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T^

^ VERMISCHTE

SCHRIFTEN

L. eOLDSCHMIDT,

OITSBUllT SDUI.

ZWEITER BAND.

BERLIN 1901.

J. GUTTENTAG, VERLAGSBUCHHANDLUNG,

6

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INHALT

DES ZWETTEN BANDES'.

'' I. Vebei die winenichalUklt« Bebandlong dei denachen HandeltMchti and den Zweck ia Zeitachiift für du gaammte Huidelirecht U858) (9J I

" 3. lUndeltKchl (geschichtliche Entwicklung) (i&gi) [39S] 37

3. Ucber die Benntiang nnd Bedentiiag der Beiathu^^iMokolU für die

Interpretation dei dcntschen HmdeliKCMtibncfai ^1866) [96] . . 53

4. UUcellen tu Theoiie der Weithpapiere (1S81) [135] 73

5. Tue Kiealionslheorie nnd d«i Enlwnrf einee Bflrgerlichei) Getetttracfai

für <Ui Dentiche Reich (1889) [381] 137

6. lahiber-, Order- und eiekatorische Utkanden im Itlasntcben Alter-

thnm {1889) [373] t6l

7. Unpritnge d«i MKUenechti. Inibeuindere : Senul (iSSz) (236]. . 309

8. Die GeschiftiopeTationen oaf den Messen der Champagne. (La

diiüioDS des foires de Champagne.) (1893) [300] 3>5

9. Ueber Edilionspflicbt , insbesondere betreffend gemeimcbafUiche Ur-

kunden nnd Handelibflcher. (Ein Rechtsgnlachten.) (1884) [344] 155

10. Alte nnd neue Fonoen der Handelageaellichafl. Voitng, gehalten

in der juristischen Gesellscban xa Berlin (1S92) [399] 331

11. Die Haftpflicht der Genossen und dos Umlageverbhren (1888) [367] 351 t-a. Das receplmn Dantarum, canpoDum, itabalarioram. Eiae geschicht- lich-dogmaliBche Abhandlung (1860) [38] 397

13. Znr Geschichte der Seeversicherung (18S5) [347] 503

Sachr^ister 534

Qoellenregiiler lu der Abhaodlnng : Grundlagen der Besitilehre (Bd. i Nr. l) 531

') Die in eckiger Klammer l>cfindliche Ziffer bezeichnet bei den schon frilher Teröffentlichten Schriften die Nammet der Schrift in dem Bd. IS. 1 ff. endulienen VeneichDisi.

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ÜBER DIE

WISSENSCHAFTLICHE BEHANDLUNG

DES

DEUTSCHEN HANDELSRECHTS

UND DEN

ZWECK DER ZEITSCHRIFT

pOr das

GESAMMTE HANDELSRECHT.

(18S&)

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Die Wissenschaft des Handelsrecbts ist gegenwärtig in einem erfreulichen Aufschwung begriffen. Es ist be- deutsam und leicht erklärlich, dass derselbe mit einer grossen, langersehnten nationalen That zusammentrifft : einem umfassen- den Gesetzgebungswerk, welches der beklagenswerthen und auf diesem Gebiete vorzugsweise empfindlichen Verschieden- heit deutschen Rechts ein Ende zu machen bestimmt ist. IDer Zusammenhang dieser Erscheinungen ist kein äusserlicher. Wie die Wucht der wirthschaftlichen Interessen den centrifugalen Hang der deutschen Stämme und Regierungen, welcher alle unsere Einheitsbestrebungen kläglich scheitern Hess, in die entgegengesetzte Bahn zwingt, so vermag sie auch den wider- strebenden Sinn des deutschen Juristenstandes zur eingehenden Prüfung der Rechtsprinzipien zu bestimmen, nach welchen unser heutiges Verkehrsleben sich regelt. Es lässt sich nicht vornehm ignoriren, was auf Schritt und Tritt begegnet und jeden IDenkenden zum Nachdenken anregt.

Mochten noch vor einem Measchenalter die Meister unserer Wissenschaft es unter ihrer Würde halten, den Erscheinungen der Gegenwart ihre fruchtlningende Aufmerksamkeit zuzuwenden, oder mochten sie, was wir lieber annehmen wollen, es für ihre nächste Aufgabe erachten, die Grundpfeiler des Privatrechts durch kritisch-historische Forschung zu sicherem Weiterbau blosszulegen : in beiden Beziehungen lässt sich ein Umschwung der Ueberzeugungen nicht verkennen, welcher dem Handels- recht in besonderem Maasse zu Gute kommt.

Es ist Zeit, Grosse Abschnitte sind noch immer völlig unbearbeitet, andere kaum in ihren GrundzUgen entwickelt, für andere kaum erst das Material mehr oder weniger kritisch gesammelt. Genügende monographische Darstellungen durch welche ja der wahre Fortschritt der Wissenschaft vor-

iOgIc

4 Ucbei die winenichaftliclie Behindlmig dei deaticlieii Huidelirechts

zugsweise ermöglicht wird vieler wichtiger Institute fehlen noch gänzlich, selbst von solchen, welche schon seit vielen Jahrhunderten in anerkannter Wirksamkeit bestehen, wie vom Kauf, der Handelssocietät, dem Konunissioos- und Speditions- geschäft, dem Frachtvertrag. Die Pflege des Handelsrechts auf den Pflanzstätten der Wissenschaft, den deutschen Uni- versitäten, steht noch gegenwärtig ausser allem Verhältniss zu der Wichtigkeit dieses Rechtszweiges. Einen eigenen Lehr- stuhl hat derselbe, meines Wissens, nirgends; Specialvorträge darüber sind verhältnissmässig selten ; ob und in welchem Um- fange er als Theil des »Deutschen Privatrechtsc, dem man ihn zugewiesen hat, Berücksichtigung findet, hängt von der Indi- vidualität und der Richtung der Lehrenden ab. Auf die ge- rade hier so wichtigen und schwierigen Streitfragen ein- zugehen, verbietet meist schon die Kürze der ihm gewid- meten Zeit.

Sobald ein Wissenschaftszweig, sich in die Breite und die Tiefe ausdehnend, zur selbstständigen Entwicklung gelangt ist, erheischt er nothwendig ein eigenthümliches Organ, welches den Ueberblick im Ganzen wie in jedem einzelnen Theile er- mSgÜcht, den jedesmaligen Stand der Forschung tmd die Er- gebnisse der Praxis klar abspiegelt und die Veröffentlichung auch kleinerer Abhandlungen gestattet, welche sonst gar leicht, wo nicht ungeschrieben, doch unverbreitet geblieben wären. Auch wird hier nicht zum ersten Male versucht, diesem Be- dUrfniss entgegenzukommen, wohl aber von einem weiteren, und, wie ich hoffe, fruchtbareren Gesichtspunkt aus, als bisher.

Die erste deutsche handelsrechtliche Zeitschrift, das »Ar- chiv fUr das Handeisrecht, herausgegeben von einigen hamburgischen Rechtsgelehrtenc (1818 bis 1820, 2 Bde.) ist nach nur dreijährigem Bestände eingegangen. So verdienstlich dieses Unternehmen an sich war, dessen Be- deutung für das deutsche Handelsrecht wir noch welter unten würdigen werden, so war es doch durchaus ungeeignet, dem- selben als Organ zu dienen. Es beschränkte sich aaf die Dar- stellung und Beleuchtung der wichtigsten >vor dem Hamburger Handelsgericht verhandelten Rechtsfälle*, trug also nicht altein einen durchaus partikulären Charakter, sondern verzichtete auch auf die selbstständige und allseitig wissenschaftliche Er- örterung handelsrechtlicher Gegenstände. Denn in den Rechts-

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nnd den Zweck det ZäOchtilt fitr du goMmmte Handelvecht. 5

tauen erscheint >die rechtliche PrUfong vorzagsweiae nur ein- zdnen Seiten der vorliegenden Sache zugewendet, und so loandier, bei einer allgemeinen Betrachtung einer handels- rechtlichen Frage als nicht unerheblich, sogar als zweifelhaft hervortretende Punkt bleibt dunkel und imerOrtert'.

Ebenso berücksichtigte die iHamburgische Monats- schrift ftlr Politik, Handel und Handelsrecht, her- ausgegeben TOD C. W. Asher< (1. Jahrg., Bd. 1, 2; 2. Jahrg., Heft 1—4; 3. Jahrg., Heft 1, 1834—1836) das Handelsrecht im Wesentlichen nor durch Mittheilmig Ham- burgischer RechtsfälJe, an welche sich theoretische Erörte- rungen von sehr verschiedenem Umfang reihten.

Die nächstfolgende Zeitschrift, das »Archiv für das Preussische Handels- and Wechselrecht, heraus- gegeben von Gräff« (Bd. 1, 1844—1845; Bd. 2, Heft 1, 1848) theilt vorzugsweise preussische Gesetze und Rechts- sprüche mit und kommentirt dieselben; unter den wenigen selbstständigen Abhandlungen, welche nur das einheimische Recht berücksichtigen, ist keine von bleibendem wissenschaft- lichem Werth.

In weit höherem Grade als die vorhergebenden entsprach Gelpke's «Zeitschrift für Handelsrecht« (Heft 1—3, 1852, 1853) den Anforderungen eines wissenschaftlichen Organs, und es muss tief beklagt werden, dass der Tod des geistvollen Herausgebers das kaum begonnene Werk so frühzeitig unter- brach. Reiche Erfohrung und lebendige Anschauung des Handelslebens verleihen seinen Erörterungen und legislativen Vcwschlägen einen grossen Reiz selbst da, wo die besonnen prüfende Forschung des bestehenden Rechts wie die Bedürf- nisse des Handelsverkehrs die gewonnenen Resultate als un- haltbar bezeichnen müssen und den Mangel scharfer jwistischer Aufbssung wie eine unbefangene Würdigung des gemeinen deutschen Handelsrechts mit Bedauern vermisst. Dennoch, und zwar abgesehen von der vorzugsweisen Berücksichtigung der preussischen Praxis und Gesetzgebung, deren Förderung Haupt- zweck der Zeitschrift war, hat dieselbe auf diese Bezeichnung um deswillen keinen Anspruch, weil ihr das wesentliche Ele- ment einer Zeitschrift abging: das Zusammenwirken ver-

> Gelpka, Zuticbrift fm HHddndit, i. Heft, S. IV.

j .«.yGüogle

6 UebcT die wiueiuchaAliclie BehindlnDg dct deutichen HandelirecliU

schiedener Kräfte, deren Beiträge nicht allein die verschiedenen Individualitäten, sondern auch die mehrfachen Richtungen der Wissenschaft repräsentiren. Gelpke aber hat alle seine Auf- sätze selbst ge^hrieben, er hat nicht eine Zeitschrift, sondern, unter diesem Namen, eine Reihe von Abhandlungen in zwang- losen Heften herausgegeben.

Indem so zum ersten Male der Versuch gewagt wird, den vielen bestehenden Organen deutscher Rechtswissenschaft eine besondere Zeitschrift für das Handelsrecht anzureihen und dadurch auch einer immer lästiger empfundenen äusserlichea Zeisphtterang der einschlägigen wissenschaftlichen Leistimgen in unzählige gemeinrechtliche und partikuläre Zeitschriften ein Ziel zu setzen, erscheint es als die Pflicht des Herausgebers, die Gesichtspunkte darzulegen, weiche er behufs Erreichung seiner Aufgabe zu verfolgen gedenkt. Ein Rückblick auf die Entwick- lungsphasen der Handelsrechtswissenschaft dürfte die Erkennt- niss dieser Aufgabe erleichtern. Vielleicht, dass derselbe den weiteren Zweck erfüllt, die noch immer gänzlich fehlende litterar- geschichtliche Behandlung dieses Rechtszweiges anzubahnen.

Man hat die auf den Handelsverkehr bezüglichen Be- stimmungen der römischen Rechtsquellen dürftig gescholten, und einen Grund dafür in dem alten Vorurtheil ' gesucht, dass der römische Handel, selbst nach dem Maassstabe des Alter-

' Seitdem diese« (^drackt worden, hat man auch von anderer Seite ver- tnchl , dem dargelegtcD Bedflrfnin entgegemiikomiiien. Du seit Ittjo m Leiptig encheinende lArchiv fttr deatiches Wechielrecliti, faeranigfegebeti ton Siebanbaar und Tanchniti, hat mit dem enlen Hefte de» Mchtten Bandei (ich beirit etkllit, auch Anftlti« am anderen Thcilen dei Handelarechti anf- lunehmen, und mit dem aocben ansgeeebenen dritten Hefte detselben Bandet den Titd lArchiT fUi Deudclies Wechselrecht und Handeluecht« angenommen. Von einer za Hamburg eiKheiaeaden Zeitichrift, >Neaes Arcbir fOz Handels* recht', hentnsg^eben Ton Voigt nnd Heinieben, welche nach dem Pro- spekt sich an das oben besprochene iltere Hamburger Archiv anschlietst , ist das eilte Heft anigegeboi. Endlich hat Dr. G. M. Kletke eine iZeitschrift rOr Handeligeaetxgebung nnd fbr Entscheidungen der obersten deutschen Ge- richtshöfe in Handelsrechtlichen t angektlndigt.

Es genügt tur WiderlegnDg, anfMommten's meisterhafte Darstellung der rttmitchen Verkehrarcihlltnisse lu verweisen: Römische Geschichte, s. Aufl., Bd.I, Buchl, Cap.it, 13 ; Buch ni.Cap. 13; Bd.II,BscbJV,Cap.lI,in;BnchV, Cap. II [8.Anfl. Bd. I, Bnch I, Cap. 13; Buch H, Cap. 8; Buch HI, Cap. 11.— Bd. n, Bnch tV, Cap. 11, Buch V, Cap. 7]: nnd auf Ihering's Geist de« rtim. Rechun,. S. 99, loo, 249 bb 355 [vfl. 3. Anfl. IS. 333; US. loi, 151].

ui.r.., ...GooqIc

und den Zwedi der Zeitscbrifl ßlr du gmiDinte Hutdelxreclit. 7

tbums, TOD geringfügigen Dimensionen, der römische Geist grundsätzlich dem Handel abgeneigt, das römische Recht auf die kleinlichen Dimensionen eines Ackerbaustaates berechnet gewesen wäre. Die Behauptmig selbst ist insofern richtig, als das römische Recht gar wenige, dem Handelsverkehr eigen- thümliche Rechtsinstitute enthält, allein nicht darum, weil es für diesen keine Norm gehabt hätte , sondern weil das ge- sammte römische Vermögensrecht , insbesondere das Obli- gationenrecht, mit vorzngsweiser Berücksichtigung des um- fassendsten internationalen Handelsverkehrs und nach dessen Bedürfnissen ausgebildet worden ist. Zur Befestigung dieses Irrthums haben allerdings zwei bemerkenswerthe Thatsachen beigetragen.

Wir kennen das römische Recht wesentlich nur in der Gestalt, in welche es die späteste Kaiserzeit gebracht hat, zur Zeit des tiefsten wirthschaftlichen wie politischen Verfalls, da manche ehemals hochwichtige Institute gar nicht oder kaum noch dem Namen nach bekannt waren. Es mag hier beispiels- weise an das für den Geldverkebr so einflnssreiche Hausbuch- wesen, an die grossen Societäten mit Korporationsrechten er- innert werden, deren Organismus eine so Überraschende Aehn- lichkeit mit den heutigen Aktiengesellschaften zeigt Aus dieser Epoche des Verfalls schreibt sich auch die volle Aus- bildung des unbegrei0ich zweckwidrigen Hypotheken- imd Konknrsrechts her, welches der Begrtlndung eines gesunden Personal- wie Realkreditsystems gleichmässig entgegensteht.

Noch einflussreicher erscheint in dieser Beziehung die viel- bewunderte Methode der römischen Juristen, in deren auch kasuistischen Darstellungen nur diejenigen thatsächlichen Mo- mente mitgetheilt werden, welche zum unmittelbaren Ver- ständniss des maassgebenden oder zu entwickelnden Rechts- satzes erforderlich scheinen. Indem so von einem jeden That- foestand nur die juristisch relevanten Umstände hervorgehoben werden, übersieht man leicht, dass die aufgestellten Rechts- sätze auch auf einen scheinbar sehr viel reicheren und kom- plicirtereo Thatbestand berechnet sind. So erklärt sich die häufige Erscheinung, dass vermeintlich durchaus eigenthdm-

Wie I. B. Bdicli, DuiteUung der Handlang, Bnch V, Cap. 9, g 3, behauptet.

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8 Veber die wiJKiucluftliche Behuidlimg det deutsctien Hudelicechti

liehe moderne Verkehrsverhältnisse, auf ihren juristischen Kern zurückgeführt, bereits in den römischen Quellen die geeignete Norm finden.

Die Aufnahme dieses im Verlauf seiner Entwicklung touier mehr denationalisirten Rechts in das europäische Kultur- leben fiel in die Zeit der städtischen BlUthe und der Anfänge eines umfassenden auswärtigen Verkehrs. Was bis dahin von eigenthUmlicheo Handelsrechtsnormen sich in Europa entwickelt hatte, erscheint verhältnissmässig überaus dürftig, ausgenommen allein die grosse Zahl seerechtlicher Gewohnheiten, welche theils in die Stadtrechte Aufnahme fanden, tbeüs unter dem Namen von Schiffs- oder Seerechten privatim oder officiell gesammelt und redigirt wurden. Die schon früh vorkommen- den See- und Handelsgerichte, die unter Mitwirkung kauf- n^nnischer Schöffen insbesondere in internationalen Streitig- keiten und mit Vermeidung der rohen Formen des damaligen bUrgerUchen Processes entschieden, haben sicherlich die recht- liche Anerkennung manches internationalen Handelsbrauchs wesentlich gefördert. Indessen auch sie berufen sich nur allzu- häufig auf die römischen als die natürlichen und gemeinen' Recbtssätze. Waren es doch gerade die grossen Städte, welche im Gegensatz zum Bauern- und Adelsstande die Verbreitung des »kaiserlichen Rechtsc am eifrigsten förderten, weil es der Freiheit des bürgerlichen Verkehrs und der unbeschränkten VermOgenscirkulation ebenso gUnstig war, wie es durch seine innere Vollendung und seine Reichhaltigkeit nicht allein die leitenden fVinzipien fUr die Praxis, sondern auch ein zur un- mittelbaren Anwendung geeignetes Material darbot. In diesem Sinne zeichneten sich die norddeutschen Handelsplätze, nament- lich Lübeck, durch ihre Sorge ftlr die Eirichtung von Lehr- stühlen des römischen Rechts auf den neugegründeten Uni- versitäten aus.

Die erste wissenschaftliche Pflege ward den handelsrecht- lichen Instituten in den Schriften der italienischen Juristen zu Theil. Deren Darstellung ti^gt durchweg ein romanistisches Gepräge, selbst dann noch, da die Ausscheidung des Handels- rechts als eines besonderen Rechtszweiges bereits vollendet war, wie in den Schriften des Straccha, Raphael de

1 Archir f. cml. Praxü, 36, :

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und den Zweck der ZeiUchrift fUr diu {cnminte Huidebrecht. 9

Turris, Scaccia, de Laca, Ansaldis und selbst des scharfsinnigen und erfahrenen Casaregis, welcher Überdies, in noch höherem Grade als seine Vorgänger, in den scholasti- schen Formen der BartoUnischen Schule befangen ist Weit entfernt, die Unanwendbarkeit des römischen Rechts fUr die Verhältnisse des neueren Handelsverkehrs zn behaupten, suchten diese Tielgefeierten Praktiker selbst solche Institute, welche ihren Ursprung oder ihre besondere Gestaltung unzweifelhaft dem modernen Rechtsbewnsstsein verdankten, so gut oder so schlecht es anging, unter die Regeln des Corpus juris zu pressen oder doch nach deren Analogie juristisch zn kon- struiren. FUr die allgemeinen Lehren des Haodelaechts in- dessen gebührt ihnen das grosse Verdienst, diese Regeln durch geschickte Benutzung fruchtbar gemacht zu haben.

Deutschland hat nicht allein viele seiner Handelsinstitnte, wie den Wechsel, die Banken, die Buchführung, sondern auch deren rechtliche Gestaltung grossentheils von den Italienern entlehnt Die deutsche Reichsgesetzgebung hat für das Han- delsrecht nichts gethao, die zahlreichen Fartikulargesetze haben mehr die polizeilichen Verhältnisse und einzelne Specialzweige, namentlich das Wechsel- und Assekuranzrecht und den Process, als das allgemeine Handelsrecht geregelt Die deutschen Juristen stehen hier in noch höherem Grade als sonst auf den Schultern der italienischen. So namentlich der lubische Senator Johann Marquardt, dessen Tractatus politico-juridicus de jure merca- torum et ccunmerdorum singulari (1662) indessen das eigen- thümliche Verdienst gebührt, durch umfassende Berücksichti- gung der deutschen Partikularrecbte und der handelsrechtlichen Satzungen fast des gesammten Europa dem modernen Handels- gewohnfaeitsrecht eine breitere und universalere Grundlage ge- schaffen zu haben.

Die fast gleichzeitige Inauguraldissertation von Lucas Langermann, De jure in curia mercatorum usitato (1655), welche unter Lauterbach 's Namen citirt zu werden pflegt, ist ihrer Anlage nach nur eine kurze Uebersicht der wesent- lichsten vom Civilrecht abweichenden Normen des Handels- rechts und der hierllber bestehenden Kontroversen, theilt jedoch mit Marquardt den universalen Standpunkt.

Dieser ersten Periode der deutschen Handelsrechtswissen- schaft gehört auch Marperger's Neueröffnetes Handels-

, Cioogic

10 Ceber die wUseoschaftlicIw ßebandlaiig deuBchen HandeUrechW

gericht (Hamburg 1709) an, in welchem freilich die umfassend gestellte Aufgabe wenig genügend gelöst wird. Auch er be- rücksichtigt noch das römische Recht durchweg und erklärt bei Aufzählung der Quellen des geltenden Handelsrechts (S. 171):

sAus welchen jetzt erzählten Titulis und deren allegirten Stellen genug erhellet, wie die Römische Republik die Auf- nahme der Commerciorum, und dass eine richtige Ordnung in denselbigen möchte gehalten werden, ach habe angelegen sein lassen; in massen dann der meiste Theil solcher Römischen Commerciengesetze (und als solche führt er fast sämmtliche dem Obligationenrecht und viele dem Sachenrecht angehörigen Titel der Pandekten und des Codex auf) noch heutigs Tags in unseren Judiciis in Observantz gehalten wird.t

Gleiches gilt von dem letzten Werk dieser Periode, der ziem- lich umfassenden Darstellung des Handelsrechtes in v. R o h r ' s Vollständigem Haushaltungsrecht (2. Aufl., 1738), Buch XI »von Commerciensachent , dessen erstes und umfassendstes Kapitel namentlich durchweg römisches Recht bringt

Tritt schon in den bisher besprochenen Schriften der Ge- sichtspunkt hervor, dem Handelsrecht, als dem Recht eines besonderen Standes, eine Ausnahmestellung gegenüber dem römischen Recht, als dem gemeinen Civilrecht, anzuweisen, so finden wir diese Auffassung seit dem Beginne des vorigen Jahrhunderts mit besonderer Energie vertreten und für das weitere Schicksal unserer Wissenschaft verhängnissvoll,

Als die so folgenreiche wissenschaftliche Sonderung der einheimischen Bestandtheile unseres Privatrechts von den ur- sprünglich fremden römischen und kanonischen Elementen ein- trat, fielen auch die den Handelsverkehr beherrschenden Rechts- normen nach ihrem Ursprung in zwei Hälften auseinander: die wirklich oder vermeintlich moderne wurde dem »Deutschen Privatrecht« zugewiesen, die römisch rechtliche verblieb den >Pandektenc und bildete in diesen einen ungesonderten Be- standtheil des Vermögens-, namentlich des Obligationenrechts. Freilich übersah man bei dieser Theilung, dass selbst die mo- dernen Bestandtheile des Handelsrechts in wesentlichen Be- ziehungen sich von den übrigen Instituten des deutschen Privatrechts unterscheiden: einmal darin, dass sie nicht spe- cifisch germanischen, sondern wesentlich europäischen Ursprungs

und den Zweck der Z«Uchrift für d«* gesammte Handelirecht. 1 1

sind and schon durch die Verschiedenartigkeit ihrer Quellen der Verbindung mit den eigentlich einheimischen Recbtslehren erhebliche Schwierigkeiten entgegenstellen. Ist doch erst in neuerer Zeit der Versuch gemacht worden, diese Verbindung auch wissenschaftlich zu begründen'. Sodann, dass die ein- zelnen handelsrechtlichen Institute durch eine gemeinsame wirthschaftliche Bestimmung zusammengehalten und nur in ihrem innem Zusammenhang richtig gcYrtlrdigt werden können, ein Auseinanderreissen des innerlich Zusammengehörigen nach zufälligen historischen Gesichtspunkten somit gerade hier be- sonders bedenklich sein musste, zumal das geltende Recht von dem römischen nicht selten nur in einzelnen, juristisch wenig erheblichen Punkten abweicht. Um so schlimmer, als man sich daran gewöhnte, in dem an das deutsche Privatrecht ab- gegebenen Theil das ganze Handelsrecht zu sehen.

Zugleich ging durch diese Behandlung der weite Gesichts- kreis verloren, von welchem aus die italienischen und selbst die älteren deutschen Juristen das Handelsrecht bearbeitet hatten. War es bis dahin vorzugsweise als das Recht der Handelsgeschäfte, nicht des Kaufmannsstandes gepflegt worden, so schrumpfte es nun zu einem Standesrecht der Kaufleute, zu einem der vielen »besonderen deutschen Privatrechtec zu- sammen', meist mit überaus dürftigem Inhalt. Manche be- schi^nkten dabei das »Handelsrecht« auf eine Darstellung der grossentheils dem öffentlichen Recht und dem Process an- gehörigen Veriassimg und Privilegien der Handeltreibenden, oder zogen wohl auch gar die städtischen Privilegien, das Stapel-, Krahn- nnd Einlagerrecht dahin, während sie die Han- delsgeschäfte mehr oder weniger vollständig, meist jedoch mit

Die moderneD Verkehnintlirate bildelra «nen twäten, noEhwendiKen Bestacdtfaeil des denucfaen PiiTtttrecbta, i. B. Blnntictili, Dentsche« Print- lecbt, 1 S. 4, 14 [BlnDtichli-DkhQ S. 7].

' Bejei, ^ecinieii jaris Gernunici (1718), lib. i, cip. 14, 18. Fiicher, Ldubegiiff linuatliclKT Cameral- Bnd Poliieireclite (17S5), Bd. I, Einl. S. 8; Bd. III S. 133 251. Auch Neuere, obwohl mitnoter voUititidiger, i. B. Dick, GnmdhM da deubchen PrivRtrechti (1836) §§430—511. Philipp*, GnuidtlU« dei g«ineiiie& denUchen PrivatrecbU, a. Aufl. (1S39) [3. Aufl. 1846], Bd. II, 376 318 und viel onuichtiEer, wie Millermaier, Grendsitze de* geneinen dentccben Privatrechti, 7. Anll. (1847), Bd. II, %% 530—576; Kraut, .GrundiiM, §g 331— 399 (6- AnA., S8>^S 3^7). Beseler, SyMem de* gemeioen deutschen Privatrecbt«, Bd. III (1855) 113—355 [4. Aafl,, 333—267].

12 Uebei die wisMiucIuftlicb« Behandlung det deubchen Huidetsrechti

willkürlicher Auswahl des Wechselvertrags, der Assekuraaz und eiii2elDer Theile des Seerechts, io das System des all- gemeioen Vertragsrechts einreihten , wie selbst Runde, obwohl dieser ganz richtig das Handelsrecht nicht zu den persönlichen, sondern zu den sachlichen Specialrechten zählt (Grund^tze § 8). Diese Scheidung ist fttr eine systematische Darstellung des deutschen Privatrechts vollkommen begründet, allein für das Handelsrecht verhindert sie jede Einsicht in den wahren Zusammenhang seiner einzelnen Theile. Jedenfalls aber muss alsdann für die Darstellung der kaufmännischen Sonderrechte der ganz unpassende Name eines >Haodelsred)tst aufgegeben werden, wie dies ganz konsequent von Neueren, z. B. von Gengier und Walter, geschehen ist, falls man nicht mit Gerber und Bluntschli so weit gehen will, die- selben ganz aus dem Sjrstem zn verbannen.

Noch bedenklicher und willkürlicher freilich war es, wenn Eichhorn zwar das Versicheningsrecht , das Wechselrecht und die Bodmerei im Recht der Forderungen behandelt, da- gegen im »Recht des Handels und der Schiffahrt«, welchen er zusammen sieben Paragraphen widmet, neben den Staodes- rechten auch einige Handelsgeschäfte darstellt. Hier ist jeder leitende Gesichtspunkt verloren.

Unter diesen Missständen hatte vorzugsweise das All- gemeine Handelsrecht und zum Theil das Seerecht zu leiden, während Wechsel- und Versicherungsrecht als einheitliche und überdies durchweg moderne Institute vor denselben mehr ge- schützt blieben, und mehrfach monographisch bearbeitet wurden: von Heineccius, Siegel, PUttmann, Sieveking, Sur- land, Wedderkop, Magens und Anderen.

Erst zu Ende des vorigen Jahrhunderts beginnt, nach fast SOjähriger Unterbrechung, eine wenigstens äusserlich selbst- ständige Behandlung des gesammten Handelsrechts allein

' Z. B. Heinecciai, EUmenta jari* Germuiici (ed. 3, 1746). §S "6 bU ISO, 336, 330—333, 335 340. Engaa, ElemenU jnrü Gennuiici cürilü (rf. 3, IJ48). lü>- I tit. 8 §§ 199-K'S. lib. III tit. 3 a»— 30, 13S— 130, 143—151, 1S6— 313, Mt 333, 335—336. Selchow, iDsdtutionei joria- prudentiae Gennu. (i7SS)i §S "3— 'IS. 356. 358, 359, 368—383; Elementa juri» Germanid priTati (5. Aufl., 1775), 334— 33<>. S9S. 598, 599, 60B bit £33. Eiienhait, InitituC. jarii Gennan. privati (ed. 3, 1755), Üb. 1 tit 5, ^ 9-~ii, lib. m tit. 10 gg 3, 7, tiL II §8 9-31, tit. 17.

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mtd dcD Zweck der ZeilKlwirt ftat da* gettmmte Hudelirecbl. 13

sie zeigt in jeder Beziehung wesentliche Rückschritte. Es ist eine beachtenswerthe Thatsache, dass in den langen Zeitraum von 1709 Ks 1824 nur drei Darstellungen dieser Art fallen, darunter zwei ganz ungenügende, jetzt mit Recht verschollene kurze Versuche , Kompilationen elendester Art , weder be- fruchtet von der Erfahrung eines grossartigen Verkehrslebens, noch durchdrungen von der geistigen Scharfe theoretischer Forschung, unter denen Musaeus (Anfangsgründe des Hand- iongs- und Wechselrechts, 2. Auflage, Hamburg 1799; in erster Auflage waren das Handlungs- und das Wechselrecht getrennt erschienen 1785, 1774, 1777) dem Versicherungsrecht nur zwei Paragraphen widmet; Lobetfaan (Grundsätze des Handlungs- rechts, 1795) eigentlich nur das Allgemeine Handelsrecht dar- stellt. Vollständiger und in jeder Beziehung bedeutender ist freilich der iGrundriss des Handelsrechts, insbesondere des Wechsel- und Seerechts« von G. F. vonMartens (Göttingen 1797, 1805, 1820), doch sind von den 238 Paragraphen des- selben nur die ersten 45, oder ebenfalls 53 Paragraphen dem Allgemeinen Handelsrecht gewidmet, und der berühmte Rechts- lehrer selbst will diesen Abschnitt nur als kurze Einleitung betrachtet wissen, indem er von dem entschieden irrigen Ge- sichtspunkt ausgeht, dass Wechsel- und Seerecht >die beiden Haupttheile dieser Wissenschaftt seien.

Bezüglich der Methode hatte die Anlehnung selbst der modernen Rechtserscheinungen an die römischen Quellen neben vielen Nachtheilen auch den einen Nutzea gestiftet, die Be- arbeiter dieses Rechtszweiges zu dem Versuch einer juristi- schen Begründung zu nOthigen an deren Stelle begnügte man sich nun mit einer weder juristisch noch auch nur wirth- schaftlich genügenden Beschreibung der darzustellenden Institute. Die durch Savary's und Busch 's Verdienst auf- strebende Handelswissenschaft hätte der Ausbildung und Vertiefung des Handelsrechts reiche Frucht bringen mUssen durch vermehrte Einsicht in die ökonomischen Zwecke der einzelnen Rechtslehren. Aber sie bahnte anfänglich höchstens eine wenig befriedigende, durchaus einseitige Kritik derselben an. Das Handelsrecht sank zu ihrer Dienerin herab, man begann die geltenden Prinzipien desselben in den Schriften von Savary und Bohn, von Ludovici und Busch zu suchen. Mit einer vollständigen Verkennung der Natur aller Rechts-

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14 U«ber die wissenschaftliche BehaDdlniig des deabdien Handelwedits

tüldung und der gewohnheitlichen insbesondere ging eine durchaus anklare Übertriebene Vergötterung des kaufmänni- schen Gewohnheitsrechts, der Usance, Hand in Hand und, was vor Allem nachtheilig wirkte, ohne alle Scheidung ihrer faktischen und ihrer rechtlichen Gestaltung, ohne auch nur den Versuch, Gewordenes vom Werdenden zu sondern. (B U s c h , Ueber Handlungsusancen in Büsch's und Ebeling's Hand- lungsbibliothek I, S. 241—271, 660-681). An die Stelle ab- strakter und vielfach unlebendiger romanistischer Konstruktion tritt nun ein seichtes ökonomisches Raisonnement ohne jeden juristischen Halt. Nicht in der Praxis, wohl aber in der Wissenschaft, geräth die Existenz eines positiven gemeinen Handelsrechts, insbesondere seiner römischen Elemente, in Ver- gessenheit, und eine unvollkommene vergleichende Jurisprudenz versucht dessen Stelle einzunehmen. Denn das wirklich im Bewusstsein des Handelsstandes lebende Recht zu ermitteln, dazu war jene Zeit völlig ausser Stande, und in thOrichtem Eifern gegen das römische Recht vergass sie nur allzusehr, dass ein grosser Theil desselben gerade hier viele Jahrhunderte lang ohne jede Anfechtung gegolten und im Bewusstsein der Nation feste Wurzeln geschlagen hatte.

Während Fischer, Musaeus, Lobethan unter den Quellen des Handelsrechts »einige brauchbare Stellen des römischen Rechtsc, >etwas weniges aus den römischen Gesetzenc, >einige römische Reditstexte< nennen, stellt Runde, ganz auf Busch's Standpunkt eingehend, den unwahren Satz auf, dass idie eigentlichen Handlungsrechte sich mehr auf den Handlungs- gebrauch und die richtigen Begriffe von der wahren Natur der Handelsgeschäfte, als auf allgemeine gesetzliche (d. h. nach damaligen Begriffen positivrechtliche, sowohl dispositive als absolute) Bestimmungen stützen«.

Martens wäre wohl im Stande gewesen, die richtige Methode, welche er klar genug erkannte, durchzufuhren ^ allein er wandte sich nur allzubald vom Handelsrecht ab, imd die späteren Auflagen seines Grundrisses (1805, 1820) braditen zu dessen dürftigem Inhalt nichts als einzelne Berichtigungen und Literatumotizen hinzu. lEine vollständigere Entwicklung des Handelsrechts!, erkärte er in der Vorrede zur dritten Aus- gabe, landeren Händen Überlassen zu müssen.f

Die Neubelebung der Rechtswissenschaft durch die erfolg-

ogk-

und den Zweck d«f ZeiUchrift Air du geonunte Huiddsrecht. 15

reichen Bemühungen der historischen Schule brachte zunächst dem Handelsrecht keine Frucht Nicht einmal die geschicht- liche Forschung, welche Martens im Gebiet des Wechselrechts angebahnt hatte (1797), wurde aufgenommen. Die national- ökonomische Richtung blieb zunächst eine Phrase. Die Stellung des gemeinen Handelsrechts wurde zweifelhafter als je, nach- dem Preussen durch das Allgemeine Landrecht ein umfassendes und für seine Zeit bedeutendes Handelsrecht erbalten, das ganze überrheinische Deutschtand und Baden die französische Gesetzgebung angenommen hatte, fur Oesterreich in dem All- gemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch eine neue Basis für sein nur dürftig entwickeltes partikulares Recht gewonnen war.

Inzwischen hatte in Frankreich die nie unterbrochene handelsrechtliche Literatur auf der Gnmdlage des Code de commerce neue Blüthen getrieben. Das klassische, durch systematische Vollständigkeit und Eleganz der Darstellung gleich ausgezeichnete Werk von Pardessus (Cours de droit commercial, zuerst 1814, 6. Aufl. 1856), die tief eingehenden kritischen Erörterungen des erfahrenen Vincens (Exposition raisonn^ de la l^gtslation commerciale, 1821) fanden schnell in Deutschland Eingang, und bei dem elenden Zustand der einheimischen Handelsrechtswissenschaft ebenso eifrige Be- wunderung als Benutzung'. Diesen Zustand reprasentirt ge- treu genug das erste grössere Werk, welches nach 120]ährigem Zwischenraum über das allgemeine Handelsrecht Deutschlands erschien : B e n d e r ' s Grundsätze des engeren Handlungsrechts (Darmstadt 1824), welche in seltsamster Art zwischen handels- wissenschaftlicher, handelsgeschichtlicher und handelsrechtlicher Darstellung, zwischen der Berücksichtigung gemeiner Quellen und blinder Abhängigkeit von deutschen Partikularrechten und der französischen Gesetzgebung und Literatur schwanken. Zu einer wissenschaftlichen Konstruktion der Handelsrechts- ^tze wird in dieser Erstlingsarbeit des fleissigen Verfassers

' Du plt, obwohl in miDderem Grade, auch von der spSteren , sehr trieben , doch in Werth lehr angleichen handelsrechtlichen Litentor Frank- reichs. Sie liigt einen Tonngtireise fOi die Praxis bestimniten Charakter, und Matt lieferer jnriMisclier Begründnng tindeo wir hi«r in der Regel ein lorg- nitige* Eingehen in das räche Detail und eine wohlthKtige Kritik der gericht- Ücboi Entscheidni^en , wie des Kassationshofes , so der Gerichte iweiter und sogar eraier Instani.

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16 Veber die witseusctiafüiche Behutdlang de« dcnucbea Huidcitrechti

kaum der Anfang gemacht. Um so auäallender, da der wesentliche Inhalt dieses Werks den haadelsrechtlichen Vor- trägen des berühmten Pandektisten und späteren Präsidenten des Lübecker Oberappellationsgerichts, Georg Arnold Heise, entlehnt sein soll ', welcher an der tieferen und quellenmässigen Behandlung des romischen Rechts einen so wesentlichen An- theil hatte.

Die Wiedergeburt des deutschen Handelsrechts, njit welcher die steigende Blüthe des deutschen Verkehrs zeitlich zusammen- fällt, und die dritte Epoche unserer Wissenschaft beginnt, ging von den freien Städten aus, deren ausgebreitete Handels- beziehungen die Vernachlässigung eines praktisch so wichtigen Rechtszweiges schmerzlich vermissen Hessen.

In dem mit Hamburg engverbundenen Altona hatte be- reits zu Anfang des Jahrhunderts der erfahrene Jakobsen auf die bedeutsame französische und namentlich englische Praxis hingewiesen, und in seinem >5eerecht des Friedens und des Krieges« (1815), wie in der »Neuen Sammlung handels- rechtlicher Abhandlungen« (1823) tleissig benutzt. 2u einem kritischen Neubau des gesammten Seerechts fehlte ihm freilich, wie seinen Nachfolgern, das unumgängliche historische Rüst- zeug durchaus.

Auch hatte schon 1805 der Hamburger Benecke sein noch immer unentbehrliches iSystem des Assekuranz und Bodmereiwesensc herausgegeben, in welchem, unter sorg- fältiger Berücksichtigung der Gesetze wie der Praxis aller handeltreibenden Völker und fast nur zu genauer Benutzung seiner Vorgänger, ein tüchtiger Anfang gemacht wurde, aus der »Natur der Sache« neue Entscheidungsnormen zu ge- wimien und die Prinzipien des geltenden Rechts zur klaren. Erkenntniss zu bringen.

Die Einsetzung des Hamburger Handelsgerichts (Februar 1816) förderte die Handelsrechtswissenschaft zui^chst durch das gesteigerte Interesse, welches sie auch aiisserhalb Ham- burgs für die handelsgerichtliche Praxis erweckte. Aus dem trefflichen »Archiv für das Handelsrechte , welches in seinem Gefolge entstand, und, leider nur zu kurze Zeit, unter eifriger

' Vgl, Georg Arnold Htäte, Mittheilangen aus desten Leben, genmmelt von Dr. W. v. Bippen, Halle 1S53, S. 271, 371.

und den Zweck der ZeiUchriCt ftlr du eea, Handelsrecht. ^7

Mitwirkung der tüchtigsten hamburgischen Juristen eine Reihe belehrender Rechtsfälle mit gründlichen theoretischen Erörte- rungen brachte (1818 1820), weht der -frische Hauch eines bewegten Handelstreibens und unmittelbar gewonnener reicher Erfahrungen. In den allgemeinen Materien tritt das Romische Recht wieder in die ihm gebührende Stellung.

Ein besonders folgenreiches Ereigniss war die Eröffnung eines gemeinschaftlichen Oberappellationsgerichts für die vier freien Städte Deutschlands zu Lübeck (13. November 1820). Hier war ein Mittelpunkt für die Praxis jener bedeutenden, sämmtlich dem gemeinen Recht angehörigen Handelsstädte ge- wonnen, mid die Besetzung der Richterstellen mit ausgezeich- neten Gelehrten sicherte die zwar stets zu erstrebende, im Handelsrecht jedoch geradezu unentbehrliche Verbindung von Theorie und Praxis. Neben der grossen Reihe vortrefflicher Urtheile, welche nun erst alloiälig in verschiedenen Sanmi- lungen zu Tage treten und häufig der theoretischen Forschung ganz neue wichtige Gesichtspunkte eröffnen, verdankt die Wissenschaft diesem höchsten Gerichtshof auch die klassischen handelsrechtlichen Abhandlungen Cropp's (Juristische Ab- handlungen I, II, 1827, 1830), wie später dem Preussischen Obertribunal, ausser dessen nicht minder bedeutsamen Erkennt- nissen, die oben erwähnte Zeitschrift Gelpke's. Diese Auf- sätze sind mehr noch durch ihre Methode, als durch ihren vielfach bahnbrechenden Inhalt Muster für die ganze Folge- zeit geblieben. Hier finden wir zum ersten Male gründliche Kenntniss des Römischen Rechts und der modernen Handels- rechtsquellen in echt historischem Sinne verbunden, und der lichtvollen Darstellung gereicht es nicht zum geringsten Ver- dienst, dass sie durchweg die genaueste Anschauung der Han- delsverhaltnisse wie das wohlbegrUndete Streben verräth, das geltende Recht den Bedürfnissen derselben gemäfs anzuwenden und weiter zu entwickeln.

Einen wesentlichen Fortschritt in allen diesen Richtungen zeigt auch das fast gleichzeitige, zum ersten Male und bisher allein sämmtliche Handelsrechtszweige umfassende Werk des fleissigen Pohls (Darstellung des gemeinen Deutschen und des Hamburgischen Handelsrechts; allgemeiner Theil 1828; Wecbselrecht 1829; Seerecht 1830—1833; Seeassekoranzrecht 1832, 1834; das Recht der Aktiengesellschaft 1842). Insbesondere

Goldicbmidt, VermluhH Schrirun. U. »

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18 Ueber die wiueiucliftftticbe Behandlung dei deaUcIien HaDdeUretits

gebührt ihm das Verdienst, eine schärfere Sooderung des ge- meinen Rechts von den Partikularrechten angebahnt und (Ur das Seerecht zum enten Male das gesammte Material neuerer Rechtsbildung benutzt zu haben.

In ganz origineller und vielversprechender Weise begann Thöl seine erfolgreiche Thätigkeit. Zeichnete »der Verkehr mit Staatspapieren« (1835) durch die sorgsamste Prüfung der >Natur der Sache* sich in hervorstechender Weise vor allen früheren Darstellungen dieses Gegeastaades aus, so ist in seinem .Handelsrecht« (Band I, 1841, 1847, 1854; Band II, 1847 >) dieser wirthschaftliche Geachtspunkt fast durchweg zur Grundlage tritt diese auch nicht Überall gleich deutlich hervor einer tlberaus scharfsinnigen , echt juristischen Deduktion gewählt, welche zwar sorgsamer als irgend ein Vor- gänger das gesammte europäische Rechtsmaterial berücksich- tigt, überall jedoch den Standpunkt des positiven gemeinen deutschen Rechts mit Festigkeit behauptet. Darum ent- nimmt er seine Waffen so viel als möglich den römischen Rechtsquellen, deren ganzen Reichthum für das Handelsrecht er zuerst unter den Neueren aufdeckt. An Klarheit, Besonnen- heit und Tiefe der Forschung, an Prägnanz der Gedanken und des Ausdrucks steht er keinem unter den Meistern unserer deutschen Rechtswissenschaft nach, an juristischem Gestaltungs- vermögen Vielen voran, Dass auch er nicht den ganzen Kreis nicht einmal des allgemeinen Handelsrechts erschöpft, dass er vielfach bloss abwehrend behauptete Modifikationen römischer Rechtsprinzipien negirt, statt auf geschichtlichem und dogmen- geschichtlichem Wege deren heutige Geltung zu untersuchen, diese und andere geringe Mängel treten neben so bedeutenden Verdiensten billig in den Hintergrund. Durch ihn ist der streng juristische Boden und die richtige Methode für das Handelsrecht dauernd gewonnen worden das Mehr oder Weniger allein nach der römischen oder der modernen, der dogmatischen oder der historischen Richtung kann in Frage stehen, und wird, je nach der Individualität eines jeden Schrift- stellers, muss, je nach der Gestalt des zu behandelnden Gegen- standes, verschieden beantwortet werden.

Während so im engeren Kreise des hanseatischen Nordens,

' [Bd. I, 6. Aufl. tS79, Bd. II, 4. Aafl. 1878, Bd. lU 1880.]

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und den Zweck der Zdocbfih fttr du gtMiniiite Huidebrecht. 19

welchem auch der mit dem Handelsleben vertraute und fleisstge Briackmanii(Lehrbuch des Handelsrechts 1853, 1S54') seiner Geburt und seiner früheren Berufsstellung nach angehiirte, eine neue Blüthezeit der HandelsrechtswissenschaH begann, welche vor der älteren italiesiscbeo insbesondere die geläuterte Auffassung des Rechts und die tiefere Behandlung seiner Quellen voraus hat, waren auch Süd- und Mittel-Deutschland nicht uothätig geblieben.

Mittermaier hatte die Rechtsentwicklung der deut- schen Partikniarrechte wie des gesammten Auslandes in der alteren wie in der neueren Literatur mit unermüdlicher Aus- dauer verfolgt und von diesem universalen Standpunkte aus dem Handelsrecht in den Lehrbüchern des deutschen Privat- rechts endlich den gebührenden Platz gesichert, Nebenius für einen wichtigen Zweig die ökonomische Grundlage gelegt (Der öffentliche Kredit, zweite Auflage, 1829). In Sachsen hatte Treitschke, abgesehen von seiner gründlichen >Ency- klopädie der Wechselrechte« (1831), für die Sodetät (1825, 1844), den Kauf (1838') und das Kommissionsgeschäft (1839) monographische Vorarbeiten geliefert, welche durch ihre tüch- tige civilistische Basis noch heute Beachtung verdienen, E i o e rt , (Das Wechselrecht, 1839) »mit bewunderungswürdigem Takt die Rechtsanschauungen, vrelche die gesammte kaufmännische Welt der Gegenwart durchdringen, aus ihrem geheinmissvoUen Dunkel ans Licht gebrachte ^

Aus der grossen Zahl trefflicher Vorarbeiten, denen end- lich die allgemeine Deutsche Wechselordnung entsprungen ist, ging Liebe's epochemachende, und wenngleich nicht von ihm zuerst angedeutete, so doch von ihm ausschliesslich in den Gmodzügen wie im Einzelnen geistvoll durchgeführte Theorie hervor, durch welche nicht allein für den Wechsel, sondern für eine ganze Reihe modemer Institute ein neuer überaus fruchtbarer Gesichtspunkt gewonnen, die Einsicht tn die Struktur des Obligationenrechts unermesslich gefördert wurde (Entwurf einer Wechselordnung für Braunschweig, 1843. Die allgemeine deutsche Wechselordnung mit Einleitung

[For^esetit von Endemann iSte.] * [i. Aufl. 1865.]

1 TicffendB Worte Ftck't in dei Heidelbe^er kritüclieii ZdUcluift I, S. 479-

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20 Ueber di« vitKiucharüiche Behandlung des deutschen Handelsiechts

und Erläuterungen, 1848). Den glanzenden, wenngleich nicht selten einseitigen historischen Untersuchungen Frdm^ry's (Etudes de droit commercial, 1833) reihten sich die gründ- lichen Forschungen B i e n e r ' s über die Geschichte des Wechsels an (Abhandlungen aus dem Gebiet der Rechts- geschichte, 1846 [1859]).

Der Deutschen Wechselordniuig selbst ist eine reiche und gediegene Literatur gefolgt, welche den jetzigen Standpunkt " der deutschen Rechtswissenschaft nach allen Richtungen hin würdig repräsentirt. An ihr Gelingen knüpft sich zugleich die Hoffnung, den berechtigten Wunsch nationaler Gesetz- gebung wenigstens im Gebiet des gesammten Handelsrechts verwirklicht zu sehen.

Was in den letzten zehn Jahren für dasselbe geleistet ist, lehnt sich durchaus an die bisher charakterisirten Richtungen an. Hier zuerst hat die deutsche Rechtswissenschaft die Ver- söhnung römischer und modemer Elemente und die Ver- schmelzung beider zu einem neuen Ganzen, die Einfügung neuer Rechtsgedanken in das überkommene, aber in der Gegenwart vertiefte System der römischen Begriffe, wie deren dogmatische Konstruktion, vielfach nicht ohne Glück, versucht. Hier hat auch jenes bald hoch gepriesene, bald tief geschmähte »Natur- studiumt reiche Frucht getragen, das, richtig verstanden, nichts Anderes ist als die klare Erfassung der wirthschaftlichen Ge- setze, nach denen der Wille der Verkehrtreibenden sich be- stimmt und denen gemäfs er die Regeln aufstellt, welche all- mälig in Form der Gewohnheit oder des Gesetzes sich zum positiven Recht verdichten. Selbst die ehemals so schroffe Scheidung der Theorie von der Praxis hat auf diesem Gebiet einem erfreulichen Zusammenklang Raum gegeben, und zahl- reiche Sammlungen von Entscheidungen deutscher Gerichts- höfe, wie deren sorgsame Berücksichtigung in der neueren wissenschaftlichen Literatur, z, B. in Beseler's System des gemeinen deutschen Privatrechts, Bd. III, 1855 [4. Aufl. 1885], und in Renaud's Lehrbuch des Wechselrechts, 2. Aufl., 1857 [3. Aufl. 1868], geben davon ein beachtenswerthes Zeugniss.

Was uns Noth thut, ist also nicht ein neuer Stand- punkt, sondern die gleichmässige Pflege aller der verschiedenen und sämmtlich fruchtbaren Riebtungen, welche nach einander in der Ge-

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und den Zweck der ZeiUchrin fOt da» getammte Handelmcbt. 21

schichte unserer Wissenschaft hervorgetreten sind: der wirthschaftlichen (iNatur der Sache<), wie der ge- schichtlichen und dogmatischen; die genaue Beachtung wie unserer einheimischen Praxis, so der Gesetzgebung, Recht- sprechung und Literatur aller auf gleicher Kulturstufe stehen- den handeltreibenden Nationen; endlich auch die liebevolle E^ege und immer sichere Ergründung der ursprünglich fremden, aber mit uns verwachsenen Elemente unseres heutigen Rechts, deren wir uns weder entäussem wollen, noch zu entbehren im Stande sind. Allerdings braucht man nicht nothwendig röniisch zu denken, um streng juristisch zu denken ; allein wer Überall und prinzipiell anders denken will als die Römer, selbst da, wo deren Auffassung unseren heutigen Verkehrsbedürf- oissen vollkommen entspricht, wird nicht selten das juristische Denken ganz verlernen. Dem wirklich reifen Gedanken setzt die römische Theorie, richtig verstanden, keine Schranke. Von wirklichen Fesseln des Romanismus befreien können wir uns nur durch unbefangenste ErgrUndung unseres gegenwärtigen Rechtszustandes, seiner ökonomischen und geschichtlichen Grund- lagen.

Gegen jede einseitige Uebertreibung der einen wie der andern Richtung tragen Wissenschaft und Leben in sich ihre Korrektive.

Hiermit glaube ich, wie meinen eigenen Standpunkt in unserer parteienretchen Zeit für den ich übrigens den Vor- wurf des Eklekticismus keineswegs scheue so auch die all- gemeine Aufgabe dieser Zeitschrift bezeichnet zu haben, deren Methode und Inhalt durch den vor einiger Zeit erschienenen Prospekt in folgender Art angegeben ist:

>Dte Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht stellt es sich zur Aufgabe, dem deutschen Juristen- und Handels- stande ein Centralorgan für diesen wichtigen Rechtszweig zu werden.

Der Herausgeber gedenkt dieses Ziel zu erreichen so- wohl durch gleichmässige Vertretung sämmtlicher Theile des Handelsrechts in selbständigen Abhandlungen, wie durch SOTgfältige Berücksichtigung aller irgend erheblichen Er- scheinungen auf dem Gebiete der Gesetzgebimg, der Rechts- Ubung und der Literatur in allen Theilen Deutschlands. Das Rechtsleben einzelner deutscher Städte wird nur insofern

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22 Uebet die wiweDicIiBrtlicIie BeliandluDg des deuticlien Handelirecbti

vorzugsweise Berücksichtigung erfahren, als die Wichtigkeit der dort geltenden Rechtsnormen oder zur richterlichen Ent- scheidung gelangten Rechtsfragen solche erheischt.

Bis zur ersehnten Vollendung eines Deutschen Handels- gesetzbuchs fallt der Zeitschrift die weitere Aufgabe zu, die Grundlagen wie die Bausteine zu prüfen, auf und mit denen das grolse Werk errichtet werden soll; ist der Bau beendigt, so soll sie den Uebergang aus dem alten in das neue Recht vermitteln, die mühsam errungene Einheit wahren und der drohenden Zersplitterung der deutschen Praxis nach Mög- lichkeit vorbeugen.

Den Anforderungen der Wissenschaft wie des Lebens kann jedoch das zu begründende Organ nur alsdann gerecht werden, wenn es zugleich durch treue Erforschung der Ver- gangenheit die geschichtlichen Grundlagen unseres geltenden Rechts aufzudecken und so dem gegenwärtigen Rechls- zustand eine sichere Basis zu gewahren bestrebt ist Auf diesem Felde vorzüglich ist noch Vieles zu tbun, und wird durch die Kodifikation nicht entbehrlich werden.

Soll nun auch das Deutsche Handelsrecht, das gemeine, wie das besondere der Einzelstaaten, vorwiegend dargestellt werden, so erscheint es doch durchaus geboten, auch die Rechtsentwicklung des Auslandes nicht zu ignoriren. Die immer wachsenden Dimensionen des auswärtigen Waaren- handels, der enge Zusammenhang der Geldverhältnisse in allen Theilen der Erde, die steigende Bedeutung der überall- hin verbreiteten Kreditpapiere, die Entstehung ungeheuerer Associationen, welche ihre Operationen über alle civilisirten Länder ausdehnen, machen die Kenntniss des Rechts wenig- stens der wichtigsten Handelsvolker dem Juristen wie dem Kaufmann unentbehrlich. Gleich erheblich sind die aus der Natur des Handelsrechts hergenommenen Gründe. Dasselbe ist in vielen Punkten allgemeines Recht aller handeltreibeo- - den Staaten; es ist für sie theils aus gemeinschaftlichen Quellen hervorgegangen, theils haben die gleichen Bedürf- nisse überall ähnliche Normen erzeugt; selbst unmittelbare Entlehnungen fremden Rechts sind nirgends häufiger als auf diesem Gebiet. So bietet das fremde Recht ein wichtiges Hülfsmittel für die richtige Erkenntniss imseres eigenen, die fremde Gesetzgebung und Rechtsbildung nicht allein Be-

MD^ dm Zweck dn Zeitschrift tat du get*mtate Haadeltncht. 23

lehning, sondern auch ein häufig bedeutsames, und nament- lich in dem gegenwärtigen Stadium der deutschen Rechts- bildung höchst beachtenswerthes Vorbild. Die Literatur des auswärtigen Handelsrechts ist überdies so reichhaltig und werthvoll, dass deren Vernachlässigung der deutschen Wissen- schaft nur bleibenden Nachtheil bringen könnte.

Das umfassende Gebiet der Volkswirthschaftslehre ist zwar selbstverständlich ausgeschlossen, allein die bedeuten- deren literarischen Erscheinungen auf demselben sollen insoweit berücksichtigt werden, als deren Inhalt für die tiefere Einsicht in das Wesen des geltenden Handelsrechts tind dessen zweckmässige Gestaltung förderlich erscheint.

Die Zeitschrift wird demgemäß enthalten:

1. Abhandlungen dogmatischen, exegetischen und histo- rischen Inhalts.

2. Uebersichten über ältere und neuere Quellen des Handelsrechts, namentlich über geltende Usancen und über deutsche und fremdländische Gesetzgebung.

3. Die wichtigeren einschlägigen PräJudicien der deut- schen und, soweit möglich und zweckmäs^g, der auswärtigen Gerichtshöfe.

4. Uebersichten der inländischen und ausländischen handelsrechtlichen und nationalökonomischen, namentlich handelswissenscbaftlichen Literatur in Recensionea, Aus- zügen und Anzeigen.

5. Miscellen, insbesondere statistische Nachrichten aus dem Gebiete der Handelsrechtspflege. <

Im Einzelnen mag hier noch Folgendes bemerkt werden: Die Zeitschrift beschränkt sich auf das Gebiet des Handels- rechts, begreift darunter indessen, nach dem Vorgang neuerer Gesetzbücher und der Entwürfe für ein Deutsches Handels- gesetzbuch, namentlich auch diejenigen allgemeinen Lehren des Obligationenrechts, welche für die Regelung des Handels- verkehrs von besonderer unmittelbar praktischer Wichtigkeit sind '.

In der möglichst vollständigen und gleichmässigen Ver- tretung der faandelsgericbtlichen Praxis aller deutschen Staaten

' VgL meine Krilitc des Entwurfs eines HaDdelsgesetibocbi für die pientsiscben Stuten, Heft i, S. i, i.

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24 Ueber die winenschafUiche Behandlung des deutschen H*ad«1srechU

muss ein besonders wichtiges Mittel für die Förderung wie die Erhaltung nationaler Einheit auf diesem Gebiete gesehen werden. Die alsbaldige Mittheilung noch ungednickter Ent- scheidungen erscheint darum besonders wünschenswerth. Doch soll, um eine feste Zeitgrenze innezuhalten, nur ausnahmsweise über das verflossene Jahr hinausgegangen werden.

Aeltere, bisher ungedruckte, oder unvollständig oder fehler- haft oder in sehr seltenen Werken edirte, desgleichen wichtige neuere partikularrechtliche und auswärtige Quellen, falls er- forderlich mit f>eigefügter Uebersetzung, werden als wichtige Forderungsmittel für die geschichtliche Erkenntniss unseres geltenden Handelsrechts mit besonderem Dank aufgenommen werden.

In den LiteraturQbersichten sollen die bedeutendsten Er- scheinungen, insbesondere auch die durch reiche Kasuistik und durch sorgfältige Beobachtung des Handelslebens ausgezeich- neten französischen und englischen Werke, in eingehenden Recensionen besprochen, minder wichtige durch Auszüge oder Anzeigen zur Kenntniss gebracht werden.

Ft)r die Rubrik >Miscellen< sind statistische Nachrichten über die Praxis der Handelsgerichte, über die wichtigsten In- stitute des Handelsrechts, z. B. Über das numerische Ver- haltniss der verschiedenen Arten von Handelssocietäten nach Anzahl und Kapitalhöhe, femer einschlägige Mittheilungen aus Werken, welche einem anderen Gebiet angehören, endlich kürzere Bemerkungen erwünscht, welche nur den Zweck haben, zu weiteren Untersuchungen anzuregen.

Es ist im Laufe dieser Erörterungen mehrfach die ge- schichtliche Seite der Forschung mit besonderem Nachdruck hervorgehoben worden. Hätte B eseler Recht, dass dieselbe »so fruchtbar für andere Rechtstheüe, für das Handelsrecht in praktischer Hinsicht nur selten einen lohnenden Ertragt ge- währe, so dürften wir darin eine Erklärung der jedenfalls unleugbaren Thatsache finden, dass dieselbe gerade auf unserem Gebiete in unbegreiflicher Weise vernachlässigt ist, und dass wir in den meisten Fällen genöthigt sind, auf die nicht immer sorgfältig und unbefangen und selten mit annähernder Voll- ständigkeit angestellten Untersuchungen der auch hier sehr viel thätigeren französischen Juristen zurückzugehen. Richtiger haben wir indess die Ursache dieser Erscheinung in den be-

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und den Zweck der Zeitschrift fHr du getanunte HmdelttechL 25

sonderen Schwierigkeiten historischer Forschungen auf diesem Felde zu sehen, zu denen das erforderliche Rüstzeug wie die nothwendige Ausdauer nur Wenigen zu Gebote zu stehen pflegt'. Ueber den praktischen Werth derselben aber auch für das Handelsrecht durfte das Unheil des vorzugsweise praktischen und vielerfahrenen Gelpke entscheiden, welcher die geschichtliche Methode als die einzige bezeichnet, die »zu einem richtigen Verständnisse und zu einer angemessenen Aus- legung und Anwendung der positiven gesetzlichen Bestim- mungen< auf diesem Gebiet in den Stand setzt.

Inwieweit diese Zeitschrift die umfassend gestellte Auf- gabe zu lösen vermag, wird von der Unterstützung abhängen, welche ihr von den Männern der Wissenschaft und des Lebens zu Theil wird, deren Gewährung indess nach vielseitigen, ebenso erfreulichen wie mich ehrenden Zusagen in sicherer Aussicht steht.

I Dui diei nicht von B«ielei gilt, venteht lich von «elbst !□ einem Lehrboch des beutigen dentKben FrivMrecbts würde olineliiii die hiitoriicfae Ecörtemug nor einen geringen Ranm in Anspruch nehmen kSnnen. Dem Handelsrecht könnte nur damit gedient sön , wenn et UbeikU eine so um- Bchtige und voUstSndige Dantellung erführe , wie in dem Werke dieses au^ geieiclineten Gelehrten. Einen Uberau* eifrealichcD Fortschritt teigt auch hierin die neueste handelsrechtliche Monographie: Kuntie's Lehre voa den Inhaberpapicren, Leipzig 1S57.

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2. HANDELSRECHT.

(GESCHICHTLICHE ENTWICKLUNG.) (1892.)

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1. Einleitung,

ersteht man unter >Handel< den Güterumsatz schlechthin, so fällt die Geschichte des »Handelsrechts* mit der Ge- i

schichte des Verkehrsrechts zusammen, umschliesst somit auch den grössten Theil des gemeinen Obligationenrechts und einen grossen Theit des Sachenrechts. Nimmt man dagegen den Begriff »Handel* in dem engeren, allein technischen Sinne einer den Güterumsatz vermittelnden Erwerbsthätigkeit, so um- fasst das »Handelsrecht* nur die diesem besonderen Zweige wirthschaftlicher Thätigkeit eigenthümlichen Rechtsnormen und hat die Geschichte des Handelsrechts nur die Entwicklung dieses besonderen Rechtszweiges darzulegen.

Ein derartiges Sonderrecht hat sich seit alter Zeit aus inneren wie aus geschichtlichen Ursachen gebildet. Seine charakteristischen Eigeoschaften sind im Gegensatz zum ge- meinen bürgerlichen Recht die grBssere Freiheit, Beweglich- keit, endlich das höhere Maass upiversaler (kosmopolitischer) Geltung. Es ist um so dürftiger, je weniger entwickelt einer- seits die besondere Thätigkeit des Handels ist, je mehr anderer- seits das gemeine bürgerliche Recht den besonderen Bedürf- nissen des Handels entspricht; letzteres ist auch bei reicher Entfaltung der Handelsthätigkeit möglich. Ueberall aber nimmt es dem gemeinen bürgerlichen Recht gegenüber eine bahnbrechende Reformstellung ein. Wie dem Handel die Rolle des Organisators und damit auch des Herrschers in der ge- sammten Volkswirthschaft zufällt (Sc hm oll er), so ist auch das Handelsrecht unter dem vorherrschenden Einflnss wie Ober- wiegend nach den Interessen der wirthschaftlich am höchsten geschulten und weitsichtigsten Bevölkerungsklassen ausgebildet. Indem seine Tendenzen das gesammte bürgerliche Recht za

30 Hudelarecht (Geschichtliche EDtwieklimg.)

durchdringen pflegen, verengt es, in diesem erheblichem Theile aufgehend, auf der einen Seite seinen Sonderkreis, während gleichzeitig auf der anderen Seite durch neu hinzutretende Rechtssätze, welche mindestens zunächst oder gar schlechthin nur den besonderen Bedürfnissen des Handels entsprechen, sein Umfang in stetem Wachsen be- griffen ist. Sein jedesmaliges Verhältniss zum gemeinen bürger- lichen Recht ist so stets ein relatives: ein beträchtlicher ITheil des beutigen gemeinen bürgerlichen Rechts ist ursprüng- lich blosses Sonderrecht des Handels gewesen, ein erheblicher Theil des heutigen Handelsrechts strebt danach, zum gemeinen bürgerlichen Recht zu werden.

Findet in dem Handel und durch denselben wie der wirth-

S schaftliche Zusammenschluss, so die kapit^istische Organisation der Gesellschaft ihre volle Ausbildung, so mag man das Han- delsrecht als das Recht der zur Interessengemein- seßhaft verbundenen kapitalistisch o fgTüTs i r t e n Gesellschaft bezeichnen. Es bedarf niu* des Hinweises auf die grossen social-ethischen Strömungen und Gegenströmungen in den verschiedenen Epochen der Geschichte, um die wechselnde Bedeutung zu ermessen, welche dem Handelsrecht im Wechsel der Zeiten zugekommen ist und zukommt. Weiter hängt dies damit zusammen, dass, um neuere Schlagworte zu gebrauchen, der Handel und dessen Recht im Wesentlichen »individualistische angelegt sind und damit in scharfen Gegensatzzu der »socialen c oder »kollektivistiscbenc Strömung treten, welche das Wirth- scbaftsleben in verschiedenen Epochen beherrscht. Immerhin sind schon in den Uranfängen der Geschichte der Handel und sein Recht zugleich social einigend.

Denn von Urzeit her ist der Güterumtausch vornehm- lich diu^ die vermittelnde Thätigkeit des Händlers, ins- besondere des stammfremden, bewirkt worden. Den Mittel- punkt des Handels bildet von jeher der Markt, ursprünglich ein »befriedeter« Platz unter religiösem Sc£ütz; an den fried- lichen Markttausch knüpfen sich die Anfänge internationaler Rechtssitte und universalen Handelsrechts, und noch lange nach der Gründung der einen ständigen Markt bildenden Städte erhalten sich die vorübergehenden Markte und Messen als wichtige Stätten des Austausches uod Geldverkehrs für engere und weitere Kreise,

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t. EmleitoDs. 31

Mit der Ausbildung der ^^chiffahrt, hinter welcher der Binneotransport bis in unser Jahrhundert weit zurücktritt, wird der Handel der Mittelmeerstaaten, später auch des nörd- 1 liehen Europa, überwiegend Seehandel, daher die Rechtssätze I des Grosshandels vorwiegend im Seeverkehr entstanden und, wenn überhaupt, nur aUmäUg auf den Binnenhandel Über- tragen worden sind. So ist das griechisch-römische foenus h nauticnm fpecnnia trajectitia. Seedarlehn) die Grundlage me ' der hV^mifmv(^ichening. so des Wechsels geworden, bildet die Seeversicherung den Au^ang der Assekuranz Überhaupt, ^nd die überseeische commenda tind der Kolonialaktienverein die Urtypen der modernen Handelsgesdlschsft^S.jnit beschränkter b Haftung.

Aller Handel ist ursprünglich Tauschhandel , Handel im Umherziehen, Kleinhandel, Eigenhandel; nur allmälig haben sich die höheren Formen des Kauf-(Geld-)Handels, des stehen- den Handels, des Grosshandels, am spätesten""der "Kommissions- handel entwickelt, üie i hatbestände des Handels gehören zum erheblichen Theil bereits der altorieotalischen (egyptischen, insbesondere babylonischen, auch wohl phönizischen), dann der hellenischen und römischen Kulturwelt an; in minderem Um- fange lassen sich dieselben auch in dem mittelalterlichen nörd- lichen (germanischen, slavischen) Huropa nachweisen; überall hat auch mehr oder minder festentwickelter Handelsgebrauch bestanden. Aber die typische Rechtsform haben diese i Thatbestände vorwiegend erst von den Sötnem im Alterthum, l von den italienischen und anderen romanischen Mittelmeerstaaten I im Mittelalter empfangen. Die Rechtsbildung ist im Alterthum bis auf die justinianische Kodifikation, desgleichen im Mittel- alter vorwiegend eine gewohnheitsrechtliche gewesen, obwohl im Mittelalter das Statutarrecht der Städte wie der gewerblichen Innungen wachsende Bedeutung gewinnt. Auf der Mischung l antiker, mittelalterlicher und modemer Elemente beruht unser ': heutiges Handelsrecht; än~ der Fortbildung des von allen europäischen Nationen recipirten romanischen Handelsrechts haben seit Ausgang des Mittelalters alle Kulturvölker An- theil gencHnmeo; dorcb geschickte Kodifikation hat nament- lich im 19. Jahriiuodert Frankreich hier, wie auf allen Rechts- gebieten, vorwiegenden Einfluss gewonnen.

Die Hauptphasen der Entwicklung soll die folgende Ueber-

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32 Handelsrecht. (Geschiclitliche EntwicIduDfi.)

sieht ergeben, welche im Wesentlichen der bisher einzigen Darstellung der Geschichte des Handelsrechts (Goldschmidt, Universalgeschichte des Handelsrechts [auch Handbuch des Handelsrechts, 3. Aufl., I] 1. Lieferung, 1891, dazu einstweilen noch auch Goldschmidt, Handbuch des Handelsrechts I, 2. Auß., 1875) entnommen ist.

2. Das Handelsrecht der alten Welt

I Das Wirthschaftsleben der alten Welt wird wesentlich

\ durch den allgememen _Be5tand der Sklaverei bedingt, sein Grundzug ist der hauswirthschaftliche Typus, obwohl solcher den Handel weniger als andere Wirthschaftszweige beherrscht- Der Grossbetrieb ist vorwiegend kapitalistischer Waaren- und Geldhandel; das Transportgewerbe und die mannigfachen, all- mäiig vervielfältigten Hilfsgewerbe haben sich selten zu selbst- ständigen Unternehmungen ausgebildet. Zwischen dem Herrn und dessen als Geschäftsführer oder auch auf eigenen Namen Handel treibenden Sklaven (HaussOhnen) bestehen in der Haupt- sache nicht Rechts-, sondern blosse Rechnungsverbältnisse.

1. Eigenthtlmliches Handelsrecht der grossen orien- talischen Reiche ist nicht bekannt, obwohl namentlich bei dem grossen Handelsvolke der Babylonier im neubabylonischen Reiche ein beträchtlicher Theil der heutigen Handelsgeschäfte begegnet und der Kreditverkehr entwickelt ist. Gänzlich ver- scbollen ist das Recht der Phönizier und Karthager; die aben- teuerliche Hypothese Revillouts (Les obligations en droit Egyptien, compar^ aux autres droits de i'antiquit^, Paris 1886), dass von den Phöniziern, indirekt durch deren Vermittelung von den Egyptem und Babyloniem, der eigentlich brauchbare Theil des römischen Rechts stamme, entbehrt jeden Anhalts. Nicht Handelsvolk war in seiner Heimath das jüdische Volk.

2. Was von besonderem Handelsrechte der hellenischen Staaten, auch der Handelsstaaten, einschliesslich der hellenisti- schen Weltemporien, wie Alexandria, Seleucia u. a., bekannt ist, geht nicht Über vereinzelte Notizen hinaus. Die ge- schriebenen Gesetze sind uns nur zum geringen Theil erhalten,

I das Verk^ursrecht witerlag überwiegend der flüssigen Handels-

' Sitte und der freien Uebereinkunft. Voll entwickelt ist das

wichtige Seedarlehmgeschäft, die grosse Haverei jeden^ls in

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3. Du Handettrechl dei alten Well. 33

Rhodos (lex Rhodia de iactp) geregelt, das Bankwesen aus- gebildet, zumal in Attika, wo gesetzliche Zinsfreiheit herrschte. Zu Assekoranzen und Wechseln begegnen Ansätze, Inhaber- und Orderpapiere finden sich in hellenistischer Zeit. Bei Über- wiegender Unproduktivität des herrschenden BUrgerstandes pflegten nur Grosshandel und Rhederei höhere Achtung zu gemessen, \rährend sogar die gegen den Materialismus re- agirende spätere philosophische Spekulation (Plato, Aristoteles) jede Arbeit um Gelderwerb, insbesondere den Handel und die Zinsleihe, brandmarkte.

3. Der griechischen Philosophie schÜesst sich die entlehnte Philosophie der Römer, insbesondere Cicero's an, wie deoa auch die Sitte dem ersten (Senatoren-) Stand den Handel auf eigenen Namen untersagte und das Gesetz (Lex Claudia 216 a. Chr.) denselben von der Grossrhederei ausschloss. Der höhere römische Kapitaliste nstand^^ die eguites der späteren Republik, betrieb dagegen in erheblichem Umfange die handels- mässige Grossspekulation. Immerhin ist seit den letzten Jahr- hunderten des Freistaates der äusserst umfassende Handel des römischen Weltreiches in römischen Händen, die Hauptstadt Rom ein Verkehrs- und Bankplatz ersten Ranges, auch Mittel- punkt der abendländischen Industrie , insbesondere des Kunst- handwerks. In der blühencistenWirthschaftse poche der alten Welt, der römischen Kaiserzeit, bildete das Weltreich ein un- geheures Wirthschafts-, ja Freihandelsgebiet, in welchem Ge- werbef reiheit . wie Freizügigkeit bestand und zu Lande wie zur See ein verhältnissmässig wenig gestörter Frieden (pax Romana) herrschte. Erbe der Gesanuntkultur der alten Weit hat dieses- Weltreich auch kommerziell und nautisch die auf allen Lebens- gebieten bewährte selbstständig ordnende und assimilirende Kraft entwickelt.

Sein ursprüngliches Stadtrecht (ius civile), welches bei aller Schneidigkeit und Schärfe dem grossen Verkehr äusserst förderlich war, hat durch Aufnahme aller brauchbaren Ele- mente aus dem Recht der verbündeten und unterworfenen Völker sich zum Weltrecbt (ius gentium) ausgebildet und da- mit auch für den dar^'^'C" TVplthanHfl eine universale Rechts- Ordnung von unvergleichlichem Werthe geschaffen. Weniger j duTcK besondere Satzungen für den Handel, obwohl es auch an solchen und sehr wichtigen keineswegs fehlt (Sonderrecht

GoldichmEilt. V«rnii.rbte SchiiTien. 11. 3

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34 HuddiTMlit (Geschichtliche Entwicklung.)

der Bankiers, der Skkvenhändler, der publicani . actio tribu- toria, exercitoria, Seedarlehn und grosse Haverei), vielmehr dadurch, dass das gemeine bürgerliche Recht in einer auch den Anforderungen des grossen Handelsverkehrs entsprechen- den Weise aus- und durchgebildet wurde, dazu der wechseln- den Verkehrssitte und dem erkennbar erklärten Willen der Interessenten freiester Spielraum gelassen wurde, Treue und Glauben (bona fides) in der Rechtsprechung die sorgsamste BerUcksicBtigung"Tanden.

Freilich begegnen bereits in klassischer Zeit Vergröbe- rungen und werden bedenkliche Abwege (z. B. Ausartung der Hypothek, Erweiterung der Konkursprivilegien) eingeschlagen ; aber doch erst in der späteren Kaiser zeit und unter dem Ein- fluss christlicher Weltanschauung findet sich ein gegen die Auswüchse d^ Kapitalismus (Ausbeutung^ Wucher j_ Härte) gerichteter, systematischer Schutz, welcher vielfach auch den redUchen Handel unangemessen einengte, und begegnen mancher- lei Irrungen, insbesondere mechanische Abgrenzungen des Er- laubten und Unerlaubten, welche dem stetig sinkenden Niveau des Verkehrs wie der juristischen Kraft entsprechen. Lebens- fähige Genossenschaften hat das alternde Reich nicht mehr erzeugt, wohl aber pnvUegirte, aber auch besonders besteuerte Zwangskorporatiooea ^insbesondere der navicnlarii) mit aus- gedehnter Specialjurisdiktion und damit ein eigenthümliches, in der Hauptsache freilich fiskalisches, kaufmännisches bezw. gewerbliches Handelsrecht. Daher auch die charakteristischen Versuche einer gesetzlichen Tarifirung der Waarenpreise und der Arbeitslohne (Diocletian) oder die Herabsetzung der gesetz- Hchen Zinstaxe, während der thatsächliche Zinsfuss in stetem Steigen begriffen war (Justinian),

Als das römische Weltreich zerfiel, stand der Handel der ganzen damaligen Kulturwelt, von dem fernen Osten abgesehen, unter dem vorhin charakterisirten römischen Weltrecht. Aber ein nicht unbeträchtlicher Theil dieses Rechts ist in die Justi- nianische Kodifikation nicht übergegangen, ein anderer durch abstrakte Behandlung verdeckt und schwer erkennbar (z. B. hinsichtlich der commenda, des Wechsels, der Orderklausel etc.). Für dieses versteckte, insbesondere aber für das in der Ört- lichen und provinziellen Praxis fortlebende römische bezw.

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3- Du HondclirMfat im Mittelalter. 35

hellenische Recht mag man den Namen > Vulgarrecht« braachen. (Vgl. meme Universalgesch. , S. 90—94 und das soeben er- schienene bedeotende Werk von L. Mitteis, Reichsrecht und Volksrecht in den östlichen Provinzen des römischen Kaiser- reichs, Leipzig 1891.)

3. Das Handelsreoht im Hittelalter.

Mit dem Untergang des weströmischen Kaiserreichs, der immer schärferen Scheidung von Abend- und Morgenland (Islam, arabische Herrschaft), der neuen germanischen Staaten- bildong, der germanischen Kolonisation des Ostens verliert der Welthandel seinen einheitlichen Charakter. Wenngleich in ge- wissen Richtungen sich sein Gebiet erweitert (insbesondere nach Nordosten), so verengt sich doch sein Umfang, gehen die Leistungen von Handel und Schiffahrt zurück, vergröbert sich das Verkehrsrecht und zersplittert sich in enge, zum Theil sehr beschrankte Herrschaftsgebiete. Nur allmälig gelangt es mittelst gesteigerter Wiederaufnahme antiker Elemente und durch Ausbildung universalen Handelsgebrauchs zur grösseren Einheit, im WiderstreJL JBJl .kiichlicher.. W£lUD^hil^u^.g zn freier Vollentfaltung.

I. Bis in das 12. Jahrhundert bleibt das byzantinische Reich Träger des orientalisch-europäischen Welthandels, jedoch uiter wachsender, siegreicher Konkurrenz der Araber, welche eine neue, auf Eroberung, Glauben und Handel gebaute Welt- herrschaft über nahezu den ganzen Orient aufrichten, ja Jahr- hunderte hindurch einen erheblichen Theil der westlichen Mittelmeerländer unterwerfen. Ihre Münze ist zeitweise Welt- mÜDze, zahlreiche arabische Bezeichnungen von Handelsinsti- tuten und Waaren (Arsenal, Magazin, Karawane, Sensal, zecca Safran, Kaffee, Juwel, Kattun, Atlas etc.) sind in die euro- päischen Sprachen übergegangen. Eine Weltemmgenschaft bildet das indisch-arabische Zahlensystem, welches zu Anfang des 13. Jahrhunderts (Lionardo Fibonacci) im Abendlande be- kannt wird. Auch das reich ausgebildete Verkehrsrecht des Islam mag die abendländische Rechtsbildung beeinflusst haben ; doch liegt die Annahme näher, dass die Araber die im Ver- r kehr noch fortlebenden Rechtsinstitute des römischen Welt-/ rdchs recipirt, vielleicht auch weiter verbreitet haben.

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36 HindeltKcht. (Geschichiliclie Entwicldung.)

Das byzantinische Reich ist, nach vorübergehenden Ver- suchen selbstständiger Fortentwicklung des Rechts, in der Haupt- sache bei dem justinianischen Recht (Basiliken 886—911) ver- blieben. Der sog. vö^ios'Po^ituv vattiviög, das pseudorhodische Seerecht (Pardessus, CoUection de lois maritimes I, p. 231 bis 251, Basilika lib. 60 (ed. Heimbach] t. V, p. 119—127) ist aus justinianischen Quellen und lokalen oder provinziellen Satzungen bezw. Gebräuchen des östlichen Mittelmeeres zusammengestellt, nach Annahme Zachariae's im 8. Jahrhundert als Kaisergesetz erlassen, nach Form und Inhalt ein mittelalterliches Seerecht, welches dem gesimkeaen Stande von Seeschiffahrt und Rechts- kunst entspricht.

2. Die germanischen Stämme treiben dürftigen Binnen- handel, noch überwiegend Tauschhandel; nur von einzelnen Seevölkem, insbesondere den Nordgermanen (Skandinaviern) und den Friesen, ist Antheil an dem Welthandel bezeugt. Nur in hartem Kampfe mittelst straffen genossenschaftlichen Zu- sammenschliessens gelangen, neben den gemeinfireien und ritter- lichen Grundbesitzern, Handel und Handwerk in den neu auf- blühenden Städten zur selbststflndigen Stellung. In wachsendem Maasse erringen Grosshändler und Grossindustrielle, vornehm- lich in monopolistischen Kaufgilden oder Hansen, dann auch die kleineren Handelsleute und Handwerker in ihren Zünften und Innungen die Verkehrspolizei, Gerichtsbarkeit, Selbstver- waltung! Wenn in älterer Zeit überwiegend römische Pro- vinzialen, Syrer, eingewanderte und umherziehende Italiener (»Lombarden«), Stifter, Klöster, kirchliche Orden und Weh- geistliche, endlich die trotz ihrer gesteigerten Schutz- und Rechtlosigkeit in wachsendem Maasse sich ausbreitenden Juden die Träger von Handel und Industrie sind, so bildet sich all-

Imälig ein selbststäodiger, aus Freien, bestehender germanischer Handelsstand und seit dem 12. Jahrhundert eine neue geld- wirtßscTiäftliche Organisation der freien gewerblichen Arbeit. So in der städtischen Marktgenossenschaft, deren iKaufmanns- recht* auch auf Nichtgewerbetreibende erstreckt wird; in den Innimgen und Zünften der Handwerker; in den Gilden oder Hansen , welche namentlich im überseeischen Auslande als wagende Handelsgenossenschaften auftreten, ein wachsendes Kolonial- oder doch Faktorei-System begründen und mit Erfolg den zahllosen Hinderungen und Bedrückungen des Handels,

3- Du Hudeltrecbt im Mittdilter. 37

namentlich der Fremden, entgegentreten. War der fest ge- ordnete Grosshandet der Romerzeit zerfallen, der Kredit-, ja nahezu der geldwirthschaftltche Verkehr rerktlmmert, waren die sicheren Handelswege der alten Zeit zu erheblichem Theile abgeschnitten, Wirthschaft und Recht territorial und lokal zer- splittert, so bilden sich doch die schöpferischen Keime einer grossen, in Wirthschaft und Recht das Alterthum schliesslich uberflOgelnden Zukunft. Der rohere, aber kräftig vorstrebende Kleinbetrieb in Handel und Handwerk, die Arbeit der in liiannigtafügen genossenschaftlichen Bildungen gegliederten Freien und der durch freien Dienstvertrag wie durch die Korporationsverfassung ihnen verbundenen Hilfspersonen ist an die Stelle des kapitalistischen Grossbetriebs der alten Welt getreten; es bilden "sich zäElreicBe Hilfegeschäfte des EÜndels zu selbstständigen Verkehrs- und Rechtsinstituten aus; der früher verdeckte Gegensatz des Platz- und Distanzfaandels, des Eigen- und Kommissionshandels gewinnt an Bedeutung.

Das Recht dieses neuen Verkehrs ist überwiegend Ge- wohnheitsrecht, die verkehrspolizeiliche Gesetzgebung der karo- lingischen Könige (Capitulana) verkümmert bald. Trägt schon das neue städtische Recht der »Bürgere, das ius fori = ius mercatorum, Kauffleutrecht, welches von Stadt zu Stadt über- tragen wird, die merkantile Signatur, so erzeugen gleiche Be- dUrinisse, das wachsende Netz der »gefreiten und befriedeten« Märkte und Messen, der Handelsverträge und Handelsnieder- lassungen ein nahezu gemeinsames Recht , zuvörderst der \ Mittelmeerlander. Der juristisch geschultere romanische Geist, ' das frtlfa au^ehildete Institut der Notariatsurkunden mit ihren typischen, formukrmässigen Festsetzungen, die ausgedehnte Jurisdiktion der Innungsgerichte fuhren hier zu genauer und vielfach gleichmassiger, fast gesetzlicher Fixiruny. Allein auch hier, vornehmlich in Frankreich, erhalten sich germanische Rechtsanschauungen lebendig und gelangen in den unter römischer Zucht ausgebildeten Rechtsinstituten zur Entfaltung. (Die Nachweise in meiner Universalgeschichte S. 131 137.)

3. Gegen den aufblühenden Handel und Kreditverkehr verhält sich das Recht der Römischen Kirche wesentlich negativ. Das leitende Prinzip der kirchlichen, immer schärfer zugespitzten »Wuchertheoriet besteht wesentlich darin, dass das Geldkapital unproduktiv ist und sein soll, daher das Zinsen-

38 Handelsrecht. (Geachichtüche EntwicklaDE)

nehmen in Darlehen und sonstigen Kreditgeschäften prinzipiell unstatthait ^ aller Gelderwerb >ohne rechte Arbeit« sündhaft oder doch mindestens verdächtig, »Preisgerechtigkeit« überall zu erzielen.

IWeit über sein berechtigtes Ziel hinausschiessend , schei-. terte dieses kühne und konsequente System kirchlicher Ver- kehrsbevormundung an dem Schwergewicht der wirklichen wirthschaftlichen Interessen. Die praktische Folge des Zins- verbotes bestand nur darin, dass der ohnehin naturgemäss hohe Zinsfass sich erheblich steigerte und eine in periodischer Plünderung der »Wucherer* (insbesondere der iLombardeo« und der Juden) gipfelnde Verwirrung aller wirthschaftlichen und Rechtsbegriffe sich über das Mittelalter hinaus behauptet

(hat. Auf die Ausbildung des Handelsrechts hat die kirchliche Doktrin und Praxis keinen wesentlichen Einiluss geübt. Die gegentheilige, insbesondere von Endemann verfochtene An- sicht wird dadurch widerlegt, dass sich im Gesammtgebiet des neueren Handelsrechts kein praktischer Rechtssatz nach- weisen iässt, welcher jener Kirchenlehre seine Entstehung ver- dankt oder auch nur in seiner Entwickelung durch die Kirche beeinflusst wäre. Und wenngleich einzelne Rechtsinstitute

1 unter der Ungunst der Kirchenlehre verkünstelte Gestaltungen annahmen, wie das Handelsdarlehn und das verzinsliche Depo- sit, so ist doch sogar hier die endliche, wenngleich nur wider- willige Anerkennung nicht ausgeblieben. Nur darf nicht übersehen werden, dass auch das weltliche Verkehrsrecht des Mittelalters J-uf^Zwang^ und Kontrole beruht, freilich nicht nach kirchlichen Gesichtspunkten kirchlicher Oberen, sondern nach Auffassung der Berufs- und Standesgenossen. Ans i' eigensten Bedürfnissen und Anschauungen heraus hat der i mittelalterliche Kaufmannsstand sein Recht gebildet,

4. Das zunächst lokale Handelsgewohnheitsrecbt der romanischen S_tädte_wurde durch die in typischer Form von Notaren geschlossenen Rechtsgeschäfte (Notariatsurkunden) entwickelt imd befestigt; durch Statuten der Stadtgemeindeo unter denen das constitutum usus von Pisa, um 1161 redi- girt, den vornehmsten Platz behauptet und der gewerblichen Innungen zum erheblichen Theil kodificirt ; durch zünftige und staatliche Rechtspflege, im internationalen Verkehr durch Handels- und Schiffahrtsvertra|;e_fortgebildet. Nur dies sind

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3- XH* Handeltrecht im MitteklUr. 39

die sicheren und unmittelbaren Erkenntnissquellen des neueo Gewohnheitsrechts-, die meist jüngere Literatm- , insbesondere die theologisch-kanonistische , gibt nur ein eigenthUmlich ge- färbtes Spiegelbild.

Unter den gewerblichen Innungen pQegt die Kaufmanns- innung die erste Steile einzmiehmen; mitunter, z. B. in Pisa, bilden die Grossfaändler zur See und die Rheder einen be- sonderen Verband, desgleichen Qnden sich häufig besondere Innungen der Bankiers (bancherii, campsores), der Tuchhändler und Tuchfabrikanten (ars lanae) u. A. m. In einzelnen Städten begegnen Gesammtverbände vieler Innungen (in Pisa, spater in Florenz die universitas mercatorum oder mercanzia u. s. f.). Die Statuten der Kaufmannsinnung oder Innungen (statuta mercatorum), welche überwiegend erst seit dem Ende des 13. Jahrhunderts redigirt sind, enthalten ursprünglich in dar" Hauptsache ge werbepolizeil i che und prozessuale Satzungen, haben aber allmälig in wachsendem Umfange auch Privat- rechtssatze aufgenommen und werden so nahezu Kodifikationen des partikulären Handels- und GewerberechtSj z. ii. in Florenz, Bologna, Siena (meine Universalgeschichte S. 166 169).

Polizei und Rechtspflege pflegt bei den Innungsvorstehem (consules und drä-gl.) zu stehen i unter Ausschluss öder unter elektiver Konkurrenz mit dem ordentlichen (städtischen) Ge- richt. Bei überwiegender disciplinärer und gewerbepolizeilicher Gerichtsbarkeit werden doch auch die privatrechtlichen Streitig- keiten mindestens unter den Innongsgenossen, vielfach darüber hinaus, der Kognition des Innungsgerichts unterstellt (Innungs- sache, Handelssache, causa mercantilis) -, die Jurisdiktionsgrenzen ] schwanken, sogar innerhalb der einzelnen Stadtgemeinden, nach | politischen und anderweitigen Wandelungen (mein Handbuch I', S. 42 und 43). Das Verfahren dieser keineswegs als > Handelsgerichte c eingesetzten, wenngleich auch als solche fungirenden Innungsgerichte ist summarisch und zeigt zahl- reiche, einerseits auf Schleunigkeit der Entscheidung, anderer- seits auf freie Wahrheitsermittelung berechnete Eigenthümlich- keiten.

Zur Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten auf der Fahrt der in Convoy segelnden Handelsschiffe und während des vor- übergehenden Aufenthaltes in der Fremde dienen die »Reise- konsuln« ; für auswärtige Faktoreien die von den Mitgliedern

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40 Handelsrecht. (Geidiichlliche Eotwieklung.)

der Faktorei gewählten oder von der Obrigkeit der Heimat bestellten ständigen Konsuln, mitunter besteht auch ein General- konsulat (z. B. das Venetianer und das Pisaner in Syrien).

Besondere Seegerichte (consulatus maris) begegnen theils als AdministratlTbehOrde und Gericht einer Seehandelsgilde (so in Pisa, Valencia, ursprünglich wohl auch in Genua und Barcelona), theils als Staatsbehörde (z. B. 1347 in Barcelona).

Theilweise aus der Rechtsprechung der Seegerichte sind besondere Seerechte hervorgegangen: Venedig 1255. Amalfi (tabula Amalfitana vermuthtich dem 13. und 14. Jahrhundert angehörig), Trani (1363?, es wird behauptet 1063, 1183, 1453), Barcelona (costums de la mar, 13, Jahrhundert, später genannt Ubro de consolat de! mar, in letzter Redaktion um 1370), Ancona (spätestens 1397), Ol^ron jjei La Rochelle (vielleicht cchon aus dem 12. Jahrhundert). Anderswo bildet das See- recht einen Theil des Statuts der Seehandelsgilde (Pisa: breve curiae maris 1305, breve dell' ordine di mare 1332) oder des Stadtrechts (z. B. in Genua 13. und 14. Jahrhundert, Mar- seiUe 1255).

In den Kolonialstaaten gilt durchgehends das besonders kodificirte Recht der Mutterstadt, z. B. genuesisches Recht in Pera (Galata): magnum volumen Peyre 1316, und in der Krim (Gazaria): imposicio ofäcii Gazariae 1313 1441; pisanisches Recht in Sardinien: breve portus Kallaretani 1318.

Daneben finden sich endlich zahlreiche Ein^lgesetze, wie Mäklerordnungen (z. B. Barcelona 1271), Handelsprozessgesetze (z. B. Valencia zwischen 1336/43), Versicherungsgesetze (z. B. Barcelona 1435—1484) u. A. m.

5. Eine Rechtsganeinschaft der italienischen oder sonstigen romanischen Kaufleute verschiedener Handelsplätze im Aus- lande findet sich nur ausnahmsweise. VornehmlicE" in Frank- reich auf den Messen der Champagne besteht seit dem Aus- gange des 13. und im Laufe des 14. Jahrhunderts eine Ver- bindung der provengalischen Handelsstädte und eine noch bedeutsamere univcrsit^is mercatorum Lombardonim et Tusca- norum unter einem Generalkapitän, welcher den Specialkonsuln der einzelnen zum Verbände gehörigen Städte und Innungen übergeordnet ist (meine Universalgesch. S. 193—200). Die Champagnemessen aber sind seit dem 12. Jahrhundert die Mittelpunkte des Waaren- und Geldverkehrs für das ganze

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3- Du Hutdelvecht in Hitldtlter. 41

westliche Europa; auf sie werden GeldverpQicfatungen aller Art abgestellt, die Champagner Messplatze sind europäische Wechseldomizile. t^iH da die sechs JahresineSS<:tu (](!r vier Messplätze (L^gny sur Marne [1], Bar surAube [1], Provins[2], Troyes [2]), eine jede über sechs Wochen während und in etwa zweimonatlichen Zwischenräumen aufeinanderfolgend, nahezu das ganze Jahr ausfüllten, so war die Champagne ein gleichsam ständiger Mess- und Zahlungsplatz. Die hier kon- trabirten Schulden unterlagen der ausschliesslichen Jurisdiktioo des MessgCTchts, genossen stillschweigende Hypothek und un- bedingten Vorzug vor sonstigen Schulden, wurden im schleu- nigen Verfahren abgeurtheilt und mit äusserster Strenge durch Personalhaft exequirt. Polizei und Gerichtsbarkeit der Messen wurden von der landesherrlich bestellten Messbehörde gehand- habt, den maltres oder gardes des foires (custodes nundinarum) ; Berufung geschah an das Obergericht der Champagne~oder an das Pariser Parlament. Gegen Schuldner, welche sich dem Gerichtszwang entzogen, erging Ezekutionsmandat der Mess- behOrde mittelst Befehls bezw. Requisition an das Heimaths- gericht, unter Androhung des Messbannes, dessen Vollstreckung für alle Angehörigen der betreffenden Stadt oder des betreffen- den Staates den Ausschluss von der Messe nach sich zog. Die MessbehOrde bildete so eine Centralbehörde, von welcher Kauf- leute aller Nationen Schutz gegen Vertragsbruch und sonstige Rechtsverletzungen erlangten.

Mit dem Verfall der Champagnemessen seit der Mitte des 14. Jahrhunderts wurde das sb^rage Messrecht auf neu errichtete Messen übertragen, insbesondere auf ^ zuerst 1419 «richteten, 1494 definitiv" geordneten Messen von Lyon, deren BlUthe dem 16. und 17. Jafariiundert angehört. Nunmehr ist Lyon der Hauptbank- und Zahtplatz des ■westlichen Europa, doch wird das lu^prUngUche Messgericht später zum all- gemeinen, hochprivilegirten Handelsgericht (itribunal de conser- vationt). (Meine Universalgeschichte S. 224—237 und meine Abhandlung, Zeitschr. f. Handelsr., Bd. 40, S. 1 ff.)

6. Das so entwickelte romanische Handelsrecht lehnt) sich zum erheblichen Theil an römische Satzungen unJ föriiisch- griechisches »Vulgarrecht» an; insbesondere findet, mit 3er i allmäligen Wiederannäherung des mittelalterlichen Handels- betriebes an den kapitalistischen Grossbetrieb der römischen

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42 Huidelnedit (Gaduchtliche EntwicUnng.)

Kaiserzeit, das klassische römische Recht umfassende An- wendung, aber ergänzt und modificirt durch neue fruchtbare Rechtsbildungen, während die dem Grosshandel ungeeigneten Satzungen der späteren römischen Kaiserzeit zum erheblichen Theile au^estossen werden. Die neuen RechtsschSpfungen der romanischen, insbesondere der italienischen Kaufmannswelt zeugen von hoher wirtfaschaftlicfaer Einsicht, genialer Rechts- begabuug und sicherer praktischer Schulung, sie stehen eben- bürtig neben den ewigen Schöpfungen der klassischen römi- schen Jurisprudenz. Es genügt der Hinweis auf die diffe- rentiirten Gesellschaftsformen : der commenda, aus welcher wie die heutige Kommandit- und stille Gesellschaft, so wesentlich das heutige Kommissionsgeschäft hervorgegangen ist der offenen Handelsgesellschaft des Aktienvereins ^ auf die sich mehr dem hellenischen Recht anschliessende, unter der Ein- wirkung formalen germanischen Urkundenrechts entwickelte Ausbildung der Werthpapiere ^ insbesondere der Order- und Inhaberpapiere; auf das Kredit- und Zahlungsgeschaft ins- besondere des Bankverkehrs, welches nahezu in seiner heutigen Gestalt vollentwickelt ist Für den Seeverkehr ist, neben dem allmälig durchdringenden reifen römischen Recht auch mancher wichtige neue Rechtssatz, z. B. hinsichtlich der Haftung des Rheders, hinsichtlich der Rhederei, des Frachtgeschäfts, vor- nehmlich durch die Ausbildung des Konnossements, zur Geltung gelangt. Aus dem antiken Seedarlehn hat sich auf der einen Seite die Prämienassekuranz, auf der andern Seite die schrift- liche Geldrimesse herausgebildet, welche zunächst in Form des domizilirten Eigenwechsels, seit dem Ausgange des 14. Jahr- hunderts insbesondere in Form der Tratte (namentlich Mess- tratte) zum wichtigsten Werkzeug des interlokalen wie inter- nationalen geldwirthschaftlichen Kreditverkehrs wird und bereits in den Kaufmannsstatuten von Bologna 1509 eine umfassende statutarische Regelung findet. (Ueber all dies im Einzelnen meine Universalgeschichte S. 237— 465, wo auch die Special- literatur angeführt ist.)

7. Das romanische Handelsrecht wird in der Hauptsache auch im östlichen und nördlichen Europa recipirt. Diese Reception hat allmälig seit Ausgang des "Mittelalters statt- gefunden, theils direkt jm internationalen Handelsgebrauch, tbeils unter dem Einfluss der überall verbreiteten italienischen

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3. Dh HudelvMbt im MitieUIler. 43

Kanfleute und der romanischen Literatur. Aus den Ent- scheidungen der italienischenGerichte , insbesondere der rota Genuae, aus den italienischen Schriftstellera des 16., 17., 18. Jahrhunderts: Stracca, Scaccia, Rafael de Turri, Cardinalis de Laca, Roccus, Ansaldus, Casaregis schöpfte überall die ge- lehrte Doktrin und Praxis. Man sehe z. B. den tractatus^ de iure commerciorum des Lübecker Bürgermeisters Joh. Marquaid 1662. Denn der neue geldwirthschaftliche Kreditverkehr findet in diesem romanischen Rechte seine entsprechendste Regelung, und das dürftigere, wie überall päftikülär~zersplitterte ein- heimische, insbesondere das deutsche Recht unterliegt, wie dem reicheren und universalen rOmischen Civilrecht, so auch dem durch die gleichen Eigenschaften ausgezeichneten Handelsrecht der Mittehneerstaaten. Namentlich lässt sich in Flandern und Brabantj wo Brügge, später Antwerpen Mittelpunkte eines um- fässenden europäischen Verkehrs bilden, bereits im 15. Jahr- hundert das wa(±scnde Eindringen des Italienischen KecTits verfolgen, wie auf der anderen Seite insbesondere die seit dem iSTJalirhundert festgeordnete, vorwiegend oberdeutsche Faktorei in Venedig, das Kauf- und Lagerhaus der Deutschen (fondaco dei Tedeschi), die Kenntniss des italienischen Handelsgebrauchs vermittelt. (Thomas, Das Kapitular des Deutschen Hauses in Venedig, 1874. Simonsfeld, Der fondaco dei Tedeschi in Venedig, 2 Bde., 1887.) Das überreiche Material des niederländisch-belgischen, deutschenj englischen, skandinavischen Statütar-, Gesetzes- und Urkundenrechts, die Masse der Zunft- röllen un3"Gfldestatuten zeigt zwar bedeutsame Ansätze zu selbstständiger Ausbildung des Handelsrechts, doch findet sich nur Weniges darin, was die Reception des romanischen Handels- ji rechts überdauert und so zur universalen Geltung geTaiigf ist.|| Ueberall war die Innungsgerichtsbarfeeit dürftiger entwickelt als in Italien, der Umfang autonomer Rechtsbildung ein weit- aus geringerer. (Man vgl. z. B. Pauli, Lubeckische Zustände im Mittelalter, I.— ffl., 1846,78. Th. Hirsch, Danzig's Han- dels- und Gewerbsgeschichte, 1858. Neamann, Beilageheft zur Zeitschr. f. das ges. Handelsrecht, Bd. VTI. Gengier, Deutsche Stadtrechtsalterthümer, 1882. Neu mann, Geschichte des Wuchers in Deutschland, 1865. Femer die Specialwerke, z. B. über Basel [Geering], Strassburg [Schmoller] u. v. A. J. Falke, Geschichte des deutschen Handels I, 11, 1859/60.)

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44 Hindelscecht. (Geschichüiche Entiricldung.)

Sogar der mächtige Bund der deutseben Hanse, wie hoch auch seine politische und wirthschaftliche Bedeutung vomehmlich fUr das nth-dliche Europa Jahrhunderte hindurch gewesen ist, hat doch in seinen Rechtssatzungen, insbesondere den Recessen der Hansetage, den Statuten der hansischen Kontore u. A, m. nur wenige dauernde Schöpfungen hervorgebracht. (Vgl, Sartorius-Lappenberg, Urkundliche Geschichte des Ur- sprungs der deutschen Hanse, 1830, 2 Bde., insbesondere die Publikationen seit 1872: Hanserecesse, in 3 Abtheitimgen [1256—1430; 1431—1476; 1477—1530], bisher 16 Bde. Höhl- baum, Hansisches Urkundenbuch , bisher 3 Bde., 1876/86. Hansische Geschichtsblätter seit 1872. D. Schäfer, Die Hansestädte und König Walderoar von Dänemark, 1879 u. V. A.) Nur das Seerecht zeigt wichtige Eigenthümlichkeiten, welche sich über das Mittelalter hinaus behauptet haben : eine kodificirende Zusammenfassung enthält der Recess von 1591. revidirt als: Der Ehrsamen Hansestädte Schiffsordnung und Seerecht 1614. Das »"Waterrecht c, d. h. die den Namen des Wisby'schen Seerechts tragende, zuerst 1505 in dem gegen- wärtigen TTmlange publicirte Kompilation (am besten Schlyter, Corpus iuris Sueo-Gotorum antiqui vol. VIII: Wisby stadslag och sjsrätt, Lund 1853) ist in ihrem ersten Haupttheile dem Seerecht von Olöron entlehnt, in ihrem zweiten Haupttheile auf der Grundlage des eisten, wahrscheinlich 1407 zu Amsterdam für das hansische Kontor zu Brügge festgestellt, endlich durch mancherlei Zusätze, insbesondere aus dem lübisch-hamburgi- schen Rechte erweitert.

4. Das Handelsrecht der neueren Zelt.

1. In Folge der Entdeckung des Seeweges nach Indien und der neuen Welttheile, des Vordringens der osmanischen (türkischen) Macht, der spanischen Herrschaft über einen Theil Italiens und der südlichen Niederlande, der politischen und wirth schaftlichen Centralisation der mittel- und nordeuropäischen Staaten mit Ausnahme Deutschlands geht die Seeherrschaft von Italien und Deutschland zeitweise auf die Staaten am Altlantischen Ocean über. Die neuen WeMlheile, später Indien und beträchtliche Gebiete Nord- und Ostasiens werden euro- päische Kolonialstaaten, an denen Italien und Deutschland,

4, Du Handelirecltt der neaeren ZeiL 45

trotz anßinglicheti Mitbewerbs im indischen Handel, keinen Antbeil haben. Die Besitzer der neu entdeckten oder zugäng- licher gewordenen Kontinente, Portugal und Spanien, dem- nächst die nach glorreichem Befreiungskampfe zu hoher wirth- schaftlicher und KulturUuthe aufsteigenden nördlichen Nieder- lande monopolisiren den Kolonialbandel ; insbesondere wird Amsterdam der Hauptmarkt wie der ostindischen so der nordischen Waaren, im 17. Jahrhundert der europäische Geldmarkt; seine Börse nimmt, wie heute die Londoner, eine weltbeherrschende Stellung ein. Mit Cromwell, dauernd seit dem 18. Jahrhundert, beginnt die industrielle und mari- time Vorherrschaft Englands , welchem im 19. Jahrhundert rivalisirend der grosse nordamerikanische Freistaat zur Seite tritt. Frankreich gelangt seit Heinrich IV. durch glückliche Eroberungskriege und geschickte, vielfach vorbildliche Ver- waltung (Sully, Richelieu, Colbert) zu wirthschaftücher Blüthe, während seine Kolonialpolitik ohne dauernde Erfolge bleibt. Deutschland strebt nach dem tiefen wirthscfaaftlichen Nieder- gang, welcher sich vornehmlich an den furchtbaren Dreissig- jährigen Krieg knUpfte, zunächst in seinen Einzelstaaten, vor allen in Brandenburg-Preussen, wieder empor; aber erst in dem Zollverein (1833) ward es zum grösseren Theile wirthschaft- lich, in dem Deutschen Reiche (1870/71) wirthschaftlich wie politisch voll geeinigt. Endlich hat auch Italien die im Mittel- alter stets vergeblich angestrebte staatliche Einheit in dem letzten Menschenalter erreicht.

2. Wenn die Entdeckung und leichtere Zugänglichkeit der entfernteren Welttheile eine unermessliche Zunahme der Waarenmenge (Kolonial waaren, wie Kaffee, Thee, Zucker, Baum- wolle o. dgl.), die gesteigerte industrielle Thätigkeit das gewaltige Anwachsen der Industrieerzeugnisse hervorruft, so entspricht die gleichfalls erheblich gewachsene Gold- und Silberproduktion doch nicht annähernd dem Bedlirfniss an Zahlungsmitteln. So gelangt der Metallgeld sparende Kreditverkehr zu seiner vollen Ausbildung ; seine Werkzeuge sind der sich insbesondere durch das Giro vervollkommnende Wechsel nebst den ander- weitigen Geldpapieren (Banknoten, Checks, Anlehenspapieren) und der sinnreiche Mechanismus der Abrechnungsoperationen. Bank-, Assekuranzgeschäft, Kolonialhandel, in wäc'hsenäenrtJm- fang betrieben, erfordern die volle Durchbildung des Systems

46 Haodeltrecbt. (Geschichtliche Entwicklung.)

der bescbränbten Haftung, wie es in den Aktienvereinen, den tCommandit- und Aktienkonunanditgesellschaften zu Tage tritt. Das immer mehr verknöchernde und zur Lösimg wirthschaft- licber Aufgaben unfähige Zunftwesen wird zuerst in England gebrochen , später in Frankreich imd dem übrigen Europa, aber die den Selbstständigkeitstrieb erstickende, wenngleich energisch reformirende Staatspolizei (Schmoller, Jahrb. für Volkswirthschaft, VIII) ;vermag auf die Dauer die Wieder- belebung genossenschafthcher Organisation (insbesondere eng- lisch-deutsche Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschaften) nicht zu hindern.

Wachsende finanzielle Bedürfnisse der Staaten, Gemeinden, Aktienvereine führen zur Vervollkommnung der Anlehens- S3^teme; Aktienbriefe und Anlehenspapiere werden Objekt der Kapitalanlage wie des handelsmässigen Umsatzes, und es bildet sich der neue Geschäftszweig des sog. Papier- oder Effekten- handels mit originellen, später auch auf den Waarenhandel Über- tragenen Geschäftsformen, schon früh zur Agiotage (Börsen- spiel) ausartend. Der Gegensatz des Platz- und des Distanz- geschäfts in Abschluss und Erfüllung bildet sich zufolge der gesteigerten Kommunikationsmittel schärfer herai^. Neben und zum Theil an Stelle der vorübergehenden Märkte und Messen treten die Börsen als ständige Mittelpunkte des Gross- bandels und Regulatoren der möghchst nivellirten Marktpreise. Endlich tritt neben die sich vervollkommnende Schiffahrt (Dampfschiff, Eisenbau etc.) ebenbürtig der Grossbetrieb des Landtransports (Eisenbahnverkehr) und des Nachrichten Verkehrs (Post, Telegrapbie, Telephonie),

3. Mit den Fortschritten des Wirthschaftslebens hält die Entwicklung des Handelsrechts nicht immer gleichen Schritt Denn die gewohnheitliche Rechtsbildung war vielfach ein- geengt durch verkehrte Anschauimgen über das Gewohnheits- recht, durch die Tlnkpnntriiss der gejplirfpn (Iprirhfp^ welche man in steigendem Maasse mit der Rechtsprechung auch in Handelssachen betraut sind, durch reglementirende und immer mehr sich territorial abschliessende Gesetzgebung, welche zur Abschwächung der universalen Recbtsbildung führt. Immer- bin haben selbst die Kodifikationen, welche das bisherige ge- meine Recht und Gewohnheitsrecht völlig ausschlössen, auf die Dauer die naturgemäss kosmopolitische Entwicklung des

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4- Du Handelnecht der neaeren Zeit. 47

Handelsrechts nicht verhindert, indeci das fremde Gesetz vielfach vorbildlich benutzt oder gar kopirt und so mittelst gegenseitiger Entlehnvmg pJn Stampf yfmpiiisamen Rechts geschaffen wurde.

Am wenigsten hat England nebst seinen Kolonialstaaten, i insbesondere auch den Vereinigten Staaten von Amerika, die I handelsrechthche Kodifikation begünstigt ; den Grundstock des | Handelsrechts bildet hier noch immer das als Theil des common law geltende, in der Praxis der Obergerichte anerkannte Han- delsgewohnheitsrecht ~^aw mercbant; lex mercatoria), wenn- gleich die 2^hl wie der Üinfang der Handelsgesetze (Statutes) in stetem Wachsen begriffen ist, und in den amerikanischen Einzelstaaten vielfach eine hOchst umfassende Handelsgesetz- gebang besteht.

Wenn aber bereits die revidirten Kaufmannsstatuten der it^ieniscben und spanischen Handelsstädte eine näEezu er- schOpfende Fixirung des Handelsrechts anstreben , so wurde das gleiche Ziel für ein grosses Staatsgebiet insbesondere in Frankreich seit dem 17. Jahrhundert verfolgt. Mit den beiden berühmten Handelsgesetzen, der Ordonnance du commerce 1673 tmd der Ordonnance de la marine 1681 tntt dasselbe an die Spitze, zwar nicht der Entwictfung des Handels, aber doch des Handelsrechts; wesentlich auf ihnen beruht der noch jetzt geltende code de commerce von 1807, welcher für einen grossen Theil der civilisirten Welt direkt oder indirekt zur Herrschaft gelang ist An die beiden ersterwähnten Gesetze schliesst sich auch die revidirte Handelsordnung von Bilbao von 1737, die Grundlage des späteren spanischen Handelsrechts.

In den deutschen Territorien bestanden die zahlreichsten Stadt- und Laadrecbte wie Einzelgesetze verschiedenster Be- nennung und Inhalts: Markt-, Mess-, Börsen-, Merkantil-, Pro- kuren- , Firmen- , Wechselordnungen , Seegesetze etc. Der preussische Staat erhielt gemeinsames Recht in der Wechsel- ordnung von 1751, der Assekuranz- und Havereiordnung 1766; ein erstes, unter überwiegendem Einfluss hamburgischer Kauf- leute tmd Juristen verfasstes, vollständiges kodificirtes Handels- recht als Theil des Allgemeinen Landrechts von 1794: II. 8 §§ 475 2464, welchem dann als erstes selbstständiges Handels- gesetzbuch der französische Code de commerce folgte und als- bald auch in zahlreichen Theilen Deutschlands gesetzliche Auf- nahme fand.

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48 Huidelsrecht (Getchichtlkhe EntwicUmig.)

4. Der unleidlichen, immer tiefer empfundenen Rechts- zersplitterung haben für Deutschland abgeholfen : die vortreff- Uche Allgemeine Deutsche Wechselordnung ^ verfasst 1847, nebst den ergänzenden und modifiorenden sog. Nürnberger Novellen, verfasst 1861; das Allgemeine Deutsche Handels- gesetzbuch , verfasst 1857—1861; die Bundes- bezw. Relchs- gesetze, welche diese ursprünglich partikulär eingeführten Gesetzbücher zum Bundes- bezw. Reichsrecht erhoben und dessen einheitliche Anwendung garantirt haben (Gesetz vom 5. Juni und 12. Juni 1869); endlich zahlreiche ergänzende, theilweise abändernde Reichsgesetze (zusammengestellt mit den beiden Gesetzbüchern z. B. in der Ausgabe von Schröder, 7. Aufl. 1891; Friedberg 1890 [3. Aufl. 1894]).

5. Neben diesem so kodificirten Deutschen Handels- recht, welches, mit Ausschluss des Seerechts, wenig modificirt auch in den dsleithanischen Theilen der Osterreichischen Monarchie gilt, bestehen zur Zeit folgende Rechtsgebiete:

Das Gebiet des englischen (bezw. nordamerikanischen) Rechts von welchem das schottische Recht wesentlich ab- weicht ; Gesetzbücher bestehen in einzelnen Kolonien, z. B. in Malta (1857) und Niederkanada (1866).

Das Gebiet des französischen Handelsrechts , zu welchem, nach französischer Auffassung, auch das Konkurs^ recht gehört. Der jetzt in der Hauptsache veraltete code de commerce ist durch zahlreiche neue Gesetze sehr erheblich er-

Igänzt und modificirt eine Revision des ganzen Societäts- rechts ist im Gange. Er gilt noch gegenwärtig im Königreich Polen und in Luxemburg; ist wenig verändert übergegangen in die Handelsgesetzbücher von Griechenland, der ionischen Inseln, des Fürstenthums Monaco, der Türkei und Egyptens, San Domingos und Haitis, früher auch Rumäniens (1841 bezw. 1863); er bildet endlich die Hauptgrundlage des Holländi- schen Handelsgesetzbuches (1838), obwohl dasselbe im See- und Versicherungsrecht mehr dem älteren einheimischen Recht folgt (für Handelspapiere, insbesondere Wechsel, ist ein Gesetz- entwurf auf deutscher Grundlage ausgearbeitet, 1886), sowie der zahlreichen älteren Handelsgesetzbücher der italienischen Einzelstaaten und noch des gemeinsamen italienischen Handels- gesetzbuchs von 1865.

Das Gebiet des spanisch-portugiesischen Handel

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4- Dm HudebMcbt der nenetca Zeil. 49

rechts. Mutterrechte sind das spanische Gesetzbuch von 1829 und das sehr originelle portugiesische von 1833, beide stark beeinflusst vom älteren einheimischen wie französischen Recht; Tochteirechte sind die Gesetzbücher der spanischen und portu- giesischen Kolonialstaates Amerikas, nSmlich von Brasilien (1850), La Plata-Staaten und Argentinien (1869, 1862, jetzt neu 1889), Peru (1853), Chile (1865) u.a.m., zuletzt Mexiko (1857, jetzt neu 1889). In allen diesen Staaten ist die frühere Geltung der Ordenanzas von Bilbao beseitigt; einzelne haben wieder von einander ihr Gesetzbuch entlehnt, z. B. Uruguay (Montevideo) und Paraguay von Argentinien, Honduras von Chile.

Das Gebiet des französisch-deutschen Handelsrechts, d. h. Gesetzbücher auf wesentlich französischer Grundlage, aber mehr und minder stark beeinflusst von dem neuen deutschen Recht. So das Gesetzbuch von Serbien (1860), das in den Jahren 1867 ff. allmälig revidirte belgische Handelsgesetz- buch und das neue italienische Handelsgesetdmch (1882). Das letztere wiederum ist stark benutzt in dem neuen span i- schen Handelsgesetzbuch (1885) und ist in der Hauptsache übergegangen in das neue rumänische Handelsgesetzbuch (1887) wie das neue portugiesische Handelsgesetzbuch (1888).

Das Gebiet des modificirten deutschen Handels- rechts, d. h. selbstständige Gesetzbücher, aber wesentlich auf der Grundlage des deutschen Handelsgesetzbuchs und der deutschen Wechselordnung, Dahin gehören das Handelsgesetz für das ] Königreich Ungarn (1875), desgleichen Wechselgesetz (1876): ( eine nicht immer glückliche Modifikation der deutschen Gesetz- bücher-, das schweizerische Bundesgesetz über das Obli- gationenrecht (1881), welches auch Handelsrecht und Wechsel- recht in origineller, aber nicht immer klarer Verbindung mit dem gemeinen Civilrecht enthält; für das Wechsebecht auch die drei skandinavischen Reiche (1880) und Finnland (1859); für das Seerecht einstweilen Schweden (1864, insbesondere 1891), Finnland (1873) Norwegen und Dänemark werden sich anschliessen , indem ein, in Schweden bereits publicirter ge- meinsamer skandinavischer Entwurf vorhegt. Wesentlich das ungarische Handelsgesetz ist adoptirt in dem Handelsgesetz- buch für Bosnien und die Herzegowina (1883).

Galdichmldi, TenniKhM Schriften, n. 4

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50 Handeltredt. (GMchichtliehe EntvicUiiiig.)

Das Gebiet des skandinavischen Rechts sehr ver- schieden für Schweden einerseits, für Dänemark und Norwegen andererseits, in der Hauptsache nicht kodificirt. Der Einfluss des deutschen Handelsrechts ist im Steigen, in den Materien des Wechselrechts und Seerechts bereits durchgedrungen.

Das Gebiet des russischen Rechts. Das russische Handelsgesetzbuch bildet einen Theil des eine systematische Zusammenstellung älterer Gesetze (Inkorporation, nicht Kodi- fikation) darstellenden russischen Gesetzkodex (Swod sakönow), welcher in revidirten Ausgaben publicirt wird (zuletzt 1887). (Eine deutsche Uebersetzung des grössten Theils von V. v. Zwingmann, Riga 1889.) Für das Wechselrecht liegt ein 1882 veröffentlichter, 1883 revidirter Entwurf auf deutscher Grund- lage vor. Finnland hat, ausser den bereits erwähnten neuen Gesetzen, zum Theil schwedisches Recht ; in den Ostseeprovinzen gilt in erster Linie das kodificirte Provinzialrecht (Liv-, esth- und kurlandisches Privatrecht 1864): überwiegend deutsches Handelsrecht.

Endlich hat auch Japan ein wesentlich auf deutscher Grundlage verfasstes und publicirtes, aber noch nicht in Kraft getretenes Handelsgesetzbuch erhalten (1890) '.

Die vorstehende Uebersicht zeigt , dass das g^etzUch fixirte oder gar kodificirte Handelaecht gegenüber dem Han- delsgewohnheitsrecht überall lin^Vordringen ist Der Umfeng des gesetzlichen Handelsrechts ist freilich Verschieden. So sind das Verlagsrecht, das Binnenschiffahrtsrecht, das Binnenver- sicherungsrecht, zahlreiche Bankgeschäfte noch im deutschen Handelsgesetzbuch und dessen reichsgesetzlicben Ergänzungen nicht geregelt, während sie in einzelnen neueren Gesetzbüchern eine mehr oder minder umfassende Normirung gefunden haben und bei der bevorstehenden Revision des deutschen Handels- gesetzbuchs gesetzlich fixirt werden sollen. Während femer in den Gesetzbüchern auf französischer Grundlage das Konkurs- recht, zum Theil auch das Handelsprozessrecht ausführlich ge- regelt sind, gehört das erstere nach deutscher Anschauung gar nicht dem Handelsrecht an und ist das letztere in der deutschen Gerichtsverfassung und der deutschen Prozessordnimg enthalten, während in einzelnen Staaten (z. B. Holland, neuer-

[Inzwischen am i.Jannar 1891 in Kraft getreten, vgI.Zet(schr.XLV[Ii36.]

4- !>■■ Huide1ic«cht der neneKn Zdt. 51

dings in Italien und Spanien) die besondere Handelsgerichts- barkeit völlig beseitigt ist.

Nicht mehr vollständig ist die Zusammenstellung der Handelsgesetze, welche in nicht immer zuverlässigen üeber- setzungea geben:

S. Borchardt, Vollständige Sammlung der deutschen Wechselgesetze und der ausländischen Wechselgesetze in deut- scher Uebersetzung, 2 Bde., 1871. O. Borchardt, Samm- lung der seit 1871 publicirten Wechselgesetze mit Uebersetzung und Anmerkungen, 1883, und Nachtrag (das italienische Wechsel- gesetz), 1883. O. Borchardt, Die geltenden Handelsgesetze des Erdballs, gesammelt und in's Deutsche übertragen. Erste Abtheilung: Die kodificirten Handelsgesetze, Bd. I, 2. Auft. 1884, Bd. II— V and Register, 1884,'87'. Fortlaufende Mit- theilungen enthalten die Zeitschrift fur das gesammte Handelsrecht von Goldschmidt, Laband u, A. (seit 1858) und das Annuaire de I^gislation ätrang^re, Paris (seit 1872), dazu Annuaire de legislation fran^ise, Paris (seit 1882), endlich die Annales de droit commercial fran^ais, tftranger et international, public par E. Thaller Paris (seit 1886).

Mit seiner Gesetzgebung, seiner hervorragenden Doktrin und Praxis (0. A. G. Lübeck, Reichsoberhandelsgericht, Reichs- gericht) ist Deutschland seit dem letzten Menschenalter an die \ Spitze der europäischen Handelsrechtsentwickelung getreten und hat den bis dahin vorherrschenden Einfluss des französi- schen Rechts erheblich zurückgedrängt. Aber ein einträchtiges Zusammenarbeiten der grossen Kultumationen ist insbesondere auf diesem Gebiete nothwendig und trägt reiche Früchte. Sogar eine auf vertragsmässiger Regelung beruhende Aus- gleichung der noch zahlreichen Rechtsverschiedenheiten wird nicht ohne Erfolg erstrebt, auf diesem Gebiete der alte Traum der Recbtsuniversalität (non erit alia lex Romae, alia Athenis) annähemd zu verwffElichen gesucht. Dahin gehören die inter- nationalen Post- und Telegraphenverträge (zuletzt vereinbart 1891/92); die internationale Meterkonvention (1875), das (noch nicht allseitig ratificirte) internationale Uebereinkommen über den Eisenbahnfrachtverkehr (1891); die von der association for the codification of the law of nations und dem institut de

[Sowi« 4 HachCrige 1893— 1S99.]

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52 Handdvecbt 4. Dh Handelirecht der Deneren Zeit.

droit international, sowie zahlreichen anderen Vereinigungen aufgestellten Entwürfe eines gemeinsamen europäischen Wechsel- rechts, Havereirechts, Seefrachtrechts, welche in den von der belgischen Regierung berufenen internationalen Handelsrechts- kongressen zu Antwerpen und BrUssel (1885, 1888) weitere Förderung erfahren haben (Uebersicht: mein Handbuch I», §38, Georg Cohn, t>rei rechtswissenschaftlicbe Vortrage [1888], III. Meili, Die internationalen Unionen [1889]).

Weniger als je erscheint endlich die von einigen Juristen (in DeutscJiland namentlich von Endemann [früher] und von Demburg, in Italien von Vivante und Bolaffio, in Holland von Molengraaff) verfochtene Ansicht sachentsprechend, es müsse die schmerzlich vermisste Einheit des gesammten bürgerlichen Rechts dadurch hergestellt werden, dass das Handelsrecht als besonderer Rechtszweig in dem allgemeinen bürgerlichen Recht aufgehe. Eine solche Unifikation entspricht weder der ge- schichtlich begründeten relativen Selbstständigkeit des Handels- rechts, noch dem besonderen Bedürfniss des grossen, zumal internationalen Verkehrs, welcher gebieterisch ein seinen eigen- thUmüchen Zwecken geeignetes Recht erheischt. Auch die I immerhin nur in zweiter Linie wichtige Sonderung des Han- ' delsrechts in einem eigenen Gesetzbuch empfiehlt sich aus > praktischen Gründen und ist von den legislativen Faktoren E>eutschlands einmüthig als unumgänglich anerkannt (s. den Bericht der Vorkommission für das bürgerliche Gesetzbuch und den Beschluss des Bundesrathes 1874 in der Zeitschrift für Handelsrecht XX, S. 134 ff. und meine Universalgeschichte S. 10 ff.). Nur versteht sich, dass mit der Kodifikation des bürgerlichen Rechts manche, nur wegen des Mangels eines gemeinsamen bürgerlichen Rechts in das Handelsgesetzbuch aufgenommenen Rechtssätze, als nunmehr entbehrlich, aus diesem ausgemerzt werden müssen (s. auch Riesser, Zur Revision des Handelsgesetzbuchs Abt. 1, 2, 1887/89, insbesondere Abt 2, S. 387 ff.). Im Uebrigen ist es nicht Aufgabe der Gesetz- gebung, auf Kosten des obersten Rechtszweckes, welcher dne angemessene Ordnung der Lebensverhältnisse erheischt, eine nur formale Rechtsgleichheit zu schaffen, welche sich als völlig unzureichend erweist, die vielfach auseinander- gehenden oder gar widerstreitenden Interessen der mensch* liehen Gesellschaft gleichmassig zu befriedigen.

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Ober die BENÜTZUNG UND DIE BEDEUTimO

DER

BERATHUNGS PROTOKOLLE

fOr die

INTERPRETATION

DES

DEUTSCHEN HANDELSGESETZBUCHS.

(1866.)

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IQ seinem gediegenen Kommentar zum Deutschen Handels- gesetzbuch' entwickelt Fr. v. Hahn seine Ansichten über die Bedeutung und Benutzung der Berathungsprotokolle der Nürnberger und Hamburger Konferenzen für die Interpre- tation des Deutschen Handelsgesetzbuchs ; Einleitung S. XLIV bis XLVin [4. Aufl. S. 42—56]. Die gleichen Fragen sind gleichzeitig von mir in meinem Handbuche des Handelsrechts Bd. I S. 222 f. [2. Aufl. S. 312 ff.] und Vorrede S. XI [2. Aufl. S. IX], denmächst ausführlich von Schlesinger (Göttingi- sche Gelehrte Anzeigen 1864 Stück 50 S. 1968-1979) und wiederum von v. Hahn (Blätter für Rechtspflege in Thüringen und Anhalt Bd. XII S. 175—178) in Recenaonen des letzterwähnten Werkes erörtert worden. Und zwar stehen ach, was 1. die Frage von der Bedeutung der Proto- kolle anlangt, am schroffsten Schlesinger 's und meine Ansicht gegenüber, während v. Hahn in seinem Kommentar die von mir entwickelte, ihm zur Zeit aber noch nicht be- kannte Ansicht mit Gründen bekämpft, welche Schlesinger für nicht zureichend erklärt, dagegen in seiner Recension meines Handbuchs sich den weiter gehenden Gründen Schlesinger's anschliesst. Ich werde demgemäss unter- scheiden :

A. Die erste Erörterung v. Hahn's (Kommentar).

B. Die Erörtenmgen Schlesinger's und die zweite Darstellung v. Hahn's (Bl. f. Rechtspfl. in Thüringen).

C. Ueber einige Ausführungen v. Hahn's.

Ueber Bd. I Abth. i t. Znttchr. VI S. 330. Dan >ach die Fort- ■elmig des Werkes durch gründlicbc Sacbkeiuitnisa, lelbitstlndige Fonchuog, getandes Urtheil and kisre Entwicklung einen hervorragenden Rang in der huideUrecbtlichen Liceralur einnimmt, mag hier nur beiläufig bemerkt nerden. [a. Aufl. Bd. I, 1871, Bd. 11, 1875; 3. Aufl. Bd. I, 1877; 4. Aufl. Bd. I Lfg. I u. a, 1894. In der 4. AoH. S. 5z hat Habn seine Andcbt modifiiirt.]

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56 Ueber die Benutzung und Bedeutung der BerathungsprolokoUe etc.

Was dagegen die Methode der Benutzung der Proto- kolle wie sonstiger Vorarbeiten bei wissenschaftlichen Erörte- rungen anlangt, so sind v. Hahn und ich darüber wesentlich einverstanden , während Schlesinger uns beiden gleich- massig entgegentritt.

Diese letzte, einfachere Frage mag zunächst besprochen werden.

L Die Benutzung der Protokolle.

Wie gross oder gering die Bedeutung der Protokolle für die Interpretation des Gesetzbuchs sein mag, ihre Benutzung kami und darf für diesen Zweck nicht unterbleiben. Damit ist auch Schlesinger einverstanden a. a. O. S. 1977. 1978. Nur verlangt er eine rechte Benutzung. Als solche erscheint ihm nicht die Mittheilung von Stellen aus den Vorarbeiten oder des Ganges der Verhandlungen; die nackte Mittheilung aus der Entstehungsgeschichte eines Gesetzes sei eitel Papier- verschwendung und habe mit der Jurisprudenz, als der Wissen- schaft des positiven Rechts, gar nichts zu schaffeiL Allerdings müsse der Jurist die Protokolle u. dergl. studiren, aber das, was er dadurch etwa wissenschaftlich gelernt hat, in seinem Geiste festhaltend, im Uebrigen so zu Werke gehen, als ob jene Aktenstucke gar nicht existirten. Hierauf hat schon v. Hahn treffend erwidert. Das blosse Ausschreiben der Protokolle, einzelner oder selbst aller Stellen, ist freilich wenig werth, schadet sogar nicht selten (mein Handbuch, Vorrede S. XI, S. 223 [2. Aufl. Vorrede S. D£, S. 314], Zeitschr. f. Handelsr. VII S. 179); allein die gewissenhafte Ordnung des häufig für einen einzigen Satz sehr reichhaltigen und zerstreuten Materials erspart nicht allein jedem Einzelnen, welcher nun einmal den Inhalt der Vorarbeiten kennen lernen will, eine grosse Mühe, dem nicht vollkommen Erfahrenen zahl- reiche Missverständnisse, sondern sie erleichtert auch, was nicht hoch genug angeschlagen werden darf, dem Leser das Gewinnen einer selhstständigen Ueberzeugung. Wenn ein denkender Schriftsteller sich für diese immerhin mühevolle, und wenig anregende Arbeit nicht zu vornehm erachtet, so sollte man, scheint mir, ihm dafür eher Dank wissen. Wie derselbe sein eigenes Denken durch die Ermittlung dessen

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IL Di« B«d«ntnaK dsr Protokolle. 57

kontrolirt, was vorher von Anderen, und nun gar den Ver- fassern eines Gesetzes, Über denselben Gegenstand gedacht ist, so soll er auch seinen subjektiven DUnkel und seine Eitel- keit beherrschen, indem er, was Andere gedacht haben, als deren und nicht als seine eigenen Gedanken kundgibt. Be- natzen und nicht cttiren ist hier so wenig als sonst empfeblens- werth. Handelt es sich aber gar, wie die Erörterung der zweiten Frage zeigen wird, nicht um blosse Gedanken und Meinungen von Schriftsteilem, sondern um den Willen des Gesetzgebers, so erscheint es um so mehr in der Ordnung, dass die zu dessen Ermittelung geeigneten Aeusserungen als solche angezeigt und nicht in Form individueller schriftstelle- rischer Ansichten eingekleidet werden. Dass mit solcher, selbst gewissenhafter Arbeit freilich nur ein sehr kleiner Theil der wissenschaftlichen Aufgabe gethan erscheint, ist eben so klar, als ich es jemals verkannt habe und einen Vorwurf gerade nach dieser Seite hin am wenigsten zu be- fürchten glaube.

IL Die Bedeutung der Protokolle. A. Erste Erörterung v. Hahn's.

(VeriMser und Getetigeber.)

V. Hahn erkennt an, dass ohne Benutzung der Proto- kolle kein gründliches Studitun des Gesetzbuchs mOgUch sei, dass dieselben unter allen Interpretationsmitteln fort und fort die erste Stelle einnehmen werden. »Weiter aberc heisst es sodann >geht ihre Bedeutung nicht; eine äussere Autorität kommt ihnen nicht zu. Mögen einer in ihnen enthaltenen An- sicht alle Mitglieder der Kommission beigetreten sein, mag beschlossen sein , über dieselbe eine ausdrückliche , proto- kollarische Erklärung aufzunehmen wenn die Ansicht sich als innerlich unbegründet herausstellt, so hat sie ebensowenig Gewicht als die irrthUmliche Ansicht eines beliebigen Schrift- stellers.* Und in der Vorrede zur ersten Abtheilung des zweiten Bandes Seite VI bemerkt er, >bei der Interpretation des ersten Abschnitts (von H.G.B. Buch IV) bin ich mit Gold- schmidt vielfach zu den gleichen Resultaten gelangt. Von den EHfferenzpunkten haben die meisten ihren Grund in der

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58 Ueber die Benutzung und Bedeutung der BeratliiiiigtprotolcoUe etc.

Verschiedenheit unserer Ansicht über die Bedeutung der Kon- ferenzprotokolle für die Interpretation des Gesetzes«.

Nun habe ich in meinem Handbuch Folgendes ausgeführt : Jedes Gesetz empfängt seinen wahren Inhalt nur durch den mit den gebrauchten Worten verbundenen Sinn, die Worte eines Gesetzes sind nur der mehr oder weniger vollkommene Ausdruck des vom Gesetzgeber mit denselben verbundenen Sinnes. Jedes Gesetz gilt so, wie der Gesetzgeber es erweis- lich gewollt hat, sofern dieser Wille irgend einen Ausdruck, wenn auch einen unvollständigen, unklaren, zweideutigen ge- funden hat. Gesetzgeber in Bezug auf das D. H.G.B. siod an sich zwar die Regierungen und Kammern bezw. Land- stände der Einzelstaaten; da sie indessen das D. H.G.B. nicht selber abgefasst, vielmehr durch die Nürnberger und Hamburger Kommission haben abfassen lassen, und da sie das Gesetzbuch durchaus unverändert als ein allgemeines deutsches haben ein- führen wollen, so kann im Zweifelsfalle vernünftigerweise ihr Wille nur dahin gegangen sein, dass der von diesen Kcnn- missionen mit den Worten des Gesetzes verbundene Sinn, also der Wille dieser Kommissionen, wie der Wille des wirklichen Gesetzgebers angesehen werden, somit für die Auslegung des Gesetzes maassgebend sein solle.

Mit Unrecht beruft man sich hiergegen auf die Autorität T höl's, welcher Handelsr. I § 11 not. q. [6. Aufl. I, S. 83] bemerkt:

iDie Benutzung derselben (der Motive) zur Auslegung des Gesetzes geschieht fast durchweg auf verkehrte Weise, die im Wesentlichen darauf hinauslauft, dass man die gesetz- gebende Gewalt, deren Wille in dem Wort des Gesetzes public! rt ist, mit den einzelnen Ver- fassern des Gesetzes, welchen die Motive an- gehören, identif icirt. Man übersieht, dass das Gesetz durch die PubUkation sich vom Gesetzgeber losreisst und nun- mehr durch den systematischen Zusammenhang, in welchem seine einzelnen Rechtssätze zu einander und zu dem bereits gelten- den Recht aufzufassen sind, so selbstständig als der public cirte Wille der gesetzgebenden Gewalt heraustritt, dass der Wille und die Einsicht der eigentlichen Verfasser des Gesetzes gleichgültig wird. Auf dieser Selbstständigkeit beruht es, dass das Gesetz ein- sichtiger sein kann als der oder die Gesetzgeber.«

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n. Die Bedentoog der PiotokoUe. 59

Alles das ist vollkommen richtig', berührt aber unsere Frage nicht im Geringsten. Der Wille des Gesetzgebers ist in dem Wort des Gesetzes publicirt, und dieser Wille ist nicht nothwendig identisch mit dem Willen der Verfasser des Gesetzes. Der Wille der Verfasser des Gesetzes ist an sich gleichgültig-, der Wille des Gesetzgebers ist nicht gleichgtiltig, wohl aber dessen Einsicht: insbesondere kann das Gesetz eine weit grössere Tragweite haben, als der Gesetz- geber sich dachte, oder es kann einem Gedanken, der dem Gesetzgeber nur unklar vorschwebte, einen klaren Ausdruck verleihen aber es kann als Inhalt des Gesetzes niemals das Gegentheil von dem gelten, was der Gesetzgeber mit dem- selben hat sagen wollen. Denn publicirt ist zwar nur das Wort, aber das Wort als Willensausdruck, also, wie Thöl mit Recht sagt, der Wille in dem Wort. Maassgebend ist, was der Gesetzgeber wollend gesagt hatj ver- kehrt wäre der Satz: maassgebend ist, was der Gesetzgeber gesagt hat, gleichviel, was er damit gewollt hat.

Auch hiermit dürfte v. Hahn in seiner ersten Erörterung, Kommentar! S.XLIV. XLV [4. Aufl. S. 47, 48], noch vollkommen Übereinstimmen, da er der in den Motiven geäusserten Ansicht des wirklichen Gesetzgebers, bezw. der tibereinstimmenden An- seht der mehreren Gesetzgebungsfaktoren, auch wenn sie inner- lich nicht begründet ist, entscheidende Bedeutung für die Er- gänzung, Präcisirung, Berichtigung unvollständiger, mehr- deutiger oder unrichtiger Gesetzesausdrücke zuspricht. Dagegen fuhrt er den von Tb öl nur hypothetisch angedeuteten Gegen- satz zwischen dem Willen des oder der Gesetzgeber und dem Willen der Verfasser eines Gesetzentwurfs, speciell der Ver- fasser des Deutschen Handelsgesetzbuchs, näher aus und ge- langt hier zu meines Erachtens unzulässigen Ergebnissen ".

Es ist richtig, dass formell die verschiedenen Entwürfe nebst ihren Motiven nur eine »Privatarbeit« sind. In dem Augenblicke jedoch, wo der letzte Entwurf von einer Regie- rung zur Gesetzesvorlage erhoben wurde, ging der Wille dieser Regierung dahin, dass der I nhalt des Entwurfs Gesetz werden

1 Durch die neuerdings angekllndigte [demntchil |E66 erschienene] Aus- gabe der PiotokoUe lar Deut»chen WechicIordnuDg gibt Thel idber hin- IKoglich die Bedentaog lu erkenneii, welche er denwlben beimMt.

[In der 4. Aufl. (S. 53) hat Hahn >eine Anucht niodi£iirt.]

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60 Ueber die Benumug und B«deatnng der Bercthongqirotokolle etc.

solle, gleich als ob er von ihr selber verfasst worden wäre. Im Augenblicke der Gesetzesvorlage identi- ficirte sich die Regierung mit dem Verfasser, nicht anders wie durch Vorlage eines im Auftrage nur dieser Regierung von ihren Beamten oder von einem Privatmann ausgearbeiteten, oder ohne solchen Auftrag von einem EVivatmann ausgearbeiteten, aber von dieser Regierung adoptirten Gesetzentwurfs. Denn wie ein von Kommissarien sämmtlicber deutschen Regierungen und das waren ja die Abgeordneten der Nürnberger wie der Leipziger Konferenz , welche überdies noch durch das Ge- sammtorgan der deutschen Regierungen, die Bundesversanun- hing, einberufen waren, verfasster Entwurf in höherem Grade eine Privatarbeit sein soll als der in dem Ministerium des einzelnen Staates ausgearbeitete Entwurf, ist schwerlich ein- zusehen. Nun versteht es sich freilich von selbst, dass weder die Regierung noch die Übrigen Gesetzgebungsfaktoren der Einzelstaaten mit den Verfassern des Entwurfs tlber den Sinn der darin enthaltenen Rechtssätze gleicher Ansicht zu sein brauchten; es ist mOglich, dass sie die Worte adoptirten, dass ihr Wille aber von dem des Entwurfeverfassers ver- schieden war, und wenn das klar erhellt, so wird der Wille des Verfassers als völlig gleichgültig erscheinen. Sofern aber eine solche Differenz nicht hervortritt, im Gegentheil durch- gehends die Erhebung des letzten Nürnberger Entwurfs zum Gesetze en bloc, ohne alle Erörterung der einzelnen Fragen, erfolgt ist, so bleibt eben nichts Anderes als die Annahme tlbrig, dass dasjenige zum Gesetz erhoben sei, was die Nürnberger Konferenz wollend gesagt hat. Nicht etwa darum , weil die einzelnen Regierungen und Kammern die in den Protokollen und sonstigen Motiven ent- haltenen Erörterungen zu den ihrigen gemacht hätten, sondern aus dem ganz verschiedenen Grunde, weil ein Gesetz nicht pnblicirte Worte, sondern einen in Worten publicirten Willen enthält. Wenn also die gesetzgebenden Faktoren der Einzel- staaten nicht willenlos die Worte des Nürnberger Entwurfs haben zum Gesetz erheben können, so muss, da sie überall einen eigenen Willen nicht geäussert haben, nothwendig vor- ausgesetzt werden, dass sie den Willen der Nürnberger Kon- ferenz als ihren eigenen Willen haben angesehen wissen wollen. Und dieses stimmt auch allein zu der Verkündung des Nürnberger

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n. Die BedcBtimg der ProtokoUe. 61

Entwurfs als eines allgemeinen deutschen Gesetzes, denn nur dann wurde das Gesetz ein wirklich gemeinsames, d. b. ein Gesetz von überall gleichem Inhalt, wenn nicht der Gesetzgebnngswille jedes einzelnen Staates, sondern ein von allen Staaten gleich- massig anerkannter Wille seinen Inhalt bestimmt hatte.

So sind und bleiben die Motive und Protokolle freilich eine »Privatarbeit*; allein, soweit aus ihnen der Wille der Verfasser und der im vorliegenden Falle damit übereinstimmende Wille der Gesetzgebiangsfaktoren aller Einzelstaaten über den Inhalt der gesetzlichen Bestimmungen sich ergiebt, sind sie das wichtigste Hülfsmittel zur Feststellung des g e s e t z - geberischen Willens, und eben darum, zwar nicht for- mell, aber materiell von grösserer Wichtigkeit als die Kammer- verhandlungen eines einzelnen Staates, in denen nur ein Faktor der gesetzgebenden Gewalt sich ausspricht. Welche »Ansichten* die Nürnberger Konferenz über den Sinn eines einzelnen Artikels gehegt haben mag, ist somit freilich gleich- gültig, aber nicht, was sie mit den Worten eines Artikels positiv oder negativ hat sagen wollen; ihre unzwei* deutigen Erklärungen hierüber sind also nicht »Inter- pretationen eines beliebigen Dritten* und nur sofern erheblich, als sie nach der subjektiven Ansicht des oder jenes Schrift- stellers »innerlich begründete erscheinen, sondern es and für die Interpretation maassgebende Willenserklärungen. Meine Ansicht, weit entfernt, den Richter auf eine mechanische Befolgung der in den Protokollen und sonstigen Gesetzes- motiven ausgesprochenen Meinungen zu beschränken, lässt ihm, soweit nicht eine klare Aeusserung des gesetzgeberischen Willens vorliegt, vollkommen freie Hand, während die gegen- theilige Annahme zur blossen Wortinterpretation oder zur subjektiven Willkür führt. Wenn z. B. aus den Protokollen klar erhellte, dass durch Art. 1 den Handelsgebräuchen dero- gatorische Kraft hat versagt, dass in Art. 234 mit den Worten »sonstigen Bevollmächtigten oder Beamten* die Prokuristen haben ausgeschlossen werden sollen; dass unter »Vermögens- einlagenc in Art. 150 nur Geldeinlagen verstanden wurden; dass unter »Anschaffung* in Art. 271 Z. 1 die Miethe und der Erwerb durch Selbstproduktion nicht hat begriffen werden sollen, so würde dieses Ergebniss für den Interpreten maass- gehend sein, and er wäre nicht befugt, dem gesetzgeberischen

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62 Ueber die Benutiiuig nnd Bedentong der Bertthnngsprotokolle etc.

Willen als einem »innerlich unbegründeten« einen anderen Ge- danken zu substituiren.

B. Schlesinger und die zweite ErSrteruog v. Hahn's.

(Geietzeswoite und Wille des Gesetzgebers.)

Wie V. Hahn in seiner ersten Erörterung in schein- barem Anschluss an Thöl die in sich berechtigte Unter- scheidung zwischen den Verfassern eines Gesetzentwurfe und dem Gesetzgeber näher durchzuführen versucht und so zu dem unhaltbaren Ergebniss gelangt, dass die unzweideutige Er- klärung der Gesetzesverfasser über den Inhalt der von ihnen aufgestellten Bestimmungen vOUig gleichgültig sei, so knüpft Schlesinger gleichfalls scheinbar an Thöl an, indem zwar auch er den wirklichen Willen des Gesetzgebers für maassgebend erklärt, aber verneint, dass der Sinn, welchen der Gesetzgeber im Augenblick der Publikation den Gesetzesworten beilegte, mit diesem Willen identisch sei, ja nur zur Feststellung des- selben dienen dürfe. »Für die Auslegung des Gesetzes kommt es auf den von der gesetzgebenden Gewalt den Worten zu- geschriebenen Sinn als solchen gar nicht an.( Welches ist nun aber der für die Auslegung maassgebende Wille der gesetz- gebenden Gewalt? Nach Schlesinger kann die gesetzgebende Gewalt vernünftigerweise nur wollen, dass das Gesetz in dem Sinne gelten solle, wie es im Augenblicke seiner Publikation vom Volke vernünftigerweise verstanden werden müsse. Dieser Sinn, nicht der vom Gesetzgeber den Worten beigelegte Sinn, sei die objektiv richtige Auslegung.

In einem ähnlichen Gedankengange bewegt sich v. Hahn, wenn er Bl. f. Rechtspfl. in Thüringen XII S. 176. 177 ausfuhrt, dass der Wille des Gesetzgebers nur aus dem Ge- setze selber entnommen werden dürfe. »Zwar ist es voll- kommen richtig, dass, um zu erforschen, was der Gesetzgeber als seinen Willen hat erklären wollen, alle Interpretations- mittel, durch welche der wahre Sinn der Erklärung hergestellt werden kann, zulässig sind, und dass, wenn Zweifel über die Bedeutung eines Ausdrucks entstehen, auch auf Aeusseningen des Gesetzgebers, eines gesetzgebenden Faktors oder selbst eines Organs eines solchen rekurrirt werden kann. Immer aber ist festzuhalten, dass es sich nur um eine Interpretation

II, Die Bedeutimg der Protokolle, 63

der solennen Willenserklärung des Gesetzgebers darch das Gesetz handeln kann, dass aber die direkte Er- forschung des Willens des Gesetzgebers, abgesehen von der Erklärung desselben im Gesetz, ohne Bedeutung ist. Gesetz ist nicht, was der Gesetzgeber will, sondern was er in solenner Weise alsGewoUtes erklärt IDaraus folgt nicht nur, dass, wenn der durch Interpretation des Gesetzes dargethane Wille des Gesetzgebers mit demjenigen , was sich anderweitig als der Wille des Gesetzgebers (richtiger: der mit der Gesetzgebung betrauten Personen) ergibt , in Wider- sprach tritt, lediglich der erstere in Betracht kommt, sondern auch, dass die selbstständige Berücksichtigung irgend einer nicht solennen Aeusserung des Gesetzgebers oder eines Orgaas desselben über den Inhalt eines im Gesetz enthaltenen oder hinsichtlich der Nichtaufnahme eines Rechtssatzes in dasselbe, d. h. die Berücksichtigung desselben neben dem in dem Ge- setz erklärten gesetzgeberischen Willen ausgeschlossen ist.*

Indem v. H a h n so unter allen Interpretationsmttteln den in den Vorarbeiten des Gesetzes enthaltenen Aeusserungen des Gesetzgebers über den mit den Gesetzesworten verbundenen Sinn, also über seinen eigenen gesetzgeberischen Willen, die letzte Stelle einräumt, ja denselben im Widerspruch mit dem Ergebniss anderweitiger Interpretattonsmittel jede Wirkung versagt, erscheint sein nunmehriger Standpunkt mit dem vor- hin bezeichneten Schlesinger's wesentlich identisch.

Um das zu erkennen, mUssen nur zwei Punkte scharf von einander gesondert werden. Die eine Behauptung v. Hahn's, mit welcher ich, wie schon früher bemerkt, voUkonmien Über- einstimme, geht dahin, dass der wahre Wille des Gesetzgebers nur eben in den publicirten Worten des Gesetzes zu finden sei. Ein gesetzgeberischer Wille, welcher gar keinen positiven oder negativen Ausdruck gefunden hat, besteht überall als verbindlich nicht. Weiter geht die zweite Behauptung, dass ZOT Interpretation der vom Gesetzgeber gebrauchten Worte dessen eigene in den Vorarbeiten enthaltene Aeusserungen über deren Sinn gar nicht (Schlesinger), oder doch nur in letzter Linie (v. Hahn) verwendet werden dürien. Hier wird vorausgesetzt, dass der Gesetzgeber einen Willen erklärt hat; soll nun aber angenommen werden, dass er als maass- gebend gewollt habe, nicht was er bei Gelegenheit der Ent-

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64 Ueber die Benntinng imd Bedeutnng der BerathnDgaprotololIe ete.

stehung des Ciesetzes als seinen Willen geäussert hat, sondern was durch anderweitige Interpretationsmittel als sein Wille festgestellt werden kann, so ist, mit Schlesinger, anzuerkennen, dass sein wirklicher Wille nicht der von ihm bei Gelegenheit der Entstehung des Gesetzes geäusserte, sondern der von dem Volke mittelst anderweitiger Interpretationsmittel zu erkennende gewesen sei.

Um hier zur Verständigmig zu gelangen, durfte es zweck- mässig sein, nur die einfachsten Fälle in Betracht zu ziehen. Und zwar mögen zwei Hauptfälle unterschieden werden.

1. Der Gesetzgeber hat sich eines durchaus unzwei- deutigen Ausdrucks bedient.

2. Der Gesetzgeber hat sich eines mehrdeutigen Aas- drucks bedient.

Im ersten Falle wird zwar, nach allgemeinen Auslegungs- grundsätzen, der dem gebrauchten Ausdruck nach Sprach- regeln entsprechende Sinn als der gewollte zu erachten sein. Wenn indessen die Verfasser des Gesetzes bezw. die gesetz- gebenden Faktoren in allen oder doch den die schliessliche Fassung bestimmenden Vorarbeiten mit diesem Ausdruck er- weislich einen anderen Sinn verbunden haben, darf alsdann der Interpret bei dem grammatischen Wortsinne stehen bleiben ? Liesse sich z. B. weder aus dem Zusammenhange des Gesetzes, noch aus allgemeinen geschichtlichen Momenten, wohl aber aus unzweideutigen und übereinstimmenden Aeusserungen der Gesetzesverfasser in den Vorarbeiten nachweisen, dass mit dem Worte »kaufent jedes entgeltliche Aneignungsgeschäft gemeint war, so wtlrde schwerlich die Auslegung es sich nehmen lassen dürfen, über den technischen Wortsinn hinaus- zugehen. Und wenn sich in gleicher Weise darthun liesse, dass mit dem Ausdruck >Vermögenseinlagenc in H.G.B. Art. 150 die blossen Arbeitseinlagen ausgeschlossen werden sollten, würde gleichwohl das Gegentheil angenommen werden dürfen, weil auch die Arbeitskraft und deren Ergebniss ein Gut und Vermögensbestandtheil ist?

Viel bedenklicher noch erscheint die gegnerische Ansicht im zweiten Falle. Bei mehrdeutigen Ausdrücken fehlt der objektive, aus den Sprachregeln sich ergebende Anhalt voll- kommen; die Erforschung des wirklichen Willens des Gesetz- gebers ist hier häufig eine überaus schwierige Aufgabe. Und

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II. Die BedeutODg der Protokolle. 63

unter den zahlreichen für diese Erforschung benutzbaren Inter- pretationsmitteln soll die klare unzweideutige Erklärung der Ge- setzesverfasser bezw. Gesetzgebungsfaktoren über den Sinn des Gesetzes ein unerhebliches oder doch wenig erhebliches bilden?!

Schlesinger geht von einer zweifachen unzulässigen Vor- aussetzung aus. Das Gesetz müsse den Sinn haben, in welchem es vom Volke vernünftiger Weise verstanden werden müsse, weil Dur dies der Gesetzgeber vernünftigerweise wollen kOnne. Allein wie muss vernünftigerweise ein Gesetz verstanden werden? Und was muss vernünftigerweise ein Gesetzgeber wollen? Wären alle Ausdrücke klar , unzweideutig , be- stimmt, wäre jeder Gesetzgeber der Sprache überall voll- kommen mächtig, herrschte über den Inhalt eines zu erlassen- den Gesetzes stets eine vollkommene Uebereinstimmung aller Volksgenossen, so Hesse sich das hören. Da indessen solch vollkommener Zustand nun einmal nicht besteht und schwerlich jemals zu erreichen steht, so sind eben Zweifel unvermeidlich. Schlesinger glaubt diesen durch BNotoriet.lt* zu entgehen, »Die praktischen Ziele, welche sich die Staatsgewalt notorisch vorgestellt hatte, indem sie das Werk der Gesetzgebung unter- nahm; die juristischen Anschauungen und Sprachge brauche, die zur Zeit der Abfassung der Gesetzgebung in der Wissen- schaft lebten; die fremden Legislationen, welche als Vorbilder vorlagen und vieles Andere. Nur nicht gerade die blossen Ansichten, welche die Staatsgewalt in ihrem Innern über die Bedeutung der von ihr publicirten Worte gehegt hat. Diese sind im Augenblicke der Publikation nichts weniger als notorisch; von ihnen kann daher das Volk nichts wissen; sind sie daher auch Beweggründe für die Wahl dieser be- stimmten Wortfassung gewesen, so kann die Staatsgewalt sie doch nicht schlechthin unmittelbar als Inhalt des Gesetzes ge- wollt haben«.

Diese Ausführung dürfte schwerlich überzeugen. Was ist notorisch? Und wer wird über die «praktischen Zielet, die derzeitigen juristischen Anschauungen und Sprachgebräuche, die benutzten fremden Legislationen u. dergl, bessere Aus- kunft geben können, als der Gesetzgeber in seinen Vorarbeiten? Auch sollte man denken, dass die eigenen subjektiven juristi- schen Anschauungen imd Sprachgebräuche des Gesetzgebers nicht geringere Beachtung verdienen und dass, wo immer

Gsldichmidt, Venoiicbte Sctaiiflea. H. 5

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66 Ueber die Benutznng n&d Bedevtnng der Berathungsprotokolle etc.

durch den Gesetzgeber selber oder durch Andere die Mi^lich- keit der Einsicht in den Gang der Gesetzgebungsarbeit ge- währt wird, das bloss Innerliche zu einem Aeusseren erhoben, d. h. Allen zugänglich gemacht ist.

Schlesinger illustrirt seine Theorie mit folgendem Beispiel : Dass die Grundsätze der Partikularrechte über die Usance durch das H.G.B. beseitigt seien, dürfe nicht darum angenommen werden, weÜ aus den Vorarbeiten sich diese Absicht der Ge- setzesverfasser entnehmen liesse, sondern weil es bekannt sei, dass man schon lange in jenen Beschränkungen einen Uebel- stand für den Handelsverkehr erbhckte und durch eine neue Gesetzgebung vor allen (?) Dingen diesen zu beseitigen wünschte und weil die Wahl des an ^ch weniger korrekten Ausdruckes iHandelsgebräuchec statt »Handelsgewohnheitc erkennen (?) lasse , dass der Gesetzgeber diesem allgemeinen Wunsche (?) □achgeben wollte.

Hier ist Alles schwankend, nichts weniger als notorisch. Wer wünschte jene Abänderung ? Schwerlich bestand darüber eine durchaus sichere AllgemeinUberzeugung. Und wem wäre die Allgemeinheit dieser Ueberzeugung bekannt? Der aller- dings weitere Ausdruck iHandelsgebi^ucbec will doch in Art, 1 des H.G.B.'s nichts Anderes bezeichnen als gewohn- heitliche Rechtssätze; es lässt sich also aus ihm allein für die Theorie des Handelsgewohnheitsrechts garnichts folgern. Und wenn trotz der Protokolle, welche meines Erachtens über den wahren Willen des Gesetzgebers keinen Zweifel lassen, der auch von Schlesinger anerkannte Satz keineswegs un- bestritten ist, so darf man wohl annehmen, dass ohne die Protokolle es an jedem sicheren Anhalt fehlen würde.

Zur tieferen Begründung seiner Auffassung zieht Schle- singer die Analogie des Vertrages an. Der Gesetzgeber kOnne vernünftigerweise nicht wollen, dass die Bestimmungen des Gesetzes in dem Sinne gelten sollen, der ihnen nach seiner Ueberzeugung beiwohnt, er könne nur wollen, dass das Gesetz in dem Sinne gelten solle, wie es im Augenblicke der Ver- kündigung vom Volke vernünftigerweise verstanden werden muss denn auch als Inhalt eines Vertrages gelte nicht, was wirklich von beiden Theilen gewollt sei, sondern was jeder Theil vernünftigerweise als den Willen des anderen Theiles annehmen durfte,

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II. Die Bedeutuag der Protokolle. 67

Diese Argumentation ist theils unzutreffend, theils unrichtig.

Unzutreffend, weil das Gesetz ja eine einseitige Willens- erkiärung der Staatsgewalt ist, welche die Unterthanen als Norm für ihre Lebensverhältnisse anerkennen mtlssen. Hier würde also nur die Analogie anderer einseitiger Willens- erkläningen, namentlich der Testamente, zntreäen. Und für diese ist ]& unzweifelhaft nur der erweisliche Wille des Er- klärenden maassgebend, wie anvollkommen auch der Ausdruck dieses Willens sein mag.

Unrichtig, weil auch der Inhalt der Verträge ^ch nur nach dem wirklichen Willen der Kontrahenten bestimmt. I. 3 D. de reb. dub. (34, 5): qui aliud dicit, quam vult, neqne id dielt, quod voz significat, quia non vult . 1. 83 § 1 D. de V. O. (45, 1): si Stichum stipulatus de alio sentiam, tu de alio, nihil actum erit ~. 1. 1 § 2 D. de pactis (2, 14): et est pactio duorum pluriomve in idem placitum consensus. Allerdings wird der blosse Nachweis, dass vor Abschluss des Vertrages der eine Kontrahent einen gewissen Ausdruck in einem eigenthümlichen , aussergewQhnlichen Sinne verstanden habe, nicht genügen, wegen mangelnden Konsenses den Ver- trag für wirkungslos zu erklären, denn es ist ja nicht sicher, dass jener Kontrahent auch noch in dem maassgebenden Mo- ment des Vertragsschlusses an dieser aussergewQhnlichen Be- deutung des gebrancfaten Ausdrucks festgehalten habe. Stände dagegen das letztere fest, so wäre allerdings kein Vertrag zu Stande gekommen, wenn auch möglicherweise zu Gunsten des schuldlos irrenden anderen Theiles ein Schadensersatzanspruch begründet. Hätte z. B, ein Engländer über die Lieferung von 100 Ceatner »Korne kontrahirt und ergäbe es sich, dass der Engländer , welcher des Deutschen nicht vollkommen mächtig ist, unter dem Ausdruck »Komi stets Weizen ver- standen hat, während am Etablissementsorte des Verkäufers unter iKornt nur Roggen verstanden wird, so wäre wegen mangelnden Konsenses kein Kaufvertrag zu Stande gekommen, wie begründet auch die Annahme des Verkäufers erscheinen mag, dass über Roggen kontrahirt worden sei.

Aber anch sonst dürfen Gesetz und Vertrag, ja über- haupt private Willenserklärung, nicht auf eine Linie gestellt wenJen. Zum Vertrage ist Einverständniss der Kontrahenten erforderlich: das Gesetz gilt nach dem Willen des Gesetz-

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68 U«ber die BenntEiuig und Bedeotang der BemthuDgsprotokoU« etc.

gebers, mögen die Unterthanen mit dem Inhalt des Gesetzes einverstanden sein oder nicht, mögen sie in der Lage sein, es nach dem Willen des Gesetzgebers zu verstehen oder nicht: sie sollen es nach diesem Willen verstehen. Ein umsichtiger und der Verantwortlichkeit seines Berufs bewusster Gesetz- geber wird auf eine Fassung bedacht sein, welche möglichst Zweifel und Missverständnisse ausschliesst , und er wird auch durch Veröffentlichung der Vorarbeiten das Verständniss seines Willens zu erleichtern suchen. Solche in den Vorarbeiten ent- haltene deutliche Erklärung der Gesetzesverfasser bezw. Gesetz- gebungsfaktoren ist freilich keine authentische Interpretation, weil sie nicht selber in Gesetzesform auftritt. Auch werden nicht selten Zweifel entstehen, ob die Erklärung eine zuver- lässige, vielleicht gar, ob der Gesetzgeber sich über seinen wirklichen Willen klar geworden ist. Alles das aber hindert nicht, wo sie als durchaus zuverlässig erscheint, ihr ein ftlr die Interpretation des Gesetzes entscheidendes Gewicht bei- zulegen. Und wenn unzweifelhaft die Gesetzes entwürfe nach Auffassung ihrer Verfasser zu verstehen sind und für die Auslegung dieser Entwürfe das in den Vorarbeiten ent- haltene Material maassgebend erscheint, darf da angenommen werden, dass im Augenblicke der Publikation der Worte des Entwurfs der Gesetzgeber diesen Worten einen anderen, als den von den Verfassern gewollten Sinn substituirt habe und die Benutzung der Vorarbeiten für die Ermittelung seines Willens abschneiden wolle?! Oder, um die Frage zu ver- einfachen, wenn ein absoluter Regent persönlich ohne jeden Beistand ein Gesetz abgefasst und publicirt hätte, und in den gleichzeitig, indessen nicht in Gesetzesform veröffentlichten Motiven klar ausgesprochen hätte, welche Bedeutung er jedem einzelnen Ausdruck beilegt, so will er doch offenbar, dass das Gesetz in dem Sinne verstanden werde, welchen er selber nach Inhalt der Motive ihm beilegt, und er hat bei Publikation des Gesetzes keinen davon verschiedenen Willen gehegt.

C. Ueber einige Ausftlbrungen v. Hahn's. V. Hahn beruft sich an verschiedenen Stellen seines Kom- mentars auf seine vorstehend unter A. und B. besprochenen Grundsätze, und glaubt mittelst derselben zu anderen und richtigeren Ergebnissen als die übrigen Ausleger zu gelangen.

II. Die BedenttiDf der Protokolle, 69

Von der Richtigkeit dieser Ergebnisse mag hier ab- gesehen werden, allein es ist nicht anznerkennen, dass gerade für die von v. Haha berührten Fragen eine abweichende Ansicht Über die Bedeutung der Protokolle zu entgegen- gesetztem Resultat führen würde.

So geben z. B. hinsichtlich der Frage, ob auch dem wissenden Dritten gegenüber die beschränkte Vertretungs- befugniss eines Gesellschaftera ohne rechtliche Wirkung sei (v. Hahn I S. 291 [4. Aufl. S. 495]), die Protokolle kein sicheres Ergebniss, weil zwar Art 114 S. 2 des Pr. Entwurfs gestrichen wurde, aber aus verschiedenen Gründen.

Ebenso ist zu H.G.B. Art. 150 {v. Hahn I S. 361 [4. Aufl. S. 620]) nicht ersichtlich, ob die Majorität blosse Arbeitseinlagen ausschliessen wollte, da zahlreiche Mitglieder unter »Vennögens- einlagenc auch blosse Arbeitseinlagen verstehen mochten.

Aehnlich verhält es sich mit der bestrittenen Befugniss der Aktienvereine zur Bestellung von Prokuristen (v. Hahn I S. 464 [3. Aufl. S. 731]). Die Aufnahme einer bejahenden Bestimmung ist aus zwei Gründen abgelehnt worden:

1. weil eriahrungsmässig Aktienvereine niemals Proku- risten haben,

2. weil die Prokura zu der ganzen Struktur des Aktien- vereins nicht passe.

Mit dem ersten Grunde ist die Statthaftigkeit der Be- stellung von Prokuristen nicht negirt, nur der Vorschlag als liberflüssig zurückgewiesen^ dagegen richtet sich der zweite Grund direkt gegen die Zulässigkeit. Da nun nicht erhellt, ob beide Gründe von der Majorität getheilt wurden oder ob Einzelne aus dem ersten, Andere aus dem zweiten Grunde gegen den Vorschlag stimmten, so liegt auch hier ein klarer Wille der Konferenz nicht vor.

