassen in jenen Gegenden war den Anwohnern und einzelnen Reisenden, namentlich französischen Jesuiten, die dort die ersten Nie- _ derlassungen gründeten, schon seit der Mitte des 17ten = Jahrhunderts bekannt, und die Indianer hatten, wie man aus den vorgefundenen Ueberbleibseln von steinernen Hämmern E und andern Geräthschaften, sowie aus alten Grubenbauen schliessen kann, schon in frühern Jahrhunderten Angriffe auf diese unterirdischen Schätze versucht. Dessenungeach- tet ist noch kaum ein Jahrzehnt verflossen, seitdem jene _ reichen Minendistricte von Geologen genauer untersucht und 1 von Spekulanten in Angriff genommen wurden. Der schwung- _ haftere technische Betrieb datirt eigentlich erst vom Jahre _ 1847 her, wo die Regierung, auf die Berichte der Staats- # geologen hin, an die Unternehmer Concessionen, sogenannte 412 „Permits“ zu ertheilen begann. Jene ausgedehnten Län- dereien waren erst durch Verträge mit den Indianern in den Jahren 1836—43 von den Vereinigten Staaten succes- sive erworben worden. Die schon im Jahr 1840 von dem ausgezeichneten Staatsgeologen Douglas Houghton begonnene geognostische Untersuchung jener Gegenden wurde von Jackson, und spä- ter besonders von den beiden Staatsgeologen J. W. Foster und J. D. Whitney und ihren Assistenten, worunter unser Herr Desor von Neuchätel, fortgesetzt, denen wir den aus- führlichsten Bericht über die physische Beschaffenheit je- ner Länder verdanken. Dieses mit zahlreichen Zeichnungen und geologischen Karten ausgestattete Werk ist unter dem Titel „Report on the Geology and Topography of the Lake Superior Land-District“ 1850 in zwei Bänden in Washing- ton erschienen und unserer Gesellschaft von der Smithsonian Institution mit ihren übrigen Schriften geschenkt worden. . Es ist vorzugsweise dieses Werk, dem die nachfolgenden. geognostischen Erläuterungen entnommen sind. Ausserdem besitzen wir noch kürzere Mittheilungen über jene Länder von verschiedenen deutschen und französischen Geologen, welche gleichfalls theilweise benützt worden sind. D SEE Das Kupfer kommt in den Minen-Districten am Obern See fast nur im gediegenen Zustande vor, und zwarin dem sogenannten Trapp, einem meist dunkeln, grünlich- oder bräunlichgrauen, feinkörnigen, basaltähnlichen Gestein, das … wesentlich aus einem innigen Gemenge von Labradorfeld- N spath, Augit und Magneteisen besteht. Das Gestein ist bald fein-, ‚bald grobkörnig, wird oft durch Ausscheidung ein- = zelner Labrador- oder Augitkrystalle porphyrartig und geht dann .in Melaphyr oder Augitporphyr über. Das Gestein - wird öfters blasig, die hohlen Blasenräume füllen sich mit . Kalkspath, Grünerde, Chlorit, Quarz oder Achat, bisweilen : _ auch mit verschiedenen zeolithischen Mineralien. Alle diese 413 Mineralien haben sich auch hin und wieder auf den Klüften und Gängen ausgeschieden. Die genannten Trappvarietäten finden sich sämmtlich in unserm Gebiete vor, so namentlich auch der Trappmandelstein (wovon uns ein stattliches Stück zugekommen ist), der die reichsten Kupfergänge enthält und als das eigentliche metallführende Gestein zu betrachten ist. Diese Trappe haben allen Berichten zufolge die grösste Aehnlichkeit mit den Melaphyren von Oberstein, könnten - _desshalb eben so gut Melaphyre genannt werden, wir wol- len jedoch bei der bereits eingeführten, freilich ungenauern, Bezeichnung „Trapp“ stehen bleiben. - Obgleich die Trappe häufig, und gerade auch die un- seres Districtes an manchen Stellen, in äusserst regelmäs- sige, bald fast horizontale, bald mehr oder weniger geneigte, Bänke geschichtet sind, ja sogar öfter mit sedimentären Conglomerat- und Sandsteinschichten wechsellagern, so’un- terliegt es doch keinem Zweifel, dass sie eben so gut wie _ die Basalte und Dolerite, wie die Trachyte und Augitpor- - phyre, feurig-eruptiven Ursprunges sind, obgleich dieser, | eben wegen ihrer sedimentären Beschaffenheit, von einigen Geologen in Zweifel gezogen worden ist. Fast alle Erup- * tivgesteine, selbst der Granit, kommen stellweise geschich- . tet vor oder auf eine sehr regelmässige Weise in mehr _ oder weniger horizontaler Richtung zerklüftet, die nicht von wirklicher Schichtung zu unterscheiden ist. Auch die - . mehrfache Wechsellagerung mit sedimentären Gesteinen ' lässt sich aus einer periodisch mehrfach. wiederholten un- termeerischen Surfusion oder durch das Eindringen des Ro. feurigflüssigen Eruptivgesteins zwischen die Bänke des be- En reits früher gebildeten sedimentären, unschwer erklären. Die geschichtete Beschaffenheit kommt den sedimentären jr Gesteinen eben so wenig ausschliesslich zu, als die un- nn den eruptiven. Die Trappgesteine sind im Allgemeinen in weit bedeu- 414 tendern Massen über die Erdoberfläche emporgestiegen, als . die ihnen sonst in mancher Beziehung so ähnlichen Basalte. Während diese meist nur vereinzelte Hügel oder Kegel bilden, dehnen sich jene nicht selten zu ungeheuern Pla- teaus aus, welche Hunderte von Quadratmeilen bedecken, wie z. B. in Ostindien und auf Neuschottland, wo sie in gleicher Richtung streichen, wie die Hauptzüge unseres Kupferdistrictes. Beiläufg bemerkt, kommt in dem neu- schottländischen Trapp auch gediegenes Kupfer vor; eben so, wie vorliegendes Handstück zeigt, in Prehnit eingewach- sen, in den Melaphyren von Oberstein, jedoch lange nicht in so bedeutenden Massen, wie- am Obern See. Immerhin ist die Analogie dieser Vorkommnisse bedeutungsvoll. Wie die Basalte, so zeigen auch die Trappe sehr häufig die durch Zusammenziehung während der Erkaltung entstan- dene; oft äusserst regelmässige, säulenförmige Absonderung, ein Vorkommen, das auch den Trappen unseres Kupfer- distrietes nicht ganz fremd ist, obgleich lange nicht so aus- gezeichnet, wie z. B. auf Irland und den schottischen Inseln. Die ‘Trappgesteine des Obern Sees liegen theils am. nördlichen Ufer auf englischem Gebiet, in Canada, gröss- tentheils aber am südlichen Ufer auf amerikanischem Ge- biet, im Staate Michigan, und nur diese amerikanischen haben sich bis jetzt für die Kupferexploitation ergiebig er- wiesen. - w Beim ersten Blick auf die geologische Karte machen sich zwei grosse Hauptzüge des Trappes bemerklich, die beide von OSO nach W SW streichen und sich zu einer Höhe von 400—600 Fuss über dem Spiegel des Obern Sees erheben, der seinerseits die Meeresfläche bloss um 627 Fuss - überragt. Sie bilden also nur mässige Hügel. Der eine dieser Züge, der nördliche, bedeutend kleinere, taucht mit- ten aus dem Obern See hervor, und bildet die in überein- stimmender Richtung liegende, langgestreckte Königsinsel, 415 Isle Royale, deren Kupferminen bisher von geringerer Er- giebigkeit gewesen sind. Der zweite weit bedeutendere Hauptzug taucht mit seinem nordöstlichen Ende gleichfalls aus dem Obern See hervor und bildet die grosse, weit in den See hinein sich erstreckende Landzunge, welche den Namen Kneweenaw Point trägt, und die ich schlechtweg die Landzunge nennen werde. Diese Landzunge wird durch den an ihrer Basis quer durchsetzenden Portage-See ‘noch mehr vom Festland abgeschnitten. Der Trappzug setzt - aber jenseits dieses Sees in gleicher WSW Richtung auf das Festland über und durch das weite Ontonagon-Gebiet bis über den Montreal-River hinaus in den am jenseitigen Ufer ‚beginnenden Staat Wisconsin gegen Westen fort, nachdem er noch diesseits dieses Flusses einen starken nördlichen Abläufer, die gleichfalls kupferführenden Poreupine-Moun- tains, entsandt hat. Dieser zweite Hauptzug erreicht von der äussersten östlichsten Spitze der Landzunge bis zum westlichen Grenzfluss, Montreal-River, eine Länge von über 700 engl. Meilen, bei einer durchschnittlichen Breite von %-6 Meilen, während der Trappzug der Königsinsel bei einer Länge von ungefähr 250 engl. Meilen etwa 6 Meilen breit ist. Der ganze kupferführende Trappdistrict des Mi- chigan-Staates nimmt demnach mit Einschluss der Porcu- pine-Gebirge einen Flächeninhalt von über tausend engl. - Quadratmeilen ein. Diese beiden kupferführenden Trappzüge, so bedeutend auch ihre Ausdehnung ist, bilden doch nur Inseln in dem flachen, weit ausgedehnten Hügelland, aus wenig geneigten - rothen silurischen Sandsteinschichten gebildet, das jene rings umgiebt. Diese Schichten sind durch die Eruption der + Trappe auf beiden Seiten der Trappzüge in die Höhe ge- - richtet worden, so dass sie von denselben weg gegen die Ebene hin abfallen. Der continentale Hauptzug ist auf bei- - den Seiten von diesen Sandsteinen umgeben, derjenige der 416 Königsinsel nur auf der Südseite, indem der nördliche Ab= hang des Trappgesteines unmittelbar in den See taucht. Natürlich haben die Sandsteine im Contact mit den Trappen nicht nur Hebungen und andere mechanische Veränderun- gen, sondern auch mannigfaltige chemische DORE erlitten. Die Conglomerate, welche die Trappe zu begleiten pfle- gen, fehlen auch in unserm District nicht. Sie bestehen aus abgerundeten Bruchstücken von rothem Porphyr, Quarz, metamorphosirten Schiefern, Epidotgestein und Grünstein. Auf der Königsinsel bilden sie einen schmalen Gürtel, der die Sandsteine vom Südabhange des Trappzuges trennt, auf der Landzunge bilden sie umgekehrt den nördlichen Gürtel oder vielmehr wiederholte Schichten, die mit Trapp- und Sandsteinschichten wechsellagern. Die metallreichen Man- delsteine treten meistens an der Grenze zwischen Trapp und Conglomerat oder Sandstein auf. Am südlichen Abhang des continentalen Zuges sind nur an Einer Stelle Conglomerate Le - \ gefunden worden, dagegen ist dieser südliche Abhang mit . À einem Gürtel von eisenschüssigen Chloritschiefern be- grenzt, welche sich an der Contactfläche zwischen FOR und Sandstein gebildet haben. - Der von den Trappzügen ohne Zweifel in einer oder mehrern Längsspalten durchbrochene Sandstein führt keine Versteinerungen. Unsern Reporters zufolge gehört er den _ untersten Schichten des silurischen Systems an und ist auf ihrer Karte mit der Farbe des Potsdam-Sandsteines be- zeichnet. Jules Marcou, der mit Jackson, dem Entdecker der Wirkungen des Schwefeläthers, im Jahr 1848 jene Ge- fi; genden bereiste, vergleicht diese rothen, oft auch bunten und mergeligen Sandsteine mit dem Bunten Sandstein und > den Keupermergeln unserer Umgebungen, und stellt sie hö- her, nämlich zwischen Jura- und Steinkohlenformation. Die- ser rothe Sandstein dehnt sich gegen Süden auf dem Fest- 417 _ land noch auf weite Strecken aus und wird allmählig von jüngern silurischen Schichten und noch mehr gegen Süden von devonischen Kalksteinen verdrängt, die sich bis zum Michigan-See erstrecken. Ausser den beiden genannten Hauptzügen kommen noch südlich von der Landspitze auf dem Festland eine Menge kleinerer und grösserer vereinzelter Trappberge vor, wel- che zusammen eine Gruppe bilden und die krystallinischen oder metamorphischen Schiefer des azoischen Systems, d.h. _ der ältesten, versteinerungslosen Sedimentschichten durch- setzen. Diese scheinen keinen erheblichen Kupfergehalt zu ‚besitzen, da nichts von Minen erwähnt wird. Dagegen tre- ten in diesem Trapp unregelmässige Quarz- und Kalkspath- gänge auf, welche Bleiglanz, Eisenkies, Weissbleierz und Malachit, seltener Kupferkies, enthalten, von welchen Mi- neralien unserm Museum gleichfalls verschiedene Stücke aus diesem District zugekommen sind. Diese metamorphischen Schiefer, wozu besonders Glimmer-, Talk-, Hornblende- und _ Thonschiefer gehören, gewinnen im Osten der genannten azoischen Trappe eine sehr bedeutende Ausdehnung und werden von zwei mächtigen Granitmassivs durchsetzt, wel- - che die umgebenden Schiefer metamorphosirt und zugleich zur Bildung von höchst bedeutenden Eisenerzlagerstätten Veranlassung gegeben haben. +. Auch auf dem nördlichen (englischen) Ufer des Obern Sees treten bedeutende Trappmassen theils in den Schich- - ten des silurischen, theils in denjenigen des azoischen Sy- stems auf, die aber bis jetzt keinen erheblichen Metall- reichthum gezeigt zu haben scheinen. Das Kupfer findet sich in unserm Trappgebirge meist nur in gediegenem Zustand, überall fast chemisch rein und zwar sowohl auf eigentlichen, die Schichten quer durch- _ setzenden, Gängen, als auf sogenannten Lagergängen zwi- 2 ‚schen den einzelnen Trapp- und Conglomeratschichten, so- 27 418 wie auch unregelmässig im Trapp vertheilt. Die ganze Kupferregion am Obern See zerfällt in vier getrennte Mi- nendistricte: die Gruben 1) auf Isle Royale, 2) in den Por- cupine-Gebirgen, 3) im Ontonagon-Gebiet, und 4) auf der Landspitze Kneweenaw-Point, welche letztern die bedeu- tendsten sind. | Die eigentlichen Gänge, welche die Schichten also quer durchsetzen, finden sich auf der Landspitze, besonders auf der nördlichen Seite des Trappzuges, in grosser Zahl und streichen meistens von NW nach S O. Die bedeutend- sten Minen sind in diesen angelegt, so die Cliff-Mine, die North-American, die Northwest-, die Northwestern-, die _ Copper-Falis-Mine und viele andere weniger ergiebige. Die im Trapp aufsetzenden Gänge setzen durch die Conglome- rat- und Sandsteinschichten fort, werden aber in den bei- den letztern auffallend schmäler und ärmer, während Quarz und Kalkspath ausschliesslich die Stelle des Kupfers ein- nehmen. Die reichsten Gänge befinden sich, wie bereits bemerkt, in dem Trappmandelstein. In dem ansehnlichen Stück, das unserm Museum zugekommen ist, finden sich in den Blasenräumen nicht weniger als drei, sowohl durch ihr äusseres Aussehen, als durch ihr Lôthrohrverhalten unterscheidbare chloritische Mineralien, nämlich eigentlicher Chlorit (dunkelgrün, blätterig), Delessit (dunkelgrün, dicht, glänzend) und Grünerde (schön hellgrün, erdig). Manche Blasenräume sind mit einem einzigen Kalkspathindividuum ausgefüllt, eingebettet in einer dünnen Lage von Chlorit und Delessit. Hie und da sind die Kalkspathmandeln bereits zerfressen und die umgebenden Chloritblättchen dringen in das Innere derselben vor oder haben den Kalkspath in an- dern Mandeln bereits bis auf geringe Reste oder ganz ver- drängt. Das Mineral, welches ich Delessit nenne, weil es. | dem unter diesem Namen von Naumann beschriebenen Mi- neral am nächsten steht, bildet die äusserste Auskleidung t 419 sämmtlicher mit Kalkspath oder Chlorit gefüllter Blasen- _rñume. Die Grünerde bildet besondere Mandeln. Die Grund- masse dieses Mandelsteins ist sehr feinkörnig, doch lassen sich unter einer starken Loupe die kleinen weisslichen Kryställchen wohl unterscheiden, die ohne Zweifel dem feldspathigen Gemengtheil entsprechen. Die Grundmasse erscheint im Ganzen genommen, wohl in Folge der bereits eingetretenen Zersetzung, resp. Oxydation der eisenhaltigen Bestandtheile, dunkel braunroth. Gangkreuze, d. h. die Stellen, wo sich Gänge von ver- schiedenen Streichen oder verticale mit Lagergängen kreu- zen, bewirken, wie man das auch in unsern europäischen Bergwerken als eine ziemlich allgemein gültige und nicht schwer erklärbare Regel beobachtet, eine Veredlung, d.h. Anreicherung, jedoch treten an diesen Stellen, statt des gediegenen Kupfers, gewöhnlich in der nun kalkspathigen Gangmasse mehr die Oxide und Salze des Kupfers, nament- lich Kupferschwärze, Malachit und Kupferlasur auf. An den Stellen, wo die Gänge aus dem Trapp in die Conglomerate setzen, veredeln sie sich, und hält diese Veredlung nach beiden Seiten hin auf eine Strecke an. Die Mächtigkeit der Gänge wechselt zwischen einem Zoll und: fünfzehn Fussen, sie wächst im Allgemeinen mit der Tiefe, ebenso ihr Reich- thum. Ausser Quarz und Kalkspath kommen mit dem ge- diegenen Kupfer die oben erwähnten zeolithischen, wasser- - haltigen, Silicate sehr ‚häufig und reichlich als Ausfüllungen der Gänge vor, so Leonhardit, Datolith, Chabasit, Mesotyp, Apophyllit und Analzim, am verbreitetsten und massenhaf- testen aber Laumontit und Prehnit, besonders dieser letz- 4 _tere, welcher an den beiden Sahlbändern der Gänge oft ganz regelmässige symetrische Ansatzschichten bildet, die bisweilen mit Quarzschichten wechsellagern und in der freien Mitte des Ganges! mit.iträubenförmiger Oberfläche auskrystallisirt sind. ‚ Wir,haben'zwei:solcher Prehnitstücke, 27? 420 vom Eagle-River auf der Landzunge, vor uns, das eine mit Quarz, von zahlreichen Kupferflitterchen durchschwärmt, das andere mit traubenförmiger Oberfläche und auf der In- nenseite Hohlabdrücke von Kalkspathscalenödern zeigend. In der Tiefe tritt mit zunehmender Mächtigkeit des Ganges an die Stelle des Prehnites oder der andern Gang- mineralien mehr und mehr das gediegene Kupfer, das zu- letzt ausschliesslich die ganze Gangkluft erfüllt und Platten von 3 Zoll bis 3 Fuss Dicke und vielen Fussen Länge bil- det. Die Grösse der auf diesen Gängen gefundenen Kupfer- massen hat alle unsere bisherigen Erfahrungen weit über- troffen und. die ganze mineralogische Welt in Erstaunen versetzt. Stücke von 100 bis 3000 Pfund reinen gediege- nen -Kupfers wurden wiederholt in verschiedenen der ge- nannten Gruben erbeutet, auf der Grube Copper-Falls wurde ein Stück von 16,000 Pfund vollkommen reines Kupfer, und ebendaselbst sogar eine Kupfermasse von 24,000 Pfund ge- funden. Der grösste Fund wurde jedoch auf der Cliff-Mine, _ der reichsten aller bisher ausgebeuteten, gemacht, wo im Jahr 1848 eine Masse von 160,000 Pfund den glücklichen Unternehmern in die Hände fiel. Uebrigens ist ein so ge- waltiger Fund den Bergleuten nicht so erwünscht, als man wohl denken sollte, da die Herausschaffung solcher Kolosse _ Si mit enormen Schwierigkeiten verbunden ist. Dieses Stück hatte eine Länge von 30 Fuss und eine Dicke von durch- schnittlich 5 Fuss. Natürlich war die Masse nicht an Einem Stück herauszuschaffen, man musste sie in Blöcke von 10-14 Ctr. zerhauen (zersägen konnte man sie nicht), was keine ‚leichte Arbeit war. Weit häufiger kommt natürlich auch auf diesen N das gediegene Kupfer in kleinen Massen, ja gewöhnlich nur | in feinen Flitterchen, durch die genannten Gangmineralien, # besonders durch Quarz, ;Kalkspath‘und Epidot zerstreut vor. Das Kupfer wird dann: auf'Pochwerken von der anhängen- 421 den Gangmasse befreit und dieses sogenannte Stampfkupfer kommt die Unternehmer weit billiger zu stehen, als die Herausschaffung jener kolossalen Stücke. Ausserdem hat auch das Kupfer von den Sahlbändern aus in kleinen Flitterchen das Nebengestein durchschwärmt oder sich in demselben ausgeschieden. Auf die fast vollkommene chemische Reinheit des Ku- pfers in diesen Districten wurde schon oben aufmerksam gemacht, es enthält kaum ‘20000 fremder Bestandtheile. Dagegen findet sich in den meisten Gruben der Land- zunge und des Ontonagon-Gebietes mit dem Kupfer theils ein-, theils aufgewachsen, in ästigen und zähnigen oder dendritischen Formen, immer aber vollkommen ausgeschie- den, gediegenes Silber, gleichfalls von höchster Reinheit vor, meist, wie an dem vorliegenden Stück, in Begleitung eines chloritartigen Minerals. Die Menge des alljährlich in den Minen gewonnenen Silbers ist gar nicht unbeträchtlich. So wurde allein auf der Cliff-Mine schon im Jahre 1849 bloss durch Handscheidung (eine Arbeit, die Kinder ver- richten) für 4000 Dollars Silber gewonnen. Auf der Grube Phönix, nördlich von der obigen, fand sich ein Stück von 6 Pfund. Auf Isle Royal wurde ein prachtvolles Stück in _ Prehnit eingewachsen gefunden. Das Silber kommt auch in einzelnen hexädrischen oder dodekädrischen Krystallen | und Krystallgruppen, sowie in dendritischen Gestalten, in Kalkspath, Epidot, Laumontit eingewachsen vor, immer aber mit Kupfer. Im Trapp selbst findet sich kein gediegenes = Silber. PRAERST 7 Merkwürdig ist das äusserst seltene Vorkommen ande- rer Kupfererze, wie das von Oxyden, Carbonaten und Kie- sen in diesen Minen. Auch in den andern obengenannten Districten treten Kupfer-Erze selten genug auf. Auf der Kônigsinsel findet das Auftreten der Gänge 422 und ihre Erz- und Mineralführung durchaus in derselben Weise statt, wie auf der Landzunge. Merklich verschieden jedoch von den beiden genannten Distrieten ist das Auftreten der Kupfergänge im Ontona- gon-Gebiet, in welchem sich durch ihre Ergiebigkeit be- sonders die Minnesota-Mine, die Trapprock-, Ohio-, Onto- nagon-Mine u. a. auszeichnen. Hier bildet körniger Epidot, oft innig mit Quarz und Kalkspath gemengt, weitaus die Hauptgangmasse, in welche das Kupfer, wie in den oben beschriebenen Gängen, fein eingesprengt erscheint. Auch von diesem Vorkommen besitzen wir verschiedene Proben, worunter ein sehr stattliches Stück: die Hauptmasse kör- niger Epidot, stellweise durch allmählige Uebergänge in Chlorit umgewandelt und von zahlreichen Kalkspathparthien durchzogen, und diese sowohl als der Epidot von Kupfer- flitterchen allenthalben durchschwärmt. Die andern Epidot- stücke, von Isle Royale, enthalten kein Kupfer, sind aber von Quarz und Kalkspath ganz durchdrungen. Ueberhaupt scheint der Epidot in den Trappen des Ontonagon-Gebietes eine, grosse Rolle zu spielen. Erst erscheint er nur spora- disch, allmählig aber wird der Trapp, indem der Epidot den Augit verdrängt, in ein anderes Gestein, den Epidosit, = umgewandelt, der in den Poreupine-Moutains sogar ganze Berge bildet und auch anderwärts, so z. B. auf Elba be- deutende Felsmassen zusammensetzt. In ‘diesem Gestein erscheint das Kupfer gleichfalls fein eingesprengt, oft so reichlich, dass man 20 % Metall daraus zieht, bisweilen kommt es auch in grössern Massen darin vor. Eine Ort- schaft in der Nähe hat von diesem für den dortigen Berg- bau so wichtigen Mineral den Namen Epidot erhalten. Auch auf Isle Royale kommen mächtige kupferführende Epidot- gänge vor. Aus manchen Gängen wird Chlorit angeführt, vielleicht theilweise, wie an unserm Stück, durch Umwand- lung aus Epidot entstanden. 423 Die zweite Art des Kupfervorkommens in den genann- ten Distrieten ist dasjenige auf sogenannten Lagergängen, d. h. solchen, welche mit den Trapp- und Conglomerat- schichten parallel laufen und als die krystallinischen Aus- füllungen der Schichtungsklüfte zu betrachten sind. Sie theilen desshalb mit jenen das Fallen und Streichen, und fallen z. B. auf der Landzunge und im Ontonagon-Gebiet - 30—45° nördlich ein. Diese den Schichten parallelen Kluft- flächen sind oft ganz leer, öfter -aber, ganz in derselben Weise, wie in den eigentlichen Gängen, und mit denselben Mineralmassen, mit Quarz, Kalkspath, Zeolithen und Epidot ausgefüll. Die Quarzdrusen sind bisweilen durch Epidot schön grün gefärbt. Letzterer erscheint selten in deutlichen Krystallen, sondern er bildet körnig-krystallinische Massen und dringt auch von den Gängen aus in das Nebengestein ein. Mit dem Epidot und Quarz tritt auch das Kupfer (und mit diesem das Silber) bald in kleinen Flitterchen und Kör- nern, bald in Massen von mehren Tausenden von Pfunden ganz in der oben beschriebenen Weise auf. So wurde z.B. auf der Minnesota-Mine im Ontonagon-Gebiet auf einem dieser Lagergänge eine Masse von 70,000 Pfund gediegen Kupfer gefunden. Auch auf Isle Royale kommen mit Kupfer imprägnirte Lagergänge im Trapp vor, doch von minderm Belang. Die dritte Art des Vorkommens des Kupfers ist die in unregelmässig im Mandelsteintrapp zerstreuten kleinen Massen, in Aesten und Flitterchen, Nester bildend, oder in - Blasenräumen angesiedelt. | Die meisten der bisher in Betrieb gesetzten Minen ha- ben nur eine geringe Tiefe, von 20 bis 100 Fuss, selten s mehr als 200 Fuss. Diese geringe Tiefe: erleichtert die Förderung des werthvollen Metalles ungemein, und manche in andern Bergwerken so kostbaren Anstalten zur Förde- rung. des Wassers und Wegschaffung der Erze und des " re ù - 424 tauben Gesteins, sind hier äusserst einfach und oft ganz entbehrlich. An manchen Stellen geht das Kupfer zu Tage aus, begreiflich an der Oberfläche durch die Atmosphäri- lien in Malachit verwandelt, dessen hellgrüne Farbe dem suchenden Bergmann die Nähe des gediegenen Metalles an- zeigt. An mehrern von den Indianern angeschürften Stel- len fand man gewaltige Kupfermassen, die bereits zum Theil vom Gestein befreit waren, zum Theil noch in dem Fels stacken. Ohne Zweifel war es den Indianern nicht gelun- gen, mit ihren steinern Hämmern einzelne Stücke von der zähen Kupfermasse abzutrennen, und so mussten sie den kostbaren Fund liegen lassen. | Eine vierte Art des Vorkommens des gediegenen Ku- pfers ist endlich diejenige in losen, frei liegenden Blöcken, theils im Bette der Flüsse, theils am Gestade des Sees, wo sie augenscheinlich nach Verwitterung des sie früher bergenden Muttergesteines durch die Gewalt der Wellen herausgespült wurden. - So einfach unter diesen aussergewöhnlich günstigen Verhältnissen der Bergbau ist, ebenso einfach sind auch die metallurgischen Processe des Kupfers. Manche Stücke kommen bereits fix und fertig zum Verbrauch unter dem Pochstempel hervor. Die kleinern, in den Gangarten ein- gesprengten Theilchen, werden durch Pochen und Schläm- men vom Gestein befreit und sind schon nach einmaligem Schmelzen, wodurch die noch anhängenden Mineralien ab- geschlackt werden, zum Versandt fertig. Wie sehr die unmittelbare Nähe des Sees und die grosse Wasserstrasse 1 durch das Seengebiet hindurch bis zum Niagarafall, also bis zum Gebiet der Eisenbahnen, den Transport und den Verkehr überhaupt erleichtern, bedarf keiner weitern Er- örterung. Alle diese Umstände und noch manche andere werden dazu beitragen, um den Kupferminen am Obern See, auch wenn manche Gruben sich nicht als nachhaltig erzei- 425 gen sollten, noch auf lange einen steigenden Erfolg zu sichern und die Civilisation jener ausgedehnten Wildnisse zu beschleunigen. Das gediegene Kupfer kommt in den genannten Distric- ten nicht selten in stattlichen Krystallen bis zu einem Zoll Durchmesser vor, und zwar in sehr verschiedenartigen For- men und Combinationen, die dem regulären System ange- hôren, namentlich wie gerade an dem vorliegenden unserm Museum zugekommenen Prachtstück in Oktaedern, Rhomben- dodecaedern und Pyramidenwürfeln, wozu noch an den mei- sten Krystallen ausser den Flächen des Würfels kleine un- tergeordnete Flächen eines Hexakisoktaeders treten. Die Kupferkrystalle dieser Gegend zeigen wie die an den mei- sten bekannten Fundorten gewöhnlich verzogene und ver- drehte Gestalten, so dass man anfangs kaum irgend welche Symetrie und Regelmässigkeit entdeckt und es auch für den geübten Krystallographen einiger Ausdauer bedarf, um diese scheinbar unregelmässigen, complicirten Formen zu entzif- fern. An der vorliegenden Prachtstufe befinden sich auch schöne weisse Analzimkrystalle (in Leucitoedern), über wel- che sich die Kupferkrystalle abgelagert und welche in den letztern die schärfsten Abdrücke ihrer Form zurückgelassen haben.*) Ebenso befinden sich an unserer Stufe einzelne Bröckchen des bereits zersetzten Nebengesteins, des Trap- _pes, welche durch die auf ihnen abgelagerten Analzimkry- k ef #) Während diese Bogen in Presse gehen, überbringt mir noch ein Arbeiter cé aus der Northwestern - Mine eine Anzahl sehr hübscher Gruppen von wohlausgebildeten Kupferkrystallen, und zwar in folgenden Formen: | 1) Octaeder rein. 2) Octaeder entkantet durch die Flächen des Granatoeders. 3 3) Octaeder enteckt durch die Hexaederflächen. #) Combination des vor- herrschenden Octaeders mit den Flächen des Hexaeders und Granatoeders. | 5) Reines Granatoeder. Ferner verschiedene kleine Silberstufen, aus un- deutlichen kleinen Silberkrystallen bestehend, die allenthalben von kleinen \ r Kupfertheilchen durchzogen sind. Ferner Prehnit mit aufsitzendem Kalk- à à spath, Quarz und gediegen Kupfer. 426 stalle mit der Kupfermasse verkittet sind. Auch haben sich hie und da kleine Gruppen von röthlichen, undeutlichen Quarzkryställchen angesiedelt. Ganz ausgebildete Krystalle von Kupfer, oft von be- deutender Grösse, finden sich bisweilen ringsum eingewach- sen in Krystallen von Prehnit, Datolith, Quarz oder Kalk- spath, und besonders auch in den Analzimkrystallen, welche : von den kleinen Kupferkrystallen in zierlichen dendritischen Gruppen durchschwärmt werden. Bald erscheint das Kupfer jenen Mineralien, z. B. dem Analzim und Kalkspath, ein- oder aufgewachsen, bald sitzen diese Mineralien auf dem Kupfer. Wie schon bemerkt, kommt das Kupfer in diesen Di- stricten fast nur in gediegenem, selten und spärlich im oxydirten und geschwefelten Zustand vor. Jedoch finden sich in den Conglomeraten der Grube Copper-Harbour, an der Nordküste der Landspitze, starke bis 14 Zoll mächtige Adern von schwarzem Kupferoxyd, das sehr rein ist und 60— 70", Kupfer giebt. Stellenweise ist es von schönem himmelblauem Kieselkupfer (Chrysocolla) durchzogen. Von beiden Vorkommnissen besitzen wir sehr ansehnliche Stücke. Auch von den andern Oxyden und Carbonaten des Kupfers _ sind uns Handstücke zugekommen, sie scheinen meistens durch Wiederoxydation des Kupfers in der Nähe der Erd- oberfläche, entstanden zu sein. Ä Schöne Achate, ganz ähnlich denen in den Melaphyren von Oberstein, werden in den Mandelsteinen von Achat- Harbour, an der Nordküste der Landzunge, gefunden. Merk- würdig ist das Vorkommen von Feldspath, der in nadel- förmigen, stilbitähnlichen Krystallen auf mehrern Gängen angetroffen wurde, in Quarz eingeschlossen, oder auf Kalk- spath und gediegen Kupfer aufgewachsen.*) Er ist analy- *) Die muthmassliche ‚Entstehung dieses sccundären Feldspathes wird sieh. 5 ee. aus dem Nachfolgenden ergeben. ur a An a. Pan À en BT 427 sirt worden. Auch das reichliche Vorkommen des Dato- lithes, besonders an der Südküste der Königsinsel, theils im dichten Zustande, theils in prachtvollen Krystalldrusen ‘verdient Erwähnung. Das Mineral hat daselbst einer gan- -zen Landschaft den Namen gegeben und wird technisch, _ theils zur Verschmelzung des Kupfers, theils zur Borax- bereitung verwandt. Besondere Eisenerze treten in unserm Trappgestein nicht auf, wenn man nicht die eisenreiche Grundmasse des Trappes selbst und die stark eisenhaltigen chloritischen Ausscheidungen derselben als solche bezeichnen will, aus welchen man an 12°, Roheisen gewonnen hat. Natürlich wird dieser Eisengehalt, so massenhaft er auch ist, für den Bergbau nicht beachtet, da man viel reichere Eisenerze in der Nähe hat. Es möchte gewagt erscheinen, nach diesem flüchtigen = Ueberblick über das Thatsächliche jener merkwürdigen Vor- kommnisse, bloss gestützt, auf die genauere mineralogische Untersuchung der uns zugekommenen Handstücke, und auf die geognostischen Beschreibungen der oben genannten Na- turforscher, eine Erklärung dieser Erscheinungen zu ver- suchen und insbesondere Andeutungen über die muthmass- liche Entstehung dieser kolossalen Metallablagerungen zu geben. Die Mineralogie hat jedoch in den letzten Jahren, “namentlich durch die Bemühungen von G. Bischoff, Blum, Haidinger, Volger u. A., in der Betrachtung der Mineralien in Bezug auf ihre Entstehungsgeschichte so erfreuliche Fort- er schritte gemacht, dass die Anwendung solcher Erklärungs- versuche, auch auf ferner liegende Vorkommnisse, gerecht- fertigt erscheinen möchte. Kann es sich auch einstweilen bloss um Muthmassungen handeln, so können auch diese 428 schon zu weiterm Forschen anregen, der Anlass hiezu ist jedenfalls hier lockend genug. HR Wenn sich eine neue Theorie in der Wissenschaft Bahn bricht, so ziemt es wohl ihren Anhängern, dieselbe nicht bloss an den bisher gewonnenen Erfahrungen, son- dern auch an den fortwährend neu erworbenen zu prüfen, um entweder neue Stützpunkte für diese Theorie zu gewin- nen oder die Unhaltbarkeit der bereits aufgestellten darzu- thun. Wenn ich mir alle oben beschriebenen Thatsachen über das Vorkommen der Kupfer- und Mineralablagerungen in den Trappen am Obern See vergegenwärtige, und sie mit den von den genannten und andern Forschern erhaltenen. Resultaten vergleiche, so befestigt sich in mir die gleich beim ersten Anblick der vorliegenden Stufen gewonnene Ueberzeugung, dass sowohl das Kupfer als die dasselbe begleitenden Gangmineralien auf nassem Wege, d.h. aus wässerigen Lösungen entstanden sind. Ja ich glaube, dass die von Gustav Bischoff mit so grossem Erfolg auf die Bahn gebrachten neuern Ansichten über die wässerige Entstehung und Umwandlung vieler Mineralien auch durch die Beobachtungen in den Kupferdistricten am Obern See ihre volle Bestätigung finden. n Aus diesem Grunde habe ich auch in der oben gege- benen Uebersicht manche, scheinbar unwichtige, Thatsache angeführt, weil sie über die Entstehungsgeschichte wichtige Fingerzeige giebt, die zu Gunsten dieser Theorie sprechen. Ich verweise desshalb auf diese Einzelheiten, die laut ge- nug für sich reden. Rufen wir uns desshalb zur Stütze dieser Theorie nur einige der oben angeführten Thatsachen in das Gedächt- niss zurück: Das Vorkommen des gediegenen Kupfers auf Gängen, vollkommen entsprechend unsern europäischen Erz- gängen, deren regelmässige auf beiden Sahlbändern über einander gelagerte Erz- und Mineralabsätze von den neuern Le u 429 Mineralogen fast allgemein für wässerige Bildungen erklärt werden, wenn sie auch die Dämpfe mit eine Rolle dabei spielen lassen. Die Auflagerung des Kupfers in Krystallen auf die so leicht schmelzbaren Krystalle der zeolithischen Mineralien oder das Vorkommen der zartesten dendritischen Bildungen des Kupfers im Innern der Letztern. Andrerseits das Aufsitzen schwer schmelzbarer Mineralien, wie des Quarzes und Kalkspathes auf den Kupferkrystallen. Ueber- haupt das wechselseitige Ueber- und Durcheinanderwachsen von Mineralien, die in der Sehmelzhitze gar nicht neben einander sich bilden können und die verschiedenste Schmelz- barkeit besitzen, ohne dass man von Schmelzungen das Ge- ringste bemerkt. Das Vorkommen des Epidotes und Chlo- rites auf diesen Erzgängen, also zweier Mineralien, deren Entstehung auf nassem Wege Bischoff und Volger, beson- ders dieser letztere an denjenigen aus den Schweizer-Al- pen, in überzeugender Weise dargethan haben. Dann die Durchdringung des Epidotes von Quarz und Kalkspath, die jedenfalls nur secundäre Ausscheidungen auf nassem Wege sein könnten, und die Verbreitung des Kupfers, oft in den feinsten, zahlreichsten Flitterchen durch diese ganze Masse, so dass z. B. dasselbe Kupferspänchen aus dem Epidot in den Quarz oder Kalkspath setzt. Das Eindringen des fein. zertheilten Kupfers, des Epidotes u. a. von den Sahlbändern in das Nebengestein. Vor allem aber das Zu- sammenvorkommen des gediegenen Kupfers und Silbers, beide in chemischer Reinheit, letzteres ersterm auf- und eingewachsen und doch vollkommen geschieden, also zweier Metalle, die sonst in der Schmelzhitze so leicht Legirungen eingehen. Solche Stellen werden zum Kreuz für die vulkanisti- schen Erklärer. Auch wäre die ungemein feine Zertheilung des gediegenen Kupfers in den genannten Gangmineralien, und namentlich in dem körnigen Epidot, wenn diese Stoffe 430 aus einer geschmolzenen Masse erstarrt wären, ‘völlig un- erklärlich, denn auch bei einer unvollkommenen Schmelzung (wenn diese überhaupt hier denkbar wäre) würden, wie in unsern Schmelzöfen, die kleinen zerstreuten Kupfertheilchen zu grössern Massen zusammengeschmolzen und wegen ihrer grössern specifischen Schwere mehr in die Tiefe gesunken sein, jedenfalls hätte eine so feine Vertheilung nicht statt- finden können. Erklären wir aber die genannten Metall- und Mineral- ablagerungen als auf nassem Wege, aus wässerigen Auf- lösungen, ganz allmählig entstandene Ausscheidungen, so verschwinden die Schwierigkeiten, die sich bei der An- nahme von der feurigflüssigen Entstehungsweise jener Ab- lagerungen, also bei der vulkanistischen Ansicht entgegen- stellen, zum grössten Theile, und die meisten Erscheinungen erklären sich nach unsern jetzigen Erfahrungen auf eine weit befriedigendere Weise, wenn auch noch Manches dunkel bleiben mag. Es scheint mir überflüssig, die An- wendung unserer Theorie wieder rückwärts auf alle ein- zelnen bereits hervorgehobenen Punkte zu verfolgen, da sich die Folgerungen Jedem, der die neuern Untersuchungen in dieser Richtung kennt, leicht von selbst ergeben. Wenn es nach den obigen Andeutungen sehr wahr- scheinlich wird, dass das Kupfer nebst den bei breehenden Mineralien in diesen Gängen sich auf nassem Wege aus- geschieden hat, so entsteht nun die weit schwierigere Frage: Woher stammt dieses Kupfer? und hier gelangen wir, aus Mangel an Thatsachen, zu dem weit hypothetischern Theil unserer Schlüsse. Wir müssen uns einstweilen mit Ver- muthungen begnügen und wie überall, so auch hier, uns von Analogien leiten lassen, indem wir entsprechende Vor- kommnisse aus andern, uns besser bekannten, nn in Betracht ziehen. Alle Beobachter sind darin einig, dass die Yuupsorake 431 sen mit dem Trapp an die Erdoberfläche gelangt sind, denn in den umgebenden rothen Sandsteinen findet sich keine Spur von Kupfer. Gustav Bischoff hat in überzeu- - gender Weise dargethan, dass die Lager und Gänge von Eisenerzen, namentlich von Roth- und Brauneisenstein, in vielen deutschen Porphyren, Graniten und ähnlichen Ge- steinen, nichts als chemische Ausscheidungen aus dem ur- sprünglichen Eisengehalt derMineralien dieser Gebirgsmassen, auf nassem Wege, sind, und dass es besonders kohlen- säurehaltige Gewässer waren, welche die Zersetzung und Auslaugung dieser Gesteine bewirkten. Ueberhaupt sind nach Bischoff die Erze und Mineralien der Erzgänge sowohl, als die Ausfüllungen der Klüfte und Blasenräume in pluto- nischen und vulkanischen Gebirgen, grösstentheils als auf nassem Wege entstandene Ausscheidungen aus dem Neben- gestein zu betrachten, und die Zahl der Mineralogen, wel- che diese Ansicht theilen, ist im Zunehmen begriffen. Er hat ferner durch zahlreiche eigene und fremde Analysen nachgewiesen, dass manche Silicate plutonischer Gesteine, worunter auch Feldspathe, neben andern seltenern Oxyden auch einen kleinen Kupfergehalt besitzen, der wahrschein- lich in die chemische Mischung: dieser Silicate eingegangen ist. Auch in Laven wurde ein kleiner, für das Auge nicht bemerkbarer Kupfergehalt, durch die Analyse entdeckt. Wenden wir diese auf europäischem Boden gewonne- nen Erfahrungen auf unser Trappgestein an, so dürfen wir wohl annehmen, dass die Gemengtheile des Trappes, ins- besondere der augitische und feldspathige, gleichfalls einen kleinen Antheil von Kupferoxyd neben den übrigen in ihre Mischung eingehenden Oxyden enthielten, dürfen annehmen, dass diese ursprünglich kupferhaltigen Trappgesteine durch dieselben Agenzien, welche in unsern europäischen Gebir- gen die Zersetzung der Gesteine bewirken, also namentlich durch kohlensäurehaltige Gewässer später, nach ihrer Er- 432 starrung, gleichfalls zersetzt worden seien. Die in der Nähe vulkanischer Massen bedeutend erhöhte Temperatur musste sowohl direct als indirect durch die reichliche Entbindung von Kohlensäure aus der Tiefe, die Intensität dieser zer- setzenden Wirkungen der Gewässer, und der chemischen Actionen überhaupt, verstärken. So wurden unter den auf- löslichen Oxyden der Bestandtheile des Trappes auch das Kupfer, sei es als Silicat, sei es als Carbonat (diess möchte der gewöhnlichere Fall sein) ausgelaugt und mit den übri- gen aufgelösten Stoffen in die Gangspalten eingeführt. Hier fand der Austausch der zusammengeführten Bestandtheile nach den chemischen Affinitäten und zuletzt die Ausschei- dung in bestimmten krystallisirten Verbindungen statt. So sind ohne Zweifel die in den Gängen, Klüften und Blasen- räumen abgelagerten Zeolithe, Chlorite, Quarze und Kalk- spathe nichts »als die durch die Zersetzung des Trappge- steines entstandenen Auslaugungsproducte. So weit der Vorrath von Kohlensäure reichte, wurden Carbonate gebil- det und aus den zersetzten Silicaten die Kieselsäure als Quarz, Chalcedon u. s. w. ausgeschieden. War der Vorrath an freier Kohlensäure in den Gewässern zeitweise erschöpft, so konnten die Silicate als solche aufgelöst, der Feldspath qua Feldspath, oder mit Umtausch ihrer Bestandtheile und Aufnahme von Wasser, der feldspathige Gemengtheil in der Form der verschiedenen Zeolithe, der augitische in der des Epidotes und Chlorites, je nach der Beschaffenheit der je- weiligen Auflösung, ausgeschieden werden. Auch die kao- linartigen Massen, welche bei der Zersetzung der feldspa- thigen Bestandtheile durch die kohlensauren . Gewässer entstehen mussten, fehlen nicht; die alkalischen Carbonate wurden ihrer leichten Löslichkeit wegen, wenn sie nicht wieder vor ihrem Austritt aus dem Gebirge durch aber- malige Zersetzung zur Bildung zeolithischer Silicate ver- wendet wurden, weiter geführt. ‚Der Eisengehalt des augi- - Dr = 433 tischen Bestandtheils blieb, soweit er nicht zur Bildung der Chlorite und Epidote verwandt wurde, als Oxyd im Gestein zurück, daher die rothe Farbe unseres Trappmandelsteins. Was die Reduction des wahrscheinlich als Carbonat und Silicat ausgelaugten und in die Gangspalten geführten Kupfergehaltes des Trappes anbetrifft, so geben uns zwar : die bis jetzt vorliegenden Beobachtungen keine sichern An- haltspunkte, um die Processe ausfindig zu machen, durch welche diese vollständige Reduction bewirkt worden ist. So viel ist jedoch jedem Chemiker bekannt, dass das Kupfer eines der am leichtesten reducirbaren Metalle, sowohl auf nassem, als auf trockenem Wege ist, und unsere Lehrbücher der Chemie geben bereits eine Reihe von Umständen an, unter denen das Kupfer aus seinen wässerigen Salzlösungen, theils als Oxyd, theils als Metall ausgefällt wird. Auf an- ‚dere Fälle sind wir durch mineralogische und geognostische Beobachtungen aufmerksam gemacht worden, und viele Um- stände, welche die Reduction dieses und anderer Metalle begünstigen, mögen noch gar nicht erforscht sein. Unter den für unsern gegebenen Fall wahrscheinlichsten Umstän- den dürfen wir zuerst an die Wirkung der in den Gewäs- . sern gelösten organischen Substanzen denken, welche sich allenthalben in der Mineralwelt als das kräftigste und _ verbreitetste Reductionsmittel erwiesen haben. Wir wis- sen, dass das metallische Eisen das Kupfer so leicht aus seinen Lösungen fällt. Wir können zwar das einstige Vor- handensein von Gediegen-Kisen in diesen Trappen nicht ‚annehmen, wir dürfen aber vermuthen, dass das so sauer- _stoffbegierige Oxydul des Eisens, das bei der Zersetzung des augitischen Bestandtheils der Trappmassen frei wurde, sich, theilweise wenigstens, auf Kosten des Sauerstoffes ‘des leicht reducirbaren Kupferoxydes oxydirt habe, und so theils den nothwendigen Bestandtheil des Epidotes und | = Chlorites geliefert hat, theils als vollkommen unlösliches Er 28 43% Eisenoxyd in der Trappmasse zurückgeblieben ist. In der That erscheint auch der Epidot auf vielen Gängen ganz von Kupferflitterchen durchzogen. Die leichte Oxydirbarkeit des Eisens, und die leichte Redueirbarkeit des Kupfers lassen die scharfe Trennung dieser beiden Metalle als natürliche Folge erscheinen. Der den ganzen südlichen Abhang des Trappzuges begrenzende Gürtel von eisenschüssigen Chlorit- massen ist sicher keine zufällige Erscheinung, und möchte den vorzugsweise auf der entgegengesetzten Seite reichlich ausgeschiedenen Kupfermassen entsprechen. Ueberhaupt spielt der Chlorit, als Umwandlungsproduct von Pyroxen- und Amphibolgesteinen, indem er wieder die Umwandlung und Verdrängung von einer Reihe anderer Mineralien be- wirkt, eine grosse Rolle in der unorganischen Natur, wie das namentlich aus den schönen Untersuchungen Volger’s hervorgeht. Auch dürfen wir nicht vergessen, dass die Mehrzahl dieser Trapperuptionen in der Tiefe des Meeres sich ereignet haben mögen, und dass das Meerwasser mit seinen mannigfaltigen Salzen, namentlich Chlorüren und Sul- faten, während vielen Jahrtausenden jene Trappgesteine durchdringen, und in ähnlicher Weise, wie. die kohlensäure- haltigen Gewässer, eine Reihe von Zersetzungen und Um- bildungen bewirken konnte. Wenn wir auch jetzt keine Chlorüre mehr in diesen Trappen vorfinden, so ist damit nicht gesagt, dass sie früher nicht da waren. Dasselbe gilt von vielleicht früher vorhanden gewesenen Schwefelver- i bindungen des Kupfers, die wir auch fast nicht mehr vor- finden. Es sind uns aus bekanntern Gegenden Fälle genug bekannt, in denen ein Mineral, z. B. Kalkspath, aus einem ganzen Gebirgsdistriet verschwunden ist und nur noch durch die erhalten gebliebenen Pseudomorphosen die Spuren seiner KIN se frühern Existenz hinterlassen hat. Es mögen manche Oxy- dations- und Reductionsprocesse in der unorganischen Na- tur vor sich gehen, die wir noch gar nicht kennen und \ Eu. nr 2 "à 435 unter Umständen, wo wir sie nicht vermutheten. Als ich neulich in Framont in den Vogesen war, fand ich, dass in den leicht gerösteten kupferkieshaltigen Eisenkieshaufen, welche zur schnellen Vitriolisation dem Wind und Wetter ausgesetzt wurden, das Kupfer, mitten in diesem energi- schen Oxydationsprocess, sich metallisch ausgeschieden hatte, wobei wahrscheinlich das Eisenoxydul des eben ent- standenen Vitriols den sich bildenden Kupferoxyd wieder den Sauerstoff entrissen hatte. Es war diess -ein fataler Umstand für die dortigen Chemiker, welche gerade darauf bedacht waren, einen für die Färberei dienlichen kupfer- haltigen Eisenvitriol zu gewinnen. 