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HARVARD UNIVERSITY.
LIBRARY
OF THE
MUSEUM OF COMPARATIVE ZOOLOGY.
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4 Deutschen Zoologis Suh ‘Gdeeliéchaft
| | i | auf der
zweiundzwanzigsten Jahresversammlung
zu Halle, vom 28. bis 31. Mai 1912.
Im Auftrage der Gesellschaft herausgegeben
von
Prof. Dr. A. Brauer
Schriftführer der Gesellschaft.
Mit 138 Figuren im Text und 1 Tafel.
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«
Anwesende.
| Vorstand: Prof. Korscherr (Marburg), Vorsitzender, Prof.
Heer (Innsbruck), stellvertretender Vorsitzender, Prof. Braver
(Berlin), Schriftführer.
2 Mitglieder: Prof. Arsreım (Berlin), Dr. Barss (München),
Dr. Baurzer (Würzburg), Dr. Bucur (Gießen), Prof. van Bemme ten
_ (Groningen), Prof. Borerrr (Bonn), Prof. Branpes (Dresden), Prof.
_ Braun (Königsberg), Prof. Bressnau (Straßburg), Prof. Brien (Halle),
Dr. Dauer (Königsberg), Dr. Demors (Gießen), Prof. Döneruem (Straß-
_ burg), Dr. Duncker (Bremen), ErrmAaun (Leipzig), Frl. Dr. Erpmann
: (Berlin), Dr. Erzarp (München), Prof. Escherıcr (Tharandt), Dr. Franz
(Frankfurt), Dr. Frese (Schwerin), Dr. v. Friscx (München), Prof.
Gzpuarpt (Halle), Dr. Gerne (Halle), Prof. Goupschuivr (München),
Prof. Hancxer (Halle), Dr. Has» (Jena), Dr. Hanrrzscu (Leipzig),
Prof. Harrmann (Berlin), Dr. Hempztmann (Leipzig), Dr. Henrscuen
| (Hamburg), Prof. Hrssz (Berlin), Prof. Hrymons (Berlin), Prof.
_ Horrmann (Göttingen), Prof. Jazxen (Berlin), Dr. Jarsa (Halle),
Dr. Kavurzscu (Kiel), Prof. Kuunzimcer (Stuttgart), Prof. Kraereum
(Hamburg), Dr. Krüser (München), Frl. Dr. Kurrner (Halle), Prof.
, Lamperr (Stuttgart), Prof. Loumann (Kiel), Dr. Marcus (Jena), Prof.
_ Metsennzrmer (Jena), Frau Dr. Moser (Berlin), Dr. K. Mürxer (Kiel),
‘Dr. Nuvsaver (Krosigh), Dr. Nreven (Berlin), Dr. Parpenuerm (Berlin),
_ Prof. Puvrwzr (Wien), Prof. Prare (Jena), Dr. Pororsky (Magdeburg),
Prof. Porrer (Bonn), Prof. Reısısch (Kiel), Prof. Ruumsrer (Münden),
Prof. Roux (Halle), Dr. Sacuse (Leipzig), Dr. P. Sarasm (Basel),
Dr. Scuaxen (Jena), Dr. Scuetnack (Berlin-Gr. Lichterfelde), Prof.
_ Scausere (Berlin-Gr. Lichterfelde), Prof. Smora (Leipzig), Prof.
Srencet (Gießen), Dr. Srecuz (Leipzig), Prof. zur Strassen (Frank-
4 gata. M.), Dr. Stroprmann (Wilhelmsburg), Prof. Tascusnsere (Halle),
r. Taesıye (Leipzig), Prof. Tornrer (Berlin), Prof. Vannorren (Berlin),
Prof. Versnvys (Gießen), Dr. Weser (Cassel), F. Wiyter (Frankfurt a. M.),
Dr. Worrzrsporr (Magdeburg), Dr. Würker (München), Prof. ZizeLer
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Gäste: Dr. Bara (Halle), stud. Bısoewaun (Halle), Prof. |
Dissennorst (Halle), Frau Eurmann (Leipzig), Prof. Eısuer (Halle),
stud. GerscHLer (Leipzig), stud. Geyer (Leipzig), stud. Grmse (Halle),
cand. Harniscu (Halle), Prof. Hck (Berlin), stud. Hermann (Halle),
Frau H. Hrynoxs (Berlin), stud. Hırsc# (Berlin), stud. Hontemann
(Halle), Dr. Huru (Berlin), Dr. Jarr£ (Berlin), stud. Kaiser (Halle),
Prof. Karsten (Halle), Lehrer Kern (Halle), Dr. Kuarr (Berlin),
stud. Kyiescue (Halle), Stadtrat Köcher (Halle), stud. Krarrr (Halle),
v. Leneurxen (Berlin), stud. Marry (Leipzig), Universitätskurator
Meyer (Halle), Dr. S. Morıra (Halle), Dr. Morrensen (Kopenhagen),
stud. H. L. Mürser (Leipzig), stud. Nuss (Halle), stud. Perxırzsch
(Halle), Dr. Prinesnem (Halle), Dr. Ramme (Berlin), Dr. v. Scharren-
BERG (Leipzig), Prof. Scaumr-Rınruer (Halle), stud. Scunerper (Leipzig),
Dr. Scuunzz (Berlin), stud. Serrerr (Halle), Frl. G. Smrors (Leipzig), —
Frau K. Sımror# (Leipzig), stud. Srorren (Halle), Dr. Sraupınser
(Halle), Frl. A. Sprixeer (Neu-Mexico), stud. Srreckur (Halle), stud.
Tanzer (Halle), Frau Dr. Tuxsıse (Leipzig), stud. Tosras (Halle),
stud. v. Usıscr (Würzburg), Rektor Prof. Dr. Verr (Halle), Dr. Verr
(Marburg).
Tagesordnung,
zugleich eine Übersicht über den Verlauf der Versammlung.
Montag, den 27. Mai, 61/, Uhr: Vorstandssitzung.
8 Uhr: Begrüßung und gesellige Zusammenkunft der Teil-
nehmer im Hotel Kaiser Wilhelm, Bernburger Straße. |
Dienstag, den 28. Mai, 9—12'/, Uhr: Erste Sitzung.
1. Eröffnung der Versammlung durch den Herrn Vorsitzenden.
2. Begrüßung durch Seine Magnifizenz Herrn Geh. Medizinal-
rat Prof. Dr. Verr im Namen der Universität. }
3. Begrüßung durch Herrn Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Scum
Riveter im Namen der Stadt.
4. Begrüßung durch -Herrn Prof. Dr. Hacker.
5. Begrüßung durch Herrn Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Home
6. Geschäftsbericht des Schriftführers. f
7. Wahl der Revisoren.
8. Referat des Herrn Prof. Lonmanx: Die Probleme der modernen
Planktonforschung.
9. Vorträge der Herren Dr. Teıcamann und Prof. Sımrora.
Nachmittags, 3—5 Uhr: Zweite Sitzung. a
1. Vorträge der Herren Dr. Scuaxen, Dr. SCHELLACK, Prof.
(FEBHARDT. | :
5
2. Besichtigung des Haustiergartens des Landwirtschaftlichen
Instituts unter Führung des Herrn Prof. v. Narnustus.
| Nachher: Saalefahrt und Zusammenkunft in der Bergschänke.
c Mittwoch, den 29. Mai, 9—1 Uhr: Dritte Sitzung.
| 1. Geschäftliche Mitteilungen.
2. Bericht der Herausgebers des „Tierreichs“, Prof. Dr. F. E.
SCHULZE.
3. Bericht des Delegierten der D. Zool. Ges., Herrn Prof. Dr.
_ Krarreniy über die Tätigkeit des deutschen Ausschusses für
den mathematischen und naturwissenschaftlichen Unterricht
im Jahre 1911.
4. Beratung über den Antrag des Herrn Prof. Bravn, für den
„Nomenklator“ 3000 M. zu bewilligen.
5. Wahl des nächsten Versammlungsorts.
6. Beratung über das Prioritätsgesetz.
7. Vorträge der Herren Dr. Hempetmany, Prof. Ziesuer und
Prof. Herter.
Nachmittags, 3—5 Uhr: Vierte Sitzung.
1. Vorträge der Herren Dr. Baurzer, Prof. Speneer, Dr. Srecue,
Dr. Hanrrzscu, Prof. Harrmann.
2. Demonstrationen der Herren Prof. Roux, SpEnGEL, Dr. BAutzer,
Prof. F. E. Scauzze, Prof. Schusgere und Prof. Hxıver.
3. Besichtigung des Zoologischen Gartens unter Führung des
Direktors Herrn Dr. Swaupıncer.
Abends Zusammenkunft im Restaurant Wrrrexinp.
Donnerstag, den 30. Mai, 9—1 Uhr: Fünfte Sitzung.
1. Bericht der Rechnungsrevisoren.
2. Vorträge der Herren Prof. Spencer, Prof. Harcxer, Frau
Dr. Moser, Prof. Krunzimeer, Dr. Ersarp, Dr. Huru, Prof.
JAEKEL, Prof. Scurry, Dr. Morrensen.
3. Demonstrationen der Herren Prof. Harcxer, Dr. Hurs,
Prof. Gesuarpt, Prof. Gorpscumipr und Dr. Eruarp.
Nachmittags, 3 Uhr: Besichtigung des Botanischen Gartens
unter Führung des Herrn Prof. Karsrey,
Um 6 Uhr: Gemeinschaftliches Essen in der Loge zu den
drei Degen.
Freitag, den 31. Mai: Ausflug nach Kösen und der Rudels-
burg über Naunburg und Schulpforta.
Die erste Sitzung wurde im Auditorium maximum der Uni-
| versität, die andern im Zoologischen Institut abgehalten.
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Erste Sitzung.
Dienstag, den 28. Mai, 9—121/, Uhr.
Der Sitzung wohnten der Kurator der Universität Herr Geh.
Ober-Regierungsrat Meyer, der Rektor der Universität Herr Geh.
Medizinalrat Prof. Dr. Verr, der Stadtverordnetenvorsteher Herr
Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Scamivr-Rımperer und Herr Stadtrat
Köcher bei. 1
Der Vorsitzende Herr Prof. Korscuerr eröffnete die Sitzung
mit folgender Ansprache:
Hochverehrte Anwesende!
Die 22. Jahresversammlung der Deutschen Zoologischen Gesell-
schaft sei damit eröffnet, daß ich Ihnen, die Sie zum Teil von recht
weit her zu unserer Tagung herbeieilten, herzliche Grüße entbiete
und Ihnen für Ihr Erscheinen danke. Die stattliche Zahl, in der
Sie sich hier zusammenfanden, bürgt für den guten Verlauf der
diesjährigen Versammlung. ;
Im Brennpunkt unseres Interesses stehen a dieser Tage
die wissenschaftlichen Darbietungen, Vorträge und Demonstrationen,
die in beträchtlicher Zahl angemeldet sind, seitdem aber durch
weitere im Programm noch nicht ee Vorträge vermehrt
wurden. Da sie recht verschiedenartige Gegenstände behandeln,
so dürfte schon hierdurch reiche Anregung gegeben und damit fü
die weitere Veranlassung unseres Zusammenseins, den persönlichen
Verkehr und die gegenseitige Aussprache eine günstige Unterlage
geschaffen sein. So denke ich, werden die Erwartungen, welche wi
an den Verlauf der Tagung stellen, nach verschiedenen ne
ihre Befriedigung finden.
Übrigens werden wir uns diesmal noch mit anderen, nicht
unwichtigen Fragen, nämlich mit denen der zoologischen Na
klatur und dem Prioritätsgesetz zu beschäftigen haben, die für die
Gesamtheit der Zoologen von Bedeutung sind und manchem ein-
zelnen von uns des öfteren rechte Kümmernisse bereiteten. Schon
wiederholt waren wir genötigt, diesen zumeist recht unerfreulich
erscheinenden Dingen auf den Kongressen unsere Aufmerksamkeit zu
widmen, und es dürfte allgemein bekannt sein, um welche verwickelten
Fragen es sich dabei handelt. Hoffen wir, daß unsere Tagung dazu
beitragen wird, die recht schwierige Materie einer für die Ordnung
in unserer Wissenschaft erfreulichen Klärung entgegenzuführen, und
ich darf die dringende Bitte an die Mitglieder der Gesellschaft
7
richten, sich diesen von vornherein nicht besonders vorführerischen
Beratungen nicht entziehen, sondern vielmehr sich recht eifrig daran
beteiligen zu wollen.
Von der bevorstehenden Tagung wendet sich der Blick un-
willkürlich zurück auf diejenige des vergangenen Jahres. Die
äußeren Verhältnisse, unter denen sich die vorjährige Versammlung
vollzog, waren von denen der heutigen denkbar verschieden. Dort
in Basel, beinahe an der Grenze deutschen Landes, außerhalb des
Reichsgebietes und doch im Bereich ältester deutscher Kultur und
in dem einer seit etwa 4 '/, Jahrhunderten bestehenden, wenn auch
nur kleineren, so doch altberühmten Universität, hier im Herzen
unseres Vaterlandes und unter dem Schutz der auf diesem Boden
zwar noch neueren Hochschule, die aber den ihr beigesellten Namen
der Reformationsuniversität stets mit Recht geführt und hoch in
Ehren gehalten hat. Daß sie dies auch auf unserem Gebiet tut
und die Traditionen der älteren, berühmten Schwester bewahrt,
zeigen die Namen der an ihr tätig gewesenen und noch wirkenden
Gelehrten. |
Recht lehrreich erscheint in letzterer Beziehung ein Blick auf
diejenige Anstalt, in welcher sich während des kurzbemessenen
hiesigen Aufenthalts unsere Haupttätigkeit abspielen wird. Die
Männer, welche während der letzten drei Jahrzehnte am Zoologischen
und dem ihm verwandten Anatomischen Institut der Universität
Halle lehrten, erläutern in höchst anschaulicher Weise den Gang,
welchen unsere Wissenschaft im vergangenen und zu Anfang dieses
Jahrhunderts eingeschlagen hat.
| Bis zum Beginn der achtziger Jahre sehen wir in Giessen und
TAscHENBERG Vertreter der fast rein systematischen Riehtung hier
wirken und diese in recht entschiedener Weise vertreten. Abgelöst
wurde sie erst spät durch die anderwärts bereits in voller Blüte
stehende morphologische Richtung, und zwar durch einen so aus-
gezeichneten Vertreter wie unseren, nicht nur aus seinen vorbildlich
exakten Untersuchungen auf dem Gebiete der Sinnesorgane rühmlichst
bekannten und geschätzten Kollegen Grenacuer, den heute nicht
unter uns sehen zu können, wir aufrichtig bedauern und dem unsere
Grüße zu entbieten ich Ihre Ermächtigung erbitte.
Geradezu vorschriftsmäßig, möchte ich sagen, und wie es dem
von der wissenschaftlichen Zoologie eingeschlagenen Gang entspricht,
folgte, als Grenacner vor einigen Jahren sein Amt niederlegte, auf
ihn ein so ausgesprochener Vertreter der Zellen- und Vererbungs-
lehre und gleichzeitig der experimentell biologischen Richtung, wie
8
wir ihn in dem jetzigen Leiter des Zoologischen Instituts, unserem
verehrten, eigentlichen Gastgeber kennen und von ihm gewiß noch ~
bedeutende Förderungen dieses interessanten und wichtigen Gebiets
zu erwarten haben. Damit aber auch die modernste, seit den letzten —
zwei Jahrzehnten ihre Triumphe feiernde Richtung unserer Wissen- _
schaft nicht fehlte, trat Wire. Roux in den Kreis der hier lehrenden
Biologen ein und förderte als gefeierter Begründer der Entwicklungs-
mechanik und beherrschender Vertreter der experimentellen Mor-
phologie diesen Zweig unserer Wissenschaft in der von ihm be-
kannten energischen Weise.
So repräsentieren die genannten Forscher, von denen wir
glücklicherweise nicht weniger als drei zu den unsrigen zählen dürfen,
ein lebendiges Bild der wichtigsten Phasen unserer Wissenschaft.
Bei dem Streben nach neuen Forschungsbahnen und im Kampf
zur Durchsetzung des als richtig Erkannten kommt es, wie auch
sonst im Leben, leicht dazu, daß die Vertreter der neueren Richtung
geneigt sind, mit einer gewissen Uberhebung auf diejenigen der
älteren herabzublicken. Wie sich das hier gestaltet hat, entzieht
sich meiner Kenntnis, nur sollte man im allgemeinen nicht vergessen,
daß die höher eingeschätzte neue Lehre ohne die von der älteren
Richtung geschaffene Grundlage vielfach nicht denkbar ist und dab —
die eine durch die andere Richtung Förderung erfährt, häufig
allerdings ohne es zu wünschen und sich dessen bewußt zu sein.
Jeder aber sollte auf dem von ihm bearbeiteten Gebiet bedacht
sein, das Ganze zu fördern, und sind es naturgemäß zumeist nur
kleine Bausteine, die dem Gebäude der Wissenschaft angefügt
werden, so tragen sie doch zum Wachstum und zur Ausgestaltung
des ganzen Baues bei. So gebe ich denn der Hoffnung Ausdruck, —
daß auch unsere diesjährige Tagung der durch uns vertretenen —
Wissenschaft von Nutzen sein, den einzelnen Teilnehmern aber —
Anerkennung ihrer bisherigen Tätigkeit und Anregung zu weiterem
Schaffen bringen möge.
Dann begrüßte Seine Magnifizenz der Rektor Herr Geh. Medi- |
zinalrat Prof. Dr. Verr im Namen der Universität und der Stadt- —
verordnetenvorsteher Herr Geh. Medizinalrat Prof. Dr. Scammr- —
Riveter im Namen der Stadt die Gesellschaft.
9
Herr Prof. Hacker hielt alsdann folgende Ansprache:
Meine sehr geehrten Herren Kollegen!
Im Namen der hiesigen Zoologen und Fachnachbarn heiße ich
Sie herzlich willkommen. Wir hoffen, daß Sie sich in Halle be-
haglich fühlen mögen und daß Sie außer dem Gewinn an wissen-
schaftlichen Anregungen und freundlichen persönlichen Beziehungen,
welche solche engere Vereinigungen, wie der Deutsche Zoologentag, in
reichem Maße zu bringen pflegen, auch einige angenehme Erinnerungen
an die Saalestadt und ihre Umgebung mit nach Hause nehmen.
Als ich vor 4 Jahren die Ehre hatte, Sie in Stuttgart zu be-
grüßen, mußte ich darauf hinweisen, daß die Räume, welche damals
in Stuttgart der Zoologie gewidmet waren, ein gewisses historisches
Interesse beanspruchen: konnten sie doch den jungen Herren
Kollegen den Status vor Augen führen, auf welchem sich vor etwa
100 Jahren im allgemeinen die zoologischen Institute der deutschen
Universitäten befanden.
Die Geschichte der Halleschen Zoologie bietet in anderer Hin-
sicht ein historisches Interesse: nicht bloß, weil hier in einer
typischen Weise die Herausarbeitung der Zoologie als einer selb-
ständigen Wissenschaft mit selbständigen Vertretern, Hilfsmitteln
und Räumlichkeiten zu verfolgen ist, sondern weil bei der Auf-
zählung der Ereignisse und Persönlichkeiten an Ihrem Gedächtnis
eine verhältnismäßig große Zahl von wohlbekannten Namen vorbei-
ziehen wird. Freunde der Wissenschaftsgeschichte, deren es ja
auch in unseren Reihen eine ganze Anzahl gibt, darf ich vielleicht
gleich hier auf die zoologische Chronik hinweisen, welche Kollege
Tascuensere anläßlich des zweihundertjährigen Universitätsjubiläums
geschrieben hat und der ich die meisten meiner Daten entnommen habe’).
In dem ersten Jahrhundert nach der Gründung der Universität
Halle (1694), also im achtzehnten Jahrhundert, ist die Zoologie von
Medizinern, Philosophen und einmal sogar von einem Juristen teils
als Nebenfach, teils als Liebhaberei betrieben und in Vorlesungen
behandelt worden. Erwähnt sei nur der berühmte Mathematiker
und Philosoph Curistran Worr, der bekannte Vertreter der Leısnız-
schen Philosophie, der in den ersten Jahrzehnten des achtzehnten
Jahrhunderts in seinem Collegium experimentale mikroskopische
Süßwasserorganismen, Spermatozoen und dergleichen vorgeführt hat.
Etwas später (1759) wurde an der hiesigen Universität eine der
berühmtesten Dissertationen auf biologischem Gebiete verfaßt: die
1) O. TASCHENBERG, Geschichte der Zoologie und der zoologischen Samm-
lungen an der Universität Halle 1694—1894. Abh. Naturf. Ges. Halle, Bd. 20, 1894.
10
Theoria generationis des Mediziners Caspar Frıeprıch Wourr, dens
Begriinders der epigenetischen Schule.
Ein Lehrstuhl für Naturgeschichte, einschließlich der Zoologie, —
wurde in der philosophischen Fakultät erstmals 1769 eingerichtet
und dem Mediziner GorpuAGen übertragen. Sein privates Naturalien-
kabinett wurde angekauft und bildete den Grundstock der zoologischen —
und mineralogischen Universitätssammlungen. Noch zu Lebzeiten
(GOLDHAGEN’S wurde ein zweites Ordinariat für Naturgeschichte dem
berühmten Forschungsreisenden Joann Rermnorp Forster, dem Be-
gleiter Coox’s auf dessen großer antarktischer Reise (1772—1775),über- —
tragen, hauptsächlich, um dem stellenlosen Manne zu helfen und durch
den Glanz seines Namens der Universität zu nützen. Die Lehrtätig-
keit Forster’s scheint wenig erfolgreich gewesen zu sein, aber der
temperamentvolle, selbstbewußte und freimütige Mann war zweifellos
eine der bedeutendsten Persönlichkeiten, welche am Ende des acht-
zehnten Jahrhunderts in Halle gewirkt haben. Er starb im Jahre 1798. —
Wieder folgte eine Art Interimszeit, in welcher die Natur-
geschichte und insbesondere die Zoologie nicht in einer Hand ~
konzentriert war, sondern zum Teil mehr im Nebenamt von ver-
schiedenen Mitgliedern der philosophischen und der medizinischen
Fakultät vertreten wurde. Unter diesen dürften Ihr Interesse wecken
der Botaniker Kurr Sprexeer und die Anatomen Lupw. Frrepr. FRoRIEP
und Jou. Frrepr. Mecker, von denen der letztere während der Fran- |
zosenzeit auch Direktor des Naturalienkabinetts gewesen ist. i
Im Jahre 1815 wurde dann Cnrısrıan Lupw. NrrzscH, der bei
der Vereinigung der Universitäten Wittenberg und Halle hierher
übergesiedelt war, zum Professor der Naturgeschichte ernannt, und
damit kam der erste reine Zoologe in Halle auf einen ordentlichen
Lehrstuhl der philosophischen Fakultät. Nrrzscu hat sich, wie be-
kannt, hauptsächlich mit Parasiten (Entozoen und Epizoen) und
mit der Anatomie der Vögel beschäftigt, und sein Name ist weiten
Kreisen dadurch geläufig, daß er für Naumany’s Naturgeschichte
der Vögel die anatomischen Gruppenbeschreibungen verfaßt. hat.
Daneben hat er sich, Organisator und Ausstopfer in einer Person,
um den Ausbau der Sammlung verdient gemacht, welche aus dem
GorpHaAcgen’schen Naturalienkabinett hervorgegangen war und nach
mehrfachem Wechsel der Unterkunft im oberen Stockwerk des
Universitätsgebäudes neben den Universitätskarzern Platz gefunden
hatte. Eine Art Ergänzung fanden seine Vorlesungen in den-
jenigen des Entomologen und Paläontologen GermAr, der im Jahre
1817 zum Pr Meng der Mineralogie ernannt wurde.
1l
Als Nachfolger von Nırzson wurde 1837 Hermann Burneıster
berufen, ein Mann, der als ausgezeichneter Lehrer und vortrefflicher
Systematiker in gleich hohem Ansehen stand und durch seine reiche
Begabung und die Kraft seiner Persönlichkeit, aber auch durch
manche Eigenarten des Charakters während seiner ganzen Wirk-
samkeit von sich reden machte. Seine Berühmtheit wurde besonders
befestigt durch die beiden Sammel- und Forschungsreisen, die er,
von Krone und Staat reichlich unterstützt, nach Südamerika aus-
führte, sein Andenken ist aber weniger günstig beeinflußt worden
durch die Art, wie er im Jahre 1861 den Bruch mit seiner Heimat
herbeifiihrte. Er starb im Alter von 85 Jahren als Direktor des
Museo publico in Buenos Aires. Bei dem Ausbau der Sammlung,
_ insbesondere ihrer entomologischen Abteilung, hat Burmeister in
Ernst Tascuensere Vater, der im Jahre 1855 mit dem Titel eines
’ Inspektors angestellt wurde, einen unermüdlichen, namentlich um
die Entwicklung der praktischen Entomologie hochverdienten Arbeits-
genossen gefunden. Außerdem haben zu Burmersrer’s Zeit vor allem
noch die Anatomen Ep. p’Atron der Jüngere, der Nachfolger Jonann
Frreprich Mecker’s, und Max Schurzze, dieser als Extraordinarius
für Anatomie (1854—59), auf zoologischem und speziell vergleichend-
anatomischem Gebiete gearbeitet und Vorlesungen gehalten.
Auf die dringende Empfehlung Burmersrer’s hin, welcher seine
Sammlungen keinem Vertreter der inzwischen in Blüte gekommenen
morphologisch -entwicklungsgeschichtlichen Richtung überlassen
wissen wollte, wurde im Jahre 1862 Giesen zum ordentlichen
Professor der Zoologie ernannt (nachdem dieser schon während
Burmeister’s Reise dessen Vorlesungen übernommen hatte). Dieser
außerordentlich arbeitsreiche Mann hat sich besonders Verdienste
um die Verbreitung naturwissenschaftlicher Kenntnisse erworben,
wie er denn auch der heutigen Zoologie hauptsächlich als Redakteur
der Zeitschrift für die gesamten Naturwissenschaften bekannt sein
dürfte Mit ihm zusammen wirkten Erssr TAscHengere Vater und
Orro TascHengere Sohn, welche, ersterer 1871, letzterer 1888 zu
außerordentlichen Professoren ernannt wurden. Durch ihre bin-
gebende Arbeit am Ausbau der Sammlung und im Unterricht und
durch ihre wissenschaftliche Tätigkeit sind in dieser Periode manche
Einseitigkeiten, welche der Persönlichkeit und dem Wirken Gızser’s
anhafteten, weniger fühlbar gemacht worden.
Als Nachfolger Gıeser’s wurde 1881 Hermann GRENACHER von
Rostock nach Halle berufen. Mit Überwindung der verschiedensten
Schwierigkeiten ist es Grenacuer in zielbewußter, weitschauender
12
und im wahren Sinne des Wortes aufopferungsvoller Arbeit gelungen,
der Zoologie innerhalb weniger Jahre ein wirkliches Heim zu schaffen.
Schon im Jahre 1886 konnte die ehemalige medizinisch-chirurgische
Klinik am Domplatz, nachdem sie nach Möglichkeit den Bedürfnissen 3
der zoologischen Unterrichts- und Forschungstätigkeit angepaßt
worden war, bezogen werden, und so waren für die Zoologie die
Grundbedingungen einer gedeihlichen Entfaltung, Raum und Licht,
geschaifen, namentlich nachdem die anfängliche Mitinhaberin des — 3
(rebäudes, die Leopoldina, ein neues Quartier gefunden hatte. Auch
ein für die damalige Zeit sehr beträchtliches Instrumentarium konnte
beschafft und die durch mehrere wertvolle Ankäufe und Schenkungen
vergrößerte Sammlung nach verschiedenen Richtungen hin ausgebaut
werden. So war das zoologische Institut in Halle nicht unvor-
bereitet, als sich in den letzten Jahren an allen deutschen Hoch-
schulen ein vermehrter Zudrang zum naturwissenschaftlichen Studium
bemerkbar machte, und speziell hier in Halle außer den natur-
wissenschaftlichen Lehramtskandidaten noch eine zweite Kategorie
der Hörerschaft, die Studierenden der Landwirtschaft, ein außer-
ordentlich reges und rühmenswertes Interesse für die allgemeinen
biologischen Probleme zu bekunden begannen.
Diesen veränderten Verhältnissen und vermehrten Bedürfnissch
ist, wie der Nachfolger Grenacuer’s mit Dankbarkeit bekennen
möchte, in den letzten Jahren von seiten der Behörde in vollem
Umfang Rechnung getragen worden, und dem Entgegenkommen und
der fortdauernden Unterstützung des Ministeriums und des Herrn Uni-
versitätskurators verdanken wir es, daß die Entwicklung des Instituts
F *
nicht stehen geblieben ist und daß von unsern zahlreichen Wünschen —
einer nach dem andern in das Stadium der Erfüllbarkeit und Er-
füllung tritt.
Wenn Sie daher, hochgeehrte Herrn Kollegen, heute Nach- k
mittag und an den folgenden Tagen in unserem Institute Ihre
Sitzungen abhalten wollen, so werden Sie vieles Fertige und Ihres
Interesses Werte finden, was wir als Erbstück von den voran-
gerangenen Generationen übernommen haben, es wird Ihnen aber
auch, neben manchen Lücken und Unvollkommenheiten, die Ihnen
nicht verborgen bleiben, einiges Neue und Werdende entgegentreten.
So heißen wir Sie denn nochmals herzlich willkommen und hoffen,
daß unsere Räume und Einrichtungen den Anforderungen des q
Zoologentags einigermaßen genügen mögen.
13
Herr Geh. Medizinalrat Prof. Dr. W. Roux richtete darauf
folgende Worte an die Versammlung:
Verehrte Anwesende!
Gestatten Sie mir, als dem hiesigen Vertreter des jüngsten
Zweiges der Zoologie, einige Worte an Sie zu richten.
Die Zoologie ist eine der ältesten Wissenschaften. Es wäre daher
nur natürlich, wenn sie altersschwach und unproduktiv wäre. Statt
dessen sehen wir sie an Zahl ihrer Vertreter wachsen und in ihren Lei-
stungen blühen und reiche neue Früchte treiben. Wie ist das möglich?
Der älteste Ast der Pflege der Zoologie, die Beschreibung des
sichtbaren Seins und Geschehens der Lebewesen nähert sich wohl
allmählich ihrer Vollendung, ohne sie jedoch schon erreicht zu haben;
damit würde auch die alte rein deskriptive Systematik bald zu
ihrem Ende gelangen. Aber an deren Stelle ist bereits auf Grund
der Deszendenzlehre die neue genetische Systematik getreten,
die als eine kausale Wissenschaft, wie jede kausale Wissenschaft
nie zu Ende kommen, nie ihre Aufgaben erschöpfen kann, denn jede
Erkenntnis von Ursachen gebiert die Frage nach den Ursachen
dieser Ursachen, nach den Faktoren dieser Faktoren. Es sind dazu
in den letzten Dezennien noch neue Zweige gekommen: Die ver-
gleichende Physiologie und die „Biologie“ im engeren Sinne
der Erforschung der Wirkung der Lebensumstände auf die Ge-
staltung und Struktur der Lebewesen und der Wirkung der Lebe-
wesen aufeinander.
Als jüngster Zweig entstand die Entwicklungsmechanik
der Lebewesen, die Lehre von den Faktoren der organischen
Gestaltungen und von den Wirkungsweisen und Wirkungsgrößen
dieser Faktoren. Das betrifft drei große Teile: die kausale Lehre
der phylogenetischen Entstehung und der noch jetzt möglichen
Umbildungen der Organismen, ferner die Ursachen der Vererbung
und die Faktoren der individuellen Entwicklung, besonders
aus dem Ei. Letztere Forschung stellt die Entwicklungsmechanik
im engeren Sinne dar.
Alle diese drei Teile wollen Unsichtbares erforschen; denn
alles primäre Wirken ist unsichtbar und die Faktoren des organischen
Gestaltens sind meist unsichtbar klein. Das sichtbare Gestaltungs-
geschehen integriert sich erst aus dem primären unsichtbaren Geschehen.
Wir können dies Unsichtbare nur mit Hilfe des Experimentes,
und zwar des kausalanalytischen Experimentes erforschen, können
es nur erschließen.
14
Von gegnerischer Seite hat man aber eingewandt, es würden
sich dadurch die letzten Ursachen nicht gewinnen lassen. Das
glaube ich auch; die letzten Faktoren werden wir bei keinem
Geschehen ermitteln. Das ist aber kein Grund, auf die ursächliche —
Forschung zu verzichten. Man sagt ferner, es würde uns gehen,
wie den Physikern, die trotz Jahrhunderte langer experimenteller
Arbeit das Wesen des Lichtes nicht zu ermitteln vermocht hätten. —
Früher galt die Emanationstheorie, dann herrschte über hundert
Jahre als ganz gesichert die \Vellentheorie, und jetzt ist man in
der Elektronentheorie wieder zu einer Art Emanationstheorie zurück-
gelangt. Wenn nun diese Alternative vielleicht auch jetzt noch
nicht einmal sicher entschieden ist, so muß ich doch sagen: Wir 3
Biologen werden sehr froh sein, wenn wir in der Erforschung des
gestaltenden Lebensgeschehens bis zu Alternativen zwischen so
einfachen Wirkungsweisen gelangt sein werden. Man hat
ferner gesagt, dieEntwicklungsmechanik würde bald abgewirtschaftet —
haben, denn es wären bald alle Eier angestochen und angeschnitten, —
und dann wäre sie fertig; andererseits auch, sie wäre eine Störung
des ruhigen Ganges der Zoologie, und wenn sie hochkäme, würde
sie das Ende der Biologie bedeuten.
Diejenigen Autoren, die in dieser Weise urteilen, stehen in
ihrer Einsicht nicht ganz auf der Höhe unseres Programmes.
Kommen wir auf unsere eingangs gestellte Frage zurück, so
erkennen wir: |
Die Zoologie hat sich dadurch jung erhalten, sich geradezu
verjüngt, daß sie neue Gedanken produziert und aufgenommen, und
sie mit Sorgfalt, Fleiß und Scharfsinn bearbeitet hat. Möge das
immer so bleiben. Zum Schluß möchte ich noch meiner Freude
darüber Ausdruck geben, daß unter den zahlreichen anwesenden
Vertretern der Zoologie auch eine Anzahl hervorragender Vertreter
der Entwicklungsmechanik und auch viele junge Vertreter derselben,
welche die Zukunft der deutschen Entwicklungsmechanik darstellen,
sich finden. Und ich möchte ferner den Wunsch und die Hoffnung | 3
aussprechen, daß die Vertreter aller der verschiedenen Richtungen ~
immer friedlich zusammen wirken, sich dadurch gegenseitig fördern
mögen. Das wird auch ein Mittel sein, die Zoologie jung zu erhalten.
Nachdem der Vorsitzende für die Begrüßungen den Dank
der Gesellschaft ausgesprochen hatte, verlas der Schriftführer den —
15
Geschäftsbericht.
Die 21. Jahresversammlung fand vom 6. bis 9. Juni 1911 unter
der Leitung des ersten Vorsitzenden, des Herrn Prof. Dr. Zscnozkz,
in der zoologischen Anstalt in Basel statt. Sie war von 69 Mit-
gliedern und 37 Gästen besucht. Ein Ausflug nach der Frohburg
und Aarau schloß sich der Tagung an.
Der Bericht über die Verhandlungen der 20. und 21. Jahres-
versammlung wurde Anfang August ausgegeben.
Am |. Januar 1912 fand in Basel die Wahl des neuen Vorstandes
statt. Herr Prof. Korscherr wurde zum ersten, die Herren Prof.
ZscuoxKxe, Bovert und Herer zu stellvertretenden Vorsitzenden und
Herr Prof. Braver zum Schriftführer gewählt.
Die Zahl der Mitglieder betrug am 1. April 1911 285 gegen
282 im Jahre 1910. Es sind 13 ausgeschieden, dafür 20 neu ein-
getreten, sodaß die Mitgliederzahl am 1. April d. J. 292 (289 ordent-
liche und 3 außerordentliche) beträgt.
Entsprechend dem Beschluß der Gesellschaft ist der Bericht
des Vorstandes über die Mängel des Literaturverzeichnisses im
„Zoologischen Anzeiger“ und die Vorschläge zu ihrer Beseitigung
der Verlagsbuchhandlung W. EnxeerLmann und dem Herausgeber
Herrn Dr. Fıerp übersandt. Da aber nur die erstere geantwortet
hat, der letztere nicht, so hatten die von der Gesellschaft be-
stimmten Mitglieder keine Veranlassung, mit beiden in Beziehung
' zu treten und bei der Regelung der Angelegenheit mitzuarbeiten.
Die Sammlungen des deutschen Subkomitees für das Awnron-
Doxnrn-Denkmal und die Anton-Doury-Stiftung haben die Summe
von 17261 Mk. ergeben.
Als ein für die deutsche Zoologie sehr erfreuliches Ereignis
ist die Übernahme der Zoologischen Station des früheren Berliner
_ Aquariums in Rovigno durch die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft
zu verzeichnen.
Der Rechenschaftsbericht schließt in folgender Weise ab:
Biimnahmen (ete = >. ss 4984,84 M.
Beuaben:... fats By. of ..2 3425,54 .,
bleibt Kassenvorrat . . . . 1559,30 M.
Hierzu kommen:
Ausstehende Mitgliederbeiträge 180,00 „
Wertpapiere (Deutsche Reichs-
Mette yee me... se) 2160000 |
Also Gesamtvermögen 13339,30 M.
16
Ich bitte den Bericht durch zwei Revisoren prüfen zu lassen
und mir Entlastung erteilen zu wollen.
Zu Revisoren wurden die ‘Herren Prof. MEISEnHEIMER und
F. Winter gewählt.
Referat des Herrn Prof. Lonmann (Kiel):
Die Probleme der modernen Planktonforschung.
Hochgeehrte Versammlung!
Das Thema, über das ich heute sprechen will, lautet: „Die
Probleme der modernen Planktonforschung.“ Bei dem Um-
fange dieser Aufgabe und der Kürze der Zeit muß ich voraussetzen,
daß Ihnen im allgemeinen bekannt ist, was unter Plankton zu ver-
stehen ist, und ich will mich daher einleitend nur auf wenige all-
gemeine Bemerkungen beschränken, um die Bedeutung der Plankton-
forschung und ihrer Probleme klar herauszustellen und den allge- —
meinen Standpunkt zu kennzeichnen, von dem aus ich das Thema
behandeln werde.
Nach Hensen?® haben wir unter Plankton alle jene Organismen“
zusammenzufassen, welche willenlos!) treibend im Meer oder Süß-
1) Das Wort „willenlos“ bedarf noch einer näheren Definition, da es
sonst zu Mißverständnissen führen kann. Selbstverständlich sind alle mit be-
sonderen Bewegungsorganen versehenen Planktonorganismen, also z. B. die
Peridineen unter den Pflanzen und die Copepoden unter den Tieren nicht in
dem Sinne willenlos, daß sie einfach leblosen, schwebenden Körpern gleich-
gestellt werden könnten und also in allen ihren Bewegungen passiv bestimmt
wären. Jede Beobachtung lebender Individuen von Ceratium oder Oithona zeigt
das Gegenteil. Aber die aktiven, vom Organismus selbst bestimmten Bewegungen
sind gegenüber den Bewegungen, denen das Wasser, in dem sie leben und sich
bewegen, unterworfen ist, wie z.B. der Rotationsbewegung des Seeganges, der
Gezeitenbewegung, der Vertikal- und Horizontalzirkulation gegenüber, so völlig
bedeutungslos und machtlos, daß ihnen gegenüber allerdings die Plankton-
organismen als einfach passiv treibende Körper betrachtet werden müssen.
Anders ist es dagegen bei einem großen Teil der Cephalopoden sowie bei allen
Seewirbeltieren, deren Wanderungen diesen Bewegungen des Mediums nicht
passiv unterworfen sind, sondern ganz unabhängig von ihnen erfolgen können.
Daß die Wanderungen dieser Nectonten im einzelnen vielfach den Meeres- —
strömungen folgen, hängt mit Ernährungs-, Temperatur- und Salzgehaltsver-
hältnissen zusammen, die durch sie bedingt werden und für die Nectonten von
Bedeutung werden. Diese Abhängigkeit ist also keine unmittelbare, sondern
eine durch die Sinne der Tiere vermittelte.
17
wasser ihr Leben führen. Ihr Wohnort ist die gesamte Wasser-
masse, welche unsere Hydrosphäre bildet. In der Atmosphäre, dem
zweiten großen Lebensgebiete unserer Erde, ist das Luftmeer selbst
keine Wohnstätte lebender Wesen geworden; es dient nur als Ver-
kehrsweg für fliegende Organismen oder leichte, von den Luft-
strömungen vorübergehend fortgeführte Keime; der Boden allein
erzeugt und ernährt Leben, soweit nicht Kälte oder Hitze mit der
Fortnahme des tropfbar flüssigen Wassers aus dem Boden und der
Luft auch hier die Möglichkeit jedes aktiven Lebens auf weiten
Flächen der Polargebiete, des Hochgebirges und der Fels- und
Sandwüsten zerstört. Die Hydrosphäre hingegen ist, soweit sie die
großen Ozeanbecken erfüllt, nirgends von Leben entblößt; in den
eisbedeckten Polarmeeren wie in den warmen Meeren der Tropen
ist die ganze gewaltige Wassermasse von der Oberfläche bis zum
Boden dauernd von Organismen bewohnt und nur auf dem Lande,
das sie mit einem dichten Geäder von Seen, Teichen, Bächen,
Flüssen und Strömen bedeckt, setzen Frost und Hitze auch ihrem
Leben Grenzen. Das Wohngebiet des Planktons ist also
das gewaltigste Wohngebiet, das unsere Erde entwickelt
hat. Dem nur flächenhaft entwickelten Lebensraum des Landes
steht der nach allen drei Dimensionen des Raumes sich ausdehnende
Lebensraum des Planktons gegenüber. Da nun die Fläche des
Ozeans schon die Grundfläche des Landes um mehr als das Doppelte
| übertrifft und die Mächtigkeit der Wassermasse des Weltmeeres
' durchschnittlich nicht weniger als 3'/, Kilometer beträgt, so ist
das Übergewicht dieses Wohngebietes ein ganz ungeheures.
Es ist aber keineswegs dieses räumliche Übergewicht allein,
welches die Bedeutung des Planktons begründet, sondern vor allem
der Umstand, daß das Plankton eine in sich geschlossene und
‚ daher selbständige Lebensgemeinschaft bildet, von der zwar
alle anderen Lebensgemeinschaften zehren, die aber selbst vollständig
für sich zu leben imstande ist. Die Planktonpflanzen bilden die
| Produzenten, welche, die Energiequellen des Mediums ausnutzend,
‚ neue lebendige Substanz aufbauen und so die Nahrung für die
Planktontiere schaffen. Die Planktonbakterien aber führen die
| Stoffwechselprodukte von Pflanzen und Tieren und deren abge-.
| storbenen Körper wieder in anorganische Pflanzennahrung über.
| Man kann daher von biologischem Standpunkte aus, auch jene als
| | Produzenten, diese als Konsumenten und die Bakterien als
| Reduzenten Peiichiton So wird von den Planktonorganismen
| ein vollständiger Kreislauf des Lebens gebildet und die Produktion
Verh. d. Dtsch. Zool. Ges. 1912. 2
18
an Nährstoffen, die die Planktonpflanzen Jahr für Jahr leisten, ist
so enorm, daß von ihnen auch alle anderen Lebensgemeinschaften des
Meeres abhängig sind. So führt also das räumliche Übergewicht not-
wendig auch zu einer absoluten biologischen Herrschaft, und wegen
dieser zentralen Stellung des Planktons im Lebenshaus-
halte der Hydrosphäre ist die Erforschung gerade dieser
Organismenwelt von so hervorragender Bedeutung fir
die Biologie. Denn im Gegensatz zur Atmosphiire, die nur eine
bodenständige Organismenwelt hat ausbilden können, da das Luft-
meer als solches den Pflanzen nur CO, bieten kann, an allen
anderen Pflanzennährstoffen!) aber viel zu arm ist, sind in der
Hydrosphäre alle Gebiete von Leben bewohnt, da das Wasser
überall gelöst die für die Pflanze notwendigen Nahrungsstoffe enthält
und mit Recht als eine verdünnte Pflanzennährlösung bezeichnet
werden kann. Daher haben wir in jedem Teile der Hydrosphäre
eine bodenständige und eine vom Substrat unabhängige Organismen-
welt: ein Benthos und ein Pelagial”) zu unterscheiden. Beide
Lebensgemeinschaften bestehen aus Pflanzen, Tieren und Bakterien
und man könnte daher a priori erwarten, daß auch jede für sich
einen geschlossenen Kreislauf bilden und dauernd sich selbst er-
halten könnte. Aber während die Pflanzenwelt des Benthos natur-
1) Wie die Stickstoff-bindenden Bakterien8” (Azotobacter und Clostridium)
zeigen, ist das Protoplasma auch imstande, den N. der Luft auszunutzen; aber
den Pflanzen geht dieses Vermögen ab.
2) Mit „Pelagial“ ist ursprünglich nur die vom Boden unabhängige
Lebewelt des Wassers in den oberen vom Licht erhellten Wasserschichten be-
zeichnet. Ihr steht gegenüber das „Abyssal“. Ein zusammenfassender Aus-
druck für diese beiden, nicht zum Benthos gehörenden Bezirke fehlte zunächst
merkwürdigerweise vollständig. CHUN hat dann (1887)20 hierfür einfach das
Wort „Pelagial“ übernommen, und ihm ist auch STEUER gefolgt. HAECKEL hat
(1890)3% statt dessen das Wort „Plankton“ vorgeschlagen und empfiehlt, für das
Plankton s. str. HENSEN’s ploterische Organismen zu sagen. Dieser Vorschlag
dürfte, nachdem sich das Wort Plankton im HENSEN’schen Sinne vollständig
eingebürgert hat, unannehmbar sein. Ich folge daher hier CHUN’s Vorgange. Die
verschiedenen Lebensräume und Lebensgemeinschaften würden also folgende
Bezeichnung erfahren:
I. Atmosphäre | II. Hydrosphäre
(Atmobios) (Hydrobios)
1. Atmobenthos (Atmobenthal) 1. Hydrobenthos (Hydrobenthal)
2. Hydropelagos (Hydropelagial)
a) Hydroplankton
b) Hydronecton
to Bevdos (die Tiefe) und to reiayos (die Hochsee) bezeichnen den Wohnort,
davon sind Benthal und Pelagial für die Bevölkerung abgeleitet.
i ye -
19
gemäß nur auf den schmalen Küstensaum der Hydrosphäre beschränkt
und auch hier noch durch die Natur des Bodens der Flachsee und
die Bewegungen des Wassers vielfach eingeengt ist, dehnt sich
die Pflanzenwelt des Pelagials ununterbrochen über die ganze ge-
waltige Fläche der Hydrosphäre aus und geht, ohne auf ein anderes
Hindernis als den Boden des Gewässers zu stoßen, von der Ober-
fläche bis zu 200 und selbst 400 m Tiefe hinab. Sie bildet also
das gewaltigste Weidegebiet, das unsre Erde aufweist, ein Weide-
gebiet, das außerdem nie abstirbt, sondern jahraus jahrein ununter-
- brochen produziert und, indem seine Abfallsprodukte in die unter
- ihm liegenden lichtlosen Tiefen niedersinken, auch dem küstenfernen
Boden der Hydrosphäre stets Nahrung zuführt. Für die Hochsee
ist also das Plankton und insbesondere natürlich das pflanzliche
Plankton die Nahrungsquelle, der gegenüber jede andere vollständig
zurücktritt, so daß wir sie geradezu als die Urnahrung bezeichnen
können. In der küstennahen Flachsee gewinnen die benthonischen
Pflanzen schon an Bedeutung, weniger wie es scheint durch ihr
lebendes Gewebe als durch den Detritus, der aus ihren zerfallenden
Geweben sich fortgesetzt bildet®°); und so wächst mit der Abuahme
| der Wassermassen und der Zunahme der pflanzenbewachsenen
Bodenfläche die Bedeutung des Bodenlebens gegenüber dem plank-
‚ tonischen Leben. Infolgedessen werden im Süßwasser die Be-
-_ ziehungen zwischen Pelagial und Benthos außerordentlich kompliziert
und variieren von Ort zu Ort. Wollen wir daher möglichst ein-
fache und klare Verhältnisse studieren, so müssen wir auf den
Ozean hinausgehen und womöglich die küstenferne Hochsee auf-
suchen. Hier tritt uns die Hydrosphäre in ihrer reinsten und
erofartigsten Entwicklung entgegen, hier ist auch die pelagische
Lebewelt am vollständigsten und reinsten entwickelt. Aus diesem
Grunde wird es sich empfehlen, stets von der Erforschung
des Meeresplanktons auszugehen und auch heute diejenige
des Süßwasserplanktons, da eine gleichmäßige Behandlung bei der
Kürze der Zeit leider von vornherein ausgeschlossen ist, nur zur
Ergänzung heranzuziehen. Es darf darin also nicht eine mindere
Bewertung der Süßwasserforschung gesucht werden, die, wie schon
R. Herrwie vor Jahren betont hat4* und auch dieser Vortrag zur
Genüge zeigen wird, für Entwicklung und Fortgang der Plankton-
forschung von fundamentaler Bedeutung ist.
Es existiert jedoch noch eine Organismengruppe im Meer, deren
Lebensraum ebenso umfassend ist, wie der des Planktons, das sind
die schwimmenden Organismen oder das Necton. Ihre Bewegungen
9*
20
sind im Gegensatz zu denen des Planktons so ausgiebig, daß sie
den Organismen Wanderungen unabhängig von den Bewegungen
des Wassers erlauben; das sind also vor allem die Wale und Fische
und die größeren Cephalopoden. Die Robben, Pinguine, Seeschlangen
und Schildkröten gehen zwar auch weit in das Pelagial hinein, sie
sind aber durch ihr Brutgeschäft an die Küste gebunden. Es kann
keinem Zweifel unterliegen, daß diese Nectonten mit dem Plankton
zusammen eine einheitliche Lebensgemeinschaft bilden, da sie den-
selben Lebensraum bewohnen und direkt oder indirekt vom Plankton
leben. Es gibt daher im Grunde nur zwei Lebensgebiete der
Hydrosphäre: den Boden oder das Benthos und die freie
Wassermasse oder das Pelagos. Es ist daher auch durchaus
berechtigt, wenn Cuun in seinem Reisewerk der Valdivia-Expedition
nur die pelagische und die benthonische Organismenwelt unter-
scheidet. Sobald wir aber von dem rein ökologischen Gesichts-
punkte absehen und statt des Wohngebietes die Lebensweise und
die Bedeutung der verschiedenen Lebewesen im Haushalte der ©
Hydrosphäre in den Vordergrund rücken, gewinnen die Plankton-
organismen eine so eigenartige und zentrale Stellung im Leben des |
Wassers und unserer Erde überhaupt, daß ihre Sonderung vom ©
Necton nétig wird. Sie stellen den frei schwimmenden und den ~
an den Boden gebundenen Organismen gegenüber die frei schwebenden i
Wesen dar; den ersteren lassen sich die fliegenden Tiere der — '
Atmosphäre vergleichen, die Bodenorganismen des Landes und des ~
Wassers entsprechen einander; den Schwebewesen des Wassers
aber vermag sich keine Organismengruppe der Atmosphäre i
an die Seite zu stellen; ihr Bau, ihre Verteilung im Raum,
ihre Lebensweise steht einzig auf unserer Erde da. Wo-
durch das Plankton aber als unversiegbare Nahrungsquelle für alles
übrige Leben der Hydrosphäre eine überragende Bedeutung erhält,
ist bereits dargelegt.
Das Plankton ist also eine in sich geschlossene Lebens-
gemeinschaft, die das größte Lebensgebiet unserer Erde
erfüllt und vermöge ihres Pflanzenreichtums die über-
ragende Nahrungsquelle für das gesamte übrige Leben
der Hydrosphäre darstellt, zugleich aber eine Welt von
frei im Medium schwebenden Organismen bildet, wie sie
nur der Hydrosphäre eigen ist und der Atmosphäre voll-
ständig fehlt. In diesen drei Eigenschaften des Planktons liegt
seine Bedeutung für die gesamte Biologie begründet; die Plankton-
forschung trägt daher keineswegs den Charakter einer
(‘vr ee < 2 eu ——
21
Sonderforschung, sondern hat eine ganz allgemeine Be-
deutung fiir die Erforschung des Lebens auf unserer Erde
überhaupt. Gelingt es der Forschung, die Gesetze aufzudecken,
nach denen diese größte Lebensgemeinschaft unserer Erde sich
gebildet hat, erhält und fortdauernd erneuert, so hat sie damit eine
Arbeit geleistet, die für die Wissenschaft vom Leben von funda-
mentaler Bedeutung sein muß. Wir werden aber sehen, wie
nirgends sonst auf der Erde eine Lebensgemeinschaft
existiert, die einer exakten Erforschung so zugängig ist,
wie die des Planktons. Diesen Beweis geliefert zu haben,
ist das große Verdienst der modernen Planktonforschung,
und somit fällt mein Thema zusammen mit der dankbaren Aufgabe,
zu zeigen, wie und von wem dieser wertvolle Beweis in der Ge-
schichte der Planktonforschung geführt wurde, und was fernerhin
zu leisten sein wird, um in der exakten Erforschung des Planktons
weiter vorzudringen.
I. Kurzer Abriß der Geschichte der Planktonforschung.
Meine erste Aufgabe wird es sein, einen Überblick über die
Entwickelung der Planktonforschung zu gewinnen, um daraus ab-
zuleiten, was wir unter moderner Planktonforschung zu verstehen
haben und welche Probleme dieselbe bewegen.
Es versteht sich von selbst, daß die Organismen des Planktons
seit den ältesten Zeiten die Aufmerksamkeit der Naturforscher auf
sich gelenkt haben. Aber bis gegen die Mitte des vorigen Jahr-
hunderts bot die Erforschung dieser Wesen des freien Wassers so
grobe Schwierigkeiten, daß ihr Studium gegenüber dem der Boden-
tiere, Fische und Landtiere und der festsitzenden Wasser- und
_ Landpflanzen ganz in den Hintergrund trat. Die mikroskopische
Kleinheit vieler derselben, die Zartheit und Vergänglichkeit der
Körper, ganz besonders aber die Umständlichkeit des Fanges waren
große Hemmnisse. Die größeren Formen wie Medusen, Salpen,
Siphonophoren konnten vom Boote aus mit Glashäfen geschöpft
werden; die kleineren Arten aber, die mit bloßem Auge nur schwer
oder gar nicht erkennbar und im allgemeinen so spärlich im Wasser
verteilt waren, daß an eine derartige Fangmethode nicht zu denken
war, wurden nur dann erbeutet, wenn sie in außerordentlicher
Masse auftraten, so daß sie das Wasser in dichtester Masse er-
füllten und Verfärbungen oder Meerleuchten hervorriefen. Wie
hilflos man noch in den dreißiger Jahren des vorigen Jahrhunderts
dem Plankton der Hochsee gegenüberstand, zeigen am besten
22
Darwin’s Versuche auf dem Beagle mit sackförmigen Netzen aus
undurchlässigem Segeltuch die größeren Organismen zu fangen);
natürlich füllten die Beutel sich sofort mit Wasser, das in ihnen
blieb, und es konnten während des weiteren Zuges durch das
Wasser nur solche Organismen in dieses ruhende Meerwasser
hineingeraten, die zufällig vor den Beuteleingang gerieten und bei
den Fluchtversuchen versehentlich nicht vom Beutel weg, sondern
in denselben hineinschwammen. Darwm erhielt auf diese Weise
daher auch nur dürftige Resultate. Der Gedanke bei dem Fange
des Planktons war offenbar stets der, daß man die Organismen
aus dem Wasser herausschöpfen müsse, und so gebrauchte
man bei Wasserverfärbungen kleine Schalen oder Flaschen, bei
größeren Tieren Glashäfen oder große Segeltuchpützen. Eigentliche
Netze kannte man in dieser Zeit nicht oder wandte sie jedenfalls |
nicht allgemein an; ihr großer Wert war noch nicht erkannt. N
Trotzdem sind in dieser ersten Periode, die etwa bis 1850 reicht,
bereits sehr wichtige Entdeckungen gemacht, auf die hier ganz
kurz hingewiesen werden mag. Im allgemeinen verfolgten die ~
Untersuchungen von Planktonorganismen den Zweck, unsere ~ |
Kenntnisse über den Bau, die Entwicklung und die Systematik
der Tiere zu erweitern, und in dieser Beziehung besitzen wir viele
wertvolle Untersuchungen von Cuamisso, Mrrrens, LESUEUR, Peron,
Esc#Horrz und zahlreichen anderen Forschern über Salpen, Ptero- |
poden, Appendicularien, Sagitten, Krebse usw. Daneben aber — |
ergaben sich auch allgemeine Gesichtspunkte, denen bis in die |
Gegenwart hinein die Planktonforschung mit immer feineren Beob-
achtungsmethoden nachgegangen ist. So untersuchte ScoRESBY
182092 im Grönländischen Meere das durch Diatomeen verfärbte
Wasser, dem die Wale bei ihren Wanderungen folgen, und er wies
nach, daß jeder Kubikzentimeter des geschöpften Wassers nicht |
weniger als 5—6 große Coscinodiscen enthielt, die er freilich für |
kleine Medusen ansah. Emrensere29 entdeckte dann 1844 in |}
Schöpfproben, die ihm in noch verschlossenen Flaschen vom offenen 7
Ozean zugeschickt waren, von Stellen, die völlig klares Wasser ”'
aufwiesen, zahlreiche Skelette von Diatomeen und Radiolarien, die ”
er zugleich auch am Boden des Ozeans auffand. Er schloß daraus
mit ALEXANDER von Humsorpr*, daß die ganze Wassermasse des
Ozeans von mikroskopischem Leben erfüllt sei. Da auch Enrexgere |
die pflanzliche Natur der Diatomeen nicht erkannte, so blieb es
1) Reise eines Naturforschers um die Welt. Übersetzung von VICTOR
Carus, 1875, pag. 185—188.
23
rätselhaft, wovon diese reiche Tierwelt des Weltmeeres sich ernährte.
Aber 1847 löste der englische Botaniker Hooker #6 dieses Problem,
indem er in den Diatomeen, die in den antarktischen Gewässern das
Wasser ebenso verfärben wie im Norden, die mikroskopischen
Pflanzen erkannte und ihnen für das gesamte Meer dieselbe Rolle
- zuwies, welche den Pflanzen auf dem Lande für die Erhaltung des
Tierlebens zukommt. In den warmen Meeren, so nahm er an, seien
indessen diese Pflanzen so spärlich im Wasser verteilt, daß sie
keine für uns direkt wahrnehmbare Verfärbung hervorriefen, und
daher seien sie dort dem Menschen bisher entgangen. Vorkommen
aber müßten sie überall im Meere, da sonst kein tierisches Leben
existieren könne. Ergänzt wurden diese bedeutungsvollen Ent-
deckungen durch den dänischen Naturforscher Örsreor ”5, der 1849
in den Tropenmeeren die Trichodesmien in großer Menge fand und
diesen Fadenalgen, die oft gelbe und rote Meeresverfärbungen hervor-
rufen, für die warmen Meere die gleiche Rolle zuwies, wie sie die
Diatomeen in den kalten Gebieten besitzen. Auch er wies wie
Hooxer auf das Mißverhältnis zwischen den überall verbreiteten
Tieren und den auf die Küste beschränkten größeren Pflanzen des
Meeres hin und verglich die Rolle dieser mikroskopischen Meeres-
algen mit derjenigen der Pflanzen auf dem Lande. Hooxer war
schließlich der erste, welcher die Bedeutung der Planktondiatomeen
für die Bildung der Bodensedimente der Polarmeere erkannte.
Seither sind unsere Vorstellungen über die Rolle der Diatomeen
und Schizophyceen sowie der am Boden der Ozeane gefundenen
Radiolarien-Skelette wesentlich geändert, aber sowohl die All-
belebtheit des Meeres wie die Bedeutung der mikro-
skopischen Planktonpflanzen im Haushalt desselben, die
Exsrenserc, Hooxer und Örsreor erkannten, haben sich bestätigt
und bilden zwei Entdeckungen von fundamentaler Bedeutung aus
dieser ersten Periode der Planktonforschung.
Dem großen Physiologen Jomannes Mtuier®?: 70 sebührt jedoch
das Verdienst, das Netz als filtrierenden Fangapparat in die
Forschung eingeführt und die enorme Tragweite dieser neuen Methode
klar erkannt und ausgesprochen zu haben. Indem man nicht mehr
eine notwendigerweise stets nur sehr beschränkte Wassermasse
schöpfte, sondern fast beliebig große Wassermassen durch Beutel
aus durchbrochenem Gazezeug filtrierte, war man zunächst
imstande, sich größere Mengen auch sehr kleiner, mikro-
skopischer Organismen zu verschaffen, und es zeigte sich bei den
Versuchen mit den ganz primitiven, zunächst wie ein Schmetterlings-
24
netz an einem Stabe befestigten Netzen sofort, die Richtigkeit der
Eurengerg’schen Funde. Denn überall, wo man das Netz nur lange
genug durch das Wasser zog, fing man zu jeder Zeit zahlreiche
Planktonorganismen. Vielleicht noch wichtiger aber war der weitere
Vorteil, daß man nämlich jetzt nicht nur Oberflächenwasser unter-
suchen konnte, sondern, indem man das Netz an einer Leine auf-
hing und beschwerte, in jede beliebige Tiefe versenken und also
die ganze Wassermasse des Ozeans durchfischen konnte. Endlich
wies Mürzer aber auf einen dritten Punkt hin, der ihm als Physiologen
sehr nahe lag, daß es nämlich nun möglich sei, in einfachster Weise
die Masse der lebendigen Substanz zu bestimmen, die in einer
bestimmten Masse von Wasser enthalten sei und daß man so, indem
man den Inhalt gleicher Wassermassen aus verschiedenen Meeres-
tiefen und verschiedenen Meeresteilen feststellte, zu sicheren Vor-
stellungen über den Reichtum des Meeres an Leben gelangen könne.
Es ist sehr zu bedauern, daß dieser geniale Naturforscher durch
unglückliche persönliche Erlebnisse in seinen späteren Jahren von
der Meeresforschung abgelenkt wurde; sonst wäre er sicher schon
damals der Begründer der selbständigen, eigenen Problemen folgenden
Planktonforschung geworden. Dazu kam, dab Darwm’s Deszendenz- |
theorie bald hernach alle Forscher, und unter ihnen gerade die
hervorragendsten am mächtigsten, auf ganz andere Probleme hin-
führte. Allerdings wurde die nun der Forschung so leicht zu-
gänglich gemachte und über alles Erwarten formenreiche Welt des
Planktons auf das eifrigste erforscht, aber nur um neues Material
für die Entwicklungslehre zu bringen. Die biologische Seite der
Forschung dagegen rubte so gut wie ganz.
Jedoch fällt in diese Periode die größte wissenschaftliche
Expedition, die bisher ausgesandt wurde, die Challenger-Expedition
(1873—1876), und wie für alle anderen Gebiete der Ozeanographie,
‘ brachte sie auch der Planktonforschung eine ungeahnte Förderung.
Zum ersten Male wurde auf ihr im vollsten Maße von der Ent-
deckung Jon. Möürter’s Gebrauch gemacht und mit noch sehr ein-
fachen Gazenetzen die ganze Wassermasse des Ozeans in vertikaler
und horizontaler Richtung während der langen Reise abgefischt.
Es ist die erste umfassende Untersuchung des freien Meeres,
die der Mensch überhaupt ausgeführt hat, die erste wissen-
schaftliche Erforschung des gewaltigsten Lebensgebietes,
das die Erde besitzt. Das bedeutendste Ergebnis war, daß in
den tieferen Wasserschichten Planktonorganismen lebten, die nie
gefangen wurden, wenn die Netze in den oberen Schichten allein
25
gefischt hatten, und von denen also mit Sicherheit angenommen
werden mußte, daß sie auf diese Tiefen beschränkt seien. Als
solche Tiefenformen stellten sich insbesondere die nach dem Schiff
benannten Challengeriden heraus, eine Familie der Radiolarien.
Diese Entdeckung einer eigenartigen planktonischen Tiefseefauna
ist von der größten Bedeutung für die Planktonforschungen der
nächsten Jahrzehnte geworden, in denen eine große Zahl von
Forschern sich bemühte, sogenannte Schließnetze zu konstruieren,
die weder beim Hinablassen noch beim Aufzuge, sondern nur in der
Tiefe fischen und daher lediglich Organismen der abgefischten Tiefen-
zone heraufbringen. Außerdem wurde die erste Grundlage einer
geographischen Verbreitung der Planktonorganismen gelegt, und
durch die Untersuchung der Bodensedimente des Ozeans der große
Anteil nachgewiesen, den die planktonischen Pteropoden, Globigerinen,
Radiolarien, Diatomeen und Coccolithphoriden an der Sedimentbildung
haben. Die letztgenannten Organismen, deren Skelette durch Erren-
BERG?® 1836 in der Kreide entdeckt, aber für anorganische Gebilde
gehalten wurden, hatte Wauiicn®’? zuerst (1865) an der Oberfläche
des Meeres lebend gefunden und für Entwicklungsstadien von
Globigerinen angesehen. Die Challenger-Expedition fand sie überall
an der Oberfläche des Meeres verbreitet; da sie zu klein waren,
um mit den Netzen gefangen zu werden, so war dieser wichtige
Nachweis nur dadurch möglich, daß der Darminhalt der größeren
Planktontiere und die Gallertmassen der Radiolarien und Coelenteraten
regelmäßig auf kleinere Organismen untersucht wurden. Erst 1900
erkannte Frau Weser-Bosse?® die Pflanzennatur der Coccolith-
phoriden, die neben den Diatomeen und Peridineen die wichtigste
Algenfamilie des Meeres bilden. Die Formenkenntnis der Plankton-
ten wurde durch die großen monographischen Bearbeitungen aller
einzelnen Gruppen außerordentlich erweitert, aber die Untersuchung
der Formen war ganz und gar von systematischen, vergleichend-
anatomischen, histologischen und deszendenztheoretischen Gesichts-
punkten beherrscht. Eine selbständige Behandlung der Plankton-
organismen gab es noch nicht.
Cuun und Hensen haben mit dieser Betrachtungsweise
gebrochen und von ganz verschiedenem Standpunkte aus
eine selbständige Planktonforschung begründet. Es ist von
hohem Interesse, dem Gedankengange beider Forscher nachzugehen.
Cuun hatte seit 1876 sich mit dem Plankton des warmen
Wassers beschäftigt, zuerst im Mittelmeer, dann im östlichen Atlan-
tischen Ozean, insbesondere bei den Canaren. Gleich in seiner
26
ersten großen Arbeit über die Ctenophoren des Golfes von Neapel
(1880) 1°, tritt seine Eigenart, überall auf die Bedürfnisse des
lebenden Tieres zurückzugehen und Organisation und Lebensweise
als in engster Harmonie miteinander stehende Dinge aufzufassen,
in glänzender Weise hervor. Ich verweise hier besonders auf die
Darstellung der Locomotion der Ctenophoren, die Zurückführung der
eigenartigen Gestaltung und Organisation der Beroiden auf den
Verlust der Fangtentakel und ihren Nahrungserwerb, ferner auf die
Ableitung des Einflusses, den die verschiedene Bewegungsweise auf
die differente Gestalt von Medusen- und Rippenqualle gehabt hat, und
endlich auf das Kapitel über die Lebensweise der Ctenophoren und —
ihr Auftreten in der Bucht von Neapel. Überall wird die Unter-
suchung durch Beobachtung am lebenden Tiere geprüft und vielfach
‚werden Experimente angestellt. Die gleiche Forschungsweise leitet
auch die Untersuchungen über die Siphonophoren des Mittelmeeres
und der Canaren (1882—1888) und führt ihn zur Entdeckung der |
Luftatmung der Velellen und der Porpiten. Durch das jahreszeitliche
Auftreten der Ctenophoren, die im Sommer von der Oberfläche des
Meeres verschwanden, aber schon 1877 von Cuun in geringer Tiefe
aufgefunden wurden, wurde Cuun veranlaßt, das Plankton der Tiefsee
eingehend zu untersuchen, und zwar mit Hilfe besonderer Schließ-
netze, die später eine weite Verwendung gefunden haben. Die reichen
und überraschenden Ergebnisse dieser bei Neapel und im Atlan-
tischen Ozean bei den Canaren ausgeführten Untersuchungen sind
allgemein bekannt; in der Bearbeitung derselben, und zwar vor
allem in der 1894 abgeschlossenen „Atlantis“, rückte er dann die 4
biologische Beobachtungsweise ganz in den Mittelpunkt und betont
ausdrücklich den Gegensatz zu der herrschenden rein morphologischen
Betrachtungsart. So wurden die eigenartigen Körperfortsätze der
Cirripedienlarven entgegen Craus als Balancierapparate gedeutet,
während die langen Borstenbesätze der vorderen Extremitäten als
Reuseneinrichtungen zum Filtrieren von Wasser und zum Fange
des kleinsten Planktons erkannt wurden, das er im Darminhalte
fand. So analysierte Caun auch den Bau der Augen der Tiefsee-
schizopoden, ihre Sonderung in Front- und Seitenauge, die Längen-
entwicklung der Facettenglieder, die Ausbildung des Iris- und Retina-
pigmentes usw. Die Anordnung ‘und der Bau der Leuchtorgane
dieser Krebse wurden in der gleichen biologischen Weise studiert und
schließlich auch die verwandtschaftlichen Beziehungen der Schizo-
poden der Oberfläche zu denen der Tiefsee und des Meeresbodens
untersucht, um die allmähliche Ausbildung dieser eigenartigen Formen
27
aufzuhellen. Hier dienten also nicht mehr die Plankton-
organismen als Material zur Bereicherung der Anatomie,
Histologie, Ontogenie und Phylogenie, sondern gerade
umgekehrt wurden diese Wissenschaftszweige und ihre
Methoden herangezogen, um dem Forscher zur Analyse
der Organisation desPlanktonorganismus zu dienen. Wollen
wir das Problem, das Cuun sich stellte, mit einem kurzen Ausdrucke
bezeichnen, so können wir es das „Gestaltungsproblem“ nennen.
Hexsen wurde durch Untersuchungen über die Frage der Uber-
fischung der deutschen Meere zu einer vollständig anderen Problem-
stellung geführt?®. Indem er versuchte, aus der Menge der im Meere
treibenden planktonischen Fischeier einen Maßstab für die Mindest-
zahl der leichenden Weibchen der betreffenden Fischarten zu gewinnen,
erkannte er, daß alle Planktonorganismen als willenlos in dem stets
bewegten Wasser schwebende Körper nach rein physikalischen
Gesetzen die Tendenz haben müßten, sich möglichst gleichmäßig im
Medium zu verteilen, derart, daß es möglich sein müsse, mit ganz
wenigen Stichproben einen zuverlässigen Anhaltspunkt zu gewinnen
über die Menge und Art der in einem Gebiet gleicher biologischer
Verhältnisse im Wasser enthaltenen Planktonten. Eine mühsame,
sehr sorgfältige Prüfung ergab, daß dieser Schluß richtig sei, und
er hat sich in der Tat in der Folgezeit immer mehr und mehr be-
stätigt. Mit dieser Erkenntnis war nun aber zugleich die Möglichkeit
gegeben, die Lebensgemeinschaft des Planktons in einer so exakten
Weise nach ihrer Zusammensetzung und Masse und dem Wechsel
in Raum und Zeit zu verfolgen, wie das bei keiner anderen Lebens-
gemeinschaft unserer Erde möglich ist, und dadurch schließlich zu
einer vollständigen Analyse des verwickelten Getriebes derselben
“ zu gelangen. Es handelt sich für Hessen also nicht um das einzelne
| Individuum, sondern um die Gesamtheit der Individuen, sei es einer
Art oder Familie oder aller Planktonten überhaupt. Den Mittel-
punkt aber seiner Untersuchungen, die er zuerst 1887 °° veröffent-
lichte, bildete die Frage nach den Gesetzen, von denen die Produktion
vom Plankton abhängt und nach der Rolle, die das Plankton als
Nahrung für die übrigen Tiere des Meeres hat. Mit anderen Worten:
Hensen hat vor jetzt 25 Jahren das Problem des Stoffwechsels
im Meere nicht nur aufgestellt, sondern auch sofort energisch in
Angriff genommen und durch Ausarbeitung quantitativer Methoden
den Weg gebahnt, auf dem die Forschung sicher zu einer Lösung
dieser großen Aufgabe wird gelangen können. Hatten sich die
Forscher bis dahin begnügt, die Verbreitungsgrenze der einzelnen
28
Organismen festzustellen und eventuell noch anzugeben, wo die be-
treffende Art am zahlreichsten gefunden wurde, so wurde es jetzt nötig,
gerade dem Wechsel der Volkszahl nachzugehen, ihren Auf- und
Niedergang in Raum und Zeit möglichst exakt zahlenmäßig festzulegen E
und die Faktoren aufzusuchen von denen die Zunahme und die Ab-
nahme der Bevölkerungsdichte abhängig sind. Hierzu war es er-
forderlich, die Menge des Planktons vergleichbarer Wassermassen *)
bestimmen zu können, und so sah sich Hensen genötigt, durch sehr
schwierige und zeitraubende Experimente und Berechnungen be-
sondere quantitativ fischende Netze zu konstruieren, deren
Filtrationsgröße bekannt war und die, wie schon Joe. MürzEr vor- —
geschlagen hatte, nicht horizontal, sondern vertikal gezogen wurden. —
Da sich ferner ergab, dab die Bestimmung der Fangmasse nur
einen ersten Anhalt zu geben vermochte, für jede tiefergehende
Forschung aber eine Analyse dieser Masse nach Organismengruppen |
und Arten unumgänglich notwendig war, so gesellte sich zu den quan-
titativen Fangapparaten noch eine quantitative Verarbeitungs-
methode der Fänge hinzu, die es ermöglichte, die mit den Netzen —
ausgeführten Stichproben von Plankton so weit zu analysieren, daß
von jeder sicher unterscheidbaren Form die Individuenzahl im Fange
festgestellt wurde. Das ergab ein von jeder subjektiven Schätzung
unabhängiges, exaktes, objektives Bild der Zusammensetzung der
Netzfänge, das zahlen- und kurvenmäßig festgelegt und als Grund-
lage für eine weitere Erforschung benutzt werden konnte, die nun
darauf ausgehen mußte, die so gewonnenen Bilder aus den hydro- —
graphischen und biologischen Verhältnissen als mit Notwendigkeit —
bedingt zu erklären. Nicht die Ausführung der quantitativen
Fänge und ihre quantitative Analyse ist die wissenschaft- |
liche Arbeit, sondern diese beginnt erst mit der verstandes- —
1) Wie HENSEN®® dargelegt hat, kann man eine solche Vergleichung in ©
zweifacher Weise vornehmen. Entweder stellt man die Bevölkerungsdichte —
gleicher Wassermassen, also etwa von | cbm für größere Formen oder von
1 Liter für kleinere Organismen fest und vergleicht diese Werte untereinander, oder —
aber man vergleicht die unter gleicher Meeresfläche gefangenen Organismen- —
mengen. In diesem Falle ist die Einheit in der dem Plankton Sonnenlicht zu-
führenden Fläche gegeben, und es muß dann alles unter dieser Fläche lebende
Plankton, vor allem das pflanzliche Plankton, in die Rechnung einbezogen werden,
In der Flachsee wird man daher in diesem Falle stets die’ ganze Wassersäule —
von 0 m bis zum Boden zu untersuchen haben, auf der Hochsee kann man sich —
bei der schnellen Abnahme der Pflanzen mit der Tiefe mit Wassersäulen von
400 oder auch 200 m Höhe begnügen. Man berechnet die Menge der Planktonten
dann nach 1,0 oder 0,1 qm Meeresoberfläche. Welche Methode man im ein-
zelnen Falle anwendet, hängt natürlich von der Aufgabe ab, die man verfolgt.
29
mäßigen Analyse der Ergebnisse jener rein mechanischen,
aberunumgänglichnotwendigen methodischen Vorarbeiten,
die nur die Beschaffung des Materials zur Aufgabe haben’).
Als die beiden wichtigsten Faktoren, die die Volkszahl eines Or-
ganismus regeln, ergaben sich: die Vermehrungsschnelligkeit
(Vermehrungsfuß in 24 Stunden nach Hessen) und die Ver-
nichtungsgröße („Necrotoccus“ in 24 Stunden nach Hessen), denen
eine Art durch anorganismische Einwirkungen und Feinde aus-
gesetzt ist. Die Menge des Lichtes und der Pflanzennährstoffe, die
Temperatur und der Salzgehalt, die Menge und Art der geformten
Nahrung waren zu untersuchen und ihr Einfluß auf die Bevölkerungs-
dichte festzustellen. Um tiefer in dieStoffwechselvorgänge einzudringen,
wurde auch diechemische Zusammensetzung der wichtigsten Plankton-
organismen durch Hensen zu erforschen gesucht. Die Dauer und
Zahl der einzelnen Entwicklungszustände und die Lebensdauer der
Planktonten waren ebenfalls von Bedeutung. So ergaben sich
immer neue Fragen, die meist noch vollständig unberührt waren
und mit neuen Methoden in Angriff genommen werden mußten.
Suchen wir auch für diese Forschungen Hensen’s einen kurzen,
bezeichnenden Ausdruck, so werden wir sie am besten als
Untersuchungen über das Bevölkerungsproblem bezeichnen
können. Sie schließen dann, wie es auch tatsächlich der Fall ist,
alle Studien über die geographische, horizontale und vertikale Ver-
breitung der Planktonorganismen in sich, erheben sie aber auf einen
weit höheren Standpunkt als früher und machen sie exakter
Forschung zugängig.
Durch die Arbeiten dieser beiden Forscher war also die Plankton-
forschung zu einer selbständigen Wissenschaft geworden. Zwar
1) Arbeiten, die im wesentlichen nichts weiter als Zähltabellen mit mehr
oder weniger ausführlichen Begleitworten über das zahlenmäßige Auftreten der
einzelnen Planktonten geben, haben daher nicht den mindesten selbständigen
wissenschaftlichen Wert. Überhaupt würde es entschieden das Niveau aller
statistischen Planktonarbeiten, einerlei ob auf subjektiver Schätzung oder exakter
‚Zählung beruhend, sehr heben, wenn streng darauf gesehen würde, daß der
Text für sich ohne die angehängten Tabellen verständlich wäre und jede
Behauptung durch kleine Zusammenstellungen der betreffenden Werte im Texte
bewiesen würde. Nur so ist auch eine wirklich kritische Behandlung der in den
großen Tabellen enthaltenen, unter sich oft außerordentlich ungleichen Werte
möglich. Eine möglichst klare Herausarbeitung und Ableitung der Ergebnisse
ist nirgends ein so dringendes Erfordernis wie gerade bei statistischen Arbeiten,
da es dem Leser hier in den meisten Fällen geradezu unmöglich, immer aber
sehr schwer und zeitraubend ist, an der Hand der Gesamttabellen die Schlüsse
. des Autors nachzuprüfen.
30
sind die beiden Hauptprobleme, die sie aufstellten, im Grunde der
biologischen Erforschung einer jeden Lebensgemeinschaft eigen, da
sie nichts anderes zum Gegenstande haben, als Erklärung des ein-
zelnen Organismus und der ganzen Bevölkerung aus den biologischen
und anorganischen Faktoren, unter denen beide entstehen, leben
und sich dauernd zu erhalten suchen. Aber während wir sonst
überall auf die verwickeltsten Verhältnisse stoßen und meist über-
haupt nicht imstande sind, die in Betracht kommenden Faktoren
zu überblicken und in ihrer Wirkung zu verfolgen, sind diese beim
Plankton nicht nur viel einfacher und wegen der großen Ein-
förmigkeit der Lebensbedingungen viel leichter zu übersehen, sondern
es sind auch die Untersuchungsmethoden einer viel exakteren Aus-
bildung fähig. So werden wir sicher dahin gelangen, für irgend-
einen Teil des Meeres oder Süßwassers genau und erschöpfend die
Zusammensetzung seiner gesamten Planktonwelt und zugleich alle we-
sentlichen chemischen und physikalischen Eigenschaften des Mediums
feststellen und in ihren Wechselbeziehungen durch exakte zahlen-
mäßige Vergleiche untersuchen zu können, während das für jedes
andere Lebensgebiet von gleicher Bedeutung ausgeschlossen erscheint.
Insbesondere dürfen wir mit Recht hoffen, auf diesem Wege in das
Problem der Artbildung und des Kampfes ums Dasein weit tiefer
eindringen zu können, da wir sowohl den Wechsel der Existenz-
bedingungen, wie die Vermehrungsgröße der einzelnen Arten und
die Vernichtungsgröße, der sie ausgesetzt sind, Schritt für Schritt
genau werden verfolgen können.
Hensey’s Untersuchungen führten zur Plankton-Expedition
(1889), Cuuy’s Forschungen zur Deutschen Tiefsee-Expedition
(1898/99). Die erstere war ausschließlich der Erforschung des Planktons
gewidmet, während die letztere das gesamte Tier- und Pflanzenleben
des Meeres und vor allem der Tiefsee zum Programm hatte. Aus
den reichen Erfolgen beider Fahrten mögen hier nur zwei hervor-
gehoben werden, die für die vorliegenden Fragen von Bedeutung
sind. Hexsen’s zahlreiche quantitative Fänge im Atlantischen Ozean
brachten den Beweis, daß die tropischen Teile desselben wesentlich
ärmer an „Netzplankton“ sind, als die Gebiete, in denen kaltes und
warmes Wasser sich mischt, wie vor allem in der Irminger-See.
Diese überraschende Thatsache widersprach aller Erwartung, da
man ganz allgemein angenommen hatte, die warmen Meere seien
wie an Arten so auch an Menge des Planktons den hohen Breiten
überlegen. Sie ist aber neuerdings durch Untersuchungen, die auch
das Zentrifugenplankton heranzogen**, bestätigt und der Ausgangs-
3l
punkt für eine Reihe sehr fruchtbarer Arbeitshypothesen geworden.
Dieses eine Ergebnis allein beweist schon, wie wichtig es war, dab
an die Stelle bloßer subjektiver Schätzungen exakte Messungen und
Zählungen gesetzt wurden. Auf der Valdivia-Expedition wurden
gleichfalls quantitative Netzfänge gemacht; ihre Ergebnisse sind
aber noch nicht veröffentlicht. Es wird von ganz besonderem
Interesse sein, zu erfahren, wie die Bevölkerungsdichte in dem von
den beiden anderen Ozeanbecken so sehr abweichenden Indischen
Ozean sich verhält. Von großer Wichtigkeit ist aber ferner der
von dieser Expedition geführte Nachweis, daß wie die Tierwelt
so auch die Pflanzenwelt des Planktons eine vertikale Gliederung
ausgebildet hat und eine durch eigentümliche Arten ausgezeichnete
Schatten- oder Dämmerflora zwischen 80 und 400 m Tiefe existiert.
Inzwischen hatte Arsreım? die quantitative Planktonforschung
auch auf das Süßwasser übertragen, und Koror, der das Flußgebiet
des Illinois-River in Nordamerika untersuchte, machte hierbei die
überaus wichtige Entdeckung, daß selbst die feinste von Hexsen
eingeführte Müllergaze Nr. 20 einen so erheblichen Teil der Plankton-
organismen durch ihre Maschen entweichen ließ, daß es erforderlich
erschien, andere Fangmethoden zu erproben, wenn es darauf ankanı,
ein zuverlässiges Bild von der Zusammensetzung des Planktons und
von dem Auftreten speziell dieser kleinen Organismen zu erhalten
(1897)°*. Um die gleiche Zeit war Lommann auch für das Meer
zu der gleichen Überzeugung gekommen, indem er fand, daß die
Appendicularien, die in allen Meeren zu den häufigsten Gewebstieren
des Planktons gehören, sich ausschließlich von Organismen nähren,
die durch die Netzmaschen nicht zurückgehalten werden (1896,
97)°?, 6%, und in der Folgezeit haben dann Vorck °°, Loumann ?® 69, 61
u. A. neue Methoden ausgearbeitet, die es jetzt ermöglichen, auch
die kleinsten uns bekannten Planktonorganismen sicher zu fangen
und ihr Vorkommen quantitativ festzustellen. Filtrationen von ge-
schöpftem oder gepumptem Wasser durch die gehärteten Filter
von Schleicher & Schüll in Düren (Rheinland) und Zentrifugierung
kleiner Mengen geschöpften Wassers haben sich bisher am besten
bewährt. Durch die Einführung dieser Methoden ist es nun möglich
geworden, das ,Gesamtplankton“ einer bestimmten Wasser-
masse zu untersuchen, während man bis dahin sich damit
begnügen mußte, ein „Teilplankton“ zu studieren, von dem
man nicht wissen konnte, welchen Bruchteil vom Gesamt-
plankton es ausmachte. Einwandfrei werden mit den Netzen
nur die Gewebstiere und einige sehr große Protozoen und Proto-
32
phyten gefangen, und selbst von den Metazoen gingen noch manche
Eier und jüngste Larvenstadien verloren. Jetzt kann man für —
jeden Organismus, den man in seinem Auftreten studieren will,
die beste Fangmethode auswählen und mit Filter und Zentrifuge
vermag man jederzeit auch solche Organismen sich zu verschaffen,
die mit den Netzen gar nicht oder nur zufällig gefangen werden,
wie z. B. die nackten Flagellaten und die Coccolithophoriden.
Zum ersten Male war es jetzt also möglich, ein zuverlässiges
Bild von der Zusammensetzung des Planktons im Meer- oder Süß-
wasser zu entwerfen und die Beziehungen der Pflanzen und Tiere
sowie der verschiedenen Pflanzen- und Tierfamilien zueinander zu —
studieren. Auf Grund von Lormann’s Untersuchungen im Mittel- |
meer und in der westlichen Ostsee suchte dann Pürter®? diese —
Beziehungen physiologisch zu verwerten und kam zu dem Schluß,
daß die im Wasser vorhandene Menge an Plankton in keiner Weise
genüge, die Planktonfresser zu ernähren und daß daher noch andere
Nahrungsquellen vorhanden sein müßten. Als solche nahm er Stoff-
wechselprodukte der Planktonalgen an, die diese an das Wasser —
abgeben und die dann von den Tieren in Form gelöster flüssiger
Nahrung aufgenommen werden sollen. |
Die erste Expedition, auf der neben den Netzen auch Filter
und Zentrifuge planmäßig und mit Erfolg verwendet wurden, ist
die von Sir Jonny Murray und Hsorr geleitete Mrcnaru-Sars-Ex- —
pedition *? gewesen, die 1910 den Nordatlantischen Ozean erforschte;
ihr folgte im Jahre darauf die „Deutschland“ der Deutschen Ant- —
arktischen Expedition °% © auf ihrer Ausfahrt nach Buenos Ayres, —
bei der also auch die Südhemisphäre untersucht werden konnte.
Überblicken wir jetzt noch einmal den Entwicklungsgang der
Planktonforschung, bei dessen Besprechung absichtlich nur die
wirklich für die Fortbildung der Forschung entscheidenden Unter-
suchungen erwähnt sind, so sehen wir, daß die Probleme seit ihrer
Aufstellung durch Caux und Hexsen unverändert dieselben ge-
blieben sind, während die Methoden, die zu ihrer Lösung verwandt
werden, sich sehr erheblich verfeinert haben. Hier konnte im
wesentlichen nur auf die Methoden eingegangen werden, die an
Hensey’s Forschungen sich angeschlossen haben; bei der Besprechung
des Gestaltungsproblems wird sich aber zeigen, wie auch Caux’s
Forschungsrichtung sich immer schärferer und präziserer Methoden
bedient hat und in gleicher Weise rüstig fortgeschritten ist. Ich
will nur kurz auf Ostwarv’s Analyse des Schwebevorganges ** und
auf die Kulturversuche Worrereer’s 1°? und Autens! hinweisen.
33
Doch lassen sich vorläufig nach ihnen keine Perioden abgrenzen,
wenngleich es sehr wohl möglich ist, daß in späterer Zeit Experi-
mente und Kulturen eine neue Forschungsepoche bedingen. Zur-
zeit aber stehen diese wertvollen Methoden noch zu sehr im An-
fange ihrer Entwicklung, als daß davon die Rede sein könnte. Es
ist dies aber ein Gebiet, für das gerade die Süßwasserforschung
von großer Bedeutung werden kann.
Wenn wir also von den Problemen der modernen Plankton-
forschung sprechen, so können wir unter diesen Problemen nur
das Gestaltungsproblem und das Bevölkerungsproblem ver-
stehen und müssen als moderne Planktonforschung die letzten
25—30 Jahre, die seit Cuun’s und Hensen’s fundamentalen Arbeiten
verflossen sind, auffassen. Ihr würde die ganzeältere Plankton-
forschung gegenüberzustellen sein, und wie diese nach den Methoden
“in zwei Unterabschnitte zerfällt (vor und nach der Einführung der
filtrierenden Netze), so könnte man auch jene einteilen in die Zeit
vor und nach der Einführung der Filter und Zentrifugen. Damals
bedeutete die Einführung des Netzes die Möglichkeit, das
gesamte Wohngebiet des Planktons nach allen Richtungen
hin zu erforschen und beliebig große Wassermassen zu
untersuchen; durch die Filter und Zentrifugen wurde das
| Gesamtplankton der Forschung zugängig gemacht, während
man vorher auf die Untersuchung des Netzplanktons be-
| schränkt war.
| Als ich an dieses Referat heranging, schien es mir das Natiir-
_ lichste, die Perioden nach den großen Unternehmungen in der
_ Planktonforschung abzugrenzen. Aber es zeigte sich bald, daß das
nicht möglich war, weil diese entweder das Ergebnis und die Frucht
von Arbeiten einzelner Forscher sind, wie die Plankton- und
' Valdivia-Expedition, oder aber zu der Planktonforschung als
| selbständiger Wissenschaft überhaupt in keiner direkten Beziehung
| stehen, wie die Internationale Erforsehung der Nordischen
Meere. Denn diese wurde unternommen zur Förderung der hydro-
| graphischen und fischereiwirtschaftlichen Kenntnisse und die Plank-
/ tonuntersuchungen standen zunächst vollständig in dem Dienste
‘ dieser beiden Hauptaufgaben und werden auch jetzt noch wesentlich
| in diesem Sinne fortgeführt. Eine Gliederung der Planktonforschung
‚ nach diesem Gesichtspunkte wäre also eine ganz äußerliche und
| unnatürliche gewesen und deshalb mußte auf die einzelnen Forscher
| zurückgegangen werden, denen wir die hauptsächlichsten Fortschritte
| verdanken.
| Verh. d. Dtsch. Zool. Ges. 1912. 3
|
34
Zusammenfassende Werke über die Planktonforschung be-
sitzen wir nur in sehr geringer Anzahl. Eigentlich kann man nur
Srever’s Planktonkunde° hierher rechnen; ein außerordentlich
verdienstvolles Buch, das eine trefiliche Zusammenstellung der
wichtigsten Arbeiten auf dem Gebiete der Meeres- wie auch der
Süßwasserforschung gibt und ein unentbehrliches Handbuch für
jeden Planktonforscher ist. Es erschien aber erst vor 2 Jahren.
Vorher hatte schon J. Jonysrone einen kurzen Abriß der quanti-
tativen biologischen Meeresuntersuchungen gegeben, der unter dem
Titel „Conditions of Life in the Sea“ in den Cambridge Bio-
logical Series 1908 erschien und in sehr anschaulicher Weise ein
Bild-von den Untersuchungen entwirft, die die allgemeinen Lebens-
bedingungen und vor allem auch den Stoffwechsel des Meeres be-
treffen. Eine sehr anregend geschriebene kurze Zusammenfassung
der gleichen Fragen gab derselbe Verfasser im vorigen Jahre heraus
(Life in the sea, Cambridge Manuals of Science and Literature, 1911).
Eine Veröffentlichung von allergrößter Bedeutung besitzen wir
ferner in dem von Arsteıs und Branpr herausgegebenen „Nordischen
Plankton“, das seit 1901 erscheint und in Form von Lieferungen
eine kurze Charakterisierung aller in den nordischen Meeren (nörd-
lich von 50° Br.) bisher beobachteten Planktonten geben soll. Wir
verdanken sie einer Anregung Haorrs, der eine derartige Zusammen-
stellung für die damals in Vorbereitung begriffenen internationalen
Untersuchungen für unentbehrlich hielt und die Kieler Forscher
leicht für seine Idee gewann. An der Vollendung fehlen jetzt |
nur noch wenige Tiergruppen, die hoffentlich recht bald er-
scheinen und den Abschluß dieses großen Werkes möglich machen.
Für die übrigen Meeresgebiete sind wir bisher auf die Werke der
großen Expeditionen angewiesen, die sich spezieller der Plankton-
forschung widmeten, also in erster Linie der Plankton- und Tiefsee-
Expedition.
IL .Das Gestaltungsproblem.
Unter dem Gestaltungsproblem hatten wir alle jene Fragen
zusammengefaßt, die die äußere und innere Gestaltung oder die
gesamte Organisation der Planktonten betreffen und eine Antwort.
darauf verlangen, inwiefern dieser Bau der notwendige Aus-
druck der Anforderungen ist, welche die Existenzbedin-
gungen an den Organismus stellen, wenn er sich ihnen
gegenüber erfolgreich durchsetzen will. Das Problem würde |
gelöst sein, wenn es uns gelänge, den Körper der Planktonten als
35
das notwendige Instrumentarium zu verstehen, das ihnen die Mittel
gewährt, sich im Leben zu behaupten, oder wenn wir, mit anderen
- Worten, ein volles biologisches Verständnis für die Ursächlichkeit
und Zweckmäßigkeit der verschiedenen Lebenswerkstätten gewonnen
hätten, als welche wir jeden Organismus zu betrachten haben.
Gehen wir an eine solche Analyse der Planktonten heran, so
haben wir zunächst in jedem Organismus dreierlei Bildungen zu
- unterscheiden: erstens solche, die in der allgemeinen Organisation
_ des Lebendigen überhaupt begründet sind, zweitens Eigenschaften,
die aus den Organisationsverhiltnissen der Vorfahren abzuleiten
sind und drittens die Anpassungen der gegenwärtig lebenden und
_ unsrer Untersuchung unterworfenen Formen an die jetzigen Existenz-
bedingungen. Als Beispiele für die erste Gruppe will ich nur hinweisen
auf Dreyer’s?‘ Zurückführung der Grundform des Spumellarien-
und Nassellarienskeletts (der Vierstrahler) auf die Blasenstruktur
des Plasmas und Ruumsuer’s8® Nachweis, daß der Winkel, unter dem
jede neue Kammerwand der Foraminiferen sich an die vorhergehende
ansetzt, für jede Art konstant, von Art zu Art aber verschieden
ist und auf die spezifisch verschiedene Konsistenz des Plasmas der
einzelnen Arten zurückgeführt werden muß. Die phyletisch be-
‚ dingten Bauverhältnisse sind durch die vergleichend anatomischen
und vergleichend entwicklungsgeschichtlichen Untersuchungen für
die wichtigeren Planktontengruppen jedem Forscher in den all-
_ gemeinen Zügen geläufig; es fehlt aber meist an einer biologischen
Deutung, wie sie für das Verständnis der Entstehung und Herkunft
der Planktonformen wichtig wäre. Crun’s Untersuchungen über die
Beziehungen der planktonischen Tiefsee-Schizopoden und Decapoden
zu den Krebsen der Oberfläche und des Meeresbodens könnten als
Beispiel einer solchen Untersuchung angeführt werden. Die letzte
Gruppe umfaßt dann alle anderen Gestaltungen der Planktonten,
die in der Regel unter dem Begriff der „Anpassungen der Plankton-
Organismen an ihre Lebensweise“ zusammengefaßt werden und über
die bereits eine äußerst reiche Literatur besteht. Leider fehlt es
aber, von wenigen Arbeiten abgesehen, an einer planmäßigen Durch-
-arbeitung dieses sehr wichtigen Forschungsgebietes, das bisher fast
stets nur gelegentlich und erst in zweiter Linie behandelt zu
| werden pflegt.
Wir können die Anforderungen, welche an die Planktonorganismen
durch ihre Lebensbedingungen gestellt werden, in drei Gruppen sondern.
Wie bei allen anderen Lebewesen wird zunächst erfordert, daß
das Individuum imstande ist, sich selbst und seinen Stamm zu
‘ 3*
ea
er ©
36
erhalten. Dazu muß es fähig sein, durch Nahrungserwerb den |
steten Kräfteverbrauch im Betriebs- und Baustoffwechsel zu decken, |
sich vor den schädigenden und vernichtenden Einflüssen der leblosen
und lebendigen Umgebung erfolgreich zu schützen, endlich eine
Nachkommenschaft in solcher Zahl zu erzeugen, daß der Bestand —
der Stammesfolge gesichert erscheint und so viel Anpassungs-
vermögen besitzen, daß der Stamm nicht bei größeren Änderungen
der Existenzbedingungen zugrunde geht. Zu diesen zwei Bedingungen
kommt aber nun für die Planktonten noch eine dritte Forderung
hinzu, die nur an sie gestellt wird, das ist die der Fähigkeit, sich
dauernd im Wasser schwebend zu erhalten. Die Schwebefähigkeit
ist also dasjenige Bedürfnis, durch welches die Planktonorganismen
sich von allen anderen Lebewesen unterscheiden und durch welches
daher ihre Gestaltung in der eigenartigsten Weise beeinflußt werden
muß. Insofern hat Osrwanp7® recht, wenn er die Analyse der
Bedingungen des Schwebens die Kernfrage der Planktonforschung
nennt. a ‘A
Es würden also im ganzen fünf Forderungen sein, die sich
folgendermaßen gruppieren lassen:
1. Das Vermögen der Selbsterhaltung:
a) durch ausreichende Ernährung,
b) durch ausreichenden Schutz.
2. Das Vermögen der Stammeserhaltung:
a) durch ausreichende Vermehrung,
b) durch ausreichendes Variationsvermögen.
3. Das Vermögen des dauernden Schwebens.
Viel zu weit würde es führen, obwohl es eine sehr lohnende
Aufgabe wäre, wenn wir darlegen wollten, was bisher bei den
Planktonten über den gestaltenden Einfluß jeder dieser fünf An-
forderungen festgestellt ist. Eine kurze Orientierung über die }
wichtigsten Arbeiten und ein spezielleres Eingehen auf eine einzige”
Anforderung, die der Ernährung, muß hier genügen. | |
Schon JoHAnnes MüLLerR, HAEcKEL, Rice. Herrwic, MostEx,
Murray, Sruper, Semper und viele andere haben eine große Zahl
von Anpassungen der Planktonorganismen beschrieben und erörtert,
vor allem handelte es sich hierbei um Schwebe- und Schutz-
einrichtungen. Die ersten zusammenfassenden Darstellungen sind
dagegen erst 1892 in dem Reisewerke der Planktonexpedition von
Schkürr®! und Branpr!? gegeben. Während letzterer im wesent-
lichen eine Übersicht über wichtigere Anpassungserscheinungen —
liefert, welche bis dahin bei den Planktontieren beobachtet waren,
en ? :
a a ee ee ae ee ee Ce a ee OU ie Anette ae ne Mn eee ee 6 ee rt an ne
ur
37
brachte Scuvrr eine an neuen Gesichtspunkten reiche und umfassende
Beschreibung der Anpassungen bei den Planktonpflanzen des Meeres,
die bisher überhaupt noch nicht studiert waren. Von besonderer
Wichtigkeit ist seine Ableitung der Einzelligkeit und Kleinheit
derselben aus den eigenartigen Bedingungen der Nahrungsgewinnung;
die Mittel zum Steigen, Sinken und Schweben werden eingehend
erörtert und durch Abbildungen erläutert, die Schutzapparate gegen
die Tiere (Stichwaffen und Sperreinrichtungen) nachgewiesen, und
auch bereits die geographischen Variationen der Schwebeapparate bei
den Peridineen gezeigt. Schürr hat in dieser ausgezeichneten Arbeit
das Fundament zu jener „morphologisch-biologischen“ Betrachtungs-
weise der Planktonpflanzen gelegt, die nachher durch WeEsEnBERG-
Luxop (1900) 10°, Narsansonn”??2, Karsten’? u. a. weiter ausgebaut ist.
Große Bedeutung haben Osrwarv’s Arbeiten (1902 u. ff.)78 79
gewonnen, in denen er eine genaue Analyse der Bedingungen des
Schwebens vornahm und die Bedeutung der Viskosität oder Dichte
des Wassers darlegte. Indem er jedoch nicht nur Größe und
Gestalt der Planktonten und deren Temporalvariationen, wie sie
zuerst von Wesengere-Lunn100 beobachtet waren, sondern auch die
täglichen und jährlichen vertikalen Wanderungen der Planktonten
auf diese Schwebebedingungen zurückzuführen versuchte, schoß er
weit über das Ziel hinaus. Immerhin ist der Erfolg seiner Arbeiten
_ gewesen, daß keine Anpassungsform bisher so genau verfolgt ist,
wie gerade die Schwebeeinrichtungen; man kann kaum eine Arbeit
über Planktonten in die Hand nehmen, in der nicht diese Frage
besprochen ist. Allerdings macht sich auch hier wieder derselbe
Fehler bemerkbar wie auf so vielen anderen Gebieten der Biologie,
daß viel zu wenig Beobachtungen und Experimente gemacht werden.
_ Untersuchungen, wie sie von Braupr für Rediolarien!” angestellt
sind, müßten viel häufiger gemacht werden.
Neben den Schwebeanpassungen haben die Schutzeinrichtungen
eine größere Beachtung gefunden, so die Schutzfarben, die Durch-
sichtigkeit der Gewebe, die Absonderung und Fortschleuderung
phosphorescierender Sekrete, die Ausbildung von Dornen und
| _ Stacheln usw. Doch gehen über viele dieser Anpassungen die
Ansichten noch sehr auseinander. In vortrefflicher Weise haben
Reumgrer88 den Schalenbau der Foraminiferen und Harcrer3” das
Skelett der Radiolarien auf die Prinzipien der mechanischen
Widerstandsfähigkeit zurückzuführen gesucht, zwei Forscher, die
überhaupt bemüht gewesen sind, in ihren Arbeiten stets das bio-
logische Moment in den Vordergrund zu rücken.
38
Ganz vernachlässigt erscheint dagegen das Ernährungs- |
bedürfnis und ebenso die Forderung der Stammeserhaltung. |
Das erstere beeinflußt neben der Anforderung der Schwebefähigkeit
die Gestaltung der Planktonten wahrscheinlich am stärksten.
Trotzdem ist diese Bedeutung bisher sehr wenig gewürdigt, und ~
eine zusammenfassende Behandlung fehlt noch vollständig. Esläßt ”
sich daher gegenwärtig auch der Anteil, den dieser Faktor auf die ”
Gestaltung der Planktonorganismen hat, noch gar nicht seinem ganzen _
Umfange nach übersehen; es ist aber sehr wahrscheinlich, daß er
in Wirklichkeit alle anderen Einflüsse bei weitem übertrifft.
Und das sollte eigentlich selbstverständlich sein, da die Nahrung ~
die einzige Energiequelle der Lebewesen bildet, und von ihr also
alle Lebensfunktionen in erster Linie abhängen. |
Die erste Nahrungsquelle, die für das Plankton in Frage ©
kommt, sind das Sonnenlicht und die anorganischen im
Wasser gelösten Nährstoffe der Pflanzen. Das erstere ©
dringt bekanntlich nur äußerst wenig in das Wasser ein und —
erleidet vor allem eine mit der Tiefe, in die es vordringt, rasch °
zunehmende Änderung seiner Zusammensetzung, indem die roten
Strahlen sehr bald, die des blauen Endes des Spektrums dagegen |
erst spät absorbiert werden. Zugleich nimmt aber auch die Zeit, —
während welcher täglich Licht von etwa Tagesstärke in der |
Tiefe herrscht, rapide ab, und Reenarp®® konnte bei Madeira im ©
März 1889 feststellen, daß in 20 m der Tag um 3 Stunden, 7
in 30 m um 7 Stunden kürzer war als an der Oberfläche des |
Meeres, und daß etwa in 40 m die photographische Platte |
pur noch für wenige Minuten eine schwache Wirkung des Lichtes
bewirkte, wie sie an Bord des Schiffes beim Sonnenaufgang ©
auf der Platte des Kontrollapparates sich abzeichnete. Die Licht- |
menge nimmt also äußerst schnell mit zunehmender Tiefe ab!), und
es ist eigentlich erstaunlich, daß trotzdem noch die Planktonpflanzen °
bis 300 und selbst 400 m hinab zu assimilieren vermögen. Das
Chromophyll, an dessen Gegenwart die Tätigkeit der CO,-Assimilation —
gebunden ist, ist bald diffus im Zellkörper verteilt, wie bei den 7
Schizophyceen, bald an besondere Organe die Chromophylikörper E|
gebunden wie bei allen übrigen Phytoplanktonten. Die Valdivia-
Expedition hat zuerst die wichtige Entdeckung gemacht, daß im
Ozean eine eigenartige Pflanzenwelt der lichtarmen Dämmerungs-
zone zwischen etwa 80 und 400 m Tiefe sich ausgebildet hat, die
1) Schon in Im Tiefe ist nach Experimenten von Reenarp 1/ der ein
fallenden Lichtmenge absorbiert.
39
vor aliem durch das Vorherrschen großer, scheibenförmiger Diatomeen
gekennzeichnet wird. Diese coscinodiscoiden Pflanzen bieten durch
ihren flächenhaften, horizontal schwebenden Körper dem Lichte eine
möglichst große Fläche dar, und die Chromatophoren sind dieser
Fläche eng angelagert. Kragenartige Membranen, die den Rand
der Diatomeen umgeben, sichern die Orientierung im Wasser, und
Karsten52, der die aus vielen Arten zusammengesetzte Schattenflora
untersuchte, spricht die Vermutung aus, daß die mannigfach stuk-
turierte Schalenfläche wie eine aus zahllosen kleinen Kondensor-
linsen zusammengesetzte Fläche dazu dienen könnte, die auffallenden
Lichtstrahlen zu sammeln und zu konzentrieren. Auf der Fahrt der
Deutschland fand ich auch zwei Coccolithophoriden, die dieser Tiefen-
flora angehören, und da-
i durch der Lichtarmut
sich angepaßt haben, daß
die Schwebeapparate der
Schale, die bei den ver-
wandten Arten allseitig
die Schale umgeben, auf
einen Äquatorring be-
schränkt sind, und so
- ganz wie bei den Goss-
f leriellen und Plankto-
niellen einen Schwimm- ~ Figur 1.
gürtel bilden. Besonders Kalkalge der D ämmerzo ne as m Tiefe; Deutsch
3 k landia anthos Lohm.); sch. linsenförmige Schale mit zungen-
interessant ist noch, dab formigen Schwebcoccolithen (coc.) am Rande; Z. Zelle mit
bei der einen Art (Fig. 1) Kern (k.) und zwei Chromatophoren (chr.). (Vergr. 1:1200,
die Schale, die bei allen oe een
andern Coccolithophoriden kugelig ist, linsenförmig abgeflacht ist,
so daß sie auch darin den Coscinodiscoideen sich nähert. In der
gleichen Zone kamen ferner zwei Coscinodiscoide Diatomeen vor®%,
die ihre Schwimmgürtel von Coccolithophoriden sich bauen lassen,
die auf ihrem Gürtelbande sich ansiedeln. Die Schattenflora ist
also sehr eigenartig gebaut und sehr deutlich der Lichtarmut ihres
Wohnortes angepaßt.
Wie Scaürr?! zuerst die Beziehungen zwischen dem Schwebe-
_ vermögen der Pflanzen und ihrem Bau dargelegt hat, so hat er
auch zuerst den Einfluß gezeigt, den die besondere Art der
Ernährung auf die Ausbildung der Planktonpflanzen hat.
Licht und gelöste anorganische Nährstoffe sind in jeder
Zone des Meeres annähernd oder sogar völlig gleichmäßig verteilt.
COE
/
40
Sie brauchen also nicht aufgesucht zu werden. Es kommt nur
darauf an, sie möglichst vollkommen auszunutzen, und das ist nur
möglich, wenn jede Zelle für sich bleibt, von allen Seiten von dem
als Nährlösung dienenden Wasser umspült wird, und bei farblos
durchsichtigen Skeletten und Zellmembranen dem Lichte allseitig
freien Zutritt gestattet. Jede Bildung kompakter Zellverbände
würde einen Teil der Zellen und große Partien auch der peripher |
gelegenen Zellen von der direkten Berührung mit dem Wasser
und dem Sonnenlicht ausschließen und die Ausnutzung dieser
Nahrungsquellen herabsetzen. Es ergibt sich hieraus also unge-
zwungen, weshalb im Gegensatz zu den Pflanzen des Meeresbodens
und des Landes alle Planktonpflanzen ausnahmslos einzellig
sind!) und die Koloniebildungen, die unter ihnen vorkommen, sich
auf Kettenbildung und die Formung locker gefügter, verästelter
oder Hohlkugeln von Gallert bildender Verbände beschränkt. Es
wir daher aus diesem Gesichtspunkte auch verständlich, weshalb die
' Planktonpflanzen nicht ein dem Wasser gleiches spezifisches Gewicht
haben, sondern im allgemeinen etwas schwerer sind und zum sehr
großen Teile sogar die Fähigkeit selbständiger Lokomotion besitzen.
Denn es ist Grundbedingung für die im Wasser schwebenden
Pflanzen, daß sie fortgesetzt mit frischem Wasser in Berührung
kommen, dessen Nährstoffe sie noch nicht gebraucht und an das
sie noch nicht ihre Ausscheidungsprodukte abgegeben haben. Von
den vier großen Familien der Planktonpflanzen sind zwei mit Geißeln
versehen (Peridineen und Chrysomonadinen), zwei ohne selbständige
Bewegungsorgane (Diatomeen und Schizophyceen). Unter den
ersteren finden wir sogar eine Reihe von Formen, die besondere
lichtempfindliche Organe (Stigmata bei Pouchetia, Carteria, Eutreptia,
Euglena im Meer; Glenodinium, Gymnodinium, Dinobryon im Süb-
wasser) besitzen, die ihnen ermöglichen, Gebiete aufzusuchen, in
denen eine ihrem Gedeihen entsprechende Lichtintensität herrscht.
Insofern solche Stigmata diesen Pflanzen dazu dienen, die Ausnutzung
des Lichtes viel weiter zu treiben als die stigmenlosen Formen,
ist also auch hierin eine durch die Ernährungsweise bedingte
1) NATHANSOHN?2 sucht die Einzelligkeit der Planktonpflanzen mit dem
in steter Bewegung befindlichen Medium in Beziehung zu bringen, das keine
Ausbildung größerer Gewebsverbände zulieBe. Ich halte diese Erklärung für
nicht richtig. Da die von SCHÜTT erörterten fundamentalen Lebensbedingungen
von vornherein jede Gewebsbildung hindern, so können die Strömungen des
Wohnelementes gar keinen Einfluß mehr ausüben. Sie finden nichts vor, was
sie hemmen könnten. .
in de a ea
41
Organisation zu sehen. Im Süßwasser sind diese Stigmata bei den
Planktonpflanzen viel weiter verbreitet als im Meere, und Scaürr
sieht wohl mit Recht die Ursache in dem viel größeren Wechsel
zwischen Licht und Schatten, der in den Süßwasserbecken besteht.
als in dem völlig schattenlosen, jedes Schlupfwinkels entbehrenden
Meere.
Eine eigenartige Erscheinung unter den geibeltragenden
Planktonpflanzen besteht darin, daß sie vorübergehend oder dauernd
ihr Chromophyll verlieren. Damit werden sie unfähig, anorganische
‚Stoffe zu assimilieren und müssen notwendig organische Verbindungen
aufnehmen, so weit sie nicht während dieser Periode ruhen. In
einzelnen Fällen soll die Aufnahme geformter Nahrung durch
chromophyllose Peridineen beobachtet sein, und Docıeu!) hält diese
animale Ernährungsweise sogar für sehr verbreitet unter den farb-
losen Peridineen. Er beschreibt die Defäkation der Ballen, in
denen er Diatomeen- und Radiolarienreste nachweisen konnte. Die
Aufnahme soll durch Plasma erfolgen, das aus der Geibßelspalte
austritt. Danach würden diese chromophyllosen Peridineen also
keine Saprophyten sein, sondern sich von den Körpern anderer
Organismen ganz nach Art der Protozoen ernähren. Mir selbst ist
nie ein Nahrungsballen bei den zahlreichen Gymnodinien des
_ Meeresplanktons, die ich in den Zentrifugenfängen fing, zu Gesicht
: gekommen; auch ist die Mehrzahl der farblosen Gymnodinien so
klein, daß nur Bakterien und kleine Monadinen als Nahrung in Frage
kommen könnten. Jedenfalls ist die Frage, wie diese Formen sich
ernähren, von erheblicher Wichtigkeit, da die Zahl, in der sie am
pflanzlichen Plankton sich beteiligen, recht bedeutend ist, und sie
bei saprophytischer Ernährung auf die direkte Aufnahme der im
_ Wasser vorhandenen Stoffwechselprodukte der übrigen Pflanzen und
Tiere angewiesen wären. Ein Teil der Gymnodinien lebt ecto-
und endoparasitisch an Planktontieren und entnimmt also seine
Nahrung dem Körper ihrer Wirte.
Im Gegensatz zu den Pflanzen sind alle Tiere auf die
Ernährung durch organische Nährstoffe angewiesen, und zwar nahm
man bisher ganz allgemein an, daß diese in der Form von andern
Pflanzen und Tieren oder deren festen Zerfallsprodukten aufge-
nommen werden. Diese „geformte Nahrung“, wie man sie im
Gegensatz zu der flüssigen, gelösten Nahrung der Pflanzen und der
von den Darmwänden resorbierten Verdauungssäfte nennen kann,
1) Mitteilungen Zool. Stat. Neapel, Bd. 18, 1906, p. 38 u. ff.
42
wird von dem Tier erbeutet und nun durch bestimmte vom Plasma
ausgeschiedene Fermente in Lösung oder Emulsion übergeführt, so
daß eine Resorption erfolgen kann, die dann eine Verteilung im
ganzen Körper ermöglicht. Nur bei denjenigen Tieren, welche sich
wie manche Darmparasiten von den Verdauungsresten anderer Tiere
oder wie manche andere Parasiten von den Körpersäften ihrer
Wirte nähren, kann dieser Vorgang der Verdauung fortfallen, da
er ja bereits von dem Wirtstiere besorgt ist. In diesen Fällen
fehlen dann aber auch die Verdauungsapparate oder zeigen die
deutlichsten Kennzeichen der Rudimentierung. Die Apparate zur
Erbeutung und zur Verdauung lebender und toter Orga-
nismen sind also das Kennzeichen der von geformter
Nahrung lebenden Tiere Bei den Parasiten erfahren diese
Organe eine Reduktion und können ganz schwinden. Das sind
Verhältnisse, die ganz allgemein für alle Tiere gelten, einerlei ob ~
es sich um Tiere der Atmosphäre oder Hydrosphäre, des Benthos,
Necton oder Plankton handelt. Sie stehen also ihrer geformten
Nahrung nicht in gleicher Weise wie die Pflanzen gegenüber und
statt Kleinheit und Einzelligkeit zu begünstigen, wird sogar der
Vorteil einer gewissen Größe und der Ausbildung kräftiger
Lokomotions- und weitreichender Sinnesorgane einen
hochkomplizierten Körperbau, wie ihn nur die Metazoen entwickeln
können, begünstigen. Wir sehen dementsprechend auch die
Gewebstiere in großer Mannigfaltigkeit der Gestaltung
und unter einem sehr starken Massenübergewicht (bei
Laboes i. D. 7><, i. Min. 2x, i. Max. 13x) neben dem Pro-
tozoen auftreten, so daß ein fundamentaler Unterschied
segenüber den Planktonpflanzen sich ausgebildet hat.
Die Tiere des Planktons sind aber ihrer Nahrung gegenüber
insofern in ganz besonders günstigen Verhältnissen, als sowohl die
Pflanzen wie die Tiere, die ihnen zur Nahrung dienen, über weite
Gebiete so gut wie gleichmäßig verteilt sind und nur in vertikaler
Richtung auf kleinem Raume starke Änderungen in bezug auf Zahl
und Art erfahren. Es steht also im allgemeinen allen Individuen
einer Art in einer Tiefenzone und in einem Gebiete gleicher hydro-
graphischer Verhältnisse die gleiche Nahrung zur Verfügung, und
auch wenn die Individuen aus ihrem momentanen Niveau empor-
steigen oder niedersinken, erfahren alle Individuen die gleiche
Änderung der Ernährungsbedingungen. Es fehlen aber voll-
kommen die großen Dauerbestände von Pflanzensubstanz,
wie sie in den. Thallomen der Bodenpflanzen der Hydro-
She nie Te ne u ch SE cn an ME here
43
sphäre und in den ausdauernden Kräutern, Büschen und
Bäumen der Atmosphäre zu so hoher Entwicklung ge-
langen und einer Schar von Pflanzenfressern das Leben
ermöglichen. Vielmehr ist hier die ganze Vegetation in einzelne,
äußerst kurzlebige Zellen aufgelöst, die rasch durch Teilung sich
vermehren, und in der ganzen produktiven Zone der Hydrosphäre
zugleich mit den Planktontieren verteilt sind. Weder in der Größe
noch in der Gestalt unterscheiden sich die Pflanzen wesentlich
von den einzelligen Tieren, und so kommt es, daß im allgemeinen
die Planktontiere unterschiedslos Pflanzen und Tiere der ihnen zu-
sagenden Größenordnung verzehren und also gemischte Kost zu
sich nehmen. Eine Ausnahme machen nur die eigentlichen Räuber,
die unter den Tieren sich ihre Beute auslesen. Pflanzenfresser
in dem Sinne wie auf dem Lande fehlen also unter den
— — Panktonten, wenn auch in vielen Fällen die Protophyten im
Wasser so überwiegen werden, daß in Wirklichkeit manche Tiere
zeitweise nur Pflanzenkost erhalten. Aber das liegt dann nicht
an einer Auswahl des Fressers, sondern an dem Überwiegen der
Pflanzen im Wasser.
Versucht man die Planktontiere nach der Art der Nahrungs-
gewinnung in Gruppen zu sondern, so ergibt sich meiner Ansicht
nach eine Einteilung in drei Gruppen als die natürlichste, die man
als Taster, Sedimentierer und Jäger bezeichnen könnte.
Zu den Tastern stelle ich diejenigen Tiere, welche
auf irgendeine Weise das Wasser auf Nahrung abtasten,
während sie selbst in Ruhe bleiben. Fernsinne fehlen ihnen
naturgemäß oder sind rückentwickelt.
Hierher gehören zunächst die Globigerinen und Radio-
larien, die allseitig Pseudopodien in das Wasser entsenden und
aus demselben Diatomeen, Peridineen und andere Pflanzen, aber
auch so große Tiere wie Copepoden herausgreifen, durch ein Gift
lähmen und nun entweder in ihren Körper hineinführen oder aber
außerhalb desselben anverdauen und nur die Weichteile aufnehmen.
Hacker (1908) °° und Reumsrer $$ (1911) verdanken wir interessante
Aufschlüsse über diese primitivste, aber wie es scheint sehr er-
giebige Art der Nahrungsgewinnung.
Die Siphonophoren, welche wie Physalia, Velella, Porpita
an der Oberfläche des Meeres treiben, tasten in ähnlicher Weise
4 mit ihren Tentakeln das unter ihnen liegende Wasser ab; auch bei
ihnen lähmen zum Teil äußerst heftige Gifte die Beute, die bei den
Physalien aus Fischen bestehen kann; die Tentakel können eine
44
riesige Länge erreichen; so sollen bei Physalia 30 m lange Fang-
fäden beobachtet sein.
Bei flottierenden Mollusken (Janthina) und Crustaceen
(Cirripedien) wird die Nahrung mit Haken und Borsten ertastet
und erfaßt; eine Giftwirkung ist nicht bekannt. Bei der Veilchen- —
schnecke ist die Radula, wie Simrorn®® nachgewiesen hat, durch
Ausbildung langer Haken, bei den Rankenfüßlern sind die Ex-
tremitäten zu Greifapparaten ausgebildet, die fortgesetzt reflektorisch
in das Wasser hineingreifen und wieder zurückgezogen werden. Bei
Janthina ist außerdem die Schnauze rüsselartig verlängert. Die
Tiere sind sehr gefräßig, sie verzehren ihresgleichen, Siphonophoren
und Cirripedien. Eine Janthina, die ich beobachtete, erbrach zahl-
lose Tentakeln von Porpiten. Sa
Eine höhere Stufe des Nahrungserwerbes wird durch
die Sedimentierer gebildet, welche das sie umgebende
Wasser in strömende Bewegung setzen und aus demselben
die Organismen niederschlagen. Das so gewonnene Sediment
dient als Nahrung; Fernsinne sind meist niedrig entwickelt;
Bewegung ist stets vorhanden und oft eine sehr energische und
ausgiebige aber völlig ziellose, da sie nur die Aufgabe hat,
eine Durchstreifung des Wassers zu gestatten. Bei den Appen-
dicularien beschreibt die Bahn des Gehäuses z. B. eine Spirallinie;
durch Verengerung oder Erweiterung der Windungen kann rasches
oder langsames Vorschreiten, Wendung nach rechts, nach links usw.
bedingt werden.
Am einfachsten ist!), soweit sich das bisher übersehen läßt,
der Nahrungserwerb dieser Gruppe bei den thecosomen Ptero-
poden, welche während des Schwimmens durch Wimpern das
Wasser über den Mundlappen zur Mundöffnung treiben, wo die
Nahrungskörper, wohl weil das Wasser sich hier staut und die
1) Wahrscheinlich wird sich eine noch einfachere Form der Sedi-
mentierung für eine Reihe von Tiefseeorganismen ergeben, die
sich von dem niedersinkenden Detritus ernähren; doch würden noch weitere
Untersuchungen anzustellen sein. Bei der Betrachtung der Pelagothuria ludwigi ?*
und der Tuscarusa chuni?” kam mir nämlich der Gedanke, ob nicht die weit
ausgebreitete Oralfläche der Holothurie und die riesenhafte Gitterkugel, welche
die 8 Tusarusen trägt, die Bedeutung haben, als Fangfläche für die nieder-
sinkenden Organismenreste zu dienen. Hier würde also das Tier selbst oder
ein von mehreren Individuen gebildetes Gerüst rein passiv den ihrer Schwere
folgenden Nährstoffen sich in den Weg stellen und sie auffangen. Die zahl-
reichen Mundtentakel oder über das Gerüst sich ausspannende Pseudopodien
würden dann von Zeit zu Zeit das Sediment einsammeln und seiner Bestimmung
zuführen.
+ A ER ie Re
® a ey
45
bewegende Kraft der Wimperschläge aufhört, sich ansammeln und
aufgeschluckt werden.
Viele niedere Krebse (die meisten Cladoceren, viele
Copepoden, die Nauplien der Cirripedien) besitzen an ihren
Mundextremitäten reusenartige Boystenbesätze, durch welche bei
der. Fortbewegung des Tieres das Wasser getrieben wird. Dabei
lagern sich die in ihm enthaltenen Organismen auf den Borsten
ab, werden an die Mandibeln weitergegeben, verrieben und in den
Darm gebracht. CHun?! ist der erste gewesen, der diese Nahrungs-
gewinnung bei den Cirripediennauplien beschrieben und zugleich
im Darm der Lepadiden-Larven Reste von Radiolarien, Globigerinen,
Silicoflagellaten und Diatomenen nachgewiesen hat (1896, p. 90).
Für die Copepoden haben Daxım 1908 und Loumann 19091) Nahrung
und Nahrungserwerb aufgeklärt, wobei vor allem auch zahlreiche
Coccolithophoriden und Peridineen gefunden wurden, während
Wourereck 1909102 das gleiche für Hyalodaphnia gelang, wobei
er sogar in Kulturen die Cladoceren füttern und experimentell die
Wirkung der Fütterung verfolgen Konnte.
Pyrosomen, Salpen und Doliolen treiben fortgesetzt Wasser
durch ihre enorm weite Kiemenhöhle, um nicht nur ihr Atem-
bedürfnis zu decken, sondern zugleich auch sich selbst durch das
Wasser hindurch zu bewegen. Aus dem strömenden Wasser aber
werden durch Schleimfetzen, die die Endostyldrüse absondert und
die durch Wimperbänder durch die Kiemenhöhle verteilt werden, die
Schwebkörper festgehalten und in die Speiseröhre geführt. Hier
ist also ein ganz eigenartiges Mittel zur Sedimentierung benutzt, das
aber auch schon von Menschen angewandt ist, um kleine, mit den
üblichen Netzen nicht fangbare Organismen aus dem Wasser zu er-
halten. So berichtet J. Murray “4, daß die Coccolithophoriden während
der Challenger-Expedition dadurch gefangen wurden, daß man die
Planktonfänge, die weiter nicht verwertet werden sollten, des Nachts
über stehen ließ und dann die Gallert der Radiolarien und anderer
Planktonten mikroskopisch absuchte. Fou’) hat diese eigenartige
Funktion des Endostyls für Doliolum 1872 experimentell nach-
gewiesen. Der Darm der Salpen ist wie der der Pteropoden seit
alten Zeiten her eine Fundgrube für Skelette von Radiolarien,
Diatomenen und Coccolithophoriden, daneben kommen auch Tintinnen
und Copepodenhäute vor.