Bd.U S. 7ff. 15 [2. Aufl. S. llff.] tritt v.Hahn meiner Ansicht entgegen, dass das Anschaffungsgescbäft des Lieferanten ein objektives Handelsgeschäft sei, und auch hier wird darauf verwiesen, dass der Wille der Gesammtheit oder doch der Majorität der Nürnberger Kommission für die Auslegung ohne erhebliche Bedeutung sei. Freilich wird auch hier nachzu- weisen versucht, dass aus den Vorarbeiten sich solcher Wille nicht ergebe, und es würde somit auch dieser Fall ausscheiden. Indessen möchte ich doch gegen die hier versuchte Methode

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70 t'eb«t die Bennteiiiig und Bedeutung der Benthnngiprolokolle etc.

der Interpretation Einspruch erheben. Die Annahme, dass mit dem Gesetz nur die Worte publicirt seien, dass der Wille des Gesetzgebers, der nicht in den Worten fUr sich einen unzweideutigen Ausdruck gefunden hat Ubrigeos, welcher Ausdruck ist unzweideutig? man denke an neueste Interpretationsversuche von Ver&ssungsgesetzen , schlechthin nicht in Betracht komme, lässt sich wenigstens mit schein- baren Gründen vertheidigen. Davon ist oben die Rede gewesen. Allein solche Argumentation ist doch geradezu undenkbar für einen blossen Entwurf, wie v. Hahn selber sagt, eine Privatarbeit. Die Verfasser des Reichshandetsgesetzbuchs and des prenssischen Entwurfs sagen aber, ungeachtet die Fassung der Entwürfe selbst Zweifel erregen könnte, in den Motiven zu denselben mit dürren Worten, dass auch das Anschaffungs- geschäft des Lieferanten als objektives Handelsgeschäft gelten solle (mein Handbuch I S. 439 (2. Aufl. S. 577] Not. 12). Wenn nun v. Hahn in Bezug auf diese Entwürfe bemerkt: »diesen klaren Worten gegenüber kann die entgegenstehende Interpretation der Motive nicht berücksichtigt werden*, so ist das mir geradezu unverständlich. Die Verfasser einer Schrift sagen uns in dem Augenblicke, wo sie diese Schrift ver- öffentlichen: mit diesen Worten will ich das und nichts Anderes gesagt haben und der Interpret will auf diese Erklärung keine Rücksicht nehmen, weil e r in den Worten etwas Anderes gesagt findet! Wenn nun aber dies der Wille der Verfasser des prenssischen Entwurfs war und in dem Handelsgesetz- buche selber eine Fassung gewählt ist, welche mit diesem Willen noch weit verträglicher ist als die ältere Fassung, und nirgends eine Andeutung sich findet, dass ein Anderes gewollt sei, so scheint doch Über den wirklichen Sinn des Gesetzes kein Zweifel bestehen zu können. Allerdings führt v. Hahn hiergegen drei Gründe an:

1. Den Wortlaut. Das Wort »veräussem* könne nur bedeuten: einen Verkauf oder dergl. abschliessen. Dieses Argument ist an sich misslich, denn der Wortlaut des preus^- schen Entwurfs »um weiter zu verkaufen« scheint doch ganz klar das Anschaffungsgeschäft des Lieferanten aus- zuschliessen und sollte dennoch nach dem erweislichen Willen der Verfasser auch dieses umfassen! Es ist aber auch in sich hinfällig. V. Hahn sagt, >die Absicht, eine zn kaufende

U. Die Bedntmig der FrolokoUe. 71

Sache einem Anderen zu tradiren, kann an sich nie das Motiv zur Ein^^ehung eines Spekulationskaufes sein*. Wanun nicht? Der Ausdruck iSpekulationskauf« ist zweideutig; es Ifisst sich darunter verstehen der Kauf, welcher das erste Glied einer Handelsoperation ist im Gegensatz zum Reali- sationsgeschäft ; aber auch allgemein ein Kauf, welcher in der Absicht zu gewinnen, geschlossen wird. Bei einem Speku- lationskauf im ersten Sinne freilich kann niemals die blosse Absicht, zu tradiren, das Motiv zur Eingehung sein, wohl aber bei einem Spekulationskauf im zweiten Sinne. Ein Realisations- geschäft, welches in der Absicht zu gewinnen geschlossen irird es soll wohlfeiler eingekauft werden, als verkauft ist , ist ein Spekulationskauf im zweiten Sinne, und das Motiv für die Eingehung eines solchen ist allerdings die Absicht, zu tradiren , nämlich durch die Erfüllung einen Gewinn zu machen, da erst durch die Erfüllung die Beziehung der beiden Glieder der Handelsoperation hergestellt wird. Es liegt somit auch kein Grund vor, mir eine Inkonsequenz vorzuhalten. Dass aber Art. 271 Z. 1 eben nur von dem Spekulationskauf, welcher das erste Glied einer Handelsoperation ist, und nicht von dem Spekulationskauf allgemein, also nicht auch von einem solchen, welcher das zweite Glied einer Handelsoperation ist, spreche, ist petitio principii und wird, wie bemerkt, durch die Entstehungsgeschichte widerlegt.

2. Den inneren Grund, dass die Anschaffung darum dem Veräusserungsgeschäft vorangehen müsse, weil die Absicht zu veräussem bei der Anschaffung vorhanden sein müsse. Allein diese Absicht ist in der That in beiden Fällen vorhanden: bei der Spekulationsanscbaffung die Absicht ein Veräusse- rungsgeschäft abzuschliessen , bei der Realisationsanscbaffung die Absicht zu veräussem, d. h. ein geschlossenes Veräusse- rongsgeschäft zu erfüllen.

3. Die Inkongruenz zwischen Speculation ä la hausse und a la baisse. Ich habe ohne diese Inkongruenz zu ver- theidigen die Gründe, welche eine solche, und nicht allein für Werthpapiere, bis zu einem gewissen Grade rechtfertigen, angegeben. Und ich meine auch jetzt noch, was v. H a h n nicht einsehen zu können erklärt, dass ganz abgesehen von Werth- papieren, eine Spekulation ä la baisse z. B. in Zucker, Ge- treide, Baumwolle, Spiritus, Eisen, bei Nichtkauflenten ein ganz

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72 Ueber die Benutzung und Bedeutung der BeialhungsprotokoUe etc.

seltener Ausnahmefall sein wird, dass daher solches Geschäft in der That einen so specifisch handelsoiässigen und darum handelsreclitlichen Charakter trägt, dass es schlechthin nach Handelsrecht beurtheilt werden will, somit für ein objektives Handelsgeschäft erachtet werden muss, während der Reali- sationsverkauf , weil er dieses specifisch faandelsmässigen Charakters entbehrt, nicht mit gleicher Nothwendigkeit als objektives Handelsgeschäft anzuerkennen war.

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MISCELLEN THEORIE DER WERTHPAPIERE.

(1882.)

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INHALT.

I. PendcnsttieoTle und Elgvnthumsfheorle 77

IL Das PrfisentatlODSpapler and di« Katogortaen dar W«rth-

paplare 83

III. Das Dduolarlsoha IndoaaaiiieDt 91

IV. 'Wechsalaooapt und „Kreatlonetheorle" 94

I. Art. 31 der denliclieD WecbteloTdnang 94

lDib«K>Dder« das HmitiTte Accept:

DenUdie Wectudordnniig Ait. 13 106

II. Die Jodikktnr da Rdcht-OberluuidebgericIiU nnd d«t

Rdchagerichti 108

III. Die Haftnng dm Aawtellen «w dem ohne oder «ider Willen det AoiUellen aa» detsm Rand gekommeiiea

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Die richtiKe Konstmlctioii nnd du geltende Kecbt .... 1 1$

V. Dar Ladaschaln lao

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De nachstehenden Erörterungen schliessen sich zum Theil an frühere Untersuchungen ergänzend oder modificirend an. Einzelnes ist von mir zuerst in den Eotscheidungen des Reichs-Oberhandelsgerichts {bis zum 30. Juni 1875) ausgeführt worden.

I. Pendenztheorie und Eigenthumstheorie.

Der Herr Verfasser der in der Zeitschrift XXVIII S. 56 -62 mitgetheilten Skizze [Riesser] tritt, in der Hauptsache, der von mir, unter Anschluss an Ihering, Zeitschrift III S. 275, 276 (1860), als möglich angedeuteten iPendenz-c oder »Präsentations- Theorie« bei '. Da ich auch sonst noch gegenwärtig als Vertreter dieser Theorie genannt werde ", so glaube ich darauf hinweisen zu müssen, dass ich mich seit geraumer Zeit von der Unstatt- haftigkeit dieses Konstruktionsversuches überzeugt habe, und dass mit demselben die von mir Zeitschr. VIII S. 330, IX S. 62 ff. (1865—1866) entwickelte »sachenrechtliche* oder »Eigen- thums-Theorie« unvereinbar erscheint. Zwar behauptet Thöl (Handelsr. I, 6. Aufl., § 223) s, dass die »Eigenthums-Theorie«,

Diesdbe hat emen nambaften Vertreter gefunden in Förster, Theorie nnd Praxis des prensBischen PriTatrechts I g 64 nicht mehr bei dessen Her- ausgeber Eccins (4- Aufl. 1881, I S. 424 Note 30 [7. Aufl. S. 375 Note is]). S. auchO. T. Berlin 1866 (Strielhorsl's Archiv Bd. Ö5 S. 77). Verwandt ist der Gedanke t. Gerbe r's (Deutsches Privatrecht [11. Aufl.] g i6i Note 3 [vgl. jetil aber Cosack bei Gerber, 17. Aufl. § 237]), dass in den nrischen den Fälligkeitstenninen liegenden Zeiten das obligatorische Verh£ltniss ge- wixsermaassen (?) ruhe. Dagegen i. 6. bereits Kuntze, Inhaberpapiere S. t4S ; Jotly, Ktit. Vierteljabnschr. IIl S. 559.

' Z. B. Stobbe, D. Privalr. III § 180 Note 4 [3. Aufl., bearbeitet von Lehmann, g »55 Note 7].

1 In dessen >Literatariibenicht< vor diesem Paragraphen die eben ge- nannten Ausftlhrungen so wenig erwähnt sind, als meine Erörtemngeti itt Bd. VI S. 341 der Zeitschrift, sondern nur die Uteren.

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78 Mitcdlen inr Theorie der Werthpi^ieK.

welche er verwirft, nothwendig auf die von ihm gleich- falls abgelehnte »PräseDtations-Theoriet führe. Die Behaup- tung trifft nicht zu. An das Papiereigentum kann eine Kette sämmtlich und ausschliesslich skriptunnässiger Forderungen (nicht blosser Expektanzen) geknüpft sein und ist an dasselbe bei den wirklichen Order- und Inhaberpapieren derart ge- knüpft, dass bei jedem neuen Papiereigentfaümer die skriptur- mässige Forderung neu ', unabhängig von den Mängeln, welche ihr hei dem >Vonnanne« anhafteten (D. W.O. Art. 82; H.G.B. Art. 303 Abs. 2 ; sächs. bürgeri. G.B. § 1046 ; schweizer. Bundesgesetz über das Obligationenrecht [1881] Art. 811, 838, 839, 842, 847) entsteht. Der Erwerb der Forderung gründet sich so wenig auf eine (obligatorische) Succession (Renaud), als der Eigenthumserwerb des Papiers auf eine wahre (sachen- rechtliche) Succession (v. S a v i g n y) : H.G.B. Art 307 ; D. W.O. Art. 74 womit zugleich gesagt ist, in welchem Haupt- punkte, von anderen gleichfalls sehr wichtigen hier zu schweigen, sich die von mir formulirte Theorie gegen andere schon früher aufgestellte >Eigentbums-Theorieenf abhebt. Sie unterscheidet nicht mit Thöl von dem >Rechtc die »Legitimationsnach- weisuDgc, sondern das Recht und die blosse »Legitimation t (D. W.O. Art. 36) d. h. hier, richtig verstanden (denn der Ausdruck ist vieldeutig), nicht Berechtigung, sondern gesetz- lichen Ausweis der Berechtigung zur Geltendmachirag der Forderung; sie bejaht, was dieser noch jetzt sogar an- gesichts der reichsgesetzlichen Besttaunungen verneint (Handelsrecht [I, 6. Aufl.] §§ 223, 226 H., 231; Wechseh^ht [II, 4. Aufl.] § 176), dass die Frage von der Zulässigkeit der > sogenannten Vindikation c dem Sachenrecht angehöre. Es kann ThöI zugegeben werden, dass die Forderung nicht um der Sache (des Papierstuckes) willen vorhanden sei , dagegen nicht, dass die Sache der Forderung, statt umgekehrt, folge. Man darf allenfalls diejenige Formulirung gelten lassen, welche nicht mit Thöl übereinstimmt, sondern dessen Formel einen andern Sinn unterlegt (Brunner in Endemann 's Handbuch

' Will Windicheid, Ftndeklea [auch 7. Aufl.] II g 391 Note 3. 3 ia feiner nur ta kurien Andeutung ein Änderet ugenP Du Gegentheil sagt Brunner in dem Handbnch des deutachen Handelt-, See' und Wechsel rechts, herausgegeben von Endemann, Bd. II S. 164, 170. S. nnten S. 85 Note 1 und S. 118 Not« t.

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I. Pcndenitheorie und Eigenthnnutheorie, 79

des Handelsrechts II S. 163), dass die >Rechtssätze über den &werb der Forderung in sacfaenrechtlichem Gewände er- schemen<, vgl. auch meine Ausführungen: Zeitschrift VIII S. 336, 338 falls nämlich damit, wie anzunehmen (vergl. Brunner a. a. O. S. 164, 207, 211), gesagt sein soll, dass sie wahre Rechtssätze des »Sachenrechtst sind, nur Objekten dieser Art eigenthümltche.

Wenn femer Stobbe (Deutsches Privatrecht III § 180 [v^. aber 3. Aufl., bearbeitet von Lehmann III § 255]) zwar anerkennt, dass die Obligation aus dem Inhaberpapier >auch von sachenrechtlichen Grundsätzen erfasst wird« und dAss nach den Bestimmungen des Deutschen Handelsgesetz- buchs »der gutgläubige Erwerber dem EigenthUmer des In- haberpapiers völlig gleichsteht« (richtiger: Eigenthümer ist), aber gleichwohl ausfuhrt, dass nicht der »EigenthUmer«, son- dern der ilnhaber« Gläubiger sei, so räumt er doch zugleich ein, dass diesem »Giäubigcr« die Forderung von dem >Eigeo- thUmert durch Vindikation oder Kontraktsklage wieder ab- gestritten werden könne (». . . Reproduktion der verlorenen Forderung ...«), und dass »nur Derjenige die Forderung in sicherer, unnehmbarer Weise erwirbt, welcher das Papier auf Grund eines auf EigenthumsUbertragung gerichteten Geschäfts erhalten hat« ; nur freilich sei der vindicireade Kläger nicht Gläubiger, er bestreite auch nicht, dass der Beklagte Gläubiger sei, sondern dessen Recht, das Papier zu besitzen und dem* gemäss Gläubiger zu sein (richtiger: zu bleiben). Nach dieser Theorie wäre die >Vindikation< ein Rechtsmittel nicht zur' Geltendmachung einer bestehenden, sondern zur Wieder- erlangung einer verlorenen Forderung, gerichtet auf Rescission des für den Papierinhaber eingetretenen Forderungserwerbs. Dabei erkennt Stobbe an, dass die mit der Eigenthums- und anschliessenden Legitimations-Theorie vereinbare, wenn auch mitunter positiv-rechtlich ausgeschlossene (säcbs. bürgeri. G.B. § 1045, modificirt : Schweiz. Obligationenrecht Art. 846 Abs. 2), dagegen mit seiner Auffassung durchaus unverträgliche Ge- stattung eines Beweises gegen das »Rechte des Inhabers unter Umständen von der laequitas und von den Bedürfnissen des Verkehrs« dringend erheischt wird, dass somit im praktischen Ergebniss die beiden Theorieen einander sehr nahe kommen. Ich sage iTfaeorieenc Denn dass Stobbe das nur zu harte

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so Miscellen tnr Tbeoiie der Werthptipiere.

wirklich >geUende« Recht darstelle, aber dessen Korrektur durch ein künftiges milderes Recht erstrebe, wird eben von mir geleugnet es ist mindestens sehr unwahrscheinlich, dass das Gewohnheitsrecht, welches ja gemeinrechtlich allein in Frage steht, gegen das VerkehrsbedUrfniss und die Anforderungen der Billigkeit Verstösse ; ob das künftige Reichsgesetz ein anderes normiren wird, bleibt abzuwarten. Schon aus diesem Grunde mochte die Theorie von dem »Forderangsrecht des Inhabers« als solchen in Verbindung mit dem iRescissionsrecht des Eigenthümers als vormaligen Gläubigers* ein sehr bedenklicher theoretischer Umweg sein und schwerlich vereinbar mit dem Rechtsbewusstsein des Ver- kehrs, welches keineswegs an den Verlust des Gewahrsams den Forderungsverlust knüpft. Wäre der ilnhaben, sogar wenn und solange er nur alieno nomine detioirt, der wahre Gläubiger, so wäre schon mit der blossen Deponinmg von Inhaberpapieren nicht nur die faktische und in gewissem Sinne rechtliche Möglichkeit des Forderungsverlustes, sondern dieser selbst unausbleiblich verbunden!

Aber das Versprechen, an den Inhaber, Vorzeiger, In- dossatar zu zahlen, ist juristisch ein Versprechen, an den Be- rechtigten zu zahlen nur soll der Rechtsausweis dem Aus- steller gegenüber durch Innehabung etc. erbracht sein. Der Wille des Ausstellers und der allgemeine Wille des Verkehrs gehen nicht dahin, dass ein Unberechtigter Gläubiger sein solle. Der Eigenthümer, welcher dem Unberechtigten das Papier mit der Eigenthums- , Kontrakts- , Deliktsklage ab- fordert, erwirbt nicht die verlorene Forderung zurück, sondern macht sein bestehendes Forderungsrechf geltend. Auch dem Schuldner gegenüber sind Recht und Legitimation nicht gleich- bedeutend ; der Schuldner darf stets an den Legitimirten zahlen er muss an ihn zahlen, sofern er nicht in der Lage ist, den schwierigen, meist unmöglichen Nachweis des Nicht- rechts zu führen; die Pflicht, solchen Nachweis zu versuchen, hat er an sich nicht.

Die vorstehend bekämpfte Ansicht scheint (?) in einem schon früher nach anderen Richtungen besprochenen (Zeit- schrift XXIII S. 307} Unheil des II. Senats des Reichsober- handelsgerichts (Entsch. XVII S. 159) angenommen zu sein. Jedenfalls gewinnt in der neueren Literatur, wenngleich nicht

, CiOO^^Ic

I. Pendenitheori« und E^entfaDouiheoTie. 81

ohne Abweicbimgea im EinzeloeD, die lEigenthamstbeoriec immer breiteren Boden: Hauser, Stellvertretung im Besitz S. 83 fi.; G. Binding (Zeitschr. X S. 412 ff., 418 ff.; De Fontenay (Zeitschr. XVHI S. 65ff.); Randa, Besitz (3. Aufl. S. 335 [4. Aufl. S. 436] Note 48); Brunner in Endemann's Handbuch II S. 163, 164, 190, 191, 207, 211; Carlin, Niemand kann auf einen Anders mehr Recht Obertragen, als er selbst hat (1882) S. 9, 73, 77'. Damit stimmt im Endergebniss auch wohl Dernburg Uberein (Preuss. Privatr. 11 [3. Aufl.] S. 211 [5. Aufl. S. 217J); wenn, ungeachtet einzelner allgemeiner lautenden Aeusserungen, >Recht ans dem Inhaberpapier nur der gutgläubige Erwerber des Papiers« hat, dieser letztere aber nicht bloss >gegen die Vindikation geschützt«, sondern reichsgesetzUch wahrer Eigen- thtlmer des Papiers ist, so lässt sich doch nicht bezweifeln, dass der Eigenthfimer und nur dieser Gläubiger ist. Im prak- tischen Ergebniss kommt darauf für das geltende Recht ja auch Thöl (Handelsrecht I § 223 vgl. 231) hinaus ob zur Begründung der »Vindikationt ein anderes und mehr verlangt wird als der Nachweis eines Eigenthumserwerbsgrundes, und als solcher reicht selbstverständlich ein nach Art. 307 H.G.B.'s genügender aus, darf hier unerörtert bleiben. Aber es ist be- stimmt hervorauheben , dass ein sicherer Aufbau der Theorie der wahren Inhaber- wie Orderpapiere erst durch die der Natur dieser Papiere imd dem Rechtsbewusstsein der Gegen- wart durchaus entsprechenden ' reichsgesetzlichen Bestimmungen (D.W.O. Art. 74, Schweiz. Obligationenrecht Art. 268, 790, ital. H.G.B. [Text 31. Okt. 1882] Art 37, 332, H.G.B. Art. 307) nicht über die Beschränkung oder den Ausschluss der Vindikation, sondern über den Eigenthumserwerb an dergleichen Papieren ermöglicht worden ist und dass die konstruirende

< S. >nch die Kieb«n enchcinende a. Aufl. von Mandry, Der dTÜ- iccfatlicbe Inhalt det Kcidugeteue (tSSa) S. 193 [4. And. (Geib) S. 207].

' Das GegcDtheil behauptet v. Gerber. Denticbei Privatr. § 161 [anders Cosack, 17. Anig. S. 406]. Er Qbenielit n. A. , dass der richterlicbeD An- vitBduag der cmlen ViadilcatioiisgnindBltic alsbald denm gtsetlticha Besdti- gUttg gefolgt ist, nm deo flagranten Widertprach iwUchen positiTam Reckt und RechtabenulMiu der G^enmut ca beseitigen, i. B. in Haonovar nnd Baael- Stadt (Zeitschi. U S. 545, IX S. 137). S. jetit Brini, Pandekteo IL s (1. AnO. 1883) S. 581 fL

Goldacbmidt, TwBiiclit« Sebrirtes. n.

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82 Mbcellen au Theorie der Werthp«piere.

Theorie diese Grundlage zu acceptiren hat. Diese Aufgabe hatte ich mir in der vorhin erwähnten, übrigens der Revision bedürfenden Abhandlung gestellt. Gründliche Ausfuhrungen in diesem Sinne enthalt die sorgfältige Berliner Inaugural- dissertation von M. Pappenheim, Begriff und Arten der Papiere auf Inhaber im Sinne des Art. 307 des Deutschen H.G.B.'s (1881). Nur wird, da Art 307 H.G.B.'s lediglich die »verSusserten und Ubergebenen« Inhaberpapiere trifft, weiter zu untersuchen sein, ob auch, Über Art. 307 hinaus, ein ander- weitiger Eigenthumserwerbsgnmd des Papiers, wie Ersitzung etwa pro berede oder auf Grund eines Putativtitels, Occnpation u. A. m., zugleich den Forderungserwerb nach sich zieht.

Für die »Pendenz- oder Präsentations-Theorie* , welche ich nicht mehr vertrete, darf ich daher die mehrfach abweichen- den Ausführungen von Riesser unberührt lassen.

n. Das Präsentationspapier und die Kategorieen der Werthpapiere.

Nicht auf der »Präsentations-Theoriee beruht, wie dem Wortlaut nach scheinen könnte, das Wesen des zuerst von Brunner so bezeichneten und in die Doktrin eingeführten »Präsentationspapiers«'. Er versteht darunter nicht eine Urkunde, deren rechtliches Wesen in der Präsentation aufgeht, für welche somit die Präsentation (Vorlegung) ein die Entstehung oder doch mindestens jede Ausübung des beur- kundeten (Forderungs-) Rechts schlechthin bedingendes Moment bildet. Sondern, obwohl die Schuld und sogar deren Fällig- keit ohne Präsentation bestehen, so sei doch die >Leistungs- pfhcht des Schuldnersc an die Präsentation in der Art ge- bunden: dass der Schuldner nur gegen Vorlegung tmd Aus- händigung des Papiers (bezw. eines das Papier vertretenden

Zuerst in t, Holtzendorffs Encjltlopidie (3. Aufl. I S. aio). Ge- Ecliichtliche Untennchnngea : Zeituhrift XXII S. tff., 59fr., 505 ff., XXIII S. 3^5 and; Du frunHsiscfae Inluberpapier des Mittelalten FestKbrift 1879; gedringte Zuttunmenfumng der geschichtlichen Unten uchungen jelit in V. HoltiendorffiEncfldopSdiel, 4. Aufl., S. 353— 354 [5. Anfl. S. 378 ff.]. Ueberwiegend doematlKh : DieWerthpapiere, imHsndbuchdeiD. Htuidelirechls, b^ausgeg. von Endem&nn, II S. i4off. nnd in v. Holticndorff * Eni^- kloptdie, RechtilexikoQ, s. v. «Inhaber-, PiKsentation*-, Werlh-Fapierei.

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IL Du PrIseDt>tianq>ipieT und die Kategorie«!) der WeiÜiptpiere. 83

AmortisatioDserkeimtnisses) zu zahlen brauche die voll- stäodige Erfüllung der Forderung somit hier begrifflich als »Einlösung des Papiersc erscheine ; dass die Schuld den Charakter nicht einer Bring-, sondern einer Hol-Schuld habe; endlich, dass der Verzug des Schuldners mit seinen rechtlichen Folgen

wohin anscheinend auch der Ausschluss der Zinsverbind- lichkeit aus Art. 289 H.G.B„'s gezählt wird nicht durch den Verfallstag an sich also unter Ausschluss der Regel dies interpellat pro homine , sondern nur durch eine solenne Mahnung, nämlich durch die Präsentation zur Verfallzeit, be- dingt werde. Dies ist der Kern der an verschiedenen Orten nur iinweseatlich varürten, bald kürzeren bald längeren For- mtüirung. Mao darf hiernach, wie das theilweise auch von Branner selbst geschieht, zur Charakterisirung der drei Momente die Stichworte : >EinlOsungsschuId< , >HoIschuldc , >Mahnschuldc (sc. solenne) wählen.

Es sollen so mit dem Ausdruck »Präsentationspapieri ge- wisse bisher mehr oder weniger scharf von der Gesetzgebung (z. B. einerseits: D.W.O. Art. 39, H.G.B. Art. 303 Abs. 3

andererseits: D. W.O. Art. 40, 41, 91 ff., H.G.B. Art. 325)' und Doktrin (insbesondere Thal, v. Salpius, v. Hahn) fonnulirte, für gewisse Arten von Urkunden geltende Rechts- satze in dem Sinne zusammengefasst werden, dass deren an- erkannte Geltung die selbstständige Kategorie »PrSsen- tationspapien begründet.

Wenn dabei Brunner ursprünglich (Zeitschr. XXII S. 60) > für das heutige Recht die Kategorieen des Präsentations- papiers, des Inhaberpapiers und des Dispositionspapiersi auf- stellte, so war dies wohl nicht als erschöpfende, überhaupt kaum als wahre Gliederung der modernen »Papiere« ge- meint — wie denn auch später eine abweichende Klassifikation gewählt ist (z. B. in Endemann's Handbuch II S. 151, 152; s. aber auch S. 146, 147), Denn von dem ilnhaber- papier» ist es ja zweifellos, dass es nothwendig zugleich >Di5positiTpapier< ist: die Inhaberforderuog kann nur durch das Papier begründet werden, und auch das «Präsentations- papier« muss insofern zugleich »Dispositivpapier« sein, als

> Adb den Protokollen der NOroberger Konfereni (S. 584, 588, 589, I3T2| 1373) ^g}^t lieh, wie »ehr nllmihlich der wichtige und doch noch lu beachrinkte RechtMaU imit AuBnahiae der indottabelo oder aaf Inhaber lanteD- den Papiere* all klar ericanntes RechUprin^ip zum Durchbruch gelangt ht.

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34 MHcdlen zur Theorie der Wenhpapiere.

der ihm eigenthümliche Forderungsinhalt (nur gegen das Papier) nicht anders als durch das Papier begründet wird es wären also wohl Inhaber- und Präsentationspapiere den Dispositivurkunden einzuordnen. Weiter aber würde augen- scheinlich das ilnhaberpapier« neben allen oder doch den weitaus meisten, nämlich allen nicht die megative PrSsen- tationsklauselc (Zeitschr. XXII S. 63 und sonst häufig) tragen- den Orderpapieren ', endlich neben vielen Namenpapieren eine blosse Unterart der umfassenderen Kategorie >Präsentatioiis- papier« bilden oder hat Brunner hier mehr historisch (so wohl Zeitschr. XXII S. 98) imter >Inhaberpapierc jedes »Papier» verstanden, dessen >Haben> für das Gläubigerrecht von wesenthcher Bedeutung ist ? EndUch bedarf es einer Zu< sammenfassung der Forderungspapiere auf Inhaber mit vielen Orderpapieren und gewissen Namenpapieren (Rettapapieren) in die wichtige Kategorie der iSkriptur-Obligationent , für welche Brunner die neue Bezeichnung »Papiere öffcntUchen Glaubensc (in Endemann's Handbuch II S. 152, 168ff. und sonst) empfiehlt. Man sollte aber doch an der alten festhalten. Dean wollte man auch ohne entsprechende »Öffentliche Ein- richtungen» »öffentlichen Glauben« statuiren, so steht es ja, iedenblls auch nach Brunner's Ansicht, fest, dass ein un- echtes oder von einem Verpflichtnngsunfähigen ausgestelltes oder von dem Aussteller gar nicht begebenes Papier der Art eine Obligirung des wirklichen oder angeblichen Ausstellers nicht begründet, während der »öffentliche Glauben«, z. B. des Grundbuchs, nothwendig diese Folge nach sich ziehen würde 3. Die oder mindestens gewisse aus dem »öffentlichen Glauben« hergeleiteten Satze folgen eben aus dem, vras der Name »Skriptur-Obligation« noch pr^ciser: »Urkunde über eine Skriptur-Obligation« < mit sich bringt : nämlich , dass die

< «Ohne TOt^ingige PrisenUtioiK : EnUcheidungen des Reich« -Obcr- bandel^ericbtt VIU S. 164, vgl. V S. 103, XIV S, 415; Verbaadlungen des XV. jDriilentagB I S. 58 (Sclinlie-Delittieh), III (Hoise).

* Nicht identtich mit »bitt«kten< (Zeitschr. XXII S. 64 Note 1, S. 89) *. aber ancb in EndemaDn's Handbuch II S, 151, Tgl. mit meinen Hand- bach I, 3 S. $85.

) Daher ancb Dernburg, welchec tcbon früher (3. Aufl.) >nf eine der- utige Analogie hingewiesen hatte, nmunehr deren juristische VenrartbbMiteit beiwäfelt (Preiui. Frintrecht, 3. [avch 5.] AnS., 11 % 353).

* WelchedemiTeiteianKTeiseder>Skriptiii^odeTLitenl-Rechte< angehört.

L., .. „Gooslc

n. Du PritenUCionspapier und die Kategorieen der Werthpapiere. g5

Forderung schlechthin und lediglich nach Maassgabe der echten Schrift (des Urkundenwortlauts) besteht, dass also der nort- gemässe und echte (abstrakte oder diskrete) Inhalt der Schrift für wahr und gewollt gilt, unter Ausschluss des Gegenbeweises und unter Zulassung der Anfechtung nur gegenüber dem mit der Unwahrheit bekannten Papiererwerber, sofern dieser nicht ein Rechtsnachfolger des der Anfechtung ausgesetzten Vor- mannes ist'.

Um aber auf das iPrasentationspapiert zurückzukommen, so darf, auf Grund namentlich der eindringenden Unter- suchungen Brunner's' und Franken's^, als sehr wahr- scheinlich erachtet werden, dass die aus der spätrömischen, vielleicht im Provinzialrecht eigentbümlicb weiter entwickelten Dispositivurkunde entstammende Forderungsurkunde des Ger- manischen Mittelalters nicht nur die handelsrechtliche ursprünglich in der Regel als Dispositivurkunde und sogar ohne Präsentationsklausel anders anfänglich Brunner als ipräsentationspapieri in dem Sinne gegolten hat, dass der Schuldner nur gegen das Papier bezw. gegen dessen Amorti- sation (Todeserklärung in verschiedenen Formen) zu leisten verbunden war, die Zahlung sich somit als »Einlösung des Papiers* darstellte,

Hiermit ist die geschichtliche Grundlage erkannt, auf welcher allein eine sehr grossartige und mannigfaltige Rechts- entwicklung ermöglicht war. Das Ergebniss ist aber auch fUr das geltende Recht sehr erheblich: einmal, indem in den Skriptur-Obligationen das eigenthUmliche Element des Präsen- tationspapiers erkannt ist, welches seine besondere Analyse erfordert; weiter indem es auch noch gegenwärtig Forderungs-

' M«in Handbach des HaDdelirecbu I, a g 72 Note Stf., vgl. Note 4 ff. nnd I. (3. Aufl.) § 34 Note 15. Das erkennt, bis auf den letiten Sati, auch Brnnner an (EndemaDn's Huidbuch II S. 191) aber das:> die »publica fidai schlechthin den weiteren Nehmer icbätieii würde, lieaae sich nicht er- klären, mnn dieser, wie S. 164 und sonst poatulirt wird, die Forderung durch Rechtioachfolge enrttrbe. S. oben S. 7S Note t nnd nnteo S. II8 Note t. Vgl, Dernburg, Preuss. PriTBtr., 3. [auch 5.] Aufl., II § 8j Note l.

' S. namentlich Zeitcchr. XXII S. 83, 87; Das franiäsiscbe Inhaber- papier S. 90. 93 [s. aoch in den >FoTuhang;en inr Geschichte des deutschen and foutztisiscben Rechtii (1894), S. 534, S44]. Daiu: Brauner, Zur Rechts - gesciüchte der römischen ticd germani*chen Urkunde Bd. I (18S0}.

1 Dm fruizCsische FAmdiecbt im Mittelalter, Bd, I S. 348 154.

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86 Miscdlen »ur Theorie der Werthpsiäere.

papiere gibt, welche lediglich »Präsentationspapiere* in dem Sinne der ursprunglichen germanischen Fordenrngsurkunde sind ' ; endlich weil unverkennbar die noch zu wenig gewürdigte Verkehrssitte dahin neigt, den Forderungsurkuadea mindestens diese rechtliche Bedeutung entgegen dem specifisch römi- schen Recht der blossen Beweisurkunde beizulegen. Der- gleichen gewissermaassen unvollkommene Residuar- und doch gleichzeitig Keim-Gestaltungen finden sich ja auch sonst, zumal auf diesem Gebiet. Lässt z. B. das ältere Recht, welchem das Indossament noch fehlt, an sich eine Legitimation des späteren Brieferwerbers durch jedes Beweismittel (Willebrief u. a.) zu ', so ist dies auch noch beute insofern ^ mOgtich , als nicht die besonderen Wirkungen des Indossaments, d. h. eben der Order- klausel im modernen Sinne, in Frage stehen*.

Immerhin ist die Rolle, welche das iblossec Präsentations- pdpier nicht als Element der »Skriptur-Obhgationenc im Heutigen Verkehrsleben spielt, eine sehr bescheidene, und für die geschichtliche Entwicklung der »Skriptur-Obligationent bildet es, wie bemerkt, lediglich einen ersten Ausgangspunkt. Denn in dem*Begriffe des iPräsentationspapiers« liegt keines- wegs, dass schlechthin an den »Präsentanten* gezahlt werden muss das hat auch im germanischen RecJit nur für Order- und Inhaberpapiere und auch hier nur unter er- hebhchen Schwankungen gegolten; es ist erst wie man schon mehrfach (z. B. G. L. Maurer, Platner, Biener, V. Poschinger) behauptet, aber erst Brunner genauer nachgewiesen hat durch Ueberwindung der ursprünglichen germanischea Grundsätze von der Un2ulässigkeit der gericht- lichen Stellvertretung und Cession ermöglicht, womit dann

' Du (cheinl anch B ranner anianehmen, da er tod gewissen •schlichten Namenpapiereni iprichl, welche nicbt oothwendig >Skripturobligalionei)> nnd lEndemann's Haodbach II 5. 159, 171). Dagegen (cheint dieselbeo n> identitieiren; Stobbe, Deutsches Privatr. UI g 173 (S. I36ff.). [Stobbe- Lehmann III g 317, S. 159.]

Zeitschr. XXIIl S. 34S ff. und Cit

1 Auch darnber hinaoi? So Brnniier in Endemanii'i Handbach 11 S. 189 Note 15,

* Ygl. I. B. C.P.O. gg 733, 732 [neue FMSong gg S32, 831]: Enuchei- dungen de* Reichs-Oberhandelsgericba Bd. XI S. 350, 362. Sollte anch noch geseawtrtig ein •schlichte» OrdeqMpier, welches niclil sogleich •PritentationE- pepier' ist (ttranner, Das franaösische InbAberpapier S. JZB-), Totkommen?

II- Dm PtStenUtioiupapieT und die Katcgorieen der Werlbpapierc 87

einerseits das Niveau der römischen Beweisurkunde erreicht, andererseits aber gleichzeitig, da die Ueberwindung durch An- nahme ursprünglicher Gläubigerrechte der späteren Brief - erwerber erfolgte, ein viel weiter gehendes, nämlich den Cessionsstandpunkt überflügelndes Ergebniss erzielt wurde. Ebensowenig ist mit dem »Präsentationspapierc ohne Weiteres der allerdings im Geiste der germanischen Rechtsanschauung liegende Rechtssatz gegeben, dass nur an den Präsentanten mit iiberirender Wirkmig gezahlt werden kann ein solcher Rechtssatz ist im germanischen Recht wohl kaum für das reine Inhaberpapier, sicher nicht für das viel häufigere Papier mit der alternativen Inhaberklausel oder für das Orderpapier zum vollen Durchbruch gelangt". Höchstens im Keime aber können auf das > Präsentationspapier < als solches die den Kern des heutigen Rechts von den Order- und Inhaberpapiereo bildenden Rechtssätze über den selbstständigen Rechtserwerb des weiteren Nehmers und die Ausschliessung der Einreden in dritter Hand, den Forderungserwerb durch blossen redlichen Papiererwerb u. A. m. zurückgeführt werden, wie sie denn auch Brunner auf ganz verschiedenartige Prinzipien stützt (Endemann's Handbuch II S. 163, 164, 168 ff., 189 ff., 213). Indessen dürfte hier doch ein engerer geschichtlicher wie dogmatischer Zusammenhang rorliegeo. Zwischen der Formel »gegen das Papier* (Präsentationspapier) und der Formel >geinfias dem Papier« (Skripturrecht) be- steht eine unverkennbare Verwandtschaft und die Zurtickfuhrung beider auf einen obersten for- malen, ursprünglich sehr rohen, naturalistischen, dann aber, entgegen dem feineren spiritualisti- schen Prinzip .des römischen Rechts, mit glück- lichem Takt im Interesse des Verkehrs, nament- lich des Handelsverkehrs festgehaltenen' Grund- gedanken erscheint unabweislich. Nur bedürfen, um

' Vgl. I. B. Braaner: Zeitechr. XXII S. 7S ff., 55, 56.

* Ueber die itreng formoliitUdie Beliaiidlnng gerade im IntereBta dei Verkebtt, die nequitu mercstoTia in dieiem Sinne Tgl. mein Hand- buch T (a. Aufl.) S. 31a Ea handelt lich um die Konseivirnng und Weiterführung germanitcbea Forma Irechts. Kaum ändert iteht ei JB mit dem Grandniti (Hand moss Hand wahren'. Vgl. meine AbhoDdlnng in der Zeitscbr. VIII S. 346 ff., 359 und Franken, Da» fruuSdtcbe Pfand- recht I S. 2679., aSgff., 300 ff.

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gg Misc«llen va Hieorie der Werthpapiei«.

ZU einem abschliessendeo Urtheil zu gelangen, die bisherigen bereits so ergiebigen geschichtlichen Untersuchungen in den bezeichneten Richtungen der Vervollständigung.

Dass nun dem iPräsentationspapier« , auch sofern es für sich als »blosses Präsentationspapier« auftritt', die drei von Brunner bezeichneten Kriterien regelmässig zukommen, tässt sich nicht bestreiten. Dagegen fragt sich, ob sie ihm wesentlich, also für die Begriffsbestimmung maassgebend sind.

Selbstverständlich geräth, auch wo prinzipiell der Eintritt des Verfalltages der Mahnung gleichsteht (dies interpellat pro homine), der Schuldner nicht ohne Weiteres in Verzug, so- fern nicht er zu bringen, sondern der Gläubiger zu holen hat («Holschuld«). Dieses Kriterium ist somit nicht ein selbst- ständiges, sondern eine nothwendige Konsequenz der so- genannten »Abholungspflicht«.

Von der letzteren aber bemerkt Brunner (in Ende- mann's Handbuch 11 S. 156), sie sei Konsequenz der >Prä- sentationspflicht* , nicht umgekehrt. Das Letztere trifft un- zweifelhaft zu, auch wenn man die Deduktion aus Art. 91 der deutschen W.O. dahingestellt lässt; denn das >Holen« ist nicht begrifflich mit einer Präsentation der etwa über die Forderung vorhandenen Urkunde verbunden. Das Erstere ist zu bezweifeln. Es kann trotz der iPräsentationspflicht« des Gläubigers der Schuldner zum »Bringen« verbunden sein nämlich sich mit der Leistung an einem bestimmten Ort, ins- besondere auch bei dem (wirklichen oder möglichen) Gläubiger einzufinden und dort igegen das Papier« zu leisten: sei es zufolge »Domicilirung« oder auch nur anderweitiger »Zahlbar- machung« des Papiers bei dem Gläubiger, z. B, falls der eigene Wechsel beim Remittenten, der gezogene Wechsel beim Aussteller »zahlbar« ist '. Ob solchenfalls schon das blosse

' Z. B. die civil« Anweisang oder der dvfle Schuldschein auf Namen: •Gegen diese Anweisung zahlen Sie an Heim X die Summe von . . .<, «Gegen diesen Schein (Schuldfchein, Urief etc.] lahle . ich ao Herrn X die Samme von . . ,t (auch etwa individualisirt : von . . . Kaufgeld, Darlehosvaluta etc.),

' So schon Protokolle der Nürnberger Kunferenr S. 588 a. E. Vgl, Mosse, Verhandl. des XV. Juristeutafs I S. izt. Die gleichwohl bestehende ' Prisen tationspflichli hebt ausdrücklich hervor das Urtheil des Reicbsoba- haudelsgerichti vom 4. September 1876 (Entsch. Bd. XXI S. 26). Eine >Vei- wandlungi ursprünglicher Holschuld in eine Bringichuld (Brunner in Ende- mana's Handbuch II S. 157) liegt nicht immer vor.

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IL Du PiisenttttioQipai^ und die KittgoHeen der Werthpapiere. 89

Nichtbringen, oder, wie das Reichs-Oberhandelsgericht an- nimmt, nur dann, wenn zugleich die »Präsentatioospflichtt er- lassen ist, den Verzug des Schuldners begründet % darf hier dahingestellt bleiben man sollte aber denken, dass die durch das Nichtbriagea verhinderte Präsentation in ihren Rechts- wirkungen der erfolgten Präsentation gleichstehen mtlsse. Immerhin ist Präsentationspflicht bei Mangel der Abholungs- pflicht möglich, die Schuld aus dem Präsentations- papier ist somit nicht begrif fsnothwendig eine Holschuld.

Auch die >Einl»sungspflicht< dürfte dem Prä- sentationspapier nicht wesentlich sein. Besteht die lEinlOsungspQichti auch bei Papieren, welche nicht Präsen- tationspapiere sind: z. B. dem Orderpapier mit der Klausel •ohne Präsentation zu zahleni (Bruoner a. a. O. II S. 159), so lässt sich umgekehrt sehr wohl ein »Prasentationspapier« denken, welches nicht zugleich »EinlOsungspapiert ist: nur durch eine im Wege der Präsentation erfolgende Mahnung soll der Schuldner in Verzug gerathen, ohne doch dessen Leistungs- pflicht von der vorgängigen oder gleichzeitigen Aushändigung (Einlösung) der Schuldurkunde abhängig zu machen.

Man würde so zur Unterscheidung wesentlicher und nur naturaler Elemente im Begriff des >Präsentationspapiers< ge- langen. Als einziges wesentliches Kriterium für ein unter diesem Namen sicher abzugrenzendes Rechtsinstitut bliebe die *Prä5entationspflicht< des Gläubigers, und zwar mit der ein- zigen wesentlichen Rechtsfolge, dass nur durch Präsentation der Schutdnerverzug und anschliessend die Leistirngspfllcht aus nur sekundären Zahlungsverbindlichkeiten (Regressver- pflichtung) begründet wird. E>ementspräche, was auch Brunner (a. a. O. II S. 158) anerkennt, dass die Behauptung erfolgter Pi^sentation überhaupt, wie im Urkunden- bezw. Wechsel- prozess insbesondere, nur insoweit zur Klagebegründung ge- hört, als die Wirkungen des Verzuges oder die von primärer

' Vgl. EnBch. XXI S. I6 mit VIII S. 164 und V S. 375, VI S. 157. Die Deduktion , dais in der n^ativen Pclientationskknsel »tUbcliweigend die Untenrerfong nnter die getetdicbeo Venagifolgen entbatten lei, also eine Fiktion der Pifientation (Vni 5. 164), encheint aettt bedenklich.

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90 MisceUen lui Theorie der Werthpapiere.

Nichtzahlung abhängigen Regressverbindlichkeiten in Frage kommen'.

Indessen wäre auch dies noch nicht vOlUg genau. Unter >Präsentationspflicht* will Brunner augenscheinlich nur eine iBedingUDgt a. a. O. II S. 155, vgl, 158) verstehen noch genauer wäre: eine nothwendige rechtHche Voraussetzung für den Eintritt gewisser Rechtsfolgen. Er fUgt aber hinzu (S. 155): »Der Schuldner hat seinerseits kein Recht, gegen das Anerbieten der Leistung die Aushändigung des Papiers zu verlangen und ist demgemäss, wenn nicht eine besondere Verabredung vorliegt, zu einem Anerbieten nicht verpflichtet.« Der letzte Satz ist unzweifelhaft richtig, der erste nur inso- fern, als ein Klagerecht auf Annahme gegen den Gläubiger nicht besteht'. Dagegen darf unzweifelhaft der Schuldner dem ihm bekannten Gläubiger Zahlung der fälligen Schald gegen Vorlegung und Aushändigung des Papiers unter dem Präjudiz des Annahmeverzuges anbieten (W.O. Art 48, Art. 98 Ziff. 6); er darf weiter, falls zur Verfallzeit die Vorlegung unterbleibt, sich durch gehörige Deposition befreien und die deponirte Summe wird an den Gläubiger nur gegen Aus- händigung des Papiers gezahlt (W.O. Art. 40, 98 Ziff. 5, 6). Ob dieses Recht zur Deposition Folge des mit der unterlassenen Präsentation eintretenden Annahmeverzuges oder der blossen Ungewissheit über die Person des Gläubigers ist 3, mag zweifel- haft erscheinen, v. Hahn leugnet, dass schon an die unter- lassene Präsentation sich der Annahmeverzug kntlpfe, weil der Verpflichtete nur selten die nach allgememen Rechtsgrund- sätzen oder specieller Vorschrift (W.O. Art. 40) erforderlichen Schritte, diesen Verzug herbeizuführen, machen werde *. Dass

VerhaDdluDgen de« XV.JuristcDtag« I S. 51, iii, II S. 140. Die eot-

gegenMehende Anaiclit kann nur >(U dner anderen als der herrschenden Gmnd- auffassung des KUgerechts and leiDer Eatttehung begrdnd«! werden.

> Dies bildet die Regel, aber nicht die antnahmilose : F. Mommien, Bcitrige 2um Obligationeniecht III S. 134?.; Windscheid, Pandekten [anch ' 7. Aufl.] II § 347 Note I. Zu weit: Kohlet in Ihering' s Jihrböchcm XVII 5. zfi5ff. Eine Annahmepflicht im weiteren Sinne ist flberali aniuerlcennen. S. auch DernbuTg, Ptenss. Privatr, [auch 5, Anfi,} II § 73.

} Kühne in Ihering'i Jahrb. VII S. i S.

* Kommentat lu H.G.B. Art. aSg i, 3 (2. Aufl.}- ^»^ FiUen dieser Art die Bereitschaft des Schuldners sur gehörigen Leistung bis auf den Nachweil des GegenlbeiU anzunehmen sei, erkennt er an (II S. 103).

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II. Du PrSuiitBdoiupi.pier nnd die Kategorieen der Wetthpapiere. 91

die iDeposition« (W.O. Art. 40) nicht ein solcher Schritt ist, versteht sich; sie ist, wenn überhaupt in diesem Zusammen- hange aufzufassen, nicht Voraussetzung, sondern Folge des Verzugs, v. Hahn kann also nur an das Anerbieten der Leistung denken. Es fragt sich daher, ob bei Präsentations- papieren' die unterlassene Präsentation fUr sich, auch ohne lOblation« des Schuldners, den Annahmererzug des Gläubigers bewirkt. Mir scheint die Frage zu bejahen. Wer nur >gegen das Papiere Zahlung fordern kann, verhindert durch Nicht- vorlegung des Papiers die Leistung».

Nimmt man dies an, so liegt die wesentliche rechtliche Bedeutung des Präsentationspapiers als solchen in beiden Richtungen der Verzugsbegründung: positiv darin, dass nur durch Präsentati(»i der Schuldner in Zahlungsverzug, negativ darin, dass durch Nichtpräsentation zur Verfallzeit der Gläubiger in Annahmeverzug geräth.

Dass die Verzinslichkeit der fälligen Geldschulden unter Kaufleuten aus beiderseitigen Handelsgeschäften (H.G.B. Art. 289) bei unterlassener Vorlegung des Präsentationspapiers cessirt, ist unzweifelhaft mag man, weil sie »Verzugs- zinsen! sind, den zu ihrer Begründung erforderlichen Schuldner- verzug vermissen * oder, obwohl sie nicht Verzugszinsen sind ', ihren Eintritt wegen Gläubigerverzugs ausschliessen s , oder

' Bei jeder .HoUchuid.I F. Mommien a. a. O, III S. I73— 17S- Köhler in IheriDg's Jihib. XVII S. 401 ff. Protokolle der NOmberger Konfereni S. 1316, Dafregen Windaclieid [auch 7. Aufl.] % 345 Note 11. Ist die Schuld au( dem PrbentatioiupBpier eine Biingtchutd, so liegt iu dem Bringen des Schnldnen die erforderliche >ObIatioQ>.

* So ancb Urtheil des Oberlribonftls Berlin Tom 18. Uai 1854 (StrfethoTSt's Archir XUI S. 112) 'selbst im Verenge veiwft*. Vgl.Dern- bnrg, Prenss. Priralr. II § 73 Note 10 (3. Anfl, S. 171 [5. Aufl. S, 175J).

3 T. Hahn ft. a. O. Entscheidongen des Rächs-Oberhuideltgeriehts Bd. XXII S. 305. So wohl auch Brnnner (in Endemano's Handbach II 5. 156), obwohl er die hier in Betracht kommenden Zinsen neben den Ver-

4 So nnzweifelbaft nach der Quelle des HJS3.'s Art. 189 (vgl. Motive des prenaischen Entwurfs S. iio); A.L.R. II, 8 g 696. Vgl. auch Dem- bürg, PreuB. Frivatr. II g 37 Note 11 [5. Aufl. ebendort].

5 Für du prenstische Recht nimmt das GeKcnCheil an: Obertribnnal Berlin 1S41 (FrSjudii 1029. Sammlung I 5.86]. So auch Förster, Theorie nnd Praxis Ig 105 Note 81 [7. Aufl. ebendort Note 71] ondDernburg a. a,0. g 37 a. E. Die Berufung auf A.L.R, I II § 111 ist nicht ü

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92 MiKdlen znr Tbeorie der Werlbpapiere.

endlich aus dem rechtlichen Gründe der gesetzUchen Zins- pflicht, nämlich der jederzeitigen Möghchkeit h'uchtbringender Verwendung der Kapitalien, fUr den Fragefall, wo der Schuldner die geschuldete Summe zur Verfügung des Gläubigers halten moss, den Wegfall der Verzinsungspfücht entnehmen.

Es gibt endlich, was bisher in diesem Zusammenhange, meines Wissens, noch nicht berücksichtigt ist, Präsentations- papiere potenzirter Art: das sind die Sicht- bezw. Nach- (befristeten) Sicht-Papiere. Die Präsentation bestimmt hier zugleich, allein oder verbunden mit einem weiteren Um- stände — bei den Nach-Sicht-Papieren die Verfallzeit, so- mit insoweit auch den Inhalt der Schuld'. Derselbe Akt, an welchen sich die Fälligkeit der Forderung knüpft, begründet bei dem einfachen Sichtpapier, nicht bei dem befristeten, den Schuldnerrerzug. Ein Annahmeverzug ohne Pl^sentation ist bei dem einfachen Sichtpapier undenkbar, wenngleich eine gesetzliche Begrenzung derartiger Verbindlichkeiten mögUch, z. B. D.W.O. Art 31, 32, vgl. Art. 19, 20. Die Klage aus dem Sichtwecbsel ohne vorgängige Präsentation ist Klage aus nichtfälliger Schuld die für prozessualische Zwecke vor Ge- richt erfolgende Vorlegung auch des Originalwechsels ist nicht die nach Zweck and Ort (W.O. Art. 91) zur Herbeiführung der Fälligkeit erforderliche Handlung'.

IIL Das flduoiarisohe Indossament

Der Inhaber des Inhaberpapiers ist als Gläubiger legiti- mirt, aber ist nicht schlechthin Gläubiger. Demi es besteht kein Rechtssatz, dass die blosse Detention oder auch nur der blosse, nicht zum Eigenthumserwerb führende juristische Besitz eines Inhaberpapiets das Gläubigerrecht gewahrt (vgl. S. 79 ff.). Würde ein solcher Rechtssatz eingeführt, so bedürfte er zur

' Vgl. dun m ein« AutRlhniageD in dem U. des BaDdesoberhkadelsgerichts Bd. n S. 362 tr. und gegen Thfll, in der Zeitichr. f. Huidelsr, XIXS. 33tfr.

> Anden, iniberccdere tos dem nicht enUcbeidenden Gnmde, dui eine ent im Laufe des ProiesMS eintretende FlUigkeit der Schuld der Venutheiluag nicht entgegenstehe: Entscfaeidangen da Reichi-Obethuidelsgcrichts Bd. III S. 300 (der berilhmte F»I1 der >F&ttü. Wechsel* Unheil erging iwm auf meinen Vortrag , in dem betreffenden PunVte aber entgegen meinem An- trag), V a 314. VI S. 422 1. aber auch II S, 363, V S. a? ff.

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III. Du fidncUriiche Indotaainent, 93

Ergänzung einer Reihe seine wesentlichen Wirkungen paraly- sirender Rechtssätze.

Dagegen Tver im Ordemecfasel beziehungsweise in einem sonstigen wahren Orderpapier als Remittent oder durch eia gehöriges Eigenthiunsindossaraent (auch in blaoco) als Indossatar bezeichnet ist, hat eben durch diese Bezeich- nung, welche ein lediglich durch ihre Form , ohne Rücksicht auf den Grund der Begebung, ja ohne Rücksicht auf den nächsten Vertragszweck (EigenthumsUbertragung Pfand- bestellung — Berollmächtigung etc.) der Paciscenten wirkender Rechtsakt ist, das Eigenthnm an dem Papier imd mit diesem die Forderung aus dem Papier erworben. Daraus ergibt sich, dass meine frühere, sich der herrschenden Theorie an- schliessende Bemerkung, es kOnne ungeachtet eines Eigen- thumsiadossameots das Eigeotbum des Wechsels und die Wecbselfordenmg bei dem Ueberlragenden zurückbleiben', dem Wesen des Indossaments nicht gerecht wird imd dass >ein Dualismus formeller und materieller Gläubigerschaft« in diesem ' Sinne für das Orderpapier nicht anzuerkennen ist. Der Rechts- akt, durch welchen Jemand als Nehmer (Indossatar) eines Orderpapters ohne einen die Wirkung des Eigenthums- be- räehungsweise Forderungserwerbs unzweideutig ausschliessen- den Zusatz (>in Vollmachte, »in Prokura», »zur Einkassirung« u. dgl.) bezeichnet wird, mag unter Umständen ein nur fi- duciarischer sein, kann aber niemals weniger sein, und äussert auch als nur fiduciarischer Akt alle Rechtswirkungen, welche ihm seiner Natur nach zukommen, vorbehaltlich der unter den Paciscenten gebotenen Ausgleichung '. Dass beim

I Zeiticlir. VIU S. 336.

* Brnnncr in EndeniKnn't Handbuch 11 S. 163 rgl. S. 195. Aohn- iKb, gegen du S. 91 Note 1 genumte Urtfaeil des Reicbt-ObeikinddtgeTiehU, Dernbutg, Pnon. PrivUr. II § 117 Aan. 7 [5. Aufl. abendort, Anm. S}.

I Anf dieun GmndlUxen bemhen dis bekjumtan Mhlrckben Enttchei- dungen de« Raichi-Oberbandeltgerfcht» aber die RechtHteUimg dei ilt VolliudoMatu beteicbncten Mandktan, iubesondere dM «if meinen Vortraf ergangene, die FiiniipieDfragen nBtamicliende Urtbeil dei L Senat* rom 9. April 1871 i. S. Wieribicki c. Fink (Entich. Bd. VI S. 53, 54. v^ Bd. XXII S. IT3 nnd CState). Dan daa allgsraetn wichtige Uttheil dei Reicbtgerichti L Ciriltenat tdid 9. Oktober 1S80 (äittchddangwi in Cirilsacbmi n S. 166). Regeliberger, Archiv C. driL Pmi> Bd. «3 S. 170, 181 ff.; Kobler, in Iheiing'« Jahrb. XVI S. 149?., H6S.

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94 MäceDen znr Theorie der Werthpapiere.

ifiduciarischem Geschäft der Indossatar (Remittent) Eigen- thümer werde gegenüber Dritten, nicht aber gegenüber dem Indossanten, verstösst wider die Fundamentalsätze unseres Rechts.

Auf diesen Erwägungen beruhte mein in der Konkurs- kommission des Deutschen Reichstags wiederholt gestellter An- trag, dem bisherigen Recht entsprechend, ausdrücklich die hiemach singulare Aussonderung der nur zu Inkassozwecken indossirten Wechsel vorzuschreiben (Protokolle S. 28 32, 127—131, 163-170, 172). Es wird wohl kaum mehr be- zweifelt, dass die durch den Widerspruch der Vertreter des Bundesraths bewirkte Ablehnung dieses Antrages zu einem der feierlichen protokollarischen Erklärungen der Konkurs- kommission und ihres Referenten unerachtet sehr unbehag- lichen Rechtszustande geführt hat". Zu hoffen steht freilich, dass der souveräne ob^ste Gerichtshof die Lücke des Gesetzes in entsprechender Weise ausfüllen wird.

IV. Weohselaooept und Kreationstheorie'.

I. Die einzige 3 wenigstens anscheinende positive Stütze der »Kreationstheoriec bildet der Art. 21 der deutschen Wechsel- ordnung. Es wird gegenwärtig, nach den sorgfältigen Aus-

' Vgl. i~ B. V. Sarwsy, Die Konlcareordnung fSr das Deutsche Reich a. Aufl., S. 345 [3- A"1- bearbeitet von Boaiert S. 3»]; v. Wilraowski, Deutsche RelcEu-Koakuitordnung, 2. Aufl., 5. 3o6, 307 [5. Aufl. S. 175, 176]. RegeUberger a. a. O. S. 187; Kohler a. a. O. S. 351 ff.; Mandry, Der ciTilrechtlicbe lahtdt der Reichsgeietie, 3. AuQ., S. 314 Note 7 [4- Aufl. S. 334 Note 8].

* Auf das mir erst bei der Rerision zukomniende Gutachten Kuntze's in den VerhandTungen das XVI, Juriiteotagi Bd. I 5. 131 ff. kann ich mcfat mehr eingeben. Ich finde nicht, dass die S. 136, 137 aufgeführten >Rechts- sitiei die >Kieationstheorie< sttttien.

i In DieiDen wiederholten Ausführungen gegen diese Theorie (Zeitschrift III S. 341, VIII S. 330, IX S. 63, XIII S. 34S, XXIII S. 306) findet sich Zeiltcbr. VI S. 341 dritte Zeile von' unten der Druckfehler »diei itolt >der*; es must, wie auch aus der ganien ErCiterung klar hervorgeht, heissen: >Db« Richtige der Kreationstheorie liegt nicht darin , dasa durch einseitigen Schrift- akt der Aussteller seinen Willeo gebunden hat, sondern das« er den Inhalt seines Willeu und damit »der* Verpflichlung g^enUber jedem Nehmer des Papiers fizirt hat freilich auch cur vorliufig, da eine Abindenmg auch des Inhalts ihm jederzeit bis zur Begebung freisteht. Der Ansstdler lagt: falls ich wollen «erde, so will ich dies ich werde gewollt haben, .sobald ich du

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IV. WechseluMpt und Kreatioiutlieoric. 95

führongen G r a w e i n ' s , sogar von einem entscbiedeoen Gegner der iKreationstheoriec hier ein, freilich singulärer Ansnahmesatz anerkannt'.

Obwohl ich indessen stets die Ansicht vertreten habe, dass nach der Deutschen Wechselordnung bereits mit der Niederschrift auf den Wechselbrief auch ohne Aushändigung desselben die un-widemiftiche Bindung des Acceptanteo, und zwar dessen Obligirong aus dem Wechsel, nicht lediglich dessen Bindung an das Wort (Thöl, Siegel) erfolgt', so hatte ich doch, nach 'me vor, den Schluss, es bilde diese Niederschrift einen einseitig obligirenden Verpflichtungsakt, nicht den blossen Bestandtheil eines Vertragsaktes, für ungegrUndet

Die unwiderrufliche Annahmeerklärung oder, was das- selbe sagen will, das unwiderrufliche EinlOsungsrersprechen des Bezogenen erfolgte ursprünglich mündlich auf mündliche, von der Wecbselpräsentation begleitete oder nicht begleitete Anfrage, welche von dem Remittenten oder Präsentanten oder für denselben (durch öffentlichen Aufruf auf der Wechselmesse) geschah und wurde demnächst im Messwechselkonto (scarta- bccio, tnlan) vermerkt, auch wohl demnächst oder gleichzeitig durch den Bezogenen auf dem Wechsel; bei den nicht regu- lären (Aussermess-)Wechseln schon früh durch blossen schrift- Uchen Vermerk auf dem präsentirten oder zugesendeten Wechsel- " brief. Später wurde die nur mündliche oder aus Wort und Schrift kombinirte Annahme allgemein durch die nur schrift- Uche Annahme auf dem Wechsel und zwar mit der gleich«)

Papier begeben bab&i Vgl auch Zeitacbrifc XXIII S. 306. Auf diesem DmckfeUer dOrfle beruhen, du« Grftwein, Die Perfektion de« Accepts S. 13, 13 mir die Theorie michreibt, »welche die WecbselobligKdan durch äa eimätiges Rechtsgeschift entstehen liw nnd dts lEonititnirende (?) Moment dieses letzteren in der AushSndigtuig der Wechietiltriptar erbliclitt.

Die Perfektioii des Accepts, Gru 1S76. Ueber diese gediegene , min- destens T h 0 1 ' s Accepttheorie an der Warael angreifende Monogtaphie findet sich bei Thöl, Wechselrecht, 4. Aufl., g 79 Note 5 nar folgende Bemerknngt •Das Wesentliche ist widerlegltch' ; schliesslich S. 176 -wird empfohlen die ent- setsUche gesetzliche Beitimmimg: »Der Bezogene bleibt ani einem ausgetilgten Accept wechselmfissig verpflichtet •.

> Gareis, Zeitacht. XXIV S. 313.

1 Zötschr. t 5. 550. Eine fOr die Konstruktion unerhebUche nnd daher hier nicht zu nutemichcnde Fr^e ist, ob aas dem durchstrichenen Accept die Wechaelklage bleibt oder nur dvile Klage auf Wiederlierslellnng des gelitten Accepts stattfindet.

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96 MilceUen tm Theorie der WerthpipieTe.

Rechtsfolge der Unwidemiflichkeit ersetzt'. Es unterliegt so keinem Zweifel, dass die Uswiderruflichkeit des einmal niedergeschriebenen Accepts iirsprüngüch auf der Korrespon- denz von Anforderung (Anfrage) und Zusage beruhte das ist auf einem Vertrage ~ es wäre zu erweisen *), dass gegen- wärtig die schriftliche Annahme einen Vertrag nicht darstellt. Der Beweis durfte um so schwieriger sein, als der entscheidende Art. 21 Abs. 4 der deutschen W.O. fast wörtlich dem Prenssi- schen Allgemeinen Landrecht ^ entnommen ist: A.L.R. II, 8 §§ 997, 998, und wohl noch kaum behauptet ist, dass das alt- preussische Wechselrecht auf der Kreationstheorie beruhe, auch von Anderem zu schweigen, das Gegentfaeil aus 11, 8 § 715: »Wer überhaupt unfähig ist, Verträge zu schliessen, kann sich nicht wechselmässig verbinden (Th, I Tit 5 §§ 9 bis 31)c und hinsichtlich des Accepts aus dem Grundsatz er- hellt, dass der schriftlichen Acceptation die stillschweigeade durch Behalten des vorgezeigten und eingehändigten Wechsels über Nacht durchaus gleichsteht (II, 8 § 993).

Es ist von dem Normalfall des zur Annahme präsen- tirten oder eingesendeten und wie trassirt (pure) schriftlich

GTftwiin >. a. O. S. 84 ff., «xL mit Biener, WeduelrechtUche Ab- -hkiidluDgen S. 46, 49, 87, lOSfT., 131 ff.; EBdemann, Studien in der romftnistilch-kaaoniitiscben Wiithscluifts- and Rectitslelu« I S. 175 ff. , 305 ff., 318 ff. ; Zeitschrift VI S. 338 (G«ld*climidt], XXTI S. 31 CBranner), XXIII S. 174, »75 (L«iti8).

> In dem Satxe Grawein'i (S. S8); «Zur Entdeckung de* Unterachiedi, dau früher zur Zdl der Vornahme des Schiiftrennerkl die Voraaisetrungen zu einem perfditen Vertrag« vorhanden waren, wthrend nun eine zwar gc- schiiebene aber nicht abgegebene Willenterkllnuig vorlag, bitte bei dem da- maligen Stande der Rechtnriuenichaft ein romaniiticch gebildetes Ange gehSrt (desieo, wie weiter bemerkt wird, »ich nur Wenige erfrenten}> , l«t der Vorder- MtE bis ■waren* aniweifelhait richtig, der Nadnati rwfhrend vorlag* petitio prindpii, det in Parenthete getettte Sati schwerlich zntreSoid.

I D«** die Motive lu § 11 des pienssischsn Entwarft «ich «gleich anf ArL 131 de« Code de commerce benien, welcher nicht die VerlnndlidUceit dei geKhriebenen, (ondem des reditigtitig etthdlten, d. h. nach fnuitSntcher Anf- bssung erst de« begebraen Accepti Tettstellt (ch) aocetta pag«), lelgt nur, das» die Verfasier des Entwarft die Frage von dem Moment nnd von der Wirkung der PcffektioD nicht aoseinander gehalten haben; auch die beflSafige Aense- mng des Eutwnibverfuaers als Referenten der Leipttger Wechtelkonfereni Ober den Moment der Perfektion itt ftlr die Auslegung von geringen GeiridiL Vgh Grawein S. »3ff., 38.

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IV. Wecluelaccepl nnd Krektioiistheoria. 97

angenommenen Wechsels auszugehen. Nicht allein, weil an- zunehmen ist, dass die Rechtsregel mit Hinblick auf diesen regelmässigen Fall aufgestellt ist, daher so erklärt werden darf und muss, wie sie für diesen Nonnalfall sich am un- gezwungensten eiUärt', sondern auch aus dem kaum minder wichtigen Grunde, dass der gleiche Rechtssatz für ausser- gewöhnliche Fälle, sofern er überall für diese gelten will, sehr wohl aus eigenthümlichen Grtlnden gegen das Prinzip gelten kann. Dies mag doch hervorgehoben werden gegen- über einer gerade neuerdings sehr verbreiteten Neigung, aus anssergewOhnlichen oder gar anomalen, mindestens aber nur sekundären Erscheinungsformen die rechtliche Natur eines Instituts zn erschliessen, z. B. aus der Tratte an eigene Order " oder aus dem trassirteigenen Wechsel zu entnebmoi, dass in der Formel auch der Normaltratte : «Zahlen Sie gegen diesen Wechself ein Auftrag im Rechtssinne nicht enthalten sei. Wer die Typen nicht festhält, läuft Gefahr, durch maasslose Ab- straktion inhaltslose Begriffsschemen zu konstnairen oder doch die einer besonderen Art des Gattungsinstitnts (z. B. derjenigen wirklichen Art der »Versicherunge, weiche wir Lebensversiche- rung nennen) eigenthümlichen Rechtssätze zu generahsiren, wenn nicht gar aus einer nur vermeintlichen Art unrichtige Schlüsse auf die Natur des Gattungsinstituts (z. B. vom so- genannten iliterarischen Eigenthumi auf die Natur des Eigen- thums) zu ziehen'.

Wäre anzunehmen, dass der Rechtssatz, idas einmal niedergeschriebene, wenngleich nicht ausgehändigte oder vor der Aushändigung durchstrichene Wechselaccept obligirt aus dem Wechself«, lediglich auf Zweckmässigkeitsgründen be-

L. 3 6 D. de leg. (i, 3). Insbesondere: E^ hii, quM fofte ono tliquo cun accidere poiniDt, innt Don coniCitiiiintiir, N>m ad ea debet potin» tptiri ins, qa«e et freqnenter «t ftdle qnun qua« pemro Mddntit. Der Sau ^t nicht allein fttr die GMetigebang, tondern auch fDi die Aui- legung (FettxteUtnig) d«« Gesellten.

* So I. B. V. Salpiu*, NoTation und Delegation S. 464, welcher die Tratte an eigene Order sogar ftlr die heutige >GTnndrormi des Wechsels eikUrt.

I So t. B. A. WagDST, Allgemeine Volknrirthschaftslehre (1876) I I 181 IT.

* Dast iwat die grossen Grappen des englitchen (i. jetit da* neue engL Wechielgeieti, 18S1 [det Zeltschrift BeUageh. in Bd. XXVIII 5. 31]) und &«n- iSaischeD nad de* unveränderten spanischen Rechu entgegenstehen, aber doch

Gotdicliiiiidl, Vcimiichte Schriftsa. 11. 7

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98 Miscellen lur Theorie der Werthpapiere.

ruhte, insbesondere behufs Abschneidong der allerdings ge- fährlichen Kollusionen zwischen dem Acceptanten und dem dermaligen Wechselinhaber, so fände die Kreatioostheorie in demselben keine prinzipielle Stütze, da sich die Möglich- keit ausnahmsweise gesetzlich oder gewobnheitsrechtlich als rechtswirksam anerkannter blosser Kreationsakte ja nicht be- streiten lässt. Man darf aber anerkennen, dass der betreffende Rechtssatz noch innerhalb des regelmässigen Rechts steht und gleichwohl leugnen, dass derselbe auf die Kreationstheorie führe. Wer eine Tratte zur Annahme vorlegt (eiDseodet), be- gehrt deren Annahme gleichviel ob er dies in eigenem Interesse oder im Interesse eines Dritten thnt (W.O. Art. 18: >Der blosse Besitz des Wechsels ermächtigt zur Präsentation des Wechselsc). Das Begehren geht auf schriftliche Annahme (W.O. Art. 21 Abs. 1: »Die Annahme des Wechsels muss auf dem Wechsel schriftlich geschehene). Wer auf den zur An- nahme vorgelegten (eingesendeten) Wechsel sein Accept setzt, thut, was von ihm begehrt wird, entspricht thatsächlich (re, hier scriptura) dem an ihn gestellten Begehren (dem Antrag, zu acceptiren). Dem feierlichen oder formlosen spondesne? entspricht das schriftliche spondeo. Das blosse schriftliche spondeo (Accept auch durch blosse Namens- oder Firmen- niederschrift) auf dem Wechsel ist die begehrte Annahme (W.O. Art. 21 Abs. 2, 3). Durch diese Annahme wird ein »Wechsel vertrage geschlossen, nicht ein » Wechselvorvertrag* ' : durch diese Niederschrift wird nicht dem Präsentanten oder dessen Machtgeber versprochen, einen acceptirten Wechsel aus- händigen zu wollen, sondern es wird zu Gunsten des gegen-

■choti frilli in lahlreichen Gcietien, intbetondere auch im hall. H.G.B. An. 119 der gleiche Satz aneikamiC ist, 1. Grawein S. 75 ff. Unter den neuesten Ge- setzen und Entwtlrfea schlienen' dai schweizerische Obligationenrecht (188t) Art 740, die skandinaTische Wechtelordnang (18S0) Art 31 nnd der Entwurf einer Wechsel ordnai^ ftlr das russische Reich (iSSl) g 34 Abs. a sich dem richtig Tentandenen deutschen Recht, unter ausdrilcldichei Entscheidung der Streitfrage an ; ebenso die Regel Nr. 14 des intematiaiialeii Wechselrechtsprojekts. Dagegen das italienische Handel^esetibuch (i88z) Art. 165. (neucMe Fassung) ISist bis inr B^ebung Durchstreichung zu, wihrend das belgische Wechselgesell (1S73) Art ti Abi. 3 in eigenthUmlicher Weiie vermittelt, aber doch m^ auf dem Boden det fraotttsischen Rechts steht

So nach der deutschen W.O., Thöl, Weduelcecht (4. Aufl.) § 79 Note 3. Dagegen richtig Grawein S. lt3fC

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IV. WechteUtceept nnd ICreatioiutheorie. 99

Wältigen Wechselgläubigers wie dessen etwaiger Vonnanner, selbstrerstandlich auch der etwaigen Nachmänner, ein Accept gegeben. Ein Vertrag: denn es ist ein zwar noch ver- einzelt bestrittener, aber nichtsdestoweniger unzweifelhaft fest- stehender Grundsatz, dass diejenige Annahme eines Antrags, durch welche der Vertrag zn Stande kommt, nicht nothwendig darcb eine dem Antragsteller gegenüber abgegebene Erklärung (in Worten, durch Schriftaushändigung u. dgl.) zu erfolgen braucht, sofern eine anderweitige Art der Annahme, ins- besondere eine Annahme durch (nicht einmal nothwendig so- fortige) Ausführung in dem erklärten oder erkennbaren, insbesondere nach der Natur des Verhältnisses verständiger- weise zu unterstellenden Willen des Antragenden liegt '.

Dass dies sich beim Accept so verhält, hat bereits Liebe" treffend berrorgehoben , wenngleich seine Formulirung nicht ganz einwandsfrei ist Das Entscheidende aber ist doch: »Andere schriftliche Versprechen, selbst Wechsel, werden freilich noch nicht durch das blosse Schreiben bindend, sondern nur dadurch, dass der Versprechende seine Schrift dem Andern ausliefert Bei der Acceptation hat aber der Acceptant keine

' EntKlieidnnsendesReichsoberh&ndeisfericlitsBd. XVUI S. 34a, vgL XIV S. 301 und ßam«ntlich de» Reichsgetichls ic CivÜMcben Bd. II S. 43. Richtig (chon , wenngleich nicht immer in zutreffeader Begrltadimg, z, B. T. Schenrl, Beitrige lur Beubeitnng des rSmiKhen Rechti II S. 311; T. H&hD, Kommenlar lU H.G.B. Art. 319 § 13 (2. Aufl. II S. H)6ff0; So hm, in derZälKhr. f. HandeUr. XVII S. gi ff. , 105 B. und Citate; Schott, Der obligatoiische Vertrag unter AbwcKuden S. 123 C (mit eigen thtlmlichen Be- KhjSnkungen und nicht fUr unseren Fall); Schweiz. Obligationen!. Art j S. 3, Art. 8 S. 3; itaL H.G.B. Art. 36. Noch weiter, fUr jede durch stülschweigende WiUeDMTkISnuig erfolgende Annahme: Windscheid, Pandekten II g 306 a. E. [7. Aufl. ebendoTt]; Kuppen, Der obligatorische Vertrag anter Abweten- dcD S. Z33, 135, u. A. m. Dagegen freilich Thöl, Handelsrecht {) 339 Note 6; aDein weder ist richtig, dass der Antragsteller immer eine »Antwort* erwartet oder erwarten darf, noch dais die >Anseige> von der erfolgten Per- iektioD (Auiftlhrung), welche er hiafig erwartet oder auch erwarten darf, die- jenige ■Antwort» ist, durch welche der Vertrag lur Perfektion geUngt: die Ge&hi der rechtzätigen Ankunft jener Anieige liitn an sich nicht den An- nehroenden, sondern den Antragsteller.

* Allg. D. W.O. mit Erläuterungen (1848) S. 95, 96. Aehnlich und noch tchSrfer deutet Holtias, Voorleiingen ovei handeis- en zeeregt I bL 3zz djuauf lün, dan die Zdchnnng des Accept* die Annahme des der römischen stipulatio anlq>rechenden, in der PrStentMion liegenden VertngsaQtr«ge« sei.

7*

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100 MUcellen rni Theorie der Weithp«piere,

eigene Urkunde auszustellen und auszuliefern, sondern sich über ein bestimmtes, ihm im Wechsel vorgelegtes Verhältniss zu erklaren und zwar schriftlich zu erklären. Gibt er diese Erklärung, so ist seine Verbindlichkeit perfekt und unwider- ruflich.< Auch die Gegner kCnnen sich der Anerkennung der Grundverschiedenheit von Accept und sonstigen Wechselrechts- akten nicht entziehen. Wenn freilich dieselben die Erklärung darin suchen, dass das Accept eine Ergänzung des einem Dritten gehörigen Papiers sei, in dem Ausstreichen des Accepts somit ein unstatthafter Eingriff in das fremde Papier hege (Kuntze, Wechsebecht S. 303 Note 5; ähnüch Grawein S. 46, 47, 166), so ist die Heranziehung des Eigenthums an dem Stück Papier verfehlt, der juristische, nur nicht erfasste Kern der Deduktion aber der obige, dass das zu restituirende >Papier< eben eine schriftliche Annahmeerklärung aufiaehmen soll und aufnimmt. Dernburg, Preuss. Privatr., II § 257 (3. Aufl. S. 749 [5. Aufl. S. 792]) meint, dass die einseitige Willens- erklärung, im Unterschiede von anderen gleichfalls als Kreations- akte anzusehenden Wechselrechtsakten (eod. § 267, 3. Aufl. S. 771 [5. Aufl. S. 818]), hier darum schon mit der blossen Nieder- schrift die perfekte Obligation hervorrufe, weil der Gläubiger bereits durch das Papier legitimirt sei. Wird aber dadurch, dass X als Gläubiger von A, B, C (Trassant, Indossanten) legitimirt ist, X auch zum Gläubiger des D (Accep- tanten)? Das wäre eben zu erweisen. Der Satz: »Die Gläubiger ezistiren hier bereits bei der Niederschrift des Accepts und erhalten durch dieselben (soll heissen : dieselbe) konsequentermaassen Rechte auch ohne Wissen und Willen« enthält die petitio principii; er dürfte richtiger so lauten; JC (welcher bereits Gläubiger von A, B, C ist) will, wie der Wechsel ergibt, durch blosse Niederschrift der Annahme- erklärung Gläubiger des Trassaten (demnächstigen Acceptanten) D werden diesem Willen gemäss wird er es durch die Ausführung seines Vertragsantrags.

Wenn Grawein S. U8ft hiergegen, zum Thril im An- schluss an Jolly und Kuntze, einwendet, dass dies allen- falls der »strengen Aensserungs»- oder der »Ausfuhrungsc- Theorie, nicht aber den übrigen für den Vertragsschluss unter Abwesenden aufgestellten Theorieen entspreche, so über- sieht er ein Doppeltes: Einmal, dass in unserem Nonnalfall

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IV. WecIueUecept aod Kreatbnstlieorie, 101

regelmässig nicht einmal ein Vertrag unter Abwesenden, son- dern anter Gegenwärtigen m Frage steht: falls nämlich, wie gev{>hnlich, das Acxept anmittelbar aaf die fVäsentation ge- schieht. Sodann, dass weder fllr die >Aeusserungs-<, noch für die »Empfangs-f , noch fUr die iVemehmongs-Theoriec da ein Raum ist, wo nicht Aimahmeerklärung gegenüber dem Antragsteller, sondern Annahme des Vertragsantrages durch Ausfahrung gewollt ist; es bedarf daher keiner Unter- suchung, ob die verbindende Kraft des nur oJedergeschriebeDen Wechselaccepts mit einer dieser Theorieen verträglich ist : die Annahme durch Ausfühning gebCrt nicht unter die Annahme- erklärungen, sondern stellt in ihrem Bereiche koordinirt neben denselben.

Ausserhalb des NormalfaUes steht das Accept eines nicht zur Annahme vorgelegten (bezw. eingesendeten) Wechsels and das Accept eines zur Annahme vorgelegten blossen Wechsel- blanketts.

Ob in dem letzten Falle Art 21 Abs. 4 der W.O. Platz greift, ob somit der Wechselnehmer ein derartiges zwar accep- tirtes, aber mit durchstrichenem Accept ihm wieder aus- gehändigtes Blankett mit der Wirkung ausfüllen, d. h. zu einem formgerechten Wechsel macheo kann, dass er selbst oder ein anderweitiger Wechselnehmer den lAcceptanten« aus dem Accept, bezw. auf Wiederherstellung des Accepts belangen darf, ist mindestens höchst zweifelhaft'; der Be- jahnng kennte allenfalls die Annahme zu Grande liegen, dass vorbehaltlich der exceptio doli wegen vertragswidriger Aasfüllung das später formgerecht ausgefüllte Blankett in allen Beziehungen dem schon bei der Ao^ptirung form- gerechten Wechselbrief gleichstände.

Anlangend den eisten Fall, so bliebe zunächst zu erweisen, dass in der älteren oder neueren Praxis der Rechtssatz des Art, 21 Abs. 4 der W.O. jemals auch auf das Accept eines nicht zur Annahme vorgelegten (eingesendeten) Wechsels aus- gedehnt worden sei. Indessen konnte immerhin zugegeben

> FUr witkongslot hilt du dnrchitrichene Blsakooccept i. B. H>rt- rnano. Du deatKhe WechMlreeht S. 323 bl E. Vgl, ancli meiae Abhand- limg in der ZäUchr. f. Huidelir. VIII S. 331. Dahin dttrft« uch die Ent> •Ladung; de« Reicb«g«richti Bd. II S. 89 rahrea, ^1. Detabnrg, Pien«. PriT«tr. II § 267 Note 9 [5. Aufl. ebendort].

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102 MUcellen lut Theorie der Werthpapiere.

werden, dass das Accept auch unter dieser Voraussetzung im Sinne des Art. 21 Abs. 4 der W.O. wirkt, oder, um mit Grawein zu sprechen, dass es nicht »eines gestiun zwischen dem Bezogenen und einem einzelnen Interessenten, dessen Vor- handensein aus dem Wechsel in keiner Weise erhellt,» bedürfe; es würde sich nur fragen, aus welchen Gründen.

Von den zur Illustration konstruirten Fällen ' mag der letzte, bei welchem, nach Grawein, »selbst die kühnste Phanta^e einen Vertrag nicht zu konstruiren vermöge*, vor- aufgenommen werden.

1. Eter Bezogene acceptirt die auf dem Wege des In- dossaments erworbene Tratte. Seine unwiderrufliche Bindung durch blosse Niederschrift würde sich sehr einfach aus den in Trassirung und beziehungsweise Indossirung unzweifelhaft liegenden Aufträgen resp. Anträgen zur Acceptation der Tratte erklären, welche keineswegs dadurch erloschen sind, dass die Tratte an den Bezogenen indossirt ist; alle früheren Wechselverbundenen bleiben trotzdem in der Kette, nicht allein als Wechselschuldner, sondern auch als mögliche Wechsel- gläubiger', imd es liegt ja unzweifelhaft das Wechselacxept im Interesse sowohl der Wechselschuldner (Regresspflichtigen) wie auch der (möglichen) Wechselgläubiger.

2. B besucht den A und findet in dessen Abwesenheit auf dessen Schreibtische eine bei diesem eingelaufene , auf B gezogene, dem A von einem Geschäftsfreund zur Präsentation bei B eingesendete Tratte liegen; um Zu- und Rücksendung des Wechsels zu ersparen, setzt B ohne Weiteres sein Accept auf denselben. Angenommen nun, dass B in der That aus diesem Accept auch dann obligirt wäre, falls er dasselbe, noch bevor A von der erfolgten Acceptirung irgend welche Kennt- niss erlangt, durchstrichen hätte, so Hesse ^ch entweder vom Standpunkt der Vertragstheorie aus sagen, dass B den zu seiner Kenntnissnabme bestimmten Vertragsantrag als nego- tiorum gestor des A zu seiner Kenntniss gebracht und dem-

Grawein S. 113 fr.

Ihr Wiedereintrilt iit nur an eine rechtliche Vonmoetziinf; gcknnpfti S. DHmentlich Plenarbeachliisi des Reichi-OberhaDdeUgertchl* vom 31. Juni 1878 (EnUcb. XX[V S. i ff.). Di« erkeDDt «nch Dernbutg an a. «. 0. [auch 5. Aufl.] g 371.

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IV. Wecluelaccept und Kreadonstheotic 103

nächst denselben durch sein Accept angenommen hat ' ; oder man dürfte sagen, es sei nnbedenklich, das Gesetz, obwohl es nur die vertragsmässige Acceptation trifft, analog in einem Falle zur Anwendung zu bringen, wo der Bezogene sich augenscheinlich in gleicher Weise habe binden wollen, als ob ihm der Wechsel zum Accept vorgelegt worden wäre.

3. Die auf X gezogene Tratte wird von dem Indossatar A an B indossirt und im Auftrage des B an dessen Bankier X übergeben; A'acceptirt die in seinen Händen befindliche Tratte.

Grawein vermisst den »Vertrage aus zwei Gründen: Einmal, weil der in der Tratte liegende Zahlungsauftrag nicht zugleich den Antrag zum Acceptiren in sich schliesse das Gegentheil ist richtig, wie vorlangst Unger' nachgewiesen bat und schon aus dem Dualismus von Pt^sentation und Regress zur Annahme bezw. wegen Nichtannahme und von Präsentation und Regress zur Zahlung bezw. wegen Nicht- zahlung folgt. Sodann, weil X auch dann obligirt würde, wenn die Tratte gefälscht wäre. E>as ist richtig, weil es genUgt, dass auch nur ein Zahlungsauftrag (bezw. Antrag zum Acceptiren) vorliegt ein solcher kann in dem echten Indossament liegen, ungeachtet die Tratte falsch oder gefälscht ist. Wären freilich alle Tratten (die Tratte und alle In- dossamente) falsch, so entstünde zunächst aus dem Accept keine Verpflichtung ; würde aber der acceptirte Wechsel weiter begeben, so würde nun X den weiteren Nehmem aus seinem Accept haften, aber nicht kraft seines, wenn auch nur ein- seitig erklärten Willens, sondern kraft singulärer Gesetzesvorschrift im Interesse des Verkehrs: D.W.O. Art. 75'.

' Diae VerbindnDg; zweier FonktioneD in einer Perion, xumil im Inter- esK Icdiglicl) d«i GUnbigeis, unterliegt inriitiich keinerlei Bedenken.

* Die recbdiche Natur der Inhabeipapiere S. 73 ff.

i Die Geieueifonchrift benihl kdneiwegs allein, wie hlulig angenommen wird, auf dem allerdingt wichtigen Princip der >Sclbitindi£kri(< eioei jeden Wechielakti. Denn ein solcher Acceptant ist gar nicht iTrauat* -~ die RllgeineiD Abgelehnte Konteqneoi würde ja andemlalls mit sich bringen , dan jeder Nichttranat wirknun acceptiren , d. h. aoi «einem Accept rerpflicbUt wttrde. Da* potitive Recht von den Wirkungen der V/echselltlscliaiig beruht Oberwi^end auf den die Recbtilogik durchbrechenden Verkehninteressen und erklSrt nch daiaos auch die DiT£rgeni der Gesetxgeboiigen (vgl. z. B. mein« AbbandlnDgioderZeitKhr. r. Handelir. VIII S. 3i7ff. imd Grawein a. a. 0.

104 MUce11«ii rar Theorie der Werthpftpiere.

Höchst Singular sind endlich die Grundsätze über das timitirte Accepl, in welchen die gegnerische Ansicht von jeher eine Hauptstutze gefunden zu haben glaubt'. Zugegeben wird von den Gegnern, dass die Haftung des Bezogenen aus dem Theilaccept mit der Vertragstheorie vereinbar sei; ge- leugnet, dass dessen Haftung aus dem anderweitig be- schränkten und demnächst noch vor der Aushändigung durchstrichenen Accept sich mit dieser vereinigen lasse.

Nun mag freilich richtig sein, dass wer 1000 will, auch das Minus von 500 wolle ; dass dagegen wer 1000 zum 1. Februar in London will, nicht auch schlechthin 1000 zum 1. März oder in Petersburg oder nur unter Abrechnung einer Gegenforderung (Acceptklausel : >an mich selbst zu zahlen*) oder gar unter einer wahren Bedingung' wolle. Gleichwohl

S. 93). Anders *«rUeIte et lieh, wenn der (ZthluDgKaoftng* in der Tratte blona •Motiv zur Ucbernahme der WechselTerbindlichkeit Seitens de* Be- zogenem wir« ü°l'y. Archiv fOr Wechselrecht I! S, i8o) d«nn wUrde sich lyrai aichl ■□ der vollen Einseitigkeit des Acceptationsaktel iweifela lassen, m&ute aber auch der Nichttrauat wirksam »acceptirenc ; es kann also anch nicht, wie Giawein meint, der Art. 75 lediglich als iussente Konseqaaii ans der lAbitrakthät der Wechselobligation < encheinen. FOr die VerpSich- tang dem Remittenten eegenüber vettrilt anch ThSl (Wecbieh^ht 170, 173) da* Gegentheil des Art. 75 der deutschen W.O. den Mangel jedes 'Zahlungsauftrags' unterstellt er vohl nicht.

' Jollf, Kriüsche VierteljahrsichriR III S. 551; Kantie, Wediselrecht S. 299 nnd sonst; Siegel, Das Vertprechen alt VerpfliehtUDgigrand S. 136 IT. Grawein S. 121; Dernhurg, Preuss. Privatr. II § 257 (3. Auf). S. 74S [5. Aufl. S. 791]); Stobbe, Deutsches Privatr. III § 171 Note »4 [Stobbe- Lehmann III § 319 Note 38].

> Ist das wirklich bedingte Accept, z. B. »falls ich bis inm 1, Februar Deckung erhalten habe*, 'falls meine Tochter heirathet«, überhaupt giltig? Die Frage wird bejaht vom Obeitribanal lu Stuttgart (Seuffert'a Archiv XV ^''- 55)1 verneint u. a. vom Obersten Oesterreichischen Gerichtshof (Borchardt, Deutsche W.O. S. Aufl. Zus. 105 c d. 334). Nach dem Wortlaut des Art, 31 Abs. 3 >»» unter gewissen Einschränkungen t und Art. Zl Abs, 3 »andere Einschrfinknngent könnte man die Frage bejahen, und es ist auch zuzugeben, dass sowohl in den Motiven des preussischen Entwurfs wie in den Verhaad- tungen der Leipziger Konferenz nicht unterschieden, ja sogar auf andere •Be- dinguDgen* als die Modiükatioa von Zahlungszeit oder Zahlungsort hingewiesen worden ist, wenngleich immerhin betont wurde, dass es dch in der Hauptiache nur um dergleichen Limitationen handle. Aber entgegen steht doch der Zn- sammenhang des ganzen Gesetzes. Denn jede wahre Bedingung macht die Vetfallieit des Wechsels zu einer nngewinen , gegen deo schlechthin durch- greifenden Grundsatz, dass solche L'ngewissheit aasschliesslich in Form der

IV. WechsebccBpt und KioatioiuthMirie. 105

steckt schon in dem ersten Satze insofern eine Singutarität, als der Wechselinhaber gegen die Regel des bürgerlichen Rechts Theilaccept, wie Theilzahlung, nicht zurückweisen darf, im Interesse der so theilweise befreiten Regresspflich- tigen: W.O. Art. 22 Abs. 1, Art 25, 29 Art. 38, 39 Abs. 2, Art. 50 Ziff. 1.

Noch augenscheinlicher ist die Singularität des zweiten Satzes*. Der Wechseliohaber wird durch das beschränkte Accept, welches nicht blosses Theilaccept ist, selbstverständlich an dem vollen Regress mangels Annahme nicht verbindert: W.O. Art. 22 Abs. 1, Art. 25; er darf also das limitirte Accept so behandeln, als ob kein Accept erfolgt wsurt und gleichwohl aus diesem limitirten Accept den Acceptanten nach Maassgabe seines Accepts in Anspruch nehmen. Ein derartiges limitirtes Accept gilt hiemach, auch wenn es undorchstrichen an den Präsentanten abgegeben ist, nur insofern als wahres Accept, als aus demselben der Acceptant haftet, nicht aber, insofern es den doch nur für den Fall der Nichtannahme statthaften Regress beschränkt. Mit anderen Worten: das Gesetz gewährt dem Wechselinhaber ein auch durch un- zweifelhaften Vertrag gar nicht zu gewährendes Recht: ein Recht aus dem Accept, welches gegenüber anderen Wechsel- interessenten als Nichtaccept behandelt wird. Der Zweck des Gesetzes ist klar: um die Macht des Wechselgläubigers zu verstärken and insoweit, als diesem Zwecke dient, wird das Nichtaccept als Accept behandelt, somit wie sonst auch das durchstrichene Nichtaccept als undurchstrichenes Accept. Ja vom Standpunkte dieses Gesetzes aus lässt sich sogar das Vorhandensein eines Acceptations vertrag es gar nicht

Siclitkla.n«el (der dobchen oda betrutelen) »tatthart ist. Du Wec)i*elacc«pt aber kann nicht gUlig enthalten , was der primlre Wechielbrief (die Tratte) nicht enthalten darf. Andeien&lU wtirda äa Accept auch gjltig dahin lauten; I^ht looo Hark (wie bttseirt), sondem x Hektoliter Wdien, i Araberhengit n. dgl. An dergleichen «Beschrlnkungena iit eben nicht gedacht worden. Vgl. die S. 107 Anm. i ff, citirtea Protokolle.

> Anden Thfil, Wechielrccht § 85 I a. E. (4. Aufl. S. 197). Mit der AntfUmmg im Text ichelnt wohl anch Kuntie m stimmen, wenn denelbe Wecluelrechl S. 90 das limitirte Accept als ein (thnlweiM) gewUirtet Accept hiniichtHch des Acceptanten selbst , als (theilweise) Terweigerte* Accept hin- lichtlich des Regresspflichtigen bezuchnet.

Digil.ze.:,, Google

10g MUcellen lar Theori« der Weitlipapiei«.

bezweifeln : der Präsentant will, wenn nicht illimitirtes Accept zu erlangen sein sollte, lieber ein limitirtes Accept als gar keines, also eventualiter das erste, da dasselbe ihm nie- mals schaden, sondern niu- nützen kann; es ist somit eventua- liter ein solches begehrt, und dieser Antrag wird wie sonst durch Ausfuhrung angenommen.

Dies wird bestätigt auch durch die gerade hier so auf- fallende Divergenz der Gesetzgebungen und durch die Ent- stehungsgeschichte des Art. 22.

Während zahlreiche, darunter gerade die einflussreicbsten älteren deutschen Wechselordnungen ' , eine anders als durch Theilaccept bewirkte Limitation als gar nicht geschrieben be- handeln, somit das Accept als illimitirt ansehen erklären andere Wechselgesetze, darunter der Code de commerce Art. 124 (vgl. schon Ordonnance du commerce von 1673: »Les accep- tations sous condition passeront pour refusc), ein derartiges limitirtes Accept für ungiltig' stellt endlich, mit anderen alteren Wechselordnungen, das A.L.R. II, 8 §§ 1014—1017 sich konsequent auf den Boden der Vertragstheorie; der Wechselinhaber braucht das so limitirte Accept nicht anzu- nehmen; lässt er es sich aber gefallen, so verliert er den Wechselregress gegen die Vormänner. Die geltende Deutsche Wechselordnung adoptirt ein viertes System, welchem unter den neuesten Gesetzen und Entwürfen nur wenige, wie das schweizerische Obügationenrecht Art. 741 und das italienische Handelsgesetzbuch (1882) Art. 266 (a. E.), sich angeschlossen haben während andere, welche sonst wesentlich auf der Grundlage der Deutschen Wechselordnung stehen, dem franzö- sischen System gefolgt sind: belgisches Wechselgesetz (1872) Art. 15, und vcllig unzweideutig: skandinavische Wechsel- ordnung (1880) Art. 22, Entwurf einer Wechselordnung für

Duo, komplicirt, N. engl. W.G. iSSi S. 19. 44.

> S. Tteitschke, Encrltlopidie I S. 105—107, anch Grawein, S. 154, 155; neuere Wechie1ee«etie bei WScbler, EnerklopSdie I S. 58 ff. Der Wolltaal ÖDMlneT Geietze gibt kernen unzweifelhaften Sinn, doch «ild t, B. du HoUindiiche H.G3. Art. I>o *Oe aceeptatie mag niet onder eene vooi- «arde gedtian worden* im Sinne de* Code de commerce Art 124 ventaudes s. aber auch die EinKbrankungen bei Holtins, Voorleiingeu I bl. Slßff.; dagegen Kist, Beginielen van handelsregt II (2. Auflage) b1. 151.

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IV. Wechselaccept md Kreationstheorie. 107

das Russische Reich (1882) Art. 33 vgl. 37, 45. Die Be- stimmung des Preussischen Laiidrechts ist Übrigens um so be- merkenswerther , als dasselbe gleichzeitig das durchstrichene Accept für wirksam erklärt. In der Leipziger Wechsel- konferenz wurde nun ursprünglich der § 24 des preussischen Entwurfs, welcher Theilaccept und anderweitig limitirtes Accept gleichmässig fUr verbindend erhört, dem Inhaber aber in beiden Fällen den vollen Regress gegen die Vormäuier gewährt (fünftes System), abgelehnt und mit erheblicher Mehrheit beschlossen, nur das Theilaccept solle verbindlich, somit auch für den acceptirten Betrag der Regress aus- geschlossen sein, jede andere Limitirang des Accepts a!s nicht geschrieben gelten'. In einer sinteren Sitzung wurde an- erkannt, dass die Benennimg eines anderweitigen Zahlers (sogen. >Domiciliaten<) am Zahlungsorte durch den accep- tirenden Bezogenen eine statthafte Limitirung des Accepts enthalte '. Eine nochmalige eingehende Berathung ' stellte dann wieder die stärksten Meinungsverschiedenheiten heraus. Es wurde, wie schon in der ersten Lesung, obwohl mit Modi- fikationen, beantragt, jede Limitirung des Accepts, welche nicht ausweislich gehörigen Protestes« vorgängig gestattet oder nachti^glich koncedirt sei, für nicht geschrieben zu erklären (Behn-AItona); von anderer Seite: dem Theilaccept eine Limitirung hinsichtUch der Zahlongszeit gleichzustellen (Camp- hausen — aber unter Widerspruch mehrerer kaufmännischer Mitglieder); von dritter Seite: das limiürte Accept mit Aus- nahme des Theilaccepts fUr ungtUtig zu erklären (Heisler- Wien); von vierter Seite: das Theilaccept für wirksam, alle anderwdtigen Limitirungen fUr nicht geschrieben zu erklären (Einert)-, von fünfter Seite : Aufrechterbaltung der ursprüng- lich gefassten Beschlüsse. Das Ergebniss der schliesslichen

> ProIo^oHe der X. and XI. Sitmng (Leipiiger Angabe S. 46—51. Thöl'» Anigabe S. 50— SS)-

* Protokone der XVI. Siunng (Leipziger Ansgttbe S. S7. Theri Aiu- gibe S. 93).

3 FrotoküUe der XXIX. Sitiim£ (Lcipuger Antgabe S. 196 3oo. Thöl'i Aufgabe S. 209 313).

* Die Wichtigkeit derartiger Komtatirnng im Verhotmig Ton Kolloiionen dnrcb nacbtrigüclie AcceptUmitinrng liegt auf der Hand. S. auch Gcawein >. a. O. S. isoffi, 167.

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10g Miscdlen zur Theorie der Werthpapiere.

Abstdminung war die Wiederherstellung des preossischen Ent- wurfs; ob nur um deswillen, weil kein anderes System Aus- sicht auf Annahme hatte, oder aus maassgebenden Gründen, erhellt nicht. Im Protokoll ist nur bemerkt, dass die preussi- schen Al^eordneten *die Annahme des im § 24 des Entwürfe aufgestellten Gnmdsat2e& im Allgemeinen, eventuell wenigstens in Anwendung auf Bedingungen, welche die Verfallzeit be- treffenc, befürworteten.

Diese merkwürdigen Schwankungen und eine grosse An- zahl denkbare Lösungen vertretender Anträge zeigen deutlich, wie wenig man sich auf dem Boden prinzipieller oder auch nur schlechthin durchgreifender praktischer Erwägungen be- wegt hat; die schliessliche Entscheidung erklärt sich am ehesten vom kaufmännischen Standpunkte aus, insofern der Wechsel- inhaber so den geringsten Nachtheil hat, dem limitirt Accep- tirenden aber durch Festhalten an seiner Erklärung kein Un- recht geschiebt.

Dies dürfte genügen, um jeden Schluss aus der Wirksam- keit des limitirten (gleichviel ob undurchstrichenen oder durch- strichenen) Accepts auf die Einseitigkeit des Acceptationsaktes (Verpflichtung durch Kreation) zu beseitigen.

II. Einen sehr entschiedenen Vertreter hat die »Kreations- theorie c in Dernburg gefunden. Er leitet aus derselben ins- besondere her, dass >die in dem Papier beurkundete Obligation auch zur Geltung kommt, wenn die Papiere dem Aussteller gestohlen wurden und in die Hand des bona fide Erwerbers kommen«, und er meint, dass idie Praxis hieran nicht zweifeln wirdc '. Dies, behauptet er, sei anerkannt vom Reichs-Ober- handelsgericht Bd. XVII S. 150 ff. der Entscheidungen und er leugnet, dass entgegenstehe die Entscheidung Bd. XIK S. 33. Beides, wie mir scheint', ohne Grund.

Zunächst waren in dem ersten Falle die betreffenden Inhaberpapiere (Hypothek-Obligationen) dem Aussteller nicht gestohlen, sondern von dessen mit der Emission beauf- tragten SachfUhrer widerrechtlich , nämlich nach erfolgtem

Lehrbuch dei prenaischen Privatrechu Bd. II § 13 (1. AaS. Note 14; 3. AuB. Not« 15 [S. Aal!. Note 16]).

Dies bernn von mir herro^hoben Zeitschr. XXIII S. 307.

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IV, Wecluelaceept nnd Kmtioiiitheorie. 109

Widerruf des Emissionsanftrages, begeben, um deren ErlOs im eigenen Nutzen zu verwenden, also veruntreut. Ob nicht in einem derartigen Falle, in wenigstens analoger Anwendong des Grundsatzes »Hand muss Hand wahrenc auch auf der- artige »Sachenc, der redliche Erwerber geschützt werden mtlsse, mag hier dahingestellt bleiben". Jedenfalls stutzt der oberste Gerichtshof seine entsprechende Entscheidung nicht darauf, dass der Aassteller bereits durch die >Kreation( obligirt gewesen sei; er verwirft weiter ausdrücklich die Haftung ex culpa, deducirt vielmehr, dass der Natur der Sache nach nothwendig den Aussteller von Inhaberpapieren die Gefahr treffe, um welche es sich hier handle, und dass er schon durch den Akt der Ausstellung diese Gefahr nicht nur hervor- rufe, sondern auch zugleich übernehme. Er tinteistellt somit entweder eine an die Aosstelltmg sich knüpfende ge- setzliche oder (vielleicht beides?) eine mit derselben stilt- schweigend übernommene Garantiepflicht, vielleicht noch ge- nauer: SchadensausgleichungspfUcht. E>ie einzige* positive Stütze des behaupteten Rechtssatzes bildet ein schon vielfach an- gezogenes württembergisches Gesetz vom 16. September 1852 (jetzt Gesetz vom 18. August 1879 Art. 17, vgl. Art. 16), nach welchem die Staatsschuldenkasse, welcher ein Schtdd- schein verloren geht, der Klage des Inhabers nur den Ein- wand entgegenstellen kann, dass er den Schuldschein in biteem Glauben erworben hat; aber es ist zu konstatiren, dass auch dieses Gesetz die vor jeder Begebung »verlorenen Schuld- scheine* nicht, mindestens nicht ausdrücklich erwähnt, also in soweit nichts Anderes feststellt als die Art. 307 D.H.G.B.'s imd Art 74 0.W.O.

In dem zweiten Falle (Entsch. XXX S. 31 ff.) handelte es sich eigentlich um einen angeblich gefälschten (d. i. die echte Unterschrift des angeblichen Wechselausstellers nicht tragenden) Wechsel; aus prozessualischen Gründen kam es

' In diesem ^ne itt wobl m venteheo die Bemerkung Brnnner'i in Endem&an'i Htuidbncb II S. 167 Note 17: 'Bfne erentndl Tcrpfliehlende Begebimg liegt vor, weim der Anuleller die Pmpien einem Dritten mit dem Auftrage Übergab, ile (Hr seine Rechiiniig miteraubnngeD.i

' Du« fDr >in bluico indonirte Wechsel« ein denrliger Rechtasati nicht beitefae, habe ich tdion io der Zeit«cbr. XXIII S. 367 bemerltl ; da» ihn du Slchincbe Bürger]. Geutibach nicht »n&telll, i. Brunner a. a. O.

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110 MUcellen iut Theorie der Wenhpapieie.

jedocb zu wirksamer Kootestation der Echtheit nicht, so dass nimiaehr die Frage entstand, ob der (angebliche) Aussteller aus diesem Wechsel dem darin benannten Remittenten (bezw. dessen Konkursmasse) hafte. Das Reichs-Oberhandelsgericht legte dem Nachkläger (angeblichen Aussteller) den alternativen Beweis auf, idass er dem Helle (Remittenten) den Wechsel nicht ausgehändigt, Helle vielmehr ohne Wissen und Willen des Nachklägers den Besitz der Wechselurkunde erlangt habe, oder: dass weder auf Seiten des Nachklägers noch auf Seiten des Helle die Absicht obgewaltet habe, dass Helle auf Grund der Wechselurkunde einen Wechselanspmcb gegen den Nachkläger erheben solle.« Motivirt wird diese Entscheidung folgendermaassen : >Eine Wechselobligation kommt nämlich durch die Unterschrift des Wechsels allein noch nicht zu Stande. Wenn der Nachkläger den Wechsel zwar, wie derselbe vorUegt, ausstellte und unterschrieb, dann aber in sein Pult legte, dem Helle weder selbst aushändigte noch durch einen Andern aushändigen liess, so blieb die Wechselurkunde ein Stück Papier ohne Werth und rechtliche Bedeutung. Wenn Helle ohne oder gegen den Willen des Nachklägers den Gewahrsam der Wechselurknnde, sei es durch eine unerlaubte Handlung oder durch einen Zufall eriangte, so erwarb er dadurch keinen Wechselanspruch an den Nach- kläger. Ob im Falle weiterer Indossining des Wechsels ein dritter Inhaber des Wechsels einen solchen Anspruch gegen den Nachkläger hätte erlangen können, kann unerörtert bleiben, da eine solche Indossirung nicht erfolgt ist. Helle resp. dessen Konkursmasse wtlrde bei solcher Sachlage einen An- spruch nicht erheben können, ohne dass sie der begründete Vorwurf des dolus träfe.« Weiter wird ausgeftlhrt, die Be- hauptung des Nachklägers sei erheblich, also zum Beweise zu stellen, weil sie dahin gehe, »dass die Urkunde überhaupt nicht dem Helle von dem Nachkläger oder mit dessen Wissen thatsächlich ausgehändigt sei and dass bei einer solchen etwaigen Aushändigung bei keinem der beiden Betheiligten die Absicht der Begründung eines Wechselanspnichs ob- gewaltet habe.« Die Entscheidung stellt somit Alles auf den Gegensatz von mit und ohne Willen und verneint, dass der erste Nehmer aus einem ohne Willen des Ausstellers erlangten Wechsel emen Wechselanspruch wider denselbea

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IV. Wecluducept nnd KicatioiittliEorie. Itl

habe sie Temeint damit die »Kreationstbeoriec '. Dass sie aasserdem noch den Gesichtspunkt des dolus anzieht vielleicht überflüssigerweise ist gleichgültig. Die Frage Über das Recht späterer ^gutgläubiger) Nehmer wird weder bejaht, noch verneint, sondern ganz korrekt unerOrtert gelassen.

Dem entspricht die bisherige Judikatur des Reichs- gerichts.

Das jüngste veröffentlichte Urtheil (III. Civilsenat, 27. Sep- tember 1881 : Entsch. V S. 82 ff.) schliesst , unter ausdrück- licher Berufung auf das vorstehend analysirte Urtheil des Reichs-Oberhandelsgerichts, sich sogar hinsichtlich des Indossa- ments der Theorie von dem >im Geben und Nehmen des Wechsels beruhenden Wechselvertragcf an. Von einem »Be- gebungsvertrage in Form des Blanko-Giroc spricht ein Urtheil des V. Civilsenats vom 2. März 1881 (Entsch. IV S. 255). In dem Urtheil des I. Hilfesenats vom 1. Oktober 1880 (Ent- scheidungen n 5. 90) heisst es: >Der Wechselanspnich selbst wird erst durch die Wechselobligation erzeugt, und diese ent- steht , wenn ein Wechsel (hier im Gegensatz zum Wechsel- hlankett) gegeben und genommen wird,c es wird betont: »das Geben und Nehmen des Wechsels«. Ein Urtheil des I. Civil- senats vom 16. Oktober 1880 (Entsch. II S. 97) fasst die kon- stituirenden Elemente der Wechselverpflichtung dahin zu- sammen: leines in Umlauf gesetzten sich äusserlich als unverdächtig darstellenden, die echte Unterschrift des urkund- lich verpflichtet Erscheinenden tragenden, an sich durch seine Form verbindenden Geldsummen Versprechens.«

Denn ftlr die«« gut, wu Dernburg lelbM II g 157 (3. Aufl. [eben- doTt 5. AulLJ) koniequent iiufulirt, dEss Dicht lUem der ladosMtBr (wie man nacb § iz Note 15 [j. Aufl. Note 16] icbUessen «Urde, wo geragt wird, das Reichs- OberhaDdelsgericfat Tcrneiae >mit Recht« die Frage, ob der Wechsel *eTpflichte, wenn der in demselben genannte Remittent ihn ohne den Willen des Ausstellers durch eine unerlsubte Handlung oder durch Zufall erhielt), sondern auch der Remittent >Wechselg1iabEger< wird, >wenn er ohne den Willen des Ausstellen in den Besitt des Wechsels ge- luig;le, der ihn Sosserlich legitimiit, t. B. der Aussteller wollte den Wechsel mir nach Empfang der Valuta begeben , ein Unberufener hindigt ihn aus Versehen Torher ausi. E^ ist somit klar, dass das Reichs-Oberhandelsgericht die >KreatioDstheorie* in der tod Dernbarg selbst au^estellten Formu- linmg rerwirfL

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112 MUcdlen rar Theorie der Werthptpiere.

Eine eigenthUmliche Frage lag in dem vom V. Civil- senat, Urtheil vom 19. Juni 1880 (Eotsch. II S. 6 ff.) ent- schiedenen Falle vor. Soll ein schenkungsweise ausgestellter und ausgehändigter eigener Wechsel als »Ubergebene Sache« im Sinne von A.L.R. I, 11 § 1065 gelten, so dass es zur Verbindlichkeit der Schenkung des gerichtlichen Abschlusses nicht bedarf? Diese Frage wurde bejaht, in der Anshändi- gang eines solchen Wechsels somit nicht die blofee schenkungs- weise BegrUndimg einer Forderung gegen den donator (Wechselaussteller) , nicht ein bloCses SchenkungsversprecbeD, sondern die ErfUlltmg eines soldieo gefunden. Die Bejahung erscheint auch für den allerdings zweifelhaften Fall des eigenen, vom donator selbst ausgestellten Wechsels zutreffend, weil die so begründete abstrakte Wecbselfordenmg nicht eine Forde- nmg aus einem blossen Schenkungsversprechen ist, vielmehr das letztere eben durch Aushändigung des die Wechselforderung begründenden Wechselbriefs bereits erfüllt ist : es wird nicht aus dem Schenknsgsversprechen , sondern aus dem Wecl^el geklagt. DazQ tritt, anter der regelmässigen Voraussetzung, dass der Wechsel indossabel ist, also eine entgegenstehende Klauset (Rektaklausel : micht an Ordere u. dgl.) nicht enthält, dass in der Hand des dritten Nehmers die Berufung auf die causa donationis schlechthin wegfällt, der Beschenkte somit stets in der Lage ist, durch Veräusserung des Wechsels den Werth der Forderung ohne eine ErfUlIungsktage wider den donator zu realisiren. Das somit in der Sache vollkommen zutreffende Urtheil ist auf folgenden Grund gestützt: >Dass ein so qualifizirtes, selbstständiges, von dem Begebungsgrande losgelöstes, daher nicht den letzteren beurkundendes, seine Wirksamkeit insbesondere bei Blanko-Signaturen in den Besitz verlegendes und daher gleichsam schon einen gewissen ökonomischen Werth in sich tragendes Wechselpapier, als eine bewegliche kCrperliche Sache, animo donandi dem Nehmer übergeben and somit als Erfüllung eines Schenkungsver- sprechens des Vorvertrages dienen bann, unterliegt am so weniger einem berechtigten Zweifel, als sonst ein Wechsel durch Ausstellung niemals zu Zwecken der Liberalität ver- wendet werden kOnnte, hierzu vielmehr nur eine Begebung in Form eines Indossaments nach Schaffung der Wechsel-

ation geeignet wäre. Und doch dient die Aus-

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IV. Wechielaccept und Kreationstheorie. 113

Stellung des Wechsels im Verkehre auch freigebigen Geld- operationen.«

Diesen, mit der obigeo Betrachtung wesentlich Uber- einstinmiendea Grtlnden geht nun motivirend, nämlich zu näherer Charakteristik eines derartigen Wechsels, folgender Satz voraus:

»Ein Wechsel, in der Regel auf Grund eines Vorver- trages — pactum de cambiando von dem Geber ausgestellt, begründet in der Hand des Ausstellers, also vor seiner Aus- händigung an den Nehmer, zwar noch keine Wechsel- obligation, noch kein wechselmässiges Forderungs- recht; allein er stellt in seiner objektiven realen Aeusserlich- keit mit dem Akte der Kreation und somit noch vor der Aushändigung an den Nehmer eine »bewegliche körper- liche Sachet dar, welche an sich und nach dem Willen der Wechselinteressenten (welcher? es gibt ja zur Zeit nur einen Kreator) geeignet ist, Gegenstand eines Rechtsverhält- nisses zu sein, und welche durch die Thatsache der Aus- händigung — und selbst durch die Cirkulation ohne den Transportwillen des Ausstellers auf Grund ihrer formalen und abstrakten Rechtsnatur wechselmässige An- sprüche zu begründen geeignet ist.«

Es scheint so unterstellt zu werden, dass, was regelmässig unmöghch ist, nämlich die Entstehung einer Wechselobli- gation ohne Aushändigung des Wechselbriefs, doch unter Umständen mOglich sei, und zwar auf Grund der eigen- thümlichen »Rechtsnaturc dieser Urkunde, welche schon durch die »Kreationc zur Sache werde. Wie das zu denken und unter welchen Umständen »die Cirkulation ohne den Transport- willen des Ausstellers* diese Wirkungen herbeiführe, bleibt unerörtert. Mindestens wird in derartiger beiläufiger, die Ent- scheidung gar nicht tragender, sicher nicht bedingender Moti- virung schwerlich' eine Anerkennung der »Kreationstheorie* auch nur in einem Urtheil des obersten Gerichtshofs ge-

> Knntze, in seinem GntachCcD, VerhKndInngen des XVI. Jnrixtentages Bd. I S. 131 fuhrt, ohne BerttckiichtiKimg der voistehecd initgethdlteD Ent- icheidimgen and des inneren Znsunmenhui^es anch des zuletzt analynrten Uitheib, tmter Berufung auf dieses das Reichsgericht als AnhJCnger der von üun als •Redlichkciutheorie* bezeichneten, praktisch mit der >KreationsÜieorie< CTuammenfallenden Anticbt anf.

Goldichmjdl, Vantiubt« Scluiften. II, 8

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1 14 Miicellen tnr Theorie d«r WertlipipieTe.

hioden werden dürfen, zumal deren Gegner sich mit gleich gutem Grunde auf dasselbe berufen könnten.

in. Die nothwendige und äusserste Konsequenz der »Kreationstheoriec ist die Haftung des iKreatorc (des Aus- stellers) auch aas dem ohne oder wider seinen Willen aus seiner Hand gekommenen, somit insbesondere aus dem ge- stohlenen, geraubten, verlorenen, durch den Wind verwehten u. dgl. äusserlich fertig hergestellten Papier. Wer diesen Satz nicht will genauer, da es sich nicht um zukünftiges, son- dern um geltendes Recht handelt, wer die Existenz eines der- artigen Rechtssatzes in unserem bestehenden Recht in Abrede stellt, muss die »Kreationstheorie« verwerfen. Wer den Satz will oder doch als bestehend anerkennt, kann ihn auf andere ' Gründe stutzen als auf die Verbindlichkeit der iKreatione, d. h. des blossen, wenn auch vielleicht in der Absicht späterer Begebung erfolgenden Niederschreibens: eines an sich rein thatsächlichen " Aktes. Etwa; auf (wirkliches oder fingirtes) Verschulden^ des Ausstellers; auf die »bona fides des Verkehrs* ; auf eine (stillschweigende) Gefahrsübemahme > oder Garantieübemahme des Ausstellers*; auf einen, gleich- viel ob und wie innerlich zu begründenden positiven' Rechts-

< Nur anf di« KTCAtionstheorie iratzt ihn Kantze in leinem Gutachten (VerhandL des XVI. Jnr!»t«ntag« Bd. I S. 131 ff.).

* S. auch S. Schnitze, Kritische Viertdjahntchrift XVIII S. 246; BruDQer in der ZdUchr. XXII S. Sioff. und in Endemann's Handbach II S. 149, i64ff.

> Dagegien : du Reicbs-Oberhandeligericht 5. oben S. ioS; meine Au«- ftthnrng in dei Zeitzchr. f. Handeltr. XXIII S. 306; F. Mommzen, Erörte- mogen >us dem Obligatianenrecht Heft 3 S. Ilz; Leonhard in der Zälschr. f. HandeUr. XXVI S. 296; Brunner in Endemann's Handbuch II S. 167.

* DagcE^ meine Ansftahrung in der Zeitscht. f. HandEltr. XXIII S. 3061 Brunner a, a. O. S. 167.

5 S. auch Windscheid, Arch. f. civU. Pnudt LXIII S. 8a.

^ So G. Binding, Zeitichr. X S. 419 und anzcheinend dai Reichs- Oberbandeligericht, Entsch. XVII S. 149 (oben S. 108), Dag^eo Th«I, Handelsrecht I g 224 Note 8; Stobbe, Deuttches Privatr. in S. 109 Note 12 a. E. [Stobbe-Lehmann § 219 IV].

' So ThOl, Handelsrecht l % 214 Note 8 für da« Inhaberpa{ner. Er findet ro dem Urtheil des Reichi-Oberhandelsgeiichts die Anerkennung eines aUg^neinen Geirohnheitsrechts. Das hat noch Niemand la behaupten gewagt. Jedenfalls würde dieses > Gewohnheitsrecht r zieh nicht über den allein ent-

IV. Wecb$«bccept und Kreaäonstheorie. 115

satz von wiederum denkbarerweise verschiedenem Inhalt: es solle aus dem Papier gehaftet werden oder es solle der durch das Nehmen eines den Aussteller nicht obligirenden Papiers entstehende Schaden ersetzt werden u. s. f. Aber man muss wissen , auf welchen Rechtsgrund die Haftung ge- stützt werden soll, weil, je nachdem, ganz verschiedene Rechts- folgen eintreten und ganz verschiedene Rechtsfolgenmgen zu ziehen sind. Die Art ist rein zu halten. Wer die Verbind- lichkeit auf >Kreation< stützt, braucht nicht anzuerkennen, dass auch aus dem unerkennbar gefälschten Papier der angebliche Aussteller obligirt wird, denn ein solches hat derselbe nicht »geschriebene darauf legt vielleicht der Kaufmann Gewicht, welcher seine »Handschrift« nicht anzweifeln lassen mag, wenn- gleich in einigermaassen heiklen Fällen er sich schwerlich nach den Anforderungen der »Kreationstheorie < gebunden halten dürfte. (Man denke: Die Verwaltung einer Aktiengesellschaft hat Werthpapiere zur Ausgabe fertig gestellt ein richter- liches Urtheil, etwa auf Einspruch von Aktionären erlassen, inhibirt die Ausgabe nun werden einzelne Stücke gestohlen. Der rechtlich verbindenden künstlich hergestellten »ünter- schnft<, z. B. gedruckten, hthographirten, gestempelten, legt der >Kaufmann< nicht gleiches Gewicht bei wie der eigenen iHandschrifti.) Wer dagegen die Haftung auf angebliches Verschulden, noch mehr, wer solche auf eine Gefahrs- oder Garantie-Uebemahme stützt, wird mindestens dann, wenn die Unterschrift echt und nur der Inhalt verfälscht ist, desgleichen, wenn das Papier amortisirt ist, die Haftung des Ausstellers dem redlichen Nehmer gegenüber nicht ablehnen können ; wer gar lediglich die »bona fides des Verkehrst ins Feld führt, muss konsequent sogar dem redlichen und vorsichtigen Neluner des falschen Papiers Rechtsschutz gewähren, wie das denn auch tfaatsächlich im Verkehr, insbesondere seitens der Banken, der Staatsschuldenverwaltungen u. dgl., um den nur auf dem Vertrauen des Publikums beruhenden Umlauf ihrer Papiere nicht zu gefährden, mitunter geschieht. Dass ich also, bei

tchiedenen Fall hinaus eratreckeni eines beha& »pSterer Beeebuog einem DiiKea onvertnuten und van dieiem wideirechllich emittirteD P>pien. S, auch oben S. loS. Oder in rMan« bei Th. nicht Thöl selbit? S. Zeitschr. f. Handelir. XXVm S. 446 unten.

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Miscellen int Theorie da Weithpapiere.

Unterstellung, dass nicht ex scriptura, sondern aus Verschulden oder dgl. gehaftet werde, in der Gleichstellung von gestohle- nen und von gefälschten Papieren »den springenden Punkt, worauf es hier ankommt, nicht erkanntf haben soll ', ist doch schwerlich gegründet. Nach Dernburg soll die ibona fides des Verkehrs« mit sich bringen, dass der}enige, welcher durch sein Verhalten die Schuld daran ti^gt, dass ein Dritter in mangelhafter Weise erwirbt, den Erwerb nicht anfechten könne, und dies sei sicher der Fall, wenn Jemand Inhaber- papiere ausstellte und sie nicht begab, aber auch nicht ge- eignete Vorkehrungen traf, dass sie ohne seinen Willen nicht in Verkehr gebracht werden konnten; dagegen sei es isonnen- klar< , dass Niemand durch gefälschte Papiere verpflichtet werde, die ihm die Eigenschaft als Schuldner aufbürden; hier sei eher dem bona fide Erwerber, als demjenigen, dessen Unter- schrift gefälscht sei, ein Vorwurf zu machen. Mir scheint, dass auf so höchst verschiedenartig nüancirte, rein tfaatsäch- liche Verhältnisse sich nicht Rechtsprinzipien gründen lassen: die Vorkehrungen gegen Entwendung, Raub u. dgl. können sehr geeignete und gleichwohl durch »höhere Gewaltc das Papier in Umlauf gekommen sein umgekehrt können die möglichen, ja üblichen Vorkehrungen gegen Fälschung oder Verfälschung unterlassen sein. Liegt die Gefahr der Ver- fälschung nicht, wie die tägliche Erfahrung zeigt, sogar naher als die Gefahr der Entwendung des noch unbegebenen Papiers aus dem eisernen Geldschrank oder dem Gewölbe?

Aus der wirklichen, angeblich im Rechtsbewusstsein der Gegenwart wurzelnden, jedenfalls nicht aus dem igerma- '

nischen Recht« stammenden »einseitigen Kreationc folgert Dernburg:

1) Die Haftung aus dem vor der Ausgabe gestohlenen , Papier. Dies ist soeben erörtert. I

2) »Ein von A ausgefertigtes Inhaberpapier ist gültig, auch wenn es erst von seinem Erben B ausgegebai ist und

dies der Nehmer weiss.« i

Die Konsequenz ist anleugbar, und es werden so nicht |

allein der Emittent B, sondern auch dessen unbetheiligte Mit-

' So Dernburg, Preuss. Privatr. II § la (a. Aufl. Note 14, 3. Anfl. |

Nole 15 [5. Aufl. Noie 16]). 1

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IV. Wechidtccept and Krealionitheorie. X17

erben C, D, E, desgleichen, wenn über den Nachlass des A der Konkurs ausgebrochen ist, die übrigen Glaubiger diesen Passivzuwacbs des Nachlasses bei dem todten A zu beklagen haben, weil dieser durch die Skriptur, welche unter gewissen nie eingetretenen Voraussetzungen ausgegeben werden sollte, sich bereits vielleicht 10 Jahre vor seinem Tode (denn es ist, nach Dernburg, das Datum der Niederschrift schlecht- hin entscheidend) ibindend obligirt hat*. Das soll sogar dem wissenden Nehmer gegenüber gelten. Werden denn im Verkehr Unterschriften von Todten als gleicbgeltend mit Unterschriften Lebender genommen?

3) »Das Recht des späteren Erwerbers besteht auch dann, wenn der erste Nehmer erwerbsunfähig, z. B. ein Kind war.*

Der Satz ist zuzugeben. Er spräche sicher dann nicht gegen die Vertragstheorie, wenn was freilich weder Dernburg noch ich annehmen jeder ilnhaberi der Gläubiger aus dem Libaberpapier wäre; denn ein blosser detentor kann auch ein Kind sein. Er steht aber, auch bei der richtigeren entgegengesetzten Annahme, der Vertrags- theorie nicht entgegen, weil, wie ich schon früher bemerkt habe ', der spätere Erwerber sein Recht nicht von dem ersten Nehmer herleitet. Ich habe dabei den freilich nicht ganz präcisen Ausdruck gebraucht: »Der Wille zu kontrahiren ist ja Jedem gegenüber erklärt, welcher Eigenthümer (gemäss H.G.B. Art. 307) des Papiers wird« statt »zu kontrahiren« sollte und wollte gesagt sein, »sich zu obligiren* '. Der Ver- trag, welchen allerdings der Ausgeber des Papiers mit dem ersten Nehmer abschliesst, enthält ein gleichzeitig zu Gunsten aller späteren successiven Papiereigenthümer abgegebenes ein- seitiges, der Acceptation gar nicht bedürftiges und gleichwohl nach Gewohnheitsrecht schlechthin bindendes Versprechen des

' Zdtschr. f. Handelsr. XXIII S. 307.

So erklirt sich wohl die AimaluDeDerDbaTg's a.&.0. (2. Aufl. Note tj, 3. Ana. Note l6 [;. Aufl. Note iS]), dasi ich eincD >Vertnig* da Ausstellen mit jedem spiteren Nehmer, also Ata berachtigten und allerdings undenklurRD Ver- tisg cum iucerta persona unterstelle. (Zu den AnllSngem einer «Variationc des tnebdiiaflen contraclus cum incecta persona* lihlt mich ohne Grund Kuntie in dem Gutachten: VerhandL des XVL Juristentags Bd. I S. 13a.) An« der Darstellung im Text ergibt sich zugleich, worin sich mcioe AolTassung Ton der •Konstruktion der Vertrige mit unbestimmten Glfiubigemt bei Dernburg 11 % IS' vgL Obrigeus §§ 18, 19 [5. Aufl. ebendort], unterschrideL

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118 Miicellen lur Theorie der Wetthpapiere.

Ausstellers': er ist ein Vertrag nicht mit unbe- stimmten Dritten, sondera mit einer bestlniinten Person zu Ounsten dieser Pereon und eines weiteren noch unbestimmten Personenkrelses, der Art, dass jede diesem Kreise angehörtge Person ein selbst- ständiges, nicht von einem der früheren Nehmer abgeleitetes Recht gegen den Aussteller des Papiers erlangt. Es handelt sich so um Begründung successiver Rechte.

Hier darf nun allerdings die Frage aufgeworfen werden, ob die Gültigkeit des Vertrages zugleich die Gültigkeit des zu Gunsten der späteren Nehmer vermittelst eben dieses Ver- trages abgegebenen einseitig bindenden Versprechens bedingt.

Es ist zu unterscheiden:

Liegt die Ungültigkeit des Vertrages in der Verpflich- tungsunfähigkeit des Ausstellers oder in einem sonstigen jeden Verpflichtungs willen desselben ausschliessenden Umstände, so kann auch ein künftiger, wenngleich redlicher Nehmer des Papiers keinerlei Rechte erwerben der Unterschied von der »Kreationstheorie« tritt hier in aller Schärfe hervor: denn nach dieser ist aus dem in verpflichtongsfähigem Zustande niedergeschriebenen Papier der (redliche) Erwerber auch

' Diesen Gesichtspunkt habe ich bereits , unter auidrUckUcher Bezug- nahme auf daslIüEtitut der Inhaber- und der Orderpapiere, und iwat als sogar mit den Priniipien des rfimischen Rechts vertriglich, geltend gemacht in dem Unheil des Reichi-OberhandelsgerichtE vom 3t. April 1874, den bekannten 'Leipsiger TheaterproieKs« betreffend (Entscheidungen Bd. XU S. 359 bis 361). Beigetieten ist das ohne meine Betheiligung ergangene, die gleichen Geüchtspunktenoch weiter begründende Urt heil des Reichi-Oberhindals- gerichts Tom S. Februar 1S73 (Entscb. Bd. XXIII S. 365—367). Vgl. anch Gareia, Z. XXI S. 357fr., 37» ff.; Sohm, Z. XVII. So auch Stobbe, Dentsches Frivatr. Ill S. 109 [vgl. S tobbe-Lehmann III S. 483], obwohl er im Uebrigen (S. to6S.) nicht Vertrag verlangt, sondern 'Auafertigimg und Emi*don< genügen liUat übrigen« bt Slobbe's anichemende •Dereliktion* nicht wahre DerelikdoD, sondern traditio in incerlam pertonam, eine praktische Differenz von der •Vertrsgstheorie' also schwerlich vorhanden. Verwandt, aber doch in dem be«onder« nicbtigei) Punkte der >Sdbctsll(ndigkeiti des Fordemngs- rechts abweichend es soll aar den spiteren Erwerber idie dem froheren GlSnbiger zustehende Forderung Übergehen': Btunner in der Zeitschrift f. Handelsr. XXII S. «off. und in Endemann't Handbuch 11 S. iCoff., vgl. S. 164, i63fr. S. auch oben Seite 78 Note i, S. S5 Note I.

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IV. Wech*elaccept und Kreationitheorie. 119

dann berechtigt, wenn der wahnsinnig gewordene Aussteller oder dessen unmündiges Kind es auf die Strasse geworfen, oder wenn ein Erbe des verstorbenen Ausstellers es nach dessen Tode weggegeben hat (s. oben).

Liegt dagegen die Ungültigkeit des Vertrages lediglich ia mangelnder Erwerbsfähigkeit des Vertragsgegners (Kind, Wahnsinniger etc.), so realisirt sich zwar der Verpflichtungs- wille des Ausstellers nicht zu Gunsten des Vertragsgegners, aber zu Gunsten aller späteren redlichen Papiererwerber. Der Vertrag mit dem ersten Nehmer ist nicht das konstitutive Ele- ment der durch die erste Begebung des Papiers ein für allemal als rechthch möglich und eventuell gewollt begründeten successiven Obliginmgen, sondern ein juristisches Mittel zur Herbeiführung dieses Erfolges; der erste Nehmer ist hinsicht- lich des Erwerbes der späteren eine blosse Mittelsperson, ein Werkzeug: ministerium tantiunmodo hoc casu praestare vide- tur: 1. 15 D. de const. pec. (13, 5), dessen juristische Quali- fikation, insbesondere eigene Erwerbsfähigkeit, in dieser Hin- sicht somit völlig unerheblich. So gut der »Bote*, welcher ja auch keineswegs nur ifaktiscbe* Dienste leistet', ein Kind oder Geisteskranker sein kann ', so kann auch hier durch Ver- mittlung des seinerseits erwerbsunfähigen ersten Nehmers ein Erwerb der weiteren Nehmer begründet werden. Die Ver- mittlung selbst aber wird dadurch keineswegs entbehrlich. Würde man sogar den ersten Nehmer für noch weniger als einen Boten als einen blossen »Briefträgerc s ansehen, so würde doch sicher ein nicht einmal dem »Briefträger« ge- gebener, sondern dem Schreiber gestohlener oder verlorener» ja auch nur von dem Dienstboten wider den Willen des Brief- stellers in den Briefkasten geworfener Brief nicht geeignet sein, den Briefsteller gegen den Adressaten in Gemässheit der in dem Briefe enthaltenen Zusage zu verpflichten ob etwa

' Zimmermsnii , Die stellTertreteDde negotiomiii gestio S. 3i.

* Ihering üt denen Jahrbnchem I S. 3S9; ZimmermanD a. a. O. S. 18 ; Thei , Hudelirecht I § 75 Note 3. Daher ncMig TbOl , § an >. E., ungeachtet er sogar eine Kette von VertrSgen cwischen dem AnuteÜer und den IndoautatCD annimmt, den Zwiachenitidosanten fHi diese mit den sidteren IndoBataren geschlouenen >VerIrIge< dei Ausstellers als >blotse« Instnunent, Bote, Briefi eiklln.

) Zimmermann a. a. O. S. 10.

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120 Miscellen iut Theorie der Werlfapapiere.

aus anderen Gründen und in welchem Umfange, darf hier un- erörtert bleiben.

Die »Praktikabilität« der »Kreationstheoriei, auf welche Kuntze und dessen Anhänger entscheidendes Gewicht legen, habe ich nie in Abrede gestellt. Es lassen sich mit derselben leichter, d. h. ohne schwierige Konstruktionen, gewisse un- zweifelhaft feststehende Rechtssätze gewinnen bezw. erklären. Aber die blosse Leichtigkeit der Konstruktion entscheidet nicht über deren Richtigkeit, und sie ist abzulehnen, sofern sie zu unzweifelhaft unrichtigen oder doch unserem bestehenden Recht fremden Rechtssätzen führt.

Es ist mir nicht bekannt, dass unter den zahlreichen neueren Wechsel- und Handelsgesetzen ein einziges die Krea- tionstheorie oder deren Konsequenzen adoptirt hätte. Da- gegen erkennt die neueste legislative Arbeit, der Entwurf einer Wechselordnung für das Russische Reich (1882), welche unter sorgfältiger Berücksichtigung der neuesten Gesetze ver- fasst ist, mit ausdrücklichen Worten für den Wechsel die Ver- tragstheorie an: § 1 = deutsche W.O. Art. 1; § 15: >Der Wechsel erlangt Wechselkraft, sobald der Aussteller denselben an den Remittenten begeben hat« ; § 16: »Kraft der Begebung ist der Aussteller eines eigenen Wechsels verpflichtet, die Zahlung zur Verfallzeit zu leisten, und haftet der Aussteller eines trassirten Wechsels für dessen Annahme und Zahlung.c Dem ungeachtet und ganz korrekt (s. oben S. 97 Note 4) heisst es § 34: iDie Annahme gilt als erfolgt, sobald das Accept auf den Wechsel gezeichnet ist. Das einmal gezeich- nete Accept kann von dem Bezogenen nicht eigenmächtig durchstrichen oder auf eine andere Weise widerrufen oder ver- ändert werden, auch wenn der Wechsel sich noch in den Händen des Bezogenen befindet.« Das neue engl. W.G. hält, wie schon das ältere, strenge an der Vertragstheorie fest (accep- tum und indossament) : s. o. 5. 97 Note 4.

V. Der Ladesohein.

I. Diejenigen »Waarenpapieres ', an deren Umlauf sich dingliche Wirkungen hinsichtlich der in denselben bezeich-

' Mein Handbuch des Handelsreclits § 69.

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V. Der LKdcKhein. 121

netea Waaren knüpfen können, und mit deren genauerer Analyse ich mich früher befasst habe ' , werden in neneren Gesetzen als eine eigenthümliche Gruppe zusammengefasst. Aber die mehr beschreibende als definirende Bezeichnung weist deutlich darauf hin, dass die Gesetzgeber sich entweder über den Kreis dieser Papiere nicht völlig klar waren, oder viel- leicht trifft auch Beides zu dass äe es für bedenklich er- achteten, die noch im Russe befindliche Entwickltmg des Ver- kehrsrechts durch eine dogmatische Formel einzudämmen.

Immerhin lässt sich nicht verkennen, dass die energische Arbeit der jüngeren Rechtstheorie auf die gesetzlichen Formu- lirungen einen förderlichen Einfluss geübt hat.

Das deutsche Handelsgesetzbuch nennt einfach neben einander :

>Konnossemente, Ladescheine oder Lagerscbeinec und zwar in bestimmter rechtlicher Beziehung, nämlich als VerfUgungsmittel über Sachen, welche Jemand nicht in seinem iGewahrsam« hat:

H.G.B. Art. 313, 374, vgl. Art. 382. Eben diese Waarenpapiere nennt H.G.B. Art. 302 als eine besondere Klasse der indossabeln Papiere, jedoch neben den hinsichtlich der Amortisation (H.G.B. Art. 305 S. 3) gleich- behandelten an Order lautenden Bödmereibriefen und See- assekuranzpolicen.

Dingliche Wirkungen werden allgemein ausdrücklich nur für Orderkonnossemente statuirt:

H.G.B. Art. 649, nur für diese und die nachgebildeten Ladescheine wird die eigenthümliche rechtliche Natur der an das Waarenpapier ge- bundenen Obligation näher bestimmt: H.G.B. Art. 652 ff., 415—418. Dagegen stellen die neuesten Gesetze eine allgemeine Kategorie der oben bezeichneten Waarenpapiere auf:

Reichsgesetz, betr. die Einführung der Konkursord- nung vom 10. Februar 1877, § 14 Abs. 2: >Das Absonderungsrecht besteht ohne Uebergabe der Sache, sofern: 1. nach den Reichsgesetzen oder den Landesgesetzen die

' Mein Handbuch §§ 70 ff.

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1 22 Miscellen tnr Hieorfe d«r Werthpkpiere.

Uebergabe von Konnossementen und ähn- lichen Papieren über Waaren oder andere be- wegliche Sachen der Uebergabe derselben gleich- steht.» Preassisches Ausführungsgesetz zur Konkursordnung vom 6. März 1879 § 5: »Im Geltungsbereich des gemeinen' Rechts steht bei Verpfändung von aufgespeicherten oder niedergelegten Waaren, Fabrikaten, Boden- oder Bergwerkserzeugnissen, sowie auf dem Transport befindlichen Gütern die Ueber- gabe des auf den Gläubiger Übertragenen Konnosse- ments, Ladescheins, Lagerscheins oder ähn- lichen Papiers der Uebergabe der Sache gleich, sofern der Gläubiger mittelst des Papiers in der Lage ist , über den Gegenstand der Verpfändung zu verfügen,* Uebereinstimmend lauten die Gesetze bezw. Verordnungen zur Ausführung der deutschen Konkursordnung von: Mecklen- burg-Schwerin, Verordn. vom 26. Mai 1879 § 4. Mecklen- burg-Strelitz , Verordn. vom 26. Mai 1879 § 4. Anhalt, Gesetz vom 10. Mai 1879 § 5. Sachsen-Altenburg, Gesetz vom 26. März 1879 § 2. Sachsen-Koburg-Gotha , Gesetz vom 7. April 1879 § 2. Sachsen-Meiningen, Gesetz vom 20. Juni 1879 § 2. Reuss a. L., Gesetz vom 5. Mai 187» § 17. Reuss j. L., Gesetz vom 22. Februar 1879 § 4. Schwarzburg-Rudolstadt, Gesetz vom 1. Mai 1879 § 20. Schwarzburg-Sondershausen, Gesetz vom 20. Mai 1879 § 2. Lippe, Gesetz vom 26. Juni 1879 § 5. Schaumburg-Lippe^ Gesetz vom 30. Juni 1879 § 93.

Das hamburgische Gesetz vom 25. Juli 1879, betr. Aus- fahrung der Konkursordnung enthält § 3 die noch weiter- gehende Vorschrift:

»Durch Verpfändung von Forderungen und anderen Vermögensrechten wird ein Faustpfandrecht im Sinne des § 40 der Konkursordnung begründet : 2. in dem Falle, dass über die Forderung oder das Ver- mögensrecht eine Urkunde ausgestellt ist, welche auf

Für du Gebiet det preussische» Rechti erUhrift solche Vorschrift nach A.L.R. I 3o §§ 329 fr. verb, mit den eigenlhflinlichen GrundsXtien über die Waarenuiwritnne; A.L.R. 1 7 §§ 66 ff., Preass. Einr.Ge«. lum H.G.B. An. 37. S. mein Handbuch 7Ö, 84.

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V. Der LkdMcludii. 123

lohaber lautet oder durcb Indossament übertragen werden kann, wenn ein Pfandgläubiger oder ein Dritter für ihn den Gewahrsam der Urkunde, bezw. (bei Ur- kunden, welche nicht auf Inhaber lauten) der indossirten Urkunde erlangt und behalten hat« ; und schliesst im § 5 das Verfoigungsrecht des § 36 der Konkursordnong aus, in Gemässheit des Art. 306 H.G.B.'s und des § 52 des hamburgischen Einführungsgesetzes zum H.G£., falls der Gemeinschuldner die Waare

»unter Uebertragung des an Order lautenden Konnosse- ments oder Ladescheins verpfändet oder veräussert c hat

Die Motive zu § 40 der Konkursordnung fuhren aus, dass unter gewissen Voraussetzungen die Wirksamkeit einer »so- genannten (gleichviel ob richtig oder unrichtig als solche be- zeichneten) symbolischen Verpfändung! anzuerkennen sei, und zu § 14 des Einführungsgesetzes ad v. »Konnossementen und ähnlichen Papierene :

»Eine nähere Bezeichnung der letzteren ist zu ver- meiden. Der Ausdruck bezeichnet, dass nicht blosse Beweis- urkunden genügen, dass vielmehr eine dem rechtlichen"^ Wesen eines Konnossements entsprechende Verpflichtungs- urkunde vorausgesetzt wird, welche den Gläubiger mit Aus- schluss des Schuldners in den Stand setzt, über die Sache zu verfügen und ihren Besitz zu erlangen. Der Ausdruck schliesst also namentlich Ladescheine und Lagerscheine nicht aus. Man kann aber weder positiv diese benennen, denn ein einheitliches Recht Über Wirkung derselben besteht nicht ' , noch mit ihnen den Kreis abschliessen , denn es kann nach Landesrecht noch anderen Verpflichtungsscheinen eine den Konnossementen ähnliche Wirkung beigelegt sein. Das Handelsgesetzbuch verfährt in derselben Weise (vgl. Art. 313 Abs. 1, Art. 374 Abs. 1, Art. 382 Abs. 1 u. s. w.).« Endlich enthalt das schweizerische Bundesgesetz über das Obligationenrecht vom 14. Juni 1881 folgende entsprechende Bestimmungen :

Die« wird , in lelir enger Autlastang, in den Motivea in % 36 der Konk.O. antgefUirt.

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124 Miscellen xur Theorie der Werthpapiere.

Art, 209. Werden Waaren durch Lagerscheine, Ladescheine oder ähnliche Papiere vertreten, so gilt der gutgläubige Erwerber des Scheines als EigenthUmer der Waare.

Art. 212. Waaren, welche durch indossable Lager- scheine, Ladescheine oder ähnliche Papiere ver- treten sind, können durch blosse Uebergabe des indossirten Scheines an den Faustpfandgläubiger verpfändet werden.

Für diese Gruppe von Waarenpapieren ist eine gemein- same Bezeichnung wünschenswerth. Es empfiehlt sich die von Brunner' vorgeschlagene: Traditions-Papiere.

Für die juristische Behandlung aber ist entscheidend, ob man ein mehr zufälliges Nebeneinander einzelner, vielleicht gar sämmtlich singulärer' Rechtssätze annimmt, oder aber, ob alle einzelnen unzweifelhaften Rechtssätze als blosse Kon- sequenzen eines Rechtsprinzips sich darstellen, welches dann selbstverständlich auch zu weiteren durch Gesetz und Gewohn- heitsrecht noch nicht positiv ausgeprägten Folgesätzen führen kann oder muss. Indem ich diesen zweiten Standpunkt ver- _^jTete und den Nachweis erbracht zu haben glaube, dass das aufgestellte Rechtsprinzip selbst sich innerhalb des normalen Rechts bewegt, insbesondere der richtig verstandenen civil-

ZeitEchr. XXII 5. 535, 526 uad in Bndemann's Huidbucli des Handclirecfati II S. i jo. Nicht bo gut denn ei gibt >uch nnr obUgatoruche ■Dispoiitians-Papiere' ueiml lie •Diapoudoni-Pftpiere« ; Endemann, da- Mlbit II S. 35 fT. Die AeuEsening E.'s II S. 36 Note 4 kommt doch wohl darauf hinaus, dui ich die auch nach Endemann't Ansichl mausgebenden innereii Ursachen der Entwicklung atureicheDd dargelegt habe. Als 'Kredit- papierec aber lassen sich die Tradition s-Fapieie nui sehr uueigentlich be- zeichoen; wer gegen Konnossement u. dgl. den Kau^reit baar oder durch Wechselaccept erlegt, will nicht •kreditir«i>. Uebrigens hat Endemann im Handbuch seine Mhere Darstellung (Handelsrecht g 78 [4. Aufl. § 97]) unter Anschluss an meine AosfUhrungcn erheblich modilidrt

* Dahin gelangt man nothwendig von dem Standpunkt Exner's, welcher nicht sowohl einen eigenen RechUsati konstniirt, als die Ensteu eines (vieler)) rein positiven Rechtssatzes (Eigen thumserwerb ohne Besitz) be> hauptet: Die Lehre vom Rechtserwerb durch Tradition (Wien 1867} S. i86ff. und Kritische Vierteljahrsschrift XIII S. 313 C, im Zusammenhang mit semer gewiss unialreffenden Auffassung der sogen, ^symbolischen Tradition' ; selbst- vemlndlich vom Standpunlcie T h 9 1 ' s , welcher in dem stets ene^isch be- kfimpfien Art. 649 H.G.B.'t einen durchaus aingulSren Rechtssati findet (H.R.

i§»7i. vgl. § J70, m §42[?D.

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V. Der Lidewliein. 125

rechtlichen Besitztheorie gemäss ist, gelange ich zu dem prak- tisch imgemein wichtigen Ergebniss, von den etwa nur für eine Art des »Traditions-Papiers* positiv aufgesteUten Rechts- sätzen entsprechende Anwendung auf andere >Traditions- Papiere» machen zu dürfen. Dass dies aber ebenso richtig wie nothwendig ist, hat neuerdings, unter Billigung zugleich meiner Konstruktion, nicht nur eine wachsende Zahl gerade solcher hervorragender Juristen, welche das Bedürfniss \md die Uebung des grossen Handelsverkehrs sehr genau kennen ', sondern auch der oberste deutsche Gerichtshof wiederholt anerkannt:

U. des Reichs-Oberhandelsgericbts II. S. vom 15. Sep- tember 1879 (Entsch. XXV S. 351 ff.), betreffend den Lagerschein; U. des Reichsgerichts I. CS. vom 1. Oktober 1881 (Entsch. V S. 79ff.), betreffend den Ladeschein, nachdem bereits früher der ohnehin kaum zu bezweifelnde Rechtssatz ausgesprochen war, dass das Handelsgesetzbuch nicht ausschliesse, auch Konnossemente, welche nicht an Order lauten, als Traditions-Papiere anzuerkennen:

U, des Reichs-Oberhandelsgerichts II. S. vom 19. No- vember 1873 (Entsch. XI S. 413 ff.). Vgl. auch Lewis, Das deutsche Seerecht I S, 299 ff. [2. Aufl. I S. 384], Endemaan, im Handbuch des Handelsrechts II § 170, und Lew is, daselbst IV § 37.

II, Dass die Obligation aus Konnossement und Lade- schein weder eine sogen, »formellec, richtiger abstrakte, d. i. von einem in der Urkunde angegebenen Verpflichtongs- grunde unabhängige ist", noch aus dem Frachtverträge^

So u. A. der TieljSIiTige Prfisc« des hambai^[ücben HandeltgerichU, tpfiter de* doitigen Landgericliü , Dr. Albrecht (Verhandl. dei XIV. dent- Khen JnrisEentagslIS. 55) und Rddugericlitirath Dr. Wienet (Verhandl. des XV. D«DUch. Jnristenlagi II S. 88).

Bei der Korrektur geht mir ta v. Hlhn'i Kommentar II lÄeS. 4i 3. Aufl., 5. 6S2, wo die Mhere abweichende Anticlit det Verfusen (i. Anfl. S. 501) anfg^eben Ut,

1 SonochEndemano, Handeltrecht g 7g [4. Aufl. §97]- Konnoisement nnd Ladeacheia nnd aber nicht einfeche «Verpflichtangsichdne', ue geben noth- wendig all Verpflichtongsgmnd die Aufgabe (Empfang) zum Traniport, an. S. m e io Handtmcfa g 7z Note S ff. nnd da* sogleich folgende U. des Reichsf^chti.

J So, mit Aelteten, jeUt wieder Thöl, Handelvecht I % 370, intbei.

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126 Miseellen lur Theorie der WerOtpapiere.

entspringt, sollte nicht mehr bezweifelt werden. Dagegen bleibt noch za untersuchen, inwiefern die Obligationen aus Konnossement und Ladeschein schlechthin gleichartig sind, oder welche rechtliche Verschiedenheiten zwischen denselben be- stehen.

Diese Frage hat bisher auch in den Entscheidungen der obersten Gerichtshäfe keine ausreichende Lösung gefunden. In dem Urtheil des Reichsgerichts I. CS. vom I. Oktober 1881 (Entsch. V S. 80-82) heisst es in dieser Beziehung:

»Der Erwerber auf dem Transport befindlicher Waare hat nicht nur ein Interesse daran, durch den Ladeschein in den Stand gesetzt zu werden, sich nach Ankunft des Frachtführers am Bestimmungsorte- in sicherer Weise in den thatsächlichen Besitz des Gutes zu setzen, sondern auch daran, vom Frachtführer eine Erklärung tlber die Be- schaffenheit des Gutes zu erhalten. Der Frachtführer weiss dies, ist sich also bewusst, durch seine Angabe über die Beschaffenheit des Gutes eine für den Inhaber des Lade- scheins bedeutsame Handlung vorzunehmen. Er dokumen- tirt femer durch die Form, in welcher er diese Angabe vornimmt, dass er damit dem Inhaber des Ladescheins gegenüber eine Rechtshandlung vornimmt. Er ibekenntc, das Gut in der und der Beschaffenheit empfangen zu haben. Er »verspricht« oder »verpflichtet* sich, das Gut in der gleichen Beschaffenheit abzuliefern. Er hat also damit eine Erklärung gegenüber dem Inhaber des Ladescheins ab- gegeben und in der Absicht abgegeben, dass dieser dieselbe beim Erwerb des Ladescheins berücksichtige. Es ist daher evident, dass er mit dieser Erklärung eine Haftung über- nommen hat. Allein welchen Inhalt, welchen Umfang, welche Voraussetzung hat diese Haftung? Verliert der Ladeschein durch die Beifügung derselben seine Bedeutung

Note 3 und in gg 43 45 , iowie iHandelsrechtlichs Erürtemn^n. Eiun- bahorecht und aDderet FrvcbtrechN (i88a) S. 15 37. Dam: meine Aueig« in ZeiBchr. XXVI S. 608 and Replik; XXVIIl S. 44S and mein Handbuch g 71 Note 3a ff., % 73 Note l ff., gif.

Ueber die Praxis i. EnttcheidnngcD des Reichs-OberhandelsgeHchti I S. 301, III S. 34ff., VI S. 346, XV S. 377 ff., XVU S. JOS. Vgl. auch Lewis, Da» deutsche Searecht I S. 307 ff. [2. Aufl. S. 390fr.] und im Iland- buch des HandelsrechU IV g 36. v. Hahn 11 (1. Aufl.) S. 681 >»b wenn >.

V. Der L»de«häii. 127

als eine Urknode Ober die Verpflichtung , das über- nommene Gut auszuliefern? Wird er zumVeq)flich- tnngsscheinüber Lieferung der bezeichneten Waare? Aus der Erklärung Über den Empfang des Gutes ist dies nicht zu entnehmen, ebenso wenig aber auch aus der Erklärung tlber die Ablieferung, denn diese geht immer darauf, das »empfangene t Gut abzuliefern, und es ist ausserdem immer vorausgesetzt (wenn nicht gar, wie dies in den Konnossementen üblich, ausdrücklich ausgesprochen), dass der Aussteller Verluste und Beschädigungen, für welche er nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht aufzukommen Inzucht, nicht zu vertreten hat. Der Inhalt der durch die im angegebenen Sinne abgegebene Erklärung übernommenen Verpflichtung kann daher nur der sein, für denjenigen Schaden zu haften, welchen der Inhaber des Ladescheins infolge eines bei der Abgabe der Erklärung über die Be- schaffenheit des Gutes vorgekommenen Verschuldens erlitten hat. Etwas Weiteres folgt aus allgemeinen Grundsätzen nicht, insbesondere nicht dies, dass der Fracht- führer dem Inhaber des Ladescheins für die Richtigkeit der fraglichen Bezeichnungen der Beschaffenheit des Gutes tmbedingt, also auch, wenn kein Verschulden auf seiner Seite vorliegt, haftet Ein solcher Satz ist in Art. 654 Satz 1 H.G.B.'s für den See-Frachtvertrag über die Haftung aus der im Konnossement enthaltenen Bezeichnung der abgeladenen Güter aufgestellt. Derselbe ist aber, ebenso wie die in Satz 2 des Artikels beigefügte Beschränkung des Umfangs der Haftung, positiver Natur, ergibt sich keineswegs aus allgemeinen Sätzen und kann darum auf den Ladeschein nicht ausgedehnt werden.

Hieraus folgt, dass, wenn der Frachtführer sich selbst darauf beruft, dass seine Angabe über die Beschaffenheit des Gutes im Ladeschein nicht mit der Wirklichkeit über- einstimmt, der Inhaber des Ladescheins ihn mit diesem Vorbringen nicht alsbald unter Bezugnahme darauf, dass er fUr seine eigene Erklärung einzustehen habe, zurückzuweisen befugt ist Dieses negative Resultat genügt aber für die Beurtheilung des vorliegenden Falles, und es bedarf der weiteren Untersuchung der Wirkungen der irrigen Bezeich- nung des Gutes im Ladeschein nicht.«

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128 MUcellen tat Theorie der Werthpapiere.

Damit darf ich mich im Resultat einverstanden erklären, nicht ganz in der Begründung. Enthält wirklich der Art. 654 Satz l H.G.B.'s nur eine durchaus positive Bestimmung über den Inhalt der Konnossementsobligation, nach deren Detrak- tion eine fUr Konnossement und Ladeschein identische Grund- obligation zurückbleibt ' ? Oder liegt die Sache vielleicht so, dass die Konnossementsforderung die normale, nämlich voll- kommen ausgebildete >Skripturobligation< ist, die Ladescheins- fordenmg weniger vollkommen, »hinkend«, aus besonderen Gründen abgeschwächt oder, wohl richtiger, im Verkehr und Recht nicht in gleicher Konsequenz entwickelt?

In diesem Sinne hatte ich vor Jahren als Referent eines dem ersten Senat des Reichs-Oberhandelsgerichts vorliegenden Streitfalles' die Frage behandelt; sie kam damals aus be- sonderen Gründen nicht zum Aastrag. Und es mag so die Veröffentlichung meines damals erstatteten Votums auch jetzt nicht verspätet erscheinen.

Der an Order gestellte und in der Hand des Remittenten befindliche Ladeschein enthielt das Anerkenntniss des beklagten Schiffers , » 1400 Zentner guten, gesunden und trockenen Winterrübsen wohlkonditionirt empfangen zu haben« , sowie die Verpflichtungserklärung des Schiffers, >dieselbe Quantität in eben der Beschaffenheit an die Order der Klägerin wieder- abzuliefernc, mit dem Zusatz; »Aus der Ladung sind vier Proben entnommen, wonach ich zu liefern habe.«

Es entstand 'die Frage, ob, abgesehen von der letzten Klausel, dem Beklagten wider die Richtigkeit seines Anerkennt- nisses der Gegenbeweis zu versagen sei. In einem früheren, gleichfalls von mir referirten Falle hatte der I. Senat des Reichs-Oberhandelsgerichts sich der Bejahung zugeneigt, jedoch die Frage unentschieden gelassen (vgl, Entsch. des R.O,H,G.'s VIII S. 411 ff., wo in der Note die Citate aus der Ham-

* I(A babe Irfllier i.iisgeftlhrt, dus Siii i des Art. 654 nur ein Folge- (bU, nicht der einiige, «di der juiistiicheii Natur der KonnosieimeDtsfordemiig, einer lediglich i.at der Schrift beruhenden nnd der Schrift ^mlsien Forde- mog (•Skripturobligationi) bl : Mein Handbuch § 73 Note 8 ff., iDibei. Note 14- Vgl, die S. 136 Note 3 dtiiten Enticheiduiigen de* R.O.H.G.'s und U. des ReichtgerichU I. CS. 16. Apnl 18S1 (Entich. IV S. g?}.

" In Sachen A. Reimoer Söhne c. C Mejet. Rep. 1157/74- A»f dieies Votum verweist jeut auch t. Hahn II (2. Aufl.) 5. 6S3 Note 5.

V. Der L«deuh«iD. 129

bur^er Praxis irrtbümlich in Satz 1 statt in Satz 2 gatellt sind, und VI S. 107). Im vorliegenden Falle hatte der Appellations- richter {Kammetgericht Berlin) den Gegenbeweis zugelassen,, anter Berufung auf seine konstante Praxis (Tgl. jedoch das ältere Urtbeil von 1866 im Centralorgan N. F. IH S. 368 H.).

Mein Votum ging auf Bestätigung des angefochtenen, Urtheils.

)Zunächst ergibt sidi, dass die Praxis des Kammef- gerichts entspricht der Praxis des (ehemaligen) preussischen Obertribunals (1865: Busch's Archiv IX S. 270ff., 1867: Striethorst's ArcMv LXVni S. 174ff. und Zeitschf. XIX S. 583), sowie der hamburgischen und bremischen Gerichte, mindestens insofern, als sie dem Schiffer deü Nadhweis ent- schnldbaren Irrthums freiläs&t (Hamburger Handelsgerichts- zeitung 1868 Nr. 238, 1870 Nr. 261, Centralorgan N. F. IX S. 9ff,). Verwandt ist die Ansidit v. Hahn's, Kommentar 11 S. 501, 502 (jetzt 2. Aufl. S. 682, 683), vgl. An schütz und v. Völderndorff, Kommentar III S. 461 s. jedoch S. 126 ff. , dass der Aussteller des Ladescheins nof für die von ihm verschuldete Unrichtigkeit der Waarenbezeichnung auf Ersatz des hierdurch dem Inhaber des Ladescheins er- wachsenen Schadens hafte.

Andererseits hat in einem bereits vor Emanation des- Handelsgesetzbuchs ergangenen Urtheil vom 9. Dezember 1861 das Ober-Appellationsgericht zu München (Seuffert's Archiv XV Nr. 49) auf die Ladescheine der Binnenschiffer schlechthin die Grundsätze des Seekonnossements angewandt, and es findet diese Auffassung auch in der Doktrin zahlreiche Vertreter: Gad, Handelsrecht S. 299f.; Endemaiin, § 178' [ebendort 4. Aufl.] (und jetzt im Handbuch II S. 39); Bluntschli-Dahn, Deutsches Privatrecht S. 489; Puchelt, Kommentar S. 854, 855 (in der 2. Aufl. II S. 407, 408 ist mit Recht die Berufung auf die >zweifellose Ansicht des Reichs-Oberhaudelsgerichts« in Wegfall gekommen [vgl. 4. Aufl. U S. 1266]).

In meinem Handbuch habe ich bemerkt (§75 Note 94): Inwieweit eine Haftung für Qualitäts- und Quanti- täts-Angaben im Ladeschein anzunehmen, ist nach dem zu ermittelnden Willen der Betheiligten und den Umständen bezw. nach Handelsgebrauch festzustellen,

Goldicliniiilt, Vermiichle Scbrifien. H. g

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130 MUceUen zur Theorie der Werthpapiere.

im Zweifel jedoch greift die Analogie der Konnosse- mentsgrundsätze Platz. Auch nur eine derartige Präsumtion halte ich in der an- gegebenen Richtung nicht mehr für begründet, nachdem ich mich genauer über das im Binnenschiffahrtsverkehr übliche Verbalten der Betheiligten informirt habe*),

So unbedenklich nämlich davon auszugehen ist, dass der geschichtlich dem Konnossement des Seeschiffers nachgebildete Ladeschein, gleich dem ersteren, eine einseitige, nur auf der Schrift beruhende Verbindlichkeit zur Auslieferung des in demselben bezeichneten Frachtgutes begründet, und dass zur Ausfüllung gesetzlicher Lücken die Grundsätze vom Konnosse- ment verwendet werden dürfen,

Protokolle S. 4768, 4769, 4770, vgl. auch hamburger Handelsgericbtszeitung 1874 Nr. 26, so bedarf doch eine derartige Verwendung jedes einzelnen Rechtssatzes der sorgsamen Prüfung, and es lässt sich nicht allgemein, insbesondere nicht für den hier in Frage stehenden Ladeschein eines gewöhnlichen Flussschiffers, an- nehmen, dass eine gesetzliche oder doch auf dem Willen der Betheiligten beruhende Verantwortlichkeit des Schiffers für die in dem Konnossement enthaltene Qualitätsbezeichnung bestehe.

Die Art. 653 und 654 des H.G.B.'s bestünmen:

Das Konnossement ist entscheidend für die Rechts- verhältnisse zwischen dem Verfrachter und dem Em- pfänger der Guter; insbesondere muss die Ab- lieferung der Güter an den Empfänger nach Inhalt des Konnossements erfolgen.

Der Verfrachter ist für die Richtigkeit der im Konnossement enthaltenen Bezeichnung

•) Von besonderem 'Gewicht war mir die Aiuknnft meine» iniwischen (lS8l) verstorbenen Brüden, des Geh. Kommeraiennths Goldschmidt in Danilg, welcher als vieljEhriger Vorsteher der Aeltesten der dortigen Kaof- mannschof t , als Richter am Kommeri-Kotleg und Inhaber eines srotsen Ge- trdde-KommiMionsgesehSfts die Uebongen namentlich der Weichielschiltiihrt g«ian kannte. Er erkUrte mrine nunmehrige Anffimnog >I» die in der KanT- mannswelt allgemein and ausnahmslos geltende. Man lege auf das Bekenotniss im L*deschein kein erhebliches Gewicht, viel gtSsseres auf die Probe« ; die Klatnel ^Inhalt nnbekannt* komme in Ladescheinen polnischer Stro mschifTer nicht vor und wflide verdichtig erscheinen.

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V. Der Ladeschein. 131

der abgeladenen Güter dem Empfänger ver- antwortlich.

Diese Gnmdsätze stehen in genauer Verbindung mit deo Be- stimmungen der folgenden Artikel 655, 656, 657, 660, welche die Verantwortlichkeit fUr die richtige Bezeichnung verpackter oder in geschlossenen Gefässen übergebener Guter modificiren, Statthaftigkeit und Wirkung der üblichen, die Verantwort- lichkeit abschwächendes oder beseitigenden Klatiseln >In- balt unbekannt!, *Zahl, Maass, Gewicht unbekannte, regeln. Und wenn mit gutem Grunde behauptet werden darf, dass die hervorgehobenen Prinzipien der Art, 653, 654 H.G.B.'s sich als die natürlichen Konsequenzen aus dem Wesen der durch das Konnossement begrtlndeten Skripturobligation er- geben, so bildete doch eben die gesetzliche Anerkennung dieser Konsequenzen Gegenstand des lebhaftesten Streites, and sie sind nur in Verbindung mit den erheblich abschwächenden Bestimmungen der folgenden Artikel zur Geltung gelangt. Weder die deutsche Praxis und Theorie erkannte die Kon- nossemeotsangaben über Beschaffenheit und Menge der Waaren als schlechtbin verbindende, vielmehr regelmässig als nur enunciative an, noch ist das strenge Prinzip in Gesetz und Praxis der wichtigsten Handelsvölker bisher zum vollen Durchbnich gelangt:

Goldschmidt, Handbuch S. 687—690, insbes. Note 10, 13, 16. Der für Ladescheine maassgebende Art. 415 H.G.B.'s ent- hält die hervorgehobenen Bestimmungen der Art 653, 654 nicht Er begnügt sich mit dem Satze:

Der Ladeschein entscheidet für die Rechtsverhält- nisse zwischen dem Frachtführer und dem Empfänger des Gutes. Nimmt man hierzu freilich Art. 413 Abs. 2:

Der Ladeschein ist eine Urkunde, durch welche der Frachtführer sich zur Aushändigung des Gutes ver- pflichtet, und Art. 414 Abs. 1:

Der Ladeschein enthält :

1) die Bezeichnung der geladenen Guter nach Beschaffenheit, Menge und Merk- zeichen,

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132 Miscdlen im Theorie der Werthpipier«.