2 Endlich können wir auch, so schwer sich das durch directe Beobachtung nachweisen lässt, mit grosser Wahr- scheinlichkeit Zersetzungen, und insbesondere Ausscheidun- gen metallischen Kupfers, in grössern Massen, durch die Wirkung galvanischer Ströme *) annehmen, indem wir in diesen aus verschiedenartigen Schichten und Ablagerungen gebauten, von zahllosen Wasseradern durchtränkten, und” von den verschiedensten chemischen Actionen angegriffenen Gebirgsmassen alle wesentlichen Bestandtheile einer Bat- terie oder einer Reihe von Batterien besitzen. Diese das Gebirg besonders in der Richtung der mit Wasser erfüllten Gangspalten durchziehenden galvanischen Ströme mussten die schon auf rein chemischem Wege eingeleiteten Zer- setzungen und Reductionen beschleunigen, die Anziehung gleiehartigen Stoffes aus grössern Entfernungen und so auch die massenhafte Ablagerung des reducirten Kupfers aus den durchziehenden Salzlösungen an einzelnen günstigen Oertlichkeiten bewirken. Die bereits ausgeschiedenen. Kupfermassen mochten als Electroden für weitere Kupfer- #) Es haben sich in jüngster Zeit bereits mehrere Stimmen zu Gunsten dieser Annahme erhoben. 28 * 436 ablagerungen dienen. Ohne Zweifel gingen diese galvani- schen Zersetzungsprocesse sehr langsam, aus sehr verdünn- ten Lösungen vor sich, und dauerten ungemessene Zeiträume hindurch, bis die vollkommene, massenhafte Ausscheidung vollendet wär, wie wir sie gegenwärtig in dem Gebirge vor uns sehen. Daher die grosse Reinheit der ausgeschie- denen Kupfermassen, sowie der Silberparthien, welches letztere Metall wohl auch als Carbonat oder Silicat aus dem Trappgestein ausgelaugt und mit den andern Mineral- stoffen in die Gänge zur Ausscheidung eingeführt wurde. Ueber das Vorkommen des Silbers, als Bestandtheil der Felsgesteine, fehlen uns leider, meines Wissens, genauere Untersuchungen, wie sie z. B. Gueymard in Bezug auf das Platin in den Alpen, Daubrée u. a. in Bezug auf Arsen, Antimon, Biei u. s. w. angestellt haben. Man wird aber ohne Zweifel auch das Silber finden, wenn man darnach sucht. Die Löslichkeit des Silbersilicates in alkalischen, die des Schwefelsilbers in schwefelwasserstoffhaltigen Ge- wässern wurde von Bischoff nachgewiesen. Ebenso hat derselbe gezeigt, dass die Silicate, Carbonate und Oxyde des Kupfers in Wasser löslich sind, wenn dieses Kohlen- säure oder ammoniakalische Salze enthält. Es fehlte also in unserm Gebirge nicht an Lösungsmitteln für die genann- ten Metalle. Die galvanischen Ströme, welche unter anderm auch die Reduction des Kupfers aus seinen Lösungen be- wirkt hatten, mochten ihrerseits ihre Entstehung, theilweise _ wenigstens, dem umfassenden Oxydationsprocess verdanken, dem das Eisenoxydul des zersetzten augitischen Bestand- ch theils des ‘frappes erlegen sein musste, und der zugleich von den weitverbreiteten Epidot- und Chloritbildungen be- gleitet war, wie schon oben angegeben wurde. 73 Wir können im Allgemeinen sagen, dass alle diejeni- gen Substanzen, seien es nun feste, flüssige oder gasförmige, = welche zum Sauerstoff eine grössere Verwandtschaft be- n his / vs 4 437 sitzen, als das Kupfer in seinen Oxyden und Salzen — und es circuliren deren viele in einem Gebirge wie unser in Zersetzung begriffener Trapp — alle diese zur Reduction des Kupfers direct oder indirect beitragen mussten. Dass übrigens nicht alles Kupfer in dem Trappdistriet des Obern Sees reducirt wurde, beweisen die beträchtlichen Lager von Kupferoxyd-Silicat und von schwarzem Kupferoxyd auf Copper-Harbour und die geringern Massen in andern Minen, welche wahrscheinlich die unmittelbar abgelagerten oder durch einfache Zersetzung entstandenen Auslaugungspro- ducte des Kupfersilicatgehaltes aus den Bestandtheilen des Trappes waren. Die kleinen Mengen von Malachit und Rothkupfererz, die sich hie und da in den Minen finden, sind augenschein- lich durch spätere Wiederoxydation des Bedisg onen Kupfers entstanden. Ganz dieselben Ausscheidungen von gediegenem Kupfer . und andern Mineralien, die wir in den Gängen antreffen, . hatten auch in den kleinen Spalten und Blasenräumen des Trappgesteins stattgefunden, die ja nichts als Gangräume im - Kleinen sind. Die Ausscheidung des Kupfers aus dem Trapp war an manchen Lokalitäten, so z. B. in derjenigen, aus welcher das vorliegende Stück Mandelstein stammt, so voll- ständig vollendet, dass man in der Grundmasse keine Spur Ne von Kupfer findet, wohl aber solche in den mit Kalkspath und Chlorit erfüllten Blasenräumen. ‘4 Unter denjenigen, welche Beobachtungen über die Vor= ‘kommnisse am Obern See veröffentlicht haben, neigen sich bereits mehrere, so auch die am Eingang genannten Staats- geologen, welche die Gegend am genauesten durchforscht haben, der Ansicht von der wässerigen Entstehung der E: _ vielerwähnten Metall- und Mineralablagerungen zu. Man ne hat mir die ungeheure Grösse und Reinheit dieser Kupfer- # massen entgegengehalten, die sich mit der Annahme einer 438 wässerigen Ausscheidung nicht vertrage. Die Grösse ist aber ein sehr relativer Begriff. Und kennen wir nicht auch aus unserer Nähe z. B. sehr bedeutende Eisen- und Man- ganerz- und Kalkspathablagerungen von verhältnissmässig grosser Reinheit, welche nach den neuern Ansichten auf nassem Wege entstanden sind. Bleibt auch nach unserer Theorie noch Manches dunkel, so wissen wir doch, dass in der mineralogischen Chemie Ein Umstand in Betracht zu ziehen ist, der bei der Bildung und Umwandlung der Mi- neralien in den Gebirgen mächtiger wirkt, als die stärksten Verwandtschaften, der aus den unscheinbarsten Processen endlich die grössten Wirkungen hervorgehen lässt: diess ist die Zeit, welche der Natur zu ihren Bildungen in un- gemessener Fülle zu Gebote steht. Geognostische Beobachtungen aus dem mittlern Baselbiet. Von Aus. MüLLer. (Sitzung vom 5. März 1856.) Bekanntlich hat schon vor fünfunddreissig Jahren Hr. Rathsherr P. Merian eine geognostische Beschreibung des Basler-Jura geliefert, worin nicht nur bereits alle wesent- lichen Verhältnisse geschildert, sondern auch die Grundlage für alle seitherigen Studien über die jurassischen Forma- tionen gegeben wurde. Meine Aufgabe kann daher, nach dieser wichtigen Hauptarbeit, nur darin bestehen, einzelne Lagerungs- und Reliefverhältnisse genauer zu untersuchen, als es in jener Beschreibung geschehen ist. Zu dieser Auf gabe, die ich mir gestellt, liefern die heutigen fragmenta- rischen Mittheilungen nur die ersten Anfänge der Lösung en N | M y 439 und machen auf Vollständigkeit durchaus keinen Anspruch. Sie haben nur das Verdienst aus unmittelbarer eigener Be- obachtung geschöpft zu sein, indem ich diese Gegenden in den letzten Jahren wiederholt durchwandert und eine an- sehnliche Zahl von Versteinerungen daraus gesammelt habe. Ausser Hrn. Merian haben sich in der Folge noch ver- schiedene andere Schweizergeologen, vor Allen Thurmann und Gressly, mit der geognostischen Untersuchung der ver- schiedenen Theile des Jura und so auch des Basler-Jura beschäftigt, dabei aber ihre Aufmerksamkeit mehr den hohen Ketten zugewandt, welche das obere und südliche Basel- biet gegen Solothurn und Aargau abgrenzen. Ebenso haben eine Anzahl anderer Sammler und Forscher, worunter mehr als Ein Mitglied unserer Gesellschaft, besonders Hr. Dr. Christoph Burckhardt, durch eifriges Sammeln von Petre- facten und Beobachtung einzelner Lagerungsverhältnisse zur Kenntniss unseres Jura schätzbare Beiträge geliefert. Betrachten wir, von einem höhern nördlich gelegenen Standpunkt aus, etwa von der Schauenburger Fluh,- das Ba- selbiet, so sehen wir dasselbe im Süden von einem Halb- kreis hoher Gebirgsketten begrenzt, von welchen, gleich mächtigen Strebpfeilern, zahlreiche Querrücken gegen den mittlern, nördlich vorliegenden, Kantonstheil auslaufen.*) Im Gegensatz zu den bis zu der bedeutenden Höhe von tausend und mehr Metern erhobenen langgestreckten “Kämmen der, die Südgrenze unseres Kantons bildenden, ju- rassischen Ketten, mit ihren Hochthälern und steil geneig- ten Schichten, haben die Höhen des mittlern Baselbietes, getrennt durch zahlreiche radial zusammenlaufende Spalten- thäler, vorwiegend den Plateau-Charakter: das heisst, *) Für diese und die folgenden Bemerkungen verweise ich auf die vor eini- gen Jahren bei C. Detloff hier erschienene Karte des Kantons Basel von And. Kündig, welche gute Dienste leistet. 440 sie erscheinen als kleine Hochebenen und zeigen in ihren Profilen einen wenig geneigten, der Horizontalebene sich annähernden, Schichtenbau, der nur durch die dazwischen- liegenden spaltenartigen Thäler unterbrochen und dem An- blick blossgelegt wird. Fast alie Anhöhen des mittlern Kantonstheiles zwischen dem Birsthal und Ergolzthal und noch einige Höhen jenseits des letztern, also die durch das Oristhal, den Riedboden, das Bubendörfer-, Höllsteiner-, Diegter- und Homburgerthal, das Ostergauthal, Eithal und Rothenfluherthal abgetrennten Höhen, zeigen diesen Plateau- charakter, ja sie erscheinen eigentlich nur als die durch Spaltung getrennten Theile eines frühern Gesammtplateaus, das einst ungetheilt diese Gegend einnahnm, und wie schon Hr. Prof. Huber (laut Angabe des Hrn. Rathsherr P. Me- rian) behauptet hatte, den eigentlichen Boden des mittlern - Baselbietes bildete. Ob diese in der Gegend ven Liestal . und Sissach zusammenlaufenden Spaltungsthäler zu gleicher Zeit mit der Erhebung der südlichen Gebirgsketten und als Folge dieser Erhebung, die schwerlich ohne Wirkung auf das Relief unserer Plateaus geblieben ist, entstanden sind, will ich einstweilen unentschieden lassen. Nur mag bei- läufig bemerkt werden, dass für eine von jener südlichen Haupterhebung unabhängige, von unten nach oben strebende plutonische, erst später eingetretene Wirkung, welche die in der Gegend zwischen Liestal und Sissach zusammenlau- fenden Spaltungen des einstigen Gesammtplateaus verur- sachte, manche Gründe sprechen. Ich denke mir, dass Erd- erschütterungen, nicht viel stärker, als die Erdstösse in Wallis vom vorigen Sommer, hinreichten, um solche Spal- f tungen zu bewirken. Auch werden ohne Zweifel im langen Verlauf der postjurassischen Perioden bis auf unsere Zeit es wiederholte spätere Erderschütterungen stattgefunden ha- ben, welche in den bereits zerstückelten Plateaus neue - Spalten bildeten und alte erweiterten. Die Atmosphärilien | DA | #4 und Gewässer thaten das ihrige, um durch Unterwühlung die völlige Lostrennung der bereits durch Spaltung abge- - sonderten Randstücke der einzelnen Plateaus zu volienden und ihr Hinuntergleiten auf der weichen und schlüpfrigen - Unterlage der Letter des mit Wasser durchtränkten Keu- . pers und Lias zu bewirken. Die Gewässer wirkten auch s hier nicht bloss durch Aufweickung der thonigen Schichten | _ und durch mechanische Fortführung des zerbröckelten und verwitterten Gesteins, sondern, wenn auch langsam, S ‚doch nicht weniger sicher, durch die chemische Auflö- _ sung einzelner Steinarten, so durch die Auslaugung des Salzgebaltes der Salzthone des Muschelkalkes, der Gypse, | Bitter- und Glaubersalze und der (durch Zersetzung des Eisenkieses entstandenen) Vitriole des Keupers und, selbst Du bei einem schwachen Kohlensäuregehalt, durch die us langsame Auflösung der Kalksteine. Die Summe aller die- ser kleinen chemischen Wirkungen musste gleichfalls Aus- 4 nungen und Unterhöhlungen verursachen, die endlich zum Einsturz der darüberliegenden, bereits zerklüfteten, - > Felsmassen beitrugen. Auf ähnliche Weise wurden durch- allmäbliges Abbröckeln der Ränder und Fortführung des Sehuttes durch die Gewässer die ursprünglich schmalen Spalten allmählig zu den Thälern erweitert, wie wir sie FR > Zi Fa a LR ERSTE DE CR er +. HE RE . Te jetzt vor uns sehen. Lostrennungen beträchtlicher Rand- stücke der Einzelplateaus mussten, theils rasch durch Erd- erschütterungen, theils langsam entstanden durch die Wir- kung jener corrodirenden Agenzien, im langen Lauf der Zeiten sich öfter wiederholen und dauerten, wie wir aus zahlreichen Erfahrungen wissen, bis in die Gegenwart fort. D können annehmen, Mr kein A NE ee a. 442 hätte.*) Solche losgetrennten Randstücke bildeten oft selbst wieder beträchtliche Bergrücken oder Hügel. Daher sind die meisten unserer Plateaus von grössern oder kleinern Vorbergen oder Ausläufern mit geneigter Schichtenstellung, oft in mehrfacher Reihe hinter einander (wie bei Dornach) umgeben, wodurch der eigentliche Plateaucharakter mit ho- rizontaler Schichtenstellung und steilem Absturz verdeckt wird. An diesen Vorbergen, die demnach nichts anderes als die losgetrennten und heruntergerutschten Randstücke jener Hochebenen sind, finden wir mannigfaltige Schichten- stellungen. Bald fallen die Schichten dem zugehörigen Pla- teau zu, bald von demselben ab, bald hat nur eine schwa- che Senkung eines grössern Randstückes ststtgefunden, wie am Gempenplateau bei Hochwald und am Sichternplateau bei Liestal, ohne dass dabei die horizontale Schichten- stellung wesentlich verändert oder die Trennungsspalte sichtbar geworden wäre Auch gegen die Mitte dieser Plateaus hin haben hie und da kleinere partiale Ein- senkungen längs verborgenen Spalten stattgefunden und *) Ein lehrreiches Beispiel bietet der erst dieser Tage (nach Mitte Mai) statt- gefundene bedeutende Erdrutsch oberhalb Böckten bei Sissach, der eine 0 Fläche von ungefähr 40 Jucharten gutes Land (auf den Mergeln des Lias rar und untern Oolithes) betroffen hat. — Das Relief des zerstörten Stückes gleicht mit seinen aufgethürmten regellosen Massen und seinen zahlreichen Querspalten sehr dem eines Gletschers. Die Hauptmasse ist 300—400 Schritte ins Thal hinunter gerutscht und hat durch Seitendruck unten das » thonige Erdreich zu einem circa 20 Fuss hohen Wall aufgestaut. Hier 4 Ku unten hat also in Folge der obern Senkung eine Erhebung stattgefun- den. Wir können annchmen, dass auch in frühern geologischen Zeiten Erhebungen, in grösserm Massstabe, durch ähnliche Ursachen bewirkt wur- - # vo den. Ohne Zweifel waren in Folge des bereits mehre Wochen andauern- ? den Regenwetters die thonigen, daselbst sehr mächtigen, Schichten des obern Lias und untern Oolithes durchwühlt und erweicht worden, so dass sie dem Druck der obern Massen zuletzt nachgaben. Ein auf diesem Bo- den stehendes Haus ist dabei zusammengestürzt. Noch Anfang Juni dauerte die Bewegung am untern Ende, wenn auch nur um wenige Schritte per nF Tag, fort, TA Mt rt, 2 443 überdiess wurden durch Erosion mehr oder minder be- trächtliche Theile der obern leicht zerstörbaren mergeligen "Schichten stellweise abgetragen. Daher stellen diese Hoch- ebenen selbst wieder hügelige Flächen dar. Alle diese mannigfaltigen Verhältnisse finden sich in den von mir in ; der betreffenden Sitzung vorgelegten Durchschnitten (siehe die hinten beigefügte Abbildung Taf. II) veranschau- licht. Es darf uns desshalb nicht wundern, wenn wir auch -- an den Plateaus selbst vielfach von der horizontalen ab- weichende Schichtenstellungen antreffen, obgleich im Gan- zen die annähernd horizontale die vorherrschende bleibt. Nicht selten hat sich das ganze Plateau nach einer Seite gesenkt, so dass sanft geneigte Bergrücken, ähnlich den steiler aufgerichteten der höhern Ketten, entstanden sind, 22 z. B. der Blombdberg bei Bubendorf. * Bei der schwankenden und schwachen Neigung der Schichten, welche diesen Hochebenen zukommt, ist es be- a ; 5 greiflich, warum die Schichten an verschiedenen oft nur : einige Hundert Meter von einander entfernten Stellen des- - Be. selben Plateaus ein so sehr nach Art und Grad abweichen- 4 des Fallen besitzen, so dass an verschiedenen Stellen ge- 2 nommene Durchschnitte eine merklich abweichende Schich- 3 tenstellung ergeben.*) Ebenso ist aus dieser schwankenden ‚Stellung zu begreifen, warum häufig genug das Streichen und Fallen der Schichten mit der Längsrichtung der anlie- genden Thäler nicht übereinstimmt, so dass Quer- schnitte, wenn sie ein einigermassen richtiges Bild vom er ae #) Im Allgemeinen fallen sie schwach gegen die südlichen Ketten ein, die sich TR gegen Osten hin unmittelbar über den Plateaus zu ihrer vollen Höhe er- Br heben (Wiesenberg). 37 444 Alle diese Einzelplateaus besitzen eine sehr mässige Erhebung über dem Thalboden, d. h. eine solche von eirca 200 Meter, während die Thalböden selbst 350—400 Meter über dem Meer erhaben sind.*) Schon ihre gleichmässige Höhe und ihre ebene Beschaffenheit weisen darauf hin, dass! sie, abgesehen von der allgemeinen continentalen Erhebung der umgebenden Länder, nicht als besondere Erhebungen, sondern als blosse Spaltungen eines frühern Gesammtpla- teaus zu betrachten sind. Nehmen wir die Stellung des Muschelkalkes beim Rothen Haus am Rhein (Saline Schwei- zerhall), daselbst der tiefsten bei uns zu Tage tretenden Formation, als eine verhältnissmässig normale, d. h. gegen die Umgebungen keine Hebungen zeigende an, so werden wir finden, dass bei der mittlern Mächtigkeit des Keupers, Lias, untern, mittlern und obern Oolithes, des Oxfordtho- nes, der Chaille und des Korallenkalkes in unserer Geg end, die Plateaus und Berge unseres Revieres ohne weitere Erhebung, bloss in Folge der Mächtigkeit ihrer Schichten diejenige Höhe haben müssen, die sie wirklich _ besitzen. Die Erhebung unserer Hochebenen beträgt biszu. den über dem Hauptrogenstein liegenden Bradfordschichten, welche gewöhnlich. ihre oberste Decke bilden, nicht ganz 300 Meter über dem obersten Muschelkalk des Rothen Hau- ses. Nun aber beträgt die mittlere Mächtigkeit des Haupt- Dirt rogensteins in unsern Umgebungen allein schon gegen 200 Meter, so dass nur noch 100 Meter für die Schichten des Keupers, Lias und untern Eisenrogensteins übrig bleiben, à womit die durchschnittliche Mächtigkeit dieser Formationen in unserer Gegend sicher noch nicht überschritten ist. Es wird sich im Gegentheil bei genauerer Rechnung eher ein Ueberschuss der wirklichen Gesammtmächtigkeit ergeben, #) Die mittlere Höhe dieser Plateaus beträgt demnach circa 500 bis 600 M. 7 B % über Meer. fe ” + “ à 445 Fa so dass wir statt auf Emporhebungen dieser Höhen, eher .… aufspätere reiative Senkungen schliessen dürfen. Diese Annahme gilt, wenige Ausnahmen abgerechnet, von allen Höhen des mittlern und nördlichen Baselbietes zwischen Birsthal und Ergolzthal. Selbst das Gempenplateau, wel- ca ches mit seiner durchschnittlichen Höhe von circa 650 M. über Meer die andern Hochebenen bedeutend überragt, - macht nur eine scheinbare Ausnahme, indem das Plus der “ Erhebung auf die Schichten des Oxfordthones, der Chaille und des Korallenkalkes (der obersten Decke des Gempen- plateaus) fallen, welche den östlich vorliegenden Plateaus “bis auf geringe Ueberreste fehlen. Und wo je noch ein- ‚ à zelne Höhen das allgemeine Niveau überragen, wie am - Blombdberg bei Bubendorf und an einer Stelle auf Seltis- 4 berg, so wird man finden, dass an diesen Stellen Reste der Fe - höhern Formationen (nämlich des Oxfordkalkes) stehen ge- “+ blieben sind, während sonst, wie bemerkt, die Bradford- “ thone die oberste Decke der Plateaus bilden. Die Bradford- pou stehen aber überall auf diesen Höhen und so . auch an den Abstürzen des Gempenpiateaus (z. B. Nuglar und Pantaleon) ungefähr in demselben allgemeinen _ Niveau. Stellenweise stehen sie zwar etwas tiefer, wie gerade auf dem Sichternplateau (443 M.) bei Liestal, hier _ kann aber die Senkung von dem ursprünglichen Niveau der angrenzenden Hochebene (Munien) aufs klarste nach- _gewiesen werden. Im untern Kantonstheil, d. h. nordwestlich von Liestal, | < chauenburg und Pratteln zu, verliert sich zwar, in Folge vielfältiger tiefer Zerspaltungen und der Nähe des tief lie- ‚genden Rheinthales, der Plateaucharakter, aber auch da sind die vorliegenden Höhen, wie der Ostenberg, Rosenberg, 5 ‚ Schauenburgerschlossberg, Adlerberg und Wartenberg weit ‘4 eher als Senkungen und Abbröckelungen der nörd- | ichen und östlichen Ausläufer des Gempenplateaus, denn 446 als eigentliche Erhebungen zu betrachten, da ihre Höhen _ (Hauptrogenstein- und Bradfordschichten) fast alle unter das Niveau unserer Hochebenen fallen.*) Eine beträcht- liche Ausnahme macht allerdings z. B. das Prattelerhorn, dessen Hauptrogenstein zu einer Höhe von circa 650 M. aufsteigt und an dessen nördlichem Absturz der Keuper und Lias in das gewöhnliche Niveau des Hauptrogensteins hin- aufgerückt sind. Auch die 622 M. hohe Winterhalde ober- halb Muttenz ragt mit ihrem Hauptrogenstein über das gewöhnliche Niveau empor. Der Korallenkalk der Schauen- burgerfluh überragt zwar kaum die mittlere Höhe des Gem- penplateau, mochte aber früher bedeutend höher gestanden sein, indem die ganze Korallenkalk - Felsreihe oberhalb Schauenburg am östlichen Absturz des hohen Rückens von Hauptrogenstein, der die nördliche Fortsetzung des Prat- telerhorns bildet, auf den weichen Oxfordmergeln herun- tergerutscht ist, und die anliegenden Querrücken, welche. den Thalkessel des Schauenburger-Bades seitlich einschlies- _ sen, und aus Hauptrogenstein bestehen, mit mächtigen Blö- cken bedeckt hat. Auf einem dieser Blöcke, noch von den Oxfordletten unterteuft, steht das Schauenburgerschloss, und Eh bildet eine einzeln stehende Erhöhung auf dem längern ge- gen Süden einfallenden Bergrücken, der aus Hauptrogen- stein, mit einer dünnen Decke von Bradfordthonen, besteht. Für die genannten, ihre Umgebungen beträchtlich über- ragenden Höhen müssen wir wohl eine besondere, von un- ten wirkende, Erhebungsursache annehmen, wenn wir uns nicht den unwahrscheinlichen Fall denken wollen, dass alle Umgebungen gesunken und nur jene wenigen Höhen auf ihrem frühern Niveau stehen geblieben sind. Die An- #) Auch der Münchensteiner-Schlosshügel ist wohl nur ein vom Gempenpla- teau heruntergefallenes Randstück von Korallenkalk. Ebenso der Reichen- steiner-Schlossberg u. 8. w. N En En a at RIRES ER b I % a ses Smet rs 447 nahme plutonischer, d. h. aus grosser Tiefe, unterhalb der Sedimentgesteine, überhaupt unterhalb der festen Erdrinde, stammender Wirkungen, zur Hervorbringung solcher ganz beschränkter Erhebungen, deren horizontale Erstreckung _ lange nicht der Gesammtmächtigkeit der Schichten gleich kommt, ist nicht minder bedenklich. Wir müssen uns also nach andern Ursachen umsehen, welche in der Nähe der Erdoberfläche ihren Sitz haben können. Von den mannig- faltigen chemischen Actionen und Umwandlungen, denen die Gesteine im Innern der Gebirge unterworfen sind, mögen wir noch die wenigsten kennen, und gewiss manche sind bald mit einer Volumvermehrung, bald mit einer Vermin- derung verknüpft. Für den vorliegenden Fall mag an den - Anhydrit erinnert werden, der an manchen Orten in Deutsch- land und Jauch in unserm Kanton lagerförmige Stöcke im Muschelkalk bildet und bei dem Zutritt von Feuchtigkeit _allmählig in den wasserhaltigen Gyps übergeht, womit eine beträchtliche Volumvermehrung verknüpft ist. Man findet _ deshalb in der Nähe solcher theilweise umgewandelten An- hydritstöcke Spaltungen, Hebungen und Biegungen der über- lagernden Schichten, kurz merkliche Niveauveränderungen. Aehnliehe Anhydritlager kommen auch in den Alpen im Lias oder im Keuper vor, z. B. bei Bex und bei Berchtes- gaden, an welchem letztern Orte, wie ich mich durch eige- nen Anblick überzeugt habe, die in den Anhydrit einge- - hauenen Gangwände bauchartig aufgequollen sind, so dass die beträchtlich verengten Gänge alle paar Jahre frisch _ ausgehauen werden müssen. Wenn hier bei verhältniss- _ mässig geringen Massen die Umwandlung des Anhydrites zu Gyps, wahrscheinlich bloss durch Aufnahme der Feuch- tigkeit aus der Luft, so beträchtliche Anschwellungen ver- _ ursachen kann, so mögen wir daraus auf die Jahrtausende hindurch fortgesetzten Wirkungen grösserer Massen schlies- _ sen. Es mögen dadurch Hebungen entstanden sein weit 448 beträ@htlicher als die Höhe, um welche die oben genannten Bergrücken das benachbarte Plateaugebiet überragen, und ohne Zweifel haben Senkungen, durch Auswaschung ent- standen, oft wieder die Grösse jener Wirkungen vermin- dert. Auch die Gypse unserer Keuperschichten sind viel- leicht theilweise durch Umwand!ung aus Anhydrit, jedenfalls oft als secundäre Bildungen, entstanden, worauf auch die vielfach gebogenen und zerknickten Schichten dieser For- : mation in den östlichen Kantonstheilen hindeuten.*) Ebenso kann in Folge der Vitriolisation der Eisenkiese oder durch die Einwirkung anderer in den benachbarten Gewässern aufgelösten Sulfate, wie Bittersalz und Glaubersalz (die wir bekanntlich in unserm Keuper antreffen), eine mit Volum- änderung verknüpfte Umwandlung der Kalkschichten zu . / Gyps stattgefunden haben. Solche secundären, durch Um=. wandlung oder Austausch der Bestandtheile entstandenen Gypsbildungen,**) mögen jedoch nur local sein, und es ist kein Grund vorhanden, um die directe Ablagerung des Gypses so gut wie des Steinsalzes unserer marinischen For- “mationen, aus den Mutterlaugen einstiger allmählig einge- trockneter Meere, im Allgemeinen zu bezweifeln. = Obschon demnach unser Plateaugebiet zwischen Birss und Ergolz, wenige Ausnahmen abgerechnet, seine Erhebung. über dem Niveau des Rheinthales lediglich der Gesammt- “et mächtigkeit seiner Schichten, und nicht besondern Hebun- ; gen verdankt, so lässt sich diese Annahme doch nicht mehr für den nordöstliehen Kantonstheil, jenseits der he : festhalten, wo der Plateaucharakter durch stärkere Zer- cd A des Bodens sich sofort verliert und in zahlreichen rs, ie er no x v #) Die bunten Mergel und Gypse des Keupers scheinen an einzelnen Stellen #2 in das Niveau der höhbern Formationen heraufgepresst worden an zu sein. du ,2 5 A ##) Wohl mochte hie und da eine locale Dolomitbildung damif verknüpft sein, Se wie: wir sie in den höhern Ketten antreffen. Ua re $ ro ] ti ne ne HAN À Li . an Le Wi IR 449 ‚einzelnen Bergrücken sämmtliche Formationen, vom Keuper an aufwärts, bedeutend über ihr durchschnittliches Niveau in dem oben genannten Plateaugebiet, hinaufgerückt sind. Daher überragt denn auch der Hauptrogenstein der Sissa- cherfluh, des Farnsberges und anderer Berge dieses Kan- tonstheiles denjenigen unserer Hochebenen um 100 bis 150 Meter. Für dieses ‚stark aufgewühlte Gebiet müssen wir wohl neben den genannten chemischen auch plutonische Wirkungen voraussetzen, obgleich auch hier diese Hebung von bloss 100 bis 150 Metern im Vergleich zu derjenigen der südlichen Ketten gering genug ist, In unserm Plateaugebiet treten über dem Keuper, der nur in den tiefsten Einschnitten hervorkömmt, alle jurassi- schen Etagen vom Lias bis und mit dem Korallenkalk zu Tage, und überdiess findet sich auf manchen unserer Hoch- ebenen, besonders nach dem obern südlichen Kantonstheil hin, zerstreute Reste von mitteltertiären Ablagerungen. Der . Hauptrogenstein, mit einer Mächtigkeit von 100 bis 200 Me- tern, bildet allenthalben die Hauptmasse dieser Plateaus, und wird gewöhnlich nur noch von den in der Formations- folge nächstfolgenden Bradfordschichten bedeckt. Hie und da werden diese noch von den Thonen und Kalken der Oxfordformation und von tertiären Conglomeraten in zer- streuten Fetzen überlagert.*) Gewöhnlich bilden in den durch Geröllmassen geebneten Thälern die untern Lager des Hauptrogensteins oder die Bänke des untern Oolithes à. die untersten zu Tage tretenden Schichten der Thalwände, hie und da kommen in tief ausgewühlten Flussbetten, z. B. in der Nähe von Liestal, auch die Etagen des Lias hervor, ‚dessen schwarze Letten die Hauptmasse bilden und sich schon von weitem erkennen lassen. Ebenso sind die grau- __ *) Der eigentliche Korallenkalk geht östlich nicht über das Gempenplateau \ hinaus, wo er das Ende eines Korallenriffes zu bilden scheint. 29 450 braunen oder rothbraunen Bänke des untern Oolithes von den festern hellgelben, oft fast weissen, mächtigen Schich-. ten des Hauptrogensteines leicht schon aus der Ferne zu unterscheiden.*) Die schroffen weissen, oder durch Ver- witterung eigenthümlich grauen, Felsabstürze des Korallen- kalkes am Gempenplateau sind nicht minder charakteristisch. Die Unterscheidung eines untern schwarzen, mittlern brau- nen, und obern weissen Jura, als dreier Hauptetagen der gesammten Juraformation, passt recht gut auch für die Berge unseres Kantons. Ueberhaupt geben die petrographi- schen Charaktere sowohl für diese Abtheilungen, als auch für die Formationen des Muschelkalkes und Keupers, so- bald es sich nur um Orientirung in beschränkten Revieren, wie das vorliegende, handelt, uns sehr schätzbare Merkmale zur. Altersbestimmung der Schichten an die Hand, die einen mit dem Revier vertrauten Geognosten wohl selten täuschen. Sie sind um so schätzbarer, wo keine oder nur schlecht erhaltene Versteinerungen sich zur Bestimmung vorfinden» und wenn wir die Lagerungsverhältnisse mit berücksichti- gen, so werden sie uns gewöhnlich auf die richtige Spur führen. Glücklicher Weise besitzen wir aber in mehrern Unter- formationen unseres Gebietes einen solchen Reichthum wohl- erhaltener Versteinerungen, dass wir zu jenen, immerhin unsichern Merkmalen, nicht oft unsere Zuflucht nehmen müssen. Ich erinnere nur an die Schichten des Lias, des untern Oolithes, des Bradfords, Oxfords und des untern Korallenkalkes (Terrain à Chailles). Vor allen mache ich auf die Schichten des Bradford aufmerksam, worin ich den Bradford Clay, Forestmarble und Cornbrash der Eng- = länder vereinige, und welche die fast nirgends im Kanton *) Allerdings sind bisweilen die Oolithe des Korallenkalkes von denen des Hauptrogensteines mineralogisch kaum zu unterscheiden. 0 451 Basel fehlende Decke des Hauptrogensteines bilden. Sie entsprechen dem Terrain Vesoulien Marcou’s, den Pugna- ceen-Mergeln von Fromherz, dem Bathonien d’Orbigny’s und dem braunen Jura d und s (zum Theil) Quenstädt’s. Die Calcaires roux sableux, die Dalle nacree und die Mar- nes à Ostrea acuminata Thurmann's, die Discoideenmergel Merian's, die Marnes à Ostrea Knorrii von Agassiz bilden bloss Unterabtheilungen unserer Bradfordschichten, die sich auf allen Bergen des Basler-Jura, sowohl im Plateaugebiet, als in den südlichen Hochketten als die Decke des Haupt- rogensteines zeigen und desshalb einen trefflichen Horizont zur Altersbestimmung der höhern und tiefern Formationen bilden. -Ich habe dieser Bradfordabtheilung des braunen Jura (unteren Jura der meisten Autoren) besondere Auf- merksamkeit gewiedmet, und die Versteinerungen dieser Ab- theilung an unzähligen Orten sowohl unseres Kantons als des Kantons Solothurn gesammelt. Die meiste Ueberein- stimmung mit den Bradfordschichten des Basler-Jura zei- gen, so weit mir bekannt ist, die Pugnaceenmergel im Grossherzogthum Baden, z. B. in der Nähe von Schliengen und Kandern, während nach dem Berner-Jura zu, sowohl paläontologische als petrographische Variationen eintreten. So findet sich z. B. die aus dem westlichen Jura citirte Ostrea acuminata nur selten bei uns, und dann eher im Er Hauptrogenstein selbst, während dagegen unsere Ostrea . Hnorrü im Bradford des Berner-Jura seltener vorzukommen scheint. So bekannt auch die gemeinsten Versteinerungen un- seres Bradfords jedem Sammler sind, so sind vielleicht doch die Lagerungsverhältnisse dieser Schichten in unserer Ge- gend noch nicht so genau untersucht worden, als es für eine so charakteristische Abtheilung unseres Jura wünsch- bar scheint. Ich werde desshalb eine nähere Auseinander- setzung dieser Lagerungsverhältnisse, unter Aufzählung der 452 ” [4 bisher von mir in den einzelnen Schichten aufgefundenen a Fossilien, in einer folgenden Arbeit zu geben versuchen und beschränke mich für diessmal darauf, nur auf einige ‚besonders charakteristische, allenthalben wiederkehrende, Faunengruppen dieser Abtheilung vorläufg aufmerksam zu machen. | Der Hauptrogenstein ist bekanntlich arm an wohlerhal- tenen Versteinerungen, obschon manche Bänke wahre Brec- cien von Schalentrümmern bilden. Die obersten Bänke sind : gewöhnlich dünn, plattenförmig. Darüber folgen dünne La- gen kôrniger, rauher Mergelkalke, von gelbbrauner Farbe ünd geringer Consistenz, die schr. bald in einen ausgezeich- net grobkörnigen gelben oder braunen Golith übergehen. À der nur etwa einen Meter Mächtigkeit besitzt. Die einzel- nen, meist platt gedrückten, concentrischschaligen Körner à besitzen einen Durchmesser von 1 bis 1", Pariserlinien. Dieser grobkörnige Oolith fehlt selten über unserm Hauptrogenstein. Er ist als die unterste Abtheilung des Bradford zu betrachten und durch Lima gibbosa Sow., Am- - monites Parkinsoni Sow., Nucleolites latiporus Ag., und os à ders durch Clypeus patella Ag. charakterisirt. Er enthält noch viele andere Versteinerungen. Darüber liegen die eigentlichen Discoideenmergel, gelbe oder braune, bisweilen RS auch rothe, rauhe, körnige Mergelkaike mit Holectypus (Dis- coidea) depressus Des., Clypeus Hugii Ag, Hyboclypus gibbe- . rulus Ag., Disaster analis Ag.u.a. Ungefähr in dieselbe Zone oder etwas höher gehören grobe, braune, körnige Mergel- x kalke, voll von zweischaligen, in Kalkspath me 2 € selten aber deutlich bestimmbaren Muscheln, worunter- be- sonders häufig und auffallend die lange fingerförmige Ger- à . villia Andreæ Thurm., daher ich diese Schicht die Gerwil- lienschicht nenne. Die Seeigel sind hier seltener: Diese beiden Gruppen sind vielleicht nur als verschiedene Facies Fe BRITEN Ablagerungen zu betrachten. Trigonia coulaia | =" ue" + RE Ar 2; nz a OR Fe EE Re tee += . UF ZTD, + PAS Sn y 453 ist in dieser Zone am häufigsten. Die Mächtigkeit der Schichten beträgt nur wenige Fuss. . Darüber liegt die Hauptschicht der Bradfondah- theilung unseres Kantons, blaugraue oder hellgelbe Mer- gelkalke von feinem Korn, voll Terebratula varians Schl., Ter. spinosa Schl., Ostrea Knorrü Zieten (Ostrea coslata an- _ derer Autoren), Mytilus (Modiola) bipartitus Sow., Mytilius striolaris Mer., Pholadomya Bucardium Ag, Ceromya tenera Ag., Gressiya lunulata Ag. Lucina jurensis d’Orb., Pecten de- missus Phill, Ammonites triplicatus Quenst. und vielen andern durch Form oder Menge weniger hervorragenden ‚Arten. Ich habe diese Schicht die Hauptschicht genannt, weil sie überali auf dem Basler’schen Hauptrogenstein sich findet, _ auch da, wo die andern Unterabtheilungen fehlen. In die- ser Zone kommt auch die stark zweigefaltete Terebratula anserina Mer. am häufigsten vor, obgleich diese Art, und ebenso die Terebratula varians, sowie mehrere Myaciten aus den Geschlechtern Pleuromya, Goniomya, Arcomya, Gresslya u. a. auch die tiefern Abtheilungen durchschwärmen.*) Als oberste Schicht erscheinen öfter noch gelbe Mer- 2 gelkalke, die besonders durch Ammonites macrocephalus Schl. und durch unzählige Exemplare von Pleuromya Alduini Ag. und von Stacheln der Lima proboscidea Sow. charakterisirt sind, zwei Arten, die jedoch sparsamer, auch in den tiefern Bradfordschichten vorkommen. Diese Schicht scheint dem englischen Cornbrash zu entsprechen.**) Eigentliche Thone und Mergel kommen im Bradford des Basler-Jura nur spärlich, so viel wie gar nicht vor, wesshalb ich zur Bezeichnung dieser Ablagerungen den unbestimmten Namen Bradfordschichten vorgezogen A] #) Die Echiniten fehlen in dieser Zone. . **) Die Versteinerungen habe ich grôsstentheils mit Hilfe des Hrn. Rathsherrn P. Merian bestimmt. 45% habe. Die Mächtigkeit der ganzen Abtheilung wird selten 10 Meter übersteigen. er Merkwürdig ist die petrographische und besonders pa- läontologische Uebereinstimmung dieser Abtheilung mit derjenigen des untern Rogensteins (Calcaire læ- donien Marcou, Etage Bajocien d’Orb. zum Theil), indem in diesen beiden, durch die über 200 Meter mächtige Abla- gerung des Hauptrogensteins getrennten, Etagen, wenn wir von den dem Bradford allein angehörenden Seeigeln ab- sehen, weitaus die Mehrzahl der Arten identisch oder doch : kaum von einander zu unterscheiden sind. Ueberhaupt schei- nen eine Anzahl Arten auch in andern Formationen durch mehrere der von d’Orbigny aufgestellten Etagen hindurch- zugehen, was auch von Hrn. Rathsherrn Merian und andern Geologen bestätigt wird. ; Die Schichten des Kellowayrock (Callovien d’Orbigny’s, brauner Jura & oder Ornatenthone Quenstädt's), die noch in der Pfeffinger-Klus vorkommen und durch ihre schön ge- zeichneten Ammoniten kenntlich sind, scheinen in unserm Plateaugebiet bis auf schwache Spuren zu fehlen, und ebenso treten, ausgenommen am Gempenplateau, die durch ihre ver- kiesten Ammoniten ausgezeichneten Oxfordletten nur selten und spärlich auf. Dagegen erscheinen an zahlreichen ver- einzelten Stellen über den Bradfordschichten, oft durch Verschiebung in abnorm gelagerten Hügeln, graue Letten, die nach oben bald in hellgraue schieferige Kalkmergel oder in chailleähnliche Ablagerungen und hierauf in stär- kere Bänke eines dichten, hellgelben, mergeligen Kalkstei- nes übergehen, der vielleicht an einigen Orten eine Mäch- tigkeit von 100 Metern und mehr erreicht. Er sieht aus fast wie Korallenkalk, hat aber immer dieses matte, mer- gelig-thonige Ansehen. Gewöhnlich ist er arm an Petre- facten, am häufigsten erscheinen Ammonites biplex Quenst. und Disaster granulosus Ag. als die bezeichnendsten Ver- » 455 _ steinerungen dieser Schichten, Korallen sind spärlicher vor- handen.*) Ich habe diese dichten Kalke immer für Oxford- kalke gehalten, bis ich sie an der Strasse zwischen Büren und Seewen von den Mergeln und sphäroidischen Kiesel- Kalkknauern der Chaille unterteuft sah. Dieser Lagerung zufolge würden also unsere. sogenannten Oxfordkalke über dem Terrain à Chailles, welche nach Hrn. Rathsherr Me- rian als die unterste Abtheilung des Korallenkalkes zu he- trachten ist, liegen, und daher eher dem Scyphienkalk oder Argovien zu parallelisiren sein, obgleich die Scyphien und andere Hauptformen des Argovien darin fehlen. Man könnte diese mergeligen Biplexkalke daher eben so gut dem Korallenkalk, als untere Abtheilung desselben» als dem Oxford beizählen, doch möchte die Benennung Oxfordkalk, welche den Meisten für die in Frage stehenden Schichten geläufig ist, einstweilen noch vorzuziehen sein. Unmittelbar über diesen zerstreuten Fetzen des Oxford- kalkes oder untern Korallenkalkes liegen, besonders in der südlichen, den Ketten genäherten Fortsetzung unserer Pla- - teaus (in den nördlichen Theilen fehlen sie ganz oder bis auf geringe Ueberreste), als oberste Decke in geringer Mäch- tigkeit die mivcen-tertiären Kalk- und Quarzconglomerate, die bereits Hr. Rathsherr Merian näher beschrieben hat. Einige Notizen über die übrigen Etagen und das Petrefac- tenverzeichniss der verschiedenen Formationen unseres Pla- teaugebietes gedenke ich dem nächsten Hefte beizufügen. Einige der von mir aufgenommenen Durchschnitte sollen in der beigefügten Zeichnung (Taf. II) die charakteristischen - Sehichtenstellungen unseresPlateaugebietes veranschaulichen. *) Auffallend sind die zerstreut auf der Oberfläche liegenden faust- bis kopf- ’ grossen Stücke von reinem dichten Brauneisenstein, die vielleicht bereits zu den tertiären Ablagerungen gehören. Eigentliche Bohnerzbildungen sind mir aus unserm Gebiet nicht bekannt. 