1) Internat. Revue Hydrobiol. Hydrograph. Bd. I, p. 772ff., 1908; Ver-
handlung. Deutsch. Zoolog. Gesellsch., 1909, p. 234—236.
2) H. For, Appendiculaires de Messine, Genéve, 1872.
46
Eine vierte wiederum abweichende Methode der Sedimentierung
haben die Appendicularien °% 6° ausgebildet. Ihre Kiemenhöhle
ist ganz reduziert, der Endostyl klein und kurz und bei einer Gattung
sogar völlig geschwunden; alle Rumpfmuskeln fehlen, so daß also
kein kraftvoller und reicher Wasserstrom durch den Kiemenkorb
ceführt werden kann. Jedoch scheidet das Tier eine äußerst kompliziert
aus Membranen und Gallertfäden zusammengesetzte Cuticula aus,
die durch einen Häutungsprozeß von ihrer Matrix sich loslöst und
in deren Hohlräume mit Hilfe des muskulösen Schwanzes Wasser
eingetrieben wird. Dadurch bläht dieselbe sich zu einer vor dem
Munde des Tieres hängenden Blase oder einem das ganze Tier um-
hüllenden Gehäuse auf, in denen ein feiner Reusenapparat oder Fang-
apparat aufgehängt ist. Durch diesen wird bei den Undulationen
des Schwanzes fortgesetzt Wasser getrieben und filtriert undschließlich
das Filtersediment von dem Tier aufgesogen und in den Darm ge-
führt. Auch hier ist der Darm immer dicht mit Fäkalmasse gefüllt
und das im Fangapparat gefangene Nahrungsmaterial so reichhaltig, |
daß es ein uniibertroffenes Material für das Studium der Nanno-
planktons abgibt.
Die dritte Gruppe ist die der ee Diese stellt die
höchsten Anforderungen an das Tier, das seine Beute
einzeln erfaßt und verzehrt. Es muß also hoch ent-
wickelte Fernsinne haben und imstande sein, rasch und
zielmäßig sich zu bewegen. Hier sind vielleicht zwei Gruppen
zu unterscheiden, die ich als Späher und Spürer unterscheiden
möchte. Doch reicht meine persönliche Erfahrung nicht aus, um zu
entscheiden, ob sie in der Natur sich als berechtigt erweisen wird.
Die letzteren sind in steter Bewegung und durchschwimmen
ihr Jagdgebiet nach allen Richtungen; sie spüren die Beute auf.
Ich würde unter anderem die Ctenophoren, Medusen, Polychaeten,
gymnosomen Pteropoden, Cephalopoden und Jungfische hierher
rechnen. | | |
Die Späher dagegen stehen ruhig an einem Punkte, wechseln
denselben plötzlich nach einiger Zeit und fahren so fort, bis sie
Beute gefunden haben. In diese Gruppe würde ich die Sagitten,
Schizopoden und Decapoden stellen.
Wir haben hier deutlich eine Stufenfolge von Modalitäten
des Nahrungserwerbes vor uns. Die Taster stellen die primitivste
Form dar, die Jäger die vollkommenste und dementsprechend
ist auch die Größe des von dem Tier ausnutzbaren Lebens-
raumes bei den ersteren ein relativ kleiner, bei den letzteren
> nu N —_
Ps 3 ilies,
47
ein relativ sehr weiter’). Am beschränktesten ist er bei den Janthinen
und Cirripedien, denen eine Eigenbewegung vollständig abgeht und
bei denen die Greifapparate nur wenig über den Körperbezirk hinaus-
reichen. Für die flottierenden Siphonophoren gilt im allgemeinen
dasselbe, doch erweitern die Physalien ihren Fangbereich durch die
langen Fangfäden so gewaltig, daß er 10—50 mal die Höhen-
ausdehnung der Kolonie übertrifit. Aber erst die Globigerinen und
vor allem die Radiolarien sind imstande, durch Auf- und Nieder-
steigen Räume auszunutzen, die um das hundert- und tausendfache
den Bereich der Pseudopodien übertreffen. Die zum Teil höchst
komplizierten Einrichtungen, welche diese Tiere besitzen, um solche
Vertikalwanderungen auszuführen, sind durch die Untersuchungen
Herrwics, Drryers, Branprs u. a. so genau untersucht, daß ich
hier nur auf die Arbeiten dieser Forscher hinzuweisen brauche.
Am vollkommensten sind sie bei den Radiolarien ausgebildet, wo
CO,-haltige Vakuolenflüssigkeit und kontraktile Apparate zur Aus-
dehnung und Kompression des extrakapsulären Zelleibes zu hoher
- Differenzierung gekommen sind. Über die Schnelligkeit dieser
Vertikalbewegung liegen aber leider noch keine Beobachtungen
vor. Für Globigerinen sind von Ruumsuer nach den Ergebnissen
der Planktonexpedition gleichfalls solche Wanderungen nachgewiesen;
wir sind aber über die Mittel, welche dieselben hierzu verwenden,
nicht genau unterrichtet, da unsere Kenntnis vom Bau der lebenden
Globigerinen noch außerordentlich dürftig ist. Hier wäre noch ein
reiches Feld für Untersuchungen gegeben.
Bei den Sedimentierern und den Jägern ist die Loko-
motion ein wesentlicher Faktor für den Nahrungserwerb
überhaupt; die Lokomotionsorgane erreichen bei beiden
Gruppen daher eine starke, jedoch für jede einzelne Gruppe wieder
eigenartige Entwickelung und bei den Jägern werden auch die
- Sinnesorgane, vor allem die Augen zu höchster Ausbildung
gebracht. Wie groß der täglich ausnutzbare Raum für diese Tiere
ist, läßt sich vorläufig nicht feststellen, da wir über die Wan-
derungen und die Ausgiebigkeit der Bewegungen der Planktonten
noch sehr mangelhaft unterrichtet sind. Für Calanus finmarchicus
hat Esrerty (1911)?) an der kalifornischen Küste vertikale tägliche
1) PUTTER hat als Lebensraum dasjenige Wasservolumen bezeichnet, das
den täglichen Bedarf einer Organismenart an Og deckt. Dieser Raum ist selbst-
verständlich sehr viel kleiner als der hier besprochene, den man „Nährgebiet“
nennen könnte, worin zugleich ausgedrückt ist, daß der Planktont den Nähr-
gehalt in keiner Weise erschöpft, sondern nur von ihm zehrt.
*) Internat. Revue Hydrob. Hydrogr. Bd. 4, p. 140f. 1911.
48
Wanderungen von 300 m Weite festgestellt; da die aufsteigende
Wanderung des Abends beginnt und um Mitternacht im wesent-
lichen beendet erscheint, muß sie in höchstens 5—6 Stunden voll-
zogen werden, was eine Leistung von 1m in der Minute ©
verlangen würde; für einen großen, nicht näher bestimmten
Copepoden (wahrscheinlich Euchaeta) fand ich im Mittelmeer eine
Schnelligkeit des Emporsteigens von 1°/, Minuten für 1m, während
er im Sinken sogar 41/,—5 Minuten für die gleiche Strecke ge-
brauchte Die Wanderung erscheint also als eine sehr schnelle
und ausgiebige und auch bei der absteigenden Bewegung muß
aktives Schwimmen beträchtlich mitgewirkt haben. Die einfachste
Erklärung für derartige Wanderungen scheint mir die zu sein, daß
die Tiere lichtscheu sind, daher am Tage in der Tiefe sich auf-
halten und von den hier nur spärlich vorhandenen Nährmitteln sich
nähren, mit dem Aufsteigen der Dunkelheit aber rapide in die an
Nahrung reichen oberen Schichten emporsteigen, um sich hier voll-
zufressen und danach ebenso rapide wieder in die Tiefe zurück- |
kehren. Es wären diese Wanderungen also tatsächlich ° |
Wanderungen nach reicherer Weide. Davon ganz verschieden
sind die aufwärtssteigenden Bewegungen von. Larven, die in der
Tiefe schwebenden Eiern (von Velellen, Appendicularien usw.) ent-—
schlüpft sind und nun der Oberfläche zustreben. Für sie ist eine
rein physikalische Bestimmung durch die Lichtwirkung zweifellos,
während bei den Dämmer- und Nachttieren das Nahrungsbedürfnis
ausschlaggebend sein dürfte. =
Hessen hat 1890! sich mit Recht gegen die Auffassung
gewandt, daß die ausgiebige Verwertung glasklarer, ja für mensch-
liche Augen oft kaum wahrnehmbarer farbloser Gallertmassen und
Gallertgewebe bei den Planktonten durchgehend als Schutzmittel
anzusehen sei, und hat darauf hingewiesen, dab sie in vielen Fällen
zweifellos nur Ausdruck des Hungerlebens ist, unter dem die
Tiere der Hochsee offenbar zum großen Teile stehen. Das Gallert-
gewebe ist das billigste Material, das den Planktonten zum Aufbau —
ihrer Körper zur Verfügung steht und dabei doch den Vorteil bietet, |
fast jeden Konsistenzgrad von der weichen, leicht zerfließenden |
Gallert mancher Algen und Ctenophoren bis zu der knorpelharten
Masse mancher Salpen und Pyrosomen zu gestatten und, wenn
man von Borsten absieht, jede beliebige Gestaltung mit Leichtigkeit
zuzulassen, ohne bei ihrem gewaltigen Wassergehalt das spezifische
Gewicht des Organismus zu erhöhen. Andere Forscher, wie z. B.
Cuun?* ?! und Smmrorn®, betonen die außerordentliche Gefrabigkeit
49
der Planktontiere, die sich nicht nur in den fast stets dicht mit
Nahrung gefüllten Verdauungsapparaten und der Menge der Fäkalien
ausspricht, die man in den Planktonfängen findet, sondern auch aus-
drückt in dem Verhalten der Tiere zueinander und zu den Pflanzen
in den lebenden Fängen. Vor allem bemächtigen sich die Sagitten
und craspedoten Medusen aller Beute, die sie bewältigen können,
und selbst die so empfindlichen Appendicularien bilden neue Gehäuse
und Gallertblasen und füllen ihren Darm mit Nannoplankton. Am
auffälligsten aber tritt der Kampf um die geformte Nahrung in
dem Bau der Tiefseekrebse hervor, deren Raubtiergestaltung uns
in so anschaulicher Weise durch Caun’s Untersuchungen im Mittel-
meer und bei den Canaren klargelegt ist. Die langen RaubfiiBe,
die enorm vergrößerten und in Front- und Seitenaugen getrennten
Augen mit ihren speziellen Leuchtorganen, die zur Anlockung von
Beute dienenden Leuchtorgane am übrigen Körper sind ebenso viele
Apparate, die das Aufsuchen und Ergreifen anderer Tiere möglichst
erleichtern. Bei den aberrantesten Formen erreichen die Augen
einen Längsdurchmesser von '/, der Körperlänge; sie werden nur
noch übertroffen von den Augen gewisser Tiefseetintenfische, die an
Volumen fast dem des ganzen Eingeweidesackes gleichkommen.
Wirsehenalso, daß der Nahrungserwerb einen geradezu
gewaltigen Einfluß auf die Gestaltung der Planktonpflanzen wie
- Planktontiere ausübt, und daß die verschiedene Ernährungsweise
beider Organismengruppen gerade beim Plankton zum allerschärfsten
_ Ausdruck im Körperbau kommt: die von der Sonnenenergie
und gelösten Nährstoffen lebenden Pflanzen durchweg
einzellig und meist sehr klein, mit farblosem Skelett und
farblosem Plasma, aber farbigen Chromatophoren; die von
anderen Organismen sich ernährenden Tiere durchgehend
mit einem Körper, der dem Fange und der Verdauung
dieser geformten Nahrung auf oft sehr komplizierte Weise
angepaßt, bald einzellig, bald aus Geweben aufgebaut
ist und durch die Gewebs- und Organbildung in weitest-
gehender Arbeitsteilung leistungsfähige Lokomotions-
und Sinnesorgane wie bei den übrigen Bewohnern der
Hydro- und Atmosphäre zur Ausbildung bringt.
Daß die Aufnahme geformter, aus anderen Organismen oder
deren Leichen bestehender Nahrung für die nicht parasitisch lebenden
Tiere von allergrößter Bedeutung ist, kann also nicht geleugnet
werden. Die Ausgestaltung des Tierkörpers ist von den Protozoen
an fortgesetzt von dem Zwange beherrscht worden, geformte Nahrung
Verh. d. Dtsch. Zool. Ges. 1912. 4
50
zur Fristung des Lebens erwerben und verdauen zu müssen. Den-
noch kann die Möglichkeit nicht geleugnet werden, daß
eine Ernährung von Tieren auch allein durch in Lösung
befindliche Nährstoffe, ohne Verdauung, stattfindet. Viele
Endoparasiten führen den Beweis hierfür, und stets ist bei diesen —
Formen dann auch die Organisation des Körpers durch Rudimen-
tation oder gänzlichen Fortfall aller jetzt unnütz gewordenen Organe —
umgeändert. Jedoch auch bei freilebenden Formen scheint —
dieser einfachere Modus der Ernährung vorzukommen.
Über die chlorophyllosen Planktonpflanzen wurde bereits oben
gesprochen; da Aufnahme geformter Nahrung für sie nachgewiesen
sein soil, können sie nicht als beweisend gelten. Es ist aber dringend
eine genaue Nachprüfung nötig, da sie ihrer großen Zahl halber
eine bedeutende Rolle im Stofiwechsel der Hydrosphäre spielen.
Dann leben im Körper und in den Gallertmassen zahlreicher
Planktontiere, wie der Globigerinen, Radiolarien, vieler Coelenteraten
und einiger Turbellarien, kleine Algen mit gelben, grünen oder auch
rotbraunen Chromatophoren”. Dieselben kommen unter Umständen in |
enormer Zahl in einem Wirte vor und werden von demselben normaler-
weise nicht verdaut. Nach den zahlreichen Untersuchungen, die über
diese Symbiose vorliegen, geben die Algen an ihren Wirt sicher ihren
Sauerstoff ab, während sie selbst von ihm die Kohlensäure und
stickstoffhaltige Exkrete als Nahrung empfangen.. Es würde also
im allgemeinen der Gewinn, den die Tiere von den Algen haben,
recht gering sein und die Aufnahme und das Bedürfnis nach ge-
formter Nahrung in keiner Weise von dieser Symbiose betroffen
werden. Jedoch vermag Convoluta sicher ohne geformte von außen —
aufgenommene Nahrung zu leben), wenn sie reich mit solchen Algen
infiziert ist, und nach Branpr”) waren auch in älteren, mit gelben —
Algen reich durchsetzten Radiolarien keinerlei Reste anderer ge-
formter Nahrung nachweisbar. Endlich hat Pürrer 1911°* durch
Stoffwechseluntersuchungen an Actinien nachzuweisen gesucht, dab
der Wirt von der Alge auch gelöste organische Nährstoffe
erhält und von diesen unter Umständen seinen ganzen Stickstoii-
bedarf zu decken vermag. Wenn diese Resultate sich bestätigen,
so würde man selbstverständlich auch für andere mit Algen in
Symbiose lebende Tiere ein gleiches Verhältnis annehmen können.
Es ist jedoch sehr auffällig, daß die Coelenteraten und, wie RuumBLer®®
q
1) F. KEEBLE, Plant-Animals, Cambridge 1910. u
2) K. BRANDT, Die Kolonie bildenden Radiolarien, Fauna und Flora des
Golfs von Neapel, Monogr. 13, 1885. '
j
51
hervorhebt, auch die Globigerinen, selbst bei reicher Besiedelung mit
Algen, in unvermindertem Grade geformte Nahrung aufnehmen,
während man doch erwarten sollte, daß diese Ernihrungsweise nun
aufhören würde. Diese Verhältnisse bedürfen also noch immer
weiterer Prüfung.
Es kommt aber der zuletzt erwähnte Fall bei Planktonten eben-
falls vor. In der Flachsee bei Kiel tritt ein Mesodinium rubrum auf,
das in der Jugend farblos ist und wie andere Arten einen weiten
Mund besitzt, der auf einem Mundkegel sich öffnet (Fig. 2). Wachsen
LOS
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Figur 2.
Mesodinium rubrum Lohm. (nach dem Leben); links oben junges Tier mit Mundöffnung und
ohne symbiotische Algen (10—18 »); rechts oben Tier nach Einwanderung der Alge (Chr.)
und Schluß des Mundkegels (mdk.) (20 »); links unten die Alge im freilebenden Zustande;
reehts unten großes Tier mit zahlreichen Algen und mächtig ausgewachsenem Mundkegel
(30—50 u). — N. Kern, K, stark lichtbrechende Körper.
die Ciliaten aber heran, so treten zuerst in der Nähe des Kernes
‘am hinteren Pol der Zelle kleine rote Plättchen auf, die rasch an
Zahl zunehmen und sich der Innenfläche der Zellmembran anlegen;
sie stellen die Chromatophoren kleiner Algen dar (Erythromonas
_haltericola), von denen bis zu 100 in.einem Tiere leben können.
Während dieser Ansiedelung der Algen schließt sich nun der Mund
vollständig, der Mundkegel rundet sich ab und erreicht allmählich die
Größe des ganzen übrigen Körpers, so daß die ganze Gestalt des Meso-
diniums vollständig geändert wird, während die Cilien und Schweb-
und Springborsten unverändert erhalten bleiben und in früherer
Weise funktionieren. Das Tier kann dabei eine Größe von 50 u
erreichen. Hier hört also die Aufnahme geformter Nahrung
Ae
52
seitens des Wirtes auf, sobald die Symbiose beginnt; aber
es wird auch der zur Aufnahme derselben dienende Mund
rückgebildet. ee und Organisation stehen
in voller Harmonie.
Neuerdings hat Kzssrr bei Convoluta (1910) ') festgastell
daß die Turbellarien in der ersten Zeit ihrer Besiedelung mit
Algen zunächst auch die animale Ernährung beibehalten, später
aber völlig holophytisch leben, sich also ebenso wie Mesodinium —
rubrum verhalten. Zum Schluß zehrten sie in den Kulturen allerdings
ihre Algen auf und starben ab.
Pürrer®2 83,85 hat nun auf Grund vielfacher Versuche mit Wasser-
tieren der verschiedensten Klassen die Hypothese aufgestellt,
daß die Tiere nicht nur imstande sind, die gelösten
organischen Stoffe aufzunehmen und im Stoffwechsel zu
verwerten, die ihnen ihre Wirtstiere (bei Parasiten) oder
symbiotische Algen liefern, sondern daß sie auch die von
den frei im Wasser lebenden Algen an dieses abgegebenen
Stoffwechselprodukte resorbieren und als Energiequelle
im Stoffwechsel verwerten können. Ja, Purrer geht so weit,
daß er in seinen ersten Veröftentlichungen (1907) dieser bisher
gänzlich außer acht gelassenen Nahrungsquelle den bei weitem
wichtigsten Anteil am tierischen Stofiwechsel des Wassers zu-
schrieb. Die geformte Nahrung, die bis dahin als die einzige
Nahrungsquelle der Tiere angesehen war, sollte nur einen „sehr
geringen Teil des Stoffwechsels decken“. |
Er stützt seine Ansicht darauf, daß die geformte Nahrung,
welche den Tieren des Wassers zur Verfügung steht, völlig unzu-
reichend ist, um den Nahrungsbedarf zu decken. Die Berechtigung
dieser Behauptung wird später bei der Erörterung des Bevölkerungs-
problems untersucht werden; hier handelt es sich nur um die Frage,
ob die Gestaltung der Planktonorganismen irgendeinen Einfluß
einer solchen Notwendigkeit, große Mengen gelöster Nährstoffe auf-
zunehmen, erkennen läßt. Reichen die geformten Nährstoffe nicht
aus, so muß natürlich ungeformte Nahrung den Bedarf decken, und
und da können nach Porrer nur „lösliche Kohlenstoffverbindungen“
in Frage kommen, die im Meere in einer vielfach größeren Menge
vorhanden sind als die gleichzeitig vorhandene geformte Nahrung
“ enthält®). Diese Verbindungen leitet Pürrer, da bei dem geringen
u Ba ar EEE EEE
1) Plant-Animals, Cambridge Manuals Science and Literature, 1910.
2) PUTTER berechnet nach den Bestimmungen aus dem Christianiafjord (GRAN
und NATHANSOHN) und aus der Kieler Bucht (RABEn, LOHMANN), daß der
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AOE, Wie ills a Se a ST gy un St OE pe, An
58
Einfluß der Küste auf das Meer eine nennenswerte Zufuhr vom
Lande ausgeschlossen erscheint, von dem Stoffwechsel der Plank-
tonpflanzen ab. Sie müssen daher überall in der Produktionszone
. des Meeres vorhanden sein und durch die Zirkulation des Meer-
wassers und durch Diffusion auch in die Tiefsee verbreitet werden,
so daß allen Meerestieren diese ergiebige Nahrungsquelle zur Ver-
fügung stände.
Wie verhält es sich nun mit den Anpassungen der
Organisation an diese Ernährungsweise? In doppelter Hin-
sicht wären solche zu erwarten. Einmal könnten die resorbierenden
Oberflächen der Tiere besonders vergrößert werden; es scheint aber,
daß überall die das Atembedürfnis befriedigenden Flächen zugleich
auch den etwaigen Ansprüchen der Aufnahme gelöster Nahrung ge-
nügen; vor allem macht sich im Gegensatz zu den Planktonpflanzen
keine derartige Bevorzugung der Einzelligkeit geltend; vielmehr be-
sitzen die Protozoen trotz ihrer Kleinheit durchschnittlich eine nur
25—75 mal größere Individuenzahl als die Gewebstiere und die
letzteren übertreffen die Protozoen sowohl an Masse wie an Mannig-
faltigkeit der Organisation und Bedeutung im Stoffwechsel des
Meeres erheblich. Das ist aber umso bemerkenswerter, als die
dritte biologische Organismengruppe, die Bakterien, entsprechend
ihrer Ernährung durch gelöste Nährstoffe ebenfalls wie die Pflanzen
nur aus einzelligen und meist sehr kleinen Individuen gebildet wird.
Auf der andern Seite könnte eine Reduktion oder ein völliger
Schwund der Fangapparate und Verdauungsapparate eintreten, da
die Aufnahme geformter Nahrung ja ganz bedeutungslos sein soll.
Aber auch das ist merkwürdigerweise fast nirgends der Fall. Nur
dürfen wir nicht den Fehler begehen und die für den Stoffwechsel
bedeutungslosen Gallertgewebe als vollwertige lebendige Substanz
- betrachten. Tut man das letztere, dann erscheint natürlich der
Darm einer Salpe oder der Gastrovaskularapparat einer Meduse viel
zu winzig für den Riesenkörper; scheiden wir aber in Gedanken die
die Gallert durchsetzende Wassermasse aus, so verliert sich dies
Mißverhältnis zwischen Darmapparat und Körpermasse vollständig.
Porrer hat endlich versucht nachzuweisen, daß eine
Reihe von Tieren besondere Apparate besäße, um die
organisch gebundene Kohlenstoff im Meer 260mal und der organisch
gebundene Stickstoff 23mal die Menge der gleichen Stoffe, soweit
sieim Plankton einer gleichen Wassermasse enthalten sind, über-
treffen. Das ist also ein außerordentlich hoher Überschuß der im Wasser vor-
handenen, gelösten Verbindungen. (1909, p. 107.)
54
geformte Nahrung fernzuhalten®® und nur das Wasser
mit seinen gelösten Nährstoffen dem Körper zuzuführen.
Ein solcher Schutz- oder Abwehrapparat soll das Gehäuse der
Appendicularien sein, und er stellt es auf eine Stufe mit den
Tentakeln der Oktokorallen, die gleichfalls geformte Nahrung vom
Gastrovaskularaum der Kolonie fernhalten sollen. Diese Deutung ist
eine so irrige, daß es sich gar nicht lohnen würde, auf sie näher
einzugehen, wenn sie Pürter nicht in seiner vergleichenden Physi-
ologie°® wiederholt und sogar durch die Abbildung des Gehäuses ;
noch zu illustrieren versucht hatte.
In Wirklichkeit liegen die Verhältnisse folgendermaßen: Ohne
Pürser’s Schutzapparat sind die Oikopleuren überhaupt nicht imstande,
geformte Nahrung in irgend nennenswerter Menge aufzunehmen;
das verhindert die Kleinheit ihrer Kiemenhöhle, die Geringfügigkeit
des Atemstromes, die Kleinheit der Endostyldrüse und die enge
Mundspalte. Natürlich würde das Atemwasser auch geformte Partikel
mit sich führen; dies würden aber nur kleinste Formen sein können
und stets nur so wenige, daß von einer Füllung des Darmes gar
keine Rede sein könnte. Es ist also ohne weiteres klar, daß ein
besonderer Schutzapparat überhaupt gar keinen Zweck haben kann, |
er wäre vollständig unnötig! Kame es darauf an, Plankton oder
Detritus von den Appendicularien fernzuhalten, so hätte die Natur
zunächst allen Appendicularien den Fangapparat nehmen und
ihnen nur einfache Schwebapparate, wie sie viele Fritillarien in
ihrem breiten, gallertigen Rumpfe und ihrer breiten Schwanzflosse —
besitzen, geben müssen. Wenn man Fritillaria gracilis den
Fangapparat fortnähme, sohätte man ein solches Pürrer-
sches Appendicularien-Ideal. Da nun aber der Fangapparat
das wesentliche Charakteristikum aller Appendicularien ist, durch
dessen Dasein der Bau dieser Klasse bis ins einzelnste hinein ©
bestimmt und beherrscht wird, so würde damit das Dasein dieser
wichtigen Gruppe von Planktontieren als völlig unerklärlich nach-
gewiesen sein. 4
Ein Schutzapparat gegen geformte Nahrung ist der Fang-
apparat der Appendicularien also unter keinen Umständen. Dieser
Deutungsversuch Pürrer’s ist völlig verfehlt. Was leistet er nun
aber den Copelaten für einen notwendigen und so über alle Maßen
bedeutungsvollen Dienst, daß die ganze Körperbildung der Klasse
und die Sonderung der Familien, Gattungen und selbst Arten ganz
und gar von seiner Ausbildung hat beherrscht werden können?
Dieser Dienst ist kein anderer, als daß der Fangapparat die Tiere
IY GG TEN
55
in den Stand setzt, eine vielfach größere Wassermasse, als sie der
kleine Kiemenkorb bewältigen kann, mit Hilfe ihres mächtig ent-
wickelten und zu diesem Zwecke vom Rumpfe abgeknickten und
um 90° gegen die Medianebene gedrehten Schwanzes durch eine
kutikulare, außerhalb des Körpers gelegene Reuse zu treiben und
die in diesem Wasser enthaltene und ihrer Mundöffnung der Größe
nach zugängige geformte Nahrung dem Verdauungsapparat zuzuführen.
Der Eingang zur Reuse hat bei Otikopleura albicans eine etwa
30mal größere Öffnung als der Mund dieser Art, und da das
Wasser unter Druck durch die Reuse getrieben wird, wird der
sie durchsetzende Strom den nur durch Cilien getriebenen Atem-
strom gewaltig an Umfang übertreffen. Bei anderen Arten aber
ist das Übergewicht des Reusenstromes über den Atemstrom noch
viel größer. Es sammeln sich daher, sobald der Schwanz den
Filtrationsstrom in Bewegung setzt, rasch die geformten Bestand-
teile des Wassers in der Reuse und vor allem vor dem Eintritt
in die Reuse an, so daß der unmittelbar vor dem Munde des Tieres
gelegene unpaare Abschnitt des Fangapparates immer dichter und
dichter mit Nannoplankton sich füllt. Durch das Mundrohr des
Fangapparates schlürft das Tier von Zeit zu Zeit diesen konzen-
trierten Fang auf, so daß sich der Magen und Darm schnell mit
ihm füllt. Der Fangapparat allein setzt die Appendicularie also
in den Stand, die für sie geeignete geformte Nahrung in aus-
reichender Menge schneli und sicher dem Wasser zu entziehen und
dem Verdauungsapparat zuzuführen. Dieselbe Arbeit, die bei den
übrigen Tunicaten die Rumpfmuskulatur, der kolossal erweiterte
Kiemenkorb und der mächtig entwickelte Endostyl besorgen, leisten
bei den Copelaten Schwanz und Fangapparat. Es muß also die
Gewinnung dieser geformten Nahrung, mag sie nun den Gesamt-
stoffwechsel decken oder nicht, unter allen Umständen von ent-
scheidender Bedeutung für die Copelaten sein. Daß in
den Reusengängen Fangmasse liegen bleibt, die vom Tiere nicht
abgeschlürft werden kann und bei reichem Gehalt des Wassers an
Plankton oder Detritus sogar zur Verstopfung der Reuse führen
kann, ist eine notwendige Folge der Mechanik des Filtrations-
vorganges, die auch bei den Filtrationsapparaten der Menschen
keineswegs immer zu vermeiden ist; ebenso ist es unvermeidlich,
daß ein großer Teil auch des noch brauchbaren Fanges verloren
geht, wenn das Tier bei plötzlicher Gefahr den Fangapparat im
Stich lassen muß. Diese Fehlerquellen ändern an der Bedeutung
des Fangapparates selbstverständlich nicht das geringste.
56
Lehrreich ist auch ein Vergleich der Appendicularien }
und Bartenwale, wenn er nicht in der falschen Weise Pürrer’s
durchgeführt wird. Berechnet man nämlich den Raum, den. der —
Reusenapparat (also nur 1/. des ganzen Fangapparates!) von
Oikopleura albicans einnimmt, so ist derselbe 1!/,mal größer als
das Volumen des ganzen Tieres (Rumpf und Schwanz) und 45mal
größer als der Inhalt der Kiemenhöhle Bei Dalaena mysticetus
dagegen würde die Mundhöhle allerhöchstens 4, des Körper-
volumens ausmachen. Bei den Bartenwalen ist der Verdauungs-
apparat nach Pürter stets mit dem Filterrückstand erfüllt; genau —
dasselbe ist bei den Appendicularien der Fall. Ja es sind hier —
sogar bei den gehäusebildenden Arten Vorkehrungen am Darm ge- —
troffen, um die Menge des Kotes, die er fassen kann, möglichst zu
steigern, weil diese Kotmassen im Gehäuse hinderlich sind. So ist -
bei Appendicularıa der Enddarm zu einem kolossalen Sacke er- —
weitert, der in gefülltem Zustande 50 Fäkalballen zu fassen ver-
mag und fast die Hälfte des ganzen Rumpfes einnimmt. Einen
leeren Darm findet man nur bei solchen Individuen, die zurzeit
keinen funktionsfähigen Fangapparat besitzen, und Experimente mit
Karminpulver zeigen, daß bei ihnen auch die Endostyldrüse keinen
Schleim sezerniert. Man wird daher annehmen müssen, daß während
der Neubildung von Gehäuse- und Fangapparat-Substanz durch das
Oikoplastenepithel die Endostyldrüse ruht und umgekehrt während
der Schleimabsonderung die Tätigkeit der Oikoplasten stille steht.
So kommen wir also zu dem Ergebnis, daß für die
Gestaltung der Planktontiere ausschließlich das Bedürfnis
nach geformter Nahrung maßgebend gewesen ist und ge-
radezu einen beherrschenden Einfluß auf die Ausbildung
des Körpers ausgeübt hat, sich dagegen nur in ganz
wenigen Fällen eine spezielle Anpassung an die Auf-
nahme gelöster Nährstoffe nachweisen läßt, die für die
allgemeine Organisation der Planktontiere völlig be-
deutungslos sind. Umgekehrt zeigt sich der Bau der
Planktonpflanzen, neben seiner Anpassung an die Ver-
wertung des Sonnenlichtes, beherrscht von der Not-
wendigkeit der Aufnahme gelöster Nährstoffe.
Zum Schluß noch einige Bemerkungen über die auf Stammes-
erhaltung zielenden Anpassungen der Plantonorganismen, die
gleichfalls erst in sehr geringem Umfange unter diesem biologischen
Gesichtspunkte erforscht sind. Solange keine Variation oder
Artenumbildung erfordert wird, handelt es sich hierbei ledig- 1
\\
57
lich um die Produktion einer hinreichenden Nachkommenschaft und die
möglichste Herabminderung der dieselbe während ihrer Entwicklung
treffenden Vernichtung. Hierauf soll nicht weiter eingegangen
werden; ich will nur hinweisen auf die von Gran?? und Karsten?
beschriebenen Ruhestadien der Hochseediatomeen, die den Dauer-
sporen der Küstenformen biologisch vergleichbar als „Schwebe-
sporen“ in die Tiefe sinken, und auf die von Cuun bei den
Ctenophoren entdeckte Dissogonie ?’, durch welche diesen Tieren eine
enorme Steigerung der Produktion während der warmen Jahreszeit
ermöglicht wird.
Das Vermögen, in Varietäten- und Artbildung ein-
zutreten, wenn die Erhaltung der Stammesfolge es er-
fordert, ist in den verschiedenen Gruppen der Plankton-
organismen ebenso verschieden wie in anderen Lebensgemein-
schaften; das zeigt der Grad der individuellen Variabilität.
Neben Formen, die sehr stark variieren, wie den Radiolarien,
Tintinnen und Rotatorien, finden sich wieder andere, bei denen eine
geradezu staunenswerte Konstanz aller Charaktere herrscht, wie die
Appendicularien. Im allgemeinen erhält man aber den Eindruck, daß
das Maß der Variation erheblich geringer ist als bei den bentho-
nischen Organismen des Wassers und der Luft, wie das auch der
Gleichförmigkeit der Existenzbedingungen entsprechen würde. Dieser
Eindruck wird noch dadurch verstärkt, daß ein sehr großer Teil der-
jenigen Variationserscheinungen, die man früher als fluktuierend ausah,
sich seit Wesengere-Lunp’s100 hervorragenden Untersuchungen als
eine Form bestimmt gerichteter Variationen herausgestellt
hat, die man seitdem als Temporalvariationen zusammenfaßt,
obwohl es bisher nicht gelungen ist, sie auf eine einheitliche
Ursache zurückzuführen. Im Süßwasser sind sie bei Diatomeen,
Peridineen, Rotatorien und Cladoceren außerordentlich verbreitet
und äußern sich darin, daß zu bestimmter Jahreszeit die Gestalt
der einander folgenden Generationen sich ändert, indem sie größer,
länger oder aber breiter werden und bestimmte Körper- und
Skelettfortsätze sich verlängern oder verkürzen. Wusrnserc-Lunp
sah in dieser Gestaltänderung eine Anpassung des Planktonorganismus
an die mit der Temperatur sich ändernde Tragfähigkeit des Wassers,
Wourereck 102 wies jedoch nach, daß sie bei Cladoceren von der
Ernährung abhängig ist, und Dirrrensach?% zeigte dasselbe für
Rotatorien. Dazu kommt ein großer Wechsel im Ablauf der
Variation und ihrer Stärke nach den verschiedenen Wasserbecken,
so daß die Bedingungen, von denen ihr Auftreten abhängt, ent-
58
schieden viel verwickelter sind, als man angenommen hat. Im
Meer kommen sie gleichfalls vor und sind vielleicht auch hier
allgemein verbreitet. Sicher nachgewiesen sind sie aber bis jetzt
nur für das Ceratium trıpos der westlichen Ostsee. Da es dringend
erwünscht ist, auf solche bestimmt gerichtete Variationen |
im Meeresplankton genau zu achten und sie möglichst scharf von
den Erscheinungen der fluktuierenden Variation und des
Figur 3.
Ceratium tripos balticum Schütt. (nach Lohmann und Apstein): 1a typische Form; 1b—1d
Temporalvariation mit langen Hinterhörnern (f. pendula); 2a—d Bildung der f. lineata,
2a durch Knospung (Apstein), 26 durch Teilung der von 1a durch Teilung gebildeten f. truncata;
3a—d Bildung der f. lata, 3a durch Knospung (Apstein), 3b durch Teilung direkt von 1a. —
n Kern, um die verschiedene Größe bei f. typica und pendula (1a), truncata (2b), lineata (2c) —
und lata (3d) zu zeigen. — Alle Figuren sind bei gleicher Vergrößerung mit dem Zeichen- —
apparat gezeichnet.
mit der Fortpflanzung verknüpften Polymorphismus zu
unterscheiden, stelle ich die hier von Arsrzm? und mir®! unter-
schiedenen Formen von Ceratiwm tripos balticum zusammen: es sind —
drei Reihen von Nebenformen, die vom Typus (1°) aus zur Ent-
wicklung kommen. Als Temporalvariation kann von ihnen aber
nur die Reihe 14-4 bezeichnet werden, deren Rumpf dem Typus
an Größe und Form gleicht, deren Hörner aber bedeutend ver-
längert und eigenartig gebogen sind. Sie ist im Dezember und
,
59
Januar am zahlreichsten, fehlt im Juli und August, und ist in den
übrigen Monaten selten. Wie bei den Temporalvariationen anderer
Planktonten handelt es sich hier um eine stärkere Entwicklung
der Körperanhänge, die zu bestimmter Jahreszeit beginnt, im
Winter ihr Maximum erreicht und dann wieder zurückgeht. Zur
Zeit des, Maximums ist sie doppelt so zahlreich wie die typische
Form, die im August kulminiert, wenn die Temporalvariation (forma
pendula) geschwunden ist. Mit der Tragfähigkeit des Wassers
kann ihr Auftreten nicht in Beziehung gebracht werden, da diese
gerade im Winter am höchsten ist (86—96 gegenüber 64—65 im
Sommer). Dagegen haben die beiden anderen Reihen nichts mit Tem-
poralvariation zu tun, sondern sind lediglich Polymorphismen, die
mit der Vermehrung im Zusammenhang stehen; sie sind von
vornherein dadurch charakterisiert, daß die aberranten Formen
kleiner als der Typus und die Hörner ganz kurz sind.
Entweder entstehen sie als kleine Knospen an der ungeteilt
bleibenden Mutterzelle (2®, 3"), und dann kann in kürzester Zeit eine
groBe Zahl neuer Zwergformen gebildet werden, oder aber es erfolgt
eine gewöhnliche Teilung, bei der aber das sich neu bildende
Hinterende in ganz abweichender Weise sich gestaltet, so daß keine
homomorphen, sondern heteromorphe Ketten entstehen. Das
Entscheidende aber ist, daß hierbei stets zwei verschiedene Form-
reihen auftreten (2?—4 und 32-4), die sich nach Panzerstruktur, Größe
und Gestalt von Rumpf und Hörnern und durch die Größe des
Kernes scharf unterscheiden (forma lata 34, forma lineata 2°).
Beide Reihen .treten gleichzeitig im Hochsommer und Herbst
(August bis November) auf, wenn die typische Form kulminiert.
Eine Rückkehr dieser kleinen furca-ähnlichen Formen zu
dem Typus erfolgt nicht; es spricht alles dafür, daß eine
Konjugation von f. lineata und lata erfolgt; dieselbe ist aber noch
nicht beobachtet. Zwischen den Typus und die forma lineata
schiebt sich noch ein Stadium mit kurzen, normal gerichteten, aber
glatt abgeschnittenen Hinterhörnern ein, wodurch der Unterschied
beider Reihen noch weiter gesteigert wird. Auch auf der Hochsee
und auch bei anderen Ceratiwm-Arten®® sind heteromorphe Ketten
beobachtet, so daß analoge Erscheinungen wahrscheinlich bei vielen
Ceratien, wenn nicht gar bei allen Spezies vorkommen; es ist aber
bei keiner anderen Art bisher gelungen, Temporalvariationen
und Fortpflanzungspolymorphismus von einander zu trennen,
was selbstverständlich nötig ist, wenn man Klarheit über den
Formenreichtum einer einzelnen Art erreichen will.
60
Durch Kasstev’s?? Bearbeitung der Protophyten des Valdivia-
Planktons ist uns eine zweite Form bestimmt gerichteter
Variation bei Peridineen und Diatomeen bekannt geworden, die
man der Temporalvariation gegenüber als Localvariation wird
bezeichnen können. Sie besteht in charakteristischen Unterschieden
gewisser Planktonpflanzen des Indischen Ozeans von den gleichen
Pflanzenarten des Ostatlantischen Ozeans, indem die ersteren ganz all-
gemein ihre Schwebapparate weit stärker entwickeln als die letzteren.
Beistehende Figur zeigt drei Ceratiwm-Formen; die drei mit a be-
Figur 4.
Drei Ceratium-Formen aus dem Indischen und Ostatlantischen Ozeanbecken
(nach Karsten). Mit a sind die ostatlantischen, mit 5 die indischen Exemplare bezeichnet.
1a—b Ceratium reticulatum Pouchet, var. contorta Gourret, 2a—b Ceratium palmutwm Schröder;
3 a—b Ceratium reticulatum Pouchet, var. spiralis Kofoid. — 1 und 3 125><, 2 250>< vergrößert.
zeichneten Exemplare wurden im Atlantischen, die mit b bezeichneten
im Indischen Ozean gefunden. Karsten sieht die Ursache in dem
bestimmenden Einfluß der geringeren Wasserdichte des Indischen
Tropenwassers (1,021—1,022 gegenüber 1,023) und der größeren
Konstanz der Lebensbedingungen im letzteren, die die Schwebgürtel —
der Planktoniella und die Schwebhörner der Ceratien von Generation
zu Generation in gleicher Richtung sich weiter ausbilden läßt,
während unter dem häufigen Dichtigkeitswechsel des ostatlantischen
Wassers diese Stetigkeit fehlt.
Endlich hat Hacker?” bei Radiolarien ganz ähnliche Unter-
schiede innerhalb einer Art bei den Individuen der oberen und
tieferen Wasserschichten nachgewiesen, indem die Bewohner
der kalten Tiefen ein schwereres Skelett mit weniger entwickelten
61
Schwebfortsätzen besaßen als die Oberflächenbewohner (z. B. Challen-
geron willemoesit).
Solche bestimmt gerichteten, zeitlich, geographisch
oder vertikal gebundenen Variationen werden sich bei
genauerem Studium wahrscheinlich in allen gestaltenreichen Gruppen
von Planktonorganismen in großer Zahl nachweisen lassen und nicht
nur auf die Schwebeanpassungen beschränkt sein. Ihre Unter-
suchung ist sehr wichtig, um leitende Gesichtspunkte in die Durch-
arbeitung der erstaunlichen Formenmannigfaltigkeit der Planktonten
zu bringen.
Die Artenbildung steht bei den Planktonten unter ganz
eigenartigen Bedingungen, so daß es von vornherein als eine der
lohnendsten Aufgaben erscheinen muß, ihr im einzelnen nachzu-
gehen. Nirgends sonst leben Organismen unter so einförmigen
Existenzbedingungen wie sie auf hoher See, vor allem in den
Tropen, gegeben sind; in horizontaler Richtung sind Belichtung,
Temperatur, Salzgehalt, Gehalt an Gasen und gelösten Stoffen auf
außerordentlich weite Strecken hin völlig gleich und nur in verti-
kaler Richtung tritt eine schnelle Änderung ein, die indessen wieder
überall in gleicher Richtung und gleicher Stärke erfolgt. In den
größeren Tiefen ist aber auch dieser Wechsel sehr gering und die
planktonische Tiefsee bietet nahezu von Pol zu Pol in allen
Ozeanen die gleichen Existenzbedingungen. Dennoch bringt jeder
Netzzug aus den Tropen eine solche Fülle verschiedener Pflanzen-
und Tierarten, daß ihre restlose systematische Durcharbeitung eine
äußerst mühevolle und langdauernde Arbeit sein würde Als die
Fänge der Planktonexpedition statistisch verarbeitet wurden,
ergaben sich nicht weniger als 800 verschiedene Formgruppen,
die bei den Zählungen unterschieden waren, und im Tropengebiet
kamen auf einen einzigen Fang aus 200—0 m Tiefe 300 solche
Gruppen? Diese Gruppen entsprachen naturgemäß nur in den
seltensten Fällen, z. B. bei einigen Copepoden und Peridineen,
einzelnen Arten, sondern umfaßten meist ganze Gattungen, Familien
und selbst Ordnungen. Wie hat sich diese erstaunliche Mannig-
faltigkeit an Formen bilden können, obwohl die äußeren Existenz-
bedingungen, unter denen sie leben, von einer so erdrückenden
Einförmigkeit sind? Diese Frage ist um so berechtigter, als diese
Lebensbedingungen bereits seit langen geologischen Zeiträumen sich
unverändert erhalten haben und speziell für die warmen Meeres-
gebiete wahrscheinlich bis in die ältesten Zeiten des Meereslebens
hinein überhaupt nicht wesentliche Änderungen erlitten haben.
62
Eine räumliche Isolierung ist, von den beiden Polargebieten ab-
gesehen, nur in ganz beschränktem Umfange möglich. So ist das —
Indo-pazifische Warmwassergebiet von dem Atlantischen Warm-
wassergebiet durch kalte Ströme an den Südspitzen der sie
- trennenden Kontinente geschieden. Es ist also von vornherein aus-
geschlossen, die Mannigfaltigkeit durch Isolierung und durch An- °
passung an verschiedene Existenzbedingungen zu erklären, und damit
tritt die Bedeutung der in den Organismen selbst liegenden Faktoren
der Formbildung hier ganz besonders in den Vordergrund.
Dadurch bekommt aber das natürliche System der Plank-
tonorganismen ein ganz besonderes Interesse, indem es möglich
sein muß, hier reiner als bei irgendwelchen andern Lebewesen aus
demselben abzulesen, welche Bedürfnisse ausschlaggebende
Bedeutung für aie Herausbildung der verschiedenen Grup-
pen gehabt haben. Deshalb würde eine Bearbeitung, wie sie
Raumster°® für die gesamten Foraminiferen durchgeführt hat, sich
ganz besonders für die Planktonten empfehlen. Statt ganz abstrakt
die Verwandtschaftsverhältnisse der Arten einer Familie oder Klasse
festzustellen, untersucht Reunmgter, welche Bedeutung für das Leben
der betreffenden Organismen die Änderungen haben müssen, durch
welche die Arten sich auseinander entwickelt haben und findet, daß
bei den Foraminiferen eine Festigkeitsauslese die ganze Stammes-
entwicklung beherrscht. Für einen großen Teil der Radiolarien
scheint nach Harcker’s?’ Arbeiten das gleiche der Fall zu sein, —
während bei den Appendicularien der Nahrungserwerb ausschlag-
sebende Bedeutung gehabt hat. Durch eine derartige Behandlung
gewinnt die Systematik ein ganz anderes Leben, weil sie uns nun
lehren kann, in welcher Weise die Lebensmaschine während der
Stammesentwicklung umgeändert wurde und welchen Effekt ©
diese Änderung auf die Leistung der Maschine und in-
folgedessen auf das Leben des Organismus hatte Die
Arten aber erscheinen dann als Ausdruck der verschiedenen
technischen Möglichkeiten, die dem Leben innerhalb jeder ein-
zelnen Gruppe bis jetzt zur Verfügung standen, um unter den ein-
förmigen Existenzbedingungen sich möglichst fest zu behaupten.
Bei einer solchen biologischen Betrachtung der systematischen
Gruppen fällt nun sofort in die Augen, daß diejenigen Arten,
welche die größte Volksstärke besitzen, in vielen Fällen
ihrem Baue nach zu den einfachsten Formen gehören,
während die morphologisch am meisten differenzierten
Arten einen ganz geringen Volksbestand haben. So bildeten
63
Oithona und Oncaea während der Plankton-Expedition über 62%),
aller Copepoden im Fahrtgebiet‘? und unter den Coccolithopho-
riden®* kamen während der Fahrt der Deutschland auf die eine
Art: Pontosphaera husxleyw nicht weniger als 71°/, aller Indi-
viduen, während die 29 anderen Arten sich auf die übrigen
29®/, verteilten. Nun besitzt P. huxleyı einen ganz primitiven
Schalenbau ohne irgendwelche speziellen Schwebanpassungen,
während die im Bau der Schale am weitesten differenzierten und
mit besonderen Schwebfortsätzen versehenen Arten nicht mehr als
4°/, der Volksmenge bildeten! Desgleichen ist die im ganzen Warm-
wassergebiet dominierende Appendicularie: Orkopleura longicauda
die primitivste Oikopleuraart, die wir kennen. Ks müssen also
diese einfach gebauten, volksstarken Arten Vorteile über die anderen
Arten ihrer Gruppe haben, welche sie der Ausbildung aller kompli-
zierteren Anpassungen vollständig überheben, während jene volks-
armen, aber hoch differenzierten Arten solcher Bildungen bedürfen,
um sich überhaupt nur existenzfähig zu halten. Am nächsten liegt
es, die Ursache solcher Unterschiede in der Vermehrungsstärke der
dominierenden Arten zu suchen, doch wissen wir vorläufig nichts
darüber.
Ganz abgesehen von den Beziehungen zwischen Organisation
und Volkszahl ist aber auch schon die so häufig bei den Plank-
tonten wiederkehrende Erscheinung der absoluten Prä-
ponderanz einer einzelnen oder ganz weniger Arten über
zahlreiche andre Arten einer natürlichen Gruppe sehr be-
merkenswert. Hensen hat zuerst nachdrücklich hierauf hingewiesen
(Das Leben im Ozean, S. 377—378) und auch eine Erklärung dafür zu
geben versucht. Er stellt sich vor, daß bei dem hohen Alter des
Planktons im Ozean alle Arten, die überhaupt Existenzmöglichkeit
haben, innerhalb der Gruppen der Planktonten bereits gebildet seien
und somit keine wirklich neuen konkurrenzfähigen Arten mehr ent-
stehen könnten. Die jetzt herrschenden Arten hätten somit
sich definitiv ihre Herrschaft in vergangenen Zeiten in
der Konkurrenz gegen ausgestorbene Arten erobert. Aber
es wäre damit natürlich nicht die Entstehung von Arten überhaupt
erloschen; vielmehr wiederholten sich unter bestimmten äußeren Ver-
hältnissen oder aus inneren Ursachen wie bei den Mutationen Art-
bildungen aus der Vorzeit, die sich dann kürzere oder längere Zeit
hielten und wieder schwänden. Solchen Formen würden die volks-
armen Arten der Gegenwart entsprechen können. Doch gibt Hensen
diese Hypothese mit allem nötigen Vorbehalt.
64
Eine letzte Erscheinung, auf die noch hingewiesen werden soll, ist
die Größenzunahme so vieler Formen (z. B. Globigerinen, Radio- _
larien, Siphonophoren, Sagitten, Ostracoden, Copepoden und Cope-
laten) mit der Tiefe, von der Fig. 5 zwei gute Beispiele gibt,
Haxcker ?” bringt diesen auffälligen Unterschied mit der verschiedenen: h
Dichte des Wassers in den oberflächlichen und tiefen Schichten in —
94
Figur 5.
Vier Challengeria-Arten, um den Größenunterschied der Oberflachen- und
Tiefenformen zu zeigen (nach Haecker): 1a Ch. xiphodon (0—200 m, 136 p. lang) und a
1b Ch. naresii (900—2700 m, 856 p lang); 2a Ch. tridens (Oberflächenform) und 2b Ch. |
thomsoni (Tiefenform).
Zusammenhang. Es ist aber zu bedenken, daß noch verschiedene —
andere Faktoren in Betracht kommen können. So fand Pororr —
nach Ruumsrter’s88 Angabe, daß Stylonychia mytilus in Kulturen bei —
25° Wärme nur 289 cy groß wurde, bei einer Temperatur von
17—19°C aber schon eine Masse von 532 cu erreichte und bei
nur 10°C auf 706 cy anwuchs. Ihr Volumen war also bei einer
Erniedrigung der Temperatur um 15° auf mehr als das Doppelte
65
gewachsen. Die mit der Tiefe abnehmende Temperatur allein
würde mithin bereits eine Zunahme der Größe bedingen können, um
so mehr als sie gleichzeitig, wie Ruumguer bemerkt, die generativen
Prozesse verlangsamt. Auch zeigt sich ein ähnlicher Unterschied
zwischen den Bewohnern polarer Gewässer und tropischer Meeres-
gebiete. Für die Tiere der nahrungsarmen Tiefen könnte endlich
auch die bedeutendere Größenentwicklung eine notwendige Forderung
des Nahrungserwerbes sein, indem nur solche Formen, die ein relativ
großes Gebiet ausnutzen können, imstande sind, sich hier zu ernähren.
Man müßte dann annehmen, daß die Jugendformen in den nahrungs-
reichen oberen Schichten lebten, und erst später in die Tiefe hinab-
gingen.
Um die großen und bedauernswerten Lücken zu be-
seitigen, die in der Erforschung des Gestaltungsproblems
sich noch finden und ein Verständnis des biologischen Ge-
schehens in der Hydrosphäre hemmen, erscheint es vor
allem wünschenswert, dab weit mehr als bisher bei den
Arbeiten über Planktonformen das Leben der Organismen
inihrernatürlichen Umgebungundin Gefangenschaftdurch
Beobachtung, Experiment und Kulturen erforscht wird.
Arsen & Netsont haben gezeigt, dab auch Planktonpflanzen des Meeres
der Kultur erfolgreich unterworfen werden können, und wenn es
Cuun 1886 gelang2°, die zarten Ctenophorenlarven 4—5 Wochen
am Leben zu erhalten, und sogar auch ihre ganze postembryonale
Entwicklung im Aquarium durchlaufen zu lassen, so müssen wir
mit unseren jetzt weit vollkommeneren Hülfsmitteln viel weiter
kommen und auch bei anderen marinen Planktontieren Züchtungs-
und Kulturerfolge gewinnen können. Vor allem aber ist bei den
Expeditionen auf dem Ozean ganz besonderer Wert auf die Be-
obachtung lebender makroskopischer und mikroskopischer Plank-
tonten zu legen; das Sammeln konservierter Fänge muß notwendig
eingeschränkt oder Nichtforschern anvertraut werden; dann wird
sich auch von selbst ergeben, daß das Schiff nicht von Station zu
Station eilt, sondern daß je nach dem Ergebnis der Beobachtungen
in einem Meeresgebiete längere Zeit, eventuell 8 Tage und länger
Halt gemacht und intensiv biologisch gearbeitet wird. Es wird
dann auch bei der Bearbeitung der Planktonorganismen das Ge-
staltungsproblem in seiner biologischen Bedeutung voll gewürdigt
werden und, wie es bereits jetzt bei der Besprechung der morpho-
logischen und entwicklungsgeschichtlichen Ergebnisse stets zu ge-
schehen pflegt, auch diese biologische Seite der Forschung in zu-
Verh. d. Dtsch. Zool. Ges. 1912. 5
66
sammenhängender und möglichst erschöpfender Weise berücksichtigt
werden. Es handelt sich hier nicht um eine Herabsetzung
der Bedeutung der übrigen Zweige der botanischen und
zoologischen Wissenschaft, sondern vielmehr um eine
wesentliche Erhéhung ihres Wertes durch eine innige Ver-
knüpfung mit dem lebendigen Organismus und seinen
Lebensansprüchen.
III. Das Bevölkerungsproblem.
Wenn wir die Art und Weise betrachten, wie die Planktonten
das freie Wasser bevölkern, so kommen vor allem drei Gesichts-.
punkte in Betracht. Einmal können wir prüfen, wie weit eine jede
Art oder Organismengruppe in demselben verbreitet ist, dann 4
aber, in welcher Volksstärke sie innerhalb dieses Verbreitungs-
gebietes auftritt und endlich wie die Zusammensetzung des
Gesamtplanktons nach Zeit und Raum sich gestaltet. In allen
drei Fällen handelt es sich zunächst um eine einfache Feststellung
von Tatsachen; wir werden aber erst dann von einem wissenschaft-
lichen Erfolge unserer Untersuchungen sprechen können, wenn es
uns gelingt, Gesetzmäßigkeiten in diesen Tatsachen nachzuweisen,
und das Ziel muß sein, noch hierüber hinaus ein Verstehen dieser
gesetzmäßigen Erscheinungen zu erreichen. Wir würden also —
1. die Verbreitung der Planktonten, 2. den Wechsel ihre
Bevölkerungsdichte und 3. die Struktur des Planktons als —
Lebensgemeinschaft zu untersuchen haben.
1. Im großen und ganzen ist die Verbreitung der Plank-
tonten im Meere sehr einfach, viel einfacher als die Verbreitung
der Bodentiere und vor allem der Landorganismen.
Über die allgemeinen Grundzüge der Verbreitung der
Planktonorganismen des Meeres sind wir daher dank den
ausgezeichneten Arbeiten der großen Expeditionen und —
zahlreicher Forscher gegenwärtig einigermaßen unter-
richtet. Nur wenige große Planktontypen lassen sich unter-
scheiden, es sind im ganzen 6, von denen je 2 als Gegensätze zu- —
sammengehören:
1. das Plankton der Flachsee und der Hochsee,
2. das Plankton der produktiven oberen und der un-
produktiven tieferen Wasserschichten,
3. das Plankton des warmen und des kalten Wassers.
Alle diese Gebiete haben ihre charakteristische
Planktonwelt und im allgemeinen fällt es keineswegs.
aa
67
schwer, im einzelnen Falle genau die Grenze zu be-
zeichnen, wo das Küstenplankton dem der Hochsee
weicht, das Warmwasserplankton aufhört und das des
kalten Wassers beginnt, und wo das eigentliche Tiefsee-
plankton auftritt. Zum großen Teil hängt das deutlich mit
bestimmten hydrographischen Verhältnissen zusammen. So hat
schon Srunper?” bemerkt, daß das tropische Plankton an eine
Mindesttemperatur von 20° C gebunden erscheint; die Plankton-
expedition konnte das nur bestätigen und auch auf der Reise der
Deutschland fiel der Wechsel im Plankton auf der Nord- wie auf
der Südhemisphäre mit dieser Temperaturgrenze zusammen. Das
betrifft aber nur den Gesamtcharakter des Planktons; sobald man
die Verbreitung einzelner Familien oder Arten untersucht, ändert
sich das Bild vollständig und man findet Warmwasserarten bis
weit in die polaren Gebiete hinein, nördlich von Spitzbergen und
am südlichen Polarkreise im besten Ernährungszustande und mit
gut entwickelten Keimdrüsen bei Wassertemperaturen, die nur
wenige Grad über dem Gefrierpunkte oder sogar mehr als 1°
unter demselben liegen. Ganz das gleiche gilt von der Abgrenzung
des Küstenplanktons und des Planktons der Hochsee; auf den
Bermuden fand die Planktonexpedition auf kleinstem Raume beide
Typen scharf getrennt: im Hafen von Georgstown ein ausge-
sprochenes Küstenplankton, außerhalb desselben das reine tropische
- Hochseeplankton. Vor dem westlichen Ausgange des Englischen
Kanals aber gehen die Küstendiatomeen zu bestimmten Jahres-
zeiten weit auf die Hochsee hinaus und Hensen vermochte4? den
Einfluß des Amazonen- und Tocantinstromes durch das Vorkommen
der litoralen Biddulphia mobiliensis bis in die Gegend der Azoren
wahrscheinlich zu machen!). Endlich liegt im allgemeinen die
1) Die Zahlen sind sehr interessant, ich gebe sie daher hier wieder; sie
gelten für eine Meeresfläche von etwa 0,1 qm. Eine Berechnung der Dichte
ist leider unmöglich, da die vertikale Verbreitung nicht festgestellt wurde und
diese Diatomeen wohl nur in den ganz oberflächlichen Wasserschichten geschwebt
haben werden. Beigefügt habe ich die Länge der Entfernung vom Tocantin in
_ der Fahrtlinie des Schiffes. Alle Zahlen sind abgerundet:
Datum 1889 | 24. IX, | EX: 9x. WX 2 XS G6. XS: X.|LO EX.
| |
Individuenzahl i. ;
OM obi. 3 100 000 | 120 000 | 2700 | 1700 | 500 | 250 | 200 | 100 | 90
Länge der Weg-
strecke vom To-
cantin ab, inkm = RR 5) 200 | 1000 | 1400 | 1800 | 2800 | 3500 | 4200
-
5*
68
obere Grenze des typischen Tiefsee-Planktons mit seinen tief roten
Crustaceen und schwarzen Fischen zwischen 300 und 500 m, in
Gebieten starker vertikaler Wassermischung findet man aber diese
Formen in weit höheren Schichten und selbst unmittelbar an der —
Oberfläche.
Doch beteiligen sich an diesem Vordringen über die
normalen Grenzen des eigentlichen Wohngebietes hinaus
stets nur bestimmte Formen, die eben widerstandsfähiger
sind als ihre Wohngenossen, so dab sich geradezu eine Stufen-
folge von Arten jeder Planktongemeinschaft aufstellen läßt, die mit
empfindlichsten Arten beginnt und mit den widerstandsfähigsten
Arten endet. So sind von den etwa 40 Warmwasser-Äppen-
dieularien rund 25 auch im Mittelmeer (etwa 40° n. Br.) ge-
funden, aber nur 6 gehen auf europäischer Seite bis zum 60. Breiten-
erade und in die Nordsee empor (Oikopleura longicauda, fusiformis,
diowa und parva; Fritillarıa venusta; Appendicularia sicula) und
nur eine einzige derselben ist noch nördlich Spitzbergen unter
etwa 80° Breite gefunden. Dieses weite Vordringen nach den
Polen zu erklärt sich aus den Strömungsverhältnissen, die diesen
Teil des Ozeans charakterisieren und in dem Verlaufe des Golf-
stromes zum Ausdruck kommen. Da das warme und salzreiche
Wasser dieses mächtigen Stromes im Norden in die Tiefe sinkt
und von kaltem und salzarmem Wasser überlagert wird, finden
sich auch die Warmwasser-Appendicularien hier in Tiefen von
mehr als 200 m, und nur Arten, die sowohl die extreme Ab-
kühlung wie diesen Wechsel der Tiefenlage ertragen, können den
weiten und viele Monate dauernden Transport aushalten. Daher
ist es auch verständlich, daß Oikopleura parva, die bis in das
Polarmeer vordringt, eine Art ist, die auch in ihrer Heimat die
Tiefe bevorzugt. Auf der Südhemisphäre muß vom Indischen Ozean
aus Warmwasser polwärts strömen; denn auch hier treten nahe
dem Polarkreise, wie die Deutsche Südpolarexpedition nachwies’),
im Tiefenwasser Warmwasser-Pteropoden, -Salpen und -Copelaten
auf, während die darüber liegenden Wasserschichten nur antark-
tische Planktonten beherbergen. Auch hier finden wir Fritillaria
venusta und Orkoplewra parva wieder, die auch im Norden sich so
') MEISENHEIMER, Die Pteropoden der Deutschen Südpolar- Expedition,
1906. — APSTEIN, Die Salpen der Deutschen Südpolar-Expedition, 1906; beide
Arbeiten in: Deutsche Südpolar-Expedition, Bd. IX, Zoologie Bd. 1. — LOHMANN,
Über einige faunistische Ergebnisse der Deutschen Südpolar-Expedition, Schriften
Naturwiss. Verein, Schleswig-Holstein, Bd. XIV, 1908,
thoes m um 2. m zn au au 3
69
dazu kommen aber vier andere Arteu
des Warmwassergebietes, die auf unserer Hemisphäre weit emp-
9
widerstandsfähig erwiesen
findlicher zu sein scheinen (Fritillaria formica, haplostoma, gracilis
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Atlantisches Wasser
Küsten- und Bankwasser
Arktisches Wasser
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Verbreitung des Küsten-, Arktischen und Atlantischen Wassers in den nordeuropäischen
Meeren im Sommer 1896.
getragen.
Außer der Wasserbeschaffenheit sind auch die Tiefenlinien ein-
Nach Pettersson, Rapports et Procés-Verbaux d. Cons. Perm. Internat. p. l’explorat.
d. 1. mer, vol. III, p. IV, 1905.
70
und Stegosoma pellucidum) und sehr deutlich auf eine zunächst nur
physiologische Differenzierung der nordischen und süd-
lichen Warmwasserarten hinweisen. Würde dieselbe in morpho-
logischen Eigentümlichkeiten zum Ausdruck kommen, so hätten wir hier
a ad
Figur 7.
Nordgrenze des 36%, Salzgehalt aufweisenden Wassers derGolfstrom-Zirkulation im März (links)
und im November (rechts) 1899. Nach Pettersson, Rapports et Procés-Verbaux d. Cons. Perm. Internat. p l’explorat.
d.-1. mer, vol. LI, p. 10, 1905:
die Ausbildung besonderer Varietäten für die Warmwasserarten der |
Nord- und der Südhemisphäre vor uns, die ein Verständnis dafür |
bringen könnten, wie von dem über das ganze Weltmeer yer- §££|
2 ’ 1
breiteten einheitlichen Warmwasserplankton doch an der Süd- und
71
_ Nordgrenze ganz verschiedene Arten der Mischgebiete und schlieb-
lich der Polargebiete ihren Ursprung nehmen können.
Durch die Wasserbewegungen werden also Planktonten unter
Umständen weit aus ihrer eigentlichen Heimat fortgeführt und
Figur 8.
Verbreitung. von Calanus hyperboreus nach den Ergebnissen der internationalen
Erforschung der nordischen Meere. ——— Äußerste Grenze des Verbreitungsgebietes; — Ge-
biet, in dem die Art als „häufig“ vorkommend bezeichnet wird; IM Gebiet, in dem die Art
als „sehr häufig* vorkommend bezeichnet wird; —> Richtung, in der das arktische Wasser
sich bewegt (eingezeichnet). — Résumé sur le Plankton 1902—1908, 2”e pt. 1911, pl. XI.
unter Plankton versetzt, dessen Heimat ganz anderer Art ist. In
Grenzgebieten und vor allem in der Hochsee können dadurch die
Verhältnisse außerordentlich kompliziert werden, wie sich bei der
72
internationalen Erforschung der nordischen Meere mit großer
Deutlichkeit gezeigt hat. Figur 6 zeigt die Zusammensetzung des
Wassers im August 1896 nach den Untersuchungen Prrressox’s.
Figur 9.
Verbreitung von Aötideus armatus nach den Ergebnissen der internationalen Er-
forschung der nordischen Meere. ——— Äußerste Grenze des Verbreitungsgebietes; — Ge-
biet, in dem die Art in wenigstens 25°/, der Untersuchungen gefunden wurde; —> Richtung, k
in der das atlantische Wasser sich bewegt (eingezeichnet). — Résumé sur le Plankton
1902—1908, 2™e pt. 1911, pl. XT. _
~
Man sieht die weite Ausbreitung des warmen, salzreichen, atlantischen
Wassers der Golftrift, das in zwei Armen (von Norden her un i
durch den Kanal von Süden aus) in die Nordsee vordringt; die
Erfüllung der Ostsee und Nordsee und Irischen See mit Küsten-
“Liew a
73
wasser, das sich weit an der norwegischen Kiiste emporzieht;
das von Spitzbergen her im Westen nach Island zu sich ausdehnende
kalte, salzarme, arktische Wasser, das nach den Faröern zu sich weit
östlich vorschiebt. Im Herbst (Oktober) erreicht das atlantische
Wasser seine mächtigste Entwicklung, im Frühjahr (März) ist es
am schwächsten entwickelt, da, wie Fig. 7 zeigt, die Nordgrenze
dieses Wassers im atlantischen Gebiete im Laufe des Jahres eine
sehr beträchtliche Verlagerung erleidet und infolgedessen im Herbst
am weitesten nach NO. vorgeschoben, im Frühjahr am weitesten
nach SW. zurückgewichen ist. Zugleich wächst im Frühjahr die
Masse des arktischen Wassers bedeutend an. Diese Verhältnisse
bestimmen zunächst die Verbreitung der Planktonformen auf das
entscheidendste. Fig. 8 zeigt z. B. die Verbreitung des für das
arktische Wasser charakteristischen Calanus hyperboreus und Fig. 9
diejenige des dem atlantischen Wasser angehörenden Aétidius armatus
nach den von 1902— 1908 ausgeführten Untersuchungen. In ähnlicher
Weise sind Phaeocystis poucheti (Alge), Cytarocylis denticulata (Tin-
tinnus), Metridia longa und Oikopleura vanhöffenı an das arktische
Wasser, Halosphaera viridis, Coccolithophora pelagica und Rhinoca-
lanus nasutus an das atlantische Wasser gebunden. Wie die Fig. 6
zugleich zeigt, zieht um die Südküste Norwegens eine tiefe Rinne
in das Skagerrak hinein; in diese gelangt sowohl arktisches wie
atlantisches Wasser und ruft hier eine höchst merkwürdige Mischung
von atlantischen und arktischen Formen hervor (z. B. Sagitta maxima
als arktische, Salpa fusiformis als atlantische Art). Je nach der
Jahreszeit verschieben sich naturgemäß mit der Ausbreitung beider
Wassersorten auch die Verbreitungsgebiete dieser Arten. Im Küsten-
‚wasser selbst werden die Verhältnisse aber noch verwickelter. Auf
der einen Seite führen der atlantische und der arktische Strom
Jahr für Jahr Hochseearten nordöstlich von Schottland in die
Nordsee und im Süden in die Irische See und den Kanal hinein,
während auf der anderen Seite die Flachsee selbst ihre eigenen
Küstenformen produziert. Diese endemischen Planktonformen sind
zum Teil leicht von den eingeführten Arten zu unterscheiden, zum
Teil ist es aber, jedenfalls bis jetzt, völlig unmöglich, die Fremd-
linge von den Eingeborenen zu trennen. In der von Brackwasser
erfüllten östlichen Ostsee ist das endemische Plankton, was schon
Hessen 189039 nachwies, sehr arm, und in hohem Grade anf die
stete Zufuhr vom Westen angewiesen; Limnochlide flos aquae ist
eine Charakterform der Haffe; Dinobryon pellucidum und Bosmina
maritıma, ebenso das Ceratiwm tripos der Ostsee haben ihre Heimat
74
in der Ostsee und werden nur durch den ausgehenden Strom in —
die Nachbargebiete verschleppt. Temora longicornis ist ferner ein
typischer Küsten-Copepod des ganzen Gebietes und bei einer Reihe
anderer Arten ist eine Varietätenbildung eingetreten, indem eine
Küstenvarietät zur Ausbildung gekommen ist (z. B. bei Cytarocylis —
denticulata). In anderen Fällen aber können wir nur feststellen,
daß Arten, die der atlantische oder arktische Strom Jahr für Jalen
in die ®iachsee hineinführt, wie z. B. die Kaltwasserarten Fritillaria —
borealis f. typica oder Pseudocalanus elongatus und zahlreiche“
atlantische Arten wie Ceratium furca, fusus, tripos, Acartia clausi, —
longiremis und Paracalanus parvus, in der Flachsee an einzelnen —
Stellen oder allgemein das ganze Jahr hindurch vorkommen und —
z. T. wie viele der genannten Copepoden sogar in weit größerer
Menge, oft schwarmweise, auftreten als im Ozean. Hier miissen —
wir also annehmen, daß ein Teil der Individuen wirklich ~
einheimisch ist, ein anderer Teil aber der jährlichen
Zufuhr entstammt. Da die letztere in ganz bestimmter
Weise mit der Jahreszeit schwankt, kann das jahreszeit-
liche Verhalten der Volkszahl dieser Arten uns Anhalts-
punkte über den Anteil der Fremdenzufuhr geben, und es —
lassen sich alle Übergänge nachweisen von Arten, die ganz unab- —
hängig erscheinen, bis zu Arten, deren Zahl zur Zeit der stärksten
Zufuhr des betreffenden Wassers kulminiert, von da ab aber immer —
mehr abnimmt und schließlich auf ein Minimum hinabgeht. Schwindet —
die Zahl zu einer Zeit, in der die Zufuhr des Wassers minimal ist,
ganz, wie bei allen Salpen des Gebietes, so ist die Art überhaupt
nicht in der Flachsee einheimisch, sondern nur ein Gast im Gebiet. —
Und hier ist dann wieder die Verbreitung, die der Fremdling zur
Zeit der maximalen Zufuhr erreicht, eine von Art zu Art und auch
in den einzelnen Jahren sehr wechselnde. |
Es gehört ohne allen Zweifel zu den schwierigsten Aut j
die der Planktonforschung gestellt sind, die Bevölkerung eines hydro- —
graphisch und biologisch so komplizierten Gebietes, wie das der
internationalen Untersuchung der nordischen Meere, zu erforschen.
Das Süßwasser bietet weit einfachere Verhältnisse, und am lohnendsten 4
ist das Gebiet der Hochsee, weil sich hier, bei der Einfachheit
und Konstanz der Verhältnisse, mit relativ sehr wenig Untersuchungen
allgemein gültige und bedeutsame Ergebnisse in kurzer Zeit erreichen
lassen. Wäre daher nicht das Hauptziel der internationalen Er-
forschung die Förderung der Fischerei durch die Anbahnung einer
rationellen Bewirtschaftung der Fanggebiete, so wäre als Ausgangs-
75
punkt einer Erforschung des Planktons der Ozean geeigneter gewesen,
wozu durch die Planktonexpedition bereits ein bedeutsamer Anfang
gemacht war. Auf der anderen Seite werden diese Untersuchungen der
Küstenmeere eine vorzügliche Vorschule für die Hochseeforschung
bilden.
Bei dieser kommt allerdings die Erforschung der Tiefsee
als neues Gebiet hinzu. Hier sind nun zwar die methodischen
Schwierigkeiten erheblich größer als in der Flachsee, die Ver-
breitungsverhältnisse aber in horizontaler Hinsicht sehr viel einfacher.
Ich begnüge mich damit, hier nur Cuun’s Worte mitzuteilen, in
denen er das Ergebnis der Valdivia-Expedition über die geographische
Verbreitung des Tiefseeplanktons zusammenfaßt ?* (p. 524/525): „Als
ein wertvolles Ergebnis unserer Expedition können wir in erster
Linie den Nachweis bezeichnen, daß entschieden die pelagische
Tiefenfauna in allen Meeresgebieten einen außerordentlich gleich-
mäßigen Charakter zur Schau trägt. Wir haben einen so auffällig
großen Bruchteil der pelagischen Tiefenfische in identischen Formen
sowohl im atlantischen wie im antarktischen und indischen Meere
erbeutet, daß man schwerlich den Versuch machen wird, die pelagische
Tiefenfauna in einzelne tiergeographische Regionen zu gliedern.
Was für die Fische gilt, trifft ebenso für die Cephalopoden, Crustaceen,
Sagitten, Medusen und sonstigen charakteristischen pelagischen
Tiefenformen zu. Wir verzichten darauf, dies an einzelnen Bei-
spielen zu belegen, und versichern, daß solche sich überreichlich
darbieten. Wenn manche der interessantesten pelagischen Tiefen-
formen nur in einem der genannten Gebiete zur Beobachtung
gelangten, so liegt dies wesentlich daran, daß es sich um seltene
Organismen handelt, die überhaupt nur in wenigen Exemplaren in
unsere Vertikalnetze gerieten.“ |
Über die vertikale Verteilung der Planktonten mögen
noch kurz einige Bemerkungen gemacht werden. Eine Gliederung des
Wohngebietes in Tiefenzonen ist vielfach ausgeführt worden, sowohl
für das Gesamtplankton wie für die einzelnen Organismengruppen.
Beides läßt sich nur empirisch durchführen und ist vor allem deshalb
so schwierig, weil die Verteilung nicht nur geögraphisch, sondern
ganz besonders auch zeitlich erheblichem Wechsel unterworfen ist.
Srzver ** hat diese Verhältnisse in seiner Planktonkunde ausführlich
behandelt, so. daß ich darauf verweisen kann. Allgemein gültig
dürfte nur sein, daß man überall eine produktive Zone mit Pflanzen-
wuchs von einer unproduktiven pflanzenlosen Region unterscheiden
muß und die erste, deren untere Grenze etwa bei 400 m liegt, nach
76
den Befunden der Valdivia-Expedition in eine Zone der Lichtflora®
(0—60 oder 80 m Tiefe) und der Dämmerflora (60 oder 80—400 m)
zu trennen ist. Unter den Planktonten wird man ferner solche
Arten zu unterscheiden haben, die nur eine untere Verbreitungs-
grenze, nur eine obere Grenze oder beide Grenzen zu-
gleich haben. Noch weniger als bei der horizontalen Verbreitung
wird man hier ohne quantitative Feststellungen zu klaren, einwand- —
freien Ergebnissen kommen, da es natürlich in erster Linie not- —
wendig ist, die Zone festzustellen, in der die betreffende Form am
besten gedeiht, sich fortpflanzt und ihre Entwicklung durchmacht.
Erschwert wird diese Untersuchung noch dadurch, daß manche Formen
jahreszeitliche oder tägliche Wanderungen in vertikaler Richtung —
ausführen, die zum großen Teil in der Verteilung der Nahrung —
begründet sein werden, zum Teil aber mit der Entwicklung und der
Vermehrung der Art zusammenhängen. Dazu kommen dann noch ~
die hydrographisch bedingten passiven vertikalen Verschiebungen,
die z. B. bei dem Zusammentreffen verschiedener Strömungen
das Auftreten echter Tiefseeorganismen an der Oberfläche bedingen
können. Nutritive, ontogenetische, generative und hydro-
graphische Verschiebungen des Wohngebietes sind also zu
berücksichtigen und dabei ist vor allem festzustellen, wie ©
groß der Weg ist, den eine Art in vertikaler Richtung
auf- oder niedersteigend überhaupt zurückzulegen im-
stande ist. Ohne solchen Maßstab kann man nicht beliebigen —
Planktonten tägliche Wanderungen von hundert Metern oder mehr |
zuschreiben. Es ist ferner die mechanische Wirkung, die der Wechsel —
der Wasserdichte, als eine Folge von Temperatur- und Salzgehalt-
differenzen, auf solche passive und aktive Bewegungen hat
experimentell festzustellen, wie das zuerst Arsreın* versucht hat.
Heliotropismus kann bei solchen Wanderungen natürlich eine Rolle — ö
spielen; er kann aber nie das biologisch ausschlaggebende Moment —
derselben sein, sondern vermag stets nur das Mittel abzugeben, um
den betreffenden Organismen für ihre Ernährung oder Entwicklung
notwendige Wanderungen zu ermöglichen. Mit dem Nachweis des
Heliotropismus ist also noch keineswegs eine Erklärung der be- |
treffenden Wanderung gegeben. g
Auf die übrigen, wichtigen Ergebnisse der geographischen Ver-
breitung der Planktonorganismen näher einzugehen, scheint mir bei der
Fülle des Stoffes, der notwendig besprochen werden muß, nicht nötig,
da diese vielfach in zusammenfassender Weise ausgezeichnete
Behandlung erfahren haben. Ich verweise hier nur auf diereferierende ©
el RE
(im:
Besprechung derselben in Srevers”* Handbuch sowie auf die Arbeiten
Orrmanns‘®, Cnuns”®, KükentHAus?‘, MEINHEIMERS®® u. a.
2. Sobald wir darangehen, das Verhalten der Bevölkerungs-
dichte zu untersuchen, tritt uns die Bedeutung der Vermehrungs-
schnelligkeit entgegen. Bei allen einzelligen Planktonten geschieht
die Vermehrung im einfachsten Falle durch Teilung und es kann
auf diese Weise in sehr kurzer Zeit eine gewaltige Zahl von Individuen
entstehen, sobald die Vernichtung der neugebildeten Individuen
minimal ist. Wäre die letztere gleich Null, was natürlich in der
Natur nie vorkommen kann, so würde eine einzige Zelle bereits
nach 10 Generationen 1000 Zellen, nach 20 Generationen 1 Million
(1000?) nach 30 Generationen 1 Milliarde (10003) Tochterzellen
und so weiter von 10 zu 10 Generationen eine um 1 höhere Potenz
von 1000 Zellen gebildet haben. Es hängt also, wenn wir zunächst
von der Vernichtungshöhe oder dem Necrotoccus absehen, völlig
von der Lebensdauer der einzelnen Generationen ab, in welcher
Zeit die Volkszahl zu dieser rapiden Höhe anwächst. Für Bakterien
hat Fischer?! durchschnittlich jede 1/2 Stunde eine Teilung be-
obachtet, für die farblose Nitzschia putrida Bexecke fand Rıchrer °’
eine Teilungsgeschwindigkeit von 5 Stunden und bei einer mehrere
Jahre fortgesetzten Kultur von Paramaecium '"? fand im Durchschnitt
alle 15 Stunden eine Teilung statt. Nach Ablauf von 24 Stunden
würde. also eine Bakterie 48 Generationen oder über 1 Billion
Zellen gebildet haben können, während die Diatomee nicht ganz 5
und das Infusor nur 1!/, Generationen erzeugt haben würde. An Stelle
einer Zelle würden nach 24 Stunden also rund 1000 Billionen Bakterien
‚resp. 16 Diatomeen und 2 Paramaecien getreten sein. Das heißt,
irgendeine beliebige Volkszahl würde sich bei Ausschluß jeder
Vernichtung im Laufe eines Tages um das ebenso Vielfache zu
vermehren vermögen. Für die einzelligen Pflanzen des Planktons
ist die Vermehrungsschnelligkeit durch Teilung sicher eine er-
heblich geringere als bei der saprophytischen benthonischen Nitschia.
Warpue '0! stellte durch Kulturen von Synedra fest, daß ihre Teilungen
in 13,4 aber auch erst in 30,5 Stunden einander folgten, und für
Ceratium fand Gran** bei Christiania durch Untersuchung der Plankton-
fänge eine maximale Geschwindigkeit von 2'/, Tagen (Cerat. furca).
Im allgemeinen kann man nach den Feststellungen von Hxxsex,
Arsrem, Loumann und Karsten 1—4 Tage Zwischenraum zwischen
2 Zellteilungen bei den Planktonalgen annehmen, muß sich aber
stets bewußt bleiben, daß die Teilungsgeschwindigkeit nicht nur
von der Belichtung und der Bewegung des Wassers?!, sondern vor
78
allem auch von dem biologischen Zustande der Art sehr abhängige —
ist. Zu Beginn und Ende einer Wucherungszeit ist sie sehr niedrig,
während der Höhe derselben erreicht sie ihr Maximum!). Kann —
schon hierdurch die Volkszahl in wenigen Tagen verdoppelt werden,
so ermöglichen andere Vermehrungsvorgänge eine noch viel schnellere _
Vermehrung. Vor allem kommen hier die Schwärmerbildungen in —
Betracht, aber wie Arsrzın? bei Ceratiwm tripos nachweisen konnte, —
vermag auch ein Knospungsvorgang in einer einzigen Nacht die
Zahl auf das Fünffache zu steigern! Natürlich sind in allen diesen —
Fällen die Tochterindividuen um ein Vielfaches kleiner als das
Mutterindividuum, während bei der einfachen Teilung beide Teilungs- —
produkte gleiche Größe besitzen. Der Vermehrungsfuß, wie Hexsex 7
die Zahl genannt hat, welche angibt, wie hoch die Nachkommen-
schaft eines Individuums nach Ablauf von 24 Stunden sich stellt,
ist also von außerordentlicher Bedeutung für jeden Organismus, so-
wohl wenn es sich darum handelt, Verluste auszugleichen und die
Vernichtung durch Feinde oder anorganische Schädigungen zu er-
tragen, als auch wenn besonders günstige Existenzbedingungen
auszunutzen sind und die Volkszahl möglichst hoch gesteigert
werden muß. |
Bei den Gewebstieren liegen die Verhältnisse bedeutend kom-
plizierter. Das wesentlichste Merkmal dieser Tiere ist ja offenbar
darin gegeben, daß durch den Zusammenschluß zahlreicher Zell-
generationen zu einem Individuum höherer Ordnung und eine weit- —
gehende Arbeitsteilung unter den einzelnen Zellkomplexen die
Lebensdauer verlängert und die Arbeitsleistung erhöht wird.
Während uns bei den Protisten stets nur eine Zellgeneration sichtbar
wird, treten uns in jedem Gewebsorganismus zahlreiche Zeilgenera-
tionen entgegen. Doch überschätzt man die Zahl dieser Generationen
entschieden im allgemeinen bedeutend, da schon nach 50 Generationen
1 Zelle 1000 Billionen Tochterzellen erzeugt hat, eine Zahl, die
diejenige aller roten Blutkörperchen des erwachsenen Menschen
um das 50fache übertrifft. Es ist daher möglich, in kurzer Zeit —
gewaltige Zellmassen zu produzieren; jedoch scheint bei fortgesetzter _
ungeschlechtlicher Teilung, wie sie hier erfordert wird, allmählich
ein Altern der Zellen einzutreten, und so eine Grenze gesetzt zu
werden. Diese Grenze liegt aber so hoch, daß sie in Wirklichkeit —
bei den wirbellosen Planktonten ruhig wird außer acht gelassen
1) So fand GRaN* bei Christiania bei Ceratium tripos im Juli nur 61 —13%0
der Zellen, im August aber 13—29% derselben in Teilung, woraus eine durch-
schnittliche Teilung in 15,5, 8 und 3,5 Tagen zu berechnen wäre, i
ne
79
werden können. Denn es gelang kürzlich Woonkurr !"? von Para-
maecium nicht weniger als 2000 Generationen ohne Konjugation
zu züchten, wobei keine Degeneration bemerkbar wurde, obwohl
die Kultur 41 Monate währte. Sowohl über die Lebensdauer
wie über die Zahl der Eier, die von einem Individuum während
seines Lebens produziert wird, wissen wir leider nichts Sicheres,
und damit fehlen uns auch alle Anhaltspunkte, die Vermehrungs-
stärke der Gewebstiere zu bestimmen. Hier ist noch alles zu tun.
Gran’? hat für Calanus finmarchicus eine Lebensdauer von 1 Jahr
angenommen; Hensen*? kommt für Ovthona durch theoretische Er-
wägungen zu einer Schätzung der Lebensdauer auf höchstens
270 Tage, also 3/4, Jahr; Jurıme?? beobachtete ein geschlechtsreifes
Weibchen von Cyclops quadricornis 90 Tage, es hat dasselbe also
sicher mehr als 100 Tage gelebt. Nur Kulturversuche und sorg-
fältige Beobachtung der Eiablage können hier weiter führen.
Auf die Lebensdauer der einzelnen Generationen sowohl
der Zellen wie der Gewebstiere muß die Temperatur des Wassers von
bedeutendem Einfluß sein, indem mit Zunahme der Wärme der
Ablauf der Lebensvorgänge beschleunigt und die Lebensdauer ver-
kürzt wird. Nach Untersuchungen van ’rHorr’s wird die Ablauf-
geschwindigkeit chemischer Reaktionen bei einer Temperatur-
steigerung um 10° C etwa verdoppelt?5, und dasselbe gilt auch für
Stoffwechsel- und Entwicklungsvorgänge bei Organismen, solange
die Temperaturen des Experiments gewisse Grenzen nicht über-
schreiten. Wir werden also in den warmen Meeren kurzlebigere
Formen und zahlreichere Generationen im Laufe eines Jahres zu
erwarten haben und derselbe Unterschied wird sich zwischen der
Tierwelt der oberflächlichen, warmen und tiefen, kalten Wasser-
schichten geltend machen müssen. Diese Verhältnisse können in
doppelter Hinsicht für die Ausbildung des Planktons in verschieden
temperierten Gebieten von einschneidender Bedeutung sein: einmal
werden im kalten Wasser mehr Generationen gleichzeitig neben-
einander leben und daher die Individuenzahl der einzelnen Arten
der Gewebstiere eine relativ große sein, und ferner wird die Bildung
neuer Varietäten und Arten im warmen Wasser durch die größere
Zahi der in der Zeiteinheit sich folgenden Generationen sehr er-
leichtert sein, so daß sich hieraus der größere Formenreichtum aller
Gruppen und die, geringere Individuenzahl der Metazoen in den
Tropen ableiten lassen würde. Aber auch die Individuenarmut der
Protisten ließe sich daraus erklären, daß dieselben vermöge ihrer
schnellen Teilungsfolge die Vernichtung durch Fraß und sonstige
80
Schädlichkeiten viel leichter ausgleichen können. Wenn z. B. im
Norden die Peridineen durchschnittlich nur alle vier Tage sich teilen,
in den Tropen dagegen dies schon jeden zweiten Tag tun, so darf
dort nie mehr als '/, der vorhandenen Individuen zerstört werden, —
während hier nahezu die Hälfte vernichtet werden kann. Der eiserne —
Bestand kann also in den warmen Gebieten viel weiter reduziert —
werden als in den kühlen Gebieten, und wenn das wirklich geschieht, —
so muß die Individuenzahl des Kleinplanktons in den Tropen be-
deutend geringer sein als in den hohen Breiten, während die Menge
der Fresser gleich sein könnte. Ersteres ist sicher der Fall, ob
aber das letztere zutrifft, ist schwer zu entscheiden; im ale |
sprechen die Beobachtungen mehr dafür, daß diese Be Im
den Tropen minder zahlreich sind. —
Endlich wird diese Beschleunigung der Entwicklungsvorginge —
noch von größter Bedeutung für die Beurteilung der Jahres- —
produktion an Plankton in verschiedenen Breiten. Natürlich
kann die zu irgendeiner Zeit in einem Meeresgebiet nachgewiesene
Masse darüber nichts Entscheidendes aussagen. Es kommt vielmehr
darauf an, wie oft diese Masse in der Zeiteinheit sich erneuert. Ist
der durchschnittlich in 40—50° n. Br. gefundene Betrag z. B. 5mal
so groß wie der zwischen 20° und 0° n. Br. gefundene Betrag, —
erneuert sich aber jener bei durchschnittlich 15° Temperatur nur
n-mal im Jahr, dieser dagegen bei 25° Temperatur 2n- mal in der |
gleichen Zeit, so würde in Wirklichkeit das Übergewicht des kühlen — 4
Gebietes nur 2,5 betragen. =
Eine Einsicht in diese Verhältnisse, die sämtlich mit der Ver-
mehrungschnelligkeit und Lebensdauer zusammenhängen, wäre also —
von höchstem Interesse, und kann durch planmäßige Untersuchungen, %
die am leichtesten von festen Stationen aus sich würden anstellen
lassen, sicher erreicht werden. Zurzeit fehlt aber noch alles. x
Um die gesetzmäßigen Bewegungen, denen die Be-
völkerungsdichte des Planktons unterworfen ist, an einigen
Beispielen anschaulich darzulegen, sei es mir gestattet, hier etwas
von den Ergebnissen der Ausreise der Deutschen Antarktischen
Expedition mitzuteilen, die ich im vorigen Jahre auf der Deutsch- |
land mitmachte. 4
‚Figur 10 zeigt die Fahrtlinie, die den Atlantischen Ozean der
Länge nach vom 50.9 n. Br. bis zum 40. s. Br. durchschnitt; at f3
jeder der 41 Stationen, an denen zentrifugiert wurde, ist eine
Ordinate errichtet, deren Länge der Anzahl von Planktonindividuen
proportional ist, die ich in 1 Liter der Wassersäule von 0—200m
81
nachwies. Sie bezeichnet also die Bevölkerungsdichte jeder Station
und die Kurve, welche durch die lineare Verbindung der Ordinaten-
endpunkte entsteht, gibt den Wechsel der Volksdichte während der
Fahrt an. Man sieht nun sofort, dab zwischen den Azoren (6. bis 7. VI.)
Figur 10.
Bevölkerungsdichte des Planktons im Atlantischen Ozean während der
Ausreise der „Deutschland“ 1911. Die Länge der Ordinaten, die auf der Fahrtlinie
errichtet sind, entspricht der Anzahl von Planktonten, die in 1 Liter Wasser der Wasser-
säule von 0—200 m Tiefe mittelst Zentrifugierung nachgewiesen wurde. Die Kurve, die aus
der linearen Verbindung der Endpunkte der Ordinaten entsteht, gibt also den Wechsel der
Bevölkerungsdichte während der Fahrt an. Es sind durch ——> die Warmwasserströme,
durch —— —> die Kaltwasserströme eingetragen.
Verh. d. Dtsch. Zool. Ges. 1912. 6
82
und einem Punkte südlich von Cap Frio (19. VIII.) die Bevölkerung
eine sehr ärmliche und gleichmäßige war, während nördlich und
südlich dieses Gebietes die Besiedelung gewaltig stieg aber zugleich
sehr starken Schwankungen unterworfen war. Diese drei Gebiete
entsprechen den Tropen und den kühlen Meeresgebieten und die
Grenze der Tropen fällt mit dem Gebiete zusammen, in dem die
Temperatur des Wassers an der Oberfläche des Meeres 20° und
mehr betrug. Diese Beziehung zur Temperatur tritt noch klarer
hervor, wenn man die Durchschnittswerte für Felder von je 10° Br.
berechnet, wie folgende kleine Tabelle zeigt:
Bevölkerungsdichte (Zahl für J Liter) und Durchschnitts-
temperatur des Wassers in 0 und 50 m Tiefe.
50-40 ° 40-30° 30-20 ° 20-109} 10-0° [0-10 ° | 10-20 920-300. 30-40°
Geogr. Breite
Norden Süden
0m 14,5° | 20,0°| 245°) 95,54! 26,59} 26,0° 24.59 21,00 13,5 °
BO, 18.59} 17,0°| 22,59) 25,50| 26,0°] 25,59] 24,5°| 20,5°| 12,5
Bevölk.-Dichte| 6000 | 2000 | 600 | 500 | 600 | 600 | 500 | 2000 | 3000
Doch verwischt sich hier natürlich die Grenze, die in Fig. 10
und während der Fahrt selbst mit großer Schärfe hervortrat,
infolge der Zusammenfassung mehrerer Werte zu Durchschnitts-
werten, und ebenso erscheint der Übergang vom kühlen Gebiet zu
den Tropen etwas gemildert. Man sieht hier wie bei allen stati-
stischen Forschungen, daß man stets Einzelbeobachtungen
und Durchschnittswerte nebeneinander verwerten muß,
und sich nie auf eine dieser beiden Gruppen allein ver-
lassen darf, wenn man sich nicht der Gefahr schiefer
Schlüsse aussetzen will. Interessant ist in der Tabelle die
außerordentliche Gleichmäßigkeit der Volksdichte in den Tropen
(500—600 Ind. in 1 Liter) und die Verschiebung, die das kühle
Gebiet mit seiner hohen Besiedelung auf der Südhemisphäre
äquatorwärts erfährt durch das direkt nordwärts gerichtete Vor-
dringen des kalten Falklandstromes. Beachtung verdienen ferner
die gleichen Werte von 2000 Individuen für die einander ent-
sprechenden Felder von 40—30° im Norden und 30—20° im Süden.
Das Übergewicht des Nordens zwischen 50—40° Breite beruht
darauf, daß die Expedition hier gerade zu einer Zeit passierte, als
die Diatomeen in lebhafter Wucherung begriffen waren, während.
sie im Süden zwischen 30—40° Breite eine solche zeitlich be-
schränkte Wucherung nicht antraf.
a
83
Diese stärkere Besiedelung des kühlen Wassers gegenüber
den Tropen hat zuerst die Planktonexpedition nachgewiesen und
es ist von großem Interesse, zu sehen, wie nahe die vergleichbaren
Zahlen beider Expeditionen übereinstimmen. Da die National nur
Netze verwandte, können die Protophyten und Protozoen nicht
verglichen werden, weil die Werte für sie naturgemäß viel zu
niedrig und ungenau sind. Andererseits geben die Zentrifugen-
werte von den Metazoen nur dieZahlen der Copepoden in verwendbarer
Form. Es wurden nun gefunden in 1 Kubikmeter Wasser aus
0—200 m Tiefe von der:
1. Planktonexpedition, VIL—XI. 89: im kühlen Wasser 5800,
in den Tropen 3100 Copepoden.
2. Deutschen Antarktischen Expedition, V.—VII. 11: imkühlen
Wasser 6000, in den Tropen 2500 Copepoden.
Danach war die Zahl der Copepoden im Norden rund doppelt
so hoch wie in den Tropen. Bei dem Übergewicht, das dieser
Tiergruppe zahlenmäßig im Ozean allen anderen Metazoen gegen-
über zukommt (über 90% aller Individuen im kalten wie im
warmen Wasser!) wird dieser Wert als für die Summe aller
Gewebstiere gültig anzunehmen sein.
Viel bedeutender ist das Übergewicht der Pflanzen im kühlen
Gebiet, deren Zahl nach den Zentrifugenfängen fünfmal so hoch
war als in den Tropen.
Von der Oberfläche des Meeres zur Tiefe nimmt im all-
= gemeinen die Bevölkerungsdichte schnell ab. Jedoch ist das
_ Verhalten derselben entschieden viel komplizierter als man sich bis-
_ her vorgestellt hat. Da die Menge der Pflanzen notwendigerweise
I die Grundlage für das Auftreten aller anderen Planktonten abgibt,
sind die Ergebnisse der Zentrifugenfänge von besonderer Wichtig-
_ keit, um so mehr, da sie bisher die einzigen sind, bei denen quanti-
tative Angaben aus einzelnen Tiefen vorliegen und wir also nicht
auf Durchschnittswerte allein angewiesen sind. Figur 11 zeigt nun
zunächst, wie die Volksdichte in den verschiedenen Zehn-Breiten-
grad-Feldern in den verschiedenen Tiefenschichten sich verhält. In
sieben Feldern nimmt sie mit der Tiefe stetig ab, in zweien aber
(6 und 8) ist sie in 50 m Tiefe am stärksten. Das Maximum liegt
also nicht immer in 0 m, sondern schwankt in seiner Lage, wie
' wir noch weiter unten sehen werden. Unter 200 m Tiefe ist
ferner die Volkszahl minimal, nur im ersten Feld bleibt sie noch
beträchtlich; das ist aber lediglich bedingt durch die Ruhesporen
6*
2
eu =
. oa
=
84
der Diatomeen, die hier in die Tiefe sinken. Es sind das also Ver-
hältnisse, die nur vorübergehend auftreten. Die Abnahme der Be-
"IT INS
-(9JOL], USPUSHeTjoq Top AOsseM ALT T UT UOT[9Z 009 = O}folg WW 1) UOUOZUAFOLL UAUSPOTUOS.IDA
Usp Ul Uapersuo}oIg 01 NZ OT UOA UR9ZO ueyasıyuepyy WE uozuejzduoyyureig 19p oyyorpsZunaoy[oAag A9p [OSFIOM
völkerungsdichte in den Tropen tritt für alle Tiefen von 0—200 m
sehr deutlich hervor,
85
Auf Tafel I ist dann in der Kurve 2 die Bevölkerungsdichte
einer einzelnen Art in dem ganzen Gebiete der Fahrtlinie von
50° n. B. bis 40° s. B. in ihrer vertikalen Verbreitung dargestellt.
Die Gebiete gleicher Bevölkerungsdichte sind mit Linien umzogen
und mit gleichartigen Zeichen ausgefüllt. Links ist Norden, rechts
Süden, oben der Meeresspiegel, unten 800 m Tiefe; wo die Be-
völkerungszahl unter 100 Zellen im Liter hinunterging, ist die Ein-
tragung fortgelassen. Die weißen Felder bedeuten also nicht, dab
hier die Art gefehlt hat, sondern nur, dab sie sehr selten war.
Die Art ist die im ganzen Gebiet häufigste Coccolithophoride:
Pontosphaera huxleyr, die sowohl als Nahrung für Planktontiere
wie als Sedimentbildnerin am Meeresboden eine hohe Bedeutung im
Meereshaushalte hat.
Man sieht sofort, daß die Linien gleicher Dichte in keiner
Weise horizontal verlaufen, wie man das nach den allgemeinen Vor-
stellungen hätte erwarten sollen und ich auch zu finden erwartet
hatte. Vielmehr treten eine Reihe von einander getrennter
Maxima auf, um die sich die Gebiete geringerer Dichte
konzentrisch lagern. Betrachten wir diese Maxima genauer, so
finden wir sie in sehr verschiedenem Grade entwickelte Am
schwächsten ist das vom 26. VI. bis 3. VII., bei dem die Volkszahl
unter 1000 im Liter bleibt; ihm schließt sich das im Siid-Aquatorial-
strom gelegene Maximum vom 19.—24. VII. an, dessen höchste
Dichte 2000 beträgt. Dann folgt die Kulmination vom 17.—25. VII.
mit nahezu 4000 Individuen im Brasilstrom und diejenige vom
23. V. bis 7. VI. in der Umgebung der Azoren, bei der die Volks-
zahl bereits 5000 Zellen tiberschritt. Den Höhepunkt bezeichnen
die südlichsten und nördlichsten Stationen vom 30. VIII. bis 4. IX.
im Falklandstrom und vom 14. V. vor dem englischen Kanal mit
einer maximalen Volkszahl von 11500 resp. 6300 Individuen im
Liter. Die Grenze zwischen dem nordatlantischen und südatlan-
tischen Stromgebiet, die nicht mit dem Äquator zusammenfällt, liegt
zwischen dem 17. und 19. VII.; jede Hemisphäre hat also drei
Maxima und jedem der Nordhälfte entspricht eins der
Südhälfte Am schwächsten sind die beiden tropischen,
am stärksten die beiden äquatorfernsten Maxima ent-
wickelt.
Die Gebiete minimaler Volksdichte dringen von zwei Richtungen
aus gegen die Maxima vor, von der Tiefe und von der Oberfläche:
nur in zwei Stationen im Guineastrom (7. und 10. VII.) blieb die
Bevölkerung in der ganzen Wassersäule minimal, sonst betrug sie
86
stets in einem Teile derselben mehr als 100 Individuen im Liter,
und zwar reichte diese Zone in den Tropen meist von der Ober-
fläche bis 75 oder 100 m, in den kühlen Gebieten aber bis 150
und 200 m hinab. Doch gehen unter jedem Maximum diese Grenzen
erheblich tiefer hinab. Nur an zwei Stellen im warmen Gebiet
(14.—23. VI. und 14.—17. VII.) waren auch die oberen Schichten
von 0—25 m arm bevölkert, und hier findet zugleich eine derartige
Verarmung der tieferen Schichten statt, daß nur eine schmale
Zone in 50 und 75 m dichter bevölkert bleibt. Diese Tiefen-
zone, die hier so auffällig bevorzugt erscheint. zeichnet sich nun
auch bei den Maxima durch ihr Verhalten aus. Bei dem schwächsten
Maximum (26. VI.—3. VII.) liegen die höchsten Volkszahlen am
28. VI. und 3. VII. (920 und 550) in 50 m Tiefe, während an der
Oberfläche (26. VI.) nur 450 Individuen im. Liter erreicht wurden.
In den drei nächstfolgenden Maxima ferner (19.—24. VIL; 17.—
25. VIIL; 23. V.—7. VL) macht sich die Zunahme der Volks-
zahl zuerst in 50 m geltend (eine Station früher als an der Ober-
fläche) und zugleich sinkt die Volkszahl in dieser Tiefe am spätesten
wieder auf die frühere Zahl hinab (ein bis zwei Stationen später
als an der Oberfläche). Nur in den beiden äquatorfernsten Maxima
tritt dieses Verhalten nicht hervor; hier sind die obersten Schichten,
soweit sich das erkennen läßt (30. IX.), von Anfang an bevorzugt.
Es fällt aber noch eine weitere Gesetzmäßigkeit in der Bewegung
der Volksdichte auf, daß nämlich die höchste Volkszahl bei dem am
schwächsten entwickelten Maximum in 50 m Tiefe liegt, aber bei
allen anderen Maxima an der Oberfläche gefunden wurde (19.—24.
VIL: 2200 gegenüber 1700; 17.—25. VIII: 3800 gegenüber 3700;
23. V.—-6. VI: 5400 gegenüber 3000; 30. VIII. bis 4. IX.: 11500
gegenüber 4400; 14. V.: 6300 gegenüber 250). Es bestätigt dies
also, daß die Zunahme der Bevölkerung in der Tiefe be-
ginnt; hat sie aber eine gewisse Höhe erreicht, dann greift
dieZunahme nach der Oberfläche hin weiter um sich und
erreicht hier sehr bald weit höhere Werte alsin der Tiefe,
von der sie ausging. Zugleich breitet sie sich, wie die
Tafel zeigt, auch nach der Tiefe hin aus, ohne jedochz |
hier die gleiche Zahl wie in 50 m Tiefe zu erreichen.
Das Optimum der Vermehrung liegt also für Pontosphaera
huxleyi, jedenfalls in den wärmeren Teilen des Ozeans, in 50 m
Tiefe; es ist das verständlich nach dem was uns von den Teilungs-
vorgängen bei Diatomeen und Peridineen bekannt ist, die entweder —
in der Nacht oder. den frühen Morgenstunden am zahlreichsten er-
| Tafel 1.
Verh. d. Dtsch. Zool. Ges. 1912.
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Kurve 1: Volkszahl und systematische Struktur des Planktons im Atlantischen Ozean während
Kurve 2: Vertikales Vorkommen von Pontosphaera huxleyi LoHM. (Bevölkerungsdichte).
41 Stationen ab, deren Datum in der Kopfleiste angegeben ist. Nach
"ei u Die horizontalen Linien geben die Tiefen von 0, 26, 50, 75, 100, 200, 400, 600, 800 m an; die vertikalen grenzen en
a, den an jeder Station in den einzelnen Tiefen durch Zentren nachgewiesenen Mengen von P. huzleyi sind dann die Wassermassen mit gleich diehter a
Aus den Zentrifugenfängen sind für je 10 Breitengrade die Durchschnittswerte für 1 Liter Wasser aus 0—200 m Tiefe berechnet indem „Linien gleicher Dichte“ gezogen wurden, und zwar für die Dichte von 10000, 5000, 1000, 500 und 100 Individuen in ı Liter Wasser. Näheres siehe im Tex
und auf den in der Mitte jedes Feldes gezogenen Ordinaten für jede einzelne Organismengruppe abgetragen. Es bezeichnet;
4 Diatomeen, } nackte Phytoflagellaten, ¢ Phaeoeystis, d Coccolithophoriden, e Peridineen, f Trichodesmium, g/Protozoen. — Der
Aquator ist durch eine Doppellinie gekennzeichnet.
87
folgen und am Tage ganz aufhören oder sehr selten sind. Sonnen-
licht, das für die Assimilation so notwendig ist, hemmt
also die generativen Vorgänge, und so ist es erklärlich, dab die
letzteren in einer relativ geringen Tiefe, wohin das Sonnenlicht über-
haupt nur kurze Zeit und sehr abgeschwächt hingelangt, am besten
ablaufen und sobald die übrigen Bedingungen gegeben sind, am ersten
zu einer wahrnehmbaren Steigerung der Volkszahl führen, aber
auch am längsten bei sonst abnehmender. Gunst der Bedingungen
wirksam bleiben. Erst wenn die übrigen Bedingungen weit günstiger
geworden sind, beginnt die Vermehrung in den höheren und tieferen
Schichten wirksam zu werden, wo sie deshalb auch schneller wieder
zurückgeht. Daß aber trotzdem die Volksstärke an der Oberfläche
schließlich ihr Maximum erreicht, kann nur dadurch erklärt werden,
daß gleichzeitig eine Emporwanderung von Zellen aus 50 m Tiefe
und den darunter liegenden Schichten zur Oberfläche erfolgt, die
mit Forderungen des vegetativen Lebens verknüpft sein muß.
Die folgende, kleine Tabelle zeigt endlich, was auch bei
Pontosphaera huxleyi schon hervortrat, daß die Menge der Pflanzen-
individuen mit der Zunahme der geographischen Breite sich
bis in größere Tiefen hinab hoch erhält und daher in den Tropen
nicht nur die Oberfläche, sondern vor allem auch die Tiefe verarmt.
Dies hängt wahrscheinlich mit der Vertikalzirkulation zusammen,
die nach dem Äquator zu sehr schwach wird und hier in der Tiefe
große Sauerstoffarmut bedingt.
Wechsel der Bevölkerungsdichte der Planktonpflanzen
mit der geographischen Breite in den verschiedenen
| Tiefenzonen (Zahlen f. 1 Liter).
Geoer. Breite Nördliche Breite | Südliche Breite
50-40 °|40-80°|30-30°|20-10°| 10-0° | 0-10°|10-20° 20-30 0130-40
|
1. 0 m |20000| 7000 | 1800 | 2000 3000 | 2000 | 2000 | 4000 30.000
2. 50 „ |20000| 5000 | 1600 1500 | 2000 | 3000 | 1000 8000 6000
3. 100 „ | 3000 2000 1000 | 700 | 400| 800 | 950 | 2000 | 3000
4.200 „ | 3000; 200) 200) 80| 100| 200} 200| 200| 300
5. 400 „ | 2500| 100| 30 5| 60| 90 3| 40| 100
0—400 m | 6000| 2000 | 600| 500| 600| 600 | 500| 2000 | 3000
Der zuerst von der Plankton-Expedition gebrachte Nachweis,
daß die Tropengebiete des atlantischen Ozeans auffällig
spärlich von Plankton bevölkert sind, während die Gebiete
kühleren Wassers im allgemeinen eine erheblich dichtere Besiedelung
88
zeigen, hat eine Reihe sehr bemerkenswerter Erklärungs-
versuche hervorgerufen. Bisher hat sich allerdings die Richtig-
keit keiner derselben beweisen lassen; sie sind aber als Arbeits-
hypothesen von großem Werte.
Zunächst ist Hansen *! von der naheliegenden Voraussetzung aus-
gegangen, dab diese spärliche Bevölkerung warmen Wassers durch
die Ungunst der Ernährungsverhältnisse bedingt sei, und
zwar auf einer Armut an den für die Planktonflanzen unentbehr-
lichen anorganischen N-Verbindungen im Wasser beruhe. Wie
Remxe®’ dargelegt hat, erhält das Meer seine Stickstoffnahrung ein-
mal von der Küste und dann aus der über ihm ruhenden Atmosphäre
stetig-zugeführt. Detritus toter Pflanzen und Tiere, Fäkalmassen
und gelöste Stofiwechselprodukte werden von den Organismen des
Meeresbodens direkt im Meere gebildet und von den Bewohnern
des Landes und Süßwassers fortgesetzt durch die Ströme dem Ozean
zugeführt. Der Stickstoff der Luft aber wird zum Teil auf physi-
kalischem Wege (durch elektrische Vorgänge) in gebundene Form
übergeführt und durch die atmosphärischen Nierderschläge in das
Meer geleitet, zum Teil aber vom Wasser absorbiert und durch
Stickstoffbakterien direkt assimiliert. Die Ergiebigkeit dieser Quellen
kennen wir nur sehr unvollkommen; nach Branpr!! hätte man
für die Zufuhr seitens der Flüsse 0,03 mg pro 1 cbm im Jahr
anzunehmen, nach Remer°®‘ wäre der jährliche Betrag für die
Zufuhr aus den atmosphärischen Niederschlägen auf nur 0,5 gr für
1 qm Ozeanfliche anzunehmen. Nur soviel ist ohne weiteres klar,
daß die Küstengebiete jedenfalls bei weitem die reichste Zufuhr
erhalten; ferner werden die atmosphärischen Niederschläge in den
Tropen niedriger sein als in den kühlen und kalten Gebieten,
und infolge des Mangels an Schnee, Hagel und Nebel, die weit
reicher an Ammoniak und Salpetersäure sind als Regenwasser, die
Wirkung derselben bedeutend hinter denen höherer Breiten zurück-
stehen. Ein besonderer Reichtum der Küstengebiete und eine Armut
der Tropen wäre also schon aus der Zufuhr der Nährstoffe zu ver-
muten, worauf auch Heysen schon 1890 hinwies.
Branpr1l, 12, 16 hat dann in einer Reihe gedankenreicher Arbeiten
nicht nur diese Anschauung durch neues Material weiter zu stützen
gesucht, sondern auch eine Hypothese aufgestellt, die die Armut
des Tropenwassers an diesen Nährstoffen erklären würde. Sie geht
davon aus, daß dem Meere fortwährend N-Verbindungen zugeführt
werden und daher im Laufe der langen Zeiträume, während der
dieser Import bereits währt, längst eine Verjauchung des Meeres
89
eingetreten sein müßte, wenn nicht eine fortgesetzte Zerstörung
stattfinde und dadurch die Möglichkeit der Herstellung eines
konstanten Gehaltes gegeben sei, wie wir ihn im Meere gegen-
wärtig voraussetzen müssen. Diese Reduktion soll nun nach Branpr
durch denitrifizierende Bakterien ausgeführt werden, deren
Verbreitung im Meer durch Gray, Baur, Ferten!) u. a. nachgewiesen
ist. „Bei etwa 25°C dauert der Vorgang (der Denitrifizierung einer
Nährlösung) nur wenige Tage, er verlängert sich bedeutend mit
fallender Temperatur und nimmt in der Nähe des Gefrierpunktes
ungefähr eben soviel Monate in Anspruch wie Tage bei 20° C.“
In den tropischen Gewässern muß also, wenn der Gehalt des
Wassers an anorganischen Stickstoffverbindungen tatsächlich von
der Tätigkeit dieser Bakterien abhängt, dieser kleiner sein als in
den kühlen und vor allem den kalten polaren Wassern. Ist ferner
von diesen Nährstoffen die Entwicklung der Planktonpflanzen, wie
Hensen und Branpr annehmen, bedingt, so werden wir die üppigste
Planktonflora in den Polargebieten, die kärglichste Plankton-
vegetation in den Tropen finden müssen, und das gleiche Verhalten
muß natürlich die von ihr abhängige Tierwelt zeigen.
Durch eine große Zahl sorgfältigster Untersuchungen des Gehaltes
des Meereswassers an anorganischen N-Verbindungen, um deren exakten
Nachweis sich Rasen?) hervorragende Verdienste erworben hat, ist
die Verbreitung derselben bekannt geworden. Sie bestätigt indessen
keineswegs ohne weiteres Branprs Hypothese. Während der Gehalt
an NH, überall annähernd konstant ist, schwankt der an HNO,
und HNO, erheblich, und zwar sind die südlichen hohen Breiten
sehr reich, von da nimmt der Gehalt nach dem Äquator zu konstant
ab, steigt dann aber weiter nördlich nicht wieder in gleicher Weise
an, sondern hält sich bis weit in das kühle Gebiet hinein auf etwa
gleicher Höhe, während die Bevölkerungsdichte des Planktons im
Meere auf beiden Hemisphären in gleicher Weise mit abnehmender
Temperatur ansteigt”). Neuerdings hat nun Branpr'* in den Berichten
der internationalen Meeresforschung eine kurze Mitteilung gegeben,
1) GRAN, Studien über Meeresbakterien, Bergens Museum. Aarbog 1901. —
BAUER, Über zwei denitrifizierende Bakterien aus der Ostsee, Wissenschaftl.
Meeresuntersuchung. N.F. Abt. Kiel, Bd. VI. — FEITEL, Beiträge zur Kenntnis
denitrifizierender Meeresbakterien, eod. loco, Bd. VII, 1903.
2) RABEN, Über quantitative Bestimmung von Stickstoffverbindungen ım
Meerwasser, eod. loco, Bd. VIII, 1905 und 1910.
3) GEBBING, Über den Gehalt des Meeres an Stickstoffnährsalzen, Internat.
Rev. Hydrob. Hydrogr. Bd.1IlI, Heft 1—2. 1910.
90
nach der es ihm gelungen ist, eine Parallelität zwischen der Ab-
nahme des N-Gehaltes und der Zunahme der Temperatur nach-
zuweisen. Aber es liegt das Beobachtungsmaterial noch nicht vor,
und es sind bisher die widersprechenden Ergebnisse der Südpolar-
Expedition nicht widerlegt. | |
Während Branpr voraussetzt, daß ebenso wie bei den land-
wirtschaftlichen Betrieben des Menschen Lirsie’s Gesetz vom Mini-
mum auch in der Natur und im Meere Gültigkeit hat, verneint
NarHansoun’® dies energisch, indem er darauf hinweist, daß in der
Kultur der Mensch den jedesmaligen Ertrag an neugebildeter
Pflanzensubstanz in der Ernte dem Acker entführt und dieser
Verlust sehr schnell zu einer Erschöpfung der Nährstoffe im Boden
führen muß, wenn nicht durch die Düngung immer wieder neue
Nährstoffe zugeführt werden. Diese Zufuhr aber muß natürlich
semäß dem Gesetze vom Minimum erfolgen, weil sie eben einem
abnorm erschöpften Boden wieder aufhelfen soll. In der Natur
aber und ganz besonders im Meere beim Plankton findet fortwährend
Selbstdüngung durch die Exkremente der Tiere und die absterbenden
Organismen statt, so dab normalerweise gar keine derartige Reduktion
der Nährstoffe eintreten kann, daß das Gesetz vom Minimum in
Kraft treten müßte. Die Besiedelungsdichte irgendeines Wassers wird
vielmehr nach Narnansonn von den verschiedensten Faktoren
bestimmt, deren wichtigste die von Hensrn bereits 1887 °® als aus-
schlaggebend erkannten: Werte der Vermehrungs- und der
Vernichtungsgröße sind. Jede Eigenschaft des Wassers, die
einen dieser Faktoren beeinflußt, ändert auch die Volkszahl. So
können neben den N-Verbindungen die verschiedensten Stoffe durch
Steigerung des Stoffwechsels von großer Bedeutung werden und
vor allem die Exkrete der Organismen zu einer Hemmung der
Lebenstätigkeiten führen, wenn nicht für ihre stete Fortführung
gesorgt ist. Naruansonn®® stellt daher die Hypothese auf, daß
Reichtum oder Armut eines Meeresteiles an Plankton nicht ab-
hängig ist von den im Minimum vorhandenen Nährstoffen und der
Menge und Tätigkeit denitrifizierender Bakterien, sondern lediglich
davon, ob das betreffende Wasser einer regen Zirkulation unter-
worfen ist oder mehr oder weniger stagniert. Wechselreiche und
wechselarme Meeresgebiete sind daher zu unterscheiden; erstere
sind dicht, letztere spärlich bevölkert, einerlei, ob sie in
den Tropen oder in den Polargebieten liegen. Dort sorgt
die Zirkulation für stete Erneuerung aller Bestandteile und erhält das
Wasser dauernd auf der Höhe seiner Zeugungskraft, hier werden die
—
91
Nährstoffe allmählich reduziert, die schädlichen Stoffwechselprodukte
angehäuft, die Zeugungskraft aber dadurch stetig herabgesetzt.
Gebiete, in denen Küstenwasser und Wasser der Hochsee, Tiefen-
wasser und Oberflächenwasser, polares und tropisches Wasser sich
mischen, sind daher planktonreich; Gebiete, in denen solcher Aus-
tausch fehlt, wie in den Halostasen und den küstenfernen Ab-
schnitten der Zirkelströme sind dagegen planktonarm. Auch in
den polaren Gebieten kommt ganz planktonarmes, in den Tropen
auch sehr planktonreiches Wasser vor. Auch diese Hypothese ist
nicht einwandfrei als richtig erwiesen; sie erklärt eine große
Menge von Erscheinungen ungezwungen und zieht in ganz anderer
Weise als Branpr’s Hypothese alle hydrographischen und biolo-
gischen Faktoren heran. Es bleibt aber noch zu prüfen, ob nicht
doch in den Tropen die Gebiete stärkster Besiedelung, wie z. B.
die Mündungsgebiete großer Ströme, die Buchten, Gebiete mit auf-
steigendem kühlen Tiefenwasser usw. stets erheblich hinter den
gleichen Kulminationsgebieten der höheren Breiten zurückbleiben.
Nach Branpr’s Hypothese müssen die warmen Meere, da sie
infolge der vermehrten Tätigkeit der denitrifizierenden Bakterien
eines Teiles ihrer wichtigsten Pflanzennährstofie beraubt werden,
an Produktion hinter den kühleren Meeresgebieten zurück-
stehen,d.h. im Laufe eines Jahres weniger Plankton hervor-
bringen als diese im gleichen Zeitraum. Daß das der Fall ist,
kann aber bisher nicht als erwiesen gelten und es sind von ver-
schiedenen Seiten erhebliche Bedenken dagegen geäußert. Volks-
bestand und Produktion brauchen keineswegs einander parallel zu
gehen und müssen um so mehr divergieren, je verschiedener die
Schnelligkeit der Entwicklung und die Lebensdauer der einzelnen
Generationen sind. Dies muß am stärksten bei den Protisten sich
geltend machen, die durch einfache Teilung sich fortpflanzen, da
hier die Zahl der Generationen im Jahre und daher auch der Unter-
schied in der Zeugung am größten ist. In der Tat fand sich, dab
die einzelligen Pflanzen im kühlen Gebiete fünfmal zahlreicher sind
als in den Tropen, während die Gewebstiere dort nur zweimal so
häufig auftreten. Außerdem sind wir über den Jahresverlauf der
Planktonentwicklung in den Tropenmeeren noch so gut wie gar
nicht unterrichtet, und vor allem fehlen uns vergleichbare Werte
für die Jahresentwicklung in der Flachsee und in der Hochsee
beider Gebiete. Ferner stammen fast alle bisher veröffentlichten
Untersuchungen der kalten Meere, die uns Aufschluß geben könnten,
aus Flachsee- und Küstengebieten, während es wichtig wäre
92
Zählungen gerade aus der polaren Hochsee mit solchen
aus der tropischen Hochsee vergleichen zu können. Es
käme da vor allem die Antarktis in Frage, denn in der Arktis ist
der Einfluß der Küste schwer ganz auszuschließen. Von großer
Bedeutung wäre endlich eine planmäßige Untersuchung des größten
Ozeanbeckens, des Pazifischen Ozeans, der sehr planktonarm sein soll.
Über den Planktongehalt des Indischen geben uns hoffentlich recht
bald die quantitativen Untersuchungen Apsteins an Bord der Valdivia
Aufschluß. Es scheint nach den Appendicularien, als ob dieses kleinste
Ozeanbecken trotz seiner hohen Wassertemperatur ganz besonders |
reich wäre.
Hessen? hat auf Grund der Bevölkerungsdichte eine
Bonitierung der verschiedenen, vonder Planktonexpedition
durchfahrenen Gebiete ausgeführt. Am einfachsten wäre es
sicherlich, die Höhe der Gesamtbevölkerung, alsoz.B.die Individuenzahl
pro Quadratmeter Meeresfläche oder pro Kubikmeter Wasser direkt
als Maßstab zu nehmen. Anderseits könnte man auch das Volumen oder
Gewicht des Planktons oder den aus der chemischen Zusammensetzung
berechneten Brennwert der Bonitierung zugrunde legen. HErxsEn
hat einen andern Weg eingeschlagen. Er berechnet zunächst für
eine möglichst große Zahl von Arten oder Gattungen derjenigen
Gebiete, die gegen einander abgeschätzt werden sollen, die Be-
völkerungsdichte in jedem einzelnen Gebiete und stellt den Prozent-
satz fest, den die Individuenzahl jeder Form in dem einzelnen Gebiete
von der Summe ausgemacht, die alle Gebiete zusammen für sie
ergeben. Dadurch wird erreicht, daß das Gedeihen der verschiedenen
Formen überhaupt miteinander vergleichbar wird. Dann werden —
für jedes Gebiet alle Prozentteile sämtlicher Formen addiert und
aus dieser Summe die Durchschnittszahl pro Art berechnet. Diese
Zahlen geben dann die Bonitierungswerte für die Gebiete an, indem
sie zum Ausdruck bringen, in welchem Gebiete die relative Volks-
zahl der verschiedenen Formen, die sein Plankton zusammensetzen,
durchschnittlich am höchsten ist. Zugleich bezeichnet Hunsey den
Ort, an dem eine Form ihre höchste Volkszahl erreicht, als den
ihrer Eutokie, und den Grad, um welchen sie in ihrer Eutokie
die mittlere Volkszahl überschreitet, als ihre Pleonexie.
3. Die Struktur des Planktons und ihr Wechsel in’
Zeit und Raum gestattet uns, noch weiter in das Be- —
völkerungsproblem einzudringen, und schließlich wird
eine Lösung nur durch das intensive Studium dieser ©
Organisation der ganzen Lebensgemeinschaft zu erwarten ~
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94
sein. Wir können dieselbe von sehr verschiedenen Gesichts-
punkten aus untersuchen. Das einfachste ist, die einzelnen syste-
matischen Gruppen: Arten, Gattungen, Familien usw. als Bausteine
zu betrachten und so die „systematische Struktur“ zu studieren.
Sie bildet zugleich die notwendige Voraussetzung jeder weiteren
Forschung und ist daher von ganz besonderer Bedeutung. Die
Figuren 12 und die Kurve 1 auf Tafel I geben z. B. die syste-
matische Struktur des Planktons im Atlantischen Ozean während
der Fahrt der Deutschland. Eingetragen sind die Volkszahlen der
Pflanzenfamilien und der Tiere. Die letzteren, von denen für die
Raumeinheit von 1 Liter nur die Protozoen in Frage kommen,
sind durch schwarze Flächen wiedergegeben; man sieht also sofort
das enorme Übergewicht der Pflanzen gegenüber den Tieren. Auf
Tafel I ist die durchschnittliche Zahl für jedes 10°-Feld berechnet,
die Äquatorlinie ist durch eine doppelte Linie gekennzeichnet.
. Gleichmäßig im ganzen Gebiet häufig sind nur die Coccolitho-
phoriden (d) und die Peridineen (e); alle anderen sind auf das
kühle oder warme Gebiet vollständig oder nahezu vollständig be-
schränkt. Trichodesmium (f) kommt nur im tropischen Gebiete nördlich
vom Äquator in solcher Menge vor, daß seine Menge hier zum
Ausdruck kam; die Diatomeen (a), nackten Phytoflagellaten (b),
Phaeocystis (c) und die Protozoen (nackten Monadinen) (g) erreichen
nur in den beiden kühlen Gebieten irgendwelche Bedeutung, wobei
im Norden die Diatomeen, im Süden die nackten Phytoflagellaten
das Übergewicht haben. Fig. 12 zeigt die Struktur in vertikaler
Ausdehnung und in Durchschnittswerten für jedes der drei Haupt-
gebiete. Sie ist ohne weiteres verständlich ; im Norden tritt wiederum
die Wirkung der in die Tiefe niedersinkenden Ruhesporen der
Diatomeen hervor.