SO ist der Schluss statthaft, dass gegealiber dem Empfänger des Gutes schlechthin die im Ladeschein enthaltene Bezeich- nung von Beschaffenheit und Menge maas^ebend sei and ver- treten werden müsse. Der Schluss liegt um so näher, als in den meisten anderen maas^ebenden Beziehungen der Lade- schein ausdrucklich nach den Regeln der Konnossemente normirt ist, auch Art. 303 den Grundsatz der modernen Skripturobligationen, dass der Verpflichtete sich nur solcher »Einreden« bedienen könne, welche ihm nach Maassgabe der Urkunde selbst oder unmittelbar gegen den jedesmaligen Kläger zustehen, auf den Ladeschein zur Anwendung bringt wo- bei freilich zu bemerken ist, dass es sich in einem Falle dieser Art um keine Einreden handelt, daher auch ein Unter- schied zwischen indossirten und nicht-indossirten Ladescheinen nicht anzuerkennen ist, endlich, weil augenscheinlich die vom Gesetzgeber ja bezweckte Schaffung eines sicheren und nego- ciablen Umlaufspapiers eine derartige Normirung zu erfordern scheint.

Dagegen darf jedoch nicht anerwogen bleiben, dass gerade die hier in Frage stehende Konsequenz aus dem Wesen der Skriptur Obligation für das seit vielen Jahrhunderten in all- gemeiner Uebung der civilisirten Nationen befindliche Kon- nossement sich bisher keineswegs überall und auch im deut- schen Handelsgesetzbuch nur unter mannigfachen Kauteleu Geltung verschafft hat; dass der Gesetzgeber dergleichen Kautelen für den Ladeschein nicht aufgestellt hat, und dass dieselben auch im Binnenschiffahrtsverkehr keineswegs in Uebung sind, dass namentlich die wichtige und weittragende Klausel >lnhalt unbekannte hier nur selten oder gar nicht (z, B, nicht im polnischen Getreidehandel) vorkommt; endlich dass die wirthschaftlichen Unterlagen des Binnenschiffahrts- verkehrs erfahrungsmassig von denen des Seefrachtverkehrs erheblich abzuweichen pflegen. Der letztere wird regelmässig nur in grosseren mthi oder minder kostspieligen Fahrzeugen durch Einzelne oder durch Gesellschaften (Rhedereien, Aktien- gesellschaften u, s. f.) nach kau&nännischen Grundsätzen be- trieben. Der Verfrachter pflegt nach Vermögenslage, Erfahrung und Schulung mit dem Umfange der durch Gesetz, Usance oder ausdrückliche Uebereinkunft auferlegten Verpflichtung ausreichend vertraut zu sein. Die Hilfepersonen, deren er sich

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V. Der LadetchetD. 133

im Frachtgeschäft bedient, pflegen erfahrene und nicht bloss seemännisch gebildete Männer xa sein, welchen an den Ab- lade- und LOscbungsplätzen noch dazu sehr häufig Agenten oder GescfaähsCremide der Rhederei zur Seite stehen. Altes dies verhält sich in dem gewöhnlichen Binnenschiffahrtsver- kehr anders. Die Verfrachter sind hier meist Einzelunter- nehmer, von geringer geschäftlicher Erfahrung und kleinem Vermögen, für ihren Beruf mehr oder minder nothdürftig ge- schalt, persönlich mit einigen Knechten an der Ausführung des Transports betheiligt, nach ihrem Bildungsgange mit ge- schäftlichem Brauche nicht vertraut und zum Verständniss komplicirter Geschäftsverhältnisse nidit geeignet. Es ist daher billig und gerecht, dass das Gesetz diesen Unterschieden Rech- nung trägt.

Dies ist in zahlreichen Beziehungen geschehen. Während die Uebemahme der Beförderung von Gütern oder Reisenden zur See ein absolutes Handelsgeschäft, H.G.B. Art. 271 Ziff. 4, ist das Geschäft des auch den Schiffer einschliessenden Binnen- FracbtfUhrers ein nur relatives Handelsgeschäft , H.GJB. Art. 272 Ziff. 3, und gelten gewöhnliclie, mit dem blossen Personentransport befasste Transportunternehmer Überhaupt nicht als Kaufleute, H.G.B. Art. 272 Ziff. 3 verb. mit Art. 4. Während der Rheder schlechthin Vollkaufmann ist, sind die gewöhnlichen Schiffer nur Kaufleute minderen Rechts und minderer Pflicht, H.G.B. Art, 10. Demgemäss waren von der ursprünglich statuirten Zwangspflicht zur Ausstellung von Ladescheinen {bezw. entsprechenden Frachtbriefsduplikaten) die gewöhnlichen Fuhrleute und Schiffer ezimirt, wie denn über- haupt das ganze Institut der Ladescheine nur mit Rücksicht auf die grösseren Transport-Unternehmungen vertheidigt wurde (Protok. S. 1240—1247), bis mit dieser Zwangspflicht auch die Ausnahme wegfiel:

Goldschmidt, Handbuch §75 Note 80, 91 (S. 760, 763).

Endlich wurde, nachdem erst in der Berathung des See- rechts die entsprechenden Bestiomiungen der Konnossements- lebre ihre gegenwärtige definitive Gestalt erhalten hatten, zwar in der dritten Lesung der vier ersten Bücher bean- tragt, deilt gegenwärtigen Art. 415 (II. Nürnberger Entwurf Art. 387) eine dem gegenwärtigen Art. 653 des Gesetzbuchs

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134 MiicelleD ixa Theorie der Werthpapiere.

entsprechende Fassung zu geben, dieser Antrag jedoch mit 12 gegen 1 Stimme abgelehnt. Es wurde darauf hingewiesen, dass die Verhältnisse bei Konnossementen und Ladescheinen nicht vollkommen gleich seien ^ dass es für den Ladeschein an allen Vorschriften tiber die Anwendung und Auslegung der Klausel alnhalt unbekannt« fehle-, dass der Antrag zwischen den verschiedenen Fällen, wo die Güter verpackt und wo sie lose tibergeben seien, nicht gehörig unterscheide; dass die entsprechenden und keineswegs selbstverständlichen Vorschriften des Seerechts mit dessen Bestimmungen über die üblichen Klauseln ein zusammengehöriges Ganzes bildeten und es da- her angemessen sei, die Frage, wie weit der Frachtführer den Ladeschein in den angegebenen Beziebtmgen zu ver- treten habe, der Beurtheilung nach den Umständen der einzelnen Fälle anheimzugeben: Protok. S. 4771—4774.

Schon bei der früheren Berathung aber war darauf hin- gewiesen worden, wie das ganze Institut sich nur für gröfsere Schiffahrtsuntemehmungen eigne, imd dass, wenn man auch bisher schon im Flussverkehr sich häufig der Konnossemente bedient habe, ihnen doch in der gerichtlichen Praxis die Kraft von solchen nicht beigelegt worden sei, weil der kleinere Frachtführer selten im Voraus die Bedeutung eines derartigen Papiers zu würdigen vermöge: Protok. S. 1240-1243.

Auch der neueste, durch eine Kommission des Deutschen Handelstages festgestellte Entwurf eines Gesetzes zur Rege- lung der Verhältnisse der Fluss- und Binnenschiffahrt, Berlin 1869, will zwar § 58 den Kahnschiffer für die Richtigkeit der im Ladeschein enthaltenen Bezeichnung der abgeladenen Güter dem Empfänger verantwortlich machen, aber doch nur, indem er gleichzeitig Bestimmungen über die entsprechenden Klauseln trifft, und die Motive S. 51 heben ausdrücklich hervor, dass diese Grundsätze bisher für die Binnenschiffahrt nicht ge- golten haben.

Enthält so das bestehende Gesetz eine Regel für Fälle der vorliegenden Art nicht, und kann, zumal unter der Herr- schaft entgegenstehender Praxis des höchsten preussischen Landesgerichtshofs, sich schwerlich eine Ueberzeugong der Be- theiligten gebildet haben, dass durch die blosse Unterzeichnung

V. Ladeschein. 135

eines Ladescheins, weicher f ormularmässig eine gewisse Qualität der eingeladenen Guter angibt, eine Garantie für diese angegebene Beschaffenheit dem Empfänger gegenüber tlbemommen werde , so entbehrt der erhobene Angriff der rechtlichen Begründung. Ob es bei schuldbarer Unter- zeichnnng eines unrichtigen Ladescheins sich anders veriialten würde, bedarf [keiner Erörterung, denn Klägerin behauptet selbst nicht, dass der Verklagte im Stande war, die mangel- hafte, von ihr bestimmt verneinte Beschaffenheit des Rübsens zur Zeit der Unterzeichnung des Ladescheins zu erkennen.«

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DIE

KREATIONSTHEORIE

UND DER

ENTWURF

EINES

BÜRGERLICHEN GESETZBUCHS

fOr das DEUTSCHE REICH.

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I.

Es ist eine peinliche Wahmehmung , denn sie erweckt Zweifel an der Gesundheit unseres nationalen Rechts- bewusstseins , dass über die so wichtige Frage, ob die Ver- pflichtung aus Inhaber- und Order-Papieren bereits durch Fertigstellung der Urkunde oder erst durch deren Weggabe (Begebung?) begründet werde, seit einem Menschenalter ein, man darf sagen, mit steigender Lebhaftigkeit geführter Kampf entbrannt ist. Denn auch, nachdem diese Frage, welche ur- sprünglich nur im Gewände konstruktiver Spekulation erschien, auf das noch bedeutsamere Gebiet der praktischen Rechts- folgen hinübergeleitet ist, stehen sich die Ansichten vielleicht gleich erfahrener und wissenschaftlich eindringender Juristen auch über das, was Treu und Glauben, was die Interessen und die Sicherheit des Verkehrs erheischen, somit über diejenigen Anforderungen , welche nach dem Rechtsbewusstsein der Gegenwart an eine gerechte und zweckmässige Rechts- ordnung in Gegenwart und Zukunft zu stellen seien, schnur- stracks entgegen. Wenn Kuntze, Endemann, Wind- scheid, Dernburg u. A. es nur zweckmässig und gerecht finden, dass ein von mir fertig hergestelltes Papier, welches eine Verpflichtung zu Gunsten noch unbestimmter Nehmer ausdrückt, auch dann meine Verpflichtung gegen jeden (nach Einzelnen : mindestens gegen jeden gutgläubigen) Nehmer be- gründe, wenn dieses Papier von mir an Niemand begeben oder auch nur weggegeben ist, vielmehr ohne, ja wider meinen Willen meinem Gewahrsam entzogen worden ist, wird eine zu dieser Konsequenz fuhrende juristische Konstruktion von einer sehr grossen, ja wohl noch von der weit überwiegenden Zahl der Juristen, unter denen sich gteichmässig gewiegte Kenner des römischen, wie des deutschen und des Handelsrechts, her- vorragende Rechtslehrer wie Praktiker befinden, als schlecht-

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140 I^c Krotioiistheorie und der Entwurf eioea bUrgerlklteu Getetibiiclia

hin zweckwidrig, ja ungerecht verworfen. So hat, um von den bekannten wissenschaftlichen Erörterungen dieser Streit- frage zu schweigen, der sechzehnte deutsche Juristen- tag 1882 (Referent Brunner) sich gerade de lege ferenda sehr entschieden gegen die sog. Kreationstheorie erklärt, wenn- gleich fUr massenhaft emlttirte Inhaberpapiere nach Öffentlich angekündigter Emission oder nach thatsächlich erfolgtem Emissionsbeginn eine Konzession an das unterstellte Verkehrs- bedUrf niss für wUnschenswerth erachtet wurde (Verhandlungen II S. 227—238, 338—340). Dieser Meinungsäusserung wohnt naturgemäss, wenn amcb nicht gerade für streng wissenschaft- lidie, wohl aber für solche Fragen, weldie nur aus dem Rechtsbewusstsetn der Nation und aus lebendiger Gesammt- anschauung der VerkehrsbedUrfnisse gelöst werden können, ein sehr erhebliches Gewicht bei. Ein so erfahrener, seit mehr als einem Menschenalter im grossen Bankverkehr stehender Jurist wie Ladenburg hat schon 1865 (Archiv für Wechselr. XIV S. 290) gegen Kuntze ausgerufen: »Der Finder, der Dieb, der Räuber erlangen durch die Besitzergreifung des Papiers dieselben Rechte wie derjenige, welcher es von dem Aussteller erhalten hat. Diese Lehre, sollte man glauben, kann nicht von einem Rechtslehrer herrühren, denn sie lehrt Unredit; sie ist wider die Grundlage des Rechts, der Moral und der Sitte gerichtet ; sie bedroht den Verkehr und empört das Rechtsgefühl. Die Rechtswissenschaft wäre ihres Namens unwürdig, wenn sie dieselbe annahme.f Und der schweize- rische Jurist Carlin sagt jetzt (Zeitschr. XXXVl S. 16): »An diesem Einwurfe scheint uns die Kreationstheorie in Er- mangelung einer positiv-rechtlichen Bestimmung, wie sie z. B. der Entwurf eines deutschen bürgerlichen Gesetzbuchs § 687 vorschreibt, unbedingt zu scheitern.«

Es darf den Vertretern der Kreations^eorie der Vorwurf nicht erspart bleiben, dass sie es mit der Untersuchung, ob die Recfatssätze, welche sie mehr oder minder folgerichtig als Konsequenz ihres Theorems anerkennen oder wider Willen anerkennen müssen, auch wirklich in unserem gelten- den Recht begründet sind, ja nur dem Rechtsbewusstsein der Gegenwart (nicht dem einer möglichen Zukunft) entsprechen, sehr leicht nehmen. Denn ihr noch so scharfsinnig aus- gedachtes »Prinzip* ist doch nur dann richtig, falls die

für du Deauche Rekli. 141

diesem Prinzip eatsprecheodeD Recbtssätze besteheo, nicht, wenn sie sich logischer Weise aus einem uoterstellteo Prinzip aUeiten lassen. Ex jure quod est, regula suma- tur. Charakteristisch in dieser Hinsicht sind die Aeasserungen Endemann's, Das deutsche Handelsrecht:

In der 3. Auflage (1876) hatte dieser Schriftsteller sich ziemlich unbestimmt darüber geäussert, ob schlechthin auch aus dem wider Willen in den Verkehr gekommenen Papier der Aussteller obligirt werde (S. 395 veib. mit Note 17 S, 407), auch keinen Versuch positiv-rechtlicher Begründung gemacht. In der 4. Auflage (1887) sagt er S. 380: »Von dem Wesen des Werthpapiers aus liegt die Antwort (ob die V'erpflichtung schon aus der Ausstellung oder erst aus der Begebung entspringt) am nächsten, dass der Aussteller durch die Ausstellung, bei der er sich der Verantwortung bewosst sein muss, die eigene Verbindlichkeit oder die Erfüllung des Dritten Übernimmt. Dafür spricht auch, dass das Recht auch aus solchen Order- und Inhaberpapieren geltend gemacht werden kann, die ohne oder gegen den Willen des Ausstellers des Papiers selbst oder der Uebertragungserklärung in Umlauf ge- kommen sind.« (Dazu Note 20: >Die Praxis scheint sich dieser Auffassung anzuschliessen : R.G. II S. 7, vgl. R.OJI.G. XIX S. 31« von diesen beiden allein citirten Urtheilen steht das letztere der Kreationstheorie entgegen s. Zeit- schrift für Handelsr. XXVIII S. 103 [oben S. 109] - und enthält das erste nur eine die Entscheidung nicht tragende Motivirung s. Zeitschr. für Handelsr. XXVIII S. 106 (oben S. 112]). >Indessen ist die Theorie nur theilweise geneigt , eine solche Bedeutung des Kreationsaktes anzu- erkennen« u. s. f. Dann heisst es S. 386: »Das Inhaberpapier ist Kreditpapier, das der Realisirung bedarf. Der Aussteiler steht kraft der Ausstellung für die darin versprochene Leistung ein.* Und dazu Note 12: >Kuntze' § 79 ff.: Die Kreations- theorie ist hier ganz unentbehrlich. Die Kreation liegt in der Unterzeichnung, die auch eine faksimilirte sein kann.c

Somit folgert Endemann die »Kreationstheorie« theils aus dem »Wesen« des Werthpapiers, theils, bei Inhaberpapieren wenigstens, aus ihrer Unentbehrlichkeit, und seine einzige posi- tive Stütze für den behaupteten Rechtssatz ist, dass die Praxis sich dieser Auffassung anzuschliessen »scheint«.

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142 Die Kreationstheorie and der Entwurf einet bürgerlichen Gesettbuchs

Ich finde nicht, dass irgend ein Vertreter dieser Theorie einen besseren Beweis erbracht hätte. Denn, wäre es auch wahr, dass in einigen oberstrichterlichen Entscheidungen die vielleicht oder sicherlich sachlich zutreffende Entscheidung unnötigerweise auf die Kreationstheorie gestutzt wäre, mit anderen Worten, dass der oberste Gerichts- hof, wie das ja auch sonst nicht selten begegnet, eine sachlich zutreffende oder, obwohl mit dem positiven Recht schwer ver- einbare, immerhin dem Rechtsbewusstsein der Gegenwart ent- sprechende Entscheidung in ein juristisch nicht zutreffendes Gewand gekleidet hätte, so würde doch dieser juristischen Deduktion nicht der Charakter eines Rechtssatzes zukommen, auch nur eines vom obersten Gerichtshof anerkannten und be- folgten Rechtssatzes. Man mllsste denn mit Thöl (Handels- recht, 6. Aufl., I § 225 Note 8) in solchem gelegentlichen Ausspruch des obersten Gerichtshofs die Statuirung eines »Gewohnheitsrechts« finden was ebenso gefährlich wäre, wie es unserem bestehenden Recht widerstritte.

Da ich die von den Vertretern der Kreationstheorie (Kuntze will in diesen Urtheilen nicht sowohl die Kreations- theorie als iRedlichkeitstheoriet anerkannt finden) immer wieder allegirten Urtheile bereits einmal genau analysirt und auf ihren wahren Werth zurückgeführt habe (Zeitschrift XXVIII S. 180 ff., oben S. 108 ff.), so erübrigt der Nachweis, dass niu- eine sehr flüchtige Lektüre zu der Annahme führen kann, der oberste Gerichtshof habe die Kreationstheorie adoptirt. Das erste und wichtigste dieser Urtheile (Entschei- dungen des R.O.H.G.'s Bd. XVII S. 105«., II. Senat, 27. Fe- bruar 1875) entscheidet den Fall, dass der mit der Emission fertig hergestellter Inhaberpapiere beauftragte Sachfuhrer die- selben nach Widerruf des Emissionsauftrages begibt, um deren Erlös im eigenen Nutzen zu verwenden. Die Haftung des Papierausstellers stützt der oberste Gerichtshof in diesem Falle nicht darauf, dass der Aussteller bereits durch die Ausferti- gung des Papiers obligirt gewesen sei, sondern darauf, dass derselbe durch den Akt der Ausstellung eine Garantiepflicht Schadensausgleichungspflicht? bei missbräuchlicher Be- nutzung übernahm. Gelangt man aber nicht zu dem gleichen praktischen Ergebniss, falls man den die Haftung des Aus- stellers gegen gutgläubige Nehmer rechtlich bewirkenden Um-

lUr du Deutsche Reich. 143

stand nicht in die Ausstellung des Papiers, sondern in dessen Anvertrauung an den ungetreuen SachfUhrer (Mandatar, Depositar) findet? Unzweifelhaft lässt sich ja mit guten Gründen (s, auch, obwohl in der Motivirung vielleicht nicht ganz zutreffend. Brunner in Endemann's Handbuch II S. 167 Note 17) die Annahme vertreten, dass ein nicht ge- stohlenes oder verlorenes, sondern veruntreutes (unter- schlagenes) und dadurch (von dem ungetreuen Verwalter, Depositar etc.) in Verkehr gesetztes Inhaber- oder Orderpapier in dritter re<Üicher Hand Recht wider den Aussteller gibt. Man darf innerhalb eines Rechtssystems, welches wie das deutsche Handelsgesetzbuch und das in casu einem bremi- schen Fall maassgebende bremische Recht den Grundsatz >Hand wahre Hand* in aller Schärfe durchführt, die Anwen- dung dieses I^inzips auf einen derartigen Fall, sei es direkt (die Begründung, welche hier etwas zu umständlich ausfallen würde, könnte auf einer eingehenden Prüfung des Geltungs- umfanges von H.G.B. Art. 306 im Verhältniss zu den be- sonderen Vorschriften des Art 307 fussen), sei es mindestens analog, ohne Rechtsirrthum, sicher ohne Verstoss wider das nationale Rechtsbewusstsein für statthaft, ja fur geboten er- aditen; es könnte anch vielleicht die Gesetzgebung veranlasst sein, zur Absclmeidung von Zweifeln einen derartigen Rechts- satz aufzustellen. Allein es bedari keiner Ausfuhrung und dies hat leider die imnOthiger Weise weit über das praktische Ziel der Entscheidung hinausgreifende Rechtsdeduktion des Reichs-Oberhandelsgerichts Übersehen dass der Fall, da der Aussteller des Inhaberpapiers dasselbe einem EJritten zur Aufbewahrung und sogar zur eventuellen Begebung Über- gibt und damit dessen Treue vertraut, und der Fall, dass das im Besitz des Ausstellers gebliebene Papier demselben wider Willen entzogen wird , sehr weit auseinanderliegen ' ; es ist durchaus petitio principii, dass diejenige ratio, welche das

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dam die in dem P&pier benrkuDdete Obligation anch lur Geltnng konunC, weaii die FBpiere dem AanUUer >ge«lo1ilen* vorden und in die Hand da» bona- fide-Erwerben kommen, lo hat er jetit (4. And. S. 37 [5. Aufl. ebendort]) an die Stelle des Wortes igettohlena du Wort 'Teruntteut> gesetzt, und die AntoritiU de* Rdcbi-Oberhandel^ericht*, welche et Mbtt tOi die Wirkiaiiikdt der igestohlenen* Papiere angerufen hatte, jettl mit betserem Grond nor für

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144 Ilie Kieatioustheorie and d«i Entwurf etna bUrgerliclien Gcsetcbnchs

Gesetz bei dem vom Aussteller bereits begebenen Inhaber- papier Über den Grandsatz »Hand wahre Handc hinausgehen lässt (Art. 307 im Verhältniss zu Art. 306 H.G.B.'s), für das noch nicht begebene, ja nicht einmal ans der Hand des Aus- stellers mit dessen Willen herausgekommene Papier zutreffe.

Die zweite Entscheidnng, einen Wechsel betreffend (Ent- scheidungen desR.O.H,G.'s XIX S. 31 ff.) Teineint die Kreations- theorie nnd lässt die Frage über das Recht ^terer (gut- gläubiger) Nebmer ganz korrekt unerOrtert (s. Zeitsdir. XXVHI S. 102 ff. [oben S. 109 ff.]). Ein drittes Urtheü (5. Cml- senat des Reichsgeridits, 19. Juni 1880: R.G. II S. 66) moti- virt eine unzweifelhaft richtige Entscheidong, nänüich dass ein schenkongsweise ausgestellter und ao^ehändigter eigener Wechsel als »übergebcne Sache, im Sinne des preuss, Rechts (A.L.R. I, U § 1065) gilt, mit dem beiläufigen, die Entschei- iang gar nicht tragenden und recht unklar gefassten Satze, dass der Wechsel bereits vor der Aushändigung eine beweg- liche Sache sei, welche sogar durch die Cirkulation ohne den Transportwillen des Ausstellers wechselmässige Ansprüche zq begründen geeignet sei.

Diesen Urtheilen, von denen jedes ohne die an die Krea- tionstheorie direkt oder indirekt anklingenden Entscbeidungs- grUnde zu durchaus gleichem Ergebniss gelangen musste, steht gegenüber eine sehr beträchtliche Zahl von Urtheilen des obersten Gerichtshofs, welche direkt sich gegen die Kreations- theorie erklären. So die bereits in der Zeitschr. XXVIII a 103, 104 [oben S, 111 ff.] analysirten Urtheile vom 1. Oktober, 16. Oktober 1880, 2. März und 27. September 1881 (Bitsch. II S. 90, 97, IV S. 255, V S. 82), welche sich sämmtlich auf Orderpapiere (Wechsel) beziehen. Vgl. aiich Entsch. des R.O.H.G.'s XVn S. 336 und 406'. Ein weiteres Urtheil des

die >veruDtrenteii< in Ansprach genommen. Wenn aber Detubnrg noch jetzt in der Note i6 Tonnthrt^ •Gegen diese Ansicht hat seh erklan Gold- schmidt, Rezension in seiner Zeitschr. Bd. 33 S. 307', so dbecsieht Dern- burg; audiülender Weise, d&ss ich mich ui der dtirten Stelle nicht gegea das praktische Ergebniss der Entscheiducg , sondern gegen deren Deduktion ausgesprochen und dasi ich Zütschr. XXVIII 5. 100 sehr scharf iirischen ge- stohlenen und venintreuten Inhaberpapieren untecKhieden habe.

S. anch Lehmann, l.ehrbuch des dentschen Wechseliechts S. zot 304, Auch De rn bürg gibt jetzt lu (4. Aufl. S. 37 Note 16 [ebendoit J. Aufl.]): >Die Theorieen der Reich^erichte sind übrigens keinesw^s miteii»adei konform.'

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fBr du DentKhe Reicfa. 145

m. Civilsenats vom 12. Juni 1885 (Entsch. XIV S. 22 ff.) führt ans: »Der Vorinstanz ist zuzugeben, dass die Ent- stehung einer jeden Wechselverbindlichkeit durch den Abschluss eines Wechselvertrages bedingt ist und dass demnach die Einrede eines Wechsel- beklagten, er habe einen dem eingeklagten Wechselanspruch entsprechenden Wechsel vertrag nicht abgeschlossen, aus dem Wechselrecht selbst hervorgeht, und somit gemäss Art. 82 W.O. an sich gegen jeden Wechselkläger vorgeschützt werden kann.< Demnächst heisst es, im Anschluss an die konstante Praxis, dass dieser Vertrag auch durch Geben und Nehmen eines Blancoaccepts mit der Wirkimg geschlossen werden könne, dass der Blancoacceptant auch für den vom Nehmer etwa vertragswidrig ausgefüllten Wechsel gutgläubigen Dritten haftet. In einem weiteren Falle, Urtheil des I. Civil- senats vom 24. Juni 1884 (Entsch. XIV S. 94 ff.), handelte es sich imi Inhaber- oder Orderpapiere, welche einem Dritten von der Ausstellerin mit der Ermächtigung übergeben waren, sie in Umlauf zu bringen.

Dies dürfte genügen, um die Berufung der Vertreter der Kreationstheorie auf die deutsche Praxis klarzustellen.

Die Kreationstheorie beruht aber auf unrichtigen ge- schichtlichen wie dogmatischen Prämissen. Dies soll noch in Kürze berührt werden.

Geschichtlich ist der von Kuntze und Sieget mit grossem Aufwand von Scharfsinn versuchte Nachweis, dass die Kreationstheorie, welche ja unstreitig im römischen Recht nicht ihre Wurzel hat, auf Prinzipien des deutschen Rechts beruhe, nicht nur völlig misslungen, sondern es ist auch von den gründlichsten Kennern der Quellen des deutschen Rechts, insbesondere von Brnnner, das volle Gegeatheil dargethan. Und wenn Dernburg (Preuss. Privatrecht, 4. [auch 5.] Aufl., II S. 25 ff.) in freilich sehr abgeschwächter und unbestimmter Fassung gleichwohl auf die angeblich >deutsche Rechts- anschauungc zurückkommt, indem zwar >in älterer Zeitc ein Begebungsvertrag erfordert sein mag, aber später doch die sehr lax behandelte Acceptation »ihre materielle Bedeutung verloren habe und schliesslich in gewissen Fällen absterben

GaldicIiiDidt, VumiicfaUi Schein«!. U. lO

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146 !)■< KrMtioutlieorie and der Eotwntf eb«« Uli|;eTUd)«i Gegettbuchi

musstei, so ist er sogar für diese Thatsache, so viel ich sehe, jeden Beweis schuldig geblieben. Dogmatisch lässt sich:

1. meines Wissens in unserem gesammten Recht nirgends der Grundsatz nachweisen, dass ein blosses intemum, das Nieder- schreiben einer Urkunde, wenngleich zu rechtsgeschäftlichen Zwecken, eine rechtliche Verpflichtung des Ausstellers dieser Urkunde zu erzeugen vermöge denn dass es mit dem Wechsel- accept, welches thatsächliche Annahme eines voraufgegangene» Vertragsantrages ist, sich anders verhalt, 'durfte ausreichend dar- gethansein (vgl. meine Ausführungen Zeitschr. XXVIII S. 84 ff. [oben S. 94 ff.] und Pappenheim ebenda XXXIII S. 449) noch dass in Ermangelung positiver Rechtsvorschrift eine Ver- pflichtung ohne bethatigten Verpflichtungswillen entstehe;

2. die Gesammtheit der unzweifelhaft für Order- und Inhaberpapiere geltenden Rechtssatze ohne die Kreations- theorie juristisch konstmiren ich komme zum Schlosse darauf zurück \ dagegen lassen sich allerdings die- jenigen Rechtssätze, deren Bestand eben nur be- hauptet wird, ohne dass für deren Existenz auch nur der Anschein eines Beweises erbracht wäre, nur mittelst der Kreationstheorie konstmiren. Diese Theorie ist so- mit nur ein vielleicht bequemerer Konstruktionsapparat für geltende Rechtssätze, dagegen gleichzeitig, und darin liegt ihre Gefährlichkeit und UnStatthaftigkeit, ein Konstruktions- apparat für eine unabsehbare Fülle nor erdachter, weder geltender noch auch nur zweckmässiger Rechtssätze.

IT.

War es auch bekannt, dass unter den Mitgliedern der Civilgesetzkommission sich Anhänger der Kreationstheorie be- fanden, dass insbesondere der Redaktor des Obligationenrechts, der scharfsinnige württembergische Obertribunals- Vizepräsident V. K Ü b e 1 sich bereits in der Vorlage des ersten Theilentwurfs ganz den Siegel 'sehen Deduktionen angeschlossen hatte, wie denn auch in Württemberg und nur hier ein Gesetz vom 16. September 1852, jetzt vom 18. Oktober 1879 Art 17, vgl. 16, die Staatsschuldenkasse anscheinend schlechthin (?) zur Einlösung »verlorener» Staatsschuldscheine gegen den gut- gläubigen Erwerber verpflichtet, so überraschte es doch, dass

flir du Deabche Reich. 147

der nunmehr vorliegende Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuchs die Kreationstheorie gleichsam mit Haut und Haaren adoptirt, ja sämmtlicbe von ein^lnen Schriftstellern deducirten Konsequenzen zu positiven Rechtssätzen, wenngleich nur für die Inhaberpapiere (alle?), gestaltet. Diese Auffassung, heisst es in den hier ungewöhnlich dürftigen Motiven n S. 695, welche »entgegen der Vertragstheorie die rechtliche Verpflichtung des Ausstellers zu der in der Schuld- verschreibung bezeichneten Leistung in der verbindlichen Kraft des in der Urkunde erklärten einseitigen Verpflichtungswillens findet, hat in der Doktrin, wie in der Praxis der Gerichte, stetig fortschreitende (! !) Anerkennung gefunden <. In der That finden auch die wichtigsten Rechtssatze Über das aus der Aus- stellung von Schuldverschreibungen auf Inhaber entstehende obligatorische Verhältniss, welche an sich heutzutage kaum noch einer Anfechtung ausgesetzt sind, nur in jener Auffassung ihre natürliche, der Absicht des Ausstellers derartiger Ur- kunden entsprechende Erklärung^. Die Auffassung des Ent- wurfs ist also augenscheinlich nur als Konstruktivsatz für ge- wisse unbezweifelte Rechtssatze gemeint es ist nicht gesagt, welche Rechtssätze zu den unzweifelhaften gerechnet werden; indessen aus der Ausführung der Motive S. 697, auf welche ich zurückkomme, scheint hervorzugehen, dass gewisse vom Entwurf aufgestellte Rechtssätze aus andern als konstruktiven Gründen, nämlich aus Zweckmässigkeitsgründen adoptirt sind. In ihrem Zusammenhang lauten die hier einschlagenden Rechtssätze des Entwurfs wie folgt:

1.

§ 342. Das einseitige, nicht angenommene Ver- sprechen ist unverbindlich, sofern nicht das Gesetz ein Anderes bestimmt.

§ 343. Wird ein einseitiges Versprechen von dem Gesetze als verbindlich anerkannt, so finden auf das daraus entstehende Schuldverhältniss die für Schuld- verhältnisse aus Vertragen geltenden Grundsätze ent-

Die Note hieraa citirt Windscheid, HaienöbrI (vgl. Über dessen AnifllhniiigeDKiasnopoliki In der Zdttcbr. Hr Hudelr. XXXIV S. 583^.), Eccint und die beiden wiedarbolt beiprocbeDea EDtscheidimgen: R.OJLG. XVn S. 150 E Senffert'« Arch. XXXI Nr. »77 und R.G. IV S. 177.

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148 I^is Krektionttheorie und der Entwurf dnes bttTgerlkhen Goedbuclu

sprechende Anwendmig, soweit nicht das Gesetz ein Anderes bestimmt.

Die obligirende Kraft des einseitigen Versprechens bildet so, nach dem Entwurf, einen nur in den gesetzlich bestimmten Fällen zugelassenen Ausnahmefall. Ausnahmsweise zugelassen werden im Gesetz (Entwurf) nur drei Fälle: »Schuldverschrei- bung auf Inhaber (§§ 685—703), die Auslobung (§§ 581 bis 589) und die Stiftung« 58) wie auch in den Motiven II S. 175 ausdrücklich hervorgehoben wird, doch soll die An- wendung auf »rechtsähnliche Verhäitnissei (Entw. § 1) nicht ausgeschlossen sein.

Mir scheint § 342 Überflüssig zu sein, insofern ja der Ent- wurf selbst zu erkennen gibt, welche nicht vertragsmässigen Verpflichtungen er anerkennt; schädlich, weil der ja möglichen richterlichen Anerkennung anderweitiger einseitiger Zusagen (z. B. der einseitigen Erklärung des Uebemehmers eines Handelsgeschäfts, er wolle die Geschäftsschulden zahlen) trotz der Verwahrung der Motive, ein Riegel vorgeschoben und damit, zumal in Verbindung mit der so prinzipwidrigen Aus- schliessung des Gewohnheitsrechts 2) der gesunden Rechts- entwickelnng eine unerträgliche Fessel angelegt wird.

§ 879 bestimmt, dass ein Inhaberpapier (nicht bloss »eine Schuldverschreibung auf Inhaber') tmgeachtet mangelnden Eigenthtuns des Veräusserers auch dann, wenn es ohne den Willen des EigenthUmers oder des Inhabers aus deren In- habung gekommen ist, in das von dinglichen Lasten und der- gleichen freie Eigenthum des redlichen Erwerbers übergeht, welcher dasselbe durch einen, mit körperlicher Tradition ver- bundenen, auf Eigenthumsverschaffung gerichteten Veräusse- rungsvertrag erworben hat. Dieser Rechtssatz entspricht, wie auch die Motive III S. 349 bemerken, dem zur Zeit nach Art. 307 H.G.B. geltenden Recht. Die Streitfrage, ob unter »Inbaberpapierc auch ein unvollkommenes (sogenanntes blosses Legitimationspapier) und ein vom Aussteller noch gar nicht begebenes Papier zu verstehen sei, wird weder im Entwurf selbst, noch in den Motiven berührt. Doch wird die zweite Frage im Sinne des Entwurfs, wenigstens für obligatorische Inhaberpapiere sicherlich zu bejahen, die erste im Sinne des

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Ar das Dentsche Rdch. 149

Entwurfs (vgl. § 685 in Verbindung mit §§ 702 , 703) an- scheinend zu verneinen sein.

Im Uebrigen spricht der Entwurf nur von »Schuldver- schreibungen auf Inhaber« , und stellt für diese ich will dafür den kürzeren, obwohl ja an sich umfassenderen Aus- druck »Inhaberpapierc brauchen folgende Rechtssätze auf: a) Gläubiger aus dem Inhaberpapier wird der jewei- lige Inhaber der Schuldverschreibung: § 685, d. h. nach § 797 ein Jeder, der auch nur momentan die thatsäcbliche Ge- walt über das Papier hat. Es ist somit Gläubiger nicht allein der EigenthUmer, der redliche juristische Besitzer, der juristi- sche Besitzer, sondern schlankweg jeder Detentor. Es ist ver- worfen die von Savigny und mir entwickelte, in neuerer Zeit immer allgemeiner anerkannte (vgl. z. B. Zeitschr. f. Handelsr. XXVIII S. 66, XXXIII S. 447) Eigenthumstheorie, mit ihrer scharfen Scheidung von Recht und von blossem Rechtsausweis (Legitimation), nicht minder jede Zwischentheorie; vielmehr macht die blosse Inhabung nicht allein formellen Rechtausweis, sondern materielles Recht. Dass insbesondere auch der un- redliche Inhaber, auch der Dieb, Gläubiger wird, sagt zudem ausdrücklich § 687:

»Der Aussteller der Schuldverschreibung darf dem Inhaber derselben die Leistung nicht deshalb verweigern, weil dieser die Schuldverschreibung in unredlicher Weise erworben hat, unbeschadet der Vorschrift des § 689.. Das »unbeschadet u. s. f.c heisst, dass der Aussteller sich gegen den Inhaber solcher Einwendungen bedienen darf, welche lin dem zwischen dem Aussteller und dem Inhaber bestehenden persönlichen Rechtsverhältnisse sich gründen*. Danach hat freilich der Aussteller ganz Kuntze's Deduktion entsprechend exceptio doli gegen den Inhaber, sofern dieser Mandatar, Depositar u. dgl. des Ausstellers, Dieb vom Aussteller ist u. s. f. nicht dagegen, wenn der Inhaber das Papier einem Anderen, etwa dem Depoätar, Man- datar des Ausstellers u. s. f. veruntreut, ja gestohlen, geraubt hat. Juridisch ausgedruckt: was bisher nur hinsichtlich des

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150 Q>s KieBiianEtheorie nnd der Entwurf eine* bflrgerlichen Goetebnclit

Besitzschutzes galt, dass die auch wideirecbtltch erworbene Gewalt nur demjenigen weicht, gegen welchen sie fehlerhaft erlangt ist (exe. vitiosae |>o5sessionis ab adversario so auch b. Entw. § 819, 820), wird zum Prinzip des schlechthin sogar an die Inhabung geknüpften Forderungsrechts. Ein schon für den Besitzschutz trotz dessen nur interimistischer, dem Recht nicht präjudizirender Tragweite, nicht unbedenkliches Princip wird zum leitenden Grundsatz für Forderungsrechte erhoben!

Nach dem Entwurf sind Gläubiger zahlreiche Personen, welche dies nach der Verkehrsanschaunng weder sind noch sein wollen: die Dienstmagd, welche die Biwknote, den Kupon u. s. f. zum Auswechseln oder zur Bezahlung des Kaufmanns in Händen hat, jeder Kassenbote, Depositar u. dgl. m., und zahlreiche Personen, welche nach bestehendem Recht wie nach unserem Rechtsbewusstsein dies nicht sein köimen : der Finder, Dieb, Räuber n. s. f. Weiter: in dem Augenblick, da das Papier aus der Hand des Berechtigten, gleichviel wie, in fremde Hände geräth, erlischt das Gläubigeirecfat des er^teren, und bleibt gleichwohl, gemäss § 879 (H.G.B. Art. 307) dessen Eigenthum am Papier bestehen; es ist das Eigenthnm nicht, was es verständiger Weise nur sein kaim, Voraussetzung des Gläubigerrecfats, sondern ein blosser Rechtsbehelf zur Wieder- erlangung verlorenen Gläubigerrechts.

Diese, wie mir und vielen Anderen scheint, höchst ver- zwickte Auffassung, welche gleichmässig dem Wesen des Eigenthums wie des Forderungsrechts widerstreitet, wird in den Motiven lediglich mit der apodiktischen, eben erst zu er- weisenden Behauptung begründet, dass der Inhaber als solcher der Gläubiger sei (S. 694, 697), und dass der Aussteller von Fällen gerichtlichen Zahlungsverbots 693) abgesehen weder Recht, noch mach der Natur der auf den Inhaber lautenden Urkunden ein berechtigtes Interesse daran habe, an wen er zu leisten hatc (S. 697). Ob derselbe ein thatsäch- liches Interesse daran hat, ist freilich thatsächliche Frage; sein rechtliches Interesse aber lässt sich in abstracto gar nicht bezweifeln, somit auch nicht, dass er berechtigt (wenngleich nur in den seltensten Ausnahmefällen verpflichtet) ist, gegen den Inhaber den Beweis des Nichtrechts zu führen. So sehr gehen dem Entwurf Sacheigenthum an der Urkunde und Gläubigerrecht aus derselben auseinander, dass die Motive

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fUr dai Deabche Rekh. 151

sich mit der Bemerkung begnügen (S. 694, 695): die Nor- mirung der an die Inliaberpapiere sich knüpfenden sachen- rechtlichen Fragen findet sich im dritten Buch.

b) Dieser ganze Komplex von Rechtssätzen soll gelten auch von dem vor jeder Begebung durch den Aussteller in fremde Gewalt gelangten In- haberpapier. § 686 lautet:

Der Aussteller einer Schuldverschreibung auf In- haber wird durch dieselbe auch dann verpflichtet, wenn die Schuldverschreibung dem Aussteller gestohlen oder von diesem verloren oder in anderer Weise ohne dessen Willen in den Verkehr gelangt ist. Die Verpflichtung wird dadurch nicht ausgeschlossen, dass die Schuldver- schreibung erst, nachdem der Aussteller gestorben oder geschäftsunfähig geworden ist, in den Verkehr gelangt. Man kann nicht umhin, die Kühnheit der Verfasser zu bewundem, welche ihrem Gedanken einen so völlig unzwei- deutigen Ausdruck geben. Ja, in den Motiven S, 697 wird gesagt, es kOmie dahingestellt bleiben, ob das Prinzip (Kreations- theorie) sich vom theoretischen Standpunkt rechtfertigen lasse, aach ob Wissenschaft und Praxis alle gezogenen Konsequenzen billige, aber die Sicherheit des Verkehrs, das Verkehrsbedürf- niss, erfordere nothwendig diese Sätze ; denn es könne vom Er- werber nicht verlangt werden, dass er die Schuldverschreibung daraufhin prüfe, ob sie von dem Aussteller ausgegeben oder ohne dessen Willen in den Verkehr gelangt sei.

Nun lässt sich freilich diese Prüfung dem Erwerber nicht ohne Beschwer zumutben, und es ist sogar weiter zuzugeben, dass auch die sorgfältigste Prüfung häufig ergebnisslos bleiben wird. Aber begründet diese Schwierigkeit als Rechtsfolge die Verpflichtung des Ausstellers? Schon früher habe ich darauf hingewiesen (Zeitschr. f. Handelsr. XXIII S. 307), dass hier ein Fall der Interessenkollision vorliegt und dass in der- artigen KonftiktsfäUen nicht absolut hinsichtlich der Gefahr&- tragung denn auf diese kommt es ja hinaus die An- forderung der Verkehrssicherheit oder der gute Glaube den Ausschlag geben. Denn nicht nur, dass in solchem Falte der wie zunächst fttr die Entscheidung der Prinzipienfrage vorauszusetzen ist völlig schuldlose Aussteller weit mehr

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152 Die Kieatioiiltheorie und der Entwurf eines bUrgerlichen Geseubncbt

beoachtheiligt wird als der vorsichtige Erwerber, welcher meist an seinen Autor sich zu halten in der Lage ist, so ver- stände sich ja obwohl Deroburg noch jetzt an der gegen- theiligen Behauptung festhält nach dem gleichen Prinzip von selbst, dass jeder Aussteller eines Scheines mit uner- kennbar verfälschtem Inhalt dem redlichen Erwerber in Gemässheit des verfälschten Inhalts zu haften hätte ^ weiter, dass, wer bona fide und nach sorgfältiger Prüfung auf eine verfälschte Anweisnng (Check, Tratte) gezahlt hat, gegen den Mandanten (Trassanten) in Gemässheit des verfälschten Scheines Revalirung beanspruchen dürfte, wohin ja das in der Zeitschr. fUr Handelsr. Bd. XXXII S. 200 ff. mitgetheüte, freilich refor- mirte Urtheil des Luzemer Bezirksgerichts augenscheinlich neigt. Ohnehin lässt sich Fälschung oder Verfälschung in der Regel durch Vorkehrungen leichter verhüten als Abhanden- kommen wider Willen.

In dem Augenblick, da ich das Papier unterzeichne, unter- stemple, wird es mir vom Räuber entrissen ; durch einen Wind- stoss auf die Strasse getrieben; entsteht ein Brand, in Folge dessen das Papier mit anderen Gegenständen unter die Menge geräth ; trifft mich ein Herzschlag und es nimmt irgend Jemand das Papier an sich während ich dieses Papier überhaupt nur bedingungsweise, nur gegen Entgelt, nur an eine be- stimmte Person begeben, bis zur Begebung im eisernen Geld- schrank aufbewahren woUte u. s. f. In allen diesen Fällen haftet der Aussteller (dessen Nachlass, Konkursmasse u. s. f.) ganz abgesehen von jedem Verschulden aus dem Papier, weil bereits mit der vollendeten Ausstellung die Verpflichtung begründet sei.

Diese Verpflichtung gründet sich augenscheinlich nicht auf den Willen des Ausstellers, kann daher nicht, wie der Entwurf thut, unter der Rubrik von >einseitigen, nicht angenommenen Versp rechen c imtergebracht werden. Denn richtig ist nur, dass ein »Versprechenc nicht ange- nommen, unrichtig, dals ein Versprechen ertheilt ist. Der Wille, zu versprechen, war einstweilen weder vorhanden, noch er- klärt, der Wille des Ausstellers war der gerade entgegen- stehende ; er wollte nicht schon jetzt, sondern, wenn überhaupt, erst durch die Begebung verpflichtet werden. Darüber ist gar kein Zweifel möglich; nur die Willkür juristischer Phantasie

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flir i»M Dentacbe Rdch. 153

vennag hier einen Verpflicbtangswfllen zu Engireo. Diese Obligation gründet sich viehnehr ausschliesslich auf den Willen des Gesetzes, sie entsteht nicht voluntate, sondern lege.

Nun kann das Gesetz freilich Alles, der Gesetzgeber ist omnipotent: >tbe parliament (the king in parliament) can do everything but make a woman a man and a man a womanc (Delolme) aber es bleibt doch zu prüfen, ob das Gesetz das UnveniUnftige bestimmen soll.

Weiter: ist nach dem Willen des Gesetzes, mit der Aus- stellung des Scheines die Verpflichtung begründet und sucht nunmehr nur noch der Schein, damit doch der Wille des Gesetzes durchgeführt werde, einen Träger, wird dieser Träger nach dem weiteren Willen des Gesetzes durch Delikt oder Zufall (Raub, Luftzug u. s. f.) bestimmt, so ist nidit abzusehen, weshalb das Gesetz eine durchaus natür- liche, man darf sagen, nothwendige Konsequenz nicht zieht- So gut der Schein seinen unbestimmten Rechtsträger sucht und in dem Dieb, dem Räuber, in Jedem, der sich des Papiers be- mächtigt, findet, muss ja auch der noch unbestimmte Träger das Papier, d. h. das laut Papier bereits fUr ihn bestehende Recht suchen können. Denn da im Uebrigen nach den Prinzipien unseres Rechtssystems Delikt oder Zufall nicht Gründe von Rechtserwerb sind, so verführe das Gesetz, welches für die Inhaberpapiere das Gegen- theil festsetzt, völlig konsequent, wenn es Jedermann eine Popularklage auf Aushändigung des Papiers gegen den Aussteller gewährte. Diese Klage wUrde man actio ex creatione, oder, allenfalls nach bekanntem Master: 1. 19 D. ad exbib. (10,4), actio ad exhibendum nennen. Mindestens würde aber doch, sofern der juristische Verstand gegen solche Klage des quivis ex populo Bedenken trüge, bei dem alternativen Inhaberpapier (Herrn A oder [und] Inhaber, to Mr. Smith or [and] bearer), und dem Orderpapier (Herrn A oder dessen Order) schwerlich dem benannten Desti- natar (Herrn A, Mr. Smith), kaum dessen erweislicher Order, diese Klage verweigert werden dürfen.

Augenscheinlich indessen erachten die Verfasser des Ent- wurfs, ungeachtet der angeblich zwingenden Gründe der Ver-

„GüOgle

154 Die Krefttioiutfaecirie nnd der Entwurf önet bUrgeTlichtD GcMtibucht

kehrssicherheit , die von ihnen beliebte Regelang nicht unbe- denklich. Sie schaffen daher ein SicherheitsTentil. Nach § 685 Abs. 3 kann :

>die Gültigkeit der Vollziehung durch einen auf der Urkunde anzut»ingenden Vermerk von der Bei- fügung eines bestimmten Zeichens oder Vermerks ab- hängig gemacht werden c, und es sollen, nach § 701 Abs. 4, »über die Form der Voll- ziehungf der von einem Bundesstaate angestellten Schuldver- schreibungen die Gesetze dieses Bundesstaats Bestimmungen treffen können. Soweit es sich nicht um Staatspapiere handelt, wird wohl konsequenter Weise den einzelnen Ausstellern (Pri- vaten, Gesellschaften, Korporationen n. s. f.) freigestellt sein, die Form wirksamer Vollziehung festzustellen.

Der Sinn dieser merkwürdigen Vorschrift ergibt sich aus Bd. II S. 696 der Motive. Es wird hier unterschieden zwischen der iHerstellung der Effektenformidaret, welche übrigens bereits unterzeichnet (bezw. mit äquivalenten faksimilirten Unterschriften versehen) sind und der »Ausfertigung dieser Formulare«; erst »mit der Ausfertigung werde die Er- klärung des Verpflichtungswillens vollständig«. »Zur Ver- meidung der Gefahr, dass der Aussteller auf Grund eines nur erst hergestellten, noch nicht ausgefertigten Effektenformulars in Anspruch genommen werden könnte, ist hiemach die weitere Bestimmung nöthig, dass die Gültigkeit der Vollziehung durch einen auf der Urkunde anzubringenden Vermerk von der Bei* fügung eines bestimmten Zeichens oder Vermerks abhangig gemacht werden kann.«

Zunächst ist die Richtigkeit dieser subtilen Unterscheidung zwischen »Herstellung« und »Ausfertigung« zu beanstanden, und das für diese Unterscheidung citirte Urtheil des Reichs- gerichts, Entsch. in Civilsachen XIV S. 96 ff., steht derselben nicht zur Seite. Die allerdings mitunter hergebrachte Kontrol- zeichnnng eines Dritten gehört so gut zur iHerstellung« wie zur »Ausfertigung! ; wo diese Kontrolzeicbnung üblich- ist, wird vor der Beifügung des Kontroizeichens bezw. der Kontrol- unterschrift das Papier als noch unfertig betrachtet. Der un- natürliche Gedanke aber, dass durch dieses Kontroizeichen (vielleicht eines Buchstabens) der »Verpflichtungswille erklärt werde«, so dass nunmehr eine fertige Obli-

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Rb im Deanche Reich. 155

gation im Rechtssinoe vorliege, d. h. nicht eine fertige Urkunde, sondern eine durch ihre blosse Existenz den Aus- steller verpflichtende Urkunde, liegt sicherlich den be- treffenden Institnten (Staatsscbuldenverwaltung, Aktienvereinen u. dgl.) völlig fem.

Vergegenwärtigt man sich weiter die praktische Trag- weite dieses Satzes, welcher eine Verpflichtimg aus dem Papier dann, aber nur dann nicht entstehen lässt, wenn man dem ausgestellten Papier seine >Unfertigkeit< ansehen kann, so darf man wohl sagen, solche mit dem betreffenden Unferdgkeits- vermerk versehene Papiere sind gewissermaassen im Voraus ausser Kurs gesetzt, ihre »Wiederinkurssetzungc erfolgt erst durch Beifügung des in dem Vermerk geordneten Kontrol- zeichens u. dgl.

Nun wird es sich häufig ereignen, dass beide Vermerke, der sospendirende und der die Sospendinmg beseitigende, sehr schwer wahrnehmbar sind; der eine wie der andere können gefälscht, von einem Unberechtigten aufgesetzt sein ; es kann der erst« Vermerk, welchem ein zweiter aufhebender nicht ge- folgt ist, unerkennbar getilgt sein u. s. f. Es hegt so die höchste Gefahr vor, dass gerade durch diese EinschiHnkong ein für den redlichen Verkehr, welchem die übrigen exorbi- tanten Satze des Entwurfs dienen sollen, unleidlicher Zustand geschaffen wird, noch unerträglicher als die gegenwärtige Verworrenheit hinsichtlich der Ausserkurssetzung and Wieder- inkurssetzung. Unter dem bestehenden Recht, nach welchem auch die vollendete »Aosfertigungt für sich allein noch keine Verpflichtung begründet, ist die übliche Kontroivorschrift durchaus zweckmässig imter dem System des Entwurfs könnte sie, ja die blosse Thatsache, dass ein derartiger Rechts- satz besteht, zur Diskreditirung aller aaf Inhaber gestellten Papiere führen.

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Liegt mm um von allem Anderen zu schweigen ein praktisches BedUrfniss vor, die Kreationstheorie legis- lativ zu Sanktioniren? Sind bisher in der deutschen Praxis irgend welche F^Ile an den Tag getreten, für welche vom Standpunkt einer anderen als der Kreationstheorie be-

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156 Kc Ktotioiutlieorie und der Entwiirf «inei bOrgeTlichen GeteUbncfas

rechtigten loteressen des redlichen Verkehrs der gebührende Schutz versagt hätte?! Ich finde in den Annalen unserer deutschen Gerichte keinen Fall, zu dessen sachgemSsser Entscheidung es der Kreationstheorie bedurft hätte, und es ist schon wiederholt bemerkt, dass alle unzweifelhaft feststehenden und not h wendigen Rechtssätze auch ohne die Kreationstheorie zu gewinnen sind. Wie wUnschens- werth es femer ist, dass der Gesetzgeber sich der Rechts- prinzipien, auf welchen seine Festsetzungen beruhen, klar be- wusst sei, so beruht der praktische Werth dieser Festsetzung doch lediglich darauf, dass sie den wirklichen Lebensbedürf- nissen und dem Rechtsbewusstsein der Nation entspricht; die juristische Konstruktion mag das Gesetz der Theorie über- lassen. Erst neuerdings durfte ich den Nachweis führen, wie gefahrlich der Versuch ausfällt, aus juristischen Deduktionen heraus legislative Feststellungen zu treffen, die Statthaftigkeit oder UnStatthaftigkeit von legislativen Anordnungen danach bemessen zu wollen, ob dieselben der, häufig missverstandenen, Theorie entsprechen oder nicht entsprechen '. Sind die in den §§ 685, 686, 687 aufgestellten Rechtssätze nothwendig, d.h. zum Schutze des redlichen Verkehrs so unerlasslicb, dass alle kollidirenden Interessen dahinter zurückstehen müssen, so mag der Gesetzgeber dieselben aufstellen, unbekümmert, ob dieselben sich aus irgend einer iTheorie«, >Konstruktionc u. dgl. herleiten lassen oder nicht Wer und das dürfte doch wohl die Mehrheit der deutschen Juristen sein diese Nothwendigkeit leugnet, wird diese ^tze auch dann verwerfen müssen, wenn sie sich aas einem für richtig erachteten Prinzip herleiten Hessen.

Die theoretische Erörterung über die Kreationstheorie dürfte wohl geschlossen sein. Wenigstens wüsste ich dem, was von mir und Anderen gesagt worden ist, nichts hinzu- zufügen. Nur auf eine neuerdings gemachte Bemerkung meines Freundes Dernburg muss ich noch eingehen.

Dem bürg behauptet jetzt (Preuss. Privatrecht, 4. [auch 5.] Aufl., 11 S. 28 Note 18), ich sei durch meine gegen ihn gerich- teten Ausführungen in der Zeitschr. für Handelsr. Bd. XXVIII

Meine Schrift: I^ Haftpflicht derGenoxen und das Unilage*erfi>iiren.

D,3,l,:a,.,,GüOgle

ffli du DentMh« Reicli. 157

S. UOff. [oben S. U4ff.] unbewusst und »wie sehr ich mich auch sträube < in die Gefolgschaft der Kreationstheorie eingetreten. Dernburg hat den spitzen Fall ausgesonnen, dass der erste Nehmer des Papiers erwerbsunfähig ist (ein Kind, ein Wahn- sinniger) und demnächst das Papier in die Hand eines redlichen erwerbsfähigen Nehmers gelangt. Die Möglichkeit eines der- artigen Sachverhalts ist ja zuzugeben , und es lässt sich auch die Ansicht vertreten, dass in diesem Falle der spätere red- liche Nehmer das Eigenthum am Papier (H.G.B. Art 307) und mit ihm das Fordeningsrecht erwirbt, obwohl augenschein- lich ein praktisches Bedürfniss zu einer derartigen Annahme nicht vorliegt und die grossen Schwierigkeiten, welche bei- spielsweise durch den verwandten Fall der Zulassung von Putativtiteln (si a furioso, quem sanae mentis putem, emero u. dgl.) in der Ersitzungslehre entstanden sind und noch bestehen, zu gewichtigen Bedenken führen. Allein den be- haupteten Satz zugegeben, so wird selbstverständlich die kon- struktive Subsumtion eines so anomalen Falles imter die nor- malen Recht^;rundsätze auf Schwierigkeiten stossen sogar die klassischen römischen Juristen haben sich an viel ein- facheren Problemen Jahrhunderte hindurch abgemüht.

Ich habe nun a. a. O. eine Konstruktion versucht, welche vielleicht ungelöste Bedenken lässt und mit einem zu komplizirten Apparat arbeitet. Aber auch dieser Konstruktion liegt doch das Prinzip zu Grunde, dass nur aus demjenigen Papier, welches der Aussteller mit dem Willen, sich einem successiven, noch unbestimmten Per- sonenkreis zu verpflichten, aus der Hand gegeben hat, eine Obligirung des Ausstellers entstehen kann, wenn nicht gegen den ersten, weil erwerbsunfähigen, so doch gegen spätere, erwerbsfähige Nehmer. Wie diese Annahme nun, selbst wenn die konstruktive Begründung un- richtig wäre, auf die iKreationstheoriei hinauskommen soll, d. h. auf die Verpflichtung des Ausstellers durch die blosse Niederschrift bezw. Unterschrift des ihm auch wider Willen entzogenen Papiers, bleibt mir unverständlich. Weiter aber lassen sich für diese Annahme auch sonstige Konstruktionsmöglichkeiten denken, welche sämmtlich zur iKreationstheoriei in Widerspruch treten, insbesondere die von Sohm allgemein, später vouGierke und Pappenheim

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158 Di* KreatioDtÜieorie und der Entwurf ein«* bdrgerlicbeii Goetilnicbi

(Zeitschr. für Handelsr. XVII S. 92 ff., XXDC S. 258, XXXIII S. 447 f (.) versuchte Begründung , dass die Weggabe des an einen unbestimmten Personenkreis gerichteten Papiers nur den ersten Akt des Vertrages, nämlich ein (hier skripturmassiges) Vertragsangebot (Offerte) darstellt, welches in der annehmen- den erwerbsfähigen Person, und natürlich nur in dieser, zum Vertrage und damit zur Verpflichtung des Ausstellers führt. Kann der Aussteller das Papier, bevor es in die Hand einer solchen (redlichen erwerbsfähigen) Person gelangt, wieder an sich ziehen, so ist er niemals obligirt gewesen; sein skriptur- massiges Vertragsangebot aber kann selbstverständlich ohne das Papier nicht widerrufen werden.

Dass diese sich durchaus in den Grenzen der Vertrags- theorie haltende Konstruktion doch mindestens gleich accep- tabel ist wie die Kreationstheorie, liegt auf der Hand, und es wäre erwünscht gewesen, dass Dernburg sich Ober dieselbe ausgesprochen hätte.

Wenn der Uriieber und bisher noch immer eifrigste und scharfsinnigste Verfechter der Kreationstheorie, Kuntze, die- selbe damit empfiehlt, dass sie die (einfachste, konsequenteste, einheitlichste, korrekteste, praktikabelste, vernünftigste und billigste sei«, welche nur von der »alten Schulec, die »vom Vertragstypus nicht loskommen kann«, verworfen werde (für den Wechsel in Endemann's Handbuch IV, 2 S. 74, 75, für das Inhaberpapier in seinem Gutachten für den XVI. deut- schen Juristentag, Verhandlungen I S. 135 ff.) und hinzufügt : »Was will man mehr?«, so hat bereits Pappen he im (Zeitschr. für Handelsr. XXXII S. 336) zutreffend bemerkt: mehr will man gewiss nicht, man würde sich sogar mit viel weniger be- gnügen, und falls man sich gegen sie sträubt, muss das wohl darin seinen Grund haben, dass man eben den Nachweis jener Vorzüge nicht für erbracht hält. In der That würde z. B. mir genügen, wenn diese Theorie richtig wäre, d. h. falls aus ihr diejenigen Rechtssätze äch ergeben, welche bestehen, und nicht solche Rechtssatze sich ergeben, welche weder be- stehen noch bestehen sollen.

Dass mittelst der Kreationstheorie sich genösse schwierige Fragen des Rechts der Werthpapiere einfacher lösen lassen als mittelst der Vertragstheorie, ist ja selbstverständlich, und diese bestechende Einfachheit hat wohl vor Allem dem Kuntze 'sehen

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fliT iat D«uticbe Reicb. 159

Theorem jetzt sogar zur Anerkennung in dem Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuchs verholfen. Aber ich habe wieder- holt bemerkt, dass die ^nfachheit eines Prinzips so wenig für dessen Richtigkeit als für dessen Zweckmässigkeit entscheidet Nichts wäre einfacher als die Feststellung, dass Jedermann denjenigen Schaden ersetzt, welchen er auch nur äusserlich verursacht hat ; dass jeder Dieb gehängt wird ; dass jede Handel^esellschaft eine juristische Person sei; dass das Zins- maass in keinem Falle fUnf Procent übersteigen dürfe; dass »mter befreiender höherer Gewalt ganz bestimmt und absolut bezeichnete Unßllle zu verstehen seien u. v. a. Aber solche »Einfachheit« ist nur allzuhäufig ein Kennzeichen des noch unentwickelten Rechts, während das hochentwickelte Recht der Gegenwart sich mit so dürftigen absoluten Rechtssätzen nicht begnügen kann. Die schwierigen Interessenkollisionen lassen sich nicht mit einer einfachen abstrakten Formel durch- hauen.

.Wirklichen Verkehrsbedürfnissen, welche etwa eine Haf- tung des Ausstellers auch des imbegebenen Papiers erfordern ob solche unter Umständen vorliegen, soll an dieser Stelle nicht erörtert werden lässt sich durch Special gesetze, durch Schadensersatzpflicht aus erweislicher Nachlässigkeit abhelfen, geeigneten Falles wird das Interesse an der Aufrechthaltung des eigenen Kredits die Schädigung redlicher Nehmer ver- hüten.

Weiter zu gehen, muss entschieden widerrathen werden. Keinesfalls dürfte die entsprechende Regelung isolirt für die Inhaberpapiere erfolgen; es bedtlrfte der genauen Untersuchung, wie weit entsprechende Rechtssätze auch für die Orderpapiere, vielleicht für gewisse Rektapapiere statthaft erscheinen. Den inneren Zusammenhang des Rechts der »Werthpapiere« ignortrt der Entwurf vollständig. Man wird sich entschliessen müssen, entweder das Recht der Inhaberpapiere aus dem bürgerlichen Gesetz- buch zu entfernen und gemeinschaftlich mit den Orderpapieren u. dgl. dem zu revidirenden Handelsgesetzbuch zuzuweisen oder^doch mit der Neu-Redaktion des Handelsgesetzbuchs ge- meinschaftlich zu berathen, will man zu harmonirenden Rechts- sätzen gelangen. Es wäre geradezu unerträglich, falls für den Wechsel ein anderes Grundprinzip aufgestellt würde als

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160 I)ie Kreationitheorie and der Entwurf eine« bar|>erIicheD G«»etibnclu etc.

für das Inhaberpapier. Bereits in dem von mir redigirten Be- richte der Vorkommission (Zeitschr. f. Handelsr. XX S. 140) heisst es: »Das Recht der Inhaberpapiere ist im Zusammen- hange des bürgerlichen Gesetzbuchs festzustellen, vorbehaltlich der etwaigen späteren Zuweisung an das Handelsgesetzbucbf und ist damit, wie auch sonst am Schlüsse des Berichts (eod. S. 149), die Noth wendigkeit, zwischen dem Handelsgesetzbuch und dem bürgerlichen Gesetzbuch Uebereinstinunuiig herzu- stellen, entschieden betont worden.

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6. INHABER-, ORDER-

UND

EXECUTORISCHE URKUNDEN

KLASSISCHEN ALTERTHUM. (1889.)

Goldichmidt, VeimbcbtsSelirift«. Q. II

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Einleitons 165

I. Recbt der oricDtalischen Völker 167

I, Order-, Inhaber-, Execntiv-Klanieln d«i mittelalterlichen Rechts i63

3. Die syngrapha in der Rede des Demoithenet c. LacriEom. Eieculivklansel 173

4. Die Iiuchrift tod Orchomenoi, betrefTend die DarlehetugeschUte

der NikareU 17Ö

5. Die amoi^iniuhea Anlehentarknnden 180

6. Späterer helleninitcher Qnelienkrei» 184

7. Ceuion im griechischen Recht? 185

8. Fhiatat Ouculio; ai/ißokov in Plaatus' Bacchides und bei l.jäaa 192

9. Klauiel eive ad quem ea les pertinebit, Verpflichtung zu GnnsteD nnbestinimter Gliubiger 196

■O. Die Orderanweiiung : I. II D. de novit 198

II. Ueberweisungikelte. Scontratton, Schlutt 304

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Inhaber- und Order-Papiere sowie ezecatorische Urkunden gelten als dem klassischen Alterthum unbekannt, hinsicht- lich der Wechsel mmmt dies mindestens die herrschende Meinung ein.

Lässt sich nun, wie mir scheint, der sichere Nachweis erbringen, dass diese Annahme in allen TheUen ungegrUndet ist, so bedarf es doch zuvor einer Verständigung über den Umfang des für die entgegenstehende Behauptung zu er- bringenden Beweises.

So ist z. B. der heutige Wechselbrief wirthschaftlich wie rechtlich ein von dem mittelalterlichen Wechselbrief sehr ver- schiedenes Institut. Der letztere, und zwar gleichmäs^g in den beiden Gnmdformen des (domicilirten) Eigenwechsels wie der Tratte, ist lediglich urkundliche, wenngleich durch strenges Urkundenrecht gesicherte Zuweisung einer (empfangenen oder allenfalls als empfangen fingirten) Geldsumme nach auswärts ; er ist dagegen weder Urkunde Über eine abstrakte Geld- forderung, noch ist er im Sinne des heutigen Rechts in- dossabel.

Hat aus dem heutigen vollkommenen Inhaberpapier der Berechtigte ein durchaus selbstständiges, durch Einreden ans der Person des ersten Nehmers wie sonstiger Vormänner an sich nicht zerstörbares Recht, so hat es doch viele Jahrhun- derte gewährt, ehe diese Selbstständigkeit des > Inhaberrechtsc, mag sie auch vielleicht schon ursprünglich im Keime vor- handen gewesen sein, zur vollen rechtlichen Anerkennung ge- langt ist

Die Vollentwicklung der »Scripturrechtspapiere« (nach Brunners Bezeichnung »Papiere öffentlichen Glaubens*) voll- zieht sich So in sehr langen Zeiti^umen. Die Geschichte dieser Entwicklung ist noch zu schreiben und erfordert genaue

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166 Inbabei-, Otdci- und ezecutorisclie Uilmnden im klucUcben Alurtliuiii.

Kenntniss des sich allmäUg entfaltenden Gewohnheitsrechts wie des theils hemmenden, theils fördernden römisch-kanonischen Privat- und Prozess-Rechts in seiner mittelalterlichen Aus- bildung, nicht minder aber des germanischen Urkimden-, Forde- rungs- und Prozess-Rechts. Jeder Sachkundige weiss, dass in allen diesen Richtungen noch sehr viel zu thun ist.

Dagegen wird für die Frage, ob bereits das Alterthum die vorhin genannten Institute gekannt hat, der Nachweis ge- nügen, dass vor der germanischen Epoche gleiche Rechts- erscheinimgen vorhanden sind , wie sie die primitiven Ge- staltungen des mittelalterlichen Rechts enthalten. Ja man darf glauben, schon damit die geschichthche Forschung zu fördern, wenn man nur im klassischen Alterthum gleiche Thatbestände von unzweifelhaftem Rechtsgehalt aufweist, sollte es, einstweilen mindestens, noch nicht gelingen, die ein- zelnen Rechtsältze mit Sicherheit festzustellen, welche sich an diese Thatbestände geknüpft haben. Die hier allein zum Ziele fuhrende streng induktive Methode kann nicht vorsichtig genug gehandhabt werden.

Von den Wechseln, welche eine besondere Untersuchung erfordern, soll an dieser Stelle abgesehen werden.

Auszuscheiden ist femer das vielbehandelte Feld der tesserae (Marken) der klassischen Zeit Denn wie unzweifel* haft auch der blosse Inhaber (Vorzeiger) der Marken zur Ent- gegennahme der durch dieselben bezeichneten Leistung legi- timirt war', so gehören doch alle einschlägigen Einrichtungen dem Gebiet nicht des Privatrechts, sondern des Verwaltungs- rechts an *. Es ist weder ersichtlich, dass mindestens nach römischem Recht dem Inhaber solcher Marken eine actio zustand, noch umgekehrt, dass die an den blossen, vielleicht unberechtigten Vorzeiger erfolgte Leistung mit einem Privat- rechtsmittel hatte angefochten werden können.

Dw DBiMtten Untettachangen aber die attiichen a&fiflolm ßtr Tlieo- rikm, Ekkleduten- nod HeliMten-Sold (Benndorf n. >.} ». bei Frlnkel ni Boeckh, Die StutahmoilidlunK der Athener, 3. Antg. n Note 411, 430, 43I1 439 (S* C4*fr.); über rSmiicha U«ene (aüfiflola) frnmenteriae etc.: Marqukrdt, ROmiKbe Stutrrannltung II S. 133 Note 3, S. 134 Note 8, S. 135 Note 5, S. latf; m S. 476 Note 3, 3, S. $15 (538?).

* Fernice in ZeltMhr. f. RechttKeMh. N. F. VS.99f., 103 ff., iio.

Rccbt der orlcnUdhchcii Völker.

1.

Aus dem Recht der orientalischen Völker ist gar nichts hinsichtlich der Phönicier und Karthager bekannt. Denn das vielbesprochene karthagische »Ledergeld* (»etwas« in ein Stück Leder von der Grösse eines Stater eingewickeltes) ' war nur MUnzzeichen, es lief als Geld an Stelle des Metallgeldes um dass sich an dessen Innehabung irgend welche Privat- rechtsansprilche knüpften, ist unglaublich, nicht einmal ein Einlösungsrecht irgend welcher Art ist bezeugt.

Neuerdings ist behauptet worden, das unzweifelhaft grosse Handelsvolk der Babylonier habe, sicher im 7. oder doch 6. Jahr- hundert vor unserer Zeitrechnung, die Ordenu'kande gekannt, aber ich vermisse fUr diese Annahme jeden Nachweis. Denn wenn Revillout, les obligations en droit Egyptien, appea- dice: sur le droit de la Chaldfe (1886) p. 467 behauptet, der ihudut (?) des Bankiers sei eine Art auf Sicht lautendes ibillet k ordre«, so erhellt dies mindestens nicht aus den beigebrachten Urkunden. Ebensowenig ist ersichtlich, mit welchem Grunde die zum Theil unleserlichen Urkunden aus den Jahren 536 and 524, auch wenn sie richtig gelesen und übersetzt sind, von Oppert et Mßnant, documents Juridiques de l'Assyrie et de la Chaldfe (1877) p. 266, 268 als »biUets ä ordre« be- zeichnet werden oder soll, wie das bei französischen Juristen mitunter begegnet, dieser Ausdruck nicht technisch, sondern für ein freibegebbares Papier überhaupt verstanden sein? Weim endlich Lenormant, histoire ancienne de l'Orient 9. ed. (1887) V. p. 117 in dem komplicirten Kreditgeschäft vom Jahre 553, welches vielleicht einen Wechsel (sipartu (?) = Sende- brief) enthält, daraus, dass neben dem benannten Gläubiger ein Präsentant nicht benaimt ist, folgert, dass jeder Inhaber des Thontäfelchens legitimirt sein solle, so ist dieser Schluss augenscheinlich ungerechtfertigt. Immerhin erscheint ja die Möglichkeit eines derartigen Sachverhalts und der durch das so umfangreiche, noch unedirte Urfeundenmaterial zu erbringende Nachweis wirklicher Order- und Inhaber-Urkunden in baby- lonischer Zeit keineswegs ausgeschlossen''.

Aecbina Eiyxiu 17 p. 399E bis 400A (Steph.) Ariitid. iff6t nkä- raim öxig rnrnpan- XLVI (11 p. 195 Dind.).

> Die von Volt g^en HypolbeMn Rawliiisoiia «utgaMeUteii aH-

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168 luh&ber-, Order- und ezecntoriich« Udcnnden im klKtiiidien Alteräinm.

Wenn ferner Kuotze, Inhaberpapiere S. 47 ff. die Ver- muthung aufstellt, es könnten die hellenischen syngraphae unter dem Einfluss des späteren (im babylonischen Talmud 4. Jahrh. □, Chr. fizirtes) jüdischen Rechts allmälig den Cha- rakter (modemer) Scripturobligationen angenommen haben, so wird nunmehr, wenn sich die iScripturobltgationc schon im vortalmudischen Recht der Hellenen erweisen lässt, wohl die umgekehrte Annahme gerechtfertigt erscheinen. Die einzige Erwähnung nämlich von Urkunden, welche rechtlich als In- haberpapiere behandelt wurden (Tractat baba batra 172 a. b), knüpft an die Namen zweier erst im 3. und 4. Jahrhundert n. Chr. lebenden Rechtslehrer (R. Hana und Rabbah) an'. Uebrigens enthält der Talmud (Tractat Gittin IS*») sicher auch die Orderklausel": »Ich verpflichte mich Dir und jedem, der durch Dich fordert.« Die Weiterentwicklung des talmudiscben Rechts interessirt hier nicht.

Behufs Gewinnung eines sicheren Vergleichspunktes soll paradigmatisch von den ältesten bisher bekannten Order- und Inhaber- sowie Executiv-Urkunden bezw. Formeln ausgegangen werden.

1. Orderklausel.

Quod si non fecero pro duplum me aut heredis meos aut heredes vestri »aut cui hanc cautionem dederitis exi- gendam< teneatis obnoxium (Marculfi form. II [Zeumer p. 92]).

rem vestra redete debiam et caucionem meam recipere facias aut tibi »aut cui caucione ista dederis ad exagendum«^ (Form. Andecav. 22 [Zeumer p. 11]).

aut vobis »aut cui caucione ista dederis ad exagenda< (eod. 38 [Zeumer p. 17]).

aut vobis *aat cui caucionem istas dederis ad exageada« (eod. 60 [Zeumer p. 25]).

g«nieiiieD BedeDken t. Knntie, Die Lelue tod d«D Inluberpapiereii S. 36 and k«iietw«gt Bbeneogeud.

S. die Stelle «ntfltlirlich bei L. Auerbach, Du jadbcbe ObligMioneQ- recht Bd. 1 (1S70) S. 246fr., 370«:

> Von Aaetbacli S. 282 ff. nicht Tentanden.

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Order-, Inhaber-, ExecutiTkUnsdn det mitteUlterlichen Rechts. 169

Zugleich mit Executivklausel:

Qui (I. Quod) si minime fecero et diem huius meae caocionis excessero, iuratus dico per hoc et illud, quia >Iiceat tibi cautionem meam cui tu ipse volueris tradere et adibito (adhibito? a debito? ad libito?) mihi excutere (executare?) supradicta pecunia una cum beneficio suo dupplicata cogar exolvere* (Form. Visigoth. 38 [Zeamer p, 591]). Urkunden :<

760. a quis de heredibus vel coosortes meos contra suprascripta Sindruda vel contra illo homine »cui ipsa hanc pagina ad exigendo dederett causare presupserit (Memorie dl Lucca V 2 Nr. 65).

882. ubi ego bei meos heredes bobis >bel cui tu isto cautn in manum emiseritisc reddederimus sol. 4 (Cod. Cav. I Nr. 91) u. V. a.

In der später üblichen Orderform: Bedingter Eigenwechsel:

1160. Nos bonus iohannes tinea et adalasia jugales accepimus a te wilielmo borone libras 10 den. ianuens., quas »tibi vel tuo missoc per nos vel nostrum missum dabimus per totam istam estatem. si non, in scicilia dabimus >nuncio tuo iooathe cerriolo ant ei quem mihi ordinaverisi uncias auri 6 (Monum. hist. patr. Chart. II Nr. 882 col. 650).

Die üblichen Klauseln fasst präzise zusammen z. B. die Urkunde vom 16. August 1156 (eod. Nr. 335 col. 343): de quibus promitto reddere tibi >vel tuo certo missof libr. 40 usque proximas kalendas augusti. quod si non fecero, penam dupli tibi stipulanti promitto. pro sorte et pena bona pignori tibi subücio, »intres et extimare facias tua auctoritate et sine consulum iussu et facias quicquid voluerisc '.

< Hoch anifllhilichct lautet die EiecutlTklaosel, in der auch die Klamel •tibi Tel tao ceito tnisio* entbaltendeii Urkunde Tom S. Juni 1156 (eod. Nr. 316 col. 333): imde pro lorte et pena bona quae habemni et habitmi »nmin tibi pignori lubjidmiu tali pacta, qood ti at »upenn* continetor, non uUttumi liiiiin, exinde lic«at tibi intrare in bonis noitiü qae volneri« in solttttim pro Sorte et pena tua inctoritate et tine conmlam ioisu et fadaa inde quicqnid volneria sine omni nosCra noatrorumqae heredacn contradictione et omniom penonaniin pro nobii.

170 Inb&bet-, Ordn* und executorische Uikuoden im kkstischeD Alterthnm.

2. Inhaberklausel, a) alternative bezw. konjunktive: Mit Stellvertretungsvermerk (wohl richtiger als Orderklausel zu bezeichnen):

z. B. Urkunde 821 obligavit se nobis »vel cui istum brebe in manu paruerit in vice nostrac (Cod. Cav. I Nr. 11).

964 componere obligabimus tibi nominati lohanni »vel cui anc cartulam vice vestra in manu parueritc (Cod. Cav. 11 Nr. 225).

Ohne Stellvertretungsvermerk :

850 in tua qui supra Periteo presb. >vel de illum homine, qui bunc meum iudicatum pre manibus abuerit ad exi[ge]ndum et dispensandumc (Memorie di Lucca IV. 2. App. Nr. 46).

928, componere ipsorum Grimperti et loccardi et ad eonim eredes »seu cui hunc scriptum in manum parueritt 50 aureos sol. (Cod. Cav. I Nr. 148).

974. componere obligaverunt se suisque heredibus, mihi ivel cui hunc brebem in manu paruerit« 30 auri sol. In der gleichen Urkunde findet sich alternative Kombination der Order- klausel und der Inhaberklausel: ille homo >cui per me disposi- tum fuerit vel cui huac brebem im manu paruerit* (Cod. Cav. II Nr. 276). Desgleichen :

993. obligabenmt se et suis eredibus mihi »et cui vel ubi per me dati parueritc et ad nostris eredibus >et cui carta ipsa in manum parueritc 100 auri sol. (Cod. Cav. III Nr. 463).

Hier mag noch der merkwürdige genuesische Eigenwechsel mit Kursberechnung vom 18. September 1162 (Chart 11 Nr. 1183 col. 809) genannt werden, wo es heisst:

solvemus infra mensem postquam sciciliam pervenerimus, uncias auri 31 '/j muncio tuo vel nomine mathei vel man- fredi de portinco vel tuo certo nuncio, ei scilicet quod cartu- lam sarracenicam quam tibi relinquimus, nobis aut uni nostrum exhibuerit«.

b) Reine Inhaberklausel. Urk. 968. siant obligatos componere homini illi >cui scriptum in manu parueritc 50 sol. (Cod. Cav. 11 ^-. 257).

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Order-. Inhaber-, Ex«cntivklftiu«ln de« mitteldterlichen Rechts. 171

997. Verbindung der Order- und Inhaberklausel : obli- gaverad se et suis heredibus ut darent ipsi filÜ mei >ad ille omo cui per me dispositum fuerit 9 auri tari ; et ü ipsi filii mei taliter >ad iUe omo cui per me dispositum fuerit et cui scriptum iste in manum parueritt pro mea parte DOn adimpleven[n]t, componere obligaverunt se et suis eredi- bus lad ille omo cui scriptum iste in manum paruerit« tO auri sol. {Cod. Cav. III Nr. 514).

Hinsichtlich der Executivklausel mag noch, statt aller, auf das Formular bei Rolandiaus, aurora' gewiesen werden:

possint ex pacto ipsos debitores et quemlibet eorum in solidum ad solutionem dicti debiti faciendam in dicto termino et ad omnia et singula in hoc contractu contenta efficaciter obsenranda realiter et personaliter convenire. Femer: ita, quod a termino in antea, si tunc solutio facta non fuent, liceat ex pacto ipsiscreditoribuset cuiamque ipsorumpropria auctori- tate sine curiae proclamatione aut aliqua denunciatione vel aliquo praeiudicio dictonim bonorum ingredi possessio- nem etc. Desgleichen Durantis, speculum'.

An diese primitiven Formeln soll gehalten werden, was aus dem klassischen Alterthum auf uns gelangt ist. Jedoch bedarf es noch einer ergänzenden Vorbemerkung.

Neben den vollkommenen Inhaberpapieren des heutigen Rechts giebt es unvollkommene, nSmlich solche, welche zum Empfange der Leistung nicht in dem Sinne legitimiren, dass der Rechtsausweis (die Legitimation) gegenüber dem Aus- steller (Schuldner) erübrigt, sondern nur in dem Sinne, dass der Aussteller (Schuldner) sich durch Zahlung an den In- haber befreit; sie sind an den Inhaber gültig zahlbar, aber nicht von dem Inhaber als solchem exigibel, sofern der Aus- steller (weiteren) Recbtsausweis verlangt. Sie kommen vor als Papiere mit der reinen oder mit der alternativen Inhaber- klausel (von Brunner genannt »hinkende Inhaberpapierei) und als schlichte Namenpapiere, welche gleichwohl an den

< Briegleb, Ueber esecatoriiche Urkunden 11 S. 6i ff.

* Briegleb, eod. II S. 77 ff. Der Znnmineiihang der EiecatiTkluu«! mit dem UngobudischeD VolkiTBcht *. W&ch, Der itolienliche Arred' piote« I S. l6ff., 54?. nnd dort aacb die Urknndcii von 796, 819, vergl. Schrftder, Deaticbe Recbttgefchiehte S. 366 [3. Aufl. S. 366, 367] iit hier nicht za Terfolgeit.

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172 Inluber-, Order- und executoriKhe Urkunden im kluasclten Alterthnm.

blossen Inhaber gezahlt werden dürfen (von Brunner ihinkende Namenpapiere« genannt). Beide Klassen der un- vollkommenen Inhaberpapiere sind artenreicher, als angenommen zu werden pflegt. Der gleiche Gegensatz begegnet bei den Orderpapieren.

Finden sich nun im klassischen Alterthum Urkonden, welche nach ihrer Form als Inhaber- oder als Order-Papiere erscheinen, so ist damit allein noch nicht entschieden, ob sie der Klasse der vollkommenen oder der unvollkommenen (»hinken- dem) angehören, und es wird häufig, in Ermangelung ander- weitigen Anhalts, sich diese wichtige Frage gar nicht oder nur mit annähernder Gewissheit entscheiden lassen. FUr den hellenistischen Quellenkreis scheint mir das vollkonmiene Order- und Inhaber-Papier sicher zu sein; fUr den römischen wird sich zwar das vollkommene Orderpapier, wenn auch nur in Gestalt der Orderanweisung, nicht bezweifeln lassen, dagegen begegnet von den Inhaberpapieren, soviel ich sehe, nur das unvollkommene, und auch dessen römische Herkimft bezw. Verwendung ist keineswegs sicher.

Die vielbesprochene Seedarlehensurkunde (avyyQaipij) in der etwa 341 verfassten angeblich Demosthenischen Rede c. Lacritum (XXXV) 10—13 von zweifelhafter Echtheit" ent- hält die Hypothecirung der zu tadenden 3000 Amphoren Wein mit der Klausel, dass diese Ladung von jeder anderen Schuld frei sei und nicht für ein anderes Darlehen verpfändet werden dürfe. Demnächst heisst es: Nach glücklicher Rückkehr (in den Piraeus) soll das Pfand unberührt zur Verfügung der Gläubiger bis zu deren voller Befriedigung bleiben. Weiter: iäy di ft^ änodiöaiv h> T^ üVfMtfiivffi XQOVt/}, to vtroxsifisva rdlg davsiaaaiv i^iaita vrco^eivat xat ano-

S. aber die alte Stteilüaee jeUt einendtt C. Wschinintli, Rhein. Museum f. PhiloL N. F. 40 5. 301 ff., andereneiti Christ, Abb. dei Bayr. Akad. Pbil. Kl. XVI Abth. UI (18S3) S. 361 ff. und Thalheia, Heimes XXIII S. 333 ff, und Liptint tu Meier nnd Schömum, Der attUche Proies* S. 679 Note 543, Ueber die kritischen und tprachlichea Gründe gegen die Echtheit erlaube ich mir kein Urtheil (ist das Fehleo der Urkunden in der Attikusausgabe ein sicherer Beweis tpKterer Erdichtung!), «achliche Bedenken beslshon m. E. gegen die Echtheit nicht.

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Die sjngrapha in der Rede d«s Demotthene« c. Lacritam. Execulivlclaasel. 173

äöa&ai x^g vnaqxovaijg rifiijg. xat löm ti ikXein:t] %ov äqyvqiov o del yevia&ai xoTg davEtaaai Tunä t^v avYyetffpyy, itenä ^i/tiftavog xai j^noXKodi&qov eOTia ■q tc^ä^ig xoig davBiaaat xal ex TWVTOvtwv anctynav, xat iyyvtav xai yavrixtäv, navraxov orfov av niai, xa^djttf) Slxtjv (a^Xijx^tav xat vrte^ftiQtoy oy- x(i)v, xai ivt hunig^) TtSy 6aveiaävto>v xal afnpo- zegoig. Wenn nach Verfall der Seedarlehensschuld, d. h. innerhalb 20 Tagen nach der Rückkehr, die Schuldner nicht zahlen, so dürfen die Gläubiger sich in den Besitz der Pfandobjekte setzen und dieselben zum Preise, welchen sie erziel^i, ver- kaufen. Bleibt danach noch ein Schuldrest, so dürfen die Darlehensgläubiger gegen die Schuldner (Artemon und Appol- lodor) Esecution vollstrecken auf all deren Gut, Landgut und Seegut, aller Orten, wo sich solches befindet, gleich als wäre gegen sie ein verurtheilendes Erkenntniss ergangen und sie befänden sich in Zahlungsverzug, und es soll dieses Recht sowohl jedem einzelnen der Gläubiger wie beiden zustehen (aktive Solidarität). Den Schluss bildet die Klausel :

xvqidtegov de neqi zointav aXktav fiijdi* eivai z^g av^fnatp^g was § 39 noch ausführlicher dahin wiedergegeben wird ;

^ ftiv yafj avyygaify^ ovdev xv^ibiTepov i^ elvai twv iyyeygafifihtm' , ov3^ ttgoaifiigeiv oyre vöfiov ovve i/)ij- (ptafia oiJr' äXX' ow5' bvtovv regög zijv avyy^aqiijv. Mag nun auch die vorliegende Urkunde von den späteren Grammatikern nach anderen Mustern fabrizirt sein, so unter- liegt es doch, nach dem sonstigen Inhalt der Rede, keinem Zweifel, dass die in der Urkunde erwähnten Vereinbarungen wirklich getroffen worden sind; s. z. B. 21, 24, 37, 38, 39. Nicht erwähnt wird in der Rede freilich die ausbedungene „nTpö^ig", aber zu dieser ist es im konkreten Falle, da die Schuldner theils die zugesagten Pfandobjekte gar nicht ge- laden, theils den Gläubigern zu entziehen verstanden hatten, gar nicht gekommen.

Dass in Demosthenischer Zeit im Seedarlehensgeschäft, dem wichtigsten Spekulationsgeschäft des AUerthums, die be- treffenden Vereinbarungen und Vertragsklauseln üblich waren, erweisen :

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174 Inhaber-, Order- und executorisch« Urknnden tm klastUdien Alterthnm.

Demosthenes c. Apaturios (XXXIII) 6:

ol xß'?"^"^' Kcet^fietyov atTÖv anaitovrreg xai «-b- ßtkevov eig t^v vavv, eU.t]tp6teg iji vnEQijftBelg, insbesondere aber Demosth. in Dionysodor. (LVI):

38: Ha/ de /i^ ^aQdaxo>ai {uroxel/jeva ifttfav^ xai avi- ftatpa, ^ TtoiT^ataat zi na^ zijv avyygaipijv, anodidö- zioadv ömXäata xeW'^" (po^"^ dupli), vgl. 39 ff.:

45: ^ 3i avyy^qirj xe^tiei, iav fi^ naQix<oaiv liiipainj

t^v vavv, anOTiveiv avzois Sinhiuia tu xe^f^f*^^] '^V*

de ngS^tv tlvai xai i^ ivog xai i^afttpoir (passive

Solidarität).

Allerdings dafür findet sich m. W. aus älterer Zeit kein

Beleg, dass die figä^ig, wie laut aty/yqafpr, der Rede in

Lacritum, nach ausdrücklicher Vereinbarung über das Pfand

hinaus auf alle Güter des Schuldners erstreckt wird ; immerhin

and derartige, wenn auch sehr beschwerende Vereinbarungen

für sintere Zeit unzweifelhaft bezeugt, und kttnnen auch in

Demosthenischer Zeit vorgekommen sein.

Zur Erläuterung der bisher anscheinend nirgends eingehend erörterten Lehre von der nreä^ig^ mag bemerkt werden:

Bekanntlich steht nach attischem Recht ans verurtheilen- den Erkenntnissen die Execution dem obsiegenden Kläger selbst, ohne staatliche Intervention zu, sofern nicht öffentliche

' Es i»t beieicbnend, dafi sogar du technische Wort in den Sachregistern von Hermann, Thalheim, Meier und SchSmann (Lipsius) gar nicht crwihDt wird [vgl. jetit aber Thalheim, 4. Aufl., 1S95, S. 103 und 18t]. Boeckh, ätutshauihalt , hat nqüiriiv, elajigäTTut' nur in der all- gemcinen Bedeutung von eimiehen, einlLassiren (111 S. 70, 73). Gneist, Die formellen Verttige de« neueren r(jnii*cben Obligationenrechts, erwihnt die Klausel in seiner ausführliche u Beschreibung der griechischen Urkunden nicbt und lässt sie sogar bei wfirtlicher Wiedergabe eioietoer Urkunden, in welchen »ie steht (S. 477, 460), weg. Böchsenschüti, Benili und Erwerb im gnechischen AlCerthum spricht S. 489 nur ganz allgemein von 'in Antpmch uehmen«. Zuerst hat wohl Perrol, 1874, nach dem Citat bei Dareste, anf die techobche Bedeutung von nfäiit hingewiesen, demnSchst Dareste, let plaidojers civiU de Demosth^, Paris 1S75, I p. 333 Note 13 (»»fcatbn par^, que nous tronvons en droit romaiu sous la forme de U manus in- jectio.f), vgl. Daresle, hulletin de corr. heUen. VlII (1884) p. 362ff. und Reviltout, les ohiigations en droit Egyptien (1886) p. 73, 304, 2W sämmtlich ohne nihere Ausführung.

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DioiTi>Knpb> indeTRcdedetDemoMhenMG.Lacrilain. ExecntivkIauKl. 175

Interessen betheiligt sind. Sie vollzieht sich durch Pfänduog des vne^i^fie^os (der »Uebertägige«), soweit nicht ein Anderes unter den Parteien vereinbart wurde. Widersetzte sich der Verurtheilte der Execution, so riskirte er die Jt'xi; ^|ol'JIijs (BesitzstOrungsklage), welche im Falle der Verurtheilung ausser Judikatssumme und Schadensersatz eine der Judikatssumme gleichkommende Busse an den Staat nach sich zog '.

Diese Privatexecution, ein selbstthätiges Einziehen*, wird bereits von Demosthenes als eloTi^ärtttv, eiafifa^ig u. dergl. bezeichnet '.

An die Hypothekbestellung kntlpfte nun das Gesetz die Befugniss des Gläubigers, sich im Verzugsfalle in gleicher Weise in den Besitz des Pfandobjekts zu setzen, als ob gegen den Verpfänder ein verurtheilendes Erkenntniss ergangen wäre *.

Selbstverständlich konnte, was das Gesetz (vielleicht in Folge üblicher Vereinbarung) festsetzte, auch durch Verein- barung für den Fall der Hypothekenbestellung bestimmt werden, und es wäre nur ein weiterer Schritt gewesen, dass solche Ver- einbarung auch über den Fall der H3T)othecirung hinaus für wirksam erachtet wurde. Diese Vereinbarung scheint nun in späterer Zeit sehr allgemein gewesen zu sein; die Executiv- kiausel begegnet so häufig, dass der Anschein entsteht, sie habe die Regel des hellenistischen Schuldrechts gebildet.

HeicT und SchömaDD, Der attiK^e Proios. Neu bearbeitet von Lipiini S. 963if., 665 ff.; Th&lheim, Griech. Recbtsalterthamer S. 114 fr. [4. Anfl. S. 130].

I S. I. B. Demosthenes pro Pbormione (XXXVl) 6. ) S. 1. B. Demo*lh. contra Energos und Mnesibuloi (XLVII) 19, 31, 35, 30, 33, 40, 41 und öfters. Lex Seg. 31t: tlan^TtuiF 6ntfi]fiieovs-

* Demoith. c Apalurios (XXXIII) 6: ot ;|^i7rsi Kai'^jitij'oy abiör üntuTovvtts im\ tvfpitevov tlf Ti7f raiy tlltiipötie r^ i7iCQJifi4fl<t. Demosth, c. Spoudias (XLI) 71 löv rofiov, os ovx t^ int^^^Srjv, öaa tii ätmlfniacr tlvai SCxat, out' airoTt aCtt roie tlii^orö/iott, vgl. to; Bekker, Anekdot. 249, iS: Ifißarttet ri xb> iaveunifv l/tßartvaai »al elaei&tiv tlc TU xt^fiUTa roD vnoxqiou. Ueber die iCxii tfovXtts in diesem Falle s. Meier und SchSmann (Upsiui) S. 66;, Thalbeim S. 90 Note t [4. Aufl. S. 103 Note 3} Du epbesiscbe Geseti (etwa 83 v. Chr.) bei Ditten- bcrger, »jll. inKr. Graec. 344, auch Thalbein a. a. O. S, 134 ff. [4- Anfl. S. 153]. Ziff. 7 fi". bat^ tfißavtss tlf xirniaja xara ngä^ut fjfotxni' «rq- fitsta xal »ifiovrai, that [aüror]; xv^ar tat Ifißnaus, tl /iq ri alXa txorrtt Tipbf airoiii toftoluy^xamv. Thalheim S. 147 [4. Antl. S. 165] Qberretzt du xaiä nQÜ^eit mit 'auf Grund von Vertrigen' loUten nicht die Execntivakte daiunter verstanden lein!

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176 Inhaber-, Order- und eiecDtomche Viknnden im klutüctieD Altenhom.

Auf dieses hat insbesondere eine erst in neuester Zeit aufgefundene Doppelreihe von Urkunden ein ungeahntes Licht geworfen.

4.

Eine wahrscheinlich aus der Zeit zwischen 223 192 v. Chr. stammende, 1879 in Orchomenos gefundene, 7 zusammen- gehörige Urkunden enthaltende Inschrift ' stellt die sehr merk- wtlrdigen Schuldverhältnisse zwischen der Stadt Orchomenos in Böotien und der GUubigerin Nikareta aus Thespiae dar.

Nikareta hatte auf die jener Zeit stark verschuldete Stadt Orchomenos 4 (oder 5) durch Schuldverschreibungen im böotischen Dialekt aovyy^atpov genannt verbriefte Forde- rungen, deren Gesanamtbetrag, anscheinend mit inzwischen ver- fallenen Zinsen, sich auf 18,883 Drachmen belief. Diese fälhgen Forderungen, über welche Verzugsurkunden 0me^\rj\fttQiai) behufs Liquidstellung und Exequirbarkeit aufgenommen waren, Hess Nikareta vor den Thetmophylakes ' von Thespiae regi- striren, einigte sich aber mit der Stadt Orchomenos dahin, dass der Schuldbetrag ohne weitere Zinsen, innerhalb etwa 4 Monaten, und zwar 3 Tage vor dem Feste der Pamboiotia, zurückgezahlt werden solle, bei Vermeidung der Üblichen Kon- ventionalstrafe des duplmn, wogegen andererseits auf Annahme- verzug der Nikareta sehr schwere Nachtheile gesetzt wurden. Das Original dieses vor 7 Zeugen aufgenommenen, in die Form eines Darlehensschuldscheins eingekleideten novirenden Vertrags

Zuerst verOffentlicbt, Übersetzt and eiliul«n von Foucarl, buUetm de corretpoadance helWniqae 111(1879) P>4S9ff.i IV (1880) p. i ff„ S35 C VgL dniu inibes. Latitchcw, Mittbeilungen de* deutschen archfioiogischen Institult in Atben Bd. VII (1S83) S. 30 ff.; weitere LittersCur und berichtigten Text bei Caner, delectus inscriptionum Nr, 29$. Au« den Erörterungen dam sind zu nennen: Diresle, bnllctin de coir. hell. VIII (1S84) p. 371?.! Sianta, Wiener Stadien (Zeitschr. f. klast. Pbitol.) Bd. VIl (1885) S. 23z ff., Vin (1S86') S. ifT.; C. Wachsmulh, Rhein. Mas. f. FMl. N. F. Bd. 40 (1S87) S. 183 ff.

> Beamte, welche ein Verteichniu der niclit bezahlten ßUigen Schulden hielten, Sie kommen anscheinend nar in BSotien vor: Gilbert, Handb. der griech. Staatsalterthtlmer II S. 53 ff., sind aber augenscheinlich verwandt dem IgTptiscben avy^oaipotpilai bexw. avv9i\xo<f\i).a(ätxVlii\asAtrmU Gneist, Die formellen Vertrilge S. 454 ff. Lumbroso, tconomie poUUque de r£g7ple p. 363. Ueber jf^u^u^axiov s. Bocckh, Staatshaushalt 13 S. 596 und Her- raann-BUmner, Gr. Piiratalterlhamer S. 461 Note i a. E.

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Die Inichrift von OrchomeiiM, betr. die Darleben^GscIiifte der Nikareta. 1 77

(aovyygaq)ov), in welchem als Scliuldner eine Anzahl henror- ragender (Polemarchen u. s, f.) Orchomenier, als Bürgen 10 an- gesehene Männer der gleichen Stadt erscheinen, wird bei einem der Zeugen deponirt.

Die Rückzahlung wird, anscheinend auf Andrängen der Nikareta, schon vor der Verfallzeit kraft Beschlusses der Stadt Orchomenos bewerkstelligt und zwar in Thespiae durch eine Bankoperation, indem der Kämmerer (Ta/iia^) von Orcho- menos, Namens Polioukritos, mit einem der drei Polemarchen (obersten Magistrate) von Orchomenos bei dem Bankier Pistokles in Thespiae die Summe auf Nikareta übertragen liess. Ob nicht allein Nikareta, sondern auch die Stadt Orchomenos bei Pistokles ein Konto hatte, ob also die Zahlung durch blosse Ab- und Zuschreibung geschah, oder ob der Kämmerer von Orchomenos den Betrag bei Pistokles für diesen Zweck baar eingezahlt hat, erhellt nicht. Der hierüber lautende, gleich- falls auf Stein gegrabene, wohl einzige aus dem Alterthum erhaltene Vermerk' lautet:

jJiayqatpa Nixa^ittf ßta r^attiSdag läg Utoro- xXeioi iv Qeajii^g. ifti rag J7i(nox^iog iQaniddag

fteviov TOftlao ovmeqaftetQätav a^yv^iov dqa%(i'^ 18, 833':

Umschreibung für Nikareta mittelst der Bank des Pistokles in Thespiae. Am . . . hat bei der Bank des Pistokles der Kämmerer von Orchomenos, Polioukritos, der Nikareta zuschreiben lassen die für die verfallene und liquide Schuld (ovnB^afteiffiai) vereinbarte Summe von 18,833 I>rachmen Silber.

Ueber die ADweinngen (iw Anuahlimg im BuikTerkehr ■. Demoslli. C Kalippum (LH) 3—7, 18, 19; c Timothenm (XLIX) 5, 30, 59, 65. Po- Ijbiu XXXn 13. Vgl aacb Bflchsenichati, Erwerb und BenU S. 504 Note 5; Dar«(te, les plaidoyer« dvili de Demoithfaie I p. XXXVIU. Im Sprachgebraach der Ftolemier ist iiaygatp^ eine fiOentliche Urknnde über Eigenthamserwetb (PejrroD, papyri gieci. Täurini 1S36/37. I p. I44ff.

n p. 31 ff.).

* In dem BeicfalBii der Stadtgemeinde O. heint e>, dats er auf Stein ge- graben werden solle, aucb : läv diaypatpav rar x^^^ötmv wv \naii\tyfa^av

GsldictiKldt, Vanncbte Sdniflai. H. 13

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\78 Inhaber-, Otder> und eicecatorisctie Urkunden im klastischen Alterthuni.

Demnächst wird im Register der Thetmophylakes zu Thes- piae die Schuld gelöscht' und dieser Löschungsvermerk von den Polemarchen der Stadt O. als Beleg für die Tilgung der Schuld der Stadtgemeinde O. vorgelegt. Diese beschliesst, indem sie ihren Beamten Decharge ertheilt, die einzelnen ein- schlägigen Aktenstacke in Stein hauen zu lassen.

Die einzelnen älteren Schuldurkunden von O. gegen N. sind nur ihrem wesentlichen Inhalt nach, vermuthlich so, wie sie bei dem Thetmophylakes registrirt waren, in der Inschrift enthalten; jede einzelne ist als owäHay/ta bezeichnet. Auf- fallend ist, ausser gewissen Dunkelheiten' der böotische Aus- druck nräfiada, wahrscheinlich xt^fiaza, d. h. Kapital (Cauer). Weshalb Foucart den Ausdruck awälhxyfta mit »billet ä ordrei übersetzt, ist nicht ersichtlich, in den Einzel Urkunden findet sich keine Spur der Orderklausel.

Praktisch handelte es sich nur noch um die novirende * G e s a m m t schuldurkunde. In dem Volksbeschluss von O., kraft dessen die Gesammtschuldurkunde aufgenommen ist, heisst es:

2ovyygaq>oy de yfa^äa&t] t^ agyv(fi(it iwg noXe- /««ezws 'EgxofBviojv x^ iyyovatg oig xo dovufiäddtj Ni- xa^ira, xai &ia9i] fteaiyyvov rräf fDigvädav Ttfio- xXeiog &ea7ttsia:

eine syngraphe soll geschrieben werden über das Geld durch die Polemarchen von O. und die Bürgen, welche N, genehmigen wird und dieselbe soll deponirt werden bei F. in Thespiae. Der spätere Beschluss geht dahin, dass die Zahlung nur gegen Vernichtung der Schuldurkunde geschehen solle: xai läv avyytiaffäv ar i'xi äveXia^t]. Diese sjrngraphe in Form eines neuen Darlehensschuld- scheines — es wird die Hingabe des vereinharten (fälligen) Schuldbetrages als Darlehen fingirt , deren wesentlicher In-

' Der Vermerk lautet: . . . To aou[r]äUtt[j']fiit tfaygiiliii tat oiiif- [aft]tQlas tot yacagfrae fr BtOTttiit tat "at tSs nölios . Täv tt9/io- tpviaxav y^afifiBids £a , , ,

* So das „Sowj-Öfia". Heisst el solidarisch (Foncan) oder ist es ein Name (Cauer)?

i S. anch Sianto a. a. O. Vit S. 241 ; VIH S. 7, 30 ff.

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EHelDichnfiTonOrchomenos, betr. dU Dwlehen^^cKblft« der Nilureu. 179

halt bereits mitgetheilt ist, enthält nun vier hier in Betracht kommende K. lausein:

1. die Klausel der Solidarverbindlichkeit gegen die nomi- nellen (4) Darlehensempfänger und gegen die (10) Bürgen;

2. die Executivklausel gegen alle diese Personen-,

3. die Klausel der unbedingten Verbindlichkeit (Uniun- stösslichkeit) der Urkunde;

4. die Order- oder die alternative Inhaber-Klausel. Der einschlägige Passus lautet:

atiodäraaay di Öävaiov oi davaiaäfisvot ^ oi

iäy di ftfj dtio3wa[t] ir^ax^^oovTat xarä lov v6(iOv. [^] de ftQÖiig itnm ex le aiitäv rcj» Savaaa' (iiv<av mai i$ ivos xai ^x nXeiövotv xai ix nävttay xal ix tä/v vnagxoytioy avioig', sigaTtovaj] of av TQÖftov ßovi.J}Tai. 'H 3i avyyfa<p^ xvQta i'oTdi xav aXXog irtKpigt} vnifi Nixa- ^etag. Darauf folgen die Namen der sieben Zeugen, darunter Fiphia- des, bei welchem & aovyygaifog deponirt werden soll.

Unter diesen vier Klauseln sind uns die drei ersten bereits aus den früheren Erörterungen über das Recht der Demosthe- nischen Zeit bekannt. Neu ist die vierte Klausel.

iniqiigeiy ist vorlegen, vorzeigen (exhibere)': die Urkunde soll unumstOsshch (verbindend) sein, auch wenn ein anderer als Nikareta selbst die Urkunde vorlegt, d. h. natürlich, im Zusammenhange, aus derselben die Execution {neä^ig) voll- streckt. Dagegen sind die Worte vjri^ Nixaghag mehrdeutig. Sie können bezeichnen: für, d. h. zum Vortheil der N. ; an Stelle der N. ; um der N. willen u. s. f. Es ist so nicht dent- hch erkennbar, ob der Vorleger der syngraphe durch diese allein legitimirt sein soll, oder ob er Vollmacht (Cession?) der N. beizubringen hat, und ob er überhaupt kraft eigenen Rechts

D. h. gegen ihre Penon und ihr Vermögen.

Tnriner Papynis I (Peyron 18*6/37), p. 4 I. 16 : toij tnuptQOfiirtut OvyyQm^if, p. 6 1. z: itayatpri» (Steuerregiiter de« kBaigl. Bankiers) ^t- ipfgorrot- S. auch Papynu du LaaT» (Puu iSäj) 15 Z. 59, 60: tt »ul tk 9tlj finStfitav tnupfqtiv tiiroiit ovyyfaip^r .

, C-'Oogle

180 Inhaber-, Oider- und «xecutoriscb« Urkunden im klauiscliea Alterthum.

oder nur als Vertreter (Cessionar?) der N. exequiren dürfe. Sicher ist nur, dass die Eintreibung der Schuld durch diese »Inhaberklausel* hat erleichtert werden sollen.

Die voa Kumanudis zuerst publicirten ' Anlehensurkunden der Stadt Arkesine auf der Insel Amorgos, welche dem 2. Jahrhundert v. Chr. angehören, enthalten überaus harte, zum Theil exorbitante Anlehensbedingungen. Die beiden wich- tigsten dieser Urkunden hat C, Wachsmuth neu edtrt und mit vortrefflichem Kommentar versehen.

a. Inschrift I bei W. (Bull. VIII p. 23) betrifft folgen- den Fall:

Prazikles aus Naxos hat der Gemeinde Arkesine 3 Talente attischen Silbers geliehen zu 10 "ja Zinsen, und zwar ohne jedes Risiko (des Gläubigers) heimzahlbar: aulrdvvoft fca[vt]6g Kivdvvov". Zur Sicherheit dient eine Hypothek an allem Gut der Arkesineer, zu Lande und zu Wasser, sowohl dem Staats- gut wie dem Vermögen der Bürger und sogar der Metöken. Das Kapital ist beliebig, jedoch mit sechsmonatlicher Frist kündbar^ erfolgt die Rückzahlung des gekündigten Kapitals nicht rechtzeitig, so tritt poena dupli ein.

Die wichtigsten uns interessirenden Klauseln sind: I. Solidarverbindlichkeit sowohl der Gemeinde wie aller Einwohner und Metöken von Arkesine:

xat i^ hog [h]xämov Snav td afyvfitoi' [i]al i^ anävitini, ZQonai tut Sy ijtlatrjtai

' Athenaioii Bd. X (1S83) p, 537 ff. und bulleün de coir. heU. VIII (1881] p. 13 ff. S. auch über dies« Urkunden die S. 176 Note l genannten Ertcteruugen von Wacbtmuth, Daceste, Szanto.

* NSmlich im GegemaU tarn Seedulehen. Die Kloniel „ixlritivoi^ u. dfL enttpricht der im Miltelalter ablieben Klautel >ulvos (xalTum) in tena* (asKtlvi in terra). Ei iil dai reine, gemeine Darlehen: der an* selbttrentSod- lich cischeineDde Zusatz erVlibt nch aui der Hia&gkeit des Seedorlehena nnd verwandter Geuhiße. S. Pteudorliod. Seetecht p. II c. 17 {Pardeasna colL de loU marit. I p. 236): fyyva xa\ äxlvSwa; 1. i pr. D. de aant foen. (aa. 3); 1. 2, S, 3 (i, 4, a) C. eod. (4, 33). Gcero ad fam. II, ij. 4: nne vectnrae pericolo. Meine Abhandlung: Zur Geachichte der SeeverticbBrniig (Juriit. Abhandlungen. Fettgabe fflr G. Beieler. 1S85) S. 211 ff. Dm Material der mittelalterlichen Urkunden ist iniwiichen erheblich gcwachaen.

, Google .

Die amorpnischeii Anleheninrkniiden, 131

2, Die Exekutivklausel gegen alle diese Personen:

idy di (iij ärtQdÜiaifx (y?), nämlich falls die Zinsen von den Kämmerern der Stadt Arkesine nicht rechtzeitig gezahlt werden, ngaxtol ^atia/* Ilga- ^ixXel Ol [t^ anodövrtq T/fiiöltov afyvqiov hl fcüv Iditoy 7tfa§Ei näotji xa^änsQ iy dt'xijs vikog ixo^orjg xcnä t6 avfißoXov Na^lloty x]ai l4ffM- atviiov'

Eav Se fti} mrodwaiv tb cc^yvQioy xarä td yeyQafi- ftiva, d.h. das Kapital i^iatut tidä^aaS-ai H^^ixlsl tavia zpiy^ac[a] tigä^ai Ttiiatji i[x] « Tcüv -Aoivür %[bi]y L^(ix[»]aive<o» nävtav xai ix z£y [t]diiin> zf/otiifi (ui av ittlanjtai, xa^änt^ Ölxijy ti)ti>i.t}x6tuiy iy t^ ixxX^Tiai xazd z6 avußoXov 10 Na^[iit>\v xai IdQxeaivitoy liXog ^orijfft ä^ij- filioi oni fiäoijg ttjfiiag . Die urkundliche Feststellung des Eiecutivrechts soll so- mit gleiche Kraft haben, wie ein auf Klage vor dem Schieds- gericht", welches laut Staatsvertrag {avfißoXov) zwischen Arke- sine und Naxos besteht, ergangenes Urtheil.

Widerstand gegen die fiQaiig wird mit Strafe von 1 Talent und Ersatz aller Kosten und Schaden, ohne Minderung der Schuld, geahndet; auch für diese Strafe ist die gleiche ngä^tg statthaft. Das so executorisch Beigetriebene mindert nicht den Betrag der Schuld.

3. Verschiedene Order- oder alternative Inhaber-Klauseln, in Verbindung mit der Klausel der unbedingten Verbind- lichkeit (Unumstösslichkeit) der Urkunde :

a) Z. 17, 18. Die Kündigung des Kapitals darf auch durch einen Boten (nuntius, missus) des Gläubigers geschehen :

To de aQxäiov dgyvQtov ajioddaovaiy iv ^| (iriaiv, d<p' ov ay änafnjar^[i] IIßa[^t]x}.f/[g] i^ ov av ttimprji Ilga^ixX^g aTtaiTi^aoyTa,

b) Z. 18—20. Die Rückzahlung von Kapital bezw. die Zinszahlung soll in Naxos geschehen an den Gläubiger oder an jemand anders auf dessen Geheiss :

' Ueber nöiltc üwZiito; cf. Hesycb, s, v. haciiiToi und Aechines c Timtrch, 13, 3g; Hefft«T, Atbenfiitche GeticlilSTerfaiiung S. 91 Tcrb. S. 493.

, Google

182 Inhaber-, Order- und exccutoriscbe Urkunden im klMsitchen Altenhuro.

"Orav di aitodidüaiv [t\6v löxov i^ x6 iq%atov, aTzoddaovatv iv Nä^wi Uga^ixlei ^ tut ay [K]eXev[r]t] JTßa|ixi^S, in geeigneter Münzsorte [o]n-w[g] ay neXeitji. Diese Klausel macht wesentlich die Urkunde zu einem domicilirten Eigenwechsel an Order des Gläu- bigers.

c) Z, 32, 33. Die Execution kann geschehen durch den Gläubiger oder durch andere Personen auf dessen Geheiss :

vuti iäv Tiveg ahhoi jt^dtTtoatv xa xqi^fiaxa xeKevovrog JlQa^ixliovg.

d) Z. 41 46. Die Urkunde gilt unumstösslich und zwar zu Gunsten eines jeden, der sie vorlegt, mag dies der Darlehensgläubiger sein oder wer immer für ihn den Betrag einzieht (esequirt):

T^g di avyygatpijg r^ade [ü)]foXöyr,aav l4(f- ii[saiv]eig litjdev aivai xv^näteffoi', ftr^Te vö^tov fii^e rp[^tf)]tafia ^tfie d[6yf4]a [fj^]te OTQozTiyov fujte

fiiva fttjie alXo nrjdev fiiQve t^X"'!'' M"}« }ta[ge]v- giaai [ttjdefiitf, dlV elvat t^v avyygatp^v xv- Qiav ov [a]y efti(pegr}i, 6 Savelaag ^ ol n^äa\aovz\tg VTcig aiivot. b. Die Inschrift II bei W. (Athen. X p. 536 Nr. 9) betrifft ein Darlehen von unbekanntem Umfang, welches ein gewisser Alexandres (wahrscheinlich aus Arkesine) der Ge- meinde Arkesine gegeben hat. Sie ist nur theilweise erhalten. Auch sie enthält:

1, die Klausel der Solidarverbindlichkeit in gleichem Um- fange wie Urkunde a;

2. die Executivklausel : i^saja) rtQÖiaa&ai, in wesent- lich gleichem Umfange wie Urkunde a: xa&dfcee dixtjv tatpXji'KOTtov iv t^i ixxX-^Tiai xai orttav vTitgr^ftigotv. Besonders hervorgehoben ist hier noch, dass jeder Widerstand gegen den Exequenten, auch seitens eines Beamten {agx<»*')i ^ behandelt werden solle, als wäre über die Jikij i^ovlt}g rechtskräftig entschieden':

S. oben S. 174.

DigitizecoyGOOgle

Di« anorginiichen AnIehnuuikiuideD. Ig3

. . . og xai si^axiog lant rovro rd agyvQioy tug wqoAij-

UV vited-^fie^og. 3. Verschiedene Order- oder alternative Inhaber-Klauseln.

a) Z. 9, 10, wörtlich gleich Urkunde a Z. 32, 33:

xai iäv riveg ai,Xoi. [7iigäTz]tüai ^^ij/tata xeXavovjog l^Xe^ävdeov.

b) Z. 19—25, wörtlich gleich Urkunde a Z. 41—46, auch hier die Klausel: elvai t^c avyyQaqi^v xv^lav oh a* hntffidTii 6 Savtlaag ^ o'i Jigixaffoyzeg vjiiq avtov.

c. Inschrift III (Athenaion X p. 537 Nr. 10) ist sehr ver- stUounelt. Aber es findet sich doch sicher:

1. die Executivklausel :

Z. 2, 3: xai n^axtig tazot ro[ot]ro %6 aqyiqiov tag UKfXrptCig 6ixTpi ....

Z. 5, 6: xai iä* vi ßXäßog ^ aväXtafta yivr^zai sig T^v Eian^^ti' iröfv xqrjfi^ta» . . .

2. Z. 7 wörtlich wie Urkunde a Z. 41 ff. und Z. 11, 12:

aXX' elyat i^v avyyQaq>^v xvQio[>] ov ov ini- tpif/Tii 0 iaveiaag y ot Jtgiiaaoyteg vTieq aiTov .

d. Inschrift IV (Bull, de corr. hell. VIII p. 26, 27). Sehr verstümmelt. Verschiedene Personen aus Astypalaiai haben an die Gemeinde Arkesine 5 alexandrinische Talente . . . Drachmen zu monatlichem Zins von 4 Obolen 2 Chalkous bis zu einem bestimmten Termine geliehen. Strafe bei Verzug. Hinsichtlich der Zinszahlung findet sich die Executivklausel ' mit Orderklausel:

Auch du in dem Testament der Epicteta vod der Intel Thera, ans dem 3. oder 2. Jahrbundert t. Chr., geordnete merkwittdige Statnt eioer FuoDiengienoHenschaft (Boeckh, c. iiucr. gr. II Nr. 1448; Caaer, d«I. iOKr. p. 77 s. auch Darette, nouT. reme hiiEor. VI [18S2] p. a^ott., Keil, Hermei XXIII [1SS8] p. 339«*. ) enthält an uhheichen Stellen die Executivklausel wegen Nichtleistung von Busien u. dgl.; auch gegen den Genonenichaftivoisteher : IV (III) 1. 37 : n^catc9iu ; V 30; ir^foro oülöv; 31; ä n^S'S t<niy\ VII 4S.: npoxröf tinai : xzFT.: ngaxrot farat ; VIII 14: TigaicTif farta meist mit dem Znaati xirn rot (,odtx roiit) röftos also augentcheinlich Gesell oder Gewohnheitsrecht.

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184 Inhaber-, Order- und ezecutorische Urkunden im klamüchcn Alterthum.

Z. 9, 10: ÖTtodtöaovai <Si l/ioxeoiteis töv zöxoy

7un' htavtov roig davei(nmQ axiydvvov (s. oben

S. 180 Not. 2) iy UaxvnaXaiat v6fiiafta UU-

^ivSneov etc.

und dürfen, Z, 12, die Gläubiger selbst oder deren Boten

exequiren :

i] avvoi ^ aXXov iciftxpai ei[g\nQä\ao]6i.v, vgl. auch Z. 14: n^iei, Z. 20: elanqäaoovxi.

Z. 26; fijjdiv xv^K^egov fi^e voftov fi^e i//);'-

(piafta ,

wahrscheinlich stand also auch hier, wie in den drei anderen Urkunden, die Klausel: ov av inupiiirti oder dergl.

Weiter gehören dem hellenistischen Quellenkreise an: ägyptische Papyrusurkunden der Ptolemäer- und der römi- schen Zeit. In den von mir eingesehenen findet sich Order- oder Inhaber-Klausel nicht und, was wichtiger ist, Herr Pro- fessor Dr. Winkler erklärt, bisher diese Klausel nicht be- merkt zu haben.

Anders verhält es sich mit der Executivklausel.

Der vielbesprochene Papyrus O. Leyden ' aus dem Jahre 89 V. Chr. betrifft ein unverzinsliches Darlehen des Conuphis an den Perser Petimuthes in Höhe von 12 Drachmen; bei nicht rechtzeitiger Rückzahlung soll die Schuldsumme auf 18 Drachmen und 30 °;o Jahreszinsen wachsen. Am Schlüsse steht die Executivklausel:

r} nqa^is totta Kovovipei nai toig ^UQ atrcov TiaSäfts^ itt dixtjg.

Ob unter den ol Ttaq atiov verstanden werden Bevoll- mächtigte, Cessionare, Erben oder vielleicht nur die »Leute« (Untergebenen), oder ob darin eine Orderklausel Hegt, ist nicht festzustellen.

Der Papyrus 7 du Louvre ' , von unsicherem Datum (166 V. Chr.?) beurkundet em Getreidedarlehen unverzinslich; bei nicht rechtzeitiger Rückgabe Strafe des iifuö'kioy. Weiter :

Papyri graeci Mu»ei Lugduiu'-BftUivi ed. Leemuii (1843) p. 77.

Notices et extraits des muiascriu t. XVIII (Puit 1865) p. 171 ff.

, Google

Ceiuott im griechucben Recht? 185

^ ii TCßSiig liwai l4^ir,au (Gläubiger) ht tühi 'AuKXxntä- io^ (Schuldnerin) xai hi räiy vnaiixöyi^^ avt^ närtfav nfjäa- aovtt -AO^iinetj iy dixtjg.

Der Papyrus 62 du Louvre' (181 v. Chr.?) betrifft die Einziehung von Abgaben. Es heisst dort:

col. 6 1. 14: 'Eäv de ttvtg ftgog tag iyXtjXlmg 6<pei- kioatv ij ngä^tg tara i^ evog nai hi nda^iov (soli- darisch). Dass noch in der ROmerzeit Jt^^ig die Esecution be- zeichnet, erweist u. a. das Edikt des Tiberius Julius Alexander a. 68 n. Chr.:

4, Xva at npcf^Gig z€h> dofeioiy ix TÜr tTrapjfoWwi' t^t xal (iij ix TMv aiufjänov, daher TtQtxKiö^or = Schuld- gefängniss (Bruns-Mommsen, fontes^ p. 219). In der von Josephus (antiq. lud. XVI 9, 1) erwähnten ooyy^qiij des Herodes stand:

i^eivai Tijg jtQo&tttfuag (Zahlungstermin) na^tX- &ovaijg ^MSia Xafißävuv andaijg t^ X'^P'^i d. h., wie bereits Wachsmuth a. a. O. S. 300 bemerkt hat, unbedingtes Exequirungsrecht an dem gesammten (verpfändeten) öffentlichen und privaten Eigenthum des Königs, hier dem ganzen Land.

Ueberblickt man den durch die S. 172—185 umschriebenen späthellenischen Rechtszustand, so wird sich nicht bezweifeln lassen, dass in Gemässheit solcher Urkunden der blosse In- haber bezw. der durch Order als Gläubiger legitimirte Inhaber der Urkunde ein, gemäss der absoluten Verbindlichkeit der Urkunde unanfechtbares, sogar durch unmittelbare Vollstreck- barkeit ausgezeichnetes Forderungsrecht hatte. Wie sich hier- mit die noch immer herrschende Annahme, dass die syngrapha des griechischen Rechts, auch des späteren, eine schlichte Be- weisurkunde gewesen sei, in Einklang bringen lässt', kann hier nicht untersucht werden.

' Eod. p. 353 S. S. auch Papjrui III von Turin (PeyTon, papyri greci r. T. M. A^. Turin 1826/77) 1. 44 {nptx^ijvai)- P'Prr- V eod. 1. 14«".: ngSleu', n(faxt^atni, ngäoatir: Pap. VIII I, 86: n^/^viit nürör rii im-

' Zweifel gegen diese Annahme s. jetit bei Schnpfer, tingrafe e chiro-

,j ., .„Google

186 Inhaber-, Ord«r> und execotOTitche Urkand«) im klaittich«tt Alterlhuni.

Dagegen lösst sich die Frage nicht abweisen, in welchem Verhaltniss die Inhaber- bezw, Order-Klausel zu den allgemeinen Gnind^tzen des griechischen Obligationenrechts steht. Denn die Bedeutung dieser Klausel ist ja eine sehr verschiedene, je nachdem bereits freie (gerichtliche) Stellvertretung und freie Uebertragbarkeit (Cessibilität) der Forderungen besteht oder nicht besteht. Im ersten Falle bedarf es ihrer zur Geltend- machung von Forderungen durch Andere bezw. zu deren Ueber- tragung auf Andere nicht, wogegen sie sonstige, vielleicht weiter- gehende Zwecke als die Cession {so in der Gegenwart) ver- folgt. Im zweiten Falle ist sie Ersatzmittel der noch fehlen- den (gerichtlichen) Stellvertretung und Cession, kann aber von vorneherein mit weiteren Wirkungen als diese ausgestattet sein und so sich später auch neben der anerkannten Ces^on behaupten'.

Nun ist, soviel ich sehe, die Frage nach der allgemeinen Statthaftigkeit der Cession im griechischen oder auch nur im attischen Recht noch gar nicht der genaueren Untersuchung unterzogen worden. WennCruchon, les banques dans I'anti- quitö (Paris 1879) p. 25 behauptet: »la cession des cröances ^tait permise ä Äthanes par la loi de Solon* so ist er selbst- verständlich dafür jeden Beweis schuldig geblieben und es steht ihm keineswegs die Autorität Caillemers zur Seite, der vielmehr bemerkt, dass sich von Cession oder Indossament des »Wechsels« im attischen Recht keine Spur findet'. Da- reste spricht in seinen schätzenswerthen Erörterungen zu den Demosthenischen Reden (plaidoyers civils de Demosth^ne, Paris 1875) gar nicht von der Cession; I p, XL behauptet er, dass die Athener die effets ä ordre nicht gekannt hatten. Später (bulletin de corr. hellen. VIII p. 375 ff.) zieht er aus der syngrapha in Lacritum und den vorstehenden, neu auf- gefundenen Urkunden folgende Schlüsse :

Unter syngrapha hätten die Griechen eine Urkunde ver- grau (Ri«itta lUliantt per !e sdenie giuridiche VII, 3 [1S89], Tg), schon Branner, Zur Reclitigeschichte der Tömitchen und germaaUchen Urkimde (18S0) S. 49 Note 3.

S. meine Ausftthrungeii io der Zeitacbrift für du geummte Huiddv recht Bd. XXVIII S. 74.

) Elude» sur le* antiqujt^ jun'diquet d'Athtne«. Leitra chaoge (Pkrit 1865) p. 14 ff.

Dijiii.«, .-Google

CenioQ im griBcIuicheD Rechi? {g7

standen, welche einen Öffentlichen Charakter trug, mindestens auch die Gegenwart zahlreicher Zeugen und bereite Execution ohne richterliches Urtheil nach sich zog. Die Urkunde stellte regelmässig fest, dass das Vollstreckungsrecht Jedem zustehen solle, welcher sich Namens des ursprünglichen Gläubigers vor- stellte. Diese Klausel, welche man da, wo sie nicht aus- gesprochen war, als stillschweigend verstanden ansehen darf, macht aus der Urkunde »un titre, un valeur cessible et n^go- ciable et m^me en r^alitö un titre au porteur, toute fois avec l'obligation pour le porteur de prouver sa qualit^ de manda- taire, en cas de contestation*. An einer anderen Stelle (p, 374) nennt er die Klausel der Urkunde des Praxikles (oben S. 182) das älteste Beispiel >de la clause ä ordre<.

Dass in dieser Darstellung Richtiges und Unrichtiges durcheinandergehen, liegt auf der Hand. Einerseits ist es sicherlich unbegründet, dass die (jede) syngrapha die Exe- cutivklausel und gar die Inhaberklausel tacite in sich ge- schlossen habe {etwa wie der deutsche nicht der französi- sche — Wechselbrief die Orderklausel), wie üblich auch die erste war und wie häufig in späterer Zeit die zweite oder eine verwandte Orderklausel vielleicht vorgekommen ist. Anderer- seits ist nach dem Zusammenhang unserer Urkunden, nament- lich bei den schweren Bussen, welche in den amorginischen Urkunden auf Widerstand gegen die Execution gesetzt sind, keineswegs wahrscheinlich, dass der Urkundeninbaber ver- bunden gewesen wäre, sich über seine Befugniss zur Execution anders als durch die Urkunde auszuweisen. Endlich v^re, wenn die syngrapha schlechthin ein valeur »cessiblet war, der Nachweis des Urkundeninhabers ja keineswegs auf seine »qua- lit^ de mandatairei beschränkt gewesen es hätte ihm, was wohl auch Dareste nicht in Abrede stellen will, freigestanden, sich als Cessionar auszuweisen.

Lipsius(Meier und Schömann, Der attische Prozess) spricht von der Uebertragung der Forderung (?) nur S. 694 : »In diesem Falle (bei der in Form des Verkaufs auf Wieder- kauf, Trgäoig irti X^aet, erfolgenden Hypothekbestellung) wird die Uebertragung des verpfändeten Guts auf einen andern Scheinkäufer nicht selten vorgekommen sein. Dass aber bei jedem Darlehensvertrag das in der avyydaip^ dem Gläubiger zugestandene Recht ohne weiteres auf jeden Dritten Uber-

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183 lolisber-, Order- und ezecutorisch« Urkunden im Uassischeo Alterthum.

tragbar war, erscheint nicht glaublich.« Dazu Note 591 >Die Bestimmung {auf die Besonderheit unserer Klauseln wird gar nicht eingegangen) kommt auf Darlehensverträgen von Orcho- menos und Arkesine vor, darf aber darum nicht mit Dareste als stillschweigend auch da vorausgesetzt gelten, wo sie in der avyygatfi^ nicht enthalten ist.«

Näher, und zwar unter Verneinung allgemeiner Cessibilität, spricht sich Wachsmut h a. a. O. S. 295, 296 aus. Er findet in den amorginischen Urkunden die Besonderheit, dass die exe- cutorischen Maassregeln nicht nothwendig von der Person des Gläubigers auszuftlhren sind, dass die Kündigung der Kapi- talien nicht durchaus von der Person des Gläubigers auszu- gehen und dass die Rückzahlung der Schuld nicht durchaas an sie zu erfolgen hat, sondern dass für alle diese Geschäfte von den Gläubigern Beauftragte eintreten können und dass schliesslich ganz allgemein absolute Uebertragbarkeit jeder aus der Scbuldurkunde erwachsenen Forderung auf andere ausdrücklich ausgemacht wird. Daraus sei zu entnehmen, dass nach hellenischem Recht gewöhnlich die Pfändung von dem Gläubiger persönlich vorgenommen werden musste wofür auch ein, freilich nicht sicherer Beweis in der Pseudo-Demo- sthenischen Rede gegen Euergos und Mnesibulos (XX,VII §§ 63, 65) gehmden wird ~, diese Beschränkung werde hier aufgehoben und etwas Aehnliches sei vermuthlich bei solchen Darlehens vertragen öfters vorgekommen. »Doch ist der ein- zige m. W. bisher anderweit nachweisbare Fall (der orcho- menische der Nikareta) um deswillen nicht voll beweiskräftig, weil es sich hier um eine Frau handelt. Ganz neu ist die Uebertragung einer ausstehenden Forderung an Dritte, und man könnte sich versucht fühlen, hierin ein erstes Auftreten des Gedankens zu sehen, der zu dem modernen kaufmännischen Wechsel führte; aber der Weg ist doch noch sehr weit, und dass man auf ihm im Handelsverkehr innerhalb der helle- nischen oder hellenistischen Welt die weiteren entscheidenden Schritte gethan habe, dafür fehlt es bekanntlich an jedem Beweis.«

Ich darf einige Bedenken gegen diese unzweifelhaft för- dernde Darstellung nicht verschweigen. Zunächst finde ich hinsichtlich der lUebertragung ausstehender Forderungen« keinen Unterschied zwischen der Orchomenischen Urkunde der

..oslc

Cetsioa im griechischeD Rechte 1S9

Nikareta und den amorginiscben Urkunden; in allen gleich- massig findet sich die alternative Inhaber- oder doch Order- Klausel:

Kay ai.iog ifiigtief} ivcig Nixagitag und ov Sv im- (pifltfi, 0 daveiaag ^ oi nfifioaoyteg vfttQ avzov, nur dass in den amorginischen Urkunden noch ausdrücklich besonders hervorgehoben wird, dass auch die tiQa^tg durch andere (xelsvovzog nga^iy,3Jovg xeXsvovrog j^te^avdffov ^ avToi ij akXov nifi\pai iiun^jäaaBtv) geschehen dUrfe. Dass Nikareta ein Weib ist, würde doch wohl nur insofern in Betracht kommen, als sie diese Verfügung Über die ihr zustehende Forderung nicht ohne ihren (hier assistirenden) y.vQtog vor- nehmen durfte.

Sodann ist, wie W. wohl selber anerkennt, aus der That- sache allein, dass in Demosthenes c. Euergos und Mnesibulos die Möglichkeit, der exequirende Nichtgläubiger Euergos, (der Bruder des Gläubigers Theophemos, 63 : ^i ovtB dixijv w<f>- hqMty , ovie avftßöXaiov ijv not nqög alidv ovöiv. 65: Jtqbg ovdiv ftoi ngayfia tjv cfr. auch 53) könne den wirklichen bereits in Annahmeverzug gesetzten Gläubiger vertreten haben, nicht berücksichtigt wird, kein Schluss auf die recht- liche UnStatthaftigkeit einer derartigen Vertretung kraft er- weislicher Vollmacht oder Cession des wirklichen Gläubigers zu entnehmen; um so weniger, als nach der Darstellung des Redners, der Gläubiger Theophemos bis dahin und noch später in Person mit seinem Schuldner verkehrt, auch die ersten E*fändungsmaassregeln selbst (52), später in Gemeinschaft mit Euergos (58 ff.) vornimmt.

Nicht in der Lage, das gesammte Quellenmaterial zu über- sehen, will ich mich auf einige, insbesondere aus den echten und pseudo-Demosthenischeh Reden entnommene Bemerkungen beschränken.

Wider die allgemeine Statthaftigkeit der Cession durfte der Umstand ins Gewicht fallen, dass anscheinend überall der Gläubiger selbst seine Sache vor Gericht vertritt (nul plaid par procureur), auch die Gerichtsrede des Logo- graphen nur zur Unterstützung der Prozesspartei dient, mag derselbe auch, wie Demosthenes für Phormio, allein sprechen ' ;

' S. *uch £. Platner, Der Proiess nnd di« Klagen bei den Attikem I

oogle

190 Inhaber-, Order- und execntorUche Urknnden im kluMscIieD Alterthum.

von einem cognitor oder procurator in rem suam des römischen Rechts finde ich bei den Attikem keine Spur. Nicht unerheb- lich erscheint auch, dass Quintilian, freilich kein zuver- lässiger Zeuge für älteres attisches Recht, sagt (instit. orat. II, 15, 30): Nam et Socrates inhonestam sibi credidit orationem, quam ei Lysias reo composuerat; et tum maxime scribere liti- gatoribus, quae illi pro se ipsi dicerent, erat moris, atque ita iuri, quo non licebat pro altero agere, fraus adhibebatur.

Die häufig vorkommenden Zahlungsmandate, insbesondere Anweisungen auf die Bankiers, bestimmt bezeichneten Per- sonen Auszahlungen zu machen ' , erweisen selbstverständlich nicht die Cession, zumal häufig die Zahlung auf Kredit ge- schieht.

Dass es nicht Üblich war, auf blosse briefliche Anweisung, sogar an darin benannte Personen zu zahlen, zeigt Demosth. c. Nausimachos und Xenophitos (XXXVIIl) 1 1, 12, wo, aller- dings unter den besonderen Umstanden des Falles, eine so behauptete Zahlung als unglaubwürdig bezeichnet wird : %avia tip piij xv^ltjt Ttefttpavii ygäftftattx exav ditodovvai, und 14: et Tiva errsfiipev 6 ^i}ttdgeieg.

Wenn in den Bankbüchern sogar von vornherein notirt wird, wer an Stelle des Zahlungsdestinatärs die Zahlung in Empfang nehmen soll (gleich der vierten Person des >Prtlsen- tantent in der mittelalterlichen Tratte) : Demosth. c. Kalipptun (LH) 4, vgl. 7, so fällt dies gegen die Statthaftigkeit, min- destens gegen die Ueblichkeit der Cession, noch mehr selbst- verständlich gegen die Ueblichkeit einer Order- oder Inhaber- Klausel (eines etwa vom Bankier ausgestellten Empfang- scheines) ' ins Gewicht.

Andererseits findet sich in Demosth. c. Apaturios (XXXIII) 7, 8. die Uebertragung einer Forderung von 3 Minen, des Pannenon gegen Apaturios auf den Kläger, erwähnt : xai rag

(1S14} S. 94, obwohl er einige aatchänend abweichende VoTkommnUse auf- zShlt.

So insbet. Demostli. c Timotheum (XLIX), wo FuJon im Auftrage de* Timolheiu venchiedene Zahlungen leistet: 6, 16, 17, 22, 23, >S 30, 65 (ioBvtti txiktvatv 'ttvTi/iäxv etc.).

SoderSiebenbOigiicheDepotitabchein a. iä7p.Qv. (Bruns-Mommsen, routess p. z68).

izecoy Google

Cession im g;riechiacheo Recht? 191

%ifeig ag ti^ouXijtfiei oviog näg ixeivov ay&oXoyr^aa^isyog TiQog: tovToy. Die Uebertragung kann im Wege der Novation " oder der Cession erfolgt sein.

Wichtiger ist Demosth. pro Phonnione (XXXVI) 5, 6. Pasioa hatte die bei ihm von Geschäftskunden deponirten Gelder (11 Talente) im eigenen Namen verzinslich ausgeliehen. Als nun der bisherige Geschäftsführer Phormion von Pasion das Bankgeschäft pachtweise übernahm', somit auch die De- positen — so dass er selfist Schuldner der Depositengelder wurde (?) sah er , dass er ausser Stande sein würde , die von Pasion gegen hypothekarische Sicherheit ausgeliehenen Gelder einzutreiben (eianQcrTTei») , weil er noch nicht athe- nischer Bürger war: (j^ttio t^ noX$xeiag cdt^ nag' vfüv ovtnjg. Deshalb übernahm Pasion gegen ihn (bezw. gegen das »Bankgeschäft«) die Schuld von U Talenten, an Stelle derjenigen Personen, welchen diese Summen von Pasion aus- geliehen waren.

Der Schluss ist unabweislich , dass wenn dem Phormion nicht der Mangel des athenischen Bürgerrechts entgegen- gestanden hatte (wahrscheinlich, weil der blosse Metöke auch des Pfandbesitzes an Immobilien unfähig war), Phormion un- bedenklich die ausstehenden Bankforderungen an Stelle des Pasion von den Schuldnern hätte eintreiben dürfen. Es muss also, in Demosthenischer Zeit, die Cession oder gerichtliche Stellvertretung statthaft gewesen sein mindestens in Ver- bindung mit Ueberlassung von Bank- und ähnlichen Hand- lungen, zu deren Activa diese Forderungen gehörten aber sofern es sich um hypothekarisch gesicherte Forderungen handelte oder allgemein (?) nur zu Gunsten von Bürgern, nicht von Metöken oder von Fremden '.

' So Dirette, plaidajen dvili de Demoith^c p. 103, 214 Note 3.

> Die ^fiiaSaati" siebt Jo der Rede des Demoith. (lichtiger ApoIIodot) c. Siepluno* I (XLV) 31. Wie die Klausel: „öiftlUt 3i Ilaatio* taX rqv Tganiiav irrStxa xälarta tls tis itttquB^Xtts" voo ApoUodor dahin am- gedeutet wird, dut die 1 1 Talente in der Hatte gefehlt bitten nnd von Phiir- tnion untenchljgen worden leien , ist ein Meisterstück der Rabulisterei in diesem auch sodsI scbmaehrollen Recbtshaadel.

' Im mittelalterlichen Italien sind statutarische Verbote derart hlnfig, z. B. in Pisa, Padua, Modemi und sonst: Pertile, storia del diritto Itsliono IV p. SI7.

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192 Inhaber-, Order' und execntoriiclie Urkunden im ItlauUchen Alterthiun.

Dem hellenischen Quellenkreise nahe stehen selbst- verständlich die Plautinischen KomCtdien, insbesondere die nachweislich einem griechischen Original nachgebildeten. Immerhin darf man als Regel annehmen, dass Plautus nicht leicht Rechtsverhältnisse dargestellt hat, welche ganz ausser dem Gesichtskreise seines römischen Publikums standen, so dass sich aus solchen Erörterungen ein h-eilich nicht sicherer Be- weis für deren Vorkommen auch im romischen Rechtsleben entnehmen lässt. Gleichzeitig dürfte feststehen, dass zur Zeit des Plautus die Cesslon dem römischen Recht noch durchaus unbekannt war'.

Der Curculio' spielt bekanntlich in Karien und in Epidaurus, also auf hellenischem Boden. Der miles hat von dem Cappadox leno ein Mädchen für 30 Minen gekauft, dazu noch Kleid und Schmuck für 10 Minen. Den Preis hat er noch nicht bezahlt, sondern (mindestens die 30 Minen) bei dem ttar3>essita< Luco in Epidauris deponirt : apud tarpessitam situmst (2, 3, 64 ff. [v. 341 ff.], vgl. IV 3, 4 (v. 536]), aber mit folgender Anweisung: V. 345 ff.: Atque ei mandaui, qui anulo

Meo tabellas opsignatas attulisset, ut

daret Operam ut mulierem a lenone cum auro et veste abduceret. Demnächst stellt sich Curculio dem Luco vor, als Abgesandter des miles Therapongitonus Platagidorus : 3, 38 ff. (v. 402 ff.): Luco: Novi edepol nomen : nam mihi istoc nomine Dum scribo, explevi totas ceras quattuor. Sed quid Luconem quaeris? Cure: Mandatumst mihi

Ut has tabellas ad eum ferrem. Luco: Quis tu homo's?

Cure: Libertus illius, quem omnes Summanum vocant.

' lieber die Terwttltungtrechtliche sttributio det let liordearium in Aiüul. u. Foenul. i. Brnni, Zar Geichiclite der Cebion (Kleine Schriften II S. il, vgl. S. 38).

' Benntzt itt die Aiugabe von Fleckeiien (Teubner 1887).

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PloDlai Cmcnlkr; aififiolw in Flantiu' BMchUea nnd bei Lysias. 193

Nachdem sich Luco zu erkennen gegeben hat (v. 418 ff.), geht das Gespräch weiter (v. 420 ff.) : Cure: Multam me tibi

Salutem iussit Therapontigonus dicere Et bas tabellas dare me iussit Luco: Mihine?

Cure: Ita.

Cape-, Signum nosce. nostin? Luco; Quid si noverim?

Clupeatus elephantum ubi machera dissicit'. Cure: Quod istic scriptum esset, id te orare iusserat

Profecto ut faceres, suam si velles gratiam, Luco: Coocede: inspiciam quid sit scriptum. Cure: Maxume

Tuo arbitrato, dum auferam aps te id quod peto. Demnächst liest Luco folgenden Brief (III 59 ff. [v. 429 ff.]): iMiles Luconi in Epidauro [hospes] hospiti Suo Therapontigonus Platagidorus plurumam Salutem dicitc :

iTecum oro et quaeso, qui has tabellas

adferet Tibi, ut ei detur quam istic emi virginem, Quod te praesente isti egi teque interprete Et aurum et restem. iam scis ut convenerit Argentum des lenoni [et] huic des vir- ginem.* Nun fragt Luco (v. 437): Ubi ipsust? quor non venit? und berichtet Curculio über die Schicksale des mlles Th. PI. Nachdem sich durch diese Mittheilung Luco davon überzeugt hat, dass Curculio wirklich von dem miles Th. PI. abgesendet ist, bemerkt er (v. 452):

Credo hercle te esse ab illo und erklärt: sich bereit, der Anweisung zu folgen (v. 453/4): Nil moror. Sequere hac: te apsolvam qua advenisti gratia. Der leno Cappadox tritt auf. Luco sagt ihm (v. 458): Argentum accipjas, cum illo mittas virginem.

' Di« alio at das Siegel. Goldichmidl, Vermiichu Schri

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194 Inhaber-, Order- und eiecntoriscbe Urkunden im klutüchen Alterthnm.

In Act IV. 2 wird von Luco das Geld ausgezahlt, Luco er- sucht den Curculio, an dessen patronus (den mües) beste Empfehlung auszurichten (v. 524).

In Act. V erscheint der miles (Th. PL) bei Luco und be- gehrt Rückzahlung der 30 minae >quas ego apud te deposui< (V. 3, 4 [v. 535, 536]). Luco beruft sich darauf, dass er die- selbe bereits an den Freigelassenen des miles, Sununaous, zurückgezahlt habe. Dies bestreitet der miles, bemerkt aber, er hätte allerdings niemals auf Rückzahlung (von dem spitzbübischen Bankier) gerechnet (v. 541, 542): Idem ego istuc quom credebam ' credidi Te nihil esse redditurum. Luco entgegnet (v. 549, 550), er habe nur den Auftrag des miles respektirt:

quod mandasti, feci honoris gratia: Tuum qui Signum ad me attulisset nuntiumne spernerem. Der miles wirft ihm seine Leichtgläubigkeit vor (v. 551):

Stultior stulto fuisti, qui bis tabellis crederes. iLuco entgegnet (v. 552, 553):

Quis respublica et privata geritur, non is crederem? tibi res solutast recte. Es erhellt nun, dass der miles allerdings um sein Geld bezw. um das Mädchen geprellt ist, indem Curculio, der an- gebliche Freigelassene des miles, den Brief gefälscht und mit dem entwendeten Siegelring des miles verschlossen hatte (II. 3, 81 ff. [v. 360 ff.]). Da aber doch zwischen dem miles und Luco wirklich verabredet war, das Geld solle an den Ueberbringer eines mit dem Siegel des Luco verschlossenen Briefes ausgezahlt werden, so behauptet Luco, richtig an Cur- culio und damit an den miles (tibi res solutast recte) gezahlt zu haben und der geprellte miles erbebt schliesslich keinen weiteren Widerspruch.

Zu beachten ist, dass Luco dem Curculio trotz Vorlegung des Briefes nicht ohne Weiteres zahlt, sondern erst nachdem

Also das hier vorli^ende depoiitmn (irtegulire) wird als icrederer be- leichnet. Du Folgende nt «in Wortiriti aus der Doppelb«d«Dtaiig von credere d ^ •glauben*.

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Plsnlus Curcalio; trifißoXov in Plaatiu' BftccMdet nnd bei Lysias. 195

Curculio plausible Gründe dafür vorgebracht hatte, weshalb des miles nicht selbst komme und dass er Bote desselben sei. Andererseits ist, nach Plautus' Darstellung, an Curculio gültig gezahlt, und es würde das auch vom miles nie bezweifelt worden sein, falls Curculio wirklich rechtmässiger Briefinhaber gewesen wäre. Ob nun wirklich in einem derartigen Fall, trotz der voraufgehenden Vereinbarung, die Zahlung an den Producenten einer gefälschten Inhaberanweisung Liberation nach römischem (griechischem) Recht bewirkt hätte, mag zweifelhaft sein, interessirt uns aber hier nicht. So viel er- hellt mit Sicherheit: Die (echte) auf Inhaber lautende Zahlungsanweisung legitimirt den blossen Brief- inhaber zur Empfangnahme der Zahlung, minde- stens in dem Sinne, dass die bona fide geleistete Zahlung des Assignaten gegenüber dem Assignanten als giltige Zahlung gilt. Da aber im vorliegenden Falle der Assignat (Luco) sich bei dem blossen Inhaberbrief nicht beruhigt, sondern weitere Legitimation des Präsentanten (Curculio) begehrt und erlangt, so ist wahrscheinlich diese Inhaberanweisung nur ein un- vollkommenes Inhaberpapier in dem oben (S. 171) ent- wickelten Sinne: Luco durfte ohne weitere Prüfung gültig an den Inhaber zahlen, aber auch weiteren Rechtsausweis be- gehren. Entscheidend ist endlich nicht die in den Wachs- täfelchen ohnehin schwer erkennbare Handschrift, sondern das Siegel des miles.

Naturlich konnte das gleiche Ergebniss auch durch ver- einbarte Vorzeigung nur eines Siegelringes erzielt werden, indem mtindlich oder schriftlich ausgemacht wird, es solle an den Vorzeiger eines gewissen Siegelringes gezahlt werden. Von diesem Falle, wo also der blosse Siegelring als Inhaberanweisung fungirt, spricht Plautus in den einer Komtidie des Menander nachgebildeten Bacchides. Auch hier und noch klarer als im Curculio handelt es sich also um hellenische Sitte.

Nach der Erzählung des Chrusalus ist von dem Sohne des Nicobulus, Namens Mnesilochus, Geld des Nicobulus in Ephesus bei Theotimus, Priester der Ephesischen Diana depo- nirt, und zwar, nach bekannter griechischer Sitte, im Tempel : ibidem puplicitus seruant (II. 3, 72 ff. [v. 306 ff.]); ist weiter mit Theotimus verafjredet, er solle das Geld demjenigen zurück-

13'

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196 Inhaber-, Order- and execntoruche Crkanden im klauisclieD Altetiham.

geben, welcher ihm den Ring des Mnesilochns vorzeigt (11. 3, 95 ff. [t. 329, 330]):

Quia signumst cum Theotimo, qui eum (sc. aaulum)

illi adferet, Ei aurum ut reddat. An einer andern Stelle II. 3, 29 ff. (v. 263 ff.) ist von einem isumbulumt ohne nähere Bezeichnung die Rede, mit- telst dessen sich der Sohn des Nicobulus bei dessen Schuldner Archidemides in Ephesus legitimiren solle; der letztere leug- nete aber die Echtheit des isumbulumc

Ni. Quid ubi ci ostendit sumbulum? Ch. Infit dicere

Adulterinum, non verum esse sumbulmn. . Wie der Siegelring, konnte auch ein anderes Erkennungs- zeichen laut Vereinbarung zur Erhebung deponirter oder kre- ditirter Gelder legitimiren.

Ein solches avußohnr ist vielleicht (?) die goldene Schale des GrosskOnigs bei Lysias vtiSQ l^gimo<pavovg xQ^^fimiav 19, 25 (p. 154)". Auf diese Schale will nämlich deren Em- pfänger Demos von Aristophanes Geld leihen, weil der Nehmer der Schale auf diese, neben sonstigen Vortbeilen, auch Geld genug auf dem ganzen Festland erhalten werde * , doch lässt sich A. auf das Geschäft nicht ein.

9. Unter den siebenbUrgischen Darlehensurkunden befindet sich ein offenbar nach hellenischer Sitte fonnulirtes chiro- graphum > vom Jahre 162 n. Chr. (Bruns-Mommsen, fontesi p. 267), Inhalts dessen Alexander Cari(cci) bekennt, von Julius Alexander 60 E>enare empfangen zu haben und deren Rückzahlung nach Kündigung verspricht. Desgleichen

S. Ubd die vielerCrtarte Stelle Heinia alteithUiiieT S, 454 NoL a. Dui hier nicht ti ■ein kann, lenchM ein.

* ort lUtß* avfißolov Jtafä ßaatUus roS fityälov ipiälifv X9'"'V' noi-iMV yaf äyii9^ xal alXam xal j[ftifiäi<oi> ivnoQ^oiiii tut eififlolov

3 S. anch Huichke, Die Lebre rSmiKlieii Rechts vom Darlehn (igSa) S. 97.

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Klintel tei ad quem ea i«i psttinebit«. 197

verspricht er stipulationsweise vom Tage der Aasstellung ab monatlich 1 "/o Zinsen:

dari Inlio Alezandro e. a. q. e. r. p. d. h. eive ad quem ea res pertinebit*.

Die Unbestimmtheit dieser Klausel lässt die Möglichkeit zu, an eine Order- oder gar eine Inhaber-Klausel zu denken. Die Klausel >is ad quem ea res pertinett begegnet vielfach und in sehr verschiedener Bedeutung. Die Legalerklänmg in 1. 70 D. de V. S. (50, 16):

Verba haec >is ad quem ea res pertinetc sie intelli- guntur, ut qui in universiun dominium vel iure civil! vel iure praetorio succedit, contineatur " trifft nicht immer zu. Der Satz des Paulus in 1. 126 § 2 D. de V. O. (45, 1):

plerumque enim in stipulationibus verba, ex quibus obli* gatio oritur, inspicienda sunt: raro inesse tempus vel condicionem ex eo, quod agi apparebit, intellegendum est: nunquam personam, nisi expressa sit gilt so allgemein nur fUr die römische Konventionalstipulation. Schon die cautio de rato mit der Klausei » heredemve eius eumve ad quem ea res pertinebit«, bezw. mit der weiteren Klausel >si ille in integrum restitutus fuerit heresue eius aut is ad quem ea res, qua de agitur, pertinebit* ^ wird freier be- handelt : 1. 3 pr. 1. 22 § 7 D. rat rem. hab. (46, 8), vgl. auch 1. 33 § 3 mit 1. 39 §§ I, 2 D. de proc. (3, 3). Desgleichen die Ediktklausel >ei ad quem ea res pertineti in 1. 9 pr. g 3 D. de bon. auct. iud. (42, 5) ; die Satisdationsklausel des arro- gator >ad quos ea res pertinet« in 1. 19 D. de adopt. (t, 7); die Ediktklausel für das ins iurandum meque in ipsum neque in eum ad quem ea res pertinet* in 1. 7, 8 D. de inreiur. (12, 2); die (interpolirte ?) ' Klausel eius ad quem ea res pertinet im iaterdictum quod iegatorum: 1. 1 §§ 11, 14, 15, vgl. 1. 1 §§ 3,

< IHe Klsnid fehlt in 4et toaU Umlichen Urkande L 135 pr. § 1 D. de V. O. (4S, 0. findet sich dagegen in 1. 46 D. (leeta) D. d. R. C. (la, l) TOD Panlui: Pnblio Maerio eire ad quem ea res pertiDebil.

' Vjl. L 53 § I D. de O. et A. (44, ?)■ 1-1 8 "• 1- "9 8 5- 1- 3' % at D. de aed. ed. (21, i), auch (?) 1. 3 § nlt. D. de contr. tut. (17. 4)-

3 Lenel, edictum S. 433-

* Lenel, «dictum S. 361; Lenel, Palingeneüa II col. 801, 8m.

, Cioogle

198 Inhaber-, Order- und «lecntoriiche Urkunden Im klainicheD Alteithum.

10 jceteros successores« § 13: »sive per universitatem sive in rem sit successum* D. quod leg. (43, 3).

Immerhin lasst sich aus dieser Klausel kein sicheres Er- gebniss gewinnen und die allgemeinen Prinzipien des römi- schen Obligationenrechts stehen der Erstreckung der Verbind- lichkeit gegen nichtgenamite Dritte entgegen. Aber wie durch diese Prinzipien sicher nicht die Statthaftigkeit der unvoll- kommenen Order- und Inhaber-Klausel ausgeschlossen wird, so zeigt das in den Rechtsquellen freilich nicht behandelte, aber im Verkehrsieben häufige Institut der Auslobung, dass nicht schlechthin an der Unbestimmtheit des Gläubigers Anstoss genommen wurde. Denn tiberall wird die Belohnung dem (un- bestimmten) Finder u. dgl. zugesagt : >si quis eum reddere aut commostrare voluerit, accipiet n. M.«, idixit daturum se denar. M ei qui ad se servum perduxisset< bis herab bis zu dem be- rühmten Hundehalsband »cum revocaveris me domino meo Zonino, accipis solidumt '.

Ist so das Schweigen der Rechtsquellen, bei deren arger Lückenhaftigkeit und Verstümmelung, kein entscheidender Be- weis gegen das Vorkommen der für den hellenistischen Quellen- kreis sicheren Zusagen an Order oder an Inhaber, so ist doch andererseits möglich, dass, wie aus leicht begreiflichen Gründen die Executivklausel in Wegfall kam, so auch die hellenisti- schen Ansätze zu Schuldur künden auf Inhaber und an Order mit der vollen Ausbildung der Cession und Delegation, welche das praktische Bedürfniss sicher befriedigt haben, verkümmert sind. Um so eher, als Cession wie Einkassirungsvollmacht in dem überwiegend urkundlichen Rechtsverkehr der späteren Zeit sich durch formlose Hingabe der Schuldurkunde " voll- ziehen konnten, die Delegation aber, wie sich sogleich zeigen wird, indirekte Zuweisungen in umfassendem Maasse ermöglichte.

10. Unbedenklich nämlich in Gebrauch ist die Cr der an Wei- sung. Denn das Mandat (iussos, delegatio'), mittelst dessen

Tzscbirner, de indole promiss. popul. (Berol. 1S69) p. 35 ff., sucb BrunB-Mominscn, fontei' p. 373. 374.

> 1. 44 g 5 D. de leg. I (30). 1. 59 D. de leg. III (31) u. a. m. Meine Schrift: Studien zddi BesiUrecht (Festgabe ftlr R. T. Gneitt. läSS. 5. 70).

i Ueber inisoi und mondalum i. insbe». Biim, Pandekten II> S. 375 NoL 31 S. 3Z3.

Die OrderaDTeisnng: I. ii D. de doviL 199

sowohl die Kreditanweisung wie die Zahlungsanweisung bewirkt wurde, ist eine überaus freie, ganz den Interessen des grossen Verkehrs gemäss ausgebildete Rechtsform.

Der sichere Beweis dafUr liegt in einer sehr wichtigen, zwar viel besprochenen, aber, soviel ich sehe, nur von Gide richtig interpretirten , in ihrem Zusammenhang mit der hier interessirenden Lehre nirgends gewürdigten Pandektenstelle, der 1. 11 D. de novat. et deleg. (46, 2), Es ist sehr auf- fallend, dass sogar Thöl, der bei seiner durchaus roma- nistischen Auffassung der Orderklausel ausreichenden Anlass gehabt hätte, unsere Stelle der näheren Prüfung zu unterziehen, auf dieselbe zwar eingeht (Handelsrecht I * § 333 Note 4 und dazu den Text), aber den entscheidenden Punkt ignorirt. Ulpianus libro 27 ad Hd.

Delegare est vice sua alium reum dare creditori vel cui iusserit. Fit autem delegatio vel per stipula- tionem vel per Litiscontestationem.

Basil. XXVI 4, 11 : '0 xe*'"ö*'Jfi «'S f^ftov at-rov öidioaiv vnev^tfvov Tip davei(n§ ^ ^tivt intz^i\pBi, ij dtä iite^ta- XT^aetas ij dia Tt^oKozäQ^eoig.

Dass in dieser Legaldefinition für die klassische Zeit das wichtige >vel per expensilationemc fehlt', desgleichen, dass dieselbe insofern zu enge ist, als die Delegation keineswegs nothwendig ein Schuldverhältniss zwischen Delegant und Dele- gatar voraussetzt', hat man schon wiederholt mit Recht her- vorgehoben.

Desgleichen ist ungenau der Satz >fit autem delegatio u. s. f.*, da durch stipulatio oder litiscontestatio nicht die An- weisung jgeschieht« (fit), sondern vollzogen wird. Es wird, was allerdings auch sonst begegnet, der Ausdruck delegatio auf das ganze, aus Anweisung und Vollziehung der Anweisung (durch promittere) zusammengesetzte Rechtsgeschäft be zogen ',

>E)elegare aliquemt heisst, jemand zu einer Leistung an-

' T.Salpin», Novation und Delegation S. 78 ff. i Gradenwiti, i Zeibchr. f. Hkndelsr., N. F. VII S. 297, 398.

* Thöl, Handelsrecht I* § 333 NoL 4; Btinz, Pandecten II> 5. 379 Not 43-

3 Richtiger Seneca de benef. VI 5 g 2: delegatione et verbis petfidtur solntio. S. auch Brinz a. a. O. S. 375.

, Cioogic

200 Inhaber-, Order- und executorische Uricaiiden im kla«Udien Aliecthum.

weisen, synonym mit mandare, iubere, nur spezialisirt durch die nothwendige Beziehung auf den Leistungsdestinatär (alicoi, d. h. creditori sive alio cuilibet)'.

Die Anweisung kann mündlich oder schriftlich erfolgen. 1. 17 D. h. t. (46, 2): delegare scriptura debttorem suum quis potest'.

Hat nun um bei den Voraussetzungen der 1. II stehen zu bleiben Maevius von Titius 1000 zu fordern, so ge- schieht die Kreditan Weisung (iussus oder mandatum promit- tendi) und analog die Zahlungsanweisung (iussus oder man- datum solveodi) dadurch, dass Titius den Sempronius münd- lich oder schriftlich ersucht (anweist), er möge die 1000 dem »Maevius vel cui iusserit« zu zahlen versprechen (zahlen) oder so, dass Titius den Maevius ersucht (anweist), er möge »sich vel cui iusseritc die 1000 von Sempronius versprechen (zahlen) lassen. Die schriftliche Anweisung in der üblichen Briefform (epistola)» enthalt also die Orderklausel:

Maevio vel cui iusserit (sc. Maevius) promitti (dari), etwa in der Form:

Titius Sempronio salutem. Peto et mando tibi (quaeso etc.), ut M (quae Maevio debeo) Maevio vel cui iusserit (Maevius) dari pi^jmittas (des), ganz wie in der araorginischen Schuldurkunde a (oben S. 182) die Gemeinde Arkesine zu zahlen verspricht : IlQaiixlel § wi av xeXevjji ÜQaifKX^g.

Selbstverständlich ist durch die blosse Anweisung die Zu- wendung der 1000 an Maevius noch nicht vollzogen, daher Titius (Delegant, Assignant) von seiner (etwaigen) Schuld gegen Maevius (Delegatar, Assignatar) noch nicht liberirt. Diese Rechtswirkung tritt aber ein, sobald Maevius oder

' S. auch Gradeuwiti i, a. O. und Wölfflin cod. IX S. SR > S. auch Mflhieubrach, Ce(sion3 % 4 Not. 641 KcMct, Litis- coutestation und Urlheil S. 90 Not. 5, 6.

3 Belüge bei Gneis t, Formelle Vertrlje S. 336—338; die Definition, du« epiitola rin «Schuldscheine in der Form eines Briefe« sei, iat freilich Tiel lu enge. So enthalten i. B., wie Gncist selbst hervorhebt, L S9 8 S ™^ L £a § I D. mand. (17, i) ein Kiediimandat, i. 60 § 4 eod. eine Vollmacht in BiiefTonn. S. auch Bruns, Unlcrachriften S. titff. (Kleinere Schriften II, S. 97 ff.).

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Die Oidermwelniiic : L ii D. de ooraL 20t

dessen Order (Delegatar, weiterer Assignatar, Indossatar, etwa Seius):

a) von Sempronius (Delegaten, Assignaten) periculo suo ' die 1000 stipulirt, oder

b) mit Sempronius deswegen litem contestirt, oder

c) von Sempronius die 1000 (direkt oder indirekt) gezahlt empfängt.

Wenn Seius die Order des Maevius stipulirt, so wtirde dies in der Form geschehen: Seius: M quae Titius Maevio debet, dare mihi

spondes? (mihi dabis etc.) Sempronius: Spondeo (dabo etc.). Im Falle c ist die beabsichtigte Zuwendung definitiv rea- lisirt. In den Fällen a und b ist Sempronius dem Maevius (oder dessen Order Seius) unmittelbar obligirt, wie ein Wechselacceptant, und kann daher prinzipiell gegen Mae- vius (Seius) nicht aus den Valuta- oder Deckungsver- hältnissen excipiren:

quia in privatis contractibus et pactionibus non facile scire petitor (Maevius bezw. Seius) potest, quid inter eum qui delegatus est (Sempronius) et debitorem (Ti- tium) actum est, aut etiamsi sciat, dissimulare debet, ne curiosus videatur: et ideo merito denegandum est adversus eum exceptionem ex persona debitoris'. Durch Realisirung der Anweisung wird eine doppelte Ver- mögenszuwendung bewirkt, des Deleganten an den Delegatar und des Delegaten an den Eteleganten: 1. 180 D. de R. J. (50, 17). 1. 56, 64 D. de solut. (46, 3). 1. 13 § 12 D. de don. int. vir. et ui. (24, 1). l. 2 § 2 D. de donat (39, 5) u. a. m.^. Durch Hinzufügung der Orderklausel erhöht sich die Zahl der Vermögenszuwendungen, indem nun der Delegatar (Mae- vius) seiner Order (dem weiteren Delegatar, Seius) eine

5. unten S. ]o6.

■L 19 D. de aovKL (46, 1); ThOl, Handelnecht I*- S. 33a; Schle- tinger, Die Unanfechtbarkeit der Delegationsati pnlation S. SfT.; t. S>1pia9 a. n. O. S. itglT.; Brini II' S. 380 E; Windscheid, Pandekten [auch 8. Anfl.] 11'' § 35S Not. 6 ff.

ä V. Salpin« ». a. O. S. 43 ff, ; Lotmar, Cansa S. 99 K, IlSif.; A\'ind»cheid [anch 8. AuH.J II, § 353 NoL 9, § 412.

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202 Inhaber-, Order- anA execuloritche UTkunden ii

Leistung zuwendet; es ist möglich, dass die Order (Seius) einen weiteren Leistungsempfänger bezeichnet u. s. i.

Das Quellenmaterial ist zwar nicht tiberall vollkommen deutlich, aber doch ausreichend :

1. 9 D. de cond. c. d. (12, 4): Jemand will einer Frau schenken und verspricht auf deren Weisung (iussu eius) an deren Bräutigam.

1. 36 D. de iure dot. (23, 3) : Der Schuldner einer Ehe- frau verspricht iussu eius dem Ehemann derselben.

1. 5 § 3 D. de donat. int. vir. et ux. (24, 1): si debitor viri iussu mariti uxori promiserit. Vgl. 1. 2 §§ 1 4 D. de donat. (39, 5). 1. 7 pr. § 1 D. de doli m. exe. (44, 4). 1. 33 D. de novat. (46, 2). 1. 64, 66, 108 D. de solut. (46, 3).