456 I. Durchschnitt von West nach Ost, von Dornach bis Win- tersingen. IL Durchschnitt von West nach Ost, von Höllstein | bis me Rothenfluh, südlich vom obigen. III. Durchschnitt von Nord nach Süd, von Pratteln bis Pantaleon, längs der östlichen Terrasse des Gempen- plateaus. Erklärung der Abkürzungen. T. = Miocene Tertiärbildungen. K. = Korallenkalk. er U.K. = Unterer Korallenkalk mit Am. biplex, gewöhnlich als Oxfordkalk bezeichnet. Ch. = Terrain à Chailles. Ox. = Eigentlicher Oxfordthon. Ke. = Kelloway (Callovien d’Orb., Ornatenthone), Br. — Bradford (Terrain Vesoulien Marcou). G. R. = Grobkörniger Rogenstein mit Clypeus patella (ge- hört noch zum Bradford). R. = Hauptrogenstein. Be schluss des Toarcien d’Orb.) 0. L. = Oberer Lias (Posidonienschiefer). M. L. = Mittlerer Lias (Belemnitenkalk). U. L. = Unterer Lias (Gryphitenkalk). p- = Keuper (bunte Mergel und Sandstein). — Muschelkalk. u — = Unterer Rogenstein (Eisenrogenstein). (Mit Ein- GESCHENRE - an das naturwissenschaftliche Museum im Jahr 1855, 1. Geldbeiträge. Be Von löbl. gemeinnütziger Gesellschaft, Jahres- ee Or OR en. + 0 Mer EE, DAHER Be Von löbl. Museumsverein desgl. . . . . . , 829. 50 > Von Hrn. Rathsherr Peter Merian, zur Ver- à : wendung für die Bibliothek . . . . . „300. D | Fr. 1429. 50 | 4 2. Geschenke an die Sammlungen. S Von löbl, Finanz-Collegium: à Eine Probirwaage und 1 Kilogramm Gewichte von For- Es. tin in Paris. Von Hrn. Rudolf Zwilchenbart: 3 Zwei Tafeln brasilianische Schmetterlinge und Käfer. Von Hrn. Ludw. Wilh. Schweitzer: 2% Zwei Sandhühner (Pterocles), in der Wüste zwischen 5 Cairo und Suez geschossen. Von Hrn. Kelterborn, Zeichnungslehrer: Bi Fiber zibethicus aus Ilinois, Nordamerika. 458 Von Jgfr. Margaretha Werthemann und Frau 8. Ryhiner- Werthemann: Eine Sammlung inländischer Schmetterlinge ‚in 20 Schachteln. Von Hrn. Dr. J. J. Bernoulli- Werthemann : 2 Stosszähne des afrikanischen Elephanten, 1 Narwhal- zahn und 2 Steinbockhörner. Von Hrn. Fritz Hoffmann: Eine Möve, in Helgoland geschossen. > Von Hrn. Aug. Riggenbach, Turnlehrer: Eine Anzahl Versteinerungen, vorzüglich aus dem K. Basel. Na Von Hrn. Stadtrath Dan. Burckhardt-Forcart: Eine Anzahl Versteinerungen aus dem K. Basel u. s. f. Von Hrn. Heinr. Merian-VonderMühll: : Versteinerungen aus der Muschelmollasse von Würen- los, K. Aargau. Von Hrn. Prof. H. Coquand in Besançon: - Versteinerungen aus der Gegend von Besançon und aus dem Dep. de la Charente. Von Hrn. Salineninspektor Ludwig in Nauheim: Versteinerungen aus der Gegend von Nauheim in Hessen. Von Hrn. Dr. Albrecht Müller: Versteinerungen aus der Gegend von Nauheim. Minera- lien und Versteinerungen verschiedener Art. m Von Hrn. J. C. Hirzel, schweiz. Consul in Palermo: - | Krystallisirter Schwefel und Cölestin in einer Reihe von Stufen aus der Schwefelgrube von Lercara de’ friddi unweit Palermo. Te Von Hrn. Rathsherr Peter Merian: Mineralien und Versteinerungen aus Rhein-Preussen, L aus der Gegend von Besançon u. a. 0. va 459 ee Für die naturwissenschaftliche Bibliothek. Von der Soeiete Vaudoise des Sciences naturelles: Bulletin de la Société. No. 34—36. Von der Oberhessischen Gesellschaft für Natur- und Heil- kunde in Giessen: | Dritter bis fünfter Bericht der Gesellschaft. 1853—55. - Von der Société industrielle in Mülhausen: - — Bulletin No. 128— 132. Von der K. Akademie der Wissenschaften in St. Petersburg: ® Bulletin de la Classe physico-mathématique. XII. No. 9—24. XIV. No. 1-9. . Von der naturforschenden Gesellschaft in Bern: Mittheilungen. No. 317—330. Von dem naturhistorischen Verein der preussischen Rhein- lande in Bonn: Verhandlungen des Vereins. XI. 4%. XI. 1, 2. Von dem geognostisch-montanistischen Verein für Steier- | mark: Vierter Bericht. 1854. Andre, Bericht über die Ergebnisse geognost. For- schungen. 1854. + 4 Rolle, Ergebnisse der geognost. Untersuchung von Ober- $ steiermark. 1854. "4 Schouppe, geognost. Bemerkungen über den Erzberg bei x Eisenerz.- 1854. Von der Royal Institution in London: Notices of the Proceedings. I. 1851— 1854. Von der K. bayerischen Akademie der Wissenschaften in München: ; Gelehrte Anzeigen. Bd. 33—40. 2 Almanach der Akademie für 1855. © Lamont, Denkrede auf Th. Siber und G. Sim. Ohm. 1855. = Thiersch, Rede in der öffentlichen Sitzung v. 1855. 460 Von der naturforschenden Gesellschaft in Danzig: Neueste Schriften. V. 2, 3. 1855. Von der K. Gesellschaft der Wissenschaften in Göttingen: Nachrichten von der Georg Auguste niveR an u. S. £: 1854. 172,2 Von dem physikalischen Verein zu Frankfurt a. M. Jahresbericht für 1853—54. Von dem zoologisch-mineralog. Verein in Regensburg: + ? Korrespondenzblatt. Achter Jahrgang. 1854. Abhandlungen. 1855. Von dem Württembergischen naturwissenschaftl. Verein: Württemberg. naturw. Jahreshefte. XI. 1, 2. Von dem naturwissensch. Verein für Sachsen und Thüringen in Halle: { ‘Zeitschrift. Bd. ILE und IV. TE Von der Société des Sciences médicales in Malines: Annales. 1344 und 1849. g Von der physikal.-medizinischen Gesellsch. in Würzburg: Verhandlungen. V. 3. VI. 1. 1e Von der naturkundigen Vereinigung in Batavia: Natuurkundig Tijdschrift voor Niederlandseh. «Indie. À II—V. und VII. VIIL IX. 1, 2. ee Von der Gesellschaft der Künste und Wissenschaften da- = selbst: Laer Verhandelingen. XXV. 1853. ' ER Tijdsehrift voor Indische Taal-Land en Volkerkunde. Li. Lx Von der Académie de Dijon: 2 re, x Mémoires. 2° Serie. I. IH. Fe a Von der Zoological Society in London: HOME, Proceedings. XVIH— XXI. AC CEE Reports of the Council. 1850—53. Report of the Secretary. 1854. ” Von der Chemical Society in London: : Quarterly Journal. VIL 3, 4. VII. 1. 2. y | ve LEA BER? 273 À = Le u - 461 Von der K. K. Akademie der Wissenschaften in Wien: Sitzungsberichte der mathem. naturwissenschaftl. Classe. pi XIV. XV. XVI. 1. Lo Almanach der Akademie. 1855. Von der K. sächsischen Akademie der Wissenschaften in Leipzig: Abhandlungen der mathem. physie. Classe. II. Schluss. Berichte über die Verhandlungen. 185%. 1, 2. = Von der Gesellschaft für Beförderung der Naturwissen- schaften zu Freiburg i. B.: = "Berichte. No. 6—11. ÿ Von der deutschen geologischen Gesellschaft in Berlin: Zeitschrift. VE 4 VIL 1. Von der Linnean Society in London: . Transactions. XXI. 3. Proceedings. No. 52—58. a List of the Society. 1854. Address of Th. Bell. 1854. Von der K. schwedischen Akademie der Wissenschaften in Stockholm: Ofversigt af Forhandlingar. X. XI. Von der Fürstl. Jablonowskischen Gesellschaft in Leipzig: Sg Geinitz, Darstellung der Flora des Hainich-Ebersdorfer F ... Kohlenbassins. 185% mit Kupferbd. in Folio. Ar vu 4, 3 Von der naturforschenden Gesellschaft in Zürich: À Mittheilungen. 8. 9. + Von dem zoologisch-botanischen Verein in Wien: ‘à Verhandlungen. IV. 1 Von der K. K. geologischen Reichsanstalt in Wien: Ri Jahrbuch. V. 3. 4 VI. 1. Le _ Hörnes, die fossilen Mollusken des Tertiärbeckens von | Wien. 7. 8. Abhandlungen. II. 1855. ee 462 Von dem naturhistorischen Verein in Augsburg: Achter Bericht. 1855. Von der naturforschenden Gesellschaft in Görlitz: Abhandlungen. VII 1. Von der Société jurassienne d’ Emulation: Coup d'oeil sur les travaux des années 1852, 53, 54 Von dem Mannheimer Verein für Naturkunde: à ; Einundzwanzigster Jahresbericht. f Von der naturforschenden Gesellschaft zu Emden: Jahresbericht für 1854. Von der K. Akademie der Wissenschaften in Berlin: Bericht über die Verhandlungen. Jahr 185% und 1855 Januar bis Juni. hi Von der Société des Sciences naturelles du Grand Duché de Luxembourg: Verhandlungen. I—IH. 1853 -55. Von der Schweizerischen naturforschenden Gesellschaft: en Topographischer Atlas der Schweiz (von Dufour) Blatt 9, 10, 15,18, 20. Von der We tterauer Gesellschaft für die gesammte Natur- kunde: Jahresbericht. 1853 —55. Von der Societ& des Sciences naturelles in Neuchätel: Bülletin. III. 2. 1855. Von der Schlesischen Gesellschaft für vaterländische Kultur: Zweiunddreissigster Jahresbericht. Von der Lesegesellschaft: { Bericht über die Verhandlungen der K. Pret Akademie der Wissensch. 1852—54. - Von Hrn. Prof. C. F. Schônbein: ; Volger, Entwicklungsgeschichte der Mineralien der Talk- | glimmer-Familie. 1855. à Seyffer, Darstellung des Galvanismus. 1848. FE De la Rive, Traité d’Electrieite. I. 1854 RN und verschiedene kleinere Schriften. Von dem Hrn. Verfasser: R. Wolff, Gedächtnissrede auf Jakob Bernoulli. 1855. Von Hrn. Dr. E. Wölfflin: Meissner, neues System der Chemie. I. Il. 1835. 36. Von Hrn. Dr. Albr. Müller: j Ma Leonhard, Künstlicher Augit. 1853. a — — Krystallisirung von Schlacken. | Baumgärtner, Anfänge zu einer physiolog. SchOpEDBeEN geschichte. 1855. 463 Von Hrn. Prof. Alexis Perrey in Dijon: Perrey, Note sur les tremblements de terre en 1851 et en 1853. — — Documents relatifs aux tremblements de terre du Chili 1854. Palassou, Suite des mémoires pour servir à l'hist. nat. des Pyrénées. 1819. Von der Boon Mesch, de incendiis montium Insulae Ja- vae. 1826. Cordier, sur la temperature intérieure de la Terre. 1827. und verschiedene kleine Schriften. Von dem Hrn. Verfasser : C. Bruch, Beiträge zur Entwickelungsgeschichte des Knochensystems. 1852. — — Ueber die Befruchtung des thierischen Eies. 1855. Von Hrn. Prof. Fournet in Lyon: Commission hydrométrique de Lyon. 1854. Von Hrn. Dr. Carl Burckhardt-VonderMühll: Buffon, hist. naturelle. 57 Bde. 12°. Par. 1750 —81. Lacepede, hist. nat. des Quadrupèdes ovipares et des Serpens. # Bde. 12°. Par. 1738 — 9. Réaumur, Mémoires pour servir à l’hist. des Insectes. "ET I-VI. 40 Bonnet. Oeuvres d'hist. naturelle. I—XVIIl. 8°. Fischer, Physikal. Wörterbuch. I- VI. Dixon, Voyage autour du Monde. E. IE. Thunberg, Voyages au Japon. I—VI. Young, Voyages en France. I—IIT. Bartels, Briefe über Kalabrien und Sizilien. I. Il. 3 Bruer, Reisen in das Innere von Afrika. I. I. Sonnini, Voyage dans l'Egypte. I—1II et PI. — — Voyage en Grèce et en Turquie. 1. IH. et PI. Symes, Relation de l'Ambassade Anglaise dans le ro- Pe ne yaume d’Ava. I—III. et Pl. | Pallas, Voyage dans le gouvernement meridionaux de la Russie. I. IT. et Pl. Levaillant, Voyages dans l'intérieur de l’Afrique. I—IV. 4 und andere Werke, im Ganzen 130 Bde. r. Von dem I!rn. Verfasser: . J.G. Fischer, Lehrbuch der Elementar-Geometrie. Ham- burg 1855. — — Führer durch das naturhist. Museum von Hamburg. I. 1854. — — die Familie der Seeschlangen. Hamb. 1855. Von Hrn. Dr. J. J. Bernoulli: Î Tiedemann und Gmelin, die Verdauung. I. I. Omalius d’Hailoy, Eléments de Géologie. . Friedleben, Experimental-Physik. LU. Baumgartner, Naturlehre. Eisenlohr, Physik. Fabulet, Eléments de Chimie. Scholz, Chemie. | Gruber, Chemie. I. U. - Hermbstädt, Grundsätze der Kunst Branntwein zu bren- nen. I. IL. | und andere meistentheils chemische Werke, im Ganzen | 150 Bände. | Von dem Hrn. Verfasser: J. P. Cooke, on two new crystalline compounds of Zinc i and Antimony. 1855. Legat von Hrn. Bened. Christ sel.: Naumann, Naturgeschichte d. Vögel Deutschlands. I-XL. 1822 —44. Baldamus, Naumannia I—IV. Tschudi, Thierleben in der Alpenwelt, 1854. v. Train, die Nieder-Jagd und die Hohe-Jagd. % Bde. Journal des Chasseurs. I—XIX. | i und andere naturgeschichtliche und Jagdschriften, im Ganzen 60 Bände. Br Von dem Hrn. 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Bekanntlich bringen das Wasserstoffsuperoxid, die 020- nisirten Camphenöle, der ozonisirte Aether, wie auch ein Erzeugniss der langsamen Verbrennung des Aethyloxides die meisten Oxidationswirkungen hervor, welche sowohl der freie, als auch der in manchen Materien, wie z. B. in den metallischen Superoxiden gebundene ozonisirte Sauerstoff verursacht. In einigen Beziehungen weichen jedoch die erstgenannten Substanzen von den letzterwähnten wesent- lich ab, darin nämlich, dass jene in gegebenen Fällen ent- weder gar nicht oder nur schwach oxidirend wirken, wäh- rend diese unter den gleichen Umständen rasch und stark reagiren. Meine neuern Erfahrungen haben nun gezeigt, dass unter dem Berührungseinflusse von Stoffen, ihrer che- mischen Natur nach’ von einander so verschieden als nur möglich, das Wasserstoffsuperoxid, das ozonisirte Terpen- tinöl u. s. w. nach Art des freien oder des in manchen Mä- terien gebundenen ozonisirten Sauerstoffes sich verhalten. Wasserstoffsuperoxid. Lässt man ein Gemisch. 1* 468 von frischer (harzarmer) Guajaktinctur mit etwas verdünn- tem Wasserstoffsuperoxid (mittelst Bariumsuperoxides und verdünnter Fluorsiliciumwasserstoffsäure bereitet) auch noch so lange für sich allein zusammen stehen, so bläut es sich durchaus nicht, während, wie wohl bekannt, die Harzlösung durch 0, Bleisuperoxid u. s. w. augenblicklich auf das Stärkste gebläut wird. Führt man aber in das besagte Ge- meng verhältnissmässig nur kleine Mengen vollkommen sauerstofffreien und desshalb unter: Wasser gehaltenen Pla- tinmohres ein, so erfolgt sofort die allertiefste Bläuung. Einige organische Materien wirken merkwürdiger Weise auf die.HO,-haltige Guajaktinctur gerade: so ein, ‘wie diess der Platinmohr thut, und zwar die sogenannten Blutkörper- chen, wie auch der im Weizen enthaltene Kleber, welcher letztere jedoch den Blutkörperchen an Wirksamkeit um ein Merkliches nachsteht. Die zu meinen Versuchen dienenden Blutkörperchen, so frei als nur möglich von Fibrin und Serum, wurden in so viel Wasser gelöst, dass dieses stark geröthet erschien. Solches Wasser in geringer Menge zu HO,-haltiger Guajaktinetur gefügt, verursacht in dem Ge- meng schon nach wenigen Sekunden eine tiefblaue Färbung, welcher Angabe noch beizufügen ist, dass durch Eintrock- nen und noch so langes Aufbewahren die Blutkörperchen diese ihre Wirksamkeit eben so wenig als dadurch verlie- ren, dass man die wässrige Lösung derselben bis zum Sie- den erhitzt. Dass gewöhnliches Blut, bluthaltiges Fleisch u. s. w. wie die reinen Blutkörperchen wirken, bedarf kaum ausdrücklicher Erwähnung. Was den Kleber betrifit, so verhält sich der alte wie der frische, und da er im Weizenmehl ‘sehr fein zertheilt ist, die Stärke aber keine Wirkung gegen die wasserstofl- superoxidhaltige Guajaktinctur zeigt, ‘so besitzter in:diesem Zustande die grösste Wirksamkeit »und bedient man sich 469 desshalb auch am besten des besagten Mehles, um die er- wähnte Reaction zu veranlassen. Rührt man ein wenig Weizenmehl: mit. HO,-haltiger Guajaktinetur zusammen, so färbt sich zwar diese Flüssigkeit nicht augenblicklich, doch aber schon nach kurzer Zeit tiefblau. Dass die Blutkör- perchen und das Mehl die blosse Guajaklösung nicht bläuen, braucht nicht ausdrücklich bemerkt zu werden. Thierisches Eiweiss, Fibrin und Casein sind ohne Wir- kung auf die wasserstoffsuperoxidhaltige Guajaktinctur, und nur schwach wirkt das Kreatinim. Ozonisirtes Terpentinöl. Löst man in einigen Gram- men Guajaktinctur zwei oder drei Tropfen stark ozonisirten Terpentinöles auf, so färbt sich dieses Gemisch ‚zwar nicht von selbsten, wohl aber bei Zusatz ‚von Platinmohr oder Blutkörperchenlösung in wenigen Secunden auf das. Tiefste blau. Ozonisirter Aether. Der mit activem Sauerstoff be- ladene Aether ist unvermögend, für sich allein die Guajak- tinctur zu bläuen, thut diess aber unter Mithülfe des. Pla- tins und der Blutkörperchen. Erzeugniss der langsamen Verbrennung des Aethers. Schon vor vielen Jahren habe ich gezeigt, dass bei der langsamen Verbrennung des Aethers eine Materie zum Vorschein kommt, ausgezeichnet durch ihr oxidirendes Vermögen, wie daraus erhellt, dass sie Jod aus dem Jod- kalium abscheidet, Schwefelblei in Sulfat verwandelt, über- haupt die meisten Oxidationswirkungen des freien ozonisir- ten Sauerstoffes hervorbringt. Ich bereite sie in folgender Weise: in eine geräumige lufthaltige Flasche werden fünf- zig Gramme Wassers und einige Gramme Aethers gebracht; ich führe dann eine nicht ganz bis zum Glühen erhitzte, aus dickem Platindraht gewundene Spirale auf einige Au- ‚genblicke in das Gefäss ein und schüttle hierauf die Flüs- sigkeit, mit dem Luftgehalte zusammen. Ist: langsames Ver- 470 -brennen und Schütteln ein Dutzendmal wiederholt worden, so enthält das Wasser schon so viel der oxidirenden Ma- terie, dass es die vorhin erwähnten Wirkungen hervor- bringt, z. B. den Jodkaliumkleister auf das Tiefste bläut. Was das Verhalten dieser activen Sauerstoff enthal- tenden Flüssigkeit zur Guajaktinctur betrifft, so ist dasselbe verschieden, je nachdem letztere mehr oder weniger Harz enthält, — oder die oxidirende Flüssigkeit unmittelbar nach ihrer Bereitung oder später zum Versuch angewendet wird, — oder ob dieselbe sofort nach ihrer Erzeugung erhitzt worden ist oder nicht. Ist die Guajaktinetur reich an Harz, so wird dieselbe durch die oxidirende Flüssigkeit, auch wenn man diese frisch anwendet und in geringer Menge der Harzlösung beifügt, nicht gebläut; gebläut wird dadurch auch nicht eine harz- arme Tinctur, falls die angewendete Flüssigkeit schon einen Tag alt ist oder gleich nach ihrer Bereitung kurz erhitzt worden. Eine harzarme Tinctur wird beim Vermischen mit einer hinreichend grossen Menge der frischen oxidirenden Flüssigkeit stark gebläut, ohne einer Contactssubstanz zu bedürfen. Wird zu einem Gemisch von Guajaklösung und unserer oxidirenden Flüssigkeit, welches sich nicht von selbsten mehr bläut, Platinmohr oder Blutkörperchen gefügt, so bläut sich dasselbe beinahe augenblicklich auf das Tiefste. Auch das Weizenmehl, obwohl etwas langsamer, wirkt in glei- cher Weise auf das besagte Gemisch ein. Nach meinen Erfahrungen zerstört der ozonisirte Sauer- stoff das in Schwefelsäure gelöste Indigoblau eben so rasch, als diess das Chlor thut, und bekannt ist, dass auch manche | 0 ; , O-haltige Verbindungen, wie z. B. Uebermangansäure, Blei- _superoxid u.s, w. die Indigotinctur augenblicklich. bleichen. Das Wasserstoffsuperoxid bringt diese Bleichwirkung 471 nur sehr langsam’ hervor, wie daraus erhellt, dass verdünn- tes mit Indigolösung nur mässig stark gebläutes HO; manche Stunde zu seiner völligen Entbläuung braucht, wesshalb man auch behaupten darf, dass HO: keineswegs ein so kräf- tiges Bleichmittel ist, wie diess gewöhnlich angenommen wird. Die nämlichen Substanzen aber, unter deren Berüh- rungseinfluss die HO:-haltige Guajaktinctur gebläut. wird, sind es auch wieder, welche die Zerstörung der HO;-hal- tigen Indigolösung beschleunigen. Man theile durch Indigo- tinetur gebläuetes verdünntes HO; in zwei Hälften, lasse die eine hievon sich selbst über und schüttle die andere mit Platinmohr, so wird letztere in kurzer Zeit entfärbt sein, während die andere Hälfte noch keine Schwächung ihrer Farbe zeigt. Wie Platin wirken auch die Blutkörperchen. HO;-hal- tige Indigolösung, die für sich allein sechs volle Stunden zu ihrer gänzlichen Entbläuung braucht, entfärbt sich unter dem Einfluss der Blutkörperchen in wenigen Sekunden. Von dem ozonisirten Terpentinöl wird zwar die Indigo- lösung etwas rascher, als durch HO, zerstört, indessen doch nichts weniger als augenblicklich. Ist z. B. Terpentinöl so stark ozonisirt, dass es 2 %, activen Sauerstoffes enthält, oder ein Gramm desselben 200 Gramme meiner titrirten In- digolösung zu zerstören vermag, so hat man das Gemeng eine halbe. Stunde zu schütteln, um dasselbe vollständig zu entbläuen. Die Blutkörperchen beschleunigen die Entfär- bung in augenfälligster Weise. Um sich von dieser Wirk- samkeit zu überzeugen, bringe man in eine halbe Unze durch Indigotinetur ziemlich stark gebläuetes Wasser einige Tro- pfen ozonisirten Terpentinöles nebst einiger Blutkörperchen- lösung und schüttle bis die Färbung verschwunden. Unter diesen Umständen ‘entbläut sich die Indigolösung ungleich 472 schneller, als diejenige, welcher. keine Blutkörperchen bei- gegeben worden. | Die bei der langsamen Verbrennung des Aethers ent- stehende oxidirende Materie bleicht zwar die Indigolösung noch etwas schneller, als HO; und ozonisirtes Terpentinôl. doch aber auch nicht augenblicklich, und die Anwesenheit des Platins oder der Blutkörperchen beschleunigt die Zer- störung des Farbstoffes sehr wesentlich. Bedarf zu seiner vollständigen Entbläuung ein Gemisch von verdünnter In- digotinctur mit unserer 'oxidirenden Materie z. B. fünfzehn. Minuten, so wird dasselbe mit Blutkörperchen versetzt schon in wenigen Sekunden entfärbt sein. 19 81 Der freie ozonisirte Sauerstoff und eine Anzahl O-hal- tiger Verbindungen, wie z. B. die Untersalpeter ‚säure, Ueber- mangansäure u. s. w. zersetzen das Jodkalium augenblick- lich unter Ausscheidung von Jod, wesshalb sie Lich sofort das Jodkaliumstärkepapier oder das jodkaliumhaltige Stärke- wasser bläuen. Das verdünnte Wasserstoffsuperoxid, das ozonisirte Terpentinöl, der ozonisirte Aether und das oxi- dirende Erzeugniss der Jangsamen Verbrennung'dés Aethers bringen’ zwar diese Reaction ebenfalls :hervor, aber » nicht augenblicklich. Wird das Jodkaliumstärkepapier mit einer der vier genannten: Flüssigkeiten getränkt, so: vergeht 'im- mer einige Zeit, bis es sich zu färben anfängt, und eine noch merklich längere, bis es das Maximum seiner Färbung erreicht hat, "welche: Thatsache zeigt, dass die’ Zersetzung des Jodkaliums: nicht plötzlich, sondern 'allmählig:stattfin- det. Wie das Ozonpapier verhält sich auch die jodkalium- haltige, mit viel! Wasser aufgekochte Stärke: sie färbt sich mit einer der erwähnten Flüssigkeiten » versetzt; nach und nach blau; fügt man aber eines solchen Gemisch Blutkôr- perchenlösung zu, so trittı'schon in wenigen: Sekunden die tiefste Bläuung ein. In Bezug auf das oxidirende. Erzeug- 473 niss der langsamen ‚Verbrennung des Aethers ist jedoch zu bemerken, dass dasselbe ganz frisch bereitet allerdings wie die Guajaktinctur, so auch das jodkaliumhaltige Stärkewas- ser augenblicklich auf das Tiefste bläut; hat man jedoch besagte oxidirende Flüssigkeit einen Tag alt werden lassen, so verhält sie sich gleich HO,, ozonisirtem Terpentinöl oder Aether, d.h. bringt sie die Bläuung des KJ-haltigen Stärke- wassers nur allmählig hervor, wesshalb auch die so be- schaffene Flüssigkeit angewendet werden sollte, um auf eine sichere und augenfällige Weise von dem merkwürdigen Einflusse sich zu überzeugen, welchen die Blutkörperchen auf den noch übertragbaren Sauerstoff des Erzeugnisses der langsamen Aetherverbrennung ausüben. Sonderbarer Weise wirkt in diesem Falle der Platinmohr nicht wie die Blut- körperchen: er lässt’ die vorhin erwähnten Gemische unge- färbt, während der Kleber des Weizenmehles bald eine starke Bläuung verursacht. Aus den mitgetheilten Thatsachen geht als all:emeines Ergebniss hervor, dass der mit gewissen Materien verge- sellschaftete Sauerstoff, obwohl er schon im thätigen Zu- stande sich befindet und, desshalb ohne weitere Vermitte- lung manche Substanzen zu oxidiren vermag, gegen welche der gewöhnliche Sauerstoff gleichgültig Dan verhält, noch stärker erregt, d. h. zu einer raschern Wirksamkeit durch die Anwesenheit sehr verschiedenartiger Stoffe bestimmt wird, Mit dem in Weingeist gelösten Guajak vermag sich 7 0 das ‘0: des Wasserstoflsuperoxides, ozonisirten Terpentin- öles u. s. w. nicht zu dem blauen O-haltigen Harze zu ver- binden ohne Beisein des Platins, der Blutkörperchen und des „Klebers; das in Son efelsäure gelöste Indigoblau wird durch die ‚gleichen 0- führenden Materien nur langsam zu Isatin oxidirt, rasch aher unter dem Berührungseinflusse des = 47% Platins und der Blutkörperchen. Eben so scheiden die be- sagten O-Träger nur allmählig Jod aus dem Jodkalium ab, während sie diess rasch thun bei Gegenwart von Blutkör- perchen. Es würde viel zu früh sein, jetzt schon etwas über die Art und Weise sagen zu wollen, in der das Platin, die Blutkörperchen und der Kleber die beschriebenen Wirkun- gen hervorbringen, und wahrscheinlich wird es noch langen Forschens bedürfen, bevor die Natur dieses merkwürdigen Einflusses erforscht ist. Schliesslich muss ich noch beifügen, dass die in Was- ser gelösten Blutkörperchen durch freien ozonisirten Sauer- stoff entfärbt und ihres Vermögens beraubt, werden, die oben erwähnten Wirkungen zu verursachen, wie z. B. die HO;-haltige Guajaktinctur zu bläuen. In ganz gleicher Weise werden die Blutkörperchen auch durch ‚das Wasserstoff- superoxid, das ozenisirte Terpentinöl und das Erzeugniss der langsamen Verbrennung des Aethers verändert, welchen Flüssigkeiten sie sehr rasch den in ihnen enthaltenen ac- tiven Sauerstoff entziehen, in Folge dessen sie ihr Contacts- vermögen einbüssen. Aus diesen Angaben erhellt, dass die Blutkörperchen nicht nur fähig sind, den übertragbaren Sauerstoff mancher Substanzen zu bestimmen, die Oxidation gewisser unorganischen und organischen Materien zu be- werkstelligen, sondern diesen Sauerstoff auch selbst aufzu- nehmen und dadurch eine wesentliche Veränderung ihres ursprünglichen chemischen Bestandes zu erleiden, ‚ein Ver- halten, das der Vermuthung Raum gibt, dass die Blutkör- perchen bei der Respiration eine wichtige a à 97 BIP LOSRSENE Rolle spielen. i Eine Untersuchung über die Einwirkung des freien 020- nisirten Sauerstoffes auf das Blut, mit welcher Herr Dr. Hiss auf meine Aufforderung bin seit einiger Zeit sich emsigst 475 beschäftiget, hat bereits zu Ergebnissen geführt, welche für die physiologische Chemie von Interesse sind. Für jetzt genüge die Angabe, dass Herr Hiss eine nicht ganz unbe- deutende Menge Blutes durch längere Behandlung mit 0z0- nisirtem Sauerstoff beinahe vollständig verbrannt hat, so dass sich darin kein Fibrin, Eiweiss, Blutkörperchen u. s. w. finden und dasselbe wasserhell ist. Ueber die Berührungswirkungen des Platins. Die Untersuchungen Davy's und Dôbereiner’s haben uns in diesem Metall einen Körper kennen gelehrt, welcher seiner eigenthümlichen Beziehungen zum Sauerstoffe halber ein hohes theoretisches Interesse besitzt. Dass das Platin, den gewöhnlichen Sauerstoff schon bei niedern Temperaturen zur Oxidation des Wasserstoffes, zur raschen Umwandelung des Wein- und Holzgeistes in Essig- und Ameisensäure, des SO, in SO; u. s. w. bestimmt, sind eben so bekannte als augenfällige Beweise von dem grossen Einflusse, wel- chen dieses Metall auf die chemische Wirksamkeit jenes Stoffes ausübt. In dem Voranstehenden ist erwähnt, dass das Platin die chemische Thätigkeit auch des an gewisse Materien gebundenen Sauerstoffes zu steigern vermag, und im Nachfolgenden sollen einige neuen durch dieses Metall hervorgebrachten Berührungswirkungen mitgetheilt werden. Obigen Angaben gemäss vermag HO, für sich allein die Guajaktinetur nicht zu bläuen, diess aber wohl unter dem Einflusse des Platinmohres zu thun, welche Färbung dem 0 von H0+0 beizumessen ist, welches 0 durch das Metall bestimmt wird, als solches mit dem gelösten Guajak sich zu vergesellschaften. Ueberlässt man, getrennt vom Platin- mohr, die so gebläuete Harzlösung sich selbsten, so ent- 0 färbt sie sich langsam, weil das in ihr enthaltene O all- mählig wirklich oxidirend auf die Grundbestandtheile des Guajakes einwirkt; wird aber die noch blaue Tinctur mit 476 einer hinreichenden Menge Platinmohres zusammen geschüt- telt, so entfärbt sie sich beinahe augenblicklich, und es ist nicht nöthig zu bemerken, dass, wie auch eine Guajaktinc- tur gebläuet worden sein mag, dieselbe mittelst Platinmoh- res gerade so ‚rasch sich entfärben lässt, als ‘diejenige, welche man. durch HO; unter dem Einflusse des erwähnten Metalles, der Blutkörperchen u. s. w. gebläuet hat. Wie nach meinen ‚Erfahrungen der freie ozonisirte Sauerstoff das Platin nicht oxidiren kann, so vermag diess « 0 auch nicht das in der blauen Harzlösung enthaltene O zu thun, und wenn der Platinmohr dennoch die gebläuete Tinc- tur beinahe augenblicklich entfärbt, so geschieht diess dess- halb, weil unter dem Einflusse des Platins das 0 derselben bestimmt wird, rasch auf die Bestandtheile des Harzes oxi- dirend einzuwirken. Man kann daher sagen, dass das Pla- | tin wie Sonnenlicht wirkt, unter dessen Einfluss die blaue Harzlösung ungleich schneller sich entfärbt, als sie diess unter sonst gleichen Umständen in der Dunkelheit thut, und der Unterschied zwischen Licht und Platin besteht nur da- vin, dass die Wirksamkeit des Metalles diejenige des Lich- tes um Vieles übertrifft. Dass; das Platin die Entfärbung der Tinctur in der angegebenen Weise bewirkt, geht daraus hervor, dass die durch HO, und Platinmohr wiederholt ge- bläuete und entfärbte Harzlösung die Fähigkeit. verliert, durch irgend ein Ö-haltiges Mittel sich weiter bläuen zu lassen, was oflenbar ‚beweist, dass unter den erwähnten Umständen eine Veränderung des chemischen Bestandes des Harzes bewerkstelliget wird, die, wie man leicht begreift, im vorliegenden Falle nur durch das zweite Sauerstoffequi- Yalen von HO: herbeigeführt worden kann. Aus der 'ihatsache, dass Sn Platinmohr die HO;-hal- tige Guajaktinctur erst tief bläut und dann wieder entfärbt, 477 erbellt mit Gewissheit, dass die eigentliche Oxidation des Guajakes durch das zweite Sauerstoffequivalent von HO: nicht plötzlich bewerkstelliget wird, sondern so zu sagen ruckweise erfolgt oder Stadien durchläuft: erst vergesell- schaftet sich das Harz mit dem 0 des besagten Superoxi- des, um die blaue Verbindung zu bilden, in welcher sich der Sauerstoff noch im übertragbaren Zustande befindet, und dann erfolgt unter dem fortdauernden Berührungsein- flusse des Metalles der eigentliche Oxidationsact des Har- . 0 zes durch das mit ihm vergesellschaftete O0. Schon vor Jahren ist von mir ermittelt worden, dass die! Guajaktinctur über frischen mit atmosphärischer Luft in: Berührung. stehenden. Platinschwamm gegossen, sofort sich bläue. Natürlich. zeigt der Platinmohr diese Wirksam- keit in einem noch viel hôhern Grade, wesshalb sich mit demselben auch folgende lehrreiche Versuche anstellen las- sen. Füllt man mit frisch bereiteter (harzarmer) Guajak- tinetur ein Fläschchen völlig an, führt in diese Flüssigkeit vollkommen sauerstofffreien (unter Wasser gehaltenen) Pla- tinmohr ein und schüttelt unter sorgfältiger Ausschliessung der Luft das Ganze zusammen, so wird natürlich unter die- sen Umständen die Harzlösung durchaus unverändert blei- ben. : Lässt man aber in die so beumständete Guajaktinetur einige Blasen reinen gewöhnlichen Sauerstoffgases oder at- mosphärischer Luft eintreten und schüttelt man den Inhalt des Fläschchens nur einige Augenblicke, so erscheint die Harzlôsung tief gebläuet. Wird nun das noch im Gefäss vorhandene Sauerstoffgas durch Auffüllen mit gewöhnlicher Guajaktinetur wieder entfernt, das Gefäss luftdicht ver- schlossen und dann einige Augenblicke lebhaft geschüttelt, so ist die Harzlösung wieder entfärbt, um bei wiederhol- tem Einführen von Sauerstoffgas unter dem Berührungsein- flusse des Platins sich abermals zu bläuen. Schüttelt man 473 längere Zeit hindurch mit Sauerstoffgas oder Luft eine ge- gebene Menge frischer Guajaktinctur zusammen, so wird diese gerade so verändert, als hätte man sie mit freiem 0 0, HO; u. s. w. behandelt, d. h. verliert sie die Fähigkeit, durch irgend eine O-haltige Materie oder auch durch ge- wöhnlichen unter dem Berührungseinflusse des Platins ste- henden Sauerstoff sich zu bläuen. Aus den erwähnten Thatsachen erhellt, dass das Platin erst den mit ihm in Berührung gesetzten gewöhnlichen Sauerstoff ozonisirt und dadurch befähiget, mit dem Guajak sich zu vergesellschaften, ohne dieses eigentlich zu oxidi- ren, dann aber den so veränderten Sauerstoff zur raschen Oxidation des Harzes bestimmt, so also, dass auch in die- sem Falle der eigentlichen Oxidation des Guajakes mehrere chemische Acte vorangehen: Ozonisation des gewöhnlichen 0 Sauerstoffes durch den Platinmohr, Vereinigung dieses O mit dem Guajak und schliesslich die wirkliche Oxidation des Harzes. Diese verschiedenen Acte erfolgen unter ge- gebenen Umständen (bei Anwendung verhältnissmässig gros- ser Mengen Platinmohres und Sauerstoffes und kleiner Quan- titäten einer harzarmen Tinctur) so schnell auf einander, dass es scheint, als ob die eigentliche Oxidation des Gua- jakes augenblicklich stattfinde, und wir können nur durch die Anwendung des Kunstgriffes, den Sauerstoff mit wenig Platinmohr und verhältnissmässig viel Guajaktinctur in Be- rührung zu setzen, augenfällig machen, dass die besagte Oxidation ein wirklicher Processus ist, d. h. mehrere Sta- dien durchläuft. Ausser den eben erwähnten Fällen gibt es noch andere bekannte Thatsachen, welche . zeigen, dass die scheinbar durch gewöhnlichen Sauerstoff unmittelbar bewerkstelligte Oxidation mancher Substanzen stadienweise erfolgt. Der \ 479 gewöhnliche Sauerstoff wird unter dem Berührungseinfluss des Phosphors erst ozonisirt, bevor er diesen Körper wirk- lich oxidirt, das Terpentinöl verwandelt erst O in Ö und tritt mit letzterem als solchem zusammen, ehe es eine Oxi- dation erleidet, und ich zweifle nicht daran, dass weitere Untersuchungen uns noch mit einer grossen Zahl ganz ähn- licher Oxidationsfälle bekannt machen werden. Es ist unlängst von mir die Thatsache ermittelt wor- den, dass die wässrige phosphorichte Säure mit ozonisir- tem Sauerstoff sich vergesellschaften lässt, ohne von ihm sofort zu PO; oxidirt zu werden, und eine solche Säure bei der langsamen Verbrennung des Phosphors entstehe. (Siehe Poggendorffs Annalen.) Dieser Sauerstoff wirkt al- lerdings oxidirend auf die phosphorichte Säure ein, lang- sam in der Kälte und Dunkelheit, rascher unter dem Ein- flusse des Lichtes und der Wärme. Platin bringt die gleiche Wirkung augenblicklich hervor, wie daraus erhellt, dass ozonhaltige phosphorichte Säure, welche Jodkaliumkleister sofort auf das Tiefste. bläut, dieses Vermögen nicht mehr zeigt, nachdem sie nur einige Augenblicke mit Platinmohr geschüttelt worden. Das Platin bestimmt das in der wäss- 0 rigen phosphorichten Säure enthaltene O, diese Verbindung zu Phosphorsäure zu oxidiren, gerade so wie das gleiche Metall das in der blauen Guajaktinctur vorhandene 0 zur raschen Oxidation des Harzes antreibt. Ozonisirter Aether, welcher trockenes jodkaliumhaltiges Stärkepapier ziemlich bald auf das Tiefste bräunt oder das feuchte bläut, verliert diese Eigenschaft beim Schütteln mit Platinmohr: augen- blicklich, und durch eine gleiche Behandlung büsst auch das Erzeugniss der langsamen Verbrennung des Aethers sein oxidirendes Vermögen ebenfalls beinahe augenblicklich ein. Aus den angeführten Thatsachen erhellt somit, dass 480 dem Piatinmohr das Vermügen zukommt, das in HO3, PO;, dem Aether und dem Erzeugniss der langsamen Netherver- brennung enthaltene O rasch auf die mit ihm vergesell- schafteten oxidirbaren Materien zu werfen und in TEA wirklich Oxidationen 'zu verursachen. 9 | Ar Ueber einige Berührungswirkungen der schwef- lichten Säure. Ich habe zu seiner Zeit. gezeigt, dass SO; den gewöhnlichen Sauerstoff bestimme, unter dem Ein- flusse des Sonnenlichtes das in Schwefelsäure gelöste In- digoblau ziemlich" rasch zu Isatin zu oxidiren, "wie auch die Bleichwirkung der Kisenoxidsalze auf die Indigotinetur zu beschleunigen. An diese Thatsachen reihen sich folgende an. Bekanntlich zerstören die ‘ozonisirtén Camphenöle die Indigolösung, aber nicht augenblicklich, wie daraus erhellt, dass ozonisirtes Terpentinöl, welches das Zweihündertfäche seines Gewichtes von meiner Normalindigolösung zu zer- stören vermag, einige Zeit mit dieser Menge geschüttelt werden muss, bevor völlige Entbläuung eintritt. Setzt man aber zu einem Gemenge des Oeles mit Indigotinctur etwas wässriges SO,, so erfolgt die Zerstörung‘ der Tinetur au- genblicklich. Und eben 'dieses Verhalten bietet uns das bequemste Mittel dar, selbst verschwindend kleine Mengen activen Sauerstoffes in einem Camphenöle nachzuweisen. Zu diesem Behufe schüttle man einige Tropfen des zu prü- fenden Oeles mit etwas Wasser zusammen, ‘das man mit- telst Indigolösung nicht stark, aber doch noch merklich gebläut hat, und füge nun unter Schütteln einige Tropfen wässriges SO, zu. Entfärbt sich das Tr sofort, so dry das Oel ozonisirt. Wie oben erwähnt worden, enthält die frisch béréitete sogenannte phosphorichte Säure noch nachweisbare Mengen . ozonisirten Sauérstoffes, wesshalb dieselbe nicht nur ‘den Jodkaliumkleister bläut, sondern auch gelôstes Iudigoblau 481 zerstört, was Jedoch langsam geschieht. Fügt man aber zu einer solchen mittelst Indigolösung nur schwach gebläueten Säure einige Tropfen wässriges SO, zu, so findet augen- blickliche Entfärbung statt. Gemäss den obigen Angaben wird die Indigolösung auch durch das Erzeugniss der lang- samen Verbrennung des Aethers allmählig zerstört, unter dem Einflusse von SO, aber augenblicklich. Natürlich wird durch die erwähnten Mittel die Indigolösung nicht zerstört, falls man erst die schweflichte Säure mit dem ozonisirten Terpentinöl u. s. w. vermischt und dann die Tinctur bei- fügt, weil in diesem Faile SO, sich des activen Sauerstof- fes bemächtiget, um sich zu SO; zu oxidiren. Eine stark verdünnte Lösung von Chromsäure oder Kalibichromat be- wirkt in der Kälte die Zerstörung der Indigolösung höchst langsam, während ein solches Gemisch beim Zufügen von SO, sofort entfärbt wird. Kalichloratlösung ist bekanntlich in der Kälte ohne alle Wirkung auf die verdünnte Indigo- lösung, selbst dann, wenn die erwähnte Salzlösung etwas freie Schwefelsäure enthält, fügt man aber zu chlorathalti- tigem und durch Indigotinctur stark gebläuetem Wasser einige Tropfen SO;, so verschwindet die Färbung des Ge- misches augenblicklich und ist der Farbstoff zerstört. Einige andere augenfälligen Beweise von dem Einflusse, den SO; auf die Thätigkeit chemisch gebundenen Sauerstof- fes ausübt, sind folgende Thatsachen. Sehr stark verdünnte Chromsäure färbt die Guajaktinctur entweder gar nicht mehr ‘oder doch nur höchst langsam blau, unter dem Einflusse von SO, jedoch augenblicklich. Eben so verhält sich das gelöste Kalibichromat. Um sich hievon zu überzeugen, ver- mische man einige Tropfen besagter Lösungen mit frischer Guajaktinetur und nähere die geöffnete Mündung einer SO;-haltigen Flasche auf einige Augenblicke dem Gefäss, worin sich jenes Gemisch befindet. Indem letzteres bewegt wird, tritt in dasselbe schon genug gasförmige SO», um die 31 482 Flüssigkeit auf das Tiefste zu bläuen, welche Färbung je- doch in Folge einer weitern Einwirkung von 50, rasch ver- schwindet. Unter den erwähnten Umständen lässt sich die Guajaktinetur auch mittelst des frisch bereiteten Erzeug- nisses der langsamen Verbrennung des Aethers oder ver- dünnter Kalichloratlösung bläuen. Aus den voranstehenden Thatsachen ergibt sich, dass SO; das Vermögen besitzt, schon bei gewöhnlicher Tempe- ratur zur raschen oxidirenden Thätigkeit eine Reihe sauer- stoffhaltiger Materien anzuregen, welche unter sonst glei- chen Umständen für sich allein entweder gar keine oder nur langsame Oxidationswirkungen hervorbrächten, und dass es mehr als einen Fall gibt, wo SO, gerade so wirkt, wie das Platin, die Blutkörperchen u. s. w. Ueber eine eigenthümliche Bildungsweise der sal- petrichten Säure. Von C. F. ScHŒNBEIN. (Den 26. Nov. 1856.) Bei gewöhnlicher Temperatur verhält sich bekanntlich der Sauerstoff, so wie er in der atmosphärischen Luft ent- halten ist oder in den Laboratorien dargestellt wird, völlig gleichgültig gegen das gasförmige, wie gegen das wässerige Ammoniak, während nach meinen frühern Versuchen der ozonisirte Sauerstoff die beiden Bestandtheile des Ammo- niakes: den Wasserstoff zu Wasser, den Stickstoff zu Sal- petersäure oxidirt, woher es kommt, dass 0 mit NH; sal- petersaures Ammoniak, erzeugt. Die Thatsache, dass der unter dem Berührungseinflusse des Platins stehende Sauerstoff schon bei gewöhnlicher Tem- PET Dan a , ! 