Nach der Feststellung dieser „systematischen Struktur“ kann
man nun zur Untersuchung der. biologischen Struktur gelangen,
indem man diejenigen Verhältnisse feststellt, welche die Beziehungen
der Organismen der Lebensgemeinschaft zueinander ausmachen.
Ein derartiges Verhältnis kommt bereits in der Individuen-
zahl unmittelbar zum Ausdruck, das ist: die Zahl der Werkstätten
oder Betriebe, über die eine systematische Gruppe verfügt und von
der ihre Vermehrungskraft und damit ihre Widerstandskraft gegen
Feinde und Ungunst der Verhältnisse abhängt. Aber schon die
Schnelligkeit der Vermehrung ist bei den verschiedenen Planktonten
sehr verschieden und ebenso die Lebensdauer der einzelnen Generation.
Einzellige und Gewebstiere gehen hierin weit auseinander. Will man
95
daher die jährliche Produktion des Planktons bestimmen, so muB
man den durchschnittlichen Vermehrungsfuß, die durchschnittliche
Zahl von Generationen im Jahr und die Vernichtungsgröße kennen,
der die verschiedenen Organismengruppen ausgesetzt sind. Diese
Faktoren sind sämtlich exakter Untersuchung zugängig. Der Ver-
mehrungsfuß kann vor allem bei den Pflanzen, auf die es hierbei
überhaupt in erster Linie ankommt, durch Kulturen direkt fest-
gestellt werden, ebenso die Lebensdauer des einzelnen Individuums.
‚Ein Vergleich zwischen den wirklich beobachteten Individuenzahlen
und denen, die durch den Vermehrungsfuß gefordert werden, ergibt
die Höhe der Vernichtung, der die betreffende Organismengruppe
ausgesetzt gewesen ist. Dadurch bekommen wir also die beiden
wesentlichsten Faktoren des Kampfes um das Dasein: Vermehrungs-
fuß und Vernichtungsfu8 in unsere Gewalt. Bisher sind aber unsere
Kenntnisse in dieser Beziehung noch sehr gering. Hxznszn*® wies
auf der Nordsee-Expedition 1895 nach, daß nach seinen Funden
auf jede ausschlüpfende Dorschlarve 2,8 abgelegte Eier zu rechnen
sind, also '/, der Eier gar nicht zum Ausschlüpfen kommt. Ebenso
berechnete er für Copepoden (Oithona) der westlichen Ostsee, dab
die Nauplien einen täglichen Verlust von 6,4°/,, die reifen Orthona
dagegen nur von 2°/, erleiden. Für Sceletonema der Ostsee rechnet
Hensen einen Necrotokus oder Todesverlust von etwa 10 °/,.
Man kann jedoch nicht bei der Individuenzahl stehen bleiben,
wenn man die Bedeutung der verschiedenen Planktonten im Stoff-
wechsel feststellen will. Vielmehr wird man dann die Gruppierung
nach systematischen Gruppen aufgeben müssen und an ihre Stelle
biologische Gruppen setzen müssen. Zunächst käme da natürlich
das Verhältnis von Produzenten zu Konsumenten in Betracht.
Es sind nicht alle Pflanzen als Produzenten zu rechnen, da
viele derselben nicht assimilieren, weil sie kein Chromophyli
besitzen. Von den atlantischen Gymnodinien erwiesen sich z. B.
nicht weniger als 75°/, als farblos; bei der großen Individuenzahl
kann das nicht vernachlässigt werden. Man kann aber ferner
nicht Produzenten und Konsumenten nach ihrer Individuenzahl
miteinander vergleichen, da das zum größten Teil, soweit dabei
Gewebstiere und Protisten in Betracht kommen, ganz unvergleich-
bare Größen sein würden. Man hat also nach einer Methode zu
suchen, durch die es gelingt, diese verschiedenen Einheiten ver-
gleichbar zu machen. Lonmann®! hat das Volumen der lebenden
Masse der einzelnen Formen zugrunde gelegt, Purrer®? hat die Ober-
fläche derselben als Einheit genommen, Hensen?® und nach ihm
96
Branpt!? haben die chemische Zusammensetzung zum Ausgangspunkt
gewählt. Es kann nicht zweifelhaft sein, daß allein die letztere
Methode einen zuverlässigen Maßstab liefern wird. Es ist aber sehr
schwer, über die chemische Zusammensetzung der wichtigeren
Gruppen, zu denen außer den Diatomeen und Peridineen vor allem
auch die Coccolithophoriden und nackten Phytoflagellaten gehören,
sichere Auskunft ohne Kulturen zu erhalten, die bisher für diese
Formen nicht gelungen sind. Die auf Veranlassung von Braxpr durch
Chemiker ausgeführten Untersuchungen ergaben, daß 1 Copepod
etwa 150 Ceratien oder 1500 Chaetoceras an Trockengewicht
gleichzusetzen seien. Aus dem Durchschnittsgehalt dieser Orga-
nismen, die leicht mit Netzfängen in größerer Menge zu erhalten
sind, an Eiweiß, Kohlehydraten, Fetten und Asche ließ sich dann
auf Grund der systematischen Struktur der Fänge ihre chemische
Struktur annähernd feststellen, so daß Branpr imstande war,
18971) unserer Gesellschaft die ersten graphischen Darstellungen
davon vorzulegen. Da ihnen nur Netzfänge zugrunde lagen, konnten
sie naturgemäß kein richtiges Bild der wirklichen Verhältnisse
geben. Pürrer8® hat dann später eine Umrechnung auf die mit
Zentrifuge, Filter und Netz ausgeführten Ergebnisse von Lonmann’s
Untersuchungen bei Laboe vorgenommen und das so gewonnene
Material in der weitgehendsten Weise unter physiologischen Ge-
sichtspunkten verarbeitet.
Das Ziel aller dieser Untersuchungen über die Struktur des
Planktons ist natürlich, Einblick zu gewinnen in das Zusammen-
wirken der drei biologischen Komponenten jeder Lebensgemeinschaft:
der Produzenten, Konsumenten und Reduzenten, oder, da‘
das Plankton das Leben im Meere beherrscht, den Stoffwechsel
des Meeres aufzuklären. Diese Aufgabe ist von Hexsen zuerst
gestellt, der 1887 seine Arbeit über das Plankton mit folgenden
Sätzen begann: „Das mit dem Namen „Auftrieb“ bezeichnete
Material, welches von Zoologen und Botanikern, seit den bahn-
brechenden Arbeiten von JoHAnses Mürter, so vielfach untersucht
worden ist und mit feinen durchlässigen Netzen gefischt wird, hat,
neben seinem Interesse für Systematik und Anatomie, ohne Zweifel
für den ganzen Stoffwechsel des Meeres eine große Bedeutung.
Diese Arbeit versucht es, dem bezüglichen Stoffwechsel
näher zutreten.“ Hensen hat zunächst mit wahrhaft genialem Blick
1) Die Fauna der Ostsee, insbesondere die der Kieler Bucht; diese Ver-
handlungen, 1897.
97
die Möglichkeit erkannt, die das Plankton als willenlos treibendes
Material durch die Gesetzmäßigkeit und relative Gleichmäßigkeit
seiner Verteilung im Wohngebiet gewährte, erfolgreich diesem großen
Probleme näherzutreten. Er hat die notwendigen quantitativen
Methoden des Fanges und der Fanganalyse geschaffen und gezeigt,
wie man aus dem jeweiligen Volksbestande durch Untersuchung
des Vermehrungsfußes und der Vernichtungsgröße zu einer Be-
stimmung der Produktion gelangen kann. Durch Einführung der
Filter- und Zentrifugenfänge sind wir dann in den Stand gesetzt
den Bestand und die Zusammensetzung, die das Plankton in der
Natur besitzt, festzustellen, während die Netzfänge uns nur einen
nicht näher bestimmten Bruchteil lieferten, dessen Zusammensetzung
sehr wesentlich von der des im Wasser lebenden Planktons abwich.
Mittelst der Zentrifuge wird es sogar möglich sein, unab-
hängig von Kulturen, die Menge der im Wasser ent-
haltenen Bakterien quantitativ festzustellen; nur müßten
zu diesem Zwecke die Schöpfproben, wie Gran®> das jetzt für
Diatomeen, Peridineen und Ciliaten empfiehlt, mit Konservierungs-
_ mitteln versetzt werden, damit eine nachträgliche Vermehrung der
Bakterien ausgeschlossen wird. Hierzu könnte man wahrscheinlich
am besten Formol nehmen und bei Salzwasserproben nach der
ersten Zentrifugierung, um das Salz völlig zu entfernen, das ab-
gegossene Meerwasser ein- oder mehrmals durch destilliertes Wasser
ersetzen. Dann würde man das Sediment mit den Bakterien der
üblichen Färbungsmethode unterwerfen und durch Auszählung
auf der Zählplatte die Menge der Bakterien feststellen können.
Bisher sind nur von Losmann®! und Rurryer®® lebende Bakterien
zentrifugiert. Die Abtötung und Konservierung ist aber bei diesen
so außerordentlich .schnell sich vermehrenden Organismen not-
wendig und bietet nicht nur den großen Vorteil, bei Meeresunter-
suchungen das störende Salzwasser entfernen zu können, sondern
gibt auch die Möglichkeit, eventuell das Übergewicht der Bakterien
dadurch zu erhöhen, daß man das spezifische Gewicht des Mediums
durch Zusatz leichterer Flüssigkeit herabsetzt und so die vollständige
Sedimentierung erleichtert. In diesem Verfahren dürfte über-
haupt noch eine gute Methode gegeben sein, bisherige
Mängel der Plankton zentrifugierung zu ermitteln und zu
beseitigen, und so eine wirkliche Erschöpfung des Plank-
tongehaltes des Meeres durch unsere Fangmethoden zu
erreichen. Denn der Vergleich der Fangerträge, welche die
Planktonorganismen mit ihren kleinen Fangapparaten gewinnen,
Verh. d. Dtsch. Zool. Ges. 1912. i 7
98
nötigt fortgesetzt zu äußerster Vorsicht in der Bewertung unserer
eigenen Methoden, die notwendigerweise gröber und weniger
schonend arbeiten als jene.
Immerhin sind wir jetzt in der Lage, uns ein in den wesent-
lichen Zügen weit richtigeres Bild von der Menge und Zusammen-
setzung des im Wasser wirklich vorhandenen Planktons zu machen
als mittelst der Netzfänge, und wahrscheinlich bedarf es nur einer
weiteren Vervollkommnung der jetzt vorliegenden Methoden, um
endlich wirklich zum Ziele zu gelangen. So war es denn natürlich, —
daß jetzt Versuche gemacht wurden, die biologische Struktur
dieses Gesamtplanktons genauer zu untersuchen.
So stellte Loumann®? das Verhältnis fest, in dem bei Laboe zu
den verschiedenen Monaten des Jahres die Masse der lebendigen ')
Pflanzensubstanz zu der Gesamtmasse des Planktons stand und wies
nach, dab die erstere vom XI.—III. unter 50% der Gesamtmasse
herabsinkt (bis 18% im Februar!), während sie vom IV.—X. stets
mehr ausmacht und bis auf 75 %, ansteigt. Es stellte sich ferner
heraus, dab trotz der Annahme eines möglichst niedrigen Nahrungs-
bedarfs der Tiere die Menge der Pflanzen im Januar und Februar
denselben nicht zu decken vermag und, da die Tiere trotzdem gut
gedeihen, außer ihnen noch andere Nahrungsquellen denselben zur
Verfügung stehen müssen. Als solche sieht er den Detritus an,
der im Wasser der Flachsee in großer Menge vorhanden ist und
von dem Jon. Prrersen®® 1911 nachgewiesen hat, welche große
Bedeutung ihm für die Ernährung der Tierwelt flacher Gewässer
zukommt. Im Durchschnitt des ganzen Jahres übertrafen bei Laboe
die Produzenten die Konsumenten um 8—12%.
Pürrer ®° °* ging dann weiter und suchte, indem er Buaimi s!
Arbeiten über die chemische Zusammensetzung der Diatomeen, Peri-
dineen und Copepoden benutzte, den Nährwert des Planktons genauer
zu ermitteln. Zugleich bestimmte er den Nährbedarf einer Reihe
von Planktonfressern aus ihrem Sauerstoffbedarf und kam dabei zu
dem Ergebnis, daß eine Ernährung jeder dieser Arten durch die Plank-
tonten völlig ausgeschlossen sei, weil deren Menge eine viel zu geringe
sei. Nun sind im Wasser außer den in Organismen festgelegten
organischen Verbindungen aber noch stets gelöste organische Kohlen-
stoifverbindungen und auch organische Stickstoffverbindungen vor-
handen, wie schon Narrerer nachgewiesen hatte. Die Menge dieser
Stoffe ist aber, wie Pürrer zeigte, erheblich größer als die in
1) Skelette, Gallert usw. ebenso wie bei den Tieren nicht mitberechnet,
NS
Be,
99
den Organismen enthaltenen Verbindungen (organ. gebund. C. in
1000 Litern: 12250 mg gelöst, 47,4 mg in Organismen; organ.
gebund. N. in 1000 Litern: 126 mg gelöst, 5,5 mg in Organismen;
C. also 260 mal, N. 23 mal reicher in gelöstem als in organismischem
Zustande), und Pürrer glaubt nun in diesen überall im Wasser
verbreiteten, gelösten organischen Verbindungen die hauptsächlichste
Nahrungsquelle der Meerestiere nachweisen zu können. Dem Detritus
spricht er eine größere Bedeutung ab, was weder für das Plankton
bei Syrakus, noch vor allem für dasjenige der westlichen Ostsee
richtig sein wird. Selbst für die Hochsee läßt sich die Bedeutung
des Detritus, unter dem hier selbstverständlich nur der nicht vom
Plankton selbst stammende verstanden ist, keineswegs einfach
leugnen, da sowohl von der Küste wie aus der Atmosphäre eine
Zufuhr möglich ist. Diese gelösten organischen Verbindungen sollen
nun Stoffwechselprodukte der Planktonpflanzen sein und von den-
selben fortwährend neu gebildet werden, da sie nicht imstande sind,
diese Exkrete wie die Landpflanzen im Körper zurückzuhalten.
Es behalten also nach Purrer die Planktonpflanzen durchaus ihre
Bedeutung als Nahrungsquelle des Lebens im Meere bei, aber
nicht ihre Körper, sondern ihre Exkretstoffe geben die
eigentliche Nahrung für die Konsumenten ab. Aus dieser Hypothese
folgt nun für Pürrer, daß wir nicht die Massen (Trockensubstanz,
Lebendgewicht oder Volumen der lebenden Substanz) der Kon-
sumenten und Produzenten zu vergleichen haben, wenn wir unter-
suchen wollen, wie Produktion und Bedarf sich zueinander stellen,
sondern daß es allein auf die Entwicklung der Oberflächen der
Organismen ankommt. Denn davon hängt die Intensität des ganzen
Stoffwechsels, bei den Konsumenten insbesondere also auch der
Sauerstoffverbrauch, bei den Produzenten die Abgabe der Exkret-
stoffe ab. Führt man in dieser Weise den Vergleich für die ver-
schiedenen Monate bei Laboe durch, so erhält man nun in der Tat
einen stetigen Überschuß der Produzenten, indem ihre Fläche im
Minimum (Februar) um !/,,, im Maximum (Juni) um das 22fache
die der Konsumenten übertrifft. Es läßt sich also Pürrer’s Hypothese
dahin zusammenfassen, daß „die Algen Stoffe produzieren, und zwar
proportional der Größe ihrer Oberfläche, diese an das Meer-
wasser abgeben, und daß dann die Tiere diese gelösten Stoffe aus-
nutzen, wobei der Bedarf wiederum proportional der Konsumenten-
fläche ist“ (Ernährung der Wassertiere, 1909, p. 127). Er nimmt
ferner an, „daß der bei weitem größte Teil der Tiere nicht die
scheinbar so fette Weide benutzt, die die Leiber der Tiere und
Air
0 54/1. wa.
100
Ptlanzen bieten, sondern großenteils, größtenteils, bei vielen Tieren
werden wir sagen dürfen ausschließlich, seine Nahrung in gelösten
organischen Verbindungen findet“ (eod. loc. p. 1—2). Pürter hat —
zahlreiche Untersuchungen ausgeführt, um die Ernährung von
Wassertieren der verschiedensten Klassen durch gelöste Nährstoffe
zu beweisen. Bis jetzt stehen aber den Befunden, daß Fische,
Wallgraben (Mitte)
Holzteich (Uren.
i
25. 12.” 718-7 20°. OSD db: RE 1/5.
------ = Zentrifugenplanktonkurve
= Radertierkurve
} (Kugelkurven.)
Figur 13.
Vergleich der Kurven, welche die Volkszahl eines Planktontieres und der
gleichzeitig im Wasser nachgewiesenen Nahrung desselben beschreiben.
DieRotatorienkurve gilt für 10 Liter filtriertes Wasser, dieKurve für dieNahrung
(Zentrifugenplankton) für 15 ccm zentrifugiertes Wasser. Die Kurven sind „Kugelkurven*“.
Die Teiche liegen in der Nähe von Leipzig. (Nach H. Dieffenbach, Internat. Rev. Hydrobiol.
u. Hydrogr., Biol. Suppl., II. ser., Heft 2, Taf. VIL, Fig. 3 u. 4, 1912.)
Krebse, Coelenteraten ohne geformte Nahrung sich nicht nur lange
am Leben erhalten ohne ihrem Energieverbrauch entsprechende —
Verluste zu zeigen, oder selbst wachsen und sich vermehren, ebenso —
viele Untersuchungen gegenüber, die für dieselben Organismen- —
gruppen die Notwendigkeit geformter Nahrung und die zerstörende —
Wirkung ihrer Entziehung nachweisen. Ganz ausgeschlossen
aber ist es, die ausschlaggebende Bedeutung der geformten
Nahrung nicht nur für die Gestaltung der Planktontiere,
»
101
sondern auch für deren Verbreitung ignorieren zu wollen.
Die schnelle Abnahme der Tiere mit der Tiefe unterhalb der eigent-
lichen Vegetationszone beweist dies am besten. Aber es läßt sich
auch im einzelnen der Nachweis führen, daß das Auftreten der
Tiere direkt dem der Pflanzen parallel geht, von denen sie sich nähren.
Ich will hier nur ein Beispiel anführen, das einer trefflichen Arbeit
Drerrensacn’s?® über die Rotatorien einiger Gewässer bei Leipzig
entnommen ist. Fig. 13 zeigt die Kurven des Zentrifugenplanktons,
das fast ausschließlich aus Phytoflagellaten bestand, und die gleich-
zeitige Bewegung der Volkszahl der pelagischen Rädertiere, die
sich, wie durch besondere Untersuchungen festgestellt wurde, von
demselben nähren. Besonders beachtenswert erscheint noch, wie
immer zuerst die Pflanzen kulminieren und erst dann die Fresser
folgen.
| Porrers Arbeiten sind reich an interessanten und neuen
Gesichtspunkten, die zahlreiche weitere Untersuchungen anregen,
und wir können ihm dankbar sein, daß er vom physiologischen
Standpunkte aus die biologische Struktur des Planktons durchdacht
und analysiert hat. Dadurch sind die Probleme, welche die Beziehung
von Konsumenten und Produzenten im Plankton noch für uns birgt, in
ihrem ganzen Umfange hervorgetreten und es ist eine Hypothese
geliefert, deren Grundlagen nun nach allen Seiten hin sorgfältig
geprüft werden müssen. Daß sie so nicht haltbar ist, tritt schon
jetzt hervor; es läßt sich aber noch nicht voraussehen, in welcher
Weise die definitive Lösung sich gestalten wird.
Die Aufgaben, die das Bevölkerungsproblem stellt,
und die Wege, auf denen dieselben zu lösen sind, haben
die Forschungen der letzten 25 Jahre also klar heraus-
gearbeitet, aber von der Lösung selbst sind wir noch weit
entfernt, und vielfach sind kaum die fundamentalen Fak-
toren genauer erforscht. Das liegt zum großen Teil an der
Neuheit der Untersuchungen, zum Teil aber auch an der eigen-
artigen Komplikation, die die Bevölkerungsverhältnisse des Plank-
tons dadurch bekommen, daß die Wohngebiete zum weitaus größten
Teil nicht ihren geographischen Ort bewahren, sondern fortge-
setzt wandern. Wir haben hier also den sehr interessanten Fall,
daß nicht einzelne Arten wie beim Benthos beider Biosphären
und beim Necton der Hydrosphäre periodisch oder aperiodisch
Ihren Wohnsitz verlegen, sondern die ganzen Wohngebiete selbst
mit ihrer gesamten Lebensgemeinschaft ändernihre geo-
graphische Lage. Das erfolgt im Süßwasser bei allen Flüssen,
102
deren Gesamtplankton unweigerlich dem Meere zugeführt wird und
dabei viele Breiten- und Längengrade zurücklegen kann; im Meere
erfolgen die Wanderungen der Wohngebiete langsamer, aber ihre
Ausdehnung ist eine ungleich gewaltigere, und der Umfang der —
wandernden Wassermassen ein ganz ungeheurer. Eine völlig ruhende
Wohnstätte findet das Plankton wohl nur in kleinen Süßwasser-
becken; aber relative Konstanz besitzt es in allen Teichen, Seen
und Altwässern des Landes, in der Tiefsee des Meeres und in
den von den Strömen umschlossenen Halostasen der Ozeanbecken.
Während die Stromgebiete des Landes ausnahmslos aus End-
strömen gebildet sind, die fast alle ihr Plankton der Vernichtung
im Meere entgegenführen, sind im Meere die Mehrzahl aller
Stromgebiete in sich zurückkehrende Zirkelströme. Das Plankton
in ihnen gebraucht viele Monate und oft Jahre, um den Kreislauf
einmal zu vollenden und passiert dabei Tropengebiete und kühle
Gebiete und kann während seiner Reise an bestimmten Orten mit
anderen Stromgebieten entstammendem Wasser zusammentreffen, so
daß eine Mischung zweier Lebensgemeinschaften und eine teilweise
Vernichtung der Planktonten erfolgt. Aber gerade der größte
Zirkelstrom unserer Erde, die Westwindtrift des antarktischen
Meeres, deren Kreislauf auf etwa 3 Jahre geschätzt werden muß,
verläuft unter fast völlig gleichen klimatischen Verhältnissen. Da-
neben treten Endströme auf, die aus ihrem Ursprungsgebiet sich
loslösen, wie der kalte Labradorstrom und der warme Golfstrom im
Nordatlantischen Gebiet, und ihre Planktonwelt wie die Flüsse dem
allmählichen Untergange weihen, indem sie sie unter immer un-
günstigere Verhältnisse führen und schließlich sich selbst in fremde
Stromgebiete auflösen. Solche Endströme sind in Nebenmeeren
und in der Flachsee vielfach als ausgehende und eingehende Ströme
ausgebildet. Lokale Küstenströme machen in diesen Gebieten die
Verlagerungen des Planktons oft zu einem äußerst komplizierten.
Gegenstand der Forschung ist nun unstreitig eigentlich
die Untersuchung der wandernden Planktongemeinschaft, q
deren Artbestand, Bevölkerungsdichte und Struktur —
während ihrer Wanderung zu studieren wäre. Fast immer —
sind wir aber nur in der Lage, das Plankton eines bestimmten —
geographischen Ortes zu untersuchen und die verschiedene Zu- —
sammensetzung desselben während verschiedener Zeiten zu studieren.
Wir haben dann im strömenden Wasser des Meeres und des Landes —
natürlich bei jeder Beobachtung ein anderes Plankton als Unter-
suchungsobjekt und in Küstengebieten können wir es sogar mit
103
verschiedenen von Tag zu Tag wechselnden Planktontieen ') zu tun
haben. Es ist daher eine stete Beobachtung der hydrographischen
Verhältnisse notwendig und die größte Vorsicht geboten, wenn es
sich darum handelt, die zeitliche Entwicklung des Planktons nicht
ruhender Wassergebiete festzustellen. Sehr wünschenswert wäre es
deshalb, wenn auf Expeditionen, die in erster Linie der Forschung
während der Fahrt und nicht der Sammlung von Material zu dienen
hätten, dieses Verhalten der Planktontieen im Meere besonders studiert
würde, indem im Zentrum eines der großen Zirkelströme längere Zeit
gekreuzt, an bestimmten Punkten des umkreisenden Stromsystems
Querschnitte durch den Strom gelegt würden und man schließlich
einem Endstrom möglichst weit der Länge nach folgte. Der ein-
gehenden Untersuchung des Gestaltungsproblemes durch das Studium
der verschiedenen Planktonformen, diein den wertvollen Monographien
der großen Expeditionen enthalten sind, muß auch eine ebenso gründ-
liche Erforschung des Bevölkerungsproblems parallel gehen, die sich
aber nicht, wie das bis jetzt meist der Fall ist, nur an die einzelne Art
oder Organismengruppe anlehnen darf, sondern vor allem auch in zu-
sammenfassender Weise die Lebensgemeinschaft des Planktons
in ihren verschiedenen Typen selbständig behandeln mub.
Schluß.
Uberblicken wir nun zum Schluß das Ergebnis des Referates,
so sehen wir, wie sich immer mehr zwei Forderungen geltend
machen, die uns eine gedeihliche und fruchtbringende Weiter-
entwicklung der Planktonforschung verbürgen.
Das ist erstens, daß als eigentlicher Gegenstand der Forschung
nicht das konservierte, tote, sondern daslebende Plankton in seiner
natürlichen Umgebung betrachtet werden muß. Wie der lebendige
Planktonorganismus sich seiner Umgebung gegenüber durchsetzt, und
aus dem Zusammenwirken der vielen lebendigen, schwebenden Werk-
stätten des Planktons diese Welt des Gesamtplanktons entsteht,
die die gesamte Hydrosphäre mit ihrer rastlosen, stillen Arbeit
erfüllt, ist das Problem, das die moderne Planktonforschung
zu lösen erstrebt. Sie will den Nachweis erbringen, daß sowohl
Gestaltung, Bau und Entwicklung des einzelnen Planktonten, wie
die Verbreitung, Menge und wechselnde Zusammensetzung des
Gesamtplanktons Lebensnotwendigkeiten sind, von denen der Be-
stand dieser größten Lebensgemeinschaft unserer Erde abhängig ist.
') „Planktontie“* als zusammenfassender kurzer Ausdruck für die gesamte
Plankton-Bevölkerung (Pflanzen, Tiere, Bakterien) eines Gebietes.
104
Zweitens aber müssen immer mehr an die Stelle bloßer Schätzungen
und geistreicher Erklärungen exakte Forschungsmethoden treten,
wie sie uns jetzt in den chemischen und physikalischen Methoden der
Pflanzen- und Tierphysiologie und den statistischen Methoden der
Variation und Population, im Experiment und in der Kultur zur
Verfügung stehen. Ein bloße Schätzung der Häufigkeit oder der
Variabilität oder der Leistung einer Gestaltung muß in der Plankton-
forschung ebenso eingeschätzt werden, wie es der Fall sein würde,
wenn ein Hydrograph den Salzgehalt und die Temperatur eines
Meeresgebietes nur nach Gefühl und Geschmack schätzen und
daraufhin ein Bild von den Strömungsverhältnissen desselben ent-
werfen - wollte. Zu wie irrigen Vorstellungen die primitiven,
subjektiven Methoden in der Planktonforschung führen, und wie
hemmend ihre anscheinend eindeutigen Resultate wirken können,
haben die Untersuchungen über den Planktongehalt der warmen
Meere und über die Gesetzmäßigkeit der horizontalen Verteilung
des Auftriebs über alles Erwarten so deutlich gezeigt, daß ein
Zweifel über die Berechtigung dieser Forderung gar nicht möglich
ist. Will die Planktonforschung den Charakter einer modernen
Wissenschaft bewahren, so muß sie auf diesem Wege weitergehen.
Übersicht der zitierten Literatur.
1. ALLEN, E. J. u. NELSON, E. W., On the Artificial Culture of Marine Plankton
Organisms. Journal Marin. Biolog. Associat. Plymouth, vol. 8, 1910.
2. APSTEIN, C., Biologische Studie über Ceratium tripos var. subsalsa Ostf.
Wissenschaftl. Meeresuntersuchungen. Neue Folge, Abt. Kiel,
Bd. XII. Kiel 1911.
3. — Das Süßwasserplankton. Kiel u. Leipzig 1896. %
4. — Hat ein Organismus in der Tiefe gelebt, in der er gefischt ist? Internat.
Revue Hydrobiol. u. Hydrograph., Bd. III, Heft 1/2, 1910.
5. — Cladocera in: Conseil permanent internat. p. l’explorat. d. 1. mer, Bull.
trimestr., Résumé observat. Plankton 1902—-1908, Partie I, 1910.
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Vorträge.
Herr Dr. Ernst Teichmann (Frankfurt a. M.):
Zur Biologie der Trypanosomen.
I. Die Spezifität der Trypanosomen. Es ist bekannt,
daß sich eine Anzahl von mit verschiedenen Namen belegten
Trypanosomen morphologisch kaum mit Sicherheit unterscheiden
lassen: Tr. Brucei (Nagana), Tr. equiperdum (Dourine), Tr. equinum
(Mal de Caderas), Tr. Evansi (Surra), Tr. Togolense (Nagana?), Tr.
vivax (= Tr. Cazalboui), Tr. caprae (Nagana?), Tr. Gambiense (Schlaf-
krankheit) und Tr. Rhodesiense (=Tr. Gambiense?) u. a. gehören
hierher. Es ist deshalb von R. Koc# und anderen die Vermutung
ausgesprochen worden, daß es sich bei den säugetierpathogenen
Trypanosomenformen überhaupt nicht um fest fixierte, sondern um
„werdende“ Arten handle. Ohne auf die Frage einzugehen, ob
Anzeichen dafür vorhanden seien, daß sich die Trypanosomen in
einem Prozeß befinden, der zur Ausbildung distinkter Arten führen
müsse, möchte ich über die Ergebnisse von Versuchen berichten,
110
die zur Prüfung der Spezifität einiger Trypanosomen-,, Arten“ an-
gestellt wurden. Diese Experimente sind von Herrn Dr. H. Braun,
dem Vorsteher der bakteriologischen Abteilung des Städtischen
Hygienischen Institutes, und mir gemeinschaftlich ausgeführt worden.
Die Absicht, von der ich im Anschluß an die hier vor einem
Jahre gemachten Mitteilungen über das Gift der Sarkosporidien
sprach), die dabei verwandte Methode zur Darstellung des Sarko-
sporidiotoxins auch bei anderen Protozoen, insbesondere bei Trypa-
nosomen zu versuchen, haben wir inzwischen verwirklicht. Ich
möchte mich wegen der Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit
nicht auf Einzelheiten einlassen und nur sagen, daß wir die Trypa-
nosomen von allen Bestandteilen des Blutes der Tiere, in denen sie
leben, befreien können, sie dann in einer bestimmten Art trocknen
und zu einem Pulver zerreiben, das lediglich aus Trypanosomen-
substanz besteht. Durch Injektion dieser Trypanosomen-Trocken-
substanz, unseres Vakzins, die keinerlei toxische Eigenschaften
besitzt, können wir Mäuse, Ratten, Meerschweinchen und Kaninchen
gegen die nachfolgende Infektion mit der entsprechenden Trypa-
nosomenart sicher schützen. Dieser Schutz beruht darauf, daß der
mit der Substanz vorbehandelte Organismus Antistoffe produziert,
die in seinem Blute kreisen, und sich mit deren Hilfe der ein-
gedrungenen Parasiten erwehrt. Die Wirkung dieses Mittels ist
also eine indirekte; es wirkt nicht heilend, sondern prophylaktisch.
Wir hatten im ganzen 8 Trypanosomenstämme zur Verfügung,
nämlich 2 Dourine-, 2 Nagana-, 1 Mal de Caderas, 1 Congolense
und 2 Gambiense-Stämme. Wenn wir nun Mäuse mit einem Vakzin
behandelten, das von einem der beiden Dourine-Stämme gewonnen
worden war, so erwiesen sich diese Tiere nicht nur gegen diesen
und den zweiten Dourinestamm immun, sondern sie waren auch
gegen Nagana und Mal de Caderas geschützt. Umgekehrt zeigten
sich Mäuse, die mit einem Nagana-Vakzin vorbehandelt worden
waren, sowohl gegen Nagana als auch gegen Dourine, als auch
gegen Mal de Caderas geschützt.
Zu ganz analogen Ergebnissen gelangten wir, wenn wir Mäuse
passiv immunisierten, indem wir ihnen Immunsera einverleibten.
Solche Sera erzeugten wir dadurch, daß wir Kaninchen mit aus
Trypanosomen gewonnenem Vakzin hehandelten. Mäuse, denen z.B.
ein Dourine-Immunserum eingespritzt wurde, waren nicht nur gegen
1) Über ein Protozoentoxin. Verhandlungen der Deutschen Zoo- .
logischen Gesellschaft, 1911, S. 278 ff.
111
Dourine, sondern auch gegen Mal de Caderas und Nagana geschützt;
ebenso waren Mäuse, denen ein Nagana-Immunserum einverleibt
wurde, immun sowohl gegen Nagana, als auch gegen Mal de
Caderas und Dourine.
Aus diesen Versuchen geht hervor, daß von den 3 genannten
Trypanosomenarten die eine wie die andere Stoffe besitzt, die in
das Blut des Versuchstieres eingeführt, -dieses veranlassen, mit den
gleichen Antikörpern zu reagieren. Da nun bekanntlich Immunitäts-
reaktionen zur Prüfung der Frage der Verwandschaft mit Erfolg
angewandt werden können, so muß der Ausfall der angeführten
Versuche dahin gedeutet werden, daß die 3 genannten Trypanosomen-
arten in engen verwandtschaftlichen Verhältnissen zueinander
stehen. Ob aber immunisatorisch überhaupt kein Unterschied
zwischen den Trypanosomen der Nagana, der Dourine und des
Mal de Caderas besteht, ist durch diese Versuche noch nicht ent-
schieden. Es wäre ja möglich, dab sie neben den gemeinsamen
Antigenen auch noch solche besitzen, die untereinander verschieden
wären. Das könnte nur durch Versuche erwiesen werden, bei denen
quantitativ genau gearbeitet würde. Das ist bei solcher Versuchs-
anordnung aber nicht möglich. Dagegen haben wir andere Versuche
angestellt, aus deren Ergebnissen die immunisatorische Identität
von Nagana und Dourine folgt.
Wir haben sogenannte Erschöpfungsversuche ausgeführt,
die auf folgenden Tatsachen beruhen. Schwemmt man in einem
Immunserum die Zellelemente auf, mit denen es erzeugt worden
ist, so verbinden sich die Antikörper mit den Zellbestandteilen,
durch die sie hervorgerufen worden sind (Antigene) und können
“mit diesen aus dem Serum entfernt werden. Diesen Vorgang be-
zeichnet man als Erschöpfung des Serums. Werden dagegen fremd-
artige Zellelemente in das Serum gebracht, so behält es seine volle
Wirksamkeit. Es können aber Zellen neben den verschiedenen noch
gemeinsame Antigene enthalten; so wirkt z. B. ein Antityphusserum
nicht nur auf Typhusbazillen, sondern auch, in stärkerer Konzentration,
auf die verwandten Paratyphusbazillen ein. Ein solches Typhus-
Immunserum verliert seine Antikörper im Erschöpfungsversuch nur
durch Behandlung mit Typhusbazillen; behandelt man es mit Para-
typhusbazillen, so verliert es seine Wirksamkeit nur gegen diese,
behält aber seine volle Wirkung auf Typhusbazillen. Daraus geht
hervor, daß der Typhusbazillus zwar mit dem Paratyphusbazillus
gemeinsame, aber außerdem noch differente Antigene besitzt. Wären
die Antigene des Typhus- und des Paratyphusbazillus identisch, so
112
müßte man ein Typhus-Immunserum auch mit Paratyphusbazillen
seiner Antikörper vollständig berauben können.
Wir haben nun folgende Versuchsanordnung getroffen:
Ein Quantum Dourine-Immunserum wurde in zwei gleiche Teile
2 = - e ®
geteilt; dem einen Teil wurden Dourine-Trypanosomen, dem anderen
Nagana-Trypanosomen in gleichen Mengen zugesetzt; dann wurden
beide Gemische eine Stunde bei 37° gehalten und darauf durch
Zentrifugieren von den Trypanosomen befreit. Dieselbe Prozedur
wurde noch zweimal wiederholt. Schließlich wurden beide Sera
auf 56° erhitzt, um etwa noch lebende Trypanosomen zu töten.
Von den so behandelten beiden Sera wurden nun Mäusen gleiche
Quanten eingespritzt und diese Mäuse wurden, mit Ausnahme von
zwei, die als Kontrolle dafür dienten, daß mit dem Serum selbst
keine lebenden Parasiten eingespritzt worden waren, mit Dourine
infiziert. Sämtliche Mäuse, mit Ausnahme der beiden Kontrolltiere,
erkrankten und gingen an Trypanosomen zugrunde Beide Sera
waren also völlig unwirksam geworden, während die Mäuse, denen
gleichzeitig dieselben Mengen nicht erschöpften, aber sonst genau
so behandelten Serums injiziert worden waren, geschützt waren.
Nicht nur die Dourine-Trypanosomen vermögen also das Dourine-
serum seiner Antikörper zu berauben, sondern auch die Trypanosomen
der Nagana nehmen aus dem Dourineserum die Antikörper voll-
ständig heraus. Hieraus ist zu schließen, daß Trypanosoma Brucei
und Trypanosoma equiperdum in bezug auf ihre Antigene identisch
sind. Hält man hiermit die vorhin erwähnten Ergebnisse der
Immunisierungsversuche zusammen, so kann die Folgerung nur
dahin gehen, daß das Trypanosoma der Nagana und das der Dourine
in immunisatorischer Hinsicht nicht voneinander zu unterscheiden
ist, und ebenso wird es mit dem des Mal de Caderas stehen.
Ohne Zweifel deuten diese Tatsachen darauf hin, daß die
genannten Formen der Trypanosomen einander sehr nahe stehen.
Nimmt man hinzu, daß sie morphologisch so gut wie ununterscheidbar
sind, so verstärkt sich der Eindruck, dab wir es tatsächlich mit
ein und derselben Art von Organismen zu tun haben. Dazu kommt
nun noch ein Moment, das ebenfalls für diese Auffassung in die
Wagschale fällt. Wir haben Kaninchen mit Nagana, Dourine und
Mal de Caderas infiziert und haben nicht nur gefunden, daß die
Infektion bei sämtlichen Tieren anging, sondern auch, daß das Bild,
unter dem die Krankheit verlief, in allen drei Fällen ganz dasselbe
war. Es ist uns nicht möglich gewesen, irgendein Merkmal aus-
findig zu machen, durch das sich die durch Naganatrypanosomen
113
hervorgerufene Erkrankung von denen hätte unterscheiden lassen,
die durch Trypanosoma equiperdum oder equinum verursacht wurde.
Stets zeigten sich Ödeme an den Ohrwurzeln, Schwellungen der
Schleimhäute in der Schnauzengegend und an den Genitalien, Ver-
eiterung der Augen, starke Abmagerung und Haarausfall mit Schorf-
bildung, bis die Tiere dann nach einigen Monaten eingingen. Wir
meinen daher, auch dieser Befund müsse im Sinne einer Nicht-
spezifität der drei Trypanosomenformen gedeutet werden.
Wir haben nun auch Trypanosoma Gambiense, den Erreger
der Schlafkrankheit, in den Bereich dieser Untersuchungen ein-
bezogen. Es würde ja von besonderer Bedeutung sein, wenn es
gelänge, mit Trypanosomen, die im allgemeinen als für den Menschen
nicht pathogen gelten, gegen Trypanosoma Gambiense zu immuni-
sieren. Es finden sich auch Angaben (Usten&aure, Lanex, Kreise), die
auf eine gewisse immunisatorische Verwandtschaft zwischen Trypano-
soma Gambiense und anderen Trypanosomen hindeuten. Unsere
Versuche fielen aber ganz negativ aus. Wir behandelten Mäuse
mit Nagana-Vakzin und infizierten sie mit Trypanosoma Gambiense.
Allein es zeigte sich nicht die Spur eines Geschiitztseins. Dennoch
daıf aus diesem Ergebnis nicht der Schluß gezogen werden, daß
eine solche Immunisierung überhaupt unmöglich sei. |
II. Variabilität der Trypanosomen. Indem ich auf die
Gründe, warum das nicht geschehen darf, kurz eingehe, komme
ich auf eine zweite für die Biologie der Trypanosomen interessante
Tatsache zu sprechen. Es ist bekannt (Laveran und Mksxır, Musyi
und Brımoxr), daß im Blute erkrankter Tiere Schutzstoffe entstehen,
gegen die die im Blute solcher Tiere kreisenden Trypanosomen
widerstandsfähig werden. Unsere Versuche bestätigten das. In
allen Fällen sind die Trypanosomen infizierter und erkrankter
Kaninchen, wie man sagt, serumfest geworden. Solche Trypano-
somen verhalten sich antigen, wie Eurrıcan an Rezidivstämmen bei
Mäusen feststellte, anders wie der ursprüngliche Stamm. Es ist
nämlich nicht möglich, mit dem Ausgangsstamm gegen den serumfest
gewordenen Stamm zu schützen. Ich gebe ein Beispiel: Von dem
Dourinestamm I, der in Mäusen gehalten wird, stelle ich mir ein
Vakzin her und behandle damit eine Anzahl von Mäusen. Diese
Mäuse erweisen sich, wenn sie mit diesem Stamm infiziert werden,
als geschützt. Infiziere ich aber von demselben Dourinestamm aus
ein Kaninchen und benutze, nachdem es erkrankt ist, dessen Try-
panosomen zur Infektion der vakzinierten Mäuse, so werden sie
' sämtlich krank. Die beiden Stämme, die noch vor kurzem identisch
Verh. d. Dtsch. Zool. Ges. 1912. 8
114
waren, verhalten sich jetzt wie zwei ganz verschiedene Arten.
Wenn man aber von diesem im Kaninchen serumfest gewordenen
Stamm ein Vakzin herstellt und damit Mäuse vorbehandelt, so
schützt es zwar gegen den serumfest gewordenen, nicht aber gegen
den ursprünglichen Sıamm. Dasselbe gilt, wenn es sich statt um
aktive, um passive Immunität handelt. Sowohl von dem ursprüng-
lichen als auch von dem serumfest gewordenen Stamm läßt sich
Vakzin gewinnen, mit dessen Hilfe nun wiederum Immunserum
erzeugt werden kann. Ein Immunserum vom Ausgangsstamm schützt
nur gegen Ausgangsstamm, ein Immunserum vom serumfesten Stamm
schützt nur gegen den serumfesten Stamm. Es gibt aber nicht
nur eine Art von Serumfestigkeit, sondern eine ganze Reihe von
solchen. Es ist möglich, Trypanosomen künstlich serumfest zu
machen, indem man sie an ein Immunserum gewöhnt. Dabei haben
wir feststellen können, daß selbst unter der Einwirkung desselben
Immunserums mehrere Modifikationen von serumfesten Trypanosomen
entstehen, die sich untereinander in Beziehung auf ihr antigenes
Verhalten unterscheiden. Die Trypanosomen besitzen offenbar die
Fähigkeit, den Antikörpern desselben Immunserums nach ver-
schiedenen Richtungen hin auszuweichen, und es liegt hier eine
Variabilität vor, wie sie in diesem Umfang bisher unter den
Organismen wohl kaum beobachtet worden ist.
Kehren wir nun zu der Frage zurück, warum sich aus dem
negativen Ausfall des Versuches. mit Nagana-Vakzin gegen Trypa-
nosoma Gambiense zu immunisieren, nicht auf die Unmöglichkeit
einer solchen Immunisierung überhaupt schließen läßt. Wie bereits
gesagt wurde, werden Trypanosomen bei chronischem Verlauf der
Krankheit stets serumfest, da sich in dem erkrankten Organismus
von selbst Antikörper bilden. Die beiden Gambiensestämme, die
uns zur Verfügung standen, werden in Ratten und Mäusen gehalten.
Allein sie führen nicht, wie Dourine, Nagana und Mal de Caderas
innerhalb drei bis vier Tagen, sondern erst nach Wochen und
Monaten zum Tode der infizierten Tiere. Die Gambiensestämme
sind also ohne Zweifel serumfest und es ist deshalb von vorn-
herein aussichtslos, mit einem von einem Ausgangsstamm gewonnenen
Vakzin gegen sie immunisieren zu wollen. Unter denselben Gesichts-
punkten ist der Ausfall analoger Versuche mit Trypanosoma Congo-
lense zu beurteilen, da auch dieses bei Mäusen und Ratten chronische
Erkrankung bewirkt. Die Frage, ob Trypanosoma Gambiense und
Congolense als besondere Spezies von Trypanosoma Brucei, equi-
perdum und equinum zu unterscheiden seien, bleibt also vorläufig
115
noch offen. Der chronische Verlauf der Erkrankung bei Gambiense
und Congolense darf nicht als unterscheidendes Merkmal ver-
wendet werden, da auch bei Nagana Schwankungen in der Virulenz
vorkommen. Dagegen dürfen Trypanosoma Brucei, Trypanosoma
equiperdum und Trypanosoma equinum als derselben Spezies an-
gehörig betrachtet werden.
III. Nichtvererbbarkeit der Serumfestigkeit. Es erhebt
sich nun die Frage, wie es kommt, daß trotz des meist chronischen
Verlaufes der Nagana beim Rind, der Dourine und des Mal de
Caderas beim Pferd die Stämme, wie sie bei uns in Mäusen ge-
halten werden, nicht serumfest sind. Es ist zunächst nicht zu
bezweifeln, daß die Trypanosomen, die von chronisch erkrankten
Rindern oder Pferden auf die Maus oder Ratte überimpft werden,
serumfest sind. Allein sie verlieren diese Eigenschaft im Laufe
der vielen Passagen, die sie durch die Maus oder Ratte durch-
machen. Es ist zwar behauptet worden, daß das nicht der Fall
sei und daß hier ein einwandfreies Beispiel für die Vererbung
einer erworbenen Eigenschaft vorliege. Wir haben jedoch an zwei
serumfesten Stämmen mit Sicherheit nachweisen können, daß sie
im Laufe etwa eines halben Jahres, während welcher Zeit sie
ohne Serum von Maus zu Maus verimpft wurden, ihre Serum-
festigkeit vollständig einbüßten und wieder zum Ausgangsstamm
zurückkehrten.
Die Serumfestigkeit geht verloren, sobald die Trypanosomen
dem Einfluß der Antikörper entzogen werden, gegen die sie fest
| sind. Man kann also die Serumfestigkeit als einen Zwangszustand
auffassen, dessen sich das Trypanosoma wieder zu entledigen strebt.
Diese eingreifende physiologische Veränderung ist durch keine
morphologischen Merkmale gekennzeichnet.
F Der Inhalt dieser Mitteilung läßt sich in folgende Sätze zu-
Sammenzutfassen :
1. Aus der Immunitätsreaktion ergibt sich die Identität von
Trypanosoma Brucei, equiperdum und equinum.
2. Die Serumfestigkeit ist als eine physiologische Variabilität
aufzufassen.
3. Die Serumfestigkeit ist keine dauernd vererbbare erworbene
Eigenschaft.
8*
\\
116
Herr Prof. H. Smrors (Leipzig):
Uber die Entstehung der Tunikaten2).
Damit es nicht scheine, als ob die nachstehenden phylogenetischen
Erörterungen so gut wie frühere über Schwämme, Echinodermen,
Gastropoden, Cephalopoden, Wirbeltiere usw. nur Gelegenheits-
arbeiten wären, die auf sprungweise und sporadisch gewonnenen °
Konzeptionen beruhen, erlaube ich mir einen kurzen Hinweis auf
den inneren Zusammenhang der scheinbar heterogenen Themata.
Das Programm ist gewissermaßen gegeben in dem 1891 erschienenen
Buch: Die Entstehung der Landtiere, dessen wichtigstes Ergebnis
vielleicht in der Behauptung gipfelt, daß die sämtlichen Arthropoden
einschließlich der Crustaceen sowie die Vertebraten terrestrischen Ur-
sprungs seien, ja daß der Ursprung des Lebens, sowie die wichtigsten
Stufen seiner Vervollkommnung nicht nach der alten, noch immer herr-
schenden Chaostheorie im Meere, sondern auf der Grenze zwischen
Wasser und Land, ja auf dem feuchten Lande gesucht werden müsse, |
Die erwähnten Einzelarbeiten bedeuten denn auch weiter nichts als
die etwas eingehendere Beweisführung für die Herkunft einzelner =!
Gruppen, soweit mir neue, von anderer Seite beigebrachte Tatsachen |
bestimmtere Argumente zu liefern schienen. Eine Skizze des ganzen
Ganges, wie sich mir die wichtigsten Etappen darstellen, habe ich =
vor zwei Jahren in Graz zu geben versucht (1). Die Tunikaten haben |
dabei bis jetzt nur in dem allgemeinen Sinne gelegentliche Er- |
wähnung gefunden, den ihnen die neuere Zoologie schlechthin zu- |
erkennt, als ein alter Seitenstamm der Wirbeltiere nämlich, wobei — |
die Theorie, welche von Archimeren oder Urformen mit drei Seg-
menten ausgeht, ganz beiseite gelassen wird. Es war wohl angezeigt,
eine genauere Diskussion ihrer Abstammung aufzuschieben, bis die
Frage der Vertebraten-Herkunft eine etwas befriedigendere Antwort
gefunden hätte. Noch freilich hängt eine bestimmtere Fassung des
Problems in der Schwebe. Die Diskussion der englischen Fach-
genossen (2) hat mehr die Unsicherheit der bisherigen Theorien gezeigt
als ein positives Resultat gefördert; und die Argumente, die ich
für die Abstammung von Anneliden oder annelidenähnlichen Vor-
fahren vorbringen konnte, waren auch nur ganz fragmentarischer
Natur, allerdings so, daß sie die Wagschale sowohl für die Anne-
liden wie für die Vertebraten nach der Seite der Oligochäten
!) Die eingeklammerten Ziffern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis
am Ende.
117
neigten, d. h. bereits die Wurzeln beider Gruppen nach der Seite
des Landes verschoben.
Hier setzt mit Schärfe das Buch von Jarxen ein über die
Vertebraten (3), nicht in dem Sinne ihrer phylogenetischen Ableitung
von Wirbellosen, wohl aber in dem der biologischen und chorologischen
Herleitung vom Lande. Die Tetrapoden des Landes sind die ur-
sprünglichen, die Fische und die Jugendformen der Amphibien, wie
die Kiemenmolche, beruhen auf sekundärer Rückwanderung ins
Wasser und entsprechender Anpassung, genau in dem Sinne, wie
ich’s in den Landtieren (12) dargestellt habe. Leider hat er meiner
Theorie mit keinem Worte gedacht; vielmehr leitet er seine ein-
schlägigen Studien von 1896 her. Und doch ist seine Beeinflussung
durch meine Arbeit ohne weiteres zu erweisen, denn er hat schon
vorher gerade den Anfang meines Kapitels über die Wirbeltiere
in der naturwissenschaftlichen Wochenschrift kritisiert, indem er
meiner Interpretation der Placodermen die mißverständliche Deutung
einer älteren grundlegenden Abhandlung unterschob, die ich, wie
ich hier nebenbei gestehen will, gar nicht zu Rate gezogen hatte.
Es sind nicht Gründe persönlicher Eitelkeit, die mich bewegen,
mein Bedauern über Jarkers Unterlassung auszusprechen, denn
sein geistiges Eigentum, das sich in der phylogenetischen und
systematischen Verwertung des umfangreichen rezenten und palä-
ontologischen Materials kennzeichnet, ist ansehnlich genug, als
daß es durch den Hinweis auf die Abstammung der Grundidee
‚von mir wesentlich beeinträchtigt werden könnte. Zudem liegen
ja manche Ideen gewissermaßen zeitweilig in der Luft, so dab sie
von verschiedenen Geistern aufgefangen und ausgeführt werden
können. Aber gerade der Hinweis auf die verschiedenen Gehirne,
in denen sie Wurzel fassen, womöglich in chronologischer Ordnung,
scheint besonders geeignet, das Zeitgemäße der betreffenden Ideen
darzulegen und zu stützen. Und in diesem Sinne hielt ich die wenig
erquickliche Auseinandersetzung mit JArker, dessen Schriften ich
manche neue Anregung verdanke, für angezeigt. Ich freue mich,
daß meine Hypothese in einem Spezialwerke weiter verarbeitet und
von einem Paläontologen, der den Zusammenhang seiner Wissen-
schaft mit der allgemeinen Zoologie und Morphologie besonders
hoch hält, viel mehr im einzelnen durchgeführt ist, denn sie gewinnt
dadurch so viel an Halt, daß die Angliederung der Tunikaten-
ableitung um so berechtigter sein mag.
Da aber zeigt sich sofort, wie ich gleich anfangs betonen will.
eine wesentliche Abweichung von Jarker’s Anschauung, und zwar,
118
wie ich hoffe, in einer Richtung, welche vom Gebiet absolut hypo-
thetischer Rechnung mit rein spekulativen Faktoren in das der
vollen Anschaulichkeit und der greifbaren Realitäten hinüberführt.
JAEKEL nimmt bereits die Tunikaten in den Kreis der Wirbeltiere
auf, leitet sie aber von einer unbekannten ersten Stufe ab, wie er
ebenso die Fische noch als Seitenzweig einer zweiten unbekannten
Stufe betrachtet. Seine Übersicht lautet:
„Vorstufe: Episomatida..
Vertebrata.
Hauptrichtung Nebenrichtungen
I. Stufe Protetrapoda:
; fossil noch unbekannt. Twnicata.
II. Stufe Eotetrapoda:
fossil noch unbekannte Malacostomata
~*D
Landwirbeltiere. Hypostomata 2
Teleostomata a
III. Stufe Tetrapoda:
Hemispondyla
Microsauria Amphibia
Paratheria Reptilia
Mammalia Aue >
Wie man sieht, wird für die hypothetische Vorstufe, von der
die Tunikaten ausgehen sollen, noch offen gelassen, ob sie auf dem
Lande oder im Wasser hauste. Erst Fische werden, wie die
Amphibien, vom Lande hergeleitet. Meine Überlegungen führen
auch die Tunikaten aufs Land zurück in Anlehnung an rezente
Verhältnisse.
Die Appendicularien sind nach übereinstimmendem Urteile die
einfachsten, mag man sie als Larvaceen bezeichnen oder nicht. Der
zweite Name schließt wohl, bewußt oder unbewußt, eine nähere
Beziehung zur Kaulquappe der Amphibien ein. Ihre Eigenart ist
wohl in drei Merkmalen besonders ausgeprägt. !
1. Wiewohl sie frei schwimmen, bewohnen sie ein weites
Gehäuse, das sie abscheiden, bei Angriffen verlassen und erneuern
können.
2. Sie sind so mit dem Gehäuse verbunden, daß ein verwickeltes
inneres Fadenwerk von besonderen Öffnungen des Gerüstes aus das
einströmende Nannoplankton, welches uns mit allen den übrigen
Einrichtungen Lonmann kennen lehrte, in den Mund leitet, mit dem
das Tier, wiewohl nicht verwachsen, doch in konstanter Stellung
gewissermaßen sessil befestigt ist.
3. Das einzige Bewegliche an den kaulquappenartigen Tieren
ist der Schwanz, dessen fortwährende Wellenschläge einen Wasser-
119
strom erzeugen. Er bringt das Nannoplankton herein und bewirkt
außerdem die langsame Fortbewegung des ganzen Gehäuses durch
das Meer. Daß dabei eine besondere Ausströmungsöfinung im
Gehäuse vorhanden sein muß, ist selbstverständlich. Doch mag auf
Figur 1.
Oikopleura. Frei nach Lohmann.
sie sowie auf die sogenannte Fluchtpforte hier weniger Wert gelegt
werden. Höchst auffallend dagegen ist die asymmetrische Haltung
des Tieres; denn trotzdem anscheinend im Gehäuse reichlich Raum
bleibt, um dem Bewohner die normale gestreckte Haltung der
Quappe zu gestatten, biegt sich der Schwanz von seiner Wurzel
120
an um fast 180° aus der normalen Lage und beschreibt einen spitzen
Winkel mit dem Körper.
Wir sind gewohnt, stärkere Asymmetrien mit Seßhaftigkeit in
Verbindung zu bringen. Die Sessilität innerhalb des Gehäuses kann
nicht in Frage kommen, wie wir eben sahen, sie würde zum
mindesten nur gezwungen herangezogen werden können. Es erhebt
sich vielmehr die Frage: Gibt es ein Wirbeltier, das in einer Cyste
sitzt, so daß der Schwanz gegen den Körper zurückgeschlagen ist?
Ich darf gleich hinzufügen: so daß die Cyste ein Rohr in den
Mund des Tieres entsendet?
Die Antwort scheint mir ganz klar und eindeutig: Es ist der
Protopterus, der im Schlamme die Trockenzeit übersteht. Die Lage
von Körper und Schwanz ist die verlangte, und es gibt meines
Wissens keine andere Cyste, so vielerlei im Tierreich existieren
mögen, mit dem merkwürdigen Verbindungsrohr in den Mund
hinein?). Hierbei nehme ich nicht das früher übliche und verbreitete
Bild, das uns den Lurchfisch einfach im Erdenkloß zeigt, der nur
durch das Atemrohr durchbrochen wird, vielmehr die Abbildung
von Newton Parker, die ich Brings (4) entlehne. Sie macht es viel
deutlicher, daß der Lurchfisch rings in einer Cyste sitzt, die nur
an den Seiten die Verbindung mit den Erdteilen eingegangen ist.
Nun entsteht die weitere Frage: Soll Protopterus der Vorläufer
der Tunikaten sein? Das wäre eine vermessene Behauptung. Die
Größe allerdings würde der Schlußfolgerung kaum hindernd im Wege
stehen, wofür uns Herr Harrumeıer ein drastisches Beispiel vor-
"führen wollte. Aber die morphologische Deduktion kann schwerlich
1) Um möglichst gewissenhaft zu sein, möchte ich hier anführen, daß mög-
licherweise doch noch Fische existieren, die sich ähnlich gegen Trocknis schützen.
Wenn es in der Literatur von Indien z. B. gelegentlich heißt, daß beim Beginne
der Regenzeit Tümpel, die vorher trockenen Boden bedecken, sogleich von
Fischen wimmeln, so liegt die Annahme nahe, daß sie vorher encystiert in der
Erde saßen. Panzerwelse wandern, wie berichtet wird, bei Dürre über Land
feuchten Stellen zu, wo sie sich schließlich eingraben, ähnlich wie manche
Amphibien. Bestimmter lauten die Angaben schon von Galaxias, dessen Arten
die Südspitze des Kontinents bevölkern; sie sollen sich außerhalb des Wassers
in Erdlöchern halten. Über diese Höhlen und ihre Entstehung habe ich indes
nichts genaueres finden können. Biologisch gehören ja hierher die Erdwohnungen,
in denen die Säuger ihren Winterschlaf zu halten pflegen und Centetes den
Sommerschlaf, ähnlich Krokodilen und Riesenschlangen. Früher habe ich bereits
solche Dinge unter einen gemeinsamen Gesichtspunkt gebracht (12). Bei den höheren
Formen ist es klar, daß die Wohnung nicht mit dem Körper zusammenhängt.
Bei den Anamnien scheint es ähnlich zu sein. Vorläufig steht die Protopterus-
Cyste ganz isoliert, so lange wir nicht die Eischalen dazu rechnen. |
= 121
mit einem bestimmten Dipnoer einsetzen. Fehlen doch den Appen-
dicularien, von allem anderen abgesehen, die Extremitäten voll-
ständig. Der Lurchfisch bedeutet vielmehr nichts anderes, als eine
der bestimmtesten und am klarsten ausgesprochenen Rückwanderer-
AN!
»
n
as
Ey
RES
Re
=
Figur 2.
Protopterus annectens, encystiert. Nach N. Parker.
formen vom Land ins Wasser; denn bei diesem Fisch kann kaum
ein Zweifel aufkommen, daß er viel mehr mit einer Lunge als mit
einer Schwimmblase atmet, auch wenn man sonst in der Homo-
logisierung dieser Organe mit mir u. a. nicht übereinstimmen sollte.
Man wird vermutlich an Kanlquappen, noch ohne Lunge und
Extremitäten. zu denken haben.
122
Nun erhebt sich die neue Frage: wie kam es, daß die en-
cystierten Tiere nach Beendigung der Trockenzeit nicht in gewohnter
Weise ihre Cyste verließen, sondern in der ursprünglichen Lage in
ihr blieben und sie erweiterten? Da fällt zunächst auf, daß sämt-
liche Tunikaten strenge Meeresbewohner sind im Gegensatz zu
jenen alten Rückwanderern, den Dipnoern und Amphibien, die
ebenso streng an das Süßwasser gebunden sind. Hier ist mit
geophysischen Verhältnissen zu rechnen, mit dem Untertauchen von
Trockengebieten, welche die Cysten enthielten, unter den Meeres-
spiegel. Auf den Ort und den Vorgang im einzelnen kommen wir
nachher zurück. Gesetzt den Fall, das Salzwasser wirke verändernd
auf die Cyste und erschwere ihre Auflösung, so haben wir, den
äußeren Umrissen nach, die Appendicularie in ihrem Gehäuse. Die
große Mehrzahl mag bei der Katastrophe zugrunde gehen; die
wenigen aber, welche die Änderung vertragen, werden Wasser in
ihre Mund- und Rachenhöhle aufnehmen zur Atmung; und wenn
dabei Micro- oder Nannoplankton mit einströmt, werden sie es zur
Nahrung verwenden, ganz nach früherer Gewohnheit der Kaul-
quappen, in klaren Tümpeln ohne Pflanzenwuchs und größere ani-
malische Bewohner von mikroskopischen Organismen, vorwiegend
von Protisten, zu leben. Vermutlich liegt in dem Wechsel des
Mediums auch schon der Anlaß für die allmähliche Erweiterung
der Cyste. Das Wasser wird nicht mehr, wie es der Atmung
zukommen würde, gewechselt durch In- und Exspiration, sondern
es wird, der Nahrung wegen, in den Darm geleitet in einseitiger
Richtung. Das bedingt aber vermutlich eine starke Wasserabgabe
durch die Haut, und diese dehnt die abgeschiedene Cyste, soweit
es deren Zähigkeit zuläßt, bis schließlich das Appendiculariengehäuse
herauskommt. Der Vorgang ist der gleiche, wie ich ihn für die
Bildung der Schwimmschale oder Scaphoconcha der Echinospira-
oder Lamellariidenlarve in Anspruch genommen habe (5). Mit dem
Verlassen der Eischale tritt ein ähnlicher Wechsel des Mediums
ein, das durch den Mund einströmende Wasser entweicht durch
die Haut, am stärksten da, wo diese am dünnsten ist, in der Mantel-
fläche nämlich. Sie dehnt die noch zarte, nur aus Periostracum
bestehende Schale zur Schwimmschale. Diese bleibt nachher kon-
stant, während die Schneckenlarve darin wächst, ganz entsprechend
der Appendicularie, nur daß bei der letzteren der Vorgang sich
wiederholen kann. Versuche, in welchen Intervallen die Erneuerung
statthaben kann, fehlen meines Wissens bei der Schwierigkeit, die
Tiere länger im Aquarium zu beobachten. Eine Vermutung wird
123
gleich zur Hand sein. Hier nur noch der Hinweis, daß bereits bei
den Fischen der Exspirationsstrom unterdrückt ist. Doch können
sie deshalb nicht zum näheren Vergleich mit den Tunikaten heran-
gezogen werden, weil bei diesen der Mundhöhlenboden, der bei
den Vertebraten an und für sich für den Nahrungserwerb prä-
destiniert ist, sich in Anpassung an das Mikroplankton zur Flimmer-
rinne des Endostyls umgebildet hat.
Morphologische Bedeutung der Cyste.
Die Protopteruskapsel als eine reine Schleimcyste zu betrachten,
die von der Haut abgesondert wird, hat entschieden die in den
Mund führende Einbiegung gegen sich; typische Cysten laufen
kontinuierlich ringsherum. Dazu kommt noch, daß der Raum
zwischen der Cystenwand und der Haut des Fisches mit Schleim
erfüllt ist, daß also ein fortdauernder Zusammenhang besteht. Der
Form nach erinnert jene Kapsel vielmehr an einen Häutungsprozeß,
bei welchem die Exuvien in gleicher Weise die Mundhöhle mit
umfassen und hier ein Rohr bilden. Bei Molchen sieht man noch
ähnliche Bildungen. Im Grunde genommen scheinen hier beide
Prozesse, Häutung und Schleimabsonderung durch die Haut, zu-
sammenzutreifen; während die Wirbeltiere des geraden Haupt-
stammes (s. 0. 3. Janke) ihre Schleimhäute auf die inneren Organe
beschränken, neigt bei der Rückwanderung ins Wasser auch das
äußere Integument zur Schleimbildung und wird oft zur Mucosa.
Wir stehen hier an einem wichtigen Punkte der Colloidchemie.
Das Wesen der festweichen organischen Stoffe beruht auf der
dichten Annäherung unendlich kleiner fester Partikel, welche die
sie verbindende Flüssigkeit als eine Art Mutterlauge mit ungeheurer
Oberflächen- oder Kapillarattraktion zwischen sich festhalten und
dadurch der Verdünnung durch eindringendes Wasser entgegen-
wirken. Diese Wirkung wird am ehesten durchbrochen beim
Schleim, der durch Wasseraufnahme quillt. Es mag gleich hier
bemerkt werden, daß der Schleim vielleicht diejenige Colloidsubstanz
ist, die nächst dem Protoplasma Tieren und Pflanzen am meisten
gemeinsam zukommt; und so wenig wir von der Natur des tierischen
Schleims in seinen mancherlei Abstufungen wissen, so führt doch
der Pflanzenschleim ohne weiteres in die Kohlehydrate über, und
aus dieser chemischen Verwandtschaft erklärt sich wohl das merk-
würdige Auftreten des kompliziertesten Kohlehydrates, der Cellulose,
im Mantel der Tunikaten.
124
Die Neigung zum schleimigen Aufquellen beim Übergang ins
Wasser ist ja bekannt genug. Sie tritt wohl am stärksten hervor
in den Geschlechtswegen und Geschlechtsprodukten, im Laich der
Basommatophoren und Opisthobranchien, der Frösche und selbst
vereinzelter Phryganiden, in den Eileitern der Frösche und der
Pulmonaten. Für das Integument mag man die Haut der Pulmo-
naten oder der Myxine als Muster nennen, in gewisser Weise bilden
die Tritonen ein klassisches Beispiel mit ihrer Hautverschiedenheit
in den verschiedenen Jahreszeiten. Während des Landaufenthaltes
gleicht das Integument etwa dem eines Chamaeleons und wird von
Wassertropfen nicht benetzt, das Hochzeitskleid für den Wasser-
aufenthalt bedeutet nicht nur eine Umwandlung der Haut nach
Farbe und Form, sondern auch nach dem Verhalten zum Wasser,
von dem es nunmehr ohne weiteres benetzt wird.
Die Gehäusebildung der Appendicularien scheint nach Loumann
lediglich auf Schleimabsonderung besonders umgebildeter Zeilen,
der Oikoplasten, zu beruhen, so daß die Beziehung zur Häutung
nicht mehr klar hervortritt. Anders bei den meisten übrigen
Tunikaten, bei denen der Mantel von Zellen durchsetzt ist. Dabei
fällt es auf, daß die Zellen der durch Trocknis erzwungenen Exuvie
noch nicht abgestorben zu sein scheinen, sondern eben in und mit
dem Schleim nach neuer Durchfeuchtung weiterleben können. Die
Verbindung der Cyste mit der Haut durch die Fäden der Reuse
deutet doch wohl auf einen festeren Zusammenhalt der ersteren,
als es bei einer einfachen Abscheidung zu erwarten wäre, d.h. auf
einen Häutungsvorgang. Doch braucht ein solcher ebensowenig
mit Notwendigkeit vorhanden zu sein, als bei. der Scaphoconcha
der Echinospiren, die auch durch Conchinfäden mit dem Mantel
verbunden ist. Eine nähere Untersuchung der Protopterus-Cyste,
ob sie Zellen oder Zeilreste enthält, wäre sehr erwünscht. Am
klarsten dürfte die Sache liegen bei der Larve von
Doliolum.
Hier ruht der Embryo am Grunde des Meeres in einer Ei-
schale, die noch Follikelzellen enthält, nach Unsanty (6) und Hemer (7).
Nichts aber in der Entwicklungsgeschichte der Tunikaten erscheint 3
so unsicher, als die Deutting der Follikelzellen und der Eischale. —
Bald werden die mit ihr verbundenen Zellen von der Mutter ab- —
geleitet, bald als Abscheidungsprodukte des Dotters hingestellt. —
Hemmer stellt (s. S. 1267ff.) die sehr verschiedenen Ansichten über —
die Entstehung der Follikel- und namentlich der sogenannten Testa- —
Te
ag.
er
«cha aah
Wis
ee ee TERN.
EEE ER
125
zellen von den Ascidien zusammen und bemerkt bei den übrigen,
daß sich ihre Eibildung an jene anzuschließen scheine. Einige
Sicherheit dürfte die Ansicht haben, daß die Eischale durch Zellen,
die vom Ei ausgestoßen werden, verstärkt wird. Darf man es einen
ersten Häutungsprozeß nennen? Das scheint mir die richtige
Figur 4. Figur 5.
Figur 3.
Fig. 3. Doliolum-Embryo in der Fischale. Nach Uljanin.
Fig. 4 und 5. Derselbe, schematisiert, von rechts und von links. Die eine Körperseite
ist schwarz, die andere weiß gehalten.
Deutung, und die Eischale von Doliolum entspricht in Wahrheit
einer Cyste, die durch Abscheidung und Häutung vom Embryo aus
gebildet wurde, allerdings ein Häutungsprozeß von stärkster Zurück-
datierung. |
In solcher Hülle liegt der Embryo, für dessen wesentliche
Zustände zunächst Herer’s gedrängte Schilderung zitiert sein
126
mag. „Im nächstfolgenden Stadium erscheint der Embryo mehrfach
innerhalb der Eihaut geknickt. Wir können den erwähnten vor-
deren Körperabschnitt, dessen Hauptmasse durch die umfangreiche
Ganglienanlage repräsentiert ist, von einem in zwei Winkel ab-
geknickten Schwanzabschnitt unterscheiden, in welchem wir bereits
die Chorda entwickelt sehen. Wie die ganze Länge beider Körper-
regionen, sind zwei seitliche Mesodermstreifen zur Entwicklung ge-
kommen ... (s. Fig. 3).
Da die sich nun anschließenden Stadien bereits imstande sind,
sich vom Grunde des Meeres, auf welchem das abgelegte Ei ruht,
zu erheben, und vermittelst der Bewegungen ihres langgestreckten
Schwanzabschnittes umherzuschwimmen, so werden sie gewöhnlich
als Larven bezeichnet, obgleich sie noch von der stark ausgedehnten
Eihaut umhüllt bleiben, an welcher noch Reste der Follikelzellen
zu erkennen sind. Es ist nicht genau bekannt, wann diese Eihaut
abgeworfen wird. Der Körper dieser den Ascidienlarven ähnlichen
pelagischen Entwicklungsstadien ist langgestreckt und durch das
Vorhandensein einer die Körpermitte einnehmenden, blasenförmigen
Auftreibung des Ektoderms ausgezeichnet, welche durch Ansammlung
einer klaren Flüssigkeit zustande kommt. Durch die Entwicklung
dieser Blase wird der Körper in einen vorderen und hinteren Ab-
schnitt vollständig getrennt. Aus dem vorderen Körperabschnitt
bildet sich das junge Doliolum (ungeschlechtliche oder Ammenform),
während die Ektodermblase und der Schwanzabschnitt als provi-
sorische Larvenorgane zu betrachten sind-und später rückgebildet
werden. Der Bau des Schwanzabschnittes entspricht dem der
Ascidienlarven. Derselbe enthält die Chorda und seitliche zu Muskel-
platten umgebildete Mesodermstreifen. An dem vorderen Ende des
Schwanzabschnittes erscheint ein Teil der Mesodermzellmasse nicht
zu spindelförmigen Muskelfasern umgewandelt. Von diesem werden
später zwei Zellhaufen in die Ektodermblase abgegeben, wo sie sich
auflösen und in Blutkörperchen umwandeln (vgl. Fig. 6, 7, 8).
Der vordere Körperabschnitt enthält die sehr umfangreiche
Anlage des Zentralnervensystems und den vorderen Abschnitt der
seitlichen Mesodermstreifen, welche ebenfalls von ihrem hinteren
Ende Elemente in die Ektodermblase abgeben, die sich zu Blut-
körperchen umwandeln.“ Nachher erfolgt die Ausbildung des
Pharynx, Darmkanals usw.
In dieser Umformung, die ich absichtlich in extenso wieder-
gegeben habe, vollzieht sich die wichtigste Verwandlung. Der
Embryo, der in seiner Kapsel am Meeresboden ruht, entspricht mit
127
seinem eingeknickten Schwanz durchaus dem Protopterus in seiner
Cyste, die nur insofern abweicht, als sie sich rings geschlossen hat,
ohne den Zusammenhang am Munde zu wahren, also eine gewöhn-
liche Cyste geworden ist, wie man sie anfangs auch dem Protopterus
Figur 6. Figur 8. Figur 7.
Fig. 6 und 7. Doliolum-Embryo nach der Streckung. Nach Uljanin.
Fig. 8. Derselbe, schematisiert. Die Linien zeigen die Drehung der proximalen Schwanz-
hälfte an.
zuschrieb. Wir kommen nachher auf eine schärfere Beziehung
zurück. Nun folgt der Übergang zur Schwimmform. Das Tier
sucht sich zu strecken und aus der Cyste zu befreien. Sie gibt
aber nicht nach und ist nicht dehnbar genug, daß der Schwanz
128
sich einfach aufrollen und strecken könnte. Die Streckung erfolgt
in dem beengten Raume vielmehr so, daß die distale Endhälfte des
Schwanzes gewaltsam sich nach hinten hinausschiebt und die Cyste
vor sich hertreibt; das Vorderende drängt ebenso nach vorn; der
Mittelkörper wird umso enger zusammengehalten. Wir befinden
uns hier in Halle im Zentrum der Entwicklungsmechanik, und so |
mag der Genius loci uns zu einer einfachen mechanischen Ableitung —
verhelfen. Ein primitives Modell mag sie erläutern!). Bei dem ge-
knickten Schwanz verläuft die proximale Vorderhälfte dem Körper
entgegengesetzt, ihre linke Seite liegt rechts, ihre rechte links; die
distale Hinterhälfte liegt normal zum Körper. Drängt der Körper
nach -vorn, die distale Schwanzhälfte nach hinten, so muß die
proximale Schwanzhälfte, etwa einschließlich des Afterendes vom —
Körper, eine Schleife beschreiben, so daß ein ventraler Punkt der —
Medianebene bis auf den Rücken verlegt wird. Dabei wird der ge- —
drehte Teil einer gewaltsamen Zerrung unterworfen, welche die
Gewebe, namentlich das Mesoderm, zumal die eben erst differenzierten
Muskelzellen, ausihrer Form bringt und auf dieStufe des indifferentesten —
Gewebselementes, d. h. die der Blutzellen, zurückschraubt. Damit —
ist die vordere Schwanzhälfte zugleich ihres Tonus verlustig ge-
gangen, daher sie zur Blase aufschwillt. Das ist die Entstehung
der merkwürdigen Ektodermblase, die den Vorderkérper vom
Schwanz trennt. Sie ist keine einfache Erweiterung, sondern
Ursanı’s Abbildungen zeigen aufs deutlichste die Schleifenbildung —
oder Torsion, die bisher unbeachtet blieb. Wir kommen gleich —
darauf zurück, nach Einschaltung einiger Bemerkungen. Mehr —
nebenher möchte ich darauf hinweisen, daß nicht nur der Schwanz
nachträglich resorbiert wird, wie bei den Fröschen; vielmehr er- —
scheint auch das Vorderende nach der Streckung in Ursanw’s
Figuren deformiert und gedehnt, so daß wohl auch hier noch einige
Reduktionen nötig sein werden. R
Sodann möchte die wunderliche verzerrte Figur des jungen
Doliolum ins Auge zu fassen sein. Der Schwanz hinter der Blase
liegt nicht in der geraden Verlängerung des Vorderkörpers, sondern,
wiewohl mit paralleler Längsaxe, doch eigenartig verschoben, gerade
so, wie es das plumpe Modell zeigt.
1) Als Modell dient eine aus zähem Papier geschnittene Kaulquappe, vo n
der Seite gesehen. Der Schwanz wird doppelt zurückgeschlagen, wie in Fig. 4 L
und 5. Faßt man dann die Figur am Kopf- und Schwanzende und streckt s
in die Länge, so beschreibt die vordere Schwanzhälfte, indem sie nach hinten
gezogen wird, die Schieife. D;
129
Von höchstem Interesse erscheint die rein mechanische, durch
Druck und Zerrung bewirkte Umwandlung des bereits in histo-
Figur 9. Figur 10.
Fig. 9. Doliolum-Embryo. Frei nach Uljanin. Die starke Linie ist die in der Mitte ge-
brochene Längsachse des Körpers.
' Fig. 10. Dorsalansicht des hinteren Körperabschnittes einer Doliolum-Amme. Von dem auf
der Bauchseite vorn hinter dem Pericard gelegenen rosettenförmigen Organ wandern die
Urknospen nach dem Stolo prolifer, wo sie sich zu Median- und Lateralknospen ordnen.
Nach Barrois. Aus Korschelt und Heider.
logischer Differenzierung begriffenen Mesoderms in Blutzellen, d. h.
da Erythrocyten nicht in Frage kommen, die Wiedererlangung
embryonaler Plastizität. Denn die Leucocyten der niederen Tiere
Verh. d. Dtsch. Zool. Ges. 1912. 9
AY
130
scheinen in erster Linie berufen, bei der Reparatur aller möglichen
Gewebe in Tätigkeit zu treten und in die verschiedensten Lücken
einzuspringen, wovon ich vielleicht als erster vollen Gebrauch
machte, als ich vor langen Jahren bei der Schizogonie der Echi-
nodermen die ganze neugebildete Hälfte auf die Lymphzellen des
Wassergefäßsystems glaubte zurückführen zu sollen (8) — wie zu
erwarten, damals ohne Zustimmung. .
Bei Doliolum aber führt die Sache viel weiter, zur ungeschlecht-
lichen Fortpflanzung nämlich. Es sind dieselben abgequetschten
Gewebselemente aus dem Anfang und Ende der sogenannten
Ektodermblase, d. h. der proximalen Schwanzhalfte, aus denen
sich die Knospen der Amme bilden; vorn an der Bauchseite liegt
das rosettenförmige Organ, hinten oben, nach Resorption des
Schwanzes, der Stolo prolifer (Fig. 10). Von ersterem wandern
sie in einer Schleifenlinie zum letzteren hinauf, und zwar genau
in der Schleifenlinie, die durch die Torsion bei der Streckung
des Embryos und der Bildung der Ektodermblase vorgezeichnet
wurde. Die Torsion mit allen ihren Folgen wird durch die Linie
nur bestätigt; so viel ich sehe, ist die Körperhälfte, der die Linie
folgt, die Außenseite der Wurzel des zurückgeschlagenen Sch wanzes.
Doch läßt Uusanım’s Figur keine genaue Bestimmung zu, ob der
Embryo den Schwanz nach rechts zurückschlug oder nach links
wie die Hunde. Von hohem entwicklungsmechanischen Interesse
ist die Gruppierung und Differenzierung der in drei Kolonnen
angeordneten Knospen des Stolo, von denen bloß die der mitt-
leren Kolonne bilateral symmetrisch bleiben und fortpflanzungs-
fähig werden, während die der seitlichen Kolonnen sich nur halb-
seitig ausbilden, wie zwei antimere Organe, keine Gonaden
entwickeln und zu niederen Stufen herabsinken, wie etwa die
einzelnen Glieder eines Siphonophorenstocks zu Organen geworden
sind. Das Interesse muß sich bis zur höchsten Potenz steigern,
wenn wir jetzt Doliolum in verhältnismäßig kurzer Linie von
echten Vertebraten ableiten können. Die Umbildung ist allerdings
erst noch in einzelnen Zügen zu verfolgen. Betonen möchte ich
hier nur, daß bei der ungeschlechtlichen Vermehrung der Tunikaten,
soweit sie nicht bis zum Embryo zurück verschoben ist wie bei
Pyrosoma u. a., die Knospenbildung von einer Gruppe indifferenter
Zellen an der Grenze von Körper und Schwanz ausgeht, dem Eläo-
blast nämlich. Sie dürfte überall mit der gleichen Torsion des
encystierten Embryos zusammenhängen, wofür die Morphologie
weiteren Anhalt liefert. 3
131
Einige weitere Bemerkungen zur Morphologie.
Es versteht sich von selbst, daß bei der Diskussion von Über-
gängen zwischen zwei stark getrennten und doch zusammen-
gehörigen Tiergruppen, bei größeren Sprüngen also, mehr oder
weniger phantastische Rekonstruktion an die Stelle demonstrativer
Beweise zu treten hat, denn die Übergangsformen, durch einen
schroffen Wechsel der Lebensbedingungen erzeugt und daher mehr
lokalisiert und von kurzer Dauer, sind selten erhalten, wofür die
Paläontologie genügend Beispiele liefert. Leider werden damit
die Rechnungen unsicher genug. Das gilt zunächst von der
Kloake und dem Peribranchialraum.
Unter den Wirbeltieren ist die Kloake charakteristisch für
sämtliche Gruppen von den Amphibien bis zu den Monotremen,
nicht aber für die Fische und die übrigen Säuger, die Mammalia
im Sinne Jarrer’s, nachdem er die Monotremen zu den Paratherien
verwiesen hat. Unter der Voraussetzung, daß wir uns an be-
kannte Formen zu halten haben, werden wir somit auf die Amphi-
bien verwiesen als die einzigen, die beim Übergang ins Wasser
zur Kiemenatmung gegriffen haben. Der Körpergestalt wegen
bieten sich da natürlich die gedrungenen Kaulquappen der Anuren,
die ja auch allein mit den Tunikaten die so sehr auffallende
Resorption des Schwanzes gemein haben, eine jedenfalls tief-
_ greifende Erwerbung, die vielleicht gar nicht hoch genug an-
geschlagen werden kann. Die gedrungene Gestalt der Anuren-
gruppe, noch dazu in der Lage, daß der Schwanz sich möglichst
ventral zurückschlägt, wodurch die Bauchseite verkürzt wird, läßt
wohl den Durchbruch der Kiemensäcke nach der Kloake zu ver-
_ständlich erscheinen. Aber es sind einige Punkte mehr, die hier
wohl herangezogen werden können. Zunächst mag man betonen, dab
die Kloakenbildung bei keinem Wirbeltier stärker zu sein scheint als
bei den altertümlichsten Anuren, d. h. den Aglossen. Bei Pipa
wird die Kloake als Ovipositor weit ausgestülpt und schlägt sich
auf den Rücken hinauf (9), wodurch die Übertragung der Eier in
die Rückenrunzeln, die nachher die Waben ergeben, verständlich
wird. Es versteht sich von selbst, daß die Kloake schon vorher
gut entwickelt sein mußte, und ihre Dehn- und Schwellbarkeit
kann wohl ebensogut für die Ausdehnung nach innen beansprucht
werden, wie sie die Tunikaten kennzeichnet. Einige Frösche vom
Ostpol, Rana natatrix, cavitympanum, jerboa u. a. haben die
9*
132
Kiemenöffnung oder das Spiraculum weit links hinten liegen, —
der Schwanzwurzel näher als der Schnauze (9). Erscheint da eine
Verbindung zwischen Kloake und Spiraculum ganz ausgeschlossen?
Die asymmetrische Lage dieses Spiraculums, gewöhnlich weit
weniger unter den Asymmetrien des Wirbeltierkörpers betont als
die allen geläufige Verschiebung des Plattfischauges, erinnert an
die Verhältnisse der Ascidien; das Spiraculum der Anuren liegt
entweder median oder auf der linken Seite, nur der Enddarm der
Ascidien verbindet sich ebenso mit dem linken Kloakenbläschen.
Mir ist nicht bekannt, ob jemand die Asymmetrie mit gekrümmter
Embryonallage in Zusammenhang gebracht hat. Der Gedanke
scheint nahe zu liegen. Die Asymmetrie ist sekundär durch Schluß ©
des rechten Spiraculums entstanden. Damit kämen wir wenigstens 7’
auf die beiden Kloakenbläschen der Tunikaten, von denen das linke
den After aufnimmt. Die ontogenetischen Verhältnisse des Peri-
branchial- und Kloakenraums sind bei den Tunikaten noch wenig
geklärt nach Hriver’s Darstellung (7) — Größe der. Kloaken-
bläschen, Beteiligung von Ekto- und Entoderm u. dgl. — Eine
bestimmte Rechnung läßt sich daher kaum durchführen. Doch
deutet wohl gerade der Widerspruch in den Beobachtungen der
Forscher auf verschiedene Wege der Entwicklung. Vielleicht kann
man wenigstens einige Fingerzeige herauslesen.
Die Appendicularien scheinen am wenigsten abgewichen, da
sie die Embryonal- oder Larvenform am reinsten bewahrt haben.
Der After trennt sich zwar von der Kloake, die in zwei sym- |
metrische Einstülpungen zerfällt, aber er bleibt zentral in der
Mediane, so wie die symmetrischen Spiracula in seiner Nähe.
Die Torsion bei Doliolum haben wir gesehen. Sie fällt in die
Ebene der Kloake selbst; wenn sie bei den zumeist untersuchten |
Ascidien nicht zu einer Hktodermblase und gewissermaßen zur if
Zertrümmerung des Mesoderms in der Schwanzbasis geführt hat, ]
so liegt das wohl in dem früheren Ausschlüpfen der Larve, durch
Zerreißen der Eischale oder Cyste bedingt. Immerhin wird die
Torsion angedeutet durch Verschiebung des Afters nach links und
oben. Schließlich haben wir ja hier wie bei allen übrigen Formen
wieder die einheitliche Kloake, wie bei den Amphibien, nur zum
Peribranchialraum erweitert.
Die Kiemenspalten brechen wohl im allgemeinen in der Ord-
nung von vorn nach hinten durch, wie bei den Kaulquappen. Doch
ist hier wieder noch manches unklar und als wesentlicher Faktor
tritt nur die Abhängigkeit der Atmung von der weiten Mundhöhle‘
133
bei beiden Gruppen hervor. Man mag wohl selbst darauf hin-
weisen, daß bei keiner anderen Gruppe von Wirbeltieren die
Rachenhöhle solcher Erweiterungen fähig ist und dabei so ver-
schiedene Wege einschlägt als bei den Anuren in Schallblasen,
Brutsäcken und Lunge.
Die Befestigung’ der Ascidien.
Ich habe kaum nötig, die Haftpapillen der Ascidienlarven
zu erwähnen, mit denen sie sich festsetzen. Sie entsprechen ohne
weiteres den gleichnamigen Organen der Anurenlarve, die wohl
innerhalb der Wirbeltierreihe ohne Gegenstück dastehen.
Dabei mag daran erinnert sein, daß die Protopteruslarve einen
ebensolchen Saugnapf besitzt, wie die Anurenquappe, wie sie über-
haupt mit der Amphibienlarve viel größere Ähnlichkeit zeigt als
mit Fischlarven (4).
Bewegung. Gehirn und Sinneswerkzeuge.
Daß mit der sessilen Lebensweise hochgradige Reduktionen
einhergehen müssen, bedarf kaum der Erwähnung. Als sessil
haben meiner Meinung nach nicht nur die Ascidien zu gelten,
sondern ebenso die Appendicularien in ihrem Gehäuse in bezug
auf den Körper; nur der Schwanz behält dabei seine Muskulatur.
Doliolum soll sehr beweglich sein. Doch ist die Lokomotion wohl
auf die Stufe niederer Planktonten zurückgesunken, wie etwa der
Quallen; fällt doch bei ihm so gut, wie bei Salpen und Pyrosomen,
mit dem Verzicht auf die Nahrungsaufnahme in Form von Bissen
‚zugleich der Reiz zu individualisierten Bewegungen weg, so dab
noch höhere Gleichförmigkeit erzielt wird als bei den Medusen,
etwa mit den Schwimmglocken der Siphonophoren zu vergleichen.
In den offenen oder völlig geschlossenen Muskelreifen der Hemi-
und Cyclomyarier unter den Thaliaceen ist eine deutliche Meta-
merie ausgeprägt oder vielmehr eine Pseudometamerie, wie ich sie
für den Kopf annahm (1); denn es fehlt eine ausgesprochene Be-
ziehung zu metameren Nervenanlagen oder anderen Organen, und
die Entstehung geht von einer fortlaufenden Muskelschicht aus
durch Zerteilung. Ob es einst gelingen wird, bestimmte Zahlen-
beziehungen in der Segmentierung herauszufinden, muß wohl noch
dahingestellt bleiben.
Mit der Sessilität und dem Verschwinden willkürlicher, indi-
vidualisierter Bewegungen hängt die Reduktion der Sinneswerkzeuge
und der Hirnblase zusammen. Die Schwimmformen bedürfen
134
wenigstens noch der Statocyste. Das verwunderlichste dabei ist
wohl die asymmetrische Ausbildung sonst paariger Organe in der
Einzahl. Die Statocyste zwar pflegt median zu liegen, es fehlt
aber auch nicht an einer Angabe, wonach sie erst einseitig asym-
metrisch angelegt wird und nachträglich in die Mittelebene rückt (7).
Das könnte dann allgemein eingetreten sein, entsprechend der phy- —
siologischen Forderung, die für ein Gleichgewichtsorgan Symmetrie-
lage verlangt. Woher aber stammt die asymmetrische, einseitige
Anlage? Da liegt es wohl nahe genug, an die zusammengekrümmte
Form des Protopterus zu denken, bei dem sich die Schwanzspitze
über den Kopf schlägt. Das wahrscheinlichste dürfte sein, daß
die am besten zugedeckte Seite Auge und Ohr zunächst eingebüßt
hat. Die Salpen machen in gewisser Weise eine Ausnahme, indem
die abgelenkte Entwicklung mit Viviparität und Placenta auch
die übrigen Verhältnisse bald abändert und die Schwanzbildung
unterdrückt, in mancher Hinsicht jedoch durch den Wegfall des mit
freier Larvenbewegung verbundenen Anpassungszwanges bis zu
gewissem Grade konservierend gewirkt hat. Wir finden daher bei
manchen noch die beiden typischen invertierten Vertebratenaugen
wenigstens ihrer Anlage nach neben dem Parietalauge vom Bau
der Evertebratenaugen. Die ersten verschwinden zunächst als die
phylogenetisch späteren Erwerbungen. Diese bessere Erhaltung
des höchsten Sinnesorganes ist aber nicht ohne Einwirkung auf —
die Hirnblase geblieben, die hier noch in drei Abschnitte zerfällt.
Wenn die neuere Anatomie beim Vertebratenhirn mit einer Folge
von fünf Anschwellungen oder Blasen rechnet, so kann man darauf
hinweisen, daß sie einander nicht gleichwertig sind, und daß die
ältere Zoologie mit nur drei Blasen rechnete, wie es etwa noch
Levcxart im Kolleg vortrug. Der vollständige Schwund der
Gliederung in der Hirnblase der übrigen Tunikaten hat die Ähn-
lichkeit mit dem Vertebratenhirn so weit verwischt, daß eine
nähere Parallele zur Unmöglichkeit wird. |
Weitere Ableitungen, wie die Hypophyse, die Deutung des
Seitennerven als Vagus, können durch die vorgetragene Theorie
nur gewinnen.
Bemerkungen über die Anuren.
Jazkeu stellt die Mikrosaurier, Paratherien und Säuger in die
direkte Linie der Tetrapoden; Amphibien, Reptilien und Vögel
aber sollen Nebenrichtungen bilden (s. 0.). Zu einem anderen
Resultat wird man kommen, wenn man die Schädelentwicklung nach
135
Gaver verfolgt (10). Der Schädel ist im allgemeinen hervorgegangen
„aus Konkreszenz von Wirbeln oder, allgemeiner gesprochen, von
spinalen Skelettmetameren.“ Da zeigt sich, daß in die Schädel-
bildung der Sauropsiden und Säuger drei Wirbel mehr eingegangen
sind, als in die der Amphibien. Das Ergebnis ist gewonnen durch
die Analyse der Nerven: der Hypoglossus der Amphibien kommt
nicht aus dem Bereiche des Schädels, sondern wird durch die
vordersten freien Spinalnerven repräsentiert. Die Art des Beweises
kann schwerlich auf dem Felde der Paläontologie Geltung erlangen.
Aber es leuchtet doch ein, daß die ältesten bekannten Tetrapoden
den Amphibien nähergestanden haben müssen, als die einfachsten
Amnioten. Freilich, die durch Anpassung ans Wasser erworbene
Metamorphose mit dem aquatilen Jugendstadium der Kaulquappe
bedingt eine Nebenrichtung im Jarker’schen Sinne Nur ist es
merkwürdig genug, daß v. Mzseıy nach Jarkav's (3) Zitat einen Frosch
entdeckte mit direkter Entwicklung ohne Larvenstadium, den Phry-
nixalus Biroi von Neuguinea, d. h. aus dem Ostpolgebiet, das so
viele altertümliche Formen bewahrt hat. Man kann von länger
bekannten Formen ihm schon solche an die Seite stellen, wo die
Larvenentwicklnng zur Embryonalentwicklung im Ei geworden ist,
ohne Durchbruch von Kiemenspalten, wie Hylodes martinicensis.
Wir haben aber damit die größte Amplitude in der Entwicklung,
mit den verschiedensten Formen der Brutpflege und der Quappe,
d. h. der Anpassung ans Wasser.
Dazu kommt die Paläontologie. Die Amphibien treten be-
kanntlich frühzeitig im Paläozoicum auf in großer Reichhaltigkeit.
Dann tauchen sie erst wieder nach langer Pause beim Übergange
zum Kaenozoicum auf. Man nimmt gewöhnlich an, daß der zeitliche
Zusammenhang während .des Mesozoicums durch die Apoda oder
Coecilien hergestellt wurde, die als Humusbewohner sich sehr
schlecht für die Fossilisation eignen. Ihr Hautskelett erinnert an
die Stegocephalen, die Jarken nicht mehr bei den Amphibien be-
lassen will, aus einem etwas auffälligen Grunde; der Besitz von
Kiemen neben Lungen soll nicht mehr entscheidend sein, weil wir
jetzt auch rezente Amphibien ohne Kiemen kennen. Ich bin in
der Pendulationstheorie (11) zu dem Schlusse gekommen, daß die
Flucht ins Wasser bei diesen amphibischen Tetrapoden jedesmal
bei polarer Phase erfolgte, um den Temperaturgegensätzen und
der fortschreitenden Abkühlung des Landes zu entgehen, eine klare
Parallelschöpfung nach Zeit und Ort, denn der Hergang vollzog
sich jedesmal unter dem Schwingungskreis. Dabei möchte es gleich-
136
gültig sein, wo in der früheren oder späteren Epoche der Aus-
gangspunkt gesucht wird. Gerade Gavrr’s Untersuchungen des
Schädels, auf den Jarxen hier das Hauptgewicht legt, beweisen,
daß auch die tertidre Amphibienschöpfung von primitiven Tetra-
poden ausging. In der Hautpanzerung waren die paläozoischen
reptilienähnlich so gut wie die Coecilien. In bezug auf die alten
Formen sagt Jaeker: „Die historische Entwicklung dieser Formen -
kreise ist noch ganz dunkel,“ und in bezug auf das ganze System:
„Die Formenkreise der Amphibien sind in phylogenetischer Hinsicht
noch ganz ungeklärt.“ An den Anuren fallen die Reste von Haut-
skeletten auf, an den Zehen von Xenopus, auf der Oberseite von
Ceratophrys und Triprion; sie übertreffen darin weit die Urodelen,
bei denen Onychodactylus das einzige Beispiel ist, wenn wir von
der einfach körnigen Hautbeschaffenheit der Tritonen auf dem
Lande absehen. Nun ist ein echter Frosch aus dem spanischen
Jura bekannt geworden (3 S. 126); man möchte daher annehmen,
daß die Anuren den Zusammenhang vom Paläozoicum an gewahrt
haben. Eins dürfte feststehen: sie sind die niedrigsten Tetrapoden,
welche die wichtigste Errungenschaft der Wirbeltiere, auf denen
ihr Übergewicht beruht, die beiden Extremitätenpaare und die
damit verbundene Lokomotion auf dem Lande zur höchsten Steigerung
gebracht haben; der Sprung des Frosches ist eine maximale Leistung,
und selbst eine laufende Kröte läßt jeden Molch an Geschwindigkeit
weit hinter sich.
Dieser hohen Ausprägung terrestrischer Lokomotion steht die
ebenso energische Anpassung an das Wasserleben gegenüber; sie
geht zwar nicht so weit als bei den Urodelen, insofern es keine
perennibranchiaten Anuren gibt. Die Vielseitigkeit des Vorgangs
aber und die histologisch-biologischen Konsequenzen dürften weit
beträchtlicher sein. Der wechselnden Ausbildung des Peribranchial- —
raumes wurde bereits gedacht, wie auch schon auf die Skala der —
Metamorphose hingewiesen wurde von der direkten Entwicklung
bis zur vollkommenen Verwandlung, die in der Resorption des —
Ruderschwanzes noch weit über die der Urodelen hinausgreift. Hier
gehen vermutlich Palingenie und Neogenie hochgradig durcheinander.
Als neogenetische Merkmale würde ich etwa ansprechen:
Erwerbung äußerer Kiemen, -
Durchbruch der Kiemenspalten und Peribranchialraum,
Verlust der Extremitäten während der ganzen Larvenstadiums,
Resorption des Schwanzes. 4
137
Palingenetisch dürfte sein:
Atmende Schlundtaschen und
der Schwanz der Quappe, wenn auch nicht gerade in der
komprimierten Form des Ruderschwanzes.
Eine Besonderheit liegt wohl in dem starken Aufquellen der Eier, bzw.
ihrer Hüllen. Daß sich darin vom Standpunkt der Kolloidchemie
ein kräftiger Einbruch in die ursprüngliche Konstitution des Eies
ausspricht, wurde ebenfalls erwähnt. Wir wissen aber, wie bereits
die Eileiter quellen, wo noch die künftigen Eihüllen den Inhalt
der Drüsenzellen bilden. Mit anderen Worten, der Einbruch, der
mit der Anpassung an das Wasser zusammenhängt, betrifft nicht
nur die Konstitution des abgelegten Eies, sondern die des Mutter-
tieres selbst zum mindesten in seinen Genitalwegen. Hier liegt
wohl der Schlüssel für die auffallende Abschwächung der spezifischen
Konstitution, welche kein anderes Wirbeltier zu entwicklungs-
mechanischen Experimenten so geeignet macht, als die Anuren,
man braucht nur an Transplantationen, an willkürliche Spaltung
und Vermehrung der Extremitäten, an Verlöten zweier Quappen
nicht nur von derselben Art oder derselben Gattung, sondern von
verschiedenen Gattungen, ja verschiedenen Familien zu denken.
Eine derartige Plastizität ist bei jedem anderen Wirbeltier unerhört,
für die Erklärung der Tunikatenentstehung aber von höchster
Bedeutung. Nehmen wir von den mannigfachen Ontogenien etwa
die bekannte des Hylodes martinicensis. Sie verläuft ganz auf dem
Lande und ganz innerhalb der Eischale Es entsteht zwar die
Quappe, aber ohne Kiemen und Kiemenspalten. Die Atmung er-
folgt durch den reich vaskularisierten zurückgeschlagenen Schwanz,
sie geschieht durch die Eischale hindurch. Wahrlich, mir scheint
zwischen einer solchen Quappe im Ei und der Doliolumlarve ein
recht geringer Unterschied zu bestehen; vielleicht liegt die Haupt-
differenz nicht im Embryo, sondern in der Hülle. Sie enthält, wie
wir sahen, bei dem Tunikat Zellen, die sich aus der Verquickung
von Häutung und Encystierung herzuleiten schienen, bei Hylodes
ist sie nach der allgemeinen Annahme die einfache Eischale, an
der schwerlich jemand nach Zellresten gesucht hat. Aber bedeutet
die Eischale im Grunde genommen etwas anderes als die Cyste?
Ich habe sie wenigstens vor langen Jahren bereits so deuten zu sollen
geglaubt (12); und bei dem Frosch kann man ebensogut an eine Cyste
denken, die im Larvenstadium gewonnen und dann bis auf das
Eileiterei zurückverlegt wurde, worauf wir zurückkommen. Ebenso
können die Abweichungen, die den Doliolumembryo vom Frosch-
158
embryo trennen, Mangel einer gegliederten Skelettanlage, eines
ausgebildeten Gefäßsystems u. dgl., aus nachträglichen Anpassungen
der erwachsenen Form erklärt werden, die sich in gleicher Weise
auf den Embryo übertragen. Auf einen Punkt möchte ich noch
hinweisen, der für die veränderte Lebensweise des ins Seewasser
übertragenen Doliolum nicht unwichtig sein dürfte. Die Änderung
beruht namentlich, wie wir sahen, auf dem Ubergange vom Bissen
zur planktonischen Ernährung. Da ist aber die Froschquappe
gewissermaßen prädestiniert; sie ist meines Wissens das einzige
Wirbeltier, bei dem der Boden der Mundhöhle noch nicht von der
Zunge im Interesse der Nahrungsaufnahme beansprucht wurde; denn
die Froschzunge ist eine Bildung sui generis vorn an der Unterlippe
und kommt erst beim Landleben zur Verwendung. So mochte der
glatte Mundhöhlenboden am leichtesten zum Endostyl führen.
Die Mundrachenhöhle der Anuren hat aber noch eine Beziehung
zu den Tunikaten, einfach durch ihre gewaltige Größe, die wiederum
für die Schöpfung des riesigen Kiemensacks der Manteltiere vor-
bildlich erscheint.
Aus allen diesen Tatsachen würde ich vielleicht bereits den
Schluß zu ziehen wagen, daß die Tunikaten aus encystierten Kaul-
quappen hervorgegangen sind, die im .eneystierten Zustande unter
den Meeresspiegel gerieten.
Ort und Hergang der Submersion.
Auf alle diese Dinge wäre ich schwerlich gekommen, wenn mir
nicht von ganz anderer Seite meine Studien den Weg gezeigt hätten.
und zwar ebenso vom Protopterus wie von Nacktschnecken aus.
Protopterus, dessen Abstammung von terrestrischen Vorfahren
aus bei der Ähnlichkeit seines Respirationsorgans mit der Lunge auch
bei den hartnäckigen Zweiflern ander Homologie vonSchwimmblase und
Lunge nur auf geringen Widerstand stoßen wird, bildet seine Schlamm-
cyste keineswegs überall, sondern nur in Westafrika, namentlich
Senegambien, nicht aber in Ostafrika, d. h. nur in der Nachbarschaft
der Sahara. Das einzig dastehende Vorkommnis ist also an die
stärkste Wüstenbildung der Erde gebunden, von der ich in der
Pendulationstheorie folgerte, daß sie, als eine Konsequenz der Stellung
der Erde zur Sonne, allzeit die gleiche Lage nördlich der Tropen
unter dem Schwingungskreise eingenommen habe, gleichgültig,
welche Länder unter diese Lage kamen, der Sudan oder Europas
Siidhalfte. Betreffend der Pendulationstheorie mag der kurze
Hinweis gestattet sein, daß sie inzwischen wesentliche Stützen
139
erhalten hat. Die augenfälligste beruht wohl auf der Untersuchung
Yoxoyama’s (13) über das Klima Japans während der zweiten
Hälfte der Tertiärzeit.. Während wir damals aus wärmerem Klima
der Eiszeit entgegengingen, kam Japan aus kühlem Klima in sub-
tropisches, während wir Glazialzeit hatten, herrschte in Japan nach
Yoxoyama’s Ausdruck Korallinzeit, d. h. es bildeten sich tropische
oder mindestens subtropische Korallenriffe aus, was Yokovama allein
nach der Pendulationstheorie erklären kann.
Sehen wir also, daß die durch die Einwanderung ins Wasser
plastisch gewordene Konstitution niederer Wirbeltiere, zum mindesten
des Lurchfisches, unter dem maximalen Einfluß des Saharaklimas
zur Überwindung der Trockenzeit die wunderliche Cyste abscheidet,
so fragt sichs, ob die Cysten, in denen Anurenembryonen, wie der
von Hylodes, ihre Entwicklung durchmachten, gleichfalls auf die
Sahara zurückgeführt werden können. Die jetzige Verbreitung der
so auffälligen Erscheinung kann keinen Schlüssel liefern, denn sie
findet sich selbst im ozeanischen Klima von Inseln, wo gleichzeitig
andere Batrachier der Regel gemäß ihre Metamorphose im Wasser
durchlaufen in allen Übergängen zwischen den Extremen. Diese
Reihe aber ist merkwürdig genug. Sie ist ja jedem Biologen bekannt
als Beispiel einer Kette von Brutpflege, welche die aquatile Ent-
wicklung aufs Land verlegt: Kaulquappen auf dem Rücken der
Mutter angesaugt, in Waben der Rückenhaut, in einer Bruttasche,
im Kehlsacke, oder der Laich ganz außerhalb des Wassers ent-
wickelt. Was am meisten betont werden muß, das ist der völlige
Mangel jener natürlichsten und verbreitetsten Brutpflege, bei der die
Entwicklung in den Eileiter verlegt wird. Wahrlich eine Sonder-
stellung, wie sie kaum stärker gedacht werden kann!).
Die Pendulationstheorie dürfte auch hier Aufschluß geben.
Ich habe zu zeigen versucht, daß die Anuren im ganzen und
in den einzelnen Sektionen ihren Ursprung vom Schwingungs-
kreis genommen haben. Wir wissen, dab sie sich im Gegensatz
zu den örtlich weit beschränkteren Urodelen beinahe den ganzen
Erdkreis eroberten. Da ist es denn sehr überraschend, daß alle
1) Hier mag es wohl auffallen, daß bei den von Anuren abgeleiteten
Tunikaten wieder innere Brutpflege auftritt, bei den Salpen nämlich. Und doch
klärt sich dieser scheinbare Einwand leicht auf, denn der Embryo sitzt nicht
im Eileiter, sondern in der Kloake. Das entspricht aber der Verwendung der
Kloake als Ovipositor bei Pipa (s. 0.), und BOULENGFR fand, daß die Eier vor
der Ablage in der Kloake verweilten (9). Also auch diese Eigenheit spricht eher
für als gegen Verwandtschaft.
140
die abnormen Fälle der Entwicklung, bei denen die Quappe nicht
ins Wasser geht, sich auf die wärmeren Erdteile und die südliche
Hälfte beschränken; ja die Nordgrenze der Erscheinung dürfte die
Breitengrade von Senegambien nirgends überschreiten. Als alter-
tümlichste Familie gelten die Aglossen mit den beiden Gattungen
Xenopus s. Dactylethra und Pipa. Xenopus, der Krallenfrosch,
mit dem deutlichsten Rest des auf dem Lande gewonnenen Haut-
skeletts also, verbringt sein Leben fast ganz im Wasser, ähnlich die
„surinamsche Wabenkröte“, die, im nördlichen Südamerika verbreitet,
die Eier in den Vertiefungen der Rückenhaut austrägt. Von jeher
hat man diese Brutpflege als Landanpassung gedeutet; die hoch-
gradige Flucht gerade dieser Tiere ins Wasser wird man nur durch
exzessives Trockenklima erklären dürfen, d. h. durch die Sahara.
Xenopus mit Hymenochirus blieb an ihrem Südrande, indem er ins
Wasser auswich, Pipa ging durch die Wüste hindurch oder an
ihrem Rande herum und auf den typischen Bogen nach Westen
ausweichend über die Antillen und Trinidad nach Guyana, beides
in der polaren Schwankung des Tertiärs, wie denn auch der Palaeo-
batrachus aus dem mittleren Tertiär Europas, das damals südlicher
lag als heute, von den Kennern bestimmt zu den Aglossen gestellt
wird (3). Hier haben wir ein neues Glied aller jener Formen, welche
die alte, von Her, Neumayr u. a. angegebene und scharf zur
Pendulationstheorie passende Brücke benutzt haben, an Stelle der
von IkErıme angenommenen und von verschiedenen Autoren, u.a.
Sarasın, zur Erklärung zoogeographischer Beziehungen noch immer
bevorzugten, aber weitunsicherern Verbindung zwischen dem tropischen
Afrika und Südbrasilien (14). In demselben Sinne ist die Verbreitung
der Hyliden und Cystignathiden zu verstehen, bei welchen wir.die —
verschiedenen Formen der Brutpflege zumeist finden. Beide großen —
Familien sind im Ost- und Westpolgebiet weithin verbreitet, unter
dem Schwingungskreis aber fehlen sie südlich der Sahara, d. h. sie
sind erst beim Durchgange durch die Wüste oder an deren Nord-
rande entstanden. Nach dieser Rechnung steht der Annahme, dab —
die rein terrestrische Entwicklung am Sahararande erworben sei,
kaum ein Hindernis im Wege; alle die Tiere mit auffallender 1
Brutpflege wichen bei der polaren Schwankung der Tertiärzeit, auf —
welche die heutige Anurenschöpfung im wesentlichen zurückzugehen
scheint, nach Ost und West, Südost und Südwest aus’).
1) Zur Stütze soleher Abhängigkeit mag hier darauf hingewiesen werden, R
daß auch die höchste Form der Brutpflege bei den beiden anderen Ordnungen der
Amphibien deutlich unter dem Schwingungskreis erworben wurde; sie ist be-
141
Nun müßten also die encystierten Quappen am Rande der
Sahara unter den Meeresspiegel tauchen, um zu Tunikaten zu werden.
Diese Vorstellung stößt zunächst auf gewaltige Schwierigkeiten.
Denn wenn man auch die allmähliche Submersion bei äquatorialer
Schwingungsphase zugibt, so muß doch diese Anregung viel zu
langsam gewesen sein, als daß sie die Quappencysten unter Wasser
gebracht hätte. Sie hätte nur die am unmittelbaren Ufersaum
betreffen können, und den mieden die Amphibien vermutlich, wiewohl
man aus der Paläontologie ebensogut den umgekehrten Schluß
ziehen könnte. Man braucht nur an Chirotherium zu denken, dessen
Fußspuren, auf einen Riesenfrosch deutend, doch nur an sandigem
Meeresstrande erhalten sind. Immerhin hat dieser Hinweis wohl
seine Bedenken gegenüber der Salzflucht der rezenten Amphibien.
Vielmehr dürfte nicht das gleichmäßige langsame Untertauchen
in Frage kommen, wie es etwa von der deutschen Nordseeküste
angenommen wird, sondern die Zuschärfung dieses Prozesses in
einzelnen Katastrophen, wie wir sie aus Erdbebengebieten kennen,
man braucht sich nur an die Erschütterungen zu erinnern, die vor
einigen Jahren Jamaika betrafen und ganze Küstenstrecken plötzlich
unter den Meeresspiegel versenkten.
Den Beweis liefert wieder Afrika selbst am Sahararande, nämlich
die Kanaren mit ihrer Nacktschneckenverbreitung (15). Längst schon
gelten die Inseln den Geographen und Geologen als abgelöste Teile
des benachbarten Kontinents, die Geschichte aber des Abbruchs
läßt sich aus der Verbreitung der Nacktschnecken nicht weniger
ablesen als aus ihrem geologischen Aufbau. Von Nacktschnecken
sind hier zwei Gattungen maßgebend, Zestacella und Parmacella,
weil sie sich mit aller wünschenswerten Schärfe in ihren Einzel-
heiten beurteilen lassen. Beide tauchen im Tertiär bei uns unter
dem Schwingungskreis auf, Parmacella in baltischem Bernstein,
Testacella auf der Rheinlinie; sie sind wohl auch durch die
Eiszeit aus unserem Vaterlande verdrängt. Die gegenwärtige Ver-
breitung ist noch ebenso maßgebend. Parmacella ist an kontinen-
kanntlich als Viviparität ausgeprägt. Die viviparen Urodelen liegen scharf
unter dem Schwingungskreis, nämlich Salamandra maculosa, S. atra und Spelerpes
fuscus. Von den Apoda sind es zwei, Dermophis thomensis von Westafrika und
Typhlonectes compressicauda von Guyana und Venezuela. Die erstere ist unter
dem Schwingungskreis geblieben, die zweite, die von den Systematikern als ihre
nächste Verwandte betrachtet wird, ist nach Westen ausgewichen und hat das
amerikanische Festland auf der HEER-NEUMAYR’schen Brücke, die über Trinidad
ging, betreten; eine andere, südlichere Straße über Brasilien erscheint völlig
ausgeschlossen.
142
tales Klima gebunden, daher reicht sie jetzt von den Kanaren bis
Nordwestindien; von den Kanaren pence sie aber lediglich Lanza-
Br.
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CSSA
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BBE ERO SC
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Parmacella
ET I Ar Testacella haliotidea
_ Testacella Maupei
Figur 11.
Verbreitung von Parmacella und Testacella an der Westgrenze ihres Gebietes. Unten die Gg
Kanaren in geringerer Verkleinerung.
rote, die nächste am Festland, trocken und waldarm, wie die Gattung
im Kaukasus den feuchten, waldreichen Westen meidet und erst
143
mit den Steppen auf der Ostseite einsetzt, um von hier bis Turkestan
und Afghanistan vorzudringen. Testacella verhält sich umgekehrt,
sie braucht das ozeanische Klima Westeuropas, und das Eindringen
in den Boden ist ursächlich ebenso auf die Verfolgung der Regen-
würmer zu setzen, als auf das Feuchtigkeitsbediirfnis. Die Ver-
breitung erstreckt sich demgemäß von Oberitalien bis England,
Azoren, Madeira, Kanaren, Nordwestafrika und nach neuen Fest-
stellungen bis zum Kapland. Nun hat Prarz mit Recht auf das
phylogenetische Verhältnis der Arten hingewiesen, wie es sich ebenso
aus der Anatomie wie äußerlich aus der Schalengröße ergibt.
T. Mauger ist die ursprüngliche Form, sie hat die größte Schale,
etwa von der halben Länge der kontrahierten Schnecke. Das
Gegenstück ist Z. Gestror mit der kleinsten Schale, mithin die jüngste
Spezies. Zwischen beide stellt sich von verbreiteteren Arten u. a.
T. haliotidea. Und nun die Verbreitung! 7. Gestroi lebt streng
unter dem Schwingungskreis, wo die Umformung während der
polaren Tertiärschwankung sich vollzog, auf Sardinien. 7. Maugeı,
die älteste, ist umgekehrt am weitesten ausgewichen, sie reicht bis
England, Azoren, Madeira, auf den Kanaren bis Teneriffa, südlich
bis zum Kap. T. haliotidea nimmt die mittlere Lage ein, ihre
Westgrenze reicht von England und Frankreich nach Südwesten
bis Gran Canaria. Auf den Kanaren also schieben sich die
Grenzen eng zusammen in ganz bestimmter Reihenfolge: Parmacella
bis Lanzarote, T. hahotidea bis Gran Canaria, T. Maugei bis Tene-
riffa. Die gleiche Reihenfolge halten aber die Inseln ein in bezug
auf ihre Höhe und ihr geologisches Alter, Teneriffa ist am höchsten
und ältesten, Lanzarote am niedrigsten und jüngsten. Die Los-
trennung der Uferstreifen erfolgte jedesmal, nachdem die Schnecken
nacheinander die Küste erreieht hatten. Wir sehen mithin ganz
deutlich, wie das Untertauchen, das zur Inselbildung führte, nicht
gleichmäßig geschah, sondern ruckweise und katastrophal, jedesmal
noch dazu von tiefen Brüchen begleitet, welche vulkanisches Magma
emporquellen ließen, wie denn die Höhe der Inseln der Dauer der
vulkanischen Erscheinungen proportional ist. Ein derartiges Ab-
brechen aber mußte jedesmal einen breiten Festlandsrand unter
den Meeresspiegel bringen mit allem, was von Lebewesen darauf
sich vorfand. Hier vollzog sich meiner Rechnung nach das Unter-
tauchen der encystierten Anurenlarven und die Umwandlung zu Tuni-
katen. Die große Masse mochte umkommen, was aber die Katastrophe
überstand, mochte zu Appendicularien oder Doliolen werden usw.
Selbstverständlich hat man nicht auf drei große Katastrophen sich
*
144
zu beschränken, den drei Hauptinseln entsprechend, sondern auf
zahllose kleinere, die nur in den drei Hauptbrüchen ihre maximale
Steigerung fanden. Die Hauptbrüche entsprechen vermutlich den
sekundären Polschwankungen, wie sie in den Alpen als drei Glazial-
perioden, an der Ostsee als Yoldia-, Ancylus- und Litorinastufe
ihren Ausdruck erhielten.
Noch mag man hier einwerfen, daß die Tunikaten mit ihrer
Beherrschung aller Meere nach horizontaler und vertikaler Ver-
breitung unmöglich erst im Tertiär am Sahararande entstanden sein
können. Aber selbst dieser Einwand läßt sich durch Tatsachen
zurückweisen. Wir wissen, daß die vulkanische Tätigkeit, zum
mindesten in unserem Quadranten, im Paläozoicum und Tertiär
sehr rege war, im Mesozocium dagegen ebenso zurücktrat wie in
der Gegenwart. Da ist es nun auffällig genug, daß die jungen
Laven der Kanaren auf einer Basis von Diorit ruhen (16), d.h. auf
einem vulkanischen Material, das man den paläozoischen Aus-
brüchen zurechnet. Bei aller Unsicherheit im einzelnen wird man
annehmen dürfen, daß sich in der paläozoischen Periode an der
gleichen Stelle bereits ähnliche Vorgänge abspielten wie im Tertiär.
Ob wir die Berechtigung haben, mit solchen ebenso bestimmt zu
kalkulieren für den tierischen Stammbaum, bleibt natürlich ebenso
unsicher, wie sich hier die Dokumente des Wirbeltierstammes all-
mählich verlieren und unleserlich werden. Das darf uns schwerlich
abhalten, für die Spekulation an Tatsachen zusammenzubringen, so
viel nur irgend möglich. Und so mag hier noch auf den Ent-
stehungsort von Protopterus hingewiesen werden, wie er nachweislich
unter den Schwingungskreis in Afrika fällt, so daß auch diese
Schöpfung, die für meine Deduktionen so bedeutungsvoll ist, sich
auf demselben Schauplatz abgespielt hat, wo die Steigerung zur
Encystierung sich vollzog. Srromer weist (in der Festschrift für
R. Herrwie) im Unteroligocin von Ägypten Zähne von drei Protop-
terus-Arten nach, von denen eine dem rezenten Pr. annectens nahe-
steht, außerdem aber auch von einer Spezies von Lepidosiren, so
daß auch die südamerikanische Form auf Afrika zurückgeht. Dab
Ceratodus s. Neoceratodus von Australien seinen Namen nach einer
paläozoischen Form von Europa erhielt, ist bekannt; kurz, die
Dipnoer lassen sich nunmehr sämtlich auf den Schwingungskreis
zurückführen in unserem Quadranten.
Übersicht.
Die Ableitung der Tunikaten von den Wirbeltieren braucht
nicht mehr mit allgemeinen morphologischen Vergleichen und mit
" 145
unsicheren Vorfahren und Vorgängen zu rechnen, sondern es lassen
sich bestimmte Anhaltspunkte für die Vertebratenstammformen
sowohl als für Ursache und Hergang der Umgestaltung finden.
Als älteste Tetrapoden haben die Anamnia zu gelten, und da
können als terrestrische nur die Amphibien in Betracht kommen.
Schon die um drei geringere Wirbelzahl, die den Amnioten gegen-
über in den Schädel eingeht, bezeugt die primitivere Stufe. Unter
den Amphibien machten frühzeitig die Anuren den energischsten
_ Vorstoß, sich des Landes nach allen Richtungen zu bemächtigen
- durch Sprung, Klettern und Klettersprung. Anatomische Merkmale,
welche durch die Umwandlung bedingt wurden, sind die Verkürzung
des Rumpfes gegenüber dem großen Maul, und die Resorption der
hinteren Stammhälfte oder des Schwanzes. Altertümliche Züge
liegen im zungenlosen Mundboden und in der umfangreichen Kloake,
die als Ovipositor aus- und entsprechend einstülpbar ist.
Die ältesten Tetrapoden in dem breiten Sinne, den die Palä-
' ontologie den Amphibien zuerkennt, werden durch polare Schwan-
kungen der Erde, vermutlich im Palaeozoicum, aus feuchtwarmen
Tropen herausgehoben, am stärksten unter dem Schwingungskreis.
Sie weichen nach allgemeinem Gesetz der Trocknis und den
Temperaturschwankungen aus durch Flucht ins Wasser (oder z. T.
in den Erdboden). Die Flucht betraf bald die Alten, zeitweilig
oder schließlich während des ganzen Lebens, bald die zu energischer
Lokomotion unfähigen Eier und Jungen. Zeitlebens ins Wasser
_ wanderten die Dipnoer und die perennibranchiaten Urodelen; bei
den letzteren vollzieht sich der Hergang noch fortdauernd in der
Neotenie. Die Umwandlung spricht sich am stärksten aus in der
Erwerbung von Kiemen, in dem Durchbruch der Kiemenspalten
_ und in der Reduktion der Extremitäten, die etwa bei Proteus und
Typhlotriton beginnt. Die Flucht der Jungen ins Wasser kann
_ ersetzt werden durch Zurückbleiben der Eier in den Eileitern, durch
_ Viviparität also. Sie beschränkt sich auf die geschwänzten Formen,
| welehe mehr in der direkten aufsteigenden Linie der Vertebraten
bleiben, auf die Urodelen und Coecilien; sie fällt aber durchweg
aus bei den Anuren, die in ihrer energischen Umwandlung zu Be-
_herrschern des Landes in horizontaler sowohl wie vertikaler Aus-
dehnung zuerst ihren eignen Weg gingen. Bei ihnen vollzog sich
F ¢ die Entwicklung zunächst direkt ohne Metamorphose, wie es noch
a jetzt im Ostpolgebiet mit seiner höchsten Konservierung altertüm-
_ licher Lebensformen vorkommt und wie wir’s ebenfalls in Schwingpol-
nähe bei Hylodes finden. Der Embryo, auf dem Lande entwickelt,
| ? Verh. d. Dtsch. Zool. Ges. 1912. 10
146
unterscheidet sich vom fertigen Tier durch den Mangel der Ex-
tremitäten und durch den langen, gefäßreichen, über den Rumpf
zurückgeschlagenen Schwanz, der zur Respiration dient, von der
Quappe aber durch den Mangel von Kiemen und Kiemenspalten,
Die Entscheidung, ob — der gewöhnlichen Anschauung gemäß —
eine im Wasser lebende Kaulquappe vorhergegangen ist, deren
spezifische, namentlich die Atmung betreffende Merkmale bereits
wieder in Verlust gerieten, ist schwer. Das Einfachste und Nächst-
liegende ist jedenfalls, von direkter Entwicklung zu reden, mit
einiger Verspätung der Extremitätenanlage, wenigstens den Em-
bryonen der Amnioten gegenüber. Doch ist nicht einmal diese
letztere Feststellung notwendig; vielmehr kann das längere Stadium
der Fußlosigkeit wohl ebensogut auf die wurmartigen Vorfahren
bezogen werden.
Geographisch hängt solche Fortpflanzung im Lichte der Pendu-
lationstheorie mit dem Rande der Sahara zusammen, wie denn die
Schöpfung im wesentlichen mit einem Stamm tropischer Vorfahren — |
zu rechnen hat, die mechanisch aus den Tropen verschoben werden.
Für die Amphibien ist es völlig bezeichnend, daß die älteste lebende
Gruppe, die Apoda, auf die Tropen beschränkt bleibt. Alle die
merkwürdigen Formen der Brutpflege, die sich biologisch an die
Entwicklung von HAylodes angliedern, gehen nordwärts nirgends |
über die Breite der Sahara hinaus, und die scharfe Einstellung bei —
weitem der meisten Anuren, ja der Amphibien überhaupt, nach der |
Pendulation zwingt dazu, die Umwandlungen im einzelnen vom
Schwingungskreis abzuleiten, so gut wie sich bei den Urodelen die
Entstehung der Perennibranchiaten und der Viviparität mit rech-
nerischer Schärfe vom Schwingungskreis herleitet. Mit anderen ~
Worten, die Einwanderung der Larven ins Wasser ist eine Folge '
des Trockenklimas. Aber bei den ins Wasser entwichenen und |
ganz im Wasser lebenden verwandten altertümlichen Formen, den
Dipnoern, hat der Einfluß der Wüste, der die Gewässer nur in |
der Regenzeit bestehen läßt, noch eine zweite Wirkung, die Ab- —
scheidung einer Cyste, die wahrscheinlich mit einer Häutung ver- |
bunden ist. Denn die Cyste ist nicht kontinuierlich, sondern vertieft ; |
sich zu einem Rohr, das in den Mund führt, bei Protopterus. 4
Wir dürfen sonach mit zweierlei Cystenzuständen alter Amphi-
bien rechnen, der eine ist die Cyste des Protopterus, der andere
der Anurenembryo in der Eischale. =
Diese Ruheformen werden nun am Wüstenrande unter den |
Meeresspiegel untergetaucht, ohne daß die Tiere sich vom Ufer |
147
zurückziehen; denn bei entsprechenden Schwankungen der Erdachse
kommt der Festlandssaum nicht allmählich und langsam unter das
Meeresniveau, sondern der Hergang erfolgt mit fortdauernden Er-
schütterungen, die jeweilig breite Ränder abbrechen lassen, bis
periodisch sich die Katastrophen steigern zu gewaltigen, mit vulka-
nischen Ausbrüchen verbundenen Brüchen. Die Kanaren liefern den
Beweis für die Einzelheiten.