Näher Gaius 1. 31 § 3 D. de m. c. donat (39, 6):

Si iusseris mortis causa (mihi daturus?) debitorem tuum mihi aut creditori meo expromittere decem . Wie nun , wenn der debitor zahlungsunfähig ist ? Habe ich stipu- lirt, so bin ich bezahlt, soweit der Schuldner zahlungsfähig war; hat mein Gläubiger (meine Order) stipulirt, so: tantam videri pecuniam mc accepisse, in quantum a creditore meo liberatus sum.

lulian. 1. 18 § 1 D. eod.:

Si donatunis mihi mortis causa debitorem tuum creditori meo delegaveris, omnino capere videbor tan- tam pecuniam , quanta a creditore meo liberatus fuero. quod si ab eodem ego stipulatus fuero, eatenus capere existimandus ero, quatenus debitor soluendo fuerit .

Marcian I. 49 D. de solut. (46, 3);

sed si iussu eius (creditoris) alü solvatur vel creditori eius vel futuro debitori vel etiam ei cui donaturus erat

Papinian 1, 96 pr. D. eod.:

Pupilli debitor tutore delegante pecuniam credi- tori tütorls solvit: liberatio contingit, si non malo consilio cum tutore habito hoc factum esse probetur.

Julian (Ulpian) 1. 9 § 8 D. de R. C. (12, 1):

cum quotidie credituri pecuniam mutuam ab alio (z. B. dem Bankier) poscamus, ut nostro nomine cre- ditor numeret futuro debitori nostro

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Die OrderanweitaDg: 1. ii D. de novit 203

Tgl. 1. 15, 30 eod. 1. 34 D. maodat. (17, 1). 1. 19 § 5 D. ad S. C. Vellej. (16, 1).

Zwei gleichzeitige Deleganten (pater et filius) ; ei promit- tendum fuit, cui uterque iusserit. 1. 2 § 1 D. sol. matr. (24, 3), -

In der Regel wird von den Interpreten auf die Klausel »vel cui iusserit« in 1. 11 D, de novat. nicht näher eingegangen, oder dieselbe wird gründlich missverstanden. Thöl I' § 333 übersetzt die Klausel »vel cui iusserit* dahin, dass der Dele- gant demjenigen, der sein Gläubiger ist, »oder werden soll«, statt seiner einen neuen Schuldner stellt Ob mit den hervor- gehobenen Worten die Order (der weitere Delegatar) be- zeichnet werden soll, ist nicht ersichtlich.

V. Salpius S. 87 vertheidigt die in unserer Stelle ge- gebene Definition der delegatio und bemerkt sodann: Die Worte: »vel cui iusserit« werden gewöhnlich (?) bezogen auf den komplizirten Fall einer gleichzeitig ausgeführten doppelten Delegation, von dem Deleganten an den creditor, von diesem an einen Dritten, so dass ergänzt wird, cui »cre- ditor« iusserit, nämlich reum dari. Eine viel näher liegende Beziehung gewinnen die Worte aber, wenn man ergänzt cui (non creditori) delegans iusserit promitti. Der Fall wird so gedacht, dass der Delegatar nicht Gläubiger des Dele- ganten ist, der Delegant also fremden Kredit statt seines eigenen giebt. Diese Auslegung findet sich auch bei Aelteren, insbesondere Duaren. Sie ist aber unmöglich. Denn in unserer Stelle ist der Delegant stets Schuldner des Dele- gatars, nur darf der Delegatar sich einen anderen (weiteren) Delegatar substituiren. Natürlich erfolgt nicht gleichzeitige Doppeldelegation, noch weniger Ausführung zweier Dele- gationen. Vielmehr hat der Delegant (Titius) es in das Be- lieben des Delegatars (Maevius) gestellt, ob derselbe vom Delegaten (Sempronius) die Zahlung der 1000 sich (Maevio) oder einem andern statt seiner (einem beliebigen , etwa dem Seius oder dem Fublius oder wem er sonst will) versprechen lassen will; vollzogen (ausgeführt) wird die Delegation (das angenommene mandatum promittendi) dadurch, dass Sem- pronius Zahlung verspricht, dem Maevius oder, falls dieser es verlangt, einem andern (dem Seius oder Publius oder ).

Salkowski, Novation S. 121, Not. 44, ergänzt richtig

204 Inliaber-, Order* und ex«catoritche Urltondeii im kUioicheii Alterthnm.

creditor, meint aber, A (Titius) weise den B (Sempronius) an, dem C (Maevius) zu promittiren, was D (Seius), Gläubtgo' des A, dem C schuldet. Eine solche Anweisung ist zwar möglich, aber in unserer Stelle nicht enthalten. Es ist nicht nothwendig, dass dem C promittirt wird, sondern es kann auf Verlangen des C direkt dem D promittirt werden, und es ist nicht nothwendig, dass D Schuldner des C, noch dass D Gläubiger des A ist. Von alledem enthält unsere Stelle nichts.

Ganz wunderlich übersetzt unsere Stelle C. Danz, Die ForderungsUberweisung mit anscheinender Zustimmung Dernburg's, Pandekten [auch 5. Aufl.] II § 59 Note 7: lEine Delegation liegt vor, wenn ein Schuldner an seiner Stelle seinen Gläubigem einen andern Schuldner gibt oder wenn ein Gläubiger an seiner Statt seinem Schuldner einen anderen Gläubiger gibt.« Das vel cui iusserit heisse so viel wie >vel debitoric und es sei zn lesen: vel (reum dare ei debitori) quem (delegans) iusserit. Mir scheint hier Missverständniss auf Missverständniss gehäuft und durch willkürliche Hineintragung des zweiten Falles der Delegation (Delegation seitens des Gläubigers) der Sinn der Stelle völlig verdunkelt.

Das Richtige meint vielleicht Gradenwitz a. a. O. S. 298: >Man kann nicht bloss dem Gläubiger einen Mann stellen, sondern ebenso einen Vierten, an den der Gläubiger den Mann weist« aber es scheint doch das Missverständniss unterzulaufen, dass von vornherein die Person des »Vierten« bestimmt sein müsse, womit die so werthvoUe Orderklause! nahezu allen praktischen Werth für den Delegatar einbUssen würde.

Auf Gide, 6tudes sur la novation (Paris 1879) komme ich sogleich zurück.

11.

Die vorstehenden Ausführungen dürften ergeben haben, dass das hellenische Recht, sicher das spätere, die Schuld- verschreibung an Order oder an Inhaber, wenigstens mit alter- nativer Order- oder Inhaber-Klausel kannte.

Aus Plautus erhellt, dass im zweiten Jahrhundert vor unserer Zeitrechnung, anscheinend auch im römischen Ge- schäftsleben, die briefliche Anweisung mit der einfachen In-

Ueberweisnngdcelte. Scontratlon. Schluu. 205

haberklausel vorkam, aber anscheinend nur als unvollkommenes Inhaberpapier.

Für die Schuldverschreibung mit Inhaber- oder Order- Klausel findet sich in römischen Quellen kein sicherer Anhalt ; ganz sicher dagegen ist die (mtlndliche oder schriftliche) An- weisung mit der Orderklausel.

Es ist femer nicht abzusehen, warum nicht die »Order< (Seius) weitere »Order« ertheilen könnte, sowohl zum Z^ahlen wie zum Promittiren, es ist also eine Kette von Ueber- weisungea denkbar, wie mittelst des heutigen (indossirten) Orderwechsels und im heutigen wie mittelalterlichen Scontro- verband. Dies bemerkt auch zutreffend G i d e a. a. O.p. 439ff., indem er 1. 11 de novat. richtig von der successiven Delegation versteht und die Bedeutung der Delegation für den römischen Kreditverkehr richtig würdigt. Um so auffallender ist dann freilich, dass Gide, nach Schilderung der heutigen Orderklausel p. 437, 438 bemerkt: »une clause bien simple en apparence, mais que tout le g^nie des jurisconsultes romains n'avait pas su inventer*!

Es versteht sich von selbst, dass die komplizirten Kredit- operationen, im Alterthum vielleicht noch mehr als in der Gegenwart, sich vorzugsweise mittelst des hoch ausgebildeten Bankwesens vollzogen. Der Ueberweisungsverkehr wird sich vorzugsweise gegenüber oder gar zwischen Bankiers bewegt haben. Jeder anständige, nicht völlig unbemittelte Grieche und Römer hatte so gut seinen Bankier wie der heutige Engländer; durch ihn zahlte er und kassirte er ein, ihm überwies er seine atisstehenden Forderungen und Schulden u. s. f.". In den Händen bezw. Büchern der Bankiers koncentrirte sich so die Masse der ausstehenden Geschäftsforderungen, und da sie selbst- verständlich untereinander in fortlaufenden Geschäftsbeziehungen standen, so müssen sie auch ihre Konten durch regelmässige Abrechnungen angeglichen haben.

Ist so der Delegatar (Maevius) Bankier, so lässt er selbst- verständlich das Zahlimgsversprechen bezw. die Zahlung durch den Delegaten (Sempronius) an denjenigen leisten, welchem

> Wu M.Voigt, Ueber die Bankien, die Buch fUunns und di« Litteral- obliguioD der Rfimer (1887) S. 13 15 du lOrdergetcIiIft* nennt, okne die

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206 Inhaber', Order- und «cecntoriiche Urkunden im IcUaitcheD Altotham.

er eine Zahlung zuweisen will: an einen Kunden, welchem er zahlen, kreditiren will, an den Bankier dieses Kunden u. s. f. Das Zahlungsversprechea bezw. die Zahlimg wird natürlich nur einmal geleistet ; dass etwa der Delegat (Sempronius) »an Order« promittirt, ist nach Obigem wenig wahrscheinlich.

Setzen wir an Stelle der promissio (Stipulation bezw. Sti- pulationsurkunde : cautio) nach klassischem Recht die expensi- latio, so wird der Delegatar (Maevius), welcher mit dem Dele- gaten (Sempronius) in Geschäftsverbindtmg steht, die 1000 entweder sich oder seiner Order (Seius vielleicht der wei- teren Order des Seius) transscribiren lassen : a persona in per- sonam, und es können auf weitere Order des nunmehrigen Buchgläubigers (Seius etc.) weitere Uebertragungen in den Bankbüchem erfolgen: Gaius III, 130.

Durch die promissio an oder die transscriptio auf (Maevius bezw.) Seius wird Sempronius diesem obligirt: verbis oder literis. Wird der Delegant (Titius) dadurch gegenüber dem Delagatar Maevius (falls er dessen Schuldner ist), bezw. wird der Delegatar (Maevius) dadurch gegen seine Order Seius (falls er dessen Schuldner ist) liberirt ? Entscheidend ist, ob Maevius bezw. Seius suo periculo' die Zusage (promissio , trans- scriptio) des Sempronius entgegennimmt, oder ob dies nicht der Fall ist

Paulus. I. 26 § 2 D. mand. (17, 1): quia bonum nomen facit creditor, qui admittit debi- torem delegatum. Vgl. Paulus. 1. 22 § 2 eod.:

cum debitor mens periculo suo debitorem suum mihi delegat.

Vollzieht sich die promissio bezw. transscriptio auf Gefahr des Delegatars, so besteht die Möglichkeit der Scontration, welche bekanntlich seit den mittelalterlichen Wechselmessen in immer steigendem Maasse zur Ausgleichung der Schulden des grossen Geschäftsverkehrs dient. Denn ihr einfacher Grund-

< Ob dt» >tno periculo* im Zwdf«l tablnteingirt wurde, insofern also die promissio des Delegaten als Baarleistiiag des Deleganten galt, ist freilich iweifelhaft, mid es dtlrfle diese reine Aasl^itngsfrage tod den klassischea Juristen sellxt verschieden beantwortet worden sein im Bank- verkehr wahrscheialich bejahend. Ueber die Streitfrage s. Wiodscheid, Pan- dekten 11^ [auch 7. beiw. S. Aufl.] § 412 Not. 17, § 500 Not 9 nnd Gt,

oogle

UebenreLiuDgikette. Scostration. Schlais. 207

gedanke ist, dass unter den Mitgliedern des Scontroverbandes und in einem solchen können sehr wohl römische wie griechi- sche Bankiers gestanden haben, man denke nur an deren Organisation in Konstantinopel noch zur Zeit Justiniaos : Nov. 136. Ed. Justin. VII. IX. jedes gleich gut ist, sich daher die Ueberweisung jedes anderen Mitgliedes dieses Ver- bandes als Schuldner gefallen lassen muss'.

Endlich ist zu erwägen, dass zwar ein formlos statthaftes constitutum zur Vollziehung der Delegation nicht genügte', dass aber im späteren römischen Recht die promissio (das Stipulationsversprechen) überwiegend urkundlich mit beigefügter Stipulationsklausel geschah und dass sogar der Gegenbeweis unterlassener Stipulation gegen die Stipulationsurkunde (cautio) beschränkt, schliesslich nahezu angeschlossen wurde '. In dem so überwiegend schriftlichen Geschäftsverkehr schon der klassi- schen Zeit musste die Orderklausel der Anweisung eine wich- tige Rolle spielen. '

Ob all dies sich im Bankverkehr nicht noch einfacher vermittelst des receptum argentarü gestaltet hat, lässt sich bei der Lückenhaftigkeit unserer Ueberlieferung nicht fest- stellen. Dass dieses schneidige Institut nicht mehr zu dem leitenden Gedanken des byzantinischen Wirthschaftslebens passte, ist freilich zuzugeben, und Justinian motivirt denn auch dessen Abschaffung, 1. 2 C. de const. pec. (5, 31), in ähnlicher Weise, wie das heutige Wechselinstitut von manchen wenig verständigeren Gegnern bekämpft wird.

Höchst fragmentarisch ist unser Wissen von dem grossen Geschäftsverkehr der klassischen Zeit und nur mühsam ver- mögen wir aus zufälligen Ueberlief erungen , sowie aus den durch die KompUatoren arg verstümmelten Juristenschriften, welche ohnehin durch ihre abstrakte Fassung die thatsSchliche Unterlage der Geschäftsverhältnisse nur zu häufig verdecken, ein sicheres Bild von dem Verkehrsrecht dieser Blüthezeit zu gewinnen. Nicht einmal so viel ist zu ersehen, ob das spät-

Mein Sjstem da Handelmchli in GniDdrui> (1SE9) S. 17S [4. Aufl. {1892) S. 319].

' S. anch Lenel, PolmgenesU inrii ciTÜii II col. 579 Not. 5.

S I, 14 C de contr. stip. {8, 37); Gneiit a. a, O. S. 243 ff. Vgl. BruDDer, Zar Rechtsgcachichte der Urlmade S. 54, 6off. nnd Kftriowa, Rdm. RechUgeichichCe I 5. 779 ff., SoolT., 995 ff., iioi.

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208 Inhaber-, Ordei> und execnloisclw Urkunden im klasiBcheD Alterthnm.

griechische Recht mit seinen die Inhaber- bezw. Orderklausel enthaltenden Scbuldurkunden, etwa auch mit der Executiv- klausel', mindestens im hellenistiscben Osten noch in späterer Zeit als Bestandtheil eines vorwiegend auf altem Handels- gebrauch beruhenden »Vulgarrechts» Geltung bewahrt, viel- leicht gar weitere Verbreitung gefunden hat.

Dem antiken Wechselbrief, dessen Spuren noch mehr verdunkelt sind, muss, wie schon im Eingange bemerkt ist, eine besondere Untersuchung zu Theil werden.

* Dui lolche Toiluun, leifrC das pactum de ingredienda ponesaioael 1. 3 C. de pign. (8, 14) von Severut und Antoninus. S. über die Stelle Dern- bnig, Ffandrecht 11 S. 337 mid Wach, ArreitproceM I S. 57 ff.

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7.

URSPRÜNGE DES MÄKLERRECHTS.

INSBESONDERE:

SENSAL.

(1882.)

Goldacbmidt, Tenn. Schiißen U.

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I.

Bekanntlich hat vor geraumer Zeit Labaod den Nachweis versucht, dass die Handelsmäkler in den romanischen Ländern wie in Deutschland ursprünglich nur Urkundspersonen, nämlich mit öffentlichem Glauben versehene Schreiber und Solennitätszeugen gewesen seien, welche dami auch, anfangs wohl per abusum, sich mit der Vorbereitung tmd der Ver- mittelung von Handelsgeschäften befasst, endlich dafür ein Monopol erlangt haben ' ,

Die auf einen bisher nur wenig benutzten Apparat vor- wiegend deutscher Rechtsquellen gestützte, mit Feinheit durch- geführte Hypothese hält indessen, meines Erachtens, der ge- schichtlichen Untersuchung nicht Stand. Insbesondere ergeben die freilich erst während des letzten Measchenalters in aus- reichender Zahl aufgedeckten romanischen Quellen, aus welchen das moderne, auch in Deutschtand unter Ueberwindung des vielleicht originären dürftigeren einheimischen Verkehrsinstituts siegreich durchgedrungene, nun wieder im Absterben begriffene Mäklerrecht erwachsen ist, dass in den Mittelmeerländem die Handelsmäkler von vorneherein' als vereidigte Beamte der Kaufmannschaft, Städte, vielleicht schon früher der orien- talischen Fürsten in einer rechtlich fest geordneten und aus-

Zeitschrin für Deutschei Recht vonBeseler, Rejrscher und Stob be Bd. XX S. I ff. C1860).

' Die Neapolittmische Urkunde tod 965 (Regii Neapol. archivi monnm. 1S47, n. 109 p. 137), welche PertUe, Stori« del diritto Ital. IV p. 647 Note 49, als Utestes Ztagtäf fBr die Geschiclite des italienischen Miklerrechts dtirt, b«tieht lich nicht sowohl auf Getchäftavermittler, ils auf gute Freunde, durch deren Znreden die Streittheile lu einem Vergleich über Grundsttlcks- rechtirerhiltnitse gelangt und ; per colloqnia >TonoruiD homiuum< remmu« in

, Cioogic

212 UnprUuge de« Miklerrechti. Inibetondere; Sennd.

schliessenden VermittlersteUtmg auftraten. Ob sie von vorne- berein auch die Vertragsurkunden abgefasst haben und ob sie alsbald mit Öffentlicher Glaubwürdigkeit versehen waren, lässt sich nicht nachweisen eher dürfte das Gegeatheil wahr- scheinlich sein.

Die rechtliche Ordnung des Mäklerwesens ist sehr alt; ihre Anfänge reichen sicherlich in den Beginn der KreuzzUge zurück.

Von früheren Erwähnungen der Mäkelei und Mäkler- taxen für einzelne Gegenstände (z. B. für Pferdehandel, für Heirathsvermittelungeo u. a. m.) soll hier abgesehen werden. Aber:

Genua hat bereits 1154 »censariic, welche festbestellt sind und zur Waarenschätzung verwendet werden (lib. iur. reipubl. Genuensis I Nr. 205).

Eine von den emendatores brevis revidirte Mäklertaxe von Genua, bei schon früherem Bestände von Statut und Korporationsverfassung, datirt von 1204 (lib. iur. reipubl. Gen. I N. 475).

In Venedig bestehen Mäklerordnung und Taxe 1217 (Romanin, storia documentata di Venezia II p. 38t)'; aus- führliche Bestimmungen enthält u. A. das Capitular des Deut- schen Hauses daselbst 1268 ff. (s. unten).

Barcelona hat eine Maklertaxe 1251 und eine ausführ- liche Mäklerordnung 1271 (Capmany, memorias historicas t. II , appendice de algunas notas p. 72 ff. , vgl. t. I parte 2 p. 215).

Ein bereits revidirtes Statut für die Mäklerinnung wird 1275 in Lucca erlassen (Bini, I Lucchesi a Venezia I p. 345 ff.).

Für die Mäkler der Tucher- und Weber-Innung in Siena enthält das Statute de' lanajuoli von 1298 dist. VI (Statuti Senesi scritti in volgare per cura di F. L. Polidori) aus- führliche Bestimmungen.

In Piacenza ist schon vor 1275 ihr Rechtsverhältniss geordnet (Stat. antiqua mercatorum placentiae , rev. 1321 : Nr. 265 ff., 324, 363, 599, 628, 691, 692).

Vgl. auch Ubec die Venet. Miklcricnang : Sagredo, mlle delle arti edificalive in Veneiia p. 59 ; Veouia e te sue lagoae vol. I p.

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Unprtlage des MUderrecliU. IntbeioadeKt Sanaal. 213

In Florenz enthält Bestimmun^n das Statut der Wechslerzunft von 1299 (Pagnini, della decima II p. 135), ausführliche, das mindestens bis 1302 zurückreichende, wieder- holt revidirte, 1332 vulgarisirte hochwichtige Statut der arte de' mercatanti di Calimala, insbesondere lib. II c. 1 (bei P. Emiliani-Giudici, storia dei comuni Italiani vol. III p. 171 ff.).

Verona hat seine Mäklerordnung (auch hier Innung und Innungsstatut) im Stat domus mercatorum von 1319 lib. III c. 63 ff.

Besonders reich ist, wie in allen handelsrechtlichen Ma- terien, das Statutarrecht von Pisa. Neben zahlreichen Vor- schriften im breve communis von 1286, insbesondere lib. I c. 163, 164, aus denen wir u. A. ersehen, dass 100 Mäkler bestellt werden wenig abweichend das revidirte breve com- munis von 1313 ff., insbesondere lib. I c. 215 (Bonaini, Statut! ined. di Pisa I p. 295, III p. 231) enthalten die Statuten der grossen Kaufmanns- und Gewerbs-Gilden (curia mercatorum, curia raaris, ars lanae, welche seit 1305 revi- dirt sind), sowie die Speziaistatuten der einzelnen Innungen theils sehr ausführliche Vorschriften, theils eigentliche be- sondere Mäklerordnungen, z. B. breve sensalium zum breve consulum mercatorum bezw. dem breve dei consoli di mer- canti, zum breve curiae maris bezw. dem breve dell' ordine dei mare u. a. m. (z. B. Bonaini, statuti ined. di I^sa vol. I p, 97, 115, 585, 606). Daran schliessen sich Bestimmungen in den Genuesischen und Pisaner Faktoreistatuten für Pera, kodificirt spätestens 1316 (Promis in Miscellanea di storia Italiana t. XI p. 513 ff., vgl. Lastig, Entwicklungswege und Quellen des Handelsrechts S. 173ff.); Cagliari, von 1318 (zuletzt edirt von Bonaini a. a. O. III p. 1083 ff.: cap. 39ff.: Capitulo de' Sensali) u. A. m., sowie mehr oder weniger eingehende Bestimmungen in den zwischen den italienischen Städten und den Sarazenenfürsten geschlossenen Handels- verträgen (Amari, i diplomi Arabi dei R. Archivio fioren- tino. M. de Mas Latrie, traitfö de paix et de com- merce et documents divers concemant les relations des Chrötiens avec les Arabes de l'Afrique septentrionale au moyen Ige). Die Quellen bereits bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts fliessen ungemein reichlich, dagegen die längst bekannten und viel

l^iOOglc

214 UrtprUng« det Mlklerrecbu. Insbesonder«: ScdmI.

fach erwähnten italienischen Mäklerordnungen gehören fast alle der späteren Zeit an.

Die Bezeichnungen der Geschäftsvermittler in den ver- schiedenen Ländern sind Überaus mannigfaltig, und merk- würdiger Weise ist für die meisten und wichtigsten darunter die sprachliche Herleitung äusserst dunkel '. Das deutet darauf hin , dass es sich um vielfach Übertragene und damit

' Id den germADischen Linden) begegnen intbeiondere die Beteicli- nungen;

s Dd(t)er)(anffel, nndeTconfer n. dgl. '~ lubmetcator , Zwücben- hKndter. So schon in Köln 1360 (Ennen und Eckerti, Urknodenbuch II Nr. 416}, SUdtbnch Ton Augsburg 1276 (Meyer) Art. XXVI, SUdIrecht Ton München (Auer) Art. 316, 495, 503, in StraBborg, aber ancli Prag, Brilnn, Wien, Ofen n. 1. f. Vgl. «ach J. Grimm, WeiithUmer I 343, 761, 38; U 15t. Eintelnet bei Laband a. a. O. S. soff, nnd namentlich SchmoMer, Die Straaburget Tücher- nad Webenonft S. 366, 41g, 439S.

MSlcler, makelar n. d^,, das dem hochdeutschen imecheler* ent* ■precbende niederdcnlMfae nnd niederllnditdie Wort, von maken ^ machen, alio dec Zutandebringer, Vermittler, Unterhfindler. S. Heyne im Dentfchen Wötteibacli vonj. nnd W. Grimm b. *. Vgl. Pauli, LQbeckische ZostSnde * im Mittelalt« I S. 139,- III S. 73 il. (in Lübeck bereits im Jahre 1300 nnter diesem Namen); Hirsch, Handels- und Gewerb^eschicbte Daniigs S. 330; Holtte, Du Berlitier Handelsrecht S. 47 (rgl. dain Zeitschrift Ar Handetsr. XXVIS.623)iWarnk6Dig,FlandriicheRecht%eKJiichte II Anhangs. 74, 146.

Broker , die von Alten her in England ttbUche Bezeichnung in den Utereo lateinischen QueUen heissen sie abroctatores, abrocalores, brocatorea (a. B. Charta Edw. U für London Hr. 167, Edw. III Nr. 163, Ricardi II Nr. 339 u. a. m.: Über Albas I p. 143, 153, 15S u. s. f.), broccarii (i. B, (^destatnt Ton Berwick c. 37 bei Toulmin Smith, English güds p. 343). So auch in Dieppe 1x45 (1353^ (Ducange t. v. abrocator). Vgl. die Au- diOcke abbrocamentnm nnd abrocamentnm (achat en gros et vente en detail); aber auch abbocator (abböcamento) bei Dncange. Auf den lebrteren, ala >Vermitiler, Zwischenhindler* schon im II. Jahrhundert Torkommend, will den abrocalor lurtlckRIhreni De FrJville (Memoire snr te commerce mari- time de Ronen I p. 163). ZusammenhSngeD<h biocanter, brocanteur; Littrtf, dictionnaire erkllrt den Ursprung fUr unbekannt, fhhrt aber broc (s. B. de btoo en bonche) an, ron den spltlateioischen brocns, t>roca. Das letstere hat anch Dncange für ager incnltus, also •Bmchland«. So anch La Curne de St, Falaye, Dict. histor. de I'anden langage francats h. t. Mir scheint alle- dem die germanische Wurzel >brech< (brocke, brocken, goth. brikan, brCkun, brukans, althochdeutsch u. a. prochau, angesSchsisch t>recan , brSc, englisch break 'gl- J- und W. G rimm h. t.) nnterinliegen : der Vertheiler, welcher die Waare de« Grosshindlers an die Detailhlndler vertheilt, wie untweideatig in abbrocamentnm u. dgl. ; jedenfalli niher als etwa die Wunel «brauch*.

.oügle

Unpittnge de« MUcIenechts. InfbetmideM; SchmI. 215

mehr oder weniger umgebildete Ausdrücke der kosmopolitischeD Geschaftssprache handelt, deren variirende Formen daher auch schwerlich sich aus den regelmässigen Formen der Sprach- bildung erklären lassen. Vielleicht dass unsere Sprachforscher diesen Gesichtspunkt doch zu wenig in's Auge fassen.

Bereits der vielgereiste Balducci Pegolotti führt in dem seiner berühmten, bald nach 1335 geschriebenen Pratica della mercatura voraufgehenden kurzen Vokabularium der im Handelsverkehr gebräuchlichsten Worte, wesentlich erschöpfend für Handelsmakler folgende Benennungen auf (Della dedma III p. XXn): isensale, curattiere, mezzanoc, sämmtlich >in piü linguaggic, endlich imessetto in Vinizianescoi.

In den romanischen Ländern begegnen, neben dem aus den römischen Quellen entlehnten: prozeneta u. dgl. (proseneta, prosoneta, proxoneta, z. B. in Verona, GaSta, Savfma), die ganz allgemeinen Benennungen: mediator, mezanus und namentlich die in Venedig und einzelnen Nachbarstädten, wie Verona, Mantoa, Modena, Brescia und Cremona vorzugsweise übliche Bezeichnung misseta(us), auch messeta(us), missita, mezetus u. dgl.' augenscheinlich dem byzantinischen fieahTjg entlehnt. Sodann die drei schwie- riger-en eigenthUnüichen Ausdrücke:

maloserius oder tnarosserius, marossarius u. dgl.: in Oberitalien', wie Mailand, Parma, Piacenza.

Mit weiterem Sprachgebiet: corratarius, cor{r)e- tarins, curritor, cursitor, cursator, Cursor^ u.dgl.

< Damit hingt luMmineii die veoetUiuKbe Stutnt^abe von den durch HlUer TermitteltcD , f^er tdd allen Vertrlgen , die miuetaria , mevettaria u. dgl. So t. B. Capitoliie dei nsdomini dd fontego dei Todetchi in Veneiia (ed. Thomai) tatp. 133 ff. und Thomai, R^iMer p. 396; Romanin, itoria docniD. III p. 87, 356; IV p. Ö3; VI p. 44; VIII p. 363. Ferro, diiionaiio dd diritto comune e Vmeto t. VII p. 175 ff. S. unten S. laS.

> iMalosomt ichon 1165 in Vercelli (Monnin. biitor. patr. Chart. U Nr. iJiS ooL 996). Ducange hat nur imarosieTiDt*. In MtiUnder Statuten (über conioel. Medial, anni 1216 ed. Berlan p. 337, 247) andi: marosiarii, nwloMerü. Maröt, mttouie (nemoni; maroMenr) bexeichnat ala noch jetit in Oberitalien (Iblich md will Ton dem Spaniichen maroEiJro (?) abldten ; Chernbini, Tocabolorio Hi1anese>It«Iiana (1841) voL HI h. v. Vielleicht arabiaclMn Urtpningi?

i >CBiMtot««' »choa 1194 im Prinleg ftli Cbarost (Contnmier gtintnl de U France III, 3 p. tooj).

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216 Unprtliige de« MMdcrrsditi. Inibewodece: ScdmI.

in Marseille (1253), Nizza (1274), Piacenza (vor 1275), Barce- lona (1283)' so das spanische corredor (Barcelona 1271), das portugisische corretor, das französische courtier u. dgl.

Endlich: sensalis, das italienische Sensale.

In der letzten, ja sehr allgemein gewordenen Bezeichnung findet Laband einen deutlichen Beweis für den von ihm an- genommenen Ursprung des Maklerinstituts.

Ueber die Abstammung und ursprüngliche Bedeutung des Wortes, welches der lateinischen Sprache des Alterthums un- zweifelhaft fremd ist, herrscht seit langer Zeit Streit, Du- cange, dessen auch neueste Ausgabe von Henschel für die dem Handelsrecht angehOrigen Ausdrücke der mittelalter- lichen Latinität die bedauerlichsten Lücken aufweist, meinte, dass in einer noch zu erwähnenden Stelle des Synodicon Nicosiense statt sensales >cursales( zu lesen sei; später ist zwar die Richtigkeit des Wortes und dessen Bedeutung »Ver- mittler« anerkannt, aber ohne etymologische Erklärung. Bei »sensariusc hatDucange, ursprünglich *qui ad censum, seu

> In den Paiüer lanungutataten des 13. JahrhundertB (r^lements des irti et meliers de Paris) begegnen überall die Ansdittcke corratier, coorretier, couna(e)tage a. dgl. Die Wemhandelsstatuten Ton GraTelingen 1363 haben correclien und correüers (Wsinkfinig, Flindr. RecbCsgeschichte II, 3 An- hang S. 139); das flandritche Privileg dei deutschen Kxnflente in Ardenbn^ 1386 h&t rub. VIII XI: couretBge, couretier (cod. Anh. 5. 47); sogar hi Labeck schon 1290: conetagium (LUbeckei Urkundenbuch I Ni. JäS). Vgl. über die Beieicbnungen : Ducange ed. Henachel h. v. Füi Franlueich werden aus dem 13. und 14. Jahrhnndect erwShntt C0Dr(r)atier , coui(r}etier, coT(t)etMr, cor(r)atier, cur(r)Btiet, cuitier, coulatier, coultier, z. B. La Carne de St. Palaje, djct, historique de l'ancieD langage frasgalse l. IV h. v., LittrJ, dictionn. h. v. Dass die Herleitung von >curia> unrichtig ist, ver- steht sich; iweifelhaft könnte nur sein, ob von currere oder tob curare. FUt die erste spricht, ausser anderen Gründen, bsbesondere auch, dass die eigent- lichen MSkler in Pisa genannt irerden: > umhergehende M&kler«: sensali andare oder che deno andare, im G^ensati zu den stehenden, nümlich den im Kauf- haus (fundacBs) stSndJg befindlichen, gleichfalls vennttlelndeD Kaufbausbeamten (fondacarii) ; den ersteren wird das Umbergehen, das ist das Aufsuchen der KSufer und Verkfinfer, sogar zur Pflicht gemacht, z. B. breve dell' arte ddia lana (1305) c. 63, wie noch im Preoss. A. LJL II, 8 g 1335 ! Dass das Wort in Italien entstanden ist, leidet wohl keinen Zweifel ; die Herleitni^ von cnta curato mag sprachlich unbedenklicher erscheinen , aber auch sie ist, wie mein Herr Kollege Tobler anerkennt, nicht ganz befriedigend. Littrj vertritt tn. A. diese Herleitnng, La Cnrne de St. Palaye mit Mfnage, Rej- nouard u. a. die Hetleitong von cuneie (coorre, coutIt).

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UnprOnge dei MikloTKchts. InsbeioDdeKi Senul. 217

SHb aliqua praestatiooe elocat< jetzt richtig = sensalis. Früher UbHche, mitunter noch jetzt' vertretene Herleitungen sind von xenialis, welcher Bürger und Gäste vereinigt, also entsprechend dem richtig verstandene» proxeneta; oder von der venetianischen »sensai , d. h. »ascensac , der grossen Waarenmesse am Himmelfabrtstage , welche ursprünglich 8, später 14 Tage lang stattfand '. Die Herleitung von icensualisc vertreten u. A. Adelung, Diez (s. v. sensal, censal, prov. >cessal() und Laband. Der Letztere weist, was allerdings von den Sprachforschem übersehen wird, darauf hin, dass censnalis nicht allein den Schatz- und Steuerbeamten be- zeichnet — aus welcher Bedeutung sich doch schwerlich die Bedeutung »Mäkler« entwickelt haben kann , sondern in der späteren römischen Rechtssprache auch Schreiber, Ur- kundenverfasser und Urkundenbewahrer (instrumentarü) 3 ; über die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Sensal könne sonach kein Zweifel sein (S. 18, 19).

Indessen erhellt nicht, dass auch in dem Neulatein des späteren Mittelalters jemals censnalis in der Bedeutung von »Schreiber« , noch weniger , dass es in der Bedeutung von iMäklerc vorkommt. In c. 29 des Synodicon Nicosiense von 1257 (s. unten) werden vielmehr die motarii et alii scriptores« scharf von den »mediatores, quos sensales appellant« ge- schieden, und eine Identificirung beider ist mir in dem ganzen italienischen Quellenkreise nicht begegnet.

Eine ganz andere Herleitung, nämlich von dem arabischen simsär, findet sich, unter scharfer Zurückweisung anderer Etymologieen, bereits bei Muratori, antiquit. Ital. med. aevi t. VI (ed. Aret. 1775), diss. de origine et etymologia italicarum vocum, Catalogus s. v. Sensal (p. 985), und bei einzelnen Neueren, wie Amari, diplomi Arabi p. XXV, vgl. p. 411 5. auch den Hinweis bei Thomas (Urkunden zur älteren Handels- und Staatsgeschichte von Venedig II p, 488 Note 1).

' Z. B. Bini, i Luccheii a Voneiia p. 91 ff.

> Romantn, Roiia 11 p. ili; IV p. 493.

i Dass flbrigens die den offida angehSrigeD •scribae« überhaupt lu den Kassen- und Schatibeamten und insbesondere denCensoren in engeren BeiiehnngeD standen, a.Mommsen. Römisches Staatsrecht I (2, Anfl.) S. 334, 3361 337 [3' Auft- S. 349, 350, 3S". 3S4]- Dihei mag sich der ipStere Sprachgebrauch erklSren.

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218 UrsprllDge des Milclerrechl*, Insbetoadere: SeoMl.

Die Etymologie ist ohne Zweifel richtig, aber es fehlt doch bisher an jedem Versuch queUenmässiger Begründung. Diese soll im Folgenden gegeben werden.

Was zunächst das arabische Stammwort betrifft, so ver- danke ich der Güte meines Kollegen, Herrn Professor Dr, Sachau, folgende Mittheilung, welche die weitere inter- essante Thatsache ergibt, dass auch simsär nur ein persisches Lehnwort ist.

iDas Wort SimsSr findet sich schon bei alt- arabischen Dichtem und wird von den arabischen Lexiko- graphen für ein Fremdwort erklärt (Gawailkls Mac&rrab ed. Sachau, Leipzig 1867, S. 90, 83).

Es wird identificirt mit dem Wort sifstr, das in etwas verschiedener Bedeutung bei einem altarabischen Dichter ans der Zeit vor Mnhammed vorkonmit (z. B. von Elasmiit, einem der berühmtesten arabischen Philo- logen, bei H. D^renbourg, Dtwän de Näbtgha Dhob- jänl S. 252).

Dasselbe Wort kommt vor im babylonischen Talmud in der Form ~i;c5 safsär =^ proxeneta; davon ab- geleitet ein Abstraktum safsdrüth = licitatio. Eine andere Form desselben Wortes ist wahrscheinlich sarsfir im rabbinischen Sprachgebrauch. S. Buxtorf, lexicon tal- mudicum etc. 1529, 1555.

Auch das Syrische muss einmal das Wort safstr gehabt haben, denn es hat ein davon abgeleitetes Verbum safsar in der Bedeutung: handeln, viel reden (Bar BahlOl); femer das Abstraktum sufse- rQtha = licitatio.

Simsär geht zurtlck auf Sifsär und auf das persi- sche sipsär, das im Neupersiscben in derselben Be- deutung (Mäkler) gebraucht wird. Die semitischen Unterthanen der sasanidischen Grosskönige durften das Wort im Verkehr mit den Persera sich angeeignet haben, und von diesen oder auch direkt von den Persera erhielten es die Araber.

Eine plausible Etymologie von sipsär ist mir nicht bekannt; wahrscheinlich ist es ein nomen com- positum.*

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UnprfiDge des Miklenechu. Intbesonder«: SenuJ. 219

Ob nun das der Vulgärsprache angehori^ Sensale, latini- sirt sensaHs, direkt, also unter Vertauschung namentlich des r mit dem 1, aus dem isimsär* hergeleitet sein kann, werden die Philologen besser beurtheilen. Wahrscheinlich ist mir, dass ursprunglich in der italienischen Vulgärsprache sich ein dem >5imsär< oäberstehendes Wort einbürgerte, welches dann in den lateinisch abgefassten Notariatsurkunden und Statuten latinisirt wurde.

Es braucht nur beispielsweise auf die Ausdrücke fnndacus, fondicus, fontegus, fonticns u. dgi. (Lagerhaus, Kaufhaus) hin- gewiesen xa werden, welche aus dem Vulgärwort fondaco, foatego u. dgl. umgebildet sind, wie dieses dem arabischen fondnk entstammt, welches seinerseits wieder aus dem griechi- schen ttavämtog, jiapdoxüov entlehnt ist'. Charakteristisch für den Ursprung unseres Wortes aus der Vulgärsprache ist z. B., dass in den Statuten von Ga€ta (nach 1391 : Alianelli, Delle antiche consuetudioi e legge marittime delle provincie Napolitane) das cap. 192 die Ueberschrift trägt: Ete proxe- netis et sansariis, imd mit den Worten beginnt: Proxenetae seu sansarii, demnächst aber nur von den »sansarii* spricht, somit von den unter dieser (latinisirten) im Geschäftsverkehr üblichen Bezeichnung vorkommenden Personen, für welche proxenetae oder mediatores die dem solennen Statutarstyl, weil den römischen Quellen entsprechende Benennung bilden. Aehn- lieh Synod. Nicos, c. 29: >mediatores, quos sensales appellant«.

In den latelnlsell geschriebenen Statuten und Urkunden begegnen, spätestens seit dem 13. Jahrhnndert, die Ausdrücke sensalis, sensalia, sensalaticum.

Das Synodicon Nicosiense, Beschlüsse der Synode von Nicosia auf Cypern, entMIt rub. XIX contra usurarios vom Jahre 1257 (Mansi, s. c. c. t. XXVI p. 320): .Similiter et mediatoribus , quos sensales appellant, ne tractarent aut pro- moverent conventiones contractuum praedictorum < (sc. vetuismus).

So durchgängig in Pisa: z. B. breve com. Pis. 1286 lib. I c. 60, 152, 163, 164 u. A. m.; breve cons. mercator.

S. die Nicbwräe i. B. Heyd, Geschichte de* Levtmtebsndeli II 5. 430 Note 6.

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220 UnprDnge d«* Htlclerrechtt. IiubesoDdere : SeoMt.

civit. Pis. von 1305 c. 30 ff.: >Sen5aIes, qui sint trametza- tores* also wohl zur Verdeutlichung des entlehnten Wortes. Sassari, Stat. von 1316 lib. I c. 30 (Cod. diplom. Sardin. I p. 522 ff.). Lncca, Stat. der ars sensalium 1275, servitium Sensalie 1284 (Bini, i Lucchesi a Venezia p. 345 ff., 91 ff.).

Statt sensalis wird, meist später, auch geschrieben: sen- zalis: Stat. del com. di Lucca 1308 lib. III c. 107, 121; censalis: Privileg, von Nizza, 15. Jahrh. (Monum. bist patr. leg. muncip. fol. 227), Stat. von Savona nach 1522 (Par- dessus, collect, de lois mant. VI p. 595).

Aber neben >sen5alis< kommen auch in denselben Quellen vor: sensarii, und senseria oder sensaria fUr Mäkler-Amt und Geld: Venet Statut für Pagam 1341 (Monum. spect. ad histor. Slavor\im meridion. II Nr. 180), Stat. von Florenz 1415 lib. IV tract. cons. art. et mercat. rub. 45, 51.

Weiter begegnet censarius', und zwar in Genua von Alters her bis auf die späteste Zeit:

1154 (Üb. iur. reip. Gen. I Nr. 205), 1204 (eod. I Nr. 475); 1288 , 1290 (Privilegien des Königs Leo von Armenien und des Sultans Melech Almansor von Aegypten: eod. II Nr. 64, 96); 1316 (?) Stat. für Pera c. 101; 1326 (?) (Breve bei Canale, nuova istoria di Genova II p. 252); Urkunden von 1410, 1415 (lib. iur. II Nr. 380, 390); 1433: Vertrag zwischen Genua und Tunis c. 34 (de Mas Latrie doc. p. 139); ISS''? Stat. Genuae lib. VI c. 17; 1610 Gesetz (Genuensis reipubl. leges anni 1576 nebst Addit. app. p. 9); Statut von Savona nach 1522 u. a. m.

Dem entsprechend : censaria ^= Mäklerlohn (z. B. lib. iur. II Nr. 64); später = Geschäftsstempelsteuer; gabella censarie (z, B. noch Genues. Verordn. v. 1661 u. A. in leges compe- ranmi S. Giorgii p. 133). Vgl. auch Arch. stör. Ital. 1866 p. 112, 113.

Nur sensarius und sensaria begegnet inConsuet. Agri- genti 1319 ruh. XVII (v. Brünneck, Siciliens Stadtrechte p. 228).

San seriös: Venet. Rathsschluss 1446 (Lattes, la libertä delle banche a Venezia p. 63) sanseria: Venet. In-

Dnonge hat die guiE nnrichtige AiuIeEung; qni >d cenium sen e iliqaa elocat; Henichel s^, ohDc weitere ErklSrnng: teuMlii.

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UnprUnge dei MtklecrecliU. Iii«be*oiidere: Senul. 221

struktion von 1322 (Romauin, storia doc. di Venezia III doc. 2 p. 377).

Saosarius und sansaria: Venetianischer Vertrag mit Aeg3fpten 1254: precipere debent sansariis (Tafel und Thomas a. a. O. 11 Nr. 1325); Cabella super pignoribus etc. um 1317 von Messina (Miscellanea di storia Ital. X p. 144 ff.); StaL von Gaeta nach 1391 c. 192 (Alianelli 1. c).

Hiemach kann es keinem Zweifel unterliegen, dass in der Geschaftssprache der Mäkler als Sensale, censar, sensar, sanser, sansar, d. i. eben als simsär bezeichnet wurde.

Dies ergibt sich aber auch aus den tn der VulÄftKippache auf uns gelangten ältesten Quellen.

Die Ausdrücke sensali, sensalia, senseria, sensaria finden sich z. B. in den Florentiner Ordinamenti agli sponsali, etwa Ende des 13. Jahrhunderts (Emil. Giudici a. a. O. III p. 149); im Stat. dell' arte di Calimala üb. I rub. 27, 71; Üb. II c. 1 (eod.); im Statut von Sassari von 1316 üb. I c. 30 (Cod. diplom. Sardin. I p. 522 ff.) ; in einem sehr wich- tigen Erlass des podestä von Lucca 1346 (Bandi Lucchesi del sec. XIV Nr. 181 p. 113), in Luccheser Geschäftsbüchern 1375 (Bini a. a. O. p. 381); in zahlreichen Verträgen italie- nischer Staaten mit den SarazenenfUrsten : 1397 c. 22, 1445 c 25, 1488 Zusatzartikel 3, 1489 c. 6, 1496 c. 25 (Amari, dipl. Arabi p. 319, 177, 369, 382, 197); in der italienischen Version der Stat. mercat. von Brescia und Crema 142939; isensali e cozoni«; in den statuti dell' universitä de' merca- tanti di Bologna von 1509 und später, insbesondere rub. 31, 32 u. V. a.

Noch gewichtiger ist folgendes:

Bereits 1207 begegnet der isensalec in einem von dem turcimanno di Bugia Achmed-Ibn-Tamin an einen Pisaner Kaufmann gerichteten italienischen Schreiben (Amari a. a. O. Nr. 25 S. 75 ff.). Der Rotentiner Balducci Pegolotti (bald nach 1335) bezeichnet überall den Mäkler als Sensale, die Courtage, wovon er zahlreiche Tarife der verschiedensten europäischen Handelsplätze mittheilt, als senseria bder sense- raggio (Della decima III p. 28, 74, 117, 130, 164, 200, 209, 229, 247, 276); der ein Jahrhundert jüngere G. Antonio de Uzzano nennt dieselbe isenseriac (eod. IV p. 147).

In dem Vertrag zwischen Venedig und Aegypten 1442

oügle

222 Ursprung de* MEklerrecfats. Insbesondere: Sen«al.

c. 5 und Zusatz heisst es sanseri, sansaria (Amari a. a. O. p. 350 ff.), eine ägyptische Mäklersteuer heisst 1309 : »sciam- sera« (eod. p. 483 Note 8).

Am bedeutsamsten endlich für die Herleitung ist der Sprachgebrauch von Siena und Venedig:

Die alten, für die italienische Vulgärsprache so wichtigen Imiungsstatuten von Siena (Statuti senesi scritti in volgare ne' secoli Xlll e XIV ed. F. L. Polidori vol. 1} brauchen promiscue die Ausdrücke: Sensale, sansale, sensaro", sen- saio (sienischer Dialekt) für Mäkleramt sensaria (vgl. stat. de' lanaiuoli dist. V c. 6, dist. VI, VIII c 71, nebst Zu- sätzen von 1301, 1308, 1286 u. a.: a. a. O. I p. 324, 363, 364, 468, 383).

Die venetianische Amtssprache kennt, wie oben be- merkt, ursprunglich nur den Ausdruck messeta (misseta u. dgL), aber derselbe wird allmählich von dem augenscheinlich ge- schäftsUblichen senser, sanser, sanzer, sansar, sao- sero, sansaro vollständig verdrängt. So steht ursprünglich im Kapitular des Deutschen Kaufhauses (Capitolare dei Vis. domini del fontego dei Todeschi ed. Thomas) senser oder sanser, wenn tlberhaupt, nur in der Ueberschrift der Kapitel, während der Text noch den misseta u. dgl. beibehält, z. B. Parte I cap. 156 von 1366; cap. 214 von 1408 (De sanserüs [missetis]) ; cap, 228 von 1415/16 im Text: per via di sanzaria over de mezanaria; cap, 251 von 1431 (dei misseti [sanseri] im Text isanser over mezanc); später begegnen nur unsere Ausdrtlcke, z. B. cap. 266 und durchgehends in Parte II bis Ende des 15. Jahrhunderts (Thomas p. 219, 225, 230, 231, 232, 237, 238, 243 ff.). »Sanseri« heissen die Mäkler durch- gehends ia jüngeren Capitolare dell' officio del fontego, dessen Register Thomas in ' den Abhandlungen der Königlich baye- rischen Akademie der Wissenschaften I. Kl. XIV. Bd. I. Abth. mitgetheilt hat (die Daten gehen von 1400 bis 1641); vgl. auch z. B. venetianisches Gesetz 1466 (?) (bei Mone, Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins Bd. V S. 32); 1572 >sen- sari*, 1586 »sansari* (Stat. Veneta ed. Griffo 1691 p. 304, 311); isansert oder »sanzen im venetianischen Bankregulativ

' Ali noch jelit in Siena Üblich beceichnet in Cherubini, Vocibolario Milanese-ItEdiano (1S41) vol. IV p. 190 s. v. 'sensalet.

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Ursprünge des Miklertecbts. Insbexondeie; ScdmI, 223

von 1523 und 1526 (Lattes a. a. O. Nr. XXX S. 83, XXXII S. 90) u. A. m.

Im Provencalischen begegnen die Formen: Sensal, ceosal, censan, ceinsäou censaragi (Mäklerlohn), censaria, censaroti (Honnorat, diction. de proven^l-fran^is 1846); eine alte sUdfranzösische Form »sansal* und >sensaU nennt auch Littr6 (diction. h. v.).

Auf die Frage , wie Sensal aus sensar u. dgl. entstanden sein könne, hat mein Kollege, Herr Professor Tobler, mir freundlichst erwidert; >Die Formen mit r als Grundlage fUr die mit 1 anzusehen, hindert nichts; das Suffix aris, das den Romanen hier vorzuliegen scheinen musste, ist auch sonst bisweilen mit atis vertauscht, z. B. cingbiale aus singularis, aatel aus altare«.

Lässt sich so der orientalische Ursprung des Ausdrucks »Sensal« nicht bezweifeln, so ergibt die weitere Untersuchung den Zusammenhang des Namens mit dem italienisch-orieo- talischen Verkehr'. Dies führt, wovon ein andermal", auf den übrigens, wie mir scheint, auch fUr das Alterthum wie für das germanische Recht nachweisbaren Ursprung aus dem Gasthandel (Fremdenverkehr) und dem damit verbundenen Dolmetscherthum ; eine nur potenzirte und für die Ausbildung des Mäklerwesens besonders wichtige Gestaltung des Gast- handels findet sich in den mit dem ZoUwesen zusammen- hängenden Kauf- und Lagerhaus -Einrichtungen (Grosslagergeschäft), deren genauere Erforschung für Orient wie Occident schon lange als dringend nothwendig bezeich- net ist'.

' Darauf hingiedeDCet habe ich in der Zeitschr. für du gesAmmle Handels- recht xxin s. 313. »gl. XX s. 654, XXVI s. 633.

» [Vgl. Universalgeschichte des HandeUrecht» S. »53 f.]

3 Mein Handbuch des HaDdelsrechts I, 1 (1S6S) § 76 Note 37

[Universalgeschichte des Handelsrechts S. asoC, 333 f-]- Schmoller, Die

Strassbnrger Tacber- und Webertonft S. 430 Note a.

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8.

DIE

GESCHÄFTSOPERATIONEN

AUF DBS

MESSEN DER CHAMPAGNE.

(LES DEVISIONS DES FOIRES DE CHAMPAGNE.) (1892.)

Goldictamidt, VetmiKlite Scbriften. IL

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IQ meiner Unirersalgeschichte des Handelsrechts (Handbuch des Handelsrechts, 3. Aufl., Bd. I Abth. I, 1891) habe ich S. 224 ff. die wirthschaftliche Bedeutung der seit dem 12. Jahrhimdert urkundlich nachweisbaren, seit dem Ausgang des 14. Jahrhunderts verkümmerten Messen der Champagne dargelegt.

Sie waren periodische Zusammenkünfte für den Abschluss, tbeilweise auch für die Erfüllung der damaligen Handels- und sonstigen Verkehrsgeschäfte , insbesondere für Waarenkäufe ■und für direkte oder indirekte Geldzahlungen. Daher schon im 12. Jahrhundert die Champagner Messplatze (Lagny sur Marne , Bar sur Aube , Provins , Troyes) als europäische "Wechseldomictle erscheinen, auf welchen der Eigenwechsel, später auch die Tratte als >Messwechselc die weiteste Verwen- dnng fand (ebenda S. 226, 227, 411 ff., 417 ff., 437 ff.), wenn- gleich das schriftliche Wechseigeschaft (d. h. die Geldrimesse nach auswärts) nicht auf ihnen zuerst vorkommt, noch gar das >Wechselrecht( auf ihnen seinen Ursprung genommen hat (ebenda S. 411 ff., 419 ff.).

Für die verschiedenen auf diesen Messen üblichen Ge- schäftsoperationen bestanden feste, auf altem Herkommen be- ruhende Zeiträume, über welche insbesondere eine zwar wieder- holt, aber theils fehlerhaft mitgetheilte , theils nicht völlig verstandene, in mehrfachen Varianten vorkommende Aufzeich- nung nähere Kunde gibt

Diese Aufzeichnung ist m. W. zuerst in den M^moires historiques et critiques pour l'histoire de Troyes (von Grosley) t. I, Paris 1774, p. 497, und danach von G. F. v. Martens, Versuch einer historischen Entwicklung des wahren Ursprungs des Wechselrechts (Gflttingen 1797) S. 16 Note f, abgedruckt (das sogleich zu erwähnende Manuskript b , bei Grosley be- zeichnet als Extrait d'un Manuscrit des premiferes annöes de

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228 ^'" GeKhSftsoperationen auf den Mmicd der Chanpagne.

quatorzifeme sitele tir^ de la bibliothtque de M. de Saint-Palaye). Demnächst, nach zwei Manuskripten der Pariser biblioth^ue royale (jetzt nationale) jetzt Nr. 12,581 and 25,545 (die sogleich zu erwähnenden Manuskripte a und b) von Fr^- m^ry, ^tudes de droit commercial (Paris 1833) p. 14, 15. Beide Schriftsteller haben den Abdruck mit kurzen, zum Theil ungenauen Erörtenmgen (Martens S. 15—18, Fr^mfiry a, a. O.) verbunden, welche den Angaben von F. A. B i e n e r , Wecbseb-echtliche Abhandlungen (Leipzig 1859), S. 36, 37, zu Grunde liegen , während die jüngeren Bearbeiter des Wechselrechts auf die Sache nicht näher eingegangen and; nur begegnen vereinzelte irrige Angaben (s. unten S. 241 ff.).

Weiter findet sich der Abdruck eines der einschlägigen Manuskripte (b) beiGheldolf, histoire de la Flandre par L. A. Wamkönig, traduite de l'Allemand, t. II (Bruxelles 1836) p. 500 503, und eines anderen (des Manuskripts d oder eines sehr ähnlichen, Paulin Paris scheint nämlich nicht den vollen Wortlaut mitzutheilen) bei Paulin Paris, Les manuscrits fran?ais de la bibliothfeque du Roi, L IV (Paris 1841) p. 16.

Genauere Angaben über die Manuskripte der erwähnten Aufzeichnung (es werden genannt 7 , davon 5 in Paris, 1 in Provins, 1 in Venedig) gibt zuerst Bourquelot in seinem sehr verdienstlichen und zuverlässigen Werke : £tudes sur les foires de Champagne (I, II, Paris 1865: Mömoires, prfeent& . . . ä l'acad^mie des inscriptions .... ser. 11, t V) I, p, 83 ff., wo zugleich die wichtigsten Bestimmungen abgedruckt und erläutert sind. Endlich hat Konstantin Hohlbaum, Han- sisches Urkundenbuch Bd. III (Halle 1882—1886), in den Noten zur Ordonnance Philipp's IV. vom Juli 1344, Nr. 658, auf S. 452 Note 1 eines dieser Manuskripte (d), welches er für das älteste zu halten scheint, mitgetheilt.

Immerhin fehlt es noch jetzt an einer völlig zuverläsagen Textfeststellung, da auch Bourquelot keinen Text voll- ständig mittheitt, und insbesondere an der genügenden Erläute- rung; auch die von Bourquelot gegebene, I p. 85— 92, bedarf mehrfacher Berichtigung. Meine in wichtigen Punkten von der herrschenden (?) Meinung abweichende Auffassimg, welche ich in meiner Universalgeschichte S. 227, 228 kurz zusammeo- gefasst habe, soll an dieser Stelle näher begründet werden.

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Die GescbUUopenUionea aof d«b MesMn der Cbampign«. 229

Endlich hat der erfahrene und zuverlässige Florentiner Kaufmann F. Balducci Pegolotti das c. 55 seiner zwischen 1335 und 1343 geschriebene Pratica della mercatura (in [Pagnini] E>eUa decima. Lisbona e Lucca 1765 66. t. III) den iFiere di Campagna del Reame di Franciai gewidmet und hier eine Anzahl schätzbarer Nachrichten mitgetheilt, welche nicht Töllig mit dem Inhalt der vorbezeichneten Manuskripte übereinstimmen. Auch auf diese bisher etwas zu leicht be- handelten Widersprüche ist einzugehen.

Von den fünf Pariser Manuskripten hat, durch freundliche Vermittelung des Herrn Professor G. Blondel in Paris, Herr Ph. Souchon daselbst die Güte gehabt, mir genaue Kopieen zu senden : Mss. der bibtioth^ue nationale, mss, fonds franfais 12,581 fol. 312 [offenbar das bei Bourquelot mit Nr. 1281 fol. 312 bezeichnete], 25,545 fol. 17—18, 2625 in fine, 412 fol. 2, 16537 fol, 45, sie sollen im Folgenden mit a, b, c, d, e bezeichnet werden. Eine Kopie des in Venedig (Biblio- thek von S. Marco, im Katalog von Zanetti, histoires diverses en frantois XIV sifecle II append. nr. 2) befindlichen Manu- skripts hat, auf mein Ersuchen, Herr Professor C, Vivante in Bologna nehmen lassen; das Manuskript oder die Kopie ist sehr fehlerhaft, stimmt zwar in der Hauptsache mit dem Pariser Manuskript a, doch fehlen wichtige Sätze. Das Manu- skript von Provins benutze ich nach den Angaben Bour- quelots.

Unter den fünf Pariser Manuskripten enthalten a, b, c, d nicht aber e, noch das venetianische Manuskript ausser der genauen Angabe der Geschäftsoperationen, welche im Fol- genden mitgetheilt wird, auch ein Verzeichniss der EUenmaasse der auf den Champagner Messen gehandelten Tuche (moison de dras, i. e. draps), unter Benennung der einzelnen am dortigen Tuchhandel betheiligten franJösischen und t\iederlän- dischen Städte. Dieses bereits mehrfach abgedruckte Ver- zeichniss, welches nur für die Handelsgeschichte, nicht für das Handelsrecht Bedeutung hat, wird im Folgenden weg- gelassen.

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230 I^'c GeschiEttopetatioDeii «.nf den Mcmcq der Chunpagne.

Manuskript a (Nr. 12581) das erste beiFr^m^ry lautet:

ci commance la devisions des foires de Champaigne. La foire* de laigoi* est livrte landemain^ de lanre- nuef*. La foire* de bar' est livrfe le' mardi^ devant' la"* mikaresme". La foire" de Provins en mai's est livröe le'* mardi" devant lascension '*. La foire" de la Saint jehan a troies est livrfe le mardi en XI jors apr&s la feste saint jehan et se la feste saint jehan est au mardi si Sera la foire as III semainnes'". La foire saint aioul a provins est livröe le jor de la sainte croiz en septembre ".

i: fmm; e: fo«re.

* b, c; laigny; d: liingiii; e: Ligni; b hat d«n Zooti: mir mame. } d: leademeiii.

* b: lanrenenfi c, e: Un noef. Dabinler ttebt c: «t doit point dea- ti6t (cf. S. 33t Note 9).

^ b, c: bar lur anbe.

c, i: fehlt; e: le.

" c; mjkaresme; d: migareme; e; mi quaroime.

■3 b: pronTtni en maf; c: de may a prorins; d: de mal de proTins; e: de Pronviiu.

*5 c: mardy,

■^ b: lucentioa; c 1> Keodon; d: lasuatioo.

■* Der Pamu laatet: b; La foii« de troie* la chaade eit Unit le mardi apris laqainiaiiie dela laint jehaa et k la Mint jehan eit en mardi ti a III aemainnes; c: La foire »aint jehan de troiet est livr^ le mard; apria la XV« de la Saint Jehan et ae la Saint Jehan est en mard; il y a troit tept- mainnei; d: La foire de la aeint jehan de troies est livrie dou premier mardi en XV jori aprit la feste seiut jehan baptiste et >e la feste seint jehan vient an mardi ai anra trolt semalnes; e: La foere de Troies a la Saeint Jehan est Ufiie Ion mardi apris la feite Saint JeluD et est an mardi lia trois semainnes.

Der Passus lautet: b: La toiie saint ayoul de ptorins est livr^lejour de fette S. crois en septembre; c, d: ebenso, nur mit kleiner Abweichung der Schreibart; e: La foere de prouvins a la Saint aioul est livrfe loa jonr de la Sainte f septembre.

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Die GetchiftiopentioiKa auf den Menen da Champagne. 231

La foire ' de la saint remi a troies est livr^ landematn de la tozsains'. En chascuoe de ces VI f oires a VIII jors dantr^e^ et dantr^ faillie juqua bare de dras a X jors* et XI jors aprfes hare de dras vent on cordoan' et XV jors apr6s hare de dras faut droiz paiemenz et faut avoir de pois^ et I mois aprte hare de dras abatent li changeor' et IUI jors aprfes cfaanges abatuz prant on lestres de foire mais la foire (de la foire) de laigni ne doit poiot dantrße '. Hierauf folgt das S. 229 erwähnte Verzeichuiss der Ellen- maasse der Tuche.

Am Schlüsse des Ganzen steht:

Explicit des foires. Manuskript b (Nr. 25545 Fol. 17—18). Es ist das von Grosley (Martens) mitgetheilte, das zweite bei Frem^ry. Die Ueberschrift lautet:

Si commencent les foires de champainne et de brie.

Der PiMu» lautet: b; U foire froide troiet eit lirrfe Uademam de la tonnaint; c: La foire Saint Rem; de tioiei eit Utt^ landomain de la tonwaiiu; d: La fotie de la teiot remi k troie« eM ünie lendemeiD de la feste de toux loiii ; e : La foere de Troieea a la Saint Remi eit lirrie laodemain de feite toonainz.

3 Ebemo b, d; c; Et en chaicane dei VI foirei a VIII joun dentr^; e; En chacnne de cez VI fotm Vin Jon dantrfe.

* Ebenso e: b (nur jniqnei a); c (nu- dentr^ und vor haia «ine LOcke); dagegen d: etX Jon de foire. Nach einer Kopie da 16. Jahrbunderta findet dch der Zniati •eicepti en la foire Saiut-Aionl, il n'en a qne IX< (Bonr- qnelot p. 84>

1 Eben«) b (nnr cordnan] ; c (nnr drapi) ; fehlt ganz d nnd e.

^ Der Pami fehlt im venet. Manntkript; er lantet b: Et landematn de hare de cordnan fant aroir de poii; c: et XV ]oBn aprt* hare de cordoan faat avoir de poii et eit droii paiemeni; d: et XV Jon de droit paiement; e: et XV jorz de droit paiement. Dal Uannakript Ton Provini (bei Bour- qnelot p. S; Note i) lantet, bii auf venchiedene Schreibart, gleich c.

' Fehlt in d, e und im Venet. Mannakiipt. In b: et I moit apre» hare de dni abatent changeort; c: et im moii aprit hare de dnps abatent changenr.

Fehlt in d, e nnd im Venet Manoikript. In b: Et IUI Jon aprii chaagenn abatu* pnnt od lettre* de foire; c: et un joun apris changea abatna pnnt on lettrei de fbirei.

* Ebenio b, nnr mit Weglastong dea auf einem Schreibfehler bemhenden doppelten il« ibire de<; d; maii la foire de laigni ne d<Mt point dentr^; fcUt in e; in c iteht der Satz zn Anfang (). oben S. 130 Note 4},

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232 Ilie GcKhEiUopentioDeii auf den Ueneo der Champagiie.

In der Mitte, hinter der Angabe der Daten der ver- schiedenen Messen und vor Angabe der Zeiträume der ein- zelnen Messoperationen (hinter tozsains und vor Ea chacune) steht als Ueberschrift :

C'est U devisioas des foires et les coustumes.

Am Schlüsse des Ganzen steht:

Explicit k mani^re et la divisions des foires de champaingne et de Brie.

Manuskript o (Nr. 2625) hat zur Ueberschrift: Quant les foires sont livrfes.

Schlussformel fehlt.

Manuskript d (Nr. 412) fehlt Ueberschrift und Schlussformel.

Manuskript e (Nr. 16537) fehlt Ueberschrift und Schluss- fonnel.

In d und e fehlen (s. S. 231 Note 6 ff.) die Sätze hinter >droiz paiemenzt, doch hat d den letzten Satz (S. 231 Note 9).

Die sonstigen sehr zaMreichen Abweichungen der Manu- skripte b— e von dem abgedruckten Manuskript a sind in den Noten zu diesem angegeben.

Die Abweichungen, soweit sachlich, mOgen sich zum Theil aus Aenderungen der Einrichtungen erklären, da die ver- schiedenen Aufzeichnungen, obwohl anscheinend einem Gnmd- text entsprungen, doch aus verschiedenen Zeiten herrühren können. Der Grundstock gehört, nach der Sprache, dem 13., vielleicht schon dem 12. Jahrhundert an; e ist wohl etwas jünger, in einem etwas abweichenden Dialekt verfasst. Von den fünf Manuskripten ist a sicher 1284, d spätestens 1285 geschrieben, ein drittes (welches? bei Bourquelot Nr. 1802) soll gleichfalls dem 13. Jahrhundert angehören; im Uebrigen findet sich bei Bourquelot p. 83 85 nur die allgemeine Angabe, dass die Manuskripte aus dem 13. 16. Jahrhundert stammen. Für b bemerkt G r o s 1 e y ' , dass es den ersten Jahren des 14. Jahrhimderts angehöre. Dass ich das Manuskript a zu Grunde gelegt habe, obwohl es anscheinend einen argen Schreibfehler (XI statt XV jors) enthält, dürfte sich aus dessen Inhalt rechtfertigen; das Manuskript b scheint mir einen jüngeren Text zu enthalten; insbesondere fällt auf, dass, statt der allgemeinen Ueberschrift in a, hier der Beginn der Messen and deren Zeiteintheilung durch eine besondere Ueberschriit getrennt sind.

' I P- 497. _, „Google

Die GeKhiftEopeiBtioncD >Df den Meuen der Champi^e. 233

n.

Zur Erläuterung mögen folgende Bemerkungen dienen;

1. Es gab sechs privilegirte Messen der ursprünglichen Grafschaften Champagne und Brie, auf welche diese Aufzeich- nung sich bezieht. Jede dieser Messen, welche in etwa zwei- monatlichen Zwischenräumen auf einander folgten, währte über sechs Wochen, so dass deren Gesammtheit nahezu das ganze Jahr ausfüllte, die Grafschaften Champagne und Brie somit einen nahezu ständigen Messbezirk bildeten.

Die Messe von Lagny zur Marne beginnt am 2. Januar'.

Die Messe von Bar sur Aube beginnt am Dienstag vor Mittfasten, somit Ende Februar oder im März'.

Provins hat zwei Messen: eine Frühjahrsmesse (foire de mai), welche am Dienstag vor Himmelfahrt beginnt und 46 Tage dauert ; eine Herbstmesse (foire de S. Aioul), welche am 14. September (Kreuzerhöhung) beginnt und bis Aller- heiligentag, d. h, 1. November, dauert '.

Troyes hat zwei Messen : eine Sommermesse (foire chaude oder foire de S. Jean), beginnend am Dienstag nach Ablauf von zwei Wochen ' seit Johannis (24. Juni), also drei Wochen nach Johannis, falls dieser auf einen Dienstag fällt, jedenfalls in der ersten Hälfte des Juli, endend am 14. September; eine Wintermesse (foire froide oder foire de S. Remi), beginnend am Tage nach Allerheiligen (2. November), endend am 2. Januar'.

Der Ausdruck >la foire est livrßei in unserer Auf Zeich- nung gibt somit den Eröffnungstag an.

2. Die Messzeit zerfällt in folgende Abschnitte:

a) huit jours d'entr^e, nur Laigny me doit point d'entr^«. Die jours d'entrde gehören bereits zur Messzeit

Im 13. Jahrhundert, Dich Boarquelot p. So Note ;, am l. Januar; deigleicheD im 14. Jahrhundert nach Pegolotti.

' Ueber du iz. Jahrbnadert s. Boarquelot p. Si Note 1.

3 S. auch Bourquelot p. tSa; vielleicht begann die HetbitmesK ur- iprtlnglich am 3 , September.

* XI JOTS im Manuttcript a ist augenscheinlich ein Schreibrehler flir XV, wie alle Bbiigen Manuskripte , auch du venetianische, and aonitlg« Nach- richten beweisen.

5 Di« Endieiten dieMr Mesten haben gewechwlt: Bourquelot p. Sa

oogic

234 ^>' Geichiftioperatianen ftnf den Meiien der Qmnpagne,

iDSofem, als die Messprivilegien, wie freies Geleit, insbesondere Arrestfreiheit, Gerichtsbarkeit der Messbehörden sich auch auf diese Vorbereitungszeit, in welcher das Aufschlagen der Mess- budeo, das Auspacken und Auslegen der Waaren u. dgl. statt- findet, erstrecken. Das findet selbstverständlich auch auf der Messe von Lagny statt, der Gegensatz betrifft die Ent- richtung des EingangszolK Es wurde nämlich für Eingang (entr^e) und für Ausgang (sortie) eine Abgabe, >le portage«, auch idroit des portesc, erhoben'. Diese Abgabe brauchte nun auf den Messen von Bar, Provins und Troyes erst nach Ablauf der acht Freitage gezahlt zu werden, so dass, wer die eingebrachte Waare unverkauft innerhalb dieser Frist zurück- zog, abgabefrei blieb, ein grosser Vortheil für die Impor- teure, falls sich alsbald Unverkäuflichkeit oder Schwerverkäuf- licbkeit der Waare herausstellte'. Für Lagny aber bestand dieses Privileg für die ganze Messzeit.

Dies wird denn auch durch Pegolotti bestätigt, welcher sagt: Jede der genannten Messen hat zu Beginn »8 giomi francai, so dass während dieser acht Tage keine Waare, welche auf die Messe kommt, irgend etwas zahlt; Lagny aber ist ganz frei, so dass gar nicht »entratat gezahlt wird.

b) Erst nach Ablauf der »entr^et finden, wenigstens offiziell, die Verkäufe der Messwaareo statt. Und zwar werden, nach den Hauptgattungen der Messwaaren, drei Zeit- räume unterschieden: für Tuche und Wollenstoff e (draps) ; für Leder (cordoan) mit Einschluss der Pelzwaaren; für sog. Ge- wichtswaaren (avoir du pois, d. h. du poids), z. B. Spezereien, Droguen, Seidenstoffe und vielerlei anderes Gut^.

Es ergibt sich nun aber keineswegs mit Sicherheit, ob diese Zeiträume, welche unzweifelhaft in ihren Endpunkten aus-

S. die Belege bei Boutquelot II p. 189, insbesondere die Ausxflge aus den Extenta teire comitatos Ctunpanie et Brie eod. II p. 197 B.

' Vgl, auch die Urknnde: Le couis des foites de Troyes bei Bont- quelot I p, 83 Note i. Richtig bereits Martens S. 17 Note f, Bonr* qnelot (nach Panlin Paris H. a. O.) I p. 91. Gleiches findet üch wf andeien mittelalterlichen Messen.

1 Ueber diese Waarengattnngen s. Bonrquelot I p. 209 ST., 258 ff., zfi^ff., 37off., zSoff., 394ff., Tgl. I p. 85. lieber den Tuchhandel s. anch Scbmoller, Die Strnttbui^er Tücher- nnd Webennnft (1879) S. 368, 370. Eine Ve^Ieichung der Maaise nnd Gewichte der Champagnennessen nut denen anderer Handelsplatze gibt Pegolotti p. 54, 63, 89 und sonst.

Die GachSfttopeiBtiaiien auf den Menen der Champagne. 235

einanderfallen , auch in ihrem ganzen Verlaufe auf einander folgen, so dass erst nach Schiuss der Tuchmesse die Leder- messe beginnt und so fort. Von der Tuchmesse heisst es, dass sie am zehnten Tage nach Ablauf der entrte mit dem >hare de dras< endigt, währt sie aber volle zehn Tage, wie nach den Manuskripten sich kaum bezweifeln lässt? ' Dagegen spricht, dass mehrfach in Quellen insbesondere des 14. Jahr- hunderts von nur trois jours de draps die Rede ist". Nur drei Tage gibt auch Pegol Ott i an, welcher den Tuchverkauf erst am 17. Tage nach Anfang der Messe beginnen lässt; für die Maimesse von Provins werden sogar nur zwei Tage Tuch- messe angeführt '. Der Widerspruch ist, wie anscheinend auch Bourquelot p. 85 ff . annimmt, vielleicht aus einer gegen Ende des 13. oder Anfang des 14. Jahrhunderts erfolgten Ab- änderung der Verkaufszeiten zu erklären; aber man sieht nicht ein, welchen Zweck dann die sieben, nach Pegolotti sogar acht Messtage nach Ablauf der entr^ bis zum Beginn der Tuchmesse gehabt haben sollen..

Von der Leder- und Pelzmesse haben wir nur in einigen Manuskripten die Angabe, dass sie am elften Tage nach dem bare de dras stattfindet. Endigt sie an diesem Tage oder be- ginnt sie alsdann? Ein >hare de cordoani erwähnen nur die Manuskripte b, c und das Manuskript von Provins. Ist dieses >hare de cordoan« der Endpunkt der Ledermesse, wie Bourquelot p. 85, 89 annimmt? Denkbar wäre auch der An^g derselben (s. unten).

Widersprechend sind endlich die Manuskripte hinsichtlich der Gewichtswaareomesse. Nach a findet dieselbe 15 Tage nach bare de dras statt, also beginnt anscheinend erst vier Tage nach Endigung der Ledermesse; nach b findet sie statt am Tage nach Schiuss der Ledermesse, nach c und dem Manuskript von Provins 15 Tage nach »hare de cordoan<. Die Manuskripte d und e und das venetianische Manuskript

' Die Oidonn. von IB95 (Ordonn. t. XI p. 377) spricht von 4 Tagen Tnchverkauf der SUdte der vUmüehen Huue; Ordomiuizen und Urkunden de* 14. Jihrhnnderti iprechen von >} jonn de drap». S, die Bel^e bei Bourquelot I p. 86, 87.

* So Tenteht auch Bourquelot p. 88 die SteUen (DeUa decima ni p. 238, 339) , obwohl wenigitens fUr die MctK von Bar eine andere Inter- pretation mOglich wite.

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236 ^'' Getchaftioperationen >nf den Messen der Champagne.

schweigen ganz. Bourquelot p. 85 nimmt an, dass mit den angegebenen Tagen die Endzeitpunkte der Gewichts- waarenmesse bezeichnet seien.

Pegolotti schweigt völlig von Leder- und Gewichts- waarenmesse.

Man sieht, es sind hier zahlreiche ungelöste und nach dem Stande unserer Quellen nicht zu losende Räthsel.

c) Wahrend der vorfaezeichneten Zeit wird auf den Messen das Wechsel- und anderweitige Bankgeschäft durch die Wechsler {changeurs, campsores) in ihren Buden und Ständen (Bänken, Tischen) betrieben. Dass dieselben ihre Tfaätigkeit erst zu Ende der Messzeit, insbesondere erst nach hare de dras be- ginnen "), wird in den Manuskripten nicht gesagt.

Einen Monat nach dem Schluss der Tuchmesse schlagen die Wechsler ihre Buden oder Stände ^b: abatent (s. unten S. 246). Das Wechslergeschäft hat somit, wenn man die huit jours d'entr^ nicht mitzählt, 40 Tage gewährt. In diesen Zeitraum von 40 Tagen, und zwar 15 Tage nach hare de dras, fällt die Zahlzeit: droiz paiemens. So nach a; fehlt b^ nach c und Manuskript von Provins: XV jours aprfes hare de cordoan; nach den Manuskripten d und e gibt es, wohl missverständlich, XV jorz de droit paiement.

Einen ausfuhrlichen Bericht über diesen Punkt gibt Pego- lotti. Zu seiner Zeit beginnen die Geschäfte der Wechsler (seggono i banchi) erst am zweiten Tage nach hare de dras, dauern dann vier Wochen (e stanno 4 settimane), und der 15. Tag nach Ablauf dieser vier Wochen (e poi che le 4 settimane sono compiute 15 dl appresso) ist der Zahltag (ter- mino dello pagamento della detta fiera). Dies wird für alle sechs Messen, mit geringen Abweichungen, wiederholt und am Schlüsse immer hinzugefügt, dass, wenn die Zahlung der Messschulden durch Wechsel auf Genua oder Florenz ge- schehen soll, für die Vcrfallzeit solcher Wechsel bestimmte übliche Fristen gelten, sofern nicht ein Anderes vereinbart ist.

So Biener, Wecluelrechtliche Abhuidlnngen S. 37: »Deutlich ist, dass am Ende der Meise die bancht (also die Wechsler) iht Geschift anfaDgeD und mit dem Zahltage (termme del piLgamento) schliesien, wobei die Zahlungen durch Wechsel von der Messe auf Florenz oder Genua unter Beobachtung ge- wisser Usofristen bewirkt werden.« Der tetite Sali in ein Mistreratlndniii Pegolotti's, vgl. unten S. 337.

Die GescbSftKipetatioiieii aof den Messen der Champagne. 237

Unzweifelhaft liegt zwischen dem Bericht des Manu- skripts a und Pegolotti's Bericht eine erhebliche Abände- rung der für die Messen geltenden Grundsätze, Während ferner nach den Manuskripten die Messen 44 Tage und unter Hinzurechnung der entrße 52 Tage dauern, erstrecken sich dieselben bei Pegolotti auf 62 (Maimesse von Provins 61) oder gar 64 (63) Tage.

Vier Tage nach Ablauf des vorgedachten Zeitraums von 40 Tagen, nach c bereits einen Tag nachher, werden lettres de foire genommen. Das wäre also am 44. oder 45. (nach c am 41. Tage, nach Beginn der eigentlichen Messzeit. Pego- lotti schweigt davon, macht aber eine später zu würdigende Angabe über die Nichtinnehaltung der Zablungszeit.

Im Folgenden sollen nun einige, für die Geschichte des Handelsrechts erhebliche Fragen, soweit nach dem Stande imserer Quellen möglich, beantwortet werden.

in.

Das >hare de dras< spielt eine wichtige Rolle, weil von ihm ab sich andere Fristen berechnen. Die Manuskripte b und c und das Manuskript von Provins nennen, wie bemerkt, auch ein ihare de cordoant als Endpunkt (vielleicht Anfangs- punkt) der Ledermesse, Vielleicht gab es auf den Messen noch andere »haret , allein die Quellen schweigen davon, und es erscheint daher gewagt, wenn Bourquelot I p. 89 meint, dass das Ende eines jeden Messabschnitts, z. B. auch des Gewichtswaarenverkaufs, durch den Ausruf >harec, aber tmter Benennung der betreffenden Waarengattung, verkündigt wurde. Diese Hypothese ist sogar in das dictionnaire de I'an- cienne langue fran^ise du IX" au XV" sihcle von Godefroi t. IV (Paris 1885) s. v. hare, are, ale S. 421 Übergegangen, selbstverständlich ohne Beleg.

Auch auf den flandrischen Messen wurde, wie Pego- lotti c. 57 (Della decima III p. 241) bezeugt, das Ende der Tuchmesse durch den Ruf ara bezeichnet (la sera al tardi grida »arai e non mostra piü drapperia), aber es findet sich bei Pegolotti kein Hinweis, dass der gleiche Ruf auch das Ende des Verkaufs anderer Waaren, sei es auf den Champagner Messen, sei es auf den flandrischen Messen, bezeichnet habe.

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238 I^ie GetchIftw)i>eiBtioiiei] auf des HcMcn der Champagne.

Da femer in deo Urkunden und sonst überall das iharec ohne den Zusatz de dras als ein fester Zeitpunkt bezeichnet wird, so kann darunter nur das bare de dras als das einzige oder docb vornehmste >harec gemeint sein.

Auf einzelne dieser Urkunden haben bereits Bourquelot und Ducange hingewiesen. Bei Bourquelot I p. 88, 89 finden sich citirt Urkunden von 1204: eine Messabgabe in Troyes ist zu zahlen: infra octabas del hare ; 1218: eine Geld- summe von 400 livres de Provins ist zu zahlen auf der nächsten St. Johannismesse von Provins »vier Tage bevor man daselbst ruft hare ! hare ! ; 1230 : eine Summe von 7,500 livres de Provins ist zu zahlen auf der nächsten Maimesse von Provins >acht Tage nachdem man daselbst hare ! hare ! gerufen haben wird* ; 1249 " : eine Geldsumme ist auf der nächsten Maimesse von Provins zu zahlen »tribus diebus antequam clametur: hare!( Ducange, gloss. mediae et infimae latin. 1885 ed. Heoschel, IV p. 167, hat folgende Urkunden:

1219: 30 marcas sterlingorum zu zahlen in proximis nundinis S. Johannis Trecensibus apud Trecas (Troyes) quatuor diebus antequam clametur Hare, Hare.

1230: de fidejussione 1725 libramm pruviniensium solven- darum in proximo futuris nundinis Maii de Pruvino apud Pru- vinum (Provin'i) octo diebus postquam clamabitur Hare Hare (Martens S. 15 citirt diese Urkunde aus Carpentier mit dem Datum 1213).

1294: Au quatri£^me jour de Hare de dras de la foire S. Jehan ä Troyes.

Dieses Verzeichniss lässt sich erheblich vermehren.

Urkunden über mehrere gegen römische Kaufleute kontra- hirte Schulden des Kölner Erzbischofs Dietrich (Theodorich) aus den Jahren 1213 und 1218 (Ennen und Eckertz, Ur- kundenbuch der Stadt Köln 11 Nr. 40, 57) lauten auf Zahlung in nundinis Sancti Agulfi apud Pruvinum 4 diebus antequam clametur hare bare, desgleichen auf die nächste Messe von Bar und auf die nächste Messe von Troyes (4 diebus oder quarto die) antequam clametur hare, hare. Ebenso sind Schuldvet^hreibungen des Kölner Erzbischofs zu Gunsten der römischen Gläubiger 1221 (eod. Nr. 70) und zu Gunsten

Bourquelot p. tJ9 Note 3.

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Die G«tchiAiopentioften anf den Metten der Champigne. 239

Bologneser Gläubiger (eod. Nr. 73), die eine auf die Messe von Bar, die zweite auf die Messe von Provins, gestellt : 4 die- bus antequam clametur bare, bare; vgl. auch 1228 eod. Nr. 107) ■.

Canale, nuova storia della repubblica di Genova vol. II (Firenze 1860) verzeichnet:

a. 1227 (p. 527): Wechsel auf die St. Johannis- messe von Troyes zahlbar >fra Otto giomi dopochö sarä gridato nella stessa fiera: Ära, Arac

a. 1241 (p. 554): zwei Wechsel auf die nächste Messe von Bar mit der gleichen Zahlungszeit. (In dem Verzeichniss eod. S, 629 finden sich statt Ära die Druckfehler Kara, Kara und Aira). Nach dem Zeugniss von Bini, i Lucchesi a Venezia (Lucca 1853, 1856) p. U6ff., sind die Luccheser Wechsel des 13. Jahrhunderts auf die Champagner Messen welche Bini nicht ausreichend kennt und daher z. B. Bar mit Bari in Apulien verwechselt, den Ausdruck ange, agne = degli angeli für die Septembermesse von Provins nicht versteht' ge- stellt, meist >acht Tage nach ara, ara ad pagandum tabulei. Findet sich dieser letzte Satz wirklich, so wäre dadurch die Zahlung an oder durch einen Messbankier, vielleicht einen Luccheser, vorgeschrieben ^

Das bekannte Formular des Bologneser Studentenwechsels bei Rolandinus, um 1250 (meine Universalgeschichte S. 427), lautet auf Zahlung:

in nundinis Pruvim proxime (!) apud Pruvinum octavo die postquam in ipsis nundinis cridatum fuerit »hec arra< (soll heissen hare [a], hare [a]), danach Durantis, speculum (1272) lib. IV part. III de obUg. (ed. Basil, 1563 II p. 333, Francof. 1612 II p. 345).

Unter den zahlreichen auf die Champagner Messen zahl- bar gestellten MarseiUer Eigenwechseln findet sich, a. 1248,

' Milgelheilt bereiB vonNeumann, Geschichte des Wuchers in Deutsch- land Ci86s) S. 374 Note i.

* BerichliguDgen bei Salvatore Bongi, della mercatura dei Laccbeü od secoli XIII e XIV. Lucca 1858 p. 62.

3 Bini Tenteht deoAnidruck aU identisch mit >ad pagamentum tabolaei nnd meint, nat nicht zutrifft, da» tavola Schein oder Rechnungsbuch der Kaufleute genesen sei. Vielmehr ist tabula (tavola) der Zahltisch de* Baokiei* (Weclulen), glnch mema, t^ÖTttCa.

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240 I^i* GMchifUopentiooeii auf den Hcaen der Chunpagne.

Blaacard, doc. inädits sur le commerce de Marseille t. 11 (Marseille 1885) nr. 707 (p. 158), folgender:

80 liras paris., in nundinis Provinis de madio

proxime venturis, per III dies ante nundinas pannonim,

vel in termino dictarum nundinarum si forte dicte nun-

dine vacarent.

Eine Vorladung der custodes nundinamm (gardes des

foires), ergangen nach Florenz, lautet:

1279 (Berti, Giom. storico degli archivi Toscani 1857 nr. 3, 4 p. 251 nr. 15) auf:

in predictis nundinis Sancti Remigii Treces (d. h.

auf die St. Remigiusmesse von Troyes) ad crastinum höre

(statt hare) pannorum.

Eine andere Vorladung, ergangen nach Florenz, enthalten

in einem Protokoll des Messgerichts 1303 (eod. p. 273 nr. 25),

lautet :

au disi^me jour aprfes hare de dras de la foire de Laigny sur Marne prochainement venant. Es wird somit am Schlüsse der Tuchmesse hare, hare ge- rufen, augenscheinlich von den Messdienem (sergents)', doch begegnet in dem alten Statut der arte di calimala von Florenz (1301) Üb. IV ruh. 28 unter den duo cursores (Eilboten) ftlr den französischen Verkehr ein cursor de aara«, neben dem Cursor »de pagamentOf nundinarum Campame ; vielleicht dass der Erstgenannte speziell für die Rorentiner (Tuchhändler und Tuchfabrikanten der arte di calimala) das Ende der Tuchmesse auszurufen hatte.

»Harec, im normannischen »harot, wird von Diez, Ety- mologisches Wörterbuch der romanischen Sprachen (5. Au^. 1887) II S. 612, als »Zetergeschrei, bezw. Nothgeschrei er- klärt =: hieher, herbei, althochd. hera und hara, herot, auch harou, harou = latein. huc S. 611 wird das nor- mannische harer (harier), altengl. hare (harie) = treiben, drängen, plagen, hergeleitet von har, haro ;= Hilferuf, alt- hochd. harSn = schreien, rufen.

Dieser Etymologie hat sich Littr^, dictionnaire h. v., desgl. A. Bos, glossaire de la langue d'oil, Paris 1891, b. v. angeschlossen. Ganz entsprechend heisst es bei M. Heyne

Ueber diese t. Bourqaelot II p. 347.

,.: .«:,yGüOgle

Die GdchSflsopemtianei) auf den Metten der Champagne. 241

im Deutschen Wörterbuch von J. und W. Grimm tV, 2 (1877) s. V. her, Sp. 999 ff. : althochd. hera oder hara, später har (so in alemannischen Quellen und sonst), auch wohl ohne An- laut (h), oder in erweiterter Form hero, als Zuruf, z. B, an die Pferde, an die Kriegsleute; überhaupt kurz statt >komm herc, »gib hert s. auch »herauf Sp. 1017 unten.

Das »haroc spielt insbesondere in dem normäimischen Recht eine wichtige Rolle als »Gertlft«, behufs Herbeinifung der Nachbarn u. dgl., und wird hier als Formalakt fUr die Einleitung von Kriminalklagen, Besitzklagen u. s. f. bebandelt ', begegnet aber auch als Jagdruf, Kriegsnif und in manchen ähnlichen Fällen.

Ebenso unhaltbar wie die thOrichte Ableitung von iHal Rou!t (Rollo, Herzog der Normandie)', ist die Herleitung von haraho = placitum , mallus ^ , womit sich die Deutung verbindet, dass das hare auf den Messen ankllndigen sollte, es werde die Gerichtsbarkeit über die auf der That ergriffenen Verbrecher geübt werden ' ; oder die Deutung »in Ordnung bringencS; oder die Deutung auf »Grenze, Schranke, Ende<, welche in dem Worte »harett liegen soll*.

Man sollte doch an der sprachlich sichern und zur Er- klärung voll ausreichenden Ableitung von dem altdeutschen hara, har sich genügen lassen. Dass die Romanen den An- laut opfern, ist natürlich. So begegnet auch das ara in Ver- bindung mit ojats = hieher! hört! in der Verordnung des Magistrats zu Barcelona 1394 (Capmany, memorias 11 p. 282) als Publikationsformel des praeco. So heisst »arat : Aufgebot, auch Angebot (nämUch Ausruf) in den Statuta Brixiae (Bresda) 1313 lib. 111 c 26, 28, 37, 276 und sonst.

Somit ist anzunehmen, dass die Messdiener u. dgl. durch den Ruf »(kommt) hieher< den Messbesuchem , und wen es

S. aniftllirticb GltistoD, rerue hiltoiique de droit fhuifaii et jtruiger L VI (iSaa) p. 397—446, 517—550, S. auch Viollet, «Ubiimementi de S. Lonii I p. 188 ff.

> 5. bei DnoDge >. v. haro tll p. 17a.

I So GlastoD p. saoff.

* So Depping und Glaison p. 517. Ali ob wiche AnkOndigong am Schlu« der Tuchmette geeignet gewesen würel

i So d'Arboii de Jubainville, hlstobe des comtes de Champagne t III p. 234, dtitt bei Bourquelot I p. 90 Note 4.

!• So BoDrqaelot I p, 90. Goldtetamidt, Vannüchtc SchilfMD, n.

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242 IKe Geschlftiaperation«]! auf den Menen d«T OuinpApie.

anging, den Schluss der (Tuch-) Messe verkündigten, vielleicht auch noch andere, diesen Akt näher bezeichnende Worte hinzu- fügten. Der öffentliche Ausruf (crierie) war im ganzen fran- zösischen Rechtsgebiet , namentlich in Paris , während des 13. Jahrhunderts so allgemein üblich, dass es sogar besonders dazu bestellte Beamte (crieurs) gab (Depping, introd. zu Boileau, rfeglements sur les arts et mötiers de Paris p. LX ff.)- Martens, S. 16 Note e, kommt also der Wahrheit nahe, wenn er vermuthet: »Dies bare scheint ein öffentlicher Ausruf ge- wesen zu sein, dass nun der Termin zu einem gewissen Ge- schäft der Messe erschienen (bei der Tuchmesse iedenialls nicht erschienen, sondern abgelaufen, wie auch S. 18 Note b an- erkannt wird) sei , oder vielleicht nur das Holla (?) oder An- fangswort dieses Ausrufes.« Wenn Martens gleichwohl Be- denken trägt, die Identität des Mess-hare mit dem normanni- schen haro anzunehmen, so übersieht er, dass auch das letztere nur »GerUft« war, an welches sich aber gewohnheitsrechtlich eigenthümliche Rechtsfolgen knüpften. Dagegen ist ganz un- richtig, wenn Grosley unter ihare« den Verfalltennin der Messscheine s. unten S. 248 ff. versteht.

Unklar und anscheinend verkehrt ist die Bemerkung Fr^mörys p. 15 Noteg: »hare« signifie ihalle«. Biener, Abhandlungen aus dem Gebiet der Rechtsgeschichte S. 94 Note 12, sagt, ohne weitere Erläuterung, hare des draps sei entweder Anfang oder Ende der Tuchmesse, welches durch einen Aufruf verkündigt wurde; in den Wechselrechtlichen Abhandlungen S. 37 aber: Das hare oder hara bezeiclmet den Ausruf, durch welchen die verschiedenen E'erioden der Messgeschäfte eingeleitet oder geschlossen wurden. Durch- aus abwegig ist die Deutung Endemann's, Studien in der romanisch - kanonistischen Wirthschafts- und Rechtslehre I S. 176. Er spricht von der im 17. Jahrhundert auf der Lyoner und anderen Messen üblichen Skontration, bei der ein Jeder mit lauter Stimme die Wechsel ausruft, welche er als Gläubiger oder für den Gläubiger inne hat, und fügt unter grundloser Berufung auf Biener hinzu: »Das ist der Auf- ruf, der unter dem Namen des hare schon auf den Cham- pagner Messen für Messverbindlichkeiten Üblich gewesen war;« ja, S. 85 wird zur Erläuterung des Wechselformulars bei Ro- landinus gesagt; »Ob die Aussteller (des Wechsels) selbst

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Die GeachSftfopentioDen auf den MetMn der Cbampi^e. 243

oder, wie leicht zu vermuthen, durch einen Geschäftsmann, der für sie den Aufruf (hara) beantworten sollte, die Zahlung zu bewirken gedachten , ist von untergeordnetem Belange ', Die ergötzlichste Form nimmt diese grundlose Hypothese bei Jäger (Der Tractat des Lucas Paccioli Über den Wechsel von 1494, 1878 S. 23) an: die sog. hara sei ein Aufruf des (Wechsel-) Schuldners durch den Gläubiger vor dem betreffen- den Konsul am ersten Tage der Messe; er fügt hinzu: »Es liegt nahe, dieses Wort mit hora = die Stunde in Verbindung zu bringen, allein es ist überall mit a geschriebene

IV. 15 Tage nach hare de dras fällt nach Manuskript a droiz paiemens, auf die abweichenden Angaben anderer Manuskripte und auf die Deutung Pegolotti's (termino dello pagamento della detta fiera^ ist schon oben hingewiesen (S. 236).

In den lateinischen Quellen steht dafUr der Ausdruck rectum pagamentum, d. h. usancemässige oder gesetzliche Zahlzeit der Messe. Auf diese feste Zahlzeit einer bestimmten Messe werden die Schuldscheine und Wechsel häufig gestellt, auch wohl vorsorglich bestimmt, wie es gehalten werden solle, falls etwa die bezeichnete Messe ausfällt'.

So heisst es in den bei Bourquelot I p. 91 Note 1 mit- ^theilten Urkunden z. B.:

1187: in pagatione nundinarum S. Aygulphi. 1221 : io proximis nnndinis Bari 8 diebus ante paga- mentum.

1240 : in nundinis S. Aygulphi 3 diebus ante rectum pagamentum.

1273: infra rectum pagamentum nundinarum de Harro.

1314: ad pagamentum dictarum nundinarum. Bourquelot II p, 103 gibt weiter als übliche Aus- drücke der Urkunden an:

' Danach G. Cohn in Endcmann'» Handbuch dn Handelsrechts III S. 1059 Note 15.

> S. aoch meine Universalgeschichte S. 33J Note 137a, S. 415, 4S8 Note 158.

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■ooqI

244 I^ic GMchä(tsop«TatioQ«n >af den Metten der Champa^e.

infra oder ante pagamentum, dans droit payement, avant payement u. dgl. m.

Gleiche Formeln begegnen in den Marseiller Urkunden des 13. Jahrhunderts für die auf die Messe von Bar, die Messen von Troyes und namentlich die Maimesse wie die Herbstmesse von Provins gestellten Wechsel :

Bibliothfeque de l'to)le des chartes XXXIX' ann^ 1878. Pikees justificatives Nr. 6, 10, 14 (1247); femer (1248) in Docu- ments in^dits I Nr. 92, 100, 101, 104, 105, 150, 151, 156, 340, 351; II Nr. 825, 929, 995; II 375, 377, 424, 498, 550, 557, 564, 615, 625, 667, 685, 691, 717, 730, 770, 772, 782, 793, 800, 802, 806, 817, 819, 822, 828; II Nr. 1028, 1029.

Die übliche Formel ist :

In nundinis de Bari (Trecis, Pruvini de Madio oder S. Aygidphi u. dgl.), proxime venturis infra rectum pagamentum, vel in termino dictarum nundinarum, si forte dicte nundine vacarent.

Sehr merkwürdig ist folgender Fall aus dem Jahre 1251. Jacopo del Caretto, marchese di Savona, Schwiegersohn Kaiser Friedrich's II., empfängt ein Darlehen von 2000 lire di Genova von den Bankiers Guido Spinola e comp, und stellt dafür, miter Verpfändung des mit Edelsteinen besetzten Thrones des Kaisers, einen Wechsel aus über 1600 libr. perven., zahlbar in proximis nundinis barii venturis ad rectam solutionem vel eo tempore quo dicte nundine esse debent, si deficient (Bel- grano, arch. stör. Ital. ser. III t. III part. I [1866] p. 117 ff.). Die Gesellschaft Mangiavacca aus Florenz löst 1253 diesen Thron ein und bezahlt an Spinola e comp, einen Wechsel, zahlbar in primis nundinis S. Aygulfi >ad rectum pagameDtum« (Mas Latrie, in Bibliothfeque de I'ö:ole des chartes, 5" s^rie, t. III [1862] p. 251). Auf die weitere Geschichte dieses kom- plizirten Rechtsgeschaftes ist an dieser Stellt nicht einzugehen.

Die feste Zahlzeit lässt sich nun in einem zwiefachen ' Sinne verstehen : als Zahlzeit der auf der Messe zahlbaren, gleichviel, ob daselbst oder anderweitig kontrahirten Privat- geldschulden oder als Zahlzeit der auf der Messe zu ent- richtenden Abgaben (Zölle, Standgelder u. dgl. m.). In dieser zweiten Bedeutung wird der Ausdruck idroiz paiemensc von Paulin Paris, unter Zustimmung von Bourquelot p. 92, verstanden.

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Die GetchSftMperaCioiien »ut den MeMcn der Champagne. 245

Mir scheint diese Deutung unwahrscheinlich, und sie wird nicht durch die von Bourquelot a. a. O. citirte Urkunde aus dem Jahre 1241 unterstützt, welche besagt, dass, wenn >post fioitum pagamentiunc Zoll (theloneum) ' gezahlt oder eine Waare verkauft wird, nur der halbe Zoll entrichtet werde. Denn wäre in der That unter >pagamentum< der gesetzliche oder übliche Tag der Zollentrichtung zu verstehen, so ist nicht begreiflich, weshalb die Unterlassung rechtzeitiger Zoll- entncbtung zur Befreiung vom halben Zoll fuhren sollte. Viel wahrscheinlicher ist, dass man die nach Ablauf der für die Zahlung der Messschulden festgesetzten oder üblichen Zeit, also die am Schlüsse der Messe stattfindenden Verkäufe durch Erhebung nur des halben Zolles begünstigte, damit möglichst ■wenige Waare unverkauft von der Messe ging.

Dass aber eine gesetzliche bezw. übliche Zahlzeit nicht allein für die auf der Messe verkauften Waaren, sofern der Kaufpreis nicht kreditirt war, sondern auch für die überhaupt auf die bestimmte Messe gestellten Zahlungsverpflichtungen bestand, ist einleuchtend, und es ist wenig wahrscheinlich, dass die Schuldurkunden, welche auf »die rechte Zahlzeitc lauten, die für die Zahlung der privaten Messschulden ganz unerheb- liche Abgabenzahlung im Auge haben sollten. Nur mit dieser Deutung erscheint vereinbar der Bericht P e g o 1 o 1 1 i ' s (a. a. O. p. 239): Wer am Zahlungstage (al giomo del pagamento) nicht zahlt oder sonst seine Verbindlichkeiten nicht erfüllt, gilt als fallit (fallato in fiere), hat keinen Kredit mehr und darf nicht wagen, auf der Messe zu erscheinen, natoriich wegen der iTitn drohenden Fersonalhaft und VermOgens- exekution". Daranf deutet auch die etwas dunkle Stelle in den spateren »coustumes, stille et usaiges de la court et chan- cellerye des foires de Champaigne et Brye« (Bourquelot H p. 342), wo unterschieden werden les 3 jours de draps und >les joum^es qui sont assign^es au payement de chascune desdites trois foires«.

Biener, S. 36, begntlgt sich mit der ergötzlichen Be- merkung, dass sich, aber nur in Fr^möry's Text (a), eine undeutliche Angabe über >trois payementsc finde!

Aogmuclieiiilicli handelt et »eh nn die VerluiD&abgibe: tonlieu. S. Bonrqvelot U p. 185 ff.

* Heine Univenalge«chicbte S. 3:9, 330.

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246 13'^ GeschSftGoperationen auf den Meisen der Champagne.

Neumann endlich (s. S. 239 Note 1) meint, das hare scheine die Messe in 2 Theile getheilt zu haben , und nur in dem ersten Theile sei Zahlung angenommen, aber nur in be- stimmten Fristen (etwa 4 Tage zuvor, wie in der Kölner Ur- kunde). Aber an derselben Stelle will er aus der Kölner Ur- kunde von 1213 herauslesen, dass das hare die Messe beendet habe und dass 4 Tage vorher die Baarzahlungen gegen die auf die Messe ausgestellten Wechsel an die Reihe kamen. Alle diese Hypothesen entbehren jeder Grundlage.

V.

Einen Monat nach hare de dras >abatent li chan- geors*. Dieser Satz ist schon oben, in Uebereinstimmung mit Bourquelot p. 85 (iferment leurs boutiques«), dahin verstanden worden, dass die Wechsler ihre Buden berw. Stände und Bänke ^abschlagen«. Von den )tabulae* der Wechsler ist in zahlreichen Urkunden die Rede'. Der gleich darauf begegnende Ausdruck ichanges abatuzc bezeichnet somit das Abschlagen der Wechselstände und damit das Aufhören der Wechsel- und sonstigen Bankgeschäfte. Des gleichen Aus- drucks, laprds changes abatusc oder labatuzi, bedienen sich die aus dem 13, Jahrhundert stammenden >privil&ges et coustumes des foiresc (Bourquelot II p. 321 ff.) art. 18, 19, auf welche ich im Folgenden zurUckkonmie. Desgleichen die Ordonnance Juli 1344 art. 8: »des les trois jours de draps jusques a changes abatuzc '.

Auf dieses Ende der Wechseigeschafte deuten die Ur- kunden mit dem Ausdruck »dimissio camblorumi oder genauer: idimissio campsorumi. Es finden sich nämlich interessante, von Bourquelot noch nicht berücksichtigte Er- lasse der custodes nundinarum (gardes des foires) an aus- wärtige Schuldner, enthaltend Vorladung derselben vor das Messgericht der Champagne ' auf einen bestimmten Tag :

1297: apud Pruvinum ad ottabas dimissionis campsonim nundinarum instantium Sancti Aygulfi de Pruvino (Berti a. a. O. Nr. 21 p. 261 ff.).

Bunrquelot II p. izjft.

' Am boten im HansUchen Utknodenbuch HI S. 454 ff. gedruckt.

3 Meine UniTenalgeKhichtc S. 231! IT.

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Die GetcUfiMpeniionen *uf d«u MeiMii der duunpagne. 247

1298: Desgl. ad crastinum dimissionis cambiorum (eod. Nr. 22 p. 264 H.).

1298: apud Barram apud Trecas ad quartum diem dimissionis cambiorum (eod. Nr. 23 S. 267 ff.).

1300: apud Pruvinum die tertia dimissionis cambiorum Sancti Augulphi proxime venturi (Mas Latrie, M^langes historiques. Cboix de docum. III. [Paris 1880.] p. 20 ff.).

Es ist sprachlich völlig unmöglich, mit Martens, S. 17 und Fr^möry, p. 105, 480, welcher fälscblicb von >abattre les changes* spricht, unter den technisch gebrauchten Worten eine Abrechnung der Geldwechsler unter einander und mit den Kaufleuten zu verstehen ; noch gar lässt , wie B i e n e r , Wechselrechtlicfae Abhandlungen S. 37, meint, >die Notiz Über die Wechsler erkennen, dass zu Ende der Messe vier Tage zum Skontriren bestimmt waren, worauf die Zahlungen folgten, die durch Ritomowechsel abgemacht wurden« ; noch lässt sich, wie derselbe meint', erkennen, »dass die Wechsler ihr Geschäft mit dem Zahltag schliesseni. Für all dies fehlt jeder Anhalt in den Quellen.

VI.

»IV jors apr&s changes abatuz prant on lestres de foire< (a). AehnUch b: IV jors aprSs chaogeurs abatus praot on lettres de foire. Dagegen c: un jour aprte changes abatus etc. Fehlt, wie S. 231 Note 8 bemerkt, in d, e und im Manuskript von Venedig, anscheinend auch im Manuskript von Provins.

Bereits Grosley bezieht die Messbriefe (lettres de foire) auf die Kaufbriefe (papier) Über die auf der Messe ausgestellten Waaren und fügt hinzu: >Ce papier se negocioit, ainsi que les obligations qui se passoient sous le scel des Foires. Le hare ötait le terrae de l'&heance des billets.<

Das Letztere ist undenkbar, wenn droiz paiemens die Ver- fallzeit der Messschulden bezeichnet, denn droiz paiemens tritt erst 15 Tage nach hare de dras ein. Die sehr unbestimmte Aeusserung Grosleys scheint Übrigens die gemeinen (form- losen) und die unter Messsiegel ausgestellten Urkunden Über

». a. O. p. 37.

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24d I^ Geachiftioperatioiieii mnf den Meisen der Ctuunpi£ne.

den Kaufpreis unter dem Namen papier und billets zu identi- fiziren.

Martens, S. 17, bringt die lettres de foire in Verbindung mit der von ihm in >abattent les changeurs« gehmdenen Ab- rechnung und sagt : >Ueber das, was nun nicht durch Zahlung oder Abrechnung getilgt war, nahm imd gab man lettres de foire.c In diesem Sinne mag auch FrSmöry, obwohl er sich nicht ausdrücklich darüber erklärt, den Satz verstanden haben, da auch er (S. 104, 105, 408), wie bemerkt, in dem »abattre les changes« die Abrechnung sieht. Biener, Wechselrechtliche Abhandlungen S. 37, findet, wie schon er- wähnt, dass zu Ende der Messe vier Tage zum Skontriren bestimmt waren, worauf die Zahlungen folgten, die durch Ritomowechsel , d. h. durch Wechsel von der Messe auf die verschiedenen Plätze, abgemacht wurden oder, wie es spater heisst, durch Wechsel von der Messe auf Florenz oder Genua. Diese Ritomowechsel wären somit die »lettres de foire« ge- wesen. Ich habe bereits oben S. 236 Note 1 bemerkt, dass dem ein Missverständniss Pegolotti's zu Grunde liegt, welcher nicht sagt, dass die Zahlungen durch Ritomowechsel geschahen, sondern dass, wenn die Zahlung auf diese Weise geschab, der Uso dieser Wechsel in einer gewissen Weise be- stimmt war.

Endlich Bourquelot, p. 85, bemerkt erläuternd: >Au bout de cinquante-deux jours ä partir de la mfime ^poque (nämlich dem Tage der Eröffnung) on prenait des lettres de foire, c'est ä dire on faisait röiiger et sceller suivant les formes vouloes les actes qui devaient assurer aux contractants la jouissance des privil&ges des foires de CljampagDe.i

Es sind somit alle Schriftsteller darüber einig, dass lettres de foire die gleichviel, ob in Wechselform oder sonst, ob formlos oder unter obrigkeitlicher Autorität (unter Messsiegel) errichteten Messkontrakte bezeichnen. Nun ist allerdings diese Deutung an sich möglich, da in der That auch die Mess- kontrakte mit diesem Namen bezeichnet werden. Gleichwohl sprechen dagegen sprachliche wie sachliche Gründe.

Der Ausdruck iprendre lettres* deutet nicht auf die Er- richtung von Messkontrakten, welche natürlich nur gemeinsam durch Gläubiger und Schuldner geschehen konnte, sondern auf einseitige Thätigkeit des Gläubigers.

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Die GetcUftiopeTationMi anf den Mmmd der Chtinpigaa, 249

Sodann ist unerfindlich, aus welchem Grunde erat am Schlnss der Messe die Aufnahme von Messkontrakten ge- schehen sein sollte. Das wäre nur erklärlich, wenn iettres de foire lediglich über den Saldo aus der Messabrechnung aus- gestellt worden wären, wieMartens undBiener annehmen, aber es hat sich bereits gezeigt, dass diese Hypothese jedes quellenmässigen Anhalts entbehrt. Im Uebrigen hat sicher- lich während der ganzen Messzeit die Aufnahme und Be- glaubigung wie Besiegelung von Messkontrakten durch die auf der Messe ständig anwesenden Notare und gräflichen bezw. königlichen Beamten stattgefunden'. Veranlassung zu Messkontrakteo gab die ganze Messzeit, indem Waaren- und Geldschulden zu verbriefen waren.

Nun aber gibt es noch eine zweite Klasse von Mess- urkunden, welche gleichfalls Messbriefe genannt wurden, näm- lich die von den richterlichen Messbeamten (gardes des foires) ausgestellten Exekutivbefehle wegen nicht bezahlter Mess- schulden; sie hiessen lateinisch mandamenta de nundinis, nun- dinalia u. dgl. Solche Briefe worden natürlich nicht vom Gläubiger und Schuldner gemeinschaftlich errichtet, sondern vom Gläubiger einseitig beim Messgericfat auf Grund der schriftlichen Messkontrakte oder auf andere Beweise hin ge- nommen, d.h. bei der MessbehOrde erbeten '. Dies geschah natürlich nur, wenn die auf der Messe geschuldete Zahlung nicht erfolgt war, also erst nach Ablauf der Zahlungszeit, so- mit in der Regel erst zu Ende der Messe, sofern nicht ein früherer Zahlungstermin vereinbart war.

Diese Bedeutung des prendre Iettres de foire wird aber auch unwiderleglich erwiesen durch die wichtigen Nachrichten, welche uns anderweitig über die Rechtsgewohnheiten der Messen erhalten sind:

In den mit unseren Manuskripten etwa gleichzeitigen Privileges et coustomes (Bourquelot II p. 321 ff.) heisst es:

18. Item apr^ clianges abatus, doit la justice bailler Iettres contre ceuls qui defaudront de foire (d. h. flüchtig sind, fuitifs, daher nicht exequirt werden können) en la forme qu'i! sera ordonn^, que les sergents porteront .

UeiDC Univemlgeschiclite S. >3oK, 134 C * Meine Uniretsalgstclilchte S. 331.

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250 I^ GetchUbopentioiicn anf dm Messen der ChMipagne.

Dagegen heisst es sab 19: Item aprte cbanges abatnz, la justice ne recevra ntd octroi d'obligation, ich mOcbte diesen dunkeln Ausdruck von der durch die ßesiegeloog er- folgenden gerichtlichen lAutorisationc der Messkontrakte ver- stehen; jedenfalls sind die sub 18 erwähnten *lettres<, welche erst nach changes abatus ausgefertigt werden, nicht die unter Messsiegel vor changes abatus angefertigten >Obligationen<. Von diesen letzteren ist sodann unter 20 die Rede: instru- ment scellä du scel des dites foires. IDagegen kehrt 21 zurück zu den sub 18 erwähnten lettres: Item, sur les fuitifs de la foire, seront prinses (d. h. prises) lettres premiferes, secondes et tierces, mit Exekutivkraft vor allen Gerichten.

Ganz Übereinstinuneod heisst es in den jüngeren coustumes, stille et nsaige, an verschiedenen Orten, insbesondere Bour- quelot II p. 337: es gebe zwei Arten von obligations toujours): li un est faiz ceur ä ceur en foire (d. h. en couTS de foire oder de cors de foire = sur le cors de foire, d. h. anf der Messe selbst im örtlichen Messbezirk kontra- hirt' die Kaufschulden werdai in das Messregister ein- getragen; die zweiten, sichereren erfolgen en vertu des mande- mens des foires (d. h, richterlicher Befehle) empArä ä requeste d'un cr^ancier des foires adressans au debteur, pour luy con- traindre de la somme qu'il doit h son cr^ancier et ex^cut^ par la justice etc. : also richterliche Exekutionsmandate , auf einseitiges Verlangen des Gläubigers erlassen. Diese lettres, wie sie anderweitig genannt werden, auch imandemens des foiresc (eod. p. 354), sind nicht die lettres obligatoires im ge- wöhnlichen Sinn vgl, auch die Ordonnance 1326 art. 2, 8, 10 (Ordonn. I p. 794 ff.), 1327 art. 11 (Ord. I p. 800ff.) , sondern die exticutoires, und es wird auch anderweitig (z. B. Houwald II p. 354) gesagt, dass die Gläubiger solche lettres >prenaientc. Auf die zum Theil komplizirien Einzelheiten des Verfahrens einzugehen, ist hier nicht der Ort; für die an- genommene Bedeutung des prant on lettres de foire dürfte die vorstehende Ausführung ausreichen.

Meine Univenalgetchidite S. 339 Note 154, cf. auch courtnme« bei Bonrquelot II p. 348: >et en Mt l'en let meUleuret lectrei obligatoires

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Die GeKhiftfopentÜODsii auf don Meven der Chtunpegne. 251

VII.

Es bat sich bisher das negative Resultat herausgestellt, dass unsere Manuskripte keinerlei Anhalt fQr eine Abrechnung unter den Besuchern der Champagner Messen, desgleichen für Wechselbriefe, insbesondere Ritomowechsel , welche über den nach Abrechnung verbleibenden Saldo ertheilt werden müssen oder ertheilt werden, gewähren. Demungeachtet steht nicht allein fest, dass, wie herkömmlich Wechsel zahlbar auf die Champagner Messen gestellt sind, so auch von den Messen Wechsel auf andere Messen (»cr&mces de foire en foire«) oder auf andere Plätze abgegeben worden sind (Ordonn. 1311 und 1315 [I p. 484 bezw. 494]). Bei Pegolotti werden die usuellen Verfallzeiten der letzterwähnten Wechsel genan an- gegeben. Es ist femer selbstverständlich möglich, ja wahr- scheinlich, dass diese Wechsel über den durch Abrechnung bezw. sogar Skontratton ermittelten Schuldrest gelautet haben ; nur sprechen weder unsere Manuskripte noch auch Pegolotti von solcher Abrechnung oder gar Skontradon.

Dass aber ein Skoatrationsverfahren auf den Champagner Messen bestanden hat, ergibt mit grosser Wahrscheinlichkeit ein merkwürdiger Weise in dem vor 1210 geschriebenen Poenttentiale des Robertus Flamesburiensis enthaltener Bericht. Dieser Kanonist, wahrscheinlich Engländer von Geburt, Kanoni- kus in dem Chorherrenstift St. Victor in Paris, Pönitentiar und Lehrer daselbst, spricht in dem tractatus de usuris" von dem Messwechsel :

§ 2. In nundinis mercatorum consuetudo est, ut sibi ad invicem credant debita sua usque ad generalem solntionem, quae est in fine nundinarum, et gallice dicitur pagiament (d. h. payement). Pro XX libris parisiensium non potui habere de manu ad manum ni^ XXIV libras andegavensium ; accepi ergo XXVI ad gene- ralem solutionem. S. Ut mihi videtur, non est usura, quia non emitur expectatio temporis. Si enim creditor tuus acces-

' Schulte, Roberti Flametbur. SuminR de matrimonio et de usuris . GieM«n i868; anch Schulte, Die Ge«cfaichte der Quellen und Literatur dei kanoabchcB Recbti I ([875} S. 109 und aio. (Auungiweise mltgetbeilt vod Aniohtlli, ZeitKhrift XVII S. lOg.) Ich habe die Stelle berats in meiDet UniTcttalgeMhicIite S. 328 Note 100, aber nicht ToUitliidig, abgedrack^

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252 ^e GdchiflsoperatioDen «nf den McMen der Ctuunptgne.

sisset, statim ei satisfecisset debitor tuus, sed emitiir con- tractus cum aliis personis, ac si diceret debitor tuus: Don potes habere pro XX libris parisiensium de manu ad manum nisi XXIV libras andegavensium, dabo tibi XXVI, si permiseris me satisfacere pro te aliis creditori- bus tuis. Ecce hie non expectatur aliquis certus dies, sed quandocünque aliquis creditor tuus repetit ali- quid a te, satisfaciet ei ille, qui argentum tuum emit, et ideo noa est hie expectatto, nee usura, alioquin esset ibi eipeetatio et usura. Der Gläubiger (A) weist somit seinen Schuldner (B) an, die an A geschuldete Summe zur Mess- zahlzeit an einen Gläubiger (C) des A zu zahlen, xtaä B zahlt für diese ihm gewährte Erlaubniss einen Auj^hlog (26 statt geschuldeter 24 libr. andeg.). Es wird angenommen, dass hier nicht, entgegen dem kirchlichen Wucherverbot, ein Zins- aufschlag für eine gewährte Kreditfrist versprochen wird, son- dern dass B seine Schuld (24 libr.) dem A abkauft gegen die Verpflichtung , jeder Zeit , natürlich zur Messzahlzeit, an C etwas mehr (26 libr.) zu zahlen. Es wird somit, wie häufig sonst, das kirehUch verdächtige Geschäft unter der bequemen Rubrik des >Kaufsc aufrecht erhalten. Sicher ist hiemach, dass bei der igeneralis solutio« and zum Zwecke derselben Delegationen im Gebrauch waren, und es sind damit die Ele- mente der Skontration gegeben, indem selbstverständlieh die Delegation insbesondere auch zu dem Zwecke geschah, um Kompensationen indirekt zu ermöglichen ',

Weitere Spuren eines solchen Verfahrens ergibt z. B. die Ordonnance von 1315 (Ord, I p. 584 ff.), welche sagt, dass die cr^anees de foire en foire in Form der »vente, d'aehat ou de changec vorkamen. Auf Delegation und Abrechnung dürften endlich die zwar erst dem 15. Jahrhundert angehOrigen, aber vielfach älteres Recht enthaltenden coustumes, stille et usaige hindeuten, wo (Bourquelot n p. 355) gesagt wird: II advient souvent que aucuns doit dehors de foire ä ung autre et vient en foire, et cils qui doit pour celluy ä

* Dan die» schon toi den antiken GeldTsrlcelii wahncheinllch üt, lube ich bei Betpfochung der antikea Orderklantd im Delet^tionirerlcalir bemerkt: Zmitchrift der Sangnj-Stifhing fDr RechtiKeacliichte X (18S9) , Rom, Abtib. :;. 395 [abgednckt oben S. ao6, 20}].

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Die GeichifuaperatioDen auf den Meuen der Cham;>agiie. 253

qui il doit dehors foire, (fait?) du consentemeat de celluy ä qui il doit, creance en foire ä ung autre, aucune fois od fait lectres, aucune fois non, et telz cr^ant valent, combien que paravant ne fussent debtes de foire; aucune fois n'est pas präsent cilz pour qui li cröant sy faict. Es wird so eine ursprüngliche Nichtmessschuld , welche daher nicht die Privilegien der auf der Messe kontrahirten Schulden genoss ' , dadurch statthafter Weise in eine Mess- tichuld verwandelt, dass sie auf der Messe mit Genehmigung des vielleicht auf der Messe nicht einmal gegenwärtigen Gläubigers einem andern Gläubiger (wahrscheinlich einem Gläubiger des ersten Gläubigers) mündlich oder schriftlich delegirt wird.

' Meine UniveisalgeKhichie S. iiS, 319 Note 154.

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9.

UEBER

EDITIONSPFLICHT,

INSBESONDERE BETREFFEND

GEMEINSCHAFTLICHE URKUNDEN UND HANDELSBÜCHER.

(Em RECHTSGUTACHTEN.)

(1882.)

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Von dem Bankhause X. & Cie. in Köln a. Rh. bin ich um ein rechtliches Gutachten über einen zwischen diesem Bankhause und dessen Theilhabern als beklagter Partei einer- seits, der Frau A. B. geborenen X. und Genossen als kläge- rischer Partei andererseits schwebenden Rechtsstreit, betreffend die Edition gewisser Handelsbücher des beklagten Bankhauses, eventuell Rechnungslegung desselben, angegangen.

Behufs meiner Information über den Thatbestand ist mir von Herrn Th. X,, Theilhaber des beklagten Bankhauses, eine Anzahl von Prozessschriftstücken und bisher ergangenen ge- richtlichen Urtheilen, ausserdem eine Anzahl anderweitiger, in einem Konvolut von 230 Seiten Folio (dazu ein »Akten- verzeichnisst von 101 Nummern) enthaltener Schriftstücke mitgetheilt worden. Aus diesen Materialien entnehme ich den nachfolgenden Thatbestand.

I. Thatbestand.

1. Der Kommerzienrath W. L. X. in Köbi a. Rh. hat seit dem 1. Januar 1858 mit dem Bankier A. M. daselbst in einer offenen Handelsgesellschaft unter der Firma X & Cie. gestanden. In diese Gesellschaft sind successive die Söhne des Ersteren, welche noch gegenwärtig mit Herrn A. M. das Bankgeschäft fuhren, die Herren Th. X-, O. X. und W. X., als offene Gesellschafter eingetreten. Durch einen 1868 zwischen dem Kommerzienrath X. , dessen Ehefrau , deren Söhnen, Töchtern und Schwiegersöhnen geschlossenen, dem- nächst in dem Testament des Ersteren 1869 als Bestandtheil dieses Testaments bestätigten »Familienvertragi wurde »im Interesse der Familie« festgestellt, dass das am 1. Januar 1864 in der Handlung befindliche >Guthaben< des Herrn Kom-

Galdichmldt, VrriDÜctateScbnrtdii. U. I7

, Cioogle

258 Ueber Editionip flicht, instxs. betr. gemdnschiAl. Urkanden etc.

merzienrath X. »auf die Dauer der] Societät, resp. solange Söhne oder Schwiegersöhne desselben die Firma X. & Cie. führen, jedoch längstens bis zum 1. Januar 1884, gegen eine Verzinsung von 4 Prozent welche unter Umständen für einige der betheiligten Geschwister X. auf 5 Prozent erhöht werden sollte in dem Geschäft belassen bleibt.*

Diesem Familienvertrage entsprechend wurde durch einen neuen Gesellschaftsvertrag vom 26. Juni 1869 das Verhältniss zwischen den Theilhabem des Bankhauses X, & Cie. dahin geändert, dass der Kommerzienrath X. jedem der drei ge- nannten Söhne auf dessen elterliche Erbschaft Thaler

gegen Verzinsimg von 4 Prozent als Einschuss in die Hand- lung Überschreiben Hess, sich weiter verpflichtete, ein Kapital von Thalem gegen gleiche Verzinsung , solange min- destens einer seiner Söhne oder Schwiegersöhne in der Hand- lung bleibt, spätestens aber bis zum 1. Januar 1884 in der Handlung zu belassen, endlich bis zu seinem bereits vor- gesehenen Austritte selbst mit nur 4 Prozent an dem Gewinn und Verlust des Geschäfts betheiligt blieb.

Am 30. Juni 1874 ist der Kommerzienrath X. gänzlich aus der Gesellschaft ausgeschieden. Die durch Vertrag vom 26. Juni 1869 bis zum l. Januar 1875 prolongirte Gesellschaft besteht noch gegenwärtig unter den oben genannten \-ier Theilhabem; die Herren Th., O. und W. X. sind vertrags- mässig verpflichtet, nicht vor dem 1. Januar 1884 aus der Gesellschaft auszutreten.

Am 23. November 1876 ist der Kommerzienrath X. ge- storben.

Als Betrag der demselben bei seinem Tode gegen die Handlung X. und Cie., sowie gegen seine in der Gesellschaft befindlichen Söhne zustehenden Ansprüche ist die Summe von

Thlr -I- Thlr + Thlr ermittelt; die

darüber von Herrn Th. X. vorgelegte RechnungsUbersicht vom 12. Dezember 1876 ist, unter Verzicht auf jede weitere Inventur, von sämmtlichen Miterben als richtig anerkannt: Verhandlung vom 12. Dezember 1876.

Endlich wurde der hiemach einem jeden der hier in Be- tracht kommenden Erben zustehende Antheil am väterlichen Nachlass als Guthaben bei der Firma X. & Cie. gutgeschrieben und erklärten sich die betreffenden Erben durch diese Gat-

ThatbesUnd. 259

Schrift für ihre Nachlassansprüche, soweit solche wider die Handlung X. & Cie. oder deren Theilhaber bezw. Herrn A. X. in London gingen, befriedigt,

Die von den sämmtlichen Miterben bestätigten Gutschriften der Handlung X. & Cie. lauten Übereinstimmend:

Köln, den 30. Januar 1878. Unter Bezugnahme auf umstehenden Brief unseres Herrn Th. X. theilen wir Ihnen hierdurch mit, dass wir Ihnen zu Lasten des Guthabens des verstorbenen Herni W. L. X.

, J!^*? l Valuta 31. Dezember 1876

imd Mark )

auf Geheimbuchkonto gutgeschrieben haben , indem wir Ihnen bezüglich des letzteren Betrages von

Mark bestätigen, dass wir Ihnen denselben

laut den getroffenen Vereinbarungen in drei gleichen jährlichen mit dem 1. Januar 1884 beginnenden Raten auszuzahlen und bis dahin mit 4 Prozent Zinsen jähr- lich zu verzinsen haben u. s. w.

X. & Cie. 2. Alsbald nach dem Tode des gemeinsamen Erblassers hat Herr T. T., welcher erst nach dem Familienvertrage vom 30. Juli 1868 durch Verehelichung mit Fräulein E. X. in die Familie eingetreten war, von Herrn Th. X. wiederholt die volle und persönliche Einsicht in die Handelsbücher der Hand- lung X. & Cie. begehrt, um auf diese Weise festzustellen, ob nicht eine von ihm vermuthete rapportpflichtige Begünstigung einzelner Miterben , nämlich der Söhne gegenüber den Töch- tern, durch den gemeinsamen Erblasser vorliege. Er hat dieses Begehren nachdem er zunächst, unter Beitritt zum Erbrezess, davon Abstand genommen hatte später und dies- mal in Verbindung mit anderen Miterben wiederholt, seit ein letzter Brief des Kommerzienraths X. an dessen Ehefrau vom 6. Mai 1874 zur Kenntniss der Erben gelangt war, aus welchem einige derselben zu entnehmen glaubten, dass rapport- pflichtige Begünstigungen der Söhne gegen die Töchter er- folgt wären. Das alsbald zu erwähnende Urtheil des Königl. Landgerichts zu Köln vom 17. November 1880 spricht übrigens dem gedachten Briefe jede Beweiskraft in dieser Richtung ab. Dem Verlangen auf Einsicht in die Handelsbücher wurde

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260 Uebet Editiontpflicht, insbet. belr. gemeüuchaftl, Urkunden etc.

in dem begehrten Umfange nicht entsprochen, indem Herr Th. X. zwar am 10. April 1880 die in seinen Händen befind- lichen auf den Nachlass des Kommerzienraths X. bezüglichen Papiere den Anwälten des Herrn T. und der sich demselben anschliessenden Miterben zur Einsteht vorlegte, dagegen in üebereinstiromung mit seinem Associö, Herrn A. M., die Vor- legung der im Besitze der Gesellschaft befindlichen Handels- bücher der Gesellschaft ablehnte: der Erstere wegen des be- leidigenden und ehrverletzenden Charakters dieser Fordenmg, Beide, weil den Miterben ein derartiges Recht gegen die Ge- sellschaft nicht zustehe.

Auf einen von Herrn Th. X. gemachten Vergleichs- vorschlag, desgleichen auf dessen Vorschlag, über die Streit- frage bindende Gutachten allseitig acceptirter Anwälte ein- zuholen, wurde von den Gegnern nicht eingegangen.

3. Demnächst ist vor der ersten Civilkammer des Königl. Landgerichts zu Köln Klage erhoben worden auf nachträg- liche Theilung des väterlichen Nachlasses von den Eheleuten T. T. und E. geb. X. gegen die sämmtlichen Miterben des Kommerzienraths W. L. X., nämlich 1) den Bankier A. X. zu London, 2) den Bankier Th. X., 3) den Bankier O. X., 4) den Bankier W. X-, 5) die Eheleute Kommerzienrath B. C. und A. geb. X. , 6) die Eheleute Kaufmann V. W. und B. geb. X., 7) die Eheleute Kommerzienrath C, B. und A. geb. X., 2 7 zu Köln, 8) die Eheleute Kommerzienrath M. und L. geb. X, zu T. unter denen jedoch die Eheleute W., M. und B. sich der Klage angeschlossen haben.

Die Kläger und die denselben beitretenden Beklagten be- haupten, es seien von den übrigen Beklagten zur väterlichen Nachlassmasse verschiedene Zuwendungen zu rapportiren.

Als solche werden, soweit für die Zwecke dieses Gut- achtens in Betracht kommt, in dem Thatbestand des Urtheüs dfes Königl. Landgerichts vom 17. November 1880 aufgeführt:

2. Nur den drei Theilhabem der Gesellschaft X. & Cie. sei zu Gute gekommen die vertragsmässige Bestim- mung, Inhalts welcher das ganze Vermögen des Erb- lassers bis zum 1. Januar 1884 gegen eine Vergütung von 4 Prozent bei dem Geschäfte festgelegt sei.

3. Die Gewinnbetheiligungen, welche der Erblasser den

Thatbeitand. 261

gedachten drei Söhnen laut Vertrag vom 24. De- cember 1863 und 26. Juni 1869 habe zufliessen lassen, charakterisiren ftlr sich und in Verbindung mit dem unter 2. angeführten Momente die gedachten Verträge als fraudulose Geschäfte zum Nachtheile der Übrigen Familienglieder.

4. Es seien sehr erhebliche Beträge des Geschäftsgewinnes während der Mitgliedschaft des Erblassers in der Firma X- & Cie. ursprünglich nicht vertheilt worden, hätten vielmehr, unter einem besonderen Konto gut- geschrieben bezw. verwaltet, in dem Geschäfte weiter gearbeitet, seien aber demnächst an die gedachten drei Theilbaber vertheilt worden und in deren Privat- vermögen übergegangen ; insbesondere seien im Jahre 1869 an den Beklagten O. X. und an den Beklagten

Th. X. je Mark vertheilt worden; gleichwohl

habe dieser Fonds bei Austritt des Erblassers aus der

Firma noch Mark betragen und der Erblasser

nur 4 Prozent erhalten.

5. Dahin gehörten endlich die Kapitatsbetheiligungen von je Mark , welche der Erblasser laut Ge- sellschaftsvertrag vom 26. Juni 1869 jedem der drei genannten Söhne in den Büchern habe überschreiben lassen, so dass jeder derselben für je diesen Betrag Gläubiger auf Kapitalkonto der Firma X. & Cie. und für denselben Betrag Schuldner des Erblassers wurde. ~

Von diesen Klagebehauptungen ist durch Urtheil des Königl. Landgerichts vom 17. November 1880 nur die ad 4 und nur insofern sie dahin geht, dass an die Beklagten O. und

Th. X. je Mark aus dem Reservefonds vertheilt seien,

zum Beweise gestellt, im Uebrigen die Klage schlechthin ab- gewiesen, und zwar weil die ad 2., 3., 5. behaupteten That- sacben eine Rapportpflicht überhaupt nicht begründen , die Behauptungen ad 4. aber, mit einziger Ausnahme der als kollationspflichtige Schenkung zu erachtenden angeblichen Zu- wendung von Mark, weitaus zu vage seien, um daraus

auf eine Rapportpflicht der Beklagten in bestimmter Höhe schliessen zu können.

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263 Ueber Editianspflicht, imbei. betr. gemäuscliiftl. Urkunden elc

4. Der Thatbestand des weiteren am 30. März 1881 unter denselben Parteien und den Intervenienten X. & Cie. und A. M. ergangenen Zwischenurtheils der ersten Civil- kammer des KOnigl. Landgerichts zu Käln und des Königl. Oberlandesgerichts daselbst vom 2. Mai 1881 ergibt femer;

Es erging Beschluss, über die in dem Urtheil vom 17, No- vember 1880 für erbeblich erachtete Klagebebauptung Zeugen- beweis zu erheben. Nach abgehaltenem Zeugenverhör be- antragten die Kläger ursprünglich Edition, demnächst die Bewilligung einer Frist behufs Herbeischaffung gewisser im Besitz der Handlung X. & Cie. befindlichen Urkunden. Die Beklagten Th., O. und W. X. verkündeten ihrem Associ^, A. M., den Streit, weil sie durch Vorlage der begehrten Ur- kunden gegen den Gesellschaftsvertrag Verstössen würden. Nachdem ursprunglich Herr A. M. intervenirt, aber die Inter- vention zurückgezogen hatte, intervenirtea das Bankhaus X. & Cie. und dessen Theilhaber, Herr A. M., mit dem An- trag, die Intervention anzunehmen und das Gesuch um Frist- bewilligung zu verwerfen. Durch Zwischenurtheil des Königl. Landgerichts vom 9. März 1881 wurde die Zulässigkeit der Nebenintervention anerkannt, auf sofortige Beschwerde der Kläger hingegen durch Zwischenurtheil des Königl. Ober- landesgerichts vom 2. Mai 1881 deren Unzulässigkeit aus- gesprochen, weil den Intervenienten ein zur Anstellung der Nebenintervention nach der Civilprozessordnung ausreichendes Interesse fehle.

Der Antrag der Kläger war dabin gerichtet, dass eine Frist zur Herbeischaffung folgender Urkunden bestimmt werde : der Jahresabschlüsse der Gesellschaft X. & Cie. per 31. December 1867, 1868, 1869;

der Rechnungsauszüge über den Geschäftsverkehr des Erblassers mit seiner Firma X, & Cie.

Der so formulirte Antrag wurde durch Urtheil des Königl. Landgerichts als unstatthaft abgewiesen. In den Ent- scheidungsgrUnden heisst es, dass, abgesehen davon, ob die »Rechnungsauszüge! hinlänglich genau bezeichnet seien, ob femer die bezeichneten Schriftstücke als »Urkunden* zu er- achten seien, und ob sie in der gegenwartigen Streitsache be- weisen könnten, jedenfalls eine Editionspflicht der Firma X. & Cie. gegenüber den Erben des Kommerzienraths X. nicht

ThatbeMaDd. 263

glaubhaft gemacht sei, vielmehr § 6 des Societätsvertrages vom 26. Juni 1869 ia rechtlich statthafter und durchaus un- zweideutiger Weise die Editionspflicht des Bankhauses X. & Cie. hinsichtlich der Bücher desselben den Erben eines Mitgesell- schafters gegenüber ausschliesse.

5. Demnächst stellte die Klagepartei des Hauptprozesses, nämlich Frau A. verw. B. welche jedoch in der münd- lichen Verhandlung von der Klage zurückgetreten ist , die Eheleute W., M. und T. gegen das Bankhaus X. & Cie, be- ziehentlich gegen dessen Theilhaber: die Bankiers A. M-, Th. X., O. X., W. X., bei der ersten Kammer für Handels- sachen des Königl. Landgerichts zu Köln Klage dahin an:

iKSnigl. Landgericht wolle die Beklagten für ver- pflichtet erklären und verurtheilen, folgende Urkunden im Original oder beglaubigter Abschrift oder in einer sonst von den Gerichten zu bestimmenden geeigneten Weise vorzulegen bez. zur Einsicht der Kläger zu stellen, nämlich:

1) die über den Geschäftsverkehr des Bankhauses X. & Cie. mit dem verstorbenen Kommerzien- rath X. aus Köln geführten Konti, insbesondere die laufenden Rechnungen;

2) die Jahresabschlüsse der Firma X. & Cie. bis zum 30. Juni 1874, insbesondere diesen letzten und die vom Jahre 1867 an;

3) das in demselben Bankhause geführte Reserve- Konto.

Eventuell soweit die beklagte Firma Kontokorrent- und Bilanz-Anerkenntnisse nicht besitzen sollte, wolle Königl. Landgericht die Beklagten verurtheilen, über diese Zeit des Geschäftsverkehrs und des Geschäfts- verhältnisses Rechnung zu legen.« Durch Urtheil vom 1. December 1881 ist dem prinzipalen Antrag gemäss, jedoch mit Beschränkung der Editionspflicht auf die bis zum 30. Juni 1874 geführten Konti und gemachten Geschäftsabschlüsse, erkannt, der eventuelle Antrag dagegen abgewiesen.

Aus der Klageschrift und dem Thatbestande des vor- erwähnten Urtheils ergibt sich nicht mit ausreichender Be-

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264 Ueber EditionspAicht, insbes. bett. gtmcinschafU. Urkunden etc.

stimmtheit, ob die Editionsklage lediglich bezweckt, Einsicht in die zur Ausmittelung angeblicher Conferenda dienlichen Urkunden zu erlangen. In der Klageschrift wird in dieser Beziehung nur gesagt:

»Das Reserve-Konto und die Abschlüsse und Konto- korrente nach 1867 sind den Klägern von ganz be- sonderer Wichtigkeit, weil der dem Erblasser an dem Reserve-Konto zustehende Antheil baar an die Söhne mit Uebergehung der Töchter unentgeltlich vertheilt worden ist. Diese Vertheilungen haben stattgefunden im Betrage von mindestens 600,000 (?) nach dem Jahre 1867. Letztere Beträge sind selbstredend dem Rückbringen unterworfen, welche Ausgleichung der Erblasser auch ausdrücklich in einem Briefe vom 6. Mai 1874 vorgeschrieben hat. Um die Höhe der Beilage und namentlich der baaren Vertheilungen festzustellen , sind das Reserve-Konto und die Konto- korrente unumgänglich nothwendig.« Aus dem Thatbestande ergibt sich weiter, dass die Kläger ihre Editionsanträge auf alle im Erbtheilungsprozess auf- gestellten Behauptungen, somit auch auf diejenigen stützen, welche das Urtheil der Civilkammer des Königl. Landgerichts vom 17. November 1880 betreffs der erhobenen Erbtheilungs- klage als unerheblich oder rechtlich unschlüssig erklärt hat; femer die klägerische Behauptung: zur Feststellung der Nach- lassmasse sei die Edition der geforderten Urkunden noth- wendig, um so mehr, da ihnen aus dem Nachlasse ihres Erb- lassers keinerlei Urkunden zugegangen seien, welche über die in den zu edirenden Urkunden niedergelegten Rechnungsver- hältnisse Aufschluss gewährten.

Im Uebrigen imd anscheinend über den Zweck einer blossen Feststellung der angeblichen Conferenda hinaus heisst es in der Klageschrift: der klägerische Erblasser habe als Theilhaber mit der Handlung X. & Cie. in einem Gesell- schaftsverhältniss und als Kunde in Geschäftsverbindung ge- standen: es sei anzunehmen, dass der Erblasser nie eine Ab- schrift der betreffenden Skripturen erhalten habe.

Endlich findet sich in dem Thatbestand die weitere Be- hauptung, es sei den Klägern noch niemals vollständig Rech-

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ThUbestind. 265

nung gelegt worden, und die erfolgte Theilung sei nur eine partielle gewesen.

Die Editions p f ii c h t der beklagten Partei wird gestützt :

1) auf die Stellung, welche ihr Erblasser der Gesell- schaft gegenüber als Theilhaber und als Kunde eingenommen habe;

2) darauf, dass die begehrten Urkunden, insbesondere der Bilanzabschluss und das Reserve-Konto gemeinschaftliche Urkunden aller Gesellschafter seien: CP.O. § 387;

3) subsidiär auf die Grundsätze des gemeinen Rechts über die Urkunden-Edition, bez. des D.H.G.B.'s Art. 105 ff. bez. 145.

Die Pflicht zur eventaellen Rechnungsstellung wird als selbstverständlich bezeichnet fUr diejenige Zeit, fUr welche Bilanz nicht oder nicht fertig gemacht sein sollte oder für welche eine der beklagten Firma ertheilte Anerkennung des Kontokorrents nicht vorliegt.

Das Urtbeil der Kammer für Handelssachen des Königl. Landgerichts vom 1. December 1881 steht in dem entscheiden- den Punkte mit dem Zwischenurtheil der Civilkammer des Königl. Landgerichts vom 30. März 1881 in direktem Wider- spruch.

Es wird ausgeführt:

1) Die Statthaftigkeit der Editionsklage gegen den Dritten bestimme sich niemals danach, ob dem Gesuch auf Frist- gewährung im Hauptprozess entsprochen sei,

2) Das Verfahren im Editionsprozesse bestimme sich ledig- lich nach allgemeinen Frozessgrundsätzen , insbesondere nicht nach CP.O. § 395.

3) Eine Verpflichtung zur Edition nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts sei nicht begründet, dagegen treffe zu der Editionsgrund der Gemeinschaftlichkeit der Urkunden.

Als gemeinschaftlich seien anzusehen:

1) die Rechnungen Über alle Geschäftsverhältnisse, welche W. L. X. als Theilhaber oder als Kunde mit der Firma ge- habt habe das ergebe sich aus den Grund^tzen des ge- meinen Rechts über die Editionspflicht der argentarii hinsicht- lich der für ihre Kunden geführten Rechnungen ,

2) die Jahresabschlüsse der Firma X. & Cie. zwischen allen Theilhabem,

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266 Ueber EdJtionspflicht, iiubes. bett. gemeiiucluftl. Urkunden etc.

3) das Reservekooto , weil zur Vervollständigung der Bilanz gehcrig.

Die Edition aller dieser Urkunden hätte der Erblasser von der Firma begehren können; folglich sei auch jeder seiner Erben zu einem solchen Begebren befugt.

Betreffs der Editionspflicht aller dieser als Handelsbücber anzusehenden Urkunden sei ein Widerspruch zwischen den Vorschriften der C.P.O. und den allerdings in erster Linie maassgebenden Bestimmungen des H.G.B.'s Art. 37 Abs. 1, Art. 38, 40 nicht vorhanden.

Endlich stehe Art. 6 des Gesellschaftsvertrages vom 26. Juni 1869 dem Anspruch der Kläger nicht entgegen, da derselbe nur für den Fall disponire, dass einer der Gesell- schafter während bestehender Gesellschaft sterbe, nicht aber für den Fall, dass das Gesellschaftsverhältniss schon vor dem Tode des betreffenden Gesellschafters durch dessen Austritt gelöst sei. Die in Societätsverträgen so häufige Klausel be- zwecke, die MitgeseUschafter gegen das unliebsame Eindringen Fremder in die Angelegenheiten der Gesellschaft zu schützen; trete aber ein Gesellschafter freiwillig aus, so bedürfe es eines solchen Schutzes nicht, da beim Austritte entsprechende Bestim- mungen getroffen werden könnten. Daher komme auch die in dem Brief vom 7. Mai 1874 ausgesprochene rechtlich un- verbindliche Meinungsäusserung des W. L. X. nicht in Be- tracht. Es brauche daher auch nicht untersucht zu werden, ob die etwaige hier nicht vorliegende vertragsmässige Aus- schliessung der Edition überhaupt statthaft gewesen wäre.

Das zur klageweisen Geltendmachung ihres Editionsrechts erforderliche rechtliche Interesse der Kläger liege in deren im schwebenden Erbtheilungsverfahren erhobenen KoUations- ansprtichen, welche sich aus den gesellschaftlichen Verhält- nissen des Erblassers in der beklagten Gesellschaft und aus den innerhalb der Gesellschaftsangelegenheiten erfolgten Ver- buchungen ergeben sollen. Es sei gleichgiltig , ob die Rech- nungen zwischen W. L. X- und X. & Cie. seitens des Ersteren anerkannt seien, da es sich gar nicht um Erhebung von An- sprüchen gegen die Firma oder um Angriffe gegen die Giltig- keit der von W. L. X. innerhalb der Gesellschaft verabredeten Buchungen handle ; die Kläger unterstellten eben diese Ver- buchungen und Berechnungen als giltig erfolgt und zögen

Rechtliche Beleuchtung. 267

daraus ihre Schlüsse rücksichtlich der Rapportpflicht einzelner Betheiligten. Daher sei auch die etwa durch die vorgelegte Privatbilanz von W. L. X. dokumentirte Anerkennung der Rechnungen der Firma nicht erheblich. Endlich sei gleich- giltig, dass die klagenden Erben die Erbtheilung vollzogen haben, da die Ansprüche der Kläger sich gerade gegen die Giltigkeit einer von ihnen erfolgten Anerkennung richten. Das Material zur Losung dieser Streitfrage solle der Editions- prozess schaffen.

Dagegen ist der Antrag auf Rechnungslegung abgewiesen worden, weil, insoweit W. L. X. Kunde von X. & Cie. war, die Beklagte vermöge der ihr auferlegten Editionspflicht ge- halten sei, die Rechnung, welche die Firma für ihren Kunden W. L. X- führte, vorzulegen; soweit aber das Verhältniss des Theilhabers W. L. X. gegenüber der Firma in Frage stehe, die Beklagten die entsprechenden Rechnungen und Jahres- abschlüsse vorzulegen haben, während im Uebrigen die Gesell- schaft oder die übrigen Theilhaber einem geschäftsfUhrenden Theilhaber Rechnung zu legen nicht verbunden seien.

Gegen das vorstehende Urtheil ist Berufung eingelegt', der Hauptprozess betreffend die Erbtbeilimg einstweilen sistirt.

II. Reohtliehe Beleuehtung. A. Die prozessualische Lage.

§ 1- Das Zwischenurtheil des Königl. Oberlandesgerichts zu Köln vom 2. Mai 1881 hat die in dem Hauptprozesse ver- suchte Intervention der gegenwärtig beklagten Partei aus dem Grande als unstatthaft zurückgewiesen, weil derselben ein zur Intervention nach der Prozessordnong ausreichendes Interesse fehle. Denn die Intervenienten würden in einem durch besondere Klage gegen sie erhobenen Editionsprozess »nicht schlechter gestellt sein<, als in dem Falle, dass in Folge ihrer Intervention die Frage der Editionspflicht als eigentlicher Incidentstreit unmittelbar in den Hauptprozess hineingezogen werde.

[Du in dieKT Sache ergan^ne Uitheil dea Reicb^erichts [EntBch. XII S. 413 ff.) behandelt, Eoweit veiflfTeDtlicht , Dur die auf 3S7 Z. z, 394 gettatzte BegTÜDdang der KUge and tritt intoweit im WcHntlichen dem Gold- Khmidt' sehen Gutachten bet.J

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268 Ueber EdittonapflicM, inibes. betr. gemeiiiicliaftl. Urkunden etc.

Diese Entscheidung ist unzweifelhaft richtig, allein die Kammer für Handelssachen des Königl. Landgerichts hat aus derselben einen unrichtigen Schluss gezogen. Das Königl. Oberlandesgericht hat keineswegs entschieden, dass die Edi- tionsklage trotz Verwerfung des Antrags auf Fristgewährung unter allen Umständen erhoben werden dürfe; eine Ver- anlassung zur Sonderung der verschiedenen möglichen Editions- grUnde aber lag für den Oberrichter um so weniger vor, als in der That durch die Verwerfung des Antrags auf Frist- gewährung die Lage der gegenwärtigen Editionsbeklagten nicht nur nicht verschlechtert, sondern im Gegentheil min- destens prozessualisch verbessert worden ist.

Die §§ 386 ff. der Civilprozessordnung regeln aus- schliesslich das Editionsverfahren im schwebenden Rechts- streit. Das Gesetz unterscheidet, ob nach der Behauptimg des Beweisführers die Urkunde sich in den Händen des Prozess- gegners befindet (§§ 386 392) oder in den Händen eines Dritten (§§ 393-399).

Im ersten Falle erfolgt die Beweisantretung durch den Antrag, dem Gegner die Vorlegung der Urkunde aufzugeben, 386) und ordnet alsdann, unter den gesetzlichen Voraus- setzungen, das Gericht die Vorlegung der Urkunde bezw. die Leistung des Editionseides bei Vermeidung der gesetzlichen Versäumnissfolgen an {§§ 389-392).

Im zweiten Falle erfolgt die Beweisantretung durch den in bestimmter Weise zu begründenden Antrag, zur Herbei- schaffung der Urkunde eine Frist zu bestimmen (g§ 393, 395), und hat alsdann das Gericht, sofern nicht zur Zurückweisung des Antrags gesetzliche Gründe vorliegen 398) , eine peremptorische Vorlegungsfrist zu bestimmen 396). Um diese Vorlegung zu bewirken, hat der BeweisfUhrer gegen den angeblich editionspflichtigen Dritten in dessen Gerichts- stand Klaee zu erheben 394).

Die C.P.O. enthält so keine Vorschriften für die Editions- klage ausserhalb eines schwebenden Rechtsstreites, noch für den Fall, dass im schwellenden Rechtsstreit dem Beweisführer die nachgesuchte Frist zur Vorlegung der Urkunde vom Pro- zessgericht verweigert oder die Beweisantretung aus besonderen Gründen zurückgewiesen ist (§ij 395—398), noch endlich für den Fall, dass das Hauptverfahren nach fruchtlosem Ablauf

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Rechtliche Beleuchtung. 269

der Vorlegungsfrist oder, unter Umständen, schon vorher ohne Erledigung des schwebenden Editionsstreites 396 Abs. 2) fortgesetzt wird.

Das Schweigen des Gesetzes kann einen doppelten Gnmd haben.

Einmal, dass der Gesetzgeber den Editionsprozess gegen den Dritten als ein durchaus selbständiges Verfahren be- trachtet, welches prozessualisch besonders zu regeln er keine Veranlassting gefunden und fUr welches er allenfalls lediglich die materielle Voraussetzung, nämlich die Editionspflicht, näher normirt hat 394). Dieses Verfahren würde somit seine be- sonderen Wege gehen; es würde auch nach völliger Erledi- gung des Hauptprozesses fortgesetzt werden dürfen und, so- bald es einmal zur mündlichen Verhandlung im Editions- prozesse gekommen ist, auf Antrag jeder Partei fortgeführt werden müssen (C.P.O. § 243 Abs. 1).

Oder, dass der Gesetzgeber das Editionsverfahren Über- haupt, gleichviel ob gegen den Prozessgegner oder gegen Dritte, nur als Zwischenstreit zulassen will.

Bietet die erste Annahme die unter Umständen unzweifel- haft wünschenswerthe Möglichkeit, sich durch rein präpara- toriscbe Editionsklagen das Materia) für einen künftigen Rechtsstreit zu beschaffen, so knüpfen sich andererseits an die zweite Annahme sehr erhebliche, vom Gesetzgeber zu berück- sichtigende Vortheile.

Nicht allein werden bei dieser Annahme unnütze Prozesse und Prozcssvervielfaltigungen vermieden, sondern es wird augenscheinlich auch der dritte Editionspflichtige gegen frivole Editionsklagen und deren Fortführung in weit höherem Grade geschützt: theils durch die zeitliche Begrenzung des Editions- prozesses (§ 396) und durch die unter Umständen statthafte Zurückweisung einer derartigen Beweisantretung 398); theils durch die Nothwendigkeit, im Hauptprozesse den Inhalt der betreffenden Urkunden, sowie die Thatsachen, welche durch dieselben bewiesen werden sollen, so genau zu bezeichnen, dass daraus ein schutzwürdiges Interesse des Editionsklägers an Vorlegimg der Urkunde deutlich erhellt 395 verbunden mit § 389), Man dürfte auch dafür anführen das allgemeine, noch weiter unten zu erOilemde Prinzip des Gesetzes, welches die Editionspflicht des Dritten nicht als allgemeine Burger-

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270 Ueber EditiontpflEcliC, iDsbes. betr. gemniuchaftl. Urkunden etc.

pflicht , sondern nur innerhalb gewisser genau gezogener Grenzen anerkennt; femer, dass eine präparatorische >Siche- rung des Beweisesc hinsichtUch der Urkunden nur innerhalb bestimmter gesetzlicher Grenzen (C.P.O. § 231 vergl. mit §§ 447 ff.) anerkannt ist. Man darf nicht dagegen anführen, dass das Editionsgesuch gegen Dritte im Wege der Klage erhoben werden muss. Denn es wird damit, wie in den Motiven des Gesetzes wiederholt hervorgehoben wird, lediglich bezweckt, die Unterstellung des Dritten unter einen anderen als seinen ordentlichen Richter zu verhindern, und wird überall der Editionsantrag als lAntrag auf Sistirung des Haupt- prozesses bis zur Erledigung der gegen den Dritten zu er- hebenden Editionsklage I, das Editionsverfahren nur als Theil des »Beweisverfahrensc charakterisirt.

Vgl. z. B. die Motive zu §§ 366 ff. des Entwurfs von 1871,

zu §§ 380 ff. des letzten Entwurfs (1874) S. 270. Struckmann u. Koch, Die Civilprozess-Ordnung für das Deutsche Reich zu § 393 (7. Aufl. zu § 428 S. 525). Die Uebelstände eines neben dem Hauptprozess durchaus selbstständig hergehenden Editionsprozesses werden durch die Sachlage unseres Falles drastisch genug illustrirt. Das mit der Hauptklage befasste Prozessgericht verweigert Frist- gewährung, weil es an den prozessualischen und den materiellen Voraussetzungen dafür, insbesondere an der Editionspflicht der Handlung X. & Cie. fehle; es verneint die prozessualische oder materielle Zulässigkeit gewisser KollationsansprUche, während zum Zwecke der Beweisung eben dieser Ansprüche die Editionsklage erhoben wird. Es ist so schon gegenwärtig wenn auch zufolge Sistirung des Hauptprozesses noch nicht rechtskräftig festgestellt, dass den Editionsklägem mindestens hinsichtlich gewisser erhobener Ansprüche ein rechtliches In- teresse an der Einsicht derjenigen Urkimden fehlt, deren Vor- legung sie begehren, entgegen dem unzweifelhaft geltenden Recht :

Vgl. z. B. Entscheidung des Obertribunals Stuttgart

(Seufferfs Archiv XVIll Nr. 271 S. 428/429) und

die spätere Erörterung 5).

Gleichwohl ist nicht anzunehmen, dass die Civilprozess-

ordnung die selbstständige Editionsklage gegen Dritte schlecht-

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Rechtliche Beleuchlang. 271

hin ausschliessen wolle. Es ist vielmehr eiae zwiefache Aus- legung derselben möglich:

1. Die gesammten Vorschriften der Civiiprozessordnung Über die Editionsklage gegen Dritte beziehen sich lediglich auf den Fall, dass der Editionsstreit in einem bereits an- hängigen Hauptprozess erhoben wird; für einen anderen Fall den der durchaus selbststäüdigen Editionsklage enthält sie keinerlei Vorschriften, weder prozessualische noch auch nur materielle, über die Editioaspflicht. Der Satz des § 394 CJ'.O.:

»Der Dritte ist aus denselben Gründen wie der Gegner des Beweisführers zur Vorlegung einer Ur- kunde verpflichtet« gälte somit nur für den ersten Fall, und wäre so zu lesen:

Wenn in einem anhängigen (Haupt-) Prozesse die Vorlegung der in den Händen eines Dritten befind- lichen Urkunde begehrt und diesem Begehren von dem Prozessgericht durch Fristsetzung entsprochen wird, so ist der Dritte aus denselben Gründen u. s. f. Für alle übrigen Fälle verbliebe es sonach hinsichtlich der Editionspflicht des Dritten durchaus bei den Vorschriften des betreffenden bürgerlichen Rechts, somit hier des rheini- schen, welches keineswegs eine so weitgehende Editionspflicht, als die §§ 387, 394 der C.P.O. bestimmen, anerkennt. Vergl. unten § 5. Es leuchtet ein, dass diese der beklagten Partei günstigere und von derselben vertretene Auslegung nicht allein mit dem Wortlaut des Gesetzes vollkommen verträglich ist , sondern anscheinend auch mit dem Zwecke des Gesetzes, welches ja das Editionsverfahren gegen Dritte nur als Bestandtheil des > Beweisverfahrens t , somit in einem anhängigen Hauptprozess behandeln will und darüber hinaus über die Editionspflicht Bestimmungen zu treffen, keinen entscheidenden Anlass hatte.

2. Die Vorschriften der Civiiprozessordnung über die Editionsklage gegen Dritte beziehen sich, insoweit sie die Editionspflicht regeln, auf beide Fälle, auch auf den der durchaus selbstständigen Editionsklage; aber die Hditionspflicht ist für diese beiden Fälle verschiedenartig geregelt. Bildet der Editionsprozess einen blossen, wenn auch durch besondere Klage verfolgten Theil des Hauptprozesses, so ist der Dritte

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272 Ueber Editioiitpflicht, iotbM. betr. gemeinichafd. Urknndeii «tc.

editionspflichtig sowohl nach Ziffer 2 wie nach Ziffer 1 des § 387 C.P.O. Steht der Editionsprozess ganz ausserhalb des Hauptprozesses, so ist der Dritte editionspflichtig nur nach Ziffer 1 des § 387 C.P.O. Dieser Gegensatz scheint nun in der That in den §§ 394, 387 C.P.O. enthalten zu sein.

§ 394. Der Eh-itte ist aus denselben Gründen wie der Gegner des Beweisführers zur Vorlegung einer Urkunde ver- pflichtet.

§ 387. Der Gegner ist zur Vorlegung der Urkunde ver- pflichtet:

1) wenn der Beweisftlhrer nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts die Herausgabe der Urkunde oder deren Vorlegung auch ausserhalb des Pro- zesses verlangen kann;

2) wenn die Urkunde ihrem Inhalte nach eine für den Beweisführer und den Gegner gemeinschaftliche ist.

Damit ist gesagt, dass lausserhalb des Prozessesc und dieser sProzess* ist selbstverständlich für den Dritten der zwischen dem Beweisführer und dessen Prozessgegner schwebende Hauptprozess der Dritte nicht editionspflichtig ist hinsichtlich solcher Urkunden, für welche eben eine Pflicht zur Herausgabe oder Vorlegung »ausserhalb des Prozesses» nach den Grundsätzen des bürgerlichen Rechts nicht be- steht, und dies sind eben, nach der Bestimmung der Prozess- ordnung, die nur ihrem Inhalte nach für den Beweis- führer und den Gegner (hier Dritten) gemeinschaftlichen Urkunden.

Vgl. unten § 6.

Diese zweite Auslegung dürfte der ersten vorzuziehen sein. Denn sie führt dahin, dass für den Geltungsbereich der Deutschen Civilprozessordnung , also im ganzen Gebiet des Deutschen Reichs, sowohl für den von der Civilprozessordnung geregelten Fall eines schwebenden Hauptprozesses, dessen pro- zessualisch geordneten Bestandtheil der Editionsprozess gegen den Dritten bildet , als für den von der Civilprozessordnung nicht geregelten, aber auch nicht ausgeschlossenen Fall eines selbstständigen Editionsprozesses die Editionspflicht des Dritten für das ganze Reichsgebiet gleichmässig geregelt ist: für den ersten Fall dahin, dass die beiden Gruppen der Editionsgründe

lUchtliche BelevchtniiE. 27S

Anwendung finden; für den zweiten Fall dahin, dass nur die erste Gruppe Platz greift.

Dieses Ergebniss ist aber aach ein dorchaos verständiges. Denn es wird dadurch die ToUkommen selbstständige präpara* torische Editionsklage gegen den Dritten in allen Fällen zu- gelassen, in welchen das bürgerliche Recht, welchem er unterworfen ist, ihn schlechthin zur Herausgabe oder auch nur zur Vorlegung der betreffenden Urkunde verpflichtet; falls hingegen der viel unbestimmtere, erst durch die Civil- prozessordnung allgemein geregdte Editionsgrund der blossen iGemeinschaftlichkeit des Inhalts« einer Urknnde vorliegt, soll die Editionspflicht nur alsdann gelten, wenn bereits ein Hanpt- prozess schwebt und der Richter des Hauptprozesses dem An- trag auf Fristbestimmung behufs Herbeischaffang der be- treffenden Urkunde willfahrt, weil nur alsdann diejenigen Garantieen gegen völlig nutzlose oder gar vexatorische Edi- tionsklagen gegeben sind, welche das Gesetz unmöglich ausser Acht lassen darf.

Das Ergebniss entspricht endlich wesentlich dem bis- herigen, mindesteas in einem sehr grossen Theile Deutsch- lands geltenden Recht. Denn, wenngleich hin und wieder ganz allgemein die Behauptung aufgestellt wird, dass die Editionspflicht auch des Dritten hinsichtlich der sogenannten •docnmenta communiac unbeschränkt bestehe bezw. bestanden habe, so findet ^ich doch weder ein Beweis dafflr, insbesondere, dass eine derartige Editionspflicht auch ausserhalb eines schwebenden Hauptprozesses von den Gerichten anerkannt worden sei, noch pflegt man sich über die Verschiedenheit der EditionsgrUnde des »bürgerlichen Rechtsc und des Editions- grundes der iGemeinschaftlichkeit« ausreichende Rechenschaft zu geben (vgl. unten §§ 5, 6), noch endlich ist der Gegensatz des nur präparatorischen selbstständigen Editionsstreites und der durch einen schwebenden Hauptprozess veranlassten Editionsklage bisher jemals ausreichend untersucht, geschweige denn gewürdigt worden.

Dagegen liegt genau die hier durchgeführte Unterscheidung dem früheren preussischen Prozessrecht zu Grunde, obwohl dieses sogar, viel weiter gehend als die Deutsche Civilprozess- ordnung, die Editionspflicht wesentlich nach den Grundsätzen der Zeugnisspflicht behandelt. Im schwebenden Rechtsstreit

a Sduifteii. U. iS -^ .

I,.: L-oogle

'274 Ucber Ediltoiupflicht, insbet, betr. geineiiuchaftl. Urkunden etc.

ist auch die dritte in den Prozess gar nicht verwickelte Person <Jem Editionsgesuch schlechthin Folge zu leisten verpflichtet: Allg. Gerichtsordnung für die Preussischen Staaten Th. I Tit. 10, § 91, soweit nicht die blosse iPrivatkorrespondeuzi zwischen einer Partei und diesem Dritten in Frage steht:

eod. § 92a; dagegen, wenn es sich nicht um die >Ausmittelung einer in einem Prozesse streitigen Thatsachec handelt, so kann die Edition nur begehrt werden , falls dem Editionssucher aus einem bestimmten > rechtlichen Grunde ein besonderer An- sprach* darauf zusteht:

eod. § 93. ' Es wird also, um in der Sprache der Deutschen Civil- prozessordnung zu reden, im letzten Falle verlangt, dass >der Beweisführer nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts die Herausgabe der Urkunde oder deren Voriegung auch ausserhalb des Prozesses verlangen kann«, und es hat dem- gemäss das Obertribunal durch Urtheil vom 1. Februar 1856 durdiaus richtig entschieden:

>Dass aber Jemand ohne einen bestimmten An- spruch klagend geltend zu machen, ohne sich also der richterlichen Prüfung dieser Klage zu unterwerfen, und ohne Fixirung des Anspruches sowohl als der zur Begründung desselben dienenden Thatsachen, bloss dessbalb, auch ausserhalb der prozessualischen Ver- folgung eines dadurch zu begründenden Ansprachs, die Edition einer Urkande verlangen könne, um ach erst zu informiren : ob ihm nicht vielleicht ein klagbar zu machender Anspruch gegen den, der ediren soll, oder möglicher Weise auch gegen einen Dritten zu- stehe und solcher dadurch zu begründen sein möchte? eine solche Vorschrift ist unserer Gesetzgebung völlig fremd.« Entscheidungen des KOnigl. Obertribonals Bd. 32 No. 27 S. 225, auch Striethorst's Archiv Bd. 20 S. 105 ff. Vgl. auch Heidenfeld, in der Zeitschrift für Gesetz- gebung und Rechtspflege in Preussen,. herausg. von Behroid, Bd. III S. 325 ft

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Rechüicbe Belmcbtnng. 275

Gegenüber dieser AusfUhruog kann eine gelegentliche, die Entscheidung nicht tragende Bemerkung über den Begriff der documenta communia und das auch für diese bestehende »selbetständigei Editionsrecht (Entscheidungen des Königl. Ober- tribunals Bd. 66 S. 287) mindestens für das gegenwärtig geltende Recht auf sich beruhen.

Für den vorliegenden Fall ist es unerheblich, ob der ersten oder der zweiten Auslegung der CP.O. beigetreten wird. Nach der ersten würde die Editionsklage, wie weiter nachzuweisen ist, aus Gründen des materiellen Rechts ver- sagen, weil im Gebiete des rheinischen Rechts die blosse >Ge- meinschafüichkeit des Inhalts^ einer Urkunde keinen Editions- grund bildet. Nach der zweiten versagt die Editionsklage, weil die Gemeinschafthchkeit des Inhalts einer Urkunde keinen Editionsgrund ausserhalb einer in einem Hauptprozess gehiJrig zugelassenen Editionsklage bildet.

B. Die Editionspflicht. 1. Allgemeine Gesichtspunkte.

§2-

1. In dem Erbtheilungsprozess ist die offene Handels- gesellschaft X. & Cie. selbstverständlich nicht Partei, auch sind es nicht alle Mitglieder derselben "und nicht lediglich solche. Wären aber auch die Beklagten des Erbtheilungsprozesses und die Theilhaber der Handelsgesellschaft X. & Cie. völlig identisch, so würden die letzteren doch in jenem Prozess nicht in ihrer Eigenschaft als Theilhaber der Handelsgesellschaft X. & Cie. belangt werden, da von ihnen weder Leistungen aus dem den Gesellschaftsgläubigem primär verhafteten Ge- sellschaftsvermOgen beansprucht werden , noch die Kläger Gläubiger der beklagten Theilhaber in ihrer Eigenschaft als Gesellscbaftsgläubiger sein würden. Die von den Beklagten im Erbtheilungsprozesse begehrten Leistungen berühren somit die Interessen der Gesellschaft X. & Cie., auch wenn man dieselbe nicht als eine selbstständige (juristische) Person, son- dern — dem geltenden Recht entsprechend lediglich als eine Personenverbindung mit eigenthümlich abgegrenztem Inter- essen- und Vermögenskreis betrachtet, nicht einmal mittelbar.