483 peratur eine Reihe von Oxidationswirkungen hervorbringt, welche er für sich allein unter sonst gleichen Umständen nicht zu verursachen im Stande ist, liess mich vermuthen, dass unter Mitwirkung dieses Metalles auch der gewöhnliche Sauerstoff schon in der Kälte die Elemente des Ammonia- kes oxidiren könnte, und nachstehende Angaben werden zeigen, dass dem so ist. Bringt man mit wässrigem Ammoniak benetzten Pla- tinmohr in Sauerstoffgas oder atmosphärische Luft und zieht man, nachdem diese Substanzen einige Zeit mit einander in Berührung gestanden, besagtes Metallpulver mittelst destil- lirten Wassers aus, so findet sich in dieser Flüssigkeit Am- moniaknitrit vor, wie schon daraus erhellt, dass dieselbe bei Zusatz verdünnter Schwefelsäure, Phosphorsäure u. s. w. den jodkaliumhaltigen Stärkekleister auf das Tiefste bläut. im Vorbeigehen will ich bemerken, dass es nach meinen Erfahrungen auf die Nitrite kein empfindlicheres Reagens gibt, als den verdünnten Stärkekleister mit einigem Jod- kalium versetzt, welches Salz jedoch aus leicht einsehba- rem Grunde durchaus frei von Jodat sein muss. Enthält die zu prüfende Flüssigkeit auch nur verschwindend kleine Mengen von Ammoniak-, Kali-, Natronnitrit u. s. w., SO wird dieselbe bei Zusatz verdünnter Schwefelsäure das jod- kaliumhaltige Kleisterwasser augenblicklich auf das Stärkste bläuen, welche Reaction die Nitrate nicht hervorbringen. Beifügen will ich noch, dass die schwach angesäuerte Lö- sung des Ammoniaknitrites u. s. w. auch die Guajaktinctur sofort bläuet, welche Wirkung die gleich beumständeten Nitratlösungen ebenfalls nicht verursachen. Dichtes Platin wirkt bei gewöhnlicher Temperatur nicht merklich auf Sauerstoff und Ammoniak ein, unter der Mit- hülfe der Wärme erhält man jedoch mittelst Platindrahtes augenblicklich merkliche Mengen Ammoniaknitrites, und zwar in folgender Weise. Führt man das eine zur Spirale | 31* 484 - aufgewundene und erhitzte Ende eines etwas dicken Platin- drahtes in eine gewöhnlichen Sauerstoff haltende Flasche ein, welche vorher mit starkem Salmiakgeist ausgespült worden, und hält man über die Spirale einen mit ange- säuertem jodkaliumhaltigen Kleister behafteten Papierstrei- fen, so wird sich letzterer augenblicklich tief bläuen in Folge des unter diesen Umständen sich bildenden Ammo- niaknitrites. In dem Gefässe selbst sieht man bald wäh- rend der Anwesenheit des erhitzten Platindrahtes dicke weissliche Nebel erscheinen, welche von salpetrichtsaurem Ammoniak herrühren; denn lässt man dieselben von destil- lirtem Wasser aufnehmen, so bläut dieses den angesäuerten Stärkekleister auf das Tiefste, selbst wenn man die erhitzte Spirale nur wenige Augenblicke in dem ammoniakhaltigen Sauerstoffgas hat verweilen lassen. Durch wiederholtes Einführen der erhitzten Spirale in ein etwas grösseres sauerstoffhaltiges Gefäss, dessen Boden mit starkem Salmiak- geist bedeckt ist, lässt sich bald so viel Nitrit erzeugen, dass man damit alle die übrigen diesem Salze zukommen- den Reactionen hervorbringen kann. Anstatt des reinen Sauerstoffgases lässt sich auch atmosphärische Luft an- wenden. | Was die Temperatur betrifft, bei welcher der Platin- draht die Nitritbildung einleitet, so liegt sie noch unter der Rothgluth, wie daraus erhellt, dass eine erhitzte Spirale, welche selbst in völliger Dunkelheit kein Glühen mehr zeigt, immer noch die Nitriterzeugung zu veranlassen im Stande ist. Ich will hier nicht unbemerkt lassen, dass auch Eisen- und Kupferdrähte die besagte Wirkung hervorbrin- gen, zu welchem Behufe sie jedoch bis zum stärksten Glü- hen erhitzt sein müssen. Merkwürdiger Weise vermag auch das Kupfer ähnlich dem Platinmohr den Sauerstoff zu bestimmen, schon bei ge- wöhnlicher Temperatur mit Ammoniak Nitrit zu erzeugen, 485 worüber nachstehende Angaben keinen Zweifel übrig las- sen. Befeuchtet man mit starker Ammoniaklösung in einer sauerstoff- oder lufthaltigen Flasche 50 Gramme fein zer- theilten Kupfers, so wie man dasselbe bei der Reduction des Kupferoxides mittelst Wasserstoffes erhält, so erwärmt sich bald das Metallpulver und sieht man in dem Gefäss weissliche Nebe! erscheinen, welche wieder nichts Anderes als Ammoniaknitrit sind, wie man sich hievon leicht durch folgende Mittel überzeugen kann. Führt man in das mit solchen Nebeln erfüllte Gefäss einen mit verdünnter Schwe- felsäure angesäuerten Jodkaliumkleister behafteten Papier- streifen ein, so färbt sich dieser rasch blau; hält man das gleiche Gefäss nur kurze Zeit bedeckt mit einer feuchten Glasplatte, so wird deren nach Innen gerichtete Seite da- rauf gegossenes angesäuertes jodkaliumhaltiges Kleister- wasser bläuen, oder hängt man mit Wasser benetzte Strei- fen von Filtrirpapier in dem Reactionsgefäss auf, auch nachdem die vorhin erwähnten Nebel verschwunden sind und das Kupferpulver abgekühlt ist, so beladen sie sich bald mit so viel Ammoniaknitrit, dass ihr wässriger Aus- zug den angesäuerten jodkaliumhaltigen Stärkekleister au- genblicklich auf das Tiefste bläut. Wird in einer mit Sauerstoffgas gefüllten Flasche fein zertheiltes Kupfer mit wässrigem Ammoniak übergossen und das Gefäss luftdicht verschlossen, so findet beim Schütteln eine Gasverschluckung statt, wie man daraus ersieht, dass beim Oeffnen der Flasche unter Wasser in dieselbe die Flüssigkeit einströmt und damit das Gefäss entweder nur theilweise oder gänzlich gefüllt wird, je nachdem dessen Inhalt kürzere oder längere Zeit geschüttelt worden und die Menge des angewendeten Kupferpulvers kleiner oder grösser gewesen. Wendet man anstatt reinen Sauerstoffes _ atmosphärische Luft an, so wird der Sauerstoff derselben natürlich ebenfalls verschluckt, und zwar so rasch, dass 486 ein mässig grosses Luftvolumen im Laufe weniger Minuten seines Sauerstofigehaltes voilständig beraubt werden kann. Bringt man z. B. in eine graduirte mit atmosphärischer Luft gefüllte Röhre von 42 Cubiczoll Inhalt fünf Gramme Kupfer- pulvers und so viel einer schwachen Ammoniaklösung, dass noch 35 []“ Luft in der Röhre vorhanden sind, so braucht man den Inhalt des luftdicht verschlossenen Gefässes nur wenige Minuten lang lebhaft zu schütteln, damit beim Oefl- nen der Röhre unter Wasser 7 [_]” dieser Flüssigkeit ein- treten. Bei Anwendung gehörig grosser Mengen Kupfer- pulvers und lebhaftem Schütteln habe ich selbst einem Cubicfuss Luft in wenigen Minuten allen Sauerstoff entzo- gen. Wie sich von selbst versteht, erlöschen brennende Körper augenblicklich im Rest der so behandelten Luft, der nichts Anderes als Stickgas ist. { Der so grossen Raschheit wegen, mit welcher unter den erwähnten Umständen der Sauerstoff vom Kupfer und Ammoniak aufgenommen wird, könnten diese Substanzen als Mittel zur Darstellung grösserer Mengen von Stickstoff aus atmosphärischer Luft, wie auch zu eudiometrischen Zwecken dienen. Was die lasurblaue Flüssigkeit betrifft, welche man unter diesen Umständen erhält, so ist sie keineswegs nur eine Kupferoxidammoniaklösung, sondern enthält auch noch salpetrichtsaures Ammoniak, wie die nachstehenden Anga- ben darthun werden. Wird besagter Flüssigkeit etwas Na- tronlösung zugefügt und lässt man das Gemisch einige, Zeit sieden, so scheidet sich schwarzes Kupferoxid aus und wird beim Filtriren eine etwas gelblich gefärbte Flüssig- keit erhalten, welche bei Zusatz von verdünnter Schwefel- säure den Jodkaliumkleister auf das Tiefste bläut. Bis zur Trockniss eingedampft, lässt sie einen gelblich-weissen noch alkalisch reagirenden Rückstand, welcher mit Kohle ver- mengt und erhitzt verpufft, mit Schwefelsäure übergossen Dämpfe von Untersalpetersäure und Stickoxidgas entwickelt, die mit Schwefelsäure angesäuerte Eisenvitriollösung braun färbt und die mit der gleichen Säure versetzte Indigolösung rasch zerstört. Natürlich bläut eine wässrige und mit ver- dünnter Schwefelsäure versetzte Auflösung des besagten Rückstandes den Jodkaliumstärkekleister, wie auch die Gua- jaktinetur. Diese Thatsachen berechtigen zu der Annahme, dass die beim Schütteln des Kupferpulvers mit wässrigem Ammoniak und Sauerstoff entstehende lasurblaue Flüssigkeit neben Kupferoxid auch noch salpetrichtsaures Ammoniak enthält, welches Salz bei Zusatz von Natron zersetzt wird unter Bildung von Natronnitrit. Der erwähnte gelbe Rück- stand besteht dem grössern Theile nach aus letzterem Salz, dem freies und kohlensaures Natron nebst einer Spur von Kupferoxid beigemengt ist. Schliesslich bemerke ich noch, dass Herr Hofrath Wöhler mir diesen Sommer eine Notiz mittheilte, welcher gemäss einer seiner Schüler mittelst Schwefelsäure aus der blauen Flüssigkeit, welche er beim Aussetzen von Kupferspänen und wässrigem Ammoniak an die Luft erhielt, rothbraune Dämpfe entwickelt, die Sache aber nicht weiter verfolgt habe. Ueber die Verbindbarkeit metallischer Superoxide mit Säuren. Von €, F. Scaœængenx. (Den 141. Febr. 1857.) Bei meinen Untersuchungen über die verschiedenen Zu- stände des chemisch gebundenen Sauerstoffes habe ich mich vielfach mit den metallischen: Superoxiden beschäftiget und eine Reihe von Thatsachen ermittelt, deren nähere Kennt- niss für die Chemiker nicht ohne Interesse ‚sein cürfte. 458 Essigsaures Bleisuperoxid. Schüttelt man in der Kälte conzentrirte Essigsäure mit einer hinreichenden Menge fein geschlemmter Mennige etwa 15 Minuten zusammen und filtrirt man dann das Gemeng ab, so wird, ohne dass sich Bleisuperoxid ausgeschieden, eine klare Flüssigkeit erhal- ten, welche gegen 9 % Mennige gelöst enthält. Aus dieser anfänglich süsslichsauer, hintennach eigenthümlich stechend schmeckenden Lösung tritt allmählig braunes Superoxid aus, und zwar um so früher und reichlicher, je stärker die Es- sigsäure mit Mennige beladen worden. Aber auch eine und eben dieselbe Lösung zerfällt langsamer oder rascher in sich ausscheidendes Superoxid und gelöst bleibendes Blei- acetat, je nach der obwaltenden Temperatur: in der Kälte ungleich langsamer als bei erhöheter Temperatur, in der Siedhitze sehr rasch, während bei etwa 18° unter Null die Verbindung beständig ist. Verdünnung mit Wasser wirkt wie Wärme. Lässt man unter lebhaftem Umrühren in eine frisch be- reitete Mennigelösung so lange verdünnte Schwefelsäure tröpfeln, bis eine abfiltrirte Probe weder mit dieser Säure noch mit Mennigelösung sich mehr trübt, und trennt man hierauf durch Filtration das entstandene Bleisulfat ab, so wird eine farblose Flüssigkeÿ erhalten, die nichts anderes als in Essigsäure gelöstes Bleisuperoxid ist, und aus wel- cher letzteres mit Kali, Ammoniak u. Ss. w. sich fällen lässt. Aber auch das reine gelöste essigsaure Bleisuperoxid zeigt keine Beständigkeit, indem sich aus demselben auch bei ge- wöhnlicher Temperatur Superoxid abtrennt; bis jedoch al- les PbO, unter diesen Umständen ausgeschieden ist, können Tage vergehen, während bei der Siedhitze die Zersetzung sehr rasch erfolgt und bei 18° unter Null gar nicht eintritt. Ich bemerke hier, dass wie die Wärme und das Wasser, auch die Anwesenheit von freier Schwefelsäure oder Sal- petersäure in unserer Lösung ein rasches Zerfallen des es- LE >’ 189 sigsauren Bleisuperoxides verursacht, wogegen die Gegen- wart von Phosphorsäure das Austreten des braunen Blei- oxides verhindert. (Siehe weiter unten.) Da das Bleisuperoxid in Essigsäure sich nicht auflöst, von dieser Säure aber die Mennige ziemlich reichlich auf- genommen wird, so könnte es scheinen, als ob das rothe Bleioxid als solches mit der Essigsäure eine lösliche Ver- bindung einginge. Folgende Gründe sprechen jedoch gegen eine solche Annahıne und machen es gewiss, dass die Men- nigelösung ein Gemeng von essigsaurem Bleioxid und es- rigsaurem Bleisuperoxid ist. Wäre in besagter Lösung die Mennige noch als solche vorhanden, so müsste aus jener durch Kali u. s. w. auch wieder Mennige gefällt werden können. Nun wird allerdings aus der Mennigelösung durch Kali u. s. w. eine gelbrothe Materie niedergeschlagen, wel- che sich jedoch durchaus wie ein Gemeng von Bleioxid und Superoxid verhält. Die Mennige für sich allein bläut näm- lieh weder die Guajaktinctur noch den jodkaliumhaltigen Stärkekleister, während diess das freie Bleisuperoxid oder auch ein inniges Gemeng desselben mit Oxid wohl thut. Der in erwähnter Weise aus der Mennigelösung erhaltene Niederschlag bläut aber die Guajaktinctur und den Jodka- liumkleister, woraus erhellt, dass in der geibrothen Materie Oxid und Superoxid nicht wie in der Mennige chemisch verbunden, sondern nur gemengt sind. Zu erwähnen ist hier auch noch, dass besagtes Oxidgemeng in kalter con- zentrirter Essigsäure vollständig löslich ist und damit eine Flüssigkeit liefert, wieder völlig gleich der Mennigelösung. Die Thatsache, dass mittelst Schwefelsäure die Mennigelö- sung von ihrem Oxidgehalt gänzlich sich befreien lässt, so dass die rückständige Flüssigkeit nur noch essigsaures Blei- superoxid enthält, zeigt deutlich, dass die Löslichkeit des letztern in Essigsäure nicht durch das mit ihm vergesell- schaftete Bleioxid bedingt wird. Hiezu kommt noch die 490 \ weitere Thatsache, dass aus der Mennigelösung das Blei- superoxid wie aus der reinen essigsauren Superoxidlösung freiwillig sich abtrennt. Aus den angeführten Thatsachen darf man daher wohl schliessen, dass beim Auflösen der Mennige in Essigsäure die in ersterer Substanz chemisch mit einander verbundenen Oxide sich trennen und in der entstandenen Lösung essig- saures Bleioxid und essigsaures Bleisuperoxid neben einan- der vorhanden sind. Warum sich das gewöhnliche Bleisuperoxid in Essig- säure nicht auflöst, während das mit Bleioxid in der Men- nige verbundene gleiche Superoxid diess thut und warum das einmal mit Essigsäure vergesellschaftete Superoxid all- mählig von ihr wieder sich abtrennt, sind Fragen, welche ich nicht beantworten kann. Nur das geht aus den vor- liegenden Thatsachen hervor, dass das Bleisuperoxid in zwei Zuständen existiren kann: in einem Zustande, in welchem es mit Essigsäure verbindbar ist, und in einem andern, in welchem es eine solche Verbindung nicht eingehen. kann. Ein ähnliches verschiedenartiges Verhalten zeigen auch noch andere Oxide, wie z. B. Zinnoxid, welches je nach seiner Darstellungsweise in Salpetersäure entweder löslich oder das Gegentheil ist. | Bei weitem das Interessanteste an der Mennigelüsung und dem essigsauren Bleisuperoxid ist jedoch das oxidi- rende Vermögen dieser Flüssigkeiten, welches demjenigen des freien ozonisirten Sauerstoffes gleich kommt, wie aus nachstehenden Angaben erhellen wird. Die Indigotinctur wird von beiden Flüssigkeiten schon in der Kälte eben so rasch wie durch ozonisirten Sauer- stoff, Chlor oder ein unterchlorichtsaures Salz zerstört, wie auch durch dieselben die Guajaktinetur auf das Tiefste ge- bläut wird. Die oxidirbarern Metalle entziehen ebenfalls schon in der Kälte den besagten Lösungen den activen w 191 Sauerstoff ziemlich rasch und berauben die leiztern dess- halb auch ihres Vermögens, die Indigolösung zu zerstören oder die Guajaktinctur zu bläuen. Schüttelt man z. B. fein zertheiltes Zink, Eisen, Blei, Kupfer u. s. w. nur kurze Zeit mit Mennigelösung oder reinem essigsauren Bleisuperoxid, so entstehen die Acetate dieser Metalle unter Verlust der Bleichkraft besagter Lösungen. Auch Quecksilber wirkt auf die letztere noch ziemlich rasch desoxidirend ein unter Bildung von essigsaurem Quecksilberoxidul; ja selbst fein zertheiltes Silber thut diess noch, obgleich etwas langsa- mer als das letztgenannte Metall. Schweflichte Säure fällt aus beiden Lösungen sofort Bleisulfat, woraus erhellt, dass SO, augenblicklich zu Schwe- felsäure sich oxidirt. Arsenigte Säure zerstört sofort das oxidirende Vermögen unserer Lösungen unter Bildung von Arsensäure. Schwefelblei wird durch beide Flüssigkeiten zu Bleisulfat oxidirt, was sich am bequemsten dadurch zei- gen lässt, dass man in dieselben einen von Schwefelblei gebräunten Papierstreifen eintaucht, unter welchen Umstän- den das gefärbte Papier beinahe augenblicklich gebleicht wird. Beide Lösungen zersetzen das Jodkalium unter Bil- dung von Jodblei und Ausscheidung freien Jodes, welchem letztern Umstande es beizumessen ist, dass unsere Flüssig- keiten den Jodkaliumkleister augenblicklich auf das Tiefste bläuen. Fügt man zu dem so gebläueten Kleister eine hinrei- chende Menge von essigsaurer Mennige oder essigsaurem Bleisuperoxid, so verschwindet die Färbung, um bei Zusatz von einiger schweflichten Säure wieder zum Vorschein zu kommen,, woraus zu erhellen scheint, dass die erwähnten Lösungen das anfänglich von ihnen ausgeschiedene Jod selbst in der Kälte zu Jodsäure zu oxidiren vermögen. Voranstehende Angaben genügen zu zeigen, dass das in Essigsäure gelöste Bleisuperoxid schon bei gewöhnlicher #92 Temperatur gegen viele unorganische oxidirbare Materien als ein kräftig oxidirendes Agens sich verhält und dem freien ozonisirten Sauerstoff durchaus analog wirkt; es gibt aber auch organische Substanzen, welche dem in Essigsäure gelösten Bleisuperoxid schon bei gewöhnlicher Temperatur sein 0 rasch entziehen, in welcher Beziehung das Terpen- tinöl und das in Wasser gelöste Eiweiss als besonders aus- gezeichnet hervorzuheben sind. Vermischt man in gehöri- ger Menge die genannten Substanzen mit Bleisuperoxidlösung, 'so verliert diese sofort ihre Fähigkeit, Jodkaliumkleister und Guajaktinctur zu bläuen, oder irgend eine der oben er- wähnten Oxidationswirkungen hervorzubringen, was zeigt, dass der im Superoxid enthaltene active Sauerstoff sich auf das Terpentinöl oder Eiweiss wirft, in diesen Materien un- streitig mancherlei Oxidationswirkungen hervorbringend, welche ich jedoch noch nicht näher untersucht habe. Essigsaures Mangansuperoxid. So wenig als das Bleisuperoxid löst sich auch das Mangansuperoxid in Essig- säure auf, unter gegebenen Umständen können jedoch die beiden letztgenannten Substanzen ebenfalls eine chemische Verbindung mit einander eingehen. Fügt man zu einer frisch bereiteten Mennigelösung so viel gelöstes Mangan- oxidulsulfat, dass kein Niederschlag von schwefelsaurem Blei mehr erfolgt, und trennt man letzteres durch Filtriren vom Uebrigen ab, so wird eine tief rothbraune Flüssigkeit erhalten, welche neben essigsaurem Manganoxidul essig- saures Mangansuperoxid enthält, welchem letztern die Flüs- sigkeit ihre tiefe Färbung verdankt. Setzt man zu der reinen essigsauren Bleisuperoxidlösung gelöstes schwefelsaures Manganoxidul, so bildet sich Bleisulfat und essigsaures Man- gansuperoxid, woraus erhellt, dass das zweite Sauerstoff- equivalent des gelösten Bleisuperoxides unter den erwähnten Umständen auf das Oxidul des Mangansulfates übergetragen LA 193 wird, um Mangansuperoxid zu bilden, welches sich mit Es- sigsäure verbindet, während das entstandene Bleioxid mit der Schwefelsäure unseres Sulfates zusammen tritt. Die so erhaltene Lösung von essigsaurem Mangansuper- oxid ist bei gewöhnlicher Temperatur ungleich beständiger, als das essigsaure Bleisuperoxid, bis zu ihrem Siedpunkt erhitzt, trübt sie sich jedoch ebenfalls in Folge des sich ausscheidenden Mangansuperoxides. In der Kälte lässt sie letzteres langsam fallen, so dass Wochen vergehen, bis al- les Superoxid ausgeschieden ist. Es bedarf kaum der Er- wähnung, dass sowohl das in der Siedhitze, als das bei gewöhnlicher Temperatur ausgeschiedene Mangansuperoxid in Essigsäure nicht mehr löslich ist. Wie die essigsaure Bleisuperoxidlösung bewirkt auch diejenige des Mangansuperoxides schon in der Kälte die Zerstörung der Indigotinctur, ebenso die augenblickliche Bläuung des Jodkaliumkleisters und der Guajaktinetur. Die oxidirbarern Metalle, das Quecksilber und das Silber noch eingeschlossen, im fein zertheilten Zustande mit der essig- sauren Mangansuperoxidlösung geschüttelt, entfärben letz- tere, indem sie dem gelösten Superoxide seinen activen Sauerstoff entziehen und in Acetate verwandelt werden. Durch schweflichte Säure wird die Färbung unserer Lösung augenblicklich zerstört unter Bildung von Mangansulfat. Wenn auch gemäss den gemachten Angaben das oxi- dirende Vermögen des in Essigsäure gelösten Mangansuper- oxides demjenigen des essigsauren Bleisuperoxides ähnlich ist, so lässt sich doch sagen, dass das letztere rascher und energischer als das erste oxidirt. Phosphorsaures Bleisuperoxid. Aehnlich der Es- sigsäure verhält sich die Phosphorsäure gegen das gewöhn- liche freie und das in der Mennige an basisches Oxid ge- bundene Bleisuperoxid; ersteres löst sie nicht, letzteres aber ziemlich reichlich auf. Schüttelt man in der Kälte mässig 49% conzentrirte Phosphorsäure nur kurze Zeit mit Mennige zusammen und filtrirt dann ab, so wird eine farblose Flüs- sigkeit erhalten, welche die Indigolösung zerstört, den Jodkaliumkleister augenblicklich auf das Tiefste bläut, wie überhaupt die oxidirenden Wirkungen des essigsauren Blei- und Mangansuperoxides hervorbringt. Ausser dem Blei- superoxid enthält jedoch die besagte Lösung auch noch Bleioxid, welches mittelst Schwefelsäure sich ausfällen lässt. Noch rascher nimmt die Phosphorsäure das Superoxid aus der Mennige auf, wenn jene mit etwas Schwefelsäure ver- setzt ist, weil letztere mit dem basischen Oxid zu Sulfat sich verbindet. Wendet man beide Säuren im rechten Ver- hältniss an, so wird eine Lösung erhalten, die nur Blei- superoxid und kein Oxid enthält. Auch die mit Salpeter- säure oder Essigsäure versetzte Phosphorsäure nimmt das Superoxid der Mennige rascher auf, als diess die reine Säure thut. So weit meine Erfahrungen bis jetzt gehen, ist die phosphorsaure Bleisuperoxidlösung bei gewöhnlicher Tem- peratur von noch grösserer Beständigkeit, als das essigsaure Mangansuperoxid. In der Siedhitze wird jedoch das Super- oxid unter Sauerstoffverlust in basisches Oxid verwandelt, welches in der Phosphorsäure gelöst bleibt, woher es kommt, dass die Superoxidlösung, nachdem sie nur kurze Zeit im Sieden erhalten worden, ihre Fähigkeit Indigotinctur zu zerstören, Jodkaliumkleister zu bläuen u. s. w. verloren hat. Selbst in der Kälte verliert, obwohl sehr langsam, die phosphorsaure Bleisuperoxidlösung ihre oxidirenden Eigen- schaften, ohne dass sich Superoxid ausschiede, woraus er- hellt, dass PbO, allmählig in PbO übergeführt wird. Weiter oben ist bemerkt worden, dass die Anwesenheit von Phosphorsäure in der essigsauren Bleisuperoxidlösung das Austreten von PbO, verhindere. Diese Thatsache wird aus der erwähnten grössern Beständigkeit des phosphor- #95 sauren Bleisuperoxides begreiflich, welches entsteht, wenn PO, zu der Lösung des essigsauren Bleisuperoxides gefügt wird. Arsensaures Bleisuperoxid. Auch diese Säure vermag einiges PbO, aus der ennige aufzunehmen; denn schüttelt man eine Lösung der erstern mit dem rothen Oxide zusammen, so bläut die filtrirte farblose Flüssigkeit den Jodkaliumkleister und die (iuajaklösung, wie sie auch die Indigotinetur zerstört. Es sind jedoch diese Reactionen weniger stark, als die durch die oben erwähnten Lösungen von PbO, hervorgebrachten, und werden nach kurzem Ste- hen der Flüssigkeit nicht mehr erhalten, weil das Bleisuper- oxid sich bald in basisches Oxid verwandelt. Weinsaures Bleisuperoxid. Eine Lösung von Wein- säure mit Mennige geschüttelt und hierauf filtrirt, enthält merkliche Mengen von PbO;, wie daraus erhellt, dass sie ebenfalls Jodkaliumkleister stark bläut u. s. w.; nach kur- zer Zeit hat sie jedoch dieses Vermögen eingebüsst, weil das zweite Sauerstoffequivalent von PbO, oxidirend auf die Weinsäure einwirkt, in Folge dessen sich weinsaures Blei- oxid ausscheidet. Salpetersaures Silbersuperoxid. Bis jetzt lässt sich das reine AgO: nur mittelst 0 und Ag darstellen, denn das auf electrolytischem Wege gewonnene enthält bekannt- lich immer noch etwas Salpeter- oder Schwefelsäure. Nach meinen Erfahrungen löst sich, wie letzteres, auch das reine Superoxid als solches in Salpetersäure auf, derselben schon in sehr kleiner Menge eine tiefbraune Färbung verleihend. Verdünnt man eine mit Superoxid reich beladene Salpeter- säure stark mit Wasser, so scheidet sich daraus ein gros- ser Theil von AgO, als schwarzes Pulver wieder aus. In der Kälte hält sich das gelöste Silbersuperoxid lange un- zersetzt, wie man am Dunkelbleiben desselben bemerkt; bei 496 erhöheter Temperatur setzt es sich rasch in Silbernitrat und frei werdenden Sauerstoff um. Aus den voranstehenden Angaben erhellt, dass die Superoxide des Bleies, Manganes und Silbers fähig sind, als solche selbst mit kräftigen Säuren sich zu vergesellschaf- ten, und in diesem Verbindungszustande ein grosses oxidi- rendes Vermögen besitzen. Es ist desshalb zu vermuthen, dass es auch noch andere Superoxide und Säuren gebe, welche unter geeigneten Umständen sich wie die Essigsäure mit Bleisuperoxid mit einander verbinden lassen. Ob solche Verbindungen nach stöchiometrischen Verhältnissen gebil- det sind und im festen Zustande existiren können, müssen künftige Untersuchungen zeigen. Ueber Mennigebildung auf nassem Wege. Von C. F. ScH@nBein. (Den 29. April 1857.) Die unlängst von mir ermittelte Thatsache, dass unter dem Berührungseinflusse des Platins und des Kupfers der gewöhnliche Sauerstoff bestimmt wird, schon in der Kälte die Elemente des Ammoniakes zu oxidiren und das Nitrit dieser Basis zu bilden, veranlasste mich zu untersuchen, ob auch das Blei einen gleichen Einfluss ausübe, und ich will bemerken, dass das von mir angewendete Metall mittelst Zinkstäbchen aus Bleizuckerlösung abgeschieden und durch Waschen mit Wasser sorgfältigst yon den anhaftenden Sal- zen befreit wurde. Solches Blei in einen lufthaltigen Kolben tabl und mit wässrigem Ammoniak übergossen, wurde durch Schüt- teln an den Wandungen des Gefässes so vertheilt, dass das Metall hier anhaftend nicht vom Salmiakgeist bedeckt und 497 der unmittelbaren Einwirkung des mit Ammoniakgas ge- schwängerten atmosphärischen Sauerstoffes ausgesetzt war. Unter diesen Umständen sieht man schon nach wenigen Stunden das Bleipulver angegriffen und da und dort eine röthlich-gelbe Materie gebildet, deren Menge im Laufe ei- niger Tage (falls man während dieser Zeit dem Blei durch Schütteln zuweilen eine neue Oberfläche gibt und die Luft des Gefässes erneuert) schon so viel beträgt, dass die che- mische Natur derselben ermittelt werden kann. Es ist be- merkenswerth, dass in verschiedenen Gefässen unter schein- bar gleichen Umständen ein verschieden stark gefärbtes Oxidationsproduct erhalten wird, von nahezu weiss bis zu ziemlich starker roth-gelber Färbung. Wie es scheint, wird diese Verschiedenheit hauptsächlich bedingt durch den Grad der Vertheilung des angewendeten Bleies: je feiner zer- theilt das Metall, je weniger gefärbt das Oxidationsproduct, und es scheint, dass ein mittlerer Grad von Zertheilung der Bildung der roth-gelben Substanz am günstigsten sei. Hat sich eine merkliche Menge Metalles oxidirt, so schlemmt man die roth-gelbe Materie von dem noch vorhandenen metallischen Blei ab und behandelt dieselbe mit verdünnter von NO; völlig freier Salpetersäure, wobei sich einige Koh- lensäure entbindet unter Ausscheidung von Bleisuperoxid und Bildung von Bleinitrat. Hieraus erhellt, dass die ge- färbte Materie Mennige und kohlensaures Bleioxid enthält, und dass es Mennige und nicht freies PbO; sei, welche be- sagte Materie färbt, geht daraus hervor, dass dieselbe für sich allein weder die Guajaktinctur noch den Jodkalium- stärkekleister bläut, während, wie schon bemerkt, das freie PbO, diese Reactionen verursacht. In einer frühern Mit- theilung ist gezeigt worden, dass die Lösung der Mennige in Essigsäure eine kräftigst oxidirende Flüssigkeit sei, z. B. Jodkaliumkleister augenblicklich schwarzblau färbe u. s. w., 32 498 und ganz so verhält sich auch die Lösung unserer roth- gelben Substanz in Essigsäure. Aus den angeführten Thatsachen. erhellt somit, dass der atmosphärische Sauerstoff unter dem Einflusse des Am- moniakes schon bei gewöhnlicher Temperatur das Blei zu Meuuige zu oxidiren vermag, zu gleicher Zeit aber auch ein Theil des Metalles erst in Oxidhydrat und dann (durch die atmosphärische Kohlensäure) in Carbonat verwandelt wird, je nach Umständen in vorwaltender oder zurücktre- tender Menge. Es lässt sich daher vermuthen, dass unter geeigneten Bedingungen sich nichts anderes als Mennige bilde, und einige Male bin ich diesem Ziele sehr nahe ge- kommen, wie die vorliegenden Proben zeigen. Warum die Anwesenheit von Ammoniak die Bildung von Memnige ver- anlasst, weiss ich nicht zu sagen, bemerken aber muss ich . noch, dass in wässrigem Ammoniak, wie lange es auch mit metallischem Blei und atmosphärischer Luft in Berührung gestanden haben mag, keine Spur von Nitrat oder Nitrit sich entdecken lässt. Ueber den riechenden Flussspath von Weser- dorf in Bayern Schon 1843 machte Schafhäutl auf einen bei Weserdorf im Granit brechenden dunkelblauen Fluss- spath aufmerksam, welcher die sonderbare Eigenschaft be- sitzt, beim Reiben einen ziemlich starken Geruch nach Chlor zu entwickeln, und schloss aus seiner mit diesem Mineral vorgenommenen Untersuchung, dass es Spuren von Kalk- chlorit enthalte. Da das Vorkommen eines solchen Salzes unter den erwähnten Umständen merkwürdig genug wäre, aber seiner Einzigkeit halber zweifelhaft erscheinen könnte, so habe ich mich, neulich durch die Güte der Herren von Kobell und Buchner in den Besitz einer kleinen Menge sol- chen Flussspathes gesetzt, veranlasst gefunden, mit dem- selben einige Versuche anzustellen, welche zu folgenden Ergebnissen geführt haben: 499 1. Die von Herrn Schafhäutl gemachten Angaben über den durch Reiben aus besagtem Flussspath entwickel- ten Geruch kann ich vollkommen bestätigen. Der- selbe ist ganz gleich demjenigen, welcher sich aus dem an der Luft liegenden Chlorkalk entwickelt. Das ungeriebene Mineral zeigt keinen Geruch,gein solcher tritt aber sofort ziemlich stark auf, wenn ein etwas grösseres Stück Flussspathes in einer Agatschaale zerrieben wird, und zwar ist der Geruch beim Be- ginn dieser Operation ungleich stärker, als bald nach- her. Je länger man das Mineral reibt, um so schwä- cher wird auch der Geruch, und nach einiger Zeit kann hievon selbst die feinste Nase nichts mehr wahrnehmen, wie lebhaft man auch reiben mag. 2. Durch Indigolösung ziemlich stark gebläuetes Was- ser mit einer gehörigen Menge unseres Flussspathes : zusammen gerieben, erscheint beim Abfiltriren voll- ständig entfärbt. 3. Zerreibt man unter verhältnissmässig wenig Wasser ein Stück des fraglichen Flussspathes möglichst fein, so zeigt die abfiltrirte Flüssigkeit das Vermögen, jodkaliumhaltiges Kleisterwasser merklich stark zu bläuen. Hält man unmittelbar über das in Zerrei- bung begriffene Mineral einen feuchten Streifen 0z0- noscopischen Papieres, so färbt sich derselbe bald blau; am bequemsten und raschesten erhält man diese Wirkung, wenn in einer Agatschaale über ein erb- sengrosses Stück Flussspathes ein trockener Streifen besagten Reagenspapieres gelegt und das Mineral mittels eines Pistilles zerdrückt wird. Unter diesen Umständen färbt sich das Papier da, wo es mit dem zerdrückten Flussspath in Berührung kommt, bräun- lich, und beim Benetzen mit Wasser schwarz-blau. 4. Frische (etwas harzarme) Guajaktinctur mit dem 32* 500 Mineral erst zusammen gerieben und dann abfiltrirt, erscheint merklich stark gebläuet. 5. Beim Erhitzen des Flussspathes in einem Probegläs- chen färbt sich ein in dasselbe gesteckter Streifen feuchten ozonoscopischen Papieres blau, und lässt mangdas Mineral nur kurze Zeit glühen, so hat es das Vermögen, irgend eine der vorhin erwähnten Wirkungen hervorzubringen. 6. Destillirtes Wasser, nachdem es einige Zeit mit dem Flussspath zusammen gerieben und dann vom Mi- neral abfiltrirt worden, wird sowohl durch Silber- lösung als oxalsaures Ammoniak getrübt, welche Reactionen aber sehr schwach sind, selbst wenn ver- hältnissmässig viel Flussspath mit wenig Wasser be- handelt worden. Alle die angeführten Wirkungen des Weserdorfer Fluss- spathes bringt auch der unterchlorichtsaure Kalk hervor: ° Zerstörung der Indigolösung, Bläuung des Jodkaliumkleisters u. s. w. Es erklären sich daher nach meinem Ermessen alle die Reactionen und Eigenthümlichkeiten des besagten Flussspathes vollkommen genügend durch die Annahme, dass dieses Mineral kleine Mengen Kalkhypochlorites enthalte. Dass dieses so leicht zersetzbare Salz in dem Weserdorfer Flussspath so lange sich erhalten konnte, muss nach mei- nem Dafürhalten dem Umstande beigemessen werden, dass es in dem krystallisirten Mineral so gut als hermetisch ver- schlossen liegt. Würde sich doch auch künstlich bereite- ter Chlorkalk in einer zugeschmolzenen Glasröhre sicher- lich Jahrtausende und für immer unzersetzt erhalten, falls derselbe nicht den Einfluss einer hohen Temperatur erführe. Durch das Zerreiben des Flussspathes wird das den Hypo- chlorit einschliessende Gefäss so zu sagen geöffnet und dieses Salz der Einwirkung der Reibungswärme und der kohlensäurehaltigen atmosphärischen Luft ausgesetzt, in 501 Folge dessen aus ihm gerade so, wie aus gleich beumstän- detem und künstlich bereitetem Chlorkalk, Chlor entbunden wird. Unschwer erklärt sich auch die Thatsache, dass beim Beginne des Reibens der Chlorgeruch am stärksten aus dem Mineral sich entwickelt und jener nach und nach aufhört sich zu zeigen, aus der äusserst geringen Menge des vor- handenen Hypochlorites, welcher unter den erwähnten Um- ständen bald zersetzt sein muss. So viel mir bekannt, steht das Vorkommen dieses Sal- zes im Weserdorfer Flussspath bis jetzt noch einzig da, und es wäre daher zu wünschen, dass auch der Flussspath anderer Fundorte auf dasselbe von den Mineralogen geprüft würde, was durch die oben angegebenen Mittel leicht ge- schehen kann. Die Beantwortung der Frage, wie Kalkhypochlorit in den Weserdorfer Flussspath gekommen und jenes Salz sich ursprünglich gebildet, will ich Andern überlassen, nur so viel wage ich zu behaupten, dass der besagte Flussspath seit seinem Bestande keinem hohen Hitzgrad ausgesetzt gewesen ist, weil er sonst kein unterchlorichtsaures Salz enthalten könnte. Und nehmen wir an, was zu thun wir kaum umhin können, dass das Gemeng von Fluorcaleium und Hypochlorit, wie es sich in unserem Flussspathe darstellt, schon beim Krystallisationsacte des Minerales bestanden habe, so folgt hieraus, dass dasselbe unter gewöhnlichen Wärmeverhältnissen, höchst wahrscheinlich also auf nassem Wege gebildet worden sei. Ueber das Verhalten des Bittermandelöles zum Sauerstoffe. Von €. F. Scua@nseın. (Den 8. Juli 1857.) Die Beantwortung der Frage, ob der gewöhnliche Sauer- stoff als solcher mit irgend einer Materie chemisch verge- 4 502 sellschaftet werden könne, oder ob derselbe immer im 0z0- nisirten Zustande sich befinden müsse, damit er mit andern Stoffen verbindbar sei, ist für die theoretische Chemie von nicht geringer Wichtigkeit. Schon seit Jahren suche ich darzuthun, dass den Oxi- dationen, welche der atmosphärische Sauerstoff oder O über- haupt scheinbar als solcher (in so vielen Fällen selbst bei gewöhnlicher Temperatur) bewerkstelliget, die Ozonisation dieses Elementes als eine Conditio sine qua non derselben voransgehe, und es ist von mir als einer der Hauptgründe für diese Annahme das Verhalten des Phosphors zum ge- wöhnlichen Sauerstoff geltend gemacht worden, von wel- chem letztern ich gezeigt habe, dass alle die Umstände, welche dessen Ozonisation verhindern, auch die langsame Verbrennung des Phosphors hemmen, und umgekehrt, dass Alles, was die Ozonisation von O begünstigt, auch die Oxi- dation des Phosphors befördert. (Man sehe unter Anderm in Liebig's Annalen meinen Aufsatz „Ueber die verschiede- nen Zustände des Sauerstoffes“.) | Ich glaube ferner an einer Anzahl organischer Mate- rien, namentlich an den Camphenölen, nachgewiesen zu ha- ben, dass sie ähnlich dem Phosphor sich verhalten, d. h. erst den gewöhnlichen Sauerstoff ozonisiren und dann, von 0 diesem O oxidirt werden. Da aber die Zahl der Thatsachen sicherlich nicht ge- nug gehäuft werden kann, aus welchen eine von den bis- herigen Vorstellungen so stark abweichende Folgerung ge- zogen werden soll, es überdiess auch höchst wünschenswerth ist, dass derartige Thatsachen so augenfällig und unzwei- deutig als möglich seien, so geht schon längst mein Bemü- hen dahin, eine organische Materie aufzufinden, an welcher die Richtigkeit meiner Annahme in überzeugendster MIR anschaulichster Weise sich darthun lässt. ' 503 Und ich habe mich ganz geflissentlich nach einer sol- chen Substanz umgesehen, weil auf dem organischen Ge- biete die scheinbar durch den atmosphärischen Sauerstoff schon bei gewöhnlicher Temperatur bewerkstelligten Oxi- dationen so recht eigentlich zu Hause sind, wie uns hievon die Verwesung und die thierische Respiration die grossar- tigsten Beispiele liefern. | Ich glaube nun die gesuchte Materie gefunden zu ha- ben und erlaube mir, im Nachstehenden die Ergebnisse meiner Untersuchungen über das Verhalten der fraglichen Substanz zum gewöhnlichen Sauerstoff mitzutheilen. Von dem Bittermandelöl, dessen chemische Natur uns Liebig und Möhler aufgeschlossen in einer der schönsten und interessantesten Arbeiten, mit welchen diese ausge- zeichneten Chemiker die ‚Wissenschaft bereichert haben, ist längst bekannt, dass es schon bei gewöhnlicher Tem- peratur Sauerstoff aus der Luft aufnimmt und dadurch zu Benzoesäurehydrat oxidirt wird. Hat nun die Annahme Grund, dass O erst in 0 über- seführt sein muss, damit es zu oxidiren vermag, so wird auch die Umwandelung des Bittermandelöles in Benzoesäure nicht durch gewöhnlichen — sondern durch ozonisirten Sauerstoff bewerkstelliget, d. h. geht auch in diesem Falle die Ozonisation von O der Oxidation des Benzoylwasser- stoffes voraus. Dass dem wirklich so ist, werden, denke jch, die nach- stehenden Angaben zur vollen Genüge zeigen, und um die- sen Beweis zu führen, wird mir obliegen darzuthun, dass der Sauerstoff im Augenblicke, wo er das Bittermandelöl zu Benzoesäurehydrat oxidirt, das Vermögen besitzt, auch diejenigen Oxidationswirkungen hervorzubringen, welche nur der ozonisirte — nicht aber der gewöhnliche Sauerstoff zu bewerkstelligen vermag. 