Das Erwachen im Meerwasser hat für die, welche den gewalt-
samen Prozeß überstehen, die tiefgreifendsten morphologischen Um-
wandlungen zur Folge. Die Formen, welche nach Art des Protopterus
encystiert sind, werden zu Appendicularien. Sie verlassen ihre
Cyste nicht, lassen sie vielmehr allmählich zum Gehäuse aufquellen.
Sie behalten ihre Lage, indem sie mit dem Maule an dem aus-
_ gezogenen Rohr festhaften. Der zurückgeschlagene Ruderschwanz
behält als Lokomotionsorgan allein seine Muskulatur. Die in ihrer
elastischen Eihülle eingeschlossenen Embryonen suchen sich zu be-
freien und strecken sich zunächst innerhalb der Hülle. Durch die
- gewaltsamen Anstrengungen wird die vordere, in der zusammen-
gekriimmten Lage nach vorn gerichtete Schwanzhälfte gezwungen,
eine Schleife zu bilden. Ihr Mesoderm wird durch den Druck von
seiner histologischen Differenzierung auf die Stufe indifferenten
_ Bildungsgewebes herabgedrückt und gewinnt damit die Plastizität,
aus den einzelnen Zellen auf ungeschlechtlichem Wege neue Indi-
viduen zu erzeugen. Wir erhalten die Doliolumamme mit dem
charakteristischen, eine Schleife beschreibenden Stolo prolifer. Die
_ hintere Schwanzhälfte wird resorbiert, wie bei den Anurenvorfahren.
Der Leib übernimmt die Lokomotion, indem sich eine Anzahl Muskel-
reifen ausbilden, die vermutlich noch die ursprüngliche Zahl der
Metamere oder doch einen Teil davon wiederholen.
Für das übrige kommen etwa folgende Punkte zur Geltung:
Die Ernährung erfolgt durch Mikro- oder Nannoplankton, wie
zum Teil bereits bei der Quappe. Der zungenlose Boden der Mund-
höhle übernimmt die Zuleitung und wird zum Endostyl.
Der Mangel freier Lokomotion zur Erlangung von Beute führt
zu Reduktion der Sinne und des Hirns. Am konstantesten bleibt
die Statocyste erhalten. Sie wie das Auge sind vielfach einseitig
asymmetrisch angelegt, als Folge des über den Kopf geschlagenen
Schwanzes, der die Sinneswerkzeuge einseitig ganz oder doch ein-
seitig stärker zudeckt.
Die schon bei den Anuren anfangs große Kloake wächst zum
Peribranchialraum aus, in den die Aussackungen des Munddarms
10*
\\
148
durchbrechen. Die Verbindung des Enddarms mit dem linken
Kloakenzipfel geht vielleicht auf die linksseitige Lage des Spira-
culums vieler Anurenquappen zurück.
Zum mindesten ist die Tendenz zur Asymmetrie wohl die
gleiche, ähnlich wie Rechtshändigkeit uralt und nicht erst vom
Menschen erworben zu sein scheint. Mir ist keine Untersuchung
bekannt, die sich mit der Frage beschäftigt hatte, ob die Schwanz-
krümmung bei Protopterus und dem Amphibienembryo im gleichen
Sinne erfolgt’). Auf die Frage, warum die Kiemenspalten nicht
nach außen durchbrechen, kommen wir gleich zurück.
Am besten bleibt die Gliederung des Hirns und die Anlage
der beiden typischen Wirbeltieraugen in der Entwicklung der Salpen
erhalten, vermutlich weil hier der Embryo in der Mutter ausgetragen
wird, bezeichnenderweise in einem Kloakenraum, wie schon bei
Pipa die Eier zunächst in der Kloake verweilen.
Es ist wohl anzunehmen, daß auch die Salpen und die übrigen,
hier nicht behandelten Formen von Anurenquappen sich herleiten.
Ich bin mit dem Materiale nicht hinreichend vertraut, um darüber
ein Urteil zu gewinnen, inwieweit die Tunikatengruppen auseinander
oder einzeln von Amphibien aus abzuleiten sind. Die Vermutung liegt
nahe, daß die verschiedene Art der Anurenbrutpflege auch zu ver-
schiedenen marinen Stämmen Anlaß gab. Von Cysten kenne ich
allerdings weiter keine, als die in der Ontogenie zurückdatierte
Eischale und die, für welche Protopterus das Paradigma ist.
Wesentlich scheint, daß die Cyste nicht verloren geht, sondern,
soweit sie noch Zellen enthält und auf Häutung zurückgeht, nach-
träglich im Seewasser wieder belebt wird und mit der Haut zum
Mantel verschmilzt. Die Testazellen des Embryos bedeuten den ©
ersten auf das Ei zurückdatierten Häutungsprozeß.
In der Erwerbung des Mantels scheint auch der Grund zu liegen,
warum die Schlundtaschen nieht nach außen durchbrechen wie
bei den Amphibienlarven und Fischen, sondern in die Kloake. Die
anfangs aus- und einstülpbare Kloake füllt sich mit reinem See-
wasser, während der Mantel nur das durch den Darm und Körper — |
filtrierte, also abgeänderte und vermutlich seines Sauerstoffes be-
raubte Seewasser enthält. Hier macht sich also ein chemotak-
tisches Element geltend, welches die beiden Räume, die reines |
Seewasser enthalten, die Mundhöhle und die Kloake, in Verbindung
1) Wieweit Rechtshändigkeit im Tierreich zurückgeht, dafür mag die Auster
ein Beispiel abgeben. Die noch symmetrische Velumlarve setzt sich der Regel
nach mit der linken Schale fest und behält die rechte frei. Davon ein andermal.
a
149
setzt. Denn es muß festgehalten werden, daß die Tiere vom Lande
stammen und noch, nach Art des Hylodes-Embryos, der äußeren
Kiemen entbehrten. Protopterus kann nur als Paradigma für die
Cystenbildung gelten, nicht aber in seiner ausgebildeten Form als
direkter Vorfahre, wofür er ja auch geologisch viel zu jung ist.
Noch mag betont werden, daß die eigentümlich scharfe Be-
schränkung der Tunikaten auf das Meer gegenüber dem binnen-
ländischen, terrestrischen und potamophilen Charakter der Amphibien
durch die vorgetragene Theorie ihre hinreichende Erklärung findet.
Daß die Amphibien nicht so strenge Verächter des Salzwassers sind,
wie man gemeiniglich wohl annimmt, geht aus Semprr’s Feststellung
hervor, wonach die Frösche an der Ostseeküste (nebenbei unter dem
Schwingungskreis) noch in Wasser mit 1°/, Kochsalz laichen (17).
Schließlich möchte noch der Hinweis am Platze sein, daß die
vorliegende Theorie eine Anzahl Probleme aufrollt, die wohl experi-
_—_ mentell-biologischer Untersuchung zugänglich sind. Doch sind sie
offenbar zu weitschichtig und verlangen ein viel zu weit über die
_ Tropenwelt verstreutes Material, als daß der einzelne sich an ihre
Lösung heranwagen könnte.
Zitierte Schriften.
1. SIMROTH, Uber die Bedeutung des Kopfes fiir das System. Verhandlungen
des VIII. internat. Zool. Kongr. Graz 1910. 1912.
2. Discussion of the origin of Vertebrates, Proc. Linn. Soc. London 122. 1909/10.
3. JAEKEL, Die Wirbeltiere. Eine Übersicht über die fossilen und lebenden
Formen. 1911.
4. Cambridge Natural History VII. HERDMAN, Ascidians und Amphioxus. —-
Bridge. Fishes.
5. SIMROTH, Gastropodenlaiche und Gastropodenlarven der deutschen Tiefsee-
Expedition. Ergebn. d. d. Tiefsee-Exped. IX, 1911.
6. ULJANIN, Die Arten der Gattung Doliolum im Golfe von Neapel und den
angrenzenden Meeresabschnitten. Fauna und Flora Neapel. X, 1884.
7. KORSCHELT und HEIDER, Entwicklungsgeschichte der Wirbellosen.
8. SIMROTH, Anatomie und Schizogonie der Ophiactis virens Sars. Zeitschr. f.
wiss. Zool. XXVIII.
9. Cambridge Natural History VIII. GAaDow, Amphibians and Reptiles.
10. Gaupp, Die Verwandtschaftsbeziehungen der Säuger, vom Standpunkte der
Schädelmorphologie aus erörtert. Verhandlungen des VIII. inter-
nat. Zool. Kongr. Graz 1910. 1912.
11. SIMRoTH, Die Pendulationstheorie. 1907.
12. —, Die Entstehung der Landtiere. Ein biologischer Versuch. 1891.
13. YOKOYAMA, Climatic Changes in Japan since the Pliocene Epoch. Journ. of
the Coll. of Se. Imp. Univ. of Tokyo. XXII, 1911.
14. SARASIn, Fr., Über die Geschichte der Tierwelt von Ceylon. Zool. Jahrb.
Suppl. 12. 1910.
we
150
15. SIMROTH, Uber einige von Herrn Professor W. May auf der Kanareninsel
Gomera gesammelte Nacktschnecken, ein Beitrag zur Geschichte
der Kanaren. Nachrichtsbl. d. d. mal, Ges. 1912.
16. May, W., Gomera, die Waldinsel der Kanaren, Reisetagebuch eines Zoologen.
Verhandlungen naturw. Ver. Karlsruhe. XXIV, 1912. 4
17. SEMPER, Die natiirlichen Existenzbedingungen der Tiere.
Zweite Sitzung.
Dienstag, den 28. Mai, 3—5 Uhr.
Vortrage.
Herr Dr. Juuius Scuaxen (Jena):
Zur Analysis des Spiraltypus der Annelidenfurchung bei normalem und
abnormem Verlauf.
Die klassischen Untersuchungen von Wırson über die Ent- —
wicklung von Nereis und von Eısıe über die von Capitella haben —
gelehrt, daß die Furchung der polychäten Anneliden eine aus-
gesprochen determinative ist, d. h. daß die Teilungen des Eies in |
bestimmter Weise mit großer Präzision aufeinander folgen. Die
Arbeiten von Merapv, Cap, Treapweın und anderen zeigen, dab
unter den verschiedensten Formen eine weitgehende Überein- —
stimmung in der frühen Entwicklung hinsichtlich der Blastomeren-
folge herrscht. Erst auf späteren Stadien treten Unterschiede ~
zutage, die mit der Verkürzung von Larvenstadien im Zusammen-
hang stehen mögen. 1
Den Teilungsmodus der Annelidenfurchung pflegt man be- —
kanntlich als Spiraltypus zu bezeichnen. Seine Eigentümlichkeiten '
treten äußerlich zum erstenmal beim Übergang des 4- in das 8- |
Stadium deutlich zutage. Es kommt dabei der obere Zellenkranz —
nicht senkrecht über den unteren zu liegen, sondern die schiefe
Sonderungsrichtung bringt es mit sich, daß die oberen Zellen über 1
die Grenzen der unteren abgelagert werden. Da die seitliche
Verschiebung im Sinne des Uhrzeigers erfolgt, so spricht man von
einem rechtswendigen oder dexiotropen Teilungsschritt. Der nächste |
Teilungsschritt geht in der entgegengesetzten Richtung vor sich. |
Er ist linkswendig oder laeotrop. Die sich anschließenden Teilungen 4
zeigen, sofern noch eine zeitliche Übereinstimmung besteht, das weitere |
Abwechseln dexiotroper und laeotroper Zelltrennungen. Man be-
schreibt daher die Erscheinung durch die Alternanzregel, die das |
regelmäßige Abwechseln dexiotroper und laeotroper Teilungen zum |
151
Ausdruck bringt, und ergänzt sie durch die Perpendikularitätsregel,
die besagt, daß die Spindel bei jeder Teilung senkrecht zu der
Richtung steht, die die Spindel der vorhergegangenen Teilung ein-
hielt. Diese Regeln erläutern nur ein ideales Schema, das die
Eigentümlichkeiten der beobachteten Vorgänge unberücksichtigt
läßt. Eine tiefere Einsicht in die Wirkungsweisen der Spiral-
furchung geben sie nicht.
Im Rahmen von Untersuchungen über die Intrazellularprozesse
bei der Formbildung der Metazoen!) zog ich auch die Geschlechts-
zellenbildung und Entwicklung der polychäten Annelide Aricıa
foetida Car. in den Kreis meiner Betrachtungen. Dabei ergab sich
einiges über die Spiralfurchung, worauf ich im folgenden eingehen
will. Die Beschränkung auf eine Entwicklungsphase eines einzigen
Objekts macht es zur Pflicht, sich in den Schlüssen vom Beobachteten
nicht zu weit zu entfernen. Ich verzichte daher hier auf eine
Besprechung dessen, was anderweitig über unserem naheliegende
Gegenstände in Übereinstimmung oder Widerspruch geäußert wurde.
Es kommt nur darauf an, den komplexen Vorgang der Spiral-
furchung als Kombination einfacherer, wenn auch bei weitem nicht
einfachster Wirkungsweisen verständlich zu machen.
Wir beginnen mit der Eibildung, gehen aber nur auf solche
Vorgänge näher ein, die sich auf die folgenden Entwicklungs-
prozesse, namentlich auf die Furchung beziehen. In der jungen
Oocyte wird nach Abschluß der intrachromatischen Prozesse, die
wir wie die zahlenmäßigen Chromosomenfragen überhaupt außer
Betracht lassen, Chromatin angereichert. Daraufhin erfolgt eine
Chromatinemission in den aus morphologisch einfachem Plasma
bestehenden Zelleib. Die Dotterbildung setzt alsbald ein. Sie geht
im ganzen Zelleib vor sich, der sich stark ausdehnt und von dessen
Chromatin eine dem Dotter proportionale Menge erschöpft wird,
während der Rest als intervitteline Verdichtungen erhalten bleibt.
Für unsere Betrachtung von Wichtigkeit ist die differente Größe
der einzelnen Dotterstücke und die Verteilung des Dotters im
Zelleib. Indem der Dotter an seiner Bildungsstätte verbleibt, hat
1) In meinem Versuch einer eytologischen Analysis der Entwicklungsvor-
gänge (Erster Teil: Die Geschlechtszellenbildung und die normale Entwicklung
von Aricia foetida CLAP, in Zool. Jahrb., Bd. 34, Abt. f. Anat. 19!2) wird auch
auf das hier Dargelegte an der Hand zahlreicher Abbildungen ausführlich ein-
gegangen. Beim Vortrag demonstrierte ich Lichtbilder; während hier nur
schematisch vereinfachte Figuren geboten werden können. Der Bericht über
die experimentellen Eingriffe in den Furchungsverlauf wird als zweiter Teil der
Analysis in den Zool. Jahrb. erscheinen.
152
er bei erreichter Vorreife (also vor Auflösung des Keimbläschens)
folgende konzentrische Schichtung um den Kern:
dichter grober Dotter,
lockerer feiner Dotter,
lockerer grober Dotter,
dotterfreie Oberflächenschicht.
Die noch im Mutterleib befindliche Oocyte hat eine von den Druck-
verhältnissen der Umgebung bedingte Gestalt. Ihr Zelleibinhalt weist
aber, wie gesagt, eine in allen Radien gleichartige Schichtung auf.
Die Vorgänge im Kern, der nach der Emission keine als
Substanzabgabe morphologisch nachweisbaren Beziehungen zum
Zelleib zeigt, übergehen wir, bis sich mit Einsetzen der Chromo-
somenrekonstruktion folgende auffällige Erscheinung bemerkbar
macht. Es verdichtet sich ein Teil des Kerninhalts in einer ein-
seitigen Randschicht, die um den übrigen Kern eine Kalotte bildet.
Bei maximaler Ausdehnung nimmt diese Außenschicht in ihrer
u
Figur 1. Figur 2.
Hauptmasse den dem Nucleolus opponierten Kernteil ein, während
ihre Ausläufer fast unter der ganzen Kernoberfläche sich ausdehnen.
Mit dieser asymmetrischen Bildung wird eine Polarität von dauernder |
Bedeutung sichtbar, die zunächst auf den Kern beschränkt ist, da |
der Zelleib ja inzwischen die geschilderte, in allen Radien gleiche
Schichtung erreicht hat (Fig. 1). 3
An der breitesten Stelle der Kernaußenschicht sondert sich
ein Plasma von faserigem Bau. Die Kernmembran verschwindet
und die Außenschicht verliert mehr und mehr an Masse. Mit dem
alsbald abströmenden Kernsaft kommt Bewegung in den ganzen
Zelleib. Zunächst wird der kernnahe, dichte grobe Dotter im
153
Bereich der ersten Membranauflösungsstelle gelockert und nach der
entgegengesetzten Seite abgeschoben. Fig. 2 stellt eine Phase
dieses Vorgangs im Schnittbild dar. Mit der Auflösung der ganzen
Kernmembram weichen die Zelleibeinlagerungen allseitig in radiärer
Richtung zurück und erfahren infolge Freiwerdens des bisher vom
Kern eingenommenen Zellteils eine weniger dichte Lagerung. Diese
Vorgänge finden unmittelbar nach der künstlichen Entnahme vor-
reifer Eier aus dem Muttertier oder während der natürlichen
Ablage statt. Gleichzeitig erfolgt die Abkugelung der Zelle. In
demjenigen Zellteil, in dem die Membranauflösung begonnen hat
(der also zuerst durch die Kernaußenschicht gekennzeichnet ist),
erscheint die Teilungsspindel zur Abgabe des ersten Richtungs-
körpers, nähert sich unter Verkürzung der Kernoberfläche und
verharrt auf dem Stadium der Anaphase bis zur Besamung oder
Einleitung der Zwangsparthenogenesis.
Bevor wir mit der Betrachtung der Entwicklungsvorgänge
beginnen, ist es unerläßlich, für das Ei und die Furchungsstadien
eine bestimmte Orientierung festzulegen. Wir nehmen sie nach der
Trochophora und dem Wurmkörper vor. Vom Scheitel der Trocho-
phora zu ihrem After verläuft die Längsachse, die mit der des
Wurmkörpers zusammenfallt. Wir bezeichnen weiterhin das Scheitel-
feld kurz mit oben (0), das Afterfeld mit unten (vw). Die Mund-
seite der Trochophora nennen wir die ventrale (v), die Gegenseite
die dorsale (d). Die Flanken ergeben sich dann von selbst als
rechte (r) und linke (J). Legen wir durch die idealen Mittelpunkte
der genannten Felder die entsprechenden Achsen und durch diese
Ebenen, so wird die gleich dem Ei kugelig gedachte Trochophora
in acht Stücke zerlegt. Jeder solche Oktant ist dann mit drei
Buchstaben sicher zu kennzeichnen, z. B. mit ovr der obere ventrale
auf der rechten Seite. Die Indices an den Figuren beziehen sich
auf diese Orientierung. Wenn wir nun in diesem Schema die vor-
reife Oocyte nach Bildung der Kernaußenschicht so einordnen, daß
deren Hauptmasse in den ovr-Oktanten zu liegen kommt, also auch
in diesem die Richtungskörperbildung eingeleitet wird, so brauchen
wir nur der Entwicklung ihren Lauf zu lassen, um schließlich die
Larvenbestandteile an der ihnen im Schema entsprechenden Stelle
zu finden.
Bei der normalen Befruchtung dringt ein Spermatozoon in die
obere dorsale Partie der Oocyte ein. Ihr bisher in der Anaphase
verharrender Teilungskern vollzieht nun rasch die Bildung des
ersten Richtungskörpers. Der zweite Richtungskörper wird dorsal-
154
warts von dem ersten abgegeben (Fig. 3). Von dem Spermatozoon
gelangt nur Kern und Mittelstück ins Eiinnere. Vom plasmatischen
Mittelstück des Spermiums nimmt die Umbildung des Ooplasmas
zur Teilungsstruktur ihren Ausgang,
während die beiden Vorkerne sich
aneinander lagern, um gemeinsam
doch ohne Chromosomenmischung die
erste Furchungsteilung einzugehen.
Es ist von großer Wichtigkeit,
die Inhaltsanordnung der Substanzen
in der furchungsbereiten Eizelle ge-
nau festzustellen. Die Substanz-
umlagerungen beim Abschluß der
Eireifung sahen wir dahin führen,
Figur 3. daß die zum Furchungskern ver-
einigten Vorkerne in einem dotter-
armen Bezirk im oberen ventralen Oktanten der rechten Seite
(ovr) sich befinden. Diese Plasmamasse hat die Gestalt eines
Ellipsoids mit der längeren Achse in der Richtung dv. Der
dichte grobe, ursprünglich kernnahe Dotter ist dagegen in den
Gegenoktanten (udl) zuliegen gekommen. An drei Schnittbildern
läßt sich die eigentümliche Lage der Zellpartie, von der die
Teilungsprozesse ihren Ausgang nehmen, deutlich demonstrieren.
te)
/ us NZ
ww
Gas
ER.
Figur 4. Figur 5.
Wir schneiden sagittal (Fig. 4) und transversal (Fig. 5) durch die
Pole der anaphasischen Spindel und frontal (Fig. 6) durch die
Aquatorialplatte derselben Spindel. Eine Betrachtung dieser Schnitt-
bilder lehrt die dreifache Exzentrizität des Teilungsbezirks (in der — }
Richtung dv nach v, in der Richtung rl nach r, in der Richtung
u ee A a N ME sn Er re rt een en Me ee
155
ou nach o verlagert), seine Ausdehnung in der Richtung dv und
das Verhalten der übrigen Zellgebiete: ventral rechts oben schickt
sich der Kern in der dotterarmen Plasmamasse zur Teilung an,
während der dichte grobe Dotter im diametral entgegengesetzten
Zellteil unbewegt verharrt.
In der Telophase der Kernteilung rücken die Sphären samt
den Chromosomen auseinander, CD in dorsaler, AB in ventraler
Richtung und beide nach oben. Die Betrachtung des Zellinnern
lehrt, daß Substanzumlagerungen dabei vor sich gehen, die für uns
durch den Transport der Plasmaeinlagerungen, namentlich des Dotters,
sichtbar werden. Um die im ovr-Oktanten sich einsenkende Furche
findet in dem dotterfreien Plasmamantel ein allseitiges Zuströmen,
Figur 6.
etwas tiefer (eben mit dem Einsinken der Furche) ein Zurück-
weichen der Massen gegen die Sphären statt. Mit dem Fortschreiten
der Teilung kommen die zuführenden Ströme mehr aus dem Zell-
innern, um in derselben Weise gegen die Sphären zurückzuweichen.
Bei der Ausdehnung der Ringfurche um den ganzen Zellumfang
wiederholen sich die zuerst genannten Prozesse. Dabei ist zu be-
achten, daß sich die Umlagerungen des Zellinhalts auf das vorhin
charakterisierte exzentrische Teilungsgebiet beschränken und die
anderen Zellregionen um so weniger davon berührt werden, je
weiter sie entfernt liegen. In den Sagittalschnitt durch die telo-
phasische Spindel der Fig. 7 sind die hauptsächlichsten Strömungs-
richtungen des Plasmas eingezeichnet, wie sie sich aus dem Vergleich
früherer und späterer Stadien ergeben.
Das Resultat der Teilung und inneren Umlagerung, also die
Konstitution der Zellen AB und CD ist bedingt erstens durch das,
was den Zellen durch die Strömungen zugeführt wird, zweitens
156
durch das, was von der Eikonstitution her einfach an seinem Ort
verbleibt, und drittens durch den Einfluß, den die durch die Massen-
verkleinerung und gegenseitige Abplattung veränderte äußere Gestalt
auf die Anordnung des Inhalts nimmt. In CD nimmt das den Kern
umgebende dotterarme Plasma die obere rechte Partie der Zelle
ein, und zwar so, daß seine größte Ausdehnung sich von /d nach
rv erstreckt, einen Winkel von zirka 65° mit der Dorsoventral-
achse des Keimes bildend. Die rechte Seite liegt höher wie die
linke. Man versteht, wie die Abplattung der Ventralseite und der
rechtsseitige Dotternachschub von unten (während der Telophase
der ersten Teilung) zu dieser Lagerung führen muß. In udl liegen
die immobilen Dottermassen. Die Zelle AB ist ein verkleinertes,
stark verkürztes Gegenstück zu CD. Die Exzentrizität ihres Inhalts
ist viel geringer. Dichterer Dotter findet sich in den unteren
Partien, links höher ansteigend, so daß die dotterarme Kernregion
sich oben weiter nach rechts als nach links erstreckt mit der größten
Ausdehnung in der Richtung rl. Als allgemeinstes Ergebnis der
Teilung erhellt, daß AB und CD eine mit dem Ei in den wesent-
lichen Zügen übereinstimmende exzentrische Substanzanordnung
aufweisen.
Der letztgenannte Umstand verrät schon, daß sich bei den
Teilungen des zweiten Teilungsschrittes Vorgänge abspielen werden,
deren Übereinstimmung mit und Abweichung von der ersten Teilung
wir in ihren Bedingungen kennen. Von D wird nach rechts oben
die viel kleinere Zelle © abgegeben, während die Medianebene des
Keimes B von dem nur wenig größeren A abtrennt. Wir müssen
uns hier das Eingehen auf die feineren Einzelheiten mangels der
zur Vermittelung der räumlichen Vorstellungen unerläßlichen Ab-
bildungen versagen.
Ein Schnitt durch die Sonderungsebene der Teilung D > C,
der mit Medianebene des Keimes einen Winkel von zirka 65°
bildet, zeigt den dotterarmen Teilungsbezirk in seiner Ausdehnung
von /d nach vv, den C-Pol höher liegend als den D-Pol. Die untere
Partie nimmt der Dotter ein, der linksseitig am dichtesten liegt.
Ein Schnitt ebenfalls dureh die Spindelpole und senkrecht zum
vorigen, der ein Eitransversalschnitt wäre, wenn der C-Pol nicht
höher als der D-Pol läge, zeigt ebenfalls den Längsdurchmesser
des Teilungsbezirks und linksseitig den Dotter. Ein Schnitt senk-
recht zur Eitransversalebene und durch die Ruhekerne der Zellen
CD und AB trifft den Teilungsbezirk in CD quer, also im kurzen
Durchmesser. Die unteren Zellpartien sind von Dotter erfüllt, der
I’ a a
U NEE EEE et ae,
nahe
Hay 2
157
noch im einzelnen eine charakteristische Verteilungsweise zeigt.
Im ganzen sehen wir der ersten Eiteilung durchaus entsprechende
Verhältnisse, die nur solche Modifikationen aufweisen, wie sie eben
die vorhergehende Teilung in ihren Folgen ergibt. Während der
Telophase zeigen sich in der dotterfreien Oberflächenschicht der
Zellen nach der Teilungsgegend hin plasmatische Strömungen, die
sich nach den Sphärenzentren umwenden. In der größeren Zelle
D machen sich auch Strömungen aus den tieferen Dotterschichten
bemerkbar, die seitlich um den dadurch einsinkenden Kern ab-
fließen.
Der stark inäqualen Teilung D > C gegenüber teilt sich
AB in fast gleiche Teile. Da die Zellen sich in der Richtung rl
sondern, so verbleibt in A der größere Teil des links unten gelegenen,
wenig beweglichen Dotters und A fällt etwas voluminöser aus als B.
Die Einleitung und der Vollzug der Teilung in AB entspricht
ganz den Vorgängen in CD, nur in dem adäqualen Charakter der
Teilung entsprechend abgeschwächtem Maße. Die Spindelachsen
der Teilungen D > C und A > B sind windschief zueinander,
weshalb ein Schnitt durch die Spindelpole der einen Teilung nie
die der anderen auch enthält. Es ist ziemlich wertlos, von einer
die beiden Teilungen bewirkenden zweiten Furche zu sprechen;
denn die Teilungen als solche gehen völlig unabhängig voneinander
vor sich, wenn auch die Vorbedingungen beider Teilungen auf die
Teilung CD > AB zurückgehen und die Zusammenlagerung der
vier Zellen wiederum ihre Inhaltsanordnung beeinflußt.
Mit der Zunahme der Blastomerenzahl wächst natürlich die
Komplikation, die begreiflicherweise in einer kurz bemessenen Dar-
stellung durch Worte schwieriger zu bewältigen ist als bei der
Beobachtung. Die Untersuchung lehrt, daß jede Blastomere der
ersten sechs Teilungsschritte sich ebenso wie die Eizelle betrachten
läßt, wenn sie durch gleichsinnige Schnittebenen zerlegt wird.
Fassen wir die Ergebnisse über den normalen Verlauf der
Furchung von Aricia zusammen, so ist sie zunächst zu kennzeichnen
als eine Reihe von Zellteilungen ohne Nachwachsen zur Ausgangs-
größe, die der Zeit, dem Orte, der Richtung und der Größe nach
bestimmt auftreten. Die Umlagerungen des an sich immobilen
Dotters verraten die die Teilungen bewirkenden Plasmabewegungen.
Die Teilungen nehmen ihren Ausgang von der durch eine eigen-
tümliche asymmetrische Lokalisation ihres Inhalts ausgezeichneten
Eizelle. Diese Asymmetrie ist während der Oogenesis unter dem
Einfluß des Oocytenkerns entstanden. Das Eindringen des Spermiums,
158
dessen Weg vorgezeichnet ist, ändert an ihr nichts. Sie gestattet
die Einstellung des Kerns und die Entfaltung des Teilungsapparates
nur in einer bestimmten Weise. Die Blastomeren übernehmen vom
Ei die exzentrische Lokalisation des Inhalts, die eine sekundäre
Modifikation durch die von der Zellgestalt bedingten Umlagerungen
erfährt, indem sich die Blastomeren je nach dem gegenseitigen
Lageverhältnis verschiedentlich abplatten. Vom zweiten Teilungs-
schritt an sind also zwei Faktorenkomplexe von wesentlicher Be-
deutung: die von der Eizelle her übernommene Inhaltsasymmetrie
und die Wirkung der Zellgestalt auf die Inhaltsanordnung. Die
Teilungen selbst führen zu einem allmählichen Ausgleich der Inhalts-
differenzen unter den Blastomeren. So geht die anfänglich starke
Inäqualität nach und nach in äquale Teilungen über.
Die so vorgenommene Auflösung des Spiraltypus der Furchung
in die Kombination einfacherer, freilich noch sehr komplexer Wirkungs-
weisen spricht dafür, daß die Furchung nur als Fortsetzung der
Eibildung, die ihre Vorentwicklung darstellt, zu betrachten ist.
Zwar läßt schon die aus allgemeinen cytologischen Kriterien sich
ergebende Einsicht, daß die Furchungskerne sich inaktiv in bezug
auf das sie umgebende Plasma verhalten, und die Zwangspartheno-
genesis erkennen, daß für den Furchungsverlauf der Eibau ver-
antwortlich zu machen ist; aber es soll auch noch der experimentelle
Nachweis erbracht, werden.
Ein solcher Nachweis ist dann als geliefert anzusehen, wenn
eine Veränderung der Konstitution der furchungsbereiten Eizelle
eine Alteration des Furchungsmodus nach sich zieht. Versuche
mit der Zentrifuge haben bei Aricia kein Ergebnis. Es spricht auch
gar nichts dafür, daß es gerade Verschiedenheiten des spezifischen
Gewichts sind, die die Inhaltsanordnung der Substanzen im Ei
bestimmen. Grobe mechanische Eingriffe wie Stoffentnahme u.
dgl. sind, wo sie nicht gleich tödlich wirken, in ihren Folgen un-
berechenbar. Kleine Schädigungen, wie man sie durch leichten
Druck oder Schütteln erzeugt, werden in gewissen Grenzen reguliert.
Wir handeln hier nicht von ihnen, sondern machen uns den Um-
stand zunutze, daß bei Aricia namentlich zu Beginn und am Ende
der Laichperiode die Substanzumlagerungen des Reifeabschlusses
durch Erhöhung über oder Erniedrigung unter die optimale Temperatur
von 13°C sich so alterieren lassen, daß die Inhaltsasymmetrie des
Eies nahezu ausgeglichen oder stark übertrieben wird. In solchen
Kulturen erhält man bei monospermer Besamung statt der Teilungen
von normalem inäqualem Typus alle Übergänge von adäqualen
ee en ee
ps ww \ £ E : > ben m =
tel a el ee tangy
Ve eg? nap spin We
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3
t
3
4 159
“a -
2 Teilungen bis zu übertrieben inäqualen Abknospungen. Hier be-
_ trachten wir einige extreme Fälle.
r
=
Figur 10. Figur 11.
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2 v
| & |
F r
~
_ Figur 12. Figur 13.
* In Fig. 8 und 9 sind die Zellumrisse des normalen 2- und 4-
Stadiums in der Ansicht von oben dargestellt. Die Fig. 10 zeigt
je
5°
160
ein nahezu äquales 2-Stadium in derselben Ansicht, die Fig. 11
einen Keim von vier Blastomeren zwar nicht gleichen Volumens,
doch von im Vergleich zum normalen Verhalten, wo die Zelle D
an Umfang die übrigen Zellen sehr erheblich übertrifft (Fig. 9),
nur geringen Größenunterschieden. Die übermäßig inäquale Teilung,
die im Keim der Fig. 12 vollzogen ist, zieht auffällige Folgen nach
sich, indem die überwiegend große dotterreiche Zelle alsbald weitere
kleine Zellen abknospt. Fig. 13 zeigt das Ergebnis der zweiten
Teilung, die beendet ist, ehe die erste kleine Zelle sich wieder
geteilt hat.
Wir untersuchen zunächst die adäqualen Teilungen. Ein
Sagittalschnitt durch die Pole der anaphasischen Spindel zeigt
LIEF ee BE
u u
Figur 14. Figur 15.
(Fig. 14), dab in der unteren Zellpartie Dotter in mäßiger Kon-
zentration ausgebreitet ist. Die ou-Exzentrizität des Furchungs-
bezirkes besteht also. Dagegen ist die Exzentrizität in der Richtung
dv nahezu aufgehoben. Ein ent-
= sprechender Schnitt im Stadium der
fe \ Telophase zeigt einen Fall (Fig. 15),
iy = in dem die dv-Exzentrizität völlig
5 = ausgeglichen ist. Die Teilung wird
* x] äqual ausfallen. In die Fig. 15 sind
— = y die Plasmabewegungen schematisch
a ee IX 3 eingezeichnet, deren symmetrischer
oo a Verlauf mit dem asymmetrischen der
Figur 16. normal inäqualen Teilung der Fig. 7
zu vergleichen ist. Es geht daraus
sehr deutlich der Unterschied im Resultat und die Homologie der
Bedingungen der beiden Teilungsweisen hervor. Schneiden wir das
nächste Teilungsstadium transversal, so können wir vier Spindelpole
7
SAFE
161
in die Schnittebene bekommen, was beim normalen Teilungsverlauf
unmöglich ist (Fig. 16). Die Merkmale der Spiralfurchung fehlen
in solchen extremen Fällen fast ganz. Die Furchung geht vielmehr
annäherungsweise nach dem Radiärtypus vor sich. Der Vergleich
mit den entsprechenden Stadien des normalen Furchungsverlaufs
zeigt die bedeutsamen Veränderungen in der Lokalisation des Zell-
inhalts, als deren Folge die hinsichtlich der Richtung und Größe
von der Norm abweichenden Teilungen erscheinen.
Bei den übertrieben inäqualen Teilungen findet sich der
Furchungsbezirk stark exzentrisch nach oben rechts und namentlich
ventralwärts abgedrängt. Der Teilungsbereich ist auch viel kleiner
als bei der normalen Entwicklung. Die Teilungen erfolgen so, dab
die erste kleine Zelle nach rechts oben, die zweite daneben, d. h.
Figur 17. | Figur 18.
nach links oben abgegeben wird. In ähnlicher Weise werden zahl-
reiche kleine Zellen abgeknospt, die sich noch weiter teilen, während
eine überwiegend größere Dottermasse ungeteilt verharrt. Man
gewinnt den Eindruck einer Furchung von diskoidalem Typus. Für
die erste Teilung ist in Fig. 17 ein Schnitt durch die Pole der
Telophase dargestellt, in dem auch die stark asymmetrischen Plasma-
bewegungen angedeutet sind. Einen Schnitt durch ein späteres
Stadium zeigt die Fig. 18. Die Exzentrizität des Inhalts der großen
Zelle ist sehr auffällig.
Aus diesen Beobachtungen und Versuchen ist der Schluß zu
ziehen, daß der Spiraltypus der Furchung durch die exzentrische
Lokalisation des Teilungsbezirks in der Eizelle bedingt wird, deren
Zustandekommen und Wirkungsweise wir näher darlegten.
Andere Versuche bekräftigen weiter, daß keinerlei den Teilungs-
modus bestimmende Determinationen von den Furchungskernen aus-
gehen. Sie lehren auch noch, daß es lediglich auf die Lokalisation
des in seinem Wirkungskreise beschränkten, d. h. nur eine gewisse
Verh. d. Dtsch. Zool. Ges. 1912. 11
162
Plasmamasse umfassenden Teilungsbezirks ankommt und nicht auf
präformierte Strukturen, die etwa den Spaltflachen eines Kristalls
vergleichbar wären. Das Mittel dazu bietet die Polyspermie, die
sich bei Aricia unter gewissen Umständen erzielen läßt. Bewirkt
man nämlich Polyspermie, nachdem die Substanzumlagerungen des
Reifeabschlusses vor sich gegangen sind, so gelangen die oft recht
zahlreichen Spermatozoen in den ovr-Oktanten, wo sich alsbald‘
entsprechend zahlreiche Sphären entfalten, die ein wahres Chromo-
somengewimmel umschließen. Diese auf engem Raum zusammen-
gedrängten Teilungszentren scheinen sich zu behindern und ihre
Wirksamkeit gegenseitig aufzuheben, denn eine Teilung erfolgt selbst
nach mehreren Stunden nicht. Die Teilungsstrukturen verschwinden
schließlich wieder und der Keim wird zu einer Zelle mit ruhendem
Qo
er a Br ve ey
NBA A Sue
Mann. cr. AM AN NZ IN: a ee
Figur 19. Figur 20.
Riesenkern. Fig. 19 zeigt auf einem Sagittalschnitt zahlreiche
Sphiren im Teilungsbezirk der Eizelle, die eine normale Substanz-
anordnung aufweist. Läßt man zahlreiche Spermatozoen in die
Ooeyte vor Vollführung der Substanzbewegungen der Ausreifung
eindringen, so werden sie überallhin im Zelleib verschleppt. Nach
einiger Zeit gehen ihre Kerne, wo sie sich nicht gegenseitig be- —
hindern, Teilungen ein, die meist Zellteilungen nach sich ziehen.
So kommen mannigfache Vielteilungen und schließlich scheinbar
regellos ganz oder teilweise abgefurchte Keime und ungeordnete
Zellhaufen zustande. Das Schnittbild der Fig. 20 zeigt, wie mehrere —
Kerne ohne Rücksicht auf ihre Örtlichkeit im Zelleib selbständige
Teilungen eingehen.
Auf das spätere Schicksal dieser und anderer Anomalien
können wir hier nicht eingehen. Aus den Polyspermieversuchen —
ziehen wir den Schluß, daß die Eizelle überall teilbar ist, wo nur
das Ooplasma zur Teilung angeregt wird. Diese Erregung ist aber
immer in ihrem Umfang beschränkt.
9 i a wr
ee
ote u a un u een are
163
Fassen wir das Ergebnis unserer Auflösung der Spiralfurchung
in die Kombination einfacherer Faktorenkomplexe kurz zusammen:
Die Furchung erscheint als die Ausführung der in der Eibildung
gegebenen Vorentwicklung. Bei der Besamung ist der Weg des
Spermiums im Ei so vorgezeichnet, daß die Vorkerne an vor-
bestimmter Stelle sich treffen müssen und die Teilungserregung
ebenda bewirkt wird, nämlich in der im Verhältnis zum Eiganzen
asymmetrisch und exzentrisch situierten Plasmamasse, die in der
Form eines Ellipsoids mit dem längeren Durchmesser in der Richtung
der Dorsoventralachse den oberen ventralen rechten Zelloktanten '
einnimmt. Die Zellregionen werden um so weniger in das Teilungs-
getriebe einbezogen, je entfernter sie von den Teilungszentren
liegen. ‚Jede Blastomere übernimmt die Substanzanordnung des Eies
und erhält eine von ihrem Lageverhältnis im ganzen abhängige
Gestalt, die wieder die Inhaltsanordnung beeinflußt. So ist jede
Teilung die notwendige Folge der vorhergehenden und die Vor-
bedingung der folgenden. Die Spiralfurchung ist nur die Resultante
einer Reihe von Einzelereignissen, die alle gleichsinnig verlaufen.
Diskussion:
Herr Prof. Branpzs (Dresden) meint, daß die mitgeteilten Tat-
sachen der polyspermen Entwicklung darauf hinzuweisen scheinen,
daß die dotterreichen Massen doch mechanischen Widerstand bei
der Teilung leisten und nicht an allen Stellen jederzeit in Teilung
treten können. Die eingedrungenen Spermien liefern das „reine“
Protoplasma, das bei jeder Teilung des Dotters in hinreichender
Menge vorhanden sein muß.
Herr Dr. Scaerzack (Berlin-Lichterfelde):
Untersuchungen über die Coccidien aus Lithobius und Scolopendra
(Barrouxia, Adelea, Eimeria).
(Untersuchungen von E. Reıcazxnow und C. ScHELLACK.)
Seit den bekannten Untersuchungen von SCHAUDINN und SEEDLECKI
(1897, 1899, 1900) sind die Coceidien aus dem Darm von LrrHosıus
kaum wieder untersucht worden. Zu erwähnen wären nur die
Arbeiten von Doseru!) (1907), JorLos?) (1909), der die Kernteilungen
näher untersuchte, und Desaısıeux 3) (1911), auf den ich noch zurück-
2) Proc.:of Royal Soe., Ser. B, Bd. 79, 1907.
2) Arch. f. Prot.-Kunde, Bd. 15, 1909.
3) La Cellule, Bd. XXVII, Heft 2, Juli 1911.
1%
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164
kommen werde. Herr Dr. Reıchenow und ich haben deshalb bereits
vor zwei Jahren mit einer eingehenden Nachuntersuchung begonnen,
die sich zuerst eigentlich nur auf Adelea ovata erstrecken sollte,
‘bald aber auf alle in Zithobius forficatus vorkommenden Arten
ausgedehnt werden mußte. Es hat sich in mehrfacher Beziehung
gezeigt, daß diese Nachprüfungen in der Tat notwendig waren.
Die Untersuchungen, über die im folgenden ganz kurz berichtet
werden soll, sind im Protozoenlaboratorium des Kaiserlichen Gesund-
heitsamtes unter Herrn Regierungsrat Scuusere ausgeführt worden.
Eine kurze vorläufige Mitteilung über einen Teil unserer Ergebnisse
wurde im Zoologischen Anzeiger Bd. XXXVI, 1910, S. 380 ver-
öffentlicht; auch hat Herr Dr. Reıchenow auf dem VIII. Inter-
nationalen Zoologenkongreß in Graz!) darüber vorgetragen.
Desatsteux obenerwähnte Arbeit beschäftigt sich nur mit Adelea
ovata und Eimeria lacazer; sie erschien erst nach unserer vor-
läufigen Mitteilung (Zoologischer Anzeiger Bd. XXXVI S. 380).
Seine Untersuchungen werden im folgenden mehrfach erwähnt.
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Das erste Ergebnis unserer Bearbeitung, das uns sehr über-
raschend kam, war, daß wir neben den drei Scxaupiyn und SIEDLECKI
bekannten Formen (Adelea ovata, Eimeria schubergi und Eimeria
lacazev) noch eine vierte fanden, die der Gattung Barrouxia an-
gehört. Wie aus den weiteren Ausführungen hervorgehen wird,
wird durch Auffindung dieser Form die Frage des Vorkommens
getrennt geschlechtlicher Schizogonie-Cyclen, das von SıEDLEckI für
Adelea ovata angegeben wurde, in ein neues Licht gerückt.
Die von uns gefundene Barrouxia-Art stimmt mit der von
Leser (1897) in Lithobius forficatus auf dem Mt. Pelvoux ge-
fundenen Barrouzxia alpina überein, muß aber aus Prioritätsgründen
den Namen D. schneideri erhalten.
Wir haben Lithobien an vielen Orten in der Umgegend von —
Berlin, in Marburg und in Celle (Hannover) gesammelt: überall —
war Barrowxia zu unserem Erstaunen die häufigste Art. Auch
sonst muß sie weit verbreitet sein. Figuren von Dosen zeigen,
daß sie in England, von Srepieckr und Desaisrevx, dab sie in der
Umgegend von Paris, Krakau und in Belgien vorkommen mub. —
Auch Scuaupiyn hat sie mit Sicherheit vorgelegen: daß sie über- —
sehen werden konnte, ist methodologisch äußerst interessant und nur
1) Kongreßbericht des internat. Zoologenkongresses in Graz 1910, S. 439.
Auf die dort gedruckte Diskussionsbemerkung von JOLLOS und einige andere
Punkte wird in einem Artikel im Zool. Anzeiger Bd. 39, 1912, S. 609 eingegangen. N
re,
N
E
165
so zu erklären, daß ihre Cysten mit Adelea-Cysten in der Größe
ungefähr übereinstimmen, aber zu ihrer Reifung etwa 14 Tage ge-
brauchen. Die Barrouxia-Cysten sind deshalb von Scuaupinn immer
für unreife Adelea-Cysten gehalten worden. Wir sind zuerst dem-
selben Irrtum anheimgefallen. {
Ich führe Ihnen an der Hand des Schemas (Fig. 1) und von
Mikrophotogrammen?) die lebenden reifen Cysten aller vier Arten
vor, die ganz erheblich voneinander verschieden sind. Die Figuren
machen eine weitere Erklärung unnötig; be-
sonders darauf hingewiesen sei aber, daß Bar-
rouxia schneideri nur einen Sporozoiten in jeder
seiner zahlreichen Sporocysten besitzt.
Figur 1.
Schematische Darstellung der Cysten der vier im Darm von Lithobius
forficatus schmarotzenden Coccidien.
a) Adelea ovata. Zahlreiche Sporocysten mit je 2 Sporozoiten.
b) Barrouxia schneideri. Zahlreiche Sporocysten mit je 1 Sporozoiten.
©) Eimeria lacazei. 4 parallel zueinander gelagerte Sporocysten mit je 2 Sporozoiten.
d) Eimeria schubergi. 4 Sporocysten mit je 2 Sporozoiten.
Die Entwicklung der drei Arten Barrouxia schneiderr, Adelea
ovata und Zimeria lacazeı, die wir ganz verfolgen konnten, sei in
kurzen Zügen skizziert. Über Eimeria schubergi wollen wir mit
unseren eigenen Untersuchungen noch zurückhalten, weil sie noch
nicht abgeschlossen sind.
‘ 1) Die Einrichtung des in Halle zur Verfügung stehenden Projektions-
apparates, der für eine andere Plattengröße eingerichtet war, sowie die Kürze
der zum Vortrage zur Verfügung stehenden Zeit machten es leider unmöglich,
unsere Mikrogramme vollständig und in ausreichender Weise vorzeigen zu können.
Die nach dem LumIkre’schen Verfahren aufgenommenen farbigen Photogramme
konnten nur in ganz unvollkommener Weise demonstriert werden.
166
1. Barrouxia schneideri. Die Merozoiten, mit deren Beschreibung
ich bei allen Arten beginnen will, weil sie sehr charakteristisch
sind, besitzen den in Fig. 2 dargestellten Bau. Sie sind durch
den länglich ovalen, eigentümlich gebauten Kern sofort von den
drei andern Arten zu unterscheiden; das Chromatin ist in einem
länglichen Ballen kondensiert, dem ein oder mehrere Binnenkörper
kappenförmig aufsitzen. Die Merozoiten liegen regelmäßig, wie die
Teile einer Orange, in Bündeln zusammen, und diese Bündel besitzen
in der Regel keinen Restkörper (Ausnahmen finden sich, sind aber
äußerst selten). Ein großes Material von Lithobien, die massenhaft
Figur 2. Figur 3. Figur 4.
Barrouxia schneideri.
Fig. 2. Merozoitenbündel. — Fig. 3. Erste Kernteilung des Schizonten.
Fig. 4 Mehrkerniger Schizont.
ausschließlich mit Barrouxia infiziert waren, wie monatelange Kon-
trolle ergab, läßt keinen Zweifel zu, daß diese Merozoiten in der
Tat zu Barrouxia gehören. Srepreckr (1899), der für Adelea ovata
zwei getrennt geschlechtliche Schizogonien aufstellte, hat diese
Barrouxia-Merozoiten für den männlichen Schizogoniecyclus von
Adelea gehalten; Desassıeux, der unsere Mitteilung noch nicht
berücksichtigt hat, bestritt zwar auch, wie wir, daß diese Merozoiten
zu Adelea gehörten, stellte sie aber fälschlich zu Eimeria lacazei. |
Die Schizogonie verläuft folgendermaßen. Die Binnenkörper
vermehren sich im Kern, indem sie an verschiedenen Stellen schon
im Merozoiten und auch später noch neu entstehen, der Kern teilt
sich typisch amitotisch, indem die Binnenkörper mit auf die Tochter-
kerne übernommen werden (Fig. 3). Bei den späteren Teilungen
tritt diese ganz primitive Art der Amitose etwas zurück, man sieht
Bilder wie das in Fig. 4 dargestellte: die Binnenkörper, die in
jedem ruhenden Kerne vorhanden sind, entstehen immer nur durch
‘
Neubildung, nie durch Teilung, verschwinden vielmehr während der
a PER
ee EO a eis ed ate in
167
Teilung. So können gegen 6—50 Kerne für ebensoviele Merozoiten
entstehen.
Die Bildung sowohl der Mikro- wie der Makrogametocyten
geht von denselben Merozoiten aus: morphologische Differenzen
haben wir trotz vielen darauf verwandten Studiums nicht ent-
decken können. Wir sind in unserer endgültigen Arbeit ausführ-
lich darauf eingegangen.
Auch der Kernteilungsmodus in den Mikrogametocyten ist von
dem in den Schizonten nicht zu unterscheiden — Abweichungen
zeigen sich erst in den letzten 2—3 Teilungen: es wird das
Chromatin stark verdichtet, die Kerne werden bedeutend kleiner,
als es die Merozoitenkerne sind, und vor allem sind keine Binnen-
körper mehr vorhanden. Die aus diesen Kernen entstehenden
Mikrogameten haben den Bau, wie ihn Lucer für Barrouxia be:
schrieben hat.
Die jungen Makrogameten sind dadurch von den jungen’
Schizonten und Mikrogametocyten unterschieden, daß sie nur bis
zu drei Binnenkörper besitzen, wovon zwei allmählich rückgebildet
werden. Gleichzeitig werden charakteristische Reservestoffe auf-
gespeichert. Die Befruchtung erfolgt, ohne dab eine erkennbare
Reduktion oder Reifung (etwa Auflösung des Binnenkörpers) vor
sich geht, indem der Kern sich streckt und eine Röhre gegen die
Oberfläche bildet, in die der Mikrogamet eindringt. Der Binnen-
körper ist auch nach der Befruchtung noch vorhanden. Die weitere
Entwicklung ist färberisch wegen der vorhandenen undurchlässigen
Cystenhülle schwer zu verfolgen. Einiges aus dieser Entwicklung
zeigen die demonstrierten Figuren (folgt Demonstration von Mikro-
photographien). |
2. Adelea ovata. Es sind nur solche Merozoiten vorhanden,
wie sie nach Sıerpuecxı (1899) während der weiblichen Schizogonie
von Adelea vorkommen sollen. Reininfektionen nur mit Adelea,
die alle Stadien enthalten, zeigen das ebenso wie die Möglichkeit
der lückenlosen Aneinanderreihung der von diesen Merozoiten aus-
gehenden Stadien. Der Merozoit ist sehr schmal, lang gestreckt
und besitzt einen schmalen langen Kern, der stark färbbares ge-
körntes Chromatin und einen sehr winzigen, polaren, blaß färb-
baren Binnenkörper besitzt (Fig. 5). Die Schizogonie ist von
SIEDLECKI nicht richtig dargestellt, indem er einmal von der An-
nahme einer multiplen Kernteilung ausging, andererseits Stadien
von Barrouxia einfiigte. Zur Frage der „multiplen“ Kernteilung
wird unten noch einiges zu erwähnen sein. Die Kernteilung be-
168
ginnt bereits auf sehr frühen Stadien: wir haben überhaupt bei
allen von uns untersuchten Formen ganz allgemein die Regel be-
stätigt gefunden, dab nicht etwa der Schizont erst sein Wachstum
beendet, ehe er mit der Kernvermehrung beginnt, sondern letztere —
geht nach einer gewissen Größenzunahme des Merozoiten gleich-
laufend mit ersterem vor sich. |
Der Merozoit wächst heran, indem er dabei mäßig viel stark-
körniges Chromatin und in der Regel nur seinen einen Binnen-
körper ausbildet (Fig. 6). Die Teilung geht auch wieder amitotisch
ohne Durchschürung des Binnenkörpers vor sich (Fig. 7). Letzterer
gelangt dabei entweder ins Plasma, oder von den zwei Binnen-
; körpern bekommt jeder Kern einen. Die
nächste Teilung kann genau so vor sich
Figur 6. Figur 7.
Adelea ovata.
Fig. 5. Merozoitenbündel. — Fig. 6. Einkerniger Schizont.
Fig. 7. Mehrkerniger Schizont.
gehen — bei den späteren aber ist in der Regel während der
Teilung oder nachher ein Binnenkörper nicht mehr zu sehen, in
den sehr regelmäßigen Sternchen der letzten Teilungen durch
Färbung mit Delaf. Hämatox. jedenfalls nie mehr nachweisbar.
Inzwischen ist auch der Makrogamet herangewachsen; er besitzt
kein Volutin, wie es alle andern bisher von Barrouxıa und Adelea
beschriebenen Stadien haben. Sein Chromatin wird stark aufgelockert
und liegt sichelförmig um das Karyosom, das in der Einzahl bleibt,
sehr groß wird und stark von Vakuolen durchsetzt ist. An den Makro-
gameten lagert sich in bekannter Weise ein Mikrogametocyt, der —
manchmal noch fast ganz die Form von Merozoiten besitzt, nur
daß er etwas gedrungener geworden ist. Sein Chromatin- und
Volutingehalt nimmt sehr stark zu. Es gehen dann die bekannten
schon von Sırpueerr richtig beschriebenen Prozesse vor sich, die
zur Ausbildung von vier Mikrogameten und zur Befruchtung und
Sporulation führen. Das soll ganz kurz, soweit es die Befruchtung —
169
und die Bildung der ,,Befruchtungsspindel“ betrifft, an den proji-
zierten Figuren gezeigt werden. Uns kommt es besonders darauf
an, an dieser lückenlosen Reihe von Bildern zu erkennen zu geben,
daß eine Kernreinigung durch Ausstoßung von Chromatin, wie
Stepueckr es will, oder gar eine Bildung von Richtungskörperchen,
wie Jortos es beschreibt, gar nicht vorkommt. Wir gehen auf
letzteren Vorgang in unserer endgültigen Arbeit sehr ausführlich
ein, und haben uns auch genötigt gesehen, in einer im Zoologischen
Anzeiger im Druck befindlichen Mitteilung ') nochmals in dieser Frage
gegen Jorros Stellung zu nehmen. Man sieht nur, daß vor der
Befruchtung der Binnenkörper allmählich kleiner und schließlich
ganz aufgelöst wird.
Wir fassen für Adelea ovata unsere Ergebnisse nochmals:
dahin zusammen, dab 1. kein geschlechtlicher Dimorphismus
während der Schizogonie besteht, 2. keine „multiple
Teilung“ während der Schizogonie und 3. kein irgendwie
gearteter Vorgang, der als Kernreduktion aufzufassen
wäre, zu finden ist.
3. Eimeria lacazer. Wir besitzen bekanntlich über den Ent-
wicklungsgang dieses Coccidiums eine Darstellung, die SchtAupinn in
seiner gemeinsamen mit Srepureckr (1897) verfaßten vorläufigen
Mitteilung über seine Coccidienstudien gegeben hat (wiederholt und
etwas ergänzt in der Arbeit über EL. schubergt) ; ferner eine solche von
Depatsteux (1911). Beide sind in wesentlichen Punkten unrichtig;
die letztere gibt, wie schon erwähnt, ausschließlich Stadien von
Barrouxia, die Scaaupmw’sche nur zum Teil.
Das Material, das wir benutzten, ist selbstverständlich auf das.
sorgfältigste ausgesucht und kontrolliert. Darüber werden unsere
Protokolle die notwendige Auskunft geben. Wir bemerken, dab die
Stadien, die auf den Zeichnungen demonstriert werden, fast alle von
einem Tier stammen, das viele Wochen hindurch vorher kontrolliert
war; es zeigte anfänglich eine lacazei-Infektion, dann Barrouxia,
nach deren Abklingen wieder lacazeı auftrat. In diesem Zeitpunkt
wurde das Tier getötet. Die Stadien sind außerdem so charakte-
ristisch und weichen von E. schubergi, Barrouxia und Adelea ovata
so stark ab, daß Verwechselungen gar nicht möglich sind. Wir
haben natürlich auch Reininfektionen gehabt.
Die Merozoiten sind in Fig. 8 dargestellt. Sie sind sehr klein,
etwas keulenförmig, und besitzen einen Kern, der fast die Form
2) Zool. Anz., Bd. 39, 1912, S. 609.
\
170
eines langen Rechtecks hat. Das Chromatin ist kompakt, nicht in
Körnchen angeordnet, sondern gewissermaßen in größeren Brocken |
hauptsächlich der Kernwand angelagert. Ein Karyosom ist auf
dem ganz jungen Merozoiten noch nicht erkennbar, allerdings ist
häufig ein Raum innerhalb des einen Kernpoles ausgespart, auf —
dem es bald deutlich erkennbar wird. Es rückt dann an das Ende ©
des Kerns aus dem Chromatin heraus, bleibt zunächst ziemlich klein
und wächst erst später außerordentlich stark heran. An einer —
Auswahl von wenigen, aber charakteristischen Figuren sei die
weitere Entwicklung geschildert, und voraufgeschickt, daß auch —
hier wie bei Barrouxia schneideri weder ein geschlechtlicher Dimor- —
phismus der Merozoiten, noch Differenzen im Kernteilungsmodus bei
Schizonten und Mikrogametocyten vorhanden
sind. Für beide nahm Scraupmn (1897) mul-
tiple Kernteilung an, d. h. Zerstreuung von
Figur 8. Figur 9. Figur 10.
Eimeria lacazei. =
Fig. 8. Merozoitenbündel. — Fig. 9. Erste Kernteilung im Schizonten.
Fig. 10. Makrogamet nach „Explosion* des Binnenkörpers.
vielen Binnenkörpern im Plasma nach Auflösung des ersten Kernes
und Entstehung neuer Kerne um die Binnenkörper als Bildungs-
zentren. In scharfem Gegensatz dazu zeigen unsere Figuren die
schönsten Kernteilungen. Der zum Schizonten oder Mikrogameten
herangewachsene Merozoit besitzt lang ovale Gestalt, einen runden,
großen Binnenkörper in dem mit stark färbbarem, körnigem Chro-
matin erfüllten Kern. Hierdurch, durch seine Kleinheit und die ovale
Form unterscheidet er sich leicht von allen anderen Formen; be-
sonders von Eimerta schubergi, der er in der Art der Binnenkörper-
Teilung ähnelt, ist er durch die längliche ovale Gestalt unter-
schieden — denn nach Scuaupmx ist der Schizont von Eimeria
schubergi kugelig. - Fr
Bei der Kernteilung nun wird der eine seitlich gelagerte Binnen-
körper mit geteilt, durchgeschnürt (Fig. 9); das Chromatin ist in
171
deutlich fädiger Anordnung an die Pole der Teilungsfigur gelagert.
Ein solches Bild ist bei keiner anderen Coceidienform aus Lithobius
zu finden. Nach dieser Methode teilen sich die Kerne auch weiterhin.
Es ist aber höchst erwähnenswert, daß es auch vorkommt, daß in dem
Kern (schon bei der ersten sowohl wie bei den späteren Teilungen)
neben dem einen Binnenkörper ein zweiter neugebildet wird, dann
bei der Teilung die Durchteilung des Binnenkörpers sinngemäß
unterbleibt und von den beiden Binnenkörpern je einer auf jeden
Tochterkern verteilt wird. Die beiden Typen von Teilungen kann
man in demselben Schizonten nebeneinander finden. In den Teilungs-
figuren der Binnenkörper ist von Centriolen usw. nichts zu sehen.
In den Schizonten mit zahlreichen Kernen ist der große Binnen-
körper immer polar gelagert.
Die Merozoiten, die aus den Schizonten entstehen, sind, wie
“ die Fig. 8 zeigt, meist fächerartig angeordnet. Das aber nur auf
jungen Stadien, später liegen sie meist regellos durcheinander.
Die Bildung der Mikrogametenkerne in den Mikrogametocyten
erfolgt, wie gesagt, in derselben Weise. Das Kernbild ändert sich
wie bei Barrouxia schneider erst mit den letzten Teilungen, indem
dann die Karyosome verschwinden. Die unreifen Mikrogameten-
kerne sind größer als bei Barrouaia — die vorgezeigten Mikro-
photogramme zeigen die Unterschiede sehr gut — ebenso wie auch
die Mikrogameten größer sind. Sckhaupınn hat nun sowohl die reifen
Mikrogametocyten wie die reifen Makrogameten von Barrouxia als zu
E. lacazeı gehörig beschrieben, wie aus seiner Abbildung, die einen
länglich ovalen Makrogameten mit der Barrowxia eigentümlichen
Kernröhre und davor schwärmenden Mikrogameten zeigt, hervorgeht.
Der Makrogamet ist vielmehr genau so gebaut wie der von
Eimeria schubergi. Sie sind einander so ähnlich, daß wir die
Stadien bis jetzt nicht voneinander trennen konnten. Der junge
unreife Makrogamet ist wie bei E. schubergi lang oval, mit einem
Binnenkörper, der reife nimmt Kugelgestalt an, und dabei sind
auch die so höchst eigentümlichen Prozesse der Binnenkörper-
„Explosion“, die Schaupınn für seine Art beschrieb, wiederzufinden.
Fig. 10 gibt ein Bild davon: die zahllosen Trümmer des Binnen-
körpers liegen auf der Oberfläche des Makrogameten. Zur Be-
fruchtung rückt der binnenkörperlose Kern in kugeliger Gestalt an
die Oberfläche, und alles erfolgt auch weiterhin so, wie es für X.
schubergi bekannt ist. Ich gehe nicht weiter darauf ein — die
Unterschiede der reifen Cysten sind schon gezeigt —, erwähne nur,
172
daß wir auch die reifen Mikrogameten von denen der E. schubergi
zunächst nicht unterscheiden können. |
Ich hätte Ihnen nun noch die Enwicklung von
E. schubergi zu schildern, möchte aber davon absehen, —
da unsere Untersuchungen über diese
Form noch nicht ganz abgeschlossen
sind. Sie ist unbedingt
am schwersten zu unter-
suchen, einmal weil sie
am seltensten ist und
dann, weil man bei
Tieren, deren Kot viele
Cysten enthält, meist
Figur 11. Figur 12. Figur 13. keine Schizogoniesta-
dien mehr findet. Auffällig ist jeden-
falls, daß die Schizogonie, so wie —
ScHaupınn (1900) sie schildert, eine
weitgehende Ähnlichkeit mit Eimeria
lacazeı besitzt, wenn für die letztere
Form unsere Darstellung zugrunde g ge-
‚legt wird.
4. Ich gehe deshalb gleich dazu
über, Ihnen ganz kurz noch die Ent-
wicklung eines Coccidiums aus dem
Scolopendra-Darm, der Adelea dimi-
diata, zu schildern. Die Richtigkeit
des Art- und Gattungsnamens wird
an anderer Stelle untersucht werden.
Leser hat die wichtigsten Stadien in —
einer kurzen Mitteilung beschrieben
-und die Vermutung ausgesprochen, —
daß ein ähnlicher Fall von ge-
schlechtlichem Dimorphismus vorliege —
wie bei Adelea ovata. Die reifen
Cysten besitzen ovale Gestalt, viele
Figur 14, runde Sporen mit je zwei Sporo-
Fig. 11-14. Adelea dimidiata zoiten, und sind ausgezeichnet da- —
aus demDarm von Seolopendra. durch, daß der Mikrogametocytenrest- ~
Fig. 11. Merozoitenbündel. : ee © ® 7
Fig. 12. Merozoitenbündel mit Rest- Körper unter einer besonderen Hülle”
eres auch an den reifen Cysten noch zu 4
Fig. 13. Makrogamet mit aufsitzen- k
dem Mikrogametocyten. sehen ist.
173
Der Merozoit besitzt einen ovalen Kern mit kompaktem
Chromatin (Fig. 11), in dem ein polargelagerter Binnenkörper erst
beim Heranwachsen auftritt. Die Bündel sind meist, wie die Figur
zeigt, angeordnet, außerdem findet man aber auch solche mit einem
Restkörper (Fig. 12). Die Merozoiten sind in letzterem Falle
kleiner und gedrungener. Leser (1898) glaubte aus diesem Vor-
handensein zweier verschiedener Merozoitenarten in ‚Analogie zu
dem von Sıerpreckı angegebenen geschlechtlichen Dimorphismus bei
Adelea ovata auf einen solchen auch bei A. dimidiata schließen zu
können. Das ist sicher ein Irrtum, denn man findet, daß gerade bei
A. dimidiata die Schizogonie überhaupt stark variiert — Vorzeigung
von Bildern einiger noch anders gebauter Merozoitenbündel beweist
das —, außerdem sind die Formen mit Restkörper bei sehr starken
Infektionen mit allen Stadien stets nur äußert selten zu finden,
genau wie bei Barrouxia. Es ist nicht möglich anzunehmen, daß
die Unmassen von Makrogameten bei vielen Infektionen — die sich
nebenbei bemerkt bei meinen Versuchstieren jetzt über zwei Jahre
hingezogen haben, ohne abzubrechen —, daß diese Makrogameten,
wie Lxser annimmt, ausschließlich von den seltenen Schizogonie-
formen mit Restkörper herrühren sollen. Ich bin, wie ich hier
nicht im einzelnen klarlegen kann, trotz ursprünglich gegenteiliger
Annahme doch zu dem Schluß gedrängt worden, daß auch bei
Adelea dimidiata ein geschlechtlicher Dimorphismus der Merozoiten
nicht statthat.
Die Kernteilungen in den Schizonten sind wiederum nicht
„multipel“, sondern sind der von Adelea ovata einigermaßen ähnlich:
primitive amitotische Figuren, bei denen allerdings das Chromatin
in längeren Strähnen angeordnet ist, keine Durchschnirung des
Binnenkörpers, sondern Neubildung in den Tochterkernen und
Verschwinden vor oder noch während der Teilung (Fig. 13).
Die Merozoiten wachsen zu den eigentümlich gebauten Makro-
gameten heran, wie sie in Fig. 14 dargestellt sind. Es bildet sich
nämlich eine kleine hyaline Zuspitzung an der dem Darmlumen
abgekehrten Seite des im Epithel liegenden Makrogameten aus, die
gewissermaßen eine Vorstufe der Epimerite der Gregarinen zu sein
scheint. Zum Festhaften können diese hinfälligen Gebilde freilich
nicht dienen, zumal sie auch bei den Mikrogametencyten vor-
handen sind, die nach Adeleidenart fest am Makrogameten an-
haften. Sie dienen wahrscheinlich zur Nahrungsaufnahme, wie
man das neuerdings auch von vielen Epimeriten der Gregarinen
annehmen darf.
174
Der Mikrogametocyt, der sich schon sehr frühzeitig an die
unreifen Makrogameten anlagert, liefert wie üblich vier Mikro-
gameten, deren einer die Befruchtung bewirkt. Ich gehe auf die
übrigen Verhältnisse nicht näher ein, bemerke aber, daß ich gerade
diese Form sehr vollständig studieren konnte, da mir genügend
Material auch der frühesten Stadien vom Sporozoiten an infolge
künstlicher Infektionsversuche zur Verfügung steht.
Nach dieser kurzen Darstellung der Entwicklung der ver-
schiedenen untersuchten Arten möchte ich noch kurz auf einige
allgemeinere Fragen eingehen.
Schon Simonp erkannte bei der Kaninchencoccidiose, mit welchen —
Schwierigkeiten man bei künstlichen Infektionsversuchen mit Coceidien
zu kämpfen hat: es ist mit den größten Schwierigkeiten verknüpft,
uninfizierte Versuchstiere zu bekommen.
Zur vollen Zufriedenheit gelungen sind mir diese Versuche
bei Adelea dumidiata. Ich hatte das Glück, wirklich uninfizierte
Scolopender in Rovigno zu finden: diese wurden nach Berlin ge-
schafft und dort etwa °/, Jahr und länger der Kot auf Cysten
untersucht. Sie erwiesen sich als wirklich uninfiziert. Das Auf-
treten von Cysten im Kot nach dem Füttern erfolgte durch-
schnittlich nach 40 Tagen (mit wenigen Tagen Differenz). Ich
kann wohl behaupten, daß dies die einwandfreiesten Fütterungs-
versuche mit Coceidien überhaupt sind, die bisher gemacht sind. —
Bei Adeleiden insbesondere sind noch gar keine gelungen.
Die Infektionsversuche mit Lithobien sind viel schwieriger.
Wir haben viele Hunderte von Tieren im Laufe vieler Wochen
und manchmal Monate lang unter ständiger Kontrolle isoliert ge-
halten, weil wir uninfizierte Tiere suchten. Das ist uns bis auf Aus-
nahmen bei einigen wenigen Tieren nicht geglückt. Alle gefundenen
Tiere wiesen entweder gleich oder nach Wochen erst Barrouxia
schneideri auf, manchmal kam dann E. lacazeı dazu. Daher sind
die vielen Infektionsversuche bei Barrowxia nur unter genauer
Kenntnis der Beobachtungsprotokolle zu bewerten. Ich gehe hier
nicht weiter auf sie ein. Wir hatten auch gehofft, nach den Angaben
Scuaupinn’s für L. schubergi ein „Ausheilen“ der Coccidiose abwarten
zu können. Das ist vollends vergeblich: ich erwähne als krassestes —
Beispiel A. dimidiata, deren Cysten einzelne Scolopender jetzt bereits —
zwei Jahre lang in jedem ihrer Kotballen in Massen ausscheiden!
Nicht viel anders geht es bei Lithobien mit Barrouxia schneideri,
die nach monatelanger Beobachtung immer noch infiziert sind.
175
Bei E. schubergi verfuhr Scuaupryy (1900) nach dem Plan, die
Lithobien acht Tage lang zu beobachten und sie dann, wenn sie
in diesem Zeitraum keine Cysten im Kot aufwiesen, für uninfiziert
zu halten. Das sind sie keinesfalls gewesen, wenn damals schon
in der Umgegend von Berlin Barrouxia vorkam, und das beweisen
seine und Sırpueckrts Abbildungen. Auch E. lacazeı kann in den
für uninfiziert gehaltenen Tieren vorgekommen sein, denn diese
Form tritt auch manchmal erst nach wochenlanger Beobachtung auf.
Aber E. schubergı und Adelea ovata scheinen eine gewisse
Sonderstellung einzunehmen. Zunächst sei bemerkt, daß uns unter
vielen Versuchen auch eine Adelea ovata-Infektion gelang: 50 Tage
nach dem Füttern traten zwei Cysten im Kot auf. Trotz dieser
langen Inkubation verläuft bei Adelea ovuta und, wie wir sehen
werden, auch bei E. schubergi die Infektion etwas mehr akut: denn
nach mindesten sechs Wochen ist bei Adelea ovata die Infektion, so-
weit man sehen kann, meist erloschen. Bei &. schubergi möchte
ich Bezug auf einen Fall nehmen (wir haben derer noch mehrere
beobachtet): ein Lithobius wurde am 9. März gefangen und zeigte
bereits sehr viel &. schubergi-Cysten im Kot: erst am 4. Mai, also
nach etwa zwei Monaten fanden sich.die letzten Cysten im Kot. Es
folgte dann eine Lacazei- und Adelea-Infektion. Das Tier ist seit
10. Mai nicht wieder angesehen.
Man kann also, wie wir zusammenfassend bemerken müssen,
keineswegs nach achttägiger Beobachtung des Kotes von
einem Zithobius sagen,erseiüberhauptnichtinfiziert; ferner
ist es nicht richtig,daß man durch , Ausheilen“lassen, wiees
ScHAuDInn bei E. schubergi für möglich hält, uninfizierte
Tiere erhalten kann. Wenn man demnach Scuaupiyn’s Ergebnisse
bei Eimeria schubergı nunmehr auch mit einer gewissen Kritik
ansehen muß, so wollen wir dennoch nur auf Grund letzterer Tat-
sachen nicht behaupten, daß der von ihm aufgestellte Entwicklungs-
kreis falsch sei. Dazu werden wir uns vielmehr erst äußern, wenn
wir ihn voll haben nachprüfen können.
An zweiter Stelle möchten wir noch einige Worte zu der Frage
des geschlechtlichen Dimorphismus in der Schizogonie der
Coceidien sagen. Zunächst einiges über den Plasmarestkörper, der
ja die weiblichen Merozoitenbündel von Adelea ovata, A. dimidiata
und Cyclospora caryolytica neben andern Merkmalen kennzeichnen
soll. Daß er diese Bedeutung bei den beiden ersten Formen nicht
haben kann, ist schon gezeigt worden. Allein schon die Seltenheit
des Vorkommens zeugt dagegen. Bei Barrouxia liegt die Sache
\\
176
ebenso. Bei allen drei Formen ist ein geschlechtlicher Dimorphismus —
sicher nicht vorhanden; als einziges Beispiel bleibt uns Cyclospora
caryolytica. Wichtig zur Frage der Bedeutung des Restkörpers
scheinen mir nun folgende Versuche zu sein, die freilich noch nicht
ganz abgeschlossen, aber bisher mehrfach wiederholt sind, und
öfter zu demselben Ergebnis führten. Ein stark mit Barrouxia
schneideri infizierter Lithobiendarm wurde in zwei Teile geteilt,
die eine Hälfte sofort als Ausstrich feucht konserviert, die andere
mit Blut von Lithobiws und etwas physiol. Kochsalzlösung (etwa
1/,) der ganzen Masse) zerzupft und unter einem Deckglase eine
halbe Stunde und mehr liegen ge-
lassen. Es waren diese Versuche
zu dem Zweck gemacht worden,
zu sehen, welche Schädigungen
beim Lebend-Beobachten der Coc-
cidien auftreten (Scuaupinn beob-
achtete dasselbe Präparat bis zwei
Stunden und hielt es ungefähr
während dieser Zeit für normal).
Überraschenderweise konnte man
nun häufig schon im Leben das
Auftreten von Restkérpern in
Schizogonien beobachten, die nach-
Figur 15.
Merozoitenbündel von Barrouxia /
schneideri, unter dem Deckglas nach her auch auf dem Ausstrich sehr
Zusatz von etwas Lymphe des Lithobius » panto waren, "während aan
, ;
und phys. Kochsalzlösung entstanden. ;
Ausstrich der ersten, sofort
fixierten Hälfte keine Restkörper waren! Außerdem traten Mero-
zoitenformen auf, die mir ganz unbekannt waren. Schließlich
sichere Kernschädigungen schon nach 1, Stunde. Ich zeige
Ihnen hier einige Bilder (von denen hier nur eines in Fig. 15
zur Abbildung gelangt ist), die bis auf die etwas unregelmäßige
Gestalt des Restkörpers durchaus in allen Merkmalen mit Scuav-
pinn’s Abbildung des Merozoitenbündels von E. schubergi über-
einstimmen. In dem stark infizierten normalen Präparat der
andern Darmhälfte war nichts davon zu sehen, auch hatte das
Tier keine Schubergi-Cysten im Kot. Ich wollte hier nur das
Ergebnis dieser Versuche, deren Tatsachen feststehen, mitteilen
und enthalte mich zunächst noch jeden weiteren Schlusses. Sie
sollen nur den Weg zeigen, auf dem vielleicht die wirkliche Be-
deutung der Schizogonieformen mit Plasmarestkörper aufgeklärt
werden kann. |
|
177
Jedenfalls mahnen diese Versuche jetzt schon dazu, nicht auf
Grund seltener Befunde von abweichenden Schizogonieformen
(abweichend in bezug auf das Fehlen oder Vorhandensein von Rest-
körpern und in bezug auf morphologische Differenzen der Merozoiten)
gleich geschlechtliche Dimorphismen anzunehmen — vor allem, nach-
dem auch die genaue rein morphologisch durchgeführte Bearbeitung
von vier Arten einen solchen Dimorphismus nicht hat auffinden
können.
Nun zu der Frage der Kernteilungsarten: es ist bekannt,
dab die Coccidien bisher eines der Hauptbeispiele des Vorkommens
multipler Kernteilung abgegeben haben. Sie ist von Scuaupinn und
Sırpueorı bei Adelea ovata und EL. lacazei während der Schizogonie,
bei EF. lacazei, E. schubergi und Cyclospora
caryolytica in den Mikrogametocyten gefunden.
Davon bleiben nach unseren Befunden nur noch
die beiden letzten Fälle übrig: denn wie die
bei allen unseren Formen aufgefundenen und
vorgezeigten Figuren klar beweisen, ist die Kern-
teilung eben nicht multipel, sondern man kann
alle einzelnen Teilungen von der ersten bis zur
‚letzten als amitotisch nachweisen. Die Befunde
Schaupinn’s und Sıenzeerrs sind bisher auch
niemals bestätigt worden (außer von Jorvos), RES
weder bei denselben noch bei anderen Formen. eines Schizonten
Figur 16.
Leser, Mororr, Perez, Schugere und Kunze, von Barrouzia
Be schneideri. „Mul-
Desaisievx u. a. haben Coccidien genau unter- tiple Kernteilung“,
menu keiner hat ‘multiple Kernteilung ge- 1h.essindim Plasma
‘ 5 ; a nur die Binnenkörper
sehen. Jotzos aber sieht sie bei seiner ver- Bean
Meintlichen Adelea ovata in den Schizonten Kerne.
neben zwei anderen Kernteilungsarten
auftreten. Damit nicht behauptet werden kann, wir hätten diese
multiplen Kernteilungen eben einfach nicht gefunden, zeige ich
hier ein Photogramm (von Barrouxia), bei dem in den Schizonten
nur eine Anzahl isolierter Karyosome liegen (Fig. 16). Es ist
‘yor allem bei Barrouzia auffällig, wie schwer sich manchmal
das Chromatin färbt, und wie leicht es beim Differenzieren ent-
färbt wird: auch in diesen Figuren sind Kerne um die
Karyosome vorhanden, wie man durch Nachfärben nach-
weisen kann. Jorvos hat dann weiter auch Centriole in diesen
Karyosomen gefunden, die wir ebenfalls nicht gesehen haben. Ich
möchte hierüber an dieser Stelle eine Auseinandersetzung nicht
Verh. d. Dtsch. Zool. &es. 1912. 12
ay
178
beginnen, da wir demnächst im Zoologischen Anzeiger!) einen Artikel
veröffentlichen, der sich damit beschäftigt. Ich möchte nur sagen,
daß wir den morphologischen Bau der Binnenkörper genau unter-
sucht und sie als wabig gebaut (manchmal mit eingelagerten Körn-
chen) erkannt haben. Das sind positive, auch schon vor uns von
Coceidien bekannte Befunde, die Jorzos nicht erhoben und nicht
berücksichtigt hat, wie es bei einer so schwierigen Materie, wie
die ,Centriole“ es sind, doch wohl eigentlich wünschenswert ge-
wesen wäre. Wir messen den Binnenkörpern nicht die Bedeutung
vollwertiger Kerne bei, wie die Harrmann’sche Schule: morphologisch
beherrschen sie allerdings schon infolge ihrer starken Färbbarkeit
das Kernbild, sind auch sicher physiologisch außerordentlich wichtig
als chromatinbereitende Organelle (wie wir mit Herrwıs annehmen
möchten), aber während der Teilungen sind sie von einer Variabilität,
die geradezu erstaunlich ist: sie können vollständig aufgelöst werden,
irgendwo im Kern ganz neu entstehen, ins Plasma ausgestoßen
werden, da, wo sie in Mehrzalıl vorhanden sind, einfach ungefähr
in gleicher Zahl in jeden Tochterkern übernommen werden, schließlich
können sie auch bei der Teilung mit geteilt werden.
In bezug auf die Frage der Reduktionsteilungen läßt sich
das Ergebnis unserer Untersuchungen kurz dahin zusammenfassen,
daß solche Vorgänge bei keiner der vier bearbeiteten Formen vor-
kommen, wenn wir davon absehen, einfache Binnenkörperauflösungen
im Befruchtungskern als Reduktionsvorgänge anzusehen. Die lücken-
lose Aufeinanderfolge einer großen Reihe von Stadien in einem sehr
großen Material bürgt uns dafür.
Es wäre ja im höchsten Grade auffällig, wenn gerade diese
Stadien, die nach Jorzos an Deutlichkeit ja nichts zu wünschen
übrig lassen, so selten sein sollten, daß wir sie bei vier genau unter
suchten Arten nicht zu Gesicht bekommen haben sollten. Es is
übrigens darauf aufmerksam zu machen, daß schon zwischen der
ersten gemeinsamen Mitteilung Scaaupımv’s und Srepzeexrs und der
endgültigen Arbeit Sreprecxi’s Widersprüche vorhanden sind: in
ersterer finden sich Abbildungen, die Ausstoßungen erheblicher
Mengen von chromatischer Substanz aus der Zelle darstellen, i
letzterer werden nur einige chromatische Körnchen im Plasma
neben dem Befruchtungskern abgebildet. Es ist anderen Unter-
suchern übrigens ebenso gegangen wie uns: bei Orcheobius, einel
Adeleide, ist nach Schuzers und Kvxze sicher auch keine Reduktio1
1) Erschienen im Zool. Anz., Bd. 39, 1912, S. 609.
179
vorhanden. In der Tat sind die Angaben von SchAupinn und
Srepieckr bisher überhaupt noch nicht bestätigt worden: denn auch
- die Reduktionsmethoden von Jorros und Cracas, die ihre Befunde
gegenseitig zu stützen suchen, sind ganz anders geartet als die von
den ersteren Forschern behaupteten.
Ich schließe damit meine Ausführungen und glaube gezeigt zu
haben, daß bei einer so viel untersuchten und so leicht zugänglichen
Gruppe, wie die Coccidien es sind, doch noch recht viel Probleme
zu lösen waren und weiterhin sein werden.
Diskussion:
Herr Prof. Harrmann (Berlin),
Herr Prof. Scausere (Berlin-Lichtertelde).
Herr Prof. F. A. M. W. Gessaror (Halle):
Die Hauptzüge der Pigmentverteilung im Schmetterlingsflügel im Lichte
der Liesegangschen Niederschläge im Kolloiden.
(Mit 32 Textfiguren.)
Da es mir bei der Kürze der mir zur Verfügung stehenden
Zeit nicht möglich sein wird, das Verhältnis des Ihnen von mir
heute zu bietenden Neuen zu dem bereits anerkannten Alterworbenen
auf dem Gebiete unserer Kenntnis von den Pigmenten in allen
"Punkten ausreichend zu beleuchten, so möchte ich gleich von vorn-
herein betonen, daß ich nicht gekommen bin, zu trennen und zu
zerstören, sondern daß ich im Gegenteil hoffe, durch die gleich zu
besprechenden neuen Gesichtspunkte vielen heute ganz verbindungslos
_ dastehenden Ansichten zum gegenseitigen Anschluß zu verhelfen,
insbesondere auch durch die neugewonnene Erkenntnis ein weiteres
Scherflein zur Annäherung und gemeinsamen gedeihlichen Weiter-
arbeit der entwicklungsmechanischen (Roux) und der phylogenetischen
Forschungsrichtung beizutragen.
Ich möchte gleich eingangs bemerken, daß ich das gesamte
chemische Versuchsmaterial, von dem ich mir erlauben werde, Ihnen
einige besonders charakteristische Platten nachher zu demonstrieren,
ebenso wie eine ununterbrochen genossene Unterstützung durch
persönliche und schriftliche Information über die meisten wichtigen
Punkte des chemischen Teils meiner Arbeit Herrn Raphael Eduard
Liesesang in Frankfurt a. M. verdanke. Es wird die Beweiskraft
der ihnen vorzuführenden Versuche sicher nicht vermindern, wenn
12*
NN
180
ich Ihnen verrate, daß dieselben großenteils unter ganz anderen
Gesichtspunkten, nämlich anläßlich der Schaffung der Liesesane’schen
Achattheorie angestellt sind, so daß irgendein beim Versuch wirk-
samer Einfluß des Gehofften auf das Versuchsresultat hier von
vornherein ausgeschlossen erscheint.
Ich knüpfe sowohl in morphologischer wie in chemischer Be- —
ziehung an die letzten Errungenschaften der Pigmentlehre an, es
möge mir aber bei der notgedrungenen Kürze der heutigen Dar-
stellung ein Eingehen auf die sehr umfangreiche einschlägige Literatur
bis zu einer späteren Gelegenheit gestundet werden. Ich begnüge
mich mit einer ganz kurzen, wie ich hoffe genügend objektiven
Darstellung der Sachlage. |
Da scheint sich mir zunächst als chemisches Fazit der letzten —
Arbeiten zu ergeben, daß bei der Pigmentbildung mindestens drei
Faktoren unter allen Umständen zu berücksichtigen sind: 1. eine
geeignete Substanz, welche gewissermaßen als causa materialis
immer vorhanden sein muß, wo Pigment, gebildet werden soll, das
Chromogen, welches durch chemische Einwirkungen einfacherer
Art, wohl meist Oxydationen, in Pigment überführbar ist; 2. eine
Substanz, welche die Rolle des Sauerstoffüberträgers spielt, die
Oxydase; sie kann meiner Meinung nach sehr wesentlich unter-
stützt, wenn nicht gar ersetzt werden durch feine Verteilung des
Chromogens auf einer durch weitgehende Gliederung sehr ver-
größerten Oberfläche; 3. endlich der oxydierende Körper selbst, sei
es direkt Sauerstoff oder eine leicht Sauerstoff (in statu nascendi!)
abgebende Verbindung.
Als morphologisches Fazit ist bezüglich der Pigmentverteilung —
wohl das wichtigste die in letzter Zeit immer mehr hervortretende
Übereinstimmung in der Ansicht, daß die Rippen der Flügel hier
den wichtigsten phylogenetischen Anhaltspunkt darstellen.
Als Folgerung ergibt sich aus dieser Sachlage mit Notwendigkeit
etwas, was leider bei sehr vielen Detailuntersuchungen auch auf
entwicklungsmechanischer Seite außer acht gelassen wird: dab
wir nämlich in dem jeweils wirklich vorhandenen Pigment nur das
augenblicklich erreichte Wirkungsresultat der jeweils vorliegenden
Kombination aller dieser Faktoren vor uns haben, und daß nach-
trägliche Transporte dieses fertigen Pigmentes nur ganz ausnahms-
weise einen erheblichen ursächlichen Anteil an der für die Art
charakteristischen Pigmentverteilung haben können, daß sie vielmehr
im Gegenteil gewöhnlich eine Störung des ursprünglichen Ver-
teilungsplanes darstellen dürften. Vielleicht lohnte es sich, auch
181
die interessanten Pigmentüberwanderungen in den künstlich aus
verschiedenen Arten vereinigten Amphibienlarven (Born, Sremann,
Braus) einmal unter diesem Gesichtspunkt zu betrachten.
Gehen wir vom Morphologischen aus, so herrscht dort die
Vorstellung, die auch ohne weiteres zur Aufstellung phylogenetischer
Reihen geführt hat (van Bemmeten), daß das Pigment in den
Schmetterlingsflügel in mehr oder weniger fertigem Zustande durch
die Rippen eingeführt wird. Die Binden entstehen nach dieser
Vorstellung durch das Zusammenfließen von so zunächst erzeugten
Flecken. Bei der ohne weiteres durch Beobachtung zu erhebenden
' oft vorhandenen rhythmischen Wiederholung der Binden, bei deren
' oft schnurgradem oder sonst auffälligem Verlauf, bei ihrem oft
vorhandenen Funktionieren als Trennungslinien ganz verschieden
pigmentierter und gezeichneter Flügelgebiete muß man dann die
weitere Annahme besonderer lokaler Gesetze für den Auslaß des
Pigmentes aus den Adern und seine Weiterverbreitung machen,
_ wobei die gelegentlich augenscheinliche völlige Unabhängigkeit der
Zeichnungen von dem Aderverlauf ein besonderes vererbtes, von diesem
_ Aderverlauf unabhängiges Verteilungsgesetz involvieren würde, dem
sich die Verteilung der Auslaßstellen in den Adern unterordnet.
Gegenüber dieser Schwierigkeit ergibt eine vorurteilsfreie
‚ Betrachtung der überraschend regelmäßig bei allen Lepidopteren-
‚typen immer wiederkehrenden Hauptzüge, daß außer der zweifellos
‚vorhandenen, phylogenetisch direkt wichtigsten Beeinflussung der
Flügelzeichnung durch die Rippen auch von ganz anderen Faktoren
abhängige lokale epigenetische Regulationsvorgänge die Verteilung
des Zwischenrippenpigmentes mit Wahrscheinlichkeit bewirken, die
sich bei dem komplizierten Zustandekommen des schließlichen
Pigments eigentlich von selbst aufdrängen.
Was unseren Vorstellungen von einer wenigstens teilweise epi-
genetischen Bedingtheit aller komplizierten, speziell auch rhythmisch
wiederkehrenden Lokalisationen immer im Wege gestanden hat,
war der Mangel an Beobachtungen über rein mechanistisches Er-
zeugen von auffälligen morphologischen Verteilungsphänomenen bei
| einfachen chemischen Reaktionen. Hier ist mit einem Schlage durch
die Lieszsang’schen Niederschlagsphänomene in Gelen Abhilfe ge-
schaffen worden. Es ist deshalb unumgänglich notwendig, Sie einen
kurzen Blick auf einige derartige hier interessierende Erscheinungen
tun zu lassen.
Ich beginne mit der Erzeugung von rhythmischen Erscheinungen.
Ich gebe dabei hier wie im folgenden die Erscheinungen so, wie
182
sie sich in den von Lissecang erhaltenen Niederschlägen in Gelen
ergeben haben. Wie ich bereits oben bemerkte, sind diese Versuche
sämtlich von ganz anderen Gesichtspunkten als den hier verfolgten
angestellt, so daß wohl jede subjektive Beeinflussung ausgeschlossen
erscheint, wie groß auch ihre morphologische Übereinstimmung mit |
den hier betrachteten natürlichen Objekten sein mag. — Lasse ich
zwei Lösungen von aufeinander wirkenden Salzen direkt zusammen-
treffen, so wird dabei ein amorpher oder kristallinischer Nieder-
schlag entstehen, über dessen räumliche Verteilung und Anordnung
aber zunächst noch nichts ausgesagt ist. Bringe ich die eine Lösung
vorsichtig als Tropfen in die andere, so entsteht, wie längst bekannt,
unter gewissen Verhältnissen allerdings etwas „Morphologisches“,
nämlich eine sogenannte Trauzr’sche ©
Membran, d. h. eine Niederschlags-
membran an der Grenze zwischen
den beiden Flüssigkeiten, welche den
freien Austausch der Bestandteile
verzögert und den Tropfen sogar '
wieder unter gewissen Bedingungen,
nämlich wenn die osmotische Valenz
im Innern der Membran größer ist
wie außen, zu einem demonstrativ viel
verwendeten, allerdings sehr ober-
flächlichen Analogon der wachsenden
Zelle werden läßt. — Sehr viel be-
stimmtere Gestaltungen entstehen
aber, wenn die beiden verwendeten
Salze unter Mitwirkung eines kol-
loiden Vehikels aufeinander einwirken.
Setzt man z. B. einen Tropfen Silbernitratlösung auf eine frisch
gegossene, erstarrte, gechromte Gelatineplatte, so findet im Laufe
einer Anzahl von Stunden bzw. Tagen auch hier die chemische
Umsetzung unter Entstehung eines braunroten bis schwarzen
Silberchromsalzes statt, aber unter höchst auffallenden morpho-
logischen Erscheinungen. Es entstehen nämlich eine größere oder
geringere Anzahl Ringe um den ursprünglichen Tropfen herum,
welche abwechselnd durch Zonen maximalen und minimalen Nieder-
schlages hervorgerufen sind. Bezüglich der Theorie dieser Erschei
nungen möge man die Originalarbeiten einsehen; in dieser kurzen
Mitteilung soll darauf nicht eingegangen werden. Diese Ringe
sind in Zahl, Breite, Weite der Ausbreitung, selbst gelegentlich in
Figur 1.
i 183
gestaltlichen Merkmalen fallweise je nach den vorhandenen be-
sonderen Bedingungen außerordentlich verschieden; auf einige
dieser Punkte kommen wir gleich weiter unten noch etwas aus-
führlicher zu sprechen. Wir konstatieren hier nur zunächst das
Vorhandensein von Unterschieden an den Figuren 1, 2, 4, 5, die
photographisch, also unter voller Wahrung der relativen Proportionen
gegeben sind. So vermögen wir ganz allgemein zunächst ganz
verschiedene Intervallerößen zwischen den einzelnen entstehenden
Niederschlagsringen in
verschiedenen Fällen zu
konstatieren. Dabei ist
auch in jedem einzelnen
Falle die Größe keines-
SRUNE N
SAN
Figur 3.
— wees konstant; gewöhnlich nehmen die Perioden des Niederschlags-
-rhythmus vom Zentrum des Ringsystems aus zu, die Figuren 9 u. 10
bilden nur scheinbare Ausnahmen. Daneben kommen Systeme vor,
bei denen mediale, intermediäre oder äußere Zonen auch ganz ohne
makroskopisch deutliche Ringbildung vorhanden sind. Besonders
mit ringfreien medialen, um den aufgesetzten Tropfen unmittelbar
gelegenen Zonen haben wir es öfter zu tun, im Zusammenhang mit
der nach Lirsesaneg unter gewissen Bedingungen regelmäßigen Er-
scheinung, daß erst nach einem erheblicheren Vordringen peripherie-
warts die regelmäßige rhythmische Wirkung deutlich wird (Fig. 3).
Endlich können sich auch verschiedene Ringsysteme, zunächst von
demselben Zentrum ausgehend, miteinander kombinieren oder mit-
einander interferieren. Dies z. B. dadurch, daß der makroskopisch
gut sichtbare rhythmische Niederschlagsring des Silberchromsalzes
kombiniert ist mit sehr viel feineren und dichteren Chlorsilber-
184
niederschlagsringen (wenn die Gelatine kochsalzhaltig war), die |
bei gleichem Zentrum gewissermaßen eine feinere Unterteilung
der durch die groben Ringe gegebenen Raumeinteilung dar-
stellen (Fig. 4). Denn es gelingt unter gewissen Bedingungen
mit sehr verschiedenen Substanzen, unsere
rhythmischen Niederschläge zu erhalten
und solche verschieden feine Rhythmen
wie im vorliegenden Falle zu kombinieren.
Die geringe Dickenausdehnung der Ge-
latine spielt hier durchaus nicht die Rolle
eines Hindernisses, läßt vielmehr morpho-
logische Erscheinungen, wie die hier be-
| sprochenen, in verschiedenen Etagen über-
Be = einander zu, wie aus anderen Lieskeaxc-
schen Versuchen hervorgeht.
Erwähnten wir vorhin bereits den
häufigen weiten Transport der Agentien
nach außen, ehe die typische rhythmische
Wirkung eintritt (wofür die Lizszeane-
schen Interferenzringe aus phosphorsaurem Kalk ein regelmäßiges
und wohl das schönste Beispiel darbieten), so ist davon streng
eine andere, zunächst noch merkwürdigere Erscheinung zu unter-
scheiden, welche durch Fig. 5 illustriert wird, nämlich eine wirk-
Figur 4.
Figur 5.
liche Fernwirkung der rhythmischen Niederschläge nach außen
bis weit über die Niederschlagsgrenze der wirksamen Substanzen
hinaus. Es gelang nämlich Liesreane der Nachweis (vgl. Fig. 5),
daß auch jenseits dieser Grenze der Wassergehalt bzw. der Bestand
185
der noch intakten einen Reaktionssubstanz in der Gelatine rlıyth-
mische Abstufungen aufweist, die in den Schattierungen (,, Kichungen“)
Figur 6.
der Fig. 5 sich ausprägen und die wohl auf rhythmischer Verbrauchs-
strömunge beruhen.
Daß zu dem Zustandekommen der rhythmischen Niederschläge
übrigens die ganz rundum geschlossene Ringform nicht erforderlich
ist, geht aus sektorweiser Aus-
bildung der Ringe hervor, wie
wir ihr gelegentlich und unter
bestimmten Bedingungen wei-
ter unten noch mehrfach be-
gegnen werden (Fig. 15). Bis-
weilen entstehen durch ra-
diäre, verschieden weit peri-
pheriewärts sich fortpflanzende
Störungen namentlich in feinen
Ringsystemen eigentümlich
„geflammte“ Zeichnungen, wo-
für ich ein sehr schönes Bei-
Spiel in einer Lresecane’schen
Chlorsilberniederschlagsplatte
besitze (Fig. 6 u. 28). Eine
andere sehr häufige Störung Figur 7.
auch der nur ein Zentrum be-
sitzenden Ringsysteme ergibt stellenweise christbaumkettenähnliche
Zeichnungen nach dem Schema Fig. 16, rechts. Es ist streng ge-
nommen nur ein Schritt von diesen zum Verständnis der gelegent-
lich auch schon bei monozentrischen Ringsystemen auftretenden.
X\
186
Spiralen, die in sehr verschiedener Form und unter verschiedenen
Bedingungen, aber besonders bei gegenseitiger Einwirkung mehrerer
Systeme aufeinander zur Beobachtung kommen. Wie leicht über-
haupt konzentrisch rhythmische Vorgänge in auffallende andere
Zeichnungsarten halbregelmäßiger Art übergeführt werden können,
zeigt die Fig. 7, ein Bild einer leicht gestörten konzentrisch rhyth-
mischen Sphäro-Kristallisation (Eisblumen) in mit Ruß versetzter
Gelatine (Lisszeang), welches für zahlreiche Pigmentverteilungen
auf Schmetterlingsflügeln und am
Vogelgefieder interessant sein
dürfte. Endlich gelingt es, wie
mir scheint, besonders mit sehr
kleinen Tropfen, ein Reaktionsbild
zu erzeugen, welches statt der
vielen scharf konturierten dichten
Niederschlagsringe scheinbar nur
einige wenige sanft getönte (Kol-
loider Zustand des Salzes statt
Ausfiockung) breitere Ringe auf-
weist, die sich teils mit scharfen
Konturen gegeneinander oder gegen
das Zentrum absetzen, teils auch
dabei allmähliche Übergänge und Schattierungen aufweisen, ganz
außen endlich feine konzentrische Ringe zeigen (vgl. Fig. 8).
Ganz besonders in dieser letzterwähnten Form der Ringbildung
erscheint ein augenfälliges Analogon mit den Augenflecken der
Schmetterlinge und mancher Federn (Pfau) gegeben, wenn auch bei
diesen natürlichen Bildungen in andern Fällen die zahlreichen
schärfer begrenzten Ringe durchaus nicht fehlen. Über die Be-
rechtigung dieses Vergleiches und anderer siehe weiter unten!
Es gibt nämlich noch eine ganze Reihe anderer interessanter —
morphologischer Erscheinungen, welche für derartige Vergleiche
herangezogen werden können, aus den Lieszsane’schen Versuchen
zu berichten!
Bisher sprachen wir von Systemen mit einem runden Erregungs- —
zentrum. Man kann ja nun aber auch ebensogut, z. B. im Chrom-
silberversuch, das Silbernitrat in Gestalt eines längeren Striches oder
beliebiger Linienfiguren dem chromierten Gelatinegrund aufsetzen
(Fig. 9). In diesem Falle, den Lırsesane in seiner „Achattheorie“ aus-—
giebig verwertet hat, entstehen die rhythmischen Niederschläge in
Gestalt von Aquidistantensystemen nach innen und auBen von den
Figur 8.
|
|
187
Silbernitratkurven oder Polygonen. Aus diesem Verhalten ergeben
sich für unsern Fall zahlreiche und teilweise sehr ins Spezielle
gehende morphologische Analogien mit gewissen Bänderzeichnungen,
die auf Schmetterlingsflügeln in ähnlicher rhythmischer Wiederholung
und mit gesetzmäßigen Farbenänderungen auftreten. Gleichzeitig
erhellt aus der Betrachtung der Fig. 10, daß auf diese Weise auch
Gelegenheit zur Entstehung von Augenflecken durch zentralwärts
gerichtetes Fortschreiten der rhythmischen Niederschläge gegeben
Figur 9.
ist, wie wir solche Entstehung gelegentlich für das natürliche Objekt
anzunehmen Veranlassung haben. Unterschreiten dabei die Linien
der Silbernitratfigur gewisse Winkelgrenzen, so kommt es unter
gewissen Bedingungen zu einer linienförmigen, scharf begrenzten,
und eventuell selbst von einem besonderen Niederschlagsaum ein-
gefaßten Unterbrechung der zwischen ihnen liegenden Äquidistanten-
systeme, welche in dem Winkel selbst ihren Anfang nimmt und
bei graden Erzeugungs- (Silbernitrat-) Linien gradlinig, bei ge-
krümmten mit mittlerer Krümmung (vgl. Celerio, Fig. 25d) ver-
laufend annähernd die zugehörige Winkelhalbierende darstellt.
188
Wir kommen auf diese Erscheinung, die in Achaten als sogenannte
„Einlässe“ natürlich auftritt, weiter unten noch zurück. Sie bildet
u. a. auch eine einfache Analogieerklärung für gewisse recht
auffällige Mimikryerscheinungen (stets genaues Hineintreffen des
„Blattstiel“-Streifens, z. B. in den Schwanzanhang des Unterflügels,
in die scharfe Spitze des Vorderflügels bei Callima inachis und
anderen Formen (vgl. Fig. 11) usw.). Bei weniger spitzem
Vereinigungswinkel der erzeugenden Silbernitratlinien entstehen
Figur 10.
zwischen ihnen kurvig gekrümmte Aquidistantensysteme, welche
für die Entstehung ähnlicher Flügelrandzeichnungen (Gabelschwanz
u. v. a.) wichtig erscheinen (vgl. die Fig. 12 u. a.).
Strenggenommen führen diese Erscheinungen unmittelbar zu
denjenigen über, welche sich bei der gegenseitigen Beeinflussung
zweier oder mehrerer konzentrischer Ringsysteme ergeben. Dabei
können im übrigen außerordentlich verschiedene Ergebnisse je nach
der Versuchsanordnung erhalten werden. Schon Lepuc hat gezeigt,
dab zwischen zwei gleichartigen sich ausbreitenden Tropfen Ab-
stoßungserscheinungen, zwischen zwei aufeinander reagierenden
Lösungen im Gegenteil Anziehungsphänomene auftreten. Die
Liesesane’schen Versuche zeigen außer einer Bestätigung dieses
.-
\\
189
allgemeineren Gesetzes in geeigneten Fällen aber auch noch mehr
interessante morphologische Details. Bleiben wir vorläufig beim
Silberchromatversuch, und betrachten wir die gegenseitige Ein-
wirkung zweier wie oben erzeugter konzentrischer Ringsysteme
aufeinander, so sehen wir selbst unter dieser Einschränkung noch
interessante morphologische Verschiedenheiten je nach den jeweiligen
materiellen, zeitlichen und Raumverhält-
nissen eintreten. Die Tropfen sollen zu-
nächst einmal gleich groß und in solcher
Entfernung voneinander gleichzeitig auf-
gesetzt sein, dab erst nach Erzeugung
einer größeren Anzahl von Ringsystemen
ihre Areae zusammentreffen (Fig. 12):
Wir sehen dann, daß normalerweise kein
Überschneiden der Ringe eintritt, sondern
daß sie zunächst unter schärfer, nachher
unter sanfter gekrümmtem Kurvenverlauf, m“
schließlich als Lemniskaten und eventuell Me, u.
selbst gemeinsamen Ellipsen oder Ei- et
Kurven ineinander übergehen, ganz ähn-
lich, wie die Kurven auf Achsenbildern
zweiachsiger Kristalle, wie denn ja auch
in der Tat für beide Erscheinungen offen-
bar ähnliche mathematisch-physikalische
Bedingungen vorliegen. Damit zeigt sich
eine auffällige Ähnlichkeit der Form der
rhythmischen Niederschläge mit den Ni-
veaulinien in Kraftliniensystemen, auf
welche hier noch nicht näher eingegangen Fieur 11.
werden soll. Jedenfallsisteinüberraschend Unterseite von Callima Inachis.
i : pies he b Oberseite des Vorderflügels von
ähnlicher Linienverlauf (auch die quan- Prullodes tonsyieilintun.
titativen Unterschiede ließen sich durch
geeignete Versuchsanordnung überbrücken) auf der Unterseite der
Hinterflügel von Katagramma-Arten zu beobachten. Die Fig. 13a, b
zeigt das wohl besser als viele Worte. Durch reihenweises Neben-
einander von mehreren Zentren unter annähernd gleichen Verhält-
nissen, wie die eben betrachteten zwei sie aufweisen, erhält man
wieder leicht die kombinierten Flecken und Bindenzeichnungen, wie
sie sich im Anschluß an multiple Flecke und Augenflecke so häufig
in den Flügeln der verschiedensten Schmetterlingsgruppen vorfinden,
in weitgehender Analogie aller denkbaren Formen (Fig. 15, 16).
TILL
190
Einige besondere Eigenschaften solcher Zeichnungen, die hierbei
noch nicht erwähnt sind, ergeben sich gleich etwas weiter unten.
Figur 12.
Gehen wir wieder fürs erste auf die Zweizahl der Erregungs-
zentra zurück, so kann offenbar trotz deren Gleichartigkeit doch
a
Fieur 13.
eine sehr verschieden große Intensität
der Wirkung oder überhaupt verschie-
dene Größe des erregenden Tropfens
vorhanden sein. Auch die anfängliche
Nähe der Tropfen und die Zeit des Ak-
tionsbeginns jedes einzelnen spielt hier
eine große Rolle. Aus der Fülle der
verschiedenen möglichen Folgen hier
nur einige Beispiele Die Tropfen sind
so nalıe, dab sie einfach konfluieren:
Umhüllung des so entstehenden oblongen
Zentrums durch gemeinsame Nieder-
schlagskurven, welche nach außen hin
immer mehr der Kreisform sich an-
nähern (schon mathematisch durch das
Äquidistantenverhalten gegeben). — Ur-
sprüngliche Tropfenentfernung etwas
größer: Es kommt zwischen den Tropfen
zur Ausbildung einer mehr oder weniger
scharf begrenzten, häufig wie einge-
schnitten erscheinenden spindelförmigen,
191
mit ihrer Längsachse auf der Verbindungslinie der Tropfenzentra
senkrechten Trennungszone völliger Niederschlagsfreiheit. (Fig. 14).
(Bei mehreren Zentren unter ähnlichen Bedingungen entstehen so
ganz scharf voneinander abgegrenzte und je nach Umständen ge-
Figur 14.
meinsam oder einzeln (oder beides) rhythmisch umringte poly-
gonale Zentralflecken, eröffnen sich also wiederum zahlreiche neue
Möglichkeiten für morphologische Analogien der Entstehung kom-
plizierter Zeichnungen aus verhältnismäßig wenigen und ein-
fachen Bedingungen, um so mehr, als dabei auch die zu-
sammentreffenden Ringe Ketten, Spi-
ralen u. a. m. bilden können (vgl.
Fig. 15 u. 16).
Figur 15. Figur 16.
Die scharfe Trennungszone zwischen gleichartigen Erregungs-
zentren ist eigentlich nur ein besonders prägnanter Ausdruck für
eine ganze Gruppe morphologisch und ursächlich verwandter Er-
scheinungen unter ähnlichen Bedingungen. Hierher gehören die
oben erwähnten Einläufe, überhaupt alle linienförmigen nieder-
192
schlagfreien Zonen an der Treffgrenze von progressiven Nieder-
schlagsgebieten (Fig. 9, 10). (So erklären sich die dem Rande der
Fliigel parallelen oder die ebenso bei den verschiedensten Schmetter-
lingsformen mit erstaunlicher Regelmäßigkeit immer wieder auf-
tretenden Schrägstreifen aus der Vorderflügelspitze nach der Mitte des
Hinterrandes (Innenrandes, vgl. unten), und die analogen Streifungen |
der Hinterflügel. Die morphologische Analogie mit den Lieszsang’schen
Niederschlägen in Colloiden läßt sie nach Form und Lage eben einfach
als eine Funktion von Lage und gegenseitiger Wirkungsweise der
Erregungszentren auffassen, die ihrerseits durch die Flügelform
und den Aderverlauf (einen phylogenetischen Faktor also) weit-
gehend bestimmt sind, vgl. unten. Bei aufeinander reagierenden,
nicht gleichartigen Zentren können sie statt durch Linien heller
oder geringer Pigmentierung im Gegenteil durch solche intensiver
Pigmentierung vertreten sein, vgl. unten.)
Ist ein ganz kleines gleichartiges Erregungszentrum innerhalb
eines Gebietes konzentrischer Niederschläge vorhanden, so erreichen
es die Niederschläge nicht, sondern es zeigt sich von einem eigenen
hellen, niederschlagsfreien, kreisförmigen Hof umgeben. Die großen
Niederschlagskreise zeigen sich durch diesen lokal unterbrochen.
Bisweilen umgibt den hellen Hof eine mit ihnen zusammenhängende
schmale Zone dichten Niederschlages (Fig. 2 u. 9). (Man denkt
hierbei unwillkürlich an die zahllosen Beispiele von Augenflecken, ©
welche sich von einer gleich gefärbten Umgebung durch eine helle |
Linie scharf absetzen, die ihrerseits auch durch eine besonders
intensiv pigmentierte noch wieder abgesetzt sein kann.)
Setzt man statt des kleinen Zentrums in einem Gebiet kon-
zentrischer Verbreitung einen radiären Strich gleichartiger Be-
schaffenheit mit dem andern Zentrum, so entstehen Verhältnisse
wie am Rande vieler Tagfalterflügel, an dem sich pigmentierte
Rippen durch helle oder gar durchsichtige Zwischenzonen von dem
gleich pigmentierten Zwischenrippengebiet absetzen, wofür sich —
beliebig viele schöne Beispiele anführen lassen (besonders schöne
bieten die großen Papilioniden, besonders auch Ornithopteren)
(Fig. 31). Auch hier ist eine Art Prohibitiv- oder Hofbildungs-
wirkung zwischen den gleichartigen Reaktionsgebieten anscheinend
vorhanden.
Sehen wir uns nun die Verhältnisse bei positiv aufeinander
reagierenden multiplen Diffusionszentren an. Wir brauchen dazu
nur die aufeinander reagierenden Lösungen, das Silbernitrat einer-
seits, das Chromsalz oder das Chlornatrium andererseits in getrennten
193
Tropfen auf eine gewöhnliche Gelatineplatte aufzusetzen. (Genau
so könnten wir nach Lieszesane’schem Vorgange beliebig andere
aufeinander mit Niederschlagsbildung reagierende Substanzen ver-
wenden.) Wir sehen dann an der Stelle des Zusammentreffens der
beiden in der Gelatine weiter diffundierenden Lösungen den ersten
Niederschlag auftreten, natürlich am weitesten entfernt von dem
mit der schnell diffundierenden Lösung ausgestatteten Zentrum.
Je nach Art des Versuches kommt es jetzt zu einer feinen scharfen
Linie, gerade (Fig. 17) bei gleicher Größe
der Zentren und gleicher Diffusionsge-
schwindigkeit oder konkav gekrümmt
(Fig. 18) gegen die intensiver vor-
schreitende Substanz
hin, oder es ent-
stehen spindelför-
mige- (Fig. 17, 19)
scharf umgrenzte
Niederschlagsge-
biete mit gleich oder
nach der weniger in-
Figur 17. tensiven Seite stär- Figur 18.
ker gekrümmten
Grenzen, oder auch hier entstehen durch rhythmischen Niederschlag
Ringe oder doch rhythmisch sich wiederholende, oft anastomosierende
Linien mit wechselnden Krümmungsverhältnissen, immerhin aber
überwiegender Konkavität nach dem intensiver wirksamen Diffusions-
zentrum hin (Fig. 20). (Es erhellt, daß auch in diesem Verhalten
eine Reihe Möglichkeiten für eine einfachere Erklärung gewisser
Flügelzeichnungen enthalten sind, für die oben bereits erwähnte
Entstehung scharfer, intensiv pigmentierter Linien zwischen ver-
schiedenen Flügelgebieten, für deren häufig zu beobachtende rhyth-
mische Wiederholung, für ihre scharfe Lokalisation usw.).
Durch multiple Verwendung und durch Kombination aller der
hier herausgegriffenen, rein mechanistisch zu erzeugenden morpho-
_ logischen Vorgänge, auf die ich in der ausführlichen Veröffentlichung
noch etwas weiter einzugehen beabsichtige, ist es nun, wie mir
eine Durchsicht eines möglichst vielseitigen Lepidopterenmaterials
gezeigt hat, mit leichter Mühe möglich, zu einem mehr generellen
Verständnis der auf den ersten Blick so unendlich erscheinenden
Mannigfaltigkeit in der Färbung und Zeichnung zu gelangen. Ich
glaube sogar mit einer gewissen Berechtigung, nicht unerhebliche
Verh. d. Dtsch. Zool. Ges. 1912. 13
194
Erleichterungen für die Systematik aus meiner Auffassung erwarten.
zu dürfen, da sie unter Umständen gestattet, die wichtigeren
phylogenetischen Merkmale von den unwichtigeren sekundären
Erscheinungen der speziellen Form, der Art, des Geschlechts, des.
Individuums, der Ober- und Unterseite usw. zu trennen. Es kann
mir aber bei der Kürze der verfügbaren Zeit billig nicht zugemutet-
werden, schon heute hierauf, wie
auf viele andere sich aufdrängende
neue Gesichtspunkte näher einzu-
b
Figur 19. Figur 20.
gehen. Nur zweierlei möchte ich schon heute erreichen: erstens
Ihre Überzeugtheit von der Berechtigung, den von mir angeregten
Gesichtspunkt mechanistischer Bedingtheit komplizierter Lokali-
sationen auf den Schmetterlingsflügel gerade anzuwenden, zweitens
aber einen wenigstens unvollkommenen Begriff von der Erleichterung
des Verständnisses selbst sehr komplizierter Zeichnungen durch
die Annahme analoger Reaktionvorgänge bei der Pigmenterzeugung
und Verteilung im natürlichen Objekt zu geben. Speziell ergibt
sich eine erheblich einfachere Vorstellungsmöglichkeit für das Zu-
standekommen der so viel umstrittenen Mimikryerscheinungen. _ |
Zur Zeit der Entstehung der Flügelzeichnung, also während
der Puppenruhe, stellt der Schmetterlingsflügel in letzter Linie
eine dünne Lage von Colloiden zwischen zwei wohl im wesentlichen
195
als indifferent anzusehenden Chitinplatten dar. Die Zellgrenzen
spielen, was auffällig erscheinen könnte, für unsere Betrachtung
keine Rolle. Ja, es ist sogar eine diesbezügliche falsche Fragestellung,
welche uns bisher verhindert hat, bei der Lösung des Pigment-
lokalisationsproblems weiter zu kommen. Die Sache liegt so:
Solange wir nach einem Hintransportieren des fertigen Pigmentes
an den ihm durch die typische Artzeichnung vorgeschriebenen
Ort oder nach seiner Entstehung an diesem Orte selber fragen,
legen wir dieser Frage schon eine durch neuere Untersuchungen
als einseitig und unrichtig nachgewiesene Voraussetzung zugrunde,
nämlich die Annahme zeitlich getrennter Entstehungs- und Lokali-
sationsfaktoren für das verwendete Pigment. Das hat die weitere
Annahme außerordentlich spezialisierter Lokalisationsfaktoren zur
unabweisbar nötigen Folge, die zudem bei ganz nahe verwandten
Arten ganz erheblich wechseln müßten. Das gilt nicht nur vom
Schmetterlingstlügel, sondern auch von der Zeichnung der Haare
und Haartiere, der Federn, der Conchylienschalen, der Fischhäute
| u.y.a.m.). Nach den Erfahrungen der neueren chemischen Unter-
suchungen über das Zustandekommen der Pigmente und an der Hand
der Lieszegang’schen Niederschlagserscheinungen in Colloiden dürfen
wir aber aus der Erkenntnis der mehrfachen Pigmentfaktoren und
der Betrachtung sehr auffallender mechanistischer Lokalisierungs-
erscheinungen von Niederschlägen in Gelen mit Sicherheit soviel
‚ aussprechen, daß verhältnismäßig wenige phylogenetisch bedingte
Voraussetzungen für die Entstehungs- bzw. Abgabe- oder Aufnahme-
stellen von Chromogen, Oxydase und Sauerstoff sowie bezüglich der
Quantität der drei und der Qualität der beiden ersten Faktoren
genügen, um durch gegenseitige Beeinflussung der verschiedenen
Erregungszentra in der Art der oben geschilderten: Vorgänge in
den Lreszesang’schen Platten selbst sehr komplizierte Zeichnungen
gewissermaßen automatisch zustandekommen zu lassen. Vorher
‚mußten wir notgedrungen eine erbliche Rollenverteilung an die
einzelnen Zellen für die Zeichnungsentstehung annehmen; diese
unvorstellbare Annahme ist jetzt weder nötig noch möglich, es
‘sind von Zellgrenzen unabhängige Bahnen und Verhältnisse, welche
die Pigmentfaktorenverteilung besorgen: die Lage zu den Adern
und deren Abgabestellen, die Zugänglichkeit für Sauerstoff, die
relativen Entfernungen der Erregungszentren usw. usw. Es ist ja
1) Die Zeichnungen der Haare und Federn will Herr cand. phil. KNIESCHE
hier auf meine Veranlassung noch näher unter ähnlichen Gesichtspunkten unter-
13*
196
auch schon früheren Untersuchern aufgefallen, daß bald mehr, bald
weniger Zellen sich an der Bildung eines bestimmten Fleckchens
beteiligen!! Wie befriedigend einfach aber wird erst die Auf-
fassung der oft auf den ersten Blick großen Artunterschiede, die
sich jetzt ohne Annahme vieler differenter Lokalisationsfaktoren —
einfach durch geringe quantitative Variationen der der ganzen ü
Verwandtschaft eigentümlichen Bedingungen: Zahl und Lage, wahr- |
scheinlich auch zeitliches Verhältnis im Inaktiontreten der ver-
schiedenen Zentra, geringe qualitative und quantitative Differenzen
der abgegebenen Pigmentfaktoren und des aufgenommenen Oxy-
dationsmittels, erklärt. Es ist ohne weiteres klar, daß sich auch
neue wichtige Gesichtspunkte für die Variationen und Aberrationen,
sowohl natürlich vorkommende wie künstlich erzeugte ergeben,
auch hier unter erheblicher Vereinfachung unserer Vorstellungen
von ihrem Zustandekommen (Empfindlichkeit der Lirsesang’schen —
Plattenphänomene gegen Temperatur u. a.). Überhaupt scheinen
sich durch die hier vorgetragene Auffassung dem Experiment aus-
sichtsvolle neue Bahnen zu eröffnen und ich hoffe zuversichtlich,
daß dieselben alsbald zur Klärung mancher nach der alten Auf-
fassung bisher bestehender Wiedersprüche führen werden.
Empfinden wir so die Befreiung von der Vorstellung einer
Zelltätigkeit mit verteilten Rollen als Erleichterung, so bedarf es
andererseits bei der mosaikartigen Zusammensetzung des definitiven
Zeichnungsbildes aus den zellwertigen einzelnen Schuppen noch
einer Vorstellungsmöglichkeit für das Zustandekommen des fast
ausschließlichen Beherbergens des fertigen Pigmentes seitens dieser.
Ich stehe nicht an, auch dafür physikalisch-chemische Gesichts-
punkte mindestens mitverantwortlich zu machen. Es hat sich bei
vielen Gelegenheiten bei den hier verwerteten und anderen LizsE-
sang’schen Versuchen gezeigt, daß schmale Spalten und bei drei-
dimensionalen Versuchen die Kanten der Versuchskörper die
Stellen ersten Reaktionseintrittes und besonders intensiver Reaktion
sind. In unserm Falle dürfte bestimmend hinzukommen, daß ja
die Verteilung in die platten, durch ihre Skulptur eine ganz enorme
Aufnahmeoberfläche für den Sauerstoff darbietenden Schuppen, die
sich ja auch in anderen Insektengruppen als bevorzugte Träger
von Pigmentierungen darstellen, eine sehr befriedigende Erklärung
für die nach van Bemmeren kurz vor dem Ausschlüpfen eintretende
„Entwickelung“ des jedenfalls schon vorher latent vorhandenen
sekundären Teils der Flügelzeichnung darstellt. Sehr interessant
erscheint mir für die Vorstellung von der Bedeutungslosigkeit der
197
Zellgrenzen auch das von demselben beobachtete „Abfärben“ der
Flügelzeichnung auf die Puppenhülle Auf alles das soll in der
ausführlichen Veröffentlichung noch näher eingegangen werden.
Jedenfalls ist auch die Skulptur der Schuppen, die sich übrigens,
wieder in Anlehnung an andere von Lieszsane im Anschluß an
Eintrocknungserscheinungen von Colloiden beobachtete Erscheinungen,
auch sehr einfach als eine Schrumpfungs-
erscheinung!) erklären läßt, wichtig
als Ausdruck einer enormen Ober-
flächenvergrößerung des Flügels, wie
schon die Härchen- und Schuppen-
bildungen überhaupt — und Härchen
und Schuppen stellen ja, z. B. auch
in der den Lepidopteren in Schönheit
der Flügelfärbung und Zeichnung viel-
fach nahekommenden Gruppe der Zi-
kaden, die Hauptträger der Pigmente
dar. Hierin liegt gleichzeitig ein
weiteres wichtiges Moment für das
Verständnis der teilweisen Unabhängig-
keit der Ober- und Unterseite! Figur 21.
Bleibt noch die Anführung einiger
weniger Stichproben zur besseren Erläuterung, wie ich mir beim
natürlichen Objekt den Vorgang der Pigmentverteilung etwa vor-
stelle. Wählen wir zunächst eine Gruppe, bei der die phylo-
genetisch gegebenen Zentren für die Zeichnung recht deutlich
sind! Also z. B. gewisse Pieridenarten. Wir können hier eine
ganze Stufenleiter aufstellen. Neben solchen, welche rein weiße
_ Fliigelflachen und Adern aufweisen, gibt es da Arten, wie unsern
- Baumweißling, bei denen die Pigmentierung die Adern nicht wesent-
lich überschreitet, dann finden wir bei Delias z. B. Arten, bei
denen, von den Adern offenbar ausgegangen, am äußersten Flügel-
rande sich Ansammlungen schwarzen Pigmentes zeigen (Fig. 22a),
dann gibt es welche (Delias hierta), bei denen außer den Rand-
1) Es erscheint im übrigen als durchaus nicht ausgeschlossen, daß gewisse
feine Zeichnungen, namentlich bei Geometriden, auch direkt mit den überhaupt
morphologisch sehr interessanten Eintrocknungserscheinungen von Colloiden
zwischen zwei undurchlässigen Deckplatten zu tun haben. Einen kleinen Aus-
schnitt einer derartigen LIESEGANG’schen Doppelplatte zeigt Fig. 21. Die
gröberen schwarzen Linien sind Silberchromat-Niederschläge. Auch Interferenz-
farben werden in allen Stufen der Reinheit gelegentlich durch Eintrocknen erzeugt!
uA
198
erregungen noch eine die äußerste Vorderflügelecke abschneidende
Reihe von Ausgangszentren schwarzen Pigmentes an den Randadern
zu sehen ist (Fig. 22b). Hier treten bereits Erscheinungen auf, welche
eine auffällige Analogie mit den Lieszsang’schen Platten verraten. Die
schwarzen Pigmentanhäufungen, welche von benachbarten Rippen
ausgehen, vereinigen sich nämlich nicht ohne weiteres, sondern
genaueres Hinsehen zeigt, daß zwischen je zweien von ihnen und
von den sich viel weiter an den Rippen entiang erstreckenden
weniger auffälligen feineren Verteilungen
von schwarzem Pigment, also immer als
Grenze zwischen dem zu je einer Ader
gehörigen Pigmentgebiet und dem zur
benachbarten gehörigen, eine feine un-
pigmentierte Linie übrig geblieben ist,
analog den Trennungslinien zwischen Ge-
bieten gleicher chemischer Reaktion. Aber —
eine weitere Analogie besteht auch darin,
2: a daß diese Linie um so schwächer aus-
4 geprägt erscheint, je schwächer und dif-
~y fuser die ursprüngliche Pigment,,ema-
nation“ stattfindet. Mit der zunehmen-
den Intensität und Ausbreitung der Pig-
mentzentren fließen diese allerdings (Delias
Descombesu, Weibchen, Vorderflügel) ge-
rade so zusammen, wie in zu großer Nähe
a
SEN
= un ne
ER ut u Nad
SE en _
RR nnn Sy
“
mer
‘Xe,
te en ees
EE ee! aufgesetzte Tropfen gleicher Reaktion
Figur 22. dies auch tun, allein auch hier grenzen
sich die zeitlich verschieden spät auf-
tretenden Zentrenreihen (es kommen noch Zentren nach der Flügel-
wurzel hin und nahe dem Vorderrande hinzu) durch weiße Binden
zunächst noch voneinander ab (Fig. 22c), die in ihrer hartnäckigen
Persistenz (und durchaus nicht nur bei Pieris-Arten) schon einer —
oberflächlichen Betrachtung die Lage der Hauptverteilungszentren
für die Pigmentierung verraten. Derartige durch die vererbte Lage
der Hauptpigmentierungszentren und durch die gegenseitige Reaktion
von deren „Emanationen“ entstehende Binden zeigen sich besonders
häufig in folgenden Formen, und zwar bei Arten aller Schmetterlings-
gruppen immer wieder: 1. eine dem Rande im wesentlichen parallele
Binde, entstanden durch Reaktion des großen kombinierten Rand-
zentrums auf das ihm entgegen diffundierende kombinierte Flügel-
flächenzentrum (Fig. 23a, b), 2. eine die Vorderflügelspitze ab-
J
199
schneidende, nach dieser zu häufig etwas konvexe Schrägbinde als
Trennungsgebiet der aufeinander reagierenden Flügelspitzen- und
Randadermittenzentren (z. B. Danais), 3. eine Binde, welche das
Vorderrandgebiet enger oder weiter von der Vorderflügelspitze bis
zur Flügelwurzel in nach hinten mehr oder weniger weit aus-
biegendem Verlauf von dem übrigen Flügelgebiet abgrenzt. Sie
stellt das Reaktionstrennungsgebiet zwischen
dem (kombinierten) Vorderrandzentrum und
den übrigen Flügelzentren dar (vgl. Fig. 24). <
Hierzu ist zu erinnern, daß bei den meisten * ae :
Schmetterlingen sehr deutlich nach Aneig-
nung unserer Auffassung ein entsprechendes
Vorderrandgebiet in seinen Zeichnungsge-
setzen sich von der übrigen Flügelfläche
abhebt, teils mit, teils ohne Einschluß der „
häufig autonomen Mittelzelle, entsprechend
einem Innengebiet des Hinterflügels, das
aber häufig nicht so deutlich ist. Diese
Gebietstrennung ergibt häufig einen deut-
lichen Knick in allen sie kreuzenden Binden
und sonstigen Zeichnungen (z. B. an den
medialen Vorderflügelquerbinden vieler Sa-
turniden). 4. mehr median gelegene Quer-
binden als Trennungsreaktionen von der
Flügelwurzel näher gelegenen, reihenweise
kombinierten Pigmentierungszentren gegen- 4
über weiter lateral gelegenen. 5. die von |
der Wurzel des Hinterflügels in konzen-
trischer Anordnung und wechselnder Anzahl
als Reaktionen gegen Randzentren und um- Bed See
gekehrt vorkommenden Binden. b trifolii.