Umgekehrt ist, was ira Editionsprozesse von der Gesell-

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276 Ueber Bditionspflicht, incb««, betr. gemeuuchiAl. UriEnnden elc.

Schaft X. & Cie. begehrt wird, eine Leistung, welche nur von der Gesellschaft, d. i. von der Gesammtheit der Theilhaber als solcher, nicht und bei ihrer Untheilbarkeit auch nicht zum kleinsten Theil von irgend einem oder mehreren ihrer Theil- haber bewirkt zu werden vermag. Die Handelsbücher, deren Vorlegung beansprucht wird, gehören lediglich der Gesaomit- heit in deren Interesse;

H.G.B. Art 28, 33, verbunden mit Art 5, III, 145; über dieselben kann kein einzelner Theilhaber wider den Willen eines anderen Tbeilhabers auch nur zum kleinsten Theile verfügen, da sie nicht zugleich Bücher irgend eines einzelnen Gesellschafters sind:

H.G.B. Art. 111, 119-122, 131, 143, verb. mit Art 99, 102, 103.

Seuffert's Archiv XXXV Nr. 49 S. 79; Zeitschrift f. Handelsrecht XX S. 285; auf deren Einsicht hat kein Gläubiger irgend eines einzelnen Gesellschafters ein Recht.

Vgl. unten § 5. Bei Auflosung der Gesellschaft fallen dieselben nicht zu entsprechenden Theilen an die einzelnen Mitglieder, sondern sie bilden bis zu ihrer Vernichtung einen untheilbaren Ver- mOgensgegenstand unter gemeinsamer oder sonst entsprechend geordneter Verwaltung:

H.G.B. Art. 145.

Entscheidungen des Reichs-Oberhandelsgerichts Bd. VII S. 69 ff. Die etwaige Editionspflicht einzelner Theilhaber der Ge- sellschaft X. & Cie. erstreckt sich somit nicht auf die Handels- bUcher der Gesellschaft und involvirt nicht eine Editionspflicht der letzteren. Die etwaige Editionspflicht der Gesellschaft gegen ihre zeitigen oder gewesenen Theilhaber begründet nicht eine Editionspflicht der Gesellschaft gegen iDrittec

Urtheil des hamburgischen Handelsgerichts vom 28. Sep- tember 1868 (Hamburger Handel^erichtszeitung 1868 Nr. 207). Bei gegentheiliger Annahme wäre das Geschäftsgeheimniss und damit häufig das wirthschaftliche Geschick einer Gesell- schaft der Willkür oder den unberechenbaren Vermägens- wandlungen und VermOgensverwicklungen des einzelnen Theil-

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Rechtliche Beleuchtung. 277

habers preisgegeben. Darüber hat auch niemals in kauf- männischer Sitte oder FVaxis ein Zweifel bestanden.

2. Darüber hinaus haben die gewichtigsten Bedenken schon seit Jahrhunderten zu erheblichen Einschränkungen hin- sichtlich der Editionspflicht von Handelsbüchem Überhaupt in Gegensatz zu anderen Urkunden geführt. Denn einmal ist hier, anders als bei sonstigen Urkunden, meist nur aus einer Mehrheit, häufig einer Vielheit in sich zusammen- hängender Aufzeichnungen Aufschluss über einen ein^lnen Streitpunkt zu gewinnen. Sodann enthalten, wie die Motive zu Art. 37 des Entwurfs eines Handelsgesetzbuchs für die preussischen Staaten hervorheben, die HandelsbUcher Ein- tragongen der verschiedensten Art und geben über den ge- sammten Geschäftsverkehr und VermOgensstand des Kauf- manns Aufschluss, daher dem letzteren die Offenbarung in vielen Fällen nachtheilig sein kann. Es steht darin Vieles, was der redliche und gewissenhafte Geschäftsmann eben nur für sich aufgezeichnet hat und dessen Bekanntgebung an Dritte seinem Willen, seinem und vielleicht seiner Erben Interesse durchaus widerstreiten würde. Es ist, wie der mit den Be- dürfnissen des Handelsverkehrs wohlvertraute C. H. L. Brinck* mann (Archiv f. civilistische Praxis Bd. 33 S. 94, 95) aus- fuhrt, nicht allein für den Kaufmann von htlchstem Interesse, den Stand seines Geschäfts, seine Geschäftsverbindungen und den Umfang seiner Verpflichtungen nicht bekannt werden zu lassen, sondern auch für seine Geschäftsfreunde, dass man nicht den Umfang ihrer Geschäftsvertiindungen mit dem Pro- duzenten der Bücher erfahre u. s. f. Dass sogar für die römischen Bankiers (argentarii), welche eine sehr eigenthüm- lich privilegirte , zugleich aber unter steter obrigkeitlicher Kontrole stehende Klasse von Gewerbtreibenden gebildet haben, eine anbeschränkte Editionspflicht ihrer Rechnungs- bUcher nicht, gegen >Dritte< aber überhaupt nicht bestanden hat, wird sich unten ergeben; ohnehin sind die von ihnen geltenden eigenthümlichen Rechtssätze niemals in Deutsch- land recipirt worden und gegenwärtig jedenfalls vOUig anti- quirt. Die gegentheilige Annahme einzelner Schriftsteller, auf welcher das Urtheil der Kammer für Handelssachen fusst, verkennt das geltende Handelsprozessrecht und dessen Ent- wicklung.

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278 Ueber EdiüoQtpflJchl, intbe*. betr. gemeiiuchaftl. UtfcuDden etc.

So war denn auch in der älteren deutschen gemeinrecht- lichen Praxis und Literatur allgemein anerkannt, dass der der Kaufmann dritten Personen seine Btlcher zur Durchsicht vorzulegen nicht verbunden sei:

Vgl. z. B. (Hansel) über den Beweis durch Handels- bücher im Civilprozess, Leipzig 1830, S. 147, 151 ff., insbes. 166 ff. Bereits die französische Ordonnance du commerce von 1673, tit. in art. 9, aus welcher art 14 des code de commerce hervorgegangen ist, hat zur Abschneidung der bedenklichsten Missbräuche

Vgl. Savary, le parfait negociant, livre IV. eh. IV. (Ausgabe von 1713 I p. 275) die früher sehr weit ausgedehnte Editionspflicht, insbesondere aber Mittheilungspflicht erheblich eingeschränkt (vgl. § 3). Ueber die Nothwendigkeit solcher Einschränkung ist auch die gegenwärtige französische E>oktnn einig:

Vgl. z. B. Bödarride, droit commercial I 2, Des livres de commerce (2* id.) zu code de commerce art. 40 Nr. 271 ff. Ch. Lyon Ca6n et L. Re- nault, pr^is de droit commercial I Nr. 217 ff. Dem entsprechend stellte Art. 37 des preussischen Ent- wurfs des H.G.B.'s die Pflicht zur Edition der Handelsbücher auch dem Prozessgegner gegenüber in das richterliche Er- messen, und bestimmte, dass von dem Inhalt der BUcher, »so- weit er den Streitpunkt betrifft«, Einsicht genommen werden kt^ne, der übrige Inhalt der Bücher dagegen nur insoweit offen zu legen sei , als die Prüfung ihrer regelmässigen Führung erfordere. Aber auch die so begrenzte, in § 38 des Entwurfs erster Lesung aufgenommene Editionspflicht wurde in der Detailberathung der zweiten Lesung ursprünglich von der Nürnberger Konferenz verworfen (Protokolle S. 942), Bei nochmaliger Berathung vertrat zwar der Referent den Stand- punkt des Entwurfs, aber scharf betonend, dass die Inter- essen des Kaufmannsstandes nothwendig eine Beschränkung in Betreff des Umfanges der Edition mit sich brächten (Prot. S. 944 ff., vgl. S. 56). Man entschied sich endlich, und auch dies nur gegen lebhaften Widerspruch, die Editionspflicfat ein- mal nur auf Antrag, sodann nur nach richterlichem Ermessen^ H.G.B. Art. 37 Abs. 1,

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RedUliche Belenchtune- 279

ecdlich nur mit der Beschränkung zuzulassen, dass nicht die gegnerische Partei, sondern nur der Richter luuter Zuziehung der Parteient von dem Inhalt der vorgelegten Handelsbücher, »soweit er den Streitpunkt betrifft*, Einsicht zu nehmen habe, und dass der übrige Inhalt der Bücher nur dem Richter und nur insoweit, als dies zur Prüfung ihrer ordnuogsmässigen Führung nothwendig ist, offen zu legen sei,

H.G.B. Art. 38 also nicht dem Gegner, weil dies »zu weit gehe und den In- teressen des Handelsstandes widerspreche c (Protok. S. 945).

S. auch V. Hahn, Kommentar zum A.D.H.G.B. Art. 38 (in. Aufl. I S. 160 (IV. Aufl. S. 229 f.]); Anschütz und V. Völderndorff, Kommentar h. 1. (Bd. I S. 288); Puchelt, Kommentar h. 1. (3. Aufl., Bd. I S. 78 [4. Aufl. S. 97]). Dies gilt noch gegenwärtig.

§ 10 des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend die Ein- führung der D.C.P.O., wollte, ausser den Art. 34—36 und 39, auch den Art. 38 des D.H.G.B.'s aufheben, weil derselbe, wie es in den Motiven [S. 485] heisst, nicht den Grundsätzen der C.P.O. über den Umfang, in welchem eine Urkunde dem Gegner offen zu legen ist, entspreche. Dem entgegen also in klarer Abweichung von den sonst für Urkunden geltenden Grundsätzen, C.P.O. §§ 122, 385 beschloss die Justiz- kommission des deutschen Reichstags (Prot, der 121. Sitzung S. 640) die Aufrechthaltung des Art. 38, weil derselbe »im Interesse der Wahrung der Geschäftsgeheimnisse nothwendig sei« , während andererseits und durchaus den Prinzipien der Civilprozessordnung entsprechend, Art. 37 Abs. 2 des D. H.G.B.'s nach dem Beschluss der Justizkommission (Prot, S. 640) auf- gehoben wurde und es, trotz sehr gewichtiger Bedenken (Prot S. 640, 641), bei der Aufhebung des Art. 39 H.G.B.'s verblieb :

Einführungsgesetz zur D.C.P.O. Art. 13 Abs. 2 Ziffer 2. Die Feststellung dieses aligemeinen Gesichtspunktes ist von sehr erheblicher Bedeutung, weit hinaus über die Spezial- frage hinsichtlich des Umfanges der dem Prozessgegner gegen- über obliegenden Editionspflicht (unten g 7 a. E.).

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280 Uebei Editionipfliclit, iniba. betr. gemeiiMcluAl. Uikiutden etc.

2. Die Editionspflicht und Mittheilungspflicht nach den Grundsätzen des Deutschen Handels- gesetzbuchs.

§3. 1. Die noch geltenden Art. 37 Abs. 1, Art. 38 des D.H.G.B.'s statuiren eine dem richterlichen Ermessen unter- liegende, in der soeben bezeichneten Weise beschränkte Pflicht des Kaufmanns, seine HandelsbUcher dem Prozessgegoer offen zu legen, und nur soweit der Inhalt der Handelsbücher den aStreitpunkt betrifftc Eine lallgemeinef Ehirch- musterung der BUcher, zumal um Rechtsverhältnisse zu er- mittehi, welche den Editionsbeklagten gar nicht angehen, ist völlig unstatthaft:

Vgl. U. des Handels-Appellationsgerichts Nurnberg 1866 (Busch's Archiv XI, S. 300), des obersten österreichischen Gerichtshofs 1869, 1871, 1872 (eod. XXI S. 27, XXIII S. 24, XXVIII S. 446).

Anschütz u. V. Völderndorff a. a. O. I S. 288 ff.; Puchelt a. a. O. (3. Aufl.) I S. 79 [4. Aufl. S. 97]. So schon sogar hinsichtlich der argentarii:

1. 10 § 2 D. de edendo (2, 13): scilicet ut non totum cuique codicem rationum totasque membranas inspiciendi describendique potestas fiat, sed ut ea sotum pars rationum, quae ad instruendum aliquem pertineat, inspiciatur et describatur, und allgemein c. 5 X de fide Instrument. (2, 22), vgl. 1. 4 C. de edendo (2, 1). Die so begrenzte Editionspflicht besteht nach dem D.H.G.B. einmal:

a) nur in Handelssachen. Denn nur auf diese erstrecken sich überhaupt die Bestimmungen des D.H.G.B.'s H.G£. Art. 1 .— soweit nicht etwa das H.G.B. selbst eine »Nicht- handelssachec durch deren gesetzliche Regelung zur >Handels- sachec noacht:

Goldschmidt, Handbuch des Handelsrechts, 2. Aufl., I S. 476 Note 20 und es versteht sich, dass durch die nunmehrige Aufhebung

RttJUlicb« BclenchlUDg. 261

der Art. 34 36 H.G3.'s, welche dies ausdrücklich vorsahen (>bei Streitigkeiten Über Handelssachenc) nicht auch der Sinn der stehen gebliebenen Artikel des D.H.G.B.'s geändert ist: Behrend, Lehrb. des Handelsr. I § 42 Note 57 u. Cit.; O. A. G. Oldenburg, 1877 {Juristische Wochen- schrift, herausg. von Hänle und LUntzel, Jahrg. VI S. 197), Übereinstimmend mit der franzöascben Doktrin und Praxis: Alauzet, commentaire du code de commerce I Nr. 114

(2- Ä). Dntruc, dictionnaire du contentieuz commercial, 6* äl. n p. 153 Nr. 57, sodann:

b) nicht gegenüber Dritten. In dieser Beziehung ist es bei dem Landesrecht verblieben :

IVotokoUe der Nürnberger Konferenz S. 947. Behrend, a. a. O. I § 42 Note 57; Endemann, Deutsches Handelsrecht § 22 Note 33; Puchelt a. a. O. I S. 77 [4. Aufl. S. 98], somit gegenwärtig das Recht der deutschen Civilprozessord- nung maassgebend, während z. B. das französische Recht Dritten gegenüber eine Editionspflicht der HandelsbUcher über- haupt verneint:

Alauzet a. a. O. I Nr. 112.

Delamarre et Lepoitvin, traitä du droit com- mercial I Nr. 178 (2" id.). 2. Durchaus verschieden von der Hditionspflicht ist die Mittheilungspflicht, welche auch ausserhalb eines Rechts- streites behufs Kenntnissnahme des ganzen Inhalts von Handelsbtlcheni, nach richterlicher, von jedem Parteiantrage unabhängiger, ausschliessend in richterlichem Ermessen stehen- der Anordnung, in vier durch das Gesetz genau begrenzten Fällen besteht:

D.H.G.B. Art. 40. In diesen Fällen handelt es sich nicht um Aufklärung einzelner Punkte, sondern um die Ermittelung des Gesammt- omfanges des HandelsvermOgens und des Geschäftsbetriebs, für welche eben die Einsicht nur einzelner Einträge nicht aus- reichen würde. In diesen Fällen:

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282 Ueber Editioiupflicht, insbes. b«lr. gerne! nicbafU. Urkiuideii etc.

Erbschafts-Angelegenheiten, Gütergemeinschafts Angelegenheiten, Gesellschaftstheilungssachen,

Konkursverfahren über den Buchführer (vgl. R-KontO. §§ 112—114), ist die augenscheinlich nothwendige Offenlegung des ge- sammten Inhalts sänuntücher HandelsbUcher auch rechtlich selbstverständlich, wie im Falle des Konkurses, oder doch gar nicht oder nur in geringem Maasse bedenklich. Denn einmal hat in Fällen dieser Art der Handelsbetrieb des Buchfuhrers mindestens regelmässig sein Ende erreicht; sodann sind die Interessen der im Besitz der Bücher befindlichen und der die Mittheilung der Bücher begehrenden Bfrsonen im Rechts- sinne durchgehends äqual, so dass namentlich die Gefahr eines unstatthaften Eindringens >E)ritter< in noch laufende Ge- schäftsbeziehungen, wenn nicht viJllig ausgeschlossen, so doch eine äusserst entfernte ist.

Daher besteht die Mittheilungspflicht eben auch lediglich in den vier gesetzlichen Fällen. Ueber diese nothwendige Be- grenzung herrscht auch hinsichtlich der Quelle unseres Ge- setzes, des Art. 14 des Code de commerce, in der französischen Doktrin und Praxis kein Streit:

Locrö, esprit du code de commerce I p. 93.

Alauzet a. a. O. I Nr. 118.

Bravard- Veyridres et Demangeat, traitä de

droit commercial I p. 135 ff. Bödarride, droit commercial. Des livres de com- merce {2' €ä.) Nr. 271 ff., 279 ff. und das Resume Nr. 297. Rivifere, r^p^titions fcrites sur le code de comm.

(7' €d.) p. 61. Lyon Ca&n et Renault, pr^is du droit commercial

I Nr. 217 u. Cit. vgl. Dutruc, a. a. O. 11 p. 153. Und ganz entsprechend sagt das belgische Handelsgesetz- buch I 3 (v. 15. Dezbr. 1872) Art. 21 :

La communication des livres et inventaires ne peut €tre ordonn^e en justice que dans les affaires de succession, communaut^, partage de sociätä et en cas de faillite.

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Rechtliclit BelenchlUDg. 283

Vgl. dazu Namur, le code de commerce Beige revis6 I p. 138 ff. In den Vorarbeiten des D.H.G£.'s wird nicht mind«* die Ausschliesslichkeit der vier bezeichneten Mittheilungsgründe scharf hervorgehoben;

Entwurf eines Handelsgesetzbuchs fUr WUrttembei^

Art. 42 und dessen Motive S. 57. Motive des preussischen Entwurfs S. 26. Nömberger Protokolle S. 948. Nur die Motive des Reichsministerialentwurfs von 1849 (des sog. Reichshandelsgesetzbuchs) S. 60 sprechen von blossen iHauptfällen*, wobei wahrscheinlich an den ja unzweifelhaften Fall des Miteigenthums der Streittheile an den betreffenden HandelsbUchem gedacht ist.

Ueber den Inhalt des geltenden Rechts kann so ein Zweifel nicht bestehen.

Wenn daher in einem Urthejl des Nürnberger Handels- appellationsgerichts 1865 (Zeitschr. f. Handelsrecht XI S. 135) auch dem Einzelgläubiger, welcher die Exekution in das Ver- mögen seines Schuldners vergeblich gesucht hat, ein derartiges Recht auf vollständige Mittheilung der Handelsbücher zu- gesprochen wird, so ist das entschieden zurückzuweisen;

Vgl. auch Behrend, Lehrbuch des Handelsrechts I S. 304 Note 70 ff. Das bestehende Gesetz gewährt solchen Falls dem Gläu- biger nur das Recht, von dem Schuldner die Vorlegung eines Vermögensverzeichnisses und die Leistung des Offenbarungs- eides zu begehren:

C.P.O. § 711. Das Urtheil des Reichs-Oberhandelsgerichts vom 10. Sep- tember 1872 (Entscheidungen VII S. 69 ff.) betrifft ein unter den weiteren Begriff der iGesellschaftstheilungssachenc fallen- des Verhältniss unter gewesenen Gesellschaftern vor beendigter Liquidation. Der völlig zweifellose Umfang der Editions- pflicht ist hier, ausser auf die schon für sich entscheidenden Art. 105, 145 H.G.B., auch, und zwar unnöthiger Weise, auf die >tm vorliegenden Falle« allerdings unbedenkliche lanatoge Anwendung! des Art. 40 gestützt. Eine erweiternde Aus- legung des Art. 40 hat damit keineswegs anerkannt werden

..oslc

284 Ueber Editiontpfliclit, ioibet. betr. gemefauchaftl. Urknod«D «tc.

sollen, wie die nicht vom Gerichtshofe herrührenden Citate in der Note vielleicht annehmen lassen.

Indessen sogar die analoge Anwendung des Art. 40 H.G.B. in »gleichen oder ähnlichen* Fällen als statthaft vor- ausgesetzt, so fehlt es auch dafür in dem vorUegenden Falle nach Wort und Geist des Gesetzes an jeder Handhabe. Es handelt sich um keinerlei Auseinandersetzung oder Theilung zwischen den Erben eines Einzelkaufmanns oder zwischen ge- wesenen Gesellschaftern, sondern es wird zwischen den Erben eines sogar vor seinem Tode aus der fortbestehenden Gesell- schaft ausgeschiedenen Gesellschafters über die Kollationspflicht gestritten und zu diesem Behufe prätendirt, die BUcber der diesem Streit völlig fremden, an der Wahrung ihrer Geschäfts- geheimnisse hochlichst interessirten fortbestehenden Gesellschaft einzusehen.

In der gesammten Praxis imd Literatur, insbesondere auch des französischen Rechts, findet sich keine Andeutung, dass für einen derartigen Fall Mittheilungspflicht bestehe:

VgL namentlich die eingehende Kasuistik bei B^dar- ride I Nr. 278 ff.

Dass die von den Klägern bezweckte >Mittheilung< der HandelsbUcher sich unter dem Namen einer blossen »Vor- legung«: versteckt, macht selbstverständlich keinen Unter- schied. Die HandetsbUcher der fortbestehenden Gesellschaft sind nicht Nachlass- oder Erbschafts-Papiere, und wie sie den Erben als solchen auch nicht zum Thei! gehören, so fehlt ihnen auch jedes Recht auf deren Mittheilung oder auch nur auf deren Einsicht in Gemässheit der nur Erbschaftsangelegen- heiten oder Gesellschaftstheilungen betreffenden Vorschrift des Art. 40 H,G.B.'s und in Gemässheit der nur die Editions- pflicht des Prozessgegners und nur in Handelssachen, nicht in Erfastreitigkeiten, betreffenden Vorschriften der Art 37 Abs. 1, Art. 38 H.G.B.'s.

3. Die Editionspflicht nach den Grundsätzen der Deutschen Civilprozessordnung.

§<■

Auf die HandelsbUcher , weil »Urkunden! im Sinne der C.P.O., finden unzweifelhaft die allgemeinen Rechtssätze über

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Rechtliche B«leuchtuDK. 285

die Pflicht zur »Vorlegimg« von Urkunden insoweit An- wendung, als nicht das besondere Recht des Deutschen Han- delsgesetzbuchs erweiternd oder beschränkend Platz greift.

Abgesehen von dem lediglich prozessualischen Editions- gnind des § 388 C.P.O., besteht für den Dritten wie für den Prozessgegner die gleiche und zwar gesetzlich fixirte Editions- pflicht, und zwar aus einem doppelten Editionsgrunde:

C.P.O. § 387 Z. 1, 2, vgl. § 394. Beide Editionsgründe gehören dem materiellen oder Privatrecht an, nur dass der zweite lediglich in einem be- reits schwebenden Prozesse, der erste auch ausserhalb eines solchen die Editionspflicht begründet.

Vgl. oben § l. Sie beruhen nicht auf einem Grundsatz des öffentlichen Rechts, insbesondere nicht auf der Analogie der Zeugniss- pflicht, wie auf Grund der unglossirten lex (restituta) 22 C. de fide Instrument. (4, 21) hin und wieder angenommen und in einzelnen Prozessordnungen, insbesondere der preussischen Allgemeinen Gerichtsordnung und der hannoverschen Prozess- Ordnung, sanktionirt war. DafUr bieten weder die allein zur praktischen Geltung gelangten römischen QueUen einen Anhalt, in welchen vielmehr eine derartige allgemeine Editionspflicht klar negirt wird,

z. B. 1. 9 § 1 D. de edendo (2, 13). 1. 4 C. eod. (2, 1), noch beruht die Erweiterung der römischen Editionspflicht in Betreff der sogenannten adocumenta communiac, bei aUer Un- bestimmtheit dieses Begriffs , auf einer prozessrechtlichen Maxime, vielmehr ausschliesslich auf einer Ausdehnimg der römischen, mittelst Pnvatklage, einer actio ad exhibendum oder actio in factum zu realisirenden aequitas exhibitionis. Darüber ist denn auch wesentUch die neuere gemeinrechthche Doktrin und Praxis durchaus einig:

Vgl. z. B. J. Voet, commentaritis ad Pandectas II, 13 § 20.

Gluck, Pandektenkommentar XXII S. 112ff.

M. Mittermaier, Ueber die Gründe der Verpflich- tung zur Edition von Urkunden (1835) S. 43 ff.

V. Vangerow, Pandekten HI § 708 (7. Aufl.) S. 644.

V. Bayer, Vortrage über den deutschen CivUprozess (9. Aufl.), S. 955.

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286 U«ber EdilioDSpflicht, intbe». betr. gemcmscbftftl. Urkonden etc.

Wetzell, Civilprozess (3. Aufl.) § 24 Note 102. Renaud, Civilprozess (2. Aufl.) § 125 Note 1. Dem entspricht, dass sowohl die Ssreteme des heutigen Civilrechts (Lehrbücher der Pandekten und dgl.) wie die neueren Civilgesetzbücher und Entwürfe , z. B. Sächsisches bürgerliches Gesetzbuch § 1566, Privatrechtliches Gesetzbuch für den Kanton Zürich §§ 1823—1826, Entwurf eines allgemeinen deutschen Gesetzes über Schuldyerhältnisse (sog. Dresdner Ent- wurf) Art. 1042 1045, die Editionspflicht als eine durchaus dem Privatrecht aogehörige Verpflichtung behandeln.

Vgl. auch Heidenfeld, in Behrends Zeitschrift für preussisches Recht III S. 329. Dass dies auch für das französische Recht, von den be- sonderen handelsrechtlichen Vorschriften abgesehen, gilt, unter- liegt keinem Zweifel. Vgl. unten § 5. Diese Auffassung liegt endlich auch der Deutschen Civil- prozessordnung zu Grunde, wie nicht allein Wortlaut und Inhalt der gesetzlichen Bestimmungen, sondern eben so sicher deren Entstehungsgeschichte ergibt. Wiederholt und in allen Stadien der Gesetzgebung ist der Gesichtspunkt einer der all- gemeinen Zeugnisspflicht entsprechenden, somit dem öffent- lichen Recht angehorigen Editionspflicbt entschieden zurück- gewiesen, das Prinzip der preussischen Allgemeinen Gerichts- ordnung, der hannoverschen Prozessordnung und einiger anderer als ungeeignet verworfen worden. Das Gesetz will, wie wiederholt erklärt wurde, lediglich die in der neueren gemeinrechtlichen Doktrin zur Geltimg gelangten Grundsätze über die Editionspflicht anerkennen und durch feste Begrenzung sicher stellen.

Vgl. z. B. Motive zum Entwurf einer Prozessordnung für die preussischen Staaten (1864) S. 101. Proto- kolle der norddeutschen (hannoverschen) Prozess- kommission S. 2486 ff., 5763 ff. Motive zum Entvrarf einer Deutschen Civilprozessordnung von 1871 S, 342 und von 1874 S. 267, Protokolle der Justizkommission des deutschen Reichstages S. 156, 553.

Uebereinstimmend die Kommentare zur CJ*.0. § 387, z. B. vonStruckmann und Koch, v. Wil- mowski und Levy, Endemann u. A. m.

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Rechtliehe Belenchtong. 287

Dies vorausgeschickt, sind die EditionsgrUnde nach Ziffer 1 und nach Ziffer 2 des § 387 CP.O. für sich zu betrachten.

a, >Nach den Vorschriften des bürgerlichen Rechts.«

SelbstverständHch nicht eines beliebigen, etwa des preussi- schen oder sog. igemeinen« Rechts, sondern desjenigen, welches in dem maassgebenden Rechtsgebiete gilt, also hier unzweifelhaft des rheinischen (französischen) bürgerlichen Rechts.

Denn in diesem Gel»et ist die Handelsgesellschaft X. & Cie. errichtet und hat dort ihren Sitz, hat der Erblasser der Kläger seinen Wohnsitz gehabt und seine Verfügungen ge- troffen, wird endlich, falls es darauf ankommen sollte, der Prozess gefuhrt.

C. J. A. Mittermaier, Archiv für civil. Praxis XIII

S. 310, 311. V. Bar, Das internationale Privat- und Strafrecht S. 458, 459.

Unter >bürgerlichem( Recht ist hier selbstverständlich sowohl das Handelsrecht begriffen (z. B. H.G.B. Art. 79 Abs. 1, Art. 225), als das sonstige Civilrecht,

1, Dass die allgemeinen Vorschriften des D.H.G.B.'s über die Vorlegung und Mittheilung von Handelsbüchem dem klägerischen Anspruch nicht zur Seite stehen, vielmehr, soweit offen oder versteckt eine iMittheilung< der Handelsbücher bezweckt wird, entgegenstehen, ist bereits früher dargelegt. Vgl. § 3.

Desgleichen stehen die besonderen Grundsätze des Socie- tätsrechts dem erhobenen Anspruch nicht zur Seite, sondern entgegen.

Der Erblasser der Kläger, der Kommerzienrath W. L. X. hatte als Theilhaber der Gesellschaft X. & Cie. das Recht der jederzeitigen Einseht in alle Bücher und Papiere der Gesell- schaft, durfte somit, soweit zu diesem Behufe erforderlich war, auch deren Vorlegung im G«schäftslokal der Gesellschaft be- gehren:

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288 Ueber EditionspAichl, faitbe«. betr. gemciiucluftl. Urkunden etc.

H.G.B. Art. 105, entsprechend dem älteren gemeinen wie dem französischen Recht. Aber diese Befugniss war strenge an seine Person ge- bunden, weder der Uebertragung noch der Ausübung durch gewillkürte Vertreter:

H.G.B. Art 98 Abs. 2, vgl. Allg. L.R. II, 8 § 638, verb. I, 17 §218; Motive des Württemberg. Ent- wurfs zu Art 212 (S. 191); Entscheidungen des Reichs-OberhandelsgerichtsVnS. 75, XXIII S. 120 ff.; Urtheile des Appellationsgerichts- hofes zu Köln vom 27. Mai 1863 (Centralorgan IIS. 132); Brinckma an, Handelsrecht §45 Note 3; T h ö 1 , Handelsrecht I (6. Aufl.) § 95 S. 325 ; Kommen- tare von Anschutz und v, VOlderndorff II S. 213 ff.; Puchelt und Keyssner zu H.G.a Art. 105; Lastig, in Endemann's Handbuch des Handelsrechts I S. 371; Renaud, Das Recht der Kommanditgesellschaften S, 327, 204, noch durch dessen Gläubiger:

Urtheile des obersten österreichischen Ge- richtshofes und des O. G.'s Wolfenbüttel: Zeitschr. f. Handelsr. XXII S. 285, 286, 302; Renaud, a. a. O. S. 204, 433, fähig.

Löste sich, gleichviel aus welchem Grunde, die Handels- gesellschaft auf, so behielt jeder der gewesenen Gesellschafter das gleiche Recht der Einsicht in die im Miteigenthum der ehemaligen Gesellschafter verbleibenden Gesellschaft^iapiere : H.G.B. Art 144, 145, vgl. 1. 5, 8 pr. D. fem.

herdsc. (10, 2). Entscheidungen des Reichs-Oberhandelsgerichts V S. 394, VI S. 296, insbesondere VH S. 69 ff. Ob dieses Recht, wie die Motive zu Art. 138 des preussi- schen Entwurfs annehmen (S. 73), auch den Singular- successoren des gewesenen Gesellschafters zusteht, ist keines- wegs zweifellos:

s. dagegen z, B. Brinckmann, Handelsrecht g 52 zu Note 17, 18; ThOl, Handelsrecht (6. Aufl.) § 100 a. E. S. 340; Lastig, a. a. O. S. 425; Renaud, a. a. O. S. 589, 590;

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Recbtliche Beleaclitiuig. 289

sicherlich darf es nicht durch Vertreter ausgeübt werden:

Urtheü des Appeilationsgerichtshofes zu Köln vom 12. Dezember 1874 (Zeitschr. für Handelsr. XXII S. 312). Scheidet dagegen bei Fortbestand der Gesellschaft ein Gesellschafter aus, so verliert derselbe das societätsmässige Recht zur Einsicht der Bücher und dergl. Er ist blosser Gläubiger der fortbestehenden Gesellschaft geworden und hat fortan nur noch ein Recht auf Rechnungsablage Über die nach seinem Austritt erledigten Geschäfte und auf Jahresnachweise über den Stand der laufenden Geschäfte: H.G.B. Art. 130.

Entscheidungen des Reichs-Oberhandelsgerichts XXrV S. 346. Vgl. Brinckmann, Handelsrecht S. 181—183; Thöl, Handelsrecht, 6. Aufl., § 100 a. E., S. 340; Anschütz und Völderndorf f , Kommentar II S. 291; Puchelt, Kommentar zu Art. 130 H.G.B. Anm. 9 [4. Aufl. S. 291]; Lastig, a. a. O. I S. 425. Es versteht sich dies um so mehr, als ja auch dem an den Geschäften der Handlung noch dauernd interessirten Komman- ditisten und stillen Gesellschafter Buchereinsicht versagt ist: H.G.B. Art. 160, 253.

Entscheidungen des Reichs-Oberhandelsgerichts XVII S. 274 f., I S. 195. Bei Streitigkeiten über die Auseinandersetzung kann Art. 40 H.G.B.'s Platz greifen.

Ist nichts (mehr) streitig, vielmehr abgerechnet, so ist jedes denkbare, societätsmässige Recht auf Rechnungslage und auf etwaige Jahresnachweise selbstverständlich erledigt. Vgl. unten § 7. Ob das Ausscheiden ans der Gesellschaft bei Lebzeiten erfolgt oder durch den Tod, macht selbstverständlich keinen Unterschied. Die nicht in die Gesellschaft eintretenden Erben haben nicht umfassendere jRechte, als ihr Erblasser gehabt haben würde also keine, falls diese ihrem Erblasser vOUig fehlten.

Somit ist ein sodetätsmässiges Recht der Kläger auf volle oder auch nur beschränkte Einsicht irgend welcher Ge- sellschaftsbücher oder GeseUschaftspapiere auch vöUig ab-

Gcldichmidt, VnmiichteScbnfteD. U. I9

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290 Ueber Editiontpflicht, laibei. betr. gemeüitchafü. Urkunden etc.

gesehen tod dem vertragsmässigen Ausschluss einer derartigen Befugniss,

vgl. § 8 - niemals vorhanden gewesen.

2. Nicht minder fehlt es an jedem anderweitigen Editions- grund des ibUrgerlichen Recbtsc im Sinne des Art. 387 Ziff. 1 der CP.O.

Für ein dingliches oder Besitz- oder Tertragsnlässiges oder gar Delikts-Recht, auf welches Kläger ihren Anspruch gründen konnten,

vgl. z. B. 1. 9 pr. D. de edendo (2, 13), findet sich keinerlei Anhalt.

Anlangend endlich die mittelst der actio ad exbibendum oder der noch erweiternden actio in factum der römischen Rechtsquellen zu realisirende Editionspflicht, so fehlt es an deren Voraussetzungen im vorliegenden Falle sogar nach römischem Recht, noch mehr was ja. allein entscheidet nach dem maassgebenden rheinischen bürgerlichen Recht.

Diesem letzteren nämlich ist unzweifelhaft die all- gemeine actio ad exbibendum fremd. Art. 842 des Code Napoleon, vgl. Art. 1476, 1872, gründet die Editionspflicht auf Miteigentbum, bezw. Miterbschaft. Art. 1337 daselbst be- stimmt, dass die Vorlegung einer Rekognitionsurkunde , in welche nicht der ganze Inhalt der Primordialurkunde ein- gerückt ist, die Pflicht zur Vorlegung der letzteren soweit solche Pflicht besteht nicht aufhebt. Art. 2004 daselbst statuirt die Pflicht des Bevollmächtigten zur Restitution der Vollmachtsurkunde bei Widerruf der Vollmacht. Art. 839 ff. des Code de procöiure setzen nur voraus bezw. ordnen die Pflicht des Notare oder eines sonstigen Depositars der Ur- kunde zu deren Herausgabe bezw. Vorlegung an die Inter- essenten. Im Uebrigen handelt es sich um die Vorlegung der im Prozess in Bezug genommenen Urkunden an den Prozess- gegner, z. B, Code de procAlure Art. 188.

Wollte man nun auch, wie dies mitunter geschieht, für das französische Recht über diese Fälle hinaus eine Pflicht zur Edition sog. > gemeinschaftlicher Urkunden« annehmen, so ist doch mindestens so viel sicher, dass dies keineswegs in einem weiteren, vielmehr, wenn überall, in einem nicht so

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Rechtliche Beleuchtung. 291

weitreichenden Umfange statthaft erscheint, als gegenwärtig durch die maassgebende Deutsche Civilprozessordnung

Tgl. unten § 6, festgestellt ist, so dass eine Untersuchung dieses äusserst un- bestimmten Begriffs erübrigt.

Vgl. Merlin, repertoire s. v. compulsoire § 2 [3. Ed.

Bd. II S. 686 ff.]. Berriat de Saint Prix, cours de proc^dure civile

n, 1 § m (ed. BruxeUes 1837 pag. 165). S c h 1 i n k , Kommentar tlber die französische Civil-

ProzessOrdnung (2. Autl.) II S. 342 ff. Insbes. Larombifere, Theorie et pratique des obli- gations t. IV (Paris 1857) S. 498 ff. (zu Code civil art. 1331 n. 12 ff.), wo entschieden die auf blosses Interesse an der Einsicht einer Urkunde oder auch auf einen blossen Billigkeitsgrund gestutzte Editions- klage als unstatthaft zurückgewiesen wird. Für das romische Recht ist freilich nicht selten der ganz vage Billigkeit^rundsatz behauptet worden, dass Jeder- mann, welcher ein Interesse, mindestens ein Vermögensinteresse an der Einsicht fremder, ihm weder ganz noch theilweise zu- gehöriger Urkunden habe, deren Vorlegung und Einsicht mindestens nach richterlichem Ermessen begehren könne. Z. B. noch M. Mittermaier, a. a. O. S. 17 ff.; Bayer, Vorträge über den deutscheu gemeinen Civil- prozess, 10. Aufl., S. 957 ff. und hinsichtlich der argentarii und der heutigen Kaufleute betreffs ihrer HandelsbUcher, obwohl nicht allgemein, sogar Wetzell (3. Aufl.], a. a. O. § 24 Note S. 224. Allein, wie schon die römischen Juristen sich gegen der- gleichen anscheinende BilligkeitsansprUche in Wahrheit ganz unstatthafte Prätensionen ironisch ablehnend verhalten, ja diese Annahme als eine völlige Verdrehung der Gedanken des Gesetzgebers (hier des »Edikts*) in den stärksten Aus- drucken zurückweisen, welche Überhaupt im Corpus juris civilis für chikanöse Interpretationsversuche vorkommen: 1. 19 D. ad exhibendum (10, 4):

»Ad exhibendum possunt agere omnes »quorum interest.c Sed quidam consuluit, an possit efficere haec actio, ut rationes adversarii sibi ex-

19*

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292 Uebcr Editioiupflicltt, iiube«. betr. gemeituduAt. ürknndcn etc.

hiberentur, quas exhiberi magni eins in- teresset, respondit (Paulus) non oportere ius civile calumniari neque verba captari, sed qua mente quid diceretur, aoimadTertere cooTenire. nam illa ratione etiam studiosum alicuius doctrinae posse dicere >sua interessei illos aut illos itbros sibi exhiberi, quia, si essent exhibiti, cum eos legisset, doctior et melior futurus esset. < vgl. l. 3 § 10 D. eod.: ged hoc non suffictt so ist auch die besonnene und wirklich eindringende ober- richterliche deutsche Praxis in dieser Zurückweisung einig. Es gentlgt, folgende Urthei'Ie anzuführen:

Oberappellationsgericht Lübeck. Urtheil vom 30. Etezember 1857. (Sanunlung der Entscheidungen des Oberappellationsgerichts der vier freien Städte zu Lübeck in Frankfurter Rechtssachen [Sauerländer'sche Sammlung] Bd. III S. 398):

iDass der Kläger ein erhebliches Interesse hat, den Inhalt der von ihm verlangten Urkunde kennen zu lernen, ist nach Lage der Sache keinem Zweifel unter- worfen. Allein das Vorhandensein eines solchen Inter- esses kann für sich allein, wie das Oberappellations- gericht schon wiederholt erkannt hat, keine Editions- pflicht des Gegners begründen. Es bedarf vielmehr eines speziellen Rechtsgrundes hierfür t. In einem andern Urtheil desselben höchsten, durch seine grtlndliche Kenntniss des gemeinen Rechts ausgezeichneten Gerichtshofes vom 31. März 1859 (ebenda Bd. IV S. 332) heisst es, und zwar in einem dem unsrigen sehr verwandten Falle; »Der Kläger hat, ausser der Gemeinschaftlichkeit, auch noch das rechtliche Interesse, welches er an der Vorlegung der Handelsbücher der Beklagten habe, als Klaggrund geltend gemacht. Es ist eine sehr bestrittene Frage, ob Jemand die Vorlegung einer Urkunde, an welcher er kein spezielles ding- liches oder persönhches Recht hat, wegen seines rechtlichen Interesses zur Einsicht derselben ver- langen kann.c >Auch wenn man indessen die Frage bejaht« (es wird sich zeigen, dass sie zu verneinen

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Rechtliche Beleuchtung. 293

ist), >so kann doch der Richter, auf dessen Ennessen es hierbei ankommen würde, 1. 3 §§ 11, 14 D. ad. exhib. (10, 4), nur aus einem ganz dringenden Grunde der aequitas auf die Edition erkennen. Der vorliegende Fall war dazu jedoch nicht geeignet. Der einzige Grund, welcher zu Gunsten des Klägers sprechen wüt^e, konnte nur in der Behauptung ge- funden werden, dass der Nachlass seines Vaters keine Papiere enthalten habe, welche Über das frag- liche Forderungsverhältniss Aufschluss gegeben hätten. Allein es würde zu weit fuhren, wenn der Mangel von Papieren, auch wenn er nicht durch eigene Sorglosigkeit, sondern durch die des Erb- lassers entstanden ist, schon genügen sollte, um von jedem Dritten Edition der Dokumente zu verlangen, bei deren Einsicht man rechtlich interessirt ist.* Uebereinstimmend wird in einem Urtheil des O b e r - appellationsgerichts zu Rostock vom 21. März 1870 (Seuffert's Archiv XXIV Nr. 99) ausgeführt, wie die Be- sitzerin einer die Privatrechtsverhältnisse derselben betreffenden Urkunde einen wohlbegrUndeten Anspruch darauf hat, dass deren Inhalt nicht zur Kenntoissnahme eines jeden Dritten gebracht werde. »Selbst das Interesse, welches ein Dritter an einer Ein- sicht derselben damit zu begründen vermag, dass er durch die be- treffenden Verhandlungen die ihm in einem anhängigen Rechts- streite auferlegten Beweise erbringen könne, verpflichtet sie nicht, sich dieselbe gefallen zu lassen, und auch die c. 2 de edendo (2, 1) gibt dem Richter eine so weit gehende Befugniss nicht.« Vgl. auch u. A. die Urtheile des Obertribunals zu Stuttgart 1845 (Seuffert's Archiv XXII Nr. 148) und des Oberappellationsgerichts zu Darm- stadt 1869 (Seuffert's Archiv XXIII Nr. 180): beide oberste Gerichtshöfe erfordern ein besonderes dingliches oder persönliches Recht an der Urkunde oder auf deren Vorlegung. Eben dies hat dann auch die neuere quellenmässige Unter- suchung,

s. insbesondere G. Demelius', Die Exhibitionspflicht

Dam tritl jetzt auch Brinz, Ptndekteo, l. Aufl., Bd. II (1883) S. 6yg ff., iutbes. Note 7, 54.

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294 Uebcr Edilionspflicbt, inibei. betr. gemÜDKh&fll. Urkunden etc.

in ihrer Bedeutung ftlr das klas^sche und heutige Recht (1872) S. 127 ff., 250 ff., 269 ff., als den wahren Inhalt der römischen Recbtsquellen ergeben. Abgesehen nämlich einstweilen von dem Sonderrecht hin- sichtlich der argentarii und den Testamentsurkunden, so dar^ wer kraft Eigenthums oder sonstigen dinglichen Rechts, oder juristischen Besitzes Anspruch auf Herausgabe einer Sache gleichviel ob Urkunde,

z. B. 1. 3 § 4 D. de tabul. exhib. (43, 5), 1. 3 D. testam. quemadm. aper. (29, 3), oder NichtUrkunde hat, deren Vorlegung bezw. Einsicht behufs der Vorbereitung der dinglichen oder Besitz-Klage, oder geeigneten Falls statt dieser von demjenigen, aber auch. nur von demjenigen begehren, gegen welchen jene dingliche oder Besitz-Klage zusteht. Darauf geht die actio ad exhibeu' dum, bei welcher überdies noch dem Richter freie Würdigung zusteht, ob ein vernünftiges rechtliches Vermögensinteresse gerade diesen Anspruch ausreichend rechtfertigt: 1. 3 §§ 9, 12 D. ad exhib. (10, 4). Darüber hinaus findet sich nirgends die actio ad eshiben- dum gestattet. Die 1. 18 D. ad exhib. und die 1. 4, 6 C. de edendo (2, 1) sprechen nur von der actio ad exhibendum des Eigenthümers der Urkunde, die 1. 9 C. eod. gewährt dem Schuldner nach bezahlter Schuld eine condictio (sine caiisa) auf Rückgabe des Schuldscheins.

Ist jedoch im Auftrage oder sonst im ausschliesslichen Interesse Jemandes eine diesen angehende Urkunde angefertigt worden, ohne in dessen Eigenthum zu gelangen, insbesondere, weil das Material (Pergament, Papier), auf welches sie geschrieben wurde, einem Anderen, etwa dem Urkunden Verfasser, oder einem Dritten (z. B. der Ehefrau, deren Sklave im Auftrage des Ehemannes dessen Rechnungen geführt hatte) gehört

gemäss dem bekannten Grundsatz des römischen Rechts, dass die auf fremdem Stoff geschriebene Ur- kunde dem EigenthUmer des Stoffes gehört: I. 9 § 4 D. de A. R. D. (41, 1), vgl. § 33 J. de rer. divis. (2, 1) , so wird diesem aus Billigkeitsgründen eine actio in factum auf Vorlegung (Einsicht) der nach strengem Recht ihm nicht

RMhtlkhe Beleuchtung. 295

gehörigen Urkunde gewährt, da in solchem Falle gesagt werden darf:

quod mea causa confectum est quodammodo ad me pertinet:

1. 4 § 1 D. de edendo (2, 13). Auf diesen Fall bezieht ach die 1. 3 § 14 D. ad exhibeo- dum (10, 4):

Interdum aequitas exhibitionis efficit, ut, quam- vis ad exhibendum agi non possit, in factum tarnen actio detur, ut Julianus tractat. servus, inquit, uxoris meae rationes meas conscripsit: hae rationes a te possidentur: desidero eas exhiberi; ait Julianus, si quidem mea Charta scriptae sunt, locum esse buic actioni, quia et vindicare eas possum: nam cum Charta mea sit, et quod scriptum est meum est : sed si Charta mea non fuit, quia vindicare non possum, nee ad exhibendum, experiri : in factum igitur actio- nem mihi competere.

Vgl. Urtheil des Oberappellationsgerichts Oldenburg 1870 {Seuffert's Archiv XXVI Nr. 84). Dies gilt, jedenfalls im Gebiete des gemeinen Rechts, auch noch gegenwärtig, wie auch in der Justizkommission des Reichstages von dem Vertreter der Bundesregierungen her- vorgehoben wurde:

Protokolle der Justizkommission des Reichstages S. 126, vgl. Struckmann und Koch, Civilprozessordnung zu P.O. § 336 (3. Aufl. S. 315). Im Uebrigen bestimmt das römische Recht nur, was selbstverständlich, dass der Erbe, welcher den Legataren die Quart abziehen will , den Bestand der Erbschaft durch Vor- legung sämmtlicher Erbschaftspapiere ausweisen müsse:

1. 95 § 2 D. ad leg. Falcid. (35, 2), und es gibt, was gegenwärtig antiquirt ist, im Prozess dem Beklagten ein weitergehendes Editionsrecht wider den Kläger als umgekehrt:

1. 8 vgl. 1. 1, 5 C. de edendo {2, 1), während zugleich ein Edition»%cht hinsichtlich instrumenta »alienai entschieden verneint wird: l. 4 C. eod.

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296 Ucbec EditioDspflicht, ioibcs. betr. g;«meinic}iafU. Urkund» etc.

Die documenta >commuiiiac der 1. 7 C. eod., 1. 26 C. de pactis (2, 3), vgl. c. 12 X. de fide instrum. (2, 22) sind im Miteigenthmn der Ligitanten stehende Urkunden die Frage ist übrigens unerheblich, nachdem der jeden^ls weitere gemeinrechtliche Begriff der agemeinschaftlichenc Urkonden durch die CP.O. fixirt ist : Tgl. unten § 6.

Darüber hinaus enthält das römische Recht nur zwei eigenthümliche , auf besonderer gesetzlicher (Edikts-)Vor- schrift beruhende Rechtssätze:

Einmal das mit dem interdictum de tabulis exhibendis zu verfolgende Recht des Erben oder sonst letztwillig Bedachten auf Vorweisung der betreffenden letztwilligen Urkunde: !. 1 § 2, 1. 3 § 10 D. de tabul. exhib. (43, 5).

Sodann die Pflicht der Bankiers (argentarii) und Wechsler (ntunmularii Bankiers zweiter Ordnung), allen denjenigen Personen, mit welchen sie in Geschäftsverbindung stehen, diejenigen Rechnungsbücher (rationes) , welche und insoweit sie Über die diese Personen betreffenden Rechtsverhältnisse Auskunft geben, auch dann vorzulegen, wenn ihr Geschäftsfreund nicht mit ihnen selbst, sondern mit einem Dritten einen Rechtsstreit führt und für solchen Rechtsstreit jene Buchvermerke von Erheblichkeit sind : 1. 10 pr. D. de edendo (2, 13).

Der Grund dieser von den römischen Juristen selbst als durchaus singulär betrachteten und auf die eigenthümliche, gewissermaassen öffentliche Rechtsstellung der vielfach privile- girten Bankiers (vgl. oben S. 277) zurückgeführten Rechts- bestimmung :

1. 10 § 1 vgl. 1. 4 § 1 D. de edendo (2, 13), liegt auf der Hand. Die römischen Bankiers und Wechsler waren, ähnlich den holländischen Kassirem, in geringerem Maasse auch den heutigen Depositen- und Giro-Banken, allen- falls gewissen Privatbankiers und Notaren, die Vermögens- verwalter ihrer Geschäftsfreunde, welche wenig baare Kasse zu fuhren pflegten. Sie nahmen von ihnen Depositen an und für sie Zahlungen entgegen, leisteten Zahlungen von einem Konto auf das andere durch Umschreibung (Giro), führten mit vielen Personen Kontokorrente u. s. f. Ihre Rechnungs- bücher (rationes) waren so ihren Kunden gegenüber >gemein-

Rechtlicbe Belencblupg. 297

schaftliche Urkunden c im eminenten Sinne des heutigen Rechts. Da aber das römische Recht diesen Begriff noch nicht kannte, da femer eine actio ad exhibendum auf Vor- legung dieser Urkunden, welche }a unzweifelhaft nur dea Bankiers gehörten, dem Geschäftsfreunde nicht zustand, eine actio mandati oder dergleichen sich insofern bezweifeln Hess, als die Rechnungsführung, streng genommen, nicht im Auf- trage der Geschäftsfreunde und nicht lediglich in deren Inter- esse geschah, aus gleichem Grunde auch die übrigens einer späteren Epoche angehOrige erweiternde actio in factum versagte, so mnsste die Editionspflicht besonders geregelt werden, zumal, da sehr häufig Um- und Zuschreibungen auch ohne speziellen Auftrag geschehen mochten.

Aber es findet sich keine Spur, dass jeder beliebige Dritte, dessen Interesse etwa durch einen Eintrag in den Buchem des Bankiers berührt wurde, einen Anspruch auf Edition gehabt hätte, vielmehr ergeben die Quellen

anders, aber unrichtig. Wetzeil, Civilprozess § 24 S. 224 Note 16 das klare Gegentheil:

1. 4 pr. § 1 D. de edendo (2, 13):

Argentariae mensae exercitores rationem quae ad se pertinet, edent . Huj'us edicti ratio aequissima est: nam cum singulorum rationes argentarii conficiant, aequum fuit, id quod mei causa confecit meum quodammodo in- strumentum mihi edi. 1. 6 § 5 eod. :

Nur Derjenige darf Edition verlangen, si ad eum pertineat (sc ratio), pertinere autem videtur ad me ratio, si modo eam tractaveris me mandante. I. 9 § 4 eod.:

Ad nos enim pertinet non tantum cum ipsi con- traximus vel successimus ei qui contraxit, sed etiam si is, qui in nostra potestate est, con- ' traxit.

Gleiches gilt von den nummularii : 1. 9 § 2 eod.:

Quia et hi nummularii sicut argentarii rationes

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298 Ueber Editionipflicht, intbei. betr. gemdnicIiaFtl. Urknaden etc.

conficiunt, quia et accipiimt pectmiam et erogant per partes, quanim probatio scriptura codidbusque eomm maxime coatinetar : et frequentissime ad fidem eonim decmritur. Daher denn auch umgekehrt was bei der entgegen- gesetzten Ansicht völlig unerklärlich wäre der argentarins, welchem etwa seine Bücher verloren gegangen waren, von dem dritten Besitzer, d. h. eben dem Geschäftsfreunde, die Edition der die gemeinschaftlichen Rechtsverhältnisse betreffen- den Urkunden, z. B. die diesem zugestellten Kootokorrent- auszttge fordern durfte: ^

1. 6 §§ 8, 9 D. eod. Richtig schon: Casaregis, discursus legales de commercio, discursus

102 Nr. 5. Bayer, Vorträge S. 955 ff.

V. Vangerow, Pandekten [7. Aufl.) Ol § 708 S. 643. Demelius, Die Exhibitionspflicht S. 250 ff. Für das heutige Recht, das den weiten Begriff der »gemeinschaftlichen Urkundec kennt, fällt so unzweifelhaft die gegenwärtig nicht mehr singulare Editionspflicht der römischen Bankiers unter den zweiten alsbald zu erörternden Editionsgrund. Bestände aber wirklich nach römischem Recht eine darüber hinausgehende Editionspflicbt der argentarii, so wäre dieselbe weder jemals Bestandtheil des gemeinen Rechts geworden, noch könnte sie gegenwärtig neben und ausserhalb der Bestimmungen der C.P.O. über die Edition >gemeinschaft- licher Urkundenf gelten.

Gleiches versteht sich von den singulären Rechtssätzen, betreffend die Editionspflicht bei den gegen den Fiskus ge- richteten Klagen:

1. 2 § 1, 2 D. de iure fisci (49, 14) und bei der Belangung von Zinswucberem :

c. 1 § 1 in Clement, de usuris (5, 5).

b. Wegen >Gemeinschaftlichkeitt der Urkuaden. §6.

CP.O. § 387 Ziffer 2 sagt:

»Wenn die Urkunde ihrem Inhalte nach eine für den Be- weisfUhrer und den Gegner gemeinschaftliche ist«

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Rechilich« Beleaditang. 299

Die >Gemeinschaftlichkeit( soll bestehen zwischen dem Beweisfuhrer und dem Gegner hier dem iDritten*.

Sie soll betreffen den »Inhalte der Urkunde, d. h. es soll ausreichen, aber auch erforderlich sein, Gemeinschaftlich- keit des ilnhaltsf, nicht erforderlich sein Gemeinschaftlichkeit des >Rechts an der Urkunde« (Miteigenthum u. dgl.), noch sonst ein besonderes Recht an der Urkunde oder auf dieselbe, weil all dies bereits durch Ziffer 1 fvgl. § 5) gedeckt ist

Als Beispiele solcher Urkunden, welche ihrem Inhalt nach für den Beweisführer und für den Gegner für den Dritten gemeinschafthch sind, werden genannt:

1. Urkunden, welche im Interesse des BeweisfUhrers und seines Gegners (Dritten) errichtet sind.

2. Urkunden, welche deren igegenseitigeRechtsverhält- nisse«, d. h. Rechtsverhältnisse, welche zwischen dem Beweisfuhrer und dessen Gegner (Dritten) bestehen, beurkunden.

Nur eine Abart von 1 oder 2 bilden die, um einer zu engen Deutung der Worte »Urkunden«, »beurkunden«, »er- richtete zu begegnen, ausdrücklich (»gelten auch«) hinzu- gefügten :

»Schriftliche Verhandlungen, welche über ein Rechtsgeschäft zwischen den Betheiligten oder zwischen einem derselben und dem gemeinsamen Vermittler des Geschäfts gepflogen sind.« Dass das Gesetz Beispiele nennt, ergibt der Zusatz »ins- besondere«. Darüber sind auch die Kommentatoren der Pro-

mit einziger Ausnahme von Hetlmann zu § 387 einig. Man wollte vorsichtiger Weise etwa prinzipiell gleich- stehende nicht genannte Fälle nicht ausscbliessen.

Das Wort »insbesondere« fehlte Übrigens sowohl in den früheren Entwürfen, wie in den der gegenwärtigen Fassung des § 387 zu Grunde liegenden deutschen Prozessgesetzen:

Preuss. Entwurf von 1864 § 440. Bayerische Prozessordnung von 1869 Art. 386. Württem- bergische Prozessordnung von 1868 Art. 537. Vgl. auch Protokolle der Prozesskommission für den in Hannover (im Auftrage der deutschen Bundes-

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300 Ueber EdilFonspSicbt, inibe*. betr, gcmdniclurcl. Urkundeii etc.

veTsammlung) ausgearbeiteten Entwurf S. 2486 ff., 5768 fi Erst die seit 1869 abgefassten Entwtlrfe enthalten diesen Zusatz, ohne dass die Motive über den Grund der Hinzu- fUgung weiteren Aufschluss geben.

Es wäre, da ohnehin die verständige analoge Anwendung des Gesetzes dem Richter freisteht, um der Sicherheit der Rechtstlbong willen besser weggelassen worden. Auch sind alle namhaften Kommentatoren der Prozessordnung darüber einig, dass sich kaum ein Fall einer wahren >gemeinschaft- licbeni Urkunde denken lässt, welcher nicht unter die aus- drücklich genannten Rubriken fiele:

Vgl. z. B. Struckmann-Koch, v. Wilmowsky- Levy, V, Sarwey, L. Seuffert, Gaupp, V. Bülow ad h. 1. Die Vollmachtsurkunde, welche Puchelt h. 1. noch da- neben nennt, fällt unter die Rubrik >für die Personen, in deren Interesse sie errichtet sind«; ob die > Aufzeichnung eines dritten Zeugen über die Vorverhandlungen unter den Par- teienc (v. Wilmowsky und Levy h. 1.) dahin gehört, ist allgemein nicht zu entscheiden.

Aber zurückzuweisen ist doch durchaus die aus dieser Fasstmg des Gesetzes möglicher Weise hergeleitete Folgerung, dass es sich um blosse »Beispielec handle, derart, dass das richterliche Ermessen völlig freien Spielraum habe:

So anscheinend (?) unter den Kommentatoren Ende- mann h. 1. wohl in Konsequenz seiner Paralleli- sirung der Editionspflicht mit der Zeugnisspflicht (Beweislehre des Civilprozesses S. 443). Das Gesetz hat im Gegentheil, um Zweifel und Unsicher- heit abzuschneiden, insbesondere um der mitunter versuchten ungemessenen Ausdehnung der Editionspflicht nach Art der Zeugnisspflicht entgegenzutreten, den immerhin unbestimmten Begriff der igemeinschaftlichen Urkundenc in dem Sinne fisiren wollen und fixirt, in welchem er von der bisherigen gemeinrechtlichen Doktrin und Praxis und insbesondere der neuen Civilprozessgesetzgebung Bayerns und Württembergs weitaus überwiegend anerkannt war. Vgl. oben § 5. Ueber die, CP.O. § 387, als »Beispiekf genannten Fälle

Recbtlkfae Beleachtniig. - 301

ist die besonnene Praxis des gemeinen Rechts nicht hinaus- gegangen, vielmehr sehr häufig weit dahinter zurückgeblieben. Abgesehen von den eigentlich gar nicht hierher gehörigen, vielmehr schon durch das römische Recht (actio ad exhiben- dum bezw. actio in factum und sonstige KJagen) normirten Fällen der Gemeinschaftlichkeit des Rechts an der Urkunde oder deren ausschliesslicher »Zugehörigkeit < an den Beweis- fuhrer:

vgl. oben § 5 S. 287 ff. verstand man darunter entweder:

LedigUch Urkunden, welche Über ein zwischen mehreren Interessenten abgeschlossenes Rechts- geschäft errichtet waren; z. B. v. Linde, Zeitschrift für Civilrecht und Prozess

Bd. I S. 220 ff.; wesentlich auch Seuffert, Praktisches Pandektenrecht § 434. Urtheil des Oberappellationsgerichts Jena 1835 (Seuffert's Archiv IV Nr. 169); oder doch:

Urkunden über ein zwischen dem BeweisfUhrer (bezw, dessen Rechtsvorgänger) und dem Inhaber der Urkunden bestehendes Rechtsverhältniss und zu dem Zwecke errichtet, um für den Inhalt dieses Rechtsverhältnisses beiden Theilen bezw. deren Rechts- vorgängem als Beweismittel zu dienen: Urtheile des O.A.G.'s Lübeck 1875 (Seuffert's Archiv XXXII Nr. 196), vgl. Urtheile von 1841, 1852, 1857 (Frankf. [Sauerländer's] Sammlung in S. 398 f£. ; Jurisprudenz in bürgerlichen Rechts- sachen — aus Lübeck, redigirt von Wunderlich, II S. 80, 81). O.A.G. Darmstadt 1858 und sonst (Seuffert's Archiv XIII Nr. 291, auch Zeitschr. f. Handelsrecht n S. 291); vgl. Schäffer im Archiv f. praktische Rechtswissenschaft VI S. 129 fi O.A.G. Celle 1840 (Seuffert's Archiv I Nr. 375). O.A.G. Kassel 1840 (eod. I Nr. 130). O.A.G. Wolfenbüttel 1840 (eod. XX Nr. 84) ; oder doch mindestens:

Urkunden, welche sich objektiv auf das Rechts-

302 Ueb«r Editionapfticht, iniba. betr. gemeintcbafU. Urkandeo «tc.

verhältniss des BeweisfUhrers und des Gegners be- ziehen und im beiderseitigen Geschäfts- interesse errichtet sind, -wenn auch nicht noth- weodig in der Absicht , (überhaupt oder beiden Theilen) als Beweismittel zu dienen: Urtheile des Oberappellationsgerichts Rostock 1873 (Seuffert's Archiv XXIX Nr. 85), 1846, 1850, 1853 (Buchka und Budde, Entscheidungen III S. 22 ff.), 1856 (Seuffert's Archiv XVI Nr. 157), womit wesentlich die Formulirung übereinstimmt, dass die Urkunde, um > gemeinschaftlich < zu sein, in »Angelegenheiten des BeweisfUhrers und des Gegners« errichtet oder angefertigt sein mllsse, z. B.: Glück, Pandektenkommentar XXII S. 108; M. Mittermaier, a. a. O. S.25ff., 78; v. Van- gerow, Pandekten III § 708 S. 643; Renaud, Civilprozess S, 355 § 125; Demelius, Exhibitions- pflicht S. 269 ff. und auch die freilich sehr imbe- stimmte Fassung Windscheids, Pandekten [auch 8. Aufl.] II § 474 a. E. sich in der Hauptsache deckt. Nach keiner dieser Auffassungen genügt, ist vielmehr wiederholt als unzureichend in oberrichterlichen Entscheidungen bezeichnet, z. B. in den sehr gründlichen Urtheilen der Ober- appellationsgerichte zu Lübeck und zu Rostock, dass der Edition^mplorant ein Interesse an Einsicht der Urkunde habe, oder auch nur, dass Über dessen Rechtsverhältnisse die nicht im gemeinschaftlichen Interesse errichtete Urkunde Auskunft zu geben geeignet sein könnte. Vgl. oben § 5. Dagegen wird man nicht irren, wenn man von den nach vor- stehender Ausführung in der gemeinrechtlichen Praxis ver- tretenen Auffassungen wesentlich die letzte, somit die Editions- pflicht am weitesten ausdehnende (Ober^pellationsgericht Rostock) durch die Civilprozessordnung sanktionirt findet. Dem entsprechen Wortlaut wie Inhalt der allgemeinen Rubrik nicht minder als die ausdrücklich hervorgehobenen Fälle. Es reicht hiernach nicht aus:

1) dass die Urkunde über etwaige Rechtsverhältnisse oder darauf bezügliche Thatsachen Auskunft gibt, welche den Edi- tionskläger betreffen, sofern diese Rechtsverhältnisse nicht dem

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RecKÜiche Bdeachtacg. 303

Editioosklager und dem Editionsbeklagteo gemeinschaft- liche sind;

2) dass die Urkunde ihrem Inhalt nach fUr die streiten- den Thejle gemeinschaftlich geworden ist, sofern sie es zur Zeit ihrer Errichtung nicht war {»errichtet ist» »be- urkundet sind«): die iGemeinschaftlichkeitt muss bei der Er- richtung vorhanden gewesen sein.

Vgl. auch z. B. die Kommentare vonGaupp, Struck- manu- Koch, Wilmowsky u. Levy, Ende- mann b. 1. und I. 4 § 1 D. de edendo (2, 13): quas mei causa confecit'; endUch 3) dass die Urkimde ihrem Inhalt nach einmal eine für die Streitenden »gemeinschaftliche* war, sofern sie es zur Zeit der Erhebung der Editionsklage nicht mehr ist. Es besteht keine Editionspflicht in Betreff erledigter Rechts- verhältnisse :

ne forte supervacuas rationes edi sibi postu- let , 1. 6 § 2, 1. 9 § 3, 4 D. de edendo (2, 13). Vgl. unten § 7.

C. Anwendung auf den Streltftill. §7- Die Pflicht zur Vorlegung oder gar zur Mittheilung von HandelsbUchem unter dem hier noch allein in Betracht kommenden Gesichtspunkt der »GemeinschafÜichkeit des In- haltst —

denn dass ein anderer Editionsgrund des »bürger- lichen Rechts« nicht voriiegt und dass die Vor- schriften des AUg. Deutschen Handelsgesetzbuchs theils nicht zutreffen, theils sogar entgegenstehen, ist früher dargelegt worden: §§ 3 5. unterliegt durchaus den allgemeinen, im § 6 entwickelten Er- fordernissen. Dass jedes >Handelsbuch « schlechthin und Jedennann gegenüber eine »gemeinschaftliche Urkunde« sei, ist eine völlig grundlose Annahme, welcher sogar das römische

' Dan: Unheil du Reichsgerichti III. CS. vom U. Mai l8Si (Seuffert'» Archiv XXXVII Nr. 348).

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304 Ueber Ediiionipllicht, inabc«. betr. gemdiMclitfil. Urkuiid«ii eic.

Recht hinsichtlich der Rechnungsbücher der ßantders nicht zur Seite, sondern entgegensteht.

Vgl. § 5 a. E. S. auch die zahlreichen , gerade auf Handels- bücher bezüglichen und deren Pflicht zur Edition unter dem Gesichtspunkt der >Genieinschaftlichkeit der Ur- kunden< verneinenden Entscheidungen des Ober-Appel- lationsgerichts zu Lübeck (Frankfurter Sammlung [Sauerländer] mS.398ff., 406, IVS.331). Gaupp, Kommentar zu CP.O. II Anm. III zu § 387 Anm. III zu § 394. Demgemäss kommt es nicht darauf an, ob die Handels- bücher der Gesellschaft X. & Cie. unter irgend einem denkbaren Gesichtspunkt zwischen dieser Gesellschaft und den Klägern als Theilerben des Kommerzienraths W. L. X. gemeinschaftliche Urkunden sind oder gar einmal gewesen sind, sondern ob sie dies gegenwärtig und zwar unter dem hier allein in Betracht kommenden Gesichtspunkt sind, weil sie Aufzeichnungen des Kompierzienraths W. L. X. oder dessen Mitgesellschafter enthalten, welche geeignet erscheinen, sei es relevante Rechtsbeziehungen zwischen den Klägern und der Gesellschaft X. & Cie. oder deren Theilhabem als solchen, sei es, und dies vornehmlich, kollationspflichtige Zuwendungen des Kommerzienraths X, an einige seiner Erben festzustellen. Indem das Urtheil der Kammer für Handelssachen des KOnigl. Landgerichts zu Köln gerade diesen entscheidenden Gesichts- punkt ignorirt und aus der in abstracto angenommenen Gemeinschaftlichkeit jener Handelsbücher zwischen der Gesell- schaft X. & Cie. und dem Kommerzienrath X. die Editions- pflicht der ersteren wider die Editionskläger folgert, verstösst es gegen die maassgebenden Rechtsgrundsätze.

1. Es ist insbesondere rechtlich völlig gleichgiltig , ob der Kommerzienrath W. L. X. seinerseits einmal berechtigt gewesen wäre, die Vorlegung dieser Bücher zu dem Behufe zu beanspruchen , um Über diejenigen Rechtsverhältnisse , in welchen er als »Gesellschafter t oder als angebUcher »Kunde* zur Gesellschaft X. & Cie. gestanden hat, Auskunft zu er- langen. Nicht minder ist rechtlich völlig gleichgiltig, ob den Erben des Kommerzienraths X. , allen zusammen oder auch nur einzelnen derselben besonders, ein Editionsrecht zu diesem

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Rechtliche Beleuchtung. 305

Behufe zugestanden haben würde. Denn diese Rechts- verhältnisse berühren hier überall nicht. Sie sind aber auch rechtlich vollständig erledigt.

Die Kolorirung, welche die Kläger in dieser Richtung ihren Ansprüchen gegeben haben, ist rechtlich darchans un- haltbar, und erledigt sich damit zugleich von selbst und voll- ständig deren eventueller Anspruch auf Rechnungslegung, welchen die Kammer für Handelssachen des Königl. Land- gerichts zu Köln zwar formell zurückgewiesen, materiell aber insofern für statthaft erachtet hat, als die »Rechnungslegung t in der Vorlegung der HandelsbUcher enthalten sei.

Es steht mindestens nach Behauptung der Beklagten fest, dass der Kommerzieorath W. L. X. selbst imd dass dessen Erben mit der Gesellschaft X. & Cie. vollständig ab- gerechnet haben.

In welcher Weise die »Abrechnungc vollzogen ist, er- scheint rechtlich gleichgiltig -, es genügt dazu, nach fester Praxis, sogar eine Nichtbemängelung des zugestellten Rech- nungsauszuges, überhaupt aber jede, auch nur stillschweigende, wenn nur unzweideutige Anerkennung des im laufenden Ge- schäftsverkehr für den einen oder den andern Thei! ordnungs- gemäss, wenn auch nur einseitig festgestellten Gesammtschuld- betrags (Saldo). Die vollzogene Abrechnung kann nur noch durch den Nachweis des Betrugs oder Irrthums angefochten werden; solange die Anfechtung nicht durchgeführt ist, ver- bleibt es bei dem durch die Abrechnung bindend festgestellten Rechtsverhältniss.

H.G.B. Art. 294.

V. Ha h n , Kommentar zu H.G.B. Art. 294, 291 (3. Aufl.) und die dort citirten Entscheidungen des Reichs- oberhandelsgerichts. Goldschmidt, in der Zeitschr. f. HandelsrechtXS. 556 ft Stobbe, Lehrbuch des deutschen Privatrechts in

S. 81 [3. Aufl. S. 196]. Grünhut, in der Zeitschrift für Öffentliches und Privatrecht der Gegenwart (Gr.'s Zeitschr.) Bd. HI S. 508 ff., 524 ff. und Cit. Windscheid, Pandekten § 412b [8. Aufl. S. 777]. Nach Behauptung der Beklagten liegen nun sogar von der eigenen Hand des Kommerzienraths W. L. X. geschriebene

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306 UebcT EditioDSpflicht, insbes. betr. gemeiiuchaftl. UrlcundeD «ic.

Privatbilanzen vom Jahre 1867 ab bei den Gerichtsakten; in. diesem »Privatbilanzbuch« soll derselbe am Schlüsse eines jeden Jahres sein Kapitalkonto durch Auistellung sänuntlicher Saldi, also auch den Saldo bei der Firma X. & Cie. fest- gestellt und alljährlich die Richtigkeit dieser Aufstellung durch den Vermerk beglaubigt haben:

»Vorstehende Bilanz Aufstellung meines Ver- mögens wird hiermit als richtig von mir anerkannt.

Köln (oder M.), den

gez. W. L. X.« und dieses Privatbilanzbuch nebst den darin ausgesprochenen Anerkenntnissen soll derselbe jedes Mal, sofort nach Fertig- stellung der jeweiligen Bilanz, seinem Sohne Theodor X., dem Theilhaber der Gesellschaft X. & Cie., übergeben haben.

Schwerlich lässt sich eine präzisere und unzweifelhaftere Form der Abrechnung, vollzogen zwischen einem geschäfts- filhrenden Theilhaber einer offenen Handelsgesellschaft, welcher sogar selbst die Bilanz aufmacht und den Saldo zieht, und einem zweiten geschäftsfuhrenden Theilhaber derselben Gesell- schaft, denken.

Es haben aber weiter, wie bereits in dem vorausgeschickten >Thatbestande« sub I (oben S, 258) erörtert ist, die sämmt- lichen Erben die ihnen von dem geschäftsführenden Theilhaber der Gesellschaft Herrn Theodor X. vorgelegte Berechnung des Guthabens ihres Erblassers gegen die Gesellschaft X. & Cie. als richtig anerkannt. Es haben endlich die klagenden Erben, insbesondere durch die lediglich diesem Zwecke bestimmten wechselseitigen Schreiben, den Betrag des jedem Einzelnen gegen die Gesellschaft zustehenden bezw. von dieser als Schuld- nerin übernommenen Guthabens festgestellt (oben S. 259).

Sie prätendiren auch jetzt nicht, wie zutreffend das Ur- theil der Kammer für Handelssachen des Königl. Landgerichts zu Köln hervorhebt, dass ihnen irgend welche Ansprüche, mit Ausnahme der allseitig unstreitigen, gegen die Gesellschaft zustehen, noch behaupten sie , dass die Gesellschaft wider sie irgend welche Ansprüche erhebt; noch dass sie etwa gegen Dritte ihnen überwiesene Gesellschaftsschuldner dergleichen Ansprüche zu erheben berechtigt oder gewillt seien; noch endlich, dass sie von Dritten aus den Beziehungen ihres Erb- lassers zur Gesellschaft in Anspruch genommen werden. Die

Rechtliche Beleucbtnng. 307

HandelsbUcher der Gesellschaft X. & Cie., welche allerdings zwischen dem Erblasser der Editionskläger bezw. diesen selbst und der Gesellschaft X. & Cie. insofern gemeinschaftliche waren oder gewesen wären, als dergleichen Rechtsverhält- nisse in Frage standen, haben, falls sie solches einmal für die Erben waren, schlechthin tmd in allen Beziehungen auf- gehört, gemeinschaftlich 2u sein. Der Editionsanspruch aus dem Grunde auch der »Gemeinschaftlichkeitc besteht nicht um seiner selbst willen, sondern nur als Schutzmittel eines anderweitigen rechtlichen Interesses und cessirt mit diesem : I. 3 §§ 9, 12 I. 19, I. 12 § ult. D. ad exfaib. (10, 4). Auch die I. 18 eod., welche nach Erlöschen des Schuld- Verhältnisses dem gewesenen Gläubiger eine Klage auf Heraus- gabe des Schuldscheins gewährt, geht nicht gegen den ge- wesenen Schuldner, sondern gegen den dritten Inhaber, z. B, bei Verletzung des noch bestehenden Eigenthumsrechts : »ab alio quam debitore.<

Vgl. auch Urtheil des Stadtgerichts zu Frankfurt a/M. (Entscheidungen des Ober- Appellationsgerichts zu Lübeck in Frankfurter Rechtssachen [Sauerländer] IV S. 320): Nicht Editionsklage auf die Vertrags- urkunde über einen wieder aufgehobenen Societäts- vertrag. Heidenfeld in Behrend's Zeitschrift in S. 342, Zum Behufe einer, übrigens anscheinend gar nicht be- zweckten künftigen Anfechtung der vollzogenen Ab- rechnungen aber dürfte doch die beklagte Gesellschaft schwer- lich verbunden sein, ihre Handelsbücher den Klägern vor- zulegen! Oder sollten etwa >Rechnungsirrthümer« behauptet werden ? !

Vgl. hamburgische Handelsgerichtszeitung von 1869 Nr. 104. 2. Angenommen weiter, dass die Handelsbücher der Ge- sellschaft, wie Kläger behaupten, Aufzeichnungen über die angeblich von ihrem Erblasser an einige seiner Söhne ge- machten kollationspflichtigen Zuwendungen enthalten, so würden dergleichen Aufzeichnungen zwar die Rechtsverhältnisse der Kläger berühren, aber nicht solche, welche den Klägern mit der Gesellschaft X. & Cie. gemeinschaftlich wären. Es würde sich um Interessen nicht des Erblassers

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306 Ueber EditioDtpflicfat, i'nsba. betr. gemeinschklU. Urkonden etc.

oder dessen Erben in ihrer Eigenschaft als dessen Saccessoren, sondern lediglich um die Sonder interessen einzelner Miterben gegen einander handeln, welche die Gesellschaft durchaus nichts angehen. Die Aufzeichnungen, welche diese Rechts- verhältnisse berühren, oder darüber Auskunft geben, waren »blosse Privatannotationen des Erblassers oder seiner Theil- haberc, auf deren Mittheilung imter dem Gesichtspunkt der »Gemeinschaftlichkeit« keinerlei Anspruch gegen die Gesell- schaft bestände.

Vgl. z. B. Urtheil des Ober-Appellationsgerichts zu Oldenburg, 1848 (Seuffert 's Archiv III Nr. 119), vgl. Celle, 1840 (eod. I Nr. 375); s. auch die früher citirten Urtheile des O.A.G.'s zu Lübeck (Frank- furter Sammlung III S. 398 ff., 406).

Um so weniger, als die allein denkbarer Weise, wenn auch nur thatsächlich die Gesellschaft berührenden Zu- wendungen, welche durch die Aufnahme der Gebrüder Th., O. und W. X. in die Gesellschaft X. & Cie, und die mit dieser Aufnahme verbundenen Stipulationen, insbesondere die Fest- legung des erblasserischen Guthabens in der Piandltmg, ge- macht sein könnten, gar nicht dem Rapport unterliegen, Code Napoleon art. 854, es müsste denn was durch das Urtheil der Civilkammer des KOnigl. Landgerichts vom 17. November 1880 als völlig grundlos verneint ist nachgewiesen werden, dass der Erblasser, dessen in die Gesellschaft aufgenonunene Sohne und der zur Familie nicht gehörige Theilhaber Herr A. M. sich zur Gefahrdung der übrigen Erben freventlich verbunden hätten.

Waren oder wären also noch jetzt die HandelsbUcber von X. & Cie, zwischen der Gesellschaft und dem Erblasser der Kläger oder diesen selbst hinsichtlich eines gewissen Inhalts gemeinsam , so doch nicht hinsichtlich ihres hier allein relevanten angeblichen Inhalts.

Man nehme, um dies zu verdeutlichen, folgenden Fall. A. steht mit B. in der Gesellschaft A. & Cie. In der ge- schäftlichen Korrespondenz zwischen A. und B. werden Ver- handlungen, Verträge und dgl. erwähnt, welche zwischen A. und C. oder zwischen B. und D. oder zwischen C. und D. stattgefunden haben, oder Zuwendungen, welche A. gewissen Personen, künftigen Erben oder Dritten (X., Y., Z.) gemacht

Rechtliche Belenchiung. 309

hat, was aber alles die Rechtsbeziehungen zwischen A. und B. bezw. zur Gesellschaft A. & Cie. gar nicht berührt. Dürfte nun A., welcher aus der fortbestehenden Handlung A. & Cie. ausgetreten ist, oder dürften Erben des A. oder dürften X., Y., Z. oder dürften etwa C. oder D. von A. & Cie. die Vor- legung der Handelsbücher von A. & Cie. als »gemeinschaft- lichere Urkunden begehren, um darauf Ansprüche gegen C. oder (X., Y., Z.) gegen dritte Personen (Miterben u. s. w.) zu gründen, oder sich gegen Ansprüche von D. oder C. zu ver- theidigen ? Nur wer diese Frage bejaht, dürfte dies auch für unsem Fall thun.

3. Weder also liegt der Fall vor, dass die betreffenden HandelsbUcher von X. & Cie. in ihrem hier allein relevanten Inhalt im Interesse der Gesellschaft X. & Cie. einerseits und des Erblassers der Kläger oder dieser selbst andererseits er- richtet sind; noch dass in denselben in ihrem hier allein relevanten Inhalt gegenseitige, d.h. zwischen der Gesell- schaft X. & Cie. einerseits und dem Erblasser der Kläger oder diesen selbst andererseits bestehende oder auch nur be- standene Rechtsverhältnisse beurkundet sind da ja vielmehr die etwa zwischen dem Erblasser und dessen Kindern oder zwischen diesen unter einander begründeten, aus den Handelsbüchem der Gesellschaft ersichtlichen rechtlichen Beziehungen die Gesellschaft in keiner Weise berühren und zu dergleichen Aufzeichnungen die Handelsbücher der Gesellschaft weder bestimmt waren, noch sind ; noch dass es sich um »Verhandlungen über ein Rechtsgeschäft* handelt; noch end- lich treffen die für jede" »gemeinschaftliche« Urkunde gelten- den wesentlichen rechtlichen Kriterien hier zu.

Wie in der deutschen gemeinrechtlichen Praxis derartige, aber für die Editionsklage noch weitaus günstiger liegende Falle behandelt worden sind, zeigt u. A, der schon mehrfach erwähnte, in den Entscheidungen des Ober-Appellationsgerichts zu Lübeck (Sammlung in Frankfurter Rechtssachen [Sauer- lander] Bd. IV S. 319 ff.) mitgetheilte Rechtsfall.

4. Der angestellten Editionsklage steht überdies ent- scheidend folgender Grund entgegen.

Nach der Sachlage besteht kein Zweifel , dass die Kläger, behufs Ermittelung angeblich rapportpflichtiger Zu- wendungen , eine soweit irgend angängig allgemeine

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310 Ueber Editionspllicht, in»b«a. betr. gemeiDschaftl. UtknndcD etc.

Durchmusterung der Handelsbücher der Gesellschaft X. & Cie. begehren.

Nun aber ist die iMittheilungspflicht«: nur in bestimmten Fällen, unter denen keiner vorliegt, zugelassen, in allen übrigen gesetzlich ausgeschlossen,

vgl. oben § 3 , die Editionspflicht von HandelsbUchem aber, soweit solche auf >Gemeinschaft1ichkeit des Inhaltsc der Handelsbücher gestützt wird, sicherlich dem Dritten gegenüber nicht in einem weiteren Umfange begründet als gegenüber dem Prozessgegner.

Ist, nach CP.O. § 394 weit über das in einem grossen Theile Deutschlands bisher geltende Recht hinausgebend der Dritte aus den-selben Gründen, wie der Gegner des Be- weisfuhrers zur Edition verbunden, so versteht sich auch, dass er dazu nicht in einem weiteren Umfange verbunden sein kann, als der Prozessgegner.

Die Grenze, welche in dieser Beziehung die ausdrücklich, im Interesse der nothwendigen Wahrung der Geschäftsgeheim- nisse aufrecht erhaltenen Bestimmungen des Art. 38 des D.RG.B.'s hinsichtlich der Handelsbücher ziehen,

vgl, oben § 2 , gilt nothwendig auch dem Dritten gegenüber, ja diesem gegenüber aus noch gewichtigeren Gründen. Es würde, wie keiner weiteren Ausführung bedarf, jedem verständigen Aus- legungsgrundsatz, der klaren Intention des Gesetzes, dem noth- wendig zu berücksichtigenden und jeder Zeit anerkannten Be- dUrfniss des Handelsstandes, somit jeder Regel einer vernünf- tigen Gesetzespolitik widerstreiten, sollte der editionsp flichtige Dritte sich eine allgemeine Durchmusterung seiner Handels- bücher — und zwar auch nur innerhalb der von der Kammer für Handelssachen des Königl. Landgerichts zu Köln ge- zogenen Grenzen gefallen lassen, damit die Editionskläger in den Stand gesetzt werden, statt für bestimmt formu- lirte Behauptungen genau bestimmte Beweis- mittel herbeizuschaffen, das fehlende Behauptungs- material zu beschaffen oder, unter dem blossen Scheine be- stimmter Behauptungen, aus einer Durchmusterung fremder Handelsbücher mögliches Beweismaterial zu gewinnen. Vgl. oben § cJ a. E., auch Hamburgische Handels- gerichtszeitung 1873 Nr. 243, 1871 Nr. 64.

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RechtUche Beleachtnng. 31t

5. Endlich stände einer auf Grund des § 387 der Deut- schen C.P.O. gleichwohl anzunehmenden Bditionspflicbt der beklagten Partei die vertrag smässige Ausschliessung dieser Editionspflicht entscheidend entgegen.

D. Die Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages.

i. Der am 26. Juni 1869 zwischen dem Kommerzienrath W. L. X., Herrn A. M. und den Herren Th., O. und W. X., unter Zustimmung der Frau E. X. geborenen S., notariell ge- schlossene Societätsvertrag bestimmt unter Ziffer 5, dass durch den Austritt oder den Tod des Herrn W. L. X. die Societat nicht aufgelöst werden solle, und unter Ziffer 6 wörtlich:

»Durch den Todesfall eines Associ& während der Vertragsdauer wird die Gesellschaft nicht aufgelöst, die Erljen des gestorbenen Associ^s hatten kein anderes Recht, als auf Grundlage der letzten, vor dem Todestage abgeschlossenen und von sämmt- liehen Associ^s genehmigteD , respektive unter- schriebenen Bilanz ihre Abfindung zu verlangen, gleichviel welche Werthansätze darin aufgenommen sind. An weiteren Geschäftsresultaten partizipiren die Erben nicht; sollte jedoch ihr Erblasser seit dem Tage der letzten Bilanz noch Einschüsse ge" leistet haben, so müssen letztere selbstverständlich unter Vergütung von 4 Prozent Zinsen restituirt werden. Einsicht in die Bücher ist den Erben nicht gestattet; desgleichen ist Siegel- anlage, Inventarisation und jede andere gerichtliche Einmischung unbedingt ausgeschlossen.' Diese namentlich in Bankgesellschaftsverträgen bekannt- lich überaus häufige Stipulation ist augenscheinlich nur gegen diejenigen Erben eines der Theilhaber gerichtet, welche nicht Theilhaber der ungeachtet des Todes ihres Erblassers gleichviel unter welchen Personen fortbestehenden Societat waren oder wurden. Sie setzt den Fall, dass einer der genannten Theilhaber gleichviel welcher durch Tod aus der fortbestehenden Gesellschaft ausscheidet.

Ihre Tendenz ist klar. Sie will die fortbestehende Gesell-

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312 Ueber Editiontpflidit, inibst. betr. gemeinichafU. Urkunden etc.

Schaft gegen jede, stets lästige, unter Umständen höchst ge- fahrliche Offenbarung ihrer Geschäftsverhältnisse und Ge- schäftsgeheimnisse an irgend welche Personen, welche nicht Gesellschafter sind, schützen. Sie beruht nicht, oder doch, augenscheinlich, nicht vorwiegend in einem Miss- trauen gegen die ja noch unbekannten Erben eines ausscheiden- den Gesellschafters, sondern in dem Vertrauen auf die Mit- gesellschafter, von deren Ehrenhaftigkeit und Gewissenhaftig- keit erwartet wird, dass sie auch ohne Rechtszwang zur Offenbarung der jeweiligen Vermögensverhältnisse , für das Vermögensinteresse der Erben des verstorbenen Theilhabers ausreichende Sorge tragen werden.

Sie unterstellt, dass den Erben des ausgeschiedenen Ge- sellschafters an sich ein Recht auf Einsicht der HandelsbUcher der fortbestehenden Gesellschaft zukomme, da gegenüber einem Nichtrecht dieser Erben sie als Überflüssig keinen Sinn hätte. Sie untersucht aber nicht, unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfange dieses Recht bestehen kömite was ja auch, nach Lage der Sache, sich sehr verschieden gestaltet, vgl. oben §§ 5, 7.

Sie will aber klar, dass jegliches derartige Recht, welches etwa an sich einem der Erben zustehen könnte, im Interesse der fortbestehenden Gesellschaft ausgeschlossen sein solle. Mit andern Worten : es soll einem jeden derartigen, au sich rechtlich begründeten Anspruch eines nicht zur fort- bestehenden Gesellschaft gehörigen Erben eines der Gesell- schafter die Einrede einer die Editionspflicht ausschliessenden Vereinbarung, exceptio pacti ne edatur, rechtswirksam ent- gegenstehen.

Diese Vereinbarung hat aber gleichzeitig die weitere wichtige Wirkung, dass ein einzelner Gesellschafter, welcher in Verletzung derselben den Erben eines verstorbenen Gesell- schafters irgend welche, gleichviel wie beschränkte Einsicht in die Handelsbücher, d. h. überhaupt in die Geschäftspapiere der Gesellschaft gestatten wollte, vertragswidrig handeln, ja sich der Gefahr einer Auflösungs- bezw, Ausschliessungs-Klage seitens seiner Mitgesellschafter aussetzen wtlrde; H.G.B. Art. 94, 125, 128.

2) Die Rechtsgiltigkeit einer derartigen Verein- barung unterliegt keinem Zweifel,

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Recitliche BdeuchtnDg. 313

Soweit die Editionspflicht u, dgl. auf den Grundsätzen des Societatsrecbts beruht, ist jede dieselbe einschränkende Vereinbarung sogar durch ausdrücklicbe gesetzliche Vorschrift mit der einzigen selbstverständlichen Ausnahme gestattet, dass bei nachgewiesener Unredlichkeit das gesetzliche Recht wieder in Kraft tritt:

H.G.B. Art. 105, vgl. Art. 90, Z. 2 Art. 160, vgl. Art. 157 Art. 253. Wenn schon nach Auflösung der Gesellschaft die Nothwendigkeit unbedingter Offenbarung der Handelsbücher an Dritte, gegen welche das persönliche Vertrauensverhältniss der Gesellschafter nicht besteht , für die gewesenen Gesell schafter, zumal solche, welche etwa den Handelsbetrieb fort- setzen, die schwersten Nachtheile mit sich führen kann,

vgl. auch Brinckmann, Handelsrechts. 196 Note 18, S. 199 Note 29, so leuchtet dies um so mehr ein bei Fortbestand der Ge- sellschaft,

Wurden doch aus diesem Grunde von den kaufmännischen Mitgliedern der Berliner Sachverständigenkonferenz (1856) sogar gegen die anbedingte Mittheilungspflicht der Handels- bücher »in Gesellschaftstheilungssachent Bedenken erhoben, welche nur durch das allseitige Eioverständniss darüber, dass ftlr Gesellschaftsangelegenheiten beliebige abweichende vertrags- mässige Feststellung gestattet sei, gemindert wurden, wie man denn auch darüber einig war, dass sogar die einseitige Mit- theilung einer »Bilanz* an den nur von einem Gesellschafter einseitig betheiligten Dritten (H.G.B. Art. 98) die übrigen Gesellschafter befuge, die Auflösung der Gesellschaft zu ver- langen.

Protokolle über die Berathungen mit kaufmännischen Sachverständigen und praktischen Juristen, betreffend den Entwxirf eines Handelsgesetzbuchs für die Preussi- schen Staaten. Berlin 1856 (Manuskript), S. 14, 29, 33. Aber auch, sofern es sich nicht um eine, die sehr weit- gehenden gesetzlichen Societätsrechte auf Einsicht, Mit- theilung, Vorlegung der Handelsbücher einschränkende Ver- einbarung handelt, sondern um eine vertragsmässige Modifi- kation der anderweitigen engeren Editionspflicht, mag es sich um die Editionsgründe des § 387 Z. 1 der C.P.O. oder um

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314 UebcT Ediliontpflicht, insbei. betr. gemeiDscluifÜ. L'ilcnndcD etc.

den Editionsgrund der »Gemeinschaftlichkeitc gemäss § 387 Z. 2 der C.P.O. handeln, ist, und zwar nicht allein, nach der klaren Gesetzesvorschrift des Art. 90 H.G.B.'s, unter den Gesellschaftern bezw. deren Rechtsnachfolgern, sondern was hier sogar unerheblich wäre ganz allgemein die modi- ficirende Vereinbarung statthaft. Denn wie bereits wiederholt erwähnt,

vgl. oben § 4, gehört die gesammte Editionspflicht, auch auf Grund der sog. iGemeinschaftlichkeit der Urktmden* , nicht dem zwingenden öffentlichen Recht, sondern dem dispositiven Privatrecht an; wollte man aber etwa unrichtig den Editionsgrund der »Ge- meinschaftlichkeit* als einen wahren prozessrechtlichen Rechts- satz behandeln, so würde derselbe doch in die sehr zahlreiche Klasse nur dispositiver Prozessrechtssätze gehören , wie denn z. B. sogar aussergerichtliche und vor schwebendem Prozess getroffene Vereinbarungen Über den Gerichtsstand unbezweifelt Geltung haben (CP.O. § 38).

S. auch O. Bulow, Archiv für die civilistische Praxis, Bd. 64 S. 1 ff. Endlich sind diese Vereinbarungen im Gebiete des rhei- nischen Rechts lange vor dem Inkrafttreten der Deutschen Civil prozessordnung eingegangen zu einer Zeit, da in dem Rechtsgebiete der Paciscenten die Vorschriften des gegen- wärtig geltenden Rechts über die Editionspflicht Dritter aus dem Grunde der blossen iGemeinschaftlichkeit des Inhalts< von Urkunden, zumal von Handelsbüchem , unstreitig nicht, sicher nicht in gleichem Umfange in Geltung gestanden haben. Und es versteht sich, dass die in jener Zeit gUltig geschlossenen Verträge durch eine lediglich die Grundsätze des Verfahrens betreffende sogenannte irückwirkende Kraft« der Prozess- gesetze nicht haben ausser Kraft gesetzt werden können, viel- mehr die einmal vertragsmässig begründeten Rechte schlecht- hin zu schützen sind.

Vgl. C. J. A. Mittermaier, Archiv für die civilisti- sche Praxis, Bd. 10 S. 125.

Renaud, Civilprozessrecht (2. Aufl.) §8 S. 19 Note 5.

3) Anlangend endlich die Tragweite der Ziffer 6 des

Gesellschaftsvertrags vom 26. Juni 1869 , so erachtet die

Kammer fUr Handelssachen des Königl. Landgerichts zu KOId

Rechtliche Bdenchtnng. 3(5

die Stipulation im vorliegenden Falle für unanweodbar, weit dieselbe nicht auch den erst nach geschehenem Austritt er- folgenden Tod eines Theilhabers vorsehe und treffe.

Dem Wortlaut des Vertrags entspricht diese Auffassung, nicht dessen unverkennbarem Sinn. Nach dieser Auslegung hätten 2. B. die Erben des Herrn A. M. oder des Herrn Th. X. kein Recht auf Einsicht der Gesellschaftsbücher, falls ihr Erblasser 24 Stunden vor dem fUr seinen freiwilligen Aus- tritt festgesetzten Zeitpunkt stürbe; sie hätten dagegen das Recht der Einsicht, sofern der Tod ihres Erblassers 24 Stunden nach diesem Zeitpunkt erfolgen sollte. Augenscheinlich wäre das sinntos.

Es müssen drei Fälle unterschieden werden und ist dabei zu beachten, dass nach dem Willen der Kontrahenten die Gesellschaft unter den überlebenden Theilhabem fortgesetzt werden sollte, und zwar noch sehr lange Zeit, denkbarer Weise sogar weit über den 1. Januar 1884 hinaus.

Vgl. oben den Thatbestand S. 257 f.

1. Der nächstliegende Fall war, dass einer der Theil- haber aus der im Uebrigen fortbestehenden Societät durch Tod ausschied. In diesem Falle hätte ja unzweifelhaft dessen Erben an sich das Recht zugestanden, die Vorlegung der Gesellschaftsbücher insoweit zu begehren, als zur Feststellung ihrer Ansprüche gegen die Gesellschaft und umgekehrt, oder der aus dem Geschäftsbetrieb der Gesellschaft für die Erben gegen Dritte entstandenen Rechtsverhältnisse erforderlich war.

Vgl. oben § 5 S. 287 ff. Für diesen nächstliegenden Fall besagt die Vereinbarung, dass die nicht in der Gesellschaft stehenden Erben sich mit einer von den Mitgliedern der Gesellschaft anzufertigenden Bilanz, einschliesslich selbstverständlich einer Mittheilung über das Kapitalkonto ihres Erblassers, zu begnügen haben, ohne deren Richtigkeit durch Einsicht der Bücher prüfen zu dUrfen. Dass ihnen zu irgend welchen weitem Zwecken ein Editions- recht nicht zukam, verstand sich zwar von selbst, wurde aber durch das weitergehende, ganz ausnahmslose Verbot:

'Einsicht der Bücher ist den Erben nicht gestattet», ausdrücklich festgestellt.

2. Entfernter lag der Fall, dass einer der Theilhaber vor seinem Tode ausschied, ohne eine endgiltige Regulirung mit

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316 UebcT Ediliotupflicht, tiub«*. betr. gemeiuschafil. UrkundeD etc.

der fortbestehenden Gesellschaft bis zu seinem Tode herbei- zuführen. Es mag zweifelhaft sein, ob die Paciscenten an diesen Fall gedacht haben aber als vorsichtige Geschäfts- leute hatten sie sicherlich keinen Grund, denselben aus- zuschliessen tind sie mussten für diesen Fall verständiger Weise Gleiches feststellen, wie fUr den ersten Fall.

3. Einer der Theilhaber trat vor seinem Tode aus der Gesellschaft aus ond regulirte endgiltig durch gehörige Ab- rechnung seine Beziehungen zu der fortbestehenden Ge- sellschaft.

Es darf zugegeben werden, dass sogar ein äusserst vor- sichtiger, ja pedantischer Geschäftsmann nicht auf den Ge- danken gerathen konnte, es wtlrden trotz solcher definitiven Abmachung einzelne seiner Erben aus irgend welchem Grunde den Versuch machen, Edition der HandelsbUcher , auf deren Einsicht sie ja keinerlei Recht besassen, zu erlangen, und es wäre denkbar, dass diesem Begehren durch den Richter ent- sprochen würde. Eine auch diesen Fall betreffende Verein- barung musste somit durchaus überflüssig erscheinen.

Immerhin aber versteht sich, dass das Editionsverbot für diesen Fall wo möglich noch mehr im Sinne der Paciscenten liegen musste als für jeden der beiden anderen Falle, und dass sie auf Befragen erklärt hätten;

Sollte, was uns freilich schwer glaublich erscheint, es für diesen Fall noch eines ausdrücklichen Editions- verbotes bedürfen, d. h, sollte Jemand es für denkbar erachten, dass den Erben eines bei Lebzeiten ausgetretenen Gesellschafters, welcher selbst sich definitiv mit seinen Mitgesellschaftem auseinandergesetzt hat und lediglidi noch Gläubiger eines völlig unstreitigen Geldbetrages der Gesellschaft gegenüber ist, ein Anspruch auf Vor- legung der Handelsbücher der fortgesetzten Gesellschaft unter irgend welchem Titel zustehe,

sei es des Handelsrechts oder des bürgerlichen Rechts oder der sog. >Gemeinschaftlichkeit der Urkunden', sei es, um Ansprüche gegen die Gesellschaft oder gar unter einander auf diese Weise zu beweisen oder gar zu emiren, so versteht sich hiermit die ausdrückliche und unbedingte Untersagung einer derartigen Befugniss.

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Rechtliche Beleuchtung. 317

Mit dieser Auffassung wird in den Societatsvertrag nicht hineingetragen, was ausserhalb desselben liegt, sondern nur aus demselben entwickelt, was als der regehnässige geschäfts- übliche Wille verstandiger Kontrahenten erscheint :

entsprechend dem für die Auslegung der Handels- geschäfte noch besonders gesetzlich eingeschärften Grund- satz der Artikel 278, 279, vgl. Art. 90 Abs. 1 des A. D. Handelsgesetzbuchs, sowie den gleichen Grund- sätzen des

Code Napolten art. 1135, 1159, 1160 und des römischen Rechts:

1. 31 § 20 D. de aedil. ed. {21, 1): ea qoae sunt moris et consuetudinis in bonae fidei iudiciis debent venire.

1. 114 D. de R. J. (50, 17): in obscuris inspici

solere, quod verisimilius est aut quod plerumque Geri

solet, vgl. 1. 34 eod.

Denn, wie in der Praxis, namentlich des Reichs-Ober-

handelsgerichts , stets festgehalten worden ist, muss jeder

Zweifel über den Willen der Betheiligten, welcher sehr wohl

von dem Wortsinn verschieden sein kann, in demjenigen Sinn

gelöst werden, welcher der Atiffassung und Sitte redlicher

Männer, insbesondere solider Kaufleute entspricht;

Goldschmidt, Handbuch des Handelsrechts. Bd. I. (2. Aufl.) S. 308—310, insbes. Note 13, 14, S. 335 bis 337. V. Hahn, Kommentar zum D. H.G.B. Bd. II. (3. Aufl.) S. 78 ff. Dass aUetn diese Auffassung dem Willen insbesondere des Erblassers der Kläger entspricht, erhellt schon daraus, dass derselbe bereits im Societätsvertrage vom 26. Juni 1869 sein Ausscheiden nicht allein durch Tod, sondern schon vorher durch Aiistritt vorgesehen, und für diese verschiedenen Fälle, ■welche er hinsichtlich der Rechtsstellung seiner Erben wesent- lich gleich behandelte, Vorkehrungen getroffen hatte:

vgl. §§ 4, 5, 6 des Gesellschaftsvertrages; endlich aus dem im Prozess produzirten Schreiben, das derselbe am 7. Mai 1874, wenige Wochen vor seinem Aus- tritt, an die (sämmtlicheii ?) übrigen Theilhaber der Gesell-

j ., .„Google

318 Uebet EditioiiEpfiichl, iiisbe». betr. gemeinKhaftl. UTkundcn etc.

Schaft X. & Cie. gerichtet hat, und dessen einschlagiger Passus mir folgendermaassen mitgetheilt ist:

»Wahrscheinlich werdet Ihr Eode dieses Jahres

Ueberfluss an disponibela Mitteln haben. Dann

mochte ich um diese Zeit aus Gründen mancherlei

Art austreten. In erster Reihe wünsche ich Euch

nicht in die unangenehme Lage zu setzen, dass die

Miterben bei meinem Ableben berechtigt sind, ziu-

Feststellung meines Nachlasses Einsicht in Eure

Bücher zu nehmen. <

Der Konunerzienrath X. ging somit davon aus, dass,

wenn etwa gesetzlich seinen Erben Einsicht in die Bücher der

Gesellschaft X. & Cie, zustehen sollte, er hat darunter

wahrscheinlich aber, da § 6 des Gesellschaftsvertrages im

Uebrigen klar entgegenstand, nur die dort erwähnte Bilanz

verstanden jedenfalls mit seinem früheren Ausscheiden und

der an dieses sich selbstverständlich knüpfenden Abrechnung

mit der Gesellschaft jedes derartige Recht ausgeschlossen sein

werde, wie dies denn auch in der That nach dem Gesetz der

Fall war. ^

Schluss.

Die Untersuchung bat den zwar umständlichen, aber doch sicheren Weg eingeschlagen, zunächst ohne Rücksicht auf die Vereinbarungen des Gesellschaftsvertrages die Statthaftigkeit der erhobenen Klage zu prüfen.

Das Ergebniss dieser Prüfung lässt sich dahin zusammen- fassen :

1. Ein durchaus selbstständiger, von erfolgter Frist- gewährung in einem schwebenden Hauptprozesse unabhängiger Editionspro zess gegen Dritte aus dem Grunde der »Gemein- schaftlichkeit der Urkunden« ist unstatthaft I); wollte man solchen gestatten, so würde sich die Editionspflicht nicht nach den Grundsätzen der Deutschen Civilprozessordnung, sondern nach dem maassgebenden bürgerlichen Recht, hier dem rheini- schen bestimmen I).

2. Die Editionspflicht hinsichtlich der Handelsbücher ist überhaupt erbeblichen Einschränkungen unterworfen 2).

3. Eine Pflicht zur Vorlegung der Handelsbücher besteht

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Rechtliche Bd«ucIiCuDg. 319

Dach dem Deutschen Handelsgesetzbucb nur dem Prozess- gegner gegenüber, die davon verschiedene Mittheilungspflicht ist in einem Falle der vorliegenden Art gesetzlich aus- geschlossen und darf nicht unter dem Scheine einer nur be- gehrten Vorlegung erstrebt werden 3).

4. Die Editionspflicht gehört, auch nach den Grund- sätzen der Deutschen Civilprozessordnung , nicht dem öffent- lichen Recht an 4).

5. Eine Editionspflicht mach den Vorschriften des bürger- lichen Rechts« (C.P.O. § 387 Z. l) besteht im vorliegenden Falle nicht: weder nach den Vorschriften des Handelssocietäts- rechts, noch nach den maassgebenden Grundsätzen des rheini- schen bürgerlichen Rechts, noch nach den hier nicht maass- gebenden Vorschriften des römischen Rechts, den allgemeinen und den besonderen von den argentarii geltenden, noch endlich nach der Praxis der deutschen obersten Gerichte 5).

6. Die Handelsbücher der Gesellschaft X. & Cie. sind nicht »ihrem Inhalte nach« für die Editionskläger und die beklagte Gesellschaft oder deren Theilhaber »gemeinschaft- liche Urkunden« (C.P.O. § 387 Z. 2). Die genaue Analyse dieses Begriffs sowohl nach dem geltenden Recht der Deut- schen Prozessordnung wie nach dem früheren gemeinen Recht 6) ergibt vielmehr, dass dessen Voraussetzungen im vorliegenden Streitfalle durchaus fehlen, indem diejenigen Rechtsverhältnisse, hinsichtlich welcher eine »Gemeinschaftlich- keit« denkbar wäre, mindestens unstreitig oder völlig erledigt sind, durch Aufzeichnungen aber, welche etwaige rapport- pflichtige Zuwendungen des Kommcrzienraths W, L. X. an einzelne seiner Erben ergeben könnten, eine »Gemeinschaftlich- keit« des Inhalts dieser Aufzeichnungen zwischen der Gesell- schaft X. & Cie. und den Editionsklägem Überall nicht be- gründet worden ist 7).

7. Die gesetzlichen Einschränkungen hinsichtlich der Editionspflicht von HandelsbUchem stehen auch den Editions- klägem entgegen, welche in Wahrheit darüber hinaus sogar eine »Mittheilung« der Handelsbücher erstreben 7 a. E.).

8. EKirch § 6 des Societätsvertrages vom 26. Juni 1869 ist schlechthin und rechtlich wirksam, nach früherem wie nach geltendem Recht, jede Einsicht der Editionskläger in die Bücher der fortbestehenden Handelsgesellschaft X. & Cie. aus-

, CiOOglc

320 Ueber Editionspflicht, intbet. betr. gemditwhaM. Urkuoden etc-

geschlossen 8). Durch diese weder dem guten Glaubea noch der öffentlichen Ordnung zuwiderlaufende, vielmehr der Billigkeit und dem Handelsgebrauch entsprechende, den guten Glauben schützende Vereinbarung erledigt sich jeder in der rechtlichen Beurtheilung des Streitfalles etwa noch mögliche Zweifel ;

Code Napoleon art 1134. Les Conventions l^ale-

ment formöes tiennent Ueu de loi ä ceux qui les

ont faites.

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10.

ALTE UND NEUE FORMEN

DER

HANDELSGESELLSCHAFT.

VORTRAG,

GEHALTEN IN DER JURISTISCHEN GESELLSCHAFT ZU BERLIN.

(1892.)

jij.iei, Google

iLCD, Google

Erwartea Sie nicht, dass ich in der knapp bemessenen Zeit eines Vortrags eine ausfuhrliche geschichtliche Dar- legung des Ursprungs und der alhnäligen Entfaltung der ver- schiedenen Formen wirthschaftUcher Associationen versuche. Es scheint mir angemessen, mich auf gewisse leitende, die Franzosen würden sagen »philosophische < Gesichtspunkte zu beschränken, zumal ich vor Kurzem die Entstehungsgeschichte der typischen Urformen eingehend dargelegt habe". Die all- gemeine geschichtliche Betrachtung soll mir ermöglichen, von einem weiteren Standpunkt aus die neueste, noch in dem Stadium der legislativen Behandlung stehende Gesellschafts- form der kritischen Prüfung nach dem Maasse meiner Ein- sicht und Erfahrung zu unterziehen, und ich darf für diesen Versuch wohl aus dem Umstände eine gewisse Berechtigung entnehmen, dass ich mich seit 40 Jahren ' unablässig mit der ErgrUndung von Bau und Funktionen des europäischen Gesell- scbaftsrechts beschäftigt habe.

I.

Wenn wir in dem berühmten Worte des Aristoteles: tavSffumos ^pvoai noXirixhv töiovt den ewigen Kern aller rich- tigen Staatslehre, mit dem grossen Denker den Staat als die DOthwendige Form dauernder Verbindung zusammenlebender Menschen anerkennen, daher die vielverbreiteten Spekulationen

> UDiveiulgeaciiicliCe des HaadekrechU. i. Liefr. (Handb. des Hudelt- iwchU. 3. Aufl. I. Erste Abtheilung, 1891), insbes. S. 254— 39S.

> De todetate en comnundjte. ipec. I. Halis 185 1 ; Kritik des Enl- vurb eines Handelsgesetsbuchs filc die prenssischeD Staaten. Abth. i u. 2. Heidelberg 1S57/5S. GatachCen Ober den Entwurf eines deutschen H.G.B.'t nach den Beschlfissea zweiler Lciung. Eilajigeu iSäo lu «. f.

l,j _ .^ , CiOOglc

324 Alte and tt«ue Fonoeit der HandeltgMelltcluift.

von der angeblich staatenlosen Menschheit einer Urzeit, von ■willkürlichen Verträgen, durch welche die Staaten entstehen und bestehen sollen, als gleichermaassen ungeschichtlich wie psychologisch unmöglich verwerfen, so verhält sich dies freilich anders mit denjenigen Verbindungen der Menschen, welche zu sonstigen, gemeinsam verfolgten Privatzwecken eingegangen werden. Weder sind sie selbst naturnothwendig, noch lassen sich wirthschaftliche oder geschichtliche Gesetze für ihre, nur nach wechselnden wirthschafthchen Bedürfnissen und Zweck- mässigkeitserwägungen bestimmten Formen ermitteln. Immerhin reichen auch sie in die Anfänge der beglaubigten Geschichte hinauf. Bereits in altassyrischer Zeit, gegen 2000 Jahre vor unserer Zeitrechnung, finden wir Handelsassociationen, sogar von langer Dauer, mit einer Art von Firma, indem die Gesellschaft nach ihrem Haupte benannt wird '. Und, wenn- gleich wir gar nichts wissen von Associationen, so wenig als von sonstigen Rechtseinrichtungen des grössten Handelsvolkes der orientalischen Welt, der Phönizier und Karthager, so wird doch die Existenz von Handelsgesellschaften auch bei ihnen sich nicht bezweifeln lassen. Dagegen ist wohl bekannt die Fülle hellenischer Associationen für die verschiedensten, auch wirthsc haftlichen Zwecke. Nur sind wir leider über deren Organisation aus den sehr lückenhaften Fragmenten der Ge- setze, aus den Erörterungen der attischen Redner und den nicht immer zuverlässigen Konstruktionen ihrer Philosophen um so unvollkommener unterrichtet , als eine juristische Lite- ratur völlig fehlt, und die in grosser Fülle vorhandenen Ur- kunden, die zuverlässigsten Zeugnisse hellenischen Rechts, in dieser Hinsicht nur spärlichen Aufschluss gewähren.

Endlich ist unsere Kenntniss sogar des römischen Gesellschaftswesens und Gesellschaftsrechts eine sehr lücken- hafte. Wie tief und sicher auch dieses grösste Rechtsvolk aller Zeiten den juristischen Kern und die leitenden Prinzipien der »societasi erfasst und mustergültig formulirt hat, so ver- mögen wir doch aus der theils unzureichenden, theils überaus abstrakten Ueberlieferung kein klares Bild von der unzweifel- haften Mannigfaltigkeit der Societäten und von der besonderen

' Z. B. Eugene Revillout, IfS obligalions en droit Egypiieo compirf aux autres droits de t'aniiquilj. Appendice Eur le droit de la Chdld^. P*iis

Alle und n«ue Formen <)«r HandelsgetellschBft. 325

Struktur ihrer einzelnen Arten zu gewinnen. Wir wissen nur, dass neben der, wohl vorherrschenden Gelegenheitsgesellschaft auch die Gewerbs-, Handels- und Industrie-Gesellschaft be- standen haben, dass beide in der Regel nach Art unserer stillen Gesellschaft betrieben wurden, aber auch unserer offe- nen und unserer Kommanditgesellschaft ähnlich sein konnten; dass es für gewisse, Überwiegend verwaltungsrechtliche Zwecke grosse Associationen von Kapitalisten mit korporativer Ver- fassung (societates publicanorum sive vectigalium) gegeben hat, mit anscheinend freier Veräusserlichkeit und mindestens beschränkter Vererblichkeit der Antheile , insofern unsem heutigen Aktienvereinen in wichtigen Beziehungen ähnlich, aber doch schwerlich in den für die juristische Struktur ent- scheidenden Punkten gleich normirt.

Immerhin ist ein bedeutsames Moment nicht zu ignoriren. Der dem gesammten Alterthum eigenthUmliche hauswirth- scbaftliche und zugleich kapitalistische Grossbetrieb, nämlich durch die abhängigen Familienglieder, insbesondere durch die selbst einen bedeutsamen Theil des Kapitalvermögens bildenden Sklaven, hat auch die Gestaltungen der Societät erheblich be- einflusst. Eine mindestens thatsächliche Association bestand häufig zwischen dem Hausherrn und seinen Gewaltunter- worfenen, desgleichen dieser unter einander; eine auch juristi- sche zwischen Sklaven oder Hauskindem verschiedener Haus- herren, und mindestens das praetorische Recht gewährte be- kanntlich aus den Rechtsgeschäften der Gewaltunterg ebenen verschiedenartige Nebenklagen gegen den Gewalthaber : actiode peculio, tributoria, quod jussu, exercitoria, instttoria. So konnte der Gewalthaber mehrerer oder konnten die mehreren Ge- walthaber des gleichen Sklaven den Geschäftsgläubigem in sehr verschiedener Weise haften: beschränkt auf Höhe des Sonderguts, und zwar unter Vorwegabzug der eignen Forde- rung (a. de peculio) wie ohne solche (a, tributoria) oder unbeschränkt auch mit dem sonstigen Vermögen, die mehreren je nachdem solidarisch oder nur antheilig. So verhält es sich noch im justinianischen Recht, sogar hinsichtlich der Haus- kinder, trotz der allmäligen Anerkennung eigenen Kinderguts. Es waren so durch das Mittel der Sklaven und Hauskinder die verschiedensten Associationsformen ermöglicht, ja es zog prinzipiell der Gewerbebetrieb durch die Gewaltunterworfenen

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326 Alte and nene Formen der Handel^Milichaft

eine nur beschränkte Haftung des Hausherrn nach Art unserer Kommanditgesellschaft nach sich. Die Associatioa mehrerer Gewaltfreien aber trag in der Regel den Charakter onserer stillen Gesellschaft, da die einzelnen scxrü auf ihren alleinigen Namen zu kontrahiren pflegten, die Gläubiger derselben also gegen die übrigen socii nur mit der cedirten actio pro socio klagen konnten ; war der Antheil der übrigen an dem Gesell- schaftsverlust vertragsmässig bescht^nkt, so galten durchaus die Grundsätze des Art. 258 unseres Deutschen Handelsgesetz- buchs. Die weitverbreitete Auffassung, es sei nach rtlmischem Recht eine nur beschränkte Haftung der Socien unstatthaft, ist so eine durchaus unbegründete; ja es findet sich im corpus iuris nicht einmal dem einzelnen Schuldner verwehrt, von vorn- herein seine Haftung aus dem betreffenden Rechtsgeschäft auf einen bestimmten Maximalbetrag zu begrenzen, und es bildete diese beschränkte Haftung die Regel bei allen mittelst frei wirth- schaftender Sklaven oder Hauskinder betriebenen Gewerbe.

Im Mittelalter ist die Sklaverei allmälig erloschen und hat die alte Hausgewalt Über die Kinder sich immer mehr ge- lockert. Auch gab es keine oder doch nur wenige grosse Kapitalisten, deren eigenes Vermögen für den Betrieb wejt- aussehender oder riskanter Handels- oder Industrie-Unter- nehmungen ausgereicht hätte. So konnten denn in der Haupt- sache nur durch Associationen von Freien grössere wirthschaft- liche Unternehmungen durchgeführt werden: durch gegen- seitige von Kapital und Arbeit oder durch nur einseitige von Kapital zu Arbeit.

Als daher, nach Vernichtung des antiken Grosshandels, zuerst in den Mittelmeerländern der Verkehr wiederum einen kräftigeren Aufschwung nimmt, begegnen wir alsbald zwei Formen der Vergesellschaftung. EHe eine, und zwar die älteste, ist die mittelalterliche commenda, die Gesellschaft mit beschränkter Haftung des Kapitalisten, ursprünglich für den überseeischen, später auch für den Binnenverkehr ver- wendet — sie bildet die Grundlage sowohl der heutigen Kom- manditgesellschaft wie der heutigen stillen Gesellschaft und findet sich früh in den verschiedensten Varietäten. Sie lehnt sich, nach sicheren Spuren, an bereits aus dem Alterthum überkommene Geschäftsformen an antikes »V;dgärrechte an. Wie der heutige, so hatte auch der mittelalterlich^ z. B.

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Alte und neue Fonnen der Huiddlge«eII«cluft. 327

venetianische oder genuesische Kapitalist sein Kapital meist in verschiedenen SpekiUationsuntemehmungen stecken und pflegte an jeder nur mit einem genau begrenzten Betrage be- theiligt zu sein , während sein durch Gewinnantheil inter- essirter, häufig kapitalloser Gesellschafter, mitunter auch ein Kommissionär oder Handelsbediensteter die Geschäfte auf eigenen Namen und so unter rechtlich unbeschränkter Haftung führte.

Dagegen in dem engeren Kreise der Familienangehörigen, insbesondere zwischen Brüdern (societas fratrum) oder sonst einander nahestehenden Personen, pflegte eine Zusammen- werfung des ganzen Vermögens oder doch beträchtlicher Theile desselben zu gemeinschaftlichem Geschäftsbetrieb auf gemein- schaftlichen Namen (die heutige Gesellschaftsfiima) stattzu- floden. So vornehmlich im Binnenverkehr, namentlich im Handwerk, in der Fabrikation, später auch im Bankwesen. In Folge dauernder Uebung bildete sich allmäUg der Ge- wohnheitsrechtssatz, dass die einzelnen Mitglieder einer solchen Gesellschaft einander aktiv und passiv vertreten, im Prinzip jeder für alle handeln dürfe, aber auch für alle solidarisch und unbeschränkt haften müsse. Endlich bestand die, wohl mit der ursprünglichen Familiengemeinschaft zusammenhängende Rechtsanschauung, dass das gemeinschaftliche Societätsgut ein durch die Societätszwecke rechtlich gebundenes gemeinschaft- liches SondervermOgen (iGesellschaftsvermOgeni) bilde, somit der einseitigen Verfügung der einzelnen socii oder deren Gläubiger entzogen sei. Mit alle dem und der Gesellschafts- firma, deren verbindlicher Gebrauch auf dem nun anerkannten Prinzip der freien Stellvertretung beruhte, war die, über das römische Recht hinausgehende feste Struktur derjenigen Gesell- schaftsart begründet, welche wir heute als offene Handels- gesellschaft (iKollektivgesellschaftc) bezeichnen.

EHe beiden Gesellschaftsarten haben sich wesentlich un- abhängig von einander entwickelt and stehen selbstständig neben einander. Die weit verbreitete Annahme, dass die Kommanditgesellschaft eine modiflzirte, nur unter besonderen Voraussetzungen statthafte Abart der offenen Handelsgesell- schaft sei, ist historisch wie dogmatisch gleich irrig. Nur haben beide Gesellschaftsarten auf einander eingewirkt, schon das spätere italienische, insbesondere aber das französische

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328 Alle und neue Pannen der Haadet^eselbdiaft.

Recht hat äe in zahlreichen Punkten und nicht immer un- bedenklich assimilirt; es hat »ch endlich hieran die schärfere Scheidung zweier Arten der alten commenda, nämlich der Kommanditgesellschaft einerseits und der stillen Gesellschaft andererseits geknüpft, welche in dem Deutschen Handels- gesetzbuch, zur Freude aller Bewunderer juristischer Sub- tQitäten, ebenso konsequent wie praktisch unglücklich durch- geführt ist.

Endhch gehört gleichfalls bereits dem italienischen Mittel- alter die dritte Hauptform unserer Handelsgesellschaften, näm- lich die Aktiengesellschaft an, welche auf dem Grund- gedanken zugleich veräusserlicher und vererblicher wie die Haftungsgrenze darstellender Antheile beruht. Allein sie wurzelt nicht, gleich den beiden ersten Formen, in Handel und Industrie, sondern im öffentlichen Anlehenswesen , findet sich zuerst als Kolonialgesellschaft und hat stets ein StUck pnbliztstischen Charakters bewahrt, wenngleich sie sachlich allmälig, insbesondere seit der völligen Freigebung der Aktien- vereinsbildung, auf den Boden des reinen Privatrechts ver- pflanzt worden ist. Zur Demokratisirung wie Mobilisining der Kapitalien und zu den nur dadurch ermöglichten gewaltigen wirthschaftlichen Unternehmungen, aber auch zu allen daran natut^emäss sich knüpfenden Gefahren und Missbrauchen bat sie mehr als irgend eine andere Gesellschaftsform beigetragen-, sie bewahrt die ihr naturgemäss anhaftenden Mangel als noth- wendige Korrelate ihrer grossen wirthschaftlichen Vorzüge.

Was gleichzeitig an ähnlichen, aber weniger scharf aus- geprägten Gesellschaftsbildungen im Gebiete der rein ger- manischen Handelsvtslker, etwa in Eteutschland und Skandinavien begegnet, ist, gleich vielen anderen germa- nischen Pnvatrechtsbildungen , schliesslich dem reicher und konsequenter durchbildeten romanischen Recht unterlegen. Am spätesten ist hier die reine Aktiengesellschaft durchgedrungen. Dagegen finden sich schon früh und anscheinend originär der- selben ähnliche gesellschaftliche Verbindungen, welchen ge- meinsam ist der Charakter eines iMehrheitsverbandesc mit vererblichen und veräusserlichen Antheilen an einem gewissen Sachenkomplex. Wenn die Grundlage des ursprünglichen Aktienvereins ein Kapitalfonds (mons, monte) bildet, welcher sich juristisch als ein Komplex von Anlehensfordenmgen gegen

Alte und neue Formen der Handeligeiellschsft. 329

den Staat darstellt, so ist hier das mehr sinnliche Substrat ein Bergwerk, ein Salzwerk, eine Mühle, ein Seeschiff mit seinem Zubehör. Die Miteigner dieses Sachenkomplexes stehen in einer eigenthUmlicben , bald mehr societätsmässigen , bald mehr korporativen Verbindung. So in den Gewerkschaften und Pfännerschaften, den Mtlhlengenosscnschaften, den Rhede- reien, den Gehöferschaften.

Während aber der Aktienverein sich immer schärfer zu einem reineo Kapitalverband entwickelt, mit dem ein fttr alle Mal festbegrenzten Grundkapital, dessen Antheile, mindestens im kontinentalen Recht, zugleich die maximale Haftungsgrenze für jeden einzelnen Theilnehmer darstellen, findet sich in diesen verwandten Gebilden sehr häufig, schliesslich gesetzlich das Zubussesystem anerkannt in Verbindung mit einem sehr merkwürdigen Abandonsystem. Die einzelnen Tbeilhaber sind so verbunden, unter Umständen auch über ihren arithmetisch begrenzten Wertbantheil an dem Gemeingut hinaas, zu den Lasten und Schulden des gemeinsamen Unternehmens bei- zutragen, sofern sie nicht durch Aufgabe ihres Antheils sich dieser Zubussepfltcht entziehen.

Sehen wir einstweilen von diesen, in wichtigen Beziehungen abweichenden Zubussegesellschaften ab, so gewinnen wir in den bezeichneten drei Grundformen der Gewerbsgesellschaft nach zwei Richtungen hin die charakteristischen Typen: einmal hinsichtlich des wirthschaftlich wie juristisch gleich wichtigen Eintheilungsgrundes nach der Kreditbasis, zweitens aber hinsichtlich der allgemeinen juristischen Gestaltung.

In erster Beziehung liegt es auf der Hand: dass die offene Geseilschaft ihren Kredit, somit das Maass ihrer Fähig- keit, Geschäfte auf Kredit einzugehen, der solidaren imd zu- gleich unbeschränkten Haftung aller Theilnehmer für die Ge- sellschaftsschulden entnimmt; dass gerade umgekehrt der Kredit der Aktiengesellschaft lediglich auf dem das einzige Haftungsobjekt der Gesellscbaftsgläubiger bildenden Vereinsgut beruht, der einzelne Aktionär überhaupt nicht ihafteti, son- dern nur bis zur MazimalhOhe seines Antheils oder seiner Antheile für die Gesellschaftsschulden ieinsteht< ; endlich dass die Kommanditgesellschaft und die stille Gesellschaft zwischen beiden die Mitte halten, indem zwar ein oder mehrere Gesell-

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330 Alte nnd ueae Form«a der Hudel^etdhchofl.

schafter unbeschränkt ftlr die Gesellschahsschulden haften, ein oder mehrere aber nur bis auf Höhe ihrer Einlage für die- selben einstehen, wobei dahingestellt bleiben mag, ob anch nur bei der Kommanditgesellschaft eine idirekte Haftung« der Kommanditisten anzunehmen ist oder sich empfiehlt.

Diese verschiedene Gestalt der Kreditbasis tritt somit her- vor in der verschiedenen Haftung nach aussen, und zwar nur darin, wahrend im Innern diese verschiedenen Gesellschaften ganz gleichartig sein können und der Vereinbarung der Be- theiligten freier Spielraum gelassen ist. So steht nichts im Wege, dass die offene Gesellschaft oder die Konunanditgesell- Schaft sich mit einem festen, in gleiche Grundtheile zerlegten Aktienkapital bildet, oder dass in der offenen Gesellschaft ein oder mehrere Gesellschafter gegen die übrigen eine nur be- grenzte Haftung übernehmen.

In der zweiten Beziehung unterliegt es keinem irgend gegründeten Zweifel, dass die Aktiengesellsdhaft eine juristi- sche Person ist, und zwar, nach ihren Überwiegenden Merk- malen Korporation, wenngleich mit wichtigen Elementen aus der zweiten Klasse der juristischen Personen, den sogenannten Anstalten oder Stiftungen, durchsetzt; durch die hier regel- mässigen Sonder- Vermögensrechte der einzelnen Theilhaber gegen den Verein unterscheidet sie sich zwar häufig thatsäch- lich, aber nicht begrifflich von solchen Korporationen, welchen diese korporativen Sonderrechte fehlen.

Umgekehrt sind weder die offene noch die Kommandit- Gesellschaft juristische Personen, sondern wahre, wenngleich in mannigfachen Beziehungen eigenthUmhch gestaltete Socie- taten. Der Kampf gegen die ganz schablonenhafte, änsser- liche Auffassung der französischen Doktrin, welche alle Handels- gesellschaften als juristische Personen behandelt, dürfte doch für die deutsche Theorie und Praxis im Wesentlichen ent- schieden sein, wenngleich noch immer nicht alle Konsequenzen der richtigen Auffassung gezogen werden. Vor mehr als 30 Jahren prophezeite mir in längerer Unterredung der scharf- sinnige und gelehrte, aber ganz französischrechtlich gebildete Referent der Nürnberger Handelsgesetzkommission, Geheim- rath Heimsoeth, ich würde »bei reiferer Einsicht midi der französischen Auffassung anschliessent ; heute darf ich kon- statiren, dass weder an mir, noch an der weit Überwiegenden

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Alle und neue Formen der Htndel^eKllKhafL 331

Mehrheit denkender Facbgenossen diese Propheieiung sich be- wahrheitet hat'.

Aber noch ein anderes Prinzip ist siegreich durchgekämpft worden. Gleichfalls im Anschluss an die damals für muster- giltig erachtete französische Gesetzgebung hatte der preussische Entwurf des Handelsgesetzbuches den verhänge] ssvollen Satz an die Spitze gestellt: >Das Gesetz erkennt drei Arten von Handelsgesellschaften an« 85), nämlich die bereits be- sprochenen drei Grundformen 86). Damit war der Kreis der Associationsformen gesetzlich geschlossen, das Handels- gesetzbuch für die einzige maassgebende Rechtsquelle erklärt. Auch diese schwerwiegenden Sätze sind gelallen". Man er- kannte, dass es unstatthaft sei, der durch die Entfaltung des Untemehmmigsgeistes hervorgerufenen Bildung neuer Gesell- schaftsformen einen gesetzlichen Riegel vorzuschieben. Ja es ist sogar neuerdings, nach freilich hartem Kampfe gegen die doktrinäre Befangenheit einflussreicher Praktiker , gelungen, die neue Gesellschaftsform der Erwerbs- und Wirthschafts- genossenschaften mit beschränkter Haftung zur gesetzlichen Anerkennung zu bringen und so, trotz mancher legislatorischen Missgriffe, der freien Bethätigung wirthschaftlicher Kräfte in der Hauptsache ausreichenden Spielraum zu gewähren.

Die Erwerbs- und Wirthschafts- Genossen- schaften bilden überhaupt eine besondere Gesellschaftsart, je nach ihrer besonderen Gestaltung den offenen oder den Aktien- gesellschaften verwandt, aber doch von beiden in dem wirth- schaftlichen wie dem juristischen Grundprinzip verschieden. In der Hauptsache bestimmt, Erganzungswirthschaften der in ihrer Selbstständigkeit verbleibenden Einzelwirthschaften zu sein, sind sie auf den Wechsel der Mitglieder und ihrer Kapi- talien berechnet, Gesellschaften mit freiem Ein- und Austritts- recht und deshalb auch mit wechselndem Kapital (sociät^s ä capital variable). Durch die in der Hauptsache richtige legis- lative Gestaltung dieser eigenthümitchen Gesellschaftsart haben

' Vgl. Laband, Bdtrige tar Dogmadk der Handelsgeidlsclufteii, Zeit*dir. r. du ges. Handelaecht, Bd. 30 S. 469 ff., Bd. 31 S. t ff. Gierke, I>ie Genonemcluftitheorie and die deutsche Rechttpicchung (Berlin 18S7} S. 435 ff.; Goldscilinidt, Sptem de* HaadeltrecbU im GrondriH, 3. Aufl. 1891 S. 118 ff. [4. Aufl. S. 129?.].

S. dagegen meine Kritik d. pieou. Entwarft, I (iSj?) S. 57 fr.

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332 Alte und neue Formen der HMtdeUgcullschaft.

■wir einen wichtigen Vorsprung gegenüber allen ausländischen Gesetzgebungen gewonnen, welche diese Gesellschattsart theils überhaupt nicht ausreichend normiren, theils, wie das franzö- sische Recht und die diesem nachgebildeten Gesetzbücher, unter die nicht geeigneten drei Hauptformen der Handelsgesell- schaft , als »modifizirte« offene , Kommandit - Aktien - Gesell- schaften, pressen '.

Haben wir uns hier und in manchen anderen wichtigen Rechtstheilen endlich von dem maassgebenden Vorbild des Auslandes frei gemacht, dürfen wir betonen, dass unser deut- sches Handelsrecht, dessen Doktrin und Praxis in der Haupt- sache auf eigenen Ftlssen steht, so wird begreiflich, dass wir im erfreulichen Gefühle .unserer Kraft es wagen, mit durchaus originellen Rechtsschöpfungen auch da vorzugeben, wo uns bisher Jedes Vorbild fremdländischer Gesetzgebung fehlt.

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Ein derartiger Versuch wird gegenwärtig gemacht. Der aus der Initiative hochangesehener Grossindustriellen hervor- gegangene, vom Reichsjustizamt ausgearbeitete, vom Bundes- rath genehmigte Entwurf eines Gesetzes überGesell- schaften mit beschränkter Haftbarkeit liegt dem Reichstage vor, hat nur vereinzelten Widerspruch erfahren und ist bereits mit geringen Modifikationen von der Kommission des Reichstages angenommen worden.

Aber wohlverstanden, es handelt sich um eine durch- aus neue, noch nirgends in der Welt erprobte Ge- sellschaftsform. Es verhält sich insbesondere ganz anders als bei den iGenossenschaften mit beschränkter Haftpflicht!, welche lange vor ihrer reichsgesetzlichen Regelung in grosser Zahl bestanden und sich bewährt hatten, zum Theil ohne gesetzlichen Schutz, zum Theil sogar, wenngleich unvoll- kommen, gesetzlich geregelt: in Bayern und Sachsen, in Oesterreich-Ungam , der Schweiz, den meisten europäischen Staaten. Es ist bekannt, dass die Urheber dieses jetzt greif-

' Goldschmidt, Eiwerbs- und Wirthictufts-GeiiotMnsctuften , Stadien und Vonchlfige, iSSa (ZeiUchi. f. dii gee. Hindelirecht Bd. 37 ü. i S.). Vgl. denselbeo: Die Erwerbs- und WirthschBru^etioNCiuchaften nich demRachi- gewtte vom i. Mai 18S9, ZdtKlir. Bd. 37 S. 33 ff.

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Alte und neue Fonnen der Handel^cKlUclwft 333

bare Form gewinnenden legislativen Gedankens, die Reichs- tagsabgeordneten Dr. Hammacher und Geheimrath Oechel- häuser , sehr verschiedene Grundprinzipien für die neue Gesellschaftsform vertreten haben, und es ist klar, dass der im Reichsjustizamt mit grossem technischen Gesdiick aus- gearbeitete Gesetzentwurf eine Art von Kompromiss zwischen diesen verschiedenen Grundgedanken erstrebt. Die leitenden Prinzipien desselben sind überwiegend den Grundsätzen des Aktienrechts, wichtige jedoch dem Recht der offenen Handels- gesellschaft, andere dem Recht der vorhin charakterisirten Zubussegesellschaftea (Gewerkschaft, Rhederei) entnommen.

Wenn hervorragende Kenner des deutschen Wirthschafts- lebens, wenn die Mehrzahl der deutschen Handelskammern darin Übereinstimmen, dass die bisher gesetzlich anerkannten Gesellschaftsformen für die Erreichung wirthschaftlicher Zwecke nicht ausreichen, so muss den so gekennzeichneten Interessen durch das positive Recht ausreichender Schutz verliehen werden. Insofern stehe ich der Gesetzesvorlage durchaus sympathisch gegenüber und erachte es für unzulässig, mit O.Bähr' dem legislativen Versuche mit der Behauptung ent- gegenzutreten, dass solcher nur dem iSchwindeh zu Gute kommen werde. Aber immerhin scheint mir grosse Vor- sicht geboten.

IDen Hinweis darauf, dass in England sich angeblich gleiche Gesellschaften bereits erprobt hätten, vermag ich nicht als begründet anzuerkennen. Bekanntlich lässt das englische Recht abgesehen von einigen , neuerdings vermehrten Fällen ' weder die Kommandit- noch die stille Gesellschaft 2U, vielmehr besteht prinzipiell für Gesellschaften mit be- schränkter Haftbarkeit lediglich die Form der Aktiengesell- schaft, aber diese ist gesetzlich auch solchen Gesellschaften zugänglich gemacht, welche nicht Aktiengesellschaften im technischen Sinne unseres Rechts sein wollen. Denn indem das englische Aktiengesetz von 1862 gestattet, dass das im Prospekt oder Statut normirte und registrirte Grundkapital ein nur nominelles bleibt, d. h. dass die Aktiengesellschaft als

>G«se1lschanea mit b«scbTSnkter Haflaog'. GreDiboten, Februar 1893. * Ges. T. ;. Juli 1865 u. Ges. t. 14- Augast 1R90 s. 2, 3. (Zeitschr. f. das gM. Handelsr. X S. m, XXXIX S. 540.)

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334 Alu nnd neue Fonneo der HandebgetellKluft.

Korporation ins Leben bitt, sobald Überhaupt nur die noth- wendigen sieben Mitglieder je eine Aktie gezeichnet haben, ergibt sich die rechtliche Möglichkeit, dass unter dem Namen einer Aktiengesellschaft mit einem gewollten Grundkapital von 10000 JP, getheilt in 100 Aktien, sich sieben Personen zu einer korporativen Gesellschaft verbinden, deren wirklich ge- zeichnetes Gesellschaftskapital nur 700 £ beträgt EMese an- geblich erprobten Gesellschaften des englischen Rechts mit beschränkter Haftbarkeit sind somit formell fertige, materiell unfertige wir wurden sagen; missbräucfaüche Aktioi- gesellschaften, und ob sich beispielsweise solche auf 10000 ^ projektirte, aber mit einem Kapital von nur 700 |f ins Leben getretene Gesellschaften in WirkUchkeit bewährt haben, ist, trotz mehrfacher Bemühungen, mir zu ergrflnden nicht ge- lungen. Ohnehin dürfte um so mehr von dem angeblichen englischen Vorbild abzusehen sein, als bekannthch seit ge- raumer Zeit in England selbst emstitcb erwogen wird, ob nicht ein wirklich vollgezeichnetes Grundkapital an Stelle des nur nominellen Grundkapitals zu setzen sei, womit denn diese eigenthUmliche Abart einer nur formellen Aktiengesellschaft selbstverständlich sofort ausgeschlossen wäre. Im Uebrigen kennt freilich das englische Recht zwei Formen der Aküen- gesellschaft, welche sich der bei uns projektirten Gesellschafts- form nähern : die verhältnissmässig seltene Aktiengesellschaft >limited by guaranteec und diejenige Aktiengesellschaft, deren Statut bestimmt, dass eine gewisse Rate des Aktiennominal- werths erst eingefordert werden dOrfe, wenn dies bei der Liquidation bezw. im Konkurse erforderlich wird (sog. >reserve liabilityi); beide Arten sind wahre Aktiengesellschaften, aber materiell mit Zubussepflicht

Ich gehe mithin von der Unterstellung aus, dass das Be- dUrfniss nach Schaffung einer neuen, und zwar noch nirgends erprobten Gesellschaftsform vorliegt, und will nicht mit den Befürwortern derselben und den Motiven des Regienmgs- entwurfs untersuchen, in welchen Fällen und aus welchen Gründen die bisher anerkannten Gesellschaftsformen nicht zu- reichen; denn in dieser Richtung Hesse sich ja sehr streiten. Nur Zweierlei wäre zu betonen:

Obwohl ich, im Gegensatz zu Bahr, das Prinzip der be- schränkten Haftung keineswegs perhorrescire und die von

Alte und Dcne Fonnen dei HaDddtgaellschaft. 335

Bahr drastisch angemalte Unsicherheit aller Kreditverhält- □isse von deren Anerkennung keineswegs befürchte, vielmehr finde, dass der schmählichste Kreditmissbrauch, nämlich die gewissenloseste und frivolste Verschleuderung fremder Kapi- talien auch unter dem System der unbeschränkten Haftung stattzufinden pflegt, desgleichen dass der Einsicht des Publi- kums die Prüfung überlassen werden muss, inwieweit es Ge- sellschaften mit beschränkter Haftbarkeit, welche sieb )a als solche anzukündigen haben, Kredit schenken will so besteht doch unleugbar die Gefahr, dass mit deren Anerkennung auch wirklich potente Kapitalisten und auch in solchen Fällen, wo innere GrUnde eine solche Beschränkung nicht rechtfertigen, das bequemere, weil weniger verantwortungsvolle Sjretem der beschränkten Haftung wählen werden. Im Prinzip sind un- zweifelhaft die offene Gesellschaft, ja die Kommandit- und stille Gesellschaft solider und kreditwürdiger als die Gesell- schaften mit nur beschränkter Haftbarkeit aller Theilnehmer; es erscheint daher nicht geratben, die letzteren auf Kosten der ersteren zu begünstigen. Ein Unternehmen, von wenigen Per- sonen betrieben, für welches Niemand im äussersten Falle die unbeschränkte Verantwortlichkeit übernehmen will, dürfte nur unter ganz besonderen Umständen wirthschaftUch gerecht- fertigt sein. Es steht zu befürchten, dass die neue Gesell- schaftsform der offenen Gesellschaft, der Kommandit- und stillen Gesellschaft, desgleichen der unter Umständen sehr an- gezeigten Kommanditgesellschaft auf Aktien eine keineswegs unbedenkliche Konkurrenz^ in dem Sinne machen wird , dass nunmehr mit Vorliebe die neue Gesellschaftsform gewählt wird. Ja gerade hierin, in der Gefahr der Verdrängung dieser prinzipiell solideren Gesellschaftsformen, nicht, wie von Bahr und Anderen betont wird, in der be- fürchteten Konkurrenz mit den Aktiengesellschaften, möchte ich die Hauptbedenken gegen die Gesetzesvorlage finden.

Ich habe früher einmal, in meinen iStudien über Erwerbs- und Wirthschaftsgenossenschafteai den Satz ausgesprochen, »es sei wünschenswerth, durch das Bewusstsein unbeschränkter, wenn auch nur im äussersten Falle eintretender gegenseitiger Verantwortlichkeit sowohl das sittlich spornende und ver- edelnde Gefühl innerer Zusammengehörigkeit zu stärken, wie auf eine möglichst umfassende Mitthätigkeit oder doch Kon-

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336 Alte und nene Formen der Hondel^eselitchAft.

trole jedes einzelnen Mitgliedes hinzuwirkenc ; femer, dass »wo die Möglichkeit des steten eigenen Eingreifens, der eigenen Aufsicht und Leitung besteht, kein Grund vorliegt, von der prinzipiell unbeschränkten Haftung auch für die Handltugen beauftragter Dritter und Genossen abzugeheat. An diesen Sätzen halte ich unbedingt fest. Es erscheint mir äusserst bedenklich, mit der Gesetzesvorlage schlechthin die beschränkte Haftung aller Mitglieder zum Beispiel in solchen Fällen zu- zulassen, wo ein wirthschaftliches Unternehmen auf mehrere Erben gelangt, wo der bisherige AUeinuntemehmer das Ge- schäft an zwei oder mehr Personen veränssert oder neben diesen nur noch mit einem gewissen Kapital betheiligt bleiben will. Sicherlich ist es in allen diesen Fällen bequemer, falls die beschränkte Haftbarkeit aller Betheiligten zugelassen wird; aber ohne Hinzutritt besonderer Umstände vermag ich in dieser Bequemlichkeit keinen ausreichenden Grund fUr die Auf- gabe des naturgemässen Haftungsprinzips zu finden.

Zweitens ist die Frage nicht zu umgehen, ob denn solche Unternehmungen, für welche die beschränkte Haftbarkeit aller Betheiligten angemessen erscheint, nicht, wie bisher, in der Form der Aktiengesellschaften ihre ausreichende Ge- staltung finden können.

Zunächst will ich wiederholen, dass ich von der projek- tirten Gesellschaftsform keineswegs, wie Bahr anninomt, eine erhebliche Gefährdung des bestehenden Aktiengesellschafts- rechts besorge. Zwar sollen auch hier die Geschäftsantbeile vererblich und veräusserlich, allein es soll zu deren Abtretung schlechthin ein in gerichtlicher oder notarieller Form geschlossener Vertrag erforderlich sein. Damit scheiden die Geschäftsantbeile dieser Gesellschaften aus dem Kreise der •Börsenwerthe* aus. Wo die bßrsenmässige Aktiengesell- schaft indicirt ist, welche für ihre Papiere einen Markt sucht, ist die neue Gesellschaftsform unbrauchbar; sie könnte daher nur den wenig gefährlichen Aktiengesellschaften, deren Aktien in einem engen Kreise Betheiligter oder deren Rechtsnach- folger wesentlich stabil bleiben, ernstliche Konkurrenz be- reiten.

Aber es bleibt, wie bemerkt, die Frage, weshalb nicht für solche Gesellschaften die durch unser Aktiengesetz keineswegs ausgeschlossene Form von nur unter erschwerenden Voraus-

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Alte und neue ForraeD der HandeltgeEellscbift. 337

Setzungen Übertragbaren Antheilsscheinen gewählt wird, wäh- rend im Uebrigen es fur sie bei dem bestehenden Recht der Aktiengesellschaften bewendet. Dem werden zwei Gründe entgegen gehalten:

Einmal wird behauptet, dass unser Aktienrecht, ins- besondere das neue Gesetz von 1884 dem Unternehmungsgeist kaum Uberwindliche Schranken gezogen habe. Man findet diese insbesondere in den lästigen Gründungsvorscbriften und in der gesetzlichen Verantwortlichkeit des Aufsichtsraths, fuhrt auch die allerdings sehr schwerfällige und wenig übersicht- liche Form des neuen Aktiengesetzes ins Feld. Nun fühle ich mich nicht berufen, für die letztere eine Lanze einzulegen ; dagegen kann ich keineswegs in den prinzipiellen Tadel gegen den materiellen Inhalt dieses Gesetzes einstimmen, finde auch nicht, dass dasselbe erfahrungsmässig gute oder schlechte Gründungen verhindert hat. Mindestens aber wäre es sehr verkehrt, das vor Kurzem nach langen mühseligen Vorarbeiten erlassene Aktiengesetz dadurch indirekt zu beseitigen, dass man die Bildung von Gesellschaften mit durchaus gleichen Zielen ohne die strengen Vorschriften dieses Gesetzes ge- stattet. Sind wirklich diese Vorschriften eine unerträgliche Fessel des Unternehmungsgeistes, so möge man an die direkte Reform des Aktiengesetzes gehen, und man würde in dem so gerne gepriesenen englischen Recht mindestens ein aus- reichendes Vorbild für sehr häufige legislatorische Wande- lungen des Aktiengesellschaftsrechts finden.

Viel gewichtiger ist ein zweites Bedenken. Es gibt in der That Unternehmungen, für welche die Vorschriften unseres Aktiengesetzes undurchführbar oder doch unzweckmässig er- scheinen, obwohl diese Unternehmungen nur unter beschränkter Haftbarkeit aller Betheiligten durchgeführt werden können. Aus diesem Grunde sind bekanntlich durch das Reichsgesetz vom 19. März 1888 die deutschen Kolonialgesellschaften von der strikten Innehaltung des Aktiengesetzes eximirt, indem das Reichsgesetz ihre Geschäfts- und Gerichtsfähigkeit aus- schliesslich an einen Beschluss des Bundesraths auf Grund ihres vom Reichskanzler genehmigten Statuts geknüpft hat. Da es nun aber unmöglich erscheint, auf diesem Wege der Spezialgesetzgebung allen begründeten Sonderinteressen ge- recht zu werden, so muss versucht werden, für solche Sonder-

Goldichmidt, VermUcbte Scheißen, n.

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338 Alte und neue Formell der HandebgeaellschsfL

Interessen eine altgemeine Norm zu geben. Aber hier darf, nach meiner Ueberzeugung , die Gesetzgebung nur insoweit ihren Arm bieten, als ein unzweifelhaft begründetes Interesse vorliegt, welches in der Form der bestehenden oder zu refor- mirenden allgemeinen Gesetze seine angemessene Befriedigung nicht zu finden vermag.

Ich vermag als solches lediglich die erstrebte Zu- bussepflicht anzuerkennen.

Im Gegensatz zu dem vorhin geschilderten englischen Aktiengesetz, welches thatsächlich die Möglichkeit einer Kapi- talserweiterung wie Kapitalsreduktioo nach wechselndem Be- dürfniss zulässt, beruht bekanntlich unser kontinentales Aktien- recht auf dem starren Grundprinzip des fixirten, in seiner statutenmässigen Höhe sogleich, noch vor der Konstituirung durch Zeichnung zu sichernden Grundkapitals. Freilich ist es möglich, und z. B. bei den Versicherungsgesellschaften au( Aktien sogar allgemein üblich, dass die Volleinzahlung des gezeichneten Grundkapitals Über das gesetzlich nothwendige Viertel hinaus sich nur allmälig nach Bedürfniss oder gar nur eventuell vollzieht, aber weder kann der Aktionär die ge- hörig ausgeschriebene Einzahlung der rückständigen Raten rechtlich weigern, noch hat umgekehrt der Aktienverein einen Rechtsanspruch gegen die Aktionäre auf theilweise Zurück- nahme der geleisteten Einlagen oder auf Zuschüsse. Soll eine Verminderung des Betriebskapitals unter das Grundkapital stattfinden, so bleibt nur der umständliche und schwierige Weg der gesetzmässigen Kapitalsreduktion ; soll eine Erhöhung des Betriebskapitals über das Grundkapital hinaus eintreten, so bleibt nur der sehr bedenkliche Weg der Belastung durch Schuldaufnahme, namentlich durch sogenannte Prioritätsobli- gationen, oder der Versuch einer beschlussmässigen Erhöhung des Grundkapitals, welcher nicht nur thatsächlich scheitern kann , sondern auch rechtlich an dem Widerspruch eines Viertels des in der Generalversammlung vertretenen Grund- kapitals scheitert. Desgleichen lässt sich das durch die General- versammlung erhöhte Grundkapital nur im Wege der gesetz- mässigen Reduktion wiederum mindern. Kurz : die mangelnde Elastizität des ursprünglichen oder erhöhten Grundkapitals verhindert die kontinentale Aktiengesellschaft, sich völlig den wechselnden Bedürfnissen des kaufmännischen Unternehmens

Alte nud oeae Formen der H>ndel«geKUtchafi. 339

anzapassec. Hier erscheint eine Aushülfe angezeigt, indem das System der Zubussegesellschaften in geeigneter Weise an- erkannt wird.

Von diesem Bedürfniss aus hat bekanntlich die ganze auf die neue Gesellschaftsform gerichtete Bewegung ihren Aus- gangspunkt genonmien, und nur in der Befriedigung dieses Bedürfnisses vermag ich für jetzt einen ausreichenden Grund zu erkennen, neben der Aktiengesellschaft eine neue Form der Kapitalgesellschaft zu schaffen.

Es ist bereits erwähnt, dass in den Kreisen der Betheiligten zwei Hauptansichten gegenüberstanden und noch stehen, welche mit den ScJilagworten der >individualistischen< und der >kollek- tivistischenc Gesellschaft charakterisirt werden. Nach der einen soll die neue Gesellschaftsform in der Hauptsache jPer- sooengesellschaft.^ sein und denjenigen Bedürfnissen dienen, welche man bisher in der Form der offenen wie der Kom- mandit- oder stillen Gesellschaft zu befriedigen gewohnt war. Nach der zweiten soll dieselbe wesentlich >Kapitalgesell- schaftt sein und in der Hauptsache, obwohl mit dem Zu- bussesystem , also in Anlehnung an die Gewerkschaft, die Stelle der Aktiengesellschaft vertreten können. Je nachdem der eine oder der andere Gesichtspunkt an die Spitze ge- stellt wird, muss die Gesammtgestaltung der neuen Gesell- schaftsform eine ganz verschiedene sein.

Der Entwurf vermittelt. Er nimmt in der Hauptsache das sogenannte kollektivistische System an, ordnet demgemäss die neue Gesellschaftsfornj nach Art der Aktiengesellschaft, lässt aber durch seine Vorschriften die Möglichkeit offen, dass diese Gesellschaft sich auch mehr nach Art der offenen oder der Kommanditgesellschaft organisirt, ja lediglich denjenigen Bedürfnissen dient, welche herkömmlich in Form dieser Gesell- schaften befriedigt zu werden pflegen.

So heisst es z. B. in § 6:

»ist im Gesellschaftsvertrage bestimmt, dass sämmt- liche Gesellschafter zur Geschäftsführung berechtigt sein sollem u. s. f.

§ 7. »Sind mehr als drei zu Geschäftsführern nicht bestellte Gesellschafter vorhanden» u. s. f.

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340 AI'' ""^ »'<" Formen der HaadebgeMlltcluft.

Es ist also an Gesellschaften auch von wenigen, vielleidit nur zwei oder drei Theilnehmem gedacht.

Insbesondere ^nd in den §§ 46 ff. für die Verhältnisse unter den Gesellschaftern nur subsidiäre gesetzliche Vor- schriften aufgestellt, so dass es z. B. einerseits den Gesell- schaftern unverwehrt ist, das Prinzip der Stimmeceinhelligkeit fUr alle GesellschaftsbeschlUsse festzusetzen, andererseits die komplizirte Form eines mit Generalversammlung und Auf- sichtsrath ausgestatteten Mehrheitsverbandes zu wählen.

In den Beschlüssen der Reichstagskommission ist das individualistische Element sogar noch verstärkt, insbesondere durch Zulassung der Personenfirma neben der vom Entwurf allein gestatteten Sachfirma.

Nun habe ich weder gegen die möglichste Elastizität dieses neuen Gesellschaftsrechts, noch gegen die Weitherzig- feeit, mit welcher man gewisse Rechtssätze der offenen und der Aktiengesellschaft zu kombiniren versucht hat, einen prinzipiellen Einwand. Aber ich mochte doch darauf hin- weisen, dass Kombination nicht innerliche Verschmelzung ist. und dass diametral entgegengesetzte Grundgedanken sich nicht verschmelzen lassen. Und auch praktisch erachte ich es für äusserst bedenklich, wie schon oben hervorgehoben, eine wesent- lich > individualistische! Gesellschaft, welche naturgemäss nach der civilen Societät oder nach der offenen Handelsgesellschaft oder Kommanditgesellschaft artet, unter das System der be- schränkten Haftbarkeit zu stellen, da diese in allen festgeord- neten Instituten unseres geltenden Rechts nur als Korrelat der in gewissem Sinne unpersönlichen Betheiligung an dem Unternehmen, der Nothwendigkeit, dasselbe durch fremde Ver- walter zu führen, erscheint: bei der Kommandit- und stillen Gesellschaft, bei der beschränkten Haftung des Rheders und der Rhederei, bei der Gewerkschaft, der Aktiengesellschaft u. s. f.

Es wird sich sogleich in einer sehr wichtigen Frage zeigen, dass diese Weitherzigkeit des Entwurfs zu völlig unzulässigen Konsequenzen führt.

Noch bedenklicher dUnkt mir ein zweiter Punkt. Ist. wie bemerkt, das treibende und durchaus anerkennenswertbe Motiv für die Bildung einer neuen Gesellschaftsform in erster Linie die Ermöglichung der Zubusse- oder Nachschusspflicht so erscheint es doch schwer begreiflich, dass nach §§ 26 fl.

Alte und neue Fonnea der Handeliges«ll9chifl. 341

diese Nachschusspflicht eine nur fakultative ist, und dass solche, wenn sie im Gesellschaftsvertrag auf einen bestimmten Betrag festgesetzt wird, auf einen beliebigen, nur nach Verhältniss der Gesellschaftsantheile festzusetzenden Betrag bestimmt werden kann. Mit anderen Worten: Die neue Gesell- schaft mit beschränkter Haftung ist nur dann Zu- bussegesellschaft, wenn sie es sein will, und wenn sie es will, so kann die Zubussepflicht eine illusorische sein, z. B. giltig auf '/lo des Geschäftsantheils, also etwa auf 50 M. festgesetzt werden. Ich finde nicht, dass ein praktisches Bedürfniss für Gesellschaften dieser Art erkennbar ist. Wenn die Motive des Gesetzentwurfs vornehmlich mit der Rüben- zuckeraktiengesellschaft exemphfiziren , welche sich nach der neuen Gesellschaftsform bilden könnte, weil diese neben den Kapitalbeiträgen auch anderweitige Betheiligung zulasse, so ist dies freilich richtig; aber ich denke doch , dass man jene sehr wichtigen Gesellschaften und andere ähnliche Arten, welche Aktiengesellschaften sein wollen, auch als solche, nämlich als eigenthümliche Aktiengesellschaften auf- recht erhalten sollte, erforderlichen Falls im Wege der gesetz- lichen Deklaration. Die , übrigens völlig difforme Recht- sprechung des Reichsgerichts, welche ihre Existenz bedroht, vermag ich keineswegs als überzeugend anzuerkennen und freue mich, dass diese Rechtsprechung neuerdings in der sehr lesenswerthen Abhandlung von Landgerichtsrath Lippmann' eine beherzigenswerthe Kritik gefunden hat.

IV.

Gegen den Entwurf hat Bahr einen sehr gewichtigen Einwurf erhoben, welcher, soviel ich sehe, von der Presse nicht genügend gewürdigt worden ist. Er sagt, man dürfe nicht die beliebige Kreirung von juristischen Personen ohne Staatsgenehmigung gestatten.

Ich stehe nun freilich auf einem durchaus abweichenden prinzipiellen Standpunkt. Nicht nur erachte ich die Freigebung der Korporationsbildung unter gesetzlichen Bedingungen fUr ein unabweisliches Bedürfniss, sondern ich nehme auch an, dass, soweit nicht die freilich vorherrschende Landesgesetz-

' Zeittchr. f. das get. Handelsrecht Bd. 39 S. 116 fT.

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342 -^'tE i""^ "'"^ Formell der HiudeUgeiellschari.

gebung entgegensteht, nach dem gehenden gemeinen Recht der freien Korporationsbildung nur diejenigen Schranken gezogen sind, welche in der Natur der Sache, nämlich in der Art der Verbindung selbst gelegen sind. Wird zu erlaubtem dauern- dem Zweck eine Verbindung derart errichtet, dass sie die Interessen nicht lediglich zeitiger, sondern auch ktlnftiger Mit- glieder durchzuführen bestimmt ist, gibt sie sich eine dem entsprechende Organisation, will sie endlich für die entstehen- den Verbindlichkeiten lediglich mit ihrem Vermögen einstehen, oder soll doch die Haftung auch ihrer einzelnen Mitgheder eine nur subsidiäre sein, so ist diese Verbindung ihrem Wesen nach eine Korporation'. Die Aufgabe der Gesetzgebung kann hier meines Erachtens in der Regel nur darin bestehen , die Voraussetzungen genau zu präzisiren, unter welchen eine der- artige Verbindung das Recht hat, als juristische Person an- erkannt zu werden. Auf diesen Standpunkt hat sich auch die zur Zeit tagende Kommission für die zweite Lesung des Ent- wurfs eines börgertichen Gesetzbuches gestellt und eine ent- sprechende, sorgfältig redigirte Vorlage beschlossen. Des- gleichen ist durch neuere Reichsgesetze und Landesgesetze solchen Verbindungen, welche den Erfordernissen dieser Ge- setze entsprechen, dadurch implicite die juristische Persönlich- keit verliehen, dass sie ihnen alle Attribute derselben bei- gelegt haben. Die ganz korrekte Formel, welcher sich her- kömmlich unsere neueren Gesetze zu diesem Behufe bedienen, ist vorbildlich in Art. 213 des Handelsgesetzbuches dahin aufgestellt:

»Die Aktiengesellschaft als solche hat selbst- ständig ihre Rechte und Pflichten c, während die hervorgehobenen Worte konsequent bei allen denjenigen Verbindungen fehlen, welchen die gleiche juristische Struktur fehlt, wie der offenen Gesellschaft, der Kommandit- gesellschaft, einschliesslich der Kommanditgesellschaft auf Aktien, der Rhederei u. dergl.

Mit dieser korrekten Formel ist auch der wunderliche Missgriff J h e r i n g ' s , welchen jetzt merkwürdiger Weise .■sogar O. Bahr als eine Errungenschaft der gesunden Wissen-

< Mein Vortrag auf dem 8, deutschea Jaristentag 1869 (Verhandl. II S. 43 ff,) n. mein S}>ttem des Haudelirechts im GnmdriH, 3. Aufl. (1891) S. 13011: [4. Aufl. S. 131fr.].

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Alte und ueue Formen dei HandebgeKllEchafl. 343

Schaft preist, zurückgewiesen, dass Subjekte des Korporations- vermögens bezw, Anstaltsvermögens die jeweiligea Mitglieder oder die Destinatare seien. Das dürfte doch einigermaassen an die naive Auffassung des Wilden heute würden wir vornehmer »des Urmenschen* sagen erinnern, welcher die berühmte > Stadtgemeinde Berlin* zu sehen wünscht und sich dieselbe nur in der Person des Oberbürgermeisters oder etwa in dem Magistratskollegium oder in der, vielleicht in der Hasenhaide versammelten Einwohnerschaft vorzustellen vermag. Diese Identifizirung des freilich zeitig wechselnden sinnlichen Substrats mit der diesen Wechsel überdauernden idealen Per- sönlichkeit wäre der ungeheuerlichste Rückschritt, den die Wissenschaft des Rechts machen könnte. Nun sagt auch § 13 unseres Entwurfs:

>Die Gesellschaft mit beschränkter Haftung als

solche hat selbstständig ihre Rechte tmd Pfüch-

tenf u. s. f.

Diese Bestimmung ist auch in der Reichstagskommission

nicht geändert und anscheinend gar nicht einmal monirt

worden. Wenn aber die Motive zu § 13 bemerken:

»Die Frage, ob eine Gesellschaft mit beschränkter Haftimg als juristische Person zu betrachten ist, soll damit nicht entschieden werden ; sie ist wesentlich theo- retischer Natur und muss deshalb der Wissenschaft überlassen bleiben*, so stehen diese Motive mit Wortlaut wie Inhalt des Gesetz- entwurfs in unversöhnlichem Widerspruch. Unter einer Gesell- schaft , welche »als solche selbstständig ihre Rechte wid pflichten hat«, versteht die Theorie und muss die Theorie ver- stehen, will sie anders nicht völlig vernunftwidrig denken, eine juristische Person. Es ist bemerkenswerth , dass in den § 17 des neuen Genossenschaftsgesetzes vom 1. Mai 1889 die Reichstagskommission die Worte »als solche selbstständig* It^diglich deshalb eingefügt hat, um dadurch die juristische Persönlichkeit der eingetragenen Genossenschaft zum zweifel- losen Ausdruck zu bringen.

Trotz des Protestes der Motive wird es also dabei bleiben, dass jede den gesetzlichen Erfordernissen entsprechende Gesell- schaft mit beschränkter Haftung als juristische Person gelten soll; auch werden die Verfasser des Entwurfs wohl selbst

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344 Alte und neue Fonoen der Htuidelsgesellichaft

schwerlich annehmen, dass zwar in gewissen Fällen das an- zuerkennen sei, in andern nicht, denn der Rechtssatz des § 13 macht keine Unterscheidungen.

Setzen wir nun den Fall, dass der Fabrikant A, welcher bisher sein Geschäft allein oder mit einem offenen Gesell- schafter oder Kommanditisten betrieben hat, das Unternehmen in eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung umwandelt, und zwar entweder, indem er sich mit seinem bisherigen Gesell- schafter in diesem Sinne einigt, oder, indem er etwa einen Sohn oder auch etwa zwei Töchter oder Schwiegersöhne in das Geschäft aufnimmt. Er selbst behält von dem festgesetzten Stammkapital von 50000 M. 40000 M., die anderen Gesell- schafter B und C sind insgesammt mit 10000 M. betheiligt-, alle drei oder vielleicht auch nur A oder nur B und C sind Geschäftsführer. Der Geselfschaftsvertrag ist auf die Dauer eines Jahres geschlossen. Damit soll eine »juristische Persont geschaffen sein, also ein ideales Wesen, welches sein eigenes, allein für die Schulden haftendes Vennögen hat! Ist das wirklich glaublich und, wenn das positive Gesetz es vor- schreiben sollte, zweckmässig? Hier zeigt sich recht drastisch, dass die Formel der juristischen Person zwar passt für die aktienartigen, auf einen umfassenden und normaler Weise wechselnden Personenbestand berechneten Kapitalgesellschaften, nicht aber für ganz individualistische Personenverbindungen, welche man durch die gleichen gesetzlichen Vorschriften glaubt regeln zu können.

Hält man dies für überhaupt durchführbar, so muss man mindestens eine Formel streichen, welche nur fUr erstere an- gemessen erscheint, und sich damit begnügen, den neuen Gesell- schaften dasjenige Maass von selbstständiger Geschäftsfähig- keit und Parteifähigkeit zu sichern, welches allen Gewerbs- Handelsgesellschaften, insbesondere auch der offenen und Kommanditgesellschaft, gesetzlich (Handelsgesetzbuch Art. 111, 164) zukommt.

V.

Wenn der Entwurf über das praktische BedUrfniss hinaus auch solche Gesellschaften normirt, welche gar nicht 2u- bussegesellschaften sein wollen, so greift er in anderen

Alto tmd neue Fonii«ii dei HuideltKe«ellieIuft 345

Beziehungen noch tiefer in unser gesammtes bürgerliches und Handelsrecht ein.