504 Zu den am meisten charakteristischen Merkmalen von 0 gehört nun, wie wohl bekannt, seine Fähigkeit, schon in der Kälte Jod aus dem Jodkalium abzuscheiden (daher den jodkaliumhaltigen Stärkekleister zu bläuen), die frische Gua- jaktinctur blau zu färben, das in Schwefelsäure gelöste In- digoblau zu Isatin zu oxidiren und mit den Manganoxidul- salzen Mangansuperoxid zu erzeugen. Schüttelt man dünnen mit Jodkalium versetzten Stärke- kleister, sei es im Lichte, sei es im Dunkeln, auch noch so lange mit gewöhnlichem Sauerstoffe zusammen, so wird er sich nicht im mindesten bläuen. Werden zu solchem Klei- ster kleine Mengen Bittermandelöles gefügt unter vülligem. Ausschlusse von O, so bläut sich begreiflicher Weise die- ses Gemeng ebenfalls nicht, und eben so wenig tritt Bläuung auch bei Anwesenheit von O ein, falls die mit einander in Berührung gesetzten Substanzen in völliger Dunkelheit ge- halten werden. Ganz anders aber verhält sich die Sache unter Mitwirkung des Lichtes. - Schüttelt man dünnen jodkaliumhaltigen Stärkekleister mit etwas Bittermandelöl und atmosphärischer Luft zusam- men, so wird er sich schon im zerstreuten Lichte bläuen, und zwar um so rascher, je lebhafter das Schütteln und je stärker die Beleuchtung. Die besagte Operation im unmit- telbaren Sonnenlichte vorgenommen, führt schon in wenigen Sekunden die tiefste Bläuung des Kleisters herbei. Etwas dicker auf Papier ausgestrichener Jodkalium- kleister mit einigen Tropfen Bittermandelöles benetzt, färbt sich in völliger Dunkelheit nicht, während er im’ unmittel- baren Sonnenlichte sich ziemlich rasch bläut. Ein feuchter Streifen ozonoscopischen Papieres in einer mit atmosphärischer Luft oder reinem Sauerstoffgas gefüll- ten Flasche aufgehangen, deren Boden mit Bittermandelöl bedeckt ist, erscheint noch nach Wochen ungefärbt, falls 505 man das Gefäss in vollkommener Dunkelheit gehalten, wäh- rend das Papier sich bläut, langsamer im zerstreuten — rascher im unmittelbaren Sonnenlichte. Mit der raschern oder langsamern Bläuung des Jod- kaliumkleisters geht aber auch die Schnelligkeit oder Lang- samkeit der Bildung von Benzoesäure Hand in Hand; unter sonst gleichen Umständen findet nämlich die Oxidation des Bittermandelöles im unmittelbaren Sonnenlichte viel rascher als im zerstreuten statt, und in der Dunkelheit erfolgt sie nur mit äusserster Langsamkeit. Von zwei gleichen Portionen Bittermandelöles, unter möglichst gleiche Umstände gebracht, die Eine aber in völ- ligem Dunkel gehalten, die Andere der Einwirkung des un- mittelbaren Sonnenlichtes ausgesetzt, war die letztere in wenigen Stunden zu Benzoesäurehydrat oxidirt, während hievon in ersterer noch keine Spur nachgewiesen werden konnte. Die erwähnte Bläuung des Jodkaliumkleisters rührt selbstverständlich von Jod her, welches aus dem Jodsalz ausgeschieden wird, und da diess der gewöhnliche Sauer- stoff nicht zu thun vermag, wohl aber der ozonisirte, so muss in Betracht, dass bei unserem Versuche nur O in An- wendung kommt, letzteres unter dem gedoppelten Einflusse 0 des Lichtes und Bittermandelöles in O übergeführt werden, ar welches O0, zwischen Benzoylwasserstoff und Jodkalium sich theilend, jenes zu Benzoesäure oxidirt und aus dem Salze Jod abscheidet. Ich glaube daher schon aus den angeführten Thatsachen zu dem Schlusse berechtiget zu sein, dass der Oxidation des Bittermandelöles die Ozonisation des gewöhnlichen Sauerstoffes voran gehe, gerade so, wie diess auch bei der langsamen Verbrennung des Phosphors in atmosphärischer Luft oder bei der: unter gleichen Umständen erfolgenden 506 Oxidation des Terpentinöles der Fall ist. Es werden aber weiter unten noch andere Thatsachen angeführt werden, welche über die Richtigkeit meiner Folgerung nicht den geringsten Zweifel übrig lassen und als demonstratio ad oculos gelten können. Frische Guajaktinctur färbt sich nicht, wie lange man sie auch im Dunkeln mit reinem Sauerstoffgas oder atmo- sphärischer Luft schütteln mag, eine an Guajak arme Harz- lösung bläut sich zwar unter diesen Umständen im unmit- telbaren Sonnenlichte, jedoch nur äusserst schwach; fügt man aber derselben nur kleine Mengen Bittermandelöles zu, so färbt sie sich bei lebhaftem Schütteln schon im zerstreu- ten Lichte bald blau und sehr rasch in der Sonne, woraus erhellt, dass unter gleichen Umständen die Guajaktinetur dem Jodkaliumkleister ganz ähnlich sich verhält. Bekanntlich besitzt auch das Terpentinôl die Eigen- schaft, unter Lichteinfluss den gewöhnlichen Sauerstoff zu ozonisiren, aber auch zu gleicher Zeit das Vermögen, dieses 0 O bis zu einer beträchtlichen Menge in sich anhäufen zu lassen und mit ihm als solchem bei gewöhnlicher Tempe- ratur längere Zeit vergesellschaftet zu bleiben, woher es eben kommt, dass das ozonisirte Terpentinöl als kräftig Re Agens sich verhält, d. h. das in ihm vorhandene 0 leicht auf andere oxidirbaren Substanzen übertragen lässt. Es übertrifft jedoch das ozonisirende Vermôgen des Bittermandelöles bei Weitem dasjenige des Terpentinöles, wie schon daraus sich vermuthen lässt, dass unter sonst gleichen Umständen der Benzoylwasserstoff viel rascher zu Benzoesäurehydrat, als das Terpentinôl zu Harz u. s. w. sich oxidirt: denn wie man sogleich sehen wird, folgen sich im Bittermandelöl Ozonisation und Oxidation einander gleichsam auf dem Fusse nach. Trotz dieses Umstandes lässt sich aber nachweisen, 507 dass beide Vorgänge nicht gleichzeitig stattfinden, sondern die Oxidation des Oeles noch durch einen merklichen Zeit- raum von der vorausgehenden Ozonisation des Sauerstoffes getrennt ist. Wendet man ein Bittermandelöl an, welches bei Aus- schluss von Sauerstoffgas die Guajaktinetur ungefärbt lässt, und schüttelt man ein solches Oel selbst im zerstreuten Lichte nur zwanzig bis dreissig Sekunden lang mit atmo- sphärischer Luft lebhaft zusammen, so ‚wird es die Eigen- schaft erlangt haben, für sich allein die Guajaktinctur, wie auch den dünnen Jodkaliumkleister zu bläuen. Lässt man aber das so beschaffene Oel unter völligem Ausschlusse von atmosphärischer Luft sich selbst über, so wird es schon nach kurzer Zeit (einer Stunde) sein Bläuungsvermögen eingebüsst haben, um es natürlich bei erneuertem Schütteln mit beleuchtetem Sauerstoff sofort wieder zu gewinnen. Diese Thatsachen zeigen, dass unter dem Einflusse des Lichtes das Bittermandelöl sich rasch ozonisirt und Ö noch als solches, d. h. im activen oder übertragbaren Zustand zu enthalten vermag; es erhellt aber auch aus derselben, dass dieser ozonisirte Sauerstoff nicht lange als solcher mit dem Benzoylwasserstoff vergesellschaftet bleiben kann, son- dern nach meinen Beobachtungen selbst bei einigen Graden unter Null ziemlich rasch zur Bildung von Benzoesäurehy- drat verwendet wird. | In einer meiner letzten der Akademie in München mitge- theilten Arbeiten habe ich der Thatsache erwähnt, dass selbst das noch so stark mit 0 beladene Terpentinôl für sich allein die Guajaktinetur nicht zu bläuen vermöge, diess aber un- ter dem Einflusse der Blutkörperchen thue. Nach meinen Erfahrungen kann auch das Bittermandelöl auf kurze Zeit ozonisirten Sauerstoff enthalten, der nur unter Mitwirkung 508 von Blutkörperchen auf das gelöste Guajak sich werfen lässt. Zeigt das im Lichte mit atmosphärischer Luft ge- schüttelte Oel das Vermögen, für sich allein die Guajak- tinetur zu bläuen, so warte man ab, bis es diese Reaction entweder nur noch äusserst schwach oder gar nicht mehr verursacht; fügt man nun zu einem Gemische solchen Oeles mit Guajaklösung einige Tropfen gelöster Blutkörperchen, so wird sich die Flüssigkeit augenblicklich bläuen. Bei noch längerem Zuwarten fällt diese Reaction schwächer aus, und nach einiger Zeit vermag das von der Luft völlig ausgeschlossene Oel auch unter Beisein von Blutkörperchen die Guajaktinetur nicht mehr zu bläuen, was beweist, dass es nun keinen übertragbaren Sauerstoff mehr enthält. Nach diesen Angaben brauche ich kaum noch ausdrücklich zu be- merken, dass Bittermandelöl, welches für sich allein schon die Guajaktinetur bläut, unter Mitwirkung der Blutkörper- chen eine noch tiefere und raschere Bläuung der Harzlö- sung verursacht. Durch Indigotinctur gebläuetes Wasser mit O oder atmosphärischer Luft geschüttelt, entfärbt sich selbst im unmittelbaren Sonnenlichte nur äusserst langsam, ist aber der gefärbten Flüssigkeit einiges Bittermandelöl beigemengt, so findet unter diesen Umständen eine ziemlich rasche Zer- störung des gelösten Indigoblaues statt, welche Substanz gerade so wie durch ozonisirten Sauerstoff zu Isatin oxi- dirt wird. | Eine Unze Wassers, durch Indigotinctur beinahe bis zur Undurchsichtigkeit gebläut und mit einigen Tropfen Bit- termandelöles vermischt, war bei ununterbrochenem Schüt- teln in einer nicht sonderlich kräftigen Sonne schon nach sieben Minuten vollständig entbläut. Feuchte mittelst In- digotinetur gefärbte Papierstreifen in einer lufthaltigen Fla- sche aufgehangen, deren Boden mit Bittermandelöl bedeckt ist, bleiben in der Dunkelheit unverändert, bleichen sich 509 aber, wenn beleuchtet, vollständig aus, und zwar um so rascher, je grösser die Intensität des einwirkenden Lichtes. Aus den eben mitgetheilten Thatsachen erhellt, dass der unter dem Einflusse des Bittermandelöles und des Lich- tes stehende gewöhnliche Sauerstoff gerade so auf das ge- löste Indigoblau wirkt, wie diess der ozonisirte Sauerstoff thut. Ich habe zu seiner Zeit gezeigt, dass ein spezifisches Reagens auf den freien ozonisirten Sauerstoff die Mangan- oxidulsalze und namentlich das Sulfat seien, mit deren Basis Ô Mangansuperoxid erzeugt, was bekanntlich der gewöhn- liche Sauerstoff durchaus nicht zu thun vermag. Daher kommt es, dass aus einer wässrigen Lösung des letztge- nanrten Salzes beim Schütteln mit ozonisirtem Sauerstoff sich bräunliche Flimmerchen von Mangansuperoxidhydrat ausscheiden, oder mit der gleichen Lösung auf Papier ge- schriebene Buchstaben sichtbar werden, wenn man dasselbe in ozonisirter Luft aufhängt. Schüttelt man gelöstes Mangansulfat mit einigem Bit- termandelöl und atmosphärischer Luft lebhaft zusammen, so bräunt sich.nach einiger Zeit die Flüssigkeit schon im zerstreuten Licht, welche Färbung von gebildetem Mangan- superoxidhydrat herrührt. Hängt man ein mit Mangansul- fatlösung beschriebenes Papierstück in einer durch zer- streutes Licht beleuchteten und lufthaltigen Flasche auf, deren Boden mit Bittermandelöl bedeckt ist, so kommt all- mählig (im Laufe einiger Tage) eine bräunliche Schrift zum Vorschein, ganz gleich derjenigen, welche auf demselben Papier die ozonisirte Luft sichtbar machen würde. Im un- mittelbaren Sonnenlichte erscheint unter den erwähnten Um- ständen die Manganschrift schon im Laufe weniger Stunden. Wie aus den voranstehenden Angaben hervorgeht, er- langt der unter dem Berührungseinflusse des Bittermandel- ’ 510 öles stehende gewöhnliche Sauerstoff ganz und gar die glei- chen Eigenschaften, welche als durchaus charakteristische -dem ozonisirten Sauerstoffe zukommen, wesshalb ich auch nicht anstehe, aus dieser Gleichheit des chemischen Ver- haltens beider Sauerstoffarten auf die Gleichheit ihrer che- mischen Zustände zu schliessen, d. h. anzunehmen, dass O wie durch den Phosphor, so auch durch das Bittermandelöl, 0 . in O übergeführt werde. Und da obigen Angaben gemäss in dem mit O geschüt- telten Bittermandelöl noch 0 als solches sich nachweisen lässt, dieses aber schnell verschwindet, indem es zur wirk- lichen Oxidation des Benzoylwasserstoffes verwendet wird, so können wir wohl auch kaum umhin, anzunehmen, dass aller in das Oel tretende gewöhnliche Sauerstoff erst in 0 “ j O übergeführt werde, und dieses allein es sei, welches nachher das Bittermandelöl zu Benzoesäure oxidire. Wenn aber der bei gewöhnlicher Temperatur erfolgen- den Oxidation des Phosphors, der Camphenöle, des Aethers und des Benzoylwasserstoffes eine solche Zustandsverände- rung (Allotropie) des gewöhnlichen Sauerstoffes erfahrungs- gemäss vorangeht, ist es nicht als eine an Gewissheit gränzende Wahrscheinlichkeit, zu betrachten, dass allen übrigen, scheinbar durch gewöhnlichen Sauerstoff unmittel- bar bewerkstelligten Oxidationen eine solche allotrope Mo- dification dieses Elementes vorausgehe und dieselbe eine Grundbedingung für die chemische Verbindungsfähigkeit des gewöhnlichen Sauerstoffes sei? ; Ich stehe nicht an, diese Frage im bejahenden Sinne zu beantworten, und zweifle auch keinen Augenblick daran, _ dass früher oder später diese Annahme. als ‚ein. ‚ganz all- gemeiner Erfahrungssatz gelten: wird. fé ‚Der. Umstand, dass es manche Oxidationsfälle gibt, bei 511 welchen die ihnen vorangehende Ozonisation des gewöhn- lichen Sauerstoffes nicht in der Art sich nachweisen lässt, wie, diess bei der langsamen Oxidation des Phosphors, Benzoylwasserstoffes, Terpentinöles u. s. w. so leicht ge- schehen kann, beweist, wie mir scheint, ganz und gar nicht, dass in jenen Fällen die Allotropie von © nicht stattfinde und letzteres als solches die Oxidation bewerkstellige. Die Unmöglichkeit, das Vorhandensein von 0 nachzu- weisen, kann seinen Grund einfach in der grossen Schnel- ligkeit haben, mit welcher Ozonisation und Oxidation sich auf einander folgen, so dass es den Anschein hat, als ob die beiden Vorgänge gleichzeitig stattfänden. In dieser Beziehung ist das verschiedenartige Verhal- ten des Terpentinöles und des Benzoylwasserstoffes sehr 9 belehrend. Ersteres vermag, wie wohl bekannt, O in © überzuführen und mit diesem 0 als solchem längere Zeit (Monate lang) in der Kälte verbunden zu bleiben, weil un- ter diesen Umständen der ozonisirte Sauerstoff nur sehr langsam auf das mit ihm vergesellschaftete Oel wirklich oxidirend einwirkt. Desshalb lässt sich auch das Terpen- tinöl bei niedrigen Temperaturen verhältnissmässig so stark mit 0 beladen und kann ihm dieses 0 durch oxidirbare Materien entzogen werden. Das Bittermandelöl lässt sich nach obigen Angaben al- lerdings noch viel leichter und rascher als das Terpentinöl mittelst gewöhnlichen Sauerstoffes ozonisiren, und es kann das in ihm vorhandene 0 durch Jodkaliumkleister und Gua- jaktinetur noch nachgewiesen werden; allein dieser ozoni- sirte Sauerstoff wird so rasch zur Oxidation des Benzoyl- wasserstofles verbraucht, dass man selbst. bei niedern Temperaturen nicht lange zuwarten darf, um ihn noch als solchen im Oel anzutreffen. 512 Würde im Bittermandelöl die Oxidation der Ozonisa- tion noch viel rascher folgen, d. h. fielen beide Vorgänge der Zeit nach noch viel näher zusammen, als diess in Wirk- lichkeit geschieht, so sieht man leicht ein, dass es den Anschein haben müsste, als ob der gewöhnliche Sauerstoff als, solcher das Bittermandelöl zu Benzoesäurehydrat oxi- dirte und dieser chemischen Action die Ozonisation jenes Elementes nicht. vorausginge. Das Stibaethyl und ähnliche Verbindungen der Alko- holradikale mit metallischen Elementen, welche Verbindun- gen bekanntlich selbst bei niedrigen Temperaturen scheinbar durch gewöhnlichen Sauerstoff so rasch oxidirt werden, liefern ein schlagendes Beispiel dieser Art; denn in ihnen lässt sich kein 0 als solches anhäufen, weil die Ozonisa- tion von O und die Oxidation des Stibaethyles u. s. w. so rasch auf einander folgen, dass beide Vorgänge gleichzeitig stattzufinden scheinen. Durch die Anwendung eines kleinen Kunstgriffes ist es jedoch leicht zu zeigen, dass auch in diesem Falle die Ozo- nisation des gewöhnlichen Sauerstoffes der Oxidation des Stibaethyles u. s. w. vorangeht. Zu diesem Behufe braucht man bloss in verdünnte Indigotinetur einige Tropfen jener. Verbindung einzuführen und das Gemeng mit gewöhnlichem Sauerstoff oder atmosphärischer Luft zu schütteln, unter welchen Umständen das Indigoblau gerade so zerstört wird, als ob dasselbe mit Phosphor oder Bittermandelöl und © oder auch mit blossem 0 in Berührung gesetzt worden wäre. Der durch das Stibaethyl ozonisirte Sauerstoff theilt sich unter den erwähnten Umständen zwischen diesem Ra- dikal und dem Indigoblau, letzteres zu Isatin oxidirend. Bei diesem Anlasse bringe ich noch die von mir schon vor Jahren ermittelten Thatsachen in Erinnerung, welche zu der im Eingange dieser Mittheilung aufgestellten Frage 0 513 in nächster Beziehung stehen, und denen gemäss eine Reihe organischer Substanzen, die schon bei gewöhnlicher Tem- peratur in der atmosphärischen Luft sich oxidiren, fähig sind, die ihnen beigemengte, Indigotinctur zu zerstören, wie z. B. die Weinsäure, das Leinöl, die Oelsäure, gewöhnli- cher Wein, Bier u. s.w. Es wirken daher diese Materien, wenn auch dem Grade nach schwächer, doch der Art nach wie der in der atmosphärischen Luft schon bei gewöhnli- cher Temperatur sich oxidirende Phosphor, der Benzoyl- wasserstoff, das Terpentinöl, das Stibaethyl u. s. w., und natürlich führen auch diese Thatsachen zu dem gleichen Schlusse, welchen wir aus den oben erwähnten Erschei- nungen gezogen haben, zu dem Schlusse nämlich, dass die Ozonisation des gewöhnlichen Sauerstoffes jeder scheinbar durch ihn bewerkstelligten Oxidation vorausgehe. Zum Schlusse sei mir gestattet, an die voranstehende Mittheilung noch einige Bemerkungen zu knüpfen, von wel- chen ich glaube, dass sie sich uns gleichsam von selbsten aufdringen, wenn wir die weiter oben besprochenen, wie überhaupt in der neuesten Zeit ermittelten und auf die ver- schiedenen Zustände des Sauerstoffes sich beziehenden That- sachen einer unbefangenen Betrachtung unterwerfen. Der ungeheuern Massenhaftigkeit und allgemeinen Ver- breitung des freien Sauerstoffes halber würde offenbar das Bestehen so vieler oxidirbaren Materien in der atmosphä- rischen Luft eine Unmöglichkeit sein, wäre jener elemen- tare Körper in dem normalen Zustande seines Vorkoinmens der chemischen Verbindung leicht fähig: es müssten die meisten Stoffe einfacher und zusammengesetzter Art in die- sem Sauerstoffmeer sich oxidiren und könnte von dem Be- stande einer organischen Welt, wie die vorhandene ist, der Oxidirbarkeit ihres Materiales wegen, durchaus keine Rede sein. Sollte die jetzige Ordnung der irdischen Dinge ermög- 33 514 lichet werden, so durfte der in reichlichster Fülle überall gegenwärtige Grundstoff der Erde nicht in einem chemisch thätigen Zustande vorkommen, müsste derselbe unter den gewöhnlichen Umständen gegen die übrigen Elemente und deren Verbindungen gleichgültig sein. Da aber der heutige Haushalt der Natur es durchaus auch wieder erfordert, dass der atmosphärische Sauerstoff in die mannigfaltigste Wechselwirkung mit einer grossen Zahl von Materien trete, so musste die chemische Thätig- keit dieses Urstoffes an bestimmte Bedingungen geknüpft werden und auf das Feinste: berechnet sein, wo die allver- breitete Substanz zu oxidiren, wo sie wirkungslos. zu blei- ben habe. Diese Einschränkung der chemischen Wirksamkeit des Sauerstoffes in möglichst feste Gränzen ist für die organi- sche Natur im Allgemeinen und für die Thierwelt insbe- sondere von unerlässlichster Nothwendigkeit; denn gewisse Theile des thierischen Körpers müssen zum Behufe seines Bestandes ohne Unterlass in Oxidation begriffen ‘sem, und es darf dieselbe eben so wenig über gewisse Gränzen hin- aus gehen, als diese nicht erreichen. Würde’ durch irgend eine Ursache auf einmal die ganze Masse des atmosphäri- schen Sauerstoffes in den ozunisirten Zustand versetzt, So müsste schnelle Vernichtung alles organischen und nament- lich des thierischen Lebens die unmittelbarste und unaus- bleibliche Folge dieser Veränderung sein; denn bei der oxidirbaren Natur des sämmtlichen organischen Materiales träte unter solchen Umständen überall Oxidation ein und somit auch da, wo sie ohne Gefährdung des Organismus entweder gar nicht stattfinden oder gewisse Gränzen nicht überschreiten darf. Stirbt doch ein Kaninchen schon an den Folgen eines Complexes heftigster Entzündungen, nach- dem das Thier nur eine Stunde lang atmosphärische Luft eingeathmet hat, welche höchstens 72000 ihres Gewichtes 515 an thätigem Sauerstoff enthält. Neuere Forschungen haben es in hohem Grade wahrscheinlich gemacht, dass in dem Blute der Thiere Substanzen vorhanden seien mit dem Ver- mögen begabt, den eingeathmeten unthätigen Sauerstoff der Atmosphäre in ähnlicher Weise zu verändern, wie der Phosphor und auch manche organischen Materien, z. B. das Bittermandelöl, diess thun, d. h. welche den Sauerstoff da thätig machen, wo er zur Förderung der Lebenszwecke Oxidationswirkungen hervorbringen soll. Nur unter solchen Umständen scheint es möglich zu sein, dass ein aus oxidirbaren Materien zusammengesetzter Organismus in dem sauerstoffhaltigen Luftmeer bestehe, ohne von diesem vernichtet zu werden, und kann es ge- schehen, dass im lebenden Thiere Oxidationsvorgänge er- folgen und dennoch auf bestimmte Oertlichkeiten einge- schränkt bleiben. Freilich ohne das Vorhandensein von Substanzen, wel- che vermögen O in Ô überzuführen, würde ein Thier mitten in einem Ocean des reinsten aber unthätigen Sauerstoffes eben so rasch ersticken, als diess in einem luftleeren Raume geschähe. Wenn es für den Forscher irgend eines Gebietes der Natur nicht dem geringsten Zweifel unterliegt, dass alle ihre Theile in der innigsten Zweckbeziehung zu einander stehen, dass Absichtlichkeit und weise Berechnung aus Je- der ihrer Einrichtungen hervorleuchte, und wenn ebenfalls gewiss ist, dass die eigentliche Wissenschaft gerade in der Kenntniss der Zweckbeziehungen der verschiedenen Theile der Natur zu einander bestehe, so dürfte wohl kaum Je- mand in Abrede stellen, dass auch den Erscheinungen des terrestrischen Chemismus teleologische Verhältnisse zu Grunde liegen und deren Aufdeckung von der grössten 33” 516 Wichtigkeit sei. Dass eines der wichtigsten dieser Ver- hältnisse eben in der Doppelnatur des Sauerstoffes auf das Augenfälligste zu Tage trete, d. h. in der Fähigkeit dieses Elementes, ia einem chemisch thätigen und unthätigen Zu- stande zu existiren, ist eine Ansicht, zu der ich mich offen bekenne. 517 PALEONTOLOGIE. Ueber lebende und fossile Schweine. Von Prof. L. Rürimeyer. (Den 28. Jan. und 25. März 1857.) Linne in der ersten Ausgabe des Systema naturae ver- theilte die geringe und ihm noch nicht vollständig bekannte Anzahl von Genera lebender Pachydermen in vier Säug- thierordnungen, den Elephant zu den Bruta, das Schwein. zu den Ferae, das Rhinoceros zu den Glires, das Pferd und Flusspferd zu den Belluae, und genau genommen würden zu diesen letztern selbst mehrere Geschlechter seiner Pe- cora gehören, so dass nur eine einzige seiner ursprüngli- ehen Ordnungen, die Anthropomorpha, und dann die später hinzugekommenen Cete keine Pachydermen enthalten. Bezeichnender konnte wohl kaum der Reichthum an zoologischen Charakteren ausgedrückt werden, der inner- halb dieser, schon in der dritten Ausgabe des Systema zu einer einzigen Ordnung, Jumenta, vereinigten kleinen Gruppe von Säugthieren angehäuft ist, und betrachtet man dieselbe erst in ihrer einstigen historischen Grösse, so erscheint sie uns wie ein Knotenpunkt, von welchem mehrere der wich- tigsten Säugthierordnungen gleichsam in divergirender Rich- 518 tung ausgehen, oder — um auch den Schein einer Zurück- führung verschiedner Thiergruppen auf einen gemeinsamen Urtypus in Lamark’schem Sinne zu vermeiden — so ent- hält doch die alte Classe der Pachydermen Charakteren, die heute auf verschiedene andere Ordnungen isolirt erscheinen. Die neuere Systematik stellte über die von Linne und seinen Vorgängern in erster Linie angewandten Merkmale der Fussbildung und Bezahnung erst noch der Entwick- lungsgeschichte entnommene höhere Merkmale, und benutzte dann in der Gruppe der Säugethiere mit multipler Placenta die Fussbildung erst zur Bildung tertiärer Abtheilungen, wie der Cetaceen, der Ungulata etc., die Bezahnung endlich zur Begrenzung noch geringerer Werthe; die Paläontolo- gie hat indes bekanntlich diese Grenzen grossentheils wie- der verwischt und zur Eintheilung der Ungulata in Impa- ridigitata und Paridigitata genöthigt. Unter diesen letztern können endlich zwei kleinere Abtheilungen gebildet wer- den, behornte mit verschmolzenen Metacarpal- und Metatar- salknochen und meist fehlenden Caninen und obern Ineisiven (Wiederkauer), und hornlose mit getrennten Mittelfusskno- chen und mit drei Zahnarten.*) Die letztere Gruppe, die unter dem Namen der Schweine zusammengefasst werden kann (lebend: Schwein und Fluss- pferd), bildet demnach, wie schon Aristoteles bemerkte, ein Kettenglied zwischen den (unpaarigfingrigen) Pachy- dermen und den Wiederkauern, und dadurch gewissermas- sen das Centrum der Ungulata, und ragt überdies durch einen Theil ihres Zahnsystems in ihren Verbindungen selbst über die Classe der Thiere mit multipler Placenta hinaus, an die Ferae sich annähernd. Diese centrale Stellung und historische Wichtigkeit #) S. hierüber vorzüglich Owen, Quart. Journ. of the Geol. Soc. 1848, N. 14 und A. Wagner in Schrebers Säugeth. 1855. 490. 519 dieser Gruppe mag auch durch den Umstand bezeichnet werden, dass dieselbe bekanntlich die einzigen lebenden Thiere (das gemeine Schwein). enthält, welche: die voll- ständige typische, Zahnformel von placentalen Säugethieren mit Zahnwechsel besitzen. 3 RER Sr TITTEN Das frühere Genus Sus speciell diente immer als Bei- spiel eines sehr elastischen Genus, mit grosser Modifica- tionshreite seiner Species. Während besonders die Incisiv- bezahnung zu einer Abtrennung desselben in mehrere Genera einlud, schienen doch die gemeinschaftliche Bildung des Fingersystems, Form und Lage der Caninen, Structur und Anlage der Nasenlöcher und Nase und endlich die allge- meine Form des Kopfes und Körpers ein natürliches Ge- nus zu bilden, von wesentlich omnivoren Thieren, cha- rakterisirt durch herbivore Molaires und Incisiven, carni- vore Premolaires und Caninen, und diesem indifferenten Charakter entsprach auch die Lebensart und die Verbrei- tung dieser in allen Climaten lebenden Thiere. Nichtsde- stoweniger wechselt die Zahnfurmel unter den verschiede- nen Arten des Linne’'schen Genus Sus bedeutend ab, so dass eine allgemeine Zahnformel desselben lauten müsste: 0—-1-2—3 1 3 — 7 BR cit DI pet ré Auf die genauern Details dieses 50 wichtigen Zahn- systems einzugehen, ist unnôthig, da dasselbe sehr bekannt und an mehrern Orten vortrefflich beschrieben ist, am be- sten wohl durch A. Wagner in Schreber’s Säugethieren. Auf Boden des Zahnsystems und theilweise auch der Skeletbildung hat die neuere Systematik mit vollem Recht die meisten Linné’schen Species von Sus zu Genera und das letzte zum Rang einer Sippe erhoben, in folgender Weise: 520 1. Sus mit mehrern Species. die theilweise wesent- lich den Gegenstand dieser Mittheilung machen sollen. Es trägt dieses Genus den Charakter der Zunft im ausgespro- chensten Masse und enthält vor allem einzig das normale Zahnsystem Verbreitung in der ganzen alten Welt, dagegen ursprüng- lich fehlend in der neuen. 2. Ihm nahe verwandt folgt das Genus Porcus Klein 2 1 2,413 vr ur “eich mit einer einzigen Species Babirussa von den Molukken bis Neu-Guinea. Der Hauptcharakter beruht in der Bildung der Backzähne, die nicht nur an Zahl reducirt sind, sondern auch in der Form wesentlich von denjenigen von Sus ab- weichen, vorzüglich durch einfachere Bildung, wodurch sie auffallend an viele fossile Genera, Palaeochoerus, Anthra- cotherium etc. erinnern. (Fehlen der Kerbung der Premo- laires und der Zwischenwarzen der Molaires, und beson- ders sehr einfacher, kaum gelappter Talon von Mol.:3.) Zahnbildung und Schädelform deuten auf mehr herbivores Regime. ’ 3. Lediglich auf Continental-Africa beschränkt ist das Genus Phacochoerus F. Cuvier, zwei Species mit ausser- ordentlich abweichendem Zahnsystem 0 1 1 3 4 DELL Pay @ oder > + 7 + 73 ve beim jungen ii à 4 Die Backzahnformel Ir ist zu deuten als P. 2.3.4: M!1 PB; WM a Die Annahme A. Wagners, dass die einzige und äusserst eigenthümliche Molaire durch Verschmelzung der drei nor- mal zu erwartenden hintern Backzähne entstanden sei, wird 521 unwahrscheinlich gemacht durch das Wachsthum derselben, das in der ganzen Thierwelt kein Analogon findet als beim Elephant, wo ebenfalls, freilich nicht nur Ein, sondern wahrscheinlich sechs Backzähne nicht in verticaler Rich- tung vortreten, sondern horizontal sich von hinten nach vorn schieben, die andern Zähne vor sich her drängend und sich selbst vorn abnutzend, bis endlich der letzte, beim Warzenschwein die einzige Molaire, beim alten Thier der einzige Maxillarzahn ist. Auch die Schädelbildung weicht, wie zu erwarten steht, besonders im Hintertheil stark von derjenigen der bisherigen Genera ab. 4. Auf dem americanischen Continent lebt endlich das vierte eben so charakteristische Genus vom Schwein, Di- cotyles, wieder in zwei Species. Die Zahnformel 2 1 and Sharpe ist von derjenigen von Porcus nur verschieden durch das Zutreten ‘einer mehrern Premol.; abweichender ist indes die Zahnform. Wie bei allen vorherigen Genera sind auch hier wieder Incisiven und Caninen dem Gepräge von Sus am treusten. doch sind die obern Incisiven reducirt, die untern zur Reduction geneigt durch Tendenz der äussern zum frü- hen Ausfallen, ferner die obern weniger nach innen gebogen, die untern dicker und steiler aufgerichtet, palettenartig, eine auffallende Annäherung an die Incisivbezahnung des Tapirs. Die Caninen bekanntlich durch ihre Form und noch mehr : durch Stellung von allen bisherigen Genera abweichend. Allen Backzähnen kömmt als gemeinschaftlicher Charakter zu die Abwesenheit der Zwischenwarzen, die schon Porcus auszeichnete, und die ausschliessliche Ausbildung der Haupt- höcker von Sus. Schon dadurch wird das Gebiss demjeni- gen herbivorer Pachydermen ähnlicher, allein diese Tendenz wird noch mehr ausgesprochen durch die grosse Annähe- rung der Bildung der Premolaires an diejenige der Molaires, 522 also durch Zurücktreten des carnivoren Prémolarcharakters von Sus. Die Prémol. sind alle weit weniger comprimirt als bei Sus, die Basalwülste fehlen gänzlich oder finden sich nur als kleiner vorderer Ansatz an obern Prem. 2,3, alle Prémol. sind ferner in ihrer hintern Hälfte wesentlich dicker als in der vordern durch sehr starke Entwicklung des hintern Talon, der sich bei allen, ausser Prem. inf. 2, 3 in 2—3 Hügel spaltet, während er einfach bleibt bei Sus. Auch der vordere Hauptkegel ist nicht comprimirt, sondern rundlich, und zeigt bei Prem. 2, 3 und 4 oben und unten ebenfalls eine deutliche Spaltung in zwei Höcker, so dass Prémol. 4 oben und unten und 3 oben den eigentlichen Mo- laires sehr ähnlich werden. Die Molaires sind oben und unten quadratisch, sehr re- ‘gelmässig vierhöckrig, ohne Warzenbildung, mit ganz leise angedeutetem vordern Ansatz oben und hinterm Talon über- all. Mol. inf. 3 überdies mit einem sehr starken hintern Talon aus drei in einen Kreis gestellten und einem media- nen Höcker, und einem kürzern Talon an Mol. sup: 3. — Mol. inf. 3 erinnert wieder sehr an Anthracotherium, allein das ganze Gebiss trägt ein auffallend herbivores Gepräge. Damit stimmt auch die Schädelbildung überein; die ganze Physiognomie ist bedeutend verändert; es ist nicht mehr ein Wühlkopf, alle Formen sind ruhiger, milder, ge- rundeter, und fügt man dazu die bekannte Modification des - Hinterfusses und der Magenbildung, so hat man bei Dico- tyles innerhalb des Linné'schen Genus Sus einen Wieder- kauer mit wenigstens äusserlich so viel als bisulkem Hin- terfuss, mit schwindenden obern Incisiven und mit herbi- voren Praemolaren und Molaren.*) DNTIRTEN CT *) Ohne auf die Speciesunterscheidung in den ‚genannten aussereuropäischen Genera von Sus einzugehen, benutze ich diesen Anlass nur, um noch auf einige auch von den trefflichen Diagnosen von A. Wagner übergangene dif- ferentielle specifische Merkmale für die beiden letztgenannten‘ americani- a a TT Für das Genus Sus galt lange Zeit als einzige Species Sus Scrofa mit verschiedenen Varietäten, die indes später oft zum Rang von Species erhoben werden sind, so dass die Zahl der als solche aufgestellten auf 13 angewachsen ist.*) Für die meisten asiatischen Arten beziehen sich in- des die angegebenen Charakteren lediglich auf äussere Ver- schiedenheiten, wie Grösse, Farbe, Haarkleid u.s. f. Einige anatomische Angaben betreffen in der That die Schädel- form, deren äusserste Grenzen etwa durch das Schwein von Timor und durch die äusserst schlanke Schädelform von Sus barbatus von Borneo gegeben sind, wobei indes die Charakteren des Gebisses durchaus nicht zu wechseln schei- nen. Die einzigen wesentlichen Unterschiede betreffen die mehr oder weniger starke Ausbildung der Callositäten, wel- che die Alveolen der obern Caninen und den Infraorbital- schen Species aufmerksam zu machen. Ausser den Verschiedenheiten der Schädelbildung, in welcher neben die von Wagner genannten Eigenthüm- lichkeiten noch manche kleinere gefügt werden könnte, (verschiedene Rich- tung der Proc. styloidei, sehr verschiedene Bildung des Process. zygoma- ticus Maxillae, verschiedene Ausbildung der Gefässrinnen am harten Gaumen) bietet besonders die letzte untere Prémol. (#) sehr gute differentielle Merk- male für beide Species. Beim Tagnicati (Dicot. labiatus) ist der Talon dieses Zahnes sehr breit, breiter als die Hauptspitze und deutlich drei- höckrig, fast vierhöckrig, wie diese se!bst, während beim Tajassu (Die. torq.) dieser Talon schmäler ist als die Hauptspitze und kaum getheilt, wodurch diese letzte Premol. den zwei vorhergehenden ziemlich ähnlich wird. Ein ähnlicher, doch schwächerer Unterschied trennt auch Prémol. 4 sup. bei beiden Species. Auch die übrigen Prémolaires zeigen übrigens einige leichte aber constante Verschiedenheiten ; bei D. torquatus liegt hin- ter der eigentlichen Hauptspitze der obern Prémol. ein starker Talon, der sich um die ganze Innenseite der Hauptspitze herumlegt. Bei Dic. labia- tus ist die Anlage ähnlich, allein die Höcker dieses Talon sind selbststän- diger, die Hauptspitze daher weniger als solche vortretend und dadurch, durch scheinbare Mehrhöckrigkeit die Prémolaires den Molaires ähnlicher als bei torquatus, daher wohl labiatus mit noch mehr herbivorem Gepräge des Zahnsystems als torquatus. *) Siehe hierüber vorzüglich A. Waener in Schrebers Säugethieren, und Schinz, Monographien der Säugethiere. 524 kanal umgeben, Merkmale, die indes für sich allein sicher- lich nicht auf specifische Geltung Anspruch machen können. Erheblichere Abweichungen, die anderwärts oft als specifisch gelten müssten, sind höchstens angegeben für Sus leucomystax Temm. von Japan, welches alle 7 Zähne in ununterbrochener Reihe tragen, und für Sus papuensis Less. von Neu-Guinea, das nur 5 Backzähne besitzen soll statt 7. Allein auch ohne diese Angabe geht aus der Beschreibung des Kopfes und besonders der Zähne genügend hervor, dass . Lesson ein Milchgebiss vor sich hatte, das vortrefflich mit demjenigen von Sus Scrofa übereinstimmt, und auch die Angaben über Sus leucomystax sind so ungenügend, dass man auf Boden aller bisherigen Angaben wohl vollkommen berechtigt ist, alle die 11 vorgeschlagenen ostasiatischen, theils continentalen, meist aber insularen und schon deshalb zur Vorsicht auffordernden Species zu vereinigen mit der ursprünglichen Art Scrofa, die demnach über Europa, Con- tinental- und Insular-Asien und Nord-Africa verbreitet gel- ten kann. Weit wichtiger sind die Angaben über zwei fernere- Species, die auch einem andern Wohnort angehören, nem- lich Süd-Africa, während bekanntlich Nord-Africa, als zum Periplus des Mittelmeeres gehörig, sowohl in pflanzen- als thiergeographischer Beziehung nicht von den benachbarten Theilen Europas und Asiens getrennt werden kann. Die zwei südafricanischen Species sind: Sus larvatus F. Cuv. Sus penicillatus Schinz. Die Angaben über die erstere dieser Species, welche, wie bekannt, von F. Cuvier auf Boden eines von Dauben- ton bei Buffon XIV, 390 unter dem Titel Sanglier de Ma- dagascar erwähnten und wahrscheinlich aus der Commer- son’schen Sammlung stammenden Schädels aufgestellt worden, SE 525 lauten leider äusserst spärlich.*) Und auch die davon vor- handenen Abbildungen (Wagner a. a. O. Schinz a. a. 0. Cuvier, Mém. du Musée. 1822) entbehren der wünschbaren Genauigkeit; allein sie genügen nichtsdestoweniger ohne Zweifel, dieser Art den Werth einer eigenthümlichen Spe- cies in vollem Masse zu sichern. Als Hauptmerkmal wird meistens die starke Entwicklung des äussern Randes der Alveole des obern Eckzahns angegeben, die eine lange Apophyse mit callosem Rand bildet, und ihr gegenüber ähnliche Callositäten an den Nasenknochen; ferner starkes Vortreten des Jochbogens und breite Insertionsstelle der Rüsselmuskeln. Wichtiger noch als diese in geringerem Grad schon bei einigen asiatischen Varietäten erwähnten Merkmale ist indes die übereinstimmende Angabe der we- sentlich von Sus Scrofa abweichenden Zahnformel: Back- 7 r - zähne TE: wonach untere Prémol. 1, 2 fehlen. Es war mir leider unmöglich, mir bis dahin einen Schädel dieses auf vielen Museen vorhandenen, allein bisher nur ungenügend bekannten Thieres zu verschaffen. Dagegen besitzt das hiesige Museum einen trefflich er- haltenen Balg sammt Schädel einer fernern Species aus Africa, von der Goldküste, welche von Schinz 1848 in sei- nen Monographien mit dem Namen Sus penicillatus be- legt worden ist. Die Diagnose von Schinz bezieht sich gänzlich auf äussere Merkmale, für welche ich auf die oben angeführte Quelle als genügend verweisen kann; sie hebt wesentlich die Bildung von Haarpinseln an den Spitzen der Ohren und des Schwanzes hervor, und überdies ist ange- geben, dass auch hier, wie bei Sus larvatus, auf jeder Seite der Wange eine knorplige starke Warze steht. Besonders *) S. die Geschichte derselben bei A. Wagner a. a. O0. Genaueste bisherige Angaben in den Supplem. 1855, p. 502. 526 lückenhaft sind die Angaben über das Zahnsystem. Es hat diese Species seither nirgends Erwähnung gefunden als durch Gray,*) der nach einem Exemplar vom Camaroon Ri- ver in West-Africa ebenfalls nur die äussern Merkmale ohne Rücksicht auf das Skelet und Zahnsystem beschreibt, und mit Sus larvatus unter ein besonders auf Africa be- schränktes Genus Chaeropotamus bringt, als Chaeropotamus pictus, wogegen Wagner a. a. 0. (Supplem. 1855) den rich- tigen Einwand erhebt, dass der Name Chaeropotamus auf- zugeben sei, da er einestheils schon verwendet sei für fos- sile Schweine und überdies kein Grund da sei, Sus larvatus aus dem Genus Sus auszuscheiden. | Die ae für Sus penicillatus ist 1 3+3 Feet Sie unterscheidet hs ps von derjenigen von Sus Scrofa durch das Fehlen der vordersten obern und untern Pré- molaires, und scheint sich demnach derjenigen von Dico- tyles zu nähern, welche in der That nur eine obere Inci- sive weniger hat. Allein der Bau der Zähne und des Schädels trennen das Pinselschwein weit vom americani- schen Schwein und bleiben dem Typus von Sus so treu, dass eine Abtrennung von diesem Genus unstatthaft er- scheint. Es blieben demnach für dasselbe drei lebende , Arten, Sus Scrofa für Europa, Asien und Nord-Africa, Sus larvatus für Madagascar und Sus penicillatus für Süd- und West-Africa. Die Incisivpartie von Sus penicillatus zeichnet sich im Verhältniss zu derjenigen von Scrofa, wie das ganze Gebiss sammt Schädel, von vorn herein aus durch weit bedeuten- dere ERBEN: Der knöcherne Gaumen ist weit breiter - #) Annals and Magazine of Natural history X, sec. Series 1852. Es sollen lebende Exemplare dieses Thieres nunmehr im zoologischen Garten von London vorhanden sein. a til 527 und stärker, die Foramina incisiva rundlich, kurz, durch eine kräftige Knochenbrücke getrennt. Während seine Breite bei einem erwachsenen Schädel des Wildschweins direct vor den obern Caninen kaum mehr als 4 Centim. misst, be- trägt sie bei Sus penicill. 6 Centim., wovon indes 11% auf eine starke flügelartige Ausbreitung der Gaumenränder kom- men, an welche sich die untern Caninen anlegen. Der Win- kel, in welchem die obern Incisiven von beiden Seiten zu- sammentreffen, ist daher nach hinten weit offener als bei Scrofa, oder bildet nahezu einen Bogen; die Incisiven selbst sind nicht wie bei Scrofa durch Lücken getrennt, “sondern stossen unmittelbar an einander; Incis. 3 ist weit stärker entwickelt als bei Scrofa, und alle nach vorn ge- richtet und auf dem freien Rand, Inc. 3 auch am hintern Rand durch Can. inf. stark abgenutzt. Inc. 1 misst an der Basis der Krone 15 Millim. in der Breite, Inc. 2 12 Mm., Inc. 3 10 Mm., während diese Maasse bei einem grössern Schädel von Scrofa nur 12, 10, 6 Mm. betragen. Noch kürzer, abgerundeter und kräftiger ist die untere Incisivpartie. Der Unterkiefer ragt bei Scrofa vor den Ca- ninen in einem spitzen Winkel nach vorn; die auf der Sym- physenlinie gemessene Distanz von dem hintern Rand der . Caninalveolen bis zur Symphysenspitze beträgt 5—6 Centim. Beim Pinselschwein bildet der vordere Rand des Unter- kiefers einen ganz schwachen Bogen, fast eine quere Linie unmittelbar vor den Caninen, und jene Distanz beträgt nur _ ‘8,3; Centim., trotzdem dass die Quer-Distanz zwischen dem Innenrand der Alveolen hier 38 Mm., dort nur 21 Mm. aus- macht. Die Incisiven legen sich auch hier unmittelbar an einander an und platten sich daher an den Seitenrändern gegenseitig ab; Incis. 3 ist noch sehr stark, obschon sie auch hier zum frühen Ausfallen geneigt scheint, denn sie fehlt bei unserm Schädel auf der rechten Seite und ihre Alveole ist schon fast gänzlich obliterirt, trotzdem dass ihr 528 linker Gegner sehr kräftig entwickelt ist. Alle tragen auf ihrer fast horizontalen Hinterfläche und auch auf der ver- tikalen Kronfläche sehr starke Usuren durch die obern Schneidezähne. Dennoch ist die Form derselben trotz grös- serer Kräftigkeit noch ganz dieselbe wie bei Scrofa, und verschieden von der fast tapirähnlichen Palettenbildung die- ser Zähne bei Dicotyles. Die Caninen geben zu den nämlichen Bemerkungen An- lass. Sie unterscheiden sich von denjenigen von Scrofa nur durch weit grössere Kräftigkeit, die sich schon in der mächtigen Entwicklung der Alveolen zeichnet; die Furchung der untern Caninen ist weit stärker ausgeprägt, die Rippen weniger zahlreich, allein vortretender und rauher, die Fur- chen daher breiter und tiefer, die Usurflächen weit ausge- dehnter. Nock ausgeprägter sind diese charakteristischen Merk- male an der Molarpartie. Dieselbe ist vorerst, wie die Zahnformel dies schon aussprach, oben und unten um Pré- molaire 1 ärmer als bei Scrofa, und daher der Zwischen- raum zwischen der Backzahnreihe und dem Eckzahn grös- ser. Nichtsdestoweniger trägt diese ganze Zahnpartie wieder das deutlichste Gepräge weit grösserer Kräftigkeit, die Zahnreihen bilden, besonders am Oberkiefer, nicht gerade Linien, sondern nach aussen convexe Bogen und sind, auch abgesehen von dem Fehlen des vordersten Zahns, kürzer als bei Serofa (11 Centim. oben und unten, 11, 5—12 bei Scrofa, nach Abzug von Prem. 1), dagegen auffallend ge- drungener, Dieses Gepräge grösserer Kräftigkeit spricht sich besonders auch aus durch grössere Dicke des Schmelz- überzuges, die unwillkührlich an Hippopotamus erinnert, und durch das Zurücktreten der Zwischenwarzen der Mo- laires und der Kerben der Premolaires, welche für das Ge- biss gemeiner Schweine so charakteristisch sind, allein des- sen pachydermes Gepräge stark maskiren, während dies 529 letztere, ähnlich wie bei Porcus und Dicotyles, weit stär- ker hervortritt beim Pinselschwein, daher die Annäherung an fossile Verwandte wie Anthracotherium, Chaeropotamus etc. durch den Namen, den Gray ihm gab, an sich durch- aus nicht so unrichtig wäre. Gehen wir genauer auf die Charakteristik der Back- zähne ein,*) so zeigen die obern Prémol. nicht die schwa- che seitlich comprimirte Krone mit innern, durch tiefe Gruben davon getrennten und durch verticale Kerben ge- schwächten Talons, wie bei Scrofa, sondern die Hauptspitze ist bei Prem. 2 und 3 sehr massig entwickelt, conisch, auf der ganzen Breite der Zahnbasis, nicht nur auf deren äus- serm Rand aufsitzend, die Basalfläche ein längliches Vier- eck bildend und der vordere Rand durch einen sehr mäch- tigen queren Basalwulst geschützt. An diesen mächtigen, regelmässigen Hauptkegel, der die vordere Hälfte des Zahns bildet, stösst dann nach hinten ein kräftiger, auf beiden hintern Ecken des Zahnes, besonders aber an der Innen- seite von Prem. 3, etwas weniger von Prém. 2, stark vor- tretender Talon, der allein die innere hintere Ecke der Zahnbasis bildet und daselbst durch eine leichte Grube von der Hauptkrone sich abtrennt, allein dennoch durch einen Basalwulst längs der ganzen Innenseite der Zahnbasis sich mit dem vordern Ansatz in V erbindung setzt. Ausser der erwähnten und am frühsten durch die Kron- spitzen von Prém. 3 und # inf. bewirkten Usur des hintern Talons findet sich an diesen zwei vordersten obern Backzähnen eine schwache Schlifffläche, die von der Kronspitze direct nach der Mitte des vordern Randes absteigt, und eine weit stär- kere, welche die nach dem hintern und äussern Winkel des Zahnes verlaufende Kante des Hauptkegels abnutzt. Durch #) S. die beigefügte Tafel, Erklärung derselben am Schluss dieser Mitthei- lung. 34 530 diese der äussern Kante der Krone folgende Usur erhält dann diese selbst bei höhern Graden der Abnutzung eben- falls den Anschein seitlicher Compression und nähert sich dadurch mehr dem entsprechenden Zahn von Sus Scrofa. Prem. 4 folgt in alle Details vollständig dem gleichen Zahn des gemeinen Schweins, obschon auch hier das nämliche kräftigere Gepräge sehr stark sich dadurch ausspricht, dass der starke innere Talon, der diesen Zahn auszeichnet, kaum durch eine schwache Grube von der die Aussenwand des Zahnes bildenden Krone getrennt ist. Dennoch ist selbst die bei Scrofa deutliche Dreitheiligkeit des Talons sowohl, als der Krone, d. h. das Vortreten von vier vertikalen Pfei- lern an den vier Ecken des Zahns auch hier bemerklich. Die Molaires kenne ich nicht in frischem Zustand, aus- _ ser Mol. 3. Doch lässt auch die ziemlich weit vorgeschrit- tene Abnutzung von 1 und 2 wahrnehmen, dass sich alle diese Zähne von denjenigen von Scrofa nur durch die schon für das ganze Gebiss berührten Merkmale unterscheiden. Die typischen Hügelpaare omnivorer Pachydermen treten weit deutlicher auf als dort, weil nicht Zwischenwarzen und Kerben, wie bei Scrofa, sie verdecken; überdies sind diese Zähne auch wirklich etwas breiter als bei Scrofa, bei gleicher Länge: dabei sind auch die an allen Molaires vor- handenen, die ganze Zahnbreite einnehmenden vordern Ta- lons stärker entwickelt, sowie der einfache hintere Ta- lon von Mol. 2 und besonders von Mol. 3, der nur ganz schwach eine Andeutung von vier Lappen zeigt; in Folge davon ist auch Mol. 3 vom Pinselschwein nicht länger als der gleiche Zahn von Scrofa ohne Talon, 28 Mm. Durch das Fehlen der tiefen Furchen und Buchten der Krone wird auch hier dieselbe einfacher und erscheint kräftiger. Spe- cielles Merkmal ist überdies das gänzliche Fehlen der Basal- höcker, welche alle drei obern Mol. von Scrofa in der Mitte ihrer Aussenfläche zwischen den zwei Hügelpaaren tragen; 531 und endlich bilden die zwei Hügelpaare von Mol. 2, das vordere und hintere, weit stärker nach vorn und aussen schiefe Linien als bei Scrofa, wo sie fast quer einander gegenüberstehn. Die gleichen Bemerkungen, wie für die obern Back- zähne, gelten auch für die untern. Doch geht hier die Re- duction noch weiter als bei den obern, indem nicht nur Prem. 1 fehlt, sondern auch Prem. 2 so schwach entwickelt ist, dass sie gar nicht zur Usur kömmt; in der Form bleibt sie indes der Bildung von Prem. 3 treu, auf welche allein, nebst 4, sich also die Vergleichung mit Sus Serofa beziehen kann. Es sind diese Zähne, obschon comprimirter als die obern, noch sehr stark und stellen nicht die comprimirten und gekerbten Platten ohne charakteristische Spitze dar, wie bei Scrofa, sondern an eine mächtige, nur wenig seit- lich abgeplattete, steiler nach vorn als nach hinten abfal- lende Hauptspitze lehnt sich vorn ein nach oben zugespitzter Basalansatz und nach hinten ein starker, von der Haupt- spitze etwas abgeschnürter hinterer Talon, der besonders bei Prem. 4 stark ist und, mit einer starken Usurfläche ver- sehen, eine vortretende Ecke am hintern äussern Winkel des Zahnes bildet. Sonstige Usurflächen sind eine schwache am vordern Abhang der Zahnspitze und eine starke, wel- che über den ganzen Kamm der, Krone hinläuft. Auch die untern Molaires sind etwas auadratischer als bei Scrofa, massiver und — hier gilt der Ausdruck nun völlig — denjenigen von Hippopotamus ähnlicher, denn die, übrigens der Zahnbildung vom Flusspferd ja genug nahe Aehnlichkeit geht nun so weit, dass auf der hintern Hälfte von Mol. 1 die charakteristische Kleeblatt- (Vierblatt-) Usur von Hippopotamus auftritt (die freilich selbst beim Haus- schwein angedeutet ist). Auch Mol. 2 hält durch deutliches Vorwiegen der vier Hauptpyramiden und Anlehnen eines schwächern vordern und eines stärkern hintern queren Ba- 34* 532 salwulstes bei fehlenden Zwischenwarzen die Mitte zwi- schen Schwein und Flusspferd. Eine starke, beim gemeinen Schwein kaum angedeutete Warze oder Schmelzcylinder erhebt sich hier in der Mitte des Aussenrandes. — Der letzte Backzahn ist wieder wesentlich einfacher gebaut und compacter, als beim gewöhnlichen Schwein, und merklich kürzer, weil der Talon weit einfacher ist, zwar wie dort aus einem medianen und vier umgebenden Lappen gebildet, allein die Lappen legen sich dicht an einander an und bil- den nicht selbstständige, gekerbte und durch Gruben ge- trennte Höcker, gleichsam einen neuen Zahnanhang wie dort. Mit den angegebenen Charakteren des Gebisses stimmt nun auch das Gepräge der Schädelbildung vollkommen über- ein. Der Schädel des Pinselschweins stimmt am meisten zusammen mit demjenigen von Sus, und beiden nähert sich Porcus und, abgesehen von den durch die Bezahnung mo- tivirten Eigenthümlichkeiten, auch Phacochaerus, während Dicotyles weit isolirter dasteht. Der Schädel des Pinsel- schweins unterscheidet sich von dem des Hausschweins durch eine sehr auffällige grössere Gedrungenheit und Kräf- tigkeit, kürzere und breitere, nicht so lang ausgezogene Schnauze bei höherem Hinterkopf; die ganze Pyramide des Kopfes ist kürzer, mit breiterer Basis als dort, und auch der Unterkiefer nimmt hieran vollen Antheil. Bei’ einer Schädellänge von 33 Centim. (von der Spitze der Ossa na- salia bis an den Occipitalrand) stehen die Jochbogen an der Oceipitalfläche um 15%, die Unterkieferwinkel, am äus- sern Rand gemessen, um 1%Centim. aus einander, während bei einem Wildschwein diese Distanzen nur 131% und 10 auf 371% Schädellänge betragen; am obern Rand beträgt die Breite der Occipitalfläche S Centim. bei jenem, 7 bei diesem. Die Neigung dieser Fläche, der Winkel mit der Schädeloberfläche ist bei beiden ähnlich. 