Durch wechselnde Ausbildung der ace ee!
Einzelzentren entstehen daraus unzählige
lokale Einzelheiten, die hier übergangen werden. Nur eine ge-
setzmäßige Abänderung soll wegen ihrer universellen Verbreitung
gleich abgeleitet und der obigen Aufzählung als sechstens an-
gegliedert werden: die bereits oben erwähnten häufigen Schräg-
streifen aus der Flügelspitze nach etwa der Mitte des Hinter-
randes der Vorderflügel und ein analoger Streif des Hinterflügels
(Schema: Gastropacha Potatoria) (Fig. 23c, d). Hier liegt eine
Reaktion von Vorderrandzentrum auf Randzentrum bei der Schwärmer-
Figur 23.
\\
fliigelform (Fig. 25), bei anderen gelegentlich wohl auch eine Reaktion —
zwischen kombinierten Vorderrend- und Wurzelgebieten einerseits
und (ev. nach hinten verstärkten) Rand-
gebieten andererseits vor.
Binden können als Pigmentierungs-
defekte oder als Pigmentierungsver-
stärkungen auftreten, je nach der Art
der sie erzeugenden Reaktionen (vgl.
oben).
auftreten, entweder nach Analogie der
rhythmischen Niederschläge oder als
rhythmische Fernwirkungserscheinung
Figur 24.
(vgl. oben) (Fig. 5, 12, 25a).
und Knicke erklären sich teils
aus Flügelflächen - Spannungs-
erscheinungen (nach Art des
Regenschirmbezuges), teilweise
aus gegenseitiger Beeinflussung
der teils lineären, teils punkt-
förmigen Einzelzentren (vgl.
oben).
Sehr lelırreich ist ein Blick
auf den Vorderfliigel von Dupo
fasciatus (Fig. 24). Wir er-
kennen hier gleichzeitig die
Wirkung der verschiedenen Ge-
biete aufeinander in mehreren
sich gegenseitig und den Vorder-
flügel durchkreuzenden Streifen.
Da ist das Vorderrandgebiet
gegen den ganzen übrigen Flügel
durch einen bogenförmigen nach
hinten konvexen Streifen ab-
gesetzt, der sich spitzwinklig
mit einem andern Kreuzt, welch
letzterer die Trennungszone
zwischen Flügelfläche und Sei-
tenrand darstellt, übrigens durch
die mehrfache Anlage gut cha-
rakterisiert ist, während sein
hinterer Abschnitt plus. dem
200
Alle diese
Sie können endlich mehrfach
Wellungen, Zackungen, Biegungen
Figur 25.
a Vorderflügeloberseite einer Chaerocampa Sp.
(Brasilien) aus eigner Sammlung.
b Elpenor, Vorderflügeloberseite.
ce Alecto, Vorderflügeloberseite.
d Celerio, Vorderflügeloberseite.
201
Spitzenteil des vorigen dem bei vielen Schwärmern so auffallend
ausgeprägten und auch oft verdoppelten und rhythmisch wieder-
holten oben charakterisierten Schrägstreif (vgl. Fig. 25) entspricht.
Dazu kommt ein Teil der als Trennungsstreifen hell gebliebenen
Rippen u. a. m., so daß hier fast alle typischen Pigmentzentra in
ihren gegenseitigen Wirkungen manifest werden. Ein weiteres,
sehr reines Beispiel für die gelegent-
lich linienscharfe Absetzung der ver-
schiedenen Flügelgebiete gegenein-
ander zeigt (Fig. 26) (Philampelus
Labruscae) am Vorderflügel.
Recht gut charakterisiert ist das
Wirken der automatisch entstehenden
Trennungen zwischen Pigmentver-
breitungsgebieten gleicher Art durch
das Vorderrandgebiet der Vorderflügel Figur 26.
vieler Papilionen. Ich greife hier
Papilio Polycestes, ein Mitglied der afrikanischen Ginsterfauna,
hellgrüne Unterfarbe mit schwarzer Zeichnung, heraus (Fig. 27b).
Auf den ersten Blick scheint das Vorderrandgebiet des Vorder-
flügels ein gutes Beispiel für die rhythmische Pigmentverbreitung
zu sein. Bei genauerem Zusehen kommt man aber zu der Über-
zeugung, daß hier vielmehr eine Anzahl Pigmentverbreitungszentren
| an den Rippen nahe dem Vorder-
rande gelegen sind, welche sich
durch scharfe Trennungsgebiete
gegenseitig in ihrer Verbreitung
parallel zum Vorderrande be-
schränkt haben. Auch die Gestalt
der hellen Streifen zwischen den
4 Be ar! i‘ schwarzen Quadraten entspricht
dieser Auffassung. Ganz in der-
selben Weise dürften sich in der ganzen Gruppe der Arctiiden die
Absetzungen der Flecke gegeneinander vollziehen. Dafür spricht
der Gang der hier vorkommenden Variationen bei ein und der-
selben Art.
Es ist nun sehr interessant, daß wirklich rhythmische Pigment-
verteilungen bei den Papilioniden auch deutlich vorhanden sind,
sowohl feine wie grobe rhythmische Zeichnungen kommen vor.
Ohne Beigabe von photographischen Abbildungen, die erst in der
ausführlichen Publikation folgen sollen, hat ein näheres Eingehen
202
hierauf nicht viel Zweck. Ich verweise nur auf die Flügelwurzel-
gebiete von Pap. Demoleon, auf den rhythmisch quergestreiften
Vorderrand vieler anderer, auf die auch in vielen anderen Be-
ziehungen interessierenden Unterseiten vieler Caligo-Arten, welche
gezackte Flammungen, ungestörte und gestörte rhythmische Pigmen-
tierungen, durch hellen scharfen Streif von der identisch pigmen-
tierten Umgebung abgesetzte Augenflecke u. a. m. aufweisen (Fig. 28).
Eine andere Gruppe, die Nyctalemoniden und Uraniden, aber auch
sonst viele Geometriden, weisen (N. Menötios, Patroclus usw., U. fulgens,
Leilus u. a.) (Fig. 29) bald auf der Ober-, bald auf der Unterseite
a
uw N
Paz
2
IS
=
a
>
=
>
De
Figur 28. Figur 29.
Caligo Achilles. Unter- a Urania Leilus. Unterseite.
seite. b Nyctalemon Patroelus. Unterseite.
schöner ausgeprägt, die schönsten feineren und gröberen Pigmentver- |
teilungen rhythmischer Art auf, vgl. auch Ophioderes. Auch mehrere
Rhythmen übereinander kommen vor. Man vergleiche hierzu auch
die abwechselnd längeren und kürzeren Streifen am Vorderrand der
Vorderflügel von Papilio Machaon (Fig. 27a), die abwechselnd roten
und schwarzen von Rwmina.
Während die Unterseite der Morphoniden sehr hübsche Bei-
spiele rhythmischer Wiederholungen der Zeichnung von Binden und
Augenflecken aus darbietet, wobei der Gang der Pigmentierung vom
Zentrum der Augenflecken aus und von dem Hauptstrich der Rand-
binden aus ein analoger zu sein pflegt und so sehr hübsche Einzel-
beweise für die Richtigkeit unserer Auffassung darbietet (vgl. Fig. 30),
,
203
zeigen viele Papilioniden und Ornithoptera-Arten zwischen den Adern
der Vorderflügel und dem mit ihnen gleich pigmentierten Zwischen-
adergebiete hellere (Memnon) oder
Figur 30.
Morpho Helenor. Unterseite.
> Figur 31.
a Ornithoptera Rhadamanthus Q.
b Vorderflügel von Papilio Memnor 2.
selbst durchsichtige Höfe oder Trennungszonen, welche darauf hin-
deuten, dab eine diffuse Ver-
breitung mindestens des
einen Pigmentfaktors vor-
her stattgefunden hat und
bei der definitiven Pigment-
erzeugung sich Adern und
Zwischenadergebiete als Ge-
biete gleicher Reaktion von-
einander durch Trennungs-
zonen abgeschieden haben
(vel. Fig. 31, ferner die
durchsichtigen oder wenig-
stens pigmentarmen Binden
der Attaciden). Auch hier-
auf, als auf eine überaus
verbreitete Erscheinung, soll
später ausführlich einge-
gangen werden. |
Wenn man aber die ver-
schiedenen Möglichkeiten
ae AM XL.
an OSs As ‘
~ a
RU Ra, DR
SR:
Mod
Figur 32.
Oberseite von Brahmaea Wittei.
204
der Pigmentverbreitung und ihre gegenseitigen Regulationen mög-
lichst alle beisammen haben will, dann empfehle ich Brahmäa- Arten
zum Studium der hier angeschnittenen Frage (Fig. 32). Man trifft da
sowohl von der Flügelwurzel, wie vom Rande aus rhythmische Pig-
mentverbreitungen, die sich voneinander und von den auch vor-
handenen diffusen durch scharfe helle Trennungszonen absetzen,
man kann vom Rande her die Zusammensetzung der Randflecken-
zentren zu achatartigen Zeichnungen studieren, wie im Schema,
man kann sehr deutliche Auslässe aus den Adern beobachten, die
noch nicht weit genug vorgedrungen sind, um miteinander und mit —
anderen Gebieten zu interferieren u. a. m. Ich muß auch hier
bezüglich der sehr interessanten Einzelheiten auf die ausführliche
Abhandlung verweisen.
Für den Zweck, den ich heute ja nur verfolgen kann, den
von mir neu aufgestellten Gesichtspunkt überhaupt in rohen Um-
rissen zu definieren, wird hoffentlich das Vorstehende genügen.
Ich hoffe auch, daß die privaten und die Demonstrationen im
Institut wenigstens einen Teil der am Kongreß Anwesenden über- —
zeugt haben werden, dab sich hier eine aussichtsvolle neue Frage-
stellung für die epigenetische Inangrifinahme des bisher so aus-
schließlich der „Vererbung“ anheimgefallenen Lokalisationsproblems
eröffnet. Ich möchte noch ausdrücklich zum Schluß betonen, daß
ich mir die Angelegenheit nicht ganz so einfach und vor allem
nicht so grob mechanistisch vorstelle, wie ich sie bei der Kürze
der Zeit, und um überhaupt erst einmal den neuen Gedankengang
einzuführen, heute darstellen mußte. Es lassen sich sehr vielfache
Komplikationen noch denken, ohne daß das eigentliche Wesen des
hier vertretenen Prinzips dadurch verändert zu werden. braucht.
Dritte Sitzung.
Mittwoch, den 29. Mai, 9—1 Uhr.
Nach einigen geschäftlichen Mitteilungen verlas der Schrift-
führer folgende Berichte des Herausgebers des „Tierreich“ und des‘
„Nomenclator“, Herrn Prof. Dr. F. E. Scaurze, und des Delegierten
der Deutschen Zoologischen Gesellschaft, Herrn Prof. KrRAEPELIN,
über die Tätigkeit des deutschen Ausschusses für den mathematischen
und den naturwissenschaftlichen Unterricht im Jahre 1411.
205
Bericht des Herausgebers des „Tierreich“ und des ,,Nomenclator
animalium generum et subgenerum“, des Herrn Prof. Dr. F. E. Schulze.
1. Tierreich:
Seit meinem letzten Berichte (7. Juni 1911) in Basel sind
sechs Lieferungen vom Tierreich fertiggestellt worden, und zwar:
27. Lieferung: Chamaeleontidae von Prof. WERNER, Wien. 63 Seiten, 20 Ab-
bildungen.
28. : Apidae I: Megachilinae von Dr, FRIESE, Schwerin. 466 Seiten,
132 Abb.
29. re Chaetognathi von Dr. R. von RITTER-ZAHONY, Görz. 48 Seiten,
16 Abb.
30. a Ichneumonidea: Evaniidae von Prof. J. J. KIEFFER, Bitsch.
450 Seiten, 76 Abb.
32. & Salpae I: Desmomyaria von Dr. J. E. W. IHLE, Utrecht. 78 Seiten,
68 Abb.
33. 5 Lacertilia: „Eublepharidae, Uroplatidae, Pygopodidae* von Prof.
WERNER, Wien. 42 Seiten, 6 Abb.
Im Druck befindet sich und ist fast fertiggestellt:
31. Lieferung: Ostracoda von Prof. G. W. MÜLLER, Greifswald. ca. 400 Seiten,
92 Abb.
In Vorbereitung ist:
34. Lieferung: Lepidoptera: Amathusiidae von STICHEL, Berlin-Schöneberg.
Für das Jahr 1912 sind noch neun Manuskripte in Aussicht
genommen, und zwar:
Hippoboscidae von Kgl. Kreisarzt Dr. SPEISER, Labes.
Turbellaria Rhabdocoela von Prof. VON GRAFF, Graz.
Gamasidae von Prof. BERLESE, Florenz.
Salpae II: Cyclomyaria und Pyrosomidae von Dr. NEUMANN, Dresden.
Ophidia von Dr. STFRNFELD, Berlin.
Opiliones von Dr. ROEWER, Bremen.
Appendicularidae von Prof. LOHMANN, Kiel.
Ascidiae von Prof. HARTMEYER, Berlin.
Pteropoda von Dr. TescH, Helder.
Auch für die Jahre 1913 und 1914 ist eine größere Zahl von
Manuskripten zugesagt, so daß für ein ununterbrochenes Erscheinen
der Tierreichlieferungen Sorge getragen ist.
2. Nomenclator:
Die Arbeiten am Nomenclator animalium generum et subgenerum
sind in vollem Gange. Der Plan des Werkes erfuhr durch zwei
wichtige grundsätzliche Anderungen bedeutende Erweiterung.
206
In der Probelieferung der Primates, die ich der Gesellschaft
auf ihrer vorjährigen Tagung vorzulegen die Ehre hatte, bestand
der größte Teil der den Namen beigegebenen Literaturzitate noch
aus indirekten Hinweisen; das heißt aus Hinweisen auf ein Nach- —
schlagewerk, in welchem das Zitat der Originalveröffentlichung
aufgesucht werden muß, bevor man die Originalveréffentlichung
selbst einsehen kann. Nur etwa einem Drittel der Namen war
gleich der direkte Hinweis auf die Stelle der ersten Veröffent-
lichung beigefügt. Es entsprach diese Einrichtung dem bekannten
Nomenclator von S. H. Scupper sowie seiner Fortsetzung, dem
Index von C. O. WATERHOUSE. Sie setzt voraus, daß die als Ver-
mittlung beim Nachschlagen nötigen Werke dem Besitzer des
Nomenclator zur Hand sind, eine Voraussetzung, die sicher nicht
für alle Zoologen und gewiß nur für einige Palaeontologen zutrifft.
Nochmaliges sorgfältiges Durchdenken des ganzen Planes ließ daher
erwünscht erscheinen, den indirekten Hinweis überall durch das
direkte Zitat der Originalveröffentlichung zu ersetzen und die Richtig-
keit dieses Zitates durch Autopsie der verantwortlichen Bearbeiter zu
verbürgen. Freilich eine gewaltige Mehrbelastung des Unternehmens,
aber auch ein Fortschritt, der unserem Nomenclator großen Vor-
sprung vor den Werken von Scupprr und WArERHoUSE geben wird.
Eine andere wichtige Erweiterung des Planes, die der Palaeonto-
logie zugute kommt, ist die Aufnahme sämtlicher auf fossiles
Material begründeter Namen, soweit sie den systematischen Rang
von Gattungs- und Untergattungsnamen beanspruchen können.
Freilich machten auch die bisherigen Nomenclatoren von Agassiz,
von MarscHArz, Scupper und der Index von WATERHOoUSE den
Anspruch, die Namen der fossilen Gattungen aufgeführt zu haben;
aber jeder, der diese Werke genau kennt, weiß, daß sie auf palaeo-
zoologischem Gebiete noch mehr Lücken aufweisen als auf rezent-
zoologischem. Noch in der Probelieferung der Primates Konnte der
palaeozoologischen Seite der Arbeit nicht die Berücksichtigung ein-
geräumt werden, wie sie ihr jetzt in unseren weiteren Zusammen-
stellungen zuteil wird. In unserem neuen Plan spielt die Palaeo- |
zoologie genau dieselbe Rolle wie die rezente Zoologie; und sobald
unser Nomenclator im Druck vorliegt, wird die Palaeontologie zum
ersten Male wieder seit H. G. Bronn’s, im Jahre 1848 erschienenem
Index palaeontologicus einen wirklichen Nomenclator generum et —
subgenerum besitzen.
‘Der neue Plan hat neue Wege der Ausführung notwendig
gemacht. Der Anspruch der Vollständigkeit, des kritischen Zurück-
207
greifens überall auf die Originalveröffentlichung und der Berück-
sichtigung der gesamten einschlägigen palaeontologischen Literatur
hat uns eine weitgehende Arbeitsteilung aufgezwungen. Der ganze
ungeheuere Stoff von über 200000 Gattungs- und Untergattungs-
namen ist in streng nach dem System begrenzte Portionen zerlegt,
deren jede einem kompetenten Spezialisten, Zoologen oder Palaeonto-
logen, überwiesen ist oder noch überwiesen werden soll. Dabei
werden die bereits in den „Tierreich“-Bänden veröffentlichten
_ Nomenclatoren einzelner Gruppen nach Ausführung der notwendigen
formalen Änderungen als bereits fertig mit in unser Werk ein-
bezogen; ebenso ca. 350V0 Namen aus dem Nomenclatormaterial,
das der verstorbene Prof. von Marurenroat bereits früher in be-
kannter gewissenhafter Weise bearbeitet hat. Mittels einer umfang-
reichen Korrespondenz ist es gelungen, für eine große Anzahl von
Gruppen schon jetzt Spezialisten zur Zusammenstellung der Gattungs-
und Untergattungsnamen zu gewinnen. Zu der hier zusammen-
gestellten Übersicht der bereits vergebenen Gruppen bemerke ich,
daß es sich dort, wo nichts weiter angegeben ist, ausschließlich
um den rezenten Anteil handelt. Ich hege die Hoffnung, daß die
Durchsicht dieser Liste, die nicht nur zeigt, wie weit das Werk
bereits vorgeschritten ist, sondern auch, welche Gruppen noch
vakant sind, dem Unternehmen neue Mitarbeiter aus den Kreisen
der Deutschen Zoologischen Gesellschaft zuführen möge. Falls
gewünscht, wird unter der Voraussetzung vollständiger vorschrifts-
mäßiger Zusammenstellung der Gattungs- und Untergattungsnamen
einer abgerundeten Gruppe ein Honorar gewährt von 20 M. für
jedes Hundert erledigter Namen.
Vergebene Gruppen des Nomenclator.
Protozoa fossilia. — Dinoflagellata. — Gregarinaria. — Cocci-
diaria. -- Haemosporidia. — Ciliata.
Porifera fossilia et recentia. — Anthozoa fossilia.
Turbellaria. — Trematodes. — Cestodes. — Nemertina bis
‚1899 incl. — Rotatoria. — Gastrotricha. — Kinorrhyncha. —
_ Chaethognatha. — Nematodes fossiles et recentes. — Oligochaeta
bis Juni 1900.
| Tunicata.
Echinodermata fossilia et recentia.
Mollusca fossilia et recentia.
Crustacea fossilia et recentia.
Pantopoda.
208
Insecta fossilia. — Collembola. — Copeognatha. — Mallophaga. —
Termitidae. — Ascalaphidae. — Trichoptera.. — Carabidae. —
Dytiscidae. — Gyrinidae. — Scarabaeidae. — Cleridae. — Hydro-
philidae. — Elateridae. — Lymexylonidae. — Meloidae — Tri- —
ctenotomidae. — Othniidae. — Lagriidae. — Cistelidae. — Tenebri-
onidae. — Aegialitidae. — Clavicornia. — Prionidae. — Ceram-
bycidae. — Buprestidae. — Hymenoptera. -- Coccidae. — Rhynchota-
Heteroptera. — Heteroptera. — Aphaniptera. — Pupipara. —
Phoridae. — Muscidaeacalypterae. — Oecestridae. — Conopidae. —
Syrphidae. — Dolichopodidae. — Lonchopteridae. — Bombyliidae.
— Empidae. — Omphralidae. — Therevidae. — Leptidae. —
Asilidae. — Acroceridae. — Tabanidae. — Nemestrinidae. —
Stratiomyidae. — Nematocera. — Geometridae. — Callidulidae bis
Juli 1901. — Sphingidae. — Rhopalocera.
Arachnoidea fossilia. — Tardigrada. — Ixodidae bis Februar
1908. — Gamasidae. —- Halacaridae bis Januar 1901. — Hydrach- |
nidae bis April 1901. — Araneae. — Opiliones. — Pseudoscorpiones. —
Scorpiones. — Pedipalpi. — Solpugidae. — Palpigradi.
Leptocardia. — Cyclostomata. — Pisces fossiles et recentes. —
Reptilia fossilia et recentia. — Mammalia fossilia et recentia.
Die Zahl der Mitarbeiter beträgt bereits über fünfzig und
wird sich bald, besonders der rezenten Insekten wegen, verdoppeln
oder verdreifachen. Beteiligt sind Palaeozoologen und Zoologen —
aus Deutschland, Österreich, Ungarn, Skandinavien, Holland, Eng-
land, Frankreich, Italien und den Vereinigten Staaten.
Um trotz einer so großen Beteiligung von Spezialisten jene
Einheitlichkeit zu erzielen, die für ein kompaktes lexikalisches Nach-
schlagewerk unbedingt nötig ist, habe ich unter dem Titel „An-
weisungen für die Bearbeiter des Nomenclator animalium generum
et subgenerum“ nach Paragraphen geordnete Satzungen drucken
lassen, die jedem Mitarbeiter übersandt werden. Als Anhang ent-
halten sie eine Druckprobe ausgewählter Gattungs- und Unter-
gattungsnamen, die nach Format der Seite, Anordnung des Textes,
Drucktypen und Papier bereits ein genaues Bild von dem Aussehen
des fertigen Werkes gibt. Eine Anzahl dieser „Anweisungen“
liegen hier zur Ansicht aus; ebenso eine Mitteilung, die, in jüngster‘
Zeit verfaßt, einen allgemeinen Überblick über den Plan des Unter-
nehmens darstellt. | | |
Die Zusammenstellung der Gattungs- und Untergattungsnamen
durch die Mitarbeiter geschieht in Form eines Zettelkataloges.
Für jeden Namen wird ein besonderer Zettel angefertigt. Hinter
209
dem Namen der Gattung folgt der Name des Autors, das Zitat der
Originalveréffentlichung, ihr Datum und zum Schluß die Angabe
der Gruppe, in welche die dem Namen zugrunde liegende Gattung
nach dem modernen Standpunkte gehört. Eine kleine Komplikation
tritt ein, wenn es sich um den Namen einer Untergattung handelt,
oder um den Ersatz eines Namens durch einen anderen. Auf-
genommen werden ohne Rücksicht auf Gültigkeit oder Ungültigkeit
alle Namen, die in der Zeit zwischen dem 1. Januar 1758 bis zum
1. Januar 1910 publiziert sind. Diese Art der Zusammenstellung,
die für den Bearbeiter eine verhältnismäßig einfache ist, wird
unseren Nomenclator zu einem lexikalischen Nachschlagewerk
machen, wie es Palaeontologie und Zoologie in so bequemer, schnelle
Auskunft gewährender, Anordnung bislang noch nicht besessen haben.
Die Finanzierung des großen Unternehmens geht natürlich
nicht ohne Schwierigkeiten vor sich. Außer der Königlich Preußischen
Akademie der Wissenschaften, die bereits große Summen bewilligt
und auch die spätere Drucklegung durch einen namhaften Betrag
gesichert hat, steuerten das preußische Unterrichtsministerium, die
Gesellschaft naturforschender Freunde zu Berlin und ein Privat-
mann, der bekannte Herausgeber des „Handbuch zur Geschichte
der Naturwissenschaften und der Technik“, Herr Professor Dr.
Lupwie Darmsraepter in Berlin bedeutende Summen bei. Gewib
darf ich hoffen, daß auch die Deutsche Zoologische Gesellschaft
sich nicht ausschließen wird, wo es sich darum handelt, ein Unter-
nehmen zur Durchführung zu bringen, das ihren vitalsten Interessen
so nahe steht.
Bericht des Delegierten der Deutschen Zoologischen Gesellschaft, Herrn
Prof. Dr. Kraepelin, über die Tätigkeit des Deutschen Ausschusses für
den mathematischen und den naturwissenschaftlichen Unterricht im
Jahre 1911.
Der Deutsche Ausschuß für den mathematischen und den
naturwissenschaftlichen Unterricht, zu dem nunmehr auch der
_ Deutsche Geographentag einen Delegierten stellt, hat im Bericht-
| erstattungsjahr zwei Plenarsitzungen abgehalten, beide in Berlin,
unter Teilnahme von Regierungsvertretern uud sonstigen geladenen
Gästen. Zur Beratung standen: Die Prüfungsordnung der Lehr-
_ amtskandidaten, die Errichtung besonderer Fachseminare für deren
Ausbildung, die Ausdehnung des biologischen Unterrichts auf die
‚oberen Klassen der höheren Schulen, der mathematisch-naturwissen-
Verh. d. Dtsch. Zool. Ges. 1912. 14
210
schaftliche Unterricht an den höheren Mädchenschulen, an den
Fortbildungsschulen, den Seminaren und Volksschulen. ;
In bezug auf die Lehramtsprüfung wurde eine Resolution
gefaßt, dahin gehend, daß „aus der allgemeinen Prüfung diejenigen
Bestandteile entfernt werden möchten, die nur eine Wiederholung
gewisser Teile des Abiturientenexamens darstellen“. |
Die Notwendigkeit der Einrichtung besonderer Fachseminare
für die praktische Ausbildung der Lehramtskandidaten in den natur-
wissenschaftlichen Disziplinen während des Seminarjahres soll in
einer besonderen Eingabe an das preußische Kultusministerium dar-
gelegt werden.
Da der Erlaß des preußischen Herrn Unterrichtsministers vom
4. November 1910, der zwecks Ausgestaltung des biologischen
Unterrichts in den Oberklassen zunächst an den Oberrealschulen
die Verwendung je einer Stunde des neusprachlichen Unterrichts
für Biologie gestattet, namentlich in den Kreisen der Neuphilologen —
lebhaften Widerspruch erfalıren hat, so sah sich der Deutsche Aus-
schuß genötigt, in einer ausführlich begründenden Eingabe an den
preußischen Herrn Unterrichtsminister die Bedenken der
Neuphilologen zurückzuweisen und die Bitte auszusprechen, den
biologischen Unterricht in den Oberklassen der Oberrealschulen
bei der endgültigen Regelung der Lehrpläne zu einem für alle
Anstalten verbindlichen zu machen. Der Herr Minister drückte
in seinem Antwortschreiben seine Befriedigung aus, daß der Erlaß
vom 4. November 1910 im wesentlichen den Wünschen des Deutschen
Ausschusses entsprochen habe.
Über den mathematisch-naturwissenschaftlichen Unterricht an
den Fortbildungsschulen ist im Auftrage des Deutschen Aus-
schusses und unter Mitwirkung seiner Mitglieder eine Denkschrift
von Prof. Tımerpme-Braunschweig im Druck erschienen. Weitere
Schriften über aktuelle Probleme der Lehrerbildung (Kreıv-Göttingen),
über die Vorbildung für das Studium der Medizin (v. Müruer-München),
über die Grundsätze der Volksschullehrerbildung (Mvrsesıus- Weimar)
sind ebenfalls vom Deutschen Ausschuß veranlaßt worden.
An der Tagung des Bundes für Schulreform in Dresden, der
Versammlung Deutscher Pädagogen und Schulmänner’in Posen, der
Hauptversammlung des Vereins zur Förderung des mathematisch-
naturwissenschaftlichen -Unterrichts in Münster, der Versammlung
Deutscher Naturforscher und Ärzte in Karlsruhe haben Mitglieder
des Deutschen Ausschusses tätigen Anteil genommen und dabei
dessen Ziele zu fördern gesucht. Für die diesjährige Tagung der
211
Gesellschaft Deutscher Naturforscher und Ärzte in Münster ist
eine erneute Darlegung der Bedeutung des naturkundlichen Unter-
richts für die Erziehung der Jugend in öffentlicher Sitzung in Aus-
sicht genommen.
Als Hauptarbeitsgebiet des Deutschen Ausschusses im Bericht-
erstattungsjahr ist die Ausgestaltung des mathematisch-naturwissen-
schaftlichen Unterrichts an den Volksschulseminaren zu be-
zeichnen. Umfangreiche Enqueten sind zur Feststellung der
‚tatsächlichen Verhältnisse ausgeführt, zahlreiche Sachverständige
zu Rate gezogen und eingehende Besprechungen gepflogen. Binnen
wenigen Wochen werden die Ergebnisse dieser Arbeiten, die auch
Richtlinien über die allgemeine Organisation der Seminare ent-
halten, im Druck vorliegen und hoffentlich einen auch für die
Regierungen wertvollen Beitrag zur Frage nach der Reform unseres
gesamten Lehrerbildungswesens darstellen.
Es folgte die Wahl des nächsten Versammlungsortes.
Eine Einladung des Herrn Prof. Dr. Schaumszanp and des Senats
von Bremen, die Gesellschaft möge ihre nächste Jahresversammlung
in Bremen abhalten, wurde einstimmig angenommen.
Ein Antrag des Bundes für Schulreform, die Gesellschaft
möge dem Bunde als korporatives Mitglied beitreten, wurde ab-
gelehnt.
Herr Prof. Braun (Königsberg) stellte den Antrag, die Gesell-
schaft möge für den „Nomenclator animalium generum et
subgenerum“ 3000 M. bewilligen. Nachdem er ihn begründet
hatte, legte der Schriftführer die finanzielle Lage der Gesellschaft,
wie folgt, dar:
„Die Einnahmen der Gesellschaft sind von 1903 bis April
1911 ziemlich gleich geblieben, denn 1903 haben sie 2529 M. und
1911 2633 M. betragen. Im letzten Jahr sind sie allerdings auf
3237 M. gewachsen, weil wir zum erstenmal eine Einnahme aus
dem Verkauf der Verhandlungen, nämlich von 526 M. gehabt haben.
Die Ausgaben betrugen dagegen 1903 2505 M., 1910 3045 M.
und 1911 sogar 3425 M., d. h., während die Einnahmen ziemlich
dieselben geblieben sind, sind die Ausgaben innerhalb 8 Jahren um
14*
mT
212
500 oder, wenn wir das letzte Jahr nehmen, um fast 900 M.
gewachsen. Sie haben im Jahre 1910 die Einnahmen um 828 M.
überschritten, im letzten Jahre trotz der neuen Einnahmen aus dem
Verkauf der Verhandlungen noch um 188 M.
Daß diese Überschreitung, ohne das Kapital anzugreifen,
gedeckt werden konnte, hat darin seinen Grund, daß wir im letzten
Jahrzehnt nicht mehr wie im ersten den Überschuß der Einnahmen
dem Kapital zugefügt, sondern zur Deckung der jährlichen Aus-
gaben verwandt haben. Ja, wir haben nicht einmal die 50- und
100-M.-Beiträge, mit denen sich Mitglieder von der Zahlung ihrer
jährlichen Beiträge abgelöst haben, dem Kapital überwiesen, weil
wir sie zur Bezalılung der Ausgaben notwendig hatten. {
Dieser Überschuß, der sogenannte „Kassenvorrat“, war früher
nur durch die die Ausgaben weit übertreffenden Einnahmen aus
den Mitgliederbeiträgen entstanden. Seit 1901 aber ist infolge
des Wachsens der Ausgaben dieser Überschuß aus dieser Quelle
nicht mehr, sondern nur dadurch entstanden, daß 1901 infolge
des Internationalen Kongresses in Berlin keine Verhandlungen
ausgegeben und dadurch die Ausgaben bedeutend geringer waren.
Dieser Kassenvorrat betrug 1903 noch 1086 M. und sank dann
infolge der Steigerung der Ausgaben im Jahre 1910 auf 299 M.
Wenn wir nicht infolge des Internationalen Kongresses in Graz
unsere Versammlung auf eine Geschäftssitzung beschränkt, sondern
auch Verhandlungen herausgegeben hätten, wären wir bereits 1911
unzweifelhaft gezwungen gewesen, zur Deckung unserer Ausgaben
unser kleines Kapital anzugreifen. Dank dem Ausfall der Kosten
der Verhandlungen hat sich jetzt der Kassenvorrat wieder auf
1747 M. gehoben, so daß wir bei sehr vorsichtiger Wirtschaft
wieder für eine Reihe von Jahren unsere Ausgaben decken können.
Wie unsicher aber unsere finanzielle Lage ist, zeigt folgende
genauere Betrachtung unserer Einnahmen. Ihr wichtigster Kern
wird zweifellos von den Zinsen unseres kleinen Kapitals von
11600 M. im Betrage von 416 M. gebildet, und ferner von den
Mitgliederbeiträgen. Wir gingen in das letzte Jahr mit 287 Mit-
gliedern, von diesen hatten sich 133 von der Zahlung der Beiträge
abgelöst, 134 zahlten 10 M. (= 1340 M.) und 20 nur 5 (= 100 M.).
Von diesen 1440 M. sind 180 M. rückständig und zum Teil wahr-
scheinlich als verloren zu betrachten. So haben wir z. B. im letzten
Jahre von 450 M. Rückständen 150 M. als uneinbringlich streichen
müssen.
213
Außer diesem Verlust ist ein anderer aber viel empfindlicher
und zeigt unsere ungünstige Lage. Im Laufe des letzten Jahres
hat sich die Zahl der lebenslänglichen, also nicht mehr zahlenden
Mitglieder um acht vermehrt, dagegen die Zahl der zahlenden
ordentlichen nur um zwei, d. h. also, dem Gewinn von 20 M. steht
ein Verlust von 80 M. gegenüber.
Die Zahl der Mitglieder hat sich von .1908 bis zum April
1912 nur um sieben vergrößert, also die Einnalımen in dieser Zeit
um 70 M., dagegen hat die Zahl der Mitglieder, die sich abgelöst
haben, um 26 vermehrt, das bedeutet einen Verlust von 260 M.,
und zwar einen völligen Verlust, weil sie ja nicht dem Kapital
zugefügt werden, sondern zur Deckung der jährlichen Ausgaben
dienen müssen.
Da dieses Verhältnis der sich ablösenden und der neu ein-
tretenden Mitglieder sehr wahrscheinlich in gleich ungünstiger
Weise sich weiter entwickeln wird, und dadurch die Einnahmen
| abnehmen, sicher nicht wachsen werden, die Ausgaben dagegen
_ ständig höher werden, so ist mit Sicherheit vorauszusagen, daß in
_ absehbarer Zeit die Einnahmen trotz der Hinzuziehung des Kassen-
| vorrats die jährlichen Ausgaben nicht mehr decken werden, und
| falls nicht durch Stiftungen, die sehr wünschenswert wären, das
Vermögen der Gesellschaft vergrößert wird, das kleine Kapital an-
| gegriffen oder die Beiträge erhöht oder auf andere Weise Abhilfe
geschaffen werden muß.
Meiner Ansicht nach kann sich die Gesellschaft pekuniär erst
dann gesichert halten, wenn sie ein Kapital von 40—50000 M. besitzt.
Aus den Darlegungen wird wohl jeder entnehmen, daß die
| größte Sparsamkeit notwendig ist und die Gesellschaft weder vom
Kapital noch von dem Kassenvorrat einen Teil zur Unterstützung
des „Nomenclator“ verwenden darf. Der Vorstand sieht sich des-
‚ halb zu seinem Bedauern gezwungen, die Ablehnung des Antrages
| Braun zu empfehlen.“
Es wurden alsdann folgende Anträge gestellt:
1. von Herrn Prof. Hesse (Berlin): „Den Vorstand zu ersuchen,
der nächstjährigen Versammlung Vorschläge vorzulegen,
wodurch die Beitragsleistungen abgeändert werden zur Er-
z\ielung größerer Einnahmen der Gesellschaft“;
2. von Herrn Prof. Jarken (Greifswald): „Die Deutsche Zoo-
logische Gesellschaft sieht sich mit Rücksicht auf ihre der-
zeitige Finanzlage trotz ihres lebhaften Interesses für den
\\
214
Fortgang des Unternehmens zurzeit nicht in der Lage, dem-
selben einen größeren Zuschuß zu bewilligen“; |
3. vom Vorstand: „Die Gesellschaft bedauert trotz ihrer vollen
Sympathie für das Unternehmen wegen der ungünstigen
finanziellen Lage der Gesellschaft eine Unterstützung des-
selben ablehnen zu müssen“.
Herr Prof. Krarreuın (Hamburg) bemerkt: „Da die Finanz-
lage unserer Gesellschaft die materielle Unterstützung des Nomen-
clator leider auszuschließen scheint, so möchte ich darauf hin-
weisen, daß doch jeder einzelne von uns sehr wohl in der Lage
ist, das so wichtige Unternehmen wirksam zu fördern, indem er
nämlich seine Arbeitskraft unentgeltlich in den Dienst desselben
stellt. Ich möchte befürworten, daß die Mitglieder von diesem
Modus recht ausgiebigen Gebrauch machen.“
Nachdem Herr Prof. Braun nochmals seinen Antrag befür-
wortet und besonders hervorgehoben hatte, daß durch Werben
neuer Mitglieder der Verlust an Einnahmen, der durch die Unter-
stützung des Nomenclator eintreten würde, ausgeglichen werden
könnte, und der Schriftführer hiergegen seine Bedenken geäußert
und den Antrag des Vorstandes empfohlen hatte, wurden die An-
träge Braun, Hesse und Jarxen abgelehnt und der des Vorstandes
angenommen. |
Die Beratung über das Prioritätsgesetz, welche den nächsten Punkt
der Tagesordnung bildete, wurde vom Schriftführer mit folgendem
kurzen Referat über die Vorarbeiten des Vorstandes in dieser Frage
eingeleitet:
Als vor 11 Jahren auf dem Internationalen Kongreß in Berlin
die jetzt geltenden Nomenklaturregeln angenommen wurden, war
der größte Teil der Zustimmenden wohl von der Hoffnung erfüllt,
daß nun Ruhe, Ordnung und Sicherheit in der Nomenklatur ein-
treten würde. Heute aber werden wohl nur sehr wenige sich finden,
die nicht zugestehen werden, daß diese Hoffnung nicht erfülltist. Im
Gegenteil! Verwirrung und Unsicherheit haben sich als Folgen
besonders der strengen Durchführung des Prioritätsgesetzes ergeben,
und zwar in vielen Fällen derart, daß man sich mit den vulgären
Namen besser verständigen kann als mit den wissenschaftlichen.
Von den verschiedensten Seiten wird immer häufiger in mehr oder
weniger scharfer Weise der Unzufriedenheit Ausdruck gegeben, an
eindrucksvollsten in dem Protest fast aller skandinavischen und
finnischen Forscher unter der Führung des Herrn Kollegen
215
Morrensen, den wir zu unserer Freude heute hier unter uns be-
grüßen können. Dieser Protest hat auch den Vorstand unserer Gesell-
schaft veranlabt, in dieser wichtigen Frage die Führung zu über-
nehmen. Es mußte uns zunächst darauf ankommen, Klarheit über
die Stimmung der deutschen Zoologen zu gewinnen. Wenn wir
auch weit entfernt sind, das Resultat, das unsere Aufforderung zu
einer Erklärung im Zoologischen Anzeiger gehabt hat, als maß-
gebend für die ganze deutsche Zoologie zu betrachten, so war doch
die Mehrheit der gegen die strenge Durchführung des Prioritätsgesetzes
Protestierenden eine so große, nämlich 122 gegen 10, daß wir be-
rechtigt waren, die Frage auf die Tagesordnung der diesjährigen
Versammlung zu setzen. Wir waren uns aber von vornherein
darüber klar, daß wir uns nicht auf einen einfachen Protest be-
schränken und das Weitere der Internationalen Nomenklatur-
kommission überlassen durften, sondern Vorschläge machen mußten,
welche unsere Wünsche klar zum Ausdruck bringen und die
Härten der Nomenklaturregeln, besonders der strengen Durch-
führung des Prioritätsgesetzes beseitigen helfen. Es schien dieses
uns auch deshalb wünschenswert, damit die Diskussion heute
nicht ins Uferlose verlaufe, sondern in bestimmte Richtungen
geleitet werde.
Die Aufgabe, die wir uns gestellt hatten, war keine leichte.
Dank der kräftigen Unterstützung der Herren Kollegen Cuvn,
DöpeErLem, HARTMEYER, Krarpeuın, Marscurtn, Morrensen, PFEFFER,
Res, Retcuenow, SPENGEL, ZıseLer, des Botanikers Dr. Harms und
anderer glauben wir gangbare Wege gefunden zu haben.
Das Ziel mußte sein, die schlimmsten Härten zu beseitigen
oder wenigstens zu mildern, das sind die Beseitigung der allgemein
eingebürgerten, besonders im Unterricht gebräuchlichen Gattungs-
und Artnamen und die Übertragung von Namen auf andere Gattungen
und Arten, wodurch die größte Konfusion entstehen muß. Diese
Schäden entstehen einmal dadurch, daß man auf Grund des Prioritäts-
gesetzes alle Namen darauf zu revidieren begann, ob sie auch die
ältesten sind, weiter, daß man dadurch gezwungen wurde, auf Linne
und andere ältere Werke zurückzugreifen, in denen keine klaren,
| sondern der subjektiven Deutung den größten Spielraum lassenden
_ Beschreibungen enthalten sind, und endlich, daß man gänzlich un-
bekannt gebliebene, nie in der wissenschaftlichen Systematik gültig
gewesene, zum Teil völlig unwissenschaftliche Werke auszugraben
begann und sie gleich oder gar höher als die grundlegenden Arbeiten
unserer besten Forscher bewertete.
216
Wir dachten zunächst daran, einen Verjährungsparagraphen
vorzuschlagen, haben aber den (sedanken, ebenso wie die Botaniker, —
als schwer durchführbar und nur zu neuen Schwierigkeiten Anlaß
gebend, fallen gelassen. Einerlei ob man den Paragraphen so faßt,
daß ein Name, der 50 Jahre oder einen anderen Zeitraum lang
bestanden hat, gültig sein soll, oder so faßt, daß ein Name, —
der 50 Jahre lang nach seiner Aufstellung nicht berücksichtigt ist,
fallen soll, immer ergibt ein weiteres Durchdenken zu große
Schwierigkeiten oder führt sogar zu solchen Ergebnissen, die wir
gerade als nicht erwünscht beseitigen wollen.
Noch weniger gangbar war der Weg, ein bestimmtes Jahr,
etwa 1830 als Ausgangspunkt statt 1758 festzusetzen, weil die
systematische Durcharbeitung der verschiedenen Tiergruppen zu
ungleichzeitig erfolgt ist. Wenn man andere Daten als 1758 als
Ausgangspunkte wählen will, so wäre es besser Linne’s XII. Auf- —
lage statt der X. zu bestimmen und noch vernünftiger, für jede
Gruppe, wenigstens der Wirbellosen andere spätere Werke als
Linnt’s Systema Naturae zu wählen, in denen die erste grundlegende
Durcharbeitung erfolgt ist. Dieser Weg ist auf dem letzten Inter-
nationalen Botaniker-Kongreß in Brüssel vorgeschlagen und
angenommen worden. Wenn wir ihn nicht beschritten haben, so
liegt es daran, daß in der Zoologie die Durchführung dieses ©
Gedankens viel schwieriger ist, weil kaum ein Werk so gleichmäßig
in allen Teilen durchgearbeitet sein dürfte, daß es als Grundlage
für die ganze Gruppe gelten könnte, und weiter, daß es sich wenig
empfiehlt, jetzt, nachdem bereits mehr als ein Jahrzehnt nach den ~
neuen Nomenklaturregeln gearbeitet ist, noch eine so weitgehende —
Änderung vorzunehmen. Es bestimmte uns weiter noch die Er-
kenntnis, daß es noch einen anderen Weg gibt, der auch zu dem ~
erstrebten Ziele führt, und zwar in eindeutiger, klarer Weise. Das
ist der Weg, den die Botaniker zuerst auf dem Internationalen
Kongreß in Wien beschritten haben und den sie trotz der Fest-
setzung anderer Ausgangsdaten auch noch in Brüssel als bewährt
und notwendig beibehalten haben, nämlich für jede Gruppe eine
Liste von Gattungsnamen aufzustellen, die unter keinen Umständen,
auch wenn sie nicht dem Prioritätsgesetz entsprechen, verändert
werden dürfen. Wir haben ferner noch drei andere Vorschläge als
notwendig erachtet, doch will ich, bevor ich darauf eingehe, noch
kurz einige andere erwähnen, die von anderen Seiten dem Vorstande
eingesandt worden sind. Der Vorschlag von F. E Scauzze, den ~
alten Namen hinter den revidierten, nach dem Prioritätsgesetz
217
gültigen in Klammern zu setzen, konnte für uns nicht in Betracht
kommen, weil er die strenge Durchführung des Gesetzes, gegen die
wir uns gerade wenden wollen, beibehält.
Das gleiche gilt von den beiden ersten Vorschlägen der öster-
reichischen Zoologen. Wir können alle diesen Vorschlägen zustimmen,
aber es scheint mir nicht vorteilhaft, sie mit den unsrigen, die viel
weiter gehen, zu vermengen. Besonders möchte ich empfehlen, den
dritten Vorschlag durch ihre Unterschrift zu unterstützen, der sich
gegen den sonderbaren Beschluß der Internationalen Nomenklatur-
kommission wendet, einen Antrag auf Abänderung der Nomenklatur-
gesetze nur dann vor das Plenum des Internationalen Kongresses
zu bringer, wenn alle auf dem Kongreß anwesenden Mitglieder der
Kommission dem Antrag zustimmen.
v. Ikerıng empfiehlt außer dem Ausschluß von Händler- und
wertlosen Sammlungskatalogen und außer der Festsetzung von
Lamarcr’s Hauptwerk als Ausgangspunkt für die Mollusken (nach
einem früheren Vorschlage von v. Marrens) „die Errichtung eines
ständigen besonderen Instituts mit gut dotierten Fachmännern“, das
an Stelle der Internationalen Nomenklaturkommission zu treten habe.
Was nun unsere Vorschläge betrifit, so hatten wir zunächst
die Fassung gewählt, welche Ihnen mit der Einladung dieser Ver-
sammlung übersandt wurde und gedruckt Ihnen vorliegt, nämlich
folgende:
Anträge betreffend Einschränkung des Prioritätsgesetzes.
§ 1. Die in der angefügten Liste (Nr. 1) enthaltenen Gattungs-
und Artnamen unterliegen nicht dem Prioritätsgesetz, dürfen niemals
abgeändert oder auf andere schon bekannte und benannte Gattungen
und Arten übertragen werden.
Von besonderen Kommissionen ist diese Liste von allgemein
eingebürgerten und besonders im Unterricht gebräuchlichen Gattungs-
_ und Artnamen fortdauernd zu ergänzen, und dem Internationalen
| Zoologenkongreß sind die Ergänzungen zur Annahme vorzulegen.
Als Unterlage mag die Liste Nr. 21) dienen, deren Namen nur
| aus dringenden, sachlichen, nicht aus reinen Prioritätsgründen ab-
| geändert werden sollten.
§ 2. Die Übertragung eines Gattungs- oder Artnamens auf
eine andere bereits bekannte und benannte Gattung oder Art ist
!) Die Liste Nr. 2, die nur eine große Zahl von Namen bekannter Gattungen.
ohne nähere Bestimmung enthält, ist hier als belanglos fortgelassen.
218
unzulässig. Ergibt sich für andere als in der Liste des § 1 auf-
geführte Gattungen und Arten die Notwendigkeit auf Grund des
Prioritätsgesetzes, daß eine solche Übertragung stattfinden müßte, so
muß der Name für die Gattung oder Art A, die ihn mit Unrecht
trägt, durch einen neuen ersetzt werden, der. Name aber der anderen —
Gattung oder Art B, der der Name der ersteren (A) zukommen —
müßte, muß unverändert bleiben.
Dieser Paragraph hat rückwirkende Kraft.
§ 3. Ergibt sich der Zusammenhang zwischen einer Larve —
und einem geschlechtsreifen Tier, welche beide bereits bekannt und
benannt sind, so ist der Name des geschlechtsreifen Tieres für die
Gattung und Art beizubehalten, nicht der der Larve, auch wenn
letzterer älter sein sollte. So z. B. muß es Conger vulgaris, nicht
Leptocephalus conger, Phoronis (nicht Actinotrocha) heißen.
§ 4. Folgende Werke sind bei der Feststellung der Priorität
eines Gattungs- oder Artnamens nicht zu berücksichtigen: :
1. P. H. G. MOEHRING, Geschlechten der Vogeln, Avium genera. Uber-
setzt von NOZEMAN. Amsterdam 1758. ;
. GISTEL, Naturgeschichte des Tierreichs für höhere Schulen. 1848.
3. J. G. MEIGEN, Nouvelle classification des mouches a deux ailes
(Diptera L.). Paris 1800. {
4. J. L. FRISCH, Das Natur-System der vierfüßigen Tiere. Glogau 1775.
5. A. D. Brisson, Regnum animale in Classes IX distıiib. Lugduni
Batavorum 1762.
6. M. TH. BRÜNNICH, Zoologiae Fundamenta praelectionibus academieis —
accommodata. Hafniae et Lipsiae 1772.
7. L. T. GRonovivs, Zoophylacii Gronoviani Fasciculus 1. exhib. animalia
quadrupeda, amphibia ete. Lugduni Bat. 1763.
8. L. T. GRonovius, Zoophylacium Gronovianum exhibens animalia
quadrupeda, Amphibia, Pisces ete. Lugduni Batav. 1781.
9. GEOFFROY, Histoire abregée des Insectes qui se trouvent aux environs
de Paris, 1762. 1
10. Museum Calonnianum, 1797.
11. L. v. OKEN, Lehrbuch der Naturgeschichte, 3 Th., 1816.
Diese Liste ist zu ergänzen.
§ 5. Alle Enzyklopädien, Reisewerke, Jagdzeitungen, Kataloge,
Gärtnerzeitschriften, landwirtschaftliche Veröffentlichungen, Unter-
haltungs- und politische Zeitschriften, Zeitungen und ähnliche nicht- .
wissenschaftliche Veröffentlichungen, welche keinen wesentlichen
Einfluß auf die wissenschaftliche Systematik gehabt haben und von
dieser so gut wie nicht berücksichtigt sind, dürfen bei der Fest -
stellung der Priorität nicht berücksichtigt werden. Geschieht es
doch, so ist die Internationale Nomenklaturkommission verpflichtet,
XD
219
für diese Werke auf dem nächsten Internationalen Zoologenkongreß
ihre Ungiiltigkeit zu beantragen.
Kurze Begründung der Vorschläge.
Zu 1—3. Diese Einschränkung der Gültigkeit des Prioritäts-
gesetzes erscheint dringend notwendig, soll nicht die größte Ver-
wirrung eintreten und das systematische wie tiergeographische
Arbeiten und der Unterricht außerordentlich erschwert werden.
Besonders wenn erst die Gruppen der niederen Tiere revidiert werden,
sind die absonderlichsten Umgestaltungen und die größte Konfusion
zu erwarten, wie die beigegebene Liste für die Cnidarier, Echino-
dermen u. a. schon an einigen Beispielen zeigt.
Zu 4. Diese Werke sind aus folgenden Gründen auszuschalten:
1. Durch Mornrine’s Werk werden eine große Zahl von Namen
von bekannten Vögeln geändert oder vertauscht, z. B. soll
Caswarius== Cela, Plotus=Piynx, Phalacrocorax=Graculus,
Fregata = Atagen, Fratercula = Spheniscus, Spheniscus=
Dypsicles, Catarractes = Eudyptes, Ibis = Threskiornis,
Ciconia=Melanopelargus, Balearica = Ciconia, Crex = Orty-
gometra, Didus = Raphus, Buteo=Craxirex, Palaeornis—
Buteo usw. werden.
2. Gister hat in seinem Werke nicht nur willkürlich alte Namen
geändert, sondern auch neue Gattungen aufgestellt. Besonders
bei der Aufteilung von Gattungen kann es in schlechtem
Sinne bedeutungsvoll werden.
3. Durch die Annahme von Mricen’s Arbeit würden nicht weniger
wie 57 Namen von bekannten Dipterengattungen, die zum
größten Teil von Mxteen selbst drei Jahre später aufgestellt
und allgemein eingebürgert sind, geändert werden müssen,
so z. B. Ctenophora in Flabellifera, Trichocera in Petaurista,
Macrocera in Euphrosyne, Mycetophila in Fungivora, Scvara
in Lycoria, Tanypus in Pelopia, Ceratopogon in Helea,
Cecidomyiain Itonida, Haematopotain Chrysorona, Dolichopus
in Iphis, Scatophaga in Scopeuma, Tachinain Larvaevora usw.
9. Aus ähnlichem Grunde wie 3. ist Grorrroy’s Werk 1702
abzulehnen.
4.—8., 10., 11. sind Werke, in denen nach der Ansicht der meisten
die binäre Nomenklatur nicht durchgeführt ist und die deshalb
nicht für die Priorität in Betracht kommen dürften, von
andern aber anders beurteilt und berücksichtigt werden. Um
Klarheit zu schaffen, sind sie deshalb gänzlich auszuschalten.
220
Zu 5. Durch diesen Vorschlag soll das Ausgraben unbekannter
und meist wissenschaftlich wertloser Bücher, die am meisten Ver-
wirrung herbeiführen können, verhindert werden.
Werden sie nicht
ausgeschlossen, so kann es geschehen, daß völlig unbekannte, wissen- —
schaftlich minderwertige Arbeiten auf gleiche Stufe mit den Arbeiten
von Forschern gestellt werden, die die Grundlage für unsere wissen-
schaftliche Systematik gelegt haben.
Liste Nr. 1.
(In Klammern stehen die Namen, welche nach dem Prioritätsgesetz an Stelle der allgemein
eingebürgerten zu setzen sind.)
Mammalia.
Alces (nicht Alce).
Anthropopithecus (nicht Simia).
A. troglodytes (nicht Simia satyrus).
Arctomys (nicht Marmota).
Auchenia (nicht Lama).
Callithrix (nicht Callicebus).
Cariacus (nicht Odocoileus).
Cercolabes (nicht Coendu).
Cercoleptes (nicht Potos).
Cercopithecus (nicht Lasiopyga).
Chiromys (nicht Daubentonia).
Chrysothrix (nicht Saimiri).
Coelogenys (nicht Agouti).
Crocidura aranea (nicht C. russula).
Crossopus (nicht Neomys).
Cynocephalus (nicht Chaeropithecus).
Dicotyles (nicht Tayassu).
Dipus (nicht Jaculus).
Echidna (nicht Tachyglossus).
Galeopithecus (nicht Cynocephalus).
Halicore (nicht Dugong).
Hapale (nicht Callithrix oder Cerco-
pithecus).
Herpestes (nicht Mungos).
Hypsiprymnus (nicht Potorous).
Hyrax (nicht Procavia).
Inuus (nicht Macaca).
I. sylvanus (nicht Macaca inuus).
Lagostomus (nicht Viscaccia).
Lemur (nicht Procebus).
Lepus timidus (nicht L. europaeus).
Lepus variabilis (nieht L. timidus).
Manatus (nicht Trichechus).
Mustela vulgaris (nicht Ictis nivalis).
Mycetes (nicht Alouatta).
Mygale (nicht Desmuna).
Myopotamus (nicht Myocastor).
Nycticebus (nicht Lemur).
Nyctipithecus (nicht Aotes).
Pedetes (nicht Yerbua).
Rytina (nicht Hydrodamalis).
R. stelleri (nicht H. gigas).
Simia (nicht Pongo).
S. satyrus (nicht P. pygmaeus).
Stenops (nicht Lemur).
S. gracilis (nicht L. tardigradus).
Synotus (nicht Barbastella).
Trichechus (nicht Rosmarus).
Vespertilio (nicht Myotis).
V. murinus (nicht M. myotis).
Vesperugo (nicht Vespertilio).
V. discolor (nicht Vespertilio murinus).
Aves.
Chelidon (nicht Hirundo).
Cypselus (nicht Apus).
Hirundo (nicht Chelidon).
Luscinia (nicht Aedon).
L luscinia (nicht Aedon megarhynchus).
L. philomela (nicht Aedon luscinia).
Otus vulgaris (nicht Asio otus).
Pisorhina scops (nicht Otus scops). |
Pratincola rubetra (nicht Saxicola ru-
betra).
Sazxicola saxatilis (nicht Oenanthe saxa-
tilis).
Strix flammea (nicht Tyto alba).
Syrnium aluco (nicht Strix aluco).
Totanus calidris (nicht Tringa calidris). —
Tringa alpina (nicht Erolia alpina).
Turdus iliacus (nicht 7. musicus).
Turdus musicus (nieht T. »hilomelos).
221
Reptilia.
Coluber (nicht Elaphe).
C. flavescens (nicht E. flavescens).
Dermochelys (nicht Sphargis).
Trionyx (nicht Amyda).
Tropidonotus (nicht Natrix).
Vipera (nicht Coluber).
V. berus (nicht Coluber berus).
Amphibia.
Bombinator (nicht Bombina).
B. igneus (nicht B. bombinus).
Bufo vulgaris (nicht Bufo buf»).
Rana agilis (nicht R. dalmatina).
Rana mugiens (nicht R. catesbyana)
Rhacophorus (nicht Polypedates).
Salamandra maculosa (nicht S. sala-
mandra).
Triton (nicht Molge, nicht Triturus).
T. eristatus (nicht Molge palustris).
Pisces.
Acanthias vulgaris
acanthias).
Amia (nicht Amiatus).
Amphioxus (nicht Branchiostoma).
Bdellostoma (nicht Heptatrema).
Belone (nicht Ramphistoma).
Carcharias (nicht Prionace).
Clupea finta (nicht Clupea alosa).
Conger vulgaris (nicht Leptocephalus
conger).
Dactylopterus (nicht Cephalacanthus).
Engraulis (nicht Stolephorus).
Glyphidodon (nicht Abudefduf).
Lepidosteus (nicht Lepisosteus).
Lueioperca (nicht Stizostedium).
Molva (nicht Molua).
Ostracion (nicht Lactophrys).
Rhombus (nicht Bothus).
Scopelus (nicht Myctophum).
Spinax (nicht Etmopterus).
S. niger (nicht Etmopterus spinax).
Tetrodon (nicht Lagocephalus).
Thynnus (nicht Orcynus).
Trygon (nicht Dasyatis).
Zoarces (nicht Enchelyopus).
(nicht Squalus
Tunicata.
Cyclosalpa (nicht Holothuria).
Salpa (nicht Dagysa).
Lepidoptera.
Cossus (nicht Trypanus).
Hyponomeuta (nicht Yponomeuta).
H. evonymi (nicht Y. cognatellus).
H. padi (nicht Y. evonymellus).
H. variabilis (nicht Y. padellus).
Coleoptera.
Anobium (nicht Byrrhus).
Bruchus (nicht Mylabris, nicht Laria).
Byrrhus (nicht Cistela).
Cantharis (nicht Lytta).
Clerus (nicht Thanasimus).
Clytra (nicht Melolontha).
Hydrophilus (nicht Hydrous).
Hydrous (nicht Hydrophilus).
Lina (nicht Melanosa).
Lucanus (nicht Platycerus),
Mylabris (nicht Zonubris).
Myrmedonia (nicht Zyras).
Ptinus (nicht Bruchus).
Telephorus (nicht Cantharis).
Hymenoptera.
Anthophora (nicht Podalrius).
Apis mellifica (nicht A. mellifera).
Diptera.
Corethra plumicornis (nicht Sayomyia
plumicornis).
Mochlonyx velutinus (nicht Corethra
velutina).
Orthoptera.
Periplaneta (nicht Stylopyga).
Stenobothrus (nicht Chortippus).
Rhynchota.
Coccus (nieht Dactylopius).
Dactylopius (nicht Pseudococcus).
Lecanium (nicht Coccus).
Mytilaspis (nicht Lepidosaphes).
Phylloxera vastatrix (nicht Peritymbia
vitifoliae).
222
Arachnoidea.
Epeira (nicht Araneus).
Phrynus (nicht Phrynichus).
Phytoptes (nicht Eriophyes).
Crustacea.
Apus (nicht Triops).
Astacus fluviatilis (nicht Potamobius
astacus).
Homarus vulgaris (nicht Astacus gam-
marus).
Pantopoda.
Phoxichilus (nicht Phalangium).
Nemertini.
Carinella (nicht Tubulanus).
Eunemertes (nicht Einplectonema).
Polia (nicht Baseodiscüs).
Oligochaeta.
Allolobophora (nicht Helodrilus).
Phreoryctes (nicht Hapıotaxis).
Hirudinea,
Aulastomum (nicht
sanguisuga).
Clepsina (nicht Glossiphonia).
gulo Haemopis
Turbellaria.
Derostoma (nicht Phaenocora).
Gunda (nicht Procerodes).
Vortex (nicht Dalyellia).
Cestodes.
Gyrocotyle (nicht Amphiptyches).
Nematodes,
Eustrongylus (nicht Dioctrophryne).
Trichina (nieht Trichinella).
Mollusca.
Achatinella (nicht Helicter).
Anodonta (nicht Anodontites).
Cyclas (nicht Sphaerium).
Hyalaea (nicht Cavolinia).
Octopus (nicht Polypus).
Philonexis (nicht Tremoctopus).
Solarium (nicht Architectonia).
Unio (nicht Lymnium).
Brachiopoda.
Terebratula (nicht Liothyrina‘.
Echinoderma.
Colochirus (nicht Actinia).
Holothuria (nicht Bohadschia).
Moira (nicht Echinocardium).
Schizaster (nicht Spatangus).
Spatangus (nicht Prospatangus).
Strongylocentrotus (nicht Echinus).
Prochordata.
Phoronis (nicht Actinotrocha). |
Cnidariz.
Actinia (nicht Priapus).
Amphihelia (nicht Madrepora).
Gorgonia (nicht Eunicella).
Hydra fusca (nicht H. oligactis).
Hydra grisea (nicht H. vulgaris).
Hydra viridis (nicht H. viridissima).
Physalia (nicht Holothuria).
Rhipidogorgia (nicht Gorgonia).
Rhizostoma (nicht Pilema).
Sympodium (nicht Erythropodium).
Die Herren Kollegen Dönerram, KrRAEPELIN, MORTENSEN, SPENGEL
und Zrecuer haben mit mir gestern die Vorschläge nochmals gründ-
lich durchberaten, und wir haben uns auf folgende neue Fassung
geeinigt:
Die unterzeichneten Zoologen stellen folgende Anträge, die
das Prioritätsgesetz einschränken sollen, und ersuchen, sie vor das
Plenum des IX. Internationalen Zoologenkongresses zu bringen.
223
Anträge.
§ 1. Nach dem Beispiel der Botaniker sind Listen von Gattungs-
namen aufzustellen, die dem Prioritätsgesetz nichtunterliegen sollen, nie-
mals abgeändert oder auf andere Gattungen übertragen werden dürfen.
Diese Listen sind von besonderen Kommissionen fortdauernd
zu ergänzen.
In erster Linie haben sie diejenigen Gattungsnamen zu ent-
halten, welche vor 1900 eingebürgert waren und besonders im
Unterricht gebräuchlich sind. | ;
Als Beispiel für die aufzunehmenden Namen möge die folgende
kleine Liste dienen:
Mammalia.
Anthropopithecus: Schimpanse (nicht
Simia: Orang).
Cercolabes (nicht Coendu).
Caelogenys (nicht Agouti).
Cynocephalus (nicht Chaeropithecus).
_ Dieotyles (nicht Tayassus).
Echidna (nicht Tachyglossus).
Galeopithecus (nicht Cynocephalus).
Lemur (nicht Procebus).
Manatus: Seekuh (nicht Trichechus:
Walroß).
Mycetes (nicht Alouatta).
Pedetes (nicht Yerbua).
Rytina (nicht Hydrodamalis).
Trichechus: Walroß (nicht Odobaenus
oder Rosmarus).
Aves.
Cypselus (nicht Apus).
Reptilia,
Coluber (nicht Elaphe).
Trionyx (nicht Amyda).
Tropidonotus (nicht Natrix).
Vipera (nicht Coluber).
Amphibia,
‚ Triton (nicht Molge oder Triturus).
Pisces.
Amia (nicht Amiatus).
Bdellostoma (nicht Heptatrema).
Conger (uicht Leptocephalus).
Tunicata.
Cyclosalpa (nicht Holothuria).
Salpa (nicht Dagysa).
Hymenoptera.
Anthophora (nicht Podalirius).
Orthoptera.
Periplaneta (nicht Stylopyga).
Crustacea.
Apus (nicht Triops).
Astacus (nicht Potamobius).
Daphnia (nicht Daphne).
Homarus (nicht Astacus).
Hirudinea.
Clepsine (nicht Glossiphonia).
Mollusca.
Octopus (nicht Polypus).
Unio (nicht Lymnium).
Brachiopoda.
Terebratula (nicht Liothyrina).
Echinoderma.
Colochirus (nicht Actinia).
Holothuria (nicht Bohadschia).
Moira (nicht Echinocardium).
Schizaster (nicht Spatangus).
Spatangus (nicht Prospatangus).
Strongylocentrotus (nieht Echinus).
Prochordata.
Phoronis (nicht Actinotrocha).
Cnidaria.
Actinia (nicht Priapus).
Physalia (nieht Holothuria).
224
§ 2. Die Übertragung eines Gattungs- oder Artnamens auf
eine andere Gattung oder Art ist unzulässig, wenn sie dauernd zu
Verwirrung und Irrtümern Anlaß bietet. /
§ 3. Bei der Feststellung der Priorität sind gewisse Werke
nicht zu berücksichtigen, z. B.: |
1. P.H. G. MOEHRING, Geschlechten der Vogeln, Avium genera. Über-
setzt von NOZEMANN. Amsterdam 1758.
2. GISTEL, Naturgeschichte des Tierreichs für höhere Schulen. 1848.
3. J. G MEIGEN, Nouvelle classification des mouches 4 deux ailes (Diptera
l.). Paris 1800.
4. J. L. FRISCH, Das Natur-System der vierfüßigen Tiere. Glogau 1775.
5. A. D. BRISSON, Regnum animale in Classes IX distrib. Lugduni
~ Batavorum 1762. 7
6. M. Th. BRUNNICH, Zoologiae Fundamenta praelectionibus academicis
accommodata. Hafniae et Lipsiae 1772.
7. L. T. GRONoVIUS, Zoophylacii Gronoviani Fasciculus 1. exhib. animalia
quadrupeda, amphibia etc. Lugduni Bat. 1763. 7
8. L. T. GRoNOVIUS, Zoophylacium Gronovianum exhibens animalia qua- —
drupeda, Amphibia, Pisces ete. Lugduni Batav. 1781.
9. GEOFFROY, Histoire abregée des Insectes qui se trouvent aux environs -
de Paris, 1762. z
10. Museum Calonnianum, 1797.
ll. Museum Geversianum, Rotterdam 1787.
12. L. v. OKEN, Lehrbuch der Naturgeschichte, 3. Th., 1816.
Diese Liste ist von den Kommissionen zu ergänzen.
§ 4. Ebensowenig kommen bei der Feststellung der Priorität“
in Betracht: Angaben in Enzyklopädien, populären Reisewerken,
Jagd- und Fischereizeitungen, Katalogen, Gärtnerzeitschriften, land-
wirtschaftlichen Veröffentlichungen, Unterhaltungs- und politischen
Zeitschriften, Zeitungen und ähnlichen nichtwissenschaftlichen Ver-
öffentlichungen, welche keinen wesentlichen Einfluß auf die wissen-
schaftliche Systematik gehabt haben und von dieser so gut wie
nicht berücksichtigt sind. |
Zu diesen Vorschlägen bemerke ich noch folgendes. Der § 1
ist unserer Überzeugung nach der einzige klare, sicher zum Ziel,
d. h. zur Erhaltung der allgemein eingebürgerten Namen führende
Weg, vorausgesetzt, daß in die Kommissionen solche Zoologen
gewählt werden, welche die gleichen Ziele wie wir verfolgen. Da
unsere Liste, die wir den Vorschlägen beigegeben haben, noch zu
wenig durchgearbeitet war, weil uns die Zeit fehlte, und sie auch
in erster Linie nur dazu dienen sollte, zu zeigen, wohin die strenge
Durchführung des Prioritätsgesetzes bereits geführt hat, so haben
wir uns entschieden, nur eine sehr kleine Liste von Gattungsnamen
225
beizugeben und uns nur auf die Gattungsnamen zu beschränken;
die weitere Vervollständigung müssen wir den Kommissionen, die
wir fordern, überlassen.
Der § 2 soll die schlimmsten Wirkungen beseitigen. Denn wie
die Beispiele zeigen, müssen Übertragungen von Gattungs- und Art-
namen zu der größten Konfusion führen und das systematische und
tiergeographische Arbeiten sowie den Unterricht äußerst erschweren.
Da durch diese neue Fassung des $ 2 auch die Übertragung eines
Gattungsnamens auf eine Larve mit getroffen wird, so ist unser
früherer § 3, der diese Fälle besonders behandelte, überflüssig
geworden.
§ 3 und § 4 sind im wesentlichen gleich geblieben. Der im
§ 3 vorgeschlagene Modus des Ausschlusses von bestimmten Werken,
welche nur Verwirrung anrichten können, erscheint ebenso wie die
Aufstellung von Listen klar und sicher zum Ziel führend. Nur
auf diese Weise ist es möglich, solche Werke unschädlich zu machen.
Das Beispiel, das am besten die üblen Folgen darlegt, wenn der
Paragraph nicht eingeführt wird, ist wohl Mexıcev’s Werk 1800.
Durch die Annahme dieser bis vor kurzem völlig vergessenen und
überhaupt nur noch in wenigen Exemplaren vorhandenen Arbeit
würden nicht weniger als 57 Namen von bekannten Dipteren-
gattungen, die zum größten Teile derselbe Forscher drei Jahre
später aufgestellt hat, und die allgemein eingebürgert sind, geändert
werden müssen! |
Einen gleichen Unfug — anders kann man es nicht bezeichnen —
würde Mornrıg’s Werk anrichten. Guster/s Werk ist ein ganz
minderwertiges Werk, in dem willkürlich Namen geändert sind,
und das bei der Aufteilung der Gattungen in schlechtem Sinne
bedeutungsvoll werden kann. Die andern Werke sind solche, in
denen nach der Ansicht der meisten die binäre Nomenklatur nicht
durchgeführt ist, und die deshalb für die Priorität nicht in Betracht
kommen dürften, von andern aber anders beurteilt und berück-
sichtigt werden. Um Klarheit zu schaffen, sind sie deshalb gänzlich
auszuschalten.
Der § 4 ist eine Ergänzung zum § 3 und soll das Ausgraben
von wertlosen Arbeiten zur Feststellung älterer Namen verhindern,
wodurch meist völlig wertlose, unwissenschaftliche Arbeiten auf
gleiche oder sogar höhere Stufe gestellt werden als Arbeiten unserer
| besten Forscher, die die Grundlage für unsere wissenschaftliche
| Systematik gelegt haben. Wie notwendig der Paragraph ist, möge
‘Ihnen folgende Äußerung in einer Schrift von F. E. Scrunze über
Verh. d. Dtsch. Zool. Ges. 1912. 15
N
226
das Tierreich (Sitz.-Ber. der Pr. Akad. Wiss. 1912 p. 5) zeigen:
„Nomenklatorisch völlig gültige Namen, wie sie in den verschieden-
artigsten Publikationen, in Reisewerken, in Forst- und Jägerblättern,
in Landwirts-, Gärtner-, Fischerei- und Unterhaltungsblättern, ja
sogar in politischen Zeitungen versteckt und oft schwer zugänglich
sich finden, müssen sorgfältig aufgesucht und gewertet werden.
Ferner muß mit Sicherheit angenommen werden, daß in solchen
wenig bekannten und schwer erhältlichen Schriften vergangener
Jahrzehnte und Jahrhunderte noch Namen verborgen sind, die, ans
Licht gezogen, wesentliche Änderungen in der zoologischen Nomen-
klatur bewirken werden.“ Wenn wir dieses Ausgraben nicht ver-
hindern, werden wir niemals zur Ruhe kommen. a
Wir sind uns bei der Aufstellung unserer Vorschläge bewußt
gewesen, daß eine Besserung der jetzigen verworrenen Zustände
in der Nomenklatur nicht ohne Einschränkung des Prioritäts-
gesetzes möglich ist. Wir Konnten uns aber von diesem Schritt
nicht durch die Einwände, die gewöhnlich gemacht werden, ab-
halten lassen, nämlich durch den, dab Gesetz Gesetz ist, an dem —
man nicht ändern darf, und wir froh sein sollen, endlich ein Gesetz
zu haben, und dann durch den, daß nur unsere Generation unter
der durch das Prioritätsgesetz notwendig gewordenen Revision zu
leiden haben, die künftigen uns für unsere Arbeit danken werden.
Unserer Ansicht nach gibt es kein Gesetz, das nicht später, als man —
Schwierigkeiten oder Härten bei seiner Durchführung erkannte,
geändert worden wäre. Wenn diese Härten so klar zutage treten
wie beim Prioritätsgesetz, dann soll man nicht dauernd darunter
leiden, sondern sie möglichst bald wirkungslos machen. Und was
den zweiten Einwand betrifft, so ist gerade das Gegenteil richtig.
Wie Herr Kollege Zıererer in einer Schrift schon ausgeführt hat,
werden die späteren Generationen mehr leiden als wir. Denn wir
stehen noch in Fühlung mit den alten Namen, die späteren Gene-
rationen aber nicht mehr, und wer systematisch oder tiergeo
graphisch arbeiten will, wird seine Arbeit nicht erleichtert, sondern
erschwert finden, und man wird erst Kommentare für die Arbeiten
unserer Generation schreiben müssen, um zu verstehen, was dieser
oder jener Autor unter demselben Namen verstanden hat. |
Selbstverständlich wollen wir am Prioritätsgesetz festhalten
und nur die schlimmsten Härten, welche notwendig und unnötig
unser Arbeiten erschweren müssen, beseitigen. Wir glauben dieses
mit unseren Vorschlägen zu erreichen. Gewiß sind sie nicht voll-
kommen, aber sie sind, wie wir hoffen, so gefaßt, daß jeder, der
227
diese Härten beseitigen will, ihnen zustimmen kann. Wir bitten
Sie, kleine Bedenken beiseite zu setzen, und nur das eine Ziel
im Auge zu haben, die alten allgemein eingebürgerten, besonders
im Unterricht gebräuchlichen Namen uns zu erhalten und die
jetzige Unsicherheit und Verwirrung in der Nomenklatur nach
Möglichkeit zu beseitigen.
Was die weitere Behandlung unserer Vorschläge im Falle ihrer
Annahme betrifft, so beantragen wir folgendes. Nach dem Beschluß
des letzten Internationalen Kongresses in Graz müssen Anträge
auf Abänderung der Nomenklaturregeln ein Jahr yor dem nächsten
Kongreß bei der Internationalen Nomenklaturkommission eingereicht
werden. Wir müssen uns also beeilen. Weiter hat die letztere
Kommission beschlossen, nur solche Anträge vor das Plenum zu
bringen, welche die Zustimmung aller auf dem Kongreß anwesenden
Mitglieder der Kommission gefunden haben. Dieser Beschluß ist
zwar nicht vom Kongreß genehmigt worden, aber immerhin mu
man damit rechnen. Um zu verhindern, daß die Kommission unsere
Anträge nicht vor das Plenum bringt, scheint es uns notwendig,
daß die Anträge nicht nur von dem Vorstande der Deutschen
Zoologischen Gesellschaft unterzeichnet werden, sondern namentlich
von allen Zoologen, die für dieselben sind, und nicht nur von den
deutschen, sondern auch allen nichtdeutschen. Auf die skandinavischen
und finnischen Forscher dürfen wir wohl rechnen, da sie ja in gleichem
Sinne bereits sich erklärt haben. In der Schweiz hat eine Ab-
stimmung ebenfalls eine erdrückende Majorität für die Erhaltung
der alten Namen ergeben, nämlich, wie mir Herr Kollege FırLo
mitteilt, 85 gegen 5, und in den andern Ländern wird es nicht
anders sein. Erhalten wir auch hier kräftige Unterstützung, so
wird es eine Kundgebung von solcher Größe, daß sie nicht ohne
Wirkung bleiben kann.
Nach diesen Ausführungen stellte Herr Prof. Braun (Königs-
berg) den Antrag, die Vorschläge des Vorstandes en bloc anzu-
nehmen. Der Antrag fand die einstimmige Zustimmung der Ver-
| ‚sammlung.
228
Vorträge.
Herr Dr. Hempenmann (Leipzig):
Das Problem der denkenden Pferde des Herrn Krall in Elberfeld. i
Meine Herren! In den ersten Tagen des März dieses Jahres
erschien ein Buch: „Denkende Tiere“ mit dem Untertitel: „Beiträge
zur Tierseelenkunde auf Grund eigener Versuche“ von Karn Krarı,
einem angesehenen Bürger von Elberfeld. In diesem Buche wird
zuerst eine Rehabilitation des vor einer Reihe von Jahren allgemeines
Aufsehen erregenden von Osren’schen Pferdes, des „Klugen Hans“,
versucht. =
Dieser Kluge Hans sollte nach der Angabe seines Besitzers
aus eigener psychischer Tätigkeit folgende Leistungen produzieren:
Er konnte Zählen, Rechnen in den vier Hauptrechnungsarten, Buch-
stabieren, Lesen; er erkannte Töne, Münzen, Karten, die Zeiger-
stellung der Uhr und anderes mehr. Seine Antworten auf ihm
gestellte Fragen bestanden in einer entsprechenden Anzahl von
Klopftritten mit dem rechten Vorderfuß, nur der Schlußtritt wurde
jedesmal mit dem linken Fuß gegeben. Das Buchstabieren erfolgte
ebenfalls durch Angabe einer bestimmten Zahl für jeden Buchstaben
nach einer besonderen Tabelle.
Im September 1904 trat unter dem Vorsitz des Berliner
Psychologen, Geh. Rat Srumer, eine Kommission zusammen, die aus
Psychologen, Physiologen, Zoologen und Pferdekennern hesianal und.
die sich zur Aufgabe machte, zu entscheiden, ob, wie es von
manchen Seiten behauptet worden war, das Pferd durch beab-
sichtigte Hilfen in Form irgendwelcher Zeichen zu seinen erstaun-
lichen Leistungen gebracht würde. In dem Urteil dieser Kommission
heißt es dann: „Durch die Gesamtheit dieser Beobachtungen wird
nach der Meinung der Unterzeichneten sogar auch das Vorhandensein
unabsichtlicher Zeichen von der gegenwärtig bekannten Art
ausgeschlossen.“ |
Vom 13. Oktober bis 29. November 1904 untersuchte dann ein
„wissenschaftliche Kommission“ abermals den Klugen Hans, nit
Geh. Rat Srumpr als Leiter und seinen beiden Assistenten,
Dr. von Horseosten als Schriftführer und dem damaligen cand. med.
et phil. Prunesr, der die Versuche anstellte.
Am 9. Dezember fällte diese Kommission ein vernichtendes
Gutachten, in dem es heißt: „Das Pferd versagt, wenn die Lösung
der gestellten Aufgabe keinem der Anwesenden bekannt ist.“ Es
sollte das Pferd auf unbewußt von dem Fragenden gegebene
229
optische Zeichen reagieren, indem es mit Treten aufhörte, wenn der
Betreffende mit seinem Kopf oder Oberkörper oder auch nur mit
einem Teil derselben eine minimale kleine Bewegung nach aufwärts
machte. Prunesr schätzt diese minimalen Bewegungen, die er bei
von Osten wahrgenommen haben will, auf höchstens '/, mm; die
meisten sollen weit kleiner gewesen sein.
Obwohl nun doch ein höchst merkwürdiges Phänomen vorlag,
indem sich nämlich das Pferd, angespornt durch die ständig ver-
abreichten Belohnungen in Gestalt von Mohrrüben und Zucker, ganz
von selbst auf diese winzigen Zeichen dressiert haben mußte, wenn
es wirklich auf dieselben reagierte, kümmerte sich die Wissenschaft
nicht mehr um das vorliegende Problem. Der Kluge Hans war für
die Öffentlichkeit abgetan und wurde vergessen.
Damals wurde Kraut auf ihn aufmerksam, er näherte sich dem
gänzlich verbitterten von Osten und arbeitete im stillen weiter
mit dem Klugen Hans, da er glaubte, in dem Urteil der „wissen-
schaftlichen Kommission“ einige Widersprüche mit den tatsächlichen
Leistungen des Pferdes bemerkt zu haben.
Es kam ihm zunächst darauf an, die von der Kommission
supponierten optischen Zeichen auszuschließen. Er gewöhnte das
Tier deshalb an Scheuklappen und erhielt dieselben Antworten wie
früher von demselben. Auch Versuche im Dunkeln gelangen.
Da außerdem eine Anzahl sogenannter „unwissentlicher Ver-
suche“ erfolgreich angestellt wurden, kam Krarı zu dem Schluß,
dab die einzige Erklärung, die allen Leistungen des Pferdes gerecht
zu werden vermag, die Annahme einer selbständigen Denktätigkeit
des Tieres sei.
Wegen des schon früher öfters zutage getretenen störrischen
Wesens des Hans schaffte sich Krarz zwei neue Pferde, die Araber-
hengste Muhamed und Zarif, an und brachte sie durch eine
gegenüber der von Osren’schen wesentlich verbesserten Unterrichts-
‚; methode in fünf Monaten zu denselben Leistungen, wie sie Hans
produzierte. Es wurde eine neue Tretweise eingeführt, die übrigens
‘Hans auch noch lernte, bei der das ermüdende Auszählen hoher
Zahlen dadurch in Wegfall kam, daß die Tiere von nun ab die
Einer mit dem rechten, die Zehner mit dem linken. die Hunderter
wieder mit dem rechten Fuß treten mußten. Ebenso wurde eine
neue vereinfachte Buchstabiertafel von Krarz zusammengestellt.
Der Unterricht selbst wurde wie bei Menschenkindern unter
Zuhilfenahme von Anschauungsgegenständen, Rechenmaschinen usw.
230
erteilt. Teilweise unterrichtete ein Elberfelder Chemiker,
Dr. Schoetter, die Pferde. :
Kraut führte den Unterricht weiter und gelangte dabei zu 4
folgenden in seinem Buche behandelten, wie er sagt, eigenen
Leistungen der Tiere: Sie rechnen nicht nur in den vier Haupt- —
rechnungsarten, sondern sie potenzieren und radizieren auch, und E
nicht nur in den bescheidenen Grenzen von Mathematikschiilern,
sondern in einer kaum vom erwachsenen Menschen erreichten Weise,
indem sie z. B. für Quadrat- und Kubikwurzeln mit Grundzahlen
von 1—100, die ihnen geboten werden, nach wenigen Sekunden das
Resultat angeben. Dieses Rechentalent ist eine besondere Fähigkeit,
die Krarz an den Pferden entdeckt haben will. Ferner lesen die ©
Tiere geschriebene Worte und buchstabieren ihnen vorgesprochene. ;
Dabei ist noch als Eigentümlichkeit zu verzeichnen, daß sie, nachdem
ihnen das Buchstabieren in unserer Orthographie beigebracht worden
war, eines Tages anfingen, in einer eigenen abgekürzten Art zu
lautieren, indem sie z.B. statt „essen“ nur „sn“, oder statt „Kappe“ \
r „Kp“ angaben. Sie kennen die Uhr, den Kalender und die
Einteilung des Jahres. Endlich geben sie auf Fragen logische ©
Antworten und äußern spontan, ohne gefragt zu sein, irgend etwas. —
Einige der Äußerungen der Pferde seien hier angeführt: „john
hfr gben“, „ig m (verabredete Kürzung für Möhren) hbn“, „ig z
(dito für Zucker) haben“. Gerade diese und ähnliche werden jetzt
stereotyp fast bei jeder Vorführung wiederholt, aber immer in ver-
schiedener Form, was wohl beachtet werden muß. Muhamed, einst
gefragt: „warum wolltest du nicht?“, antwortete: „weil ganz faul
war“. Und auf die Frage: „warum warst du ganz faul?“ „weil
ig bös kein lust hb“. Spontan sagte er ein andermal: „ig hb
kein gud sdim“. Zarif ebenso einmal: „aug b (d.h. Brot) gbn
ferd davel“. Den Hahn in seinem Bilderbuch wünschte Muhamed
mit folgendem Ausdruck zu sehen: „ig wil aug zu lib uhn fdr“?
Und Zarif hörte an demselben Abend mitten im Unterricht auf, ging
an das Tretbrett, auf dem jetzt die Hufschläge markiert werden,
und trat: „aug han zeign“.
Alle diese Äußerungen und sonstigen Leistungen der Pferde
sollen nun nach Kratz Produkte einer eigenen seelischen Tätigkeit
der Pferde sein. F
Ich selbst war im Marz dieses Jahres in Elberfeld und habe
mir während dreier Tage die Pferde vorführen lassen. Eigene‘
Versuche habe ich nicht mit ihnen angestellt, da mir von vornherein
diese Zeit zu kurz erschien, um irgend etwas exakt ermitteln zu
231
können, denn ich hätte mich erst an die Pferde, die Pferde sich
erst an mich gewöhnen müssen. Ich fand, ebenso wie zahlreiche
andere, die die Pferde arbeiten sahen, dab sie tatsächlich in der
von Kratu angegebenen Weise sich verhalten, Fragen beantworten
und Aufgaben lösen.
Zweifellos sind die Antworten der Pferde logisch, sinnvoll.
Es kommt nun das große Problem: wer produziert diese
Logik, wer denkt hier logisch, wirklich das Tier selbst,
oder ist es der Mensch, der ihm nur in irgendeiner Weise
das fertige Resultat seines Denkens übermittelt.
Beachten wir die ja zunächstliegende letztere Möglichkeit, so
könnte der Mensch auf das Pferd einwirken, einmal direkt während
der Vorführung, indem er ihm, wenn auch völlig unbewußt, etwa
Zeichen gibt, wie sie die wissenschaftliche Kommission angenommen
hatte, oder er könnte das fertige Resultat seiner Aufgaben dem Tiere
schon vorher beigebracht haben, etwa während des Unterrichtes.
In dem letzteren Falle würden die Leistungen der Pferde
lediglich als Ergebnisse von Assoziationen und eines allerdings
fabelhaften Gedächtnisses zu erklären sein. Die ungeheure Mannig-
faltigkeit der möglichen Rechenaufgaben läßt eine solche Annahme
recht unwahrscheinlich erscheinen. Zudem behauptet Kratz, dab
die Pferde die hohen Wurzeln, die sie lösen, vorher niemals ge-
rechnet hätten. Auch für das Buchstabieren müßte man dann an-
nehmen, daß die Pferde rein mechanisch bei dem Erblicken eines
geschriebenen oder beim Hören eines gesprochenen Buchstabens
die entsprechende Zahl von Hufschlägen gäben, wobei ihnen Worte
einfach als Reihen solcher Reize für eine bestimmte Tretart gelten
müßten.
Nimmt man aber Zeichen an, so würden das in erster Linie
wohl solche sein, die von dem Menschen bei der Lösung seiner
durch die Erwartung der richtigen Zahl von Hufschlägen — denn
auf diese kommen ja fast alle Antworten der Pferde hinaus —
gesteigerten Spannungsgefühle in irgendeiner Weise gegeben werden.
Als solche Zeichen kämen da in Betracht optische, die aber
durch die Versuche Krarr's ziemlich ausgeschlossen erscheinen.
Ferner akustische, wie unwillkürliches Flüstern. Sodann Schwan-
kungen der Atmung, der Pulsfrequenz und des Blutdrucks. Man
hat auch an Änderungen unserer chemischen Beschaffenheit, be-
sonders der Sekretion gedacht. Endlich sind noch denkmöglich Tem-
peraturschwankungen, elektrische Ströme, Strahlungen unbekannter
232
Art, die alle in irgend einer Weise von dem Pferd perzipiert und
als Schlußzeichen betrachtet werden müßten. Von vielen solcher
Zeichen wissen wir kaum, daß sie vorkommen. Noch viel weniger
sind wir darüber unterrichtet, wie und mit welchen Organen das —
Tier diese doch in jedem Falle nur äußerst minimalen Änderungen
an dem Körper des Menschen aufnehmen sollte. Wir müssen jedoch %
bedenken, daß ein Hund die Spur seines Herın genau verfolgen
kann, während wir auch mit den subtilsten Mitteln der Wissen-
schaft nicht imstande sind, dieselbe unseren Sinnen wahrnehmbar
zu machen. — Jedenfalls liegen hier mannigfaltige und interessante 4
Probleme vor. i
Eine immaterielle Gedankenübertragung ist wohl ebenso wie
die Annahme einer Seelenwanderung nur als reine Denkméglichkeit
zu betrachten. 4
Es gibt nun auch eine Anzahl von Tatsachen, die nicht ohne —
weiteres die Annahme von solchen einfachen Schlußzeiches zulassen,
wie sie die wissenschaftliche Kommission bei dem Klugen. Hans.
als einzige Verbindung zwischen Pferd und Fragendem vorgesehen
hat. Kraın weist schon selbst auf solche Tatsachen hin, und ich —
möchte hier einige davon zusammenstellen: |
Die von ihren Lehrern erst nicht verstandene, also von den
Pferden selbständig erfundene eigene Orthographie. Das ver- —
schiedene Buchstabieren der einzelnen Worte zu verschiedenen
Zeiten (es existieren z. B. über 50 verschiedene Arten, das Wort
„Pferd“ zu buchstabieren). Die spontanen logischen Äußerungen.
Bei den Datumversuchen wurde öfters weitergezählt über den
Schlußtermin des Monats hinaus, z. B. 32. 11. statt 2. 12. Kraus
behauptet, daß die Pferde oft ganz anders antworten, als er erwartet.
Ferner geben die Pferde oft die richtige Antwort, wenn das vorher
verweigerte Resultat durch Komplikation der Aufgabe umgangen
wird, z. B. noch 10 zugezählt werden soll. a
Kraut schreibt dieses Verweigern und z. B. auch die Tatsache,
daB bei schwereren Aufgaben eher richtige Antworten erzielt werden,
als bei leichten, einem stark entwickelten Eigenwillen der Pferde
zu. In letzterem Falle wäre auch denkbar, daß er sich bei schwereren
Aufgaben selbst mehr auf das Resultat konzentriert. Sodann geben
die Pferde nicht selten für eine Zahl einen Hufschlag mehr oder
weniger an, aus Eigenwillen nach Kratz, weil sie das Zeichen
nicht genau beachteten nach Anhängern der Zeichenkypothese.
Die Annahme von Zeichen wird ferner erschwert durch die
Tatsache, daß die Pferde Aufgaben, die nicht wie sonst,an die
233
Wandtafel geschrieben waren, sondern ihnen auf kleinen Täfelchen
präsentiert wurden, lange Zeit nie richtig lösten, wohl aber, wenn
sie am gewohnten Platz standen. Bei Zeichen achtet das Tier
doch überhaupt nur auf diese und nicht auf die Aufgabe. Einige
Versuche wurden auch durch den Fernsprecher angestellt, doch
sind es zu wenige, als daß sie ein exaktes Resultat ergäben. So-
dann hat es sich gezeigt, daß die Pferde in Anwesenheit mancher
Personen nicht so gut arbeiten, wie wenn diese entfernt wurden.
Endlich sprechen gegen Zeichen die hier und da angestellten un-
wissentlichen Versuche und die Tatsache, dab die Pferde öfters
die richtige Antwort gegeben haben, wenn der Fragende selbst im
Irrtum war.
Leider sind solche Fälle, die, wenn sie unter exakten Bedingungen
vorkämen, für die eigene Denktätigkeit der Pferde sprechen müßten,
zu selten und zu wenig kontrollierbar, als daß man sich auf die-
selben stützen könnte.
Aus meinen wörtlich von mir selbst nachgeschriebenen Proto-
| kollen sei nur noch eine Merkwürdigkeit, die zu denken gibt,
‚ erwähnt: Nimmt man Zeichen an, so müßte für jede einzelne Ziffer
von mehrstelligen Zahlen je ein Zeichen gegeben werden etwa zum
Aufhören mit Treten, da ja Einer, Zehner usw. mit verschiedenen
Füßen getreten werden. Wenn man aus meinem Protokoll von den
meist zweistelligen Zahlen, welche die Anworten der Pferde auf
Rechenexempel bilden, die Einer, Zehner und Hunderter getrennt
nimmt, so wurden im ganzen 354 einzelne Zahlen getreten. Unter
diesen waren nur sieben Achten und nur zwei Neunen. Bei
Zeichen sollte das Tier doch ebensogut nach acht oder neun Huf-
schlägen erst aufhören können, wie nach 5, 6 oder 7. Andererseits,
wenn man rechnet, und sich dabei verrechnet, wie das die Pferde
in etwa 2/, der Fälle tun, so wird man dabei doch auch ab und
zu auf eine 8 oder 9, resp. 80 oder 90 in den Zehnern kommen.
Allerdings betont schon Kratz, daß die Hengste diese beiden Zahlen
nur ungern treten, und er bittet, bei etwa selbst gestellten Auf-
| gaben das Resultat so einzurichten, daß keine 8 oder 9 darin vor-
‚ kommt.
! Meine Herren! Wie wir auch den Tatsachen, die uns durch
| die mühevollen und kostspieligen Versuche Krarr's dargeboten
bleme, die es wert erscheinen, von der Wissenschaft ernstlich in
| Angriff genommen zu werden. Nehmen wir Zeichen an, so taucht
sofort die Frage auf, welche sind es, in welchem Zusammenhang
234
stehen sie mit den menschlichen Bewußtseinsvorgängen, wie per-
zipiert das Pferd dieselben und wie kommt das Pferd überhaupt
dazu, sich auf dieselben von selbst einzustellen. Halten wir uns
an Assoziationen und Gedächtnisleistungen, so wäre exakt zu er-
mitteln, wie weit diese Fähigkeiten bei dem Pferd ausgebildet sind.
Sind wir aber von der eigenen Denktätigkeit der Tiere überzeugt, t,
so stehen wir vor dem größten Problem, etwas ganz Neues hat sich
vor uns aufgetan, und wir haben nach allen Richtungen ein neues
Arbeitsgebiet vor uns.
Wenn es mir gelungen sein sollte, Sie von dem Vorhandensein
solcher der Erforschung werten Probleme zu überzeugen, würde
ich den Zweck dieses Vortrages als erreicht ansehen. =
Diskussion: | R
Herr Prof. H. E. Ziserer (Stuttgart) legt in längerer Aus-
führung dar, daß die Versuche des Herrn vox Osren und des
Herrn Krarı für die Tierpsychologie sehr wichtig sind. Da
die Pferde durch den Unterricht die Fähigkeit erwerben, Zahlen
und Buchstaben anzugeben, können wir einen Einblick in die Tier
seele gewinnen, wie es bisher nicht möglich war. Niemand hat
bis jetzt geahnt, daß Pferde imstande sind, ziemlich schwierige
Rechnungen auszuführen '). Ebensowenig dachte man an die Mög-
lichkeit, daß sie in Buchstaben eigene Gedanken ausdrücken könnten.
Man darf sich der Einsicht nicht verschließen, daß hier eine neue
Methode zu erstaunlichen neuen Beobachtungen geführt hat. Es
ist das Verdienst des Herrn Krarr, daß er, ohne sich durch das
Gutachten der sog. wissenschaftlichen Kommission beirren zu lassen,
die Versuche am Klugen Hans fortgesetzt und neue Pferde unter-
richtet hat, so dab das eigene Denken der Tiere erwiesen wurde,
Im Anschluß an diese Ausführungen zeigt Prof. Zmeuer eine
Anzahl von Lichtbildern von Säugetiergehirnen. Die Hemisphären
des Pferdegehirns besitzen ein sehr schön ausgebildetes System
von Furchen und Windungen; man kann schon aus der Betrachtung
der Gehirne den Schluß ziehen, daß ein Pferd auf einer höheren
geistigen Stufe steht als ein Schaf oder ein Rind. Vergleicht
man das Gehirn eines Hundes oder das Gehirn eines niederen
Affen. so weisen sie bei weitem weniger Furchen auf als das
u:
Pferdegehirn. m
=
1) Dabei mag zunächst noch von dem Wurzelausziehen abgesehen werden,
welches zurzeit noch nicht erklärlich ist. £
235
Herr Prof. zur Strassen (Frankfurt): Ich stimme den Herren
Hempetmann und Zıesver darin bei, daß es über die Elberfelder
Pferde nichts zu spotten gibt. Von Schwindel kann keine Rede
sein, die Tatsachen stehen fest, und die bis dahin berechtigte ein-
fache Hypothese Prunesv’s, dab die Pferde durch optische Signale
geleitet würden, halte auch ich für nunmehr überholt. Andererseits
stehe ich freilich in der Beurteilung der noch vorhandenen Deutungs-
möglichkeiten: entweder selbständige Gehirnleistung der Pferde
oder nichtoptische Signalgebung, auf anderem Standpunkte als Herr
Prof. Zıester und als Krarr selbst.
Da es sich vorläufig, mangels einwandfreier Versuche, nur um
die Abschätzung größerer oder geringerer Wahrscheinlichkeiten
handeln kann, ist es vor allem nötig, sich klar zu machen, daß ein
erheblicher Teil des von den Pferden Geleisteten über das, wasman
von andern Säugetieren kennt und darum auch bei Pferden
vermuten durfte, nicht oder kaum hinausgeht. Pferde sind
reizbar für optische Bilder und besitzen für die aus eigenen Be-
wegungen hervorgehenden „kinästhetischen“ Reize eine hohe Emp-
findlichkeit; sie haben ferner, wie jedes höhere Tier, die Gabe, auf
Grund guter oder schlechter Erfahrungen optische Bilder mit eigenen
Bewegungen zu assoziieren und im Gedächtnis zu behalten. Dann
wäre es weiter nicht auffallend, wenn ein Pferd gewissermaßen
„lesen lernte“, d.h. beim Erscheinen eines bestimmten Buchstaben-
oder Zahlenzeichens mit der dazu passenden, durch frühere Erfahrung
eingeprägten Folge von Hufschlägen reagierte. Daß die Pferde
eine zweistellige Zahl in der Weise bezeichnen lernten, dab sie
zuerst die links stehende mit dem linken, dann die rechte mit dem
rechten Fuße treten, wäre sehr interessant, aber nicht gerade ver-
| blitffend. Ebensowenig, wenn sie auf hochkomplizierte Zahlen-
_ bilder, wie das einer Rechenaufgabe mit Wurzeln und Brüchen,
eine richtige Antwort, die sie bei früherer Gelegenheit als so-
genannte Lösung mit gutem Erfolge gegeben haben, immer wieder
| produzierten. Und wie auf Bilder von Zahlen oder Buchstaben,
| könnten sie auf die von Menschen, Pferden usw. mit gewissen dazu
‚passenden Trittfolgen reagieren lernen. Für die Assoziation von
Tönen gilt das gleiche. Daß ein Pferd auf das Erklingen eines
bestimmten Wortes hin eine entsprechende Folge von Huftritten
ausführen lernt, fände ich nicht sehr merkwürdig. Eher schon,
wenn es wahr ist, daß Muhamed und Zarif auch unbekannte Wörter,
z. B. fremde Namen, selbständig buchstabieren: sie hätten sich
dann die zu den einzelnen Lauten oder Silben gehörigen Tritt-
236
folgen eingeprägt und brächten sie in derselben Reihenfolge, in
der jene Laute erklingen, zur Ausführung. Ziemlich einfach wäre —
es auch, wenn die Pferde lernten, ihrerseits Gruppen von Huftritten
zum besten zu geben, deren nützlicher Erfolg ihnen früher bekannt
geworden ist, z. B. diejenigen, die nach der Ansicht ihrers Lehrers
„bin müde“, „Stall gehen“, „Hafer haben“ usw. bedeuten. Alle
solche Leistungen blieben im Rahmen des Lernens aus Erfahrung
durch unmittelbare Assoziation und erhielten ihren überraschenden
Anschein nur durch die assoziierte Bewegungsform, das Zahlen-
treten, bei dem ein ganz enormes, dem Pferde aber ohne weiteres
zuzugestehendes Gedächtnis für kinästhetische Erlebnisse voraus-
gesetzt wird.
Wenn also die Elberfelder Pferde nichts anderes leisteten, als
was sie durch unmittelbare Assoziation — mit oder ohne Absicht
ihres Lehrers — gelernt haben können, so hielte ich die An-
nahme, daß sie es in der Tat gelernt haben, für keineswegs ge- —
wagt; und jedenfalls für wahrscheinlicher, als die immerhin an-
spruchsvolle Hypothese, sie würden dabei durch unbekannte Signale
der Menschen angeleitet. Aber die Pferde geben ja richtige Ant-
worten auch dann, wenn sie vor Rechenaufgaben gestellt sind, die —
sie niemals zuvor gesehen haben! In solchen Fällen wird
das Wahrscheinlichkeitsverhältnis der beiderlei möglichen Kr-
klärungen ein völlig anderes.
Es gibt gewisse Rechenexempel, deren selbständige Lösung
noch nicht gar so unwahrscheinlich ware. Die Pferde könnten |
z. B. im Unterricht gelernt haben, daß zwei durch + verbundene
einfache Zahlen unmittelbar nacheinander zu treten sind, und nun
die an die Tafel geschriebene für sie neue Aufgabe 4-3 richtig
addieren. Oder Erfahrung hätte sie vielleicht gelehrt, daß bei der
Addition zweistelliger Zahlen zuerst die Zehner für sich. danach
die Einer getreten werden müssen; also klopften sie bei der Aut-
gabe 12 + 13 erst zweimal links, dann fünfmal rechts, = 25.
Lösungen dieser Art würden zwar selbständig, im Grunde aber
doch nur eine besondere Form des Abzählens sein. Aber schon
die Aufgabe 7-++ 4 wäre enorm viel komplizierter. Hier wäre mit
bloßem Treten beider Zahlen nacheinander nichts getan. Sondern
die Lösung 11 müßte im Gehirn des Pferdes vollzogen sein und
sich geltend machen, ehe es mit dem Treten beginnt. Das ginge
wohl über alles von Tieren Bekannte schon weit hinaus. Und
doch welch unermeßlicher Abstand von da bis zu der angeblichen
Lösung der fünften Wurzel aus einer Millionenzahl — im Laufe von
237
Sekunden, und ohne daß vorher auch nur die Methode durch-
genommen worden wäre! Ich sage nicht, daß das unmöglich sei;
woher sollte ich das wissen. Aber die Wahrscheinlichkeit einer
selbständigen Gehirnleistung des Pferdes ist in dem genannten Falle
und zahllosen ähnlichen, Rechenaufgaben und sonstigen Antworten,
so verschwindend klein, daß nunmehr die Hypothese einer Lenkung
des Pferdes durch unwillkürliche Signalgebung von seiten des
fragenden Menschen bei weitem die wahrscheinlichere wird. Diese
sparsamere Hypothese muß deshalb gelten, bis ihre Unhaltbar-
keit durch einwandfreie, d. h. „unwissentliche“ Versuche nach-
gewiesen ist. Solche liegen bis jetzt nicht vor. Wenn Herr Kraut,
wie berichtet wird, bei dem Versuch mit der fünften Wurzel hinter
einer Türe stand, so hat er damit zwar optische, nicht aber andere
mögliche Übertragungsarten ausgeschlossen. |
Ähnlich beurteile ich die angeblich improvisierten, in deutscher
Sprache erfolgten Äußerungen der Pferde über ihre Wünsche und
Erlebnisse. Ich muß bis zum Beweis des Gegenteils glauben, daß
der logische Sinn dieser Äußerungen nicht von den Pferden, sondern
von den Fragenden stammt. Und was ich selbst davon gesehen
habe, bestärkt mich darin. Bei unserer Anwesenheit in Elberfeld
waren die Tiere sehr unzuverlässig, rechneten schlecht, und wenn
sie aufgefordert wurden, von sich aus etwas mitzuteilen, so
„diktierten“ sie Folgen von Buchstaben, die niemand verstand.
Dann hieß es: „du faselst ja“, „das begreifen wir nicht“, — es
wurde weggewischt und etwas anderes geschrieben. Sobald aber
einmal mit gutem Willen irgendein Sinn herausgelesen werden
konnte — und bei der schwankenden „Orthographie“ der Pferde
ist das ziemlich leicht —, so änderte sich das Bild. Jetzt schienen
plötzlich auch die Pferde zu wissen, was sie sagen wollten, und
blieben, zur Korrektur des Geschriebenen aufgefordert, keine Ant-
wort schuldig: was fehlt? — n!; an welcher Stelle? — 3! Was
muß fort? — t! usw. Im Nu stand das Wort, das die Gesellschaft
im Sinne hatte, richtig geschrieben an der Tafel. Solcher Szenen
erlebte ich zwanzig bis dreißig, und jedesmal ging es Schlag auf
Schlag. — Die von den Pferden angeblich selbst erfundene phone-
tische Orthographie bildet auch kein Gegenargument gegen die
Signalhypothese. Es ist mir wahrscheinlich, daß diese Ortho-
graphie nicht durch Gehirntätigkeit der Pferde, sondern dadurch |
entstanden ist, dab Herr Krauı beim Unterricht geneigt war, Ant-
worten auch dann als richtig gelten zu lassen, wenn sie nicht in
deutscher Rechtschreibung, sondern eben „phonetisch“ buchstabiert
238
waren. Und in der sonderbaren Tatsache, daß die Pferde den :
Namen ihrer Spezies auf fünfzigerlei verschiedene Weise schreiben,
erblicke ich vorläufig weniger den Ausdruck ihrer „Flüchtigkeit“* —
als den der — Nachsicht ihres Lehrers. |
Wenn wir nun schon gezwungen sind, zur Deutung eines be- |
stimmten Teiles der Elberfelder Leistungen unwillkürliche Signale :
der Menschen anzunehmen, so ändert sich das Wahrscheinlichkeits-
verhältnis auch für diejenigen Fälle, die a priori auf einfacher
Assoziation beruhen könnten: die Signalhypothese wird jetzt auch
dort konkurrenzfähiger, und mancher möchte sich vielleicht für
die Annahme entscheiden, daß überhaupt alle Leistungen der Pferde —
durch ‘menschliche Signalgebung ermöglicht würden, so wie es
Prunest für seine optischen Signale vermutete. Doch stehen, wie
mir scheint, die Chancen der beiden Deutungsmöglichkeiten hier
ungefähr gleich; nur einwandfreie Versuche können daher ent-
scheiden. Und wenn man ein isoliertes Ergebnis gelten lassen
will, so würde schon jetzt bewiesen sein, daß in der Tat ein Teil-
der Rechenkünste auf wirklicher Assoziation beruht. Um fest-
zustellen, ob die Tiere überhaupt auf die optischen Bilder der —
Zahlen reagieren, unternahm ich folgenden „unwissentlichen“ Ver- —
such. Während alle im Stall Befindlichen, auch ich selbst, fest
nach dem Pferde blickten, griff ich rücklings aus einem Paket
Kartons, worauf die Zahlen standen, einen heraus und stellte ihn
an die Tafel. Muhamed sollte die Ziffer nennen, weigerte sich —
aber und wiederholte trotz allen Drängens von seiten des Heırn
Krarr immer nur die wedelnde Bewegung von Hals und Kopf, die —
„nein“ oder „nichts“ bedeutet. Als wir uns endlich umsahen, er-
gab sich, daß er im Rechte war: was ich hingestellt hatte, war
die 3, aber falsch herum! War nicht ein Zufall im Spiele, so —
zeigte dieser Versuch, daß Muhamed nicht nur Zahlenbilder mit
Huftritten, sondern auch den Reiz der „Notlage“, in der er sich be-
findet, wenn er zum Antworten gedrängt wird und doch dazu
auBerstande ist, mit Kopfschütteln assoziiert hatte.
Im ganzen ist mein Urteil folgendes. Ich halte für fast ge-
wif, daß das Studium der Elberfelder Pferde zur Feststellung einer
Art von unwillkürlicher Signalgebung zwischen Mensch und Pferden
führen wird, die man bisher nicht kannte oder nicht für so leistungs-
fähig hielt. Sehr wahrscheinlich wird ferner ein unvermutet hoher.
Grad von assoziativer Lernfähigkeit der Pferde nachgewiesen
werden. Daß Herr Krarz die Wege zu solchen Erkenntnissen
geebnet hat, bleibt sein dauerndes Verdienst. Daß aber ein Um-
239
sturz der ganzen Tierpsychologie durch seine Arbeit eingetreten
sei oder in Aussicht stehe, glaube ich nicht.
Herr Dr. P. Sarasın (Basel) teilt mit, daß er nach Elberfeld zu
Herrn Krarı reisen wird, welcher ihm die Pferde vorführen wolle,
und der zugleich auch andere Teilnehmer des Zoologenkongresses zu
einer Besichtigung der Tiere einlade.
Herr Dr. Tuestve (Leipzig): Eine wissenschaftliche Nachprüfung
wäre gewiß zu wünschen. Voraussetzung dafür ist aber, daß Herr Kran
den Versuchen fernbleibt. Bei Durchsicht der Protokolle fällt es
auf, daß leichte Fragen viel zahlreichere Fehler zeitigen als schwere.
Weiter spricht sowohl gegen eigene Denkfähigkeit wie gegen Aus-
bildung von Assoziationen die auffallend kurze Zeit des Unterrichts.
Herr Prof. Purrer (Bonn): Zur sachlichen Beurteilung des
Falles des klugen Hans ist wichtig, daß das Tier angebliche Fähig-
keiten zeigte, die noch weit höher erscheinen, als der Herr Vor-
tragende erwähnte Der kluge Hans buchstabierte den Namen
Plüskow mit w am Ende, den Namen Bethmann richtig mit th.
Auch französische Fragen wurden richtig beantwortet, ebenso Fragen,
die ganz undeutlich gestellt waren. Es kommt eben auf die Frage
nicht an. Einer wissenschaftlichen Untersuchung steht der Wider-
stand des Herrn Krarr entgegen, der dem kompetentesten Beurteiler,
Herrn Prunest, trotz dreimaliger Bitte, eine Untersuchung der Tiere
nicht gestattet hat. Zur Kritik der Methodik sei erwähnt, dab die
sogenannten „Dunkelversuche“ damit anfingen, daß... eine oder
mehrere Kerzen angezündet wurden, deren Zahl oder Stellung die
Pferde angeben mußten! Unwissentliche Versuche sind Herrn
Krarz in der erdrückenden Mehrzahl der Fälle mißlungen, wie allen
anderen Experimentatoren.auch.
Herr Prof. K. Hzıper (Innsbruck):
Über Organverlagerungen bei der Echinodermen-Metamorphose.
Das Folgende ist nichts weiter, als die Überwindung subjektiver
Schwierigkeiten, die mir allemal fühlbar wurden, wenn ich in meinem
Kolleg über vergl. Embryologie dazu kam, die Echinodermen-Meta-
morphose zu behandeln. Ich schließe mich in allen wesentlichen
Punkten den Anschauungen an, welche von Barker!) entwickelt
wurden. Als Grundlage dienen uns hierbei, insoweit die Pelma-
1) F. A. BATHER, The Echinoderma, in E. RAY LANKESTER’s: Treatise on
Zoology Part. III. London 1900.
240
tozoen in Frage kommen, die Angaben über Antedon-Entwicklung.
Ich habe mich hauptsächlich an Serriger!) gehalten. Was die
Eleutherozoa anbelangt, so scheinen mir vor allem die Asteriden
in ihrer Metamorphose klärend zu wirken und unter ihnen ist
Asterina durch die Untersuchungen. von Lupwie?), Mac Brinn?)
und Goro#) am besten bekannt. Die vergleichenden Studien von
Bury*) und die Angaben von Casweın Grave®) sind ebenfalls für —
die Entwicklung unserer Anschauungen von Bedeutung geworden.
Wenn wir eine beliebige Echinodermenlarve, welche bereits
die Anlagen des jungen Echinoderms erkennen läßt, betrachten, so
finden wir diese Anlagen in der verschiedensten Weise zu den Achsen
und Ebenen der Larve orientiert. Wir sehen z. B. an der bekannten
von Jou. MüLzer‘) dargestellten Dipinnaria die Anlage der Bauch-
seite des Seesterns auf der linken Seite der Larve, die der Rücken-
seite mehr auf der rechten Seite gelegen. Aber die beiden Anlagen
sind weder zueinander parallel, noch parallel etwa zur Medianebene
der Larve. Sie nehmen eine schwer zu schildernde schräge Lage
ein. Ebenso sehen wir an dem von Jos. Mürzer dargestellten
Ophiuridenpluteus®) den jungen Schlangenstern schräg im Pluteus
gelagert. Zwei seiner Arme liegen rechts mehr dorsalwärts, drei
links mehr an der Ventralseite. Wir alle wissen, welche Schwierig-
keiten wir haben, uns von der Lage der Anlagen und ihrer Ver-
schiebung bei Asterina gibbosa eine Vorstellung zu bilden. Es
1) UO. SEELIGER, Studien zur Entwicklungsgeschichte der Crinoiden. Zool. —
Jahrbücher (Anat.), VI. Bd., 1892.
*) H. LupwIG, Entwicklungsgeschichte der Asterina gibbosa. Zeit. f. Wiss.
Zoologie, 37. Bd., 1882.
3) E. W. Mac BrRIDE, The development of Asterina gibbosa. Quart. Journ.
Mier. Se. Vol. 38, 1896.
4) S. Goto, Some Points in the Metamorphosis of Asterina gibbosa. Journ.
Coll. Se. Tokyo, Vol. 10, 1898. _
5) H. Bury, Studies in the Embryology of Echinoderms. Quart. Journ.
Micr. Se. Vol. 29, 1889. -- The Metamorphosis of Echinoderms. Quart. Journ.
Mier. Se. Vol. 38, 1896.
6) C. GRAVE, On the Occurrence among Echinoderms of Larvae with Cilia
arranged in transverse Rings, with a Suggestion as to their Significance. Biol.
Bull. Vol. 5, 1903. | 4
7) Jon. MÜLLER, Uber die Larven und die Metamorphose der Echino-
dermen. Vierte Abhandlung. Abh. Ac. Wiss. Berlin. 1852. Taf. V Fig. 3 re-
produziert in KORSCHELT-HEIDER, Lehrbuch der vgl. Entwicklungsgesch. d. W.
Th. Spec. Th.; 1. Heft, p. 288 Fig. 209. R
8) JoH. MÜLLER, Über die Ophiurenlarven des Adriatischen Meeres. Abh.
Ac. Wiss: Berlin, 1852... Taf. V Fig. 1:
241
handelt sich bei diesen verschiedenen schrägen Lagen offenbar nur
um verschiedene Stadien einer bestimmt gerichteten Anlagen-
wanderung. Ich habe den Versuch gemacht, mir nach der Literatur
von diesen Verschiebungen ein Bild zu entwerfen, und sie in einzelne
Akte, in bestimmt orientierte Stufen aufzulösen. Es sei gestattet,
dieses Bild in die Form phylogenetischer Betrachtung zu kleiden.
Ich unterscheide vier Stufen in der Metamorphose der Echinodermen.
I. Stufe. Primär bilateral-symmetrische Larven-
formen. Ihnen entspricht die Fiktion einer Dipleurula, welche
von Semon in die Literatur eingeführt, von Lane, Barker U. a.
akzeptiert wurde. Ich habe sie von diesen Autoren übernommen
und nur in einigen Punkten, die unwesentlich sind, modifiziert. Ich
denke mir die Dipleurula (Fig. 1 A und B) als ein Rhabdopleura-
oder Cephalodiscus-ihnliches Wesen, welches in Röhren wohnte, in
denen .es nach Art der Spannerraupen oder Hirudineen klettern
konnte. Dementsprechend habe ich die Dipleurula mit zwei tentakel-
tragenden Lophophorarmen und mit einem vorderen und hinteren Saug-
napf ausgestattet. Von diesen hat sich der vordere Saugnapf an der
Larve von Antedon erhalten. Er dient zur Festheftung der Larve
bei dem Übergang zum festsitzenden Stadium. Daß die Echinodermen
ursprünglich nur zwei Arme besaßen, geht aus den paläontologischen
Befunden mit ziemlicher Wahrscheinlichkeit hervor. Wir müssen
der Dipleurula einen ventralwärts eingekrümmten Darm zuschreiben.
Nach dieser Richtung deuten alle Echinodermenlarven mit Ausnahme
der Auricularien, auf die ich weniger Gewicht legen möchte. Der
Darm, ursprünglich in Ösophagus, Magen und Intestinum gegliedert,
war also hufeisenförmig, das Intestinum ventralwärts eingeschlagen,
der After an der Ventralseite nach vorne verlagert.
Die Dipleurula besaß drei Paare von Coelomsäcken, welche ich
als Axocoel, Hydrocoel und Somatocoel bezeichne. Die beiden
Axocoelsäcke, im Kopflappen gelegen, münden an der Dorsalseite mit
_ einem Hydroporus nach außen. Aus dem linken Axocoel geht der
_ Axialsinus der ausgebildeten Form, aus dem Porenkanal der Primär-
‚ porus der Madreporenplatte hervor. Die beiden Hydrocoelsäcke sind
durch Kanäle an das Axocoel jederseits angeschlossen; der linksseitige
dieser Verbindungsgänge erhält sich als Steinkanal. Das rechte
Axocoel und Hydrocoel wird bis auf spärliche Reste rückgebildet.
Am umfangreichsten ist das dritte Paar von Coelomsäcken: die beiden
Somatocoele, welche zu den Seiten des Magens gelegen ein dorsales
und ventrales Mesenterium bilden. Im ventralen Mesenterium ist
das Intestinum eingeschlossen.
Verh. d. Dtsch. Zool. Ges. 1912. 16
242
II. Asymmetrische Stufe. Die zweite Stufe, in welcher das 3
linke Hydrocoel Hufeisenform annimmt, ist asymmetrisch gebaut.
Wir erkennen, wenn wir sie von der Ventralseite betrachten (Fig. 1 C),
dab die linke Körpeiseite reicher an Organbildungen ist, als die —
rechte. Der Mund ist nun nach der linken Körperseite verlagert
und durch diese Verschiebung wird das linke Hydrocoel hufeisen-
förmig eingebuchtet. Es wird zur Anlage des Ambulacralgefäß-
systems. Die Ursprungsstellen der beiden Lophophorarme sind mit
dem Munde auf das innigste verbunden. Sie wandern mit dem
Munde nach links und hierbei wird der ursprünglich rechte Lophophor-
arm (Fig. 1 A und C, rl) an das linke Hydrocoel (hy) angeschlossen,
während das rechte Hydrocoel (Ay') rückgebildet wird. Es ist dies —
ein schwer zu erklärender Fall von Methoriasis (im Sinne von
ScHimkgzwırsch). Man wird sich wohl vorstellen müssen, daß ur-
sprünglich beide Hydrocoele durch Rückbildung der sie trennenden —
Mesenterien zu einem gemeinsamen, den Osophagus umziehenden
Ring verschmolzen, worauf dann der ursprünglich rechte Lophophor-
arm längs dieses Ringes vom Bereich des rechten in den des linken
Hydrocoels hinüberwanderte. Ich bin auch nicht in der Lage, an-
zudeuten, warum der Mund mit seinen Armen nach links verlagert
wurde. Aber die Tatsache, daß der Mund des ausgebildeten Echino- —
derms links gebildet wird, und daß sich in seinem Umkreise die
fünf Arme ausbilden, zwingt uns zu dieser Vorstellung. Ich möchte —
nur allgemein darauf hinweisen, daß tubikole Lebensweise asym-
metrische Körperentwicklung begünstigt. Ich erinnere an gewisse
Asymmetrien im Bau von Phoronis. Von Rhabdopleura gibt
ScHEPOTIEFF!) an, daß sich bei den meisten Tieren eine Asymmetrie
erkennen läßt, die sich in der stärkeren Entwicklung der linken
Körperhälfte, sowie in der Lage einiger Organe z. B. des Mundes,
auf der linken Körperseite ausspricht. Auch die Asymmetrie der
Amphioxus-Larve wäre hier heranzuziehen. Man wird, wenn man
die Asymmetrie dieses Stadiums der Echinodermenentwicklung er-
klären will, zuerst die Frage zu erledigen haben, wie Rhabdopleura
zu der gleichen Art von Asymmetrie gekommen ist. 3
Ich nehme an, daß in diesem Stadium der Darmkanal eine
Veränderung erlitten hat. Die Gliederung in Ösophagus, Magen
und Intestinum wurde undeutlicher und der After noch mehr nach
vorne verlagert (Fig. 1 D). Der Darm beschreibt jetzt vom Munde
1) A. SCHEPOTIEFF, Über Organisation und Knospung von Rhabdopleura.
Zool. Anz., 28. Bd., 1905. x
243
ausgehend eine Zirkeltour im Sinne des Uhrzeigers. Es ist dies
jener Verlauf, den wir von der Antedon-Larve kennen. Diese
va My
ar. [| „ar
an
° (Qe
ye Q \ J Li
Gee
al \\%
=:
J5o'-4- = BER?
=
Figur 1.
A Dipleurula, Ansicht von der Ventralseite.
B x x » „ linken Körperseite.
C Asymmetrische Stufe, Ansicht von der Ventralseite.
D linken Körperseite
a—a‘ Körperlängsachse, an After, ax linkes Axocoel, ax’ rechtes Axocoel, hp Hydroporus,
(Primärporus der Madreporenplatte), Ay linkes Hydrocoel, Ay’ rechtes Hydrocoel, W linker
_ Lophophorarm, m Mund, rl rechter Lophophorarm, s vorderer Saugnapf, s‘ hinterer Saug-
napf, sp Scheitelplatte, st Steinkanal, so linkes Somatocoel, so’ rechtes Somatocoel.