Nach § 1 können Gesellschaften mit beschränkter Haftung nach Maassgabe dieses Gesetzes zu jedem gesetzlich zulässigen Zweck errichtet werden, sind also, so errichtet, juristische Personen. Also nicht einmal ein Erwerbszweck, geschweige denn ein Handelszweck, für dessen Befriedigung durch die neue Gesellschaftsfonn bisher allein ein Bedtirfniss er- kennbar hervorgetreten ist, soll erforderlich sein. Jede Ver- bindung zu irgend einem nicht ungesetzlichen politischen, socialen, religiösen, gemeinnutzigen, geselligen Zweck kann sich fortan in dieser Form und zwar als Korporation bilden. Auch dann, wenn diese Verbindung gar nicht die natur- gemässen Merkmale einer Korporation an sich trägt, sondern eine vielleicht ganz vorübergehende Vereinigung zur Befriedi- gung ganz individueller Bedtlrfnisse weniger Personen ist Freilich ist das bereits gegenwärtig möglich, wenn die Form der Aktiengesellschaft oder der Kommanditgesellschaft auf Aktien gewählt wird, und es fehlt nicht an drastischen Er- scheinungen der Art aber es ist doch klar, dass diese wunderliche Bildung von Pseudohandelsgesellschaften durch das neue Gesetz in hohem Maasse erleichtert wird. Und während in der Kommission für das bürgerliche Gesetzbuch, unter lebhaftem Meinungsstreit imd anscheinend gegen den Widerspruch der prenssischen Regierung versucht wird, die gesetzlichen Voraussetzungen der freien Korporationsbildung genau zu fiiiren, statulrt ein anderes Reichsgesetz kurzer Hand: wenn sich zwei oder mehr Personen als Gesellschaft mit be- schränkter Haftung mit einem Nominalkapital von mindestens 20000 M. unter gewissen, auf das Leichteste erfüllbaren Be- dingungen registriren lassen, so bilden sie eine juristische Person! Das macht doch nahezu den Eindruck, als ob es im Deutschen Reich zwei verschiedene Welten gäbe, von denen jede völlig unabhängig von der andern regiert wird.

Weiter soll, nach § 13 unseres Entwurfs, jede Gesell- schaft mit beschränkter Haftung als Handelsgesellschaft im Sinne des D.H.G.B.s, somit gemäss Art. 5 des H.G£.s auch als Kaufmann im Sinne dieses Gesetzes gelten. Also: sie ist allen kaufmännischen Rechten, Begünstigungen, Pflichten unterworfen; ihre Geschäfte sind als Geschäfte im Gewerbe

346 ^t^ '""^ »c**« Fonnen d«r HaDdeligeseUtchaft.

schlechthin Handelsgeschäfte (Art. 273), und alle ihre Ge- schäfte, welche Geschäfte im Gewerbe sein können, gelten präsumtiv als solche (Art. 274); sie hat als Beklagte vor der Kanuner des Landgerichts für Handelssachen Recht zu nehmen u. s. f. Alk diese Gesellschaften sind , a&ch §§ 7, 8 des Entwurfs, in das Handelsregister einzutragen, über- haupt sind sie, ihre Geschäfte, Prozesse, schlechthin dem Handelsrecht unterstellt. Nun dürfte ich für meine Person wohl vor dem Verdacht geschützt sein, dass ich die berech- tigte Sphäre des Handelsrechts einzuengen bezwecke aber einer solchen schrankenlosen, vOtlig unübersehbaren Kom- merzialisirung etwa einer beliebigen Studentenverbindung oder eines politischen Klubs oder selbst einer landwirthschaftltcfaen Gesellschaft möchte ich doch entschieden widersprechen. Es war keineswegs mibedenklich, dass bereits die Aktiennovelle vom 11. Juni 1870 alle Aktiengesellschaften und Kommandit- gesellschaften auf Aktien, dass weiter das Genossenschafts- gesetz alle eingetragenen Erwerbs- und Wirthschaftsgenossen- schaften, auch solche, welche jedem Handelsbetrieb im weitesten Sinne ferne stehen, für Kaufleute im Sinne des H.G.B^ er- klärt hat. Aber diese gesetzliche Fiktion verschwindet gegen die ganz unübersehbare Tragweite des gegenwärtigen Entwurfs.

Es erscheint mir keineswegs rathsam, dass die bürger- liche Gesellschaft, zumal die nicht auf Erwerb abzielende, sieb auf alle Wege des Handelsrechts begiebt, noch gar, dass das Gesetz die heterogensten Verbindungen lediglich ihrer Form willen schlechthin dem Handelsrecht unterwirfL Wenn, wie ähnlich schon das schweizerische Obligationenrecht, der Ent- wurf des bürgerlichen Gesetzbuches erster Lesung es den Er- werbsgesellschaften, welche nicht Handel^eseUschaften and, gestattet, sich vertragsmässig den Vorschriften der offenen Handelsgesellschaft, somit insbesondere der unbeschränkten und solidaren Haftung aller Mitglieder, zu unterwerfen, so lässt sich dafür immerhin anfuhren, dass die so gewonnene verstärkte Kreditbasis der Gesammtheit zu Gute konomt allein das GegentheU, nämlich die Exemtion von der un- beschränkten Haftung fUr alle Bevölkenmgsklassen zu be- günstigen, dürfte doch durch keinerlei Gründe geboten sein. Und wenn z. B. der gegenwärtige Art. 10 des D.H.G3^

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Alle and neue Formen der Huidelteetdliduft. 347

die sogenannten MiaderkauQeute, zu denen ja auch alle Gast- wirthe gehören, von der Association im Wege der offenen und der K<Hnnianditge5el]schaft ausschliesst, sollte es mit diesem noch bestehenden Verbote verträglich sein, ihnen die Gesellschaft mit beschränkter Haftung als selbstverständlich willkommenen Ausweg zu eröffnen, dieselben somit anf diesen noch unerprobten und sicherlich nicht tmgefährlichen Weg geradezu hinzuweisen?

VI.

Gestatten Sie mir zum Schlüsse eine allgemeine Bemerkung, welche meinen prinzipiellen Standpunkt gegenüber dieser Ge- setzesTorlage etwas genauer präzisirt

Ich habe mich Zeit meines Lebens entschieden gegen Gelegenheitsgesetze und soweit möglich gegen Stück- gesetzgebung erklärt. Als kurze Zeit nach Errichtung des Deutschen Reichs sehr angesehene Mitglieder des Reichs- tags, ich nenne nur Lasker, die ursprünglich beschränkte Kompetenz der Reichsgeset^ebung auf das gesammte bürgerliche Recht ausgedehnt wissen wollten, aber nicht zu dem Zwecke, um ein gemeinsames bürgerliches Gesetzbuch zu schaffen, sondern um die Möglichkeit beliebiger gesetz- geberischer Eingriffe des Reichs in das bestehende Privatrecht der Einzelstaaten zu gewinnen, habe ich zwar die erstrebte Ausdehnung der Reichskompetenz lebhaft befürwortet, aber nur unter der Voraussetzung und zu dem Zwecke, um die volle Rechtseinheit durchzuführen*. Und nur im Anschluss an meine Ausfuhrungen hat die bayerische Regierung ihren Widerstand gegen die Erweiterung der Reichskompetenz auf- gegeben % so dass durch Reichsgesetz vom 20. Dezember 1873 diese Kompetenzerweiterung sanktiontrt, sogleich aber die Ein- leitung zur gemeinsamen Kodifikation des bürgerlichen Rechts getroffen wurde.

Als Referent der Vorkommission für das bürgerliche Gesetzbuch habe ich, unter Zustimmung meiner Herren Kollegen, verlangt, dass alsbald und gleichzeitig mit der Bearbeitung

Hein Vortrag >UebeT die Notbw«ndigkeil «in«* d«uUchen Ziril- geKtibacbK vom il. Hai 1871. (Wocbauchrift : Im Nenen Reich. LeipuE 1873, No. 13.)

> Die AktenitUcke i. B. in Hirtli'i Annalen 1874, S. 330ff.

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348 Alte und neue FormcD der Handeli^esellacbaft.

des bflrgerlichea Gesetzbuchs die Revision des Handelsgesetz- buchs vorbereitet werden solle, und der Bundesrath hat sich unsem Vorschlagen durchaus angeschlossen'. Wir erwarteten freilich damals und durften erwarten, dass der erste Entwurf des bürgerlichen Gesetzbuchs in etwa fünf Jahren hergestellt und dass alsdann die in der Zwischenzeit vorbereitete Revision des Handelsgesetzbuchs sogleich in Angriff genommen würde. Inzwischen sind 18 Jahre verflossen, und immer mehr wächst die Gefahr, dass stückweise der Boden unseres geltenden Rechts durchlöchert oder je nachdem ergänzt wird, ohne dass bei dem Einzelgesetz dessen direkte oder indirekte Rückwirkung auf das gesammte Rechtssystem in aller Scharbe ins Auge gefasst wird. Ich spreche damit keinen Tadel gegen die Männer aus, welche ein solches Gesetz verlangt haben, noch gegen die ReichsjustizbehSrde, welche den wirthschaftlichen Gedanken eine in der Hauptsache angemessene juristische Form gegeben hat.

Aber dieses nun einmal unvermeidlich gewordene Spezial- gesetz darf doch nicht über das als nnabweislich erkamite Bedürfniss hinausgeben, und es darf nicht denjenigen legis- lativen Feststellungen vorgreifen, welche mit voller Sicherheit nur im Zusammenhange der ganzen bürgerlichen und Handels- gesetzgebuog getroffen werden können.

Ich möchte die hier entwickelten Gesichtspunkte in Kürze dahin zusammenfassen:

Es ist durchaus anzuerkennen, dass der vorliegende Gesetz- entwurf, ungehemmt von doktrinären Bedenken, dem wirth- schaftlichen Unternehmungsgeist, welcher in Deutschland nur zu sehr damiederliegt, freiere Bahnen eröffnet und eine in der Hauptsache zweckmässig geordnete neue Gesellschaftsform auf- stellt, deren einzelne Prinzipien sorgfältig erwogen, geschickt und in klarer Weise formulirt sind.

Aber er schiesst, meines Erachtens, sehr weit über das erkennbare Bedürfniss hinaus und ist in seiner gegenwärtigen Gestalt geeignet, unsere sämmtlichen , altbewährten Formen der Handelsgesellschaft in sehr bedenklicher Weise zu er- schüttern, nicht am wenigsten dadurch, dass er der nur unter Umständen angemessenen Begrenzung der Haftung wirksamen

Die Aktenstücke i. B. in der Z^tscbrift fttr du ge». Hudelnecht, Bd. lo S. 134 fr. in meinem Anfuttze die Kodifikation da deiMschen bV^er- liehen und HandeUrechti ; rgl. auch Bd. I Nr. 6 dieMT Sfmm''i"gi

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Alte und neu« Formen der Hudel^cKllKhaft. 349

Vorschub leistet. In diesem Sinn, und ohne in die Einzelheiten einzugehen, will ich mich mit folgenden Vorschlägen begnügen :

1. Der Entwurf bat sich auf Gesellschaften zu Handels- zwecken, worin ja auch die meisten sogenannten Industrie- zwecke einbegriffen sind, zu beschränken; sollte es aber un- umgänglich erscheinen, auch das dem Handel nicht angehörige Handwerk, die Urproduktion (Landwirthschaft, Fischerei), end- lich gar das Immobil iarbauge werbe zu umfassen, so durfte er doch nur das Gewerbe, d. h. das dem Gewinnzweck bestimmte Unternehmen, treffen.

2. Gesellschaften mit beschränkter Haftung sind nur als Zubussegesellschaften zuzulassen ; ist die Zubusse im Statut auf einen bestimmten Maximalbetrag festgesetzt, so darf dieser nicht unter der Hafte des Geschäftsaatheils betragen.

3. Die konstruktive Frage, ob die so geregelten Gesell- schaften als juristische Personen zu gelten haben, ist vom Gesetz lediglich der Wissenschaft und Praxis zu überlassen. Es muss daher der Satz des § 13 >als solche hat selbstständig ihre Rechte und Pflichten« wegfallen. Es ist denkbar, dass je nach der Sachlage die juristische Persönlichkeit anzuerkennen oder zu verneinen sein wird.

Naehwort

Der Abschluss des vorstehend besprochenen Gesetzentwurfs ist in so ungewöhnlicher Weise beeilt worden, dass auch die bescheidensten Bedenken nicht haben berücksichtigt werden können. Zwei Tage nach Ausgabe des Kommissionsberichts, am Tage, da dieser Vortrag gehalten wurde (19. März)|, ist der Entwurf in zweiter Lesung und bereits in der nächsten Sitzung {21. März) vom Reichstage in dritter Lesung, beide Male en bloc, angenommen worden ' .

r dem 20. Apnl 1S93 im R.G.BI. S. 477 fr. ver-

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DIE

HAFTPFLICHT DER GENOSSEN

UHD DAS

UMLAGEVERFAHREN.

(1888.)

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Vertreter zahlreicher Erwerbs- und Wirthschafts-Genossen- schaften haben mich um eine eingehend begründete Meinungsäusserung über zwei wichtige, zur Zeit in den Ge- nossenschaftskreisen lebhaft erörterte Fragen ersucht

Ich komme diesem Wunsche nach, weil ich es für meine Pflicht halte, in der gegenwärtig ihrem Abschluss nahen neuen Ge- nossenschaftsgesetzgebung die richtigen Grundsätze nach bester ELcsicht zur Geltung zu bringen. Wenn auf dem letzten (29.) am 31. August 1888 zu Erfurt abgehaltenen Allgemeinen Ver- einstage der deutschen Erwerbs- und Wirthschafts-Genossen- schaften, ungeachtet eifriger Befürwortung des Genossenschaits- anwalts, nur eine sehr knappe Mehrheit (78 gegen 71 Stimmen) den Einzelangriff adoptirt, andererseits der Verband der schle- sischen Genossenschaften auf dem zu Warmbrunn am 19./20. Juni 1888 abgehaltenen Verbandstage nach sehr grUndhcher Erörterung mit grosser Mehrheit ' den Einzelangriff reprobirt hat, so dürften die nachfolgenden Ausführungen vielleicht in ■weiteren Kreisen aufklarend wirken, ja sogar zeitige Gegner des hier vertretenen Standpunktes von dessen Richtigkeit zu überzeugen geeignet sein.

Ueber die mir vorgelegten Fragen habe ich mich be- reits wiederholt ausgesprochen. Das erste Mal in memer 1882 erschienenen Schrift »Erwerbs- und Wirtbschafts-Genossen- schaften. Studien und Vorschlägec (aus der Zeitschrift für das gesammte Handelsrecht Bd. 27 S. 1 118 besonders ab- gedruckt), und es beruht, wie hier ein für alle Mal bemerkt -werden soll, auf einem schwer erklärlichen Irrthum, wenn neuerdings in Öffentlichen Verhandlungen und in der Genossen- schaftspresse wiederholt von Vertheidigem der im Gesetz-

. s. 41—59.

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354 1^ Haftpflicht der GenoMMt and du UmlageverfabKD.

entwurf aufgestellten Grundsätze in Abrede gestellt worden ist, dass meine Schrift sich völlig unzweideutig gegen diese Grundsatze erklärt.

Das zweite Mal mündlich und sehr eingehend als Mit- glied der vom Reichsjustizamt zur Berathung über den Ent- wurf des Genossenschaftsgesetzes im November 1887 ein- berufenen Sachverständigenkonferenz. Und zwar habe ich hier ausdrücklich zu Protokoll erklärt, dass ich, falls gewisse von mir entschieden bekämpfte Grundsätze beibehalten würden, nicht in der Lage sei, dem unzweifelhafte und wich- tige Verbesserungen des zur Zeit geltenden Gesetzes enthalten- den Entwurf zuzustimmen. Mein so bestimmt formulirter Widerspruch beschränkte sich auf drei Punkte, unter welchen sich gerade die beiden hier in Rede stehenden befinden.

Die erste Frage betrifft die Statthaftigkeit des Einzel- angriffs von Genossenschaftsgläubigem gegen die noch haften- den Genossen. Die zweite betrifft die Betheiligung aus- geschiedener, aber den Genossenschaftsgläubigem noch haften- der Genossen am Umiageverfahren.

Diese beiden Fragen stehen zwar in einem gewissen Zu- sammenhang, aber derselbe ist nicht ein logisch nothwendiger. Man kann die eine verneinen und die andere bejahen; ins- besondere würde für den Gesetzgeber aus der Verneinung der zweiten Frage nicht, wie behauptet wird, die allgemeine, nidit unterscheidende Bejahung der ersten Frage folgen.

Für die Entscheidung beider Fragen sind, da es sich um eine durchgreifend reformirende, zum erheblichen Theil ganz neues Recht schaffende Gesetzgebung handelt, in erster Linie Erwägungen der Zweckmässigkeit oder wirthschaft- liehen Nothwendigkeit maassgebend; die sog, >junstiscbe Konsequenz^, wenngleich sicherlich zu erstreben, und die An- forderungen sog. »juristischer Konstruktion» stehen dabei überall in zweiter Linie. Sogar für das einzelne Gesetz ist aus Zweck- mässigkeitsgründen eine Abweichung von den leitenden Prin- zipien dieses Gesetzes unter Umständen geboten. Noch weniger schwer würde eine Abweichung einzelner, ja vielM" Bestimmungen dieses Gesetzes von sog. >allgemeinen juristi- schen Prinzipien« wiegen. Dieser für die Gesetzgebung ja ganz selbstverständliche Standpunkt wird nur zu häufig vergessen, und gerade in den hier vorliegenden Fragen wird häufig he-

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Die Haftpflicht der Genossen und das UmlagererfibreD. 355

hauptet, dass der eine Weg priazipgemäss , der entgegen- stehende »prinzipwidrig sei. Aber was man »juristische Prinzipienc nennt, ist nichts von selbst Gegebenes und ftir alle Zeit Feststehendes, sondern aus dem jeder Zeit geltenden Recht entnommen, und modifizirt sich mit dessen Aenderung. Denn alles Recht ist nicht um seiner selbst willen da, sondern um vernünftigen socialen Zwecken zu dienen, es soll die ver- nunftige, d. h. dem Wesen, der Natur dieser sozialen Lebensverhältnisse entsprechende Ordnung sein. Es ist um so vollkommener, je mehr sein Inhalt dieser obersten Auf- gabe entspricht, mag dabei auch die abstrakte Logik nicht in allen FNmkten durchgeführt werden, oder mag die Theorie Mühe haben, die Bestimmungen des Gesetzes in ihre Kate- gorien einzuschachteln. Die wirklich rechtsschöpferische Kraft eines Gesetzgebers würde sich ein Armuthszeugniss ausstellen, wollte sie hinter angeblich zwingenden, häufig sogar miss- verstandenen »Rechtsprinzipien« Deckung suchen gegen den begründeten Vorwurf, dass die gesetzlichen Bestimmungen zweckwidrig, unangemessen, verkünstelt seien. Derjenige Ge- setzgeber , welcher sich . der wirklich lebendigen Rechtsideen seiner Zeit vollkommen bemächtigt, braucht niemals den Vor- wurf (?) zu scheuen, dass er sich aus Zweckmässigkeitsgründen, um des öffentlichen Nutzens willen, im Gemeinioteresse Ab- Tveichungen von der logischen Schablone erlaubt habe. Ja, nicht selten pulsirt, wie einer der grössten Juristen aller Zeiten, Rudolf von Jhering, sehr zutreffend gezeigt hat, gerade in diesen anscheinenden Abweichungen das allein lebendige Recht. Ein grosser Theil z. B. unseres geltenden und gewiss nothwendigen Handelsrechts ist in scharfem Gegensatz zu den iPrinzipien« des bisherigen Rechts zu maassgebender Geltung gelangt.

Ohnehin dürfte die genauere juristische Analyse «rgeben, dass nicht die Statthaftigkeit des Einzelangriffs, son- dern dessen Ausschliessung den richtig verstandenen Rechtsprinzipien des deutschen Genossenschaftsrechts ent- spricht; dass somit nicht, wie behauptet wird (z. B. in den Blättern für Genossenschaftswesen 1888 Nr. 32 S. 257), die früheren Gegner des Einzelangriffs »bei schärferer Prüfung der Rechtsfrage« sich bekehren müssten, vielmehr das gerade Gegentheil hiervon wahr ist.

33«

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356 ^'' Haftpflicht der Genoueo und du UmlagCTcrialueD.

In beiden Fragen weiss ich mich, lu meiner Genugthmuig, einig mit dem Begründer der deutschen Genossenschaften und des deutschen Genossenschahsrechts, mit Schulze-Delitzsch und der mindestens bis vor ganz kurzer Zeit in den Kreisen der deutschen Genossenschaften anscheinend wider- spruchslos herrschenden Ueberzeugung. Dem Ver- dacht einer bHnden Vergötterung des trefflichen Mannes, dem ich in wichtigsten Prinzipienfragen , insbesondere hin- sichtlich der Zulassung von Genossenschaften mit beschränkter Haftung, wiederholt sehr scharf entgegengetreten bin, werde ich schwerlich ausgesetzt sein. Zu meiner grossen Freude haben wir uns schliesslich in allen wesentlichen Punkten ge- einigt'. Aber die jetzt in weiten Kreisen und sogar von leitender Stelle in Verbands- und Vereins- Versammlungen auf- gestellte Behauptung, dass Schulze-Delitzsch dem Einzel- angriff in derjenigen, freilich abgeschwächten Gestalt welche der vorliegende Entwurf sanktioniren will, seine Zu- stimmung ertheilt haben würde, scheint mir doch darchans grundlos. Sie steht in unlösbarem Widerspruch zu dem, was Schulze-Delitzsch jeder Zeit in Schrift und Wort, auch mir gegenüber in zahlreichen diesen Gegenstand be- treffenden mündlichen Erörterungen erklärt hat.

Schulze-Delitzsch und ich gingen darin vOlUg einig, dass durch ein reformirtes, in die Geschäftsabwicklung der sich auflösenden Genossenschaft an gehöriger Stelle ein- gefügtes Umlageverfahren der schädliche Einzelangriff überflüssig gemacht und demzufolge beseitigt werden solle. Dass, wie bereitwillig anerkannt werden soll, das Umlage- verfahren als Bestandtheil des Konkursverfahrens in dem jetzt vorliegenden Entwurf juristisch korrekter gestaltet ist. als in den Entwürfen Schulzes, ändert in der Sache nichts. Denn gleichviel, ob man Schulzes aussergericht- liches, die Konkurseröffnung suspendirendes Umlage verfahren annimmt, oder, mit dem vorliegenden Entwurf, das provi- sorische Umlageverfahren zu einem Vorschussverfahren inner- halb des bereits eröffneten Konkurses gestaltet, demnächst aber. nach beiden Systemen, ein definitives Umlageverfahren (Nach-

Siehe namentlich Schulze-Delitisch , Material lur RevnJoa de» Ge- nossen sc haftsgeselies (iSBj), insUes. S. 66/67.

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Die Haflpäichl der Genossen und dai UmlB£everfa.hreD. 357

schussverfahren) im Kookurse folgen lässt: sachlich ergibt sich nach beiden Ordnungen, dass die Aufgabe des gleich- viel wie gestalteten Umlageverfahrens (Vorschuss- und Nach- schussverfahrens) die v o 1 1 e Befriedigung der Genossenschafts- gläubiger bildet und mittelst dieses Verfahrens erreicht ■werden soll. Auf dieser den Schulzeschen Entwürfen und dem jetzt vorliegenden Gesetzentwurf gemeinsamen materiellen Grundlage beruhen sämmtliche, insbesondere in den Jahren 1881 und 1883 aufgestellten Vorschläge, und als Schlussstein dieses, somit dem jetzigen Entwurf wie den Schulze sehen Entwürfen gemeinsamen Systems hat Schulze jeder Zeit die völlige Beseitigung des Einzel- angriffs proklamirt. In diesem Sinne hat Schulze und hat nach Schulzes Tode der gegenwärtige Genossenschafts- anwalt die bekaimtlicb einmüthige Zustimmung der beiden Allgemeinen Vereinstage (Kassel 1881, Plauen 1887) fUr das projektirte verbesserte Umlageverfahren ge- funden.

Das ganze Material liegt aktenmässig in der von Schulze selbst unmittelbar vor seinem Tode veröffentlichten Schrift vor: Material zur Revision des Genossenscbaftsgesetzes, 1883, S. 28 ff., 38 ff. Ais denjenigen Punkt, auf den Schulze selbst den «höchsten Werthi legt, bezeichnet er wiederholt, z. B. S. 45, vgl. auch S. 68, die durch die Umgestaltung des Umlagever- fahrens ermöglichte »Aufhebung des Einzelangriffsc '. Obwohl nun Schulzes so häufige Erörterungen dieser Frage vielleicht nicht immer auf einer völlig eindringenden theoretischen Rechtskenntniss beruhen, so war er doch sicherlich, was viel mehr sagen will, ein rechtsschöpfe- rischer Kopf, der auf dem sicheren Grunde einer selten trügenden tiefen Rechtsüberzeugung stand. Gleich den Schöffen des alten deutschen Gerichtswesens entnahm er seine An- schauung von dem, was recht und billig sei, der eigenen Brust, mitunter zu wenig bekümmert um die korrekte wissenschaft- liche Begründung, aber doch in der grossen Schule reichster

Siehe auch meine oben S. 35J cjtirte Scbrift S. 6zS., intbet. S. 67 a. Dr. J, K. Heri, Di« Novellen und Anträge zum Genossenscliaft^eieU, be- sprochen and erliatert, 1883, S. izi C

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35S I^'c HaftpfücbC der GeuoMen und du Umlagevei&liren.

Lebenseriahning gegen schwere Irrungen gefeit. Als er sich von der praktischen Unzulänglichkeit des deutschen Genossen- schahsgesetzes überzeugt und in rastloser Verbessemngsarbeit endlich den Weg gefunden hatte, auf dem sich der nach seiner allmälig zum unerschütterlichen Grundsatz durchgebildeten Ueberzeugung der ebenso schädliche wie unnöthige Einzel- angriff beseitigen liess, hat er dieses Credo rastlos vertreten. Er hätte sicherlich auch dem vorliegenden Entwurf gegenüber die gleiche Haltung eingenommen und in dieser für ihn wichtigsten Frage jedes Kompromiss abgelehnt.

Nicht minder fest stand seine Ueberzeugung, dass nur die Heranziehung der noch haftenden, wenngleich ausgeschiedenen Genossen zum Umlageverfahren eine völlig befriedigende Ge- staltung desselben ermögliche und im wohlverstandenen Inter- esse aller Betheiligten liege.

Wenn ihm eine allseitig, auch den theoretischen Juristen befriedigende Begründung seines Standpunktes nicht gelungen ist, so darf ihm daraus kein Vorwurf gemacht werden. Die spezifisch juristischen Fragen liegen eben nicht ganz einfach und sie hängen auf das Engste zusammen mit der tieferen Einsicht in die Verschiedenheit der Haftungs- prinzipien, deren wissenschaftlichen Aufhau ich erst 1882 in meiner Schrift (S. 35—45) versucht habe. Diesen Auf- bau will ich in Nachstehendem vervollständigen und hoffe da- mit das sichere Rechtsfundament der uns gemeinsamen Ueberzeugungen klarzulegen.

I. Der Einzelangriff der Genossensohaftsgläubiger.

Vor etwa 1750 Jahren wurde es im römischen Weltreich als eine schwere Unbilhgkeit empfunden, dass die an sich solidarisch und mit ihrem ganzen Vermögen haftenden mehreren Bürgen der gleichen Schuld (Mitbürgen, confidejussores) auf das Ganze (in solidum) verurtheilt wurden, ungeachtet der Gläubiger durch Solvenz und Belangbarkeit Aller ausreichend gesichert erschien.

Daher gewährte Kaiser Hadrian in diesem Falle später erfolgte die Ausdehnung auf andere, wirklich oder anscheinend gleichgeartete Fälle von Solidarschulden die Rechts- wohlthat der Theilung (beneficium oder auxilium divi-

Der Einielacgriff der GenosscDscluiflBgläDbiger. 359

siOBis) derart , dass zwar das Prinzip der Solidar- haftung aufrecht erhalten blieb, aber doch der Gläubiger nur von allen Mitbürgen zusammen Befriedigung ver- langen konnte; es fand also unter diesen solidarisch haftenden Mitbürgen eine Theilung oder, was dasselbe sagen will, eine Umlage der Schuld statt, aber so, dass der Gläubiger nichts verlor, vielmehr die Antheile (Umlagequoten) der etwa wegen Insolvenz oder Nichtbelangbarkeit ausfallenden Mitbürgen von den solventen mitgetragen werden mussten. Ursprünglich und zweckmässig scheint dabei bereits bei der Prozesseinleitung (vor dem Praetor in iure) ein »Umlageverfahren* regulirt worden zu sein '.

Nun gerieth das gehörig geordnete Umlageverfahren in späterer Zeit meist in Vergessenheit, es wurde die zweck- mässige imodifizirte Solidarhaftc häufig missverständ- lich mit der reinen iTheilhaftt , die ja für den Gläubiger äusserst lästig und gefährdend ist, verwechselt. So erklärt sich, dass in der modernen Rechtsentwicklung eine Abneigung gegen diese sog. iRechtswohlthat oder Einrede der Theilungc entstand. Das preussische Allgemeine Landrecht und einzelne andere Gesetzgebungen haben sie beseitigt und auch der gegen- wärtig vorliegende Entwurf eines bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich §§ 324, 673 [B.G.B. § 769] ver- wirft sie. Immerhin besteht sie nicht nur in den Gebieten des gemeinen imd französischen Rechts noch unverändert fort, soweit nicht die Solidarschuldner auf diese Rechtswohl- that unzweideutig verzichtet haben oder die gebieterischen strengen Anforderungen des Handelskredits diese Modi- fikation der SoUdarhaft ausschliessen ' , sondern es gibt un- zweifelhaft zahlreiche Fälle, in welchen das regellose Heraus- greifen eines von mehreren, insbesondere von sehr zahlreichen Schuldgenossen auch einer sehr strengen Rechtsanschauung als ungehörig, ja unbillig erscheint Insbesondere gilt dies von solchen Fällen, wo nach der vernünftigen Regel des Ver-

Diem wichtige RechtsinsUtul habe ich in neuester Zeit (1SS7) geDaner untenucht and d*reettellt: »ergl. meine AbhandlnDg Über Btirgtchaft nnd Tlleiliahlnng, in den Jahrbtlcbem fUl die Dogmatik da heatigen römischen und deutlichen PriTUrechu von Jhering u, A., Bd, XXVI S. 354ff-

Deutsche Wechielordnung Art. 81. Deutsches HuidcUgesettbnch Art.

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360 I^'B Haftpflicht der Genosten uod das UmligeverfaliTen.

kebrs und in Gemässheit der für solche Zwecke getroffenen Einrichtungen nur eine verständig geregelte Ge- sammthaft erwartet werden darf.

Nun beruhte bekanntlich ursprünglich die statutarische, in Altpreussen auch die gesetzliche Haftung der dem sog. »Solidar- prinzipi unterstellten Erwerbs- und Wirthschafts- Genossen- schaften auf den drei leitenden Grundsätzen der direkten, der solidarischen und der unbeschränkten (persönlichen) Haft Diese Maximen waren , wie allgemein anerkannt ist ' , durch das maassgebende preusstsche bürgerliche Recht, durch das im Wesentlichen benutzte , obwohl nicht zutreffende Vorbild der offenen Handelsgesellschaft, den wichtigen Vorgang des da- maligen englischen Rechts, insbesondere aber durch die Noth- wendigkeit diktirt, der ganz neuen Schöpfung durch Annahme der strengsten Haftungsgrundsätze den schwer zu erlangenden Kredit wie das Wohlwollen des Gesetzgebers zu gewinnen.

An diesen Maximen hielt daher wesentlich noch das erste (preussische) Genossenschaftsgesetz vom 27. März 1867 fest immerhin schon mit der wichtigen, den Schulze'schen Ent- würfen entsprechenden Abschwächung , dass die beibehaltene direkte und unmodifizirte Solidarhaft der Genossen sich auf den im Liquidations- bezw. Konkursfall erlittenen Ausfall be- schränkt: Ges. § 11, verb. mit § 50 Abs. 5, somit die prin- zipale Plaftung fUr die ganze Genossenschaftsschuld zu einer subsidiären Haftung für die Ausfallschuld umgewandelt wurde, wobei es denn auch wesentlich in dem geltenden Bundes- gesetz vom 4. Juli 1868 §§ 12, 51 Abs. 5 verblieben ist

Aber den Intentionen Schulze-Delitzschs entsprach dieses preussische Gesetz nur sehr unvollkommen. Denn be- reits in § 36 seines (zweiten) 1863 aufgestellten Gesetzentwurfs hatte Schulze-Delitzsch nach dem Vorgange der bei einzelnen sächsischen Kreditgenossenschaften getroffenen Ein- richtungen — ein besonderes »Verfahren zur Realisirung der Solidarhaft« vorgesehen und in der Hauptsache dahin for- mulirt:

»Nach Prüfung des eingereichten oder vom Konkurs- gericht festgestellten Vermögensstatus setzt das Ge- richt den Betrag derjenigen Summe, die zur vollen

Verfil. mein« Schtift S. 45 ff. Motive S. 46 ff.

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Der EiDislangriff der GenouemctimfUelinbiger. 361

Befriedigung der Vereinsgläubiger erforderlich ist, durch Dekret fest und vertheilt dieselbe auf sämmt- liche haftbaren, gegenwärtigen und früheren Mitgheder des Vereins gleichmässig« . Dieser Vorschlag, welcher so alsbald nach Auflösung der Genossenschaft ein gerichtlich geordnetes Umlagever- fahren postulirte, fand, obwohl im Prinzip gebilligt, doch, wegen prozessualer Schwierigkeiten nicht die Zustimmung der Kom- mission des preussischen Abgeordnetenhauses (1863) und wurde von Schulze-Delitzsch einstweilen fallen gelassen, aber mit besserem Erfolge in seinem Entwurf des Genossenschafts- gesetzes für den Norddeutschen Bund wieder aufgenommen, von der Keichstagskommission »als wichtigste Ergänzung des preussischen Gesetzes und als Forderung des Gemeinwohles* mit geringen Aenderungen angenommen, endlich von der Civilprozesskommission in derjenigen Gestalt, in welcher er die §§ 52 62 des geltenden Gesetzes bildet, formulirt.

Bei diesem wichtigen und unzweifelhaft wohlthätigen Schritte hat aber weder Schulze-Delitzsch selbst, noch haben die Verfasser des geltenden, in höchster Eile voll- endeten Gesetzes (denn der vom 16, Juni 1868 datirende Be- riebt mit Antrag der Civilprozesskommission ist sogleich ohne jede Aenderung vom Bundesrath und in der letzten Sitzung des Reichstages am 20. Juni, wenige Stunden vor dem Schlüsse der Session, en bloc angenommen worden) ein klares Bewusst- sein von der prinzipiellen Bedeutung des Umlageverfahrens gehabt, vielleicht auch absichtlich, weil das noch neue Institut der Genossenschaften nach ihrer Ueberzeugung ohne die volle direkte Solidarhaft nicht lebenskräftig erschien, es unterlassen, die nothwendigen Konsequenzen zu ziehen.

Es unterliegt nämlich nach dem Inhalt des Gesetzes und nach dem Gange der Verhandlungen ' keinem Zweifel , dass das Umlage verfahren wesentlich nur im Interesse der Genossen, nämlich in Bezug auf ihre gegenseitigen Rückgriffsrechte und dem entsprechende Deckungspflicht, behufs Abschneidung ver- wickelter Regressprozesse geordnet ist, demgemäss zwar den

S. BusfUbrlich Parisius. Die GenouenscbafttKCietie im Deutschen Reiche (lil76) S. 375 378: Reinarti, Die eingetragene Genouenscbaft »Is Korporation, besonderä deren Liquidalions- , Konkura- (i38a) S. 97-1°^-

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362 ^i' HaftpSicht der Genots«ii uod das UmUgeverfabren-

Genossen tioter eiDaoder, nicht aber den Gläubigem der Ge- nossenschaft Recht und Pflicht gewährt. Zutreffend beisst es in den Motiven des vorliegenden Gesetzentwurfs S. 58, 59, vergl. S. 45, von dem Umlageverfahren des geltenden Ge- setzes:

»Die Beitragspflicht (zum Umlageverfahren) soll zwar das hauptsachlichste Mittel zur Befriedigung der Genossenschaftsgläubiger bilden; trotzdem trägt nach dem (geltenden) Gesetz die Beitragspflicht nicht ihr Fundament in sich selbst, sondern es wird hierza ein an und für sich ausserhalb desselben liegendes Moment nämlich die subsidiäre Garantiebaft der einzelnen Ge- nossen in der Weise herangezogen, dass die Beitrags- pflicht nur als ein Ausfluss der in Folge möglicher Geltendmachung der direkten Haftung zu erwartenden gegenseitigen Regressrechte der Genossen erscheint. Die praktische Folge dieser Konstruktion ist, dass weder die Gläubiger noch die Ge- nossenschaft als solche in dem (Umlage-) Ver- fahren eine Stelle finden*. Daher gehen, ganz unabhängig von dem Um- lageverfahren, das Konkursverfahren wider die Genossen- schaft und die Klagerechte der einzelnen Gläubiger wider die einzelnen Genossen ihre eigenen Wege und es wird, wie in § 52 des Entwurfs der Reichstagskommissitm : iUebrigens wird durch das vorstehende Verfahren an dem Rechte der Genossenschaftsgläubiger, wegen der im Konkurs an ihren Forderungen erÜttenen Aus- fälle die Genossenschafter solidarisch in Anspruch zu nehmen, nichts geändert«, so im § 62, vgl. § 52 des geltenden Gesetzes, vgl. auch § 197 der Reichs-Konkursordnung, das Recht des Einzelangriffs ohne jede Rechtswohlthat der Theilung in aller Schärfe aufrecht erhalten.

Mit anderen Worten : das Umlageverfahren, welches nach seinem praktischen Gehalt und seiner wirthschaftUchen Ten- denz nur eine Gestalt des beneficium divisionis ist, somit zwar thatsächlich die Rückgriffsprozesse unter mehreren Solidar- schuldnern abschneidet, aber doch rechtlich nur dadurch, dass es diese Solidarschuldner dem Gläubiger gegenüber nur als

Der EinieUngrifT der Genossenschaflsgliubiger. 363

Gesammtheit haften Usst, hat unversehens die gerade um- gekehrte Gestalt eines die Solidarschuldner (Genossen) recht- lich nicht schützenden , dagegen den Regress unter ihnen rechtlich abschneidenden Verfahrens erhalten. Diese ganze, auf mangelhafter Einsicht in die wahre Natur des Umlage- verfahrens beruhende Struktur desselben ist juristisch und praktisch eine verfehlte. Dieser verhängnissvolle Irr- thum wirkt noch gegenwärtig fort.

Thatsächlich freilich gestaltete sich auch das so mangelhaft geregelte Umlageverfahren zu dem praktisch wich- tigsten Bestandtheil des Genossenschaftsrechts. Jeder Genosse rechnete darauf, nur im Wege des Umlageverfahrens in An- spruch genommen zu werden, somit im ungünstigsten Falle freilich solidar (ungetheilt für die ganze Schuld) einstehen zu müssen, aber doch nicht anders, als wenn den Genossen wirk- lich die Rechtswohlthat der Theilung zustände, somit nur für die durch Insolvenz oder Unbelangbarkeit einzelner Genossen ausfallende Repartitionsquoten. Nicht rechtlich, aber that- sächlich war die direkte Haftung der einzelnen Genossen gegen die einzelnen Gläubiger durch die sog. indirekte Haf- tung, d. h. durch die blosse Deckungspflicht gegen die Ge- nossenschaft, die absolute Solidarhaft durch die modifizirte Solidarhaft, d. h. die Solidarhaft mit Theilungswohlthat ersetzt. Machten aber einmal ausnahmsweise Gläubiger von ihrem unzweifelhaften Recht des direkten Einzelangriffs für die ganze Ausfallsschuld Ge- brauch, so wurde dies allgemein als eine schwere Schädigung, ja als eine materielle Ungerechtig- keit (Unbilligkeit) empfunden. Das formell gel- tende Gesetz stand mit der Ueberzeugung gerade der betreffenden Volkskreise von dem was »recht und billige, ja im allseitigen Interesse allein zweckmässig sei, in schneidendem Widerspruch.

Das erscheint um so erklärlicher, als inzwischen, in den letztverflossenen 20 Jahren, die deutschen Erwerbs- und Wirth- schafts-Genossenschaften sich immer mehr aus wesentlich indi- vidualistischen Societäten zu kapitalbildenden Korporationen herausgebildet haben, deren ökonomischer Schwerpunkt und Kredit nicht mehr in der direkten und absoluten Solidarhaft der einzelnen Genossen, sondern in dem eigenen Vermögen der

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364 I^' Haftpflicht der GenwMn and du UmlageTcKabreo.

G«aossenschaft mit nur dahinter Steheader Solidargarantie der einzelnen Genossen liegt. Hieraus ergiebt sich denn nach dem normalen, von mir vorlängst dargelegten Entwicklungs- gänge des Rechts' die nothwendige Umbildung der direkten und absoluten Solidarhaft in eine modifizirte solidare Deckungspflicht derGenossen gegenüber der Ge- nossenschaft, sodass nur aus zwingenden Gründen des Gemeinwohls oder des Kredits neben der durch die Deckungspflicbt der Genossen realisirteo Gesammthaft der Genossenschaft der direkte Einzelangriff der Gläubig^ gegen die einzelnen Genossen gerechtfertigt werden kann.

Erschien nun freilich bei der gegenwärtig allgemein an- erkannten, auch in den Motiven des vorliegenden Gesetz- entwurfs klar gezeichneten Mangelhaftigkeit des bisherigen Umlageverfabrens der direkte Einzelangriff nicht entbehrlich. 50 ergeben sich doch nach dem geltenden Gesetz die schwersten Missstände.

Den Genossenschaftsgläubigern steht frei, bei der Ge- nossenschaft im Umlageverfahren Befriedigung zu suchen, aber sie erhalten diese in der Regel erst nach vieljährigen Weite- rungen, da das Umlage verfahren erst im letzten Stadium des Konkurses eröffnet wird. Wollen sie die im Konkurs fest- gestellte Ausfallsschuld wider die einzelnen Genossen verfolgen, so müssen sie gegen diese Klage erheben, haben den nach bisherigem mangelhaften Recht nicht selten schwierigen Ausweis der Mitgliedschaft zu führen und sind häufig an der Realistrung ihrer Forderungen durch die früheren Zugriffe von Privatglaubigem, mitunter sogar durch Beiseiteschaffung oder Vinkulirung der Befriedigungsmittel verhindert. Es ist bemerkenswerth , dass in einzelnen eklatanten Fällen die Gläubiger zu besonderen Haftschutzvereinen zusammengetreten sind und mittelst eines ganz freiwilligen Umlageverfahrens eine sachgemässe Regulirung ihrer Ansprüche durchzuführen ver- sucht haben.

Noch ungünstiger ist die Lage der Genossen. Sie dürfen gleichzeitig von der Genossenschaft auf Zahlung der im Umlageverfahren festgestellten Deckungsbeiträge exequirt und von jedem Gläubiger auf Höhe der ganzen Ausfallsschuld

Vergl. meine Schrift S. 41fr., 62, 67, 113.

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Der Einzelangriff d«r GcnoiMMchafCsgUutHger. 365

belangt werden! Weder dem einen noch dem andern An- spruch können sie entgegensetzen, dass sie ihre Verbindlich- keiten vollkonunen erfüllt haben, sicherlich nicht den Gläu- bigem. Hat ein einzelner oder haben wenige Genossen den häufig sehr beträchtlichen Schuldrest der Genossenschaft be- zahlt, so bleibt denselben nur eine Regressklage wider die übrigen, mittlerweile selbst häufig zahlungsunfähig gewordenen Genossen in unzähligen Prozessen (Genosseuschaftsges. § 56, vergl. § 53).

Diesen unleugbaren Missständen gegenüber habe ich in wesentlicher Uebereinstimmung mit Schulze-Delitzsch, obwohl ich in meiner vorwiegend die Frage der beschränkten Haftpflicht erörternden Schrift nicht auf die Einzelheiten ein- gegangen bin verlangt, dass das Umlage verfahren fUr jeden Fall der Ueberschuldung einer Genossenschaft »als integriren- der Bestandtheil in der Geschäftsabwicklung der sich auf- lösenden Genossenschaft anerkannt« und mit dem Liquidations- bezw. Konkursverfahren in eine izeitlich wie sachlich richtige Verbindung* unter Ersetzung des Einzel an griffs durch die blosse Repartitionshaft (Deckungs- pflicht) gebracht werde'.

Wenn ich gleichzeitig, im Hinweis darauf, dass der be- liebige Einzelangriff den Gläubigem selbstverständlich bequemer ist, es für zweckmässig erachtete, den Genossenschaften, je nach ihren verschiedenen Kreditbedürfnissen, die Wahl zwischen dem von Schulze-Delitzsch und mir gleich- massig vertretenen System und dem strengeren, ja vielleicht einem noch mehr den ursprünglichen Grundsätzen sich an- schliessenden Haftungssystem zu überlassen", so hängt dieser Wunsch mit meiner prinzipiellen Abneigung gegen eine die Mannigfaltigkeit der Kreditsysteme verkümmernden gesetz- lichen Uniformirung zusammen und erledigt sich jedenfalls gegenüber dem vorliegenden Entwurf, welcher nur eine Ge- stalt der Genossenschaften mit unbeschränkter Haftung an- erkennt. Die neuerdings in Genossenschaftskreisen aufgestellte Behauptung, dass ich gegen die voa mir ganz unzweideutig verlangte Beseitigung des Einzeiangriffs als bedenklich »ge-

' Vgl. meine Schrift S. 62 fr. Zaatimmend Gierte, Kritische Viertel- jahrischrifl fllT Geseti^bang und RechttwitseDichaft Bd. 34 (1882) 5. 391 IT. ' Vgl. meine Schrift S, 69.

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366 ^>' Haftpflicht der GenoSKD und das Umlagererhhren.

warnte hätte, beruht daher mindestens auf oberflächlichster LektUre meiner Schrift.

Der vorliegende Gesetzentwurf hat nun das Umlagever- fahren in geeigneter Weise geordnet. Es ist jetzt dafür ge- sorgt, dass die mindestens theilweise Befriedigung der Gläubiger in einem früheren Stadium des Konkursverfahrens erfolgt später eintretende Zahlungsunfähigkeit einzelner Genossen so- mit in der Regel die Befriedigung der Gläubiger nicht ver- hindern wird, und die zum Einzelangriff noch ver^tattete Ausfallsforderimg (Entwurf §§ 22, 110, 121) in der Regel einen nicht allzu erbeblichen Bruchtheit der ursprünglichen Genossenschahsschuld beträgt; endlich dass soweit (noch in der Genossenschaft stehende) Genossen dem Einzelangriff unter- liegen, sie hinsichtlich des Gezahlten den Rückgriff gegen die Genossenschaft haben (Entw. g 112, Motive S. 200).

Um die praktischen Wirkungen dieses Systems, dessen sorgfältig ausgearbeitete Einzelheiten (Entw. §§ 95 106) als bekannt vorausgesetzt werden dürfen, zu veranschaulichen, sei der Fall gesetzt, dass zur Zeit der Konkurseröffnung das bilanzmässige Aktivvermögen der Genossenschaft 500000 M.. dagegen die bilanzmässige Genossenschaftsschuld 1 Million M. beträgt imd dass ein sehr günstiger Fall die fehlenden 500000 M. oder, wie sich bei berichtigter Bilanz ergibt. 550000 M. im Wege des vorläufigen Umlageverfahrens (sog. »Vorschussverfahren« §§ 95—101 bezw. 102) bis auf 300 000 M. beigetrieben sind, endlich dass von diesem Fehlbetrage weitere 100000 M. alsbald oder doch bis zum Ablauf der zweimonat- lichen Frist 110) in dem definitiven Umlage verfahren (s(^. »Nachschussverfahrens §g 103, 104) eingezahlt worden sind. Es bleiben somit 200 000 M., welche mit Ablauf der der öffentlichen Aufstellung der Nachschussberechnung folgenden zweimonatlichen Frist die Gläubiger gegen jeden einzelnen Genossen beliebig in voller Höhe einklagen dürfen. Und zwar auch gegen diejenigen , gegen welche hinsichtlich ihrer im Vorschuss- oder Nachschussverfahren festgestellten Repartitions- quote die Zwangsvollstreckung seitens der Genossenschaft be- reits schwebt (s. auch Motive S. 197), ja sogar gegen die- jenigen, welche freiwillig oder zwangsweise den ganzen auf sie fallenden Antheil an der im Vorschuss- und Nachschuss- verfahren ausgeschriebenen Umlage gezahlt haben.

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D«r EinxeUngrifT der GenoiseiischafugISubiger. 367

Und da selbstverständlich die redlichsten oder doch sol- ventesten Genossen am ehesten dieser Pflicht genügt haben, so sind gerade sie dem ruinOsen Einzelaagriff der Gläubiger immer noch in Höhe von 200000 M. am ehesten aus- gesetzt.

Dazu tritt, was bisher kaum beachtet worden ist:

Die im Konkurs festgestellten , sofern nur nicht im Prüfungstermin von dem Vorstand bezw. den Liquidatoren ausdrücklich bestrittenen Forderungen gelten, sogar wenn sie vom Konkursverwalter bestritten waren, auch gegen den einzelnen Genossen als schlechthin festgestellt, ungeachtet er seinerseits zu deren Bestreitung ausser Stande war: Reichs- Konkursordn, g 197 und Entw. § 1 10 Abs. 3. Ja es ist zwar nicht die Verurtheilimg eines Genossen, aber doch die Klage- erhebung gegen solche, somit eine möglicher Weise völlig frivole Klage statthaft, ungeachtet die Forderung im Konkurs- verfahren streitig geblieben ist: Entw. § ItO Abs. 5, vergl, Motive S. 195 ff.

Hierdurch ist freilich für die Gläubiger sehr aus- ausreichend gesorgt, aber die Annahme, dass nur so der Kredit der Genossenschaften zu erhalten sei oder, wie die Motive (S. 63) desgleichen Dr. Schenck i. d. BI. f. Genossen- schaftswesen 1888 Nr. 23 sagen,

die direkte Haftpflicht in ihrer reformirten Gestalt bilde >ein unentbehrliches Element in dem Kredit- organismus der Genossenschaften f, möchte doch eine starke Uebertreibung enthalten. Wenn nach unserem Beispiel ein Betrag von §twa 20 °!o der Ge- sammtschuld der Genossenschaft, oder, nach den Motiven S. 195, in der Regel gar >nur noch ein verhältnissmässig unbedeutender Restbetragt zur Deckung des Ausfalls der Gläubiger zu ersetzen sein wird, so kann nach aller prak- tischen Erfahrung unter etwaiger durch Wegfall des Einzel- angriffs veranlasster Verzögerung in der Tilgung dieses Schuldrestes der Kredit der Genossenschaften schwerlich leiden. Nur um Verzögerung aber handelt es sich, da schliess- lich ja auch mittelst des Umlageverfahrens die Befriedigung der Genossenschaftsgläubiger erfolgt, solange noch die Ge- sammtbeit der Genossen die erforderlichen Mittel auf- zubringen vermag im entgegengesetzten, ja überaus seltenen

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36S Die Haftpflicht der G«iioueii imd das Umbgcveiftlireii.

Falle aber auch der Einzelangriff nicht zur Befriedigung führt. Zudem steht diesem geringen Vortheil der Gläubiger gegen- über die äusserste Härte gerade wider die gewissenhaftesten Genossen, indem diesen hinsichtlich des ja relativ noch immer erheblichen Schuldrestes in unserem Beispiel vwi 200000 M. das Umlageverfahren keine Erleichtemng der Haftung gegenüber den Gläubigem gewährt, wenngleich es ihren Regress gegen die mithaftenden Genossen erleichtert.

Im Rahmen des bestehenden Gesetzes ist dies juiistisch korrekt; im Rahmen des Entwurfs, welcher dem Umlage- verfahren seinen wahren Charakter eines die Härte der ja unerlässlichen solidaren Garantieobligation aller Genossen mildernden beneficium divisionis wieder- gibt, dasselbe zu einem integrirenden, in die Hand der Gläu- biger bezw. deren Organe gelegten Bestandtheil des die Be- friedigimg der Gläubiger bezweckenden Konkursverfahrens, mit Recht und Pflicht auch der Gläubiger zu dessen sach- gemässer Durchführung macht, prinzip widrig. Mit anderen Worten: unter diesem System erscheint die Zulassung des direkten Einzelangriffs auf gleichviel welchen, sogar minimalen Schuldrest als eine nur aus zwingenden praktischen Gründen zu rechtfertigende höchste Singularität.

Die juristische Konsequenz steht somit nicht auf der Seile des Entwurfs, Den Vertretern des Entwurfs liegt es ob, die praktische Nothwendigkeit des Einzelangriffs über- zeugend nachzuweisen. Dieser Nachweis ist zwar versucht, aber meines Erachtens durchaus misslungen. Wenn in den Motiven (S. 60) gesagt wird: »Der von einzelnen (? !) Seiten gemachte Vorschlag, dieselbe (die direkte Haftpflicht) zu be- ~ seitigen, durch die blosse Beitragspflicht zu ersetzen, geht Ober das Ziel hinaus*, so kann augenscheinlich darunter nicht das- jenige Ziel verstanden werden, welches die Verfasser des Ent- wurfs im Auge haben mussten und sicherlich gehabt haben, mittelst des Unilageverfahrens eine geordnete, der Billigkeit keit entsprechende Befriedigung der Gläubiger herbeizufuhren. Nun aber ist im Entwurf, entgegen dem geltenden Recht, die Beitragspfhcht der Genossen zum Umlageverfahren als Ver- pflichtung der Genossen gegen die Genossenschaft ge- regelt; es wird zutreffend hervorgehoben (Motive S. 59), dass die Genossenschaft mit ihren durch das Umlagererfahren be-

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Der EinielaDgiilT der GenossenschaflsglKubiger. 369

schafften Mitteln die Befriedigung der Gläubiger bewirke. Ist 50 das allerdings fUr Thatbestände dieser Art allein passende System der iDeckungspflicht« oder der sog. indirekten Haftung ', zum leitenden Prinzip erhoffen, so kann das »Zielt doch nur in richtiger Gestaltung und voller Durchführung der Deckungs- pflicht, nicht aber in dem Gegentheil der indirekten Haftuag, nämlich in der direkten Haftung liegen.

Die besonderen praktischen Gründe aber, welche die Motive (S, 60, 61) für die Beibehaltung des Einzelangriffs geltend machen, sind folgende:

1, Dass die Möglichkeit des Einzelangriffs im Hinter- gründe stehe, werde »auf den Gang des Nachschuss- Verfahrens nachdrücklich einwirken*. »Es liegt dann« wird gesagt »im Interesse jedes Genossen, dass von ihm selbst und von seinen Mitgenossen die Beiträge möglichst schleunig und voll- ständig gezahlt werden, während ein gleicher Antrieb beim Mangel eines subsidiären Einzelangriffs fehlt. Ein solcher Antrieb ist auch wirthschaftlich nicht zu unterschätzen. Er wird nicht bloss bei der schliesslichen Befriedigung der Gläu- biger sich von praktischer Bedeutung erweisen, sondern die jedem Genossen drohende unmittelbare Haftung wird schon von vornherein bei bestehender Genossenschaft auf die sitt- liche und wirthschaftliche Haltung der Mitglieder, auf die Vorsicht bei der Leitung imd der Beaufsichtigung der genossen- schaftlichen Angelegenheiten eine günstige Wirkung ausüben.«

Nun versteht sich ja freilich, dass je strenger die Haf- tungsprinzipien sind, um so mehr der Einzelne zur Vorsicht gemahnt, um so mehr er in den Gesammtangelegenheiten seinen individuellen Einfluss geltend zu machen veranlasst ist. Von diesem Standpunkte würde sich das ursprüngliche, dem preussischen Genossenschaftsgesetz vorangehende System der vollen direkten Solidarhaftung für die ursprüngliche Gesammt- scbnld am meisten empfehlen. Lässt at>er, wie schon das geltende Recht und noch mehr der Entwurf anerkennt, sich eine derartige Solidarhaft mit den vernünftigen Zwecken und Einrichtungen der Genossenschaften nicht vereinigen, so hat eben die Milderung der Solidarhaftung so weit zu gehen, als mit diesen Zwecken und Einrichtungen verträglich ist. Augen-

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370 I^is Haftpflicht der GeDOtieii n&d du UmtifeveifshreD.

scheinlich beruht die scheinbare Deduktion der Motive auf der Voraussetzung, dass nach dem System des Entwurfs die ein- zelnen Genossen in der Lage seien, rechtzeitig, d. h. bevor es zum Einzelangriff kommt, die zur Befriedigung der Gläubiger erforderlichen Mittel herbeizuschaffen, und zwar auf anderem Wege herbeizuschaffen, als dass sie selbst für die nichtzahlen- den Genossen eintreten denn durch solches Eintreten würden sie ja praktisch nur den gegen sie zu richtenden Einzelangriff antizipiren. Diese Voraussetzung aber ist eine irrthUmiiche. Wenn, tun bei unserem früheren Beispiel zu bleiben, die Tilgung der Genossenschaftsschulden aus den Mitteln des Genossen- schaftsvermögens und demnächst weiter im Vorscbuss- und Nachschuss-Verfahren bis auf 200000 M. erfolgt ist, und zwar derart, dass von 500 Mitgliedern 400 ihrer Vorschuss- und Nachschuss-Pflicht vollkommen Genüge geleistet haben, da- gegen noch 100 Mitglieder ganz oder theilweise im Rückstande sind, so wissen jene 400 in der Regel gar nicht und können in der Regel gar nicht wissen, ob innerhalb der zweimonat- lichen Frist die noch im Rückstand befindlichen 100 Genossen ihrer Pflicht genügt haben. Noch weniger sind sie, bei aller sonst in Genossenschaftsangelegenheiten bewährten Umsicht in der Lage, auf die mögliche, lediglich in den Händen des Konkursverwalters , Gläubigerausschusses , Konkursgerichtes liegende Beitreibung der noch fehlenden 200000 M. recht- zeitig einzuwirken. Gleichwohl sind sie, und natürlich gerade sie vorzugsweise dem Einzelangriff der Gläubiger ausgesetzt

2. Die Möglichkeit sei nicht ausgeschlossen, dass »leistungs- fähige Genossen es verstehen, sich ihrer Beitragspflicht zn entziehen oder den Konkursverwalter hinzuhalten. Für solche Fälle ist es vollkommen gerechtfertigt, den einzelnen Gläubigem die Wahrung ihrer Rechte selbst in die Hand zu geben«.

Noch drastischer fuhrt der Genossenschaits- Anwalt Dr. Schenck (Verhandlungen des schlesischen Verbands- tages S. 48) in dieser Richtung aus, es könne die Genossen- schaft so verblendet sein, dass sie nach der Konkurseröftnung ihre schlechten Vorstands- und Aufsichtsrathsmitglieder, welche den Vermögensverfall der Genossenschaft verschuldet hstten- wieder wähle, dass diese nun einen mit ihnen unter einer Decke spielenden Konkursverwalter wählen, das Nacbschus.'v- verfahren so endlos verzögert werde u. s. f.

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Dn EbzeUngriff der Genosiffiichaftsgliubiger. 371

Wäre dieser Grund stichhaltig, so mtlsste in jedem Konkursverfahren, zumal über eine Societät, unter Um- ständen jedem Gläubiger das Recht gewährt werden, die Geltendmachung seiner Forderung selbst in die Hand zu nehmen! Ohnehin wird, wer die exekutivische Einziehung der Nachschüsse durch den Konkursverwalter, sei es durch Scheinverträge oder durch sonstige Mittel hinzuhalten weiss, vor dem Schreckbild klageweiser Geltendmachung durch den einzelnen Gläubiger geringe Scheu empfinden.

Wären aber in Wahrheit die befürchteten Uebelstände, ■welche sich dann nur durch eingreifende Aenderung des Konkursverfahrens selbst beseitigen Hessen, so gewichtig, und -wäre denselben wirklich durch die Gestaltung des Einzel- angrifts abzuhelfen, so greift doch das Mittel, welches der Entwurf empfiehlt, so sehr über das erstrebte Ziel hinaus, dass es zur höchsten Ungerechtig- keit führt.

Böswillige, ja nachlässige Genossen mag die ganze Härte des Gesetzes treffen. Aber es erscheint völlig unstatthaft, für den böswilligen oder nachlässigen zahlungsfähigen Genossen, Tvelcher das geordnete Umlage verfahren frustirt, die völUg schuldlosen Genossen leiden zu lassen. Der vorstehend (unter 1.) wörtlich angeführte Satz der Motive, welcher mit beredten Worten die Pflicht des einzelnen Genossen zur Vorsicht und Selbstthätigkeit in Leitung und Beaufsichtigung hervorhebt, trifft gar nicht die vorliegende Frage. Vielmehr enthält schon das Interesse der zahlenden Mitglieder an der gleichen Zahlung aller übrigen für die ersteren den denkbar stärksten Antrieb, auf diese Zahlung hinzuwirken, da sie ja im letzten Ergebniss für den Ausfall aufzukommen haben; aber diesem Interesse entspricht auf ihrer Seite kein anderes Zwangs- mittel gegen die Renitenten, als die durch die Gesammtheit (den Konkursverwalter, Gläubigerausschuss etc.) durchzufüh- rende Beitreibimg.

Traut man somit der Energie des Konkursverwalters bezw. Gläubigerausschusses nicht, befürchtet man femer den ja denkbaren Einfluss von Vetterschaft und dgl, in der Ge- nossenschaft, so mag das Gesetz bestimmen, dass diejenigen Genossen, welche innerhalb der zweimonatlichen Frist ihrer Nachschussverpflichtung nicht nachgekommen sind, auf Höhe

372 Die Haftpflicht der GenonCD und da* UmUgneHibmi.

der ihnen obliegenden Umlage ja, will man noch strenger zu Werke gehen, auf Höhe der ganzen Aas- fallsBchuld dem direkten Einzelangriff der Gläubiger ausgesetzt sind; sogar die direkte Exekution seitens der Gläubiger liesse sich, vorbehaltlich natürlich der persönlichen Einwendungen und nach gehöriger Feststellung der Genossen- eigenschaft, durchaus vertheidigen.

Einem derartigen Kompromissvorschlag, welchen ich selbst in der Sachverständigenkonferenz gestellt und unler vielseitiger Zustimmung begründet habe, welchen aber die Verfasser des Entwurfs einfach ablehnen (Motive S. 61, 194i, wird man sich anschliessen dürfen, ohne dadurch wider das Prinzip des Umlageverfahrens und wider die ein- leuchtendsten Anforderungen der Billigkeit zu Verstössen.

3. In wesentlicher Uebereinstimmung mit den Motiven (S. 59, 195) hat der Genossenschaftsanwalt Dr. Schenck (s, namentlich Verhandlungen des schlesischen Verbandstagei S. 48, auch BI. für Genossenschaftswesen 1888 Nr. 23ffJ, die Unbedenklichkeit des Einzelangriffs damit zu begründen versucht, dass »es nach dem verbesserten Umlageverfahren kaum mUglich sei, dass irgend ein Gläubiger noch nicht voll- ständig befriedigt sei«. Wäre dem aber so, so versteht es. sich doch nach den bekanntesten Regeln der Gesetzespolitit. dass für einen allenfalls denkbaren, aber höchst unwahrschein- lichen Ausnahmefall nicht gesetzliche Bestimmungen getroffen werden, welche mit den schwersten praktischen Nachtheilen, mindestens in der Vorstellung der Betheiligten, verknüpft sind. Die legislative Kunst besteht ja vornehmlich in der weisen Beschränkung auf das praktisch Nothwendige ; dass nicht jeder denkbare Ausnahmefall der gesetzlichen Regelung bedürftig, p auch nur fähig ist, hat schon die erprobte Weisheit der römischen Juristen erkannt und gelehrt'. Man wäre sonst versucht, sn die Argumentation mancher Philosophen und Staatsmänner ffl denken, welche die Androhung der Todesstrafe mit der Moti- virung empfehlen, dass von dieser Androhung niemals G^ brauch gemacht werden würde! Immerhin bestände zwischen dieser Argumentation und der vorliegenden der wichtige

' L. j-6 D. de legibus (j, 3\

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Der EinieUngriff der GenossenicbaftsglSubiger. 373

Unterschied, dass die Todesstrafe doch nur gegen den Schul- digen und nur nach Maassgabe staatlicher Anordnung an- gedroht wird, dagegen die Strafe des EinzelangrifEs auch den völlig Schuldlosen nach WillkUr jedes einzelnen Gläubigers treffen kann.

Dass diese ungeheure Gefahr des einzelnen Genossen sogar in Genossenschaftskreisen übersehen werden kann, er- scheint allerdings schwer begreiflich.

4. Diese in den Motiven {S. 60 61) doch allzu euphe- mistisch als >scheinbare Härter bezeichnete Gefahr und Unbill soll nach diesen Motiven a. a. O. ihre »Beseitigung« finden durch »das Regressrecht, welches den Genossen gegen die Genossenschaft unzweifelhaft zukommt. Der direkte Zugriff der Gläubiger ändere somit für die Genossen selbst an dem Ergebniss, welches ohne den Zugriff eingetreten wäre, sach- lich nichts. Das Recht der Gläubiger, sich geeigneten Falls unter den haftpflichtigen Genossen diejenigen auszusuchen, welche sie in Anspruch nehmen wollen, bewirke hiemach nur «ine Aenderung der Parteirolle und nicht der Haftpflicht*.

Dieses »nurt charakterisirt mehr als alles Andere die ganz formalistische Behandlung der wichtigen Frage. Macht es denn im praktischen Effekt wirklich keinen Unterschied, ob ich 200000 oder auch nur 100000 M. sofort zahlen muss, -wenngleich mit der sogar sicheren Aussicht, später diese 200000 oder 100000 M. wieder zu erlangen, oder ob ich nichts zu zahlen brauche?! Plus est in re, quam in actione, sagen schon die praktischen römischen Juristen : was ich zahlen muss, wenngleich mit dem klagbaren Anspruch auf Wiedererlangung, ist einstweilen fUr mich verloren. Von den 400 Genossen, ■welche ihrer Vor- und Nachschuss-Pflicht vollkommen genügt haben, werden 1, 2, 5, 10 auf Zahluug des Gesammtschuld- restes von 200000 M. durch den Einzelangriff herausgerissen. Bevor sie ihre lAuslaget ersetzt erhalten, werden sie in zahl- losen Fällen völlig ruioirt sein. Zumal diejenigen Gesell- schaftskreise, aus denen bekanntlich weitaus die Hauptmasse der Erwerbs- und Wirtbschafts-Genossenschaften besteht : die kleinen Geschäftsleute, Handwerker, Kaufleute können eben g;ar nicht oder , zumal nach dem Zusammenbruch derjenigen Oenossenschaft, welche ihren Kreditbedarf vermittelt hat, nur unter unerschwinglichen Opfern mit einem Male grosse Summen

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374 Die Haftpflicht der GcDonen nad du UmlageverfahrcD.

aufbringen, auch wenn die Aussicht auf deren Wiedererlangung noch so sicher wäre. Ohnehin tritt dieser Ersatz iiäufig erst nach Jahre langen Weiterungen ein, und es kann in der Zwischenzeit sich die thatsächliche Möglichkeit des Regresses vollständig verschoben, es können die früher solventen Ge- nossen zahlungsunfähig geworden sein, die Befriedigungsmitte] bei Seite geschafft haben u, s. f. Befürchten die Verfasser des Entwurfs Nachlässigkeit des Konkursverwalters, so liegt doch die Gefahr der Verschleppung besonders nahe, nachdem die Gläubiger bereits durch einige Genossen völlig befriedigt sind, kein treibender Gläubigerausschuss mehr dahintersteht und nun das lediglich zur Au<%gleichung dienende Umlageverfahren sich mühsam und schläfrig abwickelt Die Vorschläge des Entwurfs führen dahin, was derselbe vermeiden will : das Um- lageverfahren gerade in seinem letzten und wichtigsten Stadium zu einem blossen Ausgleichungsverfahren unter den Genossen herabzudrücken, statt ihm die allein richtige Stellung eines die Regressnahme unter denOenossen verhindernden Ausgleichungsverfahrens gegen- über den Gläubigern konsequent zu erhalten.

5. Zum Erweise , dass >die direkte Haftpflicht in ihrer reformirten Gestaltimg nicht bloss ein unbedenkliches, sondern auch ein unentbehrliches Element in dem Kredit- organismus der Genossenschaften bildet und durch die blosse indirekte Haft nicht zu ersetzen isti (Motive S. 63), wird end- lich ein letzter Grund angeführt: die Rechtsstellung der aus- geschiedenen, aber noch den Gläubigem haftenden Genossen. Weil nämlich für diese das Umlageverfahren untbimlich sei. so müsse nothwendig die direkte Haftpflicht auch der noch in der Genossenschaft verbliebenen Mitglieder statuirt werden (Motive S. 61 ff.).

Es leuchtet ein, dass diese Begründung wider alle legis- lativen Grundsätze verstOsst. Wollte man nämlich auch zu- geben — was zu erweisen ist und später erörtert werden soll , dass die ausgeschiedenen Genossen nicht zum umlage- verfahren herangezogen werden können und um deswillen der direkten Haftung unterliegen müssen, so können doch augen- scheinlich nicht aus diesem Grunde auch die noch in der Genossenschaft stehenden Mitglieder dem Umlageverfahren unterworfen werden. Man sollte umgekehrt den Schluss er-

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Dm Einzelangriff der Geno»sen»chaft«gliubiger. 375

warten: Weil für die letzteren das Umlageverfahren besteht, ist gegen sie der Einzelangriff entbehrlich. Wollte man aber auch nicht so weit gehen, so ist doch offenbar der gerade entgegengesetzte Schluss durchaus unstatthaft. Die Deduktion lautet: Klasse a (gegenwartige Mitglieder) ist dem Umlage- verfahren unterworfen , Klasse b (ausgeschiedene Mitglieder) nicht (nämlich nicht nach Feststellung des Entwurfs); weil Klasse b dem Umlageverfahren nicht unterworfen ist, muss gegen sie der Einzelangriff bestehen folglich auch gegen Klasse a.

Und wenn diese Argumentation ersichtlich allen Denk- gesetzen zuwiderläuft, wo findet sich denn auch nur der Schatten eines Zweckmässigkeitsgrundes, weshalb die Klassen a und b, sofern sie einander hinsichtlich der Betheili- gung am Umlageverfahren nicht gleichgestellt werden können, einander hinsichtlich des Einzelangriffs gleichstehen müssen? Auch wenn die logische Gleichstellung der Klassen a und b nicht auf einem evident unrichtigen Schlüsse beruhte, wenn also logisch an sich für die bereits ausgeschiedenen und die gegenwartigen Mitglieder der Genossenschaft der gleiche Rechtssatz (Statthaftigkeit des Einzelangriffs) zu gelten hätte, so wäre damit die praktisch gleiche Behandlung in diesem Punkte in keiner Weise gerechtfertigt.

Nicht die rein formale logische Konsequenz, sondern die innerliche Zweckmässigkeit ist oberste Richtschnur der Gesetz- gebung, Unsere Gesetze sind nicht und sollen nicht sein meta- physische Denksjrsteme , sondern zweckentsprechende Regeln für das soziale Leben.

Was ausserhalb der Motive des Gesetzentwurfs in neuester Zeit für und gegen das System des Einzelangriffs in längeren und kürzeren Darstellungen geschrieben und gesagt worden ist ' , dürfte bereits in der vorstehenden ausführlichen Erörte- rung seine ausreichende Würdigung gefiuiden haben.

Für die volle Beseitigung des Einzelangriffs sprechen

' Vgl. Dr. Schenck, in den Blattern fUr Genossenschaftswesen iS&S Nr. 13fr., insbes. aj ff. ; Dr. Scholl* eod. Nr. 31—33, Verhtndlungen de» chlesischen Verbandslages 1888 S. 4i— 59, 116— 118; Dr. Hert» und Dr. GUckemeyer in der Zeitschrift «Die DeuUche Genossenschaft. 1888, insbes. Nr. 3, 5, 7, 8, 15—19; Mathies in den BlSttern fbr Genossenschafts- wesen 1888 Nr. 33.

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376 Di< Hartpflicht der G«ooueD und das UmlageverfaliTen.

nicht allein alle Zweckmässtgkeits- und ErfahrungsgrUnde, sondern sogar was )a in zweiter Linie steht alle Gründe juristischer Konsequenz. Die auf dem Vereinstage mit grosser Sicherheit aufgestellte Behauptung, dass die Solidarhaftung' selbstverständlich oder gar nothwendig den Einzelangriff be- dinge, beruht auf Rechtsunkenntniss.

Ist, ganz entsprechend dem Wesen und Zweck der geg«i- wärtigen Erwerbs- imd Wirthschafts-Genossenschaften, in dem reformirten Umlageverfahren des Entwurfs die Sohdarhaftuog der Genossen gegen die Gläubiger zu einer modifizirt solidaren Deckungspflicht der Genossen gegen die Genossenschaft aus- gestaltet, welcher ihrerseits die Befriedigung der Genossenschafts- gläubiger obliegt, so lässt sich nicht gleichzeitig die reine und abstrakte, wenngleich subsidiäre direkte Solidarhaftung der Ge- nossen statuiren, ohne das System des Gesetzes in sein Gegentheil zu verkehren. Hinter der prinzipalen Haftung der Genossen- schaft, welche unzweifelhaft eine juristische Person ist', steht ' die gesetzliche burgschaftsäfanliche (unbeschränkte oder beschränkte) und stets solidare Verpflichtung der Ge- nossen, durch Vor- und Nachschüsse der Genossenschaft für die volle Befriedigung der Genossenschaftsgläubiger aufzu- kommen. Besteht so ein Recht der Genossenschaft und nur dieser wider die Genossen aber ein Recht, welches, wie erforderlichen Falls noch ausdrücklich gesagt werden mag. zugleich im Interesse der Gläubiger unverktlrzbar und unver- zichtbar ist , so kann nicht in irgend einem Zeitpunkte gleichzeitig der Genosse den Genossenschaftsgläubigem oder gar einem einzelnen Glaubiger zur Zahlung verbunden sein, und es Hesse sich höchstens strafweise gegen den im Um- lageverfahren säumigen Genossen der Einzelangriff recht- fertigen. Was würde man von der gesetzgeberischen Weis- heit eines Hadrian oder Justinian sagen, wenn diese verfügt hätten: die mehreren Bürgen sollen freilich nur in ihrer Ge- sammtheit (modifizirt solidar) haften, und es soll der Richter

S, apch Urlheile des Reichsgerichts in Qriluchen Bd. III S. ii. Bd. VIII S. 5; Gierke, Die Genossenachaftstheorie und die deutsche Recht- sprechung (18S7) S. 41fr.

' S. meine Schrift S. 56ff,; Gierke, KritiKhe Vierteljahnschiift ßr Gesetzgebung und Rechtsvissenichaft Bd. 14 S. 393, 403 und Genosseniduifts- theorie S. 302; Reinatti a. a. O. S. 9z If.

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Der EiDlelangriff der GeaosteiuchaftsgllabigeT. 377

das erforderliche Umiageverfahren strikt durchfuhren; sobald aber der Richter es imterlässt, die solventen MitbUrgen zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeit anzuhalten, sollen die übrigen solventen Mitbürgen, welche ihrer Pflicht genügt haben, von den Gläubigem auf den ganzen Schuldrest belangt werden dürfen, so als ob keine Theilung (Umlageverfahren) statt- gehmden hätte?!

Dazu tritt, dass die für so komplizirte Organismen wie die heutigen Erwerbs- und Wirthschafts-Genossenschaften allein geeignete sog. indirekte Haftung oder Deckungspflicht nicht allein bereits von einzelnen, freilich zur Zeit nicht eintrags- fähigen Genossenschaften adoptirt ist ' , sondern auch in dem sächsischen Gesetz, die juristischen Personen betreffend, vom 15. Juni 1868 welches um der Uniformirung des Genossen- schaftsrechts willen später in seinen die Genossenschaften betreffen- den Bestimmungen beseitigt worden ist, Regelung erfahren hat: § 11 Z. 6 und Abs. 2, §§ 61—69, endlich sowohl für die verwandten Wald-Genossenschaften wie für >freie« und öffent- liche Wasser-Genossenschaften durch die preussischen Gesetze vom 6. Juli 1875 {G.-S. S. 416 ff.) § 43 und vom 1. April 1879 (G.-S. S. 279 ff.) §§ 24 und 52 durchgeführt worden ist. Insbesondere ist § 24 dieses Gesetzes, welcher die Ver- hältnisse der freien Wasser-Genossenschaften regelt, hervor- zuheben :

»Für die Verbindlichkeiten der Genossenschaft haftet deren Vermögen.

Genügt dasselbe zur Befriedigung der Gläubiger nicht, so ist die Genossenschaft den Gläubigem ver- pflichtet, die Erfüllung der Verbindlichkeiten durch Beiträge zu bewirken, welche von dem Vorstande bezw, von den Liquidatoren nach dem im Statut festgesetzten Theilnahmeverhältniss auf die Genossen umzulegen und erforderlichen Falls durch Klage beizutreiben sind.

Ist zur Beitreibung der Beiträge die Zwangsvoll- streckung gegen einen Genossen ganz oder theilweise fruchtlos geblieben, so ist der Ausfall auf die übrigen Genossen in gleicher Weise zu vertheilen. Dasselbe

' Vgl. Unheil des Reichigerichts v. zo. Dezember t386 ( ArchiT Bd. 41 Nr. 138).

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378 I^>e Haftpflicht der Genouen und du Umlageverbhren.

findet statt, wenn über das Vermögen eines Genossen das Konkursverfahren eröffnet worden ist, unbeschadet des Rechts der Genossenschaft, ihre Forderungen auf die Beiträge im Konkursverfahren zur Geltung zu bringen, c Und wenn unbedenklich zugegeben werden darf, dass Wald- und Wasser-Genossenschaften auf einen viel geschlosse- neren Interessentenkreis beschränkt zu sein pflegen, auch im geringeren Maasse auf persönlichen Kredit angewiesen sind, so hat doch der Gesetzgeber unzweideutig anerkannt, dass die Interessen ihrer Gläubiger durch das blosse Deckungs- system ausreichend gesichert erscheinen, und dass der Einzel- angriff so unnöthig wie nachtheilig sei.

Bereits Schulze-Delitzsch hat wiederholt ' darauf hingewiesen, dass dieses System gegen die Regierungs- vorlage — erst durch Beschluss des preussischen Abgeordneten- hauses zur Geltung gelangt ist. Für die Erwerbs- und Wirth- schafts-Genossenschaften stände dem deutschen Reichstage die gleiche durchaus freie Erwägung zu.

Wenn aber aus der Geschichte des deutschen Genossen- schaftswesens, das ja unter dem bestehenden Gesetz zu er- freulicher Blüthe gediehen ist, der Schluss gezogen wird, dass der im Gesetzentwurf aufrecht erhaltene, immerhin sehr erheblich eingeschränkte Einzelangriff dem Gedeihen der Ge- nossenschaften nicht hinderlich sein könne, so bewegt man sich, nach meiner Ueberzeugung, in einem sehr verhängniss- Tollen Irrthiom.

'Als die deutschen Genossenschaften entstanden, musste man nothgedrungen das strengste System der Haftpflicht wählen und vermochte nur dessen allmälige Milderung an- zubahnen. Auch entbehrte man ausreichender Erfahrungen über dessen wirthschaftliche , ja soziale Gefahren. Als aber in den 70 er Jahren Krisen hereinbrachen und nunmehr der Einzeiangriff als besonders bedrohlich empfunden wurde, fügte man sich zeitweise in die Missstände, weil man der bewährten Kraft und Energie Schulze-Delitzsch's vertraute, es werde sich ein System finden lassen, welches eine rationelle Befriedigung der Gläubiger ohne den ver-

' Vgl. z. B. Malerial Mir Revision des GenoatenKlMRiKeMttM S. 43.

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Der Einzel an griff der Genotsenschifugliubiger. 379

hassten Einzelangriff ermögliche. Sogar in den Motiven des vorliegenden Gesetzentwurfs (S. 55) wird ausdrücklich an- erkannt, dass bei den Katastrophen, welche >in einzelnen Fällen den Charakter wahrer Kalamitäten für die davon be- troffenen Bezirke angenommen haben« , nicht bloss der Um- fang der von Einzelnen zu tragenden Verluste, sondern nament- lich die Unbestimmtheit und Unübersehbarkeit derselben >und die andauernde Besorgniss, aus der Zahl der Genossen von den Gläubigem allein herausgegriffen zu werden*, verderblich gewirkt habe.

Nur jenes Vertrauen hat, wie mit aller Bestimmt- heit behauptet werden darf, bisher zahlreiche und wohl namentlich die vermögendsten Mitglieder derGe- nossenschaften von der Fahnenflucht abgehalten. Ergäbe sich aber als Frucht so vieljähriger Reformarbeit, dass gerade dieser in den Genossenschaftskreisen bisher für ent- scheidend erachtete Reformgedanke an dem Widerstände der Bundesregierungen scheitert und dass mit dem jetzt in Frage stehenden Gesetz auf lange hinaus die Reform des Genossen- scbaftsrechts abgeschlossen wird, dürfte doch keinem Zweifel unterliegen , so sind, nach meiner Ueberzeugung, sehr schwere Folgen unvermeidlich. Es werden sich einerseits was ich, obwohl ja die entsprechenden Bestimmungen des Entwurfs zum erheblichen Theil auf meinen Vorschlägen beruhen, für keineswegs wünschenswerth erachte sehr zahlreiche Vor- schussvereine in Genossenschaften mit beschränkter Haftpflicht oder gar in Aktienvereine umwandeln; es werden anderer- seits gerade die vermögendsten Mitglieder, vornehmlich die- jenigen, welche bisher aus uneigennützigem Wohlwollen den Genossenschaften die Stütze ihrer Mitgliedschaft gewährt haben, sich zurückziehen, nicht gewillt, fernerhin das Damokles- schwert des Einzelangriffs über ihren Häuptern schweben zu lassen.

Man sehe nur z. B. die völlig unzweideutigen Erklärungen sehr angesehener Mitglieder von Genossenschaften auf dem schlesischen Verbandstage (Verhandlungen S. 56 59).

Können die Erwerbs- und Wirthschafts-Genossenschaften inmitten eines mit steigender Erbitterung geführten Interessen- kampfes und gegenüber der wachsenden Beherrschung von Verkehr und Geldmarkt durch die grossen Kapitalmächte sich

380 ^'' Haftpflicbt der GeuotseD and dsa UmlageTctrahien.

nur durch selbstlose Hingabe Vieler an die gemeiiintltugen Genossenschaftszwecke behaupten, so hat die Reformgesetz- gebtmg sicher allen Grund, mit äusserster Voreicht jeden Schritt zu vermeiden, welcher nothwendig diese Hingabe ab- schwächen oder gar vernichten muss. Die jetzt aufgestellte Behauptung aber, dass der 'Kredit* der Erwerbs- und Wirth- schafts-Genossenscbaften die Beibehaltung des Einzelangriffs erfordere, hat in den von dem früheren und dem gegenwärtigen Genossenschaftsanwalt beantragten einstimmigen Beschlüssen zweier allgemeiner Vereinstage und in früheren beredten Aus- führungen des gegenwärtigen Genossenschaftsanwalts selbst seine ausreichende Widerlegung erfahren. In dieser Be- ziehung sind doch augenscheinlich die Genossen- schaften selbst die besten, ja einzig kompetenten Sachverständigen, und ich vermag nicht einzusehen, wie die von vielen Seiten für juristisch zutreffend erachteten Ausführungen der Gesetzmotive in dieser, ausschliesslich am Lebenserfahrung und genauer Kenntniss der Verkehrebedüri- nisse zu entscheidenden Frage eine Meinungsänderung zu bewirken vermögen. Praktische Männer können ach vielleicht darüber täuschen, ob der Einzelangriff mit dem Be- stände and den wahren Interessen der Genossenschaften ver- träglich sei; nicht aber darüber, ob der Einzelangriff für ihren Bestand und ihr Gedeihen erforderlich sei. Ich selbsi war früher der Ansicht, dass man den einzelnen Genossen- schaften die Wahl eines strengsten oder eines milden Kreditsystems überlassen solle, d. h. die Wahl zwischen dem System der direkten und sogar prinzipalen streng solidaren Haftung der einzelnen Genossen und dem System der blossen indirekten Haftung (modifizirt solidares Deckungssystem). Wird dieses Wahlrecht nicht begehrt, ent- scheidet man sich für das blosse Deckungssystem aus dem doppelten Grunde, weil der Kredit der Genossenschaften ein strengeres System nicht erfordere und weil der Einzel- angriff für den Bestand der Genossenschaften gefährdend sei so Hesse sich veretehen, dass man sich von der Irrigkeit des zweiten Grundes überzeugt aber kaum, dass man auch hin- sichtlich des ersten Grundes zu der gegentheiligen Ueber- zeugung bekehrt werde.

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Die Heranuehung au^escbiedcneT Genouen tum Umlageveriahren. 381

IL Die Heranziehung ausgeschiedener Genossen zum ümlf^everfWiren.

Die Bilanz der Genossenschaft hat per 31. Dezember 1888 einen wirklichen oder anscheinenden Ueberschuss der Activa über die Passiva von 50000 M. ergeben. Per 31. Dezember

1888 sind 50 Mitglieder ausgeschieden. Es sind zwei F^lle möglich :

1. Löst sich die Genossenschaft bis zum 30. Juni 1889 einschliesslich auf (nach geltendem Recht: bis zum 31. März

1889 einschliesslich), so ist zu unterscheiden:

a. Die Ausgeschiedenen haben sich mit der Genossen- schaft nicht auseinandergesetzt , aber ihr Geschäfts- guthaben an einen Anderen (delegationsweise) über- tragen. Verfällt dann die Genossenschaft später in Konkurs, so sind die ausgeschiedenen Genossen ftlr die- jenigen Nachschüsse, welche ihnen (unter Berücksichti- gung ihrer Guthaben) im Falle ihres nicht erfolgten Ausscheidens obgelegen hätten, zum Umlageverfahren heranzuziehen, aber erst subsidiär, nämlich erst hinter den Erwerbern ihrer Geschäftsguthaben. (Die sechs- monatige Frist kann in diesem Falle übrigens auch vom Zeitpunkte des Ausscheidens an laufen, da diese Art des Ausscheidens an einen bestimmten Zeitpunkt nicht gebunden ist.) Vgl. Entwurf § 70 und Motive S. 151 ff.

b. Die Ausgeschiedenen haben sich mit der Genossen- schaft auseinandergesetzt, eine Uebertragung der Ge- schäftsguthaben an Andere hat nicht stattgefunden. In diesem Falle werden die Ausgeschiedenen schlecht- hin so behandelt, als wenn sie noch Mitglieder der Genossenschaft wären : die sogar vollzogene Aus- einandersetzung wird rescindirt. Sie haben somit kein Recht auf Herauszahlung ihres iGuthabensc, müssen vielmehr das Empfangene zurückzahlen. Sie haben Pflicht wie Recht der Heranziehung zum Umlage- verfahren (Vorschuss- und Nachschuss- Verfahren) ganz so, als ob ihr Ausscheiden nicht erfolgt wäre, werden also nicht lediglich mit ihrem bilanzmässigeQ Verlust- antheil zur kompensatorischen oder gar mittelst Zu-

382 ^'" Hiftpfiicht der Gcdomch und du UinlageTetf^lueD.

schussleistung bewirkten Deckung des bilanzmässigen oder später sich ergebenden Ausfalles herangezogen. Vgl. Entwurf §§ 68, 69. 2. Die Genossenschaft löst sich am 1, Juli 1889 oder später auf. In diesem Falle haben die Ausgeschiedenen, weldie sich was, von dem Falle der Delegation (1. a) abgesehen, stets gesetzlich nothwendig ist mit der Genossenschaft aus- einandergesetzt haben, die Stellung von einfachen Konkurs- gläubigern der Genossenschaft hinsichtlich ihres bei der Aus- einandersetzung festgestellten Guthabens, von gemeinen Schuld- nern der Genossenschaft hinsichtlich des ihnen nach der Auseinandersetzung obliegenden Zuschusses. Sie brauchen das etwa als »Guthaben« Empfangene nicht zu restituiren und haben weder Recht noch Pflicht der Betheiligung am Umlage- verfahren. Dass sie gleichwohl, zwar nicht passiv, aber aktiv später in dasselbe hineingezogen werden können (Entwurf § 112), wird sich alsbald ergeben.

Hinsichtlich ihrer Betheiligung am Umlage ver- fahren unterliegen somit die ausgeschiedenen Genossen einer durchaus verschiedenen Behandlung:

1) je nachdem die Auflösung der Genossenschaft binnen oder nach Ablauf einer vom Zeitpunkt des Aus- scheidens ab berechneten sechsmonatigen Frist er- folgt ist;

2) im ersten Falle, je nachdem eine delegationsweise Ueber- tragung des Guthabens oder eine Auseinandersetzung mit der Genossenschaft stattgefunden hat.

Dagegen hinsichtlich ihrer Haftung gegenüber den Gläubigern gilt ftlr alle Ausgeschiedenen das gleiche Recht.

Nämlich sie bleiben für die bis zum Zeitpunkte ihres Ausscheidens, welcher fUr die verschiedenen Kategorieen nicht gleichmässig berechnet, möglicher Weise um ein ganzes Jahr nachdatirt wird (Entwurf §§ 65, 70), eingegangenen Genossen- schaftsschulden den Genossenschaftsgläubigem und zwar jedem einzelnen derselben solidarisch ohne Theilungswohlthat und mit ihrem ganzen Vermögen, obwohl nur subsidiär, für die aus dem Vermögen der Genossenschaft einerseits, durch Vorschüsse und NachschUsse der in der Genossenschaft verbliebenen Mit-

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Die Heranziehung ausgeichiedeaer Geuoasen mm Umlagererfahren, 383

glieder bis zu dem gesetzlichen Zeitpunkte andererseits nicht gedeckte > Ausfallsschuld* verhaftet, und zwar:

1) schlechthin 3 Jahre lang, vom Zeitpunkte ihres Aus- scheidens ab berechnet. Diese 3 Jahre bilden keine Verjährungszeit, sondern eine gesetzliche Befristung; 3) wird innerhalb dieser 3 Jahre das Konkursverfahren über das Genossenschaftsvermögen eröffnet, so besteht diese Haftung fort bis zum Ablauf von 2 Jahren, beginnend mit der in § HO festgestellten Frist. Diese 2 Jahre bilden eine, in manchen Beziehungen privi- legirte Verjährungsfrist'. Angenommen, dass um eine mittlere Zahl zu nehmen der Konkurs über das GenossenschaftsvermOgen 18 Monate nach dem Ausscheiden eröffnet wird, dass bis zum Vollzug der Schlussvertheilung (Entwurf § 103) auch nur ein Jahr verfliesst, bis zur Vollstreckbarerklärung der Nachschuss- berechnung weitere 6 Monate (Entwurf §§ 103, 110), und nunmehr nach Verlauf weiterer 2 Monate (Entwurf § 110) der Lauf der zweijährigen Verjährungsfrist beginnt, so würde die Dauer der solidaren und unbeschränkten Haftung der Aus- geschiedenen gegenüber den Genossenschaftsgläubigem sich auf den Zeitraum von 5 Jahren 2 Monaten erstrecken sie kann aber sehr leicht auf 6, 7 und mehr Jahre sich erstrecken.

Bleiben wir bei der vorstehenden Durchschnittsberechnung, so dürfen nach Verlauf von 3 Jahren 2 Monaten seit dem Ausscheiden die Ausgeschiedenen von den Gläubigem belangt vrerden auf Höhe der ganzen Ausfallsscbuld (Entwurf §§ 71, 110), ganz gleich den in der Genossenschaft verbliebenen Mitgliedern, ja anscheinend vor diesen dadurch begünstigt, dass sie zu dem Umlageverfahren nicht herangezogen worden sind, also bis dabin aus eigenem Vermögen nichts zugeschossen haben.

Aber gleichzeitig ist auch ihre Lage eine weitaus un- günstigere als die Situation der gegenwärtigen Genossenschafts- mitglieder. Die letzteren haben immerhin in dem Vorstand bezw. den Liquidatoren ihre natürlichen Vertreter , den aus- geschiedenen fehlen solche durchaus. Gleichwohl gilt auch gegen sie , dass sie eine von dem Vorstand oder den Liqui-

> Vgl. Entwurf %% 71, III und Motive 5. 154, 155, 19S.

,.: .«.yGüogle

384 I)ie Hafipfiklil der Geac»*en und du L'mkgeverfabreD.

datoren nicht ausdrücklich bestrittene vom Gericht festgestellte Forderung nicht bestreiten können, dass ein gegen den Vor- stand bezw. die Liquidatoren hinsichtlich einer bestrittenen Forderung ergangenes rechtskräftiges Urtheil auch ihnen gegen- über wirkt (Entwurf § 111 Abs. 2, 3, vgl. § 104 Abs. 2) - von dem ja zustehenden Interventionsrecht (CivUprozessonJnmig §§ 63 ff.) dürfte schwerlich je Gebrauch gemacht werden.

Allerdings hat der vielleicht nach Ablauf vieler Jahre nach seinem Ausscheiden durch den Einzelangriff von Glän- bigem minirte Genosse, welcher sich mit der Genossenschah auseinandergesetzt hatte, den Rückgriff gegen die Genossen- schaft, und zwar auf den vollen Betrag des Gezahlten, allen- falls gegen die einzelnen, in gleicher Lage befindlichen aus- geschiedenen Genossen (Entwurf §§ 68, 112 und Motive S. 63, 200) indess wie geringen Schutz dieses Regressrecht prak- tisch gewährt, ist bereits im ersten Abschnitt erörtert.

Da ich mich strenge auf die Beantwortung der mir vor- gelegten Fragen beschränke, so steht hier nicht zu prüfen, ob die im Entwurf angenommene Haftungsdauer der aus- geschiedenen Genossen gerechtfertigt erscheint. Wie dem aber auch sei, so ist sehr zu befürchten, dass in Zukunft kein irgend vorsichtiger Mann, welcher dem Gesammtinhalt des soeben in seinen praktischen Konsequenzen klargelegten Gesetzes genau erwägt, sich einer unter diesem Gesetz stehenden Ge- nossenschaft anschliessen wird, da er durch sein Ausscheiden aus derselben in eine fast noch bedenklichere Lage gerathen würde, als die Statthaftigkeit des Einzelangriffs überall vorausgesetzt durch sein Verbleiben in der Genossen- schaft.

Auch davon kann abgesehen werden, ob die Nichtheran- ziehung der ausgeschiedenen Genossen zum Umlageverfahren dem geltenden Recht entspricht, zumal die bis zur Aende- rung der Judikatur maassgebende Autorität des Reichsgerichts dieser Annahme zur Seite steht.

Immerhin ist bekannt, dass der die Grundlage des gelten- den Gesetzes bildende Gesetzentwurf vonSchulze-Delitzsch unzweideutig das Gegentheil vorgeschlagen hat, und wie jeder Anhalt fehlt, dass die Civilprozesskommission durch ihre Fassungsänderung in diesem wichtigen Punkte eine Aendenug des Gesetzentwurfes beabsichtigt habe, Bundesrath und Reichs-

Die HeranziehuDg auEgeschiedeDcr Genossen zum UmlageverrahreD. 385

tag aber auf die einzelnen Bestimmungen des Entwurfs über- haupt nicht eingegangen sind".

Es ist weiter klar, dass die Rechtsgründe, mit welchen die Ausschliessung der Ausgeschiedenen vom Umlageverfahren bisher vertreten worden ist, lediglich dem Umlageverfahren des zur Zeit geltenden Rechts entnommen sind, nicht aber auch für die völlig veränderte Gestalt desjenigen Um- lageverfahrens, welches der vorliegende Entwurf aufstellt, zu- treffen.

Wenn die ausgeschiedenen Genossenschafter durch die vollzogene Auseinandersetzung nach Recht und Pflicht aus jedem Rechtsverbande zur Genossenschaft heraus- getreten sind, und wenn gleichzeitig das Umlagever- fahren eine lediglich innere Angelegenheit der Genossen- schaft bildet, welche zwar thatsächlich , aber nicht rechtlich die Lage der Genossenschaftsgläubiger und der diesen haften- den (gegenwärtigen und früheren) Genossen berührt, wenn diese beiden Prämissen zutreffen, so lässt sich freilich, wie ich dies stets anerkannt habe', die Heranziehung der Aus- geschiedenen zum Umlageverfabren, wie zweckmässig sie auch im Uebrigen erscheinen mag, mit den Prinzipien des gelten- den Rechts schwer in Einklang bringen.

Wird hingegen, wie im Entwurf geschieht und im ersten Theil dieser Erörterungen eingehend dargelegt ist, das Um- lageverfahren als integrirender Bestandtheil des Konkursverfahrens anerkannt, als Recht und Pflicht zu- gleich der Gläubiger, trägt es und muss es naturgemäss den Charakter eines auxilium divisionis tragen, so verschiebt sich augenscheinlich die Sachlage auch juristisch voll- kommen.

Dies hat denn auch bereits das Reichsgericht selbst (Urtheil des 1. Civilsenats vom 27. September 1886 i. S. des Vorschussvereins zu Treptow c. Seh. u. Gen. (Beiträge von Rassow u. Kuntzel Bd. XXXI S. 90ff. auch in den Blättern für Genossenschaftswesen 1887 Nr. 8]) ausdrücklich anerkannt. »Wärec heisst es hier wörtlich (in dem

< Vgl. meine ScIiriEl 5. 19fr.

> Vgl. meine Schrift S. 35; Entscheidunf^n des Reich^ienchi* . VIU S. 71.

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386 ^'^ Haftpflicht der Genossen und djs UmUgeverfahicn.

geltenden Gesetz) »den Genossenschaftsgläubigem das Recht beigelegt worden, insgesammt durch ein sie vertretendes Organ gegen die Gesammtheit der persönlich haftenden Genossen- schafter unter Umlegung der zu deckenden Schuld auf die einzelnen Genossenschafter (nach Köpfen) vorzugehen, so würde es sich von selbst verstanden haben, dass das Umlageverfahren auch gegen ausgeschiedene Genossenschafter gerichtet werden könnte, so lange sie gemäss i; 39 Abs. 1 des Genossenschaftsgesetzes den Gläubigem verhaftet sind.« Aber, heisst es weiter, ein derartiges Umlageverfahren sei dem geltenden Gesetz (vom 4. Juli 1868) fremd.

Dem gegenüber ist es auffällig, dass die Motive S. 61 ff. - und entsprechend Dr. Schenck in den Blättern für Genossen- schaftswesen 1888 Nr. 22 obwohl sie ja wiederfiolt und sehr scharf die Verschiedenheit des im Entwurf geplanten Umlageverfahrens von dem Umlageverfahren des bestehenden Gesetzes betonen, und S. 58 sogar wörtlich ausführen:

»Um den Gläubigern die ihnen zubilligende Ein- wirkung auf die Feststellung und Einziehung der von den Genossen zu leistenden Beiträge zu sichern, darf das Verfahren nicht wie bisher dem Vorstand, un- abhängig vom Konkursverwalter, sonden muss dem letzteren übertragen werden, unter der Beaufsichtigung des Konkursgerichts und Mitwirkung der Gläubiger in den durch die Konkursordnung gegebenen Schranken«, ihre Gründe gegen die Heranziehung der Ausgeschiedenen zum Umlageverfahren nicht den Prinzipien des neuen, sondern den völlig abweichenden Prinzipien des alten Gesetzes ent- nehmen.

Indessen kommt es ja, wie schon mehrfach hervorgehoben ist, weniger auf die sog. prinzipielle Korrektheit als auf Zweck- mässigkeit an. Es soll daher im Folgenden der Nachweis erbracht werden, dass die Heranziehung der ausgeschiedenen Genossen zum Umlageverfahren dem wahren Interesse der Ge- nossenschaft, ihrer Gläubiger, ja der Ausgeschiedenen self)st entspricht. Nur versteht sich, dass hier Interessenkon- flikte vorhegen und dass es ohne alle Schädigung auch be- rechtigter Interessen nicht abgeht. In solchem Falle besteht

Die Herini ieliDiig; ausgeschiedener Genossen zum Umlage verfahren. 387

eben die Aufgabe des umsichtigen Gesetzgebers darin, den- jenigen Weg zu wählen, welcher bei sorgsamster Er- wägung im Ganzen und Grossen als der zweck- mässigste erscheint.

Als solcher erscheint nicht die Ausschliessung der Aus- geschiedenen vom Umlageverfahren, sondern deren Heran- ziehung,

1. Die Ausschliessung der Ausgeschiedenen verhindert augenscheinlich die Aufstellung einer jeden sicheren Berech- nung der zur Befriedigung der Gläubiger paraten Mittel. Findet die Auflösung der Genossenschaft bis zum 30. Juni 1889 statt, so hat der Konkursverwalter auch die seit 31. Dezember 1888 ausgeschiedenen 50 Genossen, ungeachtet der vollzogenen Auseinandersetzung, heranzuziehen; wenn am 1. Juli 1889, so soll dies unstatthaft sein. Da nun aber diese Ausgeschiedenen gleichwohl den Gläubigem haften, so kommen doch deren Leistungen indirekt der Genossenschaft zu Gute, wenn auch vorbehaltlich des in einem weiteren Nachschussverfahren (Entwurf § 112) zu nehmenden Regresses. Anders ausgedrückt: die wirkliche Befriedigungsmasse ist unbekannt, bekannt ist nur die Passivmasse. Wollte man aber etwa behaupten, dass ja die Regresssumme der Ausgeschiedenen mit dem im Umlageverfahren ihnen aus Genossenschaftsmitteln zu ersetzen- den Befrage identisch sei, eine Umlage auf die Ausgeschiedenen somit nicht ein Genossenschaftsaktivum darstelle, so wUrde man übersehen , dass die Regresssumme nach jedem System erst in zweiter Linie steht, d. h. erst nach Be- friedigung der Genossenschaftsgläubiger zur Perzeption kommt und dass die in der Zwischenzeit, insbesondere durch die bis- herigen Zahlungen veränderten Solvenzverhältnisse der regress- pflichtigen Genossen den Regressnehmem zum Nachtheil ge- reichen.

2. Das Interesse der Genossenschaft an der Heranziehung der Ausgeschiedenen liegt klar auf der Hand. Es ist ja be- kannt, dass nur zu häufig bei ungünstigem Vermögensstande, ja bei irgend erheblichen Verlusten, zahlreiche Genossen aus- treten, um sich dem drohenden Umlageverfahren zu entziehen. Dies wird auch durch den gegenwärtigen Entwurf (Rück- datirung des Auflösungsbeschlusses um sechs Monate) nur er- schwert, nicht verhindert. Will der Verein diese viel-

388 Sie Haftpflicht der Genossen nnd das Umlageverfahren.

leicht vermögendsten Genossen zum Umlagever- fahren heranziehen, so bleibt ihm nur das Mittel der Selbstvernichtung, d.h. der Auflösung binnen kurzer Frist. Gerade diese nothwendige Konset^uenz des vom Entwürfe befolgten Systems hat den scharfen Wider- spruch Schulze-Delitzschs wie des gegenwärtigen Genossen- schaftsanwalts , welcher sich jetzt auch in diesem Punkte auf die Seite des Entwurfs gestellt hat, hervorgerufen.

3. Anscheinend nicht so klar liegt das Interesse der Gläubiger. Es kann sich fragen, ob nicht, wenn der Einzelangriff beibehalten wird, einzelne Gläubiger es vor- ziehen werden, mit direkter Klage auf Zahlung der ganzen Ausfailsschuld wider die Ausgeschiedenen vorzugehen. Allan wenn man erwägt, dass dies erst in einem sehr späten Zeit- punkt geschehen kann, so dürften doch die Gläubiger im Durchschnitt das geordnete, ohne Bemühung von ihrer Seite zur Befriedigung führende Umlageverfahren dem immerhin beschwerlicheren und gehässigen Einzelangriff vorziehen. Ist der Einzelangriff Überhaupt zum Schutz der Gläubiger nicht erforderlich, so auch nicht gegen die Ausgeschiedenen; er- forderlich wird er nur, wenn man ohne Noth die Atisgeschiede- nen vom Umlageverfahren ausschliesst.

4. Verwickelter liegt die Frage nach dem Interesse der Ausgeschiedenen, weil eben ein Interessenkonflikt besteht.

Die Ausgeschiedenen, welche sich mit der Genossenschaft »auseinandergesetzt« haben, hoffen, dass sie für die Ge- nossenschaftsschulden nicht werden in Anspruch genommen werden*, jede Heranziehung zur Schuldendeckung ist ihnen selbstverständlich äusserst unerwünscht, ja wird von ihnen als ein Unrecht empfunden. Nun liegt aber die Alternative nicht so, wie von gegnerischer Seite argumentirt wird: Sollen die Ausgeschiedenen zum Umlage verfahren herangezogen werden oder von jeder Haftungspflicht frei sein, sondern sie liegt so; Sollen die Ausgeschiedenen zum Umlageverfahren heran- gezogen werden oder dem Einzelangriff der Gläubiger, wenn- gleich erst in einem späteren 2!eitpunkt, ausgesetzt sein?

Angenommen, dass der ohne Heranziehung der Aus- geschiedenen zum Umlage verfahren in dem kritischen Moment zu deckende Schuldrest 200000 M. beträgt, für dessen Tilgung auch die im Laufe der letzten 2, 3, 4 Jahre vor diesem Zeit-

Die HeraMJehung ausgeachiedensr Genossen lum Umlage verfahren. 389

punkte au^eschiedenen 150 Genossen den Gläubigem auf- zukommen haben, und man legt diesen 150 Personen die Frage vor:

»Zieht Ihr es vor, im Umlageverfahreu, also etwa innerhalb eines Jahres nach der Auflösung ein Jeder pro rata, etwa mit je 1000 M. im Wege der Umlage herangezogen zu werden, unter demoächstigem , im weiteren Umlage verfahren zu nehmenden Regress für die gezahlten 1000 M. an die Genossenschaft oder wollt Ihr Heber der Gefahr ausgesetzt sein, dass nach Ablauf etwa eines weiteren Jahres oder weiterer 18 Monate jeder Einzelne von Euch beliebig auf den Betrag von 200000 M. (100000, 50000 u. dgl.) be- langt werde, vorbehaltlich seines Regresses gegen die Genossenschaft und gegen die in gleicher Haftlage befindlichen Genossen?« so dürfte für einigermaassen vorsichtige und verständige Männer die Antwort kaum zweifelhaft sein. Ja sie dürften wohl mit gutem Grunde sagen: Der im Wesen der Erwerbs- und Wirthschafts-Genossenschaft liegende, gesetzlich verbürgte freie Austritt aus der Genossenschaft ist für uns ein Fall- strick geworden. Indem wir jeder Einwirkung auf die Feststellung der Genossenschaftsschuld und auf das Um- lageverfahren, welches doch die volle Tilgung dieser Schuld und zwar durch angemessene Vertheilung auf die sämmtlichen einzelnen haftenden Genossen bezweckt, ent- behren, sind wir in einer ungünstigeren Lage, als unsere in der Genossenschaft verbliebenen Genossen.

Die Versagung der Betheiligung am Umlage verfahren stellt sich vorsichtigen und redlichen Männern als ein in- direktes Zwangsmittel dar, in der Genossenschaft zu verbleiben entgegen dem klaren Willen des Gesetzes, welches jeden Zwang dieser Art absolut verpönt: Entwurf §§60, 62, 18.

Mindestens könnten die Ausgeschiedenen begehren, dass für sie ein besonderes Umlage verfahren eröffnet, d. h. dass unter sie, soweit sie solvent sind, der Schuldrest gleichmässig vertheilt werde, damit die Rechtswohlthat der Xheilung (beneficium divisionis), welche sie vermöge des Um- lageverfahrens als Mitglieder der Genossenschaft genossen

390 B'^ HafipIlLcht der Genossen und das UmUgeverfahren.

haben ^ ihnen nicht ohne Grund entzogen werde. Erscheint aber dieses Verlangen unausführbar, weil diesem be- sonderen Umlageverfahren die nothwendige Grundlage eines festen Status der Aktiven und Passiven fehlen würde da ja unmöglich festgestellt werden kann, welcher Theil des Schuldrestes noch durch die in der Genossenschaft verbliebenen Mitglieder gedeckt werden wird und welche Gläubiger sich gerade an die Ausgeschiedenen halten werden , so bleibt im überwiegend vernünftigen Interesse gerade der Ausgeschiedenen nur übrig, das allgemeine Umlage- verfahren auch auf sie auszudehnen.

Nun besteht ja die Aufgabe der Gesetzgebung gerade darin, in solchem, bekanntlich sehr häufigen Interessenkonflikt denjenigen Weg einzuschlagen, welcher dem vernünftigen allgemeinen, und nicht denjenigen, welcher dem unvemlinf- tigen, rein egoistischen Willen einzelner Betheiligten entspricht.

Was 50 von dem bisher allein geprüften Interessen- standpunkt sich als unabweisliche Regelung ergiebt, ent- spricht aber auch durchaus den richtig verstandenen Rechts- prinzipien des Entwurfs, wenn man nur nicht den Fehler begeht, nicht die Gesammtheit dieser Rechtsprinzipien in Betracht zu ziehen, sondern einen einzelnen dieser Grund- sätze für sich allein ins Auge zu fassen.

1. Ist das Umlage verfahren seinem rechtlichen Wesen nach eine Rechtswohlthat den Gläubigern gegenüber (beneficium oder auxilium divisionis), so kann es nicht auf die in der Genossenschaft zur Zeit der Auflösung verbliebenen Genossen beschränkt werden. Denn die noch gegenwärtigen und die bereits ausgeschiedenen, aber den Gläubigem noch haftenden Genossen sind gleichmässig gesetzliche Solidarbürgen der Genossenschaftsschuld. Den Gläubigem gegenüber bilden sie innerhalb der Haftzeit einen Körper: es ist juristisch durchaus unstatthaft, die einzelnen Glieder dieses Körpers nach dem für die Gläubiger völlig unerheblichen Umstand der gegenwärtigen Mitgliedschaft oder des erfolgten Ausscheidens verschiedener Behandlung zu unter- werfen.

2. Das Recht der Genossenschaft, die ausgeschie- denen Genossen zum Umlageverfahren heranzuziehen, wird ans dem Grunde in Abrede gestellt, weil zu Folge der »Aus-

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Die Heraniiehung ausgeschiedener Genoisen zum Umlageverfahren. 391

einandersetzungt dieselben ihren Antheil an den Genossen- schaftsschulden bereits getilgt hätten. Indessen dieser Grund- satz des gemeinen bürgerlichen und Handelsverkehrs, dass mit der Auseinandersetzung Alles »abgemacht* ist, trifft für die sehr verwickelten Verhältnisse der Genossenschaften nicht schlechthin zu. Jeder Genosse weiss, dass er trotz seines Ausscheidens noch lange Jahre für die Genossenschaftsschulden den Gläubigern haftbar bleibt; er weiss oder muss doch als verständiger Mann wissen, dass jede Bilanz, also auch die- jenige, auf deren Grund die : Auseinandersetzung« erfolgt ist, nur annähernd richtig ist und dass im späteren Konkursfalle die Werthschätzung zumal der Aktiven durchaus anders aus- fällt, als vor dem Konkursausbruch.

Er weiss endlich oder muss doch wissen , dass die Aus- einandersetzung mit den Ausscheidenden gerade nach § 68 des Entwurfs, unter der selbstverständlichen Voraussetzung der Solvenz wie Belangbarkeit der sämmtlichen Genossen geschieht, weil ja nur unter dieser Voraussetzung die Repartition der Genossenschaftsschulden nach Kopf- theilen und die darauf beruhende Berechnung der Schuld- antheile der Ausscheidenden möglich ist ', Anders ausgedrückt : in der bestehenden Genossenschaft werden zu Gunsten der Ausscheidenden alle Mitglieder als gleich gut fingirt, während augenscheinlich diese Fik- tion in dem Augenblicke, da die Genossenschaft in Konkurs verfällt, nicht aufrecht erhalten wer- den kann. Die praktische und juristische Remedur kann aber nur darin bestehen, dass die Ausge- schiedenen zu dem Umlageverfahren, welches die Uebertragung der die insolventen (unbelangbaren) Genossen treffenden Schuldantheile auf die sol- venten Mitglieder bezweckt und bewirkt, heran- gezogen werden, unbeschadet natürlich ihres späteren, ja auch im Entwurf für den Fall des erfolgreichen Einzelangriffs anerkannten Regresses.

So lässt sich, gerade bei schärferer Juristischer Erwägung, das im allseitigen Interesse begründete Recht der Ge- nossenschaft, alle noch den Gläubigem haftenden gegen-

> Vgl. zulreflead Dr. Herti, Die deutsche Genonenichsft iSSS Nr. lä.

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392 ^'^ Haftpflicht dei GcnoEsen und das Umtagevetfaliren.

wärtigen und ehemaligen Genossen zu dem im allseitigen Intei^sse liegenden Umlageverfahren heranzuziehen, schwerlich bezweifeln.

Wollte man indessen auch dieses Recht der Genossen- schaft bezweifeln, so wird man doch deren entsprechende Pflicht, somit das Recht der Ausgeschiedenen auf diese Heranziehung, schwerlich in Abrede stellen. Mit der blossen »Auseinandersetzung«, ja sogar mit der Heraus- zahlung des etwaigen Aktiv- oder Passiv - Saldos des aus- geschiedenen Genossen ist nur formell Alles >abgemacht<, nicht materiell.

Der ausgeschiedene Genosse hat in Folge der Auseinander- setzung nach allgemeinen Prinzipien das unzweifelhafte Recht gegen die Genossenschaft, von den Genossen- schaftsschulden, für welche er gesetzlich haftbar bleibt, libe- rirt oder doch hinsichtlich derselben von der Genossenschaft gegen die Gläubiger vertreten zu werden:

L. 27, 28, 38 pr. D. pro socio (17, 2). A.L.R. I 17 g 302: »Soweit der austretende Gesellschafter den übrigen den zur Tilgung seines Antheils an den ge- meinschaftlichen Schulden erforderlichen Fonds zurück- lässt, kann er fordern, dass sie in einer zu bestimmen- den Zeit die erfolgte Befriedigung dieser Societäts- gläubiger oder seine von deren Ansprüchen bewirkte Befreiung nachweisen*. § 303: »Dabei findet alles statt, was in einem gleichen Falle wegen sich aus- einandersetzender Miterben verordnet ist» (§g 147 bis 150)'. Dass dieser selbstverständliche Grundsatz auch für die Erwerbs- und Wirthschafts - Genossenschaften gilt, hat das Reichsgericht ausdrücklich anerkannt:

Urtheil vom 6. November 1886 (Entscheidungen des Reichsgerichts in Civilsachen Bd. 18 S. 89). Durch den nach erfolgter Tilgung der Genossenschafts- schulden unzweifelhaft gegen die Genossenschaft statthaften und, nach § 112 des Entwurfs, im Umlageverfahren zu reali- sirenden Regress wird dieser Pflicht der Genossenschaft

' Vgl. A.L.R. It 8 §670. S. auch Brinckmann, Lehrbuch de«Haa-

delsrechls S. 177.

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Die HeraniiehaDg autceschiedener Genossen zum UmlageTcrfahren. 393

gegen die ausscheidenden Genossen augenscheinlich nur sehr nnvollkommen genügt. Lässt sich nun nach bestehendem Recht und wie anerkannt -werden muss nach der Natur der Dinge der unzweifelhafte Anspruch des ausgeschiedenen Genossen gegen die Genossenschaft auf Liberation oder Ver- tretung nicht durchfuhren, ohne die Interessen der Genossen- schaft zu gefährden, ist vielmehr zuzugeben, dass der Aus- geschiedene sich an das GenossenschaftsTennögen nur im Regresswege halten kann, so versteht sich doch nach unzweifel- haften Rechtsprinzipien von selbst, dass die Genossenschaft mindestens verpflichtet ist, soweit ohne eigene Gefährdung möglich, dem ausgeschiedenen Ge- nossen die Tilgung der Genossenschaftsschulden entsprechend zu erleichtern, d. h. ihn an dem Um- lageverfahren zu betheiligen.

Es steht, wohlverstanden, nicht ein blosser Billigkeits- anspruch der ausgeschiedenen Genossenschafter gegen die Ge- nossenschaft — obwohl auch dieser bei einer durchgreifend reformirenden Gesetzgebung volle Berücksichtigung erheischen würde , sondern ein klarer Rechtsanspruch in Frage, dessen Anerkennung sich das Gesetz nicht entziehen darf.

Die vorstehende Darlegung hat ergeben, dass die Heran- ziehung der Ausgeschiedenen zum Umlage verfahren noth- wendig ist, um eine sichere Feststellung der Befriedigungs- masse zu ermöglichen, dass sie im Interesse der Genossenschaft, im vernünftigen Interesse der Genossenschaftsgläubiger und der ausgeschiedenen Genossen selbst liegt, dass dieselben nach Rechtsprinzipien den Gläubigem gegenüber die nur modifizirt solidare Haftung im Umlage verfahren beanspruchen dürfen, dass sie endlich der Genossenschaft gegenüber ein unzweifel- haftes Recht auf diese Heranziehung haben, ja dass sogar das Recht der Genossenschaft, die ausgeschiedenen Genossen zum Umlageverfahren heranzuziehen, nicht füglich bezweifelt werden kann. Schon einer dieser Gründe würde für die Gesetz- gebung vollkommen ausreichen, und in einem etwaigen Kon- flikt der Gründe hatten die gewichtigeren den Ausschlag zu _geben.

Indem all dies von der gegnerischen Ansicht verkannt wird, zerreisst sie den wirthschaftlichen und rechtlichen Zu- sammenhang, welcher zwischen den gegenwärtigen und den

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394 Di^ Haftpflicht der GenoueQ und dis Umlage ver&hren.

bereits ausgeschiedenen aber noch bähenden Genossen besteht Indem sie die Rechtsverhältnisse beider Klassen nur insofern gleichmässig regelt, dass sie beide dem für die erste Klasse sicherlich unthunlichen , für die zweite Klasse überflüssigen Einzelangriff imterwirft, im üebrigen aber verschieden, indem sie die ausgeschiedenen Genossen zwar nach dem Erfolge des Umlageverfahrens haften lässt, aber an diesem nicht betheiligt dann aber doch wieder behufs ihrer Befriedigung im Regress- wege ein neues Umlagever fahren (Nachschussverfahren) er- öffnet, verhindert sie die allein zweckmässige, dem Recht und der Billigkeit entsprechende Gestaltung des Umlageverfahrens,

Hinsichtlich des Regresses der Ausgeschiedenen be> gründet es keinen Unterschied, ob man den Vorschlägen des Entwurfs oder den von mir vertretenen Vorschlägen folgt Nach b e i d e n Systemen hat der ausgeschiedene Genosse, weil und sofern er sich mit der Genossenschaft > auseinander- gesetzt', somit bereits seinen ganzen Antheil an den Genoesen- schaftsschulden entrichtet hat, für Alles, was er später zu diesem Zwecke zahlen muss gleichviel , ob auf direkten Einzelangriff oder im Umlageverfahren den Regress gegen die Genossenschaft.

Nach beiden Systemen versteht sich, dass er diesen Regress erst secundo loco, erst nach Befriedigung der Gläu- biger, in deren Stelle er tritt, nehmen kann, dfi der Bürge seine Regressforderung nicht gleichzeitig mit den noch un- befriedigten Gläubigem im Konkurse liquidiren kann '.

Immerhin ist durch die Ausschliessung der Ausgeschiede- nen vom Umlage verfahren nutzlos die mögliche Regresssumme erhöht, nach dem entgegengesetzten System verringert.

Wenn endlich geltend gemacht wird, dass die Heranziehung der Ausgeschiedenen, weil diese nur für die bis zu ihrem Ausscheiden kontrahirten Genossenschaftsschulden haften, die kalkulatorische Berechnung des Konkursverwalters erschwere. so fällt , entscheidenden Zweckmässigkeits- und Billigkeits- grllnden gegenüber , diese Rechnungserschwerung um so weniger ins Gewicht, als ja, nach dem Entwurf § 60, der

HeiDC Abhandlung in der Zeitschrift f. du gesammle Handelsrecht Bd. XIV S. 414. Urtheil des Reichigerichts Uat PlenarbeschluM vom 15. Febr. tSS6 (Enttcheidungen io CivUsachen Bd. XIV S. 17z IT.).

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Die HersDiiehaag ausgeschiedener Genossen lum L'mlageverfahren. 395

Austritt nur zum Schlosse des Geschäftsjahres stattfindet und wirkliche Rechnungsschwierigkeiten dadurch ausgeschlossen sind.

Kutanen und müssen so auch die Ausgeschiedenen zum Umlageverfahren herangezogen werden, so entfällt sogar für sie jeder Grund, den allgemein unstatthaften, weil ver- derblichen und unbilligen Einzelangriff der Gläubiger beizubehalten. Die behauptete »Unschädlichkeit* des Einzel- angriffs ist nur denkbar, wenn von demselben nie und nirgends Gebrauch gemacht wird , das Gesetz also ein todter Buch- stabe bleibt. Die deutschen Genossenschaften aber sind eine zu bedeutsame Institution unseres wirthschaftlichen Lebens, als dass der Gesetzgeber versucht sein könnte, dieselben so gefährlichen Experimenten auszusetzen.

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12.

DAS

RECEPTUM NAUTARUM, CAUPONUM, STABULARIORUM.

EINE

GESCHICHTLICH-DOGMATISCHE

ABHANDLUNG.

(1860.)

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INHALT.

I. Juristische Natur. Herrschaftsgebiet. Verhältniss zu den civilen

Konlrnkten gl 40a

II. Verhaltniss lu den prätoriichen Strafliligen gegen "»ulae, eau-

[jones. stabularii. Deren Theorie § 2 40S

III. Die einschlägigen Fälle der Klagenkonkurreni § 3 415

IV. Inhilt der actio de recept». Begriff der vis major § 4. Fort- seliung. Der gewöhnliche Begriff ist unhaltbar und uniureichcnd § J. Fortsetzung, Wahrer Begriff der vis major in unserer Lehre § 6 418

V. Da» saivum fore recipere die Gtuodlage der actio de recepto Sj 7 434 VI. VoD der Ueliernahme der Gefahr und der custodia § 8 .... 440

VII. Resultate § 9 447

VIII. Prozessualisches. Der Beweis § 10 450

IX. Ausschliessung und Beschränkung der Haftung § II 451

X. Heulige Geltnng des Instituts. Beiträge zur Geschichte der Kecep-

tion, insbesondere im Seerecht § 12 460

XI. Ausdehnung auf den Landtrjnsporlvertragf § ij 471

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T "\as receptum nautarum, cauponum, stabulariomm ist von I J grosser theoretischer, wie praktischer Bedeutung. Unter den Instituten des römischen Verkehrsrechts nimmt es eine durchaus eigenthUmliche Stellung ein, weil es zu den wenigen gehört, welche nicht schlechthin der schöpferischen Kraft des sich selbst Uberlassenen Verkehrs und der freien Wissenschaft, sondern dem Eingreifen einer rechtskonstituirenden Gewalt ihr Dasein und einen, wenigstens dem Anscheine nach, durchaus anomalen, auf blosser utilitas beruhenden, Inhalt verdanken. Praktisch regelt es noch gegenwärtig die Beziehungen sehr wichtiger Klassen von Gewerbtreibenden zu ihren Kunden; fur den Handelsverkehr vorzugsweise bedeutsam ist es, theils wegen seiner unbestrittenen Geltung für jeden Schiffstransport, also namentlich fUr den grossen See- und Flussfrachtverkehr, theils wegen der vielfach angestrebten und realisirten Aas- dehnung desselben aof den Landtransport, insbesondere die grossen modernen Transportanstalten, die Post und die Bisen- bahnen.

Gleichwohl hat es eine durchaus genügende und dem gegen- wärtigen Standpunkt unserer Wissenschaft entsprechende Be- arbeitung noch nicht erfahren; selbst die neueste ' Monographie, die fleissige Schrift von C. F. Müller, Ueber die actio de recepto und deren analoge Ausdehnung auf die Postanstalten, Leipzig 1835, zweite sehr Termehrte Aufbge, Leipzig 1857,

' Sehr anbedeutend iit die Inangnral- Dissertation von Apoitolenno, Aclio de recepto, Berlin 1853. Ganz ungetillgend hinmchtlich der Quellen- behsndlnilg sowohl der rCmiachen, wie der hambargischen, ist die Tielftch citlrte Schrift Ton A. C Wolters, Ueber die Actio de recepto in Beiug &nf Gutwnihe als Redpienten nnd deren heutige Anwendong in Deutschland, be- sondeit in Hamburg, Hambnrg l804i an getnnder Eiiuicht fehlt es dem Vet- fasser nicht, und sein praktiichea Raiaonnemenl ist hlalig intrefTend. Goldichnidt, Vamückte SchrlftoB. II. l6

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402 ^^ receptnm naataruin, caupontun, it&btilarioniiii.

begnügt sich mit der Darlegung des praktischen Details, und wendet sich, wie viele andere Schriften, vorzüglich der Frage Über die analoge Anwendung des Instituts auf die Postanstalten zu dagegen die leitenden Prinzipien desselben, sein ge- schichtliches und dogmatisches Verhältniss zu dem regel- n^ssigen, normalen Verkehrsrecht der Römer bleiben un- berührt.

Gerade nach dieser Richtung hin dürfte eine Revision der Lehre geboten sein und sowohl für die Geschichte des romi- schen Verfcehrsrechts, wie für manche auch im heutigen Civü- und Handelsrecht bedeutsame Fragen nicht unerhebliche Auf- schlüsse gewähren.

Dem Zwecke dieses Aufsatzes gemäss sollen dabei vor- zugsweise die Beziehungen unseres Instituts zur Lehre vom Frachtvertrag berücksichtigt werden, zumal nicht nur bei den Römern bereits der Fall des nauta als der Normalfalt voran- gestellt wird, sondern auch nach dieser Seite hin die Eigen- thUmlichkeiten desselben am Schärfsten hervortreten.

Darum mag denn auch die vielfach ventilirte, übrigens nur dem Gewerbspolizeirecht angehörige Frage über die Auf- nahmepflicht der Gastwirthe hier unberührt bleiben.

I, Juristische N&tur. Herrsohaft^biet Verhältniss zu den oivilen Kontrakten.

§ 1.

Für Schiffer", Gast- und Stallwirthe führt die Annahme von Sachen zur Aufbewahrung die gesetzliche Verpflichtung,

' D. h. SchiRsrheder. 1. i § 3 D. oauUe, caupoDo. stabnlarit (4, 9'^. Dafür auch die AuidrllcVe navicularios, nauderoi, vaüxltipK. L i § 3 cod. Cod. JntC. XI I, 3. Cod. Theod. XIII 9. Vgl. abrigens Pardcssus, Coli, des lob maritimes 1 p. 329, 2jo. Der Spncheebraucli irechaelt. Id der R^d odit nauta, all einer von den Schiblenten, im Gegensatz lam Rheder, meist audi tom Kapitin (magiater narii) , mitunter aber umfaait er diesen mit t. B. 1. i §§ 3, 6, 7. I. 6, 10 pr. g I D. de lege Rbodia de jactu (14, 1). Uebr^cns würde lieh der immerhin außallende Auidmck nauta fUr Schiffarbedei erkUnn, wenn wir annehmen dürften, da» unser Edikt Uter ist als da* Edikt Ober die exercitoria actio (vgl. unteo S. 419). Denn in diesem Falle bexeicfaaete nr- tprtliiglich der Audnicb nauta im Edikt wirklich den KapitSn: magiMer Davis, mochte dieser selbst Rheder lein oder nicht. Erst all die Möglichkeit «»iv-w.

Juristische Nttar. Hemeliaftsgebwt Verhfiltiiiss zu d. civil« KoDtnktca. 403

gegen deren Abhandenkommen und Beschädigung zu garan- tiren, mithin die unbedingte Restitutionspflicht mit sich: 1. 1 pr. D. nautae caupones, stabularii (4, 9).

Ait Praetor: Nautae, caupones, stabularii, quod cujusque salvum fore receperint, nisi restituent, in eos Judicium dabo. Vorausgesetzt, dass diese Annahme als ein Att ihres Gewerbe- betriebes ■ erscheint : I. 3 § 2 eod. :

Eodem modo tenentur caupones et stabularii , quo exercentes negotium suum recipiunt. Ceterum si extra negotium receperint, non tenentur. Vgl. I. 1 §§ 2, 5 h. t. In dieser gesetzlichen ^ oder genauer ausgedruckt: von Rechts wegen eintretenden Garantieverpflichtung (salvum fore recipere) ' innerhalb eines gewissen Gewerbebetriebes, deren Ursprung und Wesen wir weiter unten erörtern wollen, liegt allein der eigenthUmliche Charakter des receptum.

aus deu Vertriigen des Schiffers direkt gegen den Kheder zu klagen, koDDle mit der actio de recepto auch der Rbeder belangt werden, welcher nicht selbst KapilSn war und die Güter entgegenDahm. Der exercitor ist also anter dea nautae, d. b. omnes, qui navis navigondae cauta in nave sunt (I. i % 2 cit. 1, un. § t D. furti adv. nauiai 47, 5), an sich nicht inbegriffen: erat die Juritprudeni (,1. I § : h. 1.) hat ihn unter diesen BegrifT gestellt , dann aber znglnch diesen Begriff fUr das vorliegende VerhültDiss ausnahmsweise auf exer- citor und magEster navis beschrankt, also die eigentlichen nautae. das Schiffs- Tolk. ausgeschlossen. Es konnte dies um so eher geschehen, als das pönale Edikt wegen furtum und damnum nautarum schon ursprüaglich gegen den QterdtoT gerichtet gewesen lu sein scheint 1. un. pi. §§ 3, J. D. furti ad*. nautas (47, 5) 1. 7 pr. §§ a, 4, J. 6. 1- 6 § 4. D- nautae, caupones -wShrend des exercitor bei der actio de recepto sonst nie ErwShnung geschieht. Gans Shnlich wtre dann der Hergang beim caupo und stibularius gewesen, so duB eist mit EinfUhning der institoria actio der Sati der 1. g 5 h. t. ge- rechtfertigt war: caupones autem et stabuliuios aeque eos accipiemus, qui canponam vel stabuEum exercent, instiloresve eomm.

' Vgl, Gluck, ErlSuleniQg der Pandekten VI S. I24ff.: Bulow und Hagemann, Prakt. Erörteningen Bd. V S. 314— 217; Sintenis, Da* prak- tische gemeine Cirilrechl II S. 694 Not. i, S. 695 [3. Aufl. S. 696 Not. 1, S. 697]; ▼. Holsschaher, Theorie und Casuistik des gemeinen Civilrechts, 3. Anfl., III S. 831, 833 [3. AofL S. 903]; Ober-Appellationsgericht ta Dresden, in Seuftert's Archiv II Nr. 393.

1. I pr. §§ I, 6, 8. L 3 >. a. 3- 1-5 >>. t L nn. g 4. furti adv. nautas (47, 5). O.A.G. lu Dresden in äetiffert's Archiv VIII S. 71.

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404 I3» receptam ninUmm, cauponnm, ■UbiUuioriim.

Gleicbgiltig dagegen für Art und Umfang dieser Haftung ist der sonst so wichtige Unterschied zwischen Entgeltlichkeit und Unentgelttichkeit der Leistung'; bei einem entgeltlichen Frachtvertrag erstreckt sich die Garantie für das Kaufmanns- gut der Passagiere auch aof deren Reisegepäck und Mond- Torrath, obwohl dieselben weder besondere Fracht zahlen, nodi der unmittelbaren Obhut der Passagiere entzogen werden". Auch das macht keinen Unterschied, ob ein reiner Sachen- transport oder zugleich ein Personentransport vorliegt Die mehrfach > aufgestellte Behauptung, dass die Regeln des recep- tum nur in dem Falle anzuwenden seien, wenn Reisende mit ihrem Gut befördert würden, hat weder innere Gründe, noch den Wortlaut des pi^torischen Edikts, noch dessen Inter- pretation durch die Jurisprudenz ftlr sich um so weniger, als auf die Personen der Reisei>den sich diese Garantie- verpflichtung keineswegs erstreckt. Wird auch beim Waaren- traosport in den Quellen sehr häufig obwohl keineswegs ausschliesslich der Passagiere (vectores, mercatores) gedacht, so hat dies doch nur darin seinen Grund, dass, bei den Hao- delsverhaltnissen des Altertfaums, wie gleicher Weise des Mittelalters, auch Kaufmannsgut nicht unbegleitet zu reisen pflegte «. Im Uebrigen werden blosse Frachtschiffe von den Passagierschiffen sehr wohl unterschieden, ohne dass hinsicht- lich der Haftung fUr den Waarentransport sich auch nur die Andeutung eines Unterschiedes ^de '.

Diese unter bestimmten Voraussetzungen VMi Rechts wegen eintretende Garantieverpflichtung, in welcher wir wenn auch nicht ursprtjnglich, doch mindestens bereits zur Zeit der

I. 3 g I. 1. 6 pr. h. t

1. I g 6. 1. 4 g 3 b. I. Vgl. 1. 3 g 2 de tcE« Rbodift de jactn (14. >)< 3 Z. B. PuchtB, Pandekten § 314 [12. Aufl. S. 481]; Arndts Pu-

deklen § 189 [auch 13. Aufl.]; Reyacher, D«i jemöne und wBrttembe^ud« PriTBtrecht II §g 460, 46t; Brioz, Puidekten S. 441 [fehlt in d. 3. AnHi: vgl. dagegen Müller, lieber die actio de recepto, 3. Aufl., S. to; W. Kocb, Deuticblaads Eisenbahnea, Tb. II S. 14.

Diese Thalsacbe ist allbekannt, lieber den 1. 7 g a b. t. erwilmiai rauientßäTiis vgl. Pardeiiui, Collecdon des loii maritimes I p. 40. Gaai gleiche Ericheinnngea be^gnen im alCnordnchen and noch im sf^tereo niltd- alterlichen Seeverkehr. Vgl. auch Falke, Die Geschichte de« deutschen Hu- deb, Th. I (1858) S. 194.

1 Namentlich 1. 1 g 13 de exerc. act. (14, i). L 3 pr. g > de lege Rbodia (14, 1). I. ij g I locati (19, 3).

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JuriitUche Nator. HemclutCtsgebict VerhiltniMiad.cmleDKoDtrakten. 405

klassischen Juristen (vgl. unten § 7) das Wesen des recep* tum zu sehen haben, tritt stets einem vollkommen verbind- lichen civilen Vertrage hinzu. Der Inhalt des letzteren wird nach einer gewissen Richtung modifizirt, nämlich hinsichtlich der Haftpflicht des Uebemehmers für die Integrität des Guts. Dagegen geht sein juristischer Charakter keineswegs in den Regeln des receptum auf.

Daraus ergibt sich ein zwiefaches, systematisch und prak- tisch gleich wichtiges Resultat.

Einmal, dass das receptum nicht als eine eigenthtlmlicbe, selbststäodige , etwa miethähnliche Vertragsart bezeichnet werden dari ' zugleich fallen damit die namentlich von den Aelteren vielfach ventUirten Fragen, ob die Verpflichttmg ex recepto eine kontraktliche, kontraktsähnliche oder deliktsartige sei'. Sodann, dass die Grundsätze des receptum keineswegs ausreichen, um die von ihm beherrschten Verkehrsverhältnisse juristisch zu regeln, dass dieselben vielmehr zugleich den durch ihren civilrechtlichen Charakter gegebenen, und lediglich hinsichtlich der Haftungspflicht gegen Entwendung und Beschädigungs modifizirten Rechtsnormen unterliegen, denselben, welche für sie aus- schliessUch zur Geltung kommen, wo die rechtlichen Voraus- setzungen der verstärkten Haftnngspflicfat fehlen. So wenig

< Z. B. Gluck VI S. 112; Hugo, Civil. Magazin, 3. Auig. I ä. 174: Thibaut, P«idckten(8. [9.lAnfl.)§S0i; C.F.Kocli, Diu Recht der Fotde- rnngea III S. 999: v. Savigny, Du Obligalionenrecbt 11 S. lli; MUller, B.a. O. 5. 14 fr.; Sintenii, Cmirecht 11 5. 693 Not. i [3. Aufl. S. 696 Not. 1]. Gani uubegrUndet nennt K 0 m p e , Der Enttrurf einei deutschen Haudeligesetibuchs in leinem Veihiltnine lum deutschen Poit- and EiienbahntTauEpoTtrechle Regena- buTg 1S59. S. 31 Not. ** d«* receptum »gewiisennaatieD eine Tochter der Materie vom depodlani'. Und gant unTerEtSodlich itt der letzte äatz >ist die actio de recepto mit der actio ex deposito verbunden, 10 kann iie(?) nicht in eine andere Art von Kontrakten autarteo'. Richtiger BScking, Pandekten (im GmodriMc) [4. Aufl.] § 356: 'Grand der Klage iit die allgemeine Recht*- beatimmung* [fehlt in d. 5. Aufl.].

> Weber, Natürliche Verbindlichkeit % 37; GlUck, a. a.D.; Müller, a. a. O.; Unteiholzner, Schul dverhUtniiie TT S. 734. Wenn Brini, Pan- dekten p. 1. Aufl.] S. 443 [fehlt in d. a. Aufl.] eine realkontraktliche Ver- pflichtung annimmt, so ist daran so viel richtig, dau die gesetzliche Vefpflich- (ung zur Restitution eine vorangegangene Hingabe (rea) voraunetzt. Am Rlcb- tigtlen haben wir das receptum als ein pr&toiische> Obligationsverblltnist lu be- teichneu. Siehe unten S. 439 Not 3.

ä 1. I §§ I, 8. 1. 3 Pr- §§ ". 3-S- 1- 4 pr. l. 5 P'- 8 ' t. t.

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406 ^^ Tcceptirm nauUram, canponnin, itabiiluionini.

daher etwa der Frachtverkehr zur See ausschliesshch von den Prinzipien des receptum beherrscht wird, so ungeeignet er- scheint die häufig aufgeworfene Frage ', ob der Landtransport (Tgl. § 13) den Grundsätzen der locatio conductio oder des receptum unterliege. Richtig gestellt müsste die Frage lauten: allein nach den Regeln der locatio conductio, oder zuglach nach denen des receptum?

Die civilen Verträge, welchen diese gesetzliche Garantie- pflicbt hinzutreten kann, sind Depositum, Mandat, Locatio conductio, Innominatcontract. Letzterer, wenn der Entgelt für die Aufbewahrung oder fUr den Transport nicht too vornherein fest bestinlmt, oder nicht in Geld, sondern in ander- weitigen Leistungen verabredet ist, oder wo Ungewissfadt über die vorliegende Art des Miethverhältnisses (rei oder operis)' herrscht.

Bleiben wir bei dem vorzüglich wichtigen entgeltlicbeo

> Vgl. auchDonellns, ConimeDUrii de jure civil! XV 43 g 11; Kriti, Ptndektearechl 1, * S. 308; Cnyrim, de rei ptrsonuve inntporuuidi obli- gadoDC, quam cum poMa contrahimiis. Dits. inaog. Maiburg 1S54 g i. Sicht gam richtig lagtArndtB, Pandeicten [aach 13. Anfl.} § 2S9 : •unabhängig von dem sonst iwi*cheD ihnen und den anfgenommenen Fremden besteheaden RechUverhSltniiS', denn dieses Rechtsverhiltnin wird nach einer S^te hin iDoditi- lirl; und Müller, a. a. O. S. 33, 34: >Hat dai receptum zugleich die Naiar ciats anderen Vertraget*, denn das receptum hat seine eigene und nni sone ^gcne Nfttnr. Aber neben ihm und durch dasselbe modtfiziTt, bestehen stets aadcf« Civilvertriige. Dah« auch die Folgesltie Müllers nicht genau sind. Aehn- lieb Zimmern, Dal System der rümiscHen Noxallclagen S. 24.

> 1. I § I. 1, 33 de piaescr. Terbis (19. 5). Dass tibrigens nuaitgelt- liehe Transport vertrige nach den Regeln des Depositum lu beurtheüen wiien, wie mit Aelieren, z.B. S typmann, de jure maritimo IV 15 No. 366 ff., nixi V. Linde aDnimmt (Zeiuchr. f. Qvilr. n. Ptote«a, N. F. 16 S. 178), lini sich aus 1. 3 § I nautae schwerhch erweisen. Denn die dort von Ulplan referirte and keineswegs gebilligte Ansicht des Pomponius ist gar nicht «os- drUcklich für den Transportvetuag , noch weniger für alle Fille desselben ge- meint, sondern hat höchstens diejenigen im Auge, wo die GmndaCtie der loc«tio conductio rei anwendbarerscheinen. Hfitte aber auch Pomponins in Widerspruch mit allen Ubrigen QuellenseugnisMD : vg], t. B. Gkjns 111 i6!> 8 13. J. de mandato (3, 36). I. i gg 11—13 deposiü (16, 3). L i % 18 de exerc. act. (14, i). 1. 3i de pr. verbia (19, 5) jene Meiaung ge- hegt, wie er denn allerdings über die Grensen zwischen Mandat nnd Depoä- tiun erweitlich geschwankt hat, so würde sich die ErwKhnung dei^elbcD bei Ulpian schon aus dem Grunde erklSrec , um die strenge Haftung ans don Edikt durch die sehr beschrinkte Haftung des Depositais recht acharf btrriix-

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JuTUtische Natur. HemclufncelMet VerhiQlniuiud.civQen Kontrakten. 407

Frachtvertrag stehen, so findet sich unzweifelhaft eine partielle Konkurrenz ' der civilen Kontraktsklagen mit der prätorischen actio in factum de recepto. Zwar stand geeigneten Falls dem Befrachter die Wahl zwischen der milderen actio locati resp. conducti und der strengeren prätorischen Klage zu ■, allein die erstere hatte auch ihr ausschliessliches Herrschaftsgebiet, für welches eine Konkurrenz der Ediktsklage gar nicht in Frage kam: nämlich überall da, wo nicht Entwendung oder Be- schädigung, sondern anderweitige Verletzungen vertragsmässiger Obliegenheiten zur Klage veranlassten.

So wird nur die civile Kontraktsklage, und zwar gerade für den Seetransport, erwähnt; wegen Ueberlieferung der Waare an einen Unrechten 1. 11 § 3. L 31. 1. 13 § 6. locati (19, 2); wegen Umladung auf ein schlechteres Sdiiff, oder zur ungehörigen Zeit, oder wider Willen des Befrachters 1, 13 § 1 eod., 1. 10 § 1 de lege Rhodia (14, 2); wegen Einlaufens ohne Lootsen 1. 13 § 2 locati; behufs Regulirung der Havarie- rechnimg 1. 2 pr. de lege Rhodia ; wegen rechtswidriger Unter- lassung oder Verzögerung s des Transports 1. 10 § 1 eod.; auf Restitution des Frachtvorschusses bei Nichtausführung der Reise 1. 15 § 6 locati. So ist jedenfalls nur diese, bez. die actio legis Aquiliae, zulässig wegen körperlicher Verletzung eines Reisenden*.

In dem vod Savigny, Sjitem V § 231 Dot. q. % 333 anfgeitellten SioDc. Hier ^m'A ancb die, freilich nnprUngtich auf die KonlcurrcDz der «ctio legii Aquiliae mit der^Slteren actio arborum furtim caesarum beiUglichei 1. 41 pr. de O. et A. (44, 7) ein.

* 1. 3 § I. I. S pr, nautae (4, 9), § S J- Je '»'»to (3, 14). 1. 13 § 8. 1. 60 a. 9 lof^ti (19, a).

1 So UDlenchetdet auch der Entwurf eine» Deuttcheo Handeligefettbnch« zweiter Lesung gani richtig; die Haftung des Frachtfahren für BescbSdignng' nnd Verlust der Waare tod der Haftung fUr ZHgenmg. Die erjEere toll sich nach den Grundsätien des receptum bcBtimmen, die letitere nach den milderen PHnxipien der locatio conductio an. 371, 371. Dan dieaer Untenchied schon im bestehenden Recht für den naula begründet liegt, scheint bei der Berathung ganz unbeachtet geblieben zu sein, da nur Billigkeitsgründe geltend gemacht wtirden. Protokolle S. 793— 79S' 798. 801—803, IJ19.

* Die pritoritche Pönalklage wegen damnnm injuria datum leidet dicM BeschrSnkang *o wenig als die eigentliche aqnüitche Klage (1. 13 pr. I. 7 pr. D. ad leg. AquiJ. 9, z) , da sie nur eine Nachbildang derselben ist. In 1. 6 § 3 oaulae ist sie um deswillen ausgcschloncn, weil der Beschädigte hier nicht all Passagier, resp. Waare , sondern all Mitglied der Hannscbaft in Betracht kommt 1. 7 g 3 eod,

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408 I^ raccptuni nantamin, caupon

Gegen die Annahme eines selbstständigen Vertragsv-erhalt- nisses spricht endlich auch die Ausdmcksweise der Quellen. Aus Stellen wie 1. 1 § 3 nautae >de recepto tenebitorc, L 3 § 3 eod. >ob receptum couveniturt lässt sich nichts entnehmen. Entscheidend aber ist die unten i^her zu erörternde 1. 3 § 1 nautae. Hier wird das der prätorischen Klage zu Grunde liegende Rechtsverhältniss als das nämtiche bezeichnet, welches die civilen Klagen begründet: quia agi civiti actione ex hac causa potent

Und ganz entsprechend ist nicht etwa ein Gegensatz zwischen locatio oder depositum einerseits und receptum anderer- seits hingestellt, sondern es heisst: et quia in locatocon- ducto culpa, in deposito dolus duntaxat praestatur. At hoc Edicto omnimodo, qui recepit, tenetur etc., nicht hoc contractu oder hoc pacto. Und ebenso zu Anfang dieses Frag- ments: Ex hoc Edicto in factum actio profidscitur. Auch <ias scheint nicht unbezeichnend, dass in 1. 5 pr. h. t. für nan- tae, caupones das blosse tenentur dem es locato teneatur fQr fullo ind sarcinator entgegengestellt wird.

IL Verh&ltniss zu den prätorischen Strafklagen

gegen nautae, oaupones, stabulaili. Deren Theorie

und heutige Geltung.

§ 2.

Die beiden prätorischen, gleichfalls in factum gefassten Strafklagen furti und damni injuria dati auf das duplum', welche in I. 6, 7 nautae (4, 9). 1. un. furti adv. nautas (47, 5) § 3 J. de obl. quae quasi ex dei. (4, 5). 1. 5 § 6 de O. et A. <44, 7). 1. 1 § 2 de exerc. acL (14, 1). 1. 42 pr. de furtis (47, 2). 1. 19 § 2 de nox. act (9, 4) dargestellt werden, unter- scheiden sich von unserer actio in factum de recepto nicht allein nach Zweck und Inhalt, sondern auch bezüglich ihrer Voraussetzungen und ihres inneren Prinzips.

Weiter sind dieselben in ihren Voraussetzungen insofern, als eine Entwendung oder Beschädigung nicht allein

Am beit«i) Zimaern, NiMUÜklagen S. agi ff.; UuIcTholmei, SchnldverhiltDiise II S. 736 ff.

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Verhiltnin in d. prStoritcheD StnflcUgCD gtgei Dsuta«, cauponei, stabularii. 409

an den zur Bewahrung Ubemonunenea Sachen, sondern an allem, was sich im Räume des Schiffes, Wirthshauses, Stalles thatsächlich befindet, Personen wie Sachen, znm Doppelersatz verbindUch macht, also insbesondere Beschädigung der Passa- giere und derjenigen Sachen, welche dieselben an sich tragen'. L. 7 pr. nantae: sed non alias praestat, quam si in ipsa nave datüm sit. Ceterum si extra navem non praestabit. L. 7 § 6 eod. quasi omnia, quae ibi contin- gunt, in solidum receperint. So auch 1. un. § 3 furti adv. nautas: Quum eaim in cau- pona vel in navi res perit §6 eod. qui in ea caupona ejus cauponae esercendae causa ibi sunt. 1. 5 g 6 de O. et A. (44, 7); de damno aut furto, quod in navi aut caupona aut stabulo factum sit, teneri. 1. 42 pr. de furtis (47, 2) : de eo, quod ibi perit, vulgaris formula in dominum danda est. § 3 J. de obl. quae quasi ex del. de dolo aut furto, quod in navi, aut caupona, aut stabulo factum erit.

Das salvum fore recipere vgl. oben S. 403 Note 2 ist hier so wenig Voraussetzung der Haftung, dass es dem für die Strafklagen genügenden blossen räumlichen Befinden im Schiff, Gasthaus, Stall geradezu entgegengesetzt wird:

L. un. §§ 3, 4 furti adv. nautas: Quum enim in caupona vel in navi res perit, ex Edicto Praetoris obligatur exercitor, vel caupo, ita ut in potestate sit ejus, cui res surrepta sit, utrum mallet cum exercitore honorario jure, an cum füre jure civiH experiri. Quodsl receperit salvum fore caupo vel nauta (Basil. 53, 1, 31: Et ftivtoi t^v (fwlaxjjv Tor Ttgayfiozog o vavxliijgog avaöi^aio) furti actionem non dominus rei surreptae, sed ipse habet, qui recipiendo periculum custodiae subit.

Dieie tind nicht Kdpirt. So wdt ^t die S. 404 Not. 2 erwihnte Aua- dehnung der actio de recepto nicht. Vgl. auch Rhod. CompUation Stück 11 Cap- 14. Slttck III Cap. ij (Pardeisai CoUecdon I p. ajs, 145). Noch Uarer im Falle dei caupo, da zwar Dicht die actio de recepto, wohl aber die pri- toiiichen PönalldageD wegea BetchfidiguDg und Entircndung lulinig »ind, welche gegen eiaen nur tnr Einnahme der Mahlzeit (Frilbittlck, Mitti^teHen, Abendegaen etc.) einkehrenden Gaat verabt werden.

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410 I^^ll* receptum Dantarutn, caupoDum, itftbulttriornm.

Daraus erklärt sich auch, dass die praedictio (I. 7 pr. nanue) nur bezüglich der Strafklagen erwähnt wird. Vgl. unten g 1 1.

Enger aber sind die Voraussetzungen der Pthial- klagec in doppelter Beziehung:

1. Die entwendeten oder beschädigten Sachen mOssen bereits im Schilfe u. s. f. sich befunden haben, mögen sie auch schon vorher recipirt gewesen sein. Anders die actio de recepto I. 3 pr., Tgl. auch 1. 1 §§ 2, 3, 8 nautae'.

2. Zur Begründung der POnalklagen gehört nothwendig der Nachweis, dass der Schiffer (Wirth) selbst ', oder eine be- stimmte , zur Mannschaft ^ bezüglich zur Bedienung oder zn

Hier genttgt, Ut aber auch erforderlicli, die ReceptioD, mt^cD bc1> dk Waaren auch Doch nicht oder bereit* im Schilfe oder Wiithihauie befnndoi haben. Vgl. 5. 439 Note l und die Urtheile dei ObertribnnalB zn Berlin (Seaffert'i ArchiT I Nr. 67), dei Obertribunal» in Stultgart (eod. VII Nr. 40), da Ober- appellationigeiichts zu Lübeck Tom 2iJl2. 1856 (Sammlung toq Erkenni- tdtMtm etc. in hamburtriichen Rechtslachen llt S- 15) A). Carpiov, Jnriipr. for. II a6 def. 1 1 ; »paniachcs Handeligeaetibach Ait. 317, 681 ; ponngieüc^ie« HBndeli2'*'''bo'='' An. 187, 1364; braiilioniichei Art. lOi.

I Viele leugnen die Klage für diesen Fall. Wo ei uch um DanKllni^ de* Qaa*idelikis handelt, iit freilich davon nicht die Rede; i. B. g 3 J. de 1. 5 g 6 de 0. et A. (441 ?)■ Vgl. jedoch I. an. pr. furti adT. nant. (47, 5). ]. 4s pr. de foTtii (47, 3). 1. 19 g 3 de nox. act. (9, 4). HinNcbtlicb des furtum ist die Frage bedeulnngiloi, weil hier ohnehin die actio forti nee vtam- fe«ti bdI da« daptnm ging; dagegen war lie bedeatmd in Betreff dei damnnm, weil die gewöhnliehe aqailische Klage nur in Folge Leugnern den dnfacfaen ErutE Qbentieg. Fttr dai damnum iit freilich die Znllisigkeic der Klage w^en dei Delikts de« Frintipats nicht aiudrflclctich bezeagt; indeawn apricht dafh nicht allein die Analogie de< furluni , aondem auch die Unwahncheinlichkeii, dsH dM Qnasidelikt höher wire geahndet worden, als dai wirkliche Delikt.

1 Em gini gewöhnlicher Iirthnm, namentlich der Aelteren, ist es, dais gewi*M Leute der Mannschaft oder Bedienung (medianini etc.) den Schifiet a. t. f. nicht verpflichten. Aber 1. gg 1, 5 D. naulae bestimmen nur, dass die Reception durch dergleichen untergeordnete Dienstleute, welche gana niedere Funktionen haben, nicht wirksam geschehen könne; sofsn die Reception gtlltig erfolgt itt, hat der Schiffer etc. auch gegen die Delikte dicKT I>iciul- lenle «ioinitehen. Wo nun, wie bei den Pttnalklagen, gar nicht die Reception der Grund der Haftung ist, da versteht nch die Vertretimg der Delikte aoch dieser Personen von selbst Hier wird ihrer darum auch gar nicht besonden erwlhnt, sondern et heistt ganz allgemein omnium naiitarum tuomm (L 7 ^. nantae) , a quoquo eorum quosve ibi habebunt (1. nn. pr. furti adv. nanlu), qui in ea caupona ejas cauponae exercendae causa ibi sunt (I. nn. g 6 cod.). Man hat unbegreiflicher Weise rerwechselt die Verpflichtung durch den Anf- nahmeakt , als Grundlage der Haftung ex recepto, und die VerpBichtni^

Verbilbiin m d. pritOTUch«n Stnflclagen ^gen nant&e, canponGi, »tabnlarii, 41 1

den beständigen Bewohnern des Gasthauses gehörige Person das Delikt begangen habe. 1. 6 §§ 1 4. I. 7 pr. § 2 nautae. 1. un. pr. forti adv. nautas.

Hiermit hängt das innere Prinzip dieser Klagen enge zusammen. Sie sind nicht, wie die actio in factum de recepto, auf eine gesetzliche durch die Aufnahme begründete Garantie- verpflichtung, sondern dnrchaus auf ein Delikt oder Quasi- delikt zurückzufuhren. Letzteres alsdann , wenn nicht der Schiffer selbst, sondern seine Leute die Schuldigen sind. Diese muss er schlechthin vertreten, vermöge wirklicher oder fingirter culpa in eligendo: er hätte tüchtigere, ehrlichere annehmen sollen. Darum hier keine Haftung für vectores und viatores, darum blosse Noxalhaftung für eigene Sklaven, in Betreff deren die Annahme einer culpa in eligendo denn doch gar zu missiich erschien: 1. 6 § 3 (vgl. mit 1. 1 § ult. L 2, 3 pr.) 1. 7 pr. § 4 (vgl. mit 1. 3 § 3) nautae. 1. un. §§ 5, 6 furti adv. naut. 1. 5 § 6 de O. et A. 1. 1 § 2 de exerc. acL (14, 1). 1. 42 pr. de furtis. 1. 19 § 2 de nox. act. § 3 J. cit., wo folgende Wendungen begegnen; Quum ipse eos suo periculo adhibuerit Culpae scilicet suae, qui tales adhibuit ; nam quum alienos adhibet, explorare enm oportet, cujus fidei, cujus inno- centiae sint-, in suis venia dignus est, si qualesquales ad in- struendam navem adhibuerit. Quod liberum quidem hominem adhibens statuere debuit de eo, qualis esset, in servo suo igaoscendum sit et, quasi in domestico malo. Namque via- torem sibi eUgere caupo vel stabularius non videtur inhabi- tatores vero perpetaos ipsosquodammodo elegit, qui non rejecit. Et aliquateous culpae reus est, quod Opera malorum hominum uteretur. Qui nautas adhibet, culpa et dolo carere eos curare debet.

In Kürze stellt sich sonach der innere und der praktische Unterschied der prätorischen Ersatzklage (actio in factum de recepto) von den beiden prätorischen Strafklagen (actiones in factum furti und damni injuria dati) dahin:

dnrcli dx in lecipirten oder ihatsichlich im Schiffe eic. bcGndticlieD Objekteo begangene Delikt, ali Vennluiutif der actio de recepto und der PBnilklagen. Die*e duicbgehende Verwecluelnng liegt i. B. der ganz rerworrenen Dar- MeUnng ron Wolteis S. ^ff. ta Grande. Richtig schon Aceariint in der Gloue EU L I g 1 h. t.

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412 I^ Tccepttun aintaiuni, canponum,

1. Elrsatzklage.

Das Edikt verpflichtet den Schiffer u. s. f. die Integrität der einmal angenommeaea Ladung und Reisebagage schlecht- hin, soweit dies in Menschenmacht liegt, zu vertreten. Es soll für ein gewisses Resultat (Integrität der Ladung) auf- gekommen werden, was allerdings indirekt zugleich eine Haftung fUr Delikte gewisser Personen involvirt. Daher auch hier von einem factum praestare die Rede ist (\. l % ult 1. 2, 3 pr. h. t.) aber zugleich wird scharf hervorgehoben, dass nicht die Vertretung dieses factum der Grund der Haftung ist:

1. 3 § 3 h. t. Item si servus exercitoris surripuit vel damnum dedit, noxalis actio cessabit, quia ob recep- tom suo nomine dominus convenitur. Der nähere Umfang dieser Verpflichtimg soll in den §§ 4 ff. dargelegt werden.

2. Strafklagen.

Das Edikt verpflichtet den Schiffer u. s. f. für alle im Schiffe u. s. f, erweislich durch ihn selbst, oder durch sone Leute (im Gasthause auch durch die beständigen Bewohner des Gasthauses) verübten Entwendungen und Beschädigungen an Sachen der Reisenden, wie fUr alle Beschädigungen der Reisenden selbst, auf Hohe des doppelten Werths, bezüglich Entschädigungsbetrages, aufzukommen.

Es soll nicht für ein Resultat, sondern direkt für Delikte gewisser Personen eingestanden werden.

L 6 h. L servi mei nomine . ejus nomine . cujus factum Praetor aestimare solet . nt certi hominis factum arguamus. I. 7 b. t. debet omnium nantarum factum prae- stare — . factum eonun praestat . hujns factum praestat . Suo nomine tenetur, culpae scilicet suae (wie sogleich erklärend hinzugefügt wird). 1. un. g 6 furti adv. nautas, praestat factum eorum . quorum factum oportet eum prae- stare — . vectorum factum non praestatur. § 5. servi sui nomine . liberi hominis nomine .

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VerhSltniu lu d. prltoriiclieii StrtifUaeeii gegen DUtte, canpones, »tabnlaiii. 413

Die Deliktsnatur dieser Klagen tritt auch in ihrer Unver- erblichkeit ' klar genug hervor. Dass sie nicht zugleich der einjährigen Verjährung der meisten prätorischen Deliktsklagen unterworfen sind, nOthigt uns keinenfalls, mit Unterholzner, Verjähningslehre II § 269, zu der ganz verwerflichen An- nahme, dass sie nur geschärfte actiones depositi gewesen seien, beruht vielmehr einfach darauf, dass sie lediglich als erweiterte Anwendungen der actio forti nee manifesti und der actio legis Aquiliae erscheinen und um deswillen gleich diesen behandelt werden'. EHes ergibt sich, zu allem Ueberflusse, auch aus der Stellung der einschlägigen Hauptfragmente. Denn, wie bereits Noodt (Commentarius in libros XXVII Digest, zu lib. IV tit 9 g. E.), und vollständiger Zimmern, Noxal- klagen S. 296 ff. nachgewiesen haben, ist die Quelle der 1. un. D. furti adv. nautas, welche die Pönalklage wegen furtum bebandelt, dasselbe 38. Buch des ulpianischen Ediktkommen- tars, in welchem dieser, nächst dem vorhergehenden lib. 37, die Theorie des furtum und der eigenthllmlichen Anwendungs- fälle desselben entwickelt 3. Dagegen die 1. 6, 7 D. nantae handeln speziell von der actio in furtum wegen damnum in- juria datnm, also von der nachgebildeten aquilischen Klage; nur beiläufig (1. 6 §§ 1, 4) auch vom furtum. Diese beiden Fragmente aber sind ans dem 22. Buch des paulinischen und dem 16. Buch des ulpianischen Ediktkommentars, in welchen beide Juristen vorzugsweise die Lex Aquilia und verwandte Fälle behandelt haben*.

1. 7 g 6 naaUe. 1. ill g l de R. I (50, 17). UebrigcDS findet die UnTererblichkeit ihre Grenie auch hier sicherlich in der BereichenuiE 1. 35 pr. de O. et A. (44, 7). 1. un. C ex del. defanct. (4, 17), und nach heutigem Recht in dem Betrage der Erbschaft, t. Savtgnjr, Syttem V S. A^ß.

* Insofern encheinen auch diese Klagen als wahre, obwohl nicht lelbil- stXndige AuNuhmen von der Annalitlc der prittorlschen Deliktskh^en. In anderen FSIlen analoger Anwendung hat man nicht immer den gleichen Weg eingeKhlagen, i. B. bei der ihnlichen Klage gegen die Pabticani: L 1 pr. D. de public. (39, 4)1 welche ja auch sonst manche EigenthUmlichkeiten hat, und theQs strenger, tbeiU müder aU die CivQklagen ist.

1 Die Angaben bei Zimmern sind nicht gans TolUtSndig. Es gehören hierhin 1. 50, $1 de fortis. I. 8, 36, 3S de noxal. act. 1. I de tigno juncto. I. 9 ad leg. Com. de sicar. 1. 6, 10, 13 de cond. furti*n. 1. 13 de publican. 1. ii 3 ti fiunili« fnrt. fec. die I. 7 aibor. furtim caes. 1. 193 de V. S.

4 Zu den bei Zimmern ati^eskhlteii Fragmenten noch 1. 3, 4 li qnadrap. paup. fec Aus dem 18. Buch dei ulpianischen Ediktkommentan ict

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414 I^ reccptnn naatanun, onponum, stabnlariorom.

Es leidet demnach keinen Zweifel, dass aach im edictnm Perpetuum unsere beiden POnatklagen neben dem fm-tum und damnum injuria datum standen. Dagegen haben Paulus und Ulpian die pi^torische Ersatzklage de recepto in un- mittelbarem Anschluss an die Lehre vom receptum arbitrii dargestellt (Paulus libro 13 ad Ed. Ulpian lib. 13, 14 ad Ed.). hinter welcher sie auch in der justinianeischen Kompilaticm ihren Platz gefunden hat (Vgl. unten S. 420 Note 1 und § 7 a. E.)

Ob und inwieweit nun die prätorischen Poenalklagen noch heut zu Tage anwendbar sind, dartlber herrscht Streit. Gewiss verwerflich erscheint die Ansicht derer, welche sie für dorcb- aus anwendbar erklären ' ^ denn sie sind wesentlich Klagen auf Privatstrafe. Zu weit aber gehen auf der anderen S^te diejenigen , welche sie , als völlig antiquirt, ganzlich aus- scheiden '. Denn sie sind keineswegs nur Klagen auf Prival- strafe, sondern sie umfassen zugleich den Schadenersatz (actiones mixtae). Dies kannte für die actio furti adv. nantas bezweifelt werden wegen der reinen Strafnatur der eigent- lichen actio furti, welcher sie nachgebildet ist. Darauf wäre nun freilich an sich kein Gewicht zu legen, da.ss neben unserer Klage einer besonderen condictio furtiva gegen den Thäter. welche neben der eigentlichen actio furti den Ersatz veimittelt, niemals Erwähnung geschieht. Bedeutsam aber ist, dass die aquilische Klage unstreitig den Schadenersatz mit umfosst, und nicht minder sicherlich unsere nachgebildete Klage, wie die Mutterklage '. Werden nun offenbar unsere beiden Pönal-

sogar der grCute Tbeil der tit. I, Z Hb. 9 entuomiaeD, in tit i die l6 mn- fusenditcD Fragmente.

Z. B, V. Weniag-InseDheim, Civtlrecht, 5. AarUge, § 343: Schweppe, Du römuche Privatrechc, 4. Aufl., % 6ox; MflhIeDbrncli. Pandektea § 451; Göschen, Vorletnngen II 2 S. 6S9; Pucbta, Pan- dekten (iz. Aufl.) § 391.

> Z. B. Gluck VI S. 143 nod die dort Citirten; Tbibant, Pandduen (S. [9,] Aufl.) % 501; Seuffert, Prakt. Pandektenr. (4. Aufl.) g 405 Note zo; v. Savigny, Obligationen II S. 318, 319, vgL jedoch S. 311; Arndts, Pandekten [13. Aufl.] % 389 Anm. 1 ()); Brinz, Pandekten S. 511 X. Aufl. II g 338.

} Bewieien wird dies durch I. 6 g 4 nauue, wonach nicht gleklueitig g^^en den Thtler mit der aquiliachen Klage, und gegen den SdüSer mit der Qaandeliktsklage vorgegangen werden darf. Nur gehört sie nicht, wie die dvile Mutterklage, lu den Klagen mit Litiscresceni, sondern geht sieb auf das

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Die einichligigea FSIIe der KlagenkonkntreDz. 415

klagen einander in den Quellen völlig gleichgestellt ', so muss auch die actio in factum furti adv. nautas, insoweit wenigstens, als sie auf einem Quasidelikt beruht, als mixta actio angesehen werden. Daraus folgt, dass beide Klagen, gleich der aqoi- lischen Mutterklage, nur in ihrem Strafzusatz antiquirt sind, dagegen auf einfachen Schadensersatz, gleich dieser, auch noch gegenwärtig zulässig ^'scheinen'. Auch durfte anzunehmen sein, dass diese Klagen, soweit ihre gegenwärtige Anwendbar- keit reicht, gleich der actio furti, und nach Analogie der 1. 1 § 7 nautae, einem jeden Interessenten zustehen, nicht wie die condictio furtiva auf den Eigenthtlmer, oder wie die aquilischeo Klagen auf diesen, den b. f. possessor und den dinglich Be- rechtigten, beschränkt sind'.

Praktisch wichtig ist die soeben erörterte Frage um des- willen, weil, wie gezeigt, die Strafklagen einen anderen und in mehrfacher Beziehung weiteren Thatbestaod umfassen, als die pratorische Ersatzklage, ihre Ausscheidung aus dem Rechts- system sohin eine wesentliche Lücke lassen würde.

m. Die einsehl^igen Fülle der Kli^nkonkurrenz.