110 4 Die Schädeloberfläche ist weniger geradlinig als’ hei 533 Serofa, weil die hier nur schwach angedeutete Einknickung in der Mitte des Schädels, an der Nathstelle zwischen Na- sen- und Stirnbein, beim Pinselschwein stärker ausgespro- chen ist. Die Stirne steigt daher etwas steiler auf, ist auch breiter (1014 gegen 9 Centim. direct hinter den Augen- höhlen, 3% gegen 3 Centim. zwischen den Schläfengruben), weit gewölbter als beim Hausschwein, erreicht ihre grösste Höhe nicht erst am Occipitalrand und fällt in wulstig auf- getriebenen Rändern, nicht wie dort in scharfen Kanten in _ die, Orbitae und Wangengegend ab. Die Supraorbitallöcher sind gross und die daraus vortretenden Rinnen, statt wie bei Scrofa und selbst noch bei Porcus seichte Kanäle zu bilden, bilden hier sehr tiefe, sich rasch nach aussen krüm- mende und daher bald den Aussenrand der Schädelober- fläche erreichende Furchen, welche nach aussen durch sehr starke rundliche Knochenwülste begrenzt sind, welche die Wangenfläche überdachen; ein stark vorspringender Kno- chenrand bildet daher von der Orbita an die bei allen an- dern Schweinen einfache rundliche Kante zwischen Seiten- wand und Oberfiäche des Gesichts; am bedeutendsten schwillt dieser vorspringende Rand da an, wo der Zwischenkiefer in dem Winkel zwischen Nasalia und Maxilla sup. anhebt. An dieser Stelle, der schmalsten und am meisten gewölb- ten der Gesichtsoberfläche beim Wildschwein (kaum 3 Cen- tim.), ist die Gesichtsfläche beim Pinselschwein am breite- sten (64, Centim.) und stark concav; der Rand selbst, stark eallos, verliert sich nach oben und nach unten allmählig, so dass die ganze, beim gemeinen Schwein gar nicht ange- deutete Callosität 9 Centim. Länge hat und beidseits wohl 11%—2 Centim. breit die Maxillarwand überdacht. Die ganze Stelle ist mit einem Netz von Gefässrinnen überzogen und trägt die starke Fleischwarze, welche bei diesem und dem andern südafricanischen Schwein, dem Maskenschwein, das Gesicht entstellt. 53% An der Seitenwand der Schädelpyramide fällt beim Pinselschwein vor allem auf der ausserordentlich breit vor- tretende, kurze und ungemein kräftige Jochbogen, der nicht eine dünne verticale Knochenplatte darstellt, wie bei Sus Scrofa, sondern eine massive, wulstig vortretende, stark gekrümmte Knochenbrücke; (quere Distanz zwischen den vorragendsten Punkten der beiden Jochbogen 17 Centim: Stärke (Dicke) des Jochbogens selbst, am Jochbein 2 Cen- tim.; 12 Centim. und 1 Centim. beim Wildschwein); ferner die grosse verticale Höhe der Maxillarwand (7 gegen 6 Centim. über Mol. 1) und vor allem der der Callosität des Gesichtsrands entsprechende enorme Knochenfortsatz, der, kaum angedeutet beim Hausschwein, über den Alveolen der Canine und Prem. 2, 3 anhebt und eine ganz frei daste- hende Apophyse von 43 Mm. Länge und 35 Mm. Höhe mit sehr stark verdicktem callosem freiem Rand darstellt, wo- durch die Infraorbitalrinne in ein mächtiges Thal von über 215 Centim. Oeffnung und 3%, Centim. Tiefe mit starken Knochenwänden verwandelt wird. Die Kürze der Schnauze wurde bei der Betrachtung der Incisiven angegeben. Wie angegeben, ist diese Apophyse zum Schutz der Infraorbitalgefässe und der Musculatur der Wühlscheibe — denn zur Verstärkung der Alveole kann sie nichts beitra- gen, — die bekanntlich auch charakteristisch ist für das Maskenschwein, auch beim Wildschwein, obschon nur ganz schwach, angedeutet, und es bildet daher die Gestaltung der Umgebung der obern Caninen ein gutes Merkmal für die verschiedenen Genera der Suina. Ein ähnliches'tiefes Thal, obschon ganz eng, wird bei Porcus gebildet durch ganz andere Mittel, durch die aufwärts gerichtete Alveole des Eckzahns, wieder in ganz andrer Weise bei Phaco- chaerus, und bei Dicotyles wäre diese Rinne gar nicht an- gedeutet, wenn nicht das Zurückweichen des vordern Rands 535 der obern Caninalveole vor dem untern Eckzahn sie wieder erzeugte. | Am Unterkiefer bemerke ich neben der schon ange- führten grössern Oeffnung des Winkels der beiden Aeste nur noch, dass durch die Einschnürung des Unterkiefers an der Stelle der fehlenden Premol. 1 und direct hinter den stark nach aussen tretenden Alveolen der untern Caninen die: löffelartige Ausbreitung der kurzen und abgerundeten Incisivpartie wieder sehr an die ähnliche Bildung bei Pferd und Tapir erinnert. Es ist dies ganz besonders auffallend auf der Unterseite des Unterkiefers sichtbar. Von dieser Einschnürung in der Hälfte der Symphysenlänge ist bei al- len andern Schweinen fast nichts bemerkbar, sondern die beiden Unterkieferäste laufen in ziemlich geraden Linien in schwachen Winkeln (von 20 bis höchstens 36°) von der Symphyse nach hinten. i Bei Sus penicillatus beträgt dieser Winkel über 50°. Allein die Backzahnlinien verlaufen nichtsdestoweniger na- hezu parallel oder eher in schwach nach innen concaven Bogen, und es ragt daher (bei umgestürztem Unterkiefer) die ganze Alveolarpartie der Molares sehr stark nach innen vor, so dass der Querraum, den der Unterkieferast in der Gegend der letzten Molare einnimmt, nicht weniger als % Centim. beträgt. Der Rand des horizontalen Unterkiefer- astes ist dabei ausserordentlich dick (bis 22 Centim.); auch der senkrechte Ast ist in seiner ganzen Ausdehnung weit dicker und kräftiger als bei irgend einem andern Schwein, mit sehr verdicktem, durch starke Rippen und Höcker an der Innenseite verstärktem Rand (ähnlich Pa- laeotherium), dabei indes nur wenig steiler aufgerichtet als bei einem gleichaltrigen Schädel von Sus Serofa, also weit weniger steil als bei Porcus und Dicotyles, und mit ganz kurzem und stumpfem Processus condyloideus. Es genügen wohl diese mit fortwährender Vergleichung 36 des gemeinen Schweins gemachten Angaben über das Pin- selschwein reichlich, um die schon durch die Zahnformel ausgedrückte, allein durch anderweitige Merkmale bedeu- tend erweiterte Selbstständigkeit dieser Species festzustel- len. Wichtiger erscheint nun die Frage nach dem Ver- hältniss von Sus penicillatus zu dem dieselbe zoologische Provinz bewohnenden Sus larvatus (das ja nicht allein auf Madagascar beschränkt sein soll). Hierüber stehen mir lei- der nur sehr ungenügende Hülfsmittel zu Gebote; *) den- noch reichen sie aus, um wenigstens die Unabhängigkeit unserer Species auch von dem Maskenschwein nachzuweisen. Der auffälligste Charakter des Pinselschweins, die knöcher- nen Protuberanzen und Callositäten, welche den Infraorbi- talcanal umgeben, stimmen, wie schon gesagt, vollständig überein mit denjenigen des Maskenschweins. Ein wesent- liches differentielles Merkmal bietet indes die Backzahn- formel. Dem Maskenschweine fehlen Premol. 1, 2 inf. des gemeinen Schweins, dem Pinselschwein Prémol. 1 sup. und 1 inf. Beim letztern ist selbst Pr&mol. 2 inf, äusserst re- 6 dueirt, und daher Tendenz zur. Zahnformel 5; und würde sich dabei vielleicht herausstellen, dass das Pinselschwein in der Jugend noch eine vorderste obere Praemolare be- sässe, und das Maskenschwein eine hinfällige untere Prae- molare 1, so würde es uns, so lange ein Schädel dieses letztern uns nicht zu Gebote steht, gewagt erscheinen, die Selbstständigkeit dieser beiden Species behaupten zu wol- len, da über die genauern Eigenthümlichkeiten der Bezah- nung des Maskenschweins die bisherige Litteratur ausser der Angabe der Formel nichts enthält. Eine gütige Mit- theilung des Herrn Dr. Mettenheimer in Frankfurt konnte *) Die wenig ausreichenden Abbildungen an den a. O., besonders von F. Cuvier und Schinz. \ | nn. 537 mich indes vollständig beruhigen über diese Hypothese, dass vielleicht die Differenz der Zahnformel beider Schweine nur Alters-Eigenthümlichkeit sein möchte. Der vollständig erwachsene Schädel des Frankfurter Museums enthält sie- ben obere Backzähne, von welchen der vorderste freilich der kleinste ist, wie bei allen Schweinen, allein keineswegs von so unbedeutenden Dimensionen, dass man auf ein Aus- fallen desselben in späterm Alter schliessen dürfte, und dass auch die untere Zahnreihe wirklich nur fünf Zähne enthält, darüber lässt derselbe Schädel auch keinen Zweifel. Allein auch neben ‘diesen Verschiedenheiten in der Zahnzahl, zu welchen die genauere Vergleichung wohl ohne Zweifel auch solche in der Form fügen würde, giebt die Abbildung des Schädels des Maskenschweins, die am mei- sten Zutrauen zu verdienen scheint,*) auch Kenntniss von Differenzen des Schädelbaues von eben so grosser Trag- weite, als diejenigen, welche die Abtrennung des Pinsel- schweins vom gemeinen Schwein, mit Absehen von den immerhin weit bestimmtern Differenzen der Bezahnung, un- terstützten. Mit Absehen von jenen den beiden südafrica- nischen Arten gemeinschaftlichen Knochenauswüchsen, wel- che die ebenfalls ähnlich gebildeten Gesichtswarzen tragen, stimmen alle absoluten wie relativen Grössenverhältnisse im Schädel des Maskenschweins vollständig überein mit denjenigen des gemeinen Schweins; Schädellänge, Neigung der Oberfläche des Schädels, Verhältniss zwischen Schädel- länge und Höhe, Länge der knöchernen Schnauze vor den Callositäten derselben, Länge und Form des Jochbogens. Nur der grosse Querdurchmesser des Schädels auf der Höhe der Krümmung der Jochbogen stimmt überein mit dem Pin- selschwein, und trotz der weit bedeutendern Länge der Jochbogen beim erstern erhält dadurch dessen hintere *) Mem, du Musée d'histoire naturelle VIII, Pl. 22. 1822. 538 Schädelhälfte gerade wie beim Pinselschweïn den Ausdruck grosser Breite, der stark contrastirt mit der schlanken Keil- gestalt dieses Schädeltheils am Wildschwein. ' Allein auf diese breite Jochgegend folgt von der Stirn-Nasenbeinnath an nach vorn beim Maskenschwein ein sehr allmählig und schlank sich auskeilender Gesichtsschädel von den Verhält- nissen des gemeinen Schweins, mit schlanken Umrissen, welche durch die callosen Umgebungen der Suborbitalrinne nicht modificirt, sondern nur unterbrochen werden, während dieser Gesichtstheil beim Pinselschwein sehr auffallend kurz und durch die erwähnten Callositäten beträchtlich in die Breite ausgedehnt wird. Diese Verhältnisse finden wohl ihren besten Ausdruck in der Angabe, dass die bei- den nicht callosen Theile der Oberfläche des Gesichtsschä- dels, von der Stirn-Nasenbeinnath bis zum hintern Ende der Callositäten, und von deren vorderm Rand bis zur Na- senspitze beim Maskenschwein an Länge dieselben Stellen beim Pinselschwein fast ums Doppelte übertreffen. Directe Messungen dieser Verhältnisse gestattete die Cuvier'sche Abbildung freilich nicht. Allein eine auf denselben Grad (74) reducirte genaue Zeichnung des Schädels vom Pinsel- schwein neben die Cuvier'sche Abbildung vom Masken- schwein gehalten, setzte diese Verhältnisse in ein helles Licht. Ich wage bei der Unsicherheit von Messungen an Zeichnungen, deren vollständige Treue man nicht verbürgen kann, als übersichtlichen Ausdruck dieser Verhältnisse nur die vor der Schnauzenspitze gemessenen Winkel neben einander zu stellen, welche die Schädeloberfläche mit ‘der "Basis des Unterkiefers bildet. (Modificirt auch die Form des Unterkiefers diesen Winkel etwas, so gehört ‚dies mit zum Gepräge des Schädels.) Dieser Winkel beträgt bei Sus Scrofa und larvatus 20—21°, bei Sus penicillatus 25°.» Die blossen Differenzen der Schädelform zwischen Sus Scrofa und den beiden africanischen Maskenschweinen sind 539 nach: dem Gesagten, trotz der höchst bemerkenswerthen knöchernen Umgebung der Infraorbitalrinne, kaum viel be- deutender als diejenigen, welche die insularen Varietäten Asiens unter sich zeigen, und berechtigen daher sicher so wenig wie jene zur Aufstellung eines besondern Geschlechts der Maskenschweine. Nichtsdestoweniger ist die starke Abweichung der Zahnformel bei beiden letzten von der so constanten Formel aller asiatischen Arten auffallend, und ich verhehle mir nicht, dass die Annäherung des Gebisses des Pinselschweins an die Palaeochaeriden manchem aus- schliesslichen Palaeontologen vielleicht für eine solche Ab- trennung, wie sie schon Gray vorgeschlagen, genügen würde. Inwiefern nun eine genauere Vergleichung des Gebisses von Sus larvatus einen solchen Versuch unterstützen würde, bin ich leider ausser Stand zu entscheiden, da alle Bücheran- gaben hiezu nicht ausreichen, und bis dahin lasse ich auch dem Pinselschwein seine bisherige Stelle neben Sus Scrofa und larvatus. Stellt man die Schädel sämmtlicher lebender Schweine neben einander, so ist jedenfalls die Selbstständigkeit der zwei americanischen Arten als eines besondern Genus am meisten motivirt; sie stehen beide auf ganz anderem Bo- den als diejenigen der alten Welt; die ganze Schädelform zeigt ein ruhigeres und milderes Gepräge, das sich von der Physiognomie des so charakteristischen Wühlkopfes der Schweine der alten Welt wesentlich unterscheidet, wie dies auch in der schwachen Ausbildung aller Gefäss- und Nervenrinnen des Rüssels und in den Insertionsstellen der Nackenmuskeln bis in die speciellsten Details verfolgt wer- den kann; alles weist auf ein anderes Regime, was auch in dem Bau des Magens eine Bestätigung findet, und bildet in vielen Beziehungen, in der starken Ausbildung eines Sagittalkammes und dem Charakter aller Zahnpartieen ei- nen unverkennbaren Schritt zum Tapir hin. 540 Die Abzweigungen in den Schweinen der alten Welt sind offenbar von weit geringerem Werth, als diese Ab- trennung von Dicotyles. Eigenthümlich ist hier zumeist die Verbindung des Wühlkopfes von Sus mit einem Elephanten- backzahn, mit enormen Caninen, mit reducirten Incisiven und Molaren bei Phacochaerus. Schwächer sind die Gren- zen für die zwei Maskenschweine von Africa, deren Haupt- charakter, ausser der beim Pinselschwein dem Flusspferd sich nähernden, bei beiden in der Praemolarzahl reducir- ten Bezahnung, in der colossalen Ausbildung aller Gefäss- und Muskelrinnen für die Schnauze, oder also wohl in der maximalen Ausprägung des Wühlercharakters liegt. " Beim Hirscheber der Molukken finden wir in der noch mehr re- dueirten Backzahnreihe mit Gepräge von Palaeochaeriden und in der sehr eigenthümlichen Schwächung der ihrer ur- sprünglichen Function sicher sehr entfremdeten Caninen eine fernere Modification des Schweins, welche ohne Zweifel wieder auf sehr verschiedene, sicher sehr harmlose Lebens- art und Ernährung hinweist; der Schädel selbst steht ohne Zweifel demjenigen des gemeinen Schweins am nächsten, hat aber sein Wühlergepräge fast in eben so hohem Masse verloren als Dicotyles. Sicher lebt auch dieses Thier nicht von unterirdischen Vegetabilien, und "bekanntlich wird es als besonders in Rohrgebüsch und Wasserpflanzen sich auf- haltend geschildert. Durch den alleinigen Besitz der voll- ständigen typischen Zahnzahl bildet endlich das gemeine Schwein gewissermassen einen Mittelpunkt aller dieser Thiere, und kann auch wohl sein ganzes Gepräge als Typus für die ganze Zunft gelten, obschon die starke Ausbildung von Zwischenwarzen auf der Kronfläche der Backzähne und von Kerben an den Praemolaren eine neue Modifications- reihe andeutet, die in den zahlreichen Abarten eine grosse Breite, allein nur schwer eine bestimmte Definition finden mag ; sie trübt und verwischt einigermassen den Charakter, der a RES be 541 sonst das Schweinsgebiss wesentlich auszeichnet, Ver- bindung von herbivoren Molaren mit carnivoren Praemo- laren, das heisst den Charakter einer sehr ausgebildeten Omnivorität, der bei Porcus und Phacochoerus durch Schwin- den, bei Dicotyles durch Umbildung der Praemolaren nach dem Vorbilde der Molaren so stark zurücktritt und nur durch das Genus Sus im oben bezeichneten Umfang, mit Einschluss der zwei Maskenschweine, deutlich vertreten wird, und sich wesentlich zu verbinden scheint mit einer auch im Schädel durch die Gefäss- und Muskelrinnen des Rüssels und die Art der Befestigung des Hinterhaupts ab- geprägten Ausbildung eines Wühlrüssels. Die obige vergleichende Durchsicht der Arten lebender Schweine nôthigte in natürlicher- Weise, dieselbe auf die bisher bekannt gewordenen Reste fossiler Schweine auszu- dehnen, und wenn auch eine gleichmässige Uebersicht aller in diese Zunft gehörigen Thierreste weder in der Absicht dieser Arbeit noch in dem Bereich meiner Hülfsmittel lag, so mag doch der Besitz einiger neuen, dem Museum in Solo- thurn gehörigen und von dorther mir freundlich mitgetheilten Reste fossiler Schweine dazu berechtigen, wenigstens in- nerhalb der Grenzen des Genus Sus die bisherige Unter- suchung auch auf diese: letztern auszudehnen. Wenn ich auch hier es so viel als möglich vermeide, schon Bekanntes zu wiederholen, und daher für alle als Basis dieser Durchsicht dienenden Details auf die darauf bezügliche Litteratur verweise,*) so muss ich mich, unge- *) Goldfuss, Nova Acta 1823. Kaup, Oss. foss. de Darmstadt. H. v. Meyer, Georgensgmünd. Croizet et Jobert, Recherches. Marcel de Serres, Du- breuil et Jean-Jean, Recherches. Blainville, Ostéographie. Pomel, Bibl. univ. de Genève, Archives VIII, 1848. Gervais, Zool. et Paléontol. franc. Ferner die Sammelwerke von Guvier, Owen, Pictet, Giebel etc, etc. 542 nügende Angaben bei Seite lassend und nicht im Stande, die Originalien zu vergleichen, unter etlichen 30 in der Lit- teratur aufzählbaren fossilen Species zu meinem Zweck auf eine geringe Anzahl beschränken. | Ich schliesse nämlich von meiner Vergleichung aus: 1. Das schon berührte Wildschwein Sus Scrofa, das auch diluvial auftritt, Sus ogygius Nau und die längst gerichtete Art Sus Erymanthis Geoffroy. 2. Als mit Hülfe der vorhandenen Angaben nicht mit Sicherheit vergleichbar die tertiären Arten: Sus Lock- harti, chaeroides, leptodon, armatus Pomel; Sus si- morrensis Blainv.; Sus chaerotherium und Doati Lartet.*) 3. Als zu andern Genera gestellt: Sus americanus Har- lan (Harlanus Owen); Sus aethiopicus Duv.? (Phaco- choerus); Sus Sömmeringii, tener und trux H. v. M. (Hyotherium und Calydonius H. v. M.); Sus masto- dontoideus Duv. (Trachytherium Gerv.); Sus Tapiro- therium Blainv. (Tapirotherium id.); Sus lemuroides Blainv. (Anthracotherium? Pomel); Sus sivalensis und hysudrieus? (Chaerotherium Falc. et Cautl.); Sus collaris, nebst 5 Species Dicotyles Lund. Und beschränke mich auf die diluvialen Arten: Sus priseus Goldf.. „ priscus Marcel de Serres. Und auf die tertiären: Sus provincialis Gerv. „ major Gerv. h eine *) Sus leptodon mag wohl bei näherer Untersuchung ganz von Sus sich ent- fernen. Die für Sus armatus angegebene Eigenthümlichkeit der, Ausbil- dung von drei grossen Höckern am Talon von Mol. 3 ist ganz gewöhnlich beim Wildschwein. Am meisten Anrecht auf Selbstständigkeit innerhalb des Genus Sus hat wohl von diesen Species Sus Chaerotherium durch die merkwürdige Reduction des Talon von Mol. 3 sup. | PP u a a 543 Sus belsiacus Gerv. „ arvernensis Croizet et Jobert. „ antiquus Kaup. » palaeochoerus Kaup. „ antediluvianus Kaup. In Bezug auf die beiden diluvialen Arten Sus priscus Marc. de Serres und Sus priscus Goldf. macht wohl Giebel mit Recht die Bemerkung, dass sie wohl keine grössern Eigenthümlichkeiten bieten möchten als die Spielarten des lebenden Schweins. Es gilt dies besonders von Sus priscus Goldf.; die einzige Basis dieser Species, ein zahnloses Kinnstück mit sehr schwachen untern Caninen von der Form derjenigen des Wildschweins (mit hinterer Schneide) und sehr grosser Distanz zwischen Canine und erstem Backzahn, mit schwa- chen Wurzeln der Molaren und Praemolaren, genügte Gold- fuss als Beweis der einstigen Gegenwart einer unser Schwein an Grösse bedeutend übertreffenden, an Stärke des Baues indes bedeutend hinter ihm zurückstehenden Art, die in- dessen bis auf weitere Angaben durchaus ignorirt werden muss, da diese äusserst spärlichen Angaben nicht zu einer irgendwelchen Diagnose genügen. Sus priscus Marcel de Serres, Dubreuil et Jean- Jean wird bekanntlich von den Autoren, denen ein bis auf wenige Inecisiven vollständiger Schädel und eine Menge Kinnladen von jedem Alter vorlagen, in die Nähe von Sus larvatus gestellt, mit welchem es sich durch die starke knöcherne Protuberanz an der Alveole der Canine und durch die gedrungene Schädelform vom Wildschwein unterscheide. Die Zahnformel entspricht vollständig derjenigen des Haus- schweins, und es ist auch Prem. 1 inf. isolirt wie dort. Auch Gervais stellt diesen Schädel sowohl in Bezug auf "Bezahnung als auf allgemeine Formverhältnisse in die Mitte zwischen Sus larvatus und Scrofa. Es lässt sich indes bei 544% genauer Durchlesung der Beschreibung obiger Reste nicht die Bemerkung unterdrücken, dass die Autoren dieser Species sich zur Vergleichung eines Schädels des zahmen Schweines bedienten; die Angaben, dass bei Sus Scrofa die Callosität der Umgebung des Eckzahns fehle, dass die Gaumenfläche mit der Occipitalfläche einen rechten Winkel bilde u: s. f., passen auf das Hausschwein, nicht aber auf das Wild- schwein. In Bezug auf die ganze Form ist auch der Schä- del von Lunel-Viel in der That kürzer und gedrungener als derjenige des Wildschweins, allein er steht doch diesem ausserordentlich viel näher als dem Maskenschwein und könnte füglich als ein sehr kräftiger Wildschweinschädel gelten. Schon das Schwinden der Schädelnäthe. beurkundet grössere Kräftigkeit, allein überdies sind alle Grössenver- hältnisse etwa um {4 stärker als bei einem Schwein mitt- lerer Grösse. Auch die Zähne sind stärker, mit einer dickern Schmelzschicht belegt, massiver, die obern Molaren quad- ratischer, die basalen Schmelzwarzen am Aussenrand von obern und untern Molaren reducirt und im Allgemeinen ein stärkeres Vortreten der Haupthügel und Schwinden der Zwischenwarzen an den Molarkronen bemerklich; die Zahl "und Anordnung derselben folgt übrigens vollständig Serofa, während das Maskenschwein zwei ‚untere Praemolaren ent- behrt. Eben so wesentlich, wie die Annäherung an Sus Scrofa, erscheinen die Abweichungen von Sus larvatus. Schon in Bezug auf den angeblichen Hauptcharakter ‚des Masken- schweines geben die Autoren selbst an, dass die Protube- ranzen der Nasenknochen, welche bei Sus larvatus dem Eckzahnhöcker gegenüberstehen, bei Sus priseus fehlen, allein auch der Eckzahnhöcker selbst ist kaum bedeuten- der als er bei einem so grossen Wildschweinschädel, zu erwarten wäre, und in Form und Richtung sehr abweichend von der sehr eigenthümlichen Bildung dieses Auswuchses 545 bei beiden Maskenschweinen. Ein noch mehr diese letztern bezeichnendes Gepräge besteht überdies in der im Verhält- niss zu der grossen Schädellänge besonders bei Sus larva- tus sehr beträchtlichen Wölbung und daherigen Kürze des Jochbogens; dieser Charakter fehlt gänzlich bei Sus pris- cus, das auch in dieser Beziehung (immer bei Anlegung ei- nes um Yı grössern Maassstabes) vollständig mit Sus Scrofa übereinstimmt, se dass alle Verhältnisse sich vereinen, um das Schwein von Lunel-Viel von Sus larvatus weit abzu- trennen und es so nahe mit dem gemeinen Schwein zu ver- einigen, dass der einzige Unterschied, grössere Verhältnisse und bedeutendere Stärke, besonders im Gebiss von fragli- chem specifischem Werthe wird.*) Sus arvernensis Croizet et Jobert wird überall als dem Schwein von Siam ähnlich erklärt. Es scheint mir unmöglich, aus der Abbildung dieser Species mehr zu schliessen, als dass dieses die Praemolaren noch als Milch- zähne zeigende Gebiss, wie die Autoren dies selbst äussern, mit dem Wildschwein „die grösste Aehnlichkeit zeigt“,**) und selbst in den Grössenverhältnissen mit einen: gleich alten Frischling des Hausschweines ganz gut übereinstimmt. Inwieferne die Vermuthung von Pomel Grund hat, dass dieses Milchgebiss zu Sus provincialis Gerv. gehören möge, — wofür die Gleichaltrigkeit des Terrains zu sprechen schiene —- wird natürlich nur nach Auffindung der Milch- zähne dieser letztern Art zu entscheiden sein. | Sus antiquus, palaeochoerus und antediluvia- nus Kaup, obschon theilweise auf weit spärlichern Resten beruhend als die bisher genannten Arten, ja die letztere 7 #) Die Grössenverhältnisse sind fast ganz dieselben, wie bei Sus priscus Goläf., das aber durch bedeutende Schwäche der Bezahnung sich unter- scheidet, welche kaum auf blossem. Geschlechtsunterschied, wohliaber auf Racenunterschied beruhen könnte. ##) Recherches pg. 158. 35 946 nur auf zwei Zähnen, sind dennoch weit besser vom Wild- schwein abgegrenzt, und es darf wohl ihre Berechtigung als besondre Species nicht in Zweifel gezogen werden. Sie, folgen in dem allgemeinen Gepräge ihres Gebisses gänzlich dem Genus Sus im engern Sinn, und zwar am treusten dem- jenigen des Wildschweins, mit welchem, sie daher. sehr wahrscheinlich auch übereinstimmten in der Zahnzahl und Isolirung von Praem. inf. { und in der Form der Caninen. Der gemeinschaftliche Charakter dieser drei miocenen Ar- ten besteht wesentlich in dem an die Palaeochoeriden erin- nernden Zurücktreten der Zwischenwarzen und Kerben der Backzähne und daheriger stärkerer Ausprägung der vier oder fünf Haupthügel der Molaren und der Hauptzacken der Praemolaren; damit stimmt zusammen die grössere Kräf- tigkeit der Zähne überhaupt, der mehr quadratische Umriss der Molaren und die regelmässigere Kegelgestalt der Prae- molaren; charakteristisch erscheint zumal die Vereinfachung des Talon des letzten Backzahns, sowohl in seinem Kron- als Wurzeltheile. | Gleiches Zutrauen verdienen ohne Zweifel die drei von Gervais vorgeschlagenen Species Sus belsiacus, major und provincialis. Sie gehen in der an Palaeochoeriden erinnern- den und überhaupt die fossilen Schweine im Vergleich zu den lebenden charakterisirenden Vereinfachung des Zahn- baues durch Zurücktreten der Zahnwarzen und accessorischen Talons und Vorwiegen der Hauptelemente der Zahnkronen noch weiter als die drei Species des Rheinthales. Sie fin- den in dieser Beziehung ihre nächsten Nachbarn an den zwei lebenden Maskenschweinen, mit welchen sie überdies durch ein noch auffälligeres Merkmal verbunden sind, näm- lich durch die bei Sus penicillatus erwähnte, beim gemeinen Schwein gänzlich fehlende Schiefstellung der Höckerpaare von obern und untern Molaren (von hinten und innen nach vorn und aussen). Arte D 3 547 An Sus belsiacus speciell fällt vor allem auf die äusserst starke Trennung der vier Höcker der Molaires, die theilweise auf Rechnung jugendlichen Alters gesetzt werden muss, welche auch, wenn man die Abwesenheit aller Usur bei den von Gervais abgebildeten Zähnen in Anschlag bringt, dennoch bei keinem lebenden Schwein so weit geht; und eben so auffallend ist die fast rein conische Form der Pre- molaires, die ebenfalls noch weiter geht als z. B. unter den lebenden beim Pinselschwein, und dem Genus Palaeochoe- rus sich sehr annähert, (wo indes Prémol, 1 inf. dicht ne- ben. 2 steht nnd die Molaires andere Kronhöcker zeigen); denn dass bei Sus belsiacus wie bei Sus Scrofa vor Praem. inf. 2 noch eine isolirte Praem. 1 stehe, glaube ich daraus schliessen zu dürfen, dass Praem. 2 noch ein beträchtliches Volumen hat und kaum viel geringer ist als Praem. 3, wäh- rend bei Sus penicil!. mit fehlender Praem. 1 schon Praem. 2 so klein ist als Praem. 1 bei Scrofa. Sus major mit einer einzigen bekannten Mol. sup. 7 von fast doppelter Grösse als der entsprechende Zahn von irgend einem lebenden Schwein ist ebenfalls genügend als Species begründet durch die bedeutende Reduction der Zwi- schenwarzen, durch die Einfachheit des gänzlich dem Pin- selschwein ähnlichen Talon und durch die Schiefstellung der ebenfalls vereinfachten Höckerpaare des genannten Zah- nes, der, dem gleichnamigen Zahn des*Pinselschweins am "meisten ähnlich, wie dieser stark an Anthracotherium erin- nert.*) Die breiteste Basis von allen von Gervais aufgestell- ten und, nach Abzug von Sus priscus von Lunel-Viel, von allen fossilen Arten überhaupt hat Sus provincialis, von welchem Gervais’ alle untern Backzähne bis an Prémol. 1, L#) Die genaueren Details siehe bei Gervais a. a. 9. 35* 548 und überdies Mol. sup. 2, 3 darstellt. Gervais und Blain- ville bezeichnen sie als Sus larvatus sehr nahe stehend. Das Museum von Solothurn besitzt aus der Umgegend von Montpellier, aus dem nämlichen Terrain, worin die durch Gervais beschriebenen und vortrefflich abgebildeten Reste lagen (Sables marins pliocènes), Mol. 3 inf. und sup. noch wurzellos aus ihren Alveolen gefallen, also ohne alle Spur von Usur, Mol, 2? sup. rechter- und linkerseits, ferner ein Stück des linken Unterkiefers mit Mol. 1, Premol. 4, 3, 2 bis zur Alveole von Prem. 1, und endlich ein Stück des rechten Oberkiefers mit Prem. 2, Wurzel von Prem. 1 und Alveole von Canine. — Ich kann daher zu den Anga- ben: von Gervais noch solche über Prémol. 1 inf. und Pre- mol. 2 und. 1 nebst Canine sup. fügen, was besonders von Werth sein wird in Bezug: auf das Verhältniss dieser Art zu Sus larvatus und penicillatus. | Mol. 3 sup. Unser noch durchaus intakte Zahn hat genau die Grösse des von Gervais abgebildeten schon ab- genutzten (34 Mm. Länge), und ist etwas kürzer als ein gleich alter Zahn von Sus Serofa, und länger als bei Sus: penicillatus, dabei die zwei Hügelpaare wieder, wie schon bei. Sus belsiacus und major, schief nach vorn und aussen gerichtet, der Talon weit kleiner, weniger stark gelappt, äussere und innere Basalwarzen schwächer angedeutet, und durch alle diese Merkmale genau in die Mitte gestellt zwi- schen Sus Scrofa und Sus penicillatus, wo die Basalwarzen, ganz geschwunden, die Lappen des Talon fast gar nicht, mehr bemerkbar, auch die weniger gelappten Hügelpaare schiefer gestellt sind als bei Scrofa. Auch der vordere Basalansatz ist bei Sus provincialis stärker als bei Scrofa, ähnlich wie bei Sus penicillatus. | Mi. Mol. 3 inf. weicht noch mehr von Sus Scrofa ab, als der obere. Länge nur 37 Mm., 41 bei dem alten Zahn von Gervais, während 40 bei einem jungen vom Wildschwein, 549 34 bei Sus penicillatus. Auch hier sind die Haupthügel stärker vortretend, schiefer gestellt, die Basalwarze am Aussenrand zwischen beiden Hügelpaaren schwächer ange- deutet, und der hintere Talon noch mehr reducirt im Ver- hältniss zu Scrofa, ja selbst mehr als bei penicillatus. Er besteht bei Scrofa aus einem dritten Hügelpaar nebst un- paarem Schlusshöcker, bei penicillatus sind alle diese Theile nur angedeutet durch Lappen, welche sich zu einer rund- lichen Masse vereinigen und an einander schliessen, bei Sus provincialis ist nur der Schlusshöcker da, und das dritte Hügelpaar fehlt gänzlich. Mol. 2 sup. ist im Umriss quadratischer, altein gleich- zeitig schiefer als bei Sus Scrofa, und das vordere Hügel- paar an querer Ausdehnung das hintere wesentlich über- treffend, gänzlich wie bei Sus penicill.; die Zwischenwarzen treten ebenfalls bedeutend zurück im Vergleich zu den Haupthöckern, und die äussern Basalwarzen zwischen vor- derer und hinterer Zahnhälfte sind schwächer als bei Scrofa, während sie gänzlich fehlen bei Sus penieillatus. Mol. 1 inf. folgt in allen Details der gleichen Bildung und hält somit, wie aile bisherigen Zähne, genau die Mitte ein zwischen beiden verglichenen lebenden Arten. Die nämliche Bemerkung bezieht sich auf Prem. 4. 3, 2 inf, wie dies auch aus den trefflichen Zeichnungen bei Gervais hervorgeht. Alle diese Zähne sind bei Sus provincialis kräftiger als ‚bei Scrofa, fast ohne Kerbung der Kronen, allein auch % und 3 unter sich gleichartiger, mit mächti- gem, besonders an der Aussenseite vortretendem hinterm Talon, der bei Sus Serofa die Stärke der Hauptzacke kaum übertrifft, während bei Sus penicillatus Prem. 3 und noch mehr 2 schon rasch an Grösse abnehmen. Premol. 2, bei penicillatus schon ganz klein und die Praemolarreihe schlies- send, .ist bei Sus Serofa und provincialis noch bedeutend und unterscheidet sich, besonders bei letzterer Art, von 250 den bisherigen nur dureh fast völliges Schwinden des hin- tern ‘Talon, der nun sogar geringer ist, als der vordere Ansatz. Schon aus dem Umstand, dass die Abnahme an Grösse von Prem. # bis 2 nur ganz allmählig erfolgt, liesse sich schliessen, dass Sus provincialis wie Sus Scrofa noch eine Premol. 1 besass, und wirklich findet sich noch ein Stück Alveole von Prem. 1 direct über der Alveole der Canine, von Prem. 2 durch eine Lücke von 10 Mm. getrennt, wäh- rend diese letztere bei Sus Scrofa 15 Mm. beträgt. Prem. sup. 2, 1 folgen bei Sus provincialis gänzlich dem Typus von Scrofa, immer mit denselben Eigenthümlich- keiten grüsserer Stärke, Vorwiegen der den Zahn charak- terisirenden Hauptspitze und Rücktreten der dieselbe mo- difieirenden,Kerben. Es tritt hier die Annäherung an Scrofa und die Abweichung von Sus penicillatus noch stärker her- vor als bisher. Bei Sus provincialis und Scrofa bestehen die vordersten Praemolaren aus einer comprimirten Haupt- spitze mit vorderem Ansatz und hinterem innerem Talon, der. bei Scrofa durch tiefe Buchten von der Hauptspitze isolirt ist; bei Sus provincialis fehlt diese Abtrennung, al- lein dennoch ist der ganze Zahn deutlich comprimirt und nur hinten durch den nach innen vortretenden Talon ver- dickt, während bei Sus penicillatus dieser Zahn. durch die regelmässige Kegelgestalt seiner Hauptspitze am vorderen Rand weit. dicker ist als hinten, wo der Talon sich ziem- lich stark von dem blos auf der vorderen Wurzel auf- sitzenden Hauptkegel abschnürt. — Praemol. 1 von Sus pro- vineialis besitze ich nur in den Wurzeln, die indes "eine Krone wie von Praemol. 2, nur von geringerer Stärke, er- warten lassen, und durch keine Lücke von dem letzten getrennt sind. MEER Ganz unerwartet sind die Aufschlüsse, welche die vor- liegenden Reste über die Caninen geben. Die Alveole der 991 obern Canine ist von Praemol. { durch eine Lücke von 7 Mm. getrennt, allein sie lässt auf einen äusserst kleinen Eckzahn schliessen, der weder die eigenthümliche Gestalt und noch weniger die Richtung der obern Eckzähne leben- der Schweine besass, sondern als relativ schwacher Zahn von etwas geringerer seitlicher Abplattung als der gleich- namige Zahn von Dicotyles nach abwärts gerichtet war. Die Alveole zeigt eine regelmässige schiefe Richtung nach vorn und unten; sie besitzt an dem vorliegenden Stück, das mit Sicherheit auf einen Schädel von wenigstens eben so bedeutender Grösse als bei einem starken Wildschwein schliessen lässt, Durchmesser von 14 Mm. Länge und 10 Mm: Breite (30 und 21 Mm. bei einem Wildschwein von gleichem Alter!), und die Umgebungen der Alveole zeigen kaum eine schwache Auftreibung, die schon über der Al- veole von Prem. 1 erlischt. Mag nun auch diese auffallende Form und Richtung des Eckzahns theilweise auf Rechnung des Alters gesetzt wer- den, indem gesagt worden, dass die hintersten Backzähne noch nicht aus ihren Alveolen getreten waren, wenigstens noch nicht Spuren von Thätigkeit zeigten, so finde ich Al- veolen von dieser Richtung und Grösse im Hausschwein nur bei Frischlingen, welche noch das volle Milchgebiss tra- gen; allein auch in diesem Fall ist die Anschwellung der Maxillarwand zu Gunsten des Eckzahns schon eine weit bedeutendere als in dem fossilen Kieferstück, und überdies der Umriss der Alveole verschieden, das heisst schwach dreieckig mit hinterer Basis, während diese Alveole bei Sus provincialis nach vorn sich erweitert und hinten etwas sich ausspitzt, ähnlich wie etwa bei Dicotyles, wo indes die Anschwellungen der Umgebung auch sehr früh weit bedeutender sind. Fügen wir bei, dass nach Maassstab des lebenden Schweines auch das Unterkieferstück von Sus provineialis 992 eine weit bedeutendere Spur der Alveole der untern Canine tragen sollte, so kann selbst mit aller Berücksichtigung mög- licher späterer Veränderungen der Canine auch nach völ- liger Ausbildung des gesammten übrigen permanenten Ge- bisses festgestellt werden, dass Sus provincialis ungleich schwächere Eckzähne trug als alle lebenden Schweinearten. Die grosse Stärke des übrigen Gebisses, das nach dem obi- gen kräftiger ist als beim Wildschwein, die wenigstens eben so bedeutende, nach einigen Resten bei Gervais *) selbst weit bedeutendere Grösse des ganzen Thieres steht damit in, merkwärdigem Contrast; allein er tritt zurück, wenn wir uns erinnern an die ebenfalls auffallend: geringe Grösse dieses Zahnes von Sus antiquus Kaup, und noch mehr der Palaeochoeriden, an welche sich ja alle diese. fossilen Schweine annähern durch Vereinfachung der Sculp- tur aller Backzähne. Wir sehen daher, in dem Zurückwei- chen der den lebenden Schweinen zukommenden abnormen Grösse und Richtung der Caninen nicht etwa ein Abweichen. vom typischen Gebiss des Schweines, sondern im Gegen- theil eine Bestätigung des durch so viele Thatsachen: nahe: gelegten Schlusses, dass wir auch hier, wie in manchen Geschlechtern von langer historischer Dauer, oft Schritt für Schritt einem Centrum, einem medianen Ausgangspunkt uns nähern, sowie wir in der Reihenfolge ihres Erlöschens‘ von der Gegenwart rückwärts schreitend immer ältere Spe+ cies untersuchen. Die grosse Disharmonie in der Ausbil- dung der verschiedenen Theile des Gebisses der lebenden Sehweine ist nicht eine Andeutung einer Annäherung an, einen vielleicht noch zu erwartenden Gipfelpunkt, sondern der Ausdruck der immer grössern Entfernung ‘von einem noch leicht nachweisbaren Grundtypus, dem freilich das ge- meine Schwein in der Beibehaltung seines vollständigen *). Mol. inf. 3, 2, PI. 3, fig. 3. 