16*
N ” ” ” n
244
zirkuläre Darmanlage liegt nach wie vor im dorsoventralen Mesen-
terium der Larve. A
Wenn wir den Mund, das ihn umziehende Hydrocoel (Fig. 1 D)
und die beiden Lophophorarme zusammengenommen betrachten, so
fällt auf, daß dieser ganze Komplex für sich bilateral-symmetrisch
orientiert ist. Ich bezeichne jene Ebene, welche, durch den Mund
gelegt, das Hufeisen der Hydrocoelanlage in zwei gleiche Hälften
teilt, als „Medianebene des Echinoderms“. Sie steht in diesem
Stadium senkrecht auf die Medianebene des Larvenkörpers, welche
in Fig. 1 D mit der Ebene des Papiers zusammenfällt. Jene Linie, —
in welcher die Medianebene der Larve und die des Echinoderms
sich schneiden, fällt mit der Körperlängsachse (Fig. 1 D a—a')
zusammen. |
Aus ähnlichen Ursachen, wie diejenigen waren, welche das
Hydrocoel zu hufeisenförmiger Einkrümmung führten, wird auch das
Somatocoel halbmondförmig eingebuchtet (Fig. 1 D so und so’, vgl. |
auch Fig. 2 £). Es handelt sich hierbei um eine gewisse Tendenz,
sämtliche Organe des Körpers um den Mund, als Mittelpunkt des
Echinodermenkörpers zu massieren. Wir können nun ein ventrales
und ein dorsales Horn des linken Somatocoels unterscheiden (so in |
Fig. 1 D), welche in den embrvologischen Arbeiten der letzten
Jahre eine gewisse Rolle spielen. Würden die beiden Hörner den
Ösophagus so weit umwachsen, bis sie sich vorne berühren, so —
würden sie miteinander ein auf der Oralseite des Echinoderms —
senkrecht stehendes vertikales Mesenterium bilden, welches in der
Medianebene des Echinoderms gelegen ist. Dies vertikale Mesenterium
kommt in der auf ein späteres Stadium sich beziehenden Fig. 2 @
am besten zum Ausdruck. Wir kennen es aus der Antedon-Ent-
wicklung; es bildet bei den Holothurien jenen vordersten Ab- |
schnitt des dorsalen Mesenteriums, in welchem der Steinkanal und
der Genitalausführungsgang ‚gelegen ist (Bury); bei den Asteriden
wird zwischen beide Blätter dieses Mesenteriums der Axialsinus
aufgenommen. a
In ähnlicher Weise, wie das linke Somatocoel, wird auch der
rechte Somatocoelsack hufeisenförmig umgebildet (Fig. 1 D so’). Er
liefert bei Antedon jenen Teil des vertikalen Mesenteriums, in welchem
das Axialorgan gelegen ist (vgl. Fig. 2 G so’).
III. Stufe Sekundäre Symmetrisation. War früher der
Mund von der ventralen Mittellinie nach der linken Körperseite
gewandert, so wandert er jetzt wieder nach der Ventralseite
zurück, wo er schließlich ungefähr die gleiche Lage einnimmt wie
245
in der primär bilateralen Larve, nur etwas weiter hinten (man
vergleiche diesbezüglich die Fig. 1 A, C und 2 EZ, wo die Mund-
öffnung schwarz ausgefüllt ist). Wenn man diesen Vorgang betrachtet,
so hat man den Eindruck, wie wenn der Mund nur deshalb vor-
übergehend nach links gewandert wäre, um sich von dort die
Hydrocoelanlage zu holen. In Wirklichkeit handelt es sich um
einen viel eingreifenderen Prozeß. Denn der Mund wird bei seiner
Rückwanderung nicht bloß vom Hydrocoel und den beiden Lophophor-
armen begleitet, sondern auch die Somatocoele machen eine Ver-
‘lagerung in gleichem Sinne mit. Es handelt sich um eine Drehung
des gesamten Eingeweidekomplexes im Verhältnis zum Larven-.
körper um 90°, wobei die Körperlängsachse (a—a’ in Fig. 1 D) als
Drehungsachse dient, mit dem Resultate, daß nun die Medianebene
des Echinoderms mit der ursprünglichen Medianebene der Larve
zusammenfallt. Ich nenne diesen Prozeß: sekundäre Symmetri-
sation und die Drehungsbewegung, welche die Anlage des Echinoderms
im Verhältnis zum Larvenkörper durchmacht, nenne ich: Torsion.
Man könnte sich vorstellen, daß der Kopflappen, welcher uns den
Larvenrest darstellt, in seiner Lage fixiert wäre, und daß das
hintere Körperende, welches die Anlage des Echinoderms enthält,
solange um die Körperlängsachse gedreht würde, bis die Median-
ebene des Echinoderms mit der Medianebene der Larve zu-
sammenfällt. So erklären sich jene sekundär bilateralsymmetrischen
Larvenformen, von denen uns Caswett Grave ein schönes Beispiel
für Ophiura brevispina vorführt‘). Auch Jon. Mürzer bildet ein
späteres Entwicklungsstadium des Pluteus paradoxus ab, in welchem
die Symmetrieebene des jungen Schlangensterns mit der des Pluteus
zusammenfallt?). So erklärt es sich auch, wie S. Goro zur Ansicht
kommen konnte, daß sich die Symmetrieebene der Larve als Median-
ebene des ausgebildeten Seesterns erhält ?).
Es ist von Interesse, die Lage der Organe in der primär
symmetrischen Larve (Fig. 1 A und B) mit der in der sekundär
symmetrisierten (Fig. 2 E und #’) zu vergleichen. In der primär
symmetrischen Larve lag die Darmschleife in der Medianebene
(Fig. 1 A). Jetzt liegt sie in der Frontalebene (Fig. 2 E). Dem-
1) CASWELL GRAVE, On the Occurrence among Echinoderms of Larve with
Cilia arranged in transverse Rings ete. Biol. Bull. Vol. 5, 1903, p. 173.
2) Jon, MÜLLER, Uber die Larven und die Metamorphose der Ophiuren
und Seeigel. Abh. Acad. Wiss. Berlin, 1846, Taf. I Fig.9. ~
3) S. Goto, The Metamorphosis of Asterias pallida ete. Journ. Coll. Se.
Tokyo, Vol. 10, 1898.
246
entsprechend ist auch das früher dorsoventrale Mesenterium in die |
frontale Lage gewandert. Der ursprünglich linke Somatocoelsack —
N >
VRDAN. a 2
Ss
Figur 2.
E sekundär symmetrische Stufe, Ansicht von der Ventralseite. 5
F e e i = » :.r. linken Körperseite.
G nach erfolgter Elevation, Ansicht von der Ventralseite.
oe: Saar 5 ‘5 5 » „ linken Körperseite. :
an After, ax Axocoel, b—b‘ Transversalaxe, um welche die Drehung beim Übergang vom
Stadium Ein das Stadium @ erfolgt, hy Hydrocoel, k Anlage des gekammerten Organs, welc
bei Antedon aus 5 Divertikeln von so’ besteht, m Mund, s vorderer Saugnapf, so ursprünglich
linkes Somatocoel, so‘ ursprünglich rechtes Somatocoel, sp Scheitelplatte.
r
247
(Fig. 1 A so) liegt jetzt auf der Bauchseite (Fig. 2 E so); das
ursprünglich rechte Somatocoel (Fig. 1 A so’) nimmt eine dorsale
Lagerung ein (Fig 2 E so’). Da im Umkreise dieser Coelomsäcke
auch die primären Plattencyclen ausgebildet werden: die Oralia
und Terminalia im Umkreise des ursprünglich linken Somatocoels,
die apicalen Plattencyclen im Umkreise des ursprünglich rechten
Somatocoels, so erklären sich auf diese Weise die Verlagerungen,
welche die Skelettanlage durchmacht. Es wird jetzt verständlich,
warum z. B. die Anlage des Seesternrückens ursprünglich mehr an
der rechten Körperseite gelagert war, während sie später an der
Dorsalseite der Bipinnaria vorgefunden wird.
IV. Stufe. a) Elevation. Der letzte Umwandlungsprozeb
den wir ins Auge zu fassen haben, nimmt bei den Pelmatozoen
einen anderen Verlauf als bei den Llewtherozoa; daher sie gesondert
zu betrachten sind. Ich will diese Bewegung bei den Pelmatozoen
als Elevation bezeichnen. Sie steht in inniger Beziehung zu der
nun eintretenden definitiven Festheftung des sedentären Pelmatozoons
und umfaßt jene Verschiebungen, durch welche der Kelch des
jungen Crinoids in seine definitive Stellung gegenüber dem Larven-
rest, der hier zum Anheftungsstiel wird, gebracht wird (Fig. 2
Gund 7). Diese Aufrichtung vollzieht sich um eine transversale,
von rechts nach links ziehende Achse (b—Db’ in Fig. 2 E), derart, dab
die Medianebene des Echinoderms mit der Medianebene des Larven-
restes in Deckung verbleibt. Durch diese Bewegung kommt der
Mund jetzt an jene Stelle, welche früher das Hinterende der
Körperlängsachse der Larve bezeichnete. Die Darmspirale und
mit ihr das den Darm befestigende Mesenterium nimmt nun im
Kelch des pentacrinoiden Stadiuns eine transversale oder horizontale
Lage ein. Wir können jetzt von einem horizontalen Mesenterium
sprechen, welches von dem früher erwähnten vertikalen Mesenterium
wohl zu unterscheiden ist. Das horizontale Mesenterium bildet die
Grenze zwischen ursprünglich rechtem (Fig.2 @so’) und ursprünglich
linkem Somatocoelsack (so), während das vertikale Mesenterium
sich zwischen den beiden Hörneın ein und desselben Coelomsackes
entwickelt. Das ursprünglich linke Somatocoel (so in Fig. 1 A und
Fig. 2 @) wird zum Coelom der aktinalen oder oralen Körperhälfte,
das ursprünglich rechte Somatocoel (so’ in Fig. 1 A und Fig. 2 G)
zum Coelom der abaktinalen oder aboralen Hälfte.
b) Flexion. Die letzten Lageveränderungen bei den Zleu-
_therozouw sollen nur für die Asteriden erörtert werden, bei denen
sich der Rest der Bipinnaria oder der Larvenrest als ein dem
248
Anheftungsstiel der Antedon-Larve vergleichbares Organ länger
erhält. Hierauf beziehen sich die Abbildungen der Fig. 3. Fig. 3 J —
stimmt mit der Fig. 2 / vollkommen überein, nur mit dem einzigen —
Unterschiede, daß ich hier die Anlagen der fünf Radien angegeben
und mit den Ziffern 1—5 bezeichnet habe. Man erkennt, daß der
Verschluß des Hydrocircus im vorderen Interradius stattfindet, was —
bei Antedon der Fall ist, während bei den Zleutherozoa meist ab- —
geänderte Verhältnisse eintreten. In diesem ausgezeichneten Inter-
radius 5—1 liegen ursprünglich (d. h. bei der Antedon-Larve) sowohl
die Afteröffnung, als der Hydroporus. Die Medianebene des Echino-
derms geht durch diesen Interradius und durch den nach hinten
gerichteten unpaaren Arm No. III.
Auch hier wird das Echinoderm im Verhältnis zum Stiel um
eine transversale Achse (Fig. 3 J b—b’) gedreht, aber die Drehung —
vollzieht sich im entgegengesetzten Sinne als bei den Pelmatozoen.
War es dort eine Aufrichtung des Körpers, so handelt es sich hier
um eine Flexion, durch welche bewirkt wird, daß der Stiel
schließlich neben dem Munde auf der oralen Fläche des jungen
Seesterns senkrecht steht (Fig. 3 X und Z), während er bei den
Pelmatozoen im Mittelpunkt der aboralen Fläche aufgerichtet wird.
Man könnte das Verhältnis auch so ausdrücken: der Stiel inseriert
sich ursprünglich im Interradius 5—1. Er pendelt in diesem Inter-
radius und gerät hierdurch bei den Pelmatozoen auf die aborale,
bei den Asteriden auf die orale Fläche des jungen Echinoderms. —
Eine einzige Ausnahme unter allen Asteridenlarven macht, soviel —
ich weiß, die Dipinnaria asterigera (Larve von Luidia sarsi), bei
welcher der Larvenrest zum Seestern die gleichen Lagebeziehungen —
besitzt, wie bei Antedon. Der Umstand, daß bei einer Bipinnaria
die Flexionsbewegung durch einen Elevationsvorgang ersetzt ist,
möchte wohl darauf hindeuten, daß wir den Erscheinungen der
Flexion keine phylogenetische Bedeutung beizumessen haben.
Wenn durch die Torsionsbewegung die Medianebene des Echino-
derms mit der Medianebene der Larve zur Deckung gebracht
wird, durch die Bewegungsformen der Elevation oder Flexion
das Lageverhältnis des jungen Echinoderms zum Anheftungs-
stiel (d. h. zum Larvenrest) geregelt wird, so tritt eine dritte
Bewegungsform, welche ich als Rotation bezeichne, ausschließlich
in den Dienst der inneren Ausgestaltung des Echinodermenkörpers.
Es handelt sich hier um jene Drehung der Hydrocoelanlage im
Verhältnis zu den Armanlagen, bei welcher die vom Mund des
Seesterns zum apikalen Pole ziehende Hauptachse als Drehungsachse
249
dient, und welche von Lupwie für Asterina erkannt wurde. Indem
die Hydrocoelanlage bei Betrachtung des Seesterns von der Oral-
seite (Fig. 3 J) entgegen dem Sinne des Uhrzeigers bewegt wird,
während der Cyclus der fünf Armanlagen (I—V) sich im Sinne
des Uhrzeigers dreht, wird die mit 1 bezeichnete Anlage des be-
N IT
ESS SS
Figur 3.
Zur Metamorphose der Asteriden.
J sekundär symmetrisches Stadium, vgl. us 28.
K nach erfolgter Flexion.
L dasselbe in der Ansicht von der linken Körperseite, teilweise im Medianschnitt.
ax Axocoel (Anlage des Axialsinus), b—b’ Transversalaxe, Drehungsaxe bei erfolgender
Flexion des Larvenrestes, so ursprünglich linkes Somatocoel, so‘ ursprünglich rechtes Soma-
poco, I—V die fünf Armanlagen, 1—5 die Anlagen der fünf Radialgefäße des Ambulacral-
systems. :
treffenden Ambulacralstammes mit der Armanlage V zur Deckung
gebracht, die Anlage des Ambulacralgefäßes 2 mit Armanlage I
und so fort. Ich habe keine Vorstellung von der eigentlichen Be-
deutung und dem Zweck dieser Bewegung und bin auch nicht in
der Lage, über ihre Verbreitung bestimmte Angaben zu machen,
wenngleich einige Mitteilungen der Autoren darauf hinzuweisen
250
‚scheinen, daß die Erscheinungen der Rotation in verschiedenen
Klassen der Echinodermen vorkommen. | B
Zu erwähnen wäre noch, daß die beiden Somatocoelsäcke (so
und so’ in Fig. 1 A) im Laufe der Metamorphose zu ungleicher
Größe heranwachsen. Bei den Crinoiden wird der ursprünglich
rechte Somatocoelsack (Fig. 2 G, so’), welcher auch die Anlage
des gekammerten Organs (A) liefert, bedeutend größer, als das
ursprüngliche linke Somatocoel (so), daher hier das horizontale
Mesenterium der oralen Fläche des Kelches genähert erscheint.
Bei den Eleutherozoa dagegen wird der größte Teil der definitiven
Leibeshöhle von dem ursprünglich linken Somatocoel (Fig. 3, L, so)
gebildet, während das ursprünglich rechte Somatocoel nur zu einem
kleinen Teile daran partizipiert. Infolgedessen rückt das horizontale
Mesenterium hier näher an den apikalen Pol. Wenngleich dieses
Mesenterium in späteren Stadien, wie es scheint, vielfach einer
Rückbildung unterliegt, so sind wir doch stets imstande, seine Lage
zu bestimmen. Seine Insertionsstelle ist durch den Verlauf des sog.
Aboralsinus, welcher den zirkulären Teil der Genitalrhachis in sich
birgt, gekennzeichnet. |
Zusammenfassend möchte ich sagen: die Anlagen der oralen
Hälfte des Echinodermenkörpers werden an der linken Seite der
Larve, die der aboralen Hälfte an der rechten Seite der Larve
entwickelt. Das ursprünglich dorsoventrale Mesenterium erhält
sich als horizontales Mesenterium des ausgebildeten Zustandes.
Die Lageverschiebungen der Organe während der Metamorphose
lassen sich auf drei Bewegungsformen zurückführen, welche ich
(bei den Kleutherozoa) als Torsion, Flexion und Rotation bezeichne.
Die Schräglagen des Echinodermenkörpers im Verhältnis zur Larve
sind aus einer Kombination von Torsions- und Flexionsbewegung
zu erklären. . 4
Nun noch zwei Worte zur Vervollständigung meiner Vor-
stellungen bezüglich der Phylogenese der Echinodermen. Ich habe
dem Schema eines ursprünglichen Pelmatozoons nur zwei Lopho-
phorarme zuerteilt. Wie entwickelte sich die Pentamerie des
Echinodermenkörpers? Barrer hat durch verschiedene Hinweise
auf Befunde der Paläontologie wahrscheinlich gemacht, daß zu-
nächst ein dritter unpaarer Arm (IIL in Fig. 3, J) zur Entwicklung
kam, während die Fünfzahl der Arme durch dichotomische Spaltung
der beiden paarigen Arme erreicht wurde. Daß die Zahl der Arme |
durch Spaltung vermehrt wurde, bereitet unserem Vorstellungsver-
‚mögen keine besonderen Schwierigkeiten, wenn wir berücksichtigen,
,
251
daß eine Neigung zu dichotomischer Verästelung an den Armen
zahlreicher Crinoiden beobachtet wird. Schwieriger erschien es
mir, die erste Entstehung des unpaaren hinteren Armes zu ver-
stehen, bis mir einfiel, daß diesbezüglich eine entfernte Analogie
bei den Brachiopoden zu finden ist. Was wir als die inneren oder
Spiralarme der Terebratuliden bezeichnen, kann als ein solcher
dritter unpaarer Lophophorarm betracht werden’). Wenn es sich
hier auch nur um eine entfernte Ähnlichkeit handelt, so rückt dies
Vorkommnis die Entwicklung des unpaaren dritten Armes der
Echinodermen unserem Verständnis etwas näher. Im wesentlichen
handelt es sich nur um fortgesetzte Faltenbildung an einem ur-
sprünglich einheitlichen, den Mund umziehenden Tentakelkranze.
Der fünfeckige zirkumorale Nervenring, den wir bei den See-
sternen mit leichter Mühe präparieren, war ursprünglich wohl eine
Schlundkommissur. Wir werden auch in der Lage sein, die Stelle
anzugeben, an welcher sich diese Schlundkommissur mit dem Gehirn
der Dipleurula (der Scheitelplatte der Antedonlarve) in Verbindung
setzte. Es muß diese Stelle in dem schon oben erwähnten Inter-
radius 5—1 zu suchen sein, denn hier steht das Echinoderm mit
dem Kopflappen des Larvenkörpers in Verbindung (Fig. 3 J). Die
Vorstellung, daß der zirkumorale Nervenring ursprünglich eine
Schlundkommissur war, wird durch Beobachtungen über das larvale
Nervensystem der Echinodermen gestützt. Wir sehen einen Teil
dieses Schlundringes an der Auricularia, wo ihn Semon auffand.
Er ist an lebenden Auricularien gewöhnlich leicht zu beobachten.
Nicht genügend gewürdigt wurde bisher eine Angabe von SEELIGER,
welcher mitteilt, daß von der Scheitelpiatte der Antedon-Larve
zwei Nervenstränge entspringen, welche ventralwärts zu den Seiten
der Vestibulareinstülpung bis zum vierten Wimperreifen nach hinten
ziehen. Wir werden in diesem larvalen Nervensystem den Ursprung
des oralen Nervensystems der Echinodermen zu suchen haben.
1) Vgl. bezüglich der Entwicklung der inneren Arme von Terebratulina
septentrionalis die Abbildung nach Morsb in KORSCHELT-HEIDER, Lehrbuch d.
vgl. Entwickl. d. Wirbell. Th. Spez. Teil, ILI. Heft, p. 1239 Fig, 721.
252
Vierte Sitzung.
Mittwoch, den 29. Mai, 3—5 Uhr.
Vorträge.
Herr Dr. F. Barızer (Würzburg):
Uber die Entwickiungsgeschichte von Bonellia.
Die vorliegenden Mitteilungen!) beziehen sich auf die Entwick-
lungsgeschichte der beiden in Neapel vorkommenden Bonellienspezies:
Bonellia viridis Rot. und Bonellia fuliginosa Ror. Bekanntlich
besteht bei Bonellia ein sehr ausgeprägter Geschlechtsdimorphismus.
Die Männchen sind Zwergmännchen und leben in verschiedener
Anzahl im Uterus der Weibchen. Es läßt sich — um das Wesent-
liche vorwegzunehmen — auf Grund meiner Beobachtungen die
Homologie der einzelnen Organe bei S und ? weiter als bisher
führen.
Meine Untersuchung bezieht sich auf das Vorkommen von
Nephridien, auf die Entwicklung des Samenschlauchs und auf be-
sondere Verhältnisse in der Metamorphose des do von B. fuliginosa.
In Fig. 1 ist die Organisation eines jungen. Weibchens von
Bonellia viridis dargestellt, wie es sich ohne große Schwierigkeit
aus dem Ei züchten läßt. Die Figur ist etwas schematisiert und
gibt die Ansicht von der Ventralseite. Für die einzelnen Organe
bitte ich die Figurenerklärung nachzusehen. Die Grundlage für die
Abbildung lieferten neben den eigenen Beobachtungen die Angaben
Speneav’s (1879) °), die ich fast durchweg bestätigen konnte. Außer
den Organen, welche Tiere des gezeichneten Stadiums besitzen, ist
auch der Uterus eingetragen. Er gelangt in Wirklichkeit erst in
älteren Individuen zur Ausbildung.
In Fig. 2 ist halbschematisch die Organisation eines noch nicht
völlig ausgewachsenen Männchens von Bonellia viridis gegeben.
Auch diese Figur beruht außer auf den eigenen neuen auf SpENGEL’S
Angaben.
1) Eine breitere Darstellung wird in einer die Neapler Echiuriden um-
fassenden Monographie der „Fauna und Flora des Golfes von Neapel“ gegeben
werden. Mit Rücksicht darauf wurde die vorliegende Darstellung möglichst —
kurz gehalten und auf weitere vergleichende Erörterungen der Organisation —
verzichtet.
2) J. W. SPENGEL, 1879. Beiträge zur Kenntnis der Gephyreen. I. Mitt. —
Zool. Stat. Neapel, Bd. 1.
/
253
1. Die Protonephridien.
Für das Weibchen (Donellia viridis) hat Sreneen ein Paar
Protonephridien beschrieben. „Vor den Borsten“, schreibt er,
„. . . findet sich ein Paar äußerst zarter, sowohl am lebenden
wie am konservierten Tier schwer sichtbarer Schläuche. ... Wir
Big. i.
Fig. 2.
Fig. 3.
werden sie als Exkretionsorgane in
Anspruch nehmen miissen, indessen
(&
pn.
sa. 5
ae
da Uae. i
; N
|
Ee &
bm. ----}-- ff is
Ss ih
5 B
€ ag
mn : te
gy
Figur 1. Figur 2. Figur 3.
Organisation eines jungen 2 von Bonellia viridis, etwas schematisiert,
Ventralansicht. abl. Analblase; b. Borste; bm. Bauchmark; c. Schlundring; d. Darm;
mn. Metanephridien; pn. Protonephridien; «. Uterus.
Organisation eines halberwachsenen Z von Bonellia viridis, etwas
schematisiert. Ventralansicht. sa. Samenschlauch. Die iibrigen Bezeichnungen
wie bei Fig. 1.
Organisation eines erwachsenen g von Bonellia fuliginosa, etwas
schematisiert. Ventralansicht. Bezeichnungen wie bei Fig. 1 u. 2.
nicht als die bleibenden, welche bei den Echiuriden hinter den
Borsten liegen, sondern als provisorische, als primitive Segmental-
organe“ (1879, p. 392). Wimperung, die Spencer nicht beobachtete,
habe ich in vielen Fällen im Innern dieser Schläuche feststellen
können.
254
Solche Protonephridien finden sich nach meinen Beobachtungen
auch beim Männchen, wo sie Spencer nicht nachgewiesen hat. Sie —
sind in Fig. 2 am Vorderende eingezeichnet. Es sind wie beim
Weibchen zwei im Innern flimmernde Sackchen. Woihre Miindungen —
g
nach außen liegen, konnte nicht mit Sicherheit festgestellt werden.
‚Ungefähr dürfte Fig. 2 das Richtige treffen. Die Frage, wie sie zu Y
den Borsten liegen, läßt sich, da dem Männchen von Bonellia viridis
die Borsten fehlen, nicht prüfen. Das Männchen von Bonellia
fuliginosa, welches Borsten entwickelt, konnte der besonderen Ver-
hältnisse wegen, die im letzten Teil dieses Aufsatzes beschrieben
sind, auf Protonephridien nicht untersucht
nephridien des Männchens von Bonellia vi-
ridis stark vergrößert abgebildet. Der Fig. ta
ol fixiertes Präparat zugrunde, der Fig.4b eine —
‘3 Zeichnung nach dem lebenden Tier. Eine
Q Jy Öffnung in das Cölom ist allem Anschein nach,
‘ ; nicht vorhanden. Die Säckchen sind — doch
Figur 4. kann das noch nicht fiir unbedingt sicher
Protonephridium des gelten — blind geschlossen. Stets ist der
GO von Bonellia viridis. Nacl Pee 0 } liters ‘i
ach da eonterkan Pi Nachweis dieser Urgane sehr Schwierig, Wel
parat gez. Vergr. sa sie im mesodermalen Parenchym eingebettet
b nach dem lebenden Ob- TR ee. | R sie oe e
‘aki Bi liegen, unter einer großen Zahl ähnlich aus
sehender Drüsen. - Nach dem Bau und der
Lage im vorderen Ende ist indessen kein Zweifel, daß mit den
beschriebenen Säckchen die Pan beim Marek von E
Bonellia viridis gefunden sind.
2, Die Metanephridien.
Als Metanephridien werden die beim Männchen von Bonellia
viridis von SevenKa (1878, p.121)+) gefundenen, wimpernden Schläuche
„vorn im hintern Kérperdrittel* aufgefaßt. Ich kann, wie es auch
schon Srexeer getan hat, diese Angabe bestätigen. Außerdem habe
ich auch das Männchen von Donellia. fuliginosa untersucht. Es —
finden sich bei dieser Spezies im 3 zwei Paar solcher Organe. Sie —
sind halbschematisch in Fig. 3 eingezeichnet, wie sie sich am ©
lebenden Tier dem Beobachter im optischen Querschnitt darbieten:
in der Form flimmernder Ringe. Eine Seitenansicht erhält man nur
1) SELENKA, E., Das Männchen der Bonellia. Zoolog. Anzeiger, Bd. 1.
,
werden. In Fig. 4a und 4b sind Proto-
liegt ein mit Meves’schen Osmiumgemisch |
.§
255
selten. Die Mündungen nach außen liegen auf der Bauchseite des
Tieres.- Der innere Teil der Schläuche flottiert, entsprechend der
Darstellung Serexka’s, frei im Cölom. Die inneren Öffnungen habe
ich noch nicht völlig sicherstellen können. Auch müssen die
Beobachtungen, vorerst nur am lebenden Tier angestellt, am fixierten
Material ergänzt werden. Trotz dieser Liickenhaftigkeit der Unter-
suchung scheint es mir auf Grund der Lage der Schläuche kaum
einem Zweifel zu unterliegen, dab sie den nur in einem Paar ver-
tretenen Metanephridien des viridis-Mannchen entsprechen. Wir
haben somit beim /fwliginosa-Mannchen zwei Paare von Meta-
nephridien und können das doppelte Vorkommen wohl als letzten
Rest eines früheren segmentalen Auftretens betrachten.
Beim Weibchen wurde bisher der Uterus als Metanephridium
gedeutet. Nach meinen Beobachtungen hat sich außerdem auch beim
Figur 5
Metanephridium eines jungen?
von Bonellia viridis. Nach einem
in Sublimatessigsäure fixierten Total-
Präparat gez Vergr. '/,,,. e. ep. Zellen
des Coelomeypithels. Die Offnung in das
C. ep. Coelom liegt links.
ee =
Figur 6.
Metaneplridium eines jungen 2 wiein Fig. 5. Querschnitt. Vergr. */,,,,. ep. Epidermis;
m. Muskelschicht; mn. Metanephridium.
Weibchen während einer kurzen Entwicklungsperiode in der hinteren
Region des Körpers ein Paar sehr deutlicher wimpernder Schläuche
mit Öffnung ins Cölom und Mündung auf der Bauchseite des Tieres
vorgefunden. Ihre Lage ist aus Fig. 1 zu entnehmen. Ihre Entwick-
lung setzt nach der Bildung der Protonephridien ein. Doch findet man
nieht selten beide Organe gleichzeitig. In Fig. 5 ist ein solches Meta-
nephridium im optischen Längsschnitt abgebildet. Die Wandung be-
steht aus einem Epithel und dem Peritonealüberzug. Am unteren
Ende — dem ins Cölom hineinragenden — befindet sich eine besonders
‚große Zelle, welche anscheinend allein mit Cilien besetzt ist. Die
Ausführungsgänge ziehen wie bei den Metanephridien des 9 eine
256
Strecke unter dem Cölomepithel hin. Einen Querschnitt durch
diesen Teil gibt Fig. 6. Es ist nach Stellung, Bau und auch nach
der Entwicklung kein Zweifel. daß wir in diesen Schläuchen Organe
zu sehen haben, die den Metanephridien des Männchens homolog sind.
Zusammenfassend können wir sagen: Bei Bonellia viridis
kommen im Männchen und Weibchen je ein Paar Proto-
nephridien und ein Paar typischer Metanephridien vor.
Beim Männchen von Bonellia fuliginosa finden sich zwei
Paar Metanephridien. Beim
Weibchen von fuliginosa dagegen
= konnte ich solche Metanephridien
= ee m. nicht auffinden. ;
BF ers re. a An diese Bedbackemenn
ACRE LPIA EES ee N ahi; ae RE E
& Baur: 2% ER (ir ee = schließt sich die Frage, wie jetzt
se gg. NE = 2 £3 ye a 5 ; .
IE es HES, & an IE: ty der Uterus aufzufassen ist. Er —
nn v4 > . > 2 ose: « = . . .
er ER 3 Be bildet sich erst bei Eintritt der
ey FE | ;
Pe 3222 Geschlechtsreife aus, und zwar
aus dem Célomepithel. Ein junges —
Stadium, aus drei Schnitten kom-
biniert, ist in Fig. 7 abgebildet.
Ein Ausführungsgang hat sich —
ee noch nicht entwickelt. Es be-
Erste Anlage (u) des Uterus bei Bo- steht erst eine Tasche im Cölom-
nellia fuliginosa. Vergr. ‘lor Bezeich onithe] und ein in die Muskulatur
nungen wie bei Fig. 6.
hineinreichender Spaltraum. In
früheren Stadien läßt sich an der entsprechenden Stelle höchstens eine
minimale Anhäufung von Zellen des Cölomepithels nachweisen, deren
Interpretation naturgemäß unsicher ist. Die oben beschriebenen
typischen Metanephridien sind wahrscheinlich auch mesodermalen Ur-
sprungs. Es stünde damit der Deutung des Uterus als Metanephridium —
nichts im Wege. Andrerseits wäre auch möglich, daß es sich um einen —
Genitaltrichter handelt, wie sie bei Anneliden verbreitet sind’).
3. Der Samenschlauch.
Er entsteht als ektodermale Einstülpung, als ein Säckchen, am
vorderen Ende der männlichen Larve. Diese Einstülpung vergrößert
sich; sie zieht sich dabei durch den Schlundring hindurch. Die
Anlage des Samenschlauchs geschieht also wie die Anlage des
Ösophagus beim Weibchen. Dieser Befund deckt sich mit einer .
1) Auf die Entstehung der Analblasen, der ich mein Augenmerk auch zu-
gewendet habe, gehe ich hier nicht ein; ebensowenig auf ihre Deutung und ihr
Verhältnis zu den Metanephridien.
257
Beobachtung Spencer's (l. c. p. 408 und Taf. XII Fig. 11), an
einem allerdings vereinzelten Entwicklungsstadium. Er sah nahe
dem Vorderende, „mit der Epidermis in Zusammenhang und wie
eine Einstülpung dieser erscheinend, einen Schlauch sich erheben
und seitlich neben dem Darm emporsteigen“. Der Autor „zweifelt
nicht daran, daß dies ein frühes Stadium des Samenschlauches
ist“ (1. c. ibid.). Diese Auffassung wird durch meine Beobachtungen
von jüngeren und älteren Stadien gesichert.
An der Seite dieses Sackes entsteht der Trichter. Ich vermute, er
wird nur vom Mesoderm gebildet, welches auch den Peritonealiiberzug
des Samenschlauches liefert. Mit der Trichterbildung bekommt das
Organ den Bau, wie er in Fig. 2 dargestellt ist und wie ihn auch
SpengEu (vgl. p. 407), jedoch nur mutmaßlich, angenommen hat.
Nach der ganzen Entwicklung darf der Samenschlauch dem
Uterus natürlich nicht homolog gesetzt werden, obgleich beide
Organe im fertigen Zustand von ähnlicher Organisation sind.
Möglich wäre dagegen, und mir, soweit die Untersuchung bis jetzt
gediehen ist, nicht unwahrscheinlich, daß es sich um ein Homologon
des Ösophagus handelt.
4. Die Entwicklung des Männchens von Bonellia fuliginosa.
Das Männchen dieser Spezies ist durch zwei große Haken im
vordern Teil des Körpers charakterisiert. Es hat sich gezeigt, daß
dieselben in gleicher Weise
entstehen wie die Borsten des
Weibchens, mit basaler Bor-
stenbildungszelle. In Figur 8
ist ein junges Stadium der
Borstenbildung wiedergege-
ben. Über die Entstehung des
Borstensackes läßt sich vorder-
hand nur sagen, daß er weder b.
beim 3 noch beim 2 durch ©
Einstülpung des Ektoderms
gebildet wird. Die Stellung
der Haken des Männchens
entspricht, besonders in frühen
Stadien, durchaus der Stellung
Figur 8.
der Borsten beim Weibchen. Entwicklung der Borste (6) des G von Bonellia
Sie liegen hinter dem Schlund- fuliginosa, in Zenkerschem Gemisch fixiert. Vergr.
1/40. mes. p. mesodermales Parenchym. Übrige
ring in der ventralen Körper- Bezeichnungen wie in Fig. 6.
Verh. d. Dtsch. Zool. Ges. 1912. 17
258
wand, zu beiden Seiten des Bauchmarks. Allen Beobachtungen
zufolge sind somit, was von vornherein wahrscheinlich war, die
Borsten des ? und die Haken des 3 homolog.
Nach Spexneen gehen aus den Eiern von Bonellia viridis Larven
mit zwei Wimperkränzen, grünem Pigment und zwei Augen hervor.
Sie setzen sich nach einer Periode des freien Schwimmens am
Rüssel alter Weibchen fest. Bei ge-
nauerer Untersuchung findet man,
was hier nebenbei bemerkt sei, daß
sie hauptsächlich mit dem vordern
Ende festhängen. Wir finden im
vordern Teil des Tieres Drüsen in
großer Zahl, deren Mündungsgänge
durch den Schlundring ziehen und
ees an der ventralen Seite des vordersten
Haftdrüsen (dr) des von Bonellia viridis. Körperbezirks ausmünden. Eine An-
seer zahl dieser Drüsen — sie bestehen
allem Anschein nach nur aus einer Zelle — ist in Fig. 9 etwas
schematisiert abgebildet. Der Abbildung liegt eine Zeichnung nach
dem lebenden Objekt zugrunde. Das Bauchmark ist nach fixierten
Präparaten eingetragen. Wir können diese Gebilde wohl als Haft-
drüsen betrachten. |
Die schwärmenden Larven der Bonellia fuliginosa wurden von
SpenGen (l. c.) und Rıersch (Rec. zool. Suisse, Bd. III, 1886) kurz
beschrieben. Sie setzen sich nach meinen Beobachtungen nicht,
wie die Larven der Bonellia viridis, am Rüssel, sondern immer an
der \Wandung des Körpers fest, und zwar vermittelst ihres Bauch-
saugnapfes. Die festsitzenden Larven werden in eharakteristischer
Weise von Falten des Hautmuskelschlauches umschlossen. Die
Epidermis und das unter ihr liegende, von Drüsen durchsetzte
Gewebe der Körperwand des 92 bildet zu beiden Seiten der
Larve Wülste, welche über deren Rücken hinaufreichen und
sich in vielen Fällen über diesem treffen. Es wird eine Art
Mantel um die Larve gebildet. Eine Verschmelzung der von
beiden Seiten kommenden Lappen aber findet nicht statt. In
welchem Maß bei diesem Vorgang einerseits aktives Einkeilen des
Männchens in die zahlreich vorhandenen Rinnen der Körperoberfläche
anderseits aber Umwachsen des Männchens durch die Gewebe des
Weibchens beteiligt ist, konnte ich bisher nicht feststellen. In
Fig. 10 ist ein Querschnitt durch eine festsitzende Larve und das
sie umgebende Gewebe abgebildet. Die Umhüllung ist nicht voll
j 259
=
3 ständig. Unter den Organen des Männchens sind zwei große
_ Drüsenkomplexe (dr) hervorzuheben, die zu beiden Seiten des
Darmes und Bauchmarks liegen und die vordere Hälfte des Tieres
einnehmen.
In der beschriebenen Umhüllung geht die Entwicklung der
# _Larve zum Männchen vor sich. Sie dürfte etwa einen Monat in
Anspruch nehmen. Zur Ermährung dient das im Darme des Tieres
Er»
i
|
epi dr d sa bm ep epi
'
|
|
a ae
Figur 10.
| Querschnitt durch eine an einem alten Q festsitzende männliche Larve von Bonellia
fuliginosa.
oO: bm Bauchmark, d Darm, dr Drüsen, ep Epidermis, sa Samenschlauch.
Q: ep, Epidermis, m, Muskelschicht.
‚ enthaltene Dottermaterial. Ernährung durch das Wirtstier findet
nicht statt. Dann kriechen, was allerdings nicht beobachtet wurde,
_ aber aus den Verhältnissen geschlossen werden kann, die Männchen
aus der Hülle heraus und in den Ösophagus oder Uterus des Wirts-
tieres hinein.
-
Diskussion:
= ‘Herr Prof. Spencer (Gießen) weist darauf hin, daß die Unter-
_ suchungen des Redners insofern keine befriedigende Lösung gewisser
' 17°
260
schwebender Fragen bringen, als sie über die Homologie der Anal-
blasen mit Metanephridien keinen sicheren Schluß gestatten: es
muß auch nach ihnen mit der Möglichkeit gerechnet werden, daß
die Analblasen Metanephridien entsprechen, nämlich dem zweiten,
hinteren Paare der nach Batrzer’s überraschender Entdeckung den
Männchen der Bonellia fuliginosa zukommenden zwei Paare.
Der Redner hat keine Angaben über die Eibildung gemacht,
wie ich erwartet hätte. Trotzdem möchte ich eine darauf bezüg-
liche Bemerkung machen, weil ich die Gelegenheit nicht unbenutzt
zu lassen wünsche, einen in dieser Beziehung von mir früher
gemachten Irrtum zu berichtigen. 1879 habe ich im Innern der 2
Nährzeilenkappe, die den im Cölom von Bonellia flottierenden Ei-
zellen aufsitzt, eine Zentralzelle beschrieben, die in der Festschrift
für R. Herrwie durch Kuscnaxewirscu der sogenannten Vurson’schen
Zelle des Insectenovariums verglichen worden ist, was den Genannten
veranlaßt hat, den Namen Verson’sche Zelle durch Spexser’sche Zelle
zu ersetzen. Diese Zentralzelle existiert nun als solche nicht,
sondern wird nur durch einen Fortsatz der Eizelle selbst dar-
gestellt. Der naclı meinen früheren Angaben darin enthaltene Kern
ist kein solcher, sondern nur ein oft dort vorkommendes, bisweilen
in einem vacuolenartigen Hofe gelegenes Häufchen von, ,Chromidien*-
ähnlichen Körnchen. Der von Kuscuaxrwrrscx empfahl Name
wird daher wieder eingezogen werden müssen.
Nachträgliche Bemerkung:
Was die Frage betrifft, ob der „Uterus“ von Bomellia einem
er ,Segmentalorgane“ der übr; igen Echinrideen entspricht, so ist
in Betracht zu ziehen, daß auch bei dem aus der Larve gezogenen
jungen Echiurus des Mittelmeeres, dessen vor den Bauchborsten
ausmündende Protonephridien geschwunden sind, die Segmental-
organe noch fehlen, deren Entwicklung also noch nicht hat beob-
achtet werden können. Diese kann in derselben Weise vom Peri-
tonealepithel aus vor sich gehen, wie es Barızer für den „Uterus“
von Bonellia ausgeführt hat; ja es ist kaum wahrscheinlich, dab
es anders geschehen sollte. Allerdings ist dabei zu erwägen, dab
es überhaupt unsicher ist, ob die Segmentalorgane der Echiurideen
Nephridien und nicht vielmehr sämtlich nur Gonoducte sind; denn
eine excretorische Funktion ist für sie nicht nachgewiesen, währe nd
sie in allen Fallen als Leiter der reifen Genitalprodukte erkannt
sind. Wenn Surrey sie, wie die Segmentalorgane der Sipun-
cutiden, „braune Körper“ nennt, so ist das insofern ganz unbe.
,
261
rechtigt, als die in letzteren stets vorhandenen braunen Excret(?)-
körner in denen der Echiurideen niemals auftreten, so dab letztere
immer farblos sind.
Herr Prof. J. W. Spencer (Gießen):
Einige Organisationsverhaltnisse von Sipunculusarten und ihre Bedeutung
fiir die Systematik dieser Tiere.
Seit Jahren ist es meine Absicht gewesen, eine Revision der
Sipunculiden vorzunehmen, und zu diesem Zwecke habe ich mir
eine sehr umfangreiche Sammlung dieser Tiere beschafft, die mir
teils von verschiedenen Museen (hauptsächlich München, Amsterdam,
Berlin, Hamburg, Cambridge), teils von Spezialforschern und
Sammlern zur Verfügung gestellt worden ist, wofür ich schon bei
dieser Gelegenheit meinen ergebensten Dank aussprechen will.
Ich beschloß, mit der Gattung Sipunculus zu beginnen, die
einerseits schon in der bekannten Monographie von SELENKA in
zwei bzw. drei Gruppen zerlegt worden war, und von der
andrerseits Gerroutp auf Grund seiner ontogenetischen Unter-
suchungen die Vermutung ausgesprochen hatte, sie werde sich als
eine nicht natürliche erweisen. Allerdings stützte dieser sich im
wesentlichen auf das von Sipunculus nudus selır abweichende,
dagegen mit Phascolosomen viele Übereinstimmungen darbietende
ontogenetische Verhalten der von Kerersrem als Phascolosoma
gouldi beschriebenen, jedoch von Serenxa zu Sipunculus gestellten
amerikanischen Art S. gouldi. Für Serenka war es mabgebend
gewesen, daß in der Gattung Phascolosoma die Längsmuskelschicht
stets eine ununterbrochene sei, bei Sipunculus dagegen in eine
Anzahl von Bündeln gesondert. Es hat sich nun auch durch meine
Untersuchungen herausgestellt, daß S. gouldi trotz seiner Längs-
muskelbündel in jeder andern Hinsicht so sehr mit Phascolosoma
übereinstimmt und von Sipunculus nudus verschieden ist, daß ihm,
wenigstens einstweilen, der Kererstein’sche Gattungsname wieder-
gegeben werden muß. Schon das gab Veranlassung, zu erwägen,
ob der Sonderung der Längsmuskelschicht bei den Sipunculus-
Arten — die unter den Sipunculideen sonst nur bei der durch
andere Merkmale genügend charakterisierten Gattung Physcosoma
und bei einzelnen Aspidosiphon-Arten vorkommt — die von SELENKA
angenommene systematische Bedeutung zuzuschreiben sei, und es
war klar, nachdem alle späteren Forscher, die sich mit Sipunculideen-
262
systematik beschäftigt haben (Sturrer, Smerer, Fiscuer usw.), sich
in der Auffassung der Gattung Sipunculus durchaus an SELENKA
angeschlossen haben, daß dies nur zu entscheiden sein werde durch
eine erneute anatomische Untersuchung, die sich nicht auf die von
jenen allein berücksichtigten Merkmale zu beschränken hätte
Diese wurden wesentlich geliefert:
1. durch den Besitz oder Mangel von Hakenkränzen am
vorderen Abschnitt des Rüssels, die sich nach Serexka nur
bei S. australis Ker., dem einzigen Vertreter der erste
Gruppe Sevenxa’s finden, bei allen übrigen Arten fehlen.
‚sollten (was sich, nebenbei bemerkt, nicht als zutreffend
erwiesen hat);
2. durch das Längenverhältnis von Rüssel und Rumpf;
3. durch die relative Lage der stets vier Riisselretractoren,
bzw. ihren Ursprung von gewissen Bündeln der Längs-
muskulatur, sowie die der Mündungen des einen Nephridien-
paares und des Afters; :
4. durch das Verhalten as Spindelmuskels des Darmes andl
der sogenannten Befestiger dieses letzteren; ; ;
5. durch die Beschaffenheit und Anordnung der Hautkörper;
6. durch die Gestalt und Zahl der Tentakel;
7. durch die Ausstattung des Rectums mit einem Divertikel,
außer dem bei einer einzelnen Art (S. vastus) zahlreiche
Blindsäcke angetroffen wurden;
8. durch die Zahl der Tandsukelningen
zZ
Mit Hilfe der in diesen Punkten gegebenen Merkmale glaubte e
man alle Sipunculus-Arten bestimmen zu können und hat sie tat i
sächlich ausschließlich nach ihnen beschrieben. i
Wollte man weiterkommen, so ergab sich als das zuerst ins
Auge zu fassende Ausgangs- oder Vergleichsobjekt der durch mehr-
fache eingehende Untersuchungen (Anpreaz, Voer u. Yune, Warp,
METALNIKOFF), die alle Organe berücksichtigt hatten, genau bekannte
Sipunculus nudus, mit dem ich selbst durch eigene vor Jahren
in Neapel angestellte Untersuchungen einigermaßen vertraut war.
Begonnen wurde mit der Haut, die aus Cuticula, Epidermis
mit Drüsen und Sinnesorganen, Corium oder Cutis und Muskulatur
besteht, von denen die letztere aus Ring-, Längs- und Schräg-
oder Diagonalbündeln aufgebaut ist, von außen nach innen in der
genannten Reihenfolge. Heute soll von der Epidermis nebst ihren
Differenzierungen und dem Corium nicht weiter die Rede sein,
u
vb
%
263
vielmehr von ihnen wie auch von der Muskulatur nur nebenbei,
insofern ihre Lagebeziehungen zu anderen Teilen in Frage kommen.
Es interessiert uns vor allem ein eigentümliches Kanalsystem in
der Haut, dessen wesentliches Verhalten zum ersten Male durch
AnprEAE für S. nudus klargestellt worden ist, die sogenannten
Integumentalkanäle Es besteht ausschließlich aus Längskanälen,
und zwar genau ebensovielen, wie Längsmuskelbündel vorhanden
sind, indem ein jeder nicht über einem solchen, sondern über dem
Zwischenraum zwischen je zweien der Länge nach durch den
ganzen Rumpf bis in den eichelartig gestalteten Endabschnitt
hinzieht, im Bereiche des Rüssels aber ganz fehlt. Jeder dieser
Kanäle steht, und zwar regelmäßig, an der Kreuzungsstelle von
zwei Ring- und zwei Längsmuskelbündeln durch ein Loch —
wir wollen es Stoma nennen — mit dem Cölom in Verbindung und
nimmt durch dieses alle Bestandteile der Célomfliissigkeit (Cölomo-
cyten, Urnen, Genitalprodukte) in sich auf. Jeder Kanal liegt im
Corium und wird beiderseits flankiert von zahlreichen, dicht ge-
drängten Hautkörpern, deren Anordnung sich daraus ergibt.
Auf dieses Hautkanalsystem wurde nun zunächst die Auf-
merksamkeit gerichtet, und alsbald ergab sich, daß es zwar bei
gewissen Sipunculus-Arten, 8. tesselatus, robustus usw., genau
ebenso ausgebildet ist, bei anderen jedoch zwar nicht unvertreten
ist, sich aber erheblich abweichend verhält; es sind überall in
wesentlich der gleichen Anordnung und Beziehung zu den beiderlei
Muskelbiindeln die Stomata vorhanden, diese aber führen nicht in
fortlaufende Längskanäle hinein, sondern ein jedes nur in ein
System von Blindsäcken, die sich in das Corium erstrecken und
deshalb Corialcöca genannt sein mögen. In diesem Punkte unter-
scheidet sich eine Anzahl von Arten, die großenteils Srnenxa’s
zweiter Gruppe angehören, von S. nudus und den meisten der
Arten, die zusammen mit diesem die dritte Gruppe bilden.
Dies sind unter den in Serenka’s Monographie behandelten
_ Arten:
S. australis Ker. auBerdem
. cumanensis Ker.
S . arcassonensis CUENOT
S. vastus Seu et BüL
S
S
. amamiensis IKEDA
. bonhourei HERUBEL
. rotumanus SHIPLEY
S, funafuti SHIPLEY.
. boholenis SEMP.
. edulis SLUITER (nec PALLAS),
RRRN
Alle diese vereinige ich, zunächst auf Grund ihrer Hautkanal-
systeme, die nach einem gemeinsamen Typus gebaut sind, indem
264
ich sie von der durch S. nudus vertretenen Gattung Sipunculus 7
abtrenne, zu einer neuen Gattung Siphonosoma. 3
Die erwähnte Erkenntnis war zunächst das Ergebnis der Unter-
suchung von Schnittpräparaten, die alle mit Sicherheit die Existenz
solcher Corialeöca nachweisen ließen, aber in bezug auf Einzelheiten —
in der Ausbildung und Gestalt dieser nicht befriedigen konnten.
Es mußte deshalb versucht werden, sie auf eine andere Weise zur
Darstellung zu bringen. Da es sich um Blindsäcke und obendrein
recht kleine und enge handelt, so schien zunächst der Gedanke,
es könnte gelingen, sie durch Injektion zu füllen und dadurch sicht-
bar zu machen, kaum irgendwelche Aussicht zu bieten. Indessen —
fand sich kein anderer Ausweg, und so beschloß ich, wenigstens
einen Versuch zu machen, und zwar an einem der in zahlreichen,
bestens erhaltenen Exemplaren vorliegenden Art $S. cwmanense, —
Es wurde eine Lösung von Berliner Blau in den vorn abgebundenen
Hinterkörper eingespritzt, bis dieser prall davon angefüllt war, und
nach ein paar Minuten ein Hautstück herausgeschnitten. Wider
Erwarten ergab sich, dab die Cöca größtenteils gefüllt und dadurch —
in überraschender Klarheit sichtbar geworden waren. Nachträglich
wurde das Hautstück in Pikrokarmin rot gefärbt, was einen geradezu
prächtigen Effekt gab, indem sich die mit blauer Flüssigkeit ge- —
füllten Cöca von der roten Muskulatur abhoben, auch nachdem daa
Präparat bis in Canadabalsam übergeführt war.
Aber die Überlegung machte es doch höchst unwahrscheinlich,
daß hier wirklich eine Injektion zustande gekommen sein sollte.
Vielmehr erschien es annehmbarer, daß die eingetretene Füllung
der Cöca die Folge von Diffusionsströmungen sein werde, die zwischen —
der in Alkohol konservierten Haut und der wässerigen Farbstoff-
lösung eingetreten war. Wenn das der Fall war, so mußte durch
bloßes Einlegen eines Hautstückes in die letztere die gleiche
Wirkung erzielt werden. Diese Annahme bestätigte sich voll-
kommen. 4
Damit schien also ein höchst einfaches Verfahren gefunden zu
sein, die Cöca darzustellen, und so wurden jetzt gleiche Präparate
von anderen Arten gemacht. Bei einigen trat der Erfolg ohne
Schwierigkeit und schnell ein, bei anderen aber langsam, manchmal
erst nachdem die Präparate mehrmals aus dem Berliner Blau heraus-
genommen und entweder in Pikrokarmin oder in Alkohol gebracht —
waren, worauf endlich, bisweilen erst am nächsten Tage nach be-
ständig wiederholtem Wechsel, das gewünschte Resultat, und auch
das nicht immer in befriedigender Weise, nur in beschränkter Aus-
265
dehnung oder ungenügende Füllung, erreicht wurde. Bei manchen
Hauptproben blieb es trotz aller Bemühungen auch dann ganz aus
oder war so unvollständig, daß nichts damit anzufangen war, z.B.
nur die Stomata sich mit Farbe angefüllt zeigten, von den Cöca
aber auch keine Spur zu sehen war.
Da brachte uns eine gelegentliche Beobachtung an dem in
Herstellung befindlichen Präparat auf einen anderen Ausweg und
damit zur richtigen Auffassung des Vorganges, der sich abgespielt
hatte. Als wir das Präparat unter dem Mikroskop betrachteten,
um den Erfolg zu kontrollieren, sahen wir bei zufälliger Berührung
des Deckglases die Körnchen durch die Stomata ab- und zuströmen.
Das legte uns den Gedanken nahe, es müßte zu dem gewünschten
Ziele führen, wenn man die Cöca zuerst durch einen Druck ent-
leerte und darauf in die Farblösung brächte. Und das half tat-
sächlich, nur daß wir dabei die Erfahrung machten, daß der Druck
in vielen Fällen nicht zu schwach sein durfte Daraufhin haben
wir solche Präparate in der Weise hergestellt, daß wir die Haut-
stücke zwischen zwei Gasplatten preßten, und wenn die Füllung
auch dann noch hartnäckig ausblieb, unter Aufwendung von aller
Kraft quetschten, daß man hätte glauben sollen, man müsse die
Haut dabei zerdriicken. Das aber trat nicht ein, sondern wir er-
hielten in fast allen Fällen, oft erst nach vielen wiederholten
Pressungen, die ein paar Tage lang immer aufs neue vorgenommen
wurden, endlich einen vollen oder, in wenigen Fällen, einen teil-
weisen Erfolg, fast immer wenigstens genug, um das feststellen zu
können, worauf es uns ankam.
Auf diese Weise haben mein Privatassistent Herr Dr. MAser
und ich von allen uns vorliegenden Arten Hautproben angefertigt
und daran ausnahmslos im Anschluß an jedes Stoma ein System
von Céca gefunden, wobei sich herausgestellt hat, dab diese zwar
überall nach einem gemeinsamen Typus angeordnet, aber bei jeder
Art verschieden und charakteristisch ausgebildet sind. Daher liefern
sie ein ausgezeichnetes Mittel, die Species zu identifizieren, das
obendrein den Vorteil bietet, sehr viel schneller zum Ziele zu führen
als jede andere Untersuchungsart. Ja es haben sich dabei in nicht
wenigen Fällen Unterschiede ergeben, die eine Trennung von Arten
ermöglichen, wo alle anderen Bestimmungsmerkmale versagen.
Ich muß mich für heute damit begnügen, Ihnen ein paar be-
sonders charakteristische Formen vorzuführen. Dabei schicke ich
voraus, daß die Stomata nicht immer nur in das Corium hinein-
führen, sondern daß von ihnen auch Blindsäcke in die Muskulatur
266
abgehen können, zwischen Längs- und Ringmuskulatur. Ich werde
diese Intermuskularsäckchen nennen. Im Gegensatz zu Sipwneulus,
wo die Integumentalräume — in dieser Form können wir den
Namen auch für die gesamten Systeme bei der Gattung Siphonosoma
beibehalten — ausgedehnte Längskanäle bilden, entfalten sie sich
bei der neuen Gattung in transversaler Richtung, ebenso die Inter-
muskularsäckchen, und ferner immer nach vorn und hinten, so daß
jedes System aus zwei symmetrischen Hälften besteht, von deren —
jeder wieder Blindsäcke in longitudinaler Richtung ausgehen. So
finden wir z. B. bei S. funafuti lauter quere Corialcöca ohne er-
hebliche und namentlich irgendwie regelmäßige longitudinale Aus-
sackungen. Bei einer gewissen Form von S. cumanense ver-
breitert sich jedes quere Corialeöcum gegen sein Ende hin nach
vorn und hinten. Bei S. australe sind die sehr breit ausgezogenen
Corialcöca vorn und hinten mit jederseits 4—6 longitudinalen Blind-
säckchen besetzt, die einander sehr regelmäßig gegenüberstehen,
da sie immer paarweise gemeinsam aus jenen entspringen. Bei
S. amamiense sind ähnliche Systeme vorhanden, aber von ihnen gehen
die longitudinalen Blindsäckchen in regelloser Weise und nicht zu
zweien einander gegenüber ab, und häufig kommunizieren solche
des einen Systemes mit denen benachbarter. Bei gewissen Arten —
nelımen die Blindsäckchen eine kompliziertere, verästelte Form an,
und zwar meistens dadurch, daß sie sich an die Hautkörper dicht
anlegen und diese mit ihren Ästen zwischen sich nehmen oder gar
allseitig umfassen. Aber nicht immer ist ihre Ausbildung davon
abhängig; im Gegenteil lassen sie bei wieder anderen Arten gar —
keine Beziehungen zu den Hautkörpern erkennen. Dies gilt auch
von derjenigen Art, wo sie bei weitem die reichste Entfaltung er-
langen, von S. boholense. Deren Rumpf ist von einer ungemein —
dicken Haut bekleidet, die sehr regelmäßige geschlängelt ver-
laufende Längswülste bildet. Auf der Bauchseite sind einige von
besonderer Beschaffenheit, verbreitert und mehr oder weniger mit-
‘einander verschmolzen und abgeflacht. Hier sind die ihrerseits nur —
sehr engen Cöca mit ungemein zahlreichen Blindsäckchen besetzt,
die in ihrer Anordnung an Farnwedel erinnern. In den übrigen
Wiilsten bilden sie durch vielfache Anastomosenbildung Querkanäle,
die wieder mit Mengen von einfacheren, aber auch meist verästelten —
Blindsäckchen beiderseits besetzt sind. :
Die wenigen Beispiele werden geniigen, Ihnen eine Vorstellung 4
davon zu geben, wie diese Integumentalräume für die Zwecke ‘der
‚Systematik nutzbar gemacht werden können. Nur andeutungs-
267
weise will ich bemerken, daß sie bei jeder Art in den verschiedenen
Körperregionen mehr oder weniger charakteristische Verschieden-
heiten aufweisen. Im Gegensatz zu Sipunculus, wo sie in dem
kurz als Eichel bezeichneten hintersten Rumpfabschnitt unter all-
mählicher Verkleinerung endigen, und ebenso im Rüssel, der durch
den gänzlichen Mangel von Integumentalkanälen bei jener Gattung
ausgezeichnet ist, sind sie hier bei den Arten der neuen Gattung
gut und oft sehr charakteristisch ausgebildet, meistens aber in
regelloserer Weise als im Mittelkörper.
Bei Untersuchung dieser Dinge hat sich Gelegenheit gegeben,
eine interessante Beobachtung zu machen, nämlich die, daß bei
einigen Arten von bedeutender Körperlänge wie S. cwmanense bis-
weilen eine Regeneration des hinteren Rumpfabschnittes eintreten
kann. In dem Regenerat sind die Integumentalsysteme viel kleiner
und setzen sich gegen die ursprünglichen in einer scharfen Linie
sehr deutlich ab.
Verschiedenheiten der Körperregionen treten uns auch bei
dem einzigen mir bekannt gewordenen Vertreter einer neuen
Gattung Dolichosiphon entgegen, die sich von Siphonosoma wie
von Sipwnculus durch paarweise Vereinigung aller Ringmuskel-
bündel auffallend unterscheidet. Hier fehlen sie wie bei Sipun-
culus im Rüssel ganz, während sie im hinteren, mittleren und
vorderen Rumpfabschnitt höchst charakteristische Unterschiede auf-
weisen. |
Bei der Frage nach der physiologischen Bedeutung der Inte-
gumentalräume, auf die ich übrigens keine befriedigende Antwort
geben kann, will ich heute nicht verweilen, vielmehr jetzt dazu
übergehen, von einigen anderen Merkmalen zu sprechen, die zum
Unterschiede von Sipunculus allen Siphonosoma-Arten gemeinsam
sind und dadurch die in systematischer Hinsicht gezogenen Schluß-
folgerungen aus den bisher allein betrachteten Integumentalräumen
stützen. ;
In erster Linie sei der Ausstattung des Rüssels mit Haken
gedacht. Dies galt bisher als eine Erscheinung, die unter allen
Sipunculus-Arten ausschließlich dem S. australis zukomme, den
SELENKA eben auf Grund dieses Merkmales zum einzigen Vertreter
seiner ersten Gruppe gemacht hat. Seitdem ist nur eine zweite
hakentragende Species bekannt geworden, Cvrxor’s S. arcassonensis.
Unsere Untersuchung aber hat zu dem überraschenden Ergebnis
geführt, daß alle Siphonosoma-Arten mit einziger Ausnahme von
S. cumanense und den ihm sehr nahestehenden Arten S. edule
268
Suurrer und billitonense Sturrer, die zu S. cumanense in einem
ähnlichen Verhältnis stehen wie die bisher als Varietäten von dieser
Art angesehenen Formen semirugosum und opacum, wohlausgebildete
Rüsselhaken besitzen, womit diese in die Reihe der zwar nicht —
ausnahmslos vorkommenden, aber weit verbreiteten Gattungsmerk- —
‘male einrücken. =
Ferner war schon früher gelegentlich bemerkt worden, daß
bei verschiedenen Arten der bisherigen Gattung Sipunculus das
Bauchmark im Bereiche des Rüssels andere Beziehungen zur Haut
aufweist als bei S. nudus, wo es von dieser weit abrückt und
durch sehr lange Nerven damit verbunden ist, wohingegen es bei —
anderen ihr bis zu seinem vorderen Ende eng angelagert bleibt
und nur sehr kurze Nerven entsendet. Es hat sich nun heraus-
gestellt, dab das keineswegs ein bedeutungsloser Unterschied ist,
sondern die jetzt von uns angenommenen Gattungen Sipwnculus
und Siphonosoma scharf trennt, vor allem aber mit anderen Be-
sonderheiten in Zusammenhang steht.
Bei allen Stphonosoma-Arten, die wir daraufhin untersucht
haben, ist der vorderste Teil des Bauchmarks durch ein schmales —
medianes Mesenterium mit der Riisselhaut verbunden, und durch
dieses zieht, mehr oder weniger gewunden, ein enger, aber von
einem schönen Epithel ausgekleideter Kanal. Dieser mündet einer-
seits durch einen kleinen Porus nach außen, und zwar in der ven-
tralen Medianlinie unmittelbar hinter den Tentakeln, von deren
Kigentiimlichkeiten hernach noch die Rede sein wird. Andrerseits
begibt er sich zum Bauchmark, und zwar zu dessen vorderstem
Ende, wo die Nervenfasern sich zu den Schlundringschenkeln zu —
trennen beginnen. Er legt sich nicht nur dem Bauchmark an, ~
sondern dringt in dasselbe ein und endigt innerhalb desselben mit
einem kleinen Hohlraum, dessen Wand von einem komplizierten
Epithel gebildet ist, dessen befriedigende Analyse allerdings an
dem nicht adhoc konservierten Material noch nicht möglich gewesen
ist. Wir fanden ihn immer zwischen den Anfängen der Schlund-
ringschenkel stark seitlich zusammengedrückt, dicht unter der dor-
salen Wand, die sicher blind geschlossen ist, etwas und mehr noch,
oft sogar erheblich, an der ventralen Seite erweitert, wo er sich
in den beschriebenen Kanal fortsetzt. In einigen Präparaten habe
ich in dieser Erweiterung einen größeren, in den gefärbten Schnitten
dunkel erscheinenden Körper gefunden, den ich geneigt bin, für
ein Konkrement anzusehen. Das bestärkt mich in meiner Ver-
mutung, daß wir es in dem geschilderten Organ mit einer dem
»
269
vorderen Ende des Bauchmarks eingelagerten Statocyste zu tun
haben, die durch einen langen Kanal mit der Außenwelt in Ver-
bindung steht.
Sicher fehlt ein solches, jedenfalls am vorderen Ende des
Bauchmarks, das auch von der Haut viel weiter entfernt liegt
und nicht durch ein Mesenterium damit verbunden ist, bei Sipwn-
culus nudus. Ebensowenig ist es bei Phascolosoma — nach Unter-
suchung von Ph. elongatum und vulgare — vorhanden, und der
sogenannte S. gouldi schließt sich auch in dieser Beziehung ganz
an Phascolosoma an. Dagegen ist das gleiche, in allem Wesentlichen
übereinstimmende Organ bei Physcosoma — nach Untersuchung von
Ph. granulatum — vorhanden. Ein Versuch, es an frischem Material
zu untersuchen, hat leider bei der Kleinheit des Objekts kein
brauchbares Resultat geliefert; sicher enthält weder das Bläschen
noch der Kanal Wimpern, und auch ein Konkrement wurde nicht
gefunden. Wie weit es in anderen Sipunculideengattungen wieder-
kehrt, bleibt weiteren Nachforschungen vorbehalten.
Zu den Unterschieden, auf die man bereits früher gestoßen
war, mit denen man jedoch nichts anzufangen wußte, z. T. weil die
Kenntnisse sich zu sehr auf oberflächliche und un wesentliche Einzel-
heiten beschränkten, gehören solche, die in bezug auf die Tentakel
vorhanden sind. Es ist ja bekannt, daß bei 8. nudus, dem sich
in dieser Hinsicht S. tesselatus, robustus, priapuloides u. a. an-
schließen, statt eigentlieher Tentakel eine den Mund umstehende
Falte mit unregelmäßigen und wechselnd tiefen Randeinschnitten
vorhanden ist. Dagegen fand man bei Arten, die unserer jetzigen
Gattung Siphonosoma gehören, so z. B. S. cumanense, sehr zahl-
reiche lange, zugespitzte Tentakel. Tatsächlich aber beziehen sich
die wesentlichen Unterschiede gar nicht auf die Zahl und Gestalt,
sondern sind vielmehr in der Beziehung zum Vorderende des Rüssels
und seiner Haut begründet. Es würde keineswegs zutreffen, wenn
man etwa meinen sollte, bei Sipunculus brauchten nur die Rand-
einschnitte tiefer, regelmäßiger und zahlreicher zu werden, um
daraus den Tentakelapparat der Siphonosomen — der in der Haupt-
sache mit dem der Gattung Phascolosoma übereinstimmt — hervor-
gehen zu lassen. Ich sehe zunächst davon ab, daß in dem ver-
bleibenden Rest der Gattung Sipunculus, soweit meine bisherigen
Beobachtungen reichen, der Tentakelapparat noch wiederum Ver-
schiedenheiten aufweisen kann, z. B. bei S. indicus Prrers (= $.
edulis Pauuas), und beschränke mich deshalb absichtlich auf S. nudus
und die ihm in diesem Punkte ganz gleichenden vorhin genannten
270
Arten. Bei diesen sind die sogenannten Tentakel eine den Mund
umgebende und von da aus frei nach vorn und außen hervorragende
Falte, deren Randeinschnitte sich in der vorher angegebenen Weise
verhalten. Bei Siphonosoma aber wie bei Phascolosoma (s. darüber —
hauptsächlich Te&er) bedecken die Tentakel bei ausgestrecktem —
Rüssel eine ausgedehnte, nach außen stark gewölbte Kopfscheibe,
von deren Außenrande sie in einer nach bestimmten Regeln ge-
buchteten, nämlich wiederholt nach außen, gegen den Rand der Kopf- |
scheibe hin und von dort wieder mundwärts zurücklaufenden Linie —
abgehen, wobei sie nicht nur nach vorn und außen, sondern großen- 4
teils deutlich nach hinten gerichtet sind. Dazu kommt dann erst,
dab sie lang, spitz, zahlreich und scharf voneinander abgesetzt sind. q
Immer sind von diesen Tentakeleruppen außer seitlichen und ven- —
tralen zwei dorsale zu unterscheiden, und zwischen diesen findet
sich bei allen Siphonosoma-Arten ein charakteristisches Sinnesorgan, —
das bei allen Sipunculus-Arten fehlt, aber bei den in bezug auf den
Tentakelkranz so übereinstimmenden Phascolosoma-Arten wahr- 7
scheinlich immer vorhanden ist, von uns nicht nur bei Ph. elongatum —
und vulgare, sondern auch bei dem sogenannten S. gowldi nach- —
gewiesen worden ist. Es ist ein aus zwei symmetrischen Hälften
bestehendes „\Wimperorgan“, das von zahlreichen aus dem Gehirn —
hervorgehenden Nerven versorgt wird. Um über seine Beziehungen
zu diesem klar zu werden, muß zunächst ein das Gehirn selbst —
betreffender Punkt besprochen werden, worüber das wichtigste
schon lange bekannt ist. Bei allen Sipunculideen berührt es mit —
seinem vorderen Ende in einer gewissen Ausdehnung die Epidermis —
und geht in diese über. Dieses Vereinigungsgebiet ist bei Phas- —
colosoma und ebenso bei Siphonosoma entweder fast eben oder
bildet eine Grube, die bald sehr flach, bald tiefer, aber immer recht
weit ist, während sie bei Stipunculus stets einen tiefen, engen Kanal
von oftmehreren Millimeter Länge darstellt, den sogenannten Cerebral- —
tubus. In der nach hinten gelegenen Wand dieser Grube bzw. —
nach hinten von der Vereinigungsfläche in den Fällen, wo sich keine —
Grube ausbildet, liegt nun, also dorsal und median, zwischen den 3
beiden vorhin erwähnten Tentakeleruppen, mehr oder weniger von —
ihnen bedeckt. das in Rede stehende Sinnesorgan. Bei Sipunculus —
müßte es, wenn es vorhanden wäre, in dem Cerebraltubus liegen, —
doch findet sich nicht die geringste Spur davon. Es ist unter den
früher zu dieser Gattung gezählten Arten eine charakteristische —
Eigentümlichkeit der von uns aufgestellten Gattung Siphonosomu. |
Eine genauere Beschreibung davon werde ich später geben. Ich
’ =
u
%
Og
271
will nur erwähnen, dab es auch S. arcassonense zukommt, obwohl
die Angabe von Cuenor darüber auf einem Irrtum beruht. Was
er gesehen und als das in einem Cerebraltubus gelegene Wimper-
organ gedeutet hat, war, wie aus seinen mir vorliegenden Präparaten
deutlich hervorgeht, nicht dieses Organ (das fortgeschnitten war),
sondern die Statocyste, also ein Sinnesorgan, das keine Beziehungen
zum Gehirn, sondern zum Bauchmark hat.
Als letztes die Gattung Siphonosoma charakterisierendes.
Merkmal, dessen heute gedacht werden soll, sei die Gestalt der
Nephrostome ihrer beiden Nephridien erwähnt. Sie sind stets sehr
groß und nach jeder Seite in einen längeren oder kürzeren Zipfel
ausgezogen, der etwas nach hinten gebogen ist, so dab das Nephrostom
etwa halbmondförmig erscheint.
Was ich Ihnen heute vorgetragen habe, bitte ich als eine vor-
läufige Mitteilung unserer Resultate in groben Zügen zu betrachten.
Die ausführliche Darstellung, die voraussichtlich ziemlich bald wird
erscheinen können, wird namentlich die Aufgabe zu erfüllen haben,
die Kennzeichnung der einzelnen Arten zu prüfen und zu präzisieren,
wobei sich herausstellen wird, daß manche Bestimmungen geändert
werden müssen. In dieser Beziehung hat sich besonders das als
eircumtropische Art — aus Westindien, dem Indischen und dem
Stillen Ozean — beschriebene S. cumanense als interessant und
einer sorgfältigeren Prüfung bedürftig erwiesen, die dazu geführt
hat, eine ganze Anzahl von Arten oder wenigstens Unterarten
innerhalb derselben zu unterscheiden, die bisher nur für bedeutungs-
lose Farbenvarietäten gehalten worden sind. Die Art hat das
besondere Interesse aller Sipunculidenforscher seit KErerstein, ihrem
Entdecker, hervorgerufen durch ihre Ausstattung mit höchst eigen-
tümlichen, an die Dissepimente der Anneliden erinnernden Scheide-
wänden des Cöloms ihres Rumpfes, die vorzugsweise in der ventralen
Hälfte desselben rechts und links angebrachte, mit ihrem freien
Rande nach hinten gekehrte halbmondförmige Membranen sind. Mit
eigentlichen Dissepimenten haben sie sicher nichts zu tun. Sie
sind keineswegs auf S. cumanense beschränkt, sondern kommen auch
anderen, ihm sehr nahestehenden Arten zu. Noch weniger bilden
eigentümliche, durch ihre besondere Größe sich auszeichnende und
durch die sämtlichen Haut- und Muskelschichten hindurch ins Cölom
hineinreichende, von Aucener als Krerersremsche Bläschen bezeichnete
Hautdriisen eine Eigentümlichkeit von S. cumanense. Solche kommen
vielmehr den meisten Arten der Gattung Siphonosoma, auch der
neuen Gattung Dolichosyphon zu. Das gleiche gilt von eigen-
272
tümlichen vor den Nephridien auftretenden „Zotten“, die SeLenka
als eine Besonderheit von S. vastus beschrieben und die später
AUGENER bei S. australis gefunden hat. Sie gehören ebenfalls zu
den Merkmalen der Gattung Siphonosoma.
“
Diskussion:
Herr Professor Zrecuer (Stuttgart) frägt, ob man den Divertikeln —
des Cöloms, welche in die Muskulatur hineingreifen, eine respi-
ratorische Funktion zuschreiben darf.
Herr Professor Spence, antwortet:
Uber die Funktion der Integumentalräume ist z. Z. nichts
einigermaßen Sicheres zu sagen. Einiges spricht zwar für eine
respiratorische Tätigkeit, womit aber die Bedeutung nicht erschöpft
sein dürfte. Die Cöca treten oft in innige Beziehung zu den Drüsen
und Sinnesapparate darstellenden Hautkörpern, wohingegen in 2
anderen Fällen solche Beziehungen ganz und gar fehlen, so daß
auch darin wohl keine verläßliche Grundlage für die physiologisehe
Deutung gegeben ist. |
u
Herr Dr. O. Srecue (Leipzig):
Beobachtungen über Geschlechtsunterschiede der Hämolymphe von Insekten-
larven.
Den Ausgangspunkt der Untersuchungen, über die hier kurz |
berichtet werden soll, bildete eine zufällige Beobachtung. Bei
biologisch-chemischen Untersuchungen über Katalase experimentierte
ich 1909 auch mit Puppen von Deilephila euphorbiae, dem Wolfs-
milchschwärmer und stellte dabei fest, daß sich die Geschlechter
in auffallender Weise durch die Farbe der Hämolymphe unter-
scheiden. Während sie beim $ wasserklar und farblos ist, hat die
des © eine leuchtend grüne Farbe. Als nun durch die Unter-
suchungen der letzten Jahre, speziell durch die Arbeiten von
MEISEXHEIMER, das Problem der sekundären Sexualcharaktere bei
den Insekten in den Vordergrund des Interesses gerückt war, habe
ich in Gemeinschaft mit Herrn stud. Geyer eine ausführlichere
Untersuchung der Lymphe unternommen. Die Experimente sind
noch nicht abgeschlossen, lassen aber schon einige allgemeine Folge-
rungen zu. a
Zunächst handelte es sich darum, festzustellen, ob dieser ;
Farbenunterschied bei den Insekten weiter verbreitet sei. Bei
273
den vorwiegend untersuchten Lepidopteren ergaben sich folgende
Verhältnisse:
Tabelle I.
3 ?
I. Sphingidae.
1.|Deilephila euphorbiae, Puppen . ... . farblos dunkelgrün
2.|Dilina tiliae, Raupen nach 3. Häutung | fast farblos "
3. |Smerinthus populi, „ ieee 3 * schwach hellgriin gelbgrün
4. E ER en Er‘ fast farblos leuchtend grün
5.|Pterogon proserpina, Puppe ......- schwach gelb gelblichgrün
6. |Smerinthus ocellata, Raupen n. 2. Häutung hellgrün gelbgrün
7 5 5 Puppe . . . . . . . jetwas heller grün leuchtend grün
als 2
8.|Sphin& ligustri, Raupen nach 2. Häutung hellgrün gelbgrün
9, R - Dunpb 42%. 223): - .| leuchtend grün | leuchtend grün
I. Bombycidae.
10.|Phalera bucephala, Raupe . : .... ; hellgelb grün
11. |Malacosoma neustria, Raupen n.3.Häutung | fast farblos gelbgrün
12. 2 5 Puppe, W007. len farblos =
13. |Lymantria monacha, Raupe n. 3. Häutung | hellgelblich dunkelgrün
14. > Puppe? 2. Sas. a) rötlich
15. ae dispar, Raupe nach 4. Häutung Kniehgelbgrün gelbgrün
16. Ri 5 Puppe. . .». .. «| schwach gelb rötlich
17.|Bombyx rubi, Raupe nach 4. Häutung . [schwach hellgrün gelbgrün
II. Noctuae.
18.|Mamestra pisi, Raupe ..... . . . [schwach hellgrün gelb
19. |Agrotis segetum, Raupe .... . In wasserhell schwach gelb
W. Rhopalocera.
mueprieris brassicae, Raupe .:. .. .... hellgriin gelb
- A bs ag 0 i Aaa Oe % leuchtend gelb
Vanessa 10, Raupe. «2.92 . 2.2.20. schwach hellgrün a 5
Man kann danach wohl sagen, daß dieser Farbunterschied
unter den Lepidopteren allgemein verbreitet ist, wenn auch seine
‚Intensität in den einzelnen Fällen schwankt. Nur selten, z. B. bei
/ Sphinx ligustri, ist es nach der Farbe der Lymphe nicht mit Sicher-
heit möglich, zu entscheiden, welches Geschlecht man vor sich hat.
Außerhalb der Lepidopteren haben wir bisher nur Stichproben
machen können, sind aber dabei anscheinend auf ähnliche Verhält-
nisse gestoßen.
Von Tenthrediniden haben wir Larven von Nematus ventri-
cosus und Hylotoma rosarum untersucht. Bei beiden finden sich
Verh. d. Dtsch. Zool. Ges. 1912. 18
274
na
Exemplare mit einerseits gelber, andererseits leuchtend grüner
Lymphe. Da die Feststellung des Geschlechts hier Schwierig-
keiten macht, so können wir darüber noch nichts Bestimmtes sagen,
es dürfte sich aber auch hier wohl sicher um einen Geschlechts-
unterschied handeln. Das gleiche gilt unter den Coleopteren für
Phytodecta quinquenotata, eine Chrysomelide, deren Larven teils
hellgrünes, teils farbloses Blut haben. Beim Maikäfer Melolontha
vulgarıs haben wir das Geschlecht festgestellt, die Lymphe der oa
ist wasserhell, die der 2 schwach hellbraun. 4
Unter den Orthopteren haben wir dagegen keinen deutlichen
Farbunterschied finden können. Untersucht wurden bisher Gryllus—
domesticus und campestris, Meconema varıum und die exotische,
vielfach eingeschleppte Distremena marmorata. Die Lymphe hat
überall einen hellgelben bis bräunlichgelben Farbton, auch bei der
leuchtend grünen Meconema, ein Geschlechtsunterschied ist nicht
festzustellen. | 2
Daß dieser so deutliche Farbenunterschied bei den Lepi-
dopteren den bisherigen Beobachtern entgangen ist, muß merk-
würdig erscheinen. Cuxxor!) hat die Lymphe von zahlreichen
Wirbellosen, u. a. auch von Schmetterlingen untersucht und dabei
Farbenangaben gemacht. Pourron?) hat speziell die grüne Färbung
auf ihre chemische Natur geprüft, allerdings bei einem für die
sexuelle Differenzierung ungünstigen Objekt, Smerinthus ocellata.
Er hat gelegentlich Verschiedenheiten bei Untersuchung anderer
Arten bemerkt und erörtert sogar die Frage, ob es sich um Ge-
schlechtsunterschiede handle, kommt aber zu keinem Resultate. In
neuester Zeit hat Korz6?) Bluttransfusionen von männlichen in
weibliche Raupen, u. a. auch von Lymantria monacha gemacht
und dabei Mengen von 1/5 ccm und mehr verwendet. Trotzdem
haben alle diese Autoren keinen Unterschied konstatiert. f
Es fragt sich nun, welchen Ursprung die grüne Färbung des
2 Blutes hat. Eine ee Untersuchung erwies, daß €
sich dabei sicher um ein Chlorophyliderivat handelt, ein Free
das mit den Anschauungen von Povrrox übereinstimmt. Ver-
gleichende Untersuchungen von Chlorophyllextrakten verschiedener
1) CUENOT, L, Etudes sur le sang et les Glandes lymphatiques dans la
série animale, IT. a Invertébrés. Arch. Zool. exper. (2) Tome 9.
?2) Poutton, E. B., The essential nature of the colouring of phytophagous
larvae ete. Proc. Roy. See London, Vol. 38, 1885.
. 3) KOPEC, St., Unters. über Kastration und Transplantation bei Schmette er
lingen. Arch. f. Entw. Mech. 33, 1911.
un
275
Art und Hämolymphe machten es sehr wahrscheinlich, daß die
Veränderung des Chlorophylls keine sehr weitgehende ist. Das
unveränderte Blattchlorophyll gibt im Spektroskop neben einer
totalen Absorption im Blau vier charakteristische Streifen, von
denen einer im Rot, einer in Orange und zwei im Grün liegen.
Das gleiche Verhalten zeigt eine Ausschüttelung mit Äther
(Tab. II, 1). Dagegen findet man bei einem Extrakt mit ver-
dünntem Alkali oder Kochsalz nur noch den 1. Streifen im Rot
und die Absorption im Blau (Tab. IJ, 2). Genau das gleiche Spektrum
zeigen nun auch die Hämolymphen der 2? verschiedener Lepidopteren,
wovon Tab. II Fig. 4 u. 6 ein Beispiel gibt. Aus der alkalischen
Lösung kann man durch Ausschütteln mit Äther wieder einen Körper
gewinnen, der die ursprünglichen vier Streifen zeigt (Tab. II, 3).
Bei der physiologischen Kochsalzlösung und der Hämolymphe ist
‘uns das bisher nicht gelungen, es ist aber sehr gut möglich, dab
hierbei rein technische Hindernisse vorliegen.
Untersucht man die farblose oder schwach gelbe Lymphe der
3d, so findet man darin wieder die totale Absorption im Blau,
daneben aber nur eine unscharf begrenzte Trübung im Rot
(Tab. II, 7). Dieses Spektrum entspricht, wie Tab. II, Fig. 8, zeigt,
ganz dem des Xanthophylls, das ja meist mit dem Chlorophyll
zusammen in den Pflanzen vorkommt.
Es liegt nach diesen Befunden der Schluß nahe, daß im weib-
lichen Organismus das Chlorophyll in wenig modifizierter Form in
die Blutbahn gelangt, während es beim 3 abgebaut wird und nur
das Xanthophyll übrig bleibt. Dieser Befund wäre physiologisch
insofern interessant, als der unveränderte Durchgang einer so kom-
. plizierten und labilen Verbindung, wie das Chlorophyll, durch die
Darmwand gerade nach den neueren Anschauungen, wie sie besonders
von ABDERHALDEn!) vertreten werden, sehr überraschend ist.
Natürlich ist der Schiuß nicht zwingend, denn man kann auch an-
nehmen, daß das Chlorophyll im Darm erst abgebaut und später
synthetisch wieder hergestellt wird. Für sehr wahrscheinlich vermag
ich diesen Weg jedoch nicht zu halten, gerade bei einem Körper
wie das Chlorophyll, dessen Synthese doch auch in anderen Fällen
von enormer Wichtigkeit für den Tierkörper sein müßte. Ich
glaube vielmehr, daß hier ein Punkt vorliegt, in dem der Stoff-
1) ABDERHALDEN, E., Neuere Anschauungen über den Bau und den Stoff-
wechsel der Zelle. Berlin 1911. — Schutzfermente des tierischen Organismus.
Berlin 1912,
18*
76
N)
Tabelle II.
R
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| Schichtdicke
I. | Chlorophyll, Alheresbrakt 1. 2 Ya.Lcee Se cee 10 mm 7
II. | Chlorophyll, NaCl-Extrakt. . . . . RE 20%
11I. | Chlorophyllextrakt mit KOH 1/, n hergestelit, dann
mit Ather ausgeschüttelt . RE de 10.8
Hämolymphe von Sphinx ligustri 9, Puppe. . . 205
pice ” ” ” ? Ge „ z = . 10 ”
7 Wis 3 » Deilephila euphorbiae 9, Puppe 20:75
V I. ” ” ” ” 3 I ” 40 ”
Xanthophyll, Atherextrakt. . ae 40 ,
»
ZU Au
wechsel der Insekten, wie wahrscheinlich in mancher anderen
prinzipiell wichtigen Hinsicht, von dem der Wirbeltiere abweicht.
Für die Verwendung des grünen Farbstoffes ist schon von
Poutron eine zum Teil wohl richtige Deutung gegeben worden. Er
soll nach ihm einerseits dazu dienen, nackten Raupen mit dünner,
ungefärbter Epidermis als Schutzfarbe auf grünen Blättern zu dienen,
außerdem soll aber das Chlorophyll in die Eier übergehen und
diese, sowie die frisch ausgeschlüpften Larven vor der Nahrungs-
aufnahme protektiv färben. Unsere Beobachtungen lassen sich
insofern gut damit vereinigen, als wir fanden, daß öfters, z. B. bei
Deilephila euphorbiae, das Blut der 2 Puppe kurz vor dem Schlüpfen
seine grüne Farbe verliert und leuchtend gelb wird. Gleichzeitig
bilden sich die grün gefärbten Eier aus. Bei anderen Formen behält
jedoch das Blut auch in der Imago seine grüne Farbe bei.
Der für die theoretische Verwertung dieser Farbenunterschiede
wichtige Punkt ist folgender. Es muß im Organismus der 3 und
2 Larven eine Differenzierung des Stoffwechsels vorliegen, welche diese
verschiedenen Färbungen erzeugt. Entweder müssen die Darmzellen
verschieden organisiert sein, so daß die des 2 das Chlorophyll durch-
lassen, die des 3 jedoch es abbauen oder es muß in den blutbilden-
den Organen ein Stoff erzeugt werden, der bei beiden Geschlechtern
verschieden ist resp. dem einen fehlt und dadurch die Farbunter-
schiede veranlaßt. Eine Entscheidung darüber wird sich vielleicht
dadurch herbeiführen lassen, daß man Blut zu einer Chlorophyll-
lösung setzt und prüft, ob sie verändert wird. Bei unserem bis-
herigen Material erlaubte es die Anwesenheit einer die Lösung
schwärzenden Tyrosinase dies nicht, wir kennen aber geeignete Ob-
jekte und werden an ihnen die entsprechenden Versuche anstellen ').
Es bestände auch die Möglichkeit, daß dieser Stoff von den Ge-
schlechtsdrüsen geliefert würde. Nach den bisherigen Versuchen
über die Beeinflussung der sekundären Sexualcharaktere durch
innere Sekretion der primären ist diese Annahme an sich schon
recht unwahrscheinlich. Wir haben begonnen, sie experimentell zu
prüfen durch Kastration und Transplantation von Geschlechtsdrüsen
sowie durch Bluttransfusion. Die bisher erhaltenen Ergebnisse
zeigen keinen Einfluß der Geschlechtsdrüsen.
Wenn diese Beeinflussung ausgeschlossen werden kann, so ist
die Vorstellung unabweislich, daß die Differenz der Lymphfärbung
1) Es handelt sich nach weiteren Versuchen sehr wahrscheinlich um
Differenzierung der Darmzellen, da $-Blut in vitro die grüne Farbe des Q-Blutes
nicht verändert. r
278
auf sexueller Differenzierung von Zellen beruht, seien es nun Darm-
oder Blut- resp. Fettkörperzellen, die man bisher für sexuell völlig —
indifferent gehalten hat. D. h. es sind bei den Insekten nicht —
nur die Sexualorgane, sondern alle Körperzellen von vorn- —
herein sexuell differenziert.
Diese Tatsache rückt die Befunde bei der Kastration can
Transplantation von Geschlechtsdriisen in ein neues Licht. Ur-
sprünglich war man geneigt, die sekundären Geschlechtscharaktere —
als durch innere Sekretion der Geschlechtsdrüsen bedingt anzusehen,
Diese hauptsächlich durch Versuche an Wirbeltieren gewonnene —
Auffassung verlor ihre allgemeine Bedeutung, als in einwandfreier
Weise gezeigt wurde, daß bei den Insekten eine völlige Unabhängig-
keit zwischen beiden Organen besteht!). Die Gegensätze beider
Auffassungen hat Meisennemer dadurch zu vereinigen gesucht, dab —
er der inneren Sekretion nur eine aktivierende Reizwirkung zu-
schreibt, die speziell bei den periodisch funktionierenden sekundären
Sexualorganen wirksam sei und bei Transplantation auch von der
entgegengesetzten Geschlechtsdrüse geleistet werden könne?). So
interessant und in vieler Hinsicht ausreichend auch diese Annahme
ist, so läßt sich doch für die Wirbeltiere wohl kaum bestreiten,
daß dazu noch ein spezifischer Reiz für die Ausbildung der sekundären
Organe des betreffenden Geschlechtes kommt). 3
Zieht man die sexuelle Differenzierung des ganzen Körpers —
mit heran, so lassen sich die widerstreitenden Befunde leicht ver-
einigen. Man braucht nur anzunehmen, daß diese allgemeine Diffe- —
renzierung in den verschiedenen Gruppen des Tierreichs einen
verschieden hohen Grad erreicht hat. Dieser Grad dürfte etwa
parallel gehen zur Neigung zum normalen Hermaphroditismus resp.
zur strengen Durchführung der Bisexualität. Bei den häufig normal
zwittrigen Mollusken z. B. ist diese allgemeine Differenzierung wohl
gar nicht oder nur in geringem Maße vorhanden, bei den Insekten
dagegen, unter denen wir normale Zwittrigkeit fast gar nicht kennen,
kann sie einen sehr hohen Grad erreichen. In diesem Falle wird
selbst der spezifische Reiz der Geschlechtsdrüsen nichts an dem
fest vorgeschriebenen Ablauf der Entwicklungsvorgänge ändern
1) Vgl. vor allem: MEISENHEIMER, JOH., Experimentelle Studien zur Soma-
und Geschlechtsdifferenzierung. I. Beitrag. Jena 1909. — KOPEC, St., Unters.
üb. Kastration u. Transplantation b. Schmetterlingen, Arch. f. Entw.-Mech. 33.
2) MEISENHEIMER, JOH., Experimentelle Studien zur Soma- und Geschlechts-
differenzierung. II. Beitrag. Jena 1912.
*) Vgl. besonders STEINACH, E., Zentr. f. Physiol. 25. 1911 u. Pruücuu
Arch. 144. 1912.
279
können, Transplantation wird also wirkungslos sein. Es scheint
fast, als ob bei den Insekten auch der trophische Reiz der Geschlechts-
organe ohne große Bedeutung sei, da Kastration offenbar keine
wesentlich hemmende Wirkung auf die Entwicklung ausübt, wie
aus Meısenhermer’s und Kopst’s Versuchen hervorgeht. -
Ist die sexuelle Differenzierung des Gesamtkörpers weniger
vollkommen, so kann der spezifische Einfluß der Geschlechtsdrüsen
immer mehr in den Vordergrund treten und es bietet sich damit
die Möglichkeit für alle Übergänge in der Wirkung von Operationen
an den Geschlechtsdrüsen. Von einfachen Ausfallserscheinungen
infolge Wegfalls des trophischen Reizes bei zu völliger Umprägung
der sekundären Sexualcharaktere durch Transplantation der Ge-
schlechtsdrüsen läßt sich eine fortlaufende Reihe aufstellen, deren
Stadien wir zum Teil verwirklicht kennen. Dadurch, daß die
einzelnen Organe im Grade ihrer sexuellen Bestimmtheit resp.
ihrer Empfindlichkeit gegen die spezifischen Sekrete der Geschlechts-
drüsen variieren können, läßt sich jede Kombination einfach begreifen.
Der Höhepunkt der geschlechtlichen Differenzierung wäre der,
‘daß die Organe des anderen Geschlechtes, z. B. die Geschlechts-
driise, bei Transplantationen nicht mehr die geeigneten Ent-
wicklungsbedingungen fänden. Wie die ausgeführten Versuche
lehren, ist bei den Insekten, wenigstens bei den bisher untersuchten
Formen, diese Stufe nicht erreicht, ich halte es aber nicht für
ausgeschlossen, daß auch solche Fälle zur Beobachtung kommen,
Der Farbenunterschied der Lymphe dient nach dem eben
Ausgeführten nur als Indikator für eine allgemeine sexuelle
Differenzierung der Körperzellen. Es ist also durchaus wahrscheinlich,
daß auch bei den nicht phytophagen Larven der gleiche Unterschied
besteht, obwohl er wegen des Mangels an Chlorophyll nicht auf
so einfache Weise festzustellen ist. Wir haben daher nach Methoden
gesucht, auch auf anderem Wege Differenzierungen nachzuweisen.
Es bot sich uns dazu als eventuell geeignet die Präcipitinreaktion
des Serums. Injiziert man einem Kaninchen Blut oder Gewebe-
substanz einer fremden Tierart, so gewinnt sein Blutserum
bekanntlich dadurch die Fähigkeit, bei Vermischung mit Extrakten
der gleichen Tierart eine Fällung zu erzeugen, die bei verwandten
Formen schwächer ist oder ganz ausbleibt. Enthielt nun in unserem
Falle das Blut do und 9 Raupen differente Stoffe (Eiweißkörper),
so konnte möglicherweise in der Fällbarkeit ein Unterschied zwischen
beiden Geschlechtern bestehen. Wir haben also Kaninchen mit
Lymphe von 3 Raupeh injiziert, fanden aber, dab das gewonnene
280
Serum mit beiden Geschlechtern gleich reagierte. Das ist nicht —
verwunderlich. Denn ohne Zweifel enthält die Lymphe eine große
Menge Eiweißkörper, die beiden Geschlechtern gemeinsam sind,
und daneben nur wenige spezifische. Es ist daher leicht verständlich,
daß bei der Präcipitinreaktion die ersteren vorwiegen und eventuelle
Unterschiede verdecken. In der Annahme, daß die spezifischen
Stoffe in den Geschlechtsdrüsen sich in besonders hoher Konzentration
befänden, wofür unter anderem die Versuche von Dunzar?) sprechen,
prüften wir die Wirkung des durch Injektion 9 Lymphe gewonnenen —
Serums auf Extrakte der Geschlechtsdrüsen, aber gleichfalls ohne
Erfolg. ss
Kine Verbesserungsmöglichkeit bot sich noch dadurch, daß man
die Extrakte vor der Verwendung mit Adsorbentien, z. B. Bolus
alba oder Tierkohle, ausschüttelte. Es werden dadurch große Mengen
von Eiweißkörpern adsorbiert und, falls die spezifischen sich nicht
darunter befinden, bietet sich die Möglichkeit, ihre Wirkung im ~
Extrakt mehr zur Geltung zu bringen. Auch die mit dieser
Modifikation angestellten Versuche sind bisher erfolglos geblieben.
Man darf aber aus diesen negativen Befunden meines Er-
achtens nicht den Schluß ziehen, daß auch tatsächlich keine Unter-
schiede vorhanden seien. Die Methodik ist nur noch zu unvoll- |
kommen, um diese feinen Differenzen nachzuweisen. Es muß sero-
logisch besser geschulten Forschern überlassen bleiben, hier eventuell ’
tiefer einzudringen. Der leicht und regelmäßig zu beobachtende —
Farbenunterschied der Lymphe bei Lepidopterenlarven verschiedenen
Geschlechts läßt sich jedenfalls nicht ohne die Annahme sexueller
Differenzierung auch solcher Körperteile erklären, die bisher für
sexuell indifferent gehalten wurden, und die aus dieser Tatsache
gezogenen Schlüsse haben meines Erachtens einen ziemlich hohen
Grad von Wahrscheinlichkeit?).
Diskussion:
Herr Prof. Gorvscaumpr (München); Herr Dr. Prixeszem (Halle);
Herr Dr. Srscue. $
Herr Dr. Srecue (Antwort auf Privesnem und GoLpschmmr)
dankt Herrn Gorpschmivr für sein überaus freundliches Anerbieten
von Kreuzungsmaterial und erwidert Herrn Prinesuerm, daß ihm die
1) DuNBAR, W. P., Uber das serobiologische Verhalten der Geschlechts-
zellen. Zeitschr. f. Immunitätsforschung u. exper. Therapie, IV, 1910. :
2) Inzwischen glauben wir auf einem anderen Wege tatsächlich einen
Unterschied der Eiweißkörper in der Hämolymphe von $ und Q bei Lepi-
dopteren und auch bei anderen Insektengruppen festgestellt zu haben,
281
Extrahierbarkeit des Chlorophylls mit Kochsalzlösung selber sehr
überraschend war und er nicht entscheiden will, ob es sich um
eine echte Lösung oder Aufschwemmung handelt. — Bezüglich des
Durchganges durch den Darm läßt sich der Abbau des Chlorophylls
keineswegs ausschließen, erscheint ihm aber wenig wahrscheinlich.
Herr Dr. P. Scuuzze (Berlin) bemerkt, daß schon 1890 Buckerz
(The Entomologist’s Record I) den Unterschied in der Hämolymphe
der Geschlechter bei Biston hirtaria festgestellt habe. — Bei den
Chrysomeliden, insbesondere bei Melasoma vigintipunctatum, wandern
nach seinen noch nicht ganz abgeschlossenen Untersuchungen nach
dem Abwerfen der Puppenhülle freie Zellen in den Raum zwischen den
beiden Lamellen der Flügeldecken ein, teilen sich sehr lebhaft und
bilden schließlich ein Gewebe, in dem ein Carotin gespeichert wird.
Letzteres wird zur Zeit der Fortpflanzung resorbiert, was äußerlich
durch ein Abblassen der Färbung in die Erscheinung tritt. Ähnlich
liegen die Verhältnisse während der Winterruhe, was man z. B.
auch bei manchen Coccinelliden leicht konstatieren kann. Wahr-
scheinlich sei bei den Lepidopteren das Chlorophyll ebenfalls an
Zellen gebunden und diene möglicherweise auch hier als Reservestoff.
Herr Dr. Srecue erwidert Herrn Dr. Sceurze, daß ähnliche
Reservestoffablagerungen wahrscheinlich auch in den Flügeln der
Chrysopa-Arten vorkommen, die im Herbst grüne Adern haben, im
Laufe des Winters aber gelb bis farblos werden. Über die histo-
logischen Verhältnisse im Lepidopterenblut, speziell über die Bindung
des Chlorophylls an Zellen hat er noch keine Untersuchungen an-
gestellt.
Herr Dr. Hanrtrzsca (Leipzig):
Bemerkungen zur Entwicklung der Narcomedusen.
(Ein Beitrag zur Kenntnis der Phylogenie der Medusen und der Verwandtschafts-
verhältnisse innerhalb der Klasse der Coelenteraten.)
I. Zur Phylogenie der Hydromedusen.
Meine Herren! Bei meinen Studien des komplizierten mit
Wirtswechsel verknüpften Generationswechsels der Cunina parasitica
Merscunrxorr bin ich auf Verhältnisse gestoßen, die mir ein all-
gemeineres Interesse zu beanspruchen scheinen, und die ich Ihnen
daher hier einmal vortragen möchte.
Da eine eingehende Untersuchung dieser Verhältnisse demnächst
erscheinen wird, kann ich mich jetzt darauf beschränken, die uns
282
hier interessierenden Kapitel aus dem Lebensgange der Cunina para-
sitica herauszugreifen, und möchte im Anschluß daran einige theo-
retische Vorstellungen, welche das Studium der genannten Ver-
hältnisse in mir entwickelte, zur Diskussion stellen. ;
Der Speziesname Cunina parasitica findet ausschließlich An-
wendung auf die bekannten Knospenähren im Magen der Geryoniden
und die von ihnen geknospten Medusen. In neuerer Zeit hat sich
jedoch herausgestellt, daß diese mindestens zwei Spezies angehören,
von denen die eine bestimmt Cunina proboscidea METScHNIKOFF ist,
während die andere der amerikanischen Form, der Cwnoctantha
octonarıa Mc Crapy ziemlich nahestehen dürfte. F
Mit Rücksicht darauf, daß also der Generationswechsel und
die systematische Stellung dieser zweiten Form noch zu wenig auf-
geklärt ist, mag es angezeigt erscheinen, den Namen Cunina para-
sitica vorläufig noch beizubehalten.
Ich schlage vor, die beiden Spezies als Cunina parasitica I
und II, dementsprechend die Knospenähren, welche sie aufammen
(Fig. 3 und 11), als Knospenähren vom Typus I und II zu unter-
scheiden, wobei ich vorausschicken muß, daß die Cunina parasitica I
eine Generation der Cunina proboscidea repräsentiert. |
Ihren Generationswechsel, der am genauesten bekannt geworden
ist, wollen wir jetzt etwas näher betrachten.
Wir haben zunächst eine wohlausgebildete Cunina der ersten
Generation (Fig. 1), deren befruchtete Eier (StscHELkAnowzEw, Die
Figur 1.
Meduse der 1. Generation der C. proboscidea (nach Stschelkanowzew 1906).
Entwicklung der Cunina proboscidea Merscunixorr. Mitt. Stat.
Neapel 1906) aus der ursprünglichen Lagerstätte, dem Ektoderm,
ins Entoderm der gastrokanalen Räume hinüberwandern und sich
dort zu einer zweiten abweichend gebauten, der ersten ganz un-
J
283
ähnlichen Generation entwickeln, die ebenfalls geschlechtsreif wird
(Fig. 2).
Ihre Geschlechtsprodukte gelangen auf noch nicht ganz geklärte
Weise in die Gewebe einer anderen Trachomeduse der Hochsee,
der Geryonia oder der Carmarina hastata HaAcxen des alten Systems,
Medianschnitt durch eine Meduse der 2. Generation der C. proboscidea.
exu Exumbrella, su Subumbrella, of Gehörkölbchen, v Velum, mt Anlage der Magentaschen.
entwickeln sich dort zu parasitischen Larven, die schließlich im
Magenraum des Wirtstieres zu Knospenähren (Fig. 3) auswachsen.
Diese knospen die Individuen der ersten Generation.
Den Generationszyklus der Cunina proboscidea METSCHNIKOFF
habe ich graphisch in Fig. 4 illustriert.
Die ersten Entwicklungsvorgänge der zweiten Generation sind
bekanntlich von Mrrscanikorr (Embryologische Studien an Medusen.
Wien 1886) als Sporogonie gedeutet worden. Der zweite Bearbeiter
dieser Verhältnisse, SrscheLkAnowzew (1906), hat dagegen in ihnen
die Entwicklung eines befruchteten Eies zu erkennen geglaubt,
während ich eine vermittelnde Stellung zwischen beiden Ansichten
eingenommen habe (Der Entwicklungskreislauf der Cunina parasitica
Merscunixorr. Mitt. Stat. Neapel 1911).
Von höherem Interesse als die ersten Entwicklungsstadien sind
für unser Thema die gastrulaeähnlichen Larven dieser Generation
(Fig. 5). Ihr Ektoderm ist anfänglich einschichtig, wird aber bald
mehrschichtig und läßt dann eine Außenschicht von einer Innen-
schicht embryonaler Zellen, deren Kerne in reger Vermehrung
begriffen sind, unterscheiden.
284
Wir wollen die letzteren Zellen, aus denen sich in der Folge
Geschlecht, Nessel- und Ganglienzellen differenzieren, als interstitielle
Zellen bezeichnen.
Schon frühzeitig legen sich auf der Rückenfläche unserer
Larven die ersten beiden larvalen Tentakel an, die einander opponiert
und aboralwärts leicht gekrümmt sind’). Zwischen ihnen entwickelt
sich eine rein ektodermale Wucherung von keulenförmiger
Gestalt (Fig. 5st), die mit dem
von Merscanikorr (Embryologische
Studien an Medusen. Wien 1886)
bei denselben Larven beobachteten
Stolo identisch sein dürfte.
Merscunixorr’s Angabe, daß
der Stolo von beiden Keimblättern
gebildet werde, dürfte auf einen
Beobachtungsfehler. zurückzu-
führen sein. Tatsächlich nimmt
das Entoderm keinen Anteil an
der Entwicklung des Stolo.
Während die larvalen Tentakel,
wie schon das Beiwort andeutet,
vergänglicher Natur sind, erweist
sich die stolonenähnliche Wuche-
Figur 3. rung für die Larve als ein Gebilde
er (Cunina yon höchster Bedeutung. Diese
K Knospen, EA BEN die entartete Wucherung nimmt zunächst eine
Phorocyte (Bewegungszelle der Knospen- kurze gedrungene Gestalt an und
ont a eee asmalanms erscheint in der Folge in einer
kreisförmigen Einsenkung?) der
Riickenfliche. An ihrem distalen Ende beginnt sich das Epithel
drüsig zu differenzieren, wie wir dies bei zahlreichen Hydroiden-
larven kurz vor ihrer Festsetzung (sei es an einer festen Unterlage,
sei es zwecks Anheftung an der Wasseroberfläche) beobachten können.
1) Nie mehr als zwei Tentakel beobachtet, während METSCHNIKOFF und
STSCHELKANOWZEW verfolgt haben wollen, wie sich vier Tentakel anlegen,
Wahrscheinlich liegt eine Verwechslung mit den noch zu besprechenden defini-
tiven Tentakeln vor, da — wie meine neueste Untersuchung dieser Verhältnisse
zeigt — den genannten Forschern unmöglich eine lückenlose Entwicklungsreihe
zur Verfügung gestanden haben kann.
2) Diese Einsenkung kommt dadurch zustande, daß sich die interstitiellen
Zellen im Umkreis des Stolo stark vermehrt haben.
285
Die Ähnlichkeit wird noch dadurch erhöht, daß bei unserer
Larve die apikale Drüse durch eine chitinartige Lamelle von ihrer
Umgebung abgegrenzt erscheint (Fig. 6).
7 hoe ;
®
Generation n
(Canina parasibea)
Figur 4.
Graphische Darstellung des Generationswechsels der Cunina proboscidea Metschnikoff.
Alle diese Merkmale weisen darauf hin, dab wir in dem Stolo
unserer Larven funktionell nichts weiter als einen Haftapparat zu
sehen haben. Die fernere Umbildung dieses Haftapparates ist
Figur 5.
Larve der 2. Generation der C. proborcidea mit einer aboralen stoloähnlichen Ektoderm-
wucherung (st). — Ektoderm mehrschichtig. (Durch eine gerissene Linie wird die Grenze
zwischen beiden Schichten angedeutet), m Mund der Larve.
286
theoretisch von höchstem Interesse, da er nämlich ausschließlich
das Material zur Bildung der Rückenscheibe, d. h. des Schirms der
jungen solmaridenähnlichen Narcomeduse (Fig. 2) liefert.
Figur 6.
Larve der 2. Generation der C. proborcidea.
st stolonenähnliche, aborale Ektodermwucherung mit der apikalen Drüse (dr), 1 chitinartige
Lamelle, welche die Drüse (dr) abgrenzt, g Anlage der Genitalien, m Mund der Larve.
Der Medusenschirm legt sich bei unseren Larven als
eine ringförmige äquatoriale Auftreibung der aboralen
Ektodermwucherung an (Fig. 7a, b).
Figur 7a.
Entwicklungsstadium der 2. Generation der C. proboscidea.
9 Geschlechtsanlagen, m Mund der Larve, dr apikale Drüse der aboralen Ektodermwucherung,
u Anlage des Schirms (ringförmige äquatoriale Vortreibung der aboralen Ektoderm-
wucherung), exu die künftige Exembrella, su die künftige Subumbrella.
Hierdurch werden zwei Abschnitte an der Ektodermwucherung
abgegrenzt: ein oberer, der offenbar dem Untergang geweiht ist,
von dem unteren, der durch allmähliche Umbildung zur Rücken-
scheibe wird. Indem sich das Entoderm der Rückenfläche in die
Schirmwucherung vorzustülpen beginnt, wird die Vaskularisierung
des Schirms angebahnt.
287
An seinem Umkreis gelangen sekundär Velum, definitive
Tentakel und Gehörkölbehen zur Ausbildung (Fig. 2). Die Art
und Weise, wie diese sich anlegen, ist bereits von Mevscunixkorr
Figur 7b.
Entwicklungsstadium der 2. Generation der C. proboscidea.
g Geschlechtsanlagen, m Mund der Larve, mt Anlage der Magentaschen, exw Exumbrella.
(l. c. 1886) und Srscuerkanowzew (1. c. 1906) zutreffend beschrieben
worden, und ich verweise daher die Interessenten auf die zitierten
Darstellungen.
Die Geschlechtszellen dieser zweiten Generation finden sich
dann in den Geweben der großen Geryonia wieder, wo sie von
Wotrereck (I. ec. 1905, S. 116—118) entdeckt und zuletzt an dieser
Stelle demonstriert worden sind.
„Es zeigte sich folgendes: In der Gallerte einer jungen Carmarina
fanden sich in Mengen amöboide Zellen, teils mit einem, teils mit
zwei, drei und mehr Kernen. Bei drei-
kernigen Stadien kann man den großen
blasigen Kern der Amöboidzelle (Phoro-
cyte) von den kleineren, in ihr ent-
haltenen Kernen der Larve deutlich
unterscheiden. Bei vier Larvenkernen
kann man auch die Abgrenzung der
einzelnen Zellen in der großen Zelle
Figur 8.
unterscheiden. Der Keim befreit sich Gastrula-ähnliche Larve der C. para-
mec ecchonegeta, mit dereauberen ia. ©. Generation der C. pro-
R A Kt boscidea) mit der Phorocyte (Phor).
wimpernden Fläche aus dem umhüllen-
den Plasma und sitzt nunmehr der Amöboidzelle wie die Schale
der Schnecke auf.“ (Woutereck, |. c. Fig. 13, S. 116.)
Die Zellen des bisher einschichtigen Keims beginnen sich jetzt
tangential zu teilen. So entsteht die innere oder untere Zellen-
schicht oder das Entoderm. Die Larve hat nunmehr eine ober-
flächliche Ähnlichkeit mit einer Gastrula (Fig. 8), und ist fälschlich
288
als solche angesehen worden, wiewohl sich schon Merscunrxorr
(1881, Vergleichende embryologische Studien. Zeit. Wiss. Zool. Bd. 36,
S. 441) gegen diese Deutung gewandt hat. Der die große Amöboid-
zelle umschließende Hohlraum, auf dessen Bedeutung ich noch
Figur 9.
Larve der C. parasitica I (3. Generation der C. proboscidea.)
gastr Gastralhöhle mit der 1. Öffnung m, Phor Phorocyte.
zurückkommen werde, entspricht jedenfalls nicht der Gastralhöhle.
Diese entsteht vielmehr als Spaltraum in der entodermalen Partie
der Larve.
Die Gastralhöhle erweitert sich allmählich und es ist nun für
die Larven der Cunina parasitica I (Cunina proboscidea-Enkel-
i> z >-
Figur 10.
Larve der C. parasitica II. Bezeichnungen wie in Fig. 9.
generation) charakteristisch, daß sich die untere Wand der Gastral-
höhle, durch welche die letztere von der kolossalen Bewegungszelle
(Phorocyte) getrennt erscheint, etwas oberhalb der schlitzförmigen
Durchgangsöffnung der Phorocyten-Pseudopodien an der Larven-
wand inseriert (Fig. 9), während bei der Cunina parasitica II die
Spaltung des Entoderms in zwei Schichten in ganzer Ausdehnung
erfolgt (Fig. 10).
289
Besonders deutlich kann man diesen trotz aller Geringfügig-
keit prinzipiellen Gegensatz an älteren Larven der beiden Spezies
verfolgen.
„Schon sehr früh erfolgt die Proliferation der auf ihrer Phoro-
cyte ziemlich lebhaft herumkriechenden Larve. In ihrer Mitte
zeigen sich eine oder mehrere lebhaft wimpernde Öffnungen, die
zu kleinen Schornsteinen auswachsen und die ersten Knospen dar-
stellen.“ (Woutrereck, 1905, 1. c. S. 110; vgl. auch Cuuns: Schemata
in Bronn, Coelenterata). Ihre Anlage scheint sich gesetzmäßig zu
vollziehen (Hanırzsca 1911, ]l. c. S. 235/236). Die Proliferation
schreitet distal-proximalwärts fort; dies wird dadurch ermöglicht,
daß sich der Larvenkörper in die Länge streckt.
Dies wäre in großen Zügen die Entstehung der Cuninen-
Knospenähren vom Typus I und II. Ihr proximaler, die Phorocyte
Figur 11.
Larve der C. parasitica II (Knospenähre vom Typus ID.
bergender Abschnitt erfährt noch verschiedene Veränderungen, die
zum Teil der Entartung dieser Riesenzelle parallel laufen, sicherlich
im letzten Grunde durch dieselbe bedingt sind. Im Rahmen dieses
Vortrags sind sie von untergeordnetem Interesse. Ich begnüge mich
daher mit einem Hinweis auf die Skizzen (Fig. 3 und 11) und auf
meine Arbeiten (19il und 1912).
Hier habe ich nur die postembryonale Entwicklung der zweiten
und dritten Generation der Cunina proboscidea als die theoretisch
interessantesten Kapitel aus dem Lebensgange dieser Spezies heraus-
gegriffen. Sie scheinen mir, sowohl einzeln für sich als auch ver-
gleichsweise betrachtet, beachtenswert.
Verh. d. Dtsch. Zool. Ges. 1912. 19
290
Die Figuren 6, 7a, b und 2 illustrieren uns die Entwicklung
einer zwar primitiven, immerhin aber typischen Meduse
(man vgl. z.B. Fig. 2 und 12) aus dem Ei über ein deutlich
polypoides Entwicklungsstadium (Fig.6a) hinweg und es
ist natürlich sehr verführerisch, die Erfahrungstatsachen, die uns
diese Entwicklung an ‘die Hand gibt, zu generalisieren, d. h. für
die phylogenetische Betrachtung der Medusen überhaupt nutzbar
zu machen. Ob dies zulässig ist, hängt ganz davon ab, inwieweit
man den Prozeß der sogenannten „inneren Knospung“, dem die
zweite Generation ihre Entstehung verdankt, als eine parasitische
Erscheinung ansehen will. Da die Entscheidung dieser Frage von
prinzipieller Bedeutung ist, möchte ich ein wenig dabei verweilen.
Figur 12.
Schematischer Längsschnitt durch eine Hydromeduse mit den Geschlechtsanlagen am
Manubrium (m), mt(rk) Magentaschen (Radiärkanal), v Velum, ¢ Tentakel.
Zweifellos spricht die Entwicklung von Lokomotions- und
Sinnesorganen bei der zweiten Generation dafür, daß wenigstens
ein Teil ihrer Entwicklung erst sekundär in den Gastralraum der
Mutter verlegt worden ist. Trotzdem läßt sich die Möglichkeit
nicht ohne weiteres von der Hand weisen, daß unsere zweite
Generation in Gestalt und Entwicklung manche ursprünglichen
Charaktere bewahrt hat. Denn diese Erscheinung steht. in der
Natur keineswegs vereinzelt da. Ich erinnere Sie z. B. an die
Dicyemiden, durchgängig parasitäre Formen, die nach allem, was
über ihre Entwicklung bekannt geworden ist, nicht als rück-
gebildet, sondern vielmehr als ein ursprünglicher Typus, d. h. also
als wirkliche Mesozoen aufzufassen sind (Harrmany, Unters. über
den Generationswechsel der Dicyemiden in Mém. Akad. Sc. Belg.
Tome I u. a.).
u
a ts bee Pv ark ow: 3 “hy
ee ee
TORE rey
nnd ea
291
Auch die Peripatusentwicklung, die sich gänzlich im Uterus des
Muttertieres abspielt, wird ja bekanntlich entwicklungsgeschichtlich
verwertet, um die Myriopoden und Insekten direkt von Anneliden
Figur 13.
Schematischer Längsschnitt durch einen Polypen.
m Mund, ¢ Tentakel (nach R. Hertwig, Lehrbuch d. Zool.).
abzuleiten (cf. z. B. die Anlage der Mesodermstreifen und der
Nephridien).
Mit Bezug auf die zitierte Praxis dürfte mindestens der Versuch
eine gewisse Berechtigung für sich in Anspruch nehmen, die
Frage zu diskutieren, ob die Entwicklung einer typischen Meduse
Figur 14.
Schematischer Längsschnitt durch eine Meduse. ©
mt(rk) Magentaschen (Raliärkanal), m Manubrium, su Subumbrella, v Velum, t Tentakel
(nach R. Hertwig, Lehrbuch d. Zoologie).
19*
292
aus dem Ei, wie sie bei der zweiten Generation der Cunina
proboscidea zutage tritt, nicht geeignet ist, uns dem Verständnis
der Medusenorganisation ein Stück näher zu bringen, als dies
in der bekannten Weise möglich ist. Ein Blick auf die Figuren
6, 7a, Tb und 2 lehrt zunächst, daß die Daten der Entwicklungs-
geschichte in diesem Falle keine Stütze für jene klassische Ab-
leitung des Hydr omeduse aus dem Hydropolypen bieten, welche von
Leverarr (Über den Polymorphismus der Individuen oder die Er-
scheinungen der Arbeitsteilung in der Natur. Gießen 1851) vor-
bereitet, von Auıman '), Cnaus?), Herrwie*) hauptsächlich auf Grund
des Vergleiches zwischen fertigen Formen fortgesetzt und erweitert
wurde. Diese Autoren erblicken in der Verkürzung der Längs-
achse des Polypen und in der starken Entwicklung der Gallerte
die Hauptmomente für die augenfälligen Veränderungen seines ur-
sprünglichen Habitus (Fig. 13 und 14).
Diese Ableitung zwingt uns, in den verschiedenen Abschnitten
des Gastrovaskularsystems (Magen, Ringkanal, Radiärkanäle) der
Hydromeduse „die Reste des Hydroidmagens zu sehen, dessen Hohl-
raum unter dem Druck der Gallerte in den dazwischen gelegenen
Partien obliterierte, die Entodermlamelle hinterlassend“ (cf. Herrwie,
Lehrb. d. Zoologie, 7. Aufl. S. 203).
Der Mund des Polypen wäre dem Mund der Meduse, die bei
vielen Hydropolypen vorhandene peristomale Konkavität mit der
Glockenhöhle, endlich der Mundkegel des Hydropolypen mit dem
Manubrium zu homologisieren.
Wenn wir nun einmal zum Vergleich die Verhältnisse bei
unserer Cunina proboscidea heranziehen — ich betone wiederholt,
daß dies nur ein Versuch sein soll —, so sehen wir, daß keines-
wegs die Medusenglocke durch Abflachung des aboralen Abschnitts
des Hydropolypen entsteht, sondern vielmehr als eine Differenzierung
der Haftscheibe der letzteren. Hieraus folgt, daß das Manubrium
dem Hydropolypen als solchen entsprechen würde.
Ferner wären die verschiedenen Abschnitte des Gastrovaskular- —
systems der Hydromeduse nicht als die Reste, sondern vielmehr
als Auswüchse des Hydroidmagens zu deuten. Endlich würden die
1) G. J. ALLMANN, A monograph of the Gymmeblees or Tubularian —
Hydroids. Ray Society 1871-72.
2) ©. CLaus, Uber Halistemma tergestinum n. sp. nebst Bemerkungen über —
den feineren Bau der Physophoriden. Arb. Zool. Inst. Wien, Bd. I, 1878.
3) O. u. R. HERTWIG, Der Organismus der Medusen und seine Stellung zur
Keimblattertheorie. Jena 1878.
293
Tentakel der Hydromeduse wie überhaupt die randständigen Spezial-
organe ihres Schirms kein Homologon in etwaigen ähnlichen Bildungen
des Hydropolypen finden, sondern als eine Konvergenz aufzufassen sein.
Trotz der genannten Verschiedenheiten haben die beiden vor-
getragenen Theorien miteinander gemeinsam, daß sie auf eine
polypoide Ahnenform rekurrieren und daß sie die Entwicklung der
Urcraspedoten aus dem Ei über den Hydropolypen hinweg als eine
Metamorphose auffassen, bei welcher der Mund des Polypen zum
Mund der Meduse wird.
Bekanntlich entsteht nun normalerweise eine Hydromeduse
nie aus dem Ei, sondern stets aus einer lateralen Knospe unter
Vermittlung eines Glockenkerns, dessen Wand zur Subumbrella
wird, d. h. an die Stelle, wo sonst die Mundéffnung der polypoiden
Knospe zum Durchbruch gelangt, kommt die Glockenöffnung zu
liegen und erst sekundär tritt am Boden der Glockenhöhle die
Manubriumerhebung mit der Mundöffnung auf. Das sind zweifel-
los sehr abgeleitete Verhältnisse, die uns die hypogenetisch ent-
standenen Urcraspedoten (von denen sich mindestens die Tracho-
Narcomedusen ableiten dürften) und die ausschließlich metagenetisch
entstehenden Glockenkernmedusen als die Endpunkte zweier ver-
schiedener Entwicklungsreihen, die sich frühzeitig getrennt haben
müssen, erscheinen lassen.
Damit hätten wir eine doppelte Fragestellung: Unter welchen
Voraussetzungen war die Metamorphose Polyp-Meduse möglich?
und welche Umstände gaben den Anstoß zu der Entwicklung der
Glockenkernmedusen ?
Die Herrwie’sche Theorie legt sich meiner Ansicht nach zu
sehr auf die Sessilität der Ausgangsform (des Hydropolypen) fest
und ist — um die Entwicklung der frei schwimmenden Urmeduse
zu verständlichen — gezwungen, eine Reihe von Voraussetzungen
zu machen, die für meine Auffassung, nach welcher der Medusen-
schirm ein Gebilde swi generis ist (hervorgegangen aus der Haft-
scheide des Polypen) entbehrlich sind.
Zunächst wäre zu erwägen, wie überhaupt eine Differenzierung
der Haftscheibe des Polypen möglich gewesen sein könnte. Einen
Fingerzeig in dieser Hinsicht hat uns Wourerseck (Bemerkungen
zur Entwicklung der Narcomedusen und Siphonophoren. Verh. D.
Z. G. 15. Vers. 1905) vor einigen Jahren an dieser Stelle gegeben,
in dem er nachwies, daß sich die drei pelagischen Primärzoidtypen
Narcomeduse, Ctenophore, Siphonophore zwanglos von sehr primi-
tiven Urcoelenteraten, simplen zweischichtigen, aber bereits zwei-
294
polig differenzierten (in Mundpol und Haftpol) Säckchen, die er —
Bipolarien genannt hat, ableiten lassen. Im Anschluß . daran hat
WorrEREck auf ungemein verführerische Beziehungsmöglichkeiten
zwischen den Haftscheiben aller Polypenlarven und der Wimper- —
platte der Narcomedusen, Ctenophoren, eventuell auch Trochophoren,
sowie den aktiven und passiven Schwimmorganen des Siphono-
phorenpoles (Schwimmglocke, Gasflasche, Luftflasche) hingewiesen.
Worrereck betont, daß die Bedingung für diese Differenzierungen
die Beibehaltung der pelagischen Lebensweise der Aus-
gangsiorm, d. h. der Bipolaria war. a
Ich bitte nun einmal zu überlegen, ob sich die Entwicklung —
des Schirms bei den Urcraspedoten nicht unter denselben Voraus-
setzungen verstehen liebe. |
Wenn der Schirm der Urcraspedoten tatsächlich eine den
genannten aboralen Differenzierungen der Bipolarien gleichwertige
Bildung darstellt, so würde — da man die Ausgangsform der
sessilen Hydropolypen in sehr einfachen pelagischen Urpolypen zu
suchen hat — mindestens der Umweg, den die Herrwie’sche Ab-
leitung der hypogenetisch entstandenen Urhydromedusen von
„sessilen“ Hydropolypen macht, vermieden und als eine unnötige —
Komplikation erscheinen.
Es darf nicht vergessen werden, daß der Herrwie’schen Theorie
in diesem Punkte bereits einmal von W. K. Brooxs (The Life
History of the Hydromedusae. A discussion of the Origin of the
Medusae and the Significance of Metagenesis. Mem. Boston. Soc. —
Nat. Hist. Vol. 3, 1886) und C. Voer (Sur un nouveau genre de
médusaire sessile, Lipkea Ruspoliana C. V. Geneve. Mém. Inst. —
Nat. Genevois. Tome 17, 1887) widersprochen worden ist. Diese
Autoren gehen von einer pelagischen medusoiden Stammform aus,
deren ebenfalls ursprünglich pelagisch lebende Larven sekundär 7
die festsitzende Lebensweise und die Fortpflanzung dtirch Knospung
oder Teilung erworben haben. Wiewohl ich mich mit der Be-
gründung dieser Theorie im einzelnen nicht zu befreunden vermag, —
scheint mir der Grundgedanke, an Stelle der sessilen eine pelagische —
Ausgangsform zu setzen, sehr fruchtbar zu sein. Denn dafür
sprechen verschiedene Gründe:
1. Die Leichtigkeit, die Umbildung einer frei schwimmenden
Coelenteraten-Urform zu einem so pelagischen Geschöpf, wie es
die Meduse ist, biologisch zu verstehen, nämlich als einen Ausdruck
der Steigerung der angeborenen Fähigkeit zum Schweben im Wasser
und des allmählichen Übergangs zur freien Beweglichkeit. (Dazu
295
kommt noch, daß die pelagischen Formen, die durch eine gewisse
Labilität ausgezeichnet zu sein pflegen zu einer solchen Entwicklung
eher prädestiniert erscheinen als die festsitzenden.)
2. Die Möglichkeit von dem „Bedürfnis der Polypengeneration,
zwecks Erhaltung und Disseminierung der Art geschlechtlich diffe-
renzierte Ausbreitungsindividuen zu erzeugen“, welches nach Herrwıc
ein ausschlaggebendes Moment für die Entwicklung der Medusen
gewesen sein soll, vollkommen absehen zu können (wenigstens was
die Entstehung der Urcraspedoten anbelangt). — Im Gegenteil
würde sich — bei angenommener geschlechtlicher Differenzierung
der pelagischen Ausgangsform — die Entwicklung des Schirms
erst recht leicht begreifen lassen, nämlich als Unterstützung des
(durch die Anhäufung der Geschlechtsprodukte) nach dem oralen
Pol verlegten Schwerpunktes.