§3.

Der Vollständigkeit halber mag hier noch die Frage nach dem Verhältniss der an sich möglichen verschiedenen Klagen zu einander berührt werden, da die bisherigen Darstellungen ' weder erschöpfend, noch durchaus genügend sind.

Es sind folgende Fälle zu sondern, für welche sich nur wenige ausdrückliche Entscheidungen finden:

I. Die actio in factum de recepto und die civilen Kon-

dDplnm. G«jui IV 173. 1, 7 D. de »lut. {46, 3). Vgl. Rndorff in der Zeibchr. f. gescb. Rechtawiiaeiuchaft XIV S. 189?., 394 ff., 396 ff.

' L 6 pr. §§ I, 4. L 7 § 6 nmiae. I. 5 § > ««l- 3. 7 cit. l. S g 6 de O. et A.

Damit Minunen im Restdtat Obeiein Zimmern, Noulklagen S. 30Z; UnteTholznet, SchnIdverUltniue II S. 733; nomentlicli Sintenis, QvU- recht [nch 3. Anfl.] II g izo Anm. i a. E., 8 a. E., 14 ood I S. i63, 363 [»73 ff.].

1 Arndt«, Pandekten [13. Aufl.] g 313 a. E.

4 Namenüich Glück VI S. i4off.i Mflller, a. a. O. S. 33ff.i Sin- tenis II S. joo [3. Anfl. S. 703].

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416 I^ recepRun nantarum, canponom, mbaUrioTam.

traktsklageo, soweit sie denselben Zweck verfolgen, schliessen einander aus, und zwar so, dass schon die Wahl entschadet '. IL Die actio in factum de reoepto scbliesst stets die con- dictio furtiva sowohl gegen den Redpienten, sofern dieser der Dieb ist, wie gegen den dritten Tbäter aus und umgekdirt'. Auch für die aquilische Klage würde Gleiches gdten, weQ deren Strafzusatz gegenwärtig antiquirt ist, wenn nicht ^ese Klagf gegen die Erben nur auf Höhe der Erbschaft g;iIlge^ Daher nach Durchsetzung der aquilischen Klage gegen die Erben das Mehr mit der actio in factum de recepto wird nach- gefordert werden können, sofern man nicht etwa nach L 2 § 27 ri bon. rapt. (47, 8) in unserem Falle die aquilische Klage gegen die Erben gänzlich versagt*.

III. Die actio furti gegen den Recipienten, falls dieser selbst der Dieb war, würde an sich durch die actio de recepto nicht ausgeschlossen gewesen se\n>. Dagegen spricht auch nicht 1. 3 g 5 nautae, welche sicherlich im Zusammenhang mit der unmittelbar folgenden 1. 4 pr. von dem Falle zu ver- stehen ist, da ein Dritter den Diebstahl begangen hat.

IV. Schwieriger ist die Frage, ob die actio de recepto ausschliesst :

1. die Quasideliktsklage gegen den Redpienten, sofern die Voraussetzungen beider Klagen gleichmässig vorhanden sind.

Aller an sich begründeten Zweifel ungeachtet, muss diese Frage bejaht werden, nicht allein, weil die Quasideliktsklage zu den actiones mixtae gehört, sondern auch namentlich darum, weil sogar die reine Strafklage gegen den dritten Thäter durch die actio de recepto ausgeschlossen wird. Nur darf selbstverständlich, nach dem allgemeinen PVinzip der 1. 41 § 1 D. de O. et A. (44, 7), mit der günstigeren Klage das Mehr nachgefordert werden, also gegenwärtig mit der actio de recepto das den Betrag der Erbschaft übersteigende Interesse,

Vgl. die Stelleo S. 407 Note 1 und den Text dun.

' 1. 43 § I de R. J. (50, 17). 1. 34 8 3 de O. et A. {44. ?)■ 1- »7 pr. D. de dolo (4, 3). 1. t § 10, 1. 4. D. de hto qni effbd. (9, 3).

3 V. SiTign^r, Syttem V S. 46 ff.

* V. Savign;, System V S. 47 Noter.; Fnchta, Pandekten [i3.Aafl.] g SS Note g.

J V. Savigny. a. a. O. S. 238 ff.

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Die eiiuchUgigen FSUe d«r KIigenkoDhuireat. 417

falls man nicht, wie bemerkt, überhaupt die Quasideliktsklage gegen die Erben hier versagen will.

2. die Deliktsklage gegen den dritten Tbäter im gleichen FaUe.

Dieselbe wird dem Beeinträchtigten ausdrücklich und schlechthin abgesprochen, so dass er scheinbar nicht einmal die Wahl zwischen ihr und der Ersatzktage de recepto hat, sondern sich schlechthin an den Recipienten halten muss.

1. un. § 4 furü adv. nautas: Quodsi receperit salvum

fore caupo vel nauta, hirti actionem non dominus

rei surreptae, sed ipse habet, qui recipiendo pericu-

lum custodiae subit

Eine nähere Bestimmung findet dieser Satz durch 1. 4 pr.

nautae , 1. 14 § 17 de furtis (47, 2) ' , wonach der Recipient

die actio furti nicht haben soll, wenn er entweder insolvent

ist oder selbst die Sache vorher gestohlen hat.

Savigny, System V S. 258, will, nach dem Vorgang der Glosse, diesen Satz mit der singulären Strenge der actio de recepto erklären. Der wahre, sehr viel allgemeinere Grund wird jedoch ausdrücklich hervorgehoben: cujus sit periculo quia recipiendo periculum custodiae subit, nämlich der be- kannte Rechtssatz, dass die Deliktsklagen gegen den Thäter als ein Aequivalent für das periculum custodiae dem zur custodia Verpflichteten zustehen. In dieser Allgemeinheit wäre jedoch der Satz unbillig. Will nämlich der Bestohlene sich nicht an den Recipienten halten, sondern verzichtet er auf seine Ansprüche gegen denselben, so liegt kein Grund vor , ihm die Deliktsklage zu verweigern '. So erklärt sich die im Gegensatz zu 1. un. § 4 furti cit. scheinbar eine ge- wöhnliche Klagekonkurrenz statuirende 1. 3 § 5 nautae:

Novissime videndum, an ejusdem rei nomine et de recepto honoraria actione et furti agendum sit? Et Pomponius dubitat; sed magis est, nt vel officio judicis, vel doli exceptione alterutra esse contentus debeat.

' UeberdiiBtiniiDeDd mit 1. lO— .ii pr. 1. 77 (76) de furtis. Vgl. audi Mommien, Erörtenu^ren tiu dem Obli^tionenrecht, Heft I, .S. 97.

> MommieD, a. a. O. S. 91 ff. Uebiigeos nehme ich, Dach 1. 5 § 1. 1. 3 gg I, 3 b. t. keineD Anttond, dieselben Gnindi&tM alUTdiogs gegta di« R«K«1, vgl. aacb Glone ad b. I. tVi die aqaiÜKbe Klage aiunQehmeii. Ooldichmidi.ViiniiiKhte Schriften. H. 37

, C-'OogIc

418 ^*^ Tcceptum twaUmm, cauponom, (tabulaiionuo.

V. Die Klage aus dem Quasidelikt schliesst die Delikts- klage und sicherlich auch die condictio furtiva, gegen den dritten Thäter aus, wie umgekehrt, doch darf der belangte Schiffer die Cessioa der Klagen gegen den Thäter verlangen.

1. 6 § 4 aautae. 1. un. § 3 furti adv. nautas. Die Nothwendigkeit der Cession hinsichtlich der actio furti wäre allerdings eine, übrigens auch sonst vorkommende Anomalie, wenn es sich hier gleichfalls um Verpflichtung zur Custodia und daraus entspringende VerantwortUchkeit handelte. Dies ist aber, wie oben gezeigt worden ist, hinsichtlich der Quasideliktsklage keineswegs der Fall.

VI. Endlich könnte die Frage aufgeworfen werden, ob gegen den Schiffer etc., welcher selbst das Delikt begangen hat, neben der Deliktsklage noch die Quasideliktsklage an- gestellt werden dürfe'. Nach römischem Recht wäre diese Frage dahin zu bejahen, dass mit der umfassenderen Klage das Mehr nachgefordert werden dürfte ' ; gegenwärtig ist sie unerheblich, weil die actio furti völlig antiquirt erscheint, und die einfache wie die nachgebildete aquilische Klage dahin über- einkommen, dass sie nur auf einfachen Schadensersatz, g^en die Erben bis auf den Betrag der Erbschaft, zuläs^g sind.

IV. Inhalt der aetio de reoepto. BegrilT der vis miy'or.

Gründe des Verkehrsbedtlrfnisses wie der Gewerbepolizö *, nicht minder aber auch die römische Verkehrssitte, auf welche wir unten zurückkommen werden, haben wohl gleichmassig zu der strengen Hafttmg der Schiffer, Gast- und Stallwirthe gefohn

' '■ 54 (53) § 3 furtii (47. *)■ Vgl. Mommien S. 93 ff.

» Vgl. oben S. 410 Note a,

1 I. 34 pr. de O. el A. (44, 7). 1. I D. atbot. farlim caei. (47, 7I 1. t D. vi bon. rapL (47, 8); t. Vangeiow, Puidekleo IQ S. 60 C [7. Aufl. % sn].

* In der Regel werden die DiflereDtpunktc entweder verliumt oda dod ttbenchSut, mitunter jedoch unterschltit, i. B. anch von Koch, Eüenbahna II S. 39 Note 33. Originell iit auch hiei der Standpunkt von Kriti, Pan- dekteorecht I s S. 31S, welcbem infolge dai Edikt fUi nantae etc. anr das- jenige Torgesctmeben habe, was fOrebe andere Gattung der locatio condi>cti(>('' die Praxis eingeführt I

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Inhalt der «clio de recepto. BegiifT der vis major. 419

Im Folgenden soll der Umfang dieser Haftung näher ge- prüft und damit die Grenze gegen die nur civilen Kontrakts- verhältnisse gewonnen werden, Dass diese Untersuchung durch den bisherigen Stand der Forschung nicht überflüssig geniacbt ist, dürften die nachstehenden Erörterungen ergeben. Die- selben werden sich zunächst auf das römische Recht be- schränken, da es vor Allem erforderlich ist, eine sichere Grundlage zu gewinnen. Am Schlüsse soll der Umfang der Reception untersucht, in einer folgenden Abhandlung die Ge- staltung des hier namentlich wichtigen Begriffes der sog. höheren Gewalt für das moderne Recht entwickelt werden. Ueber das Alter unseres Edikts fehlen direkte Nach- richten. Als ältester Konmientator in den erhaltenen Frag- menten wird Labeo genannt (1. 1 § 4. 1. 3 § 1 h. t.). Ist jedoch unsere oben S. 402 Note 1 ausgesprochene Vermuthntig begründet, dass dasselbe vor dem Edikt über die exercitoria actio erlassen sei, so muss es spätestens aus der Zeit des Servius Sulpicius herstammen, da von diesem sogar eine ana- loge Ausdehnung des jedenfalls jüngeren Edikts über die insti- toria actio berichtet wird (1. 5 § 1 de inst, act. 14, 3). Durch- aus bestätigt wird diese Annahme durch den § 7 darzustellenden Sprachgebrauch der ciceronianischen Zeit.

Die Worte des Edikts sprechen eine imbedingte Resti- tutionspflicht aus:

L, 1 pr. h, t. Nautae, caupones, stabularii, quod cujusque salvum fore receperint, nisi restituent, in eos Judicium dabo'. Hierzu bemerkt Ulpian aus Pomponius:

L. 3 § 1 h. t. Miratur igitur, cur honoraria actio sit introducta, quum sint civiles; nisi forte inquit, ideo, ut innotesceret Praetor curara agere reprimendae improbitatis hoc genus hominum, et quia in locato conducto culpa, in deposito dolus duntaxat prae- statur. At hoc Edicto o m n i m o d o qui recepit tenetur, etiamsi sine culpa ejus res periit

' Bwil. 53, 6. 'Oneg av läßaaiv tnl rp rpvläiai ol vaiMltigoi st f*g äiroKtt9iin<öotr , tväyoviai. Vgl. Baiil. 53 i, 31. AehaLdi Synopiis nÜDor c 53; HarmcDopul. II 11 § 4: Rhod. CompU. II 14 (Pardeisut, CoU«ct. I p. 301 , ao5, 23s),

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420 )^" receplutn namanim, cauponmn, iU.bu)«rion)m.

Tel damnum datum est, nisi si quid damno fbtali contingit. lade Labeo scribit: si quid naufragio, aut per vim piratanim perierit, iioii esse iniquum exceptionem ei dari. Idem erit dicendum, et si in stabttlo vel in caupona vis major contigerit. Die unbedingte Haftung erstreckt sich also prinzipiell auch auf den Zufall; nur aus BilligkeitsrUcksichten im Wege einer exceptio wird dieselbe beschränkt'. In diesem Sinne einer sehr weit ausgedehnten Haftung sind die Ausdrücke recipere custodiam (1. 1 § 8 h. t.), cujus sit periculo (1. 4 pr. h. t.), custodiae nomine tenentur (1. 5 pr. h. t.), recipiendo peri- culum custodiae subit (1. un. § 4 furti adv. nautas), periculum ad eos pertinet (l. 14 § ult. de furtis), non soliun a furto, sed etiam a damno reced«^ {recipere] debet (1. 5 § 1 h. t.) zu verstehen. Darin liegt die von den römischen Juristen selbst anerkannte anomale Natur des Edikts; Maxima utilitas' est hujus edicti. Ne quisquam putet graviter hoc ad- versus eos constitutum (I. 1 § 1 h. t.). Vgl., auch die Recht- fertigung in 1. 3 § I cit.

Indessen erschien der älteren Theorie diese gesetzliche Haftung auch für den Zulall so exorbitant, dass sie den un- bequemen Satz bald durch Reduziiimg des periculum casus auf culpa ievissima ^, bald durch Verwandlung der Verpflichtungs-

Keller, Der rfimische GvilprOKss [6. Aufl.] § 34; BtIdi, Pan- dekten [1. Aufl.] S. 44z [fehlt in d. 3. AuS.}. Ebenso beim Teceptum arbi- Irium , wo Dur an Sielle der actio and exceptio dss magistratische imperimn tri«: I. 15. 16. 1. 9 §§ 4, 5- 1- ><•. " pr- §§ 4. 5- I. 13 § 4- 1- l? § '■ 1. 32 §§ 4 fr. de receptii (4, 8]. Auch hier lautet das Edikt des PrSiors nn- bediu^ : ■eotentiam dicere coEam 1. 3 § 3 1. 15 eod. Ebenso eine merkwflrdige PnraUele in dem Gedankengange Ulpian's: I. 3 §1 eod. und 1. 1 g i nantae.

* Ueber die uülitaa im römischen Seerecht vgl. auch 1. i pr. §§ 5, so de exercit. act. (14, 1). 1. i § t de ine, niina, naufr. (47, g) . und ThÖl, Handelsrecht (3. Aufl.) I § 31 b Note 6 [6, Aufl. I § 65 Not. 9].

^ Vgl. die Citatc bei GlUck VI 5. tat Note 51, S. 139 Note 14. Die Neueren haben diesen Ausweg selbstversliadlich aufgegeben. Doch nnter- scheidet noch Buddeus ia Weiske's Kechtslexikon IV S. 437 bei Fufai- leaten einen mittleren und einen höchsten Grad des Fleisses ! Freitich ist diese Unklarhek nicht der li^le MissgrifT der guu ungenllgenden Abhandhing. Eine Abschwichung nach dieser Kichtung findet sich Übrigens berdts «ehr frilh, z. B. Edictom Theodorid cap. 119: Si quid de tabema vel stabnlo perierit, at> his, qui lods talibus praesunt. vel qui in hit negotjaotnr, repeten-

lohalt der actio de recepto. Be^iff d«r ms major. 421

frage in eine Frage der blossen Beweislast zu umgehen sachte. Die Eigenthümlichkeit des receptum bestehe darin, dass hier ausnahmsweise nicht der Gläubiger die Schuld , sondern der Verpflichtete seine Nichtschuld darzulegen verbunden sei.

Auch diese letzte, noch immer verbreitete' Ansicht, auf welche grossentheils die ältere Theorie das ganze Institut und den Grund seiner Einführung stutzte, muss entschieden zurück- gewiesen werden. Denn nicht traf ist der quellenmässige Gegensatz ein ganz anderer, sondern auch ex locato trifft die Beweislast hinsichtlich des Zufalls stets den Schuldner', weil

dum ett, iu at praestent BacnunenU de coDscientia sua luorumqne: et si boc fecerint, nihil cogantur eisolvere, ant certe quantum petilor joraverit se in eo loco perdtdisse, reitilnant (Rboii. S. 37).

< Z. B. Carpiov. Jurispnid. forensis p. II c. 26 d. 18, ig; Gltick IV §3J7 b. VI, §493; Wolters, a. a. O. S. 3 ff., 26, 56 ff.; Müller, a.a.O. S. 26. 64; Apostolean« , actio de receplo S. 7 Note 2. Mit Limitationen: Harpprecht, Daa Recht der Fuhrlente, 1718, I 3 §§ 2—7. Hiadg wird dieter unrichtige Sali zwar ni<;hl auagesprochen , aber doch voraulgesetit und der Argumenlation ^u Grunde gvlegt , z, B. selbit von Reyscher, Zeitschr. f. deutsclieB Recht XIX S. 298(?), 30t.

> 1. II, 19 pr. § I de probat. (»2, 3). 1. 9 § 4 locati (19, ?}, 1. 1 § 13 de mag. con». (17, 8). 1. 23—25 mandati (17, 1). I. 1 § 16 depositi (16, 3). 1. 5 C. de pign. act. (4, 24). 1. 3 C. de probaL (4, 19). Aui der gemeinrechtlichen Literatur hervorzuheben: Caiaregis, diicursus legales de commercio disc. 23 Nr. 6 ff., 25 ff. ; Mfln ter, Du Fnchtfahrerrecht I S. 200 ff., II S. 117 ff.; Weber, Ucber die Verbindlichkeit zur BeweisfUhrang Kap. VI §§ 11—25; Cropp, Jur. Abhandl. 11 S. 630; Puchta, Fandeklea [j. 12. Aufl.] § 2Ö7; Sintenis, Civürecbl [3. AdU.] II g 101 Note 67 ; WSchter, Hand- buch des im Königreich Württemberg geltenden Privtttrechts II S. 793; Gerber, Beitrige zur Lehre vom Klagegmud und der Beweislasc 17 24^ Koch, Kisenbehneo II S. 2Sff.; Blitter für RechtaaDwcudung In Bayern XI S. iS, XVIII S. 50, u. A. m. L'eber die deutsche Praxis: Urtbeile des Oberappellations- geiicbts IU Dresden (Seuffert'a Archiv I Nr. 338, VII Nt. 2*5, XI 237, und Koch, Eisenbahnen, II. Anhang S. 117); zu Lübeck (ThOl, Aasgew. Ent- scheidungsgr. Nr. 162, Seuffert'a Archiv I Nr. 168, IV 113, 114, V 306, VII 310); zu Celle (Seoffert'«Archi»I 168); K*Mel (Seu»ert's Archiv III 363); WiesbuJen (Seuffert's Archiv X 41}; des Obertribunals zn Stattgart (Senf fert's Archiv IV 180 [?]); verschiedene Appellationsgerichce und Jumteil' fakultiten (bei Koch, Eisenbahnen, II. Anhang 5. tao, iSi, 1S7, 205, 213, 320); Hamburger Urtbdie (bei Ullrich, Sammlung von seerechtlichen Er- Icenntnissen des Handelsgeiicbls za Hamborg, i. Heft Nr. ai, 26, 69, 8S) u. A. m. Uebereitutimmend die neueren Gesetzgebungen, über welche zu ver- gleicben: Kocl), Lehrbuch des preiusischen Privatrechts II § 470; Zachartt, Handbuch des (raniäs. CivUrechtt, 5. Au6. von Anschfitz, II §§ 308, 331

422 I^ recepnim nauUrum, cauponnm, sMbaUriornm.

derselbe zur rechtzeitigen und unversehrten Restitution kon- traktlich verbunden ist.

Steht hiernach die Haftung fur den Zufall ebenso fest als der Wegfall dieser Verbindlichkeit unter gewissen UmständeD, muss also die Art des Zufalls entscheiden, so entsteht die Frage, nach welchen Kriterien die erforderliche Sondemng der verschiedenen Arten des casus zu bestimmen sei. Die ge- wöhnliche' Antwort lautet: nur vis major (höhere Gewalt) befreit, und darunter wird dann meistens, sofern man über- haupt eine Erläuterung für erforderlich erachtet, ohne weitere Begründung ein an sich unabwendbares Naturereigniss oder eine fremde offenbare (imwiderstehliche) Gewaltthat verstanden. Ein beliebtes Beispiel ist, dass Feuer im Gasthause (Schiffe) selbst nicht von der Haftung befreie. Wohl dasselbe meinen Puchta, Pandekten (12. Aufl.] §314, und Holzschuher, Theorie und Kasuistik II S. 820 [3. Aufl. III S. 911], wenn sie nur wegen »von aussen kommender' vis majore befreien. Etwas verschieden, aber anscheinend in demselben Sinne drücken sich Andere aus, z. B. Mahlenbruch, Pandektm III § 451, nach welchem nur »der rein zufällige, sowie der durch vis major verursachte Schade« befreit; Reyscher, Das gemeine

[8. AdA. TOD Crome %% 288, 311] (Code cirU att. 1147. 1148, 130s, 1315, 3^1 [7^; Code de commerce art. 103); Unger, S^item d«s Österreich. Printrechli [3. Aufl.] II S. 569, 570, 593 Note 4i> (Bflrgerl. Geseutn»^ g 129s}; Entwurf eines dealKheii Htndel^cKtzbuclu Art. 344, 357 alin. 2, 371, 371.

Z. B. Donellui, Commentarii lib. 15 cap. 43 § tl ; GIlIck VI 4S6, 490; Heise, HaDdelirecht S. 370 fF. ,- Scbweppe ni g 601; T. Wening-lDEenheim II § 393; Seaffert, FaDdektenrecht [4. Aaf.] §405; Bender, Handelsrecht! §70; PöhlE, Seeieclit II S. 500; Sintenii, GTilrecht [j. 3. Aufl.] II 5. 69S; Genglcr, Deuttches PriTOtrecht [1. Anfl.] g 95 [feblt in d. 4. Anfl,]; Bluntichli, DenUches Privatrecht fl §g 116, 130; Müller, a. a. O. S. 3i, 33; MommseD, BeitilgE mm Obligatianec- recht I S. 353, 374 Note 10, bei diesem Schriftiteller um so aaffallcnder, als er knn zuTor S. 341 IT. die IdentitKt Ton easui und vis major aoadiSdlich aDerkemit: Koch, Eisenbahnen II S. 24.

* In 1. 30 g 4 locati kommt der Ausdmck extrariu vis voi , jedoch nnr im Gegensatz lu einer von den Leuten des colonus venmlasMen FcneitbmnK. Geffenwiitig pfl^ man anler Süsserem Zufall eiiiea solchen m veistchen. welcher nicht von innen heraus eintritt, also im Gegensau lum inneren Verderb der Waaren (vjtio rei). Stypmann, De jnre maritimo p. IV c^, VIT Nr. 3iSff.; Langenbeck, Anmerkungen über das faamburgische Schib- and Seerecht (Hambmg 1717) S. 80, und Andere nach Atileitnn|; tömitcher Stellen, wie I. 13 85. I. 15 § 3 locati (19, 3). 1. 24 18 3, 3 de damno mf. (39, 3).

Inhalt der «ctio de recepto. B^;riff der »äs major. 423

und württembergische Privatrecht II §§ 460, 461, welcher »un- abwendbaren Zufall oder unwiderstehliche Gewaltc erfordert'; Arndts, Pandekten [13. Aufl.] § 289, welcher .reinen Zufall und fremde Gewaltthat« ausschliesst. Andere, z. B. Mitter- maier, Grundsätze des deutschen Privatrechts II § 540, und Archiv für Wechselrecht I S. 162, definiren höhere Gewalt als »ein Ereigniss, welches der Schuldner nicht vorhersehen und vermeiden konnte, in Ansehung dessen ihn auch keine Schuld trifftc, d. h. doch als Zufall', und geben damit jene von ihnen selbst als nothwendig erachtete Sonderung innerhalb des Zufalls gänzlich auf. Am weitesten entfernt sich von der gewöhnlichen Darstellungsweise Thibaut, Pandekten [j. 9. Aufl.] § 501, welcher den Ausdruck vis major gänzlich vermeidet und »blossen Zufall« befreien lässt, »unter welchem Begriff hier jedoch die freien schädlichen, dem Wlrth selbst unabwendüchen Hand- lungen Derer, welche er aufnahm, nicht stehen« ^

Ein tieferes Eingehen auf die einschlägigen Fragen ist uns nirgends begegnet, eher scheint es, dass unter jenen doch auch bedeutsam wechselnden Ausdrucksweisen sich, wo nicht völlige Unklarheit, doch grosse Unsicherheit und Schwanken verbergen '.

Derselbe in der Zdtichr. f. dealKhes Recht XIX 5. 300.

Vgl. Mch Einert im Archiv fOr Wechielrecht I S. 312 ff. Sollte aber etwa der Nachdmck auf dem ivorherieheDi liegen und damit eine Grcnie £^en gewöhnliche ZniUle gemeint win. so wfir« dagegen eintnwenden , dais dicKs Kritenum nnmlltng ist, w«l es nar in gewissen FSllen tutrifft: anch Gewitter , Anlücken feindlicher Heere lassen sich hiafig Toihenehen und werden doch sicherlich als höhere Gewalt beteiehiwt. Ebenso ist die IdentitSt von cas fortuit und foree majeure im fTaniesischen Recht anerkannt, welche« hSußg beide Aosdrflcke knmnlativ braucht. Vgl. Pardeisus, Conrs de droit commerdal Nr. 238, und namentlich Delamatre et Lepoitvin, Trait£ du cOQirat de commistion I. II Nr. 3g; Troplong, Du lonage Nr. 916, n. A. m.

3 So im Wesentlichen auch schon Struo, welcher den Nachdruck auf das Wort ejus in etiamsi sine culpa ejus res periit vel darouum datum est legt. Ueber dessen Kontroverse mit Cocceji vgl. Wehrn, Doctiina juris expUcatrix princi^orum et cauiarum damni, l.eipiig 1795, § 18.

* So sagt z. B. Pohls, Handelsrecht I S. 146: »Selbct für den casus' muts er (der Fuhrmann) insofern aufkommen, als die Gesetze ibn verantwoct- lich machen , auch wenn dne Sache ohne seine Schuld unterging. Nur ein damnum fatale befreit ihn. Was unter diesem damnum fatale lu verstehen sei, ISsst sich schwer bestimmen. Nur so viel ist gewiss, dasa eine unabwend-

.00«

424 Dm reMptnm nautanun, caapoDam, (Ubularionun.

Fortsetzung:

Der gewöhnliche Begriff von vis nugor ist unh^tbar

und unzureichend. Beweis aus den römischen Reohts-

quellen.

§5. Soll der Begriff der »höheren Gewalt« ein praktisch irgend brauchbarer sein und einen sicheren Anhalt gewähren,.

bare höhere Gewalt ihn befreit.' Auch iwei nenere, guu glnchlautende L>- theile des ObeiappelUtionsKerJchts zu Lübeck vom 12. Deiember 1856 (Saram- luDg von ErkenntoiueD etc. io haniburgUchen Rechtxsacfaen JII S. 151 S.), welche unser Icscitat einer lOrgnilligeD Prttfung anteriieheo , begnOgen sich mit bloss negalivFD Resultaten. Es bandelt sich um Schadenseisati an bcnäti übemommeDen, aber noch nicht verladenen Waaren, welche auf der Werft von Boston verbrannt waren. In dieser Beiiehnng heiist ei in den gedachten Ur- theileQ: iWa« nun den in Rede stehenden Punkt selbst anlangt, so ist anver- keanbar dasjenige, was die Wiedetkl&ger als das in den aordametiksuiischen Staaten und speziell lu Botton gellende Recht bneichnen , in hohem Grade lingnlSr. Sie behaupten , das; der Schiffer nach diesem Rechte die Folgen eines jeden Feuerschadens, welcher sich an den su Iransportiiendeii Gegen- ständen auf andere Weise als in Veranlassung eines Blitistrahlei ereigne, m tragen habe, ohne Rücksicht darauf, wenn auch etwa die Wirkung des Fencn als eine den Umständen nach unabwendlicb gewesene anzusehen sein s<^te. Dies atehl mit den Prinzipien, welche in dieser Materie den Seerechlen sowohl älterer als neuerer Zeit, wenigstens der weit überwiegenden Mehnahl nach, in Grunde liegen, im Widenpruche. Und wenn der von den Wiederkligern hieifUr citirte Kent, Comment. II S. S97 ff., die Meinung aufsldlt, das die von ihm vertretene umfangreiche und derjenigen eines Versieberen in den meisten Punkten gleichkommende Verantwortlichkeit des Schiffers ans dem römischen Rechte welches allerdings im Wesentlichen die Gnmdlage des in Betracht gesogenen Theils der geltenden Seerechte bildet zu recbtfeit^en sei, so ist die* ein Irrlhum. Denn weder weil der Frachtkontrakt eine locatia conductio operis ist, haftet der Schiffer für die Gefahr der zu transportirenden GegenstSnde , noch ftihren die GrunddUe vom receptnm aaf das beieidinete Resultat hin. Freilich erweitern die letztgedachten GrundsStie die Venuitwnrt- lichkeit des SchilTers so, dau, wlhrend er nach den Friniipien des Hieth' vertrajirei schon frei ist, si sine culpa ejus res perÜt vel damnum datum est, er in Betreff recipirter Gegenitinde für Untergang und BeschSdignng haftet, niti quid damno fatali contingit. Allein der Begriff des damnum fatale wird lu eng aufgefasal, wenn man ihn nur auf unmittelbare and absolut unwictef- stehliche elementare Wirkangen bezieht Schon die in der 1. 3 cit. selbtt anf- geführten Beispiele, unter welchen auch die via piratamm angegeben wird, wurden jene Anlegung als bedenklich erscheinen lasten, allein jeder Zweifel wird dadurch beseitigt, da«* in der gleich der 1, 3 dt. von Ulpian henflliRD-

, Ci 00^^ Ic

Der gewöhnliche BegrifT von via major isl imhaUbat und unzureichend. 425

SO mUssten wir ein Doppeltes anaehmen und durch die Quellen erweisen können:

1. Nur solche Ereignisse befreien, welche Ihrer Natur nach unverschuldet zu sein pfleg'en, deren Ab- wendung und Abwehr menschliche Voraussicht und Kraft zu übersteigen pflegt.

In diesem Sinne wird der Begriff wohl von den Meisten gedacht' und namentlich im Handelsrecht häufig gebraucht, am schärfsten aber von Bluntschli, a. a. O. S. 20, ent- wickelt. iDiese Unterscheidung innerhalb des Zufalls hat in der That ein praktisches Interesse. In den Fällen des ge- wöhnlichen Zufalls nämlich ist es meistens sehr schwer, zu emem sicheren Urtheile zu gelangen, ob durch Sorgfalt der Schaden hätte abgewendet werden kOnnen oder nicht ; in den Fällen der höheren Gewalt dagegen (Naturereignisse, Feindes- gewalt) ist es klar, dass der Einzebie ihr nicht widerstehen kann. Jene Unterscheidung schneidet daher in objektiv sicherer Weise die Streit- und Beweisfragen ab, und eignet sich darum so vorzüglich für das Handelsrecht.*

2. Diese Ereignisse müssten überdies im konkreten Falle unverschuldet, d. h. für den Verpflichteten unvermeid- lich und unabwendbar gewesen sein, was sie nament-

den 1. ja § 3 pro tocic (17, i) damna fatslia definirt, und iwai ab die- jenigen beieichnet werden, denen durch Vorsicht nicht vorgebeugt werden kann, wobei unter Anderem auch incendium als Beispiel eines solchen damnum er- wUint wird. Damit obere instimmend haben der Regel nach die Seereehte den Schiffer dann ßlr nicht verhaftet eiklirt , wenn er durch nicht vorherzusehen gewesene, unabwendliche äusiere Einwirkungen an der Liefenmg der ru ver- schifTenden Gegensl3nde U)>erhanpt oder in unbeschsdigtcm Zustande verhindert wurde, gleichviel, ob die causa noccn» eine unmillelbare eletnentarische war oder nicht. Hiervon zeugt auch die seerechtliche Praxis, wie sie notorisch besteht , und kann es hierbei unerörterl bleiben , ob nicht das hambnrgische Recht in Betreff der Grundsätze des receptum noch weiter zu Gunsten des Schiffers geht.'

Z. B. Wichter, Württembergischei Privatrecbt 11 S. 790. Eine noch engere, aber durchaas ungewöhnliche Bedeutung legt Pohls Darstellung des Seeaaiekuranzrechts I S. sjl dem Ausdruck 'höhere Gewalt* bei, indem der- selbe nur unvorhergesehene Eingriffe und Akte der Staatsgewalt unfiuse, nicht auch Naturereignisse, Die Aelteren brachten jene he^ebrachte Scheidung von Zafall und höherer Gewalt mit ihrer Theorie von der dreigradigen culpa in Verbindung. Dagegen Gluck VI S. 13S, 139; doch kommt teioe eigene Unlencheidong S. 119, lao auf nichts Anderes hinaus.

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426 I^ rtceptom nanlaniiii, canpoomn, Uabnluii^iiiii.

lieh alsdann nicht ^ären, wenn er sieb ohne Grund oder gar kontraktswidrig ihnen ausgesetzt hätte. Denn alsdann darf ihn der Umstand nicht entschuldigen, dass die wirkende Ursache des Ereignisses nicht auf seinen Wilkn zurückzuführen ist Dieses letzte Moment ist offenbar in dem Ausdruck > höhere Gewalt« (vis major, damnum fatale, force majeure) nicht ent- halten. Es gibt ikein Ereigniss, welches unter allen Um- ständen die Möglichkeit der Verschuldung des debitor, auch einer bloss mittelbar einwirkendea, anszuschUessen vermöchte '<. Ein sog. casus mixtus ist Überall denkbar und vertretbar'.

Was dagegen das erste, objektive Moment anlangt^ so ist klar, dass eine Scheidung in der von Bluntschli eotwickeltoi Art zwar theoretisch vielleicht denkbar, aber doch praktisch nur überaus schwer, wenn Überhaupt durchführbar wäre^, überdies aber sowohl eine jeder tieferen Auffassung wider- strebende Verausserlichung der Scbuldfrage, wie eine materielle Ungerechtigkeit in sich schlösse, also eine Anomalie, welche wir nur dann annehmen dürften, wenn sie klar ausgesprochen wäre, und welche nur dann innerlich gerechtfertigt erschiene, wenn zwingende Verkehrsbedürfnisse sie hervorriefen. Sokbe aber fehlen durchaus. Ob eiu Ereigniss in der Regel oder nnr ausnahmsweise unvermeidlich und unabwendbar ist , kann für

Hommten, BeJtrlge tarn Obligationenrecht I S. 136.

' 1_ II §8 I, 4. 1- 9 § 3- L la, 13 S 7 1oc«'i (»9. »)- L § 4 * O. et A. (44, 7)- !. » § 8 ii qui« caut. (2, 11). I. 7 § «• I- pr- L jo g 3 ftd leg. Aqnil. (9, 3). t. 5 § 4. I. iS pr. commod. (13, 6). ). 11 (32) de negot. ge«. (3, s)- '- ' qnod m«. c»im (4, 3). 1. 30 de pigo. a«. (13. 7) g 6. J. de obl. qiue ex del. (4, i) g 3. J. qnib. modis (3, 14). Vgl. nuneDtlfch Caiaregls, di>c leg. 19 Nr. 33—35, 31—34 ^uc. 1, Nr. S^S. dbc 33, Nr. 45 fr.; Mommien, a. a. O. I S. 334^., 343 Note 34. Ftir den Fnubtvertrag : Lauterbacli, diu. academ. diip. 105 Nr. 38; Harpp- recht, a. a. O. I 3 8 7.

1 In gewiuen extiemen FSIlen wird man einig lein, 1. 6. bei Wolken- brUchen, Bliu, fiergttnn. Wie aber bd dem Hanaänatan? bei dem Raubet bei dem Schilf brach P Iit gewaffneter DiebsttU stets hShere GewaltP Doch wohl nicht KUechthin, nicht 1. B., wenn etwa ein mit einem KnUitel bewa&ettt MaoD eine aus vier Knechten bestehende Bewachung des Transports aof da Heerstrasse angreift. Es Itommt also immer wieder auf die Umstinde des ein- zelnen Falles an: auf die Zahl, die Bewaffnung der Rluber, auf die Lage der Angegriffenen , den Ort und die Zeit des Angrifi «u s, f . VgL auch Hommsen I S. 343 Not« 34. Vortrefnich Einert im ArcM* für Wecbsd- recht I S. 315.

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Der gewShnliche B^riff von major i)t unhaltbar und uDnireichend. 427

den Beweis , nicht dagegen für das materielle Recht einen Unterschied bewirken.

Soweit aber diese Ansicht sich auf die römischen Quellen stutzt, erscheint sie durchaus unerweislich. Sie kann ihren Anhalt nur suchen in den Ausdrücken damnum fatale und vis major oder in den angeführten Beispielen.

Damnum fatale ist, nach der einzigen Legaldefinition in I. 52 § 3 pro socio, aus dem 31. Buche desselben ulpia- nischen Ediktkommentars, ein damnum quod imprudentibus accidit, d. h. welches Nichtwissende, Nichtvorhereehende trifft. Setzen wir nun auch statt >Nichtwissende etc.« den Ausdruck »Nichtwissen- oder Nichtvorhersehenkönnende«, so ist da- mit doch nichts Anderes als mit dem Ausdruck iZufallt ge- sagt: »ein im vorliegenden Fall dem Schuldner nicht zu- zurechnendes, daher in der Regel von aussen her eintretendes Ereignisse K Auch in 1. 2 § 1 de P. et C. (18, 6) wird der Ausdruck als blosser Gegensatz zur culpa gebraucht.

Ebenso dient der Ausdruck vis major oder magna be- kanntlich schlechthin zur Bezeichnung unverschuldeter Er- eignisse, mögen diese durch Naturgewalt oder durch Menschen veranlasst sein, ganz gleichbedeutend und abwechselnd mit damnum fatale, casus, casus fortuitus oder major, cui resisti non potest u. s. f., als blosser Gegensatz zur culpa, z. R 1. l § 4 de O. et A. {44, 7). 1. 2 § 1 de P. et C. (18, 6). 1. 7 pr. de edendo (2, 13). 1. 13 § 1. 1. 30 de pign. act. (13, 7). 1. 28 C. de locato (4, 65) K Ein sehr vollständiger

Hommien I 5. 236, 345. Vgl. anch Ha«>e, Die Culpa cap. XII, Ueber Ptiiumtionen.

> Vgl. auch 1. 5 § 4 cnminodali {13, 6). 1, 11 g 4 de mJDoribus (4, 4): occaxione damni Don ioconsDlto accidentU, s«d hXo. Ucber imptuden* in dietem Sinne vgl. Caesar de B. G. II 38. Cicero pro Roicio Amer. 8 , 31. I- 18 C19) §3 deneg.gestis (3, 5). 1. 34 g i. I. 29 de A. E.V. (19, i). So TerMehC auch da» Oberappetlation^ericht zu Lübeck (Seurfert's Archiv IV Nr. 1 14] den Begiiff damnum falaJe von >Iusseren UmMinden, im Gegentati der in der Macht dei Schiffen liegenden UmslIndC'.

3 Ueber den Sprachgebrauch auch Mommsen 1 S. 241 ff.

* So InibeioDdeTe auch glcichbedentend mit rit divina: 9-toO ßtu. 1. 35 g 6 locaü (19, 3). L Z4 g 4 de damno inf. (39, 3) ; vi* natnralit I. 59 locati (19, 1); impedimenlum naturale ). 137 g 4 de V. O. (45, t).

I Siehe auch die WörterbUclier von Briitoniu» and Dirk*en bei den Worten canis, vis, faialit; Heimbach in Weiike'i Rechblexikon IIS. 573; Mommsen, a. a. O.

428 ^'^ receptnm naatamm, caaponum, sUbaUrionim.

Katalog von quodcunque damnvun, si modo culpa carent in 1. 30 pr. ad leg. Faicid. (35, 2). Vgl. auch 1. 23 de R. J. (50j 17) und 1. 18 pr. commodati (13, 6).

Gehört doch auch zu den Legalbeispielen der vis major neben ruina, naufragium und anderen Ereignissen, welche regelmässig unverschuldet sein mögen, das incendium', von welchem an sich klar ist, und wiederholt hervorgehoben " wird, dass es sehr häufig, wenn nicht gar in der Regel verschuldet sei. Und auf der anderen Seite ist der Ausdruck vis major selbst für solche Ereignisse, welche regelmässig oder gar un- zweifelhaft jeder menschlichen Voraussicht und Kraft spotten, so wenig technisch, dass ftlr dieselbe ebenso häufig der Aus- druck casus fortuitus vorkommt, z. B. 1. 24 § 3 de damno infecto (39, 2): terrae motu aut vi fluminis, aliove quo caso fortuito. 1. 6 § 9 de edendo (2, 13): nanfragio vel ruina, vel Jncendio, vel alio simili casu. I. 21 (22) de neg. gestis (3, 5) : casu quodam forte incendio, ruina. In 1. 18 pr. commodati (13, 6) findet sich der Ausdruck casus quibus resisd non potest für dieselben Fälle, welche in § 2 J. quib. modis re (3, 14), der daraus entlehnt ist, mit major vis und major casus bezeichnet werden.

Endlich hat man den gesuchten objektiven Maassstab aus den beigefugten Beispielen isi quid naufragio aut per vim piratarum perierit« entnehmen wollen. Denn indem hier als befreiend nur solche Ereignisse genannt werden, welche sich als unwiderstehliche Natur- oder Menscheagewalt darzustellen pflegen, erscheine der Begriff des damnum fatale sachlich be- grenzt'.

So naturlich indessen sich dieser Ausweg darbietet, stehen doch drei entscheidende Gründe entgegen. Hinmal fehlt jeder Anhalt, dass Labeo nur die von ihm genannten und ähn- liche Ereignisse als befreiend bezeichnen wollte, da an die Er- örterungen eines kommentirenden Juristen, bei aller zu er-

' Z. B. L i8 pr. 1. 5 § 4 commod. (13, 6). 1. 21 (11) de oeg. gett. (3, 5). L z3 R. J. {50, 17). 1. 6 § 9 de edendo (a, 13). L 17 §4 de pr. »erb, (19. 5)-

I.3§ I deoff.pr»e».vipJ. (1, 15). I. 11 (11) de P. et C. (18, 6). 1. 30 § 4 locati (19, 2). 1. 51 I 3 pro »cio (17, x).

i So t. U. Maller, a. a. O. 5. 34; Koch, EiieulMlmca II S. 24 Note II.

„Goovilc

Der gewühnlkbe Begriff vod vis major ist unhaltbu und unzureichend. 429

-wartenden Präzision, sich tinme^lich gleich strenge Anforde- rungen wie an den Gesetzgeber stellen lassen. Sodann soll mit diesen Beispielen gar nicht eine Begrenzung des danuinin fatale gegeben -werden, sondern sie werden lediglich als Konse- quenzen aus der Nichthaftung für damnum fatale hingestellt: Inde Labeo scribit . Endlich finden wir ganz ähnliche Beispiele und in völlig gleicher Weise bei solchen Rechts- instituten gebraucht, für welche unzweifelhaft keine Haftung über culpa hinaus begründet ist. Z. B. fUr das Konunodat :

L. 1 § 4 de O. et A. (44, 7): Is vero, qui utendum accepit, si majore casu, cut humaaa infinnitas resistere non potest, veluti incendio, ruina, naufragio rem, quam accepit, anaiserit, securus est ; alias tarnen exactissinaam diligentiam custodien- dae rei praestare compellitur. Für die Societät:

L. 52 § 3 pro socio (17, 2): Damna quae imprudenti-

bus accidunt, hoc est damna fatalia, socii non

cogentur praestare; ideoque si pecus aestimatum

datum sit, et id latrocinio aut incendio perierit,

commune damnum est.

Es würde endlich, bei dieser Auffassung, nicht allein ein

singulärer Rechtssatz, der ja ausser Frage steht, sondern ein

singulärer Sprachgebrauch der Quellen', und eine Veräusser-

licbung der Schuldfrage anzunehmen sein, für welche es im

Uebrigen an jedem Anhaltspunkte fehlt.

Die späteren Schicksale jenes angeblich technischen Be- griffes der höheren Gewalt werden wir insbesondere für unser modernes Handelsrecht am Schiufa dieser Abhandlung (§§ 12, 13) verfolgen; hier wollen wir, an Stelle jener äusser- lichen und ungenügenden Auffassung des Quelleninhalts , das wahre Wesen unseres Instituts zu erforschen suchen. Dabei mag die Bemerkung nicht überflüssig erscheinen, dass positive Rechtsnorm aus Zweckmässigkeitsgründen sehr wohl gewisse, im konkreten Fall unverschuldete, also als Zufall zu er- achtende Ereignisse in den Kreis der vertretbaren hineinziehen und so eine Scheidung zwischen den verschiedenen Arten von

< Dies erkennt Mommsen I S. 374 Note 10 Busdrticklich an.

j .«:,yGüogle

430 ^** receptnm nauUnim, ckuponum, suboloKoram.

Zufällen statuiren mag'. Nur wird der Maassstab für diese Scheidung nicht aus einem allgemeinen technischen Begriff, wie dem vermeintlichen der vis major, zu entnehmen sein, sondern eben lediglich durch jene positive Rechtsnorm bestimmt werden, welche die Grundlage der Sonderang bildet,

Fortsetzung:

Wahrer BegnS der vis iiMyor in unserer Lehre.

Noch immer befinden wir uns in dem Dilemma einer gleichzeitigen Haftimg und Nichthaftung für den Zufall (omni- modo, sine culpa ejus nicht für damnum fatale, vis major). Und doch ist die Lösung des Räthsels überaus einfach, sobald man nur, statt sich an einzelne resultatlose Ausdrücke zu halten, den Zusammenhang der ganzen Lehre überschaut.

Die im Edikt ausgesprochene unbedingte Haftung auch für unverschuldeten Verlust und Beschädigung ist von der Juris- pradenz in folgender Weise näher bestimmt worden:

1. Handlungen der Dienstleute und Passagiere (vectores, viatores) gelten den eigenen Handlungen des Recipienten gleich. Er steht also unbedingt ein nicht allein für eigenes Ver- schulden, sondern auch für jede Beschädigung und jeden Ver- lust, welche durch Verschulden einer dieser Personen herbei- geführt sind.

L. 1 § ult. 1. 2. 1. 3 pr, h. t. : Et puto omnium emn recipere custodiam, quae in navem illatae sunt, et factum non solum nautaram praestare debere, sed et vectorum, sicut et caupo viatorum^ et ita de facto vectorum etiam Pomponius libro trigesimo quarto scribit. L. 3 § 3 eod. : Item si servus exercitoris surripuit, noxalis actio cessabit, quia ob receptum suo nomine dominus convenitur. Doch darf er sich, seine Solvenz vorausgesetzt, mit den

So I. B. du englische common Uw, welcbes den FracliEfahrer (mmmon curier) für unbedingt haftbar erklSrt, i. B. auch fUr Raub, except the acE or God and tbe kings eanemiet. So neuere Post- und Eisenbahngesetie.

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Wahrer Begriff der vi« major in nuaerer Lehre. 431

Deliktsklagen gegen die Thäter regressiren. Vgl. oben § 3. IV. 2.

Die Anomalie dieser Haftung leuchtet bezüglich der vec- tores ein. Sie ist aber nicht minder zu behaupten in Betreff der Dienstleute, da nur in wenigen singulären Fällen das römische Recht eine unbedingte, über culpa in eligendo hinaus- gehende Haftung des Dienstherm für seine Leute anerkennt Die 1. 25 § 7 D. locati (19, 2) beweist nicht für das Gegen- theil'. -

2. Er garantirt femer für Handlungen Dritter, zu der ebengedachten Kategorie nicht gehöriger Personen, und zwar nicht allein gegen furtum, sondern auch gegen damaum der- selben: Vernichtung und Beschädigung.

L. 5 § t h. t.: Quaecunque de furto diximus, eadem et de damno mtelligi debent; non enim dubitari oportet, quin is, qui salvum fore recipit, non solum a furto, sed etiam a damno recedere (recipere) videatur. Vgl. 1. 3 §§ 1, 3 h. t. Ob diese Garantie eine unbedingte ist, wird sich später ergeben. Allein auch abgesehen davon ist dieser zweite Satz nicht minder anomal als der erste. Denn die Verpflichtung, fUr custodia einzustehen, weiche dem Recipienten obliegt', schliesst regelmässig nur die Haftung gegen Diebstahl, nicht auch gegen Beschädigung durch Dritte in sich; sofern näm- lich nicht der Nachweis geführt wird, dass der Schuldner im Stande gewesen wäre, dieselbe zu verhindern. Hinsichtlich des furtum liegt dem Schuldner der Beweis der Unvermeid- lichkeit, umgekehrt hinsichtlich des damnum dem Gläubiger der Beweis der Vermeidlichkeit ob^.

3. Er haftet nicht für damnum fatale oder vis major. L. 3 § 1 h. t.

Dort vird flbr[gau nicbt eommve, toDdem eorumqne gelesen. Der Beweit djetes wichtigen Sattel fBr da* remiiche Recht «oll rin uiderei Mal geftUiTt werden. Für die entgegengeseCEte Meinung hat lich iniwischen auch Ubbelohde entschieden, auch eine aoaTUhrliche Darstellung in Aunicht ge- stellt (Magazin f. haQnorer»:hes Recht IX S. 399 ff.)

' Vgl. den Teit Seite 420 nach Note 1.

3 L. 14 § la. 1. 91 (90) de furtU (47, a). 1. 5. 8 C. de act, pign. (4, 14), Tgl. mit 1. 19 commod. (13, 6). L 40, 41 locati (ig, a). Haate, Die Culpa cap. X, XII.

D,j,i,;^..,,Güogli:

432 ^>s receptum nautu^m, ciuponum, stabulariomm.

Fassen wir diese drei Sätze zusammen, so ergäbe sich, dass die Haftung über culpa hinaus sich so weit erstreckt, als die beiden ersten Sätze reichen, dass aber jede andere, nicht vom Recipienten selbst ausgegangene Beschädigung , Ver- nichtung, Entwendung als nichtvertretbare vis major anzosehen ist. Oder mit anderen Worten: Als vis major oder casus gilt in der Theorie des receptum ein jedes vom Recipienten selbst unverschuldetes Ereigniss, welches nicht unter Satz 1 und 2 fällt.

Zu einer genügenden Abgrenzung bedarf es indessen noch einer näheren Fesstellung des zweiten Satzes.

Durch diesen ist zunächst nichts weiter ausgesprochen, als dass die custodia sich hier auch auf das damnum injuria datum erstreckt. Dabei ist nun ein Doppeltes möglich. Entweder es bleibt im Uebrigen bei der Regel, dass die Haftung für furtum keine unbedingte ist, sondern nur vorbehaltlich des Gegen- beweises besteht, dass der That bei aller Vorsicht nicht hat vorgebeugt werden können ', und Gleiches würde alsdann auch für das damnum gelten. Oder die Haftung für furtum ist hier ausnahmsweise eine unbedingte, daher auch für dam- num, d. h. mit andern Worten: Schiffer und Wirth haften schlechthin fUr jede durch irgend Jemand verübte Entwendung und Beschädigung.

Diese letzte, von allen denen, welche unter vis major die »höhere Gewalt« in dem §§ 4, 5 bezeichneten Sinne verstehen, insbesondere auch von Hasse' vertheidigte Ansicht findet in den Quellen keine Begründung.

In der mehrbesprochenen 1. 3 § 1 nautae ist keinesw^s smit dürren Worten gesagt, dass der Unterschied der actio de recepto von den oft (!) konkurrirenden Kontraktsklagen dam liege, dass jene sowohl wegen Diebstahls als wegen damnum injuria datum unbedingt und auch ausser dem Fall der culpa (schlechthin) angestellt werden könne, indem diese es nicht können.' Denn unter Umständen wird ja sowohl furtum, wie

Hasse, c«p. X; Hepp, Die Zurechnung auf dem Gebiete des GrS- rechts S. 39, 40; Unterholiner, Schuld verb&Itnisse I g IJ9; Hommsen. ErörleruDgen I S. 90 Note 14.

'A.a.O. §§73,86, Vgl. Lauterbach, dispul. 105 Nr. 43; Schweppe UI § 60a; Göschen II 3 I 658; SiDlenis II S. 699 [3. Aufl. S. 70a]; Holler, a. ft. O. S. 32; Koch, Eisenbahnen II S. 34 Note 11, S. 16 Noie 17-

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Walirer Begriff der »tg major in unserer Lehre. 433

insbesondere darnnum zu dem ausdrücklich ausgeschlossenen damnum fatale gerechnet werden können ', und in den Worten etiamsi sine culpa ejus res periit vel damnum datum est kann sehr wohl auf die schlechthin verpflichtenden Delikte der Ge- hilfen und Passagiere hingewiesen sein, ohne dass im Uebrigen durch das omnimodo tenetur die Frage nach der Verschuldung für unbedingt irrelevant erklärt wäre. Solcher Ausdehnung steht insbesondere der von Hasse nicht beachtete Umstand entgegen, dass mehrfach und mit Nachdruck die Haftung des Schiffers und Wirths für die Dienstieute und die Reisenden als ein ausserordentlicher, ungeachtet der unbedingten Fassung des Edikts erst durch die Jurisprudenz festgestellter Rechtssatz hervorgehoben' und ein wesentlicher Unterschied der Ge- schäftsklage von den Strafklagen darin gesetzt wird, dass bei den letzteren nicht für vectores und viatores gehaftet wirds. Diese Ausdrucksweise wäre unerklärlich, wenn auch die Hand- lungen anderer als der genannten Personen unbedingt ver- pflichten sollten. Eine Haftung für diese lag am nächsten, eine unbedingte Garantie gegen die Handlungen Anderer wäre höchst anomal gewesen, und hätte darum um so mehr der ausdrücklichen Erwähnung bedurft.

Hiemach scheint unser zweiter Satz nur im Sinne der erstgedachten Alternative verstanden werden zu können: die Regeln, welche bei jedem zur custodia Verpflichteten hinsicht- lich des furtum gelten, aber auch keine schärferen von den E)elikten der Dienstleute und Passagiere abgesehen , finden beim receptum auch hinsichtlich des damnum Anwendung.

Eine leichte Modifikation dieser Auffassung ergibt sich indessen aus den folgenden Betrachtungen (§§ 7, 8), welche für die richtige Auffassung unseres Instituts nicht ohne Be- deutung und für dessen geschichtliches Verständniss unent- behrlich sind.

' Nacb dessen Legüdeünition in 1. 52 § 3 pro locio. Man bruucht nicht einmal darauf Gewicht zu legen, dass, wie in den germanischen Rechtsqudlen ^«röhnLch, so auch in 1. 30 pr. ad leg. Faldd. (35, 2} zd dem quodcunque d&mnnm, neben mortea serrorum, rapinae, iocendia , ruinae, naufragia, ris hoMinm, latronum, praedonum auch farta geiihlt «erden.

' L. i § ulL I. 3 pr. b. t.

J L. 6 § 3 h. I. 1. nn. § 6 furü adv. nauUJ (47, ?). aoldichmidt, VensiKbti) Schrift«!. □. oS

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434 Dm receptun luatarum, ckupODiim, «tibularionun.

V. Das salvum fore reoipere die Grundlage der actio de reoepto.

§7. Wir haben im § 1 das receptum als ein prätorisches Obligationsverhältniss bezeichnet, dessen juristischer Charakter darin besteht, dass unter bestimmten Voraussetzungen ge- wissen civilen Vertragsverhältaisseo eine umEasseodere Oarantie- verpElichtung von Rechts ^egen hinzutritt. Diese Auffassang schliesst weder die Möglichkeit vertragsmässiger Beseitigung jener Garantie 1!), noch die Annahme aus, dass der Stand- punkt des Torklassischen Rechts ein verschiedener gewesen sei. Für diese Annahme spricht entschieden der Wortlaut des pratorischen Edikts;

Ulpian: L. l pr. fa. t. Ait Praetor: Nautae, can- pones, stabularii, quod cujusque salvum fore receperint, nisi restituent, in eos Judicium dabo. § 6. Ait Praetor: quod cujus salviun fore rece- perint —

§ 8. Recipit autem salvum fore Gajus: L. 5 § 1. non enim dubitari oportet, qim

is, qui salvum fore recipit Ulpian: L. un. § 5 furti adv. nautas. Quodsi rece-

perit salvum fore nauta vel caupo Paulus: R. S. II 6, § 1. Filius familias si voluntate patris navem exerceat, patrem in solidum ob ea, quae salva receperit (al. receperat, recepit), obligat Dass diese so hSufig mit Nachdruck wiederholten Worte salvum fore recipere ein wirkliches Versprechen, für die In- tegrität der Ladung einstehen zu wollen, eine Garantieüber- nahme, bezeichnen, kann nicht zweifelhaft sein. Von den ver- schiedenen Bedeutungen des Wortes recipere kommen hier nur die ganz nahe verwandten »annehmen , aufnehmen , über- nehmen< und >auf sich nehmen, Über sich nehmen, über- nehmen, versprechen, garantiren« in Betracht Das salvum fore recipere kann somit ein Doppeltes bedeuten:

1. laufnehmen, so dass das aufgenommene Gut unversehrt bleiben sollt, also »aufnehmen mit dem Versprechen, ftlr die Integrität einzusteheni,

2. »versprechen, für die Integrität einstehen zu wollent.

DiS Ml»um fore redpeie die Grandli^e d<r «eüo de rectpto. 435

Im ersten Falle läge der Nachdruck auf der tbats^ch- lichen Uebemahme der Waare, und das Versprechen träte als Modalität der Annahme hinzu, durch die Worte salvum fore bezeichnet.

Im zweiten Falle läge der Nachdruck auf dem Ver- sprechen, und die thatsächliche Uebemahme der Waare würde als selbstverständliche Voraussetzung der Wirksamkeit des Garantieversprechens subintelligirt

Beide Bedeutungen der Formel geben einen gleich guten und im Resultate übereinstimmenden Sinn. Wenn für die erste zu sprechen scheint, dass mit dem nisi restituent" eine that- sächliche Uebemahme besser harmonirt, so spricht für die zweite schon die einfachere, ungezwungenere Konstruktion. Auch aus anderen Gründen möchte ich mich für die letzte Bedeutung entscheiden. Der Ausdruck recipere im Sinne von versprechen wird nicht bloss sehr gewöhnlich, sondern geradezu technisch (also wahrscheinlich recipio lautend, als einseitiger Verpflich- tungsakt) neben poUiceri, promittere, spondere gebraucht. So heisst es bei Cicero': spondeo in meque recipio ; polli- ceris vel potins recipis ; promitto, recipio, spondeo ; quae tibi promitto et recipio ; noil solum confirmavit, verum etiam recepit. Ebenso finden sich, abgesehen von dem häufigen custodiam recipere, in den juristischen Quellen folgende Wendungen: vel repromittente , vel se delegante, vel in se recipiente deUtum ; aditurum se hereditatem recepisset et restituturum ; si tacite in fidem suam recipiat ; recepisse autem arbitrium videtur qui judicis partes suscepit, finemque se sua sententia controversiis impositurum pollicetur ^. Gerade

' Doch itl bekannt, dan du restitnere und intbesondere die übliche Kklatet der acCiones aibitrariae »pi^i mcituata knneiwegs eine voraasgeheade Hingabe roransteut. Reilitaere heisst sehr hXatig nar : •Herausgeben«, oder gar nur .»einer Verbindlichlieit Dachkommen.. 1. 2ä. 75. 81. D. de V. S. <50. 16). 1. 173 g I de R. J. (50, 17). 1. 9 § 7 q. n>- =■ C4, 2). 1. 17 § i. 1. w) de R. V. (6, 1). V. Savigny, System V S. ii? ff- ; '■ Keller, Qvil- proien [audi 6. Aufl.] Note 791; so auch reddere. Vgl. meine Unler- Eochiingen in I. ixz, g i de V. O. 5. 53 IT.

> Cicero fam. 13, 17. Att 13 1, 3. Phil. 5, 18. Tarn. 5, 8, $. 6, 12. Vi«!]« »ädere Stellen nichtjuriitiicher Klassiker bd Klotz, Handwörterbuch II S. 107*.

3 1. 4 § I de manam. (40. l). 1. 47 (46) de hered. inst. (iS, 5). 1. 40 g i de jure fi*cl (49, 14). 1. 13 g a de receptis (4. 8). Auch Btiiaonius, h.

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436 ^" receptom naDtarum, onponuni, ttabularionim.

auf dieser Bedeatung des recipere, welche namentlich dem alteren Sprachgebrauch angehört haben dürfte, beruht der zu- erst voo Conti US, dispnt. jur. civil. Hb. I c 4 nachgewiesene Zusammenhang zwischen unserem Digestentitel und dem un- mittelbar voraufgehenden De receptis, qui arbitrium recepe- nmt, ut sententiam dicant (4, 8), welcher unzweifelhaft schon im prätorischen Edikt neben dem unsrigen stand. (Ulpian. liber XIII, XIV ad Ed. Paulus libro XIII ad Ed.) Der arbiter verpflichtete sich ursprünglich wahrscheinlich durch die Formd recipio (sententiam me dictunun u. dgl.). Auf diesem Sprachgebrauch beruhte auch die actio receptitia gegen den argentarius '.

Das Versprechen salvum fore, jedoch in Stipnlationsform, gleichfalls als Garantieverspreeben, begegnet uns in den be- kannten Stipulationes rem pupilli salvam fore und rempublicam salvam fore'.

Da das salvum fore recipere offenbar als technischer Aus- druck angewendet wird, und überdies beide Theile desselben als technische Formeln bezeugt sind, so mögen diese oder doch ähnliche Worte, z. B. salvum erit, von Schiffern und Wirthen regelmässig bei der Aofnahme gebraucht worden sein, um ihren Garantiewillen erkennbar zu machen. Auch hätte darin, bei dem Hange des älteren Rechts zum Forma- lismus und bei der Natürlichkeit solcher Erklärungsweise, weder etwas Auffallendes, noch bei der verhältnissmässigenBeschränkt-

T. 3, QDd Dirbsen, Mannale b. v. § 6 oehmen ia der Fonoel silTum foie recipere das recipere im Sinne voa Versprecbea. wihrend der Letitere eod. § 4, kuf welchen sich SJntenii, CTÜrecht II S. 696 Not. S [3. Aufl. n S. 699 NoL 8], irrthUmlich beruft, nicht ron dem salTum fore redpere, sondeni *on recipere im Sinne der 1. J pr. h. t. Epricht. Dadarch erledigen Eich auch die Zweifel von Schilling, Institutionen lU § 339 Nol e, f.

1. 2 C. de comt. pec (4, 18) g S. J. de acl. (4, 6) und daza Schrader. I>er gekünstelten Konstruktion Girtanner's (Die SttpolatJon S. 169 tf.), wonach das allerdings wahncheinlich dabei lecluüiche Wort recipio auf •Geben und sofortigen RUcliempfang , eine BethKtignng der Gdes< hin- deutete, bedarf es hier so wenig als Überhaupt. Die Formel recijHO als ein' seitige formelle Erklirung an die dotis dlclio erinnernd.

I. 1 pr. g 17 de mag. con». (J7, 8). 1. 16 § z de mnner. (50, 4). 1. * § 5. I- 17 § >5 "d muncip. (50, l). 1. 67 pr. de V. O. (45. >) § 4- J. de diT. stip. (3, )8). D. rem pupilli salvam fore (46, 6). L 8 de cnnl. für. (17, 10).

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Dm wlvutn fore Tcctpere die Grundlage der actio de recepto. 437

heit des Verkehrs ein Heniamiss für diesen gelegen. Man darf nur freilich nicht an heutigen Hotel- und Dampfschiff- verkehr denken. Eine schlagende Analogie gewähren die üblichen Formulare, ältere wie neuere, unserer Konnossemente, in welchen der Schiffer erklärt, »welche vorbenannte Waare ich gelobe, wohl gekonditioniret, wie ich sie empfangen habe, zu liefern in an *; oder: »Die Ladung ist mir in vorbemerkter Beschaffenheit richtig übergeben worden, und verpflichte mich ausdrücklich, dieselbe weder zu verfälschen, noch verfälschen zu lassen, auch solche unbeschädigt, wie ich sie empfangen habe, wieder abzuliefern, und bleibe im ent- gegengesetzten Falle dem rechtlichen Besitzer für allen daraus entstehenden Nachtheil verhaftete ; oder kürzer »ich ver- binde mich, alles, wie ich's empfangen, nach meiner glück- lichen Ankunft in abzuliefern* '. In den neuesten Konnosse- menten wird diese Klausel mitunter als selbstverständlich weggelassen, oder in anderer Form, nicht als persönliche Er- klärung des Schiffers aufgenommen '.

Bei einem rein mündlichen Verkehr, wie der ältere römi- sche Verkehr überhaupt und insbesondere auch der Seefracht- verkehr war, lauteten diese Erklärungen natürlich kürzer und beschränkten sich auf die für die Erkennbarkeit des Garantie- willens erforderlichen Worte.

An diese Verkehrssitte kann das prätorische Edikt in zweifacher Weise angeknüpft haben. Einmal, indem es die volle Wirksamkeit einer solchen einseitigen und wohl nicht schlechthin an eine bestimmte Formel und Form gebundenen Erklärung ausser Zweifel, vielleicht auch den Umfang der dadurch übernommenen Verpflichtung festsetzte. Sodann, und in noch durchgreifenderer Weise, indem es, ausgehend von dem in der Sitte begründeten ausdrücklichen Garantieversprechen der Wirthe und Schiffer, die bezweckte Wirkung dieses Ver-

> Du erste Formular ist du iltete dentsche, irie es »der wohl ji Scbiffer«, Hambnre 1732. S. iiz, mittheilt. Dat zweite, ein gegenwlrtig in THatäg DDd Polen flblidiei Fonnolu ftlr die Getreidescbiffahrt auf der Weichsel. Dal dritte, ein jetzt in Bremen gebrauchtet Fominlar fllr SegelichiBe.

* Z. B. ia den englischen, wo es von den anfgezlhlten GtUern heim; ■and are to deU*ered in the like good order and condition at the port of (the act of God ntcepted) nnto or to «.

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438 ^C'i receplnm Diutamin, caupamun, stabolariorani.

Sprechens an die blosse Aufnahme der Reiseeffekten und Waaren knüpfte. Wie natürlich auch indessen diese letztere Auffassung des Edikts in seinem Verbältniss zu den alteren Satzungen bei dem Entwicklungsgange des römischen Rechts und angesichts ganz unzweifelhafter ähnlicher Vorgänge' er- scheint, so stehen doch der erstgedachten überwiegende Gründe zur Seite. Denn nicht allein knüpft das Edikt geradezu an die Formel salvum fore recipere an, sondern wir vermt^eo auch in den dürftigen Resten der interpretirenden Jurisprudenz den weiteren Entwicklungsgang zu übersehen. Mag die ur- sprüngliche Verkehrssitte allmälig verschwunden oder lästig geworden sein, man- gewöhnte sich daran, die Mehrdeutigkeit des Wortes benutzend, das recipere von dem blossen thatsäch- liehen, ganz formlosen (1. 1 § 3 h. t. vgl. mit §§ 6, 8) Akt der Aufnahme durch die dazu legitimirten Personen (1. 3 §§ 2, 3, 5 h. t.) und das Garantieversprechen als stillschweigend darin begriffen zu verstehen". Es war dies um so natür- licher, als ja die thatsächliche Aufnahme sich eben auch früher von selbst verstand. So wird in der Interpretation des Ulpian zum Edikt:

1. 1 § 6 h. t.: Ait Praetor: quod cujus salvum fore receperiat, hoc est, quamcuaque rem sive mercem receperint, das hoc est nicht als Erläuterung des quod, sondern des ganzen vorausgehenden Satzes zu verstehen sein, ganz ent- sprechend :

I. 1 § 8 h. t. : Recipit autem salvum fore, utrunj si in navem res missae ei assignatae sunt, an, etsi non sint assignatae, hoc tarnen ipso, quod in navem missae sunt, receptae videantur,

' Vgl. meine AbhandluDg Ober den Kauf auf Probe, in der Zeitsdirift f. d. get. HaDdeltrecbt T S, S8, 103. Die Gegenbemerknngeii Fitting'« <Zat- scbrift II S. 303) lubsätairen, meine« Ertchtea«, mit Unrecht dei bltmen Ver- kehrsntte dai Gewohnheitirecbt. Dann wire die ganae Entwicklung unverstSnd- lich. Davon ein aDdermal.

* Wollte man , was oben alt mSglich bezeichnet wnrde , ichon in der Formel wlvnm fore reciper« dai recipere al« thstiichliches An&iehEaen nr- (tehen , so bfitte nun die Entwicklung zi*ar auch in der Subbtelligimng äa lalTum fore, aber nicht zugleich in einer Aenderung der mil dem Wort redpote verbundenen Bedeutung bestanden.

, CiOOglc

Dm sklvam foie recipere die Gmndlage der actio de recepto. 439

WO offenbar der ganz formlose Akt der Annahme' dem wahren eigentlichen recipere gleichgestellt wird.

Daher nun schlechthin von res recipere, personam reci- pere gesprochen 1. 3 pr. I. 1 § 1 h. t., auch das technische recipere durch suscipere ersetzt wird I. 3 § 7 h. t., wie das salvum fore recipere durch das allgemeinere custodiam reci- pere 1. 1 § ult. h. t. So spricht denn auch Paulus R. S. II 6 § 1, falls nicht die westgothischen Kompilatoren die Stelle vei^ndert haben, nicht mehr von salva fore recipere, sondern nur ob ea, quae salva receperit (in gutem Zustande empfangen), obligatur. Und die Rubrik unseres Titels lautet denn auch nur: Nautae, caupones, stabularii, ut recepta restituant.

Eine Bestätigung der bisherigen Entwicklung dürfte das receptum arbitrii darbieten, auf dessen höchst merkwürdige Parallele mit unserem Institut schon oben hingewiesen worden ist, namentlich S. 420 Note 1. Auch hier war für den arbiter wahrscheinlich die Formel recipio technisch, bis später }ede auch formlose dahin gerichtete Uebereinkunft genügte. Ulpian libro XIII ad Ed.

1. 3 § 2 de receptis, qui arbitrium receperunt, ut sen-

tentiam dicant (4, 8): Ait Praetor: Qui arbitrium

pecunia compromissa receperit.

1. 13 § 2 eod.: Recepisse autem arbitrium vide-

tur, ut Pedius libro nono dicit, qui judicis partis

suscepit, finemque se sua controversüs imposi-

turum pollicetur.

So findet sich auch hier neben dem regelmässigen recipere

(1. 3 § 1. 1. 7 § 1. 1. 9 § 2. 1. 17 § 2. 1. 19 § l. 1. 21

§§ 5, 9 D. h. t.) mitunter der Ausdruck suscipere (1. 3 § 3.

1. 4. 1. 16 pr. 1. 32 § 4 h. t. 1. 6 C. eod. 2, 55). Und der

Kodextitel 2, 55 (56) hat die Ueberschrift de receptis arbitris.

Hat sich in dieser Weise die gesetzliche ' Garantiepflicht

' Denn dui die, wenigsteiu itillachwetgeDde, AnnRlime durch wiiient* liehet EiDbringeDlaswD erforderlich *ei, ergibt Mch aniweideutig au dea Et- Crtcrnngen Dliei die Befngnifi der Schiifilenle znr RecepüoD. 1 i §§ 3, 3 h. U Vgl. obeD 5. 410 Note i.

> Daher kann, wie g i l>«incrkt norden itt, im hentig«n Recht d«» receptam Dicht zu den Vertritgen geilelll werden, loadem nur lu den gCMti- lichen (prStoriichen) Obligations*erhiltniuen. Hon wollte dem, mit nel«n AelUren und Neueren, z. B. Peckius und Vinoiu» in tit. D. et C >d rem

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440 ^^ receptum nantarum, caaponum, lUbuIariomm.

der klassischen Zeit aus einem ursprünglich ausdrücklidien Garantieversprechen herausgebildet, so liegt es nahe, dasselbe mit einigen anderen, den gleichen Zweck verfolgenden Insti- tuten zusammenzustellen, ich meine mit der Uebemabme der Gefahr und der custodia. Diese Betracbtmig wird dazu dienen, den im § 6 aufgestellten zweiten Satz sicher zn begrenzen.

VI. Von der Uebernahme der GefUir und der custodia.

I. Ausgeschlossen von der folgenden Betrachtung bleiben die}enigen Fälle, wo der Inhalt der GefahrsUbematune in der Garantie gegen die Insolvenz eines Dritten, in einer Kredit- versicherung besteht, wie bei Bürgen, Municipalmagistraten, Deleganten u. s. f. Ebenso die umfassende Kaution bis rebus recte praestari (1. 71 § l de V. S. [50, 16]. 1. 21 § 2 de aedil. ed. [2!, ij).

Für die auf Sachleistung gerichteten Geschäfte wird die Gefahrsübemabme als allgemein zulässig anerkannt in 1. 23 de R. J. (50, 17) : sed hoc ita , nisi si quid nominatim con- ventt, vel plus, vel minus, in singuUs contractibus, nam hoc servabitur, quod initio convenit, und bei einer grossen Zahl derselben in verschiedenen Abstufungen erwähnt.

So beim Depositum bald als blosse Uebernahme der culpa, bald der culpa et periculum, omne periculum'. Beim Kommodat'. Beim Pfandvertrag^ Beim Darleben durch den Gläubiger im Falle des foenus nauttcum und quasi-

naadcam pertinentes comnieiitarü h. t,; Noodt, Comment. in Dig. h. t.; Glück VI S. io6. 112, laiff.; Wolter», >. ». O. S. 2, 3. 6ff., die gani ungegTÜndele Behauptung aufstellen, dais schon der öffentliche Gewerbibetrieb eine lolche GanmlieÜbernahDie endialle. Daneben tritt denn auch wieder der richtige Gedanke in Tage, dus die Aufnahme «elbct die GatantieObemahiiK in lieh schliesse, altein Grund and hiatorischet ZuiaminenhaDg bleibt ungeaJuit

§ a J. vi bonor. rapt. (4. *). 1. a gg 23, U D. eod. (47. »). 1. 39 mand. {17, i). 1. 1 § 35 depo». (16. 3). 1. 5 § i comiD. (13, 6). 1. 19 pr. de hered. pet. (5, 3). I- 7 § IS de pact. {1, 14)- 1. 9 § i de duob. rri» (45. ')■

!. 31 g I commod. L 1 C eod. (4, 23). 1 1. 6 C. de pign. act. (4, 24).

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Von der Ucbemahme der GeFalir and der custodia. 441

nauticum'. Bei der Dos». Beim Kauf, und zwar beim bedingten durch den Käufer ^, beim perfekten durch den Ver- käufer, als Uebemahme der Gefahr für vis ac tempestas, oder für Verschlechterung*. Auch werden Fälle von Lieferungs- verträgen erwähnt, in welchen der Staat die See- und Kriegs- gefahren übemahms. Bei der Conductio, rei wie operis*. Beim Mandat^

Sehen wir ab von den wenigen Fällen, wo diese Erweite- rung der Haftung vertragsmässig genau begrenzt oder doch ersichtlich nur gegen gewisse Zufälle einer Garantie über- nommen ist, z. B. gegen das Zerbrechen des zu fassenden Steines in I. 13 § 5 locati, so tritt uns überall das Resultat entgegen, dass die ausdrtlckliche Uebemahme der Gefahr schlechthin die Haftung für den Zufall, und zwar für jede Art desselben nach sich zieht, ohne alle Unterscheidung der ge- wöhnlichen und der ungewöhnlichen Unglücksfälle".

Eine stillschweigende Uebemahme aller Gefahr liegt regel- mässig in der aestimatio des zu restituirenden Gegenstandes' mit Ausscheidung der beiden Ausnahmefälle, dass die aesti- matio den einzigen Gegenstand der obligatio bildet, imd dass die aestimatio nur eine vertragsmässige Feststellung des nach der Natur des Verhältnisses zu vertretenden verschuldeten Schadens enthält".

Vgl, meine Untersuchungen inr 1. 133 § i de V. O. S. 6 9, 21. 12. Ueb«r foenus quasi nauticum: 1. 5 pr. de tuint. foen. (aa, z), vgl. mit 1. 23 § 2 q. m. C. (4. 2).

> 1. 6 de poct. dotaJ. (zj, 4).

J 1. 10 pr. de P. et C. (18, 6).

« 1. 78 § 3 de C. E. (18, 1). 1. I pr. de P. et C. (18, 6). Dmu die Zeitschrift für Handelsr. I 5. 76 fr., S6, 89, loj.

i Vgl. Sueton Ckudiua c 18. LJv. 23, 49. 25, 2. Vgl. Cicero ep. ad fam. 11, 17. Daiu Pardetsu«, Collect. 1 p. JttT.

* Rei: 1. 9 § 2 locati (19, 2); vgl. 1. 8 C. h. t. (4, 65). beschrinfct 1. 30 § 4 locati. Operii: 1. 13 8 S eod.

^ 1. 39 mandati (17, i)- '- 3^ C de neg. geitia (a, iS [19]).

' Vgl. Gldck IV § 327; Schümann, Die Lehre Tom Schadensersati II S. 68; Koch, Das Recht der Forderungen I S. 190, 202, 303 [2. AuH. S. 200, 212, 213]; V. HoUschuher, Theorie und Kaniinik III S. 256 [3. Aufl. S. 190]; Uolerholiner, SchaldTerhSItDisK I §138; Mommien, Beitrl^ I S. 273 (f.

•> Gajus III 146. 1. 10 g 6 de jure dot (23, 3). 1. 5 S 3 coinni. (13, 6)- I- 54 8 * lo"ti («9. 2)-

» ChambOD, Beitrlfe zum Obligationenrecfat S. 9E

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442 I^u receptum ntutanim, canponum, MabuUHornm.

II. Weniger einstimmig ist die Theorie hinsichtlich der praktischen Bedeutung einer Ueberaahme der custodia. Viele sehen darin eine unbedingte Uebemahme jedes casus ', Andere wenigstens in Betreff des Diebstahls, wie der Sklavenflucht, und der Beschädigungen *, wieder Andere nehmen dasselbe doch hinsichtlich des EHebstahls an', wahrend Hasse geneigt ist*, überhaupt eine juristische Erhöhung der obligatio in Abrede zu stellen.

Dass die Uebernahme der custodia durch einen ohnehin zur custodia verpflichteten Schuldner eine Verstärkung der gesetzlichen Haftung zu begründen vermag, deutet Gaius in 1. 35 § 4 de C. E. (18, 1) an:

Si res vendita per furtum perierit, prius animad- vertendum erit, quid inter eos de custodia rei con- venerat; sinihil appareat convenisse, talis custodia desideranda est a venditore, qualem bonus paterfamilias suis rebus adhibet; quam si praestiterit, et tarnen rem perdidit, securus esse debet , Ausdrücklich ausgesprochen ist dieser Satz in einer Reihe von Pandektenfragmenten und Reskripten, welche sammtlich von einer wichtigen Art der locatio, der entgeltlichen Auf- bewahrung in Magazinen (horrea) ', haoddt.

Bei den Missverständnissen, welche sich durchgängig an einzelne derselben, ausser Zusammenhang mit den übrigen be- trachteten, geknüpft haben wie denn sogar Hasse be- zweifelt , dass sie auf unsere Frage bezüglich seien , er- scheint ihre vollständige Mittheilung zweckmässig.

Paulus libro II Sententiarum in 1, 55 D. locatL

Sch6mann, Handbuch des ariliechts I S. 290 ff. , 1[ S. S76 S.; Geniler im Archir f. driL Fnucis I S. 416 ff. , 476fr.; Mahlenbinch, PandekMn % 365 Note 13; UnterhoUner, Schuldverhilmim« I § 138 Note b all Regel; ThSI, Hindelincht 3. AuO. % 77 Note 5(!> [6. Aufl. % 268 Not. 6]; dagegen v. Löhr, Beitiige aar Theorie der Colpa S. 199, 200; Mommiea, Bntrige I S. 375.

' Braun, ErBrterungeD zaThibaut S. 153, 153, 17S; t. Vangerov, Pandekten [7, Aufl.] I g 105.

i Fachta, Pandekten und VorletutiKen [11. Aufl.] g 366; Scbilling, LutitatioDen III g 334 Note r.

* Kc Culpa § 9S. Klai spricht er sich darüber nicht aus.

I Ueber diese vgl. Brissonia*, Seleciae «ntiqnit. Üb. IV c. g 18; Muther, SequeilratioD und Airest, Beilage I.

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Von der Vebenuhme der Gtfaht and der custodia. 443

Dominus horreorum effractis et compüatis horreis non tenetur, nisi custodiam eorum recepit; servi tarnen ejus cum quo contractum est, propter aedificiorum notitiam in quaestionem peti possuot. Labeo, Posteriorum libro V a Javoleno epitomatorum in 1. 60 § 9 eod.

Rerum custodiam, quam horrearius conduc- toribus praestare deberet , locatorem totorum horreorum horreario praestare non debere puto, nisi in locando aliter convenit. L. 60 § 6 eod.

Locator horrei propositum habuit, se aurum, argentum , margaritam non recipere suo periculo ; deinde, quum sciret, has res inferri, passus est; proinde eum futurum tibi obligatum dixi, ac si pro- positum fuit remissum; videtur. L. 1 C. de locato (4, 65) = Collatio X 9.

Paulus libro Respoasorum quinto sub titulo ex locato et conducto : Imp. Antoninus A. Agrip- § 1. Imp. Antoninus Julio

pino. Dominus horreo- Agrippino. Dominus horreo- rum periculum vis majoris vel rum periculum vis majoris vel effracturam latronum conduc- effracturae latronum praestare tori praestare non cogitur. His non cogitur. His cessantibus, cessantibus, si quid eztrinsecus si quid ex (de)positis rebus, ex depositis rebus, illaesis hör- inlaesis extrinsecus horreis, reis, perierit, f^ammim deposi- periit, damnum depositorum tarum rerum sarciri debet. sarciri debet Prop. IV Non. P. P. prid. Non. Jan. Anto- Nov. Antonino A. IV. (et Bai- nino A. IV et Balbino Conss. bino) Conss. [213]. Paulus respondit satis pro-

positam coostitutionem decla- rare, his qui horrea locant, majorem vim imputari non posse. L. 4 C de locato (4, 65).

Imp. Alexander A. Arrio Sabino. Et Divi Antonini Pii literis certa forma est, ut domini horreorum effractorum ejusmodi querelas deferentibns custodes

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444 I^ receptam nauurata, c&uponnm, ttabulujaruin.

exhibere necesse habeant, nee ultra periculo ^bjecti sint. Quod vos quoque adito praeside provinciae impetrabitis. Qui si majorem anitnadversiooem exi- gere rem deprehenderit , ad Domitium Ulpianum, praefectum praetorio efc parentem meam, reos re- mitiere oirabit. Sed qui domini horreorum nominatim etiam custodiam repromise- runt, idem exhibere debent. P. P. Cal. De<Äinb. Alexandro A. Cons. [222]. Paulus in I. 3 § 2 de off. praef. vigil. (1, 15).

Effracturae fiunt plerumque in insulis in horreis- que, ubi homines pretiosissimam partem fortunarum suarum reponunt; quum vel cella effringitur, vel amarium, vel arca, et custodes plerumque puniun- tur, ut Divus Antootnus Erycio Claro rescripsit. Ait enim, posse eum horreis effractis quaesttooem habere de servis custodibus, licet in illis ipaus Impe- ratoris portio esset. Aus diesen Stellen ergibt sich zunächst , gegen die ge- wöhnliche Annahme, dass unter dominus horrei, locator horrei und horrearius regelmässig dieselbe Person verstanden wird, nämlich der Eigenthümer des Magazins, welcher Waaren zur entgeltlichen Aufbewahrung in demselben übernimmt. Aus- nahmsweise ist der dominus und locator horrei nicht zugleich horrearius , indem er das Magazin im Ganzen an Jemanden vermiethet, der nun den einzelnen Inferenten als horrearins gegenUbertritt.

Wo nun der dominus horrei zugleich horrearius ist, haftet er fUr custodia, also gegen einfachen Diebstahl, nicht aber gegen gewaltsamen Einbruch und Plünderung: quia custodia adversus vim parum proficit (1. 31 pr. de A. E. V. 19, 1^ nur muss er die Wächter zur peinlichen Frage exhibiren. Hat er indessen die custodia noch überdies ausdrückUch Über- nommen, so steht er auch für Einbruch und Plünderung ein, ohne übrigens das will 1. 4 cit. C de locato a. E. sagen der im Interesse der Strafrechtspflege gebotenen Exhibition der Wächter überhoben zu sein.

Wenn aber ausnahmsweise der Eigenthümer des Magazins

So Tielleicht I. $6 locati. Gewjgs L 3t § i qui potiora (ao, 4).

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Von dei Uebernalun« der Gebhi nnd der custodia. 445

nicht zugleich horrearius ist, so hat er selbstverständlich' eben- sowenig dem horrearius (dem conductor totius horrei) als denen, welche mit dem letzteren kontrahirt haben, custodiam zu leisten, es sei denn das Gegeotheil ausgemacht.

Das Hauptgewicht hat man von jeher auf den berüch- tigten § 3 J. de emtione et venditione (3, 23) gelegt:

Quum autem emptio et venditio contracta sit periculum rei venditae statim ad emptorem pertinet, tamenetsi adhuc ea res emptori tradita non sit. Itaque si homo mortuus sit, vel aliqua parte cor- poris laesus fuerit, aut aedes totae, vel aliqua ei parte incendio consumptae fuerint emptoris dam- num est, cui necesse est, licet rem noo fuerit nactus, pretiom solvere, quidquid enim sine dolo et culpa venditoris acciderit, in eo venditor securus est. Quodsi fugerit homo , qui veniit, aut surreptus fuerit, ita ut neque dolus vel culpa venditoris inter- veniat, animadvertendum erit, an custo- diam ejus usque ad traditionem venditor susceperit: sane enim si susceperit, ad ipsius periculum is casus pertinet; si non susceperit, securus est. Idem et in cete- ris animalibus ceterisque rebus intelU- gimus. Utique tarnen vindicationem rei et con- dictionem exhibere debebit emtori, quia sane, qui nondum rem emtori tradidit, adhuc ipse dominus est. Idem est etiam de furti et de damni injuriae actione. So viel geht klar hervor, dass nach der Ansicht Tribo- nians die besondere Uebemahme der custodia eine Ver- stärkung der Haftung bewirken soll, und in diesem allgemeinen Sinne ist auch der Satz idem et in ceteris rebus von uns zu verstehen. Dass Tribonian mit demselben mehr hat sagen wollen, und zwar etwas Unrichtiges, nämlich, dass Sklaven und andere Objekte hinsichtlich der Verpfüchtimg zur custodia einander gleichständen, kann freilich weder nach dem Wort- laut, noch nach dem Zeugniss des Theophilus irgend zweifelhaft sein'.

< Vgl. auch V. SaviEiv, Syilem I S. 3S5 Note d; Mommsen, Bei- tilg« 1 S. 131 Note 13. Wenn Haise § 98 einwendet, dau kebe «gent-

ogic

44ö ^"^ receptuin ti*nuniiii, cftupocum, st&bnl>rionim.

Eine Verstärkung der Haftverbindlichkeit für den be- sprochenen Fall fuhrt unsere Stelle an, indem, was sonst regelmässig casus, d. h. unvertretbar wäre, nämlich fuga und subreptio servi nun vertreten werden soll wegen der Ueber- nahme der custodia. Von diesem sonst nicht vertretbaren Ereigniss, i s casus, spricht T r i b o n i a n , keineswegs von jedem möglichen Zufall, wie Gensler, a. a. O. S. 477 will, auch wohl schwerlich von einem damnum injuria datum, welches Hasse herbeizieht. Denn der Schlusssatz will nur sagen: In allen FMlen, wo der Verkäufer nicht für furtum haftet, ist er wenigstens zur Abtretung aller Rechte und Vortheile ver- bunden, wie er denn insbesondere auch zur Cession der ihm als EigenthUmer zustehenden actio legis Aquiliae verpflichtet ist, weil er für Beschädigungen durch Hhitte überhaupt nicht einzustehen pflegt. Will man indessen dem Schtusssatz in Verbindung mit dem idem et in ceteris rebus noch eine be- stimmtere Bedeutung geben, so würde daraus nur folgen, dass bei Uebemahme der custodia eine verstärkte Haftung sowohl hinsichtlich des Diebstahls wie der Beschädigung eintritt.

Hiemach dürften aus den vorliegenden Quellenzeugnissen sich folgende einfache Sätze gewinnen lassen:

1, Ueber den wahren Inhalt einer vertragsmässigen Ueber- nahme der custodia entscheidet zimüchst der erkennbare Wille der Kontrahenten.

2. Ist dieser nicht zo ermitteln, so muss unterBchieden werden:

a) Es ist gesetzlich keine custodia zu prästiren. Hier hat die vertragsmässige Uebemahme derselben die gleiche, aber auch keine höhere Verantwortlichkeit zur Folge, als in anderen Fällen das Gesetz auferlegt : nämlich Obhut gegen Entwendung ohne Anwendung von Gewalt.

b) Es ist gesetzlich fUr custodia einzustehen. Die ob^- drein vertragsmässig erfolgte Uebemahme der custodia hat hier entweder gar keinen Sinn, ist ein bedeutungsloser Zu- satz — was nach allgemeinen Auslegungsregeln im Zweifel nicht angenonunen werden darf; oder sie führt zu einer

liehe Veraclued«ah«it der Recbtuitte, soadem nur «ine faktische Vetschiedcn- heit d«r catlodia hinsichtlich der Sklaven und anderer Objekte galt, sa ist doch nicht m vericenncn, dass sich an diese faktische Venchiedenhät im Resultat eine Verschiedenheit der rechtlichen Haßung anschlois.

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Retulute. 447

Erhöhung der gesetzlichen Verpflichtung, zu einer Haftung auch für solche Ereignisse, welche an sich nicht imputabel, als casus zu betrachten wären, sich dennoch aber durch Auf- wendung ausserordentlicher Sorgfalt abwenden lassen, EHese wird hier ausnahmsweise zur Pflicht gemacht. Natürlich lassen sich keine Regeln für alle Fälle geben, das richterliche Er- messen hat überall die Totalität des vorliegenden Verhältnisses ins Auge zu fassen, unter steter Rücksicht darauf, dass zwar Obhut, aber auch nichts mehr versprochen worden ist. So wird denn allerdings in solchen Fällen gegen gewaltsamen Diebstahl, mitunter auch wohl gegen Beschädigungen durch Dritte, eingestanden werden müssen, weil und sofern durch besondere Vorsichtsmaassregeln dem vorgebeugt werden kann; schwerlich aber gegen Plünderung durch ganze Räuberbanden, feindliche Heerschaaren, keinenfalls gegen in concreto unver- meidliche Naturereignisse. Die vertragsmässige Verpflichtung zur Obhut involvirt die Anwendung aller auch aussergewöhn- lichen Maassregeln, welche unter den vorliegenden Umständen geeignet und erforderlich erscheinen, um Verletzungen und Entwendungen des zu behütenden Guts vorzubeugen; mehr in- dessen kann auch hier nicht verlangt werden.

VII. Resultete.

In Anwendung auf unser Institut scheint Folgendes ge- wonnen.

Der ursprüngliche Garantievertrag des Schiffers oder Wirths, aus welchem später dessen gesetzliche Haftimg her- vorging, stellt sich durchaus nicht als Uebemahme zufälliger Gefahr (periculum casus) dar, sondern lediglich als Ueber- oahme der custodia, und wird in diesem Sinne in den Quellen selbst aufgefasst: 1. 1 § 8 h. t.: recipere custodiam, 1. 5 pr. h. t: custodiae nomine tenetur, 1. un. § 4 furti adv. nautas: recipiendo periculiun custodiae subit Vgl. § 4, insbesondere auch S. 419 Note 1.

Gehen wir nun von dem regelmässig vorliegenden civilen

* UebrigeiK kommt et tchwerlich in Betracht, dm unter UmtlXnden nur depositiuD oder locatio condnctio rei vorLegL Denn et hat im Edikt hinsieht-

448 ^"^ receptum nauunim, cauponain, stabulariorum.

Rechtsverhältniss einer locatio conductio operis ans, so ist hier die Haftung für custodia schon gesetzUch begründet, daher die weitere Garantieerklärung jene Verpflichtung zur Obhut in dem soeben entwickelten Sinne verschärft und manche sonst als casus betrachtete Ereignisse in den Kreis der Ver- antwortlichkeit hineinzieht. Ist auch das Edikt älter als jene dargestellte, durchaus der klassischen Jurisprudenz angehftige Theorie über das pactum custodiae, und war damals der aus- drückliche Garantievertrag auch schon antiquirt, so dass etwa eine direkte Uefiertragung jener Theorie auf unser Institut ausgeschlossen erscheint, so lässt sich doch mit aller Sicher- heit annehmen , dass die klassischen Juristen den Recipienten nicht in geringerem Grade haben haften lassen als den con- ductor operis bei übernommener custodia, da sie einerseits die singulare Strenge des Instituts wiederholentlich hervorheben, andererseits sich bemühen, wie die oben angegebenen Aus- drücke erweisen, dasselbe möglichst in den Rahmen des Rechts- systems einzupassen. Und es war das für sie um so eher möglich, als die Vorschrift des Edikts entweder absolut und unbedingt zu verstehen war wogegen sich der juristische Sinn schon eines Labeo empörte 1. 3 § 1 h, t.' oder aber, wenn man einmal die unbedingte Restitutionspflicht fallen liess, nur die Jurisprudenz eine Grenze der Verpflichtung ziehen konnte.

Wenn also ein Schiffer in unbekannter Gegend oder an einem Orte, wo notorisch viel gefährliches Gesindel sich umher- treibt, ohne Noth anlegt oder doch nicht für besonders starke Bewachung seines Fahrzeuges sorgt, so sind auch gewaltsame Diebstähle von ihm zu vertreten. Wenn ein Wirth an der Landstrasse oder gar im Walde keine Vorkehrungen getroffen hat , um nöthigen Falls dem Anfalle weniger Räuber wider- stehen zu können, so werden ihm die dabei sich ereignenden Beschädigungen und Entwendungen allerdings zugerechnet werden können. Wenn ein Stall, ein Magazin, in welchem Pferde oder Reisegepäck untergebracht werden, nur mit Stroh

lieh der Haftong dcE Recipieoteo zwischen diescD verachiedenen RechtsverhUt- aiweD kein Unleischied gemacht werden lollen, und der Hauptfall, an welchen sich die Übrigen anschllestea, ist der de« SAUta.

Vgl. oben co S. 430 Note 1, namentlich die ganz iihalicben Vorgänge beim receplum arbitrii.

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Resultate. 449

gedeckt ist, und um deswillen von einem in der Nachbarschaft ausbrechenden Feuer ergriffen wird, während die übrigen mit Ziegeln oder Asphalt gedeckten Gebäude unversehrt bleiben, so ist auch das zu vertreten. Dagegen kann auch hier ver- ständiger Weise nicht verlangt werden, dass der Wirth in einer belebten Strasse, der Schiffer, welcher neben der Hafen- wache vor Anker liegt, besondere Wachen gegen Einbruch und Raub aufstelle; dass er gar, was wirklich behauptet worden ist, den Reisenden gegen Diebstähle und Beschädigungen durch dessen eigene Leute vertrete! Hier gilt das sibi imputaturus quod talem elegit '. Ebensowenig begründet ist die unbedingte Verantwortlichkeit fUr einfachen Diebstahl oder für Feuer im Gasthause oder Schiffe selbst. Wie z. B., wenn bei einer Strandung die Berger stehlen ? wenn sich gehörig verpackte Stoffe entzünden, deren gefährliche Beschaffenheit und Neigung zur Selbstentzündung bis dahin durchaus unbekannt war, oder welche unrichtig deklarirt waren, wie z. B. Wolle, Schiess- pulver, Chemikalien? wenn im Wirthshause die Gasröhren platzen? wenn der Dritte, welcher einen Gast besucht, in irgend einem abgelegenen Winkel des Hauses seine noch glimmende Cigarre abgeworfen oder mit einem schnellzUnden- den Stoffe absichtlich Feuer angelegt hat?

Der zweite Satz des § 6 bestimmt sich sonach dahin : Weder findet unbedingte Haftung für damnum und furtum statt, soweit solche nicht von den Dienstleuten und Passagieren ausgehen, noch auch nur die gewöhnliche, sondern eine in beiden

Durchaus nicht Itii e[ne solche exorbitante Haftung spricht die mehr- fach angelogene 1. ä § l h. t. Dort wird allerdings die PSnalkla^ gegen den Schiffer gestattet, dessen Schiffsmann das Delikt verübt hat, wenngleich dieser Schiffsmann ein eigener Siel ave des Beschädigten ist. Aber nur aus dem Grunde, weil die Ponalklage unbedingt füi alle Fälle der Delikte der Mano- scliaft gegeben ist. Diese logische Konsequenz eracheiot anch nicht unbillig, weil der Sklave des Befrachters als Schiffsmann der BolmSssigkeit und Auf- sicht seines Herrn entzogen ist, und ihre etwaige Hirte wird gemildert durch die ansdrücklich hervorgehobene Möglichkeit des R^resses, welchen der Schiffer gegen den Herrn entweder mit der NoEslklage oder aus dem etwa voriiegendea Kontraktsverhältniss nehmen darf. Vgl. auch I. nn. § 5 furti adr. nautas. Uebrigens kommen sogar Erweitemogen dieses Edikll vor I. 7 § 3 h. t., und die Deliktsklage wird iwar nicht de pecnho, aber doch quod jossu gegeben. 1. 7 § ult. h. t.

Goldicliniidt, Tenuiidite Sctariftan. n. 39

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450 ^^ receptum nautarum, cauponuni, ilabnUriorum.

Beziehungen verstärkte, deren Umfang, unter Berücksichtigung des Grundgedankens unseres Instituts und der bezweckten strengen Haftung, der Richter im einzelnen Falle nach vernünftigem Ermessen zu bestimmen hat. Nur was darüber hinausliegt, ist nicht vertretbarer Zufall: vis major, damnum fatale im Sinne unserer Lehre.

VIII. Prozessualisches. Der Beweis. § 10.

I. Der Schiffer hat die Ladung in unversehrtem Zustande abzuliefern. Ihn trifft die Beweislast, dass er durch ein, nach den Regeln unseres Instituts nicht vertretbares Ereigniss dazu ausser Stand gesetzt sei. Vgl. oben zu S. 421 Note 1.

Aus der Zahl der nicht vertretbaren Ereignisse scheiden schlechthin aus' sowohl seine eigenen und seiner Leute Handlungen und Unterlassungen , wie die beschädigenden Handlungen der Passagiere.

Dagegen erscheinen als nicht vertretbar:

1. Naturereignisse und Handlungen anderer als der ge- nannten Personen, welche, ungeachtet aller irgend möglichen und durch die Umstände gebotenen Vorsicht, weder abzu- wenden, noch abzuwehren, noch in ihren schädlichen Folgen vermeidlich waren. Vgl. oben S. 426 Note 1, 2. Dabei genügt nicht die nackte Erweisung der zur Entschuldigung auf- gestellten Thatsachen, sondern es müssen auch die Umstände dargelegt werden, unter denen sie sich ereignet haben, um dem Richter die Möglichkeit einer Ueberzeugung hinsichtlich der Entschuldbarkeit zu gewähren ». Die Natur des fraghchen Vorganges ist, wie oben S. 427 Note 1 angedeutet wurde, hierbei nicht ohne Einfluss. Denn, wenn Ereignisse dieser Art in der Regel unabwendbar und unvermeidlich sind, so wird allerdings der Gegner replicando erweisen müssen, dass im vorliegenden Falle dennoch nur Verabsäumung möglicher Sorgfalt den Schaden bewirkt hat^

Vgl. jetzt auch Koch, Eiienbihnen II S. 410. ' EinvcrtUuideD damit Koch, a. a, 0. S. 420.

1 L. 3 9 I h. [. Vgl. Mommsea, Beiträge I S. 136; Koch, a.a.O. S. Z76ff., 420; PacdetstLS, Coors de droit commercia] Nr. 543; Alaaiei,

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Pruzessualisches. Der Beweis. 451

2. Ereignisse, welche lediglich auf eigene Schuld des Reisenden oder Befrachters zurückzuführen sind, z. B. auf schlechte Verpackung der Waare, nach der allgemeinen Regel . der 1. 203 de R. J. (50, 17): Quod quis ex culpa sua damnum sentit, non intelligitur damnum sentire'.

3. Innerer, auch bei gehöriger Vorsicht nicht abwend- barer Verderb oder natürlicher Abgang der Waare'.

Dass übrigens der dem Schiffer obliegende Beweis nur nach den Grundsätzen der I. 26 C. de naufr. (11, 5) durch Verklarung erbracht werden könne,, wie Pardessus, Coli. I

CommenUire da Code de commerce Nr. 46S; Entscheidungen dea Ober- appellalionsgerichls zu Lübeck (bei Thöl, EntscheidungsgrOnde Nr. ait ; Senffert'B Archiv IV Nr. 100, VII Nr. 31, XI Nr. 84; ZeiUchrift für Handelirecht I S. 573 ff.); Dresden (Seufferf» Archiv I Nr. 338, 11 Nr. 49, VII Nr. 12$, VIII Nr. 48); Dekrete de» btemischen Handelsgerichts vom 19. Mai 1855 and 6, April 1854 (Schletter's Jahrbücher II S. 318); Sammlung einiger nünibergischen Handelsrechtsgenohnheilen, Nürnberg 1846, S- 34—38 paaüm.

L. II § II. 1, 45 § I de A. E. V. (19, i). I. 13 g 8 de aedil. ed. (ZI, 0- 1- ^9 § '■ !. 55 pr- i. §§ i. 3- 1- 66 pr. de evict. (31, 2).

I. 63 (61) §§ 5, 7 de furtis (47, a). Consolato del mare c. 21 (Pardessus, Col- leclioQ II); Hambui^er Statut von 1603 JI, 14 Art. 34; A.L.R. I, 6 18 ff.,

II. S §§ 447i 451: holllind. Handelsgesetzbuch Art. 345; vgl. die Entschei- dungen des Oberappellalionagerichts lu Dresden (Seuffert 's Archiv II Nr. 49, VII Nr. 325, VIII Nr. 48), Stuttgart (eod. VII Nr. 40, III Nr. 166), Lübeck (eod. IV Nr, 114). Andere Urtheile bei Kncli, Eisenbahnen, Anlagehefl b. 331 ff., 154 ff.. 305 ff.; Mittermaier, Deutsches Privalrecht II § 540; Beseler, Deutsches Friratrecht Ilt 5. 355 [4. Aufl. II 5. iioz]; Pardessas, Coan de droit commercial Nr. 545; Alauiet, a. a. O.; Vincens, Exposition raisonnfe t. I p. 623; v. Kaltenborn, Grundsfitte des praktischen europE- ischen Seerechts I S. 340 ff., 373ff.; Koch, Eisenbahnen 11 S. 33, 133, 28Sff.. 431; Beschorner, Das deutsche Eisenl>ahnrecht S. 344.

» L. 13 § 5. 1. 33. 1. 625 vgl mit l. 15 § I looti (19, a). 1. 14 § I depowti (16, 3). I. 27 g 39 ad 1^. Aquil. (9, 2). 1. 24 §§ a, 3 de damno inf. (39, 3). Consolato del mare c. 324; A.L.R. 11, 8 1734, 1886; Code de commerce art. 103, 310; holländisches Handelsgesetibuch Art. 343; spa- niichei Handelsgesetzbuch Art. 3oS; portugisisches Handelsgesetzbuch Art. 178; brastlianisches Handelsgesetzbuch Art. loz ; Oberappellationsgericht in LUlieck (.fieuffert's Archiv tV Nr. 114, VII Nr. 310); bremisches Handelsgericht (Schletter's Jahrb. II S. 318); hambargisches Handelsgericht (Ullrich, Sammlung von seerechtlichen Erkenntnissen des Handelsgerichts in Hamburg, I. Heft, S. 68, 143); Oberlnbansl zu Berlin (Striethorsi's Archiv XXXII S. 344 ff.); Mittermaier, a. a. O.; Beseler, a. o. O. ; v. Kaltenborn, n. a. O.; Hey«e, Handelsrecht S. 371; Koch, Eisenbahnen JI S. l84ff., 228 ff., 354 ff.

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452 ^^ receptam nautanioi, «iiponum, sMbuIariürum.

S. 87 Note 7 behauptet, ist nicht einmal nach den Grund- sätzen des heutigen Seerechts begründet, wenngleich die Ver- klarung regelmässig genügt und von den Interessenten verlangt werden kann ".

Schliesslich mag noch bemerkt werden , was selbst V. Savigny bei seiner Aufzählung der actiones arbitrariae (System V § 223) übersieht, dass die actio in factum de recepto eine actio arbitraria war. Dies ergibt nicht allein nicht die Formel des Edikts »nisi restituent«, sondern bestärkt auch die Analogie der verwandten actiones depositi und locati. Daher hier die Feststellung des klägerischen Interesses durch Wür- digungseid schlechthin zulässig ist '.

II. Die heutige Anwendbarkeit der prätorischen Straf- klagen ist im § 2 erörtert worden. Sie sind gegen die Erben nur bis auf den Betrag der Erbschaft zulässig und erfordern den Nachweis des Klägers, dass Dienstleute des Schiffers oder Wirths oder Inständige Bewohner des Gasthauses die Urheber des darzulegenden Verlustes oder Schadens sind, und dass das Delikt an den im Raum des Schiffes, Wirtbshauses, Stalles befindlichen Personen oder Sachen begangen ist.

DL Aussßhliessung und Beschränkung der Haftung.

§ u.

Es ist neuerdings, namentlich in der Praxis der rheinischen und französischen Gerichte, den Regeln des receptum und den aui der Theorie des receptum beruhenden Normen neuerer Gesetzbücher ein absoluter Charakter beigemessen worden, dergestalt, dass jede Ausschliessung oder Beschränkung dieser Haftung unzulässig sein solle'. Von entgegengesetzter

' Vgl. V. Kaltenborn I S. 172 ff., II S. aagff.

» *. Vangerow, Pandekten I g 171 [7. Aufl. ehd.J; Wetiell, System des Civilproiesses [3. Aufl.] g 38; Mammsen, Beililige II S. zjgEr., auv drücklich schon im Edict Theodorici cap. 119 (vgl. oben S. 410 Nole 3).

3 Vgl. Gilbeit zu Code civil i;g3 ff. not. 7, 8, 16; in Code de commerce loj. not. 1, i, 3, 6, Die franiösischcn Schtirtsteller aatenchuden indessen mitunter zwischen gewöhnlichen Frachtfahrern und den monopoÜBiteo

iOgIc

Ausschliessung and Beachränltung der Haftung. 453

Seite hat man sich, wie auf die allgemeinen Regeln des Civilrechts, so insbesondere auf 1. 7 pr, nautae berufen. Es schweben sodann Streitfragen über die Art der Ausschliessung, ob einseitige Protestation des Rezipienten, und zwar noth- wendig vor oder auch nach der Rezeption, genüge, oder ob ausdrückliche Uebereinkunft erforderlich sei ', Fragen von grossem, praktischem Gewicht, namentlich für den Land- transport, welchen man ja häufig den Normen des receptum unterstellt, und für das Verhältniss des Wirths zu den Gästen, von geringerem für den Schiffstransport, weil hier eine koa- stante Praxis vorliegt, und die übliche Zeichnung und An- nahme des Konnossements Existenz und Inhalt einer vertrags- mässigen Uebereinkunft regelmässig ausser Zweifel stellt.

TruupoitansUlten , [ndem sie bei ersteren wenigstens einen aasdrUcklichen Vertrsg gelten lassen. Vgl. Huttcau, Tralti du contrat de lonage de» voi- turien (Paris l8o6, im AnhaDg zu Pothiei, Trailj du contrat de loaage) p. 407, 408; Pardeasus, CoQrs de droit commercial nr, 543, 553; Alsuiet, Com- mentaire du Code de commerce ar. 464, 467; Clamageran, Du louage d'JDdastrie, du mandat et de la commission. Paris 1856 nr. zzo, 223, 324; Ha>s6 und Vttgi, Le droit civil frangais par K. S. Zach^riae, tradult, ■nnotf etc. t. IV. § 709 not. lo, 11, 16. Unter den deutschen SchriftEtellern nur Beichorner, Das deutsche Eisenbahnr. S. 240 fT., 261 S., nnd im Arch. f. dvil. Praxis Bd. 41 5. 393 ff.; Voigt in der Deutschen Vierleljahnschiift 1859 Nr. 85. Dagegen meine Bcmerltungen im Archiv f. dvil. Praxis Bd. 41 5. 406ff. (Urtheile deutscher Gerichte S. 410 Note 6); Bessel und KUbl- wetter, Das preussische Eisenbahnrecht II S. 211 ff-, und namentlich Koch, Eisenbahnen II §§ 7, 9, II, 13. 15, und da« Anlage XXVI S. 307 ff. mit- getheilte Unheil des Obertribnnals zu Berlin v. 6. Juli 1858; BTinckmaan- EndemanD, Lehrbuch des Handelsrecht! § 114 Note iS, % 117 Note S— to. Uebei die hSußgen Klauseln der Konnossemente : v. Kaltenborn , GrundsStie des praktischen europfiisclien Seerechls I S. 34s, 374, 375; Voigt jun. im Henea Archiv f. Handelsrecht I S. 487 ff. Ueber englisches und amcrikaniiches Recht: Smith, Compendium of mercantite law. 6. Aufl. S. 287 ff., 307 ff. [9. Aufl. S. 283?., 303 ff.]; MittermaieT im Archiv f. dvil. Praxis Bd. 41 S. 415 417. Ueber die einscfalfigigen Bestimmungen des Entwuifi de* deutschen Handelsgesetibnchs; Meine BemerliQngBn im Archiv, Kritik des Entwürfe bei Koch a. a. O. S. 319 ff., und Kompe, Der Entwurf eines allgemeinen deatscbeo Handeligeaetztuchs. Regensbnrg 1S59 S. 30 ff. Uebei das Ztlrcbe- rische Geselsbuch vgL unten S. 459 Note 3.

' Vgl. Muller, Ueber die actio de recepto S. 3», 33; Puchta, Vor- lesuDgen II § 314; Seuffert, Pr«kt. Pandekteor. II g 40S; S. 29a A.L,R. II 8, §§ 448, 4SO-

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454 I^ reeeptum nautarum, canponnm, stibDlariornm.

I. Für die erste Frage gewährt 1. 7 pr. nautae aller- dings keine direkte Entscheidung. Die hierhin gehörigen Worte Ulpian's:

Item si praedixerit , ut unusquisque vectorum res suas servet , neque damniun se praestiturum , et con- senserint vectores praedictloni, non convenitur. beziehen sich auf den vorhergehenden Passus:

Debet exercitor omnium nautanun suorum, sive liberi sint sive servi, factum praestare. Nee immerito factum eorum praestat, cum ipse eos suo pericnio adhibuerit; sed non alias praestat, quam si in ipsa nave damnum datum sit: ceterum, si extra navem: licet a nautis, non praestabit. Sie gehören, wie die ganze 1. 7, nicht der Lehre vom receptum, sondern dem Institut der prätorischen Strafklageo an, dessen Theorie in § 2 dargestellt worden ist Die prae- dictio mit nachfolgendem consensas schliesst hier nicht die gesetzliche Garantieverpflichtung gegen Entwendung und Be- schädigung aus ', sondern befreit von der sonst obliegenden unbedingten Vertretung der Dienstleute, Die praedictio ut unusquisque vectorum res suas servet« trifft femer nicht direkt die gleichfalls der Theorie des receptum unterliegenden Fälle', in welchen ein reiner Waarentransport stattfindet.

Dass diese mögliche Beschränkung der Verbindlichkeit eben nur hier, und nicht auch bei der actio de recepto er- wähnt wird , erscheint keineswegs zufällig , vielmehr selbst- verständlich, sofern anders wir das wahre Wesen des receptum in einem ursprünglich ausdrücklichen, später subintelligirten Garantieversprechen zu erblicken haben. Garantieversprecheo und Ausschliessung der Garantie sind unverträglich mit der Ausschliessung der Garantie hört das Verhältniss auf, unter die Theorie des receptum zu fallen, und unterliegt lediglich den Normen des civilen Vertragsverhältnisses, unter welchen es abgesehen von dem saivum fore recipere steht'.

' Deren Eiistenz hier vOUig irrelevant ist: 1. un. § 3 furti adv. i Vgl. ob«n % 3.

* Vgl. oben S. 404 Note 3. 3 VgL oben S. 405 ta Note 3.

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Ausscblieisung; und BeschtinkuDg der Haftung. 455

Andererseits ist unverkennbar die 1. 7 cit. für unsere Lehre nicht ohne Bedeutung. Denn wenn schon die Stellung in demselben Titel für die analogische Anwendung derselben auf das receptum spricht, so muss weiter berücksichtigt werden, dass die actio de recepto mit der Ponalklage nicht allein die äussere Quelle, das prätorische Edikt, sondern auch das rechtspoHtische Motiv die Verstärkung des Verkehrs- schutzes gegenüber gewissen Klassen von Gewerbetreibenden gemein hat. Gestattete nun die Praxis sogar den Strafklagen gegenüber, deren absoluter Charakter am ehesten angenommen werden durfte, eine vertragsmässige Beschränkung, hat sie also sogar diesen den absoluten Charakter entzogen, so wäre die Aufrechterhaltung desselben für die Geschäftsklage eine reine Anomalie gewesen, um so mehr, da, wie oben gezeigt worden ' , die Jurisprudenz der scheinbar unbedingten Regel des Edikts gegenüber eine mildere Interpretation zur Geltung gebracht hat, während das Verbot jeder vertragsmässigen Beschränkung eine nur ihr zur Last fallende Schärfung gewesen wäre. Ist nämlich die geschichtliche Entwickelung unseres Instituts von uns richtig dargestellt worden, so hat nicht schon das Edikt, sondern erst die Jurisprudenz die Selbstverständlichkeit der Garantieverpflichtung eingeführt ". Zuvor also bedurfte es gar keiner Ausschliessung, sondern nur der Nichtübemahme. Soll nun die Jurisprudenz nicht allein dies Verhältniss umgekehrt, sondern noch weiter sogar die Möglichkeit der Ausschliessung für alle Zukunft verneint haben? ! Zur Annahme einer so gewaltsamen Aenderung des bisherigen Rechts nöthigt uns nichts. Nirgends eine Andeutung von der absoluten Natur unseres Instituts ', da- gegen vielmehr die bedeutsame Analogie der POnalklagen.

Vgl. ob«n S. 420 Note i und % 9.

' Vgl oben S. 438 Note 1 ff.

i Auch nicht etwa der Satz der 1. i §1 h. t. : ne quitquam put«t graviter hoc adversus cos constitutum; num est in ipsorum arbitrio, ne quem recipiant, etc. Denn derselbe will keinejwegi sagen, dass zwar die Eingehung des Verhältnisses in ihrem Willen liege, der rechtliche Inhalt des einmal ein- gegangenen Verhältnisses dagegen absolut feststehe— sondern narr Eatschliesseii ^ie sich zur Eingehung des VerfaSItnisses , so mOssen sie auch die rechtlichen Folgen desselben tragen, ebenso wie 1. 5 C de O. et A. (44, 7) also einseitige willkürliche Entziehung ist ausgeschlossen, keinesw^s aber noch

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456 I^ai leceptum nauurum, cauponum, siabuloriurum.

Auch die mehrtach angeführte 1, un. g 4 D. furtiadv. nautas: Quodsi receperit saivum fore caupo vel nauta, furti actioncm non dominus rei subreptae, sed ipse habet, quia recipieado peri- culum custodiae subit will wohl keineswegs nur die gewiss seltenen Fülle treffen, in denen Güter ganz ohne Wissen und Willen des Schiffers oder Wirths eingebracht sind, deutet vielmehr auf das häufige Vorkommen vertragsmässiger Aus- schliessung der Garantie'.

So bleibt es denn auch hier bei der allgemeinen Regel.

welche derselbe Ulpian in 1, 23 de R. J. (50, 17) ausspricht:

Contractus quidam dotum malum dumtasat reci-

piunt, quidam et dolum et cutpam sed haec ita, nisi

si quid nominatim convcnit (vel plus, vel minus) in

singulis contractibus : nam hoc servabitur, quod initio

coDvenit (legem enim contractus dedit) .

und auch sonst mehrfach ausgesprochen und angewendet

wird ' , entsprechend der oben besprochenen vertragmässigen

Erweiterung der gesetzlichen Haftung. \"gl. {; 8. Und es ist

kein Zweifel, dass diese allgemeine Regel auch diejenigen Fülle

umfasst, für welche die Voraussetzungen der 1. 7 pr. nautae

nicht zutreffen, den blossen Sachentransport

II. Die zweite Frage dagegen wird durch unser Fragment direkt entschieden. Ulpian erfordert praedicere und con- sensus, und für die Ausschliessung der actio de recepto offenbar nicht minder, als für die Beseitigung der POnalklagen.

Praedicere bezeichnet eine der Vertragsschliessung vorausgehende Erklärung, gerichtet entweder an jeden einzelnen Kontrahiningslustigen, mündlich oder durch Zirkulare, oder altgemein an alle durch öffentlichen Anschlag in oder

AbSnderung durch Vertrag. Nehmen wir dqd gar das recipere in seiner ur- iprttnglichen Bedeutanf als Garantkversprechen , eo ist die Unmöglichkeit dci CDtgegergegeliten Auilegung klar, weit ja nur Aat (freLwillige) Versprechen über den Inhalt der VerpflichtuDg entscheidet.

Ungeachtet also die 1. 7 pr. h. t. nicht direkt unserer Lebte angeböil, ISut sich deren Benutzung in der hier veriuchten Weise um deswillen achwei- lieh mit Radorf [ROmischi: Rechtsgeschichte II % loS Note 12) all *dn Irrlhum der Neueren« beieichnen.

> 1. I §g 6, 10, depositi (16, 3). 1. 60 § 6 locati vgl. aatea S. 457- 1. 55 § 4 1. 71 pr. de C. E. (i8, 1). 1. 7 § S- I- 37 § 3 d< P"t« (=. MJ- I. 6 de pactis dotal. (2J, 4). 1. 27. § 29 ad ]rg. Aquil. (<}, z).

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A ussch Hess Uli g und BeichrSnkung der HafLung. 457

vor dem Vertragslokal, durch Insertion in die öffentlichen Blätter u. dergl. m.".

Eine praedictio in diesem Sinne wird häufig erwähnt, sei es um den Umfang der gesetzlichen Verpflichtung zu mindern ', sei es, um einer gesetzlichen Pflicht, deren Vernachlässigung zu einer umfassenderen Haftung ' , oder zur Befreiung des Schuldners < führen würde, Genüge zu thun.

Je nach dem Zwecke der praedictio genügt schlechthin die unzweifelhaft einseitige Erklärung, oder es ist weiter noch die wirkliche Zustimmung der etwa Benachtheil igten erforder- lich. So erfordert consensus auch die lehrreiche 1. 60 § 6 locati :

Locator horrei propositum habuit se aurum argeo- tum margaritam non recipere suo periculo ; deinde cum sciret bas res inferri, passus est: proinde eum futurum tibi obligatum dixi, ac si propositum fuit remissum videtur. Labeo geht offenbar davon aus, es sei vielleicht zweifel- haft, ob der Einbringer der Kostbarkeiten den Anschlag ge- lesen oder dessen nicht ganz zweifellosen Sinn richtig verstanden habe, er habe vielleicht auch gedacht, dass der horrearius sich anders besonnen. Sache des letzteren wäre es gewesen,

' Proponere, proscribere, nicht allein für Geselle, Ediltte und deren In- halt, wie Klagen, Exceplionen a. s. f., sondern auch fUr FrivaterklSruDgeD. 1. t § lo depDsiti: Sequcmur tarnen, ut Pomponius ixt, aut quid habuenint proscriptum, Kut quid conveneriL 1. 34 § l de Etatul. (40, 7) : prosciibat-aut etiam literis ad eum missls palam facUc. 1. II §§ 3 4 de instit. act. (14, 3). 1. 60 g 6 locati (19. 2). 1. 4 § 6 de dainno iaf. (39, ■2).

' Gajui IV. 136. 1. 60 g 6 locati.

) Nach den Regeln des ädilitischen Edikts : praedicera oder pronuntiare. I. I § I. 1. 17 § 19. 1. 31 § I. I. sa de aedil. ed. (ll, 1) vgl. 1. 15 § l de «Utul. {40, 7)- I. 26 § 7 mandati (17, l). Ferner I. 7 pr. qui »itisdare cog. (3, 8).

4 Gajua IIT. 123, Pfoiesaualisch von Seiten des PrStors oder dei Kiägeri behufs einer praescriptio : I. 48 § 7 de aedil. ed. (21, l). 1. 7 § 2 de heced. pet. (5, 3). Profiten. Cod. Gregor, XII, (Hänel p. 37). Im Sinne von ansagen, rathen, befehlen, warnen, findet eich praedicere z. B. bei Corne- lius Nepos Them. VII, 15 und bei Vellejus Paterculus II. 82. 2. II. 57, i. Dagegen mebr juristisch, lum Zweck einer Erhöhung der rechtlichen Haftung, in dem bekannten Bericht über Mnmmius bei Vellejus Patercul. I. 13, 4: jnberet praedici conducentibus, M eas perdidissem, novas eos leddituros.

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458 Das Tcccptum Daularom, cauponam, EtabDlarionim.

durch eine ausdrückliche unzweideutige Erkiäning jedem Zweifel über seinen Willen vorzubeugec.

In welcher Weise die Zustimmung erfolgen müsse, ist nicht weiter bestimmt. Selbstverständlich genügt auch dne stillschweigende, sofern nur die Umstände eine solche unzwei- deutig ergeben.

Damit erledigt sich die bekannte Streitfrage, ob ein An- schlag im Gasthofe oder gar erst im Gastzimmer zur Ab- lehnung der Verantwortlichkeit genügen könne. Der Wirth mag beweisen, dass der Reisende jenen Anschlag bereits vor seiner Aufnahme in den Gasthof gekannt und nicht protestirt habe'. Ebensowenig würde eine Notiz der Art auf dem erst nach Abgabe des Reisegepäcks ausgehändigten Gepäck- scheine genügen, sofern nicht durch die Gesetzsammlung publi- zirte oder doch vor dem Bureau, namentlich der Kasse höchst offenkundig angeschlagene Reglements die Beschränkung aus- sprechen '.

Ein solcher Vertrag kann übrigens eine engere und eine weitere Bedeutung haben. Eine engere, dass nur die Haftung ex recepto ausgeschlossen sein, dagegen die weniger um- fassende aus dem civilen KontraktsverhSltniss bestehen bleiben soll'. Eine weitere, dass gar keine Verantwortlichkeit be- stehen bleibt dolus natürlich ausgenommen*. Ist die Haftung allgemein ausgeschlossen, so dürfte Letzteres anzu- nehmen sein '.

An der Beweislast ändert ein solcher Vertrag nichts*.

Allerdioga Itaiin unter Umsltlndeii es als VerschuldunE de» Reisenden erscheinen . dosa et die vom Wirth durch den ihm bekannt gewordenen An- schlag dargebotene Gelegenheit zur siclieren Verwahrung seiner EfTekten nicht benntil hat. Von diesem Standpunkt aus liesse sich das Urlheil in Seufferl's Archiv X Nr. i6j rechtfertigen.

* Ita Dt de plnno legi possit.

3 Vgl. BlStter fUr Rechtsan Wendung in Bayern B. 17, S. 198.

* Ob auch lata culpa? Gegen die bejahende, innerlich gewiss begrSe- dete gemeine Meinung v. Wächter, WBrttemberg. Privatrecht II S. 791 Note 19, 20.

s Argum. I. 17 § 19 ad leg. AquU. (9, 2). Nicht entgegen 1. 47 pr. de peculio (15, 1), weil die Haftung pecoiio tenus unabhfiagig von dem WÜIen des Gewalthabers einliitt.

*■ Koch, Eisenbahnen II S. £9, 315, 42t, 421.

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Anischlieisung und BeschrSaknng der Haftung. 459

Neben dieser völligen Ausschliessung jeder Haftung sind weniger umfassende möglich und Üblich, z. B. es solle nur für (erweisliche) Schuld des Rezipienten oder seiner Gehülfen, es solle nur für gewisse Schäden, z. B. nur für Seegefahr, oder nicht für gewisse Schäden' eingestanden werden; es solle im Falle einer Ersatzverbindlichkeit nicht das volle Interesse, sondern nur ein gewisser Maximalsatz vergütet werden u. dgl, m. Die Beweislast wird in diesen Fällen nach der Art der Be- schränkung zu regeln sein. So trifft dieselbe den Befrachter, wenn nur für gewisse Schäden, oder nur für erweisliche Schuld der Dienstleute gehaftet werden soll, oder wenn mit der Klausel ^Inhalt unbekannt* gezeichnet, oder etwa be- stimmt ist, dass »jeder Feuers- und Wasserschaden als von unwiderstehlicher Gewalt herrührend erachtet werden soll..

Wie weit die hier entwickelten Grundsätze auch bei den Dampfschifffahrts- und Eisenbahnuntemehmungen , deren Be- urtheilung nach der Theorie des receptum vorausgesetzt, wegen ihres faktischen Transportmonopols Anwendung finden, soll hier nicht untersucht werden'. Mir scheint gewiss, dass das faktische Monopol und sonstige Privilegien dieser An- stalten vom Standpunkt des geltenden Privatrechts ohne jedes Gewicht sind , und dass Rechtsnormen, welche an sich der Abänderung durch den Willen der Betheiligten

' Z. B, nicht für Gasseilicb nichterkeiinbare BescbSdtgungen, fUr Genichts- defekle u. s. f. Dahin gehören auch die öblichen Konoossemeolsklauseln »frei von Bruch, Leckage, Rost«. »Inhalt, Gewicht, Maass, SiQckzabl unbekaanl«, •frei TOD Beschüdigung' u. s. f.; BUsch, Darstellung der Handlung It S- 3S7. 370 (Zui, S8). Näheres in den auf S. 452 Note 3 angeführten Schriften. Vgl. auch Entwurf ciaea Handelsgesetzbuchs f. d. preussischen Staaten Art. 485, 497. Deutseber Entwurf erster Lesung Art 524, 545, 546 und daiflber die eingehenden BeralhoDgen , Protokolle (ofliuelle Folioaasgabe) S, 2213 M16, m6o— 3301.

' Vgl. die auf S. 452 Note 3 angeführte Lileiatur, und mein Gut- achten über den Entwurf eines deutschen Handelsgesetzbuchs nach den Be- schltlssen zweiter Lesnng: Zeitschrift fitr d. ges. Handelsrecht IH. Beitage- heft S. 109 112, Gesetilicb enttchieüen und iwar in dem hier entwickelten Sisne ist die Streitfrage nur in dem privatrechtlichen Gesetzbuch für den Kajilon Zürich, zwar nicht ausdrücklich, allein nach Inhalt der Kommissionsberathongen zu den §§ 1655, 1668, 997, looo. Vgl. die Ausgabe desselben mit Erllute- rungen Ton Bluntschli, Bd. HL (Zürich 1855) S. 543, 549.

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460 Dm receptuni nantarum, citapununi, alabulariorum.

unterliegen, durch hinzutretende Gesichtspunkte der Art nicht zu Zwangsvorschriften werden, ihre Ausschliessung nicht als Verstoss gegen öffentliches Recht oder Grundsatze der Sitt- lichkeit erachtet werden könne.

X. Heutlg^e Geltung der actio de recepto. Beiträge zur Geschichte der Rezeption, insbesondere im Seerecht.

§ 12.

Die römische Theorie des receptum ist unzweifelhaft in di^ Praxis und die Gesetzbücher des abendländischen Europa übergegangen, und insbesondere ein Bestandtheil unseres ge- meinen deutschen Rechts geworden. Die Miss Verständnisse, deren Aufhellung die vorstehenden Erörterungen bezweckten, vermögen die volle Geltung der richtig verstandenen römischen Regeln nicht auszuschliessen, zumal sie weniger die praktischen Resultate, als die dogmatische Konstruktion und systematische Stellung unseres Instituts betreffen. Anders verhält es sich aller- dings mit den zu S, 420 Note 3 und S. 421 Note 1 bemerkten Miss- verständnissen sehr vieler Aelteren, da diese auch zu praktisch durchaus abweichenden Ergebnissen und zu einer voUkommen irrigen Grenzbestimmung zwischen der Theorie des receptum und den bloss civilen Kontraktsverhältnissen führten. Haben nun auch diese irrigen Ansichten in die Partikularrechte riel- fach Eingang gefunden, so kann doch von einer gewohnheit- lichen Fixirung des Inhalts der römischen Quellen zu keiner Zeit gesprochen werden, um so weniger, als die verbreiteten IrrthUmer nur als Ausflüsse weitergehender Missverständnisse, namentlich über die Theorie der culpa erscheinen. Es wird also genügen, dass man den römischen Quelleninhalt hat adoptiren wollen , wenn auch erweislich nur die Haftung für levissima culpa eingeführt worden ist. Dies ist nament- lich überall da anzunehmen, wo Schiffer, Wirthe und Fuhr- leute nach durchaus gleichen Grundsätzen behandelt werden'.

Siehe unien S. 468 Note i, S. 469 Note 4—6, S. 47» Note i, S. 4S1 Note 3, a. 483 Note 3, 4. So bemerkt aur.h Hutteaa, Du coDtrat de looüge des voituriers. (Paris 1806, im Anhang m Pothier, Tnütj du contrat de louage) p. 37a. -Cetle al^nil£ enire trois sorte« de pcisoDoe

I-Ieulige Gellimg der actio de recepta. 461

Gegen dieThatsache der Rezeption ' würden selbst gewichtigere innere Gründe nicht entscheiden, als mitunter gegen die gemein- rechtliche Geltung der romischen Theorie aufgestellt sind, z. B. dass die anomalen (!) Grundsätze des receptum über die Beweislast unangemessen seien , dass auf unsere Wirthe und Schiffer die Motive des prätorischen Edikts, nämlich deren ausgezeichnete Schlechtigkeit, nicht zuträfen, dass bei uns die Obrigkeit durch die regelmässige Konzessioosertheüung dem Publikum allen erforderlichen Schutz gewähre, und der- gleichen mehr.

Ohne hier die Geschichte der Rezeption in ihrem ganzen wenig erspriesslichen dogmengeschichtlichen Detail zu ver- folgen, mag es genügen, auf einige, besonders für die Ent- wickelung des europäischen Seerechts bedeutsame Thatsachen hinzuweisen.

Unter den zahlreichen Seerechtsquellen des Mittelalters

(naula«, caupones, slabularii) a 6li adoptä dans noa mceurs. La jurisprudence des parlemenls, Celles des cours actuetles. el ]e Code civil gui-tout, ea oiTrent U preove.« Unter naulne versteht Hutlcau jeden Frachtfahrer. Vgl. eod. p. 401, 406, 407, 409—411.

' Die Zahl der Dissentieaten i<:t sehr gering. Schilter, Exerc. ad Fand. XIII § 25 bezeugt nur die zu seiner Zeit noch schwankende Pnuis. Die im Text angeführten and noch schwächere Grönde werden gegen die fortdauernde Geltung des Edikts be\refrs der Gaslwirthe aufgestellt in der schülerhaften Dlsserlalion von Joh. Willietmus Richler, De actione in factum tu quasi contractu reccplionis moribus nostris non convenienle. Leipzig 17591 S. lö. 36 30, obwohl er selbst lugibt, dass in der Praxis die eut- gegengesetzte Ansicht Geltung habe. Nicht minder oberflächlich Hellfeld, Reperlorium III p. 1693 1698; Fischer, Lehrbegriff sämmtlicher Kameral- und Polizeirechte 111 § öii bemerkt nur, dass die zahlreichen deutschen Partikulargeselle Aber die Gaalwirlhschaft vom röm. Recht abwichen , und dessen Gebrauch entgegenstunden. Unter den Neueren hemcht Einstimmigkeit. Belege bei v, Zangen, Kurze Erörteiung der Fiage : Wasfür eine Klage wider einen Fuhrmann stattfinde, welchem die luin Transport und Ablieferung bedungenen Sachen weggekommen? Giessen 179S, S, 25 Note*; Glück VI S. 111: Thibaui, Pandekten, 8. Aufl. Bd. II § 572 S. 110; v. Holz- schuhe r, Theorie und Kasuistik III S. 825 Note i; v. Vangerow, 7. Aufl. lU S. 465 Anm. 2; Müller, S. 39. Unbegrtlndete Zweifel und Verwechselung der actio de recepio mit den Fönalklagen bei v. Kaltenbora, Seerecht I 5. 235 , 2 j6 , 242. In den von ihm liiirten neueren Seerechten ist nur der modus der Rezeption vgl. oben S. 410 Note l, S. 438 Note i geändert. Dazu noch Entwurf eines Handelsgesetzbuchs f. d. preuss. Staaten Art. 533, Motive S. 187. und Protokolle S. 1508, 2509, 2519.

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462 1^35 receptam nautamm, cauponain, Ktabulariorum.

lassen sich zwei grosse Gruppen unterscheiden: die eine be- stehend aus den germanischen, mit Einschluss der holländischen und nordfranzösischen; die zweite dagegen die romanischen Küstenländer des Mittelländischen Meeres umfassend. Beide sind in grossen Sammlungen zusamraengefasst , die erste in der Wisby'schen Kompilation, die zweite im Consolato del mare. Aus der wechselseitigen Verbreitung beider und den aufs Neue hinzutretenden römischen SeerechtsqueUen ist das neuere europäische Seerecht entstanden, dessen geschichtliche Entwickelung und wirklichen Inhalt darzustellen eine eben so würdige, wie noch durchaus ungelöste Aufgabe der Wissen- schaft ist.

Diese beiden grossen Gruppen zeigen nun auch hinsicht- lich der Verantwortlichkeit des Schiffers für die Ladung die bemerkenswertheste Verschiedenheit.

I. Die germanischen Seerechte begnügen sich überall den Schiffer für eigene Schuld haftbar zu erklären'. Sogar die Verantwortlichkeit des Schiffers für seine Leute wird in der Regel nicht direkt ausgesprochen, wenn auch vielleicht vorausgesetzt, wie in einem Frankfurter Schöffenurtheil von 1401 hinsichtlich der Fuhrleute '. Einer Fuhrmannskompagnie ist ein Theil der Ladung abhanden gekommen. Sie behauptet, dass alle mögliche Vorsicht angewendet und ein Knecht zur

' Die folgcDdcD Citate nnd meist Dach Parde*tas, Collection des lots !s; das Wisby'sche Seerecht tilire ich nach der Tonaglicheo Antgabe TOD Scblyter (Corpus Juris Visbyensis. Land. 1853). Rooles d'OMroD und flandrisches Schiffsrecht Art. a (Wisby 16), 10 (Wisby 14), 11 (Wiaby 15), 13 (Wisby 33) , »4 (Wisby 39). Schiffsrecht von NordhoUand Art. 3, 11 (Wisby 43), 17 (Wisby 54). Scbreibea des Hamburger Raths twischen I156 und ia6l (Pardesias JII p. 331 ff.). Hamburger SchiJ&recht v, 1270 Art, J3. SUdtrecht Ton Riga V. 1270 Art. 163. Zweite Redaktion tit. XI, c 6. Lflbeckö Schiffsrecht v. 1299 Art. 32, 33, Lübecker Recht bei Hach IV, 21, 23, 96, Hanseatischer Rcies« von 141« Art. 3, 8; v. 1454; t. 1482 Art. XI. b. ; t. 1530 Art. XVII, XVIII. Statut Ton Bergen r. 1*74 c, 2. Statut raa Wisb» c. 6. (PardesBUB III p. 27—29.) Daniiger Seerechtsurtheil r. 1433 Nr. 13. (Holttus, Onde zeeregteo in Dantiig p. 19, 13, 25).

» Thomas, Der Oberhof zu Frankfurt a. M. Nr. 52. Ein Sprach des magdebuigischen SchälTeDbollegs vom 15. Febr. 1474 (NeumanD, Magde- bui^r WeislhUmer Nr. 47 S. 127) erklKrt des Fuhrmann, welcher den Transport bis an den Bestimmungsort Übernommen hatte , schlechthin für seinen Silt>- stitnten verantwortlich, vorbehaltlich des Regresses an den leliteien.

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Heulige Geltung der actio de recepto. 463

Obhat der Waaren bestellt worden sei. Der Rath entscheidet, dass die Fuhrleute dem Befrachter für die Waare ein- stehen sollen.

ez were dan daz solich War raublich genommen oder mit gericht uffgehalden were, doch so nimt man den forluden hie midde irs rechten nit gein den Knecht, den sie gewonnen hadden, der War zu huden. Direkt ausgesprochen wird dagegen dieser Satz in einem ürtheil des Raths zu Danzig v. 1429 '. Der Schiffer hatte Gut aus Flandern nach Danzig gebracht, das Gut in ein Leichterschiff (Burding) geladen, und dem Kaufmann ange- zeigt, dass die Waare vor der Brtlcke (am Loschungsplatz) sei. Auf dem Bording wurde des Nachts ein Laken aufge- schnitten und ein Stück Tuch daraus gestohlen. Der Kauf- mann belangte den Schiffer, dieser scheint dem Bordingsschiffer litem denuntiirt zu haben, und dieser bekannte, dass der Dieb- stahl durch Versäumniss seiner Knechte geschehen sei. Der Rath erkannte:

De Schipper sulde quiet sien darmede dat he det guth heylbar jn den bordyngk geantwerdet hadde und dem Kopmann thogesecht hadde. Sunder de Bordingesman nahdeme he dat gutt in sien schip und vorwaringe genamen hadde, und ys by vorsumenisse syner knechte, de jdt vorwaren sulde were gestalen. Zo sprak de Raedt, zo sulde de Bordingeszman dem Kopman sien gut andtwerden adder ihn darvan vomogen. In den Rooles d'Ol^ron art. 10, und ebenso in dem ähn- lichen Fall des Consolato del mare cap. 153 a. E. wird aller- dings der Schiffer für die Schuld seiner Leute verantwortlich gemacht, jedoch nicht wegen wirklicher oder fingirter culpa in eligendo, sondern nach dem Grundsatz, dass alle diejenigen

' Nr. 7 der RammluDg in dem Zeitschr. f. d. ges. Hxiidelsr. I S. 2gj S, beschriebenen Dm ziger Codex. Vgl. auch HolCi ui, Onde leeregten in Dantiig p. 14, 21, 22. In der Zeitschr. n. ». O. ist übrigens der zweimal vorkommende Druckfehler 15 in 5 lu berichtigen: FardeEsns hat nämlich nur 5 Urthcile abgediuckt. Derselbe Rechtssatz, wie in dem vorziehenden Urtheil, ist auch aua- gesprochen in der Daniiger Willkühr von 1597 Art.- XVII. (Pardeno« IIl p. 475) nnd ic der Neureviditten Willkahr der Stadt Danzig von 1761, IIb. I, cap. 4 Abachn. 5 Art. 11 , Abschn. 7 Art. 7.

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464 ^^ receptum tiautaruin, cauponum, slabulaiiorum.

den Schadensersatz leisten müssen, welche Antheil am Gewinn des Geschäfts haben, also unter dem Gesichtspunkt einer socie- tas lucri et damni.

Sogar zu einer Zeit, da die römischen Grundsätze schon lange im Seerecht Eingang gehinden haben, begegnet uns noch regelmässig der mildere germanische Grundsatz. So in in dem romanisir enden Hamburger Schiffsrecht (Stadtrecht P.) von 1497 Art. XXVI:

Wat eyn yderman schepet, dar schal he de vracht van geuen, al weren de guder buten schulde des schipheren vordoruen efte vorgaen er se auer qwemen.

Vgl. Art. VII, IX, XII, Xlir, XXV, XXDC. Ebenso wenig findet sich in dem Hamburgischen Stadtrecht von 1603 die Spur einer umfassenderen Haftung. Vgl. II, 15 Art, 1; n, 14 Art. 3, 4, 5, 9, 10, 11, 24, 34, 35, 36. Sogar das Hanseatische Schiffsrecht von 1614 scheint noch ganz auf diesem Standpunkte zu stehen: tit. 3, art. 1, 2, 15, 17, 13. 19; tit. 5. art. 4, 5. Und die niederländischen Gesetze des 16. Jahrhunderts, wenngleich ausdrücklich hervorgehoben wird. dass der Schiffer auch für die Schuld seiner Leute verant- wortlich ist ', gehen doch im Uebrigen nicht Über die Haftung für Schuld hinaus".

Gleiches gilt von den späteren nordfranzösischen Quellen, dem Guidon da la mer vgl. cap. 5 art. 6, 7, 9, 10, 11: cap. 9 art. I, 4, 5, und sogar der Ordonnance touchant la marine vom August 1681, vgl, livre II tit. 1 art. 8, 12, 13; tit. 8 art. 2, 3; livre III tit. 3 art. 10. Allerdings soll nach dem Zusatzartikel 38 der Rooles d'Olöron^ der Schiffer dem Befrachter schlechthin haften, wenn das Schiff durch den Herren des Landes, welchem der Rheder angehört, am Aus- laufen verhindert wird. Allein dieser singulare Satz erklärt sich aus den Feudalverhältnissen des nördlichen Frankreich

Ordonsnnz t. 19. Juli 1551 Ait. 43. Ordonnanz Philipp': 11. t. 1563 tit. n alt. II.

I Ordonnanz vom ig. Juli 155t Art. lä, 4a, 43, 44, 50. Ordonanni rhilipp's II. V, 1563 tit. II art, 6 9, 11; tit. III «rt. 19; tiL IV. art. I, 8, 9, "■

3 Bbckbookartikel, bei Pardeisas I p. 341, 343,

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Heutige Geltung der actio de receplo. 465

und aus dem SelbsthUlfeprinzip des mittelalterlichen Rechts, vermöge dessen sich der Gläubiger wegen der Schuld des Ausländers an dessen Landsleute, wegen der Schuld des Herren an dessen Unterthanen hält".

In dem ganzen Bereiche dieses Quellentreises" ist mir nur eine Satzung begegnet, welche in ihrer absoluten, an die Worte des prätorischen Edikts erinnernden Fassung, und viel- leicht schon unter dem Einfluss des römischen Rechts ent- standen , an die strengere Haftung denken lässt , nämlich Art. 11 des Hanseatischen Rezesses von 1418, welcher dem- nächst in den Rezess von 1447 Art. X (nicht auch in die späteren grossen Rezesse), in die späteren Redaktionen des LUbischen Rechts (Hach IV, 29) und in das revidirte Lübische Recht von 1586 lib. VI tit. 1 art. 9, wie auch in das Land- recht des Herzogthums Preussen von 1620 lib. IV fit. 19 art. I g 9 übergegangen ist. Derselbe lautet:

Vortmer, is gheramed welken Schipheren wat in- gheschepet werd, de schal dat wedder uth antwerden dem jennen de eme dat ingheschepet hefft edder enem van syner weghen, de dar vor antwerden wil, uppe dat id to rechter scheringe kome. Wente werde wat verloren, dat scholde de Schipper gelden. Noch eine preussische Verordnung vom 21. Februar 1748 scheint jedoch den älteren Standpunkt festzuhatten '.

Stobb'i, ZuT Geschichte des deutschen Verlnesrechts S. 150 ff- Biener, Wechselrecbtliche Abfaaadlungen S. 40.

' Erwähnt mag noch Verden, daas dis livre de josdce et de plet (nach Laterriire, HLstoire du droit fraii(ajs VI S. 290 ff. tn Ende des 13. oder Anfang des 14. Jahrhunderts in Orleans enstanden) im livre III eue voU- stfindigc Uebenetzung des Pandekten titels nautae, caaponei, wie andere! römiachei Seerecbtititet enth£lt (Pardeatua VI p. 537 ff.).

3 Reglement und Ordnung, wie es mit der ElbschiSfahrt derer Waaien Ton Berlin nach Hambui^ und von da bis Berlin bri der CSiarmfiTlcischen auf Z4 cinlSndische Schiffer gesetzten Schiffei-Gilde Tom l. Martii 1748 an gehalten werden solle, de dato Berlin vam 21. Febfuarii 1748, Nr. 9. 'Allen denen eingeladenen Waaren mnthwiliiger Weise oder durch grobe Verwahr- losung zugefdglen Schaden sind die Schiffer lu eraetzen schuldig, und haftet dsfUr nebst den SchifTsgefflxscn nicht nor die Fracht , sondern aach der Lohn der Schiflyenle, welche insgesammt dafUr eirnnstehen Terbimden nncL> [Mjlius Corpus Conslit. Marchicar. Conlinnatio IV p. 27.)

Goldichmidt, VermUchte Scfatiftes. n. 30

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466 ^^ receplam nautamm, caaponum, lUbnlariorum.

II, Anders steht es mit den romanischen Seerechts- quellen. In den blühenden Handelsstaaten des südlichen Europa findet sich früh eine sehr entwickelte Schiffahrtspolizei, welche, im öffentlichen Interesse, eine grosse Zahl eigenthüm- licher Einrichtungen hervorrief, z. B. das Institut des Schiffs- schreibers mit notariellem Glauben. Im Sinne dieser staatlichen Fürsorge für Handel und Schiffahrt lag die aus gleichen Rücksichten hervorgegangene strengere römischrechtliche Haftung des Schiffers fUr die anvertrauten, insbesondere für die vom Schiffsschreiber verzeichneten Güter.

So stellen die Gewohnheiten von Valencia ia Spanien, {Pardessus V p. 333) deren Redaktion dem Jahre 1250 angehört, und welche wahrscheinlich eine Hauptquelle des Consolato gebildet haben, das Seerecht ganz nach römischen Quellen dar, meist in wörtlicher Uebersetzung. Insbesondere ist lib. II rub. XVI § 1 fast wörtlich aus 1. 1 § 8, 1. 3 pr. § 1 nautae entlehnt. Denselben Satz enthält noch einmal lib. IX rub. XVII § 6.

Das Statut von Marseille aus den Jahren 1253 1255 (Pardessus IV p. 256 ff.) macht zwar den Schiffer nur für culpa verantwortlich lib. IV c. 7, 8, 9, 15, 20, 21, aber in dem merkwürdigen c. 26 ' bestimmt es ganz allgemein und absolut, dass alle vom Schiffsschreiber verzeichneten Güter, welche verloren oder gestohlen sind, von den Rbedem in Natur oder nach ihrem Werth erstattet werden müssen:

et postquam dicta avera reperientur taliter scripta in dictis cartulariis ut supra dictum est, si postmodum dicta avera amissa vel subrepta fuerint in dicta nave dominus seu domini dicte navis seu ille vel illi qui habebunt curam dicte navis restituere per officium compellantur predicta avera, vel eorum eiti- macionem sine mora illi vel illis quorum fuerint illa predicta avera, in eo loco ubi predicta navis portum fecerit causa discargandi. Desgleichen enthalten die Statuta navium et navigantinin von Venedig von 1255 (Pardessus V p. 21 ff.) in dea

Wo anch der KBBfnuumueichGn ErwKlmuiig geschielit. Ebeiwo ü dem venedanixchen Statat T. I3S5. LH, UIL

3,3,l,ze.:,,GüOgk'

Ileuiige Geltung der actio de recepto. 467

Artikeln U, III, LI, LH, LIII, LLX, LX die regelmässigen Vorschriften über die Verschuldungsfälle, bis auf:

art. LXII. Quod patroni habeant in custodia merces mercatorum vel marinariorum per scriptum,

Dicimus, quod postquam merces in nave fuerint posite secnndum tenorem et ordinem statuti in patronorum custodia debeant permanere; et sicut in patroni custodia per scriptum merces receperit, ita eas per scriptimi mercatori cum integritate resti- tuere teneatur, excepto per forcium, per ignem, per fortunam temporis, aut quod extra projecte fuissent. cap. LVIV. De vastatione mercimoniarum. Wenn über den Ersatz beschädigter Güter zwischen Schiffer und Betrachter keine Einigung erfolgt, so soll obrig- keitliche Abschätzung und Zwang zum Ersätze eintreten, jedoch:

Salvo si patronus posset probare, quod illud dampnum

fuisset occaxione ignem ezstinguendi , vel fortunam

temporis habuisset, propter quam patronus penam ali-

quam non incurat; que probatio fieri et cognosci

debeat et determinari per consules vel vectores predic-

tos. Si vero merces aliter vastarentur, et videbitur

supradictis quod occaxione patronorum evenisset, iUi

cujus merces fuerant, fiant satisfieri secundum stima-

tionem dampni.

Das Breve curiae maris von Pisa vom Jahre 1298 (Par-

dessus IV p. 585 ff.) ^richt unbedingte Ersatzpflicht aus in

den cap. 13, 62. In den Statuten von Ancona vom Jahre

1397 (Pardessus V p. 116 ff.) begegnen nur Vorschriften

wegen Verschuldung des Schiffers rub. I, IV, XV, XIX,

XLV, XLIX, LIIL Dagegen enthält das Statutum officü

Gazariae von Genua vom Jahre 1441 (Pardessus IV

p. 463 ff.) neben solchen (cap. 8, 9, 81) auch einige strengere

und unbedingte: cap. 96, 97, 103.

Sehr merkwürdig ist die Verbindung beider Systeme in dem Consolato del mare. In unzähligen Stellen wird jede Verantwortlichkeit des Schiffers von einem Verschulden desselben abhängig gemacht, und regelmässig sogar der Beweis der Schuld dem Befrachter auferlegt. So (nach der Ausgabe

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468 ^^ leceptum aantamtn, cauponam, lUbulanoram.

bei Pardessus II) cap. 16, 18—21, 23—27, 44—46, 141, 147, 149, 154, 160, 177, 182, 189, 190, 192, 204, 214, 215, 221, 226, 243, 247, 250. Dagegen begegnen in einigen Kapiteln' folgende Wendungen:

cap. 13. S'il se perd quelque chose ä bord, soit balle, ballot, marchandise, soit quelque autre objet, que l'&rivain aurait inscrit, ou au chargement du- quel il aurait pr^sid^, il doit le payer. cap. 22. Si quelque objet charg^ sur le navire et inscrit sur le registre se perd, le patron est obligd d'indemniser les propri^taires. cap. 224. Mais si le patron ayant fait mesnrer le grain et 1 'ayant re9u en compte, les marchands y trouvent quelque deficit, il est oblig^ de les en indemniser. In den deutschen Landrechten und Gesetz- gebungen des 17, und 18. Jahrhunderts herrscht die römische Theorie meist freilich in der missverständlichen Auffassung der älteren Doktrin unbestritten. So: Land- recht des Herzogthums Preussen von 1620 üb. IV tit 18 art. 3 § 2, tit. 19 art. I § 9. Landrecht des Königreichs Preussen von 1721 pars II hb. IV tit. 18 art. 3 § 2. Der scheinbar abweichenden Verordnung vom 21. Februar 1748 ist oben zu Note 3 auf Seite 465 gedacht ■Württembergisches Landrecht von 1610 Th. II tit 3 § 15. Codex Maximil. Bavaricus lib. IV cap. 13 § 10'. Wie es auch im hamburgischen Recht mit der Ersatz- pflicht des Wirthes sich verhalten mag', so herrscht doch

Nach der Pardessos 'sehen UebereetianK- Eine direkte Enttebnnng aus römiKhen Qaellen, wie Pardessus 11 p. 67 not, 2 will, Ut nach der obigen Dantellung nicht nahrscheinlich.

' Die Verantwortlichkeit ist auf Haßung füi leviuima culpa mid cslp* suoruni abgeschvScht. Die UnterscheiduDg iwischen reinem, d. h. ia der Regä miTenchuIdetem , und gewöhnlichem Zufall wird ausdrOcklich yenrortea (vgl. Anmerkungen mm Codicem MaximQ. Bavar. München 1765, Th, IV S. 656. 657). £ben«o im WOrttemb. Ldr. >Eum höchsten Fleiu dais (ie nichts dum allein ohnversehens xugeslanden OhngltlcksHUl entschuldigen mSgen<.

3 Vgl. Wolters a. a. O. S. 61 ff., und d^t^ea B>nmei(ter, Das Piivalrecht der freien und Hansestadt Hamburg I S. 36a.

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Heulige Geltung der actio de recepto. 4^9

hinsichtlich des Schiffstransports unzweifelhaft das römische Recht, und liegt der neuerdings eingeschärften Verordnung vom 5. Dezember 1766, revidirt am 26. März 1786, Art. 1 bis 6, 11, 12, 15 zu Grunde'. Desgleichen steht die früher schwankende sächsische' Praxis nunmehr im römischen Sinne fest'.

Endlich die neuesten Gesetzbücher stehen unzwei- deutig auf diesem Standpunkt: Das preussische', das öster- reichische', die französischen Gesetzbücher*

' Hambarger Handelsarchiv S, 143 ff. Bekanntmach ung vom 13. Sep- tember 1855, ebenda S. 146; Pöhl's Seerecht 11 S. 56g. Vgl. anch die Uilheile des Oliera.ppelladonsgerichts in Lübeck oben Noie 4 auf S. 413 , in Zeitschr. f. d. ge». Handelsr. I S. 573 ff., und in Scufferti Archiv X[ S. Ill ; BOsch, Darstellang der Handlung (3. Ausg. t. Normann) II S. 357 stellt es noch als nngewiss hin, ob der Schiffe fUr Diebstahl hafte. Ueber die neueste hambnrgische Praxii, vgl. die Urthefle bei Ullrich, Heft i Nr, ai, a6, 69, 49, 80.

» Carpiov, Jurisprud. for. II, a6 def. 10; Schtlter, Exerc ad. Fand. XII gS li. H-

' H a u fa o 1 d , Lehrbuch des KSnigl. SSchs, Privalrechts. 3, Aufl. 1 § zSS b. Note p. Revidirter Entwurf eioes bUrgerlichen Gesetihuchs fltr das Königreich Sachsen §§ laSo 1290.

* A.L.R. II S §§ 444-453. »734—1736. 1599, iß34. '657. 1665, i6«6. 1676 E. 1691 C, 1698 fr., 1707 ff., 1712, 3452—2456: Haftung ftlr ebenes und der Leute geringstes Verschulden, nicht aber fUr Süssere Gewalt und Zu- fXUe nicht tVx inneren Verderb oder lusseren nnabwendlichen Zufall. Dass die rötnische Theorie hat adoptirt werden sollen, bezeugt auch Koch, R. d. Ford. III S. 8l8 S30. Modifikation hinsichtlich der FassagierefTekten A.LJt. II 8 §g 1760, 1761.

i Oesler. Btti^erl. Gesetibuch §§ 970, 961, 964, 131a: Haftung fllr eigenes und der Dienstleute Verachnlden, nicht aber Haftung für ZnblL Ungar. Gesetiartikel XX v. 1840. §§ 4, 5; Haftung fttT bOse Absicht nnd Un- acbtianikeit.

' Code civil ait. 1952 1954, 1782—1786. Code de commerce art 103, 107, 230, Z16, 321—319: Haftung fUr eigenes, der Leute und der GSate Verschulden ; Nichthaftung fflr Zufall oder habere Gewalt nicht fhr inneren Verderb oder höhere Gewall. Die Versduedcnheit der Aosdrticke in den ver- schiedenen GesetibOchem und Theilen desselben Gesetzbuchs ist, ebenso wie in dem preussischen Gesetibuch, nur einer unachtsamen Redaktion lu zuschreiben, und deatct küneswegs auf eine Verschiedenheit der Haftung. Die franiQsischen Getetibücher stehen auf der Slleren in Frankreich herrschenden Doktrin des römischen Rechts. Vgl. oben Note i auf S. 460 und über diese Doktrin: Domat, Les loix civiles dans leur ordre naturel (Lnxembourg 170a. t. I p. 66, 141—144} livre I tit 4 sect. 8 nr. 5, lit 16 *ect. i, 3.

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470 I)>* receptum ni.ntamm, cauponnm, stabnltrioruni.

und sämmtliche Handelsgesetzbücher', wie das Zürcherische Gesetzbuch'. Vgl. oben Note l auf S. 460 und § 13 die Noten auf S. 480—484.

Das englische Recht ging ursprunglich sogar noch weiter als das römische. Nach common law erscheint der SchiHer als gewöhnlicher Frachtfahrer (common carrier) and hahet unbedingt für das anvertraute Gut, unless it were by the act of God (Sturmwetter, überhaupt Seegefahr), or that of the king's ennemies also auch für ganz unverschuldeten Diebstahl, Raub, Feuer, mit Ausnahme des durch Blitz ver- ursachten. Erst neuere Statuten haben diese Haftung beschränkt Allgemein St. 11, Geo. 4 & 1, W. 4 c. 68 für gewisse werth- volle Gegenstände, welche besonders versichert werden müssen. Insbesondere für den Schiffstransport St. 26, Geo. 3 c 86 s. 2, 3, welches die Verantwortlichkeit für Feuer, auch im Schiffe ausgebrochenes, beseitigte; imd die Haftung für edle Metalle, Edelsteine u. dgl. von der Deklaration derselben ab- hangig machte. St. 6, Geo. 4 c. 125 s. 53, welches die Ver- antwortlichkeit für Lootsen, und für diejenigen Fälle, da solche nicht herbeizuschaffen sind, aufhob. Endlich The merchant shipping act vom 10. August 1854 (St. 17 & 18, Vict. c. 104) p. IX s. 388, 503, 504; welche diese Nonnen wesentlich wiederholt'.

> Span. Handel^Fselib. Art. aoj, xoS, 209, 212, 21J, 317, 220, 215 bis 327, 676, 67S 6S3. Hollind. Handeligei. Art. 91, 96—98, 345. 546. 348. 349, 35'- Portug. Handelsgesetibuch Art. 178, 179, 182, 183, 187, I90, 195 197, 1364, 1365, 136S, 1376, 1390, 1391. BrasiliaD. Handelsgesebb. Art. 99, I02 106, 110 113, 115, 118. Mit dem Code de commerce itimmen, nach St. Josep h, Concordance, die HandelsgeselzbUcber von Rom, Neapel mid Sirdinifa völlig Uberein.

> Prival rechtliches Gesetzbuch für den Kanton Zürich § 1653 [vgl % l^^)> §§ 1^54' l^S^i l^^S ' Unbedingte Haßun^, mit Aasnahme ron Fallen heherer Gevrall, auch für Diensdeute und ZwischenfrachtfUbrer, selbst im Falle der Verzägerung. Aus den EilSuterungen Blnntschlis (deuen Ausgabe mi Erläuterungen Th. III ZUrich 1855, 5. 536^538) lu § 1Ö46 ergibt sich, dus der Ausdruck »höheie Gewaltr , nogeachtet sehr triftiger Einwendungen, von der Mehrheit der Kammission aus den von Bluntscbli in seinem Deutschen Frivatrechl II S. 20 eutwickellen Gründen (vgl. oben S. 415) beibehalcoi

3 Molloy, De jure maritimo et navati, or a trealite of aflairj mi- ritine, 8 ed. 1744, ist sich des UnteitcUedes vom röm. Recht rlillig bemu«. Vgl. book II eh. 3 Ni. 2, 8; eh. 3 Nr. 13—18. Uebei das englisdi-ameri-

Ausdehnmig auf den Landtrantportvertrag? 471

Die im neueren gemeinen Seerecht begründete wichtige Modifikation des römischen Rechts, dass für alle Forderungen, welche auf einem Verschulden des Schiffers beruhen, die Rheder nicht über die fortune de mer hinaus haften, sich also durch abandon des Schiffers sammt Zubehör und Fracht be- freien können ', berührt die hier entwickelten Prinzipien selbst- verständlich in keiner Weise.

XI. Ausdehnung auf den Landtransportvertrsg?

§ 13-. Die Römer haben den Landtransportvertrag durchaus nur nach den Grundsätzen der locatio conductio^, nicht zu- gleich' nach denen des receptum beurtheilt. Ueberall ge- schieht nur der actiones locati conducti, nirgends der actio de recepto Erwähnung, auch da* nicht, wo das eigentliche Herrschaftsgebiet der letzteren * ist. Nirgends findet sich eine

kanUche FrochtfOhreirecht Oberhaupt: Smith, Compendiam of mercantile law. 6, Ausg. S. 187— 29S [9. Aufl. S. 175—188]; Redfield, Practica! trealiie upOD tb« law of railwaT» S. 332 ff. [5. AuH. II S. i CT.].

Im Wesentlichen befriedigend Ciopp, Juristische Abhandlungen I S. 467 fl". EbensDwenif; gehört hieiher die parlikularrechtliche ModifikacioQ des A.L.R.'s II 8 § 1528, dass die Rbeder täi Verschuldung der SchilTer and Schiflsleute nur subsidiär, Dümlich onr insoweit einstehen, als der Be- schSdigte selbst luni Ersatz auvetmögend ist. Vgl. O.A.G. zu Lübeck in Seufferfs Archiv XI Nr. 85.

' GiUcde fUi und gegen die analoge Ausdehnung sind zusammengestellt, und die ecsleren bekimpft insbesondere bei Brenner (prae«. Harpprecht), Actio utilis de recepto T707 Nr. loS 150; (Harpprecht, Diis. «cad. t I disp. XVI); Werner (praes. Harpprecht), Actio utilis de recepto utmm contra rhedarum meiitoriarum exerdtore* , poltarum magistros et quoscunque anrigai locum obtineat 1707 (eod. t. I diep. XVII); Müller, a. a. O. S. 39—08; Cnyrim, s. a. O. § l (S. 4—14); Koinpe, Zeitschr. f. d. Recht Bd. XVIII S. 31z— 3161 W. Koch, Eisenbahnen II 6, 23.

3 Opois. Auch rei? Vgl. Cropp, Juristische Abhaodtnngen II S. 6jo bis £38, und die mehrfoch berichtigende Darstellung von Ullrich, Neue* ArcbiT f. Handebrecht II S. 317 ff.

VgL oben § 1 Note 3 auf S. 415. i Vgl, oben S. 407.

* 1. 13 pr. I, 25 § 7 locati C19, 2). VgL auch 1. II § 3 eod. 1. 5 pr. ad eibib. (to, 4).

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472 I^BS recepCum nautarum, caupoonm, stabularionim.

Spur analoger Ausdehnung derselben. Denn die Anwendung unseres Instituts auf Kahn- imd Flossführer, welche schon Labeo machte:

1. l § 4 h, t. : De esercitoribus ratium, item Ijntrariis

nihil cavetur: sed idem constitui oportere, Labeo

scribit, et hoc jure utimur. ist nicht als Ausdehnung, sondern als blosse Interpretation des vom Edikt gewählten Ausdrucks nauta ' zu erachten, welcher nicht minder den Kahnschiffer und Flösser in sich schliesst. als der Ausdruck navis oder navigium die Kähne und Flösse '. Hätte aber auch die römische Jurisprudenz bei ihrer über- aus freien Stellung sich eine analoge Ausdehnung des Instituts gestattet, so würde dies einen gleichen Vorgang für die moderne Wissenschaft und Praxis noch keineswegs recht- fertigen. Für uns gilt durchaus der Bestand des justinianeischen Rechts, soweit derselbe rezipirt und nicht erweislich durch neuere Gesetze oder Gewohnheitsrecht modifizirt ist. Haben nun die Römer den Landfrachtverkehr durchaus nur nach den Prinzipien der locatio conductio, nicht auch nach den Grund- sätzen des receptum beurtheilt, so lässt sich doch schwerlich behaupten, dass hier eine Lücke vorliege, deren Ausfüllung eine Aufgabe der heutigen Wissenschaft und Praxis sei. Es stehen sich vielmehr zwei Rechtsinstitute gegenüber: das eine normale mit einem sehr weiten Anwendungsgebiete, alle Fälle entgeltlicher Werkverrichtung, Sachen- und Raumgewährung

Vgl. V. V«Dgeroiir, Pandeklen III S. 466; Müller, a. a. O. § 22. In gleichem Sinne wird dann such wohl der Ausdniclc caupo aaf Wein- und Bieiwirlhe, Garkoche, KaHeliers u. dgl. beiogen : Brenner (praei. Harpp- rech[)i Actio utilii de recepto Nr. 44 65. Dabei wird eine tehr nonittze UntenuchuDg geführt , ob die actio de recepto in liotrariot aod ratiarioi eine ntilis oder direcU sei: Nr. 25— 43- Dagegen Glüclt VI § 485 Note 10.

* Diese werden durchnns den naves gleichgeachtel und gldchbehandelt: 1. 1 § 6 de e«rc. act. (14. i), !, 44 de evicL Cz', a> wo iwar jcapia da hktis entgegengestellt, aher doch selbst als parva navicola bezeichnet wird. I. I § 14 de fliimiii (43, 12), 1. I pr., 1. 3 § I. )• 5 de incendio, ruina, nao- fngio, rate, nave expugnata (47, 9), 1. I pr. ut in Sum. pubL (43, 14); Paulus R. S. U 31 § 18; Gellius N, A. X. 25. Vg!. auch Brissgnins, De TCTb. signif. s. v. inavist. In gleicher Weise versteht z. B. du preonüdie Gesetz v. 14. April 1824 (G. S. S. 7, 9) unter •Schiffer- auch ausdrUcldich den .Kahnilthref. Untersuchungen darüber in der Note erwähnte» DisMT- tation von Werner (Harpprechl) Nr. 195—199-

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Ausdehnung luf den Landtransport vertrag) 473

umfassend das andere anormale auf das eng begrenzte Feld gewisser Gewerbe beschränkt. Was nicht dem letzteren angehört, fällt naturgemäss und nothwendig dem ersteren zu. Das gleiche Resultat ergibt sich aus einer eingehenden Erwägung der eigenthümlichen Natur unseres Instituts. Das- selbe ist nach der obigen Darstellung:

1. den Römern selbst als innerlich durchaus anormal er- schienen ', und um deswillen einer jeden analogen Ausdehnung unfähig " ;

2. äusserlich beschränkt auf gewisse Klassen von Ge- werbtreibenden für Akte ihres Gewerbebetriebes' also nicht auf andere anwendbar, mag deren Beschäftigung auch eine nah verwandte sein.