553 Gebisses weniger fremd geworden als viele andere Ge- schlechter dieser oder jener Entwicklungsbahn, wohl aber schon die Maskenschweine, und in noch höherem Maasse die Vertreter dieser Zunft an den Grenzen ihres heutigen Verbreitungsbezirkes, der Hirscheber und der Emgallo, und endlich die Schweine der neuen Welt. Die Vermuthung ist daher nicht unberechtigt, dass auch die übrigen fossilen Schweine, Sus belsiacus und major, sowie palaeochoerus und antediluvianus wohl geringere Caninen zeigen werden als die lebenden Arten. Es ist kaum nöthig, besonders hervorzuheben, dass die soeben verglichenen Reste von Sus provincialis den werth- vollen Beweis gestatten, dass, während die Details der Backzahnbildung in der That, wie schon Gervais nachwies, diese fossile Art in die Mitte stellen zwischen das gemeine Schwein und die Maskenschweine, die Zahnformel vollstän- : 3 +4 y dig dem erstern folgt; Mol. = j wovon Praem. 1 inf. isolirt, während dem einen Maskenschwein zwei untere, dem andern je ein oberer und unterer Praemolarzahn fehlen. Als Incisivformel darf wohl mit um so grösserem Rechte 3 Er erwartet werden. Unter den hinlänglich bekannten fossilen Arten von Schweinen würden sich demnach neben die drei lebenden, im Hausschwein über den grössten Theil der alten Welt, in den beiden Maskenschweinen über Süd-Africa verbrei- teten Arten drei nordische, zuerst im Rheinthal gefundene (miocene) stellen, die trotz bedeutenderer Grösse im All- gemeinen dem Gepräge des gemeinen Schweines folgen, doch schon weit treuer als dieses die bei den Palaeochoe- riden vorgezeichnete einfache Anlage der Kronbildung be- halten, und ferner drei dem Süden von Europa bisher ei- genthümliche Species (pliocen), welche, den heutigen Mas- 29% kenschweinen näher stehend als dem gemeinen Wildschwein, wieder — allein nicht nur in der Zahnsculptur wie diese, — sondern auch in dem ganzen Reichthum und Harmonie des Gebisses das rein omnivore Gepräge miocener horn- loser Ungulata paridigitata weit ungetrübter tragen als ihre heutigen Verwandten. — Eine letzte Art endlich, von dem lebenden Schwein schwer unterscheidbar, allein von sehr bedeutender Grösse, ist vielleicht durch die Reste aus den Höhlen von Lunel-Viel und Sundwich und wohl auch an- derwärts angedeutet.*) Erklärung der Tafel. Dieselbe stellt das Gebiss (Molaren und Praemolaren) von Sus penicillatus in natürlicher Grösse dar. Fig. 1. Obere rechte Backzahnreihe von der Innenseite. 2. Untere linke Backzahnreihe von der Innenseite. 3. Untere rechte Backzahnreihe von aussen. 4. Praemol. super. dextri 2, 3, # von innen. n n 5. Praemol. super. sin. vun aussen. » 6. Praemol. infer. dextri von innen. *) Die Abbildung des Zahnes Fig. 174 in Owen, British Fossil Mammals lässt auf ein neuer - pliocenes Schwein in England schliessen, das sowie Sus priscus Mare. de S., Sus armatus Pomel an Mol. 3 inf. einen in drei Haupthöcker zerfallenden Talon trägt, wodurch der ganze Zahn drei Hü- gelpaare und einen Talon zu besitzen scheint. Durch dieses ‚Merkmal, das, diese jünger-tertiären, zum Theil nur diluvialen Schweine mit Sus Scrofa theilen, sowie durch quere, nicht schiefe Stellung der Hügelpaare selbst, unterscheiden sie sich wesentlich von den Maskenschweinen und noch mehr è von allen obigen sechs: definitiv tertiären Arten. ) (HS cu cr © Ueber Encheiziphius, ein neues Cetaceen-Genus. Von Prof. L. Rürimevyer. (Den 3. Jani 1857.) Duvernoy !) hat nach dem Vorgang von Desmarest und Blainville unter dem Namen der Heterodonten cine Gruppe von carnivoren Cetaceen vereinigt, die durch die Abwesen- heit von Alveolarzähnen des Oberkiefers und durch Re- duction derselben im Unterkiefer bis auf ein oder ‚höchstens zwei Paare die Mitte einnimmt zwischen den Monodonten mit einem einzigen terminalen und im erwachsenen Alter sogar nur einseitig vorhandenen Oberkieferzahn, und den Pottfischen mit starken Mandibularzähnen und zahnlosem Oberkiefer. Alle diese drei Gruppen bilden eine Reihe von Walthieren, die nach beiden Seiten sehr natürliche Gren- zen findet in den Delphinen mit reichlich bezahntem Ober- und Unterkieferrand und den im erwachsenen Zustand gänz- lich zahnlosen Walfischen. Die Heterodonten speciell stehen insofern an der obern Grenze dieser Mittelreihe, den Del- phinen angenähert, als sie den normalen Zahnreichthum dieser letztern noch angedeutet behalten durch eine unbe- stimmte Zahl von alveolenlosen Zähnen, die in einem ge- fässreichen Zahnfleischstreifen nur des Ober- oder des Un- ter- oder auch beider Kiefer stecken. Als einziger Reprä- sentant dieser Gruppe war bis auf Cuvier bekannt der Butzkopf des atlantischen Oceans, Hyperoodon Boussarti F. Cuv. (Balaena rostrata Camper.). G. Cuvier fügte hiezu drei, wie er glaubte, sämmtlich fossile Schädelstücke aus den tertiären Umgebungen des Mittelmeers und der Manche, un- ter dem Namen Ziphius cavirostris, planirostris und longi- 1) Annales des Sciences natur. 3. Ser., XV, 1851. 356 rostris.‘) Die erstere dieser Species erwies sich nach den Untersuchungen von Gervais ?) als noch der Gegenwart an- gehörig, und fernere Entdeckungen. brachten endlich den Inhalt der Heterodonten oder Ziphioiden Gervais auf sieben lebende ?) und vier tertiär-fossile Species. Ueber die Ab- grenzung derselben in Genera verweise ich auf die zwei trefflichen Abhandlungen von Gervais und Duvernoy an den angeführten Orten.‘) Nur die auffallende Bemerkung drängt sich billigerweise auch hier auf, dass fast alle diese eilf Species, lebende sowohl wie fossile, nur in äusserst selte- nen Resten erhalten sind, ‘welche diese ganze Walthier- reihe zu einer der am spärlichsten vertretenen und daher auch deshalb des Interesses in hohem Grade werthen Thier- gruppe stempeln.’) 1 1) Ossemens fossiles V. I, 349 u. f., PI. XXVII. 2) Zoologie et Paléontologie frang. Tom. I, 153; Tom. II, Text zu Planches . 37—40. Ann. d. Scienc. natur. 3 /Sér., XIV, 1850. 3) Unter der Voraussetzung, dass Hyperoodon latifrons Gray. nach Gervais nur eine Altersstufe von Hyp. Butzkopf darstellt. É 2) Vergl. überdies die besonders in Bezug auf Litteratur äusserst reichlich ausgestattete Arbeit von Gray, Catalogue of Mammalia in the Collection of the British Museum Part. I, Cetacea Lond. 1850. Tir 5) Selbst der häufigste lebende Vertreter derselben, der Butzkopf, ist nur wenigen Sammlungen zugänglich geworden. Hyperoodon Gervaisi Duv. aus dem Mittelmeer findet sich nur in zwei Köpfen in der Parisersamm- lung ; einer derselben, von Guvier fossil ‚gehalten, diente als Basis ‚seines Ziphius cavirostris. Berardius Arnouxii Duv, von Neu-Seeland ein einzi- ger Kopf in Paris. Mesoplodon (Mesodiodon Duv.) sowerbyensis und micropterus Gerv., aus dem Atlant. Ocean, von Gervais als zwei Alters- stufen derselben Art betrachtet, in wenig Exemplaren in England und in Frankreich. Dioplodon ‚(Mesodiodon Duv.). densirostris Gerv, von den Seychelles, ein Kopf in Paris. Dioplodon europaeus Gerv. aus der Man- che, ein Kopf in Caen. Diopl. Becanii und longirostris Gerv. (Mesodio- don longirostris Duv.), je ein fossiler Schädel, letzterer von unbekanntem Fundort, in Antwerpen und in Paris. Choneziphius planirostris Duv. (Zi- phius Cuv.), ein Schädelstück, ebenfalls aus dem Crag d’Anvers, in Paris, und eine fernere Species von Dioplodon vermuthet Gervais in einem fos- silen Schädelstück in London. 557 Die zoologischen Merkmale, welche zur Begrenzung dieser seltenen Walthierarten in verschiedene Genera dienten, beruhen in der Zahl und Lage der Zähne und in der Modification der knöchernen Schnauze, die mit der Re- duction der Oberkieferzähne Schritt hält. Während die mit zwei reich besetzten Zahnreihen und langen Alveolarfur- chen versehenen Delphine einen in dem Praenasaltheil stark abgeplatteten und in die Quere ausgedehnten Gesichtsschä- del zeigen, gebildet seitlich aus den flügelartig nach aussen tretenden Maxillen, dazwischen durch eine breite bis zur Schnabelspitze reichende und daselbst die Incisiven tra- gende Intermaxillarzone, in deren Mitte wieder eine eben so lange, oft sehr weite Längsfurche verläuft, deren Boden der Vomer einnimmt, schwinden die Maxillarzähne und mit ihnen die Alveolarfurchen schon bei Hyperoodon grossen- theils und sind nur noch angedeutet durch eine Reihe von kleinen Zähnen, die in einem Zahnfleischstreifen in einer ganz sehwachen Alveolarrinne stecken; gleichzeitig dehnen sich die Maxillen sehr stark in verticaler, statt wie bisher in horizontaler Richtung aus, und die Intermaxillarzone und die Vomerrinne werden dadurch zusammengedrängt und der . Schnabel somit schmal und allmählig zugespitzt. — Com- primirter ist der Schnabel bei Berardius; die Maxillae tre- ten von der Schnabelspitze zurück, welche lediglich von den Intermaxillae gebildet ist; diese treten ihrerseits in der Medianlinie näher an einander, so dass die obere Vomer- rinne zu schwinden beginnt und der Vomer an der Gau- menfläche auf einer langen Strecke zu Tage tritt. Diese Genera tragen ein oder wenige Paare Unterkieferzähne in der Spitze: der Mandibel, und wie am Oberkiefer geht von da eine seichte Alveolarrinne mit Zahnfleischzähnen nach hinten und erhält dadurch das Zahnsystem dieser Thiere noch in einer deutlich erkennbaren Nähe mit demjenigen der reicher bezahnten Delphine. Wahrscheinlich gehört 568 auch hieber Choneziphius Duv. (Ziphius planirostris Cuv.), dessen Unterkiefer unbekannt ist. Trotz der Abplattung des Schnabels ist hier die Vomerrinne geschlossen durch Zusammentreten der Intermaxillaria. Der Vomer tritt nur an der Gaumenfläche zu Tage. Eine neue Reihe von Heterodonten besitzt statt ter- minaler Unterkieferzähne ein einziges Paar sehr starker conischer und vertical gestellter Alveolarzähne in der Mitte oder Anfangs des zweiten Dritttheils der Mandibel, und wenn auch von diesem Zahn eine schwache Alveolarrinne nach vorn, bei einigen selbst nach hinten sich etwas fort- setzt, so ist doch die Mandibelspitze und ebenso der Ober- kiefer zahnlos oder doch höchstens nur mit Zahnfleischzäh- nen versehen. Das Motiv der Abplattung des Oberkiefers fehlt daher, und wir finden hier nur lange, schmale, schna- belförmige Formen des Gesichtsschädels; Blainville grün- dete ‚darauf sein Genus Delphinorhynchus, das passender von Duvernoy durch Mesodiodon ersetzt und von Gervais in Dioplodon und Mesoplodon gespalten. worden.) : Auf dieser letztern Bahn von Mesodiodonten, deren Cha- rakter sehr gut durch den ‚Namen bezeichnet ist, lässt sich nun eine neue und'der vorigen der Hyperoodonten, oder, um einen richtigern Ausdruck zu benutzen, der „Teleo‘-: diodonten, parallele Reihe von Schädelformen erkennen, von weiter getrennten Intermaxillaria mit offener Vomerrinne bis zum Schluss. derselben durch die von allen Seiten sich’ 4) Vielleicht nicht mit Unrecht, da in der That der Unterkiefer und somit das generische Merkmal nicht von allen von Duvernoy unter Mesodiodon ver- einigten Species bekannt ist. Doch würde dies den oben hervorgehobenen Parallelismus der Schädelmodificationen bei Mesodiodonten und Teleodio- donten (die Reihe von Hyperoodon) nicht stören können, Der Lacépède- sche Name, Hyperoodon, der auf der Vergleichung von Gaumenpapillen mit Zähnen beruht, ist äusserst unglücklich gewählt und verdiente bei der seither ähnlich gebildeten Namengebung von Gervais und Duvernoy viel-' leicht ‘gar einst gestrichen zu werden. CHÉTGN Tl 559 an einander legenden Intermaxillaria und Maxillaria; dor Schluss der Reihe wird natürlich gebildet durch einen com- pacten soliden Schnabel mit innerer Vomeraxe. Die beiden Species von Mesoplodon Gervais, Mesodiodon sowerbiensis und micropterus Duv., beginnen die Reihe; der Schnabel ist noch gekielt durch die o‘Tene Vomerrinne und noch ziemlich abgeplattet. Die Vomerrinne ist dagegen ver- schwunden und der Schnabel solid bei Dioplodon Gervais, (vier, nach Gervais fünf Species, densirostris, Becanii, lon- girostris, europaeus und eine fernere unbestimmte Art; alle bei Mesodiodon Duvernoy). Der Schnabel ist noch merk- lich abgeplattet bei densirostris, nicht mehr bei longirostr., Vomerrinne und Alveolarrinnen des Oberkiefers sind ver- schwunden; nichtsdestoweniger tritt der Vomer noch breit, nur nicht als Rinne, auf der ganzen Schnabellänge zwischen den Intermaxillen zu Tag, am meisten bei Diopl. Becanii, am schmalsten bei Diopl. densirostris, und die Maxillarrän- der des Schnabels treten zurück und erreichen die Schna- belspitze nicht mehr, Einen neuen Beitrag und gewissermassen ein Schluss- stück zu diesen Heterodonten, sei es nun der Mesodiodon- ten oder der Teleodiodonten, bietet nun in erwünschter Weise ein ferneres Schädelstück aus einer im Besitz des naturhistorischen Museums von Solothurn stehenden und durch Herrn Prof. Lang mir freundlich mitgetheilten Samm- lung von fossilen Wirbelthierresten aus den Sables marins pliocènes von Montpellier, wo schon Gervais einen so gros- sen Reichthum an Cetaceen aufgedeckt hat.!) 1) Die Solothurner Sammlung besitzt von dorther an anderweitigen Cetaceen sehr grosse, Wirbelkörper von Delphinen, zum Theil von sehr bedeuten- der Grösse, und mindestens zwei Species angehörig, einen prächtigen Zahn von Physeter antiquus Gerv. von 0,2 M. Länge nach der grössten Krüm- ‘ mung und 0,057 Querdurchmesser an der Basis, und mehrere Wirbel- und andere, Skeletstücke von Halitherium Serresii Gerv. 560 Es bildet dieses werthvolle Stück, das auf den ersten Anblick einen Gesichtsschädel eines Säugethieres auch nicht von ferne zu verrathen scheint, einen einfachen, durchaus gerade gestreckten und regelmässig zugespitzten compacten Speer von fast kreisrunden, nur wenig von oben nach un- ten abgeplatteten Durchschnitten. Länge 0,53, Durchmesser an der Basis 0,058 und 0,05. An der Basis ist dieser Speer zersplittert und tritt in zwei divergirenden Aesten aus einan- der, doch ohne die conische Gestalt dadurch merklich zu beeinträchtigen, und eine tiefe Furche, die bier bis in die Mitte der Kegellänge geht, bezeichnet diese Fläche als un- tere oder Gaumenfläche dieser merkwürdigen, einem ein- zelnen Zahn weit mehr als einem ganzen Gesichtstheil ähn- lichen Schnauze. Auf der entgegengesetzten oder obern Seite des Gesichts ist die Oberfläche dieses Speeres sehr glatt, als ob sie hier von einer dicht anliegenden gefäss- losen Haut bedeckt gewesen wäre, rauher an der Unter- oder Gaumenfläche und sehr rauh, fast schwammig, mit deutlichen starken und sinuosen Gefässrinnen versehen auf beiden Seitenflächen, an welchen daher sehr wahrschein- lich ein gefässreicher Zahnfleischstreifen, vielleicht mit ru- dimentären Zahnfleischzähnen bis gegen die Spitze verlief, doch ohne die leiseste Andeutung einer Alvéolarrinne, denn es hatte wirklich dieser Gesichtskeil sicherlich die Func- tion des einzelnen Intermaxillarspeers der Monodonten, denn nicht nur ist die Knochenmasse, welche denselben bildet, äusserst dicht und schwer, sondern es ist die Spitze des Speeres vorn deutlich von beiden Seiten abgeschliffen und daher seitlich comprimirt, während der Speer noch in der leisen Depression. seines Durchschnitts die letzte Spur der starken Abplattung der Delphinschnauze zeigt. Diese Deutung dieses merkwürdigen Schädels wird be- N stätigt durch die Gefässkanäle und durch die zackigen Kno- chennäthe, die an Bruchstellen im Innern des Speers, und 561 durch die schnurgerade verlaufenden und scharflinigen Su- turen (oder vielmehr Harmonieen der Anthropotomen), die an der Oberfläche desselben sichtbar sind. Mit Hülfe die- ser Merkmale erscheint der Speer wirklich als ein sehr schöner und vollständiger, obschon wahrlich kaum so voll- ständig erwarteter, und jedenfalls nicht zu übertreffender Schlusspunkt der Modificationen, welche wir im Schädel ‚der Heterodonten von Hyperoodon bis Choneziphius(?), und auf der Bahn der Mesodiodonten von Mesodiodon sower- biensis bis Dioplodon densirostris nachzuweisen suchten. Leider gestattet das Fehlen der Mandibel nicht mit Be- stimmtheit zu entscheiden, welcher der beiden Reihen dieser neue und, wie es scheint, einstweilen wieder durch ein Uni- cum vertretene Schädel als Gipfelpunkt dient; aus diesem wie auch aus andern noch zu erwähnenden Gründen benütze ich daher auch nicht einen der bisherigen Genusnamen, sondern füge nach dem Vorgang von Duvernoy für Cho- neziphius planirostris diese neue Heterodontenform den bisherigen als Schlusspunkt an unter dem Namen Enchei- ziphius teretirostris.!) Mit Hülfe obiger osteologischer Merkmale ergiebt sich der Schädel oder vielmehr die Schnauze von Encheiziphius insofern als ein Schlusspunkt des Delphinschädels (das anderseitige Extrem wäre etwa zu suchen in der gänz- lich horizontal ausgebreiteten Schnauze von Phocaena), als hier die Vomerrinne nicht nur verengt, sondern voll- ständig geschlossen, und die beiden Schenkel des Vomer nach oben an einander gelegt und in der Mittellinie zu einer Harmonia“ vereinigt sind, als ferner die Intermaxillae ebenfalls, wenigstens an der Basis der Schnauze, sich über dem Vomer schliessen und in einer Liniennath zusammen- treten, während sie nach vorn immer mehr zurücktreten 4) Von "Eyyos, der runde Speer oder Schaft. 36 562 und die Vomerfläche (nun nicht mehr Rinne) zwischen sich frei lassen, als endlich die Maxillae in gleicher Weise sich dicht an die Intermaxillae .schliessen, diese an der Basis der Schnauze ebenfalls von unten her umfassen und bis auf eine schmale Zone auf der Gesichtsoberfläche einhüllen, nach vorn zu aber nicht abnehmen, sondern bei zurückge- bliebenen Intermaxillae (sehr spitze Auskeilung in 0,2 Ent- fernung von der Spitze) mit dem Vomer allein die Keil- spitze bilden. Die Maxillae bilden daher auf der ganzen Erstreckung des Gesichtes die untere Hälfte und mehr als dies von dem Keil, und enthalten auch die in der Median- linie fast zusammentretenden Canales alveolares superiores. Nach oben bilden sie eine weit offene Rinne, in welcher der in seinen beiden Schenkeln zusammengefaltete und völ- lig geschlossene und compacte Vomer als obere kleinere Hälfte des Speeres liegt, von der Basis bis über die Hälfte der Länge nuch eingefasst von den zwei erst sehr mäch- tigen und auch von Canales incisivi durchsetzten, allein im gleichen Maass, wie der Vomer wächst, nun schwindenden und in 0,2 M. Entfernung von der Spitze sich auskeilenden Intermaxillae, Ein glücklicher Bruch an der Basis des Speeres bestätigt ferner die Deutung der Intermaxillae, in- dem er die eigenthümliche wellige, knorrige Structur der Basis derselben blosslegt, welche bei allen Delphinen sicht- bar ist, da wo die Intermaxillae die wulstigen Ränder der Vomerrinne zu bilden anfangen; durch denselben Bruch ist auch der Vomer in der Mitte des Speeres sichtbar als ein zusammengelegtes Blatt, über welchem sich die Intermaxil- lae, wie gesagt, an der Basis völlig schliessen. Der Vomer beginnt an der Oberfläche des Gesichts zwischen den sehr spitzwinklig zusammentretenden Zwischenkiefern zu erschei- nen bei 0,41 M. Entfernung von der Spitze. Leider muss als fester Punkt bei diesen Messungen die Spitze des Schna- bels benutzt werden, da die Basis desselben, die Oeffnung 563 des Intermaxillarcanals oder die Ausbreitung der Maxilla in den wahrscheinlich sehr rundlichen Umriss des Gehirn- schädels nicht mehr erhalten ist. Von andern als den ge- nannten Knochen ist nur die Stelle sichtbar, bis zu welcher sich an der Gaumenfläche die Ossa palatina anlegten. Ueber die Form und Zusammensetzung des Gehirnschädels, Bil- dung der Nasenöffnung und ihrer Umgebung etc. erhalten wir daher keinen Aufschluss und müssen uns begnügen, in dem zahn- und alveolenlosen Oberkieferstück eine neue und extreme Modification des Cetaceenschädels zu finden, die sich in erwünschter Weise an die schon bekannten und schon genug extremen Formen von Choneziphius und ge- wisser Dioplodonten anschliesst, die aber in der Verwen- dung des zahnlosen knöchernen Gesichtes zu der Function eines Stosszahnes in dem ganzen Bereich der Säugethiere nicht ihresgleichen, und nur in der Verwendung der Schnau- zenknorpel des Schweins zum Wühlen, und weit besser in dem ohnehin vom Cetaceenschädel lebhaft genug zur Ver- gleichung gerufenen Vogelschnabel eine entferntere, die nächste Analogie aber sicher nur unter den Knochenfischen in der äusserst ähnlich zusammengesetzten, nur statt zum Speer zum Schwerdt umgewandelten Schnauze des Schwerdt- fisches und selbst, — um auch die gefässreiche Zahnpulpe dieses Speeres von Encheiziphius nicht zu vergessen, — unter den Knorpelfischen in der gezähnten Vomersäge des Sägehaies findet. Die mir zugänglichen Schilderungen von Sitten der Cetaceen genügen nicht zur Untersuchung, ob nicht vielleicht in grösserer Nähe, unter den langschnabli- gen und zahnarmen Delphinen, wie etwa Beluga, Platanista u. s. f. sich ähnliche Verwendung der Schnauzenspitze zu mechanischen Zwecken finden liesse; doch ist dies kaum wahrscheinlich, da die Abtheilung des Magens in mehrere Taschen und die grosse Länge des Darmes bei diesen letz- tern grossentheils piscivoren Delphinen gerade die Kau- 36* 56% wirkung des Mundes zu ersetzen scheint.‘) Bine freilich nicht zur Vertheidigung und Angriff, wie wahrscheinlich bei Ziphioiden, sondern zur Kauung dienende, also immerhin ‘mechanische Verwendung der knöchernen, zahnlosen und daher auch schnabelartig zugespitzten Schnauze wäre übri- gens selbst zu erwähnen bei den im Sinne Lacépède’s eben- falls hyperoodonten, d. h. der Gaumenhaut zur Kauung sich bedienenden Wiederkauern unter den Landsäugethieren. Die positiven Gründe, die mich neben den obigen ne- gativen, der Unkenntniss über den Unterkiefer, bestimmen, die neue Walthierart mit keinem der bisherigen Genera von Heterodonten zu vereinigen, sind schliesslich folgende: Neben der Bezahnung und den, continentalen Arbeitern leider meist unzugänglichen, für Palaeontologie oder Osteo- logie überdies nutzlosen äussern Merkmalen, wie Farbe, Form und Lage der Flossen etc., bildet in der Classe der Cetaceen unzweifelhaft der Antheil, den die verschiedenen Kopfknochen an der Bildung des in seinem ganzen Plan so abnorm scheinenden, allein doch in so reichlichen Varia- tionen auftretenden Schädels nehmen, eines der wichtigsten systematischen Hülfsmittel. Vor allem ist es der Antheil, den die Maxillae an Schädel und Schnauze nehmen, und die specielle Form derselben, die bekanntlich in ausserordent- lichem Maasse wechselt und jene bizarren und extremen Eigenthümlichkeiten hervorbringt, welche den Butzkopf, den Pottfisch, den Susu (Platanista) und viele andere Genera bezeichnet. Die Eigenthümlichkeiten der Oberkieferknochen und der relative Antheil, den sie nebst Zwischenkiefer und Pflugschar an der Schnauze nehmen, sind auch fast die ein- _ zigen Hülfsmittel, welche der Palaeontologie bleiben, da bei fossilen Schädeln Zähne und meist auch das neuerdings 1) Doch fand Roxburgh im Magen von Platanista noch unverdauten Reis. F. ‚ Cuvier, Hist. nat. des Cétacés p. 257. " 565 ähnlich benutzte knöcherne Gehörorgan verloren gegangen sind. Gerade diese Merkmale aber, bei allen bisher bekannt gewordenen fossilen Ziphioiden überdies zufälligerweise die einzigen, da dieselben nur in mehr oder weniger voll- ständigen Schnauzenstücken vorhanden sind, trennen den neuen Schnabel von Montpellier wesentlich ab sowohl von seinen Analoga (Choneziphius?) auf der Reihe von Hype- roodon, als von Dioplodon densirostris auf der Reihe der Mesodiodonten. Bei sämmtlichen Mesodiodonten ist der Schnabel in seiner vordern Hälfte!) wesentlich aus den Intermaxillae gebildet, zwischen welchen der Vomer meist selbst die Schnabelspitze erreicht. Der Knochen, der am ehesten seinen Antheil an dem Schnabel aufgiebt, ist der Oberkiefer, der als äussere Scheide blos die Basis des In- termaxillarschnabels umhüllt und vor der Hälfte der Schna- bellänge gänzlich zurückbleibt. Einen eben so grossen Antheil nehmen die Zwischen- kiefer bei Teleodiodonten; doch nicht so ausschliesslich, indem Maxillarränder dieselben bis an die Spitze begleiten, den gewöhnlichen Delphinen ähnlich; so bei beiden Spe- eies Hyperoodon, bei Berardius und auch bei Choneziphius, wo der Vomer verborgen liegt zwischen den sehr erwei- terten und in der Medianlinie zusammentretenden Zwischen- kiefern. Sehr verschieden sind diese Verhältnisse bei Enchei- ziphius. Am vordern Dritttheil des Schnabels nehmen die Zwischenkiefer keinen Antheil, sondern blos Vomer in der obern und Maxillae in der untern Hälfte. Nur nach hinten nehmen die Intermaxillae sehr rasch zu an Breite, so dass 4) In seiner hintern Hälfte besteht er bei allen Cetaceen überhaupt aus den nemlichen Theilen, Maxilla, Intermaxilla, Vomer und nach unten überdies Palatina und Pterygoidea. 566 sie im hintersten Drittel des Schnabels den Vomer von der Oberfläche verdrängen, wie bei Choneziphius dies auf der ganzen Schnabellänge geschieht. Dieser Umstand lässt mit Gewissheit erkennen, dass die Schnabelspitze nie- mals Zähne tragen konnte, während rudimentäre Terminal- Zähne noch erwartet werden können in der Intermaxillar- spitze des Schnabels aller andern Heterodonten; allein er gestattet auch einen Schluss auf den Anfangstheii des Schnabels; der Intermaxillarkanal ist bei diesem schnellen Auskeilen der Intermaxillae natürlich äusserst schwach bei Encheiziphius. Er wird daher auch nicht die trompeten- artig erweiterten Eingänge haben, die seinem Verwandten Choneziphius den Namen gaben. Auch die Maxillaria, de- ren Antheil an der Schuabelspitze relativ fast bedeuten- der ist als an der Schnabelbasis, werden kaum sehr we- sentliche Anschwellungen im hintern 'Theil des Schädels zeigen, und wir erwarten daher an der Basis dieses zahn- losen oder höchstens seitlich und mit schwachen Zahn- fieischzähnchen versehenen Gesichtsspeeres einen fast kreis- runden Kopf ohne wesentliche Abweichungen vom Delphin- tvpus, ähnlich etwa wie bei Mesodiodon micropterus und densirostris. Der Unterkiefer eines solchen, den Teleo- diodonten mithin im Schnabel, den Mesodiodonten dagegen wahrscheinlich im übrigen Schädel näher stehenden Kopfes konnte jedenfalls nicht terminale Zähne tragen, und musste daher, wenn er je Alveolarzähne trug, mesodiodont sein; allein das Fehlen einer Zahnrinne am Oberkiefer und die Umwandlung desselben in eine Art Stosszahn, wie ihn der Narval in einer Alveole trägt, berechtigen eher zu der Erwartung, dass wie beim Narval, so auch bei Encheizi- | phius die Mandibularzähne gänzlich fehlten und das Thier, wie dort, in der eigenthümlichen Ausbildung des Nahrungs- kanals einen Ersatz für die mechanische Mundverdauung ge- 567 funden haben mochte. Jedenfalls rechtfertigen wohl nicht nur diese auf die Bildung der Schnauze gebauten Schlüsse, sondern die so eigenthümliche Zusammensetzung derselben selbst die Isolirung dieser neuen Art unter ein selbststän- diges Genus vollständig. MINERALOGIE. Ueber einige Pseudomorphosen und Umwandlungen. Von Aus. MÜLLER. (Sitzung vom 11. Merz 1857.) Es sind mir in letzter Zeit auf meinen Excursionen einige Pseudomorphosen zu Gesicht gekommen, die meines’ | Wissens bisher theils noch nicht beschrieben wurden, theils einige bemerkenswerthe Eigenthümlichkeiten darbieten. 1. Brauneisenstein nach Granat, aus der Mine jaune zu Framont (Vogesen), an Ort und Stelle selbst ge- _ funden. Es ist die gewöhnliche Form des Rhombendode- caeders. Die meisten dieser Granaten, die sich in den Klüften der dortigen zu Tage liegenden Brauneisenerzgrube vorfinden, sind noch mehr oder weniger frisch, glänzend, rothbraun, andere aber sind bereits stellweise zerfressen oder mit mikroscopischen Eisenglanzkryställchen bedeckt, andere endlich haben den Glanz verloren, sind an der Ober- fläche matt, rauh und zerfressen, und bestehen aus dichtem Brauneisenstein oder einem Gemenge desselben mit Braun- eisenocher, der einen Ueberzug über dieselben bildet In- nen sind diese Pseudomorphosen entweder hohl, oder mit einer graulich-weisslichen erdigen Substanz, vielleicht die L 569 Ueberreste der zersetzten Granatsubstanz, erfüllt. Der Brauneisenocher selbst ist mit feinen Adern von Eisenglanz durchzogen, in einer Weise, dass es schwer ist zu sagen, ob dieser aus jenem entstanden ist, oder umgekehrt, «och hat die erstere Annahme mehr Wahrscheinlichkeit. Quarz kommt mit vor, gleichfalls von Eisenglanzäderchen durch- zogen. Wie die Umwandlung des Granates zu Brauneisen- erz vor sich gegangen, lässt sich nach den wenigen vor- liegenden Daten nicht leicht ermitteln. Man könnte annehmen, dass Gewässer, beladen mit Kohlensäure oder kohlensauren Alkalien, die Zersetzung des Granates bewirkt, und die Bestandtheile ganz oder theilweise mit Hinterlassung des zu Brauneisenerz hydratirten ursprünglichen Eisengehaltes, ausgelaugt haben. Da indess auch das umliegende Gestein bis zur Unkenntlichkeit zersetzt und in Brauneisenerz oder ein Gemenge desselben mit Quarz und thonigen Theilen umgewandelt erscheint, so ist wohl eher anzunehmen, dass stark eisenhaltige (Eisenoxydulcarbonat) kohlensaure Ge- wässer diese Gesteine und Mineralien durchzogen und mit Hinterlassung ihres durch höhere Oxydation unlöslich ge- wordenen Eisengehaltes deren Zersetzung und gemeinsame Umwandlung zu Brauneisenstein bewirkt haben. Bekannt- lich bildet das Gesiein dieser Grube die Lagerstätte des Phenakites, der, zwar gleichfalls braun gefärbt, doch ver- möge seiner Zusammensetzung der allgemeinen Umwandlung entgangen zu sein scheint. 2. Brandisit (Disterrit) nach Fassait, vom Mon- zoniberg in Tyrol. Ich verdanke eine Suite von Handstücken dieser Pseudomorphose, welche an zahlreichen Zwischen- stufen die allmählige Umwandlung schön verfolgen lassen, der Güte meines verehrten Freundes, des Herrn H. Weber in Mülhausen, der dieselben mit einer Anzahl anderer Mi- neralien direct vom Fundorte erhielt. Der Brandisit (Di- sterrit) ist bekanntlich ein lauchgrüner (bisweilen auch 570 röthlicher oder graulicher) Glimmer, der sich aber von dem sewöhnlichen einaxigen und zweiaxigen Glimmer nach von Kobell’s Analyse durch seine Zusammensetzung merklich unterscheidet. Im Aussehen ist er vom Glimmer nicht zu unterscheiden. Seine Farbe ist an den vorliegenden Hand- stücken dunkel lauchgrün, stellweise stark ins Bräunliche sich neigend. Bei näherer Untersuchung einzelner Blättchen ist jedoch die Farbe keine gleichförmige, es wechseln grün- liche und bräunliche Schichten an demselben Krystalltäfel- chen. Auch in horizontaler Ausdehnung ist die Farbe kei- neswegs gleichartig. Wir sehen schon mit blossem Auge, noch besser durch eine scharfe Loupe, äusserst scharfe und regelmässige, vollkommen parallel laufende, bandförmige Linien, abwechselnd braune und grüne, welche regelmässige concentrisch in einander geschachtelte Sechsecke bilden, deren Seiten jedoch nicht immer mit den Seitenkanten des Krystalls parallel laufen. Die Nuancen der grünen und braunen Farben sind verschieden, hellere Streifen wechseln mit dunklern, breitere mit feinern. Diese zierlichen, äus- serst regelmässigen Zeichnungen haben grosse Aehnlichkeit mit denjenigen der sogenannten Festungsachate, nur sind sie feiner und schwächer. Die verschiedenen Nuancen von Grün und Braun entsprechen wahrscheinlich verschiedenen Oxydationsstufen des als Silicat darin befindlichen Eisens. Es ist nicht anzunehmen, dass die vorliegende Brandi- sitglimmerpseudomorphose der Aufmerksamkeit der Minera- logen bisher entgangen ist. Dennoch finde ich dieselbe in Blum's trefflichem Werke nirgends verzeichnet. Es scheint, dass den bisherigen Beobachtern die Zwischenstufen gefehlt haben, welche mir die Erkenntniss dieser Pseudomorphose erleichterten. Jedenfalls dürften diese der nähern Erwäh- nung werth sein. Einige der vorliegenden Fassaitgruppen sind anscheinend noch ganz frisch und zeigen die von die- sem Fundort bekannten Formen, nämlich: Das verticale 571 Prisma M. nach Dufrénoy's Bezeichnung (æP. Naumann), die sehr vorherrschende Querfläche h! (Orthopinakoid o P ), welche den Krystallen ihren dick-tafelförmigen Habitus giebt, viel schwächer ausgebildet die Längsfläche g' (Kli- nopinakoid (œ@Pæ)), ferner das vordere schiefe Prisma e; (2 P) und stark entwickelt das basische Prisma oder Klinodoma ef (das nach Naumann als ein vorderes schie- fes Prisma bezeichnet würde). Die Krystalle haben eine Länge von 3 bis 5 Linien und bilden Zwillinge, die in der vorherrschenden Querfläche zusammengewachsen sind, An Andern Stücken sind die Fassaite nicht mehr vollkommen intact. Schon schmiegen sich hie und da an die Oberfläche der Krystalle, besonders an die breite Querfläche h', auch an die Flächen des basischen Prismas e'5, einzelne perl- mutterglänzende Glimmerblättchen, fast von derselben Farbe, wie die Fassaite, an, andere sind bereits, besonders in der ersten Richtung, in die Krystalle eingedrungen, von denen einige, obgleich sie ihre Form noch sehr gut erhalten ha- ben, sogar vollständig in den grünen Glimmer umgewandelt erscheinen und sich in der Richtung der Querfläche so leicht wie Glimmer spalten lassen. Auch auf der Rückseite un- serer Fassaitdruse, wo sie als eine grob-körnig krystalli- nische Masse erscheint, haben sich die grünen perlmutter- glänzenden Blättchen, bald vereinzelt, bald gruppweise, eingedrängt, und bilden mit der Fassaitsubstanz ein regel- loses Gemenge. An den folgenden Handstücken gewinnt der Brandisit immer mehr die Oberhand, die Fassaitkry- stalle werden von den Glimmertafeln überwuchert und durch- drungen, während ihre Form und Substanz bis zur Unkennt- lichkeit verschwindet, so dass wir zuletzt nur eine Bran- dasitdruse vor uns sehen, deren hexagonale Tafeln ein scheinbar regelloses Gewirre bilden. Aber auch hier er- kennt der aufmerksame Beobachter in den Gruppen, welche die Glimmertafeln bilden, noch die rohen Umrisse oder 572 Schatten der einstigen Fassaitkrystalle, aus deren Umwand- lung jene hervorgingen. Alle erwähnten Vorkommnisse sprechen für eine Umbildung auf nassem Wege. Umwandlungen von Pyroxen in Glimmer kommen wohl häufiger vor, als man nach der Seltenheit der bisher ge- fundenen deutlichen Pseudomorphosen meinen sollte. Die Pyroxengattung besteht aus einer grossen Anzahl von Va- rietäten, von denen mehrere sich in ihrer chemischen Zu- sammensetzung, wie besonders Th. Scheerer nachgewiesen hat, gewissen Amphibolen so sehr nähern, dass für beide nahestehende Reihen eine gemeinschaftliche Formel aufge- stellt werden kann. Auch kommen Augit und Hornblende nicht selten gleichzeitig in einer und derselben Felsart, ja, wie im Uralit, in einem und demselben Krystallindividuum vor, weshalb Th. Scheerer (Bemerkungen und Beobachtun- gen über Afterkrystalle, 1856) mit Recht, von der chemi- schen Uebereinstimmung der Aınphibol- und der Pyroxen- substanz ausgehend, den Uralit zu den Paramorphosen rechnet. ‘Selbst ihre Krystallformen lassen sich, neuen Untersuchungen zufolge, auf dieselbe Grundform, resp. auf dasselbe Axenverhältniss zurückführen, wenn gleich die Spaltungsrichtungen nicht übereinstimmen. Jedenfalls ‘geht aus dem Angeführten die nahe chemische Verwandtschaft zwischen den Gattungen Pyroxen und Amphibol hervor, woraus wir schliessen dürfen, dass unter ähnlichen Um= ständen beide auch gleiche Umwandlungen erleiden werden. Von Pseudomorphosen des Glimmers nach Hornblende sind bereits mehrere Fälle bekannt (siehe Blum’s Nachtrag ID), und die häufigen Einmengungen von dunkelfarbigem 'Glim- mer in Hornblendegesteine werden sich 'in vielen Fällen als wirkliche Umwandlungen der Amphibolsubstanz erge- ben, : auch wo solche nicht mehr durch deutliche Pseudo- morphosen nachweisbar sind. Dasselbe dürfen wir auch von den augitischen Felsarten annehmen. Es steht demnach 573 zu erwarten, dass in der Folge auch Pseudomorphosen von eigentlichem Glimmer nach dieser oder jener Pyroxenvarie- tät werden aufgefunden werden. Winkler (die Pseudomor- phosen des Mineraireiches, 1855) führt die Namen der in Glimmer umgewandelten Mineralien auf, und stellt in diese Namenreihe auch den Augit, jedoch ohne irgend welche nähere Angabe. 3. Brookit nach Titanit (Sphen) von der Car- riere St. Philippe bei Markirch (Vogesen). So viel mir bekannt, ist diese schöne Pseudomorphose, die ich in zahl- reichen Exemplaren in der stattlichen Sammlung des Herrn Lesslin, Fabrikant in Markirch vorfand, bisher noch nicht beschrieben worden. Den Fundort habe ich dieses Früh- jahr mit Herrn Weber besucht, doch, da wir uns nur kurze Zeit dort aufhalten konnten, waren wir nicht so glücklich, selbst Exemplare zu finden. Der dortige weisse körnige Kalk bildet ein ziemlich mächtiges Lager im Gneiss, und ist den Mineralogen durch seine Einschlüsse, wie Glimmer, Pyroxen, Titanit u. a. schon lange bekannt. Die Titanit- krystalle haben eine Länge von 1 bis 3 Linien, und ähneln, obgleich zum klinorhombischen Septun gehörend, einem sehr stumpfen rectangulären Octaeder, bilden aber bekanntlich eine Combination des vordern schiefen Prismas b'! Dufre- 2 noy I P 2 Naumann) mit zwei Schiefendflächen P und a! (o P und Pæ). Die vorliegenden Pseudomorphosen sind jedoch nicht, wie gewöhnlich die dortigen Titanite, in dem körnigen Kalk eingebettet, sondern in einem sehr weichen, - milden, blaugrünen, stark durchscheinenden, dichten Silicat von unebenem, splittrigem, mattem Bruch, angeblich Py- rosklerit, obgleich die von letzterer Species in den Lehr- büchern angegebenen Merkmale nicht alle mit den an un- serm grünen Silicat gefundenen übereinstimmen. Namentlich fehlt an unserm Silicat alle und jede Spaltbarkeit, es ist 574 ganz homogen und dicht, gleicht im Bruch sehr dem ge- wöhnlichen Serpentin, ist aber durchscheinender und viel weicher, ungefähr von der Härte des Gypses. Frisch aus der Grube gebrochen zerbröckelt es ungemein leicht, an der Luft wird es allmählig fester, auch etwas härter. Obgleich . auf den Absonderungsflächen einen fettigen Wachsglanz zeigend, fühlt es sich doch nicht fettig an. Im Kolben giebt es ziemlich viel Wasser. Vor dem Löthrohr wird es so- fort undurehsichtig, weiss und matt, stellweise graulich, und schmilzt nur schwer an Spitzen unter Aufwallen zu weissem Email. In der Boraxperle anfangs Blasen gebend, löst es sich nur langsam und zeigt schwache Eisenreaction, heiss erscheint die Perle gelbgrün, kalt völlig farblos. Keine Chromfärbung. In heisser Salzsäure ist das gepulverte Silicat wenigstens theilweise löslich. Aus der Lösung las- sen sich als Hauptbestandtheile Talkerde, Thonerde und etwas Eisenoxydui fällen, von Kalkerde jedoch nur Spuren abscheiden. | Dieses grüne Talk-Thonsilicat bildet grobe Adern und kopfgrosse Nester in dem körnigen Kalk. Es scheint gleichfalls durch Umwandlung entstanden zu sein, und zwar aus weissem feinkörnigem oder undeutlich krystallinischem Albit oder albitähnlichem Feldspath, der ähnliche Einla- gerungen in dem körnigen Kalk bildet, und stellweise durch unmerkliche, jedoch allmählig durch grünliche Färbung und grössere Weichheit erkennbare, Uebergänge in unser grünes Silicat verläuft. Bruchstücke von kaum zwei Zoll Länge zeigen an dem einen Ende den weissen harten Albit, an dem andern das weiche grüne Silicat. Dieses scheint die Uebergangsstufe zu einer weitern Umwandlung des Albites, “nämlich zu rothbraunem Glimmer zu bilden, der die Ober- fläche der Albitmassen wie ein Sahlband zu beiden Seiten ‚ umgiebt (die Glimmerblättchen unter sich parallel und senk- recht; gegen jene Oberfläche gestellt) und an andern Stellen 575 in die grüne Silicatsubstanz eingedrungen ist oder sie be- reits bis auf wenige Ueberreste verdrängt hat. Durch diese Umhüllungen des rothbraunen Glimmers über die bald ader- förmigen, bald knollenartigen Albit- und grünen Silicatmas- sen entstehen seltsame schlangen- und ringförmige Figuren, die sich in dem weissen körnigen Kalk «auffallend aus- zeichnen.*) Auch hier wie in so manchen andern Fällen können wir die Umwandlung des einen Minerals in das andere durch die Uebergangsstellen eben so sicher constatiren, als wenn uns eine wirkliche durch die erhaltene Krystallform be- stimmbare Pseudomorphose vorläge. Wir hätten demnach, wenn sich das grüne Silicat, trotz den abweichenden Merk- malen, als zum Pyrosklerit gehörend erweisen, und wenn das weisse Silicat, nach den vorläufigen Löthrohrversuchen zu schliessen, wirklich Albit sein sollte, die Umwandlung von Albit in Pyrosklerit und Glimmer nachgewiesen, und könnten diese in die Pseudomorphosen einreihen. Die so ähnlichen Concretionen des Albites, des sogenannten Pyros- klerites und des Glimmers in diesem körnigen Kalk würden schon durch die Uebereinstimmung ihrer äussern Umrisse (auch eine Art von Gestalt) auf gegenseitige Umwandlungen schliessen lassen, selbst wenn sich diese nicht durch Ueber- gänge nachweisen liessen. Das Vorhandensein deutlich er- haltener Krystallformen der frühern Mineralsubstanz hängt oft von zufälligen günstigen Umständen ab, die nicht häufig zusammentreffen, und in den meisten Fällen wird die dem neuen Mineral eigenthümliche Krystallisationskraft die Form *) Delesse giebt im Bulletin de la Soc. géol. de France Bd. 9, 1852, S. 122 die Analyse dieses grünen Silicates, das er zum Pyroklerit stellt, obgleich seine Analyse von der Kobell’schen merklich abweicht, und S. 139 (sur l’Origine de la Pyrosklerite) giebt er eine sorgfältige Beschreibung jener merkwürdigen Concretionen, mit welcher meine obigen, auf eigene Unter- suchung gestützten, Angaben übereinstimmen. 