Dieser Punkt gewinnt dadurch eine besondere Beweiskraft,
daß wir eine Konvergenzerscheinung noch heutzutage beobachten
können in der Entwicklung des primären fallschirmartigen Deck-
stückes bei den typischen Pneumatophoridenlarven. |
Während ich mich also in dieser Beziehung von der älteren
Auffassung entferne, nähere ich mich ihr insofern wieder, als ich
die phyletische Entwicklung der Glockenkernmedusen auf festsitzende
Urpolypen zurückführe. Hierzu benötige ich nur die einzige An-
nahme, ‚daß ein Teil der Bipolarien die pelagische Lebensweise
aufgab und sich mit derselben Haftscheibe, die sich bei ihren
pelagisch bleibenden Verwandten zum Schirm differenzierte, fest-
setzten. Die konsequente Verfolgung dieses Standpunktes führt,
wie leicht ersichtlich, dazu, dem festsitzenden Urpolypen die Fähig-
keit zur Metamorphose in dem angedeuteten Sinne abzusprechen.
Damit hätten wir den inneren Grund dafür gefunden, warum ein
neuer Modus der Medusenentwicklung geschaffen werden mußte,
der auf dem Wege der Teilung oder Knospung (welche Fähigkeit
auch die allereinfachsten Urpolypen gehabt haben müssen) zu den
Glockenkernmedusen hinüberführt.
Man könnte nun zum mindesten erwarten, daß dieser hypo-
thetische Modus der Glockenkernmedusen-Entwicklung an dieselbe
embryonale Anlage angeknüpft hat, welche das Material zur
Bildung des Schirms der hypogenetisch entstandenen Urmedusen
geliefert hat.
Es darf nicht vergessen werden, hier einzuschalten, daß wir
in dieser Hinsicht gewisse Vorläufer in denjenigen Forschern
haben, die die Entstehung der Glockenkernmedusen auf Haft- und
296
Flaschenorgane uralter Polypenplanulae, d. h. also auf Umbildungen
der massiven Polplatte der Urpolypen zum Zweck der "ee
zurückführen.
Wiewohl ich die Schwierigkeiten, die dieser Auffassung ent- Bi
gegenstehen, keineswegs verkenne, möchte ich einmal von diesem
Gesichtspunkt aus an der Hand meiner Präparate und unter Be-
rücksichtigung der Ergebnisse der modernen Experimentalbiologie
Tentakel
Tochter-
phorocyte
/
Hl !
Tentakel Phorocyte
Figur 15.
Längsschnitt durch eine inäqual und unvollständig geteilte Cunina parasitica (II) Larve.
s künftige Durchgangsöffnung der Tochterphorocyte.
in großen Zügen skizzieren, wie ich mir den stammesgeschichtlichen
Werdegang der uns denke.
Ich knüpfe hier an die bei der 3. Generation der Br
proboscidea zutage tretenden Verhältnisse an, da sich in deren Gene-
rationswechsel einmal der Übergang von der flottierenden zur fest-
sitzenden Lebensweise bei der Ausgangsform vollzogen haben muß, |
Das in Fig. 15 wiedergegebene Präparat zeigt einen schema- —
tischen Längsschnitt durch eine inäqual und unvollständig. (längs) 4
geteilte Cunina parasitica-Larve (cf. hierzu auch Tafel VII, —
Fig. 1—5 meiner vorjährigen Arbeit). Sehr bemerkenswert scheint
J
297
mir, daß die Larven häufig recht lange im Zustand unvollständiger
Teilung verharren, wobei man verfolgen kann, daß die Öffnung des
sekundären, die Phorocyte aufnehmenden Hohlraums des, bzw. (bei
multipler Teilung) der Tochterindividuen entweder gleichzeitig oder
doch nur kurz vor ihrer definitiven Trennung vom AMuttertier-
durchbricht. Gelegentlich kann diese Trennung auch ganz unter-
bleiben, so daß „Zwillingsknospenähren“ entstehen, die zwei Phorocyten
aufweisen.
Nun ist der Haftapparat, wie ihn unsere Knospenähren be-
‚sitzen, durch das Hinzukommen der Phorocyte zweifellos stark.
Haftorgan (vorläufig
__ eine allseitig geschlos-
sene Höhle) des Tochter-
individuums (II)
Haftorgan
Figur 16.
Längsschnitt durch einen (längs) inäqual und unvollständig geteilten sehr einfachen Urpolyp..
abgeändert. Der primäre Haftapparat dürfte vielmehr durch.
eine simple Einsenkung beider Keimblätter am aboralen
Pol repräsentiert worden sein, wie sie W. K. Brooxs (On the
_ life history of Eutima, and on radial and bilateral symmetry in:
_ Hydroids. Zool. Anz., Jahrgang VII, 1884) an der Planula eines
© Eutimahydropolypen, Worserec (Zool. Jahrb., Suppl. VII) an sehr:
jungen Velellalarven und ich sie neuerdings (Näheres darüber wird
in der ausführlichen Arbeit zu finden sein) an einer aboral.
proliferierenden Narcomeduse (Knospenähren vom Typus III) beob--
achtet haben. | 3
298
Auch diese einfachsten Polypen, welche sich lediglich durch
Ansaugen (durch die Einsenkung wird ein luftleerer Raum geschaffen)
an einer festen Unterlage festzusetzen vermochten, müßten — wie
gesagt — schon die Fähigkeit zu ungeschlechtlicher Vermehrung
durch Teilung oder Knospung besessen haben, so daß das in Fig. 16
dargestellte hypothetische Teilungsstadium eines sehr einfachen
Urpolypen durchaus verständlich sein dürfte. | ?
Fig. 16 ist lediglich eine ausgedehntere Schematisierung von
Fig. 15. |
Wer nun nicht weiß, wie das in Fig. 16 dargestellte Stadium
zustandegekommen ist, der würde wohl versucht sein, in dem
Figur 17. | &
Anlage einer fast vollendeten Glockenkernmeduse.
m Magen, ra Radiärkanal, r Ringkanal, v Velum, g Gallerte (aus Korschelt-Heider, Lehrb.
Vergl. Entw. Gesch.). j
Tochterindividuum (II) eine typische Hydromedusenknospe mit aus-
gehöhltem Glockenkern zu erblicken. Und ich meine, diese immerhin
auffällige Ähnlichkeit der Erscheinungen sollte jeden ernsthaften
Beobachter veranlassen, zu erwägen, ob diese Ähnlichkeit eine rein
zufällige ist oder ob wir hierin einen bemerkenswerten Hinweis
auf den (trotz zahlreicher Bemühungen anerkannter Forscher) noch
ganz im Unklaren liegenden Werdegang der Glockenkernknospen
zu sehen haben. Bi
Nehmen wir nun einmal an, daß der vorläufig noch allseitig
geschlossene Haftraum des Tochterindividuums (II) in Fig. 16
»
299
tatsächlich einem ausgehöhlten Glockenkern entspricht, so wäre
die nächstliegende theoretische Forderung die, daß sich die Folge-
erscheinungen, die wir im Verlauf der Glockenkernknospung beob-
achten (die wesentlichen wären die Entwicklung des Tentakel-
kranzes am Schirmrand und die des Manubriums am Grund der
Schirmhöhle (Fig. 17)), auch an dem aboralen Haftraum der Tochter-
„Knospe“ wahrscheinlich machen lassen.
Wenn wir uns überlegen, daß wir Fig. 16 von dem in Fig. 15
abgebildeten Teilungsstadium eines sehr einfachen zweitentakligen
Narcopolypen abgeleitet haben, so würde zunächst die Tatsache,
daß die Tentakel der geknospten Hydromeduse nicht nur gleich
lokalisiert, sondern auch gleich orientiert sind wie die des Narco-
polypen, ungemein für die prinzipielle Gleichwertigkeit der Schirm-
öffnung der Glockenkernmeduse mit der Öffnung des Haftraums
der einfachsten zweitentakligen Narcopolypen plädieren.
Bei unseren Cuninenlarven. (aller Generationen!) wurden übrigens mit
Beginn der Abschnürung (auch wenn diese unvollständig war) die fehlenden
Tentakel sofort regeneriert, und zwar bei Mutter- und Tochterindividuen den
ursprünglichen, in der Einzahl zurückbleibenden Tentakeln genau opponiert.
Somit bliebe nur die Entwicklung des Manubriums am
Grund des aboralen Haftraums der Tochter-„Knospe“ zur
Erklärung übrig. Ich könnte mich hier begnügen, darauf hinzu-
weisen, daß inder Entwicklung der Pneumatophore gewisser
Siphonophoren das Manubrium am Boden der aboral an-
gelegten Glockenhöhle gebildet wird (Wotrsrecx |. c. 1905),
möchte aber bei dem Interesse, welches diese Erscheinung be-
ansprucht, noch ein paar Worte darüber sagen. Diese Entwicklung
würde im Sinne der Experimentalbiologie als eine Heteromorphose
aufzufassen sein. Solche Heteromorphosen lassen sich nun tat-
sächlich und ohne große Schwierigkeiten bei einer ganzen Reihe
von Athekaten und Thekaphoren experimentell erzeugen.
Es wäre danach gar nicht einzusehen, warum nicht auch im
Verlauf der stammesgeschichtlichen Entwicklung der Glockenkern-
knospung äußere und innere Faktoren (hierher würde vielleicht
das Bedürfnis des durch multiple Teilungen außerordentlich stark
in Anspruch genommenen Muttertieres, die Tochtertiere zu gemein-
samer Ernährung des Stockes heranzuziehen, zu rechnen sein)
zusammengewirkt haben könnten zur Bildung einer Magenöfinung
auf dem Grund der sekundären „Glockenhöhle“.
Natürlich habe auch ich mir den Einwand gemacht, daß das
Argument, welches ich — um meine Hypothese von der Entstehung
300
der Glockenkernknospung zu stützen — hier beigebracht habe,
nur einen relativen Wert besitzt, zumal die Erscheinung der Hetero-
morphose noch viel zu wenig aufgeklärt ist. Die experimentelle
Biologie hat uns bisher den inneren Grund der partiellen Umkehr- |
barkeit der Polarität nicht kennen gelehrt; wir haben lediglich
Kenntnis genommen von den Versuchsbedingungen, unter welchen
Heteromorphosen zustandekommen. Was den inneren Grund an- —
belangt, so sind hierüber zurzeit nur Vermutungen möglich, mehr 3
oder weniger sinnreich, aber eben doch nur Vermutungen. Es
wird Sache der Physiologen sein, hier Klarheit zu schaffen. Der
Morphologe muß jedoch mit dieser tatsächlichen Erscheinung bei
der Erwägung von Entwicklungsmöglichkeiten rechnen. Speziell
in unserem Falle ist das theoretische Postulat der Entwicklung
eines Mundkegels am aboralen Pol oder Abschnitt des Tochter-
tieres zum mindesten nicht unverständlicher und unbegründeter —
als die Erscheinung .der Heteromorphose überhaupt.
Ein großer Vorzug meiner Auffassung von der Ontogenie der
Glockenkernmedusen scheint mir zu sein, daß wir von der durch
nichts begründeten Hilfsannahme, daß während der Glockenkern-
knospung eine zeitliche Verschiebung in der Anlage der einzelnen
Stücke (Glocke mit ihren randständigen Spezialorganen, Manubrium)
stattgefunden habe, absehen können. |
Ferner findet die eigentümliche Arlähelnang des Generations- —
wechsels in der Reihenfolge Polyp—(laterale!)Meduse in unserer
Auffassung, nach welcher die Glockenhöhle den aboralen Haftraum —
des Polypen rekapituliert, eine vollkommen ausreichende entwicklungs- —
geschichtliche Begriindung.
Ich sprach soeben von der Entwicklung der Glocken-
kernmedusen als von einer Rekapitulation des aboralen
Haftraums der einfachsten festsitzenden Urpolypen. :
Diese könnte auf verschiedene Weise zustandekommen; einmal
— durch partielle Teilung der. Oberfläche; zweitens — durch
physiologische Verdoppelung der Organe (Haftapparat).
Ich persönlich neige zu der letzteren Auffassung; um so mehr,
als wir eine Parallelerscheinung bei den mehrfach erwähnten
Pneumatophoridenlarven in der Vervielfältigung der Pneumato-
phoren!) gelegentlich beobachten können. Der Vergleich verviel-
fältigter Haftapparate bei sehr einfachen festsitzenden Urpolypa
1) WOLTERECK (1905): Bemerkungen zur Antogenie und Ableitung am
Siphonophorenstockes. Zeit. Wiss. Zool. Bd. 82, p. 611ff.
2
301
mit Doppel- und Vierfachbildungen der Pneumatophoridenlarven,
der an sich schon physiologisch begründet ist, erscheint um so
berechtigter, als die genannte Vervielfältigung von Organen in
beiden Fällen anknüpft an die Schädigung bzw. Unterdrückung
primärer Anlagen, hier des Schirms (©. parasitica), da des fall-
schirmartigen larvalen Deckstücks (Pneumatophoriden).
Fassen wir die gewonnenen Ergebnisse unserer Überlegungen
über die Phylogenie der Hydromedusen zusammen, so müssen wir
nochmals auf die Ausgangsform, den pelagischen Urpolypen, zurück-
greifen. Von diesem haben wir die aus dem Ei entstehenden
hypogenetischen Ur-Trachylinae, deren Entwicklung durch die Homo-
logien Mund des Polypen = Mund der Meduse, Schirm der Meduse =
Differenzierung der Haftscheibe des Polypen charakterisiert ist, ab-
geleitet. (Die geknospten Cuninen gehören, wie das Studium der
Cuninenknospung mir gezeigt hat, nicht in diese Kategorie der
Urcraspedoten.) |
Von den pelagischen Urpolypen haben wir ferner die fest-
sitzenden Polypen und von diesen wiederum die Glockenkernmedusen,
in deren Ontogenie der aborale Haftraum, eine Umbildung der Haft-
scheibe des Polypen als Glockenkern bzw. Glockenhöhle rekapituliert
wird, abgeleitet.
Von den festsitzenden Urpolypen führt auch ein Weg zu den
Cuninen-Knospenähren hinüber, und die eigentümlichen Knospungs-
verhältnisse der Cuninen, die erst neuerdings richtig erkannt worden
sind, weisen uns endlich einen Weg zu den Acraspedoten, der von
der Wissenschaft schon lange gesucht wird (vgl. L. Acassız, Contri-
butions to the natural history of the U. S. A. Boston Ill. 1860,
IV. 1862; ferner E. Hacker, Familie der Rüsselquallen, Jen. Zeit.
Med. Naturw. Bd II S. 296/297, dort weitere Literaturnachweise).
Danach würde sich, indem wir hier die Ergebnisse des zweiten
Teils unseres Vortrags der Vollständigkeit halber vorausnehmen,
die Stammesgeschichte der Medusen graphisch wie folgt darstellen
lassen (siehe S. 302).
Was die Frage nach der Natur oder Entstehung der Gono-
phoren anbelangt, so haben mich weder die Hypothese Weismann’s
(Die Entstehung der Sexualzellen bei den Hydromedusen, zugleich
als Beitrag zur Kenntnis des Baues und der Lebenserscheinungen
dieser Gruppe. Jena 1883) noch die Gorrre’s (Vergleichende Ent-
wicklungsgeschichte der Geschlechtsindividuen der Hydropolypen.
Zeit. Wiss. Zool. Bd. 87. 1907) in allen Punkten überzeugt und
ich schließe mich ganz der Auffassung Hanpz1’s (Bemerkungen zur
302
Pelagische Urpolypen.
/
Festsitzende Urpolypen
mit lateraler Knospung,
die vielleicht auf eine Ver-
doppelung des primären
Haftapparates zurückgeht.
Ur-Glockenkern-
medusen.
Entwicklung: ausschließlich
auf dem Weg derMetagenese.
Die Medusen rekapitulieren
in ihrer Ontogenese den
aboralen Haftraum(Ur-
Glockenkern) des Po-
lypen. Die Entwicklung
des Manubriums mit der
Mundöffnung ist als eine
Neubildung aufzufassen.
1) Was die Auffassung des Schirms der geknospten Narcomedusen =
Caun’s Schemata im Bronn.Coelenterata) anlangt, so bin ich ganz der Meine ung
WOLTERECK’s (I. c. 1905 S. 109), daß nämlich ihr Schirm mit dem der Glockenke
Ur-Trachylinae
umgewandelte
Schirm = Differenzierung
der
scheibe. Mund der Medusa
— Mund des Polypen. Ent i.
wicklung auschlieBlich auf
dem Weg der Metamorphose.
FestsitzendeUrpolypen
mit oraler (!) Proliferation,
die möglicherweise auf die
Fähigkeit zurQuerteilung
zurückgeht.
Oral proliferierende
Narcopolypen.
(Knospenähren der Cunina
parasitica Metschnikoff.)
Metagenetisch entste-
hende Narcomedusen
(Cunina).
Mund der Meduse = Mund
des oral proliferierenden
Polypen. Schirm !) = Um-
bildung des aboralen Ab-
schnitts der Polypen.
Bipolarien;
Polypen - Haft-
Oral oder termi-
nal proliferie-
rende Scypho-
polypen.
EN
Scyphomedusen.
- Mund der Meduse =
Mund des oral (ter-
minal) proliferieren-
den Scyphopolyp en.
Der Mundscheiben-
schirm der Strobila 2-
meduse läßt sich ge-
netisch dem Sch
der metageneti
entstehenden N
_ medusen vergleichen.
a
anf = 5
medusen und der Ur-Trachylinae) genetisch absolut nichts zu tun hat. Di
auftretenden Ahnlichkeiten sind durch gleiche Bediirfnisse und Konvergenz hei
erklärbar, als es eine so grundverschiedene Genese morphologisch (?) gl eich-
wertiger Schirme — trotz gleicher Bedürfnisse verschieden — sein würde.“ :
x
303
Ontogenie und Phylogenie der Hydromedusen. Zool. Anz. Bd. 35.1910)
an, daß „es nämlich noch zu früh ist, eine allgemeine Lösung der
Frage nach der Natur aller Keimträger zu versuchen, da wir noch
‘immer zu wenig Formen genau genug kennen. Es muß von vorn-
herein als einseitig bezeichnet werden, gerade, so alle Keimträger
als regressiv (mit Hinsicht auf die Meduse. Wersmann), als ander-
seits alle Keimträger als progressiv (wie es z. T. Gorrrs
getan hat) zu proklamieren. Meiner Meinung nach geht es noch
viel eher an, beliebige Formen als regressiv anzusehen (Tubularia,
Pennaria) als progressiv; Zeichen der Rückbildung sind verhältnis-
mäßig unschwer zu erkennen. — Deshalb brauchen aber natürlich
nicht alle sessilen Keimträger rückgebildete Medusen zu sein. —
Wenn man schon in bezug auf die weiter differenzierten Keimträger
bei ihrer Deutung, ob progressiv oder regressiv, vorsichtig sein muß,
so gilt dies noch in verstärktem Maße bei Beurteilung der einfach
gebauten Keimträger. Müssen denn diese entweder progressiv oder
regressiv sein? Können sie denn nicht indifferent sein, Bildungen
eigener Art? Müssen es überhaupt eigene Individuen sein, den
Hydranthen gleich? (Kudendrium-Gonophoren).“
In derselben Untersuchung stellt Hanzı den Satz auf, daß „die
Hydromeduse wohl direkt vom Hydranthen des Hydropolypen ab-
leitbar ist“ und stützt sich dabei auf seine Beobachtungen an
Hydranthenknospen gewisser Thecaphoren.
Bei diesen fand Hanzı, daß die Anlage des Tentakelkranzes
vor dem Auftreten der Proboscis zuerst als ein solider kontinuier-
licher Ring um das Peristomfeld herumgebildet wird. Die Tentakel
(sehr zahlreich) sind später gegen das Peristomzentrum geneigt
und bilden eng aneinanderschließend ein Dach (außen vom Periderm
überzogen, das noch früher vom Peristomektoderm ausgeschieden
wurde), nach innen aber eine Höhle (der Subumbrellarhöhle ent-
sprechend) schließend. Erst später tritt die Proboscis auf, wie bei
den Medusen das Manubrium verspätet aufzutreten pflegt. Bei
anderen Thecaphoren findet sich sogar zwischen den Basalteilen der
Tentakel eine Ektodermduplikatur (nach der Art einer Schwimm-
haut), die einer Umbrellaranlage entspricht; sie wird dann durch-
zogen von Radiärkanälen (Ausstülpungen des Zentralmagens). Bei
einer isoliert stehenden Thecaphorengruppe, den Bonnevielliden,
existiert sogar ein Velum.
Soweit sich das überhaupt aus der vorläufigen Mitteilung er-
kennen ließ, handelt es sich im vorliegenden Falle um sehr abgeleitete
Übergangsformen, in welchen ich mit Srecue (Hydra und die Hy-
304
droiden zugleich eine Einführung in die experimentelle Behandlung
biologischer Probleme an niederen Tieren. Leipzig 1911) Stamm-
formen von Medusen nicht zu erblicken vermag. |
II. Gibt.es genetische Beziehungen zwischen Narco-
medusen und Acraspedoten?
Nachdem es gelungen war, ein Merkmal zu finden, welches die
Larven der Cunina parasitica I und II scharf auseinander zu halten
‚gestattet, wir erinnern uns, daß dieses Merkmal in der verschie-
denen Inseration der unteren Wand der Gastralhöhle an der Larven-—
wand gegeben war, lag es nahe, einmal die embryonale Entwicklung
der zweiten und dritten Generation der Cunina proboscidea im
einzelnen zu vergleichen, um hierdurch womöglich zu klarem morpho-
logischen Verständnis der Knospenähren zu gelangen. a
Diesen Vergleich habe ich ebenfalls in der angekündigten
Publikation streng durchgeführt und hebe daher hier nur die
Schlußfolgerungen, zu welchen ich gelangte, hervor. |
Zunächst stellte sich heraus, daß eine auffällige Beziehungs-
möglichkeit zwischen der bereits besprochenen drüsigen Einsenkung
am Scheitel der aboralen Ektodermwucherung unserer Cunina
proboscidea-Larven der zweiten Generation und dem die Phorocyte
bergenden Hohlraum der Cunina parasitica-Larven bzw. Knospen-
ähren besteht. (cf. die Fig. 18—21.) Wenn diese richtig ist, würden
sich also die letzteren, die in der Literatur als knospende
Polypen figurieren, an dem Wirtstier (Geryonia) mit dem aboralen
Pol festsetzen, was an sich schon wahrscheinlich ist. 3
Merkwiirdigerweise gehen die Meinungen der Autoren über
diesen Punkt weit auseinander. |
Bis in die neueste Zeit hinein ist der Durchgangsschlitz der
Phorocytenpseudopodien als Blastoporus angesehen worden, dem-
entsprechend die kappenförmigen, zweischichtigen Entwicklungs-
stadien der Cunina parasitica, die der Phorocyte wie die Schale
der Schnecke aufsitzen (Wotrereck 1905, J. c. S. 110), als Gastrulae
(Fig.8); mit anderen Worten: man hat die Knospenähren der Cunina
parasitica als oral(!) festsitzende, aboral proliferierende Polypen
aufgefaßt, wiewohl dies allen Erfahrungen der Entwicklungs-
geschichte widerspricht und der die Phorocyte umschließende Hohl-
raum nicht einmal die Gastralhöhle repräsentiert!). Diese ent-
1) Hierauf hat METSCHNIKOFF zuerst aufmerksam gemacht (1881, Ver-
gleichende embryolog. Studien. Zeit. Wiss. Zool. Bd. 36, p. 441): „Unter solchen
Verhältnissen bleibt es unmöglich, den oft verzweigten Durchgangsschlitz der
305
steht vielmehr sehr verspätet als Spaltraum im Entoderm der
Larve. Ich habe in der angekündigten Arbeit vorgeschlagen, diese
Figur 18.
Larve der 2. Generation der C. proboscidea.
st aborale Ektodermwucherung mit distal drüsig differenziertem eingesenkten Epithel (dr).
e chitinige Lamelle, welche die Drüse abgrenzt, g Geschlechtsanlagen, m Mund der Larve.
Entwicklungsstadien als cänogenetisch (durch Aufnahme der Phoro-
cyte) veränderte Delaminationsgastrulae, denen ein Blastoporus
©
Ay
ee ies ee
r }
ae”
EEE
a
Figur 19.
Hypothetisches Entwicklungsstadium der 2. Generation der C. proboscidea mit erweitertem
aboralen Haftraum (dr), der durch die Lamelle (e) bezeichnet wird. Der Haftraum beeinflußt
durch seine Größe den Gastralraum der Larve zur Bildung einer ringförmigen Verstülpung
in die Ektodermwucherung (1. Anlage der Magentaschen mt).
vorläufig noch fehlt, aufzufassen. Bald nach der Entwicklung der
Gastralhöhle bricht die Mundöffnung der ersten Knospe durch. Da
Phorocyten-Pseudopodien für ein Homologen des Blastoporus zu halten, zumal
unsere Larve keine Gastralhöhe enthält, sondern mit der kolossalen Bewegungs-
zelle ausgefüllt bleibt.“
METSCHNIKOFF ist nun freilich diesem Gedankengange nicht treu geblieben,
indem er den knospentragenden Abschnitt der Cunina parasitica-Knospenähren
dem proliferierenden Stoto der Cunina rhododactyla-Larven (cf. METSCHNIKOFF,
Studien üb. d. Entwicklung von Medusen und Siphonophoren. Zeit. Wiss, Zool.
Bd. 24, 1874) verglichen hat. Tatsächlich entwickeln die Cunina parasitica-
Larven gar keinen Stolo prolifer. Ihre Knospenähren entstehen vielmehr auf
die Weise, daß sich der Larvenkörper in die Länge streckt und Rich weiterhin
auf seiner ganzen Oberfläche mit Knospen bedeckt.
Verh. d. Dtsch. Zool. Ges. 1912. 20
306
es sich um die erste Öffnung der Gastralhöhle unserer Larve
handelt, muß sie dem Blastoporus verglichen werden. Wenn das
richtig ist, muß man also — entgegen der üblichen Anschauung
FR
| TEMA nie.
a ee ch ee Denn re | E umeurer Eee ne rm Mess
Figur 20.
Larve der C. parasitica I, d. i. der 3. Generation der C. proboscidea.
gastr Gastralraum mit der 1. Öffnung m, m Mund der Larve = Mund der Terminalmeduse
der künftigen Knospenähre, Phor Phorocyte.
in dem die Phorocyte bergenden Abschnitt der Larve den abo-
ralen sehen.
Ob ich mich mit meinem Gedankengange auf dem richtigen
Wege befinde, mag der Vergleich einer älteren Larve der zweiten
Figur 21.
Larve der C. parasitica II.
Bezeichnungen derselben wie in Fig. 20.
Generation mit einer der dritten Generation der Cunina probos-
cidea entscheiden (cf. die Fig. 18—21).
Dieser lehrt uns zunächst, daß die parasitäre Verkümmerung
der Cunina parasitica I verhältnismäßig unbedeutend ist, denn wir
finden fast alle anatomischen Merkmale der miitterlichen Gene-
ration wieder, mit Ausnahme der Genitalien natürlich und der
307
Lokomotionsapparate, wie des Schirms und des Velums, endlich der
Sinnesorgane. Dagegen können wir den Wechsel larvaler und
definitiver Tentakel auch bei dieser Generation konstatieren. Im
übrigen ergibt sich eine ganze Reihe Vergleichspunkte:
Zunächst die ungemein verführerische Beziehungsmöglichkeit
zwischen der apikalen Drüse der Cunina proboscidea-Larve der
zweiten Generation und dem die Phorocyte aufnehmenden Hohl-
raum der Cunina parasitica-Larve;
ferner die übereinstimmende Lage der Genitalien der zweiten
Generation und der in propagativer Beziehung nicht minder be-
deutungsvollen knospentragenden Partie der Cunina parasitica-
Knospenähren;
endlich die prinzipiell wichtige Homologie zwischen der Mund-
öffnung der Cunina proboscidea-Larve der zweiten Generation und
der ersten Öffnung des Gastralraumes der Cunina parasitica-Larve.
Von hervorragendem Interesse ist diese Homologie insofern,
als der Urmund der Cunina parasitica-Larve gleichzeitig
der Mund der ersten oral(!) geknospten Meduse ist. Denn
diese Feststellung enthält die Beziehungsmöglichkeiten
zwischen den oral proliferierenden Narcomedusenähren
und den gleichfalls oral oder terminal proliferierenden
Scyphistomen.
Da nun die 2% bis n!® Knospe der Knospenähren nur in
bezug auf das schlauchartig verlängerte Primärzoid Lateral- oder
Sekundärzoide sind (wie die Ontogenese |
beweist), nicht aber — wie es die ältere
Auffassung wahrscheinlich machte —
vom sogenannten Aboralstolo seitlich
geknospt werden, gelangen wir durch
konsequente Verfolgung unseres be-
kannten Standpunktes dazu, in der late-
ralen Knospung der Tochtermedusen von
den Knospenähren und andererseits in
der lateralen Knospung der Tochter-
; Figur 22.
scyphistomen vom Mutterpolyp (Scyphi- Ungeschlechtliche Fortpflanzung
des Scyphistoma durch laterale
stoma), welche zuerst von M. Sars (Uber Ree eG Genet. Garey
die Entwicklung der Medusa aurita und
Cyanea capillata. Arch. f. Nat. Gesch. 7. Bd., 1841) beobachtet worden
ist (cf. Fig. 22, 23), eine gleichartige Erscheinung zu sehen. Die
Sekundärzoide der Knospenähren wie auch das Primärzoid mit
seiner terminalen Medusenknospe würden denjenigen Scyphopolypen
20*
308
entsprechen, die nur einscheibige Strobilae zur Ausbildung bringen
(wie dies z. B. die Scyphistomen der Aurelia aurita unter un- —
günstigen biologischen Verhältnissen zu tun pflegen; SCHNEIDER, Zur
Entwicklungsgeschichte der Awrelia aurita. Arch. f. mikr. Anat. —
Bd. 6, 1870; Häcker, Metagenesis und Hypogenesis der Aurelia
aurita. Jena 1881).
Ein Unterschied ist insofern vorhanden, als bei unseren Knospen-
ähren der basale Rest der Knospe, der nach ihrer Ablösung durch
Querfurchung zurückbleibt (analog dem Vorgang bei der Aurelia),
höchstwahrscheinlich den oralen Abschnitt nicht regeneriert!), um
später den Prozeß der Strobilation aufs neue durchzumachen.
Figur 23.
Ungeschlechtliche Fortpflanzung des Scyphistoma durch Stolonabildung (nach M. Sars).
Andernfalls wäre das von mir neuerdings mit Sicherheit fest- —
gestellte Auftreten von Ersatz- oder Reserveknospen im höchsten
Grade unverständlich. Vielleicht illustriert aber gerade diese Er- —
scheinung einen Übergang von der monodisken Strobila, die schon
a priori als ursprünglichste Form ungeschlechtlicher Vermehrung
durch terminale Knospung erscheint, zur polydisken Strobila.
Deren Auftreten wie auch die Bildung der Ersatzknospen bei
den im Commensalen-Verhältnis?) zu den Wirtstieren stehenden
1) Die Regeneration scheint sich auf eine Art Vernarbung der Trennungs-
stelle zu beschränken. :
2) Der Beweis fiir diese Behauptung findet sich in meiner mehrfach
zitierten Arbeit von 1911 (S. 206—209), sowie ausführlicher in dem, das Problem
der Infektion der Wirtstiere mit den Cunina parasitica-Keimen
309
Knospenähren kann jedenfalls leicht auf ein und dieselbe Weise
erklärt werden; nämlich durch das Bedürfnis, günstige biolo-
gische Verhältnisse besser ausnützen zu können, zwecks
Vermehrung der Zahl der sich geschlechtlich differenzierenden Aus-
breitungsindividuen.
Herr Prof. Harrmann (Berlin):
Blastosporidium schooi, ein neues menschenpathogenes Protozoon,
(Manuskript nicht eingegangen.)
Demonstrationen.
Herr Prof. Spencer (Gießen) und Herr Dr. Baurzer (Würzburg)
demonstrierten Präparate zu ihren Vorträgen, Herr Prof. Roux
(Halle) die Selbstkopulation von Tropfen, Herr Prof. Hrıner (Inns-
bruck) Modelle zur Echinodermen-Metamorphose und Herr Prof.
SchugEre (Berlin-Lichterfelde) Stereogramme. Von Herrn Prof.
F. E. Scaunze (Berlin) waren zwei Tableaux mit Photostereo-
grammen und ein Gestell zum Demonstrieren von Stereogrammen
ausgestellt.
Fünfte Sitzung
Donnerstag, den 30. Mai, 9—1 Uhr.
Nach dem Bericht der Rechnungsrevisoren wird dem Schrift-
führer Entlastung erteilt.
Vorträge.
Herr Prof. J. W. Speneen (Gießen):
Über den Hautmuskelschlauch gewisser Thalassema-Arten und seine Be-
deutung für die Systematik dieser Tiere.
Die Systematik der Echiurideen oder armaten (chätiferen)
Gephyreen befindet sich zurzeit auf einem Standpunkt, dessen pro-
visorische Natur nicht zu verkennen ist. Man hat die Gruppe, der
behandelnden Abschnitt der angekündigten Publikation. — F. E. SCHULZE, Über
die Cuninen-Knospenähren im Magen von Geryonien. Mitt. Nat. Ver. Graz, 1875;
vgl. auch B. ULJANIN, Über die Herkunft der im Geryonia-Magen knospenden
Cuninen. Mitt. Ges. Naturw. Moskau, Bd. 24. (Russisch) 1876. — A. A. TıcHo-
MIROFF, Zur Entwicklungsgeschichte der Hydroiden. Prot. Kais. Ges. Naturw.
Moskau, Bd. 50. (Russisch) 1887.
310
unzweifelhaft ein höherer Wert als nur der einer Familie zukommt —
— Grossen betrachtet sie als eine Klasse neben Archianneliden, —
Chätopoden, Hirudineen und Sipunculoiden —, bisher nur in Gattungen
eingeteilt, und zwar in die wenigen Gattungen Zchiurus, Bonellia, —
Hamingia, und der ganze übrige Rest bildet die Gattung T’halassema. —
Durch neuere Untersuchungen hat sich herausgestellt, daß in der
Gattung Zchiurus nicht nur sehr verschieden gebaute Tiere ver-
einigt sind, sondern sogar Formen, die in Kardinalpunkten von allen
übrigen Echiurideen abweichen und deshalb als Gattung Urechis —
davon abgetrennt worden sind. Andrerseits haben sich Beziehungen
zwischen Bonellia und Hamingia ergeben, die dazu geführt haben,
die beiden Gattungen in einer Familie der Bonellvidae zu vereinigen. —
Ganz unberührt ist die Gattung Thalassema geblieben, obwohl —
die Zahl ihrer Arten inzwischen auf etwa 40 gestiegen ist. In
ihrer Erkenntnis hat den ersten Fortschritt Lamrerr durch den
Nachweis gebracht, daß es darunter Arten mit ununterbrochen
zusammenhängender Längsmuskelschicht gibt und andere, deren
Längsmuskulatur in Bündel gesondert ist. Sriruer u. a. haben diesen —
Gedanken verfolgt und unter den letzteren nach der Zahl der —
Muskelbündel unterschieden. Smerey hat uns eine synoptische —
Übersicht gegeben, in der außer diesem Merkmal nur noch die von
1 bis 3 wechselnde Zahl der Nephridienpaare berücksichtigt worden
ist. Auf den Gedanken, auch andere Merkmale als diese beiden
für die Kennzeichnung der Thalassema-Arten zu verwenden, ist —
weder er noch einer seiner Nachfolger gekommen; höchstens finden
solche in der Artbeschreibung Erwähnung. Die Sache wurde auch
dadurch nicht wesentlich anders, daß einerseits Suurrer, andererseits |
v. Drascue eine Art, die sie beide für identisch hielten mit einem —
1838 von F. S. Levcxarr u. Rürrerv beschriebenen Ochetostoma —
erythrogrammon, dessen Zugehörigkeit zu Thalassema 1852 Max
Mörrver erkannt hatte, in bezug auf den Bau der Hautmuskulatur
untersuchten und dabei zu sehr verschiedenen Resultaten kamen.
Nichtsdestoweniger fuhr man fort, nur die Muskelbündel und die 4
Nephridien zu zählen und alle Thalassemen für die gleiche Art zu —
erklären, die in diesen beiden Beziehungen untereinander überein-
stimmten, wobei man noch zu der Ansicht kam, daß die erstere
Zahl in gewissen Grenzen variabel zu sein scheine Welchen
Wert das Resultat dieser Bestimmungen haben mußte, kann man
sich denken. =
Als ich nun vor kurzem an die Aufgabe herantrat, die
Echiurideen und im besondern die Gattung Thalassema einer —
311
Revision zu unterwerfen, mußte ich, da die meisten der vorliegenden
Beschreibungen sich auf eines oder wenige konservierte Exemplare
von vorzugsweise den tropischen Meeren angehörigen Arten stützen,
es mir zunächst angelegen sein lassen, wenn irgend möglich alle
diese oder wenigstens authentische Vertreter jeder Art zu beschaffen,
und ich freue mich, sagen zu können, daß mir das für die zuerst
in Angriff genommene Gruppe lückenlos gelungen ist.
Aus verschiedenen Gründen schien es mir geraten, mit einer
Gruppe von Arten anzufangen, die sich in groben Zügen folgender-
maßen charakterisieren lassen:
1. gesonderte Längsmuskelbündel;
2. 3 Paar Nephridien.
Letzteres Merkmal konnte ich durch den Zusatz ergänzen:
deren Nephrostome mit sogenannten Spiraltuben ausgestattet, d.h.
in zwei schraubenförmig aufgewundene Zipfel ausgezogen sind; denn
bei allen Arten von Thalassema, die drei Paare von Nephridien
besitzen, verhalten sich die Nephrostome ausnahmslos so, eine Tat-
sache, die immerhin von anfang an dafür zu sprechen schien, daß
wir es darin mit einer natürlichen Gruppe zu tun haben.
Wenn ich nun gleich auf einige Resultate der vorgenommenen
Untersuchung eingehe, so kann ich in diesem Sinne weiter hinzu-
fügen, daß die für einzelne Arten von Lamrerr gemachte Beobachtung,
daß das vorderste der drei Nephridienpaare vor den Bauchborsten
gelegen ist und ausmündet, ebenfalls für sie alle ohne Ausnahme
gültig ist. Und das gleiche gilt von der Tatsache, daß bei ihnen
allen der Muskel, der bei Zchiurus, Bonellia, Hamingia und vielen
Thalassema-Arten quer von der Basis einer Bauchborste zur anderen’
zieht, der sogenannte Interbasalmuskel, bei ihnen allen fehlt. Diese
Erfahrung habe ich durch Vergleichung anderer Arten dahin er-
weitern können, dab bei allen Thalassema-Arten, die mehr als zwei
Paare von Nephridien besitzen — was außer denen mit drei Paaren
bis jetzt nur von 7h. elegans Ixepa mit sieben Paaren gilt —, das
vorderste sich vor den Bauchborsten findet und daß dann auch stets
der Interbasalmuskel fehlt. Als weiteres übereinstimmendes Merkmal
kann ich hinzufügen, daß alle diese Arten Analschläuche besitzen,
deren Trichter — die man bisher bei einigen von ihnen vergebens
gesucht hatte, die man ihnen jedoch irrtümlicherweise abgesprochen
hat — der Wand ohne Vermittlung eines stielartigen Fortsatzes
aufsitzen. |
_ "Trotz der Übereinstimmung in diesen Punkten, zu denen, wie
wir sehen werden, noch andere kommen, ist die Zusammengehörig-
312
keit der durch sie gekennzeichneten Arten nicht so groß, wie man
denken sollte. Denn nur die Vereinigung dieser Merkmale, die jedes
für sich auch anderen Gruppen zukommen — abgesehen natürlich
von den mit der Existenz von drei Nephridienpaaren kombinierten
Erscheinungen — ist charakteristisch für die Gruppe.
Tatsächlich finden sich neben diesen Übereinstimmungen solche 2
Unterschiede in anderen Merkmalen, daß es unmöglich erscheint,
alle diese Tiere so nahe zusammenzustellen, wie man es bisher für
richtig gehalten hat. Und das sind nicht einmal Dinge, die man ;
bisher übersehen, sondern denen man nur nicht die gebührende —
Aufmerksamkeit geschenkt und die man daher nicht so gründlich —
untersucht hat, wie es wünschenswert ist. Es handelt sich eben 5
um die aus Srurrer’s und v. Drascue’s Arbeiten sich ergebenden —
Unterschiede im Bau des Hautmuskelschlauches. Was davon in
Frage kommt, kann alles festgestellt werden durch Untersuchung
der Tiere, die als Th. erythrogrammon beschrieben worden sind. —
1. Rürrern selber hatte seine Tiere im Roten Meere gesammelt;
ein Originalexemplar — allerdings in kläglichem Zustande — be-
findet sich noch im Senckenbergischen Museum in Frankfurt und
ist mir freundlichst zur Verfügung gestellt worden. '
2. Lampert hat 1883, ebenfalls aus dem Roten Meere, von ~
Kuunzincer gesammelte und von diesem selbst für Th. erythro- —
grammon angesehene Exemplare als T’h. caudex beschrieben, sie
aber später selbst als die genannte Art erkannt.
+
3. v. Drascue hat 1881 Exemplare aus dem Wiener Hof- |
museum von Bourbon beschrieben und die erste Schilderung des
Hautbaues gegeben.
4. Srurter hat 1883 Tiere von der Nordküste der Insel Billiton
(im Norden der Java-See zwischen Sumatra und Borneo) beschrieben
und seinerseits eine zu ganz abweichenden Resultaten führende
Be des Hautmuskelschlauches geliefert.
. 1889 hat Smierer von Wıruey an der Küste der Chinastraial
Be Neuguinea und dem Louisiaden-Archipel) gesammelte Exem- 3
plare aufgefiihrt. E
6. Ch. B. Wırson hat 1900 ein Exemplar von den Bela
beschrieben, mit dem ein mir vorliegendes von Florida identisch
sein dürfte.
7. Endlich hat Sumner 1902 unter den von GARDINER an der
Küste der Maldiven gesammelten Gephyreen zwei Exemplare b de
schrieben. | a
313
Alle diese Tiere sind als Th. erythrogrammon bestimmt worden.
Ich habe sie sämtlich in Händen gehabt. Vorweg will ich bemerken,
daß sich außer dem Typus und den vom gleichen Fundorte stammenden
Krunzıneer’schen Exemplaren nur die des Wiener Hofmuseums wirklich
als Th. erythrogrammon Leucx. et Rürr. herausgestellt haben. Nahe
verwandt, aber verschieden davon sind die Wirvuer’schen Stücke
sowie andere, die Surerey 1898 von der Insel Rotuma im stillen
Ozean als Th. caudex Lampert, also als eine sicher gleich Th.
erythrogrammon festgestellte Art bestimmt hat. Erheblich ab-
weichend sind die Stücke von den Maldiven, weitaus die größten
unter allen bis jetzt bekannten Thalassemen, von allen aber ver-
schieden, jedoch untereinander nahe verwandt Sıurrer’s Tiere von
Billiton und Wusoyw’s von den Bahamas. Es sind also im ganzen
sechs verschiedene Tiere. :
Es ist keineswegs meine Absicht, Ihnen das heute darzulegen
und zu beweisen. Vielmehr soll nur der Hautmuskelschlauch zum
Gegenstande einer kurzen, die Hauptpunkte hervorhebenden Be-
sprechung gemacht werden.
Von den Verhältnissen, die hier in Betracht kommen, können
wir uns am besten eine Vorstellung bilden, wenn wir von einer
Form wie Th. neptuni ausgehen, die als die älteste beschriebene
Art den Typus der Gattung Thalassema darstellt. Hier besteht
die Muskulatur gerade wie bei Zchiurus aus drei Schichten, einer
äußeren Ring-, einer mittleren Längs- und einer inneren sogenannten
Schräg- oder Diagonalfaserschicht. Die letztere kann kurz dahin
charakterisiert werden, daß ihre Fasern vom Bauch schräge an
den Seiten nach dem Rücken laufen und sich dabei sowohl auf
dem Bauch wie auf dem Rücken überschneiden, in dem sie etwas
über die Mittellinie hinausgehen. Keine dieser Schichten ist in
Bündel gesondert.
Bei gewissen anderen Arten, zu denen z. B. Th. mellita Conn
gehört, eine in ihrem äußeren Habitus dem Th. neptwni sehr ähnliche
amerikanisch-atlantische Art, kommt eine Ausbildung von acht
Bündeln der Längsfaserschicht dadurch zustande, daß diese in Ge-
bieten von acht Längsstreifen dicker als auf den dazwischen ge-
legenen Strecken sind. |
Das gleiche gilt im wesentlichen von allen übrigen Arten, die
Längsmuskelbündel haben. Sie alle besitzen eine ununterbrochene
Schicht solcher Fasern, aber von regelmäßig abwechselnd starker
und geringer Mächtigkeit. In dieser Hinsicht bestehen jedoch Unter-
schiede. Bei dem vermeintlichen Th. erythrogrammon SLUITER'S
314 f
yon Billiton und ebenso bei dem von Florida-Bahamas gehen die —
bündelartig verdickten Teile gerade wie bei Th. mellita ganz all- —
mählich nach den Seiten in die dünn gebliebene Muskelschicht 4
über. Bei dem typischen Th. erythrogrammon und ebenso bei den —
von Surpney beschriebenen von der Chinastraße und von den Maldiven —
sowie bei ein paar anderen heute nicht zu behandelnden Arten —
schließt sich ein sehr mächtiges Bündel unvermittelt an die zudem
ganz besonders dünne Längsmuskelschicht der Zwischenräume an, —
der Intervalle, wie ich sie nennen will, um einen bequemen Kunst-
ausdruck dafür zu haben. Die Bündel sind sogar gegen die Leibes- 4
höhle breiter als an ihrer Außenseite, wo sie die ganz gleichmäßig
dicke Ringmuskelschicht berühren, so daß es auf dem Querschnitt
aussieht, als ob sie seitlich über die Intervalle überquöllen. | |
Mit diesen Verschiedenheiten in der Ausbildung der Längs-
muskelschicht gehen nun solche in der Diagonalfaserschicht Hand —
in Hand. Bei den Formen von Swurer und Wuson verhält sich —
diese genau so wie bei Th. mellita und wesentlich ebenso wie bei
Th. neptum, Echiurus und irgendeiner andern Echiuridee, die —
keine Längsmuskelbündel aufweisen: d. h. sie liegt immer der
Innenfläche der Längsmuskelschicht unmittelbar an, sowohl da, wo
diese zu Bündeln verdickt ist, wie auf den Zwischenstrecken. q
Ganz abweichend verhält sie sich dagegen bei Th. erythro- —
grammon und der sich daran anschließenden Artengruppe. An —
den Rändern der Längsmuskelbündel, wo diese plötzlich gegen die —
dünne Längsmuskulatur der Intervalle abfallen, gehen die Fasern —
der Diagonalmuskelschicht in gleichem Niveau über die Intervalle —
hinweg. Dazu aber kommt eine andere erhebliche Abweichung
von allen übrigen Arten. Während bei diesen ausnahmslos die —
Diagonalfasern eine ununterbrochene Schicht bilden, sondern sie
sich bei Th. erythrogrammon in Bündel, und zwar nur im Bereiche —
der Intervalle, während sie auf der Innenseite der Längsmuskel-
bündel eine geschlossene Schicht bilden. Einiges davon haben F.
v. Drascne und W. Fiscner, der eine der verwändten-Arten unter- —
sucht hat, gesehen und beschrieben, aber bis zu einer genauen —
Erkenntnis der Verhältnisse sind sie doch nicht vorgedrungen.
Der Hauptpunkt, der zu entscheiden war, gilt der Frage, wie
die Überbrückung der Intervalle durch die Diagonalfaserbündel —
geschieht. Sind sie über diese frei hinweggespannt, von einem
Längsmuskelbündel zum andern, also etwa wie eine Brücke, die —
von einem Flußufer zum andern führt? Nach den Beschreibungen, —
die v. Drascux und Fiscuer geliefert haben, kann man darauf keine”
315
Antwort geben, obwohl ersterer eine Flächenansicht abgebildet
und richtig beschrieben hat, die zwischen je zwei Längs- und je
zwei Diagonalmuskelbündeln ein Loch zeigt, das also nach seinen
Beziehungen zur Muskulatur ein ähnliches Verhalten aufweist wie
die gestern behandelten Stomata der Sipunculiden, die in die
Integumentalkanäle führen. Und in der Tat sind auch diese Löcher
Öffnungen, durch die das Cölom in die Muskulatur eindringt, aller-
dings nur in diese, nicht in das Corium hinein, nämlich nur bis an
die dünne Längsmuskelschicht der Intervalle hinan. Ich schlage
vor, sie ebenfalls Stomata zu nennen.
Was trennt nun die in einer Reihe hintereinander gelegenen
Stomata voneinander? Wenn die Intervalle nur von den Diagonal-
muskelbündeln überbrückt würden, müßten die Stomata unter den
Brücken hindurch miteinander in Verbindung stehen. Das aber
tun sie nicht, sondern sind durch ununterbrochene Scheidewände
voneinander auch in der Längsrichtung getrennt. Mit anderen
Worten überschreiten die Diagonalfaserbündel die Intervalle nicht
als Brücken, sondern an der Kante von Scheidewänden oder, um
das angewandte Bild fortzuführen, auf geschlossenen Dämmen.
Ich werde diese Septalleisten nennen. Sie folgen einander der
Länge des Rumpfes nach in großer Zahl, indem sie in geringen
Abständen angebracht sind. ‚Jede dieser Septalleisten ist eine
dünne Querwand, bestehend aus einer Fortsetzung des zellenarmen
Bindegewebes, das die Fasern aller Muskelschichten verbindet, und
ist durchzogen von einer eigenen Muskulatur, die heute nicht näher
beschrieben werden soll. An ihrer meistens etwas verdickten
Innenkante ziehen die Diagonalfaserbündel von einem zum anderen
Längsmuskelbündel hin. Infolge der mehr oder weniger starken
Kontraktion der vorliegenden konservierten Exemplare und einer
gewissen leicht eintretenden Verzerrung des immerhin ziemlich
weichen Hautmuskelschlauches sind begreiflicherweise Querschnitte
allein kaum ausreichend, um diese Verhältnisse ganz richtig zu
ermitteln. Nimmt man aber Längsschnitte hinzu, so sieht man die
Septalleisten ungemein deutlich wie die ziemlich nahe beieinander-
stehenden Zinken eines Kammes von der Längsmuskelschicht in
das Cölom hineinragen, am Ende eine jede mit einer durch die
Querschnitte der Diagonalmuskelbündel hervorgerufenen Verdickung.
Wie bei Sipunculiden die Integumentalkanäle sich mit dem
Cölominhalt durch die Stomata hindurch füllen, so gelangt auch
dieser bei den in Rede stehenden Thalassemen in die Stomata hinein,
und da diese nach außen nur durch die ganz dünnen Muskel-
316
schichten — die sehr dünne Längsmuskelschicht der Intervalle und —
die ebenfalls ganz dünne Ringmuskelschicht — begrenzt sind, so —
kann ein starker Druck der Cölomflüssigkeit, wie er infolge der
Kontraktion der Hautmuskulatur eintritt, die Außenwände im
Bereiche jedes Intermuskularraumes — wie diese analog den Integu-
mentalräumen genannt sein mögen — stark nach außen vorwölben. —
Dadurch aber entsteht ein sehr charakteristisches, schon ver- E
schiedenen Beobachtern der lebenden Tiere aufgefallenes und von —
ihnen beschriebenes Bild des Auftretens von Buckeln der Haut, —
die regelmäßige Längs- und Querreihen bilden. Es erklärt sich ©
daraus, daß die Intermuskularräume 1. alle zwischen den Längs-
muskelbiindeln, also in Längsreihen liegen, 2. aber auch in querer —
Richtung fast genau nebeneinander und in durchaus gleichmäßsuue =
Abständen. _ ;
Uber ihre Funktion ist ebensowenig wie über die der Integu-
mentalräume der Sipunculiden etwas einigermaßen Sicheres zu sagen.
Aus der gegebenen Schilderung geht hervor, daß trotz der
Existenz von Längsmuskelbündeln bei verschiedenen Thalassema- —
Arten der Bau ihres Hautmuskelschlauches tiefgreifende Verschieden-
heiten aufweisen kann, und ich bin der Meinung, daß man dieser
Erkenntnis auch in der Systematik Ausdruck geben darf und sol. —
Ich werde daher die Gattung Thalassema zunächst beschränken —
auf Arten mit glatter, nicht in Bündel gesonderter Längsmuskulatur, —
weil sich so diese der typischen Art, Th. neptuni, verhält. Welche —
Arten man nun weiter in sie aufzunehmen haben wird, kann ich
heute noch nicht beurteilen, nicht einmal, ob es berechtigt ist, eine
Form wie Th. mellita mit Längsmuskelbündeln, die durch eine —
kontinuierliche Verdickung der Längsmuskelschicht entstanden sind, —
damit zu vereinigen. Gegenwärtig will ich nur die Konsequenzen
für die Gruppe der Thalassemen mit Längsmuskelbündeln und drei
Paaren von Nephridien mit Spiraltuben ziehen, daß Th. erythro- —
grammon Lever. et River. = Th. caudex Lame. mit Septalleisten und —
Intermuskularräumen weder in einer Gattung Thalassema in dem a
vorhin begrenzten Sinne bleiben kann, noch in einer und derselben —
Gattung mit den von Swurrer und Wirson unter demselben Namen —
beschriebenen Tieren, die sich in bezug auf ihren Hautmuskel- —
schlauch an Th. mellita anschließen. Ich schlage daher vor, rg |
Th. erythrogrammon Leuck, et Rürr. den ihm von seinen Autoren —
ursprünglich gegebenen Gattungsnamen Ochetostoma als den ältesten
„gültigen“ wieder ins Leben zu rufen, den Arten von SLUuITER und
Witson aber den Gattungsnamen Listriolobus zu geben.
£ 7
317
Uber das Th. erythrogrammon Suıruey von den Maldiven, das
in keine von diesen beiden Gattungen paßt, indem es Charaktere
von beiden in sich vereinigt, will ich mich heute nicht aussprechen.
Damit man nun aber nicht gegen mich den Vorwurf erhebe,
ich hätte ein einziges Merkmal in einseitiger und unberechtigter
Weise für die Klassifikation entscheidend sein lassen, will ich noch
auf einen Punkt im Bau des Kopflappens eingehen. Ich kann mich
in dieser Beziehung sehr kurz fassen, da ich mich in einem Artikel
der — allerdings unbegreiflicherweise noch immer nicht ausgegebenen
— Festschrift für Lupwıc, einem „3. Beitrag zur Kenntnis der
Gephyreen“, schon über die Tatsachen ausgesprochen habe, aber
ohne die Tierarten namhaft zu machen, an denen ich die Be-
obachtungen gemacht hatte. Ich habe dort das Vorkommen eines
Blutgefäßnetzes in dem Célom der ventralen Kopflappenseite bei
gewissen T’halassema-Arten und ferner das Vorkommen von Ana-
stomosen zwischen dem dorsalen Mediangefäß und diesem Netz
geschildert. Die Angaben beziehen sich auf die vorhin behandelte
Artengruppe. Das ventrale Gefäßnetz findet sich bei allen
Arten meiner beiden Gattungen, die dorsoventralen Anastomosen
außerdem aber nur bei den beiden Arten der Gattung Listriolobus.
Ich glaube darin eine unzweifelhafte Bestätigung der von mir
vorgeschlagenen Klassifikation erblicken zu dürfen.
Prof. Dr. V. Hascxer (Halle):
Untersuchungen über Elementareigenschaften =,
Vortragender berichtet im kurzen über die Ergebnisse einiger
Untersuchungen, welche miteinander und mit einigen weniger weit
fortgeschrittenen Arbeiten in einem engeren Zusammenhang stehen
und deren Zweck ist, auf verschiedenen Wegen und von verschiedenen
Seiten her die Kenntnis von dem Wesen der Elementareigenschaften
(Erbeinheiten, Determinanten, Faktoren, Gene) zu fördern.
Die 1904 begonnenen Kreuzungen zwischen der schwarzen und
weißen Rasse des Axolotls (Amblystoma mexicanum) sind inzwischen
_ soweit gefördert worden, daß eine dritte und vierte Generation
herangewachsen ist. Der durch Kreuzung eines heterozygoten
schwarzen und eines weißen (extrem akromelanistischen, rotäugigen)
1) Hier nur im Auszug mitgeteilt. Ein ausführlicher Bericht wird in der
Zeitschrift für induktive Abstammungslehre erscheinen.
318
Tieres erzielte Bastard verhält sich, wie früher berichtet), wie ein F
rein rezessives weißes Tier, d. h. er erzeugte zusammen mit einem —
heterozygoten schwarzen Tier 50% dunkle und 50% helle, zu- 3
sammen mit einem weißen Tier lauter helle, und zwar ausschließlich
wieder extrem akromelanistische Nachkommen (III. Generation).
Durch Paarung eines heterozygoten schwarzen und eines weißen
Tieres der III. Generation, welche also beide Nachkommen des
Schecken waren, entstanden 50% schwarze, 50% helle Tiere
(IV. Generation). Die hellen Tiere der IV. Generation waren, soweit
sie heranwuchsen, durchweg wieder Schecken. |
Es liegen an und für sich vier Erklärungsmöglichkeiten vor: 2
Entstehung der Schecken durch Milieuwirkung oder durch
Dominanzwechsel; Annahme eines besonderen (gegenüber dem
Faktor für Akromelanie) positiven oder negativen Mosaikfaktors
und endlich Annahme einer Unreinheit der Gameten. Letztere |
schon in den ersten Veröffentlichungen ausgesprochene Annahme ~
wird auch jetzt als die wahrscheinlichste vertreten. |
Es wurde ferner versucht, in das Wesen der unterscheidenden
Elementareigenschaften einzudringen, und zwar zunächst auf dem —
Wege der entwicklungsgeschichtlichen Eigenschafts- —
analyse. Da zwischen den reifen Außeneigenschaften und den —
Elementareigenschaften eine ganze Kette von entwicklungsgeschicht-
lichen Zwischenstufen (Zwischeneigenschaften) liegt, so war zu
hoffen, daß durch eine genauere Kenntnis dieser Zwischenstufen
auch die Vorstellungen von der Natur der Elemenareigenschaften —
auf eine festere Grundlage gestellt werden können.
Herr Pernrrzscu hat die Frage untersucht, wodurch sich denn —
in letzter Linie die schwarzen und die hellen Rassen des Axolotls —
unterscheiden, ob hier ein rein chemisch-physiologischer, in der ver-
schiedenen Fähigkeit zur Pigmentproduktion gelegener oder ein 7
morphogenetischer, ausschließlich auf die Zahl der Chromatophoren —
sich erstreckender Unterschied oder ob Verschiedenheiten kompli- —
zierterer Art vorliegen. Er fand, daß die frischgeschlüpften Larven —
der schwarzen und der Scheckrasse (rein weiße Larven standen zur-
zeit nicht in genügender Menge zur Verfügung) sich im wesentlichen
durch die Zahl der schwarzen und gelben Pigmentzellen (Melano-
phoren und Xanthophoren) unterscheiden und daß das Zahlenver-
hältnis zwischen den schwarzen und gelben Pigmentzellen bei dunkeln —
und hellen Larven nicht sehr verschieden ist. Angesichts der
1) Verh. D. Zool. Ges. 1908,
319
verhältnismäßig großen Zahl von mitotisch sich teilenden Chroma-
tophoren war aus diesen Ergebnissen zu folgern, daß die geringere
Zahl bei den hellen Larven mindestens zum Teil auf eine geringere
Teilungsgeschwindigkeit zurückzuführen ist. Ein zweiter Unter-
schied ist die geringere Kerngröße der Schecklarven und es liegt
die Annahme nahe, daß beide Verschiedenheiten den Ausdruck einer
verringerten Teilungs- und Wachstumsenergie des Plasmas darstellen,
wie ja auch die hellen Axolotl im ganzen ein langsameres Wachs-
tum und eine geringere Lebensenergie besitzen. Ein besonderer
Faktor, der durch seine An- oder Abwesenheit oder auf Grund
einer verschieden abgestuften Wirkungsweise direkt auf die
Pigmentbildung einwirkt, kommt nicht in Betracht.
Wir haben versucht, bei anderen Formen auch in das Ver-
hältnis zwischen Wildfarbe und ihren einfarbigen Mutanten auf dem
Wege der entwicklungsgeschichtlichen Eigenschaftsanalyse einen
genaueren Einblick zu bekommen, und Herr Srörrer ist zunächst
an die Untersuchung der grauen Farbe der Felsentaube heran-
getreten. Erwähnt sei hier nur, daß bei der grauen Taube drei
Hauptpigmente, Schwarz, Rostbraun und Gelb, gefunden wurden, in
ähnlicher Weise, wie dies für Nagerhaare festgestellt wurde.
Im Zusammenhang mit dem Problem der Reinheit oder Un-
reinheit der Gameten wurde auch die Frage nach der Möglichkeit
einer dauernden Verbindung der Elementareigenschaften und nach
der Existenz konstanter Bastardrassen untersucht. Herr NeusAur hat
zunächst durch zahlreiche, vielfach modifizierte Kreuzungsexperimente
zu ermitteln versucht, ob die neben den nahe verwandten Arten
Cyclops fuscus und albidus häufig vorkommende, im allgemeinen
einen intermediären Habitus aufweisende Form C. distinctus tat-
sächlich einen Bastard darstelle, wie vielfach angenommen wird.
Ausgedehnte, vielfach modifizierte Kreuzungsversuche hatten bisher
keinen Erfolg. Durch eine eingehende vergleichend-morphologische
Untersuchung konnte Herr Nrusaur sodann bei diesen drei ein-
ander überaus nahestehenden Formen mindestens 36 Merkmale fest-
stellen, durch welche alle drei Formen oder zwei von ihnen von
der dritten unterschieden sind. Was speziell ©. distinctus anbelangt,
so zeigt er bald ein fuscus-ähnliches, bald ein albidus-ähnliches,
bald ein intermediäres oder exzessives Verhalten. Weitere Unter-
suchungen sollen über die Zahl der in der Gattung Cyclops auf-
tretenden selbständig variabeln Außen- und Elementareigenschaften
und über das Verhältnis der letzteren untereinander Auskunft geben.
Diskussion: Herr Prof. Gorpscammpr (München).
320
Frau Dr. Fanyy Moser (Berlin):
Die Hauptglocken, Spezialschwimmglocken und Geschlechtsglocken der
Siphonophoren, ihre Entwicklung und Bedeutung.
_ Die Siphonophoren mit ihrem Formenreichtum, ihrer Arbeits- £
teilung und ihren merkwürdigen Geschlechtsverhältnissen haben das.
Interesse vieler unserer bedeutendsten Forscher wie GEGENBAUR,
Leucxart, Huxury, Köruıker, Haecrer, und in neuerer Zeit Cxaus
und Caun wiederholt gefesselt. Besonders Cuun verdanken wir eine
Fülle interessanter Beobachtungen und geistreicher Ideen, und vor ~
allem den ersten Versuch, von größeren allgemeinen Gesichtspunkten |
aus die Einzelerscheinungen zu einem einheitlichen Ganzen zu-
sammenzuschließen. Daß manche seiner Hypothesen, wie wir sehen —
werden, einer näheren Prüfung: nicht Stand zu halten vermögen, —
tut Cuun’s Verdiensten keinen Abbruch, denn sie haben ihren Zweck, ~
der Untersuchung neue Wege zu weisen, erfüllt. 4
Meine eigenen Arbeiten stellen in manchen Beziehungen einen
Versuch dar, die von Cxun aufgeworfenen Probleme zu lösen.
Deshalb ist es am zweckmäßigsten, wenn ich zur Orientierung erst —
einen kurzen Überblick gebe über den jetzigen Stand unserer
Kenntnisse der Siphonophorenglocken, so wie sie sich hauptsächlich
auf Grund von Cuun’s Arbeiten gestaltet haben, um daran besser |
meine eigenen Ergebnisse knüpfen zu Können. j
Bei Siphonophoren unterscheiden wir Hauptglocken, Spezial- —
schwimmglocken und Geschlechtsglocken. |
Betrachten wir zuerst die Hauptglocken. Sie zerfallen in so-
genannte Oberglocken und Unterglocken, von welchen die —
Oberglocke der eigentliche Stammträger ist, die Unterglocke mehr nur ~
Stammscheide. Die Zahl dieser Glocken ist verschieden und danach —
teilt man die Calicophoriden, die ich heute allein berücksichtigen
kann, ein in Monophyiden mit einer einzigen Glocke, der Ober-
glocke, in Diphyiden mit je einer Ober- und Unterglocke (ab-
gesehen von wenigen Ausnahmen), bei denen man wiederum je
nach Lage der beiden Glocken die Oppositae und die Super- —
positae unterscheidet, und in Polyphyiden mit zahlreichen Ober
und Unterglocken. a
Zu diesen Hauptglocken kommt noch eine sogenannte Prima
glocke hinzu, denn erstere entstehen nicht direkt aus dem be- —
fruchteten Ei, sondern es geht ihnen stets eine heteromorph gestaltete
Glocke voraus, die später abgeworfen und durch die definitive Ober-
glocke ersetzt wird, welch letztere sich am Stamme der jungen 2
321
Kolonie entwickelt. Dieser gesellt sich sehr bald die Unter-
glocke zu. Nach allgemeiner Auffassung ist somit die Unterglocke
eine tertiäre, die Oberglocke eine sekundäre Glocke und die Primär-
glocke ein Larvenorgan, das einzig den Sphaeronectiden unter den
Monophyiden fehlt. Nach einem bisher unangefochten gebliebenen
Satze Geeensaur’s ist die Unterglocke nur formell von der
Oberglocke verschieden, genetisch aber immer gleich-
bedeutend mit ihr. Dieser Satz ist bedeutungsvoll für die
ganze Beurteilung des phylogenetischen Entwicklungsganges der
Siphonophoren.
Der Nachweis, daß die larvale Glocke an der embryonalen
Kolonie angelegt wird, konnte allerdings bisher nur für die Aufangs-
und Endglieder der Reihe, für Muggiaea unter den Monophyiden, für
Hippopodius unter den Polyphyiden erbracht werden, aber sowohl
nach Crun wie nach Craus sollen alle Beobachtungen über die
Entwicklung der Diphyiden darauf hindeuten, daß auch bei diesen
die definitive Oberglocke eine sekundäre ist.
Außer dem larvalen Glockenwechsel findet auch ein post-
larvaler statt, durch nachrückende Ersatzglocken, welche sowohl
| die Oberglocke wie die Unterglocke verdrängen und ersetzen und
| mit diesen identische Gestalt haben. Nur den Monophyiden fehlt
dieser Glockenwechsel, und bei den Polyphyiden hat er insofern
eine Modifikation erfahren, als die älteren Hauptglocken nicht ver-
drängt werden von den nachrückenden Ersatzglocken, die also Ober-
wie Unterglocken in größerer Zahl darstellen, sondern sich
zeitlebens neben ihnen erhalten.
Die Zahl dieser Ersatzglocken zeigt bei den verschiedenen
Gruppen einen bedeutsamen Unterschied. Bei Diphyidae oppositae
(Prayomorphae) zählte Cuun bis zu sechs, bei Diphyidae super-
positae (Diphymorphae) nur eine, selten zwei Ersatzglocken. Hier-
aus leitete Cuun eine wichtige Beziehung ab zwischen Sessilität
der Stammgruppen einerseits und dem regen Ersatz der Haupt-
| glocken andererseits. Danach treten zahlreiche Reserveglocken da
J auf, wo ein enorm langer Stamm mit sessil bleibenden Stamm-
gruppen große Ansprüche an die Arbeitsleistung der Schwimm-
glocken stellt, wie bei den Diphyidae oppositae. Die Reserve-
glocken fehlen dagegen entweder ganz oder sind in ihrer Zahl
sehr beschränkt überall da, wo Stamm und Glocken durch Bildung
frei werdender Eudoxien entlastet werden wie bei Monophyiden
und Diphyidae superpositae.
Verh. d. Dtsch. Zool. Ges. 1912. 21
322
Nach diesem kurzen Rückblick komme ich zu meinen eigenen
Untersuchungen, die durch ein Material begünstigt wurden, das in
jeder Beziehung, vor allem durch seine Reichhaltigkeit an jungen
Entwicklungsstadien einzig dasteht, und dessen Grundstock von
Vannorren während der Deutschen Südpolarexpedition gesammelt
worden war. Allerdings sind meine Untersuchungen nicht ab-—
geschlossen, weshalb die heutigen Ausführungen jedenfalls noch
Ergänzungen, eventuell auch Modifikationen erfahren werden, um so —
mehr als es auch mir bisher noch nicht —
gelungen ist, über die erste Entwicklung —
Figur 1. Figur 2.
Fig. 1. Einglockenstadium von Diphyes dispar (2 mm).
Fig. 2. Einglockenstadium von Dimophyes arctica (Chun) (1,5 mm). de
näheres zu ermitteln, und alle Versuche, diese bedauerliche Lücke
durch theoretische Auseinandersetzungen zu überbrücken, selbst-
verständlich den Stempel der Unsicherheit tragen. 3
Meine jüngsten Stadien bei Diphyiden waren solche der vier —
Unterfamilien Diphyopsinae Hazcrzı, Abylinae Acassiz, Cerato-
cymbinae Moszr und Dimophyinae Moser, welch letztere als
einzigen Repräsentanten Cuun’s hochinteressante Diphyes (ki E
Dimophyes) arctica zählt. Diese jüngsten Stadien (Fig. 1—4), die |
ich hier von vier Arten abbilde’), stellen ein Stadium dar, das ich 4
vorläufig als Einglockenstadium bezeichne, zum Unterschied yon —
Cruw’s Monophyidenstadium, wie er das Stadium der larvalen Primär- —
slocke nannte. Mein Einglockenstadium ist kein Larvenstadium,
sondern das jüngste bisher bekannte Stadium der definitiven
Kolonie. Die „sekundäre“ Oberglocke ist, wie auf den Abbildungen
1) In Klammer ist stets die Länge der Glocke in Millimetern angegeben.
a
» . 7 7
323
zu sehen, schon fertig ausgebildet, wenn auch noch sehr klein.
Ihre Form entspricht im ganzen durchaus jener der ausgewachsenen
Glocke der betreffenden Art, trägt aber noch den Stempel des
Jugendlichen: größere Schlankheit, stärkere Zähnelung usw. Im
Hydroecium befindet sich ein einziger noch junger Saugmagen, der,
und das ist das wichtige, der Hydroeciumkuppe dicht ansitzt. Ein
Stamm fehltalsonoch vollständig. Neben dem Saugmagen hängt
der sehr unfertige Tentakelapparat herab, und beide zusammen füllen
die Hydroeciumkuppe nahezu aus.
Sie stellen das noch unvollständige
Primärcormidium (c,) dar, wie ich
dieses erste Cormidium zum Unter-
schied von den folgenden bezeichne.
Figur 3. Figur 4.
Fig. 3. Einglorkenstadium von Diphyes chamissonis Huxley (3 mm).
Fig. 4, Einglockenstadium von Abylapentagona Gegenbaur (2 mm).
Verfolgen wir die Entwicklung dieser jungen Kolonie bei einer
unserer verbreitetsten Diphyiden, der Diphyes dispar Cuam. et Eys.,
deren jugendliche Entwicklungsstadien nichts anderes sind als die
von Cuun für eine Monophyide gehaltene Doramasia picta Cuun,
wie ich nachweisen konnte Hand in Hand mit dem Wachstum
der Glocke nimmt der Saugmagen an Größe zu, und vervollständigt
sich der Tentakelapparat, so daß sie zusammen bald nicht nur die
Kuppe, sondern das ganze Hydroecium mehr oder weniger voll-
ständig ausfüllen — je nach der Art — oder sogar etwas aus ihm
heraussehen. Dann beginnt das Primärcormidium (Fig. 5) allmählich
von der Hydroeciumkuppe abzurücken und zwischen beiden wird ein
kurzer Stiel — der junge Stamm — (St) sichtbar, der sich nun immer
mehr verlängert. In einem gegebenen Moment sieht man dann am
21°
324
Stamm, direkt über dem Saugmagen (Fig. 6), eine junge Knospe (X)
entstehen, der bald weitere Knospen, zeitlich nacheinander, räumlich
übereinander folgen (Fig. 7). Sie sind die Anlage des Deckblattes
des Primärcormidiums und der nachfolgenden Cormidien (Cy, 0,3
usf.), wie auf Fig. 8 ersichtlich. 1
Sobald die Glocke eine Größe von ungefähr 6 mm erreicht hat
und das dritte Cormidium (C3) angelegt ist, also noch vor Anlage
des vierten Cormidiums, entsteht etwas. außerhalb der eigent-
lichen Knospungszone der Cormi-
dien eine Knospe (Fie. 9), die sich
zur ersten Unterglocke, die ich
die Primärunterglocke (U,)
er v af
ee ne ne ee ee ee
Figur 5. Figur 6.
Fig. 5. Einglockenstadium 2 von Diphyes dispar (2,5 mm). Der Stamm (St) beginnt sichtbar
zu werden. :
Fig. 6. Einglockenstadium 3 von Diphyes dispar (3,5 mm). Die erste Knospe (X) entsteht }
am Stamm.
nenne, entwickelt, und stets nur zu dieser bei allen von mir
untersuchten Arten. Mit ihrem Auftreten hat das Einglocken-
stadium sein Ende erreicht. Der Zeitpunkt hierfür ist ein ganz
bestimmter, doch bei vielen Arten verschiedener. Vorgetäuscht
wird jedoch das Einglockenstadium noch viel länger, wenigstens
bei manchen Arten, so z. B. bei Diphyes dispar, bei denen das
Wachstum der Unterglocke im Verhältnis zu dem der Oberglocke,
des Stammes und der Cormidien ein außerordentlich langsames ist,
so daß sich erstere noch immer nur schwer als kleine Knospe
ea
325
erkennen läßt, wenn schon fünf und mehr Cormidien in verschiedenen
Entwicklungsstadien vorhanden sind (Fig. 10).
Das Wichtige an diesen Feststellungen ist: 1. dab die Unter-
glocke ein Produkt des Stammes ist und außerhalb der eigent-
lichen Knospungszone der Cor-
midien entsteht, worauf ich nicht
näher eingehen kann, 2. daß sie
meist sehr viel später entsteht
und sich viel langsamer entwickelt,
als bisher angenommen wurde, so
daß die Diphyiden. und speziell
Figur 7. Figur 8.
Fig. 7. Einglockenstadium 4 von Diphyes dispar (4 mm). Drei Knospen am Stamm. Die -
unterste wird zum Deckblatt des Primärcormidiums, die oberen zu den folgenden
Cormidien C, und G,.
Fig. 8. Einglockenstadium 5 von Diphyes dispar (5,5 mm) nur der Stamm (>< 45).
die Gattung Diphyes, in ihrer Jugend längere Zeit tatsächlich
und scheinbar als Monophyiden leben, mit einer einzigen Glocke,
der Oberglocke, einem längeren Stämmchen und einer größeren
Zahl Cormidien, deren Produktion, wie ich betonen möchte, kon-
tinuierlich ohne Unterbrechung am Stamme vor sich geht.
Schließlich läßt sich auch eine interessante Korrelation feststellen
zwischen der Anlagezeit und dem Entwicklungstempo der Primär-
unterglocke einerseits, und dem Entwicklungstempo von Oberglocke,
Stamm und Cormidien andererseits.. Deren Regulativ sind die An-
326
-
sprüche, welche von der Kolonie an die Schwimmfähigkeit der
der beiden Hauptglocken gestellt werden. In den Fallen, wo der
Oberglocke die Rolle als Schwimmorgan hauptsächlich zufällt,
wie bei der Gattung Diphyes, kommt die Unterglocke spät zw
vollen Entwicklung, während umgekehrt, wo die Oberglocke ein
>
412
Figur 9. Figur 10.
Fig. 9. Diphyes dispar (6 mm) Stadium 6. Stamm (> 45). Die Knospe der Primärunter-
glocke (U,). ; a
Fig. 10. Diphyes dispar (8 mm) Stadium 7. Stamm (x 45). Primärcormidium weggelassen.
Unterglockenknospe schon groß.
verkümmertes Schwimmorgan darstellt, wie bei der Gattung
Abyla, die Entwicklung der Unterglocke eine außer ordentliche Be
schleunigung erfährt. eg
Ehe die Unterglocke noch innerhalb des Hydroeciums ihr ©
fertige Ausbildung mehr oder weniger erreicht hat, entsteht am Stiel
der Primärunterglocke, ebenfalls zu einem bestimmten Zeitpunkt,
eine Knospe, die sich zur ersten Ersatzunterglocke entwickelt
und stets nur zu dieser. Ihr folgen in gewissen Abständen
weitere Knospen für Ersatzunterglocken. Ich konnte vielfach
327
nacheinander nicht weniger als vier Ersatzunterglocken feststellen
und heranwachsen sehen, doch ist ihre Zahl bedeutend größer,
wahrscheinlich eine nahezu unbegrenzte, so z. B. bei Diphyes
dispar und Diphyes sieboldi Köruıxer. Somit besteht in dieser Be-
ziehung — aber auch in anderer Beziehung — kein prinzipieller
Gegensatz zwischen Diphyidae oppositae und superpositae, wenigstens
bei den von mir bisher daraufhin untersuchten Arten, ebensowenig
wie eine Beziehung zwischen Sessilität der Stammgruppen und
Zahl der Ersatzunterglocken.
Für die Oberglocke fand ich, im Gegensatz zur Unterglocke,
niemals Ersatzknospen. Soweit meine Untersuchungen reichen,
Figur 11.
Muggiae. kochi Chun (O,) mit ihrer larvalen Primärglocke (Pg) nach Chun (stark verkleinert).
scheint die „sekundäre“ Oberglocke der Diphyiden niemals gewechselt
oder ersetzt zu werden. Wahrscheinlich sind die von Cxun und
auch von Grerensaur beobachteten Knospen von Ersatzoberglocken
verkannte Knospen von Ersatzunterglocken.
Mit dieser Beobachtung — die aber noch einer ergänzenden
Prüfung bedarf — fällt ein wichtiger Gegensatz zwischen Mono-
phyiden und Diphyiden, wird zugleich aber auch ein bedeutsamer
prinzipieller Gegensatz zwischen Ober- und Unterglocke
konstatiert, auf den ich später zurückkomme.
328
Wie steht es nun mit dem larvalen Glockenwechsel? Es ist
nicht zu leugnen, daß meine Untersuchungen der Entwicklung der
Diphyiden, speziell ihres Einglockenstadiums, gar keine Anhalts-
punkte dafür geboten haben, daß ihrer definitiven Oberglocke eine
larvale Glocke vorausgeht — wenigstens in der Art, wie Cuun es
bei Muggiaea schildert. Im Gegenteil, Cuuy’s Darstellung läßt sich,
wie mir scheint, in keiner Weise mit der Diphyidenentwicklung,
soweit ich sie zu verfolgen vermochte, in Einklang bringen. Sehen
wir uns die Abbildung, die Cuux von der älteren larvalen Kolonie
von Muggiaea kocht gegeben hat (Fig. 11), an und vergleichen wir
sie mit den Abbildungen meiner Einglockenstadien (Fig. 1—4),
speziell von Fig. 3 mit dem sehr tiefen dorsal geschlossenen —
Hydroecium. Nach Cuun’s Darstellung entsteht die erste definitive —
Oberglocke (0,) am Stamm der larvalen Kolonie. Später trennt
sie sich von der Primärglocke (Pg) unter Mitnahme des ganzen
Stammes, wie Cuun ausdrücklich sagt. Sie nimmt also auch das
dicke Verbindungsstück (v) des Stammes zwischen beiden Glocken
mit. Was aus diesem später wird, erwähnt Crux nicht einmal,
obwohl das sehr wichtig ist. Beim Abreißen der Primärglocke
miiBte sich dieser abgerissene Stummel an der Stammwurzel
der Sekundärglocke finden — ähnlich wie bei den abgerissenen
Cormidien — oder die Stelle wenigstens nachweisbar sein, wo er
gesessen hatte. Weder das eine, noch das andere ist mir jemals
möglich gewesen, wie ich auch niemals eine Glocke zu finden ver-
mochte, die ich mit einiger Wahrscheinlichkeit als Primärglocke
einer Diphyide hätte ansehen können. Und bei der ganzen Art
und Weise, wie das junge Primärcormidium stets der Hydroecium-
kuppe ansitzt, besonders bei Formen mit sehr tiefem und engem
Hydroecium (Fig.3), läßt sich schwer vorstellen, wo dieser dicke Ver-
bindungsstamm zwischen der primären und der sekundären Glocke
Platz haben soll. Auch das merkwürdige Verhältnis in dem rela-
tiven Entwicklungstempo der Cormidien und der Sekundärglocke
bei Muggiaea sowie das vollständige Fehlen weiterer Cormidien-
knospen am Stamm muß anffallen, um nur noch einen Punkt
zu erwähnen, der sich in keiner Weise mit meinen Befunden bei
Diphyiden deckt. Übrigens ist Cuuy’s ganze Darstellung dieses
jedenfalls hochinteressanten und äußerst komplizierten Vorganges
bei Muggiaea so kurz gehalten, daß man sich selbst bei dieser
einen Form keine richtige Vorstellung davon machen kann und die
Vermutung auftaucht, ob dieser Vorgang nicht durch ergänzende
Untersuchungen in ein anderes Licht gerückt werden und eine
329
andere Interpretation erfahren könnte, so wie dies z. B. auch der
Fall war mit Caun’s „Urknospe“, die „sich zeitlebens erhalte“, und
seinen Knospungsgesetzen (siehe Zool. Anzeiger Bd. 38 Nr. 18/19;
Moser, Über Monophyiden und Diphyiden), ebenso wie mit seiner
Monophyide Doramasia picta. Zieht man noch in Betracht, daß letztere
ebenso Doramasia bojanı Cuuy, sowie manche andere Monophyide,
nichts anderes als verkannte Einglockenstadien von Diphyiden
sind, und daher ebenfalls keinen larvalen Glockenwechsel in der
Art wie Muggiaea besitzen, dann ist der Schluß naheliegend, dab
nicht nur den Sphaeronectiden, sondern sämtlichen Monophyiden
wie den Diphyiden ein derartiger larvaler Glockenwechsel fehlt.
Damit wäre ein weiterer, wichtiger Unterschied zwischen Mono-
phyiden und Diphyiden beseitigt.
Werfen wir nun noch einen Blick auf die Polyphyiden, das
andere Ende der Reihe. Meine hier gemachten Befunde lassen
sich, wie ich glaube, nicht nur sehr gut in Einklang bringen mit
den bei Diphyiden gewonnenen Anschauungen, sondern bestätigen
sie sogar, obwohl ein definitives Urteil erst nach Beendigung meiner
diesbezüglichen Untersuchungen möglich sein wird.
Bei Polyphyiden fand ich endlich die bei Diphyiden ver-
geblich gesuchten sogenannten larvalen Primärglocken, und zwar
nicht nur bei Aippopodius, sondern auch, und zum erstenmal, bei
Vogtia pentacantha Kerersteın und Exters. Es hat aber durch-
aus den Anschein, als ob diese sogenannten Primärglocken eine
andere wie die bisherige Interpretation zulassen und tatsächlich
gar kein Larvenorgan, sondern die definitiven Oberglocken der be-
treffenden Arten sind, während die charakteristischen hufeisen-
förmigen Glocken von Aippopodius nicht, wie bisher angenommen,
Ober- und Unterglocke, beide mit ilıren Ersatzglocken in größerer
Zahl darstellen, sondern lediglich Unterglocken. Bei der Kürze
der Zeit kann ich nicht näher hierauf eingehen und will nur kurz
bemerken, daß für diese Auffassung sprechen: 1. die Art und Weise
der Entstehung der hufeisenförmigen Hippopodius-Glocken und der
Cormidien; 2. die Tatsache, daß die jüngsten „Monophyidenstadien“
beider Arten durchaus meinem Einglockenstadium bei Diphyiden
entsprechen; 3. und vor allem die Tatsache, daß die sogenannten
larvalen Glocken beider Polyphyiden viel größer und älter werden,
als bisher angenommen wurde, wobei sie eine gewisse Entwicklung
und Formveränderung durchmachen, ähnlich wie die meisten von
mir, beobachteten jungen Diphyidenoberglocken. Diese Tatsache
läßt sich schwer mit der Vorstellung eines Larvenorgans in Ein-
330
klang bringen. In gleichem Sinne sprechen auch sehr merkwürdige —
Befunde bei Vogtia pentacantha, die trotz der Mangelhaftigkeit des —
Materials kaum eine andere Deutung zulassen — die ich aber nur
mit allem Vorbehalt hier mitteile —, als dab die fünfkantigen
Glocken von Vogtia überhaupt keine Hauptglocken sind, sondern ~
den Deckblättern der Cormidien entsprechen. Stimmt diese —
Auffassung, dann hätte Vogtia, nach Orun’s Auffassung ihrer Primär-
glocke als Larvenorgan, überhaupt keine definitiven Hauptglocken
— was im Widerspruch stehen würde mit allen bisherigen Beob-
achtungen bei Calicophoriden. Somit spricht auch dieser Befund
— seine Richtigkeit vorausgesetzt — dafür, daß ein larvaler |
Glockenwechsel in der bisher angenommenen Weise auch den —
Polyphyiden fehlt. Damit kämen wir zu dem Schluß, daß die |
Oberglocke der Calicophoriden weder einen larvalen noch einen
postlarvalen Glockenwechsel durchmacht, ein Schluß, der sich —
jedenfalls auf einer viel breiteren Tatsachenbasis aufbaut, als der
entgegengesetzte Schluß, wiewohl auch er noch weiterer positiver
Beweise bedarf, die ich demnächst zu erbringen hoffe.
Um jedem Mißverständnis vorzubeugen, möchte ich aber doch
noch hervorheben, daß ich bei Calicophoriden keineswegs das Vor- —
kommen eines larvalen Glockenwechsels überhaupt bestreite — die
große Lücke in unseren Kenntnissen über die Entwicklung aus
dem Ei läßt aile Möglichkeiten zu. Die bisherigen Befunde bei
Pneumatophoriden würden sogar eher für das Vorhandensein eines
larvalen Glockenwechsels sprechen, der aber dann, nach meinen ~
Befunden, wohl in ganz anderer Weise vor sich gehen dürfte, als —
Cuun dies bei den beiden Endgliedern der Reihe, Muggiaea und —
Hippopodius, geschildert hat. Allerdings neige ich mehr zu der —
Ansicht, daß sich bei Calicophoriden die Oberglocke direkt aus dem
Ei entwickelt, und bin jedenfalls der Überzeugung, daß nicht, wie 4
Cavx annimmt, die definitive Oberglocke ein Produkt des Stammes
ist, sondern umgekehrt, der Stamm ein Produkt und intergrierender
Bestandteil der Oberglocke.
Ich gehe nun kurz zu den Spezialschwimmglocken und Geschlechts-
glocken über.
Bei einer kleinen Anzahl Diphyiden kommen neben den Ge- |
schlechtsglocken auch Spezialschwimmglocken vor; sie wiederholen
den Bau derselben so vollständig, daß Cxun sie als Geschlechts-
glocken, bei denen die Ausbildung des Geschlechtsklöppels unter-
blieb, auffaßte. Direkte Beweise konnte er damals allerdings noch —
nicht für die Richtigkeit dieser Anffassung erbringen. Einzig die
331
Spezialschwimmglocken von Stephanophyes superba Caun homo-
logisierte er nicht mit Geschlechtsglocken, sondern mit den Haupt-
glocken, hauptsächlich deshalb, weil sich bei ihnen nie die Anlage
eines für die Genitalglocken charakteristischen Klöppels, der rück-
gebildet wird, nachweisen ließ. Nachdem ich selbst nun feststellen
konnte, dab ein Klöppel bei Spezialschwimmglocken niemals an-
gelegt wird, sondern stets vollständig unterdrückt ist, liegt kein
Grund mehr vor, den Spezialschwimmglocken von Stephanophyes eine
Sonderstellung einzuräumen, und halte ich alle Spezialschwimm-
glocken für homologe Bildungen.
Des weiteren vermochte ich eine interessante Korrelation auf-
zudecken zwischen dem Entwicklungstempo des Klöppels und
seiner Geschlechtsprodukte im Verhältnis zum Entwicklungstempo
der eigentlichen Glocke einerseits und den Ansprüchen, welche
an letztere als Schwimmorgan andererseits gestellt werden. Wo
die Geschlechtsglocke möglichst bald als Schwimmorgan zu
funktionieren hat, und das ist der Fall jeweils bei der ersten
Genitalglocke — ich nenne sie die primäre Geschlechtsglocke —
der Formen ohne Spezialschwimmglocke, den Eudoxien im engeren
Sinne, da entwickelt sich die Glocke selır rasch im Verhältnis
zum Klöppel, der lange Zeit auf dem Stadium eines winzigen
Knöpfcehens am. Glockengrunde verharrt. Seine volle Entwicklung
erreicht er erst, wenn die Glocke nahezu ausgewachsen und imstande
ist, nicht nur die Eudoxie, sondern auch den großen Klöppel
ohne Behinderung zu tragen. Bei den auf die primäre Geschlechts-
glocke folgenden sekundären Geschlechtsglocken, die längere Zeit
im Schutze der ersteren verharren, entwickelt sich dagegen der
Klöppel sehr viel rascher und früher und viel mehr parallel zur
Glocke und eilt bei manchen Formen dieser sogar etwas voraus.
Die Ersaeen, d. h. die Eudoxien mit Spezialschwimmglocken, stellen
nun, infolge einer interessanten Arbeitsteilung, diese beiden Ent-
wicklungsarten in ihren Extremen dar. Aus der primären
Geschlechtsglocke ist — wie Cuun schon vermutet hatte — die
Spezialschwimmglocke geworden, indem zugunsten einer erhöhten
Schwimmfähigkeit die starke Verzögerung in der Entwicklung des
Klöppels zu dessen vollständiger Unterdrückung geführt hat. Um-
gekehrt, und als Kompensation hierfür, hat sich der Klöppel bei
den tertiären Geschlechtsglocken, wie ich die neben der Spezial-
schwimmglocke vorkommenden Geschlechtsglocken der Ersaeen
nenne, enorm auf Kosten ihrer Glocke entwickelt, so daß letztere
schon sehr früh und lange Zeit lediglich eine prall mit Geschlechts-
332
produkten gefüllte Blase darstellt. Diese vier verschiedenen Arten
von Geschlechtsglocken bilden zusammen eine kontinuierliche Reihe
mit vielen Ubergangsstufen.
Vergleichen wir zum Schluß noch Geschlechtsglocken, Spezial-
schwimmglocken und Unterglocken, so spricht vieles dafür, daß sich
auch die Unterglocken von den Geschlechtsglocken ableiten lassen
und als höher entwickelte und besonders spezialisierte Geschlechts-
slocken aufzufassen sind. Die bei den Unterglocken vorhandenen
Verschiedenheiten von den Spezialschwimmelocken lassen sich in der
Hauptsache darauf zurückführen, daß sie nicht nur als Schwimm-
organ, sondern auch als Schutzorgan für den Stamm zu funktionieren
haben. » Daher die Bildung des komplizierten Hydroecium. Unter-
suchen wir aber die Geschlechtsglocken näher, so finden wir auch
bei diesen die ersten Anfänge einer Hydroeciumbildung. Bei beiden
erscheint das Hydroecium als eine direkte Anpassung an die lokalen
Verhältnisse, was besonders auffallend ist bei Formen z. B. Abyla
mit zwei Geschlechtsglocken, eine an jeder Seite des Cormidiums, wo
die eine dann das Spiegelbild der anderen darstellt — was bisher
gänzlich übersehen wurde. Es wäre interessant, wenn sich durch
Experiment feststellen ließe, ob durch Änderung der lokalen Ver-
hältnisse auch eine Änderung resp. Unterdrückung des Hydroeciums
zu erreichen wäre, oder ob dieses sehon phylogenetisch festgelegt
ist, so daß ontogenetische Änderungen hierauf keinen Einfluß mehr
haben. Ähnliche Experimente ließen sich, und zwar leichter, bei
den Cormidien anstellen, um zu sehen, inwieweit sich das relative
Entwicklungstempo von Geschlechtsglocke und Klöppel noch jetzt
beeinflussen und die verschiedenen Arten Geschlechtsglocken sich
ineinander überführen ließen. Das nur nebenbei.
Interessant ist, daß es auch Eudoxien gibt mit hochentwickelten
Geschlechtsglocken, deren Hydroecium in seiner Kompliziertheit voll-
ständig jenem der Unterglocke entspricht. Es gibt aber auch Formen,
bei denen die Geschlechtsglocke komplizierter als die Unterglocke ist,
die sich bei näherer Untersuchung als leicht rückgebildet entpuppt,
während wiederum beide, Geschlechtsglocken und Unterglocken, gleich
primitiv und einander zum Verwechseln ähnlich sind bei Formen mit
rückgebildetem Stamm. Letzteres ist der Fall bei Diphyes (Dimophyes)
arctica Cuun. Zahlreiche Übergänge finden sich zwischen diesen
beiden Extremen und jedenfalls erscheint die Geschlechtsglocke stets
der Unterglocke gegenüber als die konservativere.
Nachdem ich schließlich noch bei einer Reihe von Arten nach-
zuweisen vermochte, daß sowohl die Entstehung wie die Ent-
Fee ET
a re BT MC 177 2 ee dr she» > hr
x - DEE , 2
333
wicklung und der Ersatz der Glocken bei Geschlechtsglocken,
Spezialschwimmglocken und Unterglocken im Prinzip genau gleich
sind — abgesehen vom Klöppel — und daß bei allen dreien ähnliche
Beziehungen ihr relatives Entwicklungstempo regeln, ist der
Schluß kaum abzuweisen, daß die Unterglocken umgewandelte
Geschlechtsglocken sind, wie die Spezialschwimmglocken, was ich
allerdings hier nicht mehr weiter ausführen kann.
Der GrerngAur’sche Satz ist nunmehr, meinen Ausführungen ent-
sprechend, vorläufig so abzuändern: Die Unterglocken sind nicht
nur formell, sondern auch genetisch verschieden von den
Oberglocken. Zwischen beiden besteht ein prinzipieller
Gegensatz auch dadurch, daß sich die Oberglocke zeit-
lebens erhält — abgesehen vielleicht von einigen Ausnahmen —,
während die Unterglocken einem ständigen Wechsel wie
die Geschlechtsglocken unterliegen. Von den Geschlechts-
olocken unterscheiden sich die Unterglocken formell nur
dem Grad nach; genetisch sind beide gleichbedeutend.
Daß diese neuen Gesichtspunkte in manchen Beziehungen eine
andere Beurteilung der Organe der Pneumatophoriden und des
pbylogenetischen Entwicklungsganges der Siphonophoren überhaupt
zur Folge haben, ist selbstverständlich.
Herr Prof. C. B. Krunzınerr (Stuttgart):
Über einige Ergebnisse meiner Studien über die Rundkrabben des Roten
Meeres.
Einleitung.
Wie ich 1906 Ihnen in Marburg einiges über die Spitz- und
Spitzmundkrabben des Roten Meeres, damals nach dem Erscheinen
meiner diesbezüglichen Schrift, mitgeteilt habe, will ich Ihnen nun
heute auch über Ergebnisse meiner Studien über die Rundkrabben
jenes Meeres berichten, diesmal vor Erscheinen des Werkes, welches,
obwohl fertig, erst 1913 in den Nov. Acta gedruckt werden wird.
Meine Arbeit ist, wie die erstgenannte, in erster Linie eine
systematisch-faunistische, aber unter steter Berücksichtigung
biologischer und anatomisch-physiologischer Verhältnisse. Es gehört
ja auch zu dem Nutzen solcher Spezialarbeiten über Faunen, daß
man dabei auf Dinge allgemeineren Interesses stößt, die sonst
niemand gefunden und beachtet hätte.
334
I. Fauna.
Die Zahl der bis jetzt aus dem Roten Meere bekannt ge-
wordenen Arten von Rundkrabben beläuft sich auf die stattliche
Zahl von etwa 160, worunter etwa 60—70 von mir seinerzeit in
Koseir gesammelte und einige wenige neue Gattungen und Arten
oder nur für das Rote Meer neue Arten gehören. Eine große
Zahl von Arten ist erst neuerdings durch die Italiener aus ihrer
Kolonie Erythräa gesammelt und 1906 von Nozırı beschrieben
und zusammengestellt worden; diese Fundorte Obok, Djibuti, Assab,
Aden usw. liegen eigentlich schon außerhalb des eigentlichen Roten
Meeres, d. h. südlich von der Meerenge Bab el Mandeb, aber noch ©
innerhalb des Golfes von Aden, können daher noch zum Se |
Meere gerechnet werden. |
Diese Fauna ist sehr übereinstimmend mit der des Indischen.
Ozeans bis weit hinein in das Stille Meer. Nur sehr wenige
Arten kommen auch in den westlichen Meeren vor: nämlich
Actäa rufopunctata, 1849 in der Explorat. scientif. de l’Algerie
von Lucas beschrieben und abgebildet, und die in unseren euro-
päischen Meeren so gemeine Strandkrabbe: Carcinus méinas, im
Indischen Ozean und im Roten Meer aber sehr selten und ver-
einzelt.
Eine dritte dem Westen angehörige Art habe ich erst im letzten
Jahre durch Dr. med. BannwArr# in Kairo erhalten, der sie, wie
er mir bestimmt versicherte, in Suez gefunden und mir zugesandt
hat: die Pe(i)rimela denticulata, eine nach Cam. Heiter 1863 selbst
im Mittelmeer seltenere, nach M. Epwarps 1834 auch in der Nordsee
vorkommende Art. Es ist sehr wahrscheinlich, daß diese Art durch
den Suezkanal hereinkam; auffallend ist, daß gerade eine so
seltene Art dieses Schicksal haben mußte. Es wäre überhaupt an
der Zeit, daß hier, an dem Zusammenhang zweier Meeresgewässer,
ein ständiger Beobachter und Sammler von seiten einer wissen-
schaftlichen Anstalt (Akademie) aufgestellt würde, der diese etwaige
Faunenmischung eigens zu untersuchen hätte. Seit Coxr. Kreuzer 1882
„Die Fauna im Suezkanal“ und 1888 „Die Wanderung der marinen
Tierwelt im Suezkanal“ (Zool. Anz.) ist meines Wissens keine ein-
gehende Arbeit mehr hierüber erschienen. Auch in Suez selbst ist
wenig gesammelt worden, da gerade hier die Umstände für das
Sammeln ungünstiger sind als anderswo, z. B. in Tor, wegen Fehlens
eines eigentlichen Küstenriffes und großer Kosten bei Benutzung‘
eines Bootes.
335
II. System.
In der Systematik folgte ich hauptsächlich dem neueren Haupt-
schriftsteller über die indische Crustaceenfauna: Axcock in seiner
„carcinological Fauna of India“ 1898 und 1899, in manchem auch
Orrmann 1894 (Zool. Jahrb.), bin aber vielfach auch meine eigenen
Wege gegangen. So kann ich mich nicht zu Aucocks Zwei-
teilung der Rundkrabben in solche obne und mit Gaumengräten:
Hyperolissa und Hyperomerista (entsprechend der Daya’schen Zwei-
teilung in Cancriden und Eriphiden) entschließen. Solche Zwei-
teilungen, die sich nur auf ein Merkmal beziehen, und dazu ein
oft unvollkommenes und in derselben Gruppe unbeständiges, dazu
nicht einmal immer leicht zu ermittelndes, wie die Gaumenleiste,
sind immer künstlich.
III. Priorität.
Die bei unserer diesjährigen Tagung im Vordergrund der Er-
örterung liegende Prioritätsfrage ist für faunistische Werke von
hervorragender Wichtigkeit, wie schon die jeder Art und Gattung
voranzustellende Synonymik zeigt. Ich bleibe auf dem Standpunkt,
daß die Priorität dem ältesten Autor gewahrt werden muß, wenn
er in Wort oder Bild die betreffende Art oder Gattung unzweifel-
haft gekennzeichnet hat. Dies gilt in unserem Fall, bei Lebewesen
vom Roten Meer, ganz besonders von ForskAr, meist auch vun
Savieny (bzw. Aupovm) in dessen vortreitlicher „Description de
l’Egypte“. Es hat mir stets zur großen Freude gereicht, schon bei
der Bearbeitung meiner Fische und Korallen vom Roten Meer,
ForskAr’sche Namen wieder zur Geltung zu bringen, weit mehr,
als wenn ich eine neue Art darbieten konnte. Und so ist es auch
jetzt bei den Rundkrabben: z. B. Trapezia bidentata Forskäu ist
unzweifelhaft identisch mit Trapezia ferruginea LArkkıLLe,
und muß die Priorität haben, obwohl der letztere Name zum all-
gemein gebräuchlichen, selbst in die Lehrbücher übergegangenen,
geworden ist; ForskAr hat nur ein jüngeres und ans Ufer geworfenes
Exemplar vor sich gehabt. Ebenso habe ich seinen Cancer triden-
tatus als eine unzweifelhafte Caphyra erkannt, während noch dahin-
gestellt bleiben muß, was sein Cancer segnis sein soll. ForskAu
gehört nicht zu den Schriftstellern, die, wie neuerdings vielfach
geschielit, in der Suche nach alten Namen „ausgegraben“ werden,
sondern er ist eine, wenn auch alte Autorität ersten Ranges.
IV. Wichtigere Merkmale.
Ein bei den Rundkrabben besonders oft in Frage kommendes,
wenn auch physiologisch wohl nicht sehr bedeutungsvolles Merkmal ist
336
A. Die Gestaltung, Einfügung und Anordnung der Außen-
fühler.
Es empfiehlt sich, um lange Beschreibungen, die sich oft wieder-
holen, zu vermeiden, hier einige kurze Bezeichnungen einzuführen.
a) Ihre Lage ist
aa) infraorbital: Fig. I. Das Hauptglied A der Außen-
fühler (eigentlich das zweite) ist derart in der „inneren Augen- ~
spalte“ zwischen Infraorbital-
zahn w bzw. dessen Basis und
der des Innenfühlers if einge-
keilt, daß es in die Augenhöhle
orb nicht mehr hineinreicht,
sondern jene Augenspalte wird
in ihrem Endteil durch einige
Grundglieder gr der Fühler-
geibel g vollends ausgefüllt. Der
Unteraugenhöhlenzahn w
ragt dann über jenes Haupt-
glied % deutlich hinaus. Dies
ist der häufigste Fall bei den
Rundkrabben und besonders bei
den Arten der Gattung Actaa
von Wichtigkeit.
bb) orbital: Fig. Il Das
Hauptglied A der Außenfühler
reicht bis in die Augenhöhle
hinein, und ebenso liegt seine
ganze Geibel g und gr in der-
selben. Der Unteraugen-
orb) Augenhöhle (orbita), A Hauptglied des höhlenzahn u ragt dann
Außenfühlers, if Grundglied des Innenfühlerss, nieht hervor: ein nicht häufig
g Geisel des Außenfühlers, gr Grundglieder vorkommender Fall, z.B. bei
dieser Geisel, o oberer Augenhöhlenzahn, «
unterer Augenhöhlenzahn, z Stirnzäpfehen, einigen Arten von Actäa.
st Stirnrand, f in Fig. V Fortsatz des Haupt- £ . 3
gliedes des Außenfühlers. cc) nahezu orbital: Fig. UL
Das Hauptglied A der Außen-
fühler ist infraorbital, erreicht die Orbita aber doch nahezu, so
daß der Unteraugenhöhlenzahn w noch ein wenig über den Vorder-
rand des Hauptgliedes vorragt. Es ist dies allerdings nur ein grad-
weiser Unterschied von aa, der aber bei seiner Häufigkeit kaum
entbehrt werden kann als Merkmalsbezeichnung.
Bedeutung der Buchstaben in Fig. I—VII.
337
dd) extraorbital: Fig. IV. Die Außenfühler samt ihrer
Geibel bleiben von der Augenhöhle ausgeschlossen, indem sich
der Ober- o und Unteraugenhöhlenzahn w bis zum Verschluß
nähern, der innere Augenwinkel also sich schließt: so bei Zrapezia,
Rüppellia, Etisus.
.ee) Nur die Geißel ist extraorbital: Fig. V. Das Haupt-
glied h der Außenfühler ragt mittels eines Fortsatzes f in die
Augenhöhle hinein und schließt dadurch die innere Augen-
spalte, während die weiter rückwärts entspringende Geibel g samt
ihren Grundgliedern gr von der Augenhöhle ausgeschlossen wird:
so bei Ztisodes und vielen Schwimmkrabben.
b) Verhältnis des Außenfühlers zur Stirn.
a) Der Außenfühler ist frontal Fig. I--V. Sein Hauptglied h
erreicht mit seinem Innenwinkel einen von dem äußeren Stirn-
läppchen nach unten herab sich ziehenden Fortsatz: das Stirn-
zäpfchen z, und zwar je nach den Arten bald in schmaler Be-
rührung, Fig. I und II, bald in breiter, Fig. Ill: dieses Zu- _
sammenstoßen geschieht in weitaus den meisten Fällen.
8) Der Außenfühler ist subfrontal: Fig. VI und VII. Sein
Hauptglied kA ist kurz und erreicht jenes Stirnzäpfchen z nicht:
so bei Trapezia und einigen Pilwmnus; bei anderen Pilwmnus-
Arten berühren sich dieselben aber eben noch, und zwar in kurzer
Berührung, ähnlich wie in Fig. I.
c) Verhältnis des Außenfühlers zu der inneren Augen-
spalte.
| In weitaus den meisten Fällen ist das Hauptglied h des
Außenfühlers in der inneren Augenspalte eingekeilt zwischen
dem unteren Augenhöhlenzahn « und der Basis der Innenfiihler :f,
wie in Fig. I—VI: „Antennae incuneatae“ nach Srrauu 1861.
Seltener, wie bei einigen wenigen Arten von Prlumnus ist
jenes Hauptglied h wenigstens nach außen, mit dem Basalteil des
Unteraugenhöhlenzahns w nur locker verbunden, von demselben
abstehend: sie liegen frei, Fig. VII „antenae liberatae“ nach SrrAaL
1861. Bei den Grapsiden zeigt sich dieser Fall dann in noch
höherem Maße.
B. Gestaltung der Fingerspitzen am Scherenfuß.
Eine viel umstrittene Frage ist, ob man die Rundkrabben mit
Höhlung am Ende der Finger von denen mit spitzen oder
stumpfen Fingerenden trennen und danach Arten und selbst
Gattungen unterscheiden solle und könne. Dana hat danach je
Verh. d. Dtsch. Zool. Ges. 1912. 22
338
zwei Parallelreihen gegründet, sowohl bei seinen Carciniden als
bei den Eriphiden, und solche oft durch besondere Endungen be-
zeichnet, wie Actäa und Actäodes, Carpilius und Carpilodes. Die
meisten späteren Autoren haben dies als Unterscheidungsmerkmal
wegen vielfacher Übergänge ganz verworfen. Ich bin aber mit
Pavuson zu der Ansicht gekommen, daß man die Arten mit deut-
lich ausgehöhlten und zugleich ringsum. gerandeten, als huf-
förmig zu bezeichnenden Fingerspitzen von den nur undeutlich
ausgehöhlten, mehr einseitig gerandeten, als löffelförmig zu be-
zeichnenden, unterscheiden müsse, da erstere keine Übergänge zu
den spitzen oder stumpfen zeigen und für ganze Abteilungen, wie
Chlorodius, Leptodius, charakteristisch sind.
C. Habitus.
Für den Habitus bestimmend sind: Die Art und der Grad der
Wölbung des Rückenschildes (ob nach allen Seiten gewölbt oder
streckenweise verflacht), die verhältnismäßige gegenseitige Länge
des vorderen und hinteren Seitenrandes und deren Beschaffenheit (ob
stumpf, grätenartig, bedornt, gekrümmt), die Struktur des Schildes
und Skeletts (ob glatt, höckrig, porig, nackt oder behaart), das
Verhältnis von Breite zur Länge des Schildes und die Breite der
Stirn, wobei ich als Maßstab immer die Länge des Schildes
nehme, nicht die sehr wechselnde Breite desselben. Die Stirn-
breite gestattet nach Aucock, große Abteilungen auseinander zu
halten, wie die Xanthinen und die breitstirnigen Chlorodinen,
wobei die Actäinen in der Mitte liegen. Wegen mannigfacher
Übergänge in dieser Hinsicht beschränke ich dieses Merkmal auf
die engeren Abteilungen der Chlorodioiden und Leptodioiden, sowie
der Etisinen, bei denen es besonders auffällig ist.
D. Andere Merkmale.
Andere Merkmale, welche weniger für den Habitus, als für die
nähere Bestimmung der Arten und Gattungen, oft auch größerer Ab-
teilungen Wert haben, sind: die Gegenden und Felder des Rücken-
schildes, für welche ich, hauptsächlich der Kürze wegen, die
bekannte Buchstabenbezeichnung nach Daya annehme, wie L, M, P
usw., an welche man sich bald und gern gewöhnt. Ferner: die
Gestalt des Stirnrandes (ob gerade oder geschwungen oder ge-
zahnt) und Orbitalrandes (mit oder ohne Einschnitte und
Läppchen, starkes oder schwächeres Hervortreten des Supra- und
339
Infraorbitalzahns oder -lappens), Einbuchtung zwischen eigent-
licher Stirne und oberem Orbitalrand, welche zur Einlegung der
Geißel der Außenfühler dient, zu der Länge dieser Geißel in Be-
ziehung steht und daher in verschiedener Weise und verschiedenem
Grade ausgebildet ist. Endlich die Gestalt des Merus des
3. Kieferfußes (3. Gnathomerus von mir genannt), insbesondere
seines Vorderrandes, welcher sehr oft eine Einbuchtung zeigt,
welche dem Ausfluß des geatmeten Wassers einen leichteren Weg
gestattet und welche sich manchmal, wie bei den Oziinen, zu
einem Loch gestaltet, indem ihm eine Ausbuchtung des vorderen
Mundrandes entgegenkommt. Die älteren Autoren zogen, nach
Dr Haan’s Vorgang, auch die übrigen Kieferfüße zur Beschreibung
heran, was jetzt allgemein verlassen ist.
Wertvoll sind auch die an den Füßen, besonders den Scheren-
füßen, wahrzunehmenden Merkmale: die Gestaltung derselben und
ihrer einzelnen Glieder. Am Arm oder Merus der Scherenfübße
kann die Form der Häutungsplatte, deren Nähte sich bei der
Häutung lösen, als gutes Merkmal herangezogen werden. An dem
Tarsus oder Klauenglied (Dactylopodit) der Schreitfüße macht sich
zuweilen, z. B. bei Chlorodius, eine „Nebenklaue“ bemerklich,
indem einer der letzten Dornen des Unterrandes vergrößert ist.
V. Altersunterschiede.
Wie bei den Spitzkrabben sind auch bei den Rundkrabben
alle Vorragungen, wie Dornen, Stacheln, in der Jugend im allge-
meinen spitziger, im Alter, besonders bei Männchen, stumpfer
und verschwinden oft bis zur Ausglättung. Daher ist in dieser
Beziehung Vorsicht nötig bei Aufstellung und Beschreibung der
Arten. Auch hat man schon größere Schmalheit des Rücken-
schildes bei Jungen beobachtet. Sehr gut hat diese Unterschiede
Pautson bei Chlorodius niger dargestellt. Aus der Stumpfheit des
vorderen Seitenrandes des Schildes, wie bei Carpilius, Liomera im
Gegensatz zu einem dornigen Seitenrand, wie bei Xantho, hat man
schon auf ein größeres phylogenetisches Alter der letzteren
gegenüber den ersteren schließen wollen. Xantho wäre also
z. B. phylogenetisch älter, weil dornig am Seitenrand. Durch Ab-
stumpfung der Dornen und Verschwinden derselben entstanden so
die späteren Formen(?). Immerhin ist die Zahl, Anordnung und
Ausbildung der dornigen Vorragungen von Wichtigkeit bei Be-
stimmung der Arten.
29*
340
VI. Geschlechtsunterschiede.
Wie bei allen Krabben, haben auch hier die Weibchen ein
viel breiteres Abdomen (oder Schwanz), was mit dem Alter,
besonders mit der Geschlechtsreife, zunimmt. Die Männchen mit
schmalem Schwanz zeichnen sich außerdem meistens, aber nicht
immer, durch eine Verringerung der Zahl der Schwanz-
segmente aus, indem einige -der ursprünglichen (bei Männchen
und Weibchen) sieben Segmente miteinander verschmelzen, meist
das 3.—5. Glied, so daß fünf noch deutlich getrennte Segmente
bleiben. Einige Arten aber machen eine Ausnahme: so hat das
Männchen von Carpilius, abweichend von anderen nahe verwandten
Formen, wie Liomera, sechs Segmente, Tetralia sieben gegenüber
von der nächstverwandten Trapezia mit fünf Segmenten. Durch-
gehend sieben Segmente hat das Abdomen des Männchens von
Pilummus und Actumnus.
Die von mir schon bei den Spitzkrabben erwähnte Schließ-
vorrichtung zwischen Schwanz und Sternum findet sich auch bei
den Rundkrabben. Bei den Männchen zeigt sich am Sternum
zwischen dem letzten und vorletzten Segment des Sternum dicht
am Außenrand seiner mittleren Vertiefung ein Knötchen, welchem
am Abdomen ein Grübchen an seinem vorletzten Segment gegen-
übersteht, und die ineinander sich fügen und einschnappen, wie
bei modernen Handschuhknöpfchen. Bei Jungen und Unreifen wird
das Abdomen so fest mit dem Sternum verbunden, daß die Lösung
kaum möglich ist.
Bei den Weibchen befindet sich ein ähnliches, aber nicht
immer deutliches Knöpfchen, mehr hinten in der Mitte des Sternum,
jederseits neben der Mittellinie. :
Endlich haben die Männchen meist stärkere und längere
Scheren und Scherenfüße als die Weibchen, und die dunkle
Färbung des Unterfingers greift hier oft auf die Hand über.
VII. Variabilität.
Auch hier gilt die allgemeine Regel, daß Arten, die in großer
Häufigkeit und Individuenzahl vorkommen, besonders variabel
sind. So Leptodius exaratus, von dem Kossmann bei 2000 Exem-
plaren die Varietäten in Form und Farbe aufgezeichnet hat. Doch
geht man hierbei oft auch zu weit, wie der eben genannte Autor,
der z. B. bei den T’rapezia-Formen fast nur Varietäten sucht, wo
man sehr gute Arten unterscheiden kann.
341
VIII. Ernährung.
Die Rundkrabben dürften, wie andere Krabben und Krebse,
Fleisch- und Aasfresser sein; worüber aber Einzelbeobachtungen .
fehlen. Die Verkleinerung der Nahrung kommt wohl haupt-
sächlich dem Kieferapparat mit seinen drei Kiefern und drei Kiefer-
füßen zu. Aber auch die Scheren dienen nicht allein zur Er-
greifung der Nahrung, wie dies wohl bei fehlender oder spitziger
Bezahnung derselben der Fall ist. Sind diese Zähne aber stumpf,
stark und mahlzahnartig, so dienen sie offenbar auch zur Zer-
malmung von härterer Beute, wie Schneckenschalen und Crusta-
ceenpanzern. Die Scheren mit gehöhlten, besonders hufförmigen
Fingern sind wohl zur Entnahme breiiger Nahrung bestimmt.
IX. Bewegung.
Die Rundkrabben, abgesehen von den Schwimmkrabben, sind
meist unbehende, träge Tiere, die mehr auf das Verstecken,
als auf das Laufen angewiesen sind. Sie leben fast durchaus in
der Litoralzone, besonders der rauhen Korallenklippe, wo sie,
gegen die Brandung geschützt, sich in Klüften, Spalten, unter
Steinen festhalten. Zu diesem Zweck sind sie vorzüglich darauf
eingerichtet, einen möglichst Kleinen Raum einzunehmen, indem
sie ihre Glieder aneinanderlegen, daß sie nur wenig unter
dem Rückenschild hervorragen: die Flächen der Arme und auch
der übrigen Glieder ihrer Scherenfüße schmiegen sich der unteren
Fläche des meist verbreiterten Schildes an und werden konkav,
wenn die Unterseite des Schildes konvex ist, andermal flach, wo
jene wenig gewölbt ist, und da, wo Arme und die untere Schild-
fläche sich berühren, finden sich gewöhnlich Haare zur Minderung
der gegenseitigen Reibung. Auch die Femora (Merus) der Schreit-
füße legen sich unter den Schild und aneinander an, nur der
hinterste bleibt frei, und das Knie, d.h. das Gelenk zwischen Merus
und Carpus, steht vor, am Scherenfuß auch der Carpus selbst.
während die auf das Knie folgenden Glieder wieder so umgebogen
sind, daß sie von oben nicht sichtbar sind. Nur bei den Formen
mit schmalem Rückenschild, wie Trapezia (s. u.), stehen die
Glieder, auch der größte Teil des Arms und die Femora der Schreit-
füße seitlich am Schild weit vor, in welchem Falle es sich aber
auch nicht so um Verstecken handelte. Zum Festhalten dienen
die meist spitzigen Krallen, welche sich so fest einsetzen, daß eine
gewaltsame Loslösung Schwierigkeit macht (daher z. B. der Name
tenax bei der Gattung Riippellia); ferner die Zähne und Dornen
342
an dem vorderen Seitenrand des Schildes, die Höckerdornen und
Rauhigkeiten an der oberen Fläche des Schildes, und zur Verhinde-
. rung des Abgleitens die Filzbekleidung und die Dörnelungen an den
1—2 Endgliedern der Schreitfüße.
Zum Klettern sind die Rundkrabben weniger geeignet als
die Grapsiden, nur die Trapezien haben stumpfe borstige Klauen,
womit sie an der weichen lebenden Substanz der Korallen zwischen
den Ästen derselben auf und ab klettern, ohne sie zu verletzen.
„Sperrgelenke“ habe ich keine gefunden.
Die Schwimmkrabben, wozu auch Carcinus mänas zu rechnen
ist, haben, ähnlich den Wasserschildkröten, einen ziemlich flachen
Rückenschild, auch vorstehende Seitenrandzähne und am Hinterfuß
ein verbreitertes ruderartiges Endglied. Dennoch sind sie, nach
meinen Beobachtungen, keine eigentlichen pelagischen
Tiere, die sich weit in das offene Meer hinauswagen könnten,
sondern leben mehr am sandigen Ufer, wie die Strandkrabben
(Carcinus mänas), oder im Hafen und lassen sich von den Wellen
der Brandung treiben.
Trotz ihrer Neigung zum Verstecken zeigen die eigentlichen
Rundkrabben meist keine ausgesprochene Nachahmung der Um-
eebung; nur wenige sind dem Gestein der Klippen in Form und
Farbe ähnlich, die meisten haben lebhafte Farben. Die Arten
von Pilumnus gleichen durch ihre lange Behaarung Schwämmen,
oder durch Ansammlung von Sand und Schlamm zwischen den
Haaren dem Schlamm oder der Klippenfläche.
X. Spezielle Eigentümlichkeiten.
1. Carpihus (convexus) hat, im Gegensatz zu naheverwandten
Formen, wie Liomera, Carpilodes, erstens ein sechsgliederiges
3 Abdomen, wie schon oben erwähnt wurde, zweitens im Gegen-
satz zu allen anderen Rundkrabben eine Verwachsung des
Trochanter mit dem Arm (wie ich schon in meiner vorjährigen
Arbeit über die Gliederung und Gelenke der Decapoden S. 136
angezeigt habe).
2. Actäa speciosa hat am ersten Schreitfußpaar statt einer
Klaue eine mit Borsten dicht besetzte Bürste, welche an einen
Putzfuß bei den Insekten erinnert, sowohl bei Jungen als bei Alten.
Damit verwechselt wurde offenbar eine andere, aber kleine Art,
die ich Actaa nana nenne, welche stets eine deutliche Klaue, von
wenigen Börstchen umgeben, zeigt und nicht etwa die Jugendform
der ersteren ist, da sie auch andere Unterscheidungsmerkmale hat.
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a writ woe ur
343
3. Tetralia glaberrima (s. cavimana Herr.) hat am Grund der
größeren Hand eine tiefe, runde, von Haaren umgebene und aus-
gekleidete Grube. Sie ist schon von Heızer 1861 gefunden und von
Paurson 1875 näher untersucht und abgebildet worden. Zwischen den
Härchen der Grube wird die Cuticula von feinen, geraden Kanälchen
durchzogen, welche von der Matrix ausgehen und an der Fläche der
Grube münden. Das Organ dürfte also eine Drüse sein, deren Be-
deutung und feinerer Bau noch weiter zu erforschen wäre.
4. Hypocölus sculptus, eine ansehnliche, schon in der Description
de l’Egypte von Savieny vortrefflich abgebildete Art, hat jederseits
an der Unterfläche des Schildes, in der Pterygostomialgegend, eine
ovale, große, geräumige Grube mit nacktem glattem Grund. Über
die Bedeutung derselben sprechen sich die Autoren nicht aus. Ich
besitze nur zwei Weibchen und dachte daher an einen Brutraum,
die Autoren hatten aber beide Geschlechter mit der Grube vor
sich. Auch diese merkwürdige Bildung verdiente weitere Beob-
achtung und Untersuchung; frische Exemplare wären nicht unschwer
zu erhalten, da die Art nicht selten ist und sogar bei Suez vor-
kommt, woher ich ein Exemplar von Dr. Banswart# in Kairo
neuerdings erhalten habe.
5. Trapezia zeigt Eigentümlichkeiten in der Gestaltung des
Armes des Scherenfußes. Bei der Schmalheit des Rückenschildes
ragt der Arm, wie oben erwähnt, weit über die Seiten des Rücken-
schildes vor. Trochanter und Hüfte sind schmal und klein. Dann
folgt ein kurzer, aber breiter, fast quadratischer Arm, der, zumal
an der oberen Fläche, einen durch eine Leiste scharf abgesetzten,
vertieften, proximalen Teil zeigt, welcher auch durch eine
quadratische Häutungsplatte gekennzeichnet ist, während der größere
distale Teil an seiner äußeren und unteren Fläche gewölbt und
gegen den Innenrand hin, der gewöhnlich mit Zähnen besetzt ist,
stark verflacht ist. Der Arm erscheint so, gegenüber dem anderer
Rundkrabben, wie nach einwärts gedreht. Von der Stumpfheit der
Klauen war schon oben (S. 342) die Rede.
6. Eine der merkwürdigsten Eigentümlichkeiten findet sich bei
den Polydectinen, einer den Trapezien verwandten Abteilung, mit
den Gattungen Polydectes, Lybia und Melia, kleinen, zarten Krabben.
Alle diese tragen stets zwischen den mit rechenartigen Zähnen
besetzten Fingern ihrer zarten Scheren eine kleine lebende
Aktinie. Es liegt hier ein ähnliches Verhältnis vor, wie zwischen
dem Einsiedlerkrebs Pagurus und der mit ihm in Symbiose lebenden
auf die bewohnte Schneckenschale aufgesetzten Adamsia bzw.
344
Calliactis. Wie dort, bedient sich wohl die Krabbe Polydectes oder
Melia der Aktinie, um durch die Nesselfäden derselben, vergleichbar
dem Perseus mit dem Medusenhaupt, die Beute oder etwaige Feinde
zu betäuben oder abzuschrecken, nur daß es hier weniger ein sym-
biotisches, als ein gewalttätiges Verhältnis ist; denn die kleine
Aktinie wird zwischen den Rechenzähnen der Krabbe arg ein-
geklemmt und gequetscht. Schon Mosrus und Ricurers 1880
haben diese Dinge gesehen, beschrieben und abgebildet und ich
habe sie auch vielfach beobachtet und nach dem Leben abbilden
können.
Herr Dr. H. Ersarp (München):
Die Verteilung und Entstehung des Glykogens bei Helix pomatia nebst
Bemerkungen über seine Bedeutung bei Wirbellosen im allgemeinen.
Während von botanischer Seite aus die physiologisch-chemischen
Veränderungen an den Pflanzen sehr genau erforscht sind, hat man
in Zoologenkreisen in der Regel das Studium der Stoffwechsel-
vorgänge der Tiere den Physiologen überlassen, die mit wenigen
Ausnahmen, unter denen besonders Brepermann und Wrmrann her-
vorragen, ihre Aufmerksamkeit fast ausschließlich dem Menschen
und den Säugetieren und dem Frosch zuwandten. So kommt es,
daß wir über die wichtigsten Fragen hierüber bei Wirbellosen noch
vielfach im unklaren sind. Dabei ist die chemische Physiologie
hier nicht nur berufen, manches Ergänzende und Erklärende den
klassischen morphologischen, systematischen und biologischen Studien
und Monographien unserer Altmeister hinzuzufügen und so unser
Arbeitsgebiet bedeutend zu erweitern, sie kann auch gerade auf
diesem Gebiet Fragen der größten praktischen Bedeutung für den
Menschen lösen, indem sie allgemeine Stoffwechselfragen am ein-
facheren wirbellosen Tier löst, die am komplizierteren Säugetier
vom Physiologen bisher nicht enträtselt werden konnien.