3. Als Motive für die Einführung der actio de recepto werden in den Quellen selbst angegeben:

a) ein gewerbspoiizeiliches, nämlich der schlechte Ruf der Schiffer und Wirthe, den dieselben nicht minder um ihres all- gemein unsittlichen Verhaltens willen * wie wegen ihrer häufigen Betrügereien genossen Ulpian in 1. 1 § l h. t:

et nisi hoc esset statutum, materia daretur cum furibus adversus eos, quos recipiunt, coäundi, cum ne nunc quidem abstineant huiusmodi fraudibus.

' Vgl. oben S. 4!0 Note a.

' 1. 14 de leg. (i, 3); 1. 141 pr.; 1. i6a de R. J. (S«. '7)-

3 Vgl. oben S. 402—404. Uebrieens ist das hiufig angeführte Argument, dass die Kfimer gar kein Frachtfuhrwesen im heutigen Sinne gehabt hatten (i. B, Mackeldey, Dis». de aclion« de recepto contra anrigas generatira ad- mittenda 1S06 g 2J 30), oder doch, dass der römUcbe Landfrachtverlcebr ein sehr geringfügiger genesen sei, in sich hinfUlig, da, die Thatsache ebenso un- glaublich wie unerwiesen ist. Auch begegnen uns, neben den Tielbch et- wShnten collegia der naulae und navicularii, nicht selten coUegia aurigariornm, jumcntarionini mulionum et asinaiiorum , eine schola camcarnm. Vgl. Orelli, Inscript Nt. 2413, 4093, «596, 7106, 4131 und Heineccius , De colleg. et corpor, opif. cap. I § XII (Opp. Genf 1766 t. II p. 384).

* Vgl. Müller, a. a. O. S. 7; Becker, Gallus, 2. Au^. v. Rein lU S. 12, 24. Daiu noch die bisher nicht benutzten 1. 4 § 2 de his qui not. infamia (3, z), t. 43 pr. § 9 de ritn napt. (23, 3), 1, 39 C ad leg. Jal. de adolt. (9, 9); Patilos, R. ä. II 26 § 11. Gleiche Zustande in Griechenland: Becker, Charikles, 2. Ausg. ron HerrmaDn II S. I34t und Herrmann, Griechische PrivatalterthUmer S. 255.

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474 I^Bs receptum nautarum, cauponum, atabnlarionuD.

1. 3 § 1 h. t.: Miratur igitur, (Pomponius) cur honoraria actio sit inducta, quum sint civiles; nisi forte, inquit, ideo, ut innotesceret praetor curam agere reprimendae improbitatis hoc genus hommum. b) ein dem VerkehrsbedUrfniss entlehntes Motiv, nämlich die Nothwendigkeit grösserer Sicherheit um des grossen Ver- trauens willen, welches diesen Gewerbetreibenden nothwendig geschenkt werden muss:

Ulpian 1. 1 § 1 h. t.:

Maxima utilitas est huius edicti, quia necesse est

plenimque eorum fidem sequi et res custodiae

eorum com mitter e.

Als ein drittes Motiv endlich haben wir, nach den obigen

geschichtlichen Erörterungen 7), den üblichen ausdrücklichen

Garantievertrag des Schiffers und des Wirths zu erachten,

dessen Klagbarkeit, Interpretation und spfltere Subintelliginmg

eben auf Rechnung der beiden ersten Motive zu setzen ist.

Von diesen drei Motiven, welche zusammengenommen die rechtspolitische Grundlage unseres Instituts bilden, trifft nun keines überhaupt oder doch vollständig auf den Landfracht- verkehr zu.

a) Die römischen Fuhrleute haben offenbar eines besseren Rufes genossen als die Schiffer. Das gilt auch noch heute. Unterschlagungen, insbesondere von Seiten der Stromschiffer, namentlich an Cerealien und Rohprodukten, sind auch noch gegenwärtig sehr häufig ' ; gegen sie, seltener gegen Fuhrleute, sind besonders strenge Vorschriften erlassen worden =.

' Diese Erfuhrun^tliatsach« beieugl auch Bosch, Darstellung der Handlimg I S. S3S, 539: «Dabei kann ich die Anmerkung nich.1 nnterdrUcken, dais die Beispiele von Dieberei nnd Veruntreaang bei Landfcaditen viel seltener all bei Schiffen sind, ungeachtet ein FuhnDann, der viele Meilen ohne Zeugen aber Land fährt, sie viel leichter ünden muss , als Seeleute in einem vollge- pBCklen SchiRe, aus welchem sie nar im Hafen das Gestohlene auf die Seile bringen können. Auf Flnssfahrlen sind die Beispiele viel häufiger. Die Ur- sache scheint mir theils in der Lebensart eines FohrmaaDes, theils in diesem Unutande zu liegen: der Fuhrmann, welcher Vfaäten veruntreut, kann die Schuld auf Niemanden anders, höchstens auf seinen Knecht, werfen. Aber er kennt seine Knechte besser, und wechselt nicht oft mit ihnen; weiss ancb, dasi er keine Fracht da wieder findet, wo er oder seine Knechte sich verdichtig

..oslc

Aiudehnung auf den Landtraniportvciirsg? 475

b) Das BedUrfniss der Sicherheit gegen Entwendung und Beschädigung scheint das gleiche für den Land- und Wasser- transport zu sein. Allein dieses Bedürfniss reicht für sich

gemacht haben. Der SchifTer hingegen, welcher fast zu jeder Reiie andere« Volk dinget, ichiebt auf dieses uod wird immer vorgebea, er habe nur sicbcre Leute ausgesucht.*

' Freilich begegnen schon früh Straf Vorschriften mgleich gegen Fuhrleute und Schiffer, sowohl in Rcichsgesetzen (Kaiser Maximilian's Ordnung der Wein halber § 3 im Abschied des 1498 lu Freiburg im Breisgau abgehaltenen Reichs- tages [Gerstlacher, Haodb. der deutschen Reichsgesetze Tb. IX S. 1343]; Reichspolizeiordnung von 1548 tiL 161 von 1577 tit. 16; Reichsgutacbten vom ^ ^^1686 [bei Gerstlacher IX S. 1351]), wie in Partiltulargesetren und Sladtrechten (i. B. Braunschweig-Ltlneb. Edikt v. 21. Dez. 1639 [Mar- perger, Neueröffnete» Handelsgericht S. ajsj). Rev. Lüb, Recht 1. IV tit I itrt. 7, wie dessen frühere Redaktionen (Cod. Brokes II Z33, III 134; Hacb IV 52), vgl. KSsClin, KritJscbe Ueberschau III S. zio, 33g; und die neueren StrafgesetzbUcber bedcoben meist die Unterschlagungen , sowohl der Fuhrleute wie der Schiffer, und zwar als qualiRzirte Unterschlagung, sofern sie tlberbaupl die Frachtfahrer besonders rrwäbnen. So Bayer. Strafgesetzb. An. 331 ; Oldenburg. Art. 236 (jetzt aufgeboben durch Verordnung vom 7. November 1836); WBrttemb. An, 347; Braunschweig. An. 221; Hanno- versches Art. 307; Grossherz. Hessisches Art. 3S3 ; Njssauisches Art 376. (Die übrigen Strafgesetzbücher heben diese Ffille nicht besonders hervor.) Ihre gemeinsame Quelle ist der Code penol Art. 386, 387. Indessen ist fOr die neueren Slrafgeselibacber die prinzipielle Auffassung und die Abstraktion Ton der grösseren oder geringeren HKufigkeit der Verbrechen selbstverstindlich nni «n oaiverer Standpunkt des Gesetigeben vermag fflr die hier behandelte mehr sUtiuische Frage eb Zeagniss lu genihren. Ais ein Zeugniss dieser Art könnte die hambui^. Verordnung vom 5. Dei. 1766, rev. 23. M£r2 1786, and eingeschfirft durch Bekaontmachimg; des Ralhs vom 13. Sept. 1S55 (Ham- burgisches Handelsarchiv S. 143 147) angelogen werden, welche die SchiA- diebstSble mit besonders stiengea Strafen bedroht; vor Allem aber die preussiiche Gesetzgebung. Das allgemeine Landrecht (H 8 % 1510) hebt nur die Unter- tchlagungen der Schiffer hervor, und bedroht diese mit doppeltem Scbadens- ersatz und der Strafe des Betrugs. Erst das Gesetz vom 14. April 1834 (G.S. S, 79) ahndet die Unterschlagangen sowohl der Fuhrleute wie der Schiffer mit der Strafe des gemeinen Diebstahls unter erschwerenden Umstanden. Sehr roerkwUtdig ist insbesondere die noch geltende Verordnung vom J. Mai 1809 (Rabe X S. 101), ^1. mit A.L.R. 11 8 g 1403; I 15 § 19, ■?. Sie •teilt die hinsichllich der Vindikation sehr vrichtige Prlsnmtion auf, dass Alles, was der Schiffer von seiner Ladoi^ and überhaupt von solchen Waoren, welche gewöhnlich den Inhalt von Schiffsladungen bilden, verkauft, als ge- stohlenes Gut gelten solle. Die Motivinmg im Eingange dieser Verordnung erinnert an die Ererterungen Ulpian's zum prfitorischen Edikt. iDa die SchiSiS'

oogic

476 ^3s receptum nautaruni, caoponuin, stabalarionini.

nicht aus, um das Maass der Haftung zu bestimmeo. ENe Verhältnisse liegen beim Landfrachtfahrer anders als beim Schiffer und Wirth. Das Gut ist nicht so leicht Beschädigungen und Entwendungen durch Passagiere ausgesetzt, um so mehr aber durch Dritte, namenthch bei den häufigen Umladungen; die Gefahren des Transports sind an sich geringer, hingegen die Kontrolle durch den Frachtfahrer ist schwerer als durch den Schiffer und Wirth. Diese Kontrolle dem gewöhnlichen Frachtfahrer zuzumuthen, erscheint unbillig. Für Post- und Eisenbahoanstalten fällt freilich dieses Bedenken fort.

c) Endlich findet sich von einer ähnlichen Verkehrsatte, ■wie sie oben § 7 für den Schiffs- und Wirthshausverkehr dar- gestellt ist, im Landfrachtverkehr keine Spur. Und wer das auffällig erachten sollte, der mag daran erinnert werden, dass auch gegenwärtig die Schiffer Verpflichtungsdokumente (Kon- nossemente) ausstellen, dagegen den Landfrachtfahrem nur vom Absender unterzeichnete Begleitschreiben (Frachtbriefe) mitgegeben werden. Die Gefahren des Wassertransports sind grösser, die Dauer desselben in der Regel eine längere, man muss dem Schiffer ein grösseres Vertrauen gewähren (1. 1 § 1 h. t.), und sucht darum nach gewichtigeren Garantien als die Regeln des Jus commune darbieten. Nicht der Um- stand , dass überhaupt Vertrauen geschenkt werden müsse, welcher bei sehr vielen Rechtsgeschäften in gleichem Maasse zutrifft, sondern das durch die Verhältnisse gebotene Maass des Vertrauens ist entscheidend.

In einem geordneten Rechtszustande sind grösseres Ver- trauen des Gläubigers und strengere Rechtshülfe für denselben Korrelate. Das tritt auch geschichtlich klar genug hervor. Man denke an die Exekutivkraft des nexum, an die strenge actio certae pecuniae creditae mit ihrer Sukkumbenzstiafe; an die materielle und formelle Strenge unserer Wechselklagen; an die Infamie, welche den verurtheilten Schuldner in judido fiduciae, tutelae, mandati, pro socio, depositi traf u. dgl. dl

nnd Schiffskncclite öfters die ihnen anvertraute Ladung veruntreuen, auch wohl durch deren Anfeuchtung ihre Scbw«re zu vergrössem suchen eto Hier ut die Entstehung aus dem unmittelbaren praktischen BedUrfniss offenbar, und bezeichnend genug, dass gegen die Fuhrleute niemals eine Sholiche Vonehrift erlassen worden ist.

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Ausdehnung auf d«D Lsadlransportvertrag? 477

Stehen nun diese Gründe einer jeden wissenschaftlichen Ausdehnung unseres Instituts auf den Landfrachtverkehr entgegen, so könnte nur noch die Frage aufgeworfen werden, ob etwa demungeachtet durch gemeines Gesetz oder gemeine Gewohnheit eine solche Ausdehnung herbeigeführt worden sei. Allein ein Reichsgesetz der Art existirt nicht, und eine gemeine Gewohnheit ist . durchaus imerweislich. Dagegen spricht schon der im vorhergehenden Paragraph geführte Nachweis, dass sogar im Seerecht die Rezeption des römischen Rechts auf grosse Schwierigkeiten gestossen ist. Unter den Schriftstellern und in der FVaxis war die Frage von jeher kontrovers, so zwar, dass die überwiegende Mehrzahl sich jederzeit gegen die Ausdehnung aussprach', und selbst unter den Vertheidigem der analogen Ausdehnung haben nur sehr Wenige die Ausdehnung auf alle Fälle des Landtransports vertheidigt ' : häufiger auf den Verkehr der Posten und Land- kutscher 3.

Vgl. die Nachweise bei Maller a. a, O; Cnyrim a. ». O. § i; W. Koch, EUenbahnen II § 6, 23; Kompe, Zeitschr. f. Recht XVIII §4.

Unlei den Neueren namendich viele Germanisten: Bender, GnindsEtze dei Handlongsrecbts I .S. 15S— l6o(P)', Pohls, Handelsrecht I § 6S; KtiCz, Pandektenr. I 2 S. 308, 317; Mit termaier, Deutsches Privatf. 11 g S40, 543, 550. Srhr merkwürdig Maurenbrecher, Lehrbuch des ges. heutigen gemeinen deutschen Rechts II § 634; Morstadt, Kommentar tv Martens S. 4Ö; Feust, Blittcr für Rechtsanwendung in Bayern VII S. 387; Hille- braod, Deatschei Privatrecht § 114 Note 18; Keyscher, Württemberg. Privatrecht II g 460, 461; Bes«ler, D, Privatrecht III S. 355. 352. Bluntschli, D. Privatrecht II § 130. Uebrigens ist eine sichere Klassihkstion am deswillen unmöglich, weil über die piaktischco und innerlicheD Unterschiede zwischen der civilen Verantwortlichkeit und der Haftung ex recepto so grosse Unklarheit xu herrachen pflegt. Doch darf man wohl annehmeo, dass, wo die Landfrachtfahrer den Schiffern gleichgestellt, oder nur dorch vis major, höhere Gewalt Q. dg), befreit werden sollen, die Haftung ex TEcepte gemeint Ist. Vgl. die Note 1 auf S. 453.

1 Dafbr pflegt mao sich weniger auf innere GrUnde, als anf eine behauptete Praxis au berufen, i, B. v. Zangen, Kurie Erörterung etc. S. 28 30, 33 36, la, 13; Gltick VI g 193; Mohlenbruch, Pandekten g 451 1 Koch, R. der Ford. III S. Sag ; PuchCa, Pandekten [iz. Aufl.] g 3[4 beemrkC: «Die Anwen- dung auf Landfnhrwerk ist lulälsig, soweit es als Gewerbe lur BeßSrderang von Personen betrieben wird; auf Staatsanstalten dieses Zwecks kann es nicht belogen werden.« Vorsichtiger in seinen Vorlesungen ad b. 1. «Bestritten ist es, ob das Edikt auch auf Landfnhrwerke Anwendung finde. Auf keine Weiss findet es statt bei dem Transport von Sachen allein. Ausserdem ist es an-

478 Db> receptiun nautonim, ouponDm, itabuluiorum.

Auffallend genug erwähnt der ausführlichste Schriftsteller über den Laadf rachtvertrag , MUnter, der Kontroverse gar nicht, sondern behandelt die Fuhrleute durchaus nur nach den Grundsätzen der locatio conductio, obwohl er die Theorie auch der actio de recepto bei Gelegenheit des Verhältnisses zwischen den Fuhrleuten und den Fuhrmannswirthen in ihrem ganzen Detail bespricht. Auch Veillodter in seinem »Ent- wurf eines allgemeinen Handelsrechts« Frankfurt a. M. 1799 deutet in der sehr ausführlichen Aufzählung aller Pflichten des Fuhrmanns (S. 221 ff. namentlich § 8—11, 17—24) mit keinem Worte darauf hin, dass der Fuhrmann über sein und seiner Leute Verschulden hinaus haften solle. Und unter den älteren Schriftstellern sind gerade diejenigen, welche ex pro- fesso das Recht der Fuhrleute behandeln, die entschiedecsten Gegner einer jeden Ausdehnung unseres Instituts, z. B, L a u t e r- bach, Diss. de nautis, caupon. stabular. 1676 (diss. academ. disp. CV) Nr. 33—35; Mieth, Disp. de eo quod justum est circa aurigas. Jene 1699, cap. 4 § 10, vgl. cap. 3 § 2, 4 ff., cap. 2 § 10; Harpprecht, Das Recht der Fuhrleute, Th, I Cap. 2 § 16, Cap. 3 § 2; Werner {praes. Harpprecht), Actio utitis de recepto 1707, wo, wie bei Lauterbach, auch reiche Belege aus der älteren Literatur und Praxis gegen die Ausdehnung angeführt werden, namentlich Nr. 86—119 (vgl. mit der Aufzählung der Gegengründe und Gegner Nr. 120 bis 154), 200—204 ; darunter Urtheile der Rota Romana, der Leipziger Schöffen, des Frankfurter Raths, der Tübinger Juristenfakultät. Der Verfasser des Codex Maximil. Bavari- cus lehnt Jede Ausdehnung des im Üebrigen adoptirten In- stituts auf den Landverkehr ab. (Anmerkungen zum Codex Maximil. Bavar. [Münch. 1765] Th. IV S. 657.) In gleicher Weise hat sich die preussische Gesetzkommission in der Ent- scheidung vom 25. Februar 1783 gegen die Ausdehnung desselben auf Fuhrleute erklärt (Klein, Annalen der Gesetzgebung und Rechtsgelehrsamkeit in den Preuss. Staaten Bd. I S. 76—81);

IKiiig, e* wird aber doch auf die Praxis des Landet ankommen, denn eine innere Noth wendigkeit der Aatdetmnng; liegt nicht Tor, und in der Tbat sind di« Ffille nicht ganz gleich.« Gegen jede Unterscheidung und (Oi allgemebe Ausdehnung: Mackeldey, Di^ dt. S 36.

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AusdehDung auf den LandtramportTertraj;? 479

übrigens beruht die Anfrage, und vermuthlich auch die Entscheidung, auf unrichtigen Ansichten über die Beweislast.

Die neuesten Schriftsteller verneinen jede analoge Aus- dehnung '.

Was insbesondere den Post- und Eisenbahnverkehr an- langt, so gelten fUr diesen freilich in manchen Beziehungen strengere Normen als für den gewöhnlichen Landfrachtvertrag, allein nicht etwa wegen dessen Beurtheilung nach den Grund- sätzen des receptum, sondern nur in Folge eines für diese grossen Institute theils gewohnheitlich , theils durch auto- □omische Satzungen ausgebildeten Sonderrechts. Es genügt, in dieser Beziehung auf die neuesten mehrfach erwähnten gründlichen Darstellungen dieses Sonderrechts von W. Koch und Kompe zu verweisen,

Nur ein Punkt scheint allerdings durch deutsches Ge- wohnheitsrecht, dem Bedürfniss des heutigen Verkehrs und dem älteren einheimischen Recht gemäss, gegen das römische Recht allgemein festgestellt zu sein: nämlich die unbedingte Haftung jedes Frachtführers für sein Dienstpersonal. Dass dieser Satz irriger Weise, wie mir scheint, auf römische Texte, namentlich auf 1. 25 § 7 D. locati gegründet wird, würde an seiner Geltung als Gewohnheitsrechtssatz nichts ändern. Er wird überall als unzweifelhafter Rechtssatz gelehrt, ange- wendet, und in den Gesetzbüchern ausgesprochen',

' So Müller, Cnyrim, Koch, Kompe a, a. 0.; v. Linde, Zeit- >cbr, f. Qvilr. und Proieu, N. F. Bd. l6 S. 187 ff. >Ist jetzt wohl nicht mehr streitig.: Brinckm«no - Eodemann , Lehrbuch de» Handelsrecht» § 114 Note 13, Zn den Verzeichniiten bei Mfliler, Koch etc. wiren noch als GegDer jeder Ansdehnuog nachiatiagen: Heiue'a HandeUrecht S. 79, Das hsmhnt^sche Hnndelsgericht in einem Urtheil t. J. 1818, und dazu die Nachschrift des Dr. Kleinwort (Archiv f. das Handelsr. Bd. II S. 35, 33). Blitler fUr Rcchtsanwendving in Bauern XI S. 18 and die Redaktion derwlben Vm S. 388 Note 2; Reinhardt, Ei^Sniungen xu GlOck II 5. 281, 282; Walter, Syilem des gemeinen deutschen Privatrechts §g 279, 278 ()), Eine Aninahme macht nur Beachotner, Das deutsche Eisenbahurecbt S. z6j und Archiv fllr civil. Praxis Bd. 41 S. 401 , doch ist denelbe aber die wirk- lichen Diflereozen zwischen blosser locutio conductio uad receptum im Un- klaren. Vgl. z. B, dessen Etseabahnrecht S. 235, 236.

* Bei Adteren finden sich wohl abweichende Ansichten, z. B. Werner (praes. Harpprecht), 1. c. Nr. 206 fr.), die Neueren dagegen sprechen rieh aberall ftlr die unbedingte Haftung aus, i. B. Munter, Fracbtfihrerrecht 1 S, 48 ff.; Maller a, a. O. §§ 21, 32; Cnjrim, IMn. g 9; Koch, Eiien-

480 Das receptDm naatamin, caapODam, tUbulariorum.

Was sodann die deutschen Gesetzgebungen und Partikularrechte anlangt, so finden sich in diesen nur folgende analoge Ausdehnungen unseres Instituts.

Das A. L. R. II 8 §§ 2452-2464 unterwirft die Fracht- fuhrleute durchaus den Grundsätzen des Dienstvertrages (Vertrag über Handlungen A. L. R. I 11 § 869 ff.); nur be- stimmt es ausdrücklich g 2459, dass dieselben schlechthin für eigene geringe Versehen und für die geringen Versehen auch ihrer Leute haften müssen gegen die allgemeinen Regeln I 6 §§ 58—69, I 5 § 278, I 11 § 899. Ausnahmsweise sind jedoch die »Inhaber öffentlicher Landkutschen, welche der Staat bestellt oder besonders privilegirt hat, um Reisende oder Sachen fortzu- schaffen!, desgleichen »die Inhaber solcher Fähren, welche zum Uebersetzen der Reisenden bestimmt sind«, den Rhedem, und die Fuhrer dieser Kutschen oder Fähren den Schiffern gleichgestellt §§ 2452—2457'. Die fortdauernde Geltung dieser Vorschrift ist für die neben den Staatsposten noch bestehenden Fuhr- institute der Art durch Urtheil des Obertribuoals zu Berlin vom 26. Juni 1855 (Striethorst 's Arch. f. Rechtsf. XVÜ S. 307 ff.) gegen mehrfache Anfechtungen aufrecht- erhalten worden. Die C.O. vom 14. Juli 1841 stellt die Strom- schiffer auch bezüglich des Verhältnisses zu den Befrachtern den Seeschiffern gleich. Noch darüber hinaus geht und den römischen Grundsätzen Über das receptum näher steht die Vorschrift des preussischen Eisenbahngesetzes vom 3. Novem- ber 1838 § 25.

Die Gesellschaft ist zum Ersatz verpflichtet für allen Schaden, welcher bei der Beförderung auf der Bahn an den auf derselben beförderten Personen und Gütern , oder auch an andern Personen und deren

bahnen II S. 2J, 133, 134; Kompe, Zeitscbr. f, D. R. XYIII S. 3*8; selbElverständlicb diejeaigen, welche Qberbaupt den conductor operis und Geachäflsherm fUr seine Gehfllfen boften lassen, oder welche die Grundüue de< receptum auch auf den LandfracbCfahrer anwendcD. Ueber die nenercn Gesetibtlcher siehe den Teit im Folgeoden, und oben S. 469 Note 4—6, 470 Note 1—3.

' Kritik dieser Voischriften bei Gelpke, Zdtschr. & Hudelarecht III S. 56 64. NShere AusfUbning in Fischer, Freussens kanfmtnniichei Recht S. 339 tf.

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AaidebniiDg auf den Land transporl vertrag ! 481

Sachen entsteht, und sie kann sich von dieser Ver- pflichtung nur durch den Beweis befreien, dass der Schaden entweder durch eigene Schuld des Beschädigten oder durch einen unabwendbaren äusseren Zufall be- wirkt worden ist. Die gefährliche Natur der Unter- nehmung selbst ist als ein solcher von dem Schadens- ersatz befreiender Zufall nicht zu betrachten'. Dass diese Vorschrift durchaus auf dem Vorbild der ge- meinrechtlichen, preussischen und französischen Regeln über das receptum beruht, ist wiederfaolentlich von den preussischen Gerichten anerkannt worden'.

Das österreichische bürgerl. Gesetzb. §§ 970, 1316 behandelt Schiffer, Fuhrleute und Wirthe nach gleichen Grundsätzen.

Im sächsischen Recht ist die Ausdehnung unseres Instituts in gleichem Maasse bestritten wie im gemeinen; für den Postverkehr steht seine Unanwendbarkeit sogar fest'. Allerdings sind in neuester Zeit mehrere Entscheidungen sächsischer Gerichte , auch des Oberappellationsgerichts zu Dresden, ergangen, welche für den Landfrachtverkehr, und

' Kritik des § 35 bei HaDteroann, Kritik des prensiiichen Ei*ett- bahngesetzes vom y Nov. tSjy. Aachen 1841 S. 6S 71. Ueber die Auilegung und AoweaduDg dieser Vorsclirifi siad folgende Urtlieile des pretmitcben Ober- tribomU« lu vergleichen: vom 22. April 1855 (Striethartt' Archiv XXI S. 114—116), vom 13. November 1857 (eod. XXVII S. iiS— 136 and Enttcbeidungen XXXVll S. 31—41), vom 14. Dezember 1S57 (eod. XXVI S. 359—371 und Enticb. XXXVll S. 42—51), vom 34. April 1854 (Entsch. XXVIII S. 370^-276) und vom 19. Oktober 1S58 (Zeitachr. f. d. g. H. Bd. III S. 3ig, 230).

> Vgl. oben S. 460 Note 1, 469 Note 4, 471 Kote 1 und die bri W. Koch abgedruckten Urtheile des rheiniicben Appdlbofea vom 3. Dezember 1849 (Eisenbahnen Bd. II S. 60), des OberlribuniLls lu Berlin v. 16. HKrz iSja (eod. S. 62), des rheinischen Appellhofes v. 21. Januar 1853 (eod. S. 65), des Obertribunals lU Berlin v. 8. MIrz 1S53 (eod. S. 66) ; insbesondere das Urtbeil des Obertribunals v. 6. Juli 1858 (eod. Anlagenheft Anl. XXVI S. 310, 3H> Vgl. auch Koch 11 S. 69—71.

} Vgl. Haubold, Lehrbuch des sficha. PrivaCrechCs. 3. Aosg. § 3S8 b. Zos. 2 und § 359 Note d e. Die hier nnd sonst zitirte Schrift von Funk- binel (Ueber die Anwendbarkeit der prfitoiischen actio de recepto auf die Enativerbindlichkeit der henCigen PostanstaJien, Fnhrleate etc. GtauclUD 1S3Ö} liabe ich nicbt erlaogen können.

Galdichmidl, VemiiicliM SchriftsD. H. 3I

D,3,l,:a,.,,GüOglc

432 ^'i receptum nautaTum, cauponum, stsboliirionun.

insbesondere für den Eisenbahntransport , aasdrücklich die Grundsätze des receptum adoptiren'. Sieht man indessen näher zu, so handelt es sich in allen diesen Urtheüen nur um die Frage von der Beweislast, und nur dämm werden jene Grundsätze herangezogen, um den Satz zu rechtfertigen, dass nicht der Befrachter die Schuld, sondern der Frachtfahrer den Zufall zu erweisen habe. Bedarf es aber, wie oben § 4 Note 2 auf S. 421 gezeigt worden ist, zu diesem Behuf e durchaus keiner analogen Ausdehnung der Theorie des recep- tum, sondern fuhren die Grundsätze der locatio conductio durchaus zu dem nämlichen Resultate, so kann durch jene Urtheile unsere Kontroverse offenbar nicht für die neuere Praxis als entschieden erachtet werden. Und dies nm so weniger, als sogar eine gleich grosse Anzahl Urtheile aus derselben Zeit auf einem durchaus verschiedenen Stand- punkte steht".

Man hat tlberbaupt, in Ermangelung klarer Einsicht in den wahren Inhalt unseres Instituts und dessen Unterschied von der locatio conductio, mit der Behauptung, dass auf das erstere nicht die Grundsätze der letzteren anwendbar seien, so argen Missbrauch getrieben, dass sogar da, wo etwa die Ausdehnung der actio de recepto auf den Laudfracht- verkehr als ausdrückliche Usance bezeugt ist, wie z. B. in

Uctbeil dcf A.G. lu Leipzig t. 9. Duember 1S48, besiäügt durch du O.A.G. »n Dreden v. ai. Juoi 1849 (bei Koch , AnUgenbefl S. 90. 91); ia Appellalionigerichte »u Leipiig v, aj. April 1856 (eod. S. 97). des Spruch- koUegiunu ni Leipzig v. 25. September 1855 (eod, S. 101—104). Auf diesen Urtheile» und auf demselben Imbom fuuen die Note l S. 479 enrlhuten AnißthruDgeo Beschorner' s.

' So erkennt du O.A.G. Dreaden in dem L'rlheil v. 31. Januu 1S56 ausdcUcklich and unumwunden die atigemeine Geltung der von uns Note 1 S. 421 verlheidigten Grmjdi8tie hinsichtlich der BeweislMl an (Koch, Ad- lagebeft S. 108, 109 und Seufferl's Archiv XI Nr. «37). Ein anderes Urlheil des O.A.G. vom i. OkL 1856 besifitigt ein Unheil des Appeliations- gerichts zu Leipzig, in welchem ausgefUhrt wird, dass hinsichtlich der Beweiilast keinen Unterschied mache , ob man den Frachtfllhrec nach den Gtundsfitten des receptum oder der locolio conductio benrtheile (eod. S. llj, 120, 131). Dagegen halle in derselben Sache das vom Appellationsgericbl ceformirte Urtbeil des Handellgerichts zu Leipzig v. ApHt 1855 allgemein. ohne auf unsece Frage weiter einzugehen, dem Absender resp. Destinatir den Beweis des Verschulden» des Eisenbahnpersonals auferlegt (eod. S, 125).

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AusdehDUDg auf den LtadtrampOTl vertrag? 483

Nürnberg ' , ein sehr entschiedenes Misstrauen gerechtfertigt sein dürfte.

Anders verhält es sich allerdings mit dem auswärtigen Recht, Hier wird durchweg der Landfrachtverkehr in diesem Punkte dem Schiffstransport gleichbehandelt theils nach eigenthUmlichen Prinzipien, wie im engliechen Common Law ', theils auf Grundlage der römischen Theorie, wie in den französischen Gesetzbtlchem und den sämmtlichen neueren Handelsgesetzbüchern, welche denselben gefolgt sind^. So auch in dem Civilgesetzbuch für Stadt und Republik Bern Th. II (publizirt den 18. März 1830), Satzung 737*, und in

' Andere partiliulSre Uskncen der Art und mir nicht beVuint geworden. Für NflmberK liegen Gutachten (oder gerichtliche Entscheidungen] vor vom 25. Janaar l8l6, 31. Mai 1835, V], November 1837 [Nürnberger Samm- lung einiger nUraber^erischen Handeln-ecfatsgewolinheiten Nürnberg 1S46 S> 33> 33> 37i 3^)1 allein die konkreten Eotscheidungen scheinen durchweg zugleich den GmndiStien der locatio conductio operil za eotiprechen. Du Gutacbten v. 26. Januar 1S16 bedient sich zwar nicht der AuEdrüclw receptum, vis major u. dgl., erklSrC aber den Fuhrmann ftlr jede Beichldigung des Guts auch durch Drille verantwortlich unter Berufung auf MUnter, in dessen Frachtfabrerrecbt das Ciut nicht lu finden ist, und der nirgend* an die Am- dehnnng der actio de recepto auf den Landtransport denkt.

> Uebec die Modifikationen durch das Statute law vgl. oben g 12 g. E.

3 Vgl. oben auf S. 460 Note \, 469 Note 6, 470 Note i. Ueber das französische Recht vgl. noch Pard eiaus, Coonde droit comm.Nr.54a, 516, 545; Alaciel, Commentaire da code de commerce Nr. 467, 4ÖS, 487; Trop- long, LouKge Nr. 916, 936, 937; Zacbarlli, Handbuch II §373: Masif und Vergf, Le droit civil par Zachariae, traduit, annotj et r^tabli etc. L IV (1858) g 709, Ueber die Praxi» Gilbert lu Code civil art. 1783 ff. Code de commerce art. 103.

* 'Handwerker, die fremde iSachen lar Verarb^lane übernommen, und Wirthc, Schiffer und Fuhrleute haften für den Schaden, welcher aus der Ent< Wendung, dem Verluste oder der B«tchidigaiig von Sachen entsteht, die ihnen oder ihren Dienstleulen von Haodwerksknnden , aufgenommenen Reisenden oder als Frachtgut augestellt worden; es sei denn, sie könnten erzeigen, daa* dieter Schade in einem Zufalle «einen Grund habe, der nicht durch ihr Ver- Echnlden herbeigeRIhrt worden , oder gegen welchen sie sich durch die Vor- sichttmaassregeln nicht bitten schätzen können, die ein ordentlicher Hatiswirlh gegen solche ZuflUe gebraucht,! Dr. Schnell in seinen Anmerkungen Mein (Th. II Bern 1830 S. 83, 83) bemerkt, es sei gegen die Klage zu sxcipiren, das* der Schaden in einem reinen Zufall seinen Grund habe , d. h. in einem solchen Zufall, der nicht durch ihr Verschulden herbeigeführt worden, und den man durch die Vorsieb Isnuassiegeln, darch die man sich vor dergleichen

31*

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484 ^^ receptnm nantkrum, cauponnm, sUbnlArionun.

dem privatrechtlichen Gesetzbach für den Kanton Zürich §1 1653 1656, 1668, dessen hier einschlägiges viertes Buch mit dem 1. Heumonat 1855 ia Kraft getreten ist.

Zum Schlüsse mag noch der neuesten legislativen Arbeiten gedacht werden, insbesondere der Entwürfe zu einem Deut- schen Handelsgesetzbuch.

ZufSUen zu verwahien pflegt , nicht hatte abwenden kGnnen , z. B. an nicht Torheizasehendci Katurereignisg, ein feindlicher Ueberloll n. dgL Uan eiseht aus dieser Bemeikung des Rcdalctois, dais man wirklieb die rCinischc Theorie hat aanehmcD wollen, wtihrend nach dem Wortlaut eine mildere Häftling ge- meint enchieue.

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Anhang.

Resultate für die l^slative Gestaltung und die neueren Gesetzentwürfe.

Die bisherige Theorie über das receptum leidet, abgesehen von ihrer mangelhaften geschichtlichen und dogmatischen Be- grUndtmg, an zwei auch praktisch erheblichen Fehlem. Ein- mal, dass sie und dieser Vorwurf gilt insbesondere der älteren Behandlung in den Grundsätzen über die Beweis- last sowohl den Hauptunterschied des receptum von der locatio conductio operis, wie das wesentlichste legislative Motiv der Einführung des ersteren erblickt. Sodann, dass sie den Umfang der Haftung des Rezipienten durch den juristisch unsicheren Begriff einer vom einfachen iZufalU verschiedenen »höheren Gewalt« bestimmen zu können glaubte. Die wirklich praktischen Unterschiede, welche die vorstehende Darstellung ergeben hat, sind nur folgende'.

1. Ex locato haftet der conductor nicht schlechthin für die Schuld seiner Leute, sondern nur dann, wenn er seine diligentia in eligendo nicht zu erweisen vermag, ex re- cepto dagegen unbedingt Dieser wichtigste Unterschied, welcher nach weit verbreiteter Meinung' sogar für das römische Recht nicht mehr besteht, ist jedenfalls durch ge- meines Gewohnheitsrecht insoweit beseitigt, dass auch der Landfrachtfahrer unbedingt für seine Leute einsteht

> Dies irird du Urtheil rechtfertigen, welches 5, 41S Note 4 über die Üblichen AufTuningcn HOJSgesprochen ist.

* Die in Note I aufS. 4JI erwähnte »usführiiche Dlrstellung Ton übbe- lohde ist erschienen im Archiv f. prakt. Rechtswissenschaft Bd. VII S, 33g bi» 176. '

Digil.ze.:,, Google

486 ^*^ receptum nsntanini, csuponum, stabnlarionui].

2. Ex locato haftet der Frachtfahrer nicht für die Passa- giere, sofern er nicht erweislich schuldbarer Weise gefährliche Leute aufgenommen und die Aufsicht über dieselben unter- lassen hat ex recepto dagegen unbedingt. Dieser Unter- schied ist von keiner grossen praktischen Tragweite und bei dem reinen Gütertransport ohne Gegenstand.

3. Ex locato haftet der Frachtfahrer nur für diligentia in custodiendo nach dem Maassstab des diligens paterfamilias, dagegen ex recepto ist er, vermöge der noch besonders übernommenen custodia, zur Anwendung auch ausserordent- licher, durch die Umstände irgend indizirter Vorsichtsmaass- regeln verpflichtet und haftet schlechthin, sofern nur deren Unterlassung die Beschädigung oder Entwendung ermöglicht hat. Im entgegengesetzten Falle ist auch er frei. 5. 448, 449 sind einige Beispiele angeführt, aus denen sich die Grenze zwischen der beschränkten und der umfassenderen Haftung ersehen lässt. Einen anderen hierher gehörigen Fall hat das O.A.G. zu Lübeck in dem Urtbeil vom 30. März 1858 ent- schieden (Zeitschr. f. d. g. H. I S. 574 ff.). Allein bei unbefangener Betrachtung darf nicht verkannt werden, dass diese Grenz- linie eine überaus schwankende ist, und dass dem praktischen Bedürfniss mit der Haftung für dihgentia sicherlich genügt wäre. So ist z. B. bei Berathung des Entwurfs eines deutschen Seerechts in der Hamburger Subkommission ohne Widerspruch folgender SaU aufgestellt (Prot S. 2286, 2287). .Der Schiffer liefert unverletzte Theekisten mit stinkendem, also beschädigtem Thee ab. Es wird ihm bewiesen, dass der Thee bei der Ab- ladung unbeschädigt war, und dass er durch die Nachbarschaft einer anderen Kiste infizirt wurde, in welcher sich innerlich schlecht verpackte Apothekerwaaren befanden, welche fälsch- lich als Kaufmannsgüter erklärt worden waren. Dabei steht fest, dass weder den Schiffer noch seine Mannschaft irgend ein Verschulden trifft. Der Kaufmann hat in solchem Falle unbezweifelt ein Recht gegen den Schiffer aus dem receptum; dagegen haftet ihm weder der Assekuradeur , noch hilft ihm seine Klage gegen den Ablader der Apothekerwaaren, wenn dieser persönlich seine Unschuld an der falschen Deklaration beweist, oder wenn er insolvent ist. Dies ist einer von den vielen Fällen, inwelchendasGut wirklich ohne Schuld desSchiffersdurch einen von ihm ex recepto zu vertretenden Zufall beschädigt wiitLc

Anhang. 487

Ich möchte bezweifeln, dass sich viele solche Fälle auf- führen lassen, sie wären aber jedenfalls, nach den in dieser Abhandlung entwickelten Grundsätzen, im entgegengesetzten Sinne zu entscheiden'. Alle Billigkeit spricht dagegen, hier den Schiffer haften zu lassen, oder doch weiter als auf Cession seiner Klage gegen den Ablader der Apothekerwaaren. Ist dieser insolvent , so trifft . der Schaden als Zufall den Eigen- thümer resp. Käufer der Theekiste. Ist der Ablader an der falschen Deklaration unschuldig, so tritt dasselbe ein, bis auf die etwa mögliche Cession der Klage gegen den Schuldigen. Auch die aquilische Klage direkt gegen den Schuldigen würde dem Beschädigten hier zustehen. Ein praktisches BedUrfniss, noch weiter zu gehen, ist schwerlich anzuerkennen.

Prüfen wir nun die neuesten legislativen Arbeiten, so er- gibt sich klar, wie wenig man bei der Ausdehnung der Theorie des receptum auf den Landtransport die praktische Tragweite dieser Neuerung übersah.

I. Der Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für das Königreich Württemberg (1839) bestimmt:

Art. Hl. Der Fuhrmann haftet für jeden Schaden an dem ihm anvertrauten Gute, wenn derselbe nicht durch höhere Gewalt, durch die eigenen Mängel des Guts oder durch die Schuld des Versenders erweislich entstanden ist und was die beiden ersten Fälle an- langt — bei gehöriger Vorsicht nicht abgewendet werden konnte.

Art. 120. Ist die Ablieferung des Guts wegen höherer Gewalt nicht innerhalb der bedungenen Zeit geschehen, so ist der Fuhrmann für den Verzug keine Entschädigung schuldig.

Art, 122. Ist der einzuschlagende Weg vorge- schrieben, so trägt der Fuhrmann alle Gefahr, wenn er, ohne durch höhere Gewalt gezwungen zu sein, davon abweicht

< Vgl. auch aber diesen Fall Pardessus, Cours de droit com. Nr. 545. Wuntemb, Entw, MotiT« S. 117. Erster (minlslerieller) Entw. eines österr. Handelsrechts § iSo, Revidirter österr. Entw. § iSl; Flacher, Preusteni kauf mann isches Recht S. 257.

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488 ^'^ receptum nautuiun, Maponuni, sbtbulariorum.

Art. 127. Alle im gegenwärtigen Kapitel ent- haltenen Verfligungea gelten auch den Schiffern. Sie gelten femer den Landboten, Landkutschern und öffent- lichen Posten , soweit nicht die Gesetze bei dieses letzteren etwas Anderes bestimmen. Sie können im Wege des Vertrags auch auf solche Fuhrleute An- wendung finden, welche andere als Kaufmannsgüter zur Fuhre übernehmen, ohne gewerbsmässige Fracht- fahrer zu sein. In den Motiven (Stuttgart 1840) S. 116, 117 wird aus- geführt, dass man dem holländischen Handelsgesetzbuch Art 91 gefolgt sei; dass man nicht den Ausdruck »unver- meidlichen Zufall* gewählt habe, »weil eine solche zweideutige Bestimmung nur zu Zweifeln bei der Anwendung und zu einem verwickelten Beweisverfahren führe und weil wieder Ausnahmen hätten gemacht werden müssen, z. B. wenn die Entwendung von den Leuten des Fuhrmanns oder seinen Reisegefährten oder von Leuten herrührt, welche mit ihm in einem Gasthof zusammen waren etc. Zudem kommt in Betracht, dass die Fracht eine doppelte Eigenschaft hat (?). einmal als Entschädigung für Fuhrlohn und dann als Asse- kuranzprämie . lUnter .höherer Gewalt' wird verstanden jede durch natürliche, thierische oder menschliche Kräfte hervorgebrachte unwiderstehliche Gewalt. Es muss demnach ein von Aussen kommendes, überwältigendes Ereigniss sein, nicht ein inneres, in der Person des Fuhrmanns sich er- gebendes, z. B. plötzliches Erkranken oder Tod.« >War der Schaden mehr oder weniger bei gehöriger Vorsicht vermeid- lich, so kann sich der Fuhrmann nicht mit der höheren Gewalt oder den eigenen Mängeln entschuldigen.«

II. Uebereinstimmend mit Code de commerce art. 103 lautet der nassauische Entwurf Art. 30 (nach St. Joseph, Concordance p. 318).

III. Der Entwurf eines allgemeinen Handels- gesetzbuchs für Deutschland (1849) (sog. Reichshandels- gesetzbuch) tit. V enthält folgende einschlägige Vorschriften:

Art. 42. Für Verlust und Schaden, welche das Gut von der Empfangnahme bis zur Ablieferung am Bestimmungsorte treffen, ist der Frachtführer verant-

AnbftDg. 4S9

wortlich, wenn er nicht beweist, dass er sie durch An- wendung der Sorgfalt eines ordentlichen Frachtführers nicht würde haben abwenden können,

Art 43. Für die verspätete Ablieferung des Gutes ist der Frachtführer verantwortlich, wenn er nicht beweist, dass er die Verzögerung durch Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Frachtführers nicht würde haben vermeiden können.

Art 44. Der Frachtführer haftet für seine Leute und fUr den Zwischenfrachtf Uhrer , welcher ihm nicht vorgeschrieben war.

Art. 49. Die Bestimmungen dieses Abschnitts finden Anwendung auf Unternehmer von Beförderungs- mitteln jeder Art, welche dem Publikum öffentlich zur Benutzung dargeboten werden, imbeschadet der Vor- schriften, welche in den besonderen Reglements ent- hatten sind. Nach Art. 50 auch auf den nicht gewerbsmässigen ent- geltlichen Transport von Kaufmannsgütem , nach Art. 52 jedoch nicht auf den Seetransport.

Der Ausdruck »höhere Gewalt« kommt nicht vor. Die Motive S. 216 brauchen diesen Ausdruck als durchaus identisch mit Zufall. >In Betreff der Verantwortlichkeit des Fracht- führers für Verlust und Schaden an dem übernommenen Gute und für verspätete Ablieferung desselben sagen die meisten Gesetzbücher, dass er sich nur durch den Beweis des Zufalls oder der höheren Gewalt von der Verantwortlichkeit befrelea könne. Zufall oder höhere Gewalt ist jedes Ereigniss, welches durch Anwendung der erforderlichen Sorgfalt nicht abge- wendet werden konnte.* Die Verfasser des Entwurfs glauben offenbar in völligem Einklag mit den in den Motiven zitirten französischen und übrigen modernen Handelsgesetzbüchern zu stehen. Die Motive zu Art. 27, 28, 29 von der Spedition, auf welche hier verwiesen wird (S. 209), sagen : »Als Schuldner einer species trifft ihn die Beweislast, und er kann die Ver- antwortlichkeit nur dadurch von sich abwenden, dass er dar- thut, dass die Verzögerung oder der Schaden durch An- wendung der gehörigen Sorgfalt nicht abzuwenden gewesen. Dieste ist es, was die Gesetze ausdrücken wollen, wenn sie sagen, dass der Spediteur für die Verzögerung und für

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490 ^^ receplnm nABUrum, dupoDnm, itabulaHonun.

Verlust und Schaden hafte, wenn er nicht beweise, dass sie durch höhere Gewalt entstanden oder dass sie die Folge eines Zufalls seien.(

Wahrend so der württembergische Entwurf mit dem Ausdruck »höhere Gewaltc einen höheren Grad des Zufalls zu bezeichnen glaubt und bezweckt, will der Reichsbandeis- gesetzentwurf , abgesehen von Art. 44, für keine Art des Zufalls, niemals über culpa hinaus, haften lassen. EKe Regehi des Reichshandelsgesetzentwurfs sind also die des gemeinen Rechts nach den Prinzipien der locatio conductio operis, aber mit der gewohnheitlichen Verschärfung hinsichtlich der Dienstleute und der nicht hierhergehörigen legislativen Ver- schärfung betreffs der sog. Zwischenfrachtführer. Und doch scheint es, dass die Redaktoren des Reichshandelsgesetzent- wurfs nur die Theorie des receptum anzuwenden glaubten!

IV. Sehr klar ist diese Differenz über die Auffassung unseres Instituts in den Vorarbeiten zu dem noch in Berathnng befindlichen deutschen Handelsgesetzbuch hervorgetreten.

Es gehören hierher der erste (ministerielle) und der zweite (revidirte) Entwurf eines österreichischen Handelsrechts ; femer der (erste) Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für die preussischen Staaten (1856), der revidirte (zweite) Entwurf eines Handels- gesetzbuchs für die preussischen Staaten (1857) und die auf Grundlage des letzteren entstandenen Entwtlrle eines allge- meinen deutschen Handelsgesetzbuchs erster (1857) und zweiter (1858) Lesung, sowie die veröffentlichten Berathungsprotokolle und Motive. Von den seerechtlichen Normen liegen zur Zeit nur die zwei preussischen Entwürfe und der erste Entwurf der hamburgischen Subkonunission vor.

Die Vorschriften der beiden Osterreichischen Ent- würfe lauten dahin:

Erster öaterr. Entwurf. Zweiter österr. Entwurf.

g 174. Der Frachter ist so- g 176. Inwieferne derFräch-

wohl für sein und seiner Dienst- ter sowohl für sein und seiner

leute .Verschulden (§§970, 1316 Dienstleute Verschulden alsanch

a. b. G.B.) als auch für jenes für jenes weiterer Frachter,

weiterer Frachter, welche ihm welche ihm nicht namentlich vor-

nicht namentlich vorgeschrieben geschrieben sind, oder für den

sind, aber nicht für den Zufall Zufall verantwortlich sei, bestim-

verantwortlich. men die §§ 970, 1316 und 1311 des allg. bürg. G.B.

oogle

§ 180. Der Frachter haftet für eine dem angegebenea Inhalt angemessene Sorgfalt ; für Scha- den aus der inneren Beschaffen- heit der Waare oder aus solchen Mängeln der Verpackung, welche er bei der Uebemahme nicht wahrzunehmen im Stande war, ist er nicht verantwortlich; eben- sowenig für Beschädigung durch fremde Frachtstücke, deren wahrer Inhalt ihm nicht bekannt sein konnte.

ug. 491

§ 181. Der Frachter hattet für die Anwendung der dem an- gegebenen Inhalt der Fracht- stücke angemessenen Sorgfalt; für einen aus der inneren Be- schaffenheit der Waare oder aus solchen Mängeln der Ver[)a.ckung, welche er bei der Uebernahme nicht wahrnehmen konnte, ent- standenen Schaden ist er nicht verantwortlich ; ebensowenig u. s. f. (wie nebenstehend).

§ 181. Frachtstücke, welche er auf solche Art verwahrt über- nommen hat, dass er deren In- halt nicht einsehen konnte, bat er nur in äusscrlich unbeschädig- tem Zustande zu übergeben. Im Falle des gänzlichen Verlu- stes oder einer wahrgenomme- nen Eröffnung, welche nicht als zufällig erwiesen werden kann, haftet er nur für den Inhalt und Werth, der ihm bezeichnet

g 182. Bei Frachtstücken, welche er auf solche Art ver- wahrt üt>emonunen hat, dass er deren Inhalt nicht einsehen konnte, haftet er nur dafür, dass er sie in äusserlich unbeschädig- tem Zustand Übergebe. Sind die Frachtstücke gänzlich in Verlust geratben, oder hat eine Eröff- nung der Verlockung stattge- funden, so haftet der Frachter für den Verlust oder Abgang, dessen zufällige Entstehung er nicht erweist; fällt ihm eine vor- sätzliche Beschädigung oder ein grobes Verschulden zur Last, so hat er den vollen abgängigen, ausserdem aber niir den ihm an- gegebenen Werth zu ersetzen.

§ 192 (193) behalten die bestehenden besonderen Vor- schriften hinsichtlich der Versendungen über Meer, durch Posten und Staatseisenbahnen vor. Der Transport zu Wasser fallt im Uebrigen unter die vorstehenden Bestimmungen, nach

§ 166 (168).

Die beiden preussischen Entwürfe und der Nürnberger Entwurf erster und zweiter Lesung enthahen folgende Be- stimmungen :

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Das Tcceptum nuitanin, onponum, stabDlarionim.

Erster preuss. Entwarf. § 327. Der

Frachtführer haftet für die verspätete Ab- ] ief erung, sowie für Verlust und Schaden, wel- che das Gut toh der Empfang- nahme bis zur

Ablieferung

mungsorte tref- fen, wenn er nicht beweist, dass er die Ver- zögerung oder

den Verlust oder die Be- schädigung durch Anwen- dung der Sorg- falt eines ordentlichen Frachtführers nicht würde haben al>wen- den können.

Revid. preuss. Entwurf. 8 310. Der Frachtführer haftet für Ver- lust und Be- schädigung des Guts seit der

Empfang- nahme bis zur Ablieferung,

beweist, dass er

den \'erlust oder die Be-

schädigtmg durch Anwen- dung der Sorg- falt eines

ordentlichen Frachtführers

nicht würde haben abwen- den können.

Erster deut- scher Entwurf. § 335. Der Frachtführer haftet für den Schaden, wel- cher durch Ver- lost oder Be- schädigung des Guts seit der

Empfang- nahme bis zur

Ablieferung entstanden ist, sofern er nicht beweist, dass der Verlust oder die Be- schädigung durch unab- wendbare hö- here Gewalt oder durch inneren Ver- derb oder äus- serlich nicht er- kennbare Män- gel der Verpa- ckung ent- standen ist.

Zweiter deut- scher Entwurf, § 371. Der

Frachtführer haftet für den Schaden , wel- cher durch Ver- lust oder Be- schädigung des Frachtguts seit der Empfang- nahme bis inr

Ablieferung entstanden ist, sofern er nicht beweist, dass

der Verlust

oder die Be- schädigung durch höhere

Gewalt (vis major) oder etc. (wie § 335 er- ster Lesung).

g 336. Der Frachtführer haftet für den Schaden , wel- cherdurch Ver- säumung der

bedungenen oder üblichen Lieferungszeit entstanden ist, sofern er nicht beweist, dass er die Verspätung durch Anwen- dung der Sorg- falt eines

§372 =§336 erster Lesung.

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g 330. alin. 1. Der Fracht- führer haftet für seine Leute und für den Zwischen-

frachtführer, welcher ihm

□icht vorge- schrieben war.

§ 313. alin. 1. Der Fracht- führer haftet für seine Leute and für den Zwischen- frachtführer, welcher nicht vorgeschrieben

ordentlichen Frachtführers nicht habe

abwenden können.

g 338. Cter Frachtführer haftet für die

Ausführung des von ihm ü ber nommenen

Transports, gleichviel, ob er ihn selbst oder ob er ihn durch seine Leute oder durch andere Per- sonen ausfuhrt.

§ 374. Der Frachtführer haftet für seine Leute, für die Zwischen - frachtführer und für andere Personen,deren er sich bei Ans- fUhrung des von ihm Über-

Transports be- dient.

319, 336 - gg 306, 326 = 331, 357 - 367, 394

bestimmen, dass die vorstehenden Regeln auch für den Trans- port auf Flüssen , Binnengewässern , durch Eisenbahn- und andere öffentliche Transportanstalten gelten sollen. Art. 394 des zweiten deutschen Entwurfs behält jedoch die besonderen abweichenden Gesetze und Verordnungen der Postanstalten vor. § 326 des revidirten preussischen Entwurfs wollte diese Satze auch auf den Transport durch Leichterfahrzeuge und Ktlstenschiffe ausdehnen.

EHe einschlägigen seerechtUchen Vorschriften der beiden preussischen Entwürfe imd des ersten hamburgischen Entwurfs lauten den vorangeführten über den Binnentransport wesent- lich gleich:

Erster prenss. Ent- wurf. § 471. Der Schif- fer haftet nicht nur dem Rheder, sondern auch dem Ablader

und Ladungsem- pfänger für ieden durch seine Unred- lichkeit oder durch

Revidirter preuss, Entwurf. g 433. Der Schif- fer haftet für Jeden durch sein Verschul- den beim Einladen, bei der Führung des Schiffs oder beim LSschen entstan- denen Schaden.

Deutscher Entwurf erster Lesung. g 457. Der Schif- fer ist verirflichtet, bei allen Dienstver- richtungen den Fleiss und die Sorgfalt eines ordentlichen Schif- fers anzuwenden. Er haftet für jeden durch

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494 13** receplui

sein Verschulden beim Hinladen oder bei der Fuhrung des Schiffs entstandenen Schaden.

g 532. Wenn dem Schiffer Güter Über- geben werden, deren

Beschädigung, schlechte Beschaffen- heit oder schlechte Verpackung sichtbar sind, so kann er diese Mängel in dem Kon- nossement bemerken. Werden dem Schiffer Güter in der Verpackung oder in geschlossenen Ge-

fässen übergeben oder nicht zugezählt, ztigewogen, zuge- messen, so kann er in dem Konnossement bemerken, dass ihm der Inhalt, die Zahl oder das Maass nnd Gewicht nicht be- kannt sei.

§485 §532 d ersten Entwurfs,

ttabulanoiuiD.

sein Verschulden ent- standenen Schaden, insbesondere f tlr den Schaden, welcher aus der Verletzung der in den Art. 434-441, 443-445, 455 ihm auferlegten Pflichten entsteht Die Haf- tung des Schiffers besteht nicht nur gegenüber dem Rhe- der, sondern anch gegen Qtfer dem Be-' frachter, Ablader nnd Ladungsempfänger, dem Bodmereigläu- biger, dem Schiffs- mann und Passa- gier. —

s § 524. Wenn dem

Schiffer Güter über- geben werden, deren

Beschädigung, schlechte Beschaffen- heit oder schlechte Verpackung sichtbar sind, so ist er ver- pflichtet, diese Män- gel in dem Konnosse- ment zu bemerken. Werden ihm Güter in der Verpackung oder in geschlossenen Gefässen übergeben, so kann er in dem Konnossement be- merken, dass ihm der Inhalt nicht bekannt sei. Desgleichen kann er in dem Konnosse- ment bemerken, dass itmi Zahl, Maass oder Gewicht nicht be- kannt sei, es sei denn, dass die im Konnosse- ment nach Zahl,

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§544. Die Ablie- ferung der Fracht- güter an den La-

dungsempfanger rouss nach dem In- halte des Konnosse- ments erfolgen. Der Schiffer ist verpflich- tet, für jeden Verlust nnd jede Beschädi- gung aufzukommen, sofern er nicht nach- weist, dass sie durch einen äusseren Zu- fall oder durch inne- renVerderb ohne sein und der Schiffsmann- schaft Verschulden entstanden sind.

§ 545. Wenn der Schiffer das Kon- nossement mit dem Vermerk «Inhalt un- bekannt« gezeichnet bat und die Ver- packung oder die Ge- fässe, in welchen ihm die Guter Übergeben wurden, änsserlich unverletzt sind , so mussder Empfänger, um denselben wegen Beschädigung der Gtlter in Anspruch zu nehmen, sein oder der Schiffsleute Ver- schulden darthun.

§ 496 = g 544 des ersten Entwurfs.

§ 497 = § 545 des ersten Entwurfs.

495

Maass oder Gewicht bezeichneten Güter ihm zugezählt, zuge- messen oder zuge- wogen sind.

§ 544. Die Ab- lieferung der Guter an den Empfänger muss nach dem Inhalt des Konnossements erfolgen. Der Ver- frachter haftet für den Schaden, welcher durch ^ Verlust oder

Beschädigung der Guter seit der Em- pfangnahme bis zur

Ablieferung ent- standen ist, sofern er nicht beweist, dass der Verlust oder die Beschädigung durch höhere Gewalt (vis major) oder durch in- neren Verderb oder durcbäusserlich nicht erkennbare Mängel der Verpackung ent- standen ist.

I 545. Wenn das

Konnossement den Zusatz -Zahl, Maass oder Gewicht unbe- kannt* oder einen

gleichbedeutenden Zusatz enthält, so hat der Verfrachter die Richtigkeit der An- gaben des Konnosse- ments Über Zahl, Maass oder Gewicht der übernommenen Güter nicht zu ver- treten. —

§ 546. Die Auf- nähme des Zusatzes •Inhalt unbekannt*

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-glc

496 Qu rec«pt<u

Ebenso haftet der Schiffer bis zum Be- weise seines oder der

Schiffsleute Ver- schuldens nicht für Zahl, Maass oder Ge- wicht oder für Bruch oder Leckage, wenn er das KonDossemcnt mit dem Vermerk *Zah], Maass oder Gewicht unbekannt* oder -frei von Bruch« oder «frei von Lecka- ge« gezeichnet hat.

ouponom, stabnlariorum.

oder eines gleichbe- deutenden Zusatzes hat ausserdem die Wirkung, dass, wenn die Verpackung oder die Gefässe, in wel- chen die Guter dem Schiffer übergeben wurden, bei der Ab- lieferung äusserlich tinverletst sind, von dem Empfänger der Beweis geführt wer- den moss, nicht allein dass der Schiffer den im Konnossement an- gegebenen Inhalt em- pfangen habe, sondern auch, im Fall der Verfrachter wegen Beschädigung der Güter in Anspruch genommen wird, dass die Beschädigung in einem Verschulden des Schiffers oder einer Person sich gründe , für welche der Verfrachter ver- antwortlich ist.

Ist das Konnosse- ment von dem Schif- fer mit dem Znsatze ■frei von Bruch' oder •-frei von Leckage* oder 'frei von Be- schädigung* oder mit einem gleichbedeu- tenden Zusatz ver- sehen, so haftet der Verfrachter bis zum Beweis des Ver- schuldens des Schif- fers oder einer Per- son, für welche der Verfrachter verant- wortlich ist, nicht für

497

Bruch oder Leckage oder Beschädigung.

§ 547. Für Kost- barkeiten, Gelder und geldwerthe Papiere haftet der Verfrachter nur in dem Fall, wenn diese Beschaffenheit oder der Werth der Guter dem Schiffer bei der Abladung an- gegeben ist.

g 581. Der Schif- fer haftet fUr jeden Verlust und jede Be- schädigung an den ihm oder den Schiffs- leu teo Ubergebenen Reiseeffekten, wenn er nicht nachweist, dass solche ohne sein und seiner Leute

Verschulden ent- standen ist.

§ 533. Der Schif- fer haftet für jeden Verlust und jede Beschädigung an den von ihm oder den

Schiffsleuten zur Aufbewahrung über- nommenen Reise- effekten, nenn n. s. f. (wie § 581 erster Lesung).

§ 585. Auf die an Bord gebrachten Reiseeffekten finden die Vorschriften der Art. 495, 532, 533 Anwendung. Sind dieselben von dem Schiffer oder einem

dazu bestellten Dritten übernommen, so gelten für den Fall ihres Verlustes oder ihrer Beschädigung die Vorschriften der Art. 544 Abs. 2, 547, 548, 549.

Alle diese Entwtlrfe stimmen darin überein, dass den Frachtfahrer (zu Lande, auf Binnengewässern oder zur See) unter allen Umständen die Beweislast trifft ; dass er schlechthin für seine Leute (und für die ZwischenfrachtfUhrer) einsteht. Auch die Motive des preussischen Entwurfs und die Be- rathungsprotokolle der Nürnberger Kommission enthalten über diese wohl für selbstverständlich erachteten Punkte nichts. Dagegen sind folgende Verschiedenheiten bemerkenswerth ;

1, Der erste preussische Entwurf § 327 stellt den Ver- zug des Frachtführers mit dem Verlust tmd der Beschädigung der Ladung auf eine Linie ; der revidirte preussische Entwurf schweigt über diesen Punkt ganz. Der deutsche Entwurf erster und zweiter Lesung dagegen behandelt den Verzug milder als Verlust und Beschädigung der Ladung aus

Goldichmidl. VmiiKhle SchrUlsB. U. 33

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498 Dm receptnm nantumm, canponsm, ttabaluioinnL

Biltigkeitsgrllnden ', »weil es gemeinhin leichter sein werde, gegen Beschädigung und Untergang der Waare vorzusehen als gegen eine Verzögerung der Reise*, auch fUr die F^e, wo eine Konventionalstrafe bedungen ist.

2. Noch bemerkenswerther ist die Differenz hinsichtlich derjenigen Umstände, deren Erweis bei Verlust oder Be- schädigung der Waare den Frachtfahrer befreien solle. Der preussische Entwurf erachtet beim Binnentransport »Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Frachtführers« für genügend; dagegen erfordert er beim Seetransport, abgesehen von be- freienden oder die Haftung beschränkenden Klauseln, »äusseren Zufall oder inneren Verderb ohne sein und der Schiffsmann- schaft Verschuldenc. Beim Passagierkontrakt soll wiedenim Abwesenheit jeder Verschuldung genügen, und auch nur für Verschulden macht der allgemeine § 471 (433) verantwwilich. Der deutsche Entwurf verlangt für den Binnentransport den Nachweis »(unabwendbarer) höherer Gewalt (vis major) oder inneren Verderbs oder äusserlich nicht erkennbarer Mängel der Verpackung«, und Gleiches ist von der hamburger Sub- kommission für den Seetransport beschlossen wraden (Protok. S. 2255, 2256, Entw. erster Lesung §§ 544, 585).

Diese Differenz beruht nun aber keineswegs, wie es den Anschein hat, auf einer verschiedenartigen Anschauimg Über die Anwendbarkeit der actio de recepto anf den Landtransport, sondern, wie schon oben angedeutet wurde und die Ab- weichung in den betreffenden seerechtlichen Bestimmungen des preussischen Entwurfs darthut, auf Unklarheit über den wahren Inhalt unseres Instituts.

Die betreffenden Sätze des ersten preussischen Entwurfs wurden in der berathenden berliner Sachverständigenkommission ohne alle Diskussion angenommen; nur zu Art. 581 findet sich in den Protokollen die Bemerkung, dass die Regel nicht auf alle von den Passagieren eingebrachten, sondern nur auf die wirklich dem Schiffer oder den Schiffsleuten übergebenen Sachen anwendbar sei, und dass die Uebemahme seitens der Schiffsleute nur auf Geheiss des Schiffers geschehen dürfe'.

Prot S. 79S, 801—803, 1229, 1230. Vgl. oben S. 407 Note 3. ' Protokolle Ober die Betathungea m[t kanfmKnniicliea SachTersUndigcn und praktischen Joiislen-, betr. den Entwarf dnes Hnideligeaetibiicba (. d.

Anhang. 499

In den Motiven zum revidirten preussischen Entwürfe za § 310 (S. 171) heisst es nach einer kurzen Darstellung der einschlägigen Vorschriften des bestehenden preussischen Rechts: »Es unterliegt wohl keinem Bedenken, dass die Bestimmungen und Unterscheidungen des allg. Landrechts ebenso unzweck- mässig als unzulässig sind, und dass die strengere, mit den Grundsätzen der gemeinrechtlichen actio de recepto überein- stimmende Haftpflicht des Schiffers dem bei sämmtlicheo Frachtführern eintretenden praktischen Bedürfnisse allein ent- spricht. Die neueren Handelsrechte machen auch überein- stimmend den Frachtführer für alle Verluste und Beschädigungen des Guts verantwortlich, nur mit Ausnahme derjenigen, welche Ton höherer (unabwendbarer) Gewalt oder von eigenen Mängeln der Sache herrühren (vgl. französ. H.G.B. Art. 103 etc.). Der vorliegende Artikel hat sich in der Fassung dem Ent- würfe eines allgemeinen Handelsgesetzbuchs für Deutschland (Tit. V. Art 42) angeschlossen, welcher denselben Satz mit einer grösseren Präzision ausdrückt und zugleich den nicht unzweideutigen Ausdruck ,höhere Gewalt' (dam- num fatale; vgl. Pohls Handelsrecht I. S. 146) vermeideLc In den Motiven zum Seerecht § 433 wird sodann bemerkt, dass der Schiffer für geringes Versehen einstehen müsse . (S. 240). Zu § 485: »Auch wenn über den Zustand der Waare nichts im Konnossement bemerkt ist, gilt die Ver- muthung, dass sie bei der Abladung unversehrt und gesund war, und wenn der Schiffer sie beschädigt abliefert, muss er beweisen, dass die Beschädigung durch äusseren Zufall oder inneren Verderb entstanden isti (S. 265). Zu §§ 496, 497: »Ueber die Verhaftung des Schiffers für die ihm anvertrauten Frachtgüter hat schon das römische Recht in der Lehre vom receptum eigenthümliche Grundsätze ausgebildet (Arndt, Pandekten § 289). Abweichend von allgemeinen Regeln musste der Schiffer unbedingt für die Handlungen seiner Leute aufkommen. Er musste, wenn er die ihm anvertrauten Sachen nicht restituiren konnte, unter allen Umständen selbst den Nachweis führen, dass fremde Gewaltthat oder reiner Zufall den Verlust verursacht hatten. Diese Grundsätze sind aus

prenn. Staatrn. Berlin 1856. (Ali Manuskript gedraekt) S. 91, 93, 135, 137. 139, 145.

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500 Du receptnm ntuiUrum, caaponum, stabultmornm.

dem BedUrfniss des Verkehrs entstanden und desshalb auch in die neueren Gesetzgebungen (A.L.R. II 8 §§ 1734, 1735) übergegangen. Der Entwurf schliesst sich ihnen an. Die Norm für die Ansprüche des LadungsempfSugers gibt das Konnosse- ment. Was der Schiffer im Konnossement empfangen zu haben bekennt, muss er wieder abliefern, und bei jedem Ver- lust und jeder Beschädigung den Nachweis führen, dass sie ohne sein Verschulden, also durch einen äusseren Zufall oder durch inneren Verderb entstanden sind* (S. 272). Zu § 533: »Schon das röm. Recht verpflichtete den Schiffer zu einer be- sonders strengen Haftung für die Güter der Reisenden (vgl. zum Art. 496). Er musste für jeden Verlust und Schaden aufkommen, wenn er nicht nachweisen konnte, dass solche durch eigene Schuld des Reisenden oder durch fremde Gewalt- that oder durch reinen Zufall entstanden war. Diese Regel ist auch heute noch anwendbar. Der Entwurf nimmt sie dess- halb in Uebereinstimmung mit dem A.L.R. II 8 §§ 1760, 1761, jedoch mit der Modifikation auf, dass die Güter, für welche der Schiffer in solcher Weise aufkommen soll, nicht bloss in das Schiff eingebracht, sondern auch dem Schiffer zur Aufbe- wahrung übergeben sein müssen etc.« (S. 287).

Diese Zusammenstellung ergibt, dass die Redaktoren des preussischen Entwurfs für alle Fälle des Transportsvertrags durchaus die gleichen Grundsätze, und zwar die strengen Regeln des receptum angewendet wissen wollten; dass die sehr verechiedene Fassung der §§ 310, 433, 496, 497, 533 nur auf einer Unachtsamkeit der Redaktion beruht, und dass die Haf- tung ex recepto dabin verstanden ward, dass der Schiffer für jede eigene und seiner Leute Schuld unter Beweislast der Nichtschuld aufzukommen habe: dass also die Ausdrücke »äusserer Zufall oder innerer Verderb* , »fremde Gewaltthat oder reiner ZufalN nur den Gegensatz zur Schuld des Schiffers und der Mannschaft bilden sollen. Es wären also in der That nicht die Grundsätze des receptum, sondern allgemein die nach unsern obigen Erörterungen im heutigen gemeinen Recht auch für den Landfrachtverkehr geltenden Regeln adoptirt worden, und sicherlich höchst zweckmässig, da fUr die praktisch nur unerheblich strengere Haftung ex recepto kein Verkehrs- bedürfniss nachweisbar sein dürfte. Die Haftung für Delikte der Passagiere wäre dadurch freilich ganz ausgeschlossen;

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Anhuig. 501

allein diese Restriktion wäre wenigstens dann ohne wesentliche Bedeutung, wenn ohnehin nur für zur Aufbewahrung über- gebeae Reiseeffekten eingestanden werden soll (Pr, Entwurf § 533), da die Entwendung oder Beschädigung solcher be- sonders übernommenen Güter nicht leicht ohne Verletzung der dem Schiffer obliegenden custodia möglich ist, derselbe also im Falle der Verletzung ohnehin einstehen würde.

Bei den Konferenzberathungen zu Nürnberg und Hamburg ging man von anderen Gesichtspunkten aus. Man erkannte alsbald, dass die Regeln des preussischen Entwurfs nicht der wahren Theorie des receptum entsprechen; man glaubte diese als die strengere adoptiren zu müssen und nahm daher die üblichen Ausdrücke »unabwendbare, höhere Gewalt t , »vis major« auf. Die Diskussion drehte sich, nach den Protokollen, nur darum, ob die Land- und sonstigen Binnenfrachtfahrer den (See-)Schiffem gleich zu behandeln seien, wofür sich insbe- sondere die kaufmännischen Mitglieder erklärten. Auf den Begriff der höheren Gewalt wurde dabei gar nicht einge- gangen; man erachtete es für selbstverständlich, dass ex recepto auch für den »Zufall, Fälle der höheren Gewalt aus- genonunen< eingestanden werde (Prot. S. 793—795, vgl, auch S. 801 803).. Auch in zweiter Lesung wurde auf diese Frage nicht weiter eingegangen, sondern nur die Streichung des Wortes »unabwendbare* beschlossen, iweil die jetzige Fassung zu Härten führe und missdeutet werden könne, auch zu Streitig- keiten über die Beweislast führes, dagegen die Einschaltung der Worte »vis major» in Parenthese beliebt (Prot. S. 1229). Eine tiefere Begründung ist überall zu vermissen. Bei der Berathung des Seerechts ward zunächst der Art. 433 des pr. Entwurfs in einer etwas modifizirten Fassung, doch unter Beibehaltung des Prinzips, angenommen (Prot, S. 1928— 1930); an Stelle des Art. 496 alin. 2 des ersten Entwurfs wurde die einfache Wiederholung des in der Nürnberger Konferenz fest- gestellten Art. 371 zweiter Lesung, »welcher die Prinzipien des römischen Rechts über das receptum sanktionire, die längst als geltendes Seerecht anerkannt und in den meisten neueren Seerechten wiederholt zur Geltung gekommen seienc, beschlossen (Prot. S. 2255, 2256); endlich das Prinzip des Art. 533 des pr. Entwurfs in einem wenig abweichend redigirten Para- graphen anerkannt (Prot. S. 2508—2511). Aus diesen Be-

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502 I}<» rec«ptutn OftUtanun, caaponain, ttabolaiioniiD.

Schlüssen sind die oben mitgetheilten §§ 457, 524, 544 547, 585 des deutschen Seerechts-Entwurfe erster Lesung hervor- gegangen.

Dem praktischen Bedürfniss würde die von mir in dem Gutachten über den deutschen Entwurfs. 113 vorgeschlagene Fassung der Art. 371, 544 entsprechen:

>Der Frachtführer (Verfrachter) haftet für den Schaden, welcher durch Verlust oder Beschädigung des Frachtguts seit der Empfangnahme bis zur Ablieferung entstanden ist, sofern er nicht beweist, dass der Verlast oder die Beschädigung durch Zufall, insbesondere durch inneren Verderb, oder durch äusserlich nicht er- kennbare Mängel der Verpackung oder durch sonstiges Verschulden des Absenders ent- standen istf selbstverständlich unter Beibehaltung des im Seerecht fiesonders zu allegirenden Art. 374 zweiter Lesung. Die allgemeine Fassung dieser Vorschrift in Verbindung mit den oben mit- getheilten Art. 457 alin. 2 des Entwurfs erster Lesung würde auch die prätorischen Strafklagen lunfassen, soweit solche noch anwendbar erscheinen, und durch das Verkehrsbedürfniss gerechtfertigt sind, nämlich auf einfachen Schadensersatz wegen Beschädigung der Passagiere und der Effekten, welche dieselben an sich tragen, durch Schiffer oder Schiffsleute. Vgl. oben S. 408-415, 452.

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18.

ZUR

GESCHICHTE

DER

SEEVERSICHERUNG.

(1886.)

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Die erste Verordnung des Magistrats von Barcelona Über die Seeversicherung, erlassen am 21. November 1435 (Pardessus, Coli. V p. 493), will Betrügereien, Benach- theiligungen, Streitfragen abschneiden. Diesen sehr allgemeinen Zielen entspricht, obwohl von einer vollständigen Regelung des in zahlreichen Punkten nach wie vor der Uebereinknnft und dem Handelsgebrauch überlassenen Geschäfts weit ent- fernt, ihr mannigfaltiger Inhalt. So stellt sie zahlreiche, be- reits 1436 (Pardessus V p. 502) modifizirte Beschränkungen der Versicherungsfreiheit im Interesse der einheimischen Rhe- derei auf; limitirt was bereits 1436 aufgehoben, !458 wieder- hergestellt vrurde (Pard. V p. 502, 507) die Versicherung von Schiffen und Waaren auf Dreiviertel ihres Werthes; ordnet die mehrfache Versicherung, die Versicherung fUr fremde Rechnung; enthält Bestimmungen über die Form der Ver- sicherungsverträge, die Fristen für Zahlimg der Versiche- rungssumme, die Pflichten und die Courtage der Versiche- rungsmäkler nebst manchem Anderen.

Sie setzt so voraus ein bereits hoch entwickeltes Asse- kuranzgeschäft, dessen erste Anfänge geraume Zeit zurtick- liegen müssen. Die scharfsinnige Hypothese von Reatz", es sei »die Idee der Seeversicherung c frühestens in der Zeit von 1367 bis 1383 und zuerst in Portugal aufgekommen und ver- wirklicht, es habe sich dort oder in Barcelona aus der vom Könige Fernando errichteten Zwangsgenossenschaft portugiesi- scher Schiffsrheder auf Gegenseitigkeit das demnächst von den übrigen Mittebneerstaaten , insbesondere den italienischen Handelsplätzen recipirte Institut der Prämienversicherung her-

> Geschieht« dei enropKischen SeevenichetangsrecliU, Th. I 1870, S. 13, 14, 40 ff., 56 £, i6gff.

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506 2"' Getcbickte der SecTenicherang.

ausgebildet, hat, wie kein äusseres Zeugniss, so geringe innere Wahrscheinlichkeit für sich. Die Schicksale des portugiesischen Zwangsversichenings-Instituts , über welches einzig die um 1434 verfasste Chronik des Fernfio Lopez' berichtet, and völlig imbekannt, und es war mindestens im sechzehnten Jahr- hundert der angeblich portugiesisch-spanische Ursprung der Seeversicherung so durchaus in Vergessenheit gerathen, dass der erste Schriftsteller, welcher eine zusammenhängende Dar- stellung der Lehre gegeben hat , der Portugise Pedro de Santarem (Petrus Santema) in seinem 1552 zuerst ge- druckten', wohl geraume Zeit vorher' geschriebenen Trac- tatus de assecurationibus et sponsionibus mercatorum die Ver- sicherung eine >materia peregrina< nennt (p. I No. 3) und unter den Assekuranzplätzen, freilich seiner Zeit, Barcelona nicht einmal hervorhebt. Die abgestufte Gefahrsprämie aber, welche, nach Reatz, angeblich nur einer in Portugal zuerst in grösserem Maassstabe versuchten Unfallsstatistik entnommen sein kann, findet sich als Bestandtheil des Seedarlehnszinses von Alters her, wenn auch für die Zinshöhe vorwiegend die Dauer der Kapitalsnutzung in Betracht kommt. Die Zinshöhe schwankt z. B. nach den genuesischen Seedarlehnsurkunden der Jahre 1155— 1164^ zwischen 25— 33'/3°/o, während das gleichzeitige constitutum usus von Pisa (1161) ruh. XXV, vgl XXIV, für das gesellschaftlich modifizirte pisanische See- darlehen sogar einen nach der durchschnittlichen Reisedauer

Pardeiiui, Coli, de loii marit VI p. 30a ff. ; Reali I S. 4>ff.

> 'Nunc primum in lonm data». Venetiti ipnd Biltanarem CotSUtt- Imnm. Eiemplare der ed. princepi befindea dch im Bentt da Hr. Comelisi Walford JD London, dcMcn Gtlte ich die Einsicht verduike, niid in der Wiena Hofbiblialliek. Von einer in Portugal enchienenen enten Anigabe (10 E. CanTCl, Traitt des anarancei mirilimeB I, Pari* 1879, p. XXV ohne Angabe det Datnm*) fiadet sich mr Zeit keiae Spar.

i Nach BarboiB, Bibliotheca Liuitana t. III (Uiboa I75aff,) p. £17, hat Santerna gegen Ende der Regierung KBnig» Manoel (1495 '5^0 gdebt; die TOD Barboia citirten Schriften enthalten Iceioe nlheren Angaben. In Tractatni nennt Santema den Jason Haynoi (f 1519) iqnidun modannii, otict aber doch achon die «yln nuptialis des, nach Pancirolns, 1540 Teistorbenen Joannes de Neviianis.

* Notnlar. des Giovanni Scriba in Monum. hiMor. patr. Chart. II, col.301 S. AntiOge daran* bei ScbrOder, Handbuch des deutschen Haadeb-, See- uad Wechselrecht«, herausg. von Endemann, Bd. IV Abtil. I S. 34O ff.

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Zar GcKilicht« der S«ever«icheniDg. 507

bemessenen subsidiären gesetzlichen Tarif von 8 den. bis 7 sol. per libram, d. h. von S'/s— 35 "lo für die Reise aufstellt'.

Das von Reatz völlig übergangene Seedarlehen linstar cuius assecuratio inventa est« (Straccha, Tr. de assecurationi- bus [Venet. 1569] gl 15, No. 2) bildete, neben der commenda bezw. societas maris, das wichtigste Spekulationsgeschäft der Mittelmeerländer and enthält ein Assekuranzelement als in- tegrirenden Bestandtheil. Da der Darlehensgeber dem Speku- lanten die Seegefahr des Unternehmens abnimmt, so lässt sich die Seedarlehenssumme als anticipirte Versicherungssumme je naclidem fUr die Ladung oder fUr das Schiff bezeichnen. Da jedoch der Darlehensgeber bei Eintritt des Seeunfalls nicht allein das Kapital, sondern auch die zugesicherten Zinsen ein- schliesslich der in diesen liegenden Gefahrsprämie einbüsst, somit gegen blosse Gewinnhoffnung die Gefahr auf sich nimmt, so fehlt noch das charakteristische Moment der Assekuranz: das definitive Opfer des Spekulanten als Entgelt für die Ab- wälzung des befürchteten Schadens auf ein anderes Ver-

Soll ans dem Seedarlehen als solchem die Prämienversiche- rung hervorgehen, so muss einerseits die Versicherungssomme nicht vorschussweise, sondern erst nach Eintritt des Unfalls gezahlt, andererseits die von den Gebrauchszinsen losgelöste Gefahrsprämie schlechthin von dem Spekulanten geschuldet oder gar im Voraus entrichtet werden.

Nach der letzten Seite scheint die Entwickitmg sich nur sehr allmälig vollzogen zu haben, derart, dass der ursprung- liche Versicherungsvertrag formell oder doch materiell die Gestalt zweier bedingter Sponsionen trug: A. verspricht dem B. bei Eintritt des Seeunfalts Schadensersatz, B. dem A. unter der entgegengesetzten Bedingung einen Entgelt für die Ge- fehrsUbemahme '. Indem die Gesetzgebung Vorausbezahlung der Prämie bei Abschluss des Vertrags vorschrieb (Verord- nung von Barcelona 1435 c. XI), hat sie die wahre Asse-

Bon»ini, StaL ined. dl PIm II p. 905. S. mach R. Wagner, Hand- buch des Seerechti I (1S84) S. 35 Not. 61 Dnd ■llgemeiner : Molengraaff , De overeenkomst van verwkering: RechUgeleerd M*gMi)it d. I (Hurten 1883}, Bl. 432 Hot. 3.

* UntcD S. 510.

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508 Zur GeKhichte der SeeTerachenmg.

kuranz auch äusserlich sichtbar und zwar nicht allein gegen die doch nur mögliche Wettassekuranz' abgegrenzt.

Nach der ersten Seite ist die Entwicklung sicherlich ge- fördert worden durch die berühmte Dekretale Papst Gregor IX., c. Naviganti (c. 19 X. de usuris), somit zwischen 1227 1234 erlassen, welche den Seedarlehenszins und damit das ganze Seedarlehensgeschäft als wucherisch untersagt: Naviganti vel eunti ad nundinas certam mutuans pecunlae quantitatem, pro eo quod suscipit in se periculum, recepturus aliquid ultra sortem, usurariusest censendus''. Dass hieran mit Ille quoque ein Fall nichtwucherischen Handelns (non debet ex hoc usu- rarius reputari) schliesst, mag auf einer ungeschickten Re- daktion, möglicher Weise einer Verkürzung des ursprünglichen Textes, beruhen vielleicht betrifft das quoque die in diesem zweiten wie in dem ersten Falle ursprünglich aufgeworfenen Zweifel, etwa De illo quoque dubitatur etc. fällt aber, gegenüber der allein beglaubigten Lesart um so weniger in's Gewicht, als die letztere durch das maassgebende Zeugniss des Redaktors der Dekretalen bethätigt wird. Die zwischen 1234 und 1243, vielleicht schon 1235 ^ geschriebene Summa des Raymundus de Peüafort erörtert üb. II tit, VIT de usuris et pignoribus S. V die Frage, ob das Seedarlehensgeschäft er- laubt sei, und berichtet, dass von den beiden bisher vertretenen Meinungen die strengere, nämlich diejenige, welche die Er- laubtheit des Zinses verneint, welche er selbst billigt, jetzt aus- drücklich durch c. Naviganti sanktionirt sei* vgl. den Wortlaut selbst in S. II eod. , wo der zweite, auch zweifel- hafte, aber entgegengesetzt entschiedene Fall erwähnt wird.

Wiewohl nun dem päpstlichen Verbot zuwider, welchem die Civilisten, theilweise sogar die Kanonisten durch subtile

So Vi*>nte im Archivio giuridico XXXIl (1SS4) p. 91.

* Usarariua dod est ceoicndas will mit AeUeren leaen: NeDEnann, Ge- schiclite d«i Wachen in Deutschland S. 17 ff. Not t; Hatthiais, Das foenni cauticum und die geschichtliche Eatvickluog der Bodmerei, iSEi, S. $6 be- trachtet ei »nach dem heotigen Stande der Forschung« als inicht mehr zweiM- lukft, dass dai kanoniache Recht das faenus nauticam Ton dem allgemeinep ZinseoTerbot« eximirte*. Desgl. Brini. Pandekten II g 298 Not. 37. So jelst aacb Salvioli, L'aisicurazione e il cambio marittimo, Bologna 1884. p. 359; dessen Berufung auf Endemann ist Terfehll.

1 V. Schulte, Quellen and Literatur des kanonischen Recht* 11 S. 411.

4 Sancli Rdjnnnndi de Pennafoit summa, ed. Veronae 1774 p. >I0.

ZnT Geichichte der Seererachemng. 509

Distioktionen die Spitze abzubrechen suchten', sich das See- darlehen, unter wachsender Konkurrenz des wirthschaftlich verwandten Bodmereivertrages', in der Praxis erhielt, so lag es doch nahe, die entgeltliche GefahrsUbemahme von dem Vor- schussgeschäft zu sondern, sei es, dass letzteres, weil im ge- gebenen Falle entbehrlich, ganz hinwegfiel, sei es, dass ein anscheinend unverzinsliches Darlehen gegeben wurde, sei es, dass die Rollen von Darlehensgeber und GefahrsUbemehmer sich schieden.

War dazu einmal der Anstoss gegeben, so musste auf die Entwicklung der Prämienversicherung fördernd einwirken, dass der Assekuranzgedanke in mannigfacher, wenn auch noch unfertiger Gestalt , in zahlreichen Institutionen des damaligen Verkehrsrechts der Mittelmeerländer hervortritt. Nicht allein im Seedarlehen, auch in anderen allgemein verbreiteten Ver- trägen: Commenda-, Transport-, Kaufverträgen, war es üblich, über die Gefahr zu paktiren 3 ; eine Art beschränkter Gegen- seitigkeitsversicherung zwischen Schiffs- und Ladungs-Inter- essenten begründete die schon dem pseudorhodischen Seerecht angehörige und mindestens im Gebiet des Adriatischen Meeres recipirte Ausdehnung der Kontributionspflicht auf zufällige Schäden*, sowie das doch auch anfänglich kaum auf Spanien beschränkte germinamento ' , über die einzelne Schiffsgemein- schaft hinaus die conserva*.

Die Entwicklung vollzieht sich, soweit zu ersehen, zu- nächst in Italien. Aus der noch nicht abgeschlossenen Unter- suchung, für welche fortgesetzte archivalische Forschungen

' Lebrmcb ist der Widerstreit iwUchen Suileroa und Straccha a. a. O. Ueber die Streitfrageo : EodemaiiD, Studien in der romaniach-kanoniiCiichen Wirtbscliaft». und Rechitlehre 11 S. 316 ff.; Tgl. Neumann, a. ». O.; Sal- vioH, a. a. O. S. 341 ff.

> Matthiasi, a. a. O. S. 61 fT. ; Schröder, a. a. O. S. 343 ff.

1 Unten S. 463 ff. Dergleichen Verlrige kennt iwar ichon das rOmische Recht: meine Abhandlung, Zeitschr. f. Handelsrecht III S. 104 ff., ati«t es fehlt an sicheren Zeugnissen für den Bestand der Sichvenicheiung.

Nicht erat im Statut *on Ancon« (1397). wie Cau»et und Salvioli meinen. S. schon Pardessas, Coli. I p. 141; II p. 30, 21; V p. 5. 6, 106, 108; Wagner, a. a. O. I S. 16, 17.

) Es bedarf hier noch genauerer Untersuchung.

*• Die Quellen sind dlirt bei La band, Zeitschr. L Handelttvcht VII S. 324 Note 38; Wagner, a. a. O. I S. 31 Note 50.

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510 Zur Gesdiichte der Seercnichenuig.

weiteres ' Beweismaterial erbringen werden, sollen im Folgen- den einige erheblichere Punkte zur Erörterung gelangen. Es steht schon gegenwärtig lest, dass die vonReatz vermissten positiven Zeugnisse für einen früheren Bestand der IVämien- versicherung vorliegen.

I. Eine in Grosseto von dem Sieneser Notar Minus condam ser Nerii 22. April 1329 aufgenommene Urkunde» besagt, dass Octobonus olim domini Pagani de Marinis bekennt, empfangen zu haben von Bonacursns olim Janmis (?), Mitglied der bekannten Florentiner Gesellschaft der Acciaioli, zahlend für sich und für Rechnung dieser Gesellschaft:

1. 1450 florenos (auri) infra pagamentum de naulo corio- rum lane et anguellinarum dicti Bonacursi et Acdaio- lorum predictorum sotiorum suorum. Quam mer- cantiam dixit quod tulit de Tunisi dictus dominus Octobonus in tribus suis galeis.

2. 2450 florenos auri infra pagamentum de illa quantitate quam dictus dominus Octobonus recipere debebat pro securitate et risico sibi facto super dictam mercantiam.

Quod naulizamentum et securitatem factum fuit per

Nicholaum Guizzardini, sotium dicte sotietatis de Ac-

ciaiolis in civitate Janue predicte hoc anno presenti de

mense Martü proxime preterito, ut dixerunt patere manu

Dominici, ootarii de dicta civitate Janue,

Weiter bekennt Octobonus, tanquam procurator domini

Gaspalis, militis de Grimaldis de dicta civitate Janue procn-

ratorio nomine pro eo empfangen zu haben von Bonacursns

für Rechnung der genannten Gesellschaft (der Acciaioli)

' EinifCf, aber unter lOlligsr Ignorirung des italisDuchen SutDUnediti, bei SalTioli, ■. ■. O. S. 3$K.i ioabooodere: Enrico Ben», Studi di diritto commerciale , Genova 1883, p. 4$ ff. : Cetare Vivante, ArchiTio giuridico XXXII p. 80 109: L'a.iiicuraziaiie delle cose; EToloiione Btorica; such besonders enchienen Pisa 1S84.

* Abschrift denelben aus dem Ktinigl. Staataarchiv lu Flmena Terdanke ich Herrn Prorestor C Faolt daaelbst , den HinweU auf der«n Existmi Hon Professor Lästig.

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Zur Geachichte der Seerenicherani;. 511

272 florenos auri et dimidium infra pagameotum de risico et securitate facta per dictum dominum Gaspalem supra- dicto Nicoiao Guicciardini pro supradictis mercantiis.

IDiese beiden Verträge können nur wahre VetBicherungs- verträge sein, insbesondere ist an ein Seedarlehen bei der Ver- bindung von securitas (Sicberstellung) und risico nicht zu denken. Die von den Ladungsinteressenten (den Acciaioli) zu entrichtenden Summen sind somit Assekuranzpramien , deren auffallende Höhe ' eine sehr werthvolle Ladung oder besondere unbekannte Umstände (Feindes-Piraten-Gefahr ?) voraussetzt.

Versicherer in dem zweiten Vertrage ist der Genuese Gaspalis de Grimaldis, in dem ersten Vertrage anscheinend der Rbeder Octobonus de Marinis. Denn die naheliegende Annahme, dass O. bei einem ungenannten Dritten fUr Rech- nung der A. Versicherung genommen habe, lässt sich mit der Thatsache nicht in Einklang bringen, dass ein Theilhaber der versicherten Gesellschaft A. als Kontrahent des Versicherungs- vertrages bezeichnet wird. Auf diese Verbindung von Rhederei und Waaren Versicherung, welche sich vielleicht aus der Gegen- seitigkeitsversicherung des germinamento losgelöst hat, deuten einige später zu erwähnende Beläge '.

Die Prämie wird augenscheinlich erst nach glücklicher Ankunft des Schiffes entrichtet. Ob sie auch nur fUr diesen Fall versprochen war? Franco Sacchetti sagt in seinen um 1370 ' geschriebenen sennoni evangelici serm. IV von der Seeversicherung : E poi, se la nave va a salvamento, tu ricevi il prezzo*. So fassen die Assekuranz auf noch spätere Kano- nisten und CivUisten, z. B. Joa. ab Anania (f 1457) praeL in Decretal. lib. Vs zu cap. Naviganti q. 13 No. 42 ff., unter unzutreffender Berufung auf Paulus de Castro; Alexander de Imola (Tartagnus f 1477) super Dig. novo* in 1. a. Titio

Um 1440 b«trlgt die Nornialprfimie LondoD-Pisa , Pim-BrügKe iz bU I5°/b= GioT. Adeodio di UziaDO, pnticm delle mercstnra (Dells dedma IV p. 119, 138).

' UdUd 5. 463, 463.

I O.Gigli, I lennoiii «vtngelid , le lettere ed iltri «critti ioediti o raii di Franco Stcchetti, Firenz« 1857, p. XXXIV, LXVIII.

* A. a. O. p. 11. Aaf eine andere Stelle in danelben Predigt hat be- reit! Sslvioli, a. a. O. p. 35 hingewiesen.

} Lngduni 1546.

* Lngduni 1535.

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512 Zur Geschichte der Seereniclierung.

(108) de V. O. : frequentant (sc, mercatores) etiam Florentini aliam similem conditionem : ut promitto tibi X si navis mea mercaotüs onerata ad tatem locum applicuerit salva^ sin autem, tu promittis mihi reddere valorem mee mercantie. Sogar noch Molin aens, Tr. de usuris Nr. 93 und Andere,

IL

Weitere sichere Zeugnisse aus der ersten Hälfte des vier- zehnten Jahrhunderts fehlen zur Zeit. Das inaulegiare u sigu- rare« im Cap. 47 des pisanischen breve Portus KaUaritajii von 1318' kann, im Zusammenhalt mit c. 21, 34 daselbst, nicht leicht auf Assekuranz bezogen werden ^ indessen dürfte das sigurare doch von der mit üblicher Sicherstellung verbundenen Thätigkeit des lUieders zu verstehen sein ' , somit einschliess- lich der etwa darin begriffenen Assekuranz der Ladung. Für das >compra et sigura< des Wechselkäufers in dem Pisaner Maklertarif vom 3. Dezember 13233 bleibt nur die Bedeutung: Sicherheitsleistung für kreditirte Valuta *.

Das statuto de' mercatanti di Calimala von Florenz er- wähnt in der bisher allein publizirten Vulgarredaktion von 1332= tib. 1 c. 46 und lib. II c. 4 Verträge Über Gefahrs- übemahme. Allein die erste Stelle »patti ed ordini d'alcuno avere che portassanot betrifft augenscheinlich Commenda- verträge; die zweite »concordare con qualunque persona vorrä di vettura, nolo e rischio di panni, quali avesse comprati overo fatti comperare« kann eben sowohl von einer blossen accesso- rischen Gefahrsübemahme durch den Frachtführer, als von einem selbstständigen Assekuranzvertrage, sei es mit dem Frachtführer, sei es mit einem Dritten verstanden werden. Nur die erste scheint gemeint in einem Vertrage von 1335':

8 balle di merci sulla galea di Bartolomeo da Genova

da portare sane et salve in Nizza com' h di costume.

' Bonainl, Stal. iued. di Pisa II p. 10S3 ff.

' Uebet die verschiedeDea Ansichten: Pardeisus , Coli. V p. 381 Note i, p. 307 Note t; Reati I S. 3t FT.; Cauvel I p. XXVI ff.; Skrioli p. 19?. 3 Bonaini III p. 590. t Reali I S. 3S.

i Bei E. Giaidici, Storia dei comuni Italiaoi III p. 171 E * Bei Bioi, I Lncchesi a Venezia p. la}.

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Zur Gescbichte der SeerersicbeniDg. 513

Indessen ist hier doch der wichtigen Geschäftsklauselo a rischio, assalvi und ähnlicher zu gedenken.

Die vor 1343, wahrscheinlich bald nach 1335 geschriebene Kaufmannspraktik des Florentiners Balducci Pegolotti enthält c. 45 ' , im Anschluss an die Florentiner Usoliste den Florentiner Mäklertarif für Vermittelung der verschiedenartig- sten Geldübermachungsgeschäfte (Firenze per senseraggio di cambiora) und daselbst:

Di marcbi per Inghilterra assalvi in terra da cia- scuna parte soldi 10 per cento.

Di marchi a rischio di mare e di gente da ciascuna

parte soldi 20 di piccioli per cento marchi.

Als wichtiges Zeugniss für die Prämienversicherung wird

die Stelle insbesondere von Pardessus', neuerdings wieder,

trotz ihrer in der Hauptsache richtigen Deutung durch Reatz ',

von Salvioli'" angerufen.

Eine zweite, bisher nicht berücksichtigte Stelle Pego- lottis c. VIII* enthält den Mäklertarif für Konstantinopel bezw. Pera und darin:

Di cambiora o contanti per lettera a salvi (assalvi)

in terra o a rischio dall' uno come dall' altro ka. 2

per cento di perperi.

Es werden unterschieden Geldübermachungsgeschäfte mit

der Klausel assalvi in terra und solche mit der Klausel a rischio

sc. di mare e di gente.

Beide Klauseln begegnen sehr früh. Die erste dient dazu, die unbedingte Haftung, insbesondere des gewöhnlichen Dar- lehensschuldners zur Rückzahlung an dem dafür bestimmten Ort zu bezeichnen im Gegensatz zu der nur bedingten Rückzahlung spf licht des Seedarlehensempfängers (salva, sana eunte-redeunte navi), wie regelmässig des Commendaempfängers: dort trägt der Schuldner, hier der Gläubiger die Seegefahr mit Einscbluss von Piraten- und Feindes-Gefahr. Dem forma-

' Dell«, decima III p. aoo.

- CoU. IV p. 567, V p. 331.

3 S. 2S 30. Mit «inigeo, nicht lUtreSenden Modifikationen anch Canvet

I p. xxxni ff.

p. 34—19. S. anch Schupfet bei Sacerdoti, II contratto d'aMi-

(Padova 1874) vol. I p. 116; Benia, Studi p. 49. 5 Della dedma III p. 38. GoldicbBildt, VenuKhte Schrift«. O. 33

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514 Zur GcKhichte der SeeTenkhenuiK.

listischea Urkundenstyl entsprach, zumal bei der Häufigkeit wie Wichtigkeit von Seedarlehens- und Commendageschäft, bei jedem auch nur als möglich unterstellten Geldtransport, die ausdrückliche Bestimmung, auf wessen Gefahr das Geld reise. Heben doch schon die römischen Quellen hervor, dass es eine pecunia trajectida, d. h. pecunia, quae trans mare vehitur (1. 1 D. de naut. foen. 22, 2) sine periculo creditoris accepta gibt (1. 1 pr. eod. - vgl. l. 2 [1], 5 [4], 3 [2] C. eod. 4, 33), und darauf deutet auch das sonst schwierige c. 17 p. II des Pseudorhodischen Seerechts : ta iv tf^ &aXäaati dedavuafxiva axlvövva, z6 dovei^öfieva axtvdvva.

Eine Darlehnsurkunde aus Amalfi, 10. Jahrb.', lautet: et prefati tari 12 salvi in terra vobis reddere debeamus sicut salvi in terra a nos recipiati ; ut omnia prefata capi- tula habeatis a me salvos in terram. Venetianische Urkunde 1148 {Arch. Veneto Vll p. 97): Versprechen, in Konstanti- nopel empfangene perperos zurückzuzahlen in terra salvos-, 1168 (eod. p. 149): salvos in terra; 1179 (eod. IX p. 110): salvos in terra u. a. m.

Geht das Commendagut prinzipiell auf Gefahr des Com- mendator ' , so kann sich doch die Haftung des Empfängers bis zur unbedingten Ruckzahlungspflicht steigern, für salvum in terra:

Urk. aus Amalfi 1256, 1257, 1259»; Genueser Statut 13. Jahrh. für Pera c. 214«; iudicabo ipsam societatem vel accomendationem salvam in terra, vgl, c. 207, 210, 209: absque ullo detrimento slt salva in terra tunc sit illa pecunia salva in terra.

Entsprechend tabula Amalfa c. 43: Item all'' improoto quale si alli marinari de Rivera esce sempre salvo in tra (terra), d. h. die den Schiffsleuten der Küste (von Amalfi) vorausbezahlte Heuer (mutuum: cap. 12, 17, vgl. 26, 21, 47) steht, wenn zu restituiren (c 2, 3, 26, 41, vgl. c. 16, 52, 53). auf Gefahr des Schiffsmanns. Noch jetzt wird die Klausel in

Camera, Memorie diplomatico-storiche di Amalli I p. 171.

> Silbenchmidt. Die commenda (18S4) S. 85, 111 u. CiL; Lattes, II dirilto commerciale ncIU ]«2isIazioDe itatutaria delle citli Italiene p. töS Not. 132; EDdemaan, Stadieo 1 S. 363 ff.

3 Camera, a. a. O. I p. 435, II add. p. XLI, XL.

< Promis, miscell. XI p. 744.

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Zor Geschichte der Seeversichernog. 515

dieser Bedeutung (mon soggetta a rischio marittimo«) in AmaI6 gebraucht'.

Ihren Gegensatz bilden folgende Klauseln : in tuo periculo de man et gente (Venet. Urk. 1161 : Arch. Veneto VII p. 365); sub Dei, maris et gentium periculo : Stat. v. Gaeta IV c. 103 (Alianelli p. 166); ad risicum, periculum et venturam maris et gentium: Urk. v. Amalfi 1386 (Camera II p. 498); ad , risicum Dei maris et gentium'; a risch de mar e de males gents (Consulato c. 210) u. a. m.; auch kurzer: ad tuum resi- cum, ad Dei et tuum resicum, ad tuam fortunam, ad resicum et fortunam eius (Genues, Urk. 1155 ff.: Histor. patr. monum. Ch. II Nr. 337, 883, 956, 1029, 1031, 1054 u. a. m.).

Die Assises de Jerusalem baisse court, Ende des 12. Jahr- hunderts, c. 48 (Kaussler') stellen entgegen: a gaaing en aventure de mer et de gens und a porter sauf en terre.

Das seedarlehnsartige Liefermigsgeschäft der Stat. von Marseille 1255, lib. II c. 16'<: venditio vini quod portatur ad fortunam Dei et usum maris entspricht der bereits im Consti- tutum usus von Pisa rub. XXVII ausführlich geregelten com- pera mobilium rerum facta ut in alia terra solutio earum vel pretii fiat {Bon. II p. 909), und es heisst hier : Quod si in ven- ditione de aliquo mobili nominatum non fuerit, quod sit salvum in mari vel salvum in na vi, in terra salvum intelligatur , in qua de solutione venditionis mentio facta fuent.

Die Klauset a rischio u. dgl. ist insofern zweideutig, als nur der Zusammenhang ergibt, wen die Gefahr trifft. Wird sie der Klausel assalvi in terra entgegengesetzt, so kann sie nur sagen, dass den Gläubiger die Gefahr trifft. Ob durch die Klausel assalvi in terra der Geldschuldner eine ihm recht- lich nicht obliegende höhere Haftung Ubemimmt oder ob um- gekehrt durch die Klausel a rischio (sc. des Gläubigers) die rechtliche Haftung des Geldschuldners gemindert wird, hängt von der Natur des in Betracht kommenden Vertrages (Geld- transportvertrag — Darlehnsvertrag) ab.

Alianelli, delle antiche comuetadini e leggi martttime delle proviocie Napolitane p. i2Z Note 3.

Am Urkanden dea 13. Jahrhandcrts bai Beoia, itudi p. 47.

3 Auch Trarera Twiis, moiiam. inridica appandix IV p. $13, 513, t Pardeiiat, colL IV p. 264; M(ty et Gnindon, hktoiie de la commone de Maneüle III p. LXXVIII.

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516 Zur Getcbichte der Secvcrflcherniig.

Wahrend somit die Klausel assalvi in terra je nach Um- ständen sich von selbst versteht oder einen assekuranzartigoi Nebenvertrag für den Gläubiger enthalten kann ', wird durch die ihr entgegengestellte Klausel a rischio dieser Effekt nie für den Gläubiger, möglicher Weise fUr den Schuldner herbei- geführt.

Denkt man nun an den im Wechselgeschäft, als Geldüber- weisungsgeschäft nach auswärtigen Plätzen, wirklich oder fiktiv steckenden Geldtransport, dessen Erspanmg für den Wechsel- nehmer den ursprünglichen Häuptzweck des Wechselgeschäfts bildet % so konnte die Frage aufgeworfen werden, auf wessen Gefahr das Geld reist, und wir ersehen eben aus Pegolotti, dass noch zu seiner Zeit für den Wechselverkehr zwischen Florenz und England, }a im Wechselgeschäft von Konstanti- nopel (Pera) verschiedene Abmachungen vorkommen, wie denn noch 1382 eine Urkunde von >uno cambio salvo in terra nobis missoc spricht^.

Entweder also, sagt Pegolotti, schliesst der Wechsel- nehmer mit der Klausel aohne alle Gefahr« (für mich) oder mit der Klausel »auf See- und Menschengefahr« (für mich). Im ersten Falle wird er selbstverständlich mehr für den Wechsel zu zahlen haben eine Banquiersprovisioo , welche sich als Assekuranzprämie denken lässt; aber von dieser, wie neuerdings Salvioli in schwer verständlicher Darstellung, an- scheinend sogar unter Kumulation der beiden Verträge, aus- zuführen sucht, spricht Pegolotti nicht, vielmehr lediglich von der sehr geringfügigen Mäklerkourtage , welche von b e i d e n Theilen entrichtet wird. Es handelt sich nicht um 10 oder 20 Prozent, sondern um 10 oder 20 soldi auf 100 englische

' Der gleiche Zweifel begegnet schon in der yielbesproehenen Sielic Cieero ■d famil. II 17, 4; Laodiceae me preedes accepCurum ubitror omDis pecaniae publicae, ut et mihi et populo CAatnni lit sine vectnrae periculo, d. h. isnlri in terrs (Rom?).

' WechwIgeschSftE der püpillichen Kollekluren Ja Unguu I3l7ff.: timent nums periculum feci cambium caoi sodii Bardomn (Vetera monnai. SUv. mertd. histor. illustr. ed. Theiner I p. 1479'.); 1388 ff.: per litteni cunbii Tel «liam tutum modnm (eod. I p. 34a, 351, 356, 367). S. auch Gnidoo de U mer, chap. I arl. V; Rafael Tarci, tr. de cambüi, disp. I qu. 3 No. t. Bereits Baldus, consUia 34S No. 6 rechtfertigt die Erlanbthdt de* Wechselgeich&ftE ipropter pericula qnae inbeunt in iransminiaiie pecnmanui*.

3 Am Qirloluio di CafTa: Arch. itor. Ital. 1866 p. 109,

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Zur Geicliklite der Sesrerudicnmg. 517

Marfc, und zwar, wenn, wie anzunehmen, Pegolotti sich genau ausgedrückt hat, im Falle der Klausel assalvi in terra tun 10 Rechnungssoldi (grossi), von welchen 20 auf die üra, im Falle der Klausel a rischio um 20 kleine soldi, von welchen jener Zeit 45 auf die lira gehen'. Es wären also je nachdem 22'/;. oder 20 kleine soldi per 100 englische Mark= zu zahlen gewesen. Worin die kleine Differenz ihren Grund hatte, lässt sich um so weniger ausmachen, als die Maklertaxe für Kon- stantinopel für Geschäfte assalvi und a rischio zum gleiches Betrage angesetzt ist,

in.

Gehen wir vom Beginne des 15. Jahrhunderts rückwärts, so begegnen zahlreiche Zeugnisse für den Bestand des italie- nischen Assekuranzgeschafts : in juristischer Literatur, Praxis, Gesetzgebung.

1. Der 1403 geschriebene^ tractatns de usuris des L a u r. de Rodulfis p. III cap. consul. S. 10 q. 3 Nr. 8ff.<, dessen Autorität für die Späteren * maassgebend war, vertritt energisch die kanonische Erlaubtheit des Assekuranzvertrages: non enim propter mutuimi, cum nullum interveniat, sed propter id quod assecurat mercatorem de mercibus suis, quas periculo marino vel terrestri reponit, illud redpit.

Aber noch um 1370 hatte Franco Sacchetti, ser- mone IV* sich sehr bestimmt gegen die moralische Statthaftig- keit der Versicherung ausgesprochen: perö che altro che Dio non puö sicurare niuna cosa in questa vita. Dabei setzt er voraus den Bestand sowohl der Schiffs- wie der Waarenver- sicherung: >E l'uno mercante assicura ü navilio dell' altro per

' Vgl, pegolotti, c,44(p. 195), aoch Peraiii, stori« del comnierdo e dei banchieri di Firenie p. iii.

Ve^leichDDgstabelle bei Pegolotti, c, 46 (p, 3o6fr,).

i Schulte, QueUen u, Literatur des kaooniMben Recht* II S. 393.

* Tract nniv, iuris, Ven. 1584 VII p, 14 ff.

i Endemann, Zeitschr. f. Handelsr. IX S. 310 tf. ist aaf die SItere Doktrin nicht eingegangen auf diese Darateliung verweilt er in de» Stadien II 5. 3S5. Die Moialtbeologie und kanonistiiche Literatur des 14. Jahrhunderts wird Doch Ausbeute gewlhren.

^ Vgl. oben S. 46t und über eine italienische Bearbeitung der sanmu Pisana von Giovanni delle Celle (13S8); s. Salvioli, a. tt. O. p. 35,

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518 Zur Geschichte der SeeTawchenmg.

danaric und >se uno mercatante pigliando prezzo da un altro pu6 sicurare mercatanzia su una oave?«

Den allgemeineD Gebrauch bezeugt das 1395 erlassene Schreiben der Signoria von Florenz an Jacobus de Appiano, signore von Pisa'. Ein Schiff des Simon de Mari von Genua aus Sevilla oder einem sonstigen spanischen Hafen nach einem pisanischen Hafen befrachtet, ist bei Saona genommen und sequestrirt. Da nun an der Schiffsladung die Florentiner Kauf- leute Johannozius de Billiottis und Leonardus de Altovitis et socii interessirt sind, indem sie Ambrosio Grisolfi de Janua pro Qorenis 300 sicut est consuetudo mercantium, sicuranint, so ergeht die Bitte, dass die genannten Florentiner propter securi- tatem antefatam incommodum non sentiant neque damnum.

2. Das italienische Statutarrecht bewegt sich in folgenden Richtungen: es stellt die Statthaftigkeit der Asse- kuranz gegenüber theologischen bezw. kanonistischen Bedenken fest; es ordnet bezw, inhibirt Assekuranzen auf fremde Schiffe und Waaren; es regelt die Prozedur in Streitfällen; es unter- wirft die Versicherungsverträge einer Registrirungs- (Stempel-) gebühr. Dazu treten vereinzelte Bestimmungen, welche aber, so weit bisher zu ersehen, sich nicht auf Privatrechtssätze er- strecken.

Unter den drei jener Zeit nach Pisa's Niedergang (1284) hervorragendsten italienischen Handelsstädten: Venedig, Genua, Florenz scheint Venedig am spätesten sich mit der gesetz- lichen Ordnung der Assekuranz befasst zu haben. Indessen doch nicht erst, wie allgemein angenommen wird, durch das nur die Gerichtszuständigkeit und das Verfahren betreffende Gesetz vom 2. Juli 1468', Vielmehr enthält das Capitolare dei consoli dei mercanti' als c, 275 ein Gesetz vom 15. Mai 1411* mit der Rubrik: Securitates super navigiis forensibus non fiant neque de ipsis fiat aliquod ins.

Es ist gerichtet gegen eine den venetianischen Btlrgem sehr schädliche Gewohnheit (Cum introducta sit consuetudo), und verbietet fortan bei Klaglosigkeit und Verlust des vierten

' Bonaini III p. 357 Not.

P^TdüEsns, coli. V p. 65.

) Eine von Thomas besorgle Abschrift desselben befindet nch auf der Königl. Bibliothek lu Berlin.

* Ex libro 53 Rogaiomm ad cart. 135.

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Zur Geadüchte der SeeTeTsichernDg. 519

Theiles der Versicherungssumme Jedermami im venetianischen Gebiet, direkt oder indirekt auf fremde Schiffe oder darin ver- ladene Waaren {super dictis navigüs forensium et de mer- cationibus in eis caricatis) Assekuranz zu leisten.

Ebenda findet sich c. 300 ein Gesetz vom 8. Juli 1424' mit der ähnlichen Ueberschrift : Securitates non fiant super navigüs forensium. Dein Texte nach verbietet es schlechthin Jedermaim im venetianischen Gebiet, Assekuranz zu Gunsten irgend eines Fremden, somit anscheinend auch von fremden Waaren in venetianischen Schiffen: quod de cetero nullus andeat vel praesumat per se vel alium assecurare vel assi- curari facere aliquem forensem '.

Für Florenz liegt vor in den Statuti di mercanzia, Redaktion von 1393 eine schon von Paulus de Castro Consil. 251 ^ erörterte und ausdehnend interpretirte Bestim- mung: lib. III ruh. X. Quod non possint fieri securationes per florentinos super classibus nisi florentinis *.

Dieselbe verbietet im ersten Theile den Einwohnern des florentinischen Gebiets: facere per se vel per alium directe vel indirecte aliquam securationem cautionem aut promissiooem de aut super aliquibus mercantiis vel rebus oneratis vel onerandis super aliquo vel aliquibus classibus lignis vel navigüs, nisi solummodo et dumtaxat civibus florentinis et seu de civitate comitatu vel districto Qorentino et pro mercantiis et rebus ipsorum Qorentinorum, bei Strafe, Klaglosigkeit und Nichtig- keit des zuwiderlaufenden Geschäfts.

Dagegen, mit der Marginalrubrik : Quod per dictum offitium possit cognosci de securitatibus florentinorum , wird im zweiten Theile bestimmt: De hüs autem cautionibus et securationibus que fierent inter cives seu districtuales floren- tinos et pro mercantiis et rebus eorum possit et debeat per dictum offitium (sc. mercantiae) cognosci procedi ins fieri et terminari prout sibi uidebitur expedire. Et tales securationes promissiones et obligationes ualeant et teneant et possint et

< Ex libro SS Rogstomm ad cait. 30.

* Ein Rathichlugs von 1463 (Archivio Veaelo I p. 131) entscheidet e einselnen AtMknnnifaD.

} Ed. Fruncof. 1581 vol. i.

* Abicbrift verduike ich Herrn Frofetior C. Paoli in Floren*.

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520 Zur GdcUchte der ScerenicberDDg.

debeant observari et eiecutioni mandari simpliciter et seciio- dum bonam fidem et consuetudinem mercatomm.

Die späteren Modifikationen des im ersten Theile er- lassenen Verbots interessiren hier nicht.

Weitaus reichhaltiger ist das Statatarrecht von Genua.

Ein Verzeichniss der 1404 zusammengestellten Regule

officii mercantiae, welche sich in Genua nicht mehr vor£nden

und anscheinend nach Paris verschleppt sind, enthält folgende

Rubriken ' :

De non assecurando pro navigiis in darsina <x)l]0' catis.

De assecuramentis non faciendis (et nota quod foit refonnatum in cartis 424).

Cassatio capitoli de assecuramentis non fadendis in libris oEficii mercantie.

Item quod Omnibus Januensibus possint assecurari

et se assecurari facere etc. et de assecuramentis tarn

per patronos quam per participes vasorum et alia

omnia circa assecuramenta et naufragia quae seqneren-

tur in no. 424.

Einzelne dieser Gesetze und andere hier nicht aufgeführte,

welche zum Theil in das vierzehnte Jahrhundert zurückreichen',

sind erhalten*.

Ges. 22. October 1369 *:

Contra alegantes quod cambia et assecuramenta facta quomodocumque cum scriptura vel sine sint illi- cita vel usuraria. Es betrifft die Erlaubtheit von Handelsgeschäften über- haupt, unter besonderer Hervorhebung von cambia und asse- curamenta. Unter Aufhebung eines G^etzes vom 8. Mai 1366, welches nicht auf uns gelangt, dessen Beziehung auf >assecura-

' PfihlmanD, Die Wiitluchafltpolitik der Florentmer Renaunuice, 1S7S. S. ia7ff.

' S. schon S. ValleboDft, delle uocnraiioDi e dei nnistri cd «Tarie di mare a. ed., Genova 1873, p. 3 Not. a; Beoii, itudi p. 50 Not. i. Ich folge der Ton Bcdsb mir freundlichst mitgelheiltea Abschrift. Bei Vallebona findec sich einige Abweichnogen , anch die Rabrik: Cootra allegantes camlua et anecuiameata esse usoraiia.

1 Bensa, atudi p. 50 Not. i.

* Atiscbriftcn der nachstehend besprochenen verdanke ich. Herrn E. Bensi.

i Arch. di stato. Cod. diven. X 933, 1404 1405.

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Zur Geschiclita da SeeTerscbenuig. 521

inenta< somit zweifelhaft ist, wird, um den häufigen chikanösen Weiterungen der Schuldner zu begegnen, welche einwenden : >quod contractus sive mutuum, de quo ageretur et pro quo molestarentur esset illicitum et foeneratitium et quod secun- dum scripturas canonice non possit ipsis talis contractus requiri vel peti et super hoc habent recursum et habuerunt temporibus retrohactis ad curias et magistratus ecclesiasticosf bestimmt: >quod si aliqua persona cuiuscumque conditionis existat que per instrumentum se obligaverit seu obligaret cum scriptura vel sine ' super quibuscumque mercantiis et in quocumque con- tractu mercantie et maxime per viam cambii seu assecuramenti versus aliquam personam et alegaret, quod contractus ille esset usurarius vel iUicitust so soll, in Erwägung : >quod si per huiusmodi impedimenta instrumenta cambii et alii contractus mercantiarum facti cum scriptura vel sine non possint exe- cutioni mandari vcrteretur in magnum dampnum et incomodum civium et mercatorum Januensium, qui comuniter similes con- tractus faciunt nee aliter possent merdmonia exerceri nee navigia navigantia expediri«, ein solcher Schuldner von Rechts wegen in eine Strafe von 10 soUdi für jede libra des geleug- neten Schuldbetrages verfallen.

Dass, wie bekanntermaasseo gegen Wechselgeschäfte, so auch gegen die Seeversicherung theologische Bedenken be- standen, ist bereits früher' hervorgehoben und lässt sich so and nach dem Zusammenhange nicht bezweifeln, dass imter den lassecuramentai wahre Versicherungsverträge verstanden sind. Originell ist die indirekte Abschneidung 3 der Wucher- einrede durch Strabatzung.

Wie in Florenz und Venedig, so bestand auch in Genua ein gesetzliches Verbot der Versicherung fremder Schiffe und der darauf verladenen Waaren von zur Zeit unbekanntem Datum. Von diesem Verbote wurde im wohlverstandenen In- teresse des einheimischen Handels wie der städtischen Finanzen je für das laufende Jahr während der Zeit der Versteigerung

' Gedacht iit augcnscbemlich an mtlDiUiche oder schriftliche Vertrige mit .■chtrfiglicher (?) notarieller FeststelluDK.

Oben S. 517.

1 S. über Floreiu: Lastig, Zcitschr. t Handelsrecht XXIII S. I43ff'. , Pöhlmaon, a. a. O. S. 79fr.; allgemein Lattes, a. a. O. S. 151, 15s.

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522 Zur Geachichte der Seereiücherang.

der RegistriningsgebUhr dispensirt: Ges. v. 23. Januar 1408': quod quibuscumque censariis et seu prosonetis civitatis Janue liceat et licitum sit tractare contrahere componere et finnare ac etiam notariis scribere et inde instrumenta conficere in, super et de quibuscumque assecurationibus in navigiis seu super navigiis eztraneorum seu non Januensium contrabendis et super oneribus, mercantiis et raubis dictis extraneomm navigiis con- ductis seu vehendis.

Endlich die Registrinmgsgebühr, welche im Betragfe von '/i °/o seit 1400' von den Assekuranzverträgen erhoben wurde, soll, nach einem Dekret der consules calegantm v, 2. Februar 14013, stets von den Versicherten entrichtet werden : quod omnes et singule persona que se fecerint assecurare super ali- quibus rebus et mercibus per instrumentum appodlsiam vel alio quovis modo non ille persone que versus eos assecuraverint de rebus et mercibus antedictis. Auch soll Jedermann, Notar, Mäkler oder Kaufmann jeder Zeit auf Verlangen dem Steuer- erheber von allen geschlossenen Versicherungen Mittbeiltmg machen und demselben Einsicht in die Assekuranzurkunden (de instrumentis que fecerint de dictis securitatibus seu etiam appodisiis censarii de cartolariis eorum, in quibus scribont mercata facta per eos de dictis securitatibus) gestatten.

Hiermit ist nur der äussere Entwicklungsgang skizzirt. Die leitenden Rechtsprinzipien und die einzelnen Rechtssatze, welche das italienische Assekuranzgeschäft im vierzehnten und im Beginne des ftlnfzehnten Jahrhimderts normirt haben, werden sich erst nach Beschaffung eines umfassenderen Ur- kimdenmaterials feststellen lassen.

Ein solches erbringen, wie nachträglich hinzuzufügen ist, die mir soeben durch die Gtlte des Herrn Enrico Bensa zugebenden Aushängebogen einer ungemein lehrreichen, anf archivalischen Forschungen beruhenden Schrift desselben über die Geschichte der Versicherung: 11 contratto di assicurazione nel medio evo. Studi e ricerche. Genova 1884. Florentiner Geschäftsbücher ergeben den Bestand derselben in Florenz bereits 1319. Die äusserst zahlreichen, in den genuesischen

Arch. di itato. Cod. dir. X S. 936.

' Benia, ttndi p. 53 Not. 1.

1 Cod. TCgul. consul. etleg. foL 66 b.

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Zur Gcccliiclite der Scerersidiertuig. 523

Archiven zerstreuten Urkunden über Versicherungsgeschäfte reichen bis auf das Jahr 1347 herab; es sind vollständige Assekuraozpolizen aus den Jahren 1385 und 1397 erhalten. Auch die bisher dürftige Kenntniss des italienischen, vornehm- lich des genuesischen Statutarrechts ist erweitert und in den bisher unbenutzten, zwischen 1390 1435 geschriebenen Con- silia des genuesischen Juristen Bartolomeo Bosco eine neue Quelle für die älteste juristische Doktrin erschlossen. Wie weit den scharfsinnigen Ausführungen des Verfassers über das so streitige geschichtliche Verhältniss der Prämienversicherung zur Wette und über die Einkleidung des Versicherungsvertrages in die Form des Kaufvertrages beigepflichtet werden darf, muss der Prüfung an anderer Stelle nach der in Kürze bevor- stehenden Vollendung des gediegenen, die Kunde des mittel- alterlichen Handelsrechts in den verschiedensten Richtungen fordernden Werkes vorbehalten bleiben.

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SACHREGISTER.

Eililsa twdeateB dis Saitaa, dis rSuiicIi« dj

At^ng mit einem ■petiell beieichneten

Schiffe T 504 ff, AbgangsMaasel : IMput d£ceiiibre,

techll. Bedeatung 1 487 fr. Ablideklmiel , r«chl1iche Bedeatung

I 499-

Accept de« Wecludi and die Krea- tlonttheone II 94. limitirlei li 104.

actio damni injana dati , VerhiltntM zur actio de recepto II 40S tf,

rntti, VerhBlInin eut Bctio de re- cepto II 4oS ff.

actio de recepto , Konkurreni der mit civiten Klagen 11 415 ff. In- halt der II 418 IT. Da» salvuia fore recipere all Gmndlage der

II 434 ff. Hentige Geltung der II 460 ff.; 1. anch receptum nan-

AenderoDg dei Sitiei einer Aktien-

gewllicnaft, recbtUche Bedenlong I

444 ff. Anfechinng des Schi«duprucb» I jfi? ff. animui, Koordination von corpus und

a, in der Besitilehre I 91 ff. poa-

seuio animo retinetar I 344 ff. Be-

nttTCrluit animo I 363, 395, 313 ff.,

343- Anicheiuurkunden, die amocginiEchen

II iSo. Anialdis II 9.

AoweiiuDg, Beiitaerwerb dnrcb I 3i6ff. ■rbitratio nnd arbitrium, At^renznng

gegen einander I 543 ff. Archiv fUr das Handelsrecht, Iieraas-

gegeben von einigen homb. Recbls-

gelehrten II 4.

(Br das prensiische Handels- und Wechielrecbt, heiKu^geb. v. Griff 115.

Aiher's Hambnrg. MonatsiEitschrifl ftlr Politilc, Hände! u. IInndFlirecltt II 5.

Anxateller, Hafiung dn b«is Wechsel II 114.

Beaniter, Ersalzpflicht des I 419?.

Bekker, Besititheorie : Begriff des Be- silies I 45 , Behaaplnng und Vtr- lust des Besitiei I 335 ff.

Bender, Grundiltze des engeren Han- delsrechts II 15.

Benecke, Systein der Aueknmu ond des Bodmcreiwcsens II 16.

Besits. GrQndlagenderBesitiiehreIz3C Begriff des BedUei. Heutige Doktrin I 40ff., 78 ff., Baron I 44, 79, Bekker I 45, Brint I 44, Brnns I 47, Cosack I gl, DerDbnrg 1 Si, Euer 1 44, T, Jhering I 41, 79, 81, Kiemlff I 47, Kindel I 44, 80, Leu I 79, T. Liebe I 79, Meischeider I 44, So, Pernice I 4J, Fnchta I 41, Randa I 41, 80, V. Savigny I 35, 39, 40, Windscheid I So, 8r; Anffassaog der Qacllen I 40 ff. i der ntsprtlng- liche Besitzbegiiff I 57fr.; der Be- ut* ein socialer Verkchrtbegriff I 68ff., zio, 121, 328, 344. Elemente deajnniüschen Besitzes, Koordioatioa von coipns und animus I 91 ff. Na- turalis possessio I 57 ff., 65 ff. Besiti des Erben I 379 ff. Befaanptnng nnd Verlust des Besitzes, Uteorien I 331 E, T, Savigny I 331 ff., V. Jhering I 333 ff. , Willensiheorie I 334, T. Liebe I 335, Bekker I 335. Die Quellen I 241 ff. Die Paulinische Regel I 33^ ff. Possessio abscntil I 344 ff. Animo poasesso retinettu- I 344 ff. BeaitErerinsI an

,e.i

GnmdslQckCD wGhrend Abwesenheit I 248 ff. 1 an beweglichen Sachen durch furlum oiKDifestum I 364; durch Vemachlissigung I 365 ff., an GruDdilUcken 1 367 ff., an beweg- lichen Sachen neglecia atque omitüa CDStodin I 274?. BniCiveilust nnimo I loa, 395, 313 C, 343. Foueasio praesentis I 277ff. Unmiltelbai be- sessene Sachen I 377 ff; Bcsitiver- Inst corpore T 377 ff., durch Er- löschen der ttutsSchlichen und recht- lichen MQglichkeit jeder Gewalt I 278 ff.; Tod des Besilieis I 379, Kriegsgefangenschaft I 380; durch freiwilliges Aufgeben der Gewalt I 381 ; durch Naturereignisse I 381 ; durch Entseliung, Verlieren I sSzff., BDsge sc blossen durch Fortdauer der custodia I 283 fF.; an Thieren 1387?., an wilden Thieren , nicht in den Hauslhieren gehörigen Vögeln, Fischen I 28S ff., an Heerdenvieh I 390 f., an Hausthieren I 291, an Tauben, Bienen I 291 ff.; Besiliver- Inst an mittelbar besessenen Sachen I 29s ff. . corpore et aBimo I 295, »nimo I 39s, corpore 1 296 ff., durch furlum der MitteUperson I 397, durch Tod der Mittelsperson I 399, durch Besitzaufgabe, Entfernung, Dejektion der Milletsperson I 300 ff. BesiU- verlust an Sklaven I 303 ff. , am servus fugitivus I 307 ff. Erwerb des Besities I 141 ff. Die Doktrin 141 ff., Theorie t. Jherings I 149 ff., V. Savignys I 145 ff. Die Doppel- weise der Besitierwerbiakte , sym- bolischer Besiizerwerb 1 142 ff. Okkupatorischer und iraditionsweiset Besitzerwerb 1 184 ff. Handhafler Eiwerb und Surrogate 1 163 ff.; handhafter Erwerb I 163 ff., an Grundstücken , Theorie v. Jhering's I 165 ff. Surrogate des handhaften Erwerbs I 167 ff. ; Erwerb durch NXhel i7off.,anCrundst(lckenI 170, l8Bff.,anbeweglichen Sachen 1 171 f.; Erwerb durch Erlangung der custodia I I3S, 172 ff., in OkkupaiionsfHIlen I 176 ff., 187 f., an Honigwaben I 178, am Schatte I 178 ff. Erwerb durch Schi tlssel Übergabe I 193 ff. Erwerb doTcb Zeichnen I 197 ff. Erwerb durch Uebergabe von Ur- kunden I 199 If. Erwerb durch Miltelspenonen I 310 ff., durch An- weisung I 3i6 ff., durch brevi manu traditio I 3iS, darch conititum potKSSorinm X 318. Erwerb durch

[älter. 525

richterliche Besitzeinweisung T 133 ff, ; Vicuae posiessionii traditio I 326 ff. ; Erwerb durch den aervus fugitivus I 309.

flewei» bei der actio de recepto II 450 IT.

Bcweiilast bei der RevalirungsUage des Trassaten I 462 ff.

brevi manu traditio I 218.

Brinkmann , Lehrbuch des Handels- rechts II 19.

Bürgerliches Gesetibnch, Entwurf eines und die Krealionitheon« n 135 ff. Plan und Methode für die Aufstetlung des Entwurfs änes

I 510 ff., lu Grunde lu legende Rechtsquellen I 51$ f, Umfang des Entwurfs I Jlö ff. System I 537. Art und Weise der Redaktion I 521 ff. VoT^hlige I 539 ff.

BUscb II 13 ff.

c.

Casaregia II 9.

Cession im griechischen Recht II iSj ff,

Champagne, Bedentjng der Messen der fitr das HandeUrecht II 40 f. GeschRftsoperationen auf den Messen der II 326 ff.

Claim, Begriff I 538.

constitutum possessorinm I 210 ff.

corpus, Koordination von corpus nnd onimns in der Besitilchr« I 91 ff. 1 s. a. Besitz.

Cropp, Juristische Abhandlungen II 17.

custodia, Ueberoahme der H 443 ff.

in der Bedtzlebre. Doktrin I 133. Begriff I24 ff,, 135. Besitzerwerb durch c. 125, 173 ff., in Okkupations- ftllen I76ff.,i87f. Besilibehauptung durch c. 135, 383 ff. Besitzverlust neglecta atque Omissa custodia 374 ff.

D.

DcleotioQ, alt Rechtsb^ff I 97 ff. B.

Eccius, Ansicht Über das Rechts - Studium etc. I 577 ff.

Editionspflicbt Ton Urkunden, nament- lich gemeinschaftlicher Urkunden und von HandelsbOchetn II 356 ff. Bestimmungen der C.P.O. II 368 ff. Allgem, bsichtipunkte II 375 ff. nacb den Gruadsllien des H.G.B.

II 380 (f., der CP.O. II 384ff., des rheinischen bflr^er]. Rechtes II 387ff., insbesondere gemeinichafUicher Ur- kunden II 39S ff.

Elgenlhnm , Beziehung tum Beulte, Theorie t. Jheriag'i I 149 ff.

■oogi

526 Sichn

Eigen thnmitheorie bei Inbibopa^eren II 77 ff. , Thöl II 78, Bniniier 11 79, Stobbe II 79, Detnborg II 81.

Einen, Dm Wechselreclit II 19.

EiuelaDgriff der GenoEwnucbafts- gUnbiger II 358 ff.

EisenbihnaktieDgesellschaftcD , Za- litesigkeit der Verlegung des Sitzes

der -

I 433 ff

Entwurf eines B.G.B. und die Kreations- theorie II 135 ff. Plan und Methode fflr die Aurstellnng dex eine* B.G.B. I 510 f.; s. auch B.G.B.

Enitmng des Erbeo I 279. E. durch den aerrus fugltirus I 309.

Erwerb de« Beaities, s. Besitz.

Exekntivklantel II t6i B., 171, I73*

ExelcDtoriscbe Urkunden im klusiich. Alterthum II IJ] ff.; s. auch Ur- kunden.

Frimtry , ätudes de droit commercial

II 10. Furtum der MittelipeisoD, Besiiiverlnst

durch I 397. Besitzverlutt dntch

fuitmn manifestum 1 264.

G.

Gefahr, Uebemahme der II 440.

Gelpke, Zeitschrift flli dai Handeli- rechl II 5, 17.

Gemeinschaftliche Urkunden II 19S. Begriff und Bldiliongpflicht II 156 ff.

GCDotscn, Haftpflicht der und dai Umilgeverfahren II 353 ff, Heran- ziehung ausgeschiedener G. zum UmlageTerfahren II 3S1 ff.

Genossenschaften, Erwerbs- u. Vi'iTth- schiTti II 331 ff.

GenoaMtuchaftigÜnbigcT, EitueUngrifT der II 358 ff.

Gewllschaften mit beachrKnkter Haf- tung II 333 ff.

Gewahrsam, Begriff in der Besitzlchre I laS ff.

Gewalt, Begriff in der Besitzlehre, I 77 f-. 83 ff., 91 ff. Psychisches Element in der Gewalt I 107 ff., in der Gewalterlaugung I 115 ff.

Grttff, Archiv fllr das preusi. Handels- nnd Wechieltecht II J.

Grundstücke in der Besitzlehre, s. Besitz.

Haftpflicht der Genoawn II 351 ff., des AnistelleTS eine« Wechsels II, 114, des Krealon Dach der Kreations-

theorie II 114 ff., des Beamten I 419 ff., des Staates I 421 ff. Handel, Begriff II 29 ff. HxndelsbtlchcT . EditionspSicht roa

II 256 ff., 302 ff. Handelsgesellschaft, alte aod Kcae Formen der II 3Zlff., bei den Orientalen II 324, bei den Römern II 325, im Mittelalter II 326, com- menda II 326. Uraprllnge dei offenen II 327. Aktiengcsell- ichaft n 318. Errerbs- and Wiith- schaflsgenossenschsften H 331. Ge- sellschaften mit beschränkter HaftnDg II 33"- HandelsgcMlibuch, Benutzung und Be< deutnng der Protokolle fUr die Inter- pretation des deutschen II 53 ff. Handelsrecht, Überdie wissenscbaftlicfae Behandlung des deutschen II i ff. ZeitBchrifteo fOi II 4ff. Zweck der Zeitschrift fflr das gesammte ^ II I ff. Geschichtliche Entwickinng des II 39 ff., der alten Welt II 31 ff., bei den Orientalen II 33, in den hellenischen Staaten II 32, bei den Römern II 33 ff., im Hittd- aller II 35 ff. , im brzantinischen Reich II 3S, EinBtttse der Araber auf II 35 , bei den gennaniscboi Stämmen IE 36 ff. , im kanonischen Recht II 37 ff., in den romanischen StBdten II 38 ff. Rezeption de* romanischen im östlicheu nnd nördlichen Europa II 42, der nenereo Zeit II 44 ff. Kodifikation des II 47 ff. , in den deutschen Terri- torien II 47 f., im Gebiet des eng- lischen — II 4S, des fnusösischen II4S, des spanisch-portugiesischen II 49, des französisch-deutschen U 49 , des modifiriit deutschen II 49, des skandinarischen II 50, des mssischen II 50, des japani- schen — II 50. Handelsrechtswissenschaft , Entwick- lung der II 6 ff., bei den RSmern II 6 f., In Italien II 8 f., in Deutsch- land II 9 ff., in Franktcich II 15. Handhafter Besitzerwerb 1 163 ff. Hoheitsrechte des Staates aber die

Privateisenbahnen 1 3SS ff. Hdhere Gewalt, s. vis maior.

Jakobsen II 16.

ignorftnti non tollitut possessio I 353.

'. Jberiog, Betititheorie: Begriff des

Besitzes I 41, 79, 81 ; Erwerb des

Besitzes I 149 ff., an Grandstflcken

I 165 f., BehsuptuDg und Verlast (leg Besitzes I 333 ff.

Indossament, fidniiarisches II 93 ff. Inhaberlcli.usel in alten Uiknnden

II l7off. , allemalive beiw. kon- junktive II 170, reine II lyof.

Inhaberurkunden im klassischen Aller- thnm II 160; s. aach Urkunden.

Interprelation , Benntiung and Be- deutung der Protokolle Rlr die des deutschen H.G.B. II 53 ff^ der 1. II D de novat et deleg. 46, z n 199 ff.

Jamiiscber Besitn, Elemente des Igiff-

K.

Kategorien der Weithpapiere II Sa ff. Klausel, Abgangs- , d£part dfcembte

I 437 ff., Ablade 1 499 . Eie-

kutiv- 11 169 ff., Inhaber-

II i;o ff., Order- II 168 ff-, eive ad quem ea res pertinelHt

n 197.

Konnossement II I30ff.

Kreationstheorie und das Wecbsel- accept 11 94 ff. Grawein II, 95, 100. 103 f., Demburg II 108 f., uöC and der Entwurf eines B.G.B. II 136 ff., Billnner II 140, Laden- batg II 140, Carlin II 140, Eode- mann II 141, Kuntte II 14t. Judi- katur II 14z f., geschichtliche Be- deutung 11 145 , die einielnen Stimmungen des Entvorft II 146 ff.

Kriegsgefangenschaft des Besitiers I zSo.

Ladeschein II 120 ff. Lagerschein II 110 ff. LandtraDsportvertrag, Ausdehnung des

receptuTu Dantarum auf II 471 ff. ;

E. auch receplum tuutaram. Langermann, De iure in curia merca-

torum usitato II 9. Liebe II 19.

Lieferungstermin, ■. Rücktritt. Lobetban, Giundsfitie des Hatidlongs-

rechts II I3. de Luca II g.

M.

Mäkler, Beieichnang für II 314 ff., insbesondere Sensal II 316.

MlklcrTecbt.Ursprtlngedes Hauff., Ansicht Laband'i II 311.

singulan II 9. Martens, Gmndriss des Handelsrechts

n 13.

Messen , Bedentung füT das Handels- recht II 40 f. Geschüßsoperationen auf den der Champagne 11 336 ff.

Mittelspetsonen in der Besiialehre, (. Besitt, Erwerb und Verluit.

Millermeier II 19. Zum Andenken 1 653 ff. Bildungsgang I 654. In- auguraldissertation 1 655. Theorie des Beweises im peinlichen Prozets 1 656. Akademische Lehrth£tigkeit I 656; schrif^slellerische ThHtigkeit I 657 ff. Theilnahme am öffent- lichenrLebenlöäzff. Letzte Lebens-

jahre

i8f.

Monatsieitschrift, Hamburg. , fBr Politik, Handel und Handelsrecht, heraus- gegeben V. Asher II 5.

Musius, Anfangsgründe des Hand- lung!- und Wechselrechts II 13.

N.

naturalis possessio I 57 ff., 6$ ff. Nibe der Sache, BeälEerwerb durch

I 170 ff.

Nicareta, die Schuld verschreibong der II 176.

o.

Oberappellationsgcrichtshof in Lübeck, Bedeutung des (tlr die Handels- wiucnschaft II 17.

Okkupation von Grundstücken Ab- wesender I 349 ff.

Okkupatorischer Besiuerwerb I 176 ff.,

18s f.

Orchomenos. Inschrift von . betreffend die Darlehnigeschlfte der Nicareta

II 176 ff.

Orderanweisnng im klassischen Recht 11 I93ff. Interprelation von 1. II D. de novat. et deleg. 46, 3 II 199 ff.

Orderklansel, Zusammen Stellung von in alten Urkunden II 16S ff.

Orderurkunden im klais. Alterthum II 165 ff., s. Urkunden.

Pardessus, Cours de droit commn^ial

11 IS. Pttnlus, Kegel des I 335 ff.

, Cioogle

Penitentlhcorie II 77 ff.; ». auch

Eigen tbrnDstheoTle. Person aUtilut der Akliengoellschaft

144.1.

Psychisches Element in der Gewslt 1 107?., in der Gewalterlangung

I MS ff.

posseiisio absentii T 243. 344ff., an Grundstücken I 249 ff. Besitzverlust durch Vernichlllssigung bei p. a. I lösff., p. B. am Sklaven I 310, s. a. Besitz, poucisio firma, minus firma 1 1J2.

polestas , Begriff in der Besitilehre

I B3ff.

Pohl, Dantellac^ des gemeiaen deut- schen und hamburgi sehen Han<iels- recht! II 17 f.

Prise nlalionspapier II 83 ff. Brunner't DefinitioD li ÜaB.; polenzirler Art

II 91. Kriterien des nach Brnnncr II SS IT.

PrifscDtaiionstheorie 11 77 ff. ; s, auch ETgerthnmSthcorie.

Prttseni der Sache, Erwerb Be- sities durch I 170 ff.

PrivaCei-enbahuen , Kechts Verhältnisse der unter St ants Verwaltung stehen- den — [ 354 ff. Hoheilsrecble de* Staates über I 355 ff. Prival- rechtliche Beiiehungen des Staates in I 359 ff. Uebersicht der unter Staatsverwaltung stehenden 1 367 ff. UeberUssung von an den Staat I 371 ff, Natur und Umfang der staatl. VerwaltungsbefugnisEC 1 .171 ff. Stellung der staallichen Verwattungs- beherden im Organismus der Staats- verwaltung 1 3SS ff. Die staat- lichen Verwaltungsbehörden und das Recht der Aktiengesellschaften

I 397 ff. VeTBDtwortlicbkeit der stsatt, VerwaltuDgibeamlen, Staats- behörden und des Staates 1 406 ff. Die rechtliche Natur der staatliclien Verwaltung 1 406 ff. Die Ersati- pflicht des Beamten I 419 ff. Ersatz- pflichc dei Staates I 431 ff.

Protokolle, Bennliong der fUr die laterpretaliondesDentscbenH.G.B.'s

II 56 ff. , ihre Bedeutung II 57 S: V. Hahns Ansicht II 57. Schle- singers Ansicht II 63 ff. Ansfah- ningen ▼. Hahn* 11 68 ff.

PiUfangsordnuDg and Rechtsstadtum

1 577.

Receptum argentarii II 107.

Receplum naulamm , cauponum, sta- bulariorum 11 401 ff. Litteratur II 401 f. Herrschaftsgebiet II 403. Verhüllniss zu den civilen KoO' Irakten II 405 ff. VerhÜltDiss la de» piitniischen Sirafktagen, deren Theorie und heutige Geltung II 4oSff., die eiiuchlSglgea Fülle der Klagenkonkurrenz II 415 ff. Inhalt der actio äe receplo II 4iSff. Be- griff der vis maior II 432, gewAhn- licher Begriff II 424 ff., wahrer Be- griff in der Lehce vom receptum II 430. Von der Ueberuabmc der Gefahr und der cnslodia II 440. Prozessualisches. Beweis II 450 f{. Ausschliessung und Beschiinkung der Haftung II 452, Heutige Gel* tung II ^So ff. Reieption des II 461 , in den germanischen See- rechten II 463 ff, , in den romn- nischen Seercchlen II 466, in den modernen Gesetzbüchern II 469 f. Ausdehnung auf den Landtransport- Vertrag II 471 ff., im rSmischen Recht II 471 ff., im A.LJI.II4S0, im österreichischen Recht II 481 , im sOchuschen Recht 11 4S1 f. in aus- IKudischen Rechten II 483 f., in den neaeren Gesetzentwürfen 11 405 ff. ; s. auch actio de recepto, vis maicr.

Rechlsstudium und Prüfungsordnung mit Rücksicht auf den Vorbereitungs- dienst I 577, Ansicht T. Ecdns' IS77f.

Rechtsstreit, Begriff des im Völker- recht 1 539 ff.

Revalirungsklage des Trassaten 1 462 K.

Ricblerliche Einweisung, Besitierwerb durch I 222 ff.

Bohr, VoIlstEndiges Hausbaltongs- recht II 10.

Rflcktritl bei nicht prlzisem Lieferung^ termine I 4S3 ff., 496 ff.

Savaiy II 13.

Savigny, Friedrich Carl von I öioff., seiD Stammbaum I 623 Bildungs- gang I 624!. Recht des Besitzet 1 635. Akademische LehnhStigkeit I 625 ff. Vom Beruf unserer Zeit für Gesetzgebung und Recbtswissen- Echaft 1 627 ff. Rcchtsxusland in Deutschland um 1814 I 617 ff. Verdienste um die Rechtlwi*sen- ■cbaft I 635 ff. Hiatoruche Schule

I 637 f- Srstem det heutigeii rOroiichen Rechts I 640 (. AI« JuiiitminUtCT I Ö41. ChankicT I 644 ff. Lctile Lebensjahre I 647. Seine Besilztheorie; Begriff de« Be- sitze» I 35, 39, 40, Erwertj da Besities I 145 ff. , Verlust des Be- sitzes I 135 ff-

Scaccia 11 9,

Schau, Bexitienrerb am I 178?., Erhallnn^ des Besities I 284.

Schiedsgerichte, Reglement fllr inter- nationale — I 533 ff. BildDDg der

I 552 ff. Verfahren vor I SS7 ß-

Schiedsspnicb I 565 f. Aufecbtang

und Aufhebung I 567 ff. Schiedsvertrag , Schliessung des

I S+aff.

Schllttaelllbcrgabe, Besitcerwerb durch

I 19» ff. Seedarlehniurkuude io der Rede des

Deroosthenes c Lacritnm II 172. Seegerichte II 40. Seerecht, pieudoibodische» II 36,

aus Seegerichten hervorgegangene

II 40. Kodiliiirende Darstellungen des im Mittelalter II 44; das receptmn nautarum im germanischen

II 462 ff. , im romnnischen II 466 ff.

SeeretsicheniOB, lur Geschichte der - H 505 ff. Hrpolhetc von Reati II 506 f.

Sensale 11 315 ff.

»ervos fugitivua, Verlust des Besiues am I 307 IT., Erwerli des sities durch den l 309, Ersitiung durch den I 309.

Sicht, Nacbsicbipapiere II 93 ff.

Siti, Verlegung des der rumünischen Eisenbahnakli engesei! Schaft I 434 ff., rechtliche Bedeutung des 1 441 ff., rechtliche Bedeutung der AendemDg des I 444 ff.

Sklave, Verlust des Besities am

I 303 ff., s. a. servu.. Skontraiion im klaiiischen Recht

II 107 ff.

Staat, Hoheitsrechle des Über Prival- eitenbahnen I 355 ff., privalrechtliche BeoebuQgen des m den Prival- eisenbahnen I 359 ff., Ersatipflicht I 4Zlf., direkte Betheilignng des

an Privat eisen bah Den I 360, in- direkte Betbeilignng I 361 ff. , die einielneD Rechte des an Privat- bahnen I 363 ff.

Staatliche Verwaltung , Rechtsverhllt- nlsM der unter stehenden Ptivat- Gcildiebmidt, VsrmiicMs Sehriftea D

titter. 529

bahnen I 354 ff., Ueberticht der nntet stehenden Privitbalmen 1 367 ff., Natur und Umlang der Verwallungsbefugnisse bei Ueber- lassung von Eisenbahnen an den Staat I 371 ff. , rechtliche Natur I 406 ff. ; B. auch Privat Eisenbahnen.

Stobbe, Nachruf an I 675 ff.

Surrogate des handhaften Besitierwerbs 1 167 ff.

Symbolischer Besitienrcrb I 142 ff.

lesserae II 166.

Thibaut, Heber die Noth wendigkeit

eines allgem. bttrgerl. Rechts fUr

Deutschland I 633 f. Thöl II 18.

Tradidonipapiere II 124. Trassat , Revalirungsklage des

I 46z ff. Trassirung des Wechsels enthilt einen

Zahlungsauftrag I 469 ff. Treitschke II 19. Turris II 9,

Ueberlasiung von Privateisen bahnen an den Staat I 377 ff. ; s. Privateisen-

UebernahmederGcfahrund der custodi a II 440.

Üeberweiiungsketle im klassischen Recht II 307.

Umlageverfahren II 351 ff.

Urkunden, Inhaber-, Order- nnd exe- kntorische im Uatsischen Alter- thum It 165, bei den orientalischen Völkern 11 167 f. Zusammenstellung von U l6Sff. Die Seedarlehns- urkunde (.Tnyygaip^) in der Rede desDemoslhenesc. LicritnmIIl72ff. Die Schuld verschreibungen der Nica- relB II 176. Die amorginischen An- leheni Urkunden 11 iSo ff^ Aegyp- tische Papyrus Urkunden II tl)4 f. SpKthellenische ExekutiTurkunden II 1S5 ff. Cession im altgriech. Recht II i8£ff.; solche Urkunden bei Plautus II 191 ff. und Lysias II 196. SiebenbUrg, Darlehnsurkunde II 196. Orderanweisung 1. ii D. de HOT. U 198 ff. EdiLionspflicht II 356 ff., gern ein schaftl. II 398 ff. Mittelalterliche Urkunden, betr. die Seeversicherung It 510 ff. Besiti- erwerb durch Uebergabe von Ur- kunden I 199 ff.

34

V.

▼acnti ponettio abteDtium I 267; Tacnae possessionii tisditio I 226 ff.

Verlust des Besittei, s. Besitz.

vis maioT, frühere BegrifTabeitiTH- muDf^n II 43z fr. Unhaltbukeit dcrtelbea II 414 ff. Wahrer Begriff in der Lcbre Tom 'recepttim nau- taiuro II 430 ff-.

VorbereituD^dieDst, PrarnngiotdnunE und Rechtsstodium I 577 f.

WureDpapicre II laoff. Wechseliccepl II 94 ff. , limitirtes

n 104. Wechselordnung, Art. Zl und die

KrealioDstheorie II 94 ff.

Wertbpapiere , Misiellen zur Theorie der II 73 ff. Pendeiu- n. Eigen- thumstheorie II 77 ff. Prlientatioiu- papiere II Si ff, Sicht- and Nach- sichtpapiere II 93 ff. Tradiiions- papierc II 130 ff. Waarenpspiere laof., insbesondere Ladeschein

II I

der Bestizlehie

Zeichnen, Bedtzerwerb durch I 197 ff.

ZeiUchriften , handelsrechtliche II 4 ff. Aufgaben der Zeitschrift fUr das gesammle Handelsiecht II

iLCD, Google

QUELLENREGISTER

in der Abhandlung

GRUNDLAGEN DER BESITZLEHRE

(Band I Nr. l).

A. Institutionen.

1. 46 S. 318.

1. 77 S. 170, aeg.

II, 1 de R. D.

VI, 3 de pnbl.

I. S. 151.

1. 15 S. 309.

n S. tsr. 288.

VII, I de naufr.

13 S. 166.

1. 13 S 3 S. 308, 309-

14 S. 178, 394.

VII, 4 qoibu» m. Moft. 1. 13 S. 18S.

IS S. 293.

45 S. 195-

L 39 S. 397.

46 S. 188.

VIII, 3 de S. P. U.

47 S. 317-

L 30 pr. S. 336.

II, 7 de luncftp.

VIII, 5 li ten.

f J s! %\ 169.

1. 3 1 3 S. 74. IS»-

IX, 3 «d leg. Aqoil.

pr. § 4 S. 157.

L 37 fi 13 S. 193.

1. 39 S. 387.

9 3 S. ai3.

IX, 4 de BOi. act

ly^ iS de inlerd, 1 4 S. 15J, IS3- 8 5 S. 350, 160, 300.

L 7 pr. S. 5*. 86.

L 13 S. 86.

L 13 S. 86. l. 31 pr. S. 85. 1. 31 |8 a, 3 S. 85 1. 23 § 4 S. 85.

6. Dlgreeten.

1. a de 0. J.

X, 3 f«m. erc

L a § 14 S. 311.

L 8 S I S. 393. X, 4 »d «ihib.

IV, 3 de dolo.

I. 31 S. 301.

1. 3 § 15 S. 67.

IV, 6 ei quib. c. mtior.

1. 4 S. 67.

L 19 S. 73, 158, aSo.

1.5 r. S. 67.

L »3 8 a S. ato.

1. 5 5 S. 183.

1. 30 pr. S. aSo.

LS 6 S. 88.

IV, 7 «le »li«. ind. mut

I. 7 1 S. 67, i«4.

1. 4 § I S. 334.

1. 9 IS. 387.

V, 4 li pa» bered.

1. 15 S. 179, 189. 387.

L 10 S. 105.

1. 16 S. 105.

VI, I de R. V.

Xn, 1 de R. C.

1. 9 S. 88.

1. 4 g 3 S. 3S7.

34-

532

XIII, 6 commod.

1. iS pr. S, 303. Xnt, 7 de pigD. act.

I. 40 § 3 S. 66. XV, I pecul.

]. 8 S. 63. XVIll, 1 de C E.

1. 74 S. 196.

1. 78 S. 64.

T. 78 g I S. 63.

XVIII, 6 de P. et C 1. 1 pr. S. 19«.

I. 1 9 « S. 197. I. 15 g I S. 197-

XIX, 1 de A. E. V.

1. j 8 , S. 1. 3 §1 S.

1 § 13 S. 186. XIX, a locui.

1. 60 § S. 399- XIX. S de pr. »erb.

1. 16 § 1 S. tSS. XXI, I de Md. cd.

1- 17 pr. §§ 1—16 S. 307.

1. 17 g IS S. .36.

XXI, 3 de exe. rei vend. 1. I S. 339.

XXII, 1 de U9uri9.

1. 35 8 1 s. 188.

XXIII, 3 de iure dot

I. 9 8 3 S. 63. 118, i»6, 175.

XXIV, I de doDM. inter vinim et i I. 3 § II S. 316.

). a6 pr. S, 67. 313. I. 46 S. 159.

XXVIII, 5 de bered. bu. 1. 60 pr. S. 158.

XXIX. » de «cqn. vel om. bered. 1. 43 S. ZIS.

XXXIII, 7 de inslr. vel iniUniii. leg.

1. 12 § 45 S. 106. XXXVI. 4 ul in pou. leg.

I. 5 §8 2 ff- S. 105. XXXIX, 3 de damno inf.

I. 9 8 I, 3 S. 387.

I. IS g 18 S. loj.

I. 15 § 21 S. 17=. 3>7- XXX IX, S-

I. 6 S. 63,

XL,

3'

170,

de lib.

bis 7 S. 1

1. 7 I S S. 1^8, 311

1. I

bu

311.

5- "S8. 3 .»I4S

L 24 pr. S. 311, 1. 15 § 2 S. 308. 309, 310 ff. I. 39 pr, S. 313. XU, I de A. R. D. 1. I § I S. 15., 189.

I. »3 S. 157, 310.

I. 23 I ff. S. 309.

I- 37 f- S- 309-

I. 39 S. 309.

44 S. 83, 2S9.

, 53 S. los-

. 53 S. 74-

- 54 S. 157. 310.

I. 54 S 4 S- 308. 309.

I. 55 S. 83, 163, 166,

ago. 34+ ,1, 3 A. V. A. P. I. I pr. S. 58. 60, 112.

I 6 S. 157. 81 9. S. in. I 14 S. 308, 309. l .5 S. 66. 215. "- 16. 17 S. 315. o S. 173. 3«9.

167, 17'.

>S7.

S 1 S. 93, 94. 167, 189. \ 3 S. 62, 66, 74, 93, 9S, 96, 10, 179, tSo. - 3 S i S. 53, 59, 64, 153, 315,

1. 3"! 6 S. 93. I. 3 S 7 S. 157

33'-

L3 88

300, 301. I. 3 g 9 S. 381, 381. L 3 I 10 S. 157, 277, 310, 311,

. 3 8 13 S. 211, 313.

Ogk

Gnindkgen der Bctittldire.

533

3 g 13 S. 60, 61. las, ia6, 175, a74, a84,aM,3S8, agi, 895,303. 3 I 14 S. 176, 178, 390. 3 B 15 S. 119. 290, »91, »94. 3 § 16 S. 394. 3 I 17 S. 381. 3 8 18 S. 189, 397. 3 I ao S. 105.

5 S. 185.

6 pr. S. 187, »51. 661$. 34S, 353, g6o, aSa.

7 S. 353, 357, 335.

8 S. 93, 339 C

9 S. sSi.

1. 10 1, 3 S. 105. 1. 13 1 S. ISO.

L 48 S. 166, 170.

1. 49 V- S. 74. 314.

1. 13 r. S. 386, 308.

1. 49 i « S. 74. lOS- 1. SO 1 1 S. 307. 309 1. 51 S. 61, 9S, 167,

1. "3 3 S. 309, 3IO.

1. IS . »83, 307.

1. 15 M aa. 34> 35 S. a?»- 1. 16 . 333.

1. Sa pr. S. 150.

L Sa 8 3 S. 232.

1. 17 1 S. 338, 331.

1. SSS- "8.

1. 18 I s. 319-

XLI, 3 de Murp.

L 18 3 S. 118. 136, 167

170,

1,4 8S. 1.9.

17 . 186.

1. 4 II S. taö.

1. 18 3 S. 187, 354, 360,

361.

1. 4 la S. 89.

1. 18 4 S. 187, 154.

1. 4 13 S. 74.

1. 19 I S. 105, 314.

1. 4 33 S. 186.

I. ao . 380, 397, 398.

1. 4 37 S. 186.

L 31 I S. 318 1. 33 . 361, 383.

1. 5 S. 28a.

1. 15 pr. S. 158, 380.

1. 33 pr. S. 74-

1. IS 1 I S. 309, 310

1. 33 1 H. 158 380.

L 16 S. 315.

1. 33 § 2 S. 67, 83, IS7. I. 34 S. 67, 74, los, 313.

L 30 S. 279.

1. 31 . 281.

1. 34 1 1 s. 397.

L 35 § I S. 105, 331, 381

1. 30 « S. 164.

397.

1. 31 1 S. 310.

300.

1. 3" 3 S. 297.

I. 35 S 3 S. 63. 350, 358

a6o.

1-31 SS. »79-

283, 335.

I. pr. S. ai8.

I. 37 S. a6a, 337.

1. 33 > S. 105.

1. 38 S. 105.

1- 33 4 S. 303.

1. 39 S. 74i 363, 337.

1. 33 5 S. 38t.

1. 30 pr. S. 164.

1. 33 6 S. lOS, 307

L 30 I S. 156, 157.

1. 37 > S. 1S6, 366

L 30 3 S. 335 A.»

1. 38 . 367.

1. 30 3 S. a8i.

I. 40 S. 280.

L 30 4 S. 337-

I. 44 F- S. 158.

1. 30 5 S. 74, 93.

1. 44 8 3 S. a8o

L 30 6 S. 105, 114, 38t,

397-

1. 44 8 7 S. los, 380

I. 31 . 300, 301.

XLI, 4 pro empt.

I. 33 1 S. 197.

1. 6 g 3 S. 383.

1. 33 2 S. 113.

1. 7 pr. S. 3C»-

l. 33 '8s.

1. 7 8 8 S. 157.

1. 34 pr. S. 95. 16s. 330-

XLI, S pro heiede.

L 34 a S. 309, 310.

1. 3 § I S. 67, ,04.

I. 35 5. 153.

XLI, 6 pro donuo.

I, 38 I S. 3». L 38 3 S. a.s.

1. I pr. 8 3 S. 333.

L 5 S. 333.

1. 39 137.

XLI, 7 pro derd.

1. 40 pr. S. 307.

1. 40 g I S. 313, 271, 381, 3S2,

300 ff. 1. 41 S. 105. L 44 pr. S. 179, 180, 343, 37a,

384. L 44 § 1 S. 9S, 311, aia, L 44 S 2 S. 356, 301, 331. 1- 44 8 7 S. 331. 1. 44 I 8 S. 331. 1. 45 S. »48, 356. L 46 S. 356, 303, 335, 338, 340, 1. 47 S. 359, 374, 385, »88, 394 £

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1. I s. 317, 340.

1. 3 8 » S. 364.

1. 3 pr. S. 317.

1. 14 B 'S s. 119.

1. 3 f 1 S. 317. 333-

1. 31 Ü. 1S9.

L 3 S. 318.

1. 36 pr. S. 178.

L 5 S > S. 188.

1. 36 1 I S. 188.

XU, 8 pio IcgMo.

!• 43 IS s. "^ " S. 317.

L 8 S. .8s.

1. S* II "3. 19 S. 189.

XUII, I da interdictu.

L s8 S. 189.

1. I pr., 1. 3 §8 1, I S. 156.

1. 68 pr. S. 397, 398.

XUll, 8 ne quid in loco pnblieo.

XLVII, 4 U qni tettun.

l 3 § 38 S. 52.

L I S «5 S. 74, 93. »79-

XLIII, 16 d. ri.

XLVII, 19 eipU. hered.

L 1

pr. 8 6 S. Sl.

I. «81 S.74.

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9S. 67.

XUX. 15 de cpt.

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10 S. 67, 3*3.

1. 13 8 3 S. 66, 73. a8o. L 23 1 3 S. 380.

I. 1

33 S. 313. 381, 301.

L I

34 S. 186, 187, 3S7, 360, 382.

L, 16 de V.S.

1. t

»5 S. 333.

1. IIS S. 53, ISO, 153.

I. 1

38 S. iSä, 187, 261, 282.

1. 21S, S. 84.

Li

39 S. 186.

L. 17 de R.J.

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38 S. 167, 187.

1. I S. 335-

1. I

45 S. 381, 396.

1. 33 S. 303.

1. I

47 S. 187, 383.

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1.3

g 6, 7 S. 186.

L 93 S. 67.

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l. 119 S. 324.

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9 S. 260, 2S3.

L 153 S. 93, 339 «■

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14 S. 258, 3äO. 383, 336.

L n S. 283.

L 13 S. 383, 398.

C. Codex.

1. 17 S. 360, 361, 383. 1. 18 S. 186, 383, 29S.

III. 19 nbi iD rem «ct.

L 2 S. 89.

I. 18 pr. S. 331.

IV, 19 de prob.

L 30 S. 301.

1. 12 S. 186.

XUII, 17 Uli po«dd.

1. 30 S. 207.

I. I pr. S. 50,

IV, 49 de A.KV.

I. I 18 a. 3 S. 15a.

1. 8. S. 186.

L I f 4 S. .53-

VI, 1 de fagiti™.

1. 2 g. IS3.

I. I s. 307. 308.

XUn, 36 de precuio.

1. 4ff. S. 308.

L 3 pr. S. Sl. 1. 6 1 3 S. 105.

VI, 3 de fnrtifc

1. 9. 10, 13 pr. S. 89.

1. 15 8 S. 3IS. 3M, 340.

1. 13 S. 308.

L 19 PT. S. 51- 1. 31 S. 105.

1. 21 S. 86.

VII, 6 de Ut. lib. toU.

XUn, 31 tttrnbi.

1. nn. 8 il> S. 307.

1. I pr. S, so. 1. 1 1 I S. 153.

VII, 3a de «cqu. et ret. poaa.

L 3. S. iSi.

XUV. 3 de excep. rei indic

L 3 S. 66, 112.

1. 1+ § 3 S. 153.

1. 4 S. 94. 269. 3"8.

XLV, 1 de V.O.

1. s S. lOS-

1. 38 8 6 S. 159.

I. 10 S. 7St 94-

1. 38 88 7. 8 S, 67. 105.

1. 13 S. 263, 300, 301, 303, 307

1. 38 1 9 S. S».

Vin, 4 Diide vi.

XLV, 3 de itip. «erv.

i. 11 s. 263, 269, 37'.

1. 36 s. 317.

Vra, 5 »i per Tim.

XLVI, 3 de »lut

L I S. 301.

1. 79 S. 61, 119, 171.

VIU, 6 uti pooid.

XLVII, 2 de fiirL

l. OD. S. 153.

1. I § 3 S, 189, 297, 398.

Vin, 37 de diitr. pign.

1. 1

3 S. 189.

1. 13 S. 186.

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Vni, 53 de don.

1. I S. 199 fr.

1. a6 S. 166. XI, 59 de omni tigr. deiert,

1. Iff. S. 318.

1. 8 S. >70, 31S.

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I, 32 S. 207.

I, 52, S. 67,

II, 4S ff. S. 156. II, 51 S. 267. II, 60 S. 105.

U, 66 S. 151, 189.

II, 67 S. 288.

II, 68 S. 293.

II, 6g S. 151, 189.

II, 86 S. 157.

II, 89 S. 213.

III, 56 S. 207.

IV, si S. 56. IV, 14S S. 152. IV, 150 S. 50. IV, IS3 S. 94.

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31 g 27 S. 3>7. 31S.

3' § 37 S. 86.

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