576 des in Auflösung begriffenen alten bis zur Unkenntlichkeit verhüllen. Nur wo ein äusserst langsamer, atomweise er- folgender Umtausch der Stoffe stattfindet, wird die Form deutlich erhalten bleiben, und in der Regel um so schärfer, je weniger das neue Mineral geneigt ist sich in grossen, . deutlichen Krystallen auszubilden, dagegen mehr in mikro- krystallinischen Aggregaten aufzutreten pflegt. Mir scheint, solche bloss an Uebergängen erkennbaren Umwandlungen verdienen eben so sehr studirt zu werden, wie die eigent- lichen Pseudomorphosen und sollten wenigstens anhangs- weise in einem Werke, welches die bisher beobachteten Fälle der letztern Art zusammenstellt, aufgeführt werden. Die chemischen Vorgänge sind dieselben, ob nun von dem frühern Mineral zufällig deutliche Krystallformen vorhan- den waren und sich in der Umwandlung erhielten, oder nicht. Für das Studium der Bildungsgeschichte der Minera- lien und Felsarten sind beide Arten von Umwandlungen, wie Volgers schöne Untersuchungen zeigen, gleich lehrreich, beide sind gleich geeignet, für die Mineralogie und Geolo- gie wichtige Resultate zu ergeben und alte Vorurtheile zu beseitigen. Auch die hohlen Eindrücke früher vorhandener Krystalle gehören hieher und sind nicht minder beachtens- werth. Die oben unter Nro. 3 erwähnten Pseudomorphosen nach Titanit sind also in der gleichfalls durch Umwandlung entstandenen grünen sogenannten Pyroskleritmasse einge- wachsen. Einzelne Titanite sind anscheinend noch "ganz frisch, glatt, glänzend und haben die ursprüngliche choco- ladebraune Farbe. Andere sind bereits an einem Ende in Umwandlung begriffen, während das andere noch frisch er- scheint. Wieder andere sind zu einem Haufwerk kleiner, dünntafeliger, bläulichgrauer, stark metallglänzender Kry- ställchen völlig umgewandelt. Die kleinen Zwischenräume finden sich hie und da mit einer: weisslichen, stellweise Pr ne 577 durch Eisenoxydhydrat gelblich gefärbten, erdigen oder feinkörnigen Substanz, wohl die Reste der zersetzten Titanit- substanz, vielleicht zum Theil Kieselerde, ausgefüllt. Die Täfelchen stellen sich meistens senkrecht gegen die Ober- fläche der einstigen Titanitkrystalle, so dass ihre dünnen Ränder in die Ebene der betreffenden Krystallflächen zu liegen kommen, und zwar mit einer solchen Genauigkeit, dass dieses lose Haufwerk der fast mikroscopischen Täfel- chen die ursprüngliche Form der einstigen Titanite aufs Schärfste bewahrt hat, Dank der engen Umschliessung der umgebenden grünen Silicatmasse. Die Zersetzung der Ti- tanite scheint erst nach der Umwandlung der weissen albit- artigen Masse in grünes Silicat erfolgt zu sein. Vielleicht ist der Albit selbst aus einer Metamorphose des Kalkstei- nes hervorgegangen, als der ursprünglichen Lagerstätie der Titanite, deren grosse Mehrzahl jetzt noch direct in dem körnigen Kalk des genannten Steinbruches eingewachsen sich vorfindet. Einen directen Uebergang des Kalkes in grünes Silicat habe ich nicht beobachtet. Die einzelnen grauen Täfelchen haben ganz den Habitus der Brookitkry- . stalle und tragen kleine Abstumpfungsflächen an ihren Ecken. Der bläulich-graue Metallglanz kam mir anfangs befremdend vor, so dass ich elier an ein wirkliches Erz, als an Brookit dachte. Bei näherer Betrachtung mit der Loupe liessen aber einzelne Täfelchen deutlich ein violett-blaues Licht durchschimmern, ganz wie es mit gewissen stahlgrauen Anataskrystallen der Fall ist. Bläulich-graue Brookite sind mir überdiess aus dem Maderanerthal bekannt. Unsere Kry- ställchen blieben, in den stärksten Säuren erhitzt und vor der heftigsten Flamme des Löthrohrs, unverändert, nur wurde die Oberfläche matt, mit Phosphorsalz gaben sie im Re- ductionsfeuer eine schön violette Perle, also Titanreaction. Die Lösung geschah nur sehr langsam, aber gleich am An- fang der Behandlung mit Phosphorsalz verschwand die me- 37 978 tallgraue Farbe, die Kryställchen wurden durchsichtig, blass- bräunlich, fast farblos, ein Beweis, dass nur eine sehr dünne metallglänzende - Schicht, wahrscheinlich durch Desoxyda-_ tion entstanden, die Oberfläche bedeckt hatte. Ausserdem entdeckt man bei genauer Untersuchung einzeln und spar- sam durch die grüne Silicatmasse zerstreute, äusserst kleine, mit blossem Auge kaum sichtbare, roth-braune, glatte Blätt- chen von starkem Glanz, die gleichfalls Brookit sein könn- ten. Ueber die chemischen Vorgänge, welche die Umwand- lung der Titanite in Biookit bewirkten, sind nach den wenigen mir zu Gebote stehenden Beobachtungen nur flüch- ‘tige Vermuthungen möglich. Als einfachste Annahme er- scheint auch hier wieder die Wirkung von kohlensäure- haltigen Quellen, welche die von Feuchtigkeit augenscheinlich sehr leicht durchdringbare grüne Silicatmasse durchtränk- ten und einen Angriff auf die im Titanit befindliche Kalk- erde machten. Diese wurde als Carbonat ausgelaugt, die Kieselerde ausgeschieden oder zu anderweitiger Silicatbil- dung verwandt, und zurück blieb als Hauptbestandtheil die Titansäure, welche bei der langsamen Zersetzung des Tita- nites krystallinisch aus der bisherigen Verbindung aus- scheiden konnte. Die mitvorkommenden weisslichen erdi- gen Theilchen scheinen gleichfalls ausgeschiedenen Bestand- theilen des Titanites anzugehören. Wenn ich mich recht erinnere, so hat Herr D. F. Wiser in Zürich schon vor mehrern Jahren mir Pseudomorphosen von Titanit nach Rutil aus seiner ausgezeichneten Sammlung vorgewiesen; die soeben betrachteten vun Brookit nach Titanit würden das Gegenstück zu jenen bilden. 579 GEOLOGIE, Den 12. November 1856. Herr Rathsherr Peter MERrIAN theilt nachstehende Beobachtung des Herrn Ingenieur G. Dollfus, über eine Wirkung des Erdbebens vom 25. Juli 1855 an der Sitterbrücke bei St. Gallen, mit. Die besagte Brücke, deren Bau von Hrn. Dollfus aus- geführt worden ist, führt die Eisenbahn von St. Gallen nach Winterthur, in der Richtung von Ost nach West, und in einer Höhe von annähernd 200 Fuss über dem Niveau des Flusses, über das Thal der Sitter. Sie ruht auf drei eiser- nen Pfeilern. Der östlichste, am rechten Ufer gelegene Pfeiler dieser Brücke, war zur Zeit des Erdbebens auf seine ganze Höhe vollendet, mit Ausnahme der nur etwa einen Fuss hohen Kopfstücke, welche den obern Theil des Pfeilers bilden, und als unmittelbare Unterlage der Gitterbrücke dienen. Die Unterlage oder der Sockel des Pfeilers ist von Mauerwerk, auf eine Höhe von ungefähr 29° über dem aufgeschwemm- ten Boden oder 35° über dem Wasserstand der Sitter. Das Fundament ist etwa 8° tief, und ruht auf dem aus Meeres- Mollasse bestehenden festen Fels. Auf diesem Sockel erhebt sich der eiserne Pfeiler in einer Höhe von 160°. Derselbe ist aus gusseisernen Rahmen won 1! Breite und 6’ Höhe, - ar" 580 die mit Schrauben fest unter einander verbunden sind, zu- sammengesetzt. Er bildet eine rechteckige Säule von 15° Länge und 11 Breite, mit 8 von unten gegen oben an Breite abnehmenden Strebepfeilern. Vermittelst der Streben hat der gusseiserne Pfeiler eine Basis von 34,5 nach der einen, von Nord nach Süd gerichteten, und von nur 17,5 nach der andern von Ost nach West gerichteten Seite. Am Tage vor dem Erdbeben wurden zwei das Kopfstück bildende eiserne Balken, jeder von 13° Länge und von einem Gewicht von 22 Centner, in rechtem Winkel auf die Achse der Brücke, auf den Pfeiler und genau an die Stelle gebracht, an der sie festgeschraubt werden sollten. Zwei andere Kopfstücke, welche nach der Richtung der Brückenachse selbst über die erstern zu liegen kommen, waren noch nicht auf dem Pfeiler, so dass also die erwähnten beiden Balken ohne alle Befestigung auf dem obersten, ziemlich genau horizontal liegenden Rahmen ruhten. Das Erdbeben trat kurz vor 1 Uhr Mittags ein, zu wel- cher Zeit kein einziger Arbeiter auf dem Pfeiler war, die Bewegung desselben daher auch nicht unmittelbar beobach- tet worden ist. An demselben Nachmittag waren die Ar- beiter auf den beiden andern Pfeilern beschäftigt. Am fol- | genden Morgen, als die beiden noch fehlenden Kopfstücke auf den ersten Pfeiler aufgezogen werden sollten, machten die Arbeiter die Anzeige, dass die erwähnten Balken von ihrer Stelle verrückt seien. Hr. ingenienr Lorenz, der den Bau der Pfeiler leitete, wollte anfänglich der Aussage keinen Glauben schenken, überzeugte sich jedoch bald, zu seinem nicht geringen Erstaunen, von deren Richtigkeit. In Gegenwart des ebenfalls herbeigerufenen Hrn. Dollfus wurde sodann die Verrückung der beiden gusseisernen Bal- ken näher untersucht. Beide waren genau in der Achse der Brücke, und parallel mit ihrer ursprünglichen Lage, von Westen nach Osten um 20—21 Linien verschoben. Es 581 fällt diese Verschiebung allerdings mit der Richtung zu- sammen, nach welcher die Pfeiler die geringste Stabilität besitzen. Doch ist dabei zu bemerken, dass während dem Aufstellen der Gerüste zum Hinüberschieben der Gitter, wo die Pfeiler sehr bedeutenden Stössen in der Richtung der _Brückenachse ausgesetzt waren, deren Schwankung, mit dem Theodolith gemessen, am obersten Ende nie mehr als höchstens 3 Linien betragen hat, obgleich dieselbe von den Personen, welche sich zu dieser Zeit auf den Pfeilern be- fanden, auf einige Zoll geschätzt worden ist. Es muss noch erwähnt werden, dass Hr. Ingenieur Lo- renz selbst zugegen war, als die beiden in Frage stehenden eisernen Balken an ihren Platz gelegt wurden, und dass er sowohl als der Monteur und die übrigen Arbeiter einstim- mig die Ueberzeugung aussprachen, dass die Balken genau an der Stelle waren, von welcher sie um 20—21‘” ver- schoben worden sind. Hr. Rathshr. Merian fügt bei, dass aus der obigen Be- obachtung sich noch nicht der Schluss ableiten lässt, dass der Erdstoss genau in der Richtung der Brückenachse sich fortgepflanzt habe. Bei den Erdbeben überhaupt, und na- mentlich auch bei dem im Monat Juli 1855 eingetretenen, hat man vie!fach bemerkt, dass die durch die Erschütterung veranlassten Bewegungen nach derjenigen Seite hin gerich- tet sind, nach welcher der geringste Widerstand stattfin- det. Der Brückenpfeiler musste sich daher in der Richtung der Brückenachse, nach welcher die Stabilität am gering- sten war, in Schwankung versetzen. Immerhin bleibt die so genau konstatirte Verschiebung der aufgelegten schweren Balken gegen Ost eine interessante Thatsache. Den 11. März 1857. Hr. Rathshr. Prrer Merian: Ueber das sogenannte Bonebed. Schon seit längerer Zeit ist in Schwaben, auf der Grenze des Keupers und des untersten Lias, eine nur we- 582 nige Zoll mächtige Schicht bekannt, welche aus Kopro- lithen und einer Menge ausgewaschener kleiner Zähne und Knochenreste besteht. Hr. Quenstedt, welcher auf ihre Uebereinstimmung mit einer im westlichen England in ähn- lichen Niveau vorkommenden Knochenschicht hingewiesen, hat sie mit dem dem englischen Vorkommen von Buck- land und Conybeare beigelegten Namen Bonebed, in seinem neuesten Werke über den Jura mit demjenigen der schwäbischen Kloake, bezeichnet. In enger Verbindung mit diesem Bonebed kommt an einigen Stellen in Schwaben ein feinkörniger, hellgrauer oder gelblichweisser Sandstein vor, der bis zu einer Mächtigkeit von 20—30 Fuss an- schwillt, aber sehr ungleichmässig verbreitet ist, und öfter ganz fehlt. Er enthält Ueberreste von Schalthieren, die schon von Hrn. von Alberti erwähnt werden, aber erst neulich von Hrn. Quenstedt in seinem Werke über den Jura, und von den Herren A. Oppel und Ed. Suess, in einer im 2iten Bande der Sitzungsberichte der Wiener Akademie enthaltenen Abhandlung genauer bestimmt wor- den sind. In der letzterwähnten Abhandlung wird auf die Identität einer Anzahl dieser Schalthierarten mit denjenigen des von den österreichischen Geologen unter dem Namen der Kössner Schichten unterschiedenen Gebildes auf- merksam gemacht, so dass wir in dem schwäbischen Bo- nebed das. geologische Aeqnivalent der Kössner Schichten der östlichen Alpen zu erkennen hätten Es wird unter Anderm, um nur ein Beispiel anzuführen, nachgewiesen, dass eine der Hauptleitmuscheln der Kössner Schichten der Vorarlbergischen Alpen, die von mir als Avicula Escheri ‚aufgestellte Art, die mich seiner Zeit auf die Identifizirung der Schiehten der Scesa plana mit denjenigen des Val Gorno in den Bergamasker Alpen geführt hat, identisch ist mit Quenstedts Gervillia striocurva aus Schwaben, und dass dieselbe bereits im Jahr 1843 von Portlock in der 583 * Gegend von Londonderry in Irland aufgefunden und als Avicula contorta abgebildet und beschrieben worden ist. Das Bonebed ist an verschiedenen Orten des Kantons Basel ebenfalls aufgefunden worden. Auf ein schönes, am Ufer der Ergolz bei Nieder-Schönthal entblösstes Profil hat zuerst Hr. Gressly aufmerksam gemacht. Unter den mit Gryphaea arcuata erfüllten Kalkbänken erscheinen da- selbst wenig mächtige, dunkelgrau gefärbte Mergelschiefer, in weichen noch keine deutlichen Versteinerungen aufge- funden werden konnten; darunter ein ganz schwaches Band von rothem Keupermergel, und von diesem bedeckt das Bonebed. Es besteht dasselbe aus einem wenig mächtigen grauen Mergellager, welches ganz erfüllt ist von schwarzen Fischzähnen, grössern und kleinern schwarzen Knochen- bruchstücken verschiedener Art und einer Menge von Ko- prolithen. Unmittelbar darunter stehen, bis zum Flussbette, die bunten Mergel des obern Keupers in ansehnlicher Mäch- tigkeit an. Unter den vielen Zähnen und Knochenbruch- stücken ist bis jetzt eine einzige Schale einer unbestimm- baren Bivalve von Hrn. Friedr. Becker gefunden worden. Von dem feinkörnigen Sandsteine des Bonebeds zeigt sich an diesem deutlich entblössten Profile keine Spur. Hingegen kömmt ein solcher Sandstein, und zwar von sehr ähnlicher Beschaffenheit mit dem muschelführenden schwäbischen, an verschiedenen andern Orten des Kantons auf der Grenze des Keupers und Lias vor, an Stellen, wo aber keine so deutlich aufgeschlossenen Profile sich dar- - bieten, wie das eben erwähnte. Ein solcher Sandstein fin- det sich im untern Theile des Kantons an dem Wege von Muttenz nach dem Gruth; im obern Theile beim Lau- wyler Berg, wo schon vor Jahren Hr. Dr, Christoph Burckhardt in dem Sandstein eine grosse Anzahl klei- ner Fischzähne eingesammelt hat. Ferner oberhalb der Schwengi bei Langenbruck und auf der Weide ober- 584 halb des Kilchzimmers. An den beiden letzten Fund- orten zeigen sich auch Abdrücke von Muscheln in dem Sandsteine, welche mit mehrern von Quenstedt abgebildeten Aehnlichkeit besitzen, aber von zu unvollkommener Erhal- tung, um eine genauere Bestimmung zu ermöglichen. Es steht zu hoffen, dass wenn diesem Gegenstande grössere Aufmerksamkeit zugewendet wird, wir nicht nur mehrere Fundorte dieses Sandsteins, sondern auch bessere Muschel- versteinerungen in demselben entdecken werden. Hr. Oppel führt in seiner Arbeit über die Juraforma- tion eine Anzahl von Fundstellen an, welche beweisen, dass das Bonebed sich über ganz Frankreich und England verbreitet. Dass die Verbreitung selbst bis Irland nachge- wiesen worden, ist bereits oben angeführt. Diese grosse Verbreitung einer so wenig mächtigen und dabei dennoch so veränderlichen Schicht, ist unstreitig eine höchst merk- würdige Thatsache. Nicht minder merkwürdig ist aber die durch Verglei- chung der Schalthier-Versteinerungen nachgewiesene geo- logische Uebereinstimmung des Bonebeds mit den Kössner Schichten der österreichischen und italienischen Alpen. Escher und ich fanden den Totalhabitus der in den Köss- ner Schichten enthaltenen Versteinerungen gänzlich ver- schieden von demjenigen des ihnen aufgelagerten Lias, und glaubten ungleich mehr Aehnlichkeit mit der Fauna von St. Cassian anzuerkennen, daher wir die Kössner Schichten der Oesterreicher unter der Benennung der obern St. Cassianformation noch zur Trias gezogen und sie mit den obersten Lagern des westeuropäischen Keupers paral- lelisirt haben. Die mächtigen Dolomitlager, welche in Vo- rarlberg und Nord-Tirol die unmittelbare Unterlage der Kössner Schichten bilden, würden nach unserer Ansicht dem mittlern Keuper entsprechen, während die unter diesen Do- lomiten anstehenden Sandsteine, welche in Nord-Tirol mit 585 Kalkbänken wechseln, die mit eigentlichen St. Cassian-Ver- steinerungen erfüllt sind, das Aequivalent des untersten Keupers, der sogenannten Lettenkohlen-Gruppe, bilden. Frü- her, als man die Conchylien des Bonebeds noch nicht ge- nauer kannte, ist schon mehrfach darauf hingewiesen wor- den, dass die Wirbelthierreste des Bonebeds ungleich mehr Aehnlichkeit mit denjenigen der Triasformation als mit de- nen des Lias zeigen. Es stände das folglich im Einklang mit dem Eindruck, den wir gleich anfänglich von der Ge- sammtheit der Mollusken-Fauna der Kössner Schichten er- halten haben. Bekanntlich werden in den österreichischen Alpen die Kössner Schichten noch von dem sogenannten Dachstein- kalke überlagert, ehe die Schichten beginnen, die unzwei- felhaft mit dem untern Lias parallelisirt werden können. Die Kössner Schichten, welche mit Inbegriff des Dachsteins an einigen Stellen eine Mächtigkeit von 2000 Fuss und darü- ber annehmen, sind also in den östlichen Alpen das geo- logische Aequivalent der schwachen Bonebed-Schicht des westlichen Europa. Die Ablagerung so mächtiger Schich- ten, in denen eine ganz eigenthümliche Fauna sich ent- wickelt hat, und nachher allmählig wieder abgestorben ist, hat offenbar einen sehr langen geologischen Zeitraum er- fordert. Es entspricht also auch das Bonebed, trotz seiner geringen Mächtigkeit, einem sehr Jangen Zeitraume, wäh- rend welchem sich, im Gegensatz zu den Vorgängen in den Ostalpen, im Westen nur wenige Ablagerungen gebildet “haben. Es scheint das einigermassen die Erklärung zu ge- ben von der weiten Verbreitung und der Veränderlichkeit des Aussehens, welche das Bonebed, ungeachtet seiner ge- ringen Mächtigkeit, besitzt. Durch Betrachtungen dieser Art erweitern sich die Be- griffe, die wir uns von der Zeitdauer machen müssen, wel- che zur Ablagerung der geologischen Gebilde erforderlich 586 sind. Je mehr die Geologie sich ausbildet, desto mehr wächst die Dauer der geologischen Zeiträume, wenn wir eine Erklärung der beobachteten Thatsachen versuchen. Zur Entwicklung und zum allmähligen Verschwinden einer der eigenthümlichen Schöpfungen organisirter Wesen, die wir in einer bestimmten Formation der Erde begraben finden, bedarf es offenbar eines sehr langen Zeitraumes, von dessen Dauer wir uns keinen bestimmten Begriff zu machen ver- mögen. Früher wurde z. B. der Lias als eine solche be- stimmte, eine eigenthümliche Schöpfung umschliessende Formation betrachtet, und es ergab sich ein für uns erstau- nenswerther Zeitraum für die Entwicklung der Folge von Formationen von ähnlichem Umfange wie der Lias, die un- ter und über demselben in der festen Erdrinde unterschie- den worden sind. D’Orbigny unterschied im Lias drei Ab- theilungen, deren jeder eine eigenthümliche Schöpfung angehört, und in der ganzen Folge der bekannten geologi- schen Formationen 27 solcher Abtheilungen mit eigenthüm- licher Schöpfung, Quenstedt gieng weiter und stellt mit Inbegriff des Bonebeds und der untersten Abtheilung des braunen Jura, die d’Orbigny noch zum obern Lias rechnet, acht Abtheilungen auf, welche den drei von d’Orbigny un- terschiedenen liassischen entsprechen. Dieselbe Folge von Gebirgsschichten theilt Oppel nunmehr in 17 besondere La- ger, deren jedes eine Schöpfung enthält, welche mit den nächst angrenzenden nur sehr wenig gemeinschaftliche Ar- ten enthält, und sich in weiter Erstreckung über den geo- logisch genauer untersuchten Theil von Europa verfolgen lässt. Unstreitig werden die übrigen Formationen, wie der Lias, sich in ähnliche Unterabtheilungen trennen lassen. Man mag nun über die Bedeutung und Eigenthümlichkeit dieser einzelnen Lager verschiedene Meinungen hegen, die Zeit- räume, die zu ihrer successiven Entwicklung erforderlich sind, wachsen in das Unermessliche. LR nn La u Zu 2 587 METEOROLOGIE. Herr Rathsherr Perer Merıan: Meteorologische Uebersicht des Jahres 1856. Vorgelegt den 11. März 1857. Die Mitteltemperaturen der einzelnen Monate, aus den Mitteln der täglichen höchsten und niedrigsten Thermome- terstände berechnet, sind nachstehende: | Jan. + 1%, 6R. Febr. + 2,4 März + 3,6 Aprıl + ‚8,8 Mai + 9,7 Juni + 14,7 Juli + 14,4 Ans. rt 16,,,5 Sept. + 11,8 Oct. + 8,9 Now. Hit Dee.; + 1,3 Jahresmittel + 70,9 Verglichen mit der Uebersichtstabelle der 20 Jahre 1829—1848, welche in unserm Bericht IX ist mitgetheilt worden, erzeigen sich die Monate Januar und Februar als . verhältnissmässig warm. Der erstere übersteigt um 2°, 5, 588 der zweite um 1°, 2 das allgemeine zwanzigjährige Mittel. Der März kommt dem Mittelstande nahe; der April über- steigt denselben um 1°, 4. Hingegen bleibt der Monat Mai um 1°, 6 hinter dem allgemeinen Mittel zurück. Der Juni übersteigt dieses Mittel um 0°, 8, der Juli bleibt um 0°, 7 zurück. Der August ist aber ein verhältnissmässig sehr warmer Monat gewesen, indem seine Temperatur um 1°, 8. höher steht als die allgemeine. In der obgedachten zwan- zigjährigen Periode kommt ihm nur der August von 1837 gleich, und bloss im Jahr 1942 zeigt der gleiche Monat mit 16°, 9 einen höhern Mittelstand. Der September stimmt mit dem allgemeinen Mittel völlig überein, der October über- steigt dasselbe um 0°, 9. Der November war ein unge- wöhnlich kalter Monat, indem er um volle 2°, 8 zurückbleibt. In jenen 20 Jahren ist einzig der November 1835 mit + 19, 3 Mitteltemperatur noch etwas niedriger. Doch hatte dieser niedrige Stand für den kommenden Winter keine weitere Folge, indem der December wieder eine um 0°, 6 höhere Mitteltemperatur zeigt als die durchschnittliche. Das Mittel des’ ganzen Jahres 7°, 9’ist etwas höher als die durch- schnittliche 7°. 6 R. betragende allgemeine mittlere Jahres- temperatur. Der höchste Thermometerstand mit 27, 1 wurde den 11. August beobachtet, ein verhältnissmässig sehr hoher Stand. In gewöhnlichen Jahren pflegt der höchste Thermo- meterstand schon im Juli oder Juni einzutreten. Der nied- rigste Thermometerstand trat am 3. Februar mit — 11°, 8 ein, für unser Klima kein sehr niedriges Extrem. Die Anzahl der Regentage beträgt 150, der Schneetage 22, der Tage an welchen überhaupt Regen oder Schnee ge- fallen sind 167, eine höhere Zahl als das gewöhnliche Mit- tel. Die Zahl der fast ganz bedeckten Tage 119 ist hingegen etwas geringer als die Mittelzahl. Riesel ist an 2 Tagen, Ha- gel einmal gefallen. Gewitter ereigneten sich an 20 Tagen. das sé un ne 589 Durch Hrn. Hämmerlin ist im botanischen Garten in diesem Jahr auch die gefallene Regenmenge wieder gemes- sen worden. Es betrug dieselbe im Jan. 1,020 Pariser Zoll, Febr. 0,930 März 1,800 April 1,050 Mai 5,925 Juni 5,003 Juli 1,200 Aug. 0,822 Sept. 2,800 Oct. 0,804 Nov. | 2,636 Dec. im ganzen Jahr 23,990 Pariser Zoll. Der mittlere Rheinstand am Pegel der Rheinbrücke be- trug 5, 72 Schweizerfuss. Der höchste Rheinstand den 17. Mai 13’, 0, der tiefste am 6-8. Januar und am 20-—23. November 2’, 5. Mittlerer Barometerstand um 1 Uhr Nachmittag auf 0° R. und den frühern Standpunkt reduzirt 27/ 3°, 38 Pariser Mass. Das barometrische Mittel um 9 Uhr Morgens ist 0“! 37 höher als dasjenige um 3 Uhr Nachmittags. Die Extreme des Barometerstandes traten in diesem Jahre in dem Abstande von wenigen Tagen ein. Der höchste Stand wurde beobachtet den 21. December um 9 Uhr Vormittags mit 27 9, 96, der tiefste den 26. December um 7 Uhr Vormittags mit 26‘ 4‘, 20. In dem kurzen Zeitraum von 5 Tagen ergab sich also eine Verminderung des Luftdruckes von 17’, 76; und es ist diese schnelle Aenderung ganz ruhig vor sich gegangen. Es ereigneten sich weder Stürme noch andere erhebliche Veränderungen in der Atmosphäre. — 590 BOTANIR. \ Den 2%. März 1857. Hr. Pfr. Curıstıan Mincu: Ueber Fragaria Hagenbachiana Langii. Diese neue Pflanze wurde im Frühling des Jahrs 1842 von Herrn Kraft bei Zunzigen unfern Müllheim entdeckt und von Koch als eigenthümliche Art bestimmt und be- schrieben. Verschiedene Botaniker wie Godron in seiner mit Grenier herausgegebenen Flore française, Moritzi in seiner Flora der Schweiz, Godet in der Flore du Jura halten sie für nicht spezifisch verschieden von F. collina Ehrh. Da hingegen Koch in seiner Synopsis, Hagenbach im Suppl. zur Basler Flora und im Text zu Labrams Abbildungen von Schweizerpflanzen, Doell in der Rheini- schen Flora, und Kittel im Taschenbuch der Flora Deutsch- lands die Selbstständigkeit der Art nachzuweisen suchen. Referent schliesst sich der letztern Meinung an, da die er- wähnten Botaniker in der Beschreibung der Pflanze voll- kommen übereinstimmen, und er dieselbe vor zwei Jahren an ihrem Standorte bei Zunzigen noch ganz in ihrer ur- sprünglichen Beschaffenheit aufgefunden hat. 91 GESCHENRE an das naturwissenschaftliche Museum im Jahr 1856. 1. Geldbeiträge. Von löbl. gemeinnützigen Gesellschaft, Jahres- beitrag für 1856 . . . . 79 PMU RES RIRE Von löbl. Museumsverein, döieleiöhen os 299,1008239..50 Aus E. E. Trauerhause, durch Vermittlung löbl. Museums-Vereins . OI PERS NES EU — Von Herrn Rathsherr Peter Merian, zur Ver- ° wendung für die Bibliothek . . . . . » 300. — Fr. 1929. 50 2. Geschenke an die Sammlungen. Von Herrn Alt-Postdirector J. Bernoulli: Zwei Globen, von seinen Vorfahren herrührend. Von Herrn A. Rumberg in Hamburg: 30 Arten brasilianischer Conchylien.. Von Herrn Mechanicus Linder: | Falco cyaneus L. Weibchen, aus der Gegend von Basel. Von Herrn F. Caillaud in Nantes: Echinus lividus L. in Sandstein eingebohrt, Pholas dactylus L. in Glimmerschiefer eingebohrt, beide von der Küste der Bretagne. 592 Von Herrn Prof. A. Kölliker in Würzburg: Pentacrinus europaeus Thomps. von der schottischen Küste. Von Herrn Prof. Gerlach: Palinurus Locusta Oliv. von Havre. Von Herrn Adolf Burckhardt-Bischoff: Eine ansehnliche Sammlung amerikanischer Coleopteren. Von Herrn Jos. Köchlin-Schlumberger in Mülhausen: Eine Sammlung von Versteinerungen aus England. Von Herrn Rudolf Kelterborn: Versteinerter Fisch aus dem bunten Sandstein von Riehen bei Basel. Von der K. K. geologischen Reichsanstalt in Wien: Sammlung von 100 Arten Tertiär-Versteinerungen aus dem Wiener Becken. Von Herrn Friedr. Goppelsröder, Stud. Phil.: Sammlung von Fischabdrücken aus dem Glarner Plat- tenberge. Verschiedene fossile Knochen und Pflanzenabdrücke aus der Braunkohle der Mollasse am Speer, Kanton St. Gallen. Von Herrn Prof. C. G. Jung: Gebirgsarten und Pflanzenabdrücke aus der Braunkohle der Wetterau. Von Herrn Prof. E. Desor in Neuchatel: Verschiedene fossile Echiniden. Von Herrn Dr. Greppin in Delemont: 3 Chara-Arten und Süsswasser-Conchylien aus dem Bohnerzthone des Delsberger Thals. “Von Herrn Dr. Albr. Müller: Verschiedene Versteinerungen aus der Gegend von Basel. Von Herrn F. Becker, Lehrer an der Gewerbschule: Vèérsteinerungen aus der Gegend von Basel. Von Herrn Rathsherr Peter Merian: Verschiedene Versteinerungen. 3. Für die naturwissenschaftliche Bibliothek: Von dem Württembergischen naturwissenschaftl. Verein: Württembergische naturwissenschaftliche Jahreshefte Xu. 1, 2. Von dem Verein für Naturkunde in Batavia: Natuurkundig Tijdschrift voor Nederlandsch Indie VIH. 5,6. IX. 3-6. X und XI. 1—3. Von der physikalisch-medicinischen Gesellschaft in Würz- burg: Verhandlungen der Gesellschaft VI. 2, 3. VIL 1, 2. Zweiter Nachtrag zum Verzeichniss ihrer Bibliothek. Von der Smithsonian Institution in Washington: Smithsonian Contributions to Knowledge VII. 4°. 8th and 9th annual Report of the Smiths. Instit. Von der Akademie der Wissenschaften in New-Orleans: Constitution and Bylaws of the New Orleans Academy. Proceedings No. 1. Von der naturforschenden Gesellschaft zu Emden: 4iter Jahresbericht. Prestel, die Temperatur von Emden. Von der deutschen geologischen Gesellschaft: Zeitschrift VII. 2—4. VIIL 1, 2. Von der K. K. geologischen Reichsanstalt in Wien: Jahrbuch VI. 2—%. VIL 1. Hörnes, die fossilen Mollusken des Tertiärbeckens von Wien No. 9 und 10. Von der K. Akademie der Wissenschaften in Wien: Sitzungsberichte. Mathemat. naturw. Classe XVI 2. XVII-XX und XXI. 1, 2, nebst Reg. zu Bd. VI—XX. Von der Royal Institution in London: Notices of the Meetings II. No. 20, 21. 38 594 Von der K. Akademie der Wissenschaften zu St. Petersburg: Bulletin de la Classe PRNEROEmAAhANN. XIV. No. 10—24. XV. No. 1, 2. Von der naturforschenden Gesellschaft in Bern: Mittheilungen No. 331—350. Von dem geognostisch-montanistischen Verein für Steier- mark: 5ter Bericht. Andrae, geognost. Forschungen im Sommer 1854. Von der Gesellschaft für Beförderung der Naturwissensch. zu Freiburg im Br.: Berichte über die Verhandlungen No. 12—15. Von der Société industrielle in Mülhausen: Bulletin No. 133—135. Von der Societe Vaudoise des Sciences naturelles: Bulletin No. 37. 38. Von der K. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen: Nachrichten von der Georg Augusts-Universität und der K. Gesellschaft vom Jahr 1855. Von der Société des Sciences naturelles in Cherbourg: Mémoires Il. Von der K. Akademie der Wissenschaften in Berlin: Monatsberichte. Juli bis December 1855. Von der Acaiémie des Sciences, arts et belles lettres in Dijon: Mémoires 2e Ser. IV. | Von dem naturhistorischen Verein der Preussischen Rhein- lande in Bonn: Verhandlungen XII 3, 4. XI. 1—3. Von der Linnean Society in London: Transactions XXI. 4. Proceedings No. 59—66. Von der Chemical Society in London: Quarterly Journal IX. 1. 995 Von der K. Bayerischen Akademie der Wissenschaften: Gelehrte Anzeigen XLI. Vogel, über die Zersetzung salpeters. Salze durch Kohle. — Beitrag zur Kenntniss der oxalsauren Salze. Fischer, Beitrag zur Kenntniss der Ostracoden. Harless, Beiträge zu einer wissensch. Begründung der Lehre vom Mienenspiel. Schönbein, über die Bläuung einiger Pilze. Von dem physikalischen Verein zu Frankfurt a. M.: Jahresbericht für 1854—55: Von der naturforschenden Gesellschaft Graubündens: Jahresbericht. Neue Folge I. Von dem Verein für Naturkunde des Herzogth. Nassau: Jahrbücher X. Von dem zoologisch-mineralogischen Verein in Regensburg: Correspondenzblatt IX. Abhandlungen 6s und 7s Heft: Von dem naturhistorischen Verein in Augsburg: H—VI. und IX. Bericht. Von der Oberlausitzischen Gesellschaft der Wissenschaften in Görlitz: Neues Lausitzisches Magazin XXXIL 1, 2. Von dem zoologisch-botanischen Verein in Wien: Verhandlungen V. Bericht über die österreichische Literatur der Zoolo- gie, Botanik und Paläontologie aus den Jahren 1850 bis 1853. Von dem naturwissensch. Verein für Sachsen und Thürin- gen in Halle: Zeitschrift für die gesammten Naturwissenschaften V. VE. Von der Gesellschaft Pollichia: 13r und 14r Jahresbericht. Statuten. 38* 596 Von der naturforschenden Gesellschaft in Zürich: Vierteljahrsschrift I. 1, 2. Von der K. Schwedischen Akademie der Wissenschaften: Oefversigt af Forhandlingar X. Von der Société imp. d'Agriculture etc. in Lyon: Annales VI und VIL 1. Von dem Mannheimer Verein für Naturkunde: 22ter Jahresbericht. | Von der K. Sächsischen Akademie der Wissenschaften in Leipzig: Berichte der mathem. phys. Classe 185%. III. 1855. I, I. 1856. I. Drobisch, über musikalische Tonverhältnisse. Hansen, Berechnung der absoluten Störungen der klei- nen Planeten. Kohlrausch und Weber, elektrodynamische Messbestim- mungen. d’Arrest, Nebelflecken und Sternhaufen. Von der Société des Sciences médicales et naturelles in Mecheln: Annales 12e Année. Von der Société des Sciences naturelles in Neuchatel: Bulletin IV. 1. Von der K. Akademie der Wissenschaften in Amsterdam: Verhandelingen I—Il. 4°. Verslagen en Mededeelingen I—IV. Catalogus de Boekerij I. Von löbl. Lesegesellschaft: Monatsberichte der Berliner Akademie vom J, 1855. Von dem Ohio State Board of Agriculture: 9th. Report. Von dem Superintendent of the Census in Washington: The th. Census 1853. 597 Von den Herren Herausgebern: Silliman and Dana, American Journal of Science 2d. Ser. No. 1, 4—7 und No. 52—57. Von Herrn Prof. James D. Dana in Newhaven: Dana, on the Homaeomorphism. of mineral species of the Trimetric system. — Chemical contributions to Mineralogy. 1854. — First Supplement to Dana’s Mineralogy. Von dem Herrn Verfasser: Trask, Report on the Geology of the Coast Mountains, California. Von den Herren Verfassern: F. v. Hauer und F. Foetterle, Geolog. Uebersicht der Bergbaue der Oesterreich. Monarchie. Von Herrn Dr. A. Erlenmeyer, als Verfasser: Verhandlungen der deutschen Gesellschaft für Psychia- trie in Göttingen. Bericht über die Fortschritte im Gebiete der Krank- heiten des Nervensystems während des Jahres 1854. Die Soolthermen zu Nauheim. Das Sinzinger Mineralwasser. Von dem Herrn Verfasser: Phil. David, Vollständiges Handbuch der Färberei. 1855. Von Herrn Dr. Cornaz in Neuchatel: Cornaz, des abnormites congéniales des yeux. : — Observations des abnormités congéniales des yeux. — Notice sur les établissements consacrés au traite- ment des maladies des yeux. — Notice sur Florent Cunier. — la fièvre typhoide à l'hôpital Pourtales. — de l’Albinisme. — Revue ophthalmologique Suisse. Hasner, de l'étiologie de la Cataracte. 598 Von Herrn Adolf Burckhardt-Bischofr: Boisduval et Lacordaire, Faune entomologique des en- virons de Paris I. Heer, Fauna Coleopterorum helvetica I. Von Herrn Prof. C. F. Schönbein: De la Rive traité d’Electrieite I. Jäger, über eine neue Species von Ichtyosauren. 3—%ter Bericht der Pollichia. Geubel, zoologische Notizen. Gümbel, die Wirbelbewegung an Stoffen. Eisenlohr, Tehrbuch der Physik. 7. Auflage, und verschiedene kleinere physikalische und chemische Schriften. Von dem Herrn Verfasser: Fritz Burckhardt, über den naturgeschichtl. Unterricht auf lateinischen Schulen. Von Herrn Prof. Retzius in Stockholm: Förhandlingar vid de Skandinaviske Naturforskarnes sjette Möte i Stockholm. Von dem Herrn Verfasser: J. Marcou, Cours de Géologie paléontologique. Leçon d'ouverture. Von dem Herrn Verfasser: L. Rütimeyer, über Schweizerische Anthracotherien. Von dem Herrn Verfasser: C. H. Schauenburg, der Augenspiegel. — das Accomodationsvermögen der Augen. — die künstliche Pupille vor und in dem Auge. — Ophthalmiatrik. Von dem Herrn Verfasser: Mich. de Mayora, Réfutation de la Base établie par Newton à la force de l’attraction universelle. Von dem Herrn Verfasser: Fred. Caillaud, Mémoire sur les Mollusques perforants. L 599 Fred. Caillaud, Observations sur les Oursins perforants. — Procédé employé par les Pholades dans la perfo- ration. Von dem Herrn Verfasser: Arn. Escher v. d. Linth, Brief von Leop. v. Buch über die Anthracitpflanzen der Alpen. Von dem Herrn Verfasser: Alexis Jourdan, de l'origine des diverses variétés d’Ar- bres fruitiers. - — Mémoire sur l’Aegilops triticoides. Von dem Herrn Verfasser: J. M. Ziegler, Hypsometrischer Atlas. Quer-Fol. Von Herrn Rathsherr Peter Merian: Eine Anzahl grösserer und kleinerer meist mineralo- gischer und paläontologischer Schriften. 600 VERZEICHNISS DER MITGLIEDER DER NATURFORSCHENDEN GESELLSCHAFT IN BASEL. Ehrenmitglieder. Herr Cuming, Esq. in London (1851). » Daniell, Prof. in London (1839). » Nic. Fuss, Prof. der Math. in St. Petersburg (1843). „ John Will. Herschel, Baronet in Slough (1839).. » Richard Philipps, Prof. in London (1839). » Ed. Rüppel in Frankfurt‘ a. M. (1851). „ Schattenmann in Buxwiller (1851). » Wheatstone, Prof. in London (1839). Correspondirende Mitglieder. Herr Louis Agassiz, Prof. in Cambridge, V. St. (1836). » Bider, Med. Dr. in Langenbruck (1839). „ Karl Ludw. Blume, Med. Dr. in Leyden (1842). + 601 Herr Charles Bovet in Fleurier, Ct. Neuchätel (1840). Alexander Braun, Prof. in Berlin (1836). Ad. Brongniart, Prof. am Jardin d. plantes in Paris (1836). Karl Brunner, Prof. der Chemie in Bern (1835). Heinr. Buff, Prof. der Chemie in Giessen (1830). Karl Bruch, Prof. in Giessen (1850). Thomas Cooper, Esq. in London (1839). Ed. Cornaz, Med. Dr. in Neuchätel (1856). Louis Coulon, Dir. des Museums in Neuchätel (1856). Ed. Desor, Prof. in Neuchätel (1856). Aug. de la Rive, Prof. in Genf (1836). Adolphe De Lessert in Paris (1839). Dettwyler, Med. Dr. in Hellertown, V. St. (1836). Drew, Dr. in Southampton (1853). Felix Dunal, Prof. in Montpellier (1836). Alex. Ecker, Prof. in Freiburg i. B. (1844). Thomas Everit, Esq. in London (1839). Mich. Faraday, Prof. in London (1836). J. @. Fischer, Dr. in Hamburg (1852). F. Frey-Herose, Bundesrath in Bern (1835). Alphonse Gacogne in Lyon (185%). Gassiot, Esq. in London (1839). Golding-Bird, Dr. in London (1839). Thomas Graham, Prof. in Glasgow (1836). Grove in London (1839). C. F. Gurlt, Prof. in Berlin (1838). Rud. Häusler, Med. Dr. in Lenzburg (1851). * Jäger, Prof. in Stuttgart (1839). E. Im Thurn, Dr. in Schaffhausen (1837). J. Kettiger, Seminardirector in Wettingen (1837). H. Kunze, Prof. der Botanik in Leipzig (1838). Löwig, Prof. in Breslau (1838). C. F. Ph. von Martius, Prof. in München (1838). J. J. Matt, Med. Dr. in Bubendorf (1839). 602 Herr J. B. Melson, Dr. in Birmingham (1839). „ Ernst Meyer, Prof. der Botanik in Königsberg (1838). » Philipp Meyer, Militär-Apotheker in Batavia (1841). „ Hugo Mohl, Prof. der Botanik in Tübingen (1836). „ Mohr, Dr. in Coblenz (1839). „ Mougeot, Dr. in Bruyères (1838). „ Mowatt, Med. Dr. in England (1830). » E. Mulsant, Bibliothekar der Stadt Lyon (1851). Müller, Prof. in Leyden (1842). „ Alexis Perrey, Prof. in Dijon (18%2). » Theod. Plieninger, Prof. in Stuttgart (1838). „ C. @. C. Reinwardt, Prof. in Leyden Gar: „ Rüs, Missionar (1840). „ Retzius, Prof. in Stockholm (1853). » J. Roeper, Prof. in Rostock (1826). » Fried. Ryhiner, Med. Dr. in Nordamerika (1830). » Dan. Schenkel, Prof. in Heidelberg (1839). „ Rud. Schinz, Prof. in Zürich (1835). » von Schlechtendal, Prof. in Halle (1838). „ Schlegel, Dr., Conservator etc. in Leyden (1842). » J. L. Schönlein, Prof. in Berlin (1839). „ Schrötter, Prof. der Chemie in Wien (1853). »n J. R. Schuttleworth, Dr. in Bern deb „ von Seckendorff (1838). „ €. Th. von Siebold, Prof. in Breslau (1846). „ P. F. von Siebold, Prof. in Leyden (1842). » Herm. Stannius, Prof. in Rostock (1846). „ Bernh. Studer, Prof. in Bern (1835). » Temmink, Prof. in Leyden (1842). » Ad. Tschudy, Dr. von Glarus (1839). » F. A. Walchner, Prof. in Carlsruhe (1836). » Ben. Wölfflin von Basel (1840). „ Heinr. Wydler, Med Dr. in Bern (1830). Verzeichniss der ordentlichen Mitglieder. Karl Aichner, Med. Dr. (1856). Sigmund Alioth, Med. Dr. (1844). Autenheimer, Lehrer an der Gewerbschule (1856). J. Ballmer, Ph. Dr. (1847). F. Becker, Lehrer an der Gewerbschule (1853). Gustav Bernoulli, Med. Dr. (1855). J. J. Bernoulli, Ph. Dr. .(1826). Joh. Bernoulli zur goldenen Münz (1856). Leonh. Bernoulli-Bär (1840). Ach. Bischoff, Nationalrath (1840). Ed. Bischoff (1355). Bischoff-Ehinger (1841). Bischoff-Iselin (1840). Bischoff-Respinger, Stadtrathspräsident (1338). Bischoff-Keller, Oberst (1852). Markus Bölger, Sohn (1839). Fried. Brenner, Med. Dr. und Prof. (1830). Bulacher, Ph. Dr., Staatschemiker (1852). Chr. Burckhardt, Med. Dr., App. (1834). Ach. Burckhardt, Med. Dr. (1840). Aug. Burckhardt, Med. Dr. (1834). J. J. Burckhardt, J. U. D., Bürgermeister (1838). Fried. Burckhardt-Brenner (1853). Hier. Burckhardt-Iselin (1838). | Rud. Burckhardt-Burckhardt, Med. Dr. (1839). Wilh. Burckhardt-Forcart (1840). L. Burckhardt-Schönauer (1847). Martin Burckhardt, Med. Dr. (1847). Daniel Burckhardt, Stadtrath (1849). Karl Leon Burckhardt (1849). Louis Dizerens (1849). Daniel Ecklin, Med. Dr. (1856). 603 604 Herr Alfred Frey, Med. Dr. (1845). Chr. Grimm, Med. Dr. (1852). W. Geigy, Oberst (1826). Ed. Hagenbach, Phil. Dr. (1855). F. Hagenbach, Apotheker (1829). Mich. Hämmerlin (1810). Herbst, Chemiker (1849). Andr. Heusler, Prof. (1830). Friedr. Heusler (1817). Hindermann-Hauser (1842). Wilh. His, Med. Dr. und Prof. (1854). J. Hoppe, Prof. (1852). L. Imhof, Med. Dr. (1826). J. Iselin-Burckhardt (1817). H. Iselin, Med. Dr. (1333). C. G. Jung, Prof. (1825). Andr. Laroche (1840). German Laroche, Deputat (1817). Laroche-Gemuseus (1853). “ Albert Lotz (1841). Rud. Maas, Med. Dr. (1856). Fried. Meissner, Prof. (1828). Georg Meissner, Prof. (1855). H. Merian-VonderMühll (1843). J. J. Merian-Burckhardt (1822). P. Merian, Rathsherr (1819). Rud. Merian, Prof. (1824). Rud. Merian-Iselin (1844). Rud. Merian-Burckhardt (1847). Ed. Merian-Bischoff (1851). Sam. Merian-Merian (1840). F. Miescher, Prof. (1837). J. J. Mieg, Prof. (1819). Albr. Müller, Ph. Dr. (1846). 605 Herr Müller, Med. Dr. (1856). » Münch, Pfarrer (1835). » Münch, Med. Dr. (1853). » Oswald-Hoffmann (1839). » ÆEml. Passavant-Bachofen (1841). » Eml. Raillard, Med. Dr. (1830). » Rauch, Apotheker (1855). » J. W. Rumpf (1852). „n Bernh. Rumpf, Med. Dr. (1855). » L. Rütimeyer, Prof. (1855). „ Karl Respinger, Eisenbahndirector (1843). „ Felix Sarasin, Bürgermeister (1826). » W. Schmidlin, Rector und Director (1844). » Schwarzkopf, Phil. Dr. (1854). » €. F. Schönbein, Prof. (1828). » J. H. Sigg, Med. Dr. (1856). » Ben. Stähelin-Bischoff (1836). » Aug. Stähelin, Ständerath (1837). » Chr. Stähelin, Prof. (1830). » J. J. Stähelin, Prof. (1830). » Emil Stähelin, Med. Dr. (1841). » Georg Stehlin, Fabrikant (1856). » J. J. Stehlin, d. R., Nationalrath (1838). » F. Stehlin, Ingenieur (1853). » Karl Streckeisen. Prof. (1837). » J. Sulger-Heussler (1840). »n Rud. Sulger (1842). » Æ. Thurneysen-Paravicini, Stadtrath (1840). » Karl Vischer-Merian (1843). » W. Vischer, Prof. (1838). » : J. J. Vonbrunn, Pfarrer (1842). » Karl VonderMühll-Merian (1856). » J. J. Uebelin, Bauschreiber (1835). » Uebelin, Apotheker (1855). 606 Herr Andr. Werthemann (183%). Ch. Weiss, S. M. C. (1843). L. deWette, Med. Dr. 1838). G. Wiedemann, Prof. (1854). Wimmer, Apotheker (1846). Hans Wieland, Commandant (1855). Wybert, Med. Dr. (1838). BEAMTE vom 1. Juli 1854 bis 1. Juli 1856. Präsident: Herr Rathsherr P. Merian. Vice-Präsident: „ Prof. Karl Bruch. Secretär: » Dr. Alb. Müller. Vice-Secretär: » Dr. Karl Bulacher. BEAMTE vom 1. Juli 1856 bis 1. Juli 1858. Präsident: Herr Prof. C. F. Schönbein. Vice-Präsident: » Prof. L. Rütimeyer. Secretär: » Dr. Alb. Müller. Vice-Secretär: » Prof. Wilh. His. 607 ‚di (di LAN el ‘À yon A. ss. Alipes multicostis. Lith A. Zemp & Ci A, ZA bedeutet Roth. ES bedeutet Blau. 0 Taf Strusse nach Höllstein Rünenb, a | D . f Wiltisburg RX ; h “7 Wenshngen” Sn > Meltenberg j = == | À Tenniken Höllsleu E Gegen das Orısthal „New Alagzene E UI Rhein‘ à Trallein pero ua Dom DURT ” I ?S #