Die Bedeutung einer dieser Fragen, der Glykogenfrage, erhellt
aus folgenden Tatsachen: Das Glykogen trennt chlorophyllhaltige
Pflanzen einerseits von chlorophyllosen Pflanzen, Bakterien und
Tieren andererseits, indem es ersteren stets fehlt, bei letzteren
häufig vorkommt. In der ganzen Tierreihe, ausgenommen die
Spongien, Cölenteraten und Echinodermen, beobachtet man es als
wichtigsten Reservezucker. Von Interesse ist, daß es unter den
es sonst reichlich speichernden Mollusken nur bei Aplysia felilt
345
(Roumann ')), und auch bei den Cephalopoden scheint es auffallender-
weise zu fehlen (Henze”)). An prozentualer Menge spielt es bei
parasitischen Würmern die größte Rolle. Für Tania wurden bis
50 °/,, für Ascaris bis 34°/, der Trockensubstanz des Gesamttieres
an Glykogen angegeben. Zu den bedeutsamsten Ergebnissen der
allgemeinen Biologie gehört, daß nach Wernnann”*) Ascaris, ana-
örobiotisch lebend, Glykogen in Valeriansäure und Kohlensäure
vergärt, eine der bakteriellen Buttersäure- oder Alkoholgärung
durchaus entsprechende „tierische Gärung“. Wichtig ist auch, dab
der Hauptbestandteil des Arthropodenchitins, das Glukosamin, wie
schon CrAaupe Bernarp*), Vrrzou?) und Krec#®) vermutet und
Weıstano ‘) dann bewiesen hat, vom Glykogen, bzw. dessen Spalt-
produkt, dem Traubenzucker, gebildet wird.
Über mein engeres Thema, das Glykogen in der Weinberg-
schnecke, existieren vornehmlich zwei Arbeiten, von Barrurrs®)
und Biırpermann-Morırz’). Beide Arbeiten vereinigen in unüber-
trefflicher Weise histologische Methode mit physiologisch-biologischer
Betrachtungsweise. - |
Diese Arbeiten waren mir vorbildlich bei meinen histo-
logischen Untersuchungen der wichtigsten Organe der Schnecke,
die ich im Verein mit meinem Freunde Dr. ZmauwaArıner!®) in
München vornahm. Dazu führte ich allein noch quantitativ physio-
logisch chemische Bestimmungen aus, durch die die histologischen
Befunde nachkontrolliert werden sollten. Endlich sollten durch
künstliche Fütterungen mit Fetten, Mono- und Disacchariden einige
für die Zuckerbildung im allgemeinen interessante und bisher teil-
weise unbekannte Momente geklärt werden.
Die Bedeutung des Glykogens bei der Weinbergschnecke erhellt
aus seiner Verbreitung in fast allen Organen; nur in der finger-
!) Centralbl. f. Physiol. 1899, Bd. XIII, und SALKOWsKI-Festschrift, 1904.
2) Zeitschrift f. physiol. Chemie, 1905, Bd. XXXXIII u. Bd. LY, 1908.
3) Zeitschrift für Biologie, Bd. XLII. |
*) Cl. BERNARD, Lecons sur les phénoménes de la vie. Paris. 1879. T. LI.
5) Arch. d. Zool. expér. T.X. 1882.
6) J. B. Kırca, Das Glykogen in den Geweben des Flußkrebses. Inaug.-
Diss. Bonn 1886. |
7) Zeitschr. f. Biolog., Bd. XLIX.
8) Arch. f. mikrosk. Anat., Bd. XXV, 1885.
®) Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. LXXV, 1899.
10) Zeitschr. f. wiss. Mikrosk. u. f. mikr. Technik, Bd. XXVIII, 1911 (enthält
die histologische Technik).
346
förmigen Drüse und der Eiweißdrüse scheint es regelmäßig zu fehlen.
Mit Barrurre') konnte ich es selbst in den Ganglienzellen histo-
logisch nachweisen. In diesen ist es in der ganzen Tierreihe außer-
dem nur ein einziges Mal normalerweise, bei Piscicola, einem para-
sitischen Hirudineen, gefunden worden (Erkarv?) ?)). Dazu kommt
seine beträchtliche quantitative Menge.
Dies gilt von wohlgenährten Salat-gefütterten oder im Sommer
nach Regen gefangenen Schnecken. Bekanntlich nehmen die Tiere
nur in feuchten Zeiten Nahrung auf. Von den zu diesen Zeiten
aufgestapelten Reservestoffen, die zu überwiegender Menge aus
Glykogen, daneben auch Fett, bestehen, zehren sie während trockener
Perioden. Um die Verdunstung zu verhindern, ziehen sie sich ganz
in ihr Gehäuse zurück, das sie mit einem Eiweißhäutchen ver-
schließen. Dabei verfallen sie in einen lethargischen Zustand, der
dem im Winterschlaf ähnlich ist. Wahrscheinlich werden die Stoff-
wechselvorgänge dabei in ähnlicher Weise herabgesetzt, wenigstens
entspricht die wöchentliche Gewichtsabnahme der Tiere dabei etwa
der eingedeckelter Wintertiere. Das Glykogen, das nach den meisten
Autoren schon in 2—3 Wochen so zum Schwinden gebracht sein
soll, konnte ich gleich dem Fett erst nach 5—6 Wochen histo-
logisch nicht mehr nachweisen. Zuletzt schwindet es im Binde-
gewebe, so z. B. dem der Leber, und die allerletzten Spuren lassen
sich stets um die Ausführgänge der Zwitterdrüse nachweisen.
Füttert man solche fünf Wochen lang dem Hungerzustand
unterworfene Tiere, die man täglich durch Wässern aus ihrem
Ruhezustand erweckt, dann mit Salat, so läßt sich das erste Auf-
treten von Glykogen studieren. Es erscheint zuerst im Darm und
in allen Bindegewebszellen des Körpers fast gleichzeitig, etwa sechs
Stunden nach Beginn der Fütterung; kurz darauf, von der siebenten
Stunde an, auch in den übrigen Glykogen-führenden Zellen.
Für den Winterschlaf, der in unseren Gegenden von November
bis Mai dauert, beladen sich die Tiere mit Reservestoff. Außer
Fett, das reichlich besonders in Leber und Zwitterdrüse abgelagert
wird, findet sich sehr viel Glykogen.
Über das Mengenverhältnis des Glykogens während des Winter-
schlafs gehen die Angaben auseinander. Brepermann und Morrrz*)
fanden nach histologischen Befunden an der Leber eine gleichmäßige
1) Arch. f. mikrosk. Anat., Bd. XXV, 1885.
2) Biolog. Oentralbl., Bd. XXXI, 1911.
3) Arch. f. Zellforsch., Bd. VIII, 1912.
*) Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. LXXV, 1899.
vi v=
on
see TEEN
347
Abnahme, ZieeLwALLner und ich’) histologisch an den meisten
Organen eine Abnahme mit einigem Fluktuieren, ich fand nach
chemisch quantitativen Bestimmungen am Gesamttier eine fast
gleichmäßige Abnahme, dagegen Scuonporrr”) chemisch quantitativ
am schalenlosen Tier nach einer eben erschienenen vorläufigen Mit-
teilung eine Konstanz ohne Abnahme bis in den Februar und im
März eine Abnahme. Ich begnüge mich hier mit dieser Neben-
einanderstellung, da man eine Entscheidung doch nur nach Einblick
der Arbeitsmethoden und Tabellen, die hier nicht vorgetragen werden
können, fällen kann. Auch die Art der Behandlung der Winter-
tiere dürfte von Einfluß sein. ScHönporrr®) hielt sie im Keller
bei 8°, die meinigen waren im ungeheizten, zum Teil beträchtliche
Temperaturschwankungen aufweisenden Zimmer gehalten.
Hammarsren*) fand bei frisch gedeckelten Helix pomatia im
September und Oktober 1,7°/, Glykogen in der frischen Jecur, Ende
März nach dem Erwachen aus dem Winterschlaf, den die Tiere in
einem nicht geheizten Zimmer durchgemacht hatten, nur noch 0,4°/,
Glykogen in der frischen Leber. Bei Schnecken, die in wärmerer
Umgebung überwintert hatten, konnte Barrurra®) kein Glykogen
mehr in der Leber auffinden.
Jedenfalls hat das von uns beobachtete auffallend langsame
Schwinden des Glykogens im Verein mit diesem Schwanken Zizcı-
WALLNER und mich schon vor einem Jahr auf den Gedanken
gebracht, es könnte im Körper der Schnecke das Glykogen sich
neu auf Kosten anderer Reservestoffe bilden.
Damit kommen wir zu einem Problem der allgemeinen Physio-
logie. Daß Fett, Eiweiß und Kohlehydrate sich gegenseitig in
gewissem Sinne vertreten können, ist bekannt. Daß Fett aus
Eiweiß sich bilden kann, ebenso. Daß aus Kohlehydraten Fett
entstehen kann, gleichfalls, nicht aber ob aus Fett Kohlehydrate
hervorgehen können. Wegen der eminenten Bedeutung gerade der
letzten Frage für die praktische Medizin hat eine Menge Autoren
sich ihrem Studium gewidmet. Das Ergebnis der ausschließlich
an Wirbeltieren gemachten Untersuchungen hat wegen der hier
zahireichen Fehlerquellen und technischen Schwierigkeiten, deren
Aufzählung mir hier erspart sei, zu keinem endgültigen Resultat
1) Zeitschr. f. Biol., 1912 (erscheint demnächst).
2) Arch. f. d. ges. Physiol., 1912.
®) Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. 1912.
4) Arch. f. d. ges. Physiol., Bd. XXX VI, 1885.
5) Arch. f. mikrosk. Anat., Bd. XXV, 1885.
348
geführt. Bezeichnend ist, daß der beste Kenner des Glykogen-
stoffwechsels, PrLücer, der selbst glaubte, den Beweis erbracht
zu haben, kurz vor seinem vor zwei Jahren erfolgten Tod seine
Ansicht zuriicknahm, |
Der Umstand, daß ERROR annähernd fett-- und
slykogenfrei sind, macht sie für solche Untersuchungen geeigneter
als Wirbeltiere, bei denen diese Voraussetzungen nicht zutreffen.
Bei Verfütterung von Olivenöl, dem einzigen Fett, das auf-
genommen wurde, konnten wir im mikroskopischen Bild eine
beträchtliche Zunahme von Glykogen wahrnehmen. Nach sieben-
stündiger Fütterung verblassen die Fettkörnchen, färben sich mit
der roten Besr’schen Glykogenfärbung erst rosa und verschmelzen
dann zu den typischen leuchtend roten Glykogenschollen.
Das Fett besteht bekanntlich aus zwei Komponenten, dem
Glyzerin einerseits, den drei Fettsäuren (Oleinsäure, oa
und Palmitinsiure) andererseits.
Für das Glyzerin ist Kohlehydratbildung besonders durch
Cremer’) *) erwiesen. Unsere eigenen Fütterungen haben sehr
große Glykogenmengen nach Glyzerinfütterung ergeben. Dabei ist
von Interesse, dab Emi. Fischer?) synthetisch ein Aldehyd des
Glyzerins, die Glyzerose, erhalten hat. Durch Vereinigung zweier
Glyzerosemoleküle erhalten wir aber einen gewöhnlichen 6 C-Zucker,
durch dessen Polymerisation der Körper bekanntlich Glykogen
aufbauen kann.
Ob diese Synthese hier im Tierkörper ebenso oder ähnlich
verläuft, wissen wir nicht. Jedenfalls ist von allgemeinster bio-
logischer Bedeutung, daß durch den Beweis dieser tierischen
Synthese von neuem das alte, längst unhaltbare Dogma: Die Pflanze
baut auf, das Tier baut ab, gebrochen ist. /
Die Fütterungen mit Palmitin- und Oleinsiure ergaben nur
ganz minimale, wohl innerhalb der Fehlergrenzen liegende Glykogen-
mengen. Nach Stearinsäurefütterung dagegen zeigten die Tiere
quantitativ nicht geringe Glykogenanhäufung. Über die Art der
Umwandlung, besonders über die Gründe des Unterschieds der
Stearinsäure mit der nahestehenden Palmitinsäure, fehlen uns alle
chemischen Vorstellungen.
Über die allgemeine Tragweite dieser Ergebnisse möchte ich
mich, nicht nur deshalb, weil ich selbst die Versuche noch nicht
1) Sitzungsber. d. Ges. f. Morphol. u. Physiol. in München, Jahrg. 1902.
2) Jahresber. f. Tierchemie, Bd. XXXIII, 1903.
3) Berichte d. deutsch. chem. Gesellsch., Jahrg. XXIII, 1890.
349
abgeschlossen habe, sondern auch weil solch allgemeine Stoffwechsel-
vorgänge doch nicht immer einheitlich im Tierreich erfolgen, sehr
zurückhaltend äußern.
Da im Haushalt der Schnecken die Zucker eine große Rolle
spielen, wurde auch noch der Einfluß der Zucker der 6C-Reihe,
der sogenannten Monosaccharide Traubenzucker, Fruchtzucker,
Mannose und Galaktose untersucht. Nicht nur Traubenzucker, dessen
glykogenbildende Wirkung bei Wirbellosen bereits durch Weınvann ')
und andere bewiesen war, bewirkte Auftreten dieses Polysaccharids,
sondern auch alle anderen Zucker.
Von den Zuckern mit 12C wurde von mir Milchzucker ge-
wählt, weil seine direkte glykogenbildende Wirkung ohne vor-
_herige fermentative Spaltung nach Beobachtungen am Säugetier
bisher bestritten war. Er führte nach der histologischen wie
physiologischen Bestimmung zu bedeutender Glykogenanhäufung.
Ob Milchzucker direkt Glykogen bildet oder erst vorher durch ein
Ferment unter Wasseraufnahme in je ein Molekül Traubenzucker
und Galaktose gespalten wird, was als sehr wahrscheinlich anzu-
sehen ist, soll nicht entschieden werden.
Diese vorläufigen Ausführungen, die natürlich mit eingehenden
Tabellen und Zahlenreihen belegt werden können, beziehen sich
auf ein ganz enges Gebiet der so mannigfaltigen Stoffwechselfragen,
für deren Studium uns durch Brepermann’s eben erschienenen
Artikel im „Handbuch der Physiologie“ und Weiranv’s Artikel im
„Handbuch der Biochemie“ unvergleichliche Werke entstanden sind.
Ich werde versuchen, den Unvollkommenheiten und Fehler-
quellen meiner Versuche weiterhin nachzuspüren, denn, wie von
jedem Zweige der Naturwissenschaften, gilt auch von der chemischen
Physiologie der Satz: Der Zweifel bildet den ersten Anstoß zu
neuem Forschen und neuer Erkenntnis.
Herr Dr. Hours. (Berlin):
Zur Entwicklungsgeschichte der Thalassicollen.
(Manuskript nicht eingegangen.)
Herr Prof. Janxen (Greifswald):
Bericht über die Dinosaurierfunde bei Halberstadt.
(Manuskript nicht eingegangen.)
1) Zeitschr. f. Biol., Bd. XLIH.
350
Herr Prof. H. Scuem (Halle):
Welche Ammoniten waren benthonisch, welche Schwimmer?
Die Ansichten über die Lebensweise der Ammoniten wie über-
haupt der schalentragenden Cephalopoden sind bekanntlich keines-
wegs geklärt. Sehr verstreut finden sich verschiedenartige Meinungs-
äußerungen und nur gelegentlich konnten an einem oder dem anderen
Stücke Beobachtungen gemacht werden, die einen Einblick in dieser
Beziehung gestatteten. Auch in folgendem wird die oben auf-
geworfene Frage keine auch nur einigermaßen befriedigende Antwort
erfahren, sie soll hier nur von einem anderen Gesichtspunkt be-
trachtet werden, und es soll erörtert werden, inwieweit vielleicht
auf morphologischer Grundlage Vermutungen ausgesprochen werden
können. Ich bin mir wohl bewußt, daß es bedenklich ist, ohne
Kenntnis der Weichteile des Tieres Schlüsse auf die Lebensweise
desselben zu ziehen, doch muß es dem Naturforscher gestattet sein,
da, wo die Aussichten so gering sind, je eine einwandfreie Behauptung
aufstellen zu können wie in diesem Falle, wenigstens Erwägungen
Ausdruck zu geben, die vielleicht zu weiteren Beobachtungen in
dieser Richtung veranlassen, auch auf die Gefahr, daß sie durch
letztere nicht bestätigt werden.
Während man früher wohl meist die Ammoniten als freie
Schwimmer auffaßte, machte Jos. WaAuruer geltend, daß der am
meisten für einen Vergleich in Betracht kommende lebende Nautilus —
pompilius eine benthonische Lebensweise führe‘), eine Tatsache,
die übrigens schon in recht alten Berichten ?) erwähnt wird, aber
nicht immer genügende Beachtung gefunden hat. Die große Menge
der nach dem Tode des Tieres pseudoplanktonisch vertriebenen
Nautiliden- und auch Spirulaschalen, wie sie sich an den Küsten
der indopazifischen Meeresprovinz, also weit über den Lebensbezirk
der Tiere hinaus, angetrieben finden, veranlaßte ihn dann bekanntlich
weiter zu dem Schlusse, daß auch für die Ammoniten dasselbe gelte,
daß auch die Mehrzahl dieser Tiere benthonisch gewesen sei und in
einem verhältnismäßig engen Lebensbezirk gewohnt habe, während
die Schalen der toten Tiere, getragen durch die Luitkammern,
durch Meeresströmungen verfrachtet worden seien, so daß auch
ebenso wie bei Nautilus und Spirula ihre Verbreitung unabhängig
1) Einleitung in die Geologie als historische Wissenschaft, II. — Die
Lebensweise der Meerestiere, S. 512.
2) Vgl. Brehms Tierleben. 3. Aufl. S. 289,
AS
351
von der Fazies und der Meerestiefe sei. Übrigens bestreitet
Watrner nicht, was in der gegen seine Auffassung gerichteten
Polemik mitunter übersehen wird, daß eine Cephalopoden-fiihrende
Ablagerung auch einer ursprünglich dort wohnhaften Form ent-
sprechen könne. Doch meint er, dab unvermittelt auftretende Formen
zunächst als verfrachtet anzusehen seien, bis sich für diese Auffassung
Schwierigkeiten bieten.
Wenn Watruer hierbei auf die allgemeine, weltweite Ver-
breitung mancher Ammonitenarten und der leitenden Horizonte
hinwies, so hat Kossmar’) demgegenüber betont, daß der Ver-
breitungsbezirk keineswegs immer so umfassend sei, wie man an-
nehme, und daß z. B. in der indischen Kreide eine Reihe bekannter
europäischer Formen nur durch nahverwandte Arten vertreten
würden, die dann aber in derselben Reihenfolge übereinander liegen,
wie ihre Verwandten in Europa. Wenn nun ja auch hinsichtlich
der Artbegrenzung das persönliche Ermessen eine große Rolle spielen
kann, da andere Forscher, wie Sworıczka ’) und Oxpuam’), z. T. die-
selben Artnamen anführen, wie sie in Europa üblich sind, so bleibt
doch der Hinweis beachtenswert, dab auch bei tatsächlich von
Kossmar als kosmopolitisch anerkannten Arten, wie Lytoceras
Timotheanum May. sowohl in Indien wie in Europa stammes-
geschichtliche Beziehungen — hier zu älteren und dort zu Jüngeren
Formen — nachweisbar sind, eine Tatsache, die also zur Annahme
selbständiger Wanderung nötigt, und auch bei einer Reihe anderer
Ammonitengattungen wurde Ähnliches beobachtet. Ebenso ist
das in verschiedene Zeiten fallende Auftreten einzelner Gattungen
und Familien in räumlich entfernten Gegenden für die Frage von
Bedeutung. Wie Waacen’) gezeigt hat, scheint in Indien schon
(allerdings mit einer ganz geringen Abweichung) Macrocephalites
macrocephalus etwas früher als in Mitteleuropa aufzutreten, wenn
auch die Art sonst in Indien und Europa etwa dem gleichen Zeit-
abschnitt angehören dürfte; andererseits lebt die Gattung Macro-
cephalites in Indien auch noch länger fort. Erinnert sei ferner an
das Auftreten der Clymenien im unteren Oberdevon von Nordamerika
(Naples beds) gegenüber dem jüngeren europäischen. Man wird hier
1) Die Bedeutung der südindischen Kreideformationen für die Beurteilung
der geographischen Verhältnisse während der späteren Kreidezeit. Jahrb. d.k.
k. Reichsanstalt 44 (1894), 1895, S. 477.
2) Cretaceous Fauna of Southern India, Palaeontologia indica 1863—1871.
3) Geology of India, Calcutta 1893. Chapter 10.
4) Jurassic Cephalopoda of Kutch, Palaeontologia indica, 1875, S. 235.
352
wohl eine Wanderung der benthonisch lebenden Tiere infolge ver-
änderter Faziesverhältnisse annehmen müssen, wie dies auch Freea!)
hervorhebt. Von Interesse ist in dieser Beziehung ferner das Vor-
kommen von Ammonitenarten in der texanischen Kreide, die mit
solchen der europäischen Kreide aufs engste verwandt sind, aber —
sich in Amerika in etwas jüngeren Horizonten finden”). Daß der —
Verbreitungsbezirk in derselben Klimazone liegt, die übrigens, wie —
ja auch heute, in Europa etwas nach Norden gerückt ist, und dab
umgekehrt Beziehungen zu den räumlich näheren südamerikanischen
Ablagerungen kaum vorhanden sind, ist bei der Annahme klimatisch
empfindlicher Tiere durchaus verständlich.
Natürlich bleibt trotzalledem die Möglichkeit pseudoplanktoni-
scher Verbreitung nach dem Tode des Tieres bestehen und man
wird besonders dann an eine solche denken müssen, wenn vereinzelte
Formen inmitten einer fremden Fauna auftreten. Hierher gehört
z. B. das von Frec#?) erwähnte vereinzelte Vorkommen des nord-
amerikanischen Probeloceras und des timanischen Timanites im
europäischen Oberdevon. Wenn weiter in niederschlesischen Unter-
senon in einer außerordentlich reichen Mollusken- besonders Zwei-
schalerfauna nur ein einziges Cephalopodenbruchstück vom Hamites
Roemeri Grm. vom Verfasser beobachtet wurde, so darf auch
das wohl als eingespült betrachtet werden. Immerhin aber wird
man den Wanderungen des lebenden Tieres, oder der Vertreibung
der Larven, die sich schließlich — vielleicht in nicht allzu großer Ent-
-fernung — wieder angesiedelt und weiter entwickelt haben könnten,
also einer allmählichen, generationsweise erfolgenden Ausbreitung,
die gleiche Bedeutung wie bei anderen weit verbreiteten Tieren
zusprechen können.
Dagegen dürfte die Ansicht, daß ein Teil der Ammoniten nicht
Freischwimmer waren, sondern am Grunde des Meeres lebten, wohl
keinem Zweifel unterliegen. Daß die schneckenartig gewundenen —
Ammoniten wohl als benthonisch anzusehen sind, ist von ver-
schiedenen Seiten *) hervorgehoben worden. Sie "können aus
statischen Gründen keine Schwimmer gewesen sein, bei denen eine
1) Lethaea palaeozoica Il 1, S. 255.
2) LAsswitz, Die Kreideammoniten von Texas. Geol. u. paläont. Abhandl.
von Koken und Kayser X (N. F. VI), Heft 4 S. 39.
3) Über devonische Ammoneen. Beitr. z. Paläontologie und Geologie ’
Osterreich-Ungarns und des Orients. 14. 1902, S. 93.
4) Vgl. außer J. WALTHER a.a.O. 8.515 besonders FRECH, Neue Cephalo-
poden aus den Schichten des südlichen Bakony Budapest 1903, S. 71.
353
bilaterale Symmetrie zu erwarten ist’). Ebenso wird man wohl
Wauruer beipflichten, wenn er die Formen mit verengter Mündung
und stark entwickelten Ohren nicht als gute Schwimmer anspricht.
Auch das von Purr”) beobachtete Vorkommen einer Placumopsis
auf einem Ceratiten, dessen letzte Windungen die austernartige
Muschel überwuchsen, spricht mit einiger Wahrscheinlichkeit für
eine Deutung in diesem Sinne.
Sehr bemerkenswert erscheinen die Ausführungen Souser’s?)
bezüglich eines Hoplitotdes aus den Kameruner Mungokalken, der
einige offenbar noch während der Lebenszeit eingedrückte Luft-
kammern aufweist, die von der nächsten Windung wieder über-
wachsen waren. Souser folgert hieraus wohl mit Recht benthonische
Lebensweise für den Ammoniten, da eine derartige Verletzung
für einen Freischwimmer infolge verminderter oder aufgehobener
Schwimmfähigkeit einen starken Eingriff in die Lebensfunktion des
Tieres bedeutet haben würde, das bei doppelter Höhe jeder Windung
gegenüber der vorhergehenden seine Masse nach der Verletzung
noch auf das Achtfache vermehrt und demzufolge auch seine
Nahrungsaufnahme offenbar entsprechend gesteigert hatte, während
sie für eine von vornherein an benthonische Lebensweise angepaßte
Form von geringerer Bedeutung gewesen sein dürfte, ein Schluß,
der durch die etwas unsymmetrische Lage des Sipho und die etwas
abweichende Ausbildung der Lobenlinie auf beiden Seiten des Tieres
noch an Wahrscheinlichkeit gewinnt.
SOLGER geht noch weiter und folgert, von der recht charakte-
ristischen reduzierten Lobenlinie ausgehend, gleiche benthonische
Lebensweise auch für die anderen Formen mit gleichem Lobentyp,
großem 1. Laterallobus, kleinem zur Bedeutung eines Auxiliarlobus
herabsinkenden 2. Laterallobus sowie mehreren Auxiliarloben, wie
1) Vgl. v. MARTENS, Zeitschr. d. deutschen geolog. Gesellsch., Sitzungsber.
54. 1902, S. 97.
*) PHILIPPI, Ein interessantes Vorkommen von Placunopsis ostracina,
v. SCHLOTH. Zeitschr. d. deutsch. geol. Gesellsch. 1899, Sitzungsber. S. 67.
Unbedingt beweisend ist allerdings auch dieses Vorkommen nicht, wie
mir gegenüber von namhafter zoologischer Seite in persönlichem Gespräch
geltend gemacht wurde. Die Larve des Zweischalers könnte sich ebenso wie
die anderer festsitzender Tiere auch an den schwimmenden Ceratiten angeheftet
haben. Immerhin kann die Beobachtung doch wohl als ein, wenn auch für
sich allein nicht voll ausreichendes Glied im Indizienbeweis gewertet werden.
8) Verhandlungen des 5. internationalen Zoologenkongresses zu Berlin 1902,
S. 788 und Die Ammonitenfauna der Mungokalke und das zoologische Alter
der letzteren in EscH, Geologie v. Kamerun, S. 215. Stuttgart 1904.
Verh. d. Dtsch. Zool. Ges. 1912. | 23
354
bei Pseudotissotia, Oxynoticeras, Placenticeras und Ceratites. Be-
sonders letztere Gattung scheint ja nach der Beobachtung PrıLippr’s
die Auffassung Souser’s zu bestätigen, der die Größe des ersten
Laterallobus durch den beim Kriechen ausgeübten Zug bzw. durch
die größere Inanspruchnahme des Muskels erklärt, dessen An-
haftungsstelle eben dem 1. Laterallobus entspricht. Diese Erklärung
erscheint in der Tat recht einleuchtend, während die Frage,
wodurch die Reduktion der anderen Loben erfolgt, noch keines-
wees geklärt ist. Sorser nimmt an, daß die allmähliche Faltung
der Kammerscheidewände und die weitergehende Komplizierung der
Loben durch den Druck der Innenluft in den Kammern bedingt
sei, und daß dieser Innendruck bei Grundbewohnern durch den
Druck von außen kompensiert, sodann aber auch infolge ver-
minderten Stoffwechsels herabgesetzt sei.
Demgegenüber deutet die Komplikation der Lobenelemente bei
manchen flachscheibigen Formen, also solchen, die der Zusammen-
drückung besonders leicht ausgesetzt erscheinen, wie Pinacoceras,
darauf, daß die Fältelung, entsprechend dem Prinzip des Well-
blechs, als Funktion des äußeren Druckes aufzufassen ist. Als
eine Funktion des Außendruckes faBt sie auch E. Prarr') auf, der
die Frage noch unter einem anderen, sehr interessanten Gesichts-
punkte betrachtet. Die Faltung der Kammerscheidewand ist nach
ihm insofern eine Anpassung an den Wasserdruck, als dieser in
der Richtung auf die Septalfläche bei der Größenzunahme des Tieres
im Quadrat wächst, während der Umfang bei allseitig gleich-
mäßiger Zunahme ohne Faltung des Randes nur in einfachem
Verhältnis zunelmen würde. Durch die Faltung wird die Linie,
mit der das Septum der Außenschale anhaftet, erheblich verlängert
und die Kammerscheidewand gegen Abreiben infolge des Druckes
geschützt).
1) Über Form und Bau der Ammonitensepten und ihre Beziehungen zur
Suturlinie. 4. Jahresbericht d. niedersächs. geolog. Vereins zu Hannover 1911,
S. 208.
2) Wäre dieses Prinzip übrigens allein gültig, so müßte man bei den
Formen mit starker allseitiger Größenzunahme der Windungen die stärkste Zer-
schlitzung erwarten, insbesondere werden die Formen, bei denen das Wachstum
vorwiegend in einer Richtung erfolgt, wie bei den flachscheibigen in der Höhen-
richtung, bei denen also das Wachsen der Septalflächen und des Druckes auf
diese langsamer vor sich geht als bei allseitig vorwiegend gleichmäßig wachsenden,
eine geringere Zerschlitzung der Lobenlinie bzw. allgemein eine kürzere Loben-
linie zu erwarten sein, als bei den letzteren. Ein Vergleich von Pinacoceras
mit Lytoceras zeigt, daß diese Erklärung allein nicht ausreicht. Um die starke
ad J
are eee
S05 LA eth
NEN RET Art pie
wa.
355
Würde hiernach der erhöhte Außendruck eine Komplikation,
nicht aber eine Reduktion der Loben bewirken, so würde letztere
bei Grundbewohnern jedoch eintreten können, wenn der erhöhte
Druck in anderer Weise kompensiert oder gar etwa infolge pseudo-
spontaner Evolution’), durch Fortdauer der Reaktion auch nach
Fortfall bzw. Ausgleich des Anreizes, überkompensiert wird. Ein
solches Schutzmittel gegen den erhöhten Druck kann außer durch
die stärkere Zerschlitzung der Loben durch die Vermehrung der-
selben, Bildung von Auxiliar- oder Adventivloben, gegeben sein,
und so sehen wir in der Tat auch bei den von Sorncer erwähnten
Formen derartige Bildungen, die dann eine weitergehende Zer-
schlitzung überflüssig machen würden. Gegen den Seitendruck
würde als Schutzmittel eine Vermehrung der Scheidewände selbst
weiter in Frage kommen, sowie schließlich auch weitnablige Gestalt,
namentlich in Verbindung mit langsamer Größenzunahme der Win-
dungen, bei der durch die größere Zahl der letzteren die Quer-
stützen senkrecht zur Scheibenfläche vermehrt werden. Insofern
wird die Reduktion der Lobenlinie von Psiloceras planorbis gegen-
über seinem triadischen Vorfahr Psiloceras Naumanni, wie sie
NeumAyr erwähnt ?), verständlich. |
Gegenüber den Einzelformen, für die von PıLıprı und SoLeER
eine benthonische Lebensweise wahrscheinlich gemacht worden ist,
wird man umgekehrt wieder für andere Ammoniten eine frei-
schwimmende Lebensweise annehmen müssen. Frecm macht in
seiner Abhandlung über devonische Ammoneen?) auf den Gegensatz
allgemein verbreiteter und lokaler Formen aufmerksam und schließt
hieraus, daß die ersteren pelagische Schwimmer, die anderen Boden-
bewohner gewesen seien. Er betont dann auch an anderer Stelle *)
besonders das massenhafte lokale Vorkommen z. B. von Lobiten
in St. Cassian und Hallstatt, „wie man es bei Kolonien grund-
bewohnender Tiere des heutigen Meeresbodens gewohnt ist“. Be-
sonders beachtenswert scheint dabei auch in der ersteren Abhandlung
der Hinweis auf die evolute flach scheibenförmige Gestalt der
=
Zerschlitzung bei ersterer Gattung zu erklaren, wird man daher auch das andere
oben genannte Prinzip, Schutzanpassung gegen den fiir flachscheibige Formen
besonders gefährlichen Seitendruck, zu Hilfe nehmen müssen.
1) Vgl. hierüber M. SEMPER, Uber Artenbildung durch pseudospontane
Evolution. Centralbl. f. Min. ete. 1912, S. 140.
2) Stämme des Tierreichs. 1889, S. 85.
8) A:a.0. S. 91.
4) Cephalopoden d. südl. Bakony, S, 65.
23*
356
meisten dieser Lokalformen, die der Zerstörung durch Wellen und
Strömungen ganz besonders ausgesetzt gewesen seien.
Man kann nun wohl auch versuchen, der Frage von einem
anderen Gesichtspunkte aus näherzutreten. Mutmaßlich leichteren
Formen wird man schwimmende, mutmaßlich schwereren,
durch ihr Kalkskelett stärker belasteten Formen bentho-
nische Lebensweise zuschreiben können.
So könnte man zunächst folgern, daß ein aufgeblähtes,
kugeliges Ammonitengehäuse leichter ist, als ein scheiben-
förmiges, das im Verhältnis zu seinem Rauminhalt mehr Schale
besitzt. Allerdings hat man andererseits auch gerade den entgegen- ; |
gesetzten Schluß gezogen und gerade die flachscheibigen, gekielten
Formen, weil zum Durchschneiden des Wassers besser geeignet,
als nektonische ansehen wollen!). Ein Vergleich mit den frei-
schwimmenden Heteropoden, wie Atlanta, scheint dieser Erwägung
auch günstig zu sein, doch ist zu beachten, daß die Schalen dieser
Tiere ja sehr viel dünner sind als Ammonitenschalen und daß
gerade bei flachscheibigen Ammoniten?) die Vermehrung der
Kammerscheidewände in Verbindung mit starker Faltung die Be-
deutung der Luftkammern für die Verringerung der Schwere ganz
illusorisch machen kann. Es soll natürlich auch keineswegs
etwa jeder aufgeblähte Ammonit schon durch seine Form
als Freischwimmer, jeder flachscheibige als Grund-
bewohner aufgefaßt werden, sondern es wird dies nur ein
Kriterium sein, das gleichmäßig in Verbindung mit den anderen ab-
zuwägen ist. Zieht man schließlich noch in Betracht, daß auch manche
Schwimmer unter den Ammoniten sich vielleicht zeitweise treiben
ließen, ja daß vielleicht bei manchen die nektonische Lebensweise
gegenüber einem passiven Schwimmen sogar zurückgetreten sein
kann, so wird für solche die aufgeblähte Form durchaus verständlich. |
Es werden sich sodann zunächst evolute Formen anders
verhalten, als involute, ein Gegensatz, auf den oben schon hin- —
gewiesen ist; eine evolute enthält mehr Schale, als eine sonst gleich _
umgrenzte und auch in dem Aufbau der Kammerscheidewände nicht
abweichende involute. Wiederum kann eine solche, der Zusammen- —
drückung besonders leicht ausgesetzte, weil seitlich nicht durch
so viele Windungsquerbalken gestützte Form in der Ausbildung ~ |
1) POMPECKJ, Über Ammonoideen mit anormaler Wohnkammer. Jahres-
hefte des Vereins für vaterländische Natugkunde in Württemberg, 50, 1893, S. 280.
2) Vgl. unten. © ; | | 3
357
der Kammerscheide ein Schutzmittel gegen seitliche Zusammen-
drückung erwerben und dadurch relativ schwerere Schale erhalten.
Dies kann geschehen, wie ebenfalls schon angedeutet, durch
Vermehrung der Loben; Hand in Hand damit geht oft noch eine
Vermehrung der Septen selbst. So werden die Luftkammern
kleiner, die Kalkmasse wird vermehrt und das ganze Tier wird
schwerer, wie schon bei dem obersilurischen und devonischen Beloceras
und später etwa bei Medlieottia, Agathiceras, Pseudosageceras und
Sageceras, wo es zu einem zalnartigen Ineinandergreifen der Loben-
elemente kommt’). Sehr auffallend ist dies bei Deneckeia. Während
bei den meisten Ammoniten die Zahl der Septen etwa 20—30 auf
den Umgang beträgt, wurden hier bei Stücken der Hallischen
Sammlung etwa 50 Scheidewände gezählt, zwischen denen sich nur
schmale Luftkammern befinden, so daß man kaum noch an eine
Schwimmfaihigkeit denken kann. Bei einem von Frece abgebildeten
Beloceras*) zählt man auf '/, Umgang sogar schon 10 Septen und
auch bei Ceratites geht die Zahl der Septen mitunter schon über
40 hinaus, wie die Figuren Pkunrr’s?) deutlich erkennen lassen.
Tritt zu der Vermehrung der Loben noch, wie z. B. bei Pinacoceras,
starke Zerschlitzung derselben als weiteres Schutzmittel gegen
Zusammendrückung, so wird die Schwere eine weitere geringe
Vermehrung erfahren, wenn sie sich natürlich auch nicht in gleichem
Maße steigern wird wie die durch die Faltung der Septen bedingte
Festigkeit, und so dürfte die Zerschlitzung für sich allein besonders
bei aufgeblähten Formen wohl keinen nennenswerten Einfluß auf
die Lebensweise haben.
Von erheblicher Wichtigkeit für die Frage dürfte ferner die
Größe des eigentlichen Tieres bzw. die Länge der Wohn-
kammer sein. Wenn bei einer Form ein bis eineinhalb Umgänge
von der Wohnkammer eingenommen werden, so kann der gekammerte,
luftgefüllte Teil unter die Hälfte des Gesamtvolumens herabsinken,
so daß der Auftrieb hierdurch eine ganz erhebliche Minderung er-
fahren wird, wenn der Betrag schließlich auch durch andere
besonders günstige Verhältnisse, etwa Aufblähung, weit ausein-
anderstehende, dünne Septen vielleicht kompensiert werden könnte.
Derartigen Tieren mit langer Wohnkammer wird man dann wohl
auch meist eine entsprechend gesteigerte Expansionsfähigkeit und
1) Vgl. NOETLING, Asiatische Trias. Leth. geogn. IL 1, Taf. 25 Fig. 1.
2) FRECH, Devonische Ammoneen, Taf. 5 Fig. 11.
3) Ceratiten des deutschen Muschelkalkes. Paläont. Abhandl. von DAMES
u. Koken, VIII 4.
358
damit die Möglichkeit leichten Auf- und Niedertauchens und sich
in verschiedener Tiefe zu bewegen, mit einiger Wahrscheinlichkeit
zusprechen können.
Da weiter nach Frecu’) die Tiere mit langer Wohnkammer
solche langsamen Wachstums sind, schnelles Wachstum dagegen
den Formen mit kurzer Wohnkammer eigen ist, eine langsam an
Windungsquerschnitt zunehmende Form aber mehr Kalk-
masse enthält, als eine gleichgroße mit schneller Größenzunahme,
so ist hierin noch ein weiteres die Schwere des Tieres steigerndes
Moment gegeben.
Schließlich ist noch als letzter für die Beschwerung in Betracht
kommender Faktor das gelegentlich auch bei Ammoniten — häufiger
sonst bei Nautiliden, besonders Orthoceren — beobachtete sog.
„organische Depot“?) an den Kammerscheidewänden zu nennen).
Es ist übrigens bei Bemessung der oben genannten Merkmale ins-
besondere der äußeren Form zu beachten, daß sich Jugendformen
vielfach ganz anders verhalten haben dürften, als ausgewachsene
Stücke, und sehr wohl könnten in der Jugend aufgeblähte, später
flachscheibige Formen zuerst Schwimmer, dann Bodenbewohner
gewesen sein, namentlich dann, wenn im Alter ihre Wohnkammer ~
eine „anormale“ geworden ist, wie ja vor allem auch die Larven
durch planktonische Verfrachtung eine sehr ausgedehnte Verbreitung
erlangt haben können.
Wird man somit auf Grund der angegebenen Gesichtspunkte
ganz allgemein zwischen leichter beweglichen und schwereren
Formen unterscheiden müssen, so ist es doch nicht gerade häufig
möglich, daraufhin einen Wahrscheinlichkeitsschluß auf die Lebens-
weise zu ziehen.
1) FREcH, Cephalopoden d. südl. Bakony, S. 4.
2) Vgl. HoERNES, Zur Ontogenie u. Phylogenie der Cephalopoden. Jahrb.
d. k. k. Reichsanst. 53, 1903, S. 23.
3) Bei Besprechung dieses Gegenstandes im naturwissenschaftlichen Verein
zu Halle a. S. wurde von einem Redner auch auf die Bedeutung der Skulptur
unter Bezugnahme auf die grundbewohnenden Schnecken hingewiesen. Unter
dem hier herangezogenen Gesichtspunkte wird sich diese aber kaum verwerten
lassen, da Rippen und Knoten der Ammoniten ja hohl, so daß die Kalk-
vermehrung durch Skulptur nur eine unwesentliche Rolle spielen kann. Daß
deutlich skulpturierte Formen auch gute Schwimmer sein können, zeigt ja
Argonauta, wenngleich hier die dünne Schale dem Tiere zugute kommt. Hat
sich die Skulptur allerdings ins Extrem gesteigert und haben sich etwa die
Knoten zu Dornen ausgewachsen, so ist es dann von vornherein sehr wahr-
scheinlich, daß der Träger derselben kein Schwimmer, sondern ein Grund-
bewohner war.
359
Nur Grundbewohner und Schwimmer zu unterscheiden,
wird überhaupt kaum angängig sein. Wie unser Nautilus
am Meeresgrunde lebt, aber auch in die Höhe geht und sich als
Öberflächenschwimmer betätigt, so wird man auch bei den Ammo-
niten neben rein benthonischen Formen, die vielleicht gar nicht
mehr die Möglichkeit besaßen, sich vom Grund zu erheben,
mit solchen rechnen können, die.an sich vorzugsweise benthonisch
lebten, vielleicht z. T. auch als Grundschwimmer, aber auch an
die Oberfläche stiegen oder sich vielleicht auch gelegentlich im
Wasser treiben ließen; weitere Formen waren dann vielleicht aus-
geprägter nektonisch und gingen nur seltener in die Tiefe. Fraglich
erscheint es, ob neben diesen dann noch rein nektonische gelebt
haben '), da solche Tiere eine ganz dünne Schale zu haben pflegen ?)
(Argonauta, Heteropoden, Pteropoden). Einen Schluß also, welcher
Gruppe die einzelnen Formen zuzurechnen sind, wird man über-
haupt nur wagen können, wenn Extreme vorliegen und
sich etwa Scheibenform mit Weitnabligkeit oder mit Vermehrung
der Scheidewände und Loben sowie langer Wohnkammer verbindet
oder wenn wenigstens beim Fehlen eines dieser Merkmale die
anderen dafür noch stärker nach der einen Richtung hin ausge-
bildet sind. Es ist dann der Wert der einzelnen Merkmale gegen-
einander abzuwägen, doch bleibt natürlich dem subjektiven Urteil
schon viel Spielraum.
Bei den flachscheibigen oben genannten Formen mit großer Septen-
zahl, wie Sageceras, Beneckeia usw., wird man wohl benthonische
Lebensweise folgern dürfen; die Engnabligkeit wird gegenüber der
sehr flachen Scheibenform, der Vermehrung der Loben und Scheide-
wände wohl ganz für die Beurteilung zurücktreten. Etwas schwieriger
erscheint die Frage, wenn etwa Scheibenform sich mit weitem
Nabel verbindet, ohne daß die Zahl der Kammerscheidewände und
Loben sich wesentlich vermehrt, wie etwa bei Clymenia, Psiloceras,
Arietites, Aegoceras, Coeloceras, Perisphinctes, Peltoceras, bei denen
ich persönlich immer noch an Grundbewohner denken möchte, oder
gar nur Scheibenform auf der anderen Seite aber enger Nabel und
eine ungefähr normale Zahl der Scheidewände vorhanden ist, wie
1) Wenn in folgendem kurzweg von Schwimmern unter den Ammoniten
die Rede ist, so sollen hiermit vor allem auch die nur vorwiegend nektonischen
Formen gekennzeichnet werden, wobei die Möglichkeit, daß die Tiere auch zeit-
weise den Boden des Meeres aufsuchten, nicht in Abrede gestellt wird.
2) v. MARTENS, Zeitschr. d. deutsch. geol. Gesellsch., Sitzungsber. 54, 1902,
>. 97.
360
etwa bei Amaltheus, Cardioceras, Oxynoticeras, Leioceras, Placenti- E
ceras USW. oe
Umgekehrt würde man nach obigem vielleicht bei aufgeblahten
ganz extrem involuten Formen, wie Arcestes oder Cyclolobus, ebenso
auf nektonische Lebensweise schließen können, wenn nicht bei diesen
Gattungen wieder die sehr lange Wohnkammer bzw. die große Länge ~
des Tieres mit 1'/, Umgängen ein gewisses Gegengewicht bildete,
das für die Betrachtung mit eingestellt werden muß, wenn uns auch
das Urteil fehlt, bis zu welchem Grade es hierbei von Bedeutung
ist, und wie weit die beiden Merkmale sich ausgleichen. Dasselbe
gilt auch für Glyphioceras, dessen Wohnkammer ebenfalls mehr —
als einen Umgang einnehmen kann. Als gute Schwimmer könnten
sodann wohl Macrocephalites, Cadoceras u. a. von ähnlichem Typ
angesehen werden. :
Verbindet sich die dicke Form mit etwas weiterem Nabel, wie
etwa bei Stephanoceras, so wird sich dann das Urteil noch weniger
leicht gestalten. Es sind also die verschiedensten Kombinationen
möglich, nur die extreme Vermehrung der Scheidewände scheint als
Schutzanpassung einigermaßen an die Scheibenform gebunden.
Es liegt nahe, den von Frecnu ausgesprochenen Gedanken |
bezüglich der lokalen oder universellen Verbreitung der benthonischen
oder nektonischen Ammoniten und die hier gegebenen morphologischen
Gesichtspunkte aneinander zu kontrollieren, also nachzuprüfen,
inwieweit sich Formen mit mutmaßlich als benthonisch
gekennzeichneten Merkmalen als Lokalformen, Formen
von mutmaßlich nektonischem Bau als weitverbreitat er-
weisen. | :
Dabei bleibt indes zu beachten, daß einerseits benthonische
Tiere mitunter auch eine recht weite Verbreitung haben können,
wie umgekehrt die Schwimmfähigkeit eines Tieres ihm keineswegs
auch immer die Möglichkeit zu weiten Wanderungen gibt, wenn
man auch wohl im großen ganzen anerkennen muß, daß pelagische
Formen größere Aussicht auf weite Verbreitung haben. alsbenthonische.
Bekannt ist von benthonischen Tieren die universelle Verbreitung
mancher Brachiopoden und Zweischaler. Spirifer Vernewili findet
sich im Oberdevon fast der ganzen Erde, in Europa, in Ostasien
wie Amerika. Eine ganze Reihe Brachiopoden des periarktischen
Obersilurmeeres, wie Spirifer plicatellus und crispus, Orthis elegantula,
Pentamerus Knighti und oblongus, finden sich auch im australischen
Obersilur’), Cardiola interrupta zeigt bekanntlich gleichfalls eine
1) FRECH, Leth. geogn. IL., 1, S. 111.
+
361
sehr ausgedehnte Verbreitung, das Gleiche gilt von der Gattung
Halobia, und ganz außerordentliche Verbreitung zeigt Psewdomonotis
ochotica, die sich in der pelagischen Trias einerseits von Sibirien
und Alaska, andererseits in Peru und Neuseeland wiederfindet').
Bedingung für ein derartiges Vorkommen ist nur entweder eine aus-
gedehnte Küste oder das Vorkommen von Inselgruppen, das dem
Tiere Gelegenheit gibt, in der ihm zukommenden Tiefe sich aus-
zubreiten oder eine gewisse. Standhaftigkeit der Larven gegen
Meeresströmungen, sowie schließlich die Eigenschaft, auch unter ab-
weichenden Verhältnissen weiter zu leben und sich fortzupflanzen.
Wenn die heutige Rhynchonellenlarve nach etwa einer Woche in
der Strömung zugrunde geht, so würde dies der Verbreitung keinen
Eintrag tun, falls sie imstande ist, sich innerhalb dieser Zeit an
einem passenden, vor allem auch klimatisch günstigen neuen Wohn-
platz anzusiedeln. Dabei bleibt für die Vorzeit nur die Frage offen,
ob man wirklich berechtigt ist, alle diese Formen als wirklich
absolut oder doch fast vollständig gleichalterig zu betrachten.
In gleicher Weise ist ein nektonisches Tier nicht immer in der
Lage, seine Schwimmfähigkeit auf jede beliebige Entfernung hin voll
auszunutzen. Wir wissen aus Gegenwart und Vorzeit, daß manche
Schwimmer nur in beschränkteren Verbreitungsbezirken zu finden
sind. Allein in Fällen von lokalen Anhäufungen von Indi-
viduen einer Art, wie in dem von Frzc# genannten Falle des Vor-
kommens von Lobites bei St. Cassian und Hallstatt wird man mit
einiger Sicherheit auf Grundbewohner schließen können.
Insofern würde auch eine schöne Platte mit Arieten des Hallischen
geologischen Museums eine Bestätigung der oben geäußerten Ansicht
einer benthonischen Lebensweise dieser Gattung bilden?). Aller-
dings bleibt auch dann immer noch die Möglichkeit offen, daß die
Tiere zeitweise auch wie unser Nautilus emportauchten, um sich
als Schwimmer zu betätigen. Bei Lobites wäre etwa ein Fall
gegeben, wo, um die äußere Form und die Lebensverhältnisse in
Einklang zu bringen, die Aufblähung durch die Länge der Wohn-
kammer und die allmähliche Größenzunahme der Windungen über-
kompensiert gedacht werden könnte. Übrigens weist auch Frucu
1) MoJsısovIcz, Cephalopoden der oberen Trias des Himalaya. Denk-
schriften d. Kaiserl. Akad. d. Wissensch. math.-naturw. Kl. 63, 1896, S. 692.
2) Stücke ähnlicher Art werden in den meisten geologischen Instituten
vorhanden sein. Es wäre wünschenswert, nachzuprüfen, ob die oben dargelegten
Erwägungen auf morphologischer Grundlage durch derartige Stücke eine Stütze
erhalten.
362
selbst darauf hin, daß gelegentlich lokale Formen „als in Bildung
begriffene Arten pelagischer Gruppen“ aufgefaßt werden können,
„welche infolge ungünstiger Umstände keine weitere Verbreitung
erfahren haben“, indem er zwischen derartigen lokalen Arten oder
Varietäten verbreiteter Gruppen und lokalen benthonischen Gattungen
unterschieden wissen will; aber was von diesen Arten gilt, kann
auch bis zu einem gewissen Grade für die nächst höhere syste-
matische Kategorie, für Gattungen, die ein bestimmtes, vielleicht
gar nicht so kleines Gebiet bewohnen, in Anspruch genommen
werden.
Diese beschränkte Ausbreitung pelagischer Tiere kann be-
dingt sein unmittelbar durch klimatische Empfindlichkeit des
Tieres, wobei Tiere aus einer kälteren Zone durch Passieren einer
wärmeren Zone in größerer Tiefe immerhin sich auch durch diese
ausbreiten können, während Oberflächenschwimmer wärmerer
Klimate, wenn klimaempfindlich, geringere Gelegenheit — bis zu
einem gewissen Grade etwa durch warme Strömungen — zur Aus-
breitung haben. Andererseits können die Tiere aber auch noch
mittelbar durch ihre Nahrungsbezirke in ihrer Verbreitung, be-
schränkt sein. Nahrungspezialisten können aus ihrem Wohnbezirk
nicht heraus, wenn nicht auch ihr Nahrungsbezirk etwa infolge
irgendwelcher erdgeschichtlichen Vorgänge wandert, und ebenso wird
auch bei diesen den anderen zur Nahrung dienenden Tieren wieder
die gleiche Betrachtungsweise einsetzen, je nachdem sie selbst wieder
klimaempfindlich und Nahrungsspezialisten sind, und wird schließlich
bei den Pflanzen endigen. Immerhin aber ist nicht jedes Tier
übermäßig klimaempfindlich, nicht jedes Nahrungsspezialist, und so
wird einem Teil der Freischwimmer auch unter den Ammoniten
für die Ausbreitung seine Schwimmfähigkeit zugute kommen und
notwendigerweise wird in solchem Falle der Freischwimmer
eine schnellere Ausbreitung erfahren, als der Grundbewohner.
Das Problem verschiebt sich damit insofern, als es weniger auf die
lokale oder universelle Verbreitung als vielmehr auf die Schnelligkeit
der Ausbreitung anzukommen scheint, doch ist auch dieses Kriterium
sehr weitgehenden Einschränkungen unterworfen. Es bliebe zu
untersuchen, ob die Formen, denen auf Grund der oben genannten
morphologischen Merkmale eine Lebensweise als Schwimmer zu-
geschrieben würde, eine schnellere Ausbreitung erfahren haben als
andere, bei denen das Entgegengesetzte der Fall; hier aber sind
wir in den allermeisten Fällen zu einer Entscheidung nicht in der
Lage, inwieweit zwei Ablagerungen räumlich getrennter Gegenden
iy Pas
N RT WAN FREE
363
wirklich ganz isochron sind. Wenn selbst einzelne Arten, wie
Pinacoceras parma, in den Alpen und Indien in einer Unterstufe,
der lacischen, vorkommen, so kann einem Tiere wie diesem, das
seinem Habitus nach oben als Grundbewohner angesehen wurde,
doch noch ein verhältnismäßig langer Zeitraum innerhalb dieser
Unterstufe zur Verfügung stehen, der zur Ausbreitung auf den
angedeuteten Wegen wohl genügen kénnte’).
Andererseits bleibt im Falle von Heterochronie zweier Ab-
lagerungen mit übereinstimmenden Gattungen oder Arten die
Möglichkeit, daß auch Freischwimmer zunächst aus den oben ge-
nannten Gründen nicht in der Lage waren, sich auszubreiten, und
daß erst Verhältnisse eintraten, die ihnen weitere Verbreitung er-
möglichten, wie auch die Bedingungen, die dem Tier eine Wanderung
gestatteten, wieder aufgehört haben können. So wandern, wie er-
wähnt, die Macrocephalen, die man nach oben Gesagtem als
Schwimmer ansprechen könnte, in der bei uns nach dieser Gattung
benannten Zone aus dem indischen Meere in Europa ein, dann aber
hört diese Wanderung wieder auf, die Macrocephalen leben nur in
Indien noch weiter.
In gleicher Weise zeigt sich in den Alpen nach Moystsovicz?)
Trachyceras zuletzt in der julischen Fauna, während die Gattung
in Indien sowohl als Kalifornien noch eine Unterstufe höher, bis
in die tuvalische hinaufreicht. Umgekehrt geht wieder in Indien
Cladiscites nicht über die karnische Stufe hinaus, dagegen ist er
in den Alpen bis in die obere juvavische (sevatische Unterstufe)
zu finden?). Aus welchem Grunde der Austausch der betreffenden
Gattungen in den höheren Stufen, hier nach der einen, dort nach der
anderen Richtung hin, nicht weiter vor sich ging, läßt sich ja im
einzelnen Falle nicht sagen, jedenfalls bietet die Tatsache keinen
Widerspruch gegen die Annahme wenigstens zeitweise nektonischer
Lebensweise, die neben Macrocephalites dem Außeren nach auch
Cladiscites zukommen könnte, und auch die Annahme benthonischer
Lebensweise müßte mit einer Änderung der Ausbreitungsbedingungen
rechnen.
Wenn Aphyllites im Silur des Kellerwaldes nur lokale Ver-
breitung besitzt und erst im Devon sich weiter ausdehnt, so läßt
sich die langsame Wanderung auf Grund der äußeren Form wohl
1) Vgl. M. SEMPER, Die Grundlagen palaeogeographischer Untersuchungen.
Centralbl. f. Mineralogie etc. 1908, S. 434.
4) A. a, 0. 8. 694.
3) Weitere Beispiele dieser Art sind in dem gleichen Werke zu finden,
364
durch benthonische Lebensweise erklären; das Gleiche gilt von
Beloceras aus dem karnischen Obersilur?); auch Anarcestes praecursor
Frecu, ebendaher, könnte der äußeren Form nach vielleicht noch
als benthonische Form aufgefaßt werden, die deshalb sich nur
langsam verbreitete. Wird aber die gleiche Erklärung auch für
die daneben vorkommenden Tornoceren, besonders Tornoceras
inexspectatum, mit ihrer aufgeblähten Form und der extremen
Engnabligkeit gelten können?
Wenn ferner die Prolecanitiden, auf deren eigenartige Ver-
teilung Frec#?) aufmerksam gemacht hat, zunächst nur in Europa
im Mitteldevon und untersten Oberdevon vorhanden sind, sodann
abwandern und im mittleren Oberdevon in Nordamerika erscheinen,
um sich schließlich wieder von hier aus weiter auszubreiten, so daß
sie im Karbon in amerikanischen und europäischen Meeren vor-
handen sind, so könnte diese Erscheinung wohl gleichfalls als
langsame Wanderung eines benthonischen Formentypus, dem ihr
Äußeres entspricht, gedeutet werden; es würde aber, falls man der
äußeren Gestalt keinen Wert für die biologische Beurteilung bei-
messen will, schließlich an sich auch nichts im Wege stehen, ein
mehr oder weniger plötzliches Auswandern nektonischer Formen
infolge veränderter Lebensverhältnisse anzunehmen (ein Vorgang,
ohne den man ja auch unter der Voraussetzung benthonischer
Lebensweise nicht auskommen kann), und in ähnlicher Weise wäre
das bei der Rückwanderung möglich.
Die Verschiebung des Verbreitungsbezirkes einer Form inner-
halb eines längeren Zeitraumes ist also an sich nicht eindeutig.
Nur da, wo eine Ablagerung, die Ammoniten zusammen mit ben-
thonischen Formen anderer Tiergruppen enthält, von einer anderen,
offenbar in verschiedener Tiefe gebildeten überlagert wird, in der
diese Grundbewohner zusammen mit den fraglichen Ammoniten
verschwunden sind, während beide anderweitig fortleben, wo also
nur die Veränderung des Meeresspiegels die Ursache für das Ver-
schwinden beider bildete, wird mit einigem Recht auch darauf
geschlossen werden können, daß die Ammoniten ebenfalls benthonisch
und Bewohner einer gewissen Tiefe waren. Auf solche bethonischen
Faunenverschiebungen wird man besonders sein Augenmerk zu richten
haben. Dagegen werden nach dem Gesagten Schwimmer sich ge-
1) F. Frech, Karnische Alpen, S. 247, hier noch als unterdevonisch auf-
gefaßt, entsprechend dem sonstigen Vorkommen der Goniatiten; vgl. SCUPIN,
Zeitschrift d. deutsch. geol. Gesellsch., 58, 1906, S. 305. |
2) Lethaea palaeozoica Il 1, S. 254, Fußnote 4.
DR Ar 1 =
Fr Le Ten (Ts
365
legentlich ebenso langsam, unter ungünstigen Umständen sogar
vielleicht noch langsamer verbreiten Können, als Grundbewohner,
wenn sie den besprochenen einschränkenden Bedingungen unter-
liegen. So ist auch bei dem Zusammenvorkommen zweier Formen,
von denen die eine sich langsamer verbreitete, die andere schneller,
nicht nur die am nächsten liegende Möglichkeit vorhanden, daß
der eine Grundbewohner, der andere Schwimmer ist, sondern es
können beide Schwimmer sein, von denen jener erst mit dem
"Wandern seines Nahrungsbezirkes oder der klimatischen Ver-
hältnisse selbst wandern bzw. sich ausbreiten konnte oder mußte,
während diese Einschränkungen bei dem anderen Typus nicht vor-
handen waren. Für welche Auffassung man sich jeweilig zu ent-
scheiden hat, wird von dem Gewicht abhängen, das man den oben-
genannten Erwägungen betreffs der äußeren Form beilegen will.
Da diese zuletzt erwähnten Dinge nicht immer die nötige Be-
achtung gefunden haben, so schien es nicht überflüssig, hier noch
einmal ausdrücklich auf diesen speziellen Fall hinzuweisen.
Ein augenfälliges Beispiel verschieden schneller Wanderung
ist in der Verteilung der oberdevonischen, für die Gliederung mab-
gebenden Cephalopodenfauna gegeben. Wie schon oben erwähnt,
treten die Clymenien in Amerika schon im unteren Oberdevon zu-
sammen mit Gephyroceras intumescens auf. Während ich die
Clymenien mit ihrem weiten Nabel und der flachscheibenförmigen
Gestalt als typische Grundbewohner ansehen möchte, könnte man
Gephyroceras intumescens wohl noch eine zeitweise nektonische
Lebensweise zuschreiben. Es würde dann durchaus der verschiedenen
Lebensweise entsprechen, daß Gephyroceras bereits im unteren Ober-
devon in Amerika und Europa gleichzeitig vertreten ist, während
die Clymenien erst im oberen Oberdevon in Europa größere Ver-
breitung erlangen, nachdem sie sich zum ersten Male im mittleren
Oberdevon gezeigt haben!). Ein Beweis allerdings, daß diese ver-
schieden schnelle Ausbreitung durch die einerseits benthonische,
andererseits schwimmende Lebensweise bedingt sei, ist natürlich
nicht zu erbringen. Dagegen wird sie dem, der den genannten
morphologischen Merkmalen biologischen Wert in dem geschilderten
Sinne beizulegen geneigt ist, immerhin als eine gewisse Bestätigung
seiner Auffassung erscheinen können.
_ Fassen wir kurz zusammen, so wird eine eigentliche Kontrolle
der obigen Erwägungen durch die lokale oder allgemeine Ver-
1) GÜRICH, Das Palaeozoicum im polnischen Mittelgebirge. Verhandl. d.
k. russ. min. Gesellsch. 32, 1896, S. 92.
366
breitung nicht gegeben sein. Höherer Wert dürfte nur der lokalen
Anhäufung von Individuen als Merkmal benthonischer Lebensweise
zukommen. Ebenso kann auch die Schnelligkeit der Verbreitung
nur in ganz beschränktem Maße als Kriterium dienen, nämlich
dann, wenn die schnelle Verbreitung einer Form mit den ge-
nannten mutmaßlich nektonischen Merkmalen wirklich durch voll-
ständige Gleichalterigkeit entfernter Schichten, die diese Form ent-
halten, gesichert erscheint. Ein solcher Fall wird etwa gegeben
sein, wenn die verglichenen Schichten beiderseits auch andere Frei-
schwimmer oder planktonische Formen enthalten, namentlich dann,
wenn diese gegenüber den gemeinsamen benthonischen Formen der
verglichenen Gebiete einen gewissen zeitlichen Vorsprung haben. Aber
auch in diesem sehr idealen Falle wird zu prüfen sein, ob es sich
nicht um pseudo-planktonische Ammonitenschalen handelt, was dann
ausgeschlossen sein wird, wenn sich jeweilig lokale phylogenetische
Beziehungen feststellen lassen. Ob es allerdings extrem bentho-
nischen Formen von ganz flachscheibiger Gestalt mit vermehrten
Scheidewänden und Loben überhaupt möglich war, nach dem Tode
des Tieres noch aufzusteigen, ist eine andere Frage. Langsame
Verbreitung aber wird als Kontrolle überhaupt nicht verwert-
bar sein. Man wird sie nur, wenn man von vornherein auf
Grund der äußeren Form benthonische Lebensweise an-
nimmt, als Folgeerscheinung in Zusammenhang mit dieser
bringen können.
Die wenigen Beobachtungen an einzelnen Stücken passen jeden-
falls gut zu den Vermutungen, die auf Grund der Morphologie oben
geäußert wurden. Hoplitoides, für den Souerr auf Grund der er-
wähnten Spezialbeobachtungen eine benthonische Lebensweise annahm,
fällt wohl noch in den Rahmen der oben als benthonisch gekenn-
zeichneten Formen, wiewohl eine Vermehrung der Septen nicht zu
beobachten ist; Ceratitis nodosus, dessen benthonische Lebensweise
Prıuıprr auf Grund der auf ihm beobachteten und überwachsenen
austernartigen Muschel folgerte, würde auf Grund der Morphologie
vielleicht nicht unbedingt als benthonisch angesprochen werden,
immerhin doch aber als eine Mittelform gelten können, bei der
benthonische Charaktere überwiegen; und wenn man schließlich
auch die Nautiliden mit unserem Nautilus pompilius zum Ver-
gleich heranzieht, so würde man rein auf Grund der morpho-
logischen Merkmale diesem auch vielleicht eine Mittelstellung,
immerhin doch aber mit nektonischer Tendenz zusprechen. Wie
bekannt, lebt ja nun allerdings Nautilus pompilius vorwiegend am
N A
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ee ee TO MINT PONG 4
367
Meeresgrunde, und vielleicht könnte man daher, sofern ein Analogie-
schluß hierbei überhaupt gemacht werden kann, hieraus auch folgern,
daß bei Mittelformen eher auf Grundbewohner zu schließen ist,
wenn ihnen vielleicht auch die Möglichkeit gegeben war, empor-
zutauchen, so daß also höchstens bei Formen mit extrem
nektonischen Merkmalen wirklich auf vorwiegend schwimmende
Lebensweise geschlossen werden kann.
Inwieweit die hier angestellten Erwägungen durch Tatsachen
wahrscheinlicher gemacht oder bestätigt werden können, wird erst
die Zukunft durch weitere Einzelbeobachtungen zu lehren haben.
Diskussion:
Herr Prof. Jarren (Greifswald).
Herr Dr. Morrensen (Kopenhagen):
Uber eine sessile Ctenophore, Tjalfiella tristoma Mrtsn.
Das merkwürdige Tier (Fig. 1—2) wurde von Herrn An». S. Jensen
im Jahre 1908 im Umanak-Fjord, West-Grönland, in ca. 500 m Tiefe,
auf dem Stiele von Umbellula Lindahliv gefunden. Was zuerst auf-
Figur 1.
Junges Exemplar von Tjalfiella tristoma, ohne Embryonen. ?]..
fällt, ist die turmförmige Verlängerung an jedem Ende des Körpers,
aus deren terminalen Öffnung ein einfacher gelber Faden hervortritt.
Es ist diese Gestalt das Resultat einer Umbildung des Mundes.
Das Tier setzt sich mit dem Munde an dem Umbellula-Stiele fest,
und der Mund wird somit außer Funktion gesetzt; da es eine
368
Notwendigkeit ist, eine funktionelle Mundöffnung zu haben, hat das
Tier sich in der Weise geholfen, daß jede Mundecke nach oben
verlängert und zu einem Turm umgeformt wurde, an dessen oberen
Ende somit eine sekundäre Mundöffnung zu liegen kommt. Das
Tier hat somit in der Wirklichkeit drei Mundöffnungen, weshalb
es tristoma genannt wurde. Der gelbe Faden repräsentiert den
Tentakel, der ursprünglich in die Mundfurche mündet und somit
auch sekundär nach oben gerichtet wurde.
Die Organisation der Tjalfiella läßt sich übrigens auf den
gewöhnlichen Ctenophorentypus zurückführen, nur fehlen die
Figur 2.
Erwachsenes Exemplar von Tjalfiella tristoma, mit vielen Embryonen. ?/,.
br.c. Verästeltes Kanalsystem, e Embryonen, g Geschlechtsorgane, i Haut-Einsenkung (Sinnes-
organ?), t Tentakel, td Tentakelbasis.
Meridional- und Pharyngealgefäße; außerdem findet sich hier ein
eigentümliches, verästeltes Kanalsystem, das dem von Ctenoplana
und Coeloplana entspricht. Das Apicalorgan ist, in Übereinstimmung
mit der festsitzenden Lebensweise des Tieres, ganz rudimentär
geworden und die Polfelder scheinen ganz zu fehlen. Die Geschlechts-
organe sind höchst auffallend; es sind deren vier Paare vor-
handen, die an der Oberseite des Tieres paarig angeordnet sind
und ziemlich stark hervorspringen. Jedes Organ enthält, wie sonst
bei den Ctenophoren, sowohl Testis wie Ovarium, und zwar sind
die d- und o-Teile der Organe in der für die Ctenophoren eigen-
tümlichen Weise angeordnet. Jedes Organ enthält einen Hohlraum,
a
369
der mit dem Hauptkanal des Gastrovascularsystems in Verbindung
steht. Über jedem Geschlechtsorgan liegt eine grubenférmige Ein-
senkung; der eigentiimliche Bau des Epithels im Grunde der
Einsenkung deutet darauf, dab es ein Sinnesorgan ist; mit den
Genitalorganen steht es nicht in direkter Verbindung. Wimper-
platten fehlen vollständig, und das Tier ist somit außerstande,
sich frei zu bewegen; möglicherweise kann es auf seiner Unterlage
langsam dahingleiten. Die Muskulatur der Basalfläche scheint aber
nicht das Tier zu aktiven Kriechbewegungen zu befähigen. Es ist
also wirklich eine festsitzende Ctenophore, die hier entdeckt wurde.
Figur 3.
Embryo von Tjalfiella tristoma, zum Ausschlüpfen bereit. Von oben gesehen. ®/,.
Das Tier bietet auch in einer anderen Beziehung ein unter
den Ctenophoren einzig dastehendes Verhältnis: es ist vivipar.
Die freigewordenen Eier wandern — so muß man nach den
- anatomischen Befunden schließen — durch die Hauptkanäle des
9 Gastrovascularsystems in das verästelte Gefäßsystem der Haut, um
in den äußersten Ästen sich zu lagern, und hier wird dann für
jedes Ei ein Brutraum gebildet, in dem die ganze Entwicklung
sich vollzieht. Die Jungen nehmen die Form typischer Cydippen
an, mit wohlentwickelten Wimperplättchen (Fig. 3—4). Wenn dies
Stadium erreicht ist, brechen sie durch die Eihülle und die Körper-
haut des Muttertieres und schwimmen frei herum in gewöhnlicher
Verh. d. Dtsch. Zool. Ges. 1912. 24
370
Ctenophorenweise. Aber sehr bald setzen sie sich, mit dem Munde,
fest; die Wimperplättchen gehen verloren und die Umbildung in
die Gestalt des erwachsenen Tieres fängt an.
Was die Verwandtschaftsbeziehungen der Zyalfiella betrifft,
scheint es unzweifelhaft, daß sie mit Ctenoplana nahe verwandt
ist und somit zu den Platyctenida gehört. Trotz der auffallenden
Unterschiede in der Körpergestalt von Tjaljella und Ctenoplana
scheint es ganz unnötig, eine besondere Familie für Tjalfiella auf-
zustellen. Es liegen zwar Angaben vor (Wırzzy), nach denen
Ctenoplana sich in verschiedenen wichtigen anatomischen Verhält-
nissen ganz abweichend verhält (getrenntgeschlechtlich, mit eigenen
Figur 4.
Embryo von Tjalfiella tristoma, Seitenansicht. Dasselbe Stadium wie Fig. 3. 40)
oe. Oesophagus, s. Apicalorgan, t. Tentakel, innerhalb der Tentakelscheide (¢. sh.) aufgerollt,
t.o. Offnung der Tentakelscheide.
Ausführgängen der Geschlechtsorgane, Magendrüse, Chloragogen-
zellen, auffallend entwickeltes Muskelsystem); das scheint aber
alles auf Mißverständnissen zu beruhen.
In phylogenetischer Beziehung kommt der Tjalfiella eine große
Bedeutung zu. Bekanntlich haben Serenka und Lane die Theorie
aufgestellt, daß die Polycladen von den Ctenophoren her abstammen.
Diese Theorie ist neuerdings mehrfach angegriffen worden, besonders
von Wirrery, der behauptet, daß Ctenoplana und Coeloplana anstatt
Übergangsformen zwischen Ctenophoren und Polycladen zu re-
präsentieren, vielmehr sehr ursprüngliche Formen sind, von denen
»
“se. ee
371
einerseits die Polycladen, anderseits die Ctenophoren abstammen.
Die Befunde in der Anatomie und Entwicklung der Tjalfiella
sprechen in der entschiedensten Weise gegen Wırvey und für die
SELENKA-Lang’sche Theorie, deren Richtigkeit jetzt fast als definitiv
etabliert erscheint. Als Konsequenz davon werden wohl künftig
die Ctenophoren von den Coelenteraten abzutrennen und mit den
Plathelminthen zu vereinigen sein.
In bezug auf die Frage von der Entstehung der bilateralen
aus der radiären Körperform läßt sich aus der Tyalfiella etwas von
Bedeutung schließen. Als erstes Moment ist die Abflächung der
Hauptachse und deren Knickung durch die Vorwärtswanderung
des Apicalorgans (Gehirns) anzusehen, wie von Lane dargestellt.
Als nächstes Moment kommt dann eine Spaltung nach der Trans-
versalachse in der oralen Hälfte des Tieres. Dies kommt bei
Tjalfiella in der Bildung eines Paares großer oraler Loben (denen
der lobaten Ctenophoren offenbar entsprechend) zum Vorschein;
es ist mit der Innenseite dieser Loben, daß die junge Tjalfiella
sich festsetzt, indem die Loben auseinander geschlagen werden.
Ganz entsprechendes Verhältnis findet sich bei Ctenoplana. Bei
beiden Formen ist nur die Innenseite der Loben bewimpert, die
ganze äußere Haut ist nackt. Da nun bei Coeloplana ebenso die
ganze Unterseite bewimpert ist, die Oberseite aber nackt, liegt es
nahe zu schließen, daß die Unterseite auch hier der Innenseite von
einem Paare ausgebreiteten oralen Loben entspricht. Auch bei den
Polycladen läßt sich eine ähnliche Spaltung der oralen Seite vor-
finden, nämlich bei den pelagischen Larvenformen. Die Fortsätze
dieser Larven lassen sich ohne Schwierigkeit auf die transversalen
Loben von Tyalfiella und Ctenoplana zurückführen; auch hier kommt
ursprünglich Bewimperung nur auf der Innenseite der Loben vor.
Später differenzieren sich aus der allgemeinen Bewimperung der Loben
die Wimperbänder aus. Diese sind nicht als ein einziges, präorales
Band aufzufassen (Lane), sondern als zwei Bänder, ein präorales
und ein postorales. Hiermit würde auch der Ursprung der
zwei Wimperkränze der Trochophora-Larve gegeben sein;
auch die bewimperte Partie, die bei der Trochophora-Larve zwischen
den zwei Wimperkränzen liegt, bekommt durch diese Ableitung
seine natürliche Erklärung.
Für die genaue Darstellung der Anatomie, Entwicklung, Biologie
und Verwandtschaftsverhältnisse, sowie für die phylogenetischen
Erörterungen sei auf die ausführliche Arbeit in The Danish Ingolf-
Expedition, Vol. V. 2, Ctenophora, 1912, hingewiesen.
24*
372
Diskussion:
Frau Dr. Moser (Berlin).
Herr Dr. Morrensen.
Demonstrationen. p
Die Herren Prof. Hicker (Halle), Dr. Hurs (Berlin), Prof.
Harrmann (Berlin), Prof. Gebhardt (Halle) und Dr. Erhard
(München) demonstrierten Präparate zu ihren Vorträgen. Herr
Prof. Goldschmidt (München) erklärte an seinen Zuchten von
Schmetterlingen die Vererbung der sekundären Geschlechtscharaktere
und Herr Prof. Häcker (Halle) zeigte den seit 20 Jahren im
Zoologischen Institut lebenden Riesensalamander.
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Nach dem Schluß der Versammlung durch den Herrn Vor-
sitzenden sprach Herr Prof. Kuunzincer (Stuttgart) dem letzteren
für seine Leitung den Dank der Versammlung aus. |
Statuten
der
Deutsehen Zoologischen Gesellschaft
mit den Beschlüssen der Versammlungen vom 9. April 1894, vom 29. Mai 1896,
vom 10. Juni 1897, vom 11. August 1901 und vom 2. Juni 1909.
hag
Die „Deutsche Zoologische Gesellschaft“ ist eine Ver-
einigung auf dem Gebiete der Zoologie tätiger Forscher, welche den
Zweck verfolgt, die zoologische Wissenschaft zu fördern, die gemein-
samen Interessen zu wahren und die persönlichen Beziehungen der
Mitglieder zu pflegen.
§ 2.
Diesen Zweck sucht sie zu erreichen
a) durch jährlich einmal stattfindende Versammlungen zur Ab-
haltung von Vorträgen und Demonstrationen, zur Erstattung
von Referaten und zur Besprechung und Feststellung ge-
meinsam in Angriff zu nehmender Aufgaben.
b) durch Veröffentlichung von Berichten und anderen, in ihrem
Umfange vom Stande der Mittel der Gesellschaft abhängigen
gemeinsamen Arbeiten.
8 3.
Die Mitglieder der Gesellschaft sind ordentliche und außer-
ordentliche.
Ordentliches Mitglied kann jeder werden, der als Forscher
in irgendeinem Zweige der Zoologie hervorgetreten ist.
Außerordentliches Mitglied kann jeder Freund der Zoolo-
gie und der Bestrebungen der Gesellschaft werden, auch wenn er
sich nicht als Forscher betätigt hat. Die außerordentlichen Mit-
glieder haben in allen Angelegenheiten der Gesellschaft nur be-
ratende Stimme.
§ 4.
Anmeldungen zur Mitgliedschaft nimmt der Schriftführer
entgegen. Von der erfolgten Aufnahme durch den Vorstand macht er
374
dem Betreffenden Mitteilung. Der Vorstand entscheidet in zweifel-
haften Fällen, ob die Bedingungen zur Aufnahme erfüllt sind.
§ 5.
Jedes Mitglied zahlt zu Anfang des Geschäftsjahres, welches
mit dem 1. April beginnt und mit dem 31. März endet, einen Jahres-
beitrag von zehn bzw. fünf Mark e § 12 Abs. 3) an die Kasse
der Gesellschaft ').
Die Jahresbeiträge können durch eine einmalige Bezahlung von
einhundert Mark gelöst werden.
Wer im Laufe eines Geschäftsjahres eintritt, zahlt den vollen
Jahresbeitrag. |
Mitglieder, welche der Gesellschaft mindestens 10 Jahre angehört
und während dieser Zeit jährlich einen Beitrag von 10 Mark entrichtet
haben, können für die Zukunft ihre Beiträge durch eine einmalige
Zahlung von fünfzig Mark ablösen.
§ 6.
Der Austritt aus der Gesellschaft erfolgt auf Erklärung an
den Schriftführer oder durch Verweigerung der Beitragszahlung.
87,
Die Geschäfte der Gesellschaft werden von einem Vorstande
versehen. Derselbe besteht aus:
1. einem Vorsitzenden, welcher in den Versammlungen den
Vorsitz führt und die Oberleitung der Geschäfte hat,
2. drei stellvertretenden Vorsitzenden, welche in
schwierigen und zweifelhaften Fällen der Geschäftsführung
gemeinsam mit den beiden anderen Vorstandsmitgliedern
durch einfache Stimmenmehrheit entscheiden,
3. einem Schriftführer, welcher die laufenden Geschäfte
besorgt und die Kasse der Gesellschaft führt; er wird nach
Ermessen des Vorstandes honoriert.
§ 8.
Die Amtsdauer des Vorstandes erstreckt sich auf zwei
Kalenderjahre.
Wihrend ihrer Amtszeit ausscheidende Vorstandsmitglieder
werden vom Vorstande auf die Restzeit der Amtsdauer durch Zu-
wahl ersetzt.
1) Zu zahlen an die Filiale der Mitteldeutschen Kreditbank in Gießen,
Hessen.
ae. a eee ©
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375
89,
Der Schriftführer ist unbeschränkt wieder wählbar. Der Vor-
sitzende kann nach Ablauf seiner Amtszeit während der nächsten
zwei Wahlperioden nicht wieder Vorsitzender sein.
$ 10.
Die Wahl des Vorstandes geschieht durch Zettelabstimmung
der ordentlichen Mitglieder. Die Aufforderung dazu, sowie der Vor-
schlag des Vorstandes für das Amt des Schriftführers, un recht-
zeitig durch den Vorstand zu erfolgen.
Die Wahl geschieht in der Weise, daß jedes Mitglied bis zum
31. Dezember seinen Wahlzettel an den Vorsitzenden einsendet.
Zettel, welche nach dem 31. Dezember eingehen, sind ungültig. Der
Wahlzettel muß enthalten: 1. einen Namen für das Amt des Vor-
sitzenden und 2. drei Namen für die Ämter seiner drei Stellvertreter;
3. einen Namen für das Amt des Schriftführers. Diejenigen Mit-
glieder, auf welche die meisten Stimmen fielen, sind zum ersten bzw.
zweiten und dritten stellvertretenden Vorsitzenden gewählt.
Bei Stimmengleichheit für zwei oder mehere der Gewählten ent-
scheidet über deren Reihenfolge das Los.
Lehnen einer oder mehrere der Gewählten die Annahme der
Wahl ab, so ist sofort für die Stelle der Ablehnenden eine Ersatz-
wahl anzuordnen, die innerhalb 6 Wochen vorzunehmen ist.
Das Wahlergebnis stellt der Vorsitzende in Gegenwart eines
oder mehrerer Mitglieder der Gesellschaft fest; es wird unter An-
gabe der Stimmenzahlen im Vereinsorgan bekannt gemacht.
§ 11.
Der neugewählte Vorstand übernimmt die Leitung der Geschäfte,
sobald seine Wahl entsprechend den Vorschriften des § 10 vollzogen
ist. Bis dahin bleibt der frühere Vorstand im Amt.
§ 12.
Die Jahresversammlung beschließt über Ort und Zeit der
nächstjährigen Versammlung. In Ausnahmefällen, wenn unüberwind-
liche Hindernisse das Stattfinden der Versammlung an dem von der
vorjährigen Versammlung beschlossenen Orte oder zu der von ihr fest-
gesetzten Zeit unmöglich machen, kann der Vorstand beide bestimmen.
Die Vorbereitnng der Versammlungen und die Einladung dazu
besorgt der Vorstand. Er bestimmt auch die Dauer der Ver-
sammlungen.
376
Über jede Versammlung wird ein Bericht veröffentlicht. Von
diesem erhält jedes Mitglied, welches einen Jahresbeitrag: von 10 Mark
entrichtet oder gemäß § 5 Abs. 3 die Jahresbeiträge durch eine ein-
malige Zahlung abgelöst hat, ein Exemplar unentgeltlich.
§ 13.
Die Jahresbeiträge dienen zunächst zur Bestreitung der Un-
kosten, welche aus den in den vorhergehenden Paragraphen auf-
geführten Geschäften erwachsen.
Das Übrige wird auf Antrag des Vorstandes und nach Beschluß
der Jahresversammlung im Sinne des § 2, unter b, verwendet.
8 14.
Der Rechnungsabschluß des Geschäftsjahres wird von dem
Schriftführer der Jahresversammlung vorgelegt, welche auf Grund
der Prüfung der Rechnung durch zwei von ihr ernannte Revisoren
Beschluß faßt.
§ 15.
Als Organ für alle geschäftlichen Veröffentlichungen der Ge-
sellschaft dient der „Zoologische Anzeiger“.
§ 16.
Anträge auf Abänderung der Statuten müssen mindestens
zwei Monate vor der Jahresversammlung eingebracht und spätestens
einen Monat vor der Jahresversammlung den Mitgliedern besonders
bekannt gemacht werden. Zur Annahme solcher Anträge ist ?/,-Ma-
jorität der Anwesenden erforderlich.
§ 17.
Wird ein Antrag auf Auflösung der Gesellschaft gestellt,
so ist er vom Vorsitzenden zur schriftlichen Abstimmung zu bringen.
Die Auflösung ist beschlossen, wenn °/, aller Mitglieder dafür
stimmen. Die darauf folgende letzte Jahresversammlung entscheidet
über die Verwendung des Gesellschaftsvermögens.
Verzeichnis der Mitglieder 1911/12}).
= lebenslängliches Mitglied.
Die hinter dem Namen stehenden Zahlen bedeuten das Jahr des Eintritts.
(Etwaige Fehler sowie Änderungen von Adressen sind dem Schriftführer mitzuteilen.)
A. Ordentliche Mitglieder.
1. *v. Apathy, Professor Dr. St. (1890) . . . Kolozsvär (Klausenburg).
2. Apstein, Professor Dr. C. (1897) ..... Berlin N. 4, Zoolog. Institut,
Invalidenstr. 43.
3. Assmuth, P.Jos., S.J. St. Xaviers College (1909) Bombay.
Besnuckbach, Professor: Dr. (1911) . . fa as Karlsruhe, Großh. Museum.
5. Augener, Dr. Hermann (1906) ...... Hamburg, Bürgerweide 40.
6. Balss, Dr.H., Assistent am Zool. Museum (1909) München, Alte Akademie, Neu-
hauserstr.
7. Baltzer, Dr. F., Privatdozent (1908) . . . . Würzburg, Zoolog. Institut.
= Barthels, Dr. Ph. (1896).. oo. 2 ks « . . Königswinter a. Rh., Hauptstr.
9. Becher, Dr. S., Privatdozent (1912) . . . . Gießen, Zoolog. Institut.
10. van Bemmelen, Prof. Dr. (1912) . . . . . Groningen, Holland, Zoolog.
Institut.
Ei beremann, Dr. W. (1905) -. 2 «+ 8). - . Eigenheim bei Wiesbaden.
12. Berndt, Dr. Wilh., Abteilungsvorsteher am
Zoolog. Institut (1906) .... .. . Berlin N. 4, Invalidenstr. 43.
Pes blac ee cOt, Ber). -:: 5. Lausanne, Schweiz.
14. *Blanchard, Professor Dr. Raphael (1893) . Paris, 226 Boulev. St.-Germain.
15. *Blochmann, Professor Dr. Fr. (1891) . . . Tübingen.
16. *Böhmig, Professor Dr. L. (1891) ..... Graz, Morellenfeldg. 33.
sommer, 2r.-0.:(1908) 2.2. es - - . St. Julien bei Metz.
18. *Borgert, Professor Dr. A. (1896) . . . . . Bonn, Kaufmannstr. 45.
19. *Boveri, Professor Dr. Th. (1891)... . . Würzburg.
20. *Brandes, Professor Dr. G., Direktor des
Zoolog. Gartens (1891) SE ane Dresden.
21. *Brandt, Geh. Regierungsrat Professor Dr.K.
RE une: . Kiel, Düppelstr. 3.
22. *Brauer, Professor Dr. Aug., Direktor te
Zoologischen Museums (1891) . . . . Berlin N. 4, Invalidenstr. 43.
23. Braun, Geh. Regierungsrat Professor Dr. M.
a an « . Königsberg i. Pr., Zoolog. Mu-
seum.
24. *Bresslau, Professor Dr. Ernst (1902) . . . Straßburgi.E., Zoolog. Institut.
Zr Bzueh Proi Dre (1899). ........ Halle a. S., Zool, Institut.
Su yon, Dem. 41999) % 2...» Hamburg, Naturhist. Museum.
1) Abgeschlossen am 20. Juli 1912.
27.
28.
29.
30.
31.
32.
33.
34.
35.
36.
37.
38.
39.
40.
41.
42.
43.
44.
45.
46.
47.
48.
49.
50.
dl.
52.
53.
54.
55.
56.
57.
58.
59.
60.
378
Buchner, Dr. P., Privatdozent (1911)
*Bütschli, Geh. Hofrat Professor Dr. O. (1890)
*y, Buttel-Reepen, Professor Dr. H. (1902) .
*Chun, Geheimer Rat Professor Dr. C. (1890)
Collin, Professor Dr. Anton (1890)
Cori, Professor Dr, ©. J., Zoolog. Station (1891)
*Dahl, .Professor Dr. Fes 11892) Eu
*y. Dalla Torre, Professor Dr. K. W. (1890)
Dampt, Dr! A. Assistent. yey eS vee ere
Daudt, Dr. Wilhelm, Oberlehrer (1901)
Deegener, Professor Dr. P. (1902)
Demoll, Dr., Privatdozent u. Assistent am
Zoolog. Institut (1909)
Dieffenbach, Dr. (1912)
Dingler, Dr. Max (1908)
*Döderlein, Professor Dr. L. (1890) . . . .
*Doflein, Professor Dr. Franz
Dohrn, Professor Dr. Reinhard (1907) . . .
*Dreyer, Dr. Ludwig (1895)
*Driesch, Prof. Dr. Hans (1890)
Duncker, Dr. G. (1899)
Duncker, Dr. H., Oberlehrer (1912)... .
*Wekstein, Professor Dr. K. (1890) ....
Ehlers, Geh. Regierungsrat Professor Dr. E.
(1890)
Ehrmann, P., Seminaroberlehrer
“er ie, MO Bae Le, Marie
CAT Poly Pow Zr.)
a er 0) ane), eet omeie
eo. ££ C&S BOS .O > 18) Meal ie Gat ote key he wie
Eisig, Professor Dr. H. (1891)
Erdmann, Dr. Rh. Frl. (1910)
Erhard; Dri Habs (1912 a2 72 sa
Escherich, Dr. K., Professor. an der Forst-
akademie (1899)
*Field, Dr. Herbert H. (1892)
*Fleischmann, Professor Dr. A. (1903). . .
*Franz, Dr. Viktor (1907)
Freund, Dr. Ludwig, Privatdozent u. Assistent
am K. K. Tierärztlichen Institut der
Deutschen Universitat (1906)
Friederichs, Dr. Karl, Zoologe und Phytologe
beim” Kats. (Gouyern. som. “ors so) eae
*Friese, Dr. H. (1890)
. München, Zoolog. Institut Alte
Akademie.
Heidelberg.
Oldenburg, Gr.
Leipzig, Zoolog. Institut.
Berlin N. 4, Invalidenstr. 43,
Museum für Naturkunde.
Triest, Passeggio S. Andrea.
Berlin N. 4, Invalidenstr. 43,
Zool. Museum.
Innsbruck, Claudiastr. 6 IJ.
Königsberg i. Pr., Zool. Mus.
Mainz, Bingerstr. 15.
. Berlin N. 4, Invalidenstr. 43,
Zoolog. Institut.
GieBen.
Leipzig, Zool. Instit., Talstr.
Murnau, Villa Aumiiller Bayern.
Straßburg i. E., Illstaden 30.
Freiburg i. Br., Zool. Instit.
Neapel, Acquario.
Wiesbaden, Schubertstr. 1.
Heidelberg.
Hamburg, Naturhistor. Museum.
Bremen, Rheinstr. 6.
Eberswalde bei Berlin.
Göttingen.
Leipzig-Gohlis, Eisenacher
Straße 15.
Neapel, Acquario.
Berlin-Wilmersdorf,
Nassauische Str. 171.
München, Zoolog. Institut Alte
Akademie.
Tharandt.
Zürich-Neumünster.
Erlangen.
Frankfurt a. M., Neurologisches
Institut.
. Prag Il, Taborgasse 48.
Apia, Samoa.
Schwerin i. M., Kirchenstraße,
Friesenhaus.
EEE a N
379
61. *Frisch, Dr. K. v., Privatdozent (1911) . . München, Zoolog. Institut Alte
Akademie.
62. *Fritze, Prof. Dr. Ad., Abteilungsdirektor des
REMSERINS CLQOO)! 2 3 re & Hannover, Rumannstr. 13.
Go shulinetom OF. (1896)... 4... 0.0. ae Edinburgh, Fishery Board of
Scotland.
64. *Gaupp, Professor Dr. E. (1909)... 2... Königsberg i. Pr., Anatomie.
65. Gebhardt, Prof. Dr. F. A. M. W. (1912) . Halle a. S., Stephanstr. 11.
ne Gerhardt, Prof Dr Ulrich (1905) . 2... Breslau, Zoolog. Institut.
Orermp. Dr Gustar-(1912) 4... 0. . Halle a. S., Zoolog. Institut.
08. Giesbreeht, Dre WwW. (i894) . 7. 2.02%. Neapel, Acquario.
69. Glaue, Dr. Heinrich, Korvettenkapitän a. D.
ROSE RE Se a EEE GE . Kiel, Zoolog. Institut.
20. *Goette, Professor Dr. A. (18%) . . . . . Straßburg i. E., Spachallee.
71. Goldschmidt, Professor Dr. R. (1902) . . . München, Alte Akademie.
Beenden Dr» BR. OLD in! oe ee he a PM Frankfurt a. M., Speyerhaus.
73. *v. Graff, Hofrat Professor Dr. L. (1890) . Graz, Attemsgasse 24.
74. *Grobben, Professor Dr. ©. (1890) . . . . Wien XVIII, Anton-Frankg, 11.
75. *Gruber, Professor Dr. A. (1890) . . . =. Freiburg i. B., Stadtstr. 3.
76. Gruber, Dr. K., Privatdozent (1911). . . . München, Zoologisches Institut,
Alte Akademie.
MR runbere DRK 9089% 5 ana 5, Xe Berlin N. 4, Zoolog. Museum,
Invalidenstr. 43.
Ze Gruners Die. Max (901) 35 5... 00%. Berlin - Halensee, Hobrecht-
straße 10.
79. *de Guerne, Baron Jules (1893) ..... Paris, rue de Tournon 6.
80. Günther, Dr. Konrad, Privatdozent (1903) . Freiburg i. Br., Karlspl. 36.
Sly “Hacker, Professor Dr. V. (1891) . 2. > . Halle a. S., Zoolog. Institut.
82. Haempel, Dr. Oskar, Assistent an der K.K.
Landw. Chem. Versuchsstation Abt.
for’ ‚Fischerei (1908) 2. -.-. .. . . . Wien II, Trunner Straße 3.
» 83. *Hagmann, Dr. Gottfried (1909) .*. . +. Para, Nordbrasilien, Caixa
postal 31.
84. Hamann, Professor Dr..O. (1890) ... ... : Steglitz b. Berlin.
85. *Hamburger, Dr. Clara Frl., Assistent am
Zoolog. Institut (1906) . . ... . . Heidelberg.
86. Hammer; Dr: Ernst (1906)... . . 0%... Berlin W. 15, Konstanzer
Straße 81 II.
87. Hanssen Dr: P.:(1912). 2. .1.7. . . . . Leipzig, Zool. Instit., Talstr. 33.
88. v. Hanstein, Professor Dr. R. (1902) . . . Berlin-Gr.-Lichterfelde, Karl-
straße 40.
89. Harms, Dr. W., Privatdozent (1908) . . . Marburg (Bez. Cassel), Zoolog.
Institut.
90. Hartert, Dr. Ernst, Zoolog. Museum (1890) Tring, Herts., England.
91. *Hartlaub, Professor Dr. Cl. (1890) . . . . Helgoland, K. Biolog. Anstalt.
92. Hartmann, Professor Dr. M., Institut für In-
fektionskrankheiten (1902) ..... Frohnau b. Berlin.
95. =Hartmeyer, Dr Robert‘ (1899): . ... ..... Berlin N. 4, Invalidenstr. 43,
Zoolog. Museum.
94.
95.
96.
97.
98.
99.
100.
101.
102.
103.
104.
105.
106.
107.
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109.
110.
111.
112.
113.
114.
115.
116.
117:
118.
119.
120.
121.
122.
123.
124.
125.
386
Hase, Dr. A., Privatdozent (1912)
Hasse, Geh. Medizinalrat Professor Dr. C.
(1890)
*Hatschek, Professor Dr. B. (1891) .
*Heider, Professor Dr. K. (1892)
v. Heider, Professor Dr. Arthur R. (1894) .
Hein, Dr. W., Wissenschaftl. Mitglied der
K. Bayr. Biolog. Versuchsstation, Di-
rektor der Fischereischule Starnberg
(1905)
*Heincke, Geh. Regierungsrat Prof. Dr. Fr.,
Direktor der K. Biolog. Anstalt (1891)
Heine, Ferdinand, Amtsrat (1906)
a8 Ee Tee ve Se Fe Tee eee
oe “base ee ap 2 ee ee ee eee ee oe
Heinroth, Dr. 0: 4888) ».. 52 rm
Heller, Professor Dr. C. (1891)
*Hempelmann, Dr. F., Privatdozent (1905)
*Henking, Professor D. H. (1890)
Jena, Zoolog. Institut.
Breslau, Anatom. Institut.
Wien IX, Maximilianplatz U.
. Innsbruck, Falkstr. 14.
Graz, Maiffredygasse 2.
München, Franz Josefstr. 13.
Helgoland.
Kloster Hadmersleben, Reg.-
Bez. Magdeburg.
Berlin W. 62, Zoolog. Garten,
Kurfürstendamm 99.
Innsbruck, Tempelstr. 10.
Leipzig, Zoolog. Institut.
Gr.- Lichterfelde, Bellevue-
straße 13.
Hentschel, END 2 Hamburg, Naturhistor. Museum.
Herold, W., aot -Wilh.-Inst. f. gadis
(1912) ay ah Usage Ee TE . . Bromberg.
*Hertwig, Geh. Hofrat Professor De R.
(38905: :.. 2. dar München, Schackstr. 2.
Hess, Professor Dr. W. (1890) Hannover.
Hesse, Professor Dr. R. (1898) ..... Berlin N. 4, Invalidenstr. 42,
v. Heyden, Professor Dr. L., Major a. D. (1890)
*Heymons, Professor Dr. Richard (1892)
*Hilger, Dr. C. (1891)
Hilzheimer, Dr. M., Privatdozent a. d. Tech-
nischen Hochschule (1906) :
*Hofer, Professor Dr. Bruno (1894)... .
Hoffmann, Dr. K. R. (1908)
*Hoffmann, Prof. Dr. R. W. (1899)
Hoyle, William E., Direktor of the National
Museum of Wales (1903)
Hiieber, Dr. Th., Generaloberarzt a. D. (1903)
Imhof, Dr. O. Em. (1890)
Site! 2 a San a
oe. wk eae} Se ee
Jacobi, Professor Dr. Arnold, Direktor des
Kgl. Zoolog. Museums (1901) . . . .
*Jaekel, Professor Dr. O. (1893)
*Janet, Charles, Ingénieur des Arts et Manu-
factures (1897)
Janson, Prof. Dr. O. (1909)
Japha, Dr. Arnold, Privatdozent (1907)
oe aoa Ot Ot bia ae
Landwirtsch. Hochschule.
Bockenheim-Frankfurt a. M.
Berlin N. 4, Invalidenstr. 43,
Zoolog. Museuin.
Essen, Chausseestr. 12/14.
Stuttgart, Naturhistor. Museum.
München, Veterinärstr. 6.
Basel, St.-Alban-Anlage 27.
. Göttingen, Zuolog. Institut.
Cardiff, England.
Ulm, Heimstr. 7.
Windisch- Aargau b. Brugg
i. Schweiz.
Dresden-Altstadt, Zwinger.
Greifswald, Geolog. Institut.
Beauvais-Oise, Villa des Roses.
Cöln a. Rh., Naturhist. Museum.
Halle a. S., Zoolog. Institut.
126.
Kar.
128.
129.
130.
131.
132.
133.
134.
135.
136.
137.
138.
139.
140.
141.
142.
143.
144.
145.
146.
147.
148.
149,
150.
151.
152.
153.
154.
155.
156.
157.
158.
159.
160.
161:
162.
Jones, Dr... Vietor (OLE) +; A eS ee
Jordan, Prof. Dr. H. (1902) .
Jordan, Dr. K., Zoolog. Museum (1901)
Kaiser, Dr. Joh. (1891)
Kathariner, Professor Dr. L. (1902)
Kautzseh, Dr. G. (1910). .
*y, Kennel, Professor Dr. J. (1891)
*Klinkhardt, Dr. Werner (1907)
*Klunzinger, Professor Dr. C. B. (1890)
Kobelt, Professor Dr. W. (1890) .
*v. Koch, Professor Dr. G. (1890)
Pine Dr WEHT SIT N le su.
zKauler. Dr: Auf, (1892) :-: .. 2...
Köhler, Professor Dr. BR. (1897) . . .. .
*Kolbe, Professor H. J. (1892)
*Kollmann, Professor Dr. J. (1890)
*König, Professor Dr. A. (1890)
*Korschelt, Geh. Regierungsrat, Professor
Dr. E. (1891) a
Kraepelin, Professor Dr. C., Direktor des
Naturhistorischen Museums (1897) . .
Pera. Dir EI:21:.101896) he 5%.
Krimmel, Dr. Otto, Professor am höheren
Lehrerinnen-Seminar (1908)
Krüger, Dr. (1911)
er ey Te |
aa ce, “er, oe ar ae, u .
*Kühn, Dr. A., Privatdozent (1908)
Kükenthal, Professor Dr. W. (1893)
Künkel, Carl, Schulkommissär (1900) . . .
*y. Künssberg, Dr. Katharina Freifrau (1910)
Kuimmer,; Dr Olea: Bri (Q91T) 2
Lameere, Professor Dr. Aug. (1896)
Lampert, Oberstudienrat Professor Dr. K.
iSite it .
*Lang, Professor Dr. A. (1890) .....
Langhoffer, Professor Dr. Aug. (1901)
Lauterborn, Professor Dr. R. i. Heidelberg
SENT ORS Me a an ee
Lehmann, Professor Dr. Otto, Museums-
NE. TOMA EEE Pa
Beer WE We 4490S) EN...
v. Lendenfeld, Professor Dr. R. (1892) . .
Lenz, Professor Dr. H. (1890) ......
v. Linden, Professor Dr. Maria Gräfin (1902)
Miinchen, Alte Akademie, Zool.
Institut.
Tübingen, Mühlstraße 14.
Tring, Herts., England.
Leipzig-Lindenau, Merseburger
Straße 127.
Freiburg, Schweiz.
. Kiel, Zoolog. Institut.
Jurjew (Dorpat), Rußland.
Leipzig, Turnerstr. 22.
Stuttgart, Hölderlinstr.
Schwanheim a. M.
Darmstadt, Victoriastr. 49.
Stuttgart, Kriegsbergstr. 15.
Jena, Löbdergraben 11.
Lyon, 29 rue Guillard.
Berlin N. 4, Invalidenstr, 43,
Museum für Naturkunde.
Basel, St. Johann 88.
Bonn, Koblenzer Str. 164.
Marburg (Bez. Cassel).
Hamburg, Lübecker Str. 29.
Tübingen, Kaiserstr. 6.
Stuttgart, Neckarstr. 39 A.
Berlin N.4, Landwirtsch. Hoch-
schule, Zoolog. Institut.
Freiburg i. B., Reiterstr. 10.
Breslau, Zoologisches Institut,
Sternstraße.
Mannheim, Karl-Ludwigstr. 31.
Heidelberg, Bergstr.
Halle a. S., Zoolog. Institut.
Brüssel, 10 Avenue du Haut
Pont.
Stuttgart, Naturalienkabinett.
Ziirich LV Oberstraß, Rigistr. 50.
Zagreb (Kroatien).
Ludwigshafen a. Rh.
Altona.
Breisach i. B.
Prag.
Liibeck, Naturhist. Museum.
Bonn a. Rh., Quantiusstr. 13.
163.
164.
165.
166.
167.
168.
169.
170.
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172.
173.
174.
175.
176.
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178.
179.
180.
181.
182.
183.
184.
185.
186.
187.
188.
189.
190.
191.
192.
382
List, Professor Dr. Th., Landesmuseum und
Technische Hochschule (1903) . . . .
*Löhner, Dr. med. et phil. Privatdozent,
Leopold (1912)
eo. (let una, Doz oer me
Lohmann, Professor Dr. H. (1907) ....
*Looss, Professor Dr. A. (1891)
*Ludwig, Geh. Regierungsrat Professor Dr. H.
(1890)
*Lühe, Professor Dr. M. (1895)
*Maas, Professor Dr. O. (1891)
ra ae ey Se ote. eet Je aa fe
*Malsen, Dr. Hans Freiherr von (1906) . .
Marcus, Dr. K. (1912) .
*v. Marenzeller, Dr. Emil (1890)
Mark, Professor Dr. E. L. (1911)
Martin, Dr. Paul, Professor der Tieranatomie
an der Universität (1902)
*Martini, Dr. E., Privatdozent und Assistent
am Zoolog. Institut (1906)
Matschie, Paul, Professor (1899)
*Matzdorff, Dr. C., Direktor der V. Real-
schule (1891)
Meisenheimer, Professor Dr. Joh. (1897)
*Merton, Dr. Hugo (1907)
Metzger, Geh. Regierungsrat Professor Dr. A.
(1890)
Meyer, Dr. Werner (1910)
*Michaelsen, Professor Dr. W. (1897)
Milani, Oberförster Dr. Alfons (1893). . .
Moser, Dr. F. Hoppe-, Frau (1911)
*Mräzek, Professor Dr. Alois (1896)
*Müller, Professor Dr. G. W. (1892) . . .
Müller, Dr. K., Meereslaborat. (1912)...
*Nalepa, Professor Dr. A. (1891)
Neresheimer, Dr. Eugen, Abteilungsvorstand
an der K. K. Landwirtschaftl. Chem.
Versuchsstation (1903)
Neubauer, Dr. R. (1912)
*Nieden, Dr. Fritz (1909)
a, “ex “el Ps, “ut Biere
NiBlin, Hofrat Professor Dr. O. (1895) . .
Darmstadt, Stiftstr. 29.
Graz, Physiolog. Institut der
Universitat, Steiermark.
Kiel, Zoolog. Institut.
Cairo, School of Medicine.
Bonn, Colmantstr. 32.
Konigsberg i. Pr., Mitteltrag-
heim 4.
Miinchen, Zoolog. Institut, Alte
Akademie,
Malseneck, Post Kraiburg.
Bayern.
Jena, Zoolog. Institut.
Wien VIII, Tulpengasse 5,
k. k. Naturhist. Hofmuseum.
Cambridge, Mass. Harvard Univ.
Zool. Labor., U. S. A.
Gießen.
Tübingen.
Berlin N. 4, Invalidenstr. 43,
Zoolog. Museum.
Berlin NW. 5, Stephanstr. 2,
Jena, Zoolog. Institut.
Heidelberg, Zoolog. Institut.
Hann.-Münden, Bismarckstr. 7.
Hamburg 11, Hopfenmarkt 16.
Hamburg, Naturhist. Museum,
Eltville.
Berlin-Wilmersdorf, Kaiser-
allee 222.
Prag II, 1807 Fügnerplatz.
Greifswald, Brinkstr. 3.
Kiel, Karlstr. 42.
WienV 1, k.k.Staatsgymnasium.
Wien II, Trunner Str. 3.
Krosigk, Saalkreis.
Berlin N. 4, Invalidenstr. 43,
Zoolog. Museum.
Karlsruhe, Parkstr. 9.
193.
194.
195.
196.
197.
198.
199.
200.
201.
202.
203.
204.
205.
206.
207.
208.
209.
210.
211.
212.
213.
214.
215.
216.
217.
218.
219.
220.
221.
222.
223.
224.
225.
POY DSU Dr Paul tE98). u. Fo 2. 0.0 Berlin W. 57, Winterfeldstr. 12.
*Oka, Professor Dr. Asajiro (1896) . . . . Tokyo, Japan, Koto Shihan-
Gakko.
*Ortmann, Dr. Arnold E. (1890)7 . .. . Pittsburg, Pa., Carnegie Mu-
seum, Shenley Park.
*Papnenpemm, Dr. P: (1906) . .... a Berlin N. 4, Invalidenstr. 43,
Zoologisches Museum.
Pauly. ‚Professor Dr. A. (1894)... . . Ax. München, Rinmillerstr. 10 III.
Sr ontber Dr. A 1898) 27... so Wien I, k. k. Hofmuseum,
Burgring 7.
*Petersen, Mag. Wilh., Direktor der Petri-
Realschmlasttsg2)an 4900) "... 2". . Bonn a. Rh., Physiolog. Institut.
Rautber.. Dro Max (1905). Wy 2... 0.2. Jena, Zoolog. Institut.
Rawitz, Professor Dr. B. Saal EE hey ae Berlin W. 35, Blumes Hof 3.
ems br. det (1902): AA he ad Hamburg, Naturhistor. Museum.
Reibisch, Dr. J., Zoolog. Institut (1907) . Kiel, Adolfstr. 59 I.
*Reichenbach, Professor Dr. H. (1890) . . Frankfurt a. M., Unterlindau.
Reichenow, Dr. Eduard (1912) ..... Berlin-Friedenau, Lefevie-
straße 251.
Reichensperger, Dr. A., Privatdozent (1911) Bonn a. Rh., Zoolog. Institut.
*Rengel, Professor Dr. C. (1900) . . . . Berlin-Schöneberg, Stierstr. 19.
Reuß, Dr. Hans, Assistent an der Biolog.
Wersuchsstation (1906) 7 cc... München, Veterinärstr. 6.
*Rhumbler, Professor Dr. L. (1893) . . . Hann.-Münden, Forstakademie.
Richters; Prof. Dr. Ferd. (1890) ..... Frankfurt a. M., Wiesenau 22.
Rohde, Professor Dr. Pr (1905) 7:7... . Breslau, Zoolog. Institut.
*y. Rothschild, Baron Dr. W. (1900) . . . Tring, Herts., England.
Roux, Dr. Jean, Custos am Naturhist. Mu-
SOUMi (LOO) ler me. rt, Deere Basel.
*Roux, Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Wilh. (1895) Halle a. S., Anat. Institut.
. Sachse, Dr. R. (1912)
. *Samter, Dr. M. (1900)
. *Sarasin, Dr. Fritz (1890)
. *Sarasin, Dr. Paul (1890) .
. *Schaxel, Dr. Jul., Privatdozent und Assistent
. Schellack, Dr. C,
. *Spuler, Professor Dr. A. (1892)
. *Steche, Dr. med. et phil., Privatdozent (1907)
. Stechow, Dr. Eb. (1910)
eo’... vs ee WM er oT inte
am Zoolog. Institut (1910) .... .
. *Schauinsland, Professor Dr. H., Direktor
a Oe Kae el See lem Nes) aie
(1890)
a xe, Tea ee tee
. Schleip, Prof. Dr. Waldemar (1906)
. Schmeil, Professor: Dr: 0. AS 722.7.:
. *Schmidt, Privatdozent Dr. W. J. (1909) .
. *Schmitt, Prof. Dr. F. (1902)
. *Schreder,, Dr. Olaw (906). A ara
. Schuberg, Regierungsrat Professor Dr. A.
(1890)
. *Schuckmann, Dr. Wy. (1909) 7 228.
. Schultze, Professor Dr. L. S. (1897)
. *Schulze, Geh. Regierungsrat Professor Dr.
F. E. (1890)
. Schwalbe, Professor Dr. G. (1890) . . .\.
? Sehwangart, Prof Dr; F. 903)... -
. *Seitz, Professor Dr. A. (1891)
. de Selys Longchamps, Dr. Mare (1911). .
. *Semon, Professor Dr. R. (1898). ... .
. *Simroth, Professor Dr. H. (1890)
woldansgki, HI 2) 22 5,
. *Spangenberg, Professor Dr. Fr. (1890) .
. Spemann, Professor Dr. Hans (1900) . . .
. *Spengel, Geh. Hofrat Professor Dr. J. W.
(1890)
a 9 8. fe et © ep) Ree? eee ) ce tee
. ee # ee @
. *Steindachner, Hofrat Dr. Franz (1890). .
. Steinhaus, Dr. Otto, Assistent am Naturhist.
Museum (1899)
. Steinmann, Prof. Dr. Paul (1908)
Leipzig, Zoolog. Instit., Talstr.
Halensee- Berlin, Friedrichs-
ruher Str. 21.
' Spitalstr. 22.
Bremen, Humboldtstr.
Berlin-Gr.-Lichterfelde W.,
Bahnstr. 54.
Freiburg i. Br., Zoolog. Institut.
Heidelberg, Schloß Wolfs-
brunnenweg 29.
Bonn a. Rh., Zoolog. Institut.
München, Tierärztl. Hochsch.,
Veterinärstr, 6.
Heidelbeıg, Blumenthal Str. 26.
Berlin-Gr.-Lichterfelde-W est,
Knesebeckstr. 7.
Freiburg i. Br., Zoolog. Institut,
Kiel.
Berlin N. 4, Invalidenstr. 43,
Zoolog. Institut.
Straßburg i, E., Schwarzwald-
straße 39.
Neustadt a. H.
Darmstadt, Bismarckstr. 59.
Brüssel, 61 Avenue Jean Linden.
Miinchen 23, Martiusstr. 7.
Leipzig-Gautzsch, Kregelstr.12.
Berlin N. 4, Zoolog. Museum,
Invalidenstr. 43.
Aschaffenburg.
Rostock, Zoolog. Institut.
GieBen.
Erlangen, Heuwaagstr.
Leipzig, Zoolog. Institut.
München, Zoolog. Sammlungen,
Alte Akademie.
Wien J, Burgring 7, k. k. Hof-
museum.
Hamburg, Naturhist. Museum, -
Steinthorwall.
Aarau, Kantonschule, Schweiz.
258.
259.
260.
261.
262.
263.
264.
265.
266.
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268.
269.
270.
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273.
274.
275.
276.
277.
278.
279.
280.
281.
385
*Stempell, Professor Dr. W. (1899)
*Steuer, Professor Dr. Adolf, k. k. Zoolog.
Institut der Universität (1906)... .
*Stiles, Prof. Dr. Charles Wardell (1894) .
*Stitz, Herm., Lehrer (1900)
*zur Strassen, Professor Dr. O., Direktor des
Senckenbergischen Museums (1895)
Strodtmann, Direktor Dr. S. (1897)
*Strohl, Dr. Hans (1969)
Strubell, Professor Dr. Ad. (1891)
Studer, Professor Dr. (1911) .
v. Stummer-Traunfels, Dr. Rud. (1896).
Sturany, Dr. R., Kustos am k. k. Natur-
histor. Hofmuseum (1900) .
Süßbach, Dr. phil. (1905)
Taschenberg, Professor Dr. O. (1890). .
Teichmann, Dr. E. (1902) . .
Thesing, Dr. Curt (1906)
*Thiele, Professor Dr. Joh. (1891) . . . .
*Thienemann, Privatdozent Dr. Aug. (1912)
*Thorsch, Dr. Emil, Assistent am Anatom,
Institut der Deutschen Universität (1909)
Tönniges, Prof. Dr. Carl, Assistent am
Zoolog. Institut (1902) ......
Parner, Professor. Dr..G..(1905) 6. :
ides Pron. Dr a(i Gh a5 y. noo te be nop Slee
*Vanhöffen, Professor Dr. E. (1897)
Vejdovsky, Professor Dr. F. (1900)... .
Versluys, Professor Dr. J., Zoolog. Institut
I at ah Vee ees ar eal
282. Voeltzkow, Prof. Dr. (1911) - EEE cae
280. Voigt, Professor Dr; W. (1890)... . .
284. VoB, Dr. Friedrich, Privatdozent, Assistent
am Zoolog. Institut (1906) .....
Bern) OB ESEL) eS a). ns
286. Vosseler, Professor Dr. J., Direktor des
Zoologischen Gartens (1900)
Seinen apner, Dems (Ob) ie oo cae kd en >
288.
*y. Wagner, Professor Dr. Fr. (1890)
Verh. d. Dtsch. Zool. Ges. 1912.
. . Minster i. W.
Innsbruck, Tirol.
Washington, D. C., U. S. A.
Public Health and Marine
Hospital Service Hygienic
Laboratory.
Berlin NW., Essener Str. 4.
Frankfurt a. M., Senckenbergi-
sches Museum, Victoria-
allee 7.
Wilhelmsburg. a. Elbe.
Zürich, Zoolog. Institut.
Bonn, Niebuhrstr. 51.
Bern, Zoolog. Anstalt.
Graz, Zoolog. Institut.
Wien I, Burgring 7.
Breslau, Alexanderstr. 23.
Halle a. S.
Frankfurt a. M., Steinlestr. 33.
Leipzig, Teubners Verlag.
Berlin N. 4, Invalidenstr.
Zoolog. Museum.
Münster i. W., Landwirtschaft-
liche Versuchsstation.
43,
Prag.
Marburg (Bez. Cassel).
Berlin N. 4, Zoolog. Museum,
Invalidenstr. 43.
Hannover, Lavesstr. 28 III.
Berlin N. 4, Zoolog. Museum,
Invalidenstr. 43.
Prag, Zoolog. Instit. Bohm.
Universitat.
Gießen, Wilhelmstr. 41.
Berlin W. 30, Luitpoldstr. 3 IIT.
Bonn, Maarflachweg 4.
Gottingen.
Straßburg i. E., Zoolog. Instit.
Hamburg, Zoolog. Garten.
Riga (Rußland), Mühlenstr. 60.
Graz, Steiermark, Zool. Institut.
25
296.
297.
298.
299.
300.
301.
302.
303.
304.
305.
306.
307.
308.
309.
310.
311.
312.
313.
314.
. Wasmann, E. S. J. (1891)
386
. *Wahl, Professor Dr. Bruno, k. k. Land-
wirt.-bakteriol. Pflanzenstation (1900)
6 VAG py eu OL Sa oe
. Weber, Dr. L., Sanitätsrat, Leitender Arzt
am Krankenhaus vom Roten Kreuz (1904)
. #Weber, Professor Dr. Max (1890)... .
. *Weismann, Wirkl. Geh. Rat, Exzellenz,
Professor Dr. A. (1899)
. *Weltner, Professor Dr. W. (1890)... .
. Wenck, Wilhelm (Löbbecke-Museum, Natur-
historische Sammlung der Stadt Düssel-
dorf), Oberlehrer (1906)
N ee
Wilhelmi, Dr. J., wiss. Mitglied d. Kgl.
Prüfungs- und Untersuchungsanstalt
für Wasserversorgung und Abwässer-
beseitigung; H90b1 7... nr 2
Will, Professor Dr. L. (1890)
*Winter, F. (1901)
Wolf, Dr. Eugen (1904)
Wolff, Dr. Max (1910)
., © 0 Be
*Woltereck, Professor Dr. Rich. (1897) . |.
*W olterstorff, Dr. W., Kustos (1890) . . ..
Wülker, Dr. G. (1912) :
*Wunderlich, Dr. Ludw., Direktor des Zoolog.
Gartens (Soy). Te :
Zacharias, Professor Dr. 0;/ (907). 2722
*Zarnik, Dr. Boris, Privatdozent (1909)
*Zelinka, Professor Dr. K. (1890)
*Ziegler, Professor Dr. H. E. (1890) .. .
Zimmer, Prof. Dr. Carl, Kustos am Zoolog.
Institot LINIE
*Zschokke, Professor Dr. Fr. (1890)
*Zugmayer, Dr. Erich (1909)
ay er as, TR? |
Wien II, Trunnerstr. 1.
Valkenburg (L.) Holland,
Ignatius-Kolleg.
Kassel.
Eerbeck, Holland.
Freiburg i, B.
Berlin N. 4, Invalidenstr. 43,
Zoolog. Museum.
Diisseldorf-Grafenburg, Burg-
müllerstr. 16.
Berlin - Friedenau, Rubens-
straße 251.
Rostock.
Frankfurt a. M., Lithogra-
phische Kunstanstalt Werner
und Winter.
Süßen, Württemberg.
Bromberg - Schöttersdorf,
Promenadenstr. 121.
Leipzig-Gautzsch, Weberstr.
Magdeburg, Domplatz 5.
München, Zoolog. Staatssamm-
lung, Alte Akademie.
Köln-Riehl.
Plön-Holstein, Biolog. Station.
Würzburg, Zoolog. Institut.
Czernowitz, Österreich.
Stuttgart, Techn. Hochschule.
Breslau IX, Sternstr.
Basel, Zool. Anstalt.
München, Alte Akademie,
Zoolog. Staatssammlung.
‚B. Außerordentliche Mitglieder.
Nägele, Erwin, Verlagsbuchhändler (1904)
Sproesser, Dr. Th., Verlagsbuchhändler
(Schweizerbartsche Verlagsbuchhandl.
DODD) a ER
Kgl. Universitätsbibliothek (1911)
Stuttgart, Johannesstr. 3.
Stuttgart.
Bonn a. Rh.
Inhaltsverzeichnis.
Seite
Verzeichnis der anwesenden Mitglieder und Gäste. ........... 38
Kurze Übersicht über den Verlauf der Versammlung .......-.-. 4
Eröffnung der Versammlung und Begrüßungen . . . BE
Geschäftsbericht des Schriftführers und Wahl der ee pehäoren ER:
Referat des Herrn Prof. Lohmann: Die Probleme der modernen Plankton-
forschung... et nn ER |:
Vortrag des Herrn Dr. Becher: Zur Biologie der Trypanosomen . 109
Vortrag des Herrn Prof. Simroth: Über die Entstehung der Tunicaten 116
Vortrag des Herrn Dr. Schaxel: Zur Analysis des Spiraltypus der Anne-
lidenfurchung bei normalem und abnormem Verlauf . . .. . . . 150
Diskussion: Herr Prof. Brandes .. . er
Vortrag des Herrn Dr. Schellack: ee über ‘de Besser
aus Lithobius und Scolopendra . . . . 163
Vortrag des Herrn Prof. Gebhardt: Die eds ee Pitamontvancitne
im Schmetterlingsflügel im Lichte der Be Niederschläge
i Rollsiden . ...- =. Be Pi
Bericht des Herausgebers des T che al niet -Nomenclatoe, Hee
Prot. IB. Schulze... ', . 205
Bericht des Delegierten der Deutsch: Fool aes Hein Prof Be
über die Tätigkeit des deutschen Ausschusses für den mathematischen
und den naturwissenschaftlichen Unterricht im Jahre 1911... . . 209
es nachstemiV ersamımlungsortes =. 2. N... une... LD
Antrag des Bundes für Schulreform .......... ee el
Antrag des Herrn Prof. Braun, betr. Rs ftikznng Kar i Giusuolatdt und
Bericht des Schriftführers über die finanzielle Lage der Gesellschaft 211
Beratung über das Prioritätsgesetz . . . . Te rt
Vortrag des Herrn Dr. Hempelmann: Das Problem ic aeudates Pferde
des Herrn Krall in Elberfeld .... . 228
Diskussion: Herr Prof. Ziegler, Prof. zur ran. Dr. pP. Sr,
Dn Ehesing, Prom Pater 2... "934
Vortrag des Herrn Prof. Heider: Uber Organvorlagerungen Ba Fr Behr
nodermen-Metamorphose . . . . . 239
Vortrag des Herrn Dr. Baltzer: Über Kb; Batwicklungsgoschichte von
Bonelliaieer 59 Aree ee at.” ee ae SOROS
Diskussion: Herr Prof. ee ee GN ET, 20
Vortrag des Herrn Prof. Spengel: Einige Organisationsverhältnisse von
Sipunculusarten und ihre Bedeutung für die Systematik der Tiere 261
Diskussion: Herr Prof. Ziegler und Prof..Spengel ......-:.. .272
25%
388
Seite
Vortrag des Herrn Dr. Steche: Beobachtungen über die Geschlechtsunter- _
schiede der Hämolymphe von Insektenlarven . . ..... . 272.
Diskussion: die Herren Prof. Goldschmidt, Dr. Ben Dr. Steck
Dr. Schulze und Dr. Stechen: „ar a ea 280
Vortrag des Herrn Dr. Hanitzsch: Benne zur Entwicklene der
Narcomedusen ... en ee
Vortrag des Herrn Prof. rn ee een nr ein neues
Menschenpathogenes Protozoon (nur Titel) . a . 809
Demonstration der Herren Prof. Spengel, Dr. Baar. Prof. Rin Prof.
Heider, Prof. Schuberg und Prof. F. E. Schulze a eg 309
Bericht der Rechnungsrevisoren , u a. ne Sea ‘aie OOO: 3
Vortrag des Herrn Prof. Spengel: Uber den ante gewisser
Thalassema-Arten und seine Bedeutung für die Systematik der Tiere 309
Vortrag des Herrn Prof. Häcker: ask, über Elementareigen-
schaften, . . . owl Be SS
Diskussion: Herr Prof. Godson ies oe ip neg SURE i eee PRU es,
Vortrag von Frau Dr. F. Moser: Die Hatarfrlodken Spezialschw
und Geschlechtsglocken der i es ihre Entwicklung und
Bedeutung? „2. nz ee. ‘ . 320
Vortrag des Herrn Prof. Klunzinger: Über einige ee meiner Studien
über die Rundkrabben des Roten Meeres ..... .%. 0. Dune 333
Vortrag des Herrn Dr. Erhard: Die Verteilung und Tintatolianie des Gly-
kogens bei Helix pomatia nebst Bemerkungen über seine Be-
deutung bei Wirbellosen im allgemeinen . . . : . 344
Vortrag des Herrn Dr. Huth: Zur Hntwicklungsgeschichte Ir Thea
collen (nur Titel) . bv . 349
Vortrag des Herrn Prof. Wuelee Bericht über die Dinosaurier ine bei
Halberstadt (nur Titel).. .”. » . u... ee) „er no
Vortrag des Herrn Prof. Seupin: Welche ea waren pentiionteale
welche: Schwimmer . '.: m ao. 2) 0 ew 1% Sn So open ane
Diskussion: Herr Prof. Jaekel.... .... : ee ea
Vortrag des Herrn Dr. Mortensen: nee eine Be) N. ai
Diskussion: Frau Dr. Moser und Herr Dr. Mortensen ... 7 Be
Demonstrationen der Herren Prof. Hacker, Dr. Huth, Prof. ate
Prof. Gebhardt, Dr. Erhard, Prof. Goldschmidt. .. 27 @r22325
Schluß der Versammlung.... . Maret ram ee
Statuten der Gesellschaft : 5) . u. „u. 2 22.2 ae ee
Mitgliederverzeichnis . 2... » 12.7. 2 2... sa 2. Be.
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